J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick Praxis der Viszeralchirurgie Endokrine Chirurgie
J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick (Herausgeber)
Praxis der Viszeralchirurgie
Endokrine Chirurgie M. Rothmund (Bandherausgeber) 2. Auflage
Mit 426 zum Teil farbigen Abbildungen und 100 Tabellen
123
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Volker Schumpelick Universitätsklinik und Poliklinik Medizinische Fakultät der RWTH Pauwelsstr. 30 52057 Aachen
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Rüdiger Siewert Chirurgische Klinik und Poliklinik Technische Universität München Klinikum rechts der Isar Ismaninger Str. 22 81657 München
Prof. Dr. med. Matthias Rothmund Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH Standort Marburg Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Baldinger Straße 35043 Marburg
ISBN 978-3-540-22717-5
Springer Medizin Verlag Heidelberg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.com © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2007 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Fritz Kraemer, Heidelberg Projektmanagement: Willi Bischoff, Heidelberg Design: deblik Berlin Copy-Editing: Ursula Illig, Stockdorf Satz und Reproduktion der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg SPIN: 10826979 Gedruckt auf säurefreiem Papier
106/2111/BF – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Nach sieben Jahren erscheint jetzt die zweite Auflage der »Endokrinen Chirurgie« als 3. Band der »Praxis der Viszeralchirurgie«. In dieser zweiten Auflage kamen neue Autoren und neue Kapitel hinzu. Alle Kapitel wurden aktuell überarbeitet. Soweit neue Autoren gewonnen werden konnten, wurden die Kapitel völlig neu geschrieben. Ergänzt wurde der Band durch Kapitel, die in der ersten Auflage fehlten, wie z. B. das Kapitel über neuroendokrine Tumoren des Bronchialsystems, über das von Hippel-Lindau-Syndrom oder die Neurofibromatose. Zahlreiche Tabellen und Abbildungen wurden aktualisiert, ebenso die Literaturverzeichnisse. Somit wurden die Fortschritte, die in den letzten Jahren gemacht wurden, in den zweiten Band eingebracht, wie z. B. die Entwicklung in der minimal-invasiven Chirurgie von Schilddrüse, Nebenschilddrüsen, Nebenniere und endokrinem Pankreas. Berücksichtigt wurden aber auch neuere diagnostische Methoden, sowohl im Bereich der Labordiagnostik als auch bei bildgebenden Verfahren. Der Band soll dazu beitragen, das Wissen von Kollegen, die auf dem Weg zum Viszeralchirurgen oder zur Viszeralchirurgin sind oder diese Qualifikation schon erreicht haben, zu vermehren und ihr Interesse an dem so faszinierenden Gebiet der endokrinen Chirurgie zu wecken oder zu vertiefen. Ich danke meinen Mitarbeitern Dr. Fendrich, Dr. Hoffmann, Dr. Karakas, Priv.-Doz. Dr. Langer und Dr. Waldmann für ihre Hilfe bei der Durchsicht der Korrekturfahnen, vor allem aber Prof. Dr. D. K. Bartsch, für seinen unermüdlichen Einsatz als Redakteur und Frau Sawetzki für die wie immer perfekte Sekretariatsarbeit. Gedankt sei auch Herrn Dr. Kraemer und Herrn Bischoff vom SpringerVerlag, die die Entstehung der zweiten Auflage von Anfang an begleiteten und erfolgreich abschlossen. Ich wünsche den Leserinnen und Lesern, dass sie einen maximalen Gewinn beim Lesen dieses Bandes haben und gelegentlich auch Freude. Marburg im Frühjahr 2007 M. Rothmund
Vorwort der 1. Auflage Die endokrine Chirurgie ist ein Teil der Viszeralchirugie und befaßt sich mit der operativen Behandlung von Erkrankungen der Schilddrüse, der Nebenschilddrüsen, der Nebennieren und des endokrinen Pankreas. Natürlich ist die endokrine Chirugie im Grunde viel weiter zu fassen. Neurochirurgen betreiben endokrine Chirurgie, Urologen oder Gynäkologen ebenfalls, wenn sie Tumoren der Hypophyse oder endokrin beeinflußbare Tumoren wie Prostata- oder Mammakarzinome behandeln. Die Therapie des letztgenannten Tumors liegt daher auch in den meisten westlichen Industrieländern in der Hand von Chirurgen, die endokrine Chirurgie betreiben. In Deutschland gibt es berufspolitische Abgrenzungsprobleme zu den Urologen (Nebennierentumoren) und den Hals-Nasen-Ohren-Ärzten (Schilddrüse). Solche Probleme können formal durch Abstimmung der Weiterbildungsordnungen der verschiedenen Gebiete oder durch Absprachen zwischen den Fachgesellschaften gelöst werden. Der Patientenstrom vor Ort wird jedoch nur durch Qualität gelenkt. Die Patienten werden dorthin gehen, wo Wissen um Pathogenese, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie der einschlägigen Erkrankungen vorliegt und wo die operative Therapie auf hohem Niveau stattfindet. Wissen und Qualität hängen dabei nicht vom Umfeld ab. Der gut belesene, in der Indikationsstellung erfahrene und technisch versierte Operateur am kleineren Krankenhaus kann die gleiche Qualität und Expertise haben wie der endokrin-chirurgische Spezialist an einem universitären Zentrum. Er muß auch gleiches Niveau bieten, da zumindest Schilddrüsenoperationen zu den vier häufigsten Eingriffen in der Viszeralchirurgie gehören und fast an jeder chirurgischen Klinik vorgenommen werden. Dieses Buch soll Viszeralchirurgen und solchen, die es werden wollen, aber auch allen anderen Chirurgen, die ein spezifisches Interesse an der endokrinen Chirurgie haben, ermöglichen, Wissen zu aquirieren und zu vertiefen. Es ist gelungen, die kompetentesten Autoren aus den entsprechenden Zentren Deutschlands und dem benachbarten Ausland für die jeweiligen Beiträge zu gewinnen. Die Kapitel sind so abgefaßt, daß ein Chirurg vor einer schwierigen diagnostischen oder therapeutischen Entscheidung alle Informationen erhält, die ihm helfen, seine Entscheidung auf eine rationale Basis zu stellen. Neben Chirurgen soll der Band auch Endokrinologen, Nuklearmediziner und andere Ärzte ansprechen, die sich mit endokrinen Tumoren und Funktionsstörungen endokriner Organe befassen. Der Text gibt auch Anregung für bisher nicht endokrin interessierte Kollegen, sich dieses spezielle Feld der Viszeralchirurgie zu erschließen. Für die Herausgeber und die meisten Autoren ist die endokrine Chirurgie eine faszinierende Tätigkeit. Abgesehen von einem besonderen operativ-technischen Anspruch ist das ein Feld, das bei gelegentlich laviertem klinischen Krankheitsbild und komplizierten Zusammenhängen der Pathophysiologie von Hormonen und hormoneller Interaktion, eine besondere intellektuelle Herausforderung gegenüber anderen Teilen der Chirurgie darstellt. Nur das Verständnis der zugrundeliegenden Erkrankungen und aller ihrer Aspekte ermöglicht eine richtige Indikationsstellung und gute operative Ergebnisse. Ich bin vielen Menschen im Zusammenhang mit der Fertigung dieses Bandes verpflichtet: zunächst meinem Lehrer, der mich in die Welt der endokrinen Tumoren eingeführt hat, vor allem aber den Autoren, die sich bei aller sonstigen Belastung bereit erklärt haben, ihr Wissen niederzuschreiben, wie auch den Mitarbeitern der Klinik für Allgemeinchirurgie der Philipps-Universität Marburg, die mir die Freiräume verschafft haben, die zur Erstellung dieses Buches nötig waren. Besonderen Dank verdient Frau Dr. A. Heinz vom Springer-Verlag, die die Entstehung des Buches aufmerksam begleitet und vorangetrieben hat, Frau M. Litterer von Pro Edit, die für die Herstellung verantwortlich war, sowie Frau U. Sawetzki, Marburg, die die umfangreichen Sekretariatsarbeiten routiniert und mit Übersicht erledigte. Marburg, im Frühjahr 2000 M. Rothmund
VII
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3
1.4 1.4.1 1.4.2
1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5 1.5.6 1.5.7 1.5.8
1.6 1.7 1.8 1.8.1 1.8.2 1.8.3 1.8.4 1.8.5 1.8.6 1.8.7 1.8.8 1.8.9
1.9
2
Hypophyse und Hypothalamus G. Brabant, M. Buchfelder Physiologie von Hypophyse und Hypothalamus Epidemiologie und Pathogenese von Hypophysentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ophthalmologische Diagnostik bei suprasellären Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgebende Diagnosik bei raumfordernden Prozessen im Sellabereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik hormoninaktiver Tumoren . . . . . . . . . . Diagnostik von Unterfunktionszuständen . . . . . Hypophysenvorderlappeninsuffizienz . . . . . . . . . . Diabetes insipidus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik von Überfunktionszuständen . . . . . Übersekretion von GH: Akromegalie und Gigantismus Übersekretion von Prolaktin: Hyperprolaktinämie und Prolaktinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersekretion von ACTH: Morbus Cushing . . . . . . . Übersekretion von ACTH: Nelson-Syndrom . . . . . . . Übersekretion von LH oder FSH: Gonadotropinproduzierende Adenome . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersekretion von TSH: inappropriate Sekretion von TSH und Thyreotropinome . . . . . . . . . . . . . . . Kraniopharyngeome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seltene Tumoren im Sellabereich und Entzündungen
2 4 5
2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.1.8 2.1.9 2.1.10
2.2 5 6 7 8 8 9 10 10 11 12 13
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7
2.3
Pathologie der nichtneoplastischen Schilddrüsenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 2.3.2
Euthyreote Struma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thyreoiditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epidemiologie der Schilddrüsenerkrankungen . . Struma und Schilddrüsenknoten . . . . . . . . . . . . . Schilddrüsenautonomie und jodinduzierte Hyperthyreose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schilddrüsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Basedow und Autoimmunthyreoiditis . . . . . Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen . . . . Funktionsuntersuchungen der Schilddrüse . . . . . . . Bildgebende Verfahren und invasive Diagnostik . . . Euthyreote Knotenstruma . . . . . . . . . . . . . . . . Rationelle Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikamentöse Prophylaxe und Therapie . . . . . . . Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prophylaxe und Therapie des Rezidivs . . . . . . . . . . Hyperthyreose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autonomien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immunthyreopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jodinduzierte Hyperthyreose . . . . . . . . . . . . . . . Benigne Schilddrüsentumoren . . . . . . . . . . . . Pathologie der Schilddrüsenadenome . . . . . . . . . . Diagnostisches Vorgehen bei solitärem oder dominantem Knoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maligne Schilddrüsentumoren . . . . . . . . . . . . . Pathologie der Schilddrüsenkarzinome . . . . . . . . . Differenzierte Schilddrüsenkarzinome . . . . . . . . . . Medulläre Schilddrüsenkarzinome . . . . . . . . . . . . Undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome . . . . . . . . Nichtepitheliale Schilddrüsentumoren und Metastasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thyreoiditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akute Thyreoiditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subakute Thyreoiditis (de Quervain) . . . . . . . . . . . Autoimmunthyreoiditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderformen der Thyreoiditis . . . . . . . . . . . . . . Perineoplastische Thyreoiditis . . . . . . . . . . . . . . . Die chirurgische Therapie der Thyreoiditis . . . . . . .
2.4 13 13 14 14
2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4
Therapie der Hypophysenvorderlappeninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Therapie des Diabetes insipidus . . . . . . . . . . . . 15 Therapie von Hypophysenadenomen . . . . . . . . 16
2.5
Operative Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie von Akromegalie und Gigantismus . . . . . . Therapie von Prolaktinomen . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie des Morbus Cushing . . . . . . . . . . . . . . . Therapie des Nelson-Syndroms . . . . . . . . . . . . . . Therapie der inappropriaten Sekretion von TSH . . . . Therapie der hormoninaktiven Hypophysenadenome Therapie der Kraniopharyngeome . . . . . . . . . . . . Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4
16 18 18 19 20 21 22 22 22 22 22
2.1
Schilddrüse K.-M. Derwahl, M. Dietlein, C. Dotzenrath, H. Dralle, J. Farahati, J. Feldkamp, C.D. Gerharz, O. Gimm, P. Goretzki, M. Gotthardt, A.E. Heufelder, L.C. Hofbauer, M. Hofmann, M. Hüfner, K. Joseph, M. Kalinowski, A. Machens, K. Mann, C. Reiners, M. Rothmund, J. Rüschoff, B. Saller, W.A. Scherbaum, H. Schicha, M. Schott, K.-M. Schulte, P.-M. Schumm-Draeger, C. Spitzweg, A. Zielke Pathophysiologie der Schilddrüse . . . . . . . . . . 27
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
Embryologie, Anatomie und Histologie Jodstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . Synthese der Schilddrüsenhormone . . Freisetzung der Schilddrüsenhormone
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
27 27 27 28
Transport der Schilddrüsenhormone . . . . . . . . . . . Hypothalamisch-hypophysäre Steuerung . . . . . . . . Pathophysiologie der Struma . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie des benignen Schilddrüsenknotens Pathophysiologie des Schilddrüsenkarzinoms . . . . . Pathophysiologie des Morbus Basedow . . . . . . . . . Chirurgische Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Embryologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Topographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arterielle Blutversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Venöser Abfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innervation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lagebeziehung der Schilddrüse zu den Nebenschilddrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lymphabfluss der Schilddrüse und die Strukturen des Trigonum caroticum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.1 2.5.2
2.6
2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3
2.8 2.8.1 2.8.2
2.9 2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4 2.9.5
2.10 2.10.1 2.10.2 2.10.3 2.10.4 2.10.5 2.10.6
28 28 29 29 30 31 33 33 33 34 34 35 35 36 37 37 38 40 40 41 41 41 42 42 43 59 60 63 67 75 79 79 92 112 117 117 119 123 123 131 149 161 165 172 172 173 174 176 176 177
VIII
Inhaltsverzeichnis
3
Nebenschilddrüsen B. Allolio, A. Bergenfelz, E. Blind, Th. Clerici, M. Dietel, C. Franzius, M. Gotthardt, B. Niederle, E. Ritz, M. Rothmund, T. Schilling, H.J. Wagner, D. Weismann, A. Zielke Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8 3.1.9
3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9 3.3.10 3.3.11 3.3.12 3.3.13
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.4.7
3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6
3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6
Regulation des Kalziumhaushaltes . . . . . . . . . . . . Parathormon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation der Parathormonsekretion . . . . . . . . . . 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-Hormon . . . . . . . . . . . Kalzitonin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Parathormon-related«-Protein . . . . . . . . . . . . . . Einteilung der Kalziumstoffwechselstörungen . . . . . Formen des Hyperparathyreoidismus . . . . . . . . . . Familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie . . . . . . . Chirurgische Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Makroskopische Anatomie der normalen Nebenschilddrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Makroskopische Pathologie der Nebenschilddrüsen . Pathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Makroskopische Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . Topographie und Lagevariationen . . . . . . . . . . . . Mikroskopische Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Mikroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematik des Hyperparathyreoidismus . . . . . . . . Pathologie des primären Hyperparathyreoidismus . . Primäre Nebenschilddrüsenhyperplasie . . . . . . . . . Pathologie des sekundären Hyperparathyreoidismus Weitere Nebenschilddrüsenläsionen . . . . . . . . . . . Kooperation zwischen Chirurg und Pathologe bei der operativen Therapie des Hyperparathyreoidismus . . Primärer Hyperparathyreoidismus . . . . . . . . . . Epidemiologie und Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Labordiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalisationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik und Therapie des persistierenden und rezidivierenden Hyperparathyreoidismus . . . . . Nichtoperative Therapieoptionen . . . . . . . . . . . . . Nebenschilddrüsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärer Hyperparathyreoidismus . . . . . . . . Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epidemiologie und klinische Symptomatik . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie des rezidivierenden und persistierenden sekundären Hyperparathyreoidismus . . . . . . . . . . Hypoparathyreoidismus . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ätiologie und Inzidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
183 183 183 184 184 184 184 184 185 186 187 187 188 192 194 194 194 194 195 195 195 196 197 199 203 205 206 206 209 209 212 215 228 246 253 255 257 257 259 260 262 266 273 276 276 276 277 277 278 279
4.1
Nebennieren B. Allolio, P.J. Barth, F. Beuschlein, H. Dralle, O. Gimm, K.J. Klose, H. Lehnert, A. Machens, R. Moll, C. Nies, M. Reincke, N. Reisch, M. Rothmund, J. Waldmann, O. Zwermann Pathophysiologie der Nebenniere . . . . . . . . . . 282
4.1.1 4.1.2
Nebennierenrinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nebennierenmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2
Chirurgische Anatomie, konventionelle und minimalinvasive Zugänge zur Nebenniere . . . .
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Anatomie . . . . . . . . Lagebeziehungen . . . Gefäßversorgung . . . Chirurgische Zugänge
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.3.8 4.3.9 4.3.10
4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8
4.5 4.5.1 4.5.2
4.6 4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4 4.6.5
282 293
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
296 296 296 297 297 304 304 305 306 306 307 309 312 312 315 316 318 318 323 336 344 347
. . . . . . . . . . . . Folgeerscheinung der Adrenalektomie . . Diagnostik der Unterfunktion . . . . . . . . . . Therapie der Unterfunktion . . . . . . . . . . . . Primäre Unterfunktion der Nebennieren . Epidemiologie und Klinik . . . . . . . . . . . . . Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
354 356 362 370 370 371 371 371 372 373 373 374
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathologie der Nebenniere . . . . . . Nebennierenentzündungen . . . . . . . Kreislaufstörungen . . . . . . . . . . . . . Nebennierenzysten . . . . . . . . . . . . . Nebennierenrindenhyperplasien . . . . Nebennierenrindenadenome . . . . . . Nebennierenrindenkarzinome . . . . . . Myelolipom . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tumoren des Nebennierenmarkes . . . Seltene primäre Nebennierentumoren Metastasen in der Nebenniere . . . . . . Nebennierentumoren . . . . . . . . . . Funktionsdiagnostik . . . . . . . . . . . . Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . Phäochromozytom . . . . . . . . . . . . . Primärer Hyperaldosteronismus . . . . . Adrenales Cushing-Syndrom . . . . . . . Adrenalektomie beim Morbus Cushing (hypophysäres Cushing-Syndrom) . . . Das Inzidentalom und seltene Tumoren Adrenokortikales Karzinom . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX Inhaltsverzeichnis
5
5.1 5.1.1 5.1.2
5.2 5.2.1 5.2.2
5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7 5.3.8 5.3.9
5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4
Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems H. Ahlman, R. Arnold, D.K. Bartsch, V. Fendrich, P.H. Kann, G. Klöppel, K.J. Klose, P. Langer, M. Rothmund, S. Schaefer, B. Simon, B. Stinner, H.J. Wagner, B. Wiedenmann Pathophysiologie der endokrinen Zellen des gastroenteropankreatischen Systems . . . . . . . . Regulatorische Peptide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie der endokrinen Zellen . . . . . . . . Chirurgische Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exploration und Resektion des Pankreaskopfes . . . . Exploration und Resektion von Pankreaskorpusund -schwanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Histologie, Nomenklatur und Pathologie . . . . . Hyperplastische Veränderungen des diffusen neuroendokrinen Zellsystems des Gastrointestinaltrakts . . Endokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes . . . . Nesidioblastose des Pankreas bei persistierender Hypoglykämie mit Hyperinsulinismus (PHH) . . . . . . Tumoren des endokrinen Pankreas . . . . . . . . . . . . Insulinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gastrinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIPom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glukagonom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuroendokrine Tumoren des Pankreas . . . . . . Insulinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Duodenale und pankreatische Gastrinome . . . . . . . Nichtfunktionelle neuroendokrine Pankreastumoren Seltene neuroendokrine Pankreastumoren . . . . . . .
5.5
Neuroendokrine Tumoren des Magen-DarmTraktes (Karzinoidtumoren) . . . . . . . . . . . . . . .
5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4
Funktionsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuroendokrine Tumoren des Magens . . . . . . . . Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) des Dünnund Dickdarms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie von Lebermetastasen neuroendokriner Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.5.5
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
385 386 394 396 398 398 399 399 400 403 403 423 431 439
457
.
466 480 480 480 480 481
Epidemiologie . . . . . Klassifikation . . . . . . Klinische Symptomatik Diagnostik . . . . . . . .
. . . .
384 384
.
5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4
. . . .
378 378 380 382 382
. . . .
Multiple endokrine Neoplasien D.K. Bartsch, H. Dralle, V. Fendrich, O. Gimm, N. Habbe, W. Höppner, P. Langer, A. Machens, H. Rieder, M. Rothmund MEN-1-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
486 486
. . . . .
. . . . .
490 492 497 499 499
. . . . . . . Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen) . Klinische Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phäochromozytom bei NF1 . . . . . . . . . . . . . . . . Neuroendokrine Tumoren des Duodenums und des Pankreas bei NF1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
504 507 513 516 517 518 519 520 520 521
.
521
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
525
6.1.1 6.1.2
443 443 443 453
Neuroendokrine Tumoren des Bronchialsystems . . . .
6.1
. . .
5.6
. . . .
6
6.1.3 6.1.4
6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3
6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3
Klinische Symptomatik, Diagnostik und Screening Molekulargenetik und molekulargenetische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuroendokrine Tumoren des Thymus . . . . . . . MEN-2-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatik, Diagnostik und Screening Molekulargenetik und molekulargenetische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humangenetische Beratung . . . . . . . . . . . . . . von-Hippel-Lindau-Syndrom . . . . . . . . . . . . Phäochromozytom beim VHL-Syndrom . . . . . . . Pankreaserkrankungen beim VHL-Syndrom . . . . Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Autorenverzeichnis Ahlman, H., Prof. Dr. med.
Buchfelder, M., Prof. Dr. med.
Fendrich, V., Dr. med.
Endocrine Unit Department of Surgery Sahlgrenska Sjukhuset S-41345 Göteborg Schweden
Universitätsklinik Erlangen Klinik für Neurochirurgie Schwabachanlage 6 91054 Erlangen
Philipps-Universität Marburg Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Baldingerstr. 35033 Marburg
Clerici, Th., Dr. med. Allolio, B., Prof. Dr. med.
Kantonspital Klinik für Chirurgie Rorschacherstr. CH-9007 St. Gallen Schweiz
Franzius, C., Priv.-Doz. Dr. med.
Universitätsklinikum Würzburg Medizinische Klinik und Poliklinik I Josef-Schneider-Str. 2 97080 Würzburg
Arnold, R., Prof. Dr. med.
Derwahl, K.-M., Prof. Dr. med.
Gerharz, C. D., Prof. Dr. med.
Wittelsbacherstr. 6 80469 München
St. Hedwig-Krankenhaus Berlin Klinik für Innere Medizin Grosse Hamburger Str. 5–11 10115 Berlin
Evangelisches Krankenhaus Bethesda Pathologisches Institut Heerstr. 219 47053 Duisburg
Dietel, M., Prof. Dr. med.
Gimm, O., Priv.-Doz. Dr. med.
Humboldt-Universität Berlin der Charité Institut für Pathologie Schumannstr. 20–21 10117 Berlin
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Klinikum Kröllwitz Ernst-Grube-Str. 40 6120 Halle
Dietlein M., Priv.-Doz. Dr. med.
Goretzki, P. E., Prof. Dr. med.
Klinikum der Universität zu Köln Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Joseph-Stelzmann-Str. 9 50924 Köln
Städtische Kliniken Neuss Lukaskrankenhaus GmbH Preussenstr. 84 41464 Neuss
Dotzenrath, C., Frau Prof. Dr. med.
Gotthardt, M., Priv.-Doz. Dr. med.
Kliniken St. Antonius GmbH 2. Chirurgische Klinik Vogelsangstr. 106 42107 Wuppertal
Universitair Medisch Centrum St. Radboud Nucleaire Geneeskunde Postbus 9101 NL-6500 Nijmegen Niederlande
Barth, P.J., Prof. Dr. med. Philipps-Universität Marburg Institut für Pathologie Baldingerstr. 35043 Marburg
Bartsch, D.K., Prof. Dr. med. Städtische Kliniken Bielefeld Klinik für Allgemein- u. Visceralchirurgie Teutoburger Str. 50 33604 Bielefeld
Bergenfelz, A., Docent Dept. of Surgery Lund University Hospital S-22185 Lund Sweden
Beuschlein, F., Prof. Dr. med. Klinikum der Universität München Klinikum Innenstadt Ziemssenstr. 1 80336 München
Blind E., Priv.-Doz. Dr. med. European Medicines Agency 7 Westferry Circus Canary Wharf London E14 4HB United Kingdom
Universtitäsklinikum Münster Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Albert-Schweitzer-Straße 33 48149 Münster
Dralle, H., Prof. Dr. med. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Klinikum Kröllwitz Ernst-Grube-Str. 40 6120 Halle
Farahati J., Priv.-Doz. Dr. med. Evangelisches Bethesda-Krankenhaus Klinik für Nuklearmedizin Bocholder Str. 11–13 45355 Essen
Habbe, N., Dr. med. Philipps-Universität Marburg Klinik für Visceral, Thorax- und Gefäßchirurgie Baldingerstr. 35043 Marburg
Heufelder, A.E., Prof. Dr. med. Elisenstr. 3a 80335 München
Brabant, G., Prof. Dr. med. Dept. of Endocrinology Christie Hospital University of Manchester Manchester M20 4BX UK
Feldkamp, J., Priv.-Doz. Dr. med.
Hofbauer, L.C., Priv.-Doz. Dr. med.
Städtische Kliniken Bielefeld Allgemeine Innere Medizin Teutoburger Str. 50 33604 Bielefeld
Philipps-Universität Marburg Klinik für Innere Medizin Baldingerstr. 35043 Marburg
XI Autorenverzeichnis
Hofmann M., Dr. med.
Machens, A., Priv.-Doz. Dr. med.
Ritz, E., Prof. Dr. med.
Klinikum Kassel Pathologisches Institut Mönchebergstr. 41–43 34125 Kassel
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie Ernst-Grube-Str. 40 6120 Halle
Universitätsklinikum Heidelberg Reha-Zentrum für chronisch Nierenkranke Bergheimer Str. 56 a 69115 Heidelberg
Höppner W., Prof. Dr. med. Universität Hamburg Bioglobe GmbH Grandweg 64 22529 Hamburg
Rothmund, M., Prof. Dr. med. Mann, K., Prof. Dr. med. Universitätsklinikum Essen Klinik für Endokrinologie Hufelandstr. 55 45122 Essen
Philipps-Universität Marburg Klinik für Visceral, Thorax und Gefäßchirurgie Baldingerstr. 35043 Marburg
Georg-August-Universität Göttingen Abteilung Gastroenterologie und Endokrinologie Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen
Moll R., Prof. Dr. med.
Rüschoff, J., Prof. Dr. med.
Philipps-Universität Marburg Institut für Pathologie Baldingerstr. 35043 Marburg
Klinikum Kassel Pathologisches Institut Mönchebergstr. 41 - 43 34125 Kassel
Joseph, K., Prof. Dr. med.
Niederle, B., Prof. Dr. med.
Saller, B., Dr. med.
Am Kornacker 51 35041 Marburg
Universitätsklinik Wien Klinik für Allgemeinchirurgie Währinger Gürtel 18–20 A-1090 Wien Österreich
Universitätsklinikum Essen Klinik für Endokrinologie Hufelandstr. 55 45122 Essen
Hüfner, M., Prof. Dr. med.
Kalinowski, M., Priv.-Doz. Dr. med. Philipps-Universität Marburg Zentrum für Radiologie Baldingerstr. 35043 Marburg
Kann, P.H., Prof. Dr. med. Philipps-Universität Marburg Klinik für Innere Medizin Baldingerstr. 35043 Marburg
Klöppel, G., Prof. Dr. med. Universitätsklinikum Institut für Pathologie Michaelisstr.11 24105 Kiel
Klose, K.J., Prof. Dr. med. Philipps-Universität Marburg Zentrum für Radiologie Baldingerstr. 35043 Marburg
Langer P., Priv.-Doz. Dr. med. Philipps-Universität Marburg Klinik für Visceral, Thorax- und Gefäßchirurgie Baldingerstr. 35043 Marburg
Lehnert, H., Prof. Dr. med. Universtitätsklinikum Magdeburg Zentrum für Innere Medizin Leipzigerstr. 44 39120 Magdeburg
Schaefer, S., Dr. med. Nies, C., Prof. Dr. med. Marienhospital Osnabrück Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Johannisfreiheit 2–4 49074 Osnabrück
Philipps-Universität Marburg Klinik für Innere Medizin Baldingerstr. 35043 Marburg
Scherbaum, W.A., Prof. Dr. med. Reincke, M., Prof. Dr. med. Klinik der Universität München Klinikum Innenstadt Ziemssenstr. 1 80336 München
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie Moorenstr. 5 40225 Düsseldorf
Reiners, C., Prof. Dr. med.
Schicha, H., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Würzburg Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Josef-Schneider-Str. 2 97080 Würzburg
Klinikum der Universität zu Köln Klinik für Nuklearmedizin Joseph-Stelzmann-Str. 9 50924 Köln
Reisch, N., Dr. med.
Schilling, T., Priv.-Doz. Dr. med.
Klinik der Universität München Klinikum Innenstadt Ziemssenstr. 1 80336 München
Universitätsklinikum Heidelberg Innere Medizin I Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Rieder, H., Dr. med.
Schott, M., Priv.-Doz. Dr. med.
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Institut für Humangenetik und Anthropologie Universitätsstraße 1 40225 Düsseldorf
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie Moorenstr. 5 40225 Düsseldorf
XII
Autorenverzeichnis
Schulte, K.-M., Priv.-Doz. Dr. med.
Stinner, B., Prof. Dr. med.
Wiedenmann B., Prof. Dr. med.
Hon. Senior Lecturer King‘s College Hospital Denmark Hill London SE 5, 9RS United Kingdom
Elbe-Klinik Stade Allgemein- und Thoraxchirurgie Bremervörderstr. 111 21682 Stade
Virchow-Klinikum der Charité Medizinische Klinik Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Wagner, H.J., Prof. Dr. med. Schumm-Draeger, P.-M., Frau Prof. Dr. med. Städtisches Krankenhaus München Bogenhausen Abteilung für Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie Englschalkinger Str. 77 81925 München
Simon B., Frau Prof. Dr. med. Vizepräsidentin der Philipps-Universität Marburg Biegenstr. 10 35037 Marburg
Spitzweg, C., Frau Priv.-Doz. Dr. med. Univ.-Klinikum Großhadern Medizinische Klinik II Marchioninistr. 15 81377 München
Vivantes-Klinikum im Friedrichshain Klinik für Radiologie Landsberger Allee 49 10249 Berlin
Waldmann J., Dr. med. Philipps-Universität Marburg Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie Baldingerstr. 35033 Marburg
Weismann, D., Dr. med. Universitätsklinikum Würzburg Medizinische Klinik und Poliklinik I Josef-Schneider-Str. 2 97080 Würzburg
Zielke, A., Prof. Dr. med. Klinikum Offenbach Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie Starkenburger Ring 66 63069 Offenbach
Zwermann, O., Dr. med. Klinik der Universität München Klinikum Innenstadt Ziemssenstr.1 80336 München
2 2 Schilddrüse K.-M. Derwahl, M. Dietlein, C. Dotzenrath, H. Dralle, J. Farahati, J. Feldkamp, C.D. Gerharz, O. Gimm, P. Goretzki, M. Gotthardt, A.E. Heufelder, L.C. Hofbauer, M. Hofmann, M. Hüfner, K. Joseph, M. Kalinowski, A. Machens, K. Mann, C. Reiners, M. Rothmund, J. Rüschoff, B. Saller, W.A. Scherbaum, H. Schicha, M. Schott, K.-M. Schulte, P.-M. Schumm-Draeger, C. Spitzweg, A. Zielke
2.1
Pathophysiologie der Schilddrüse
– 27
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.1.8 2.1.9 2.1.10
Embryologie, Anatomie und Histologie – 27 Jodstoffwechsel – 27 Synthese der Schilddrüsenhormone – 27 Freisetzung der Schilddrüsenhormone – 28 Transport der Schilddrüsenhormone – 28 Hypothalamisch-hypophysäre Steuerung – 28 Pathophysiologie der Struma – 29 Pathophysiologie des benignen Schilddrüsenknotens – 29 Pathophysiologie des Schilddrüsenkarzinoms – 30 Pathophysiologie des Morbus Basedow – 31
2.2
Chirurgische Anatomie
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7
Embryologie – 33 Topographie – 33 Arterielle Blutversorgung – 34 Venöser Abfluss – 34 Innervation – 35 Lagebeziehung der Schilddrüse zu den Nebenschilddrüsen – 35 Lymphabfluss der Schilddrüse und die Strukturen des Trigonum caroticum – 36
2.3
Pathologie der nichtneoplastischen Schilddrüsenerkrankungen – 37
2.3.1 2.3.2
Euthyreote Struma – 37 Thyreoiditis – 38
2.4
Epidemiologie der Schilddrüsenerkrankungen
2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4
Struma und Schilddrüsenknoten – 40 Schilddrüsenautonomie und jodinduzierte Hyperthyreose – 41 Schilddrüsenkarzinom – 41 Morbus Basedow und Autoimmunthyreoiditis – 41
2.5
Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
2.5.1 2.5.2
Funktionsuntersuchungen der Schilddrüse – 42 Bildgebende Verfahren und invasive Diagnostik – 43
– 33
– 40
– 42
2.6
Euthyreote Knotenstruma
2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4
Rationelle Diagnostik – 60 Medikamentöse Prophylaxe und Therapie – 63 Operative Therapie – 67 Prophylaxe und Therapie des Rezidivs – 75
2.7
Hyperthyreose
2.7.1 2.7.2 2.7.3
Autonomien – 79 Immunthyreopathie – 92 Jodinduzierte Hyperthyreose – 112
2.8
Benigne Schilddrüsentumoren
2.8.1 2.8.2
Pathologie der Schilddrüsenadenome – 117 Diagnostisches Vorgehen bei solitärem oder dominantem Knoten – 119
2.9
Maligne Schilddrüsentumoren – 123
2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4 2.9.5
Pathologie der Schilddrüsenkarzinome – 123 Differenzierte Schilddrüsenkarzinome – 131 Medulläre Schilddrüsenkarzinome – 149 Undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome – 161 Nichtepitheliale Schilddrüsentumoren und Metastasen – 165
2.10 Thyreoiditis 2.10.1 2.10.2 2.10.3 2.10.4 2.10.5 2.10.6
– 59
– 79
– 117
– 172
Akute Thyreoiditis – 172 Subakute Thyreoiditis (de Quervain) – 173 Autoimmunthyreoiditis – 174 Sonderformen der Thyreoiditis – 176 Perineoplastische Thyreoiditis – 176 Die chirurgische Therapie der Thyreoiditis – 177
27 2.1 · Pathophysiologie der Schilddrüse
2
Pathophysiologie der Schilddrüse
2.1
K. Mann, B. Saller ) ) Aufgabe der Schilddrüse ist die Synthese und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen. Schilddrüsenhormone beeinflussen zahlreiche Stoffwechselprozesse. Sowohl die Hyperthyreose als auch die Hypothyreose verursachen charakteristische Symptome und Folgereaktionen in verschiedenen Organsystemen. Störungen der Schilddrüsenfunktion treten nur bei einem Teil der Schilddrüsenkrankheiten auf, nahezu bei allen Schilddrüsenkrankheiten finden sich jedoch Veränderungen der Organmorphologie. Zu nennen sind die gleichmäßige Vergrößerung der Schilddrüse bei der diffusen Struma, die verschiedenen Formen benigner Schilddrüsenknoten, die Veränderungen von Volumen, Mikroanatomie und Vaskularisation beim M. Basedow und schließlich die malignen Schilddrüsenkrankheiten.
2.1.1 Embryologie, Anatomie und Histologie Die Organentwicklung der Schilddrüse geht aus dem Entoderm der Schlundtasche hervor. Die Schilddrüsenanlage bildet sich etwa in der 4. Schwangerschaftswoche und wandert nach kaudal bis zu ihrer endgültigen Position vor der Trachea. Der Ductus thyreoglossus, der die Schilddrüsenanlage zunächst mit ihrem Ursprungsort verbindet, verschließt sich während der weiteren Embryonalentwicklung. In seinem Verlauf kann sich dystop gelegenes Schilddrüsengewebe ansiedeln, kraniale Reste können den sog. »Lobus pyramidalis« bilden. Etwa ab der 10. Schwangerschaftswoche nimmt die Schilddrüse Jod auf. Das für die Hormonsynthese erforderliche Jod wird diaplazentar von der Mutter übertragen. Schilddrüsenhormone permeieren die Plazenta nur in sehr geringer Menge. Die Schilddrüse des Erwachsenen besteht aus 2 Lappen, die über den Schilddrüsenisthmus miteinander verbunden sind. Die gesunde Schilddrüse wiegt etwa 15–20 g. Mikroskopisch sind die Thyreozyten zu den Schilddrüsenfollikeln zusammengeschlossen, die eine funktionelle Einheit bilden und einen Durchmesser von im Mittel etwa 200 µm aufweisen. Sie enthalten im Lumen das Kolloid, das größtenteils aus Thyreoglobulin besteht. Zwischen den Follikeln finden sich die Kalzitonin-bildenden C-Zellen und Ultimobrachialkörperreste (»solid cell nests«). Zusätzlich sind die Schilddrüsenfollikel von einem dichten Netz von Nervenfasern umspannt. Im Interstitium zwischen den Follikeln finden sich Lymphkanäle mit Schilddrüsenlymphozyten sowie eine große Anzahl von Blutgefäßen. Der Blutfluss der gesunden Schilddrüse beträgt etwa 4–6 ml/min/g, kann aber in bestimmten Situationen – etwa beim M. Basedow – bis auf 1 l/min ansteigen. 2.1.2 Jodstoffwechsel Für die Synthese der Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) benötigt die Schilddrüse Jod, das gewichtsmäßig den größten Teil dieser Hormone darstellt. Mit der Nahrung aufgenommenes Jod wird rasch und nahezu vollständig im Dünndarm resorbiert (Cavalieri 1997). Das so aufgenom-
. Abb. 2.1. Schema des Jodstoffwechsels in der Schilddrüse. NIS Natrium-Jodid-Symporter, TSH thyreoidastimulierendes Hormon, TSH-R TSHRezeptor, T3 Trijodthyronin, T4 Thyroxin
mene Jod stellt den Hauptteil des Jodpools im Extrazellulärraum dar und bestimmt die Konzentration an freiem Jodid im Plasma. Diese beträgt bei normaler Jodzufuhr etwa 10–15 µg/l. Natrium-Jodid-Symporter (NIS). Aus dem Plasma wird Jod gegen ein Konzentrationsgefälle energieabhängig in die Schilddrüse transportiert (. Abb. 2.1). Diese aktive Aufnahme wird durch den NIS, ein Protein der basalen Zellmembran, vermittelt (Dohan 2003, 2004). Die Charakterisierung dieses Proteins hat wesentlich zum Verständnis der Jodaufnahme in die Schilddrüse beigetragen und eröffnet zahlreiche diagnostische und auch therapeutische Perspektiven. So konnte kürzlich gezeigt werden, dass Mutationen im Bereich des NIS für angeborene Störungen im Jodtransport verantwortlich sein können (Pohlenz et al. 1997). Daneben konnten bei Patienten mit Immunthyreopathien Autoantikörper gegen den NIS nachgewiesen werden, die nicht nur an den NIS binden, sondern auch zu einer Beeinflussung des Jodtransports führen (Ajjan et al. 1998). Der Jodtransport unterliegt einem Autoregulationssystem, das durch die Jodkonzentration im Plasma, die Konzentration an freiem intrazellulärem Jod und die Konzentration an organischen Jodverbindungen beeinflusst wird (Saller et al. 1998). Die Jodaufnahme in die Schilddrüse kann sich über diesen Autoregulationsmechanismus sehr flexibel der Jodversorgung anpassen. Bei ausreichender alimentärer Jodzufuhr beträgt die Jod-Clearance der Schilddrüse etwa 25 ml/min. Im Jodmangel kann sie bis auf 800 ml/min ansteigen. Wolff-Chaikoff-Effekt. Eine hochdosierte Gabe von Jod führt neben der Abnahme der Jodaufnahme akut zu einer Hemmung der Hormonsynthese und -sekretion (Wolff-Chaikoff-Effekt; . Abb. 2.1). Dieser Effekt wird klinisch genutzt, wenn hohe Joddosen therapeutisch zur Blockade der Schilddrüse eingesetzt werden. Innerhalb von etwa 2 Wochen adaptiert sich die Schilddrüsenzelle über einen Abfall der intrathyreoidalen Jodkonzentration an diese hohen Joddosen, und der Hemmeffekt geht verloren.
2.1.3 Synthese der Schilddrüsenhormone In einem ersten Schritt wird Jodid, wie beschrieben, durch den NIS gegen ein Konzentrationsgefälle in die Schilddrüsenzelle
28
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
transportiert. Das aufgenommene Jodid wird rasch zur apikalen Zellmembran befördert, oxidiert und in organische Jodverbindungen, insbesondere in die Tyrosylreste des Thyreoglobulin, eingebaut (. Abb. 2.1). Schilddrüsenperoxidase. Die Jodierung des Thyreoglobulins
findet an der apikalen Zellmembran unter Mitwirkung der Schilddrüsenperoxidase (Thyreoidperoxidase, TPO) statt. Die Schilddrüsenperoxidase stellt ein 103.000 Da großes Protein der apikalen Zellmembran dar. Jodid wird durch die Schilddrüsenperoxidase in Anwesenheit von H202 oxidiert. Es entsteht als Zwischenprodukt das sehr reagible elementare Jod (I2), das sofort organisch gebunden wird. Der Hauptanteil wird in die Tyrosylreste des Thyreoglobulins eingebaut, es entstehen die Hormonvorläufer 3-Monojodtyrosin (MIT) und 3,5-Dijodtyrosin (DIT). Thyreoglobulin. Thyreoglobulin (Tg) ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von etwa 660.000 Da, das von Thyreozyten in großer Menge synthetisiert wird. Es besteht aus 2 Untereinheiten mit einem Molekulargewicht von 300.000–330.000 Da, die über Disulfidbrücken gekoppelt sind. In geringen Mengen ist Thyreoglobulin im zirkulierenden Blut nachweisbar. Es wird entweder direkt über die basale Zellmembran sezerniert, wird nach Aufnahme aus dem Follikellumen und Transport durch die Zelle in die Blutbahn abgegeben oder gelangt über Interzellulärspalten oder Unterbrechungen in der Follikelwand (»leakage«) ins Blut. Im nächsten Schritt der Schilddrüsenhormonsynthese entsteht durch eine wahrscheinlich ebenfalls von der Schilddrüsenperoxidase katalysierte Kopplungsreaktion aus 2 DIT-Molekülen T4, das zu diesem Zeitpunkt kovalent an Thyreoglobulin gebunden ist. T3 wird einerseits durch die Kopplung von MIT und DIT, v. a. jedoch durch eine intra- oder extrathyreoidale enzymatische 5'-Dejodierung von T4 zu T3 gebildet. Eine Dehalogenase bewirkt eine Rückgewinnung von MIT und DIT.
2.1.4 Freisetzung der Schilddrüsenhormone Die Schilddrüse gibt entsprechend dem Bedarf des Organismus – reguliert durch das hypophysäre thyreoideastimulierende Hormon (TSH) – T4 und T3 ans Blut ab. Der Prozess der Hormonsekretion beinhaltet die Pinozytose von jodiertem Thyreoglobulin, die Verbindung dieser »Kolloidtropfen« mit Lysosomen, die Proteolyse und schließlich die Sekretion der Hormone an der basalen Zellmembran (. Abb. 2.1). Die Schilddrüse sezerniert täglich etwa 100 µg T4. Dies entspricht über 90% der beim Gesunden von der Schilddrüse freigesetzten Hormone. T3 wird nur zu einem geringen Teil aus der Schilddrüse sezerniert und zum größten Teil extrathyreoidal aus T4 durch die Wirkung der Typ-I-5‘-Dejodase gebildet. 2.1.5 Transport der Schilddrüsenhormone T4 ist im Serum zu über 99,9% an Transportproteine gebunden, nur etwa 0,03% liegen in freier Form vor. Die Transportproteine sind in absteigender Bedeutung das Thyroxin-bindende Globulin (TBG, MW 54.000 D), das Transthyretin (TTR, MW 54.000 D) und das Albumin (MW 68.000 D).
Für die Wirkung der Schilddrüsenhormone in der Körperperipherie stehen nur die freien Hormone zur Verfügung. Die Gesamthormonkonzentration wird jedoch bei normaler Schilddrüsenfunktion und intaktem hypothalamisch-hypophysärem Regelkreis im Wesentlichen durch die Konzentration und Zusammensetzung der Transportproteine bestimmt. Auf diese Weise wird bei sich ändernden Transportproteinkonzentrationen die Menge an freien Schilddrüsenhormonen konstant gehalten. Dieser Zusammenhang ist zu berücksichtigen, wenn die Schilddrüsenstoffwechsellage bei Patienten mit veränderter Transportproteinkonzentration beurteilt werden muss.
Da die Konzentration der Bindungsproteine im Serum die Gesamtkonzentration der Schilddrüsenhormone, nicht jedoch die Konzentration der freien Hormone beeinflusst, ist für die richtige Beurteilung der Gesamthormonkonzentrationen der Status der Bindungsproteine zu berücksichtigen.
Eine Vermehrung von Bindungsproteinen und damit ein Anstieg der Gesamthormone findet sich u. a. in der Schwangerschaft, bei Einnahme oraler Kontrazeptiva, unter dem Einfluss anderer Medikamente und auch genetisch bedingt. Eine Erniedrigung der Bindungskapazität zeigt sich häufig beim nephrotischen Syndrom, bei der dekompensierten Leberzirrhose und bei schweren katabolen Zuständen. 2.1.6 Hypothalamisch-hypophysäre Steuerung Die Steuerung der Synthese und Sekretion von Schilddrüsenhormonen, die an den Zielorganen ihre biologische Wirkung ausüben können, unterliegt einerseits der übergeordnetenRegulation durch TSH, andererseits der bereits erwähnten intrathyreoidalen Autoregulation von Jodaufnahme, Schilddrüsenhormonsynthese und Zellstoffwechsel. Auch wenn der letztgenannte Mechanismus prinzipiell unabhängig von der Wirkung von TSH arbeitet, scheint seine wesentliche Rolle unter physiologischen Bedingungen die Modulation der TSH-Wirkung auf der Ebene der Schilddrüsenzelle zu sein. Zunehmend wird auch die Bedeutung von lokal gebildeten Wachstumsfaktoren (EGF, IGF) und Zytokinen für die Regulation von Funktion und Wachstum der Schilddrüsenzelle erkannt. TSH ist ein Glykoproteinhormon (MW 28.000 D), das aus 2 kovalent gebundenen Untereinheiten, einer α-Untereinheit und einer β-Untereinheit, zusammengesetzt ist. Es wird in den basophilen, thyreotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens gebildet. Seine Freisetzung wird reguliert einerseits durch das Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH), einem aus dem Hypothalamus freigesetzten Tripeptid, andererseits durch die Konzentration der freien Schilddrüsenhormone im Serum. Diese Regulation durch die Schilddrüsenhormonkonzentrationen geschieht über die Bindung von T3 an den nukleären T3-Rezeptor in den thyreotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens. Daneben scheint die Konzentration der Schilddrüsenhormone auch einen Einfluss auf die Freisetzung von TRH im Hypothalamus zu haben.
29 2.1 · Pathophysiologie der Schilddrüse
2
TSH wird ähnlich wie andere Hormone des Hypophysenvorderlappens pulsatil freigesetzt. Die Serumkonzentrationen von TSH unterliegen einer Tagesrhythmik, wobei die höchsten Spiegel um Mitternacht, die niedrigsten am Nachmittag gemessen werden.
TSH-Rezeptor. Auf Ebene der Schilddrüsenzelle bindet TSH an
einen spezifischen Rezeptor an der Zelloberfläche. Der TSHRezeptor konnte vor einigen Jahren kloniert werden und gehört zur Superfamilie der G-Protein-gekoppelten, membranständigen Rezeptoren. Er besteht aus einer einzelnen Polypeptidkette mit einem extrazellulären, einem transmembranären und einem intrazellulären Anteil. Der transmembranäre Anteil setzt sich aus 7 Segmenten zusammen. Für die Bindung von TSH ist im Wesentlichen der extrazelluläre Anteil verantwortlich. Die intrazellulären und transmembranären Anteile sind an die intrazellulären Signalsysteme, in erster Linie an ein stimulierendes G-Protein Gs, gekoppelt. Die Bindung von TSH führt auf diese Weise zu einer Aktivierung der Adenylatzyklase. Daneben werden auch andere Postrezeptormechanismen aktiviert. In Folge werden die differenzierten Funktionen der Schilddrüsenzelle wie die aktive Aufnahme von Jodid über die Basalmembran, die Thyreoglobulinsynthese und die Synthese und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen stimuliert. Zusätzlich stimuliert TSH das Wachstum von Schilddrüsenzellen. Der wachstumsstimulierende Effekt von TSH scheint nur in Anwesenheit von Kofaktoren, in erster Linie von Wachstumsfaktoren wie dem epidermalen Wachstumsfaktor (EGF) oder dem »Insulin-like-growth«-Faktor-1 (IGF-1), vorhanden zu sein. 2.1.7 Pathophysiologie der Struma Der Zusammenhang zwischen Jodmangel und Wachstumsvorgängen in der Schilddrüse ist seit langem bekannt. Über viele Jahre wurde eine erhöhte Empfindlichkeit der jodverarmten Schilddrüse gegenüber dem hypophysär freigesetzten TSH als zentraler Auslöser des Schilddrüsenwachstums im Jodmangel angesehen. Auf diese Vorstellung gründet sich die über viele Jahre als Standardtherapie angesehene TSH-suppressive Behandlung der Jodmangelstruma mit Levothyroxin. Neue Erkenntnisse zur Interaktion zwischen Jodmangel, lokal in der Schilddrüse gebildeten Wachstumsfaktoren und TSH haben zu einer veränderten Sicht der Pathogenese der Jodmangelstruma geführt. In der Schilddrüse können verschiedene Wachstumsfaktoren wie IGF-1 (»Insulin-like-growth«-Faktor-1), EGF (»Epidermalgrowth«-Faktor), FGF (»Fibroblast-growth«-Faktor) und TGF β (»Transforming-growth«-Faktor β) nachgewiesen werden. Diese Faktoren besitzen eine autokrine oder parakrine Wirkung auf das Wachstum von Schilddrüsenzellen (Eggo u. Sheppard 1994; . Abb. 2.2). Der wichtigste Regulator dieser Wachstumsfaktoren scheint der intrathyreoidale Jodmangel zu sein. TSH beeinflusst das Zellwachstum nicht direkt, sondern über die Beeinflussung lokaler Wachstumsfaktoren, besonders über eine Stimulation der Produktion von IGF-1. Voraussetzung für diesen stimulierenden Effekt ist ein erniedrigter intrathyreoidaler Jodgehalt. Bei den intrathyreoidalen Jodverbindungen, die die Autoregulation der Schilddrüsenzelle vermitteln und hierüber eine
. Abb. 2.2. Modell zur Strumagenese
hemmende Wirkung auf das Schilddrüsenwachstum ausüben, handelt es sich um Jodlipide (. Abb. 2.2). Eine zentrale Rolle in der Proliferationshemmung spielt das G-Jodlakton, das auf der Ebene der Signaltransduktion modulierend in die Wirkung von TSH und Wachstumsfaktoren eingreift (Gärtner et al. 1996). Andere Verbindungen wie 2-Jodhexadecanal beeinflussen nicht die Proliferation, sondern spezifische Zellfunktionen. Die Entstehung einer Jodmangelstruma kann damit heute auf ein gestörtes Gleichgewicht zwischen der autokrinen und parakrinen Wirkung lokal gebildeter Wachstumsfaktoren einerseits und der proliferationshemmenden Wirkung intrathyreoidaler Faktoren wie dem δ-Jodlakton andererseits angesehen werden (Gärtner u. Dugrillon 1998). TSH greift in dieses System ein, wirkt jedoch nicht direkt, sondern über eine Modulation von lokal gebildeten Wachstumsfaktoren. 2.1.8 Pathophysiologie des benignen
Schilddrüsenknotens Die Untersuchung molekularer Mechanismen in der Schilddrüse hat in den letzten Jahren wesentlich zum Verständnis der Pathogenese der Knotenstruma beigetragen (Derwahl 1994; Studer u. Derwahl 1995; Paschke 2005). Eine der wichtigsten Erkenntnisse dabei ist, dass viele Schilddrüsenknoten, auch Knoten in multinodösen Strumen, klonal sind, also einzelnen Zellen entstammen, die durch genetische Veränderungen einen Wachstumsvorteil gegenüber anderen Zellen besitzen. Das gesteigerte Wachstum dieser Zellen wird bei gleichzeitig bestehendem intrathyreoidalem Jodmangel zusätzlich durch autokrin oder parakrin gebildete Wachstumsfaktoren gefördert. Hierdurch können auch klonale Knoten ein polymorphes Erscheinungsbild erhalten, sodass sie sich morphologisch nicht mehr von polyklonalen Knoten unterscheiden (Aeschimann et al. 1993). Molekulare Mechanismen in der Pathogenese des autonomen Adenoms. Autonomen Adenomen liegen in vielen Fällen soma-
tische Mutationen im Bereich des TSH-Rezeptor-Gens und selten im Bereich des Gens für die D-Untereinheit des stimu-
30
Kapitel 2 · Schilddrüse
von IGF-1 und seines Rezeptors sowie des EGF-Rezeptors nachgewiesen werden. Zusätzlich konnten in einzelnen Fällen sowohl eine veränderte Expression als auch eine genetische Alteration der Transskriptionsfaktoren c-myc und c-fos und von c-ras nachgewiesen werden (Fagin 1994, 2002).
2
2.1.9 Pathophysiologie des Schilddrüsen-
karzinoms
. Abb. 2.3. Prinzip der Aktivierung der TSH-abhängigen Signalübertragung in autonomen Adenomen durch aktivierende Mutationen im TSH-Rezeptor (A) oder von Gsα (B). (Nach Derwahl 1994)
lierenden G-Proteins (GsD) zugrunde, die zu einer TSH-unabhängigen Aktivierung der TSH-Rezeptor-abhängigen Signalübertragung führen (. Abb. 2.3; Krohn 2003; Neumann 2004). Mutationen im Bereich des TSH-Rezeptors finden sich überwiegend im Bereich der transmembranären und intrazellulären Regionen des Rezeptors (Gozu et al. 2005; Krohn 2003; Neumann 2004). Mutationen im Bereich von GsD führen ebenfalls, wenn auch selten, zu einer Aktivierung der cAMP-abhängigen Signalübertragung in Schilddrüsenzellen. In Jodmangelgebieten lassen sich TSH-Rezeptor- und GsD-Mutationen bei bis zu 80% der autonomen Adenome nachweisen. In Gebieten mit ausreichender Jodversorgung scheint die Häufigkeit dieser Mutationen deutlich niedriger zu sein. In diesen Fällen liegen möglicherweise bisher unbekannte Veränderungen anderer Proteine des TSH-abhängigen Signalweges vor. Zweifelhaft ist, ob eine aktivierende Mutation im Bereich des TSH-Rezeptors oder von Gsα ausreicht, um der Zelle den für die Entstehung eines autonomen Adenoms nötigen Wachstumsvorteil zu verschaffen. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind hierfür noch andere, bisher nicht genau charakterisierte Veränderungen erforderlich (Derwahl 1996). Aktivierende Mutationen im Bereich des TSH-Rezeptors finden sich nicht nur als somatische Mutationen in autonomen Adenomen, sondern sind als Keimbahnmutationen auch der entscheidende Mechanismus in der Pathogenese der familiären, nichtimmunogenen Hyperthyreose (Vassart 1997; Claus 2005). Sie manifestiert sich meist bereits im Kindesalter. Molekulare Mechanismen in der Pathogenese hypofunktioneller Schilddrüsenknoten. Über molekulare Mechanismen in der
Pathogenese hypofunktioneller oder »kalter« Schilddrüsenknoten ist weitaus weniger bekannt als beim autonomen Adenom. Diese Knoten sind charakterisiert durch eine verminderte Jodidaufnahme oder einen gestörten Einbau von Jod in organische Verbindungen. Durch die Klonierung des Natrium-Jodid-Symporters (NIS) konnten diese Veränderungen näher charakterisiert werden. Es fehlt hier z. B. die Synthese von T4-reichem Thyreoglobulin aufgrund einer NIS-Fehlinsertion (Krohn et al. 2005). Daneben lassen sich in Schilddrüsenknoten, sowohl in hypofunktionellen Knoten als auch in autonomen Adenomen, Veränderungen verschiedener Wachstumsfaktoren und ihrer Rezeptoren nachweisen. So konnte beispielsweise eine Überexpression
Für die unterschiedlich differenzierten Formen des Schilddrüsenkarzinoms wurden in den letzten Jahren zahlreiche molekulargenetische Veränderungen im Bereich von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen beschrieben. Zudem zeigen sich in Abhängigkeit vom Differenzierungsgrad Veränderungen der Expression verschiedener Proteine. Der TSH-Rezeptor wird von follikulären und papillären Schilddrüsenkarzinomen mit zunehmender Entdifferenzierung weniger exprimiert. Dies gilt auch für den Natrium-Jodid-Symporter (NIS), für die Schilddrüsenperoxidase (TPO) und das Adhäsionsmolekül E-Cadherin. Daneben finden sich ähnlich wie bei benignen Schilddrüsenknoten Veränderungen der Expression von Wachstumsfaktoren und ihrer Rezeptoren. Papilläres Schilddrüsenkarzinom. Die wichtigste und spezi-
fischste molekulargenetische Veränderung beim papillären Schilddrüsenkarzinom ist eine Aktivierung des RET-PTC-Onkogens. Am häufigsten handelt es sich hierbei um eine Translokation der Tyrosinkinasedomäne des RET-Protoonkogens und des H4-Gens. Eine Aktivierung des RET-PTC-Onkogens lässt sich bei etwa 20% der papillären Schilddrüsenkarzinome, auch bereits in Mikrokarzinomen, nachweisen (Farid et al. 1994). Besonders durch Untersuchungen in der Region von Tschernobyl konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz dieser Veränderung höher ist bei papillären Karzinomen, die in der Folge einer Strahlenexposition auftreten (Schmid 2005). Andere Veränderungen, die beim papillären Karzinom nachgewiesen werden können, jedoch nicht spezifisch für dieses Karzinom sind, sind ein trk-Rearrangement, eine Überexpression von ras-Onkogen-Produkten, von c-met oder c-myc. Eine Überexpression dieser Gene wurde von verschiedenen Arbeitsgruppen mit einem aggressiven Charakter der Tumoren und einer raschen Tumorprogression in Verbindung gebracht (Clark 1996). Follikuläres Schilddrüsenkarzinom. Sowohl beim follikulären Adenom als auch beim follikulären Karzinom lassen sich in etwa 20–30% der Fälle Mutationen der ras-Protoonkogenfamilie (Hras, K-ras und N-ras) nachweisen. Der Nachweis dieser Mutationen im follikulären Adenom deutet darauf hin, dass es sich dabei um ein frühes Ereignis in der Tumorgenese handelt. Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom. Die wichtigste molekulargenetische Veränderung des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms stellen inaktivierende Punktmutationen oder Deletionen des p53-Tumorsuppressorgens dar. Diese sind bei 60–80% der Tumoren nachweisbar und stellen, da sie in benignen Knoten und in differenzierten Karzinomen nur äußerst selten zu finden sind, offensichtlich ein sehr spätes Ereignis in der Tumorgenese und damit eine für das anaplastische Karzinom relativ spezifische Veränderung dar.
31 2.1 · Pathophysiologie der Schilddrüse
2
im Bereich des Exons 11, seltener im Bereich der Exone 10, 13 und 14. Charakteristisch für die MEN 2b ist eine Mutation im Bereich des Exons 16 (Kodon 918; . Abb. 2.4). Beim sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinom lassen sich in 30–70% der Fälle somatische Mutationen im Bereich des Kodons 918, seltener Veränderungen im Bereich anderer Kodons des RET-Protoonkogens nachweisen. Es gibt Hinweise dafür, dass der Nachweis der somatischen Mutation im Bereich von Kodon 918 mit einer schlechten Prognose assoziiert (Machens et al. 2003). 2.1.10 Pathophysiologie des Morbus Basedow Beim M. Basedow handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die Manifestationen im Bereich der Schilddrüse meist im Vordergrund stehen, bei der jedoch auch extrathyreoidale Manifestationen wie die endokrine Orbitopathie oder das prätibiale Myxödem vorliegen können (McIver u. Morris 1998). . Abb. 2.4. Schematische Darstellung des RET-Protoonkogens und Lokalisation der Kodons, die bei den familiären Formen des medullären Schilddrüsenkarzinoms von Mutationen betroffen sein können
Medulläres Schilddrüsenkarzinom. Das medulläre Schilddrü-
senkarzinom tritt in etwa 75% der Fälle sporadisch, in etwa 25% der Fälle familiär im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie (MEN) Typ 2a oder 2b oder als familiäres medulläres Schilddrüsenkarzinom (FMTC) auf. Der entscheidende Schritt für die Aufklärung der Pathogenese der familiären Formen des medullären Schilddrüsenkarzinoms gelang durch den Nachweis von Keimbahnmutationen im Bereich des RET-Protoonkogens bei erkrankten Patienten. Diese Mutationen lassen sich heute bei annähernd 100% der betroffenen Familien nachweisen (Santoro et al. 1998). Das RET-Protoonkogen ist lokalisiert auf Chromosom 10 und kodiert für ein membranständiges Protein mit einer Tyrosinkinaseaktivität im intrazellulären Anteil. Bei Patienten mit MEN 2a oder FMTC finden sich am häufigsten Mutationen . Abb. 2.5. Modell zur Pathogenese des Morbus Basedow. APC antigenpräsentierende Zelle
Genetische Prädisposition. Das Vorliegen einer genetischen Prädisposition für den M. Basedow gilt heute als sicher. Hierfür sprechen u. a. das gehäufte Auftreten in Familien und bei eineiigen Zwillingen sowie die Assoziation mit HLA-Antigenen – bei Kaukasiern mit HLA-B8, -DR3 und -DQA1*0501 (Badenhoop et al. 1997; Tomer u. Davies 1997). Welche Faktoren bei bestehender Prädisposition den M. Basedow auslösen, ist nach wie vor unklar. Diskutiert werden exogene Faktoren wie Bakterien und Viren oder durch psychischen Stress ausgelöste Veränderungen neuroendokriner oder neuroimmunologischer Mechanismen. Aktivierung des Immunsystems. Seit etwa 30 Jahren ist bekannt,
dass für die Entstehung des klinischen Bildes der Hyperthyreose stimulierende Antikörper gegen den TSH-Rezeptor die entscheidende Rolle spielen. Die Produktion dieser Autoantikörper ist jedoch Ausdruck einer noch immer nicht vollständig aufgeklärten, komplexen Störung des Immunsystems, die durch die Wechselwirkung von Schilddrüsenzellen mit zahlreichen im-
32
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
munkompetenten Zellen, Adhäsionsmolekülen und Zytokinen charakterisiert ist, deren Auslöser jedoch weiterhin unbekannt ist (Heufelder u. Spitzweg 1998; Weetman et al. 1997; Weetman et al. 2004). In der Frühphase der Erkrankung kommt es nach Verlust der Selbsttoleranz gegenüber Schilddrüsenantigenen, vermittelt durch dendritische Zellen und die Expression verschiedener endothelialer Adhäsionsmoleküle, zu einer Infiltration der Schilddrüse mit Lymphozyten. In der Schilddrüse werden Autoantigene durch antigenpräsentierende Zellen prozessiert und präsentiert. Hierdurch kommt es zur antigenspezifischen Aktivierung von T-Zellen, wodurch wiederum über die Freisetzung verschiedener Zytokine eine intrathyreoidale T-Zellproliferation und die Reifung antigenspezifischer B-Zellen zu Plasmazellen induziert werden. Durch die Produktion von Zytokinen wie IL-1, IL-6, IL-8, TNF-α und TGF-E können auch Thyreozyten selbst die Aktivität von T-Zellen und B-Zellen beeinflussen. T-Helferzellen stimulieren die humorale Immunantwort, die schließlich zur Produktion von Autoantikörpern führt (. Abb. 2.5). Antikörper gegen den TSH-Rezeptor. Durch die Klonierung des
TSH-Rezeptors wurde es möglich, die Interaktion von Autoantikörpern mit dem Rezeptormolekül genau zu charakterisieren. Nach heutigem Kenntnisstand binden TSH-Rezeptor-Antikörper an verschiedene diskontinuierliche Epitope im Bereich der extrazellulären Domäne des Rezeptors. Durch die Bindung an die verschiedenen Epitope werden unterschiedliche Funktionsänderungen des Rezeptors hervorgerufen, d. h., Antikörper mit hoher stimulierender Aktivität binden an andere Epitope als blockierende Antikörper. Bei Patienten mit M. Basedow liegt immer eine heterogene Gruppe von Antikörpern mit verschiedenen Epitopspezifitäten vor (Quadbeck et al. 2005; Ando u. Davies 2005; Saiki et al. 2005). Ob Polymorphismen des TSH-Rezeptors oder TSH-Rezeptor-Splicing-Varianten eine physiologische oder pathophysiologische Bedeutung zukommt, ist bislang unklar. Literatur Aeschimann S, Kopp PA, Kimura ET et al. (1993) Morphological and functional polymorphism within clonal thyroid nodules. J Clin Endocrinol Metab 77:846–851 Ajjan RA, Findlay C, Metcalfe RA et al. (1998) The modulation of the human sodium iodide symporter activity by Graves‘ disease sera. J Clin Endocrinol Metab 83:1217–1221 Ando T, Davies TF (2005) Monoclonal antibodies to the thyrotropin receptor. Clin Dev Immunol 12:137–143 Badenhoop K, Donner H, Braun J et al. (1997) Genetic markers in diagnosis and prediction of relapse in Graves‘ disease. Exp Clin Endocrinol Diabetes 104 (suppl 4):98–100 Cavalieri RR (1997) Iodine metabolism and thyroid physiology: current concepts. Thyroid 7:177–181 Clark OH (1996) Predictors of thyroid tumor aggressiveness. West J Med 165:131–138 Claus M, Maier J, Paschke R, Jujat C, Stumvoll M, Führer D (2005) Novel thyrotropin receptor germline mutation (Ile568Val) in a saxonian family with hereditary nonautoimmune hyperthyroidism. Thyroid 15:1089–1094 Derwahl M (1994) Molekulare Aspekte in der Pathogenese von Knoten und Adenomen der Schilddrüse. Schweiz Med Wochenschr 124:1613– 1618 Derwahl M (1996) TSH receptor and Gs-alpha gene mutations in the pathogenesis of toxic thyroid adenomas – a note of caution [editorial]. J Clin Endocrinol Metab 81:2783–2785
Dohan O, Carrasco N (2003) Advances in Na(+)/I(-) symporter (NIS) research in the thyroid and beyond. Mol Cell Endocrinol 31:213:59–70 Dohan O, Carrasco N (2004) Thyroidal iodide transport and thyroid cancer. Cancer Treat Res 122:221–236 Eggo MC, Sheppard MC (1994) Autocrine growth factors produced in the thyroid. Mol Cell Endocrinol 100:97–102 Fagin JA (1994) Molecular genetic of human thyroid neoplasms. Annu Rev Med 45:45–52 Fagin JA (2002) Perspective: lessons learned from molecular genetic studies of thyroid cancer – insights into pathogenesis and tumorspecific therapeutic targets. Endocrinology 143:2025–2028 Farid NR, Shi Y, Zou M (1994) Molecular basis of thyroid cancer. Endocr Rev 15:202–232 Gärtner R, Dugrillon A (1998) Vom Jodmangel zur Struma – Pathophysiologie der Jodmangelstruma. Internist 39:566–573 Gärtner R, Dugrillon A, Bechtner G (1996) Evidence that iodolactones are the mediators of growth inhibition by iodine on the thyroid. Acta Med Austriaca 23:47–51 Gozu H, Avsar M, Vircan R, Claus M, Sahin S, Sezgin S, Sezgin O, Deyneli O, Paschke R, Cirakoglu B, Akalin S (2005) Two novel mutations in the sixth transmembrane segment of the thyrotropin receptor gene causing hyperfunctioning thyroid nodules. Thyroid 15:389–397 Heufelder A, Spitzweg C (1998) Pathogenese der immunogenen Hyperthyreose und endokrinen Orbitopathie. Internist 39:599–606 Krohn K, Fuhrer D, Bayer Y et al. (2005) Molecular pathogenesis of euthyroid and toxic multinodular goiter. Endocr Rev 26:504–524 Machens A, Niccoli-Sire P, Hoegel J, Frank-Raue K, van Vroonhoven TJ, Roeher HD, Wahl RA, Lamesch P, Raue F, Conte-Devolx B, Dralle H (2003) Early malignant progression of hereditary medullary thyroid cancer. N Engl J Med 349:1517–1525 McIver B, Morris JC (1998) The pathogenesis of Graves‘ disease. Endocrinol Metab Clin North Am 27:73–89 Paschke R, Reiner C, Führer D, Schmid KW, Dralle H, Brabant G (2005) Empfehlungen und offene Fragen in der Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenknoten. Stellungnahme der Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Dtsch Med Wochenschr 130:1831–1836 Pohlenz J, Medeiros-Neto G, Gross JL et al. (1997) Hypothyroidism in a Brazilian kindred due to iodide trapping defect caused by a homozygous mutation in the sodium/iodide symporter gene. Biochem Biophys Res Commun 240:488–491 Quadbeck B, Hoermann R, Roggenbuck U, Hahn S, Mann K, Janssen OE (2005) Sensitive thyrotropin and thyrotropin-receptor antibody determinations one month after discontinuation of antithyroid drug treatment as predictors of relapse in graves’disease. Thyroid 15:1047– 1054 Saiki Y, Ishihara T, Ikekubo K, Mori T (2005) Differences in TSH receptor binding and thyroid-stimulating properties between TSH and Graves’ IgG. Slowly-acting TSH receptor antibody moieties in Graves’sera affect assay data. Endocr J 52:45–55 Saller B, Fink H, Mann K (1998) Kinetics of acute and chronic iodine excess. Exp Clin Endocrinol Diabetes 106 (suppl 3):34–38 Santoro M, Melillo RM, Carlomagno F et al. (1998) Molecular biology of the MEN2 gene. J Intern Med 243:505–508 Schmid KW, Sheu SY, Tötsch M et al. (2005) Pathologie des Schilddrüsenkarzinoms. Der Onkologe 11:29–39 Studer H, Derwahl M (1995) Mechanisms of nonneoplastic endocrine hyperplasia – a changing concept: a review focused on the thyroid gland. Endocr Rev 16:411–426 Tomer Y, Davies TF (1997) The genetic susceptibility to Graves‘ disease. Baillieres Clin Endocrinol Metab 11:431–450 Vassart G (1997) New pathophysiological mechanisms for hyperthyroidism. Horm Res 4:47–50 Weetman AP (2004) Autoimmune thyroid disease. Autoimmunity 37:337– 340 Weetman AP, Ajjan RA, Watson PF (1997) Cytokines and Graves‘ disease. Baillieres Clin Endocrinol Metab 11:481–497
33 2.2 · Chirurgische Anatomie
2.2
2
Chirurgische Anatomie
2.2.2 Topographie
K.-M. Schulte
Die normale Schilddrüse (. Abb. 2.6) wiegt etwa 15–20 g. Sie ist allseits von einer Organkapsel, der Capsula fibrosa, umgeben.
) ) Die exakte Kenntnis der variantenreichen Anatomie der Schilddrüse sowie der sie umgebenden Strukturen ist Voraussetzung einer komplikationsarmen Chirurgie. Bei der Entfernung der Schilddrüse sind N. laryngeus inferior und superior sowie die Nebenschilddrüsen zu schonen. Der Lymphabfluss ist elementar in der onkologischen Schilddrüsenchirurgie.
2.2.1 Embryologie Follikelepithel und Grundsubstanz der Schilddrüse entspringen aus einer mittelständigen Anlage des Vorderdarms und wandern vom Zungengrund nach kaudal und ventral in ihre spätere Position an der Halsvorderseite. Im Zuge dieses Deszensus bildet sich häufig ein Gewebstrang der als Lobus pyramidalis bezeichnet wird und sich bei 80% der Bevölkerung findet. Er liegt ventral mittelständig auf der Trachea und dem Kehlkopf und kann bis zum Zungengrund reichen. Die Schilddrüse ist ein paarig angelegtes Organ, dessen rechter und linker Lappen im Regelfall durch einen Isthmus verbunden sind, der die Trachea ventral umkleidet. Dieser Isthmus kann fehlen. Die C-Zellen der Schilddrüse, die für die Kalzitoninproduktion verantwortlich sind, entstammen dem Neurektoderm. Sie gehören zum APUD (»amine precursor uptake and decarboxylation«)-System. Aus einer paarigen Anlage der Ultimobranchialkörper der 4. und 5. Schlundtasche formt sich die sog. laterale Komponente, um sich mit der Schilddrüse zu vereinen. Dann wandern die in ihr enthaltenen C-Zellen diffus in die lateralen Abschnitte der Schilddrüse ein. Praktische Bedeutung erlangt der Entwicklungszusammenhang der A. subclavia dextra mit dem Verlauf des N. laryngeus recurrens. Bei Anlageanomalien während der Ausbildung der Kiemenbogenarterien kann es rechts zur Ausbildung eines N. laryngeus non-recurrens kommen. Aortenbogen-Anomalien sind seltener und führen links zu demselben Phänomen.
Die Capsula fibrosa ist von eminenter Bedeutung in der Schilddrüsenchirurgie, da unter Wahrung dieser Kapsel die Schilddrüse im sog. Spatium chirurgicale ohne wesentliches Blutungsrisiko dargestellt werden kann.
Die Schilddrüse besteht aus zwei symmetrischen Lappen – Lobus dexter et sinister –, die etwa 2 cm kaudal des laryngeotrachealen Übergangs durch einen Isthmus miteinander verbunden sind. Die Beschaffenheit des Isthmus ist sehr variabel. Er kann in bis zu 5% der Fälle völlig fehlen oder bindegewebig umgebaut sein. Die Schilddrüsenlappen schmiegen sich seitlich dem Kehlkopf und der Trachea an; sie sind an der Vorder- und Seitenwand der Trachea durch fibröses Bindegewebe fest verankert. Diese Verankerung verdichtet sich aus der Capsula fibrosa median zum Lig. thyreoideum medianum sowie auf beiden Seiten zu den Ligg. thyreoideae laterales (Berry-Band). Die obere Begrenzung der Schilddrüse findet sich etwa auf Höhe der Mitte der Cartilago thyreoidea. Die untere Begrenzung liegt typischerweise 1 cm kaudal des Zutrittes der A. thyreoidea inf. Die dorsale Begrenzung liegt auf Höhe des Sulcus oesophageotrachealis und wird nach laterodorsal durch die GefäßNerven-Scheide der A. carotis communis sowie nach lateroventral durch den M. sternocleidomastoideus abgegrenzt. Ventral reicht die Schilddrüse an die infrahyale Muskulatur heran. Dabei hat sie direkten Kontakt zum M. sternothyreoideus der vom Schildknorpel zum Brustbein reicht. Der Lobus pyramidalis der Schilddrüse erstreckt sich vom Isthmus nach kranial, wobei er meist links von der Incisura cartilaginea zu liegen kommt. Gelegentlich findet sich hier auch der M. levator glandulae thyreoideae. Eine recht konstante Lagebeziehung zur Schilddrüse weist die obere Nebenschilddrüse auf. Sie ist immer dorsal des N. laryngeus recurrens dorsolateral und etwas kaudal vom Eintrittspunkt der oberen Polgefäße lokalisiert. Die untere Nebenschilddrüse
. Abb. 2.6. Anatomie der Schilddrüse unter chirurgischen Aspekten. (Aus Röher 1997)
A. carotis communis A. thyreoidea superior N. laryngeus superior N. laryngeus recurrens A. thyreoidea inferior Lage der oberen NSD A. subclavia
34
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
liegt ventral des N. laryngeus recurrens dorsolateral am unteren Schilddrüsenpol. Sie weist geringere Lagekonstanz auf und kann sich auch weiter kaudal im Bereich des Lig. thyreothymicum finden.
rens nur bedingt geeignet. Die A. thyreoidea inf. unterkreuzt die A. carotis interna, an der sie medial oder lateral des Gefäßes verlässlich zur Ligatur aufgefunden werden kann. 2.2.4 Venöser Abfluss
2.2.3 Arterielle Blutversorgung Die Hauptgefäße der Schilddrüse sind paarig angelegt. Die A. thyreoidea superior entspringt aus der A. carotis externa und zieht über den oberen Schilddrüsenpol in das Organ. Die A. thyreoidea inferior erreicht die Schilddrüse von dorsal knapp kaudal des Lig. Berry. Eine mittelständige A. thyreoidea ima findet sich in etwa 5%. Sie ist unpaar, entspringt dem Aortenbogen und erreicht die Schilddrüse von inferior im Isthmusbereich oder am unteren Pol. Von funktioneller Bedeutung sind auch die zahlreichen kleinen Arterienäste, die von der Vorder- und Seitenfläche der Trachea Zutritt zur Schilddrüse finden. Intraparenchymatöse Äste aller dieser Arterien bilden ein komplexes Anastomosengeflecht, sodass alle 4 Hauptgefäße ohne Kompromittierung der Durchblutung ligiert werden können. Die A. thyreoidea superior kann aus der A. carotis communis entspringen oder die A. carotis externa gemeinsam mit der A. lingualis und/oder der A. facialis verlassen. Die A. thyreoidea inferior entspringt im Regelfall medial des M. scalenus anterior als Ast des Truncus thyreocervicalis zusammen mit der A. cervicalis ascendens aus der A. subclavia. Ebenso gibt es aber Abgänge direkt aus der A. subclavia, aus der A. vertebralis oder der A. thoracica interna. Selten entspringt die A. thyreoidea inferior. lateral des M. scalenus anterior oder aus der A. carotis communis. Ihr Verlauf bis zur Schilddrüse kann S-förmig oder schleifenförmig sein und eine extraparenchymatöse Gabelung aufweisen. Aufgrund dieser ausgeprägten Variationsbreite ist die A. thyreoidea inferior als Leitstruktur zum Auffinden des N. laryngeus recur-
a
b
Der venöse Abfluss der Schilddrüse sammelt sich in einem Venengeflecht unter der Schilddrüsenkapsel. Der größte Teil des Blutes fließt über den Plexus thyreoideus impar epitracheal zur V. thyreoidea inferior und von dort in die V. brachiocephalica. Von den Lappen sammelt sich das Blut in der V. thyreoidea media Kocher, die direkt zur V. jugularis interna zieht. Mit den oberen Polgefäßen ziehen Begleitvenen, die in die V. jugularis interna oder die V. facialis münden. Von Bedeutung für die Präparation ist eine stark ausgeprägte Quervene, die sich häufig am oberen Isthmusrand findet. 2.2.5 Innervation Die sympathische Innervation erreicht die Schilddrüse im periarteriellen Nervengeflecht oder in Nn. thyreoidii superiores, mediales et inferiores vom Ganglion cervicale superior, media oder inferior, die bei der normalen Präparation nicht sichtbar sind. Die parasympathische Innervation stammt vom N. vagus und zieht mit den Nn. laryngei zur Drüse. 2.2.5.1 Nervus laryngeus recurrens Der N. laryngeus recurrens (. Abb. 2.7), im täglichen Sprachgebrauch oft einfach N. recurrens genannt, hat eine außerordentliche Bedeutung für die Phonation, da er alle intrinsischen Muskeln des Kehlkopfes mit Ausnahme des M. cricothyreoideus innerviert.
c
. Abb. 2.7a–c. Der N. laryngeus recurrens hat eine variable Lagebeziehung zur A. thyreoidea inferior. a Nerv dorsal der Arterie; b Nerv zwischen den Ästen der Arterie; c Nerv ventral der Arterie
35 2.2 · Chirurgische Anatomie
2
Cave Eine Beschädigung des N. recurrens führt zum ipsilateralen Stimmbandstillstand, eine bilaterale Beschädigung zum bilateralen Stillstand und oft zur Tracheotomie.
Der N. laryngeus recurrens ist ein motorischer Ast des X. Hirnnerven. Beim Eintritt des rechten N. vagus in die obere Thoraxapertur ventral der A. subclavia biegt der N. recurrens um und umschlingt die A. subclavia nach dorsal, von wo er seitlich der Trachea kranialwärts zur Schilddrüse zieht. Links umschlingt er den Aortenbogen distal des Lig. arteriosum Botalli. Auf dieser Umschlingung beruht das sog. »Glockenstrangphänomen«, das zur Identifikation des Nervs genutzt werden kann: die Pulsation der Arterie führt zu einer rhythmischen kaudal/kranial Bewegung des Nerven und seiner Bindegewebsscheide. Als Normvariante findet sich bei bis zu 1% der Patienten ein hoher Abgang des N. recurrens vom N. vagus, wobei der Nerv ohne Umschlingung der A. subclavia von lateral statt von inferior zum Kehlkopf gelangt. Diese Variante wird auch als N. laryngeus recurrens non-recurrens bezeichnet und findet sich entsprechend den Entwicklungsvarianten der A. subclavia, mit denen er in Verbindung steht, häufiger rechts als links. Das Auftreten eines N. laryngeus recurrens non-recurrens ist konstant mit einer A. lusoria assoziiert, sodass die anatomisch exakte Darstellung des Nerven eventuell zur Entdeckung dieser insgesamt seltenen Entwicklungsanomalie mit Dysphagiefolge führt. Der N. recurrens liegt bei etwa zwei Drittel der Patienten in der tracheoösophagealen Falte, bei etwa einem Viertel lateral der Trachea. Bei 6–8% der Fälle hingegen findet er sich weit anterior auf der Trachea und ist dort besonders verletzungsgefährdet. Die Beziehung zur A. thyreoidea inferior ist vielgestaltig und von operationstaktischer Bedeutung. Bei etwa zwei Drittel der Patienten liegt der Nerv dorsal der Arterie, bei etwa einem Drittel ventral von ihr. In 6–7% der Fälle hingegen verläuft der Nerv zwischen den Ästen einer bereits extrathyreoidal sich aufzweigenden Arterie. In 1–3% der Fälle kann die Arterie auch fehlen. Bedeutsam ist ferner die Einbettung des Nervs in das Lig. thyreoideum laterale (Berry), die sich in 50% der Fälle findet. Durch Traktion an der Schilddrüse kann Zug auf dieses Gewebsband ausgeübt und der Nerv so beschädigt werden. 2.2.5.2 Nervus laryngeus superior Der N. laryngeus superior (. Abb. 2.8) entspringt aus dem Ganglion inferius des N. vagus, überkreuzt die A. carotis externa, zieht steil abwärts zum Kehlkopf und teilt sich dort in zwei Äste auf. Der Ramus internus führt sensible Fasern für die Innervation des Kehlkopfes durch die Membrana cricothyreoidea. Der Ramus externus innerviert den M. cricothyreoideus. Durch Voreinstellung des Kehlkopfes wird hier die Bildung hoher Töne ermöglicht. Da eine Schädigung dieses Nervs einen Ausfall dieser Funktion nach sich zieht, ist er sorgfältig zu schonen. Der Ramus externus ist eng mit der A. thyreoidea sup. verbunden. In 15% der Fälle ist er ihr adhärent, in 6% findet er sich zwischen ihren Ästen, sodass die Anatomie eine schilddrüsennahe Ligatur der Polgefäße erzwingt, soll der Nerv nicht verletzt werden.
. Abb. 2.8. Der Nervus laryngeus superior weist eine enge Lagebeziehung zur oberen Polarterie auf, wo er bei nicht streng polnaher Ligatur der oberen Polgefäße leicht durchtrennt wird
2.2.6 Lagebeziehung der Schilddrüse
zu den Nebenschilddrüsen Die in der Regel 4 Nebenschilddrüsen befinden sich in enger Lagebeziehung zur Schilddrüse und müssen bei der Operation sorgfältig geschont werden. Entsprechend der embryonalen Wanderungsstraße ist die Lage der Nebenschilddrüsen besonders bei den unteren Organen recht variabel. Diese finden sich typischerweise an der Hinterfläche der Schilddrüse stets ventral des N. laryngeus recurrens und oft in unmittelbarer Nähe seiner Kreuzung mit der A. thyreoidea inferior Oft sind sie aber im paratrachealen Fettgewebe verborgen, wo sie am Lig. thyreothymicum nach kaudal bis in das Mediastinum gelangen können. Ihre gelegentlich dorsal-intrakapsuläre Lage in der Schilddrüse macht eine sichere Identifikation bei ausgedehnteren Resektionen erforderlich. Die oberen Epithelkörperchen finden sich stets dorsal des N. recurrens dorsal an der Schilddrüsenkapsel etwa zwischen Ringknorpel und mittlerem Schilddrüsendrittel. Auch sie weisen eine enge Beziehung zur Schilddrüse auf und liegen innerhalb der chirurgischen, aber außerhalb der anatomischen Schilddrüsenkapsel. Die arterielle Versorgung der oberen Epithelkörperchen erfolgt aus Ästen der A. thyreoidea inferior und zusätzlich aus der superior. Die Blutversorgung der unteren Nebenschilddrüsen stammt aus der A. thyreoidea inferior, gelegentlich aus der A. thyreoidea ima oder der A. mammaria interna.
Aus diesen topographischen Beziehungen muss abgeleitet werden, dass bei jedem Situs mit Präparation oder Resektion dorsaler Schilddrüsenanteile eine Darstellung und Schonung der Nebenschilddrüsen zwingend ist.
36
Kapitel 2 · Schilddrüse
2.2.7 Lymphabfluss der Schilddrüse und die
Strukturen des Trigonum caroticum
2
Die Lymphe der Schilddrüse fließt unter der Capsula fibrosa durch ein weitverzeigtes Netz in die regionären Lymphknoten ab, wobei sie den o. g. Venen weitgehend folgt und in die perijugulären Lymphknoten mündet. Dabei ist von Bedeutung, dass die Lymphabflussgebiete der beiden Lappen nicht streng seitengetrennt sind, sondern durch Querverbindungen über die prälaryngealen und prätrachealen Lymphknoten kommunizieren. Ebenso bestehen Verbindungen zu den retropharyngealen Lymphknoten und in das obere Mediastinum. Während die Schilddrüse beim Ersteingriff von median über einen Kragenschnitt nach Kocher erreicht wird, sind für die Operation des Schilddrüsenkarzinoms oder den Rezidiveingriff die lateralen Strukturen des Halses von entscheidender Bedeutung. Das Trigonum caroticum wird nach lateral vom M. sternocleidomastoideus, nach kranial vom M. digastricus venter posterius und nach medial und inferior vom M. omohyoideus begrenzt. Zur Hautseite hin bedeckt es die Fascia cervicalis. Die Leitstruktur ist die A. carotis, die lateral von der V. jugularis interna und dorsal vom N. vagus begleitet wird. Der M. omohyoideus überquert dabei die Gefäße ventral und ist mit seinem Bauch an der Gefäßscheide verwachsen. Der N. accessorius (XI) durchbohrt weit kranial den M. sternocleidomastoideus und erreicht so dorsal den M. trapezius. Der N. hypoglossus überkreuzt die A. carotis externa und läuft knapp kranial der A. lingualis unter dem venter posterius M. digastrici zur Zunge. Nach dorsal wird dieser Raum vom M. scalenus anterior mit dem ihm aufsitzenden N. phrenicus sowie vom M. longus capitis und dem M. longus colli sowie dem Nervengeflecht des Plexus brachialis begrenzt. Nach kranial treten hinzu die Nodi lymphatici submandibulares, die längs der A. und V. facialis sowie dorsal der Gl. submandibularis gelegen sind und die Nodi lymphatici jugulodigastrici dorsal des M. digastricus. Zu schonen ist hier insbesondere auch der Ramus marginalis mandibulae N. facialis der bis zu seinem Kreuzungspunkt dorsal der A. facialis bis zu 2 cm kaudal der Mandibula liegen kann. Er innerviert die mimische Muskulatur des Mundwinkels. Nach inferior finden sich die Nodi lymphatici cervicales profundi inferiores, die dorsal der V. jugularis interna, ventral dem M. scalenus anterior und den Plexusfasern aufsitzen. Nomenklatur der Lymphknotenregionen. Für die Benennung der jugulären Lymphknoten werden verschiedene Systeme verwendet. Das kraniale Drittel befindet sich kranial des Os hyoideum. Das mittlere Drittel befindet sich zwischen Os hyoideum und Cartilago cricoidea, das untere Drittel ist kaudal der Cartilago cricoidea. Leider gibt es keine international akzeptierte Klassifikation der Lymphknotenregionen im Halsgebiet. In Deutschland gibt es zwei Klassifikationen, eine, die die Röher-Schule benutzt (. Abb. 2.9) und eine, die Dralle und Mitarbeiter benutzen (. Abb. 2.60). Im angelsächsischen Sprachraum kennt man die Klassifikation nach Robbins, die 6 Lymphknotenstationen benennt. Sie hat im deutschsprachigen Raum keine Akzeptanz gefunden. 4 Als mediales (zentrales) Lymphknotenkompartiment bezeichnet man den Raum, der medial von der Trachea, lateral von der Karotis, kranial von der Höhe der Karotisgabel und kaudal von der oberen Thoraxapertur begrenzt wird. Dieses Kompartiment wird von der Röher-Schule als I bezeichnet,
I II
II
III
. Abb. 2.9. Lymphabflussstationen der Schilddrüse. I zentral, II lateral, III mediastinal. (Aus Röher 1997)
wobei beide Seiten enthalten sind. Dralle bezeichnet das zentrale Kompartiment rechts als 1a und links als 1b. 4 Das laterale Kompartiment schließt die Lymphknoten retrojugulär und die des lateralen Halsdreiecks bis zu den Ästen des Plexus brachialis ein und wird kranial vom N. hypoglossus und kaudal von der oberen Thoraxapertur begrenzt. In der Röher-Schule werden beide lateralen Kompartimente mit II bezeichnet, Dralle nennt das rechte 2 und das linke 3. 4 Das mediastinale Kompartiment schließt die Lymphknoten des oberen vorderen Mediastinums ein und wird in der Röher-Schule als Kompartiment III und von Dralle als 4 bezeichnet, wobei rechts 4a und links 4b genannt wird. Die sehr viel detailliertere Klassifikation nach Robbins ist wahrscheinlich die bessere. Es wird eine der Aufgaben der Internationalen Assoziation der Endokrinen Chirurgen sein, hier eine gemeinsame Klassifikation zu finden. Literatur Lanz T von, Wachsmuth W (1955) Die Schilddrüse In: Lanz T von, Wachsmuth W (Hrsg) Praktische Anatomie, 1. Band, 2.Teil »Hals«. Springer, Berlin Göttingen Heidelberg Lenquist S, Cahlin C, Smeds S (1987) The superior laryngeal nerve in thyroid surgery. Surgery 102:999 Robbins KT (1998) Classification of neck dissection: current concepts and future considerations. Otolaryngol Clin North Am 31:639–655 Seiler CA, Wagner HE (1994) The non-recurrent inferior laryngeal nerve. An important rarity in thyroid gland surgery. Chirurg 65:358
37 2.3 · Pathologie der nichtneoplastischen Schilddrüsenerkrankungen
Pathologie der nichtneoplastischen Schilddrüsenerkrankungen
2.3
C.D. Gerharz ) ) Erkrankungen der Schilddrüse werden klinisch manifest durch Symptome, die sich aufgrund einer Hyper- oder Hypothyreose entwickeln, aber auch durch die mechanischen Komplikationen einer diffusen oder nodulären Schilddrüsenvergrößerung. So vielfältig die Ursachen einer Funktionsstörung oder Vergrößerung der Schilddrüse auch sind, so einförmig ist das pathomorphologische Substrat dieser Erkrankungen, das sich auf relativ wenige Reaktionsmuster des Schilddrüsenparenchyms und seines Stromas reduziert. Hierzu zählen reaktive Hyperplasien des Follikelepithels, primär entzündliche Schilddrüsenerkrankungen sowie benigne und maligne Neoplasien. Im Folgenden wird auf die Pathologie der wichtigsten nichtneoplastischen Schilddrüsenerkrankungen eingegangen, die einer chirurgischen Therapie zugänglich sind; die Pathologie der benignen und malignen Schilddrüsentumoren wird in 7 Kap. 2.8 und 2.9 abgehandelt.
2.3.1 Euthyreote Struma Die euthyreote Struma zählt zu den häufigsten, klinisch relevanten Schilddrüsenerkrankungen überhaupt und resultiert aus einer kompensatorischen reaktiven Hyperplasie des Schilddrü-
. Abb. 2.10a–e. Euthyreote Struma. a, b Struma diffusa colloides (a) mit überwiegend prall kolloidgefüllten Follikeln (b); c Struma nodosa mit 2 relativ gut abgrenzbaren Knoten (Sterne); d, e regressive Veränderun-
2
senparenchyms infolge eines absoluten oder relativen Jodmangels. Ein absoluter Jodmangel führt insbesondere in Gebirgsregionen zu einer endemischen Schilddrüsenvergrößerung, von der schon Kinder betroffen sind. Im Gegensatz hierzu ist ein relativer Jodmangel auf individuelle Defekte in der Biosynthese des Schilddrüsenhormons oder auf die exogene Zufuhr von Nahrungsbestandteilen und Medikamenten zurückzuführen, die mit der Schilddrüsenhormonsynthese interferieren (Lietz u. Böcker 1981; McNicol u. Lewis 1996). Die morphologischen Reaktionen auf einen solchen Jodmangel gleichen sich: So kommt es zunächst zu einer diffusen Hyperplasie des Schilddrüsenparenchyms mit kleinen Follikeln und geringer Kolloidspeicherung (Struma diffusa parenchymatosa). Mit zunehmender Kolloidspeicherung entwickelt sich eine Struma diffusa colloides (. Abb. 2.10a, b), die vorübergehend einen euthyreoten Zustand gewährleistet, bis sich durch eine Involution des hyperplastischen Schilddrüsenparenchyms wieder ein hypothyreoter Zustand entwickelt, der einen neuen Zyklus von reaktiver Parenchymhyperplasie und -involution zur Folge hat (Peter et al. 1982; Studer et al. 1989; Sheu u. Schmid 2003). Da Thyreozyten sich in ihrer Hormonbiosynthesekapazität und Reaktion auf Proliferationsstimuli unterscheiden, führen die wiederholten Proliferations- und Involutionszyklen zu einem zunehmend knotigen Parenchymumbau (Struma diffusa et nodosa) (. Abb. 2.10c). Dieser knotige Parenchymumbau wird zusätzlich akzentuiert durch sekundär-regressive Veränderungen wie interstitielle Ödembildung, ischämische Infarzierung mit Blutung und Zystenbildung, Vernarbung und dystrophe Verkalkung (. Abb. 2.10d, e).
gen in einer Struma nodosa mit interstitiellem Ödem (d) und interstitieller Fibrose (e); Maßstab a/c 0,5 cm, b 500 Pm, d/e 250 µm
38
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.1. Differenzialdiagnostische Kriterien zur Abgrenzung von hyperplastischen Strumaknoten und neoplastischen Adenomen
Strumaknoten
Adenom
Fast immer multipel
Fast immer solitär
Schlecht gekapselt
Gut gekapselt
Variabler mikroskopischer Aufbau
Uniformer mikroskopischer Aufbau
Keine Kompression des angrenzenden Schilddrüsengewebes
Kompression des angrenzenden Schilddrüsengewebes
Da viele Patienten mit einer euthyreoten Knotenstruma erst relativ spät wegen mechanischer Komplikationen ärztliche Behandlung suchen, zeigt sich bei der makroskopischen Untersuchung des Operationspräparates häufig ein außerordentlich buntes Bild: Neben Knoten mit großen Follikeln und abgeflachtem Epithel finden sich Kolloidzysten, aber auch Knoten mit kleinen Follikeln und spärlichem Kolloid, ausgekleidet von einem aktiviert wirkenden, zylindrischen Epithel. Hinzu kommen die bereits beschriebenen regressiven Veränderungen. Nicht selten findet man in einer euthyreoten Struma zusätzlich einen isolierten, relativ großen und besonders zellreichen Knoten, der differenzialdiagnostisch Schwierigkeiten in der Abgrenzung von einem follikulären Adenom bereiten kann. Die Unterscheidung ist bei manchen Knoten mit Hilfe einfacher histologischer Kriterien möglich (. Tab. 2.1), gelingt aber in vielen Fällen nicht. Für die klinische Praxis ist diese Abgrenzung jedoch ohne wesentliche Relevanz. Auf dem Boden einer zunächst euthyreoten Knotenstruma kann sich gelegentlich eine sekundäre Hyperthyreose entwickeln (hyperthyreote Knotenstruma, Struma basedowificata). Die pathogenetischen Prinzipien, die zu dieser überschießenden Funktion einer zuvor euthyreoten Struma führen, sind bis heute nicht abschließend geklärt und haben – abgesehen von Fällen mit einem echten autonomen Adenom in einer Knotenstruma – auch kein charakteristisches pathomorphologisches Korrelat.
2.3.2.2 Eitrige Thyreoiditis Die akute, eitrige Thyreoiditis ist eine seltene Erkrankung, die sich im Rahmen einer Sepsis, aber auch nach lokalen Traumen entwickeln kann. Für den Chirurgen wird diese Form der Thyreoiditis allerdings nur in Ausnahmefällen, etwa bei der Entwicklung eines Abszesses, zur Operationsindikation. 2.3.2.3 Granulomatöse Thyreoiditis de Quervain Diese seltene Form einer wahrscheinlich viral induzierten Schilddrüsenerkrankung wird auch als subakute, pseudotuberkulöse oder nichteitrige Riesenzellthyreoiditis bezeichnet und kann klinisch zu einer schmerzhaften Schilddrüsenvergrößerung führen, die zunächst mit einer Hyperthyreose, später mit einer Hypooder Euthyreose einhergeht (Volpe et al. 1967; Greene et al. 1971). Pathomorphologisch steht am Anfang der Erkrankung eine fokal betonte Destruktion von Follikeln mit zunächst granulozytärer Reaktion, später gefolgt von einem chronisch-entzündlichen Infiltrat mit Makrophagen, Lymphozyten, Plasmazellen, mehrkernigen Riesenzellen vom Fremdkörpertyp und vereinzelten klassischen Granulomen (. Abb. 2.11a). Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine Fibrose, die im Gegensatz zu einer Autoimmunthyreoiditis (7 unten) nur ein zonales Narbenfeld hinterlässt, sodass diese Form der Thyreoiditis in aller Regel mit einem euthyreoten Narbenstadium ausheilt.
Die Thyreoiditis ist definiert als entzündliche Erkrankung einer zuvor normalen Schilddrüse (Pearce et al. 2003; Sheu et al. 2003). Da entzündliche Schilddrüsenerkrankungen jedoch häufig mit einer Organvergrößerung einhergehen, haben sich im klinischen Sprachgebrauch Begriffe wie »Riedel-Struma« oder »BasedowStruma« eingebürgert, obwohl diese Erkrankungen primär zum Formenkreis der Thyreoiditis zählen.
2.3.2.4 Invasiv sklerosierende Thyreoiditis Riedel Die invasiv sklerosierende Thyreoiditis Riedel, auch als Struma fibrosa oder eisenharte Struma bezeichnet, ist extrem selten und stellt möglicherweise keine primäre Schilddrüsenerkrankung dar, sondern die Mitbeteiligung der Schilddrüse in einem fibromatoseähnlichen, sklerosierenden Entzündungsprozess. Hierfür spricht insbesondere auch die gelegentliche Koinzidenz mit einer retroperitonealen, mediastinalen oder orbitalen Fibrose (Sachwaegerle et al. 1988). In der Mehrzahl der Fälle kommt der Erkankungsprozess spontan zum Stillstand, bevor die ganze Schilddrüse in den Entzündungsprozess einbezogen ist, und hinterlässt dann keine wesentlichen Funktionsstörungen. Die derbe, holzähnliche Konsistenz der Schilddrüse sowie der organübergreifende Charakter des Entzündungsprozesses kann klinisch zu Verwechslungen mit einem malignen Tumor Anlass geben. Mikroskopisch findet sich ein mäßig zellreiches Narbengewebe, das das Schilddrüsengewebe weitgehend ersetzt und auch auf das umgebende Gewebe übergreift (. Abb. 2.11b). Vaskulitische Veränderungen, vielfach in Form einer obliterierenden Phlebitis, sind nicht selten (Meijer u. Hausmann 1978). Die bei der Hashimoto-Thyreoiditis auftretenden, onkozytär transformierten Thyreozyten (Hürthle-Zellen) kommen hier jedoch nicht vor, und das chronisch-entzündliche Infiltrat mit Lymphozyten und Plasmazellen erreicht in der Regel nicht die Dichte, wie sie für die fibröse Variante einer Hashimoto-Thyreoiditis typisch ist (7 unten). In der Schnellschnittuntersuchung können sich jedoch bei einer stärkeren entzündlichen Reaktion des Stromas durchaus Schwierigkeiten in der Abgrenzung von einem anaplastischen Karzinom ergeben.
2.3.2.1 Multifokale granulomatöse Thyreoiditis Diese Form der Thyreoiditis ist wahrscheinlich eine Folge von Mikrotraumen (»Palpationsthyreoiditis«), betrifft isolierte Gruppen von Follikeln und führt zur Ruptur sowie zur fokalen Akkumulation von Makrophagen, Lymphozyten, Plasmazellen und Fremdkörperriesenzellen.
2.3.2.5 Autoimmunthyreoiditis Das klinische und pathomorphologische Erscheinungsbild der Autoimmunthyreoiditis umfasst ein Spektrum, das von einer hyperthyreoten Struma (M. Basedow) bis hin zu einer hypothyreoten Organatrophie (atrophische lymphozytäre Thyreoiditis) reicht. Allen Formen der Autoimmunthyreoiditis gemein-
2.3.2 Thyreoiditis
39 2.3 · Pathologie der nichtneoplastischen Schilddrüsenerkrankungen
2
. Abb. 2.11a–d. Morphologischer Aspekt verschiedener Thyreoiditisformen. a Granulomatöse Thyreoiditis de Quervain mit entzündlicher Destruktion von Follikeln durch Granulozyten, Makrophagen, Lymphozyten und einzelnen mehrkernigen Riesenzellen (Pfeile); b fortgeschrittenes Stadium einer invasiv sklerosierenden Thyreoiditis Riedel mit vollständiger Zerstörung des Schilddrüsenparenchyms, das durch ein
mäßig zellreiches Narbengewebe ersetzt wurde; c Morbus Basedow mit entrundeten, kolloidarmen Follikeln; d Hashimoto-Thyreoiditis mit mikrofollikulärer Parenchymhyperplasie, onkozytärer Transformation der Follikelepithelien und lymphoplasmazellulären Infiltraten (Pfeile) im Interstitium; Maßstab 100 µm
sam ist die Entwicklung autoreaktiver B- und T-Lymphozyten (»lymphozytäre Thyreoiditis«) sowie das Auftreten humoraler Antikörper gegen schilddrüsenspezifische Antigene. Trotz dieses gemeinsamen formalpathogenetischen Prinzips ist die eigentliche Ätiologie der verschiedenen Formen einer Autoimmunthyreoiditis bislang nicht abschließend geklärt (Mc Gregor 1992; Weetman 1992; Schröder et al. 1996).
ausgeprägt als bei anderen Formen der Autoimmunthyreoiditis (. Abb. 2.11c). Dieses klassische histomorphologische Bild des M. Basedow ist heute nach Einführung der präoperativen thyreostatischen Therapie allerdings nur noch selten zu finden: So führt die präoperative Jodidtherapie zur Abflachung der Follikelepithelien mit Zunahme der Kolloidspeicherung, während thyreostatische Thioharnstoffderivate durch Hemmung der Hormoninkretion eine vermehrte TSH-Freisetzung und damit eine weitere Aktivierung und Proliferation des Follikelepithels induzieren.
Morbus Basedow (Graves-Krankheit). Der M. Basedow ist kli-
nisch durch die Symptome eines Hyperthyreoidismus gekennzeichnet und betrifft – wie die meisten Formen der Autoimmunthyreoiditis – ganz überwiegend Frauen. Pathomorphologisch findet sich eine diffus vergrößerte Schilddrüse (»Basedow-Struma«) mit unregelmäßigen, manchmal sternförmigen Follikeln, die von einem kubischen oder zylindrischen Epithel ausgekleidet werden. Die Follikelepithelien bilden häufig papillenartige Epithelknospen aus, die nicht mit einem papillären Schilddrüsenkarzinom verwechselt werden dürfen. Die Follikellichtung kann weitgehend frei von Kolloid sein oder prominente Randvakuolen aufweisen, bei denen es sich jedoch um ein Gewebeeinbettungsartefakt handelt. Das Interstitium zeigt eine herdförmige Infiltration durch Lymphozyten, vereinzelte Plasmazellen und Lymphfollikel, die allerdings nur selten Keimzentren ausbilden. Insgesamt ist die lymphozytäre Infiltration jedoch schwächer
Hashimoto-Thyreoiditis. Die Hashimoto-Thyreoiditis entwickelt sich ganz überwiegend bei Frauen und beginnt schleichend mit einer langsam an Größe zunehmenden Schilddrüse. Obwohl die Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose häufig noch euthyreot sind, entwickelt sich im weiteren Verlauf in aller Regel eine Hypothyreose; nur zu Beginn der Erkrankung sind gelegentlich hyperthyreote Phasen zu beobachten (»Hashitoxikose«). Die Hashimoto-Thyreoiditis ist mit einem erhöhten Risiko zur Entwicklung von MALT-Lymphomen assoziiert (Anscombe u. Wright 1985). Schwere Formen der Hashimoto-Thyreoiditis müssen deshalb vom niedrig malignen MALT-Lymphom der Schilddrüse abgegrenzt werden. Pathomorphologisch tritt die Hashimoto-Thyreoiditis in 2 Varianten auf:
40
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Die klassische Variante ist durch dichte lymphoplasmazelluläre Infiltrate, häufig auch durch Lymphfollikel mit Keimzentren, gekennzeichnet, die diffus das gesamte Schilddrüsengewebe durchsetzen (Hayashi et al. 1985). Das Schilddrüsenparenchym selbst zeigt eine mikrofollikulär-trabekuläre Parenchymhyperplasie mit spärlicher oder fehlender Kolloidspeicherung (. Abb. 2.11d). Die Follikelepithelien sind vergrößert und weisen wegen einer massiven Mitochondrienvermehrung ein intensiv eosinophiles Zytoplasma auf (»onkozytäre Transformation«). Auch Plattenepithelmetaplasien sind gelegentlich zu beobachten. Eine interstitielle Fibrose ist bei der klassischen Variante ein konstantes Phänomen, erreicht aber nicht das Ausmaß, das man bei der selteneren fibrösen Variante der Hashimoto-Thyreoiditis beobachten kann. Die fibröse Variante geht mit einer ausgeprägten Hypothyreose einher, die auf eine ausgedehnte entzündliche Follikeldestruktion und fibröse Bindegewebsvermehrung von manchmal keloidartigem Aspekt zurückzuführen ist (Katz et al. 1974). Für die differenzialdiagnostische Abgrenzung der fibrösen Variante einer Hashimoto-Thyreoiditis von der Riedel-Thyreoiditis sind der Nachweis onkozytär transformierter Thyreozyten sowie das fehlende Übergreifen des Entzündungsprozesses auf das perithyreoidale Gewebe von Bedeutung.
McNicol AM, Lewis PD (1996) The thyroid gland. In: Lewis PD (ed) Systemic pathology, vol 12: The endocrine system. Churchill Livingstone, New York Edinburgh London Madrid Melbourne San Francisco Tokyo, pp 131–185 Meijer S, Hausman R (1978) Occlusive phlebitis, a diagnostic feature in Riedel’s thyroiditis. Virchows Arch (Pathol Anat) 377:339–349 Pearce, EN, Farwell AP, Bravermann LE (2003) Thyreoiditis. New Engl J Med 348:2646–2655 Peter HJ, Studer H, Forster R, Gerber H (1982) The pathogenesis of »hot« and »cold« follicles in multinodular goiters. J Clin Endocrinol Metab 55:941–946 Sachwaegerle SM, Bauer TW, Esseltyn CB (1988) Riedel’s thyroiditis. Am J Clin Pathol 90:715–722 Schröder S, Arndt R, Weinland G, Schuppert F (1996) Morphologie und Klinik der Immunthyreopathien. Pathologe 17:276–288 Sheu SY, Schmid KW (2003) Entzündliche Erkrankungen der Schilddrüse. Pathologe 24:339–347 Sheu SY, Gorges R, Schmid KW (2003) Hyperplasie der Schilddrüse. Pathologe 24:348–358 Studer H, Peter HJ, Gerber H (1989) Natural heterogeneity of thyroid cells: the basis for understanding thyroid. Endocr Rev 10:125–135 Volpe R, Row VV, Ezrin C (1967) Circulating viral and thyroid antibodies in subacute thyroiditis. J Clin Endocrinol Metab 27:1275–1281 Weetman AP (1992) Autoimmune thyroiditis: predisposition and pathogenesis. Clin Endocrinol 36:307–323
Atrophische lymphozytäre Thyreoiditis. Die atrophische lym-
phozytäre Thyreoiditis ist die häufigste Form der Autoimmunthyreoiditis und entwickelt sich schleichend über viele Jahre (Bastenie et al. 1985). Klinisch bleibt diese Thyreoiditis zu Lebzeiten deshalb nicht selten asymptomatisch, kann aber auch zum sog. idiopathischen erworbenen Myxödem führen. Mit einer adäquaten Funktionsdiagnostik kann diese Thyreoiditisform auch in klinisch asymptomatischen Frühstadien diagnostiziert werden. Pathomorphologisch findet sich eine lymphozytäre Parenchymdestruktion mit konsekutiver Vernarbung, die im Detail weitgehend dem Bild der Hashimoto-Thyreoiditis ähnelt. Da es hier jedoch nicht zu einer Parenchymhyperplasie und Strumaentwicklung kommt, ist diese Thyreoiditis nicht im chirurgischen Patientengut anzutreffen. Fokale lymphozytäre Thyreoiditis. Die fokale lymphozytäre Thyreoiditis ist ein häufiger Nebenbefund in der euthyreoten Struma oder in Schilddrüsentumoren. Im Gegensatz zu anderen Formen der lymphozytären Thyreoiditis handelt es sich hierbei jedoch um mehr oder weniger fokale Entzündungsherde.
Literatur Anscombe AM, Wright DH (1985) Primary malignant lymphoma of the thyroid – a tumour of mucosa-associated lymphoid tissue: review of seventy-six cases. Histopathology 9:81–97 Bastenie PA, Bonnyns M, Vanhaelst L (1985) Natural history of myxedema. Am J Med 79:91–100 Greene JN (1971) Subacute thyroiditis. Am J Med 51:97–108 Hayashi Y, Tamai H, Fukata S (1985) A long term clinical, immunological and histological follow-up study of patients with goitrous chronic lymphocytic thyroiditis. J Clin Endocrinol Metab 61:1172–1178 Katz SM, Vickery AL (1974) The fibrous variant of Hashimoto’s thyroiditis. Hum Pathol 5:161–170 Lietz H, Böcker W (1981) Schilddrüse. In: Doerr W, Seifert G (Hrsg) Spezielle pathologische Anatomie, Bd 14/I: Pathologie der endokrinen Organe. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 295–416 McGregor AM (1992) Autoimmunity in the thyroid – can the molecular revolution contribute to our understanding? Q J Med 82 (297):1–13
Epidemiologie der Schilddrüsenerkrankungen
2.4
K. Mann, B. Saller ) ) Schilddrüsenerkrankungen zählen zu den häufigsten endokrinen Krankheiten. In Autopsiestudien finden sich herdförmige Veränderungen mit einer Häufigkeit von 20 bis über 50%. Die Prävalenz manifester oder latenter Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Bevölkerung liegt bei 1–5% (Wang u. Crapo 1997). In einer Nachuntersuchung der Whickham-Studie betrug die jährliche Inzidenz der Hypothyreose bei Frauen etwa 3,5/1000, bei Männern etwa 0,8/1000. Die jährliche Inzidenz der Hyperthyreose betrug 0,8/1000 (Vanderpump et al. 1995; Völzke 2003).
2.4.1 Struma und Schilddrüsenknoten Die Prävalenz der Struma ist abhängig von der Jodversorgung. Deutschland ist ein ehemaliges Jodmangelgebiet. Dem Jodmangel wurde in den letzten 10 Jahren erfolgreich mit einer Jodierung von Speisesalz begegnet. Mit Besserung der Jodversorgung ging die Strumahäufigkeit bei 11- bis 17-Jährigen zwischen 1989 und 2000 von 36% auf 9% zurück. Bei den 6- bis 10-Jährigen finden sich nur noch bei 4% Strumen, dagegen bei 46- bis 65-Jährigen Frauen noch bei ca. 40%, bei 46- bis 65-Jährigen Männern bei 30% (Meng u. Scriba 2002; Völzke 2003). Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Schilddrüsenknoten lassen sich bei etwa 30% der Frauen, bei 20% der Männer und bei 2,5% der unter 18-Jährigen nachweisen (Hampel et al. 1995). Histologisch handelt es sich bei diesen Knoten in den meisten Fällen um Kolloidknoten und Zysten, seltener um echte Neoplasien wie benigne Adenome oder Karzinome.
41 2.4 · Epidemiologie der Schilddrüsenerkrankungen
2.4.2 Schilddrüsenautonomie und jodinduzierte
Hyperthyreose Die Prävalenz der Schilddrüsenautonomie ist ebenfalls abhängig von der Jodversorgung. In Gegenden mit ausreichender Jodversorgung sind Hyperthyreosen überwiegend auf einen M. Basedow zurückzuführen. Unter Jodmangelbedingungen hingegen beruhen etwa 50% der Hyperthyreosen auf einer unifokalen oder multifokalen Schilddrüsenautonomie (Laurberg et al. 1991). Diese Zahlen spiegeln auch noch die derzeitige Situation Erwachsener in Deutschland wider. Bei nachgewiesener Struma ist das Risiko, dass gleichzeitig eine klinisch relevante Autonomie besteht, abhängig vom Alter des Patienten, von der Größe der Struma und vom Vorliegen knotiger Veränderungen (Baehre et al. 1988). Das Risiko einer Autonomie ist damit bei einem jungen Patienten mit einer gering ausgeprägten, diffusen Struma gering, bei einem älteren Patienten mit einer großen Knotenstruma hingegen beträchtlich. Mit der Häufigkeit der Schilddrüsenautonomie steigt auch die Häufigkeit der jodinduzierten Hyperthyreose. Wird bei Autonomie die Jodzufuhr akut erhöht – etwa durch die Gabe von jodhaltigen Röntgenkontrastmitteln oder von jodhaltigen Medikamente (z. B. Antiarrhythmikum Amiodaron) –, so wird aufgrund der defekten negativen Rückkopplung die Schilddrüsenhormonsynthese unkontrolliert gesteigert (Saller et al. 1998). Hinweise für eine Jodkontamination als Auslöser finden sich in Deutschland bei etwa 15% aller Hyperthyreosen (Reinwein et al. 1988). Die Tendenz ist jedoch rückläufig. 2.4.3 Schilddrüsenkarzinom Die alterskorrigierte jährliche Inzidenz des Schilddrüsenkarzinoms beträgt bei Frauen 1,9–19,4, bei Männern 0,8–5,0 Fälle/ 100.000 Einwohner. In Deutschland ist mit einer jährlichen Neuerkrankungsrate von 2800 Schilddrüsenkarzinomen ist zu rechnen. Es gibt bisher keinen Hinweis für einen Zusammenhang zwischen der absoluten Karzinominzidenz und der Jodversorgung, allerdings unterscheidet sich die Häufigkeit der verschiedenen histologischen Typen zwischen Gebieten mit hoher und niedriger Jodzufuhr. In Gebieten mit ausreichender Jodzufuhr überwiegt das prognostisch günstigere papilläre Karzinom, während unter Jodmangelbedingungen das follikuläre und das anaplastische Karzinom häufiger auftreten. Abhängig von der Jodzufuhr und anderen, größtenteils noch unbekannten regionalen Einflussfaktoren machen papilläre Karzinome 80% der Schilddrüsenkarzinome aus, follikuläre Karzinome 10–15%, das gering differenzierte Karzinom 4–7%. die von den parafollikulären C-Zellen abstammenden medullären Karzinome 1–3% und die anaplastischen Karzinome 3–5%. Der wichtigste bekannte Risikofaktor für die Entstehung von Schilddrüsenkarzinomen ist eine Strahlenexposition, besonders wenn diese in der Kindheit oder Jugend erfolgt. So ist nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Häufigkeit des Schilddrüsenkarzinoms bei Kindern in den betroffenen Gebieten Weißrusslands auf das 10-fache angestiegen. Dabei finden sich besonders hohe Raten an papillären Karzinomen, organüberschreitenden Tumoren und Tumoren mit multifokalem Wachstum (Reiners 1998).
2
Viele papilläre Schilddrüsenkarzinome bleiben zu Lebzeiten okkult. Papilläre Mikrokarzinome, definiert als Karzinome mit einem Durchmesser von höchstens 1 cm, finden sich in Autopsiestudien mit einer Häufigkeit von 4–36% (Rosai 1993). 2.4.4 Morbus Basedow
und Autoimmunthyreoiditis Zur Prävalenz des M. Basedow in Deutschland liegen keine exakten Zahlen vor. In Ländern mit ausreichender Jodversorgung wird die Prävalenz bei Frauen auf etwa 2,7% geschätzt, bei Männern auf 0,3%. Die jährliche Inzidenz beträgt etwa 1/1000 Einwohner. Die Inzidenz der Autoimmunthyreoiditis wird auf etwa 3,5/1000 bei Frauen und auf etwa 0,8/1000 bei Männern geschätzt. Da in den letzten Jahren durch verbesserte diagnostische Methoden die Autoimmunthyreoiditis zunehmend häufig bereits bei noch euthyreoter Stoffwechsellage diagnostiziert wird, ist anzunehmen, dass die tatsächliche Inzidenz über den angegebenen Zahlen liegt. Gut belegt ist auch, dass die Prävalenz der Autoimmunthyreoiditis im höheren Lebensalter zunimmt. Sowohl für den M. Basedow als auch für die Autoimmunthyreoiditis besteht eine gehäufte Koinzidenz mit anderen Autoimmunkrankheiten wie der perniziösen Anämie, dem Typ-1Diabetes, dem M. Addison, der rheumatoiden Arthritis oder einer Vitiligo. Polyglanduläre Autoimmunsyndrome müssen beachtet werden. Literatur Baehre M, Hilgers R, Lindemann C et al. (1988) Thyroid autonomy: sensitive detection in vivo and estimation of its functional relevance using quantified high-resolution scintigraphy. Acta Endocrinol 117:145– 153 Hampel R, Kühlberg T, Klein K et al. (1995) Strumaprävalenz in Deutschland größer als bisher angenommen. Med Klin 90:324–329 Laurberg P, Pedersen KM, Vestergaard H et al. (1991) High incidence of multinodular toxic goitre in the elderly population in a low iodine intake area vs. high incidence of Graves‘ disease in the young in a high iodine intake area: comparative surveys of thyrotoxicosis epidemiology in East-Jutland Denmark and Iceland. J Intern Med 229:415–420 Meng W, Scriba PC (2002) Jodversorgung in Deutschland: Probleme und erforderliche Maßnahmen – Update 2002. Dtsch Ärztebl 99:A-2560 Reiners C (1998) Die Folgen von Tschernobyl. Internist 39:592–593 Reinwein D, Benker G, Konig MP et al. (1988) The different types of hyperthyroidism in Europe. Results of a prospective survey of 924 patients. J Endocrinol Invest 11:193–200 Rosai J (1993) Papillary carcinoma. Monogr Pathol 35:138–165 Saller B, Fink H, Mann K (1998) Kinetics of acute and chronic iodine excess. Exp Clin Endocrinol Diabetes 106 (suppl 3):34–38 Vanderpump MP, Tunbridge WM, French JM et al. (1995) The incidence of thyroid disorders in the community: a twenty-year follow-up of the Whickham Survey. Clin Endocrinol (Oxf ) 43:55–68 Völzke H, Ludemann J, Robinson DM et al. (2003) The prevalence of undiagnosed thyroid disorders in a previously iodine-deficient area. Thyroid 13:803–810 Wang C, Crapo LM (1997) The epidemiology of thyroid disease and implications for screening. Endocrinol Metab Clin North Am 26:189–218
42
Kapitel 2 · Schilddrüse
2.5
Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
2
K. Mann, B. Saller ) ) Die Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen umfaßt einerseits Verfahren zur Erkennung von subklinischen oder manifesten Funktionsstörungen der Schilddrüse, andererseits Verfahren zum Nachweis und zur weiteren differentialdiagnostischen Einordnung morphologischer Veränderungen (Saller et al. 1997). Die Auswahl der Untersuchungsverfahren, die im Einzelfall zur Anwendung kommen, richtet sich nach der klinischen Fragestellung, d. h. danach, ob eine Schilddrüsenerkrankung lediglich ausgeschlossen werden soll oder ob aufgrund der Symptomatik des Patienten und des klinischen Befundes bereits ein konkreter Anhalt für eine Schilddrüsenkrankheit besteht. Daneben ergibt sich die Notwendigkeit zum Einsatz bestimmter diagnostischer Verfahren im Sinne einer Stufendiagnostik aus den Befunden der im ersten Schritt eingesetzten Untersuchungsmethoden (Hay u. Klee 1993; Dietlein 1997; Saller et al. 1997).
Das diagnostische Vorgehen kann nach dem in . Abb. 2.12 dargestellten Schema in eine Basisdiagnostik und in eine spezielle Diagnostik unterteilt werden. Jede Schilddrüsendiagnostik sollte die Bestimmung des basalen TSH zur Erkennung von Funktions. Abb. 2.12. Schema zur rationellen Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen
. Abb. 2.13. Diagnostik zur Erkennung von Schilddrüsenfunktionsstörungen. Ein normales basales TSH schließt eine Funktionsstörung in der Regel aus. Seltene Ausnahmen sind Patienten mit Erkrankungen der Hypothalamus-Hypophysen-Region, bei denen eine sekundäre Hypothyreose bei noch normalen basalen TSH-Spiegeln vorliegen kann, und Patienten mit TSH-produzierenden Tumoren und mit Schilddrüsenhormonresistenz, bei denen manchmal erhöhte Schilddrüsenhormonspiegel trotz normaler TSH-Werte nachzuweisen sind
störungen und eine Schilddrüsensonographie beinhalten. Alle anderen Verfahren werden abhängig von der klinischen Fragestellung und abhängig von den Befunden der Basisdiagnostik mit gezielter Fragestellung eingesetzt. Wichtig für eine richtige Einordnung der Ergebnisse von Untersuchungsverfahren ist neben der Berücksichtigung von gültigen Empfehlungen zur Qualitätssicherung die Kenntnis möglicher Einflussfaktoren beim individuellen Patienten. So ist beispielsweise eine richtige Einordnung von Ergebnissen der In-vitro-Diagnostik oder der Schilddrüsenszintigraphie nur möglich, wenn Informationen über die aktuelle medikamentöse Therapie oder eine vorangegangene Jodkontamination an den befundenden Arzt weitergegeben werden. 2.5.1 Funktionsuntersuchungen der Schilddrüse
K. Mann, B. Saller Für die Erkennung von Funktionsstörungen der Schilddrüse werden die Bestimmung des basalen TSH und die Bestimmung der freien Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) herangezogen. TSH zeigt sehr empfindlich Störungen des hypothalamisch-hypophysären Regelkreises an, die Bestimmung der Schilddrüsenhormonkonzentration im Blut differenziert zwischen subklinischen und manifesten Funktionsstörungen der Schilddrüse (. Abb. 2.13).
43 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
2.5.1.1 Basales TSH Das basale TSH stellt heute den zentralen Parameter in der Schilddrüsenfunktionsdiagnostik dar (Nordyke et al. 1998). Die Bestimmung von TSH muss obligat im Rahmen jeder Erstuntersuchung von Patienten, bei denen der Verdacht auf eine Schilddrüsenkrankheit besteht, oder von Patienten, bei denen eine Funktionsstörung der Schilddrüse ausgeschlossen werden soll, erfolgen. Moderne immunometrische Testverfahren erlauben eine sichere Trennung von euthyreoten, hypothyreoten und besonders auch hyperthyreoten Patientenkollektiven. Entscheidend für eine sichere Abgrenzung erniedrigter von niedrig-normalen TSH-Werten ist eine ausreichend präzise Messung im unteren Messbereich. Von heute eingesetzten Testverfahren wird daher eine funktionelle Sensitivität, definiert als die TSH-Konzentration, die mit einem Interassay-Variationskoeffizienten von 20% bestimmt werden kann, von 0,05 mU/l gefordert (Demers u. Spencer et al. 2003; Brabant et al. 2006). An einem Referenzbereich zwischen 0,3 und 4 mU/l sollte in Deutchland festgehalten werden. Normale TSH-Spiegel schließen eine Funktionsstörung der Schilddrüse weitgehend aus. Einzige, seltene Ausnahmen sind Fälle mit gestörter hypothalamisch-hypophysärer Funktion. So finden sich Fälle einer sekundären Hypothyreose, bei denen TSH noch im Normbereich liegt, und Fälle mit TSH-produzierenden Hypophysentumoren oder mit Schilddrüsenhormonresistenz, bei denen erhöhte Schilddrüsenhormonspiegel, jedoch noch normale TSH-Spiegel vorliegen. Andere Situationen, in denen die alleinige Bestimmung des basalen TSH zu Fehlbeurteilungen führen kann, sind vorübergehende Zustände wie die Frühphase einer zu hoch dosierten thyreostatischen Behandlung, in der die Schilddrüsenhormonkonzentration bereits erniedrigt sein kann, TSH jedoch noch supprimiert ist, oder der Einfluss von Medikamenten wie die hochdosierte Gabe von Glukokortikoiden. 2.5.1.2 TRH-Test Bei intakter hypothalamisch-hypophysärer Funktion findet sich eine gute Korrelation zwischen basalen TSH-Spiegeln und den Werten nach TRH-Stimulation. Es ergibt sich damit heute bei Verwendung von Testverfahren, die auch im unteren Messbereich ausreichend präzise messen, keine Indikation mehr für die Durchführung eines TRH-Tests. 2.5.1.3 Bestimmung von Schilddrüsenhormonen Für die Beurteilung der Schilddrüsenhormonkonzentration im Blut muss die Höhe der freien, nicht an Bindungsproteine gebundenen Schilddrüsenhormone herangezogen werden. Dies gilt obligat für Thyroxin (T4), bei dem die Bestimmung des Gesamthormons bei Veränderungen der Konzentration von Bindungsproteinen zu Fehlbeurteilungen führen kann (z. B. in der Schwangerschaft oder unter der Einnahme von Ovulationshemmern). Bei der Bestimmung von Trijodthyronin (T3) kann aufgrund der geringeren Proteinbindung alternativ das Gesamthormon T3 oder das freie T3 bestimmt werden. Für die Bestimmung der freien Schilddrüsenhormone stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Am häufigsten eingesetzt werden sog. »Einschrittverfahren«, bei denen das freie T4 mit sog. Analog-Tracern, die nicht an Schilddrüsenhormonbindungsproteine binden, um die Bindung an Antikörper konkurriert. Auch wenn diese Verfahren in den letzten Jahren deutlich verbessert wurden, können sie auch heute noch in bestimmten klinischen Situationen (schwerkranke Patienten, Einfluss verschie-
2
dener Medikamente, Vorliegen von Schilddrüsenhormonantikörpern u. a.) zu unzuverlässigen Ergebnissen führen. Alternativ kommen die wesentlich aufwendigeren sog. »Zweischrittverfahren«. Eine Autormatisierbarkeit der Methoden ist heute obligat. Literatur Brabant G, Kahaly GJ, Schicha H, Reiner Chr (2006) Milde Formen der Schilddrüsenfehlfunktion: Ursachen, Diagnostik, Vorgehen. Dtsch Ärztebl 103:A-2110 Demers LM, Spencer CA (2003) Laboratory medicine practice guidelines: laboratory support for the diagnosis and monitoring of thyroid disease. Clin Endocrinol (Oxf ) 58:138–140 Hay ID, Klee GG (1993) Linking medical needs and performance goals: clinical and laboratory perspectives on thyroid disease. Clin Chem 39:1519–1524 Ladenson PW, Singer PA, Ain KB et al. (2000) American Thyroid Association guidelines for detection of thyroid dysfunction. Arch Intern Med 160:1573–1575 Nordyke RA, Reppun TS, Madanay LD et al. (1998) Alternative sequences of thyrotropin and free thyroxine assays for routine thyroid function testing. Quality and cost. Arch Intern Med 158:266–272 Saller B, Esser I, Horn K et al. (1997) Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenkrankheiten – Empfehlungen zur Qualitätssicherung – Sektion Schilddrüse d. Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.Teil I – Diagnostik von Schilddrüsenkrankheiten. Internist 38:177–185 Saller B, Broda N, Heydarian R et al. (1998) Utility of third generation thyrotropin assays in thyroid function testing. Exp Clin Endocrinol Diabetes 106 (suppl):29
2.5.2 Bildgebende Verfahren und
invasive Diagnostik ) ) Im Folgenden werden die bildgebenden Verfahren in der Schilddrüsendiagnostik geschildert und ihre Indikation und ihre Wertigkeit definiert. Alle bildgebenden Verfahren können nur Wahrscheinlichkeiten von Benignität oder Malignität abschätzen. Die höchste Aussagekraft hat die Feinnadelpunktionszytologie, vorausgesetzt, dass die Entnahme der Zellen und ihre Untersuchung in optimaler Weise ablaufen. Im 7 Kap. 2.6.1 wird eine sinnvolle Abfolge der Untersuchungen geschildert und eine Empfehlung für die Praxis gegeben.
2.5.2.1 Schnittbildverfahren
M. Gotthardt, M. Kalinowski, K. Joseph 2.5.2.1.1 Sonographie ) ) Die Schilddrüse ist durch ihre oberflächliche Lage optimal für die Untersuchung mittels Ultraschall geeignet. Somit sind morphologische Veränderungen der Schilddrüse (wie Knoten, Zysten oder Verkalkungen) einfach, schnell und sicher nachweisbar. Die Dignitätsbeurteilung von Knoten der Schilddrüse ist durch die Sonographie nicht sicher möglich, sodass weitere Verfahren (Szintigraphie und Feinnadelpunktion) eingesetzt werden müssen. 6
44
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Die Sonographie stellt jedoch die Schlüsseluntersuchung dar, die die Basis für die weitere Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen ist. Die CT und die MRT spielen in erster Linie bei der Detektion von Lungenmetastasen bei Schilddrüsenkarzinomen (CT) eine Rolle bzw. bei der Diagnostik von mediastinalen oder zervikalen Raumforderungen (MRT), soweit diese nicht durch Ultraschall darstellbar sind. Die PET als nuklearmedizinisches Schnittbildverfahren wird im 7 Kap. 2.5.2.2 abgehandelt.
Die oberflächliche Lage der Schilddrüse ermöglicht den Einsatz hochfrequenter Linearschallköpfe mit Sendefrequenzen über 7,5 MHz, die die morphologischen Strukturen des Organs mit hoher Auflösung darstellen. Die sonographische Untersuchung ist, da für den Patienten ohne Strahlenexposition, beliebig oft und in jedem Lebensalter wiederholbar. Die Schilddrüsensonographie ist die Basisuntersuchung der Schilddrüse, deren Ergebnis das weitere diagnostische Vorgehen bestimmt. Auch wenn in vielen Lehrbüchern die Palpation der Schilddrüse als Basisuntersuchung dargestellt wird, ist es in der Praxis wesentlich zeiteffektiver, die Sonographie als erste Untersuchungsmethode anzuwenden. Die Palpation dient dann nur der genaueren Beurteilung der sonographisch diagnostizierten Veränderungen und hilft bei der Beurteilung dieser Befunde (Schluckverschieblichkeit, Dolenz, Konsistenz etc.). Auf der Basis des in der Sonographie erhobenen Befundes werden weitere Untersuchungen durchgeführt. Lediglich die Diagnose einer Struma oder einer Struma nodosa kann durch die Sonographie zweifelsfrei gestellt werden, alle weiteren Diagnosen bedürfen weiterer Untersuchungen (z. B. Laborparameter bezüglich Funktionszustand/Antikörper, Szintigraphie zur Beurteilung von Knoten oder des Funktionszustandes, Feinnadelpunktion zur Dignitätsbeurtilung etc.). Indikationen. Indikationen für die Schilddrüsensonographie sind (Ziegler et al. 1993): 4 Volumenbestimmung 4 Verdacht auf eine Struma 4 Im Rahmen der Dosiskalkulation vor einer Radiojodtherapie 4 Kontrolle des Therapieerfolges einer konservativen Behandlung der Struma 4 Nachweis der Volumenreduktion nach Radiojodtherapie 4 Verlaufskontrolle nach Operation oder Radiojodtherapie 4 Nachweis von Strukturveränderungen im Organ 4 Morphologische Unterscheidung liquider von soliden Knoten 4 Gezielte Feinnadelbiopsie auch nichttastbarer Strukturveränderungen Untersuchungstechnik. Es wird heute ausschließlich die RealTime B-Mode-Sonographie eingesetzt, bei der die Amplituden des reflektierten Schalls in Graustufen umgesetzt und als zweidimensionales Schnittbild dargestellt werden. Linearschallköpfe ab 7,5 MHz Sendefrequenz stellen häufig nur Teilbereiche des Organs dar. Inzwischen sind besonders breite Linearschallköpfe erhältlich, die die Darstellung der gesamten Schilddrüse ermöglichen. Bei sehr großen Strumen jedoch sind auch diese nicht mehr in der Lage, das gesamte Organ darzustellen. Hier kommen dann Konvexschallköpfe zum Einsatz, für die aufgrund der oberflächlichen Lage der Schilddrüse eigentlich Vorlaufstrecken nötig wären (um den Abstand zwischen Schallkopf und Schilddrüse zu vergrößern, was auch die Sonographie sehr großer Strumen
ermöglicht), die jedoch von vielen Herstellern leider nicht mehr angeboten werden. Auch bei älteren (schlanken) Patienten kann der Einsatz breiter Linearschallköpfe schwierig sein, wenn der Patient den Kopf nicht mehr gut reklinieren kann. Hier ist der Hautkontakt je nach anatomischen Verhältnissen nur schwer aufrecht zu erhalten, der Schallkopf sitzt dann nur im Bereich des Kehlkopfes und der Sternoklavikularregion auf. Wird die Grauwertsonographie mit der Dopplersonographie kombiniert, kann auch der Blutfluss in der Schilddrüse farbkodiert mit der Duplexsonographie (FKDS) dargestellt werden. Der Untersucher wählt ein Areal im B-Bild aus, in dem entlang jeder Ultraschalllinie der Dopplershift in vielen Messpunkten bestimmt und als Farbpixel angezeigt wird. Dadurch wird den unterschiedlichen Gewebsstrukturen der jeweilige Blutfluss zugeordnet. Die Untersuchung des Patienten erfolgt in Rückenlage bei leichter Dorsalflexion des Halses. Ein unter den Schultern des Patienten positioniertes flaches Kissen ist hilfreich. Der Schallkopf wird zunächst von kranial oberhalb des Krikoids nach kaudal über den jeweiligen Schilddrüsenlappen geführt, wobei die transversale Schnittebene eingestellt wird. Nach Drehung des Schallkopfes um 90° erfolgt anschließend die Untersuchung im Längsschnitt (sagittale Ebene). Entsprechend der Lage der Schilddrüse steht der Schallkopf dabei entlang der Schilddrüsenlängsachse medial des Vorderrandes des M. sternocleidomastoideus kranial etwas weiter nach lateral als kaudal. Eine Beeinträchtigung benachbarter Strukturen wie Gefäße, Trachea und Ösophagus sowie vergrößerte Lymphknoten werden dokumentiert. Ebenfalls festgehalten werden neben der genauen Lage, Ausdehnung und Abgrenzung von Strukturveränderungen auch die größte Lappenhöhe (H), -breite (B) und -dicke (D) auf jeder Seite, sodass unter der Modellannahme eines rotationssymmetrischen Ellipsoids das Volumen jedes Lappens aus dem Produkt von H×B×D multipliziert mit dem Faktor 0,5 errechnet werden kann (Brunn et al. 1981). Als obere Grenzwerte des normalen Schilddrüsenvolumens gelten für Frauen 18, für Männer 25 ml. Bei größeren Strumen, die nicht mehr dem Ellipsoidmodell entsprechen, wird die Volumetrie, die bei Schilddrüsen mit einem Volumen bis zu 40 ml mit einem Messfehler von etwa 10% behaftet ist, erheblich ungenauer. Bei starken Abweichungen der Form vom Rotationsellipsoid oder großen Knoten, die die Konturen der Schilddrüse deutlich überschreiten, sind auch bei kleineren Strumen erhebliche Abweichungen möglich. Befundung. Normal große Follikel ergeben ein homogenes Echo-
muster, das sich deutlich vom Schallmuster der echoärmeren Halsmuskulatur unterscheidet. Strukturveränderungen verursachen charakteristische Änderungen des Echomusters, die als echonormal, echoreich oder echoarm bis echofrei beschrieben werden. Dichtgepackte kleine kolloidarme Follikel führen zu vermehrter Streuung und ergeben echoärmere bis echoarme Bilder. Größere Follikel, die reich an Kolloid sind, enthalten mehr Grenzflächen, an denen der Schall reflektiert wird, sodass sie echoreicher erscheinen. Läsionen, die nebeneinander Strukturen unterschiedlicher Echogenität enthalten, werden als echokomplex bezeichnet. Beschrieben werden die Lage der Strukturanomalien (in Bezug auf die Schilddrüse, also z. B. im oberen Lappendrittel links oder etwa in der unteren Lappenhälfte rechts), die Schärfe der Abgrenzung gegenüber der Umgebung und ihre Zahl. Wichtig sind auch Angaben über die Echogenität von Läsionen (echonormal, echoarm, echoreich, echodicht, echokomplex). Die Größe der Veränderungen sollte wenn möglich als
45 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
a
2
b
. Abb. 2.14a,b. Echoarmer Knoten am Oberpol des rechten Schilddrüsenlappens. Dieser Knoten war szintigraphisch kalt und wurde punktiert. Es fand sich ein papilläres Schilddrüsenkarzinom. In diesem Falle ist das einzige sonographische Kriterium für Malignität die Echoarmut, Zeichen
des invasiven Wachstums oder ein inhomogenes Echomuster fehlen. Solche Knoten sind in Strumaendemiegebieten häufiger zu beobachten und stellen, wenn sie szintigraphisch nicht kalt sind, lediglich einen beobachtungswürdigen Befund dar
Volumen angegeben werden, da die Angabe eines einzigen Durchmessers schlechter reproduzierbar sein kann. Alle diese Angaben sollten systematisch für alle gefundenen Veränderungen angegeben werden, sodass auch ein anderer Untersucher aufgrund eines schriftlichen Befundes die Veränderungen reproduzierbar kontrollieren kann. Ungenaue Angaben, z. B. über eine Gesamtzahl von Knoten unterschiedlicher Echogenität bis zu einem bestimmten Volumen ohne Einzelbeschreibung der Läsionen sind nicht lege artis und stellen einen letztlich wertlosen Befund dar, auch wenn dies aus Gründen der Zeitökonomie eine häufig geübte Praxis ist. Kleine Bezirke mit gegenüber der Umgebung verändertem Echomuster sind auch in normal großen Schilddrüsen bei 14– 72% der Patienten nachzuweisen, häufiger bei Frauen und mit dem Lebensalter zunehmend (Mazzaferri et al. 1993). Selbst unter den Bedingungen einer supraoptimalen Jodzufuhr in den USA kann die Prävalenz sonographisch nachgewiesener Knoten in der Schilddrüse mit bis zu 22–45% hoch sein (Ezzat et al. 1994). In Deutschland als Jodmangelgebiet ergab sich bei einer aktuellen Querschnittstudie eine Inzidenz von Schilddrüsenknoten von 23,4% (Reiners et al. 2004). Echofreie Strukturen mit dorsaler scheinbarer Schallverstärkung entsprechen reinen Zysten, die zwar immer gutartig sind, jedoch nur selten angetroffen werden.
sich bei 33% aller gutartigen Knoten, jedoch auch bei 32% aller Schilddrüsenkarzinome, sodass eine Dignitätsbeurteilung allein durch die Sonographie unmöglich und die weitere Abklärung durch die Feinnadelbiopsie notwendig ist (. Abb. 2.14). Adenomatöse Knoten, die kolloidreich und zellarm sind, imponieren als solide echoreiche oder echonormale Areale. Manche grenzen sich durch einen echoarmen Randsaum – auch Halo genannt – gegen die Umgebung ab, doch ist dies ein unspezifisches Zeichen, das sowohl bei gutartigen Adenomen als auch bei Karzinomen vorkommt. Durch die farbkodierte Duplexsonographie kann zwar abgeklärt werden, ob das Halozeichen durch eine vermehrte Randvaskularisation bedingt ist, doch gestattet auch dieser Befund keine Dignitätsbeurteilung (Saleh et al. 1998). Häufig finden sich in Knotenstrumen auch echodichte Strukturen mit dorsaler Schallauslöschung, die durch Kalkablagerungen bedingt sind. Ein Rückschluss auf die Dignität in diesen Bereichen ist ebenfalls nicht möglich, da solche Befunde in Karzinomen wie in regressiv veränderten Adenomen gefunden werden (. Abb. 2.15).
Nur bei reinen Zysten darf auf weitere diagnostische Maßnahmen verzichtet werden!
Meist haben Läsionen mit liquiden Anteilen jedoch einen komplexen Aufbau: Septen und solide Gewebsanteile wechseln mit echoarmen oder echofreien, Flüssigkeit enthaltenden Hohlräumen ab. Solche zystisch-degenerativen Veränderungen finden
Volumetrie. Die Inzidenz von Schilddrüsenkarzinomen ist unabhängig von der Zahl der Knoten, sodass die Wahrscheinlichkeit eines Malignoms in jedem einzelnen Knoten beurteilt werden muss. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass alle sonographisch abgrenzbaren Knoten im Verlauf volumetrisch überwacht werden. Die häufig geübte Praxis, ab einer Anzahl von etwa 3–5 Knoten auf die Volumetrie einzelner Knoten zu verzichten und stattdessen nur das Volumen des größten Knotens und das gesamte Schilddrüsenvolumen anzugeben, mag zwar sehr zeitökonomisch sein, entspricht aber nicht einer ausreichend sorgfältigen Vorgehensweise. Nur bei Strumen mit multiplen Knoten, die sonomorphologisch nicht gegeneinander abgrenzbar erscheinen, kann auf die Volumetrie der Einzelknoten verzichtet werden, da diese keine verlässlichen und reproduzierbaren Ergebnisse erbringt.
46
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
a
b
. Abb. 2.15a,b. Knoten im rechten Schilddrüsenlappen, der szintigraphisch einem autonomen Adenom entspricht. a Echoarmer Randsaum als (unspezifisches) Zeichen der Hypervaskularisation. Das Echomuster ist homogen echonormal, wie das der restlichen Schilddrüse. b 6 Monate
nach Radiojodtherapie. Der Knoten ist kleiner, echoarm, es finden sich echodichte Gebiete. Bei diesem Knoten könnte man sonographisch an ein Malignom denken, es handelt sich jedoch um einen normalen Befund nach einer Radiojodtherapie
Dignität. Die eigentliche Risikogruppe stellen die echoarmen
steigt, wenn sie durch die Sonographie gezielt eingesetzt wird (Carmeci et al. 1998).
Knoten dar, hinter denen sich funktionell inaktive oder funktionell autonome benigne Adenome, aber auch Schilddrüsenkarzinome verbergen können. Hier muss zunächst szintigraphisch zwischen funktionell inaktiven »kalten« und autonomen »heißen« Knoten unterschieden werden sowie den sich funktionell vom gesunden Schilddrüsengewebe nicht abhebenden Knoten. Wenn auch die Malignomprävalenz in »kalten« Knoten unter 5% liegen dürfte (Hegedüs u. Karstrup 1998), muss ein Schilddrüsenkarzinom in jedem Falle punktionszytologisch ausgeschlossen werden. Meist erscheint ein Malignom echoärmer als das umgebende Gewebe, doch kann es auch als solide Läsion mit zystischen Anteilen auftreten oder als Zapfen in eine Zyste hineinragen. Verkalkungen sind zwar bei 80% der Schilddrüsenkarzinome nachzuweisen, treten jedoch auch in benignen regressiven Veränderungen in Knotenstrumen auf. Die anfängliche Hoffnung, dass der Nachweis einer intranodalen Hypervaskularisation in einem echoarmen »kalten« Knoten als Malignitätskriterium zu werten sei, wurde nicht erfüllt, da auch in autonomen Adenomen sowohl eine periphere als auch eine zentrale Hypervaskularisation beobachtet wurde (Becker et al. 1997). Da eine Hypervaskularisation auch bei knotigen Hyperplasien auftreten kann, muss davon ausgegangen werden, dass die farbkodierte Duplexsonographie bei der Dignitätsbeurteilung »kalter« Knoten keine Rolle spielt (Saleh et al. 1998). Nur dann, wenn mehrere Befunde wie Fehlen des Halo, Mikroverkalkungen und intranodale Hypervaskularisation zusammen in einem Knoten gefunden werden, ist die Wahrscheinlichkeit eines Karzinoms höher (Rago et al. 1998). Noch wahrscheinlicher wird die Diagnose eines Malignoms, wenn zugleich Kriterien wie invasives Wachstum in die Umgebung und vergrößerte Lymphknoten entdeckt werden. Aus der mangelnden Spezifität der Sonographie ergibt sich die Notwendigkeit, verdächtige Läsionen durch Feinnadelbiopsie (FNB) zytologisch abzuklären (Mazzaferri et al. 1993). Die Treffsicherheit der FNB
Diffuse Veränderungen des Echomusters. Die diffuse Struma
hat zunächst noch eine fein granulierte echonormale Struktur. Später vergröbert sich das Echomuster, und kleine echofreie, echoreiche oder echodichte Areale zeichnen sich ab als Ausdruck zunehmender degenerativer Gewebsveränderungen. Die diffuse fleckige Echoarmut, bedingt durch die dichte Packung kleiner kolloidarmer Follikel, ist typisch für den M. Basedow, für den auch die durch die farbkodierte Duplexsonographie (FKDS) nachgewiesene extrem gesteigerte Durchblutung charakteristisch ist. Die FKDS hilft auch bei der Differenzierung des M. Basedow von der lymphozytären Hashimoto-Thyreoiditis, deren sonographisches Erscheinungsbild ebenfalls die diffuse Echoarmut ist, die aber keine vermehrte Vaskularisation aufweist. Weiterhin ist bei der chronisch lymphozytären Thyreoiditis in späten Stadien die gesamte Schilddrüse echoarm, teilweise mit bindegewebigen Septen durchzogen, während beim floriden M. Basedow eher das Vorliegen von sehr vielen über die gesamte Schilddrüse verteilten echoarmen Arealen typisch ist. Für die Differenzialdiagnose liegen aber meistens noch weitere Untersuchungsergebnisse vor, wie z. B. Laborwerte, sodass die Unterscheidung nicht sonographisch getroffen werden muss. In Einzelfällen kann bei therapeutischer Relevanz (z. B. Entscheidung über Thyreostase) eine Szintigraphie über den deutlich erhöhten Uptake bei M. Basedow und den erniedrigten oder niedrignormalen Uptake bei der chronischen Thyreoiditis die Diagnose sichern. Größere echoarme Knoten bei einem Patienten mit einer Autoimmunthyreoiditis sollten den Untersucher veranlassen, an ein malignes Lymphom zu denken, dass mit der Thyreoiditis assoziiert ist (Takeshima et al. 1988) und die Diagnose durch eine FNB zu sichern. Gelegentlich kann auch die Abgrenzung der subakuten Thyreoiditis de Quervain, bei der regellos geformte echoarme Areale über die
47 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
2
Sonographie in der Tumornachsorge. Unverzichtbar ist der
Einsatz der Sonographie neben der Bestimmung des Tumormarkers hTg in der Nachsorge von Patienten nach Behandlung eines Schilddrüsenkarzinoms. Sie weist schon frühzeitig lokale Rezidive als echoarme raumfordernde Prozesse im Schilddrüsenbett oder zervikale Lymphknotenmetastasen nach. Dabei zeigen sich die Lymphknoten bei Befall abgerundet und weisen ein gegenüber den normalerweise echoarmen reaktiv vergrößerten Lymphknoten häufig eher echoreicheres Echomuster auf (bis hin zu fast echonormalen Befunden, die fast wie normales Schilddrüsengewebe imponieren können). Das Hiluszeichen kann dabei anfänglich noch erhalten sein, verschwindet jedoch bei weiterem Wachstum der Lymphknoten.
a
Sonographie zum Nachweis ektopen Schilddrüsengewebes.
Bei tastbaren Tumoren im Halsbereich hilft die Sonographie, den Zusammenhang mit der Schilddrüse zu erkennen oder weitgehend auszuschließen. Der spezifische Nachweis ektopen Schilddrüsengewebes wird jedoch erst durch die Szintigraphie mit 123 I-Radiojod erbracht. b . Abb. 2.16. Ultraschallbild einer Autoimmunthyreopathie vom Typ Basedow. a Linker Schilddrüsenlappen, oben Quer- und unten Längsschnitt. Im Längsschnitt ist an der Unterkante die A. carotis communis angeschnitten. Insgesamt echoarmes Parenchym. Häufig sieht man anstatt einer diffusen Echoarmut auch viele kleine echoarme Flecken in einem sonst echonormalen Parenchym. b Ultraschallbild einer Autoimmunthyreopathie vom Typ Hashimoto. rechter Schilddrüsenlappen, oben Quer- und unten Längsschnitt. Auch hier eine diffuse Echoarmut. Im Vergleich zum M. Basedow kann man bei der Hashimoto-Thyreoiditis seltener eine kleinfleckige Echoarmut sehen, sondern eher größere echoarme Areale oder eine diffuse Echoarmut
Schilddrüse verteilt sind (nicht so diffus wie beim M. Basedow), von einem entdifferenzierten Schilddrüsenkarzinom Schwierigkeiten bereiten, sodass auch hier die FNB zur Diagnosesicherung herangezogen werden kann (. Abb. 2.16). Sonographie in der Therapiekontrolle. Der Erfolg einer konservativen Behandlung von Strumen durch Jodpräparate, Schilddrüsenhormonpräparate oder ein Kombination aus beiden wird durch die sonographische Volumetrie objektiviert. So lassen sich das Gesamtvolumen und Knotenvolumina im Verlauf kontrollieren. Die konventionelle Sonographie kann auch zur Verlaufskontrolle bei der medikamentösen Therapie der immunogenen Hyperthyreose eingesetzt werden, wobei eine Normalisierung des Echomusters als Hinweis auf den Rückgang der Aktivität des Autoimmunprozesses gedeutet wird. Im gleichen Sinne wird die durch die FKDS nachgewiesene Abnahme der Hypervaskularisation unter der Behandlung gewertet (Saleh et al. 1998). Jedoch ersetzt dies nicht die regelmäßige Kontrolle der Laborparameter und liefert damit üblicherweise keine wichtigen therapeutisch relevanten Informationen, wie sie beispielsweise für die Dosierung der thyreostatischen Therapie erforderlich sind. Somit stellt die Sonographie lediglich eine Zusatzinformation dar, wie beispielsweise die Bestimmung der Antikörpertiter, auf die bei Verlaufskontrollen meistens verzichtet werden kann, da sich keine therapeutischen Konsequenzen ergeben. Allerdings sollte gelegentlich das Gesamtvolumen der Schilddrüse kontrolliert werden.
2.5.2.1.2 Computertomographie Die Computertomographie (CT) ist ein röntgenologisches Verfahren zur Erstellung von Transversaltomogrammen. Sie ermöglicht es, eine definierte Zahl von Körperschichten durch eine definierte Zahl an Projektionen als Schwächungsbilder wiederzugeben. Mit einem speziellen Abtastsystem wird die Schwächung einer Körperschicht gemessen. Mittels speziellen Rechenalgorithmen werden die Schwächungswerte in ihrer örtlichen Verteilung rekonstruiert und in Graustufen abgebildet. Die CT stellt Gewebe aufgrund ihrer unterschiedlichen Absorption von Röntgenstrahlen dar, wobei Absorptionsdifferenzen von nur 0,5% gemessen und zur Organdarstellung benutzt werden. Der relativ hohe Jodgehalt der normalen Schilddrüse bedingt ihre Gewebedichte von 70 HU r10 HU (Hounsfield Units). Damit übertrifft Sie die Radiodensität von Muskelgewebe. Da ihre Dichte dem Jodgehalt proportional ist, kann nach Eichung gegen bekannte Jodkonzentrationen der Jodgehalt der Schilddrüse computertomographisch bestimmt werden (Joseph et al. 1986). Die gute Vaskularisation bewirkt ein starkes Enhancement des Drüsengewebes nach KM-Gabe. Untersuchungstechnik. Der Patient wird in gleicher Lage wie bei der Sonographie untersucht, wobei die kraniale und kaudale Begrenzung schon bei der sonographischen Untersuchung auf der Haut des Patienten markiert werden kann. Je nach geforderter Auflösung werden Serienschnitte von 1,5–4 mm Dicke durch das Organ, bei retrosternalen Anteilen auch im oberen Thoraxbereich bis kaudal der mediastinalen Raumforderung gelegt. Bei Schilddrüsenmalignomen, manifester Hyperthyreose oder szintigraphisch höhergradiger Autonomie ist die Gabe von i.v. Kontrastmitteln nur bei vitaler Indikation zulässig. Auch eine Radiojodtherapie wird durch die Gabe iodhaltiger KM für mehrere Wochen bis Monate unmöglich. Befundung. Die Schilddrüse umgibt ventral konvex-konkav
Trachea und Schildknorpel. Sie lässt sich meist als glatte und homogene Weichteilstruktur abgrenzen. Die Schilddrüse grenzt sich scharf von den übrigen Halsorganen mit einer Dichte ab, die 1,5- bis 2-fach oberhalb der der Muskulatur liegt. Da Erkrankungen auch die Jodaufnahme beeinträchtigen, hat pathologisch
48
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
a
b . Abb. 2.17a,b. 22-jährige Patientin, Zustand nach Thyreoidektomie und Kompartimentausräumung beidseits wegen einer follikulären Variante eines papillären Schilddrüsenkarzinoms mit Lymphknoten-
metastasen. Spiral-CT: multiple Lungenmetastasen beidseits (Pfeile), keine Radiojodspeicherung
verändertes Schilddrüsengewebe in der Regel eine geringere Dichte, die in reinen Zysten am geringsten ist. Ausnahme ist die durch Jod induzierte Hyperthyreose bei vorbestehender Autonomie, bei der die Dichte sehr hoch sein kann, während sich die vergrößerte jodarme Schilddrüse bei Patienten mit M. Basedow durch geringe Dichte auszeichnet (Joseph et al. 1986). Das gilt auch für die hypertrophe Form der lymphozytären Thyreoiditis, doch ist hier die Struktur inhomogen. Die Abgrenzung gegen ein malignes Lymphom kann schwer bis unmöglich sein (Takashima et al. 1988). Bei der subakuten Thyreoiditis de Quervain finden sich Bezirke mit reduzierter Dichte in multifokaler Anordnung. Knotenstrumen enthalten zahlreiche Areale mit höchst unterschiedlicher Dichte bis hin zu Verkalkungen. Sehr gut zu erkennen sind die Verdrängung und/oder Kompression von Trachea, Ösophagus und großen Gefäßen sowie die Ausdehnung der Struma nach retrosternal bzw. intrathorakal. Schilddrüsenkarzinome haben gewöhnlich eine reduzierte Dichte, sind unregelmäßig begrenzt und weisen zu einem hohen Prozentsatz punkt-oder linienförmig in der Peripherie angeordnete Verkalkungen auf (Psammomkörper). Am häufigsten treten diese beim papillären Schildrüsenkarzinom auf.
Nachweis von Lungenmetastasen (. Abb. 2.17) die höchste Sensitivität (Dietlein et al. 1998).
Solange der Tumor auf die Schilddrüse begrenzt ist, gibt es im CT keinen den malignen Prozess beweisenden Befund. Beweiskraft hat erst der Nachweis infiltrativen Wachstums in umgebende Strukturen.
Lymphknoten gelten im Kopf-Hals-Bereich erst ab einem Durchmesser >1 cm als pathologisch. Hierbei neigen Schilddrüsenkarzinome zu einer frühen lymphogenen Ausaat in die regionären Lymphknoten. Im Rahmen der Nachsorge von Patienten nach Behandlung eines Schilddrüsenkarzinoms hat die CT beim
2.5.2.1.3 Magnetresonanztomographie Die MRT stellt Gewebe aufgrund ihrer unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften dar. Das Verfahren ist nicht invasiv, benutzt keine ionisierende Strahlung und keine jodhaltigen Kontrastmittel, sodass es bevorzugt bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Erwachsenen eingesetzt werden kann, die häufiger und ohne jodhaltige Kontrastmittel im Rahmen der Tumornachsorge kontrolliert werden müssen. Dank des großen Weichteilkontrastumfangs und der Möglichkeit der multiplanaren Rekonstruktion können anatomische Strukturen im Halsbereich optimal dargestellt werden. Das gilt besonders für die retrotracheale Region sowie für Strukturen in der oberen Thoraxapertur und im Mediastinum, die sonographisch nicht oder nur schwer zugänglich sind. Untersuchungstechnik. Die Lagerung des Patienten erfolgt wie bei der Sonographie und bei der CT. Der Kopf sollte sich dabei in leichter Retroflexionsstellung befinden. Die Schilddrüse kann sehr gut durch flexible, quer auf der distalen Halsregion aufgelegte Oberflächenspulen dargestellt werden. Für Untersuchungen der Kopf-Hals-Region müssen in Abhängigkeit von der klinischen Fragestellung individuell adaptierte Sequenzprogramme zum Einsatz kommen. In der Mehrzahl der Untersuchungen stellt der kombinierte Einsatz von T1w- und T2w-Sequenzen das Basisprotokoll dar. Die wichtigste Schnittführung bleibt die transversale (wie bei der CT). Ergänzend folgen Untersuchungen in frontaler Schnittführung. Diese eignet sich besonders zur Identifikation der kraniokaudalen Ausdehnung eines Schildrüsenprozesses. Trotz der exzellenten Weichteildifferenzierung in der nativen MRT werden bei fast allen Untersuchungen paramagnetische
49 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
2
. Abb. 2.18a,b. 63-jährige Patientin, thyreostatisch behandelte immunogene Hyperthyreose, große Struma nodosa. Konsistenzvermehrter, echoarmer Knoten in den kaudalen 2/3 des linken Lappens, szintigraphisch »kalt« (a). MRT: zentral zystische Raumforderung links, Verlagerung der Trachea nach rechts mit Kompression, invasives Wachstum
in die Umgebung, zervikale vergrößerte Lymphknoten links, Metastase im Lungenapex und im hinteren Mediastinum rechts (b). Histologisch: follikuläres Schilddrüsenkarzinom G2, kapselüberschreitend mit mediastinaler Metastase
Kontrastmittel zur besseren Diagnostik der Perfusion und Vaskularisation eingesetzt.
erscheinen. Eine eindeutige Differenzierung malignen Gewebes von benignem gelingt jedoch nicht. Die größte Bedeutung hat die MRT bei der Operationsplanung, da durch den im Vergleich zur CT besseren Kontrast zwischen Muskulatur und Tumor (Stark et al. 1984) klar zu erkennen ist, ob bereits eine Infiltration in benachbarte Strukturen erfolgt ist (. Abb. 2.18). Auch der Nachweis von Lymphknotenmetastasen wird erleichtert, da befallene Lymphknoten bereits ab einer Größe von 3 mm im T2-gewichteten Bild mit hoher Signalintensität zu erkennen sind.
Befundung. Wie die CT spielt die MRT der Schilddrüse eine untergeordnete Rolle, da Szintigraphie, Feinnadelbiopsie und Ultraschall in der Diagnostik weitgehende Klärung bringen. Die normale Schilddrüse hat auf den T1-gewichteten Bildern eine homogene Signalintensität, die der der Muskulatur ähnelt oder gering darüberliegt (Higgins et al. 1988). Auf T2-gewichteten Bildern übersteigt die Signalintensität die der Muskulatur, sie ist jedoch gewöhnlich geringer als die des Fettgewebes. Schilddrüsenzysten zeichnen sich durch eine hohe Signalintensität sowohl im T1- wie im T2-gewichteten Bild aus. Dank des hohen Methämoglobingehaltes weisen Blutungszysten die höchste Signalintensität im Vergleich zur Muskulatur auf. Kolloidzysten erscheinen in der T2-gewichteten Darstellung signalintensiv, in der T1-gewichteten dagegen häufig signalarm gegenüber normalem Schilddrüsengewebe. Schilddrüsen von Patienten mit M. Basedow haben in beiden Darstellungsarten eine gering heterogene gesteigerte Signalintensität, während die Intensität bei der Hashimoto-Thyreoiditis in der T2-gewichteten Darstellung gegenüber Fettgewebe gesteigert und in der T1-gewichteten inhomogen ist. In Knotenstrumen ist das Bild auch mit dieser Technik sehr heterogen: Abwechselnd zeigen sich Areale mit niedriger und angehobener Signalintensität. Adenome sind bereits ab 3 mm Durchmesser als umschriebene Läsionen mit einer Signalintensität zu erkennen, die der normalen Schilddrüsengewebes gleicht oder gering darüber liegt, doch können funktionstüchtige nicht von funktionslosen unterschieden werden. Schilddrüsenkarzinome führen zu Läsionen mit glattem oder unregelmäßigem Rand, die im T1-gewichteten Bild isooder gering hypointens, im T2-gewichteten Bild aber hyperintens
Cave Auch bei vermeintlichen Lymphknotenmetastasen ist Vorsicht geboten, da eine floride Lymphangitis zum gleichen MRT-Befund führt.
Nach Kontrastmittelinjektion erfolgt in Lymphknotenmetastasen ein zentrales Enhancement, nicht jedoch in fibrös-narbig verändertem Gewebe (Crawford 1989). In der Nachsorge kann die MRT Tumorreste oder Rezidive im Halsbereich nachweisen, die mit anderen Methoden nicht zu entdecken sind (Auffermann et al. 1988). Sie ist gegenüber der CT die überlegene Methode zur Differenzierung zwischen Narbenund vitalem Tumorgewebe. Ein Tumorrezidiv kann vermutet werden, wenn eine Seitendifferenz im Schilddrüsenbett auftritt und wenn die Signalintensität dort bei Verlaufsuntersuchungen ansteigt. Weitere Indizien für ein Rezidiv sind der Nachweis der Infiltration in oder die Verdrängung von Nachbarorganen sowie vergrößerte Lymphknoten mit gesteigerter Signalintensität. Unterlegen ist die MRT der CT im Nachweis kleiner Lungenmetastasen (Webb u. Sostman 1992).
50
Kapitel 2 · Schilddrüse
Literatur
2
Auffermann W, Clark OH, Thurner S, Galante M, Higgins M (1988) Recurrent thyroid carcinoma: characteristic on MR images. Radiology 168:753– 757 Becker D, Bair H, Becker W, Günter E, Lohner W, Lerch S, Hahn EG (1997) Thyroid autonomy with color-coded image-directed doppler sonography:internal hypervascularisation for the recognition of autonomous adenomas. J Clin Ultrasound 25:63–69 Brunn J, Bloch U, Ruf G, Bos I, Kunze WP, Scriba PC (1981). Volumetrie der Schilddrüsenlappen mittels Real-Time-Sonography. D Med Wochenschr 106:1338–1340 Carmeci C, Jeffrey RB, McDougall IR, Nowels KW, Weigand RJ (1998) Ultrasound-guided fine-needle aspiration biopsy of thyroid masses. Thyroid 8:283 Crawford SC, Harnsberger HR, Lufkin RB, Hanafee WN (1989) The role of gadolinium-DTPA in the evaluation of extracranial head and neck mass lesions. Radiol Clin North Am 27:219 Ezzat S, Sarti DA, Cain DR, Braunstein GD (1994) Thyroid incidentalomas. Prevalence by palpation and ultrasonography. Arch Intern Med 154:1838 Hegedüs L, Karstrup ST (1998) Ultrasonography in the evaluation of cold thyroid nodules. Eur J Endocrinol 138:30 31 Joseph K, Berg-Schlosser F, Herbert K (1986) Computertomographische Bestimmung der intrathyreoidalen Jod-Konzentration im Strumaendemiegebiet. Fortschr Röntgenstr 144:417 Mazzaferri EL (1993) Management of solitary thyroid nodule. N Engl J Med 328:553–559 Rago T, Vitti P, Chiovato L et al. (1998) Role of conventional ultrasonography and color-flow-doppler sonography in predicting malignancy in »cold« thyroid nodules. Eur J Endocrinol 138:41–46 Reiners C, Wegscheider K, Schicha H, Theissen P, Vaupel R, Wrbitzky R, Schumm-Dräger PM (2004) Prevalence of thyroid disorders in the workiing population of Germany: ultrasonography screening in 96 278 unselected employees. Thyroid 14:926–932 Saleh A, Santen R, Malms J, Feldkamp J, Fürst G, Scherbaum WA, Mödder U (1998) B-Mode-Sonographie und moderne dopplersonographische Methoden bei Krankheiten der Schilddrüse und der Nebenschilddrüsen. Radiologe 38:344–354 Stark DD, Clark OH, Moss AA (1984) Magnetic resonance imaging of the thyroid, thymus, and parathyroid glands. Surgery 96:1083 Takashima S, Ikezoe J, Morimoto S et al. (1988) Primary thyroid lymphoma: evaluation with CT. Radiology 168:765 Webb WR, Sostaman HD (1992) MR imaging of thoracic disease: clinical uses. Radiology 182:621 Ziegler R, Pickardt CR, Willig RP (1993) Rationelle Diagnostik in der Endokrinologie. Thieme, Stuttgart, S 50
–
2.5.2.2 Nuklearmedizinische Diagnostik
M. Gotthardt, K. Joseph ) ) Für die Produktion von Schilddrüsenhormon wird Jod benötigt, das daher spezifisch in der Schilddrüse aufgenommen wird. Daraus leitet sich ab, dass man mit Hilfe von radioaktiven Jodisotopen den Funktionszustand der gesamten Schilddrüse oder von Knoten (»heiße« oder »kalte« Knoten) ermitteln kann. Nach intravenöser Applikation von Jodisotopen wird mittels Gammakamera eine szintigraphische Aufnahme der Schilddrüse erstellt. Durch die ermittelten Zählraten (also Zerfälle des Radioisotops in einem durch den Untersucher definierten Bereich) lässt sich die Jodaufnahme der Schilddrüse als Abbild ihres Funktionszustandes 6
quantifizieren. Dazu wird der Teil der injizierten Aktivität, der sich in der Schilddrüse oder Teilen davon angereichert hat, als prozentualer Bestandteil der gesamten injizierten Aktivität angegeben. Aus Kostengründen und aufgrund der geringeren Strahlenbelastung verwendet man heute zur Schilddrüsenszintigraphie üblicherweise 99mTc-Pertechnetat, 123I kommt nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz. Bei Patienten mit Schilddrüsenkarzinomen wird 131I als therapeutisches Radionuklid eingesetzt, jedoch dient es auch der Ganzkörperszintigraphie bei diesen Patienten, da es aufgrund seiner längeren Halbwertszeit szintigraphische Aufnahmen über mehrere Tage ermöglicht, was bei der Detektion von Metastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome notwendig ist. Liegen Schilddrüsenkarzinome vor, deren Metastasen kein Jod speichern, ermöglich die Positronenemissionstomographie (PET), vorzugsweise mit 18F-Fluordeoxyglukose, den hochsensitiven Nachweis von Foci.
2.5.2.2.1 Szintigraphie Die Szintigraphie der Schilddrüse ermöglicht Aussagen zur Gesamtfunktion der Schilddrüse und von Knoten, die sonographisch in der Schilddrüse nachgewiesen wurden. Zu einem frühen Zeitpunkt nach Injektion von Jodisotopen oder 99mTcPertechnetat stellt sich die über den Natrium-Jodid-Symporter (NIS) laufende Jodanraffung der Schilddrüse dar (Jodination). Die Organifizierung von Jod (Jodisation) hingegen lässt sich nur mit Jodisotopen darstellen, da 99mTc nicht in Schilddrüsenhormon eingebaut wird. Mit Hilfe einer Gammakamera werden Szintigramme erstellt, die dann rechnergestützt ausgewertet werden. Dabei wird in einer um die Schilddrüse oder einzelne Knoten gelegten »Region of Interest« (ROI) die erzielten Zählraten (also die in diesem Areal stattfindenden Zerfälle in einer bestimmten Zeiteinheit) mit der vor Injektion ermittelten Zählrate der injizierten Aktivität verglichen. Daraus lässt sich die in der Schilddrüse/im Knoten gespeicherte Aktivität in Prozent der injizierten Aktivität angeben, wobei eine Hintergrundkorrektur zur Erfassung des unspezifisch extrathyreoidal befindlichen 99mTc oder 123I durchgeführt wird, das ja in die Messung mit eingeht (Joseph 1995). Dieser Werte wird als TcTU (»technetium thyroid uptake«) oder ITU (»iodine thyroid uptake«) bezeichnet und in Prozent angegeben. Er ist immer in Relation zum basalen TSHWert zu betrachten. Beispiele für die szintigraphische Diagnostik von Schilddrüsenerkrankungen finden sich in den . Abb. 2.19 bis 2.22. 99m
Tc-Pertechnetat. Das am häufigsten verwendete Radionuklid ist das 99mTc-Pertechnetat, das als Generatorprodukt in jeder nuklearmedizinischen Abteilung stets zur Verfügung steht. Es ist ein reiner Gammastrahler mit kurzer physikalischer Halbwertszeit von 6 h und ebenfalls kurzer biologischer Halbwertszeit, sodass die Strahlenexposition für den Patienten sehr gering ist. Bei Injektion einer Aktivität von ca. 35 MBq (1 Becquerel ist ein Zerfall pro Sekunde) liegt die Strahlenexposition bei einer effektiven Dosis um 0,8 mSv. Die Energie der Gammaquanten liegt in einem für die Erfassung mit Gammakameras günstigen Bereich von etwa 140 keV. Das 99mTc-Pertechnetat-Anion wird zwar wie das Jodid aktiv durch den Natrium-Jodid-Symporter in die Thyreozyten transportiert, jedoch nicht organisch gebunden. Somit ist das Technetiumszintigramm nur ein Funktionstopogramm der regionalen Pertechnetataufnahme, die der Jodid-Clearance äquivalent ist Szintigraphie mit
51 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
2
. Abb. 2.19. 53-jähriger Patient, klinisch hyperthyreot. Tastbarer Knoten links, sonographisch echokomplex mit Halo, szintigraphisch
»heiß«, Suppression der Aktivitätsaufnahme im übrigen Schilddrüsengewebe, Diagnose: unifokale Autonomie
(Mahlstedt et al. 1979). Da das Pertechnetat die Schilddrüse rasch wieder verlässt, muss das Szintigramm spätestens 20 min nach der Injektion begonnen werden. Mit der quantitativen Bestimmung der thyreoidalen Pertechnetataufnahme mittels ROITechnik wie oben beschrieben liefert sie auch den TcTU als validen Schätzer der Jodid-Clearance (Mahlstedt et al. 1979). Bis auf wenige Ausnahmen – noch erhaltene Jodid-Clearance, aber bereits gestörte Organifizierung bei entzündlichen oder malignen
Schilddrüsenerkrankungen – besteht eine enge Korrelation zwischen Jodidaufnahme und übriger Funktion der Thyreozyten. Daher beschreibt das Technetiumszintigramm für klinische Fragestellungen genügend genau auch die regionale Funktion. Als Äquivalent der Jodid-Clearance unterliegt der TcTU sowohl der Stimulation durch TSH wie auch der Autoregulation und hängt von der individuellen Jodversorgung ab. Daher gibt es regional unterschiedliche Normalwerte in Abhängigkeit vom
. Abb. 2.20. 23-jährige Patientin mit konsistenzvermehrtem, rasch gewachsenem, echoarmem und szintigraphisch »kaltem« Knoten. Histo-
logische Bestätigung der zytologischen Diagnose papilläres Schilddrüsenkarzinom
52
Kapitel 2 · Schilddrüse
alimentären Jodangebot. Während der TcTU in Gebieten mit ausreichender Jodzufuhr unter 2% liegt, erreicht er in Jodmangelgebieten Werte zwischen 2 und 7% (Bähre et al. 1987; Joseph 1995). Ein erhöhter TcTU kann sowohl durch Jodmangel als auch durch eine gesteigerte Hormonsynthese verursacht werden. Die Differenzierung gelingt in Jodmangelgebieten durch die Messung des TcTU unter Suppression der TSH-Sekretion. Aufgrund der verbesserten Jodversorgung müssen diese Werte beispielsweise in Deutschland nach unten korrigiert werden (Gotthardt et al. 2006a).
2
TcTU unter Suppressionsbedingungen. Unter den Bedingungen
. Abb. 2.21. 65-jährige Patientin mit multiplen Radiojod speichernden Metastasen eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms. Ganzkörperszintigramm mit der Restaktivität nach Radiojodtherapie
. Abb. 2.22a–c. 49-jähriger Patient mit konsistenzvermehrtem Knoten in den kaudalen 2/3 des rechten Lappens, langsames Wachstum über mehrere Jahre. Sonographisch echokomplex, ohne scharfe Abgrenzung
des Jodmangels sind die Hormonkonzentrationen einschließlich der des basalen TSH bei einem hohen Prozentsatz der Patienten mit autonomem Schilddrüsengewebe normal. Der Beweis der funktionellen Autonomie kann dann nur durch die Bestimmung des TcTU unter Suppressionsbedingungen (TcTUsupp) erbracht werden (Joseph 1995). Durch Schilddrüsenhormonzufuhr in genügender Höhe und Dauer (z. B. 100 µg LT4/Tag für einen Monat, bei älteren oder sehr leichten Patienten weniger) wird in der Peripherie die Konstellation einer latenten Hyperthyreose erzeugt. Dadurch wird die Jodaufnahme im regelbaren Gewebe unterdrückt, sodass sich im Szintigramm nur noch das weiter Aktivität aufnehmende autonome Gewebe darstellt. Bei Patienten ohne autonome Gewebsanteile sinkt der TcTUsupp auf Werte unter 1% ab. Unter Berücksichtigung eines Graubereiches oberhalb von 1% liegt der Grenzwert für eine klinisch relevante Autonomie derzeit in Deutschland sicherlich bei 1,4%, was deutlich unter dem früher geltenden Grenzwert von 2% liegt (Joseph et al. 1995; Gotthardt et al. 2006a).
(a), szintigraphisch »kalt« (b), im Ganzkörperszintigramm Anreicherung von 99mTc-Sestamibi in einem benignen follikulären Adenom (c, Pfeil)
53 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
Szintigraphie mit Jodisotopen. Spezielle Fragestellungen erfor-
dern die Nutzung der spezifischen Radiojodanreicherung: Als Folge des organischen Einbaus in Schilddrüsenhormon und der Speicherung im Kolloid können Spätaufnahmen nach 6 und 24 h und später durchgeführt werden, die dann mit hohem Kontrast zu der nahezu aktivitätsfreien Umgebung (das nicht thyreoidal gespeicherte Jod ist dann bereits ausgeschieden) speicherndes Schilddrüsengewebe darstellen. So kann dystopes Schilddrüsengewebe am Zungengrund oder in einer mediastinalen oder intrathorakalen Raumforderung spezifisch nachgewiesen werden. Für diese Untersuchungen hat sich der Einsatz von 123I-Jodid bewährt. Analog zur Bestimmung des TcTU kann mit standardisierter Technik auch die Szintigraphie mit 123I quantitativ ausgewertet und als ITU in Prozent der injizierten Aktivität angegeben werden. Diese quantitative Jodszintigraphie erfasst, 6 und 24–48 h nach der Injektion durchgeführt, auch die maximale Radiojodaufnahme, die zur Berechnung der für eine Radiojodbehandlung notwendigen Aktivitätsmenge benötigt wird. Gegenüber der mit einer Messsonde im Radiojodtest bestimmten Radiojodaufnahme hat sie den großen Vorteil, dass die Korrektur um die miterfasste extrathyreoidale Aktivität sehr genau ist. Die Verwendung von 123I setzt jedoch die Verwendung einer standardisierten Halbwertszeit für die Dosimetrie voraus, für längerfristige Messungen für die genaue Bestimmung der effektiven Halbwertszeit muss das längerlebige Jodisotop 131I verwendet werden. Die Szintigraphie mit Radiojod kann auch dann durchgeführt werden, wenn eine Diskrepanz des TcTU zur Radiojodaufnahme vermutet wird. Szintigraphie mit 131I-Radiojod. Das 131I-Radiojod wird zur Diagnostik nur noch im Rahmen der Ganzkörperszintigraphie zum Nachweis von Radiojod speicherndem Restgewebe oder von Metastasen nach Thyreoidektomie wegen eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms und zur Bestimmung der maximalen Radiojodaufnahme vor geplanter Radiojodtherapie im Radiojodtest verwendet. Das 131I emittiert neben der zur Therapie genutzten Betastrahlung auch Gammaquanten, die die Darstellung speichernden Gewebes im Szintigramm ermöglichen. Routinemäßig wird ein Szintigramm des Halsbereichs bei Patienten mit Restaktivität nach einer Radiojodtherapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen vor der Entlassung aus der stationären Behandlung durchgeführt, um die Radiojodaufnahme im zu schädigenden Gewebe zu dokumentieren. Diese Untersuchung wird um ein Ganzkörperszintigramm bei den Patienten erweitert, die wegen eines Schilddrüsenkarzinoms mit Radiojod behandelt wurden. Ein Ganzkörperszintigramm erfolgt 2–3 Tage nach Gabe einer diagnostischen Menge Radiojod, wenn bei Zustand nach Behandlung eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms durch Anstieg des Tumormarkers hTg im Serum der Verdacht auf ein lokales Tumorrezidiv oder Metastasen entsteht. Dazu muss die Behandlung mit L-Thyroxin 4 Wochen vorher abgesetzt und für 14 Tage durch ca. 60 µg L-T3/Tag ersetzt werden. Anschließend wird über weitere 14 Tage völlige Hormonkarenz eingehalten. Alternativ kann rekombinantes TSH eingesetzt werden, um die erforderliche Stimulation der Thyreozyten bzw. der Schilddrüsenkarzinomzellen zu bewirken, sodass die Substitutions- bzw. Suppressionstherapie nicht unterbrochen werden muss (Ladenson et al. 1997). Dies ist insbesondere bei Patienten hilfreich, die unter der Hypothyreose stark leiden oder aus beruflichen Grün-
2
den keine Einschränkung der Reaktionszeit aufweisen dürfen. Als diagnostische Aktivität werden zwischen 75 und 400 MBq 131 I eingesetzt, wobei die Ganzkörperszintigraphie mit höherer Aktivität im Nachweis von Metastasen sensitiver sein soll als mit geringeren Aktivitätsmengen (Dietlein et al. 1998). Jedoch ist bislang nicht eindeutig geklärt, in welchem Umfang ein durch die Applikation der diagnostischen Aktivität ausgelöstes »stunning« (Verminderung der Radiosensitivität durch Vorbehandlung mit geringen Aktivitäten) eine anschließende hochdosierte Radiojodtherapie in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt (Jeevanram et al. 1986). Daher werden auch geringere Aktivitäten unter 150 MBq für die Diagnostik vorgeschlagen, um diesen Effekt zu vermeiden. Für den Radiojodscan muss der Patient stationär aufgenommen werden. Herde mit Radiojodaufnahme im lateralen Halsbereich zeigen Lymphknotenmetastasen, solche im Schilddrüsenbett ein lokales Rezidiv an, wobei diese bezüglich ihrer Lokalisation nur mittels Ultraschall eindeutig einzuordnen sind. Speichernde Fernmetastasen finden sich meist in der Lunge und im Skelett, seltener in der Leber und im Gehirn. Cave Falsch-positive Befunde können durch Kontamination des Patienten oder seiner Kleidung entstehen, am häufigsten durch radioaktiven Urin. Häufiger sind jedoch falsch-negative Befunde, da bis zu 1/4 aller Metastasen kein Radiojod mehr speichern (Maxon u. Smith 1990). Folglich ergibt sich bei Anstieg des Tumormarkers hTg und negativem Radiojodszintigramm die Notwendigkeit, weitere diagnostische Verfahren einzusetzen.
2.5.2.2.2 Positronenemissionstomographie mit 18F-Fluordeoxyglukose Die Indikation zur PET-Untersuchung ist gegeben, wenn aufgrund des Anstiegs von hTg der Verdacht auf ein lokales Tumorrezidiv oder Metastasen besteht und die Ganzkörperszintigraphie mit 131I negativ ausgefallen ist oder aber nicht mehr jodspeichernde Metastasen vermutet werden. Die PET führt dabei in über 50% der Patienten mit Rezidiven zu einer Änderung des therapeutischen Vorgehens (. Abb. 2.23; Gambhir et al. 2001). Für die PET werden Radionuklide verwendet, bei deren Zerfall Positronen freigesetzt werden. Diese rekombinieren fast unmittelbar nach dem Austritt aus dem Kern mit Elektronen. Die Masse beider Teilchen wird dann in Form zweier Gammaquanten abgegeben, die im Winkel von annähernd 180° in entgegengesetzte Richtung abgestrahlt werden. Als Messsystem werden ringförmige Detektoren verwendet, in denen einander gegenüberliegende Detektoren dann gleichzeitig eine Absorption registrieren, wenn die auftreffenden Quanten aus demselben Rekombinationsereignis stammen. In Schnittbildtechnik wird die Aktivitätsverteilung im Körper tomographisch abgebildet mit einer Ortsauflösung im Bereich weniger Millimeter. Als Radiopharmakon wird mit 18F markierte Deoxyglukose 18 ( F-FDG) verwendet, die wie Glukose in die Zelle transportiert, dort phosphoryliert, jedoch nicht weiter verstoffwechselt wird. Die Anreicherung der markierten Deoxyglukose ist repräsentativ für die intrazelluläre Menge von FDG-6-Phosphat und damit für den Glukoseumsatz. Maligne Zellen mit gesteigerter Proliferationsrate haben einen erhöhten Glukoseumsatz, der sowohl durch eine Überexpression der Glukosetransportproteine als
54
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
b
a
auch durch eine beschleunigte intrazelluläre Glukolyse verursacht wird. Das gilt auch für schneller wachsende, geringer differenzierte Schilddrüsenkarzinome, die zwar kein Jodid mehr anreichern, jedoch vermehrt FDG speichern. Meist handelt es sich um G2-Tumoren (Grünwald et al. 1997). Die anfängliche Hypothese, dass die Höhe der FDG-Aufnahme mit dem zunehmenden Verlust der spezifischen Jodidanreicherung einhergehe (Feine et al. 1996), ließ sich jedoch nur bei ca. 60% der Patienten bestätigen (Dietlein et al. 1998). Durchführung. Dem seit 12 h fastenden Patienten werden 350– 400 MBq 18F-FDG intravenös injiziert. Eine Stunde später erfolgt die Ganzkörper-PET-Untersuchung. Eine zuvor erfolgte Gabe von rekombinantem TSH kann den Uptake in die Tumoren bzw. Metastasen erhöhen (Chin et al. 2004).
. Abb. 2.23a,b. Patientin mit einem metastasierten papillären Schilddrüsenkarzinom. Während der Radiojodscan mit 131I (a) negativ ist (die kräftige Speicherung im linken Oberbauch ist der Magen), zeigt die PET mit 18F-FDG (b) eine kräftige Speicherung in den pulmonalen und mediastinalen Metastasen. Der myokardiale Uptake ist geringer als der in die Metastasen. Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie sich große Tumormassen der Detektion im Radiojodscan entziehen können, auch wenn das Tg massiv erhöht ist
benigne Prozesse wie z. B. Granulome einen falsch-positiven Befund ergeben (Grünwald et al. 1997). Eine Alternative zu 18F-FDG, das als Marker für den Glukoseumsatz zwangsläufig recht unspezifisch ist, kann auch 124I als Positronenemitter eingesetzt werden. Zwar ergeben sich bei einem Verlust der Jodaufnahme im Rahmen einer Dedifferenzierung die gleichen Nachteile wie beim 131I gegenüber 18F-FDG, jedoch ist die 124I-PET sensitiver als der 131I-Ganzkörperscan und daher in der Lage, Metastasen zu detektieren, die dem Ganzkörperscan entgehen und somit falsch negativ sind (Freudenberg et al. 2004). Weiterhin kann die 124I-PET zur Dosimetrie bei Patienten dienen, die eine Radiojodtherapie erhalten sollen (Sgouros et al. 2004). Da die Herstellung von 124I an einen hohen apparativen Aufwand gekoppelt ist, kann diese Untersuchung nicht an allen Standorten erfolgen, ganz im Gegensatz zu der PET mit 18F-FDG, für das eine flächendeckende Versorgung vorhanden ist.
Aussage. Eine vermehrte FDG-Aufnahme im Schilddrüsenbett
und in zervikalen Lymphknoten muss zunächst als lokaler Tumorrest oder als regionale Lymphknotenmetastase gedeutet werden (Dietlein et al. 1998). Sehr selten nur kann eine vermehrte FDGAufnahme im Schilddrüsenbett Folge einer strahlenbedingten Thyreoiditis nach Radiojodtherapie sein (Grünwald et al. 1997). Fokale Herde mit FDG-Speicherung im übrigen Körper sind in der Regel Fernmetastasen, doch können auch hier gelegentlich
Medulläre Schilddrüsenkarzinome. Da die medullären Schild-
drüsenkarzinome nicht von den Thyreozyten ausgehen, sondern von den C-Zellen, speichern diese kein Radiojod. Daher ist die 18 F-FDG-PET ein Verfahren, dass in der Rezidivdiagnostik bzw. der Lokalisationsdiagnostik von medullären Schilddrüsenkarzinomen zum Einsatz kommt. Jedoch hat sich die PET als gegenüber anderen Verfahren nicht eindeutig überlegen gezeigt. Die Studien-
55 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
lage ist hier zurzeit nicht eindeutig, jedoch scheint die PET der CT und MRT eher unterlegen zu sein (Gotthardt et al. 2004a). 2.5.2.2.3 Andere nuklearmedizinische Verfahren An weiteren Verfahren, mit denen Metastasen von Schilddrüsenkarzinomen gefunden werden können, stehen die Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (SRS) mit OctreoScan (111In-DTPADPhe1-Octreotide), 99mTc-MIBI (Cardiolite) und für medulläre Schilddrüsenkarzinome als neues, noch nicht zugelassenes Medikament 111In-DTPA-DGlu1-Minigastrin zur Verfügung. Der Einsatz der SRS kann in Einzelfällen indiziert sein, jedoch ist davon auszugehen, dass andere Verfahren wie die PET oder CT letztlich sinnvoller sind (Gotthardt et al. 2004b). Gleiches gilt für MIBI, das zwar in der Lage ist, in Einzelfällen einen Tumornachweis zu erbringen (z. B. bei negativem Ergebnis anderer Untersuchungsverfahren), in der Sensitivität der PET jedoch sicher unterlegen ist. Die Szintigraphie mit 111In-DTPA-DGlu1-Minigastrin ermöglicht die hochsensitive Detektion von Metastasen von medullären Schilddrüsenkarzinomen, wobei das Verfahren besser als PET und CT abschneidet. Jedoch befindet sich das Verfahren noch in der präklinischen Evaluation, sodass es nicht ubiquitär verfügbar ist (Gotthardt et al. 2003).
2
Grünwald F, Menzel C, Bender H et al. (1997) Comparison of 18FDG-PET with 131 Iodine and 99mTc-Sestamibi scintigraphy in differentiated thyroid cancer. Thyroid 7:327–335 Jeevanram RK, Shah DH, Sharma SM (1986) Influence of initial large dose on subsequent uptake of therapeutic radioiodine in thyroid cancer patients. Nucl Med Biol 13:277–279 Joseph K (1995) Quantifizierte Schilddrüsenszintigraphie. Der Nuklearmediziner 18:228–236 Ladenson PW, Braverman LE, Mazzaferri EL et al. (1997) Comparison of administration of recombinant human thyrotropin with withdrawal of thyroid hormone for radioactive iodine scanning in patients with thyroid carcinoma. N Engl J Med 46:259 Mahlstedt J, Schmidt H, Joseph K (1979) Untersuchungen zur Verlässlichkeit der 99mTc-Speichertests als Schätzer der thyreoidalen Stimulation. Fortsch Röntgenstr 131:536 Maxon RH, Smith HS (1990) Radioiodine-131 in the diagnosis and treatment of metastatic well differentiated thyroid cancer. Endocrinol Metab Clin North Am 19:685–718
2.5.2.3 Feinnadelpunktionszytologie
J. Rüschoff, M. Hofmann ) )
Literatur Bähre M, Hilgers R, Lindemann C, Emrich D (1987) Physiological aspect of the thyroid trapping function and its suppression in iodine deficiency using 99mTc-pertechnetate. Acta Endocrinol 115:175–182 Chin BB, Patel P, Cohade C, Ewertz M, Wahl R, Ladenson P (2004) Recombinant human thyrotropin stimulation of fluoro-D-oxy-glucose positron emission tomography uptake in well-differentiated thyroid carcinoma. J Clin Endocrinol Metab 89:91–95 Dietlein M, Scheidhauer K, Voth E, Theissen P, Schicha H (1998) Diagnostische Algorithmen in der Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms: Welchen Stellenwert haben FDG und Sestamibi? Nuklearmedizin 37:6–11 Feine U, Lietzenmayer R, Hanke J-P, Held J, Wöhrle H, Müller-Schauenburg W (1996) Fluorine-18-FDG and Iodine-131-Iodide uptake in thyroid cancer. J Nucl Med 37:1468–1472 Freudenberg LS, Antoch G, Jentzen W, Pink R, Knust J, Gorges R, Muller SP, Bockisch A, Debatin JF, Brandau W (2004) Value of 124I-PET/CT in staging of patients with differentiated thyroid cancer. Eur Radiol 14:2092–2098 Gambhir SS, Czernin J, Schwimmer J, Silverman DHS, Coleman RE, Phelps ME (2001) A tabulated summary of the FDG-PET literature. J Nucl Med 42 (suppl 5):60S–63S Gotthardt M, Battmann A, Beuter D, Bauhofer A, Schipper ML, Béhé MP, Lorenz W, Klose KJ, Behr TM (2003) Comparison of In-111-D-Glu-1Mingastrin, F-18-FDG PET, and CT scanning for the detection of metastatic medullary thyroid carcinoma. J Nucl Med 44:169P Gotthardt M, Battmann A, Höffken H, Schurrat T, Pollum H, Beuter D, Béhé M, Bauhofer A, Klose KJ, Behr TM (2004a) Comparison of 18F-FDG-PET, Somatostatin Receptor Scintigraphy, and CT in the diagnosis of metastatic medullary thyroid carcinoma. Nucl Med Com 25:439–443 Gotthardt M, Boerman OC, Behr TM, Béhé MP, Oyen WJG (2004b) Development and application of peptide-based radiopharmaceuticals. Curr Pharm Design 10:2951–2964 Gotthardt M, Stübinger M, Pansegrau J, Buchwald B, Goecke J, Pfestroff A, Corstens FH, BehrTM (2006a) Decrease of 99mTc-uptake in autonomous thyroid tissue in Germany since the 1970s: clinical implications for radioiodine therapy. Nuklearmedizin 45:122–125 Gotthardt M, Behe MP, Beuter D, Battmann A, Bauhofer A, Schurrat T, Schipper M, Pollum H, Oyen WJ, Behr TM (2006b) Improved tumour detection by gastrin receptor scintigraphy in patients with metastasised medullary thyroid carcinoma. Eur J Nucl Med Mol Imag (im Druck)
Im Unterschied zu den USA, wo die Untersuchung der Schilddrüse mittels Feinnadelpunktionszytologie (FNPZ) als »First-lineTest« eingesetzt wird, ist in Deutschland die FNPZ aufgrund der hohen Prävalenz der Knotenstruma von bis zu 50% in Endemiegebieten Teil eines kombinierten Vorgehens aus Ultraschall und Szintigraphie. Ziel der punktionszytologischen Schilddrüsenuntersuchung ist die Selektion malignitätsverdächtiger Läsionen zur Vermeidung unnötiger diagnostischer Operationen. Die diagnostische Treffsicherheit ist dabei von der Erfahrung der Untersucher (Kliniker und Zytopathologe) und deren Kooperation abhängig (Danese et al. 1998). Unabhängig von der Morphologie einer Läsion in der Bildgebung liefert die FNPZ eine unmittelbare und spezifische Information über deren Natur (Bennedbaek et al.1999). Sie ist preisgünstig, einfach durchführbar und nebenwirkungsarm. In erfahrenen Zentren kann dadurch die Zahl der Thyreoidektomien um ca. 50% reduziert und die Bestätigungsrate durch Resektion nahezu verdoppelt werden (Mazzaferri 1993). Ein gewisser Prozentsatz der Fälle bleibt jedoch in der Routinemorphologie diagnostisch unklar. Durch Zusatzuntersuchungsmethoden gelingt es, diese Zahl zu minimieren. Dazu zählen unter anderem Immunzytochemie, DNA -Zytometrie und Morphometrie (Harms et al. 2002). Mit Aufklärung der molekularen Ursachen maligner Schilddrüsenerkrankungen (Karges 2005) und Einführung von PCR gestützten Untersuchungsverfahren an Wenigzellproben (Dietmaier et al. 1999) dürfte künftig auch eine Verbesserung der punktionszytologischen Diagnostik durch Einsatz molekularbiologischer Analyseverfahren zu erwarten sein.
2.5.2.3.1 Indikationen Hauptindikation zur FNPZ ist der tastbare, szinitgraphisch meist hypofunktionelle (»kalte«) Schilddrüsenknoten, der solitär in einer sonst unauffälligen Schilddrüse oder als dominanter Knoten in einer Knotenstruma imponiert. Nichttastbare Knoten (<1 cm) können zunächst beobachtet werden. Die möglichen Indikationen sind in der folgenden 7 Übersicht aufgeführt.
56
Kapitel 2 · Schilddrüse
Indikationen zur Feinnadelbiopsie der Schilddrüse
2
5 Solitärer Schilddrüsenknoten (szintigraphisch »kalt«, sonographisch echoarm) 5 Knotenstruma mit dominantem Knoten (tastbar oder >1 cm) 5 Knotige oder diffuse Struma mit Thyreoiditisverdacht 5 Spezielle Indikationen – Nachsorge bei bekanntem Schilddrüsenkarzinom – Positive Strahlenexpositionsanamnese – Drainage von Zysten u. a.
Schilddrüsenknoten sind in Nichtendemiegebieten wie den USA mit 4–7% unter der erwachsenen Bevölkerung relativ selten. In Jodmangelgebieten ist dagegen die Knotenstruma endemisch mit einer Prävalenz von bis zu 50% (Gharib u. Goellner 1993). Im Gegensatz dazu ist das klinisch manifeste Schilddrüsenkarzinom mit einer Inzidenz von 0,004% (4/100.000 Einwohner) relativ selten (Gharib 1994). Bezogen auf die Häufigkeit von Schilddrüsenknoten wird die Rate maligner Knoten in Nichtendemiegebieten mit bis zu 25%, in Endemiegebieten jedoch nur mit 5%, bei kalten Knoten mit ca. 15% angegeben (Langsteger et al. 1993). Die Wertigkeit der FNPZ ist demnach daran zu messen, inwieweit diese Technik zur Selektion von Patienten mit tatsächlich malignen Schilddrüsenknoten und damit zur Erhöhung der Rate von Malignomen im Operationsgut beiträgt.
2.5.2.3.2 Prinzip der Feinnadelpunktion Die FNPZ wird mit Einmalkanülen (Nr. 17 oder Nr. 16 bzw. gg. 25–23, äußerer Durchmesser 0,6–0,8 mm) durchgeführt. Dieses mit einer Venenpunktion vergleichbare Verfahren ist weitgehend frei von schwerwiegenden Nebenwirkungen. Kontraindikation ist nur die hämorrhagische Diathese. Lokale Entzündungen treten etwa bei 1/4000 Punktionen auf. Eine Tumorzellverschleppung im Stichkanal ist bislang nur für einen Fall gesichert (Droese 1995). Aussagekraft und Stellenwert der FNPZ werden im Wesentlichen von der Erfahrung des punktierenden Arztes und des Zytopathologen bestimmt. Empfohlen wird ein intensives Einstiegstraining mit mindestens 100 Biopsien und Befundungen und anschließend mindestens 30–40 FNPZ pro Jahr. Jede Läsion wird ggf. unter Ultraschallkontrolle fächerförmig in 3–5 Ebenen punktiert. Das Punktat wird auf Objektträger übertragen (1 Tropfen/ Objektträger), ausgestrichen und in der Regel nach Lufttrocknung mit May-Giemsa-Grünwald (MGG) gefärbt (Droese 1995). 2.5.2.3.3 Punktionszytologischer Befund Die zytologische Diagnose sollte nur an ausreichendem Untersuchungsmaterial erfolgen. Adäquate Ausstrichpräparate enthalten 5–6 Gruppen von je etwa 10 gut erhaltenen Follikelzellen. Die Befundung erfolgt in Anlehnung an die Empfehlungen der amerikanischen »Papanicolaou-Gesellschaft für Zytopathologie« (Suen 1996) in benigne (gutartige nichtneoplastische Läsion, »negativ«), verdächtig (zellreiche follikuläre oder onkozytäre Läsion) und maligne (»positiv«) (. Tab. 2.2).
. Tab. 2.2. Zytopathologischer Befund, histologische Korrelation und klinische Relevanz. (Nach Dröse 1995; McHenry et al. 1993)
Zytologischer Bef und
Histologische Korrelation
Malignitätsrate (%)
Therapieempfehlung
Negativ (nichtneoplastische Läsion)
Kolloidknoten Zystische Strumaknoten Thyreoiditis Solitäre Zyste
<2
Konservativ Bei Malignitätsverdacht Operation
Verdächtig (zellreiche follikuläre Neoplasie) Eher hyperplastischa
15–30 Adenomatöse Struma Mikrofollikuläres Adenom
Bei geringem Malignitäts verdacht: konservativ
Eher benigne
Follikuläres Adenom Struma adenomatosa
Rebiopsie oder Operation
Eher maligne
Follikuläres Adenom Hochdifferenziertes follikuläres Karzinom Follikuläres papilläres Karzinom
Operation
Onkozytäre (oxyphile) Neoplasie
Onkozytäres (oxyphiles) Adenom Onkozytäres Karzinom
Operation
Positiv (maligne)
Papilläres, follikuläres, anaplastisches, medulläres Karzinom Lymphom, Metastase
Follikuläre Neoplasieb
Unzureichendes Untersuchungsmaterial c a b
Follikuläre Proliferation (nach Droese 1995) Unterteilung der follikulären Neoplasie ist optional
c d
>97
Operation
Bis 10d
Wiederholung
Zellen oder Kolloid fehlend oder sehr wenig Nach McHenry et al. 1993
57 2.5 · Diagnostik der Schilddrüsenerkrankungen
2
b
a
c
d . Abb. 2.24. a Knotenstruma mit dominantem, 3,5 cm großem, regressiv veränderten Adenom (rechts); angrenzend Zufallsbefund einer 0,5 cm großen, intensiv gelben Metastase eines bei Operation unbekannten (okkulten) Nierenzellkarzinoms. b Zellreiche follikuläre Neoplasie mit mikrofollikulären Formationen. Eine sichere Unterscheidung zwischen einem Adenom und einem (hochdifferenzierten, mikroinvasivem) folli-
kulären Karzinom ist nicht möglich (zytologischer Befund: »verdächtig«). c Umschriebener 1 cm im Durchmesser großer subkapsulärer weißlicher Schilddrüsenknoten, szintigraphisch kalt. d Punktionszytologischer Befund »positiv«: Papillärer Zellkomplex mit vergrößerten teilweise eingekerbten Kernen und vereinzelt intranukleären Zytoplasmaeinschlüssen (Inset). Diagnose: papilläres Schilddrüsenkarzinom
Bezogen auf die Kategorien »negativ« und »positiv« liegt die diagnostische Verlässlichkeit bei über 90% (Gharib u. Goellner 1993; Mazzaferri 1993). Ein zentrales Dilemma der Schilddrüsenzytologie liegt jedoch in der Kategorie »verdächtig« bzw. »zellreiche follikuläre Läsion«. Dies beruht auf der Tatsache, dass die Unterscheidung zwischen einem Adenom und einem minimalinvasiven follikulären Karzinom nur am Gewebeschnitt durch Nachweis einer Kapselpenetration getroffen werden kann. Das zytologische Bild beider Neoplasien ist weitgehend identisch (. Abb. 2.24b,d). Ähnliche zytologische Befunde können bei adenomatösen nodulären Hyperplasien, bei der seltenen follikulären Variante des papillären Karzinoms und bei Punktion von Nebenschilddrüsentumoren vorkommen. Aufgrund dieser diagnostischen Unsicherheit wurde die Befundkategorie »follikuläre Neoplasie« oder »zellreiche follikuläre Läsion« eingeführt. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein invasives Karzinom vorliegt, wird mit 15–30% angegeben. Bei »positivem« Befund und Vorliegen einer »zellreichen follikulären Läsion« besteht somit grundsätzlich Operationsindikation.
2.5.2.3.4 Diagnostische Treffsicherheit Die Rate falsch-positiver Diagnosen sollte unter 3%, die der falsch-negativen Diagnosen nicht über 2% liegen (Suen 1996). Zur Vermeidung einer verzögerten Malignomdiagnose gilt es vor allem falsch-negative Befunde zu vermeiden. Hauptursache ist in etwa 2/3 der Fälle die Fehlpunktion, insbesondere bei Knotenstrumen und kleinen Knoten. Als untere Grenze der Treffsicherheit werden für die ultraschallgesteuerte Punktion 8 mm angegeben. Falsch-negativen Diagnosen liegen in etwa 1/3 der Fälle Fehlinterpretationen des Zytopathologen zugrunde. Problematisch ist die Interpretation der zystischen Degeneration mit zahlreichen Makrophagen (»Schaumzellen«) und nur wenig beurteilbaren Follikelzellen (. Abb. 2.24b). Da papilläre Karzinome und Metastasen (insbesondere Bronchial- und Nierenzellkarzinom, . Abb. 2.24a) zystisch degenerieren können, wird bei großen Zysten (>3–4 cm), Rezidivzysten und Zysten bei jungen Männern mit negativem zytologischem Befund die Operation empfohlen. Schwierig ist auch die Einordnung onkozytärer (Hürthle-)Zellen im Punktat. Diese mitochondrienreichen Zellen kommen sowohl bei Knotenstrumen und Thyreoiditis als auch bei onkozytären Adenomen und Karzinomen vor. Schließlich können Thyreo-
58
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.3. Prädiktoren der Malignität von Schilddrüsenknoten
2
Untersuchungsmethode
Knoten-/Patientenbefund
Malignitätsrate (%)
Klinische Untersuchung: geringes Risiko
Asymptomatisch, Alter: 30–60 Jahre, solitär oder dominant, Endemiegebiet
5–10
Frauen (20–60 Jahre) in Endemiegebieten
1,5
Klinische Untersuchung: mittleres Risiko
Alter: <20 oder >60 Jahre, Männer; Nichtendemiegebiet, Bestrahlung im Halsbereich, Knoten/Zysten >4 cm, Rezidivzysten, Knoten in Basedow-Strumen
10–20
Klinische Untersuchung: hohes Risiko
>70 Jahre, Nichtendemiegebiet, schnelles Wachstum, derbe Konsistenz
>50
Fixierung, Stimmbandlähmung, Lymphknotenvergrößerung am Hals, positive Familienanamnese (C-Zellkarzinom)
>70
Echoarm
3–5
Unscharfer Rand
10–20
Kalt
15
Warm
10
Heiß
2–4
Negativ
<2
Verdächtig
15–30
Positiv
>90
Ultraschall
Szintigraphie
Feinnadelpunktionszytologie
statikatherapie (Carbimazol, Thiamazol) oder Radiojodtherapie atypische Zellen suggerieren und bei fehlenden klinischen Angaben zu falsch-positiven Diagnosen führen. Schließt man okkulte Karzinome von der Statistik aus und wertet den zytologischen Befund »verdächtig« als positiv, so liegt die Gesamttreffsicherheit der FNPZ in großen kontrollierten Studien bei 90% (Sensitivität 80–90%, Spezifität 90–99%) (Hofstädter et al. 1979; Mandreker et al. 1995). Dabei sind die Zahlen grundsätzlich in Endemiegebieten eher ungünstiger als in Nichtendemiegebieten. Letztere weisen nicht nur eine geringere Prävalenz von Schilddrüsenknoten auf, hier überwiegen auch mit 50–70% der Malignome papilläre Karzinome, die sich im Unterschied zu follikulären Neoplasien zytologisch zuverlässiger erfassen lassen. 2.5.2.3.5 Diagnostische Strategie Aufgrund erheblicher geographischer Unterschiede in der Prävalenz von Schilddrüsenknoten ergibt sich die Notwendigkeit einer differenzierten diagnostischen Strategie bei der Selektion malignitätsverdächtiger Schilddrüsenläsionen. Grundsätzlich besteht bei tastbar oder sichtbar vergrößerter Schilddrüse mit und ohne Knoten Anlass zur morphologischen und funktionellen Befundabklärung. In den USA (Nichtendemiegebiet) wird noch vor Ultraschall und Szintigraphie die FNPZ als erstes diagnostisches Verfahren zusammen mit einer Bestimmung des TSH-Spiegels durchgeführt (Hermus u. Huysmans 1998).
In Deutschland stellt die FNPZ eine Zusatzmethode dar, die in der Regel als Teil einer Mehrstufendiagnostik eingesetzt wird: Klinik o Ultraschall o Szintigraphie o FNPZ o Operation.
In den letzten Jahren setzt sich zunehmend ein am klinisch-anamnestischen Befund (»Risikoprofil«) orientiertes differenziertes Vorgehen durch. So kann bei jungen Patienten mit isoliertem tastbarem Knoten die FNPZ auch ohne Ultraschall und Szintigraphie durchgeführt werden. Dagegen sollten Knoten bei Patienten mit hohem Malignitätsrisiko (z. B. >70 Jahre mit schnellwachsender Läsion) auch bei negativer FNPZ operiert werden. Bei geringem oder mittelgradigem klinischem Malignitätsverdacht ist die FNPZ grundsätzlich erforderlich. Operationsindikation besteht bei positiver oder zweifelhafter Zytologie (. Tab. 2.3). Literatur Bennebaek FN, Perrild H, Hegedüs L (1999) Diagnosis and treatment of the solitary thyroid nodule: results of a European survey. Clin Endocrinol (Oxf ) 50:357–363 Danese D, Sciacchitano S, Farsetti A, Andreoli M, Pontecorvi A (1998) Diagnostic accuracy of conventional versus sonography-guided fine-needle aspiration biopsy of thyroid nodules. Thyroid 8:15–21 Dietmaier W, Hartmann A, Wallinger S et al. (1999) Multiple mutation analyses in single tumor cells enabled by improved whole genome amplification. Am J Pathol 154:83–95 Droese M (1995) Punktionszytologie der Schilddrüse, 2. Aufl. Schattauer, Stuttgart New York
59 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
Ersöz C, Firat P, Uguz A, Kuzey GM (2004) Fine-needle aspiration cytology of solitary thyroid nodules. Cancer Cytopathology 102:302–307 Gharib H (1994) Current evaluation of thyroid nodules. Trends Endocrinol Metab 5:365–369 Gharib H, Goellner (1993) Fine needle aspiration biopsy of the thyroid: an appraisal. Ann Int Med 118:282–289 Harms H, Hofmann M, Ruschenburg I (2002) Fine Needle Aspiration of the Thyroid. Can an Image Processing System Improve differentiation? Analyt Quant Cytol Histol 24:147–153 Hermus AR, Huysmans DA (1998) Treatment of benign nodular thyroid disease. New Engl J Med 338:1438–1447 Hofstädter F, Schullian W, Unterkircher S (1979) Die Feinnadelaspiration der Schilddrüse. Wien Klin Wochenschr 91:748–751 Karges W (2005) Klinische und molekulare Genetik des Schilddrüsenkarzinoms. Onkologe 11:20–28 Langsteger W, Költringer P, Buchinger W, Dominik K, Binter G, Eber O (1993) Epidemiological and etiological aspects in thyroid carcinoma. In: Pimpl W, Galvan G, Kogelnik HD, Manfreda D, Niederle B, Schlag P, Waclawiczek HW (eds) Struma maligna. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 3–11 Mandreker SRS, Nadkarni NS, Pinto RGW, Menezes S (1995) Role of fine needle aspiration cytology as the initial modality in the investigation of thyroid lesions. Acta Cytol 39:898–904 Mazzaferri (1993) Management of solitary thyroid nodule. N Engl J Med 328:553–559 McHenry CR, Walfish PG, Rosen IB (1993) Non-diagnostic fine needle aspiration biopsy: a dilemma in management of nodular thyroid disease. Am Surg 59:415–419 Rüschoff J, Hofstädter F (1997) Wertigkeit der Schilddrüsenpunktionszytologie zur Selektion verdächtiger Knoten. Onkologe 3:16–21 Suen K (1996) Guidelines of the Papanicolaou society of cytopathology of the examination of fine-needle aspiration specimens from thyroid nodules. Mod Pathol 9:710–715
Euthyreote Knotenstruma
2.6
K.-M. Derwahl ) ) Aufgrund neuerer zell- und molekularbiologischer Forschungsergebnisse hat sich unser Verständnis über die Pathogenese der Knotenstruma ganz wesentlich gewandelt. Während der vergangenen Jahrzehnte wurde die Umwandlung einer normalen Schilddrüse in eine Knotenstruma ausschließlich auf adaptive 6
. Abb. 2.25. Die 3 wesentlichen Bestandteile der Knotenstruma: klonale Schilddrüsenadenome, klonale und polyklonale Schilddrüsenknoten und hyperplastisch-mikronoduläres Schilddrüsengewebe, das
2
hyperplastische Prozesse zurückgeführt, die durch einen Jodmangel bedingt bzw. unterhalten werden. In den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass die Knotenstruma bzw. ihre einzelnen Elemente aufgrund ihres Wachstumsverhaltens Eigenschaften echter Tumoren aufweisen (Studer u. Derwahl 1995; Derwahl u. Studer 1998). Da diese neuen Erkenntnisse die Frage einer rationalen medikamentösen oder operativen Therapie entscheidend beeinflussen, sollen sie zu Beginn dieses Abschnitts kurz dargestellt und erörtert werden. Die pathophysiologischen Grundlagen für die im Folgenden dargelegten Konzepte finden sich in den Übersichten von Derwahl u. Studer 1998, 2001 und 2002.
Die Knotenstruma lässt sich als eine Vergrößerung der Schilddrüse definieren, die auf multifokale, klonale oder polyklonale Proliferation von Thyreozyten zurückzuführen ist und zu einer erheblichen funktionellen und morphologischen Heterogenität neu entstandener Follikel oder follikelähnlicher Strukturen führt (Derwahl u. Studer 1998). Das so entstandene Gewebe besteht entweder aus von der Umgebung abgegrenzten Adenomen oder Schilddrüsenknoten oder, sehr häufig, aus neu entstandenen Follikeln, die ohne nachweisbare Grenzen in das umliegende normale Gewebe eingebettet sind und Pseudoknoten bilden können (. Abb. 2.25). Nach Definition der WHO wird das Schilddrüsenadenom als ein histologisch homogener Knoten mit eigener Struktur definiert, der durch eine Kapsel von der Umgebung abgegrenzt ist (Hedinger et al. 1988). Seit der Prägung dieser rein morphologischen Definition hat die Molekularbiologie dem Begriff Adenom die Eigenschaften der Monoklonalität hinzugefügt. Schilddrüsenadenome sind klonale Tumoren, d. h., sie entstehen aus einer einzelnen Zelle, die durch eine Abfolge genetischer Aberrationen verändert wurde (7 Übersicht bei Derwahl 1996). Die Diagnose Adenom im engeren Sinne verlangt also heute die Kombination von morphologischen und molekularbiologischen Untersuchungsmethoden. Klinisch handelt es sich bei diesen benignen Tumoren häufig um szintigraphisch vermindert speichernde (»kalte«) oder vermehrt speichernde (»warme« oder »heiße«) Schilddrüsenadenome. Der Begriff Schilddrüsenknoten bezieht sich dagegen auf von der Umgebung klar abgegrenzte, klonale oder polyklonale Knoten mit einer heterogenen Struktur und Funktion (Derwahl u. Studer 1998, 2000). Während das Adenom eine eigene, von der Umgebung deutlich unterschiedliche Struktur aufweist, besteht der Schilddrüsenknoten aus demselben Gewebe wie das lang-
aufgrund von Gewebsnekrosen und Bindegewebsvermehrung sog. Pseudoknoten hervorrufen kann, die nur partiell vom umliegenden Gewebe abgegrenzt sind. (Modifiziert nach Derwahl u. Studer 1998)
60
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
samer proliferierende paranoduläre Gewebe. Durch Kompression der umgebenden paranodulären Follikel entsteht eine partiell oder vollständig den Knoten umgebende Kapsel. Weil neue Erkenntnisse gezeigt haben, dass auch echte monoklonale Adenome sekundär heterogene Strukturen und Funktionen erwerben können (Studer u. Derwahl 1995; Derwahl u. Studer 1998), kann die Abgrenzung derartiger Tumoren gegenüber den viel häufigeren Schilddrüsenknoten klonalen Ursprungs schwierig sein. Der Begriff Pseudoknoten beschreibt einen makroskopisch nicht sicher oder nur bedingt abgrenzbaren Schilddrüsenknoten (Studer u. Ramelli 1982). Pseudoknoten entstehen durch die Proliferation morphologisch und funktionell heterogener Follikel, die netzartig in Stränge von Bindegewebe eingewachsen sind. Das Bindegewebe entsteht durch Nekrosen bei Wachstum und Größenzunahme der Knotenstruma. Abzugrenzen vom histologisch definierten Begriff des Schilddrüsenadenoms ist der klinische Arbeitsbegriff »Adenom«, meist im Sinne eines »toxischen oder autonomen Adenoms« (7 Kap. 2.7.1). Der Terminus »autonomes Adenom« im klinischen Sinne bezeichnet eine umschriebene vermehrte Speicherung der Schilddrüse im Technetium- oder Radiojodszintigramm. Histologisch kann es sich dabei sowohl um ein Schilddrüsenadenom als auch um einen klonalen oder polyklonalen Schilddrüsenknoten handeln. 2.6.1 Rationelle Diagnostik
K.-M. Derwahl ) ) Die rationelle Diagnostik besteht aus den 3 Bausteinen Labordiagnostik, Sonographie und Szintigraphie. Das Fundament einer rationellen Diagnostik bilden jedoch die Anamnese und der Befund der körperlichen Untersuchung als Voraussetzung für eine dem Krankheitsbild und dem Patienten angemessene Diagnostik.
2.6.1.1 Klinische Untersuchung Die Angaben des Patienten zur Anamnese und die Befunde der körperlichen Untersuchung können wichtige Hinweise zur Funktionslage (Eu- oder Hyperthyreose) und zum Wachstumsverhalten der Struma (z. B. schnell wachsender und daher malignomverdächtiger Knoten) geben. Aufgrund der nicht linearen Beziehung zwischen Tumormasse und Zellzahl kann allerdings auch jeder durchaus benigne Knoten den klinischen Verdacht des raschen Wachstums hervorrufen, ohne dass sich die Wachstumskinetik der Zellen dabei beschleunigt. Gesteigerter Appetit, Gewichtsabnahme, vermehrter Stuhlgang, Wärmeintoleranz, Nervosität, Unruhe und Herzklopfen sind zwar typische Symptome für eine hyperthyreote Stoffwechsellage, sie sind aber bei den überwiegend älteren Patienten mit einer Knotenstruma nicht immer nachweisbar. Gerade bei älteren Patienten überwiegen häufig monosymptomatische Verlaufsformen, bei denen kardiale Symptome wie Tachykardie, besonders in Form der Tachyarrhythmia absoluta, Leitsymptome sein können. In . Tab. 2.4 sind die häufigsten Symptome bei jungen und bei älteren Patienten mit Hyperthyreose einander gegenübergestellt.
. Tab. 2.4. Vergleich der Symptome einer Hyperthyreose bei jüngeren (<50 Jahre) und älteren Patienten (>70 Jahre). (Modifiziert nach Trivalle et al. 1996)
Symptome
Ältere Patienten (%) n=34
Jüngere Patienten (%) n=50
Tachykardie
71
96
Rasche Ermüdung
56
84
Gewichtsverlust
50
51
Tremor
44
84
Dyspnoe
41
56
Apathie
41
25
Anorexie
32
4
Nervosität
31
84
Hyperreflexie
28
96
Schwäche
27
61
Depressionen
24
22
Schwitzen
24
95
Polydipsie
21
67
Diarrhöe
18
43
Verwirrtheit
16
0
Muskelatrophie
16
10
Hitzeintoleranz
15
92
Obstipation
15
0
0
57
Appetitsteigerung
2.6.1.2 Sonographie Die Sonographie stellt die Basis zur Untersuchung der Knotenstruma dar. Sie dient der präoperativen Lokalisation und dem Nachweis echoarmer, echonormaler und echoreicher Schilddrüsenknoten oder echofreier zystischer Strukturen der Schilddrüse und der Volumenbestimmung der Struma.
Bei der körperlichen Untersuchung lässt die Palpation der Schilddrüse zwar Rückschlüsse auf die Größe der Schilddrüse und oberflächlich tastbare Knoten zu, sie kann jedoch die sonographische Untersuchung der Echogenität der Schilddrüse und die Volumenbestimmung der Struma und ihrer Knoten nicht ersetzen. Relativ häufig in einer Knotenstruma nachweisbare Kolloidzysten und seröse Zysten weisen meist ein echofreies Muster auf, während mikrofollikuläre, kolloidarme Adenome und Knoten sowie Karzinome überwiegend echoarm sind. Relativ spezifisch (aber nicht so sensitiv) für Karzinome sind Mikroverkalkungen, ein unscharfer Rand und eine vermehrte Vaskularisierung des Knoten (Papini et al. 2002). Die Zusammen-
61 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
stellung wesentlicher Befunde in einer Knotenstruma findet sich in der folgenden 7 Übersicht. Echogenität umschriebener Schilddrüsenerkrankungen (modifiziert nach Olbricht 1995) 5 Echonormal – echoreich – Klonale und polyklonale Schilddrüsenknoten, Adenome mit makrofollikulärer Struktur 5 Echoarm – Sog. autonome Adenome – Mikrofollikuläre Adenome und Karzinome – Knoten nach Radiojodtherapie – Nebenschilddrüsenadenome 5 Echofrei – Kolloidzysten – Seröse Zysten 5 Mit geringen Binnenmustern – Blutungszysten – Eingeschmolzene Karzinome
2.6.1.3 Farbkodierte Dopplersonographie Die farbkodierte Dopplersonographie ermöglicht eine Beurteilung der Vaskularisation und Perfusion der Struma, ihrer Knoten und Tumoren. Zwar finden sich bei der Farbduplexuntersuchung der Knotenstruma keine so charakteristischen Perfusionsbilder wie beim M. Basedow, bei dem es im floriden Stadium typischerweise zu einer diffusen Hypervaskularisierung kommt (»vaskuläres Inferno«), es gibt aber einige relativ charakteristische Befunde. Typisch für Schilddrüsenadenome, sog. autonome Adenome (der Begriff wird hier, wie unter »Terminologie« beschrieben, im rein klinischen Sinne verwendet und unterscheidet daher nicht zwischen echten Adenomen und Knoten), ist eine Hypervaskularisierung im Randbereich der Knoten (»farbiger Randsaum«). Im normalen sonographischen Bild entspricht dies dem echoarmen Randsaum. Zwar ist diese vermehrte Vaskularisierung relativ typisch für vermehrt speichernde »warme« oder »heiße« Schilddrüsenknoten, sie ist aber auch bei einigen vermindert speichernden (»kalten«) Knoten nachweisbar, sodass die dopplersonographische Untersuchung ein Szintigramm nicht ersetzen kann. Auch in der Differenzierung benigner und maligner Schilddrüsenknoten ist die Sensitivität und Spezifität der farbkodierten Dopplersonographie differenzialdiagnostisch nicht ausreichend. Zwar weisen etwa 2/3 aller malignen Schilddrüsentumoren eine vermehrte zentrale Vaskularisation auf, ein ähnliches Bild findet sich aber auch bei etwa 1/3 benigner Schilddrüsentumoren (Papini et al. 2002).
Die farbkodierte Dopplersonographie der Knotenstruma kann zwar diagnostische Hinweise geben, ersetzt aber die szintigraphische Analyse des Schilddrüsenknotens nicht.
2.6.1.4 Szintigraphie Die Szintigraphie als ergänzendes Verfahren zur sonographischen Untersuchung der Schilddrüse ermöglicht es, morphologische Veränderungen, z. B. Knoten, hinsichtlich ihres Funktionszu-
2
standes zu charakterisieren. Insofern sollte die Interpretation des szintigraphischen Befundes nur im Zusammenhang mit dem sonographischen Bild und unter Berücksichtigung der klinischen und laborchemischen Befunde erfolgen. Eine szintigraphische Untersuchung der Schilddrüse wird grundsätzlich nur als quantitative Szintigraphie durchgeführt, die eine Messung der unterschiedlichen Stoffwechselaktivitäten in verschiedenen Regionen der Schilddrüse ermöglicht. Da im Vergleich zur Sonographie die Auflösung geringer ist, ist die Durchführung einer Szintigraphie in der Diagnostik der Knotenstruma erst ab einem Knotendurchmesser >1 cm sinnvoll. In der Diagnostik der euthyreoten Knotenstruma ist eine Szintigraphie immer dann indiziert, wenn im Rahmen der Sonographie Knoten nachweisbar sind. Die 99mTc-Pertechnetatszintigraphie der Schilddrüse, die aufgrund der geringeren Strahlenbelastung in der Routinediagnostik der Radiojodszintigraphie vorgezogen wird, ermöglicht eine Beurteilung der Aktivitätsverteilung und somit den Nachweis einer vermehrten fokalen Speicherung bei unifokaler oder multifokaler Autonomie oder einer fokalen Minderspeicherung bei sog. kalten Knoten. Die Durchführung einer Schilddrüsenszintigraphie mit 123I kann bei der Knotenstruma indiziert sein, wenn retrosternale Anteile vermutet werden. Gegenüber anderen bildgebenden Verfahren, z. B. der Computertomographie, hat die Jodszintigraphie den Vorteil, dass sie eine differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber anderen retrosternalen Raumforderungen ermöglicht. 2.6.1.5 Suppressionsszintigraphie Eine Suppressionsszintigraphie mit 99mTc-Pertechnetat ermöglicht eine Aussage über die globale und regionale Regulierbarkeit der TSH-abhängigen thyreoidalen Jodidaufnahme und in der Diagnostik der euthyreoten Knotenstruma den Nachweis fokaler oder multifokaler Schilddrüsenautonomien. Um die endogene TSH-Freisetzung effektiv zu supprimieren, sollte vor Durchführung dieser Szintigraphie eine Vorbehandlung erfolgen, entweder mit 4 100–200 µg Levothyroxin für 14 Tage 4 oder 60–80 µg Trijodthyronin für eine Woche 4 oder mit einer einmaligen Gabe von 3 mg Levothyroxin. In jedem Fall sollte vor Durchführung der Suppressionsszintigraphie der basale TSH-Spiegel bestimmt werden, um eine ausreichende Suppression nachzuweisen. Bei Patienten mit kardialen Vorerkrankungen ist alternativ auch eine einschleichende Behandlung mit 100–150 µg Levothyroxin für etwa 4 Wochen möglich; häufig ist bei diesen Patienten aber eine Suppression kontraindiziert. Wenn bereits initial der TSH-Basalwert supprimiert ist, sollen Schilddrüsenhormone nicht verabreicht werden.
Die sonographische Untersuchung der Knotenstruma wird durch eine quantitative Szintigraphie mit 99mTc-Pertechnetat zur Beurteilung der globalen und der fokalen Aktivität der Schilddrüse ergänzt. Bei normalem TSH-Spiegel muss zusätzlich eine Suppressionsszintigraphie durchgeführt werden, die Aussagen über die globale und regionale Regulierbarkeit der Jodidaufnahme ermöglicht und damit Hinweise auf eine unifokale oder multifokale Autonomie gibt.
62
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
2.6.1.6 Feinnadelpunktion Die Feinnadelpunktion eines Knotens einer Struma dient der Differenzierung zwischen einem benignen und malignen Knoten. Da sich Schilddrüsenkarzinome in weit mehr als 90% aller Fälle sonographisch echoarm und szintigraphisch »kalt« darstellen und da, wenn man von den primären Untersuchungsbefunden ausgeht, sonographisch echoarme und szintigraphisch kalte Knoten in etwa 5–15% der Fälle maligne sind, ist bei diesen Knoten eine Feinnadelpunktion indiziert. Dies trifft gleichermaßen auf den solitären Knoten wie auf den Knoten einer Knotenstruma zu, da in einem Jodmangelgebiet Schilddrüsenkarzinome etwa zu gleichen Anteilen als solitäre Knoten und als Knoten in einer Struma imponieren (Reinwein et al. 1989). Die wesentlichen Indikationen für eine Feinnadelpunktion sind in der folgenden 7 Übersicht zusammengefasst. Indikation zur Feinnadelpunktion bei der euthyreoten Knotenstruma 5 Echoarme und szintigraphisch kalte Knoten >1 cm 5 Knoten mit rascher Wachstumstendenz 5 Knoten bei Patienten <20 oder >70 Jahre; besonders bei Männern 5 Solitäre Knoten in einer Struma (besonders harte, verwachsene) 5 Unscharf begrenzte große Schilddrüsenknoten (besonders bei Mikroverkalkung) 5 Zustand nach externer Hochvoltbestrahlung der Halsregion 5 Familiäres medulläres Schilddrüsenkarzinom oder multiple endokrine Neoplasie 5 Knoten bei vergrößerten regionären Lymphknoten, Fernmetastasen 5 Rezidivknoten nach ablativer Therapie wegen eines Karzinoms 5 Karzinophobie bei anderen Tumorerkrankungen in der Familie
2.6.1.7 Weitere Untersuchungen Bei großen Strumen, insbesondere bei retrosternalen Strumen, sind zusätzlich Röntgenaufnahmen der Trachea (Tracheazielaufnahmen) und ggf. Ösophagusbreischluckaufnahmen indiziert. Auf die Vorteile einer Schilddrüsenszintigraphie gegenüber einer computertomographischen Aufnahme zum Nachweis einer retrosternalen Struma wurde bereits hingewiesen. Zum Nachweis inspiratorischer Einschränkung der Lungenfunktion kann die Durchführung einer Lungenfunktionsanalyse notwendig werden. Tracheasaug- und -pressversuche können Hinweise auf eine Tracheomalazie geben. 2.6.1.8 Labordiagnostik Durch die Entwicklung hochsensitiver Assays für die Bestimmung des basalen TSH und der freien Schilddrüsenhormone, des freien Trijodthyronins (fT3) und des freien Thyroxins (fT4), wurde es möglich, die Labordiagnostik von Schilddrüsenfunktionsstörungen auf wenige notwendige Parameter zu beschränken (Derwahl 1995). Bei jeder Knotenstruma sollte zum Ausschluss einer Schilddrüsenfunktionsstörung neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung die Messung des basalen TSH in einem sensitiven Assay (untere Nachweisgrenze <0,05
[–0,1] mE/l bzw. 0,005 [–0,01] mE/l) durchgeführt werden. Bei den meisten Patienten erlauben diese Assays durch Erfassung auch supprimierter TSH-Werte eine Differenzierung zwischen Euthyreose und Hyperthyreose. Bei einem normalen TSH-Wert ist eine weitere Labordiagnostik bei der Knotenstruma nicht erforderlich, da definitionsgemäß eine peripher euthyreote Stoffwechsellage vorliegt. Zum Nachweis einer Schilddrüsenfunktionsstörung sollten bei supprimiertem TSH bzw. Verdacht auf eine Hyperthyreose fT4 und fT3 und bei erhöhtem basalem TSH bzw. Verdacht auf eine Hypothyreose das fT4 im Serum bestimmt werden. Die Durchführung eines Thyreotropin-releasing-Hormon-Tests (TRH-Test) zur Stimulation des basalen TSH ist in der Schilddrüsendiagnostik im Allgemeinen nicht erforderlich, da wiederholt gezeigt werden konnte, dass in diesem Test der TSH-Anstieg proportional zum basalen TSH verläuft und somit keine weitere Information liefert (Spencer et al. 1993). Ausnahmen von dieser Regel stellen Grenzzustände dar, z. B. der Nachweis einer subklinischen Hypothyreose, etwa in der postoperativen Diagnostik nach Resektion einer Knotenstruma. In diesen Fällen kann ein basales TSH im oberen Normbereich Hinweis auf eine latente Hypothyreose sein und der überschießende Anstieg des basalen TSH im TRH-Test die Diagnose sichern. Der Nachweis funktioneller Autonomien in einer Knotenstruma erfordert außer einer Abklärung der Schilddrüsenfunktion keine spezielle Diagnostik. Eine Ausnahme stellt die disseminierte Autonomie dar, bei der differenzialdiagnostisch zur Abgrenzung vom M. Basedow die Bestimmung von TPO-Antikörpern und TSH-Rezeptor-Antikörpern notwendig ist. Knotenstrumen können auch gleichzeitig mit einer Immunhyperthyreose vom Typ M. Basedow auftreten. Die Kombination von M. Basedow und autonomer Knotenstruma wird als MarineLenhart-Syndrom bezeichnet und tritt etwa mit einer Häufigkeit von 1% auf. Umgekehrt können sich auch lange bestehende Basedow-Strumen sekundär in Knotenstrumen umwandeln (Studer et al. 1989). Bei beiden Krankheitsbildern werden neben der Funktionsdiagnostik (TSH, fT3, fT4) noch TSH-RezeptorAntikörper und Schilddrüsenperoxidase-Antikörper (TPO-Ak) bestimmt, um den immunologischen Prozess zu erfassen. Stufenschema für die Labordiagnostik der Knotenstruma 5 Zum Ausschluss einer Schilddrüsenfunktionsstörung wird TSH in einem sensitiven Assay gemessen. 5 Zum Nachweis einer Schilddrüsenfunktionsstörung werden zusätzlich zum TSH bei Verdacht auf eine Hyperthyreose fT4 und fT3 und bei Verdacht auf eine Hypothyreose das fT4 bestimmt. 5 Die Kalztoninbestimmung bei Malignitätsverdacht dient dem Ausschluss eines medullären Schilddrüsenkarzinoms. 5 Eine Bestimmung von TSH-Rezeptor- und TPO-Antikörper ist notwendig – zur Differenzierung zwischen einer disseminierten Autonomie und einem M. Basedow – in der Diagnostik des Marine-Lenharts-Syndroms
Bei Malignitäts-verdächtigen Knoten ist die Bestimmung von Kalzitonin zum Ausschluss eines medullären Schilddrüsenkarzinoms indiziert. Ein Konsensuspapier der Deutschen Ge-
63 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
sellschaft für Endokrinologie empfiehlt die Bestimmung bei allen Knoten (Karges et al. 2004). Ist das basale Kalztonin auf über 10 pg/ml erhöht (ohne dass eine Niereninsuffizienz oder eine Protonenpumpenblocker-Therapie vorliegen), wird ein Pentagastrintest angeschlossen (7 Kap. 2.9.3.4). 2.6.2 Medikamentöse Prophylaxe und Therapie
K.-M. Derwahl ) ) Die medikamentöse Prophylaxe setzt sich aus 2 Komponenten zusammen: zum einen aus der weiteren Verbesserung der zurzeit befriedigenden Jodversorgung der Bevölkerung, zum anderen aus der adäquaten, dem Lebensalter angepassten Jodidtherapie. Die Therapie der euthyreoten Knotenstruma bleibt im Wesentlichen Domäne der Chirurgie; nur passager oder in begründeten Fällen ist aus heutiger Sicht eine medikamentöse Therapie indiziert. Die Ethanolinjektionsbehandlung solitärer Schilddrüsen6
knoten kann in Einzelfällen eine Alternative zur Resektion bzw. im Falle hyperthyreoter Schilddrüsenknoten zur Radiojodtherapie darstellen. Allerdings fehlen Langzeiterfahrungen.
2.6.2.1 Behandlung der euthyreoten Knotenstruma mit Levothyroxin und/oder Jodid Die früher weltweit übliche und breit akzeptierte Therapie und Prophylaxe des Knotenkropfes mit Levothyroxin und Jod hat in den letzten Jahren – pari passu mit der Wende des pathogenetischen Konzeptes weg von der sekundären Hyperplasie hin zur primären Neoplasie – viel von ihrer früheren Attraktivität verloren (Studer u. Derwahl 1995; Derwahl u. Studer 2002; Cooper 1995; Gharib u. Mazzaferri 1998). Tatsächlich sind die Erfolge der medikamentösen Therapie der euthyreoten Knotenstruma insgesamt enttäuschend. Während einige Studien, besonders aus Regionen mit ausreichender Jodversorgung der Bevölkerung, überhaupt keine Wirksamkeit einer Levothyroxintherapie nachweisen konnten, beschreiben andere Untersuchungen, vorwiegend aus Jodmangelgebieten, eine signifikante Volumenreduktion von Schilddrüsenknoten und der gesamten Knotenstruma unter Therapie mit Levothyroxin. In . Tab. 2.5 sind Studien
. Tab. 2.5. Veränderungen des Schilddrüsenvolumens unter einer Therapie mit Levothyroxin und/oder Jodid. Es wurden nur Studien berücksichtigt, bei denen das Volumen des solitären Schilddrüsenknotens oder der gesamten Struma nodosa durch sonographische Volumetrie erfasst wurde. T4 Levothyroxin; KI Kaliumjodid; KG Körpergewicht
Autoren
Patientenanzahl
Morita et al. 1989
49
Celani et al. 1990
122
Gharib et al. 1987
53
Papini et al. 1993
101
Dauer (Monate)
Behandlung
Patienten mit einer Volumenreduktion von >50% unter Therapie
3
100 µg T4
37
6–12
100–200 µg T4
56
6
3 µg T4/kg KG
14
Placebo
20
2 µg T4/kg KG
20
12
Placebo Cheung et al. 1989
Celani et al. 1993
a
La Rosa et al. 1995
Lima et al. 1997
74
104
48
54
47b
Wemeau et al. 2002
a b
123
18
6
12
12
12
18
2
6
TSH-supprimierende T4-Dosis
16
Kontrollen
14
2,2 µg T4/kg KG
27
Kontrollen
10
TSH-supprimierende T4-Dosis
39
2 mg KI/2 Wochen
20
200 µg T4
37
Kontrollen
5
200 µg T4
30
Kontrollen
0
T4: mit Ziel TSH <0.3 mU/l
26
Placebo
16
Knotenstruma; das Volumen einzelner Knoten wurde evaluiert. In diesem Teil der Studie wurde das Gesamtvolumen der Knotenstruma untersucht
64
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
zusammengestellt, in denen mit sonographischer Volumetrie der Erfolg einer Therapie mit Levothyroxin und/oder Jodid analysiert wurde. Mit Ausnahme einer Studie (Lima et al. 1997) wurde stets nur das Volumen einzelner Knoten, nicht jedoch das gesamte Strumavolumen evaluiert. Als Kriterium einer erfolgreichen Therapie galt dabei eine Volumenreduktion von Schilddrüsenknoten oder der gesamten Knotenstruma von mindestens 50%. Im Durchschnitt kam es nur bei etwa 1/3 der Knoten zu einer signifikanten Volumenreduktion unter einer Therapie mit Levothyroxin, meist in einer Dosierung, die zu einer Suppression des basalen TSH führte. Zwei Studien beschreiben sogar eine vergleichbare Volumenreduktion des Schilddrüsenknotens bei behandelten und unbehandelten Patienten als Hinweis auf eine spontane Regression von Schilddrüsenknoten (Gharib et al. 1987; Cheung et al. 1989). In einer multizentrischen, randomisierten Studien mit 123 Patienten mit isoliertem Knoten fand sich in der Placebo-Gruppe bei 16,9% ebenfalls eine spontane Volumenreduktion (um mindestens 50%), während unter TSH-suppressiver Therapie (nur) 26,6% der Patienten eine entsprechende Schrumpfung erreichten (Wemeau et al. 2002). Während in der Behandlung der diffusen Jodmangelstruma die i. allg. nebenwirkungsfreie Therapie mit Jodid einer Behandlung mit Levothyroxin gleichwertig ist und daher bevorzugt werden sollte (Hintze et al. 1989), ist dies in der Behandlung der Knotenstruma unwahrscheinlich. Vielmehr zeigte sich in einer der wenigen in den letzten Jahren veröffentlichten Studien, dass in der Behandlung von Schilddrüsenknoten die Gabe von Levothyroxin bei immerhin 39% der so behandelten Patienten zu einer Volumenreduktion des einzelnen Schilddrüsenknotens von mindestens 50% führte, aber nur bei 20% der Patienten, die mit Jodid behandelt wurden (La Rosa et al. 1995) Dieses Ergebnis überrascht nicht, da der überwiegende Teil von Levothyroxin zu Trijodthyronin (T3) umgewandelt wird und T4 zu mehr als 80% dejodiert wird. Eine Behandlung mit Levothyroxin ist daher zugleich auch eine Jodidtherapie. In einer 2004 begonnen deutschen Multicenter-Studie (LISA) wird der differenzialtherapeutische Effekt von Jodid und/oder Levothyroxin auf die Volumenreduktion von Schilddrüsenknoten analysiert, um abschließend zu klären, ob und ggf. welche Patienten von einer medikamentösen Therapie von Schilddrüsenknoten profitieren. Wie zu Beginn dieses Abschnitts (7 Kap. 2.6) dargestellt, besteht die Knotenstruma nicht nur aus klonalen und polyklonalen Schilddrüsenadenomen, sondern auch aus hyperplastischmikronodulärem Gewebe, in Einzelfällen sogar nahezu ausschließlich (Studer u. Derwahl 1995; Derwahl u. Studer 1998). Da sonographisch nur Volumenveränderungen einzelner Knoten exakt erfasst werden können und die sonographische Volumetrie mit Zunahme der Strumagröße ungenauer wird, wurden nur wenige Arbeiten veröffentlicht, die die Wirkung einer Therapie mit Levothyroxin auf das gesamte Schilddrüsenvolumen einer Knotenstruma analysieren (Lima et al. 1997; Badillo et al. 1963; Berghout et al. 1990). In der jüngsten dieser Studien aus einem Jodmangelgebiet war der Erfolg einer Levothyroxintherapie in Hinblick auf die Reduktion des Gesamtstrumavolumens etwa mit den Therapieerfolgen bei solitären Schilddrüsenknoten vergleichbar: Unter einer Therapie mit 200 µg Levothyroxin täglich für 12 Monate fanden Lima et al. (1997) eine Reduktion des Volumens der Knotenstruma um mindestens 50% bei etwa 1/3 der von ihnen behandelten Patienten.
Es wird seit langem diskutiert, ob der Erfolg einer medikamentösen Therapie von Schilddrüsenknoten und der Knotenstruma auch von den histologischen Eigenschaften einzelner Knoten abhängt. Diese Hypothese konnte in einer Untersuchung, bei der zytologische Eigenschaften von Schilddrüsenknoten und der Erfolg einer Therapie mit Levothyroxin verglichen wurden, bestätigt werden (La Rosa et al. 1996). Vor einer Levothyroxintherapie untersuchten die Autoren mittels Feinnadelaspiration die Zytologie der einzelnen Knoten. Obwohl insgesamt nur etwa 1/3 aller Knoten unter der Therapie eine Volumenreduktion von ≥50% aufwiesen, zeigte sich bei einer genauen zytologischen Analyse der einzelnen Knoten, dass 62% der kolloidalen Knoten und 57% der kleinen generativen Knoten eine signifikante Volumenreduktion zeigten, während hyperplastische oder fibrotische Knoten sich in ihrer Größe nicht und nur kaum beeinflussen ließen. Andere Autoren konnten zeigen, dass die Wirksamkeit einer Levothyroxintherapie ganz wesentlich von der Größe des oder der Schilddrüsenknoten abhängt. Sehr große Knoten mit einem Volumen von >10 ml sind in ihrer Größe offensichtlich nicht zu beeinflussen, während Knoten mit einem Volumen <10 ml unter einer Levothyroxintherapie schrumpfen (La Rosa et al. 1996). Der größte Effekt fand sich bei dieser Studie bei Knoten mit einem Volumen <5 ml. Andere Variablen, wie z. B. das Patientenalter, die Dauer des Bestehens der Struma oder das basale oder das TRH-stimulierte TSH, haben hingegen keinen prädiktiven Wert für die Voraussage des Erfolgs einer Levothyroxintherapie (Cheung et al. 1989). Für die Praxis lässt sich aus den Untersuchungen ableiten, dass bei sehr großen Schilddrüsenknoten in jedem Fall eine operative Therapie einer medikamentösen Behandlung vorzuziehen ist.
Die begrenzte therapeutische Beeinflussbarkeit der Progression einer Knotenstruma spricht für eine möglichst radikale operative Therapie, da nur so eine hohe Rezidivrate vermieden werden kann.
In einer jüngst vorgestellten retrospektiven deutschen Studie wurde die Volumenzunahme einzelner Schilddrüsenknoten bei unbehandelten und bei mit Levothyroxin behandelten Patienten miteinander verglichen (Quadbeck et al. 1998). Es zeigte sich kein Unterschied zwischen behandelten und unbehandelten Knoten nach 10 Jahren; die Größenzunahme der Knoten war bei beiden Gruppen vergleichbar. Abgesehen von methodischen Einwänden gegen eine retrospektive Studie widerspricht diese Untersuchung den partiellen Therapieerfolgen prospektiver Studien, bei denen der mittlere Beobachtungszeitraum allerdings nur 1 Jahr betrug (. Tab. 2.5).
Eine medikamentöse Prophylaxe der endemischen Knotenstruma in Jodmangelgebieten sollte bereits im frühen Stadium der diffusen Hyperplasie begonnen werden, da nach Entstehung von Knoten die weitere Wachstumsprogredienz nicht oder nur in geringerem Maße beeinflussbar ist.
Mittel der Wahl zur Therapie der diffusen Struma und damit der Prophylaxe dieser Form der Struma ist die Behandlung mit Jodid,
65 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
. Tab. 2.6. Täglicher Jodbedarf (Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung)
Personengruppe
Dosis (µg Jodid)
Säuglinge bis 11. Monat
50–80
Kinder 1–9 Jahre
100–140
Kinder ab 10 Jahren, Jugendliche und Erwachsene
180–200
Schwangere
230
Stillende Mütter
260
. Tab. 2.7. Prophylaxe und Therapie mit Jodid (empfohlene Dosis pro Tag)
Personengruppe
Prophylaxe (µg Jodid)
Therapie (µg Jodid)
Kinder unter 10 Jahren
100
100
Jugendliche und Erwachsene
100
200 (–500)a
Schwangere
200
200 (–300)
a
Die meisten Studien wurden mit 300–500 µg durchgeführt; bei verbesserter Jodversorgung in Deutschland sind 200 µg ausreichend.
die hinsichtlich der gewählten Dosis dem Alter des Patienten und den besonderen Umständen, z. B. einer Schwangerschaft, Rechnung tragen muss (. Tab. 2.6 und 2.7). Die Therapie mit Levothyroxin bringt bei der diffusen Jodmangelstruma keinen therapeutischen Vorteil und hat den Nachteil, dass nach Absetzen dieser Therapie das Wachstum der behandelten Struma in relativ kurzer Zeit wieder zunimmt (Hintze et al. 1989). Ebenso ist eine Therapie mit der Kombination Levothyroxin/Jodid nicht notwendig, da sie der einfachen Jodidtherapie nicht überlegen ist, wie in zahlreichen Studien gezeigt werden konnte (Hintze et al. 1989; Feldkamp et al. 1996).
Die Levothyroxin-/Jodidtherapie scheint nur in 1/3 aller Fälle zu einem Therapieerfolg zu führen. Mit einer völligen Regression der Knotenstruma kann praktisch nicht gerechnet werden. In jedem Fall sind regelmäßige Kontrollen des Befundes nötig. Ferner kommt es in der Regel nach Absetzen der Levothyroxintherapie zu einem erneuten Wachstum der Knotenstruma. Andererseits kann jede multinodöse Struma zu jedem Zeitpunkt ihrer Evolution ihr Wachstum einstellen. In diesem Falle genügt die therapeutische Haltung des kontrollierten Abwartens.
Auf die Radiojodtherapie der Knotenstruma wird in diesem Abschnitt nicht eingegangen; diesbezüglich wird u. a. auf 7 Kap. 2.7.1.3 verwiesen. Eine Radiojodtherapie der Knotenstruma ist immer als Ultima Ratio zu betrachten und nur indi-
2
ziert, wenn eine Operation als Standardtherapie z. B. bei älteren Patienten kontraindiziert ist. Durch eine Radiojodtherapie kann eine Volumenreduktion der Knotenstruma um bis zu 50% erreicht werden – zu berücksichtigen sind allerdings die Entwicklung einer Autoimmunhyperthyreose und die Entwicklung von Karzinomen in der Reststruma aufgrund der relativ hohen Strahlendosis (7 Übersicht bei Derwahl u. Studer 1998). 2.6.2.2 Alternative Therapie von Schilddrüsenzysten und Schilddrüsenknoten mit perkutaner Alkoholinjektion Eine Alternative zur Behandlung solitärer Schilddrüsenknoten (Struma uninodosa) stellt die perkutane Ethanolinjektionsbehandlung unter sonographischer Kontrolle dar. Sie wurde 1990 zuerst von Livraghi zur Behandlung autonomer Adenome implementiert (Livraghi et al. 1990). Seit dieser Zeit wurden zahlreiche prospektive Studien durchgeführt mit dem Ziel, diese lokale Therapieform bezüglich ihrer kurz- und langfristigen Effizienz zu evaluieren (Verde et al. 1994; Papini et al. 1996; Lippi et al. 1996; Monzani et al. 1997; Caraccio et al. 1997; Guglielmi et al. 2004). Anfänglich wurden vorwiegend toxische Schilddrüsenknoten und -adenome durch lokale Alkoholinjektionen behandelt; aber auch die Therapie von nichtspeichernden (»kalten«) Knoten sowie Zysten und zystischen Schilddrüsenknoten war erfolgreich. In allen bisher vorliegenden Studien wurden die Ethanolinjektionstherapie entweder bei solitären Knoten in einer ansonsten normal großen Schilddrüse oder bei einzelnen Knoten einer Struma angewendet; für die Therapie der Struma multinodosa ist diese Lokaltherapie ungeeignet. In einer dieser Studien wurden 245 Patienten mit dekompensierten und 187 mit kompensierten autonomen Adenomen mit Ethanollokalinjektionen therapiert (Lippi et al. 1996). Erfolgreich war diese Therapie nach einem 12-monatigen Follow-up bei 66,5% der Patienten mit einem dekompensierten und 83,4% der Patienten mit einem kompensierten Adenom. Der Therapieerfolg wurde dabei definiert als Normalisierung des TSH-Spiegels und der freien Schilddrüsenhormone und zusätzlich szintigraphisch als Tracer-Uptake im extranodulären Gewebe. Mit der gleichen Therapie wurden in einer anderen Follow-up-Studie nach 5 Jahren sämtliche dekompensierten und etwa 80% der kompensierten Adenome zerstört (Monzani et al. 1997). Ebenso effektiv war die lokale Ethanolinjektionsbehandlung bei zystischen Schilddrüsenknoten (Verde et al. 1994; Ferrari et al. 1996; Guglielmi et al. 2004). In einer anderen Studie kam es bei 85% der Patienten mit zystischen Schilddrüsenknoten (n=17) zu einer Volumenreduktion von mehr als 90% nach 6 Monaten (Ferrari et al. 1996). Bei soliden, nichtspeichernden Schilddrüsenknoten führte die gleiche Therapie ausgehend von einem Volumenmittel von 21,0 ml (Varianz 5,4–54,6 ml) am Ende der Behandlung zu einem durchschnittlichen Knotenvolumen von 7,7±5,7 ml und nach einem Follow-up von einem Jahr zu einem Volumen von 4,4±3,8 ml (Caraccio et al. 1997). Alle bisher vorliegenden Studien sprechen dafür, dass die lokale Ethanolinjektionstherapie ein sicheres und effizientes Behandlungsverfahren zur Therapie speichernder und nichtspeichernder Schilddrüsenknoten und besonders zur Behandlung von Schilddrüsenzysten ist (Guglielmi et al. 2004). Allerdings fehlen prospektive randomisierte klinische Untersuchungen, die den Effekt dieses lokalen Therapieverfahrens mit der Radiojodidtherapie und operativen Verfahren vergleichen. Es kommt hinzu, dass bisher nur die unmittelbaren Wirkungen des
66
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Ethanols auf die Morphologie des Schilddrüsengewebes bekannt sind, nämlich die Nekrosebildung und die Thrombosierung kleiner lokaler Blutgefäße, nicht jedoch die Langzeitwirkung (7 Übersicht bei Bennedbaek et al. 1997). Eine jüngst publizierte Studie von Guglielmi et al. (2004) hat jedoch bei einer Nachuntersuchung nach mindestens 5 Jahren (median 6,9 Jahre) keine pathologischen Veränderungen beobachtet. 58 zystische Knoten konnten durch Ethanolinjektion folgenlos geheilt werden, sodass diese Autoren diese Behandlungsmethode bei zystischen Knoten für das Mittel der Wahl halten. Literatur Badillo J, Shimaoka K, Lessmann EM, Marchetta FC, Sokal JE (1963) Treatment of nontoxic goiter with sodium liothyronine. JAMA 184:151– 158 Bennedbaek FN, Karstrup S, Hegedus L (1997) Percutaneous ethanol injection therapy in the treatment of thyroid and parathyroid diseases. Eur J Endocrinol 136:240–250 Berghout A, Wiersinga WM, Drexhage HA, Smits NJ, Touber JL (1990) Comparison of placebo with L-thyroxine alone or with carbimazole for treatment of sporadic non-toxic goitre. Lancet 336:193–197 Caraccio N, Goletti O, Lippolis PV, Casolaro A, Cavina E, Miccoli P, Monzani F (1997) Is percutaneous ethanol injection a useful alternative for the treatment of the cold benign thyroid nodule? Five years‘ experience. Thyroid 7:699–704 Celani MF (1993) Levothyroxine suppressive therapy in the medical management of nontoxic benign multinodular goiter. Exp Clin Endocrinol Diabetes 101:326–332 Celani MF, Mariani M, Mariani G (1990) On the usefulness of levothyroxine suppressive therapy in the medical treatment of benign solitary, solid or predominantly solid, thyroid nodules. Acta Endocrinol (Copenh) 123:603–608 Cheung PS, Lee JM, Boey JH (1989) Thyroxine suppressive therapy of benign solitary thyroid nodules: a prospective randomized study. World J Surg 13:818–822 Cooper DS (1995) Clinical review 66: Thyroxine suppression therapy for benign nodular diseas. J Clin Endocrinol Metab 80:331–334 Derwahl M (1995) Spezielle Laboruntersuchungen bei der Diagnose und Therapie von Schilddrüsenkrankheiten. Nuklearmediziner 18:95– 103 Derwahl M (1996) Molecular aspects of the pathogenesis of nodular goiters, thyroid nodules and adenomas. Exp Clin Endocrinol Diabetes 104:32–35 Derwahl M, Studer H (1998) Pathogenesis and treatment of multinodular goiter. In: Fagin J (ed) (1998) Thyroid cancer. Kluwer, Boston Dordrecht London, pp 155–186 Derwahl M, Studer H (2000) Multinodular goitre: «much more to it than simply iodine deficiency«. Baillieres Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 14:577–600 Derwahl, M Studer H (2001) Nodular goiter and goiter nodules: Where iodine deficiency falls short of explaining the facts. Exp Clin Endocrinol Diabetes 109:250–260 Derwahl M, Studer H (2002) Hyperplasia versus adenoma in endocrine tissues: are they different? Trends Endocrinol Metab 13:23–28 Feldkamp J, Seppel T, Muhlmeyer M, Becker A, Santen R, Schlaghecke R, Horster FA (1996) Therapie der endemischen Sturma mit Jodid oder L-Thyroxin bei älteren Patienten. Med Wochenschr 121:1587– 1591 Ferrari C, Reschini E, Paacchi A (1996) Treatment of the autonomous thyroid nodule: a review. Eur J Endocrinol 135:383–390 Gharib H, Mazzaferri EL (1998) Thyroxine suppressive therapy in patients with nodular thyroid disease. Ann Intern Med 128:386–394 Gharib H, James EM, Charboneau JW, Naesens JM, Offord KP, Gorman CA (1987) Suppressive therapy with levothyroxine for solitary thyroid nodules. A double-blind controlled clinical study. N Engl J Med 317:70–75
Guglielmi R, Pacella CM, Bianchini A, Bizzarri G, Rinaldi R, Graziano FM, Petrucci L, Toscano V, Palma E, Poggi M, Papini E (2004) Percutaneous ethanol injection treatment in benign thyroid lesions: role and efficacy. Thyroid 14:125–131 Hedinger C, Williams ED, Sobin LH (1988) Histological typing of thyroid tumors. In: WHO (ed) International histological classification of tumors, 2nd edn. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp 5–6 Hintze G Emrich D Köbberling J (1989) Treatment of endemic goitre due to iodine deficiency with iodine, levothyroxine or both: results of a multicentre trial. Eur J Clin Invest 19:527–534 Karges W, Dralle H, Raue F, Mann K, Reiners C, Grussendorf M, Hufner M, Niederle B, Brabant G; German Society for Endocrinology (DGE) – Thyroid Section (2004) Calcitonin measurement to detect medullary thyroid carcinoma in nodular goiter: German evidence-based consensus recommendation. Exp Clin Endocrinol Diabetes 112:52–58 La Rosa GL, Lupo L, Giuffrida D, Gullo D, Vigneri R, Belfiore A (1995) Levothyroxine and potassium iodide are both effective in treating benign solid cold nodules of the thyroid. Ann Intern Med 122:1–8 La Rosa GL, Ippolito AM, Lupo L, Cercabene G, Santonocito MG, Vigneri R, Belfiore A (1996) Cold thyroid nodule reduction with L-thyroxine can be predicted by initial nodule volume and cytological characteristics. J Clin Endocrinol Metab 81:4385–4387 Lima N, Knobel M, Cavaliere H, Sztejnsznajd C, Tomimori E, Medeiros-Neto G (1997) Levothyroxine suppressive therapy is partially effective in treating patients with benign, solid thyroid nodules and multinodular goiters. Thyroid 7:691–697 Lippi F, Ferrari C, Manetti L et al. (1996) Treatment of solitary autonomous thyroid nodules by percutaneous ethanol injection: results of an Italian multicenter study. The Multicenter study group. J Clin Endocrinol Metab 81:3261–3264 Livraghi T, Paracchi A, Ferrari C, Bergonzi M, Grarvaglia G, Ranieri P, Vetorri C (1990) Treatment of autonomous thyroid nodules with percutaneous ethanol injection: preliminary results. Work in progress. Radiology 175:827–829 Monzani F, Caraccio N, Goletti O et al. (1997) Five-year follow-up of percutaneous ethanol injection for the treatment of hyperfunctioning thyroid nodules: a study of 117 patients. Clin Endocrinol (Oxf ) 46:9–15 Morita T, Tamai H, Ohshima A, Komaki G, Matsubayashi S, Kuma K, Nakagawa T (1989) Changes in serum thyroid hormone, thyrotropin and thyroglobulin concentration during thyroxine therapy in patients with solitary thyroid nodules. J Clin Endocrinol Metab 69: 227–230 Olbricht Th (1995) Schilddrüsensonographie. Nuklearmediziner 18:79–86 Papini E, Bacci V, Panunzi C et al. (1993) A prospective randomized trial of levothyroxine suppressive therapy for solitary thyroid nodules. Clin Endocrinol (Oxf ) 38:507–513 Papini E, Pacella CM, Verde G (1995) Percutaneous ethanol injection (PEI): what is the role in the treatment of benign thyroid nodules? Thyroid 5:147–150 Papini E, Guglielmi R, Bianchini A, Crescenzi A, Taccogna S, Nardi F, Panunzi C, Rinaldi R, Toscano V, Pacella CM (2002) Risk of malignancy in nonpalpable thyroid nodules: predictive value of ultrasound and colorDoppler features. J Clin Endocrinol Metab 87:1941–1946 Quadbeck B, Prüllage J, Mann K, Hoermann R (1998) Long-term course of thyroid nodules in euthryoid goiter. Exp Clin Endocrinol Diabetes 106 (suppl 1) (abstract p014) Reinwein D, Benker G, Windeck R et al. (1989) Erstymptome bei Schilddrüsenmalignomen: Einfluß von Alter und Geschlecht in einem Jodmangelgebiet. Dtsch Med Wochenschr 114:775–782 Spencer CA, Schwarzbein D, Guttler RB, LoPresti JS, Nicoloff JT (1993) Thyrotropin (TSH)-releasing hormone stimulation test responses employing third and fourth generation TSH assays. J Clin Endocrinol Metab 76:494–498 Studer H, Derwahl M (1995) Mechanisms of nonneoplastic endocrine hyperplasia – a changing concept: a review focused on the thyroid gland. Endocr Rev 16:411–426
67 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
Studer H, Ramelli F (1982) Simple goiter and its variants: euthyroid and hyperthyroid multinodular goiter. Endocr Rev 3:40–62 Studer H, Huber G, Derwahl M, Frey P (1989) Die Umwandlung von Basedowstrumen in Knotenkröpfe: ein Grund des Hyperthyreoserezidivs. Schweiz Med Wochenschr 119:203–208 Trivalle C, Doucet J, Chassagne P, Landrin I, Kadir N, Meard JF, Bercoff E (1996) Differences in the signs and symptoms of hyperthyroidism in older and younger patients. J Am Geriatr Soc 44:50–53 Verde G, Papini E, Pacell CM et al. (1994) Ultrasound guided percutaneous ethanol injection in the treatment of cystic thyroid nodules. Clin Endocrinol (Oxf ) 41:719–724 Wemeau JL, Caron P, Schvartz C, Schlienger JL, Orgiazzi J, Cousty C, Vlaeminck-Guillem V (2002) Effects of thyroid-stimulating hormone suppression with levothyroxine in reducing the volume of solitary thyroid nodules and improving extranodular nonpalpable changes: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial by the French Thyroid Research Group. J Clin Endocrinol Metab 87:4928–4934
2.6.3 Operative Therapie
A. Zielke, M. Rothmund ) ) In den vergangenen 30 Jahren haben zunehmende Erkenntnisse in der Pathogenese der Knotenentstehung bei der euthyreoten Knotenstruma und eine Verbesserung der Operationstechnik zu einer Änderung der Operationsverfahren bei der euthyreoten Knotenstruma geführt. Während früher die beidseitige subtotale Resektion als Standardoperation galt – aber das Risiko in sich barg, dass in den Schilddrüsenresten Knoten zurückgelassen wurden, wurde in den 90er-Jahren ein knotenorientiertes Vorgehen bevorzugt, dass immer noch Gegenstand der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ist. Aus Australien kommend hat sich in den letzten 10 Jahren mehr und mehr die Hemithyreoidektomie bzw. Thyreoidektomie als Standardverfahren bei der euthyreoten Knotenstruma eingebürgert, wobei sich zeigt, dass in Kliniken mit hoher Operationsfrequenz die Morbidität dieses Verfahrens bezüglich Rekurrenspareseraten und Häufigkeit eines postoperativen Hypoparathyreoidismus den subtotalen Resektionsverfahren gleichkommt. Die Autoren dieses Kapitels führen fast nur noch Hemithyreoidektomien oder Thyreoidektomien bei multinodöser (= mehr als 1 Knoten) einseitiger oder beidseitiger Knotenstruma durch.
2.6.3.1 Molekulare Pathogenese der Knotenentstehung Neuere Aspekte der molekularen Pathogenese von Schilddrüsenknoten und -adenomen haben die Auffassungen zu ihrer Entstehung und Behandlung verändert (Derwahl 1994; Studer u. Derwahl 1995). So findet sich in der Schilddrüse bereits normalerweise eine kleine Zahl klonaler Zellen mit einer natürlichen Wachstumspotenz. Diese gelten als Ausgangspunkt der über die Zeit zunehmenden Tendenz der Schilddrüse, Knoten zu entwickeln (Studer u. Derwahl 1995). Molekulare Analysen konnten zeigen, dass Schilddrüsenadenome, unabhängig von ihrer z. T. heterogenen Morphologie, klonale Ereignisse sind (Namba et al. 1990). Zwar sind die genetischen Ereignisse, die die Progression von der klonalen Zellpopulation zur Hyperplasie und zum Adenom bewirken allenfalls beginnend charakterisiert (7 Übersicht bei Krohn et al. 2005), aber die Pathogenese der Schilddrüsen-
2
adenome gleicht offenbar der Entstehung anderer benigner Tumoren. Ein ähnlicher Pathomechanismus trifft auch für die multinodöse Struma zu, denn mindestens die Hälfte aller Knoten in multinodösen Strumen ist ebenfalls klonaler Herkunft (Fey et al. 1992; Studer u. Derwahl 1995). Sie zeigen eine größere morphologische Vielfalt, die als Ausdruck einer sekundär erworbenen Heterogenität interpretiert wird (Aeschimann et al. 1993). Dies trifft gleichermaßen für Endemiegebiete – auch nach Korrektur des alimentären Jodmangels – wie für Nichtendemiegebiete zu. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass die Entwicklung der benignen Tumoren bei Jodmangel schneller abläuft, was die Zeit bis zur klinischen Manifestation verkürzt. Zwar ist unlängst dieser Erklärungsansatz wieder in die Diskussion gekommen (Jovanovic et al. 2003), aber es kann nach derzeitigem Kenntnisstand unterstellt werden, dass die meisten, möglicherweise sogar alle Schilddrüsenknoten echte benigne Tumoren sind, deren Wachstum durch chronische Stimulation beschleunigt wird.
Die Konsequenz für die chirurgische Behandlung ist, dass eine Operation an der Schilddrüse darauf abzielen muss, zumindest alles noduläre Gewebe zu entfernen. Die genannten pathogenetischen Mechanismen bilden aber auch die rationale Grundlage für eine grundsätzliche Thyreoidektomie bei der multinodösen Struma.
2.6.3.2 Operationsindikation Die Prüfung der Operationsindikation wird von folgendem Leitgedanken geprägt: Je größer die Struma, je ausgeprägter die lokalen Beschwerden und je konkreter ein Malignitätsverdacht ist, desto eher ist eine operative Therapie anzuraten. Große Strumen (WHO-Grad III, Schilddrüsenvolumen >60 ml), besonders solche mit schlechter Jodaufnahme in der Szintigraphie, sowie Strumen mit mechanischen Problemen, z. B. Kompression von Trachea und/oder Ösophagus (WHOGrad III), stellen die häufigsten Indikationen. Die Operation ist die einzige Methode, die es erlaubt, koinzidente Pathologien durch Resektion definitiv mitzubehandeln. So wird der zusätzliche suspekte Knoten oder ein konkreter Malignitätsverdacht die Indikation zur Operation bestärken. Andererseits muss klar gesagt werden, dass eine Struma WHO-Grad II ohne Beschwerden und ohne Malignitätsverdacht (der Befund kalter Knoten ist für sich allein kein Malignitätsverdacht) keine Operationsindikation »per se« darstellt. Gelegentlich kann im Einzelfall die schlechte Compliance eines Patienten unter medikamentöser Therapie, seltener auch die Karzinophobie eines Patienten trotz adäquater Aufklärung eine Operationsindikation darstellen. 2.6.3.3 Präoperative Maßnahmen und Diagnostik Neben einer eingehenden klinischen Untersuchung des Patienten muss v. a. eine euthyreote Stoffwechsellage nach klinischen und laborchemischen Kriterien belegt werden. Als einziges bildgebendes Verfahren bei bereits gestellter Operationsindikation muss eine regionale Sonographie des Halses durchgeführt werden. Als Ergänzung zur klinischen Untersuchung gehört sie zur Basisdiagnostik und ist unverzichtbar. Dagegen ist eine Szintigraphie bei einer euthyreoten, endemischen Knotenstruma ohne Malignitätsverdacht nicht erforderlich, weder zur Indikationsstellung noch zur Planung der Operation (Ladurner 1990). Die
68
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Feinnadelaspirationszytologie (FAC) ist bei klinisch oder sonographisch verdächtigen Knoten indiziert. Gleichfalls unverzichtbar ist die Laryngoskopie zur präoperativen Kontrolle der Stimmbandfunktion (Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Leitlinien 1998). Sie hat besondere Bedeutung bei Rezidiveingriffen, bei denen die Wahrscheinlichkeit für eine Läsion des Nervs wesentlich höher ist und präoperativ asymptomatische Paresen erkannt werden müssen. Der jeweilige Befund kann u. U. bei der Operationsplanung genutzt werden (7 unten). Bei mechanischen Beeinträchtigungen, wie Schluckstörungen und/oder Dyspnoe, können radiologische Verfahren wie Computer- oder (bevorzugt!) Magnetresonanztomographie Auskunft über anatomische Besonderheiten geben. 2.6.3.4 Planung und Vorbereitung An laborchemischen Parametern sollten präoperativ Hämoglobin und Hämatokrit, Serumelektrolyte (Gesamtkalzium im Serum) und Gerinnungsparameter vorliegen. Allenfalls bei großen Rezidivstrumen und großen, mediastinalen Anteilen ist die Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten im Rahmen einer Eigenblutspende zu erwägen. Bezüglich präoperativer Röntgenuntersuchungen ist eine Thoraxaufnahme in 2 Ebenen die einzige zu überlegende radiologische Routineuntersuchung. Sie ist indiziert bei Patienten mit nach Klinik und Anamnese retrosternaler und intrathorakaler Struma, bei anamnestischem Hinweis auf eine Herz- oder Lungenerkrankung sowie bei Patienten ab der 6. bis 7. Dekade. Wie zuvor erwähnt, ist die präoperative Stimmbandfunktionskontrolle durch fachspezifische Kollegen obligat. Der Operateur sollte am stehenden Patienten den Hautschnitt anzeichnen. Nur so lässt sich ein hautliniengerechter Schnitt erzielen. Er sollte bei rekliniertem Kopf ca. 2–3 cm über der Drosselgrube zu liegen kommen, vorzugsweise in einer hier verlaufenden Hautfalte. Zu tiefe Schnittführungen neigen im langfristigen Verlauf zu ungünstigen Narbenentwicklungen. 2.6.3.5 Patientenaufklärung Eine Operation bei der euthyreoten Knotenstruma sollte ein niedriges Komplikationsprofil von kumuliert weniger als 5% haben. Der Operateur sollte neben der Operationsaufklärung auch über die alternativen Behandlungsmöglichkeiten informieren. Neben dem Hinweis auf allgemeine Risiken müssen operationsspezifische dargestellt werden – hier in erster Linie die Schädigung des N. laryngeus recurrens mit Heiserkeit und Stimmschwäche bei einseitiger, mit Ruhedyspnoe bei beidseitiger Verletzung, ggf. auch mit der Notwendigkeit einer Tracheotomie. Die Häufigkeit der unilateralen permanenten Parese ist bei einer Erstoperation durch versierte Operateure in weniger als 1% zu erwarten (Joosten et al. 1997). Die selten apparente Schädigung des N. laryngeus superior geht mit Einschränkungen der Hochtonstimme, der Stimmkraft und des Stimmtonus einher. Wichtig ist die Aufklärung über eine Schädigung der Parathyreoideae. Eine permanente Hypokalzämie wird mit einer Häufigkeit von weniger als 1% bei der euthyreoten Knotenstruma angegeben und liegt in erfahrenen Händen bei einer Thyreoidektomie nicht höher als bei subtotalen Verfahren. Die Autoren klären die Patienten über eine knotenorientierte bzw. in letzter Zeit überwiegend totale Thyreoidektomie auf. Hingewiesen werden muss dabei auf die Notwendigkeit einer lebenslangen Hormonsubstitution bzw. auf die Notwendigkeit einer Rezidivprophylaxe bei subtotaler Resektion. Für die Thyreoidektomie als Standardoperation bei
der euthyreoten Knotenstruma spricht die Tatsache der kompletten Elimination des Rezidivrisikos (Reeve et al. 1987; Wheeler 1998, 2004; Bellantone et al. 2002). 2.6.3.6 Operationsziel Geleitet von der molekularen Pathologie der endemischen euthyreoten Knotenstruma, folgt die operative Therapie dem Prinzip, dass alles erkrankte Schilddrüsengewebe entfernt wird. Dies ist nur durch eine Hemithyreoidektomie bei einseitiger Erkrankung oder eine Thyreoidektomie bei beidseitiger Erkrankung sicher möglich. Nach Meinung der Autoren ist dieses »radikale« Therapieprinzip, das Rezidivstrumen mit all ihren Behandlungsrisiken ausschließt, dem Prinzip der knotenorientierten Schilddrüsenresektion überlegen. Beim letztgenannten Verfahren ist immer das Risiko des Zurücklassens von kleinen Knötchen und klonalen Zellen mit Wachstumstendenz gegeben, sodass bei der anerkannt niedrigen Komplikationsrate in »High-volume«-Kliniken auf die knotenorientierte Resektion verzichtet werden sollte. 2.6.3.7 Verfahrenswahl Da zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Kapitels die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie aus dem Jahre 1998 immer noch gelten, soll kurz auf die verschiedenen Varianten, die sich aus dem Konzept der »Knoten- und morphologieorientierten Resektion« ableiten, eingegangen werden. Sicher nicht mehr akzeptabel ist die »standardmäßige beidseitige subtotale Thyreoidektomie«. Unter den morphologieorientierten Verfahren können die folgenden Formen unterschieden werden: 4 Resektionsverfahren mit kranialen Resten normalen Gewebes (z. B. selektive subtotale Resektion mit oberem Polrest). 4 Entfernung eines einzelnen Knotens. Dieser muss immer mit einem gehörigen Saum normalen Gewebes entfernt werden, um die für die histologische Beurteilung wichtige Übergangszone vom normalen zum erkrankten Schilddrüsengewebe zu erhalten. 4 Sind auch die dorsalen Anteile eines Schilddrüsenlappens krankhaft verändert, so ist die einseitige Hemithyreoidektomie ggf. mit kontralateraler subtotaler Resektion ratsam (nach Hartley-Dunhill). Dieses Vorgehen ist im Hinblick auf die Rezidiventwicklung vorteilhaft, da die Seite, auf der die totale Lobektomie erfolgte, nicht wieder angegangen werden muss. Erforderlich ist dieses Vorgehen auch, wenn sich intraoperativ ein konkreter Malignitätsverdacht ergibt. In diesen Fällen raten die Autoren dazu, in gleicher Sitzung das gleichseitige zentrale Kompartiment mit auszuräumen. Wie schon oben ausgeführt, ist jedoch die Lobektomie bzw. Thyreoidektomie als Standardoperation bei der multinodösen euthyreoten Struma zu empfehlen. Unabhängig vom Resektionsausmaß müssen, um unnötige Komplikationen zu vermeiden, folgende Grundregeln beachtet werden: 4 Während der Operation ist das Operationsfeld absolut bluttrocken zu halten. 4 Die relevanten anatomischen Strukturen müssen dargestellt und exponiert werden. 4 Der N. recurrens wird immer dargestellt und Gewebe in der Region des Nervs erst nach dessen sicherer Identifikation disseziert. Ein restriktiver Gebrauch der Diathermie in dieser Region ist anzuraten.
69 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
2
. Abb. 2.26. Instrumentarium zur subtilen Präparation der Nebenschilddrüse und des N. recurrens (Lupenbrille, kleiner Dissektor, Clipzange, bipolarer Thermokauter)
4 Jede Nebenschilddrüse ist so zu behandeln, als wäre sie die letzte vorhandene Drüse. Ist ihre Vitalität nicht zweifelsfrei, muss sie autotransplantiert werden. Die routinemäßige Darstellung des N. laryngeus recurrens wurde lange Zeit kontrovers diskutiert, ist aber bei jedem resezierenden Schilddrüseneingriff nunmehr stets zu fordern, da dadurch das permanente Pareserisiko gemindert werden kann (Tomusch u. Dralle 2000). Bei allen Eingriffen an der Schilddrüse, sollte der Nervverlauf vor der Resektion dargestellt werden. Bei der nahezu vollständigen Lappenentfernung, der Hemithyreoidektomie und der Thyreoidektomie ist die vollständige Darstellung obligat. Wenn ausnahmsweise der N. recurrens nicht gefunden wird, ist es ratsam, bei einer subtotalen Resektion die hintere Schilddrüsenkapsel als anatomische Grenzschicht zu erhalten (Stelzner 1988). Die Nichtdarstellung des N. reccurens sollte im Operationsbericht unter Angabe der Gründe der Unterlassung dokumentiert werden. Die Nervendarstellung wird durch den Einsatz einer Lupenbrille und feiner Instrumente einschließlich Clips und in anatomisch schwierigen Situationen auch durch den Einsatz des Neuromonitoring erleichtert (. Abb. 2.26).
Der Einsatz von Lupenbrille und feinen Instrumenten wird vor allem bei Ersteingriffen mit ungewöhnlichem Verlauf des Nervs, bei allen Rezidiveingriffen und zervikalen Reexplorationen, insbesondere wenn bereits eine unilaterale Parese des Nervs vorliegt, sowie bei komplexen Eingriffen wegen eines Schilddrüsenkarzinoms dringend empfohlen (Timmermann 2004).
Ob beim unkomplizierten Ersteingriff in der Hand versierter Operateure die Pareserate durch den Einsatz des Neuromonitorings weiter gesenkt werden kann, ist derzeit unklar. Die routinemäßige Darstellung der Epithelkörperchen sollte ebenso bei allen ausgedehnten Resektionen erfolgen. Bei der Thyreoidektomie müssen sie dargestellt werden. Die Präparation des N. recurrens an seiner Überkreuzungsstelle mit der A. thyreoidea inferior weist den Weg: In der Regel liegen die oberen Nebenschilddrüsen kranial, die unteren kaudal und ventral dieser Stelle. Nahezu 95% aller Nebenschilddrüsen liegen in einem Radius von 2 cm um diese Kreuzungsstelle. Um ihre Durchblutung zu erhalten, darf
bei der Thyreoidektomie nicht der Hauptstamm der A. thyreoidea inferior ligiert, sondern müssen ihre Äste auf der Ebene der Schilddrüsenkapsel selektiv unterbunden werden. Bei der subtotalen Resektion kann dagegen der Hauptstamm ligiert werden, da kleinste Kapselgefäße die Versorgung der Nebenschilddrüsen sicherstellen (Nies 1994). Eine versehentlich devaskularisierte oder resezierte Nebenschilddrüse sollte per Schnellschnitt als Nebenschilddrüse gesichert und dann, in Partikel zu 1 mm3 zerteilt, in jeweils einzelne Muskeltaschen in den gleichseitigen M. sternocleidomastoideus implantiert werden. Das Implantatlager wird mit Clips oder nicht reorbierbarem Faden markiert. Zahl und Lage der identifizierten (und ggf. autotransplantierten) Nebenschilddrüsen werden im Operationsbericht festgehalten. 2.6.3.8 Intraoperativer Schnellschnitt Sofern nicht eine follikuläre oder onkozytäre Neoplasie zur Operation führte, ist sie bei Operationen sinnvoll, die wegen eines präoperativ geäußerten Malignitätsverdachtes durchgeführt werden. Es sollte das Resektionspräparat stets vom Operateur nach Lamellierung untersucht und bei makroskopisch auffälligen Knoten ein Schnellschnitt veranlasst werden. Steht keine Schnellschnittdiagnostik zur Verfügung, so raten die Autoren bei makroskopisch zweifelhaften Knoten stets zur vollständigen Entfernung der den Befund tragenden Schilddrüsenhälfte, zusammen mit einer Ausräumung des zentralen Kompartiments. 2.6.3.9 Lagerung und Abdeckung Nach Intubationsnarkose wird der Patient in Rückenlage mit 15–20° eleviertem Oberkörper in halbsitzender Position und leicht rekliniertem Kopf gelagert. Zur besseren Fixation kann der Kopf auf einem Ring gelagert werden (. Abb. 2.27). Die Abdeckung erfolgt mit einer selbstklebenden U-Folie von der Kinnspitze entlang dem Unterkieferrand und dem M. sternocleidomastoideus durch das laterale Halsdreieck bis auf die obere Thoraxapertur und etwa eine Handbreit unterhalb des Jugulums quer über den Brustkorb. Kopf und Hals sind von beiden Seiten sowie vom Kopfende des Tisches frei zugänglich. 2.6.3.10 Zugang Der Zugang erfolgt durch einen ausreichend großen KocherKragenschnitt mit Durchtrennen der Haut, der Subkutis und des Platysma mit dem Messer. Intraoperative Schnitterweiterungen führen regelhaft zu abgewinkeltem Schnittverlauf und sind kos-
70
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Abb. 2.27. Lagerung eines Patienten zur Schilddrüsenoperation. Die Lagerung erfolgt mit angehobenem Oberkörper (15–20°) und rekliniertem Kopf, der auf einem Vakuumkissen oder einem Ring gestützt liegt. Die Beatmungsschläuche und Kabel für das Monotoring werden durch Selbsthaltevorrichtungen fixiert
metisch unbefriedigend. Anschließend erfolgt die Präparation nach kranial und kaudal mit dem Elektrokauter zur Bildung eines Haut-Platysma-Lappens. Dies geschieht unter Schonung der subfaszialen Venen. Nach kranial erfolgt die Präparation dieses Lappens bis in Höhe des Schildknorpels, nach kaudal bis in die Drosselgrube. Nun kann ein selbsthaltender Haken eingesetzt werden, der während der Operation das Wundgebiet offen hält (. Abb. 2.28). Die weitere Entwicklung der Schilddrüse erfolgt nun zunächst auf der betroffenen bzw. überwiegend betroffenen Seite. Hierzu geht man zunächst von kaudal nach kranial in die gewöhnlich avaskuläre Ebene zwischen den geraden Halsmuskeln ein (Linea alba colli). Lediglich nahe dem Manubrium kreuzt
häufig eine große Vene. Anschließend werden die geraden Halsmuskeln mit Roux-Haken lateralisiert. Nur selten (bei exzessiven zervikalen Strumen, Rezidivstrumen oder primär lateralem Zugang) ist die Durchtrennung dieser Muskeln nach Legen von Markierungsfäden nötig. Da die Innervation der Mm. sternohyoideus und sternothyreoideus über motorische Endäste der oberen Wurzel der Ansa cervicalis (hypoglossi) in die unteren Drittel dieser Muskeln einmündet, sollten diese hoch in der Wunde, etwa in Höhe des Krikoids, durchtrennt werden, um ihre Nervenversorgung zu erhalten. Wichtig ist nun das Aufsuchen der richtigen Präparationsschicht auf der Drüse. Aufgesucht wird die 2. Schicht der tiefen zervikalen Faszie (Spatium parathyreoideum bzw. Spatium chirurgicum de Quervain), d. h. der avaskuläre Spaltraum zwischen der zervikalen Faszie und der Schilddrüsenkapsel. Ventral und lateral ist diese Faszie dünn und leicht von der Schilddrüse zu trennen. Dies erlaubt die stumpfe, blutfreie Präparation fast der gesamten ventrolateralen Drüsenfläche unter Ligatur der nach lateral ziehenden (Kocher)Venen (. Abb. 2.29). 2.6.3.11 Operationstechnik Generell werden bei der funktionskritischen Resektion zwei grundsätzliche Resektionsarten angewendet: einerseits die selektive, subtotale Entfernung eines Schilddrüsenlappens, d. h. die mehr oder weniger ausgeprägte subtotale Lobektomie, und andererseits die totale Entfernung eines Schilddrüsenlappens (Synonyma: Lobektomie, Hemithyreoidektomie). Die Operationsschritte sind für beide Resektionsarten in vielen Dingen gleich (Zielke u. Clark 1995).
. Abb. 2.28. Durch Selbsthaltesysteme wie den hier beispielhaft abgebildeten Äskulapretraktor kann die Operationswunde über die Gesamtdauer der Operation exponiert werden. Durch die Lagerung und Abdekkung ist der Kopf des Patienten von beiden Seiten und von kranial frei zugänglich
Darstellung des N. laryngeus recurrens. Das erste Operationsziel ist die Darstellung des N. laryngeus recurrens, der sich am leichtesten kaudal seiner Kreuzungsstelle mit der A. thyreoidea inferior auffinden lässt. Mehr als 30 Variationen der Kreuzung von Nerv und Arterie sind beschrieben. Die Nerven lassen sich oft schon palpieren, bevor sie gesehen werden. Der rechte Rekurrens nimmt einen schrägeren Verlauf, weil er um die A. subclavia zieht. Nonrekurrente Nervverläufe sind sehr selten (<1%) und wurden nur auf der rechten Seite beschrieben. Sie sind mit einer
71 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
2
. Abb. 2.29. Horizontaler Schnitt durch die Halsweichteile mit Erfassung der Schilddrüse. Dargestellt sind die Schichten der Halsfascien und relevante Nachbarstrukturen
A. lusoria assoziiert. Der Nerv verläuft dann von lateral bzw. kranial im Hals zur Drüse. Der linke Nerv verläuft steil und nahezu immer in der tracheoösophagealen Grube – er kann auf der linken Seite konstant in unmittelbarer Nähe des ersten Abgangs der A. thyroidea inferior gefunden werden. Am vulnerabelsten ist der Nerv im Bereich des posterioren suspensorischen Ligaments in Höhe des Krikoids (Berry-Ligament). An dieser Stelle laufen die Nerven bei jedem 10. Patienten noch einmal durch das Schilddrüsengewebe. Beide Nerven können sich vor ihrem Eintritt in den Larynx teilen, links häufiger als rechts – hier ist es wichtig, zu wissen, dass die motorischen Fasern in der Regel im medialsten Bündel verlaufen (. Abb. 2.30). Präparation der Schilddrüse. Nach der orientierenden Darstel-
lung der Nebenschilddrüsen – sie liegen meistens im Bereich der Kreuzungsstellen von Arterie und Nerv – erfolgt die stumpfe Präparation von kaudal nach kranial unter zunehmender Medialisierung der Drüse durch Fingerzug bis hinauf zum oberen Pol, an dem nun die oberen Polgefäße dargestellt werden. Deren schrittweise Ligatur sollte nicht en bloc, sondern stets nahe an der Schilddrüsenkapsel vorgenommen werden. In etwa 15% der Fälle muss hier mit einem schilddrüsennahen Verlauf des R. externus des N. laryngeus superior gerechnet werden, der nur durch kapselnahe Ligaturen geschont werden kann (. Abb. 2.31). Der R. externus trägt motorische Fasern u. a. für den Tensor des Stimmbandes (M. cricothyreoideus). Seine Verletzung führt zur Aspirationsneigung und zur Einschränkung der Stimmkraft, der hohen Stimmregister und der Stimmausdauer.
Lobektomie. Im Falle der Hemithyreoidektomie muss nun immer eine Ligatur der Äste der A. thyreoidea inferior auf Kapselniveau erfolgen, um die Blutversorgung der Epithelkörperchen zu erhalten (Nies et al. 1994). Anschließend zielt die weitere Präparation unter zunehmender medialer Rotation der Drüse darauf ab, den N. recurrens bis zur Eintrittstelle in die Membrana cricothyreoidea darzustellen und die Nebenschilddrüsen in oberer und unterer Position von der Schilddrüse unter Erhalt ihrer vaskulären Versorgung abzupräparieren. Nachdem der Verlauf des Nervs und die Nebenschilddrüsen gesichert sind, kann die Schilddrüse rasch von der Trachealvorderwand abgelöst werden. Schließlich wird der Isthmus unterfahren und unter Mitnahme des Lobus pyramidalis, der dem zu resezierenden Lappen zugeschlagen wird, durchtrennt und die Schnittfläche ggf. mit Durchstechungsligaturen versorgt. Auch wenn präoperativ die kontralaterale Seite unauffällig war, wird dies intraoperativ durch eine geschlossene, palpatorische Revision überprüft. Dazu wird die gerade Halsmuskulatur auf der kontralateralen Seite von der Drüse abgedrängt und die Drüse in ihrem Lager palpiert. Erst wenn dies nicht zu einem klaren Resultat führt, wird der Lappen weiter mobilisiert. Wundverschluss. Nach Revision auf Bluttrockenheit, die auch bei Überblähung der Lunge des Patienten durch den Anästhesisten (Valsalva-Manöver) mit Drücken bis 40 Millibar bestehen muss, kann nach Resektionen, die Schilddrüsengewebe im Halse zurücklassen, in Ausnahmefall eine Redon-Drainage (Größe 10 oder 12) eingelegt werden. Randomisierte Studien haben keinen
72
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
. Abb. 2.30a–e. Darstellung der häufigsten Variationen des schilddrüsennahen Verlaufs des N. recurrens. a Nerv bzw. Nervenäste verlaufen hinter der Arterie. b Zwischen den sich aufteilenden Ästen 2. Ordnung; c vor den Ästen der A. thyreoidea inferior (ATI). d,e Typische Ligaturstellen der ATI. a Ligatur am medialen Punkt der Unterkreuzung von
ATI und A. carotis communis, b selektive kapselnahe Ligatur der Endäste 3. Ordnung. e Bei Rezidiveingriffen kann es bei geplanter subtotaler Resektion gelegentlich sinnvoll sein, die Arterie lateral der großen Halsgefäße aufzusuchen und zu ligieren
Vorteil einer routinemäßigen Einlage einer Drainage gezeigt. Nach einer Hemithyreoidektomie oder Thyreoidektomie ist sie generell überflüssig. Der schichtweise Wundverschluss beginnt mit adaptierenden Nähten im Bereich der Linea mediana colli sowie des Platysma in Einzelknopftechnik. Wichtig ist es darauf zu achten, dass bei der Naht des Platysmas nicht das subkutane Fettgewebe miterfasst wird. Der Verschluss der Hautwunde kann
durch eine resorbierbare, fortlaufende intrakutane Naht oder durch über wenige Tage zu belassende Hautklammern erfolgen. Intraoperatives Neuromonitoring. Hinsichtlich des intraopera-
tiven Neuromonitoring (IONM) besteht zunehmendes Interesse. Es ist zu erwarten, dass IONM auch forensische Bedeutung erlangen wird. Insbesondere beim Rezidiveingriff und komplexen
73 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
2
. Abb. 2.31a,b. Darstellung der häufigsten Variationen des schilddrüsennahen Verlaufs des R. externus des N. laryngeus superior. 1 R. internus n. laryngei superioris, 2 R. externus n. laryngei superioris, 3 A. thyreoidea superior
Eingriffen beim Schilddrüsenkarzinom wird IONM wahrscheinlich zu fordern sein. So kann bei der Operation einer Rezidivstruma beispielsweise ein einzeitig beidseitiges Vorgehen von der Funktionsfähigkeit des Nervs der zuerst reexplorierten Seite abhängig gemacht werden (Dralle et al. 2004). Bei der Bewertung der Ergebnisse des IONM müssen intrinsische Geräte- und Bedienungsfehler wie auch die Quote intubationsbedingter Schädigungen der Stimmbandfunktion kalkuliert werden. Sofern IONM zu Zwecken der Qualitätskontrolle eingesetzt wird, sollte sowohl direkt als auch indirekt, d. h. am freigelegtem N. vagus, stimuliert und beide Ergebnisse dokumentiert werden. Die jeweils unterschiedlichen Laufzeiten des Signals bzw. der Muskelantwort nach Stimulation (Elektromyographie) erlauben es, die beiden Stimulationsorte zu differenzieren. Die indirekte Stimulation gibt höhere Sicherheit. Sofern IONM eingesetzt wird, raten die Autoren dazu, auch die Funktion des R. externus des N. laryngeus superior zu monitoren und zu dokumentieren. 2.6.3.12 Minimalinvasive Operationstechniken Es liegen Berichte aus sehr erfahrenen Kliniken vor, die die Machbarkeit dieser noch sehr neuen Operationsmethoden ohne Steigerung der Morbidität belegen (Bellantone 2002). Für alle Methoden werden kleine Drüsen respektive Knoten gefordert, die nicht malignitätsverdächtig seien dürfen. Die Dauer der videoassistierten und vollständig endoskopischen Operationen beträgt in der Regel das 2- bis 5-fache der konventionellen Eingriffe. Besonderer Vorteil der total-endoskopischen Methoden ist der Umstand, dass diese von infraklavikulären Zugängen aus durchgeführt werden können. Letztere werden beispielsweise als transaxillärer oder parasternaler Zugang realisiert. Diese Methoden werden in Asien (Japan, Taiwan) mit besonderem Aufwand verfolgt, weil hier die Unversehrtheit des Halses einen besonderen Stellenwert hat. 2.6.3.13 Ligaturfreie Schilddrüsenchirurgie Das Bemühen um kleinere Inzisionen hat die Techniken der blutstillenden Dissektionshilfen aus der laparoskopischen Chirurgie in den Hals gebracht. Prospektiv randomisierte Studien zeigen, dass Anwendungen, wie z. B. Ligasure, Ultracision, BiClamp u. a., von in der Schilddrüsenchirurgie Erfahrenen ohne erhöhtes Komplikationsprofil eingesetzt werden können. Kosten–Nutzenkalkulationen liegen vor und deuten an, dass, sofern eine entsprechende Zeitersparnis realisiert wird, diese Methoden rationell eingesetzt werden können (Ortega et al. 2004).
2.6.3.14 Vorgehen bei retrosternaler/retromediastinaler Struma Die häufige Ausdehnung langjährig bestehender Strumen nach retrosternal in das hintere oder vordere Mediastinum und v. a. die Entwicklung retrotrachealer und retroösophagealer Anteile trägt ein höheres Risiko der Verletzung des N. recurrens. In nahezu allen Fällen kann ein vom Hals aus deszendierter Strumaanteil (d. h. Struma endothoracica falsa, Struma pseudoendothoracica) auch über die alleinige zervikale Inzision entwickelt werden. Bei erheblichem Missverhältnis zwischen dem retrosternalen bzw. mediastinalen Strumaanteil und der Öffnung der oberen Thoraxapertur kann eine intrakapsuläre Ausschälung oft noch mit Erfolg versucht werden. Im Zweifelsfall sollte frühzeitig sternotomiert werden. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass partielle Sternotomien für die Patienten nicht weniger schmerzhaft und keinesfalls weniger risikoträchtig sind als komplette Sternotomien. 2.6.3.15 Postoperative Behandlung Allgemeine postoperative Behandlungsmaßnahmen beinhalten: 4 Postoperative Lagerung mit 30° angehobenem Oberkörper, Vermeiden von Hustenreizen 4 Klinische Kontrolle der Atmung (Dyspnoe, Stridor), des Wundaspektes (Blutung), des Kreislaufs und der Vigilanz (Schock, thyreotoxische Krise) 4 Laborkontrollen: Serumkalzium bei beidseitigen Resektionen 4 Bei Zeichen der Hypokalzämie: Laborkontrollen und Kalziumgaben p.o. 4 Bei Patienten mit präoperativer Hyperthyreose: Thyreostatika noch am Operationstag absetzen, jedoch eine eventuelle Betablockade bis zur ersten postoperativen Woche beibehalten 4 Obligate Stimmbandfunktionskontrolle 2.6.3.16 Komplikationen Erfahrung mit der Schilddrüsenchirurgie vorausgesetzt, sollte die kumulierte Morbidität für primäre Schilddrüseneingriffe unabhängig von der Stoffwechsellage höchstens 2–5% betragen. Die wesentlichen operativen Komplikationen sind die Nachblutung, die Rekurrensläsion, die Tetanie und die thyreotoxische Krise. Alle diese Komplikationen sind einer sorgfältigen klinischen Beobachtung zugänglich. Revisionsbedürftige Nachblutung. Die Häufigkeit dieser Kom-
plikation beträgt 0,3–5%. Sie ist klinisch zu erkennen, tritt in der
74
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Regel binnen weniger Stunden nach der Operation auf und erfordert bei starker Schwellung des Halses und/oder Dyspnoe oder Schluckstörung die sofortige Revision. Die Schwellung des Halses und das Ausmaß der Dyspnoe stehen oft in keinem Verhältnis zueinander, auch geringe Blutungsmengen können eine Asphyxie verursachen. Es ist belegt, dass eine einliegende Redon-Drainage weder eine revisionsbedürftige Blutung verhindert, noch hilfreich ist eine aktive Blutung auch tatsächlich rechtzeitig zu erkennen. Rekurrensläsionen. Einseitige Läsionen werden oft erst im späteren postoperativen Verlauf auffällig oder bleiben gänzlich unbemerkt. Das sicherste klinische Zeichen ist der hörbar fehlende Glottisschluss beim Hustenstoss. Die Zeichen der einseitigen Rekurrenzparese sind aber allesamt unsicher. Aus diesem Grunde sollte die prä- und postoperative Kontrolle der Stimmbandfunktion standardisiert sein. Liegt nach einigen Wochen der Verdacht auf eine permanente einseitige Schädigung vor, sollte mit einer logopädischen Behandlung begonnen werden. Doppelseitige Schädigungen des N. recurrens werden dagegen regelhaft frühpostoperativ wegen progredientem Stridor und Dyspnoe festgestellt. Ist der Patient nur gering beeinträchtigt, kann unter kontinuierlicher Überwachung eine Behandlung mit intravenöser Gabe von Kalzium und Glukokortikoiden (z. B. 1 g Kalziumglukonat, 250 mg Urbason i.v.), ggf. NSAR, vorsichtiger Sedierung und externer Sauerstoffgabe versucht werden. Ausgeprägte respiratorische Störungen erfordern die Reintubation (Auslassversuch nicht vor 72 h) und bei erneut erfolgloser Extubation entweder die endoskopisch assisterte translaryngeale Laterofixation eines Stimmbandes oder die Tracheotomie. Größeren Übersichten zufolge werden Rekurrensfehlfunktionen je nach der Eingriffsart in unterschiedlicher Häufigkeit mitgeteilt. Bei subtotalen Resektionen einer euthyreoten Struma werden passagere Paresen im Mittel in 3–5%, permanente in 0,2–2% der Fälle gesehen (Joosten et al. 1997; Jatzko et al. 1994). Die Rate der permanenten Läsionen ist niedriger, wenn der Nerv bei der Operation identifiziert wird (7 oben). Bei einer Hemithyreoidektomie wegen gutartiger Veränderungen werden in 5% der Fälle passagere und in 0,2–3% permanente Paresen gesehen, dagegen werden bei der Thyreoidektomie wegen eines Karzinoms bei bis zu 20% der Patienten passagere Paresen diagnostiziert, bis zu 5% der Patienten bleiben von einer permanenten Parese betroffen. Am höchsten liegt die publizierte permanente Pareserate bei Operationen wegen Rezidivstrumen, mit im Mittel 3,5–10% (passager 5–15%) (Gemsenjäger 1983; Gollwitzer et al. 1987; Joosten et al. 1997). Experten der Schilddrüsenchirurgie haben bei allen Indikationen sehr viel niedrigere und weitaus weniger variable Pareseraten publiziert. Die Ursachen einer Schädigung des Nervs sind vielfältig und betreffen Durchtrennung, Quetschung, Zerrung durch Mobilisation der Schilddrüse und Elektrokoagulation sowie Druckschäden durch postoperatives Hämatom und Ödem. Dabei können Lähmungserscheinungen auch ohne eine sichtbare Kontinuitätsunterbrechung im Nervverlauf vorliegen. Die hohe Rate der spontanen Rückbildung der Rekurrensparese – bis zu 75% der Fälle mit postoperativen Einschränkungen der Stimmbandfunktion – liegt u. a. hierin begründet. Ist 6 Monate bis 1 Jahr nach dem Eintritt der Lähmung keine Rückkehr der Funktion eingetreten, ist sie als permanent zu betrachten. Es ist deshalb von großer Wichtigkeit, dass bei allen festgestellten Motilitätsstörungen des Stimmbandes nach Operationen an der Schilddrüse eine erste
Kontrolle bereits nach 4–6 Wochen erfolgt und ggf. geeignete Maßnahmen zur Stimmrehabilitation eingeleitet werden. Nebenschilddrüsenunterfunktion. Diese Komplikation tritt
passager mit einer Häufigkeit bis zu 10% auf, sehr selten (<1%) ist sie permanent. Am häufigsten wird sie bei Patienten die wegen einer Immunthyreopathie vom Typ des M. Basedow thyreoidektomiert wurden klinisch apparent. Die Hypokalzämie ist eine klinisch leicht zu erkennende Situation. Sie ist gekennzeichnet durch Kribbelparästhesien an den Fingerspitzen und/oder perioral, ein positives Chvostek-Zeichen und im ausgeprägten Fall durch eine Pfötchenstellung der Finger und/oder muskuläre Krämpfe. In der Regel ist bei milder Ausprägung die orale Kalziumgabe (z. B. 2–8 g in Einzeldosen à 1 g) ausreichend. Seltener wird eine intravenöse Kalziumgabe notwendig, die dann, an den Beschwerden des Patienten titriert, als Dauertropfinfusion verabreicht wird (z. B. 1–10 g/Tag in 5% Glukoselösung). In den meisten Fällen ist die Unterfunktion der Nebenschilddrüsen passager, sodass die oralen Kalziumgaben rasch zurückgenommen werden können. Bleibt jedoch die Notwendigkeit der Kalziumsubstitution über mehr als 4 Wochen bestehen, muss ein persistierender Hypoparathyreoidismus angenommen und eine entsprechende Diagnostik (intaktes Parathormon im Serum) sowie eine Therapie mit Kalziumglukonat und ggf. Vitamin D erfolgen. Vielfach wird das lang wirksame und kostengünstige Vitamin D3 empfohlen (0,5–21,5 mg/Tag, in ansteigenden Dosierungen). 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol, z. B. 0,25–1,5 mg/Tag) ist etwa 1000-mal wirksamer als Vitamin D3 und hat eine kurze biologische Halbwertszeit, wodurch eine Therapie leichter steuerbar wird. Calcitriol hat den Nachteil hoher Therapiekosten. Thyreotoxische Krise. Mit etwa 100 Fällen pro Jahr in Deutschland ist sie außerordentlich selten und noch seltener tritt sie erst nach einer Operation an der Schilddrüse auf. Sofern sie postoperativ in Erscheinung trat, war dies häufiger nach Operationen wegen einer funktionellen Autonomie. Sie wird aus diesem Grund in 7 Kap. 2.7.3 besprochen. Tracheomalazie. Mit einer deutlich unter 1% liegenden Häufigkeit ist diese Komplikation ebenfalls außerordentlich selten. Wird eine Tracheomalazie bereits intraoperativ vermutet, so sollte der Trachealtubus vor dem Wundverschluss temporär bis in die Glottisebene zurückgezogen und die Stabilität der Trachealwand durch Palpation intraoperativ geprüft werden. Ist sie nicht tragfähig, kann häufig durch eine über einige Tage prolongierte Extubation die Situation beherrscht werden. Alternativ können 3 oder mehr atraumatische Nähte submukös um je einen Trachealring nach beiden Seiten gestochen und hinter der infrahyoidealen Muskulatur durch den M. sternocleidomastoideus geführt und über einem Widerlager verknotet werden. Diese Pfeilernähte sichern die Lumenweite und können sequenziell nach 1–2 Wochen entfernt werden. Ist bis zu diesem Zeitpunkt keine ausreichende Stabilität nachweisbar, muss eine plastische Rekonstruktion oder die Versorgung durch eine endoluminale Stentung erwogen werden (Müller et al. 1993).
Literatur Bellatone R et al. (2002) Total thyroidectomy for management of benign thyroid disease: review of 526 cases. World J Surg 26:1468–1471 Bellatone R, Lombardi CP, Bossola M et al. (2002)Videoassisted versus conventional thyroid lobectomy. A randomized trial. Arch Surg 137:301–304
75 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
Derwahl M (1994) Molekulare Aspekte in der Pathogenese von Knoten und Adenomen der Schilddrüse. Schweiz Med Wochenschr 124:1613– 1618 Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (Hrsg) (1998) Grundlagen G80, Leitlinien zur Therapie der benignen Struma. Beilage zu den Mitteilungen der Dtsch Ges Chir, Heft 3 Dralle H, Kruse E, Hamelmann WH et al. (2004) Nicht alle Stimmbandfehlfunktionen nach Schilddrüsenoperationen sind Recurrensparesen infolge intraoperativer Schädigung. Stellungnahme der »Interdisziplinären Studiengruppe Intraoperatives Neuromonitoring Schilddrüsenchirurgie«. Chirurg 75:810–822 Fey MF, Peter HJ, Hinds HL, Zimmermann A, Liechti-Gallati S (1992) Clonal analysis of human tumors with M27b, a highly informative polymorphic x chromosomal probe. J Clin Invest 89:1438–1444 Gemsenjäger E (1983) Anatomie, chirurgische Verfahrenswahl und funktionelle Resultate bei multinodöser Struma. In: Röher HD, Wahl RA (Hrsg) Chirurgische Endokrinologie. Thieme, Stuttgart New York, S 47–57 Gollwitzer M, Matthes P, Nagel B (1987) Über die Rückbildungsfähigkeit der Recurrensparese nach Strumaoperationen. Med Welt 33:172–174 Jatzko GR, Lisborg PH, Müller M, Wette VM (1994) Recurrent nerve palsy after thyroid operations – principal nerve identification and a literature review. Surgery 115:139–144 Joosten U, Brune E, Kersting U, Hohlbach (1997) Risikofaktoren und Verlauf von Recurrensparesen nach Erstoperationen benigner Schilddrüsenerkrankungen. Ergebnisse einer retrospektiven Untersuchung von 1556 Patienten. Zentralbl Chir 122:236–245 Krohn K, Führer D, Bayer Y, Eszlinger M, Brauer V, Neumann S, Paschke R (2005) Molecular pathogenesis of euthoyroid and toxic multinodular goiter. Endocrine Rev 26:504–524 Ladurner D (1990) Das Schilddrüsenszintigramm. Eine Entscheidungshilfe für die Operationstaktik bei Schilddrüsenerkrankungen? Chirurg 61:647–650 Müller C, Dienemann H, Hoffmann et al. (1993) Expandierende Metallmaschenstents zur Behandlung von Trachealstenosen und Tracheomalazie. Zentralbl Chir 118:543–548 Namba H, Matsudo K, Fagin JA (1990) Clonal composition of benign and malignant thyroid tumors J Clin Invest 86:120–125 Nies C, Sitter H, Zielke A et al. (1994) Parathyroid function following ligation of the inferior thyroid artery during bilateral subtotal thyroidectomy. Br J Surg 81:1757–1759 Ortega J, Sala C, Flor B, Iledo S (2004) Efficacy and cost effectiveness of the Ultra Cision Harmonic scalpel in thyroid surgery: an analysis of 200 cases in a randomized trial. J Laparoendosc Adv Surg Tech 14:9– 12 Reeve TS, Delbridge L, Cohen A et al. (1987) Total thyroidectomy: the preferred option for multinodular goiter. Ann Surg 206:782–785 Stelzner F (1988) Die chirurgische Anatomie der Grenzlamellen der Schilddrüse und die Nn. laryngei. Langenbecks Arch Chir 373:355–361 Studer H, Derwahl M (1995) Mechanisms of nonneoplastic endocrine hyperplasia – a changing concept: a review focused on the thyroid gland. Endocr Rev 16:411–426 Thomusch O, Dralle H (2000) Endokrine Chirurgie und evidenzbasierte Medizin. Chirurg 71:635–645 Timmermann W, Hamelmann WH, Thomusch O et al. (2004) Zuverlässigkeit und Konsequenzen des intraoperativen Neuromonitorings in der Schilddrüsenchirurgie.Stellungnahmeder»InterdisziplinärenStudiengruppe Intraoperatives Neuromonitoring Schilddrüsenchirurgie«. Chirurg 75:916–922 Wheeler MH (1998) Total thyroidectomy for benign thyroid disease. Lancet 351:1526–1527 Zielke A, Clark OH (1995) Benign diseases of the thyroid-parathyroidadrenal. In: Ritchie WP Jr, Steele GD, Dean RH (eds) General surgery: essentials of practice. Lippincott, Philadelphia
2
2.6.4 Prophylaxe und Therapie des Rezidivs
A. Zielke, M. Rothmund ) ) Sofern bei einer Operation wegen einer euthyreoten Knotenstruma Schilddrüsengewebe belassen wurde ist die Notwendigkeit einer Prophylaxe im Endemiegebiet unumstritten. Bleibt sie aus, ist bei jedem 4. Patienten mit einem Rezidiv zu rechnen. Neben der medikamentösen Nachbehandlung sind Menge und Qualität des bei der Operation zurück gelassenen Schilddrüsengewebes entscheidende Parameter für eine Rezidiventwicklung. Dieser Zusammenhang, der bei der Immunthyreopathie heute nicht mehr bezweifelt wird, gilt auch bei der Knotenstruma. Entsprechend dem derzeitigem pathophysiologischem Verständnis ist die beste Prophylaxe bei der multinodösen Knotenstruma (= mehr als 1 Knoten) demnach die totale Thyreoidektomie.
2.6.4.1 Zielstellung Die postoperative medikamentöse Behandlung verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele. Wurde bei einer Operation Gewebe zurück gelassen, so muss eine erneute Vergrößerung der Schilddrüse oder das erneute Auftreten von Knoten verhindert werden (Prophylaxe). Andererseits wird nach ausgedehnter oder vollständiger Resektion eine postoperative Hypothyreose zu behandeln sein (Therapie). Gleichermaßen hängen postoperative Hypothyreose und Rezidivrisiko in erster Linie von der Ausführlichkeit des chirurgischen Eingriffs ab.
Um nach ausgedehnten, aber nicht vollständigen Resektionen eine kompensatorische Hypertrophie bzw. Hyperplasie der Restschilddrüse zu vermeiden, steht die Notwendigkeit einer postoperativen medikamentösen Rezidivprophylaxe für das zurückgelassene Schilddrüsengewebe im Endemiegebiet außer Frage.
Diese Auffassung begründet sich aus der Erfahrung, dass beim Ausbleiben einer Prophylaxe mit einer klinisch fassbaren Rezidivquote von im Mittel nicht unter 25% zu rechnen ist. Der Anteil der mit Hilfe subtiler Technik erfassbaren postoperativen Schilddrüsenvergrößerungen kann sogar bis 80% betragen (Bellantone et al. 2004; Carella et al. 2002; Kologlu et al. 1988; Niepomniszcze et al. 2001; Schicha 1990). Die Zeiträume, in denen nach einer Erstoperation klinisch apparente Rezidive auftreten, variieren erheblich. Die meisten Rezidive werden 4–9 Jahre nach dem Ersteingriff erkannt (Anderson et al. 1990; Bellantone et al. 2004; Geerdsen u. Frolund 1986; Kraimps et al. 1993; Miccoli et al. 1993). In jedem Fall sind Menge und Qualität des bei der Erstoperation belassenen Schilddrüsengewebes entscheidende Parameter für eine Rezidiventwicklung. Dieser Zusammenhang, der bei der Immunthyreopathie nicht mehr bezweifelt wird, ist auch bei der euthyreoten Knotenstruma belegt und kumuliert in dem Leitsatz: »Die sicherste Prophylaxe der Rezidivstruma ist die vollständige Entfernung aller makroskopisch erkrankten Schilddrüsenanteile bei der Erstoperation« (Kraimps et al. 1993). Vom Standpunkt der Rezidiventwicklung aus betrachtet, ist nach
76
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
derzeitigem pathophysiologischen Verständnis die Thyreoidektomie das optimale Operationsverfahren. Beim Erwachsenen sollte sie bei der multinodösen Knotenstruma und bei der disseminierten Autonomie bevorzugt zum Einsatz kommen. Die Autoren führen sie in diesen Fällen konsequent aus. Sofern ein Operationskonzept verfolgt wird, das Schilddrüsengewebe zurücklassen wird, bekommt die Erfahrung des Operateurs und seine intraoperative Wahl des Operationsverfahrens, d. h. das individuelle Anpassen des Ausmaßes der Resektion und des operativen Vorgehens je nach intraoperativem Befund, hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit mit der das Rezidiv auftreten wird, entscheidende Bedeutung. 2.6.4.2 Grundlagen Nach nicht vollständiger Thyreoidektomie tritt eine apparente Unterfunktion in Abhängigkeit von dem Ausmaß der Resektion und der Dauer der postoperativen Nachbeobachtung bei mindestens 20% aller Patienten auf (Miccoli et al. 1993; Hedman et al. 1986; Uzzan et al. 1996). Bei einer nicht vollständigen Resektion ist wegen des Weiterbestehens des alimentären Jodmangels im Endemiegebiet grundsätzlich mit dem Rezidiv zu rechnen. Auch bei konsequenter Prophylaxe muss bei jedem 4. Patienten mit erneutem Wachstum der Schilddrüsenreste gerechnet werden. Selbst bei im Verlauf individuell optimierter Prophylaxe beträgt das Risiko einer Rezidivstruma etwa 5%, vergleichbar mit dem Risiko von unbehandelten Personen in Regionen mit ausreichender Jodversorgung (Feldkamp et al. 1997; Kologlu et al. 1988). Dabei steht außer Zweifel, dass durch die Gabe von Jodid und/ oder Levothyroxin die Größenentwicklung der Schilddrüsenreste nach einer Operation günstig beeinflusst werden kann (Bellantone et al. 2004; Carella et al. 2002; Niepomniszcze et al. 2001). Noch nicht abschließend geklärt ist, ob dadurch auch die Neubildung von Knoten günstig beeinflusst wird. Zu diesem Thema gibt es nur wenige randomisierte, kontrollierte Studien, die kleine Patientenkolletive mit kurzen Beobachtungszeiten auswerten. Die neueren Studien zeigen dabei im Trend einen günstigen Effekt einer Kombinationsbehandlung mit Jodid und Levothyroxin hinsichtlich der Größe der Restschilddrüse und der Knotenzahl- und -größe (Schumm-Draeger et al. 2003; Carella et al. 2002; Berglund et al. 1990; Bistrup et al. 1994; Hegedus et al. 1987; Miccoli et al. 1993). Dieser Trend war aufgrund experimenteller Daten und der etwas besseren Datenlage zur Behandlung der nicht operierten euthyreoten Knotenstruma nicht un-
erwartet. Eine bessere Bewertung hinsichtlich der optimalen medikamentösen Strategie wird wahrscheinlich erst nach dem in 2007 erwarteten Abschluss der LISA-Studie möglich (Gussendorf 2005).
Nach Auffassung der Autoren bleibt gleichwohl die radikale Resektion beim Ersteingriff der wichtigste Faktor zur Prophylaxe des Rezidivs.
Bei Patienten, bei denen die Schilddrüse unvollständig entfernt wurde, muss die Prophylaxe als generelles Prinzip unabhängig von der peripheren Restfunktion durchgeführt werden. Sie kann, sofern bei der Operation größere Mengen Restgewebe belassen wurden, zunächst mit Jodid erfolgen (Feldkamp et al. 1997). Diese Prophylaxe ist mit guter Näherungswahrscheinlichkeit immer dann ausreichend, wenn die Volumina der Schilddrüsenreste etwa 8–10 ml betragen (. Tab. 2.8). Wegen der weiterhin bestehenden Jodmangelversorgung ist der Ausgleich des alimentären Jodmangels lebenslang erforderlich. Eine erste Kontrolluntersuchung ist nicht vor 6 Wochen sinnvoll. Liegt nach dieser Zeit eine (latente) Hypothyreose vor, ist eine zusätzliche Hormongabe sinnvoll. Nach vollständigen Resektionen ist die Substitution mit Schilddrüsenhormon, nicht aber mit Jodid, nötig. 2.6.4.3 Eingesetzte Medikamente Jodid wird in der Rezidivprophylaxe im Jodmangelgebiet indiziert mit 100–300 µg Jodid/Tag. Die Tagesdosen für Kinder unter 10 Jahren liegen bei näherungsweise 100 µg/Tag, über 10 Jahren bei 200 µg/Tag und für Adoleszente und Erwachsene zwischen 200 und 300 µg/Tag. Schwangere und Stillende erhalten bis 250 µg/Tag, jedoch nicht mehr als 300 µg. Sehr seltene Nebenwirkungen sind Jodakne und Dermatitis herpetiformis. Schilddrüsenhormone werden entweder als Einzel- (T3 oder T4) oder als Kombinationspräparate (z. B. T4 + Jodid) verordnet. Zwar ist eine Monotherapie mit Levothyroxin bei unvollständig resezierten Patienten grundsätzlich möglich, jedoch bei lang andauernder Anwendung wegen der daraus resultierenden Jodverarmung der Restschilddrüse nachteilig. Da der intrathyreoideale Jodmangel der mächtigste Stimulus der Schilddrüsenhyperplasie ist, wird verständlich, warum langfristig die Gabe eines kombinierten Präparates ratsam ist.
. Tab. 2.8. Therapie- und Prophylaxestrategien nach Resektionsbehandlung der euythyreoten endemischen Struma, der Autonomien und der Immunthyreopathie Typ Basedow nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (Grundlagen G80)
Erkrankung
Zielparameter
Restgewebemenge (g)
8–16
>2–<8
≤2
Endemische Struma
200 µg Jodid
L-Thyroxin und 100–200 µg Jodid
L-Thyroxin
TSH normal
Fokale Autonomie
200 µg Jodid
L-Thyroxin und 100–200 µg Jodid
L-Thyroxin
TSH normal
Restgewebemenge (g)
<4–6
Disseminierte Autonomie
L-Thyroxin
TSH >0,3 <0,8 mU/ml
Immunthyreopathie Typ Basedow
L-Thyroxin
TSH normal
77 2.6 · Euthyreote Knotenstruma
Die Dosis wird einmalig verabreicht, etwa eine halbe Stunde vor dem Frühstück, um eine hohe Resorption zu gewährleisten. Die biologische Halbwertszeit beträgt 8 Tage. Einige Medikamente hemmen die Aufnahme des Thyroxins (u. a. Cholestyramin, Sucralfate, Eisensulfate und Aluminiumhydroxid), andere beeinträchtigen die Konversion zu T3 (Amiodaron) und wieder andere erhöhen die T4-Clearance (Phenytoin). Die wesentlichen Nebenwirkungen ergeben sich als Folgen einer nicht optimalen individuellen Dosisanpassung (Hypothyreose, Hyperthyreosis facticia) mit ihren bekannten klinischen Auswirkungen. Die synthetischen Schilddrüsenhormone sind identisch mit dem endogenen Hormon. Sie sind auch bei lebenslanger Einnahme unschädlich. Voraussetzung hierfür ist allerdings die individuelle Dosisanpassung mit dem Ziel, Unter- wie Überdosierungen zu vermeiden. Perioden vermehrter endokrinologischer Aktivität wie Pubertät, Gravidität, Laktation und Menopause müssen berücksichtigt werden und ihren Niederschlag in Dosisanpassungen finden. Unterdosierungen sind dabei um ein Vielfaches häufiger als iatrogene Hyperthyreosen. Bei korrekter Dosierung sind Nebenwirkungen nicht bekannt, sie schlagen sich noch am ehesten als Überfunktion einer nicht erkannten thyreoidealen Autonomie nieder. Die iatrogene Hyperthyreosis facticia ist zu vermeiden, da sie langfristig und vor allem bei postmenopausalen Frauen ohne Östrogenbehandlung das Risiko einer Osteoporose erhöht (Kann et al. 1997; Uzzan et al. 1996). 2.6.4.4 Vorgehen und Therapiekontrolle Bei Belassen eines größeren Rests Schilddrüsengewebe ist eine Prophylaxe mit 200 µg Jodid/Tag bzw. 1,5 mg einmal/Woche ausreichend. Wird im Verlauf, d. h. frühestens nach etwa 6 Wochen, ein erhöhtes TSH (größer als 4 mU/l TSH) festgestellt, ist zusätzlich die Gabe von Levothyroxin notwendig, z. B. 100–200 µg Jodid zusammen mit 50–200 µg Levothyroxin, die als fixe Kombinationen erhältlich sind. Bei kleinen Schilddrüsenresten sollte unmittelbar postoperativ eine bedarfsgerechte Kombination aus Jodid und Levothyroxin angesetzt werden. In der Regel werden Tagesdosen zwischen 100–200 µg Jodid in Kombination mit 50–150 µg Levothyroxin/Tag erreicht. Bei Patienten mit einer Thyreoidektomie ist ausschließlich die Gabe von Levothyroxin erforderlich, man beginnt mit näherungsweise 1–1,5 µg Levothyroxin/kg KG. Bestand präoperativ Euthyreose, so kann die volle Dosis sofort gegeben werden. Ein langsames »Einschleichen« kann bei hohem kardialem Risiko, alten Patienten und bei einer vor dem Beginn der Behandlung sehr ausgeprägten Hypothyreose erwogen werden (Peters et al. 1996; Sawin et al. 1994). Es ist bereits angeklungen, dass regelmäßige Verlaufskontrollen unabdingbar sind, um die Dosis individuell anzupassen und die Effektivität der Behandlung zu beurteilen. Die Kontrolle sollte sich dabei auf ein ultrasensitives TSH-Assay stützen, da nur durch diese Assays eine verlässliche Steuerung der Therapie erreicht wird. Die Levothyroxin-Dosierung orientiert sich an der TSH-Konzentration im Serum, die nicht kleiner als 0,2– 0,8 mU/l Serum sein sollte. Ein Patient ist gut eingestellt, wenn 24 h nach der letzten Einnahme T3 und T4 im Normbereich liegen und TSH nicht supprimiert ist. Eine tiefe Suppression des TSH (<0,2 mU/l) ist nicht erwünscht, wegen des Risikos vermehrter kardialer Nebenwirkungen beim älteren Menschen und des Risikos der Akzeleration einer Osteoporose. Ist eine TSHsuppressive Behandlung z. B. aus onkologischen Gründen nicht indiziert, sollte diese aus osteologischen Gründen auch strikt vermieden werden (Kann et al. 1997; Uzzan et al. 1996).
2
Eine erste Kontrolle ist bei alleiniger Jodidgabe frühestens nach 6 Wochen, ansonsten 3 Monate nach Beginn der Behandlung sinnvoll. Eine erste Sonographie erfolgt ebenfalls frühestens 3 Monate nach der Operation. Im ersten postoperativen Jahr folgen weitere Kontrollen nach 6 und 12 Monaten, danach in individuell festzulegenden Abständen. Zeigt sich im Verlauf dieser Kontrollen in der Sonographie eine Größenzunahme der Restschilddrüse, ist in der Regel zunächst eine Erhöhung der Jodidzufuhr nötig. Dadurch kann in nahezu allen Fällen die Größenzunahme kontrolliert werden (Peters 1996; Schumm-Dräger et al. 2003).
Die Sonographie ist das sensitivste Instrument zur Volumetrie und zur Beurteilung der Morphologie des Restgewebes. Sie darf aus diesem Grunde in der Verlaufskontrolle nicht fehlen.
2.6.4.5 Therapie des Rezidivs Patienten mit einem Rezidiv einer euthyreoten Knotenstruma, bei denen eine Operationsindikation diskutiert werden muss bzw. vorhanden ist, werden meistens 10–20 Jahre nach der Erstoperation vorgestellt. Viele Patienten sind in dieser Zeit in einem fortgeschrittenen Alter und haben ein erhöhtes Risikoprofil. Da mit einer erhöhten Morbidität, z. B. einer permanenten Rekurrensparese und/oder einem Hypoparathyreoidismus gerechnet werden muss, ist die Indikation kritisch zu stellen. Alternative Therapiemöglichkeiten müssen in Betracht gezogen werden und erschöpfend mit dem Patienten besprochen sein. Dies gilt insbesondere für die Rezidivstruma mit Hyperthyreose, die bei fehlender mechanischer Indikation der (ggf. fraktionierten) Radiojodtherapie zugeführt werden kann. Nach der Erfahrung größerer Serien werden jedoch 20–75% der Patienten mit einem Rezidiv einer operativen Therapie unterzogen. Die häufigsten Indikationen begründen sich in lokalen mechanischen Problemen, vordringlich der Trachealeinengung oder -verdrängung, seltener Schluckbeschwerden oder einer Einflussstauung (Berglund et al. 1990; Bistrup et al. 1994; Hedman et al. 1986; Röher u. Goretzki 1987). Bei der Rezidivstruma sollte deshalb auf einer Seite eine komplette Hemithyreoidektomie erfolgen, um dauerhaft eine effektive mechanische Entlastung von Trachea und Ösophagus zu erreichen. Die Operation wegen einer Rezidivstruma ist um etliche Grade schwerer als eine Erstoperation, was u. a. seinen Ausdruck in der mit 3,5–10% deutlich höheren Rate an permanenten Rekurrensparesen findet. Es ist deshalb zulässig, u. U. nur eine Seite anzugehen, die Beseitigung des »dominanten Befundes« als ausreichend anzusehen und damit die Resektionsstrategie auf die Erhaltung der Rekurrens- und Nebenschilddrüsenfunktion auszurichten (7 unten). Der Nachweis der präoperativen Funktion des Nervus recurrens ist bei diesen Patienten entscheidend für die Operationsplanung. Liegt nach dem Ersteingriff keine Rekurrensparese vor, sollte die Seite mit dem dominanten Befund zuerst exploriert und bei gegebener Indikation und ggf. nach kritischer Interpretation eines intraoperativen Neuromonitorings der Rekurrensfunktion (7 Kap. 2.6.3) die kontralaterale Seite dann angegangen werden, wenn die Funktion des N. recurrens auf der dominanten Seite gesichert ist. Besteht bereits eine Rekurrensparese als Folge des Ersteingriffs, so ist eine Hemithyreoidektomie auf der von der Parese betroffenen Seite zu empfehlen und erst dann – wenn nötig – die Resektion auf der kontralateralen Seite.
78
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Bei der Operation eines Rezidivs sind folgende Grundzüge zu beachten: 4 Der Operateur muss sich von vornherein auf eine länger dauernde Operation einrichten, die wegen des hohen Wertes der Erhaltung der Rekurrensfunktion und der Nebenschilddrüsen u. U. nur langsam fortschreitet. 4 Beim anterioren Zugang raten die Autoren dazu früh die gerade Halsmuskulatur zu durchtrennen, was bei Erstoperationen nicht erforderlich ist. Die Autoren bevorzugen allerdings den »lateralen« Zugang zur Schilddrüse, der an der Vorderkante des M. sternocleidomastoideus, seitlich der geraden Halsmuskulatur und medial der Gefäß-NervenScheide in die Tiefe vordringt. 4 Die Länge des Kocher-Kragenschnittes ist großzügig zu bemessen und die Autoren zögern auch nicht eine zweite Inzision anzulegen, wenn die von der Erstoperation bestehende Narbe ungünstig gelegen ist. 4 Bei der Operation einer Rezidivstruma sollten Lupenbrille und Neurostimulationsgerät eingesetzt werden. 4 Im Narbengebiet kann es Probleme bereiten, alle Nebenschilddrüsen zu identifizieren. Gleichwohl ist es gerade bei der Rezidivoperation erforderlich nach ihnen zu suchen. Bestehen Zweifel an der Vitalität einer angetroffenen Nebenschilddrüse, sollte sie am Ende der Operation in kleine Stückchen geschnitten in den gleichseitigen M. sternocleidomastoideus implantiert werden. Wichtig ist es ferner, äußerst blutarm zu operieren und zunächst die richtige Schicht zwischen der äußeren Schilddrüsenkapsel, der Muskulatur und der Gefäßnervenscheide zu finden. Bei einer Rezidivstruma kann der N. recurrens u. U. sehr früh bei der Präparation anzutreffen sein. Gelegentlich liegt er sogar dem Rezidiv ventral oder lateral auf. Dies geschieht dann, wenn das Rezidiv von Gewebe ausging, das zwischen Trachea und N. recurrens lag und im Laufe des Wachstums den N. recurrens nach ventral oder lateral verlagerte (z. B. hinteres Schilddrüsentuberkel, Zuckerkandl). Am besten lässt sich der Nerv weit kaudal, im oberen Mediastinum, seitlich hinter den Thymushörnern im hier häufig kaum berührten Gewebe auffinden. In den seltenen Fällen in denen auch hier vernarbtes Gebiet angetroffen wird, kann es nötig sein eine partielle Sternotomie durchzuführen, um den N. recurrens noch tiefer in unberührtem Gebiet zu lokalisieren und ihn dann nach kranial zu verfolgen. Im Grunde ist die Operation einer Rezidivstruma eine »Rekurrensoperation«, die zuerst auf Erhalt des Nervs und die Erhaltung der Nebenschilddrüsen ausgerichtet ist und erst dann auf die komplette Entfernung des erkrankten Gewebes. Unter Umständen ist es sinnvoll, eine Rezidivstruma in 2 Etappen zu operieren und sich bei fraglicher Integrität des N. recurrens auf einer Seite nach Entfernung des dort vorhandenen knotigen Gewebes zuerst postoperativ seiner Unversehrtheit zu versichern, um dann in einem 2. Eingriff, falls immer noch eine Indikation besteht, die andere Seite anzugehen. Cave Rezidivstrumen sollten ausschließlich von Operateuren vorgenommen werden, die über eine umfangreiche Erfahrung in der Schilddrüsenchirurgie verfügen. Nur so werden sich schreckliche Konsequenzen, wie beidseitige Rekurrensparesen und permanenter postoperativer Hypoparathyreoidismus, vermeiden lassen.
Literatur Anderson PE, Hurley PR, Rosswick P (1990) Conservative treatment and long term prophylactic T4 in the prevention of recurence of multinodular goiter. SGO 171:309–313 Bellantone R, Celestino PL, Boschierini M et al. (2004) Predictive factors for recurrence after thyroid lobectomy for unilateral non-toxic goiter in an endemic area: results of a multivariate analysis. Surgery 136:1247–51 Bergfeld G, Risholm L (1963) Postoperative thyroid hormone therapy in non-toxic goiter. Acta Chir Scand 126:531–534 Berglund J, Bondeson L, Christiansen SB et al. (1990) Indications for thyroxine therapy after surgery for non toxic goiter. Eur J Surg 156: 433–437 Bistrup C, Nielsen JD, Gregersen G et al. (1994) Preventive effect of levothyroxine in patients operated for non toxic goiter: a randomized trial of one hundred patients with nine year follow up. Clin Endocrinol (Oxf ) 40:323–327 Carella C, Mazziotti G, Rotondi M et al. (2002) Iodine improves the effectiveness of thyroxine therapy after surgery for nontoxic goiter: a prospective randomized study. Clin Endocrinol 57:507–513 Feldkamp J, Seppel T, Becker A et al. (1997) Iodide or L-Thyroxine to prevent recurrent goiter in an iodine-deficient area: prospective sonographic study. World J Surg 21:10–14 Geerdsen JP, Frolund L (1986) Thyroid function after surgical treatment of non-toxic goiter. A randomized study of postoperative thyroxine administration. Acta Med Scand 220:341–345 Gussendorf M, Vaupel R, Reiners C, Wegschneider K (2005) Die LISAStudie – eine randomisierte, doppelblinde, vierarmige, plazebokontrollierte, multizentrische Studie an 1000 Patienten über die medikamentöse Therapie der Struma in Deutschland. Med Klinik 100:542–546 Hedman I, Jansson S, Lindberg S et al. (1986) Need for thyroxine in patients lobectomized for benign thyroid diseases as assessed by follow up on average 15 years after surgery. Eur J Surg 152:481–485 Hegedus L, Hansen JN, Veriergang D et al. (1987) Does prophylactic thyroixine therapy after operation for non toxic goiter influence thyroid size? BMJ 294:801–804 Kann P, Jocham A, Beyer J (1997) Hypothyreose, Hyperthyreose und Therapie mit Schilddrüsenhormonen: Einflüsse auf das Skelettsystem. Dtsch Med Wochenschr 122:1392–1397 Kraimps JL, Marechaud R, Ginseste D et al. (1993) Analysis and prevention of recurrent goiter. SGO 176:319–322 Miccoli P, Antonelli A, Iacconi P et al. (1993) Prospective randomized double blind study about the effectiveness of levothyroxine suppressive therapy in prevention and recurrence after operation: results at the third year of follow up. Surgery 114:1097–1101 Michie W, Pegg CAS, Benscher PD (1972) Prediction of hypothyroidism after partial thyroidectomy for toxic hyperthyroidism. BMJ 1:13–17 Niepomniszcze H, Garcia A, Faure E, Castellanos A, del Carmen Zalazar M, Bur G, Elsner B (2001) Long-term follow-up of contralateral lobe in patients hemithyroidectomized for solitary follicular adenomas. Clin Endocrinol 55:509–513 Peters H, Hackel D, Schleusener H (1996) Rezidivprophylaxe der endemischen Struma. Dtsch Med Wochenschr 121:752–756 Röher HD, Goretzki P (1987) Management of goiter and thyroid nodules in an area of endemic goiter. Surg Clin North Am 67:233–236 Sawin CT, Geller A, Wolf PA et al. (1994) Low serum thyreotropin concentrations as a risk factor for atrial fibrillation in older persons. N Engl J Med 331:1249–1252 Schumm-Draeger PM, Encke A, Usadel KH (2003) Optimal recurrence prevention of iodine deficiency related goiter after thyroid gland operation. A prospective clinical study. Internist 44:420–426, 429–432 Uzzan B, Campos J, Cucherat M et al. (1996) Effects on bone mass of longterm treatment with thyroid hormones: a meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab 81:4278–4289
79 2.7 · Hyperthyreose
Hyperthyreose
2.7
2.7.1 Autonomien
M. Gotthardt, K. Joseph ) ) Autonomien der Schilddrüse entstehen in den allermeisten Fällen auf dem Boden eines alimentären Jodmangels. Durch Proliferation genetisch veränderter Thyreozyten (hauptsächlich Mutationen am TSH-Rezeptor bzw. dem zugehörigen G-Protein) kommt es zur Bildung autonomer Zellcluster, die durch intrinsische Stimulation und autokrine Wachstumsfaktoren immer weiter wachsen. Jedoch können Mutationen auch spontan entsehen, was das Auftreten von Autonomien in Gebieten mit ausreichender Jodversorgung erklärt. Autonomien erreichen in Jodmangelgebieten eine Prävalenz von bis zu über 60%, in Gebieten mit ausreichender Jodversorgung hingegen liegt sie nur bei ca. 1%. Die Gefahr der Autonomie liegt in einer spontanen oder durch einen Jodexzess ausgelösten hyperthyreoten Stoffwechsellage.
Pathogenese. In funktionell autonomen Thyreozyten laufen Jodaufnahme, Hormonsynthese und -sekretion unabhängig von der hypophysär-hypothalamischen Regelung ab (Dremier et al. 1996). Bei der Entstehung von Autonomien spielen wahrscheinlich mehrere Faktoren eine Rolle. Grundsätzlich steht am Anfang ein Jodmangel mit einer konsekutiven Hyperplasie, die die Entstehung von Mutationen fördert (Hampel et al. 1995). Diese Mutationen können auch spontan entstehen, was das Auftreten von Autonomien in Nicht-Jodmangelgebieten erklärt. Dabei handelt es sich um den Adenylatzyklase-Stoffwechsel aktivierende somatische Mutationen des TSH-Rezeptor-Gens (Paschke u. Ludgate 1997) und des Gens, das die D-Untereinheit des stimulierenden G-Proteins (Gsα) kodiert (Derwahl et al. 1998). Autonome Adenome weisen bis zu 80% aktivierende Mutationen des TSH-Rezeptors und bis zu 7% solche des GsD-Proteins auf (Corvilain et al. 1998). Ähnlich hoch dürfte die Prävalenz aktivierender Mutationen auch bei den multifokalen Autonomien liegen (Tonacchera et al. 1998). Diese Zahlen können jedoch nur als Anhaltspunkt für die Inzidenz solcher Veränderungen dienen, die tatsächliche Häufigkeit könnte aus labortechnischen Gründen deutlich davon abweichen, wie sich teilweise erheblich widersprechende Zahlen belegen (Krohn u. Paschke 2001). Neben aktivierenden Mutationen im Gsα-Protein werden noch weitere diskutiert, beispielsweise bei der Adenylatzyklase oder weiteren abhängigen Signalmolekülen. Weiterhin ist auch eine Überexpression dieser Signalproteine möglich. Jede solche Veränderung führt letztlich zu einer Erhöhung von cAMP, was eine wesentliche Rolle bei der Überstimulation spielt. Auch ist eine Verminderung der cAMP-Degradation ein weiterer möglicher Mechanismus, um die Überstimulation aufrecht zu erhalten (Krohn u. Paschke 2001). Der Natrium-Jodid-Symporter wird in solchen stimulierten Zellen überexprimiert, was zu einer Erhöhung der Jodaufnahme im autonomen Gewebe führt (Spitzweg et al. 1997). Weiterhin ist die Desensitivierung und Internalisierung des TSH-Rezeptors (G-Protein-Rezeptorkinasen, β-Arrestine) ein wichtiger Mechanismus, der vor unkontrollierter Stimulation der Thyreozyten schützt und bei der Autonomie gestört sein kann. Die funktionssteigernden Mutationen in Genen,
2
die die cAMP-Kaskade regulieren, erklären zwar die funktionelle Autonomie, nicht jedoch die Knotenbildung. Eine weitere Ursache kann die natürliche Heterogenität von Funktion und Wachstum der Thyreozyten sein (Studer u. Derwahl 1995). Das intrinsische Wachstumspotenzial der Ausgangszelle und das Ausmaß der darin durch Mutationen verursachten funktionellen Aktivierung bestimmen aber nicht allein das autonome Wachstum. Große Bedeutung hat auch der Jodmangel, da durch die intrathyreoidale Jodverarmung die Sensitivität der Thyreozyten gegenüber TSH und der Einfluss weiterer lokaler parakriner Wachstumsfaktoren verstärkt werden kann, sodass durch diese unphysiologische Wachstumsstimulation geringe intrinsische Unterschiede im Wachstumsverhalten und in der funktionellen Ausstattung der Thyreozyten zutage treten (Derwahl et al. 1998). Konkret kann das bedeuten, dass bei zunehmender Autonomie und sinkendem TSH Thyreozyten mit den oben beschriebenen genetischen Veränderungen gegenüber anderen Thyreozyten, die von der TSH-Stimulation abhängig sind, stärker proliferieren, was die Autonomie weiter verstärkt. Durch Jodmangel bedingte Proliferation von mutierten Thyrozyten führt weiterhin zur Bildung von Zellclustern, die durch lokale Bildung von autokrinen Wachstumsfaktoren wie IGF-1 (»Insulin-like-growth«-Faktor-1) eine so hohe Konzentration der Faktoren erreichen, dass weiteres Wachstum stimuliert wird. Hinzu kommt, dass hemmende Wachstumsfaktoren wie TGF-β (»Transforming-growth«-Faktor-β) in diesen autonomen Zellclustern inaktiviert sind (Eszlinger et al. 2004). Die Entstehung autonomer Adenome bzw. disseminierten autonomen Schilddrüsengewebes wird also durch die Interaktion vieler Faktoren bedingt, schließlich kommt es zu einem sich selbst unterhaltenden Prozess (Krohn u. Paschke 2001). Prävalenz. Die funktionelle Autonomie gilt als Folgeerkrankung des Jodmangels (Emrich u. Bähre 1978). So wird sie in Ländern mit ausreichender Jodzufuhr nur selten beobachtet: Unifokale Autonomien haben in den USA eine Prävalenz von 0,9% (Hamburger 1981). In Jodmangelgebieten ist die Autonomie häufig, mit einer Prävalenz, die mit steigendem Lebensalter zunimmt (Joseph et al. 1980a) und bis zu 65% erreicht (Bähre et al. 1988). Nach Einführung der Jodprophylaxe sinkt die Autonomieprävalenz deutlich ab (Baltisberger et al. 1995). Die Erscheinungsformen der funktionellen Autonomie reichen von der vermeintlich unifokalen Form, bei der jedoch schon weitere kleinere, unterhalb der szintigraphischen Nachweisgrenze liegende autonome Gewebsareale vorhanden sind (Miller et al. 1967), über die multifokale (. Abb. 2.32) bis hin zur multifokal disseminierten Form (Joseph et al. 1980a). Konsequenzen der Autonomie. Autonomes Gewebe wächst langsam (Plummer 1913), sodass mit zunehmendem Lebensalter auch eine Zunahme der Größe autonomer Knoten beobachtet wird (Belfiore et al. 1983). Damit ist auch zu erklären, dass mit steigendem Lebensalter die Konzentration des basalen TSH im Serum bzw. das '-TSH absinkt, der Prozentsatz pathologischer Suppressionstests wächst und die Konzentration des fT4 und des fT3 bei Patienten mit Knotenstrumen ansteigt (Bähre et al. 1988). Die klinisch folgenreichste Komplikation ist die durch unkontrollierte Hormonsynthese und -sekretion verursachte Hyperthyreose. Verlaufsuntersuchungen, die sich meist auf nur wenige Patienten mit nur kleinen unifokalen Autonomien (Belfiore
80
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
a
b
. Abb. 2.32a,b. 52-jährige Patientin, multiple »heiße« Knoten in einer Struma nodosa, klinisch hyperthyreot: multifokale Autonomie. Im Ultra-
schall zahlreiche echoarme und echokomplexe Knoten beidseits, zum Teil unscharf begrenzt
et al. 1983) und auf nur kurze Zeiträume (Hamburger 1981) beschränkten, ergaben eine Hyperthyreoserate von bis zu 20%. In Deutschland entwickeln 4,1% der Patienten mit unifokalen Autonomien pro Jahr eine Hyperthyreose (Sandrock et al. 1993).
vorhanden, sodass eine Steigerung des Jodangebots zu einer absolut erhöhten Jodaufnahme und infolge der aktivierenden Mutationen auch zu einer erhöhten Hormonsynthese und -sekretion führt. Diese Form der durch Jod bei vorbestehender Autonomie ausgelösten Hyperthyreose wurde zuerst von Coindet (Coindet 1821) beschrieben und von Plummer (Plummer 1913) näher charakterisiert. Sie ist mit bis zu 75% die häufigste Form der Hyperthyreose in Jodmangelgebieten (Emrich u. Bähre 1978;
Bedingungen der Hyperthyreose. Die autoregulativen Mechanismen, die in normalen Thyreozyten die Adaptation an einen Jodexzess ermöglichen, sind in autonomen Zellen nicht mehr
Bedeutung von Aktivität und Menge autonomen Gewebes 5 Bei Patienten mit kleinen unifokalen Autonomien löste die Gabe mittlerer bis großer Jodmengen keine Hyperthyreose aus (Kreisig et al. 1991; Mahlstedt u. Joseph 1973). 5 Nach Einführung jodprophylaktischer Maßnahmen in Tasmanien stieg die Hyperthyreoserate bei älteren Menschen auf das 3,8-fache, bei jüngeren Menschen mit geringen Anteilen autonomen Gewebes jedoch nur auf das 1,6-fache an (Connolly et al. 1970; Vidor et al. 1973). 5 Menschen mit autonomen Knoten mit einem Durchmesser unter 3 cm werden bei supraoptimalem Jodangebot in den USA nicht hyperthyreot (Blum et al. 1975; Hamburger 1981). In Deutschland werden Patienten, deren autonome Knoten ein Volumen über 8 ml haben, grenzwertig, solche mit einem Adenomvolumen über 14 ml manifest hyperthyreot (Kreisig et al. 1991). 5 Mit zunehmender Menge autonomen Gewebes steigen fT4- und fT3-Index an und das '-TSH sinkt (Bähre et al. 1988; Joseph et al. 1980b). 5 Von unseren Patienten mit unifokaler Autonomie sind 80% zum Zeitpunkt des Adenomnachweises euthyreot, jedoch nur 40% der Patienten mit größeren Mengen autonomen
Gewebes bei multifokal disseminierter Autonomie (Joseph 1994). 5 Nur die Patienten mit einem TcTUsupp über 3% wurden unter der Langzeitbehandlung mit 0,2 mg Jodid/Tag hyperthyreot (Joseph 1992).
Bedeutung der Jodzufuhr 5 Die Hyperthyreoserate nimmt mit steigender Jodzufuhr zu (Connolly et al. 1970). 5 Kleine Mengen Jod bis zu 0,1 mg/Tag lösten bei Patienten mit unterschiedlichen Mengen autonomen Gewebes keine Hyperthyreose aus (Joseph et al. 1980b). 5 Unter Langzeitbehandlung mit 0,2 mg Jodid/Tag wurden 14% der Patienten mit Autonomie latent, 4% manifest hyperthyreot (Joseph 1992). Diese Höhe wird auch erreicht durch zusätzliche Jodaufnahme im Rahmen unterschiedlicher Formen der Jodprophylaxe. Die Folge ist ein Anstieg der Hyperthyreoserate v. a. bei Patienten mit Knotenstrumen (Connolly et al. 1970; Mostbeck et al. 1998; Vidor et al. 1973). 5 Mittlere Jodmengen bis zu 0,5 mg/Tag lösen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Hyperthyreose aus (Lividas et al. 1977).
81 2.7 · Hyperthyreose
Joseph 1992, 1994; Laurberg et al. 1991; Mostbeck et al. 1998; Stanbury et al. 1998; Vidor et al. 1973). Die Hypothese, dass das individuelle Risiko eines Patienten sowohl von der Menge autonomer Zellen und deren funktioneller Aktivität als auch von Höhe und Dauer der Jodzufuhr abhängt, wird durch zahlreiche Beobachtungen gestützt (7 Übersicht).
Literatur Bähre M, Hilgers R, Lindemann C, Emrich D (1988) Thyroid autonomy, sensitive detection in vivo and estimation of its functional relavance using quantified high-resolution scintigraphy. Acta Endocrinol (Copenh) 117:145 Baltisberger BL, Minder, CE, Bürgi H (1995) Decrease of incidence of toxic nodular goitre in a region of Switzerland after full correction of mild iodine deficiency. Eur J Endocrinol 132:546–549 Belfiore A, Sava L, Runello F, Tomaselli L, Vigneri R (1983) Solitary autonomously functioning thyroid nodules and iodine deficiency. J Clin Endocrinol Metab 56:283 Blum M, Shenkman L, Hollander CS (1975) The autonomous nodule of the thyroid: correlation of patient age, nodule size and functional status. Am J Med Sci 269:43 Coindet JE (1821) Nouvelles recherches sur les effets de l’iode, et sur les précautions a suivre dens le traitement du goitre par ce nouveau remède. Ann Chim Phys (Paris) 16:252 Connolly RJ, Vidor GI, Stewart JC (1970) Increase in thyrotocicosis in endemic goitre after iodination of bread. Lancet 1:500–502 Corvilain B, Sande J van, Dumont JE, Bourdoux P, Ermans AM (1998) Autonomy in endemic goiter. Thyroid 8:107–113 Derwahl M, Manole D, Sobke D, Broecker M (1998) Pathogenesis of toxic thyroid adenomas and nodules: relevance of activating mutations in the TSH-receptor and Gs-alpha gene, the possible role of iodine deficiency and secondary and TSH-independent molecular mechanisms. Exp Clin Endocrinol Diabetes 106 (suppl 4):6–9 Dremier S, Coppée F, Delange F, Vassart G, Dumont JE, Sande J van (1996) Thyroid autonomy: mechanism and clinical effects. J Clin Endocrinol Metab 81:4187–4193 Emrich D, Bähre M (1978) Autonomy in euthyroid goitre: maladaption to iodine deficiency. Clin Endocrinol (Oxf ) 8:257 Eszlinger M, Krohn K, Frenzel R, Kropf S, Tonjes A, Paschke R (2004) Gene expression analsis reveals evidence for inactivation of the TGF-beta signaling cascade in autonomously functioning thyroid nodules. Oncogene 23:795–804 Hamburger JI (1981) Should all autonomously functioning thyroid nodules be ablated to prevent the subsequent development of thyrotoxicosis? In: Hamburger JI, Miller JM (eds) Controversies in clinical thyroidology. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, p 69 Hampel R, Kulberg T, Klein K, Jerichow JU, Pichmann EG, Clausen V, Schmidt I (1995) Goiter incidence in Germany is greater than previously suspected. Med Klin 90:324–329 Joseph K (1992) Funktionelle Autonomie und jodinduzierte Hyperthyreose. Jodmedikation und Hyperthyreose. Akt Endokr Stoffw 13: 102 Joseph K (1994) Estimation of the volume of autonomously functioning thyroid tissue. Exp Clin Endocrinol Diabetes 102 (suppl 2):12–19 Joseph K, Mahlstedt J, Gonnermann R, Herbert K, Welcke U (1980a) Early recognition and evaluation of the risk of hyperthyroidism in thyroid autonomy in an endemic goiter area. J Mol Med 4:21 Joseph K, Mahlstedt J, Welcke U (1980b) Autonomously functioning thyroid tissue (AFTT) during iodide prophylaxis. J Mol Med 4:87 Kreisig T, Pickardt CR, Vaitl C, Kirsch CM, Knesewitsch P (1991) Regionaler 99mTc-Uptake der Schilddrüse (TcTU) in Kombination mit Sonographie bei fokaler Autonomie. In: Börner W, Weinheimer B (Hrsg) Schilddrüse 1989. De Gruyter, Berlin, S 208–213 Krohn K, Paschke R (2001) Progression in understanding the etiology of thyroid autonomy. J Clin Endocrinol Metab 86:3336–3345
2
Laurberg P, Petersen KM, Vestergaard H, Sigurdsson G (1991) High incidence of multinodular toxic goitre in the elderly population in a low iodine intake area vs. high incidence of Graves‘ disease in the young in a high iodine intake area: comparative surveys of thyrotoxicosis epidemiology in East Jutland, Denmark and Iceland. J Intern Med 229:415–420 Lividas DP, Koutras DA, Souvatzoglu A, Beckers C (1977) The toxic effect of small iodine supplements in patient with autonomous thyroid nodules. Clin Endocrinol (Oxf ) 7:121 Mahlstedt J, Joseph K (1973) Dekompensation autonomer Adenome der Schilddrüse nach prolongierter Jodzufuhr. Dtsch Med Wochenschr 98:1748 Miller JM, Horn RC, Block MA (1967) The autonomous functioning thyroid nodule in the evolution of nodular goiter. J Clin Endocrinol Metab 27:1264 Mostbeck A, Galvan G, Bauer P et al. (1998) The incidence of hyperthyroidism in Austria from 1987 to 1995 before and after an increase in salt iodization in 1990. Eur J Nucl Med 25:367–374 Paschke R, Ludgate M (1997) The thyrotropin receptor in thyroid disease. N Engl J Med 337:1675–1681 Pickardt CR (1982) Therapie autonomer Adenome und disseminierter Autonomie. Therapiewoche 32:1015–1018 Plummer HS (1913) The clinical and pathological relationship of simple and exophtalmic goiter. Am J Med Sci 146:790–795 Sandrock D, Olbricht T, Emrich D, Benker G, Reinwein D (1993) Long-term follow-up in patients with autonomous thyroid adenoma. Acta Endocrinol (Copenh) 128:51 Spitzweg C, Joba W, Heufelder AE (1997) Analysis of human sodium iodide symporter gene expression in patients with thyroid diseases. Progr. and Abstr. The Endocrine Society Meeting 1997, Minneapolis, MN, USA p 108 Stanbury JB, Ermans AE, Bourdoux P et al. (1998) Iodine-induced hyperthyroidism: occurrence and epidemiology. Thyroid 8:83–100 Studer H, Derwahl M (1995) Mechanisms of nonneoplastic endocrine hyperplasia – a changing concept: a review focused on the thyroid gland. Endocr Rev 16:411–426 Tonacchera M, Chiovato L, Pinchera A et al. (1998) Hyperfunctioning thyroid nodules in toxic multinodular goiter share activating thyrotropin receptor mutations with solitary toxic adenoma. J Clin Endocrinol Metab 83:492–498 Vidor GI, Stewart JC, Wall JR, Wangel A, Hetzel BS (1973) Pathogenesis of iodine-induced thyrotoxicosis: studies in nothern Tasmania. J Clin Endocrinol Metab 37:901–909
2.7.1.1 Rationelle Diagnostik
M. Gotthardt, K. Joseph ) ) Trotz der in den letzten Jahren verbesserten Jodversorgung der Bevölkerung stellt Deutschland noch immer ein Strumaendemiegebiet dar. Daher hat auch die funktionelle Autonomie auf dem Boden der Jodmangelversorgung eine hohe Prävalenz. Entscheidend für die Vermeidung einer Hyperthyreose ist daher die frühzeitige Erkennung der »funktionellen« oder »klinisch relevanten« Autonomie (also einer Autonomie, die bei entsprechender Jodaufnahme zur Hyperthyreose führt) und die anschließende definitive Therapie, entweder selektiv durch die Radiojodtherapie oder bei sehr großen Strumen durch die Operation. Auch muss bedacht werden, dass bei Vorliegen einer relevanten Autonomie die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Hyperthyreose auch ohne eine Jodexposition bei rund 5% pro Jahr liegt, sodass diese Patienten einer prophylaktischen Therapie zugeführt werden sollten.
82
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Ziel der Diagnostik auf eine klinisch relevante Autonomie ist, diejenigen Patienten zu selektieren, bei denen auch ohne präexistente Hyperthyreose eine definitive Therapie durchgeführt werden sollte. Dies ist umso wichtiger, als bekannt ist, dass die definitive Therapie der funktionelle Autonomie zu einer signifikant höheren Überlebensrate führt (Kinser et al. 1989). Bereits eine latent hyperthyreote Stoffwechsellage stellt ein Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen dar (Sawin et al. 1994). Der Übergang in eine hyperthyreote Stoffwechsellage findet sich bei Vorliegen einer funktionellen Autonomie bei rund 5% der Patienten pro Jahr (Schaller et al. 1991; Sandrock et al. 1993). Eine spontane Heilung (z. B. durch zystischen Zerfall eines autonomen Adenoms) ergibt sich bei weniger als 6% der Patienten (Blum et al. 1975). Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass das Vorliegen eines normalen basalen TSH-Spiegels (TSHb) eine klinisch relevante Autonomie nicht ausschließt. In Jodmangelgebieten können bis zu 70% der Patienten mit einer klinisch relevanten Autonomie TSHb-Spiegel im Normbereich aufweisen, auch der TRH-Test zeigt selten einen pathologischen Ausgang (Hillenhinrichs u. Emrich 1998; Joseph et al. 1980b). Auch sonographisch lässt sich eine Autonomie nicht feststellen. Die leider immer wieder geübte Praxis, bei normalem TSHb und fehlender Hypervaskularisation in der Dopplersonographie eine Autonomie auszuschließen, ist vor diesem Hintergrund als Kunstfehler zu betrachten, wobei eine Hypervaskularisation allerdings auch keinen Hinweis auf eine Autonomie darstellt, da auch nicht-autonome Knoten hypervaskularisiert sein können. Auch die Bestimmung des sonographischen Volumens eines Knoten bei latenter Hyperthyreose ist kein exaktes Maß für die Menge an autonomem Gewebe, denn es kann ein normal arbeitender Knoten in einer ansonsten disseminiert autonomen Schilddrüse vorkommen. Die Sonographie ist nicht in der Lage, das autonome Gewebe nachzuweisen. Wichtig ist darüber hinaus die Bestimmung der gegen Schilddrüsenantigene gerichteten Antikörper im Blut, um eine immunogene Genese einer Hyperthyreose auszuschließen, da dies therapeutisch ein anderes Vorgehen erfordern kann.
Die korrekte diagnostische Methode zum Beweis oder Ausschluss einer funktionellen Autonomie ist die Suppressionsszintigraphie.
Indikationen für die Suppressionsszintigraphie 5 Ein bei normalem TSHb hoher thyreoidaler TechnetiumUptake (Werte 7 unten) 5 Gegenüber dem restlichen Schilddrüsengewebe szintigraphisch kräftiger speichernde Knoten bei normalem oder leicht erniedrigtem TSHb 5 Eine Episode mit latenter Hyperthyreose, die nicht durch große Mengen an Jod (wie z. B. Kontrastmittel) ausgelöst wurde, z. B. bei Einnahme von geringen Jodmengen um 200 µg/Tag 5 Sonstige Verdachtsmomente, die eine Autonomie wahrscheinlich erscheinen lassen, wie z. B. sehr große Struma (die Notwendigkeit muss individuell entschieden werden)
Die Suppressionsszintigraphie wird üblicherweise mit 99mTc-Pertechnetat durchgeführt, wobei das TSHb spontan oder durch Gabe von L-Thyroxin (z. B. 4-wöchige Gabe von 100 µg/Tag, jedoch abhängig von individuellen Faktoren höhere oder niedrigere Dosierung erforderlich/ausreichend) unter 0,1 mU/l supprimiert sein sollte. Hat bereits eine Hyperthyreose vorgelegen, egal ob sie thyreostatisch therapiert wurde oder nicht, ist auch bei aktuell bestehender Euthyreose von einer funktionellen Autonomie auszugehen. Liegt nach Applikation großer Mengen Jod (z. B. Kontrastmittel) eine latente Hyperthyreose vor, so ist dies nicht der Beweis einer Autonomie! Dieser Befund wird häufig gefunden und ist in der Regel nicht therapiebedürftig. Bei der Suppressionsszintigraphie wird der thyreoidale Technetium-Uptake (TcTU) bei supprimiertem TSH quantifiziert. Der gemessene Wert gilt als Maß für die Menge an autonomem Schilddrüsengewebe, über die die funktionelle Relevanz definiert wird (Emrich 1994; Joseph 1994; Joseph et al. 1980a, b; Kreisig et al. 1991). Die kritische Menge an autonomem Gewebe wurde dabei mit ca. 10–20 ml angegeben (entsprechend einem TcTUsupp von 2–3%), jedoch ist bei einer Jodversorgung von 150 µg pro Tag diese Grenze bereits um 5 ml anzusetzen (Pfannenstiel et al. 1997). Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren verbesserten Jodversorgung in Deutschland ist der alte Grenzwert von 2% TcTUsupp mit einem Graubereich ab ca. 1,6% deutlich nach unten zu korrigieren. Aktuell ist eine Indikation zur definitiven Therapie nach Abwägung individueller Faktoren ab einem TcTUsupp von ca. 1,4% gegeben, wobei der Graubereich schon bei 1% beginnen dürfte (Gotthardt et al. 2006). Für Gebiete mit ausreichender Jodversorgung müssen also diese niedrigen Werte als Grenzwerte herangezogen werden. Auch wenn beispielsweise kleine autonome Adenome in Hinsicht auf die Entwicklung einer Hyperthyreose prognostisch günstiger zu bewerten sind (Zemella et al. 1989), ist die Voraussage des individuellen Verlaufes nicht sicher möglich. Daher sollte im Zweifel eine Radiojodtherapie durchgeführt werden, die die risikoärmste Therapieform darstellt, bei großen Strumen mit mechanischen Komplikationen kann eine Operation notwendig sein. Die Therapientscheidung muss letztlich aber immer unter Berücksichtigung aller relevanter Faktoren gestellt werden, wozu Lebensalter, andere Erkrankungen usw. zählen (Gotthardt et al. 2006). Literatur Blum M, Shenkman L, Hollander CS (1975) The autonomous nodule of the thyroid: correlation of patient age, nodule size and functional status. Am J Med Sci 269:43 Emrich D (1994) Estimation of the autonomous volume. Exp Clin Endocrinol Diabetes 102 (suppl 3):20 Gotthardt M, Stübinger M, Pansegrau J, Buchwald B, Pfestroff A, Goecke J, Corstens FHM, Behr TM (2006) Decrease of 99mTc uptake in autonomous thyroid tissue in Germany since the 1970s. Clinical implications for radioiodine therapy. Nuklearmedizin 45:122–125 Hillenhinrichs H, Emrich D (1998) Euthyroid goiter with and without functional autonomy in the euthyroid phase: a comparison. Nuklearmedizin 37:95–100 Joseph K, Mahlstedt J, Gonnermann R, Herbert K, Welcke U (1980a) Early recognition and evaluation of the risk of hyperthyroidism in thyroid autonomy in an endemic goiter area. J Mol Med 4:21 Joseph K, Mahlstedt J, Welcke U (1980b) Autonomously functioning thyroid tissue (AFTT) during iodide prophylaxis. J Mol Med 4:87 Joseph K (1994) Estimation of the volume of autonomously functioning thyroid tissue. Exp Clin Endocrinol Diabetes 102 (suppl 2):12–19
83 2.7 · Hyperthyreose
Kinser JA, Roesler H, Furrer T, Grütter D, Zimmermann H (1989) Nonimmunogenic hyperthyroidism: cumulative hyperthyroidism incidence after radioiodine and surgical treatment. J Nucl Med 30:1960– 1965 Kreisig T, Pickardt CR, Vaitl C, Kirsch CM, Knesewitsch P (1991) Regionaler 99mTc-Uptake der Schilddrüse (TcTU) in Kombination mit Sonographie bei fokaler Autonomie. In: Börner W, Weinheimer B (Hrsg) Schilddrüse 1989. De Gruyter, Berlin, S 208–213 Pfannenstiel P, Hotze LA, Saller B (1997) Schilddrüsenkrankheiten – Diagnose und Therapie. 3. Aufl. BMV, Berlin Sandrock D, Olbricht T, Emrich D, Benker G, Reinwein D (1993) Long-term follow-up in patients with autonomous thyroid adenoma. Acta Endocrinol (Copenh) 128:51 Sawin CT, Geller A, Wolf PA, Belanger AJ, Baker E, Bacharach P, Wilson PW (1994) Low serum thyrotropin concentrations as a risk factor for atrial fibrillation. N Engl J Med 331:1249–1252 Schaller U, Hölzel D, Kirsch C, Engelhardt D (1991) Spontanverlauf von kompensierten autonomen Adenomen. Klein Wochenschr 69:786– 792 Zemella V, Leisner B, Calvi J (1989) Spontanverlauf bei der Schilddrüsenautonomie. Der Nuklearmediziner 12:237–249
2.7.1.2 Radiojodtherapie
M. Gotthardt, K. Joseph ) ) Die Radiojodtherapie wird mit 131I durchgeführt. Es handelt sich dabei um einen β-Strahler (also einen Elektronenstrahler) mit einer Reichweite im Bereich von etwa maximal 2 mm. Man macht sich dabei zunutze, dass die Schilddrüse Jod beider Bildung von Schilddrüsenhormonen speichert. Das Jodisotop 131I wird genau wie das nicht radioaktive 127I intrathyreoidal gespeichert. Die Applikation erfolgt als Natriumsalz intravenös oder – bevorzugt – oral. Dabei wird die Menge (angegeben als Aktivität in Megabequerel = MBq) so gewählt, dass bei größtmöglicher Schonung gesunden Schilddrüsengewebes die Elimination des autonomen Gewebes erfolgt. Dafür wird die Radiojodtherapie bei supprimiertem TSH basal durchgeführt, sodass gesundes Schilddrüsengewebe nur wenig 131I speichert. Dieses Konzept bezeichnet man als »funktionsoptimiert«, das Ziel ist die Ausschaltung der Autonomie bei Vermeidung einer substitutionspflichtigen Hypothyreose. Für alle Patienten wird die Aktivität individuell berechnet, um einerseits eine möglichst geringe Aktivität mit dem Ziel eines effektiven Strahlenschutzes applizieren zu können, auf der anderen Seite aber ausreichend viel Aktivität zur Erreichung des Therapiezieles. Dabei wird im Zweifel jedoch lieber eine posttherapeutische Hypothyreose in Kauf genommen, die sich ohne Nebenwirkungen mit L-Thyroxin behandeln lässt, als eine eventuelle Restautonomie mit der Notwendigkeit einer zweiten Radiojodtherapie. Die Strahlenexposition bei der Radiojodtherapie liegt ungefähr im Bereich von ein oder zwei Spiral-CT-Untersuchungen des Abdomens, ggf. auch etwas höher, sodass Strahlenexpositionen im Bereich von Herzkathetheruntersuchungen erreicht werden. Das Risiko, durch die Strahlenexposition Patienten zu schädigen, lässt sich für die Malignominduktion als ein Risiko fünfter Ordnung berechnen (also kleiner als 1:10.000) bei einer natürlichen Auftretenswahrscheinlichkeit von etwa 25%. Für die Reproduktion gilt, dass die Wahrscheinlichkeit der Induktion von Neumutationen rechnerisch etwa 1% über der natürlichen Rate von ca. 6% liegt. Diese theoretischen Werte 6
2
ließen sich bisher an Patienten trotz 50-jähriger Erfahrung mit der Radiojodtherapie und entsprechend hohen Fallzahlen nie statistisch signifikant in Studien nachvollziehen, sodass man heute Radiojodtherapien auch bei jungen Patienten im reproduktionsfähigen Alter bedenkenlos durchführt.
Indikationsstellung
Die Radiojodtherapie ist Therapie der Wahl für die definitive Behandlung von Autonomien. Es handelt sich um eine praktisch nebenwirkungsfreie Therapie mit hoher Erfolgsrate. Ziel ist die Ausschaltung autonomen Gewebes, sodass es zu keiner Hyperthyreose bzw. keinem Hyperthyreoserezidiv mehr kommt. Jedoch hat die 131I-Therapie Grenzen, die berücksichtigt werden müssen, um einerseits den Therapieerfolg zu gewährleisten, andererseits aber auch die Patienten vor möglichen Komplikationen zu bewahren. Weiterhin sind bei der Indikationsstellung Aspekte des Strahlenschutzes zu berücksichtigen. Indikationen zur 131I-Therapie sind (Bell u. Grünwald 2000) 5 Kleine bis mittelgroße autonome Strumen 5 Fokale Autonomien, bei denen das autonome Volumen so groß ist, dass es mit einer einzeitigen Radiojodtherapie zu beseitigen ist 5 Autonomien in Rezidivstrumen 5 Autonomien bei Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko
Grundsätzlich geht man davon aus, dass bei Strumen mit einem Volumen von etwa 80–90 ml bei diffusen Autonomien die Radiojodtherapie die Grenzen ihrer Wirksamkeit erreicht. Dies liegt einerseits daran, dass das Volumen der Strumen umgekehrt mit dem Therapieerfolg korreliert, d. h., je größer die Struma, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolgs. Andererseits erfordern große Strumen hohe Aktivitäten an 131I, sodass, wenn die zu applizierende Aktivität mehr als etwa 1750 MBq beträgt, man aus Strahlenschutzgründen eher zur Operation rät. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass bei fokalen Autonomien das Volumen des autonomen Gewebes geringer ist als das Gesamtvolumen der Schilddrüse, sodass hier auch bei größeren Strumen eine Radiojodtherapie möglich ist. Dabei ist dann zu beachten, dass es im Rahmen der Radiojodtherapie zu einer Strahlenthyreoiditis mit Ödem kommen kann, was unter UmstänKontraindikationen zur Radiojodtherapie (Schober u. Lerch 1992) 5 Sehr große Strumen mit bereits bestehenden mechanischen Komplikationen 5 Hohe autonome Volumina, die mit einer einzeitigen Therapie nicht ausreichend therapiert werden können 5 Geringe Jodaufnahme der Schilddrüse im Radiojodtest, die eine zu hohe Therapieaktivität erfordern würde 5 Kinder und Jugendliche mit Autonomien (außerordentlich selten, relative Kontraindikation) 5 Gravidität und Stillzeit 5 Große kalte Knoten mit Verdacht auf Malignität
84
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
den dann eine Volumenzunahme der Schilddrüse mit mechanischen Komplikationen bedeutet. Bei sehr großen Strumen muss die Indikation zur 131I-Therapie also entsprechend kritisch gestellt werden (Becker et al. 1990; Huysmans et al. 1994). Es sind einzelne Fälle von akzidentellen Radiojodtherapien bei Schwangeren bekannt. Daher sollte vor der Therapie bei Patientinnen im gebährfähigen Alter obligat ein Schwangerschaftstest erfolgen. Bei gleichzeitigem Vorliegen von kalten Knoten kann bei negativer Punktionszytologie eine Radiojodtherapie durchgeführt werden. Jedoch sollte bei Verdacht auf Malignität unbedingt das adäquate, also zunächst operative Vorgehen gewählt werden. Bei der Indikationsstellung zur Radiojodtherapie muss weiterhin berücksichtigt werden, in wieweit die vorliegende Autonomie für den Patienten eine Gefährdung darstellt. Autonomien sollten jedenfalls dann einer definitiven Therapie zugeführt werden, wenn durch Gabe von Jod eine hyperthyreote Stoffwechsellage induziert werden kann. Dies kann z. B. durch Applikation von jodhaltigen Röntgenkontrastmitteln passieren, allerdings auch bereits durch kutane Applikation jodhaltiger Desinfektionsmittel, da immer ein Anteil freies Jod vorhanden ist, der über Haut und Schleimhäute aufgenommen wird (auch z. B. Mundspülungen). Ging man früher davon aus, dass eine in diesem Sinne klinisch relevante Autonomie sicher ab einem TcTUs (thyreoidaler 99mTc-Uptake unter Suppressionsbedingungen, 7 Kap. 2.7.1.1) von etwa 2% vorliegt, zeigen neuere Studien für Deutschland, dass dieser Wert deutlich niedriger anzusetzen ist (Gotthardt et al. 2006a). Ab einem TcTUs von etwa 1,0–1,4% kann daher bereits die Therapieindikation gestellt werden. Dies sollte jedoch immer auch unter Berücksichtigung anderer relevanter Parameter erfolgen, wie Alter, Begleiterkrankungen usw. (Gotthardt et al. 2006a). Es konnte gezeigt werden, dass bei vorliegen eines supprimierten TSH basal bei Patienten mit Autonomien bereits eine erhöhte Morbidität und Mortalität besteht, auch wenn die peripheren Schilddrüsenhormonparameter noch im Normbereich liegen (Sawin et al. 1994). Daher ist die Indikation zur Therapie weit zu stellen, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bei vorliegen einer Autonomie das Hyperthyreoserisiko eines Patienten pro Jahr bei ungefähr 5% liegt (Schaller et al. 1991; Sandrock et al. 1993). Die typische Komorbidität solcher Autonomien beinhaltet beispielsweise ein erhöhtes Osteoporoserisiko und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern, aber auch Kardiomyopathie, Thromboembolierisiko und zerebrovaskulären Komplikationen (Mann 1998). Vorbehandlung und Dosiskonzept
Für die Radiojodtherapie der Schilddrüsenautonomie sollte eine optimale Konstellation der Laborparameter TSH, fT3 und fT4 vorliegen. Weiterhin sollte die Dosierung einer thyreostatischen Medikation möglichst niedrig liegen, um die Aufnahme und Speicherung des 131I in der Schilddrüse nicht zu behindern.
Für das funktionsoptimierte Konzept ist entscheidend, das gesunde Schilddrüsengewebe durch die Therapie nicht zu beeinträchtigen. Daraus ergibt sich, dass eine Radiojodtherapie bei Autonomien nur bei supprimiertem TSH (<0,1 mU/l) durchgeführt werden sollte.
Wenn das TSH nicht spontan supprimiert ist, muss dies entweder durch optimale niedrige Dosierung einer thytreostatischen Medikation oder aber durch die Gabe von LT4 erfolgen, um den hypophysären Regelkreis zu hemmen. Die peripheren Hormonparameter fT3 und fT4 sollten dabei im Normbereich liegen. Bei Vorliegen einer manifesten Hyperthyreose sinkt die Erfolgsrate der Radiojodtherapie, weiterhin kann es bei therapiebedingtem Zerfall von Follikeln zu einer weiteren Freisetzung von Schilddrüsenhormonen kommen mit Auftreten Hyperthyreose-assoziierter Symptome. Daher sind Patienten mit hyperthyreoter Stoffwechsellage stets mit Thyreostatika zu behandeln, die Dosierung muss dann bei Erreichen der peripheren Euthyreose schrittweise reduziert werden. Die Radiojodtherapie kann in der Regel beispielsweise bei einer Thiamazoldosis von etwa 2,5–5 mg am Tag durchgeführt werden, bei Gabe von Carbimazol liegen diese Grenzwerte höher (5–10 mg). Alternativ wird die Thyreostase 3 Tage vor und 3 Tage nach Gabe des Radiojods abgesetzt. Die Berechnung der zu applizierenden Aktivität an 131I erfolgt für jeden Patienten individuell nach der Marinelli-Formel: Therapieaktivität = (Herddosis × autonomes Volumen)/(K × effektive Halbwertszeit × maximale Jodaufnahme); k ist dabei ein fixer Faktor. Für die Berechnung der Therapieaktivität gibt es verschiedene Modelle, für die die Erhebung bestimmter Parameter (Variablen) erforderlich ist. Dies sind effektive Halbwertszeit des thyreoidal gespeicherten 131I, die relative maximale thyreoidale 131I-Aufnahme nach 24 h (in % der applizierten Aktivität) sowie das Volumen des autonomen Schilddrüsengewebes. Dazu wird ein sog. Radiojodtest durchgeführt, bei dem der Patient testweise eine geringe Aktivität an 131I erhält. Es wird dann der maximale thyreoidale Uptake des Radionuklids nach 24 h gemessen sowie zu weiteren Zeitpunkten, woraus die effektive Halbwertszeit bestimmt werden kann. Das autonome Volumen kann sonographisch bestimmt werden, wenn es sich um fokale Autonomien handelt. Dann wird eine Herddosis von 300– 400 Gy angestrebt. Bei disseminierten Autonomien kann das autonome Volumen auch aus dem TcTUs berechnet werden, wobei dann ebenfalls die Herddosis mit 300–400 Gy gewählt wird. Jedoch ergibt diese Form der Dosimetrie mit steigendem TcTUs bei Verwendung der gültigen Formel »TcTUs × 5 = autonomes Volumen in ml« eine inverse Korrelation zum Therapieerfolg, was darauf zurückzuführen ist, dass diese Formel das tatsächliche autonome Volumen unterschätzt (Meller et al. 2000; Gotthardt et al. 2003). Die Formel ist daher obsolet, es werden besser 150 Gy Herddosis für das gesamte Schilddrüsenvolumen gewählt (Gotthardt et al. 2006b). Durch verschiedene Faktoren bedingt (ungünstige Verteilung der autonomen Thyreozyten, Schwierigkeiten bei der exakten Bestimmung des autonomen Volumens etc.), liegen die Ergebnisse der Radiojodtherapie bei disseminierten Autonomien unter denen bei fokalen Autonomien. Daher wurden alternative Berechnungskonzepte vorgeschlagen, die die Herddosis abhängig vom TcTUs erhöhen. Allerdings existieren keine kontrollierten prospektiven Studien dazu, ob diese Konzepte wirklich einen Vorteil erbringen, sie sind daher kritisch zu betrachten (Gotthardt et al. 2006b). Aus den ermittelten Werten wird dann für jeden Patienten die Therapieaktivität aus o. g. Formel errechnet (Bell u. Grünwald 2000). Ein Radiojodtest über mehrere Tage (üblicherweise 4 Messwerte über eine Woche) stellt natürlich für die Patienten einen erheblichen Aufwand dar. Daher wurde die Verwendung von standardisierten Halbwertszeiten für die Dosimetrie vorgeschla-
85 2.7 · Hyperthyreose
gen, was letztlich zu gleich guten Therapieergebnissen führt, den Radiojodtest aber auf die Messung des 24-h-Wertes reduziert. Weiterhin sind die Abweichungen zwischen den im Radiojodtest ermittelten Werten und den dann bei der Therapie tatsächlich gemessenen Werten für die Variablen teilweise erheblich, sodass sich Unterschiede zwischen Test und Therapie von insgesamt um 30–50% ergeben (Bogner u. Czempiel 1993). Vor dem Hintergrund dieser Zahlen muss kritisch gefragt werden, inwieweit eine solch aufwendige Dosimetrie überhaupt sinnvoll ist (Gotthardt et al. 2006b). Durchführung und Strahlenschutzaspekte
In Deutschland ist die Durchführung der Radiojodtherapie nur unter stationären Bedingungen erlaubt. Neben baulichen Strahlenschutzmaßnahmen (Barytbetonwände, Bleieinlagen in den Türen der Patientenzimmer etc.) muss eine entsprechende Station mit Sammelbehältern für Abwässer ausgestattet sein. Die Ausscheidung des 131I erfolgt hauptsächlich über den Harn und den Kot der Patienten. Um die Freisetzung in die Umwelt zu verhindern, wird daher das Abwasser der Station gesammelt und erst nach einer bestimmten Abklingzeit bei Unterschreitung definierter Grenzwerte abgelassen. Weiterhin entsteht beim Zerfall von 131I neben der ß-Strahlung auch γ-Strahlung, die zu einer Strahlenbelastung unbeteiligter Personen wie beispielsweise Familienangehöriger führen kann. Auch deshalb werden die Patienten stationär therapiert. Auch in anderen Ländern in Europa ist die ambulante Durchführung der Radiojodtherapie nicht ohne Einschränkungen möglich, da überall Grenzwerte für die bei ambulanter Therapie maximal zu applizierende therapeutische Aktivität festgelegt worden sind. Diese liegen beispielsweise in den Niederlanden bei 370 MBq und in der Schweiz bei 185 MBq. Da diese Aktivitäten für eine effektive einzeitige Therapie praktisch nie ausreichen, könnte eine ambulante Radiojodtherapie daher nur bei mehrfacher Applikation der höchsten zulässigen Aktivität bis zum Erreichen des Therapieziels durchgeführt werden. Dies ist aber aus Strahlenschutzgründen abzulehnen, wie die Strahlenschutzkommission der Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat. Somit ist die ambulante Durchführung der Radiojodtherapie aus strahlenhygienischer Sicht in Deutschland keine Alternative. Cave Die mehrzeitige Therapie mit kleinen Aktivitäten ist medizinisch und aus Strahlenschutzgründen obsolet.
Für eine Radiojodtherapie sind nur Patienten geeignet, die in der Lage sind, sich größtenteils selbst zu versorgen. Aus Gründen des Strahlenschutzes für das Personal ist eine umfassende Pflege von Patienten nach Applikation einer therapeutischen Aktivität von 131 I nicht möglich. Während der stationären Therapie darf kein Besuch empfangen und die Station nicht verlassen werden. Die Therapiestationen sind aber üblicherweise so ausgestattete, dass der Aufenthalt angenehm ist (Fernsehen, Rundfunk, Bibliothek etc.) und Möglichkeiten für körperliche Aktivitäten (z. B. Fahrradergometer o. ä.) bestehen. Die Entlassung der Patienten kann erfolgen, wenn die effektive Folgedosis für eine Person, die sich ununterbrochen in 2 m Abstand vom Patienten befindet, in einem Jahr nicht mehr als 1 mSv (Millisievert) beträgt. Zum Vergleich: Die effektive Dosis bei einer Spiral-CT-Untersuchung des Abdomens beträgt rund 10 mSv, die natürliche Strahlenexposi-
2
tion in Deutschland liegt je nach Wohnort etwa bei 1–2 mSv, an manchen Stellen bis zu 10 mSv. Daraus ergibt sich eine Aufenthaltsdauer auf der Therapiestation von üblicherweise rund 2–5 Tagen. In anderen europäischen Ländern ist die Verweildauer teilweise pauschal auf 2 Tage festgesetzt (Bell u. Grünwald 2000). Risiken und Nebenwirkungen
Nebenwirkung der Therapie mit 131I kann eine Sialadenitis sein (bedingt durch die Aufnahme von 131I in die Speicheldrüsen), was aber bei der Therapie von gutartigen Schilddrüsenerkrankungen selten ist und üblicherweise auch keine bleibenden Schäden hervorruft. Durch Lutschen saurer Bonbons oder Einträufeln von Zitronensaft in den Mund zur Förderung der Speichelproduktion und damit zur schnelleren Ausscheidung des 131I lässt sich diese Komplikation gut verhindern. Eher relevant ist die Möglichkeit einer posttherapeutischen Hyperthyreose, die durch den therapiebedingten Zerfall von Follikeln mit konsekutiver Freisetzung gespeicherten Schilddrüsenhormons hervorgerufen wird. Bei optimaler Vorbereitung auf die Radiojodtherapie (7 oben) ist diese Komplikation selten. Eine Therapie mit Thyreostatika kann versucht werden um die endogene Schilddrüsenhormonproduktion zu senken, die Freisetzung von Schilddrüsenhormonen durch den Follikelzerfall ist jedoch nicht zu verhindern. Gegebenenfalls kann man symptomatisch therapieren, falls dies erforderlich wird. Bei Gabe von ß-Blockern sollten keine kardioselektiven ß-Blocker verwendet werden, da nur so zusätzlich eine Hemmung der peripheren Konversion von T4 zu T3 erfolgt. Bei Auftreten einer strahlungsinduzierten Thyreoiditis kommt es neben sehr seltenen aber grundsätzlich möglichen mechanischen Komplikationen zu einer Schmerzsymptomatik und Druckgefühl. Dies kann sehr effektiv durch nichtsteroidale Antiphlogisitka behandelt werden, auch Eiskrawatten können eine Linderung der Symptome bewirken. Sollten trotzdem mechanische Komplikationen auftreten, so sind diese durch Steroide beherrschbar. Eine therapiebedürftige Trachealkompression ist bei korrekter Indikationsstellung eine absolute Rarität (Becker 1990; Bell u. Grünwald 2000). Wenn bei selektiver Zerstörung der autonomen Anteile der Schilddrüse möglicherweise nicht genügend funktionelles Schilddrüsengewebe erhalten bleibt, so bedingt dies eine substitutionspflichtige Hypothyreose. Die Alternative könnte sein, dass autonomes Gewebe übrig gelassen werden müsste, um eine ausreichende Schilddrüsenfunktion sicher zu stellen. Ob man die posttherapeutische Hypothyreose also tatsächlich in jedem Falle als eine Nebenwirkung der Radiojodtherapie ansehen sollte, erscheint unter diesem Aspekt fraglich. Eine unerwünschte Nebenwirkung der Therapie ist sie genaugenommen nur, wenn es zu einer vermeidbaren Zerstörung gesunden Schilddrüsengewebes gekommen ist. Unabhängig davon ist eine posttherapeutische Hypothyreose problemlos und ohne Nebenwirkungen durch Schilddrüsenhormonsubstitution (L-Thyroxin) behandelbar. Die Gabe von Trijodthyroninpräparaten ist dabei allerdings schon lange obsolet. Die bei der Operation auftretenden Komplikationen (Rekurrensparese, Hypoparathyreoidismus, Nachblutungen, Infektionen) treten bei der Radiojodtherapie naturgemäß nicht auf. Radiojodtherapie und Reproduktion
Die Strahlenbelastung des Reproduktionssystems, hier insbesondere der Gonaden, ist durch die Ausscheidung des 131I über den
86
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Die Radiojodtherapie wird als erfolgreich angesehen, wenn es posttherapeutisch (bei Autonomien nach 6 Monaten) zu einer Normalisierung des TSH-Wertes kommt, das zuvor szintigraphisch supprimierte Gewebe wieder Aktivitätsaufnahme zeigt bei gleichzeitigem Verschwinden der zuvor heißen Knoten, der TcTUs unter 1–1,4% liegt oder eine latente oder manifeste Hypothyreose aufgetreten ist. Weiterhin sollte eine Normalisierung der peripheren Hormonparameter vorliegen (. Abb. 2.33). Im
Zweifel sollte insbesondere bei disseminierten Autonomien, bei denen sich die prä- und posttherapeutischen Szintigramme ggf. nur durch die Höhe des TcTU unterscheiden, ein Suppressionsszintigramm durchgeführt werden, um zu zeigen, dass der TcTUs unter der oben angegebenen Grenze liegt. Dies tritt bei fokalen Autonomien bei rund 95% der Patienten ein (Herdosis 300– 400 Gy auf das autonome Volumen, Bell u. Grünwald 2000), während dies bei disseminierten Autonomien in etwa 85% eintritt (Herddosis 150 Gy auf die gesamte Schilddrüse). Das schlechtere Ergebnis bei den disseminierten Autonomien ist dabei auf die größere Unsicherheit bei der Bestimmung des autonomen Volumens zurückzuführen. Weiterhin liegen die autonomen Zellen wesentlich stärker verteilt vor, was dazu führt, dass der sog. »Cross-fire«-Effekt nicht in gleichem Maße zur Geltung kommt wie in autonomen Knoten. Der »Cross-fire«-Effekt beschreibt das Phänomen, dass Thyreozyten nicht nur durch eingespeichertes 131 I geschädigt werden, sondern auch durch das in benachbart liegenden Zellen eingelagerte 131I. Damit lässt sich ein autonomer Knoten effektiver therapieren, weiterhin ist die Schonung nichtautonomen Gewebes bei fokalen Autonomien besser gegeben. Erhöht man die Zieldosis bei der Therapie disseminierter Autonomien, so resultiert das zwar in einem höheren Therapieerfolg, jedoch nimmt die Rate an Hypothyreosen deutlich zu. Weiterhin ist bekannt, dass auch bei erheblicher Steigerung der Zieldosis der Therapieerfolg nicht in gleichem Maße steigt und einige Patienten nicht einzeitig erfolgreich therapiert werden können.
. Abb. 2.33. 52-jährige Patientin, klinisch euthyreot mit echonormalem Knoten, szintigraphisch »heiß«, kardiale Rhythmusstörungen. Ausschal-
tung der unifokalen Autonomie durch die Radiojodtherapie, Verkleinerung der gesamten Schilddrüse um 35% und des Knotens um 80%
Harn bedingt. Die Strahlenbelastung der männlichen Gonaden ist durch die größere Distanz zur Blase geringer als die Strahlenexposition der Ovarien. Diese liegt aber in einem Bereich, der durch Röntgenuntersuchungen der Beckenregion (Beckenübersicht, Kolonkontrasteinlauf, CT etc.) ebenfalls erreicht oder sogar überschritten wird. Die Wahrscheinlichkeit einer DNAVeränderung als stochastische Strahlenwirkung ist rechnerisch sehr gering und eigentlich nur bei hochdosierter Therapie maligner Erkrankungen relevant (Bell u. Grünwald 2000). Bisher konnte in rund 50 Jahren, in denen es die Radiojodtherapie gibt, keine erhöhte Inzidenz von Missbildungen bei den Kindern von Patientinnen nach Radiojodtherapie gefunden werden (Reiners 1993). Somit ist die Radiojodtherapie im Gegensatz zu früher vertretenen Meinungen auch bei Patienten im reproduktionsfähigen Alter, die ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen haben, bedenkenlos auch bei Frauen einsetzbar. Ergebnisse und Nachkontrollen
87 2.7 · Hyperthyreose
Literatur Becker W, Hohenberger N, Wolf F (1990) Nebenwirkungen und Risiken bei der Radiojodtherapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen. Nuklearmediziner 13:273–280 Bell E, Grünwald F (2000) Radiojodtherapie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Bogner L, Czempiel H (1993) Näherungsfehler bei der physikalischen Planung der Radiojodtherapie der Schilddrüse. Nuklearmedizin 32:236–246 Gotthardt M, Nowack M, Béhé MP, Schipper ML, Schlieck A, Höffken H, Behr TM (2003) Negative correlation between therapeutic success in radioiodine therapy and TcTUs: are TcTUs-adapted dose concepts the only possible answer? Eur J Nucl Med Mol Imag 30:1165–1168 Gotthardt M, Stübinger M, Pansegrau J, Buchwald B, Goecke J, Pfestroff A, Corstens FH, BehrTM (2006a) Decrease of 99mTc uptake in autonomous thyroid tissue in Germany since the 1970s. Clinical implications for radioiodine therapy. Nuklearmedizin 45:122–125 Gotthardt M, Rubner C, Bauhofer A, Berce F, Oyen WJG, Goecke J, Pfestroff A, Schlieck A, Corstens FH, Béhé M, Behr TM (2006b) What is the best pretherapeutic dosimetry for successful radioiodine therapy of multifocal autonomy? Nuklearmedizin (im Druck) Huysmans DA, Hermus AR, Corstens FH, Barentz JO, Kloppenburg PWC (1994) Large, compressive goitres treated with rdioiodine. Ann Int Med Clin 121:757–762 Mann K (1998) Evaluation of risk in autonomously funtioning thyroid nodules. Exp Clin Endocrinol Diabetes 106 (suppl 4):23–26 Meller J, Wisheu S, Munzel U, Béhé M, Gratz S, Becker W (2000) Radioiodine therapy for Plummer´s disease based on the thyroid uptake of technetium-99m-pertechnetate. Eur J Nucl Med 27:1286–1291 Reiners C (1993) Radiojodtherapie – Indikation, Durchführung und Risiken. Dtsch Ärztebl 90:2217–2221 Sandrock D, Olbricht T, Emrich D, Benker G, Reinwein D (1993) Long-term follow-up in patients with autonomous thyroid adenoma. Acta Endocrinol (Copenh) 128:51 Sawin CT, Geller A, Wolf PA, Belanger AJ, Baker E, Bacharach P, Wilson PW (1994) Low serum thyrotropin concentrations as a risk factor for atrial fibrillation. N Engl J Med 331:1249–1252 Schaller U, Hölzel D, Kirsch C, Engelhardt D (1991) Spontanverlauf von kompensierten autonomen Adenomen. Klein Wochenschr 69:78792 Schober O, Lerch H (1992) Radiojodtherapie der diffusen Jodmangelstruma. In: Röher HD, Weinheimer B (Hrsg): Schilddrüse 1991. de Gruyter, Berlin New York, S 110–116
2.7.1.3 Operative Therapie
A. Zielke ) ) Ähnlich wie bei der euthyreoten Knotenstruma bestimmt die molekulare Pathogenese autonomer Adenome das therapeutische Konzept. Prinzipiell besteht bei jeder funktionellen Autonomie mit manifester Hyperthyreose die Indikation zur ablativen Behandlung. Die Empfehlung zur Operation bzw. zu einer Radiojodtherapie wird durch eine umfassende Bewertung des Ausmaßes der Schilddrüsenerkrankung bestimmt. Die Prinzipien der präoperativen Diagnostik und Behandlungsplanung sowie die Grundzüge der operativen Therapie werden im Folgenden vorgestellt.
2.7.1.3.1 Molekulare Pathogenese autonomer Adenome und Therapieprinzipien Die molekulare Pathogenese autonomer Adenome gleicht der Entstehung anderer benigner Tumoren. So haben molekulare
2
Analysen belegt, dass nahezu alle Schilddrüsenadenome klonale Ereignisse sind und aus einer genetisch veränderten Zelle hervorgehen (Namba et al. 1990). Grundsätzlich sind die zu klonalem Wachstum fähigen Schilddrüsenzellen und Follikelverbände disseminiert in der Drüse verteilt. Zwar sind die Ursachen, die den Wachstumsstimulus und -vorteil für diese Zellen bewirken, noch weitgehend unbekannt, jedoch finden sich z. B. bei der Untergruppe der autonomen Adenome somatische Punktmutationen des TSH-Rezeptors oder von Untereinheiten von in der Signaltransduktion des TSH involvierten G-Proteinen, die für die Entstehung der Knoten und der Überfunktion verantwortlich sind (Studer u. Derwahl 1995; Krohn et al. 2005). Dies trifft sowohl für Endemiegebiete wie auch für Nichtendemiegebiete zu. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass die Entwicklung der benignen Tumoren im Jodmangel schneller abläuft, was die Zeit bis zur klinischen Manifestation verkürzt. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die Mehrzahl der Autonomien in Deutschland in multinodösen Strumen entsteht. Bis auf die seltenen Fälle einer »Spontanremission« durch zystischen Zerfall eines solitären autonomen Adenoms verläuft die Erkrankung regelhaft chronisch-progredient bis zur klinisch manifesten Hyperthyreose. Eine akzidentelle Jodkontamination ist hier besonders bedrohlich. Die Therapie fußt auf 3 Standardverfahren: 4 Einsatz von Thyreostatika 4 Operation 4 Radiojodtherapie Die Therapie mit Thyreostatika wird als Initialtherapie bis zum Erreichen der Euthyreose durchgeführt. Wegen des in Deutschland bestehenden Jodmangels ist nach den Erfahrungen jüngerer Multizenterstudien die Hyperthyreose schon mit geringen Dosen von Thiamazol (um 10 mg/Tag) oder Carbimazol (um 15 mg/Tag) zu beherrschen. Wenn bei gutem Allgemeinzustand die Stoffwechsellage nicht besonders rasch normalisiert werden muss, sind Dosen von 10–20 mg/Tag Thiamazol über 3 Wochen ausreichend (Reinwein et al. 1993). Bei Jodkontamination oder vorbestehender exogener Jodsupplementation können die Dosen allerdings deutlich höher liegen (40 mg und mehr). Bei jeder funktionellen Autonomie mit manifester Hyperthyreose besteht prinzipiell die Indikation zur definitiven Behandlung durch entweder Operation oder Radiojodtherapie. Der Vorteil der operativen Behandlung liegt in einer raschen und zuverlässig erreichten funktionellen und morphologischen Sanierung. Sie ist damit grundsätzlich indiziert, wenn nicht der klinische Zustand oder der Wunsch des aufgeklärten Patienten dagegen sprechen. Dies gilt auch für autonome Adenome ohne manifeste Hyperthyreose, wenn sie größer als 3 cm im Durchmesser sind bei Patienten ab der 5. Dekade. Hier beträgt das Risiko, dass sich mittelfristig eine Hyperthyreose entwickelt, nahezu 50% (Hamburger 1980). Lediglich kleinere solitäre, kompensierte autonome Adenome ohne Hyperthyreosezeichen können beim jungen Menschen unter Jodrestriktion beobachtet werden, jedoch erfordert dies regelmäßige klinische, laborchemische und sonographische Kontrollen. Auch bei Patienten mit einem kumulativen Risiko wiederholter Jodexposition durch fortgesetzte Diagnostik mit jodhaltigen Kontrastmitteln (Gefäßpatienten, Tumorpatienten in Diagnostik und Therapie) ergibt sich bereits ohne die klinischen Zeichen der Hyperthyreose eine definitive Behandlungsindikation.
88
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Die Radiojodtherapie besticht durch ihr nahezu fehlendes Risiko. Die Nachteile der Radiojodtherapie sind ein langsamer Wirkungseintritt von bis zu 3 Monaten, die fehlende Möglichkeit zur gleichzeitigen Sanierung konkomitanter Schilddrüsenpathologie und die mangelnde Volumenreduktion, die allenfalls in einer Größenordnung von ca. 30% erwartet werden kann (Müller-Gärtner et al. 1989; Röher et al. 1991). Demnach wird immer dann die operative Therapie zu bevorzugen sein, wenn 3 Forderungen zu erfüllen sind: 4 Schneller und definitiver Heilungseintritt 4 Evaluierung und Sanierung begleitender Schilddrüsenpathologika 4 Effektive Volumenreduktion zur Therapie lokaler Beschwerden Nach gängiger Meinung ist bei der disseminierten Autonomie in einer nicht knotig veränderten kleinen Drüse mit gutem JodUptake dagegen die Radiojodtherapie die bevorzugte Behandlungsalternative (Reinwein et al. 1993). 2.7.1.3.2 Operationsindikation Bei der Prüfung der Operationsindikation gelten die folgenden Grundregeln: Je größer die Drüse, je schlechter die Jodaufnahme, je ausgeprägter die Hyperthyreose, je schneller Euthyreose dauerhaft erreicht werden soll und je jünger der Patient, um so eher ist eine operative Behandlung zu befürworten. Eindeutige Indikationen zur operativen Therapie stellen deshalb große Strumen dar sowie kleinere Strumen mit schlechtem Joduptake oder mit persistierenden Symptomen unter medikamentöser Therapie. Bei der Struma WHO III ist die Operationsindikation stets gegeben, eine Radiojodbehandlung ist nur bei erheblichen allgemeinen Operationsrisiken akzeptabel. In der Mehrzahl der Fälle entsteht die Schilddrüsenautonomie in einer Knotenstruma mit weiteren, u. U. funktionsgeminderten Knoten. Nur durch die Operation ist es möglich, alle koinzidentelle Knoten durch Resektion definitiv mitzubehandeln. So wird der zusätzliche funktionell hypo- oder inaktive wie auch der suspekte Knoten in der Regel die Indikation zur Operation bestärken. Gleiches gilt für die noduläre Autonomie bei Kindern, bei jungen Frauen mit Kinderwunsch sowie bei schwangeren Frauen und Frauen während der Laktation, wenn eine medikamentöse Therapie nicht erfolgreich oder nicht (mehr) gewünscht ist. Wie bereits oben ausgeführt, stellen autonome Adenome mit einem Durchmesser von mehr als 3 cm auch unabhängig von der peripheren Funktion eine Operationsindikation dar. Wegweisend ist in jedem Fall, ob der informierte Patient eine Radiojodtherapie befürwortet oder ablehnt. Bei jodinduzierten Thyreotoxikosen und thyreotoxischen Krisen, die trotz intensiver konservativer Therapie nicht beherrschbar sind, oder bei schweren Nebenwirkungen einer thyreostatischen Therapie kann in begründeten Ausnahmefällen eine operative Behandlung auch im klinisch hyperthyreoten Zustand erforderlich werden (7 unten). 2.7.1.3.3 Medikamentöse Vorbehandlung Besteht nach Klinik und Laborchemie keine Euthyreose, muss sie vor der Operation medikamentös herbeigeführt werden. Die einzige Ausnahme bilden Patienten mit einer durch konservative Massnahmen nicht beherrschbaren thyreotoxischen Krise. In diesen seltenen Fällen wird die Indikationsstellung interdisziplinär erfolgen, wie auch die unter intensivmedizinischen Bedin-
gungen durchgeführte perioperative Behandlung eine interdisziplinäre ist (Hintze 1992; Reichmann et al. 2001). Art und Dauer der medikamentösen Vorbehandlung richten sich nach der Ausprägung der Hyperthyreose, nach dem Allgemeinzustand des Patienten und nach der verfügbaren Zeit. Prinzipiell werden Thyreostatika, Inhibitoren der Jodaufnahme, Betablocker sowie die Lugol-Lösung eingesetzt. Thyreostatika. Thiamazol wird aktiv von der Schilddrüse auf-
genommen und hemmt die Synthese der Schilddrüsenhormone. Mit steigender Jodverarmung nimmt die thyreoidale Aufnahme von Thiamazol zwar ab, gleichzeitig steigt aber seine Wirksamkeit (Initialdosis z. B. 10–40 mg/Tag, Erhaltung z. B. 2,5–10 mg/ Tag). Carbimazol wird in vivo in Thiamazol konvertiert, muss jedoch um den Faktor 1,6 höher dosiert werden. Typische, leichte Nebenwirkungen wie gastrointestinale Allgemeinsymptome und Exantheme finden sich je nach Dosis bei 2–5% der Patienten. Eine Thrombo-, Granulo- oder Panzytopenie wird in weniger als 0,5% der Fälle gesehen, tritt jedoch unvorhersehbar auf, allerdings meist innerhalb der ersten 2 Wochen nach Therapiebeginn. Thiouracil wird bei allergischen oder toxischen Nebenwirkungen unter Thiamazol angewendet. Die dem Thiamazol äquipotente Dosis liegt um den Faktor 5 höher. Thiouracil hemmt zwar zusätzlich die periphere Konversion des Levothyroxins ist jedoch in der Initialtherapie der Krise den vorgenannten unterlegen (z. B. Methylthiouracil 25–150 mg/Tag als Initialdosis, Erhaltung z. B. 10–50 mg/Tag). Allen Thyreostatika ist gemein, dass sie erst nach 2–3 Tagen klinische Effekte zeigen, wenn die Hormonvorräte der Schilddrüse aufgebraucht sind. Inhibitoren der Jodaufnahme. Perchlorat hemmt die Jodauf-
nahme in die Schilddrüse und kann damit prophylaktisch vor einer geplanten Jodkontamination (Kontrastmittelapplikationen) eingesetzt werden (z. B. Irenat-Tropfen, 1 ml=300 mg Natriumperchlorat, 3-mal 25 Tropfen/Tag). Ob Irenat nach erfolgter Jodkontamination noch sinnvoll ist, ist fraglich, da Perchlorat kompetitiv um die thyreoidale Aufnahme mit einem sehr viel größeren Jodangebot konkurriert. Perchlorat ist als perioperatives Therapeutikum bei der Hyperthyreose nicht indiziert. Betarezeptorenblocker. Durch β-Rezeptorenblocker (z. B. Propanolol 3-mal 20–40 mg für 3–6 Tage vor der Operation) wird die sympathische Aktivität gedämpft und die periphere Konversion des T4 zu T3 vermindert. Bei einer milden Hyperthyreose kann dies die alleinige vorbereitende Therapie sein. Sie führt neben den negativ bathmotropen, chonotropen und inotropen Effekten am Herzen zu einer Verminderung der Angst und der psychomotorischen Unruhe. Wegen der langen biologischen Halbwertszeit der Schilddrüsenhormone ist es sinnvoll, diese nach der Resektion bei Hyperthyreose noch für eine Woche fortzuführen und erst dann über 3–5 Tage auszuschleichen. Lugol-Lösung. Die Verwendung von Lugol-Lösung zur präoperativen Vorbereitung von Patienten mit einer Schilddrüsenüberfunktion wurde mit dramatischem Erfolg im Jahre 1923 erstmalig an einer Serie von 600 Patienten von Plummer u. Boothby an der Mayo-Klinik publiziert (Plummer u. Boothby 1923). Sie ist heute gelegentlich bei der Immunthyreopathie vom Typ M. Basedow indiziert, wenn Thyreostatika aufgrund von Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden können.
89 2.7 · Hyperthyreose
2.7.1.3.4 Präoperative Maßnahmen und Diagnostik Neben der Überprüfung allgemeiner Operationsrisiken durch die eingehende klinische Untersuchung des Patienten muss eine euthyreote Stoffwechsellage belegt werden. Anders als bei der euthyreoten Knotenstruma, bei der, wenn eine Operation geplant ist, nie Raum für eine Szintigraphie ist, kann diese Untersuchung bei einer funktionellen Autonomie u. U. sinnvoll sein. Sofern nicht ohnehin eine totale Thyreoidektomie geplant ist, sollte sie eingefordert werden, um die Autonomie als einen uni- oder multinodösen bzw. diffusen (disseminiert) Typ zu klassifizieren. Ebenso muss eine regionale Sonographie des Halses empfohlen werden. Die präoperative Prüfung der Stimmbandfunktion ist obligat. 2.7.1.3.5 Planung und Vorbereitung Die spezifische Aufgabe der präoperativen Diagnostik bei der funktionellen Autonomie besteht darin, sie von der zweithäufigsten Form der Hyperthyreose, der Immunthyreopathie vom Typ des M. Basedow, abzugrenzen. Dies wird durch eine zusammenfassende Beurteilung der Befunde aus Anamnese, klinischer und sonographischer Untersuchung, Antikörpertiter und ggf. der Szintigraphie erreicht. Für die Planung und Vorbereitung der Operation bei der funktionellen Autonomie gilt, was bereits für die euthyreote Knotenstruma erläutert wurde (7 Kap. 2.6.3). 2.7.1.3.6 Patientenaufklärung Über die alternativen Behandlungsmöglichkeiten haben vorausgegangene Abschnitte informiert. Die operationsspezifischen Risiken schließen die Schädigung des N. laryngeus inferior, die selten apparenten Schädigungen des R. externus N. laryngeus superior sowie Schädigungen der Nebenschilddrüsen ein. Diese Komplikationen wurden in 7 Kap. 2.6.3 erläutert. Außerordentlich selten ist die thyreotoxische Krise, die sehr selten postoperativ auftritt, dann aber häufiger nach Operationen wegen einer Hyperthyreose. Die Patientenaufklärung macht die intraoperative Operationsausweitung zur totalen Thyreoidektomie bei völlig von Knoten durchsetzter Schilddrüse bzw. die (Rest-)Thyreoidektomie bei Malignitätsnachweis zum Gegenstand. Hingewiesen werden sollte auch auf die Notwendigkeit einer lebenslangen Hormonsubstitution bei postoperativer Hypothyreose sowie auf die Notwendigkeit einer konsequenten postoperativen medikamentösen Prophylaxe sofern keine Thyreoidektomie vorgenommen wurde. 2.7.1.3.7 Operationsziel Maßgebliches Operationsziel ist die Kontrolle der Hyperthyreose durch die vollständige Resektion des funktionell autonomen Gewebes. Dabei folgt die Operation dem gleichen Prinzip wie bei der euthyreoten Knotenstruma: Es darf kein pathologisches Gewebe zurückbelassen werden. Die Resektion muss alle krankhaften Areale sicher erfassen, d. h. alle durch klinische Untersuchung, Sonographie, Szintigraphie sowie intraoperative Wertung erkannten Knoten und hyperfunktionellen Areale. Häufig, insbesondere bei den diffusen Autonomien, bedeutet dies eine totale Thyreoidektomie. 2.7.1.3.8 Verfahrenswahl Entsprechend der hier formulierten Maxime chirurgischen Handelns lassen sich die bei der funktionellen Autonomie angewandten Resektionsverfahren prinzipiell in unilaterale und bilaterale unterteilen. Klassische Indikation für ein unilaterales
2
Vorgehen ist der solitäre Schilddrüsenknoten ohne Malignitätsverdacht vom Typ des autonomen Adenoms. Hier ist die Resektion unter Mitnahme eines gehörigen Saums normalen Schilddrüsengewebes eine akzeptable Methode. Dies kann, je nach Lokalisation und anatomischen Nachbarschaftsbeziehungen des Adenoms eine Polresektion, eine subtotale Lobektomie oder auch eine Hemithyreoidektomie bedeuten. Nur die Resektion eines gehörigen Saums nicht erkranken Gewebes um den Knoten herum erlaubt eine gute histologische Beurteilung. Eine Enukleation ist obsolet! Je nach der topographischen Beziehung der Knoten zu der hinteren Schilddrüsenkapsel muss z. B. bei einem den Lappen vollständig einnehmenden Knoten primär die Hemithyreoidektomie auf der betroffenen Seite erwogen werden. Findet sich ein »suspekter« Knoten in einer bilateral knotig umgebauten Schilddrüse, so ist auf der betroffenen Seite immer eine Hemithyreoidektomie mit kontralateral dann knotenorientierter, ggf. subtotaler Thyreoidektomie durchzuführen. Im Falle einer multifokalen, nodulären Autonomie muss die Resektion alle krankhaften Areale sicher erfassen. Auch hier wird in den Leitlinien eine am Befund orientierte Resektionsart gefordert. Im häufigeren Fall wird jedoch der ubiquitäre Knotenbefall die Thyreoidektomie erforderlich machen (Bay 1980; Röher et al. 1991). Die Festlegung des Resektionsausmaßes bei der diffusen, nichtnodulären Autonomie (diffuse Autonomie, Immunthyreopathie Typ M. Basedow) ist kontrovers. Während im deutschen Sprachraum derzeit überwiegend die HartleyDunhill-Operation empfohlen wird, bevorzugen die Autoren in diesen Fällen die totale Thyreoidektomie. 2.7.1.3.9 Lagerung, Zugang, Operationsschritte und perioperative Behandlung Sie unterscheiden sich nicht von den in 7 Kap. 2.6.3 besprochenen Vorgehensweisen. 2.7.1.3.10 Komplikationen Die Komplikationsrate liegt bei Patienten mit einer Hyperthyreose tendenziell etwas höher als bei der euthyreoten Knotenstruma. Eine adäquate präoperative Behandlung vorausgesetzt, sollte die Morbidität für primäre Schilddrüseneingriffe bei der funktionellen Autonomie kumulativ höchstens 5% betragen. Die operationstypischen Komplikationen wurden in 7 Kap. 2.6.3 ausführlich besprochen. Lediglich eine bei Operationen wegen einer Hyperthyreose sehr selten vorkommende Komplikation soll hier ergänzt werden: die thyreotoxische Krise. Sie ist eine das Leben bedrohende Dekompensation des Organismus gegenüber der Wirkung erhöhter Konzentrationen von Schilddrüsenhormonen. Eine thyreotoxische Krise wird heute viel häufiger im Zusammenhang mit Medikamenteneinnahmen oder der Applikation von jodhaltigen Kontrastmitteln, denn nach Operationen an der Schilddrüse gesehen. Der Anteil der Fälle bei denen sich eine Jodexposition nachweisen lässt schwankt zwischen 40 und 70% (Lederbogen u. Reinwein 1992; Meurisse et al. 2000; Reichmann et al. 2001). Ob als Ursache des Hormonexzess eine Jodexposition vorgelegen hat, kann durch die Bestimmung der Jodaufnahme in die Schilddrüse (Uptake nahezu immer <1%/24 h, außer bei der Amiodaron-induzierten Thyreotoxikose Typ I) oder eine Jodbestimmung im Urin differenziert werden.
90
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.9. Ursachen einer thyreotoxischen Krise
2
Inzidenz
Ursache
Lithium
0,7%
Unklar, kompetitiver Mechanismus, Autoimmunisierung?
Humanes rekombinantes Interleukin-2
3,5%
Aktivierung von T-Lymphozyten, insbesondere in Kombination mit IFN-γ
Humanes rekombinantes IFNα
8,5%
Destruktive Thyreoiditis (Antikörpertiter!), insbesondere in Kombination mit IL-2
Medikamentea
Zytozide Wirkung auf Thyreozyten; Jodkontamination (7 unten)
Amiodaron b
Trauma
Sicherheitsgurte
?
Folgen des direkten Traumas mit Ruptur follikulären Gewebes und Freisetzung
Operationen
0,1–0,01%
Besonders bei Operationen wegen Autonomie, nie bei totaler Thyreoidektomie
FNAC
?
Kasuistisch, z. T. vergesellschaftet mit Einblutungen in Zysten und Knoten
Manipulationen
?
Unklar, Freisetzung aus zerstörten Follikelzellen wahrscheinlich
131
1–5%
Freisetzung aus zerstörten Follikelzellen, sekundäre Immunisierung (TRAb) vom Typ M. Basedow
Externe Bestrahlung
?
Subakute Thyreoiditis, sekundäre Immunisierung vom Typ M. Basedow
Artifiziell (Thyreotoxicosis factitia)d
?
Erhöhte Zufuhr, in der Regel durch Betroffene selbst
Organisch
?
Kontrastmittel, Amiodaron, Benzodiaron
Anorganisch
?
Erhöhte Zufuhr, in der Regel durch Betroffene selbst (Jodsalz, Tang, Jodtabletten, Hustenlöser, Desinfektionsmittel und -Gazen (Jodoform, PolyvidonJod)
Strahlungc Jod
Jodkontamination
a
in der Regel sehr spezifische klinische Merkmale und Zeitpunkte im Therapieverlauf (siehe spezielle Literatur) in der Regel weniger schwerwiegende Zeichen der Überfunktion c auch nach Monaten nach der externen Bestrahlung noch möglich (sek. Immunisierung), gelegentlich dann sehr schwere Verläufe d in der Regel eindeutige Laborchemie: Urinjod n, T4 n, TSH p p p, TG p p (!), TG wird bei allen anderen Ursachen einer TK erhöht gefunden b
Ursachen des Horomonexzess. Nahezu immer ist die Freisetzung des Hormons Folge der Zerstörung von Schilddrüsengewebe bzw. der Schilddrüsenfollikel mit vermehrter Freisetzung von Schilddrüsenhormon. Die Gründe dafür können Autoimmunprozesse, zellulärer Schaden, Verletzungen und Operationen sowie Strahlung sein. In zweiter Linie wird eine vermehrte de novo Produktion für den Hormonexzess verantwortlich sein. Dies ist häufiger die Folge von Medikamentennebenwirkungen. Typische medikamentenassoziierte Thyreotoxikosen werden nach Lithium, Amiodaron, IFN und Interleukin-2 gesehen (. Tab. 2.9). Sofern die Thyreotoxikose postoperativ auftritt, wird sie nach Operationen wegen jodinduzierter Hyperthyreose oder nicht immunogener Hyperthyreose und seltener im Rahmen der ausgedehnten Operation wegen einer Immunthyreopathie vom Typ des M. Basedow gesehen. Prophylaxe. Die entscheidenden Schritte zur Vermeidung einer
thyreotoxischen Krise sind: 4 Besondere Wachsamkeit vor einer Jodexposition, insbesondere bei der Altershyperthyreose und bei subklinischen Hyperthyreosen sowie Autonomien
4 Konsequente präoperative Behandlung hyperthyreoter Patienten mit Thyreostatika, ggf. Betablockade, Steroide u. a. bis zum Erreichen einer Euthyreose 4 Resektion sämtlichen autonomen Gewebes bei der Hyperthyreose einschließlich der Immunthyreopathie, d. h. die Durchführung einer Thyreoidektomie Diagnostik. Die Diagnose einer thyreotoxischen Krise wird
klinisch gestellt. Durch aufwendige und nicht ergiebige Diagnostik darf keine Zeit verloren werden. Es sind Diagnose-Scores für die klinisch nicht eindeutigen Fälle beschrieben worden, deren Wertigkeit allerdings bislang ungeprüft ist (Burch u. Wartofsky 1993). Als Initialsymptome gelten allgemeine psychomotorische Auffälligkeiten wie Nervosität, Neurasthenie, Angstzustände, Inappetenz, Erbrechen, seltener Durchfälle. Die Steigerung der Symptome führt über Bewusstseinsstörungen bis zum thyreotoxischen Koma. Die thyreotoxische Krise ist mit etwa 100 Fällen/Jahr in Deutschland selten, verläuft jedoch außerordentlich schwer mit einer Letalität die über alle Schweregrade gerechnet, selten unter 15% angegeben wird. Es werden traditionell 3 Schweregrade unterschieden, die in der folgenden 7 Übersicht
91 2.7 · Hyperthyreose
aufgeführt sind. Etwa 50% der betroffenen Patienten befinden sich in Stadium 2 oder 3 (Lederbogen u. Reinwein 1992; Frilling et al. 1990; Hintze 1992). Die thyreotoxische Krise ist in Stadium 3 mit einer Letalität von bis zu 30% behaftet. Schweregrade der thyreotoxischen Krise 5 Schweregrad 1: Psychomotorische Unruhe, Agitation, Exsikkose, Diarrhöe, Dehydratation, Hyperthermie (38–40°C), Tachykardie (>150 BPM), oft Herzinsuffizienz 5 Schweregrad 2: Adynamie, Desorientiertheit, psychotische Zeichen, Somnolenz 5 Schweregrad 3: Stupor, Koma, Nebenniereninsuffizienz, Kreislaufversagen
Therapie. Die konservativen Behandlungsprinzipien der thyreotoxischen Krise schließen ein: 4 Sedierung der Patienten (nicht Stadium 3) mit Barbituraten (z. B. Luminal i.v.) 4 Betarezeptorenblocker (z. B. Propanolol 40 mg i.v., bis 120– 160 mg/Tag) 4 Thyreostatika (z. B. Thiamazol 40 mg i.v., bis 160–240 mg/ Tag) 4 Kortikosteroide (z. B. Prednisolon 100 mg i.v., bis 250 mg/ Tag, zur Hemmung der peripheren Konversion) 4 Bei vorausgegangener Jodexposition z. B. 1–1,5 g Lithiumchlorid zur Hemmung der proteolytischen Schilddrüsenhormonfreisetzung, 4 Bei sicher nicht jodinduzierter Krise z. B. 400–600 mg Jod/ Tag (z. B. Lugol-Lösung, 3-mal 30 Tropfen zur Verminderung der Hormonfreisetzung)
2
Krohn K, Führer D, Bayer Y, Eszlinger M, Brauer V, Neumann S, Paschke R (2005) Molecular pathogenesis of euthoyroid and toxic multinodular goiter. Endocrine Rev 26:504–524 Lederbogen S, Reinwein D (1992) Epidemiologische Daten zur thyreotoxischen Krise. Akt Endokr Stoffw 13:82–84 Meurisse M, Gollogly L, Degauque C, Fumal I, Defechereux T, Hamoir E (2000) Iatrogenic thyreotoxicosis: causal circumstances, pathophysiology and principles of treatment:review of the literature. World J Surg 24:1377–1385 Müller-Gärtner HW, Scheider C, Riechert B, Kayser D, Kremer B (1989) Langzeitergebnisse nach Operation oder Radiojodtherapie des solitären autonomen Adenoms der Schilddrüse. Chirurg 60:33–35 Namba H, Matsudo K, Fagin JA (1990) Clonal composition of benign and malignant thyroid tumors. J Clin Invest 86:120–125 Plummer HS, Boothby WM (1923) Value of iodine in exophtalmic goiter. Collected papers Mayo Clin 15:565–567 Reichmann I, Frilling A, Hörmann R, Krause U, Broelsch CE (2001) Frühoperation als Behandlungsmassnahme der thyreotoxischen Krise. Chirurg 72:402–407 Reinwein D, Benker G, Alexander WD, Lazarus JH (1993) and the european multicenter study group of antithyroid drugs in the management of Graves‘ hyperthyroidism. J Clin Endocrinol Metab 76:1516–1522 Röher HD, Goretzki P (1987) Management of goiter and thyroid nodules in an area of endemic goiter. Surg Clin North Am 67:233–236 Röher HD, Hiorster FA, Frilling A, Goretzki P (1991) Morphologie und funktionsgerechte Chirurgie verschiedener Hyperthyreoseformen. Chirurg 62:176–181 Studer H, Derwahl M (1995) Mechanisms of nonneoplastic endocrine hyperplasia – a changing concept: a review focused on the thyroid gland. Endocr Rev 16:411–426
2.7.1.4 Prophylaxe und Therapie des Rezidivs
A. Zielke ) )
Allgemeine Maßnahmen beinhalten die Senkung der Temperatur, den Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich, eine hochkalorische, ggf. parenterale Ernährung (bis 6–8000 kcal/Tag) und bei Therapieresistenz evtl. die Plasmapherese zur Elimination der peripheren Hormone. Cave Wenn bei der thyreotoxischen Krise nicht binnen 24–48 h ein Ansprechen auf die eingeleitete Therapie erkennbar wird, ist eine notfallmäßige Thyreoidekomie indiziert (Lederbogen u. Reinwein 1992; Frilling et al. 1990; Hintze 1992; Meurisse et al. 2000).
Literatur Bay V (1980) Operationsindikation, präoperative Vorbereitung. Operation und Nachbehandlung des Morbus Basedow und anderer Hyperthyreoseformen. Chirurg 51:619–624 Burch HB, Wartofsky L (1993) Life-threatening thyreotoxicosis. Thyroid storm. Endocrinol Metab North Am 22:263–268 Frilling A, Goretzki P, Horster A, Gussendorf M, Röher HD (1990) Subtotale Thyroidektomie als Therapiekonzept der thyreotoxischen Krise. Dtsch Med Wochenschr 115:735–739 Hamburger JI (1980) Evolution of toxicity in solitary nontoxic functioning thyroid nodules. J Clin Endocrinol Metab 50:1089–1093 Hintze G (1992) Thyreotoxische Krise: Stellenwert der chirurgischen Therapie. Akt Endokr Stoffw:13:89–91
Auch nach der operativen Therapie funktioneller Autonomien besteht die Notwendigkeit einer dauerhaften medikamentösen Behandlung. Die Eckpunkte zu den eingesetzten Medikamenten, dem Vorgehen und der Therapiekontrolle wurden bereits in 7 Kap. 2.6.4 erläutert. Die Behandlungsziele gleichen prinzipiell denen bei der euthyreoten Knotenstruma und bestehen einerseits in der Verhinderung einer erneuten Schilddrüsenvergrößerung (Prophylaxe), andererseits in der Behandlung einer postoperativen Hypothyreose (Therapie).
2.7.1.4.1 Prophylaxe Die Hauptursache des Progresses bei der fokalen oder disseminierten Autonomie ist die autoregulatorische Fehlanpassung an den Jodmangel, die in nahezu jeder länger bestehenden Jodmangelstruma entweder disseminiert oder, im Falle des autonomen Adenoms mehr oder weniger lokalisiert auftritt. Grundlage der Autonomie ist die Entstehung funktionell autonomer Schilddrüsenzellen bzw. ganzer Follikelverbände auf dem Boden klonalen Wachstums. Grundsätzlich sind die zu klonalem Wachstum fähigen Schilddrüsenzellen und Follikelverbände disseminiert in der Drüse verteilt. Sofern eine Operation bei einer Autonomie Schilddrüsengewebe zurückließ, ist deshalb auf jeden Fall eine Prophylaxe nach den in 7 Kap. 2.6.4 beschriebenen Prinzipien sinnvoll, um ein rasches Wiederauftreten einer klinisch apparenten Autonomie zu vermeiden.
92
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Nach Resektion eines solitären autonomen Adenoms bei ansonsten ausreichend erhaltener, morphologisch und funktionell unauffälliger Schilddrüse ist in der Regel keine Substitution mit Schilddrüsenhormon erforderlich (. Tab. 2.8). Hier ist, aus den in den vorangegangenen Kapiteln erläuterten Gründen unmittelbar eine Jodprophylaxe zu beginnen. Die multifokale Autonomie erfordert – je nach Operationsausmaß – ein differenzierteres postoperatives Vorgehen. Bei einseitigen oder beidseitigen Resektionen unter Hinterlassung größerer Anteile morphologisch und funktionell regulären Schilddrüsengewebes ist über eine Substitution erst 4–6 Wochen nach der Operation und nach erneuter Prüfung der Schilddrüsenfunktion anhand der peripheren Hormone zu entscheiden. Liegt zum Zeitpunkt der Kontrolle Euthyreose vor, ist die alleinige Jodprophylaxe fortzuführen. Die Patienten sollten initial in 6-monatigen Abständen, danach in 1- bis 2-jährigen Intervallen nachuntersucht werden um rechtzeitig das erneute Auftreten einer (subklinischen) Hyperthyreose zu detektieren. Liegt zum Zeitpunkt der ersten Kontrolle eine Hypothyreose vor, ist eine Kombinationsbehandlung von Levothyroxin mit Jodid sinnvoll. Wenn nach der Operation eine geringe Restfunktion erwartet wird, kann noch in der ersten postoperativen Woche eine Substitution mit etwa der Hälfte der Zieldosis begonnen werden (entsprechend ca. 0,5–0,75 µg/kg KG). Nach einer totalen Thyreoidektomie kann regelhaft in der ersten Woche mit Thyroxin in einer Dosis von ca. 1–1,5 µg/kg KG begonnen werden. Die Anpassung der Dosis erfolgt auch hier nach erneuter klinischer und Laborkontrolle 6 Wochen nach der Operation (. Tab. 2.8). 2.7.1.4.2 Therapie Die Gefahr, dass bei der multifokalen oder disseminierten funktionellen Autonomie nach einer nicht die gesamte Schilddrüse entfernenden Resektion wieder eine Autonomie auftritt, beträgt bei optimaler postoperativer Therapie und Prophylaxe etwa 3–5% (Emrich u. Reinhardt 1989; Joseph 1986; Röher et al. 1991). Die Entwicklung fokaler Autonomien in multinodösen Rezidivstrumen mit zunächst euthyreoter Stoffwechsellage, ist allerdings viel häufiger. Die Rate der Entwicklung einer solchen Autonomie in Rezidivstrumen wurde im Endemiegebiet mit 4% pro Jahr (!) angegeben (Dorbach u. Schicha 1993). Umgekehrt besteht im Endemiegebiet bei bis zu 20% der Patienten, die sich einer Reoperation unterziehen müssen, eine (in der Regel multifokale) funktionelle Autonomie (Röher u. Goretzki 1987). All dies sind aus Sicht der Autoren klare Argumente, die dafür sprechen, auch bei der multifokalen und der disseminierten Autonomie die totale Thyreoidektomie als Standardverfahren bei der Erstoperation zu erwägen. Nach neuerlicher thyreostatischer Behandlung ist zur definitiven Sanierung in den meisten Fällen die Radiojodtherapie das Verfahren der ersten Wahl. Wegen der deutlich höheren Komplikationsraten sind Reoperationen erst nach Prüfung und Ausschöpfung der konservativen Therapiemöglichkeiten zu indizieren (Bay 1980; Dorbach u. Schicha 1993; Röher u. Goretzki 1987). Patienten die an einer voluminösen Rezidivstruma mit erheblicher Beeinträchtigung leiden oder solche, die einer dauerhaften Medikamentenbehandlung oder einer Radiojodtherapie auch nach differenzierter Aufklärung nicht zustimmen oder denen diese Therapiemöglichkeiten nicht zugänglich sind, qualifizieren sich für Operationen. Die erwarteten Komplikationsraten sind beachtlich und betragen z. B. allein für die permanente Rekurrensparese selbst an spezialisierten Kliniken kaum unter 3% und
bis maximal 18% und sind damit 10- bis 50-fach höher als bei ordentlich ausgeführten Ersteingriffen (Bay 1980; Röher u. Goretzki 1987). Die Operationsstrategie bei einer Reoperation ist zuallererst auf die Erhaltung der Rekurrens- und Nebenschilddrüsenfunktion und erst dann auf die Beseitigung des dominanten Befundes ausgerichtet (7 Kap. 2.6.4.). In der Regel wird zunächst die befunddominante Seite angegangen und bei gegebener Indikation wird die Resektion der gegenüberliegenden Seite nur erfolgen, wenn von einer sicheren Schonung des N. recurrens auf der zuerst operierten Seite ausgegangen werden kann (Neuromonitoring!). Wie in vorangegangenen Abschnitten erläutert, scheuen sich die Autoren im Zweifelsfall nicht vor einem zweizeitigen Vorgehen. Literatur Bay V (1980) Operationsindikation, präoperative Vorbereitung, Operation und Nachbehandlung des Morbus Basedow und anderer Hyperthyreoseformen. Chirurg 51:619–624 Dorbach M, Schicha H (1993) Frequenz und zeitliches Auftreten der funktionellen Autonomie in Rezidivstrumen. Nuklearmedizin 32:316–319 Emrich D, Reinhardt M (1989) Ergebnisse der definitiven Behandlung der Autonomie bei Jodmangelstruma. Nuklearmedizin 28:11–17 Joseph K (1986) Thyreoidale Autonomie: Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Therapiewoche 36:1711–1716 Röher HD, Goretzki P (1987) Management of goiter and thyroid nodules in an area of endemic goiter. Surg Clin North Am 67:233–236 Röher HD, Horster FA, Frilling A, Goretzki P (1991) Morphologie und funktionsgerechte Chirurgie verschiedener Hyperthyreoseformen. Chirurg 62:176–181 Wahl RA, Joseph K, Bögner E et al. (1985) Thyroid function after surgery for autonomous nodular endemic goitre-effect of iodide-substitution. Klin Wochenschr 63:812–820
2.7.2 Immunthyreopathie
) ) Die Immunthyreopathie vom Typ Morbus Basedow tritt mit einer Prävalenz von 0,1–2% in jedem Alter und bei beiden Geschlechtern auf, wobei Frauen etwa 5-mal häufiger als Männer betroffen sind. Der Morbus Basedow manifestiert sich bevorzugt zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr, häufig in Lebensphasen mit drastischer Hormonumstellung (Pubertät, Postpartalzeit, Menopause; Bahn 2003; Prabhakar et al. 2003). Als Ursache des Morbus Basedow wird ein Toleranzverlust des zellulären Immunsystems gegenüber Schilddrüsenautoantigenen (insbesondere des TSH-Rezeptors) bei genetisch prädisponierten Individuen angenommen (Ban et al. 2004;Tomer u. Davies 2003). Stressfaktoren (Infektionen mit Viren und Bakterien, neuroimmunendokrine Veränderungen als Folge psychischer Traumen) und Umweltfaktoren (Nikotin, Jodexzess) dürften dabei eine wichtige bahnende bzw. verstärkende Rolle spielen (Prabhakar et al. 2003).
93 2.7 · Hyperthyreose
2.7.2.1 Klinische Symptomatik
A.E. Heufelder, L.C. Hofbauer Der M. Basedow ist eine immunologische Systemerkrankung, die sich an zahlreichen Organsystemen und Geweben manifestiert. Gemeinsames Merkmal der thyreoidalen und extrathyreoidalen Manifestationen ist die lymphozytäre Infiltration der Zielgewebe (Prabhakar et al. 2003). Ursache der Immunhyperthyreose sind die in lymphatischen Geweben (Lymphknoten, Milz, Knochenmark) und in der Schilddrüse exzessiv gebildeten TSH-Rezeptor-Antikörper, die unreguliert mit einer Reihe TSH-Rezeptorexprimierender Gewebe interagieren. Das hohe Expressionsniveau des TSH-Rezeptors in der Schilddrüse erklärt die dominierende thyreoidale Manifestation (Chen et al. 2003; Sanders et al. 2003). Die unkontrollierte Stimulation des thyreoidalen TSH-Rezeptors und seiner intrazellulären Signalkaskaden sowie die reichliche Jodsubstratzufuhr in die Schilddrüse über den vermehrt exprimierten Natrium-Jodid-Symporter (Joba et al. 1999) führen zur Bildung exzessiver Mengen an Schilddrüsenhormonen (T4, T3), die aufgrund der reichen Vaskularisierung und Durchblutung der Schilddrüse rasch in die Zirkulation gelangen. Als Folge der erhöhten Schilddrüsenhormonkonzentrationen, ihrer Effekte auf fast alle peripheren Gewebe und der dadurch gesteigerten Sensitivität gegenüber Katecholaminen resultieren die überwiegend sympathoadrenergen Zeichen und Symptome von Patienten mit M. Basedow (7 Übersicht). Im Gegensatz zu den sich langsam entwickelnden, symptomärmer verlaufenden funktionellen Autonomien beginnt die Immun-
hyperthyreose meist abrupt und mit ausgeprägter Symptomatik. Bei älteren Patienten verläuft der M. Basedow eher oligosymptomatisch maskiert mit weniger charakteristischen kardialen, gastrointestinalen und neuropsychiatrischen Symptomen (Vorhofflimmern, pektanginöse Beschwerden, Dyspnoe, Anorexie, Durchfall, Leistungsminderung, Apathie, depressive Symptome), die häufig als »Alterserscheinungen« oder Altersdepression verkannt werden. Im Unterschied zu allen anderen Hyperthyreoseformen ist bei 50–70% der Basedow-Patienten klinisch eine endokrine Orbitopathie vorhanden. Diese stellt die häufigste extrathyreoidale Manifestation des M. Basedow dar, tritt meist in engem zeitlichen Zusammenhang zur Hyperthyreose auf und sichert die Diagnose einer Immunthyreopathie (Heufelder u. Spitzweg 1998). Die typischen Befunde bei der endokrinen Orbitopathie, die in der Regel beidseits, wenn auch häufig asymmetrisch auftreten, umfassen die Protrusio bulbi, periorbitale Lidödeme, retrobulbäres Druck- und Fremdkörpergefühl, Augenbrennen, vermehrtes Tränen der Augen, Lichtscheu und Motilitätsstörungen mit Doppelbildern (. Abb. 2.34; Bahn 2003). Die schwerste Verlaufsform einer Hyperthyreose, die thyreotoxische Krise, kann sowohl bei der Schilddrüsenautonomie als auch bei der Immunhyperthyreose auftreten und wird häufig durch Jodkontamination (beispielsweise bei Kontrastmittelexposition) provoziert. Sie kündigt sich mit rasch zunehmender Adynamie, psychotischen Symptomen, Übelkeit, Erbrechen und kardialen Dekompensationszeichen an und stellt ein akut lebensbedrohliches Krankheitsbild dar.
Symptome und Befunde bei Hyperthyreose 5 Allgemeine Symptome – Gewichtsverlust trotz gesteigertem Appetit – Verminderte Leistungsfähigkeit – Rasche Ermüdbarkeit – Müdigkeit – Kraftlosigkeit – Wärmeintoleranz – Warme, feuchte Haut – Schwitzen, Durst – Vermehrter Haarausfall 5 Herz- und Kreislaufsystem – Herzjagen, Palpitationen – Systolikum – Sinustachykardie – Arrhythmien (Vorhofflimmern) – Erhöhte Blutdruckamplitude – Belastungsdyspnoe – Pektanginöse Beschwerden 5 Gastrointestinaltrakt – Erhöhte Darmmotilität und Stuhlfrequenz – Durchfülle – Verkürzte Transitzeit 5 Muskel- und Skelettsystem – Muskelschwäche, Muskelatrophie – Muskelkrämpfe – Osteopenie, Osteoporose
2
5 Nervensystem – Feinschlägiger Fingertremor – Symmetrische Hyperreflexie – Schlafstörungen – Innere Unruhe, Nervosität – Psychomotorische Unruhe – Konzentrationsschwäche – Psychische Labilität, Aggressivität – Depressives Syndrom, Psychose 5 Sexualorgane – Zyklusstörungen – Infertilität, erhöhte Abortfrequenz – Libidomangel – Impotenz – Gynäkomastie 5 Augen – Oberlidretraktion (Dalrymple-Zeichen) – Zurückbleiben des Oberlides bei Blicksenkung (Graefe-Zeichen) – Seltener Lidschlag (Stellwag-Zeichen) – Glanzauge – Erweiterte Lidspalte 5 Unspezifische Laborbefunde – GOT, γ-GT, AP – Cholesterin p – Blutzucker n – SHBG n
94
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
. Abb. 2.34. Typischer Augenbefund bei einem Patienten mit M. Basedow
2.7.2.2 Rationelle Diagnostik
liären Häufung von Schilddrüsenerkrankungen bzw. Autoimmunerkrankungen, einer Umfangszunahme des Halses sowie den Kardinalsymptomen einer Hyperthyreose (7 Übersicht) gefahndet. Die schon 1840 von Carl von Basedow beschriebenen klassischen Symptome der Basedow-Immunhyperthyreose (Tachykardie, Exophthalmus, Struma), bekannt als »Merseburger Trias«, sind bei etwa 50% der Patienten vorhanden. Bei der Palpation der Schilddrüse findet sich häufig eine diffuse (in Jodmangelregionen auch nodöse) Struma mit einem palpatorisch und auskultatorisch charakteristischen Schwirren über den Schilddrüsenlappen. Bei Vorliegen einer endokrinen Orbitopathie, die sich klinisch in 50–70% der Fälle nachweisen lässt, ist die Diagnose einer Immunthyreopathie gesichert (. Abb. 2.34).
Bei höhergradiger und florider endokriner Orbitopathie sollte immer eine augenärztliche Untersuchung erfolgen.
L.C. Hofbauer, C. Spitzweg, A.E. Heufelder ) ) Die Diagnostik der Immunhyperthyreose vom Typ M. Basedow umfasst die Anamnese, den körperlichen Befund einschließlich des Augen- bzw. Orbitabefundes, Hormonanalysen (TSH basal, fT3, fT4), den Nachweis von Schilddrüsenautoantikörpem (TSHRezeptor-Antikörper, Schilddrüsenperoxidase-Antikörper) sowie Verfahren der bildgebenden Diagnostik (Ultraschall und quantitative Szintigraphie der Schilddrüse. Bei der Diagnostik und Therapie des M. Basedow ist eine enge interdisziplinäre Kooperation von Hausarzt, Endokrinologe, Augenarzt, Nuklearmediziner und Chirurg wünschenswert.
2.7.2.2.1 Klinische Diagnostik In der Anamnese wird gezielt nach früheren Krankheitsschüben, möglichen Auslösern (z. B. Jodexzess, Stressfaktoren), einer fami-
Sehr selten, aber pathognomonisch sind ferner das prätibiale Myxödem (<5% der Fälle) sowie die Akropachie (subperiostale Knochenneubildung mit Trommelschlegelformation der Akren). Darüber hinaus spricht der Nachweis anderer Autoimmunerkrankungen (Vitiligo, Diabetes mellitus Typ 1, M. Addison, Lupus erythematodes, atrophische Gastritis, perniziöse Anämie, M. Werlhof, Myasthenia gravis, rheumatoide Arthritis, SjögrenSyndrom, Zöliakie) für das Vorliegen einer immunogenen Schilddrüsenerkrankung. 2.7.2.2.2 Biochemische Diagnostik Soll eine Hyperthyreose bei geringem klinischem Verdacht nur ausgeschlossen werden, genügt die alleinige Bestimmung des basalen TSH-Serumspiegels. Bei normalem basalem TSHSpiegel (0,4–2,5 µU/ml) ist eine Hyperthyreose praktisch ausgeschlossen. Ein vollständig supprimierter (d. h. nicht nachweisbar niedriger) TSH-Spiegel (TSH<0,01 µU/ml) signalisiert das Vor-
. Abb. 2.35. Charakteristische Merkmale und Diagnostik der Immunhyperthyreose vom Typ M. Basedow
95 2.7 · Hyperthyreose
2
. Abb. 2.36. Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf Hyperthyreose
liegen einer Hyperthyreose, deren biochemisches Ausmaß durch die zusätzliche Bestimmung des fT3- und fT4-Serumspiegels festgelegt wird. Beim Nachweis eines vollständig supprimierten basalen TSH-Spiegels in Gegenwart erhöhter peripherer Schilddrüsenhormonkonzentrationen (fT3, fT4) liegt eine manifeste Hyperthyreose vor. Bei supprimiertem TSH basal und normalen peripheren Schilddrüsenhormonwerten spricht man von einer subklinischen Hyperthyreose. Da bei einem Teil der Patienten mit Basedow-Hyperthyreose initial v. a. oder ausschließlich der fT3-Serumspiegel erhöht sein kann (»isolierte T3-Hyperthyreose«), sollte bei supprimiertem basalem TSH-Spiegel und normalem oder nur gering erhöhtem fT4-Serumspiegel immer auch eine Bestimmung von fT3 erfolgen (. Abb. 2.35). Biochemischer und klinischer Schweregrad einer Hyperthyreose korrelieren
häufig, jedoch nicht immer. Insbesondere das kardiovaskuläre System des älteren Patienten ist bezüglich einer gesteigerten Konzentration von fT3 und fT4 und der dadurch zunehmenden Empfindlichkeit für Katecholamine besonders vulnerabel (Sinustachykardie, Vorhofflimmern, kardiogene arterielle Embolien, insbesondere ischämische Hirninfarkte).
Im Therapieverlauf unter medikamentöser antithyreoidaler Behandlung sind eine regelmäßige klinische Überwachung sowie Kontrollen der Schilddrüsenfunktionsparameter (TSH, fT3, fT4), des Blutbildes und der Leberfunktionsparameter (GPT und J-GT) erforderlich.
. Tab. 2.10. Diagnostische Verfahren zur Differenzialdiagnose der immunogenen Hyperthyreose vom Typ M. Basedow
Differenzialdiagnose
Verfahren und Befunde
M. Basedow
Anamnese (plötzlicher Beginn, jüngeres Lebensalter, diffuse Struma, endokrine Orbitopathie), Sonographie, TSHR-Antikörper positiv
Funktionelle Autonomie der Schilddrüse (uni- bzw. multifokal, disseminiert)
Anamnese (schleichender Beginn, oft höheres Lebensalter), Sonographie, Szintigraphie, TSHR-/TPO-Antikörper negativ
Destruierende Thyreoiditiden (Hashimoto-Thyreoiditis, subakute Thyreoiditis, Post-partum-Thyreoiditis, Amiodaron-induzierte Thyreoiditis)
Anamnese, klinischer Befund, BSG, CRP, Sonographie, Szintigraphie (niedriger Tc-Uptake), TSHR-Antikörper negativ
Jodinduzierte Hyperthyreose
Anamnese, Sonographie, Szintigraphie (niedriger Tc-Uptake), erhöhte Jodausscheidung im Urin
Faktitielle Hyperthyreose
Anamnese, supprimierter Thyreoglobulinspiegel, Szintigraphie, Kontrolle von TSH, fT3, fT4 nach Absetzen von Schilddrüsenhormon
TSH-produzierendes Hypophysenadenom
Inadäquat hoher basaler TSH-Spiegel
HCG-assoziierte Hyperthyreosen (Schwangerschaft, Hodentumor, Blasenmole, Chorionkarzinom)
hCG-Spiegel erhöht, TSHR-/TPO-Antikörper negativ, Sonographie ohne Befund
96
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
. Abb. 2.37a,b. Sonographischer Befund bei Immunthyreopathie vom Typ M. Basedow. a Querschnitt; b Längsschnitt
2.7.2.2.3 Immunologische Diagnostik Bei der Immunthyreopathie vom Typ M. Basedow sind in über 90% der Fälle TSH-Rezeptor-Antikörper (mit diagnostischer Spezifität und Sensitivität von >95%), in 60–80% auch Antikörper gegen Schilddrüsenperoxidase (TPO; früher mikrosomales Schilddrüsenantigen) nachweisbar. Der Nachweis hochtitriger Antikörper gegen den TSHR und/oder TPO spricht für das Vorliegen einer Immunthyreopathie vom Typ M. Basedow. Die im TRAK-Assay nur pauschal erfassten TSH-Rezeptor-Antikörper umfassen sehr heterogene Antikörperpopulationen, die durch Interaktion mit dem TSH-Rezeptor auf Schilddrüsenfollikelzellen unterschiedliche funktionelle Effekte (stimulierend, blockierend, neutral) vermitteln (Chen et al. 2003; Sanders et al. 2003). Die Schilddrüsenfunktion beim M. Basedow hängt somit entscheidend von der jeweils dominierenden TSH-RezeptorAntikörperpopulation ab. Dies erklärt, warum bei Patienten mit M. Basedow im Verlauf erhebliche Schwankungen der Schilddrüsenfunktion auftreten können, warum auch eine euthyreote und hypothyreote Funktionslage resultieren kann und warum die im TRAK-Assay undifferenziert erfassten TSH-Rezeptor-Antikörpertiter mit der aktuellen Schilddrüsenfunktion oft ungenügend korrelieren. Die Bestimmung von Antikörpern gegen den TSH-Rezeptor und TPO ist hilfreich bei der Abgrenzung einer nichtimmunogenen disseminierten Autonomie (. Tab. 2.10) oder bei den im höheren Lebensalter häufigeren Mischformen immunogener und nichtimmunogener Hyperthyreosen. Für die Verlaufskontrolle und die prognostische Abschätzung der thyreoidalen und extrathyreoidalen Manifestationen beim M. Basedow sind serielle Antikörperbestimmungen nicht sinnvoll. 2.7.2.2.4 Konventionelle und Farbduplexsonographie Konventionelle Sonographie. Die konventionelle Sonographie der Schilddrüse zeigt bei aktivem M. Basedow in über 80% der Fälle eine im Vergleich zur Halsmuskulatur auffällige Echoarmut des Parenchyms, die diffus oder fleckförmig in beiden Schilddrüsenlappen nachweisbar ist (. Abb. 2.36). Die Schilddrüsenlappen sind häufig abgerundet und weisen einen größeren Tiefendurchmesser auf (. Abb. 2.37). In Verbindung mit den typischen klinischen Symptomen und Hormonbefunden einer Hyperthyreose sichert der sonographische Nachweis diffus echoarmer Schilddrüsenlappen die Diagnose einer Basedow-Hyperthyreose, sodass weitere diagnostische Schritte (Bestimmung der Schilddrüsenantikörper, Schilddrüsenszintigraphie) entbehrlich sind. Umge-
kehrt schließt das Fehlen einer diffusen Echoarmut im Schilddrüsensonogramm (ca. 20% der Fälle) eine Immunhyperthyreose nicht aus. Der Befund diffus echoarmer Schilddrüsenlappen in der konventionellen Sonographie spricht grundsätzlich für das Vorliegen einer Immunthyreopathie, erlaubt jedoch keine sichere Unterscheidung zwischen einem M. Basedow und einer Immunthyreoiditis Hashimoto. Farbduplexsonographie. Die Farbduplexsonographie der Schilddrüse liefert in dieser Konstellation zusätzliche Informationen über den Vaskularisierungsgrad und die Blutflussgeschwindigkeit. Typischerweise findet sich beim aktiven M. Basedow eine vermehrte Vaskularisierung und Blutflussbeschleunigung im Schilddrüsenparenchym, ein Befund, der auch die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs nach Eintreten einer Remission abschätzen lässt.
2.7.2.2.5 Quantitative Szintigraphie Die Szintigraphie ist zur Differenzialdiagnostik der Basedow-Immunhyperthyreose nur dann erforderlich, wenn die Hyperthyreose nicht zweifelsfrei einem M. Basedow zugeordnet werden kann (z. B. Fehlen von Echoarmut im Sonogramm, fehlender Antikörpernachweis, Fehlen einer endokrinen Orbitopathie) oder wenn abklärungsbedürftige Zusatzbefunde vorliegen (. Abb. 2.38). Die quantitative Schilddrüsenszintigraphie zeigt bei der floriden Basedow-Hyperthyreose typischerweise eine
. Abb. 2.38. Quantitative Schilddrüsenszintigraphie bei Immunhyperthyreose vom Typ M. Basedow
97 2.7 · Hyperthyreose
diffus vermehrte homogene Radionuklidanreicherung, deren Ausmaß (TcUptake 5% bis über 20%) mit dem Aktivitätsgrad der Hyperthyreose korreliert. Die gesteigerte thyreoidale Aufnahme von Technetium bzw. Radiojod ist Folge einer Überexpression des Natrium-Jodid-Symporters (»Jodpumpe«), der für die Anreicherung von Jod in den Schilddrüsenfollikelzellen verantwortlich ist (Joba et al. 1999). 2.7.2.2.6 Sonstige Untersuchungen Röntgenuntersuchungen des Thorax, Tracheazielaufnahme mit Saug- und Pressversuch, Ösophagusbreischluck, Lungenfunktionsprüfung und die Computertomographie bzw. Kernspintomographie des Halses und der oberen Thoraxapertur sind nur in Einzelfällen bei großen retrosternalen bzw. intrathorakalen Strumen sowie bei Jodkontamination sinnvoll. Die Feinnadelpunktion mit zytologischer Diagnostik hat beim M. Basedow nur für die Abklärung suspekter Schilddrüsenknoten diagnostische Bedeutung. Literatur Ban Y, Concepcion ES, Villanueva R, Greenberg DA, Davies TF, Tomer Y (2004) Analysis of immune regulatory genes in familial and sporadic Graves‘ disease. J Clin Endocrinol Metab 89:4562–4568 Bahn RS (2003) Clinical review 157: Pathophysiology of Graves‘ ophthalmopathy: the cycle of disease. J Clin Endocrinol Metab 88:1939–1946 Chen CR, Pichurin P, Nagayama Y, Latrofa F, Rapoport B, McLachlan SM (2003) The thyrotropin receptor autoantigen in Graves disease is the culprit as well as the victim. J Clin Invest 111:1897–1904 Heufelder AE, Spitzweg C (1998) Pathogenese der immunogenen Hyperthyreose und endokrinen Orbitopathie. Internist 39:599–606 Joba W, Spitzweg C, Schriever K, Heufelder AE (1999) Analysis of human sodium/iodide symporter, thyroid transcription factor-1, and pairedbox-protein-8 gene expression in benign thyroid diseases. Thyroid 9:455–466 Prabhakar BS, Bahn RS, Smith TJ (2003) Current perspective on the pathogenesis of Graves‘ disease and ophthalmopathy. Endocr Rev 24:802– 835 Sanders J, Evans M, Premawardhana LD, Depraetere H, Jeffreys J, Richards T, Furmaniak J, Rees Smith B (2003) Human monoclonal thyroid stimulating autoantibody. Lancet 362:126–128 Tomer Y, Davies TF (2003) Searching for the autoimmune thyroid disease susceptibility genes: from gene mapping to gene function. Endocr Rev 24:694–717
2.7.2.3 Thyreostatische Langzeittherapie
P.-M. Schumm-Draeger ) ) Die vor allem bei der Erstmanifestation der Hyperthyreose Typ M. Basedow indizierte thyreostatische Langzeittherapie wird insbesondere im Hinblick auf Vor- und Nachteile im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse und unter Berücksichtigung der immer notwendigen individuellen therapeutischen Strategie in diesem Kapitel dargestellt. Während zur Medikamentenauswahl und Dosierung, unter Berücksichtigung der jeweiligen Jodversorgung des Patienten und der bei niedriger Dosierung günstigeren Nebenwirkungsrate Konsens bezüglich des therapeutischen Vorgehens besteht, ist die Frage der optimalen Therapiedauer und vor allem die Definition von Parametern zur Vorhersage einer Remission bzw. eines Rezidivs der Hyperthyreose nach wie vor 6
2
nicht gelöst. Neu etablierte methodische Ansätze der TSH-Rezeptor-Antikörperbestimmung unter Verwendung eines humanen TSH-Rezeptors haben zwar die Sensitivität signifikant verbessert, jedoch keinen Vorteil für die Vorhersage eines Rezidivs ergeben. Neue Ergebnisse aus prospektiven, randomisieren Studien (Evidenz II) belegen allerdings, dass die medikamentöse Therapie nicht nur in der Kurzzeittherapie zum Erreichen einer Euthyreose indiziert ist, sondern ihre Anwendung bis zum Erreichen einer Spontanremission weiterhin nützlich ist. Die Notwendigkeit hoher Thyreostatikadosierungen, große Strumen, persistierend hohe TSH-Rezeptorantikörper-Titer sowie das Rauchen erhöhen die Rezidivgefahr. Nach Ende der thyreostatischen Behandlung muss in regelmäßigen Intervallen ein Follow-up mit Bestimmung der Schilddrüsenfunktionswerte erfolgen, da sich der überwiegende Teil der bei 40–70% der Patienten auftretenden Hyperthyreoserezidive in den ersten 6–12 Monaten einstellt. Im Falle eines Rückfalles der Hyperthyreose nach thyreostatischer Langzeittherapie sollten möglichst definitive Behandlungsverfahren wie die Schilddrüsenoperation oder die 131I-Radiojodtherapie angestrebt werden. Die Perspektiven der konservativenTherapiekonzepte beruhen in Zukunft auf der Selektion geeigneter Patienten unter Berücksichtigung individueller prognostischer Langzeitparameter.
2.7.2.3.1 Indikationsstellung Indikationen. Im Hinblick auf eine bei 30–60% der Patienten mit M. Basedow mögliche Remission der Erkrankung nach thyreostatischer Therapie ist bei der Immunthyreoditis – im Gegensatz zu Patienten mit Schilddrüsenautonomie als Ursache der Hyperthyreose – eine sinnvolle Indikation zur konservativen Langzeittherapie mit Thyreostatika gegeben. Insbesondere ist die Indikation zur Behandlung der Hyperthyreose Typ M. Basedow mit Thyreostatika bei Erstmanifestation der Erkrankung gegeben, vor allem wenn keine bzw. eine nur geringe Schilddrüsenvergrößerung besteht (Schumm-Draeger u. Müller 2003). Kontraindikationen. Kontraindikationen einer thyreostatischen Therapie der Hyperthyreose vom Typ M. Basedow liegen dann vor, wenn eine mechanische Beeinträchtigung durch eine ausgeprägte Schilddrüsenvergrößerung oder der Verdacht auf ein Malignom der Schilddrüse besteht. Schwere Nebenwirkungen der thyreostatischen Medikamente zwingen zum Absetzen der konservativen Therapie. Bei multimorbiden, schwerstkranken Patienten ist mit der konservativ-medikamentösen Behandlung in dem notwendigen Zeitraum oft keine stabile euthyreote Stoffwechsellage herzustellen, sodass eine frühzeitige Schilddrüsenoperation unumgänglich sein kann. Bei fehlender Compliance verbietet sich eine medikamentöse Langzeittherapie grundsätzlich. Kinderwunsch. Obwohl keine zwingende Kontraindikation zu
formulieren ist, sollten Frauen mit Kinderwunsch möglichst vor Eintritt der Schwangerschaft einer definitiven Behandlung in Form einer Schilddrüsenoperation oder Radiojodbehandlung zugeführt werden, um eine thyreostatische Therapie während der Gravidität zu vermeiden. Rezidiv. Im Falle eines Rezidivs der Hyperthyreose vom Typ
M. Basedow nach Abschluss der thyreostatischen Langzeittherapie kann grundsätzlich erneut eine konservative thyreostatische
98
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.11. Thyreostatische Langzeitterapie des Morbus Basedow
2
Substanz
Initialtherapie (mg/Tag)
Erhaltungstherapie (mg/Tag)
Thiamazol
10–40
2,5–10
Carbimazol
20–60
5–15
Propylthiouracil
150–300
50–200
Behandlung durchgeführt werden, jedoch ist aufgrund des individuell deutlich erhöhten Rezidivrisikos des jeweiligen Patienten nach dem ersten Rezidiv nach thyreostatischer Langzeittherapie eine definitive Behandlung mittels Schilddrüsenoperation oder Radiojodtherapie unbedingt zu empfehlen. 2.7.2.3.2 Praktische Durchführung Die thyreostatische Behandlung der Hyperthyreose Typ M. Basedow sollte mit antithyreoidalen Medikamenten der Thionamidgruppe durchgeführt werden, wobei aufgrund klinischer Studienergebnisse heute in Abhängigkeit von der Jodversorgung des individuellen Patienten deutlich niedrigere Dosierungen bei gleichem Therapieerfolg gewählt werden können (. Tab. 2.11 und 2.12; Reinwein et al. 1993). Während die Dosierung der Initialtherapie z. B. für Thiamazol abhängig von der Jodversorgung und dem Schweregrad der Erkrankung zwischen 10 und 40 mg/Tag anzusetzen ist, werden in der Erhaltungstherapie deutlich niedrigere Dosierungen von z. B. 2,5–10 mg Thiamazol/Tag verwendet. Propylthiouracil muss aufgrund seiner kürzeren Wirkzeit 2-mal/Tag eingenommen werden.
Im Hinblick auf das dann signifikant niedrigere Nebenwirkungsrisiko der thyreostatischen Medikamente sind möglichst niedrige Dosierungen der Initial- und Erhaltungstherapie anzustreben.
Vor allem leichtere Nebenwirkungen (z. B. Hautexanthem) treten auch im unteren Dosisbereich dosisabhängig auf und liegen nach Gabe von Thiamazol im niedrigen Dosierungsbereich (5–10 mg/ Tag) unter 10%, steigen jedoch von Dosierungen ab 60 mg Thiamazol auf über 30% an. Nicht sicher dosisabhängig hingegen ist das Auftreten der mit einer Frequenz von 0,18% sehr seltenen Agranulozytose, die überwiegend in den ersten 10 Wochen der Behandlung eintritt. Die folgende 7 Übersicht gibt einen Überblick über die Nebenwirkungen der thyreostatischen Therapie. Insbesondere im Hinblick auf die Remissionsquote nach Abschluss der thyreostatischen Langzeittherapie sind hohe Thyreostatikadosierungen initial und in der Erhaltungsphase nicht geeignet, die Remissionsquote noch weiter zu verbessern (Edmonds et al. 1994). 2.7.2.3.3 Monotherapie oder Kombinationstherapie? Grundsätzlich kann die thyreostatische Langzeittherapie als Monotherapie mit einem Thyreostatikum in möglichst niedriger, noch zur Erhaltung der Euthyreose ausreichender Dosierung durchgeführt werden. In der Kombinationstherapie wird nach
. Tab. 2.12. Empfehlunga für die Initialdosierung von Thiamazol
Situation
Initiale Dosis von Thiamazol (mg/Tag)
Starker Jodmangel und/oder leichte Krankheit
10
Mäßiger Jodmangel oder unbekannte Jodversorgung oder stärkere Krankheitssymptome
20
Höhere Jodversorgung (mehr als 100 µg/Tag) und ausgeprägtes Krankheitsbild
30–40
Jodkontamination und ausgeprägtes Krankheitsbild
40 und mehr
Jodkontamination und sehr schweres Krankheitsbild bis hin zur thyreotoxischen Krise
40–200
a
Nicht systematisch untersucht
Nebenwirkungen der thyreostatischen Therapie 5 Leichte Nebenwirkungen – Häufig: allergische Exantheme, Pruritus, Kopfschmerzen, Arzneimittelfieber, Gelenk-, Muskelschmerzen – Selten: Dysgeusien, gastrointestinale Beschwerden 5 Schwere Nebenwirkungen – Selten: Leukozytopenie, Agranulozytose – Sehr selten: Cholestase, Leberschaden, allergische Vaskulitis, Thrombozytopenie, aplastische Anämie, lupusähnliche Syndrome
Erreichen der peripheren Euthyreose ein Schilddrüsenhormonpräparat in einer mittleren Dosierung von 100 µg/Tag zusätzlich eingesetzt, die zu wählenden Thyreostatikadosen liegen etwas höher als bei der Monotherapie. Die Therapiekontrollen, insbesondere das Risiko einer Hypothyreoseentwicklung und eines Strumawachstums, sind unter einer Kombinationstherapie deutlich geringer.
Eine alleinige Therapie mit Thyreostatika muss zwingend durchgeführt werden, wenn eine Hyperthyreose vom Typ Basedow in der Schwangerschaft behandlungsbedürftig ist, da nur Thyreostatika, nicht aber Schilddrüsenhormone die Plazentaschranke passieren können.
Von großer Bedeutung ist es, dass bei Patientinnen mit einer Hyperthyreose Typ Basedow in der Gravidität die TSH-RezeptorAntikörper ebenfalls die Plazentaschranke passieren und eine Hyperthyreose des ungeborenen bzw. neugeborenen Kindes induzieren können (Wilson u. Forster 1996). Sorgfältige Kontrollen in enger interdisziplinärer Kooperation durch den internistischen Endokrinologen, Gynäkologen und Pädiater sind während und
99 2.7 · Hyperthyreose
nach der Entbindung besonders wichtig. Da die Schwangerschaft selbst eine hemmende Wirkung auf den Autoimmunprozess ausübt, kann sich eine vorübergehende Remission der Erkrankung einstellen, allerdings sind Rezidive der Hyperthyreose Typ Basedow in der Postpartalphase häufig und erfordern sorgfältige Kontrollen. In der Stillzeit werden durch die Mutter unter thyreostatischer Therapie zwar geringfügige Thionamiddosen auf den Säugling (Dosis 15 mg Thiamazol bzw. 150 mg Propycil/Tag) übertragen, diese beeinflussen jedoch die kindliche Schilddrüsenfunktion nicht und sind als unbedenklich anzusehen. Hinweise für eine teratogene Wirkung der Thyreostatika existieren nicht, hingegen führt eine nicht behandelte Hyperthyreose zu einer erhöhten Missbildungs- und Abortrate (Mann et al. 1997). Die Ergebnisse japanischer Studien, die in Regionen mit hoher Jodversorgung und unter mit Europa nicht vergleichbaren Bedingungen ermittelt wurden, zeigten einen Vorteil der Kombinationsbehandlung sowie durch eine Fortführung der Schilddrüsenhormontherapie auch nach Abschluss der thyreostatischen Langzeittherapie eine signifikante Senkung der Rezidivquote (Hashizume et al. 1991). Insbesondere angesichts der widersprüchlichen Datenlage, die sich aufgrund der abweichenden Ergebnisse von klinischen Studien sowohl aus Japan (Tamai et al. 1995) als auch aus Großbritannien (McIver et al. 1996) und Kanada (Rittmaster et al. 1998) ergibt, wurde dieser Therapieaspekt in einer randomisierten prospektiven klinischen Studie in Deutschland, einer vergleichsweise jodärmeren Region, überprüft. Die Ergebnisse belegen im Gegensatz zu den Daten aus Japan, dass die Kombinationsbehandlung mit Thyreostatika und Schilddrüsenhormon im Hinblick auf eine günstigere Remissionsquote nach thyreostatischer Therapie keinen Vorteil bietet (Hoermann et al., 2002; Quadbeck et al. 2003). 2.7.2.3.4 Therapiekontrollen Nach Festlegung der Diagnose mit klinischer Untersuchung, Bestimmung der Schilddrüsenfunktionswerte (fT3, fT4, TSH) und der TSH-Rezeptor-Autoantikörper sowie der Schilddrüsensonographie sind in der Initialbehandlung bis zum Erlangen der peripheren Euthyreose kurzfristige Kontrollen (etwa 2-wöchentlich) der Schilddrüsen-funktionswerte (fT3, fT4) und der Leukozytenwerte durchzuführen. Nach Erreichen einer peripher euthyreoten Stoffwechsellage sind neben der klinischen Untersuchung in 3-monatlichen Abständen die Überprüfung der Schilddrüsenfunktionswerte (fT3, fT4) und in halbjährlichen Intervallen die Kontrolle des Serum-TSH-Wertes und eine sonographische Untersuchung der Schilddrüse notwendig. In der Regel kann auf die Durchführung einer Schilddrüsenszintigraphie, vor allem bei nicht ausgeprägt vergrößerter Schilddrüse und fehlenden Schilddrüsenknoten, verzichtet werden. Die Bestimmung der TSH-Rezeptor-Antikörper bei Therapieende ermöglicht keine sichere Rezidivvorhersage beim einzelnen Patienten und ist daher von eingeschränktem Nutzen (Schleusener et al. 1989), auch nicht mit den neuen Assays unter Nutzung des humanen TSH-Rezeptors (Zimmermann et al. 2002). 2.7.2.3.5 Therapiedauer In umfangreichen prospektiven klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass im Hinblick auf eine möglichst hohe Remissionsquote eine thyreostatische Langzeittherapie für etwa 12 Monate durchgeführt werden muss. Therapiezeiten, die kürzer als 6 Monate sind, werden von deutlich höheren Rezidivquoten gefolgt, während Behandlungszeiträume von 15–18 Monaten oder
2
mehr keine besseren Remissionsergebnisse erbrachten (Allanic et al. 1990; Meng et al. 1991). 2.7.2.3.6 Remissionsvorhersage Nach einjähriger thyreostatischer Langzeittherapie beträgt die Rezidivquote der Hyperthyreose Typ M. Basedow etwa 40–70%. Zuverlässige Vorhersagekriterien für die Remission sind gegenwärtig nicht verfügbar. In zahlreichen retrospektiven und prospektiven Studien wurden verschiedene Indizes wie Strumagröße, Suppressionstest, Serum-TSH-Spiegel und vor allem TSH-Rezeptor-Antikörpertiter untersucht. Die Strumagröße korreliert gut mit der Rezidivhäufigkeit. Glaser et al. (1997) zeigten in einer umfangreichen Studie bei Kindern mit M. Basedow, dass der anfängliche Schweregrad der Hyperthyreose, der Body-Mass-Index sowie die Strumagröße wichtige Vorhersagefaktoren für eine mögliche Remission unter thyreostatischer Therapie darstellen. In einer umfangreichen Metaanalyse (Feldt-Rasmussen et al. 1994) sowie in aktuellen prospektiven Studien (Glinoer et al. 2002) wurde die Frage, inwieweit positive TSH-Rezeptor-Antikörperspiegel mit hohen Rezidivquoten bzw. negative Antikörpertiter mit einer besseren Remissionsrate korrelieren, eingehend untersucht Zusammenfassend konnte klar gezeigt werden, dass positive oder negative TSH-Rezeptor-Antikörpertiter nicht geeignet sind, ein Rezidiv der Hyperthyreose Typ M. Basedow beim einzelnen Patienten vorherzusagen. Allerdings erhöht die Persistenz von TSH-Rezeptor-Antikörpern nach thyreostatischer Langzeittherapie insgesamt das Rezidivrisiko. Aktuell wurde intensiv diskutiert, inwieweit eine Erhöhung der Sensitivität der Nachweismethoden für TSH-Rezeptor-Antikörper zu einer Verbesserung der Rezidivvorhersage führen könnte. Nach neuester Datenlage ist jedoch trotz einer signifikanten Verbesserung der Sensitivität (Costagliola et al. 1999) mit neuen Bestimmungsmethoden für TSH-Rezeptorantikörper unter Nutzung des humanen TSH-Rezeptors (Zweit-Generations-Assays) kein Vorteil in der Rezidivvorhersage erreicht worden (Zimmermann et al. 2002). Rauchen gilt als Risikofaktor für das Auftreten eines Hyperthyreoserezidivs (Balazs et al. 1999; Glinoer et al. 2002). In der Praxis sollte daher Rauchern mit M. Basedow eine Nikotinkarenz dringend empfohlen werden. Literatur Allanic H, Fauchet R, Orgiazzi J et al. (1990) Antithyroid drugs and Graves‘ disease: A prospective randomized evaluation of the efficacy of treatment duration. J Clin Endocrinol Metab 70:675–679 Balazs C, Stenszky V, Farid NR (1999) Association between Graves' ophthalmopathy and smoking. Lancet 22:336–354 Cooper DS (1998) Antithyroid drugs for the treatment of hyperthyroidism caused by Graves‘ disease. Endocrinol Metab Clin North Am 27:225– 247 Costagliola S, Morgenthaler NG, Hoermann R (1999) Second generation assay for TSH-receptor antibodies has superior diagnostic sensitivity in Graves´disease. J Clin Endocrinol Metab 84:90–97 Edmonds CJ, Tellez M (1994) Treatment of Graves‘ disease by carbimazole: High dose with thyroxine compared to titration dose. Eur J Endocrinol 131:120–124 Feldt-Rasmussen U, Schleusener H, Carayon P (1994) Meta-analysis: Evaluation of the impact of thyrotropin receptor antibodies on long term remission after medical therapy of Graves‘ disease. J Clin Endocrinol Metab 78:98–102
100
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Glaser NS, Styne DM (1997) Predictors of early remission of hyperthyroidism in children. JCEM 82:1719–1726 Glinoer D, de Nayer P, Bex M, Belgian Collaboration Study Group on Graves' disease (2002) Effects of L-thyroxine administration, TSH-receptor antibodies and smoking on the risk of recurrence in Graves’ hyperthyroidism treated with antithyroid drugs: a double blind prospective randomized study. Eur J Endocrinol 144:475–483 Hashizume K, Ichikawa K, Sakurai A et al. (1991) Administration of thyroxine in treated Graves‘ disease. Effects on the level of antibodies to thyroid-stimulating receptors and on the risk of recurrence of hyperthyroidism. N Engl J Med 324:947–953 Hoermann R, Quadbeck B, Roggenbruck U, Basedow Study Group (2002) Relapse of Graves´disease after successful outcome of antithyroid drug therapy: Results of a prospective randomized study on the use of levothyroxine. Thyroid 12:1119–1128 Mann K, Dralle H, Gärtner R et al. (1997) Schilddrüse. In: Rationelle Therapie in der Endokrinologie. Thieme, Stuttgart New York, S 35–98 McIver B, Rae P, Beckett G, Wilkinson E, Gold A, Toft A (1996) Lack of effect of thyroxine patients with Graves’ hyperthyroidism who are treated with an antithyroid drug. N Engl J Med 334:220–224 Meng W, Meng S, Männchen E, Hampel R, Kirsch, Dannenberg GJ, Krabbe S (1991) Effect of therapy duration and low and highly dosed thiamazole treatment in Basedow-Graves‘ disease. Exp Clin Endocrinol Diabetes 97:257–260 Quadbeck B, Hoermann R, Janssen O E, Mann K (2003) Medikamentöse Behandlung der Immunhyperthyreose (Typ Morbus Basedow). Inernist 44:440–448 Reinwein D, Benker G, Alexander WD, Lazarus JH and the European multicenter study group of antithyroid drug treatment (1993) A prospective randomized trial of antithyroid drug dose in Graves’ disease therapy. J Clin Endocrinol Metab 76:1516–1521 Rittmaster RS, Abbott EC, Douglas R et al. (1998) Effect of methimazole, with or without L-Thyroxine, on remission rates in Graves’ disease. J Clin Endocrinol Merab 83:814–818 Schleusener H, Schwander J, Fischer C et al. (1989) Prospective multicentre study on the prediction of relapse after antithyroid drug treatment in patients with Graves‘ disease. Acta Endocrinol 120:689–701 Schumm-Draeger P-M, Müller O-A (2003) Therapie der Hyperthyreose. Dtsch Med Wschr 128:500–502 Wilson JD, Forster DW (1998) William‘s textbook of endocrinology, 9th ed. Saunders, Philadelphia Zimmermann-Belsing T, Nygaard B, Rasmussen AK, Feldt-Rasmussen U (2002) Use of the 2nd generation TRAK human assay did not improve prediction of relapse after antithyroid medical therapy of Graves’ disease. Eur J Endocrinol 146:173–177
2.7.2.4 Radiojodtherapie
M. Dietlein, H. Schicha ) ) Die Radiojodtherapie ist eine attraktive und kosteneffektive Alternative zur Schilddrüsenoperation oder sogar die Therapie der ersten Wahl bei bestimmten gutartigen Schilddrüsenerkrankungen: Hierzu zählen die latente und manifeste Hyperthyreose bei Schilddrüsenautonomie sowie die Rezidivhyperthyreose beim Morbus Basedow und kleiner Struma. Weitere Optionen sind die Radiojodtherapie zwecks Verkleinerung der euthyreoten Struma und der Rezidivstruma. Die mittlere Verweildauer bis zur Entlassung nach Radiojodtherapie liegt bei etwa 5 Tagen. Die in Deutschland vorgeschriebene stationäre Durchführung ist gerechtfertigt und dient neben der posttherapeutischen Dosimetrie dem Strahlenschutz der Bevölkerung, insbesondere der Angehörigen von Patienten.
2.7.2.4.1 Grundlagen Radiojod (131I) ist ein kombinierter β- und γ-Strahler mit einer physikalischen Halbwertszeit von 8 Tagen. Analog dem Nahrungsjod (127I) wird das in Kapselform verabreichte Radiojod (alternativ intravenöse Injektion möglich) in die Thyreozyten aufgenommen und der Hormonsynthese zugeführt. Therapeutisch wirksam sind die β-Strahlen mit einer Reichweite im Gewebe von 1–2 mm, wodurch hohe intrathyreoidale Strahlendosen bei niedriger Restkörperdosis erzielt werden. Die Radiojodtherapie wirkt über eine Hemmung der Zellteilung kombiniert auf die Schilddrüsenfunktion und Strumagröße. Therapieziele sind 4 die Beseitigung einer Hyperthyreose, 4 die Beseitigung einer Autonomie und/oder 4 die Volumenreduktion einer Struma bzw. Rezidivstruma. 2.7.2.4.2 Rechtliche Voraussetzungen Voraussetzung für die therapeutische Anwendung offener radioaktiver Stoffe ist in Deutschland eine Umgangsgenehmigung entsprechend der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV). Die personellen Voraussetzungen umfassen die Bestellung Strahlenschutzverantwortlicher und Strahlenschutzbeauftragter. Strahlenschutzbeauftragte sind in der nuklearmedizinischen Klinik Gebietsärzte mit Fachkunde im Strahlenschutz. Voraussetzungen bei der Behandlung mit offenen radioaktiven Stoffen sind (»Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin«): 4 Ausreichende Ausstattung mit qualifiziertem Personal 4 Ausreichend häufige Behandlungen mit offenen radioaktiven Stoffen, um den erforderlichen Kenntnisstand des Personals zu gewährleisten 4 Vorhandensein einer Bettenstation, die den Erfordernissen des Strahlenschutzes Rechnung trägt 4 Verfügbarkeit einer leistungsfähigen nuklearmedizinischen Untersuchung zur Ermittlung der Daten, die für die Behandlungsplanung und die Nachsorge erforderlich sind 4 Interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Untersuchung, Behandlung und Nachsorge Ferner müssen bei der Ableitung von Abwässern nach der Behandlung mit offenen radioaktiven Stoffen die Werte von §47 StrlSchV eingehalten werden, was erst nach Abklingen in einer Abwasserrückhaltevorrichtung (Abwasseranlage) möglich ist. Dies führt dazu, dass in Deutschland die Radiojodtherapie an spezialisierte Kliniken gebunden ist, die u. a. über eine speziell ausgestattete Bettenstation mit Abwasserabklinganlage verfügen. In Deutschland existieren derzeit etwa 130 Einrichtungen mit 1000 Betten, in denen stationäre Therapien mit offenen radioaktiven Stoffen durchgeführt werden können. Es werden etwa 60.000 Radiojodtherapien pro Jahr in Deutschland vorgenommen, ohne dass Wartezeiten jenseits einer medizinisch notwendigen Vorbereitung bestehen. Die im Körper verbliebene Restaktivität, bei der ein Patient von der nuklearmedizinischen Station entlassen werden kann, beträgt 250 MBq 131I (Dosisleistung ≤3,5 µSv/h in 2 m Abstand, entsprechend 1 mSv bei dauerhaftem Aufenthalt in 2 m Abstand). Hierdurch liegen die stationären Verweilzeiten bei etwa 4–6 Tagen. Anzeige- oder genehmigungspflichtige Ausnahmeregelungen sind möglich. Im Gegensatz hierzu wird in der Mehrzahl der europäischen Nachbarstaaten (z. B. Belgien, Frankreich, Schweiz, England, Österreich) die Radiojodtherapie bis zu bestimmten Aktivitäten auch ambulant durchgeführt (Schicha 1993). Dies hat in Grenz-
101 2.7 · Hyperthyreose
gebieten zu einem regelrechten Radiojodtherapie-Tourismus geführt. Er ist aus Sicht des Strahlenschutzes der Bevölkerung Deutschlands und der Qualitätssicherung für die betroffenen Patienten abzulehnen (Strahlenschutzkommission 1996, 1997). 2.7.2.4.3 Indikationsstellung Seit mehr als einem halben Jahrhundert wird die Radiojodtherapie zur Behandlung der Schilddrüsenüberfunktion eingesetzt. Etablierte Indikationen zur Radiojodtherapie sind die manifeste Hyperthyreose bei Autonomie und M. Basedow sowie die latente Hyperthyreose bei Autonomie (TSH ≤0,3 mU/l). Mit dem Ziel der Volumenreduktion wird die Radiojodtherapie auch bei der euthyreoten Struma und der Rezidivstruma eingesetzt (Dietlein et al. 2004). Für eine Radiojodtherapie sprechen: 4 Schilddrüsenvolumen bei M. Basedow ≤60 ml, bei der Autonomie und Knotenstruma ≤100 ml 4 Kein Malignomverdacht 4 Keine großen liquiden Degenerationen, erhöhtes Operationsrisiko, Voroperationen, Rekurrensparese (auch unabhängig von Voroperationen) bei beidseitigem Rezidiv oder kontralateral zu einem einseitigen Rezidiv, vorübergehender postoperativer Hypoparathyreoidismus nach Erstoperation 4 Ablehnung einer Operation Eine Operation ist gegenüber der Radiojodtherapie zu bevorzugen bei: 4 Nichtzutreffen obiger Kriterien 4 Kompressionssymptomen (Tracheomalazie, hochgradige Trachealstenose, Stridor) 4 Notwendigkeit eines sofortigen Therapieeffekts, was bei schweren Nebenwirkungen auf die thyreostatische Medikation oder bei einer thyreotoxischen Krise der Fall sein kann Eine thyreostatische Therapie ist ein sinnvolles Behandlungskonzept bei: 4 M. Basedow vorwiegend mit geringem Rezidivrisiko (weibliches Geschlecht, Alter >40 Jahre, Schilddrüsenvolumen <40 ml, TSH-Rezeptor-Antikörper <10 IU/l). 4 relevanten Begleiterkrankungen oder Umständen, die gegen eine Operation oder eine Radiojodtherapie sprechen. Eine Kontraindikation zur Radiojodtherapie besteht bei Schwangeren, Stillende müssen erst abstillen. Ein erhöhtes Malignomrisiko nach Radiojodtherapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen wurde nicht beobachtet (Franklyn et al. 1999; Ron et al. 1998). Das genetische Risiko bei jüngeren Patienten ist vernachlässigbar klein. Es existiert daher keine Altersgrenze für die Radiojodtherapie, jedoch ist die Indikation zur Radiojodtherapie bei Jugendlichen und Kindern allenfalls ausnahmsweise gegeben. Eine Schwangerschaft sollte 4–6 Monate nach Radiojodtherapie vermieden werden. Differenzialtherapie beim Morbus Basedow. Eine definitive
Therapieindikation (Operation oder Radiojodtherapie) ergibt sich bei M. Basedow bei: 4 Rezidivierender Basedow-Hyperthyreose 4 Persistierender Hyperthyreose nach 6–12 Monaten der medikamentösen Therapie 4 Schweren Nebenwirkungen bzw. Unverträglichkeit der thyreostatischen Medikation
2
4 Erstmals aufgetretener Basedow-Hyperthyreose, sofern besondere Risikofaktoren für ein Rezidiv nach thyreostatischer Medikation vorliegen (jüngeres Alter, Strumagröße, persistierend erhöhte TSH-Rezeptor-Antikörper oder hoher 99mTcUptake) (Allahabadia et al. 2000; Michelangeli et al. 1998; Vitti et al. 1997) In Deutschland herrscht überwiegend die Auffassung, dass bei der initialen Behandlung des M. Basedow zunächst zumindest ein konservativ-medikamentöser Therapieversuch erfolgen sollte. In den USA wird dagegen bei 70–90% der Patienten primär die Radiojodtherapie durchgeführt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: 4 Bevorzugung einer medikamentösen Dauertherapie mit Bindung des Patienten an den Arzt 4 Bevorzugung der Operation in einem Jodmangelgebiet, in dem Schilddrüsenoperationen aus anderen Gründen häufig sind 4 Strahlenangst der Patienten 4 Unkenntnis primär behandelnder Ärzte hinsichtlich Nutzen und Risiken der Radiojodtherapie 4 Rechtliche Vorschrift in Deutschland, die Radiojodtherapie stationär vorzunehmen Bei Rezidivraten von 50–70% oder mehr scheint das in den USA bevorzugte Therapiekonzept der primären Radiojodtherapie aber durchaus sinnvoll, zumindest bei Patienten mit besonderen Risikofaktoren bei M. Basedow: jüngeres Lebensalter, Struma über 40 g, erhöhte TSH-Rezeptor-Antikörper bzw. erhöhter thyreoidaler 99mTc-Uptake nach 6-monatiger Dauer der thyreostatischen Medikation, Raucher. Das junge Erwachsenenalter einer Patientin, deren Familienplanung in der Zukunft liegt, spricht eher für eine definitive Therapie (Radiojodtherapie oder Operation). Eine Rezidivhyperthyreose während der Schwangerschaft birgt unbehandelt das Risiko einer Fehlgeburt, Frühgeburt oder Fehlbildung. Sollte während der Schwangerschaft die Dosierung der thyreostatischen Medikation über 15 mg Thiamazol liegen, drohen eine dringliche Thyreoidektomie oder eine Schilddrüsenunterfunktion des Embryos (verzögerte Reifung des Gehirns und des Skeletts). Ist die Entscheidung zugunsten einer definitiven Therapiemaßnahme getroffen, sind bei der Auswahl zwischen Radiojodtherapie und Operation insbesondere 3 Gesichtspunkte zu berücksichtigen: 4 Komplikationen und Spätfolgen (Rekurrensparese, Hypoparathyreoidismus) sowie eine Behandlungsletalität sind nach Radiojodtherapie entweder nicht vorhanden oder allenfalls extrapoliert berechenbar, das Behandlungsrisiko ist für Patienten jeglichen Alters bei einer Radiojodtherapie niedriger als bei einer Operation. 4 Besonders große Basedow-Strumen über 60–80 g lassen sich durch Operation schneller und sicherer beseitigen als durch die Radiojodtherapie. Kleinere Strumen sind dagegen durch die Radiojodtherapie effektiv bei nur kurzem stationären Aufenthalt zu beseitigen. 4 Nach Radiojodtherapie des M. Basedow kann es in etwa 15% der Fälle zu einer (oft nur passageren) Verschlechterung einer endokrinen Orbitopathie kommen. Wesentliche Risikofaktoren sind die unzureichend kompensierte Hyperthyreose vor Radiojodtherapie, der verzögerte Ausgleich einer Hypothyreose nach Radiojodtherapie, Rauchen sowie eine unzureichende Herddosis am Schilddrüsengewebe. Das Risiko
102
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
einer Exazerbation als auch einer Erstmanifestation der endokrinen Orbitopathie kann aber durch eine 4–6wöchige (Weigand et al. 1998) bzw. 3-monatige (Bartalena et al. 1998) Glukokortikoidmedikation in niedriger bis mittlerer Dosis (0,4–0,5 mg Prednisolon/kg KG/Tag) fast vollständig vermieden werden. Bei hoch florider endokriner Orbitopathie ist die Indikation zur Radiojodtherapie streng zu stellen, insbesondere bei Rauchern. Daraus ergibt sich eine Indikation zur Radiojodtherapie (versus Operation): 4 Bei allen Patienten mit erhöhtem lokalem oder allgemeinem Operationsrisiko (Voroperation, Begleiterkrankungen) 4 Bei besonderen Berufen (Sänger, Lehrer, Redner) 4 Bei kleiner Struma (unter 30–40 ml: Radiojodtherapie bevorzugt; 40–60 ml: Radiojodtherapie und Operation gleichwertig; über 60 ml: eher Operation, aber Radiojodtherapie bei Risikopatienten oder auf Wunsch möglich) 4 Bei Patienten, die eine Operation ablehnen oder nicht wünschen Differenzialtherapie bei der Schilddrüsenautonomie. Für die
Hyperthyreose infolge einer Schilddrüsenautonomie liegt das Rezidivrisiko der thyreostatisch behandelten Hyperthyreose bei über 80–90%, sodass eine definitive Therapie (Radiojodtherapie oder Operation) notwendig ist. Meist besteht gleichzeitig eine Knotenstruma bzw. Rezidivstruma, sodass die Strumaverkleinerung ein zweites Ziel der Radiojodtherapie ist. Auch die Autonomie mit latenter Schilddrüsenüberfunktion (TSH ≤0,3 mU/l, freie Schilddrüsenhormone normwertig) ist eine gesicherte Indikation für eine definitive Behandlung. Führendes Argument ist ein um den Faktor 2–3 erhöhtes kardiovaskuläres Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, insbesondere für Patienten über 60 Jahre (Sawin et al. 1994; Parle et al. 2001). Differenzialtherapie der Knotenstruma. Die Operation ist stets dann indiziert, wenn ein Malignomverdacht besteht. Ferner ist die Operation bei intrathorakalen Strumen und bei Strumen mit hochgradigen mechanischen Komplikationen das bevorzugte Behandlungsverfahren. Ein verbindliches Grenzvolumen, wann die Operation oder wann die Radiojodtherapie zu empfehlen ist, existiert nicht. Für einen Standardpatienten liegt ein solches Grenzvolumen bei etwa 100 ml für die Knotenstruma mit und ohne Autonomie. Bei älteren Patienten, bei Komorbidität und bei Rezidivstrumen können auch Strumavolumina von 100–200 ml und ggf. darüber für die Radiojodtherapie akzeptiert werden.
2.7.2.4.4 Vorbereitung Aus medizinischen Gründen ist eine optimale Einstellung der Schilddrüsenfunktion über 4–8 Wochen vor einer Radiojodtherapie erforderlich. Dies betrifft bei thyreostatischer Medikation eine möglichst niedrige Dosis, da höhere Thyreostatikadosen den intrathyreoidalen Jodumsatz beschleunigen und möglicherweise einen gering strahlenprotektiven Effekt haben. Die Radiojodtherapie kann nicht als »Notfallindikation« bei nicht-kompensierter Stoffwechsellage oder nach Jodexposition erfolgreich durchgeführt werden. Zu bevorzugen ist eine Monothyreostase mit möglichst niedriger Dosis des Thyreostatikums. Eine Suppression (nicht messbarer TSH-Wert) ist keine Voraussetzung für die Radiojodtherapie zur Beseitigung der Basedow-Hyperthyreose und zur Strumaverkleinerung. Hingegen ist für die selektive
Ausschaltung der Autonomie eine endogene, ggf. eine exogene Suppression durch eine vorübergehende Levothyroxin-Medikation anzustreben. Der TSH-Spiegel sollte unter 0,3 mU/l liegen (Dietlein et al. 2004; Schicha et al. 1999). Im Vorfeld der Radiojodtherapie ist jede stark erhöhte Jodzufuhr zu meiden, um eine optimale 131I-Aufnahme der Schilddrüse zu erreichen und eine Verschlechterung der Hyperthyreose zu verhindern. Außer nach jodhaltigen Röntgenkontrastmitteln und jodhaltigen Medikamenten (auch Externa wie Braunol, Betaisodona oder jodhaltige Augentropfen) ist der Patient nach jodhaltigen Multivitaminpräparaten oder Spurenelementkombinationen zu befragen. Nahrungsjod, Jodsalz oder ein Aufenthalt am Meer spielen üblicherweise keine nennenswerte Rolle, nur bei extremen Ernährungsgewohnheiten. Etwa 1 Woche vor der Radiojodtherapie sollte zusätzlich eine jodarme Diät eingehalten werden, soweit dies möglich ist (Vermeiden von Jodsalz, Seefisch und Algen, Algenpräparaten usw.). Zwei Tage vor dem Radiojodtest und der Radiojodtherapie wird eine thyreostatische Medikation abgesetzt. Durch diese Maßnahmen verbessert sich die Jodaufnahme bei der Radiojodtherapie. 2.7.2.4.5 Patientenaufklärung Der Patient ist über alternative Therapieformen (Operation, Radiojodtherapie, thyreostatische Medikation) unter Berücksichtigung von Nutzen und Risiko aufzuklären. Die Radiojodtherapie wird unter stationären Strahlenschutzbedingungen durchgeführt. Strahlenhygienische Maßnahmen nach der Entlassung beschränken sich auf die Wahrung eines Abstands von 1–2 m von Kleinkindern und Schwangeren über wenige Tage. Eine Arbeitsunfähigkeit aus Gründen des Strahlenschutzes ist lediglich bei ErzieherInnen in Kindergärten gegeben. Die Notwendigkeit der Kontrazeption über 4–6 Monate besteht für Patientinnen und Patienten. Eine Nachsorge wird lebenslang erforderlich sein, insbesondere um Späthypothyreosen zu erfassen. Nebenwirkungen der Radiojodtherapie sind die substitutionspflichtige Hypothyreose, wobei die posttherapeutische Hypothyreose beim ablativen Konzept des M. Basedow ein Therapienebenziel ist. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind die Strahlenthyreoiditis (um 5%) sowie die Immunthyreopathie nach Radiojodtherapie der funktionellen Autonomie (um 1%; Dunkelmann et al. 2004). Dabei ist eine nach Radiojodtherapie auftretende Strahlenthyreoiditis harmlos und durch lokale Maßnahmen (Kühlung) bzw. Antiphlogistika oder Glukokortikoide leicht zu beherrschen. Klinisch relevante Nebenwirkungen hinsichtlich der Nebenschilddrüsen und Speicheldrüsen (chronische Entzündung) sind bei Aktivitäten zur Radiojodtherapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen nicht zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit einer Erstmanifestation oder Progredienz der endokrinen Orbitopathie nach einer Radiojodtherapie unter simultaner Glukokortikoidgabe unterscheidet sich nicht signifikant von der Wahrscheinlichkeit im Spontanverlauf oder nach anderen Therapieoptionen (Bartalena et al.1998). 2.7.2.4.6 Dosiskonzept Bei der Radiojodtherapie gutartiger Schilddrüsenerkrankungen werden zwei unterschiedliche Therapiekonzepte verfolgt: 4 Funktionsoptimiertes Konzept, das bei der unifokalen Autonomie (300–400 Gy Herddosis), bei der multifokalen und disseminierten Autonomie (etwa 150 Gy am Schilddrüsengewebe) und ausnahmsweise beim M. Basedow zur Anwendung kommt.
103 2.7 · Hyperthyreose
4 ablatives Konzept zur Beseitigung der Basedow-Hyperthyreose (etwa 250 Gy am Schilddrüsengewebe) mit posttherapeutisch lebenslanger Substitution der erwarteten Hypothyreose mit Levothyroxin. 4 Ein funktionsoptimiertes Konzept beim M. Basedow (etwa 150 Gy) wird wegen des Risikos der persistierenden Hyperthyreose einerseits und der Entwicklung einer Hypothyreose im Langzeitverlauf nur ausnahmsweise (Wunsch des Patienten) und bei niedrigem Rezidivrisiko verfolgt. In diesem Fall erscheint aber die Alternative eines konservativ-medikamentösen Therapieversuchs geeigneter.
Steht die Volumenverkleinerung der Knotenstruma oder der Rezidivstruma im Vordergrund, liegt die Zieldosis am Schilddrüsengewebe bei offenem Regelkreislauf (TSH normwertig) bei etwa 120–150 Gy. Abzulehnen sind Standardaktivitäten oder die regelhafte Durchführung einer fraktionierten Radiojodtherapie.
2.7.2.4.7 Radiojodtest In der »Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin« wird gefordert, bei der Planung einer nuklearmedizinischen Behandlung die Dosis für das zu behandelnde Organ, also die Schilddrüse, im Voraus zu ermitteln. Hierzu sind im Falle der Radiojodtherapie patientenspezifische Parameter erforderlich. Diese werden möglichst kurz vor der Radiojodtherapie bestimmt: 4 Schilddrüsenvolumen (bei M. Basedow) oder Herdvolumen (bei fokaler Autonomie). Die Bestimmung erfolgt meist sonographisch, hilfsweise szintigraphisch oder in einer Kombination aus Sonographie und Szintigraphie. Bei einer großvolumigen Struma oder bei einem mediastinalen Strumaanteil ist eine Magnetresonanztomographie sinnvoll. 4 Maximaler 131I-Uptake der Schilddrüse und effektive thyreoidale Halbwertszeit. Diese Werte werden mit einem Radiojodtest ermittelt. Der Radiojodtest kann mit 131I (Referenzaktivität 3 MBq) oder als Kurztest auch mit 123I (Referenzaktivität 10 MBq) durchgeführt werden (Dietlein et al. 2003a, b). Der Radiojodtest, der in aller Regel ambulant vorgenommen wird, umfasst die Messung des maximalen Schilddrüsenuptake entweder nach 24 oder nach 48 h. Da gerade beim M. Basedow das Speichermaximum auch früher liegen kann, sind hier zusätzliche Messungen nach 4, 6 oder 8 h sinnvoll. Die effektive thyreoidale Halbwertszeit wird durch eine weitere ambulante Uptakemessung nach 5–7 Tagen (131I) ermittelt. Bei nicht eruierbarer effektiver Halbwertszeit kann ein Schätzwert aus krankheitsspezifischen Normwerttabellen entnommen werden (Schicha et al. 1999). 2.7.2.4.8 Berechnung der Therapieaktivität Die zu applizierende 131I-Aktivität berechnet sich aus der »Marinelli-Formel«: D (Gy) M (g) K A (MBq) = 088 U (%) HWZ (d) 4 A = zu applizierende 131I-Aktivität in MBq 4 D = zu applizierende Herddosis der Schilddrüse in Gy
2
4 M = Schilddrüsenvolumen (bei M. Basedow) bzw. Herdvolumen (bei fokaler Autonomie) in g (entspricht näherungsweise dem Volumen in ml) 4 U = maximaler Uptake von 131I in der Schilddrüse in % der applizierten Aktivität 4 HWZ = effektive thyreoidale Halbwertszeit in d 4 K = Konstante (25) 2.7.2.4.9 Therapiedosimetrie Die Radiojodtherapie erfolgt stationär als Einzeittherapie aus Gründen des Strahlenschutzes und der Qualitätssicherung. Entsprechend der »Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin« ist der zeitliche Aktivitätsverlauf unter Therapie zu kontrollieren. Hiermit erfasst man den maximalen 131I-Uptake sowie die effektive thyreoidale Halbwertszeit unter Therapiebedingungen, sodass die tatsächlich wirksame Schilddrüsenherddosis bestimmt werden kann. Nicht selten ergeben sich unter Therapiebedingungen Abweichungen sowohl der maximalen Aktivitätsaufnahme als auch der thyreoidalen effektiven Halbwertszeit im Vergleich zum prätherapeutischen Radiojodtest. Eine solche Abweichung ist durch die täglich oder öfter durchgeführten Messungen unter stationären (konstanten) Bedingungen bereits nach 2–3 Tagen quantitativ bestimmbar. Falls eine relevante Unterschreitung der Schilddrüsendosis erkennbar ist, kann das vorhandene Defizit durch eine Nachtherapie zu diesem frühen Zeitpunkt während des gleichen stationären Aufenthalts doch noch ausgeglichen werden, ohne dass die stationäre Verweildauer verlängert wird. Eine genaue Dosimetrie unter Therapiebedingungen ist außerdem Voraussetzung, um klinische Studien über die erforderlichen Schilddrüsendosen bei unterschiedlichen Schilddrüsenerkrankungen und unter unterschiedlichen Bedingungen (z. B. Medikation) vorzunehmen. Die Aufzeichnungen zu Dosisberechnung, Applikation und Behandlungskontrolle sind wie sonstige Behandlungsprotokolle 30 Jahre aufzubewahren (»Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin«). 2.7.2.4.10 Glukokortikoide während der Radiojodtherapie des M. Basedow Das Risiko, durch eine Radiojodtherapie die Erstmanifestation oder die Exazerbation einer endokrinen Orbitopathie auszulösen, kann durch eine Glukokortikoidmedikation minimiert werden. Vor und während der Glukokortikoidtherapie sind eingehende, ggf. internistische Abklärungen durchzuführen. Absolute und relative Kontraindikationen der Glukokortikoidtherapie (z. B. Diabetes mellitus, Ulcus ventriculi, Ulcus duodeni, Elektrolytstörungen) sind zu berücksichtigen. 4 Bei vorbestehender endokriner Orbitopathie wird eine Glukokortikoidtherapie (pro Tag 0,4–0,5 mg Prednisolon/kg KG) für 4–6 Wochen empfohlen. Dosierung und Dauer der Glukokortikoidtherapie sind derzeit offene Fragen. 4 Eine prophylaktische Glukokortikoidtherapie ohne vorbestehende Orbitopathie (z. B. jeden zweiten Tag 0,4–0,5 mg Prednisolon/kg KG) für 4–6 Wochen erfolgt fakultativ. 4 Bei florider endokriner Orbitopathie oder Exazerbation ist ggf. eine höhere Dosis oder eine so genannte Stoßtherapie mit anschließender wöchentlicher Dosisreduktion (z. B. Tagesdosis 1,5 mg Prednisolon/kg KG, Reduktion der Tagesdosis wöchentlich um 0,25 mg Prednisolon/kg KG) notwendig. 4 Bei einer Glukokortikoidtherapie über 4–6 Wochen ist ein kurzzeitiges Ausschleichen (z. B. 1,25–5 mg Prednisolon/Tag
104
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
über 1–4 Wochen) vertretbar. Bei einer länger andauernden oder höher dosierten Glukokortikoidtherapie ist eine über mehrere Wochen protrahierte Dosisreduktion, zuletzt unterhalb der Cushing-Schwelle, angezeigt. 2.7.2.4.11 Ergebnisse Der Wirkungseintritt der Radiojodtherapie ist nach etwa 2–3 Monaten zu erwarten. Die Beseitigung einer Schilddrüsenautonomie gelingt beim funktionsoptimierten Dosiskonzept nach erster Radiojodtherapie bei etwa 90% der Patienten; die Rate an latenten oder manifesten Hypothyreosen liegt bei 10–20% der Patienten. Die mögliche Spätmanifestation einer Hypothyreose erst viele Jahre nach der Radiojodtherapie macht eine lebenslange Nachsorge erforderlich. Substitutionspflichtig sind Patienten mit einem ansteigenden TSH-Spiegel über 2,5 mU/l bzw. mit einer latenten Hypothyreose. Die Erfolgsrate bei M. Basedow hängt von der erzielten Herddosis am Schilddrüsengewebe ab und wird durch ein kurzzeitiges Absetzen der thyreostatischen Medikation bei kompensierter Stoffwechsellage weiter optimiert. 4 Durch ein ablatives Konzept zwischen 250 und 300 Gy wird die Hyperthyreose beim M. Basedow innerhalb von 3 Monaten bei über 90% der Patienten beseitigt (Moser et al. 1988; Peters et al. 1995; Reiners 1993; Schicha et al. 1997, 1999; Schicha u. Dietlein 2002). Die posttherapeutische Frühhypothyreose ist hierbei erwünschtes Therapieziel und wird bei über 90% der Patienten beobachtet. Diese wenige Wochen nach der Radiojodtherapie einsetzende Hypothyreose kann frühzeitig erkannt und muss dann lebenslang substituiert werden. 4 Bei einem funktionsoptimierten Konzept mit einer Herddosis von 150 Gy ist von einer Dauerremission nur bei etwa 50–60% der Basedow-Patienten auszugehen, die übrigen Patienten müssen erneut mit Radiojod behandelt werden (Emrich 1997). Die Hypothyreoserate liegt zunächst bei etwa 50% und steigt im Langzeitverlauf.
. Abb. 2.39. Beziehung zwischen Erfolgsrate (Beseitigung einer Hyperthyreose) und Hypothyreoserate. Die Daten wurden aus verschiedenen mitteleuropäischen Originalarbeiten entnommen. Zu erkennen ist, dass
Remissionsrate und Hypothyreoserate sind bei der Radiojodtherapie des M. Basedow miteinander verknüpft, wobei die Hypothyreoserate dosisabhängig schneller steigt als die Remissionsrate (. Abb. 2.39). Im Gegensatz zur Schilddrüsenautonomie, bei der sowohl operativ als auch durch die Radiojodtherapie ein funktionsoptimiertes Konzept mit hohen Remissionsraten und niedrigen Hypothyreoseraten realisierbar ist, scheint dies beim M. Basedow weder operativ noch durch die Radiojodtherapie erreichbar zu sein. Das Volumen einer Knotenstruma mit oder ohne Autonomie wird durch die Radiojodtherapie innerhalb eines Jahres auf etwa 50% des Ausgangsvolumens reduziert (. Abb. 2.40; Dederichs et al. 1996). Zudem nimmt die Strumaverkleinerung noch über etwa 3–4 Jahre weiter zu. Strumarezidive nach Radiojodtherapie sind auch ohne medikamentöse Rezidivprophylaxe selten. Selbst bei großvolumigen Strumen von 200–300 ml tritt innerhalb eines Jahres eine Strumaverkleinerung um 40% ein. Bezüglich der Strumaverkleinerung ist die Radiojodtherapie der medikamentösen Behandlung überlegen (Wesche et al. 2001). Eine Vorbehandlung mit rekombinantem humanem Thyrotropin D steigert und homogenisiert die Radiojodspeicherung und verstärkt die Strumaverkleinerung (Nieuwlaat et al. 2001; Silva et al. 2004), jedoch ist rekombinantes humanes Thyrotropin alfa bislang nur für die Ablation und Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms zugelassen. Noch ausgeprägter ist das Ausmaß der Volumenreduktion beim M. Basedow (bis auf 10–20% des Ausgangsvolumens) und innerhalb einer fokalen Autonomie (bis auf 20% des Ausgangsvolumens). 2.7.2.4.12 Nachsorge Eine Radiojodtherapie wirkt hinsichtlich der Ausschaltung von Schilddrüsengewebe, einer Beseitigung der Hyperthyreose bzw. einer Strumaverkleinerung verzögert, der wesentliche Effekt tritt erst nach Ablauf von 2–3 Monaten ein.
bei der Autonomie eine hohe Erfolgsrate bei niedriger Hypothyreoserate möglich ist. Dies trifft für den M. Basedow offensichtlich nicht zu. (Aus Schicha et al. 1997)
105 2.7 · Hyperthyreose
2
. Abb. 2.40. Mittlere prozentuale Volumenrückbildung der Schilddrüse in Abhängigkeit vom zeitlichen Abstand nach einer Radiojodtherapie. UFA unifokale Autonomie, Gesamtschilddrüsenvolumen; MFA multifokale Autonomie, Gesamtschilddrüsenvolumen; MB Morbus Basedow, Gesamtschilddrüsenvolumen; AA unifokale Autonomie, Adenomvolumen. (Aus Dederichs et al. 1996)
Beim manifesten M. Basedow ist daher nach der Radiojodtherapie eine Fortführung der thyreostatischen Medikation über 2–3 Monate unerlässlich. Die Stoffwechsellage ist in kurzfristigen Intervallen von 2–3 Wochen zu kontrollieren, einerseits um die Dosierung der thyreostatischen Medikation zu reduzieren, andererseits um frühzeitig die Substitutionstherapie mit Levothyroxin einzuleiten. Bei einem zu frühen Absetzen der thyreostatischen Medikation, z. B. schon nach 4 oder 6 Wochen, ist nicht zu erkennen, ob es sich um eine noch nicht beseitigte Hyperthyreose, eine persistierende Hyperthyreose oder um ein Rezidiv handelt. Die Erfolgskontrolle der Radiojodtherapie (Klinik, Schilddrüsen-Labor, Sonographie, Szintigraphie) und ein Auslassversuch der thyreostatischen Medikation erfolgen nach etwa 3 Monaten. Eine szintigraphische Kontrolle mit quantitativer Messung des 99mTc-Uptake bei normalem oder supprimiertem TSH-Spiegel sollte auch bei M. Basedow erfolgen, da die Höhe des 99mTc-Uptake ein guter prognostischer Indikator ist (erhöhte Rezidivgefahr bei über 5% Uptake). Ansonsten geht die Remission parallel mit der Reduktion des Schilddrüsenvolumens. In den ersten 3 Monaten nach Radiojodtherapie der thyreostatisch behandelten Schilddrüsenautonomie sind gleiche Kontrollintervalle wie beim M. Basedow sinnvoll. Bei stabiler Euthyreose nach Absetzen der thyreostatischen Medikation ist eine medikamentöse Rezidivprophylaxe nicht zwingend erforderlich. Die Nachsorge von mit Radiojod behandelten Schilddrüsenpatienten durch den behandelnden Nuklearmediziner ist obligat, dieser besitzt die Verantwortung für die Nachsorge. Teile der Nachsorge können an fachlich geeignete Ärzte delegiert werden. Die Nachsorge betrifft innerhalb des 1. Jahres (6 Wochen, 3, 6, 12 Monate) die Erkennung von Nebenwirkungen, die Überprüfung des Therapieeffekts und die Kontrolle der Schilddrüsenfunktion, langfristig (lebenslang) in jährlichen Intervallen das Erkennen und die Behandlung einer möglichen posttherapeutischen Hypothyreose.
Literatur Allahabadia A, Daykin J, Holder RL et al. (2000) Age and gender predict the outcome of treatment for Graves’ hyperthyroidism. J Clin Endocrinol Metab 85:1038–1042 Bartalena L, Marcocci C, Fausto B et al. (1998) Relation between therapy for hyperthyroidism and the course of Graves‘ ophthalmopathy. N Engl J Med 338:73–78 Dederichs B, Otte R, Klink JE, Schicha H (1996) Volumenreduktion der Schilddrüse nach Radiojodtherapie bei Patienten mit Schilddrüsenautonomie und Morbus Basedow. Nuklearmedizin 35:164– 169 Dietlein M, Dressler J, Grünwald F et al. (2003a) Leitlinien zur Schilddrüsendiagnostik (Version 2). Nuklearmedizin 42:109–115 Dietlein M, Dressler J, Eschner W et al. (2003b) Verfahrensanweisung zum Radioiodtest (Version 2). Nuklearmedizin 42:116–119 Dietlein M, Dressler J, Grünwald F et al. (2004) Leitlinie zur Radioiodtherapie bei benignen Schilddrüsenerkrankungen (Version 3). Nuklearmedizin 43:217–220 Dunkelmann S, Wolf R, Koch A et al. (2004) Incidence of radiationinduced Graves’ disease in patients treated with radioiodine for thyroid autonomy before and after introduction of a high-sensitivity TSH receptor antibody assay. Eur J Nucl Med Mol Imaging 31:1428– 1434 Franklyn JA, Maisonneuve P, Sheppard M et al. (1999) Cancer incidence and mortality after radioiodine treatment for hyperthyroidism: a population-based cohort study. Lancet 353:2111–2115 Emrich D (1997) Editorial: Muss die hohe Hypothyreoserate nach Radiojodtherapie einer immunogenen Hyperthyreose in Kauf genommen werden? Nuklearmedizin 36:5 Michelangeli V, Poon C, Taft J et al. (1998). The prognostic value of thyrotropin receptor antibody measurement in the early stages of treatment of Graves’ disease with antithyroid drugs. Thyroid 8:119– 124 Nieuwlaat WA, Hermus AR, Sivro-Prndelj F et al. (2001) Pretreatment with recombinant human TSH changes the regional distribution of radioiodine on thyroid scintigrams of nodular goiters. J Clin Endocrinol Metab 86:5330–5336
106
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Moser E, Pickardt CR, Mann K et al. (1988) Ergebnisse der Radiojod-Behandlung von Patienten mit immunogener und nicht-immunogener Hyperthyreose bei Anwendung unterschiedlicher Herddosen. Nuklearmedizin 27:98–104 Parle JV, Maisonneuve P, Sheppard MC et al. (2001) Prediction of all-cause and cardiovascular mortality in elderly people from one low serum thyrotropin result: a 10-year cohort study. Lancet 358:861–865 Peters H, Fischer C, Bogner U, Reiners C, Schleusener H (1995) Radioiodine therapy of Graves‘ hyperthyroidism: standard vs. calculated 131 iodine activity. Results from a prospective, randomized multicentre study. Eur J Clin Invest 25:186–193 Reiners Chr (1993) Radiojodtherapie. Dtsch Ärzteblatt 90:B-2217–2221 Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin 2002. Richtlinie nach der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung – StrlSchV). Ausgabe mit ausführlichem Erläuterungsteil 5. Aufl. (2003) Kemmer W, Michalczak H. Hoffmann Verlag, Berlin Ron E, Doody MM, Becker DV et al. (1998) Cancer mortality following treatment for adult hyperthyroidism. Cooperative Thyrotoxicosis Therapy Follow-up Study Group. JAMA 280:347–355 Sawin CT, Geller A, Wolf PA et al. (1994) Low serum thyrotropin concentrations as a risk factor for atrial fibrillation in older persons. N Engl J Med 331:1249–1252 Schicha H, Scheidhauer K (1993) Radiojodtherapie in Europa – eine Umfrage. Nuklearmedizin 32:321–324 Schicha H (1997) Stellungnahme zum Editorial von D. Emrich: Muss die hohe Hypothyreoserate nach Radiojodtherapie einer immunogenen Hyperthyreose in Kauf genommen werden? Nuklearmedizin 36:6 Schicha H, Dietlein M (2002) Morbus Basedow und Autonomie – Radioiodtherapie. Nuklearmedizin 41:63–70 Schicha H, Dietlein M, Scheidhauer K (1999) Therapie mit offenen radioaktiven Stoffen. In: Büll U, Schicha H, Biersack HJ, Knapp WH, Reiners Chr, Schober O (Hrsg) Nuklearmedizin, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York, S 512–545 Schicha H, Reiners C, Moser E, Schober O (2004) Subclinical thyroid disease. Nuklearmedizin 43:69–104 Silva MNC, Rubio IGS, Romao R et al. (2004) Administration of a single dose of recombinant human thyrotrophin enhances the efficacy of radioiodine treatment of large compressive multinodular goitres. Clin Endocrinol 60:300–308 Strahlenschutzkommission »Ambulante, fraktionierte Radioiodtherapie«, Empfehlung der Strahlenschutzkommission vom 22./23. Februar 1996. Bundesanzeiger Nr. 132 (18.7.1996) Strahlenschutzkommission »Strahlenschutzgrundsätze für die Radioiodtherapie«, Empfehlung der Strahlenschutzkommission vom 5./6. Dezember 1996. Bundesanzeiger Nr. 68 (11.4.1997) Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) (2002) Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen vom 20. Juli 2001 (BGBL. I S. 1714), geändert aufgrund Artikel 2 der Verordnung vom 18. Juli 2002 (BGBl. I S. 1869). Textausgabe mit Anmerkungen von Witt E, Jäger E, Kaspar L, 12. Aufl. Heymann, Köln Berlin Bonn München Vitti P, Rago T, Chiovato L (1997) Clinical features of patients with Graves’ disease undergoing remission after antithyroid drug treatment. Thyroid 7:369–375 Wesche MF, Tiel-Van Buul MM, Lips P, Smits NJ, Wiersinga WM (2001) A randomized trial comparing levothyroxine with radioactive iodine in the treatment of sporadic nontoxic goiter. J Clin Endocrinol Metab 86:998–1005 Weigand A, Hinzpeter B, Schicha H (1998) Verschlechterung einer endokrinen Orbitopathie nach Radioiodtherapie bei M. Basedow? Nuklearmedizin 37:234–238
2.7.2.5 Operative Therapie
H. Dralle, O. Gimm, A. Machens ) ) Im Gegensatz zur Hyperthyreose bei Schilddrüsenautonomie stellt die operative Therapie der Immunthyreopathie eine alternative Definitivtherapie dar, deren Stellenwert im Kontext des Spontanverlaufs der Erkrankung, des Erfolgs und der Nebenwirkungen der medikamentösen Primärtherapie und der alternativ möglichen Radiojodtherapie sowie der Kosten und Risiken des operativen Eingriffs individuell zu bestimmen ist. Im Vergleich mit den nichtoperativen Verfahren hat die operative Therapie der Immunthyreopathie den Vorteil des mit der weitgehenden oder vollständigen Eliminierung des immunologischen Substrates verbundenen sicheren, schnellen und dauerhaften Therapieerfolgs, aber den Nachteil der möglichen operativ bedingten Komplikationen und der meist lebenslang erforderlichen Hormonsubstitution. Da nur etwa 50% der Patienten nach medikamentöser Therapie eine dauerhafte Remission entwickeln, kommt der interdisziplinären und individuellen Indikationsstellung zur Operation, der Aufklärung über Risiken und Folgen der Operation und der Sicherheit des operativen Eingriffs wesentliche Bedeutung im Behandlungskonzept der Immunthyreopathie zu.
2.7.2.5.1 Indikationsstellung Voraussetzung eines klaren Therapiekonzepts ist die Abgrenzung autonomer von immunogenen Hyperthyreosen. Der Nachweis von TSH-Rezeptor-Autoantikörpern sichert in den meisten Fällen (ca. 90%) auch bei schwierigen Differenzialdiagnosen (disseminierte Autonomie) die Diagnose. Darüber hinaus sind anhand des Verlaufs der TSH-Rezeptor-Autoantikörper von Therapiebeginn bis zur Operation ggf. Rückschlüsse auf die Intensität des Autoimmunprozesses möglich, die das Ausmaß der Schilddrüsenresektion beeinflussen können (Sugino et al. 1995; Winsa et al. 1995). Hauptindikationen der operativen Therapie der Immunthyreopathie 5 Wachsende oder große Struma 5 Rezidivhyperthyreose nach insuffizienter thyreostatischer Therapie 5 Nebenwirkungen der Thyreostase 5 Zusätzlich bestehende malignitätsverdächtige Knoten 5 Jodindizierte thyreostatisch nicht behandelbare Hyperthyreose (. Tab. 2.13 und 2.14)
Im Gegensatz zu den westlichen Ländern (Glinoer et al. 1987) und Amerika (Solomon et al. 1990), in denen die Operation immer erst nach Ineffektivität oder Nebenwirkungen der Thyreostase und alternativ zur Radiojodtherapie durchgeführt wird, stellt in Japan die Operation die Haupttherapiemodalität der Immunthyreopathie dar, weil dort die Rezidiv- und Hyperthyreoseraten nach Operation geringer sind als nach Radiojodtherapie (Harada et al. 1997).
107 2.7 · Hyperthyreose
. Tab. 2.13. Entscheidungskriterien bei Morbus Basedow: Operation versus Radiojodtherapie. (Modifiziert nach Schicha 1991 und Schicha u. Scheidhauer 1994)
Kriterien
Operation
Radiojodtherapie
Schwangerschaft
+
Kontraindiziert
Karzinomverdacht
+
Kontraindiziert
Große Struma
+
–
Zusätzliche Knoten
+
–
Kindes- und Jugendalter
+
–
Progrediente endokrine Ophthalmopathie
+
–
Strahlenangst
+
–
Jodinduzierte Hyperthyreose nach konservativer Therapie
+
–
Nebenwirkungen der Thyreostase
+
–
Kleine Struma bei Erwachsenen
–
+
Signifikante Komorbidität
–
+
Operationsangst
–
+
Rezidivhyperthyreose nach Voroperation
–
+
. Tab. 2.14. Therapiebedingte Risiken bei Morbus Basedow: Operation versus Radiojodtherapie. (Mod. nach Schicha 1991 und Schicha u. Scheidhauer 1994)
Risiken
Operation (%)
Radiojodtherapie (%)
Letalität
<0,5
0,01–0,02a
Genetische Schäden
–
0,01–0,05 b
Hypothyreose
30–100
10–90b
Hyperthyreose
<5b
<5b
Rekurrensparese
<3
–
Hypoparathyreoidismus
<3
–
a
Strahleninduziertes Malignom, hypothetisch extrapoliert, Latenzzeit >10–15 Jahre b Je nach Ausmaß der Schilddrüsenresektion bzw. Intensität der Radiojodtherapie
Immunthyreopathie in der Schwangerschaft. Die in der Schwan-
gerschaft unbehandelte Immunhyperthyreose führt gehäuft zu Aborten, Totgeburten, vorzeitiger Entbindung, untergewichtigen Säuglingen sowie zu einer erhöhten Missbildungsrate. Bei der Geburt kann eine thyreotoxische Krise ausgelöst werden. Obwohl
2
aus verständlichen Gründen vergleichende Studien zur thyreostatischen versus operativen Therapie der Immunhyperthyreose in der Schwangerschaft fehlen, birgt die Operation der Hyperthyreose in der Schwangerschaft, korrekte Indikation und Durchführung vorausgesetzt, offenbar kein höheres Risiko als Operationen außerhalb der Schwangerschaft (Wahl et al. 1996). Die besonderen Ausnahmeindikationen zur Operation der Hyperthyreose in der Schwangerschaft sind Nebenwirkungen der Thyreostase, schwere, medikamentös nicht beherrschbare Hyperthyreosen bzw. drohende oder manifeste thyreotoxische Krisen, Karzinomverdacht und zusätzliche Risiken mit drohender Entgleisung der Hyperthyreose (z. B. Diabetes, Präeklampsie; Wahl et al. 1996). Die Operation wird dann vorzugsweise im 2. Trimenon durchgeführt. Immunthyreopathie bei Kindern und Jugendlichen. Immunhyperthyreosen sind im Kindes- und Jugendalter seltener als im Erwachsenenalter. Eine operative Therapie wird nur dann durchgeführt, wenn 5 ernsthafte Nebenwirkungen der Thyreostase aufgetreten sind, 5 die Hyperthyreose nach Absetzen der Thyreostase persistiert, wobei bei Kindern in der Regel eine mehrjährige (1–6 Jahre) thyreostatische Therapie primär durchgeführt wird, 5 erhebliche Complianceprobleme bei der Durchführung der thyreostatischen Therapie aufgetreten sind (Perrild et al. 1997; Soreide et al. 1996).
Gerade letzteres sollte allerdings bei der Indikationsstellung zur Operation besondere Beachtung finden, da eine adäquate Compliance zugleich eine wesentliche Voraussetzung der Operation darstellt, da nach ausgedehnter Schilddrüsenresektion fast immer eine lebenslange Schilddrüsenhormonsubstitution erforderlich ist. Als Alternative zur operativen Schilddrüsenablation wurde in der Vergangenheit eine Radiojodtherapie bei Kindern nur in den USA durchgeführt. In den letzten Jahren wird die Radiojodtherapie zunehmend auch in Großbritannien und in den Niederlanden als Primärtherapie empfohlen (Perrild et al. 1997), da sich keine Hinweise für ein karzinogenes und genetisches Risiko im Zeitraum der jetzt 45 Jahre verfügbaren Radiojodtherapie ergeben haben (Reiners 1997). In Deutschland wird aus Sicherheitsgründen empfohlen, als Altersgrenze für die Radiojodtherapie das 20. Lebensjahr festzulegen (Reiners 1997), sodass in Deutschland derzeit weiterhin die Operation als einzige Therapiemodalität zur definitiven Behandlung der Immunhyperthyreose bei Kindern und Jugendlichen zur Verfügung steht. Immunthyreopathie mit endokriner Ophthalmopathie. Ophthalmopathie und Hyperthyreose beim M. Basedow sind eng miteinander verbunden, die exakte Beziehung zwischen beiden Manifestationsformen ist jedoch weiterhin unklar. Es wird vielfach diskutiert, ob sich die endokrine Ophthalmopathie als Behandlungsfolge nach thyreostatischer Therapie, Radiojodtherapie oder Operation neu entwickeln oder verstärken kann. Hinsichtlich der Operation haben sich in den letzten Jahren zunehmend Hinweise dafür ergeben, dass das Risiko eines Auftretens oder einer Verschlechterung einer endokrinen Ophthalmopathie durch eine ausgedehnte oder (fast) totale Thyreoidektomie geringer ist als nach der früher vorgenommenen subtotalen Thyreoidektomie (Catz u. Perzik 1969; Dralle et al. 1997; Grussen-
108
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
dorf et al. 1988; Winsa et al. 1995) und möglicherweise durch den Einsatz systemisch angewendeter Glukokortikoide weiter reduziert werden kann (Marcocci et al. 1992). Ob daraus eine generell frühzeitigere Indikationsstellung zur Operation bei Patienten mit Morbus-Basedow-assoziierter endokriner Ophthalmopathie abgeleitet werden kann, ist derzeit offen, könnte aber möglicherweise bei jungen Patienten mit kurzfristiger Anamnese einer endokrinen Ophthalmopathie zutreffen. Immunthyreopathie mit jodinduzierterThyreotoxikose, thyreotoxischer Krise oder sehr schweren Nebenwirkungen der thyreostatischen Therapie. Bei M. Basedow mit Thyreotoxikose
oder schweren durch Thyreostatika bedingten Nebenwirkungen kann in begründeten Ausnahmefällen, wenn die hyperthyreote Stoffwechsellage trotz intensiver konservativer Therapie nicht beherrschbar ist, eine operative Behandlung erforderlich sein. Die Indikationsstellung zu diesem Vorgehen erfolgt interdisziplinär, die perioperative Behandlung unter intensivmedizinischen Bedingungen (Dralle et al. 1985; Dralle 1989). Jodinduzierte Hyperthyreosen sind selten und kommen meist bei Schilddrüsenautonomien vor (Lederbogen u. Reinwein 1992). Mit zunehmendem Alter steigt der Schweregrad und damit das Letalitätsrisiko in doppelter Hinsicht. Die Prophylaxe der jodinduzierten Hyperthyreose stellt die effektivste Maßnahme zur Behandlung dieser schweren Erkrankung dar. 2.7.2.5.2 Präoperative medikamentöse Vorbehandlung Vor Einführung der modernen präoperativen Vorbehandlung wurde über Häufigkeiten von ca. 7% perioperativer thyreotoxischer Krisen mit einer Letalität von 60–70% berichtet (Bayley 1934; Waldstein et al. 1960). Die präoperative medikamentöse Vorbehandlung hat damit das Ziel, perioperativ durch eine euthyreote Stoffwechsellage die hyperthyreoseassoziierten metabolischen Risiken der Operation zu minimieren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (schwere Nebenwirkungen der Thyreostase, jodinduzierte Hyperthyreose) gilt daher das präoperative Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage als obligate Voraussetzung der Operation des M. Basedow. Die Reduktion der Morbus-Basedow-bedingten Hypervaskularisation durch hochdosierte Jodidtherapie (sog. Plummerung) kann ein weiteres Ziel der präoperativen medikamentösen Vorbehandlung darstellen. Die präoperative medikamentöse Vorbehandlung wird in der Regel mit Thionamiden (Methimazol oder Carbimazol oder, bei Nebenwirkungen, mit Propylthiouracil) durchgeführt; wesentlich ist eine ausreichend lange, meist mehrwöchige Vorbehandlung, die nicht nur laborchemisch, sondern v. a. klinisch zu einer eumetabolen Stoffwechsellage führt. Einfluss auf Art, Intensität und Dauer der medikamentösen Vorbehandlung haben v. a. der klinische Schweregrad der Hyperthyreose, etwaige Nebenwirkungen der thyreostatischen Therapie oder eine vorausgegangene Jodkontamination, der Schweregrad der endokrinen Ophthalmopathie und zusätzliche nichtthyreoidale, z. B. kardiopulmonale Vorerkrankungen. Bei leichter Hyperthyreose kann eine alleinige oder unterstützende Betablockade mit Propanolol angewendet werden (Lee et al. 1982; Toft et al. 1978). Propanolol führt durch Hemmung der extrathyreoidalen Konversion von T4 zu T3 zu einer meist raschen Symptomkontrolle der Hyperthyreose (Absenkung der Pulsfrequenz, psychoemotionale Beruhigung). Die Effekte auf die Schilddrüsenkonsistenz und -durchblutung sind denjenigen nach thyreostatischer Vorbehandlung vergleichbar. Pro-
panolol hat eine kurze Halbwertszeit (ca. 3 h), es wird daher 3- bis 4-mal täglich gegeben (ca. 120–160 mg/Tag), die Medikation wird unmittelbar postoperativ wieder aufgenommen und über 3–4 bis zu 7 Tage fortgesetzt. Die wegen der kurzen Halbwertszeit sehr enge therapeutische Breite mit möglichen Entgleisungen der Hyperthyreose bei nicht adäquater perioperativer Dosierung und Einnahme beschränkt den Einsatz der alleinigen Betablockade auf Patienten mit schweren Nebenwirkungen der thyreostatischen Therapie (Agranulozytose, Thrombozytopenie, aplastische Anämie) oder auf Patienten mit milder Hyperthyreose, wenn keine Kontraindikationen der Betablockade bestehen (z. B. Herzinsuffizienz). Eine »Plummerung« kann als direkte Vorbehandlung routinemäßig oder insbesondere bei Nebenwirkungen der Thyreostase z. B. mit Kaliumjodid (0,3 g/Tag p.o. ca. 7–14 Tage präoperativ) durchgeführt werden. Die Jodidvorbehandlung führt zu einer Hemmung der thyreoidalen T4- und T3-Sekretion, der Effekt tritt innerhalb von 24 h ein und erreicht sein Maximum nach ca. 10–14 Tagen, anschließend kann es zu einem Wirkungsverlust oder einer Exazerbation der Hyperthyreose kommen, sodass die Operation innerhalb dieser Phase erfolgen muss. Jodid vermindert darüber hinaus die Vaskularisation der Schilddrüse und macht sie fester. Dauer und Intensität der Plummerung werden durch die Intensität der Hyperthyreose und die Größe der Struma bestimmt. Glukokortikoide haben nicht nur eine immunsuppressive Wirkung, sondern auch günstige Effekte auf den peripheren Schilddrüsenhormonmetabolismus bei Hyperthyreose. Die perioperative kurzzeitige systemische Gabe von Glukokortikoiden wird v. a. bei Basedow-Hyperthyreosen mit schwerer oder progredienter endokriner Ophthalmopathie empfohlen (Marcocci et al. 1992); hier kann sie dazu beitragen, die Rate postoperativ exazerbierter endokriner Ophthalmopathien nicht zu erhöhen bzw. zu senken. Vorbehandlung bei jodinduzierter Hyperthyreose, thyreotoxischer Krise oder sehr schweren Nebenwirkungen der thyreostatischen Therapie. Nur bei thyreotoxischen Patienten, bei
denen die medikamentöse Behandlung keine euthyreote Stoffwechsellage erreicht hat (Ineffektivität bei Jodkontamination oder Thyreostatikanebenwirkungen), kann und sollte eine frühzeitige operative Behandlung durchgeführt werden, um eine weitere klinische Verschlechterung zu vermeiden. Es handelt sich hierbei um eine definierte Ausnahmeindikation, die stets interdisziplinär gestellt wird. Die Patienten werden perioperativ intensivmedizinisch überwacht und behandelt. Eine Plasmapherese zur Operationsvorbereitung kann den Plasmaschilddrüsenhormonspiegel signifikant senken, die Therapie ist jedoch wenig wirksam zur Verbesserung des klinischen Hyperthyreosegrades (Dralle et al. 1985; Preuschof et al. 1991) und stellt daher keinen integralen Bestandteil der perioperativen Behandlung dieses Krankheitsbildes dar. Die Dauer der präoperativen intensivmedizinischen Maßnahmen wird von der Intensität des klinischen Thyreotoxikosegrades bestimmt: je höher der Schweregrad, desto kurzfristiger die intensivmedizinische Vorbereitung. Bei thyreotoxischen Krisen des Stadiums 2 und 3 (7 Übersicht) sollte die Schilddrüsenresektion innerhalb von 2 Tagen erfolgen. Bei thyreotoxischen Krisen Grad 1 wird nach 2 und mehr Tagen operiert, wenn innerhalb dieser Zeit mit konservativen Maßnahmen keine Besserung des klinischen Zustandes erreicht werden konnte. Die Operation
109 2.7 · Hyperthyreose
mit aufgeschobener Dringlichkeit ist immer dann indiziert, wenn ohne Zeichen der thyreotoxischen Krise unter Thyreostase keine laborchemische und klinische Besserung eingetreten ist (Dralle et al. 1998). Die folgende 7 Übersicht zeigt die verschiedenen Stadien der thyreotoxischen Krise, definiert als lebensbedrohliche klinische Situation infolge von Hyperthyreose. Stadieneinteilung der thyreotoxischen Krise. (Nach Herrmann 1978) 5 Stadium 1: Tachykardie (>150/min), Herzrhythmusstörungen, Hyperthermie, Adynamie, profuse Durchfälle, Dehydratation, verstärkter Tremor, Unruhe, Agitiertheit, Hyperkinesie, evtl. stark erhöhte Schilddrüsenhormonkonzentrationen 5 Stadium 2: Symptome von Stadium 1, zusätzlich Bewusstseinsstörungen, Stupor, Somnolenz, psychotische Zeichen, örtliche und zeitliche Desorientiertheit 5 Stadium 3: Symptome von Stadium 1, zusätzlich Koma 5 Stadium 1, 2 oder 3: – a Patient <50 Jahre – b Patient >50 Jahre
2.7.2.5.3 Patientenaufklärung Die Patienten werden wie vor anderen Schilddrüsenoperationen über die möglichen operativ bedingten Komplikationen und Operationsfolgen aufgeklärt. Die Besonderheiten des M. Basedow und der Operation des M. Basedow sind bei der Patienteninformation zu berücksichtigen: 4 Das Risiko operativ bedingter Komplikationen, insbesondere der Rekurrensparese und des Hypoparathyreoidismus, ist bei der Operation eines M. Basedow aufgrund der Parenchymkonsistenz und Hypervaskularisation höher als bei euthyreoten Knotenstrumen. 4 Die Beseitigung des Zielorgans des Autoimmunprozesses, der Schilddrüse, ist Voraussetzung für die sichere und dauerhafte Vermeidung eines Hyperthyreoserezidivs, wahrscheinlich aber auch für die günstige Beeinflussung einer etwaig bestehenden endokrinen Ophthalmopathie. Dieses Ziel kann nur mit einer (fast) vollständigen Elimination der Schilddrüse erreicht werden und hat daher therapiebedingt eine lebenslange Schilddrüsenhormonsubstitution zur Folge, über die der Patient informiert werden muss. Während früher als Ziel der Operation eine euthyreote Stoffwechsellage, wenn möglich ohne Substitution, angestrebt wurde, wird heute die ausgedehnte bzw. (fast) totale Thyreoidektomie allgemein empfohlen, nachdem sich gezeigt hat, dass für viele Patienten die Therapie eines Hyperthyreoserezidivs erheblich belastender ist als die in der Regel unproblematisch durchzuführende Schilddrüsenhormonsubstitution. Von fast allen Zentren im In- und Ausland wird daher heute das Erreichen einer Hypothyreose als kaum vermeidbare Therapiefolge betrachtet, um das Ziel der Hyperthyreosebeseitigung sicher und dauerhaft zu erreichen. Dem Patienten sollten, wenn möglich, die Grundzüge dieses Wandels im Therapiekonzept erläutert werden, damit Inkaufnahme der Hypothyreose und Notwendigkeit der lebenslangen Hormonsubstitution verständlich werden.
2
2.7.2.5.4 Verfahrenswahl Im Gegensatz zur Knotenstruma ist beim M. Basedow eine spezielle präoperative Lokalisationsdiagnostik (z. B. Szintigraphie) in der Regel nicht erforderlich, da weder die medikamentöse Vorbehandlung noch das operative Vorgehen von dem Ergebnis der Lokalisationsdiagnostik beeinflusst werden. Die laborchemischen und apparativ-diagnostischen Maßnahmen erfordern neben der Dokumentation der eumetabolen Stoffwechsellage keine das Routineprogramm anderer Schilddrüsenoperationen erweiternden Diagnostikverfahren (Bestimmung des Serumkalziums, Schilddrüsensonographie, indirekte Laryngoskopie). Auch die Narkosevorbereitung und -führung, die Lagerung des Patienten, das Instrumentarium und der zervikale Zugang entsprichen dem Vorgehen bei anderen Halsoperationen, z. B. bei Knotenstruma und Hyperparathyreoidismus. Resektionsausmaß. Das zur dauerhaften Normalisierung der Schilddrüsenfunktion und, wenn möglich, auch zur Verbesserung der endokrinen Ophthalmopathie erforderliche Resektionsausmaß ist individuell kaum bestimmbar, da es sich beim M. Basedow um eine Autoimmunerkrankung handelt, deren Aktivität auch im postoperativen Verlauf nicht exakt vorhersehbar ist. Wenn ein resezierendes Verfahren und nicht eine totale Thyreoidektomie durchgeführt wird, bleibt von den wesentlichen, die postoperative Restschilddrüsenfunktion und damit das Rezidivrisiko bestimmenden Faktoren neben der alimentären Jodversorgung (Thjodleifsson et al. 1977) und der Intensität des Autoimmunprozesses lediglich die Restschilddrüsengröße als operativ zu bestimmender Faktor für die Sicherheit der Rezidivvermeidung. Zahlreiche Untersuchungen in der Vergangenheit haben nachgewiesen, dass nicht die Menge des entfernten, sondern des zurückbelassenen Gewebes mit dem Rezidivrisiko korreliert (Hedley et al. 1972; Michie et al. 1972; Sugino et al. 1995): je weniger Restgewebe, desto niedriger das Hyperthyreoserezidivrisiko und desto höher die Hypothyreoserate. Es ist davon auszugehen, dass bei einer Restschilddrüsengröße von insgesamt unter 5 ml mit einer Hyperthyreoserezidivrate von nicht über 5% zu rechnen ist. Das Resektionsausmaß bei M. Basedow sollte daher so gewählt werden, dass eine Restschilddrüsengröße von 5 ml nicht überschritten wird. Um dieses Ziel zu erreichen, stehen 2 grundsätzliche operative Verfahren zur Verfügung: 4 Ausgedehnte subtotale Thyreoidektomie mit einem unilateralen (Dralle et al. 1987; Dunhill 1919; Hartley 1905) oder bilateralen Rest (Sudeck 1930) 4 Totale Thyreoidektomie (Catz u. Perzik 1969; Winsa et al. 1995)
Welches der beiden operativen Verfahren individuell zu bevorzugen ist, kann derzeit nicht abschließend bewertet werden. Das Komplikationsrisiko nach totaler Thyreoidektomie ist etwas höher als nach subtotaler Thyreoidektomie. Dies betrifft nicht nur die Rate permanenter Rekurrensparesen, sondern vor allem der permanenten Hypokalzämien (Dralle u. Sekulla 2004). Für die sichere und dauerhafte operative Behandlung der Hyperthyreose ist sicherlich in den meisten Fällen eine subtotale Thyreoidektomie mit kleinem Rest ausreichend. Ob eine totale Thyreoidektomie erforderlich ist, um bei vorhandener endokriner Ophthalmopathie diese zu bessern, ist aufgrund der vorliegenden Untersuchungen, einschließlich der einzigen prospektiv randomisierten Studie mit einer Nachbeobachtungszeit von 18–38 Monaten (Witte et al. 1997), noch unklar. Retrospektive
110
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Untersuchungen sprechen allerdings dafür, dass beim komplizierten M. Basedow (neu aufgetretene oder progressive endokrine Ophthalmopathie und/oder inadäquat unter Thyreostase abfallende bzw. persistierend hohe oder ansteigende Titer der TSHRezeptor-Antikörper) eine Entfernung des gesamten Antigenpools durch totale Thyreoidektomie (mit/ohne Glukokortikoide bzw. mit/ohne postoperativer Radiojodablation) von Vorteil für den Verlauf einer bestehenden endokrinen Ophthalmopathie (Vana et al. 1992; Winsa et al. 1995) und die Schilddrüsenüberfunktion sein kann (Sugino et al. 1995). Im eigenen Vorgehen wird derzeit eine totale Thyreoidektomie beim komplizierten M. Basedow bevorzugt. Die ausgedehnte subtotale Thyreoidektomie kann in 2 technischen Varianten durchgeführt werden, ohne dass sich die Menge des zurückbleibenden Schilddrüsengewebes voneinander unterscheidet: 4 Subtotale Thyreoidektomie mit kleinem unilateralem Rest. Hierbei wird auf der einen Seite eine Hemithyreoidektomie, kontralateral eine subtotale Lobektomie durchgeführt. 4 Subtotale Thyreoidektomie mit kleinen bilateralen Resten. Beide Verfahren können mit gleichem operativem Risiko durchgeführt werden, Rekurrensparese- und Hypoparathyreoidismusrate unterscheiden sich nicht (Dunhill 1919; Dralle et al. 1987). Der Vorteil der subtotalen Thyreoidektomie mit unilateralem Rest ist, dass bei einem etwaig erforderlichen Reeingriff lediglich eine unilaterale Nachresektion notwendig wird. Diese Resektion empfiehlt sich daher zumindest bei allen Immunthyreopathien mit zusätzlich bestehenden Knotenbildungen und Malignitätsverdacht. Technik der subtotalen Thyreoidektomie mit kleinem Rest.
Zahlreiche Detailvarianten der subtotalen Thyreoidektomie mit Belassen eines kleinen Schilddrüsenrestes von insgesamt nicht mehr als 4–5 ml sind möglich. Obwohl aus pathophysiologischer Sicht keine Hinweise für eine Präferenz eines unilateralen oder bilateralen Schilddrüsenrestes bestehen, wird aus den o. g. Gründen im eigenen Vorgehen, wenn keine totale Thyreoidektomie erfolgt, das Belassen eines unilateralen Restes bevorzugt (Dralle et al. 1987). Die wesentlichen operativen Schritte der im eigenen Vorgehen stets mit Lupenbrille, bipolarer Koagulation und Neuromonitoring vorgenommenen subtotalen En-bloc-Resektion ohne Isthmusdurchtrennung und mit Belassen eines unilateren Restes sind folgende: Kocher-Kragenschnitt im Bereich des zuvor im wachen Zustand angezeichneten Hautschnittes. Eingehen durch die Linea alba colli, Darstellung beider Schilddrüsenlappen, bei großen und/oder sehr stark vaskularisierten Strumen Durchtrennung der kurzen geraden Halsmuskulatur. Beginn der vollständigen Schilddrüsenmobilisation auf der Hemithyreoidektomieseite durch Absetzung der V. thyreoidea media (sog. Kocher-Vene), Darstellung der Kreuzungsstelle von A. thyreoidea inferior und N. recurrens. Aufsuchen der unteren Nebenschilddrüse, schilddrüsennahes Absetzen der unteren Polgefäße unter bestmöglicher Schonung der unteren Nebenschilddrüse (bei nicht möglichem Erhalt der Vaskularisation erfolgt Autotransplantation in den rechten M. sternocleidomastoideus mit Fadenmarkierung der Transplantatloge). 6
Die weitere Lappenmobilisation erfolgt in kaudokranialer Richtung bis zum oberen Schilddrüsenpol, dort Aufsuchen der meist im Bereich des Berry-Ligamentum gelegenen oberen Nebenschilddrüse, schilddrüsennahes Absetzen der oberen Polgefäße unter Schonung des N. laryngeus superior und Freipräparation des gesamten Schilddrüsenlappens bis zur Tracheavorderwand. Die Lappenpräparation auf der kontralateralen Seite wird wie auf der Hemithyreoidektomieseite vorgenommen, ebenso die Darstellung der A. thyreoidea inferior, des N. recurrens und der Nebenschilddrüsen. Eine Ligatur oder Durchtrennung der A. thyreoidea inferior erfolgt nur in Ausnahmefällen. Der zu belassende Schilddrüsenrest verbleibt kraniodorsal im Mündungsbereich des N. recurrens unter Erhalt des auch die obere Nebenschilddrüse versorgenden unteren Astes der oberen und des oberen Astes der unteren Polarterie.
Die subtotale Resektion wird mit dem Harmonic-Skalpell oder mit Klemmchen bzw. feinen Overholt-Klemmen durchgeführt. Das En-bloc-Präparat wird abschließend über der Trachea abgesetzt. Operatives Vorgehen bei Vorliegen eines Morbus Basedow mit einem Schilddrüsenkarzinom. In seltenen Fällen kann beim
M. Basedow zusätzlich ein Schilddrüsenkarzinom, meist handelt es sich um papilläre Karzinome, vorliegen. Trotz zum Teil widersprüchlicher Befunde (Belfiore et al. 1990) ist gegenwärtig davon auszugehen, dass Häufigkeit und Tumorbiologie differenzierter Schilddrüsenkarzinome in operierten Basedow-Strumen unabhängig davon, ob eine Radiojodtherapie vorangegangen ist oder nicht, sich nicht unterscheiden von Schilddrüsenkarzinomen des gleichen Typs in anderen Strumen (Auersperg et al. 1994; Ozaki et al. 1990, 1994). Die Konsequenzen für die chirurgische Therapie sind daher die gleichen wie bei malignitätsverdächtigen Knoten in einer nicht immunthyreopathischen Schilddrüse: ipsilaterale Hemithyreoidektomie und Erweiterung zur totalen Thyreoidektomie und zentralen Lymphadenektomie bei Bestätigung der Karzinomdiagnose im intraoperativen Schnellschnitt (Ausnahme: unifokale papilläre Mikrokarzinome unter 1 cm im Durchmesser ohne Lymphknoten- und Fernmetastasen). Operatives Vorgehen bei jodinduzierten Hyperthyreosen. Angesichts der Akutsituation einer jodinduzierten Hyperthyreose kommt es in erster Linie auf die sichere Beseitigung des lebensbedrohlichen Hypermetabolismus an. Da auch kleine Reste einer Basedow-Schilddrüse Ursache einer Persistenz des akuten Krankheitsbildes sein können, wird im eigenen Vorgehen in diesen Fällen eine totale Thyreoidektomie durchgeführt. Operatives Vorgehen beim Rezidiv einer operierten BasedowStruma. Therapie der Wahl bei funktionellen Rezidiven einer
operierten Basedow-Struma ist die Radiojodtherapie; bei unilateraler Lokalisation kann auch eine operative Nachresektion erfolgen, wenn der Patient dies wünscht und über Behandlungsalternativen und operative Risiken informiert ist. Bei erheblichen Strumarezidiven ist meist eine operative Reintervention unvermeidbar; der Eingriff gehört zu den schwierigsten in der Schilddrüsenchirurgie und sollte interdisziplinär indiziert worden sein. Wenn technisch möglich, sollte eine komplette Restthyreoidektomie angestrebt werden.
111 2.7 · Hyperthyreose
2.7.2.5.5 Ergebnisse Die Ergebnisqualität der operativen Behandlung des M. Basedow wird im Wesentlichen charakterisiert durch (a) die Hauptkomplikationen der operativen Behandlung (Rekurrensparese, Hypoparathyreoidismus, Nachblutung, Wundinfekt), (b) die funktionellen und (c) immunologischen Verlaufsparameter unter Berücksichtigung der alimentären Jodversorgung (Hyperthyreoserezidiv, Hypothyreose, TSH-Rezeptor-Autoantikörper), (d) das Gewebeverhalten des Schilddrüsenrestes (Wachstum/Strumarezidiv, kein Wachstum) und (e) die Entwicklung der endokrinen Ophthalmopathie. Trotz zahlreicher Untersuchungen zur operativen Behandlung des M. Basedow liegt keine prospektive und systematische Untersuchung vor, die alle genannten Kriterien erfasst. Die verschiedenen Studien können folgendermaßen zusammengefasst werden: a) Das durchschnittliche Risiko wesentlicher operativer Komplikationen bei M. Basedow liegt bei 1–3% jeweils für die permanente unilaterale Rekurrensparese, den permanenten Hypoparathyreoidismus, die revisionsbedürftige Nachblutung und den Wundinfekt. Das Komplikationsrisiko insbesondere der permanenten Hypokalzämie ist nach totaler Thyreoidektomie höher als nach subtotaler Thyreoidektomie. b) Bei Schilddrüsenresten unter 5 ml liegt das Hyperthyreoserezidivrisiko unter 5%, die Rate schilddrüsenhormonsubstitutionspflichtiger Hypothyreosen bei 70–90%. Bei Schilddrüsenresten über 5 ml liegt das Hyperthyreoserezidivrisiko über 5%. Aufgrund der heute in aller Regel problemlos durchführbaren Schilddrüsenhormonsubstitution und der Nachteile einer erneuten Hyperthyreosebehandlung wird ein Rezidivrisiko von über 5% überwiegend als nicht akzeptabel angesehen, sodass das Belassen größerer Schilddrüsenreste dem begründeten Ausnahmefall vorbehalten bleiben sollte. c) Die TSH-Rezeptor-Autoantikörper (TRAK) werden bei vielen Patienten auch nach totaler Thyreoidektomie nicht normalisiert, systematische Langzeituntersuchungen hierzu fehlen jedoch. Ob bei erhöhten postoperativen TRAKWerten das Risiko der Verschlechterung einer bestehenden endokrinen Ophthalmopathie höher ist als bei niedrigen TRAK-Werten, kann ebenfalls derzeit noch nicht belegt werden. d) Das Strumarezidivrisiko steigt ebenso wie das Hyperthyreoserezidivrisiko mit der Größe des belassenen Schilddrüsenrestes. Signifikante Strumarezidive nach bereits erfolgter Schilddrüsenresektion müssen in der Regel erneut operativ behandelt werden, da sie meist mit einem funktionellen und immunologischen, häufig auch ophthalmologischen Rezidiv einhergehen. Strumarezidiven sollte daher ebenfalls durch eine ausgedehnte Schilddrüsenresektion vorgebeugt werden. e) Verschlechterungen der endokrinen Ophthalmopathie sind auch nach totaler Thyreoidektomie möglich, aufgrund der bisher vorliegenden, vorläufigen Untersuchungsergebnisse jedoch seltener als nach ausgedehnter subtotaler Resektion. Allerdings ist auch hier noch keine abschießende Wertung möglich.
2
Literatur Andaker L, Johansson K, Smeds S, Lennquist S (1992) Surgery for hyperthyroidism: hemithyroidectomy plus contrallateral resection or bilateral resection? A prospective randomised study of postoperative complications and long-term results. World J Surg 16:765–769 Auersperg M, Hocevar M, Us-Krasovec M, Movrin T (1994) Schilddrüsenkarzinom und Hyperthyreose. In: Reinwein D, Weinheimer B (Hrsg) Schilddrüse 1993. De Gruyter, Berlin, S 518–327 Bay V (1980) Operationsindikation, präoperative Vorbereitung, Operation und Nachbehandlung des Morbus Basedow und der anderen Hyperthyreoseformen. Chirurg 51:619–624 Bayley RH (1934) Thyroid crisis. Surg Gynecol Obstet 59:41–47 Belfiore A, Garofalo MR, Giuffrida D et al. (1990) Increased aggressiveness of thyroid cancer in patients with Graves‘ disease. J Clin Endocrinol Metab 70:830–835 Catz B, Perzik SL (1969) Total thyroidectomy in the management of thyrotoxic and euthyroid Graves‘ disease. Am J Surg 118:434–439 Dralle H (1989) Chirurgische Aspekte der Hyperthyreosebehandlung. Akt Endokr Stoffw 10:133–135 Dralle H, Lang W, Pretschner DP, Pichlmayr R, Hesch RD (1985) Operationsindikation und chirurgisches Vorgehen bei jodinduzierten Hyperthyreosen. Langenbecks Arch Chir 365:79–89 Dralle H, Schober O, Hesch RD (1987) Operatives Therapiekonzept der Immunthyreopathie. Langenbecks Arch Chir 371:217–232 Dralle H, Schneyer U, Scharbert G (1998) Chirurgie der jodinduzierten Hyperthyreose. In: Reiners Chr, Weinheimer B (Hrsg) Schilddrüse 1997. De Gruyter, Berlin, S 310–318 Dralle H, Sekulla C (2004) Morbidität nach subtotaler und totaler Thyreoidektomie beim Morbus Basedow: Entscheidungsgrundlage für Operationsindikation und Resektionsausmaß. Z ärztl Fortbild Qual Gesundhwes 18 Suppl V:45–53 Dunhill TP (1919) Some considerations on the operation for exophthalmic goitre. Br J Surg 7:195–210 Glinoer D, Hesch RD, Lagasse R, Laurberg P (1987) The management of hyperthyroidism due to Graves‘ disease in Europe in 1986. Results of an international survey. Acta Endocrinol 185 (suppl):9–37 Grussendorf M, Horster FA, Inanc Y, Goretzki P, Röher HD, Krüskemper HL (1988) Einfluß der subtotalen Thyreoidektomie auf die endokrine Ophthalmopathie bei Patienten mit Morbus Basedow im Vergleich zu retrobulbärer Bestrahlung bzw. alleiniger thyreostatischer Behandlung. Akt Endokr Stoffw 9:158–160 Hamburger JI (1992) Diagnosis and management of Grave’ disease in pregnancy. Thyroid 3:219–224 Harada T, Katagiri M, Ito K (1997) Hyperthyroidism: Graves‘ disease and toxic nodular goiter. In: Clark OH, Duh QY (eds) Textbook of endocrine surgery. Saunders, Philadelphia, pp 47–53 Hartley F (1905) Thyroidectomy for exophtalmic goitre. Ann Surg 42:33– 48 Hedley AJ, Michie W, Duncan T, Hems G, Crooks J (1972) The effect of remnant site on the outcome of subtotal thyroidectomy for thyrotoxicosis. Br J Surg 59:559–563 Herrmann J (1978) Neuere Aspekte in der Diagnose der thyreostatischen Krise. Dtsch Med Wochenschr 103:166–174 Lederbogen S, Reinwein D (1992) Epidemiologische Daten zur thyreotoxischen Krise, eine retrospektive Untersuchung. Akt Endokr Stoffw 13 (Sonderheft):82–84 Lee ThC, Coffey RJ, Currier BM, Canary JJ (1982) Propanolol and thyroidectomy in the treatment of thyrotoxicosis. Ann Surg 195:755–773 Marcocci C, Bartalena L, Bogazzi F, Bruno-Bossio G, Pinchera A (1992) Relationship between Graves‘ ophthalmopathy and type of treatment of Graves‘ hyperthyroidism. Thyroid 2:171–178 Michie W, Pegg CAS, Bewsher PD (1972) Prediction of hypothyroidism after partial thyroidectomy for thyrotoxicosis. BMJ 1:13–17 Ozaki O, Ito K, Kobayashi K, Toshima K, Iwasaki H, Kashiro T (1990) Thyroid carcinoma in Graves’ disease. World J Surg 14:437–441
112
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Ozaki O, Ito K, Mimura T, Sugino K, Kitamura Y, Iwabuchi H, Kawano M (1994) Thyroid carcinoma after radioactive jodine therapy for Graves’ disease. World J Surg 18:518–521 Perrild H, Lavard L, Brock-Jacobsen B (1997) Clinical aspects and treatment of juvenile Graves’ disease. Exp Clin Endocrinol Diabetes 105 (suppl 4):55–57 Plummer HS (1923) Results of administering iodine to patients having exophthalmic goiter. JAMA 80:1955 Preuschof L, Keller F, Bogner U, Keuter E, Offermann G (1991) Plasma exchange and hemoperfusion in iodine-induced thyrotoxicosis. Blood Purif 9:164–168 Reiners CHR (1997) Zum Krebs- und genetischen Risiko nach Radiojodtherapie der Hyperthyreose. Nuklearmediziner 5:331–334 Schicha H (1991) Kompendium der Nuklearmedizin. Schattauer, Stuttgart, S 312 Schicha H, Scheidhauer K (1994)Therapie mit offenen radioaktiven Stoffen. In: Büll U, Schicha H, Biersack HJ, Knapp WH, Reiners Chr, Schober O (Hrsg) Nuklearmedizin. Thieme, Stuttgart, S 460–484 Solomon B, Glinoer D, Lagasse R, Wartofsky L (1990) Current trends in the management of Graves’ disease. J Clin Endocrinol Metab 70: 1518–1524 Soreide JA, Heerden JA van, Lo ChY, Grant CS, Zimmerman D, Ilstrup DM (1996) Surgical treatment of Graves‘ disease in patients younger than 18 years. World J Surg 20:794–800 Sudeck P (1930) Die Chirurgie der Drüsen mit innerer Sekretion (Schilddrüse, Nebenschilddrüsen, Thymusdrüse, Nebennieren). In: Kirschner M, Nordmann O (Hrsg) Die Chirurgie. Urban & Schwarzenberg, Berlin, S 193–348 Sugino K, Mimura T, Ozaki O et al. (1995) Early recurrence of hyperthyroidism in patients with Graves’ disease treated by subtotal thyreoidectomy. World J Surg 19:648–652 Thjodleifsson B, Hedley AJ, Donald D et al. (1977) Outcome of subtotal thyroidectomy for thyrotoxicosis in Iceland and Northeast-Scotland. Clin Endocrinol 7:367–376 Toft AD, Irvine WJ, Sinclair I, McIntosh D, Seth J, Cameron EHD (1978) Thyroid function after surgical treatment of thyrotoxicosis. A report of 100 cases treated with Propanolol before operation. N Engl J Med 298:643–647 Vana S, Nemec J, Rezek P, Novak Z, Lukas J, Vana V (1992) Langfristige Resultate der Therapie bei endokriner Orbitopathie – totale thyreoidale Ablation in Kombination mit Prednison verbessert die Erfolge. In: Röher HD, Weinheimer B (Hrsg) Schilddrüse 1991. De Gruyter, Berlin, S 432–439 Wahl RA, Waldmann U, Schabram J (1996) Operative Behandlung der Hyperthyreose in der Schwangerschaft. In: Usadel KH, Weinheimer B (Hrsg) Schilddrüse 1995. De Gruyter, Berlin, S 209–222 Waldstein SS, Slodki SJ, Kaganiec I, Bronsky D (1960) A clinical study of thyroid storm. Ann Intern Med 52:626–642 Wiersinga WM (1998) Preventing Graves’ ophthalmopathy. Editorial. N Engl J Med 338:121–122 Winsa B, Rastad J, Akerström G, Johansson H, Westermark K, Karlsson FA (1995) Retrospective evaluation of subtotal and total thyroidectomy in Graves’ disease with and without endocrine ophthalmopathy. Eur J Endocrinol 132:406–412 Witte J, Goretzki P, Neubauer M, Röher HD (1997) Kann die endokrine Orbitopathie durch das Ausmaß der Schilddrüsenresektion beim Morbus Basedow beeinflußt werden? Langenbecks Arch Chir (Forumband):777–780
2.7.3 Jodinduzierte Hyperthyreose
M. Hüfner ) ) Die Schilddrüse ist in der Lage, unter sehr unterschiedlichen Bedingungen der Jodzufuhr eine ausgeglichene Hormonsynthese bzw. eine euthyreote Funktionslage zu erhalten; d. h., auch im Jodexzess wird eine normale Schilddrüse nur geringe und vorübergehende Funktionsveränderungen zeigen. Dies ist anders bei Schilddrüsen mit gestörter Funktion, sei es auf dem Boden einer Thyreoiditis, einer Immunhyperthyreose oder einer Autonomie. Bei exogener (TSH-Rezeptor-Antikörper) oder endogener (TSH-Rezeptor-Mutation) Stimulation funktionieren die Autoregulation und die zentrale Rückkoppelung des Schilddrüsenregelkreises nicht mehr; ein hohes Jodangebot kann dann eine exzessive Hormonsynthese und -sekretion provozieren. Eine solche jodinduzierte oder jodkontaminierte Hyperthyreose hat einige therapeutische Besonderheiten, die dadurch entstehen, dass Thyreostatika unter diesen Bedingungen oft wenig wirksam sind und eine Radiojodtherapie unmöglich ist. Die Operation auch unter hyperthyreoten Bedingungen – normalerweise ein Verbot – spielt hier eine besondere Rolle. Es ist deshalb sinnvoll, dieses Problem gesondert zu besprechen.
2.7.3.1 Epidemiologie Die jodinduzierte Hyperthyreose (JIH) ist überwiegend ein Problem in Strumaendemiegebieten, wegen des häufigen Vorkommens von Autonomien in Jodmangelkröpfen. Da der Grad der Autonomie mit dem Alter zunimmt und gleichzeitig Gründe für eine Jodkontamination durch Kontrastmittel häufiger bei alten Patienten vorliegen, ist die jodinduzierte Hyperthyreose vor allem ein Problem des höheren Lebensalters. Zuverlässige Zahlen über die Häufigkeit der JIH gibt es nicht; in einer europaweiten Studie zur Erfassung unterschiedlicher Hyperthyreoseformen fanden sich bei 15% der Patienten Hinweise für eine Jodkontamination (Reinwein et al. 1987). Die zweithäufigste Ursache für eine Jodkontamination in Deutschland ist wahrscheinlich die Therapie mit dem Antiarrhythmikum Amiodaron (Kishore et al. 1997). Amiodaron besteht zu über 37% aus Jod, das teilweise endogen durch Dejodasen freigesetzt wird. Hyper- oder Hypothyreosen unter Amiodarontherapie sind nicht selten – in bis zu 20% aller behandelten Fälle sollen Schilddrüsenfunktionsstörungen beobachtet werden. In Gebieten mit ausreichender Jodversorgung ist die JIH dagegen eine Rarität und entsteht dann wahrscheinlich in den meisten Fällen auf dem Boden einer subklinischen, nicht erkannten Autoimmunhyperthyreose oder einer Thyreoiditis. Häufiger ist unter diesen Bedingungen eine jodinduzierte Hypothyreose, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Es sind auch jodinduzierte Hyperthyreosen beschrieben worden, die sich in einer scheinbar gesunden Schilddrüse entwickelt haben (Aubene et al. 1984). 2.7.3.2 Pathophysiologie 2.7.3.2.1 Allgemeine Aspekte Der Thyreozyt hat zwei Mechanismen, um die Hormonproduktion unterschiedlichen Jodzufuhrbedingungen anzupassen. Der Wolff-Chaikoff-Effekt beschreibt das Phänomen, dass die
113 2.7 · Hyperthyreose
Schilddrüsenperoxidase, die den Einbau von Jod in die Tyrosinmatrix katalysiert, durch hohe intrazelluläre Jodkonzentrationen gehemmt wird. Damit sind Jodorganifikation und Hormonsynthese blockiert, bis die intrazelluläre Jodkonzentration wieder absinkt. Der Wolff-Chaikoff-Effekt entwickelt sich schnell und verhindert eine überschießende Hormonsynthese bei Jodexzess. Der zweite autoregulatorische Mechanismus betrifft die Jodaufnahme in die Zelle durch den sog. Natrium-Jodid-Symporter. Über eine noch nicht definierte organische Jodverbindung kommt es bei hoher Jodzufuhr zu einer Hemmung des Jodeinstroms, während der passive Jodausstrom nicht beeinflusst wird. Dieser Prozess braucht eine längere Anlaufzeit und wird erst nach einigen Tagen relevant. Durch Hemmung der Jodaufnahme kommt es im weiteren Verlauf zu einem Absinken der intrathyreoidalen Jodkonzentration und schließlich zu einer Auflösung des Wolff-Chaikoff-Effektes, also der Blockierung der Hormonsynthese. Eine Prolongierung des Wolff-Chaikoff-Effektes würde zu einer Hypothyreose führen, die in der Regel nicht beobachtet wird. In Einzelfällen bleibt diese Auflösung des Wolff-ChaikoffEffektes aus, möglicherweise aufgrund einer funktionellen Störung im Rahmen einer chronischen subklinischen Thyreoiditis, und es kommt zu einer jodausgelösten Hypothyreose. Beim autonomen Thyreozyten funktioniert dieses feine autoregulative System nicht mehr; je nach Jodangebot und Grad der endogenen Stimulation produziert der Thyreozyt unabhängig von der zentralen Regulation im Überschuss Schilddrüsenhormone. Der Grad der daraus resultierenden Stoffwechselstörung hängt ab von der Zahl der autonomen Thyreozyten bzw. vom Volumen des autonomen Gewebes sowie von Dauer und Höhe der Jodkontamination. Bei vorher euthyreoten Patienten mit klinisch nicht relevanter Schilddrüsenautonomie kommt es in der Regel nur zu leichten, klinisch kaum in Erscheinung tretenden passageren Anstiegen der Schilddrüsenhormone im Serum. In Einzelfällen jedoch, insbesondere wenn vorher bereits eine nicht erkannte Hyperthyreose bestand, können sich krisenhafte, lebensbedrohliche Schilddrüsenüberfunktionen entwickeln. 2.7.3.2.2 Wirkung von Amiodaron auf die Schilddrüsenfunktion Das Antiarrhythmikum Amiodaron nimmt eine Sonderstellung unter den jodhaltigen Medikamenten ein. Es enthält 2 Jodatome pro Molekül entsprechend 37% des Molekulargewichtes. Strukturell hat es gewisse Ähnlichkeiten mit dem Thyroxinmolekül. Amiodaron hemmt die periphere 5’-Dejodinierung, also die Umwandlung von T4 in das stoffwechselaktive T3. Dies erklärt die sehr häufig beobachtete Erhöhung des gesamt T4 und fT4 bei so behandelten Patienten. Daneben hat Amiodaron selbst oder ein Metabolit (Desethylamiodaron) möglicherweise einen inhibitorischen Einfluss auf den peripheren T3-Rezeptor im Zellkern (Gärtner et al. 1989).Die Substanz ist sehr lipophil und hat deshalb eine lange mittlere Eliminationshalbwertszeit von etwa 60 Tagen mit großer Variation (Adams et al. 1985). Aus 100 mg Amiodaron werden pro Tag in vivo ca. 3 mg Jod abgespalten, wodurch eine erhebliche Jodbelastung entsteht. Bei Vorliegen einer Autonomie kann Amiodaron also im klassischen Sinne eine jodinduzierte Hyperthyreose auslösen (Typ 1). In letzter Zeit ist es gelungen, eine zweite Hyperthyreoseform, die durch Amiodaron ausgelöst wird, zu unterscheiden (Typ 2). Es handelt sich dabei um eine destruierende, wohl jodtoxische Thyreoiditis, die ebenfalls schlecht auf Thyreostatika anspricht, jedoch sehr gut auf Glukokortikoide (Broussolle et al. 1989). Die
2
genaue Ursache dieser toxischen Thyreoiditis (Pitsiavas et al. 1997) ist nicht klar; sie tritt jedoch in scheinbar normalen Schilddrüsen auf, d. h., die durch Amiodaron ausgelöste Hyperthyreose ist nicht auf Patienten mit Schilddrüsenautonomie beschränkt. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass öfters Mischformen dieser beiden Grundtypen vorliegen 2.7.3.2.3 Pathophysiologie der Thyreostatikawirkung bei Jodexzess Ein Charakteristikum der jodinduzierten Hyperthyreose ist das schlechte bzw. sehr variable Ansprechen auf Thyreostatika. Perchlorat (Irenat) verdrängt kompetitiv Jodid von seinem Transportsystem, dem Natrium-Jod-Symporter; dementsprechend wird die inhibitorische Wirksamkeit von Perchlorat bei Jodüberschuss reduziert. Weniger eindeutig ist die Situation bei den Thionamiden (Propylthiouracil, Methimazol), die die Wirkung der Schilddrüsenperoxidase, also die Jodorganifikation, blockieren. Nach In-vitro-Untersuchungen an isolierter Peroxidase aus Rattenschilddrüse von Taurog (1976) blockieren Thionamide den aktivierten Jod-Peroxidase-Komplex. Bei niedrigen Jod- und Thionamidkonzentrationen ist die Hemmung der Peroxidase nur passager; bei höherer Thionamidkonzentration dagegen wird die Peroxidase »irreversibel« blockiert. Diese Blockade kann allerdings durch sehr hohe Jodkonzentrationen wieder rückgängig gemacht werden. Es ist nicht klar, wie sich diese In-vitro-Daten in die klinische Situation transformieren lassen. Da teilweise scheinbar ein kompetitiver Mechanismus vorliegt, müsste es möglich sein, den hemmenden Effekt einer Jodkontamination auf die Thionamidwirkung durch überhöhte Thionamiddosen zu überspielen. Einzelne Autoren empfehlen deshalb sehr hohe Thionamiddosen bei der Behandlung der jodinduzierten Hyperthyreose (bis zu über 500 mg Methimazol/Tag). Abgesehen davon, dass hierdurch die Nebenwirkungsgefahr erheblich ansteigt, sind die Ergebnisse mit hohen Thionamiddosen nicht überzeugend. In . Abb. 2.41 sind einige exemplarische Verläufe von hochdosierter Thionamidtherapie bei JIH aus einer Arbeit von Köbberling (Köbberling et al. 1985) dargestellt. Man erkennt das schlechte oder fehlende Ansprechen trotz hoher Dosen, gleichzeitig zeigt sich die hohe Effektivität der Operation. 2.7.3.3 Diagnostik 2.7.3.3.1 Anamnese und Klinik In vielen Fällen lässt sich eine Jodkontamination bereits durch eine sorgfältige Anamnese wahrscheinlich machen, besonders wenn es sich um Kontrastmittelapplikationen in den letzten Monaten handelt oder um eine Amiodarontherapie. Sehr viel schwieriger kann es sein, eine ungewollte Jodkontamination durch jodhaltige Substanzen, z. B. Augentropfen, Hustensäfte, Zahnpasten, Vitaminpräparate oder Desinfektionsmittel, nachzuweisen. Nicht selten lässt sich die Ursache der Jodkontamination nicht eruieren. Es ist auch häufig nicht klar, ob die aktuell diagnostizierte Hyperthyreose durch eine vorangegangene Jodkontamination ausgelöst wurde oder ob eine bereits bestehende Hyperthyreose durch Jodkontamination verschlimmert wurde. Besonders konzentrieren sollten sich Anamnese und körperliche Untersuchung auf das Vorliegen einer langjährigen Struma, evtl. mit bereits abgelaufenen hyperthyreoten Phasen. Spezifische Hyperthyreosesymptome sind bei den oft älteren Patienten häufig schwierig zu erfragen, sodass selbst laborchemisch deutliche Hyperthyreosen mitunter klinisch nicht erkannt werden.
114
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Abb. 2.41. Verlauf des freien Thyroxindex (fT4-I) bei 5 Patienten mit jodinduzierter Hyperthyreose unter hochdosierter Methimazoltherapie über 5 Wochen und nach Operation. (Nach Köbberling et al. 1985)
Das klinische Bild einer JIH entspricht in den meisten Fällen dem einer hyperthyreoten uni- oder multifokalen Autonomie, wobei ein Großteil der Patienten klinisch oligo- oder asymptomatisch ist. Vielleicht besteht eine neu aufgetretene absolute Arrhythmie, eine vermehrte Wärmeintoleranz, eine Zunahme der bereits länger vorliegenden KHK-Beschwerden oder eine Zunahme einer vorbestehenden Herzinsuffizienz. Auch bei schwereren jodinduzierten Hyperthyreosen steht klinisch häufig die Verschlimmerung der Begleiterkrankung bei den älteren Patienten im Vordergrund. In der folgenden 7 Übersicht sind die klinischen Charakteristika zusammengefasst. Klinische Charakteristika der jodinduzierten Hyperthyreose 5 5 5 5 5
Älterer, multimorbider Patient Langjährige Strumaanamnese Zustand nach Kontastmittelapplikation Amiodarontherapie Absolute Arrhythmie, ungeklärte Verschlechterung des Allgemeinzustandes
2.7.3.3.2 Labordiagnostik Die Labordiagnostik hat grundsätzlich 2 Fragen zu beantworten: 4 Liegt nach evtl. stattgefundener Jodkontamination eine hyperthyreote Stoffwechsellage vor oder wie hat sich die Stoffwechsellage unter Therapie verändert? 4 Trägt ein Patient, bei dem eine Kontrastmitteluntersuchung geplant ist, möglicherweise ein besonderes Risiko, eine JIH zu entwickeln? Die Hormondiagnostik (7 Übersicht) zeigt nur die Hyperthyreose an (supprimiertes TSH, erhöhtes fT3 und fT4), kann jedoch die Frage der Jodkontamination nicht beantworten. In der Regel liegt ein gewisses Überwiegen der T4- gegenüber der T3-Erhöhung vor. Unter Amiodarontherapie finden sich allerdings häufig isoliert erhöhte fT4-Werte und ein erniedrigtes TSH ohne klinische Hyperthyreose. Bei älteren Patienten mit schwerer Zweiterkrankung vermischt sich oft das Bild der JIH mit einem Low-T3-
Syndrom, sodass die T3-Werte relativ niedrig sein können, trotz deutlicher klinischer Symptomatik. Labordiagnostik bei Verdacht auf jodinduzierter Hyperthyreose 5 5 5 5
fT3/fT4 (besonders fT4-Erhöhung) TSH (supprimiert) Schilddrüsenszintigramm und Uptake (»blockiert«) Jodausscheidung im Urin (>20 µg/dl)
In manchen Fällen lässt sich der Verdacht auf eine Jodkontamination durch eine Jodidausscheidung im Urin verifizieren; ein Ausschluss ist allerdings nicht möglich. Im Rahmen des Jodexzesses werden Hormondepots in der Schilddrüse akkumuliert, die danach protrahiert freigesetzt werden. Hierbei kann die Jodausscheidung z. B. nach einer Kontrastmittelapplikation durch ein wasserlösliches Kontrastmittel bereits wieder Normalwerte erreicht haben, während die Hyperthyreose und der niedrige Tc-Uptake im Szintigramm noch längere Zeit persistieren können. Untersuchung des Gefährdungspotenzials durch Jodexzess.
Häufig stellt sich in der klinischen Praxis die Frage, ob für einen Patienten durch eine vorgesehene Kontrastmittelapplikation die Gefahr einer jodinduzierten Hyperthyreose besteht. In der Regel steht diese Diagnostik unter Zeitdruck. Es sollte hier v. a. eine manifeste Hyperthyreose ausgeschlossen werden, da bei diesen Patienten ein hohes Risiko einer schweren Exazerbation der Hyperthyreose besteht. Findet sich ein supprimiertes TSH (TSH<0,1 mU/l), kann durch ein Szintigramm und den dabei gewonnenen Suppressionsuptake recht schnell das Gefährdungspotenzial bestimmt werden (Bähre et al. 1987). Patienten mit einem Suppressionsuptake >1,6–2,0% sollten auch bei euthyreoten fT3- und fT4-Werten eine prophylaktische Thyreostatikatherapie erhalten. Bei einem TSH >0,1 mU/l ist die basale Tc-Aufnahme ohne großen diagnostischen Wert. Die Gefährdung ist nicht genau bestimmbar, dürfte jedoch nur mäßig erhöht sein. In einer Studie von 51 sol-
115 2.7 · Hyperthyreose
cher Patienten trat nur bei ca. 8% eine leichte passagere Erhöhung von fT3/fT4 auf (Nolte et al. 1996). Generell wird die Gefahr einer JIH wahrscheinlich erheblich überschätzt, da die meisten Zahlenangaben sich auf hochselektionierte Gruppen beziehen bzw. klinisch belanglose, geringe und passagere T3-/T4-Erhöhungen subsumiert wurden. Die meisten schweren Fälle von JIH werden wahrscheinlich durch Jodkontamination präexistierender Hyperthyreosen verursacht. 2.7.3.3.3 Szintigraphie Wie oben dargestellt ist der Suppressions-Uptake ein zentraler Parameter zur Abschätzung des Autonomiegrades einer Schilddrüse und deren Gefährdung durch exzessive Joddosen. Bei Patienten, die unter Basisbedingungen bereits ein supprimiertes TSH aufweisen, ist diese Information im Rahmen eines akuten Szintigramms schnell erhältlich. Bei Patienten mit nichtsupprimiertem TSH dauert der Suppressionstest allerdings je nach Suppressionstechnik (. Tab. 2.15) 1–4 Wochen, steht also für die Akutentscheidung nicht zur Verfügung. Daneben hat das Szintigramm einen gewissen Wert für die Operationsplanung beim Nachweis fokaler Autonomien. Ein Tc-Uptake über 2% unter Suppressionsbedingungen ist hoch verdächtig auf eine klinisch relevante Autonomie und auf eine Gefährdung durch eine Jodkontamination. Diesen Patienten sollte – auch wenn zurzeit noch euthyreot – unter elektiven Bedingungen eine Radiojodtherapie oder eine Strumaresektion empfohlen werden. Ein niedriger Uptake bei Hyperthyreose ist jedoch nicht spezifisch für eine Jodkontamination, sondern es kann auch eine destruierende Thyreoiditis vorliegen oder eine Thyreotoxicosis factitia (7 Übersicht). Differenzialdiagnose des negativen Tc-Uptake bei Hyperthyreose 5 5 5 5 5
Jodinduzierte Hyperthyreose Destruierende Thyreoiditis Thyreotoxicosis factitia »Silent« Thyreoiditis Perchlorattherapie
2.7.3.3.4 Schilddrüsensonographie Die Schilddrüsensonographie kann indirekte Hinweise auf eine mögliche Gefährdung durch Jodkontamination geben, wobei am besten eine Bewertung im Zusammenhang mit einem Szintigramm erfolgen sollte. Jede vergrößerte Schilddrüse mit multiplen knotigen Veränderungen ist vor allem bei einem älteren Patienten autonomieverdächtig und sollte, falls eine Kontrastmitteluntersuchung ansteht, zur Vorsicht Anlass geben und zu-
. Tab. 2.15. Möglichkeiten des Suppressionstests
Dauer
Hormondosis
7 Tage
3 mg T4 einmalig oder 100 µg T3/Tag
14 Tage
200 µg T4/Tag
28 Tage
14 Tage 75 µg T4/Tag 14 Tage 150 µg T4/Tag
2
mindest eine In-vitro-Funktionsdiagnostik nach sich ziehen. Als alleiniges Selektionsprinzip zur Prävention einer jodinduzierten Hyperthyreose erscheint die Sonographie allerdings zu unspezifisch. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Farbdopplersonographie möglicherweise von diagnostischem Wert ist bei der Differenzierung der beiden Typen von Amiodaron ausgelösten Hyperthyreosen (Bogazzi et al. 2003). Der Typ 1, dessen Ursache eine Autonomieentwicklung ist zeigt eine hohe Vaskularität. Der Typ 2, wahrscheinlich eine toxische Thyreoiditis, zeigt wenig Vaskularität. Wie oben dargestellt kann diese Differenzierung für die Wahl der medikamentösen Therapie von Bedeutung sein. 2.7.3.4 Therapie 2.7.3.4.1 Prophylaxe Der Sinn einer präventiven Thyreostatikatherapie bei bestimmten Risikopatienten wird sehr kontrovers diskutiert, dennoch wird eine prophylaktische Therapie in der Praxis relativ häufig durchgeführt. Prophylaxe bedeutet in diesem Falle eine thyreostatische Therapie, die vor der Jodkontamination beginnt und einige Tage über diesen Zeitpunkt hinaus fortgeführt wird in der Hoffnung, dadurch vor allem die Manifestation einer schweren Hyperthyreose zu verhindern. Hierzu werden meistens Patienten mit erniedrigtem TSH ausgewählt. Wie bereits diskutiert, ist das Risiko nur für Patienten mit einem Suppressionsuptake >2,0% einigermaßen durch experimentelle Daten gesichert, das erniedrigte TSH (0,1–0,4 mU/l) bei euthyreoten T3-/T4-Werten ist dagegen von niedriger Spezifität bezüglich der Fragestellung. Hinzu kommt, dass durch keine ausreichend große, kontrollierte Studie die Wirksamkeit der heute üblicherweise empfohlenen Prophylaxe bewiesen wurde (20–40 mg Methimazol + 3-mal 20 Tropfen Perchlorat/Tag für 8 Tage beginnend am Tag vor der Jodkontamination). Bis die Datenlage klarer geworden ist, kann eine prophylaktische Behandlung bei euthyreoten Patienten nur bei einem Suppressionsuptake von >1,5–2,0% empfohlen werden und evtl. auch bei Patienten mit einem TSH <0,1 mU/l bei unbekanntem Uptake. Unabhängig davon sollte bei allen Patienten eine Kontrolle der Schilddrüsenfunktion (TSH) 2–4 Wochen nach Jodkontamination erfolgen. Patienten mit manifester Hyperthyreose sollten auf keinen Fall mit Jod belastet werden, bis durch Thyreostatika ein euthyreoter Zustand erreicht ist. In der folgenden 7 Übersicht sind die Bewertung und Empfehlung zur Diagnostik und Therapie schematisch zusammengefasst. Schilddrüsendiagnostik und -therapie vor Kontrastmittelapplikation 5 Diagnostik – Minimal: TSH basal; Erweiterung der Diagnostik bei erniedrigtem TSH: Ausschluss einer manifesten Hyperthyreose (fT3, fT4, Sonographie, Szintigraphie) – Bei komplett supprimiertem TSH lässt sich mit Szintigramm und Suppressionsuptake die Gefährdung genauer abschätzen (Uptake >2% = hohe Gefährdung!) 5 Bewertung – TSH supprimiert, fT3/fT4 erhöht (manifeste Hyperthyreose): Thyreostatikatherapie! Verschiebung der Kontrastmittelapplikation! 6
116
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
– fT3 und fT4 normal, TSH <0,1 mU/l: Prophylaxe empfehlenswert, Hormonkontrolle nach 2–4 Wochen – fT3 und fT4 normal, TSH 0,1–0,3 mU/l: Prophylaxe nicht notwendig, Hormonkontrolle nach 2–4 Wochen 5 Prophylaxe – Kombination von 20–40 mg Methimazol/Tag und 900– 1200 mg Perchlorat/Tag (3-mal 15–20 Tropfen Irenat) – Zeitrahmen: Beginn am Tag vor Kontrastmittel für insgesamt 7–10 Tage
2.7.3.4.2 Präoperative Therapie Wie bei jeder Hyperthyreose ist auch bei der JIH das erste Ziel die Herstellung einer euthyreoten Stoffwechsellage mit konservativen Mitteln, um dann über das langfristige Vorgehen zu entscheiden (Operation oder Radiojodtherapie). Es hat sich allerdings herausgestellt, dass die normal dosierte Therapie mit Methimazol, Carbimazol oder Propylthiouracil in vielen Fällen wenig oder überhaupt nicht effektiv ist (7 oben, »Pathophysiologie der Thyreostatikawirkung bei Jodexzess«). Allerdings gibt es bis heute keinen Parameter, der eine Voraussage auf das Ansprechen zuließe. Wie bereits oben ausgeführt können die von manchen Autoren propagierten exzessiv hohen Thyreostatikadosen (bis zu 500 mg Methimazol/Tag) nicht empfohlen werden, solange die höhere Effektivität durch entsprechende Studien nicht belegt ist. Man sollte sich jedoch im oberen Bereich des üblichen Dosierungsrahmens bewegen (7 Übersicht). Die Dosierung der Begleittherapie mit ß-Blockern geschieht entsprechend der klinischen Symptomatik. Bei durch Amiodaron ausgelösten Hyperthyreosen sollte, wenn möglich, das Medikament abgesetzt werden; dadurch kommt es bei einem Teil der Fälle bereits zu einem Absinken der Hormonwerte. Da die Differenzierung der beiden Hyperthyreosetypen häufig nicht klar ist, kann zumindest zu Beginn eine Kombination von Thyreostatika und Glukokortikoiden versucht werden. Medikamentöse Therapiemöglichkeiten bei jodinduzierter Hyperthyreose 5 Methimazol (maximal 80–120 mg/Tag) oder Propythiouracil (600–1000 mg/Tag) 5 Perchlorat 3-mal 20 Tropfen/Tag (in Kombination mit Methimazol 5 Lithium unter Kontrolle des Serumspiegels (0,7–1,0 mmol/l) 5 Bei durch Amiodaron induzierter Hyperthyreose: evtl. Glukokortikoide (z. B. Prednison 1 mg/kg KG)
Die Wirksamkeit hoher Joddosen bei der JIH (»Plummern«) ist umstritten; es gibt keine systematischen Studien und kasuistische Mitteilungen berichten von unterschiedlichem Ansprechen. Diese Therapie kann deshalb nicht empfohlen werden. Eine zu wenig bekannte Therapieoption, die häufig relativ schnell zu einem Abfall der Schilddrüsenhormonwerte führt, ist die Gabe von Lithium in Dosen, wie sie auch in der Psychiatrie üblich sind (Serumspiegel von 0,7–1,0 mmol/l). Lithium hemmt wie hohe Joddosen die Proteolyse und damit die Freisetzung von Schilddrüsenhormonen, wodurch ein schneller Effekt auf die
peripheren Serumspiegel zustande kommt. Allerdings sollte diese Therapie nur unter stationären Bedingungen unter engmaschiger Kontrolle der Lithiumspiegel durchgeführt werden, da besonders bei Patienten mit Elektrolytstörungen oder eingeschränkter Nierenfunktion Koordinationsstörungen, Rhythmusstörungen und auch Psychosen auftreten können. 2.7.3.4.3 Indikation zur Frühoperation Da es sich häufig um multimorbide, wenig widerstandsfähige Patienten handelt, ist die entscheidende Frage, die sich jeder Therapeut einer jodinduzierten Hyperthyreose stellen muss, wann erfolglose konservative Therapieversuche abgebrochen werden sollten, um trotz Hyperthyreose durch eine Strumaresektion das Problem zu beseitigen. Hierzu ist eine aufmerksame klinische Beobachtung des Patienten notwendig; ein zu langes Abwarten mit Verschlechterung der Begleiterkrankungen kann das Operationsrisiko erheblich erhöhen oder gar die Operation unmöglich machen. Deutet bereits der initiale Befund auf eine krisenhafte Stoffwechselentgleisung hin, sollte nicht unnötig Zeit mit zweifelhaften konservativen Therapieversuchen vertan werden. Generell wird über sehr gute Ergebnisse bei dieser akuten Indikation zur Thyreoidektomie auch bei alten, multimorbiden Patienten berichtet (Köbberling et al. 1985), sodass eine zu große Zurückhaltung diesem Eingriff gegenüber nicht angebracht ist. Unbedingt erforderlich ist natürlich, dass ein erfahrenes Operationsteam zur Verfügung steht. 2.7.3.4.4 Postoperative Therapie Die Therapie nach Operation einer jodinduzierten Hyperthyreose unterscheidet sich im Prinzip nicht von der postoperativen Therapie anderer Formen der Hyperthyreose. In der Regel wird eine großzügige beidseitige Schilddrüsenresektion vorgenommen werden, die postoperativ zu einer klinischen oder subklinischen Hypothyreose führt. Eine Thyroxinsubstitution sollte deshalb routinemäßig durchgeführt werden, wobei die Dosis etwa 75–125 µg/Tag beträgt. Die genaue Substitutionsdosis sollte anhand des TSH-Wertes austitriert werden, wobei der TSH-Wert im unteren Normalbereich liegen sollte. Eine HNO-ärztliche Nachkontrolle sowie die Diagnose und Therapie eines evtl. vorliegenden postoperativen Hypoparathyreoidismus sollten Standard sein. Literatur Adams PC, Holt DW, Storey GC, Morley AR, Callaghan J, Campbell RW (1985) Amiodarone and its desethyl metabolite: tissue distribution and morphologic changes during long-term therapy. Circulation 72:1064–1075 Aubéne FL, Massin JP, Laurent MF et al. (1984) Iodine-induced thyrotoxicosis: analysis of eighty-five consecutive cases. Eur J Clin Invest 14:449– 455 Bähre M, Hilgers R, Lindemann C et al. (1987) Physiological aspects of the thyroid trapping function and its suppression in iodine deficiency using 99mTc pertechnetate. Acta Endocrinol 115:175–182 Bogazzi F, Martino E, Dell’Unto E et al. (2003) Thyroid color flow Doppler sonography and radioiodine uptake in consecutive patients with amiodarone-induced thyrotoxicosis. J Endocrinol.Invest 26:635–640 Broussolle C, Ducottet X, Martin C et al. (1989) Rapid effectiveness of prednisone and thionamides combined therapy in severe amiodarone iodine-induced thyrotoxicosis. Comparison of two groups of patients with apparently normal thyroid glands. J Endocrinol Invest 12:37–42
117 2.8 · Benigne Schilddrüsentumoren
Gärtner R (1989) Wirkungen von Amiodaron auf die Schilddrüsenfunktion. Med Klin 84:396–399 Kishore J, Licata A (1998) Effects of amiodarone on thyroid function. Ann Intern Med 126:63–73 Köbberling J, Hintze G, Becker HD (1985) Iodine-induced thyrotoxicosis – a case for subtotal thyroidectomy in severeley ill patients. Klin Wochenschr 63:1–7 Nolte W, Müller R, Siggelkow H et al. (1996) Prophylactic application of thyrostatic drugs during excessive iodine exposure in euthyroid patients with thyroid autonomy: a randomized study. Eur J Endocrinol 134:337–341 Pitsiavas V, Smerdely P, Li M, Boyages StC (1997) Amiodarone induces a different pattern of ultrastructural change in the thyroid to iodine excess alone in the BB/W rat and the Wistar rat. Eur J Endocrinol 137:89–98 Reinwein D, Benker G, König MP (1987) Klinische Aspekte der Hyperthyreose in Gebieten unterschiedlicher Jodversorgung. Schweiz Med Wochenschr 117:1245–1255 Taurog A (1976) The mechanism of action of the thioureylene antithyroid drugs. Endocrinology 98:1032
Benigne Schilddrüsentumoren
2.8
2.8.1 Pathologie der Schilddrüsenadenome
C.D. Gerharz ) ) Die ganz überwiegende Mehrzahl der benignen Schilddrüsenneoplasien leitet sich vom Follikelepithel ab und wird als follikuläres Adenom bezeichnet. Dagegen sind benigne mesenchymale Tumoren in der Schilddrüse (Hämangiome, Lymphangiome, Leiomyome und Schwannome) außerordentliche Raritäten.
Epidemiologie. Die Häufigkeit von Adenomen in Autopsie-
studien wird mit 3–20% angegeben (Bisi et al. 1989; Schmid u. Böcker 1997). Am häufigsten betroffen sind Frauen im mittleren Lebensalter. Histologie. Die meisten Patienten mit einem Adenom sind euthy-
reoid, und nur ausnahmsweise liegt ein hyperfunktionelles (»toxisches«) Adenom vor. Ihre klinische Bedeutung gewinnen Adenome deshalb v. a. aus der nur histomorphologisch möglichen Abgrenzung vom minimalinvasiven follikulären Schilddrüsenkarzinom und der gekapselten follikulären Variante des papillären Schilddrüsenkarzinoms (7 Kap. 2.9.1). Die Abgrenzung von hyperplastischen Schilddrüsenknoten ist histomorphologisch möglich (7 Kap. 2.3), jedoch letztlich ohne besondere klinische Relevanz. Adenome werden von einer vollständigen, üblicherweise aber dünnen Kapsel begrenzt und können einen Durchmesser von über 10 cm erreichen (. Abb. 2.42a). Mikroskopisch zeigen Adenome meist einen relativ homogenen Aufbau, den man je nach Zellreichtum und Größe der Follikel einem von 4 Typen zuordnen kann (Lietz u. Böcker 1981; Rosai et al. 1990; SobrinhoSimoes 1995): 4 Der trabekulär-solide Typ bildet keine Follikel aus und wird wegen seiner Ähnlichkeit mit frühen Entwicklungsstadien der Schilddrüse auch als embryonaler Typ bezeichnet (. Abb. 2.42b)
2
4 Der mikrofollikuläre (fetale) Typ weist nur sehr kleine Follikel mit wenig Kolloid auf (. Abb. 2.42c) 4 Der normofollikuläre Typ setzt sich aus Follikeln zusammen, wie sie auch in nichtneoplastischem Schilddrüsengewebe vorkommen (. Abb. 2.42d) 4 Der makrofollikuläre Typ zeigt deutlich vergrößerte, kolloidgefüllte Follikel (. Abb. 2.42e). Modifiziert wird das mikroskopische Bild dieser Adenomtypen durch sekundäre, regressive Veränderungen wie Blutungen, Zystenbildung, Vernarbung, Verkalkung und metaplastische Knochenneubildung. Von diesen konventionellen Typen des Adenoms können histomorphologisch zusätzlich seltene Varianten abgegrenzt werden (Rosai et al. 1990): 4 Adenom mit bizarren Kernen: Ähnlich wie in endokrinen Tumoren anderer Organe können auch in Schilddrüsenadenomen Gruppen von Zellen mit außerordentlich bizarren Zellkernen auftreten, ohne dass dies als Kriterium der Malignität gewertet werden darf. 4 Hyalinisierendes, trabekuläres Adenom: Dieser Tumor zeigt einen solid-trabekulären Aufbau mit ausgeprägter Hyalinisation des Stromas, sodass der Tumor in kleine Zellnester und -ballen zergliedert wird. Gelegentlich findet man Psammomkörperchen und zytoplasmatische Kerneinschlüsse, wie sie in ähnlicher Form auch bei papillären Schilddrüsenkarzinomen auftreten (Carney et al. 1987; Schmid et al. 1996). 4 Adenolipom, Adenochondrom: Hierbei handelt es sich um Adenome, deren Stroma eine lipomatöse oder chondroide Metaplasie aufweist. 4 Onkozytäres Adenom: Dieser Adenomtyp (. Abb. 2.42f) besteht ausschließlich oder ganz überwiegend (mindestens zu 75%) aus sog. Onkozyten (Synonym: Hürthle-Zellen, oxyphile Zellen), die üblicherweise eine follikuläre Anordnung aufweisen und nur selten das Bild eines trabekulär-soliden Adenoms bieten. Onkozyten zeigen eine intensive zytoplasmatische Eosinophilie, die auf eine abnorme Vermehrung und Größenzunahme von Mitochondrien zurückzuführen ist. Die Zellkerne der Onkozyten sind gewöhnlich vesikulär und uniform, können gelegentlich aber auch Atypiemerkmale entwickeln, ohne dass dies als Kriterium der Malignität gewertet werden dürfte. Das gleiche gilt für gelegentlich nachweisbare psammomkörperähnliche Verkalkungen, die jedoch – anders als die Psammomkörper des papillären Karzinoms – in den Follikellichtungen liegen. Die Prognose des onkozytären Adenoms unterscheidet sich nicht von der anderer Adenome (Gosain u. Clark 1984; Carcangiu et al. 1991), Metastasen kommen nicht vor. Ursprüngliche Berichte über ein hohes Metastasierungspotenzial grundsätzlich aller onkozytären Tumoren einschließlich der onkozytären Adenome konnten in der Folge nicht bestätigt werden und beruhen wahrscheinlich auf einer fälschlichen Klassifikation von onkozytären Karzinomen als onkozytäres Adenom (Ruchti et al. 1976; McLeod u. Thompson 1990). 4 Atypisches Adenom: Das atypische Adenom ist in seiner ursprünglichen Beschreibung (Hazard u. Kenyon 1954) nur schlecht vom trabekulär-soliden Adenom abzugrenzen und wird häufig als Sammeltopf für Adenome mit hoher Zelldichte und ungewöhnlicher mitotischer Aktivität gebraucht. Wichtig ist bei diesem Adenom der Ausschluss von Kapseldurchbrüchen oder einer Gefäßinvasion, wie sie nur bei Schilddrüsenkarzinomen vorkommen.
118
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
. Abb. 2.42a–f. Follikuläres Schilddrüsenadenom. a Schilddrüsenadenom mit starken regressiven Veränderungen in Form weißlicher Narbenfelder und multipler Zysten; b–f mikroskopische Varianten des follikulä-
ren Adenoms: trabekulär-solider (embryonaler) Typ (b); mikrofollikulärer (fetaler) Typ (c); normofollikulärer Typ (d); makrofollikulärer Typ (e); onkozytärer Typ (f). Maßstab a 1 cm, b/c/f 50 µm, d/e 150 µm
Literatur Bisi H, Fernandes VS, Asato de Camargo RY, Koch L, Abdo AH, Brito T de (1989) The prevalence of unsuspected thyroid pathology in 300 sequential autopsies, with special reference to the incidental carcinoma. Cancer 64:1888–1893 Carcangiu ML, Bianchi S, Savino D, Voynick IM, Rosai J (1991) Follicular Hürthle cell neoplasms of the thyroid gland. A study of 153 cases. Cancer 68:1944–1953 Carney JA, Ryan J, Goellner JR (1987) Hyalinizing trabecular adenoma of the thyroid gland. Am J Surg Pathol 11:583–591 Gosain AK, Clark OH (1984) Hürthle cell noeplasms. Malignant potential. Arch Surg 119:515–519 Hazard JB, Kenyon R (1954) Atypical adenoma of the thyroid. Arch Pathol 58:554–563
Lietz H, Böcker W (1981) Schilddrüse. In: Doerr W, Seifert G (Hrsg) Spezielle pathologische Anatomie, Bd 14/I: Pathologie der endokrinen Organe. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 295–416 McLeod MK, Thompson NW (1990) Hürthle cell neoplasms of the thyroid. Otolaryngol Clin North Am 23:441–52 McNicol AM, Lewis PD (1996) The thyroid gland. In: Lewis PD (ed) Systemic pathology, vol 12: The endocrine system. Churchill Livingstone, New York Edinburgh London Madrid Melbourne San Francisco Tokyo, pp 131–185 Rosai J, Carcangiu ML, Delellis RA (1992) Atlas of tumor pathology, 3/5: tumors of the thyroid gland. Armed Forces Institute of Pathology, Washington
119 2.8 · Benigne Schilddrüsentumoren
Ruchti C, Komor J, König MP (1976) Großzellige Tumoren (sog. HürthleZell-Tumoren) der Schilddrüse. Helv Chir Acta 43:129–32 Schmid KW, Böcker W (1997) Schilddrüse. In: Remmele W (Hrsg) Pathologie, Bd 4. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 577–616 Schmid KW, Mesewinkel F, Böcker W (1996) Hyalinizing trabecular adenoma of the thyroid. Morphology and differential diagnosis. Acta Med Austriaca 23:65–68 Sobrinho-Simoes M (1995) Tumours of the thyroid: a brief overview with emphasis on the most controversial issues. Curr Diagn Pathol 2:15–22
2.8.2 Diagnostisches Vorgehen bei solitärem
oder dominantem Knoten A. Zielke, M. Rothmund ) ) Im Endemiegebiet sind Schilddrüsenknoten mit einer vom Alter und Geschlecht abhängigen Prävalenz von 25% und bis zu 50% außerordentlich häufig. Zwar müssen vom Standpunkt des Klinikers aus betrachtet, solitäre bzw. dominante Knoten der Schilddrüse besondere Beachtung finden, denn sie sind ein häufiger Indexbefund der malignen Schilddrüsenerkrankung. Da aber die Karzinome im Vergleich zur hohen Knotenprävalenz sehr selten sind, ist es erforderlich durch einen rationellen Einsatz der diagnostischen Mittel konkrete Verdachtsmomente zu erarbeiten und daraus präzise Operationsindikationen abzuleiten. Anamnese, Klinik, TSH und Ultraschall bilden die Basis jeder Diagnostik. Jeder Knoten größer als 1 cm sollte punktiert und zytologisch beurteilt werden, es sei denn, es liegt ein autonomes Adenom vor. Liegen zwei oder mehr klinische Verdachtsmomente vor, oder eine eindeutige Zytologie, so ist die Operation, die stets zumindest die den Befund tragende Seite vollständig entfernen muss, indiziert.
Im Endemiegebiet sind benigne Schilddrüsentumoren ein sehr häufiger Befund. Die unlängst durchgeführte »Papillon« Studie zeigt auf, dass mehr als 30% aller Werktätigen in der Bundesrepublik eine Struma und mehr als 25% Knoten in der Schilddrüse haben. Die Prävalenz der Knoten und auch der Funktionsstörungen nimmt mit dem Alter weiter zu und stets ist das weibliche Geschlecht stärker betroffen. Weniger als 5–10% aller Knoten werden durch die Betroffenen selbst festgestellt. In der Regel sind die Knoten heute Zufallsbefunde bei der körperlichen Routineuntersuchung oder dem Ultraschall (»Inzidentalome der Schilddrüse«). Aus klinischer Sicht sind multiple Knoten vom Solitärknoten oder dominanten Knoten zu unterscheiden. Der Solitärknoten ist ein isolierter nodöser Befund in einer ansonsten unauffälligen Drüse. Letztere sind in Endemiegebieten selten, ihre Prävalenz beträgt nur 2–3% (Pfannenstiel 1988). Ein dominanter Knoten liegt dann vor, wenn sich ein Knoten in einer multinodösen Struma durch plötzliche Veränderung bemerkbar macht. Diese Definition ist deshalb wichtig, weil das Auftreten eines dominanten Knotens in einer multinodösen Struma in etwa das gleiche Karzinomrisiko wie der echte solitäre Schilddrüsenknoten trägt (Brooks et al. 1988). Immerhin werden etwa 40% aller malignen
2
Schilddrüsentumoren mit diesem Indexbefund entdeckt. Jedes 4. Karzinom findet sich in multinodösen Strumen, und ein weiteres Viertel wird zunächst wegen pathologischer Lymphknotenschwellungen am Hals auffällig (Pfannenstiel 1989; Reinwein et al. 1989). Andererseits sind Schilddrüsenkarzinome generell selten; die jährliche Erkrankungsfrequenz beträgt etwa 30 Personen pro 1 Mio. Einwohner, d. h., auf rund 30.000 Menschen kommt ein Fall eines Schilddrüsenkarzinoms. Bei einer Strumaprävalenz von mindestens 20% soll dieser eine Fall unter 6000 Strumaträgern identifiziert werden. Damit liegt die Schwierigkeit der Diagnostik darin, im Meer der harmlosen Schilddrüsenknoten das Malignom nicht zu übersehen. Es ist deshalb wichtig, bei der Abklärung knotiger Schilddrüsenveränderungen eine effektive diagnostische Strategie zu verfolgen, die durch den rationellen Einsatz geeigneter diagnostischer Mittel rationale Operationsindikationen feststellt. Aufgrund des weiterhin bestehenden Mangels an qualitativ ausreichenden Longitudinalbeobachtungen und kontrollierten Therapiestudien sind nach wie vor einige der Empfehlungen nicht evidenzbasiert. 2.8.2.1 Differenzialdiagnostik Anamnese und klinischer Befund. Die Differenzialdiagnostik der Knoten beginnt mit Anamnese und klinischer Untersuchung. Die Anamnese wird dabei vom Zeitverlauf des Auftretens und des Wachstums, der Stoffwechselaktivität und lokalen Beschwerdebild der Läsion geleitet. Verdachtsmomente sind rasche Größenzunahme, insbesondere wenn unter T4-Therapie aufgetreten, Alter <20 und >60 Jahre, männliches Geschlecht, frühere Bestrahlungen der Halsregion und das Vorhandensein familiärer Schilddrüsentumoren (FFTC, FMTC, MEN). Einige dieser Anhaltspunkte sind außerordentlich aussagekräftig und können im Prinzip sofort die Operationsindikation begründen: z. B. solitäre Knoten bei Kindern unter 15 Jahren, ebenso Patienten mit neu aufgetretenen Knoten und der Anamnese einer früheren Bestrahlung der Halsregion (Brooks et al. 1988). Zu den Verdachtsmomenten aus der klinischen Untersuchung zählen eine derbe, jedoch nicht steinharte Konsistenz und die zervikale Lymphadenopathie. Nichtverschiebbarkeit der Drüse, Heiserkeit als Ausdruck der beeinträchtigten Rekurrenzfunktion und das Horner-Syndrom sind Spätzeichen. Dominante Knoten größer als 4 cm tragen eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Karzinom als kleinere Knoten in einer multinodösen Struma. Labordiagnostik. Als sensitiver und kostengünstiger Screeningwert für die Funktion der Schilddrüse ist der TSH-Wert etabliert. Bei niedrigem oder supprimiertem TSH müssen die freien Hormonwerte fT3 und T4 bestimmt werden. Die routinemäßige Bestimmung des Calzitonins ist nicht evidenzbasiert, wird aber beim konkreten Maligomverdacht angeraten und verlangt bei Werten von oberhalb von 10 pg/ml den Pentagastrintest (Peakwert normal <100 pg/ml). Zusammen mit der Beurteilung der Funktion erlauben diese anamnestischen und klinischen Daten eine erste Einordnung der/des Knotens in das in der folgenden 7 Übersicht wiedergegebene Spektrum der Schilddrüsentumoren. Auf die einzelnen Entitäten wurde ausführlich bereits in 7 Kap. 2.3 eingegangen.
120
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Prävalenzorientierte Differenzialdiagnose des solitären/ dominanten Schilddrüsenknotens
Punktionszytologische Befunde (Richtlinie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie)
5 Blander, regressiv veränderter Kolloidknoten 5 Schilddrüsenadenom, hormonell inaktiv, meist follikuläres Adenom 5 Schilddrüsenadenom, hormonell aktiv, autonomes Adenom 5 Schilddrüsenzyste 5 Thyreoiditis 5 Schilddrüsenkarzinom 5 Abszess 5 Hemiagenesie (Agenesie stets links)
5 I: Eindeutig normale Schilddrüsenzellen 5 II: Abweichungen von der Norm, jedoch entzündlich/ degenerativer Natur 5 III: Zellanomalien unklarer Wertigkeit (auch follikuläre und onkozytäre Neoplasie) 5 IV: Höhergradig malignitätsverdächtige Zellatypien 5 V: Eindeutig maligne Zellatypien
Die differenzialdiagnostische Klärung der in der 7 Übersicht aufgelisteten morphologischen Befunde erfordert technische Untersuchungen, die nun kurz angesprochen werden. Sonographie. Als nichtinvasive, wiederholbare Methode muss
sie bei allen strukturellen Schilddrüsenveränderungen als Routineverfahren eingesetzt werden. Sie ist unverzichtbarer Bestandteil der Schilddrüsendiagnostik im Endemiegebiet und gibt Auskunft über die Ausdehnung und Struktur des Organs sowie über extrathyreoidale Veränderungen, z. B. Lymphknotenvergrößerungen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Sonographie besteht in der Aufdeckung klinisch nicht festgestellter Knoten und damit der Sicherung eines klinisch solitären Knotens als tatsächlich solitär. In 50% der klinisch als unauffällig untersuchten Drüsen können Knoten dokumentiert werden, von denen jeder dritte größer als 2 cm ist (Hegedus 2001). Zwar ist die Spezifität der Sonographie nicht ausreichend gut für eine eindeutige Beurteilung der Dignität, jedoch erhöhen isolierte, echoarme oder echokomplexe Befunde, Mikrokalk, eine unregelmäßige Begrenzung des Areals sowie ein echoarmer Randsaum die Wahrscheinlichkeit eines malignen Prozesses. Das Malignitätsrisiko eines solitären Knotens mit diesen morphologischen Veränderungen kann im ausgewählten Kollektiv bis 20% betragen (Pfannenstiel 1989). Für die Verlaufsbeobachtungen ist wichtig zu wissen, dass die Bestimmung der Knotengröße zwischen verschiedenen Untersuchern um 15–30% schwanken kann, sodass lediglich Größenveränderungen ab 30 und sicherer ab 50% relevant sind. Feinnadelaspirationszytologie. Die Feinnadelaspirationszyto-
logie (FAC) hat in den Händen erfahrener Untersucher einen außerordentlich hohen Stellenwert. Sie erlaubt mit wenigen Ausnahmen eine sichere Differenzierung benigner und maligner Knoten der Schilddrüse. Mit der FAC können Kolloidknoten, papilläre-, medulläre-, und anaplastische Schildrüsenkarzinome, Thyreoiditis, Lymphome und viele sekundäre Läsionen in der Schilddrüse verlässlich klassifiziert werden. Die Ergebnisse der Punktionszytologie sind allerdings in hohem Maße abhängig von exakter, idealerweise ultraschallgeführter Punktionstechnik und kompetenter zytophathologischer Befundung. Ihr Ergebnis wird in 5 Gruppen unterteilt, die in der folgenden 7 Übersicht zusammengefasst sind. Die Durchführung einer FAC der Schilddrüse ist indiziert bei klinischem und/oder sonographischem Malignomverdacht, ebenso bei schnell wachsenden, umschriebenen Veränderungen der Schilddrüse, bei der konservativen Therapie der Thy-
reoiditis und therapeutisch, wie z. B. bei der mechanisch wirksamen Schilddrüsenzyste. Die kompetente Beurteilung durch einen in der Zytologie der Schilddrüse erfahrenen Pathologen vorausgesetzt, liegt die Sensitivität für das Erkennen maligner Neoplasien bei 90–98% (mitgeteilter Bereich in der Routine 65–98%), die Spezifität oberhalb 85% (mitgeteilter Bereich in der Routine 72–100%) mit im Mittel 3% falsch-positiven und -negativen Resultaten (Bereich in der Routine 0,7–11,5%) (Pfannenstiel 1988). Die globale Treffsicherheit beträgt in der Hand von Experten mehr als 85% und erreicht in der Routine immerhin noch etwa 70% (Führer et al. 2001). Das follikuläre und das onkozytäre Adenom sind differenzialdiagnostisch von besonderer Bedeutung, da sie durch die FAC nicht von einem follikulären bzw. onkozytären Karzinom unterschieden werden können. In diesen Fällen einer follikulären oder onkozytären Neoplasie ist die Indikation zur operativen Therapie stets gegeben, da nur aufgrund der Beurteilung der Gefäß- und Kapselinfiltration in der Durchsicht des gesamten Operationspräparates die Unterscheidung zwischen benignen und malignen Tumoren möglich ist (Zedenius et al. 1992). Auch eine intraoperative Schnellschnittdiagnostik führt nicht zur Diagnose und kann bei diesen Läsionen nicht zur intraoperativen Entscheidungsfindung herangezogen werden. Trotz der in Deutschland exsistierenden infrastrukturellen Einschränkungen die die FAC begleiten (fehlende spezialisierte Zytopathologen, strukturelle und personelle Trennung der Probengewinnung und Auswertung etc.) kann der Stellenwert dieser Methode nicht genug herausgestrichen werden. Bereits kurz nach der Einführung der Methode wurde auch in Deutschland in sehr erfahrenen Kliniken gezeigt, dass die Aufnahme der FAC in den diagnostischen Algorithmus beim suspekten Knoten die Operationshäufigkeit drastisch senkt (um 50% und mehr), bei gleichzeitiger Steigerung der Inzidenz maligner Befunde um z. T. das 3- bis 5-fache (Röher u. Goretzki 1986). Bereits 1991 wurde in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin erstmalig die Punktion aller Knoten größer als 1 cm angeraten. Unlängst hat die interdisziplinär besetzte Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie diese Empfehlung aufgegriffen und rät dazu, alle nicht hyperfunktionellen Knoten der Schilddrüse von mehr als 10 mm zu punktieren. Eine Punktion von mehr als 2 Knoten in einer multinodösen Knotenstruma ohne dominanten Knoten wird nicht empfohlen, sodass der sonographischen Vorauswahl und Verlauskontrolle der Knoten eine hohe Bedeutung zukommt. Bei nicht diagnostischer FAC muss diese wiederholt werden und selbst bei mehrfach nicht diagnostischer FAC darf nicht von einem benignen Befund ausgegangen werden. Eine Wiederholung einer FAC ist nur bei solchen Knoten empfohlen, bei denen sich eine Vergrößerung um 50%
121 2.8 · Benigne Schilddrüsentumoren
2
. Abb. 2.43. Diagnostische Modalitäten bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen und ihre therapeutischen Konsequenzen. F Funktion der
Schilddrüse, RF Risikofaktoren, AK Antikörper, +/- vorhanden/nicht vorhanden, FAC Feinnadelaspirationszytologie
und mehr dokumentieren lässt. Bei Knoten ohne Wachstum ist eine »Verlaufs-FAC« nicht erforderlich (Paschke et al. 2005).
angegangen werden. Gleiches gilt für die seltenen, in aller Regel jedoch sonographisch gut zu diagnostizierenden Abszesse der Schilddrüse, bei deren Nachweis man stets die seltene Möglichkeit erwägen muss, dass eine spezifische Thyreoiditis vorliegen kann. Finden sich Zeichen der inkretorischen Überfunktion der Drüse, ohne dass anamnestische, klinische oder sonographische Risikofaktoren vorliegen, so handelt es sich entweder um ein autonomes Adenom oder um eine multifokale Autonomie. Hier ist eine Szintigraphie indiziert. Ein zusammenfassender Algorithmus für den rationellen Einsatz der diagnostischen Modalitäten bei gutartigen Schilddrüsenerkrankungen ist in . Abb. 2.43 dargestellt (nach Rothmund u. Zielke 1991; Zielke u. Clark 1995).
Szintigraphie. Die Bedeutung der Szintigraphie liegt in der funktionellen Differenzierung des Schilddrüsengewebes (»Funktionstopogramm« der Schilddrüse). Besteht klinisch die Konstellation einer Hyperthyreose in einer nodösen Struma, liegt ein dominanter Schilddrüsenknoten vor oder zeigt sich sonographisch ein isolierter Knoten oder eine komplexe Zyste, so ist nach gängiger Auffassung eine szintigraphische Untersuchung angezeigt. Dabei ist der Nutzen der Szintigraphie nicht immer offensichtlich. Zwar sind heiße Knoten nahezu niemals maligne und Schilddrüsenmalignome in der Regel afunktionell, d. h. kalt, aber umgekehrt sind 85% aller Knoten in der Bundesrepublik kalt! So beträgt die Wahrscheinlichkeit eines kalten Knotens, ein Karzinom zu sein, in den hochselektierten chirurgischen Serien im Mittel nur 15% und in den kumulierten Serien der nichtoperativen Disziplinen im Mittel nur 5% (Wahl et al. 1982). Die mangelhafte Spezifität der Szintigraphie erübrigt deshalb niemals eine FAC. Eine Schilddrüsenszintigraphie sollte deshalb bei der Differenzialdiagnostik eines Schilddrüsenknotens nicht »rountinemäßig« sondern nur dann erwogen werden, wenn aus der Kenntnis der Knotenfunktion tatsächlich eine differenzierte Empfehlung zur Knotentherapie folgen wird.
2.8.2.2 Rationelles Vorgehen Ergibt sich nach Anamnese, klinischer Untersuchung, Hormondiagnostik und obligater zervikaler Sonographie ein konkreter Verdacht auf ein Malignom, so kann, wenn Euthyreose besteht, der direkte Weg zur Diagnose über die FAC gegangen werden. Ergibt sich dabei der Befund einer unkomplizierten Zyste, kann diese im Zuge der FAC in gleicher Sitzung auch therapeutisch
2.8.2.3 Therapie Die im individuellen Fall zu wählende Behandlung verlangt die Kenntnis der zugrundeliegenden Schilddrüsenpathologie, die Beurteilung der Aktivität des Krankheitsprozesses, der Größe und Funktion der Drüse sowie die genaue Kenntnis der Risikofaktoren für eine maligne Erkrankung. Sie muss ferner die Erwartungshaltung des Patienten, seine Möglichkeiten und seinen Gesundheitszustand berücksichtigen. Es ist allgemein akzeptiert, die Operationsindikation eher weit zu stellen, um ein Karzinom frühzeitig zu erkennen. So kann sich bereits aus zwei einzelnen Verdachtsmomenten aus Anamnese, klinischer Untersuchung, Sonographie oder FAC die Operationsindikation ergeben (. Tab. 2.16). Wird bei niedrigem klinischem Verdachtsmoment eine operative Behandlung nicht gewünscht, muss eine regelmäßige klinische und sonographische Kontrolle gesichert sein. Diese muss nach mindestens 6 und maximal 24 Monaten durchgeführt werden und schließt Klinik, TSH, Sonographie und FAC wenn das Volumen des Knotens um 30–50% gestiegen ist, ein. Ob
122
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.16. Risikofaktoren und malignomverdächtige Befunde beim solitären Schilddrüsenknoten
2
Untersuchung
Befund
Anamnese
5 Rasches Wachstum, auch in vorbestehender Struma 5 Frühere Halsbestrahlung 5 Familiäre Tumoren der Schilddrüse (FFTC, FMTC, MEN) 5 Männer, Alter <20 und >60 Jahre
Klinik
Derbe, indolente Knoten, zervikale Lymphadenopathie
Sonographie
Nicht zystische, nicht verkalkte, echoarme Knoten mit unscharfem Randsaum, komplexe Zysten mit soliden Anteilen
Szintigramm
Kalter Knoten mit unscharfem Aktivitätsübergang
Zytologie
III, IV, follikuläre Neoplasie, onkozytäre Neoplasie
diese Beobachtung unter einer Therapie mit Thyroxin oder Thyroixin/Jodid erfolgen soll – oder ob gar keine Thyroxingabe erfolgen soll – ist keinesfalls klar und wird derzeit dominiert von Expertenmeinungen (Castro et al. 2002; Richter et al. 2002; Brauer et al. 2003). Eine Klärung kann evtl. von der in 2007 endenden LISA-Studie erwartet werden (Gussendrof et al. 2005). 2.8.2.3.1 Operationsindikation Eine unstrittige Operationsindikation ergibt sich für alle Patienten mit konkreten malignitätsverdächtigen Befunden aus der FAC (höhergradig malignitätsverdächtige Zellatypien/Gruppe III, IV) und selbstverständlich bei gesicherter Malignität (Gruppe V). Darüber hinaus sollten alle Patienten mit Bestrahlungen der Halsregion in der Anamnese und neu aufgetretenen Knoten mit Wachstumstendenz der Operation zugeführt werden. Eine gesicherte Indikation besteht bei Patienten mit einer follikulären oder onkozytären Neoplasie. So beträgt das Risiko eines follikulären Karzinoms bei einer follikulären Neoplasie mindestens 3–8%; 10–14% der Neoplasien werden zudem als atypisch eingestuft (Lang et al. 1980; Zedenius et al. 1992). Damit sind 15–20% der follikulären Neoplasien von zweifelhafter Dignität. Solitäre autonome Adenome werden von den Autoren operiert, wenn sie größer als 3 cm sind, und generell, wenn der Patient dies wünscht und keine Einschränkungen für eine operative Behandlung vorliegen. Weitere Indikationen ergeben sich individuell unter Abwägung der allgemeinen, anamnestischen und klinischen Risikofaktoren, z. B. im Fall von Patienten mit suspekten Knoten, denen ein konsequentes Follow-up nicht möglich ist. 2.8.2.3.2 Verfahrenswahl Kann man bereits präoperativ einen konkreten Malignomverdacht äußern, ist grundsätzlich eine Hemithyreoidektomie der befundtragenden Seite anzustreben.
Liegt keine präoperative FAC vor, sollte nach der vollständigen Resektion des tumortragenden Schilddrüsenlappens eine großzügige Biopsie vom Tumor genommen und diese per Schnellschnitt untersucht werden. Bei der Beurteilung auf Malignität sind neben dem makroskopischen Aspekt die histologischen Kriterien des Schnellschnitts von Bedeutung. Ergibt sich ein Malignom, muss mit wenigen Ausnahmen die Thyreoidektomie folgen (7 Kap. 2.9, Schilddrüsenkarzinome). Liegt eine follikuläre Neoplasie vor, sollte in jedem Fall eine Hemithyreoidektomie mit Ausräumung des gleichseitigen zentralen Kompartiments durchgeführt werden, in Analogie zu dem Vorgehen bei bereits präoperativ gesicherter follikulärer Neoplasie. Bestätigt sich in der definitiven histologischen Aufarbeitung der Malignitätsverdacht, so muss dann die ursprünglich den Befund tragende Seite nicht noch einmal angegangen werden. Dies reduziert das Morbiditätsrisiko auf das Maß einer unkomplizierten Erstoperation und erlaubt die Komplettierung zum Zeitpunkt der Wahl vorzunehmen. Liegt keine FAC vor und ist die Möglichkeit der intraoperativen Untersuchung mittels Schnellschnitt nicht gegeben, so muss man bei jedem suspekten Befund eine Hemithyreoidektomie durchführen. Die »Enukleation« oder die »subtotale Resektion« ist in dieser Situation strikt abzulehnen und kann nicht mehr vertreten werden. Bei einer Hemithyreoidektomie sollte im Übrigen stets der Isthmus und der Lobus pyramidalis mit reseziert werden. Dies erfordert wenig Zeit und erhöht das Risiko nicht, eliminiert aber die Möglichkeit der Entstehung eines Rezidivs in diesem Bereich mit der Folge einer hässlichen asymmetrischen Halsschwellung. Literatur Brauer VFH, Hentschel B, Paschke R (2003) Der euthyreote Schilddrüsenknoten. DMW 128:2381–2387 Brooks JR, Starnes HF, Brooks CD, Pelkey JN (1988) Surgical therapy for thyroid carcinoma. A review of 1249 solitary thyroid nodules. Surgery 104:940–946 Castro MR, Caraballo PJ, Morris JC (2002) Effectiveness of thyroid homone suppressive therapy in benign solitary thyroid nodules: a meta analysis. J Clin Endocrinol Metab 87:4154–4159 Führer D, Holzapfel HP, Ruschenberg I, Paschke R. (2001) Diagnostik des Schilddrüsenknotens. Dtsch Arzteblatt 38:2427–2437 Gussendorf M, Vaupel R, Reiners C, Wegschneider K (2005) Die LISA-Studie – eine randomisierte, doppelblinde, vierarmige, plazebokontrollierte, multizentrische Studie an 1000 Patienten über die medikamentöse Therapie der Struma in Deutschland. Med Klinik 100:542–546 Hegedus L (2001) Thyroid ultrasound. Endocrinol Metab Clin North Am 30:339–360 Paschke R, Reiners C, Führer D, Schmid KW, Dralle H Brabant G (2005) Empfehlungen und offenen Fragen in der Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenknoten. Dtsch Med Wschr 130:1831–1836 Pfannenstiel P (1988) Sonographie und gezielte Feinnadelpunktion der Schilddrüse. Internist 29:545–549 Pfannenstiel P (1989) Wertigkeit der Sonographie bei der Diagnostik bei Schilddrüsenknoten. In: Röher HD, Rothmund M (Hrsg) Endokrine Chirurgie. Urban & Schwarzenberg, München Reinwein D, Benker G, Windeck R et al. (1989) Erstbefunde beim Schilddrüsenkarzinom. Einfluss von Alter und Geschlecht in einem Jodmangelgebiet. Dtsch Med Wochenschr 114:775–779 Richter B, Neuises G, Clar C (2002) Pharmacotherapy for thyroid nodules. A systematic review and meta-analysis. Endocrinol Metab Clin North Am 31:699–722 Röher, HD, Goretzki P (1986) Der »kalte« Schilddrüsenknoten. Langenbecks Arch Chir 369:191–194
123 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
Rothmund M, Zielke A (1991) Der solitäre Schilddrüsenknoten – befundgerechte Operation. Chirurg 62:162–168 Zedenius J, Auer G, Bäckdahl C et al. (1992) Follicular tumors of the thyroid gland: diagnosis, clinical aspects and nuclear DNA analysis. World J Surg 16:589–594 Zielke A, Clark OH (1995) Benign diseases of the thyroid-parathyroidadrenal. In: Ritchie WP Jr, Steele GD, Dean RH (eds) General surgery: essentials of practice. Lippincott, Philadelphia
Maligne Schilddrüsentumoren
2.9
2.9.1 Pathologie der Schilddrüsenkarzinome
C.D. Gerharz ) ) Maligne Schilddrüsentumoren sind insgesamt selten und machen nur etwa 0,5% (Männer) bzw. 1,5% (Frauen) aller malignen Tumoren aus (Schmid u. Böcker 1997). Dennoch kommt der differenzialdiagnostischen Abgrenzung zwischen gut- und bösartigen Schilddrüsenerkrankungen in der täglichen klinischen Praxis eine überaus große Bedeutung zu, da Knoten in der Schilddrüse sehr weit verbreitet sind und oftmals erst die pathomorphologische Untersuchung eine sichere Dignitätsbeurteilung ermöglicht (Mortenson et al. 1955; Ezzat et al. 1994; Mann 2002; Schmid 1997). Die pathomorphologische Diagnostik stützt sich dabei nach wie vor auf konventionelle zytologische und histologische Kriterien, da neu entwickelte Techniken wie Immunhistochemie, Durchflusszytophotometrie und molekulargenetische Methoden bislang keinen wesentlichen Beitrag zur Dignitätsbeurteilung eines Schilddrüsentumors leisten konnten. Die bei weitem häufigsten malignen Schilddrüsentumoren sind die Karzinome der Schilddrüse, die in der überwiegenden Mehrzahl histogenetische Beziehungen zu den Follikelepitheloder C-Zellen der Schilddrüse erkennen lassen. Die heute übliche Klassifikation der Schilddrüsentumoren nach histogenetischen Kriterien erlaubt eine zuverlässige Definition von distinkten Tumorentitäten, die sich in Epidemiologie, klinischem Verlauf und Prognose deutlich unterscheiden.
2
bungen des Zellkerns. Besonders bemerkenswert ist jedoch der optisch leere Zellkern mit Betonung der Kernmembran (»Milchglaskerne«, . Abb. 2.44b) sowie die dachziegelartige Übereinanderlagerung der Zellkerne. Diese Besonderheiten des Zellkerns sind allerdings nur nach Paraffineinbettung, nicht jedoch in Schnellschnittpräparaten nachweisbar. Eine weitere, diagnostisch hilfreiche Besonderheit des papillären Schilddrüsenkarzinoms ist das Auftreten von Psammomkörperchen, die sich typischerweise an der Papillenspitze oder im Stroma des Karzinoms finden und die sich als konzentrisch geschichtete Verkalkung um einen zentralen Nidus entwickeln (. Abb. 2.44c). Psammomkörperchen sind in normalem Schilddrüsengewebe so selten anzutreffen, dass ihr Auftreten immer eine sorgfältige Suche nach einem papillären Schilddrüsenkarzinom in der Nachbarschaft rechtfertigt. Darüber hinaus zeigen papilläre Schilddrüsenkarzinome häufig eine ausgeprägte desmoplastische Stromareaktion (. Abb. 2.44d). Klinisch bedeutsam ist das häufig multizentrische Auftreten des papillären Schilddrüsenkarzinoms, das in etwa 20% aller Fälle zu beobachten ist. Unklar ist bislang, ob das multizentrische Auftreten ausschließlich auf eine intrathyreoidale lymphogene Metastasierung oder einen multizentrischen Ursprung des Tumors zurückzuführen ist. Prognose. Anders als das follikuläre Schilddrüsenkarzinom metastasiert das papilläre Karzinom bevorzugt lymphogen, zunächst in die zervikalen, später auch in die mediastinalen Lymphknoten. Erst im weiteren Verlauf manifestieren sich auch hämatogene Metastasen, bevorzugt in der Lunge. Die Prognose des papillären Schilddrüsenkarzinoms ist insgesamt sehr günstig und unterscheidet sich in Tumorfrühstadien nicht von den Überlebenskurven der normalen Bevölkerung (Crile 1971; Carcangiu et al. 1985a; McConahay et al. 1986; Schindler et al. 1991). Die Prognose verschlechert sich allerdings mit zunehmender Tumorgröße (über 1 cm) und steigendem Lebensalter zum Zeitpunkt der Diagnose. Prognostisch ungünstig sind insbesondere der multizentrische Tumorbefall der Schilddrüse, ein organüberschreitendes Wachstum sowie eine Lungenmetastasierung. Pathomorphologisch lassen sich verschiedene Varianten des papillären Schilddrüsenkarzinoms abgrenzen (Hedinger 1988; Rosai et al. 1992): Papilläres Mikrokarzinom. Der Begriff des papillären Mikro-
2.9.1.1 Papilläres Schilddrüsenkarzinom Epidemiologie. Das papilläre Schilddrüsenkarzinom ist mit 50– 80% aller bösartigen Schilddrüsentumoren das häufigste Karzinom des Follikelepithels (Hofstädter 1980; Rosai et al. 1992) und wird bei Frauen häufiger beobachtet als bei Männern (2–3:1). Papilläre Schilddrüsenkarzinome (. Abb. 2.44a) treten schon im Kindesalter auf, das Durchschnittsalter bei Diagnosestellung liegt jedoch je nach Patientenkollektiv zwischen 30 und 50 Jahren.
karzinoms sollte nach der WHO (Hedinger 1988) für Karzinome bis zu einem maximalen Durchmesser von 1 cm benutzt werden (. Abb. 2.44a), unabhängig davon, ob der Tumor eine Kapsel aufweist oder nicht. Die Überlebenskurve von Patienten mit einem derartigen Mikrokarzinom unterscheidet sich erfahrungsgemäß kaum von der Überlebenskurve der Normalbevölkerung (Carcangiu et al. 1985a). Gekapseltes papilläres Karzinom. Dieser Karzinomtyp macht
Histologie. Das morphologisch hervorstechendste Merkmal des
papillären Schilddrüsenkarzinoms ist die papilläre Architektur des Tumors (. Abb. 2.44b), obwohl in diesem Tumortyp auch neoplastische Follikel und solide Tumorzellaggregate vorkommen. Besonders hilfreich für die differenzialdiagnostische Abgrenzung von papillären Strukturen, die auch bei hyperplastischen Knoten und Adenomen vorkommen, sind charakteristische Besonderheiten des Zellkerns: So findet man gehäuft zytoplasmatische Kerneinschlüsse und meist längs verlaufende Einker-
etwa 10% aller papillären Schilddrüsenkarzinome aus und wird von einer kompletten Faserkapsel umgeben. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung dieser Tumoren von follikulären Adenomen mit papillären Strukturen stützt sich auf den Nachweis der typischen Kernveränderungen eines papillären Karzinoms. Die Langzeitprognose dieses Karzinomtyps ist der des papillären Mikrokarzinoms vergleichbar (Evans 1987).
124
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
. Abb. 2.44a–e. Papilläres Schilddrüsenkarzinom. a Makroskopischer Aspekt eines papillären Mikrokarzinoms (Durchmesser <1 cm) mit weißlicher Schnittfläche und strahligen Ausläufern; b papillär aufgebauter Tumor mit Milchglaskernen und zytoplasmatischen Kerneinschlüssen
(Pfeil); c solitäres Psammomkörperchen (Pfeil); d keloidartige desmoplastische Stromareaktion (Sterne) in Umgebung von hier follikulär strukturierten Karzinomverbänden (Pfeile); e onkozytäres papilläres Karzinom. Maßstab a 1 cm, b-e 100 µm
Follikuläre Variante des papillären Karzinoms. Dieser Karzinomtyp zeigt definitionsgemäß ein reines oder fast reines follikuläres Wachstumsmuster, und nur eine sorgfältige Suche führt manchmal zum Nachweis papillärer Strukturen. Die morphologische Zuordnung zum papillären Karzinom beruht auf den charakteristischen Kernveränderungen dieses Tumortyps (7 oben) und ist klinisch gerechtfertigt durch die bevorzugt lymphogene Metastasierung (Carcangiu et al. 1985a).
Diffus sklerosierendeVariante. Die diffus sklerosierende Variante
Solid-trabekuläre Variante des papillären Karzinoms. Die Be-
deutung dieser seltenen Karzinomvariante liegt in der Abgrenzung von gering differenzierten oder undifferenzierten Schilddrüsenkarzinomen, da diese Variante des papillären Karzinoms sich in ihrem biologischen Verhalten nicht von anderen Formen des papillären Karzinoms unterscheidet. Die Zuordnung erfolgt aufgrund der charakteristischen Kernmorphologie. Onkozytäres papilläres Karzinom. Berichte über echte, streng definierte onkozytäre papilläre Karzinome sind selten (SobrinhoSimoes et al. 1985; Apel et al. 1995). Diese Tumorform ist durch eine rein papilläre Architektur gekennzeichnet, ohne dass die onkozytären (oxyphilen) Tumorzellen jedoch die typischen Kernveränderungen des papillären Karzinoms aufweisen (. Abb. 2.44e). Anders als das als onkozytäre follikuläre Karzinom scheint dieser Tumortyp aber ebenfalls bevorzugt lymphogen zu metastasieren.
zeigt eine massive Lymphangiosis carcinomatosa, die sowohl die diffuse intrathyreoidale Ausbreitung in häufig beiden Schilddrüsenlappen erklärt als auch das besonders häufige Auftreten von zervikalen Lymphknotenmetastasen und Lungenmetastasen. Großzellige (Tall-cell-)Variante. Diese Variante zeichnet sich klinisch durch einen aggressiveren Verlauf aus als das klassische papilläre Schilddrüsenkarzinom. Morphologisch finden sich papilläre Strukturen, die von einem Epithel mit eosinophilem Zytoplasma überkleidet werden. Mitosen sind – im Gegensatz zur Seltenheit von Mitosen in klassischen papillären Schilddrüsenkarzinomen – vermehrt nachweisbar (Johnson et al. 1988; Ostroweski et al. 1996). Zylinderepithel- (Columnar-cell-) Variante. Die sehr seltene und klinisch besonders aggressive »Columnar-cell-Variante« zeigt eine papilläre Architektur, ohne dass jedoch die karyologischen Merkmale des klassischen papillären Karzinoms vorhanden wären (Sobrinho-Simoes et al. 1988; Gaertner et al. 1995).
2.9.1.2 Follikuläres Schilddrüsenkarzinom Als follikuläre Schilddrüsenkarzinome werden alle bösartigen Tumoren des Follikelepithels bezeichnet, die nicht anderen, distinkten Typen des Schilddrüsenkarzinoms zugerechnet werden können. Follikuläre Schilddrüsenkarzinome machen etwa 5–15%
125 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2
aller bösartigen Schilddrüsentumoren aus; ihr Anteil steigt in Jodmangelgebieten auf 30–40% aller bösartigen Schilddrüsentumoren an (Cuello et al. 1969; Williams et al. 1977; Lang et al. 1986). Patienten mit einem follikulären Schilddrüsenkarzinom zeigen zum Zeitpunkt der Diagnose ein um etwa 10 Jahre höheres Durchschnittsalter als Patienten mit papillären Karzinomen. Klinisch manifestieren sich diese Tumoren in aller Regel als szintigraphisch kalte Knoten. Pathomorphologisch lassen sich verschiedene Varianten des follikulären Karzinoms abgrenzen, die sich in ihrer Prognose z. T. deutlich unterscheiden (Hedinger 1988; Rosai et al. 1992). Minimalinvasives (gekapseltes) follikuläres Karzinom. Diese Form des follikulären Karzinoms zeigt pathomorphologisch eine so starke Ähnlichkeit mit einem follikulären Adenom, dass die Diagnose dieses Tumortyps immer wieder eine besondere Herausforderung darstellt und oft nur nach Untersuchung zahlreicher Gewebeproben und Anfertigung von Stufenschnitten möglich ist. Obwohl ein besonderer Zellreichtum – wie er allerdings auch bei trabekulär-soliden und mikrofollikulären Adenomen vorkommt –, das gehäufte Auftreten von Mitosen sowie eine besonders dicke Faserkapsel einen ersten Hinweis auf das Vorliegen eines malignen Tumors geben, ist für die abschließende Malignitätsdiagnose der Nachweis einer echten Kapsel- und/oder Gefäßinvasion zu fordern. Dieser Nachweis kann jedoch nur mit einer histomorphologischen, nicht mit einer zytologischen Untersuchung geführt werden, sodass die Diagnose einer »follikulären Neoplasie« durch den Zytologen die Dignität dieses follikulären Tumors offen lässt. Eine echte Kapselinvasion (. Abb. 2.45a) liegt nur dann vor, wenn Tumorzellen die oftmals sehr dicke Kapsel vollständig penetrieren. Für die Beurteilung einer Gefäßinvasion sollten große, venöse (nicht kapilläre) Gefäße in der Kapsel oder außerhalb des Knotens herangezogen werden, nicht jedoch im Tumor gelegene Gefäße (. Abb. 2.45b). Für die Abgrenzung artefiziell in die Gefäßlichtung verschleppter Follikelepithelkomplexe hilfreich ist der Nachweis eines Kontaktes der Tumorzellen mit der Gefäßwand oder thrombotischer Auflagerungen auf den Tumorzellen. Die histomorphologische Differenzialdiagnose dieser Tumoren umfasst den hyperplastischen Schilddrüsenknoten, das follikuläre Adenom sowie die follikuläre Variante des papillären Karzinoms und des C-Zellkarzinoms. Bei strenger Definition dieses Tumortyps ist die Prognose des minimalinvasiven, follikulären Karzinoms mit Heilungsraten über 95% exzellent (Cady et al. 1985; Lang et al. 1986; Schmid et al. 1996). Grob invasives follikuläres Karzinom. Dieser Karzinomtyp zeigt
– neben einer follikulären Architektur – makroskopisch und mikroskopisch eine so ausgedehnte Invasion, dass die Abgrenzung vom follikulären Adenom keine Schwierigkeiten bereitet. In die Kategorie der grob invasiven Karzinome werden auch gekapselte Karzinome eingeordnet, wenn zahlreiche Gefäßeinbrüche nachweisbar sind (Hedinger 1988). Die Metastasierung erfolgt hämatogen, bevorzugt in Lunge, Knochen, Leber und Gehirn, während zervikale Lymphknotenmetastasen Raritäten darstellen. Onkozytäres (oxyphiles) follikuläres Karzinom. Das onkozytäre follikuläre Karzinom (Hürthle-Zellkarzinom) besteht ausschließlich oder überwiegend (mindestens zu 75%) aus onkozytär transformierten Tumorzellen. Das onkozytäre Karzinom macht etwa 2–3% aller Schilddrüsenkarzinome und annähernd 20% aller
. Abb. 2.45a–c. Follikuläres Schilddrüsenkarzinom. a Kapselinvasion: pilzschirmartige Protrusion eines hochdifferenzierten, follikulär strukturierten Tumorgewebes (Stern) durch einen umschriebenen Kapseldefekt (Pfeile); b hochdifferenziertes, follikulär strukturiertes Tumorgewebe in der Lichtung einer dünnwandigen Vene; c onkozytäres follikuläres Karzinom (Stern) in der Lichtung einer dünnwandigen Vene. Maßstab a/b 500 µm, c 200 µm
follikulären Schilddrüsenkarzinome aus (Watson et al. 1984). Klinisch unterscheidet sich das onkozytäre Karzinom nicht wesentlich vom Erscheinungsbild anderer follikulärer Karzinome, obwohl vereinzelt beschrieben wurde, dass onkozytäre Karzinome eine höhere Aggressivität besitzen als vergleichbare nichtonkozytäre follikuläre Karzinome (Schröder et al. 1984; Carcangiu et al. 1991). In der Regel speichern weder der Primärtumor noch die Metastasen Radiojod.
126
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Pathomorphologisch zeigen diese Tumoren zumeist ein solidtrabekuläres Wachstumsmuster, wobei die Abgrenzung vom onkozytären Adenom auch hier auf dem Nachweis einer echten Kapsel- und/oder Gefäßinvasion beruht (. Abb. 2.45c). Auch beim onkozytären follikulären Karzinom können minimalinvasive (gekapselte) Formen und grob invasive Formen abgegrenzt werden, die sich in ihrer Prognose deutlich unterscheiden. 2.9.1.3 Gering differenziertes Karzinom (»insular carcinoma«) Das gering differenzierte Karzinom zählt ebenfalls zu den Karzinomen des Follikelepithels und nimmt in seinem klinischen Verhalten eine Position zwischen den hoch differenzierten follikulären bzw. papillären Schilddrüsenkarzinomen und dem undifferenzierten (anaplastischen) Karzinom ein (Carcangiu et al. 1984; Rosai et al. 1992). Obwohl die WHO-Klassifikation (Hedinger 1988) den Tumor ausschließlich als Variante des follikulären Karzinoms beschreibt, gibt es offensichtlich auch Übergänge zu papillären Karzinomen (Rosai et al. 1992). Histomorphologisch handelt es sich um einen in kompakten Nestern (»Inseln«) wachsenden Tumor (. Abb. 2.46a), der sich aus relativ kleinen Tumorzellen zusammensetzt. Der immunhistochemische Nachweis von Thyreoglobulin bei fehlender Kalzitoninexpression erlaubt die Abgrenzung von einem C-Zellkarzinom. 2.9.1.4 Undifferenziertes (anaplastisches) Schilddrüsenkarzinom Das undifferenzierte (anaplastische) Schilddrüsenkarzinom ist ein hoch aggressiver Tumor, der häufig nur noch immunhistochemisch oder ultrastrukturell epitheliale Differenzierungsmerkmale erkennen lässt, während sich im konventionellen lichtmikroskopischen Bild ein eher sarkomatöser Aspekt bietet. Epidemiologie. Das undifferenzierte (anaplastische) Karzinom
manifestiert sich häufiger bei Frauen als bei Männern und tritt dort bevorzugt in höherem Lebensalter auf; nur wenige Patienten sind jünger als 50 Jahre (Aldinger et al. 1978; Carcangiu et al. 1985b; Venkatesh et al. 1990). Klinische Symptomatik. Wegen des raschen Tumorwachstums reicht die Anamnese der Patienten meist nur wenige Wochen und Monate zurück, und die meisten Patienten sind zum Zeitpunkt der Diagnose noch euthyreot, obwohl der Tumor schon große Teile der Schilddrüse zerstört hat. Die rasche Größenzunahme und das organüberschreitende Wachstum dieses Schilddrüsentumors führen sehr schnell zu mechanischen Komplikationen. Szintigraphisch weisen diese Tumoren keine Jodspeicherung auf. Histologie. Pathomorphologisch zeigen diese Tumoren eine hohe
mitotische Aktivität, ausgedehnte Nekrosen und eine aggressive Invasion sowohl verbliebener Schilddrüsenreste als auch extrathyroidaler Strukturen. Nach dem vorherrschenden Zelltyp kann man – rein morphologisch – verschiedene Varianten des undifferenzierten (anaplastischen) Karzinoms unterscheiden, wobei sich jedoch häufig Übergänge und Mischformen finden: 4 Die spindelzellige Variante wird von Tumorzellen dominiert, wie sie in ähnlicher Form auch in Fibrosarkomen oder malignen fibrösen Histiozytomen vorkommen (. Abb. 2.46b). 4 Die riesenzellige Variante zeigt monströse Tumorriesenzellen mit bizarr vergrößerten Zellkernen.
. Abb. 2.46a–c. Gering differenziertes und undifferenziertes (anaplastisches) Schilddrüsenkarzinom. a Gering differenziertes Karzinom (»insular carcinoma«) mit soliden Verbänden relativ kleiner Tumorzellen; b,c undifferenziertes (anaplastisches) Karzinom mit spindelzellig-pleomorphen Tumorzellen (b), die immunhistochemisch eine zytoplasmatische Färbereaktion für Gesamtzytokeratin (c) zeigen (Pfeile). Maßstab 100 µm
4 Die »squamoide« Variante besteht aus pleomorphen Tumorzellen, die noch eine epithelähnliche Kohäsivität erkennen lassen. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung des undifferenzierten (anaplastischen) Karzinoms von echten Sarkomen (Hämangioendotheliom, Fibrosarkom, malignes fibröses Histiozytom und Hämangioperizytom) stützt sich ganz wesentlich auf den Nachweis epithelialer Differenzierungsmerkmale der Tumorzellen (. Abb. 2.46c), insbesondere auf den immunhistochemischen
127 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2
Nachweis einer Zytokeratinexpression (Hurlimann et al. 1987; Ordonez et al. 1991). Prognose. Die Prognose dieses Tumortyps ist wegen des raschen, destruktiven lokalen Wachstums und der fulminanten lymphogenen wie hämatogenen Metastasierung extrem schlecht und bemisst sich in wenigen Monaten (Carcangiu et al. 1985b; Venkatesh et al. 1990). Bemerkenswerterweise findet man in vielen dieser Karzinome – die Prozentangaben schwanken zwischen 8 und 80% (Wychulis et al. 1965; Nishiyama et al. 1972) – Reste gut differenzierter follikulärer oder papillärer Schilddrüsenkarzinome, was auf die Möglichkeit einer anaplastischen Transformation dieser besser differenzierten Tumoren hinweist.
2.9.1.5 C-Zellkarzinom Pathogenese und Epidemiologie. Das C-Zellkarzinom leitet
sich von den kalzitoninproduzierenden C-Zellen der Schilddrüse ab und macht bis zu 10% aller bösartigen Schilddrüsenkarzinome aus (Saad et al. 1984; Sizemore 1987). Die meisten C-Zellkarzinome treten sporadisch auf, bei bis zu 30% aller Patienten mit diesem Karzinomtyp handelt es sich jedoch um die Manifestation einer multiplen endokrinen Neoplasie vom Typ IIA und B. Während das Durchschnittsalter von Patienten mit der sporadischen Form des C-Zellkarzinoms zwischen 36 und 51 Jahren liegt (Chong et al. 1973; Lips et al. 1988), wird die familiär gehäuft auftretende Form mit einem Durchschnittsalter zwischen 15 und 20 Jahren (Carney et al. 1978; Lips et al. 1988) wesentlich früher diagnostiziert. Histologie. Histomorphologisch handelt es sich bei den C-Zellkarzinomen in der Regel um nichtgekapselte Tumoren, die ein läppchenartig gegliedertes oder trabekuläres Wachstumsmuster zeigen und sich aus spindeligen oder runden, polygonalen Tumorzellen zusammensetzen (. Abb. 2.47a, b). Bemerkenswert ist die häufige Ablagerung von Amyloid, die in bis zu 80% aller Tumoren nachgewiesen werden kann. Wegen der Fähigkeit der C-Zellkarzinome, das Wachstumsmuster follikulärer, papillärer oder undifferenzierter (anaplastischer) Karzinome zu imitieren, kann die morphologische Differenzialdiagnose des C-Zellkarzinoms Schwierigkeiten bereiten, sodass dem immunhistochemischen Nachweis der Kalzitoninsynthese große Bedeutung zukommt (. Abb. 2.47c). Bei etwa 20% aller C-Zellkarzinome lässt sich jedoch eine Kalzitoninexpression immunhistochemisch nicht sichern. Bei solchen Kalzitonin-negativen Tumoren kann der Nachweis einer CEA-Expression (. Abb. 2.47d) weiterhelfen, der bei fast allen C-Zellkarzinomen selbst dann noch gelingt, wenn die Fähigkeit zur Kalzitoninsynthese verlorengegangen ist (Schröder et al. 1987). Besonders hervorzuheben ist die Existenz einer kleinzelligen C-Zellkarzinom-Variante, die das Bild eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms vom intermediären Typ imitiert, sich von diesem Tumor jedoch durch eine Kalzitonin- und CEA-Expression unterscheidet (Mendelsohn et al. 1980). In sehr seltenen Fällen können C-Zellkarzinome ein echtes bidirektionales Differenzierungspotenzial entwickeln und follikuläre oder papilläre Tumorkomponenten mit Differenzierungsmerkmalen des Follikelepithels (wie z. B. eine Thyreoglobulinsynthese) enthalten. Absolute Sicherheit für die Diagnose eines solchen Karzinoms kann jedoch nur der Nachweis einer bidirektionalen Differenzierung auch in den Metastasen dieser
. Abb. 2.47a–d. C-Zellkarzinom. a,b Spindelzellig (a) und epithelähnlich-polygonal (b) wachsende Tumorzellverbände; c,d immunhistochemischer Nachweis einer Kalzitonin- (c) und CEA-(d) Expression in den Tumorzellen. Maßstab 200 µm
Tumoren geben (LiVolsi 1987). Die sporadische und die familiäre Form des C-Zellkarzinoms lassen sich histomorphologisch nicht unterscheiden, wenn man davon absieht, dass bei familiären Formen des C-Zellkarzinoms häufig eine zusätzliche multifokale B-Zellhyperplasie nachweisbar ist (7 unten). Prognose. Die Überlebensrate der Patienten mit C-Zellkarzinomen wird wesentlich von Tumorstadium und Lebensalter bei Diagnosestellung bestimmt, wobei die 5-Jahres-Überlebensrate mit Werten zwischen 60 und 70% und die 10-Jahres-Überlebensrate mit Werten zwischen 40 und 50% angegeben wird (Saad et al. 1984; Schröder et al. 1988).
128
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
2.9.1.6 C-Zellhyperplasie und C-Zelladenom Die C-Zellhyperplasie gilt bei Patienten mit einem MEN 2a- bzw. b-Syndrom als präkanzeröse Läsion und kann als histomorphologisches Kriterium zur Abgrenzung sporadischer und familiärer Formen des C-Zellkarzinoms verwandt werden. Darüber hinaus wird eine C-Zellhyperplasie gelegentlich aber auch im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoiditis (Biddinger et al. 1991) oder in der unmittelbaren Nachbarschaft von follikulären und papillären Schilddrüsenkarzinomen beobachtet (Scopsi et al. 1991). Da die C-Zelldichte in normalen Schilddrüsen erheblichen Schwankungen unterliegt (Lips et al. 1987), sollte eine diffuse oder noduläre C-Zellhyperplasie nur dann diagnostiziert werden, wenn die Veränderung ausgeprägt, multifokal und bilateral nachweisbar ist. Der Übergang in ein frühinvasives C-Zellkarzinom ist ultrastrukturell durch Basalmembrandefekte gekennzeichnet, während lichtmikroskopisch eine desmoplastische Stromareaktion sowie eine Tumorzelldissoziation an der Invasionsfront nachweisbar werden (. Abb. 2.48). Die Existenz von C-Zelladenomen ist umstritten (Kodama et al. 1988), da es sich hierbei möglicherweise um niedrig maligne, gekapselte C-Zellkarzinome mit besonders günstiger Prognose handelt. 2.9.1.7 Seltene primäre Schilddrüsenkarzinome Neben den klassischen Schilddrüsenkarzinomen mit Differenzierungsmerkmalen der Follikelepithel- oder C-Zellen gibt es eine Reihe sehr seltener Tumortypen, die in reiner Form oder als
. Abb. 2.49a–d. Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome. a pT1, b pT2, c pT3, d pT4
T1
. Abb. 2.48. Evolution des C-Zellkarzinoms im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ IIA und B
pT1
T2
pT2
≤2 cm >2 bis 4 cm
a b T3
c
T4
pT3
d
pT4
129 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2
. Tab. 2.17. TNM-Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome T (Primärtumor)
N (regionale Lymphknoten)
M (Fernmetastasen)
pTX
Primärtumor nicht beurteilbar
pT0
Primärtumor nicht nachweisbar
pT1
Tumordurchmesser <2 cm, auf die Schilddrüse beschränkt (. Abb. 2.49a)
pT2
Tumordurchmesser 2–4 cm, auf die Schilddrüse beschränkt (. Abb. 2.49b)
pT3
Tumordurchmesser mehr als 4 cm in größter Ausdehnung, begrenzt auf die Schilddrüse oder Tumor mit minimaler extrathyroidaler Ausbreitung (d. h. Ausbreitung in den M. sternothyreoideus oder perithyroidales Weichgewebe; . Abb. 2.49c)
pT4a
Tumoren jeder Größe mit Ausdehnung über die Schilddrüsenkapsel hinaus und Invasion einer oder mehrerer der folgenden Strukturen: subkutanes Weichgewebe, Larynx, Trachea, Ösophagus, N. recurrens
pT4b
Tumor infiltriert prävertebrale Faszie, mediastinale Gefäße oder umschließt die A. carotis
pT4a (nur undifferenziertes Karzinom)
Tumor (unabhängig von der Größe) auf die Schilddrüse beschränkt
pT4b (nur undifferenziertes Karzinom)
Tumor (unabhängig von der Größe) mit Ausbreitung jenseits der Schilddrüsenkapsel (. Abb. 2.49d)
pNx
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
pN0
Kein Anhalt für regionäre Lymphknotenmetastasen
pN1
Regionäre Lymphknotenmetastasen
pN1a
Metastasen in Lymphknoten des Level VI (prätracheal und paratracheal, eingeschlossen prälaryngeale und Delphi-Lymphknoten)
pN1b
Metastasen in anderen unilateralen, bilateralen oder kontralateralen zervikalen oder oberen mediastinalen Lymphknoten
pMx
Fernmetastasen können nicht beurteilt werden
pM0
Keine Fernmetastasen
pM1
Fernmetastasen
Komponente eines klassischen Schilddrüsenkarzinoms auftreten können (Rosai et al. 1992). Hierzu zählen: 4 Plattenepithelkarzinome 4 Adenokarzinome, Siegelringzellkarzinome 4 Mukoepidermoide Karzinome 4 Klarzellige Karzinome Bei diesen Tumoren kann die Abgrenzung von Metastasen eines Primärtumors anderer Lokalisation Schwierigkeiten bereiten, insbesondere dann, wenn in diesen Tumoren keine Differenzierungsmerkmale nachweisbar sind, die auf eine Herkunft von Follikelepithelien oder C-Zellen hinweisen. 2.9.1.8 Sarkome Primäre Sarkome der Schilddrüse, wie z. B. maligne Hämangioendotheliome, Fibrosarkome, maligne fibröse Histiozytome und Hämangioperizytome, sind außerordentliche Raritäten, wenn strenge Kriterien an ihre Diagnose gestellt und insbesondere undifferenzierte (anaplastische) Schilddrüsenkarzinome differenzialdiagnostisch sorgfältig ausgeschlossen werden (Rosai et al. 1992). Die Abgrenzung zwischen primären Schilddrüsensarkomen und undifferenzierten (anaplastischen) Schilddrüsenkar-
zinomen ist jedoch in aller Regel klinisch bedeutungslos, da sich diese Tumorentitäten in ihrer Aggressivität und therapeutischen Beeinflussbarkeit kaum unterscheiden. 2.9.1.9 Maligne Lymphome Primäre maligne Lymphome der Schilddrüse sind selten und machen nur etwa 0,3–1,8% aller bösartigen Schilddrüsentumoren aus (Campell u. Sage 1975; Neracher u. Hedinger 1975). Zumeist handelt es sich um Non-Hodgkin-Lymphome der B-Zellreihe, wobei diese Lymphome heute aufgrund ihrer häufigen Assoziation mit einer Hashimoto-Autoimmunthyreoiditis zur Gruppe der MALT-Lymphome gerechnet werden (Anscombe u. Wright 1985; Mizukami et al. 1990; Rosai 1992). Primäre Plasmozytome oder Hodgkin-Lymphome der Schilddrüse sind dagegen außerordentliche Raritäten. 2.9.1.10 TNM-Klassifikation Die in . Tab. 2.17 zusammengefassten Regeln der TNM-Klassifikation sind nur für Karzinome der Schilddrüse anwendbar, wobei sich die klinische und pathomorphologische Einteilung entsprechen. Anzumerken ist, dass die in der aktuellen Fassung der TNM-Klassifikation erfolgte Ausweitung der T1-Kategorie auf
130
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Tumoren bis 2 cm Größe (früher bis 1 cm Größe) zum Teil sehr kritisch kommentiert wurde (Schmid et al. 2003). Hierdurch wurde die pT1-Kategorie, die früher – neben selteneren, bis 1 cm großen follikulären Schilddrüsenkarzinomen – im Wesentlichen die prognostisch günstigen papillären Mikrokarzinome erfasst hatte, für prognostisch ungünstigere, bis 2 cm große Schilddrüsenkarzinome geöffnet. Sinnvoll erscheint dagegen die neu eingeführte Differenzierung zwischen einer gerade beginnenden, minimalen extrathyroidalen Ausdehnung (pT3) und dem fortgeschrittenen perithyroidalen Wachstum (pT4). Literatur Aldinger KA, Samaan NA, Ibanez M, Hill CS Jr (1978) Anaplastic carcinoma of the thyroid: a review of 84 cases of spindle and giant cell carcinoma of the thyroid. Cancer 41:2267–2275 Anscombe AM, Wright DH (1985) Primary malignant lymphoma of the thyroid – a tumor of mucosa-associated lymphoid tissue: review of seventy-six cases. Histopathology 9:81–97 Apel RL, Asa SL, LiVolsi VA (1995) Papillary Hürthle cell carcinoma with lymphocytic stroma. Whartin-like tumor of the thyroid. Am J Surg Pathol 19:810–814 Biddinger PW, Brennan MF, Rosen PP (1991) Symptomatic C-cell hyperplasia associated with chronic lymphocytic thyroiditis. Am J Surg Pathol 15:599–604 Cady B, Rossi R, Silverman M, Wool M (1985) Further evidence of the validity of risk group definition in differentiated thyroid carcinoma. Surgery 98:1171–1178 Campell DJ, Sage RH (1975) Thyroid cancer: twenty years‘ experience in a general hospital. Br J Surg 62:207–214 Carcangiu ML, Zampi G, Rosai J (1984) Poorly differentiated (»insular«) thyroid carcinoma. A reinterpretation of Langhans‘ »wuchernde Struma«. Am J Surg Pathol 8:655–668 Carcangiu ML, Zampi G, Pupi A, Castagnoli A, Rosai J (1985a) Papillary carcinoma of the thyroid. A clinicopathologic study of 241 cases treated at the University of Florence, Italy. Cancer 55:805–828 Carcangiu ML, Steeper T, Zampi G, Rosai J (1985b) Anaplastic thyroid carcinoma. A study of 70 cases. Am J Clin Pathol 83:135–158 Carcangiu ML, Bianchi S, Savino D, Voynick IM, Rosai J (1991) Follicular Hürthle cell neoplasms of the thyroid gland. A study of 153 cases. Cancer 68:1944–1953 Carney JA, Sizemore GW, Hayles AB (1978) Multiple endocrine neoplasia, type 2b. Pathobiol Annu 8:105–153 Chong GC, Beahrs OH, Sizemore GW, Woolner LH (1973) Medullary carcinoma of the thyroid. Cancer 35:695–704 Crile G Jr (1971) Changing and results in patients with papillary carcinoma of the thyroid. Surg Gynecol Obstet 132:460–468 Cuello C, Correa P, Eisenberg H (1969) Geographic pathology of thyroid carcinoma. Cancer 23:230–239 Evans HL (1987) Encapsulated papillary neoplasms of the thyroid. A study of 14 cases followed for a minimum of 10 years. Am J Surg Pathol 11:592–597 Ezzat S, Sarti DA, Cain Dr, Braunstein GD (1994) Thyroid in incidentalomas. Prevalence by palpation and ultrasonography. Arch Intern Med 154:1838–1840 Gaertner EM, Davidson M, Wenig BM (1995) The columnar cell variant of thyroid papillary carcinoma. Case report and discussion of an unusually aggressive thyroid papillary carcinoma. Am J Surg Pathol 19:940–947 Hofstädter F (1980) Frequency and morphology of malignant tumors of the thyroid before and after the introduction of iodine-prophylaxis. Virchows Arch A 385:263–270 Hedinger Ch (1988) WHO International histological classification of tumors; vol 11: Histological typing of thyroid tumors. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Hermanek P, Hutter RVP, Sobin LH, Wagner G, Wittekind CH (1998) TNMAtlas: Illustrierter Leitfaden zur TNM/pTNM-Klassifikation maligner Tumoren, 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Hurlimann J, Gardiol D, Scazziaga B (1987) Immunohistology of anaplastic thyroid carcinoma. A study of 43 cases. Histopathology 11:567–580 Johnson TL, Lloyd RV, Thompson NW, Beierwalters WH, Sisson JC (1988) Prognostic implications of the tall cell variant of papillary thyroid carcinoma. Am J Surg Pathol 12:22–27 Kodama T, Okamoto T, Fujimoto Y (1988) C-cell adenoma of the thyroid: a rare but distinct clinical entity. Surgery 104:997–1003 Lang W, Choritz H, Hundeshagen H (1986) Risk factors in follicular thyroid carcinomas. A retrospective follow-up study covering a 14-year period with emphasis on morphological findings. Am J Surg Pathol 10:246–255 Lips CJ, Leo JR, Berends MJ (1987) Thyroid C-cell hyperplasia and micronodules in close relatives of MEN-2 A patients: pitfalls in early diagnosis and reevaluation of criteria for surgery. Henry Ford Hosp Med J 35:133–138 Lips CJ, Vasen HF, Lamers CB (1988) Multiple endocrine neoplasia syndromes. CRC Crit Rev Oncol Hematol 2:117–184 LiVolsi VA (1987) Mixed thyroid carcinoma: a real entity? Lab Invest 57:237– 239 Mann K (2002) Diagnose und Therapie differenzierter Schilddrüsenkarzinome. Internist 43:174–185 McConahey WM, Hay ID, Wollner LB, Heerden JA van, Taylor WF (1986) Papillary thyroid cancer treated at the Mayo Clinic, 1946 through 1970: initial manifestations, pathologic findings, therapy and outcome. Mayo Clin Proc 61:978–996 Mendelsohn G, Baylin SB, Bigner SH, Wells SA, Eggleston JC (1980) Anaplastic variants of medullary thyroid carcinoma. A light microscopic and immunohistochemical study. Am J Surg Pathol 4:333–341 Mizukami Y, Michigishi T, Nonomura A (1990) Primary lymphoma of the thyroid: a clinical, histological and immunohistochemical study of 20 cases. Histopathology 17:201–209 Mortenson JD, Wollner LB, Bennett WA (1955) Gross and microscopic findings in clinically normal thyroid glands. J Clin Endocrinol Metabol 15:1270–1276 Nel CJ, Heerden JA van, Goellner JR (1985) Anaplastic carcinoma of the thyroid: a clinicopathologic study of 82 cases. Mayo Clin Proc 60:51– 58 Neracher H, Hedinger Ch (1975) Klassifizierung der Schilddrüsen-Malignome nach der Nomenklatur der WHO 1974. Histologische Nachkontrolle von 327 bösartigen Schilddrüsen-Tumoren. Schweiz Med Wochenschr 105:1052–1056 Nishiyama RH, Dunn EL, Thompson NW (1972) Anaplastic spindle-cell and giant-cell tumors of the thyroid gland. Cancer 30:113–127 Ordonez NG, El-Naggar AK, Hickey RC, Samaan NA (1991) Anaplastic thyroid carcinoma. Immunocytochemical study of 32 cases. Am J Clin Pathol 96:15–24 Ostroweski ML, Merino MJ (1996) Tall cell variant of papillary thyroid carcinoma. A reassessment and immunohistochemical study with comparison to the usual type to papillary carcinoma of the thyroid. Am J Surg Pathol 20:964–974 Rosai J, Carcangiu ML, Delellis RA (1992) Atlas of tumor pathology, 3/5: Tumors of the thyroid gland. Armed Forces Institute of Pathology, Washington Saad MF, Ordonez NG, Rashid RK (1984) Medullary carcinoma of the thyroid. A study of the clinical features and prognostic factors in 161 patients. Medicine (Baltimore) 63:319–342 Schindler AM, Melle G van, Evequoz B, Scazziga B (1991) Prognostic factors in papillary carcinoma of the thyroid. Cancer 68:324–330 Schmid KW, Tötsch M, Öfner D, Böcker W, Ladurner D (1996) Minimally invasive follicular thyroid carcinoma. A clinico-pathological study. In: Schmid KW, Böcker W (eds) Thyroid pathology. Curr Topics Pathol 91:37–43 Schmid KW, Böcker W (1997) Schilddrüse. In: Remmele W (Hrsg) Pathologe, Bd 4. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 579–616
131 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
Schmid KW, Sheu SY, Gorges R, Ensinger C, Tötsch M (2003) Schilddrüsentumoren. Pathologe 24:357–372 Schröder S, Kloppel G (1987) Carcinoembryonic antigen and nonspecific cross-reacting antigen in thyroid cancer. An immunocytochemical study using polyclonal and monoclonal antibodies. Am J Surg Pathol 11:100–108 Schröder S, Pfannschmidt N, Dralle H, Arps H, Böcker W (1984) The encapsulated follicular carcinoma of the thyroid. Virchows Arch A 402:259– 273 Schröder S, Böcker W, Baisch H (1988) Prognostic factors in medullary thyroid carcinoma. Survival in relation to age, sex, stage, histology, immunocytochemistry and DNA content. Cancer 61:806–816 Scopsi L, DiPalma S, Ferrari C, Holst JJ, Rehfeld JF, Rilke F (1991) C-cell hyperplasia accompanying thyroid diseases other than medullary thyroid carcinoma: an immunocytochemical study by means of antibodies to calcitonin and somatostatin. Mod Pathol 4:297–304 Sizemore GW (1987) Medullary carcinoma of the thyroid gland. Semin Oncol 14:306–314 Sobrinho-Simoes MA, Nesland JM, Holm R, Sambade MC, Johannessen JV (1985) Hürthle cell and mitochondrion rich papillary carcinomas of the thyroid gland: an ultrastructural and immunocytochemical study. Ultrastruct Pathol 8:131–142 Sobrinho-Simoes M, Nesland JM, Johannessen JV (1988) Columnar-cell carcinoma. Another variant of poorly differentiated carcinoma of the thyroid. Am J Clin Pathol 89:264–267 Venkatesh YS, Ordonez NG, Schultz PN, Hickey RC, Goepfert H, Samaan NA (1990) Anaplastic carcinoma of the thyroid. A clinicopathologic study of 121 cases. Cancer 66:321–330 Watson RG, Brennan MD, Goellner JR, Heerden JA van, McConahey WM, Taylor WF (1984) Invasive Hürthle cell carcinoma of the thyroid: natural history and management. Mayo Clin Proc 59:851–855 Williams ED, Doniach I, Bjarnason O, Michie W (1977) Thyroid cancer in a iodide rich area: histopathologic study. Cancer 39:215–222 Wychulis AR, Beahrs OH, Woolner LB (1965) Papillary carcinoma with associated anaplastic carcinoma in the thyroid gland. Surg Gynecol Obstet 120:28–34
2.9.2 Differenzierte Schilddrüsenkarzinome
P. Goretzki, C. Dotzenrath ) ) Differenzierte Karzinome der Schilddrüse (follikuläre, papilläre) sind relativ seltene Tumoren, die vom Follikelepithel ausgehen und etwa 1–3% aller Malignome des Menschen ausmachen. Sie stellen andererseits 80–90% aller bösartigen Neubildungen der Schilddrüse (Clark 1982; Röher 1994). Die gute Prognose der Tumoren, ihre kombinierte Therapiemöglichkeit mit chirurgischer Resektion und Radiojodablation und die unterschiedliche Gefährdung verschiedener Personengruppen, an einem differenzierten Schilddrüsenkarzinom zu erkranken, lassen genaue Kenntnisse über die Epidemiologie und Pathophysiologie dieser Tumoren notwendig erscheinen (Hay 1989; Schneider 1990). Dies ist in Jodmangelgebieten wie der Bundesrepublik Deutschland, mit knotigen Veränderungen der Schilddrüse bei über 20% der erwachsenen Bevölkerung, von besonderer Bedeutung. So ist eine spezifische präoperative Diagnostik notwendig, um vermeidbare Operationen mit sekundärer Steigerung der Morbidität zu verhindern.
2
2.9.2.1 Epidemiologie Als einzige bisher bewiesene Ursache für die Entstehung von differenzierten Schilddrüsenkarzinomen gilt die externe Strahlenbelastung (Antonelli 1998; Hamilton 1987; Schneider 1990). Hier haben langfristige Untersuchungen nach Strahlentherapie von Kindern, z. B. wegen eines M. Hodgkin, sowie die Erkenntnisse der Atombombenversuche auf den Marshall-Islands und die Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl zeigen können, dass nach externer Bestrahlung speziell papilläre Schilddrüsenkarzinome entstehen. Deutlich wurde auch, dass die Gefährdung umso größer ist, je jünger das der Strahlung ausgesetzte Individum ist. Diese eindeutige Korrelation zwischen Bestrahlung und Schilddrüsenkarzinomentstehung konnte für den Jodmangel, der als wichtigste Ursache vermehrter Strumabildung akzeptiert ist, niemals nachgewiesen werden. So wird die Inzidenz differenzierter Schilddrüsenkarzinome in jodreichen bzw. Jodmangelgebieten mit etwa 1/100.000 Einwohner/Jahr angegeben. In Autopsiestudien beträgt die Inzidenz okkulter Schilddrüsenkarzinome (klinisch inapparent und kleiner als 1 cm) 5 bis über 20% und zeigt ebenfalls keine eindeutige Korrelation zum Jodangebot bzw. -mangel der Umgebung. Als einzige nachgewiesene Faktoren für vermehrtes Auftreten von Schilddrüsenkarzinomen können das Geschlecht (Frauen sind etwa 3-mal häufiger betroffen als Männer), das Alter (zunehmende Häufung okkulter Karzinome mit dem Alter) und die Anamnese einer externen Bestrahlung angegeben werden. Die Verteilung zwischen papillären und follikulären Karzinomen wird dagegen besonders vom Jodmangel, dem Alter der Patienten und der Anamnese externer Bestrahlung bestimmt, wobei follikuläre Karzinome in Jodmangelgebieten in bis zu 35% der Fälle nachweisbar sind, dagegen papilläre Karzinome bei ausreichend hohem Jodangebot bis über 80% aller malignen Schilddrüsenerkrankungen ausmachen (. Tabelle 2.18). 2.9.2.2 Diagnostik In der Diagnostik differenzierter Schilddrüsenkarzinome ist die unterschiedliche Wachstumsform follikulärer und papillärer Karzinome entscheidend (Dinnen 1995; Goretzki 1993; Massin 1984). So weisen follikuläre Schilddrüsenkarzinome eine primär hämatogene Metastasierung auf, die auch bei kleinen Tumoren in über 10% der Fälle nachweisbar ist. Papilläre Schilddrüsenkarzinome metastasieren dagegen primär lymphogen und werden besonders bei jugendlichen Patienten häufig erst über die Abklärung vergrößerter Halslymphknoten entdeckt.
Der isolierte Knoten in einer sonst unauffälligen Schilddrüse gilt als besonders verdächtig und sollte prinzipiell zu weiterführender Diagnostik veranlassen.
Als eine gesonderte Gruppe der differenzierten Schilddrüsenkarzinome werden heute die Hürthle-Zellkarzinome angesehen, die früher den follikulären Karzinomen zugerechnet wurden. Sie unterscheiden sich von diesen molekularbiologisch und in ihrer Prognose. Die Prognose ist aufgrund des höheren Alters der Patienten und der schlechteren Radiojodaufnahme (etwa 10% positiv) eingeschränkt (Kushchayeva et al. 2004; Triponez et al. 2006).
132
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.18. Verteilung der Schilddrüsenkarzinome (eigenes Krankengut – nur Primäroperationen). MTC medulläres Schilddrüsenkarzinom
2
Histologie
1980–1985 (Universitätsklinik Marburg; n=162 Patienten)
1986–2000 (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; n=662 Patienten)
2001–2006 (Lukaskrankenhaus Neuss; n=168 Patienten)
Papilläres Karzinom
50%
59%
73%
Follikuläres Karzinom
26%
22%
16%
Anaplastisches Karzinom
13%
1%
1%
MTC
11%
17%
10%
2.9.2.2.1 Isolierter verdächtiger Schilddrüsenknoten Wird ein isolierter parenchymhaltiger Knoten in einer sonst normalen Schilddrüse entdeckt, kann bei jugendlichen Patienten unter dem 20. Lebensjahr und älteren Patienten über dem 60. Lebensjahr mit einer Malignomwahrscheinlichkeit von über 5–20% gerechnet werden. Bei Patienten zwischen diesen Altersgruppen ist dagegen die Wahrscheinlichkeit mit 1–3% weitaus geringer. Die entscheidende Untersuchung ist die Feinnadelbiopsie mit nachfolgender Zytologie, da im Falle verdächtiger zytologischer Befunde eine dringende Operationsindikation besteht, bei völlig unauffälligen Zellmustern und kleinen Tumoren unter 1–1,5 cm dagegen auch ein abwartendes Verhalten mit konservativer Therapie gerechtfertigt sein kann (Chen 1995; Hamming 1998; McHenry 1993). Dieses alternative Vorgehen sollte dem Patienten auch so dargelegt werden. Bei Kindern sollte jeder solide solitäre Knoten grundsätzlich auch ohne zytologische Diagnostik operativ entfernt werden. Als klinische Indizien möglicher Schilddrüsenkarzinome sind das Vorliegen eines solitären Tumors, das rasche Wachstum des Tumors und die Infiltration in die Umgebung, evtl. mit spontan auftretender Rekurrensparese akzeptiert. Letzteres Symptom ist jedoch bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen als Spätsymptom zu sehen und wird eher bei anaplastischen Schilddrüsenkarzinomen älterer Patienten gefunden. Insgesamt entsteht somit das differenzierte Schilddrüsenkarzinom meist als symptomloser Tumor in der Schilddrüse und ist gegenüber gutartigen Tumoren klinisch nur schwer zu unterscheiden. Dies lässt es sinnvoll erscheinen, eine genaue Untersuchung des Halses mit Ultraschall zum Nachweis bzw. Ausschluss von Schilddrüsentumoren und zusätzlich vorhandener vergrößerter Lymphknoten als wegweisende Untersuchung eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms in Form einer Screeninguntersu-
chung zu fordern, die zumindestens bei allen jungen Erwachsenen eines Strumaendemiegebietes einmalig durchgeführt werden sollte. Aus eigener Erfahrung an über 200 Patienten mit differenzierten Schilddrüsenkarzinomen wurde die Hälfte aller Patienten wegen eines verdächtigen klinischen Schilddrüsenbefundes operiert. Etwa 1/4 der Patienten wurde aufgrund von Lymphknotenund Fernmetastasen auffällig, und bei wiederum 1/4 der Patienten wurde das Karzinom erst postoperativ nach Operation einer »benignen Struma« diagnostiziert (. Tab. 2.19). 2.9.2.2.2 Prä- und intraoperatives Vorgehen bei verdächtigem Schilddrüsenknoten Aufgrund der großen Anzahl von Patienten mit multinodösen Strumen in Deutschland muss damit gerechnet werden, dass sich speziell differenzierte Schilddrüsenkarzinome nicht als »klassische verdächtige Knoten« darstellen, sondern in der Umgebung anderer knotiger Veränderungen verborgen sind. Bei diesen Strumen ist weder eine Punktionszytologie aller vorhandenen Knoten möglich, noch kann ein Szintigramm zwischen gutartigen und bösartigen Knoten differenzieren, sodass auch weiterhin die großzügige Operationsindikation als sicherste Prävention und Frühbehandlung möglicher Schilddrüsenkarzinome gilt. Laboruntersuchungen mit spezifischer Bestimmung des Thyreoglobulins im Serum sind dagegen nicht geeignet, zwischen gutartigen und bösartigen Schilddrüsenbefunden zu unterscheiden, wie auch weiterführende bildgebende Verfahren (CT, MRT, PET etc.) in der präoperativen Diagnose des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms zurzeit keinen Platz haben (. Tab. 2.20). Bei fraglichen Zytologiebefunden und klinisch verdächtigen Schilddrüsenknoten sollte eine Operation nur in Kliniken vor-
. Tab. 2.19. Leitbefunde differenzierter Schilddrüsenkarzinome (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 1986–1999)
Befund
Papilläres Karzinom
Follikuläres Karzinom
Gesamt
n
n
n
%
%
%
Zufallsbefund
40
23
18
23
58
23
Verdächtiger Knoten
86
50
40
50
126
50
Metastase
46
27
22
28
68
27
172
100
80
100
252
100
Gesamt
133 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
. Tab. 2.20. Abklärung des isolierten/dominanten und verdächtigen Schilddrüsenknotens
Untersuchung
Unauffällig
Verdächtig
Ultraschall
Gemischtes Echomuster
Echoarm
Punktionszytologie
Pap 1–2
»Follikuläre Neoplasie« Papilläre Strukturen Atypische Zellen
Radiojod/ 99m Tc-Scan
Normale bis gesteigerte Aufnahme
Kalter Knoten
genommen werden, die die Möglichkeit der Schnellschnittuntersuchung haben, um ein zweizeitiges Vorgehen zu verhindern. Dies gilt v. a. für Patienten, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein papilläres, medulläres oder auch anaplastisches Karzinom vorliegt. Bei fraglichen Zytologiebefunden empfehlen sich auf jeden Fall eine Hemithyreoidektomie mit Entfernung zentraler Lymphknoten und eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung. Sollte selbst die Schnellschnittuntersuchung dieses Schilddrüsenlappens keinen eindeutigen Befund ergeben, ist eine Nachresektion bei definitiv malignem Befund 2–5 Tage später auf der vorher nicht tangierten kontralateralen Seite ohne höheres Risiko für den N. recurrens und die Epithelkörperchen möglich. Eine Ausnahme liegt bei dem punktionszytologischen Befund einer »follikulären Neoplasie« vor. Standardoperation ist wiederum eine Hemithyreoidektomie auf der betroffenen Seite und eine Ausräumung des gleichseitigen medialen Kompartiments. Obwohl die Autoren auch hier eine Schnellschnittuntersuchung veranlassen, ist generell zu erwarten, dass sie in den meisten Fällen keine definitive Information bringt. Das Kriterium für Malignität ist ein Kapseleinbruch des follikulären Gewebes. Sein Vorhandensein kann eigentlich nur nach Durchsicht vieler Schnitte am paraffineingebetteten Material gesichert oder ausgeschlossen werden.
Bei zytologisch klarer follikulärer Neoplasie kann der Eingriff auch ohne Schnellschnittuntersuchung vorgenommen werden unter der Voraussetzung, dass es sich um eine Hemithyreoidektomie im o. g. Sinn handelt. Eine Reoperation kann sich dann auf die kontralaterale Seite beschränken.
2.9.2.2.3 Präoperative Untersuchungen beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom Hat sich durch die klinische Untersuchung des Halses mit zusätzlichem Einsatz von Ultraschall und durch die Punktionszytologie die Verdachtsdiagnose »Schilddrüsenkarzinom« ergeben, sind eine präoperative Thoraxaufnahme, die HNO-ärztliche Stimmbanduntersuchung und die präoperative Kalziumbestimmung durchzuführen. Bei Operationen gutartiger Schilddrüsenerkrankungen wird zunehmend auf präoperative Thoraxröntgenaufnahmen verzichtet werden. Vor Operationen maligner Schilddrüsentumoren sind sie weiterhin unabdingbar, da papilläre Karzinome lymphogen in Pleura und Lunge, follikuläre Karzinome dagegen hämatogen in Lunge und Rippen metastasieren
2
können und oft schon allein mit der konventionellen Röntgenaufnahme des Thorax nachgewiesen werden (Massin 1984). Die Bestimmung der Stimmbandbeweglichkeit und des Serumkalziumwertes ist dagegen präoperativ allein aus rechtlichen Gründen (im Blick auf mögliche postoperative Komplikationen) unumgänglich. Dies trifft in besonderem Maße für Patienten mit ausgedehnter Lymphknotenmetastasierung zu, bei denen die Schonung der Nervenfunktion wie auch die Identifizierung von Nebenschilddrüsen besonders erschwert ist. 2.9.2.3 Operative Therapie Die vollständige Thyreoidektomie mit Entfernung der angrenzenden zentralen Lymphknoten und die nachfolgende Radiojodtherapie gelten weiterhin als Standardverfahren in der Therapie differenzierter Schilddrüsenkarzinome (Clark 1982; Röher 1984). Unabhängig davon haben sich jedoch zunehmend stadiumund gefährdungsadaptierte spezifische Vorgehensweisen durchgesetzt, die ein eingeschränkt radikales oder ein über die reine Thyreoidektomie hinausgehendes erweitertes Vorgehen im Einzelfall sinnvoll erscheinen lassen (Dralle 1987; Ito 2006; Sivanandan 2001). 2.9.2.3.1 Totale Thyreoidektomie versus alternative Vorgehensweisen Ein eingeschränkt radikales Vorgehen mit Hemithyreoidektomie der betroffenen Seite und der Verzicht auf eine Reoperation nach subtotaler beidseitiger Resektion erscheint immer dann sinnvoll, wenn gut differenzierte papilläre Karzinome ≤10 mm diagnostiziert werden. Ob dieses Vorgehen auch auf die sehr gekapselten follikulären Karzinome ausgeweitet werden kann, ist weiterhin fraglich, da eine mögliche hämatogene Metastasierung dieser Tumoren nur nach Thyreoidektomie und Radiojod-Ganzkörperscan sicher ausgeschlossen werden kann. Nach eigener Erfahrung an 35 eingeschränkt radikal operierten Patienten mit papillärem Schilddrüsenkarzinom (≤1 cm) war bei keinem Patienten ein Tumorrezidiv innerhalb einer Beobachtungszeit von 6 Jahren aufgetreten. Die totale Thyreoidektomie mit Entfernung der zentralen Lymphknoten und nachfolgender Radiojodtherapie stellt die Therapie der Wahl für alle differenzierten Schilddrüsenkarzinome ohne klinischen Hinweis auf Lymphknotenmetastasen dar. Aufgrund hoher lokoregionärer Rezidivraten speziell bei Tumoren über 4 cm und Tumoren, die die Schilddrüsenkapsel überschreiten, befürworten wir heute, mit der Thyreoidektomie primär eine Ausräumung des medialen und lateralen Halskompartments der tumortragenden Seite vorzunehmen (. Tab. 2.21 und . Abb. 2.50; Goretzki 1993; Ito 2006; Machens 2002; Sivanandan 2001). 2.9.2.3.2 Weiterführende Lokalisationsdiagnostik Liegt eine ausgedehnte Lymphknotenmetastasierung vor (typisches Ultraschallbild: ein abgerundeter Lymphknoten mit Halo) oder handelt es sich um einen relativ großen Tumor in der Schilddrüse, wird von uns ggf. die Kernspintomographie (MRT) des Thorax empfohlen. Hier soll besonders die Ausdehnung von T4-Tumoren und ein möglicher mediastinaler Lymphknotenbefall dargestellt werden. Alternativ zum MRT hat sich besonders bei T4-Tumoren mit Ummauerung der Aorta in den letzten Jahren die Positronenemissionstomographie (PET-Untersuchung)
134
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.21. Rezidivhäufigkeit (%) nach Thyreoidektomie (TX) mit/ohne laterale Halslymphknotendissektion (ND) beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 5 Jahren (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 1986–1999). TX Thyreoidektomie, ND laterale Halslymphknotendissektion
Tumorgröße
Papilläres Karzinom
Follikuläres Karzinom
n
TX
%
TX+ND
%
n
TX
%
TX+ND
%
T1 (<1 cm)
28
9/1
11
19/4
21
–
–
–
–
–
T1 (>1 cm)–T2
87
42/23
55
45/5
11
35
23/7
30
12/2
17
T3–4
26
8/6
75
18/6
33
20
17/12
86
6/1
17
Gesamt
141
59/30
51
82/15
18
55
37/19
51
18/3
17
als sinnvoll erwiesen. Die Erweiterung der bildgebenden Verfahren über die konventionelle Röntgenaufnahme des Thorax hinaus bedarf vor Primäroperation eines fraglichen Schilddrüsenkarzinoms jedoch immer einer spezifischen Begründung.
. Abb. 2.50. Aufteilung des Halses in 3 Kompartimente. 1 = zentrales, 2 = laterales, 3 = mediastinales Kompartiment. (Aus Goretzki et al. 1999a)
2.9.2.3.3 Patientenaufklärung Vor Operation eines isolierten Schilddrüsenknotens mit klinisch und zytologisch erhärtetem Verdacht auf ein Malignom sollte auf die mögliche Notwendigkeit einer Thyreoidektomie mit Neck dissection hingewiesen werden. Da die Erweiterung der Operation von Hemithyreoidektomie auf Thyreoidektomie ohne/mit Neck dissection oft erst intraoperativ durch Schnellschnittuntersuchungen festgelegt werden kann, sollte auf alle möglichen Folgeprobleme hingewiesen werden. Besonders wichtig scheint uns hier der Hinweis, dass einseitige Rekurrensparesen und in Extremfällen sogar beidseitige Rekurrensparesen mit Notwendigkeit einer Tracheotomie auftreten können und dass eine Nebenschilddrüseninsuffizienz zu dauerhafter Kalzium- und VitaminD-Bedürftigkeit führen kann. Die entsprechenden Daten zur Gefährdung dieser Strukturen werden am besten hausintern erarbeitet und dem Patienten im Vergleich zu veröffentlichten Daten dargelegt. So muss, abhängig von der Ausdehnung des Tumors, beim Schilddrüsenkarzinom mit einer einseitigen Rekurrensparese von 1–10% gerechnet werden; ebenso wurde ein postoperativer Hypoparathyreoidismus bei 1–30% der Patienten mit Schilddrüsenkarzinomen beschrieben. Seltenere, aber ebenfalls zu nennende Komplikationen sind bei invasiv wachsenden Tumoren und ausgeprägter Lymphknotenmetastasierung eine mögliche Schädigung des N. phrenicus mit Zwerchfellhochstand
. Tab. 2.22. Komplikationen nach Operationen differenzierter Schilddrüsenkarzinome (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 1986–1999)
Operation
n
Primäroperation
117
Komplettierungsoperation nach Voroperation Rezidivoperation Gesamt
Rekurrensparese (n)
%
Akzessoriusparese (n)
%
HornerSyndrom (n)
%
Hypoparathyreoidismus (n)
%
Chylusfistel (n)
%
8
7
0
–
0
–
2
2
1
1
58
4
7
0
–
0
–
2
3
1
2
77
2
3
1
1
1
1
3
4
1
1
252
14
6
1
<1
1
<1
7
3
3
1
135 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
und des Grenzsstrangs mit postoperativem Horner-Syndrom sowie eine mögliche Verletzung des Ductus thoracicus mit nachfolgender Chylusfistel (. Tab. 2.22). Transsternale Tumor- bzw. Lymphknotenentfernungen sind bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen relativ selten notwendig und werden von uns nur in Ausnahmefällen im Zusammenhang mit der Primäroperation vorgenommen (<10%). Sollte dies jedoch notwendig werden, wird der Patient über mögliche Sternuminfekte mit daraus resultierender Osteitis und Sternuminstabilität ebenso aufgeklärt wie über die Wahrscheinlichkeit einer Erythrozytentransfusion. Diese ist bei Ersteingriffen wegen Schilddrüsenkarzinomen in den letzten 20 Jahren bei unseren Patienten nicht mehr notwendig gewesen. Vor einer transsternalen Tumorausräumung empfiehlt es sich, bei allen älteren Patienten und allen klinisch pulmonal auffälligen Patienten die präoperative Lungenfunktion zu bestimmen und den postoperativen Aufenthalt auf einer Wachstation zu planen. 2.9.2.3.4 Operatives Vorgehen Die Lagerung und Exploration der Patienten erfolgt bei Schilddrüsenkarzinomen genauso wie bei Strumaeingriffen, Hyperparathyreoidismus-Operationen und anderen Operationen am Hals. So wird zur Streckung des Halses eine Schaumstoffrolle unter die Schlüsselblätter gelegt, der Kopf in einem Kopfring gelagert und das Operationstischende abgesenkt, bis der Kopf gerade noch auf dem Ring aufliegt. Im Falle zu erwartender transsternaler Tumorentfernung werden beide Arme an den Oberkörper angelagert, der Bereich von Kinnspitze bis zu den Ohrläppchen und hinab bis zum Nabel wird abgewaschen. Das Einzeichnen der Schnittführung präoperativ beim sitzenden Patienten hat sich auch für Erweiterungsoperationen mit lateraler Halslymphknotendissektion und damit notwendiger Verlängerung des Schnitts am Vorderrand des M. sternocleidomatoideus nach kranial bewährt. Die Intubation des Patienten wird über einen flexiblen Tubus vorgenommen, der am Kopf fixiert, streng nach dorsal mit dem Beatmungsgerät verbunden ist und so Bewegungsfreiheit für Assistenten beidseits des Kopfes zulässt. Querverlaufende Operationsbügel werden nur dann sinnvoll sein, wenn aufgrund zu weniger Assistenten gewichtverstärkte selbsthaltende Haken das Platysma stramm nach oben ziehen müssen.
Nach Anlegen des Kocher-Kragenschnitts und Verlängerung nach laterokranial im Falle lateraler Halslymphknotendissektion wird das Platysma durchtrennt und der Hautplatysmalappen nach oben präpariert. Diese präfasziale Präparation wird von uns bevorzugt, kann stumpf und scharf erfolgen und gibt eine vollständige Exposition der oberflächlichen Halsvenen und der geraden Halsmuskulatur. Nach Längsinzision der Medianlinie wird die äußere Kapsel der Schilddrüse von der geraden Halsmuskulatur befreit und letztere nach lateral weggehalten. Im Falle ausladender Strumen kann eine zusätzliche quere Muskeldurchtrennung erfolgen, die jedoch unserer Erfahrung zufolge nur selten notwendig ist. Im Falle gleichzeitig durchzuführender lateraler Halsdissektion wird der M. sternocleidomastoideus mit einem relativ straffen Zügel angeschlungen und nach oben gehalten und der M. omohyoideus durchtrennt. 6
2
Nach Exposition der Schilddrüsenkapsel erfolgt die Thyreoidektomie. Dies beinhaltet ein frühes Aufsuchen des N. recurrens (. Abb. 2.51) kaudal des unteren Schilddrüsenpols, die Durchtrennung der V. thyreoidea media (Kocher-Vene) mit Freilegen des lateralen kaudalen Schilddrüsenlappens und die Darstellung des oberen Pols von lateral und medial. Hier hat es sich bewährt, zwischen der Kapsel des oberen Schilddrüsenpols und der Kehlkopfmuskulatur den dort existierenden avaskulären Raum aufzusuchen, längs lateral der Trachea zu spreizen und dann den oberen Pol mit einer stumpfen Babcock-Klemme zu fassen. Die nachfolgende Durchtrennung der A. thyreoidea superior nahe der Schilddrüsenkapsel geschieht meist in mehreren Schritten, um eine Verletzung des N. laryngus superior oder der Kehlkopfmuskulatur zu verhindern. Zusätzlich wird auf diese Weise das obere Epithelkörperchen am dorsalen Rand des oberen Pols dargestellt und stumpf von der Schilddrüse abpräpariert. Nun kann der gesamte Schilddrüsenlappen parallel zur Trachea etwas nach oben luxiert und mit dem Finger auf die Trachea gedrückt werden. Dies verhindert das Ausüben eines übermäßigen Zugs und die dadurch bedingte Verlagerung des Nervs nach kranial sowie eine mögliche Schädigung des Nervs durch Zug. Die Präparation des N. laryngeus recurrens erfolgt vom Unterrand des unteren Schilddrüsenpols aus parallel nach kranial, wobei sich unserer Erfahrung nach die Präparation mit HalstedKlemmen bewährt hat. Die Klemme wird mit ihrem Rücken oberhalb des Nervs parallel zur Nervenverlaufsrichtung eingesetzt, und durch Spreizen wird die Bindegewebsschicht zwischen Schilddrüsenkapsel und Nerv auseinandergedrängt und danach scharf durchtrennt. Auf diese Weise kann der Nerv unter Sicht bis zur Einmündung in den Kehlkopf schadlos freipräpariert werden.
Probleme bereitet dagegen oft die Versorgung des unteren Epithelkörperchens. Diese werden besonders bei größeren Strumen auf die ventrale Seite der Schilddrüse hochgezogen und sind von umgebendem Fett-und Lymphknotengewebe abzupräparieren. Hierbei wird relativ häufig die Gefäßversorgung geschädigt und dann das Epithelkörperchen direkt kleingeschnitten und in den M. sternocleidomastoideus implantiert. 2.9.2.3.5 Laterale Halsdissektion Im Falle eines positiven Lymphknotenbefundes nahe der Schilddrüse (Ultrachall, ggf. Schnellschnitt) sowie bei allen Patienten mit großem Primärtumor wird von uns neben der Ausräumung des medialen auch diejenige des lateralen Hals-LymphknotenKompartiments befürwortet. Hierzu wird der M. sternocleidomastoideus mit gerader Halsmuskulatur nach lateral verlagert und nach lateral-dorsal gezogen. Als nächstes wird der M. omohyoideus durchtrennt und die A. carotis, der N. vagus und die V. jugularis interna dargestellt und angeschlungen. Kranial wird der N. hypoglossus freipräpariert und der N. accessorius auf seinem Weg in den oberen Rand des M. sternocleidomastoideus freigelegt. Danach kann das gesamte Lymph- und Fettgewebe des Halses en bloc nach kaudal entfernt werden. In der Regel kann die dorsale Halsfaszie als Begrenzung der Metastasierung akezptiert werden und nur im Einzelfall, bei sehr aggressiv wachsenden Tumoren, ist neben der Darstellung auch die Präparation der
136
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
. Abb. 2.51. a Beginn des Abpräparierens eines Schilddrüsenlappens von der Trachea. Deutlich zu sehen ist der Nervus recurrens (gelb), die untere Nebenschilddrüse (unterhalb des Clip-Instrumentes) und die obere Nebenschilddrüse (oberhalb des linken Hakens). Die Präparation geschieht von kaudal nach kranial fortschreitend unter Clip-Versorgung
der Äste der Arteria thyreoidea inferior zur Erhaltung der Durchblutung der Nebenschilddrüsen. b Die Präparation wurde fortgesetzt von kaudal nach kranial fortschreitend, entlang dem Nervus recurrens bis zu seiner Einmündung in die Membrana crycothyreoidea
ventralen Fasern von C3–C7 einschließlich des Plexus brachialis notwendig. Es ist wichtig, zusätzlich auf den mediodorsal liegenden Grenzstrang zu achten, um ein postoperatives HornerSyndrom zu verhindern. Kaudal wird dorsal der Klavikula die V. subclavia als Begrenzungslinie angesehen, sodass medial und kaudal die Einmündung von V. jugularis interna und subclavia darzustellen ist. Auf der linken Seite muss dabei auf die Einmündung des Ductus thoracicus geachtet werden, der bei Verletzung mit nicht resorbierbaren Nähten versorgt oder ligiert werden sollte und im Zweifelsfall zusätzlich mit Fibrinkleber überklebt werden kann (. Abb. 2.52).
2.9.2.3.7 Transsternale Tumor- und Lymphknotendissektion Die transsternale Lymphknotendissektion oder die transsternale Tumorausräumung bei kontinuierlichem Vorwachsen des Tumors in die obere Thoraxapertur beginnt mit der geraden Schnittführung über der Mittellinie des Sternums, der Isolierung des oberen und unteren Randes des Sternums und der stumpfen Präparation dieses Bereichs, um adhärentes Bindegewebe bzw. eine adhärente V. brachiocephalica isoliert wegschieben zu können. Die Sternotomie mit der oszillierenden Säge oder dem LebscheMeißel sollte am besten in Atempause vorgenommen und bei Problemen eher etappenweise durchgeführt werden, um Verletzungen großer Gefäße bzw. des Herzbeutels zu verhindern. Bei Resternotomien hat sich die Verwendung von Ultraschalldissektoren bewährt. Nach Versorgung der Periostblutungen mit dem Kauter und von Spongiosablutungen mit Wachs wird das Sternum nach Schutz durch Tücher mit einem stumpfen selbsthaltenden Spreizer auseinandergedrängt. Die nachfolgende Operation beinhaltet die Entfernung des Thymus mit retrothymischen Lymphknoten, das Anschlingen der V. brachiocephalica, des Truncus arteriosus und, wenn nötig, des Arcus aortae sowie die Darstellung beider Nn. phrenici und beider Nn. vagi mit zusätzlicher Isolierung der Abgänge der Nn. recurrentes. Inwieweit eine paratracheale Lymphknotendissektion bis zum Hilus notwendig ist, kann zurzeit nicht klar beantwortet werden. Hierbei sollte die Abpräparation der Nn. phrenici immer unter Sicht erfolgen, um ihre Verletzung zu verhindern und damit einer postoperativen respiratorischen Insuffizienz vorzubeugen. Bei Verletzungen der Pleura wird in die jeweilige Pleurahöhle eine Thoraxdrainage eingelegt, wohingegen das Mediastinum über eine 14'-Redon-Drainage ausreichend entlastet werden kann. Der Verschluss des Sternums geschieht über 6 Drahtcerclagen, die eine gute, straffe Adaptation der Sternumränder
2.9.2.3.6 Nahtmaterial und Instrumente Die gesamte Präparation der Schilddrüse, des Nervs, der Nebenschilddrüsen sowie der Lymphabflussgebiete wird mit zarten Instrumenten wie Halsted-Klemmen, kleinen Overholts und kleinen Gefäßklemmen vorgenommen. Außerdem hat sich die Verwendung einer Lupenbrille besonders für die Isolierung und Präparation des Nervs und der Nebenschilddrüsen bewährt, wie auch die intraoperative Nervenfunktionskontrolle. Hierbei wird frühzeitig der N. vagus angeschlungen und durch elektrische Stimulation die Funktionsfähigkeit des N. laryngeus recurrens über den gesamten Nervenleitungsrahmen geprüft. Bei der lateralen Halsdissektion ist aufgrund der scharfen Präparation auf den Gefäßen mit eventuellen Verletzungen zu rechnen; daher sollten feine Gefäßnähte wie z. B. Prolene 5/0 primär bereit liegen. Zusätzlich hat sich die Bereitstellung einer Sternumsäge oder zumindestens eines Lebsche-Meißels bewährt, da besonders bei Rezidiveingriffen in Extremfällen eine Verletzung der großen Venen unterhalb der Klavikula oder unterhalb des Sternums möglich ist und diese nur über eine Teil- bzw. vollständige Sternotomie sicher zu versorgen sind. Auch wenn diese Komplikation äußerst selten ist, sollten entsprechende Vorkehrungen getroffen werden.
137 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2
. Abb. 2.52. a Ansicht des lateralen Kompartments rechts nach Thyreoidektomie und Lymphknotendissektion. Man erkennt neben den von rechts (kaudal) nach links (kranial) ziehenden Leitstrukturen Arteria carotis und Nervus vagus, zahlreiche Nervenstrukturen, kurz vor Vollendung der Lymphknotendissektion. Am rechten Bildrand ist teilweise ein Thoraxsperrer zu sehen nach partieller medianer Sternotomie, die zur besseren
Übersicht vorgenommen wurde. Der M. sternocleidomastoideus ist nach lateral (unterer Bildrand) weggehalten. b Situs des gleichen Patienten (kranialer Abschnitt des Operationssitus). Man erkennt den als obere Grenze der Präparation geltenden Nervus hypoglossus und den zur besseren Übersicht mobilisierten und an einem Zügel nach rechts und links verlagerbaren M. sternocleidomastoideus und die nervalen Strukturen
gewährleisten müssen, um Pseudarthrosen bzw. Infekte aufgrund weiterhin vorhandener Wackelbewegungen zu verhindern. Die darauf erfolgende Drainage des Halses ist lateral mit 10'-RedonDrainage ausreichend gegeben. Wichtig ist außerdem eine Antibiotikaprophylaxe (Einmalgabe) für jede transsternale Tumorausräumung, besonders nach lateraler Halsdissektion und immer bei zu erwartendem postoperativem Lymphödem.
eines Teils des Ösophagus, die am ehesten über ein freies Dünndarmtransplantat oder eine ausgedehnte Ösophagusresektion mit Magenhochzug überbrückt wird. Die Implantation eines freien Dünndarmsegmentes mit Anastomose der segmentalen Arterie an die Karotis bzw. der Vene an die V. jugularis verlangt entsprechende mikrochirurgische bzw. mikrogefäßchirurgische Erfahrung.
2.9.2.3.8 Erweitertes Vorgehen bei infiltrativ wachsendem Primärtumor In seltenen Fällen zunehmend entdifferenzierter papillärer und follikulärer Karzinome kann eine Infiltration der Trachea und des Ösophagus vorliegen. Hier ist entweder die nicht radikale chirurgische Tumorentfernung mit nachfolgender Radiojodtherapie und perkutaner Bestrahlung oder die En-bloc-Resektion mit Teilen des Ösophagus und der Trachea sinnvoll. Da eine kompartmentorientierte radikale Operation bei diesen oft älteren Patienten selten gerechtfertigt ist, führen wir meist eine knappe Exzision der befallenen Tracheal- bzw. Ösophaguswand durch und decken die Defekte entsprechend. Im Fall eines rein lateralen Trachealdefekts kann dieser mit einer Knochenlamelle der Klavikula am distalen Ansatz des M. sternocleidomastoideus gedeckt werden und der Muskelansatz als gut vaskularisiertes Gewebe eine zusätzliche Sicherung bewirken. Entsprechende Operationen sollten jedoch nur von in der Trachealchirurgie erfahrenen Kollegen durchgeführt werden. Dies trifft auch für die zirkuläre Resektion von 2–5 Knorpelspangen zu, die nachfolgend eine direkte Naht verlangt. Hier kann mit Freipräparation der Trachealbifurkation vom Herzbeutel und Lösen der Ligamenta pulmonale sowie der lateralen Begrenzung des Os hyoideus Spannungsfreiheit der Anastomose gewährleistet werden. Die Infiltration des Ösophagus durch differenzierte Schilddrüsenkarzinome beschränkt sich meist auf den Muskel und kann nach Tumorresektion auch über direkte Muskeladaptation versorgt werden. Eine Verletzung der Schleimhaut über einen weiteren Bereich ist selten, erfordert dann aber die Resektion
2.9.2.3.9 Chirurgische Therapie lokoregionärer Rezidive Lokoregionäre Rezidive nach unvollständiger Tumor- bzw. Schilddrüsenentfernung oder reiner Thyreoidektomie ohne Lymphknotendissektion sind bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen nicht selten (. Tab. 2.21). So befürworten wir die laterale Lymphknotendissektion für alle T3-/T4-Tumoren schon beim Primäreingriff, wie oben dargestellt. Zervikale Lymphknotenrezidive sind primär einer chirurgischen Therapie zugänglich und sollten erst sekundär mittels Radiojod therapiert werden. Dies gilt besonders für alle wenig differenzierten Schilddrüsenkarzinome und auch für die onkozytären Karzinome, bei denen eine effektive Radiojodaufnahme nur bei unter 10% anzusetzen ist. Für Patienten mit mediastinalen Lymphknotenmetastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome und für alle Patienten mit lokoregionären Rezidiven und Fermetastasen wird primär die Radiojodtherapie angestrebt. Sollte ein lokal invasives Wachstum zur Infiltration der Trachea führen, kann im Einzelfall die Operationserweiterung bis zur Tracheateilresektion notwendig werden. Eine allgemein verbindliche Aussage über die Operationsindikation kann hierbei jedoch nicht abgegeben werden. Das operative Vorgehen ist bei lokalen Rezidiven dasselbe wie beim Primäreingriff, wobei besonders auf den Erhalt der oberen Epithelkörperchen und auf die frühzeitige Darstellung des N. recurrens geachtet werden sollte. Im Falle rein lateraler Rezidive hat sich der laterale Zugang entlang des M. sternocleidomastoideus bewährt, da so die gesamte Lymphknotenkette ohne Darstellung und Gefährdung des N. recurrens entfernt werden kann und Komplikationen bei dieser Operation relativ selten auftreten. Im Falle von Rezidivoperationen nach vollständiger Halsdissektion ist die isolierte
138
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.23. Ergebnisse der Reoperation beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf )
2
Tumorstadium
n
Tumorfrei
Mit Tumor lebend
Gestorben
n
%
n
%
n
%
T1–2N0–1M0
63
52
81
11
19
0
–
T3–4N1M0
25
12
48
12
48
1
4
TxNxM1
22
0
–
15
68
7
32
Gesamt
110
64
59
37
34
8
7
Vorgehensweise im Sinne einer sehr umschriebenen Tumorresektion zu akzeptieren, während in allen übrigen Fällen vom sog. »berry-picking« Abstand genommen und immer das Kompartiment vollständig ausgeräumt werden sollte (. Tab. 2.23). Eine postoperative Radiojodtherapie ist für alle Patienten mit differenzierten Schilddrüsenkarzinomen nach Thyreoidektomie mit und ohne laterale Lymphknotendissektion angezeigt und wird in 7 Kap. 2.9.2.4 besprochen. 2.9.2.3.10 Ergebnisse Langzeituntersuchungen an Patienten mit differenzierten Schilddrüsenkarzinomen belegen die gute Prognose dieser Tumoren im Falle junger Patienten mit kleinem Tumor und fehlenden Fernmetastasen. Auch gekapselte follikuläre Karzinome weisen eine 20-Jahres-Überlebensrate von über 90% auf. Weniger günstig ist ist die Prognose dagegen im Falle grob invasiver Histologie, bei Patienten mit Fernmetastasen und bei älteren Patienten (Hay 1989; Ito 2006). Während sich für junge Patienten mit Tumoren unter 1 cm aufgrund der hervorragenden Prognose die eingeschränkte radikale Vorgehensweise als ebenso effektiv erwiesen hat wie die totale Thyreoidektomie, wird mit zunehmender Gefährdung auch ein chirurgisch aggressiveres Vorgehen notwendig. Dies beinhaltet immer die Thyreoidektomie und die zentrale Lymphknotendissektion, teilweise die gleichzeitige laterale Halsdissektion und selten die transsternale mediastinale Dissektion oder eine En-bloc-Entfernung auch angrenzender Strukturen wie Trachea und Ösophagus (Machens 2002).
Es sollte immer darauf geachtet werden, dass unter Einschluss der Möglichkeit einer postoperativen Radiojodtherapie mit hoher Strahlendosis vor Ort die Eingriffsmorbidität in entsprechender Relation zum Gewinn für den Patienten stehen muss.
2.9.2.3.11 Therapie von Fernmetastasen Fernmetastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome können als multiple oder isolierte Organmetastasen auftreten. Prinzipiell gilt die Indikation zur operativen Entfernung nur für isolierte Metastasen aus kurativem Anspruch und bei allen anderen Metastasen bei Gefährdung lebenswichtiger Strukturen aus rein palliativen Gesichtspunkten. Letzteres ist besonders im Fall drohender pathologischer Frakturen zu akzeptieren, da die Patienten auch bei eingetretener Fernmetastasierung meist eine Lebenserwartung von Jahren haben und die Radiojodtherapie der Knochenmetastasen nur unbefriedigende lokale Effekte zeigt. Die
Resektion entsprechend befallener Knochenabschnitte mit nachfolgender Verbundosteosynthese oder Überbrückung des Defektes durch Implantate ist somit für Patienten mit Knochenmetastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome zu akzeptieren, verlangt aber die Kooperation mit entsprechend ausgebildeten orthopädisch-traumatologischen Kollegen. Dagegen scheint die Resektion multipler parenchymatöser Fernmetastasen in Lunge und Leber nicht indiziert. Hier kann kein chirurgisch kurativer Anspruch erhoben werden, die subjektive Beeinträchtigung der Patienten ist nicht gegeben. Zusätzlich hat die Radiojodtherapie besonders bei Lungenmetastasen Erfolge zu verzeichnen. 2.9.2.3.12 Komplikationen und deren Behandlung Die Therapie einer einseitigen Rekurrensparese besteht in der frühzeitigen logopädischen Behandlung, die einer beidseitigen Rekurrensparese in der Anlage einer Tracheotomie. Bei anhaltendem beidseitigem Stimmbandstillstand über mehr als 1 Jahr wird die Laterofixation der Stimmbänder notwendig, bevor die Tracheotomie wieder verschlossen werden kann. Eine dauerhafte Schädigung auch der normalen Alltagssprache ist hierbei unvermeidbar, die Verhinderung dieser Komplikation durch Einsatz des intraoperativen Neuromonitorings unbedingt zu fordern. Ein möglicher Hypoparathyreoidismus wird postoperativ ausreichend mit Kalzium und Vitamin-D-Metaboliten behandelt, wobei langfristig auf Serumwerte von über 2 mmol Ca/l geachtet werden sollte, um bei sonst fehlender Symptomatik einer Kataraktentwicklung des Auges vorzubeugen. Chylusfisteln nach lateraler Halsdissektion können zunächst konservativ behandelt werden und unter parenteraler Ernährung spontan sistieren. Bei hoher Fistelsekretion (>500 ml/Tag) erscheint dagegen die Revision frühzeitig indiziert, um Dyspnoe und eine sekundäre Infektion bis hin zur Mediastinitis und zum Pleuraempyem zu verhindern. Im Falle konservativen Vorgehens wird nach entsprechender Nahrungskarenz primär mit fettarmer Kost begonnen und die Ernährung dann mittels mittelkettiger Fettsäuren vor Aufnahme normaler Kost gesteigert. Ein- bzw. beidseitige Phrenikusparesen mit nachfolgender Ateminsuffizienz erfordern teilweise intensive krankengymnastische Therapie und können im Extremfall die Anlage eines Tracheostomas zur Verminderung des zu überwindenden Totraums notwendig werden lassen. Bei Verdacht auf Sternuminfekt nach transsternaler Mediastinektomie sollte die sofortige Revision mit Ausspülen des Bereichs, Einlegen von Antibiotikaketten oder Anlage einer SpülSaug-Drainage erfolgen, um die Entwicklung einer Mediastinitis zu verhindern.
139 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
Bei Auftreten eines Horner-Syndroms kann eine Linderung der subjektiven Missempfindung durch hochdosierte Vitamin-BGabe und eine objektive Besserung der gefährdeten Hornhaut durch Schutz der Hornhaut mit synthetischem Tränenersatz erreicht werden. Eine entsprechende augenfachärztliche Kontrolle ist hierbei erforderlich. 2.9.2.3.13 Prognose Die Prognose von Patienten mit papillären Karzinomen ist insgesamt besser als die der Patienten mit follikulären Karzinomen. Dies liegt unter anderem daran, dass Patienten mit papillären Karzinomen jünger sind und follikuläre Karzinome eine größere genetische Instabilität und vermehrt Fernmetastasen aufweisen (Goretzki 1999). In der Gruppe der Patienten mit papillären Karzinomen wurden als prognostische Faktoren das Auftreten von Fernmetastasen, das Alter der Patienten, die vollständige Tumorentfernung sowie die Invasion und Größe des Tumors dargestellt (Hay 1989). Literatur Antonelli A, Miccoli P, Derzhitski VE, Panasiuk G, Solovieva N, Baschieri L (1998) Epidemiologic and clinical evaluation of thyroid cancer in children from the Gomel region (Belarus). World J Surg 22:867 Bhattycharyya N (2003) Surgical treatment of cervical nodal metastases in patients with papillary thyroid carcinoma. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 129:1101–1104 Caron NR, Tan YY, Obilvie JB, Triponez F, Reiff ES, Kebebew E, Duh QY, Clark OH (2006) Selective modified radical neck dissection for papillary thyroid cancer – is level I, II and V dissection always necessary? World J Surg 30:833–840 Chen H, Nicol TL, Udelsman R (1995) Follicular lesions of the thyroid: does frozen section evaluation alter operative management? Ann Surg 222:101 Clark OH (1982) Total thyroidectomy – the treatment of choice for patients with differentiated thyroid cancer. Ann Surg 196:361 Dinneen SF, Valimaki MJ, Bergstralh EJ, Goellner JR, Gorman CA, Hay ID (1995) Distant metastases in papillary thyroid carcinoma: 100 cases observed at one institution during 5 decades. J Clin Endocrinol Metab 80:2041 Dralle H, Hornbostel A, Schober O, Geerlings H (1987) Tumorrezidive und chirurgische Ersttherapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms. In: Börner W, Reiners C (Hrsg) Schilddrüsenmalignome. Schattauer, Stuttgart New York, S 99 Goretzki P, Dotzenrath C, Witte J, Schulte KM, Simon D, Röher HD (1999a) Struma maligna. Onkologe 2/5:108 Goretzki P, Dotzenrath C, Simon D, Röher HD (1999b) Studies of oncogenes and tumor suppressor genes in human thyroid carcinomas and their clinical implications. Langenbecks Arch Chir 384: in press Hamilton TE, Belle G van, Lo Gerfo JP (1987) Thyroid neoplasia in Marshall Islanders exposed to nuclear fallout. JAMA 258:629 Hamming JF, Vriens MR, Goslings BM, Songun I, Fleuren GJ, Velde CJH van de (1998) Role of fine-needle aspiration biopsy and frozen section examination in determining the extent of thyroidectomy. World J Surg 22:575 Hay ID (1989) Prognostic factors in thyroid carcinoma. Thyroid today 12:1 Ito Y, Tomoda C, Uruno T, Takamura Y, Miya A, Kobayashi K, Matsuzuka F, Kuma K, Miyauchi A (2006) Prognostic significance of extrathyroid extension of papillary thyroid carcinoma: massive but not minimal extension affects the relapse-free survival. World J Surg 30:780–786 Lo Gerfo P, Starker P, Weber C, Moore D, Feind C (1985) Incidence of cancer in surgically treated thyroid nodules based on method of selection. Surgery 98:1197 Kushchayeva K, Duh QY, Kebebew E, Clark OH (2004) Prognostic indication for Hürthle Cell Cancer. World J Surg 28:1266 Machens A, Hinze R, Thomusch O, Dralle H (2002) Pathern of nodal metastasis for primary and reoperative thyroid cancer. World J Surg 26:22
2
Massin JR, Savoie JC, Garnier H, Guiraudon G, Leger FA, Bacourt F (1984) Pulmonary metastases in differentiated thyroid carcinoma. Study of 58 cases with implications for the primary treatment. Cancer 53:982 McHenry CR, Rosen IB, Walfish PG (1993) Influence of fine needle-aspiration biopsy and frozen section examination on the management of thyroid cancer. Am J Surg 166:353 Musaccio MJ, Kim AW, Vijungoco JD et al. (2003) Greater local recurrence occurs with »berry picking« than nack dissection inthyroid cancer. Am Surg 69:191–196; discussion 196–197 Röher HD (1990) Breitner Chirurgische Operationslehre, Bd 1. Chirurgie Kopf und Hals. Urban & Schwarzenberg, München Wien Baltimore Röher HD, Simon D, Witte J, Goretzki P (1994) Principals of limited or radical surgery for differentiated thyroid cancer. Thyroidology 5:93 Röher HD, Goretzki P (1988) Surgical treatment of distant metastases from differentiated thyroid cancer. Prog Surg 19:113 Schneider AB (1990) Radiation-induced thyroid tumors. Endocrinol Metab Clin North Am 19:495 Sivanandan R, Soo KC (2001) Pattern of cervical lymph node metastases from papillary carcinoma of the thyroid. Br J Surg 88:1241–1244 Triponez F, Wong M, Sturgeon C, Caron N, Ginzinger DG, Segal MR, Kebebew E, Duh QY, Clark OH (2006) Does familial non-medullary thyroid cancer adversely affect survival? World J Surg 30:787–793 Witte J, Schlotmann U, Simon D, Dotzenrath C, Ohmann C, Goretzki PE (1997) Bedeutung der Lymphknotenmetastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome und C-Zell-Karzinome für deren Prognose – eine Metaanalyse. Zentralbl Chir 122:259
2.9.2.4 Postoperative Radiojodtherapie
C. Reiners, J. Farahati ) ) Die operative Entfernung des Tumors sowie der gesamten Schilddrüse und aller befallenen Lymphknoten stellt die Basistherapie differenzierter Schilddrüsenkarzinome dar. In der Behandlung papillärer und follikulärer Schilddrüsenkarzinome folgt der Operation in der Regel eine Radiojodtherapie zur Ablation des Schilddrüsenrests bzw. zur Elimination evtl. verbliebenen Tumorgewebes oder von Metastasen (DKG 2002). Die Radiojodtherapie stellt eine spezifische und effektive Behandlungsmethode für differenzierte Schilddrüsenkarzinome dar. Die kurzreichende Betastrahlung (Halbwertschicht 0,5 mm, maximale Reichweite 2 mm in Weichteilgewebe) des relativ langlebigen 131I (HWZ 8 Tage) erlaubt es, bei jodspeichernden Schilddrüsenkarzinomen Tumordosen von mehr als 500 Gy zu applizieren (zum Vergleich: die maximal erzielbare Tumordosis bei der perkutanen Strahlentherapie liegt bei 70 Gy). Der Erfolg der Radiojodtherapie ist an verschiedene Voraussetzungen gebunden, deren Einhaltung eine enge Zusammenarbeit zwischen Chirurgen und Nuklearmedizinern erfordert.
2.9.2.4.1 Indikationsstellung und Vorbereitung Vom Follikelepithel ausgehende follikuläre und papilläre Karzinome der Schilddrüse exprimieren in der Regel den NatriumJodid-Symporter und sind damit in der Lage, radioaktives Jod aufzunehmen und zu speichern. Allerdings unterscheidet sich das Tumorgewebe vom normalen Schilddrüsengewebe dadurch, dass die Jodspeicherung quantitativ gesehen geringer ist. Dies kommt u. a. dadurch zum Ausdruck, dass sich ein maligner Herd in der Schilddrüse szintigraphisch als »kalter Knoten« manifes-
140
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Abb. 2.53. Therapieschema für differenzierte Schilddrüsenkarzinome
2
tiert. Wenn jedoch die Schilddrüse operativ entfernt wurde, kann auch das im Vergleich zum normalen Schilddrüsengewebe geringer differenzierte Gewebe papillärer und follikulärer Karzinome, die zwischen 80 und 90% aller Schilddrüsenmalignome ausmachen, ausreichend radioaktives Jod aufnehmen. Indikationen. Grundsätzlich gibt es bei der Radiojodtherapie 2 unterschiedliche Ansätze (Dietlein et al. 2004): 4 die prophylaktische adjuvante Ablation des nach totaler Thyreoidektomie noch vorhandenen restlichen Schilddrüsengewebes, 4 die kurative oder palliative Therapie 131I-speichernder lokoregionärer Tumorreste bzw. Rezidive und/oder regionärer bzw. Fernmetastasen.
Außerdem können im Rahmen der Radiojodtherapie bisher unentdeckte Metastasen nachgewiesen werden. Fernmetastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome in den Lungen sind nicht selten erst auf Ganzkörperszintigrammen mit therapeutischen Aktivitäten von 131I zu erkennen (Schlumberger 1998).
Die prophylaktische Ablation des nach Thyreoidektomie verbliebenen Schilddrüsenrestgewebes wird heute bei allen Patienten mit papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinomen empfohlen. Eine Ausnahme stellen lediglich die prognostisch besonders günstigen pT1N0M0-Stadien papillärer Karzinome (Tumordurchmesser <1,0 cm) bei Patienten unter 40–45 Jahren dar (. Abb. 2.53).
Bei den medullären, onkozytären und anaplastischen Schilddrüsenkarzinomen, die aufgrund ihrer zellulären Herkunft bzw. Differenzierung kein 131I speichern, ist eine Radiojodtherapie in der Regel nicht indiziert (Reiners 1998). Berichte über Erfolge der 131 I-Therapie bei diesen Karzinomen dürften mit sehr seltenen »Mischtypen« oder »Doppelkarzinomen« in Zusammenhang zu bringen sein, bei denen neben den onkozytären, medullären oder anaplastischen Tumoranteilen 131I-speichernde Anteile vorhanden waren. Die Radiojodtherapie ist somit probatorisch indiziert bei gesicherten Mischformen oder Doppelkarzinomen. Außerdem kann eine Behandlung mit 131I im Falle von Tumorresten onkozytärer, medullärer und anaplastischer Schilddrüsenkarzinome in unmittelbarer Nachbarschaft zum speichernden, normalen Follikelepithel versucht werden. Vor der kurativen oder palliativen Therapie von Tumorresten oder Lokalrezidiven sowie regionärer bzw. Fernmetastasen muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob nicht eine erneute operative Intervention zur Entfernung des Tumor- bzw. Metastasengewebes erfolgversprechender ist. Da die Effektivität der Radiojodtherapie von der Masse des zu behandelnden Tumorgewebes abhängt, sollte – wenn immer möglich – versucht werden, die Tumormasse vor einer Radiojodtherapie operativ zu verkleinern. Cave Die einzige absolute Kontraindikation für die Radiojodtherapie ist die Gravidität (Dietlein et al. 2004).
Vor der therapeutischen 131I-Gabe muss eine Schwangerschaft sicher ausgeschlossen werden, da ansonsten die fetale Schild-
141 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
drüse, die ab der 12. Schwangerschaftswoche Jod aufnimmt, erheblich strahlenexponiert wird (Reiners 1998). Falls eine Radiojodtherapie während der Laktation erforderlich sein sollte, muss die Stillende vorher abstillen, da das radioaktive Jod mit der Muttermilch sezerniert wird.
2
kurzlebigere Liothyronin zur Milderung der Hypothyreosesymptomatik gegeben werden.
Voraussetzung für die Rezidiv- bzw. Metastasentherapie ist, dass das basale TSH oberhalb von 30 mU/l liegt.
Vorbereitung. Voraussetzung für die Radiojodtherapie ist eine
möglichst komplette Thyreoidektomie (Dietlein et al. 2004). Die optimale Radioiodaufnahme setzt voraus, dass der TSH-Spiegel größer als 30 mU/l ist. Dieser wird ca. 4 Wochen nach der Operation – unter Verzicht auf eine Schilddrüsenhormonsubstitution – erreicht. Alternativ kann die ablative Therapie bei Patienten mit niedrigem Gefährdungsgrad (pT1–3N0–1M0) auch unter Hormontherapie nach exogener Stimulation mit rekombinantem TSH durchgeführt werden (Pacini et al. 2006). Vor der Radiojodtherapie kann die Radikalität der Thyreoidektomie durch einen Radiojodtest mit Szintigraphie überprüft werden. Zur Vermeidung einer Beeinträchtigung der Radiojodspeicherung bei der nachfolgenden Therapie (sog. »stunning«) sollten bei dem postoperativen Radiojodtest nicht mehr als etwa 10 MBq 131 I verabreicht werden (Dietlein et al. 2004). Cave Das Ergebnis von Radiojodtest und -therapie kann u. U. durch Schilddrüsenhormone, andere jodhaltige Medikamente und v. a. durch Röntgenkontrastmittel langfristig negativ beeinflusst werden. Diese Medikamente sind deswegen in der Vorbereitungsphase strikt zu meiden.
In den letzten 14 Tagen vor einer Radiojodtherapie sollte der Patient sich auch möglichst jodarm ernähren (kein Seefisch oder Meeresfrüchte, kein Jodsalz). Bei der in kurativer oder palliativer Absicht durchgeführten Therapie von lokoregionären Tumorresten bzw. -rezidiven und regionären oder Fernmetastasen muss eine TSH-suppressive Schilddrüsenhormonmedikation mit Levothyroxin für mindestens 4 Wochen abgesetzt werden. In den ersten 2 Wochen der Absetzphase kann vorübergehend noch das pharmakologisch . Abb. 2.54. Szintigramm des Halsbereichs 24 h nach 4,2 MBq 131I bei einem Patienten nach unvollständiger Thyreoidektomie: Reoperation bei einem Uptake von 23% erforderlich
Eine vergleichbare Stimulation kann auch durch zwei intramuskuläre Injektionen von je 0,9 mg rekombinantem humanem TSH (rhBH) erzielt werden. Die Anwendung von rhTSH in dieser Form ist bereits seit einigen Jahren zur Vorbereitung einer diagnostischen Radioiodganzkörperszintigraphie zugelassen. Im März 2005 folgte die Zulassung dieses Medikaments auch zur Vorbereitung einer ablativen Radiojodtherapie. Durch die exogene TSH-Stimulation kann die nach Absetzen von Schilddrüsenhormonen unvermeidbare Hypothyreose umgangen werden. Hiervon können vor allem Patienten profitieren, die z. B. wegen ihres schlechten Allgemeinzustandes durch die Hypothyreose gefährdet sind oder bei denen es in der nach Absetzen von Schilddrüsenhormonen auftretenden Hypothyreose zu einem Wachstumsschub des Tumorgewebes kommt (Luster et al. 2005). Vor einer Radiojodtherapie muss der Patient über die mit der Behandlung verbundenen Besonderheiten aufgeklärt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese Behandlung aus Strahlenschutzgründen in Deutschland, aber auch meist im Ausland, grundsätzlich nur stationär durchgeführt werden kann. Der Patient ist über mögliche Nebenwirkungen und Risiken der Behandlung aufzuklären (7 unten, Abschn. »Nebenwirkungen und Risiken«). Bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter muss eine Schwangerschaft sicher ausgeschlossen sein (ggf. durch Schwangerschaftstest). 2.9.2.4.2 Durchführung Es erweist sich als sinnvoll, die verabreichte Aktivität von 131I bei der ersten Radiojodtherapie nach der Thyreoidektomie vom Ergebnis des kurz zuvor durchgeführten Radiojodtests abhängig zu machen (Reiners 1998). Liegt der 24-h-Speicherwert unter-
142
Kapitel 2 · Schilddrüse
2
. Abb. 2.55. Posttherapieszintigramme jeweils 5 Tage nach 3 GBq 131I bei einem 11-jährigen Kind mit disseminierten Lungenmetastasen eines papillären Schilddrüsenkarzinoms: Abnahme der Lungenanreicherung von der 1. (links) zur 4. Therapie (Mitte) und Rückgang des Serumthyreo-
globulins von 108 ng/ml auf <1 ng/ml; Metastasen bei Kontrollszintigraphie mit 100 MBq 131I (rechts) ebenso wie Thyreoglobulin nicht mehr nachweisbar
halb von 5%, so können bis zu 5 GBq 131I auf einmal verabreicht werden. Diese Aktivität reicht in der Regel zur vollständigen Ausschaltung der Restschilddrüse aus. Bei Speicherwerten zwischen 5 und 10% empfiehlt es sich, zur Vermeidung einer Strahlenthyreoiditis sowie von langen Verweilzeiten unter stationären Strahlenschutzbedingungen nur 1 GBq zu verabreichen. In der Regel führt dann die nach 3–4 Monaten anzuschließende zweite Radiojodtherapie zur vollständigen Ablation. Liegt der 24-h-Speicherwert höher als 10%, so muss die Frage der erneuten Operation zur Verkleinerung des Schilddrüsen- bzw. Tumorrestes ernsthaft diskutiert werden (. Abb. 2.54). Das Radiojod wird üblicherweise oral in Form einer oder mehrerer Kapseln verabreicht. Zur Prophylaxe einer radiogenen Gastritis bei der oralen Gabe höherer 131I-Aktivitäten (mehr als 3 GBq) können begleitend Schutzmittel für die Magenschleimhaut und evtl. auch H2-Blocker eingesetzt werden. Eine rasche renale Ausscheidung des nicht im Schilddrüsen- bzw. Tumorgewebe gespeicherten 131I ist in der Regel durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr gewährleistet. Bei obstipierten Patienten sollten zur Beschleunigung der intestinalen Ausscheidung Laxantien eingesetzt werden. Zur Linderung der Beschwerden infolge einer radiogenen Thyreoiditis – insbesondere bei Patienten mit großem Schilddrüsenrest – kann ein nichtsteroidales Antiphlogistikum eingesetzt werden. Kortikosteroide sind bei Patienten mit zerebralen oder spinalen Metastasen indiziert, um ein Kompressionssyndrom unter der Radiojodtherapie zu vermeiden. In der Regel erstreckt sich der stationäre Aufenthalt im Kontrollbereich bis zur Unterschreitung der in der »Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin« vorgegebenen Restkörperaktivität von 250 MBq 131I auf einen Zeitraum von 2–4 Tagen. Bei
großen Schilddrüsen- bzw. Tumorresten oder Metastasen kann der Entlassungsrichtwert u. U. jedoch auch erst nach mehr als 1 Woche erreicht werden. Der Patient ist dazu anzuhalten, in der Zeit unmittelbar nach Entlassung den Kontakt zu Schwangeren und Kleinkindern zu meiden. Zur Radiojodtherapie gehört das sog. Posttherapieszintigramm, bei dem ein Ganzkörperscan mit der therapeutischen Aktivität von 131I durchgeführt wird. Dieses sollte frühestens 3 Tage, besser 5–7 Tage nach Verabreichung der therapeutischen Aktivität aufgenommen werden. Das Posttherapieszintigramm ist die spezifischste bildgebende Methode zum Tumorstaging. Häufig ist das postoperativ vorläufig definierte Tumorstadium anhand des Posttherapieszintigramms zu korrigieren. Zum Zeitpunkt der Szintigraphie kann der Effekt der aktuellen Radiojodtherapie noch nicht vollständig beurteilt werden, da dieser protrahiert im Verlauf der folgenden 6–8 Wochen eintritt. Zur Überprüfung des Erfolgs einer vorangegangenen Radiojodbehandlung ist somit ein Kontrollszintigramm 3–6 Monate später erforderlich (. Abb. 2.55). Bereits 2 Tage nach Verabreichung der therapeutischen Aktivität von 131I kann die Schilddrüsenhormonsubstitution mit Levothyroxin begonnen werden. Dabei soll das TSH als möglicher Wachstumsfaktor für die differenzierten Karzinome durch Levothyroxindosen von etwa 2,5 ug/kg KG täglich in den gewünschten Bereich von etwa 0,1 mU/l supprimiert werden (DKG 2002). Der Hormonbedarf zur ausreichenden Suppression des TSH ist allerdings individuell sehr unterschiedlich. Deswegen kann die angegebene Dosierung nur als grober Richtwert dienen; in jedem Fall ist der thyreosuppressive Effekt dieser Therapie 4–6 Wochen nach Beginn der Hormonsubstitution zu überprüfen.
143 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
. Abb. 2.56. Ergebnisse der Würzburger Klinik: 15-Jahres-Überlebensraten (ÜLR, berechnet nach Kaplan u. Meier) bei 554 Patienten mit papillärem und 237 Patienten mit follikulärem Schilddrüsenkarzinom
2
Papillär Follikulär
2.9.2.4.3 Ergebnisse Die Ergebnisse der kombinierten Therapie differenzierter Schilddrüsenkarzinome durch Thyreoidektomie, Radiojodbehandlung und Schilddrüsenhormontherapie sind ausgezeichnet (Schlumberger 1998). . Abb. 2.56 zeigt die Überlebenskurven von Patienten mit Schilddrüsenkarzinomen aus dem Einzugsgebiet der Universitätsklinik Würzburg. Es ist zu erkennen, dass die 15-JahresÜberlebensraten papillärer und follikulärer Karzinome bei über 90% liegen (Farahati et al. 1998). Analysiert man die Prognoseparameter der differenzierten Karzinome mit der multivariaten Diskriminanzanalyse, so ergeben sich als führende Einflussfaktoren bezüglich des Überlebens das lokale Tumorstadium und die Metastasierung (Patienten mit Tumorstadium pT4 und Fernmetastasen haben eine signifikant schlechtere Prognose). Die hier analysierten Patienten wurden in dem Beobachtungszeitraum von 1980–1995 nach einem standardisierten Therapie- und Nachsorgekonzept behandelt. Da die Radiojodtherapie integraler Bestandteil dieses Therapiekonzepts ist (Ausnahme pT1N0M0-Stadien papillärer Karzinome jüngerer Patienten), kann die Effektivität der Radiojodtherapie in der Regel nicht anhand von Kontrollgruppen überprüft werden. Eine aktuelle Meta-Analyse zur Frage der Effektivität der prophylaktischen Ablation von Schilddrüsenresten nach Thyreoidektomie ergibt jedoch einen signifikant positiven Effekt bezüglich der 10-JahresErgebnisse im Hinblick auf lokoregionäre Rezidive und Fernmetastasen (Sawka et al. 2004). Auch weitere Übersichtsarbeiten bestätigen die Effektivität der Radiojodtherapie (Schlumberger 1998; Robbins u. Schlumberger 2005). Zu unterscheiden ist zwischen der adjuvanten Therapie bei R0N0M0-Stadien und der unter kurativem Ansatz durchgeführten Therapie im R1-, N1bzw. M1-Stadium. Auf der Grundlage zweier größerer Studien wurde die in den vergangenen Jahren in den USA geübte Zurückhaltung bezüglich der adjuvanten Radiojodtherapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms aufgegeben (Solomon et al. 1996). Die Studie von Samaan et al. (1992) umfasst rund 1600 Patienten mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 11 Jahren. Beim Vergleich von Patienten, die postoperativ adjuvant mit Radiojod
behandelt worden waren bzw. eine Radiojodtherapie unter kurativem Ansatz erhalten hatten, zeigte sich, dass die Rezidivquote in der radiojodbehandelten Gruppe mit 10% deutlich niedriger war als in der Gruppe ohne Radiojodtherapie mit 27%. Von den radiojodbehandelten Patienten verstarben nur 2% während des Beobachtungszeitraums, während dies in der nichtbehandelten Gruppe 15% der Patienten waren. Zu noch günstigeren Ergebnissen bezüglich der Radiojodtherapie kommen Mazzaferri u. Jhiang (1994), die rund 1400 Patienten über einen durchschnittlichen Nachbeobachtungszeitraum von 16 Jahren verfolgten. Die Rezidivquote in der adjuvant mit Radiojodtherapie behandelten Patientengruppe betrug hier 8% gegenüber 38% bei den Patienten ohne Radiojodtherapie. In der Gruppe der Radiojodtherapierten verstarb kein Patient, während 9% der nicht adjuvant nach Operation radiojodbehandelten Patienten verstarben. Der Stellenwert der Radiojodtherapie bei Patienten in R1-, N1- bzw. M1-Stadien mit kurativem oder palliativem Ansatz gilt als unumstritten. Unter den Publikationen, die dies belegen, sind z. B. die Arbeiten von Casra et al. (1993) und Schlumberger et al. (1996) zu nennen. In der italienischen Studie (Casara et al. 1993) ist die Jodspeicherfähigkeit von Lungenmetastasen bei der multivariaten statistischen Analyse der stärkste die Prognose günstig beeinflussende Parameter. Beim Vergleich von 96 Fällen mit jodspeichernden und 38 Fällen mit nichtspeichernden Lungenmetastasen finden sich hoch signifikant günstigere 10-Jahres-Überlebensraten in der radiojodspeichernden Gruppe (60% versus <10%). Zu praktisch identischen Ergebnissen kommt die französische Arbeitsgruppe (Schlumberger et al. 1996). Hier wurden 263 Patienten mit speichernden Lungenmetastasen und 120 Patienten mit nichtspeichernden Metastasen verglichen. Die 10-Jahres-Überlebensraten betrugen in diesen Gruppen 57% bzw. 8%. Nach dieser Studie profitieren Patienten bei Vorliegen von Metastasen v. a. dann, wenn es sich um kleine Metastasen handelt, die frühzeitig entdeckt werden (Reiners 2003). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Maxon u. Smith (1990). Die Effektivität der Radiojodtherapie kann auch anhand von eigenen Ergebnissen bei Kindern mit fortgeschrittenen Stadien
144
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
papillärer Schilddrüsenkarzinome dokumentiert werden. Wir behandelten in den vergangenen 10 Jahren 202 Kinder aus Weißrussland, die nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl an Schilddrüsenkrebs erkrankt waren; darunter befanden sich 101 Kinder mit Lungenmetastasen. In 83% der Fälle konnten komplette Remissionen oder stabile Teilremissionen erzielt werden; die restlichen 17% zeigten zumindest Teilremissionen (Reiners u. Demidchik 2003). 2.9.2.4.4 Nebenwirkungen und Risiken Bei den Nebenwirkungen und Risiken der Radiojodtherapie ist zwischen frühen, mittelfristigen und späten Folgen der Behandlung zu unterscheiden (Reiners 1998). Frühe Folgen. Zu den frühen Nebenwirkungen zählt eine kurz-
fristige, vorübergehende Gastritis, die bei etwa 30% der Patienten nach oraler Gabe höher 131I-Aktivitäten auftritt. Hier sind zur Vorbeugung Schleimhautschutzmittel und evtl. auch H2-Blocker indiziert. Schmerzen im Halsbereich können auf einer Strahlenthyreoiditis beruhen. Diese Nebenwirkung tritt im Rahmen der Ersttherapie ebenfalls bei etwa 30% der Karzinompatienten auf. Der Schweregrad der schmerzhaften Reaktion hängt von der applizierten Aktivitätsmenge und der Größe des Schilddrüsenrests ab. Zur Vorbeugung sind ggf. Antiphlogistika indiziert. Bei der Therapie von Metastasen des Schilddrüsenkarzinoms mit 131I kann es auch zu entzündlichen Reaktionen kommen, die bei Hirn- oder Rückenmarkmetastasen ohne prophylaktische Gabe von Steroiden möglicherweise zu ernsthaften Kompressionserscheinungen führen. Zur Vorbeugung sind ggf. prophylaktisch Kortikosteroide indiziert, die über einige Tage gegeben werden müssen. Mittelfristige Folgen. Relativ früh zeigen sich bei rund 30% der Karzinompatienten schmerzhafte Schwellungen der großen Kopfspeicheldrüsen aufgrund einer Strahlensialadenitis. Diese gehen in einigen Fällen unter symptomatischer Therapie (Kühlung, ggf. Antiphlogistika, reichliche Flüssigkeitszufuhr) rasch vorüber. Bei der Mehrzahl der Patienten kommt es jedoch mittelfristig nach einigen Monaten zur Verringerung des Speichelflusses. Zur Vorbeugung dieser häufig sehr unangenehmen Komplikation der Radiojodtherapie sollte auf reichliche Flüssigkeitszufuhr und gustatorische Stimulation der Speicheldrüsen (z. B. durch Zitrone) geachtet werden. Zu den frühen bis mittelfristigen Nebenwirkungen der Radiojodtherapie zählen auch vorübergehende Thrombo- und Leukopenien, die bei etwa 25% der Patienten nach hochdosierter Radiojodtherapie festzustellen sind. Diese machen in der Regel keine besonderen Interventionen erforderlich. Spätfolgen. Eine gefürchtete Spätkomplikation der Radiojodtherapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms ist die bei hohen Knochenmarkdosen mögliche strahleninduzierte Leukämie. Sie tritt bei etwa 3% der Karzinompatienten durchschnittlich 5 Jahre nach der Radiojodtherapie auf (Reiners 1998). Bei Patienten mit disseminierten Lungenmetastasen des papillären Karzinoms, die gelegentlich sehr intensiv Radiojod speichern, muss an das Risiko einer strahleninduzierten Lungenfibrose gedacht werden. Die Inzidenz ist in diesen Fällen zwischen 1 und 10% anzusiedeln; Kinder haben dabei das höchste Fibroserisiko (Reiners 1998).
Infertilität. Zur Frage der Unfruchtbarkeit ist festzustellen, dass
die Gonadendosis bei Applikation hoher kumulativer 131I-Aktivitäten von bis zu 30 GBq, wie sie manchmal bei metastasierten Karzinomen verabreicht werden müssen, unterhalb der Sterilisationsschwellendosen liegen (etwa 1,5 Gy für den Mann und 3 Gy für die Frau). Insofern wundert es nicht, dass es in der Literatur keine Berichte über gesicherte Fälle von Infertilität bei Frauen nach hochdosierter Radiojodtherapie wegen Schilddrüsenkarzinoms gibt. Allerdings sind bei Männern reversible Fälle von Azoospermie und – bei kumulativen 131I-Aktivitäten von über 50 GBq – auch Einzelfälle von Infertilität beschrieben (Winters u. Berga 1997). Genetisches Risiko. Zum genetischen Risiko nach hochdosierter Radiojodtherapie wegen Schilddrüsenkarzinoms wurden 2 wichtige Studien veröffentlicht (Schlumberger et al. 1996; Ehrenheim et al. 1997). Bei der französischen Studie wurden 2113 Schwangerschaften von Frauen vor und nach Radiojodtherapie wegen differenzierten Schilddrüsenkarzinoms ausgewertet (Schlumberger et al. 1996). Auf diese Weise konnte eine Kontrollgruppe für radiojodtherapierte Frauen mit Schilddrüsenkarzinomen gewonnen werden. Die Auswertung ergab, dass das Risiko für Totgeburten, Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht und angeborene Missbildungen sowie Schilddrüsen- und Tumorerkrankungen bei den Nachkommen nach Radiojodtherapie nicht erhöht war. Allerdings war die Rate von Spontanaborten in der kleinen Gruppe von 10 Frauen, die innerhalb eines Jahres nach Radiojodtherapie schwanger wurden, statistisch signifikant erhöht. Die Autoren stellen zur Diskussion, dass die erhöhte Rate von Spontanaborten innerhalb des ersten Jahres nach Radiojodtherapie entweder auf die Gonadenexposition oder auf die in der Frühphase der Therapie häufig inadäquate Kontrolle der Hormonsubstitution zurückzuführen ist. Bei der Studie aus Deutschland zum genetischen Risiko nach hochdosierter Radiojodtherapie wurden die Daten von 65 Schwangerschaften unter Berücksichtigung der individuellen Gonadendosen sehr sorgfältig ausgewertet (Ehrenheim et al. 1997). Die Studie ergab, dass bei der durchschnittlichen Gonadenbelastung von 0,5 Gy theoretisch eine Zunahme vererbbarer strahlenbedingter Störungen von 13% zu erwarten gewesen wäre. Tatsächlich lag dieser Prozentsatz jedoch nur bei 1,8%. Eine erhöhte Rate von Spontanaborten konnte in der deutschen Studie nicht beobachtet werden. Cave Trotzdem ist zu empfehlen, Schwangerschaften während mindestens 6, besser jedoch 12 Monaten nach hochdosierter Radiojodtherapie wegen eines Schilddrüsenkarzinoms zu vermeiden.
2.9.2.4.5 Modifikationen In . Abb. 2.53 ist deutlich gemacht, dass es neben der Standardtherapie, bestehend aus Thyreoidektomie, Radiojodtherapie und Schilddrüsenhormonmedikation 2 Sonderfälle gibt, bei denen abweichend vorgegangen werden kann (Reiners et al. 1999b): 4 Bei papillären Karzinomen im Tumorstadium pT1N0M0 (Tumordurchmesser <2 cm) ist eine Radiojodtherapie bei Patienten unter 40–45 Jahren wegen der guten Prognose dieser Tumorerkrankung nicht erforderlich (Dietlein et al. 2004b). Wir führen postoperativ eine Szintigraphie des Hals-
145 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
bereichs und des Thorax durch, wobei wir aus Gründen der besseren Bildqualität statt 99mTc das kurzlebige Jodisotop 123I (HWZ 13,2 h) verwenden. Im Falle des Nachweises von Metastasen (wobei insbesondere regionäre Lymphknotenmetastasen nicht ganz auszuschließen sind) muss der chirurgische Eingriff erweitert und eine Radiojodtherapie angeschlossen werden. 4 Im Gegensatz zu den übrigen Tumorstadien erweist sich das Stadium pT4 (organüberschreitendes Tumorwachstum) als prognostisch ungünstig. Hier kann die adjuvant durchgeführte perkutane Strahlentherapie bei tolerabler Toxizität (Schuck et al. 2003) zur Prognoseverbesserung dienen. Eine retrospektive multivariate Analyse der Verläufe von 169 seit 1979 in der Essener Universitätsklinik behandelten Patienten mit differenziertem Schilddrüsenkarzinom Stadium pT4 ohne Nachweis von Fernmetastasen nach der Radiojodtherapie erbrachte folgendes Ergebnis (Farahati et al. 1996): Durch die perkutane Strahlentherapie wurden die Zeiten bis zum Rezidiv (lokoregionär oder distant) signifikant verlängert. Das relative konditionale Rezidivrisiko für die zusätzlich perkutan bestrahlten Patienten betrug nur 30% des Risikos der nicht perkutan bestrahlten Patienten. Eine Senkung des Rezidivrisikos durch die Strahlentherapie wurde insbesondere bei Patienten mit papillärem Schilddrüsenkarzinom und den Risikofaktoren höheres Alter und Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen gefunden. Auch andere retrospektive Fallkontrollstudien weisen darauf hin, dass nach Operation und Radiojodtherapie die lokoregionale Tumorkontrolle von differenzierten Schilddrüsenkarzinomen im Stadium pT4 durch eine zusätzliche perkutane Strahlentherapie verbessert werden kann. Der Gewinn scheint überwiegend auf Patienten beschränkt zu sein, bei denen die Risikofaktoren höheres Alter (>40 Jahre), papilläre Karzinome, pT4-Tumor, R1- oder R2-Resektion und Lymphknotenmetastasen zusammen vorliegen (Reiners et al. 1999b). Für diese Risikogruppen kann die perkutane Strahlentherapie nach Operation und Radiojodtherapie in Betracht gezogen werden. Es ist allerdings festzustellen, dass bei den Studien zum Stellenwert der adjuvanten perkutanen Bestrahlung in der Regel »konservative« Operationstaktiken bevorzugt wurden, die heute durch radikalere chirurgische Vorgehensweisen (insbesondere bezüglich der Resektion von Lymphknotenmetastasen) ersetzt wurden. Probleme können bei der Radiojodtherapie von jodspeichernden lokoregionären Tumorresten bzw. -rezidiven und/oder Metastasen dadurch entstehen, dass es im Verlauf der fraktioniert erfolgenden Radiojodtherapie zu einer Abnahme der Speicherung von Radiojod im Tumorgewebe kommt. Als Erklärung für dieses Phänomen kann einerseits eine klonale Selektion von nichtspeichernden Tumorzellen und andererseits eine Entdifferenzierung ehedem speichernder Tumorzellen betrachtet werden. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Differenzierung von Schilddrüsenkarzinomzellen durch Behandlung mit Vitamin-ASäure positiv beeinflussen lässt. Ergebnisse einer multizentrischen deutschen Studie deuten darauf hin, dass die Effektivität der Radiojodtherapie bei einem Teil der Patienten mit Tumoren, die die 131I-Speicherung im Verlauf der Therapie verloren haben, gesteigert werden kann (Simon et al. 2004).
2
Literatur Casara D, Rubello D, Saladini G, Masarotto G, Favero A, Girelli ME, Busnardo B (1993) Different features of pulmonary metastases in differentiated thyroid cancer: natural history and multivariate statistical analysis of prognostic variables. J Nucl Med 34:1626–1631 Deutsche Krebsgesellschaft (2002) Maligne Schilddrüsentumoren, Kurzgefasste Interdisziplinäre Leitlinien, 3. Auflage Dietlein M, Dressler J, Farahati J, Grünwald F, Leisner B, Moser E, Reiners Chr, Schicha H, Schober O (2004) Procedure guidelines for radioiodine therapy of differenriated thyroid cancer (version 2*). Nuklearmedizin 43:115–120 Dietlein M, Schober O, Schicha H (2004) Overtherapy or undertherapy for papillary thyroid microcarcinoma? Therapeutic considerations for radioiodine ablation. Nuklearmedizin 43:107–114 Ehrenheim Ch, Hauswirth C, Fitschen J, Martin E, Oetting G, Hundeshagen H (1997) Zum genetischen Risiko nach hochdosierter Radiojodtherapie unter Berücksichtigung der Gonadendosis. Nuklearmedizin 36:157–166 Farahati J, Reiners C, Stuschke M, Müller SP, Stüben G, Sauerwein W, Sack H (1996) Differentiated thyroid cancer: the impact of adjuvant external radiotherapy in patients with perithyroidal tumor infiltration (pT4). Cancer 77:172–180 Farahati J, Mäder U, Zeihsel J, Muffert St, Mörtl M, Lübcke B, Reiners Chr (1997) Änderungen der Inzidenzraten des Schilddrüsenkarzinoms von 1981–1995 im Jodmangelgebiet Unterfranken. Nuklearmedizin 36:A18 Luster M, Lippi F, Jarzab B, Perros P, Lassmann M, Reiners Chr, Pacini F (2005) rhTSH-aided radioiodine ablation and treatment of differentiated thyroid carcinoma: a comprehensive review. Endocrine-Related Cancer 12:49–64 Maxon HR, Englaro EE, Thomas SR et al. (1992) Radioiodine-131 therapy for well-differentiated thyroid cancer – a quantitative radiation dosimetric approach: outcome and validation in 85 patients. J Nucl Med 33:1132–1135 Mazzaferri EL, Jhiang SM (1994) Longterm impact of initial surgical and medical therapy on papillary and follicular thyroid cancer. Am J Med 97:418–428 Pacini F, Ladenson PW, Schlumberger M, Driedger A, Luster M, Kloos RT, Sherman S, Haugen B, Corone C, Molinaro E, Elisei R, Ceccarelli C, Pinchera A, Wahl RL, Leboulleux S, Ricard M, Yoo J, Busaidy NL, Delpassand E, Hänscheid H, Felbinger R, Lassmann M, Reiners C (2006) Radioiodina ablation of thyroid remnants after preparation with recombinant human thyreotropin in differentiated thyroid carcinoma: results of an international controlled study. J Clin Endocrinol Metab 91:926–932 Reiners Chr (1998) Radiojodtherapie des Schilddrüsenkarzinoms. Tumordiagn u Ther 19:70–74 Reiners Chr (2003) Radioiodine therapy in patients with pulmonary metastases of thyroid cancer: when to treat, when not to treat? Eur J Nucl Med Mol Imaging 30:939–942 Reiners Chr, Demidchik YE (2003) Differentiated thyroid cancer in childhood: pathology, diagnosis, therapy. Ped Endocrinol Rev 1 (Suppl. 2):230–236 Reiners Chr, Stuschke M, Dralle H, Schmoll HJ (1999b) Schilddrüsenkarzinom. In: Schmoll HJ, Höffken K, Possinger K (Hrsg) Kompendium der Internistischen Onkologie, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S. 668 Robbins RJ, Schlumberger MJ (2005) The evolving role of I-131 for the treatment of differentiated thyroid carcinoma. J Nucl Med 46:28S–37S Samaan NA, Schultz PA, Hickey RC, Goepfert H, Haynie TP, Johnston DA, Ordonez NG (1992) The results of various modalities of treatment of well-differentiated thyroid carcinoma: A retrospective review of 1599 patients. J Clin Endocrinol Metab 75:714–720 Sawka AM, Thephamongkhol K, Brouwers M, Thabane L, Browman G, Gerstein HC (2004) Clinical Review 170: A Systematic Review and Metaanalysis of the Effectiveness of Radioactive Iodine Remnant Ablation for Well-Differentiated Thyroid Cancer. J Clin Endocrinol Metab 89:3668–3676
146
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Simon D, Körber C, Krausch M, Segering J, Groth P, Görges R, Grünwald F, Müller-Gärtner HW, Schmutzler C, Köhrle J, Röher HD, Reiners C (2002) Clinical impact of retinoids in redifferentiation therapy of advanced thyroid cancer: final results of a pilot study. Eur J Nucl Med 29:775– 782 Schlumberger M, De Vathaire F, Ceccarelli C et al. (1996) Exposure to radioactive jodine-131 for scintigraphy or therapy does not preclude pregnacy in thyroid cancer patients. J Nucl Med 37:598–605 Schlumberger M (1998) Papillary and follicular thyroid carcinoma. N Engl J Med 338:297–306 Solomon BL, Wartofsky L, Burman KD (1996) Current trends in the management of well differentiated papillary thyroid carcinoma. J Clin Endocrinol Metab 81:333–339 Schuck A, Biermann M, Pixberg MK, Muller SB, Heinecke A, Schober O, Willich N (2003) Acute toxicity of adjuvant radiotherapy in locally advanced differentiated thyroid carcinoma. First results of the multicenter study differentiated thyroid carcinoma (MSDS). Strahlenther Onkol 179:832–839 Winters SJ, Berga SL (1997) Gonadal dysfunction in patients with thyroid disorders. Endocrinologist 7:167–173
2.9.2.5 Rezidivprophylaxe und Nachsorge
C. Reiners, J. Farahati ) ) Die Rezidivprophylaxe besteht beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom aus der TSH-suppressiven Levothyroxinmedikation. Die Nachsorge, die definitionsgemäß nach Vollremission beginnt, muss lebenslang erfolgen. Aufgabe der Nachsorge ist es einerseits, Nebenwirkungen der vorangegangenen Therapie zu behandeln (z. B. logopädische Therapie bei Rekurrensparese oder Substitution von Vitamin D und Kalzium beim postoperativen Hypoparathyreoidismus). Im Vordergrund der Nachsorge steht aber die möglichst frühzeitige Erfassung von Tumorrezidiven oder Metastasen. Hierzu werden Tumormarkerbestimmungen und verschiedene bildgebende Verfahren eingesetzt. Die Nachsorge erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und Spezialisten. Die Federführung der Nachsorge sollte dabei beim Spezialisten liegen.
Die Prognose differenzierter Schilddrüsenkarzinome bezüglich des Überlebens ist in der Regel als ausgesprochen gut zu bezeichnen (. Abb. 2.56). Trotzdem muss bei papillären und follikullären Karzinomen mit teilweise sehr langen komplikationslosen Verläufen immer damit gerechnet werden, dass Rezidive oder Spätmetastasen auftreten (Ringel u. Ladenson 2004). In einer eigenen Untersuchung fanden wir – in Abhänigkeit vom Differenzierungsgrad der Tumoren – bei 7–15% der Patienten mit papillären oder follikulären Karzinomen Rezidive oder metachrone Metastasen, die mit einer durchschnittlichen Latenzzeit von 37–75 Monaten auftraten (Reiners u. Hüfner 1987). Mazzaferri u. Jhiang (1994) kommen in ihrer Analyse an einem Kollektiv von 1355 Patienten mit papilllärem und follikulärem Schilddrüsenkarzinom zu dem Ergebnis, dass die tumorbezogene Letalität nach 40 Jahren nur bei rund 10% liegt. Die Rezidiv- bzw. Metastasierungsrate beträgt demgegenüber rund 35%. Von besonderer Bedeutung für die Intensität der Nachsorge ist die von der gleichen Arbeitsgruppe gemachte Beobachtung, dass die Rezidivwahrscheinlichkeit bei Kindern und Jugend-
lichen bis zu 50% betragen kann. In der Altersgruppe der 20- bis 50-Jährigen sinkt sie dann bis auf etwa 20% ab, um bei den über 50-Jährigen wieder auf 30–40% anzusteigen.
Dies macht deutlich, dass Nachsorgeuntersuchungen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sowie älteren Patienten besonders sorgfältig durchgeführt werden müssen.
2.9.2.5.1 Levothyroxintherapie Untersuchungen an Zellkulturen, an Versuchstieren mit transplantierten Tumoren und auch die klinische Beobachtung an Patienten mit differenzierten Schilddrüsenkarzinomen zeigen, dass TSH-suppressive Dosen von Schilddrüsenhormonen das Tumorwachstum aufhalten können. Die Rezidivprophylaxe wird üblicherweise mit Levothyroxin in einer Dosierung von etwa 2,5 µg/kg KG durchgeführt. Diese Dosierung ist allerdings nur ein grober Richtwert (Kinder benötigen z. B. im Allgemeinen höhere und ältere Patienten gelegentlich niedrigere Dosen). Der thyreosuppressive Effekt dieser Therapie muss in jedem Fall individuell nach mindestens 4wöchiger konsequenter Schilddrüsenhormonmedikation durch eine TSH-Bestimmung überprüft werden. Hierzu muss ein moderner TSH-Assay der 3. Generation (funktionelle Sensitivität bei etwa 0,01 mU/l) herangezogen werden. Das basale TSH soll unter der TSH-suppressiven Levothyroxintherapie bei etwa 0,1 mU/l liegen (DKG 2002). Dabei darf das fT4 im Serum erhöht sein; das fT3 soll jedoch die obere Grenze des Referenzbereichs nicht überschreiten. Ein erhöhter fT3-Wert ist als Ausdruck einer Hyperthyreosis factitia zu werten, die mit den bekannten Komplikationen (Herz-KreislaufSystem und Knochen) verbunden sein kann. Eine Studie von Pujol et al. (1996) zeigt, dass Levothyroxindosen, die das TSH in den Bereich von 0,1 mU/l supprimieren, ausreichend effektiv zur Rezidivprophylaxe sind. Das Risiko für ein Rezidiv nach 10 Jahren erwies sich bei Patienten, deren basales TSH immer <0,1 mU/l war, mit 20% versus 40% deutlich geringer als bei Patienten mit einem TSH >1,0 mU/l. Eine Suppression des TSH <0,05 mU/l erbrachte keinen zusätzlichen Vorteil. Bei 5–10% der Patienten nach Thyreoidektomie ist im Rahmen der medikamentösen Substitutionsbehandlung auch ein postoperativer Hypoparathyreoidismus zu behandeln. Hierzu reicht in der Regel die alleinige Gabe von Kalzium nicht aus, vielmehr sollte die Ersatztherapie mit Vit. D-Präparaten erfolgen. Calcitriol hat gegenüber Dihydrotachysterol den Vorteil der besseren Steuerbarkeit der Therapie; allerdings ist Calcitriol wesentlich teurer. 2.9.2.5.2 Thyreoglobulinbestimmung Thyreoglobulin (TG) ist ein hochspezifischer Tumormarker für differenzierte und papilläre Schilddrüsenkarzinome (EustatiaRutten et al. 2004; Hüfner u. Reiners 1987; Schlumberger u. Baudin 1998). Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass die verschiedenen zur Thyreoglobulinbestimmung herangezogenen Assays methodischen Limitierungen unterliegen (Spencer u. Wang 1995): 4 Eingeschränkte Vergleichbarkeit durch fehlende Standardisierung 4 Nicht ausreichende Nachweisempfindlichkeit (insbesondere unter TSH-suppressiver Schilddrüsenhormonmedikation)
147 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2
4 Nicht ausreichende Interassay-Reproduzierbarkeit für sowohl niedrige als auch hohe Messwerte 4 So genannter »High-dose-hook-Effekt«, wobei falsch-niedrige TG-Werte in Proben mit sehr hohen TG-Konzentrationen gemessen werden 4 Interferenz von Autoantikörpern gegen TG, die zu einer Über- oder Unterschätzung der tatsächlichen TG-Konzentration führen kann
Für die Nachsorge eines Patienten mit differenziertem Schilddrüsenkarzinom ist es von großer Bedeutung, dass die TG-Bestimmungen immer im gleichen Labor mit der gleichen Methode vorgenommen werden.
Es bleibt festzuhalten, dass selbst moderne Assays, die auf den gültigen internationalen Standard bezogen sind, methodische Differenzen von 30% und mehr aufweisen (Spencer u. Wang 1995). Die Sensitivität heutiger Immunoassays für Thyreoglobulin mit rund 0,5 ng/ml ist als gut zu bezeichnen. Die Interassay-Variabilität kann allerdings bei Verlaufsuntersuchungen zu Problemen bei der Beurteilung führen. Es empfiehlt sich in diesen Fällen, die aktuelle Probe gemeinsam mit einer Rückstellprobe in einem Testlauf zu bestimmen. Bei den heute relativ weit verbreiteten immunradiometrischen Verfahren (IRMA) zur TG-Bestimmung kann es zu »High-dose-hook-Effekten« kommen. Eine derartig störende Interferenz ist allerdings leicht erkennbar, wenn mit der Bestimmung jeder Patientenprobe ein individueller Wiederfindetest nach Zugabe einer definierten Menge von TG durchgeführt wird. Dieses Verfahren eignet sich auch am besten, um eine mögliche störende Interferenz von endogenen Autoantikörpern bei der TG-Bestimmung zu erfassen. Bei modernen immunradiometrischen Tests liegt die Frequenz von derartigen Störeffekten in Seren von Patienten mit Schilddrüsenkarzinom im Bereich von etwa 5% (Rendl et al. 1996). Ein messbarer TG-Wert unter TSH-suppressiver Schilddrüsenhormonmedikation ist als Ausdruck von Schilddrüsenbzw. Tumorrestgewebe oder als Hinweis auf ein Rezidiv bzw. eine Metastasierung zu werten. Die Sensitivität der TG-Bestimmung ist unter TSH-suppressiver Schilddrüsenhormonbehandlung mit rund 80% deutlich niedriger als unter endogener oder exogener TSH-Stimulation mit rund 95% (Reiners u. Hüfner 1987; Schlumberger et al. 2004). Kommt es im Verlauf der Nachsorge bei einem Patienten mit differenziertem Schilddrüsenkarzinom zu einem Anstieg des TG-Wertes in den messbaren Bereich, so muss dem zu vermutenden Rezidiv bzw. der Metastasierung unverzüglich durch den Einsatz bildgebender Verfahren (7 unten) nachgegangen werden. Teilweise kontrovers diskutiert wird die Frage, ob die TGBestimmung bei Patienten nach nicht vollständiger Ablation des Schilddrüsenrests für die Nachsorge eingesetzt werden kann (Eustatia-Rutten et al. 2004). Anhand von Verlaufsbeobachtungen zeigen van Wyngaarden u. McDougall (1997), dass die TG-Spiegel bei unkomplizierten Verläufen unter TSH-suppressiver Schilddrüsenhormonbehandlung in einem engen Bereich stabil bleiben. Die Autoren vertreten die Auffassung, dass das Serum-TG zusammen mit der klinischen Untersuchung auch nach nicht vollständiger Ablation des Schilddrüsenrestes als Nachsorgeparameter wertvoll ist.
. Abb. 2.57. Sonographie des Halsbereichs (Querschnitt rechts supraklavikulär) bei einem 14-jährigen Patienten nach Operation wegen eines papillären Schildddürsenkarzinoms: Tumorrest im Schilddrüsenbett links der A. carotis bzw. kranial der V. jugularis, zusätzlich Lymphknotenmetastase rechts der V. jugularis
2.9.2.5.3 Bildgebende Verfahren Sonographie. Die Sonographie erlaubt als einfach durchzuführendes Untersuchungsverfahren eine recht genaue Beurteilung des Halssitus. Ihre Treffsicherheit ist allerdings an die apparative Ausstattung (Real-time-Transducer von mindestens 7,5 MHz Sendefrequenz) und an die Erfahrung des Untersuchers gebunden. Dieser muss den Halsbereich im Rahmen der Nachsorge auf ein Tumorrezidiv und v. a. auf vergrößerte Lymphknoten untersuchen (. Abb. 2.57). Letztere können sich auch in unerwarteten Lokalisationen und versteckt (z. B. lateral am Vorderrand des M. trapezius, hinter der Klavikula oder submandibulär) finden. Verdächtig auf Tumorreste oder Rezidive sind solide echoarme Raumforderungen, manchmal mit unscharfer Randbegrenzung. Befallene Lymphknoten stellen sich häufig rundlich geformt und echoarm dar. Im Falle sonographisch unklarer Raumforderungen im Halsbereich kann die ultraschallgezielte Feinnadelpunktion mit zytologischer Untersuchung des Aspirats wesentlich zur Klärung der Diagnose beitragen. 131
I. Referenzverfahren für die Bildgebung im Rahmen der Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms ist trotz der Entwicklung alternativer bildgebender Methoden weiterhin die Ganzkörperszintigraphie mit 131I in Hypothyreose. Voraussetzung für eine ausreichende Treffsicherheit ist ein TSH-Spiegel von >30 mU/l. Dieser wird – wie bei der Radiojodtherapie – ca. 4 Wochen nach Absetzen von Levothyroxin erreicht (vorübergehend kann über 2 Wochen Ganzkörperszintigraphie mit
148
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
ersatzweise das pharmakologisch kurzlebigere Liothyronin gegeben werden). Zur Vermeidung der für den Patienten häufig sehr unangenehmen Hypothyreose nach Absetzen der Schilddrüsenhormone steht heute auch rekombinantes humanes TSH zur Verfügung (Schlumberger et al. 2004). Mittels zweier intramuskulärer Injektionen kann das basale TSH in den gewünschten Bereich stimuliert werden. Die Ergebnisse einer Zulassungstudie zeigten, dass die diagnostische Treffsicherheit der 131I-Ganzkörperszintigraphie nach exogener Stimulation mit rekombinantem humanem TSH vergleichbar mit der Szintigraphie in Hypothyreose ist. Das geringe diagnostische Defizit bei exogener Stimulation mit rekombinantem TSH kann durch Einbeziehung des stimulierten Thyreoglobulinwertes ausgeglichen werden (Luster et al. 1997). Als Jodisotop für die diagnostische Ganzkörperszintigraphie ist heute weiterhin 131I zu bevorzugen. Wegen der im Vergleich zu 123I wesentlich längeren Halbwertszeit können szintigraphische Untersuchungen 72 h nach Applikation und später bei optimalem Tumor-Nichttumor-Anreicherungsverhältnis durchgeführt werden. Die Methode der Wahl zur Dokumentation der Effektivität vorangegangener Radiojodtherapien ist die Radiojodganzkörperszintigraphie in Hypothyreose; hierzu verwenden wir in der Regel 150–300 MBq 131I. Die Radiojodszintigraphie kann bei onkozytär differenzierten Schilddrüsenkarzinomen versagen, da onkozytäre Karzinome in der Regel zwar die Fähigkeit zur Thyreoglobulinproduktion aufweisen, jedoch kein Radojod speichern. Darüber hinaus kann es auch im Verlauf der fraktionierten Radiojodtherapie zur klonalen Selektion von nicht radiojodspeichernden Tumoranteilen kommen. Diese lassen sich dann ebenfalls nicht mit 131I nachweisen. Die Nuklearmedizin hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von tumoraffinen Tracern für die Lokalisationsdiagnostik dieser Tumorentitäten erprobt. Es hat sich herausgestellt, dass 201Tl-Chlorid oder heute besser 99mTc-MIBI in vielen Fällen zur szintigraphischen Lokalisation von aufgrund der TG-Bestimmung zu vermutenden Rezidiven bzw. Metastasen geeignet ist (Hoefnagel et al. 1986; Nemec et al. 1996). Thallium- und 99mTc-MIBI-Szintigraphie. In einer eigenen Untersuchung (Müller et al. 1991) konnten wir zeigen, dass die Thalliumszintigraphie bei rein onkozytär differenzierten Schilddrüsenkarzinomen (n=29) eine 100%ige Sensitivität aufwies, während die Sensitivität der Radiojodszintigraphie hier 0% betrug. Demgegenüber lag die Sensitivität der Thalliumszintigraphie bei eindeutig papillären bzw. follikulären Varianten (n=116) bei 69%, verglichen mit der Sensitivität der Radiojodszintigraphie von 46%. Spätere Studien zum Stellenwert der 99mTc-MIBISzintigraphie im Vergleich zur Ganzkörperszintigraphie mit 201 Tl-Chlorid zeigen, dass beide Untersuchungsverfahren in etwa die gleiche Treffsicherheit aufweisen (Nemec et al. 1996). Der Vorteil der Szintigraphie mit dem Technetium-markierten MIBI liegt in der besseren Szintigrammqualität (. Abb. 2.58). FDG-Positronenemissionstomographie. Besonders bewährt hat
sich 18F-Fluordeoxyglukose für die Verlaufskontrolle des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms. Die vorliegenden Studien belegen, dass die Positronenemissionstomographie bei Patienten mit Verdacht auf Rezidiv oder Metastasen wertvolle Informationen zur Tumorlokalisation liefern kann. Grünwald et al. (1999) zeigten in einer Multizenterstudie, dass die Sensitivität der FDG-PET bei 75% im Vergleich zur Sensitivität von 50% für die
. Abb. 2.58. Ganzkörperszintigramm 20 min nach 700 MBq 99mTc-MIBI bei einem 65-jährigen Patienten mit metastasierendem papillär-onkozytärem Schilddrüsenkarzinom: deutliche pathologische Anreicherung in einer Sternummetastase, normale Darstellung von Herz, Leber und Darm
131
I-Ganzkörperszintigraphie liegt. Die höchste Treffsicherheit erreicht die FDG-PET unter TSH-Stimulation. Thorax-Röntgenaufnahme. Röntgenaufnahmen des Thorax können zum Nachweis von Lungenmetastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome herangezogen werden. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sich Metastasen papillärer Karzinome häufig als disseminiert-miliare Aussaat manifestieren, die dem röntgenologischen Nachweis entgeht. Demgegenüber zeigen sich Lungenmetastasen follikulärer Karzinome typischerweise als vorwiegend basal lokalisierte Rundherde. Die Indikation von Röntgenaufnahmen des Thorax im Rahmen der Nachsorge ist vom Risikostadium abhängig zu machen; dabei ist die Computertomographie planaren Röntgenaufnahmen überlegen. Computer- und Kernspintomographie. Im Falle von durch
Tumormarkerbestimmung und/oder bildgebende Verfahren wie Sonographie und Szintigraphie nachgewiesenen Rezidiven oder Metastasen differenzierter Schilddrüsenkarzinome sollten vor der Entscheidung über die weitere Therapie (Operation bzw. Radiojodtherapie) die Computertomographie oder die Magnetresonanztomographie als weitere bildgebende Verfahren herangezogen werden. Die Effektivität der Radiojodtherapie hängt in starkem Maße von der zu eliminierenden Tumormasse ab. CT und MRT können hier wertvolle Informationen über den aktuellen Status liefern. Bei großen Tumoren sollte immer eine operative Tumorverkleinerung vor der Radiojodtherapie angestrebt werden.
149 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
. Abb. 2.59. Schema für die mischorientierte Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms
2.9.2.5.4 Nachsorgeschema Patienten mit differenzierten Schilddrüsenkarzinomen können 2 Risikogruppen zugeordnet werden (. Abb. 2.59). Rund 3/4 der Fälle finden sich in der Gruppe mit niedrigem Risiko; hier ist ein reduziertes Nachsorgeprogramm gerechtfertigt. Demgegenüber muss die Nachsorge bei den restlichen Patienten mit hohem Risiko wesentlich intensiver erfolgen.
2
Hoefnagel K, Delprat CC, Marcuse HR, DeVijlder JJM (1986) Role of Thallium-201 total-body scintigraphy in follow-up of thyroid carcinoma. J Nucl Med 27:1854–1857 Hüfner M, Reiners Chr (1987) Thyroglobulin and thyroglobulin antibodies in the follow-up of thyroid cancer and endemic goiter. Thieme, Stuttgart New York, S 172 Luster, Laßmann M, Hänscheid H, Michalowski U, Rendl J, Reiners Chr (1997) Die Anwendung von rekombinantem humanem TSH in der Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms. Acta Chir Austriaca (suppl) 135:5–6 Mazzaferri EL, Jhiang SM (1994) Longterm impact of initial surgical and medical therapy on papillary and follicular thyroid cancer. Am J Med 97:418–428 Müller SP, Guth-Tougelidis B, Piotrowski B, Farahati J, Reiners C (1991) Tl-201 scintigraphy in the follow-up of eosinophilic thyroid carcinoma. In: Schmidt HAE, Schoot JB van der (eds) Nuclear medicine, the state of the art in Europe. Schattauer, Stuttgart New York, p 343 Nemec J, Nyvltova O, Blazek T et al. (1996) Positive thyroid cancer scintigraphy using technetium-99 m methoxyisobutylisonitrile. Eur J Nucl Med 23:69–71 Pujol P, Daures JP, Nsakala N, Baldet L, Bringer J, Jaffiol C (1996) Degree of Thyrotropin suppression as a prognostic determinant in differentiated thyroid cancer. J Clin Endocrinol Metab 81:4318–4323 Reiners Chr, Hüfner M (1987) Nachsorge des papillären, follikulären und onkozytären Schilddrüsenkarzinoms. In: Börner W, Reiners Chr (Hrsg) Schilddrüsenmalignome – Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Schattauer, Stuttgart New York, S 159–183 Rendl J, Grelle I, Reiners Chr (1996) Methodische Eigenschaften und klinische Effizienz eines neuen sensitiven TG-Assays in der Nachsorge differenzierter Schilddrüsenkarzinome (DTC). Nuklearmedizin 35: A59 Ringel MD, Ladenson PW (2004) Controversis in the follow-up and management off well-differentiated thyroid cancer. Endocr Relat Cancer 11:97–116 Schlumberger M (1998) Papillary and follicular thyroid carcinoma. N Engl J Med 338:297–306 Schlumberger M, Baudin E (1998) Serum thyroglobulin determination in follow-up of patients with differentiated thyroid carcinoma. Eur J Endcrinol 138:2249–2252 Schlumberger M, Berg G, Cohen O, Duntas L, Jamar F, Jarzab B, Limbert E, Lind P, Pacini F, Reiners Chr, Sánches Franco F, Toft A, Wiersinga WM (2004) Follow-up of low-risk patients with differentiated thyroid carcinoma: a European perspective. Eur J Endocrinol 150:105–112 Spencer CA, Wang CC (1995) Thyroglobulin measurement – techniques, clinical benefits and pitfalls. Endocrinol Metab Clin North Am 24:841– 862 Wyngaarden K van, McDougall IR (1997) Is serum thyroglobulin a useful marker for thyroid cancer in patients who have not had ablation of residual thyroid tissue? Thyroid 7:343–346
Literatur Deutsche Krebsgesellschaft (2002) Maligne Schilddrüsentumoren, Kurzgefasste Interdisziplinäre Leitlinien, 3. Auflage Dietlein M, Dressler J, Farahati J, Grünwald F, Leisner B, Moser E, Reiners Chr, Schicha H, Schober O (2004) Procedure guidelines for radioiodine therapy of differenriated thyroid cancer (version 2*).Nuklearmedizin 43:115–120 Eustatia-Rutten CF, Smit JW, Romijn JA, van der Kleij-Corssmit EP, Pereira AM, Stokkel MP, Kievit J (2004) Diagnostic value of serum thyroglobulin measurements in the follow-up of differentiated thyroid carcinoma, a structured meta-analysis. Clin Endocrinol 61:61–74 Grünwald F, Kälicke T, Feine U, Lietzenmayer R, Scheidhauer K, Dietlein M, Schober O, Lerch H, Brandt-Mainz K, Burchert W, Hiltermann G, Cremerius U, Biersack H-J (1999) Fluorine-18 fluorodeoxyglucose positron emission tomography in thyroid cancer: results of a multicentre study. Eur J Nucl Med 26:1547–1552
2.9.3
Medulläre Schilddrüsenkarzinome
2.9.3.1 Klinische Symptomatik und Diagnostik
A. Machens, O. Gimm, H. Dralle ) ) Mit einer altersstandardisierten Inzidenz von 0,18 für Männer bzw. 0,23 für Frauen pro 100.000 Einwohner macht das medulläre (bzw. C-Zell-) Karzinom der Schilddrüse (MTC) etwa 5–10% aller Neuerkrankungen innerhalb des Spektrums der Schilddrüsenkarzinome aus (Bergholm et al. 1990). Während die Mehrzahl der medullären Schilddrüsenkarzinome (70–75%) sporadisch durch 6
150
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
somatische Neumutationen entsteht, liegen bei der hereditären Variante Keimbahnmutationen im RET-Protoonkogen vor. Daher erfordert die Diagnose eines sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinoms auch bei negativer Familienanamnese den Ausschluss einer solchen Keimbahnmutation mittels Gentest (7 Kap. 6.2.1). Da die parafollikulären neuroendokrinen C-Zellen der Schilddrüse kalzitoninsezernieren, neuroendokrine Zellen anderer Organe jedoch nur in Ausnahmefällen (Machens et al. 2000b), eignet sich die Kalzitoninbestimmung im Serum zur Frühdiagnostik ebenso wie zur Verlaufskontrolle. Im Gegensatz zu papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinomen exprimieren medulläre Schilddrüsenkarzinome wie andere neuroendokrine Tumoren nicht den Natrium-JodidSymporter, sodass eine Radiojodtherapie beim medullären Karzinom aufgrund fehlender Jodspeicherung unwirksam ist. Da auch Radio- und Chemotherapie wenig effektiv sind, ist die chirurgische Therapie beim medullären Schilddrüsenkarzinom von entscheidender Bedeutung. Erhebliche Fortschritte in der Früherkennung (sensitivere Kalzitonin-Assays) und chirurgischen Technik (Mikrodissektion der Halsweichteile mittels Lupenbrille und bipolarer Koagulation) als Voraussetzung für eine komplikationsarme systematische Lymphadenektomie haben dieHeilungschancenbeimsporadischenmedullärenSchilddrüsenkarzinom wesentlich verbessert. Die Einführung des Konzepts zentraler, lateraler und mediastinaler Lymphknotenkompartimente (. Abb. 2.60) und die Etablierung der Kompartimentorientierten Lymphadenektomie (Dralle et al. 1992; Dralle et al. 1994) ermöglichten erstmals die systematische histopathologische Analyse des lokoregionären Lymphknotenbefalls und dessen Korrelation mit dem klinischen Krankheitsverlauf. Die Synopsis dieser klinisch-pathologischen Befunde führte zur Identifizierung aussagekräftiger Prognosefaktoren, deren Kenntnis wiederum eine Optimierung der klinisch-chirurgischen Therapie erlaubt.
2.9.3.1.1 Erstmanifestation Die klassische Erstmanifestation des medullären Schilddrüsenkarzinoms war lange Zeit der tastbare Schilddrüsenknoten bzw. vergrößerte Halslymphknoten. Fehlende Schluckverschieblichkeit der Schilddrüse bzw. plötzlich auftretende Heiserkeit infolge Rekurrensparese weisen auf ein schon bestehendes organüberschreitendes Wachstum des Schilddrüsenkarzinoms hin. Mit zunehmender Verbreitung des hochauflösenden Ultraschalls sowie des Kalzitonin-Screenings können sporadische medulläre Schilddrüsenkarzinome heute immer häufiger im asymptomatischen Frühstadium entdeckt werden (Karges et al. 2004). Bildgebend nachweisbare Fernmetastasen in Lunge bzw. Knochen stellen nur selten die Erstmanifestation des medullären Schilddrüsenkarzinoms dar. Bei fortgeschrittenen medullären Karzinomen, die dank besserer Frühdiagnostik zunehmend seltener werden, kann gelegentlich Durchfall oder vereinzelt ein CushingSyndrom auftreten. Während die pathophysiologische Grundlage des Durchfalls noch weitgehend unklar ist, wird das mit dem medullären Schilddrüsenkarzinom assoziierte CushingSyndrom mit der Synthese eines gemeinsamen Vorläufers von adrenokortikotropem Hormon (ACTH) und Kalzitonin erklärt. Da die Entwicklung sporadischer gegenüber hereditären medullären Karzinomen zusätzliche Spontanmutationen erfordert, erkranken die meisten Patienten an einem sporadischen medullären Karzinom in einem höherem Lebensalter als Gen-
. Abb. 2.60. Kompartimenteinteilung des zervikomediastinalen Lymphsystems. 1 zervikozentrales Kompartiment, 1a rechts, 1b links; 2 zervikolaterales Kompartiment rechts; 3 zervikolaterales Kompartiment links; 4 mediastinales Kompartiment (infrabrachiozephal), 4a rechts, 4b links
träger (Indexpatienten), typischerweise in der 3. bis 5. Lebensdekade. 2.9.3.1.2 Größe des Primärtumors Zunehmendes Größenwachstum des Primärtumors korreliert mit steigenden Kalzitoninspiegeln (Cohen et al. 2000; Machens et al. 2000a), Durchbruch des Tumors durch die Schilddrüsenkapsel, Infiltration von Trachea und Ösophagus (Machens et al. 2001), Lymphknotenbefall (Gimm et al. 1998; Machens et al. 2002; Machens et al. 2003; Scollo et al. 2003; Weber et al. 2001) und Fernmetastasierung (Machens et al. 2000a; Machens et al. 2003). Die einzelnen Ausbreitungsstadien können als Ergebnis aufeinander folgender Schritte der Tumorprogression vom Erweb erster somatischer Genmutationen in der parafollikulären C-Zelle bis zum metastasierten medullären Schilddrüsenkarzinom aufgefasst werden: Je mehr Progressionsstufen ein Tumor zum Zeitpunkt der Erstoperation schon durchlaufen hat, desto schlechter sind die Heilungschancen des Patienten (Machens et al. 2003). Organüberschreitendes Wachstum. Nach Durchbruch des
Schilddrüsenkarzinoms durch die Schilddrüsenkapsel und Anschluss an das Lymph- und Blutgefäßsystem der Halsweichteile erhöht sich das Risiko einer Infiltration von Trachea und Ösophagus 22-fach (Machens et al. 2001), das Risiko einer Fernmetastasierung 16-fach (Machens et al. 2003), und das Risiko eines Befalls der Mediastinallymphknoten 5-fach (Machens et al. 2004a). Bei organüberschreitendem Tumorwachstum finden sich nahezu immer Lymphknotenmetastasen (Machens et al. 2003; Scollo et al. 2003; Weber et al. 2001). Die Chancen einer postoperativen Normalisierung des Kalzitoninspiegels, die bei organüberschreitendem Primärtumorwachstum noch 20% betragen (Machens et al. 2000a; Machens et al. 2002), sinken auf 0–5% bei beidseitigem oder mediastinalem Lymphknotenbefall bzw. Fernmetastasierung (Machens et al. 2000a). Bei extranodalem Tumorwachstum oder Befall von Nachbarorganen ist eine biochemische Heilung nicht mehr zu erreichen (Machens et al. 1999; Moley et al. 1997).
151 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2
als bei vielen anderen soliden Tumoren. Daher stellen Fernmetastasen grundsätzlich keine Kontraindikation für eine operative Sanierung eines lokalen Tumorbefundes dar (7 Kap. 2.9.3.4). Je höher der basale Kalzitoninspiegel und die Anzahl der befallenen Lymphknoten, desto häufiger liegen Fernmetastasen vor (Machens et al. 2000a; Machens et al. 2005; Scollo et al. 2003; Weber et al. 2001). Besteht die Hyperkalzitoninämie trotz totaler Thyreoidektomie und ausgedehnter Lymphadenektomie fort, ohne dass Lymphknotenmetastasen nachweisbar waren, so ist von einer okkulten Fernmetastasierung auszugehen. Diese Konstellation fand sich bei 38% unserer Patienten mit nodal-negativem medullären Schilddrüsenkarzinom (Machens et al. 2005).
. Abb. 2.61. Befall der Lymphknotenkompartimente beim medullären Schilddrüsenkarzinom. Die Prozentangaben beziehen sich auf den Ersteingriff (n=68) bzw. – in Klammern – auf den Wiederholungseingriff (n=93). (Nach Machens et al. 2002)
2.9.3.1.3 Lymphknotenmetastasierung Zunächst werden die Lymphknoten des zentralen (48–52%) und lateralen Kompartiments (43–49%) auf der Tumorseite befallen (Machens et al. 2002; Scollo et al. 2003). Bei mehr als 10 mm großen Tumoren liegen häufig auch Lymphknotenmetastasen in den lateralen Kompartimenten der Gegenseite (19–25%) und im mediastinalen Kompartiment (17%) vor (Fleming et al. 1999; Machens et al. 2002; Scollo et al. 2003). Dabei korreliert der Befall der gleichseitigen zentralen und lateralen Lymphknotenkompartimente eng (r=0,59–0,63) miteinander (Machens et al. 2002). Bei prinzipiell gleichem Befallsmuster ist beim Wiederholungseingriff von einer häufigeren Lymphknotenmetastasierung als beim Ersteingriff auszugehen (. Abb. 2.61; Machens et al. 2002). Der histopathologische Nachweis zentraler Lymphknotenmetastasen gelingt in 21% der Fälle trotz Befalls der lateralen oder mediastinalen Lymphknotenkompartimente nicht (»Metastasensprung«; Machens et al. 2004b). In diesen Fällen sind die Zahl der insgesamt befallenen Lymphknoten und die Fernmetastasierungsrate geringer als bei fehlendem »Metastasensprung«. Möglicherweise besitzen Tumoren mit diskontinuierlicher lymphogener Metastasierung (»Metastasensprung«) eine geringere Aggressivität als Tumoren mit kontinuierlicher Lymphknotenmetastasierung. Sind mehr als 2 Lymphknotenkompartimente oder 10 und mehr Lymphknoten tumorbefallen, so ist eine Normalisierung des Kalzitoninspiegels kaum noch möglich (Machens et al. 2000a; Scollo et al. 2003; Weber et al. 2001). Diese ungünstige Konstellation findet sich oft bei Befall des lateralen Kompartiments der tumorabgewandten Seite bzw. des mediastinalen Lymphknotenkompartiments (Machens et al. 2006). 2.9.3.1.4 Fernmetastasierung Sind Fernmetastasen schon vorhanden, ist eine biochemische Heilung des Patienten praktisch ausgeschlossen (Machens et al. 2005). Das Vorliegen von Fernmetastasen ist beim medullären Schilddrüsenkarzinom mit einem längeren Überleben vereinbar
2.9.3.1.5 Biochemische Diagnostik Die Höhe des basalen Kalzitoninspiegel spiegelt bei Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom die Sekretionsleistung aller vorhandenen C-Zellen und damit die Tumorlast des Patienten wider (Machens et al. 2000a). Bei Patienten ohne Tumornachweis mit grenzwertigem bzw. nur leicht erhöhtem basalen Kalzitoninspiegel ist eine Differenzierung zwischen C-Zellhyperplasie und medullärem Mikrokarzinom der Schilddrüse schwierig. In diesen Fällen kann der Pentagastrintest bei der Differenzialdiagnose helfen. Hierbei wird ein Bolus von 0,5 µg Pentagastrin/kg KG langsam intravenös injiziert. Vor der Applikation bzw. 2 und 5 min danach werden Blutproben aus einer peripheren Vene entnommen. Zur Ermittlung des Testergebnisses wird der Kalzitoninmaximalwert nach Pentagastrinstimulation in Relation zum basalen Kalzitoninausgangswert gesetzt. Eine weltweit gültige Definition, ab welchem Testergebnis ein Kalzitoninstimulationstest als pathologisch zu werten ist, existiert bislang nicht. Einige Arbeitsgruppen sehen eine Überschreitung des oberen basalen Kalzitoningrenzwertes (Franc et al. 2001; Machens et al. 2005) bzw. einen 3-fachen Anstieg des Kalzitoninspiegels (Gibelin et al. 2005) als pathologisch an. Wie in biologischen Systemen häufig, stellt auch die Kalzitoninerhöhung bei C-Zellhyperplasie und medullärem Mikrokarzinom ein Beispiel für ein biologisches Kontinuum dar. Kontinuum bezieht sich hierbei ausschließlich auf die bislang fehlende laborchemische Abgrenzung der beiden Krankheitsentitäten C-Zellhyperplasie und medulläres Schilddrüsenkarzinom. Pathogenetisch und morphologisch ist das Hervorgehen sporadischer medullärer Karzinome aus C-Zellhyperplasien bisher nicht gesichert. Daher kann derzeit die sporadische C-Zellhyperplasie nicht als Risikofaktor für das medulläre Schilddrüsenkarzinom angesehen werden.
In der Praxis ist jeder Kalzitoninwert oberhalb des für den jeweiligen Kalzitonin-Assay geltenden Normbereiches abklärungsbedürftig.
Für Patienten ohne Tumornachweis und mit Verdacht auf C-Zellhyperplasie oder medulläres Schilddrüsenkarzinom gelten die Empfehlungen der Sektion Schilddrüse der deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (Karges et al. 2004; 7 Kap. 2.9.3.2). Bei Patienten mit bekanntem und bereits operiertem medullären Schilddrüsenkarzinom müssen Kalzitoninwerte oberhalb der Nachweisgrenze als Rezidivmanifestation bzw. Tumorpersistenz interpretiert werden. Extrathyreoidale Tumoren mit zu Hyperkalzitoninämie führender Kalzitoninsekretion (Larnyxkarzinoid, kleinzelliges Bronchialkarzinom, neuroendokrines Pankreas-
152
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
karzinom) sind selten und lassen sich von medullären Schilddrüsenkarzinomen in der Regel durch einen weniger als 2-fachen Kalzitoninanstieg nach Pentagastrinstimulation biochemisch abgrenzen (Machens et al. 2000b). Ziel der operativen Intervention ist die vollständige Normalisierung erhöhter Kalzitoninspiegel. Da die parafollikulären C-Zellen der Schilddrüse im Allgemeinen die einzige Kalzitoninquelle des menschlichen Körper bilden, ist nach totaler Thyreoidektomie bei Normalisierung präoperativ erhöhter Kalzitoninspiegel bzw. fehlender Nachweisbarkeit von Kalzitonin im Serum von einer biochemischen Heilung auszugehen. Allerdings kann es nach anfänglicher Normalisierung bei 3,3% der ursprünglich biochemisch »geheilten« Patienten 0,7–7,5 Jahre nach der Operation zu einem erneuten Anstieg des Kalzitoninspiegels kommen (Franc et al. 2001). Liegt präoperativ schon ein basal erhöhter Serumkalzitoninspiegel vor, betragen die biochemischen Heilungschancen (Normalisierung des Kalzitoninspiegels) beim nodal-negativen medullären Schilddrüsenkarzinom 62%, und 10% bei gleichzeitigem Lymphknotenbefall (Machens et al. 2005). Bei Patienten mit nodal-negativem medullären Schilddrüsenkarzinom sinken die Heilungsraten kontinuierlich mit Anstieg des basalen Kalzitoninspiegels (Machens et al. 2005). Bei Patienten mit nodal-positivem Karzinom lässt sich oberhalb eines Kalzitoninspiegels von 3000 pg/ml (Normwert <10 pg/ml) bzw. eines Tumordurchmessers von 4 cm keine Normalisierung des Serumkalzitonins mehr erreichen. Lymphknotenmetastasen können bei Primärtumoren schon ab einem basalen Kalzitoninspiegel von 10–40 pg/ml, Fernmetastasen ab 150–400 pg/ml (Normwert <10 pg/ml) vorliegen. In der multivariaten Analyse war die prognostische Aussagekraft eines basalen Kalzitoninspiegels ≥500 pg/ml vor Operation größer als die Aussagekraft des histopathologischen Lymphknotenbefalls oder Rezidivstatus (Machens et al. 2005). Bei dieser Höhe des basalen Kalzitoninspiegels nach dem Ersteingriff geht man vom Vorliegen einer Fernmetastasierung aus (Leboulleux et al. 2004). Bei basalen Kalzitoninspiegeln unterhalb von 250 pg/ml lassen sich Tumorherde, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bildgebend nicht nachweisen (Yen et al. 2003). 2.9.3.1.6 Gendiagnostik Aufgrund der Tragweite der Diagnose eines MEN-2-Syndroms und der Seltenheit der mit dem MEN-2-Syndrom assoziierten Tumoren sollte bei jedem Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom oder familiärem Hyperparathyreoidismus nach entsprechender humangenetischer Beratung und Einwilligung ein DNA-Test auf Keimbahnmutationen im RET-Protoonkogen vorgenommen werden (7 Kap. 6.2.1). Bei negativem Gentest kann sich die weitere Nachsorge auf Verlaufskontrollen des medullären Schilddrüsenkarzinoms beschränken. 2.9.3.1.7 Nichtinvasive bildgebende Diagnostik Aufgrund ihres hohen Auflösungsvermögens ist die Ultraschalluntersuchung der Halsweichteile erste Wahl zur Bestimmung von Größe und Lage des echoarmen Primärtumors, zum Ausschluss bzw. Nachweis breitflächigen organüberschreitenden Tumorwachstums und eines Befalls der Halslymphknoten. Bei kleinen Tumoren unter 5 mm und im Mediastinum stößt der Ultraschall jedoch an seine Grenzen. In unklaren Fällen kommen Computertomographie und Kernspintomographie auf-
grund ihres besseren Auflösungsvermögens in tieferen Körperregionen, nach Voroperationen und bei organüberschreitendem Wachstum zum Einsatz. Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Kompression und Infiltration von Trachea, Ösophagus und Gefäßnervenscheide ist die Kernspintomographie der kontrastmittelverstärkten Computertomographie vorzuziehen. Beide Verfahren eignen sich zum Nachweis von Fernmetastasen. Bei persistierender Hyperkalzitoninämie können Resttumor und Rezidive durch die [18F] Fluor-2-Desoxy-D-Glukose-Positronenemissionstomographie (18FDG-PET) oder neuerdings durch L-DOPA-PET-CT lokalisiert werden. Andere in der klinischen Routine eingesetzte szintigraphische Verfahren (131I-MIBG-, 99m Tc-DMSA- und 111In-Oktreotid-Szintigraphie) sind in ihrer Sensitivität der Positronenemissionstomographie meist unterlegen. 2.9.3.1.8 Invasive Diagnostik Nach Lokalisation eines suspekten echoarmen Schilddrüsenknoten bzw. vergrößerter Halslymphknoten sollte die Verdachtsdiagnose mittels ultraschallgestützter Feinnadelpunktion zytologisch gesichert werden. In Anbetracht der hohen Treffsicherheit und Sensitivität der Feinnadelpunktionszytologie (Forrest et al. 1998) sind offene Biopien heute nur noch in seltenen Ausnahmefällen indiziert. Bei bildgebendem Verdacht auf Infiltration von Larynx, Trachea und Ösophagus sind eine Laryngo-, Tracheo- bzw. Ösophagoskopie zum Ausschluss einer Tumorinfiltration durchzuführen und endoskopisch Biopsien von verdächtigen Arealen zu entnehmen und histologisch zu untersuchen. Bei persistierender Hyperkalzitoninämie unter 500 pg/ml nach Erstoperation und negativer Bildgebung kann die selektive Venenkatheterisierung bei der Eingrenzung mikroskopisch kleiner Tumorrezidive helfen (Leboulleux et al. 2004). Hierbei werden nach Katheterisierung der beiden Venae jugulares internae, der oberen Hohlvene und der rechten oder linken Lebervene peripher und aus allen Kathetern Blutproben basal und nach Kalzitoninstimulation gewonnen. Infolge Venenligatur und -resektion im Halsbereich kann bei voroperierten Patienten der venöse Abstrom jedoch so stark verändert sein, dass eine eindeutige Interpretation der Befunde schwierig werden kann. Bei Kalzitoningradienten über 2,5 (zentral gegenüber peripher) liegt in der venös drainierten Region in 100% und bei Gradienten zwischen 1,5 und 2,5 in 27% der Fälle histologisch ein Tumor vor (Ben Mrad et al. 1989). Bei erhöhtem Lebervenengradienten ist von Mikrometastasen der Leber auszugehen (Tung et al. 1995). Bei ohnehin geplanter systematischer Revision der zentralen und lateralen Lymphknotenkompartimente erscheint die selektive Venenkatheterisierung entbehrlich. Auf der Leberund Lungenoberfläche gelegene Mikrometastasen können mittels Thorakoskopie bzw. Laparoskopie und endoskopischer Biopsie histologisch gesichert werden. So konnten bei 19% von 36 Patienten miliäre Lebermetastasen, die bildgebend nicht nachweisbar waren, laparoskopisch gesichert werden (Tung et al. 1995). In einer anderen Serie von 32 Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom konnten Lebermetastasen, die sich dem Nachweis in anderen bildgebenden Verfahren entzogen hatten, mittels arterieller Angiographie der Leber in 89% der Fälle dargestellt werden (Esik et al. 2001).
153 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
Literatur Ben Mrad MD, Gardet P, Roche A et al. (1989) Value of venous catheterization and calcitonin studies in the treatment and management of clinically inapparent medullary thyroid carcinoma. Cancer 63:133–138 Bergholm U, Adami HO, Telenius-Berg M, Johansson H, Wilander E (1990) Incidence of sporadic and familial medullary thyroid carcinoma in Sweden 1959 through 1981. A nationwide study in 126 patients. Swedish MCT Study Group. Acta Oncol 29:9–15 Cohen R, Campos JM, Salaun C et al. (2000) Preoperative calcitonin levels are predictive of tumor size and postoperative calcitonin normalization in medullary thyroid carcinoma. Groupe d’Etude des Tumeurs à Calcitonine (GETC). J Clin Endocrinol Metab 85:919–922 Dralle H, Scheumann GFW, Hundeshagen H, Massmann J, Pichlmayr R (1992) Die transsternale zervikomediastinale Primärtumorresektion und Lymphadenektomie beim Schilddrüsenkarzinom. Langenbecks Arch Chir 377:34–44 Dralle H, Damm I, Scheumann GF, Kotzerke J, Kupsch E, Geerlings H, Pichlmayr R (1994) Compartment-oriented microdissection of regional lymph nodes in medullary thyroid carcinoma. Surg Today 24:112– 121 Esik O, Szavcsur P, Szakáll S Jr et al. (2001) Angiography effectively supports the diagnosis of hepatic metastases in medullary thyroid carcinoma. Cancer 91:2084–2095 Fleming JB, Lee JE, Bouvet M et al. (1999) Surgical strategy for the treatment of medullary thyroid carcinoma. Ann Surg 230:697–707 Forrest CH, Frost FA, de Boer WB et al. (1998) Medullary carcinoma of the thyroid: accuracy of diagnosis of fine-needle aspiration cytology. Cancer 25:295–302 Franc S, Niccoli-Sire P, Cohen R et al. (2001) Complete surgical lymph node resection does not prevent authentic recurrences of medullary thyroid carcinoma. Clin Endocrinol 55:403–409 Gibelin H, Essique D, Jones C, Levillain P, Maréchaud R, Kraimps JL (2005) Increased calcitonin level in thyroid nodules without medullary carcinoma. Br J Surg 92:574–578 Gimm O, Ukkat J, Dralle H (1998) Determinative factors of biochemical cure after primary and reoperative surgery for sporadic medullary thyroid carcinoma. World J Surg 22:562–568 Karges W, Dralle H, Raue F et al. (2004) Calcitonin measurement to detect medullary thyroid carcinoma in nodular goiter: German evidencebased consensus recommendation. Exp Clin Endocrinol Diabetes 112:52–58 Leboulleux S, Baudin E, Travagli JP, Schlumberger M (2004) Medullary thyroid carcinoma. Clin Endocrinol 61:299–310 Machens A, Gimm O, Ukkat J, Sutter T, Dralle H (1999) Repeat mediastinal lymph-node dissection for palliation in advanced medullary thyroid carcinoma. Langenbecks Arch Surg 384:271–276 Machens A, Gimm O, Ukkat J, Hinze R, Schneyer U, Dralle H (2000a) Improved prediction of calcitonin normalization in medullary thyroid carcinoma patients by quantitative lymph node analysis. Cancer 88:1909–1915 Machens A, Haedecke J, Holzhausen HJ, Thomusch O, Schneyer U, Dralle H (2000b) Differential diagnosis of calcitonin-secreting neuroendocrine carcinoma of the foregut by pentagastrin stimulation. Langenbecks Arch Surg 385:398–401 Machens A, Hinze R, Lautenschläger C,Thomusch O, Dralle H (2001)Thyroid carcinoma invading the cervicovisceral axis: routes of invasion and clinical implications. Surgery 129:23–28 Machens A, Hinze R, Thomusch O, Dralle H (2002) Pattern of nodal metastasis for primary and reoperative thyroid cancer. World J Surg 26:22– 28 Machens A, Holzhausen HJ, Lautenschläger C, Thanh PN, Dralle H (2003) Enhancement of lymph node metastasis and distant metastasis of thyroid carcinoma. A multivariate analysis of clinical risk factors. Cancer 98:712–719 Machens A, Holzhausen HJ, Dralle H (2004a) Prediction of mediastinal lymph node metastasis in medullary thyroid carcinoma. Br J Surg 91:709–712
2
Machens A, Holzhausen HJ, Dralle H (2004b) Skip metastases in thyroid cancer leaping the central lymph node compartment. Arch Surg 139:43–45 Machens A, Holzhausen HJ, Dralle H (2006) Contralateral cervical and mediastinal lymph node metastasis in medullary thyroid cancer: Systemic disease? Surgery 139:28–32 Machens A, Schneyer U, Holzhausen HJ, Dralle H (2005) Prospects of remission in medullary thyroid carcinoma according to basal calcitonin level. J Clin Endocrinol Metab 90:3999–4003 Moley JF, Dilley WG, DeBenedetti MK (1997) Improved results of cervical reoperation for medullary thyroid carcinoma. Ann Surg 225:734–743 Scollo C, Baudin E, Travagli JP, Caillou B, Bellon N, Leboulleux S, Schlumberger M (2003) Rationale for central and bilateral lymph node dissection in sporadic and hereditary medullary thyroid cancer. J Clin Endocrinol Metab 88:2070–2075 Tung WS, Vesely TM, Moley JF (1995) Laparoscopic detection of hepatic metastases in patients with residual or recurrent medullary thyroid cancer. Surgery 118:1024–1029; discussion 1029–1030 Weber T, Schilling T, Frank-Raue K, Colombo-Benkmann M, Hinz U, Ziegler R, Klar E (2001) Impact of modified radical neck dissection on biochemical cure in medullary thyroid carcinomas. Surgery 130:1044– 1049 Yen TW, Shapiro SE, Gagel RF, Sherman SI, Lee JE, Evans DB (2003) Medullary thyroid carcinoma: results of a standardized surgical approach in a contemporary series of 80 consecutive patients. Surgery 134: 890–901
2.9.3.2 Therapie sporadischer Karzinome
O. Gimm, A. Machens, H. Dralle ) ) Therapie der Wahl medullärer Schilddrüsenkarzinome ist die Operation. Ziel der Operation ist die komplette Entfernung des Primärtumors und der befallenen lokoregionären Lymphknoten. Ungefähr 75% aller Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom haben keine Keimbahnmutation im RET-Protoonkogen und müssen bei negativer Familienanamnese und fehlenden Hinweisen für ein MEN-2-Syndrom als sporadische medulläre Schilddrüsenkarzinome eingestuft werden. Der Operationserfolg wird frühpostoperativ durch einen Vergleich von präoperativem und postoperativem Kalzitoninwert beurteilt. Generell ist die Rate normalisierter Pentagastrinstimulierter Kalzitoninwerte (sog. biochemische Heilung) nach Primäreingriffen höher als nach Reoperationen (Gimm et al. 1998). Dem adäquaten Primäreingriff kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Aus diesem Grund sollte die Diagnose eines medullären Schilddrüsenkarzinoms bereits präoperativ, spätestens jedoch intraoperativ gestellt werden.
2.9.3.2.1 Operative Therapie Indikationsstellung
Die Diagnose eines sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinoms kann im Unterschied zur hereditären Form nicht durch eine Keimbahnmutationsanalyse von RET erfolgen, sondern erfolgt durch den Nachweis eines erhöhten und stimulierbaren Serumkalzitoninwertes. Bei einem basalen Kalzitoninwert >10 pg/ml sollte eine Stimulation mit Pentagastrin erfolgen. Liegt der stimulierte Kalzitoninwert über 100 pg/ml, steigt das Risiko für das Vorliegen eines medullären Schilddrüsenkarzinoms schrittweise mit jeder weiteren Erhöhung des Kalzitonins
154
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
an. In einem interdisziplinären Konsensusverfahren hat daher die Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie empfohlen, ab stimuliertem Kalzitoninwerten über 100 pg/ml (bei einem Referenzbereich bis 10 pg/ml) eine totale Thyreoidektomie vorzunehmen (Karges et al. 2004). Liegt der stimulierte Kalzitoninwert hingegen unter 100 pg/ml, kann zunächst eine erneute Evaluation nach 4–6 Monaten erfolgen. Bei basalen Kalzitoninwerten <10 pg/ml ergibt sich bei fehlenden Knoten bzw. fehlendem Malignitätsverdacht keine Operationsindikation. Bei Hyperkalzitoninämie und gleichzeitig bestehendem Knoten sollte aus malignitätsverdächtigen Knoten in Zweifelsfällen eine Aspirationszytologie gewonnen werden. Die meisten Patienten mit einer sporadischen Hyperkalzitoninämie und stimuliertem Kalzitonin unter 100 pg/ml haben eine C-Zellhyperplasie (CCH), von der bisher nicht bekannt ist, dass sie einen signifikanten Risikofaktor für die Entstehung eines medullären Schilddrüsenkarzinoms darstellt. Solange aufgrund der Kalzitoninwerte eine sichere Abgrenzung zwischen CCH und medullärem Schilddrüsenkarzinom nicht möglich ist, kommt somit der individuellen Operationsentscheidung unter Berücksichtigung der stimulierten Kalzitoninwerte eine wesentliche Bedeutung zu. Beim medullären Schilddrüsenkarzinom stellen der Primärtumor und die lokoregionären Lymphknotenmetastasen die Schrittmacher der Erkrankung dar. Auch bei Vorliegen von Fernmetastasen kommt der lokalen Tumorkontrolle daher eine wichtige Bedeutung zu, da Fernmetastasen lange stationär bleiben können, und zervikomediastinale Komplikationen wie Tracheabzw. Ösophagusinfiltration unbedingt zu vermeiden sind (Gimm et al. 1997; Machens et al. 1999; Machens et al. 2004). Patientenaufklärung und Anästhesie
Bei der präoperativen Aufklärung ist auf die bekannten Risiken einer Schilddrüsenoperation einzugehen. Dabei muss die im Einzelfall besondere Bedeutung einer möglichen Rekurrensparese speziell berücksichtigt werden. Die prä- und postoperative Untersuchung der Stimmbandfunktion ist daher obligat. Auch muss der Patient auf das Risiko einer Hypokalzämie und die damit verbundenen Folgen hingewiesen werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der Begründung des erforderlichen Ausmaßes der Lymphknotendissektion zu, da diese das Risiko einer Hypokalzämie deutlich erhöht (Cheah et al. 2002). Thyreoidektomie
Bei sporadischen Karzinomen sollte stets eine totale Thyreoidektomie durchgeführt werden. Bei erst postoperativem Nachweis eines sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinoms und nur subtotaler Schilddrüsenresektion kann auf eine komplettierende Thyreoidektomie verzichtet werden, wenn der Primärtumor <10 mm groß und Kalzitonin stimuliert im Normbereich ist (Dralle et al. 2005). Technik. Der Zugang erfolgt über den Kocher-Kragenschnitt, bei gleichzeitiger zervikolateraler Lymphadenektomie mit Erweiterung zum sog. U-Schnitt. Die totale Thyreoidektomie erfolgt im eigenen Vorgehen bei sicherer Diagnose immer en bloc und zusammen mit dem zervikozentralen Kompartiment (. Abb. 2.60; Dralle et al. 1996). Eine Darstellung des N. laryngeus recurrens sowie der Nebenschilddrüsen ist obligat. Die Nervdarstellung gelingt am einfachsten kaudal der Kreuzungsstelle von A. thyreoidea inferior
und N. laryngeus recurrens. Ein Anschlingen oder Ergreifen des Nervs mit der Pinzette sollte unbedingt vermieden werden. Die gesamte Operation erfolgt im eigenen Vorgehen mit Lupenbrille, bipolarer Koagulation und Neuromonitoring. Die oberen Nebenschilddrüsen können meist in situ belassen werden, bei den unteren Nebenschilddrüsen ist dies wegen der im Rahmen einer Lymphadenektomie oftmals verminderten und somit unzureichenden Blutversorung nur selten möglich. Nicht-tumorbefallene, devaskularisierte Nebenschilddrüsen sollten entnommen und in mehrere Partikel zerkleinert autotransplantiert werden. Wir bevorzugen dafür den rechten M. sternocleidomastoideus (bessere Wiedererkennung bei Reeingriffen), die entsprechende Stelle wird mit einem nicht resorbierbaren Faden markiert. Lymphadenektomie Da bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei 50–80% aller Patienten mit einem sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinom lokoregionäre Lymphknotenmetastasen vorliegen, ist stets eine Lymphadenektomie durchzuführen.
In der Regel liegt eine Mikrometastasierung vor, die sich dem prä- aber auch dem intraoperativen Nachweis entzieht. Die Lymphknotenmetastasen treten zudem ebenso wie Fernmetastasen multipel auf. Dies schließt eine selektive Dissektionstechnik, wie z. B. das »berry picking« unter kurativer Intention, aus. Es ist hingegen stets eine systematische Dissektionstechnik anzuwenden, bei der das die Lymphknoten enthaltende Fettgewebe en bloc entfernt wird. Nerven, Gefäße und Muskeln bleiben dabei erhalten, sofern nicht eine unmittelbare Tumorinfiltration vorliegt. Ausmaß der Lymphadenektomie. Im Rahmen der Primäropera-
tion ist die synchrone zervikozentrale Lymphadenektomie (K1) obligat (. Abb. 2.60). Bei Tumoren >10 mm, einer extrathyreoidalen Tumorausbreitung oder nachgewiesenen Lymphknotenmetastasen sollte eine 3-Kompartiment-Lymphadenektomie (zervikozentral und zervikolateral beidseits; K1+K2+K3) erfolgen (Gimm et al. 1998; Machens et al. 2002; Machens et al. 2003). Ein mediastinaler Lymphknotenbefall wurde im Rahmen der Primäroperation außer bei Tumoren mit extrathyreoidaler Ausbreitung nur selten (<10%) nachgewiesen (Gimm et al. 1998; Machens et al. 2002). Dies gilt nicht für Reoperationen, bei denen ca. 1/3 aller Patienten eine mediastinale Lymphknotenmetastasierung aufweist, die sich der bildgebenden Darstellung meist entzieht (Gimm et al. 1997). Die Indikation zur mediastinalen Dissektion ist bei Nachweis von mediastinalen Lymphknotenmetastasen bzw. Lymphknotenmetastasen im zervikomediastinalen Übergang gegeben. Risikofaktoren für einen mediastinalen Lymphknotenbefall sind eine extrathyreoidale Tumorausbreitung des Primärtumors, ein kontralateraler sowie ein bilateraler zervikaler Lymphknotenbefall, ein präoperativer Kalzitoninwert >6000 pg/ml sowie das Vorhandensein von Fernmetastasen (Machens et al. 2004), in diesen Fällen sollte eine mediastinale Dissektion erwogen werden. Schwierig kann die Entscheidung über Indikation und Ausmaß einer Lymphadenektomie sein, wenn primär bildgebend gleichzeitig Fernmetastasen nachgewiesen wurden. Da derzeit bei diesen Patienten eine Abschätzung der individuellen Tumor-
155 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
dynamik kaum möglich ist, muss die Entscheidung über das Ausmaß der Lymphadenektomie auf der Einschätzung der Krankheitssituation insgesamt basieren (Dynamik der Erkrankung, Allgemeinzustand, Patientenalter). Auch hier ist eine lokale Tumorkontrolle anzustreben, da der lokale Tumorprogress subjektiv und objektiv nicht selten als Schrittmacher der Erkrankung wirkt. Technik. Die zervikozentrale Lymphadenektomie erfolgt en bloc mit der Thyreoidektomie, d. h., die Schilddrüse und das zervikozentrale Lymphknotenkompartiment werden als eine Einheit entfernt. Dabei wird zunächst die Schilddrüse mobilisiert, anschließend erfolgt die zentrale Lymphadenektomie in kaudokranialer Richtung, zunächst ipsilateral, dann kontralateral (Dralle et al. 1996; Dralle et al. 2001). Bei gegebener Indikation zur zervikolateralen Lymphadenektomie ist der Kocher-Kragenschnitt U-förmig nach kraniolateral zu erweitern. Die Dissektion kann bei ausgedehntem Lymphknotenbefall durch Inzision des M. sternocleidomastoideus erleichtert werden. Die Präparation der Kompartimente erfolgt in zentripetaler (zuerst zervikolateral, dann zentral) sowie kaudokranialer Richtung. Wichtig bei der zervikolateralen Ausräumung ist auch die Dissektion inter- und retrofaszikulärer Lymphknoten im Bereich des zervikobrachialen Nervenplexus. Ist die mediastinale Dissektion indiziert, so führen wir diese stets transsternal durch. Zunächst erfolgt die Auslösung des Thymus, anschließend die Präparation kaudal bis an die V. azygos und lateral bis an die Grenze der mediastinalen Pleura. Auch die Präparation des mediastinalen Kompartiments erfolgt in kaudokranialer Richtung. Die Dissektion des Mediastinums erfolgt vor der Lymphadenektomie des zervikozentralen Kompartiments, das – nach der Lymphadenektomie der zervikolateralen Kompartimente – en bloc mit dem mediastinalen Kompartiment entfernt wird.
2.9.3.2.2 Nichtoperative Therapie Zur Behandlung nicht-resektabler bzw. metastasierter medullärer Schilddrüsenkarzinome stehen eine Reihe nichtoperativer Therapieverfahren zur Verfügung. Radiojodtherapie. Zwar ist die routinemäßige postoperative
Radiojodtherapie wie sonst bei Patienten mit differenziertem Schilddrüsenkarzinom wegen der fehlenden Jodspeicherung der Tumorzellen nicht indiziert. Experimentelle Kombinationstherapien einer Radioimmunotherapie mit radiojodmarkierten CEAAntikörper und einer Chemotherapie (Dacarbazine, Paclitaxel) sind jedoch sehr vielversprechend (Stein et al. 2002; Stein et al. 2004). Klinische Ergebnisse liegen bisweilen allerdings nicht vor. Erste klinische Erfahrungen mit der Yttrium-markierten Radioligandentherapie (DOTATOC) bei fortgeschrittenem medullären Schilddrüsenkarzinom sind vielversprechend. So wurde bei bis zu 10% der Patienten eine bildgebend komplette Remission und bei gut 50% eine Stabilisierung erreicht (Bodei et al. 2004). Externe Radiatio. Der Erfolg der externen Radiatio ist sehr eingeschränkt, ihr Einsatz ist limitiert, und Reoperationen sind nach einer Radiatio erheblich erschwert. Des Weiteren kann die externe Radiatio mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein (Nguyen et al. 1992). Die routinemäßige postoperative Radiatio muss daher unbedingt vermieden werden (Samaan et al. 1988). Solange die Möglichkeit zur Reoperation besteht, sollte diese
2
genutzt werden. Bei inoperablen Karzinomen oder nicht-resektablen ossären Fernmetastasen hat die externe Radiatio jedoch durchaus ihren Stellenwert (Simpson 1990). Chemotherapie. Die Anwendung verschiedener Chemothera-
peutika hat bisher nur in Einzelfällen zu Remissionen geführt (Schlumberger et al. 1995). Experimentelle Untersuchungen mit neuen Chemotherapeutika wie z. B. Camptothecin und Paclitaxel sind vielversprechend, jedoch müssen Studien erst noch die klinische Effektivität zeigen (Kaczirek et al. 2004). Octreotid. Das Somatostatinanalogon Octreotid hat sich zwar in
der Diagnostik medullärer Schilddrüsenkarzinome bewährt, ein therapeutischer Nutzen bei der Behandlung von Metastasen konnte bisher jedoch nicht nachgewiesen werden (Frank-Raue et al. 1993). Bei einigen Patienten konnte Octreotid zu einer Besserung von Symptomen führen, die durch einen erhöhten Kalzitoninspiegel verursacht werden (z. B. Diarrhö), jedoch ohne dass dadurch eine Verminderung der Tumormasse erzielt wurde (Mahler et al. 1990). Tyrosinkinaseinhibitoren. Zwar haben In-vitro-Untersuchungen
mit Tyrosinkinaseinhibitoren die Möglichkeit einer effektiven Inhibiton der Tyrosinkinase RET gezeigt, jedoch sind die notwendigen Konzentration klinisch nicht erreichbar (Skinner et al. 2003). 2.9.3.2.3 Ergebnisse Dem frühpostoperativen Kalzitoninwert kommt eine prognostisch signifikante Bedeutung zu (Girelli et al. 1994; Dottorini et al. 1996; Bergholm et al. 1997). Bei Vorliegen von Fernmetastasen, einer extrathyreoidalen Tumorausbreitung, mehr als 10 Lymphknotenmetastasen oder einem Lymphknotenbefall von mehr als 2 lokoregionären Kompartimenten ist eine postoperative Normalisierung des Kalzitoninwerts nicht zu erwarten (Gimm et al. 1998; Machens et al. 2000). In Einzelfällen wurde im Rahmen der Nachsorge von einem erneuten Anstieg eines initial normalen Kalzitoninwertes berichtet (Block et al. 1980; Jackson et al. 1983). Anderseits kann es auch zu einem Abfall des Kalzitoninwertes ohne weitere therapeutische Maßnahmen kommen. Letzteres muss nicht unbedingt eine Verminderung der Tumormasse bedeuten, sondern kann vielmehr eine Dedifferenzierung des Karzinoms mit konsekutiver Minderexpression von Kalzitonin bedeuten, was eher mit einer Prognoseverschlechterung einhergeht (Busnardo et al. 1984). Die biochemische Heilungsrate hängt sehr von dem Metastasierungspotenzial des Primärtumors ab. So können ca. 60% der Patienten ohne Lymphknotenmetastasen, hingegen aber nur ca. 10% der Patienten mit Lymphknotenmetastasen biochemisch geheilt werden (Machens et al. 2005). Auch bei Vorliegen von mediastinalen Lymphknotenmetastasen kann nach 4-Kompartment-Lymphadenektomie (zervikozentral, zervikolateral beidseits, zervikomediastinal; K1+K2+ K3+K4) in bis zu 10% der Fälle eine biochemische Heilung erreicht werden (Gimm et al. 1997). 2.9.3.2.4 Nachsorge Nach totaler Thyreoidektomie ist stets eine Schilddrüsenhormonsubstitution notwendig. Die Substitution hat sich nach dem TSH-Wert zu richten, eine TSH-Suppression wird im Unter-
156
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
schied zum differenzierten Schilddrüsenkarzinom jedoch nicht angestrebt. Die Tumornachsorge ist lebenslang durchzuführen. Dabei sollten sowohl Kalzitonin und CEA bestimmt werden. Kalzitonin sollte bei basal grenzwertig erhöhtem Wert unter Stimulationsbedingungen untersucht werden. Bei einem Anstieg des Kalzitonins oder bei Symptomen, die auf ein Rezidiv deuten, sollten entsprechende diagnostische Lokalisationsverfahren eingesetzt werden. Bei einem Patienten mit nachgewiesenen Fernmetastasen und bereits basal pathologischem Kalzitonin kann der Kalzitoninstimulationstest entfallen, weil sich daraus kein Informationsgewinn mit therapeutischen Konsequenzen ergibt. Literatur Bergholm U, Bergstrom R, Ekbom A (1997) Long-term follow-up of patients with medullary carcinoma of the thyroid. Cancer 79:132–138 Block MA, Jackson CE, Greenawald KA, Yott JB, Tashjian AH Jr (1980) Clinical characteristics distinguishing hereditary from sporadic medullary thyroid carcinoma. Treatment implications. Arch Surg 115:142– 148 Bodei L, Handkiewicz-Junak D, Grana C, Mazzetta C, Rocca P, Bartolomei M, Lopera Sierra M, Cremonesi M, Chinol M, Macke HR, Paganelli G (2004) Receptor radionuclide therapy with 90Y-DOTATOC in patients with medullary thyroid carcinomas. Cancer Biother Radiopharm 19:65–71 Busnardo B, Girelli ME, Simioni N, Nacamulli D, Busetto E (1984) Non-parallel patterns of calcitonin and carcinoembryonic antigen levels in the follow-up of medullary thyroid carcinoma. Cancer 53:278–285 Cheah WK, Arici C, Ituarte PH, Siperstein AE, Duh QY, Clark OH (2002) Complications of neck dissection for thyroid cancer. World J Surg 26:1013–1016 Dottorini ME, Assi A, Sironi M, Sangalli G, Spreafico G, Colombo L (1996) Multivariate analysis of patients with medullary thyroid carcinoma. Prognostic significance and impact on treatment of clinical and pathologic variables. Cancer 77:1556–1565 Dralle H, Damm I, Scheumann GF, Kotzerke J, Kupsch E, Geerlings H, Pichlmayr R (1994) Compartment-oriented microdissection of regional lymph nodes in medullary thyroid carcinoma. Surg Today 24:112– 121 Dralle H, Gimm O (1996) Lymphadenektomie beim Schilddrüsencarcinom. Chirurg 67:788–806 Dralle H, Gimm O, Machens A (2001) Sporadic medullary thyroid carcinoma. In: Doherty GM, Skogseid B (eds) Surgical endocrinology. Lippincott Williams & Wilkins, pp 109–126 Dralle H, Machens A, Brauckhoff M, Ukkat J, Sekulla C, Nguyen-Thanh P, Lorenz K, Gimm O (2005) Chirurgie der Schilddrüsenkarzinome. Onkologe 11:58–69 Frank-Raue K, Ziegler R, Raue F (1993) The use of octreotide in the treatment of medullary thyroid carcinoma. Horm Metab Res Suppl 27: 44–47 Gimm O, Dralle H (1997) Reoperation in metastasizing medullary thyroid carcinoma: is a tumor stage-oriented approach justified? Surgery 122:1124–1130/discussion 1130–1131 Gimm O, Ukkat J, Dralle H (1998) Determinative factors of biochemical cure after primary and reoperative surgery for sporadic medullary thyroid carcinoma. World J Surg 22:562–567/discussion 567–568 Girelli ME, Dotto S, Nacamulli D et al. (1994) Prognostic value of early postoperative calcitonin level in medullary thyroid carcinoma. Tumori 80:113–117
Jackson CE, Talpos GB, Kambouris A, Yott JB, Tashjian AH Jr, Block MA (1983) The clinical course after definitive operation for medullary thyroid carcinoma. Surgery 94:995–1001 Kaczirek K, Schindl M, Weinhausel A, Scheuba C, Passler C, Prager G, raderer M, Hamilton G, Mittlbock M, Siegl V, Pfragner R, Niederle B (2004) Cytotoxic activity of camptothecin and paclitaxel in newly established continuous human medullary thyroid carcinoma cell lines. J Clin Endocrinol Metab 89:2397–2401 Karges W, Dralle H, Raue F, Mann K, Reiners C, Grussendorf M, Hüfner M, Niederle B, Brabant G (2004) Calcitonin measurement to detect medullary thyroid carcinomain nodular goiter: German evidencebased consensus recommendation. Exp Clin Endocrinol Diabetes 112:52–58 Machens A, Gimm O, Ukkat J, Sutter T, Dralle H (1999) Repeat mediastinal lymph-node dissection for palliation in advanced medullary thyroid carcinoma. Langenbecks Arch Surg. 384:271–276 Machens A, Gimm O, Ukkat J, Hinze R, Schneryer U, Dralle H (2000) Improved prediction of calcitonin normalization in medullary thyroid carcinoma patients by quantitative lymph node analysis. Cancer 88:1909–1915 Machens A, Hinze R, Thmousch O, Dralle H (2002) Pattern of nodal metastasis for primary and reoperative thyroid cancer. World J Surg 26:22– 28 Machens A, Holzhausen HJ, Lautenschlager C, Thanh PN, Dralle H (2003) Enhancement of lymph node metastasis and distant metastasis of thyroid carcinoma. Cancer 98:712–719 Machens A, Holzhausen HJ, Dralle H (2004) Prediction of mediastinal lymph node metastasis in medullary thyroid carcinoma. Br J Surg 91:709–712 Machens A, Schneyer U, Holzhausen HJ, Dralle H (2005) Prospects of remission in medullary thyroid carcinoma according to basal calcitonin level. J Clin Endocrinol Metab 90:2029–2034 Mahler C, Verhelst J, Longueville M de, Harris A (1990) Long-term treatment of metastatic medullary thyroid carcinoma with the somatostatin analogue octreotide. Clin Endocrinol (Oxf ) 33:261–269 Nguyen TD, Chassard JL, Lagarde P et al. (1992) Results of postoperative radiation therapy in medullary carcinoma of the thyroid: a retrospective study by the French Federation of Cancer Institutes – the Radiotherapy Cooperative Group. Radiother Oncol 23:1–5 Raue F, Kotzerke J, Reinwein D et al. (1993) Prognostic factors in medullary thyroid carcinoma: evaluation of 741 patients from the German medullary thyroid carcinoma register. J Clin Invest 71:7–12 Samaan NA, Schultz PN, Hickey RC (1988) Medullary thyroid carcinoma: prognosis of familial versus sporadic disease and the role of radiotherapy. J Clin Endocrinol Metab 67:801–805 Schlumberger M, Abdelmoumene N, Delisle MJ, Couette JE (1995) Treatment of advanced medullary thyroid cancer with an alternating combination of 5 FU-streptozocin and 5 FU-dacarbazine. The Groupe d’Etude des Tumeurs a Calcitonine (GETC). Br J Cancer 71:363–365 Simpson WJ (1990) Radioiodine and radiotherapy in the management of thyroid cancers. Otolaryngol Clin North Am 23:509–521 Skinner MA, Safford SD, Freemerman AJ (2003) RET tyrosine kinase and medullary thyroid cells are unaffected by clinical doses of STI571. Anticancer Res 23:3601–3606 Stein R, Chen S, Reed L, Richel H, Goldenberg DM (2002) Combining radioimmunotherapy and chemotherapy for treatment of medullary thyroid carcinoma: effectiveness of dacarbazine. Cancer 94: 51–61 Stein R, Goldenberg DM (2004) A humanized monoclonal antibody to carcinoembryonic antigen, labetuzumab, inhibits tumor growth and sensitizes human medullary thyroid cancer xenografts to dacarbazine chemotherapy. Mol Cancer Ther 3:1559–1564
2
157 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2.9.3.3 Therapie familiärer Karzinome
O. Gimm, A. Machens, H. Dralle ) ) Das autosomal-dominante Syndrom der multiplen endokrinen Neoplasie Typ 2 (MEN 2) umfasst aus klinischer Sicht 3 unterschiedliche Erkrankungsformen: FMTC (familiäres MTC), MEN 2a und MEN 2b (7 Kap. 6.2). Bei ungefähr 25% aller Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom ist eine Keimbahnmutation des RET-Protoonkogens nachweisbar. In diesen Fällen liegt ein hereditäres medulläres Schilddrüsenkarzinom vor.
2.9.3.3.1 Operative Therapie Operationsindikation Indikationsstellung
Bezüglich der Indikation zur Operation unterscheidet man beim hereditären medullären Schilddrüsenkarzinom Indexpatienten von Screening-Patienten. Indexpatienten sind die Patienten in einer Familie mit hereditärem medullären Schilddrüsenkarzinom, bei denen die Diagnose als erstes gestellt wird. Bei diesen Patienten liegt zum Zeitpunkt der Diagnose bereits ein klinisch manifestes medulläres Schilddrüsenkarzinom vor, somit ist die Indikation zur Operation gegeben. Die Screening-Patienten sind die Patienten in einer Familie mit hereditärem medullären Schilddrüsenkarzinom, bei denen nach Identifizierung des Indexpatienten die familienspezifische RET-Keimbahnmutation nachgewiesen wird. Bei diesen Patienten muss noch kein medulläres Schilddrüsenkarzinom vorliegen. Da bekannt ist, dass bis zu 70% aller Mutationsträger bis zu ihrem 70. Lebenjahr ein klinisch manifestes Karzinom entwickeln (Ponder et al. 1988), wird bei den Screening-Patienten ein MEN-2-spezifischer RET-Mutationsnachweis als ausreichend für die Operationsindikation angesehen.
Bereits früh konnte eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation nachgewiesen werden (Eng et al. 1996). Für die Klinik bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit für die Transformation einer C-Zellhyperplasie als benigne Vorstufe zum medullären Schilddrüsenkarzinom altersabhängig von der jeweiligen Mutation abhängt (Machens et al. 2003b). So können Patienten mit einer Mutation in Kodon 634 bereits im Alter von 2 Jahren ein medulläres Schilddrüsenkarzinom entwickeln, wohingegen Patienten mit einer Mutation in Kodon 791 zum Zeitpunkt der Entwicklung eines medullären Schilddrüsenkarzinoms stets über 25 Jahre alt sind (Machens et al. 2003b). Auch hinsichtlich der weiteren Progression vom nodal-negativen medullären Schilddrüsenkarzinom zum nodal-positiven medullären Schilddrüsenkarzinom wurde eine Kodon-Abhängigkeit nachgewiesen (Machens et al. 2003b). In der Klinik hat sich die Unterscheidung in 3 Risikogruppen (»low«, »intermediate«, »high«) bewährt (. Abb. 2.62; Machens et al. 2005). Thyreoidektomie
Es ist stets eine totale Thyreoidektomie durchzuführen. Dies insbesondere, da 80–90% der hereditären medullären Schilddrüsenkarzinome multifokal und bilateral auftreten und prinzipiell jede C-Zelle die Potenz zur Karzinogenese in sich birgt. Lymphadenektomie
Die Technik der Lymphadenektomie weicht nicht von der des sporadischen Karzinoms ab. Im Rahmen einer prophylaktischen Thyreoidektomie kann bei jungen, asymptomatischen Genträgern von einer routinemäßigen zervikozentralen Lymphadenektomie abgesehen werden, wenn Kalzitonin stimuliert im Normbereich liegt (Machens et al. 2005). Für alle Patienten mit hereditärem medullären Schilddrüsenkarzinom wurde gezeigt, dass bei stimuliert normalem Kalzitoninwert die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen sehr gering (<5%) ist (Machens et al. 2005). . Abb. 2.62 veranschaulicht die
stimuliertes Kalzitonin
erhöht (Lymphknotenmetastasen möglich)
normal (Lymphknotenmetastasen unwahrscheinlich)
Risikogruppe (Kodon)
(jedes)
„high” (883,918)
„intermediate” (609, 611, 618, 620, 630, 634)
„low” (768, 790, 791, 804, 891)
Thyreoidektomie (Alter in Jahren)
sofort
<1
5
5–10 (20)
zentrale Lymphadenektomie
simultan
bilaterale Lymphadenektomie
bei Tumoren >10 mm oder Nachweis von Lymphkontenmetastasen
. Abb. 2.62. Zeitpunkt und Ausmaß der chirurgischen Therapie bei Patienten mit hereditärem medullären Schilddrüsenkarzinom in Abhängigkeit vom Kalzitoninspiegel, vom mutierten Kodon des RET-Protoonkogens sowie vom Alter (Machens et al. 2005)
158
Kapitel 2 · Schilddrüse
derzeitige Empfehlung bezüglich Zeitpunkt und Operationsausmaß bei Patienten mit hereditärem medullären Schilddrüsenkarzinom.
2
2.9.3.4 Therapie von Lokalrezidiven und Metastasen
H. Dralle, O. Gimm, A. Machens ) )
MEN 2b
Abweichend von dem Vorgehen bei FMTC bzw. MEN 2a-MTC ist bei Vorliegen eines MEN-2b-Syndroms die Indikation zur Operation baldmöglichst nach Diagnosestellung gegeben, da ein medulläres Schilddrüsenkarzinom hier bereits wenige Monate postpartal auftreten kann (Telander et al. 1989; Machens et al. 2003b) und aufgrund des erkrankungsspezifisch wesentlich frühzeitigeren Beginns der Karzinomentwicklung zum Diagnosezeitpunkt meist eine fortgeschrittene lokoregionäre, nicht selten auch hämatogene Metastasierung vorliegt. In jedem Fall sollte bei MEN 2b-Patienten mit nachweisbarem Tumor eine 3-Kompartment-Lymphadenektomie (K1+K2+K3) durchgeführt werden. 2.9.3.3.2 Adjuvante Therapie Ausführungen zu adjuvanten Therapien finden sich in 7 Kap. 2.9.3.2. 2.9.3.3.3 Nachsorge Die sich aus dem Nachweis einer MEN-2-spezifischen Mutation von RET ergebenden Konsequenzen werden in 7 Kap. 6.2 näher erläutert. Literatur Brauckhoff M, Gimm O, weiss CL, Ukkat J, Sekulla C, Brauckhoff, K, Thanh PN, Dralle H (2004) Multiple endocrine neoplasia 2B sindrome due to codon 918 mutation: clinical manifestation and corse in early and late onset disease. World J Surg 28:1305–1311 Dralle H, Gimm O, Simon D et al. (1998) Prophylactic thyroidectomy in 75 children and adolescents with hereditary medullary thyroid carcinoma: German and Austrian experience. World J Surg 22:744–750/ discussion 750–751 Eng C, Clayton D, Schuffenecker I, Lenoir G, Cote G, Gagel RF, Ploos van Amstel HK, Lips CJ, Nishisho I, Takai SI, Marsh DJ, Robinson BG, FrankRaue K, Raue F, Xue F, Noll WW, Romei C, Pacini F, Fink M, Niederle B, Zedenius J, Nordenskjold M, Komminoth P, Hendy GN, Gharib H, Thibodeau SN, Lacroix A, Frilling A, Ponder BA, Mulligan LM (1996) The relationship between specific RET proto-oncogene mutations and disease phenotype in multiple endocrine neoplasia type 2. JAMA 276:1575–1579 Gimm O, Niederle BE, Weber T, Bockhorn M, Ukkat J, Brauckhoff M, Thanh PN, Frilling A, Klar E, Niederle B, Dralle H (2002) RET proto-oncogene mutations affecting codon 790/791: A mild form of multiple endocrine neoplasia type 2A syndrome? Surgery 132:952–959 Machens A, Holzhausen HJ, Thanh PN, Dralle H (2003a) Malignant progression from C-cell hyperplasia to medullary thyroid carcinoma in 167 carriers of RET germline mutations. Surgery 134:42–431 Machens A, Niccoli-Sire P, Hoegel J, Frank-Raue K, van Vroonhoven TJ, Roeher HD, Wahl RA, Lamesch P, Raue F, Conte-Devolx B, Dralle H (2003b) Early malignant progression of hereditary medullary thyroid cancer. N Engl J Med 349:1517–1525 Machens A, Ukkat U, Brauckhoff M, Gimm O, Dralle H (2005) Advances in the management of hereditary medullary thyroid cancer. J Intern Med 257:5–59 Ponder BA, Ponder MA, Coffey R et al. (1988) Risk estimation and screening in families of patients with medullary thyroid carcinoma. Lancet 1:397–401 Telander RL, Zimmerman D, Sizemore GW, Heerden JA van, Grant CS (1989) Medullary carcinoma in children. Results of early detection and surgery. Arch Surg 124:84–843
Der postoperative Nachweis einer Hyperkalzitoninämie stellt aufgrund der Sensitivität des Tumormarkers Kalzitonin das biochemische Korrelat persistierender Tumorzellen dar. Die Höhe der Kalzitoninspiegel korreliert bis auf seltene Fälle bei dedifferenzierten medullären Karzinomen mit der Tumorzellmasse. Symptomlose Hyperkalzitoninämien sind ein häufiger postoperativer Befund (>60%) und meist Folge einer lymphogenen und/oder hämatogenen Mikrodissemination, selten lokaler Tumorrezidive. Tumorassoziierte Symptome, wie z. B. Diarrhö, entwickeln sich bei Patienten mit persistierender Hyperkalzitoninämie meist erst beim Auftreten progredienter Makrometastasen. Aufgrund der nicht ungünstigen Prognose mit 10-Jahres-Überlebensraten von über 80% bei symptomloser postoperativer Hyperkalzitoninämie erfolgt die Indikationsstellung zur Operation in jedem Einzelfall nach sorgfältiger Prüfung der individuellen Risiken, der Art und Ausdehnung der Voroperation(en) sowie der bildgebenden Befunde zur Lokalisation des Rezidivs.
Das medulläre Karzinom (MTC) ist tumorbiologisch im Gegensatz zum papillären Schilddrüsenkarzinom nicht nur durch eine frühzeitige lymphogene, sondern auch hämatogene Metastasierung gekennzeichnet. Systematische Untersuchungen haben gezeigt, dass trotz radikaler Chirurgie nur bei ca. 40% der nodalnegativen und 10% der nodal-positiven Patienten mit sporadischem oder hereditärem medullärem Karzinom eine biochemische Heilung, d. h. Normalisierung stimulierter Kalzitoninspiegel erreicht werden kann (Machens et al. 2005). Auf der anderen Seite ist lange bekannt, dass trotz persistierender Hyperkalzitoninämie auch nach konventioneller Chirurgie 5- und 10 Jahres-Überlebensraten von 60–90% erreicht werden können (van Heerden et al. 1990; Pellegriti et al. 2003). Da bildgebend nachweisbare Fernmetastasen beim medullären Karznom den stärksten Risikofaktor für das Überleben darstellen (Esik et al. 2002), kommt dem bildgebenden Fernmetastasennachweis in Verbindung mit der klinischen Verlaufsbeurteilung eine entscheidende Bedeutung in der Entscheidungsfindung zur Reoperation beim medullären Karzinom zu. Externe Bestrahlung, Chemotherapie, Radioligandentherapie und medikamentös-symptomatische Therapie haben ihren Hauptindikationsbereich in der Palliation, nicht jedoch als Alternative zur potenziell-kurativen lokoregionären Rezidivchirurgie (Schuck et al. 2005; Mann et al. 2005; Baum et al. 2004). 2.9.3.4.1 Bildgebende Rezidivdiagnostik Neben den konventionellen Verfahren der Rezidivdiagnostik (Sonographie, Feinnadelaspirationszytologie, Computer- und Magnetresonanzsonographie, Szintigraphie mit radioaktivem MIBG, Penta-DMSA und Octreotid), die ihren unveränderten Stellenwert in der Stufendiagnostik haben, kommen neuere nicht-invasive (FDG-PET, PET-CT, DOPA-PET/CT, Somatostatinrezezptor-PET, Immunszintigraphie; Baum u. Hofmann 2004; Mirallie et al. 2005; Brückel et al. 2001), aber auch invasive Verfahren (selektiver Venenkatheter, Angiographie, Laparoskopie, Thorakoskopie) (Ben Mrad et al. 1989; Frank-Raue et al. 1992; Tung et al. 1995; Gautvik et al. 1989; Szavcsur et al. 2005)
159 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
zum Einsatz, die die Nachweisgrenze von Rezidiven bis in den Mikrometastasenbereich erweitert haben. Mit Hilfe dieser Techniken konnte allerdings nicht nur eine bessere Treffsicherheit in der Metastasenlokalisation erzielt werden, sondern es zeigte sich auch, dass in bis zu 90% der Patienten mit persistierender Hyperkalzitoninämie disseminierte periphersystemische (Mikro-)Metastasen vorliegen (Szavcsur et al. 2005; Mirallie et al. 2005). Der Anteil Patienten mit persistierender Hyperkalzitoninämie, die von Therapiebeginn an eine Systemerkrankung aufweisen, ist somit sehr viel höher, als bislang angenommen. 2.9.3.4.2 Indikationen zur chirurgischen Therapie Da Fernmetastasen beim MTC nahezu ausschließlich multipel auftreten, besteht selten eine Indikation zur Fernmetastasenentfernung. Eigene Erfahrungen in der viszeralen Metastasenchirurgie beim MTC beziehen sich auf seltene Indikationen unter palliativer Intention, bei denen z. B. Leberresektionen dominanter Lebermetastasen durchgeführt wurden, wenn durch nichtoperative Therapiemaßnahmen eine Beschwerde- und Symptomverbesserung nicht erreicht werden konnte und der Zustand des Patienten unter Berücksichtigung der Belastung des Eingriffs erwartungsgemäß zumindest für eine gewisse Zeit gebessert werden konnte. Unter diesen Voraussetzungen ist die Indikation zur Metastasenresektion beim MTC immer eine individuelle Ausnahmeindikation. Hinsichtlich der Indikation zur Reoperation von Lokalrezidiven und lokoregionären Lymphknotenrezidiven sind unabhängig von dem im Einzelfall die Therapieentscheidung modifizierenden Allgemeinzustand des Patienten folgende Tumorkonstellationen zu unterscheiden:
4 lokoregionäres Rezidiv ohne bildgebendem Nachweis von Fernmetastasen 4 lokoregionäres Rezidiv mit bildgebenden nicht-progredienten Fernmetastasen 4 lokoregionäres Rezidiv mit bildgebendem Nachweis progredienter Fernmetastasen Im eigenen Vorgehen wird nach dem in . Abb. 2.63 skizzierten Therapiealgorithmus verfahren. Bei postoperativ stimuliert normalem Kalzitonin ist auch nach inadäquater Erstoperation eine Komplettierungsoperation in der Regel nicht erforderlich, wenn es sich um ein sporadisches MTC handelt (Miyauchi et al. 2002). Beim hereditären MTC sollte dagegen in jedem Fall eine Komplettierungsoperation durchgeführt werden, da ansonsten die potenziell neoplastische Potenz der in situ verbliebenen C-Zellen unverändert bestehen bliebe. Als adäquater Ersteingriff beim MTC ist entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie die primäre Durchführung einer totalen Thyreoidektomie mit zervikozentraler und bilateral-zervikolateraler Kompartment-orientierter Lymphadenektomie anzusehen (Dralle 2005). Bei erhöhten Kalzitoninspiegeln ist nach inkompletter Voroperation eine lokoregionär-systematische, d. h. Kompartment-orientierte Komplettierung in der Regel auch dann zu empfehlen, wenn bildgebend kein lokoregionärer Rezidivnachweis erbracht werden konnte, da trotz negativer Bildgebung meist lokoregionäre Mikrometastasen nachgewiesen werden (Tisell et al. 1986). Die biochemische Heilungsrate ist jedoch auch bei diesen Patienten relativ niedrig (10–40%), eine Situation, die eine umfassende präoperative Patienteninformation erfordert.
Persistierende Hyperkalzitoninämie
Rezidivdiagnostik (biochemisch, bildgebend nicht-invasiv und ggf. invasiv: lokoregionär, fern/systemisch)
LR mit Nachweis nicht-progredienter FM
LR ohne Nachweis von FM
inadäquater Ersteingriff
systematische Komplettierungsoperation
adäquater Ersteingriff
beeinträchtigende Lokalsymptomatik und Fehlen effektiver nicht-operativer Therapieoptionen
selektive Rezidiventfernung
. Abb. 2.63. Therapiealgorithmus bei persistierender Hyperkalzitoninämie
2
LR mit Nachweis progredienter FM
asymptomatisch, oder symptomatisch mit der Möglichkeit effektiver nichtoperativer Therapieoptionen
symptomatische Therapie, ggf. Chemo-, Strahlentherapie, Stentimplantation, Laserablation
160
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Transsternale mediastinale Lymphadenektomien und Reexplorationen sind nur bei prä- oder intraoperativem Nachweis von Tumorrezidiven im zervikomediastinalen Übergangsbereich oder im Mediastinum indiziert (Machens et al. 1999; Dralle 2002; Machens et al. 2004). Auch zervikoviszerale Resektionen bei Nachweis einer zervikoviszeralen Infiltration sind nur dann sinnvoll, wenn Fernmetastasen nicht nachgewiesen wurden oder bei Nachweis von Fernmetastasen keine signifikante Tumorprogredienz besteht bzw. nicht-operative Alternativtherapien zur Beherrschung gravierender zervikoviszeraler Obstruktionen nicht möglich sind, und wenn eine lokal-radikale Tumorresektion möglich erscheint (Machens et al. 2001a; Machens et al. 2001b; Chen et al. 1998). Bei zervikoviszeraler Infiltration mit signifikanter bzw. symptomatischer Tumorprogredienz sollten palliativ-symptomatische Therapieoptionen zum Einsatz kommen (externe Bestrahlung, Stentimplantation, Laserablation). Inwieweit lokoregionäre Rezidiveingriffe nicht nur das lokale Rezidivrisiko senken, sondern auch das krankheitsfreie Überleben verlängern können, konnte bislang nicht nachgewiesen werden, da die Patientenkollektive aufgrund der Seltenheit des Tumors klein sind und Vergleichsgruppen im Rahmen eines prospektiven Studienkonzepts kaum gebildet werden können. Die Prognose nach operativer Behandlung eines MTC korreliert jedoch mit der Höhe des postoperativen Kalzitoninspiegels (Miyauchi et al. 1988; Dottorini et al. 1996), sodass geschlussfolgert werden kann, dass zumindest bei Fehlen signifikanter Fernmetastasen lokoregionäre Rezidiveingriffe einen positiven Effekt auf die Prognose haben können. Literatur AWMF online – Leitlinie Chirurgie/Onkologie: Maligne Schilddrüsentumoren: http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/032-014.htm Baum RP, Hofmann M (2004) Nuklearmedizinische Diagnostik neuroendokriner Tumoren. Onkologe 10:598–610 Baum RP, Söldner J, Schmücking M, Niesen A (2004) Peptidrezeptorvermittelte Radiotherapie (PRRT) neuroendokriner Tumoren. Onkologe 10:1098–1110 Brückel J, Kotzerke J, Reske SN, Dralle H, Böhm BO (2001) Lokalisation von Lymphknotenfiliae bei persistierendem medullären Schilddrüsenkarzinom mit 18F-DOPA-Positronen-Emissions-Tomographie. Tumordiagn u Ther 22:121–125 Chen H, Roberts JR, Ball DW, Eisele DW, Baylin SB, Udelsman R, Bulkley GB (1998) Effectivie long-term palliation of symptomatic, incurable metastatic medullary thyroid cancer by operative resection. Ann Surg 227:887–895 Dottorini ME, assi A, Sironi M (1996) Multivariate analysis of patients with medullary thyroid carcinoma. Prognostic significance and impact on treatment of clinical and pathological variables. Cancer 77:1556– 1565 Dralle H (2002) Lymph node dissection and medullary thyroid carcinoma. Br J Surg 89:1073–1075 Dralle H, Machens A, Brauckhoff M, Ukkat J, Sekulla C, Nguyen-Thanh P, Lorenz K, Gimm O (2005) Chirurgie der Schilddrüsenkarzinome. Onkologe 11:58–69 Esik O, Tusnady G, Tron L, Boer A, Szentirmay Z, Szablocs I, Racz K, Lengyel E, Szekely J, Kasler M (2002) Markov model-based estimation of individual survival probability for medullary thyroid cancer patients. Pathol Oncol Res 8: 3–104
Frank-Raue K, Raue F, Buhr HJ (1992) Localization of occult persisting medullary thyroid carcinoma before microsurgical reoperation: high sensitivity of selective venous catheterisation. Thyroid 2:113–117 Gautvik KM, Talle K, Hager B (1989) Early liver metastases in patients with medullary carcinoma of the thyroid gland. Cancer 63:175–180 Machens A, Gimm O, Ukkat J, Sutter T, Dralle H (1999) Repeat mediastinal lymph node dissection for palliation in advanced medullary thyroid carcinoma. Lagenbeck’s Arch Surg 384:271–286 Machens A, Hinze R, Dralle H (2001a) Surgery on the cervicovisceral axis for invasive thyroid cancer. Langenbeck’s Arch Surg 386:318–323 Machens A, Hinze R, Lautenschläger C, Thomusch O, Dralle H (2001b) Thyroid carcinoma invading the cervicovisceral axis: routes of invasin and clinical implications. Surgery 129:23–28 Machens A, Holzhausen HJ, Dralle H (2004) Prediction of mediastinal lymph node metastasis in medullary thyrid carcinoma. Br J Surg 91:709–712 Machens A, Schneyer U, Holzhausen HJ, Dralle H (2005) Prospects of remission in medullary thyroid carcinoma according to basal calcitonin level. J Clin Endcrinol Metab 90, online-published Mann K, Möller LC, Bockisch A, Quadbeck B, Schmid KW, Janssen OE (2005) Chemotherapie beim Schilddrüsenkarzinom. Onkologe 11:78–86 Mirallie E, Vuilez JP, Bardet S, Frampas E, Dupas B, Ferrer L, Faivre-Chauvet A, murat A, Charbonnel B, Barbet J, Goldenberg DM, Chatal JF, Kraeber-Bodere F (2005) High frequency of bone/bone marrow involvement in advanced medullary thyroid cancer. J Clin Endocrinol Metab 90:779–788 Miyuachi A Matsuzuka F, Hirai K, Yokozawa T, Kobayashi K, Ito Y, Nakano K, Kuma K, Futami H, Yamaguchi K (2002) Prospective trial of unilateral surgery for nonhereditary medullary thyroid carcinoma in patients without germline RET mutations. World J Surg 26:1023–1028 Miyauchi A, Matsuzuka F, Kuma K (1988) Evaluation of surgical results and prediction of prognostic in patients with medullary thyroid carcinoma by analysis of serum calcitonin levels. World J Surg 12:610–615 Mrad Ben MD, Gardet P, Roche A (1989) Value of venous catheterization and calcitonin studies in the treatment and management of clinically inapparent medullary thyroid carcinoma. Cancer 63:133–138 Pellegriti G, Leboulieux S, Baudin E, Bellon N, Scollo C, Travagli JP, Schlumberger M (2003) Long-term outcome of medullary thyroid carcinoma in patients with normal postoperative medical imaging. Br J Cancer 88:153 –1542 Schuck A, Biermann M, Schober O, Willich N (2005) Strahlentherapie des Schilddrüsenkarzinoms. Onkologe 11:87–92 Szavcsur P, Gödeny M, Bajzik G, Lengyel E, Repa I, Tron L, Boer A, Vincze B, Poti Z, Szabolcs I, Esik O (2005) Angiography-proven liver metastases explain low efficacy of lymph node dissections in medullary thyroid cancer patients. EJSO 31:183–190 Tisell L, Hansson G, Jansson S, Salander H (1986) Reoperation in the treatment of asymptomatic metastasizing medullary thyroid carcinoma. Surgery 99:60–66 Tung WS, Vesely TM, Moley JF (1995) Laparoscopic detection of hepatic metastases in patients with residual or recurrent medullary thyroid cancer. Surgery 118:1024–1030 van Heerden JA, Grant CS, Gharib H, Hay ID, Ilstrup DM (1990) Long-term course of patients with persistent hypercalcitoninemia after apparent curative primary surgery for medullary thyroid carcinoma. Ann Surg 212:395–401
2
161 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2.9.4 Undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome
A. Machens, O. Gimm, H. Dralle ) ) Mit einer Inzidenz von 2,7–7,6% zählen die undifferenzierten (anaplastischen) Schilddrüsenkarzinome zu den bösartigsten Malignomen überhaupt (Demeter et al. 1991; Nel et al. 1985; Tan et al. 1995; Machens et al. 2001). Das mediane Überleben wird in den oftmals mehr als 20 Jahre umfassenden Serien mit 2,5– 7,2 Monaten angegeben (Carcangiu et al. 1985; Junor et al. 1992; Kobayashi et al. 1996; Machens et al. 2001; Passler et al. 1999; Spires et al. 1988; Tan et al. 1995; Venkatesh et al. 1990; Voutilainen et al. 1999). Undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome weisen oft gleichzeitig epitheliale (Zytokeratin, Desmosomen) und bindegewebige (Spindelzellen, Riesenzellen) Differenzierungen auf. Nach der gültigen WHO-Klassifikation sind diese hochmalignen Tumoren als undifferenzierte (anaplastische) Schilddrüsenkarzinome zu klassifizieren, wenn immunhistochemisch oder elektronenmikroskopisch epitheliale Zellkomponenten nachweisbar sind (Hedinger et al. 1988). Hinter kleinzelligen undifferenzierten Schilddrüsenkarzinomen verbergen sich zumeist Schilddrüsenlymphome, die eine bessere Prognose besitzen und durch immunhistochemischen Nachweis des Leukozytenzellantigens LCA (»leukocyte cell antigen«) ausgeschlossen werden müssen.
2.9.4.1 Ätiopathogenese Hinsichtlich ihrer Ätiopathogenese lassen sich beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom 3 klinisch unterschiedliche Entstehungsformen unterscheiden: De-novo-Genese, d. h. ohne
Schilddrüsenvorerkrankung, auf dem Boden eines Knotenkropfes (53%) oder im Rahmen der Entdifferenzierung eines präexistenten (24%) bzw. synchronen (24%) differenzierten Schilddrüsenkarzinoms (Demeter et al. 1991). Eine prognostische Bedeutung kommt dieser ätiopathologischen Einteilung jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu. Das undifferenzierte Schilddrüsenkarzinom soll häufiger in Jodmangelgebieten vorkommen, in Gebieten mit Jodprophylaxe dagegen rückläufig sein. 2.9.4.2 Klinische Symptomatik Das durchschnittliche Alter von Patienten mit undifferenziertem Schilddrüsenkarzinom (. Tab. 2.24) liegt bei 61–70 Jahren (Demeter et al. 1991; Junor et al. 1992; Kobayashi et al. 1996; Levendag et al. 1993; Nel et al. 1985; Spires et al. 1988; Tan et al. 1995; Venkatesh et al. 1990). Frauen erkranken öfter als Männer an einem undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom (Demeter et al. 1991; Spires et al. 1988; Venkatesh et al. 1990; Junor et al. 1992; Levendag et al. 1993; Kobayashi et al. 1996). Dies könnte daran liegen, dass Frauen insgesamt öfter von Schilddrüsenerkrankungen wie Knotenkropf betroffen sind, aber auch öfter an differenzierten Schilddrüsenkarzinomen erkranken, die bei langem Verlauf in undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome übergehen können. So finden sich bei undifferenzierten Schilddrüsenkarzinomen in 38–71% der Fälle anamnestisch oder synchron differenzierte Schilddrüsenkarzinome (Demeter et al. 1991; Nel et al. 1985; Spires et al. 1988; Venkatesh et al. 1990), aus denen erstere möglicherweise durch Entdifferenzierung hervorgegangen sind. Die rasch innerhalb von 1–2 Monaten zunehmende steinharte Schwellung der Halsweichteile ist in 76–100% (. Tab. 2.25) das Leitsymptom undifferenzierter Schilddrüsenkarzinome
. Tab. 2.24. Demographische Daten beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom
Medianes Alter (Jahre)
Spannweite Alter (Jahre)
Relation w:m
Inzidenz (%)
Kropf (%)
DTC (%)a
82
65
18–87
2:3
7,1b
–
22
1988
14
62
39–85
1,3:1
–
–
21
1990
121
61
24–91
1,2:1
–
–
38
Autoren
Jahr
Nel et al.
1985
Spires et al. Venkatesh et al.
n
c
Demeter et al.
1991
17
63
43–83
3,5:1
5,0
53
47
Junor et al.
1992
91
70
38–92
2,4:1
–
–
–
Levendag et al.
1993
51
67
31–89
2:1
–
33
4
d
Tan et al.
1995
21
65
38–83
1,1:1
2,7
–
29
Voutilainen et al.
1999
33
66
36–89
3,7:1
–
–
–
Machens et al.
2001
30
67
42–87
1,5:1
7,6
–
27
McIver et al.
2001
134
67
–
1,5:1
–
20
23
Haigh et al.
2001
33
69
47–80
1,5:1
–
18
18
a
Anamnestisches oder synchrones differenziertes Schilddrüsenkarzinom (DTC) 82/1161 c 17/340 d 21/771 b
162
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.25. Klinische Leitsymptome beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom
2
Autoren
Jahr
n
Symptome (%) Halstumor
Dysphagie
Dysphonie
Dyspnoe
Schmerz
Gewichtsverlust
Nel et al.
1985
82
87
33
50
40
40
24
Spires et al.
1988
14
86
43
21
14
57
36
Demeter et al.
1991
17
76
41
36
18
18
–
Junor et al.
1992
91
100
34
16
36
–
19
Tan et al.
1995
21
76
43
43
19
10
–
(Demeter et al. 1991; Junor et al. 1992; Nel et al. 1985; Spires et al. 1988; Tan et al. 1995). Hieraus lässt sich in Zusammenhang mit dem oft hohen Alter der Patienten eine erste Verdachtsdiagnose stellen Dysphagie, Dysphonie und Dyspnoe treten als weitere Symptome in 33–43%, 16–50% bzw. in 14–40% der Fälle hinzu, während Gewichtsverlust (19–36%) eher untypisch ist. Patienten mit präoperativer Dyspnoe sollen eine signifikant schlechtere Überlebensprognose (p=0,004) haben (Junor et al. 1992), wahrscheinlich aufgrund lokal fortgeschrittenen Tumorwachstums mit Kompression bzw. Infiltration von Larynx und/oder Trachea. Hierbei liegt in der Regel Irresektabilität vor. Die Stoffwechsellage der Patienten mit undifferenziertem Schilddrüsenkarzinom ist, von seltenen Ausnahmen abgesehen, euthyreot. 2.9.4.3 Prognose Untersuchungen zum Einfluss klinischer Parameter auf das Gesamtüberleben sind beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom bislang nur vereinzelt durchgeführt worden. Die geringe Inzidenz dieses Tumortyps, die oft langen Rekrutierungszeiträume von mehr als 20 Jahren und zahlreiche, nur schwer zu kontrollierende Faktoren haben bislang entsprechende Analysen erschwert. Als prognostische Faktoren wurden präoperative Dyspnoe (p=0,004), Tumorausdehnung (zervikal versus extrazervikal; p<0,001), Resttumor (R0 versus R1/2 Resektion; p<0,001), Größe des Primärtumors (<5 cm versus >5 cm; p<0,001 bzw. <6 cm versus >6 cm; p=0,0004), Gesamtdosis der applizierten Strahlentherapie (<30 Gy versus >30 Gy; p=0,001), jüngeres Alter (p<0,01) und weibliches Geschlecht (p=0,02) identifiziert (Junor et al. 1992; Kobayashi et al. 1996; Machens et al. 2001; Passler et al. 1999; Tan et al. 1995; Venkatesh et al. 1990). In multivariaten Überlebensanalysen bleibt neben fehlenden Fernmetastasen (Voutilainen et al. 1999), Strahlentherapie (Voutilainen et al. 1999; Kebebew et al. 2005), Alter unter 60 Jahren (Kebebew et al. 2005), intrathyreoidales Wachstum (Kebebew et al. 2005) oder Befall der Trachea (De Crevoisier et al. 2004) oft nur die Vollständigkeit der Resektion als signifikanter Parameter (90%-ige relative Risikoreduktion: Risk ratio 0,10 [Konfidenzintervall 0,02–0,63]; p=0,01) übrig (Haigh et al. 2001). In der bislang größten Studie (1973–2000), die sich auf die gepoolten Daten von 516 Patienten mit undifferenziertem Schilddrüsenkarzinom aus 12 US-Tumorregistern stützen konnte, betrug bei einem medianen Überleben von 3 Monaten die Gesamtletalität 68,4% nach 6 Monaten und 80,7% nach 12 Monaten (Kebebew et al. 2005).
2.9.4.4 Diagnostik 2.9.4.4.1 Bildgebende Diagnostik Lokale Ausdehnung. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung liegt bei einer durchschnittlichen Primärtumorgröße von 6,4 cm (Kebebew et al. 2005) in 82–98% der Fälle ein lokal fortgeschrittenes Tumorwachstum mit Infiltration der die Schilddrüse umgebenden Weichteile (Demeter et al. 1991; McIver et al. 2001; Machens et al. 2001; Tan et al. 1995; Voutilainen et al. 1999) und in 40–59% eine zervikale Lymphknotenmetastasierung vor (Levendag et al. 1993; Livolsi et al. 1987; Machens et al. 2001). Nachdem durch gezielte Anamnese und körperliche Untersuchung bereits eine erste Verdachtsdiagnose (Schilddrüsenkarzinom, Differenzialdiagnose Lymphom) gestellt werden konnte, muss im zweiten Schritt die lokale Ausdehnung des Tumors und insbesondere die Abgrenzbarkeit des Tumors von Nachbarorganen (Larynx, Trachea, Ösophagus, Gefäßnervenscheide) mittels bildgebender Verfahren geklärt werden. Für diese Zwecke ist eine Kernspintomographie der Halsweichteile und ggf. des Mediastinums nativ und mit intravenöser Gadoliniumgabe am geeignetsten, da sie die Abgrenzung des Tumors von Larynx, Trachea und Ösophagus erlaubt und ohne Jodapplikation auskommt. Zur Beurteilung der lokalen Ausdehnung im Halsbereich kann zusätzlich die zervikale Sonographie herangezogen werden. Allerdings ist hiermit der zervikomediastinale Übergang meist nur eingeschränkt beurteilbar. Die zervikomediastinale Computertomographie besitzt gegenüber der Kernspintomographie keine wesentlichen Vorteile, benötigt jedoch zur besseren Abgrenzbarkeit des Tumors von benachbarten Organen und Gefäßen die intravenöse Gabe jodhaltiger Kontrastmittel. Cave Eine Jodapplikation sollte jedoch auch beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom vermieden werden, um noch die Option der adjuvanten Radiojodtherapie zu haben, falls zusätzlich differenzierte Karzinomanteile vorliegen.
Fernmetastasen. Fernmetastasen weisen zum Zeitpunkt der
Erstdiagnose 40–64% der Patienten mit undifferenziertem Schilddrüsenkarzinom auf (Haigh et al. 2001; Levendag et al. 1993; Machens et al. 2001; McIver et al. 2001; Voutilainen et al. 1999). Im weiteren Krankheitsverlauf kann sich dieser Anteil auf 53– 80% der Patienten erhöhen (Levendag et al. 1993; Machens et al. 2001; Venkatesh et al. 1990). Von diesen Fernmetastasen betref-
163 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
fen 88–95% die Lungen (Venkatesh et al. 1990; Haigh et al. 2001). Lebermetastasen treten bei 10% der Patienten mit undifferenzierten Schilddrüsenkarzinomen auf (Livolsi et al. 1987), sie können meist mittels perkutaner Sonographie erkannt werden. Knochenmetastasen machen 14–16% der Fernmetastasen aus und betreffen 8–9% aller Patienten mit undifferenziertem Schilddrüsenkarzinom (Venkatesh et al. 1990; Haigh et al. 2001). Das zentrale Nervensystem ist in 3% befallen, was einem Anteil von 5% an allen Fernmetastasen entspricht (Haigh et al. 2001). Aufgrund der geringen Inzidenz von Knochenmetastasen ist beim asymptomatischen Patienten eine Knochenszintigraphie ebenso wie eine kraniale Computertomographie zum Ausschluss von Hirnmetastasen eher fakultativ. Obligat ist ein erweitertes präoperatives Staging mittels Knochenszintigraphie und kranieller Computertomographie nur dann, wenn im Ausnahmefall eine erweiterte zervikale Resektion in Erwägung gezogen wird. 2.9.4.4.2 Endoskopische Abklärung Ergibt sich kernspintomographisch ein Anhalt für Kompression oder Infiltration von Larynx, Trachea und/oder Ösophagus, sollte ergänzend eine endoskopische Untersuchung zum Ausschluss bzw. Nachweis einer intraluminären Tumorinfiltration erfolgen. Wenngleich ein negativer endoskopischer Befund keinesfalls eine extraluminale Infiltration dieser Organe ausschließt, so stellt der positive Befund in jedem Fall eine Indikation für ein nichtchirurgisches Palliativverfahren (z. B. Laserablation oder Trachealstent) dar. Aufgrund der überragenden Bedeutung eines Infiltrationsnachweises von Larynx, Trachea und Speiseröhre für die operative Indikationsstellung sollten suspekte Befunde möglichst bioptisch gesichert werden. 2.9.4.4.3 Diagnosesicherung durch Feinnadelbiopsie Grundsätzlich sollte bei vermuteter Malignität eine Feinnadelbiopsie aus dem Tumor gewonnen werden, um so eine nähere zytologische Eingrenzung des suspekten Prozesses zu ermöglichen. In einer großangelegten Untersuchung von Feinnadelbiopsien bei 113 Patienten mit undifferenziertem Schilddrüsenkarzinom konnte zytologisch bei 95% Malignität und bei 84% ein undifferenziertes Karzinom nachgewiesen werden (Us-Krasovec et al. 1996). Eine besondere Bedeutung kommt der präoperativen Abgrenzung von Schilddrüsenlymphomen zu, da diese in der Regel nicht operiert, sondern je nach Tumorstadium primär einer Strahlen- oder einer kombinierten Radiochemotherapie zugeführt werden. Der Lymphomnachweis kann an den kleinzelligen Malignomaspiraten immunhistochemisch durch LCA-Nachweis erbracht werden. Mitunter verhindert allerdings die steinharte Konsistenz des Tumors die Gewinnung einer ausreichenden Menge von Material für die zytologisch-pathologische Diagnostik. In diesem Fall sollte dann wie auch bei grenzwertiger Zytologie (Einstufung in Gruppe 3) die histologische Diagnosesicherung intraoperativ durch Schnellschnitt erfolgen. In seltenen Fällen besteht auch die Indikation zur primären Probeexzision, wobei sich dann das weitere Prozedere (sekundäre Operation oder nichtchirurgische Therapie) nach dem histologischen Befund richtet. 2.9.4.5 Operative Therapie 2.9.4.5.1 Indikationsstellung Haupttodesursache beim nicht resektablen undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom ist das lokal fortgeschrittene Tumorwachstum mit Kompression bzw. Infiltration der oberen Atem-
2
wege. Eine Untersuchung der Todesursachen von 57 Patienten mit undifferenziertem Schilddrüsenkarzinom (Carcangiu et al. 1985) ergab, dass 77% der Patienten am zervikalen Lokalrezidiv, 11% an Fernmetastasen und 12% an einer Kombination aus Lokalrezidiv und Fernmetastasen verstarben. Levendag et al. (1993) zeigten an einem überwiegend nicht voroperierten radiologischen Patientengut von 51 Patienten, dass das Lokalrezidiv mit und ohne Fernmetastasen mit einem medianen Überleben von 0,7 bzw. 2,3 Monaten einhergeht. Im Vergleich dazu überlebten Patienten ohne fassbares Lokalrezidiv mit und ohne Fernmetastasen mit median 7,5 bzw. 8,0 Monaten wesentlich länger. Somit besitzen die Beseitigung des Primärtumors und die Verhinderung eines postoperativen Lokalrezidivs hohe Priorität, nicht nur aus Gründen einer höheren Lebensqualität, sondern auch im Hinblick auf eine Verbesserung der Gesamtprognose (De Crevoisier et al. 2004; Machens et al. 2001; Passler et al. 1999). Nach Kobayashi et al. (1996) führt eine komplette Resektion des Primärtumors gegenüber einer inkompletten Resektion zu einer signifikant günstigeren Überlebensprognose (p<0,001). Die Prognose ist jedoch auch dann mit einer 1-Jahres-Überlebesrate von 6–37% weiterhin schlecht (Demeter et al. 1991; Levendag et al. 1993; Kebebew et al. 2005; Kobayashi et al. 1996; Machens et al. 2001; Spires et al. 1988; Voutilainen et al. 1999). 2.9.4.5.2 Patientenaufklärung Die Patientenaufklärung umfasst wie auch bei anderen Schilddrüsenoperationen die Darlegung des individuellen Risikos operativ bedingter Komplikationen und Operationsfolgen unter Berücksichtigung von Tumorausdehnung und -metastasierung. Besonderes Augenmerk sollte hierbei folgenden Punkten gewidmet werden: 4 Das Ausmaß einer u. U. ausgedehnten Resektion mit ihren möglichen Folgen sollte dem Patienten in Grundzügen dargelegt werden. Dies gilt insbesondere für den individuellen Ausnahmefall einer zervikoviszeralen Resektion, die bei Karzinomen ohne Nachweis einer Infiltration der Gefäßnervenscheide und ohne Fernmetastasen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann. Das erhöhte Risiko eines postoperativen Hypoparathyreoidismus und v. a. einer Rekurrensparese nach Resektion des häufig einseitig infiltrierten Nervus laryngeus recurrens muss mit dem Patienten eingehend besprochen werden. Dabei sollte sich die Entscheidung über die einzuschlagende Therapie an der individuellen Situation des Patienten orientieren, wobei Vor- und Nachteile resezierender Verfahren denen eines nichtoperativen multimodalen Therapieansatzes gegenübergestellt werden. Das Anlegen einer Tracheotomie sollte dem begründeten Ausnahmefall vorbehalten bleiben. 4 Der Patient sollte vor Durchführung einer Operation auf die in aller Regel bestehende Notwendigkeit adjuvanter multimodaler Therapieverfahren hingewiesen werden. Dies betrifft insbesondere die adjuvante Bestrahlung der Halsweichteile, die postoperativ möglichst frühzeitig erfolgen sollte. 2.9.4.5.3 Operationsverfahren Standardoperation. Das Standardverfahren beim resektablen undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom stellt die totale Thyreoidektomie mit kompletter Ausräumung des zervikozentralen Lymphknotenkompartiments unter Mitentfernung der kurzen geraden Halsmuskulatur dar (Dralle u. Gimm 1996). Hiermit lassen sich zum einen die relativ häufigen Weichgewebsinfiltrate
164
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
als Folge kontinuierlichen bzw. diskontinuierlichen extrakapsulären Tumorwachstums erfassen. Zum anderen liegen in 40–59% der Fälle Lymphknotenmetastasen vor, die mit einer alleinigen totalen Thyreoidektomie nicht entfernt werden könnten (Levendag et al. 1993; Machens et al. 2001; Venkatesh et al. 1990). Mitunter stellt sich bei der intraoperativen Exploration des Operationssitus heraus, dass sich das Schilddrüsenkarzinom nicht mehr auf das zervikozentrale Kompartiment beschränkt, sondern auch auf das benachbarte zervikolaterale Kompartiment bzw. dessen Lymphknoten übergreift. In diesen Fällen sollte zur Komplettierung des Eingriffs zusätzlich bedarfsorientiert eine zervikolaterale Kompartimentresektion durchgeführt werden (Dralle u. Gimm 1996). Die gleichen Prinzipien gelten auch nach vorangegangener inkompletter Operation, sofern hierbei nach Operationsbericht und histologischem Befund Tumorreste zurückgeblieben sind und nicht technische Inoperabilität vorliegt. Aufgrund des meist schon fortgeschrittenen extrathyreoidalen Tumorwachstums, das ein interdisziplinär-multimodales Behandlungskonzept unter Berücksichtigung von Alter und Allgemeinzustand des Patienten erfordert, sollte die Therapie dieser Patienten in auf die Behandlung des undifferenzierten Schilddrüsenkarzinoms spezialisierten Zentren vorgenommen werden. Nur in solchen spezialisierten Zentren steht das gesamte Therapiespektrum zur Verfügung, das vom operativ-rekonstruktiven Eingriff zur lokalen Tumorkontrolle bis zum palliativ-interventionellen Verfahren (Laserablation, intraluminäre Stentapplikation) reicht. Erweiterte Resektionen. Über das Ausmaß einer Standardresek-
tion hinausgehende Resektionen sind nur dann indiziert, wenn bei fehlendem Nachweis von Fernmetastasen lokoregionär eine R0-Situation zu erreichen ist (Haigh et al. 2001; Machens et al. 2001; Passler et al. 1999). Ziel dieser erweiterten Resektionen ist es, lokal eine bestmögliche Tumorkontrolle zu erreichen, das Risiko eines Lokalrezidivs zu senken und günstige Voraussetzungen für eine postoperative adjuvante Radio(chemo)therapie zu schaffen. Lokal-palliative Resektionen sind beim undifferenzierten Karzinom nicht indiziert, da im Gegensatz zum differenzierten und medullären Karzinom aufgrund des rasch progredienten Wachstums keine Verbesserung der Prognose oder Steigerung der Lebensqualität erreicht werden kann. Die Infiltration der zervikoviszeralen Achse und/oder der Gefäßnervenscheide ist somit beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom als Zeichen der Irresektabilität zu werten. In diesen Fällen kommen lokal-palliative Maßnahmen (Trachealstent, Laserablation) zum Einsatz, die von einer perkutanen Bestrahlung der Halsweichteile oder einer kombinierten Radiochemotherapie begleitet werden sollten. Unbedingt zu vermeiden ist die Anlage eines Tracheostomas, da hierdurch die Lebensqualität der meist älteren Patienten erheblich beeinträchtigt wird. 2.9.4.5.4 Postoperative Verlaufskontrolle Intensität und Ausmaß der Nachkontrollen richten sich nach dem Allgemeinzustand des Patienten und den sich aus den Untersuchungsergebnissen ergebenen therapeutischen Konsequenzen. Mit der Substitution von Schilddrüsenhormonen wird unmittelbar postoperativ begonnen, da die Radiojodtherapie beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom wegen fehlender Jodspeicherung unwirksam ist.
2.9.4.5.5 Nachbehandlung LokalrezidivkontrolledurchadjuvantehyperfraktionierteStrahlentherapie. Wegen des hohen Risikos eines Lokalrezidivs sollte
auch bzw. gerade nach einer R0-Resektion eine perkutane Strahlenbehandlung der Halsweichteile unmittelbar postoperativ erfolgen, d. h. sobald es die Wundverhältnisse erlauben, um so einzelne möglicherweise noch in situ verbliebene Mikrometastasen in ihrem Wachstum zu kontrollieren. Die perkutane Bestrahlung wird derzeit als hyperfraktionierte Strahlentherapie durchgeführt, bei der Einzeldosen von 1,3–1,5 Gy täglich oder an alternierenden Tagen bis zu einer Gesamtdosis von 50–60 Gy in Mehrfeldertechnik appliziert werden. Patienten, die eine StrahlenGesamtdosis von mehr als 30 Gy erhielten, haben gegenüber Patienten, bei denen die applizierte Strahlendosis weniger als 30 Gy betrug, in der univariaten statistischen Analyse eine signifikant (p<0,001) bessere Prognose (Kobayashi et al. 1996). Allerdings erzwingen ein rasch wachsendes postoperatives Lokalrezidiv sowie ein schlechter postoperativer Allgemeinzustand nicht selten den Abbruch der laufenden Strahlentherapie. Somit ist eine Bestrahlung mit weniger als 30 Gy Gesamtdosis oftmals eher Folge als Ursache eines lokalen Frührezidivs mit entsprechend schlechter Prognose. Fernmetastasenkontrolle durch adjuvante Chemotherapie. Die
adjuvante Chemotherapie richtet sich in erster Linie gegen Fernmetastasen, die beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom in über 50% der Fälle auftreten. Allerdings weisen undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome häufig eine Chemotherapieresistenz auf. Beispielsweise gibt es undifferenzierte Schilddrüsenkarzinome mit vollständiger Resistenz im In-vitro-Toxizitätsassay gegen Doxorubicin, Cisplatin, Cyclophosphamid, Etoposid und Carboplatin, die auch auf 3 Zyklen Chemotherapie mit Adriamycin und Cisplatin nicht ansprechen (Asakawa et al. 1997). Die exakten Mechanismen dieser Multiresistenz sind bislang unbekannt (Sugawara et al. 1995). Auch in größeren klinischen Serien wird der Nutzen einer kombinierten Radiochemotherapie gegenüber einer Radiotherapie skeptisch beurteilt (Junor et al. 1992). Andere Studien untersuchten den Nutzen einer adjuvanten Polychemotherapie mit Bleomycin, Cyclophosphamid und 5-Fluoruracil (Werner et al. 1984; Tallroth et al. 1987) sowie einer adjuvanten Chemotherapie mit Doxorubicin allein (Kim u. Leeper 1983; Tennvall et al. 1994) oder in Kombination mit Cisplatin (Schlumberger et al. 1991). Wenngleich diese Studien befriedigende Ansprechraten erzielten, unterschied sich jedoch das Gesamtüberleben mit durchschnittlich 4 Monaten in diesen Studien nicht vom durchschnittlichen Überleben ohne adjuvante Chemotherapie. Auch sind bislang keine Untersuchungen bekannt, in denen Patienten nach adjuvanter Chemotherapie signifikant länger überlebt haben. Aufgrund des nicht zweifelsfrei belegten Nutzens einer adjuvanten Chemotherapie sollte eine entsprechende systemische Behandlung nur in kontrollierten Therapiestudien durchgeführt werden. Literatur Asakawa H, Kobayashi T, Komoike Y et al. (1997) Chemosensitivity of anaplastic thyroid carcinoma and poorly differentiated thyroid carcinoma. Anticancer Res 17:2757–2762 Carcangiu ML, Steeper T, Zampi G, Rosai J (1985) Anaplastic thyroid carcinoma. Am J Clin Pathol 83:135–138
165 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
De Crevoisier R, Baudin E, Bachelot A, Leboulleux S, Travagli JP, Caillou B, Schlumberger M (2004) Combined treatment of anaplastic thyroid carcinoma with surgery, chemotherapy, and hyperfractionated accelerated external radiotherapy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 60:1137–43 Demeter JG, Jong SA de, Lawrence AM, Paloyan E (1991) Anaplastic thyroid carcinoma: risk factors and outcome. Surgery 110:956–963 Dralle H, Gimm O (1996) Lymphadenektomie beim Schilddrüsenkarzinom. Chirurg 67:788–806 Haigh PI, Ituarte PHG, Wu HS, Treseler PA, Posner MD, Quivey JM, Duh QY, Clark OH (2001) Completely resected anaplastic thyroid carcinoma combined with adjuvant chemotherapy and irradiation is associated with prolonged survival. Cancer 91:2335–2342 Hedinger C, Williams ED, Sobin LH (1988) Histologic typing of thyroid tumors. In: World Health Organization International histologic classification of tumors, 2nd edn. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp 13–15 Junor EJ, Paul J, Reed NS (1992) Anaplastic thyroid carcinoma: 91 patients treated by surgery and radiotherapy. Eur J Surg Oncol 18:83–88 Kim JH, Leeper RD (1983) Treatment of anaplastic giant and spindle cell carcinoma of the thyroid gland with combination adriamycin and radiation therapy – a new approach. Cancer 52:954–957 Kebebew E, Greenspan FS, Clark OH, Woeber KA, McMillan A (2005) Anaplastic thyroid carcinoma. Treatment outcome and prognostic factors. Cancer 103:1330–1335 Kobayashi T, Asakawa H, Umeshita K, Takeda T, Maruyama H, Matsuzuka F, Monden M (1996) Treatment of 37 patients with anaplastic carcinoma of the thyroid. Head Neck 18:36–41 Levendag PC, Porre PMZR de, Putten WLJ van (1993) Anaplastic carcinoma of the thyroid gland treated by radiation therapy. Int J Radiat Oncol 26:125–128 Livolsi VA, Brooks J, Arendash-Durand B (1987) Anaplastic thyroid tumors. Am J Clin Pathol 87:434–442 Machens A, Hinze R, Lautenschläger C, Thomusch O, Dunst J, Dralle H (2001) Extended surgery and early postoperative radiotherapy for undifferentiated thyroid carcinoma. Thyroid 11:373–380 McIver B, Hay ID, Giuffrida DF, Dvorak CE, Grant CS, Thompson GB, van Heerden JA, Goellner JR (2001) Anaplastic thyroid carcinoma: a 50-year experience at a single institution. Surgery 130:1028–1034 Nel CJC, Heerden JA van, Goellner JR, Gharib H, Mc Conahey WM, Taylor WF, Grant CS (1985) Anaplastic carcinoma of the thyroid: a clinicopathologic study of 82 cases. Mayo Clin Proc 60:51–58 Passler C, Scheuba C, Prager G, Kaserer K, Flores JA, Vierhapper H, Niederle B (1999) Anaplastic (undifferentiated) thyroid carcinoma (ATC). A retrospective analysis. Langenbecks Arch Surg 384:284–293 Schlumberger M, Parmentier C, Delisle M-J, Couette J-E, Droz J-P, Sarrazin D (1991) Combination therapy for anaplastic giant cell thyroid carcinoma. Cancer 67:564–566 Spires JR, Schwartz MR, Miller RH (1988) Anaplastic thyroid carcinoma – association with differentiated thyroid cancer. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 114:40–44 Sugawara I, Masunaga A, Itoyama S, Sumizawa T, Akiyama S, Yamashita T (1995) Expression of multidrug resistance-associated protein (MRP) in thyroid cancers. Cancer Lett 95:135–138 Tan RK, Finley RK, Driscoll D, Bakamjian V, Hicks WL, Shedd DP (1995) Anaplastic carcinoma of the thyroid: A 24-year experience. Head Neck 17:41–48 Us-Krasovec M, Golouh R, Auersperg M, Besic N, Ruparcic-Oblak L (1996) Anaplastic thyroid carcinoma in fine needle aspirates. Acta Cytol 40:953–958 Venkatesh YSS, Ordonez NG, Schultz PN, Hickey RC, Goepfert H, Samaan NA (1990) Anaplastic carcinoma of the thyroid – a clinicopathologic study of 121 cases. Cancer 66:321–330 Werner B, Abele J, Alveryd A et al. (1984) Multimodal therapy in anaplastic giant cell thyroid carcinoma. World J Surg 8:64–70 Tallroth E, Wallin G, Lundell G, Löwhagen T, Einhorn J (1987) Multimodality treatment in anaplastic giant cell thyroid carcinoma. Cancer 60:1428– 1431
2
Tennvall J, Lundell G, Hallquist A, Wahlberg P, Wallin G, Tibblin S (1994) Combined doxorubicin, hyperfractionated radiotherapy, and surgery in anaplastic thyroid carcinoma. Cancer 74:1348–1354 Voutilainen PE, Multanen M, Haapiainen RK, Leppäniemi AK, Sivula AH (1999) Anaplastic thyroid carcinoma survival. World J Surg 23: 975–979
2.9.5 Nichtepitheliale Schilddrüsentumoren
und Metastasen A. Zielke ) ) Nichtepitheliale Tumoren der Schilddrüse und Metastasen sind im Alltag selten. Sie machen nur 0,5–3% aller klinisch apparenten Schilddrüsenneoplasien aus (. Tab. 2.26). Alle Gewebeanteile in der Schilddrüse können neoplastische Transformationen zur malignen Erkrankung durchlaufen. Entsprechend vielfältig ist das Spektrum dieser seltenen Tumoren. Ihr klinisches Bild ist sehr verschieden von dem der sehr viel häufigeren differenzierten Schilddrüsenkarzinome. So findet sich nahezu immer ein aggressiver klinischer Verlauf. Auch die Therapie dieser Tumoren ist in der Regel eine multimodale und multidisziplinäre. Es ist für den endokrinologischen Chirurgen wichtig, die klinische Präsentation dieser Tumoren, ihr biologisches Verhalten und ihre prognostische Relevanz zu kennen, um im multimodalen Therapiekonzept den chirurgischen Behandlungsarm differenziert vertreten zu können. Im folgenden Kapitel werden die häufigsten dieser Tumoren, ihr klinisches Bild, Diagnostik und Grundzüge der Therapie vorgestellt.
2.9.5.1 Maligne Tumoren der lymphatischen Zellen 2.9.5.1.1 Lymphome Unter allen nichtepithelialen Tumoren der Schilddrüse sind die seltenen Lymphome noch die häufigsten. Ihre Prävalenz wird in größeren Übersichten mit 1–2% angegeben, ihr Anteil an allen extralymphatischen Lymphomen beträgt etwa 2–5%. Die meisten dieser Lymphome sind Non-Hodgkin-Lymphome der B-Zellreihe, prinzipiell sind jedoch alle Lymphomformen möglich. Die Majorität der Schilddrüsenlymphome scheint vom mukosaassoziierten Typ (MALTomas der Schilddrüse; Hyjek u. Isaacson 1988; Laing et al. 1994) – obwohl dieser Feststellung wiedersprochen wurde (Weinstein u. Ain 1999). Diese Form des Lymphoms ist mit autoimmunen Erkrankungen und chronischen Entzündungen assoziiert (Isaacson 1995). Es überrascht deshalb nicht, dass es häufig mit der Hashimoto-Thyreoiditis vergesellschaftet und gelegentlich schwer von dieser zu trennen ist (Hamburger et al. 1983). Patienten, die an einer chronischen lymphozytären Thyreoiditis leiden, haben ein 60- bis 80-fach höheres Risiko, an einem Schilddrüsenlymphom zu erkranken (Holm et al. 1985). Gleichwohl sollte diese Beziehung nicht überbewertet werden, denn angesichts der großen Patientenzahl mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse ist das Lymphom dennoch außerordentlich selten. Klinische Symptomatik. Das Haupterkrankungsalter liegt in der
7. Dekade, und es sind häufiger Frauen als Männer betroffen. In der klinischen Untersuchung findet sich eine feste, gelegentlich
166
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.26. Prävalenzorientierte Auflistung nicht epithelialer Tumoren der Schilddrüse
2
Klassifikation
Häufigkeiten
Lymphom
1–2%
Sarkome 5 Hämangioendotheliom
<1% 5 0,25–2,5% in alpinen Regionen, sonst sporadisch 5 <20 Fälle 5 <15 Fälle 5 Kasuistisch 5 <20 Fälle 5 Kasuistisch 5 Kasuistisch
5 5 5 5 5 5
Karzinosarkom Leiomyosarkom Liposarkom Adenolipome Leiomyom Hämangiom
Plasmozytom
<100 Fälle
Teratom
<70 Fälle
Mukoepidemoidkarzinom
≈35 Fälle
Plattenepithelkarzinom
≈20 Fälle
Thymom
≈20 Fälle
Paragangliom
<20 Fälle
Peripherer Nervenscheidentumor
≈10 Fälle
Neurilemom
<20 Fälle
Hämangioperizytom
Kasuistisch
fixierte und schmerzlose Drüse die eine langsame Größenzunahme erfahren haben kann. Nur etwa ein Drittel der Patienten hatte eine kurzfriste Größenzunahme. Dann berichten die Patienten häufiger über Heiserkeit und Dysphagie. Eine zervikale Lymphadenopathie ist nicht selten. Aufgrund des langjährigen Verlaufs einer zuvor bestehenden lymphozytären Thyreoiditis kann eine Hypothyreose vorliegen. In der Szintigraphie sind regelhaft kalte Areale darstellbar (Samaan u. Ordonez 1990; Hamburger et al. 1983). Die zielführende diagnosticher Modalität ist die Feinnadelaspirationszytologie (FNAC). Das primäre Schilddrüsenlymphom kann gelegentlich in der FNAC diagnostisch problematisch sein, wenn es nicht vom kleinzelligen anaplastischen Karzinom oder von der Hashimoto-Thyreoiditis unterschieden werden kann (Hamburger et al. 1983). Gelegentlich muss dann eine offene Biopsie erfolgen, die häufig als Entfernung des betroffenen Schilddrüsenlappens durchgeführt wird. Gleichwohl hat die »Radikalität« des chirurgischen Vorgehens keinen Einfluss auf den Behandlungserfolg (Pyke et al. 1992). Ist die Diagnose des Schilddrüsenlymphoms bestätigt, müssen weitere Untersuchungen zum Grading des Lymphoms und Staging der Patienten folgen. Hier ist die MRT das überlegene bildgebende Verfahren. Zum Staging wird die Ann-ArborModifikation der Rye-Klassifikation genutzt (Carbone et al. 1971). Diese fügt dem Stadium das Subskript »E« für die extralymphatische Lokalisation hinzu: 4 Stage IE: Auf die Schilddrüse lokalisierte Lymphome, einschließlich des organüberschreitenden Wachstums 4 Stage IIE: Lymphome der Schilddrüse mit Einbeziehung lokaler Lymphknoten
4 Stage IIIE: Lymphknotenbefall zu beiden Seiten des Zwerchfells 4 Stage IVE: Disseminierte Erkrankung Therapie. Die Frage der optimalen Therapie des Schilddrüsenlymphoms wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Da die Krankheit überdies sehr selten ist, ist die Interpretation der Literatur vor dem Hintergrund der sich sukzessive entwickelnden therapeutische Ansätze nicht leicht. Erkennbar ist jedoch, dass der chirurgischen Therapie weniger Stellenwert zugunsten der kombinierten Radiochemotherapie zukommt, mit welcher günstige Rezidivraten um 10–30% erreicht werden können (Doria et al. 1994). Sicher ist, dass die alleinige Resektion eines Lymphoms ohne weiteres Staging und ohne weitere Therapie nicht mehr akzeptabel ist. Die meisten der jüngeren Berichte konnten keine Vorteile einer aggressiven chirurgischen Therapie im Vergleich mit der kombinierten Radiochemotherapie zeigen. Einschränkend muss angemerkt werden, dass bei der Mehrzahl der so behandelten Patienten ein Stadium IIE und höhere Tumorstadien vorlagen (Skarsgard et al. 1991; Pyke et al. 1992). In diesen Tumorstadien ist eine alleinige Radio- oder Chemotherapie ebenfalls nicht ausreichend, da systemische Rezidive bei bis zu 30% der so behandelten Patienten auftraten (Doria et al. 1994; Burton et al. 1990). Die optimale Therapie der Schilddrüsenlymphome ist demnach eine multimodale und multidisziplinäre. Generell kann folgendes Vorgehen empfohlen werden: Beim Stadium IE ohne Organüberschreitung ist die chirurgische Resektion unter kurativem Ansatz gerechtfertigt und sinnvoll, insbesondere wenn ein MALT-Lymphom vorliegt (Friedberg et al. 1994; Thieblemont 2002). Beim Stadium IE mit organüberschreitendem Wachstum kann die alleinige Resektion derzeit nicht mehr vertreten werden. Hier führt die Kombination mit der Radiatio (als »involved field radiation therapy«, IFRT) bei 88% der Patienten im Stadium IE zu einer kompletten und anhaltenden Remission (Pyke et al. 1992). Die in den Grundlagen der Chirurgie G70 der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie formulierten Leitlinien schlagen nach histologischer Sicherung eine perkutane Strahlentherapie mit kurativer Intention vor (36–40 Gy bei niedrigem und 46–50 Gy bei hohem Malignitätsgrad). Nach derzeitiger Datenlage muss man bei höheren Tumorstadien zudem eine kombinierte Radiochemotherapie, z. B. mit CHOP-Protokollen, durchführen (Doria et al. 1994; Thieblemont 2002; Widder u. Pasieka 2004). Die globalen Überlebensraten betragen 50–70%. Sie sind einerseits stadienabhängig (5-Jahres-Überlebensraten: IE 80%, IIE 50%, IIIE und IVE <36%), andererseits abhängig von der histologischen Art des Lymphoms. MALT-Lymphome haben die besten 5-Jahres-Üüberlebensraten mit nahezu 100% (diffuses großzelliges BCL mit MALT 78%, diffuses großzelliges BCL 70%; Skarsgard et al. 1991; Pyke et al. 1992; Friedberg et al. 1994; Doria et al. 1994; Belal et al. 2001 Thieblemont et al. 2002; Widder u. Pasieka 2004).
2.9.5.1.2 Plasmozytome In der Schilddrüse werden solitäre extramedulläre Plasmozytome extrem selten angetroffen: Weniger als 70 Fälle wurden bislang aufgezeigt. Die Diagnose eines solitären Plasmozytoms der Schilddrüse wird dadurch erschwert, dass der sichere Ausschluss eines multiplen Plasmozytoms oft erst im Verlauf gelingt.
167 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
2
Klinische Symptomatik. Betroffen sind überwiegend Frauen in der 6. Dekade (Beguin et al. 1987). In aller Regel lag eine euthyreote, schmerzlose, diffuse oder noduläre Struma vor. In einigen Fällen fand sich eine schnelle Größenzunahme der Struma als führendes klinisches Merkmal. Bei der klinischen Untersuchung imponiert eine feste, schmerzlose, verschiebliche Schilddrüsenvergrößerung ohne zervikale Lymphadenopathie. Gelegentlich wurden erhöhte antithyreoidale Antikörper festgestellt (Aihira et al. 1992; Beguin et al. 1987).
des Halsumfangs bei einer langjährig bestehenden Struma, gelegentlich mit spontaner Rekurrensparese oder Spontanschmerzen. In der klinischen Untersuchung imponiert eine harte, derbe, druckdolente und oft fixierte Schilddrüse. In der Regel besteht Euthyreose; szintigraphisch sind die Tumoren kalt. Durch die Feinnadelaspirationszytologie kann der Tumor als undifferenzierter maligner Tumor diagnostiziert werden. Eine Präzisierung des Tumortyps ist nicht möglich. Metastasen sind häufig und in der Regel hämorhargisch.
Diagnostik. In der Regel ist das solitäre Plasmozytom der
Therapie. Es handelt sich um einen prognostisch äußerst aggressiven Tumor, vergleichbar mit dem entdifferenzierten anaplastischen Karzinom. Bei jedem 2. Patienten liegen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits Metastasen oder technische Inoperabilität vor. In einzelnen Fällen wurden lokale Bestrahlung und Chemotherapie versucht, allerdings ohne dass eine wesentliche Lebensverlängerung erreicht worden wäre. Nahezu alle Patienten zeigten in kurzer Zeit Lokalrezidive und Fernmetastasierung. Die berichteten Überlebenszeiten waren insgesamt sehr ungünstig und betrugen im Mittel 2,5–4,5 Monate. Länger währende klinischeVerläufe wurden in den Fällen beobachtet, in denen kein das Organ überschreitendes Wachstum bestand (Maiorana et al. 1996). Deshalb ist die frühe Diagnosestellung von entscheidender Bedeutung und die totale Thyreoidektomie mit Lymphknotendissektion bei technischer Operabilität sinnvoll. Kasuistisch wurden Überlebenszeiten von 2,3 und 4,5 Jahren nach RO-Resektionen mitgeteilt (Eusebi et al. 1990; Ladurner et al. 1990; Lamovec et al. 1994). Bei einer konsekutiven Serie von Patienten mit malignen Hämangioendotheliomen wurde durch ein multimodales Vorgehen mit radikaler Chirurgie, Radiochemotherapie mit dem Radiosensitizer Razoxane, der zugleich anti-angiogene Eigenschaften hat, ein mittleres Überleben von 14 Monaten (0,5–196 Monate) erreicht (Rhomberg et al. 2004).
Schilddrüse eine postoperative Diagnose. Weil es so selten ist, liegen keine zuverlässigen Daten über den Stellenwert der FNAC oder anderer präoperativ-diagnostischer Modalitäten vor. Bestätigt wird das solitäre Plasmozytom durch eine negative Knochenmarkbiopsie im Sinne einer Ausschlussdiagnose. Therapie. Die Therapie des solitären Plasmozytoms besteht in
der totalen Thyreoidektomie in Kombination mit lokaler Bestrahlungsbehandlung. Ein lokales Rezidiv beeinflusst das Überleben der Patienten offenbar nicht. In den meisten Fällen konnten Lokalrezidive durch erneute Bestrahlungsbehandlung kontrolliert werden. Die 5/15-Jahres-Überlebensraten werden mit 85% bzw. 78% angegeben (Galieni et al. 2000). 2.9.5.2 Sarkome der Schilddrüsengefäße, des Binde- und Fettgewebes Die Kontroverse, ob primär mesenchymale Tumoren in der Schilddrüse wirklich vorkommen oder ob es sich um sarkomatös differenzierte anaplastische Schilddrüsenkarzinome handelt, darf als beendet gelten. Heute können diese Tumoren aufgrund ihres immunhistochemischen und zytogenetische Profils eindeutig der Schilddrüse zugeordnet werden. Insgesamt finden sich ca. 320 Berichte über verschiedene Sarkome der Schilddrüse. Berichtet wurden, in der Reihenfolge des häufigsten Auftretens, Hämangiosarkome, Leiomyosarkome, Karzinosarkome und Liposarkome. 2.9.5.2.1 Hämangiosarkom (epitheloides Angiosarkom, malignes Hämangioendotheliom) Diese Tumoren wurden erstmalig 1898 von Limacher beschrieben (Limacher 1898). Der Ausdruck epitheloides Angiosarkom wurde 1990 von Eusebi geprägt (Eusebi et al. 1990). Diese Tumoren sind häufig mit den undifferenzierten anaplastischen Schilddrüsenkarzinomen verwechselt worden. Spezifische Merkmale, die sie von den epithelialen Tumoren klar abgrenzen, sind u. a. der Nachweis von Faktor-VIII-Antigen, CD34, CD31 und Ulexeuropaeus-I-Lektin sowie die Identifikation von Weibel-PaladeKörperchen per Elektronenmikroskopie (Maiorana et al. 1996). Das immunhistochemische Profil des Tumors ist identisch zu den malignen Hämangioendotheliomen, was gelegentlich die Abgrenzung erschwert. Die Inzidenz dieser Tumoren wird in den alpinen Regionen Europas mit 0,25–2,5 angegeben. Derart hohe Inzidenzen wurden nahezu ausschließlich in diesen Regionen beobachtet. In anderen Regionen tritt der Tumor nur sporadisch auf. Klinische Symptomatik. Es handelt sich überwiegend um Patienten in der 6. und 7. Dekade, Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Die Patienten berichten über eine rasche Zunahme
2.9.5.2.2 Seltene Tumoren der Schilddrüsengefäße, des Binde- und Fettgewebes Leiomyosarkome. In der Weltliteratur finden sich weniger als 15 Fälle dieses sehr seltenen Tumors. Histogenetisch entsteht der Tumor auf dem Boden einer malignen Transformation glatter Muskelzellen der Schilddrüsengefäße (Thompson et al. 1997; Bode-Lesniewska et al. 1994). Meist waren ältere Patienten oberhalb der 6. Dekade betroffen. Stets fanden sich solitäre, rasch wachsende, große Tumoren in der Schilddrüse. Nahezu ausnahmslos wurde organüberschreitendes, infiltratives Wachstum berichtet. Die effektiveste diagnostische Modalität ist die MRT und FNAC (Takayama et al. 2001). Immunhistochemisch ist der Tumor positiv für muskelspezifisches Aktin, Vimentin und Desmin. Der Verlauf ist ohne Ausnahme letal mit Überlebenszeiten zwischen 1 und 51 Monaten (Thompson et al. 1997; BodeLesniewska et al. 1994). Karzinosarkome. Die Erstbeschreibung dieses extrem bösartigen
Tumors geht auf Saltykow im Jahre 1905 zurück (Saltykow 1905). Bislang wurden lediglich 19 Fälle in der Weltliteratur mitgeteilt (Al-Shobi et al. 1997; Giufrida et al. 2000). Der Tumor wurde überwiegend bei Frauen in der 5. bis 6. Dekade beobachtet. Klinisches Leitsymptom ist eine rasant an Größe zunehmende Struma. Sofern lokale Resektabilität bestand, wurde eine totale Thyreoidektomie mit Lymphknotendissektion durchgeführt. Auch nach chirurgischer Intervention lagen die Überlebenszeiten bei nur 2–8 Monaten; kein Patient lebte länger als 2 Jahre nach
168
Kapitel 2 · Schilddrüse
Diagnosestellung. In Einzelfällen sind externe Bestrahlungsbehandlung und Chemotherapie ohne Erfolg versucht worden.
2
Adenolipome (Thyrolipome). Derzeit sind weniger als 20 Fälle dieses lipomatösen Tumors der Schilddrüse publiziert. Überwiegend waren diese Tumoren postoperative Zufallsbefunde. Anders als bei der häufigeren Adenolipomatose der Schilddrüse, bei der eine diffuse Durchsetzung der Drüse mit Adipozyten vorliegt, sind Adenolipome durch eine bindegewebige Kapsel vom Schilddrüsenparenchym abgegrenzt. Aufgrund des Nachweises von Thyreoglobin und anderen thyreoidalen Differenzierungsmarken, imponieren die meisten dieser Tumoren histomorphologich als Variante eines follikulären Adenoms (Kitagawa et al. 2004). Die Tumoren traten in allen Altersklassen ohne Geschlechtsbevorzugung auf, waren stets solitär und insbesondere mit der MRT gut abbildbar. Alle Verläufe waren nach alleiniger Resektion benigne. Liposarkome. Derzeit gibt es nur 4 gesicherte Fälle in der Weltliteratur. Der wahrscheinlich erste Fall wurde 1986 beschrieben (Nielsen et al. 1986; Andrion et al. 1991; Wael et al. 2003). In allen Fällen lag eine schnell wachsende Veränderung einer vorbestehenden Struma vor. Die Histogenese der Tumoren wurde durch immunhistochemische Methoden und Elektronenmikroskopie bestätigt. Leiomyome. Bisher wurden lediglich 5 Fälle in der Weltliteratur beschrieben (Erkilic et al. 2003). Alle Tumoren wurden bei weiblichen Patienten beobachtet. Nach lokaler Resektion fand sich in allen Fällen ein rezidivfreier Verlauf.
tase in der Schilddrüse schwierig war und der fehlende Nachweis eines Primarius an anderem Ort die Schilddrüse als primären Sitz wahrscheinlich machte. Ihre Entstehung aus Metaplasien papillärer oder follikulärer Zellen ist umstritten – jedoch die Klassifikation der Tumoren durch z. B. Nachweis von Keratin recht einfach und auch per FNAC möglich (Kleer et al. 2000). Die Tumoren waren alle sehr schnell wachsend, zeigten eine ausgeprägte lokale Invasion und einen äußerst aggressiven klinischen Verlauf. Die noch besten Überlebenszeiten wurden nach ausgedehnter Resektion und nachfolgender externer Bestrahlung erreicht. Sie liegen dennoch in der Regel bei weniger als einem Jahr (Zhou et al. 2002). Primäre Schilddrüsenthymome. Die maligne Transformation
intrathyroidaler Reste der Thymusanlage führt zur Entstehung primärer Thymome der Schilddrüse. Es können maligne spindelzellige epitheliale Tumoren mit thymusartiger Differenzierung (SETTLE) von Karzinomen mit thymusartiger Differenzierung (CASTLE) unterschieden werden (Chan u. Rosai 1991). Von den etwa 20 Fällen mit SETTLE waren nahezu alle unter 20 Jahren alt (im Median 13,2 Jahre) und hatten seit 6–12 Monaten einen Knoten in der Schilddrüse bemerkt. Etwa zwei Drittel der Patienten entwickelte Metastasen innerhalb von 5–10 Jahren, davon in zwei Fällen nach 22 und 25 Jahren. Aufgrund der unterschiedlichen Beobachtungszeiten und der offensichtlich recht langsamen Tumorprogression fehlen präzise Angaben zur Mortalität. Jedoch verstarben mehr als 15% der Betroffenen innerhalb der berichteten Beobachtungsperioden an der Erkrankung (Erickson et al. 2005). Teratome. Die erstmalig 1854 von Hess beschriebenen Teratome
Hämangiome. Derzeit liegen drei Berichte vor, die alle bei ca.
50 Jahre alten Männern unilaterale, weiche, szintigraphisch kalte Knoten beschreiben. Diese Tumoren sind per FNAC nicht diagnostizierbar, da lediglich Blut aspiriert wird. Alle bisher berichteten Fälle waren postoperative Diagnosen (Kumar et al. 2000). Hämangioperizytom. Hier handelt es sich um eine Einzelfallbeschreibung (Proks 1961).
2.9.5.3 Maligne Tumoren des ultimobranchialen Körpers Mukoepidermoidkarzinom (MEC). Derzeit sind 35 Fälle dieses seltenen, 1977 von Rathigan et al. beschriebenen (Rathigan et al. 1977) Tumors beschrieben. Es ist nicht sicher ob die MEC von soliden Zellnestern (SCN) oder atypischen follikulären Zellen ausgehen. Sehr selten wurde eine sklerosierende Variante mit einer Eosinophilie (SMECE) beschrieben (Bhandarkar et al. 2005). Die Tumoren traten im Verhältnis 2:1 häufiger bei Frauen auf, waren solide, nicht bekapselt und zeigen sowohl Plattenepithelien als auch Schleimzellen. Obgleich MEC überwiegend als niedrig maligne Karzinome imponierten, sind metastasierende Tumoren mit dann regelhaft fatalem Ausgang berichtet worden. In der Regel jedoch konnte nach totaler Thyroidektomie mit lokaler Lmyphadenektomie eine anhaltende Tumorkontrolle erreicht werden (Steele et al. 2001). Einige Autoren raten zu einem multimodalen Vorgehen mit einer Radiochemotherapie (Bhandarkar et al. 2005). Plattenepithelkarzinome. Etwa 20 Fälle sind bislang bekannt
geworden, wobei gelegentlich die Abgrenzung von einer Metas-
der Schilddrüse sind außerordentlich seltene Tumoren (Hess 1854). Die embryologischen Zusammenhänge ihrer Entstehung in der Schilddrüse sind unklar. In einigen der Kasuistiken ist auch nicht zweifelsfrei belegt, das es sich um primäre Tumoren der Schilddrüse und nicht etwa um infiltrierende Teratome des Halses und des Mediastinums handelte. Die meisten Teratome fanden sich bei Neugeborenen und Kleinkindern. Diese waren oft zystisch, aber stets benigne. Bislang gab es nur eine Ausnahme von dieser Regel (Pupovac 1896). Bei Erwachsenen sind Teratome extrem ungewöhnlich und regelhaft maligne. Das Erkrankungsalter liegt etwa bei 40 Jahren. Es finden sich große, zentral nekrotische und hämorrhagische Tumoren, die regelhaft lokal infiltrativ wuchsen und systemisch metastasieren. Der Nachweis von Anteilen aller 3 Keimblätter beweist das Teratom. Die Diagnose kann durch die FNAC gestellt werden. In den wenigen berichteten Fällen wurden sowohl subtotale als auch totale Thyreoidektomien mit oder ohne Lymphknotendissektion durchgeführt. Der Verlauf der malignen Tumoren im Erwachsenenalter war stets fatal – mit einer medianen Überlebenszeit von nur 8 Monaten (Buckley et al. 1980; Tsang 2003). In einem in jüngerer Zeit publizierten Fall konnte durch eine multimodale Therapie mit radikaler Operation, platinhaltiger Chemotherapie und lokaler Halsbetrahlung ein rezidivfreies 10-JahresÜberleben erreicht werden (Tsang et al. 2003). 2.9.5.4 Maligne Tumoren der Nervenzellen Paragangliome. Paragangliome der Schilddrüse sind ein Phänomen der jüngeren Literatur. Es ist in den Kasuistiken teilweise unklar, ob es sich dabei um primäre Paragangliome der Schild-
169 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
drüse handelte oder um Karzinome mit einer den Paragangliomen ähnlichen Differenzierung (Bronner et al. 1988). Die Verunsicherung über die Histogenese der Tumoren findet u. a. in der Namensvielfalt Ausdruck (»hyalinisierende trabekuläre Adenome«, »paraganglioma-like-adenoma«). Es handelte sich um solitäre, nichtdolente Knoten, die überwiegend bei Frauen im Alter von 27–67 Jahren auftraten. Einige dieser Läsionen waren szintigraphisch speichernd. In allen Fällen waren es postoperative Diagnosen. Alle Tumoren waren Zufallsbefunde bei Schilddrüseneingriffen. Es liegen keine Berichte über Rezidive vor. Lediglich ein Fall mit lokal-invasivem Wachstum ist bekannt geworden, wobei hier möglicherweise eine Infiltration der Schilddrüse durch ein extrathyreoidales Paragangliom vorgelegen hat (Mitsudo et al. 1987). Die wenige Literatur lässt ein chirurgisches Behandlungskonzept ähnlich dem Vorgehen bei der follikulären Neoplasie sinnvoll erscheinen. Primäre periphere Nervenscheindentumoren (PNST). Weniger als 10 dieser Tumoren wurden bislang in der Schilddrüse beschrieben, wobei Schwannome und auch maligne PNST diagnostiziert wurden. Die benignen Tumoren waren regelhaft gut enkap-
sulierte, nicht invasive, unilaterale Tumoren, die nach Resektion (in der Regel eine Lobektomie auf der betroffenen Seite) nicht rezidivierten. Die malignen PNST waren stets lokal invasiv, rezidivierten und metastasierten früh. Die Überlebenszeiten der malignen Tumoren betrugen 8–42 Monate. Eine einheitliche Behandlungsstrategie ist derzeit nicht erkennbar (Thompson et al. 1996). Neurilemmom. Die 15 in der Weltliteratur mitgeteilten Fälle, allesamt unerwartete postoperative Diagnosen, waren nach lokaler Resektion stets rezidivfrei (Balagai et al. 2004). Die Tumoren können entsprechend der Antoni-Klassifikation weiter differenziert werden.
2.9.5.5 Metastasen in der Schilddrüse Metastasen in der Schilddrüse sind sehr viel häufiger als vielfach vermutet. Ihre Inzidenz ist in Autopsiestudien höher als die der primären Schilddrüsenkarzinome (v. Goumoens 1968; Willis 1931; Shimaoka et al. 1962; Hull 1955; Mortensen et al. 1956; Schröder et al. 1987). Bereits in ungerichteten Autopsieserien wurden in 1,25% der Fälle Metastasen gefunden (Berge u. Lundberg 1977). Bei Patienten, die an einem zuvor bekannten, metas-
. Tab. 2.27. Metastasen in der Schilddrüse in Biopsie oder Resektat vs. Autopsiestudien. Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtheit aller Tumormetastasen in der Schilddrüse. Kasuistisch mitgeteilte Metastasen: Adenokarzinome des Kolon, Ovar, Magen. Einzelfallberichte: Embyonales Hodenkarzinom, Choriokarzinom, Prostatakarzinom, synoviales Karzinom, Chondrosarkom, Osteosarkom, Leiomyosarkom, Rhabdomyosarkom, Gravitz-Tumor, malignes Phylloid, malignes Pleuramesotheliom, malignes fibröses Histiozytom
Primärtumor
Nieren
Lunge
Brust
2
Diagnose durch Biopsie/Resektat
Diagnose durch Autopsie
Häufigkeit (%)
Referenz
Häufigkeit (%)
Referenz
56
Nakhjavani 1997
12
Hull 1955
40
Ivy 1984
10
Willis 1931
33
Lam 1998
10
Nakhjavani 1997
32
Berge 1977
43
McCabe 1985
28
Willis 1931
28
Berge 1977
25
Nakhjavani 1997
16
Lam 1998
10
Hull 1955
16
Ivy 1984
11
Nakhjavani 1997
20
Berge 1977
26
Nakhjavani 1997
20
Ivy 1984
21
Hull 1955
16
Lam 1998
20
Ivy 1984
12
Nakhjavani 1997
Ösophagus
9
Lam 1998
Uterus, Zervix
7
Lam 1998
Melanom
8
Berge 1977
39
Hull 1955
3
Nakhjavani 1997
17
Willis 1931
11
Nakhjavani 1997
170
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
tasierenden Leiden verstarben, wurden in 4–25% der Fälle Metastasen in der Schilddrüse nachgewiesen (Mortensen et al. 1956; Silverberg u. Vidone 1966). Lediglich in 5–10% der Fälle war die Metastase in der Schilddrüse auch klinisch bekannt (Shimaoka et al. 1962; Haugen et al. 1994). Während in Autopsiestudien die Metastasen von Mamma- und Lungentumoren überwiegen, finden sich unter den klinisch apparenten Fällen bei nahezu der Hälfte der Patienten Metastasen von Nierenzellkarzinomen . Tab. 2.27). In bis zu 20% der Fälle waren diese Metastasen die klinische Erstmanifestation einer malignen Erkrankung (Schröder et al. 1987; Nakhjavani et al. 1997; Wada et al. 2005). Klinische Symptomatik. Das klinische Bild von Metastasen in der
Schilddrüse wird durch zwei wesentliche Umstände beherrscht: 4 Die Häufigkeit klinisch evidenter Metastasen wird von der Prognose und dem klinischen Verlauf der Grundkrankheit bestimmt. In der Regel sind Metastasen in der Schilddrüse das Zeichen einer fortgeschrittenen, disseminierten Tumorerkrankung und verbunden mit einer schlechten Prognose. 4 Zwischen dem Auftreten der metastatischen Schilddrüsenläsion und der Behandlung des Primärtumors können erhebliche Intervalle liegen. Zwar beträgt die globale Latenzzeit im Mittel nur 9 Monate nach Entdeckung des Primums, jedoch können bei bestimmten Tumoren deutlich längere Zeiträume auftreten (Lam u. Lo 1998). Bei Adenokarzinomen der Nieren wurden Latenzzeiten von im Mittel 9 Jahren mitgeteilt (Heffes et al. 2002). Die längsten Latenzzeiten betrugen 22 und 24 Jahre (Schröder et al. 1987; Wada et al. 2005). Auch bei Adenokarzinomen der Mamma und des Uterus betrugen die Latenzzeiten zwischen 1,5 und 12, im Mittel 11 Jahre; beim malignen Melanom zwischen 1 und 5, im Mittel 3,5 Jahre (Schröder et al. 1987; Nakhjavani et al. 1997; Miiji u. Nguyen 2005). Je nach Differenziertheit des präoperativen Stagings ist bei 75% der Patienten die Diagnose einer sekundären Neoplasie der Schilddrüse gesichert. Viele der Metastasen imponieren klinisch als solitäre oder dominante Läsion in der Schilddrüse. Entscheidend ist die Untersuchung des Knotens mittels FNAC. Diese ist in der Lage, 75–85% der Neoplasien als sekundäre metastatische Läsionen zu klassifizieren (Nakhjavani et al. 1997; Kim et al. 2005). Im Einzelfall kann die immunhistochemische Aufarbeitung des Punktats entscheidende Bedeutung erlangen (Miiji und Nguyen 2005). Ist die Metastase gesichert, muss mit geeigneten und in Abhängigkeit vom Primärtumor individuell auszuwählenden diagnostischen Modalitäten eruiert werden, ob es sich um eine solitäre Metastase handelt oder ob eine disseminierte Erkrankung vorliegt. Im idealen Fall wird erst danach über das einzelfallorientierte Vorgehen entschieden Diagnostik. »Bei jedem Patienten mit einer malignen Erkran-
kung in der Anamnese, unabhängig davon, wie weit diese auch zurückliegt, muss ein neu aufgetretener solitärer oder dominanter Schilddrüsenknoten bis zum Beweis des Gegenteils als Metastase angesehen werden«. Dieser Grundsatz leitet das diagnostische Vorgehen (McCabe et al. 1985). Ein möglicher diagnostischer Algorithmus ist in . Abb. 2.64 dargestellt. Therapie. Oft bedeuten Metastasen in der Schilddrüse, dass
das Endstadium einer Tumorerkrankung erreicht wurde. Diese
. Abb. 2.64. Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus bei solitären und dominanten Schilddrüsenknoten mit bekannter maligner Erkrankung in der Anamnese
Auffassung ist u. a. gesichert für Lungenkarzinome, bei denen Schilddrüsenmetastasen präterminale Ereignisse sind. Die durchschnittliche Überlebenszeit vom Zeitpunkt der Entdeckung der Metastasen übersteigt hier selten 2 Monate (Brady et al. 1977). Auch Metastasen von Melanomen und Ösophaguskarzinomen hatten, mit wenigen Ausnahmen, eine vergleichbar schlechte Prognose (Nakhjavani et al. 1997; Miiji u. Nguyen 2005). Wie am Beispiel der Adenokarzinome der Niere mehrfach gezeigt, kann eine chirurgische Behandlung dann sinnvoll sein, wenn die Schilddrüsenmetastase die einzige verbliebene Tumorlokalisation ist. Für per Resektion behandelte Schilddrüsenmetastasen von Adenokarzinomen der Niere wurden Überlebenszeiten von im Median 3 und 6,4 Jahren berichtet (Nakhjavani et al. 1997; Heffess et al. 2002; Benoir et al. 2004), bei Adenokarzinomen der Mamma betrugen sie 1,5–6 Jahre (Schröder et al. 1987;Nakhjavani et al. 1997) und bei Adenokarzinomen des Uterus 3–6 Jahre (Nakhjavani et al. 1997). Selbst beim Melanom kann im Einzelfall eine Lebensverlängerung erreicht werden (Blaloch et al. 1999). Der Entschluss zur Resektion sollte aber in jedem Fall in ein multidisziplinäres Behandlungskonzept eingebunden sein, das die Notwendigkeit einer Radio- oder Chemotherapie prüfen muss. Literatur Aihira H, Tsutsumi Y, Ishikawa H (1992) Extramedullary plasmacytoma of the thyroid associated with follicular colonization and stromal deposition of polytypic immunoglobulins and major histocompatibility antigens. Acta Cytopathol Jpn 42:672–682 Al-Shobi S, Novosolov F, Sabanci U, Epstein HE, Greenspan FS, Clark OH (1997) Management of thyroid carcinosarcoma. Surgery 122:548– 552 Andrion A, Gaglio A, Dogliani N, Bosco E, Mazzucco G (1991) Liposarcoma of the thyroid gland. Fine-needle aspiration cytology, immunohistology, and ultrastructure. Am J Clin Pathol 95(5):675–679 Aozasa K, Inoue A, Yoshimura H et al. (1986) Plasmacytoma of the thyroid gland. Cancer 58:105–112 Bhandarkar ND, Chan J, Strime M (2005) A rare case of mucoepidermoid carcinoma of the thyroid. Am J Otolaryngol 26:138–141
171 2.9 · Maligne Schilddrüsentumoren
Beguin Y, Boniver J, Bury J et al. (1987) Plasmacytoma of the thyroid: a case report with use of the immunoperoxidase technique and a review of the literature. Surgery 101:496–500 Belal AB, Ayman A, Kandil A et al. (2001) Primary thyroid lymphoma: a retrospective analysis of prognostic factors. Am J Clin Oncol 24:299– 305 Benoir L, Favoulet R, Arnould L et al. (2004) Metastatic renal cell carcinoma to the thyroid galnd. Ann Chir 129:218–223 Berge T, Lundberg S (1977) Cancer in Malmo 1958–1969. An autopsy study. Acta Pathol Microbiol Scand (suppl) 260:1–235 Blaloch ZN, Sack MJ, Yu GH, Gupta PK (1999) Papillary formation in metastatic melanoma. Diagn Cytopathol 20:148–151 Bode-Lesniewska B, Schröder S, Gemsenjäger E, Staubli M, Pfalz M (1994) Leiomyosarcom in der Schilddrüse – Primärtumor oder Metastase? Pathologe 15:303–307 Brady LW, O’Neill EA, Farber SH (1977) Unusual sites of metastases. Semin Oncol 4:59–64 Bronner MP, LiVolsi VA, Jennings TA (1988) PLAT: paraganglioma like adenomas of the thyroid. Surg Pathol 1:383–390 Buckley, NJ, Burch WM, Leight GS (1980) Malignant teratoma in the thyroid gland of an adult. Surgery 100:932–936 Burton GV, Altwater S, Borowitz MJ, Huang AT (1990) Extranodal head and neck lymphomas: prognosis and patterns of recurrence. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 116:69–73 Carbone PP, Kaplan HS, Musshoff K, Smithers DW, Tubiana M (1971) Report of the committee of Hodgkin’s disease staging classification. Cancer Res 31:1860–1861 Chan JKC, Rosai J (1991) Tumors of the neck showing thymic or related branchial pouch differentiation a unifying concept. Hum Pathol 22:349–367 Compagno J, Oertel JE (1980) Malignant lymphoma and other lymphoproliferative disorders of the thyroid gland: a clinicopathological study of 245 cases. Am J Clin Pathol 74:1–8 Doria R, Jekel JF, Cooper DL (1994) Thyroid lymphoma. The case for combined modality therapy. Cancer 73:200–206 Erkilic S, Erkilic A, Bayazit YA (2003) Primary leiomyoma of the thyroid gland. J Laryngol Otol 117:832–834 Erickson ML, Tapia B, Moreno ER, McKee MA, Kowalski DP, Reyes-Mugia M (2005) Early metastasizing SETTLE of the thyroid. Ped Develop Pathol 8:599–606 Eusebi V, Carcangiu ML, Dina R, Rosai J (1990) Keratin-positive epitheloid angiosarcoma of the thyroid. A report of four cases. Am J Surg Pathol 14:737–747 Friedberg MH, Coburn MC, Monchik JM (1994) Role of surgery in stage IE non-Hodgkin‘s lymphoma of the thyroid. Surgery 116:1061–1067 Galieni P, Cavo M, Pulsoni A et al. (2000) Clinical outcome of extramedullary plasmacytoma. Haematologica 85:47–51 Goumoens E von (1968) Sekundäre Geschwülste der Schilddrüse. Schweiz Med Wochenschr 98:19–25 Hamburger JI, Miller JM, Kini SR (1983) Lymphoma of the thyroid. Ann Intern Med 99:685–690 Haugen BR, Nawaz S, Cohn A, Shryder K, Bunn PA, Liechty DR, Ridgeway EC (1994) Secondary malignancy of the thyroid gland: a case report and review of the literature. Thyroid 4:297–300 Heffess CS, Wenig BM, Thompson LD (2002) Metastatic renal cell carcinoma to the thyroid gland. Cancer 95:1869–1878 Hess W (1854) Beitrag zur Casuistik der Geschwülste mit zeugungsähnlichem Inhalte. Inauguraldissertation, Gießen Holm LE, Blomgren H, Lowhagen T (1985) Cancer risks in patients with chronic lymphocytic thyroiditis. N Engl J Med 312:601–603 Hull OF (1955) Critical analysis of 221 thyroid glands: study of thyroid glands obtained at necropsy in Colorado. Arch Pathol 59:291–335 Hyjek E, Isaacson PG (1988) Primary B-cell lymphoma of the thyroid and its relationship to Hashimoto‘s thyroiditis. Hum Pathol 19:1315– 1326 Isaacson PG (1995) The Malt lymphoma conccept updated. Ann Oncol 6:319–320
2
Kleer CG, Giordano TJ, Merino MJ et al. (2000) Squamous cell carinoma of the thyroid: an aggressive tumor associated with tall cell variant of papillary thyroid carcinoma. Mod Pathol 13:742–746 Kim TY, Kim WB, Gong G, Hong SJ, Shong YK (2005) Metastasis to the thyroid diagnosed by fine-needle aspiration biopsy. Clin Endocrinol Oxf 62:236–241 Kitagawa W, Kameyama K, Tamai S, Shimizu K, Ito K, Akasu H (2004) Adenolipoma of the thyroid gland. Surg Today 34:593–596 Kumar R, Gupta R, Khullar S, Dasan B, Malhorta A (2000) Thyroid hemangioma. Clin Nucl Med 10:769–771 Ladurner D, Toesch M, Lutze T, Bangerl I, Sanbichler P, Schmid KW (1990) Das maligne Hämangioendotheliom der Schilddrüse. Pathologie, Klinik und Prognose. Wien Klin Wochenschr 102:256–259 Laing RW, Hoskin P, Hudson BV et al. (1994) The significance of MALT histology in thyroid lymphoma. Clin Oncol (R Coll Radiol) 6:300– 304 Lam KY, Lo CY (1998) Metastatic tumors of the thyroid gland: a study of 79 cases in chinese patients. Arch Pathol Lab Med 122:37–41 Lamovec J, Zidar A, Zidanik B (1994) Epitheloid angiosarcomas of the thyroid gland. Report of two cases. Arch Pathol Lab Med 118:642– 646 Limacher F (1898) Über Blutgefäßendotheliome der Struma mit einem Anhang über Knochenmetastasen bei Struma maligna. In: Virchow R (Hrsg) Beiträge zur Geschwulstlehre. Arch Pathol Anat Physiol Klin Med (Suppl) 151:113–150 Maiorana A, Collina G, Cesinaro AM, Fano RA, Eusebi V (1996) Epitheloid angiosarcoma of the thyroid. Virchows Arch 429:131–137 McCabe DP, Farrar WB, Petkov TM, Finkelmeyer W, O’Dwyer P, James A (1985) Clinical and pathological correlations in diseases metastatic to the thyroid gland. Am J Surg 150:519–523 Miiji LO, Nguyen GK (2005) Metastatic melanoma of the thyroid mimicking a papillary carcinoma on fine needle aspiration. Diagn Cytopathol 32:374–376 Mitsudo SM, Grajower MM, Balbi H et al. (1987) Malignant paraganglioma of the thyroid gland. Arch Pathol Lab Med 111:378–381 Mortensen JD, Woolner LB, Bennett Wa (1956) Secondary malignant tumory of the thyroid gland. Cancer 9:306–310 Nakhjavani MK, Gharib H, Goellner JR, Heerden JA van (1997) Metastasis to the thyroid gland. A report of 43 cases. Cancer 79:574–578 Nielsen VT, Knudsen N, Holm IE (1986) Liposarcoma of the thyroid gland. Tumori 72:499–502 Proks C (1961) Generalized hemangiopericytoma of the thyroid gland: report of a case. Neoplasma 8: 219–224 Pupovac D (1896) Ein Fall von Teratoma Colli mit Veränderungen in den regionären Lymphdrüsen. Arch Klin Chir 53:59–67 Pyke CM, Grantt CS, Habermann TM et al. (1992) Non-Hodgkin’s lymphoma of the thyroid: is more than biopsy necessary? World J Surg 16:604– 608 Rhatigan RM, Roque JL, Bucher RL (1977) Mucoepidermoid carcinoma of the thyroid gland. Cancer 39:210–249 Rhomber W, Boehler E, Eiter H, Fritzsche H, Breitfellner G (2004) Treatment options for malignant haemangioendothelioma of the thyroid. In J Radiat Oncol Biol Phys 60:401–405 Saltykow S (1905) Über das gleichzeitige Vorkommen des Sarkoms und des Carcinomas in der Schilddrüse. Zentralbl Allg Pathol 12:561–570 Schröder S, Bürck CD, Heer K de (1987) Metastasen in der Schilddrüse – Morphologie und Klinik von 25 sekundären Schilddrüsengeschwülsten. Langenbecks Arch Chir 370:25–35 Shimaoka K, Sokal JE, Pickren JW (1962) Metastatic neoplasms in the thyroid gland: pathological and clinical findings. Cancer 15:557–562 Silverberg SG, Vidone RA (1966) Metastatic tumors in the thyroid. Pacific Med Surg 74:175–185 Skarsgard ED, Connors JM, Robins RE (1991) A current analysis of primary lymphoma of the thyroid. Arch Surg 126:1199–1204 Steele SR, Royer M, Brown TA et al. (2001) Mucoepidermoid carcinoma of the thyroid gland: suggested surgical approach. Am J Otolaryngol Head Neck Med Surg 26:138–141
172
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Takayama F, Takashima S, Mastuba H, Kobayashi S, Ito N, Sone S (2001) MR imaging of primary leiomyosarcoma of the thyroid gland. Eur J Radiol 37:36–41 Thieblemont C, Mayer A, Dumonet C et al. (2002) Primary thyroid lymphoma is a heterogenous disease. J Clin Endocrinol Metab 87:105–111 Thompson LDR, Wenig BM, Adair CF, Heffess CS (1996) Peripheral Nerve Sheath tumors of the thyroid gland: a series of four cases and a review of the literature. Endocr Pathol 7:309–318 Thompson LDR, Wenig BM, Adair CF, Shmookler BM, Heffess CS (1997) Primary smooth muscle tumors of the thyroid gland. Cancer 79:579– 587 Tsang RW, Brierlev JD, Asa SL, Sturgeon JF (2003) Malignant teratoma of the thyroid: Aggressive chemoradiation therapy is required after surgery. Thyroid 13:401–404 Wada N, Hirikawa S, Rino Y et al. (2005) Solitary metachronous metastasis to the thyroid from renal clear cell carcinoma 19 years after nephrectomy. Surg Todax 35:483–487 Weinstein LJ, Ain KB (1999) Primary thyroid lymphoma: a comprehensive assessment and clinical approach. The Endocrinologist 9:45–51 Widder S, Pasieka JL (2004) Primary thyroid lymphomas. Curr Treat Opin Oncol 5:301–313 Willis RA (1931) Metastatic tumors in the thyroid gland. Am J Pathol 7:187– 208 Zhou XH (2002) Primary squamous cell carcinoma of the thyroid. EJSO 28:42–45
2.10
Thyreoiditis J. Feldkamp, M. Schott, W.A. Scherbaum
) ) Der Begriff Thyreoiditis steht für eine Reihe ätiologisch sehr unterschiedlicher entzündlicher Erkrankungen der Schilddrüse. Allen Erkrankungen ist der histologische Nachweis inflammatorischer Zellen gemein. Die primär entzündlichen Erkrankungen der Schilddrüse lassen sich zunächst in infektiöse, parainfektiöse und autoimmuneThyreoiditiden einteilen. Alle anderen entzündlichen Erkrankungen werden entsprechend einer Einteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie als Sonderform der Thyreoiditis klassifiziert (7 Übersicht).
Formen der Thyreoiditis 5 Akute (putride) Thyreoiditis 5 Subakute Thyreoiditis (de Quervain), häufig postinfektiös auftretend 5 Autoimmunthyreoiditis (chronische lymphozytäre Thyreoiditis) – Hypertrophe Form (Hashimoto-Thyreoiditis) – Atrophische Form (primäres Myxödem) – Post-partum-Thyreoiditis – »Silent« Thyreoiditis – Fibrosierende Thyreoiditis (Riedel-Struma) 5 Sonderformen – Traumatische Thyreoiditis – Strahlenthyreoiditis – Granulomatöse Thyreoiditis (z. B. Sarkoidose) – Thyreoiditis bei Karzinom – Medikamentös induzierte Thyreoiditis
2.10.1
Akute Thyreoiditis
2.10.1.1 Ätiopathogenese Die akute Thyreoiditis ist eine der seltensten Erkrankungen der Schilddrüse. Sie wird bakteriell oder durch eine Pilzinfektion hervorgerufen (Singer 1991). Bisher sind erst wenige hundert akute (putride) Thyreoiditiden beschrieben worden. Durch die sehr gute Durchblutung des Organs und durch einen sehr guten Lymphabfluss scheint die Schilddrüse gegenüber einer Besiedlung durch Bakterien und Pilze sehr resistent zu sein. Immunkompromittierte Patienten sind stärker gefährdet, eine akute Thyreoiditis zu erwerben. HIV-Infektion und Tuberkulose sind dabei besonders zu erwähnen. Die häufigsten Erreger sind Streptococcus pyogenes und Staphylococcus aureus. Eine Reihe weiterer Erreger einschließlich Pneumocystis carinii kann jedoch ebenfalls die akute Thyreoiditis hervorrufen (Berger et al. 1983). Die Infektionswege umfassen eine hämatogene Besiedlung, eine lymphogene Erregerausbreitung und die Ausbreitung per continuitatem. Einen relativ guten Schutz gegen die Durchwanderung lokaler Entzündungen im Bereich der Halsweichteile bietet dabei die Organkapsel der Schilddrüse. Präexistente Erkrankungen der Schilddrüse, insbesondere die nodöse Struma, begünstigen ein intrathyreoidales Angehen einer Infektion. Betroffen von der akuten Thyreoiditis sind fast ausschließlich immunkompromittierte Patienten. 2.10.1.2 Klinische Symptomatik Die Patienten beklagen meist einseitige, bei komplettem Organbefall auch beidseitige Halsschmerzen. Die Schmerzen können zu den Ohren, in die Unterkieferregion und nach retrosternal ausstrahlen. Der Erkrankungsbeginn ist sehr oft akut und begleitet von Fieber, lokaler Rötung und Schwellung, die auch fluktuierend sein kann. Erhebliche Schluckbeschwerden und Heiserkeit können das Krankheitsbild begleiten. 2.10.1.3 Diagnostik Anamnestische Hinweise auf eine akute Thyreoiditis sind chronische Infektionserkrankungen wie HIV-Infektion oder Tuberkulose. Der klinische Befund zeigt die lokale Rötung und Schwellung der Schilddrüse. Die Palpation ist schmerzhaft und kann einen fluktuierenden Befund ergeben. Labordiagnostik. Das Blutbild weist eine Leukozytose mit Linksverschiebung auf. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit ist beschleunigt und das C-reaktive Protein erhöht. Die Eiweißelektrophorese kann eine Erhöhung der Akute-Phase-Proteine anzeigen. Bereits 1–2 Tage nach Erkrankungsbeginn kann es zu einer Erhöhung der peripheren Schilddrüsenhormone durch eine Freisetzung präformierten Hormons aus den entzündungsbedingt zerstörten Schilddrüsenfollikeln kommen. Die Hyperthyreose ist nur vorübergehend und selbstlimitierend durch die Halbwertszeit der im Serum zirkulierenden Menge an Thyroxin. TSH ist supprimiert. Je nach Ausmaß der Organbeteiligung kann sich später eine hypothyreote Stoffwechsellage entwickeln mit Erniedrigung von T3 und T4 sowie Erhöhung von TSH. Sonographie. Die sonographische Untersuchung zeigt ein in-
homogenes Bild mit echoarmen Arealen. Je nach Ausmaß der putriden Veränderungen können sich auch echoreiche Zonen zeigen.
173 2.10 · Thyreoiditis
Szintigraphie. Zur Diagnosestellung ist die Szintigraphie nicht notwendig. Wird sie durchgeführt, ist sie durch eine verminderte Aufnahme der Tracersubstanz gekennzeichnet. Ist nur ein Schilddrüsenlappen oder einzelne Bezirke eines Schilddrüsenlappens betroffen, kann eine völlig fehlende Anreicherung im Sinne »kalter« Areale bestehen. Feinnadelpunktion. Die Feinnadelaspirationspunktion stellt
eine gute Möglichkeit zur Diagnosesicherung dar. In jedem Falle sollte das Punktionsmaterial neben der zytologischen in erster Linie einer mikrobiologischen Untersuchung unterzogen werden, um den Erregernachweis zu führen. 2.10.1.4 Therapie Die Therapie der akuten Thyreoiditis orientiert sich wesentlich am Ausmaß des entzündlichen Prozesses, der Grunderkrankung und möglichst am Erregernachweis (Szabo u. Allen 1989). Sofern keine größeren fluktuierend-putriden Anteile vorliegen, kann eine intravenöse Antibiose erfolgen. Gelingt ein Erregernachweis, so sollte gezielt antibiotisch therapiert werden. Bei unbekanntem Erreger muss eine breitwirksame antibiotische Therapie durchgeführt werden, die insbesondere auch staphylokokkenwirksam sein muss und gramnegative Spezies einschließt. Die antibiotische Therapie muss mindestens 10–14 Tage konsequent fortgeführt werden. Lokal kühlende Maßnahmen können das subjektive Beschwerdebild neben einer ausreichenden Analgesie lindern. 2.10.2
Subakute Thyreoiditis (de Quervain)
Die subakute Thyreoiditis ist histologisch durch den Nachweis granulomatöser Veränderungen und mehrkerniger Riesenzellen gekennzeichnet. Daher resultieren die Synonyme granulomatöse oder subakute granulomatöse Thyreoiditis. Die subakute Thyreoiditis macht etwa 5% des Krankengutes einer Schilddrüsensprechstunde aus und ist neben der akut aufgetretenen Schilddrüsenzyste die häufigste Ursache für schmerzhafte Schilddrüsenerkrankungen. 2.10.2.1 Ätiopathogenese Der subakuten Thyreoiditis geht oft eine wenige Wochen bis mehrere Monate zurückliegende akute Virusinfektion der oberen Atemwege voraus. In klinischen Studien konnten bei vielen Patienten abfallende Immunglobulintiter gegen häufig vorkommende Viren (Influenza-, Adeno-, Coxsackie-Viren u. a.) zum Zeitpunkt der Krankheitsmanifestation festgestellt werden. Die subakute Thyreoiditis kann ebenfalls mit einer Mononukleose-, Mumps- oder Maserninfektion assoziiert sein. Manchmal können passager Antikörper gegen Thyreoglobulin oder thyreoidale Peroxidase nachgewiesen werden. Dies ist jedoch Ausdruck der inflammatorisch bedingten Antigenfreisetzung und nicht mit der kausalen Entstehung einer subakuten Thyreoiditis verbunden. Die Erkrankung betrifft überwiegend Frauen mit deutlicher Bevorzugung der 4. und 5. Lebensdekade. Es scheint eine gewisse genetische Prädisposition bei Vorhandensein des HLA-Antigens Bw 35 vorzuliegen. Gelegentlich findet man eine endemische Ausbreitung der Erkrankung, wobei die Anzahl der Erkrankten jedoch meist niedrig bleibt (Bruin et al. 1990).
2
2.10.2.2 Klinische Symptomatik Die subakute Thyreoiditis beginnt meist plötzlich mit ein- oder beidseitigen Halsschmerzen. Oft führen die Symptome die Patienten zunächst zum Hals-Nasen-Ohrenarzt. Typisch ist ein einoder beidseitig von der Schilddrüsenloge in die Ohren ausstrahlender Schmerz. Die Schmerzsymptomatik kann sich aber auch in die Unterkieferregion oder nach retrosternal ausbreiten (Peter 1992). Weitere Symptome sind in der folgenden 7 Übersicht aufgeführt. Symptome bei subakuter Thyreoiditis de Quervain 5 Ein- oder beidseitiger Halsschmerz 5 Schmerzausstrahlung (Ohren, Unterkiefer, Retrosternalraum) 5 Subfebrile Temperaturen 5 Schluckstörungen 5 Leichte Heiserkeit 5 Virale Prodromalsymptome wie Muskelschmerzen, allgemeines Krankheitsgefühl
Zu Beginn der Erkrankung liegt bei 40–50% der Patienten eine meist milde Hyperthyreose vor, die durch die mit dem Zellzerfall verknüpfte Hormonfreisetzung entsteht. Nach peripherer Utilisation der freigesetzten Hormone geht die Stoffwechsellage über eine passagere Euthyreose zunächst meist in eine leichte Hypothyreose über. Nach Abklingen der inflammatorischen Veränderungen resultiert binnen 6–12 Wochen bei fast allen Patienten eine euthyreote Stoffwechsellage (Lio et al. 1984). Selten ist die Erkrankungsdauer wesentlich länger als 3 Monate, kann jedoch bei einem Teil der Fälle (15–20%) rezidivieren. Nach dem 2. Krankheitsschub ist die subakute Thyreoiditis meist dauerhaft ausgeheilt. Bei etwa 1–3% der Patienten persistiert die Erkrankung über mehr als 1–2 Jahre. 2.10.2.3 Diagnostik Die Inspektion zeigt in der Regel keine Auffälligkeiten. Palpatorisch ist die Schilddrüse von fester Konsistenz und sehr druckschmerzempfindlich. Von einigen Patienten wird ein Abtasten des Organs daher nicht toleriert. Labordiagnostik. Typisch und zusammen mit der Anamnese fast
pathognomonisch ist eine extrem stark beschleunigte Blutsenkungsgeschwindigkeit (Sturzsenkung) mit meist über 100 mm in der 1. Stunde. Eine leichte Leukozytose ist selten vorhanden, bisweilen findet sich auch eine Leukozytopenie. Eine entzündungsbedingte normochrome, normozytäre Anämie kann in milder Ausprägung vorliegen. Durch die Destruktion von Schilddrüsenfollikeln kommt es zur vermehrten Freisetzung von Schilddrüsenhormonen in die Peripherie. Durch den Zellzerfall können die Thyreoglobulinspiegel erhöht sein. Abhängig vom Ausprägungsgrad der Entzündung und dem Zeitpunkt der Vorstellung des Patienten finden sich erhöhte T3und T4-Werte bei supprimiertem TSH. Durch die unzureichende Neuproduktion von Schilddrüsenhormonen bei persistierender inflammatorischer Reaktion kommt es zum Abbau der erhöhten Hormonspiegel und über eine kurze Phase der Euthyreose zu einer Hypothyreose. Diese ist nahezu immer passager. Mit Wiedereinsetzen der Hormonproduktion kommt es zur Normalisierung der Stoffwechsellage.
174
Kapitel 2 · Schilddrüse
2.10.2.4 Therapie Leichte Verläufe der subakuten Thyreoiditis sprechen gut auf eine Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika an. Azetylsalizylsäure ist in einer Dosis von 2- bis 3-mal 500 mg/Tag ausreichend wirksam. Alternativ kann Ibuprofen (400–1200 mg/Tag) oder Diclofenac (50–150 mg) gegeben werden. Bei stärkerer Schmerzsymptomatik ist eine Glukokortikoidtherapie indiziert. Diese bewirkt eine fast schlagartige Linderung der Beschwerden innerhalb von 1–2 Tagen. Eine Dosis von 60 mg Prednisolonäquivalent ist hierfür ausreichend. Die Therapie muss über 6–8 Wochen durchgeführt werden. Über diesen Zeitraum wird die Steroidtherapie langsam ausschleichend beendet. Beim Rezidiv kann das gleiche Therapieregime bis zur Beschwerdefreiheit noch einmal angewendet werden. Lediglich in den sehr seltenen Fällen eines dauerhaften konservativen Therapieversagens ist eine operative Sanierung des Befundes nötig. Die nicht selten initiale selbstlimitierende Hyperthyreose wird rein symptomatisch durch die Gabe eines nicht kardioselektiven Betablockers (z. B. 3-mal 40 mg Propanolol) behandelt. Eine thyreostatische Therapie ist nicht indiziert und unwirksam. Entwickelt sich eine (latent) hypothyreote Stoffwechsellage, muss mit L-Thyroxin vorübergehend substituiert werden (Volpé 1993). Meist sind Dosen zwischen 50 und 100 µg L-Thyroxin/Tag ausreichend. Nach Ausheilen der Erkrankung resultiert fast immer eine euthyreote Stoffwechsellage, sodass auf Dauer keine schilddrüsenspezifische Medikation notwendig ist.
2
2.10.3
. Abb. 2.65. a Landkartenartig angeordnete Echoarmut im Ultraschallbild bei subakuter Thyreoiditis; b im Vergleich dazu normale Schilddrüse
Sonographie. Die subakute Thyreoiditis stellt sich sonographisch mit einem sehr charakteristischen Bild dar (Brandner 1992). Landkartenartig grenzen echoarme Bezirke an echonormale Areale der Schilddrüse, die noch nicht vom entzündlichen Prozess betroffen sind (. Abb. 2.65). Szintigraphie. Die Aufnahme der radioaktiven Testsubstanz (99mTechnetium) ist deutlich erniedrigt. Bei Befall nur eines Schilddrüsenlappens wird der nichtbetroffene Lappen regelhaft abgebildet. Feinnadelpunktion. Die Feinnadelpunktion zeigt zytologisch die für die subakute Thyreoiditis typischen granulomatösen Veränderungen mit mehrkernigen Riesenzellen.
Autoimmunthyreoiditis
Zu den autoimmunen Thyreoiditiden werden die hypertrophe Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis), die atrophische Autoimmunthyreoiditis (primäres Myxödem), die Postpartum-Thyreoiditis und die asymptomatische (»silent«) Thyreoiditis gerechnet (Hay 1985). Allen gemeinsam ist die deutliche lymphozytäre Organinfiltration und in den meisten Fällen der positive Nachweis von Antikörpern gegen thyreoidale Peroxidase und Thyreoglobulin (Dayen u. Daniels 1996). Im weiteren Sinne gehört auch der M. Basedow zu den autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen (Schott et al. 2005). Bei dieser Krankheit finden sich regelmäßig fokale lymphozytäre Infiltrate in der Schilddrüse. Wegen seiner klinischen und pathophysiologischen Besonderheiten wird der M. Basedow jedoch als eigene Entität an anderer Stelle behandelt. 2.10.3.1 Ätiopathogenese Die genauen Ursachen der autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen sind nicht bekannt (DeGroot u. Quintans 1990). In einer kürzlich erschienen Arbeit an einem transgenen Mausmodell konnte jedoch erstmals gezeigt werden, dass die Thyreoperoxidase das entscheidende Zielantigen im Rahmen des Autoimmunprozesses zu sein scheint (Quaratino et al. 2004). Dies ist im Einklang mit der höheren Prävalenz von Anti-Thyreoperoxidase-Antikörpern gegenüber Anti-Thyreoglobulin-Autoantikörpern und der erhöhten Inzidenz einer Hypothyreose bei erstgenannten gegenüber zweitgenannten. Weitere Faktoren sind die genetische Prädisposition sowie Umwelteinflüsse, Ernährungsgewohnheiten, Infekte, Alter, Sexualhormonstatus und Geschlecht begünstigt (Tomar u. Davies 1993). Frauen sind von der Erkrankung weitaus
175 2.10 · Thyreoiditis
2
. Abb. 2.66. a Normale Schilddrüse; b diffuse Echoarmut im Ultraschallbild bei Autoimmunthyreoiditis
häufiger betroffen als Männer (etwa 7–10:1). In verschiedenen Untersuchungen wurde eine Assoziation mit bestimmten HLAMerkmalen (DR3, DR4, DR5 und B8) bei Hashimoto-Thyreoiditis festgestellt (Badenhoop et al. 1990). Die atrophische Thyreoiditis wurde gehäuft bei Patienten mit den Merkmalen HLA-A1, B8, DR3, DQw2 (DPw1) gefunden. Die Unterschiede zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen und -rassen sind jedoch sehr groß, sodass die Korrelation dieser genetischen Marker mit der Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Autoimmunthyreoiditis insgesamt schwach bleibt. Tierexperimentelle und epidemiologische Studien geben Hinweise, dass Viren und ein hoher intrathyreoidaler Jodgehalt den Immunprozess triggern können, ohne dass dies heute klinisch im Einzelfall nachweisbar ist. Die Autoimmunthyreoiditis kann mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Vitiligo, einem Typ-1-Diabetes oder einem M. Addison vergesellschaftet auftreten. 2.10.3.2 Klinische Symptomatik In den meisten Fällen wird die Hashimoto-Thyreoiditis zufällig entdeckt. Häufig wird bei der körperlichen Untersuchung oder bei der Sonographie der Schilddrüse eine Vergrößerung des Organs festgestellt. Selten klagen die Patienten über ein Druckoder leichtes Schmerzgefühl im Halsbereich oder haben selbst eine Schilddrüsenschwellung bemerkt. Die atrophische Verlaufsform der Autoimmunthyreoiditis ist zusammen mit der hypertrophen Hashimoto-Thyreoiditis die häufigste Ursache der primären Hypothyreose im Erwachsenenalter, wenn man von der iatrogen verursachten Hypothyreose nach Schilddrüsenoperation oder Radiojodtherapie absieht (Rapoport 1991; Hollowell et al. 2002; Tunbridge 1979, Tunbridge et al. 1981). Etwa 20% der Patienten mit Autoimmunthyreoiditis fallen durch hypothyreosebedingte Symptome auf. Diese sind in der 7 Übersicht zusammengefasst. 2.10.3.3 Diagnostik Die Krankengeschichte kann bei positiver Familienanamnese auf eine Autoimmunthyreoiditis hinweisen, ebenso wie ein Druckgefühl im Halsbereich oder das Vorliegen anderer Autoimmunerkrankungen, insbesondere eines M. Addison. Die Inspektion
Hypothyreosesymptome 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Adynamie, Depression, Müdigkeit Haarausfall Gewichtszunahme, Gesichtsödeme Hyporeflexie Hypothermie Tiefe, heisere Stimme Blass-gelbliches Hautkolorit Muskelschwäche Obstipation Bradykardie Hypotonie Hypercholesterinämie Zyklusstörungen, Libidoverlust Hypothyreotes Koma: Zusätzlich Bewusstseinseintrübung, Bradypnoe
kann bei Hashimoto-Thyreoiditis in einigen Fällen bereits die Schilddrüsenvergrößerung zeigen. Palpatorisch ist die Schilddrüse von fester Konsistenz und gelegentlich leicht druckschmerzhaft. In vielen Fällen ist die Schilddrüse nicht vergrößert und eher klein zu palpieren. Vergrößerungen der Halslymphknoten bei Autoimmunthyreoiditis sind äußerst selten und müssen auch an ein Schilddrüsenmalignom denken lassen. Sonographie. Im Ultraschallbild imponiert eine das ganze Organ
erfassende diffuse Echoarmut (. Abb. 2.66). Mit Abnahme der lymphozytären Infiltration kann es auch wieder zu einer zunehmenden Normalisierung des Echomusters kommen (Gutekunat et al. 1989). Szintigraphie. Die szintigraphische Untersuchung zeigt eine diffuse Minderanreicherung des Tracers. Der Technetiumuptake liegt im floriden Stadium fast immer unter 1,5%. Labordiagnostik. Typische Veränderungen wie bei allgemein-
entzündlichen Erkrankungen fehlen. Eine Veränderung der
176
2
Kapitel 2 · Schilddrüse
Leukozytenzahl oder eine beschleunigte Blutsenkungsgeschwindigkeit wird in der Regel nicht beobachtet. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle lässt sich jedoch eine Erhöhung der Antikörper gegen thyreoidale Peroxidase (TPO) und seltener gegen Thyreoglobulin nachweisen (Scherbaum u. Paschke 1995). Die Anti-TPO-Antikörper gehen im Verlauf häufiger mit einer Hypothyreose einher, als Anti-Tg-Antikörper. Zugleich besteht auch eine Korrelation zur Antikörperhöhe. Zu Beginn der Erkrankung kann es selten einmal zu einer kurzfristigen und meist milden Hyperthyreose kommen, deren Ursache wie bei der akuten und subakuten Thyreoiditis in einer Freisetzung von präformierten Schilddrüsenhormonen aus den entzündlich destruierten Follikelzellen zu suchen ist. Nach 2–4 Wochen kommt es dann zu einer Normalisierung oder zu einer Erniedrigung der anfangs erhöhten Schilddrüsenhormonwerte im Blut. Insgesamt kommt es in ca. 5% der Fälle pro Jahr zu einer dauerhaften Hypothyreose mit lebenslanger Substitutionspflichtigkeit für L-Thyroxin. 2.10.3.4 Therapie Liegt eine hypothyreote Stoffwechsellage vor, so ist eine Substitutionstherapie mit L-Thyroxin notwendig. Bei typisch atrophischer Verlaufsform mit deutlicher Organverkleinerung ist von einer lebenslangen Hormonsubstitution auszugehen, und die Patienten können entsprechend aufgeklärt werden. Bei einer TSH-Erhöhung bis ca. 10 µU/ml kann sich die Stoffwechsellage durchaus wieder normalisieren, und nach gegebener Zeit (3–6 Monate) kann bei sonographisch dokumentierter ausreichender Organgröße (>8 ml) ein Auslassversuch unternommen werden (Takasu et al. 1990). Bleibt eine euthyreote Stoffwechsellage bestehen, ist keine weitere Therapie notwendig. Ansonsten muss die Behandlung mit Thyroxin wieder aufgenommen werden. Die sehr seltene initiale Hyperthyreose bedarf einer kurz dauernden symptomatischen Therapie mit nicht kardioselektiven Betablockern (3-mal 20–40 mg Propanolol). Eine thyreostatische Behandlung würde zu einer schnellen und deutlichen Hypothyreose führen, da keine vermehrte Neuproduktion von Schilddrüsenhormonen besteht. Eine kausale Therapie des Autoimmunprozesses existiert nicht. Eine Behandlung mit Glukokortikoiden führt weder zu einem verkürzten Verlauf der Erkrankung noch zu einem verbesserten Endergebnis. Bei lokaler Schmerzhaftigkeit der Schilddrüse, die fast ausnahmslos bei starker Organvergrößerung oder sehr florider atrophischer Verlaufsform beobachtet wird, ist in nahezu allen Fällen eine analgetisch-antiphlogistische Therapie mit Azetylsalizylsäure (1–3 g) oder mit Diclofenac (50–150 mg) ausreichend wirksam. 2.10.3.5 Post-partum-Thyreoiditis Auch die Post-partum-Thyreoiditis kann zu den autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen gerechnet werden. Sie tritt bei ca. 3–11% aller Frauen im Anschluss an eine Schwangerschaft auf. Präpartal erhöhte Antikörper gegen Schilddrüsenantigene prädisponieren zu dieser Erkrankung. Die Erkrankung nimmt oft einen biphasischen Verlauf: Nach Beendigung der Schwangerschaft entsteht häufig eine passagere leichte Hyperthyreose (Amino et al. 1982). Über eine Phase mit euthyreoter Stoffwechsellage kann sich dann bei einigen Frauen eine Hypothyreose manifestieren (Othman et al. 1990). Frauen mit bereits vor der Geburt erhöhten Antikörpern gegen Schilddrüsenantigene sind häufiger von permanenten Funktionsbeeinträchtigungen betroffen (Glinoer et al. 1994). Die initial hyperthyreote Stoffwechsellage als Ausdruck
der Autoimmunthyreoiditis wird nicht selten fehlgedeutet und kann sogar Ursache für die sog. Wochenbettdepression sein. 2.10.3.6 »Silent« Thyreoiditis Die Diagnose stille (»silent«) Thyreoiditis ist fast immer ein reiner Zufallsbefund mit Schilddrüsenvergrößerung und erniedrigtem Technetium-Uptake. Häufig können bei diesen Patienten Antikörper gegen thyreoidale Peroxidase oder Thyreoglobulin nachgewiesen werden (Klein u. Levey 1982; Nikolai et al. 1982). 2.10.3.7 Riedel-Struma Die sich kapselüberschreitend und infiltrierend ausbreitende Thyreoiditis (»Riedel-Struma«) zeigt im floriden Stadium histologisch neben der fibrosierenden Komponente eine diffuse lymphozytäre Infiltration (Heufelder u. Hay 1994). Diese Erkrankung muss daher als Sonderform der Autoimmunthyreoiditis angesehen werden. Die Riedel-Struma spricht auf Glukokortikoide an, wird aber meist chirurgisch behandelt, da ein Karzinom sicher ausgeschlossen werden muss. 2.10.4
Sonderformen der Thyreoiditis
2.10.4.1 Traumatische Thyreoiditis Die traumatische Thyreoiditis ist durch eine exogene Läsion der Schilddrüse bedingt. Eine Untergruppe ist die Strahlenthyreoiditis nach Radiojodtherapie. Diese tritt meist 24–48 h nach Applikation der Therapiedosis radioaktiven 131I auf. Es besteht eine schmerzhafte Schwellung des Organs und gelegentlich auch eine passager bedingte Hyperthyreose, bedingt durch eine Zerstörung von Thyreozyten. Eine analgetisch-antiphlogistische Behandlung ist hier meist ausreichend. In manchen Fällen muss vorübergehend mit Glukokortikoiden behandelt werden. Gleiches gilt für die Thyreoiditis nach externer Radiatio der Halsweichteile. Hier beträgt die Latenzzeit bis zum Auftreten von Symptomen jedoch meist mehrere Wochen. 2.10.4.2 Medikamentös induzierte Thyreoiditis Mit zunehmendem Einsatz von Zytokinen in der Therapie (Interferon-α, IL-2, »granulocytes-makrophages-colony-stimulating factor«) werden vermehrt medikamenteninduzierte Thyreoiditiden gesehen, die insbesondere bei vorbestehendem positivem Antikörpernachweis gegen Thyreoglobulin und gegen thyreoidale Peroxidase auftreten können (Marazuela et al. 1996; Helelr et al. 1996). Permanente Funktionsstörungen der Schilddrüse sind möglich. Eine operative Therapie ist bei den zytokininduzierten Thyreoiditiden fast nie indiziert. Auch das Antiarrhythmikum Amiodaron (Cordarex) mit einem hohen Jodanteil kann eine Thyreoiditis auslösen. Sowohl hyper- wie auch hypothyreote Funktionsstörungen sind möglich und treten in ca. 25% der Fälle auf. Eine Hyperthyreose bedarf dann gelegentlich der chirurgischen Sanierung. 2.10.5
Perineoplastische Thyreoiditis
Bei primären Schilddrüsentumoren und Metastasen organfremder Tumoren kann sich eine lymphozytäre Infiltrationsreaktion im umgebenden Gewebe ausbilden. Manchmal sind bei diesen Patienten unspezifisch Antikörper gegen Thyreoglobulin
177 2.10 · Thyreoiditis
und gegen thyreoidale Peroxidase erhöht. Neben der Behandlung der Grunderkrankung ist keine spezifische Therapie notwendig. Literatur Amino N, Mori H, Iwatani Y et al. (1982) High prevalence of transient postpartum thyrotoxicosis and hypothyroidism. N Engl J Med 306:849– 852 Badenhoop K, Schwarz G, Walfish PG et al. (1990) Susceptibility to thyroid autoimmune disease: molecular analysis of HLA-D region genes identifies new markers for goitrous Hashimoto‘s thyroiditis. J Clin Endocrinol Metab 71:1131–1137 Berger SA, Zonzein J, Villamena P, Mittman N (1983) Infectious diseases of the thyroid gland. Rev Infect Dis 5:108–122 Brander A (1992) Ultrasound appearances in de Quervain‘s subacute thyroiditis with longterm follow-up. J Intern Med 232:321–325 Bruin TWA de, Rieckhoff FPM, DeBoer JJ (1990) An outbreak of thyrotoxicosis due to atypical subacute thyroiditis. J Clin Endocrinol Metab 70:396–402 Dayan CM, Daniels GH (1996) Chronic autoimmune thyroiditis. N Engl J Med 335:99–107 DeGroot LJ, Quintans J (1990) The causes of autoimmune thyroid disease. Endocr Rev 10:537–562 Glinoer D, Riahi M, Grün JP (1994) Risk of subclinical hypothyroidism in pregnant women with asymptomatic autoimmune thyroid disorders. J Clin Endocrinol Metab 79:197–204 Gutekunst R, Hafermann W, Mansky T, Scriba PC (1989) Ultrasonography related to clinical and laboratory findings in lymphocytic thyroiditis. Acta Endocrinol 121:129–135 Hay ID (1985) Thyroiditis: a clinical update. Mayo Clin Proc 60:836–843 Heller J, Musiolik J, Homrighausen A, Sauerbruch T, Spengler U (1996) Vorkommen und Bedeutung von Autoantikörpern im Rahmen der Interferontherapie der chronischen Hepatitis C. Dtsch Med Wochenschr 121:1179–1183 Heufelder A, Hay ID (1994) Evidence for autoimmune mechanisms in the evolution of invasive fibrous thyroiditis (Riedel‘s struma). J Clin Invest 72:788–793 Hollowell JG, Staehling NW, Flanders D et al. (2002) Serum TSH, T4, and Thyroid Autoantibodies in the United States Population (1988 to 1994): National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES III). J Clin Endocrinol Metab 87:489–499 Klein I, Levey GS (1982) Silent thyrotoxic thyroiditis. Ann Intern Med 96:242–244 Lio S, Pontocorvi A, Caruso M et al. (1984) Transitory subclinical and permanent hypothyroidism in the course of subacute thyroiditis (de Quervain). Acta Endocrinol 106:67–70 Marazuela M, Garcia-Buey L, Gonzalez-Fernandez B et al.(1996) Thyroid autoimmune disorders in patients with chronic hepatitis C before and during interferon-D-therapy. Clin Endocrinol (Oxf ) 44:635–642 Nikolai TF, Coombs GJ, McKenzie AK et al. (1982) Treatment of lymphocytic thyroiditis with spontaneously resolving hyperthyroidism (silent thyroiditis). Arch Int Med 142:2281–2283 Othman S, Phillips DI, Parkes AB et al. (1990) A long-term follow-up of postpartum thyroiditis. Clin Endocrinol (Oxf ) 32:559–564 Peter SA (1992) Painful subacute thyroiditis (de Quervain’s thyroiditis). J Natl Med Assoc 84:877–879 Quaratino S, Badami E, Pang YY et al. (2004) Degenerative self-reactive human T-cell receptor causes spontaneous autoimmune disease in mice. Nat Med 10:929–926 Rapoport B (1991) Pathophysiology of Hashimoto’s thyroiditis and hypothyroidism. Ann Rev Med 42:91–96 Scherbaum WA, Paschke R (1995) Bedeutung der Schilddrüsenantikörper für Diagnostik und Verlaufsbeurteilung von Schilddrüsenerkrankungen. Internist 36:303–309 Schott M, Scherbaum WA, Morgenthaler NG (2005) TSH-receptor autoantibodies in Graves’ disease. Trends Endocrinol Metab 6:243–248 Singer PA (1991) Thyroiditis: acute, subacute, and chronic. Med Clin North Am 75:61–77
2
Szabo SM, Allen DB (1989) Thyroiditis. Differentiation of acute suppurative and subacute. Case report and review of the literature. Clin Pediatr 28:171–174 Takasu N, Komiya I, Asawa T, Nagasawa Y, Yamada T (1990) Test for recovery from hypothyroidism during thyroxine therapy in Hashimoto’s thyroiditis. Lancet 336:1084–1086 Tomer Y, Davies TF (1993) Infection, thyroid disease, and autoimmunity. Endocr Rev 14:107–120 Tunbridge WM (1979) The epidemiology of hypothyroidism. J Clin Endocrinol Metab 8:21–27 Tunbridge WM, Brewis M, French JM et al. (1981) Natural history of autoimmune thyroiditis. BMJ 282:258–262 Volpé R (1993) The management of subacute (de Quervain‘s) thyroiditis. Thyroid 3:253–255
2.10.6
Die chirurgische Therapie der Thyreoiditis K.-M. Schulte
2.10.6.1 Akute Thyreoiditis Bei der sehr seltenen, durch Bakterien oder Pilze hervorgerufenen akuten Thyreoiditis kann es zu einer Einschmelzung im Sinne eines Abszesses mit meist einseitiger Schwellung, Fluktuation und Hautrötung kommen. In solchen Fällen ist die großzügige ausgedehnte Inzision und Drainage unumgänglich (. Abb. 2.67). Analog zum Vorgehen der Abszessspaltung wird über der Kuppe der Einschmelzung eine Inzision angelegt. Im Gegensatz zur sonstigen Verfahrensweise wird allerdings die Abszessmembran belassen und die Höhle nur stumpf vollständig entleert und gesäubert. Verletzungen der Abszessmembran haben starke, schwer beherrschbare Blutungen aus dem Schilddrüsenparenchym zur Folge. Die Drainage der Abszesshöhle wird bis zum Sistieren der Sekretion belassen und auch dann nur schrittweise zurückgezogen, sodass die Wundheilung per secundam intentionem erfolgt. Besonders im Kindesalter ist die Bildung von Fisteln zwischen Sinus piriformis und Schilddrüse für die Entstehung der suppurativen Thyreoiditis von großer Bedeutung. Die Kenntnis dieses Umstandes erzwingt die sorgfältige Fistelsuche bei jedem jungen oder jugendlichen Patienten. Die chirurgische Infektsanierung wird durch eine hochdosierte antibiotische Therapie mit Betalaktamase-resistenten Penicillinderivaten oder Gyrasehemmern flankiert. Bei der pathologischen Untersuchung sollte insbesondere auch nach den Zeichen einer Tuberkulose inkl. säurefesten Stäbchen gefahndet werden, da diese Erkrankung bei Patienten aus Endemiegebieten auch heute noch eine Rolle spielt. 2.10.6.2 Subakute Thyreoidits de Quervain Die Therapie der subakuten Thyreoiditis ist eine Domäne der konservativen Behandlung. In ganz besonderen Fällen aber kann auch die operative Therapie – im Gegensatz zu selbst unter Endokrinologen weit verbreiteten Ansichten- nötig und sinnvoll sein, um den Patienten von einem langen und konservativ nicht beherrschbaren Leiden zu befreien. Die Indikationsstellung zur Operation setzt eine erfolglose medikamentöse Therapie über mindestens 6 Monate voraus. Dabei sollte zunächst mit Thyroxin und dann mit nichtsteroidalen Antiphlogistika die Entzündung zurückgedrängt werden. Schließlich können ein oder zwei Kortisonstöße appliziert werden. Kommt es unter diesen Maßnahmen nicht zur Beschwerdefreiheit und insbesondere nicht zum Sistieren der oft unerträg-
178
Kapitel 2 · Schilddrüse
. Tab. 2.28. Indikationen zur Operation bei der subakuten Thyreoiditis de Quervain
2
Operationsindikation
Wolf (1983) (n)
Beschwerden/ Schmerz
3
Malignomverdacht Andere (mechanische Beschwerden/ Struma)
Schnyder (1986) (n)
HHUDüsseldorf (n)
Dauer bis zur Operation (Monate)
1
8
8–120
4
10
3
1–4
4
2
6
1–4
Nebenschilddrüsen, ggf. inklusive Autotransplantation zum Funktionserhalt, besonders angesichts der grundsätzlich benignen Natur des Leidens unabdingbar. Unsere eigene Erfahrung mit dem operativen Vorgehen bei subakuter Thyreoiditis ist aufgrund strenger Indikationsstellung begrenzt. Sie ist allerdings durchgängig durch den verlässlichen Erfolg bezüglich der Schmerzbeseitigung gekennzeichnet (. Tab. 2.28). Die 35-Jahres-Erfahrung der Mayo-Klinik an 17 Fällen zeigt, dass eine Thyreoidektomie sicher und erfolgreich durchgeführt werden kann. 2.10.6.3 Autoimmunthyreoiditis vom Typ Hashimoto Auch bei der Hashimoto-Thyreoiditis stellt die Operationsbedürftigkeit die absolute Ausnahme dar. Es finden sich 3 prinzipiell verschiedene Gründe, die zur Operation führen können. Mechanische Kompression. Verläuft die Autoimmunthyreoiditis
. Abb. 2.67a–c. Wesentliche Schritte der Operation eines Strumaabszesses. a Calor, Rubor, Dolor und Fluktuation an der linken Halsseite einer Patientin mit Stumaabszess; b Inzision über dem Punctum maximum des Prozesses mit Entlastung des Eiters; c Darstellung der nun gesäuberten Halsloge vor Einlage einer suffizienten Drainage
lichen seitlichen Halsschmerzen mit Ausstrahlung in den Gehörgang, so vermag die Chirurgie definitive Heilung durch Entfernung des Organs zu bewirken. Grundsätzlich wird die Operation als Thyreoidektomie ausgeführt. Die Rationale für die komplette Entfernung der Drüse sind Beschwerdepersistenz und Schmerzrezidiv in belassenen Schilddrüsenresidua. Eine Abweichung von dieser Regel kann in klinisch und morphologisch streng einseitigen Verlaufsformen sinnvoll sein. Hier kann eine Lobektomie mit erweiterter Isthmusresektion den Therapieerfolg sichern. Für die Thyreoidektomie ist der Standard einer differenzierten Operationspraxis mit Sichtschonung des N. recurrens und sorgfältiger Schonung der
in ihrer hypertrophen Form, so kann eine erhebliche Strumabildung infolge mechanischer Kompression und subjektiver Belastung der Patienten ein operatives Vorgehen im Sinne einer weitreichenden Resektion mit dem Ziel der Dekompression erforderlich machen. Der Eingriff wird hier nach den Prinzipien der Chirurgie der diffusen oder multinodösen Struma vorgenommen. Malignomverdacht. Bilden sich bei der atrophen oder normotrophen Verlaufsform der Hashimoto-Thyreoiditis funktionsinaktive Knoten mit szintigraphisch fehlender Belegung, so besteht Malignomverdacht. Die Inzidenz von differenzierten Schilddrüsenkarzinomen ist im Kollektiv der Hashimoto Patienten deutlich erhöht, sodass jeder suspekte Knoten dringlicher Anlass zu einer Feinnadelpunktionszytologie mit ggf. nachfolgender Operation sein sollte. Unter 1 cm durchmessende papilläre Schilddrüsenkarzinome können mit einer Lobektomie therapiert werden, alle anderen Malignomformen erzwingen die Thyreoidektomie mit Einbeziehung zumindest des zentralen Lymphknotenkompartimentes. Die operative Verfahrensweise entspricht hierbei dem Standard der Chirurgie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms unter Einbeziehung der intraoperativen Dignitätsbestimmung durch Schnellschnittuntersuchung oder ggf. Schnelleinbettung für die follikuläre Neoplasie. Ebenso ist bei nodulären Verlaufsformen der Hashimoto-Thyreoiditis die
179 2.10 · Thyreoiditis
Assoziation mit primären Lymphomen der Schilddrüse zu beachten. Hier ist die radikale Entfernung der Schilddrüse der erste Schritt vor einer nachfolgenden Radiatio und ggf. systemischen Therapie. Hashitoxikosis. Sehr selten kann es im Rahmen der Hashimoto-
Thyreoiditis zu einer akuten Überfunktion als Hashitoxikosis kommen. Hier kann bei Nichtansprechen auf die konservative thyreostatische Therapie die Operation zur Beseitigung der hyperthyreoten Krise erforderlich sein. Operationsziel ist dann die sehr weitgehende Resektion der Schilddrüse unter Hinnahme der postoperativ langfristigen Hypothyreose. 2.10.6.4 Riedel-Struma Die Riedel-Struma stellt als Ergebnis der fibrosierenden Thyreoiditis schon an sich eine Rarität dar. Seltener noch ist die Erfordernis zu einer operativen Therapie bei diesem Krankheitsbild. Ziel der Operation ist ausnahmslos die Dekompression der durch das eisenharte Schilddrüsenorgan strangulierten Trachea. Aufgrund des in allen Teilen der Schilddrüse abgelaufenen derb fibrosierenden bindegewebigen Umbaus ist der Eingriff risikoreich und komplikationsbehaftet. Leicht kommt es zur Verletzung der Epithelkörperchen oder des N. recurrens. Eine vollständige Entfernung sollte nur gewagt werden, wenn beide Strukturen sicher geschont werden können. In allen anderen Fällen ist die Beschränkung auf eine einseitige Resektion oder eine Durchtrennung des Isthmus mit oder ohne Isthmusresektion zu bevorzugen. 2.10.6.5 Sonderformen der Thyreoiditis Externe Radiatio vermag ebenso wie die Radioiodtherapie des iodaviden Organs eine Strahlenthyreoiditis hervorzurufen. Hier sollte die Therapie wenn immer möglich konservativ erfolgen. Eine Operationsindikation haben wir selbst in über 30 Jahren bei dieser Problematik nie stellen müssen. Eine zunehmende Wichtigkeit hat die Amiodaron-assoziierte Thyreoiditis (AAT) mit komplexer Pathophysiologie. Typ-I-AAT tritt in Struma und M. Basedow auf und führt zu vermehrter Hormonsynthese mit Hyperthyreose. Die Therapie erfolgt mittels Beendung der Amiodaron-Therapie mit oft fehlendem Erfolg aufgrund der langen Halbwertszeit. Sodann kommen Thionamide, Perchlorat und die Thyreoidektomie zum Einsatz. Typ-II-AAT führt zur Entspeicherungshyperthyreose und kann erfolgreich mit Prednison behandelt werden. Die Thyreoidektomie spielt hierbei keine Rolle. Im Rahmen der globalen Migration kann es zu einer Begegnung mit der Amyloid-Thyreoiditis bei familiärem mediterranem Fieber kommen.
2
Literatur Duininck TM, van Heerden JA, Fatourechi V, Curlee KJ, Farley DR, Thompson GB, Grant CS, Lloyd RV (2002) Endocr Pract 8:255–258 Okayasu I, Fujiwara M, Hara Y, Tanaka Y, Rose NR (1995) Association of chronic lymphocytic thyroiditis and thyroid papillary carcinoma. A study of surgical cases among Japanese, white and African. Cancer 76:2312–2318 Röher HD, Horster FA, Frilling A, Goretzki P (1991) Morphologie und funktionsgerechte Chirurgie verschiedener Hyperthyreoseformen. Chirurg 62:176–181 Scholefield JH, Quayle AR, Harris SC, Talbot CH (1992) Primary lymphoma of the thyroid, the association with Hashimoto‘s thyroiditis. Eur J Surg Oncol 18:89–92 Seminara SB, Daniels GH (1998) Amiodarone and the thyroid. Endocr Pract. 4:48–57 Szybo SM, Allen DB (1989) Thyreoiditis. Differentiation of suppurative and subacute. Case report and review of the literature. Clin Pediatr 28:171–174 Takami H, Kozokai M (1994) Tuberculous thyroiditis: report of a case with a review of the literature. Endocr J 41:743–747 Wolf G, Kronberger D, Smolle J (1983) Thyreoiditis vom chirurgischen Standpunkt. Chirurg 54:331–334
1 1 Hypophyse und Hypothalamus G. Brabant, M. Buchfelder
1.1
Physiologie von Hypophyse und Hypothalamus
–2
1.2
Epidemiologie und Pathogenese von Hypophysentumoren
1.3
Allgemeine Diagnostik
–4
–5
1.3.1 Ophthalmologische Diagnostik bei suprasellären Prozessen – 5 1.3.2 Bildgebende Diagnosik bei raumfordernden Prozessen im Sellabereich – 6 1.3.3 Diagnostik hormoninaktiver Tumoren – 7
1.4
Diagnostik von Unterfunktionszuständen
–8
1.4.1 Hypophysenvorderlappeninsuffizienz – 8 1.4.2 Diabetes insipidus – 9
1.5
Diagnostik von Überfunktionszuständen
– 10
1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5 1.5.6
Übersekretion von GH: Akromegalie und Gigantismus – 10 Übersekretion von Prolaktin: Hyperprolaktinämie und Prolaktinome – 11 Übersekretion von ACTH: Morbus Cushing – 12 Übersekretion von ACTH: Nelson-Syndrom – 13 Übersekretion von LH oder FSH: Gonadotropin-produzierende Adenome – 13 Übersekretion von TSH: inappropriate Sekretion von TSH und Thyreotropinome – 13 1.5.7 Kraniopharyngeome – 14 1.5.8 Seltene Tumoren im Sellabereich und Entzündungen – 14
1.6
Therapie der Hypophysenvorderlappeninsuffizienz – 14
1.7
Therapie des Diabetes insipidus
1.8
Therapie von Hypophysenadenomen – 16
1.8.1 1.8.2 1.8.3 1.8.4 1.8.5 1.8.6 1.8.7 1.8.8 1.8.9
Operative Verfahren – 16 Radiotherapie – 18 Therapie von Akromegalie und Gigantismus – 18 Therapie von Prolaktinomen – 19 Therapie des Morbus Cushing – 20 Therapie des Nelson-Syndroms – 21 Therapie der inappropriaten Sekretion von TSH – 22 Therapie der hormoninaktiven Hypophysenadenome – 22 Therapie der Kraniopharyngeome – 22
1.9
Nachsorge Literatur
– 22 – 22
– 15
2
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
) ) Durch die Verbreitung sensitiver Nachweisverfahren für Hypophysenhormone ist die Diagnostik hypophysär-hypothalamischer Erkrankungen verfeinert, deren Differenzialdiagnostik verbessert und die Effizienz der verschiedenen Therapieverfahren quantifizierbar geworden. Moderne mikrochirurgische Operationsmethoden erlauben die selektive Resektion von Hypophysengeschwülsten und damit die Beseitigung raumfordernder Effekte und exzessiver Hormonproduktion unter Erhaltung der normalen hypophysären Partialfunktionen. Dabei hat der transsphenoidale Zugangsweg, über den bis zu 90% dieser Operationen erfolgen können, besondere Bedeutung. Dagegen können lediglich Prolaktin-produzierende Tumoren medikamentös kurativ therapiert werden. Alle hormonellen Defektsyndrome können bedarfsgerecht substituiert werden, wobei wiederum neben klinischen Daten wiederholte Hormonbestimmungen dazu beitragen, möglichst physiologische Verhältnisse wiederherzustellen.
1.1
Physiologie von Hypophyse und Hypothalamus
Die Hypophyse, in der Sella turcica des Os sphenoidale gelegen, ist das zentrale Steuerorgan endokriner Regulation. Entwicklungsgeschichtlich besteht sie aus 2 Anteilen: dem Hypophysenvorderlappen, einer Ausstülpung der Rathke-Tasche der embryonalen Mundhöhle, und dem Hypophysenhinterlappen, in den Axone zweier weitgehend unabhängiger, im N. supraopticus und N. paraventricularis liegender Kernareale projizieren. Aus diesen Axonen ist auch der Hypophysenstiel zusammengesetzt. Zwei Hormone, ADH/Vasopressin bzw. Oxytozin, werden aus dem Hypophysenhinterlappen, der Neurohypophyse, freigesetzt. ADH/Vasopressin kontrolliert über osmotische Stimuli im Durstzentrum die Wasserkonservierung, während Oxytozin Milchbildung und Uteruskontraktion regelt. Im Gegensatz zur direkten neuronalen Steuerung des Hypophysenhinterlappens wird die Funktion des Vorderlappens humoral auf dem Blutweg über das Portalgefäßsystem kontrolliert. Hypothalamische Peptidhormone stimulieren (Releasing-Hormone) oder inhibieren (Inhibiting-Hormone) nach Freisetzung aus der Eminentia mediana in das Portalvenengeflecht die sekretorische Aktivität der Zellen des Hypophysenvorderlappens. Die Durchblutung der Adenohypophyse ist mit 0,8 ml/g/min außerordentlich hoch. In . Abb. 1.1 ist die hierarchische Kontrolle der Sekretion der verschiedenen Hormone der Hypophyse zusammengefasst, in . Tab. 1.1 deren biologische Wirkung. Thyreotropes Hormon. Das thyreotrope Hormon (TSH; MW
30 kd) steuert Funktion und Proliferation der Schilddrüse. Seine Synthese und Freisetzung wird hypothalamisch und durch die negative Rückkopplung von Schilddrüsenhormonen gesteuert. Im N. periventricularis des Hypothalamus gebildetes Thyreotropin-releasing-Hormon (TRH) stimuliert nicht nur Synthese und Freisetzung, sondern erhöht auch die biologische Aktivität von TSH durch seinen Einfluss auf die Glykosylierung des Hormons. TSH besteht aus 2 Untereinheiten. Die α-Untereinheit ist identisch zu der anderer hypophysärer Hormone, wie luteinisierendem Hormon (LH) oder follikelstimulierendem Hormon (FSH), während die β-Untereinheit spezifisch für das Hormon
. Abb. 1.1. Hierarchische Struktur des hypothalamisch-hypophysären Systems (nicht im Text erklärte Abkürzungen: RH Releasing-Hormon; IH Inhibiting-Hormon; HVL Hypophysenvorderlappen; HHL Hypophysenhinterlappen; MSH Melanozytenstimulierendes Hormon; ST Somatoskatin)
ist. α- und β-Untereinheiten werden auf unterschiedlichen Chromosomen kodiert. Beide Untereinheiten werden intrazellulär zusammengesetzt, wobei erst eine ausgeprägte Glykosylierung die Bioaktivität des Hormons ermöglicht. Hypothalamisch freigesetztes Somatostatin und Dopamin hemmen Biosynthese und Sekretion von TSH und können durch Schilddrüsenhormone stimuliert werden. Schilddrüsenhormone hemmen zusätzlich hypothalamisch die TRH-Biosynthese und -Sekretion. Hypophysär wirken sie direkt inhibitorisch, wobei das Prohormon Thyroxin hypothalamisch wie hypophysär in das eigentlich regulatorisch aktive Trijodthyronin (T3) umgewandelt werden muss. Hypophysär wird dies enzymatisch durch die Typ-II-Dejodase, hypothalamisch durch eine andere Form des Enzyms, die TypIII-Dejodase, bewerkstelligt. TSH wird mit einem zirkadianen Sekretionsmuster freigesetzt, das aus kurzen Sekretionspulsen von ca. 30–60 min Dauer aufgebaut wird. Während des Anstiegs zum nächtlichen Sekretionsgipfel gegen 2.00 Uhr nachts folgen diese pulsatilen Sekretionsaktivitäten, die eine Amplitude von 30–50% der Basalsekretion haben, in kürzerer Folge und verschmelzen zum Anstieg des Basalspiegels. Gonadotropine. Auch die Gonadotropine, LH und FSH, weisen
eine ausgeprägte Sekretionsdynamik auf. Hier findet sich allerdings nur in der Pubertät eine zirkadiane Rhythmik mit nächtlichem Anstieg, während beim Erwachsenen isolierte Sekretionspulse in ca. 2-stündigem Abstand auftreten. Im Gegensatz zu LH, dessen Pulsamplitude ein Vielfaches der basalen Sekretion ausmacht, sind die FSH-Pulse mit ca. 100% der Basalsekretion deutlich niedriger. Beide Gonadotropine (MW ca. 30 kd) haben mit TSH die α-Untereinheit gemeinsam. Ähnlich dem TSH ist die Glykosylierung von α- wie β-Kette auch hier für die Bioaktivität der Hormone an Hoden und Ovar entscheidend. Die β-Untereinheit definiert die Spezifität des Hormons für die Rezeptoren. Bei der Frau stimuliert LH die Produktion von Androgenen durch die Thekazellen des Ovars. FSH steigert das Wachstum und die Aromataseaktivität der Granulosazellen des Ovars, die Androgene in Östrogene umwandeln können und ihrerseits auf die Thekazellen zur Induktion des Eisprungs rückwirken. Unter dem Einfluss von FSH wird ein potenter Inhibitor der hypophysären FSH-Sekretion, Inhibin, in den Granulosazellen gebildet.
1
3 1.1 · Physiologie von Hypophyse und Hypothalamus
. Tab. 1.1. Hormone der Adenohypophyse: Interaktion mit anderen Hormonen, Symptome bei Funktionsstörungen, Tests (nicht im Text erklärte Abkürzungen: GABA gamma Aminobuttersäure; SIADH Syndrom der adäquaten ADH-Sekretion; MCL Metoclopramid; AVP Arginin Vasopressin)
Hormon
Hypothalamische ReleasingHormone
Hypothalamische InhibitingHormone
Rückkoppelnde Hormone
Klinische Symptome bei Überfunktion
Klinische Symptome bei Unterfunktion
Stimulationstests
Thyreotropin (TSH) mU/l
TRH
Somatostatin, Dopamin
Thyroxin, Trijodthyronin
Hyperthyreose, Struma
Hypothyreose
TRH-Test
Luteotropin (LH) U/l
GnRH
Testosteron, Östradiol
Gonadeninsuffizienz
Gonadeninsuffizienz
GnRH-Test, Clomiphentest, Naloxontest, wenige Indikationen
Follikelstimulierendes Hormon (FSH) U/l
GnRH
Inhibin, Activin, Follistatin, Testosteron, Östradiol
Gonadeninsuffizienz
Gonadeninsuffizienz
GnRH-Test
Prolaktin ng/ml
TRH, PRF, Serotonin, VIP, PHM
Dopamin, GAP, GABA
GH ng/ml
GHRH, GHRP
Somatostatin
IGF-1
Akromegalie
Hohes kardiovaskuläres Risiko, Lipidveränderungen, Muskelschwäche
GHRH, Argininhydrochlorid-, Insulinhypoglykämietest, Kombination mit Pyridostigmin
ACTH pg/ml
CRF, AVP, synergistische Aktion, Zytokine (z. B. TNF-α, IL-1, IL-6)
α2-Katecholamine, GABA, Kortisol
Kortisol via Typ-II-(Typ-I-) Glukokortikoidrezeptoren
CushingSyndrom
Morbus Addison
CRH, AVP, Insulinhypoglykämietest, Dexamethasonsuppressionstest
Plasmaosmolalität
SIADH
Diabetes insipidus
Durstversuch
ADH
TRH-, MCL-Test = unspezifisch
Galaktorrhö, gonadale Insuffizienz
Beim Mann fördert LH in erster Linie die Testosteronproduktion der Leydig-Zellen. Im Zusammenspiel mit Testosteron induziert FSH die Spermatogenese in den Tubuli seminiferi. Durch FSH wird Inhibin aus den Sertoli-Zellen des Hodens freigesetzt, das seinerseits die hypophysäre FSH-Sekretion hemmt. LH wie FSH stehen beim Mann unter einer negativ rückkoppelnden Kontrolle durch Androgene. Bei der Frau ist die negative Wirkung von Östrogenen auf die Gonadotropinsekretion abhängig von der Konzentration. Beide Gonadotropine werden durch ein hypothalamisches Releasing-Hormon, das Dekapeptid Gonadotropin-releasingHormon (GnRH, LHRH, LRH), stimuliert. GnRH bindet an hochaffine Rezeptoren auf den gonadotropen Zellen und ist zentral für die pulsatile Freisetzung der Gonadotropine verantwortlich. GnRH wird pulsatil von den GnRH-Neuronen in der Eminentia mediana abgegeben. Die Kinetik der Sekretionsantwort, wie die Inaktivierung durch Desensitivierung, ist für beide Gonadotropine unterschiedlich und determiniert die duale Regulation beispielsweise während des Menstruationszyklus. Die Sexualsteroide Östradiol und Progesteron beeinflussen die Frequenz der hypothalamischen GnRH-Freisetzung differenziell,
ein Phänomen, das Teil der positiven Rückkopplung zum Zeitpunkt des Eisprungs ist. Prolaktin. Prolaktin wird in den mammotropen Zellen der Hypo-
physe gebildet und weist eine ausgeprägte Pulsatilität auf, mit Amplituden bis zum 10-fachen der basalen Sekretion. In der Regel liegt es als 23 kd großes Protein vor. Neben seiner namensgebenden Wirkung auf die Laktation beeinflusst Prolaktin die gonadalen Funktionen bei Mann und Frau. Im Gegensatz zu allen anderen hypophysären Hormonen steht Prolaktin unter einer chronisch inhibitorischen Wirkung durch den Hypothalamus. Wichtigster hypothalamischer Inhibitor ist Dopamin, das über spezifische Dopamin-D2-Rezeptoren Synthese und Sekretion von Prolaktin reduziert. TRH und ein kürzlich charakterisierter Prolaktin-releasing-Faktor, PRF, stimulieren die Freisetzung von Prolaktin. Wachstumshormon. Viele der mammotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens sind bihormonal (somatomammotrope Zellen) und produzieren ein weiteres Hormon, Wachstumshormon (GH, Somatotropin), das auch von ausschließlich somato-
4
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
tropen Zellen sezerniert wird. GH wird vorwiegend als 191 Aminosäuren großes Polypeptidhormon (22 kd), aber auch als Splice-Variante mit 20 kd sezerniert. GH entfaltet seine Wirkung über spezifische Rezeptoren in der Peripherie und stimuliert als wichtigstes Zielhormon den Insulin-like-growth-Faktor-(IGF-)1, vorwiegend aus der Leber. Eine lösliche Form seines Rezeptors wirkt als Bindungsprotein. GH weist eine ausgeprägte Pulsatilität auf, mit Anstiegen in den Pulsen um einen Faktor 100 gegenüber dem an der unteren Nachweisgrenze meßbaren Basalspiegel. Pulse treten nachts während des Schlafs, nahrungsabhängig, aktivitätsabhängig, aber auch spontan auf. GH wird hypothalamisch durch stimulierende Peptide wie GHRH (»growth hormone releasing hormone«), aber auch durch GHRP (growth hormone releasing peptide), ein Peptid, das die Wirkung von GHRH verstärkt, freigesetzt. Hypothalamisch freigesetztes Somatostatin ist der stärkste Inhibitor der GHSekretion. Namensgebend ist die wachstumsstimulierende Wirkung des Hormons. Erst in jüngster Zeit sind die physiologischen Wirkungen von GH beim Erwachsenen besser charakterisiert worden. GH ändert die Körperzusammensetzung, indem es die Muskelmasse aufbaut und die Fettdepots über seine lipolytische Wirkung verringert. Diese Effekte verbessern zusammen mit einem direkten positiven kardialen Einfluss die körperliche Leistungsfähigkeit unter einer Therapie mit Wachstumshormon. Adrenokortikotropes Hormon. ACTH, ein aus 39 Aminosäuren
bestehendes Peptid, wird nach enzymatischer Abspaltung aus einem Vorläuferprotein, Proopiomelanocortin (POMC), von den adrenokortikotropen Zellen sezerniert. Neben ACTH werden β-Endorphin und MSH aus POMC abgespalten. Auch ACTH wird pulsatil mit einem nächtlichen Sekretionsgipfel zwischen 3.00 und 4.00 Uhr ausgeschüttet. ACTH-Pulse können aber auch spontan zu allen Zeiten während des Tages auftreten, wobei allerdings eine zirkadiane Rhythmik niedrigere mittlere ACTH-Spiegel in den Abendstunden erwarten lässt. Die Sekretion von ACTH steht unter hypothalamischer Kontrolle durch ein stimulierendes Releasing-Hormon, CRH. Neben CRH wirkt Arginin-Vasopressin (AVP) als potenter ACTHStimulator. Komponenten eines aktivierten Immunsystems, wie die Zytokine Interleukin 1 und 6 (IL-1; IL-6) sowie TNF-α, zeigen über ihre ACTH-freisetzende Wirkung die enge Verbindung des Immunsystems mit der adrenokortikotropen Achse auf. Auch psychischer Stress oder depressive Verstimmungen können diese Achse stimulieren. ACTH setzt aus der Nebennierenrinde Glukokortikoide, Mineralokortikoide und Androgene frei. Während die Mineralokortikoide unter einer zusätzlichen Kontrolle durch das Renin-Angiotensin-System stehen, wird Kortisol als wichtigstes Glukokortikoid physiologischerweise eng mit der ACTH-Sekretion gekoppelt ausgeschüttet. Kortisol entfaltet seine Wirkung in der Peripherie vorwiegend über eine Aktivierung von Typ-II-Glukokortikoidrezeptoren. Zu seinen Wirkungen gehört die Steuerung des Protein-, Kohlenhydrat-, Lipid- und Nukleinsäurestoffwechsels. Glukokortikoide wirken entzündungshemmend und die daraus abgeleitete Suppression von Zytokinen ist Teil eines negativen Feedbacks von Glukokortikoiden auf die ACTH-Freisetzung. Entscheidend für eine physiologische negative Rückkopplung von Glukokortikoiden auf die ACTH-Sekretion ist allerdings die Aktivierung sowohl hypothalamischer als auch hypophysärer Glukokortikoidrezeptoren.
1.2
Epidemiologie und Pathogenese von Hypophysentumoren
Eine Fehlfunktion der Hypophyse kann durch primär hypophysäre Störungen oder durch eine Alteration des Regelkreises mit Veränderungen in den übergeordneten hypothalamischen Zentren oder in der Rückkopplung durch die peripheren Zielhormone bedingt sein. Primär hypophysäre Erkrankungen gliedern sich in lokale Störungen mit Bildung eines gutartigen oder selten eines malignen Tumors, die von den unterschiedlichen Zelltypen der Adenohypophyse ausgehen und nicht notwendigerweise zu einer Alteration der Funktion führen müssen. Ist die Hormonproduktion der Tumorzellen erhalten, kommt es zu spezifischen Krankheitsbildern, die durch den Exzess der jeweiligen hormonellen Achse gekennzeichnet sind. Ein Tumor ohne spezifische Hormonsekretion führt durch Druck auf das umliegende normale Hypophysengewebe zu einer Insuffizienz der normalen hypophysären Steuerung, wenn eine entsprechende Tumorgröße erreicht ist. Alle hormonbildenden Zellen des Hypophysenvorderlappens können tumorös entarten. Obwohl ca. 50% der Zellen der Adenohypophyse Wachstumshormon (GH) produzieren, sind GH-produzierende Hypophysentumoren nicht die häufigste Form eines hormonproduzierenden Hypophysentumors, sondern Prolaktin-(PRL-)produzierende Tumoren, die von laktotropen Zellen (ca. 15% aller Zellen der Adenohypophyse) abstammen. Als Erklärung dieser Diskrepanz konnte gezeigt werden, dass eine Vielzahl der mammotropen GH-produzierenden Zellen bihormonale somatomammotrope Zellen sind, die nach tumoröser Entartung lediglich PRL produzieren. Wesentlich seltener sind ACTH-bildende kortikotrope Zellen (ca. 15–20%), die Gonadotropine LH und FSH bildende gonadotrope Zellen (ca. 10%) und TSH-produzierende, thyreotrope Zellen (ca. 5%). Histologisch eindeutig hypophysäre Tumorzellen, die immunhistochemisch keine nachweisbaren Hormone bilden, werden als Nullzellen bezeichnet. Tumoren der Neurohypophyse sind Raritäten. Wie in . Tab. 1.1 und . Abb. 1.1 schematisch dargestellt, stehen die hormonbildenden Zellen der Adenohypophyse unter einer dualen Kontrolle hypothalamischer Faktoren und peripherer Zielparameter. Die Steuerung der normalen Funktion des Hypophysenlappens ist für jede Partialfunktion durch eine komplexe Interaktion von stimulierenden und inhibierenden hypothalamischen Hormonen – sog. Releasing- und InhibitingHormonen – gekennzeichnet und wird durch die negative Rückkopplung der peripheren Zielhormone auf hypothalamische wie hypophysäre Zentren moduliert. Die Pathogenese von Funktionsstörungen der Hypophyse wie von Hypophysentumoren ist nur für einzelne Subgruppen besser aufgeklärt. In jüngster Zeit konnte eine Reihe von selektiven Ausfällen als Mutationen in Genen wie HESX1, PROP1, PIT-1 oder LHX3/4 identifiziert werden, die für die Hormone einzelner Hypophysenpartialfunktionen bzw. deren Untereinheiten kodieren. So konnten Mutationen der β-Untereinheit von LH wie von FSH für Ausfälle der gonadalen Achse verantwortlich gemacht werden. Ähnlich findet sich eine Mutation der β-TSHUntereinheit als Ursache einer zentralen Hypothyreose. Mutationen des Transkriptionsfaktors Pit-1 führen zu einer Fehlanlage der Hypophyse mit Ausfall von GH, TSH und Prolaktin, während eine Mutation von Prop-1 zusätzlich zu einem Ausfall von LH und FSH führt. Mutationen von Ptx1, einem Transkriptionsfak-
5 1.3 · Allgemeine Diagnostik
tor für das POMC-Gen, ziehen einen Ausfall der adrenokortikotropen Achse nach sich. Eine DAX-1-Mutation ist Ursache einer seltenen adrenalen Hypoplasie mit einem Ausfall der Proopiomelanokortin-Sekretion. In der Entwicklung einiger GH-produzierender Tumoren sind Mutationen des gsp-Onkogens nachgewiesen worden. Dem MEN-I-Syndrom, das mit Hypophysentumoren assoziiert ist, liegt am ehesten eine Mutation eines Tumorsuppressorgens, des Menin-Gens auf Chromosom 11q13, zugrunde. Vor allem bei invasiv wachsenden Hypophysentumoren scheint die Inaktivierung eines weiteren Tumorsuppressorgens nm23 eine wesentliche Rolle zu spielen. Als Wachstumsfaktor ist die Familie der Fibroblastenwachstumsfaktoren (FGF), insbesondere FGF2 und FGF4, für die Genese der Hypophysentumoren von Bedeutung. Besonders häufig finden sich Veränderungen von FGF4 bei Prolaktin-produzierenden Adenomen. Auch ein anderer wachstumsassoziierter Faktor, TGFα (»transforming growth factor«), wird bei Prolaktinomen überexprimiert gefunden. Exogene Faktoren, die die Entstehung eines Hypophysentumors begünstigen, sind nicht bekannt. Das Wachstum der Tumoren ist vom histologischen Typ weitgehend unabhängig und unterliegt keiner Gesetzmäßigkeit. Etwa 1/3 der Tumoren wächst invasiv und durchsetzt vorgegebene Gewebsspalten der Kapsel, des Sellaknochens oder des Subarachnoidalraumes. Die anderen 2/3 wachsen expansiv verdrängend. Ca. 8–10% aller Hirntumoren sind Hypophysentumoren. Ihre Einteilung erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien wie der Größe des Tumors, seiner Ausdehnung, seiner endokrinen Aktivität, der Histologie bzw. der Immunhistochemie. Mögliche Klassifikationen der Tumoren sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt.
Klinische Symptomatik bei Hypophyseninsuffizienz 5 Somatotrope Achse – Im Kindesalter: Minderwuchs – Im Erwachsenenalter: Fettstoffwechselstörungen, Arteriosklerose, Adipositas, Leistungsdefizit, Muskelschwäche 5 Gonadotrope Achse – Beim Kind: Ausbleiben der Pubertät – Bei der Frau: Oligo-, Amenorrhö, Infertilität, Atrophie der Brust – Beim Mann: Libido- und Potenzstörungen, Infertilität, Testesatrophie – Bei beiden Geschlechtern: bleiche Haut, Verlust der Sekundärbehaarung 5 Adrenokortikotrope Achse: Adynamie, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen, Hypoglykämie, Hypotonie 5 Thyreotrope Achse: Kälteintoleranz, trockene, schuppige Haut, Gewichtszunahme, Obstipation, Myxödem
1.3
Allgemeine Diagnostik
1.3.1 Ophthalmologische Diagnostik
bei suprasellären Prozessen Aufgrund der räumlichen Nähe des Chiasma opticum und der Hypophyse kommt es bei suprasellär wachsenden Tumoren häufig zu einer Kompression der Sehbahn im Bereich des Chiasma opticum oder des Tractus opticus. Sehstörungen äußern sich in einer Einschränkung des Gesichtsfeldes bzw. in einer Optikusatrophie. Augenmuskelparesen sind dagegen selten. Meist bitemporale Ausfälle des Gesichtsfeldes sind die häufigsten Zeichen
Klassifikationen von Hypophysenadenomen 5 Größe – <10 mm: Mikroadenom – >10 mm: Makroadenom – >40 mm: Riesenadenom 5 Ausdehnung – Intrasellär – Parasellär – Suprasellär – Retrosellär – Subfrontal – Sphenoidal 5 Hormonaktivität – Endokrin inaktiv – Endokrin aktiv – Prolaktin-produzierend – hGH-produzierend – TSH-produzierend – LH-/FSH-produzierend – ACTH-produzierend – Mischtyp
Die Differenzialdiagnose von Hypophysentumoren muss insbesondere hypothalamische Störungen mit in die möglichen Ursachen einbeziehen (7 Kap. 1.4).
1
. Abb. 1.2. Intraselläres Mikroadenom der Hypophyse als umschriebene, weniger signalintense intraselläre Zone (T1-gewichtetes MR in koronarer Schnittführung)
6
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
1
. Abb. 1.3a,b. Intra- und supraselläres Makroadenom der Hypophyse vor (a) und nach (b) transsphenoidaler Operation (jeweils T1-gewichtete MR in koronarer und sagittaler Schnittführung)
solch tumorbedingter Schädigung und können durch Perimetrie objektiviert werden. Meist fällt zunächst der obere temporale Quadrant aus. In der klinischen Untersuchungssituation lassen sich stärkere Einschränkungen des Gesichtsfeldes sogar fingerperimetrisch abschätzen. 1.3.2 Bildgebende Diagnosik bei raumfordernden
Prozessen im Sellabereich Das zurzeit beste Verfahren zum Nachweis oder Ausschluss von raumfordernden Prozessen im Bereich der Sella turcica ist die Kernspintomographie. Insbesondere T1-gewichtete Sequenzen
in dünner Schichtung bilden die topographischen Verhältnisse realitätsgerecht ab und helfen, besonders sensitiv Mikro- und Makroadenome darzustellen. Intraselläre Mikroadenome stellen sich dabei als weniger signalintense, umschriebene Zonen dar (. Abb. 1.2), während Makroadenome meist in den Aufnahmen ohne Kontrastmittel im Vergleich zum benachbarten Hirnstamm nahezu isointens sind, aber deutlich paramagnetisches Kontrastmittel aufnehmen (. Abb. 1.3a). Sie können aber beispielsweise nach zystischer Umwandlung primär hypo- oder beispielsweise nach Einblutung hyperintens sein oder auch gemischte Signalintensitäten haben. Größere Tumoren werden auch durch die Computertomographie zuverlässig abgebildet. Verkalkungen, die bei manchen
7 1.3 · Allgemeine Diagnostik
1
. Abb. 1.4. Supraselläres, zystisches Kraniopharyngeom als ausschließlich extrasellärer Tumor bei normal großer Sella turcica (T1-gewichtete MR in sagittaler Schnittführung)
. Abb. 1.5. Lymphozytäre Hypophysitis als intra- und suprasellärer raumfordernder Prozess (T1-gewichtete MR in sagittaler Schnittführung); der verdickte Hypophysenstiel reichert Gadolinium an
Sellatumoren (z. B. Kraniopharyngeomen) häufig auftreten, werden im CT sogar sensitiver nachgewiesen. Der Wert der konventionellen Schädelübersichtsaufnahme nimmt immer mehr ab, weil sie nur indirekt eine Vergrößerung der Sella turcica anzeigt, aber den Tumor nicht direkt abbilden kann. Eine Angiographie der Hirngefäße ist heute nur noch sehr selten zur präoperativen Planung notwendig, weil Gefäßschlingen in den Sellabereich oder die Keilbeinhöhle bereits durch das Kernspintomogramm zuverlässig erfasst werden. Vor Reoperationen sollte aber zum Ausschluss iatrogener Läsionen intrakranieller Arterien durch den Ersteingriff sicherheitshalber angiographiert werden. Die Kernspintomographie erlaubt auch die postoperative Beurteilung der Radikalität der Tumorentfernung (. Abb. 1.3b) und die Differenzialdiagnose raumfordernder Prozesse im Sellabereich (. Abb. 1.4 und 1.5).
des raumfordernden Prozesses im Schädelinneren, wie Sehstörungen oder Kopfschmerzen, auf. Letztere treten erst auf, wenn eine meningeale Reizung vorliegt oder es durch die Größe des Tumors oder durch eine Blockade der Liquorzirkulation durch Kompression der Foramina Monroi zu Hirndrucksymptomatik kommt. Werden durch supraselläres Wachstum das Chiasma opticum oder die Nn. optici komprimiert, können, wie oben beschrieben, Sehstörungen auftreten. Bei Kompression der Hirnnerven III, IV und VI durch laterales Tumorwachstum, also paraselläre Ausdehnung, kommt es zu charakteristischen Störungen der Augenmotilität mit Auftreten einer Ptose, Mydriasis und von Doppelbildern. Sehr selten tritt eine Rhinoliquorrhö als klinisches Erstsymptom auf. Bedingt durch ein Hypophysenvorderlappenadenom fällt typischerweise als erste der Hypophysenpartialfunktionen die somatotrope Achse aus, gefolgt von der gonadotropen Achse. Diese beiden Partialfunktionen sind insgesamt auch am häufigsten betroffen. Ein Ausfall der adrenokortikotropen und zuletzt der thyreotropen Hypophysenachse ist deutlich seltener. Lediglich bei einer Immunhypophysitis als Ursache eines Hypophysentumors kann es zu Ausfällen einzelner hypophysärer Partialfunktionen kommen. In diesen Fällen ist es auch möglich, dass isoliert die thyreotrope oder kortikotrope Achse in Assoziation mit einem bildgebend nachweisbaren Tumor der Hypophyse ausfällt, während andere Achsen, wie die somatotrope oder gonadotrope, intakt bleiben. Eine Immunhypophysitis ist gegenwärtig schwer präoperativ zu beweisen. Symptome durch Alterationen der Hypophysenpartialfunktionen manifestieren sich durch die klinischen Zeichen einer Wachstumsstörung und ein Ausbleiben bzw. eine Verzögerung der Pubertät beim Kind, einen sekundären Hypogonadismus beim Erwachsenen, eine sekundäre Hypothyreose und eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz. Eine Beeinträchtigung des Hypophysenhinterlappens mit Manifestation eines Diabetes insipidus ist bei hormoninaktiven Hypophysenadenomen selten.
1.3.3 Diagnostik hormoninaktiver Tumoren Histologie. Histologisch liegt hier meist ein Nullzelladenom der Hypophyse vor, das klinisch wie laborchemisch keine Zeichen einer Hormonmehrsekretion aufweist. Immunhistochemisch ist in der Regel kein eindeutiger Nachweis hypophysärer Hormone möglich. Gelegentlich lassen sich immunhistochemisch scheinbar hormonell inaktive Hypophysentumoren einer bestimmten Zellspezies zuordnen, ohne dass eine Mehrsekretion des Hormons in der Zirkulation nachweisbar ist (»silent secretor«). Klinische Symptomatik. Die klinische Symptomatik hängt im Wesentlichen von der funktionellen Beeinflussung der Hypophysenachsen durch den Tumor ab. Die Größe des Tumors spielt nicht immer die entscheidende Rolle, da auch sehr große Tumoren lange Zeit klinisch asymptomatisch bleiben können. Kommt es nicht zur Diagnose im Rahmen einer Hypophysenunterfunktion, so fallen hormoninaktive Hypophysentumoren erst durch Zeichen
1
8
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
1.4
Diagnostik von Unterfunktionszuständen
1.4.1 Hypophysenvorderlappeninsuffizienz Differenzialdiagnose. In der folgenden Übersicht ist die Differenzialdiagnose einer Hypophyseninsuffizienz bei Vorliegen eines raumfordernden Prozesses im Sellabereich zusammengestellt.
Differenzialdiagnose der Hypophysentumoren 5 Hypophysenadenome – Primäre Hypophysenkarzinome 5 Ontogenetische Zellresttumoren – Kraniopharyngeome – Epidermoide – Chordome – Lipome 5 Zysten und Fehlbildungen – Zysten der Rathke-Tasche – Kolloidzysten – Arachnoidalzysten – Empty-Sella-Syndrom – Echinokokkuszysten 5 Primitive Keimzelltumoren – Teratome – Germinome – Dysgerminome – Dermoide 5 Granulomatöse Erkrankungen – Langerhans-Zellhistiozytose – Sarkoidose – Abszesse – Tuberkulome – Hypophysitis 5 Gliome – Astrozytome – Ependymome – Oligodendrogliome 5 Vaskuläre Prozesse – Aneurysmen – Hämangiome – Blutungen 5 Pseudotumor cerebri 5 Meningiome 5 Metastasen 5 Enchondrome
Zur Überprüfung der Hypophysenpartialfunktionen werden die peripheren Zielhormone von Nebenniere, Schilddrüse und Gonaden, aber auch die stimulierenden Hormone aus dem Hypophysenvorderlappen bestimmt (. Tab. 1.2). Frauen mit regelmäßigen, spontanen Zyklusblutungen müssen nicht laborchemisch in Bezug auf ihre gonadotrope Partialfunktion untersucht werden. Unter hormoneller Kontrazeption oder unter Östrogensubstitution ist eine sinnvolle Abklärung der gonadotropen Funktion nicht möglich. Prolaktin und IGF-1 als peripher wirksamer Metabolit des Wachstumshormons, das selbst als pulsatil sezerniertes Hormon
. Tab. 1.2. Laborparameter zur Überprüfung der Hypophysenachsen
Achse
Hypophysenhormon
Periphere Hormone
Somatotrope Achse
hGH
IGF-1, IGFBP-3
Gonadotrope Achse
LH,FSH
Östradiol, Testosteron
Thyreotrope Achse
TSH
T3, T4, bzw. fT3, fT4
Kortikotrope Achse
ACTH
Kortisol, (DHEAS), 24 h-Urin: Kortisol
Mammotrope Achse
Prolaktin
großen Schwankungen ausgesetzt ist, gehören zur Routinediagnostik. IGF-1 wie auch das GH-abhängige Bindungsprotein von IGF-1, IGFBP-3, können allerdings nicht mit Sicherheit einen GH-Mangel ausschließen und sind insbesondere vom Entwicklungsstatus abhängig. Sie müssen vielfach durch Stimulationstests (Insulinhypoglykämie-, GHRH- und/oder Argininhydrochloridtest) ergänzt werden. Hier werden zunehmend Kombinationstests (GHRH + Argininhydrochlorid) eingesetzt, die eine bessere Differenzierung einer Insuffizienz der Achse erlauben. Cave Wie beim hGH müssen auch bei der Messung von ACTH die tageszeitliche Pulsatilität sowie die starke Temperaturempfindlichkeit nach der Blutentnahme Beachtung finden.
Die Entwicklung sensitiver Verfahren zur Messung hypophysärer Hormone und ihrer peripheren Zielparameter erlaubt in vielen Fällen eine Einordnung der Regelkreise aus den Basalhormonspiegeln. Allerdings führt die ausgeprägte Pulsatilität einzelner hypophysärer Hormone dazu, dass eine Diagnostik aus Einzelproben allein nicht möglich ist. Hier kann die Bestimmung peripherer Zielparameter mit wenig ausgeprägter Pulsatilität, wie beispielsweise die Messung von IGF-1 und seinem Bindungsprotein IGFBP-3 bei Sekretionsstörungen von GH, eine deutliche Verbesserung der Genauigkeit erbringen. Wesentliche Voraussetzung für eine korrekte Einschätzung des Regelkreises ist die Berücksichtigung interferierender Therapiemodalitäten. So ist beispielsweise eine Überprüfung der gonadalen Achse unter der Einnahme von Antikontrazeptiva nicht möglich, ein häufiger, kostentreibender Fehler in der Diagnostik. Bei Überfunktionszuständen lässt sich durch die Gabe von physiologischen Inhibitoren der jeweiligen Achse im Rahmen von Suppressionstests die Ursache eines Hormonexzesses besser eingrenzen. Umgekehrt werden Stimulationstests eingesetzt, um eine Insuffizienz einzelner hypophysärer Achsen besser zu definieren und um Hinweise auf die Lokalisation der Störung zu erhalten. Ein hormonelles Defizit wird der hypothalamischen Ebene zugeschrieben, wenn im Test nach hypothalamischer Aktivierung eine entsprechende Hormonantwort ausbleibt. Dagegen spricht ein Ausbleiben der Antwort bei
9 1.4 · Diagnostik von Unterfunktionszuständen
direkter hypophysärer Stimulation für eine primär hypophysäre Ursache. Unverändert hat der Insulinhypoglykämietest eine wichtige Bedeutung in der Überprüfung der hypothalamischen Funktionen, auch wenn selten schwerwiegende Nebenwirkungen wie zerebrale Krampfanfälle eine genaue Beachtung der Kontraindikationen und eine enge Überwachung der Patienten erforderlich machen. Hier werden 0,15 IE Insulin/kg KG (nach Operationen im Bereich von Hypothalamus und Hypophyse 0,1 IE/kg KG) injiziert. Für die Definition der meisten Formen einer hypothalamisch-hypophysären Insuffizienz auch unter den Bedingungen einer Substitutionstherapie ist allerdings die Bestimmung der basalen Hormonspiegel ausreichend. Die Trennschärfe der Aussage solcher Tests wird durch die Variabilität der Basalsekretion weiter deutlich eingeschränkt. Dies hat dazu geführt, dass diese Stimulationstests nur noch selten, beispielsweise zur Bestimmung der endogenen Wachstumshormonreserve bei Patienten mit einer Schädigung der somatotropen Achse vor einer möglichen Substitutionstherapie gefordert werden. Ähnlich führt der Argininhydrochloridinfusionstest (0,5 g/kg KG) durch Hemmung der hypothalamischen Somatostatinfreisetzung zur Steigerung der GH-Sekretion und kann daher als Funktionstest der Wachstumshormonreserve eingesetzt werden. Die Stimulation der hypophysären Reserve hat ein breiteres Anwendungsspektrum, obwohl bis auf spezielle Fragestellungen zumeist auf Stimulationstests verzichtet werden kann. Für die endokrinologische Funktionsdiagnostik zur Überprüfung der Hypophysenfunktion stehen die in . Tab. 1.3 zusammengefassten Verfahren zur Verfügung. Die Stimulation von TSH durch TRH in einem TRH-Test ist vorwiegend bei Patienten mit hypophysären Störungen, aber auch bei einer Autonomie der Schilddrüse aufgehoben (TSHAnstieg weniger als 2,5 mU/l 30 min nach 200 µg TRH i.v.). Auch ein hypothalamischer Ausfall kann zu einem negativen TRHTest führen. In Einzelfällen ist jedoch bei hypothalamisch-hypophysären Störungen ein positiver Ausfall des Tests möglich, wenn eine geringe basale TSH-Synthese noch zur Bildung von TSHSekretgranula führt.
1
Die Stimulation von Prolaktin über TRH oder Metoclopramid ist wegen der geringen Reproduzierbarkeit und fehlenden praktischen Bedeutung außerhalb von Studiensituationen verlassen worden. Ähnliches gilt für die Stimulation von Gonadotropinen durch GnRH. Hier wurde in der Vergangenheit vergeblich versucht, die Antwort von LH oder FSH zur Differenzierung einer konstitutionellen Pubertätsverzögerung im Sinne einer Pubertas tarda von hypothalamischen Störungen, wie z. B. einem Kallmann-Syndrom, einzusetzen. Von klinisch praktischer Bedeutung ist dagegen unverändert der Einsatz von CRH zur Stimulation der ACTH-Sekretion. Bei hypophysären Formen des Cushing-Syndroms kommt es nach 100 µg CRH langsam i.v., wie bei Normalpersonen, zu einer maximalen Stimulation von ACTH. Dieser Test eignet sich insbesondere in Kombination mit einer seitengetrennten Blutabnahme aus dem Sinus petrosus inferior, wobei ein Venenkatheter zentral in diesen vorgeschoben wird, zur Lokalisationsdiagnostik eines ACTH-produzierenden Hypophysentumors und zur sicheren Abgrenzung gegenüber einer paraneoplastischen ACTHProduktion. In letzterem Fall steigt ACTH nicht oder nur gering an, und es ist kein Konzentrationsunterschied zwischen den peripheren und den zentral abgenommenen Proben erkennbar. 1.4.2 Diabetes insipidus Grundlagen. Eine Hypophysenhinterlappeninsuffizienz ist selten und tritt meist idiopathisch oder im Gefolge von hypothalamischen Prozessen auf. Da ADH/Vasopressin auch von der Eminentia mediana sezerniert wird, findet sich selten ein permanenter Diabetes insipidus, selbst in der Folge ausgedehnter Hypophysenoperationen. Basis des Krankheitsbildes ist ein Mangel in Synthese oder Sekretion des antidiuretischen Hormons (ADH). Fehlt ADH, kann der Urin nicht konzentriert werden. Es folgt eine ausgeprägte Polyurie und daraus resultierend eine zwanghafte Polydipsie. Die möglichen Ursachen eines Diabetes insipidus sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt.
. Tab. 1.3. Endokrinologische Funktionsdiagnostik der hypothalamisch-hypophysären Funktion
Testverfahren
Untersuchte Achse
Pathologische Befunde
Interpretation
Sicherheit der Interpretation
Insulinhypoglykämie (0,15 IE/kg KG)
GH
GH-Insuffizienz
Abfall des BZ auf
Goldstandard, aber eingeschränkte Reproduzierbarkeit
Argininhydrochlorid (0,5 g/kg KG)
GH
GH-Insuffizienz
Anstieg von GH <3 µg/l = Ausfall
Eingeschränkte Reproduzierbarkeit
GHRH (200 µg)
GH
GH-Insuffizienz
Anstieg von GH <3 µg/l = Ausfall
Eingeschränkte Reproduzierbarkeit
GHRH + Argininhydrochlorid
GH
GH-Insuffizienz
Anstieg von GH <3 µg/l = Ausfall
Reproduzierbarkeit noch nicht ausreichend geprüft
CRH (200 µg)
ACTH
Morbus Addison; Cushing-Syndrom
Anstieg von GH <0,5 ng/ml = Ausfall
10
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
Diagnostik von Überfunktionszuständen
1.5 Ursachen eines Diabetes insipidus 5 Idiopathisch 5 Neurochirurgische Operation 5 Tumoren – Kraniopharyngeome, Germinome – Metastasierende Bronchial-, Lungen-, Mammakarzinome, Lymphome – Langerhans-Zell-Histiozytose, Sarkoidose 5 Entzündlich: Hypophysitis, Meningitis, Enzephalitis 5 Traumatisch 5 Vaskulär: Hämatom, Hirntod 5 Immunologisch 5 Familiär: autosomal-dominant vererbt
1.5.1 Übersekretion von GH: Akromegalie
und Gigantismus Grundlagen. Bei der Akromegalie liegt eine pathologische Überproduktion von Wachstumshormon (GH) im Erwachsenenalter vor. Ursächlich liegt dem fast immer ein Adenom somatotroper oder somatomammotroper (mit gleichzeitiger Hyperprolaktinämie) Hypophysenzellen zugrunde. Männer und Frauen sind ungefähr gleich häufig betroffen. Der Manifestationsgipfel liegt im 3. bis 4. Lebensjahrzehnt. Differenzialdiagnose. Differenzialdiagnostisch muss neben klo-
Klinische Untersuchung. Wie oben bereits diskutiert, erfolgt die Diagnosestellung über die Messung der Urinausscheidung über 24 h. Im Spontanurin und zugehörigen Serum sollte die Osmolalität bestimmt werden.
Eine typische Konstellation aus hoher Serum- und niedriger Urinosmolalität, verbunden mit einem erniedrigten Serumnatriumspiegel, ist verdächtig auf das Vorliegen eines Diabetes insipidus.
Ebenso wichtig ist eine genaue Anamnese: So kann z. B. bei fehlender Nykturie und fehlendem nächtlichem Durstgefühl eine psychogene Polydipsie postuliert werden. Kann anhand dieser Bestimmung keine eindeutige Diagnose gestellt werden, sollte ein Durstversuch unter stationären Bedingungen durchgeführt werden. Differenzialdiagnose. Differenzialdiagnostisch muss an eine Hyperglykämie, eine Hyperkalzämie, eine polyurische Nierenerkrankung, einen renalen Diabetes insipidus, eine iatrogene Überwässerung oder eine psychogene Polydipsie gedacht werden. Diagnostik. Nach Erstdiagnose eines Diabetes insipidus sollte eine Kernspintomographie der Sellaregion mit der Frage nach einem raumfordernden oder entzündlichen Prozess erfolgen. Bei Verdacht auf eine Insuffizienz des Hypophysenhinterlappens kann zur Diagnosesicherung ein Durstversuch eingesetzt werden. Nach Stoppen der Flüssigkeitszufuhr über Nacht oder bis maximal 18 h kommt es zu einer Gewichtsabnahme von 1–2 kg. Die Osmolalität im Urin steigt nicht an, während sich die im Serum deutlich erhöht. Die Konstellation aus Serum- und Urinosmolalität gibt allerdings zumeist eindeutige Ergebnisse, sodass ein Durstversuch nur in wenigen, unklaren Fällen indiziert ist.
nal hypophysär entstandenen Tumoren an eine Reihe seltener Ursachen gedacht werden, die in der folgenden Übersicht zusammengefasst sind. Ursachen einer vermehrten Wachstumshormonproduktion 5 Vermehrte GHRH-Produktion – Hypophysäre, hypothalamische Gangliozytome – Karzinoide, z. B. Pankreas, Bronchus – Inselzelltumoren – Kleinzelliges Bronchialkarzinom – Selten: Nebennierenadenom 5 Vermehrte GH-Produktion – Hypophysentumor – Somatotrop – Somatomammotrop – Plurihormonal – Ektoper Hypophysentumor – Ektope hGH-Produktion
Klinische Symptomatik. Die Symptome einer Akromegalie sind
aus den Wirkungen von GH bzw. seines Zielhormons, des vorwiegend hepatisch gebildeten Insulin-like-growth-Faktors (IGF-1), abzuleiten und in der folgenden Übersicht zusammengefasst. Leitsymptome der Akromegalie (nach Häufigkeit des Auftretens) 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Vergrößerung der Akren Exzessives Schwitzen Pathologische Glukosetoleranz Knochenschmerzen Schlafapnoe Hypertonus Karpaltunnelsyndrom Hypertrichosis Muskelschwäche Manifester Diabetes mellitus
Die körperlichen Veränderungen zeigen sich v.a. in einer Verdickung des subkutanen Bindegewebes mit Vergrößerung von Händen, Füßen, tiefen Hautfalten; in einer Vergrößerung von
11 1.5 · Diagnostik von Überfunktionszuständen
1
b
a
Zunge, Nase und Ohren (. Abb. 1.6), im Wachstum der Knochendicke mit Verdickungen und Verbiegungen der Röhrenknochen, in Knochen- und Gelenkschmerzen, Veränderungen der Stimmlage, Entstehung eines Karpaltunnelsyndroms sowie vermehrtem Schwitzen. Zudem liegen häufig Bluthochdruck und pathologische Glukosetoleranz bis hin zum Diabetes mellitus vor. Im Rahmen der Organomegalie findet man häufig eine Struma, eine Schilddrüsenautonomie sowie vermehrte gastrointestinale Tumoren, v.a. Kolonpolypen, die in bis zu 7% der Fälle maligne entarten. Diagnostik. Die allgemeine Anamnese entspricht der bei den hormoninaktiven Hypophysentumoren, wobei zusätzlich die o.g. Symptome der Wachstumshormonmehrsekretion gezielt abgeklärt werden sollten. Da GH pulsatil ausgeschüttet wird, unterliegen einmalige Messungen starken Schwankungen und eignen sich nicht zur Diagnosefindung bei Verdacht auf eine Akromegalie. Der IGF-1Spiegel unterliegt keinen tageszeitlichen Schwankungen und ist damit z.Z. der beste Parameter in der Diagnostik einer Akromegalie zusammen mit dem GH-abhängigen Bindungsprotein 3 (IGFBP-3). Beweisend für das Vorliegen einer Akromegalie gilt die pathologische orale Glukosetoleranztestung nach einer Glukosebelastung von 75 g nach 12-stündigem Fasten (s. oben). Darunter sinkt bei Gesunden der GH-Spiegel unter 1 µg/ml ab. Bei Patienten mit einer autonomen Wachstumshormonproduktion lassen sich die GH-Spiegel nicht supprimieren. Sie steigen in einigen Fällen sogar paradox an. Zusätzlich werden, wie oben beschrieben, die anderen Hypophysenpartialfunktionen getestet. Da auch die Akromegalie im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN 1) auftreten kann, sollten die zugehörigen Krankheitsbilder (Hyperparathyreoidismus, Insuli-
. Abb. 1.6a,b. Phänotypischer Aspekt eines Patienten mit Akromegalie a Vergrößerung der Gesichtszüge b Vergrößerung der Hände und Finger (im Vergleich: Hand eines Gesunden rechts)
nom und Gastrinom) bedacht und gezielt nach einer möglichen familiären Belastung gefahndet werden. Bei initial unauffälligem Befund ist eine regelmäßige anamnestische und klinische Verlaufskontrolle ausreichend.
Die Kernspintomographie gilt auch bei der bildgebenden Diagnostik der Akromegalie als der »Goldstandard« zur Beurteilung der Ausdehnung, Lage und Größe des Tumors.
1.5.2 Übersekretion von Prolaktin:
Hyperprolaktinämie und Prolaktinome Grundlagen. Die häufigste Form endokrin aktiver Tumoren sind mit ca. 40–50% aller Tumoren die von laktotropen Zellen ausgehenden Prolaktinome. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Der Diagnosegipfel des Prolaktinoms liegt im 3. Lebensjahrzehnt. Prolaktinome sind Prolaktin-sezernierende, immunhistochemisch Prolaktin-positive Adenome des Hypophysenvorderlappens. Weniger als 1% der Prolaktinome sind primär maligne. Differenzialdiagnose. Die Diagnose eines Prolaktinoms stützt sich auf den Nachweis eines intrahypophysären Tumors. Insbesondere wenn kein Tumor nachweisbar ist, muss differenzialdiagnostisch bedacht werden, dass eine Hyperprolaktinämie durch eine Vielfalt anderer Ursachen zustande kommen kann. Durch Kompression des Hypophysenstiels und Hemmung der physiologischen Inhibitoren der Prolaktinsekretion wird eine Begleithyperprolaktinämie oder Enthemmungshyperprolaktinämie ausgelöst. In seltenen Fällen findet sich als Zufallsbefund
12
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
ein erhöhter Prolaktinspiegel aufgrund eines biochemisch veränderten Prolaktins, das biologisch inaktiv ist, aber mit verminderter Halbwertszeit eliminiert wird (Makroprolaktinämie). Insbesondere dann, wenn weder klinische Symptome für einen Prolaktinexzess vorhanden sind noch ein Hypophysentumor nachweisbar ist, sollte diese seltene Variante ausgeschlossen werden. Wichtigster physiologischer Hemmer der Prolaktinsekretion ist Dopamin, sodass jede Hemmung der Dopaminwirkung, z. B. durch Medikamente, zu einer Hyperprolaktinämie führt. Östrogene können die Prolaktinspiegel stimulieren. Dies führt physiologischerweise zu höheren Spiegeln, z. B. in der Pubertät und während einer Schwangerschaft. Als Stresshormon ist der Prolaktinspiegel unter körperlicher Belastung oder im Rahmen einer inadäquaten Blutentnahme erhöht. Die folgende Übersicht enthält eine Aufzählung der vielfältigen Ursachen einer Hyperprolaktinämie. Insbesondere muss zusätzlich zur allgemeinen und speziellen endokrinologischen Anamnese, einschließlich der Regelanamnese bei der Frau, noch eine detaillierte Medikamentenanamnese erfolgen. Übersicht über die Differenzialdiagnosen der Hyperprolaktinämie 5 Supraselläre Tumoren, die die hypothalamische Dopaminsekretion senken 5 Stressbedingt (physischer oder psychischer Stress) 5 Medikamente: Östrogene, Methyldopa, Cimetidin, Sulpirid, MAO-Hemmer, Prostaglandine, Reserpin, Neuroleptika, trizyklische Antidepressiva, Metoclopramid, Cyproheptatidin, Opiate, Verapamil 5 Hypothyreosen 5 Schwangerschaft (östrogenvermittelt) 5 Chronische Niereninsuffizienz 5 Leberinsuffizienz 5 Neuronale Stimulation, z. B. nach Manipulation der Mammae 5 Idiopathische Hyperprolaktinämie
>100 ng/ml sind in der Regel beweisend für das Vorliegen eines Prolaktinoms. In der weiteren laborchemischen Aufarbeitung ist die Überprüfung der anderen hypophysären Achsen obligat. Liegen Symptome bzw. Hinweise aus der Familienanamnese auf ein MEN-1-Syndrom vor, so sollten zusätzliche Hormone (iPTH, Gastrin) abgenommen und nach Aufklärung und Einwilligung eine molekulare Diagnostik zum Nachweis einer Meninmutation vorgenommen werden. Sind erhöhte Prolaktinspiegel bestätigt, müssen immer mittels Kernspintomographie Größe und Ausdehnung eines möglichen Hypophysentumors beurteilt werden. 1.5.3 Übersekretion von ACTH: Morbus Cushing Grundlagen. Beim Morbus Cushing liegt ein endogener Hyper-
kortisolismus infolge einer ACTH-Mehrproduktion vor. Die Inzidenz liegt bei etwa 1:100.000. Frauen sind im Verhältnis 4:1 deutlich häufiger betroffen als Männer. Bevorzugt tritt der Morbus Cushing in der 2. bis 5. Lebensdekade auf. In 80% der Fälle handelt es sich um einen ACTH-produzierenden Hypophysentumor und in ca. 20% um eine ektope ACTH-Produktion durch Bronchialkarzinome, Bronchialkarzinoide, Pankreaskarzinome, C-Zellkarzinome, Thymome, Phäochromozytome, ovarielle Karzinome bzw. eine ektope CRH-Produktion durch ähnliche Tumoren. Klinische Symptomatik. Das klinische Bild wird geprägt durch
Gewichtszunahme mit stammbetonter Fettsucht, Büffelnacken und Mondgesicht (. Abb. 1.7). Die Extremitäten sind infolge
Klinische Symptomatik. Leitsymptom einer Hyperprolaktinämie ist bei der Frau eine primäre oder sekundäre Amenorrhö bzw. Fertilitätsstörungen, bedingt durch Anovulation. Eine Galaktorrhö tritt häufig auf, ist aber kein obligates Symptom. Zeichen eines Östrogenmangels können auf die Diagnose eines Prolaktinoms hinweisen (Verstimmungszustände, Depressionen, verminderte vaginale Sekretion, Osteoporose). Beim Mann finden sich fast immer eine Einschränkung der Potenz und ein Libidoverlust. Zusätzlich kann eine Infertilität auftreten. Eine Galaktorrhö beim Mann ist selten, allerdings scheint die Brust oft vergrößert zu sein. Diagnostik. Die klinische Untersuchung sollte nach der Blutentnahme erfolgen, um eine durch Manipulation der Mammae induzierte untersuchungsbedingte Prolaktinerhöhung zu vermeiden. Die körperliche Untersuchung fokussiert auf die Symptome eines Hypogonadismus und auf eine spontane bzw. druckinduzierte Galaktorrhö. Der Nachweis einer Hyperprolaktinämie/eines Prolaktinoms erfolgt durch eine möglichst stressfreie Blutentnahme für Prolaktin (30 min nach Legen einer Verweilkanüle). Prolaktinspiegel von
. Abb. 1.7. Phänotypischer Aspekt einer Patientin mit Morbus Cushing
13 1.5 · Diagnostik von Überfunktionszuständen
einer Muskelatrophie dünn und kraftlos. Als Hautzeichen finden sich Striae rubrae distensae vorwiegend im Bereich der Flanken, Oberarme und Oberschenkel, eine vermehrte Aknebildung, zum Teil mit Superinfektionen, und ein Hirsutismus. Die Haut wird pergamentartig dünn und neigt zu Spontanhämatomen. Bluthochdruck und Störungen im Glukosestoffwechsel sind häufige Begleiterscheinungen bis hin zu einem Diabetes mellitus. Auch psychiatrische Symptome im Sinne von Depressionen, emotionaler Labilität und Psychosen sind nicht selten. In der Regel leiten die charakteristischen klinischen Stigmata bei der körperlichen Untersuchung zur Diagnose eines CushingSyndroms. In einzelnen Fällen kann allerdings die Symptomatik außerordentlich diskret sein und lediglich einem Hypertonus o. ä. entsprechen. Funktionsdiagnostik. Der sichere Ausschluss eines Morbus Cushing gelingt durch einen Dexamethasonhemmtest. Ist nach abendlicher Gabe von Dexamethason (2 mg um 22.00 Uhr) am nächsten Morgen der Serumkortisolspiegel unter 2 µg/dl supprimiert, liegt sicher kein Cushing-Syndrom vor. Dadurch lässt sich eine funktionelle Hypersekretion (Stress, Depressionen etc.) am zuverlässigsten von einem möglichen ACTH-produzierenden Tumor trennen. Als Suchmethode wird oft auch die Bestimmung der 24-h-Urinkortisolausscheidung eingesetzt. Handelt es sich um einen ACTH-abhängigen Hyperkortisolismus, so lassen sich durch einen hochdosierten Dexamethasonhemmtest ACTH, Serumkortisol sowie die Urinkortisolausscheidung nur bei hypophysären Formen supprimieren. Dagegen bleibt bei ektoper ACTH-Sekretion ein erhöhter Spiegel erhalten. Man verabreicht dabei entweder 2 mg Dexamethason alle 6 h über 48 h oder gibt 8 mg um 22.00 Uhr und bestimmt den Kortisolspiegel am folgenden Morgen. Bei adrenalen Formen ist ACTH primär supprimiert, und eine zusätzliche Dexamethasongabe ist nicht in der Lage, die Kortisolsekretion zu senken. Wird bei Patienten mit einem Morbus Cushing ein CRHTest durchgeführt, kommt es in über 90% der Fälle, wie bei Normalpersonen, zu einem kräftigen Anstieg von ACTH und Kortisol. Bei ektoper ACTH-Produktion und Cushing-Syndrom bleibt dieser Anstieg aus. Der Metapirontest wird schon wegen der fehlenden Verfügbarkeit der Substanz in Deutschland nur selten angewandt. Er zielt auf die Ausschaltung der hypophysären Rückkopplung durch endogene Steroide. Wie bereits oben ausgeführt, ist durch einen Sinus-petrosusKatheter die Möglichkeit gegeben, einen Morbus Cushing von einer ektopen ACTH-Sekretion zu unterscheiden. Bildgebende Diagnostik. Da die hypophysäre Mehrsekretion
zu einer Hyperplasie beider Nebennieren führt, sollte flankierend eine Ultraschalluntersuchung mit genauer Beurteilung der Nebennierenregionen durchgeführt werden. Zur Beurteilung der Hypophyse eignet sich am besten die Kernspintomographie. Therapie. Therapie der ersten Wahl ist die operative Entfernung des Hypophysenadenoms (7 Kap. 1.8). Bleibt nach dem operativen Vorgehen ein Hyperkortisolismus bestehen, muss eine bilaterale Adrenalektomie diskutiert werden.
1
Nachsorge. Die Nachsorge nach hypophysärem Cushing ent-
spricht im Wesentlichen der anderer Hypophysentumoren. Postoperativ tritt bei erfolgreicher Entfernung eine Monate bis Jahre anhaltende sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz auf, die eine Hydrokortisonsubstitutionstherapie notwendig macht. 1.5.4 Übersekretion von ACTH: Nelson-Syndrom Persistiert ein Hyperkortisolismus nach einer transsphenoidalen Operation an der Hypophyse, so wird üblicherweise eine bilaterale Adrenalektomie durchgeführt. Dadurch steigt schon bald der basale ACTH-Spiegel im Serum deutlich über die üblichen zirkadian schwankenden Normwerte auf »Postadrenalektomiewerte« an. Bei etwa 20–40% dieser Patienten kommt es, gelegentlich schon nach wenigen Monaten, üblicherweise aber erst nach Jahren, zu einer progressiven Hyperpigmentierung, ansteigenden ACTH-Spiegeln und dem radiologischen Nachweis eines an Größe zunehmenden Hypophysenadenoms. Die durch diese klassische Symptomtrias gekennzeichneten ACTH-sezernierenden Tumoren sind oft sehr aggressiv wachsende Hypophysenadenome, die weitere, intensive Therapiemaßnahmen notwendig machen. 1.5.5 Übersekretion von LH oder FSH:
Gonadotropin-produzierende Adenome Glykoprotein-produzierende Adenome sezernieren LH, FSH, TSH und/oder die α-Subunit. Gonadotrope Adenome fallen meist nicht im Rahmen einer Hormonmehrsekretion, sondern durch Raumforderungszeichen auf und werden erst postoperativ immunhistochemisch als solche diagnostiziert, insbesondere bei postmenopausalen Frauen, da bei diesen physiologischerweise ein hypergonadotroper Hypogonadismus vorliegt. Bei der Seltenheit dieser Tumoren gibt es keine spezifische medikamentöse Therapie. Sie werden klinisch wie hormoninaktive Tumoren nachgesorgt. In Abhängigkeit von der Größe des Tumors wird eine transphenoidale, selten eine transkraniene Resektion durchgeführt. Persistiert postoperativ eine relevante Hormonsekretion, besteht bei verbliebenem Resttumor die Möglichkeit einer Radiotherapie, oder es kann eine medikamentöse Therapie mit Dopaminagonisten, Somatostatinanaloga oder mit lang wirksamen LHRH-Antagonisten durchgeführt werden. 1.5.6 Übersekretion von TSH: inappropriate
Sekretion von TSH und Thyreotropinome Thyreotrope Adenome sind mit einer Inzidenz von <1% aller Adenome noch viel seltener. Klinisch zeigen sie das Bild einer Hyperthyreose, meist zusammen mit Raumforderungszeichen durch den Hypophysentumor. Differenzialdiagnostisch muss in der Abklärung inappropriat erhöhter TSH-Spiegel an eine hypophysäre Verlaufsform des Refetoff-Syndroms gedacht werden. Bei dieser auf einer Mutation des T3-Rezeptors beruhenden Störung kann nach Ausschluss von Testinstabilitäten über die Bestimmung der α-Subunit im Serum sowie durch den TSH-Anstieg im TRH-Test eine Abgrenzung gegenüber Thyreotropinomen erreicht werden.
14
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
1.5.7 Kraniopharyngeome Kraniopharyngeome sind Geschwülste, die sowohl vom basalen Hypothalamus, dem Hypophysenstiel als auch dem intrasellären Raum ihren Ursprung nehmen können. Sie sind durch die oft vorliegende Kombination eines soliden Tumors, einer Zyste und eines verkalkten Tumoranteils charakterisiert (. Abb. 1.4). Im Gegensatz zu Hypophysenadenomen manifestieren sich Kraniopharyngeome nicht selten schon im Kindes- und Jugendalter durch Minderwuchs, Sehstörungen und Kopfschmerzen. Häufig ist hierbei schon präoperativ ein Diabetes insipidus zu finden.
. Tab. 1.4. Substitutionstherapie bei Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
Ausgefallene Achse
Hormonsubstitution
Dosierung
Kortikotrope Achse
Hydrokortison
20 mg/Tag, p.o.
Kortisonacetat
25 mg/Tag, p.o. (2/3 morgens, 1/3 mittags oder abends) In Stresszuständen: 2- bis 3-fache Dosis
Bei Elektrolytverschiebungen oder Hypotonie: Fludrokortison
0,1–0,3 mg/Tag, p.o.
Thyreotrope Achse
L-Thyroxin
Ca. 2 μg/kg KG/Tag, p.o. (30 min vor dem Frühstück)
Gonadotrope Achse
Frau: Östrogen/ Gestagen
Individuelle Therapie (7 Text)
Mann: Testosteron
5 Testosteronenantat: 250 mg alle 3–4 Wochen, i.m. 5 Testosteronundecanoat: 2- bis 3-mal 40 mg/Tag p.o. 5 Testosteronpflaster: z. B. 10–15 mg/Tag, skrotal
Rekombinantes humanes Wachstumshormon
1–1,5 IE/Tag, s.c. (nach IGF-1 Wert)
1.5.8 Seltene Tumoren im Sellabereich
und Entzündungen Neben den relativ häufigen Hypophysenadenomen und den schon viel selteneren Kraniopharyngeomen gibt es noch eine Reihe wesentlich seltenerer raumfordernder Prozesse im Sellabereich (7 Übersicht »Differenzialdiagnose der Hypophysentumoren«). Supraselläre Meningiome sind typischerweiser bei Frauen im mittleren Lebensalter zu finden. Der Tumor geht vom Planum sphenoidale aus, wo er eine Hyperostose bedingt. Die Sella turcica selbst ist meist in Form und Größe normal. Endokrine Störungen sind, wenn man von einer Hyperprolaktinämie absieht, die Ausnahme. Auch optiko hypothalamische Gliome verursachen nur selten Störungen hypophysärer Partialfunktionen. Sind diese Geschwülste, die histologisch meist pilozytische Astrozytome (nach der WHO-Klassifizierung Grad I) sind, auf das Chiasma opticum beschränkt, verursachen sie nur unsystematische Sehstörungen. Bei hypothalamischer Ausdehung können alle hypothalamischen Syndrome vorkommen. Chordome, Chondrome und Mukozelen gehen von der Schädelbasis aus. Ektope Keimzelltumoren können suprasellär und im Bereich der Pinealisregion auftreten. Auch bei nur geringer Größe, kaum radiologisch nachweisbar, können sie schon ausgeprägte Störungen aller hypophysären Funktionen inklusive Diabetes insipidus verursachen. Der Nachweis spezifischer Marker (α-Fetoprotein, β-hCG und plazentare alkalische Phosphatase) in Serum und Liquor gelingt zwar nicht immer, erleichtert aber, falls vorhanden, die Differenzialdiagnose. 1.6
Therapie der Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
Adrenokortikotrope Achse. Als Substitutionstherapie bei einem partiellen oder kompletten Ausfall der adrenokortikotropen Achse ist eine Substitution mit einem Glukokortikoid (z. B. Hydrocortison Hoechst oder Cortison Ciba) in der in . Tabelle 1.4 angegebenen Dosierung ausreichend. Nebenwirkungen im Sinne eines Cushing-Syndroms werden bei diesen physiologischen Dosen nicht berichtet, jedoch finden sich in der neuen Literatur Hinweise, dass die hier empfohlene Dosierung über der physiologischen Hormonproduktion liegt. Nebenwirkungen am Knochen werden in der Langzeitbehandlung diskutiert. Die Dosis sollte sich daher nach den individuellen Bedürfnissen des Patienten richten und muss vom Patienten angepasst werden. Dies betrifft insbesondere die Dosiserhöhung in Stresssituationen, wie bei sportlichen Aktivitäten oder bei Infekten. Wenn Operationen anstehen, muss die Hydrokortisondosis perioperativ auf eine
Somatotrope Achse
parenterale Gabe umgestellt und in der Folgezeit bis zum Abklingen des Operationsstresses verdoppelt bis verdreifacht werden. Patienten sollten immer einen Notfallausweis mit sich tragen. Wir rezeptieren unseren Patienten Hydrokortison in Form von Suppositorien à 200 mg, damit das Medikament auch bei Übelkeit und Erbrechen verfügbar ist und der Patient sich durch Selbstmedikation helfen kann, eine Addison-Krise zu vermeiden. Die Überwachung der Therapie erfolgt über die Anamnese und die klinischen Aspekte des Patienten. Thyreotrope Achse. Die thyreotrope Achse ist als Faustregel mit
2 µg/kg KG L-Thyroxin täglich ausreichend substituiert. Der Patient muss darauf hingewiesen werden, dass die Tabletten nüchtern 30 min vor dem Frühstück einzunehmen sind. Die Steuerung der Therapie erfolgt über die Bestimmung der peripheren Schilddrüsenhormone im Blut. Viele Medikamente, aber auch die Vermehrung von Bindungsproteinen in der Schwangerschaft haben einen Einfluss auf die Bioverfügbarkeit von Schilddrüsenhormonen. Die Substitutionsdosis muss ggf. angepasst werden. Die Messung von TSH ist bei sekundärer Hypothyreose nicht aussagekräftig, die Anpassung der Therapie richtet sich in diesen Fällen nach den peripheren Hormonen, insbesondere nach den freien Schilddrüsenhormonen.
15 1.7 · Therapie des Diabetes insipidus
Gonadotrope Achse. Die Substitution der gonadotropen Achse
bei der Frau ist vergleichbar der in der Postmenopause. Insbesondere zur Osteoporose- und Arterioskleroseprophylaxe sollte eine Therapie mit konjugierten Östrogenen (oral oder transdermal) durchgeführt werden. Bei nicht hysterektomierten Frauen muss zum Schutz der Uterusschleimhaut in regelmäßigen Abständen eine Gestagen-induzierte Abbruchblutung erfolgen. Wegen der enormen Anzahl der mittlerweise zur Verfügung stehenden Präparate wird hier keines exemplarisch aufgeführt. Erwähnenswert ist aber, dass neben der oralen Gabe Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparate zur transdermalen Applikation bzw. Gelpräparationen zur topischen Anwendung der Einzelkomponenten auf dem Markt sind. Beim Mann ist die Standardtherapie zum Erreichen möglichst gleichmäßiger Plasmatestosteronspiegel die Substitution mit 250 mg Testosteronenantat (Testoviron Depot ) alle 3–4 Wochen i.m. Seit kurzem ist eine weitere i.m. zu verabreichende Form von Testosteronundecanoat (Nebido) erhältlich, die nach initialer Aufsättigung (erneute Applikation nach 6 Wochen) ein Applikationsintervall von 3 Monaten möglich macht. Das oral wirksame Testosteronundecanoat (Andriol, . Tabelle 1.4) muss zur besseren Resorbierbarkeit mit den Mahlzeiten eingenommen werden. Nachteilig ist, dass die erforderlichen Serumkonzentrationen in der Regel nicht erreicht werden, sodass diese Therapie eher ihren Platz bei bestehender Restfunktion der gonadalen Achse hat. Wenn eine intramuskuläre Injektion, z. B. wegen Markumarisierung, nicht möglich ist, kann Testosteron transdermal appliziert werden. Hierzu stehen Testosteronpräparationen zur Verfügung (Androtop, Testogel, Testim), die täglich auf die Körperhaut aufgebracht werden und physiologische Testosteronspiegel aufbauen. Dagegen sind Skrotalpflaster nicht mehr sicher verfügbar. Auch das Pflaster muss täglich vom Patienten neu appliziert werden. Insbesondere bei den Präparationen, die als Gel oder Creme auf die Haut aufgebracht werden, muss der Patient hinsichtlich der Übertragung auf den Partner bei Hautkontakt aufgeklärt werden. Die individuelle Dosierung der einzelnen Präparate richtet sich sowohl nach der Anamnese (Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit, Potenz, Libido, Änderungen im Behaarungsmuster) als auch nach Testosteronbestimmungen am Ende eines Therapieintervalls. Bei Frauen wie Männern im gebär- bzw. zeugungsfähigen Alter wird bis zum Auftreten von Kinderwunsch die Substitutionstherapie mit den jeweiligen Sexualhormonen nach dem oben diskutierten Schema durchgeführt. Liegt dagegen Kinderwunsch vor, wird diese Therapie durch eine Behandlung mit hCG/hMG (1000–2500 IE hCG 2mal/Woche; 150 IE hMG 3mal/Woche) s.c. oder i.m. ersetzt oder bei primär hypothalamischer Störung alternativ eine Therapie mit pulsatiler GnRH-Applikation mittels Pumpe durchgeführt. Unter einer solchen Behandlung kann bei intakten Gonaden in einem hohen Prozentsatz nicht nur die Synthese und Sekretion von Sexualsteroiden normalisiert, sondern auch eine Fertilität erreicht werden. Die Behandlungsdauer liegt beim Mann aufgrund der langen Reifungszeit von Spermien bei mindestens 3 Monaten. Somatotrope Achse. Seit einiger Zeit steht bei Wachstumshor-
monmangel rekombinantes humanes Wachstumshormon zur Substitutionstherapie zur Verfügung. Über die Folgen der Langzeitsubstitution beim Erwachsenen gibt es bislang keine Daten, sodass eine solche nur unter engmaschiger Kontrolle in spezialisierten Zentren erfolgen sollte.
1
Indikationen für eine GH-Substitution sind ein absoluter GH-Mangel (IGF <5er Perzentile) oder ein relativer GH-Mangel (IGF-1>5er und <10er Perzentile), der in mindestens 2 pathologischen Stimulationstests bestätigt wurde. Der Wachstumshormonmangel im Erwachsenenalter ist meist Folge von Hypophysenoperationen, kraniellen Traumen oder Infektionen bzw. eines Sheehan-Syndroms. Die Therapie wird mit 0,5 IE Wachstumshormon/Tag subkutan begonnen. Um möglichst physiologisch zu therapieren, wird die Dosis kurz vor dem Schlafengehen gegeben. Alle 4 Wochen erfolgt eine Kontrolle des IGF-1-Wertes. Die Dosis wird so lange um 0,4 IE/Tag gesteigert, bis der IGF-1-Wert im altersentsprechenden Normbereich liegt. Weitere Kontrollen erfolgen alle 3 Monate. Die Nebenwirkungen dieser Therapie und die Kontraindikationen für eine derartige Behandlung sind in den folgenden Übersichten zusammengefasst. Nebenwirkungen der Substitutionstherapie mit Wachstumshormon 5 5 5 5 5 5 5 5
Flüssigkeitsretention mit Ödembildung Karpaltunnelsyndrom Pathologische Glukosetoleranz Muskelkater Knochen-, Gelenkschmerzen Arterielle Hypertonie Kopfschmerz Entwicklung von Nävi
Kontraindikationen der Substitutionstherapie mit Wachstumshormon 5 Absolute Kontraindikation – Zustand nach Operation eines malignen Hirntumors – Vorliegende maligne Grunderkrankung – Diabetes mellitus – Rest- oder Rezidivtumor eines Hypophysentumors oder anderer benigner Hirntumoren – Schwangerschaft 5 Relative Kontraindikation – Arterieller Hypertonus – Hyperprolaktinämie – Hypophysenoperation vor <6 Monaten – Koronare Herzkrankheit – Kolonpolypen – Epileptische Erkrankungen
1.7
Therapie des Diabetes insipidus
Die Therapie des Diabetes insipidus besteht im Ersatz des fehlenden ADH durch Desmopressin (DDAVP, Minirin). Die erhältlichen Medikamente und deren Dosierungen sind in . Tabelle 1.5 aufgelistet. Ziel der Therapie ist eine Normalisierung der Urinausscheidung und damit der Trinkmenge. Um eine ungestörte Nachtruhe zu ermöglichen, wird die erste Dosis des jeweiligen Medikamentes abends appliziert. Wird eine zusätzliche Dosis notwendig, erfolgt die Gabe am Morgen. Mit Ausnahme der Tablettenform müssen alle in der Tabelle aufgeführten Präparate im Kühlschrank gelagert werden, da es sonst zu einem
16
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
. Tab. 1.5. Medikamente zur Therapie des Diabetes insipidus
Präparat
Handelsname
Dosierung
Applikation
Desmopressin
Minirin mit Rhinyle
0,25 ml = 25 µg
1–2/Tag, pernasal
Desmopressin
Minirin parenteral
1 Ampulle = 4 µg
1- bis 2-mal/Tag 1/4–1 Ampulle i.v., i.m., s.c.
Desmopressin
Minirin oral
100 µg 200 µg
2- bis 3-mal/Tag 1–2 Tbl.
Arginin-Vasopressin
Pitressin Tannat
1 Ampulle = 5 IE
1/Tag bis 1/alle 3 Tage i.m., s.c.
Arginin-Vasopressin
Pitressin
1 Ampulle = 20 IE
1 ml verdünnt in 100 ml NaCl als Kurzinfusion
Wirkungsverlust der Substanzen kommt. Gerade deswegen hat es sich als vorteilhaft erwiesen, Patienten, die z. B. länger und in wärmere Länder verreisen, kurzfristig auf die oralen Medikamente einzustellen. Ebenso gut einsetzbar sind diese, wenn die Resorption über die Nasenschleimhaut gestört ist, z. B. bei starkem Schnupfen oder Operationen im Nasenbereich.
Zu Beginn einer Therapie sollte der Patient eine regelmäßige Gewichtskontrolle durchführen, um rechtzeitig Wassereinlagerungen zu erkennen.
Ebenso ist die Kontrolle der Trinkmenge unter Zuhilfenahme eines Trinkprotokolls empfehlenswert. Am Anfang erfolgen zudem wöchentliche Bestimmungen der Serum- und Urinosmolalität und des Serumnatriums. Nach Normalisierung der Urinausscheidung werden die Kontrollintervalle auf 3–6 Monate verlängert. Die idiopathische Form des DI muss lebenslang therapiert werden, bei postoperativen oder traumatischen Formen kann gelegentlich ein Auslassversuch indiziert sein. 1.8
Therapie von Hypophysenadenomen
1.8.1 Operative Verfahren Aus der Vielzahl historisch bedeutsamer operativer Zugänge zur Sellaregion, die ja nahezu in der Mitte des Schädelinneren liegt, haben sich im wesentlichen 2 Zugänge erhalten, über die heute mit den mikrochirurgischen Operationstechniken fast alle Hypophysenadenome operativ angegangen werden können. 1.8.1.1 Transsphenoidale Operation Die normale Hypophyse und daher auch alle primär intrasellär entwickelten Tumoren können am günstigsten über einen transsphenoidalen Zugangsweg operativ erreicht werden. Diese Operation kann in verschiedenen Lagerungen durchgeführt werden. Im Vergleich häufig verwendet wird die schon von Cushing angegebene Lagerungstechnik. Der Patient liegt auf dem Rücken, wobei der Chirurg hinter dem Kopf des Patienten steht; ebenso eine halb sitzende Lagerung des Patienten, wobei der Kopf mit einer Mayfield-Klemme fixiert wird und der Chirurg sitzen und seine Arme aufstützen kann. Generell werden dabei eine mikrochirurgische Operationstechnik und eine intraoperative Bildwandlerkontrolle benutzt.
Man geht entweder über einen kleinen Schleimhautschnitt im Vestibulum oris (sublabial) oder an der Haut-SchleimhautGrenze im Cavum nasi (perinasal) paraseptal in einem Schleimhauttunnel zur Keilbeinhöhle vor. Die Präparation erfolgt einseitig oder beidseitig paraseptal möglichst unter Belassung des knorpeligen Nasenseptums. Das knöcherne Nasenseptum wird teilweise reseziert. Die Mittellinienorientierung wird durch das Vomer gewährleistet. Nach Eröffnung der Keilbeinhöhle und Ausräumen der Schleimhaut wird der Sellaboden mit dem Mikrobohrer oder der Stanze eröffnet. Bei unvollständiger Pneumatisierung der Keilbeinhöhle muss der dorsale Anteil der Sella turcica mit dem Diamantbohrer aus dem Clivusbereich herausgefräst werden, um eine gute Übersicht über den gesamten intrasellären Raum zu ermöglichen. Nach Schlitzen der basalen Dura wird das Adenom im intrasellären Raum entfernt, wobei sich unter Verwendung des Operationsmikroskops das meist weichere und weißlichere Tumorgewebe mit großer Sicherheit von der normalen festeren und gelblicheren Hypophyse differenzieren lässt. Bei kleinen intrasellären Adenomen von wenigen Millimetern Durchmesser, die in das normale Hypophysengewebe eingebettet sind, muss die Hypophyse genau sektioniert werden, damit nicht Teile des unregelmäßig konfigurierten Adenoms verbleiben. Bei größeren Adenomen wird zunächst durch Tumorentfernung mit der Kürette und Fasszange der intraselläre Raum dekomprimiert. Dabei ist das normale Hypophysengewebe üblicherweise in die Sellaperipherie verlagert, am häufigsten in den dorsalen Sellabereich oder in den Bereich des Diaphragma sellae. Wesentlich für die komplette Entfernung größerer Adenome ist ein radikales Abtragen des Sellabodens zwischen beiden Sini cavernosi. Das meist weiche, extraselläre Tumorgewebe wird dann in den durch Tumorentfernung frei gewordenen intrasellären Raum verlagert und kann auch so unter Sicht entfernt werden. Eine gute Kontrolle über die Radikalität der Tumorentfernung bietet das Herabsinken des zuvor angehobenen Diaphragma sellae in den intrasellären Bereich, das dann als arachnoidale Blase übersehen werden kann. Nach Tumorentfernung wird der Freilegungsbereich mit einem autologen Transplantat, z. B. Fascia lata aus dem Oberschenkel, unter Anwendung von Humanfibrinkleber abgedeckt. Bei kleineren intrasellären Geschwülsten, die allseits von normalem Hypophysengewebe umgeben sind, genügt auch das Abdecken mit Kollagenvlies oder Fibrinschwämmchen, wenn es intraoperativ nicht zu Liquorfluss gekommen ist. 6
17 1.8 · Therapie von Hypophysenadenomen
Für die Dauer eines Tages verbleibt eine Nasentamponade, die die reponierte Nasenscheidewand fixieren und Blutungen aus der Nase vermeiden helfen soll. Der postoperative stationäre Aufenthalt liegt etwa im Bereich von einer Woche.
1
Bei einer Tumorlokalisation im 3. Ventrikel kann durch die Eröffnung der Lamina terminalis Tumorgewebe auch aus dem 3. Ventrikel entfernt werden. Wesentlich ist bei dieser Operation auch die Identifizierung und bewusste Erhaltung des fast immer nach laterodorsal verlagerten Hypophysenstiels.
Diese Operation ist bei allen primär intrasellär entwickelten Tumoren indiziert, aber auch bei all denjenigen, die sich symmetrisch nach suprasellär ausgedehnt haben, wobei wesentlich ist, dass eine entsprechend große Verbindung zur erweiterten Sella turcica besteht. Entsprechend der Erfahrung kann man über 90% aller Hypophysentumoren auf diesem Weg operativ angehen. Die selektive Adenomektomie, d. h. die Entfernung eines intrasellären Tumors mit Beseitigung eines Hormonexzesses unter Erhaltung der übrigen hypophysären Funktionen, ist praktisch nur auf diesem Wege möglich. Als Mikroadenome bezeichnet man Tumoren von unter 10 mm Durchmesser.
1.8.1.3 Andere Operationsverfahren Wenn große, weit nach suprasellär ausgedehnte Hypophysentumoren über eine Kompression der Foramina Monroi zu Liquorabflussstörungen aus den Seitenventrikeln führen, kommt es zu einem Verschlusshydrozephalus. Dieser führt akut oder verzögert zu einer Hirndrucksymptomatik, die die Implantation eines liquorableitenden Ventilsystems notwendig macht. Hierbei kommt eine ventrikuloatriale oder ventrikuloperitoneale Ableitung in Frage, wobei verschiedene Ventilsysteme zur Auswahl stehen. Wesentlich ist bei einem Verschlusshydrozephalus, dass bilateral aus beiden Seitenventrikeln gleichmäßig Liquor abgeleitet wird.
1.8.1.2 Transkranielle Operation Wenn aufgrund der Ausdehnung des Tumors Kontraindikationen zu einer transsphenoidalen Operation bestehen, d. h., wenn große Hypophysenadenome asymmetrisch in den intrakraniellen Raum hinein oder primär extrasellär entwickelt sind, müssen sie auf transkraniell-intraduralem Weg operiert werden. Das betrifft Geschwülste, die zwar aus der Sella herauswachsen, aber vornehmlich subfrontal, retrosellär, parasellär oder in den 3. Ventrikel hinein entwickelt sind. Insbesondere ist auch eine relativ enge Sellaeingangsebene oder sogar eine normal große Sella turcica bei Vorliegen eines großen suprasellären Tumors eine Kontraindikation für eine transsphenoidale Operation. Die transkranielle Operation ist auch bei allen übrigen Geschwülsten im Sellabereich indiziert, die über den transsphenoidalen Zugang nicht erreicht werden können. Am häufigsten verwendet wird ein pterionaler Zugang über eine kleine, basal angelegte, frontotemporale Trepanation.
1.8.1.4 Komplikationen Die möglichen Komplikationen der transsphenoidalen Operation sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt.
Man verwendet üblicherweise einen bogenförmigen Hautschnitt an der Stirn-Haar-Grenze und geht über die nichtdominante Seite vor. Der Keilbeinsporn wird abgefräst, um die Hirntraktion möglichst gering zu halten. Platz wird auch durch das Absaugen von Liquor aus den basalen Zisternen geschaffen. Frontal- und Temporallappen können dann mit flexiblen selbsthaltenden Spateln zurückgehalten werden, ohne dass wesentlicher Druck auf das Gehirn ausgeübt wird. Damit wird unter dem Operationsmikroskop ein guter Einblick auf den suprasellären Tumor und die angrenzenden anatomischen Strukturen gewährleistet. Man kann entweder zwischen beiden Nn. optici oder zwischen dem ipsilateralen N. opticus und der A. carotis vorgehen. Nach Inzision der »Tumorkapsel« und zunächst intrakapsulärer Tumorverkleinerung mit Fasszange und Kürette wird die Geschwulst anschließend mit ihrer Kapsel von den angrenzenden anatomischen Strukturen freipräpariert und entfernt. Die basale Arachnoidea wird dabei möglichst wenig koaguliert, sondern abgeschoben. Wesentlich ist nämlich die Erhaltung der kleinen, vom Circulus arteriosus Willisii zum Hypothalamus und Chiasma ziehenden Gefäßchen. 6
Komplikationen der transsphenoidalen Operation 5 Infektionen – Meningitis – Intrakranieller Abszess – Sinusitis 5 Nasale Liquorfistel 5 Hypothalamische Störungen – Direkte Läsion des Hypothalamus – Sekundär durch Ischämie oder Hämatom 5 Verschlechterung der Hypophysenfunktion – Diabetes insipidus – Hypophysenvorderlappeninsuffizienz 5 Sehverschlechterung – Durch Läsion des Sehnerven oder des Chiasma opticum – Sekundär durch Ischämie oder Hämatom – Doppelbilder 5 Vaskuläre Komplikationen – Aneurysmaruptur – Verletzung der A. carotis – Karotis-Sinus-cavernosus-Fistel – Vasospasmus 5 Hämatome – Komplikationen von seiten des nasalen Zugangs – Septumperforation – Sattelnasendeformität – Mukozele der Keilbeinhöhle – Hypästhesie im Bereich der Schneidezähne – Orbitabodenfraktur – Nasenbluten 5 Verschiedenes – Hydrozephalus – Pneumozephalus – Hemiparese – Anosmie – Veränderung des mentalen Status
18
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
Die meisten dieser Störungen sind durch eine adäquate operative Technik vermeidbar. Eine genaue präoperative Untersuchung des Patienten, die auch die Gefäßsituation darstellt, ein vorsichtiger Umgang mit dem Tumorgewebe, der die Integrität der normalen anatomischen Strukturen bewahrt, und eine subtile Blutstillung sind Voraussetzungen, um die angeführten möglichen Störungen zu vermeiden. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, ist die transsphenoidale Operation wohl der sicherste und komplikationsärmste intrakranielle neurochirurgische Eingriff. Ernsthafte Komplikationen wie Rhinoliquorrhö, Meningitis oder eine bleibende substitutionsbedürftige Verschlechterung hypophysärer Partialfunktionen treten in großen Serien geübter Operateure in weniger als 1% der Fälle auf. Auch die Mortalität des Eingriffs liegt deutlich unter 1%. Mit Ausnahme der Komplikationen von Seiten des nasalen Zugangs hat die obige Übersicht auch Gültigkeit für die transkranielle Operation. Hier kommen allerdings die Komplikationsmöglichkeiten einer Trepanation hinzu, wie Knochendeckelinfektion, epidurales Hämatom und Liquorkissen. Die vaskulären Strukturen und die Sehbahn sind durch die Notwendigkeit der direkten Manipulation in etwas höherem Maße der Gefahr einer mechanischen Läsion ausgesetzt.
bestrahlung bei entsprechender computergesteuerter Therapieplanung bei einer starren Fixierung des Kopfes verwendet und als »radiosurgery« bezeichnet. Es werden dabei in einer Sitzung Dosen von 12–15 Gy appliziert. Das Zielvolumen ist in seiner Größe aber beschränkt, was die Anwendung des Verfahrens relativiert. Durch diese Technologie lässt sich eine sehr genaue Begrenzung des bestrahlten Zielvolumens durch den steilen Strahlendosisabfall erreichen, sodass insbesondere kleine Hypophysenadenome oder kleine Resttumoren nach einer vorangegangenen Operation sehr effektiv behandelt werden können.
1.8.2 Radiotherapie
1.8.3 Therapie von Akromegalie und Gigantismus
Konventionelle externe Megavolttherapie. Die konventionelle fraktionelle Radiotherapie ist die bei Hypophysentumoren am häufigsten angewandte Form der Bestrahlungsbehandlung. Sie kann primär oder postoperativ angewendet werden, wenn nach einer Operation noch Tumorreste radiologisch nachgewiesen sind oder Hinweise für eine persistierende Übersekretion hypophysärer Hormone vorliegen. Als Strahlenquellen werden überwiegend schnelle Elektronen im Megavoltbereich (6–20 MeV) aus einem Linearbeschleuniger oder Kobalt-60 verwendet. Es wird am Therapiesimulator eine Mehrfeldtechnik ausgewählt, die auch asymmetrisch konfigurierte Tumoren vollständig in das Zielvolumen einbezieht. Man verwendet üblicherweise eine Gesamtherddosis von 45–55 Gy, die über 4–5 Wochen fraktioniert in Einzeldosen von jeweils 1,8–2,0 Gy appliziert wird. Dabei wird besonders auf die Strahlensensibilität der Sehbahn Rücksicht genommen, die höhere Dosen und eine weniger schonende Fraktionierung schlecht verträgt. Die Sehnerven, das Chiasma opticum und Anteile der normalen Hypophyse sind ja immer im Strahlenfeld eingeschlossen. Unter dieser Therapie ist langfristig eine Verschlechterung hypophysärer Partialfunktionen zu erwarten, da die Feldgrößen relativ großzügig gewählt werden müssen und so der Hypothalamus praktisch immer in das Strahlenfeld miteinbezogen wird. Eine nennenswerte Belastung des Gesamtorganismus tritt bei dieser Art der Strahlentherapie aber nicht ein, sodass sie fast immer ambulant durchgeführt werden kann.
1.8.3.1 Operative Therapie Die operative Behandlung ist die allgemein akzeptierte primäre Therapie Wachstumshormon-produzierender Hypophysenadenome. Sie ist meist auf transsphenoidalem Wege möglich. Die Operationsindikation ist durch die erhebliche Morbidität und Einschränkung der Lebenserwartung durch die Wachstumshormonübersekretion gegeben. Bei den üblicherweise bei diesem Krankheitsbild vorliegenden großen Nasenlöchern wird überwiegend pernasal-paraseptal vorgegangen und eine radikale, aber selektive Adenomektomie angestrebt. Die Normalisierungsquote der Wachstumshormonsekretion wird heute nach den Kriterien der Acromegaly Consensus Conference beurteilt. Man strebt eine Suppression von Wachstumshormon unter 1 µg/ml während eines oralen Glukosetoleranztests sowie eine Normalisierung von IGF-1 an. Operateure mit besonderer Expertise erreichen bei Mikroadenomen in zwischen 80 und 90% der Fälle eine Normalisierung der Wachstumshormonsekretion. Die Normalisierungsquote der Wachstumshormonsekretion ist insbesondere von der Tumorgröße, der Höhe der präoperativen basalen Wachstumshormonspiegel und einer möglichen invasiven Wachstumstendenz des Tumors in die angrenzenden Strukturen, den Sinus cavernosus oder die Keilbeinhöhle, abhängig. Für eine Verlaufsbeobachtung ist die wiederholte Prüfung der Wachstumshormonsekretion der sensitivste Parameter. Wenn es durch die Operation allein nicht zu einer Normalisierung der Wachstumshormonsekretion kommt, sollte man insbesondere bei kleinen intrasellären Tumoren einen erneuten operativen Eingriff in Betracht ziehen. Man geht heute davon aus, dass der wiederholte Nachweis von basalen Wachstumshormonspiegeln über 2,5 ng/ml die Notwendigkeit einer weiteren Therapie nach sich zieht, bis es zur dauernden Normalisierung der Wachstumshormonsekretion gekommen ist.
Fokussierte Radiotherapie. In jüngerer Zeit bietet sich als Alternative zur externen Megavolttherapie eine fokussierte Radiotherapie als stereotaktisch gesteuerte Konvergenzbestrahlung an, wobei das sog. Gamma-Knife, das eine Kobaltstrahlenquelle benützt, und das LINAC-System, das einen Linearbeschleuniger als Strahlenquelle verwendet, konkurrierende, aber im Hinblick auf die Effektivität der Therapie als gleichwertig einzustufende Verfahren sind. Diese Bestrahlung wird üblicherweise als Einzeit-
Implantation von Radioisotopen. Die Implantation von Radio-
isotopen in einen Tumor spielt heute, insbesondere als Primärtherapie, keine so große Rolle mehr wie in früheren Zeiten. Vor allem die Einführung von Yttrium-Seeds unter Röntgenkontrolle hatte eine nicht unerhebliche Verbreitung bei soliden Tumoren gefunden. Nicht unerwähnt bleiben soll auch die Verwendung von Kolloiden zur intrakavitären Radiotherapie von zystischen Geschwülsten, wie z. B. von Kraniopharyngeomen. Das Radioisotop wird dabei über eine stereotaktische Punktion des zystischen Tumoranteils nach Aspiration des Zysteninhalts eingebracht.
19 1.8 · Therapie von Hypophysenadenomen
1.8.3.2 Megavoltradiotherapie Die externe Megavoltradiotherapie ist zweifelsohne ein effektives Behandlungsverfahren, führt aber nicht wie die Operation akut, d. h. innerhalb von Stunden, sondern verzögert über Jahre hinweg zu einem langsam progredienten Abfall der Wachstumshormonübersekretion. Die Radiotherapie kommt auch als primäre Therapiemaßnahme in Betracht, wenn Kontraindikationen für einen operativen Eingriff bestehen. 1.8.3.3 Medikamentöse Therapie Als Alternative bietet sich hier die funktionelle Inhibition der Wachstumshormonsekretion durch Somatostatinanaloga an, die wegen der kurzen Halbwertszeit mehrmals täglich subkutan injiziert werden müssen. Retardpräparate (Sandostatin LAR, Somatuline Autogel) setzen nach einmaliger Injektion alle 2–4 Wochen aus den Depots das Somatostatinanalogon frei, sodass ein kontinuierlicher effektiver Wirkspiegel in den Körperflüssigkeiten aufrechterhalten wird. Als Nebenwirkungen dieser Therapie sind vorübergehende Durchfälle zu erwarten. Langfristig kommt es in vielen Fällen zur Bildung von Gallensteinen. Eine Störung der Glukosetoleranz kann bei einzelnen Patienten die Therapie unmöglich machen. Die Therapie ist funktionell wirksam und in der Regel nicht tumorizid, d. h. dass es nach dem Absetzen des Somatostatinanalogons auch nach längerer Zeit der Behandlung schon bald wieder zu einer pathologischen Wachstumshormonsekretion kommt. Eine Normalisierung der Wachstumshormonsekretion durch alleinige medikamentöse Maßnahmen erreicht man bei 50–70% der Patienten. Begleitend zur suppressiven Wirkung auf die Wachstumshormonübersekretion kommt es in vielen Fällen auch zu einer Reduktion des Tumorvolumens, die aber meist nur geringfügig ausgeprägt ist. Neue Somatostatinanaloga (z. B. SOM230) haben über die Aktivierung weiterer Subformen des Somatostatinrezeptors eine größere Effektivität und werden gegenwärtig hinsichtlich ihrer klinischen Anwendbarkeit in Zulassungsstudien geprüft. Ein anderer Ansatz zur medikamentösen Kontrolle der Wachstumshormonsekretion ist die Gabe eines biochemisch veränderten Wachstumshormons, das an den GH-Rezeptor bindet, aber nicht biologisch aktiv ist. Durch die subkutane Gabe dieses Präparats, dessen Halbwertszeit durch eine Peglysilierung verlängert wurde, wird erreicht, dass die endogen erhöhten GHKonzentrationen nicht zur Bildung von IGF-1 führen und damit IGF-1 fast immer normalisiert wird. Durch dieses therapeutische Prinzip lassen sich alle Symptome der Akromegalie verbessern oder normalisieren. Allerdings wirkt diese Therapie nicht gegen den Hypophysentumor selbst, wobei gegenwärtig noch unklar ist, ob unter dieser Behandlung eine Größenzunahme des Hypophysenadenoms induziert werden kann. Die Therapie ist bei postoperativer Persistenz einer Akromegalie, insbesondere auch bei unzureichender Wirkung von Somatostatinanalogen indiziert. Ein engmaschiges Monitoring der Tumorgröße mit wiederholten Kernspintomographien ist deshalb anzuraten. Die Dosierung der s.c. zu applizierenden Substanz (Pegvisomant) erfolgt einschleichend. Insbesondere muss im Verlauf die Leberfunktion geprüft werden, da in Einzelfällen Leberenzymerhöhungen beobachtet werden. Eine nennenswerte, mit der Wirkung von Dopaminagonisten bei Prolaktinomen vergleichbare Tumorschrumpfung ist im Krankengut der neurochirurgischen Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg nur bei 2 von 73 Patienten beobachtet worden,
1
die 2–6 Monate vor einer Operation mit Somatostatinanaloga behandelt wurden. Von Neurochirurgen wird diskutiert, dass die Somatostatintherapie, wenn sie mindestens 2 Monate vor einer Operation eines Hypophysenadenoms bei Akromegalie durchgeführt wird, die Konsistenz des Tumors günstig beeinflussen kann. Vom subjektiven Eindruck her wird das Adenom als weißlicher und weicher beschrieben, sodass es besser vom normalen Hypophysenvorderlappen differenziert und schonender entfernt werden kann. Histologische Untersuchungen resezierten Tumorgewebes haben jedoch keine nennenswerten strukturellen Unterschiede bei vorbehandelten und unbehandelten akromegalen Patienten dokumentieren können. Verlaufskontrolle. Um das Ansprechen auf die medikamentöse
Therapie zu überprüfen, werden die Sekretionsdynamik von GH im oralen Glukosetoleranztest bzw. die IGF-1-Werte zu Beginn 2-wöchentlich überprüft. Bei Erreichen der Höchstdosis oder Normalisierung der IGF-1-Werte erfolgen weitere Kontrollen in 3- bis 6-monatigen Abständen. Eine Kontrolle des Kernspintomogramms wird erstmals 3– 6 Monate nach Aufnahme der Therapie durchgeführt, um zu beurteilen, ob es zu einer Tumorverkleinerung gekommen ist. Weitere Kontrollen erfolgen dann in Abhängigkeit von Tumorgröße und Operation in 6- bis 12-monatigen Abständen. Ebenso müssen die Hypophysenfunktionen regelmäßig getestet werden, und auch bei der Akromegalie ist die augenärztliche Untersuchung nicht entbehrlich. 1.8.4 Therapie von Prolaktinomen 1.8.4.1 Medikamentöse Therapie Hier stehen, im Gegensatz zu den anderen hormonaktiven und den hormoninaktiven Hypophysenadenomen, mit den mittlerweile zahlreichen dopaminagonistisch wirkenden Substanzen Medikamente zur Verfügung, die sowohl funktionell die Prolaktinsekretion der Tumorzellen hemmen als auch die Tumorgröße bei Mikro- und Makroprolaktinomen reduzieren können.
Die Primärtherapie von Prolaktinomen ist meist eine medikamentöse Behandlung.
Bei Mikroprolaktinomen entsteht die Frage nach einer entsprechenden Therapie meist mit dem Problem eines unerfüllten Kinderwunsches bei jungen Frauen. In der Mehrzahl der Fälle kann das Therapieziel der Schwangerschaft bzw. das Wiedereinsetzen von regelmäßigen Periodenblutungen und das Sistieren einer Galaktorrhö durch die medikamentöse Therapie erreicht werden. Bromocriptin ist das am längsten in der klinischen Praxis verwendete Präparat, mit dem es auch die umfangreichsten Erfahrungen gibt. Auch eine jahrelange Therapie mit Bromocriptin führt nicht zu Keimschädigungen einer späteren Schwangerschaft. Die Dosis der Dopaminagonisten ist so weit zu steigern, bis eine stabile Normoprolaktinämie erreicht wird. Dabei hat sich eine einschleichende Dosissteigerung bewährt. Wegen der kurzen Halbwertszeit müssen Präparate der 1. Generation, wie Bromocriptin (Pravidel, Kirim) und Dopergin (Lisurid), mindestens
20
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
2-mal/Tag gegeben werden. Diese Präparate haben über eine Aktivierung von Dopaminrezeptoren in anderen Körperarealen zahlreiche Nebenwirkungen, die oft die Erreichung des Therapieziels behindern. Sie führen zu orthostatischen Dysregulationen und gastrointestinalen Störungen, wie Übelkeit, Brechreiz oder Mattigkeit. Oft haben Patienten auch das Gefühl, dass periphere Durchblutungsstörungen auftreten, die Finger kalt werden. Es kommt zu Schleimhautschwellungen, die das Gefühl einer verstopften Nase vermitteln. Diese Nebenwirkungen sind deutlich vermindert, wenn die Behandlung einschleichend begonnen wird, da eine Adaptation an die Präparate möglich ist. Die erste Dosis, meist eine halbe Tablette, wird abends nach dem Essen eingenommen. Die Dosis wird dann bei guter Verträglichkeit nach einigen Tagen um eine weitere halbe Tablette morgens gesteigert. Weitere Dosissteigerungen richten sich nach den Effekten, wobei bei einer Halbwertszeit von ca. 8 h mindestens 2 Dosen/Tag appliziert werden müssen, bis eine Normoprolaktinämie oder die Höchstdosis des gewählten Präparates erreicht ist. Ist eine ausreichende Dosissteigerung wegen o.g. Unverträglichkeiten nicht möglich oder lässt sich mit der Höchstdosis keine Normoprolaktinämie erreichen, sollte eine Umstellung auf ein anderes Medikament erfolgen. Neuere Präparate, wie Cabergolin (Dostinex) und Quinagolid (Norprolac) wirken selektiver auf die D2-Rezeptoren und lösen daher weniger subjektive Nebenwirkungen aus. Cabergolin hat eine längere Halbwertszeit und muss nur einmal wöchentlich appliziert werden, was oft auch als Vorteil empfunden wird und zu einer besseren Compliance bei den Patienten führt. Eine Übersicht über die zur Verfügung stehenden Dopaminagonisten und deren Dosierungen gibt . Tabelle 1.6. Bei etwa 85% der Tumoren kommt es unter einer solchen Therapie zu einer Tumorschrumpfung. Auch wenn eine Kompression benachbarter anatomischer Strukturen, wie der Sehbahn, mit einem Chiasma-Syndrom vorliegt, kann prinzipiell mit Medikamenten behandelt werden. Kommt es unter der Institution einer medikamentösen Therapie zu einer guten Rückbildung der klinischen Symptomatik und zu einer Restitution des Sehvermögens sowie zu einer im MR nachgewiesenen Tumorschrumpfung, ist eine Langzeitbehandlung mit Medikamenten die Therapie der Wahl. Allerdings ist bei überwiegend zystischen Tumoren eine nennenswerte Größenreduktion nicht zu erwarten. Wenn nach mehrjähriger kontinuierlicher medikamentöser Therapie in der Kernspintomographie kein Tumor mehr nachweisbar ist und unter der niedrigsten Dosierung eines Dopamin-
. Tab. 1.6. Dopaminagonisten in der Therapie der Hyperprolaktinämie
Präparat
Handelsname
Dosierung (mg)
Applikation
Bromocriptin
Pravidel
2,5–30
Oral/täglich
Kirim
2,5–30
Oral/täglich
Cabergolin
Dostinex
0,5
Oral/1/2–1 Tbl./ Woche
Lisurid
Dopergin
0,2–2,6
Oral/täglich
Metergolin
Liserdol
4–16
Oral/täglich
agonisten eine Normoprolaktinämie besteht, kann ein Auslassversuch durchgeführt werden. Nach Absetzen der Therapie müssen die Prolaktinwerte innerhalb der ersten 2 Wochen und nach weiteren 4 Wochen kontrolliert werden, um Frührezidive zu erfassen. Später können die Kontrollabstände verlängert werden. Auch eine MR-Kontrolle muss kurz nach Absetzen der Therapie veranlasst werden. 1.8.4.2 Operative Therapie Eine Operationsindikation ergibt sich dann, wenn Intoleranz oder die fehlende Wirksamkeit einer medikamentösen, dopaminagonistischen Therapie nicht zu einer ausreichenden Senkung des basalen Serumprolaktinspiegels bzw. zu einer ausreichenden Größenreduktion des Prozesses führt. Die Dopaminagonisten-Resistenz eines Prolaktinoms ist meist relativ und von der Dosis des Medikamentes abhängig. Wenn dieses die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt, ist sicherlich eine operative Therapie zu erwägen. Während nach selektiver Adenomektomie eines Mikroprolaktinoms in etwa 75–90% der Fälle eine Normoprolaktinämie erreicht wird, ist bei größeren Makroprolaktinomen, insbesondere wenn sie auch extraselläre Ausdehnung haben, nur in Einzelfällen eine Normalisierung des basalen Serumprolaktinspiegels durch eine Operation zu erwarten. Es ist also hierbei auf jeden Fall die Kombination einer Operation und einer langfristigen dopaminagonistischen Therapie notwendig, um das Therapieziel einer stabilen Normoprolaktinämie zu erreichen. Allerdings reichen hierzu oft geringe Dosen von Dopaminagonisten aus, die dann natürlich auch besser toleriert werden. Eine weitere Operationsindikation ergibt sich beim Schwangerschaftswunsch einer Patientin mit einem größeren Makroprolaktinom. Um Komplikationen während der Schwangerschaft zu vermeiden, ist hier eine operative Reduktion des Tumorvolumens vor Einleitung der Schwangerschaft durch die dopaminagonistische Therapie sinnvoll. Manche Patientin wird sich für die Operation entscheiden, weil sie der Notwendigkeit einer dauernden medikamentösen Therapie entrinnen will. 1.8.4.3 Strahlentherapie Die Indikation zu einer Radiotherapie eines Prolaktinoms wird wegen der beiden ergänzenden Therapieoptionen von Operation und medikamentöser Behandlung eher reserviert gestellt werden. Eine Radiotherapie ist dann indiziert, wenn es trotz Operation und der besten noch tolerierten medikamentösen Therapie nicht zum gewünschten Therapieerfolg kommt, d. h. zu einer Kontrolle des Tumorwachstums und einer Korrektur der hormonellen Übersekretion. Insbesondere wenn es unter Ausschöpfung dieser Therapiemaßnahmen zu einer Progredienz des Tumorwachstums oder zu ansteigenden Prolaktinspiegeln kommt, wird man auch bei Prolaktinomen nicht um eine Radiotherapie umhinkommen. Das ist üblicherweise aber nur bei ausgedehnten und in die Schädelbasis bzw. den Sinus cavernosus hinein invasiven großen Makroprolaktinomen der Fall. 1.8.5 Therapie des Morbus Cushing 1.8.5.1 Operative Therapie Die Schwierigkeit bei der Therapie des Morbus Cushing besteht in der geringen Größenausdehnung der für die Erkrankung ursächlichen hypophysären Mikroadenome. Man muss davon ausgehen,
21 1.8 · Therapie von Hypophysenadenomen
dass etwa 50% dieser Geschwülste sich radiologisch im Dünnschicht-CT oder im Kernspintomogramm auch bei Verwendung differenzierter Aufnahmetechniken nicht direkt darstellen lassen. Die Operationsindikation basiert also vollständig auf den Befunden der endokrinologischen Funktionsdiagnostik. Wenn man aufgrund dieser aufwendigen Diagnostik ein ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom vermutet, also eine hypophysäre Störung als Quelle des ACTH-Exzesses annimmt, ist die Methode der Wahl heute die transsphenoidale Sellaexploration. Findet man nach Eröffnung des Sellabodens und Inzision der basalen Dura nicht gleich ein Mikroadenom, wird der Hypophysenkörper sorgfältig sektioniert und auf farbliche Unterschiede und Unterschiede in der Konsistenz seiner Zusammensetzung untersucht. Diese Operationen sind technisch besonders schwierig, da der Sinus cavernosus bei den normalen anatomischen Größenverhältnissen in der Sella turcica relativ eng steht und zahlreiche venöse Querverbindungen zu Blutungen führen, die die Übersicht über den Situs außerordentlich erschweren können. So ist in vielen Fällen auch kein histologischer Diagnosebeweis möglich, da kaum repräsentatives Tumormaterial für die histologische Untersuchung zur Verfügung steht. In größeren Serien wird in über 90% der Fälle eines endokrinologisch dokumentierten ACTH-abhängigen Cushing-Syndroms ein Mikroadenom in der Hypophyse gefunden. In 60–90% der Fälle ist diese Operation von einer kompletten klinischen und endokrinologischen Remission des Cushing-Syndroms gefolgt. Es kommt, da die Quelle des ACTH-Exzesses beseitigt wird, dann in fast allen Fällen zu einem Sekretionsdefizit für ACTH und Kortisol, sodass vorübergehend eine Substitutionstherapie mit Kortikosteroiden erforderlich ist. Der Operationserfolg kann schon bald durch Messung des basalen Serumkortisolspiegels oder von Kortisol im Speichel abgeschätzt werden, wenn nicht substituiert wird. In Fällen mit negativer Sellaexploration bietet sich, wenn zuvor eine seitengetrennte simultane venöse Katheterisierung und Blutabnahme aus dem Sinus petrosus inferior durchgeführt wurde und dabei ein erheblicher ACTH-Gradient aufgefallen ist, eine Hemihypophysektomie an, wodurch die Rate der zur klinischen und endokrinologischen Remission führenden Operationen gesteigert werden kann. Wenn das Infundibulum geschont wird und keine vaskulären Läsionen gesetzt werden, ist auch die Hemihypophysektomie nur selten von Störungen hypophysärer Partialfunktionen begleitet. Auch nach erfolgreich verlaufenden Resektionen hypophysärer Mikroadenome bei Morbus Cushing kann es zu Rezidiven kommen, wobei die Rezidivhäufigkeit kumulativ mit dem Beobachtungszeitraum zunimmt. Bei echten Rezidiven kommt eine nochmalige transsphenoidale Operation in Betracht, wobei deren Erfolgsquote jedoch weniger günstig ist als bei primären Eingriffen. Die bilaterale Adrenalektomie ist heute nicht mehr Therapiemethode der 1. Wahl bei Morbus Cushing, weil sie immer zu einem kompletten Ausfall der Hypothalamus-HypophysenNebennierenachse führt und eine dauernde Substitutionsbedürftigkeit mit Mineralokortikoiden und Glukokortikoiden nach sich zieht, ist aber weiterhin die Therapiemethode der Wahl bei der Persistenz des Kortisolexzesses nach einer transsphenoidalen Sellaexploration bzw. einer erfolglosen Mikroadenomektomie. Im übrigen darf hierzu auch auf 7 Kap. 4.4.6 verwiesen werden.
1
1.8.5.2 Strahlentherapie Eine Radiotherapie ist bei persistierendem Hyperkortisolismus nach operativem Vorgehen oder bei Kontraindikationen gegen eine Operation indiziert. Der Effekt einer Strahlentherapie tritt allerdings erst nach frühestens 2 Jahren auf und hat die oben diskutierten Risiken: eine nachfolgende partielle oder totale Insuffizienz anderer hypophysärer Achsen, Schädigung des Sehnerven, Gefäßschäden mit zerebraler Ischämie, Krampfanfälle und die Induktion von sekundären Hirntumoren. 1.8.5.3 Medikamentöse Therapie Eine auf Dauer befriedigend wirksame medikamentöse Therapie existiert bei diesem Krankheitsbild nicht. Die kürzlich propagierte Therapie mit Glitazonen (Aktivatoren des nukleären Peroxisome-Proliferator-aktivierten Rezeptors Gamma) die einzige Form der Therapie, die hypothalamisch-hypophysär angreift. Sie erscheint wegen der guten Verträglichkeit sehr interessant, bleibt aber bis zum gesicherten Nachweis der Effektivität experimentell. Deshalb ist die primäre Therapie der Wahl die Operation. Persistiert jedoch postoperativ der Hyperkortisolimus, kann die Steroidbiosynthese mit Imidazolderivaten gehemmt werden. Gut bewährt hat sich Ketoconazol (Nizoral), das oral in Dosen von 0,6–1 g/Tag gegeben werden kann. Eine weitere Möglichkeit bei Versagen der operativen Therapie bietet sich mit dem adrenal-toxisch wirksamen o,p'-DDD (Mitotane), einem Derivat des Insektizides DDT. Beim hypophysären Cushing-Syndrom scheint eine niedrige Dosierung mit einer Initialdosierung von 3,0 g/Tag und einer nachfolgenden Erhaltungsdosis von 0,5 g/Woche ausreichend zu sein. Wesentliche Nebenwirkungen scheinen unter einer solchen Therapie nicht aufzutreten; initial kann es zu gastrointestinalen Nebenwirkungen mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen kommen. Laborchemisch findet man einen dosisabhängigen Anstieg der γ-GT ohne klinisches Korrelat. Zentral wirksame Medikamente wie Cyproheptadin und Bromocriptin oder Enzymhemmer wie Aminoglutethimid und Etomidat haben sich in der Pharmakotherapie nicht durchsetzen können. Während der medikamentösen Therapie ist eine regelmäßige Kontrolle der Kortisolsekretion, z. B. über die Messung der Kortisolausscheidung im 24-h-Urin, notwendig. 1.8.6 Therapie des Nelson-Syndroms Die in der Definition des Krankheitsbildes enthaltene Befundprogredienz stellt schon die Operationsindikation dar. Die Operation ist auch hier die Therapie der Wahl. Allerdings kann die Entfernung eines derartigen ACTH-sezernierenden Adenoms zwar dessen raumfordernde Wirkung beseitigen, nicht aber den Präadrenalektomie-Status herstellen. Somit bleiben die ACTH-Plasmaspiegel wohl in fast allen diesen Fällen auch nach einer gelungenen Operation weiterhin erhöht. In vielen Fällen liegt ein invasives Tumorwachstum vor, sodass meist auch eine postoperative Radiotherapie notwendig ist, die dann langfristig die exzessive ACTH-Sekretion kontrollieren hilft.
22
1
Kapitel 1 · Hypophyse und Hypothalamus
1.8.7 Therapie der inappropriaten Sekretion
1.9
Nachsorge
von TSH Die Therapie der Wahl stellt auch hier die operative Exstirpation des Tumors dar, wobei primäres Ziel das Erreichen der Euthyreose ist. Präoperativ scheint ein medikamentöser Therapieversuch mit Octreotid (Sandostatin) gerechtfertigt, das in ca. 80% der Fälle die TSH-Sekretion supprimiert und auch bei einigen Patienten zur Tumorverkleinerung führt. Sollte nach Operation und ggf. Radiotherapie eine hyperthyreote Stoffwechsellage persistieren, ist eine thyreostatische Therapie, eine Schilddrüsenoperation oder eine Radiojodtherapie notwendig. Auch diese Tumoren sind biologisch oft recht aggressiv, weil als erste Maßnahme in fast allen Fällen die Therapie gegen die Schilddrüse gerichtet ist und durch die Störung des Regelkreises ein invasiv wachsender und schwierig therapeutisch in den Griff zu bekommender Tumor resultiert. 1.8.8 Therapie der hormoninaktiven
Hypophysenadenome Bei hormoninaktiven Makroadenomen der Hypophyse darf die Indikation zur Operation als gegeben angenommen werden, wenn der Allgemeinzustand des Patienten diese erlaubt. Insbesondere sind Kompressionserscheinungen der Sehbahn bzw. der Nachweis einer Hypophysenvorderlappeninsuffizienz oder die durch radiologische Verlaufsuntersuchungen nachgewiesene progrediente Größenentwicklung eines Tumors als Operationsindikation aufzufassen. Da eine medikamentöse antiproliferative Therapie überhaupt nicht existiert, ist eine Totalentfernung des Tumors in jedem Fall anzustreben. Unter Umständen ist ein kombiniertes transsphenoidales und transkranielles chirurgisches Vorgehen innerhalb eines kurzen Intervalles nötig. Bei invasivem Tumorwachstum oder inkompletter Tumorentfernung scheint eine postoperative Radiotherapie die Rate symptomatischer Rezidive zu verringern. Hormonelle Defizite müssen natürlich prä- und postoperativ entsprechend substituiert werden. 1.8.9 Therapie der Kraniopharyngeome Rein intrasellär entwickelte Kraniopharyngeome, also subdiaphragmal entwickelte Geschwülste, können wie Hypophysenadenome auf transsphenoidalem Wege operiert werden. Hierbei kommt es aber üblicherweise zu einem Einreißen des Diaphragma sellae und zu intraoperativem Liquorfluss, der eine postoperative lumbale Liquordrainage für einige Tage erfordert. Die üblicherweise schon ausgeprägt vorhandene Hypophysenvorderlappeninsuffizienz und ein oft vorliegender Diabetes insipidus bessern sich auch durch eine operative Dekompression bzw. Totalentfernung des Tumors nicht, wenngleich eine Erhaltung von normalem Hypophysengewebe und des Hypophysenstiels hilft, zusätzliche substitutionsbedürftige Defekte der Hypophysenfunktion zu vermeiden.
Hypophysentumoren wachsen langsam. Daraus ergibt sich, dass kleine Tumoren oder auch eine Persistenz eines Tumors nach Operation mit der gegenwärtigen Auflösung bildgebender Verfahren lange Zeit nicht erkannt werden müssen. Da auch echte Spätrezidive nach Jahren beschrieben worden sind, ist eine Langzeitkontrolle aller Patienten auch nach anscheinend radikaler Entfernung von Hypophysentumoren mittels bildgebender Verfahren erforderlich. Die endokrinologische Nachsorge versucht bei endokrin aktiven Tumoren durch die Messung des entsprechenden Hormons als Tumormarker ein Rezidiv früh zu erfassen. Zum anderen hat sie die Überprüfung und ggf. Anpassung einer möglicherweise notwendigen Substitutionstherapie zum Ziel. Bei primär medikamentös behandelten Prolaktinomen kann bei ca. 50% der Patienten erfolgreich ein Auslassversuch der medikamentösen Therapie durchgeführt werden, wenn nach mindestens 3-jähriger kontinuierlicher medikamentöser Therapie in der Kernspintomographie kein Tumor mehr nachweisbar ist und unter der niedrigsten Dosierung eines Dopaminagonisten eine Normoprolaktinämie besteht. Nach Absetzen der Therapie müssen die Prolaktinwerte innerhalb der ersten 2 Wochen kontrolliert werden. Ein rascher Wiederanstieg von Prolaktin nach Absetzen der Therapie wird beobachtet und zeigt auch, dass die Dopaminagonisten-Therapie nicht unkontrolliert unterbrochen werden sollte, da sowohl ein Anstieg von Prolaktin als auch eine rasche Vergrößerung des Tumors möglich ist.
Literatur Barkan A (1997) Controversies in the diagnosis and therapy of acromegaly. Endocrinologist 7:300–307 Bassett JH, Forbes SA, Pannett AA et al. (1998) Characterization of mutations in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Am J Hum Genet 62:232–244 Beck-Peccoz P, Brucker-Davis F, Persani L, Smallridge RC, Weintraub BD (1996) Thyrotropin-secreting pituitary tumors. Endocr Rev 17:610– 638 Brabant G, von zur Muhlen A, Wuster C, Ranke MB, Kratzsch J, Kiess W, Ketelslegers JM, Wilhelmsen L, Hulthen L, Saller B, Mattsson A, Wilde J, Schemer R, Kann P, German KIMS Board (2003) Serum insulin-like growth factor I reference values for an automated chemiluminescence immunoassay system: results from a multicenter study. Horm Res 60:53–60 Buchfelder M, Fahlbusch R (1992) Risiken und Komplikationen bei Operationen von Sellaprozessen. Nervenheilkunde 11:105–111 Buchfelder M, Fahlbusch R (2002) The «classic” transsphenoidal approach for resection of pituitary tumors. Oper Tech Neurosurg 5:210–217 Clemmons DR, Chihara K, Freda PU, Ho KK, Klibanski A, Melmed S, Shalet SM, Strasburger CJ, Trainer PJ, Thorner MO (2003) Optimizing control of acromegaly: integrating a growth hormone receptor antagonist into the treatment algorithm. J Clin Endocrinol Metab 88:4759–4767 Ezzat S (1997) Acromegaly. Endocrinol Metab Clin North Am 26:703–723 Faglia G (1993) Epidemiology and pathogenesis of pituitary adenomas. Acta Endocrinol 129, suppl 1:1–5 Fahlbusch R, Honegger J, Buchfelder M (1992) Surgical management of acromegaly. Endocrinol Metab Clin North Am 21:669–692 Grossmann M, Weintraub BD, Szkudlinski MW (1997) Novel insights into the molecular mechanisms of human thyrotropin action: structural, physiological, and therapeutic implications for the glycoprotein hormone family. Endocr Rev 18:476–501
23 Literatur
Heaney AP, Fernando M, Melmed S (2003) PPAR-gamma receptor ligands: novel therapy for pituitary adenomas. J Clin Invest 111:1381– 1388 Kovacs K, Horvath E (1986) Tumors of the pituitary gland. In: Atlas of tumor pathology, 2/21. AFIP, Washington Mayr B (1997) Menin. Eur J Endocrinol 137:684–687 Melmed S (1990) Acromegaly. N Engl J Med 322:966–977 Melmed S (ed) (1995) The pituitary. Blackwell Science, Cambridge Melmed S, Ho K, Klibanski A, Reichlin S, Thorner M (1995) Clinical review 75: recent advances in pathogenesis, diagnosis and management of acromegaly. J Clin Endocrinol Metab 80:3395–3402 Miller JW, Crapo L (1993) The medical treatment of Cushing’s syndrome. Endocr Rev 14:443–458_Molitch ME (1997) Pituitary incidentalomas. Endocrinol Metab Clin North Am 26:725–740 Muller AF, Van Der Lely AJ (2004) Pharmacological therapy for acromegaly: a critical review. Drugs 64:1817–1838 Ross RJM, Trainer PJ (1998) Endocrine investigation: Cushing’s syndrome. Clin Endocrinol 49:153–155 Shimon I, Melmed S (1997) Genetic basis of endocrine disease, pituitary tumor pathogenesis. J Clin Endocrinol Metab 82:1675–1681 Wick G, Hu Y, Schwarz S, Kroemer G (1993) Immunoendocrine communication via the hypothalamo-pituitary-adrenal axis in autoimmune diseases. Endocr Rev 14:539–563 Ziegler R, Pickardt CR, Willig RP (Hrsg) (1993) Rationelle Diagnostik in der Endokrinologie. Thieme, Stuttgart Ziegler R, Landgraf R, Müller OA, zur Mühlen A von (Hrsg) (1997) Rationelle Therapie in der Endokrinologie. Thieme, Stuttgart Zitzmann M, Nieschlag E (2000) Hormone substitution in male hypogonadism. Mol Cell Endocrinol 161:73–88
1
3 3 Nebenschilddrüsen B. Allolio, A. Bergenfelz, E. Blind, Th. Clerici, M. Dietel, C. Franzius, M. Gotthardt, B. Niederle, E. Ritz, M. Rothmund, T. Schilling, H.J. Wagner, D. Weismann, A. Zielke
3.1
Pathophysiologie
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8 3.1.9
Regulation des Kalziumhaushaltes – 183 Parathormon – 183 Regulation der Parathormonsekretion – 184 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-Hormon – 184 Kalzitonin – 184 »Parathormon-related«-Protein – 184 Einteilung der Kalziumstoffwechselstörungen – 184 Formen des Hyperparathyreoidismus – 185 Familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie – 186
3.2
Chirurgische Anatomie
3.2.1 3.2.2 3.2.3
Entwicklungsgeschichte – 187 Makroskopische Anatomie der normalen Nebenschilddrüsen – 188 Makroskopische Pathologie der Nebenschilddrüsen – 192
3.3
Pathologie
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9 3.3.10 3.3.11 3.3.12 3.3.13
Regulation – 194 Historie – 194 Entwicklungsgeschichte – 194 Makroskopische Anatomie – 195 Topographie und Lagevariationen – 195 Mikroskopische Anatomie – 195 Funktionelle Mikroskopie – 196 Systematik des Hyperparathyreoidismus – 197 Pathologie des primären Hyperparathyreoidismus – 199 Primäre Nebenschilddrüsenhyperplasie – 203 Pathologie des sekundären Hyperparathyreoidismus – 205 Weitere Nebenschilddrüsenläsionen – 206 Kooperation zwischen Chirurg und Pathologe bei der operativen Therapie des Hyperparathyreoidismus – 206
3.4
Primärer Hyperparathyreoidismus
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5
Epidemiologie und Klinik – 209 Labordiagnostik – 212 Lokalisationsdiagnostik – 215 Operative Therapie – 228 Diagnostik und Therapie des persistierenden und rezidivierenden Hyperparathyreoidismus – 246 Nichtoperative Therapieoptionen – 253 Nebenschilddrüsenkarzinom – 255
3.4.6 3.4.7
– 183
– 187
– 194
– 209
3.5
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
– 257
3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6
Pathophysiologie – 257 Epidemiologie und klinische Symptomatik – 259 Diagnostik – 260 Konservative Therapie – 262 Operative Therapie – 266 Therapie des rezidivierenden und persistierenden sekundären Hyperparathyreoidismus – 273
3.6
Hypoparathyreoidismus – 276
3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6
Definition – 276 Ätiologie und Inzidenz – 276 Pathophysiologie – 277 Klinische Symptomatik – 277 Diagnostik – 278 Therapie – 279
183 3.1 · Pathophysiologie
Pathophysiologie
3.1
T. Schilling
4 4 4 4
3
Nebenschilddrüse = Kalziumregulator Darm = Kalziumaufnehmer Knochen = Kalziumspeicher Niere = Kalziumausscheider
) ) Die Nebenschilddrüsen stellen das Serumkalzium im Sinne einer »biologischen Konstante« ein. Mittels der raschen Anpassung der Parathormonsekretion justieren sie das Serumkalzium auf einen Sollwert. Jede Abweichung des Serumkalziums nach oben oder nach unten zeigt eine Fehlfunktion dieses Regelkreises an und bedarf einer Abklärung. Die Beurteilung dieses Regelkreises ist nur durch eine gleichzeitige Bestimmung des Parathormons (PTH) und des Serumkalziums möglich. Beim primären und tertiären Hyperparathyreoidismus kommt es durch eine Übersekretion von PTH zu einer Hyperkalzämie, beim sekundären Hyperparathyreoidismus versuchen die Nebenschilddrüsen durch eine Erhöhung der PTH-Sekretion einen Kalzium oder Vitamin-D-Mangel auszugleichen – hier ist das Serumkalzium erniedrigt.
3.1.1 Regulation des Kalziumhaushaltes Das Serumkalzium wird von den Nebenschilddrüsen konstant zwischen 2,2 und 2,6 mmol/l einreguliert. Hierbei lassen die Nebenschilddrüsen nur Schwankungen von unter 0,025 mmol/l zu. Dies ist wichtig, da Kalzium eine wichtige physiologische Rolle bei folgenden Vorgängen hat: 4 Muskelkontraktion 4 Nervenerregungsleitung 4 Zellstoffwechsel 4 Second messenger 4 Gerinnung Die Kalziumhomöostase funktioniert nach einem einfachen Prinzip. Sie wird von 4 Organen, der Nebenschilddrüse, dem Darm, dem Knochen und der Niere, geregelt. Hierbei haben die Organe folgende Rolle:
. Abb. 3.1. Regulation der Kalziumhomöostase. Parathormon löst Kalzium (Ca2+) und Phosphat (PO4) aus dem Knochen und führt an der Niere zu einer vermehrten Kalziumrückresorption und zu einer verstärkten Phosphatausscheidung. Weiterhin stimuliert es in der Niere die 1-α-Hydroxylase zur Bildung des 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-Hormons (1,25-D3).
Die physiologisch beteiligten Hormone sind hierbei PTH und sekundär das von der Niere gebildete 1,25-Dihydroxy-VitaminD3-Hormon. . Abb. 3.1 stellt den physiologischen Regelkreis der Kalziumhomöostase dar.
Serumkalzium wird als biologische Konstante durch eine kontinuierliche Anpassung der Parathormonsekretion der Nebenschilddrüsen eingestellt.
3.1.2 Parathormon Parathormon (PTH) ist ein einkettiges Polypeptid aus 84 Aminosäuren. Es wird im Organismus nur von den Nebenschilddrüsen gebildet und bedarfsgerecht sezerniert. Dabei spielt der »Calcium-sensing«-Rezeptor (CaSR) der Nebenschilddrüsen eine entscheidende Rolle. Die Halbwertszeit von PTH ist sehr kurz; sie beträgt nur ca. 4 min; spätestens bei der Passage durch die Leber wird das biologisch sehr wirksame intakte PTH in mehrere inaktive PTH-Fragmente gespalten. Nur durch diese kurze Halbwertszeit ist es für die Nebenschilddrüsen möglich, das Serumkalzium so genau einzustellen. Wie in . Abb. 3.1 zu sehen, hat das intakte PTH 2 Zielorgane: 4 Knochen: Hier führt PTH zu einer raschen und quantitativ bedeutenden Freisetzung von Kalzium und Phosphat. 4 Niere: Hier führt PTH 5 zu einer vermehrten Phosphatausscheidung, 5 zu einer Stimulation der 1-α-Hydroxylase (Bildung von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3), 5 zu einer vermehrten Kalziumrückresorption aus dem Harn (die jedoch quantitativ nicht so bedeutend ist).
Das 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-Hormon führt zu einer Steigerung der Kalziumresorption aus dem Darm. Alle Mechanismen tragen zu einer Erhöhung des Serumkalziums bei. Das gestiegene Serumkalzium hemmt die Parathormonsekretion: der Regelkreis ist geschlossen
184
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Sehr wichtig für den Organismus ist die phosphaturische Wirkung von PTH: dadurch wird verhindert, dass das freigesetzte Kalzium und Phosphat aus dem Knochen sich an anderen Stellen des Organismus wieder verbindet und es zu Verkalkungen kommt.
3 3.1.3 Regulation der Parathormonsekretion Wie in . Abb. 3.1 dargestellt ist die Konzentration des Serumkalziums die wichtigste Stellgröße für die PTH-Sekretion der Nebenschilddrüsen. Daneben wird die PTH-Sekretion jedoch auch noch durch 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 und Phosphat beeinflusst. Zusammenfassend wird die PTH-Sekretion also durch die folgenden 3 Faktoren beeinflusst: 4 Kalzium (Ca2+): eine Erniedrigung steigert die PTH-Sekretion 4 Phosphat (PO4): eine Erhöhung steigert die PTH-Sekretion 4 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 (1,25(OH)2D3): eine Erniedrigung steigert die PTH-Sekretion Bei der chronischen Niereninsuffizienz sind neben dem niedrigen Kalzium pathophysiologisch vor allem die Hyperphosphatämie und das verminderte 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3Hormon für die vermehrte PTH-Sekretion des sekundären Hyperparathyreoidismus verantwortlich.
Die Parathormonsekretion wird minütlich geändert. Eine alleinige Parathormonbestimmung hat deshalb keinen Sinn: Nur die gleichzeitige Bestimmung des Serumkalziums lässt eine diagnostische Beurteilung des Regelkreises zu.
3.1.4 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-Hormon Vitamin D3 (Cholecalciferol), die Vorstufe zum 1,25-DihydroxyVitamin-D3-Hormon, wird durch die Nahrung aufgenommen oder in der Haut unter UV-Bestrahlung gebildet. In der Leber findet eine erste Hydroxylierung durch die 25-Hydroxylase zu 25-Hydroxyvitamin D3 statt. Erst durch eine zweite Hydroxylierung durch die 1-α-Hydroxylase der Niere wird daraus das aktive Vitamin-D-Hormon, das 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3. Die 1-α-Hydroxylierung stellt hierbei das Nadelöhr dar: die 1-α-Hydroxylase ist bereits bei einer geringen Niereninsuffizienz in der Kapazität beeinträchtigt. Die 1-α-Hydroxylase der Niere steht unter der Kontrolle von PTH und wird durch PTH stimuliert. PTH sorgt somit über das 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D3-Hormon zu einer Steigerung der Kalziumaufnahme aus dem Darm. 3.1.5 Kalzitonin Kalzitonin spielt beim Kalziumstoffwechsel in vivo keine Rolle. Die noch immer verbreitete Meinung, dass Kalzitonin »Gegenspieler« von Parathormon sei, und das Serumkalzium senke, ist in vivo falsch. So führt eine Übersekretion von Kalzitonin, wie sie z. B. beim medullären Schilddrüsenkarzinom auftritt, nicht zu einer Änderung des Serumkalziumspiegels, d. h. Kalzitonin spielt pathophysiologisch keine Rolle beim Kalziumstoffwechsel.
3.1.6 »Parathormon-related«-Protein »Parathormon-related«-Protein (PTHrP) ist ein Polypeptid und spielt eine wichtige Rolle bei der Tumorhyperkalzämie. PTHrP ist ein Zytokin und parakriner Wachstumsfaktor der das Tumorwachstum fördert. Physiologisch spielt PTHrP während der Embryogenese eine wichtige Rolle bei Wachstum und Differenzierung von Zellen. Vor allem bei soliden Tumoren (Mamma, Lunge, Niere, Urogenitalkarzinom, Kopf- und Halskarzinom) wird es manchmal in großen Mengen sezerniert und kann ins Blut gelangen. PTHrP ist am N-terminalen Ende dem PTH ähnlich und bindet wie dieses an den PTH-Rezeptor, wo es die gleichen Effekte wie PTH auslöst. Es kommt dadurch zu einer Hyperkalzämie. Diese beruht auf dem gleichen pathophysiologischen Mechanismus wie beim primären Hyperparathyreoidismus. Der wesentliche Unterschied zum primären Hyperparathyreoidismus ist, dass bei der Tumorhyperkalzämie das intakte Parathormon eindeutig supprimiert ist. 3.1.7 Einteilung der Kalziumstoffwechsel-
störungen Wichtigste Zielgröße für den Organismus ist die Höhe des Serumkalziums. Es ist deshalb sinnvoll die Einteilung, Diagnostik und Differenzialdiagnostik der Kalziumstoffwechselstörungen von der Art der Kalziumstörung, der Hyperkalzämie und der Hypokalzämie, abhängig zu machen. Hyperkalzämie. Häufigste Ursachen sind der primäre Hyperparathyreoidismus und die Tumorhyperkalzämie, die zusammen ca. 80% ausmachen. Hypokalzämie. Die wichtigsten Ursachen einer Hypokalzämie sind der Hypoparathyreoidismus, die chronische Niereninsuffizienz und der Vitamin-D-Mangel (Osteomalazie im Erwachsenenalter, Rachitis im Kindesalter). Cave Jede Erhöhung oder Erniedrigung des Serumkalziums hat eine krankhafte Ursache und bedarf einer differenzialdiagnostischen Abklärung.
Differenzialdiagnose der Hyperkalzämie (nach Schipani et al. 1996) 5 Tumorhyperkalzämie (paraneoplastisch) – Solide Tumoren – Lungenkarzinom (30% der Tumorhyperkalzämie, vermutete Ätiologie: PTHrP, seltener Zytokine) – Mammakarzinom (23%, PTHrP, seltener Zytokine) – Urogenitalkarzinom (12%, PTHrP, seltener Zytokine) – Kopf- und Halskarzinom (6%, PTHrP, seltener Zytokine) – Hämatologische Malignome (1,2%) – Multiples Myelom (3,2%, Zytokine wie TNF, IL-6 etc.) – Non-Hodgkin-Lymphom (1%, 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3) 6
185 3.1 · Pathophysiologie
3
3.1.8 Formen des Hyperparathyreoidismus – Leukämie (1,3%, unklare Ätiologie) – Hodgkin-Lymphom (0,5%, 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3) 5 Primärer Hyperparathyreoidismus und tertiärer Hyperparathyreoidismus 5 Andere Ursachen – Hyperthyreose – Sarkoidose (durch 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3) – Medikamente – Vitamin D – Thiaziddiuretika – Lithium – Östrogene, Antiöstrogene – Androgene (Mammakarzinomtherapie) – Vitamin A – Aluminiumintoxikation (chronische Niereninsuffizienz) – Azetylsalizylsäure – Theophyllin – Immobilisation 5 Selten – Phäochromozytom (malignes durch PTHrP-Sekretion) – Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie – Granulomatosen (durch 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3) – Tuberkulose – Milchalkalisyndrom – Hypophosphatasie (bei der perinatalen und infantilen Form) – AIDS – Jansen’s metaphysale Chondrodysplasie (aktivierende Mutation des PTH-Rezeptors)
Differenzialdiagnose der Hypokalzämie 5 Verschiedene Formen des Hypoparathyreoidismus 5 Verschiedene Formen des Pseudohypoparathyreoidismus 5 Kalziummangel – Mangelernährung – Malabsorption/ Maldigestion 5 Vitamin-D-Mangel (Rachitis/Osteomalazie) – Mangelernährung – Mangelnde Sonnenlichtexposition – Malabsorption – Vitamin-D-Katabolismus durch Antiepileptika – Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I (1-α-Hydroxylasemangel) 5 Vitamin-D-Resistenz – Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ II (Vitamin-D-Endorganresistenz) 5 Medikamente – Antiepileptika – Bisphosphonate, Phosphat – Colchicin-Überdosierung 5 Chronische Niereninsuffizienz 5 Hypoproteinämie 5 Hypomagnesiämie 5 Akute Pankreatitis 5 Oft bei Intensivpatienten (unklare Ätiologie)
Pathophysiologisch wird zwischen einem primären, sekundären und tertiären Hyperparathyreoidismus unterschieden. Die alleinige Angabe »Hyperparathyreoidismus« beschreibt lediglich eine Erhöhung des Parathormons und hat per se keinen Krankheitswert. Die alleinige Bezeichnung »Hyperparathyreoidismus« ohne Nennung der Art der Erhöhung »primär«, »sekundär« oder »tertiär« sollte im klinischen Alltag vermieden werden. 3.1.8.1 Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) Der Begriff primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) beschreibt eine funktionelle Übersekretion von PTH. Sie führt zu einer Hyperkalzämie. Pathophysiologisch liegt die Krankheitsursache in den Nebenschilddrüsen. Eine funktionelle Übersekretion von PTH durch die Nebenschilddrüsen ist die Ursache der Erkrankung. Am häufigsten liegt ein solitäres Nebenschilddrüsenadenom vor: Hier hat sich sporadisch ein Adenom in einem der 4 Nebenschilddrüsen gebildet. Eine maligne Entartung zu einem Nebenschilddrüsenkarzinom ist dabei äußerst selten. Davon abzugrenzen sind familiäre, vererbbare Formen, des pHPT: hier kommt es genetisch bedingt zum Auftreten von Nebenschilddrüsentumoren, meist Hyperplasien, in allen 4 Nebenschilddrüsen. Familiäre Formen des pHPT sind: 4 Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1) 4 Multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) 4 Familiärer Hyperparathyreoidismus (fHPT) 4 Hyperparathyreoidismus-Kiefertumor-Syndrom (»hyperparathyroidism-jaw tumor syndrome«; HPT-JT) Alle Formen werden autosomal-dominant vererbt. Bei den multiplen endokrinen Neoplasien treten Adenome und/oder Karzinome in weiteren endokrinen Organen auf (bei der MEN 1: Pankreas, Hypophyse, Nebenniere; bei der MEN 2: medulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom). Beim HPT-JT-Syndrom kommen ossifizierende Fibrome der Mandibula, renale Zysten, Hamartome und Wilms-Tumoren vor. Der pHPT entwickelt sich beim HPT-JT in den ersten 20 Lebensjahren mit multiplen zum Teil zystischen Epithelkörperchenadenomen und der Gefahr von Nebenschilddrüsenkarzinomen (7 Kap. 3.3.9.2). 3.1.8.2 Sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT) (7 Kap. 3.5)
Entgegen dem pHPT mit hohem Serumkalzium ist beim HPT das Serumkalzium niedrig oder niedrig normal. Um die Hypokalzämie auszugleichen, wird von den Nebenschilddrüsen vermehrt PTH sezerniert. Durch diese chronisch vermehrte PTHSekretion wird Kalzium im Wesentlichen aus dem Knochen, dem Kalziumspeicher, mobilisiert. Dieser Pathomechanismus führt über kurz oder lang zur Osteomalazie oder Osteoporose. Neben einem zu niedrigen Serumkalzium führen auch ein niedriger Serumspiegel von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 und ein erhöhtes Serumphosphat zu einer Stimulation der PTH-Sekretion. Alle diese Bedingungen kommen bei der chronischen Niereninsuffizienz zusammen, nämlich: 4 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3-Hormonmangel: durch verminderte 1-α-Hydroxylaseaktivität 4 Hypokalzämie: als Folge des 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3Hormonmangels 4 Hyperphosphatämie: im weiteren Verlauf der Niereninsuffizienz durch Phosphatretention
186
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Dies führt zu einer ständigen Stimulation der PTH-Sekretion. Es kommt zu einem Wachstumsreiz aller Nebenschilddrüsen, zu einer Nebenschilddrüsenhyperplasie. Schließlich kann es im Verlauf der Erkrankung zu einer Autonomisierung dieser hyperplastischen Nebenschilddrüsen kommen, es wird mehr PTH als notwendig sezerniert und das Serumkalzium steigt. Aus dem sHPT wird langsam ein tertiärer Hyperparathyreoidismus (tHPT), der wie der pHPT durch eine Hyperkalzämie charakterisiert ist. Die chronische Niereninsuffizienz ist die häufigste und wichtigste Ursache des sHPT. Vor allem im englischsprachigen Raum wird oft das Synonym »renaler Hyperparathyreoidismus« dafür benutzt. 3.1.8.3 Tertiärer Hyperparathyreoidismus (tHPT) Der tertiäre Hyperparathyreoidismus ist pathophysiologisch als pHTP zu verstehen, der jedoch aus einem sHPT entstanden ist. Im Gegensatz zum sporadischen pHPT sind beim sHPT jedoch alle Nebenschilddrüsen hyperplastisch/adenomatös verändert. Auch hier wird häufig das Synonym renaler Hyperparathyreoidismus benutzt. Der renale Hyperparathyreoidismus führt zu einer Reihe von Komplikationen, vor allem am Knochen, und muss deshalb oft operiert werden. Operationsprinzip ist eine fast vollständige Resektion des Nebenschilddrüsengewebes. In der englischsprachigen Literatur wird als »tertiärer« Hyperparathyreoidismus die hyperkalzämische Erkrankung nach Nierentransplantation bezeichnet.
. Tab. 3.1. Differenzialdiagnostische Unterscheidung des primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) von der familiären hypokalzurischen Hyperkalzämie (FHH)
pHPT
FHH
Serumkalzium
>2,6 mmol/l
2,6 bis ≈2,9 mmol/l
PTH
Mäßig bis stark erhöht
Mäßig erhöht, bei sHPT auch stark
Serumphosphat
Stark erniedrigt
Nur leicht erniedrigt
Serummagnesium
Unterer Normbereich
Oberer Normbereich
Quotient Kalzium-Clearance/ Kreatinin-Clearance
>≈0,02
<≈0,01 (in 80% der FHH)
Symptome
Symptome des pHPT
In der Regel keine Symptome
Genetische Keimbahnuntersuchung
Keine Mutation
»Calcium-sensing«Rezeptor-Mutation ist beweisend
Cave
3.1.9 Familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie Die familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie (FHH) stellt eine wichtige Differenzialdiagnose zum primären Hyperparathyreoidismus dar und muss vor jeder Operation eines primären HPT ausgeschlossen werden (. Tab. 3.1). Ursache dieser autosomal-dominant vererbbaren Störung sind Keimbahnmutationen im »Calcium sensing« Rezeptor (CaSR) der Nebenschilddrüse. Patienten mit FHH haben seit Geburt eine asymptomatische Hyperkalzämie. Eine Resektion der Nebenschilddrüsen führt nicht zu einer Normalisierung des Serumkalziumspiegels. Ursache ist eine »Set-point«-Verstellung der physiologischen inversen Regulation von Kalzium und PTH durch den CaSR auf einem höheren Niveau, d. h. erst bei höheren Kalziumspiegeln kommt es zu einer Suppression von PTH. Laborchemisch (anhand des Serumkalzium und PTH) lassen sich deshalb Patienten mit FHH nicht von Patienten mit pHPT unterscheiden (7 Kap. 3.4.2). Der einzige Unterschied zum pHPT ist die niedrige Kalziumausscheidung bei der FHH. Häufig wird die Diagnose erst postoperativ bei Persistenz der Hyperkalzämie diskutiert, deshalb sollte bei allen Patienten mit Verdacht auf pHPT die Kalziumausscheidung im Urin bereits präoperativ überprüft werden. Patienten mit einer FHH entwickeln keine Hyperkalzämiesymptome, sind asymptomatisch und bedürfen keiner operativen Therapie.
Die FHH lässt sich anhand von Serumkalzium und PTH nicht vom pHPT unterscheiden. Diskriminierend ist die Kalziumkonzentration im Urin.
Bei FHH darf nicht parathyreoidektomiert werden. Eine Veränderung des Kalziumstoffwechsels wird dadurch nicht erreicht.
Literatur Pecherstorfer M et al. (1994) Parathyroid hormone-related protein and life expectancy in hypercalcemic cancer patients. J Clin Endocrinol Metab 78:1268–1270 Schilling T et al. (1993) Parathyroid hormone-related protein (PTHrP) does not regulate 1,25-dihydroxyvitamin D serum levels in hypercalcemia of malignancy. J Clin Endocrinol Metab 76:801–803 Schipani E et al. (1996) Constitutively activated receptors for parathyroid hormone and parathyroid hormone-related peptide in Jansen’s metaphyseal chondrodysplasia. N Engl J Med 335:708–714 Meryl S et al. (2003) Hypercalcemia: clinical manifestations, pathogenesis, diagnosis, and management. In: Favus MJ (ed) Primer on the metabolic bone diseases and disorders of mineral metabolism, 5th ed. American Society for Bone and Mineral Research, Washington, DC, pp 225–229 Bilezikian JP, Silverberg SJ (2003) Primary hyperparathyroidism. In: Favus MJ (ed) Primer on the metabolic bone diseases and disorders of mineral metabolism, 5th ed. American Society for Bone and Mineral Research, Washington, DC, pp 230–234
187 3.2 · Chirurgische Anatomie
3
Chirurgische Anatomie
3.2
M. Rothmund ) )
Embryonalstadium
Die chirurgische Anatomie, d. h. die Zusammenfassung der Kenntnisse über die Entwicklungsgeschichte, topographische Anatomie und makroskopische Pathologie der Nebenschilddrüsen ist zur erfolgreichen Durchführung eines operativen Eingriffs an diesen Organen von elementarer Bedeutung, um den Chirurgen nicht an der bekanntermaßen variablen Zahl und Lage der Nebenschilddrüsen und ihrer Tumoren scheitern zu lassen. Form, Größe und Lage der Nebenschilddrüsen folgen bestimmten Charakteristika und Gesetzmäßigkeiten, die sich aus den Kenntnissen der chirurgischen Anatomie ableiten. Ihre Kenntnis ist Grundlage für den Erfolg einer Operation wegen eines primären oder sekundären HPT. Fehlende Kenntnisse auf diesem Gebiet können auf keinen Fall durch noch so aufwendige radiologische Lokalisationsmaßnahmen kompensiert werden. Es gilt der Satz von John Doppman, einem der erfahrensten Radiologen auf dem Gebiet der Nebenschilddrüsenlokalisationsdiagnostik: »Das wichtigste lokalisationsdiagnostische Verfahren bei der Behandlung des Hyperparathyreoidismus ist die Lokalisation eines erfahrenen Chirurgen.« Nicht jeder Chirurg kann erfahren sein, und keiner war es von Anfang an, aber belesen kann er sein; dies zur Ermunterung für das folgende Kapitel.
. Abb. 3.2. Schematische Darstellung der entwicklungsgeschichtlichen Wanderung der Nebenschilddrüsen
3.2.1 Entwicklungsgeschichte In . Abb. 3.2 ist die entwicklungsgeschichtliche Wanderung der Nebenschilddrüsen dargestellt. Die Nebenschilddrüsen entstehen aus einer Aussprossung der 3. und 4. Schlundtasche des primitiven Vorderdarms. Beide Schlundtaschen, die dem Entoderm zuzuordnen sind, entwickeln in der 4. und 5. Embryonalwoche paarige ventrale und dorsale Aussackungen. Die dorsalen Aussackungen enthalten aus nicht näher bekannten Gründen epitheliale (ektodermale) Zellen, aus denen sich die Nebenschilddrüsen entwickeln (Bargmann 1939; Altenähr 1980). Der zweite gebräuchliche Name für diese Drüsen, »Epithelkörperchen«, leitet sich von dieser embryologischen Besonderheit ab. Hierdurch würde auch die noch nicht ganz geklärte Zugehörigkeit der Nebenschilddrüsen zum System der neuroendokrinen Zellen (APUD-System) verständlich. Die oberen Nebenschilddrüsen stammen aus den dorsalen Aussprossungen der 4. Schlundtasche. Im Laufe des Embryonalstadiums legen sie nur einen kurzen Weg zurück, wandern nach kaudal und sind schon beim Kleinkind dorsal des oberen Schilddrüsendrittels zu finden. Obwohl in der Literatur meist zu lesen ist, dass aus den ventralen Aussprossungen der 4. Schlundtasche die lateralen Randteile der Schilddrüse entstehen, ist dies nicht ganz geklärt. Möglicherweise gehen hiervon rudimentäre Thymusdrüsen aus, die nach dem Embryonalstadium verkümmern, oder auch der ultimobranchiale Körper, möglicherweise auch die laterale Schilddrüsenanlage. Die letztgenannte Variante erklärt auch, warum die parafollikulären Zellen (C-Zellen), die mit dem Gewebe der ventralen Aussprossungen wandern, sich später in den posterioren Abschnitten der Schilddrüse wiederfinden (Thompson 1986).
Die unteren Nebenschilddrüsen entwickeln sich aus den dorsalen Abschnitten der 3. Schlundtasche. Sie überholen während ihrer embryonalen Entwicklung die aus der 4. Schlundtasche stammenden oberen Nebenschilddrüsen und finden sich häufig dorsal des unteren Schilddrüsendrittels oder in naher Beziehung zur Thymusdrüse, die sich paarig aus der ventralen Anlage der 3. Schlundtasche, also der gleichen wie die unteren Nebenschilddrüsen, entwickelt. Wahrscheinlich ist die ausgedehnte Migration der unteren Nebenschilddrüsen im Embryonalstadium Ursache für die variablere Lage dieser unteren Drüsen gegenüber der mehr konstanten der oberen. Auch die Tatsache, dass die unteren Nebenschilddrüsen oberhalb der oberen Nebenschilddrüsen liegen können, findet ihre Erklärung dadurch, dass die Migration der unteren Nebenschilddrüse von der 3. Schlundtasche aus in die normale Position aus nicht näher bekannten Gründen unterbleiben kann. Es handelt sich dann um »nicht deszendierte« untere Nebenschilddrüsen, die meist nach längerer Suche oberhalb des oberen Schilddrüsenpols gefunden werden (Edis et al. 1979; Akerström et al. 1984). Der gemeinsame Ursprung der unteren Nebenschilddrüsen und der Thymusdrüsen aus der dorsalen bzw. ventralen Aussprossung der 3. Schlundtasche führt, obwohl beide anatomischen Strukturen üblicherweise getrennt voneinander vorzufinden sind, häufig zu einer gemeinsamen topographischen Beziehung. Etwa 20–40% der unteren Nebenschilddrüsen liegen in naher Beziehung zur Thymusdrüse (meist in den Gefäßstrukturen zwischen dem unteren Schilddrüsenpol und der Thymuszunge, dem sog. Ligamentum thyreothymicum) oder in der Thymusdrüse selbst, hier häufiger kranial in den Thymuszungen, seltener tiefer in den intramediastinalen Anteilen der
188
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Thymusdrüse. Selten sind untere Nebenschilddrüsen im vorderen Mediastinum unabhängig von der Thymusdrüse zu finden. Sie sitzen dann entweder der Pleura oder dem Perikard auf oder können – extrem selten – nach intraperikardial oder in das aortopulmonale Fenster verschleppt sein (Thompson 1986).
3 3.2.2 Makroskopische Anatomie der normalen
Nebenschilddrüsen Die häufigste Situation, die bei einer Halsexploration wegen eines primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) angetroffen wird, ist die eines solitären Adenoms. Meist ist es leicht, den Nebenschilddrüsentumor zu finden, schwerer ist jedoch die Identifikation der übrigen 3 normal großen Nebenschilddrüsen. Obwohl die normalen Nebenschilddrüsen bezüglich ihrer Größe, Form, Konsistenz, Farbe und bezüglich ihres Gewichts variabel sind (. Abb. 3.3b), ermöglicht es die Beurteilung der genannten Parameter zusammengenommen, eine normale Nebenschilddrüse zu identifizieren (7 Kap. 3.4.3). Zunächst müssen die normalen Nebenschilddrüsen, die meist in Fettgewebe, das dorsal der Schilddrüsenkapsel aufliegt, verborgen sind, dargestellt werden. Dies geschieht durch vorsichtiges Zupfen am Fettgewebe oder durch Spalten der dünnen bindegewebigen Membran, die über dem Fettgewebe und der Nebenschilddrüse ausgespannt ist. Häufig schlüpft dann die gesuchte Nebenschilddrüse aus dem Fett heraus und kommt auf ihm zu liegen wie ein Eigelb auf dem Eiweiß eines Spiegeleis (. Abb. 3.3b). Die genannten Merkmale können dann erfasst und abgeschätzt werden. 3.2.2.1 Größe und Form Die Größe der Nebenschilddrüsen hängt verständlicherweise mit ihrer Form zusammen. Eine flach über der Schilddrüsenkapsel ausgespannte Nebenschilddrüse wird größer erscheinen als eine sphärische. Wichtig ist es, die variable Form der Nebenschilddrüsen zu kennen (. Abb. 3.3a). Die Größe der Nebenschilddrüsen ist einigermaßen konstant unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Frauen etwas größere Nebenschilddrüsen haben als Männer und dass die unteren Nebenschilddrüsen die oberen häufig an Größe übertreffen (Gilmour 1938). Lässt man extreme Formvarianten außer Acht, wird die Größe der Nebenschilddrüsen von den meisten Autoren ähnlich beschrieben. Wang gibt sie mit 5×3×1 mm an und liegt dabei unwesentlich abweichend in der Größenordnung, die auch andere Autoren beschreiben (Gilmour 1938; Wang 1976; Altenähr 1980; Akerström et al. 1984). 3.2.2.2 Gewicht In den Untersuchungen von Gilmour u. Martin (1937) bei mehr als 1000 Autopsien lag das minimale Gewicht einer normalen Nebenschilddrüse bei 15, das maximale bei 75 mg. Durchschnittlich wogen alle 4 Drüsen 140 mg. Altenähr (1980) beschreibt das durchschnittliche Gewicht einer normalen Nebenschilddrüse mit 20–30 mg und das aller Nebenschilddrüsen mit 80–150 mg und liegt dabei in einem ähnlichen Bereich wie Wang (1976), der die entsprechenden Gewichte mit 35–40 mg bzw. mit 140–160 mg beschreibt. In den Untersuchungen von Thompson et al. (1982) wird ein ähnliches Gesamtgewicht der Nebenschilddrüsen angegeben. Praktisch wichtig ist, dass dann, wenn nur 3 Nebenschilddrüsen gefunden werden und das geschätzte Gesamtgewicht dieser 3 Drüsen unter 120 mg liegt – möglicherweise hat man
a
. Abb. 3.3. a Äußere Formen normaler Nebenschilddrüsen nach Wang (1976). b Normale Nebenschilddrüsen sind meist von Fett umgeben oder auch von ihm überzogen. Wenn man mit zwei Pinzetten die dünne Bindegewebsschicht über dem Fett auseinanderzieht, kommen sie zum Vorschein und liegen dann im Fett wie das Eigelb im Eiweiß eines Spiegeleis
eine Nebenschilddrüse entfernt und gewogen – zu erwarten ist, dass eine 4., wahrscheinlich tumorartig veränderte Nebenschilddrüse vorliegt, die noch nicht entdeckt wurde. Andererseits muss jede Nebenschilddrüse, die mehr als 70–80 mg wiegt, als vergrößert und damit tumorverdächtig betrachtet werden. Zu beachten ist hierbei, dass bei alten Menschen durch eine starke Fettdurchsetzung der Nebenschilddrüse ein höheres Gesamtgewicht gemessen werden kann, obwohl das Gewicht des endokrinen Gewebes im Normbereich liegt. 3.2.2.3 Farbe und Konsistenz Beide Merkmale verändern sich während des Lebens. Beim Kleinkind sind die Nebenschilddrüsen graugelblich und relativ fest, während sie beim Jugendlichen und Erwachsenen eine rötlichbraune Farbe annehmen und beim alten Menschen wegen des höheren Fettgehalts auf der Schnittfläche überwiegend gelblichbraun aussehen. Die Tumoren sind wie die normalen Nebenschilddrüsen dann meist so weich, dass sie kaum mit einem Instrument festgehalten werden können, ohne dass die Kapsel aufbricht und sich der Inhalt von puddingartiger Konsistenz entleert. 3.2.2.4 Unterscheidung von anderem Gewebe Praktisch wichtig ist die Differenzierung eines verdächtigen Gebildes gegenüber Fett, Lymphknoten oder Schilddrüsengewebe. Eine Nebenschilddrüse erkennt man am besten dadurch, dass sie – wie oben beschrieben – eingebettet in Fett liegt (. Abb. 3.3b),
189 3.2 · Chirurgische Anatomie
beim Erwachsenen eine rötlichbraune Farbe hat, in einer der in . Abb. 3.3a dargestellten Formen vorliegt und dass auf der Oberfläche ein feines Gefäßnetz vorhanden ist. Nimmt man eine Biopsie von einer normalen Nebenschilddrüse, kommt es zu einer relativ kräftigen diffusen Blutung aus der Schnittfläche (Epithelkörperchen-Flush). Dies ist nicht der Fall bei Fett- oder Lymphknotengewebe, jedoch kräftiger aus einem durchbluteten Schilddrüsenknoten. Die Konsistenz einer Nebenschilddrüse oder einer Biopsie aus ihr ist weich. Eine Nebenschilddrüse lässt sich zwischen behandschuhten Fingern kaum tasten, während ein Lymphknoten oder ein Schilddrüsenknoten derb ist und sich zwischen den palpierenden Fingern in seiner Form kaum verändert. Fettgewebe ist weich und kann im Gegensatz zu einem Epithelkörperchen zwischen den Fingern zerrieben oder mit der Pinzette aufgefasert werden. Der beste Test zur Untersuchung, ob es sich bei verdächtigem Gewebe um Nebenschilddrüsen- oder Fettgewebe handelt, ist die Schwimmprobe. Das verdächtige Gewebe wird in ein Schälchen mit Kochsalzlösung gegeben: Fett schwimmt, Nebenschilddrüsengewebe geht unter. Zur Differenzierung dient auch die Farbe eines verdächtigen Gebildes auf der Schnittfläche. Lymphknotengewebe ist meist gelblich oder weißlich, Schilddrüsengewebe glasig, fischfleischartig und meist intensiv rötlich im Gegensatz zu dem oben geschilderten, mit dem Lebensalter wechselnden farblichen Aspekt einer Nebenschilddrüse. 3.2.2.5 Anzahl der Nebenschilddrüsen Vor der systematischen Erfassung der unterschiedlichen Anzahl der Nebenschilddrüsen und ihrer Lagevarianten führten v. a. diese beiden Aspekte zur Verunsicherung vieler Chirurgen, für die die Nebenschilddrüsenchirurgie eine »Terra incognita« mit vielen Unwägbarkeiten und unangenehmen Überraschungen blieb und zur Ablehnung dieser Art von Chirurgie führte oder diejenigen, die sich dennoch damit befassten, zu einem unsystematischen Vorgehen verleitete. Die Beschreibung von 8 Nebenschilddrüsen bei einem Verstorbenen durch Zuckerkandl und gar von 12 durch Erdheim bei einem anderen konnte nur das Unsicherheitsgefühl desjenigen schüren, der bei einem Eingriff 1 oder 2 vergrößerte Nebenschilddrüsen entfernt hatte (Altenähr 1980). Genauere Daten verdanken wir Gilmour u. Martin (1937), Gilmour (1938), Alveryd (1968), Wang (1976) und in jüngerer Zeit Thompson et al. (1982) sowie Akerström et al. (1984). Aus diesen Untersuchungen, ob sie nun auf Autopsien oder chirurgischem Krankengut beruhen, geht das bekannte Faktum hervor, dass die meisten Menschen 4 Nebenschilddrüsen haben. Akerström et al. fanden 4 Nebenschilddrüsen bei 84% der über 500 untersuchten Fälle, Gilmour bei 87% und Wang in einer chirurgischen Serie sogar bei 97,5%. Sowohl Gilmour als auch Akerström et al. geben an, dass im Falle der 3,6 bzw. 3% der untersuchten Leichen, bei denen nur 3 Nebenschilddrüsen gefunden wurden, das Gesamtgewicht dieser 3 Nebenschilddrüsen darauf hinwies, dass eine 4. Nebenschilddrüse vorlag, diese jedoch nicht gefunden werden konnte.
Wahrscheinlich liegt die Zahl der Menschen, die 4 Nebenschilddrüsen haben, über 90%.
3
Überzählige Drüsen wurden in der Vergangenheit bei 2,5–6,5% der Patienten gefunden (Gilmour 1938; Alvery 1968; Wang 1976). In der neuesten anatomischen Untersuchung wird die Zahl der Patienten, bei denen mehr als 4 Nebenschilddrüsen gefunden wurden, mit 13% angegeben. Dies war bei 64 von 503 Autopsien, die von Akerström et al. (1984) durchgeführt wurden, der Fall. Die Autoren gehen auf das Problem der überzähligen Drüsen im Gegensatz zu den zuvor zitierten Autoren in sehr akribischer und das Problem beleuchtender Weise ein. Von den 64 Autopsiefällen hatten nur 24 wirklich überzählige Drüsen, d. h. 5% des gesamten Autopsiegutes. Dabei wurden bei 18 Patienten 5, bei 3 Patienten 6 und bei je einem 7, 8 bzw. 11 Drüsen gefunden. Bei den anderen Fällen handelte es sich 11-mal um Zellnester von Epithelkörperchengewebe in der Umgebung einer normalen Drüse und in 32 Fällen um kleine, unmittelbar nebeneinander liegende Drüsen, die die Autoren als »geteilte Drüsen« bezeichnen. Generell muss man davon ausgehen, dass bei Patienten mit sporadischem pHPT in 5% der Fälle mehr als 4 Nebenschilddrüsen vorliegen. Versprengte Zellnester in der Nähe einer vergrößerten Nebenschilddrüse oder auch in den Thymuszungen kommen häufiger bei Patienten mit familiärem pHPT oder mit pHPT im Rahmen der MEN-Syndrome vor oder bei Patienten mit sekundärer Nebenschilddrüsenhyperplasie bei chronischer Niereninsuffizienz. Hier wird empfohlen, das die gefundenen Nebenschilddrüsen umgebende Fett mitzuentfernen, ebenso die Thymuszungen, um versprengte rudimentäre Zellnester, die später zu einem Rezidiv führen können, zu erfassen (Akerström et al. 1984). 3.2.2.6 Lage der Nebenschilddrüsen Die Lage der Nebenschilddrüsen kann in der Tat variabel sein. Die normalen und pathologisch veränderten Nebenschilddrüsen lassen sich jedoch bei fast allen Patienten verlässlich finden, wenn man einfache Regeln kennt und die vorgenannten Grundkenntnisse hat. Die wichtigsten anatomischen Gebilde, die zur topographischen Orientierung dienen, sind der N. recurrens und die A. thyreoidea inferior bzw. die Kreuzungsstelle dieser beiden Gebilde. Voraussetzung zu ihrer Darstellung ist eine Mobilisation der jeweiligen Schilddrüsenhälfte nach ventral und medial nach vorheriger Unterbindung und Durchtrennung der Kocher-Venen und eine Freipräparation von Arterie und Nerv aus dem retrothyreoidalen Bindegewebe. Mit diesen Schritten sollte jede Halsexploration wegen HPT beginnen.
Die Faustregel, die in den meisten Fällen zum Erfolg, d. h. zum Auffinden von 4 Nebenschilddrüsen führt, ist folgende: Die obere Nebenschilddrüse liegt kranial der A. thyreoidea inferior und dorsal des N. recurrens. Die untere Nebenschilddrüse liegt kaudal der A. thyreoidea inferior und ventral des N. recurrens (. Abb. 3.4).
3.2.2.6.1 Obere Nebenschilddrüsen Analysiert man die Zahlen der letzten publizierten Autopsiestudie, wird klar, dass 80% der oberen Nebenschilddrüsen in der normalen oder durch diese Faustregel angegebene Position liegen. Akerström et al. (1984) definieren diese Gegend als einen Kreis von etwa 2 cm Durchmesser, dessen Zentrum 1 cm oberhalb der Kreuzungsstelle zwischen N. recurrens und A. thyreoidea inferior
190
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
. Abb. 3.4. Normale Lage der Epithelkörperchen in Beziehung zur A. thyreoidea inferior und zum N. recurrens. Das untere Epithelkörperchen liegt kaudal der Arterie und ventral des Nervs, das obere Epithelkörperchen kranial der Arterie und dorsal des Nervs
liegt. Unmittelbar kranial dieses Kreises wurden 5% der Nebenschilddrüsen gefunden, nur 4% der oberen Nebenschilddrüsen lagen kaudal der A. thyreoidea inferior, 2% um den oberen Schilddrüsenpol herum und 0,8% oberhalb des oberen Schilddrüsenpols. Nur 1% der oberen Nebenschilddrüsen lag retropharyngeal oder retroösophageal, und nur in 0,2% fand sich eine Nebenschilddrüse vollständig umgeben von Schilddrüsengewebe, also intrathyreoidal (. Abb. 3.5). Nach Aussagen der Autoren handelt es sich um obere Nebenschilddrüsen. Gilmour u. Martin (1937) und Gilmour (1938) fanden in ihrem Material von mehr als 1500 Nebenschilddrüsen 2 (!), deren Lage sie als intrathyreoidal bezeichneten. Sie glaubten allerdings, dass es sich um untere Nebenschilddrüsen handele. Eine ähnliche Beobachtung machten auch Thompson et al. (1982) und Thompson (1986). Wie bereits im Abschnitt »Entwicklungsgeschichte« erläutert, ist es wahrscheinlicher, dass intrathyreoidal gelegene Nebenschilddrüsen oberen Nebenschilddrüsen entsprechen. Praktisch wichtig ist jedoch, dass wirklich allseits von Schilddrüsengewebe umgebene Nebenschilddrüsen extrem selten sind. Wang fand in seinem Material keine einzige intrathyreoidal gelegene Nebenschilddrüse, wobei er ebenfalls die Meinung äußerte, dass, falls es in das Schilddrüsengewebe verschleppte Nebenschilddrüsen gäbe, diese oberen entsprechen müssten. Die extrem geringe Inzidenz intrathyreoidal gelegener Nebenschilddrüsen hat die praktische Konsequenz, dass man auf der Suche nach einem Nebenschilddrüsentumor bei erfolgloser Revision des Halsgebietes und der Thymusdrüse mit einer Hemithyreoidektomie einseits oder beidseits sehr zurückhaltend sein sollte, es sei denn, man tastet einen verdächtigen Befund in einer normalen Schilddrüse oder die intraoperative Sonographie zeigt einen deutlichen, vom Schilddrüsengewebe abgesetzten echoarmen Befund.
. Abb. 3.5. Normale Lage und Lagevarianten der oberen Nebenschilddrüsen auf der Grundlage einer umfangreichen Autopsiestudie. Die Zahlen entsprechen Angaben in Prozent. (Nach Akerström et al. 1984)
Bei Vorliegen einer multinodösen Struma sollte man die Schilddrüse intakt lassen, da die Wahrscheinlichkeit, dass der gesuchte Nebenschilddrüsentumor außerhalb der Schilddrüse, evtl. in dorsalen Abschnitten des Halsgebietes oder im vorderen Mediastinum liegt, viel größer ist als eine möglicherweise intrathyreoidale Lage. Die Schilddrüsenresektion führt zu zusätzlichen Verwachsungen, unübersichtlichen anatomischen Verhältnissen und Narbenbildungen, die dem Zweitoperateur die Situation erschweren. Zuletzt muss gesagt werden, dass Nebenschilddrüsen, die unter der äußeren Schilddrüsenkapsel liegen und auf der Schilddrüse frei beweglich sind, nicht einer intrathyreoidalen Lage entsprechen, da die äußere Nebenschilddrüsenkapsel eine Fortsetzung der prätrachealen Faszie ist und die darunterliegenden Nebenschilddrüsen vom eigentlichen Schilddrüsenparenchym noch durch die eigentliche Schilddrüsenfaszie getrennt sind. Außerdem kommt es bei multinodösen Strumen und gerade bei oberen Nebenschilddrüsen vor, dass diese tief eingezogen in einem Graben zwischen 2 Schilddrüsen-
191 3.2 · Chirurgische Anatomie
3
knoten liegen können, sodass eine intrathyreoidale Lage vorgetäuscht wird. Die relativ konstante Lage der oberen Nebenschilddrüsen wird auch in der früheren Untersuchung von Gilmour u. Martin (1937) und Gilmour (1938) bestätigt. Von 787 gefundenen oberen Nebenschilddrüsen lagen 74% an normaler Stelle. Fast identisch ist die Angabe von Wang (1976) mit 77%. Nach seinen Angaben lagen 22% hinter dem oberen Pol und 1%, in Übereinstimmung mit den Untersuchungen von Akerström et al. (1984), hinter dem Larynx oder dem Ösophagus. 3.2.2.6.2 Untere Nebenschilddrüsen Die Lage der unteren Nebenschilddrüsen ist, wie in 7 Kap. 3.2.1 ausgeführt, variabler als die der oberen Nebenschilddrüsen. Bei insgesamt 792 nachgewiesenen unteren Nebenschilddrüsen fanden Gilmour u. Martin (1937) 54% an normaler Stelle, d. h. im Umkreis von 0,5 cm vom unteren Schilddrüsenpol; 13% lagen unterhalb des unteren Schilddrüsenpols mit einem Abstand von mehr als 1 cm, 7% mit einem Abstand von mehr als 2 cm. Weitere 7% lagen weiter kranial an der Rückseite der Schilddrüse, 6% medial des unteren Schilddrüsenpols zwischen Schilddrüse und Trachea, 5,2% dorsal und mit Distanz zur Schilddrüse im Fettgewebe neben Trachea oder Ösophagus und 2,3% an der anterioren Fläche der unteren Schilddrüse. An der medialen Fläche der Schilddrüse 1,5 cm oberhalb des unteren Pols wiederum zwischen Schilddrüse und Trachea wurden 1,6% der unteren Nebenschilddrüsen gefunden. Tief im Mediastinum, mindestens 2 cm vom unteren Schilddrüsenpol entfernt, fanden sich 2,4% der unteren Nebenschilddrüsen, meist in der Thymusdrüse. Schon Gilmour u. Martin (1937) und Gilmour (1938) fanden eine untere Nebenschilddrüse in Höhe der Karotisgabel, umgeben von Thymusgewebe und unmittelbar oberhalb des oberen Schilddrüsenpols. Dies war in diesem Krankengut die am höchsten gelegene untere Nebenschilddrüse. Die am tiefsten gelegene Nebenschilddrüse lag nach der Beschreibung von Gilmour u. Martin auf dem Perikard auf Höhe des oberen Abschnitts der Ventrikel. Auch im Krankengut von Wang (1976) lagen nur 42% der unteren Nebenschilddrüsen an normaler Stelle, 39% im sog. Ligamentum thyreothymicum, der gefäßführenden Struktur zwischen dem unteren Schilddrüsenpol und der Thymuszunge, oder in der Thymuszunge selbst. Im mediastinalen Anteil der Thymusdrüse lagen 2% der Nebenschilddrüsen, 16% im Fettgewebe neben dem unteren Schilddrüsenpol. Nur 2% der unteren Nebenschilddrüsen wurden von Wang als »ektopisch« bezeichnet und entsprechen nicht deszendierten unteren Drüsen, d. h., sie lagen hoch in Höhe der Karotisbifurkation und waren von Thymusgewebe umgeben. In der Untersuchung von Akerström et al. (1984) ist die normale Lage unterer Nebenschilddrüsen fast identisch mit der von Wang beschriebenen und liegt bei 44% (. Abb. 3.6). An der anterioren Fläche des unteren Schilddrüsenpols lagen 17% der unteren Nebenschilddrüsen, 26% befanden sich im Ligamentum thyreothymicum oder in der Thymuszunge, 2% tief in der mediastinalen Thymusdrüse und 0,2% distaler als die Thymusdrüse im vorderen Mediastinum. Kranial der typischen Stelle, aber noch kaudal der A. thyreoidea inferior lagen 6% der unteren Nebenschilddrüsen; 1,8% wurden oberhalb der A. thyreoidea inferior gefunden und entsprachen also der normalen Lage oberer Nebenschilddrüsen. Sie wurden jedoch identifiziert durch sie umgebendes Thymusgewebe, was bei oberen Nebenschilddrüsen nie nachgewiesen werden kann. Auch hier handelt es sich
. Abb. 3.6. Normale Lage und Lagevarianten der unteren Nebenschilddrüsen auf der Grundlage einer umfangreichen Autopsiestudie. Die Zahlen entsprechen Angaben in Prozent. (Nach Akerström et al. 1984)
um nicht deszendierte untere Nebenschilddrüsen (Edis et al. 1977). Nach den Untersuchungen von Gilmour u. Martin (1937) und Gilmour (1938) lagen 121 der 792 gefundenen unteren Nebenschilddrüsen in der Thymusdrüse. Dies war in 44 Fällen bilateral der Fall. 3.2.2.6.3 Symmetrieprinzip Das Symmetrieprinzip bei der Suche nach Nebenschilddrüsen ist Chirurgen, die häufig auf diesem Gebiet tätig sind, geläufig. Gemeint ist die Beobachtung, dass dann, wenn man 2 Nebenschilddrüsen auf einer Seite gefunden hat, die beiden Nebenschilddrüsen auf der anderen Seite in der gleichen Position liegen. Dies ist bei normaler und bei von dem Normalen abweichender Lage so. Akerström et al. (1984) fanden bei 5% der Patienten beide Nebenschilddrüsen auf einer Seite unterhalb der A. thyreoidea inferior bzw. in 2% der Fälle oberhalb der A. thyreoidea
192
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
inferior. Dies war in allen Fällen auf der Gegenseite ebenso. Gleiches gilt für eine Nebenschilddrüse in der Thymuszunge oder auch in tieferen Abschnitten der Thymusdrüse.
3
Wenn sich auf einer Seite eine Nebenschilddrüse im Thymus findet, wird es fast immer so sein, dass die kontralaterale Thymusdrüse ebenfalls eine Nebenschilddrüse enthält.
3.2.2.7 Blutversorgung der Nebenschilddrüsen Die Blutversorgung der Nebenschilddrüsen wurde bereits 1907 von Halsted u. Evans (1907) in einem »Klassiker« der einschlägigen Literatur beschrieben. Die arterielle Durchblutung der Nebenschilddrüsen erfolgt fast ausschließlich über die Äste der A. thyreoidea inferior. Die oberen Nebenschilddrüsen erhalten selten ihre Blutversorgung aus der A. thyreoidea superior bzw. aus einer Anastomose zwischen Ästen der unteren und oberen Schilddrüsenarterie. Die zu den Nebenschilddrüsen ziehenden Arterien sind Endarterien, die an einem Hilus in die Nebenschilddrüsen eintreten (Altenähr 1980). Der Hilus und das von ihm ausgehende Gefäßnetz sind bei normalen Nebenschilddrüsen mit Hilfe einer Lupenbrille erkennbar oder auch ohne Sehhilfe bei Nebenschilddrüsentumoren. Werden die Gefäße im Hilus bei der Tumorexstirpation ligiert, kann die Nebenschilddrüse ohne weitere Blutstillung entfernt werden. Die Nebenschilddrüsen erhalten eine weitere Blutversorgung über kleine Äste aus der Schilddrüsenkapsel. Das Vorhandensein dieser kleinen Gefäße führt dazu, dass nach subtotaler Schilddrüsenresektion beidseits und Ligatur des Stammes der A. thyreoidea inferior nicht häufiger ein postoperativer Hypoparathyreoidismus auftritt als bei einer Resektionstechnik der Schilddrüse, die auf eine Ligatur der A. thyreoidea inferior an ihrem Stamm verzichtet (Nies 1994). Anders sind jedoch die Verhältnisse bei Lobektomien. Hier müssen die Äste der A. thyreoidea inferior möglichst schilddrüsennah, d. h. von der Blutversorgung aus gesehen möglichst peripher, unterbunden werden, um die Durchblutung der Nebenschilddrüsen zu erhalten. Wird trotz dieser Technik die Durchblutung gestört oder findet man eine Nebenschilddrüse, die nicht richtig durchblutet erscheint, sollte sie in kleine Stückchen geschnitten und in die Muskulatur eines M. sternocleidomastoideus implantiert werden. Prinzipiell gilt jedoch, dass eine gut durchblutete Nebenschilddrüse in situ eine bessere Funktion hat als eine autotransplantierte. Untere Nebenschilddrüsen, die im Mediastinum gelegen sind, werden meistens von einem Ast der A. thyreoidea inferior, der im Ligamentum thyreothymicum verläuft, versorgt. In den kaudalen Abschnitten der Thymusdrüse liegende oder unabhängig von der Thymusdrüse tief im Mediastinum befindliche Nebenschilddrüsen können ihre Blutversorgung über Äste der A. mammaria interna erhalten. Dies führt hin und wieder zu erfolgloser Suche vom Halsgebiet aus oder zu Misserfolgen der Arteriographie vor einer Embolisation, wenn nur Äste des Truncus thyreocervicalis oder die A. thyreoidea superior selektiv kanüliert werden. Setzt man die selektive Arteriographie vor der Embolisation mediastinaler Epithelkörperchen ein, sollten auf jeden Fall die linke und rechte A. mammaria interna selektiv dargestellt werden (Doppman et al. 1977).
3.2.3 Makroskopische Pathologie
der Nebenschilddrüsen Die makroskopische Beurteilung der Nebenschilddrüsen erlaubt die einfachste und beste Unterscheidung zwischen pathologischem und normalem Gewebe. Sie geschieht allein auf der Basis der Größe und des Gewichts einer Drüse. Die am häufigsten anzutreffende pathologische Veränderung, das solitäre Adenom, wird diagnostiziert durch das Vorhandensein einer vergrößerten und dreier normaler Drüsen. Die entnommene Drüse sollte gewogen werden und mehr als 70 mg schwer sein. Nach Exzision der vergrößerten Nebenschilddrüse bleiben fast alle Patienten langfristig normokalzämisch. Die regelhafte Exzision oder Biopsie aller Drüsen, auch bei der Adenomkonstellation, und ihre histologische Untersuchung führte in der Vergangenheit zur Überdiagnostik mikronodulärer Hyperplasien und zu einer hohen Rate an postoperativem Hypoparathyreoidismus (Edis et al. 1977). Epithelkörperchentumoren können im Gegensatz zu normalen Nebenschilddrüsen häufiger atypische Lokalisationen einnehmen. Während, wie oben beschrieben, die retropharyngeale oder retroösophageale Lage einer normalen Nebenschilddrüse bei etwa 1% der Patienten vorkommt, ist dies bei Adenomen, die von oberen Nebenschilddrüsen ausgehen, im eigenen Krankengut bei etwa 20% der Fall. Die Adenome sind dann meist nach dorsal und kaudal disloziert und liegen, unter der A. thyreoidea inferior hindurchgeschlüpft, neben dem Ösophagus vor der Wirbelsäule in Höhe der mittleren oder unteren Schilddrüse (. Abb. 3.7). Sehr große Adenome können noch weiter kaudal bis in das hintere Mediastinum disloziert sein. Adenome, ausgehend von der unteren Nebenschilddrüse, liegen in ähnlicher Häufigkeit wie normale untere Nebenschilddrüsen in Höhe des unteren Schilddrüsenpols dorsal der Schilddrüse, im Ligamentum thyreothymicum oder in der Thymusdrüse (. Abb. 3.8). Nach eigenen Erfahrungen und nach Untersuchungen von Thompson (1986) müssen nur 2% der in der Thymusdrüse oder im vorderen Mediastinum in der Nähe der Thymusdrüse liegenden Epithelkörperchenadenome durch partielle Sternotomie entfernt werden.
. Abb. 3.7. Typische Lage eines dislozierten Adenoms, ausgehend von der oberen Nebenschilddrüse. Es ist unter der A. thyreoidea inferior hindurchgeschlüpft und liegt neben dem Ösophagus und vor der Wirbelsäule
193 3.2 · Chirurgische Anatomie
3
Nebenschilddrüsenkarzinome sind eine seltene Ursache des pHPT. Im eigenen Krankengut von mehr als 1000 Patienten sind 6 gesicherte Fälle von Nebenschilddrüsenkarzinomen zu verzeichnen. Thompson (1986) beobachtete bei mehr als 1000 Patienten mit pHPT nur bei 0,5% ein Karzinom als Ursache der Erkrankung. Der Verdacht auf ein Nebenschilddrüsenkarzinom muss erhoben werden, wenn der Tumor mit der Umgebung verbacken ist, seine Kapsel dicker erscheint und das Parenchym auf der Schnittfläche weißlichgrau aussieht (7 Kap. 3.4.7). Literatur
. Abb. 3.8. Typische Verlagerungsrichtung der oberen und unteren Nebenschilddrüsen. Die oberen sind – wenn sie nicht an normaler Stelle liegen – in Richtung auf das hintere Mediastinum, die unteren in Richtung auf das vordere Mediastinum, d. h. die Thymusdrüse, disloziert
Etwa 10–15% aller Patienten mit einem pHPT und alle Patienten mit der renalen Form der Erkrankung (sHPT) haben eine Hyperplasie mehrerer oder aller Drüsen. Ihre Position kann sich, ähnlich wie bei solitären Adenomen, bei entsprechender Größe und Lage verändern. Im Unterschied zum solitären Tumor ist jedoch bei einer primären oder sekundären Hyperplasie häufiger mit dem Vorkommen überzähliger Drüsen, meist im Sinne von rudimentär versprengtem Drüsengewebe, zu rechnen (Thompson et al. 1982; Akerström et al. 1984; Rothmund u. Wagner 1988). Es empfiehlt sich v. a. bei familiärer primärer Hyperplasie oder bei Patienten mit pHPT im Rahmen des MEN-1- oder MEN-2-Syndroms und bei sHPT, nicht nur die 4 vergrößerten Nebenschilddrüsen aufzusuchen, sondern mit den Nebenschilddrüsen das umgebende Fett und die Thymusdrüsen vom zervikalen Zugang aus zu entfernen. Hier ist in 6–13% der Fälle mit überzähligem Nebenschilddrüsengewebe zu rechnen, das, wenn es belassen wird und ausreichend groß ist, zu einer Persistenz führt. Bei versprengtem Drüsengewebe verursacht das Fortbestehen des unbekannten (primäre Hyperplasie) oder des bekannten Stimulus (sHPT) ein Wachstum der Zellnester und ein Rezidiv der Erkrankung. Bei familiärer Hyperplasie oder Hyperplasie im Rahmen der MEN-Syndrome kommt es zu sog. asymmetrischen Hyperplasien, d. h. Vergrößerungen von 2 oder 3 Drüsen (Wells et al. 1985). Diese Erkrankungen sind abzugrenzen von tatsächlichen Doppeladenomen, die in 2–4% der Fälle vorkommen und definiert sind als pathologisch vergrößerte Nebenschilddrüsen in Anwesenheit von 2 normalen Nebenschilddrüsen (Bartsch et al. 1995). Diese Fälle sind schwierig zu behandeln und werden von einer hohen Rate an Persistenz und Rezidiv der Hyperkalzämie begleitet.
Akerström G, Malmaeus J, Bergström R (1984) Surgical anatomy of human parathyroid glands. Surgery 95:14–21 Altenähr E (1980) Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Nebenschilddrüsen. In: Rothmund M (Hrsg) Hyperparathyreoidismus. Thieme, Stuttgart, S 104–111 Alveryd A (1968) Parathyroid glands in thyroid surgery. I. Anatomy of glands. II. Postoperative hypoparathyroidism – identification and autotransplantation of parathyroid glands. Acta Clin Scand 389:1– 120 Bargmann W (1939) Die Epithelkörperchen. In: Möllendorff W von (Hrsg) Handbuch der mikroskopischen Anatomie des Menschen, Bd VIf/2. Springer, Berlin, S 137–196 Bartsch D, Nies C, Hasse C et al. (1995) Clinical and surgical aspects of double adenoma in patients with primary hyperparathyroidism. Br J Surg 82:926–929 Doppman JL, Marx SJ, Brennan MF, Beazley RM, Geelhoed G et al. (1977) The blood supply of mediastinal parathyroid adenomas. Ann Surg 185:488–490 Edis AJ (1977) Surgical anatomy and technique of neck exploration for primary hyperparathyroidism. Surg Clin North Am 57:495–504 Edis AJ, Beahrs OH, Heerden JA van, Akwari OE (1977) »Conservative« versus »liberal« approach to parathyroid neck exploration. Surgery 82:466–473 Edis AJ, Purnell DC, Heerden JA van (1979) The undescended »parathymus«. An occasional cause of failed neck exploration for hyperparathyroidism. Ann Surg 190:64–68 Gilmour JR (1938) The gross anatomy of the parathyroid glands. J Pathol 46:133–149 Gilmour JR, Martin WJ (1937) The weight of parathyroid glands. J Pathol 44:431–462 Halsted W, Evans H (1907) The parathyroid glandules. Their blood supply and their preservation in operation upon the thyroid gland. Ann Surg 46:489–506 Nies C, Sitter H, Zielke A et al. (1994) Parathyroid function following ligation of the inferior thyroid arteries during bilateral subtotal thyroidectomy. Br J Surg 81:1757–1759 Rothmund M, Wagner PK (1988) Reoperations for persistent and recurrent secondary hyperparathyroidism. Ann Surg 207:310–314 Thompson NW (1986) Surgical anatomy of hyperparathyroidism. Prog Surg 18:59–79 Thompson NW, Eckhauser FE, Harness JK (1982) The anatomy of primary hyperparathyroidism. Surgery 92:814–821 Wang CA (1976) The anatomic basis of parathyroid surgery. Ann Surg 183:271–275 Wells SA, Leight GS, Hensley M, Dilley WD (1985) Hyperparathyroidism associated with the enlargement of two or three parathyroid glands. Ann Surg 202:533–538
194
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3.3
Pathologie
3.3.2 Historie
M. Dietel
Als erster hat offenbar Rudolf Virchow (1863) die Glandulae parathyreoideae wahrgenommen, ohne ihnen allerdings größere Beachtung zu schenken (Albright 1948). Ausführlich wurden sie erstmals von Sandström 1880 beschrieben, der sie zunächst bei der Sektion eines Nilpferdes, später auch beim Menschen, fand. Dieser Erstbeschreibung folgten systematische Untersuchungen zu Phylogenese (Bargmann 1939), die den Nachweis von Nebenschilddrüsen bei Amphibien und sämtlichen landlebenden Wirbeltieren ergab. Ob der Entwicklung eine besondere Bedeutung bei der Umstellung vom Leben im Wasser auf das Leben zu Lande zukommt, ist bisher nicht gesichert. Bezeichnend ist, dass die den Nebenschilddrüsen antagonistisch wirkenden C-Zellen der Schilddrüse mit ihrem Hormon Kalzitonin entwicklungsgeschichtlich bereits bei phylogenetisch alten Fischen (z. B. Lachs) nachweisbar sind. Den Zusammenhang zwischen Nebenschilddrüsen und Kalziumstoffwechsel beschrieben erstmals ebenfalls Albright et al. 1934. Sie konnten zeigen, dass die Entfernung der 4 Drüsen zu Tetanie und zu Hypokalzämie führt und dass durch die Gabe von Nebenschilddrüsenextrakt eine Normalisierung erreicht werden kann. Damit war der kausale Zusammenhang zweifelsfrei nachgewiesen.
) )
3
Die Behandlung tumoröser Nebenschilddrüsen (NSD) ist das Primat des Chirurgen. Medikamentöse Therapiestrategien (Bisphosphonate, Kalzimimetika) haben seit kurzem zwar erste Erfolge gezeitigt, allerdings ohne dass bisher eine langfristige Wirkung bei der Behandlung des Hyperparathyreoidismus gesichert wurde. Aufgrund des Nachweises des Kalziumrezeptors (»Calciumsensing«-Rezeptor, CaSR) in der Membran von Nebenschilddüsenzellen können sich hier zukünftig neue Möglichkeiten ergeben. Voraussetzungen für eine adäquate Operationsplanung und -durchführung sind fundierte Kenntnisse der Lagevariationen, der unterschiedlichen Tumorentitäten (Adenom, Hyperplasie, Karzinom) und der jeweils angepassten operativen Eingriffe, ggf. nach präoperativer Lokalisationsdiagnostik. Als Partner dafür ist ein in der endokrinen Pathologie erfahrener Pathologe notwendig. Beide müssen über die möglichen Probleme der Diagnostik, insbesondere die des Schnellschnitts, informiert sein, um entsprechend handeln zu können. Ist die fachliche Qualifikation auf beiden Seiten gegeben und werden die im Weiteren definierten Vorgehensweisen eingehalten, sollten mehr als 90% aller Nebenschilddrüsenoperationen kurativ verlaufen.
3.3.3 Entwicklungsgeschichte 3.3.1 Regulation Das zweiwertige Ion Kalzium (Ca2+) spielt bei zahlreichen regulatorischen, intrazellulär-funktionellen und strukturgebenden Prozessen des menschlichen Körpers eine Schlüsselrolle. So ist die Konstanz der Serumkalziumkonzentration für enzymatische, nervale, kontraktile und sekretorische Prozesse essenziell. Daher ist es verständlich, dass der Kalziumwert, auch unter extremen äußeren Bedingungen wie lang dauernde kalziumarme Diät oder chronische Überbelastung, praktisch nicht schwankt. Dazu bedarf es eines komplexen Steuerungssystems. Daran beteiligt sind die Nebenschilddrüsen, die C-Zellen der Schilddrüse (spielen beim Menschen eine untergeordnete Rolle), Niere, Skelettsystem und Darm. Die Informationen zwischen den Organen werden hauptsächlich mittels der Proteohormone Parathormon (PTH) und Kalzitonin (CT) sowie des Steroidhormons 1,25-DihydroxyVitamin D3 ausgetauscht. Das Konzert dieser Hormone steuert die intestinale Resorption, die ossäre Mobilisation und die renale Rückresorption sowie – in bestimmten Grenzen – den zellulären Verbrauch des Kalziums, das seinerseits für Bildung und Freisetzung der kalziotropen Hormone die dominierende Stellgröße ist (7 Kap. 3.1). Als wesentliches Element konnte in der Membran von Nebenschilddüsenzellen der Kalziumrezeptor (»Calciumsensing«-Rezeptor, CaSR) nachgewiesen werden, der die Hormonsynthese und -sekretion sowie die Zellproliferation beeinflusst (7 Übersicht, s. Chen und Goodman 2004)
Die Nebenschilddrüsen (Glandulae parathyreoideae) sind bei Mensch und Tier, soweit bisher bekannt, einziger Produktionsort des PTH und spielen somit die Schlüsselrolle in der Regulation der Kalziumhomöostase.
Grundkenntnisse in der Embryologie der Nebenschilddrüsen sind insbesondere für den Chirurgen notwendig, da er darauf aufbauend die Lagevariationen, mit denen er während einer Operation konfrontiert sein könnte, nachvollziehen kann. Ob sich die Nebenschilddrüsen ontogenetisch aus dem Entoderm oder aus dem Ektoderm ableiten, ist nicht vollständig geklärt. Bargmann (1939) meinte, dass die Epithelkörperchen aus der 3. und 4. Schlundtasche entstehen und somit entodermaler Herkunft sind. Gilmour (1937) schrieb jedoch, dass bei der embryonalen Entwicklung ein kurzer Kontakt zwischen dem Entoderm der Schlundtasche und dem Ektoderm besteht. Es ist somit durchaus möglich, dass ektodermale Epithelien einwandern und die Nebenschilddrüsen bilden. Da eine Beteiligung der Nebenschilddrüsen an der multiplen endokrinen Neoplasie (MEN 1, MEN 2) häufig beobachtet wird und die anderen in diesem Syndrom vorkommenden Organe (Inselzellen, Hypophyse, Schilddrüse, Nebenniere) neuroektodermalen Ursprungs sind, wird dies auch für Nebenschilddrüsen angenommen (Pearse 1975). Bei menschlichen Embryonen kann die Nebenschilddrüsenanlage erstmals bei einer Länge von 7–9 mm (entsprechend einem Alter von 5–6 Wochen) histologisch erkannt werden. Dabei geht aus der 3. Schlundtasche neben der Anlage für Nebenschilddrüsen auch die der Schilddrüse und des Thymus hervor. Vom Thymus trennen sich die unteren Nebenschilddrüsen im 18 mm-Stadium des Fetus – der Zeitpunkt, an dem sie sich am unteren Pol der Schilddrüse befinden. Findet die Trennung vom Thymus nicht oder verspätet statt, so folgen die unteren Drüsen – gemeinsam oder einzeln – dem Thymusdeszensus und können somit im unteren Halsbereich, retrosternal, selten auch im posterioren Mediastinum oder an der Perikardkuppe gefunden werden. Diese entwicklungsgeschichtliche Assoziation erklärt die nicht selten zu beobachtenden Variationen der Organtopographie.
195 3.3 · Pathologie
Ein vollständiges Fehlen der Nebenschilddrüsen ist mit dem Leben nicht vereinbar. Beim DiGeorge-Syndrom liegt eine hochgradige Hypoplasie der Nebenschilddrüsen sowie des Thymus und der C-Zellen der Schilddrüse vor. Dies führt zu skelettalen, kardiovaskulären und neuronalen Störungen sowie zu einer abnormalen Entwicklung des Gesichtschädels und zu Intelligenzdefekten erheblichen Ausmaßes. Die Ursache liegt in der Deletion von Chromosom 22q11.2 (Leana-Cox et al. 1997). 3.3.4 Makroskopische Anatomie Der Mensch besitzt 4 paarig angeordnete Nebenschilddrüsen. Sie sind länglich-ovale, gelegentlich bohnenförmige oder länglich ausgezogene etwas abgeplattete Gebilde, die bi- oder multilobuläre Varianten aufweisen können. Sie sind von einer glatten, zarten, regelhaft spiegelnden Kapsel umgeben. Die Farbe der Schnittfläche variiert, bei Kindern und Jugendlichen ist sie rosarot bis braunrot, wegen des im Alter zunehmenden Fettzellgehaltes erscheinen sie bei Erwachsenen mehr rehbraun bis braungelb. Die Durchschnittsmaße betragen 5×4×2 mm und können bis maximal 8×5×3 mm betragen, das Gewicht ist 25–30 mg bei Frauen und 15% höher bei Männern. Das Gesamtgewicht aller 4 Epithelkörperchen liegt zwischen 90 und 140±5 mg. Das Gewicht einer Drüse von 40 mg und mehr ist eindeutig pathologisch und sollte als Zeichen der Überfunktion gewertet werden. Cave Die makroskopische Gewebsdifferenzierung stellt intraoperativ häufig ein schwieriges Problem dar. Abzugrenzen sind Nebenschilddrüsen-, Fett-, Schilddrüsen- und Lymphknotengewebe.
3.3.5 Topographie und Lagevariationen Das obere Drüsenpaar liegt normalerweise in einem umschriebenen Bezirk von ca. 1 cm an der dorsalen Fläche des medialen Abschnitts der Schilddrüse, etwas oberhalb der Kreuzung von A. thyreoidea inferior und N. recurrens. Bei der Präparation kann die Arterie als Leitschiene genutzt werden. Gelegentlich können die Drüsen mit der einmündenden Arterie tief im Hilus der Schilddrüse verborgen sein. Allseits von Schilddrüsengewebe umgebene, intrathyreoidale Nebenschilddrüsen sind beim Menschen selten. Deformationen und Proliferationen der Schilddrüse erschweren verständlicherweise das operative Auffinden. Sehr selten liegen sie retropharyngeal oder retroösophageal. Aufgrund des längeren Deszensus und der entwicklungsgeschichtlichen Assoziation mit dem ebenfalls sehr variablen Thymus ist die Lage der unteren beiden Nebenschilddrüsen weniger konstant. Sie liegen zu etwa 75% im lockeren Stromagewebe an der dorsalen Fläche des kaudalen Schilddrüsenpols mit einer räumlichen Verteilung von ca. 2 cm im Durchmesser, 15% werden deutlich höher und nahe der anterioren Fläche der Schilddrüse gefunden. Dies sind in der Regel die entwicklungsgeschichtlich gesehen unteren Nebenschilddrüsen, die während der Verlagerung »liegengeblieben« sind. Der Wanderung des Thymus folgend sind die verbleibenden Lokalisationen an der oberen Thymuszunge, im vorderen und hinteren Mediastinum bis zur kranialen Kuppe des Herzbeutels entwickelt. So finden sich ge-
3
legentlich auch intrathymal gelegene Epithelkörperchen, die im Falle eines tumorösen Wachstums dann chirurgisch außerordentlich schwierig zu finden sind. Ektopische Positionen ergeben sich auch in der Karotisscheide, am N. phrenicus sowie an der Pharynx- oder Ösophaguswand. Etwa 10% der Bevölkerung haben mehr als 4 Nebenschilddrüsen, während etwa 3% nur 3 besitzen. Die Aa. parathyreoidae entspringen den Ästen der A. thyreoidea inferior, selten auch der A. thyreoidea superior. Sie sind Endarterien ohne Anastomosen, die an einem Hilus in die Drüse eintreten. Kleinere Arterien können an anderen Stellen durch die Kapsel in die Drüsen führen. Die Venen treten am Hilus aus und werden meist über die unteren Schilddrüsenvenen drainiert. Trachea- oder Ösophagusvenen können am venösen Abfluss beteiligt sein. 3.3.6 Mikroskopische Anatomie Nebenschilddrüsen besitzen den für endokrine Organe typischen soliden epithelialen Aufbau, gelegentlich sind sie lobuliert. Sie sind peripher von einer dünnen Bindegewebskapsel umgeben, von der filigrane, kleine Gefäße führende Septen ins Parenchym einstrahlen. Die kapillären Gefäße bilden ein feines, das Drüsenparenchym gleichmäßig durchsetzendes Netzwerk, sodass jede endokrine Zelle direkten Zugang zum Gefäßsystem hat. Dies ist notwendig, um den schnellen Abtransport des Parathormons und somit die präzise Regulation des Kalziumstoffwechsels sicherzustellen. Nerval werden die Nebenschilddrüsen von den zervikalen Ganglien des sympathischen Grenzstrangs versorgt. Die marklosen Nervenfaserbündel verlaufen perivaskulär entlang der Kapillaren. Die Rolle des neuronalen Netzwerks für die Regulation der endokrinen Funktion der Nebenschilddrüsen ist unklar. Der dominierende endokrin aktive Zelltyp ist die Hauptzelle, die in soliden, angedeutet glandulär/azinären oder trabekulären Formationen angeordnet ist. Die Anordnung der Drüsenzellen variiert zwischen einzelnen Drüsen und innerhalb einer Drüse stark. Es werden gleichmäßig kompakte und lobuläre Wachstumsmuster unterschieden. Zum Teil finden sich auch alveolär oder azinär angeordnete Zellformationen. Herdförmig können Follikel mit kolloidalem Inhalt vorhanden sein. Größere Mengen von Parathormon sind im Kolloid nicht nachweisbar. Gelegentlich finden sich auch kleine epitheliale Hohlräume, sog. Mikrozysten. Lichtmikroskopisch lassen sich verschiedene Typen endokriner Zellen differenzieren (Dietel 1982). Die dunklen Hauptzellen besitzen im eosinophilen Zytoplasma wenig, die hellen Hauptzellen dagegen viel Glykogen, wie in der Sudan-Fettfärbung und elektronenmikroskopisch gezeigt wurde (. Abb. 3.9). Dabei handelt es sich nicht um qualitativ unterschiedliche Zellen, sondern um einen einheitlichen Zelltyp in unterschiedlichem Aktivitätszustand. Die Hauptzellen sind zumeist mehreckig, besitzen runde, zentral gelegene Zellkerne mit dichtem Chromatin. Mitosen werden in normalen Hauptzellen praktisch nie beobachtet. Zusätzlich finden sich im Nebenschilddrüsenparenchym häufig kleine Zellgruppen mit verstärkt azidophil gefärbtem Zytoplasma, die vermehrt Mitochondrien und oxydierende Enzyme enthalten, sog. oxyphile Zellen. Die Anzahl der oxyphilen Zellen steigt im Alter und kann zu größeren Knotenbildungen führen. Aufgrund immunhistologischer Untersuchungen zeigte
196
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
. Abb. 3.9. Histologische Darstellung der 3 Zelltypen in normalen Nebenschilddrüsen. Endokrin aktive Hauptzelle mit eosinophilem Zytoplasma und runden euchromatischen Zellkernen (links), wasserhelle Zelle mit glykogenreichem Zytoplasma, kleine Zellkerne (Mitte), mitochondrienreiche oxyphile Zelle (Onkozyt) mit vermehrt basophilem Zytoplasma und kleinen runden Zellkernen (rechts)
sich, dass eine endokrine Aktivität von diesen Zellen nicht oder nur in geringem Umfang ausgeht. Nicht selten finden sich histologisch außerhalb der Kapselbegrenzung kleine Gruppen versprengter Hauptzellen, die im umgebenden Fett- oder Bindegewebe liegen. Diese können bei hyperplastischen oder adenomatösen Veränderungen der Nebenschilddrüsen proliferieren und dann in der diagnostischen Arbeit erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Der Zustand wird auch Parathyromatosis genannt. In Abhängigkeit vom Alter steigt der Stromafettgehalt und kann im Senium etwa 1/3 bis maximal die Hälfte (in ca. 10% der adulten Drüsen) des Parenchyms einnehmen. Die reifen Fettzellen sind zumeist irregulär verteilt, sie können in größeren Gruppen oder auch als gleichmäßig verteilte Einzelzellen beobachtet werden. 3.3.7 Funktionelle Mikroskopie Das hormonelle Sekretionsprodukt der Nebenschilddrüsen ist das 84 Aminosäuren lange Proteohormon Parathormon (PTH, MG 9.500). Mittels Immunzytochemie ist eine Lokalisation und Quantifizierung von PTH in strukturell erhaltenem Gewebe möglich. Dabei sollten Antikörper verwendet werden, die das C- oder mid-terminale Ende des Moleküls detektieren. In normaktiven humanen Nebenschilddrüsen ergibt die funktionelle Auswertung, dass 30% der Hauptzellen einen hohen zytoplasmatischen Gehalt an PTH, 40% eine geringe Menge und 30% der Zellen fast keine detektierbaren Hormonmoleküle aufweisen. Auffallend ist der unterschiedliche PTH-Gehalt von direkt benachbarten Zellen (. Abb. 3.10), der eine hohe bzw. niedrige endokrine Aktivität der Drüsenzellen widerspiegelt und als Sekretionszyklus bezeichnet wird (Dietel et al. 1979). Die zentrale Funktion der Nebenschilddrüsen ist die geregelte Synthese und Sekretion des PTH, das über seine kalziummobilisierende Wirkung eine zentrale Rolle in der Regulation der Kalziumhomöostase besitzt. Im Zellkern der Hauptzellen findet die Transkription PTH-kodierender Genabschnitte auf dem
. Abb. 3.10. Immunhistologische Darstellung von Parathormon in Nebenschilddrüsengewebe. Von Zelle zu Zelle deutlich unterschiedliche Hormonexpression als Zeichen eines sekretorischen Zyklus
kurzen Arm von Chromosom 11 zur PTH-spezifischen mRNA statt. Im Elektronenmikroskop sieht man im Kern der Hauptzellen locker verteiltes, peripher konzentriertes Kernchromatin als Ort der mRNA-Synthese. Durch Poren der Zellkernmembran wird die mRNA ins Zytoplasma transportiert. Dort heftet sie sich an Ribosomen und bildet Polysomen. Mit Beginn der PTH-Synthese verbinden sich die Polysomen mit den Membranen des endoplasmatischen Retikulums. Hier wird zunächst eine längerkettige Vorstufe des reifen PTH synthetisiert, das Prä-Pro-PTH mit 115 Aminosäuren (AS). Dieses setzt sich zusammen aus dem 25 AS langen Präpeptid, dem 6 AS langen Propeptid und dem 84 AS langen PTH-Molekül. Das Präpeptid hat eine Signalfunktion, die den Transport des Proteins vom Ribosom durch die Membran des ER ins zysternale Lumen induziert. Während dieses Weges wird die Präsequenz durch eine Endopeptidase abgespalten. Es entsteht das Pro-PTH, das bei den Transportvorgängen zum Golgi-Apparat und der dort stattfindenden proteolytischen Umwandlung zum reifen PTH Markierungsfunktionen besitzt. Das biologisch aktive Hormon wird in Sekretgranula verpackt. Diese sind von einer dünnen Membran begrenzt, die durch einen schmalen, hellen Ring vom elektronendichten Zentrum getrennt sind. In den Sekretgranula konnte mittels Doppelimmunelektronenmikroskopie gezeigt werden, dass nicht nur PTH, sondern auch das PTH-assoziierte sekretorische Protein vorhanden ist. Dieses wird als Stabilisierungsprotein beim Transport und beim Ausschleusungsmechanismus angesehen. Die Sekretgranula selber können entweder zur Zellperipherie wandern und dort den Inhalt ins interzelluläre Lumen abgeben oder intrazellulär in Lysosom abgebaut werden (. Abb. 3.11). Neben der Sekretion mittels Sekretgranula ist eine sog. Bypass-Sekretion nachgewiesen worden (Cohn u. Hamilton 1976; Dietel 1982). Dabei wird durch eine plötzliche Stimulation der Hauptzellen eine schnelle PTH-Freisetzung ermöglicht, die unabhängig von der vorherigen Bildung von Sekretgranula ist. Durch diesen Mechanismus kann die Drüse ungewöhnlich schnell auf akute Schwankungen des Kalziumspiegels reagieren. Die Signalkopplung zwischen dem extrazelluären Serumkalzium und der zellulären Parathormonfreisetzung erfolgt durch den Kalziumrezeptor (»Calcium-sensing«-Rezeptor, CaSR), der ein Mitglied der Superfamilie der G-Protein gekoppelten Rezeptoren ist und in der Zellmembran der Hauptzellen lokali-
197 3.3 · Pathologie
3
. Abb. 3.11. Synthese, Sekretion und Abbau von Parathormon in Hauptzellen der Nebenschilddrüse. IZR Interzellularraum, Chrmt Chromatin, ZK Zellkern, Kp Kernpore, Rb Ribosomen, ER endoplasmatisches
Retikulum, Mito Mitochondrien, Pro Sg Pro-Sekretgranula, Sg reife Sekretgranula, Mfl Mikrofilamente, ZM Zellmembran, Lys Lysosomen
siert ist. Eine Reduktion des Serumkalziums führt zur Stimulation des CaSR und somit zur vermehrten Parathormonsynthese und -sekretion (Chattopadhaya et al. 1996; Carling 2001; Chen u. Goodman 2004).
Zeichen der Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen, konnte bisher für 70% der Nebenschilddrüsenadenome gezeigt werden. Dabei ist offenbar insbesondere das MEN 1-Gen (Chromosom 11q13) eingebunden. Ein funktionell-morphologischer Unterschied zwischen normalen und adenomatösen Nebenschilddrüsen konnte durch die ultrahistochemische Darstellung von Kalziumionen aufgezeigt werden (Dietel et al. 1987). In normalen Drüsen ist eine relativ homogene Kalziumverteilung zu beobachten, während in Hauptzelladenomen eine ausgesprochen geringe intrazytoplasmatische Kalziumkonzentration nachweisbar ist. Im Zellkern, im Zytoplasma und in den hormonsynthetisierenden und sezernierenden Organellen sind die Präzipitate spärlich entwickelt. Die Zellmembran der adenomatösen Hauptzellen hingegen zeigt einen dichten Besatz mit Kalziumniederschlägen, der in normalen Nebenschilddrüsenzellen nicht zu beobachten ist. In den schmalen Interzellularspalten ist ebenfalls eine dichte Ansammlung von Kalziumpräzipitaten zu erkennen. Auch das Nebenschilddrüsenstroma zeigt einen vermehrten Kalziumgehalt. Die hohe extrazelluläre Kalziumkonzentration ist das Korrelat zur Hyperkalzämie beim pHPT. Auffallend ist, dass der intrazelluläre Kalziumgehalt der adenomatösen Hauptzellen ausgesprochen niedrig ist. Es besteht offensichtlich ein transmembranöser Transportdefekt der Zellmembran für Kalzium, der u. a. zu einem verringerten Influx in die Nebenschilddrüsenzelle und zur Insensitivität gegenüber Kalzium führt. Dieser zellmembrangebundene Defekt spielt eine wichtige Rolle in der Pathogenese des pHPT. Folgendes Modell wurde entwickelt. In der Zellmembran von Adenomzellen besteht ein Transportdefekt für Kalzium, der zu einem verringerten Influx von Kalziumionen in die Zelle und zu einer erhöhten Kalziumablagerung an der Außenseite der Zellmembran führt. Der erschwerte transmembranöse Kalziumtransport bedingt eine Erniedrigung der Sensitivität der Adenomzelle für Kalzium und somit eine Erhöhung des zellulären Kalziumsollwertes. Hinzu kommt die verminderte Expression des CaSR in der Zellmembran von parathyreoidalen Tumorzellen (Kifor et al. 1996). Eine Normokalz-
3.3.8
Systematik des Hyperparathyreoidismus
3.3.8.1 Primärer Hyperparathyreoidismus Die autonome Überfunktion von Nebenschilddrüsen mit unphysiologisch gesteigerter PTH-Produktion wird primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT) genannt. Dieser ist nach dem Diabetes die zweithäufigste endokrine Dysfunktion, die eine deutlich steigende Inzidenz aufweist. Das klinische Leitsymptom ist die Hyperkalzämie, gepaart mit einer Hypophosphatämie. Die weiteren klinischen Veränderungen manifestieren sich in heute nur noch selten auftretenden Knochenläsionen (Ostitis fibrosa cystica bzw. Recklinghausen-Erkrankung oder braune Tumoren), Nephrokalzinose, Chondrokalzinose, Weichgewebsverkalkungen und neuromuskulären sowie psychischen Abnormalitäten unterschiedlicher Ausprägung. Dem pHPT können als pathomorphologische Entitäten Nebenschilddrüsenadenome, primäre Hauptzellhyperplasien, primäre wasserhelle Zellhyperplasien und Nebenschilddrüsenkarzinome zugrunde liegen. Nur vereinzelt ist eine (Immun-)Parathyreoiditis mit Überfunktion beobachtet worden. Der pHPT kann sporadisch, familiär oder im Rahmen multipler endokriner Neoplasien (MEN) auftreten. Pathogenese des primären Hyperparathyreoidismus. Nebenschilddrüsenadenome und primäre Hyperplasien sind monoklonale Läsionen. In der Mehrzahl ist eine Aktivierung des ProtoOnkogens Cyclin D1/PRAD1 (»parathyroid adenoma gene-1«) gegeben, die durch inverses Rearrangement das PRAD1 – normalerweise auf Chromosom 11q – unter die Kontrolle der das PTH-Gen flankierenden Region des Chromosom 11p gebracht hat (Hendy 2000). Damit verbunden ist die Überexpression des PRAD1/Cyclin-D1-Proteins. Ein Verlust der Heterozygotie als
198
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
ämie stellt also für die Tumorzelle eine relative Hypokalzämie dar. Da Nebenschilddrüsenadenome endokrin nicht vollständig autonom sind, wie Zellkulturuntersuchungen bei hypophysiologischen Kalziumkonzentrationen und reaktiv gesteigerter PTH-Sekretion zeigten, bedingt die relative Hypokalzämie eine chronische Stimulation mit gesteigerter PTH-Sekretion und erniedrigter zellulärer PTH-Speicherung. Die vermehrte PTH-Sekretion wird z. T. durch eine beschleunigte Bypass-Sekretion ohne Verpackung in Sekretgranula ermöglicht. Die chronische Stimulation stellt darüber hinaus einen Wachstumsstimulus für Adenomzellen dar (Dietel et al. 1987; Carling 2001). Zusätzlich scheint der in hyperparathyreoidoten Nebenschilddrüsenzellen erniedrigte Level des Vitamin-D3-Rezeptors (VDR) die Proliferation anzuregen (Carling et al. 2000). Familiärer Hyperparathyreoidismus. Der pHPT kann in Form eines familiären HPT mit autosomal-dominantem Vererbungsmuster von unterschiedlicher Penetranz auftreten (Marx et al. 1973). Familien mit vererblichem Hyperparathyreoidismus ohne MEN-Syndrom (7 unten) sind außerordentlich selten. In der Literatur sind lediglich einzelne Fallbeispiele dargestellt. Zumeist sind mehrere Nebenschilddrüsen in Form einer diffusen oder nodulären (adenomatösen) Hauptzellhyperplasie beteiligt. Schachner et al. (1966) fanden in einer Sippe auch 3 Patienten mit solitären Nebenschilddrüsenadenomen. Ein Nebenschilddrüsenkarzinom wurde ebenfalls in einer Familie mit familiärem HPT nachgewiesen. Schließlich wurden von Fraglia et al. (1972) auch familiäre Nebenschilddrüsenkarzinome beschrieben. Die genetischen Ursachen sind bisher nicht aufgeklärt worden. Hereditärer Hyperparathyreoidismus bei multipler endokriner Neoplasie. Hyperplastische und adenomatöse Veränderungen
mehrerer voneinander unabhängiger endokriner Organe werden als multiple endokrine Neoplasie (MEN) definiert. Die MEN ist gekennzeichnet durch das unabhängige Auftreten von benignen oder malignen Veränderungen an verschiedenen endokrinen Organen, gelegentlich finden sich auch Veränderungen an Nerven-, Muskel- und Bindegewebe. Nach Raue u. Gagel (1989) lassen sich 3 Formen unterscheiden: 4 Die MEN Typ 1 (Wermer-Syndrom) ist eine Erkrankung mit regelhaft auftretender Vierdrüsenhyperplasie der Nebenschilddrüsen (in 90% der Fälle mit Hyperparathyreoidismus) und Inselzelltumoren des Pankreas (80%). Gehäuft finden sich auch Hypophysentumoren (54%) und seltener Schilddrüsen- oder Nebennierenadenome sowie bronchogene oder gastrointestinale neuroendokrine Tumoren. Vereinzelt werden weitere Tumoren endokriner und nichtendokriner Organe beobachtet. Die Mutationen, die zu der Erkrankung führen, wurden im Tumorsuppressorgen MEN 1 auf Chromosom 11q13 beschrieben. 4 Die MEN Typ 2a (Sippel-Syndrom) ist ebenfalls eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung (Chromosom 10, perizentromerische Region) und wird vom parallelen Auftreten eines medullären Schilddrüsenkarzinoms (100%) und eines Phäochromozytoms des Nebennierenmarks (60%) gekennzeichnet. In ca. 20% der Fälle sind Nebenschilddrüsen in Form einer primären Hyperplasie beteiligt. Selten finden sich solitäre Nebenschilddrüsenadenome. Die Mutationen im RET-Protoonkogen auf Chromosom 10q21, die Ursache des MEN 2a- und des MEN-2b-Syndroms sind, wurden 1993 beschrieben (7 Kap. 6).
4 Die MEN Typ 2b (Elleberg-Syndrom) ist als eine Kombination von medullärem Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom und multiplen Schleimhautneuromen beschrieben. Ein Megakolon kann ebenfalls entwickelt sein. Die Nebenschilddrüsen sind nicht beteiligt. Die klinische Symptomatik wird bei MEN Typ 2 nur selten durch eine Hyperkalzämie dominiert, der HPT verläuft somit klinisch zumeist blande. Die klinisch führenden Symptome werden durch die Phäochromozytome oder die medullären Schilddrüsenkarzinome ausgelöst, sodass die vergrößerten Nebenschilddrüsen häufig erst ein zusätzlicher Befund bei der Operation des Schilddrüsenkarzinoms sind. Beim Vorliegen eines der genannten Tumoren oder bei familiärer Belastung sollte immer an die Möglichkeit einer MEN gedacht werden. Die entsprechenden Hormonbestimmungen sind ohne Probleme möglich, sodass eine Labordiagnostik zur Abklärung in der Regel ausreicht. Die Therapie besteht in einer subtotalen Parathyreoidektomie (3 1/2-Resektion). Als Alternative ist die totale Entfernung der Nebenschilddrüsen mit Autotransplantation in die Unterarmmuskulatur zu diskutieren. Klinisch sollte bekannt sein, dass die Rezidivrate fast 50% beträgt, da bei MEN häufig ein multizentrisches Tumorwachstum nachweisbar ist. Konnataler Hyperparathyreoidismus. Diese Form des HPT ist
ebenfalls eine sehr seltene Erkrankung, die vereinzelt sporadisch, zumeist jedoch familiär auftritt. Bei den beobachteten Fällen eines familiären konnatalen HPT ist die Vererbung autosomalrezessiv, sodass kein Unterschied zum familiären HPT besteht. Histologisch besteht zumeist eine diffuse Vierdrüsenhyperplasie. Diese wurde in einigen Fällen als Hauptzellhyperplasie, in anderen Fällen als Klarzellhyperplasie beschrieben. Die Erkrankung ist bei voller Entwicklung lebensbedrohlich. Die Mehrzahl der Kinder stirbt innerhalb von 2–7 Monaten. Eine frühe Diagnose und Operation sind daher lebenswichtig. Die Symptome sind deutliche Hyperkalzämie, schwere Demineralisationsdefekte, subperiostale Resorption und pathologische Frakturen sowie renale Kalzinose. 3.3.8.2 Sekundärer Hyperparathyreoidismus Vom pHPT abzugrenzen ist der reaktive oder sekundäre HPT (sHPT), bei dem die häufigste Grunderkrankung eine chronische Niereninsuffizienz mit exkretorischem Kalziumverlust ist. Die weiteren Ursachen können in einer Vitamin-D-Insuffizienz liegen, die durch eine mangelhafte Vitamin-D3-Produktion oder einen Vitamin-D3-Rezeptordefekt verursacht wird, oder in einem Pseudohypoparathyreoidismus mit reduzierter peripherer PTHWirkung bzw. PTH-Rezeptordefekt in den Zielorganen. In der folgenden Übersicht sind die Ursachen zusammengefasst. Ursachen des sekundären Hyperparathyreoidismus 5 Chronische Niereninsuffizienz 5 Diätetischer Mangel an Vitamin D oder Kalzium (zumeist geographisch/regional bedingt) 5 Malabsorptionssyndrom (z. B. Sprue, Dünndarmläsionen etc.) 5 Vitamin-D-Resistenz (Rezeptorinsuffizienz) 5 Ausgeprägte Hypomagnesiämie 5 Pseudohypoparathyreoidismus (Rezeptordefekt)
199 3.3 · Pathologie
Die makromorphologische Veränderung stellt sich hierbei als sekundäre, d. h. adaptative Hauptzellhyperplasie aller 4 Drüsen dar. Der Serumkalziumspiegel ist regelhaft normokalzämisch, gelegentlich auch gering hypokalzämisch, nie aber hyperkalzämisch – ein wichtiges klinisches Kriterium, um primären und sekundären HPT voneinander abzugrenzen. Die lang dauernde Behandlung psychischer Erkrankungen mit Lithium führt bei etwa 10% der Patienten zu einem HPT. Dieser ist morphologisch durch eine Vierdrüsenhyperplasie gekennzeichnet. Dies spricht für die chronische Stimulation der Nebenschilddrüsen durch Lithium, sodass hier eine iatrogene Form des sekundären HPT vorliegt. Nach Absetzen des Lithiums wird in der Regel eine Normalisierung der Kalziumwerte beobachtet (Nordenstrom et al. 1992).
. Tab. 3.2. Malignome mit tumorassoziierter (paraneoplastischer) Hyperkalzämie bei PTHrP-Sekretion, sog. Pseudohyperparathyreoidismus (Auswahl)
Organ
Histologischer Tumortyp
Kopf-Hals-Tumoren
Plattenepithelkarzinome
Lunge
Plattenepithelkarzinome, kleinzellige Lungenkarzinome, großzelliganaplastische Bronchialkarzinome
Niere
Hellzellige Nierenkarzinome
Ovar
Kleinzellige und hellzellige Ovarialkarzinome
3.3.8.3 Tertiärer Hyperparathyreoidismus Wenn sich aus einem sekundären HPT ein autonomer, nicht mehr adaptativer, sondern geregelter, also hyperkalzämischer HPT entwickelt, spricht man vom tertiären HPT. Dieser kann nur im Falle von Patienten mit zuvor nachgewiesenem sHPT entstehen. Morphologisch ist der tHPT durch eine besonders starke Vergrößerung aller 4 Drüsen gekennzeichnet. Histologisch treten keine Charakteristika auf. In der englischsprachigen Literatur wird der hyperkalzinämische HPT nach Nierentransplantation als tHPT bezeichnet.
Mamma
Duktale Mammakarzinome
Harnblase
Plattenepithelkarzinome, Urothelkarzinome
Kolon
Adenokarzinome
Ösophagus
Plattenepithelkarzinome, kleinzellige Karzinome
Pankreas
Duktale Adenokarzinome
Leber
Hepatozelluläres Karzinom
3.3.8.4 Paraneoplastischer Hyperparathyreoidismus
Prostata
Adenokarzinome
Eine paraneoplastische Hormonsekretion ist definiert als eine atypische oder ektope Hormonbildung eines malignen Tumors, der von Gewebe ausgeht, das normalerweise dieses Hormon nicht sezerniert.
Eine ektope Sekretion von intaktem physiologischen PTH mit klinischem Hyperparathyreoidismus ist äußerst selten. In Karzinomen der Niere, des Bronchialsystems, der Leber, des Kolons, der Mamma und der Schilddrüse sind einzele Fälle nachgewiesen worden. Ferner konnte bei Plattenepithelkarzinomen der Lunge und des Ösophagus, bei Sarkoidose, einem Rhabdomyosarkom und einem malignen Melanom eine paraneoplastische PTH-Sekretion immunhistochemisch verifiziert werden. Davon abzugrenzen ist die tumorassoziierte Hyperkalzämie, bei der maligne Tumoren ein Proteohormon sezernieren, dessen erste 8–12 Aminosäuren eine hohe Sequenzhomologie mit denen des physiologischen PTH aufweisen, das PTHrP (»parathyroid hormone related peptide«). Dieses hat ein MG von 16.000–17.000. Aufgrund der Bindung des PTHrP an die peripheren PTH-Rezeptoren weist es ein ähnliches Wirkungsspektrum wie das physiologische PTH auf und führt bei ungeregelt hoher Sekretion zwangsweise zur Hyperkalzämie, einem sog. Pseudohyperparathyreoidismus (Mosley et al. 1987; Suva et al. 1987). Systematische Untersuchungen an Patienten mit tumorassoziierter Hyperkalzämie ergaben, dass etwa 10% aller malignen Tumoren PTHrP sezernieren und sich bei entsprechender Serumkonzentration eine tumorassoziierte Hyperkalzämie entwickeln kann. Die häufigsten Tumoren sind in . Tab. 3.2 aufgeführt. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung einer tumorassoziierten von einer parathyreoidalen Hyperkalzämie ist klinisch von erheblicher Bedeutung. Um den Nachweis einer ektopischen Hor-
3
monbildung führen zu können, sollte neben laborchemischen Methoden die Immunhistochemie eingesetzt werden. Mit den paraffingängigen Antikörpern ist der direkte Nachweis am Biopsiematerial, ggf. auch retrospektiv, möglich. Diese Differenzierung ist für das therapeutische Vorgehen – Nebenschilddrüsenoperation oder Malignombehandlung – bedeutsam und sollte beim klinischen Leitsymptom der Hyperkalzämie stets beachtet werden. 3.3.9
Pathologie des primären Hyperparathyreoidismus
3.3.9.1 Nebenschilddrüsenadenome Klinische Symptomatik. Nebenschilddrüsenadenome sind mit Abstand die häufigste Ursache des pHPT. In der eigenen Serie von 435 Fällen mit pHPT hatten die Adenome einen Anteil von >80% (. Tab. 3.3). Das Verhältnis Männer zu Frauen beträgt in allen großen Serien ca. 1:3. Der Altersgipfel liegt am Ende der 4. Dekade; wobei Kinder ebenso betroffen sein können wie Greise. Die Nebenschilddrüsenadenome entstehen auf dem Boden einer solitären, gutartigen Proliferation der endokrinen Epithelzellen (. Abb. 3.12). Diese beruht, soweit bisher bekannt, auf einer monoklonalen Expansion hochaktiver, dem normalen Regulationskreislauf entzogener Hauptzellen (Einzelheiten 7 oben). Das Gewicht von Nebenschilddrüsenadenomen kann von 0,1–300 g reichen. Das durchschnittliche Gewicht beträgt im eigenen Material von 364 Adenomen 1,8 g. Die Größe variiert erheblich. So wurde das kleinste eindeutig mit einem pHPT verbundene Adenom mit 5 mm, das größte mit 40 mm Durchmesser gefunden. Die Adenome bei pHPT-Patienten mit vorwiegend ossärer Manifestation (klassische Ostitis fibrosa) sind in der Regel
200
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Tab. 3.3. Systematik der Nebenschilddrüsenläsionena
3
Art der Läsion
n
%
n (Frauen)
n (Männer)
Alter
Gewicht (< in g)
Kalziumgehalt (< in mg/dl)
Adenome
364
83,6
232
132
49,2
1,8
11,7
Hyperplasien
57
13,2
37
20
46,7
6,3
12,9
Karzinome
14
3,2
7
7
48,7
>8,0
16,2
Total
435
100,0
276
159
49,3
4,8
a
An den Instituten für Pathologie der Universitäten Hamburg, Kiel und Berlin untersucht, Zeitraum 1965–1997
größer als die Adenome bei Patienten mit vorwiegend renaler Manifestation, dabei ergibt sich eine grobe Korrelation zwischen Tumorgewicht und Serumkalziumkonzentration. Makroskopie. Nebenschilddrüsenadenome entstehen fast immer
aus einer Drüse und weisen dabei die gleiche Lagevariabilität wie normale Nebenschilddrüsen auf. Nach eigenen Untersuchungen sind etwa 85% der Adenome im Bereich der Schilddrüse zu finden, 15% liegen im Mediastinum, im Weichgewebe der Halsregion, periösophageal oder an der kranialen Herzbeutelkuppe. Die Form der Nebenschilddrüsenadenome reicht von ovoid bis länglich ausgezogen, von bilobulär bis stark gyriert und multilobulär. Sie sind zumeist vom umgebenden Gewebe scharf getrennt und somit chirurgisch leicht entfernbar (cave: Voroperationen). Die Farbe variiert von dunkel- bis orangebraun. Die Konsistenz ist weich. Bei der makroskopischen Betrachtung sollte stets auf die in ca. 70% der Fälle erkennbaren normalen Nebenschilddrüsen mit stärker gelb getönter Ober- und Schnittfläche (erhöhter Fettgehalt) geachtet werden. Diese ist für die differenzialdiagnostische Abgrenzung zwischen Adenom und Hyperplasie hilfreich. Der fehlende Nachweis einer normalen bzw. atrophischen Drüse schließt allerdings die Diagnose eines Nebenschilddrüsenadenoms nicht aus.
. Abb. 3.12. Nebenschilddrüsenadenom links unten (großes Kreuz); drei atrophische Nebenschilddrüsen ( ). Ansicht von dorsal
•
Im Zentrum von Nebenschilddrüsenadenomen können regressive Veränderungen auftreten, die mit Einblutungen einhergehen. Später ist dann in Makrophagen gespeichertes Siderinpigment nachweisbar. Schließlich kann die Regression zur Bildung einer adenomatösen Nebenschilddrüsenzyste oder zu breiten bindegewebigen Bändern innerhalb des Tumors führen. Randlich sind häufig Kalkinkrustrationen und Verknöcherungen zu finden, die gelegentlich röntgenologisch fassbar sind. Mikroskopie. Bei den Nebenschilddrüsenadenomen werden histologisch 3 Typen unterschieden (Altenähr 1980): Hauptzelladenom, oxyphiles Adenom und Lipoadenom. Hauptzelladenome. Die meisten Nebenschilddrüsenadenome
sind vom Typ der Hauptzelladenome. Histologisch bestehen sie aus dicht gelagerten, kompakt angeordneten Hauptzellen (. Abb. 3.13). Trabekuläre, glanduläre und tubuläre Formationen sind häufig. Die Architektur ist bedingt durch die Anordnung des zwischen den Epithelzellen gelegenen schmalen gefäßführenden Stromas. Die umgebende Bindegewebskapsel ist zart und zumeist kontinuierlich entwickelt, nicht selten ist die Kontinuität allerdings unterbrochen, oder sie fehlt ganz. Dies darf nicht als invasives Wachstum fehlgedeutet werden. Ein nodulärer Aufbau innerhalb eines Adenoms ist die Ausnahme. Gelegentlich kommen auch follikuläre Strukturen mit kolloidähnlichem Inhalt vor, die das Bild derart beherrschen können, dass eine Abgrenzung von Schilddrüsenadenomen schwierig wird. Zur Differenzierung
. Abb. 3.13. Histologie eines humanen Nebenschilddrüsenadenoms mit charakteristischen, kompakten Epithelformationen der endokrin aktiven Hauptzellen
201 3.3 · Pathologie
3
. Abb. 3.14. Immunhistologische Darstellung des hohen intrazytoplasmatischen PTHGehaltes (dunkle Zellformationen) in einer randlich gelegenen atrophen Nebenschilddrüse als Zeichen endokriner Inaktivität, deutlich geringerer PTH-Gehalt im angrenzenden adenomatösen Nebenschilddrüsengewebe als Zeichen funktioneller Überaktivität
kann in solchen Fällen z. B. während der Schnellschnittdiagnostik der Glykogennachweis herangezogen werden, da dieses in Nebenschilddrüsenzellen vorhanden ist, in Follikelepithelien der Schilddrüse jedoch fehlt. Auch mittels immunhistologischer Darstellung von PTH bzw. Thyreoglobulin kann eine eindeutige Zuordnung erfolgen, allerdings nicht im Schnellschnittlabor. Zur Gewebsidentifikation kann auch die Positivität für Chromogranin A, Keratin 8, 18 und 19 beitragen. In der Hämatoxylin-Eosin-Färbung ist die Hauptzelle eines Adenoms in der Regel nicht von einer normalen Hauptzelle zu unterscheiden, allenfalls durch die geringere Größe der atrophischen Zellen. Das Zytoplasma der Adenomzellen ist deutlich eosinophil, häufig auch relativ hell und glykogenreich. Die Zellkerne sind mittelständig, besitzen ein dichtes Chromatin und zeigen kleine Nukleolen, gelegentlich sind mehrkernige Zellen eingestreut. Auch können hyperchromatische Zellkerne in bis zu 25% der Adenome nachgewiesen werden, ohne dass dies ein Hinweis auf Malignität ist. In der histologischen Diagnostik ist als positives Nachweiskriterium eines solitären Adenoms die Bindegewebskapsel mit randlich gelegenem normalem Epithelkörperchengewebe außerhalb der Kapsel zu werten. In der Fettfärbung sollte intrazytoplasmatisch in den adenomatösen Hauptzellen kein Fett nachweisbar sein, in den atrophischen Anteilen hingegen deutliche Fettvakuolen. Auch das interstitielle Fett ist in Adenomen nur gering entwickelt. In fast allen Adenomen sind kleine oxyphile Zellgruppen eingestreut, ohne dass eine funktionelle Bedeutung vorliegt Sie bestehen überwiegend aus Hauptzellen, deren Kerne und Zytoplasma meist größer sind als in normalen Hauptzellen. Dabei besteht eine große Variabilität der Kerngröße und Chromatindichte. Schon 1971 beschrieben Altenähr u. Dammann eine hohe Varianz der Zellkerndurchmesser in Epithelkörperchenadenomen, die einer hohen Pleomorphie des DNA-Gehaltes entspricht, ohne dass dies als Indiz für Malignität gewertet werden darf. Mitosen werden in Nebenschilddrüsen nur ganz selten beobachtet und gelten als Verdachtsmoment für Malignität. Innerhalb eines Hauptzelladenoms bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der hormonellen Aktivität der Tumor-
zellen. Dies wird durch unterschiedliche Größe, Anfärbbarkeit, Organellendichte und Parathormongehalt verdeutlicht. Es lassen sich elektronenmikroskopisch 2 extreme Zelltypen beschreiben, zwischen denen alle Übergänge möglich sind: Auf der einen Seite stehen große, relativ organellenarme und glykogenreiche Zellen, die somit ein helles Zytoplasma aufweisen und gleichzeitig runde euchromatische Zellkerne mit geringer Chromatindichte besitzen. Auf der anderen Seite stehen Zellen mit einem sehr organellenreichen Zytoplasma und hoher Volumendichte an hormonproduzierenden und -verarbeitenden Organellen. Dies betrifft sowohl die Ribosomen (Protein- und Proteohormonbildung) als auch das rauhe endoplasmatische Retikulum (Hormontransport) und den Golgi-Apparat (Hormonverpackung). Die energieliefernden Mitochondrien sind unterschiedlich zahlreich. Diese Zellen weisen häufig etwas entrundete Zellkerne mit scholliger, heterochromatischer Kernstruktur auf. Der erste Zelltyp entspricht einer funktionell relativ inaktiven Hauptzelle, während der zweite Zelltyp hormonell aktiv ist. Das Nebeneinander beider Zelltypen spricht für das Vorliegen eines sekretorischen Zyklus in Nebenschilddrüsenadenomen (Dietel 1982). Immunhistologische Untersuchungen zur spezifischen Darstellung des zellulären PTH zeigten, dass in Adenomen die Hauptzellen mit wenig PTH gegenüber der Norm deutlich vermehrt sind. Eine geringe PTH-Konzentration im Zytoplasma spricht für hohe endokrine Aktivität, da das synthetisierte PTH nicht gespeichert, sondern direkt ausgeschleust wird (. Abb. 3.14). Der geringe PTH-Gehalt in den Hauptzellen der Adenome ist mit der verminderten PTH-Lagerung in experimentell stimulierten, nicht-tumorösen Hauptzellen vergleichbar und kann somit als Ausdruck der Aktivierung gewertet werden. Diese Interpretation wird durch die analoge immunhistologische Darstellung von PTH in adenomatösen und randlich gelegenen, inaktiven Nebenschilddrüsen erhärtet (Dietel u. Hölzel 1983). Oxyphile Adenome. Die oxyphilen Adenome bestehen überwiegend oder ausschließlich aus oxyphilen Zellen, deren eosinophile Granulierung durch ihren hohen Mitochondriengehalt bedingt ist. Die elektronenmikroskopisch untersuchten endokrin aktiven Tumoren enthielten im Zytoplasma jedoch neben den
202
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
die verbleibenden 4 zeigten einen ausgewogenen Kalziumwert. Weitere Einzelfallberichte aus der Literatur und eigene Untersuchungen bestätigen diese Beobachtungen. In diesen Fällen handelte es sich um besonders stark vergrößerte Nebenschilddrüsen, die in einer bindegewebigen Kapsel überwiegend Fettgewebe und dazwischen zumeist nur kleine Inseln von Nebenschilddrüsengewebe enthielten, die auch histologisch schwierig zu identifizieren waren (. Abb. 3.15). In diese Gruppe sind auch Kombinationstumoren einzuordnen, bei denen statt reifen Fettgewebes überwiegend feinfibrilläres oder myxomatöses Bindegewebsstroma entwickelt ist. Formal-pathogenetisch wird entweder eine gleichzeitige Proliferation von epithelialem und mesenchymalem Fettbzw. Stromagewebe angenommen, oder die Tumoren werden als Hamartome aufgefasst (LeGolvan et al. 1977). Gelegentlich können Schilddrüsenadenome Fettzellen aufweisen, sodass die Abgrenzung zum Lipoadenom schwierig wird.
3
. Abb. 3.15. Endokrin aktives Lipoadenom der Nebenschilddrüsen mit ausgeprägter lipomatöser Durchsetzung des Parenchyms
Mitochondrien auch andere Organellen, insbesondere solche des proteohormonbildenden Apparates (Altenähr 1972), sodass eine Hormonüberproduktion durchaus plausibel erscheint. Von Bondeson et al. 1993 wurden oxyphile Adenome beschrieben, die klinisch durch eine hyperkalzämische Krise imponierten. Sehr selten finden sich reine oxyphile Adenome, die endokrin inaktiv sind. Diese stellen zumeist einen Zufallsbefund bei der Autopsie oder bei der Schilddrüsenchirurgie dar. Lipoadenome. Im Jahre 1988 wurden von Perosio et al. 17 Fälle von Nebenschilddrüsenlipoadenomen beschrieben. Von diesen 17 Tumoren zeigten 11 eine Hyperkalzämie, 2 waren inaktiv und
3.3.9.2 Nebenschilddrüsenkarzinome Klinische Symptomatik. Maligne Tumoren der Nebenschilddrüsen sind selten und betragen zwischen 0,5% und 4% aller Fälle mit primärem Hyperparathyreoidismus (Schantz und Castleman 1973). In einer eigenen Serie von 435 parathyreoidalen Tumoren waren 3,2% Karzinome (. Tab. 3.3). Das durchschnittliche Alter betrug 49,3 Jahre (12–85 Jahre), Frauen waren im Verhältnis 2:1 häufiger betroffen. Alle Tumoren waren mit den klinischen Zeichen des pHPT assoziiert. Nur vereinzelt sind endokrin stumme Nebenschilddrüsenkarzinome beschrieben worden. Die klinische Differenzialdiagnose erlaubt aufgrund der Symptome keine sichere Unterscheidung zwischen Adenom und Karzinom. Allerdings ermöglichen die in . Tab. 3.4 dargestellten Kriterien die klinische Verdachtsdiagnose. Dabei ist das herausragende Merkmal der schwere, häufig variierende und rezidivierende HPT, zum Teil assoziiert mit hyperkalzämischen Krisen. Tritt ein Rezidiv innerhalb von Monaten auf, so ist dies besonders verdächtig auf ein Karzinom. Serumkalziumkonzentrationen über 14 mg/dl sind ebenfalls suspekt. Ein Drittel der Tumoren ist palpabel.
. Tab. 3.4. Kriterien zur Diagnose eines malignen Nebenschilddrüsentumors
Methode
Verdacht auf Malignität
Sichere Malignität
Klinisch
Ausgeprägter HPT Stark erhöhte Serumkalziumwerte Rezidivierender HPT Palpabler parathyreoidaler Tumor Rekurrensparese
Keine
Makroskopisch
Adhärenz mit angrenzenden Geweben Relativ große Tumoren, häufig >2,5 cm im Durchmesser Vermehrte Konsistenz Derbe Kapsel mit Verwachsungen Grau-weißliches Tumorgewebe
Sichtbare Invasion von Schilddrüse, Ösophagus, Skelettmuskel, Lymphknoten etc., Fernmetastasen
Histologisch
Mitosen Breite kollagene Septen Palisading der Tumorzellen
Invasives Wachstum Penetration der fibrösen Kapsel Metastatische Ausbreitung
Zytologisch
Mitosen Hyperchromasie Uniformität der Tumorzellen Heteroploidie der nukleären DNA
Keine
203 3.3 · Pathologie
Aus eigener Erfahrung muss betont werden, dass Nebenschilddrüsenläsionen gelegentlich die genannten Kriterien nicht zeigten und sich trotzdem, wie der spätere klinische Verlauf zeigte, als eindeutig maligne, metastasierende Tumoren herausstellten. Diese seltene Möglichkeit sollte Pathologen und Chirurgen gleichermaßen bekannt sein. Die Prognose der Nebenschilddrüsenkarzinome ist bei Betrachtung der 5-Jahres-Überlebensrate gut. Sie wachsen relativ langsam und metastasieren in ca. 50% der Fälle. Die Metastasierung erfolgt zunächst lymphogen in die regionalen Halslymphknoten. Erst später kommt es zu Organmetastasen, die v. a. die Lunge betreffen, selten auch andere Organe wie Leber, Skelett, Pankreas oder Nebenniere. Kommt es nach der Operation eines Nebenschilddrüsenkarzinoms zum rekurrierenden HPT, so zeigt dies das Auftreten eines Rezidivs bzw. von Metastasen an. Die Todesursache bei Nebenschilddrüsenkarzinomen sind Komplikationen der endokrinen Stoffwechselstörung, insbesondere die hyperkalzämische Krise oder die dadurch bedingte akute Pankreatitis. Makroskopie. Sollte sich aufgrund der präoperativen klinischen
Parameter und des chirurgischen In-situ-Befundes der Verdacht auf ein Nebenschilddrüsenkarzinom ergeben, so sind folgende Kriterien bei der makroskopischen Identifizierung hilfreich: Der Tumor ist meistens relativ groß, die Konsistenz ist infolge einer derben Kapsel und einer vermehrten interstitiellen Sklerose, z. T. mit Verkalkungen, vermehrt und derb. Die Farbe ist grauweißlich (und nicht rehbraun wie in benignen Läsionen). Aufgrund des infiltrativen Wachstums in benachbartes Gewebe und der Stromasklerose bieten sich dem Chirurgen oft eine unscharfe Begrenzung des Tumors und ein entzündungs- oder vernarbungsähnlicher Aspekt, sodass sich die Karzinome im Gegensatz zu Adenomen oder Hyperplasien nicht stumpf präparieren lassen. Mikroskopie. Die histologische Diagnose eines parathyreoidalen
Karzinoms kann eindeutig nur gestellt werden, wenn eines der folgenden Kriterien zweifelsfrei erfüllt ist: invasives Wachstum in Blutgefäße oder in das angrenzende Gewebe, Ruptur oder Penetration der umgebenden Bindegewebskapsel, metastatische Infiltration benachbarter Lymphknoten oder anderer Organe (. Abb. 3.16). Die Diagnose eines Nebenschilddrüsenkarzinoms ist intraoperativ mittels Schnellschnittdiagnostik ebenfalls nur dann zu fällen, wenn die zweifelsfreien Kriterien der eindeutigen Gefäßinfiltration bzw. Metastasierung vorliegen. Die Kapselinfiltration kann bei narbig indurierten Adenomen vorgetäuscht werden und ist somit für den weniger erfahrenen Diagnostiker nur ein unsicheres Malignitätskriterium. Zytologisch sind Kernatypien kein Beweis für Malignität (Altenähr u. Dammann 1971). Mitosen können hingegen, auch wenn sie nur vereinzelt auftreten, als Verdachtsmoment für Malignität gewertet werden, hier sollte speziell auf atypische Mitosen als sicheres Malignitätskriterium geachtet werden. Typisch sind auch die breiten, das Gewebe septierenden Bindegewebsbänder, die aus relativ azellulärem Kollagenmaterial bestehen. Auch die Tumorkapsel ist meist breiter als bei Adenomen. Die differenzialdiagnostischen Kriterien zur Unterscheidung zwischen benignen und malignen Läsionen sind in . Tab. 3.4 dargestellt. Um maligne Läsionen von benignen abzugrenzen, wurde die DNA-Zytophotometrie eingesetzt (Bengtsson et al. 1977; eigene Beobachtung). Diese zeigte eine verstärkte nukleäre Heteroploidie als Zeichen eines Nebenschilddrüsenkarzinoms, ohne allerdings beweisend zu sein.
3
Die Unterscheidung zwischen Nebenschilddrüsenkarzinomzellen, Histiozyten und Lymphozyten kann im Einzelfall schwierig sein. Dies gilt besonders für Lymphknotenmetastasen. In diesen Fällen ist die Immunzytochemie für PTH (Dietel u. Hölzel 1983) eine wichtige diagnostische Hilfe. 3.3.10 Primäre Nebenschilddrüsenhyperplasie Erstmals 1934 berichteten Albright et al. über eine diffuse Vergrößerung aller 4 Nebenschilddrüsen als Ursache eines pHPT. Die sorgfältig beschriebene und dokumentierte Morphologie der tumorösen Nebenschilddrüsenproliferation mit hellen, großen, vakuolär aufgelockerten Zellen lässt den Schluss zu, dass es sich um die Erstbeschreibung der Nebenschilddrüsenhyperplasie vom Typ der wasserhellen Zellhyperplasie oder Klarzellhyperplasie handelt (7 unten). Knapp 25 Jahre später beschreiben Cope et al. (1958) eine weitere Form der primären Hyperplasie der Nebenschilddrüsen, die auf einer extensiven Proliferation normaler Hauptzellen beruht. Es müssen bei der primären Hyperplasie also 2 Formen differenziert werden: die wasserhelle Zellhyperplasie und die Hauptzellhyperplasie. 3.3.10.1 Primäre Hauptzellhyperplasie In der klassischen Form wird die primäre Hauptzellhyperplasie in verschiedenen Serien in einer Häufigkeit von 10–15% beobachtet. Dabei sind alle 4 Nebenschilddrüsen betroffen und – wenn auch ungleich – vergrößert. Der Stimulus für das gleichzeitige Wachstum aller 4 Drüsen ist unbekannt. Einzelne Autoren (Brandi et al. 1986) beschreiben einen mitogenen, allerdings bisher nicht näher charakterisierten Faktor für parathyreoidale Zellen, während andere eine pathologische Veränderung des Kalziumstellwertes befürworten (DeLellis et al. 1991). Auffällig ist die hohe (bis 20%) Assoziation mit dem MEN-Syndrom. Bei keinem der Patienten lagen Erkrankungen der anderen am Kalziumstoffwechsel beteiligten Organe vor (Niere, Darm, Knochen etc.). Makroskopie. Das Gesamtgewicht beträgt im Durchschnitt in der eigenen Serie 6,8 g, darunter ein Maximalwert von 22 g (. Abb. 3.17). Die Nebenschilddrüsen sind diffus proliferiert oder nodulär umgewandelt (. Abb. 3.18). Die Vergrößerung der Einzeldrüse kann sehr unterschiedlich ausfallen, d. h., es kann 1 oder 2 Drüsen erheblich vergrößert sein, während die verbleibenden 3 oder 2 fast normal groß sind. Die makroskopische Erfassung dieses Befundes ist intraoperativ häufig schwierig und muss histologisch im Schnellschnittpräparat untermauert werden. Die Farbe der Drüsen ist gelbbraun bis rotbraun. Die Oberfläche und die Schnittfläche sind gleichmäßig homogen oder knotig. Zysten sind relativ häufig. Die einzelne vergrößerte Nebenschilddrüse bei primärer Hauptzellhyperlasie kann makroskopisch nicht von einem Nebenschilddrüsenadenom unterschieden werden. Mikroskopie. Histologisch zeigen sich solide, kompakte Zell-
verbände. Häufig findet man kleine Gruppen von oxyphilen Zellen und oxyphilen Übergangszellen. Die Epithelien sind entweder in Form solider Zellgruppen, trabekulärer Stränge oder follikulärer Bildungen angeordnet. Gelegentlich ist ein lobulärer Aufbau entwickelt. Mitosen sind selten. Der Gehalt an Lipidvakuolen ist
204
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
. Abb. 3.16a–e. Histologische Darstellung eines Nebenschilddrüsenkarzinoms mit mehreren Mitosen, Gefäßinfiltrationen und peripherinfiltrativem Wachstum als sicherem Zeichen der Malignität. a Gefäß-
infiltration, b Muskelinfiltration, c Lymphknoteninfiltration, d typische breite fibröse Bänder, e atypische Mitosen
gegenüber den Hauptzellen normaler Nebenschilddrüsen reduziert. Elektronenoptisch und immunhistologisch weisen die hyperplastischen Drüsen eine gesteigerte Hormonsynthese auf (Dietel et al. 1982). Auch der Anteil von Stromazellen in den hyperplastischen Nebenschilddrüsen ist relativ vermindert. Fettgewebsinseln sind jedoch häufig vorhanden, und ihr Nachweis ist ein differenzialdiagnostisches Merkmal in der Abgrenzung zum Adenom. Ein Randsaum von normalem Nebenschilddrüsengewebe liegt grundsätzlich nicht vor, kann jedoch durch einen nodulären Aufbau vorgetäuscht werden. Reddick et al. (1977) berichteten, dass in knapp 10% der Fälle im umgebenden Weichgewebe kleine Nester von Nebenschilddrüsenzellen zu finden sind, die sog. Parathyromatose. Diese können Ausgangspunkt für ein Rezidiv sein.
3.3.10.2 Primäre Klarzellhyperplasie Über die Ätiologie dieser Erkrankung bestehen unterschiedliche Ansichten. Zum einen wird die Entwicklung des wasserhellen Zelltyps aus Hauptzellen angenommen (Roth 1970). Die Hauptzellhyperplasie und die Klarzellhyperplasie stellen nach Auffassung dieser Autoren nur eine unterschiedliche Differenzierung der gleichen Erkrankung dar. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass Übergangsformen nur selten beobachtet werden und dass es sich somit auch um 2 unterschiedliche Entitäten handeln kann. Formal-pathogenetisch kommt eine vakuoläre Degeneration der Zellen vom ursprünglichen Hauptzelltyp in Betracht. Die Klarzellhyperplasie ist nach eigenen Befunden selten. Die in der Literatur beschriebene Häufigkeit von ca. 10% konnte von uns nicht nachvollzogen werden.
205 3.3 · Pathologie
3
Makroskopie. Die von Albright et al. (1934) erstmals beschriebene primäre Klarzell- oder wasserhelle Zellhyperplasie verursacht wesentlich geringere differenzialdiagnostische Schwierigkeiten als die primäre Hauptzellhyperplasie. Zunächst ist die Vergrößerung mehrerer Nebenschilddrüsen eindeutig, wobei das Gesamtgewicht aller 4 Drüsen meist über 5 g liegt und bis zu 50 g betragen kann. Dietel (1982) berichtet über einen Patienten mit insgesamt 8 vorhandenen Nebenschilddrüsen, von denen 6 Drüsen im Sinne einer Klarzellhyperplasie verändert waren und ein Gesamtgewicht von 63 g aufwiesen. Charakteristisch sind ferner ihre blassbraune bis schokoladenbraune Farbe und das häufige Vorhandensein von randlichen Ausläufern oder Läppchen.
. Abb. 3.17. Multiglanduläre Hyperplasie der Nebenschilddrüsen mit deutlicher Vergrößerung aller 4 Epithelkörperchen (nur 3 sichtbar)
Mikroskopie. Histologisch finden sich große Zellen mit einem wasserhellen oder schaumig hellen, leer erscheinenden Zytoplasma (. Abb. 3.19). Sie sind gleichmäßig diffus angeordnet und besitzen deutlich erkennbare Zellmembranen. Elektronenmikroskopisch ist dies auf zahlreiche große Zytoplasmavakuolen zurückzuführen, die sich vermutlich vom Golgi-Apparat oder vom rauhen endoplasmatischen Retikulum ableiten. Daneben enthalten diese Zellen membranbegrenzte sekretorische Granula (Roth 1970). Die wasserhellen Zellen sind häufig in follikulären oder tubulären Formationen angeordnet und besitzen einen basalständigen Zellkern.
3.3.11
Pathologie des sekundären Hyperparathyreoidismus
3.3.11.1 Sekundäre Nebenschilddüsenhyperplasie Der durch eine chronische Niereninsuffizienz oder eine andere Kalziumverlusterkrankung ausgelöste sHPT ist pathologischanatomisch mit einer adaptativen oder reaktiven sekundären Nebenschilddrüsenhyperplasie assoziiert. Makroskopie. Die Vergrößerung der Nebenschilddrüsen ist bei
. Abb. 3.18. Noduläre Nebenschilddrüsenhyperplasie mit Parenchymumbau
der sekundären Form des HPT zumeist homogener als bei der primären Vierdrüsenhyperplasie. Das Ausmaß der Proliferation spiegelt zumeist die Dauer und den Grad der Erkrankung wider. Die Vergrößerung kann mehrere Gramm erreichen und entspricht makroskopisch weitgehend der primären Hauptzellhyperplasie. Mikroskopie. Auch histologisch und elektronenmikroskopisch sind primäre und sekundäre Hyperplasie nicht unterscheidbar. Der früheste mikroskopische Befund ist die relative Vermehrung aktivierter Hauptzellen. Es besteht eine diffuse oder noduläre Wachstumsform. Randlich können Vernarbungen und fibröse Bindegewebssepten der Kapsel auftreten, durch die ein invasives Wachstum vorgetäuscht werden kann. Auch Mitosen sind ganz vereinzelt nachweisbar. Um differenzialdiagnostische Fehlinterpretationen zu vermeiden, bedarf es bei der Behandlung der engen Kooperation zwischen Chirurg und Pathologe (7 unten).
. Abb. 3.19. Histologische Darstellung einer wasserhellen Zellhyperplasie mit den charakteristischen großen, weitgehend ungefärbten Hauptzellen
206
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3.3.12
3
Weitere Nebenschilddrüsenläsionen
3.3.12.1 Nebenschilddrüsenzysten Bei der chirurgischen Revision der Halsweichteile können dem Chirurgen Nebenschilddrüsenzysten auffallen. Diese sind in der Regel endokrin inaktiv. Die zystischen Läsionen können einen Durchmesser von 1–10 cm haben und sind peripher von regulärem Nebenschilddrüsenparenchym begrenzt. Randlich finden sich häufig derbe Bindegewebskapseln. Die Topographie der Zysten ist variabel. Sie können bis ins obere vordere Mediastinum reichen oder vollständig mediastinal verlagert sein. Gelegentlich imponieren sie auch als laterale Halszysten. Der Zysteninhalt ist zumeist dünnflüssig. Pathogenetisch werden die Zysten in erster Linie als dysgenetische brachiogene Zysten aus Resten der 3. und 4. Schlundtasche angesehen. Die klinischen Symptome sind entsprechend der unterschiedlichen Lokalisation nicht einheitlich, sie können Verlagerung der Trachea, des Ösophagus, der Schilddrüse und anderer Halsweichteile umfassen, auch wurden Alterationen des N. recurrens beschrieben. 3.3.12.2 Parathyreoiditis Die akute Parathyreoiditis kann mit einem Hyperparathyreoidismus verbunden sein, der stark schwankende Kalziumwerte aufweist. Im weiteren Verlauf der Erkrankung tritt zumeist wieder eine Normokalzämie auf, da die betroffenen Nebenschilddrüsen weitgehend vernarben und die verbleibenden Nebenschilddrüsen die Funktion übernehmen. 3.3.12.3 Verschiedene Veränderungen Seltene Erkrankungen der Nebenschilddrüsen sind Sklerose, Lipomatose, Angiomatose, Infarkte, Amyloidose und Siderose. Sämtliche Läsionen sind in der Regel nicht mit einer endokrinen Überfunktion assoziiert. Vereinzelt wurden Metastasen in Nebenschilddrüsen gefunden, ohne allerdings funktionell bedeutsam zu sein.
3.3.13 Kooperation zwischen Chirurg und
Pathologe bei der operativen Therapie des Hyperparathyreoidismus Um Patienten mit pHPT optimal behandeln zu können, ist eine enge Kooperation zwischen Endokrinologe, Chirurg und Pathologe zwingend erforderlich. Der Ablauf der Zusammenarbeit ist zu unterteilen in: 4 Präoperative Bestimmung der laborchemischen Parameter mit Verifizierung der Diagnose 4 (Optionale) Lokalisationsdiagnostik vergrößerter Nebenschilddrüsen 4 Entschluss zur Operation 4 Intraoperative Schnellschnitthistologie 4 Postoperative Kontrolle der Serumwerte sowie der Morphologie an Paraffinschnitten (ggf. mit PTH-spezifischer Immunhistologie). Um einen erfolgreichen Operationsverlauf zu erreichen, muss eine enge Zusammenarbeit mit direkter Kommunikation zwischen Chirurg und Pathologe gewährleistet sein. Besonders wichtig ist, dass beide Seiten gleichermaßen die Probleme kennen, um die übermittelten Befunde richtig einordnen zu können. Für den Chirurgen kann es prima vista schwierig sein, Nebenschilddrüsengewebe von anderen Gewebsarten (Fett, Lymphknoten, Schilddrüse) zu unterscheiden. Dies gilt insbesondere bei Rezidivoperationen mit unklarem Operationssitus, bei atypisch verlagerten Nebenschilddrüsen (Mediastinum, obere Halsregion, Pleurakuppen) oder Strumabildung mit teilweiser oder vollständiger Umhüllung der Nebenschilddrüsen durch Schilddrüsengewebe. Die makroskopischen Kriterien sind in . Tab. 3.5 aufgeführt. Während der Operation können multiple Schnellschnitt-Untersuchungen notwendig werden, ohne dass Nebenschilddrüsengewebe gefunden wird. Dann hilft nur geduldiges Weitersuchen, ggf. mit Sternotomie und Revision des Mediastinums oder der Pleurakuppen.
. Tab. 3.5. Kriterien zur makroskopischen Differenzierung zwischen Nebenschilddrüsen und anderen Gewebsarten
Kriterien
Nebenschilddrüse
Schilddrüse
Fett
Lymphknoten
Schnittfläche
Braunrot bis gelb, fleckige Einblutungen
Granuliert, körnig, kolloidal, glänzend, rötlich
Gelb, leuchtend
Dunkelrot, bunte Schnittfläche
Konsistenz
Weich, markig, gering elastisch
Hart, festgefügt
Weich, zerdrückbar
Prall-elastisch
Kapsel
Dünn, Gewebe vollständig umhüllend
Nicht sicher an allen Seiten entwickelt
Keine zusammenhängende Kapsel
Derb, relativ dick
Gefäßstiel
Vorhanden
Fehlt
Fehlt in der Regel
–
Größe
Von linsen- bis pflaumengroß, selten größer
Alle Größen möglich
Alle Größen möglich
Alle Größen möglich, bei Stimulation Follikel
Adhäsionen
Fehlen, DD: NSD-Karzinom
Häufig
Selten, bei Voroperation häufig
Fehlen
Aufbau
Homogener Knoten, selten Narben
Knotig, klein bis zum Teil narbig
Gelappt
Homogen, selten follikulär
Zysten
Gelegentlich
Selten
Nie
Nie
Schwimmprobe in NaCl oder Formol
Sinkt
Sinkt
Schwimmt
Sinkt
207 3.3 · Pathologie
3.3.13.1 Intraoperative Schnellschnittuntersuchungen Schickt der Chirurg während der Operation ein Exzisat zur Schnellschnittuntersuchung, so muss er zu folgenden Fragen Stellung nehmen: 4 Liegt der Verdacht auf einen primären, sekundären oder tertiären HPT vor? 4 Stammt die Biopsie von einer vergrößerten Nebenschilddrüse? 4 Sind weitere Nebenschilddrüsen operativ dargestellt, und, wenn ja, welche Größe weisen sie auf? 4 An welcher Stelle (genaue Lokalisation) wurde die Biopsie entnommen? Danach erwartet der Chirurg vom Pathologen Antworten auf folgende Fragen: Handelt es sich um Nebenschilddrüsengewebe? Diese Frage ist
in der Regel leicht zu beantworten. Vereinzelt allerdings können follikulär differenzierte Nebenschilddrüsenadenome Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zu Schilddrüsengewebe machen, speziell zu follikulären Schilddrüsenadenomen. Ergibt der Schnellschnitt kein Nebenschilddrüsengewebe, so muss die Suche fortgesetzt werden. Wurde Drüsengewebe eingesendet, so stellt sich die Frage nach der Art der tumorösen Läsion. Entspricht die Exzision einem Nebenschilddrüsentumor? Die
Differenzierung zwischen normalem und tumorösem Nebenschilddrüsengewebe ist im Schnellschnitt in aller Regel möglich. Die Tumoren zeigen ein deutlich aktiviertes Zellbild mit dicht aneinanderliegenden endokrin aktiven Hauptzellen (. Abb. 3.13), während normale Nebenschilddrüsen zumeist reichlich intrazytoplasmatisches und interstitielles Fettgewebe aufweisen. Die Sudan-IV-Fettfärbung (Roth u. Gallagher 1976) bzw. die »Oil-red-O«-Technik kann im Schnellschnitt hilfreich sein. Zur Absicherung sollte das Nebenschilddrüsengewebe immer gewogen werden, da mehr als 50 mg für einen Tumor sprechen. Extraglanduläres Weichgewebe muss vor der Gewichtsbestimmung naturgemäß entfernt worden sein. Wenn ja, welche Tumorart liegt vor: ein solitäres Adenom, eine primäre Hyperplasie aller 4 Nebenschilddrüsen oder ein Nebenschilddrüsenkarzinom? Die Frage nach der Tumorart ist anhand
einer Biopsie nicht zu beantworten, da zwischen solitärem Nebenschilddrüsenadenom und primärer multiglandulärer Hyperplasie histologisch nicht differenziert werden kann. Eine (seltene) Ausnahme liegt vor, wenn im Schnellschnitt die normale Nebenschilddrüse im Randbereich des Nebenschilddrüsentumors nachzuweisen ist; dann entspricht die tumoröse Läsion einem solitären Adenom. Die intraoperative Fettfärbung kann eine gewisse Hilfe darstellen: Bei Nachweis von interstitiellen und intrazytoplasmatischen Fettvakuolen liegt eher eine Hyperplasie als ein Adenom vor. In der von uns aufgearbeiteten Serie (n=350) war dies jedoch keineswegs regelhaft der Fall, sodass die Fettfärbung nur mit Einschränkung herangezogen werden kann.
Voraussetzung für eine präzise Differenzialdiagnose sind mindestens 2 Biopsien von verschiedenen Nebenschilddrüsen.
3
Es ergibt sich dann in ca. 80% der Fälle im Schnellschnitt die Diagnose Nebenschilddrüsentumor, im zweiten Schnellschnitt die Diagnose normale bzw. atrophe Nebenschilddrüse. Es liegt dann ein solitäres Nebenschilddrüsenadenom vor (sog. Doppeladenome sind, wenn es sie überhaupt gibt, außerordentlich selten). Die einfache Ektomie des Adenoms führt dann zur Heilung des Patienten. Als zweite Möglichkeit findet sich in ca. 13% der Fälle im ersten Schnellschnitt die Diagnose Nebenschilddrüsentumor und im zweiten Schnellschnitt ebenfalls ein Nebenschilddrüsentumor. Bei dieser Konstellation muss davon ausgegangen werden, dass eine primäre Hyperplasie aller 4 Drüsen vorliegt und die beiden noch in situ verbliebenen Nebenschilddrüsen auch hyperplastisch und damit exzisionsbedürftig sind. In diesem Fall muss die Suche nach den beiden verbliebenen Nebenschilddrüsen aufgenommen werden. Sollte die zweite Biopsie allerdings aus einer makroskopisch normal großen Nebenschilddrüse stammen und dennoch eine aktivierte Zellmorphologie zeigen, so ist dies nur eingeschränkt als Indiz für eine Hyperplasie zu werten. Eine herdförmig unterschiedliche Zelldichte der Epithelzellen findet sich in vielen Nebenschilddrüsen. Daher sollte eine weitere repräsentative Probe gewonnen und im Zweifelsfall ein drittes Epithelkörperchen biopsiert (nicht entfernt!) werden. Die definitive Diagnose eines Nebenschilddrüsenkarzinoms im Schnellschnitt kann nur bei eindeutig invasivem Wachstum, Gefäßinfiltration oder Nachweis einer Metastase gestellt werden. Zu beachten sind dabei stets die sich intraoperativ ergebenden Verdachtsmomente, die im entsprechenden Kapitel dargestellt sind. Im Regelfall kann mit dem beschriebenen Vorgehen eine erfolgreiche Operation erreicht werden. Allerdings können sich Probleme ergeben, die dann nur mit aufwendigen Methoden (Immunhistologie, Elektronenmikroskopie) zu klären sind. Ist im Schnellschnitt und in der Paraffinhistologie ein Nebenschilddrüsentumor diagnostiziert worden und fällt der Serumkalziumspiegel postoperativ nicht ab, dann liegt es nahe, dass die histologische Diagnose falsch war und entweder kein Nebenschilddrüsentumor, sondern Schilddrüsengewebe oder eine unerkannte Nebenschilddrüsenhyperplasie vorlag. Eine Verwechslung von follikulär differenzierten Nebenschilddrüsenadenomen und morphologisch sehr ähnlichen Schilddrüsenadenomen ist im Schnellschnitt häufiger als allgemein bekannt. Die Immunhistologie mit spezifischer PTH- oder Thyreoglobulindarstellung kann dann zweifelsfrei klären, ob eine Fehldiagnose dieser Art vorliegt. Findet sich hingegen bei der postoperativ persistierenden Hyperkalzämie auch immunhistologisch Nebenschilddrüsengewebe, so muss noch relativ aktives Nebenschilddrüsengewebe in situ verblieben sein, und eine Nebenschilddrüsenhyperplasie ist wahrscheinlich. In beiden Fällen ist eine Reoperation notwendig. Die dritte Möglichkeit, postoperativ erhöhte Serumkalziumspiegel zu erklären, besteht – besonders bei nicht eindeutiger histologischer Diagnose (kleines Adenom, möglicherweise Hyperplasie) – darin, das Vorliegen eines paraneoplastischen HPT mit einem PTHrP- oder (selten) PTH-sezernierenden malignen Tumor anzunehmen. Der chronologische Ablauf der Zusammenarbeit von Chirurg und Pathologe ist in der folgenden Übersicht noch einmal schematisch dargestellt.
208
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Tab. 3.6. Histopathologische Diagnosen
3
Diagnose
Kommentar
Tumoröses endokrin aktiviertes Nebenschilddrüsengewebe rechts oben, randlich normale Nebenschilddrüse
Der Befund entspricht einem Adenom der rechten oberen Nebenschilddrüse bei primärem Hyperparathyreoidismus.
Tumoröses endokrin aktiviertes Nebenschilddrüsengewebe rechts oben, Anteile einer normalen Nebenschilddrüse links unten
Der Befund zu rechts entspricht einem Adenom der rechten oberen Nebenschilddrüse bei primärem Hyperparathyreoidismus.
Tumoröses endokrin aktiviertes Nebenschilddrüsengewebe rechts und links oben sowie rechts und links unten
Der Befund spricht für das Vorliegen einer Nebenschilddrüsenhyperplasie bei primärem Hyperparathyreoidismus.
Tumoröses endokrin aktiviertes Nebenschilddrüsengewebe rechts oben und links unten
Der Befund spricht für das Vorliegen einer Nebenschilddrüsenhyperplasie bei primärem Hyperparathyreoidismus. Da nicht alle hyperplastischen Drüsen entfernt wurden, ist eine engmaschige Kontrolle der Serumkalziumwerte angezeigt. Ein Rezidiv ist wahrscheinlich.
Zusammenarbeit von Chirurg und Pathologe bei Nebenschilddrüsenoperationen zur Therapie des Hyperparathyreoidismus durch konventionelle Operation 1. 2. 3. 4.
5.
6.
7. 8. 9.
Chirurgische Tumorsuche mit Entfernung einer eindeutig vergrößerten Nebenschilddrüse Schnellschnittuntersuchung, ggf. Fettfärbung (»oilred-O«) Fortsetzung der chirurgischen Revision zum Auffinden weiterer Nebenschilddrüsen Normal große Nebenschilddrüsen o Schnellschnitt o Diagnose: Normale Nebenschilddrüsen, d. h., der unter 2. gefundene Tumor ist ein solitäres Nebenschilddrüsenadenom Vergrößerte Nebenschilddrüsen o Schnellschnitt o Diagnose: Tumoröse Nebenschilddrüsen, d. h., beide gefundenen Tumoren sind Teil einer primären Vierdrüsenhyperplasie Bei Hyperplasie: Suche nach 2 weiteren vergrößerten Nebenschilddrüsen mit anschließender Exstirpation und Autotransplantation in den Unterarm und Kryopräservation des Restgewebes oder 3 1/2-Resektion mit ClipMarkierung Paraffineinbettung zur Sicherung der SS-Diagnose Abklärung der Dignität Bei Malignität: Reoperation mit Entfernung der Halslymphknoten und ggf. Fernmetastasen
Wissen Chirurg und Pathologe gleichermaßen von den Schwierigkeiten des anderen bei der Operation und Diagnostik von Nebenschilddrüsenläsionen, sollte bei guter Kommunikation in der weitaus überwiegenden Mehrzahl eine primär kurative Therapie möglich sein. In . Tab. 3.6 sind die Formulierungen zusammengefasst, die für die histopathologische Diagnostik von Nebenschilddrüsenläsionen empfohlen werden. Literatur Albright F (1948) A page out of the history of parathyroidism. Endocrinol Metab Clin North Am 8:637–57 Albright F, Bloomberg E, Castleman B, Churchill ED (1934) Hyperparathyroidism due to a diffuse hyperplasia of all parathyroid glands rather than adenoma of one. Arch Intern Med 54:315–329
Altenähr E (1972) Ultrastructural pathology of parathyroid glands. Curr Top Pathol 56:1–54 Altenähr E (1980) Normale und pathologische Anatomie der NSD. In: Rothmund M (Hrsg) Hyperparathyreoidismus. Thieme, Stuttgart New York, S 112 Altenähr E, Dammann HJ (1971) Über Beziehungen zwischen Zelltyp und Kernstruktur in Epithelkörperchen. Virchows Arch A 352:111–121 Bargmann W (1939) Die Epithelkörperchen. In: Möllendorf W von (Hrsg) Handbuch der mikroskopischen Anatomie des Menschen, Bd. VI/2. Springer, Berlin, S 137–196 Bengtsson AL, Grimelius L, Johansson H, Ponten J (1977) Nuclear DNAcontent of parathyroid cells in adenomas, hyperplastic, and normal glands. Acta Pathol Microbiol Scand 85:455–460 Billingsley KG, Fraker DL, Doppman JL et al. (1994) Localization and operative management of undescended parathyroid adenomas in patients with persistent primary hyperparathyroidism. Surgery 116:982–989 Bondeson AG, Bondeson L, Thompson NW (1993) Clinicopathological peculiarities in parathyroid disease with hypercalcaemic crisis. Eur J Surg 159:613–617 Brandi ML, Aurbach GD, Fitzpatrick LA et al. (1986) Parathyroid mitogenic activity in plasma from patients with familial multiple endocrine neoplasia type 1. N Engl J Med 314:1287–1293 Carling T, Rastad J, Szabo E, Westin G, Akerstrom G (2000) Reduced parathyroid vitamin D receptor messenger ribonucleic acid levels in primary and secondary hyperparathyroidism. J Clin Endocinol Metab 85:2000–2003 Carling T (2001) Molecular pathology of parathyroid tumors. Trends Endocrinol Metab 12:23–28 Castleman B, Schantz SI, Roth SI (1976) Parathyroid hyperplasia in primary hyperparathyroidism. Review of 85 cases. Cancer 38:1668–1675 Chattopadhaya N, Mithal A, Brown EM(1996) The calcium-sensing receptor: a window into the physiology and pathophysiology of mineral ion metabolism. Endcor Rev 17:289–307 Chen RA, Goodman WG (2004) Role of the calcium-sensing receptor in parathyroid gland physiology. Am J Physiol Renal Physiol 286:F1005– 1011 Cohn DV, Hamilton JW (1976) Newer aspect of parathyroid chemistry and physiology. Cornell Vet 66:271 Cope OW, Keynes WM, Roth SI, Castleman B (1958) Primary chief cellhyperplasia of the parathyroid glands: a new entity in the surgery of hyperparathyroidism. Ann Surg 148:375–388 DeLellis RA, Dayal Y, Tischler AS, Lee AK, Wolfe HJ (1986) Multiple endocrine neoplasia (MEN) syndromes: cellular origins and interrelationships. Int Rev Exp Pathol 28:163–215 Dietel M (1982) Functional morphology and pathology of parathyroid glands. G. Fischer, Stuttgart
209 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
Dietel M, Altenähr E (1981) Distribution of PTH in normal and pathological parathyroid glands. An immunohistochemical study. Acta Endocrinol (Copenh) 96:27–28 Dietel M, Hölzel F (1983) Influence on parathyroid hormone storage in normal and adenomatous parathyroid tissue by stimulation and inhibition in vitro. J Histochem Cytochem 31:275–284 Dietel M, Dorn G, Montz R, Altenähr E (1979) Influence of vitamin D3, 1,25 dihydroxyvitamin D3 and 24,25-dihydroxyvitamin D3 on parathyroid hormone secretion, adenosine 3’,5’-monophosphate release, and ultrastructure of parathyroid glands in organe culture. Endocrinology 105:237–245 Dietel M, Arps H, Niendorf A, Schäfer H-J, Hölzel F (1987) Abnormal calcium distribution in human parathyroid adenomas as possible cause of primary hyperparathyroidism. Horm Metab Res 19:177–181 Dorado AE, Hensley G, Castleman B (1976) Water clear cell hyperplasia of parathyroid – autopsy report of a case with supernumerary glands. Cancer 38:1676–1683 Dubost C, Jehanno C, Lavergne A, Le Charpentier Y (1984) Successful resection of intrathoracic metastases from two patients with parathyroid carcinoma. World J Surg 8:547 Fraglia RA, Nassar VH, Dagher F, Salti IS (1972) Familial parathyroid carcinoma. J Med Liban 25:299–309 Gilmour JR (1937) The embryology of the parathyroid glands, the thymus, and certain associated rudiments. J Pathol Bacteriol 45:502—522 Hendy GM (2000) Molecular mechanisms of primary hyperparathyroidism. Rev Endcor Metab Disord 1:297–305 Janson KL, Roberts JA, Varela M (1978) Multiple endocrine adenomatosis: in support of the common origin theories. J Urol 119:161 Kifor O, Moore FD Jr, Wang P, Goldstein M, Vassilev P, Kifor I, Hebert SC, Brown EM (1996) Reduced immunostaining for the extracellular Ca 2+-sensing receptor in primary an uremic secondary hyperparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 81:1598–1606 Leana-Cox J, Pangkanon S, Eanet KR, Curtin MS, Wulfsberg EA (1996) Familial DiGeorge/velocardiofacial syndrome with deletions of chromosome area 22q11.2: report of five families with a review of the literature. J Med Genet 65:309–316 LeGolvan DP, Moore BP, Nishiyama RH (1977) Parathyroid hamartoma. Report of two cases and review of the literature. Am J Clin Pathol 67:31–35 Marx JS, Fedak SA, Aurbach GD (1972) Preparation and characterization of a hormone-responsive renal plasma membrane fraction. J Biol Chem 247:6913 Moseley JM, Kubota M, Diefenbach-Jagger H et al. (1987) Parathyroid hormone-related protein purified from a human lung cancer cell line. Proc Natl Acad Sci USA 84:5048–5050 Nordenstrom J, Strigard K, Perbeck L, Willems J, Bagedahl-Strindlund M, Linder J (1992) Hyperparathyroidism associated with treatment of manic-depressive disorders by lithium. Eur J Surg 158:207–211 Pearse AGE (1975) Neurocristopathy, neuroendocrine pathology and the APUD concept. Z. Krebsforsch 84:1–18 Perosio P, Brooks JJ, LiVolsi VA (1988) Orbital brown tumor as the initial manifestation of parathyroid lipoadenoma. Surg Pathol 1:77–82 Rasmussen H (1968) The parathyroids. In: Williams R (ed) Textbook of endocrinology. Saunders, Philadelphia, p 922 Raue F, Gagel RF (1989) Multiple endokrine Neoplasie. In: Hesch RD (Hrsg) Endokrinologie. Urban & Schwarzenberg, München Wien Baltimore, S 1109 Reddick RL, Costa JC, Marx SJ (1977) Parathyroid hyperplasia and parathyromatosis [letter]. Lancet 1:549 Roth SI (1970) The ultrastructure of primary water-clear cell hyperplasia of the parathyroid glands. Am J Pathol 61:233–248 Roth SI, Gallagher MJ (1976) The rapid identification of abnormal parathyroid glands by the presence of intracellular fat. Am J Pathol 84:521–527 Rothmund M (1980) Operative Behandlung des sekundären Hyperparathyreoidismus. In: Rothmund M (Hrsg) Hyperparathyreoidismus. Thieme, Stuttgart New York, S 234–246
3
Sandström J (1879-80) On a new gland in man and several mammals (glandulae parathyreoideae). Ups Läk Fören Förh 15:441 Schachner SH, Riley TR, Old JW, Taft DA, Hamwi GJ (1966) Familial hyperparathyroidism. Arch Intern Med 117:417–422 Schantz A, Castleman B (1973) Parathyroid carcinomas: a study of 70 cases. Cancer 31:600 Suva LJ, Winslow G, Wettenhall R et al. (1987) A parathyroid hormone-related protein implicated in malignant hypercalcemia: cloning and expression. Science 237:893–895
Primärer Hyperparathyreoidismus
3.4
3.4.1 Epidemiologie und Klinik
T. Schilling ) ) Der primäre Hyperparathyreoidismus ist eine häufige endokrine Erkrankung. Patienten sind oft lange asymptomatisch. Beim Forschreiten führt die Hyperkalzämie des primären Hyperparathyreoidismus zu einer Reihe von funktionellen Symptomen, die oft fehlgedeutet werden. An der Niere führ der primäre Hyperparathyreoidismus zu einer Nephrolithiasis, am Knochen zu einer Osteoporose. Steigt das Serumkalzium über 3,5 mmol/l droht eine hyperkalzämische Krise.
3.4.1.1 Epidemiologie Der primäre Hyperparathyreoidismus (pHPT) gehört zu den häufigen endokrinen Erkrankungen mit einer Prävalenz von 3 in 1000 der Allgemeinbevölkerung und 21 in 1000 unter 55- bis 75-jährigen Frauen (Wermers et al. 1997). In 80 % der Fälle handelt es sich um ein solitäres Adenom der Nebenschilddrüse, das durch operative singuläre Adenomentfernung kurativ behandelt werden kann; seltener liegen multiple Adenome oder eine Hyperplasie der Nebenschilddrüsen vor, die in 25% durch ein vererbbares Syndrom hervorgerufen werden.
Der primäre Hyperparathyreoidismus macht zusammen mit der Tumorhyperkalzämie die beiden häufigsten Differenzialdiagnosen einer Hyperkalzämie aus.
3.4.1.2 Klinische Symptomatik Die Klinik des pHPT wird in erster Linie durch die Hyperkalzämie bestimmt. Durch eine langsame Entwicklung über Monate bis Jahre, gewöhnt sich der Patient in der Regel an fast alle Symptome und sucht dementsprechend keinen Arzt auf. Man muss also gezielt nach Symptomen eines pHPT fahnden. Am Ende der Krankheitsskala steht die hyperkalzämische Krise. Steigt das Serumkalzium über ca. 4 mmol/l liegt eine lebensbedrohliche Situation vor; es entwickelt sich ein Koma und ein hypovolämischer Schock. Hier ist eine schnelle interdisziplinäre Diagnostik und Therapie notwendig (7 Kap. 3.4.4). Die Klinik des pHPT ist durch die Hyperkalzämie bestimmt und führt zu den in der 7 Übersicht aufgeführten Funktionsstörungen und Organveränderungen.
210
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Funktionsstörungen und Organveränderungen bei primärem Hyperparathyreoidismus
3
5 Funktionsstörungen – Renal: Polyurie, Dehydratation, konsekutive Polydipsie – Gastrointestinal: Obstipation, Übelkeit, Erbrechen – Muskulär: Schwäche – ZNS: Antriebslosigkeit, Depression, Desorientiertheit, Somnolenz bis Koma – Kardial: Bradykardie, AV-Block, QT-Zeit-Verkürzung 5 Organmanifestationen – renal: Nephrolithiasis (Nierenkoliken!), Nephrokalzinose, Niereninsuffizienz – ossär: Knochenschmerzen, Osteoporose, Osteitis fibrosa cystica, brauner Knochentumor – gastrointestinal: Pankreatitis, peptisches Ulkus, Cholelithiasis (diese Organmanifestationen lassen sich nicht sicher der Hyperkalzämie zuordnen)
Funktionsstörungen der Hyperkalzämie. Durch die Hyperkal-
zämie kommt es unter anderem durch die Beeinträchtigung der Nierenfunktion zu einer Reihe von Störungen. 4 An neurologischen Symptomen stehen eine Antriebslosigkeit, Depression und Desorientiertheit im Vordergrund (Solomon et al. 1994). Diese entwickeln sich sehr langsam und werden oft nicht bemerkt oder beklagt. Vor allem im Alter wird eine gewisse Antriebslosigkeit oft als normal empfunden – nicht selten steckt aber dahinter ein behandelbarer pHPT. Ab einem Serumkalzium von über 3,5 mmol/l droht eine hyperkalzämische Krise mit Somnolenz die rasch dekompensieren und in ein Koma führen kann. 4 Die Skelettmuskulatur wird durch die Hyperkalzämie in der Funktion beeinträchtigt, es kommt zu einer Muskelschwäche. 4 Gastrointestinal führt die Hyperkalzämie zu unspezifischen Symptomen wie Obstipation, Übelkeit und Erbrechen. Bei einer hyperkalzämischen Krise stehen zu Beginn oft Übelkeit und Erbrechen, nicht selten als Gastroenteritis fehlgedeutet, im Vordergrund. 4 Die renalen Funktionsstörungen sind in erster Linie durch einen renalen Wasserverlust geprägt: es kommt zu einer Polyurie, Dehydratation und konsekutiv zu einer Polydipsie. Die Unfähigkeit der Niere den Urin zu konzentrieren kann schnell zu einer hyperkalzämischen Krise führen: durch die Dehydratation steigt das Serumkalzium weiter an, der renale Wasserverlust steigt weiter, die Dehydratation eskaliert und der Patient kommt in einen Volumenmangelschock. Organveränderungen der Hyperkalzämie. Die funktionellen
Störungen des ZNS sind in der Regel voll reversibel. Dagegen führt der pHPT an der Niere und am Knochen zu teilweise nicht reversiblen Organveränderungen. 4 Renal kommt es durch die Hyperkalzurie sehr häufig zu einer Nephrolithiasis mit Nierenkoliken3. Durch einen Harnaufstau und Infektionen ist die Niere organisch bedroht. Weiterhin führt die Hyperkalzämie zu einer Nephrokalzinose; das Nierenparenchym verkalkt schmerzlos. Es bildet sich eine Niereninsuffizienz aus, die rasch bis zum Nierenversagen führen kann (. Abb. 3.20).
. Abb. 3.20. Röntgenologische Darstellung einer Nephrokalzinose
4 Ossär führt das erhöhte Parathormon zu einem vermehrten Knochenabbau. Es entwickelt sich eine Osteoporose. Diese lässt sich mittels einer Knochendichtemessung diagnostizieren. Weiterhin kann der Parathormonexzess im fortgeschrittenen Stadium zu einer Ostitis fibrosa cystica führen. Diese ist gekennzeichnet durch subperiostale Resorptionen der distalen Phalangen, Knochenzysten und braune Tumoren der langen Röhrenknochen (. Abb. 3.21 und 3.22) 4 Gastrointestinal wird an organischen Veränderungen eine Pankreatitis, ein peptisches Ulkus oder eine Cholelithiasis diskutiert. Diese Veränderungen sind jedoch nicht sicher als direkte Folge der Hyperkalzämie anerkannt. 3.4.1.3 Asymptomatischer primärer Hyperparathyreoidismus Die Symptome des pHPT entstehen langsam über Jahre. Nicht jeder Hyperparathyreoidismus macht zwangsläufig Symptome und muss operiert werden. Man grenzt deshalb den asymptomatischen pHPT vom symptomatischen ab. Er ist in der Regel eine Zufallsdiagnose im Labor; die Patienten haben keine spezifischen Symptome. Im Falle eines asymptomatischen pHPT kann von einer Operation Abstand genommen werden. Ein konservatives Vorgehen mit halbjährlichen Kontrollen von Kalzium und Kreatinin kann ausreichend sein. Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Kalzium- und Vitamin-D-Zufuhr (500–1000 mg Kalzium, 800 IE Vitamin D), denn ein Kalziumund Vitamin-D-Mangel stimuliert die Parathormonsekretion auch beim pHPT, was zu einem schnelleren Fortschreiten des pHPT führt. Ob der asymptomatische pHPT eine Frühform eines pHPT oder aber ein eigenes Krankheitsbild ist, das nicht in einen symptomatischen pHPT übergeht, ist nicht bekannt und muss weiter untersucht werden.
211 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
. Abb. 3.21. Subperiostale Usuren an der Radialseite der Fingerphalangen und Zyste der Mittelphalanx des Mittelfingers (links) bei pHPT
. Abb. 3.22. Recklinghausen-Zyste bei pHPT als Ursache einer pathologischen Fraktur. Gute stabilisierte Überbrückung und funktionelle Heilung innerhalb von 6 Monaten nach operativer Entfernung des verantwortlichen Nebenschilddrüsenadenoms
Literatur Kriterien des asymptomatischen primären Hyperparathyreoidismus (NIH Consensus Development Conference 2002; Mahadevia et al. 2003; Sywak et al. 2002) 5 Ausschluss funktioneller und morphologischer Organveränderungen 5 Leichte Erhöhung des Serumkalziumwertes (<2,85 mmol/l) 5 Kalziurie <10 mmol/24 h 5 Kreatinin-Clearance >70% der Norm 5 Knochendichte (T) nicht <–2,5 SD der Norm 5 Anamnestisch keine hyperkalzämischen Krisen
Mahadevia PJ, Sosa JA, Levine MA et al. (2003) Clinical management of primary hyperparathyroidism and thresholds for surgical referral: a national study examining concordance between practice patterns and consensus panel recommendations. Endocr Pract 9:494–503 Silverberg SJ, Shane E, Jacobs TP et al. (1990) Nephrolithiasis and bone involvement in primary hyperparathyroidism. Am J Med 89:327– 334 Solomon BL, Schaaf M, Smallridge RC (1994) Psychologic symptoms before and after parathyroid surgery. Am J Med 96:101–106 Sywak MS, Knowlton ST, Pasieka JL et al. (2002) Do the National Institutes of Health consensus guidelines for parathyroidectomy predict symptom severity and surgical outcome in patients with primary hyperparathyroidism? Surgery 132:1013–1019 Wermers RA, Khosla S, Atkinson EJ et al. (1997) The rise and fall of primary hyperparathyroidism: a population-based study in Rochester, Minnesota, 1965–1992. Ann Intern Med 126:433–440
212
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3.4.2 Labordiagnostik
E. Blind ) )
3
Der pHPT ist im ambulanten Bereich die häufigste Ursache der Hyperkalzämie, sodass deren Abklärung und die Kenntnis des differenzialdiagnostischen Spektrums ein wichtiger Teil der präoperativen Abklärung bei pHPT darstellt. Der Nachweis eines pHPT kann nur mit Laboruntersuchungen erfolgen. Dies ist heutzutage aber mit hoher Zuverlässigkeit möglich, sofern einige Fallstricke bedacht werden.
3.4.2.1 Bestimmung des Serumkalziums Der Verdacht auf das Vorliegen einer Hyperkalzämie kann sich aufgrund typischer Symptome des Patienten ergeben (7 Kap. 3.4.1). Außerdem können Hinweise auf das Vorliegen eines primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) bestehen: (rezidivierendes) Auftreten von Nierensteinen, Knochenschmerzen oder Osteopenie. Am häufigsten führt heutzutage jedoch nicht die Symptomatik des Patienten, sondern das routinemäßig erfolgende Screening des Serumkalziums zur Aufdeckung einer Hyperkalzämie. Zuerst ist zu klären, ob tatsächlich eine Hyperkalzämie besteht. Obwohl nur das freie (= ionisierte) Kalzium im Plasma biologisch relevant ist, wird in deutschen Laboratorien aus messtechnischen Gründen meist das Gesamtkalzium bestimmt. Der freie Kalziumanteil macht aber nur etwa 50% des Gesamtserumkalziums (Normalwert: 2,1–2,65 mmol/l, etwas methodenabhängig) aus, der Rest ist überwiegend an Albumin gebunden (ca. 40%). Daher muss bei einer Hyperkalzämie/Hypokalzämie Albumin oder Gesamtprotein mitgemessen und bei einer Abweichung von der Norm der proteingebundene Kalziumanteil nach z. B. folgender Formel korrigiert werden (gilt auch für Hypokalzämien):
PTH durch die Nebenschilddrüsen. Hierdurch ist in der Regel die zuverlässige Abgrenzung einer parathyreogenen Ursache von anderen Hyperkalzämieursachen möglich (. Abb. 3.23 und 3.24). Intaktes PTH ist bei Patienten mit pHPT in mehr als 95% der Fälle erhöht. Seit kurzem sind Assays für intaktes Parathormon erhältlich, die exklusiv das »Full-length-intact-PTH« detektieren, und nicht kreuzreagieren mit leicht aminoterminal gekürzten Formen des PTH (im Bereich der Aminosäuren 1–7). Diese Assays werden auch als iPTH-Assays der »2. Generation« bezeichnet und vermarktet. Da das vollständig erhaltene PTH-Molekül den größten Teil des zirkulierenden »intakt PTH« ausmacht, liegen die damit erhaltenen Messwerte nur um etwa 20–30% niedriger als bei Assays der »1. Generation« (Gao et al. 2001). Eine Überlegenheit dieser neuen Assays bei der Diagnostik des pHPT konnte bisher nicht gezeigt werden (Carnevale et al. 2004; Jüppner u. Potts 2002). Ob sie jedoch eine diagnostische Verbesserung bei sekundärem HPT und Dialysepatienten darstellen könnten, ist derzeit noch offen.
Korrigiertes Kalzium = gemessenes Kalzium [mmol/l] – 0,025 × Albumin [g/l] + 1 Bei einer grenzgradigen Serumkalziumerhöhung sollte die Abnahme einfach wiederholt werden (cave: nicht zu lange stauen). Immer sollte Albumin und/oder Gesamtprotein mitbestimmt werden.
Die Diagnose eines pHPT kann nicht ohne Nachweis eines erhöhten Serumkalziums gestellt werden.
3.4.2.2 Bestimmung des intakten Parathormons (PTH) Bei bestätigter Hyperkalzämie ist der entscheidende nächste Schritt die Bestimmung des intakten PTH. Die Messung erfolgt mittels sog. »Two-site«-Assays, die eine exklusive Erfassung des biologisch aktiven, intakten PTH-Peptids ermöglichen und deren Ergebnisse sehr gut untereinander vergleichbar sind (Normbereich: 10–65 ng/l, entspricht ca. 1–6 pmol/l; Flentje et al. 1990). So genannte Fragment-Assays sind für die klinische Diagnostik obsolet. Ein nicht durch die Nebenschilddrüse verursachter Anstieg des Spiegels an freiem Kalzium im Serum führt zu einer drastischen Reduktion, ein Abfall zu einer Mehrsekretion von
. Abb. 3.23. Spiegel von intaktem PTH bei 102 Patienten mit pHPT (84 operativ gesichert, 16 operativ nicht gesichert, 2 Nebenschilddrüsenkarzinom), Tumorhyperkalzämie und Hypoparathyreoidismus. (Modifiziert nach Blind 1997, mit Erlaubnis des Verlags)
213 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
. Abb. 3.24. Halbschematische Darstellung der Abgrenzung wichtiger Kalziumstoffwechselstörungen mittels der 2 Laborparameter Serumkalzium und intaktes PTH. HypCa Hyperkalzämien, Hypopara Hypoparathyreoidismus, sHPT sekundärer Hyperparathyreoidismus
3.4.2.3 Differenzialdiagnose der Hyperkalzämie Ergänzende Laboruntersuchungen sind: 4 Serumphosphat 4 Alkalische Phosphatase 4 Kreatinin und Harnstoff 4 Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit 4 Blutbild 4 Serumeiweißelektrophorese 4 Schilddrüsenhormonwerte Darüber hinaus nützlich können evtl. sein: 4 »Angiotensin-converting«-Enzym (Verdacht auf Sarkoidose) 4 25-Hydroxyvitamin D (Verdacht auf Intoxikation mit Vitamin D) 4 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 (Verdacht auf Lymphom oder granulomatöse Erkrankung) Einen Überblick über die Ursachen einer Hyperkalzämie und differenzialdiagnostisch nützliche Hinweise gibt . Tab. 3.7. Zwei Ursachen stellen den Großteil der Fälle (ca. 85%): zum einen der primäre Hyperparathyreoidismus (pHPT), zum anderen die Tumorhyperkalzämie. Bei erheblich erhöhtem Serumkalzium (>3 mmol/l) liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder ein pHPT oder eine Tumorhyperkalzämie zugrunde.
Das gleichzeitige Vorliegen eines deutlich erhöhten Kalziums und eines deutlich erhöhten PTH ist nahezu beweisend für einen pHPT.
Während beim pHPT eine autonome Mehrsekretion eines oder mehrerer Epithelkörperchen vorliegt, besteht bei der Tumorhy-
3
perkalzämie eine paraneoplastische Sekretion des PTH-ähnlichen PTH-related Proteins (PTHrP; z. B. beim Plattenepithelkarzinomen; Blind u. Raue 2005) oder von lokal osteolytischen Faktoren (z. B. beim Plasmozytom) zugrunde. Die Anamnese lässt oft bereits die wahrscheinliche Ursache vermuten: Eine schon lange bekannte Hyperkalzämie ist beim pHPT häufiger eruierbar, wohingegen bei einer Tumorhyperkalzämie fast immer das Vorhandensein eines fortgeschrittenen Tumorstadiums offensichtlich ist. Ist ein Tumorleiden bereits bekannt, so ist beim Vorliegen eines »typischen« Tumors (Mammakarzinom, Bronchialkarzinom, Hypernephrom, Plasmozytom, Malignom mit Plattenepithelhistologie) und erniedrigtem oder niedrignormalem intakten PTH eine weitere Suche nach einer Hyperkalzämieursache nicht nötig. Wenn weder ein pHPT noch ein Tumorleiden vorliegt, ist die komplette Differenzialdiagnose der Hyperkalzämie notwendig, die in der Regel einen Spezialisten (z. B. Endokrinologen) erfordert (Pfeilschifter u. Schatz 2000). Selbiges gilt für Konstellationen mit Verdacht auf pHPT, bei denen PTH und/oder Serumkalzium nur leicht erhöht sind, da hier zusätzliche Hyperkalzämieursachen und die familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH) bedacht werden müssen. 3.4.2.4 Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie Die familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH) ist eine seltene, aber wichtige Differenzialdiagnose der Hyperkalzämie. Dieser autosomal-dominanten Erkrankung liegt ein genetischer Defekt (»Loss-of-function«-Mutation) des Kalziumsensors zugrunde mit einer Verstellung des »set points« hin zu etwas höheren Serumkalziumwerten. Der Serumkalziumspiegel der betroffenen Patienten stellt sich auf einen höheren Kalziumwert ein, das intakte PTH liegt im oberen Normbereich oder ist leicht erhöht. Erkennen lässt sich das Syndrom durch das familiäre Auftreten mit autosomal-dominantem Erbgang und die relativ zu niedrige Urinkalziumausscheidung der Patienten (häufig deutlich unter 2,5 mmol/Tag). Eine 24-h-Urinkalziumbestimmung ist daher bei grenzwertigen Befunden obligat, wenn auch damit nicht immer eine 100%-ige Abgrenzung zwischen pHPT und FHH möglich ist (Fuleihan 2002). Da die Kalziumsensoren nicht nur der Nebenschilddrüse, sondern aller Gewebe von dieser Verstellung betroffen sind, bleibt die Hyperkalzämie weitgehend folgenlos und eine Parathyreoidektomie ist nicht indiziert. 3.4.2.5 Rolle von Laboruntersuchungen bei der Stellung der Operationsindikation Aufgrund der heute häufigen oligo- oder asymptomatischen Formen des pHPT wurden im Jahr 2002 auf einer Konferenz an den National Institutes of Health (Bethesda, USA) Leitlinien zur Indikationsstellung für die Parathyreoidektomie vorgeschlagen (Bilezikian et al. 2002). Hierbei relevante Laborgrenzwerte sind: 4 Einschränkung der Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance) um mehr als 30% unter den altersentsprechenden Erwartungswert 4 Erhöhung des Serumkalziums um mehr als 1 mg% (entsprechend 0,25 mmol/l) über die Normobergrenze der benutzten Meßmethode 4 Hyperkalziurie mit Urinkalziumausscheidung >400 mg/Tag (entsprechend 10 mmol/Tag) Dem Patienten sollte spätestens dann zu einer Operation geraten werden.
214
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Tab. 3.7. Differenzialdiagnose der Hyperkalzämie. Eingruppierung anhand des PTH-Wertes, diagnostische Hinweise
PTH
Ursache
Erhöht
Hyperparathyreoidismus
3
PTH erniedrigt oder niedrignormal
Bedeutung
Diagnostische Hinweise Erhöhtes PTH
Primärer Hyperparathyeroidismus
+++
Hyperkalzämie häufig lange bestehend, familiäre Formen (MEN I, MEN IIa), Serumphosphat häufig erniedrigt
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
+
Autonomer HPT nach langjährigem sekundärem HPT (fast immer renaler Genese)
Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH)
+
Selten, wichtige Differenzialdiagnose; PTH hochnormal oder leicht erhöht, Urinkalziumausscheidung erniedrigt, familiär
Ektop PTH-sezernierender Tumor
–
Extreme Rarität
Malignom
Hyperkalzämie neu, bei Auftreten Tumor meist evident, immer fortgeschrittenes Tumorstadium
Oft Mamma-, Bronchial-, Nierenkarzinome; Plattenepithel-Histologie
+++
»Parathormon-related«-Protein (PTHrP) erhöht
Hämatologische Tumoren, vor allem Plasmozytom
+++
»Parathormon-related«-Protein (PTHrP) normal
Granulomatöse Erkrankungen, Lymphome
1,25-Dihydroxycholecalciferol meist erhöht
Sarkoidose
+
Röntgen-Thorax, »Angiotensin-converting«-Enzym
Tuberkulose
(+)
Tb-Diagnostik
Histoplasmose
?
Serologie
Hodgkin-/Non-Hodgkin-Lymphom
(+)
Hyperkalzämie hier unter Umständen Frühzeichen
Endokrine Ursachen
Jeweils spezifische Laborbestimmungen
Hyperthyreose
+
Akuter Glukokortikoidentzug (neuer M. Addison, postoperativ nach Cushing)
(+)
Phäochromozytom, Akromegalie
(+)
Chondrodysplasie Jansen
–
Medikamente
Zwergwuchs, »Gain-of-function«-Mutation des PTH-Rezeptors, extreme Rarität Anamnese
Thiaziddiuretika
++
Wichtig als hyperkalzämieverstärkender Kofaktor
Lithiumtherapie
++
Bis zu 15% der Patienten
Vitamin-D-, AT10-Intoxikation
+
25-Hydroxy-Vitamin D erhöht (nicht bei AT10)
Freisetzung aus dem Knochen
Wichtig als Kofaktor
Immobilisation
+
M. Paget
+
Weitere Ursachen Nach Nierentransplantation
+
Akutes Nierenversagen
(+)
Fortgeschrittene chronische Lebererkrankungen
(+)
Passager, bei plötzlicher normalen Nierenfunktion und 1,25-Dihydroxycholecalciferol-Synthese
Weder PTH- noch 1,25-Dihydroxycholecalciferolvermittelt
215 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
Literatur Bilezikian JP, Potts JT Jr, El-Hajj Fuleihan G, Kleerekoper M, Neer R, Peacock M, Rastad J, Silverberg SJ, Udelsman R, nd Wells SA (2002). Summary statement from a workshop on asymptomatic primary hyperparathyroidism: a perspective for the 21st Century. J Clin Endocrinol Metab 87:5353–5361 Blind E (1997) Introduction to the use of intact parathyroid hormone (PTH) determination. In: Schmidt-Gayk H, Blind E, Roth HJ (eds) Calcium regulating hormones and markers of bone metabolism: measurement and interpretation. Clin Lab Publications, Heidelberg Blind E, Raue F (2005) Parathormon-related protein (PTHrP). In: Thomas L (Hrsg) Labor und Diagnose. TH-Books, Frankfurt, pp 361–364 Carnevale V, Dionisi S, Nofroni I, Romagnoli E, Paglia F, De Geronimo S, Pepe J, Clemente G, Tonnarini G, Minisola S (2004) Potential clinical utility of a new irma for parathyroid hormone in postmenopausal patients with primary hyperparathyroidism. Clin Chem 50:626–631 Flentje D, Schmidt-Gayk H, Fischer S, Stern J, Blind E, Buhr H, Herfarth C (1990) Intact parathyroid hormone in primary hyperparathyroidism. Br J Surg 77:168–172 El-Hajj Fuleihan G (2002) Familial benign hypocalciuric hypercalcemia. J Bone Miner Res 17 (Suppl 2):N51–56 Gao P, Scheibel S, D’Amour P, John MR, Rao SD, Schmidt-Gayk H, Cantor TL (2001) Development of a novel immunoradiometric assay exclusively for biologically active whole parathyroid hormone 1–84: Implications for improvement of accurate assessment of parathyroid function. J Bone Miner Res 16:605–614 Jüppner H, Potts JT Jr (2002) Immunoassays for the detection of parathyroid hormone. J Bone Miner Res 17 (Suppl 2):N81–86 Pfeilschifter J, Schatz H (2000) Differentialdiagnose der Hyperkalzämie bei Erwachsenen. Med Klin 95:143–150
3.4.3 Lokalisationsdiagnostik
M. Gotthardt, H.J. Wagner, C. Franzius, A. Zielke, M. Rothmund ) ) Bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus (pHPT) sollte eine rationelle Lokalisationsdiagnostik erfolgen. Auch wenn grundsätzlich eine Reihe von Verfahren zur Verfügung steht, so müssen der Aufwand der präoperativen Lokalisationsdiagnostik und der dadurch erzielbare Effekt in Hinsicht auf Umfang, Dauer und Erfolg der Operation in einer sinnvollen Relation zueinander stehen. An Verfahren stehen neben dem Ultraschall von Seiten der Nuklearmedizin die Nebenschilddrüsenszintigraphie mit 99m Tc-MIBI als planare Szintigraphie sowie als dreidimensionale SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography) sowie die PET mit 11C-Methionin zur Verfügung, letztere allerdings nur an Zentren, die über ein Zyklotron verfügen. Von Seiten der Schnittbildverfahren kommen die Magnetresonanztomographie (MRT) und die Computertomographie (CT) zum Einsatz. Eine relativ neu verfügbare Technik ist die kombinierte SPECT-CT, die die funktionelle nuklearmedizinische Information mit der morphologischen Information der CT in einem Untersuchungsgang verbindet. Sollten die vorgenannten Techniken keine Lokalisation des Nebenschildrüsenadenoms ermöglichen, ist als invasive Regionalisierungsmethode die selektive venöse Blutentnahme (SVS) möglich.
3
Aus Kostengründen ist sicherlich die Sonographie als Basisuntersuchung anzusehen, die allerdings von einem in der Nebenschilddrüsensonographie sehr erfahrenen Untersucher durchgeführt werden muss. Für die präoperative Diagnostik bei geplanter minimalinvasiver Operation bzw. einem Eingriff in Lokalanästhesie ist die sichere Lokalisation des (oder der) Nebenschilddrüsenadenoms(/e) von Bedeutung. Hier werden neben der Sonographie häufig andere Verfahren eingesetzt, wobei die 99mTc-MIBI-Szintigraphie mit der Sonographie die Ergebnisse der funktionellen und morphologischen Bildgebung effektiv miteinander kombiniert. Bei bereits voroperierten Patienten spielt die präoperative Lokalisation eine wesentlich wichtigere Rolle, genau wie bei ektop gelegenen Adenomen, insbesondere bei solchen, die tief im Mediastinum liegen. 3.4.3.1 Notwendigkeit einer Lokalisationsdiagnostik Die Notwendigkeit einer generellen präoperativen Lokalisationsdiagnostik wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Ein stichhaltiges Argument gegen eine generelle präoperative Lokalisationsdiagnostik ist die Tatsache, dass als Goldstandard in den allermeisten Studien das Ergebnis der Operation dient – die, als beidseitige Exploration des Halses durchgeführt, in erfahrener Hand eine Erfolgrate von stets oberhalb von 95% hat (Nies 2004). Bei bilateraler Halsexploration durch einen erfahrenen Chirurgen ergibt sich somit keine zwingende Notwendigkeit für eine präoperative Bildgebung. Anders hingegen sieht die Situation aus, wenn entweder nur eine Seite exploriert werden oder minimalinvasiv operiert werden soll. In diesen Fällen muss die Lokalisation des Nebenschilddrüsentumors bekannt sein. Es existieren weiterhin keine methodisch zufrieden stellenden Studien zu der Frage, was – in Hinblick auf Kosteneffektivität, Ergebnis der Operation und Belastung des Patienten – die optimale Lokalisationsdiagnostik darstellt. Ein vielfach als sinnvoll gewerteter Ansatz ist, zunächst eine Sonographie des Halses durchführen zu lassen und bei positivem Ergebnis fokussiert und/oder minimalinvasiv zu operieren. Diese Sonographie muss allerdings durch einen Untersucher durchgeführt werden, der bereits über eine sehr große Erfahrung in der Sonographie von Nebenschilddrüsenadenomen verfügt. Bei präoperativ sonographisch negativem oder unsicherem Befund ist es sinnvoll, eine Szintigraphie der Nebenschilddrüsen durchzuführen. Ein positiver Befund würde gleichfalls ein fokussiertes, ggf. minimalinvasives Vorgehen erlauben. Grundsätzlich muss auch bedacht werden, dass derzeit keines der genannten Verfahren in der Lage ist, eine Mehrdrüsenerkrankung sicher zu beweisen oder auszuschließen, auch nicht, wenn man mehrere Verfahren kombiniert (Siperstein et al. 2004). Sicher ist, dass »Notwendigkeit« und Einsatz der verschiedenen lokalisationsdiagnostischen Verfahren derzeit mehr von den Vorlieben erfahrener Operateure oder derer der Diagnostiker abhängen als von der Studienlage. Über die Sonographie und die Szintigraphie mit MIBI hinausgehende Lokalisationsdiagnostik ist jedoch bei primären Eingriffen nicht indiziert. In diesem Kapitel werden deshalb die bildgebenden Verfahren in der Lokalisationsdiagnostik von Nebenschilddrüsen vorgestellt, ihre Leistungsfähigkeit anhand der verfügbaren Literatur bewertet und ein Handlungsalgorithmus, wie er an der Klinik der Autoren durchgeführt wird, vorgeschlagen.
216
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3.4.3.2 Nebenschilddrüsensonographie Durchführung. Bei der Sonographie benutzt man Linearschallköpfe ab einer Frequenz von 7,5 MHz. Nebenschilddrüsenadenome stellen sich üblicherweise echoarm dar, wobei dezente Binnenreflexe vorliegen können. Auch sind zystische Areale möglich, die dann völlig echofrei imponieren. Seltener sind Nebenschilddrüsenadenome, die eine Echogenität aufweisen, die annähernd derjenigen des normalen Schilddrüsengewebes entspricht. Die Form des Adenoms ist häufig unregelmäßig – eine ovale oder gar runde Form ist fast nur bei kleinen Adenomen anzutreffen. Für die Untersuchung fährt man die Halsregion auf beiden Seiten der Schilddrüse ab und dokumentiert auch Veränderungen der Schilddrüse selbst. Bei der Suche nach Nebenschilddrüsenadenomen muss man insbesondere auf Strukturen achten, die dorsal der Schilddrüse gelegen sind. Sie müssen dieser nicht direkt anliegen. Es können sich Adenome finden, die prävertebral oder etwas dorsal lateral der Schilddrüse lokalisiert sind. Auch muss man damit rechnen, dass der Befund der Trachea anliegt und hier durch die Trachea bedingte Artefakte eine Detektion erschweren. Nachdem man die unmittelbare anatomische Umgebung der Schilddrüse abgesucht hat, sollte man auch die Region um die großen Gefäße absuchen (Truncus brachiocephalicus, Truncus thyrocervicalis, Aa. carotides communes bis über die Bifurkation nach kranial hinaus etc.), da sich hier ektope Nebenschilddrüsenadenome befinden können. Retrosternal gelegene Nebenschilddrüsenadenome, beispielsweise im Bereich des Thymus, lassen sich naturgemäß nicht gut darstellen, auch wenn man bei schlanken Patienten zu weilen weit in den Retrosternalraum hinein schallen kann. Bildinterpretation. Die Sonographie von Nebenschilddrüsen-
adenomen erfordert eine große Erfahrung. Sie ist insbesondere erschwert, wenn große Strumen vorliegen. Es kommt nicht selten vor, dass selbst ein erfahrener Untersucher erst beim wiederholten Einschallen in ein Gebiet das hier gelegene Nebenschilddrüsenadenom findet. Allerdings ist es für den geübten Untersucher in der Regel unproblematisch, Schilddrüsenknoten von Nebenschilddrüsenadenomen zu unterscheiden. Nebenschilddrüsenadenome sind üblicherweise durch eine zarte Bindegewebsschicht von der Schilddrüse getrennt, die sich sonographisch echoreich darstellt. Auch intrathyreoidal gelegene Nebenschilddrüsenadenome unterscheiden sich in ihrer Form und Echogenität üblicherweise so stark von Schilddrüsenknoten, dass erfahrene Untersucher zumindest in der Lage sind, hier eine Verdachtsdiagnose zu stellen. Einige Autoren haben in Zweifelsfällen mit der sonographisch gesteuerten Punktion (»fine needle aspiration cytology«, FNAC) und/oder Bestimmung der PTH-mRNA im Punktat eine erhebliche Verbesserung der Spezifität erreicht (Cavaco et al. 2002; Tseng et al. 2003), die jedoch nicht über der der Szintigraphie lag. Ergebnisse. Aufgrund der unterschiedlichen Art und Weise, wie der Ultraschall in verschiedenen Ländern der Welt genutzt wird, muss die Wertigkeit des Ultraschalls kritisch betrachtet werden. Im amerikanischen Raum, aber auch in vielen europäischen Ländern, wird die Sonographie üblicherweise von medizinischtechnischem Personal durchgeführt. Somit ist das Ergebnis der Untersuchung für den Arzt, der beispielsweise eine Nebenschilddrüsenszintigraphie beurteilt, von gänzlich anderer Bedeutung als wenn der gleiche Untersucher Sonographie und Szintigraphie durchführt. Daher muss man die Primärliteratur zum Thema vor
diesem Hintergrund kritisch betrachten (7 unten). Die Sensitivität und Spezifität der Sonographie in der Lokalisationsdiagnostik von Nebenschilddrüsenadenomen wird in der Literatur mit entsprechend großer Varianz angegeben, die von 40% bis über 80% reicht (Ghaheri et al. 2004; Hajioff et al. 2004). In der Regel wird man unserer Erfahrung nach eher mit einer Sensitivität von um 50% rechnen können, einen erfahrenen Untersucher vorausgesetzt. 3.4.3.3 Nuklearmedizinische Nebenschilddrüsendiagnostik An nuklearmedizinischen Methoden stehen die Szintigraphie mit 99mTc-MIBI (99mTechnetium-Methoxyisobutyl-Isonitril), auch in Kombination mit der dreidimensionalen Darstellung in SPECT-Technik (Single-Photon-Emissionscomputertomographie) und die Positronenemissionstomographie mit 11C-Methionin zur Verfügung. Die 18F-FDG-PET hat sich nicht bewährt, da sie keine ausreichende Sensitivität aufweist. Mit 99mTc-Tetrofosmin wurden bei der Nebenschilddrüsenszintigraphie im Vergleich zu MIBI keine besseren Ergebnisse gezeigt. 99m
Tc-MIBI-Szintigraphie. MIBI (Methoxyisobutyl-Isonitril) wird mitochondrial gespeichert und reichert sich damit besonders in stoffwechselaktiven Zellen an. Es dient daher beispielsweise der Untersuchung der myokardialen Vitalität bzw. Perfusion, kann aber auch dazu eingesetzt werden, stoffwechselaktive Tumoren darzustellen. Diese Anwendung ist allerdings selten, weil die PET hier meistens überlegen ist. Der Vorteil von 99mTc-MIBI in der Nebenschilddrüsenszintigraphie gegenüber dem früher benutzten 201Tl (Thallium) ist die für die Patienten deutlich geringere Strahlenexposition bei gleichzeitiger Verbesserung der Bildqualität durch die günstigere Gammaenergie von 99mTc. Die Lokalisationsdiagnostik von Nebenschilddrüsenadenomen mittels 99m Tc-MIBI wurde erstmals 1992 von Taillefer et al. beschrieben. Entscheidend ist hierbei die Retention des Radiopharmakons in den Nebenschilddrüsenadenomen bei schnellerem Auswasch aus Schilddrüsengewebe, womit die Unterscheidung von Nebenschilddrüsenadenom und Schilddrüsengewebe ermöglicht wird. Alternativ zu MIBI kann auch mit 99mTc markiertes Tetrofosmin verwendet werden, dieses scheint für die Szintigraphie MIBI ebenbürtig zu sein. Durchführung. Nach Injektion von ca. 600–800 MBq 99mTc-MIBI
werden Bilder in zwei Phasen angefertigt, einmal kurz nach der Injektion des Radiopharmakons, d. h. nach 5–15 min und dann wieder später, d. h. nach ca. 120 min – alternativ können zwei Frühaufnahmen im Abstand von ca. 10 min gemacht werden (z. B. 5 und 15 min), um die Dynamik zu diesen Zeitpunkten zu dokumentieren. Üblicherweise werden planare Aufnahmen der Kopf-Hals-Region angefertigt unter Einbeziehung des Thorax, um hier ektop gelegene Adenome detektieren zu können, wobei der Patient in Rückenlage positioniert ist. Zusätzlich werden SPECT-Aufnahmen angefertigt, die eine bessere räumliche Zuordnung der Befunde ermöglichen. Auch dabei wird der gesamte Thorax bis zum Zwerchfell und der Hals bis zur Schädelbasis einbezogen. Da sich gezeigt hat, dass auch Nebenschilddrüsenadenome einen Auswasch vergleichbar dem des Schilddrüsengewebes aufweisen können, ist es sinnvoll, die SPECT-Untersuchung nicht nach der Spätphase zu machen, sondern im Anschluss an die Frühaufnahmen, um eine kräftige Darstellung der Nebenschilddrüsenadenome zu erreichen. Dabei ist die Art der
217 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
. Abb. 3.25a–c. Planare Szintigramme der KopfHals-Region 5, 15 und 120 min nach Injektion von 99m Tc-MIBI in anteriorer Ansicht (a). Ein eindeutiger fokaler Befund ist nicht feststellbar, der Uptake im rechten unteren Schilddrüsenlappen ist kaum merklich erhöht, zeigt jedoch keine klar höhere Retention als das restliche Schilddrüsengewebe. In den dreidimensionalen iterativ rekonstruierten SPECT-Aufnahmen erkennt man klar einen fokalen Befund hinter dem Unterpol des rechten Schilddrüsenlappens (b). Der Befund lässt sich sonographisch eindeutig nachweisen (c) und entspricht einem Nebenschilddrüsenadenom. In diesem Falle ist die SPECT für die korrekte szintigraphische Diagnose unerlässlich, da das Nebenschilddrüsenadenom keine höhere Retention als die Schilddrüse zeigt und von dieser überdeckt wird
a
b
c
3
218
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Abb. 3.26a–e. Planare Szintigramme der KopfHals-Region 5, 15 und 120 min nach Injektion von 99m Tc-MIBI in anteriorer Ansicht (a). Auch hier ist kein eindeutiger fokaler Befund nachweisbar. Die iterativ rekonstruierte SPECT-Aufnahme zeigt einen kleinen fokalen Befund hinter dem Unterpol des linken Schilddrüsenlappens, der einem Nebenschilddrüsenadenom entspricht (b). Der Uptake liegt unter dem Uptake der Schilddrüse, auch hier kommt es zu einem negativen Befund in den planaren Szintigrammen, da die Schilddrüse das Nebenschilddrüsenadenom überlagert. Der Grund ist vermutlich die fehlende Retention des Radipharmakons in Relation zur Schilddrüse und die geringe Größe des Befundes, der ein Volumen von 0,11 ml hat (c)
3
a
b
c
219 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
. Abb. 3.26d,e. Auf der rechten Seite ist szintigraphisch schwach angedeutet eine Konturunregelmäßigkeit auf der Dorsalseite der Schilddrüse zu erkennen (d), die sonographisch einem im Vergleich zur Schilddrüse echoarmen Knoten entspricht (e). Bei diesem Befund könnte es sich ebenfalls um ein Nebenschilddrüsenadenom handeln, sowohl szintigraphisch als auch sonographisch. Aufgrund des Alters des Patienten wurde eine Operation in lokaler Anästhesie durchgeführt, zunächst wurde der Befund auf der linken Seite entfernt, der als sicher interpretiert worden war. Danach kam es zu einem deutlichen Abfall des Parathormons im Serum, der Befund rechts wurde belassen. Der Patient ist laborchemisch geheilt, der Befund rechts ist also am ehesten ein Schilddrüsenknoten. Das Beispiel zeigt, dass auch bei Einsatz zweier sich ergänzender Verfahren eine eindeutige Diagnose schwer fallen kann
d
e
Bildrekonstruktion für das Ergebnis der Untersuchung wichtig. Während die gefilterte Rückprojektion die Gefahr von falschpositiven Befunden birgt, erhöht die iterative Rekonstruktion die Sensitivität ohne die Spezifität zu senken (Altenvoerde et al. 2004). Weiterhin ist es möglich, Aufnahmen mit sog. Pinhole-Kollimatoren zu machen, die nach dem Prinzip der »Camera obscura« arbeiten und entsprechend ein scharfes, detailreiches Bild auf den Kristall der Gammakamera projizieren. Diese Kollimatoren ergeben eine Verbesserung der Auflösung, führen aber zu einer deutlichen Verschlechterung der Empfindlichkeit des Aufnahmesystems (also der registrierten Zerfälle pro Zeiteinheit). Aus diesem Grunde steigen die Untersuchungszeiten sowohl für planare als auch für SPECT-Aufnahmen deutlich an. Zudem entstehen durch die Pinholekollimatoren, die nicht zur Standardausstattung der meisten Gammakameras gehören, in der Anschaffung erhebliche Kosten. Die Sensitivität der Szintigraphie ist durch diese Kollimatoren aber zu verbessern.
Bei der Subtraktionsszintigraphie setzt man zusätzlich zu 99mTc-MIBI sequenziell 99mTc oder 123I für die Darstellung der Schilddrüse ein. Dabei wird zunächst ein Szintigramm der Schilddrüse angefertigt und danach die Nebenschilddrüsenszintigraphie durchgeführt. Die planaren Bilder kann man nun so überlagern, dass das Schilddrüsenszintigramm vom Nebenschilddrüsenszintigramm subtrahiert wird. Da die Schilddrüse in beiden Verfahren eine Speicherung zeigt, ein Nebenschilddrüsenadenom jedoch in der Schilddrüsenszintigraphie »kalt«, also nicht speichernd imponiert, bleibt nach der Subtraktion nur noch das speichernde Nebenschilddrüsenadenom sichtbar. Durch diese technische Erweiterung sollen Befunde mit größerer Sicherheit der Schilddrüse zugeordnet werden können, was insbesondere in Strumaendemiegebieten von Bedeutung sein könnte. Studien widerlegen dies jedoch (Schommartz et al. 2006). Ob aber der technische und zeitliche Aufwand in Zeiten der verbesserten Ultraschalldiagnostik gerechtfertigt ist, ist fraglich, da man das in der Szintigraphie gefundene Adenom in der Regel mittels
220
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Ultraschall von Schilddrüsenknoten unterscheiden kann. Weiterhin kann ein kalter Schilddrüsenknoten, der MIBI speichert (z. B. das Onkozytom, der Hürthle-Zelltumor der Schilddrüse), zu falsch positiven Befunden führen.
3
SPECT-CT. Bei der kombinierten SPECT-CT handelt es sich um eine SPECT-Kamera, die mit einem CT kombiniert ist. Auf diese Weise ist es möglich, mittels CT die Schwächung der vom Radiopharmakon emittierten Gammastrahlung zu berechnen und man erhält simultan eine klare anatomische Information, bei der die morphologische Information des CT mit der funktionellen der SPECT überlagert ist. Somit ist die Interpretation der Szintigramme deutlich vereinfacht, jedoch ist das Verfahren mit einer höheren Strahlenexposition verbunden. Vielfach wird deshalb das CT nicht-diagnostisch mit einer verringerten Auflösung und dadurch deutlich reduzierten Strahlenexposition durchgeführt. Der diagnostische Nutzen der Fusionsbildgebung ist derzeit noch nicht endgültig geklärt, insbesondere bei der Bildqualität und der Lokalisationsdiagnostik intrathorakaler und intraabdomineller Befunde ist jedoch ein Zugewinn zu erwarten (. Abb. 3.28). Bildinterpretation. Bei der Auswertung der Aufnahmen achtet
man auf Foci, die gegenüber der Schilddrüse eine kräftigere Anreicherung des Radiopharmakons aufweisen. Wie bereits gesagt, ist ein Auswasch des Radiopharmakons vergleichbar dem des Schilddrüsengewebes keinesfalls ein Ausschlusskriterium für ein Nebenschilddrüsenadenom! Bei den SPECT-Aufnahmen achtet man auf fokale Befunde, die entweder gegenüber der Schilddrüse eine stärkere Speicherung aufweisen oder aber über die Schilddrüsenkontur herausragen oder deutlich von ihr abgesetzt sind. Dabei ist es sinnvoll, die Intensität der Bilder am Monitor aktiv heller oder dunkler zu regeln und die Schnitte mehrfach zu durchfahren, da sich manchmal das Nebenschilddrüsenadenom in hellerer, manchmal in dunklerer Einstellung am besten abgrenzen lässt. Ein Nebenschilddrüsenadenom, das in den planaren Aufnahmen gar nicht zu sehen ist, ist selten, sodass man die SPECT-Aufnahmen nochmals mit den planaren Aufnahmen abgleichen sowie mit dem Ultraschall überprüfen sollte. Ansonsten kann man gerade bei knotig veränderten Strumen falsch positive Resultate erhalten (. Abb. 3.25–3.27). Ergebnisse der Nebenschilddrüsenszintigraphie. Bezüglich der in der Literatur gefundenen Sensitivitäten der Nebenschilddrüsenszintigraphie vor Erstoperation ergibt sich eine große Spannbreite, die von rund 40% bis hin zu 100% reicht. Um die tatsächliche Wertigkeit der Nebenschilddrüsenszintigraphie einschätzen zu können, müssen bei der Interpretation der Primärliteratur eine Reihe von Faktoren bedacht werden. Die wichtigsten Punkte, die zu erheblichen Unterschieden zwischen den publizierten Studien führen, sind die Auswahl der Patienten, die technische Durchführung der Untersuchung, die Auswertung der Szintigramme und die Definition eines richtig-positiven Befundes. Erkennbar ist, dass sich die Szintigraphie mit 99mTc-MIBI zum Standardverfahren entwickelt hat, weswegen auf dieses Verfahren näher eingegangen werden soll. Ein Vergleich der bisher durchgeführten Studien ergibt erhebliche Unterschiede im Studiendesign sowie in der Interpretation der Ergebnisse (Gotthardt et al. 2004a). So war teilweise die Angabe der richtigen Seite als richtig positiv bewertet worden, während in anderen Studien die exakte Lokalisation detektiert
worden sein musste. Gerade dieser Punkt ist insofern strittig, als für die Zwecke der Operationsplanung zwar die Angabe der richtigen Seite ausreichen mag, ein falsch positiver Befund, der zufällig auf der richtigen Seite liegt (also z. B. szintigraphisch ein Fokus am linken Schilddrüsenoberpol während das Nebenschilddrüsenadenom operativ links unten gefunden wurde) gleichwohl noch ein falsch positiver Befund ist. Allein durch diese »Unschärfe« in der ex post Interpretation eines »positiven Befundes«, lässt sich die Sensitivität des Verfahrens um 10–20% hochrechnen (Martin et al. 2000; Gotthardt et al. 2004 a). Weiterhin sind die Einschlusskriterien in der Literatur häufig nicht klar definiert, sodass auch die Auswahl der Patienten ein Einfluss auf die Ergebnisse haben könnte, der nicht nachvollziehbar ist. Auch ist zu bedenken, dass ein Publikations-Bias dazu führt, dass nur Publikationen mit guten Ergebnissen Eingang in die Primärliteratur finden. Es ergeben sich also viele Faktoren, die das Ergebnis der Studienlage stark beeinflussen können. Die häufig geäußerte Vermutung, dass bei Vorliegen von Knotenstrumen eher falsch positive Befunde in der Nebenschilddrüsenszintigraphie erhalten würden, wird in rezenten Publikationen sowohl widerlegt (Gotthardt et al. 2004b) als auch unterstützt (Kebapci et al. 2004) und kann deshalb noch nicht abschließend bewertet werden. Auch ist die Rolle der SPECT nicht eindeutig klar. So geben zwar die meisten Studien eine Steigerung der Sensitivität um ca. 20% an, jedoch finden sich auch Studien, die eine Zunahme der falsch-positiven Befunde durch die SPECT angeben (Altenvoerde et al. 2004). Offensichtlich ist hier der Rekonstruktionsalgorithmus von entscheidender Bedeutung. Es muss jedoch festgestellt werden, dass praktisch alle publizierten Studien eine hohe Spezifität der Nebenschilddrüsenszintigraphie angeben, die zwischen 85% und 95% liegt. Die Größe der Nebenschilddrüsenadenome spielt bei der Sensitivität naturgemäß auch eine Rolle, wobei kleine Adenome unter 0,5 g Gewicht szintigraphisch schlechter nachweisbar sind während bei größeren Adenomen das Gewicht keine so große Rolle mehr zu spielen scheint (Gotthardt et al. 2004a). Die Probleme hinsichtlich der methodischen Qualität der Studien wurden bereits angesprochen. In . Tab. 3.8 und 3.9 sind Studien zur Sensitivität der Nebenschilddrüsenszintigraphie aufgelistet. Die Studien sind nach der Qualität des Studiendesigns gereiht (modifiziert nach Gotthardt et al. 2004). Zur besseren Vergleichbarkeit wurden hier nur methodisch ähnliche Studien mit über 25 Patienten berücksichtigt und nur die Ergebnisse der planaren Szintigraphie dargestellt. Es finden sich insgesamt 8 Studien, die bei pHPT deutlich niedrigere Sensitivitäten fanden. So zeigte eine Anwendungsbeobachtung in Mainz eine Sensitivität für die planare Nebenschilddrüsenszintigraphie von 50% bei Patienten vor einem ersten Eingriff wegen eines primären Hyperparathyreoidismus (Walgenbach et al. 1999). Bei dieser Studie wurden im Gegensatz zu vielen anderen nicht die Bilder von einem erfahrenen Untersucher neu interpretiert und mit dem Ergebnis der Operation verglichen, sondern es wurden die Originalbefunde benutzt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden unlängst durch eine weitere Studie unterstützt, in der ebenfalls die Originalbefunde mit dem Ergebnis der Operation verglichen wurden. Auch hier wurde eine Sensitivität um 50% dokumentiert (Gotthardt et al. 2004a). Die beiden genannten Studien sind an vergleichsweise großen Patientenzahlen durchgeführt worden, die über denen der meisten anderen Studien liegen. Auch in anderen deutschen Studien fand sich eine Sensi-
221 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
a
b
. Abb. 3.27a–e. In diesem Falle ist bereits auf den planaren Szintigrammen ein Befund erkennbar, der in Sicht auf den Unterpolbereich der linken Schilddrüse liegt (a). Dieser Befund ist in den SPECT-Aufnahmen ebenfalls darstellbar (b), das Radiopharmakon wir gegenüber der Schilddrüse besser gespeichert und retiniert. Ein Schilddrüsenszintigramm der Patientin zeigt einen kalten Knoten links unten (c)
c
3
222
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Abb. 3.27d,e. Sonographisch handelt es sich um einen Knoten, der anscheinend aus einem vorderen und einem hinteren (d, ausgemessener Bereich) Anteil besteht sowie aus einem cystischen Anteil (e). Dieser Befund zeigt, wie unterschiedlich Nebenschilddrüsenadenome sonographisch erscheinen können (. Abb. 3.25c und 3.26c)
d
e
tivität der MIBI-Szintigraphie um 50%, wobei gezeigt werden konnte, dass die 11C-Methionin-PET eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse erbringt (Otto et al. 2004). 3.4.3.4 Weitere Verfahren bei persistierendem oder rezidivierendem pHPT nach erfolgloser Voroperation Computertomographie. Die Computertomographie wurde bereits vor Jahrzehnten zur Lokalisationsdiagnostik von Nebenschilddrüsenadenomen genutzt (Adams et al. 1981). Wegen der guten Sensitivität der hochauflösenden Ultraschalltomographie im Halsbereich ist die Methode heutzutage in den Hintergrund getreten. Moderne Mehrzeilendetektorgeräte gestatten eine Volumendatenaquisition mit Schichtdicken im Submillimeterbereich und entsprechend verbesserter Ortsauflösung. Dargestellt werden sollten der gesamte Halsbereich vom Zungengrund bis zur oberen Thoraxapertur und das obere Mediastinum bis zur Trachealbifurkation. Ein Spiraldatensatz sollte dabei nach intravenöser Bolusinjektion eines iodierten Kontrastmittels aufgenommen werden, da Nebenschilddrüsenadenome typischerweise als kontrastmittelaufnehmende, hyper-
dense Raumforderungen zur Darstellung kommen (Gotway et al. 2002). Man sucht sowohl in typischer Position als auch ektope Adenome, die entsprechend der embryologischen Entwicklung im gesamten Halsbereich und oberen Mediastinum vorkommen können. Kleine Befunde entziehen sich dem Nachweis, entzündlich aktivierte Lymphknoten können als Adenome fehlgedeutet werden. Die Sensitivität für den Nachweis hyperfunktionierender Glandule parathyroideae für die Computertomographie liegt zwischen 46 und 87% (Gotway u. Higgins 2000). Die große Spannweite ergibt sich aus unterschiedlicher Technik (inkrementelle Scanner versus Spiral-CT), unterschiedliche Datenerhebung (prospektiv versus retrospektiv), unterschiedliche Kollektive (voroperierte und nicht voroperierte Patienten; primärer versus perisitierender oder rekurrierender HPT) und unterschiedlicher Erfahrung der Untersucher. Da die Ergebnisse der MRT vergleichbar sind, sollte dieser aus strahlenhygienischen Gründen der Vorzug gegeben werden. Bei spezifischen Kontraindikationen zur MRT (Herzschrittmacher etc.) kann die Methode in moderner Technik (7 oben) aber insbesondere gut zur Darstellung ektoper mediastinaler Nebenschildrüsenadenome genutzt werden.
223 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
. Tab. 3.8. Übersicht über die Ergebnisse von prospektiven Studien zur Sensitivität der Nebenschilddrüsenszintigraphie mit 99mTc-MIBI
Studie
Anzahl Patienten
pHPT oder sHPT
Sensitivitäten Planare Szintigraphie Patientenbezogen
Ultraschall Adenombezogen
Torregrosa 2000
27
sHPT
Takebayashi 1999
31
pHPT
91%
sHPT
83%
Adenombezogen
88,8%
Moka 2000
72
pHPT
81%
Joseph 1994
39
pHPT
80%
sHPT
67%
Hindié 1998
30
pHPT
79%
Pinero 2000
46
pHPT
91% (Einzeladenome), 50% (Doppeladenome)
sHPT
67%
pHPT
93%
sHPT
54%
68% 85%
Torregrosa 1998
38
Takami 1999
80
p/sHPT
91%
Klieger 1998
39
Nicht bekannt
83%
Berna 1999
60
Nicht bekannt
94%
Chen 1997
55
pHPT
98%
sHPT
55%
Kusakabe 1998
70
Nicht bekannt
97%
Blocklet 1997
55
pHPT
82%
sHPT
76%
Moka 1997
25
pHPT
72%
Caixas 1997
93
Nicht bekannt
88%
Neumann 1997
61
Nicht bekannt
55% (91% bei Reoperation)
Magnetresonanztomographie. Die Magnetresonanztomographie ist ein weiteres schnittbildgebendes Verfahren zur Detektion hyperfunktionaler Nebenschilddrüsen. In verschiedenen Studien werden Sensitivitäten von 42–88% angegeben (Übersicht bei Gotway u. Higgins 2000). Für die Darstellung von Nebenschilddrüsenadenomen ist sowohl eine Untersuchung des Halses, die vom Mundboden bis zur oberen Thoraxapertur in 3–5 mm dicken Schichten durchgeführt wird, als auch eine Untersuchung des Mediastinums, die in 5 mm Schichten von der oberen Thoraxapertur bis zur Herzbasis erfolgt, erforderlich. Beide Untersuchungsregionen werden mit Oberflächenspulen abgebildet. Bei der Thoraxuntersuchung ist eine EKGTriggerung zur Minimierung vaskulärer Pulsationsartefakte
40,5%
sinnvoll. T2- und T1-gewichtete Sequenzen mit Fettsättigung werden akquiriert, die T1-gewichteten Sequenzen werden nach Gabe von Kontrastmittel wiederholt. Neben der transversalen Schnittführung wird eine weitere Aufnahme in (meist) koronarer Ebene aufgenommen. Nebenschilddrüsenadenome imponieren typisch als hyperintense Läsionen auf den T2-gewichteten Bildern und zeigen ein deutliches Kontrastmittelenhancement in den T1-gewichteten Aufnahmen nach Kontrastmittelapplikation (. Abb. 3.28). In einigen Fällen (ca. 8%) zeigen Adenome aber auch ein atypisches Signalverhalten (. Abb. 3.29; Gotway et al. 2001). Die Ursachen für falsch positive Befunde sind am häufigsten begleitende thyroidale Veränderungen, insbesondere exophytisch wachsende
224
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Tab. 3.9. Übersicht über die Ergebnisse von retrospektiven Studien zur Sensitivität der Nebenschilddrüsenszintigraphie mit 99mTc-MIBI
Studie
Anzahl Patienten
pHPT oder sHPT
Planare Szintigraphie
Ultraschall
Patientenbezogen
Adenombezogen
Patientenbezogen
Adenombezogen
pHPT
44%
45%
38%
46%
sHPT
30%
39%
28%
46%
p+sHPT
41%
43%
36%
46%
3 Gotthardt et al. 2004
139
Sensitivitäten
Castellani 2001
48
pHPT
84,4%
Cheung 1997
33
nd
90%
Walgenbach 1999 (Gesamtsensitivität 39%)
116
pHPT
50% (54% Einzeladenome)
sHPT
10% (Reoperation 71%)
De Feo 2000
36
pHPT
57%
36%
Caixas 1995
25
pHPT
95,2%
75%
Purcell 1999
58
pHPT
56%
sHPT
50%
pHPT
82%
sHPT
31% 82%
Martin 1996
63
Thompson 1999
55
Nicht bekannt
Blanco 1998
41
pHPT
92%
92%
sHPT
100%
62%
Song 1999
44
pHPT
91%
Martin 2000
29
Nicht bekannt
83%
Soffermann 1996
33
pHPT
91%
Moka 2000
55
pHPT
66,6%
71%
Schilddrüsenknoten, die dann als Parathyroidea fehlgedeutet werden. Falsch negative Befunde ergeben sich bei Adenomen, die nahe an einer Struma liegen. Sowohl Verbesserungen der MR-Bildgebungstechnik als auch eine zunehmende Erfahrung der Untersucher sind verantwortlich für die zunehmende Sensitivität des Verfahrens in jüngeren Studien (Numerow et al. 1995; Fayet et al. 1997; Gotway et al. 2001) im Vergleich zu älteren Studien (Peck et al. 1987; Auffermann et al. 1988). Kritisch anzumerken ist, dass fast keine Daten aus prospektiven Untersuchungen vorliegen. Eine retrospektive Analyse im Konsensusverfahren unter geübten Befundern erhöht nicht nur falsch die Sensitivität, sondern bildet auch den klinischen Alltag nicht korrekt ab.
Der Wert der MRT-Untersuchung liegt besonders in der Darstellung ektoper Glandulae parathyroideae, die in einer Studie in 94% der Fälle korrekt lokalisiert werden konnten (Gotway et al. 2001). Die MRT sollte zum Einsatz kommen, wenn Ultraschalltomographie und Sesta-MIBI-Scan kein Adenom finden oder widersprüchliche Ergebnisse liefern; insbesondere wenn ein ektopes Adenom vermutet wird.
Selektive venöse Blutentnahme. Die selektive venöse Blutent-
nahme (SVS) ist eine der ältesten Lokalisationstechniken der Nebenschilddrüsenadenome (Doppman 1976). Sie wurde früher in
225 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
. Abb. 3.28. SPECT-CT (Niedrigdosis-CT) eines Patienten mit Nebenschilddrüsenadenom. Inwieweit die nicht überall verfügbare SPECT-CT der Kombination aus SPECT und Ultraschall überlegen ist, muss in Studien
3
geklärt werden. Diese Untersuchungstechnik dürfte ihr wahres Potenzial bei der Lokalisationsdiagnostik intrathorakaler Raumforderungen ausspielen
226
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
a
b
c
d
. Abb. 3.29a–d. Magnetresonanztomographie des Halses und Mediastinums. Das ektope (im oberen vorderen Mediastinum gelegene) Parathyreoidea-Adenom (Pfeil) zeigt ein hyperintenses Signal im T2-gewich-
teten Bild (a) und eine deutliche Kontrastmittelanreicherung im T1-gewichteten Bild (b und c). Darstellung des Befundes auch in koronarer Ebene (d)
Kombination mit der selektiven Angiographie der A. thyroidea inferior und superior, der A. thoracica interna und der A. subclavia durchgeführt. Die Angiographie ist wegen der Invasivität und geringen Sensitivität verlassen worden. Die selektive Venenblutentnahme gilt in endokrinen Zentren weiterhin als geeignete Technik, um bei voroperierten Patienten und nicht-zielführenden non-invasiven bildgebenden Verfahren (Ultraschall, CT, MRT, Sesta-MIBI, 11C-Methionin-PET) oder diskordanten Ergebnissen dieser Methoden eine Regionalisierung zu ermöglichen (Jones et al. 2002; Karakas et al. 2005). Die ambulant durchführbare Untersuchung erfolgt über einen meist femoralen Zugang. Die Vena jugularis interna beider Seiten wird selektiv sondiert und es erfolgen multiple Blutentnahmen in verschiedener Höhe von kranial nach kaudal. Weitere Blutproben werden beidseits mutlilokulär aus der Vena subclavia, der Vena thoracica interna, der Vena brachiocephalica, der Vena cava superior und aus der Vena azygos entnommen. Die verschiedenen Entnahmeorte werden auf einer Zeichnung, die die individuelle zerviko-mediastinale venöse Drainage des Patienten wiederspiegelt, vermerkt. Nach Bestimmung des intakten Parathormons werden die Werte eingezeichnet und analysiert. Bei positiven Befunden findet sich an einer zircumskripten Stelle ein Parathormon-Peak und im Abflussgebiet ein typischer Verdünnungseffekt (. Abb. 3.30). Dabei ergibt sich keine direkte Lokalisation des Nebenschilddrüsenadenoms, aber eine Regionalisierung im Sinne einer zervikalen Seitenlokalisation oder einer mediastinalen Lokalisation (. Abb. 3.30).
Verschiedene Studien haben Sensitivitäten von 33–83% gezeigt (Übersicht bei Karakas et al. 2005). Studien der letzten Jahre, die die selektive Blutentnahme für Patienten mit sonst unklarer Lokalisationsdiagnostik verschiedener bildgebender Verfahren reserviert haben, fanden relativ konstant eine Sensitivität von ca. 75% (Fayet et al. 1977; Jones et al. 2002; Karakas et al. 2005). Der besondere Wert der Methode zeigte sich in der Studie von Jones et al. mit einer Sensitivität von 87% bei Patienten, die einen inkorrekten Sesta-MIBI-Scan hatten (Jones et al. 2002). 3.4.3.5 Lokalisationsdiagnostik von Nebenschilddrüsenadenomen Ein gut begründbares Vorgehen, wie es von den Autoren im eigenen Vorgehen bei Erstoperation eingesetzt wird, ist in . Abb. 3.31 wiedergegeben: Die initiale Untersuchung bei einem Patienten mit einem primären Hyperparathyreoidismus, der sich prinzipiell für ein fokussiertes Vorgehen qualifiziert, ist die regionale Ultraschalluntersuchung des Halses. Zeigt sich im Ultraschall – der von einem in der Nebenschilddrüsensonographie erfahrenen Untersucher durchgeführt werden muss – bereits ein eindeutiger Befund, so bedarf es keiner weiteren bildgebenden Diagnostik wenn eine Operation in Vollnarkose erfolgen soll. Ist eine minimalinvasive Operation in Lokalanästhesie geplant, so sollte vor der Operation die Lokalisation des Adenoms sehr sicher sein. Hier sollte zusätzlich die Nebenschilddrüsenszintigraphie durchgeführt werden.
227 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
Ergeben Sonographie und Szintigraphie einen kongruenten Befund, so kann man mit hoher Sicherheit davon ausgehen, dass dieser Befund das Adenom korrekt zeigt.
. Abb. 3.30. Selektive venöse Blutentnahme zur Regionalisierung der Parathormonproduktion. Typisches Bild eines umschriebenen Spitzenwertes des intakten Parathormons in der kaudalen Vena jugularis interna links mit typischem »Verdünnungseffekt« im weiteren Drainagebereich
Die optimale Vorgehensweise in Bezug auf die Kosten-NutzenRelation ist allerdings nicht bekannt. Einerseits ergibt sich durch die Kombination von Sonographie und Szintigraphie zwar die Option, auf den intraoperativen PTH-Assay zu verzichten, was Operationszeit spart. Es ist allerdings noch nicht durch Studien geklärt, wie häufig bei diesem Vorgehen ein Nebenschilddrüsenadenom übersehen würde und ob die zusätzliche Szintigraphie in Relation zur eingesparten Operationszeit zu einer Kostenreduktion führt. Bei bereits voroperierten Patienten ist der Nutzen der Lokalisationsdiagnostik eindeutiger. Hier muss eine präoperative Lokalisationsdiagnostik erfolgen. Hierfür eignet sich die Szintigraphie besonders gut, da sie in ihrer Aussage nicht durch Narbengewebe gestört wird, was bei den morphologisch orientierten Verfahren häufig der Fall ist. Weiterhin ist die Lokalisationsdiagnostik durch gezieltes Heranführen des Operateurs an den Befund vermutlich in der Lage, die Morbidität der Operation zu senken. Falls die Sesta-MIBI-Szintigraphie in Kombination mit dem Ultraschall das Nebenschilddrüsenadenom nicht lokalisieren kann, sollte die MRT eingesetzt werden, insbesondere auch um ektope Nebenschilddrüsenadenome darzustellen. Liegen Kontraindikationen für eine MRT vor, ist alternativ eine CT-Untersuchung indiziert. Gelingt auch damit kein Nachweis, muss eine selektive Venenblutentnahme zur Regionalisierungsdiagnostik folgen. Literatur
Diagnose und Indikation gestellt
minimalinvasive Operation geplant
Ultraschall MIBI-Szintigraphie
bilaterale Exploration geplant
Ultraschall
Operation
bei eindeutigem Ergebnis minimalinvasive Operation
bei zweifelhaftem Ergebnis bilaterale Exploration
. Abb. 3.31. Algorithmus der Bildgebung beim Hyperparathyreoidismus und primärer Operation
Adams JE, Adams PH, Mamtora H, Isherhodd I (1981) Computed tomography and localization of parathyroid tumors. Clin Radiol 32: 720–726 Altenvoerde A, Sahlmann CO, Altenvoerde G, Lehmann K, Meller J (2004) Diagnostischer Zugewinn durch iterativ rekonstruierte SPECT bei er Nebenschilddrüsen-Szintigraphie mit Tc-99m-MIBI. Nuclear Med 43:A140 Auffermann W, Gooding GA, Okerlund MD et al. (1988) Diagnosis of recurrent hyperparathyroidism: comparison of MR imaging and other imaging techniques. Am J Roentgenol 150:1027–1033 Cavaco BM, Torrinha F, Mendonca E, Pratas S, Boavida J, Sobrinho LG, Leite V (2003). Preoperative diagnosis of suspicious parathyroid adenomas by RT-PCR using mRNA extracted from leftover cells in a needle used for ultrasonically guided fine needle aspiration cytology. Acta Cytol 47: 5–12 Doppman JL (1976) Parathyroid localization: arteriography and venous sampling. Radiol Clin North Am 14:163–188 Fayet P, Hoeffel C, Fulla Y, Legmann P, Hazebroucq V, Luton JP, Chapuis Y, Richard B, Bonnin A (1997) Technetium-99m-sestamibi scintigraphy, magnetic resonance imaging and venous blodd sampling in persistent and recurrent hyperparathyroidism. Br J Radiol 70:459–464 Ghaheri BA, Koslin DB, Wood AH, Cohen JL (2004) Preoperative ultrasound is worthwhile for reoperative parathyroid surgery. Laryngoscope 114:2168–2171 Gotthardt M, Lohmann B, Behr TM, Bauhofer A, Franzius C, Schipper ML, Wagner M, Höffken H, Sitter H, Rothmund M, Jospeh K, Nies C (2004a) Clinical value of parathyroid scintigraphy with Technetium-99mMethoxyisobutylisonitrile: discrepancies in clinical data and a systematic metaanalysis of the literature. World J Surg 28:100–107 Gotthardt M, Sieber V, Zielke A, Karakas E, Heinis J, Höffken H, Behr TM (2004b) Ergebnisse der Nebenschilddrüsenszintigaphie mit 99mTcMIBI: Einfluss von Schilddrüsengröße, Schilddrüsenknoten und SPECT. Nuklearmedizin 43:140
228
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Gotway MB, Higgins CB (2000) MR imaging of the thyroid and parathyroid glands. Magn Reson Imaging Clin N Am 8:163–182 Gotway MB, Reddy GP, Webb WR, Morita ET, Clark OH, Higgins CB (2001) Comparison between MR imaging and 99mTC MIBI scintigraphy in the evaluation of recurrent or persistent hyperparathyroidism. Radiology 218:783–790 Gotway MB, Leung JWT, Gooding GA, Reddy GP, Morita ET, Webb WR, Clark OH, Higgins CB (2002) Hyperfunctioning parathyroid tissue: spectrum of appearances on non-invasive imaging. Amer J Roentgenol 179:495–502 Hajioff D, Iyngkaran T, Panagamuwa C, Hill D, Stearns MP (2004) Preoperative localization of parathyroid adenomas: ultrasonography, sestamibi scintigraphy, or both? Clin Otolaryngol 29:549–552 Jones JJ, Brunaud L, Dowd CF, Duh QY, Morita E, Clark OH (2002) Accuracy of selective venous sampling for intact parathyroid hormone in difficult patients with recurrent or persistent hyperparathyroidism. Surgery 132:944–951 Karakas E, Zielke A, Dietz C, Rothmund M (2005) Reoperationen beim primären Hyperparathyreoidismus. Erfahrungen aus der Literatur und 106 eigenen Reoperationen. Chirurg 76:207–216 Kebapci M, Entok E, Kebapci N, Adapinar B (2004) Preoperative evaluation of parathyroid lesions in patients with concomitant thyroid disease: role of high resolution ultrasonography and dual phase technetium 99m sestamibi scintigraphy. J Endocrinol Invest 27:24–30 Martin RCG, Greenwell D, Flynn MB (2000) Initial neck exploration for untreated hyperparathyroidism. Am Surg 66:269–272 Nies C (2004) Primary hyperparathyroidism: is there a role for imaging? Eur J Nucl Med Mol Imag 31:1324–1326 Numerow IM, Morita ET, Clark OH, Higgins CB (1995) Persistent/recurrent hyperparathroidism: a comparison of sestamibi scintigraphy, MRI, and ultrasonography. J Magn Reson Imaging 5:702–708 Otto D, Boerner AR, Hofmann M, Brunkhorst T, Meyer GJ, Petrich T, Scheumann GF, Knapp WH (2004) Pre-operative localisation of hyperfunctional parathyroid tissue with 11C-methionine PET Eur J Nucl Med Mol Imaging 31:1405–1412 Peck WW, Higgins CB, Fisher MR, Ling M, Okerlund MD, Clark OH (1987) Hyperparathyroidism: comparison of MR imaging with radionuclide scanning. Radiology 163:415–420 Schommartz B, Cupisti K, Antike C, Schmidt D, Knoefel W-T, Müller H-W (2006) Lokalisation von Nebenschilddrüsenadenomen mit planerer 99mTc-Sestamibi-Szintigraphie: Vergleich von Subtraktions- und 2-Phasen-Technik. Nuklearmedizin 45:115–121 Siperstein A, Berber E, Mackey R, Alghoul M, Wagner K, Milas M (2004) Prospective evaluation of sestamibi scan, ultrasonography, and rapid PTH to predict the success of limited exploration for sporadic primary hyperthyroidism. Surgery 136:872–880 Taillefer R, Boucher Y, Potvoiuc C, Lambert R (1992) Detection and localization of parathyroid adenomas in patients with hyperparathyroidism using a single radionuclide imaging procedure with 99mTc-sestamibi (double phase study). J Nucl Med 33:1891–1897 Tseng FY, Hsiao YL, Chang TC (2002) Ultrasound-guided fine needle aspiration cytology of parathyroid lesions. A review of 72 cases. Acta Cytol 46:1029–1036 Walgenbach S, Dutkowski P, Andreas J et al. (1999) 99mTc-MIBI Szintigraphie vor Eingriffen wegen Hyperparathyreoidismus? Zentralblatt f Chirurgie 124:214–219
3.4.4 Operative Therapie
Th. Clerici, A. Bergenfelz, M. Rothmund ) ) Der primäre Hyperparathyreoidismus (pHPT) ist eine häufige endokrine Erkrankung. Nach dem Diabetes mellitus und den Schilddrüsenerkrankungen nimmt er die dritte Stelle in der Häufigkeit endokrinologischer Erkrankungen ein. Das Spektrum seines klinischen Erscheinungsbildes hat sich seit Einführung der Labor-Autoanalyzer in den 70er-Jahren und der damit verbundenen zufälligen Entdeckung von hyperkalzämischen Patienten geändert. Es reicht von Patienten, die gänzlich ohne Symptome sind und nur die Laborkonstellation eines pHPT haben (biochemischer pHPT), bis zu Patienten mit seit langen Jahren bestehenden Folgeerkrankungen des pHPT wie Nephrolithiasis und Knochenerkrankung, wobei der Anteil der asymptomatischen Patienten durch eine verbesserte Diagnostik zunimmt. Bislang ist die chirurgische Behandlung des pHPT die einzige Therapieoption, die nachhaltig und langfristig die Hyperkalzämie von Patienten mit pHPT korrigiert. Bei bestimmten Patientengruppen könnte der Einsatz von sog. Kalzimimetika in einigen Jahren eine ebenbürtige konservative Behandlungsalternative darstellen. Die Medikamente dieser Stoffgruppe haben einen agonistischen Effekt an den Kalziumrezeptoren (CaR) der Nebenschilddrüsenzellen und bewirken konsekutiv eine Suppression der Parathormonproduktion. Diese und andere konservative Möglichkeiten einer Senkung eines zu hohen PTH- und Kalziumspiegels werden in 7 Kap. 3.4.6 besprochen. Patienten mit pHPT können durch eine Operation in über 95% der Fälle geheilt werden. Voraussetzungen für eine erfolgreiche operative Therapie des pHPT sind eine gesicherte Diagnose und von Seiten des Chirurgen spezifische Kenntnisse über Embryologie, Pathologie und chirurgische Anatomie sowie eine adäquate Verfahrenswahl und Operationstechnik.
3.4.4.1 Therapieziele und Indikationsstellung Das Ziel der chirurgischen Anstrengungen in der Behandlung von Patienten mit pHPT muss es sein, mittels einer einzigen Operation den Patienten vollständig, langfristig, morbiditätslos und kosteneffektiv von seiner Hyperkalzämie zu befreien. Indikation beim symptomatischen Hyperparathyreoidismus.
Es besteht ein breiter Konsens darin, dass Patienten mit gesicherter Diagnose eines pHPT operiert werden sollen, wenn nebst einer gut dokumentierten Hyperkalzämie (>2,6 mmol/l) Symptome oder Folgeerkrankungen des Hyperparathyreoidimus vorliegen. Die Hyperkalzämie soll durch mindestens drei Bestimmungen an verschiedenen Tagen gesichert sein. Des Weiteren sollte das intakte Parathormon (iPTH) gemessen worden sein. Bei der Mehrzahl der Patienten mit pHPT liegt ein pathologisch erhöhter PTH-Spiegel als Ausdruck der Nebenschilddrüsenautonomie vor. Eine Hyperkalzämie mit einem PTH-Wert im oberen Normbereich findet sich bei etwa 20% der Patienten mit pHPT. Liegt bei einer Hyperkalzämie ein supprimierter PTHSpiegel vor, kann ein pHPT als Ursache ausgeschlossen werden (7 Kap. 3.4.2). Lediglich eine Erkrankung kann mit einer milden Hyperkalzämie, einer relativen Hypophosphatämie sowie hochnormalen
229 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
oder gar leicht erhöhten PTH-Werten laborchemisch das Vorliegen eines pHPT vortäuschen. Es handelt sich hierbei um die familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie (FHH), bei der eine autosomal-dominant vererbbare Fehlregulation des Kalziumspiegels vorliegt. Sie äußert sich durch eine lebenslange, nicht progrediente Hyperkalzämie. Entscheidendes Merkmal für die Differenzialdiagnose gegenüber dem pHPT ist eine Hypokalzurie. Zur Differenzierung gegenüber dem pHPT kann das Verhältnis zwischen Kalzium- und Kreatinin-Clearance beigezogen werden (Ca(Urin) × Krea(Serum)/Ca(Serum) × Krea(Urin)). Typischerweise beträgt das Verhältnis weniger als 0,01 bei der FHH und mehr als 0,01 beim pHPT (7 Kap. 3.1). Eine Parathyreoidektomie ist bei der FHH nie indiziert. Familienanamnestisch fallen Patienten mit einer FHH evtl. dadurch auf, dass ein Familienmitglied »erfolglos« wegen eines vermeintlichen pHPT operiert worden ist. An dieser Stelle sei nochmals auf die Notwendigkeit der Erhebung der Familienanamnese vor der definitiven Indikationsstellung hingewiesen. Da bei familiären Formen des pHPT alle Nebenschilddrüsen in unterschiedlichem Ausmaß erkrankt sein können, besteht die Operation der Wahl prinzipiell in einer subtotalen Parathyreoidektomie oder einer totalen Parathyreoidektomie mit Autotransplantation.
Für den Therapieerfolg ist es entscheidend, bereits präoperativ zu wissen, ob eine familiäre Form des pHPT vorliegt, um das Resektionsausmaß entsprechend zu gestalten und so eine Persistenz oder ein Rezidiv des pHPT zu vermeiden.
Asymptomatischer Hyperparathyreoidismus. Im Gegensatz zum
pHPT mit manifesten Hyperkalzämie-assoziierten Symptomen oder Folgeerkrankungen wird beim »asymptomatischen« pHPT die Indikation zur chirurgischen Therapie kontrovers beurteilt. Zum Thema »Diagnostik und Management des asymptomatischen pHPT« fanden 1990 und 2002 Konsensuskonferenzen der National Institutes of Health (NIH) statt. Ein operatives Vorgehen wird demnach bei asymptomatischen Patienten empfohlen, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: 4 Serumkalzium: 0,25–0,4 mmol/l über dem oberen Normwert 4 Kreatinin-Clearance: Verminderung von >30% 4 24-h Kalziurie: >400 mg 4 Knochendichte: z-Score >–2,0 (Radius) 4 Alter: <50 Jahre 4 Fehlende Compliance für konservative Verlaufsbeobachtung 4 Vorliegen einer Nephrolithiasis Beim Nachfolge-Workshop wurden zwei der oben erwähnten Kriterien wie folgt geringfügig modifiziert: 4 Serumkalzium: 0,25 mmol/l über dem oberen Normwert 4 Knochendichte: t-Score >–2,5 (lumbal, Hüfte oder Radius; Bilezikian et al. 2002) Zudem wurden die Empfehlungen für die konservative Verlaufsbeobachtung etwas vereinfacht. Die weit verbreitete Skepsis gegenüber diesen Konsensusempfehlungen gründet im Wesentlichen auf zwei Argumenten. Einerseits gibt es gute Gründe zu bezweifeln, dass die meisten dieser vermeintlich asymptomatischen Patienten wirklich asymp-
3
tomatisch sind. Bereits 1966 hielt Cope fest: »…when these (symptoms) are present only in mild degree, as they most often are, the patient does not know that they exist until their correction«. In den letzten Jahren wurden zunehmend Arbeiten publiziert, die diese Feststellung wissenschaftlich untermauern (Talpos et al. 2000; Sywak et al. 2002; Eigelberger et al. 2004). Hasse et al. (2000) z. B. berichtete, dass lediglich 9,3% von präoperativ als »asymptomatisch« beurteilten Patienten im Verlauf nach erfolgreicher Korrektur der Hyperkalzämie wirklich asymptomatisch blieb. Meistens handelt es sich bei den retrospektiv erkannten Symptomen um neuropsychologische Manifestationen wie Energielosigkeit, Leistungsschwäche, depressive Verstimmungen oder Müdigkeit, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Lebensqualität haben. Zum anderen gibt es zunehmend Evidenz dafür, dass eine unbehandelte Hyperkalzämie ungeachtet der manifesten Symptome eine längerfristige Morbidität oder gar Mortalität hat und auch asymptomatische oder oligosymptomatische Patienten von einer frühen Korrektur der Hyperkalzämie profitieren. Seit längerem ist bekannt, dass eine erfolgreiche Parathyreoidektomie einen günstigen Einfluss auf die Knochendichte hat (Silverberg et al. 1995). In einer neuen prospektiv randomisierten Arbeit untersuchte eine schwedische Arbeitsgruppe (Almquist et al. 2004) den Effekt einer frühzeitigen Parathyreoidektomie auf die Hüftknochendichte in Patienten mit mildem Hyperparathyreoidismus. Dabei wurde eine Verbesserung der Knochendichte lediglich in jener Gruppe beobachtet, die bei Diagnosestellung operiert worden waren. Diejenigen Patienten, die mit einer Latenz von einem Jahr operiert worden sind, zeigten keine Verbesserung. Mehrere Publikationen insbesondere aus den skandinavischen Ländern weisen deutlich darauf hin, dass ein unbehandelter pHPT mit einer höheren kardiovaskulären Morbidität und eventuell sogar Mortalität verbunden ist (Nilsson et al. 2000; Vestergaard et al. 2003; Øgard et al. 2004; Nilsson et al. 2004). Eine dänische Arbeit zeigte, dass Patienten, bei denen man anlässlich einer Hospitalisation zwischen 1977 und 1993 die Diagnose eines pHPT gestellt hatte, ein signifikant höheres Risiko hatten, frühzeitig an den Folgen eines kardiovaskulären Ereignisses zu sterben als der Rest der dänischen Bevölkerung. Vestergaard et al. berichten, dass bis zu 10 Jahre vor der Korrektur der Hyperkalzämie die Inzidenz eines akuten Myokardinfarktes deutlich erhöht war und sich diese ein Jahr nach der Operation wieder auf das normale Niveau senkte. Selbstverständlich gilt bei jeder Indikationsstellung und insbesondere dann, wenn eine vermeintlich asymptomatische Situation vorliegt, den möglichen Therapienutzen mit den allfälligen Risiken für den Patienten abzuwägen. Erfreulicherweise steht einer hohen Heilungsrate (≈95%) in erfahrenen Händen eine sehr geringe Mortalität und Morbidität gegenüber (<1% Rekurrensparesen, ≈1% persistierender postoperativer Hypoparathyreoidismus; Funke et al. 1997; van Heerden und Grant 1991).
Aus diesem Grunde wird ungeachtet der Konsensusempfehlungen von endokrinologisch orientierten Chirurgen bei Patienten mit asymptomatischem Hyperparathyreoidismus und fehlenden Kontraindikationen für eine Narkose bzw. eine Operation in der Regel die Indikation zur Operation gestellt.
230
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Normokalzämischer Hyperparathyreoidismus. Bei einem rele-
3
vanten Teil der Patienten mit pHPT (bis zu 10%) finden sich nebst einem pathologischen PTH-Spiegel hochnormale Serumkalziumspiegel. In einer Screeninguntersuchung von mehr als 5000 schwedischen Frauen fanden sich 109 Untersuchte (2,1%), bei denen ein pHPT nach zuvor festgelegten Kriterien für Kalzium- und PTH-Spiegel diagnostiziert wurde. Davon hatten etwa 2/3 einen normalen Serumkalziumspiegel, meistens jedoch im hochnormalen Bereich zwischen 2,50 und 2,60 mmol/l. Von den 109 Patientinnen wurden 60 operiert. Mit Ausnahme einer Patientin wurde bei allen das pathologisch-anatomische Korrelat eines pHPT, Adenom oder Hyperplasie, gefunden (Lundgren et al. 1997). Diese Daten belegen, dass es in der Tat Patienten mit normokalzämischem pHPT gibt und dass bezüglich Indikationsstellung zur Operation identisch wie bei hyperkalzämen Patienten vorgegangen werden soll. Bevor allerdings die Diagnose eines normokalzämen pHPT gestellt werden kann, muss sichergestellt sein, dass sämtliche Ursachen einer sekundären PTH-Erhöhung ausgeschlossen wurden. Diese umfassen die renale Insuffizienz, gastrointestinale Erkrankungen mit Malabsorbtion sowie alimentäre Defizite (Mangel an 25-OH-Vitamin D3). Betagte Menschen. Spezielle Beachtung verdient der pHPT bei
betagten Patienten. In dieser Patientengruppe sind üblicherweise nicht die klassischen Symptome wie Nephrolithiasis, Knochenerkrankung und funktionelle abdominelle Symptome zu erwarten. Es überwiegen oft neuropsychologische Symptome wie Energielosigkeit, Müdigkeit, Leistungsknick, depressive Verstimmung, Vergesslichkeit, Gefühlslabilität und Angstzustände. Gerade diese Symptome werden häufig fälschlicherweise dem normalen Alterungsprozess zugeordnet und werden als Symptome des pHPT verkannt. Oft lässt sich durch Korrektur dieser Symptome sehr viel Lebensqualität für betagte Patienten gewinnen. Gelegentlich kann durch die Verbesserung des Allgemeinbefindens eine selbstständige Lebensform verlängert und eine Versorgung in einer Pflegeinstitution aufgeschoben werden. Ganz besonders gilt es in dieser Altersgruppe, die Komorbiditäten, die eine Einschränkung der Operabilität bedeuten könnten, in der Evaluation der Operationsindikation zu berücksichtigen. 3.4.4.2 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl Generelle Aspekte. Wie eingangs dieses Kapitels bereits erwähnt,
ist es das Ziel der operativen Behandlung des pHPT, in einem operativen Eingriff selektiv jenes Nebenschilddrüsengewebe zu entfernen, das für die autonome, exzessive Sekretion von PTH verantwortlich ist. Selbstverständlich gilt es mit einer restriktiven Resektionspraxis zu vermeiden, dass normales Nebenschilddrüsengewebe mitentfernt und damit die Gefahr einer definitiven Nebenschilddrüsenunterfunktion eingegangen wird. Als Therapieerfolg gilt eine langfristige Normokalzämie sowie Normophosphatämie ohne Kalziumsubstitutionsbedarf. Zur intraoperativen Beurteilung dessen, was pathologisch und damit für den Exzess an PTH verantwortlich ist, stehen dem Chirurgen zwei Beurteilungskriterien zu Verfügung. Es handelt sich dabei um die inspektorisch-morphologische Beurteilung einer Nebenschilddrüse sowie um die funktionelle Beurteilung des Resektionsresultates durch Überprüfung des intraoperativen PTH-Verlaufs. Bei der morphologischen Beurteilung wird auf die Größe, das Gewicht und die Form der explorierten Drüse geachtet. Ist diese zu groß, wird davon ausgegangen, dass sie pathologisch und
. Tab. 3.10. Verteilung der pathologisch-anatomischen Veränderungen bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus (Daten der Marburger Klinik aus dem Zeitraum 1987–2005) Erstoperation gesamt
906
Solitäre Adenome
807
89,0%
Doppeladenome
48
5,3%
Mehr(4)drüsenhyperplasie
42
4,6%
9
1,1%
Nebenschilddrüsenkarzinome
für den Hormonexzess verantwortlich ist. Am häufigsten findet sich beim pHPT in ungefähr 85% eine einzige Drüse, die zu groß und damit pathologisch verändert ist. Man spricht in dieser Situation von einem solitären Adenom. Mit der Entfernung dieser einen vergrößerten Drüse wird der Patient geheilt. Liegt eine Vergrößerung von mehr als einer Drüse vor, sollten auf jeden Fall die vergrößerten Drüsen entnommen und die normal großen belassen werden. Liegt eine Vierdrüsenhyperplasie vor, sollte beim sporadischen pHPT eine subtotale (3 1/2-) Resektion erfolgen, bei familiärer Erkrankung (familiärer pHPT, pHPT im Rahmen des MEN-1-Syndroms oder HPT-JT-Syndrom) sind totale Parathyreoidektomie und Autotransplantation vorzuziehen. Beim milder verlaufenden pHPT bei MEN-2a-Syndrom ist eine 3 1/2-Resektion ausreichend (7 Kap. 6.2). Bei allen Patienten mit einer Vierdrüsenhyperplasie muss dringend empfohlen werden, vom zervikalen Zugang aus die Thymuszungen mitzuentfernen, da hier in einer Häufigkeit von bis zu 20% überzählige Drüsen oder Zellverbände zu vermuten sind. Die Verteilung der pathologisch-anatomischen Veränderungen bei Patienten, die in einem 10-Jahres-Zeitraum in der eigenen Klinik operiert wurden, ist . Tab. 3.10 zu entnehmen. Die Zahlen entsprechen in etwa denen der Literatur mit der Ausnahme, dass in den meisten anderen Serien Doppeladenome lediglich bei etwa 2–4% der Patienten beobachtet werden. Die funktionelle Beurteilung des Resektionsausmaßes kann durch die intraoperativen PTH Bestimmungen erreicht werden. Gerne wird dazu der Ausdruck »biochemischer Schnellschnitt« verwendet. Dabei macht man sich die sehr kurze Halbwertszeit von PTH (2–3 min) zunutze, um die Dynamik des PTH-Spiegels nach Entfernung der nach morphologischen Kriterien pathologischen Nebenschilddrüsen zu überprüfen. 1988 wurde erstmalig die intraoperative Verwendung eines modifizierten radioimmunometrischen Assays (IRMA) beschrieben, welcher den Erhalt des Analyseresultates nach ungefähr 15 min ermöglichte (Nussbaum et al. 1988). In der Folge wurden auch immunochemiluminometrische Assays (ICMA) entwickelt, die die Untersuchungszeit weiter verkürzten. Bisher wurden noch keine allgemein gültigen Leitlinien erstellt, die Anzahl und Zeitpunkt der PTH-Bestimmungen festlegen. Üblicherweise erfolgen die PTH-Bestimmungen aus peripherem Venenblut. Die erste Blutentnahme wird vor Operationsbeginn durchgeführt, eine weitere unmittelbar vor Entfernung einer pathologischen Drüse (Baseline-Werte). Die meisten Arbeitsgruppen streben beim Wert 10 min nach Entfernung eines Adenoms einen Abfall von mindestens 50% des höheren Baseline-Wertes an (Irvin et al. 1991, 1994). Ist dieses Kriterium erfüllt, kann nach dem heutigen Wissens- und Erfahrungsstand
231 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
davon ausgegangen werden, dass das autonome, hypersezernierende Nebenschilddrüsengewebe entfernt und der Patient postoperativ normokalzäm sein wird. In Expertenkreisen werden zur Beurteilung der Abfalldynamik auch Werte nach 5, 15 oder 20 min abgenommen und zusätzliche Kriterien verwendet. Sicherer als die oben genannten Kriterien ist wahrscheinlich ein Abfall in den Normbereich des verwendeten Assays 15 min nach Entfernung der Drüse(n). Werden die Kriterien für einen adäquaten Abfall nicht erfüllt, ist davon auszugehen, dass eine oder mehrere Nebenschilddrüsen nach wie vor inadäquat viel PTH produzieren und die Exploration weitergeführt werden muss. Die Aufgabe der nächsten Jahre wird es sein, allgemeinverbindliche Kriterien der Beurteilung von Quick-PTH zu erarbeiten (Carneiro et al. 2003). Voraussetzung zur operativen Therapie von Seiten des Chirurgen. Die Voraussetzungen von Seiten des Patienten wurden
im Abschnitt »Therapieziele und Indikationsstellung« besprochen. Nicht weniger wichtig ist es, die Voraussetzungen von Seiten des Chirurgen zu überprüfen, bevor eine Parathyreoidektomie ins Auge gefasst wird. Das Resultat einer Halsexploration wegen eines pHPT korreliert mit dem Wissen und der Erfahrung des Chirurgen, wobei Wissen wichtiger ist als Erfahrung. In einer skandinavischen Studie wurde dieser Umstand eindrücklich mit Zahlen belegt. Die Hyperkalzämie persistierte demnach in 6% der Fälle, wenn die Patienten in einer speziellen endokrin-chirurgischen Abteilung operiert wurden. Wurden sie von einem speziell interessierten und erfahrenen Chirurgen in einem Allgemeinkrankenhaus operiert, änderte sich dieser Prozentsatz nicht. Es blieben jedoch 15% der Patienten hyperkalzämisch, wenn sie in Krankenhäusern operativ behandelt wurden, die nur maximal 10 Operationen pro Jahr wegen eines pHPT vornahmen (Malmaeus et al. 1988). Erfahrungen bei Reoperationen wegen persistierendem pHPT zeigen, dass hier nicht Nebenschilddrüsentumoren in ektopischen, schwer zu findenden Positionen zurückgelassen wurden, sondern dass Grundkenntnisse in der chirurgischen Anatomie der Nebenschilddrüsen (7 Kap. 3.2) und ihrer möglichen Pathologie fehlten. Die meisten Nebenschilddrüsentumoren, die zurückgelassen wurden, lagen in einer normalen Position im Halsgebiet oder folgten typischen Varianten. Ein weiterer häufiger Fehler bestand darin, dass eine Mehrdrüsenerkrankung nicht erkannt wurde, da nach Entdeckung eines vermeintlichen solitären Adenoms die Operation beendet wurde (Shen et al. 1996). Es ist deshalb zu fordern, dass nur Chirurgen, die sich mit der Erkrankung eingehend befasst haben, die Diagnostik und Pathologie kennen und sich Kenntnisse in der chirurgischen Anatomie der Nebenschilddrüsen einschließlich ihrer variablen Lagen verschafft haben, solche Eingriffe vornehmen. Selbstverständlich wird zunehmende Erfahrung zu mehr Sicherheit und Erfolg verhelfen. Es kann sich jedoch auch der nicht so Erfahrene, wenn er sich adäquat beliest, Kenntnisse verschaffen, die eine erfolgreiche operative Behandlung erwarten lassen. Essenziell für eine erfolgreiche Operation ist nicht nur das Wissen um die hier geschilderten Fakten, sondern vor allem die Kenntnis der im 7 Kap. 3.2 geschilderten Details. Auf jeden Fall sollten Patienten nach erfolgloser Voroperation in Zentren eingewiesen werden, die sich mit der Erkrankung häufig befassen. Dies gilt auch grundsätzlich für Patienten mit einem familiären oder im Rahmen der MEN-Syndrome auftretenden pHPT.
3
Bilaterale zervikale Exploration und alternative, fokussierte Operationsverfahren. Seit ihrer Erstbeschreibung 1933 (Mandl
1933) gilt die bilaterale zervikale Exploration mit Darstellung der 4 Nebenschilddrüsen als die Standardoperation zur Behandlung des pHPT. In geübter Hand erbringt die bilaterale Exploration ausgezeichnete Resultate mit Heilungsraten von über 95% sowie einer minimalen Morbidität und Mortalität von weniger als 1% (van Heerden und Grant 1991). Die Tatsache, dass in ungefähr 85% der Patienten mit pHPT lediglich eine Nebenschilddrüse im Sinne eines solitären Adenoms erkrankt ist, legt den Gedanken nahe, dass die Mehrheit der Patienten mit einer limitierten Exploration (also unter Verzicht auf die Darstellung sämtlicher 4 Drüsen) geheilt werden könnte, wenn man präoperativ klären kann, wo das Adenom lokalisiert ist. Das Prinzip der unilateralen Exploration zur Behandlung des pHPT wurde erstmals 1982 beschrieben (Tibblin et al. 1982). Die Autoren machten bereits damals auf die möglichen Vorteile limitierter Explorationen aufmerksam wie verkürzte Operationszeit, geringeres Komplikationsrisiko sowie weniger frühpostoperative Hypokalzämien. Limitierte Explorationen wurden von endokrin-orientierten Chirurgen jedoch weitestgehend abgelehnt, da diese bei nicht erkannten multiglandulären Erkrankungen (Doppeladenome, Vierdrüsenhyperplasie) zu einer inakzeptablen Rate von Persistenzen bzw. Reoperationen führen würden. Zwei Faktoren haben in den letzten Jahren dennoch zu einer massiven Verbreitung limitierter bzw. fokussierter Operationsmethoden geführt. Zum einen haben Fortschritte in der präoperativen Bildgebung (Ultraschall, 99mTechnetium-MIBI-Szintigraphie) dazu geführt, dass bei einem relevanten Anteil der Patienten vor Operationsbeginn die Lokalisation eines Adenoms mit großer Wahrscheinlichkeit bekannt ist. Auf der anderen Seite kann mittels intraoperativem PTH-Monitoring nach limitierter Exploration mit Entfernung eines Adenoms relativ zuverlässig der Nachweis erbracht werden, dass das autonome, hypersezernierende Nebenschilddrüsengewebe in der Tat entfernt worden ist. Zwischenzeitlich wird ein erheblicher Teil der Patienten mit pHPT an endokrin-chirurgisch orientierten Kliniken mittels eines limitierten oder fokussierten Verfahrens operiert. Es wird davon ausgegangen, dass etwa 40–60% der Patienten mit pHPT für ein fokussiertes Verfahren qualifizieren. Diesen Operationsmethoden sind folgende Aspekte gemeinsam: vorausgehende Lokalisationsdiagnostik, limitierte Inzision und Exploration sowie intraoperative Erfolgskontrolle mittels PTH-Monitoring. Auf die technischen Details der verschiedenen Interventionen wird später eingegangen. Mindestens mittelfristig scheinen alle limitierten Techniken die gleichen Normokalzämieraten zu erreichen wie die konventionelle bilaterale Exploration in geübten Händen (Miccoli et al. 2004; Henry et al. 2004; Udelsman et al. 2002, 2004). Als bislang in prospektiv randomisierten Studien dokumentierte Vorteile gegenüber der bilateralen Exploration gelten die verkürzte Operationszeit, eine Reduktion des Traumas bzw. der Schmerzen, eine niedrigere Rate frühpostoperativer Hypokalzämien sowie ein besseres kosmetisches Resultat (Miccoli et al. 1999; Bergenfelz et al. 2002, 2005). Einige Autoren berichten über Patienten mit multiglandulärer Erkrankung, bei denen nach Entfernung lediglich einer Drüse ein »kurativer« Abfall im intraoperativen PTH-Monitoring festgestellt wurde (Gauger et al. 2001; Clerici et al. 2003). Es kann daraus abgeleitet werden, dass es offensichtlich pathologisch vergrößerte Drüsen gibt, die zum Zeitpunkt der Exploration
232
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
kein oder nicht relevant PTH produzieren. Es muss angenommen werden, dass in einem unbekannten Ausmaß solche Drüsen bei limitierten Explorationen an nicht explorierter Lokalisation belassen werden. Es stellt sich somit bei limitierten Explorationen die Frage, ob diese Drüsen eventuell zu einem späteren Zeitpunkt autonom werden und so zu einem Rezidiv des pHPT führen könnten. Dies könnte ggf. zu einer Kompromittierung der langfristigen Normokalzämierate limitierter Operationstechniken führen. Aus diesem Grunde obliegt es der Verantwortung des fokussiert operierenden Chirurgen sicherzustellen, dass bei diesen Patienten langfristig (lebenslang) jährlich Kalziumkontrollen durchgeführt werden. Präoperative Maßnahmen und Aufklärung. Obwohl gutartige
Nebenschilddrüsenadenome kaum je zu tasten sind, empfiehlt sich eine klinische Untersuchung des Halsgebietes zur Beurteilung hinsichtlich einer relevanten Schilddrüsenpathologie. Zur korrekten präoperativen Dokumentation ist eine präoperative Laryngoskopie durch einen HNO-Facharzt durchzuführen, um bei eventuellen postoperativen Funktionsstörungen der Stimmbänder einen Vergleichsbefund zu haben. Ist der Serumkalziumspiegel über 3,5 mmol/l erhöht, sollte in den Tagen vor der Operation dessen Senkung durch eine forcierte Diurese oder mittels Einsatz von Biphosphonaten angestrebt werden. Zudem sollte der Operateur vor der Operation beim stehenden Patienten den geplanten Zugang an kosmetisch optimaler Position einzeichnen. Vor der Operation müssen die Patienten schriftlich über die Operation und ihre Risiken aufgeklärt werden. Die Autoren klären die Patienten neben allgemeinen operativen Risiken (Nachblutung, Infektion) immer über die operationsspezifische Morbidität (passagere oder permanente Stimmbandlähmung und/ oder Hypoparathyreoidismus, Persistenz des pHPT) auf. Sollte ein fokussiertes Verfahren geplant sein, muss der Patient über die Notwendigkeit einer bilateralen Exploration informiert sein. Zudem soll der Patient über die unterschiedlichen Resektionsausmasse in Abhängigkeit des Befundes (singuläres Adenom, Doppeladenome, Vierdrüsenerkrankung) Bescheid wissen. Lokalisationsdiagnostik. Die Möglichkeiten und Techniken der Bildgebung zur Lokalisation pathologischer Nebenschilddrüsen sind ausführlich in 7 Kap. 3.4.3 dargestellt. Die ubiquitäre Verfügbarkeit sowie die deutliche qualitative Verbesserung von Sonographie und 99mTechnetium-MIBI-Szintigraphie (Sesta-MIBISzintigraphie) haben die Indikationsstellung insbesondere in Kombination mit der Verwendung des intraoperativen PTH-Monitorings zu diesen präoperativen Untersuchungen nachhaltig verändert. An Kliniken, die fokussierte Operationsverfahren durchführen, sind sie zu einem Standard im präoperativen Abklärungsgang geworden. Dennoch gilt es festzuhalten, dass es vor einer geplanten bilateralen Exploration eigentlich keiner spezifischen bildgebenden Abklärung zur erfolgreichen Parathyreoidektomie bedarf. Die Trefferquote eines erfahrenen Chirurgen liegt mit 95% und mehr (van Heerden u. Grant 1991; Funke et al. 1997) deutlich höher als die Sensitivität der Sonographie und der Sesta-MIBI-Szintigraphie. Fehlende Kenntnis und Erfahrung des Chirurgen wird also niemals durch eine noch so aufwändige und teure präoperative Lokalisationsdiagnostik kompensiert. Ungeachtet des geplanten Operationsverfahrens empfiehlt sich die Durchführung einer präoperativen zervikalen Sonographie. Einerseits ist ein erfahrener Untersucher in der Lage in
ungefähr zwei Drittel der Fälle einen Nebenschilddrüsentumor darzustellen, was auch bei konventionellen bilateralen Explorationen eine deutliche Vereinfachung und Beschleunigung des Eingriffs zur Folge hat. Andererseits kann damit auch die Schilddrüse hinsichtlich einer relevanten Pathologie untersucht werden, die zu einer korrekt indizierten Erweiterung der Operation Anlass geben kann. Im eigenen, konsequent präoperativ sonographierten Krankengut fanden sich in immerhin 4.8% der zusätzlich durchgeführten Schilddrüsenresektionen gut differenzierte Schilddrüsenkarzinome. Diese Häufung ist nicht auf eine gemeinsame Pathogenese zurückzuführen; sie entspricht am ehesten einer Koexistenz zweier bei älteren Menschen gehäufter Einzelerkrankungen (Fedorak et al. 1994). Verfeinerungen der Sesta-MIBI-Szintigraphie seit deren Einführung 1989 haben zu einer deutlichen Verbesserung der Sensitivität und Spezifität geführt. Für die Detektion von singulären Adenomen werden mittlerweile Sensitivitäten über 90% angegeben. Wie Gotthardt und Mitarbeiter jedoch in einer Metaanalyse zeigten (Gotthardt et al. 2004), variierten die Sensitivitäten in 52 publizierten Studien erheblich (von 39% bis 92,5%). Im klinischen Alltag ist davon auszugehen, dass die lokal erhältlichen SestaMIBI-Szintigraphien nicht unbedingt immer die Qualität aufweisen, wie sie in Publikationen von Experten und in der Argumentation für eine generelle Durchführung dieser Untersuchung jeweils aufgeführt wird. Anästhesie. In Europa erfolgt die Halsexploration wegen pHPT im Regelfall in einer Allgemeinnarkose. Wichtig ist, dass der Anästhesist nicht die übliche Position am Kopf des Patienten einnimmt, sondern mitsamt dem notwendigen Gerät seitlich oder am Fußende des Patienten steht, sodass die Operateure einen ungehinderten Zugang zu Kopf und Hals des Patienten haben (. Abb. 3.32). Insbesondere in den USA wird ein relevanter Anteil von fokussierten Explorationen in Lokalanästhesie unter Sedation durchgeführt. Die Akzeptanz für die Durchführung der Operation in Lokalanästhesie scheint in Europa sowohl von Seiten der Therapeuten wie auch der Patienten geringer zu sein. Dennoch wird dieser Option in Zukunft mehr Bedeutung zukommen, da sie ein erhebliches Potenzial zu Kosteneinsparungen darstellt. (Udelsman et al. 2002; Bergenfelz et al. 2005).
. Abb. 3.32. Position des Anästhesiegerätes im Verhältnis zum Operationstisch. Ein ungehinderter Zugang der Operateure zu Kopf und Hals des Patienten ist möglich
233 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3.4.4.3 Operationstechnik der bilateralen zervikalen Exploration Ungeachtet aller neueren fokussierten Operationsmethoden gilt es grundsätzlich festzuhalten, dass die bilaterale zervikale Exploration die Standard- bzw. Reserveoperation bleibt und auch entsprechend gelehrt werden muss. Die operative Behandlung eines Patienten mit pHPT ist gleichbedeutend mit der Anwendung der im 7 Kap. 3.2 beschriebenen Kenntnisse mit Hilfe geeigneter chirurgischer Techniken. Nach wie vor gilt das Zitat von Edward D. Churchill, einem der Pioniere der endokrinen Chirurgie, aus dem Jahre 1931: »Der Erfolg in der Chirurgie des Hyperparathyreoidismus liegt in der Fähigkeit des Chirurgen, zu wissen, wie eine (normale oder vergrößerte) Nebenschilddrüse aussieht, ihre normale und vom Normalen abweichende Lage zu kennen und technisch so versiert zu sein, diese Kenntnisse anzuwenden.« Ziel der Operation ist es, möglichst alle 4 Nebenschilddrüsen darzustellen und dann nach makroskopischem Aspekt – Drüse normal groß bzw. vergrößert – zu entscheiden, wieviele Drüsen entfernt werden.
3
. Abb. 3.33. Typische Lagerung des Patienten zu einer Nebenschilddrüsenoperation (wie auch zu einer Schilddrüsenoperation) mit rekliniertem Kopf, angehobenem Oberkörper und angehobenen Beinen
Lagerung. Die Patienten sollten genauso wie für einen Schilddrüseneingriff gelagert werden, d. h. mit rekliniertem Kopf, dessen Lage durch einen Gummiring oder durch ein Vakuumkissen fixiert ist (. Abb. 3.33). Der Oberkörper sollte angehoben sein, um einen venösen Rückstau in den Halsvenen zu vermeiden. Die Beine sollten ebenfalls angehoben werden zur Verhinderung einer venösen Stase in den unteren Extremitäten. Wichtig ist, dass Kopf und Hals von beiden Seiten sowie vom Kopfende des Tisches frei zugänglich sind (. Abb. 3.34). Nur so kann das Operationsgebiet in allen seinen Abschnitten, besonders auch retrosternal, genügend eingesehen werden. Instrumente. Je nach Chirurgenschule werden unterschiedliche
Instrumente für die Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie verwandt. Die Autoren halten folgende Instrumente neben einer allgemeinen Grundausstattung für sinnvoll: eine kleine zarte Dissektionsklemme, mit der Gewebe hinter der Schilddrüse stumpf gespreizt werden kann, kleine Metall-Clips zur Hämostase, eine kleine spitze Schere, mit der die äußere Schilddrüsenkapsel und dünne Bindegewebsstrukturen über den Nebenschilddrüsen angehoben und durchtrennt werden können und bipolare Elektrokoagulation. Die Autoren tragen immer eine Lupenbrille mit 3-facher Vergrößerung, die Vorteile beim Erkennen und Freipräparieren kleiner Strukturen mit sich bringt, aber v. a. bei Reoperationen in narbigem Gewebe von Vorteil ist. Bei Reoperationen ist auch der Einsatz eines Neuromonitoring-Gerätes zur Erleichterung der Identifikation und damit Schonung des N. laryngeus recurrens angezeigt.
. Abb. 3.34. Abdeckung und Exposition des Operationsfeldes. Die Operateure haben ungehinderten Zugang zum Operationsgebiet, sowie einen optimalen Einblick in das vordere obere Mediastinum
Zugang zu den Nebenschilddrüsen. Die Operation beginnt mit
einem Kocher-Kragenschnitt und der Durchtrennung von Subkutangewebe und Platysma in der zuvor angezeichneten Linie, also bei überstrecktem Kopf 2 Querfinger breit oberhalb des Manubrium sterni. Der Haut-Platysma-Lappen wird nach oben bis zur Kehlkopfspitze und nach unten etwa 1 cm weit abpräpariert. Der Senior-Autor setzt sodann einen selbsthaltenden Haken ein, der den Haut-Platysma-Lappen nach kranial und kaudal während der ganzen Operation konstant weghält (. Abb. 3.35). Anschließend wird das Bindegewebe der Mittellinie des Halses bis auf den Schilddrüsenisthmus durchtrennt (Linea alba colli) und die gerade Halsmuskulatur nach rechts bzw. links mit
. Abb. 3.35. Selbsthaltender Haken zur Exposition des Operationsgebietes
234
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Roux-Haken weggehalten. Nur wenn gleichzeitig eine sehr große Struma vorliegt, ist eine Durchtrennung oder Einkerbung der geraden Halsmuskulatur sinnvoll. Anschließend wird, wenn möglich beginnend auf der Seite, wo ein Nebenschilddrüsentumor sonographisch lokalisiert wurde, der Schilddrüsenlappen langsam und vorsichtig freipräpariert. Die Kocher-Venen werden aufgesucht, geclipt und durchtrennt. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass es das Ziel der Operation sein muss, absolut blutfrei zu operieren. Die Autoren lassen für diese Operationen keinen Sauger richten. Das Bindegewebe hinter der Schilddrüse, das jetzt nach Anheben der Schilddrüsenhälfte nach ventral und medial sichtbar wird, ist weiß und sollte auch während der Operation weiß bleiben. Zu leicht werden Farbcharakteristika, an denen u. a. eine normale Nebenschilddrüse erkennbar ist, im eingebluteten Operationsgebiet unsichtbar. Das erste Ziel der Operation ist es, die A. thyreoidea inferior und den N. recurrens darzustellen, insbesondere die Gegend, in der sich die beiden Gebilde kreuzen. Der Stimmbandnerv lässt sich am besten kaudal der A. thyreoidea inferior darstellen. Man kann ihn besonders auf der linken Seite gut tasten, bevor man ihn sieht, da er auf der Trachea oder im Sulcus oesophagotrachealis verläuft. Er fühlt sich hier an wie eine Saite auf dem Griffbrett einer Geige. Auf der rechten Seite kann er auch in gleicher Weise palpiert werden. Oft kommt er jedoch mehr von lateral als der linke N. recurrens. Nach der Palpation kann er leicht freigelegt werden. Der N. recurrens verläuft meist über der Arterie, kann jedoch auch unter der Arterie verlaufen bzw. über oder unter ihren Ästen oder kann sich teilen und teils vor und teils hinter der Arterie zum Kehlkopf ziehen. In weniger als 1% kommt rechts der vom N. vagus kranial abzweigende N. laryngeus non recurrens vor, der nur dann vermutet und aufgesucht werden kann, wenn man den Nerv routinemäßig an seiner normalen Stelle nicht findet. Auf keinen Fall darf man, wenn man nach Luxation des Schilddrüsenlappens den Raum hinter der Schilddrüse einsieht und einen Nebenschilddrüsentumor vermutet, diesen sofort freipräparieren und entfernen wollen, ohne zuvor den N. recurrens aufgesucht zu haben. Dazu ist man nur selten gezwungen, wenn man auf einen sehr großen Nebenschilddrüsentumor stößt, der auf dem N. recurrens, gelegentlich auch auf der Kreuzungsstelle von A. thyreoidea inferior und N. recurrens gelegen ist. In diesem Falle sollte der Nerv meist unterhalb, selten auch oberhalb des Tumors dargestellt werden, und es muss eine sorgsame Ablösung des Tumors vom Nerv erfolgen. Gelegentlich sind Nebenschilddrüsentumoren mit dem N. recurrens verbacken, sodass eine zu schnelle Mobilisation des Tumors zu einer Schädigung des Nervs führen kann. Wie in 7 Kap. 3.2 beschrieben, liegen die meisten Nebenschilddrüsen in der Nähe der Kreuzungsstelle von A. thyreoidea inferior und N. recurrens. Identifikation von normalen Nebenschilddrüsen. Die normalen
Nebenschilddrüsen sind an ihrer Größe, Form, Farbe, Konsistenz und auch an ihrer Lage erkennbar. Sie sind fast immer in Fettgewebe verborgen, das unter der hinteren Schilddrüsenkapsel liegt oder in den gefäßhaltigen Strukturen zwischen dem unteren Schilddrüsenpol und der Thymuszunge, dem sog. Lig. thyreothymicum. Entdeckt werden die Nebenschilddrüsen, indem man Fettbeläge auf der Hinterfläche der Schilddrüse mit zwei Pinzetten vorsichtig auseinanderzupft oder mit einer feinen, spitzen Schere die dünne Kapsel über dem Fett anhebt und durchtrennt. Hierbei kommen normale Nebenschilddrüsen und auch kleine
. Abb. 3.36. Die normalen Nebenschilddrüsen liegen meist im Fett verborgen. Nach Wegzupfen des bedeckenden Fettes kommen sie zum Vorschein und liegen wie ein Eigelb auf dem Eiweiß eines Spiegeleis, von Fett umgeben. Hier typisches Erscheinungsbild einer normalen oberen Nebenschilddrüse in Bezug auf die sie umgebenden anatomischen Strukturen
Nebenschilddrüsentumoren oft wie ein auftauchender Schwimmer zum Vorschein und liegen dann auf dem Fett wie das Eigelb eines Spiegeleis (. Abb. 3.36). Normale Nebenschilddrüsen sind meist flach, entweder rundlich oder oval, sind 1–3 mm im Durchmesser groß und wiegen 20–70 mg. Ihre Farbe ist beim Jugendlichen und jungen Erwachsenen rötlichbraun, beim älteren Menschen wegen des zunehmenden Fettgehaltes eher gelblichbraun. Gegenüber dem Fett sind sie daran zu erkennen, dass sie einen Gefäßhilus haben und dass ein feines Gefäßnetz über ihnen ausgebildet ist. Ist man sich nicht sicher, ob es sich um Fett oder Nebenschilddrüsengewebe handelt, kann eine Biopsie entnommen werden. Dies geschieht am besten so, dass ein 6-0-Haltefaden gegenüber dem Gefäßhilus eingestochen, das verdächtige Gebilde daran hochgehoben und etwa 1/3 der Drüse mit einer kleinen Schere abgetragen wird (. Abb. 3.37). Auf der Schnittfläche kommt es dann sofort zu einer diffusen Blutung (»Epithelkörperchen-Flush«). Das Gewebe kann dann in ein Schälchen mit Kochsalzlösung gegeben werden. Schwimmt es, handelt es sich um Fett, geht es unter, handelt es sich um Nebenschilddrüsengewebe, ein Schilddrüsenknötchen oder auch einen Lymphknoten. Die Abgrenzung zu den beiden letztgenannten Geweben geschieht aufgrund der Konsistenz: Nebenschilddrüsengewebe ist weich, während Schilddrüsen- und Lymphknoten hart sind. Lymphknoten sind meist weißlichgrau auf der Schnittfläche wie Fischfleisch, während Schilddrüsenknötchen rötlich gefärbt sind (. Tab. 3.5 in 7 Kap. 3.3). Letztlich kann der Pathologe im Schnellschnitt die Identität des Gewebes sichern. Epithelkörperchenchirurgie sollte nur in Krankenhäusern betrieben werden, in denen Schnellschnitte möglich sind. Die Erfahrung eines Chirurgen lässt sich u. a. an der Zahl der Schnellschnitte, die eingesandt werden, feststellen. Üblicherweise wird der erfahrene Operateur 1 oder 2 Gewebestücke zur Schnellschnittuntersuchung einschicken, 3 und mehr Schnellschnittuntersuchungen bei einem Patienten mit einem solitären Adenom, die alle Fett, Schilddrüsengewebe oder Lymphknoten entsprechen, weisen auf einen unerfahrenen Operateur hin. Die Anfertigung auch von mehreren Schnellschnittuntersuchungen ist jedoch einer Pseudosicherheit bei nur makroskopischer Be-
235 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
. Abb. 3.38. Typische Lage einer oberen Nebenschilddrüse: kranial der A. thyreoidea inferior und dorsal der Einmündung des N. recurrens in die Membrana cricothyreoidea
Die obere Nebenschilddrüse liegt kranial der A. thyreoidea inferior und dorsal des N. recurrens (. Abb. 3.38 und 7 Kap. 3.2).
. Abb. 3.37. Biopsieentnahme aus einer unteren Nebenschilddrüse. Die Nebenschilddrüse wird mit einem dünnen Faden an der dem Gefäßpol gegenüberliegenden Seite gefasst, hochgehalten und abgeschnitten
sichtigung und einer daraus resultierenden persistierenden Hyperkalzämie vorzuziehen. Zu berücksichtigen ist, dass Biopsien aus normalen Nebenschilddrüsen möglichst vermieden werden sollten, da zu viele Biopsien zu einem permanenten Hypoparathyreoidismus führen können.
Verfolgt man den N. recurrens bis zu seiner Einmündung in die Membrana cricothyreoidea, wird man in 90% der Fälle dorsal davon auf die obere Nebenschilddrüse stoßen. Ist dies nicht der Fall, explorieren die Autoren vorsichtig von kranial der A. thyreoidea inferior kommend den Raum vor der Wirbelsäule neben dem Ösophagus bis zum hinteren Mediastinum. Ist die obere Nebenschilddrüse tumorartig verändert, kann sie unter der Arterie durchgeschlüpft sein, dort liegen und auf diese Weise gefun-
Identifikation von Nebenschilddrüsentumoren. Nebenschilddrüsentumoren wiegen meist zwischen 200 mg und mehreren Gramm, sind kugelig oder ovalär, tropfenförmig, manchmal auch langgestreckt wie eine kleine Wurst oder selten flach und rund wie eine dicke Münze (7 Kap. 3.2). Ihre Farbe gleicht der normaler Nebenschilddrüsen, ist also hellbraun, wobei bei jüngeren Patienten eine rötliche, bei alten Menschen eine gelbliche Farbe zu finden ist. Fast immer sind sie auf der Schnittfläche homogen, selten zystisch durchsetzt. Epithelkörperchenzysten kommen sehr selten vor. Sie können einen Durchmesser von mehreren Zentimetern erreichen. Nebenschilddrüsentumoren haben einen Gefäßstiel, der gut identifiziert, gefasst und geclipt werden kann. Sie sind immer durch eine Schicht von der Schilddrüse abgesetzt. Systematische Suche nach Nebenschilddrüsen bzw. Nebenschilddrüsentumoren. Bei der Suche nach den Nebenschilddrü-
sen sollte zwischen oberen und unteren Nebenschilddrüsen unterschieden und systematisch vorgegangen werden. Obere Nebenschilddrüsen. Es empfiehlt sich, zunächst nach den oberen Nebenschilddrüsen zu suchen, da ihre Lagevariabilität geringer ausgeprägt ist als die der unteren. Fast immer ist die Drüse in einem Bezirk zu finden, der kaudal durch die A. thyreoidea inferior, ventral durch den N. recurrens und dorsal durch den Ösophagus begrenzt ist. Als Faustregel gilt:
. Abb. 3.39. Typische Verlagerungsrichtung der oberen und unteren Nebenschilddrüsen. Die oberen sind – wenn sie nicht an normaler Stelle liegen – in Richtung auf das hintere Mediastinum, die unteren in Richtung auf das vordere Mediastinum, d. h. die Thymusdrüse, disloziert
236
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
. Abb. 3.40. Typische Lage eines dislozierten Adenoms, ausgehend von der oberen Nebenschilddrüse. Es ist unter der A. thyreoidea inferior hindurchgeschlüpft und liegt neben dem Ösophagus und vor der Wirbelsäule
. Abb. 3.41. Typische Lage der unteren Nebenschilddrüse: ventral des N. recurrens und kaudal der A. thyreoidea inferior in der Nähe des unteren Schilddrüsenpols, von Fett umgeben
den werden. Diese Situation entspricht der zweiten, die obere Nebenschilddrüse betreffenden Faustregel:
Die Thymuszunge lässt sich leicht identifizieren, indem man den unteren Schilddrüsenpol mobilisiert, die Gefäße, die von ihm nach kaudal abgehen, verfolgt und das beim jüngeren Patienten weißgelbe, das beim älteren mit Fett vergleichbare Thymusgewebe ventral der A. subclavia und dorsal des Manubrium sterni aufsucht. Der Abstand zwischen der Thymuszunge und dem unteren Schilddrüsenpol ist meist 1–2 cm groß. Manchmal liegen die beiden Gebilde näher beieinander. Die Thymusdrüse kann als »Zeigefinger«, der auf die untere Nebenschilddrüse zeigt, bezeichnet werden. Oft liegt die Drüse »unter dem Fingernagel«, also in der Thymuszunge, nur selten tiefer in der Thymusdrüse (. Abb. 3.39).
Ist die obere Nebenschilddrüse nicht an normaler Stelle gelegen, so ist sie nach dorsal neben dem Ösophagus vor der Wirbelsäule in Richtung auf das hintere Mediastinum disloziert (. Abb. 3.39 und 3.40).
Diese Lagevariante gilt für obere Nebenschilddrüsen, wenn sie tumorartig verändert sind, in etwa 20% der Fälle. Nur selten sind normale Nebenschilddrüsen an einem langen Gefäßstiel unter der A. thyreoidea inferior nach kaudal durchgeschlüpft. Sie würden sich selbstverständlich der Entdeckung durch das geschilderte digitale Manöver entziehen. Sind die oberen Nebenschilddrüsen an den bisher beschriebenen Positionen nicht zu finden, empfiehlt es sich, die oberen Polgefäße der Schilddrüse zu durchtrennen und damit den oberen Pol zu mobilisieren. Gelegentlich finden sich Nebenschilddrüsen im Bereich der Einmündung der oberen Polgefäße in die Schilddrüse oder dorsal, selten auch medial davon zwischen oberem Schilddrüsenpol und Kehlkopf. Untere Nebenschilddrüsen. Die unteren Nebenschilddrüsen
unterliegen einer größeren Lagevariabilität als die oberen. Nur ungefähr die Hälfte der unteren Nebenschilddrüsen befindet sich an normaler Stelle, d. h. dorsal auf der Kapsel des unteren Drittels der Schilddrüse und entspricht damit der Faustregel:
Die untere Nebenschilddrüse liegt kaudal der A. thyreoidea inferior und ventral des N. recurrens (. Abb. 3.41). Liegen sie nicht dort, sind die unteren Nebenschilddrüsen in Richtung auf das vordere Mediastinum verlagert und befinden sich in 20–40% der Fälle im sog. Lig. thyreothymicum oder in der Thymuszunge (. Abb. 3.39 und 3.42).
. Abb. 3.42. Typische Lage einer unteren Nebenschilddrüse in der Thymuszunge bzw. im Lig. thyreothymicum, der gefäßführenden Struktur zwischen unterem Schilddrüsenpol und der Thymuszunge. Die Thymusdrüse kann als Zeigefinger interpretiert werden, der auf die Nebenschilddrüse zeigt, bzw. die Nebenschilddrüse liegt unter dem »Fingernagel«
237 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
Gelegentlich ist sie dann auch von Thymusgewebe umgeben, das ebenfalls nicht deszendiert ist. Sehr selten ist die untere Nebenschilddrüse im vorderen Mediastinum unabhängig von der Thymusdrüse zu finden. Bei der Lagebeschreibung der oberen und unteren Nebenschilddrüsen ist es wichtig, das Symmetrieprinzip zu erwähnen. Hat man eine Seite exploriert und die Nebenschilddrüsen gefunden, so ist es wahrscheinlich, dass auf der gegenüberliegenden Seite die Nebenschilddrüsen in gleicher Position liegen – bei normaler Lage, aber auch im Falle der oben beschriebenen, vom Normalen abweichenden Lokalisationen. Der gerne gebrauchte Begriff »dystope Lage« bezieht sich nicht auf die eben erwähnten Lagen. Diese sind normale bzw. häufige und zu erwartende Varianten. Dystope Lagen von Nebenschilddrüsentumoren sind extrem selten und beziehen sich dann auf seltene Lokalisationen, z. B. zwischen Ösophagus und Trachea oder im aortopulmonalen Fenster. Makroskopische Diagnose und Entscheidung zur Gewebeexzision. Hier sind verschiedene Vorgehensweisen zu unterschei-
den, die in . Abb. 3.44 im Überblick dargestellt sind. Adenomkonstellation. Wurden alle 4 Nebenschilddrüsen dar-
. Abb. 3.43. Schematische Darstellung des Weges einer oberen Nebenschilddrüse im Laufe der Embryogenese. Die Nebenschilddrüse startet aus der »Garage«, d. h. der 3. Schlundtasche, »überholt« die obere Nebenschilddrüse, die aus der 4. Schlundtasche stammt und kommt am häufigsten dorsal in der Nähe des unteren Schilddrüsenpols zum Stillstand (1). In etwa 20–30% der Fälle liegt sie noch weiter kaudal im Lig. thyreothymicum oder in der Thymuszunge (2). Sehr selten kommt es zu einem kompletten Ausbleiben dieser Entwicklung nach kaudal (»nicht deszendierte untere Nebenschilddrüse«), d. h. die untere Nebenschilddrüse bleibt in oder nahe ihrer Startposition und liegt dann in Höhe der oberen Schilddrüsenpole oder höher in der Höhe des Zungenbeins, meist zwischen Kehlkopf und Gefäßnervenscheide, gelegentlich jedoch auch lateral an oder in der Gefäßnervenscheide selbst (3)
Wie in 7 Kap. 3.2 beschrieben, ist die nahe Beziehung vieler unterer Nebenschilddrüsen zur Thymusdrüse mit ihrem gemeinsamen entwicklungsgeschichtlichen Weg aus der 3. Schlundtasche zu erklären. Liegen die unteren Nebenschilddrüsen nicht an normaler Stelle und auch nicht im Lig. thyreothymicum oder der Thymusdrüse, muss an eine nicht deszendierte untere Nebenschilddrüse gedacht werden (Rothmund 1999). Entsprechend dem in 7 Kap. 3.2 geschilderten Sachverhalt, dass die unteren Nebenschilddrüsen während der Embryogenese aus der 3. Schlundtasche »starten« und dann die aus der 4. Schlundtasche stammenden oberen Nebenschilddrüsen »überholen«, geht hervor, dass, falls dies nicht geschieht, eine untere Nebenschilddrüse kranial der oberen Nebenschilddrüsen dann meist in Höhe des oberen Schilddrüsenpols oder höher und meist lateral auf der Gefäßnervenscheide gefunden werden kann (. Abb. 3.43). Es handelt sich um eine sog. nicht deszendierte untere Nebenschilddrüse.
gestellt und ist eine vergrößert und die anderen 3 erscheinen normal, wird die vergrößerte Nebenschilddrüse entfernt, ihre Identität im Schnellschnitt bestätigt und damit der Eingriff abgeschlossen. Zu großzügige Biopsien evtl. sogar mehrerer normaler Nebenschilddrüsen sind zu unterlassen. Sie können eine hohe Rate an postoperativen permanenten Hypokalzämien nach sich ziehen. In seltenen Fällen (etwa 2–6%) liegt ein Doppeladenom vor, d. h. 2 Drüsen sind eindeutig vergrößert und 2 weitere Drüsen eindeutig normal. In diesem Falle werden die beiden vergrößerten Nebenschilddrüsen entfernt und die beiden normalen Drüsen mit einem Clip markiert, ohne ihre Durchblutung zu stören (Bartsch et al. 1995). Limitierung einer bilateral geplanten Exploration bei Verdacht auf das Vorliegen eines solitären Adenoms. Sollte bei einer ge-
planten bilateralen Exploration bereits auf der ersten explorierten Seite ein Adenom sowie ein zweites unauffälliges Epithelkörperchen dargestellt werden, ist es statthaft, auf die Exploration der kontralateralen Seite zu verzichten, so die Operation unter intraoperativem PTH-Monitoring durchgeführt wird, und die notwendigen Kriterien des PTH-Abfalls nach Entfernung des Adenoms erfüllt sind. Mehrdrüsenhyperplasie. Liegt eine Vergrößerung von 3 oder 4
Nebenschilddrüsen vor und ist kein Anhalt dafür gegeben, dass der Patient einer Sippe mit familiärem pHPT oder pHPT im Rahmen eines MEN 1- oder MEN 2a-Syndroms angehört, ist als Standardoperation eine subtotale Resektion zu empfehlen: Es werden 3 Drüsen entfernt und die kleinste bis auf einen etwa 50 mg schweren Rest reseziert, d. h. bis auf die Größe einer normalen Nebenschilddrüse. Dieser Rest kann mit einem kleinen Clip markiert oder mit einem nicht resorbierbaren Faden versehen werden, sodass er bei einer eventuellen Reoperation wegen eines rezidivierenden oder persistierenden pHPT leichter gefunden werden kann. Manche Autoren haben bei einer Vergrößerung von 3 Nebenschilddrüsen gute Erfahrungen mit der Entfernung nur dieser 3 Drüsen gemacht. Auf jeden Fall ist bei einer Mehrdrüsenhyperplasie, sei sie nun sporadisch oder familiär,
238
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
. Abb. 3.44. Flussdiagramm zum operativen Vorgehen bei Halsexplorationen wegen pHPT. EK Epithelkörperchen, ATI A. thyreoidea inferior, NLR N. laryngeus recurrens, SD Schilddrüse, PTX Parathyreoidektomie
eine Entfernung der Thymusdrüsen vorzunehmen, da hier häufig überzähliges Nebenschilddrüsengewebe vorkommt. Liegt der Verdacht auf einen familiären pHPT oder ein MEN 1-Syndrom vor, ist die Entfernung aller 4 Nebenschilddrüsen einschließlich der Thymuszungen und des die Nebenschilddrüsen umgebenden Fettes zu empfehlen. Aus der kleinsten Drüse sollten dann etwa 20 Stückchen geschnitten und diese in die Muskulatur eines Unterarms implantiert werden. Die Empfehlung rührt daher, dass Rezidive bei Hyperplasie in diesem Zusammenhang häufiger vorkommen als bei sporadischen Hyperplasien. Dies beruht auf der Aggressivität der Proliferationen bei familiärer Erkrankung, aber auch darauf, dass häufig überzählige Drüsen oder versprengtes Nebenschilddrüsengewebe in dem die sichtbaren Nebenschilddrüsen umgebenden Fett oder in den Thymuszungen vorhanden sind. Ein »konservatives« Vorgehen ist bei pHPT im Rahmen eines MEN 2a-Syndroms möglich, dessen Aggressivität geringer ist. Hier ist eine 3 1/2-Resektion vertretbar. Nichtauffinden einer Nebenschilddrüse. Wurde eine obere oder auch eine untere Nebenschilddrüse nicht gefunden, obwohl die o. g. normalen Positionen und die erwähnten Varianten abgesucht wurden und liegt eine singuläre Adenomkonstellation vor, d. h. es wurde ein Nebenschilddrüsentumor gefunden und 1 oder 2 normale Drüsen, sollte man die Suche nach der 3. oder 4. Drüse nicht zu weit treiben und evtl. eine Rekurrensverletzung oder eine Verletzung der Gefäße des oberen Mediastinums riskieren. Die Operation kann mit der Entfernung des Tumors beendet
werden. Das Risiko, dass ein zweiter Tumor vorhanden ist, liegt bei etwa 2–6%. Um die Entscheidung abzusichern, kann eine Quick-PTH-Bestimmung hilfreich sein. Wird eine Nebenschilddrüse vermisst und die 3 dargestellten sind normal groß, entspricht die 4. Drüse bei gesicherter Diagnose wahrscheinlich einem Adenom. Bei Fehlen einer oberen Drüse muss in den dorsalen Halspartien bis in das hintere Mediastinum hinein gesucht werden. Meistens ist sie – wie oben ausgeführt – unter der A. thyreoidea inferior hindurchgeschlüpft und liegt neben dem Ösophagus und vor der Wirbelsäule (. Abb. 3.40). Hilfreich ist das Aufsuchen der Äste der A. thyreoidea inferior, vor allem derer, die nach kaudal führen. Entspricht die neben 3 normalen dargestellten Drüsen gesuchte 4. Drüse einer unteren Nebenschilddrüse, muss entsprechend der o. g. Empfehlung für die Suche nach den unteren Nebenschilddrüsen verfahren werden. Es wird zunächst eine zervikale Thymektomie vorgenommen und anschließend nach einer nicht deszendierten unteren Nebenschilddrüse weit kranial neben dem Kehlkopf in der Höhe des Zungenbeins und der Karotisgabel gesucht (. Abb. 3.42 und 3.43). Wird eine Drüse vermisst und sind alle 3 dargestellten oder 2 davon vergrößert, liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Mehrdrüsenhyperplasie vor, und der 4. Tumor muss nach den angeführten Regeln gesucht werden. Eine Sternotomie während des Ersteingriffs wegen pHPT verbietet sich. Sollte aufgrund der taktischen Situation oder gar eines Palpationsbefundes der Verdacht auf ein retrosternales Adenom bestehen, das durch den zervikalen Zugang nicht er-
239 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
. Abb. 3.45. Zervikale Thymektomie. Zunächst wird das Lig. thyreothymicum auf der Seite, auf der ein unteres Epithelkörperchen vermisst wird, gefasst und stumpf nach distal präpariert
3
. Abb. 3.46. Zervikale Thymektomie. Unter weiterer stumpfer Präparation, auch mit dem Finger, wird das Lig. thyreothymicum und die Thymusdrüse nach kranial gezogen
reicht werden kann, empfiehlt es sich, nach Sicherstellung der drei weiteren Nebenschilddrüsen die Exploration an dieser Stelle abzubrechen und vor einem allfälligen Zweiteingriff mit Sternotomie eine bildgebende Abklärung mittels Sesta-MIBI-Szintigraphie und MRT durchzuführen. Nachweis von 4 normalen Drüsen. In diesem Fall sind Biopsien aus den 4 Drüsen gerechtfertigt, um ihre Identität zu verifizieren. Zusätzlich sollten die genannten Lagevarianten der oberen und unteren Nebenschilddrüsen auch unter Zuhilfenahme der zervikalen Thymektomie abgesucht werden, um eine überzählige Drüse entdecken zu können. Wird keine weitere Drüse gefunden, ist der Eingriff abzuschließen, um die Diagnose erneut zu überprüfen und eine Lokalisationsdiagnostik anzuschließen. Technik der zervikalen Thymektomie. Nach Fassen der sog. unteren Polgefäße, d. h. der vom unteren Schilddrüsenpol nach kaudal laufenden, meist Venen enthaltenden Fett- und Bindegewebsstruktur (Lig. thyreothymicum), kann nach vorsichtigem Zug nach kranial die Thymuszunge gelblichweiß dargestellt werden. Durch vorsichtiges Abschieben von Bindegewebe mit dem Zeigefinger, das ventral, lateral und dorsal der Thymuszunge liegt, kann diese durch weiteren wohldosierten Zug nach kranial entwickelt werden. Gelegentlich ist auch die scharfe Durchtrennung von Bindegewebszügen notwendig. Am jeweils tiefsten sichtbaren Punkt wird eine Overholt-Klemme gesetzt und die Präparationstechnik mit dem Finger so weit fortgeführt, bis die ganze Thymusdrüse entfernt ist, d. h. bis das untere kaudale konvexbogig begrenzte Ende sichtbar wurde (. Abb. 3.45 bis 3.47). Eine zervikale Thymektomie ist umso leichter, je jünger der Patient ist. Bei alten Menschen ist die involvierte Drüse leicht zerreißlich, sodass eine komplette zervikale Thymektomie gelegentlich nicht gelingt. Ist ein Nebenschilddrüsentumor in der Thymusdrüse enthalten, ist er meist schon von außen sichtbar.
. Abb. 3.47. Zervikale Thymektomie. Zustand nach Extraktion der Thymusdrüse, in die ein Epithelkörperchentumor eingebettet ist
240
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Normales Nebenschilddrüsengewebe kann nach seriellem Aufschneiden der Thymusdrüse oder vom Pathologen nach histologischer Untersuchung gefunden werden.
3
Indikation zur Schilddrüsenresektion im Rahmen einer Halsexploration wegen pHPT. In der Schilddrüse gelegene Neben-
schilddrüsen bzw. Nebenschilddrüsentumoren sind extrem selten. In einer sehr sorgfältigen, mehr als 500 Präparate umfassenden Autopsiestudie wurde die Häufigkeit mit 0,2% angegeben (Akerström et al. 1984). Andere Autoren nehmen Häufigkeiten bis zu 2% an. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Nebenschilddrüsentumoren oft intrathyreoidal zu liegen scheinen, d. h. entweder unter der inneren Schilddrüsenkapsel liegen oder bei Knotenstrumen in Einziehungen zwischen Knoten zu finden sind. Wurde eine Nebenschilddrüse nicht gefunden und ist sie wahrscheinlich tumorartig verändert – die 3 übrigen dargestellten sind normal, oder mehrere sind vergrößert, und es wurden sämtliche o. g. und in 7 Kap. 3.2 ausführlich beschriebenen Lagevarianten einschließlich der Thymusdrüse und der Möglichkeit einer nicht deszendierten oberen Nebenschilddrüse berücksichtigt – sollte die Schilddrüse sorgfältig abgetastet werden. Bei Knotenstrumen lohnt es den Aufwand nicht. Es muss dann als letzte Maßnahme eine Lobektomie auf der Seite erfolgen, auf der nur eine Nebenschilddrüse nachgewiesen wurde. Nach Angaben in der Literatur kann durch serielles Aufschneiden der Schilddrüsenhälfte in Einzelfällen Nebenschilddrüsengewebe gefunden werden. Die Autoren selbst haben bei ca. 1000 Eingriffen wegen pHPT diese Situation 5-mal erlebt.
. Abb. 3.48. Beispiel einer Skizze zur Dokumentation nach Operation wegen pHPT. Aussage: 3 Drüsen dargestellt, 2 normal, eine groß (= solitäres Adenom), 1,2 g schweres Adenom links oben entfernt, normale Nebenschilddrüse rechts unten biopsiert, linke untere Drüse lag in der Thymuszunge, rechte obere Drüse nicht gefunden
Dokumentation. Bei Reoperationen wegen persistierendem
pHPT zeigt sich immer wieder eine ungenügende Dokumentation der Erstoperation. Wichtig ist es, am gleichen Tag den Operationsbericht zu diktieren, wenn die Fakten noch frisch im Gedächtnis sind. Hierbei sind die Positionen und das Aussehen der gefundenen Nebenschilddrüsen exakt zu beschreiben und in Beziehung zu setzen mit der A. thyreoidea inferior, dem N. recurrens, der Schilddrüse und der Thymusdrüse. In der Klinik der Autoren ist es üblich, eine Zeichnung des Operationssitus anzufertigen, aus der hervorgeht, wieviele Drüsen gefunden wurden, wo sie lagen und welche biopsiert und welche entfernt wurden (. Abb. 3.48). Entnommene Drüsen werden grundsätzlich gewogen (. Abb. 3.49). Die Rolle des Pathologen während der Halsexploration. Die Rol-
le des Pathologen wird ausführlich und sachgerecht in 7 Kap. 3.3 beschrieben. Aus chirurgischer Sicht sei nur an folgendes erinnert: Während der Operation ist der Pathologe lediglich in der Lage, eingesandtes Gewebe seiner Organzugehörigkeit zuzuordnen, d. h., er kann die Identität von Nebenschilddrüsengewebe, Schilddrüsengewebe, Lymphknoten, Fett usw. nachweisen. Es ist ihm nicht möglich, nach Untersuchung einer Drüse Auskunft zu geben, ob es sich hier um ein Adenom oder eine Hyperplasie handelt. Hierzu muss er mindestens 2 Drüsen komplett untersuchen. Auch die Karzinomdiagnose ist im Schnellschnitt kaum zu machen. Wenn ein erfahrener Pathologe die Fettfärbung mit in die Schnellschnittbeurteilung einbezieht, ist es ihm allerdings häufig möglich, proliferiertes von supprimiertem Gewebe zu unterscheiden und bei fraglich vergrößerten Nebenschilddrüsen im Rahmen dieser Färbung mitzuteilen, ob hier eine Proliferation vorliegt. Grundsätzlich muss jedoch nach makroskopischen Kriterien entschieden werden, welche pathologisch-
. Abb. 3.49. Waage zum Wiegen der Nebenschilddrüsentumoren unmittelbar nach Entnahme im Operationssaal. Das Gewicht der Tumoren korreliert mit dem Serumkalziumspiegel und häufig mit der Schwere des klinischen Krankheitsbildes
anatomische Veränderung vorliegt – solitäres Adenom, Doppeladenom, Hyperplasie mehrerer Drüsen – und welches Gewebe zu entfernen ist. Operative Therapie des Epithelkörperchenkarzinoms. Auf diesen seltenen Tumor wird im 7 Kap. 3.4.7 ausführlich eingegangen. Deshalb in aller Kürze folgendes: Epithelkörperchenkarzinome machen im eigenen Krankengut etwa 1% der pathologisch-anatomischen Diagnosen aus. Alle Patienten, bei denen im eigenen Krankengut ein Nebenschilddrüsenkarzinom diagnostiziert wurde, entwickelten auch Metastasen und mussten mehrfach operiert werden. Dass die Diagnose »Epithelkörperchenkarzinom« in der Vergangenheit zu häufig gestellt wurde, wenn lediglich die pathologisch-anatomische Diagnose zugrunde lag, wird in der neueren Literatur bestätigt (Sandelin et al. 1991). 4 Meistens ist es zum Zeitpunkt der Erstoperation unbekannt, dass als Ursache des pHPT ein Epithelkörperchenkarzinom vorliegt. Hinweise aus Anamnese und Befunden können al-
241 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
lerdings den Verdacht auf einen malignen Tumor aufkommen lassen. Es sind in erster Linie die Kombination schwerer Folgeerkrankungen wie z. B. fortgeschrittene Nephrolithiasis und Knochenerkrankung, des Weiteren stark erhöhte Serumkalziumwerte, das Rezidiv eines pHPT nach zuvor entferntem »Adenom« an gleicher Stelle oder ein palpabler, derber Tumor sowie eine Rekurrensparese. Die beiden letztgenannten Zeichen weisen allerdings schon auf einen fortgeschrittenen Befund hin. 4 Während der Operation muss der Verdacht auf ein Epithelkörperchenkarzinom geäußert werden, wenn es sich um einen derben, gräulichen, mit einer dicken Kapsel umgebenen und mit der Umgebung stark verbackenen Tumor handelt. Die Tumoren sind dann meist an der Rückfläche der Schilddrüse adhärent, zuweilen auch an der Trachea und dem Bindegewebe neben der Luftröhre einschließlich N. recurrens. Ist aufgrund eines oder mehrerer der eben angeführten Befunde der Verdacht auf ein Epithelkörperchenkarzinom gegeben, kann zunächst nur der Tumor in sano entfernt werden. Der Pathologe wird jedoch nur selten mit Sicherheit sagen können, ob es sich tatsächlich um ein Nebenschilddrüsenkarzinom handelt, da die üblichen histologischen Kriterien für Malignität (Mitosen, Kapseldurchbruch, Gefäßinvasion) hier nicht eindeutig und während eines Schnellschnittes ohnehin schwer zu erkennen sind. Sprechen jedoch mehrere klinische Fakten mit oder ohne pathologisch-anatomische Hinweise für ein Nebenschilddrüsenkarzinom, muss eine radikale Operation erfolgen, d. h. der Tumor muss mitsamt der gleichseitigen Schilddrüsenhälfte und dem umgebenden Fett und Bindegewebe bis zur Gefäßnervenscheide entfernt werden. Ist der Verdacht auf Lymphknotenmetastasen gegeben, muss eine systematische Ausräumung des medialen und lateralen Kompartments auf der Tumorseite erfolgen. Lässt sich der N. recurrens nicht aus dem Tumor befreien, auch nicht unter Zuhilfenahme einer Lupenbrille und sorgfältiger Operationstechnik, muss er mit dem Tumor en bloc reseziert werden. Das radikale Vorgehen ist gerechtfertigt, da es keine Alternativen zur chirurgischen Therapie gibt. Eine wirksame Chemotherapie oder Strahlenbehandlung ist nicht bekannt. Im Endstadium der metastasierenden Erkrankung muss eine medikamentöse Kalziumsenkung erfolgen, z. B. durch Diphosphonate oder Kalzimimetika (7 Kap. 3.4.6). 3.4.4.4 Limitierte bzw. fokussierte Operationsverfahren Parallel zu der Verfeinerung lokalisationsdiagnostischer Verfahren sowie der Verbreitung des intraoperativen PTH-Monitorings entwickelten sich in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zunehmend Operationsverfahren, die nicht wie die bilaterale Exploration darauf ausgerichtet waren, alle Nebenschilddrüsen darzustellen, sondern gezielt oder fokussiert diejenige aufzusuchen und zu resezieren, die aufgrund der präoperativen Lokalisationsdiagnostik als pathologisch beurteilt worden war. Begriffstechnisch werden diese Eingriffe oft auch »minimalinvasive« Parathyreoidektomien genannt. Es sei darauf verwiesen, dass insbesondere in den USA mit dem Ausdruck »minimalinvasiv« oft die Durchführung der Operation in Lokalanästhesie gemeint ist. Alle diese Operationen haben 4 Eigenschaften gemeinsam: 4 Vorausgegangene Lokalisationsdiagnostik mit lokalisierter pathologischer Drüse 4 Klein gehaltener chirurgischer Zugang
3
4 Limitierte Darstellung der Nebenschilddrüsen (maximal deren zwei) 4 Biochemische Erfolgskontrolle mittels intraoperativem PTHMonitoring (eine »conditio sine qua non« bei fokussiertem Zugang) Im Wesentlichen unterscheiden sich diese Operationen lediglich im chirurgischen Zugangsweg sowie dem unterschiedlichen Einsatz videoendoskopischer Techniken. Der Zugangsweg zu den Nebenschilddrüsen kann über einen kleinen (2–3 cm langen) Querschnitt in der Mittellinie zwischen der geraden Halsmuskulatur erfolgen. Eine Alternative stellt der sog. laterale Zugang dar. Dabei wird über eine Hautinzision etwas lateral der Mittellinie sowie ventral der Vorderkante des M. sternocleidomastoideus lateral der geraden Halsmuskulatur auf die Schilddrüse bzw. auf die Nebenschilddrüsen zupräpariert. Beim Einsatz der Videoendoskopie unterscheidet man grundlegend zwischen rein endoskopischen und endoskopisch-assistierten Verfahren. Bei den rein endoskopischen Operationen wird primär offen bis auf die Schilddrüse präpariert und in der Folge nach Einbringen eines abgedichteten Trokars »para-thyreoidal« ein Raum mittels Präparation und CO2-Insufflation geschaffen (»Pneumocollum«). Die endoskopisch-assistierten Eingriffe bedürfen keines Pneumocollums. Durch eine einzige Hautinzision werden sowohl die Endoskopie-Optik wie auch die zur Präparation benötigten Instrumente eingebracht. Historisch gesehen gehen die ersten limitierten Explorationen beim pHPT unter Verwendung des intraoperativen PTHMonitorings zur Erfolgskontrolle auf Chapuis et al. (1990) und Irvin et al. (1991) zurück. Chapuis (1992) war zudem der Erstbeschreiber der limitierten Parathyreoidektomie unter Lokalanästhesie. Eine weitere Dimension erhielten limitierte Explorationen durch die Erstbeschreibung der ersten rein videoendoskopischen Exploration durch Gagner (1996). Die videoendoskopisch assistierte Form der Operation wurde durch Miccoli et al. (1997) erstmals beschrieben. Zurzeit werden im Wesentlichen drei differente Formen fokussierter Explorationsformen durchgeführt. Sie sollen unter Erwähnung der aktuell üblichen Nomenklatur, Abkürzung sowie Exponenten der entsprechenden Technik aufgeführt werden. Endoskopische Parathyreoidektomie über einen lateralen Zugang (EPLA). Bei dieser Operationstechnik handelt es sich um
das vermutlich am häufigsten verwendete rein-endoskopische Verfahren (Henry et al. 1999). In dieser Technik wird am Vorderrand der M. sternocleidomastoideus eine 12-mm-Inzision durchgeführt und über den lateralen Zugang die Präparation vor bzw. hinter die Schilddrüse geführt. In diese Inzision wird ein 10-mm-Trokar eingeführt und in der Folge ein Pneumocollum von 8 mmHg angelegt. Die Darstellung des Situs erfolgt mittels eines 10-mm-Videoendoskops. Die weitere Präparation erfolgt über zwei 2–3-mm-Trokare und die entsprechenden Instrumente, sodass insgesamt 3 Inzisionen gemacht werden (. Abb. 3.50 bis 3.52). Minimalinvasive videoassistierte Parathyreoidektomie (MIVAP).
Bei dieser Technik (Miccoli et al. 1997) wird über dem Jugulum eine ungefähr 1,5–2 cm lange Inzision angelegt. Die Darstellung erfolgt während der gesamten Intervention mittels Retraktoren durch diese eine Inzision, über welche sowohl ein 5-mm-Video-
242
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
. Abb. 3.50. EPLA: Trokarpositionen für die Exploration der linken Seite
. Abb. 3.53. MIVAP: limitierter offener Zugang von 1,5–2 cm Länge
. Abb. 3.51. EPLA mit gesetztem 10-mm-Trokar und 2-mm-Trokar an kranialer Position
. Abb. 3.54. MIVAP: Modifikation mit zusätzlichem jugulären Zugang für das Endoskop (mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Lorenz, Halle)
endoskop (30°) wie auch die benötigten Instrumente eingebracht werden (. Abb. 3.53 und 3.54).
. Abb. 3.52. EPLA: bipolare Koagulation der zuführenden Gefäße eines Adenoms der Lokalisation kranial rechts
Offene minimalinvasive Parathyreoidektomie (OMIP). Bei den offenen minimalinvasiven Verfahren erfolgt die Präparation konventionell über eine möglichst klein gehaltene Inzision. Dabei wird entweder über die Mittellinie oder über den lateralen Weg auf die pathologische Nebenschilddrüse hin präpariert. Beim medianen Zugang handelt es sich in der Sache eigentlich um eine konventionelle unilaterale Exploration. Im Gegensatz zu den endoskopischen bzw. endoskopisch-assistierten Techniken wird bei diesen limitierten, offenen Operationen immer häufiger auch in Regional- oder Lokalanästhesie gearbeitet (Chen et al. 1999; Udelsman et al. 2002; Bergenfelz et al. 2005; . Abb. 3.55).
243 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
Limitierte bzw. fokussierte Verfahren. Anlässlich der Tagung
. Abb. 3.55. 1,3 g schweres Nebenschilddrüsenadenom nach Resektion durch offene, minimalinvasive Parathyreoidektomie (OMIP) über eine ca. 2 cm lange Inzision in Lokalanästhesie
der International Association of Endocrine Surgeons (IAES) im Jahre 2004 wurden von den Exponenten der drei erwähnten fokussierten Verfahren die Ergebnisse zusammenfassend präsentiert. Für die rein-endoskopische Exploration wurden bei 365 operierten Patienten folgende Komplikationen festgestellt (Henry et al. 2004): Rekurrensparesen 0,3%, Hämatome 0,5%, Verletzung der V. jugularis interna 0,3%, Kapselrupturen 1,6% und Mortalität 0%. Die endoskopisch-assistierte Operation verzeichnete bei 350 Patienten in 0,8% eine Rekurrensparese und in 0,3% eine revisionswürdige Nachblutung. Die Mortalität betrug 0% (Miccoli et al. 2004). Die limitierte Exploration in Regionalbzw. Lokalanästhesie wies bei 255 Patienten eine Rekurrenspareserate von 0,8%, eine Hämatomausbildung in 0,8%, einen Krampfanfall in 0,8% sowie keine Mortalität auf (Udelsman et al. 2002, 2004). Es kann also festgehalten werden, dass die minimalinvasiven Eingriffe in den Händen ihrer Promotoren im Vergleich zu den von der Mayo Klinik bei der bilateralen Exploration erreichten Resultaten keine höhere Morbidität haben. 3.4.4.6 Kurzzeitergebnisse Bilaterale zervikale Exploration. Die kurzfristigen Ergebnisse
Cave Als Kontraindikationen für eine fokussierte Operationstechnik gelten alle Affektionen, die bekannterweise zu pathologischen Veränderungen aller Nebenschilddrüsen führen können. Dies sind die familiären Formen des pHPT (isolierter familiärer HPT, MEN 1, MEN 2, HPT-JT-Syndrom) sowie der lithiuminduzierte HPT. Voroperationen gelten insbesondere für die videoendoskopisch unterstützten Operationen ebenfalls als Kontraindikation. Absolute Voraussetzung für den Einsatz dieser Techniken ist nebst dem bereits erwähnten PTH-Monitoring eine relevante Erfahrung in konventioneller Nebenschilddrüsenchirurgie.
3.4.4.5 Intra- und postoperative Komplikationen Bilaterale zervikale Exploration. Erfreulicherweise besteht bei Exploration wegen pHPT eine äußerst niedrige Morbidität und Mortalität. So ist nach Ersteingriffen mit einer Rate von weniger als 1% an permanenten Rekurrensparesen zu rechnen; unspezifische Komplikationen wie Wundinfekte oder Hämatome finden sich in ähnlicher Häufigkeit. In der oft als »golden standard« bezeichneten Publikation der Mayo-Klinik (van Heerden und Grant 1991) wird eine Rekurrenspareserate von 0,8%, eine Wundinfektrate von 1,6% sowie eine Mortalität von 0,3% beschrieben. Es kommt extrem selten vor, dass Patienten nach einer Parathyreoidektomie sterben. In der eigenen Erfahrung sowie gemäß einer Publikation aus der Mayo-Klinik sind dies multimorbide Patienten mit einer Hyperkalzämie von mehr als 3 mmol/l und kardiovaskulären Risiken bzw. akuten hämorrhagisch-nekrotisierenden Pankreatitiden. Die letztgenannte Erkrankung tritt gelegentlich auf, bevor die Hyperkalzämie und der pHPT diagnostiziert werden und ist dann Einweisungsdiagnose. Typische Todesursachen sind dann Sepsis und Schock als Folge der akuten Pankreatitis oder ein Myokardinfarkt in der unmittelbar postoperativen Zeit. Im eigenen Krankengut starben in den letzten 20 Jahren 3 Patienten, alle an einer hämorrhagisch-nekrotisierenden Pankreatitis bei lange bestehendem, fortgeschrittenem pHPT (Koppelberg et al. 1994; Funke et al. 1997).
nach Operation wegen eines pHPT können als exzellent bezeichnet werden. Nach Ersteingriffen kann bei mehr als 95% der Patienten kurz nach der Operation eine Normokalzämie erreicht werden, die auch langfristig anhält. Bei normaler Nierenfunktion fällt das Serumkalzium binnen 24–48 h in den Normbereich ab. Die Ergebnisse sind besser bei solitären Adenomen. Wenn das Adenom gefunden wird, wird hier eine Normokalzämie bei allen Patienten erreicht. Nicht so gut sind die Ergebnisse nach operativer Therapie primärer Hyperplasien, wobei hier eine Normokalzämie bei etwa 90% der Patienten zu erwarten ist. Bei den übrigen 10% der Patienten wird je etwa zur Hälfte die Hyperkalzämie persistieren oder eine langfristig mit Kalzium und VitaminD-Metaboliten substitutionspflichtige Hypokalzämie bestehen. In der Gruppe der familiären primären Hyperplasien sind die Ergebnisse noch etwas schlechter. Bei etwa 10–20% der Patienten muss eine Persistenz bzw. ein Rezidiv der Hyperkalzämie in Kauf genommen werden, bei etwa 10% ist eine permanente Hypokalzämie Folge der Operation (Wells et al. 1980). Diese sehr pauschalen Daten beziehen sich auf unterschiedliche Studien aus unterschiedlichen Zeiträumen mit unterschiedlichen operativen Methoden. In jüngerer Zeit sind im eigenen Krankengut bei grundsätzlicher Anwendung der totalen Parathyreoidektomie und Autotransplantation bei Patienten mit familiärem pHPT und pHPT im Rahmen eines MEN 1-Syndroms 90% der Patienten normkalzämisch gewesen, hyperkalzämisch blieb kein Patient, eine behandlungsbedürftige Hypokalzämie lag postoperativ bei 10% der Patienten vor, nach einem Jahr noch bei 5% (Funke et al. 1997). In einer Nachuntersuchung aus Schweden bei mehreren hundert Patienten mit pHPT und einer minimalen Nachuntersuchungszeit von 9 Jahren wurde bei 16% der Patienten, die wegen einer Hyperplasie operiert worden waren, erneut eine Hyperkalzämie festgestellt, jedoch auch bei 3% der Patienten, bei denen ein solitäres Adenom entfernt worden war (Akerström et al. 1986). Im eigenen Krankengut wurde insgesamt nach dem Ersteingriff die Hyperkalzämie in 98,5% der Fälle beseitigt, bei Patienten mit solitärem Adenom war dies in 99% der Fall, bei den Hyperplasien (sporadisch und familiär) in 95%. Die schon zitierte Publikation von van Heerden und Grant (1991) setzte auch hier mit 99,5% Erfolgsrate eine schwer erreichbare Marke.
244
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Limitierte bzw. fokussierte Verfahren. Bei der Beurteilung des Operationserfolges minimalinvasiver Operationstechniken gilt es zu bedenken, dass bekannte Affektionen, die zu einer Hyperplasie sämtlicher Nebenschilddrüsen führen können, bereits bei der Indikationsstellung ausgeschlossen sein sollten. Da diese Operationstechniken in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre erst aufkamen, liegen bis jetzt lediglich mittelfristige Resultate hinsichtlich Korrektur der Hyperkalzämie vor. Die längsten Nachbeobachtungszeiten liegen bei ungefähr 6–7 Jahren. Für die endoskopische Parathyreoidektomie über einen lateralen Zugang wird für 244 Patienten mit einem Follow-up von median 16,9 Monaten (range 2–63 Monate) eine primäre Heilungsrate von 98,4% angegeben (Henry et al. 2004). Für die endoskopisch-assistierte Form beträgt die Normokalzämierate von 359 Patienten mit einer medianen Nachbeobachtung von 35,1 Monaten (range 2–83 Monate) 98,3% (Miccoli et al. 2004). Die offene limitierte Exploration hatte eine Heilungsrate von 99% (Udelsman et al. 2002, 2004). Es sind Zweifel angebracht, dass diese Ergebnisse langfristig so bleiben (Lee u. Norton 2002).
3.4.4.7 Langzeitergebnisse Eine gelungene Parathyreoidektomie mit Erreichen einer langfristigen Normokalzämie beeinflusst sowohl den Verlauf der hyperkalzämie-assoziierten Symptome wie auch die Folgeerkrankungen. Insbesondere bei den hyperkalzämie-assoziierten Symptomen (Energielosigkeit, Müdigkeit, Vergesslichkeit, Polydipsie, Polyurie etc.) ist eine »restitutio ad integrum« zu erwarten. Nephrolithiasis/Nephrokalzinose. Gut untersucht ist auch der Einfluss der Parathyreoidektomie auf die Nephrolithiasis. Kommt es hier unmittelbar vor oder nach der Operation zu einer Steinsanierung durch ESWL oder andere Maßnahmen und liegt kein Infekt im Bereich der Nierenbecken vor, ist mit einem Ausbleiben des Rezidivs einer Nephrolithiasis zu rechnen. Vorhandene asymptomatische Steine werden nicht größer (Niederle et al. 1986). Prognostisch ungünstig ist die Nephrokalzinose. Sie wurde früher bei etwa 5–10% der Patienten gefunden und ist heute, nachdem der pHPT früher diagnostiziert wird, eine Seltenheit. Die Nephrokalzinose, die zu einer Einschränkung der Nierenfunktion führt, lässt sich wahrscheinlich durch die Parathyreoidektomie nicht beeinflussen. Sie schreitet postoperativ weiter fort oder bleibt für längere Zeit auf stabilem Niveau. Es ist seit langem bekannt, dass der pHPT auch ohne Nephrolithiasis oder Nephrokalzinose eine Nierenfunktionsstörung hervorrufen kann, fast immer begleitet von einer arteriellen Hypertonie. Je nach der Zusammensetzung des Krankengutes und dem Zeitraum, in dem die Erhebung stattfand, liegt eine Nierenfunktionsstörung bei 6–48% der Patienten vor. Heute muss etwa bei 6% der Patienten präoperativ damit gerechnet werden. Ist die Nierenfunktion bereits hochgradig eingeschränkt, wird die Parathyreoidektomie keine wesentliche Besserung bringen. Ist jedoch eine glomeruläre Filtrationsrate von mindestens 25% der Norm zum Zeitpunkt der Operation erhalten, kann mit einer langfristig günstigen Entwicklung gerechnet werden. Obwohl es Hinweise für einen Zusammenhang zwischen der arteriellen Hypertonie und der chronischen Hyperkalzämie gibt, weist die meist fehlende Normalisierung des Blutdrucks nach Parathyreoidektomie darauf hin, dass entweder andere Faktoren dafür verantwortlich sind oder die Hypertonie, wenn sie denn durch die jahrelange Hyperkalzämie hervorgerufen wurde, bereits als fixiert betrachtet werden muss (Niederle et al. 1986).
Knochenaffektion. Eine Knochenerkrankung im Sinne einer
Ostitis fibrosa generalisata, wie sie früher beobachtet wurde, ist heute eine absolute Rarität. Wenn überhaupt eine Knochenaffektion festgestellt wird, handelt es sich um subperiostale Resorptionszonen an den Phalangen sowie Akroosteolysen oder um eine reduzierte Knochendichte. Hier ist im Verlauf des ersten Jahres nach der Operation mit einer »restitutio ad integrum« zu rechnen. Es ist vor allem die Wiederherstellung des kortikalen Knochens, die der Normalisierung des Kalziumstoffwechsels zuzuschreiben ist. Die Knochendichte nimmt nachweislich zu (Silverberg et al. 1995, 1999). Zur Unterstützung dieser Remineralisation ist gelegentlich mittelfristig eine Supplementierungsbehandlung mit Kalzium und Vitamin D sinnvoll. Kardiovaskuläre Erkrankungen und Sterblichkeit. Eine Vielzahl von Publikationen beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie die Sterblichkeit durch eine erfolgreiche Parathyreoidektomie beeinflusst wird. Skandinavische Studien (Palmer et al. 1987, 1988; Hedbäck et al. 1990) zeigten Ende der 80er-Jahre, dass die Lebenserwartung von hyperkalzämischen Patienten statistisch signifikant geringer ist als diejenige einer normokalzämischen Kontrollpopulation. Wurde bei Patienten mit einem Alter unter 70 Jahren die Hyperkalzämie erfolgreich korrigiert, persistierte die höhere Sterblichkeit für weitere 7 Jahre; sie nahm jedoch dann in der Folge signifikant ab. Bei den über 70 jährigen Patienten konnte dieser günstige Effekt auf die Lebenserwartung nicht nachgewiesen werden. Andere Untersuchungen zeigen, dass nicht nur die Hyperkalzämie »per se« die Lebenserwartung beeinflusst, sondern auch Faktoren wie das Ausmaß der Hyperkalzämie, die Erkrankungsdauer vor der Operation sowie das Gewicht der entfernten Nebenschilddrüsenadenome. Diese Resultate allerdings wurden an Patienten erhoben, die in den 50erbis 70er-Jahren operiert worden waren und im Vergleich zu heute ein wesentlich fortgeschritteneres Krankheitsstadium aufwiesen, als dies heute vorgefunden wird. Ähnliche Resultate wurden jedoch kürzlich von einer dänischen Arbeitsgruppe publiziert (Øgard et al. 2004). Sie untersuchten Patienten, bei welchen zwischen 1977 und 1993 die Diagnose eines pHPT gestellt worden war. Im Vergleich zur Kontrollpopulation hatten die pHPT-Patienten ein signifikant höheres Risiko für einen frühzeitigen Tod durch ein kardiovaskuläres Ereignis und ein Malignomleiden. Eine andere Arbeit verglich die Inzidenz von Myokardinfarkten vor und nach Operation des pHPT (Vestergaard et al. 2003). Während den letzten 10 Jahren vor der Korrektur des pHPT sowie im ersten Jahr nach der Operation bestand ein deutlich höheres Risiko einen Myokardinfarkt zu erleiden als in der Kontrollgruppe. Mehr als ein Jahr nach der Intervention sank das Risiko auf das Niveau der Vergleichsgruppe. Diese Arbeiten zeigen, dass zunehmend Evidenz dafür besteht, dass der unbehandelte pHPT einen kardiovaskulären Risikofaktor darstellt und eine erfolgreiche Parathyreoidektomie hinsichtlich dieses Risikos einen günstigen Einfluss hat.
Literatur Akerström G, Malmaeus J, Bergström R (1984) Surgical anatomy of human parathyroid glands. Surgery 95:14–21 Akerström G, Bergström R, Grimelius L, Johansson H et al. (1986) Relation between changes in clinical and histopathological features. World J Surg 10:696–701
245 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
Almquist EG, Becker C, Bondeson AG, Bondeson L et al. (2004) Early parathyroidectomy increases bone mineral density in patients with mild primary hyperparathyroidism: prospective randomized study. Surgery 136:1281–1288 Bartsch D, Nies C, Hasse C, Willuhn J, Rothmund M (1995) Clinical and surgical aspects of double adenoma in patients with primary hyperparathyroidism. Br J Surg 82:926–929 Bergenfelz A, Lindblom P, Tibblin S, Westerdahl J (2002) Unilateral versus bilateral neck exploration for primary hyperparathyroidism: a prospective randomized controlled trial. Ann Surg 236:543–551 Bergenfelz A, Kanngiesser V, Zielke A, Nies C, Rothmund M (2005) Conventional bilateral cervical exploration versus open minimally invasive parathyroidectomy under local anaesthesia for primari hyperparathyroidism. Br J Surg 92:190–197 Bilezikian JP, Potts JT Jr, Fuleihan G,Kleerekoper M et al. (2002) Summary statement from a workshop on asymptomatic primary hyperparathyroidisma perspective for the 21st century. J Clin Endocrinol Metab 87:5353–5361 Carneiro DL, Slorzano CC, Nader MC et al. (2003) Comparison of intraoperative iPTH assay (QPTH) criteria in guiding parathyroidectomy: which criterion is the most accurate? Surgery 134 973–981 Chapuis Y, Fulla Y, Icard P et al. (1990) Peroperative assay of active parathormone 1-84 in surgery of primary hyperparathyreoidism. Press Med 19:1461–1462 Chapuis Y, Icard P, Fulla Y, Nonnenmacher L et al. (1992) Parathyroid adenomectomy under local anesthesia with intra-operative monitoring of UcAMP and/or 1-84 PTH. World J Surg 16:570–575 Chen H, Sokoll LJ, Udelsman R (1999) Outpatient minimally invasive parathyroidectomy: a combination of sestamibi-SPECT localization, cervical block anesthesia, and intraoperative parathyroid hormone assay. Surgery 126:1016–1021 Clerici T, Brandle M, Lange J, Doherty GM et al. (2004) Impact of intraoperative parathyroid hormone monitoring on the prediction of multiglandular parathyroid disease. World J Surg 28:187–192 Eigelberger MS, Cheah WK, Ituarte PH, Streja L et al. (2004) The NIH criteria for parathyroidectomy in asymptomatic primary hyperparathyroidism: are they too limited? Ann Surg 239:528–535 Fedorak IJ, Salti G, Fulton N, Schark C et al. (1994) Increased incidence of thyroid cancer in patients with primary hyperparathyroidism: a continuing dilemma. Am Surg 60:427–431 Funke M, Kim M, Hasse Ch, Bartsch D, Rothmund M (1997) Ergebnisse eines standardisierten Therapiekonzepts bei primärem Hyperparathyreoidismus. Dtsch Med Wochenschr 122:1475–1481 Gagner M (1996) Endoscopic subtotal parathyroidectomy in patients with primary hyperparathyroidism. Br J Surg 83:875 Gauger PG, Agerwal G, England BG, Delbridge LW et al. (2001) Intraoperative parathyroid hormone monitoring fails to detect double parathyroid adenomas: a 2-institution experience. Surgery 130:1005– 1010 Gotthardt M, Lohmann B, Behr TM, Bauhofer A (2004) Clinical value of parathyroid scintigraphy with technetium-99m methoxyisobutylisonitrile: discrepancies in clinical data and a systematic metaanalysis of the literature. World J Surg 28:100–107 Hasse C, Sitter H, Bachmann S, Zielke A et al. (2000) How asymptomatic is asymptomatic primary hyperparathyroidism? Exp Clin Endocrinol Diabetes 108:265–274 Hedbäck G, Odén A, Tisell LE (1995) Parathyroid adenoma weight and the risk of death after treatment for primary hyperparathyroidism. Surgery 117:134–139 Henry JF, Defechereux T, Gramatica L, de Boissezon C (1999) Minimally invasive videoscopic parathyroidectomy by lateral approach. Langenbecks Arch Surg 384:298–301 Henry JF, Sebag F, Tamagnini P, Forman C et al. (2004) Endosopic parathyroid surgery: results of 365 conseutive procedures. World J Surg 28:1219–1223 Irvin GL, Dembrow VD, Prudhomme DL (1991) Operative monitoring of parathyroid gland hyperfunction. Am J Surg 162:299–302
3
Irvin GL, Deriso GT (1994) A new, practical intraoperative parathyroid hormone assay. Am J Surg 168:466–468 Koppelberg T, Bartsch D, Printz H et al. (1994) Die Pankreatitis bei primärem Hyperparathyreoidismus (HPT) ist eine Komplikation des fortgeschrittenen pHPT. Dtsch Med Wochenschr 119:719–724 Lundgren E, Rastad J, Thurfjell E, Akerström G et al. (1997) Populationbased screening for primary hyperparathyroidism with serum calcium and parathyroid hormone values in menopausal women. Surgery 121:287–294 Lee NC, Norton JA (2002) Multiple gland disease in pHPT: a function of operative approach? Arch Surg 137:896–900 Malmaeus J, Granberg PO, Halvorsen G, Akerström G et al. (1988) Parathyroid surgery in Scandinavia. Acta Chir Scand 154:409–413 Mandl F. (1933) Zur Technik der Parathyreoidectomie bei Osteitis fibrosa aufgrund neuerer Beobachtungen. Dtsch Z Chir 240:362 Miccoli P, Bendinelli C, Berti P, Vignali E et al. (1999) Video-assisted versus conventional parathyroidectomy in primary hyperparathyroidism: a prospective randomized study. Surgery 126:1117–1121 Miccoli P, Berti P, Materazzi G, Massi M et al. (2004) Results of video-assisted parathyroidectomy: single institution’s six-year experience. World J Surg 28:1216–1218 Miccoli P, Pinchera A, Cecchini G, Conte M et al. (1997) Minimally invasive, video-assisted parathyroid surgery for primary hyperparathyroidism. J Endocrinol Invest 20:429–430 Niederle B, Roka R, Fritsch A (1986) Long-term results after surgical treatment of pPrimary hyperparathyroidism. In: Rothmund M, Wells SA (eds) Parathyroid surgery. Prog Surg 18:146–164 NIH conference (1991). Diagnosis and management of asymptomatic primary hyperparathyroidism: consensus development conference statement. Ann Intern Med 114:593–597 Nilsson IL (2004) Mortality in sporadic primary hyperparathyroidism: nationwide cohort study of multiple parathyroid gland disease. Surgery 136:981 Nilsson IL, Aberg J, Rastad J, Lind L (2000) Left ventricular systolic and diastolic function and exercise testing in primary hyperparathyroidism-effects of parathyroidectomy. Surgery 128:895–902 Nussbaum SR, Thompson AR, Hutcheson KA et al. (1988) Intraoperative measurement of parathyroid hormone in the surgical management of hyperparathyroidism. Surgery 104:1121–1127 Øgard CG, Engholm G, Almdal TP, Vestergaard H (2004) Increased mortality in patients hospitalized with primary hyperparathyroidism during the period 1977–1993 in Denmark. World J Surg 28:108–111 Palmer M, Bergström R, Akerström G, Adami HO et al. (1987) Survival and renal function in untreated hypercalcaemia. Lancet 1:59–62 Palmer M, Bergström S, Akerström G, Ljunghall S (1988) Prevalence of hypercalcemia in a health survey: a 14-year follow-up study of serum calcium values. Eur J Clin Invest 18:39–46 Rothmund, M. (1999) A parathyroid adenoma cannot be found. Brit J Surg 86:725 Sandelin K, Thompson NW, Bondeson L (1991) Metastatic parathyroid carcinoma: dilemmas in management. Surgery 110:978–988 ShenW, Düren M, Morita E, Higgins Ch et al. (1996) Reoperation for persistent or recurrent primary hyperparathyroidism. Arch Surg 131:861–869 Silverberg SJ, Gartenberg F, Jacobs ThP, Shane E et al. (1995) Increased bone mineral density after parathyroidectomy in primary hyperparathyroidism. JCE & M 80:729–734 Silverberg SJ, Shane E, Jacobs TP, Siris E et al. (1999) A 10-year prospective study of primary hyperparathyroidism with or without parathyroid surgery. New England J Med 341:1249 Sywak MS, Knowlton ST, Pasieka JL,Parsons LL et al. (2002) Do the National Institutes of Health consensus guidelines for parathyroidectomy predict symptom severity and surgical outcome in patients with primary hyperparathyroidism? Surgery 132:1013–1019 Talpos GB, Bone HG, Kleerekoper M, Phillips ER et al. (2000) Randomized trial of parathyroidectomy in mild asymptomatic primary hyperparathyroidism: patient description and effects on the SF-36 health survey. Surgery 128:1013–1021
246
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Tibblin S, Bondeson AG, Ljungberg O (1982) Unilateral parathyroidectomy in hyperparathyreoidism due to a single adenoma. Ann Surg 195:245– 252 Udelsman R (2002) Six hundred fifty-six consecutive explorations for primary hyperparathyroidism. Ann Surg 235:665–672 Udelsman R, Donovan PI (2004) Open minimally invasive parathyroid surgery. World J Surg 28:1224–1226 Van Heerden JA, Grant CS (1991) Surgical treatment of primary hyperparathyroidism: an institutional perspective. World J Surg 15:688– 692 Vestergaard P., Mollerup C. L., Frokjaer V. G., P. Christiansen P. et al. (2003) Cardiovascular events before and after surgery for primary hyperparathyroidism. World J Surg 27:216–222 Wagner PK, Seesko HG, Zielke A, Meier F et al. (1990) Primärer Hyperparathyreoidismus: Ein Krankheitsbild hat sich gewandelt. Dtsch Med Wochenschr 115:1419–1425 Wells SA, Farndon JR, Dale JK, Leight GS et al. (1980) Long-term evaluation of patients with primary parathyroid hyperplasia managed by total parathyroidectomy and heterotopic autotransplantation. Ann Surg 192:451–458
3.4.5 Diagnostik und Therapie
des persistierenden und rezidivierenden Hyperparathyreoidismus
biet der Chirurgie tätig werden, höher ist. Hinzu kommt, dass die Zahl der Erstoperationen in den Zentren mit Erfahrung zugenommen hat und damit auch die Reoperationen, wenn auch auf niedrigem Niveau. In den USA scheint das Problem größer zu sein als in Europa oder anderen Teilen der Welt. In der MayoKlinik machten z. B. in den 70er-Jahren die Reoperationen 3,8% aller Eingriffe an den Nebenschilddrüsen aus. Die entsprechenden Raten für die 80er- und 90er-Jahre sind 9,3% und 15,4% (van Heerden 1997). In vielen europäischen Zentren liegt der Anteil von Reoperationen am Gesamtkrankengut der Patienten mit pHPT bei 5%, in der eigenen Klinik jedoch bei 13% (Funke et al. 1997; van Heerden 1997). Reoperationen können einfach und schnell durchführbar, aber auch sehr schwierig sein und das ganze Repertoire an Wissen und Techniken vor und während der Operation benötigen, das Endokrinologen, Radiologen und endokrine Chirurgen zur Verfügung haben. Aus diesem Grund sollten sie grundsätzlich in Zentren, die spezielle Erfahrung in dieser Art von Chirurgie haben, vorgenommen werden. Zu unterscheiden ist zwischen persistierendem und rezidivierendem pHPT. Mehr als 90% der Patienten, bei denen eine Reoperation in Betracht gezogen wird, haben eine persistierende Erkrankung, d. h. der Serumkalziumspiegel ist nach der Erstoperation nicht abgesunken oder postoperativ schon bald wieder hoch.
M. Rothmund, A. Bergenfelz ) ) Operationen wegen persistierendem oder rezidivierendem primärem Hyperparathyreoidismus (pHPT) können außerordentlich schwierig und zeitaufwendig sein. Voraussetzungen für das Gelingen einer Reoperation sind die unzweifelhafte Sicherung der Diagnose sowie das Vorliegen des Operationsberichtes von der Voroperation und der histologischen Befunde über die dabei entnommenen Gewebe. Eine präoperative Lokalisationsdiagnostik des/der gesuchten Tumors/Tumoren ist äußerst hilfreich. Es werden viele Verfahren angeboten, nur einige sind wirklich gut geeignet. Wesentlich ist auch die persönliche Erfahrung des Bildgebers. Bei positiver Lokalisation und wahrscheinlich solitärem Adenom kann gezielt nach Lokalisation vorgegangen werden. Bei Verdacht auf eine Mehrdrüsenerkrankung oder negativer Lokalisationsdiagnostik muss eine komplette Halsexploration, evtl. unter Einbeziehung des Mediastinums, erfolgen. Zur intraoperativen Kontrolle der Vollständigkeit der Resektion des hormonaktiven Gewebes ist die Möglichkeit einer Schnellbestimmung von Parathormon vorzuhalten. Entnommenes Parathyreoideagewebe muss kältekonserviert werden, damit bei langfristiger Unterfunktion eine Replantation erfolgen kann. Die Ergebnisse von Reoperationen wegen pHPT sind nicht so gut wie die von Erstoperationen; die postoperative Normokalzämierate liegt zwischen 80 und 90%.
3.4.5.1 Häufigkeit, Definition und Kosten Erfahrene endokrine Chirurgen sind in der Lage, mehr als 95% der Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus (pHPT) beim Ersteingriff erfolgreich zu operieren, d. h. die Hyperkalzämie zu beseitigen (Funke et al. 1997). Reoperationen sind dennoch ein relativ häufiges Problem, da die Rate an erfolglosen Erstoperationen bei Chirurgen, die nur gelegentlich in diesem Ge-
Definitionsgemäß liegt Persistenz vor, wenn innerhalb des ersten halben Jahres nach der Operation wieder erhöhte Serumkalziumwerte gemessen werden. Als pHPT-Rezidiv gilt, wenn Patienten mindestens 6 Monate nach der Operation normokalzämisch waren und der Serumkalziumspiegel erst später wieder ansteigt.
Obwohl der Kostenaspekt in unserem Medizinsystem nicht so gut gemessen werden kann, zeigen Erfahrungen aus dem Ausland, dass die Kosten für eine Reoperation etwa doppelt so hoch sind wie für eine Erstoperation. Dies ist sowohl auf die hier angewandte präoperative Lokalisationsdiagnostik zurückzuführen als auch auf eine höhere Zahl an Laboruntersuchungen und den größeren Aufwand des Pathologen. Außerdem ist die Arbeitsunfähigkeit der Patienten durchschnittlich länger und die Rate an Komplikationen höher (Doherty et al. 1994). 3.4.5.2 Ursachen für erfolglose Erstoperationen Eine große Zahl von Studien zu diesem Problem belegt, dass nicht etwa extreme dystope Lagen von Nebenschilddrüsentumoren Ursache der Persistenz der Hyperkalzämie sind, sondern sehr häufig das mangelnde Wissen des Operateurs über die chirurgische Anatomie der Nebenschilddrüsen und ihre in der Literatur gut beschriebenen normalen und abweichenden Lagevarianten. Demnach wird bei den meisten Patienten (ca. 80%), die sich einer Reoperation unterziehen müssen, ein solitäres Adenom gefunden. Diese Situation ist dann wahrscheinlich, wenn bei der Voroperation keine oder nur normale Epithelkörperchen angetroffen wurden. Der zweithäufigste Grund für Persistenz des pHPT ist der, dass zwar ein Nebenschilddrüsentumor bei der Erstoperation entfernt wurde, aber übersehen wurde, dass mehrere vergrößerte Nebenschilddrüsen, entweder ein zweites Adenom oder weitere
247 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
das mögliche Vorliegen des seltenen familiären Syndroms einer familiären hyperkalzämischen Hypokalzurie (FHH). Diese hereditäre Erkrankung beruht auf einem Defekt des Kalziumrezeptors und ist assoziiert mit niedrigen Konzentrationen an Urinkalzium und erhöhten Serumkalziumspiegeln bei normalen oder erhöhten PTH-Spiegeln. An die Erkrankung sollte v. a. bei Vorliegen eines familiären pHPT gedacht werden. Für die Diagnose typisch ist ein Urinkalzium von weniger als 100 mg in einer 24-h-Probe. Eine weitere Sicherung der Diagnose kann erreicht werden durch die Messung des Verhältnisses von Kalzium-Clearance zu Kreatinin-Clearance. Patienten mit einer FHH haben ein Verhältnis von weniger als 0,01. Eine Operation bei diesen Patienten ist kontraindiziert (Marx et al. 1980; van Heerden 1997).
5
6
77
15
11
3
4
. Abb. 3.56. Lokalisation von beim Ersteingriff nicht entdeckten bzw. nicht entfernten Nebenschilddrüsentumoren bei 106 in der eigenen Klinik durchgeführten Reexplorationen wegen persistierendem oder rezidivierendem pHPT (1987–2004). Die Zahlen entsprechen der Anzahl entdeckter Tumoren
hyperplastische Drüsen, vorhanden waren. Mitbeteiligt an diesem Problem sind auch Pathologen, die bei Untersuchung nur einer vergrößerten Drüse nicht zwischen Hyperplasie und Adenom unterscheiden können, es aber doch gelegentlich tun. Erst an dritter Stelle sind seltene Lagevarianten – wie die Position eines Nebenschilddrüsentumors im aortopulmonalen Fenster oder im vorderen Mediastinum unabhängig von der Thymusdrüse oder sehr hoch im Halsgebiet in Höhe des Kieferwinkels – Ursachen für einen Misserfolg der Erstoperation. In großen Serien ist immer wieder feststellbar, dass bei Reexplorationen die meisten Nebenschilddrüsentumoren im Halsgebiet in üblichen Positionen angetroffen werden (. Abb. 3.56). Mediastinale Lokalisationen sind auch bei erfolglos voroperierten Patienten selten (Wang 1977; Brennan u. Norton 1985; Grant et al. 1986; Levin u. Clark 1989; Carty u. Norton 1991; van Heerden 1997; Karakas et al. 2005). 3.4.5.3 Präoperative Diagnostik Bevor eine gelegentlich sehr aufwendige, Stunden dauernde, den Patienten sehr belastende Reoperation ins Auge gefasst wird, sollte die Diagnose eines pHPT nochmals gesichert werden. Seit der Einführung der modernen Methoden für die Messung des intakten PTH kann sehr gut zwischen Hyperkalzämie aufgrund eines pHPT und solchen aus anderer Ursache, meist wegen maligner Tumoren, unterschieden werden, da bei der letztgenannten Patientengruppe niedrige Werte für intaktes PTH gemessen werden. Zu bedenken ist auch hier, wie schon vor Erstoperationen,
3.4.5.4 Indikation Die Indikation zur einer Reoperation wegen pHPT muss strenger gestellt werden als die zu einer Erstoperation, da der Eingriff für den Patienten schwerer und komplikationsträchtiger ist. Es steht außer Frage, dass Patienten mit Folgeerkrankungen des pHPT (Nephrolithiasis, Knochenerkrankungen, etc.) einer Reoperation unterzogen werden sollten. Patienten, die nur milde, evtl. neuromuskuläre Symptome haben oder Patienten, die als asymptomatisch bezeichnet werden müssen, sind viel kritischer zu betrachten. Untersuchungen zur Lebensqualität unter Benutzung des SF-36-Fragebogens zeigen, dass Patienten nach Reoperationen wegen pHPT häufiger über eine schlechte Lebensqualität klagen als solche nach Erstoperationen. Weiterhin berichten nur etwa 2/3 der Patienten über einen Rückgang ihrer Symptome nach der Reoperation. Wichtig ist auch zu wissen, dass Patienten nach Reoperationen häufiger unzufrieden mit dem Operationsergebnis sind als solche nach Primäroperationen. Vor allem solche Patienten, die ausgedehnte Operationen, incl. Sternotomie und Revision des Mediastinum, über sich ergehen lassen müssen (Hasse et al. 2002). Entscheidend ist in dieser Situation der Serumkalziumspiegel. Ist er nur leicht erhöht, etwa 2,7 oder 2,8 mmol/l, kann mit einer Reoperation abgewartet werden. Bei Serumkalziumspiegeln von 2,85 mmol/l und mehr ist eine klare Indikation zur Reoperation gegeben. Hilfreich können hier die Empfehlungen der amerikanischen Konsensuskonferenz sein, die zwar für Erstoperationen gedacht, aber hier zu streng sind. Wir empfehlen eine Reoperation bei Patienten, die jünger als 70 Jahre sind und einen Serumkalziumspiegel 2,85 mmol und mehr aufweisen sowie weitere, in der genannten Konsensuskonferenz festgelegte Kriterien, z. B. erhöhte Kreatininspiegel, eine erniedrigte Knochendichte oder ein erhöhtes Urinkalzium (7 Kap. 3.4.4). Der Grund für diese Empfehlung ist, dass gezeigt werden konnte, dass nach Langzeitnachbeobachtung (im Mittel etwa 10 Jahre) Patienten mit persistierendem oder rezidivierendem Hyperparathyreoidismus eine sehr viel höhere kardiovaskuläre Morbidität haben als nomokalzämische Patienten sowie einen schlechteren allgemeinen Gesundheitsstatus (Hedbäck et. al. 2004). Selbstverständlich ist bei der Indikationsstellung auch das allgemeine Risikoprofil des Patienten zu berücksichtigen (ASAKlassifikation), wobei man bei Patienten der Gruppe III und IV gute Gründe haben muss, eine Operation zu empfehlen. 3.4.5.5 Präoperative Lokalisationsdiagnostik Im Gegensatz zur Situation vor Erstoperationen, wo lokalisationsdiagnostische Verfahren nur bei Patienten nötig sind, die für ein minimalinvasives Verfahren in Frage kommen, sollte vor Re-
248
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
– Sicherung der Diagnose: Serum-Calcium, PTH intakt, Urin-Calcium – Kenntnis des OP-Berichtes und der Pathologie-Befunde der Voroperation
3
Sonographie und Sesta-Mibi-Szintigraphie
Positiv und konkordant
Kein Verfahren oder nur eines positiv, zweifelhafte Befunde oder Nicht-Konkordanz von Befunden
Selektive PTH-Bestimmung
MRT Hals und Mediastinum
Reoperation, evtl. mit intraoperativer selektiver PTH-Bestimmung
Wenn 2 Verfahren konkordant
. Abb. 3.57. Marburger Algorithmus zur Lokalisationsdiagnostik vor Reoperationen wegen pHPT
operationen versucht werden, das bei der Erstoperation zurückgelassene Gewebe zu lokalisieren. Dies geschieht durch bildgebende Verfahren oder durch selektive Blutentnahme in den Halsvenen und Hormonbestimmung, wobei von seiten der Radiologie unzählige Verfahren angeboten werden, die jedoch gerade vor Reoperationen aus chirurgischer Sicht nicht so erfolgreich sind, wie sie manchmal von radiologischer Seite dargestellt werden. Wichtiger als bildgebende Verfahren ist die Kenntnis des Berichtes von der Erstoperation und des Berichtes des Pathologen über die entnommenen Gewebe. Liegt ein guter Operationsbericht vor, kann er bezüglich der Lokalisation des gesuchten Gewebes hilfreicher sein als bildgebende Verfahren. Leider wird jedoch häufig in diesen Operationsberichten nicht klar zwischen oberen und unteren Nebenschilddrüsen unterschieden. Außerdem stimmen die Angaben über entnommenes oder verifiziertes Nebenschilddrüsengewebe im Operationsbericht nur selten mit dem Befund des Pathologen überein. Als verifizierte Nebenschilddrüsen können nur solche Gewebe gewertet werden, die auch vom Pathologen als solche bestätigt wurden. Da die genannten Informationen sehr wichtig sind, sollte man sich hier der Mühe unterziehen, den Operationsbericht und die Pathologiebefunde von der Erstoperation zu haben, bevor die nun folgenden lokalisationsdiagnostischen Maßnahmen einsetzen. Grundsätzlich sollten nichtinvasive Verfahren vor invasiven Verfahren eingesetzt werden. Das von uns derzeit empfohlene lokalisationsdiagnostische Vorgehen ist in dem Flussdiagramm (. Abb. 3.57) dargestellt. Als erstes sollte eine Sonographie des Halses von einem möglichst erfahrenen Sonographeur durchgeführt werden sowie eine Sesta-MIBI-Szintigraphie. Wenn beide Verfahren die glei-
che Lokalisation ergeben, kann die Lokalisation als gesichert angesehen und die Lokalisationsdiagnostik beendet werden. Hat nur eines dieser Verfahren oder weder die Sonographie noch die Sesta-MIBI-Szintigraphie einen Tumornachweis führen können, empfehlen wir als nächsten Schritt die selektive Blutentnahme aus den Halsvenen. Dieses schon in den 70er-Jahren eingeführte Verfahren hat an Bedeutung gewonnen, seitdem intaktes PTH gemessen werden kann. Obwohl bei exzessiven Voroperationen viele kleine Halsvenen unterbunden sind, erlaubt auch die Blutentnahme in den großen Venen des Halses und des Mediastinums häufig eine gute Lokalisation der Tumoren. Darüber hinaus kann die Bestimmung von Quick-PTH bei der selektiven Blutentnahme Vorteile bringen und die Region der gesteigerten Hormonproduktion näher eingrenzen (Udelsman et al. 2003). Stimmt die Lokalisation durch die selektive PTH-Bestimmung mit einem der vorgenannten Verfahren überein, kann ebenfalls die Lokalisationsdiagnostik beendet werden. Ist dies nicht der Fall, sollte eine MRT-Untersuchung des Halses und des Mediastinums erfolgen. Weitere lokalisationsdiagnostische Maßnahmen halten wir nicht für sinnvoll, da, wie oben beschrieben, die Kenntnisse der chirurgischen Anatomie der Nebenschilddrüsen und die operative Erfahrung in entsprechenden Zentren auch während der Operation noch diagnostische Maßnahmen erlauben, wobei die selektive Blutentnahme aus den Halsvenen auch intraoperativ erfolgen kann unter Verwendung der Quick-PTH Bestimmung. In der eigenen Erfahrung hat diese Methode ein hohes Maß an diagnostischem Zugewinn während der Reoperation gebracht. 3.4.5.6 Interventionelle Behandlung von Parathyreoideatumoren Eine interventionelle Behandlung von Parathyreoidatumoren ist grundsätzlich bei persistierendem und rezidivierendem Hyperparathyreoidismus begrüßenswert. Die am häufigsten verwendete Alkoholinjektion hat jedoch in den letzten Jahren an Bedeutung verloren, vor allem wegen der Nebenwirkungen (Rekurrensparese) und kann sich neben den doch relativ schonenden Verfahren, wenn sie gezielt am Hals vorgenommen werden, nicht behaupten. Ein attraktives Verfahren ist die interventionelle arteriographische Ausschaltung von mediastinalen Nebenschilddrüsentumoren. Ist nach einer erfolglosen Voroperation ein solcher Tumor durch superselektive Arteriographie lokalisiert worden, kann der Tumor durch eine Kontrastmittelüberflutung ausgeschaltet werden. Im Vergleich mit einer chirurgischen Exploration des Mediastinums nach medianer Sternotomie ist dieses Verfahren eindeutig schonender. Ein hohes Maß an Erfahrung auf seiten des Radiologen ist unabdingbare Voraussetzung. Es bleibt bei erfolgreicher Ausschaltung das Risiko der chronischen schweren Hypokalzämie, wenn der Tumor das letzte verbliebene Parathyreoideagewebe ist. Bei Misserfolg der interventionellen Ausschaltung bleibt immer noch die chirurgische Option, um das Problem zu lösen. 3.4.5.7 Reoperation Reoperationen bei persistierendem pHPT sollten entweder in den ersten Tagen nach erfolgloser Erstoperation oder erst nach 12 Wochen erfolgen, da in der Zwischenzeit mit erheblichen Verwachsungen zu rechnen ist. Bei erfolglosen Voroperationen in der eigenen Klinik operieren wir am 3. bis 5. postoperativen Tag
249 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
ration zu dokumentieren. Zur Orientierungshilfe empfehlen sich auch die Darstellung der A. thyreoidea inferior und die Mobilisation des oberen Schilddrüsenpols nach Durchtrennung der oberen Polgefäße. Auch hier muss, wie bei der Erstoperation, nach den beiden folgenden Faustregeln vorgegangen werden: Cave Die obere Nebenschilddrüse liegt dorsal des N. recurrens und kranial der A. thyreoidea inferior, die untere ventral des N. recurrens und kaudal der A. thyreoidea inferior. Ist die obere Nebenschilddrüse nicht in dieser Position gelegen, ist sie meist nach dorsal und kaudal verlagert und liegt unter der A. thyreoidea inferior hindurchgeschlüpft vor der Wirbelsäule und neben dem Ösophagus bzw. im Sulcus oesophagotrachealis. Ist die untere Nebenschilddrüse nicht an normaler Stelle gelegen, befindet sie sich meist in der Thymusdrüse, am häufigsten kranial in der Thymuszunge.
. Abb. 3.58. Szintigraphie bei einem Patienten mit mediastinalem Nebenschilddrüsentumor nach erfolgloser Halsexploration mit Hemithyreoidektomie links, Aufnahme 15 min nach Injektion von 12 mCi 99m TC-Sesta-MIBI. Der Tumor lag tief in der Thymusdrüse, Pfeile zeigen auf Schilddrüsenrest rechts und den mediastinalen Epithelkörperchentumor
erneut, wenn Serumkalzium nicht abgefallen ist oder bei Kalziumabfall immer noch Werte über 2,85 mmol/l gemessen werden. In diesem Fall wird der Patient der Nachoperation durch den erfahrensten Operateur unterzogen, wobei neben einer sorgfältigen chirurgischen Exploration die selektive intraoperative Blutentnahme in den Halsvenen und Quick-PTH-Bestimmung eingesetzt wird. Zuvor muss ein mediastinaler Tumor durch Sesta-MIBI-Szintigraphie ausgeschlossen werden (. Abb. 3.58). Bei Patienten, die von außerhalb kommen, ist die Frist von 3–5 Tagen meist überschritten, sodass erst später operiert wird. Als Zugang zur Reoperation empfehlen wir generell die Wiederverwendung des Kocher-Kragenschnitts und eine bilaterale Halsexploration, insbesondere, wenn in den ersten Tagen nach erfolgloser Voroperation operiert wird, aber auch später, wenn unklar ist, ob unilateral oder bilateral Gewebe verblieben ist. Ein unilateraler Zugang ist bei Reoperationen dann sinnvoll, wenn der Bericht über die Voroperation und die Lokalisationsverfahren nahelegen, dass nur auf einer Seite reexploriert werden muss. Man kann dann nach Inzision vor dem M. sternocleidomastoideus dorsal der geraden Halsmuskulatur unmittelbar auf den retrothyreoidalen Raum zugehen, um die Verwachsungen durch die Voroperation zu umgehen. Wie schon ausgeführt, sollte eine Reoperation nur von einem Operateur durchgeführt werden, der detaillierte Kenntnisse über die Lagevarianten der Nebenschilddrüsentumoren hat und der in der Lage ist, auch im verwachsenen Gebiet anatomische Strukturen darzustellen und sich an ihnen zu orientieren. Bei bilateraler Halsexploration, aber auch wenn man gezielt auf einen durch die Lokalisation dargestellten Tumor zugehen muss, ist die Darstellung des N. recurrens auf der entsprechenden Seite unabdingbare Voraussetzung. Hifreich ist hier das Neuromonitoring, das in der Lage ist, den N. recurrens im Narbengewebe zu identifizieren und seine Intaktheit am Ende der Ope-
Hat man einen lokalisationsdiagnostischen Hinweis, wird man natürlich auf dieser Seite und in der angegebenen Höhe beginnen. Ist dies nicht der Fall, muss eine systematische Halsexploration erfolgen unter Absuchen der normalen und dystopen Lokalisationsmöglichkeiten. Spezielle Lagevarianten außer den eben genannten sind (a) die Position einer Nebenschilddrüse sehr weit oben im Halsgebiet (nicht deszendierte untere Nebenschilddrüse), (b) die Lage in der Gefäßnervenscheide, (c) die Position eines Tumors im Mediastinum unabhängig von der Thymusdrüse (. Abb. 3.59) und schließlich (d) die extrem seltene intrathyreoidale Lage. a) Aus embryologischen Gründen kann eine untere Nebenschilddrüse, die aus der 3. Schlundtasche stammt und normalerweise die obere Nebenschilddrüse, die aus der 4. Schlundtasche stammt, »überholt« und weiter nach unten in Richtung Thymus wandert, auf diesem Weg stehengeblieben sein. Diese unteren Nebenschilddrüsen liegen dann sehr hoch im Halsgebiet in Höhe des Kieferwinkels oberhalb des oberen Schilddrüsenpols, in der Nähe der Glandula submandibularis, medial der V. jugularis oder b) in der Gefäßnervenscheide zwischen A. carotis und V. jugularis bzw. ventral oder dorsal davon. Es gilt der Merksatz: »Wenn man ein erfahrener Nebenschilddrüsenchirurg ist und an den üblichen normalen und dystopen Stellen nichts gefunden hat, sollte man ganz weit oben nachschauen.« c) Mediastinale Tumoren unabhängig von der Thymusdrüse können selten vom Hals aus entfernt werden. Hier empfiehlt sich bei positiver Lokalisationsdiagnostik eine angiographische Ablation oder, falls eine Exploration vom Hals aus fehlschlägt, die mediane Sternotomie und Entnahme. Es wurde auch über mediastinoskopische und thorakoskopische Tumorentfernungen berichtet (Prinz et al. 1994; Wells u. Cooper 1991). Gelegentlich können Nebenschilddrüsentumoren auch im mittleren Mediastinum liegen, dann meist im sog. aortopulmonalen Fenster. Der Erstautor hat bei 5 Patienten, bei denen er bei einer ersten Reoperation nichts gefunden hat, schließlich in einer zweiten bzw. dritten Reoperation bei 4 Patienten den Tumor im aortopulmonalen Fenster, in einem Fall zwischen Larynx und Pharynx gelegen gefunden. d) Innerhalb der Schilddrüse gelegene Nebenschilddrüsentumoren sind extrem selten, in Autopsiestudien in 0,2% aller
250
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Ein seltenes, spezielles Problem, das zu einem rezidivierenden pHPT führt, ist die Parathyromatose. Darunter ist eine Aussaat von Parathyreoideazellen zu verstehen, die bei der erfolgreichen Erstoperation durch Verletzung der Drüsenkapsel geschieht. Die Zellen wachsen im Fett- und Bindegewebe sowie in der Muskulatur der jeweiligen Halsseite ein und infiltrieren die genannten Strukturen. Bei der Reoperation ist diese Situation dadurch zu erkennen, dass im Narbengewebe zahlreiche winzige, 1–2 mm große, weiche Knötchen zu erkennen sind, die sich im Schnellschnitt als Nebenschilddrüsengewebe erweisen. Hier ist die möglichst großzügige Exzision von sämtlichem Fett- und Bindegewebe sowie der einbezogenen Muskulatur anzustreben, wobei selten eine Heilung auf Dauer erzielt wird. Meist sind weitere Reoperationen nötig (Kollmorgen et al. 1994).
3
. Abb. 3.59. Reoperation wegen Persistenz des pHPT bei einer 75-jährigen Patientin. Nach auswärtiger Erstoperation 8 Monate zuvor war es trotz Resektion eines Nebenschilddrüsenadenoms links nicht zum adäquaten Abfall des Serumkalziums gekommen. Ursächlich hierfür war ein zweites, ektop auf der rechten A. subclavia gelegenes, 1,5 g schweres Adenom (Pfeil). Die präoperative Lokalisationsdiagnostik konnte keinen Hinweis liefern. Eine Sternotomie war aufgrund von Verwachsungen notwendig. Schilddrüse sowie Thymus wurden reseziert T Trachea, Tr Truncus brachiocephalicus, A Aa. carotis communes, AS A. subclavia
Fälle. Meist sind intrathyreoidal gelegene Nebenschilddrüsen nicht wirklich intrathyreoidal gelegen, sondern entsprechen tief in einer Einziehung der Schilddrüse zwischen knotigen Veränderungen liegenden Nebenschilddrüsen. Letztlich muss, wenn man beide Halsseiten und das Mediastinum intensiv abgesucht hat, auf der Seite, wo man nicht 2 Nebenschilddrüsen nachgewiesen hat – eine Hemithyreoidektomie erfolgen. Dies sollte jedoch als letzter Schritt geschehen, nachdem man die anderen beschriebenen Möglichkeiten in Erwägung gezogen hat (Libutti et al. 1997).
. Abb. 3.60. Ergebnisse der intraoperativen Bestimmung von Quick PTH bei einer Reoperation. Bei der Voroperation wurde ein Nebenschilddrüsentumor entfernt. Bei der Nachoperation wurden insgesamt 3 vergrößerte Nebenschilddrüsen gefunden, sodass letztendlich eine Vierdrüsenhyperplasie vorlag. Die Abbildung zeigt von links nach rechts im 1. Zeitabschnitt (0–15 min) gleichbleibende PTH-Werte nach Entfernung des ersten Tumors, wobei die zwischenzeitliche Erhöhung möglicher-
3.4.5.8 Intraoperative Parathormonbestimmung In den letzten Jahren hat die intraoperative Quick-PTH Bestimmung die Erfolgskontrolle bei Reoperationen erleichtert bzw. ermöglicht. Das für uns entscheidende Kriterium ist der Abfall von intaktem PTH um mehr als 50% des Ausgangswertes nach einem Minimum von 5 min nach der Exzision des Nebenschilddrüsentumors und in den Normbereich nach 15 min. Um die Genauigkeit zu erhöhen, ist es notwendig, zwei Ausgangswerte zu entnehmen, den ersten bei der Narkoseeinleitung und den zweiten kurz bevor der Tumor exzidiert wird. Der Abfall von QuickPTH sollte errechnet werden, ausgehend vom höchsten der beiden Ausgangswerte. Die Sensitivität beträgt 84% für die 5-minUntersuchung und 96% für die 15-min-Untersuchung mit einer Spezifität von 100% (Bergenfelz et al. 1994). Die Methode ist in der Lage, bei Reoperationen anzuzeigen, ob ein solitärer Tumor gefunden und entfernt wurde. Sie ist in der Lage, bei Patienten, bei denen bei der Voroperation ein »Adenom« entfernt wurde, ein Doppeladenom oder gar eine Mehrdrüsenhyperplasie nachzuweisen, wobei nach Entfernung jeder vergrößerten Drüse ein Abfall des PTH und nach Entfernung der letzten Drüse ein Abfall
weise durch Manipulation am Tumor hervorgerufen wurde. Die Messung zeigt an, dass das Problem immer noch nicht gelöst wurde. Im 2. Zeitabschnitt wird während der Reoperation die 2. hyperplastische Drüse entfernt, der PTH-Wert fällt von 173 auf 105 pg ab, jedoch nicht in den Normbereich. Zuletzt wird die 3. Drüse der Reoperation, (insgesamt die 4.) zur Hälfte entfernt, danach fällt der PTH-Wert in den Normbereich (20-min-Wert)
251 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
. Abb. 3.61. Ergebnisse der intraoperativen Messung von intaktem PTH bei einem Patienten mit normokalzämischem pHPT und nur leicht erhöhtem PTH (Norm 15–60 pg/ml). Nach Exzision des solitären Epithel-
körperchenadenoms fällt der PTH-Wert 5 min nach Exzision um mehr als 50% ab und ist nach 15 min um mehr als 60% des Ausgangswertes erniedrigt
in den Normalbereich nachgewiesen werden kann (. Abb. 3.60). Entscheidend ist, dass der Abfall des PTH-Spiegels die erfolgreiche Reexploration vorhersagen kann, auch bei Patienten, die ein Serumkalzium im oberen Normbereich haben (. Abb. 3.61). Abgesehen davon wurde festgestellt, dass Quick-PTH eine schwere postoperative Hypokalzämie nach Reoperationen vorhersagen kann. Dies ist der Fall, wenn der Abfall von Quick-PTH größer als 84% war (Elaraj et al. 2002). Eine weitere Entwicklung ist die Verwendung des Schnell-Assays für intaktes PTH nach intraoperativ vorgenommenem venösem Sampling zur Lokalisation. Man kann in die bei der Operation freigelegte V. jugularis beidseitig mit einer Nadel eingehen und kaudal und kranial Blut zur PTH-Bestimmung abnehmen und die Spiegel im kranial und kaudal entnommenen Blut auf beiden Halsseiten vergleichen. Die Sensitivität, mit der die Untersuchung einen Nebenschilddrüsentumor lateralisieren kann, ist etwa 65% (Bergenfelz et al. 1996). Wichtig ist, dass man den Test wiederholt während der Operation durchführen kann, insbesondere, wenn präoperativ keine Lokalisation gelang oder diese nur durch ein Verfahren möglich war. Zuletzt kann der Quick-PTH Assay genutzt werden zur Untersuchung von Feinnadelaspiraten von verdächtigen Läsionen während der Reoperation. Es konnte belegt werden, dass mit dieser Methode zwischen Nebenschilddrüsengewebe und anderen Strukturen unterschieden werden kann (Kiblut et al. 2004).
Die intraoperative Bestimmung von intaktem PTH kann die Erfolgsaussichten von Reexplorationen verbessern (Irvin et al. 1999) und zusammen mit einer sinnvoll genutzten präoperativen Diagnostik und intraoperativ angewandtem Wissen des Chirurgen eine entscheidende Rolle spielen (Bergenfelz et al. 1998).
Voroperation und Reoperation die Durchblutung von normalem Nebenschilddrüsengewebe gestört und/oder bei der Reoperation das letzte verbliebene Nebenschilddrüsengewebe entfernt wird, sodass die Patienten postoperativ mit Kalzium und Vitamin-DMetaboliten substituiert werden müssen. Dies gelingt relativ häufig zufriedenstellend, macht aber auch gelegentlich Probleme, selbst wenn eine adäquate Dosis von Kalzium und Vitamin D zugeführt wird. Die bessere Alternative zu dieser lebenslänglich notwendigen Substitutionstherapie ist die Autotransplantation von autologem, kältekonserviertem Gewebe. In der eigenen Arbeitsgruppe und auch gemäß der Erfahrung anderer Autoren weltweit ist bei adäquat angewandter Technik mit einer Funktionsaufnahme von kältekonserviertem Gewebe bei etwa 2/3 der Patienten zu rechnen. Sinnvoll ist die Anschaffung einer Einfriereinheit, wie in hämatologischen Laboratorien vorhanden, und die Einweisung von medizinisch-technischem Personal in einen adäquaten Einfrier- und Auftauvorgang sowie die Bestimmung der Nekroserate vor der Replantation. Die Replantation von frischem Gewebe ist von einer höheren Funktionsrate gefolgt. Es empfiehlt sich jedoch, zunächst abzuwarten, um klarzustellen, dass tatsächlich kein vitales Nebenschilddrüsengewebe in situ verblieben ist, und dann auf das kryopräservierte Gewebe zurückzugreifen. Im Falle einer sofortigen Autotransplantation und eines danach auftretenden Rezidivs der Erkrankung ist immer unklar, ob das Rezidiv vom Autotransplantat ausgeht oder von noch verbliebenem Gewebe im Halsgebiet. Als Implantationsort empfiehlt sich die Muskulatur eines Unterarms. Winzige Nebenschilddrüsenstückchen von etwa 1 mm Kantenlänge werden separat in Muskeltaschen eingebracht, wobei mindestens 20, bei hoher Nekroserate bis zu 40 Stückchen autotransplantiert werden sollten.
3.4.5.9 Replantation von kältekonserviertem Gewebe Gerade in der Situation der Reoperation muss die Möglichkeit der Kältekonservierung von Nebenschilddrüsengewebe bestehen – auch dies ist ein Argument dafür, solche Patienten in spezialisierten Zentren operieren zu lassen. Es kann sein, dass durch
3.4.5.10 Ergebnisse der Reoperationen In den letzten Jahren werden Erfolgsraten (Häufigkeit der Beseitigung der Hyperkalzämie) von etwa 90% angegeben (. Tab. 3.11). Die im Vergleich zu Erstoperationen niedrigere Erfolgsrate ist zurückzuführen auf die schwerere Präparation und Lokalisation im voroperierten Gebiet. Nicht zu vernachlässigen sind auch die
252
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Tab. 3.11. Ergebnisse nach Reoperationen aufgrund von persistierendem und rezidivierendem pHPT. Angegeben ist neben der Zahl der behandelten Patienten der Anteil an persistierenden Erkrankungen unter allen Reoperationen, der Anteil an permanenten Rekurrensparesen und Hypokalzämien sowie die Erfolgsrate, verstanden als Beseitigung der Hyperkalzämie
Autor
Jahr
n
Rekurrensparese (%)
Permanente Hypokalzamie (%)
Erfolgsrate (%)
Brennan u. Norton
1985
175
5,7
6,3
35
94
Grant et al.
1986
157
10,8
3,8
14
89
Levin u. Clark
1989
81
9
–
–
91
Jakowiak et al.
1996
222
3
1,3
37
97
Eigene Daten
2005
100
5
8
19
95
3
Persistierend (%)
Komplikationsraten, v. a. was die Rekurrensparesen und die permanenten Hypokalzämien angeht. Im eigenen Krankengut waren in den letzten 20 Jahren 8 von 100 Reoperationen nicht erfolgreich, wobei in 3 Fällen bei weiteren Reoperationen das hormonüberaktive Gewebe doch noch gefunden werden konnte (Karakas et al. 2005). Zusammengefasst sind im Rahmen von Reoperationen folgende Leitsätze zu beachten: 4 Vor einer Reoperation muss die Diagnose »primärer Hyperparathyreoidismus« eindeutig gesichert sein. 4 Wichtiger als lokalisationsdiagnostische Maßnahmen ist die genaue Kenntnis des Operationsberichtes von der Voroperation und des Pathologiebefundes des entnommenen Gewebes. 4 Lokalisationsdiagnostische Methoden sollten schrittweise und systematisch eingesetzt werden. Beachtet werden muss die Möglichkeit von falsch-positiven Befunden bei allen in Frage kommenden Verfahren. 4 Die gesuchten Drüsen sind fast immer im Halsgebiet und dann in einer dorsalen Lage zu finden. Liegen sie nicht dort, sind untere Nebenschilddrüsen in der Thymusdrüse oder seltener weit oben (oberhalb der oberen Nebenschilddrüsen) zu suchen. Obere Nebenschilddrüsen sind meist nach dorsal in Richtung auf das hintere Mediastinum disloziert und liegen neben dem Ösophagus bzw. vor der Wirbelsäule. 4 Bei Reoperationen sollte man eine Lupenbrille und ein Neuromonitoring benutzen und die Möglichkeit der Quick-PTH Bestimmung haben. Die Operation sollte v. a. in einem Zentrum mit Erfahrung erfolgen. Literatur Bergenfelz A, Isaksson A, Ahren B (1994) Intraoperative monitoring of intact PTH during surgery for primary hyperparathyroidism. Langenbecks Arch Chir 379:50–53 Bergenfelz A, Algotsson L, Roth B, Isaksson A et al. (1996) Side localization of parathyroid adenomas by simplified intraoperative venous sampling for parathyroid hormone. World J Surg 20:358–360 Bergenfelz A, Isaksson A, Lindblom P, Westerdahl J et al. (1998) Measurement of parathyroid hormone in patients with primary hyperparathyroidism undergoing first and re-operative surgery. Br J Surg 85:221 Bilezikian JP, Potts JT Jr, Fuleihan Gel-H, Kleerekoper M, Neer R, Peacock M, Rastad J, Silverberg SJ, Udelsman R, Wells SA Jr. (2002) Summary statement from a workshop on asymptomatic primary hyperparathyroidism: a perspective for the 21st century. J Bone Mineral Res 17 (Suppl 2):N2–11
Billingsley KG, Fraker DL, Doppman JL, Norton JA et al. (1994) Localization and operative management of undescended parathyroid adenomas in patients with persistent primary hyperparathyroidism. Surgery 116:982–990 Brennan MF, Norton JA (1985) Reoperation for persistent and recurrent hyperparathyroidism. Ann Surg 201:40–44 Carty SE, Norton JA (1991) Management of patients with persistent or recurrent primary hyperparathyroidism. World J Surg 15:716–723 Consensus Development Conference Panel (1991) Diagnosis and management of asymptomatic primary hyperparathyroidism: consensus development conference statement. Ann Intern Med 114:993 Doherty GM, Doppman JL, Miller DL, Gee MS et al. (1992) Results of a multidisciplinary strategy for management of mediastinal parathyroid adenoma as a cause of persistent primary hyperparathyroidism. Ann Surg 215:101–106 Doherty GM, Weber B, Norton JA (1994) Cost of unsuccessful surgery for primary hyperparathyroidism. Surgery 116:954–958 Elaraj DM, Remaley AT, Simonds WF, Skarulis MC, Libutti SK, Bartlett DL, Venzon DJ, Marx SJ, Alexander HR (2002) Utility of rapid intraoperative parathyroid hormone assay to predict severe postoperative hypocalcemia after reoperation for hyperparahyroidism. Surgery 132:1028– 1033 Funke M, Kim M, Hasse Ch, Bartsch D, Rothmund M (1997) Ergebnisse eines standardisierten Therapiekonzepts bei primärem Hyperparathyreoidismus. Dtsch Med Wochenschr 122:1475–1481 Grant C S, Heerden JA van, Charboneau JW, James EM et al. (1986) Clinical management of persistent and/or recurrent primary hyperparathyroidism. World J Surg 10:555—565 Hasse C, Sitter H, Brune M, Wollenteit I, Nies C, Rothmund M (2002) Quality of life and patient satisfaction after reoperation for primary hyperparathyroidism:analysis of long term results. World J Surg 26:1029– 1036 Hedbäck G, Oden A (2004) Persistent disease after surgery for primary hyperparathyroidism: the long-term outcome. Eur J Endocrinol 150:19–25 Heerden JA van (1997) American Association of Endocrine Surgeons Presidential address: lessons learned. Surgery 122:979–988 Irvin GL 3rd, Molinari AS, Figueroa C, Carneiro DM (1999) Improved success rate in reoperative parathyroidectomy with intraoperative PTH assay. Ann Surg 229:874–878 Jaskowiak N, Norton JA, Alexander HR et al. (1996) A prospective trial evaluating a standard approach to reoperation for missed parathyroid adenoma. Ann Surg 224:308–322 Karakas E, Zielke A, Dietz C, Rothmund M (2005) Reoperationen beim primären Hyperparathyreoidismus. Chirurg 76:207–216 Kiblut NK, Cussac JF, Soudan B, Farrell SG, Armstrong JA, Arnalsteen L, Biechlin A, Delattre AA, Proye CA (2004) Fine needle aspiration and intraparathyroid intact parathyroid hormone measurement for reoperative parathyroid surgery. World J Surg 28:1143–1147
253 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
Kollmorgen CF, Aust MR, Ferreiro JA, McCarthy JT et al. (1994) Parathyromatosis: a rare yet important cause of persistent or recurrent hyperparathyroidism. Surgery 116:111–115 Levin KE, Clark OH (1989) The reasons for failure in parathyroid operations. Arch Surg 124:911–917 Libutti SK, Bartlett DL, Jaskowiak NT, Skarulis M et al. (1997) The role of thyroid resection during reoperation for persistent or recurrent hyperparathyroidism. Surgery 122:1183–1188 Marx SJ, Stock LJ, Attie MF, Downs RW et al. (1980) Familial hypocalciuric hypercalcemia: recognition among patients referred after unsuccessful parathyroid exploration. Ann Intern Med 92:351–356 McBiles M, Lambert AT, Cote MG, Kim SY (1995) Sestamibi parathyroid imaging. Nucl Med 25:221–234 Nussbaum SR, Thompson AR, Hutcheson KA, Gaz RD (1988) Intraoperative measurement of parathyroid hormone in the surgical management of hyperparathyroidism. Surgery 104:1121–1127 Prinz RA, Lonchyna V, Carnaille B, Wurtz A et al. (1994) Thoracoscopic excision of enlarged mediastinal parathyroid glands. Surgery 116:999– 1005 Rothmund M, Wagner PK, Seesko H, Zielke A (1990) Lehren aus Re-Operationen bei 55 Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus. Dtsch Med Wochenschr 115:1579–1585 Rothmund, M., Wagner M, Pluntke K (1999) Reoperationen bei persistierendem oder rezidivierendem Hyperparathyreoidismus. Chirurg 70:1113–1122 Udelsman R, Aruny JE, Donovan PI, Sokoll LJ, Santos F, Donabedian R, Venbrux AC. (2003) Rapid parathyroid hormone analysis during venous localization. World J Surg 237:714–719 Wagner PK, Seesko HG, Rothmund M (1991) Replantation of cryopreserved human parathyroid tissue. World J Surg 15:751–755 Wang Ch (1977) Parathyroid re-exploration. A clinical and pathological study of 112 cases. Ann Surg 186:140–145 Wells SA, Cooper JD (1991) Closed mediastinal exploration in patients with persistent hyperparathyroidism. Ann Surg 214:555–561
3.4.6 Nichtoperative Therapieoptionen
E. Blind ) ) Für den pHPT gibt es bislang keine befriedigende medikamentöse Dauerbehandlungsmöglichkeit. Ziel der nichtoperativen Therapie ist deshalb vorwiegend die Absenkung des erhöhten Serumkalziums (für begrenzte Zeit) sowie die Verbesserung der Nierenfunktion in den schwereren Fällen. Nur in Einzelfällen kommt eine unterstützende medikamentöse Dauerbehandlung des pHPT in Betracht.
3.4.6.1 Therapie der Hyperkalzämie Bei Hyperkalzämien besteht aufgrund der initialen Polyurie oft eine konsekutive Dehydratation. Die Rehydrierung und ausreichende Diurese ist daher eine zentrale und oft erstaunlich wirksame Maßnahme zur Absenkung des Serumkalziums: 4 Reichliches Trinken von mehr als 3 l p.o. und/oder zusätzlich NaCl 0,9% i.v. pro Tag. Erzielt werden sollte ein Umsatz von wenigstens 3–5 l pro Tag. Therapeutisches Ziel ist dabei, die drohende oder bereits bestehende, hyperkalzämiebedingt eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit der Niere zu beseitigen, die ansonsten im Sinne eines Teufelskreises wiederum die Fähigkeit der Niere beeinträchtigt, Kalzium auszuscheiden (. Abb. 3.62).
3
. Abb. 3.62. Hyperkalzämie und Nierenfunktion: Circulus vitiosus aus sich verschlechternder Nierenfunktion und Zunahme der Hyperkalzämie, getriggert durch weitere Einflüsse
4 Förderung der Diurese, soweit erforderlich, mit einem Schleifendiuretikum, z. B. Furosemid (Lasix, dies hat aber eine direkte kalziurische Wirkung erst bei >1 g pro Tag). Cave Keine Verwendung von Thiaziddiuretika, da diese die Kalziumausscheidung durch die Niere hemmen. Zu beachten ist eine mögliche Hypokaliämie; ggf. Substitution mit z. B. 80 mval KCl i.v. über 24 h.
Bei einer hyperkalzämischen Krise (Bewusstseinsstörungen, gastrointestinale Störungen wie Erbrechen, etc., meist bei Kalziumwerten über etwa 3,5 mmol/l, bei besonders jungen Patienten aber auch oft erst bei noch höheren Werten, Notfall!) müssen intensivierte Maßnahmen ergriffen werden: 4 Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr auf 6–8 l 0,9% NaCl + 20 mmol/l KCl pro 24 h i.v. 4 Bilanz, Furosemid (Lasix) bis 50 mg/h i.v. (zur Aufrechterhaltung der Diurese (cave: erst nach erfolgter Rehydratation). 4 Effektiv und frühzeitig einzusetzen sind intravenös als Infusion zu verabreichende Bisphosphonate (typischerweise verwendete Einzeldosen sind: z.B. Pamidronat (Aredia) 15–45 mg (wiederholbar), Ibandronat (Bondronat) 2–4 mg oder Zoledronat (Zometa) 4 mg, die Wirkung tritt nach 1–2 Tagen ein). 4 Als Reservemedikament evtl. Kalzitonin (z. B. Cibacalcin 0,5 mg 100 IE) 4-mal täglich s.c. Von Vorteil ist ein Wirkungseinstritt innerhalb von Stunden, wichtiger Nachteil ist aber der rasche Wirkungsverlust bei fortdauernder Anwendung innerhalb von Tagen. 4 Als Ultima ratio bei Nierenversagen Hämodialyse gegen kalziumarmes Dialysat. Der damit erzielte Effekt hält aber jeweils nur sehr kurz an. 4 Bei einer parathyreogenen hyperkalzämischen Krise sollte eine Parathyreoidektomie innerhalb von 24–48 h angestrebt werden und darf nicht durch den meist frustranen Versuch, zuerst eine vollständige Normalisierung des Serumkalziums zu erreichen, unnötig verzögert werden. Im Falle von differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten muss eine PTH-Bestimmung, möglichst als Schnellbestimmung, durchgeführt werden, um die Diagnose zu klären.
254
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3.4.6.2 Postoperatives Management des pHPT Eine tägliche Serumkalziumbestimmung in den ersten 2–3 Tagen postoperativ und dann noch einmal nach mehreren Wochen erscheint in jedem Fall sinnvoll. Nach Operation eines schweren und schon lange bestehenden HPT kann es zum »Hungry-bone«Syndrom kommen, bei dem die Knochenmatrix nach dem Abfall des hohen PTH-Spiegels sehr avide Mineralsalz aufnimmt und so eine ausgeprägte Hypokalzämie entsteht. Es ist dann eine Behandlung mit hochdosiertem Kalzium- und Vitamin-D-Präparaten erforderlich. Diese müssen individuell dosiert und häufig engmaschig kontrolliert und angepasst werden. Hiervon muss ein möglicher postoperativer Hypoparathyreoidismus differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden. Weitere Informationen finden sich hierzu in 7 Kap. 3.6 (Hypoparathyreoidismus). 3.4.6.3 Behandlungsrichtlinien bei konservativem Management des pHPT Kommt es, aus welchen Gründen auch immer, beim Vorliegen eines pHPT nicht zu einer Operation, so empfehlen sich folgende therapeutischen Ratschläge zur Langzeitbehandlung bei milder Hyperkalzämie: 4 Normale Kalziumzufuhr (eine streng kalziumarme Ernährung ist nicht sinnvoll) 4 Ausreichende Trinkmenge von >2 l pro Tag (zur Vermeidung einer Dehydratation) Cave Kontraindiziert sind Digitalispräparate und Thiaziddiuretika. Eine Exazerbation droht bei Immobilisation und bei Dehydratation.
Um Komplikationen rechtzeitig erkennen zu können und ggf. doch die Operationsindikation zu stellen, sind folgende regelmäßige Verlaufskontrollen notwendig (in Anlehnung an eine Konferenz der National Institutes of Health in Bethesda, USA zu diesem Thema im Jahre 2002; Bilezikian et al. 2002): 4 Zwischenanamnese und körperliche Untersuchung (halbjährlich) 4 Serumkalzium (halbjährlich) 4 Serumkreatinin (jährlich) 4 Osteodensitometrie (an 3 Stellen: Lendenwirbelsäule, Hüfte, distaler Radius; evtl. genügen auch 2-jährliche Kontrollen) (jährlich) Dem Patienten sollte von der Erwägung oder ggf. Fortführung eines konservativen Prozedere spätestens dann abgeraten werden, wenn es zu einer Überschreitung der in 7 Kap. 3.4.2 genannten Laborgrenzwerte kommt und/oder einer der folgenden Punkte zutrifft: 4 Ossäre Manifestation des pHPT, z. B. Frakturen, radiologisch Zysten, subperiostale Knochenresorption oder Verminderung der Knochendichte um mehr als 2,5 Standardabweichungen im Vergleich zu einem jungen Vergleichskollektiv (t-Score) gemessen an der Lendenwirbelsäule, Schenkelhals, oder dem distalen Radius (mittels der DXA-Methode) 4 Renale Manifestation des pHPT als Nephrolithiasis oder Nephrokalzinose 4 Lebensalter <50 Jahre 4 Unmöglichkeit oder Ablehnung einer regelmäßigen Verlaufskontrolle
3.4.6.4 Medikamentöse Behandlung des pHPT Befriedigende medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten des pHPT existieren derzeit nicht. Östrogenpräparate, die früher noch häufiger benutzt wurden, führen zu einer leichten Absenkung des Serumkalziums (um ca. 0,5 mg% oder 0,125 mmol/l); eine ähnliche Effektivität konnte in einer Kurzzeituntersuchung mit dem selektiven Östrogenrezeptormodulator Raloxifen (Evista) bei Frauen mit mildem pHPT gezeigt werden (Absenkung um durchschnittlich 0,1 mmol/l; Rubin et al. 2003). Ob diese Absenkung des Serumkalziums aber einen Nutzen für die Patientinnen bringt, ist nicht gezeigt. Die Möglichkeit einer Dauerbehandlung mit einem Bisphosphonat wurde in 2 neueren Studien genauer untersucht: Es erfolgte eine Behandlung mit Alendronat (Fosamax) 10 mg/Tag über 1,5 bzw. 2 Jahre. Eine Absenkung des Serumkalziums gelang in der einen Studie ebenfalls nur in leichterem Ausmaß um durchschnittlich ca. 0,1 mmol/l (Chow et al. 2003); in der zweiten Studie sank das Serumkalzium nur vorübergehend nichtsignifikant und hatte nach 3 Monaten wieder den Ausgangswert erreicht (Parker et al. 2002). Beide Studien zeigten eine Zunahme der Knochendichte, mit unterschiedlichem Erfolg je nach Skelettregion. Ob überhaupt ein Nutzen bezüglich des eigentlichen Therapieziels, nämlich der Abwendung von Komplikationen des pHPT, hierdurch entsteht, ist völlig offen. Eine möglicherweise aussichtsreiche neue Therapieoption stellt der Einsatz von Kalzimimetika dar (Steddon u. Cunningham 2005). Kalzimimetika verstärken die Signalgebung des Kalziumsensors der Nebenschilddrüse und führen so zu einer Hemmung der PTH-Sekretion. In einer aktuellen Unteruchung mit dem Kalzimimetikum Cinacalcet an 73 Patienten mit mildem pHPT konnte eine dauerhafte Absenkung des Serumkalziums und des PTH-Spiegels demonstriert werden (Peacock et al. 2005). Für welche Patienten mit pHPT dieses einen klinisch relevanten Nutzen bringen könnte, ist aber noch unklar. Cinacalcet (Mimpara) wurde 2004 von der Europäischen Arzneimittelagentur EMEA in London europaweit für die Indikationen sekundärer Hyperparathyreoidismus und Nebenschilddrüsenkarzinom zugelassen; eine Zulassung für andere Formen des HPT besteht jedoch derzeit nicht. Literatur Bilezikian, JP, Potts JT, Fuleihan Gel H Jr, Kleerekoper M, Neer R, Peacock M, Rastad J, Silverberg SJ, Udelsman R, Wells SA (2002) Summary statement from a workshop on asymptomatic primary hyperparathyroidism: a perspective for the 21st century. J Clin Endocrinol Metab 87:5353–5361 Chow CC, Chan WB, Li JK, Chan NN, Chan MH, Ko GT, Lo KW, Cockram CS (2003) Oral alendronate increases bone mineral density in postmenopausal women with primary hyperparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 88:581–587 Parker CR, Blackwell PJ, Fairbairn KJ, Hosking DJ (2002) Alendronate in the treatment of primary hyperparathyroid-related osteoporosis: a 2-year study. J Clin Endocrinol Metab 87:4482–4489 Peacock M, Bilezikian JP, Klassen PS, Guo MD, Turner SA, Shoback D (2005) Cinacalcet hydrochloride maintains long-term normocalcemia in patients with primary hyperparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 90:135–141 Rubin MR, Lee KH, McMahon DJ, Silverberg SJ (2003) Raloxifene lowers serum calcium and markers of bone turnover in postmenopausal women with primary hyperparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 88:1174–1178 Steddon SJ, Cunningham J (2005) Calcimimetics and calcilytics – fooling the calcium receptor. Lancet 365:2237–2239
255 3.4 · Primärer Hyperparathyreoidismus
3
3.4.7 Nebenschilddrüsenkarzinom
B. Niederle
. Tab. 3.12. Differenzialdiagnose Adenom – Karzinom. (Modifiziert nach Sheu et al. 2003)
Adenom
Karzinom
Serumkalzium
2,8–3,5mmol/l
>3,5 mmol/l
Gewicht
0,25–1 (mehrere) g
>1,5g (–30g)
Kapsel
Dünn, komplett
Dick, fibrös
Supprimiertes Gewebe
In ≈50% der Fälle
Selten
Schnittfläche
Rötlich-braun Homogen Verdichtete Konsistenz
Grau-weißlich Irregulär lobuliert Fibröse Septen
Intrazytoplasmatisches Fett
Vermindert
Meist fehlend
Stromale Fettzellen
Meist fehlend
Fehlend
Histologie
Homogener Tumor Keine Septen
Septierter Tumor Nekrosen Verkalkungen
Mitosen
Selten >1/10 HPF
≥1/10 HPF
Kapselinvasion
Fehlend
In 2/3 der Fälle
Gefäßinvasion
Fehlend
Nur in 10–15% (!) der Fälle
) ) Maligne Tumore der Nebenschilddrüse sind selten. Sie sind in knapp 1% der Fälle Ursache für das typische klinische und laborchemische Bild des primären Hyperparathyreoidismus (pHPT). Hormoninaktive Malignome der Nebenschilddrüse sind noch seltener (Koea und Shaw 1999). Frauen und Männer werden gleich häufig betroffen. Nebenschilddrüsenkarzinome werden im 5. und 6. Lebensjahrzehnt diagnostiziert. Einzelne Fälle wurden aber auch bei Kindern und Jugendlichen beobachtet. Wo immer Nebenschilddrüsengewebe lokalisiert ist, kann ein Nebenschilddrüsenkarzinom entstehen, also auch ektop (Sawady et al. 1989).
3.4.7.1 Ätiologie Die Ätiologie ist unbekannt. Einzelfälle werden bei hereditären Syndromen (z. B. Hyperparathyroidismus-Kiefertumor-Syndrom) beobachtet (Mittendorf et al. 2005; Shane 2001). Parathyreoideakarzinome können sehr selten im Rahmen einer reaktiven, renalen Nebenschilddrüsenüberfunktion auftreten. Eine Literaturübersicht beschreibt 17 Patienten, die in der englischsprachigen Literatur kasuistisch beschrieben sind (Khan et al. 2004). 3.4.7.2 Diagnostik und klinische Symptomatik Präoperative Kriterien für das Vorliegen eines Epithelkörperchenkarzinoms gibt es nicht. In der Literatur sind zwar einige laborchemische Verdachtsmomente beschrieben, diese sind aber nur vage Anhaltspunkte und präoperativ nicht beweisend. Verdachtsmomente sind ein hoher Kalzium- und Parathomonspiegel (cave: Vierdrüsenhyperplasie) und ein tastbarer Halstumor. Üblicherweise wird der pHPT aber wegen der ausgeprägten klinischen Manifestationen (Kombination Knochen- und Nierenmanifestationen, ausgeprägtes Hyperkalzämiesyndrom) schon vor Erreichen einer palpablen Tumorgröße diagnostiziert und der Patient einer Operation zugeführt. Intraoperative makroskopische Hinweise auf ein Nebenschilddrüsenkarzinom sind ein derber, grauweißer, unscharf begrenzter Tumor mit dicker, fibröser Kapsel und straffer Verbindung zur Umgebung, insbesondere zur Schilddrüse, als Zeichen einer möglichen Invasion. Damit verbunden sind meist Schwierigkeiten bei der Mobilisierung dieser vergrößerten Drüse (cave: fehlende Schicht zur Präparation auch bei lang bestehendem degenerativem Adenom möglich). Häufig zeigen maligne Tumoren eine Größe über 25 mm. Die sichtbare Invasion in die Schilddrüse, den Ösophagus oder in die Halsweichteile ist beweisend für Malignität. Das Auftreten eines lokalen Rezidivs innerhalb weniger Monate nach Entfernung eines Nebenschilddrüsentumors (cave: lokale Implantation von Nebenschilddrüsenzellen nach Ruptur der Kapsel bzw. nach »unvollständiger« Exstirpation eines gutartigen Adenoms) kann ebenfalls auf einen malignen Tumor hinweisen. Lokoregionale und Fernmetastasen treten relativ spät bei rund 1/3 der Patienten auf (Halslymphknoten, Mediastinum, Lunge, Leber, Knochen). Metabolische Komplikationen bestimmen eher die Prognose als die Tumorprogredienz.
Auf der Schnittfläche ist der maligne Tumor grau bis gelbbraun und zeigt eine körnige Struktur maligner Tumore sowie eine charakteristische, von der Kapsel ausgehende Septierung (Sheu et al. 2003). Mikroskopisch ist ein Karzinom am invasiven Wachstum in die meist breite Kapsel zu erkennen (. Tab. 3.12). Das Vorkommen von Nekrosen, Verkalkungen, Fibrosen, zellulären Atypien (insbesondere Makronukleolen), Gefäßeinbrüchen und Mitosen ist lediglich malignitätsverdächtig, wenngleich diese Kriterien statistisch signifikant häufiger bei Karzinomen vorkommen. In manchen Fällen ist ein Karzinom erst im Verlauf durch metachrone Metastasierung beweisbar (Sandelin et al. 1992; Sheu et al. 2003).
Da die Diagnose während der Gefrierschnittsuntersuchung außer bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen nicht immer sicher zu stellen ist, muss die Entscheidung über das weitere operative Vorgehen vom makroskopischen Bild und von der Einschätzung durch den Chirurgen abhängig gemacht werden!
3.4.7.3 Chirurgische Therapie Ersteingriff. Bei Verdachtsdiagnose sollte die gesamte Operationswunde gut mit kleinen Tüchern ausgelegt werden, da die Gefahr durch Implantationsmetastasen mit Lokalrezidiven sehr groß ist. Der Minimaleingriff besteht in der vollständigen Entfernung des Tumors en bloc mit dem anhaftenden ipsilateralen
256
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Tab. 3.13. Prognosefaktoren. (Nach Koea u. Shaw 1999)
3
Prognosefaktor
n
Am Tumor verstorben
Univariate Analyse (p<)
Multivariate Analyse (p<)
Einfache Parathyreoidektomie
179
83
0,0001
0,0001
Lymphknoten positiv
10
10
0,00017
0,001
Fernmetastase
9
9
0,0001
0,0001
Tumor hormoninaktiv
7
5
0,0001
0,005
Schilddrüsenlappen (Hundahl et al. 1999; Iacobone et al. 2004) sowie einer ipsilateralen zentralen Halsdissektion (Kirkby-Bott et al. 2005). Bei direkter Infiltration des N. laryngeus recurrens muss dieser mitentfernt werden. Eine laterale Halsdissektion ist nur bei histologisch nachgewiesenem Tumorbefall indiziert (Fujimoto et al. 1984). Befindet sich ein Epithelkörperchenkarzinom an ektoper Stelle im vorderen Mediastinum, sollte eine radikale Entfernung en bloc mit Fett- und Thymusgewebe erfolgen. Dies geschieht bevorzugt offen durch transstenale Mediastinaldissektion. Erweiterte Eingriffe mit Resektionen aus Ösophagus und/oder Trachea sind beim Ersteingriff selten notwendig, sollten jedoch in das therapeutische Konzept miteinbezogen werden, falls damit Radikalität erreicht werden kann. Rezidiveingriff. Rezidive stellen den Chirurgen vor größere Probleme als der Ersteingriff. Erklärtes Ziel ist zumeist nicht das Erreichen von lokaler Radikalität, sondern die Reduzierung der endokrin wirksamen Tumormasse. Dabei können auch erweiterte Teilresektionen aus Trachea und Ösophagus durchaus sinnvoll sein. Auch beim Vorliegen von Fernmetastasen können mit lokalen Resektionen langanhaltende, palliative Effekte erreicht werden. Fernmetastasenchirurgie. Eine Resektion von Fernmetastasen
zur Prognoseverbesserung – am häufigsten bei Lungenmetastasen (Obara et al. 1993; Sandelin et al. 1994), aber auch von Lebermetastasen durch laparoskopische Ablation (Ahmad et al. 2005) ist mit gutem Erfolg beschrieben – ist je nach individuellem Verlauf zu überlegen (Koea und Shaw 1999). Zum onkologischen Staging eignet sich der MIBI-Ganzkörperscan (Kebebew et al. 2001). 3.4.7.4 Adjuvante Therapie Bestehen Zweifel an der lokalen Radikalität oder lässt sich keine lokale Radikalität erreichen, wird die externe Radiotherapie zur Verhinderung lokaler Rezidive eingesetzt (Busaidy et al. 2004; Munson et al. 2003). Zur Behandlung des Hyperkalzämiesyndroms beim endokrin entgleisten, nicht resezierbaren Tumor kamen viele Substanzen mit individuell unterschiedlichem Ansprechen zum Einsatz (z. B. Kalzitonin; Bisphosphonate; Mithramycin (Obara et al. 1991; Obara et al. 1997; Sandelin et al. 1991; Shane 1994). Immer häufiger wird die erfolgreiche Senkung des Serumkalziumspiegels durch Kalzimimetika erreicht, die am Kalziumsensor der Parathyroideazelle wirken (Collins et al. 1998; de Francisco 2005). Vereinzelte Erfolge sind nach Induktion der zellulären Immunabwehr durch tumor-pulsierte dendritische Zellen (Schott et al. 2000) bzw. durch Anti-PTH-Immunotherapie (Betea et al. 2004) beschrieben.
3.4.7.5 Prognose Die Prognose des Nebenschilddrüsenkarzinoms hängt wesentlich von der Beseitigung der Hyperkalzämie und ihren Folgeerscheinungen ab (Busaidy et al. 2004). Die nach Kaplan Meier geschätzten 5-Jahres-Überlebensraten liegen bei 50%, die nach 10 Jahren bei 27%. In uni- und multivariaten Analysen konnten alleinige Tumorexstirpation, Lymphknoten- und Fernmetastasen so wie das Vorliegen eines hormoninaktiven Tumors als negative Prognosefaktoren bestätigt werden (. Tab. 3.13). Literatur Ahmad F, Strickland AD, Wright GM, Elabassy M, Kiruparan P, Bell PR, Lloyd DM (2005) Laparoscopic microwave tissue ablation of hepatic metastasis from a parathyroid carcinoma. Eur J Surg Oncol 31:321– 322 Betea D, Bradwell AR, Harvey TC, Mead GP, Schmidt-Gayk H, Ghaye B, Daly AF, Beckers A (2004) Hormonal and biochemical normalization and tumor shrinkage induced by anti-parathyroid hormone immunotherapy in a patient with metastatic parathyroid carcinoma. J Clin Endocrinol Metab 89:3413–3420 Busaidy NL, Jimenez C, Habra MA, Schultz PN, El-Naggar AK, Clayman GL, Asper JA, Diaz EM, Jr., Evans DB, Gagel RF, Garden A, Hoff AO, Lee JE, Morrison WH, Rosenthal DI, Sherman SI, Sturgis EM, Waguespack SG, Weber RS, Wirfel K, Vassilopoulou-Sellin R (2004) Parathyroid carcinoma: a 22-year experience. Head Neck 26:716–726 Collins MT, Skarulis MC, Bilezikian JP, Silverberg SJ, Spiegel AM, Marx SJ (1998) Treatment of hypercalcemia secondary to parathyroid carcinoma with a novel calcimimetic agent. J Clin Endocrinol Metab 83:1083–1088 de Francisco AL (2005) Cinacalcet HCl: a novel therapeutic for hyperparathyroidism. Expert Opin Pharmacother 6:441–452 Fujimoto Y, Obara T, Ito Y, Kanazawa K, Aiyoshi Y, Nobori M (1984) Surgical treatment of ten cases of parathyroid carcinoma: importance of an initial en bloc tumor resection. World J Surg 8:392–400 Hundahl SA, Fleming ID, Fremgen AM, Menck HR (1999) Two hundred eighty-six cases of parathyroid carcinoma treated in the U.S. between 1985–1995: a National Cancer Data Base Report. The American College of Surgeons Commission on Cancer and the American Cancer Society. Cancer 86:538–544 Iacobone M, Lumachi F, Favia G (2004) Up-to-date on parathyroid carcinoma: analysis of an experience of 19 cases. J Surg Oncol 88:223–228 Kebebew E, Arici C, Duh QY, Clark OH (2001) Localization and reoperation results for persistent and recurrent parathyroid carcinoma. Arch Surg 136:878–885 Khan MW, Worcester EM, Straus FH, 2nd, Khan S, Staszak V, Kaplan EL (2004) Parathyroid carcinoma in secondary and tertiary hyperparathyroidism. J Am Coll Surg 199:312–319 Kirkby-Bott J, Lewis P, Harmer CL, Smellie WJ (2005) One stage treatment of parathyroid cancer. Eur J Surg Oncol 31:78–83 Koea JB, Shaw JH (1999) Parathyroid cancer: biology and management. Surg Oncol 8:155-65
257 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Mittendorf EA, McHenry CR (2005) Parathyroid carcinoma. J Surg Oncol 89:136–142 Munson ND, Foote RL, Northcutt RC, Tiegs RD, Fitzpatrick LA, Grant CS, van Heerden JA, Thompson GB, Lloyd RV (2003) Parathyroid carcinoma: is there a role for adjuvant radiation therapy? Cancer 98:2378– 2384 Obara T, Fujimoto Y (1991) Diagnosis and treatment of patients with parathyroid carcinoma: an update and review. World J Surg 15:738–744 Obara T, Okamoto T, Ito Y, Yamashita T, Kawano M, Nishi T, Tani M, Sato K, Demura H, Fujimoto Y (1993) Surgical and medical management of patients with pulmonary metastasis from parathyroid carcinoma. Surgery 114:1040–1048; discussion 1048–1049 Obara T, Okamoto T, Kanbe M, Iihara M (1997) Functioning parathyroid carcinoma: clinicopathologic features and rational treatment. Semin Surg Oncol 13:134–141 Sandelin K, Thompson NW, Bondeson L (1991) Metastatic parathyroid carcinoma: dilemmas in management. Surgery 110:978-86; discussion 986–988 Sandelin K, Auer G, Bondeson L, Grimelius L, Farnebo LO (1992) Prognostic factors in parathyroid cancer: a review of 95 cases. World J Surg 16:724–731 Sandelin K, Tullgren O, Farnebo LO (1994) Clinical course of metastatic parathyroid cancer. World J Surg 18:594–598; discussion 599 Sawady J, Mendelsohn G, Sirota RL, Taxy JB (1989) The intrathyroidal hyperfunctioning parathyroid gland. Mod Pathol 2:652–657 Schott M, Feldkamp J, Schattenberg D, Krueger T, Dotzenrath C, Seissler J, Scherbaum WA (2000) Induction of cellular immunity in a parathyroid carcinoma treated with tumor lysate-pulsed dendritic cells. Eur J Endocrinol 142:300–306 Shane E (1994) Parathyroid carcinoma. Curr Ther Endocrinol Metab 5:522– 525 Shane E (2001) Clinical review 122: Parathyroid carcinoma. J Clin Endocrinol Metab 86:485–493 Sheu SY, Otterbach F, Frilling A, Schmid KW (2003) Hyperplasia and tumors of the parathyroid glands. Pathologe 24:373–381
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
3.5
E. Ritz ) ) Der sekundäre Hyperparathyreoidismus (sHPT) ist eine reaktive Überfunktion der Nebenschilddrüsen auf chronische Hypokalzämie, am häufigsten verursacht durch chronische Niereninsuffizienz. Ursache des sHPT ist sowohl eine endokrine Funktionsstörung der Nieren, wobei es zu einer unzureichenden Bildung des Vitamin-D-Hormons 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 (Calcitriol) kommt als auch eine exokrine Funktionsstörung der Niere mit Phosphatstau und reaktiver Hypokalzämie. Wichtigste Folgen des sHPT sind renale Osteopathie (eine Mischform aus Ostitis fibrosa, Osteomalazie und Osteoporose) und Gefäßverkalkung mit erhöhter kardiovaskulärer Mortalität. Die Diagnose des sHPT wird durch Bestimmung von Kalzium, Phosphat, Parathormon und der alkalischen (Knochen-)Phosphatase gestellt sowie durch Röntgenuntersuchung der Hände unter Benutzung einer weichzeichnenden Folie oder histologische Untersuchung einer Beckenkammbiopsie. Die Prophylaxe und Therapie der Erkrankung besteht in beschränkter diätetischer Phosphatzufuhr und Gabe von Phosphatbindern, aktivem Vitamin D sowie neuerdings Kalzimimetika. Nur unter bestimmten Bedingungen ist eine Parathyreoidektomie erforderlich.
3
3.5.1 Pathophysiologie Der sekundäre Hyperparathyreoidismus (sHPT) bei eingeschränkter Nierenfunktion ist sowohl auf Störungen der endokrinen Funktion der Nieren, d. h. verminderte Synthese aktiver Vitamin-D-Metabolite, als auch auf Störungen der exokrinen Nierenfunktion, d. h. verminderte Ausscheidung von Phosphat, zurückzuführen. Bei Niereninsuffizienz kommt es zu einer Störung des endokrinen Regelkreises zwischen Parathormon (PTH) und dem renal synthetisierten aktiven Vitamin-D-Metaboliten 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 (im Folgenden Calcitriol genannt). Der hormonal aktive Vitamin-D-Metabolit wird durch das Enzym 25-Hydroxy-Vitamin-D3-1-α-Hydroxylase durch proximal tubuläre Epithelzellen synthetisiert. Seine Synthese wird durch PTH gesteigert. Er bremst die Parathyreoidea durch: 4 Hemmung der PTH-Synthese, d. h. der Transkription des PTH-Gens und der Translation von Prä-pro-PTH-mRNA 4 Hemmung der Parathyreoideazellproliferation, d. h. Verhinderung der Parathyreoideahyperplasie Calcitrioleffekte auf die Parathyreoidea werden durch ein spezifisches nukleares Bindungsprotein, den Vitamin-D-Rezeptor (VDR), vermittelt. Das VDR-Molekül bildet einen Heterodimer mit dem Retinsäure-X-Rezeptor (RXR) und tritt mit VDR-bindenden Nukleotidsequenzen (VDRE) Vitamin-D-responsiver Gene in Wechselwirkung, z. B. VDRE-Sequenzen proximal (»upstream«) des humanen PTH-Gens. Nach dieser klassischen Betrachtungsweise stellt der renale Hyperparathyreoidismus eine adäquate homöostatische Antwort der Parathyreoidea dar, die um den Preis erhöhter PTH-Konzentration die Plasma-Calcitriolkonzentration im Normbereich zu halten versucht. Die Verhältnisse sind jedoch de facto viel komplexer. Bei Niereninsuffizienz ist die Wirkung von aktivem Vitamin D auf Vitamin-D-abhängige Zielorgane, darunter die Parathyreoidea, vermindert. Dies ist, speziell bei fortgeschrittener nodöser Hyperplasie der Parathyreoidea, auf verminderte Expression des VDR in nodösen Bezirken zurückzuführen (. Abb. 3.63; Fukuda et al. 1993). Daneben ist der VDR durch gestörte Wechselwirkung mit RXR und durch kovalente Modifikation funktionsgestört, sodass zur Erreichung eines gegebenen Vitamin-D-Effektes offensichtlich höhere Calcitriolspiegel notwendig sind. Die Parathyreoidea exprimiert außerdem auch einen Kalziumrezeptor, der den stimulierenden Effekt der Hypokalzämie sowie den hemmenden Effekt der Hyperkalzämie auf PTH-Synthese, PTH-Sekretion und Parathyreoidea-Zellproliferation vermittelt (Brown et al. 1993). Bei sHPT ist in der Parathyreoidea auf messenger-RNS-Ebene und Proteinebene die Expression des Kalziumrezeptors vermindert. Des Weiteren wird bei Niereninsuffizienz das phosphaturische Hormon FGF23 vermehrt gebildet, das nicht nur die renale Phosphatausscheidung steigert, sondern auch die Synthese von Calcitriol vermindert und eventuell auch direkt an der Parathyreoidea angreift. Offensichtlich ist ferner die kalzämische Wirkung von PTH bei Niereninsuffizienz abgeschwächt, was vermutlich auf eine verminderte Anzahl von PTH-/PTHrp-Rezeptoren an Zielorganen zurückzuführen ist.
258
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
nachgewiesen. Der Effekt von Phosphat in der Parathyreoideazelle wird über Stabilisierung der Prä-pro-PTH-mRNA vermittelt, die durch Bindung phosphatabhängiger Proteine an die »3c-untranslated region« der mRNA zustande kommt.
3
Die wesentlichen Gesichtspunkte in der Genese des (sekundären) Hyperparathyreoidismus sind somit ein absoluter oder relativer Calcitriolmangel sowie eine erhöhte Plasmaphosphatkonzentration.
. Abb. 3.63. Verminderter Bestand an Zellen mit positivem immunhistochemischem Nachweis von 1,25-(OH)2D3-Rezeptor bei nodöser (N-type) und diffuser (D-type) Parathyreoideahyperplasie niereninsuffizienter Patienten. (Nach Fukuda et al. 1993)
Pathogenese des sekundären renalen Hyperparathyreoidismus 5 Abnorme Plasmawerte – Plasmakalzium erniedrigt – Plasmacalcitriol erniedrigt – Plasmaphosphat erhöht (nicht bei früher Niereninsuffizienz) 5 Erhöhte Parathyreoideamasse (nichtsupprimierbare Basalsekretion von PTH; Hypertrophie/Hyperplasie) 5 Autonome PTH-Synthese/-Sekretion – Abnormer Vitamin-D-Rezeptor-(VDR-)Bestand – Abnormer Kalziumsensor-Bestand (gestörter Kalzium»Set-point«) – Abnorme Expression wachstumssteigernder bzw. wachstumshemmender Gene – Monoklonales Parathyreoideazellwachstum – Deletion von Tumorsuppressorgenen 5 Resistenz gegenüber der Wirkung von PTH und Calcitriol – Verminderter PTH-Rezeptorbestand – Störung von Postrezeptorschritten – Gestörte VDR-Regulation – Gestörte VDR-Wirkung (kovalente Modifikation, gestörte Interaktion mit RXR)
Es gilt heute als gesichert, dass die extrazelluläre Phosphatkonzentration unabhängig von niedriger Kalzium- und Calcitriolkonzentration die Parathyreoidea stimuliert. In Parathyreoideazellen wurde ein Natrium-Phosphat-Kotransporter-Isoprotein
Für die Indikation zur Parathyreoideachirurgie des urämischen Patienten mit sHPT ist der Prozess der Parathyreoideahyperplasie, d. h. die Rekrutierung aktiver Zellen, von besonderer Wichtigkeit. Generell ist die Hyperplasie endokriner Organe nur langsam reversibel. Bei experimenteller Niereninsuffizienz verhindert Calcitriol, prophylaktisch gegeben, die Hyperplasie der Parathyreoidea, eine bestehende Hyperplasie wird jedoch zumindest kurzfristig nicht zurückgebildet (Szabo et al. 1989). Bei Patienten mit fortgeschrittenem sHPT wurde jedoch belegt, dass zusätzlich in knotig hyperplastischen Nebenschilddrüsen molekulare Veränderungen vorliegen, die auf eine gestörte Wachstumskontrolle hinweisen. Arnold konnte bei mindestens 70% der Patienten monoklonales Wachstum der Nebenschilddrüsen belegen (Arnold et al. 1995). Durch Mikrosatellitenanalyse mit Hilfe der »Loss-of-heterozygosity-(LOH-)Technik belegten Chudek et al. (1998) darüber hinaus das häufige Vorkommen von Deletionen, die Tumorsuppressorgene ausschalten können (. Abb. 3.64). Auf eine gestörte Wachstumskontrolle knotig transformierter Nebenschilddrüsen weisen auch folgende Beobachtungen hin: lokal invasives Wachstum von Parathyreoidea-Autotransplantaten hämodialysierter Patienten sowie eine mit 30% außerordentlich hohe Rezidivrate
. Abb. 3.64. Mikrosatellitenanalyse von Chromosom 11p und Xp in 2 Knoten mit monoklonalem Wachstum aus einer Parathyreoidea eines niereninsuffizienten Patienten (A1, A2) und je 1 Knoten mit monoklonalem (B) bzw. polyklononalem (C) Wachstum aus je einer weiteren Parathyreoidea desselben Patienten. Die Mikrosatellitenanalyse zeigt »loss of heterozygocity (LOH)« des Chromosoms 11 bei einem (A1) der beiden Knoten aus der gleichen Parathyreoidea. Beachte LOH im X-Chromosom des Knotens B. (Nach Chudek et al. 1998)
259 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
3
. Abb. 3.65a,b. 1,84-iPTH (a) und Calcitriolspiegel (b) als Funktion der Kreatinin-Clearance bei chronisch niereninsuffizienten Patienten. (Nach Reichel et al. 1998)
eines sHPT nach chirurgischer Reduktion der Parathyreoideamasse (Gagne et al. 1992). Ein ausgeprägter sHPT hat nicht nur Auswirkungen auf Skelettsystem (Ostitis fibrosa) und Serumchemie (Hyperkalzämie, Hyperphosphatämie) mit Entwicklung extraossaler Verkalkungen, sondern führt auch zu Störungen an zahlreichen Organsystemen (Gefäße, Hämatopoese, Granulozytenfunktion etc.). Dies führte zu der Vorstellung, PTH sei ein »urämisches« Toxin. Nach dieser Vorstellung beeinflussen stark erhöhte PTHKonzentrationen über den PTH-/PTHrp-Rezeptor zahlreiche Organe, die nicht zu den klassischen Zielorganen zählen. PTH kann vor allem, sei es durch diesen Mechanismus direkt, sei es durch Verstärkung der Hyperphosphatämie indirekt, das kardiovaskuläre Risiko und damit das Überleben von Dialysepatienten beeinflussen. Am eindrücklichsten wird dies durch Beobachtungen belegt, dass nach Parathyreoidektomie postoperativ das aktuarielle Überleben zwar kurzfristig schlechter, langfristig jedoch signifikant besser ist (Kestenbaum et al. 2004; Foley et al. 2002). 3.5.2 Epidemiologie und klinische Symptomatik
E. Ritz Ein fortgeschrittener Hyperparathyreoidismus – 1,84-iPTHSpiegel über etwa 50 pmol/l (Norm <6 pmol/1) – wird bei einem relativ hohen Prozentsatz der Dialysepatienten, allerdings nicht bei allen, gefunden. Nach Angaben des EDTA-Registers muss im Verlauf der Jahre bei 15–20% aller Dialysepatienten eine Parathyreoidektomie durchgeführt werden. In den letzten Jahren nahm – vor Einführung der Kalzimimetika – die Häufigkeit sogar noch zu (Foley et al. 2002). Die Notwendigkeit einer Parathyreoidektomie steigt mit zunehmender Dialysedauer an: Sie liegt bei über 15-jähriger Dialysedauer um den Faktor 18 höher als in den ersten 5 Jahren der Dialyse. Neben der Dialysedauer lässt sich anhand der PTH-Konzentration zu Dialysebeginn voraussagen, ob später eine Parathyreoidektomie notwendig werden wird. Dies
weist auf die Notwendigkeit der Prophylaxe im Prädialysestadium hin, denn selbst bei initialer Niereninsuffizienz sind die 1,84-iPTH-Spiegel oft erhöht (. Abb. 3.65; Reichel et al. 1998). Vor Dialysebeginn wird beim Erwachsenen ein symptomatischer Hyperparathyreoidismus nur in Ausnahmefällen (wie Erwachsenen mit begleitendem Vitamin-D-Mangel) gesehen, allerdings gelegentlich bei Kindern (. Abb. 3.66), bei denen der Hyperparathyreoidismus zu Wachstumsstörungen mit Epiphysenlösung (Handgelenk, Femur) führen kann. Beim dialysierten Erwachsenen mit fortgeschrittenem Hyperparathyreoidismus ist hingegen häufig eine Ostitis fibrosa nachweisbar. Die Beziehung zwischen 1,84-iPTH-Spiegeln und feingeweblichen Knochenveränderungen ist allerdings außerordentlich variabel: Wir beobachteten bei einem Patienten mit mehr als 20-fach erhöhtem 1,84-iPTH-Spiegel bei histodynamischer Untersuchung der Knochenhistologie einen völlig normalen Befund. Die ersten röntgenologischen Hinweise auf eine Ostitis fibrosa zeigen sich am Handskelett: an der Mittelphalanx des Zeigefingers subperiostale Resorptionszonen an der Radialseite, begleitet von periostaler Knochenneubildung, Längsstreifung (Erweiterung der Havers-Kanäle) und Rarefizierung der Kortikalis (durch endostale Resorption) sowie an der Endphalanx Verlust der Grenzlamelle (Akroosteolyse; . Abb. 3.67). Am Schädel findet sich ein charakteristisches Nebeneinander von kleinen Osteolyseherden und Zonen vermehrter Knochenmineraldichte mit Verlust der Dreischichtung der Kalotte (»pepper pot skull«). Am Schultereckgelenk tritt eine Akroosteolyse der Klavikula auf, an der Wirbelsäule fällt meist eine Dreischichtung mit vermehrter Mineraldichte im Bereich der Grundplatten und verminderter Mineraldichte im Wirbelkörperzentrum auf (»rugger jersey spine«). Oft finden sich auch Akroosteolysen an Sakroiliakalgelenken und an der Schambeinfuge. Knochendeformierung und spontane Knochenfrakturen sind ebenso wie braune Tumoren auffällig selten. Gelegentlich werden ausgeprägte Osteolysen im Bereich der Insertion großer Sehnen beobachtet (Enthesiose), bei schwerer Ostitis fibrosa finden sich auch Quadrizepssehnenrupturen.
260
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
3
. Abb. 3.66a,b. Epiphysiolyse mit Ulnarabweichung des Handskeletts (a) und Epiphysengleiten des Femurkopfes (b) bei niereninsuffizienten
Kindern. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Otto Mehls, Universitätskinderklinik Heidelberg)
. Abb. 3.67. Röntgenbefund bei Ostitis fibrosa des Handskeletts eines erwachsenen Hämodialysepatienten. Beachte die Auflösung der Grundlamelle der Terminalphalanx mit teilweiser Stauchung und Achsenabweichung, Verschmächtigung und Längsstreifung der Kortikalis der Phalangen und fleckig unruhiges Muster der Spongiosa, subperiostale Resorptionszonen an der Radialseite der Mittelphalanx (bei dieser Vergrößerung nicht zu sehen) sowie Arterienverkalkung
An extraossalen Geweben treten durch Überschreitung des Kalzium-Phosphat-Löslichkeitsproduktes Verkalkungen auf: an Bursae sowie im periartikulären Gewebe vorzugsweise der kleinen Handgelenke mit schubweiser akuter Entzündung (Pseudogicht) sowie Verkalkung von Hämatomen. Hinzu treten Gefäßverkalkungen (Mediaverkalkung vom Mönckeberg-Typ sowie Verkalkung von Plaques der Intima). Für das Überleben des Patienten sind die bei sHPT besonders häufigen Verkalkungen der Aortenklappe (. Abb. 3.68), des Anulus fibrosus sowie von Koronarplaques wesentlich bedeutsamer. In Einzelfällen wird bei ausgeprägtem sHPT ein Pruritus gesehen, der nach Parathyreoidektomie schwindet. Außerdem führt ein Hyperpara-
thyreoidismus zur Verstärkung der urämischen Anämie und zu vermindertem Ansprechen auf rekombinantes Erythropoetin (rhEPO). 3.5.3 Diagnostik
E. Ritz Die wichtigsten serumchemischen Veränderungen bei sHPT sind in . Tab. 3.14 zusammengefasst. Bei sHPT kommt es meist, aber nicht immer, zu Hyperkalzämie (die bei Erniedrigung
261 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
. Abb. 3.68. Echokardiogramm einer verkalkten Aortenklappe bei einem Dialysepatienten mit fortgeschrittenem Hyperparathyreoidismus. (Mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. Haller, Kardiologische Abteilung der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg)
. Tab. 3.14. Serumchemie bei sekundärem Hyperparathyreoidismus
Parameter
Kommentar
Normalbereich
Kalzium
Niedrig, normal oder erhöht (erhöht bei schwerem HPT, Al-Intoxikation, Vitamin-D-Exzess, Therapie mit kalziumhaltigen oralen Phosphatbindern, hohem Dialysatkalzium, Immobilisation)
2,2–2,6 mmol/l
Phosphat
Erhöht erst bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz (GFR <30 ml/min), aggraviert durch HPT
0,8–1,4 mmol/l
PTH
Erhöht, differenzialdiagnostisch normal oder erniedrigt bei Aluminiumintoxikation, adynamischer Knochenerkrankung, Überbehandlung mit Calcitriol Fehlerquelle: Assay für intaktes PTH erfasst Fragmente, deren biologische Wirkung nicht sicher bekannt ist
1–6 mmol/l
25-(OH)-D3
Normal oder niedrig (erhöhter Katabolismus in Leber; geringe Sonnenexposition; Vitamin-D-Verluste in Urin (nephrotische Proteinurie) oder Peritonealdialyseflüssigkeit (bei CAPD); falls 25-(OH)-D3 stark erhöht, exogene Zufuhr ausschließen
50–200 nmol/l (saisonale Schwankung der Normalwerte
Calcitriol
Erniedrigt (selten niedrig-normal); bei erhöhten Werten Zufuhr von Calcitriol oder gelegentlich endogene Überproduktion (granulomatöse Erkrankung) ausschließen
25–75 pg/ml
Alkalische Gesamtphosphatase (AP)
Erhöht bei schwerem HPT mit Osteitis fibrosa Differenzialdiagnostisch: normal oder niedrig bei Aluminiumosteopathie oder adynamischer Knochenerkrankung Hohe AP beinhaltet hohes postoperatives Risiko einer Hypokalzämie (»hungry bone syndrome«) Begleitende Lebererkrankung muß durch Bestimmung von γ-GT ausgeschlossen werden
60–170 U/l
Knochenisoenzym der AP
Erhöht bei HPT, bei Messung mit monoklonalen Antikörpern höhere Sensitivität und Spezifität als Gesamt-AP
3–22 μg/l
Veränderung vergleichbar mit AP, weniger spezifisch, da Fragmente bei Niereninsuffizienz kumulieren, keine Zusatzinformation zusätzlich zu intaktem PTH und Knochenisoenzym der AP
Ca. 3–8 μg/l
Gewöhnlich <60 μg/l; beim (weitgehend) gesunden Skeletturämiker in Zweifelsfällen Desferrioxamintest (pathologisch, wenn Anstieg 3-fach über Ausgangswert oder >150 μg/l)
<5 μg/l (bei Nierengesunden)
Aluminium
3
262
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
des Plasma-Gesamteiweiß maskiert sein kann) sowie (bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz praktisch immer) ausgeprägter Hyperphosphatämie und Erhöhung des 1,84-iPTH. Zur Erkennung der Knochenmitbeteiligung ist die Bestimmung der alkalischen Gesamtphosphatase und des Knochenisoenzyms der alkalischen Phosphatase von Bedeutung. Bei stärkerer Erhöhung der alkalischen Phosphatase und ausgeprägten röntgenologischen Skelettveränderungen ist nach Parathyreoidektomie mit einer Rekalzifizierungstetanie (»hungry bone syndrome«) zu rechnen. Die alkalische Phosphatase steigt postoperativ an. Dies erfolgt da in den Resorptionshöhlen Osteoklasten verschwinden und durch Osteoblasten abgelöst werden. Fällt die alkalische Phosphatase schließlich ab, nimmt pari passu auch die Kalziumavidität des Skeletts ab. Unter fortlaufend hoher Therapie mit aktivem Vitamin D und Kalzium ist dann mit einer Hyperkalzämie zu rechnen, der man durch rechtzeitige Dosisreduktion zuvorkommen sollte. Von besonderer Wichtigkeit ist der Ausschluss einer (heute allerdings selten gewordenen) Aluminiumbeladung des Skeletts, da nach Parathyreoidektomie und der damit verbundenen Verminderung der Knochenumsatzrate (»low bone turnover«) die Aluminiumosteopathie aggraviert wird. Als Suchtest hat sich die Messung der Plasma-Aluminiumkonzentration bewährt, ggf. mit vorheriger Infusion von Desferral (Aluminiummobilisationstest; Felsenfeld et al. 1989). In Zweifelsfällen sollte nach vorheriger Tetrazyklindoppelmarkierung eine Knochenbiopsie durchgeführt werden. Diese ist auch dann indiziert, wenn Zweifel bestehen, ob eine Ostitis fibrosa vorliegt oder andere Knochenerkrankungen differenzialdiagnostisch zu erwägen sind. Wird die Indikation zur Parathyreoidektomie in erster Linie wegen therapierefraktärer Hyperkalzämie gestellt, müssen als alternative Ursachen überhöhtes Dialysatkalzium, überhöhte Dosis oral gegebener kalziumhaltiger Phosphatbinder, Vitamin-D-Intoxikation, endogen überhöhte Calcitriolspiegel bei granulomatösen Erkrankungen (z. B. Sarkoidose, Tuberkulose), Osteolysen (Myelom, Skelettmetastasen), Aluminiumintoxikation und Immobilisationshyperkalzämie ausgeschlossen werden. Stellen Knochenläsionen die Hauptindikation zur Parathyreoidektomie dar, müssen differenzialdiagnostisch alternative Knochenerkrankungen ausgeschlossen werden, z. B. β2m-Amyloidose (gelenknahe Osteolyseherde, Schenkelhalsfraktur durch amyloidhaltige Knochenzyste, Spondylarthropathie mit Wirbelkörperdestruktion), Aluminiumosteopathie (Osteomalazie mit LooserZonen), Skelettmetastasen, Myelom, in seltenen Fällen auch Oxalose. 3.5.4 Konservative Therapie
E. Ritz Sowohl in den USA (DOQI-Guidelines; Foundation 2003) als auch in Europa (European best practice guidelines) wurden Richtlinien für Prophylaxe und Behandlung des urämischen Patienten mit sekundärem Hyperparathyreoidismus erstellt. Phosphatretention und Kalziummangel sind von großer Bedeutung bei der Entstehung des sekundären Hyperparathyreoidismus des niereninsuffizienten Patienten. Eine Hyperphosphatämie sollte daher korrigiert werden, um folgende Komplikationen zu verhindern:
4 verminderte Aktivitat der renalen 1-α-Hydroxylase, des geschwindigkeitsbegrenzenden Enzyms der Synthese von aktivem Vitamin D, 4 Erniedrigung der Konzentration ionisierten Kalziums sowie 4 direkte Stimulierung der Parathyreoideazellen durch Phosphat. Maßnahmen zur Prophylaxe und Behandlung des urämischen Patienten mit sHPT 5 Monitoring (Plasmawerte): Kalzium, Albumin, Phosphat, 25-(OH)D3, Aluminium, 1,84-iPTH 5 Prophylaxe des sHPT – Wenn 25-(OH)D3 niedrig, d. h. unter 50 nmol/l: 1000 E Vitamin D3/Tag – Wenn Plasmakalzium niedrig und/oder Serumphosphat hoch: 0,5–1,5 g CaC03 mit jeder Mahlzeit – Wenn 1,84-iPTH konsistent über 12–18 pmol/l (2- bis 3-mal normal) und Plasmakalzium/Plasmaphosphat normal (bzw. normalisiert): 0,125–0,25 μg Calcitriol/ Tag bzw. äquivalente Dosis anderer aktiver Vitamin-DPräparate 5 Behandlung des fortgeschrittenen sHPT (meist Dialysepatienten) – Wenn 1,84-iPTH konstant über etwa 20 pmol/l erhöht: Plasmakalzium und Plasmaphosphat normalisieren – Bei Hyperphosphatämie: orale Gabe von Kalziumkarbonat oder (Kalziumazetat) resp. kalziumfreie Phosphatbinder (Sevelamer, Lanthankarbonat), Verminderung der Phosphatzufuhr mit der Diät, Erhöhung der Dialyseeffizienz (höherer Blutfluss, häufigere und längere Sitzungen) – Bei Hyperkalzämie: kein aktives Vitamin D, Reduktion des Dialysatkalziums auf 6 mg/dl oder (vorübergehend) auf 5 mg/dl, Reduktion bzw. Absetzen kalziumhaltiger oraler Phosphatbinder – Wenn Plasmakalzium und Plasmaphosphat normalisiert sind: steigende Dosen von Calcitriol (0,5–3 μg) bzw. alternativen aktiven Vitamin-D-Präparaten, 1- bis 3-mal/Woche abhängig vom Ausmaß der 1,84-iPTH-Erhöhung; Kontrollen: Plasmakalzium, Plasmaphosphat, 1,84-iPTH – Wenn 1,84-iPTH unter 20 pmol/l abfällt: Behandlung unterbrechen, 1,84-iPTH-Spiegel messen, ggf niedrig dosierte Langzeitprophylaxe (z. B. 0,25 μg 1mal/Woche) – Alternativ: Cinacalcet (Kalzimimetikum), Startdosis 30 mg/Tag p.o., Maximaldosis 180 mg, schrittweise Dosissteigerung unter Serumkalziumkontrolle – Wenn 1,84-iPTH nicht abfällt oder aktives Vitamin D kontraindiziert ist wegen Hyperkalzämie oder Hyperphosphatämie: Parathyreoidektomie erwägen
Eine Normalisierung von Plasmakalzium und Plasmaphosphat ist absolut notwendig, bevor mit der Gabe aktiver Vitamin-DPräparate begonnen wird.
Es wird empfohlen, mit der Behandlung der Hyperphosphatämie zu beginnen, sobald die Plasmaphosphatspiegel den oberen
263 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
3
Normbereich überschreiten (Coburn u. Salusky 1989). Dies tritt gewöhnlich bei einer Kreatininkonzentration von 3–4 mg/dl ein. Allerdings ist die Beziehung zur Plasmakreatininkonzentration nicht sehr eng, da die Plasmaphosphatspiegel nicht nur von der renalen Clearance, sondern auch von der Höhe der diätetischen Phosphatzufuhr, dem Proteinkatabolismus und anderen Faktoren abhängen.
phatmenge in den ersten 2 h relativ hoch; wenn die Plasmaphosphatspiegel abgefallen sind, werden nur noch geringe Mengen von Phosphat entfernt, sodass durch Verlängerung der Dialyse keine wesentliche Verbesserung der Elimination erzielt werden kann. Bei täglicher Dialyse kann hingegen eine exzellente Phosphatkontrolle erzielt werden.
Verminderung der Phosphatzufuhr. Phosphat kommt in praktisch allen Nahrungsmitteln vor. Eine Verminderung der diätetischen Zufuhr von Phosphat ist daher schwierig, ohne das Risiko der Malnutrition einzugehen. Man sollte den Patienten jedoch nahe legen, wegen des hohen Phosphatgehalts der Kuhmilch Milchprodukte zu meiden, ebenso wie Nahrungsmittel mit Phosphatzusatz (z. B. einige Wurstsorten, phosphatreiche Softdrinks etc.). In Mitteleuropa beträgt die normale Phosphatzufuhr etwa 1000–1200 mg/Tag. Bei Dialysepatienten werden die prädialytischen Phosphatspiegel sehr stark durch Dialyseeffizienz beeinflusst. So wird bei täglicher Dialyse teilweise sogar eine behandlungspflichtige Hypophosphatämie beobachtet.
In jedem Fall einer Hyperphosphatämie muss die Dialyseeffizienz überprüft werden (Dialysatoroberfläche, Dauer und Häufigkeit der Dialysesitzung; Ausschluss von Rezirkulation).
Negative Kalziumbilanz. Mehrere Faktoren begünstigen bei
nicht ausreichend sind, verbleiben die niereninsuffizienten Patienten in positiver Phosphatbilanz, wenn nicht orale Phosphatbinder gegeben werden. Diese Substanzen binden Phosphat im Darmlumen durch Bildung von unlöslichen Phosphatkomplexen. Phosphatbinder müssen vor oder zusammen mit den Mahlzeiten eingenommen werden, jedoch nicht zwischen den Mahlzeiten. Nur wenn im Darmlumen gleichzeitig phosphathaltige Nahrung und Phosphatbinder anwesend sind, kann Phosphat ausgefällt werden. Die Tagesdosis sollte zwischen den einzelnen Mahlzeiten nach Maßgabe der geschätzten Phosphatzufuhr aufgeteilt werden, d. h. Hauptmenge mit Hauptmahlzeit. Aluminiumhaltige Phosphatbinder sind wegen ihrer Toxizität (Enzephalopathie, Osteopathie, Anämie etc.) heute kontraindiziert. Als Phosphatbinder sind gegenwärtig in erster Linie Kalziumkarbonat oder Kalziumazetat verfügbar. Die wichtigste Nebenwirkung von Kalziumkarbonat ist die Hyperkalzämie. Das Risiko ist besonders hoch bei gleichzeitiger Gabe von aktivem Vitamin D, Aluminiumintoxikation, niedrigem Knochenumsatz (»adynamic bone disease«) sowie Immobilisation der Patienten. Die wichtigste Nebenwirkung ist die positive Kalziumbilanz, die wegen der Gefahr der Gefäßverkalkung und der damit erhöhten kardiovaskulären Mortalität als bedrohlich betrachtet wird (Goodman et al. 2000). Die DOQI-Guidelines empfehlen eine Begrenzung der täglichen Kalziumzufuhr auf maximal 1500 mg. Als Alternativen zu den Kalziumsalzen stehen heute der Anionenaustauscher Sevelamer (Block et al. 2004) und das Lanthankarbonat (Hutchison et al. 2006) zur Verfügung.
Niereninsuffizienz eine negative Kalziumbilanz. Die aktive Vitamin-D-abhängige Kalziumabsorption aus den oberen Darmabschnitten ist deutlich beeinträchtigt, hingegen nicht die passive intestinale Kalziumabsorption aus den unteren Darmabschnitten. Der gestörte aktive Transport verhindert die Anpassung an eine niedrige Kalziumzufuhr; dies ist wichtig, da unter freier Kostwahl die Kalziumzufuhr des urämischen Patienten meist gering ist. Wegen der ungestörten passiven Kalziumabsorption kann jedoch durch hochdosierte Zufuhr von Kalziumsalzen die Kalziumbilanz positiv werden. Weitere Ursachen einer negativen Kalziumbilanz sind konvektiver Kalziumverlust durch Ultrafiltration an der Dialyse und intestinaler Kalziumverlust durch verminderte Rückresorption von Kalzium in Darmsekreten. In der Vergangenheit wurde eine Dialysatkalziumkonzentration von 7 mg/100 ml (1,75 mmol/l) empfohlen, d. h. eine Konzentration an ionisiertem Kalzium, die höher liegt als die des Blutes. Bei dieser Dialysatkalziumkonzentration kommt es daher zur Nettokalziumaufnahme während der Dialysesitzung. Diese Nettokalziumaufnahme kompensierte in der Ära vor Einsatz kalziumhaltiger Phosphatbinder den konvektiven Verlust von Kalzium während der Dialyse und die negative intestinale Kalziumbilanz zwischen den Dialysesitzungen. Werden niedrigere Dialysatkalziumkonzentrationen verwendet, werden höhere Dosen kalziumhaltiger Phosphatbinder oder aktiver Vitamin-D-Präparate ohne Entwicklung einer Hyperkalzämie toleriert. Liegt vor einer geplanten Therapie mit aktiven Vitamin-D-Präparaten eine Hyperkalzämie vor oder tritt diese unter Therapie auf, sollte die Dialysatkalziumkonzentration auf 6 mg/100 ml (evtl. sogar kurzfristig auf 5 mg/100 ml), d. h. 1,5 bzw. 1,25 mmol/l, erniedrigt werden. Allerdings ist es unerlässlich, sich der Einnahmetreue der Patienten zu vergewissern, d. h. der korrekten Einnahme von Kalziumkarbonat und/oder aktiver Vitamin-D-Präparate. Andernfalls droht eine negative Kalziumbilanz mit Exazerbation des sHPT.
Unkontrollierbare Hyperphosphatämie. Bei Patienten mit fort-
Vitamin-D-Zufuhr. Bleibt trotz dieser Maßnahmen die Konzen-
bestehender Hyperphosphatämie sind folgende Möglichkeiten zu bedenken: 4 Non-Compliance der Patienten 4 Phosphatfreisetzung aus dem Skelett durch vermehrte Knochenresorption (z. B. bei ausgeprägter Ostitis fibrosa) 4 Ungenügende Dialyseeffizienz
tration von 1,84-iPTH um das 2- bis 3-fache über der Norm, sollte zusätzlich aktives Vitamin D gegeben werden (Hamdy et al. 1995; Ritz et al. 1995). Eine Zielkonzentration von 1,84-PTH 2bis 3fach oberhalb des Normwertes wird deswegen empfohlen, weil indirekte Hinweise auf eine gewisse PTH-Resistenz am Skelett vorliegen und bei normalen oder niedrig-normalen PTHSpiegeln niedrige Knochenumsatzraten (»low turn over«) gesehen werden. Ist die Zufuhr von aktivem Vitamin D – z. B. 1,25-(OH)2D3 oder 1-α-(OH)2D3 – geplant, sollte allerdings ein Mangel an na-
Orale Phosphatbinder. Da diätetische Maßnahmen in der Regel
Die Phosphateliminationskinetik an der Dialyse ist komplex, da Phosphat aus intrazellulären Kompartimenten mobilisiert werden muss. Infolgedessen ist die durch Dialyse entfernte Phos-
264
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
tivem Vitamin D, erkennbar an einer erniedrigten 25-(OH)D3Konzentration, ausgeschlossen werden. Ein Vitamin-D-Mangel ist bei urämischen Patienten nicht selten. Er ist meist die Folge ungenügender Sonnenexposition. Gelegentlich ist er auch bedingt durch vermehrte Vitamin-D-Verluste, z. B. über den Harn bei nephrotischer Proteinurie oder über die Peritonealflüssigkeit bei kontinuierlicher ambulanter Peritonealdialyse (CAPD). Da bei Niereninsuffizienz die Bildung von 1,25-(OH)2-Vitamin D (Calcitriol) besonders ausgeprägt von der Konzentration der Vorläufersubstanz 25-(OH)-Vitamin D3 abhängt (»substrate dependency«), wird nach Ausgleich des Vitamin-D-Defizits, z. B. mit 1000 IE Vitamin D/Tag p.o., ein gewisser Anstieg der Calcitriolspiegel gesehen. Für die Prophylaxe des sHPT genügen relativ geringe Dosen an aktivem Vitamin D. Es wurde gezeigt, dass mit 0,125 μg Calcitriol täglich der Anstieg von PTH verhindert wurde, wobei in dieser niedrigen Dosis keine Veränderung von Plasmakalzium, Plasmaphosphat und Urinkalziumausscheidung auftrat. Bei fortgeschrittenem sHPT, d. h. deutlich erhöhtem 1,84iPTH über 50 pmol/l (= 8-fach über der Norm), werden höhere Dosen von aktivem Vitamin D benötigt. Allerdings darf die Behandlung mit aktiven Vitamin-D-Präparaten nur begonnen werden, wenn zuvor Hyperphosphatämie und Hyperkalzämie beseitigt wurden. Deshalb empfiehlt es sich, mit relativ niederen Dosen zu beginnen, z. B. 0,5 μg Calcitriol/Tag oder 1 mg Alphacalcidol (1-Alpha). Nachdem man sich vergewissert hat, dass diese Dosis ohne Auslösung einer Hyperphosphatämie oder Hyperkalzämie toleriert wird, kann die Dosis schrittweise gesteigert werden, bis der 1,84-iPTH-Spiegel abfällt. Über die optimale Darreichungsform von aktivem Vitamin D gibt es unterschiedliche Ansichten. Zur Diskussion steht die kontinuierliche, d. h. tägliche Gabe von Vitamin D im Vergleich zur diskontinuierlichen mit Verabreichung 1- bis 2-mal/Woche. Außerdem steht zur Diskussion die orale im Vergleich zur intravenösen Zufuhr. Dass die Gabe von aktivem Vitamin D selbst in mehrtägigen Abständen wirksam ist, ist plausibel, da nach einer einzigen Dosis von Calcitriol p.o. die PTH-Spiegel für mehr als 96 h supprimiert sind, obwohl zu diesem Zeitpunkt Calcitriol im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Nach einer Einzeldosis von Calcitriol ist auch im Tierexperiment die Messenger-RNA von Prä-pro-PTH tagelang vermindert. Experimentell wird die Parathyreoideafunktion bei intermittierender im Vergleich zu kontinuierlicher Zufuhr stärker supprimiert. Allerdings fanden Herrmann et al. (1994) in einer klinischen Prüfung weder einen Unterschied in der Anzahl der Patienten mit positiver Therapieantwort (»responder«) noch einen Unterschied in der Geschwindigkeit des Abfalls der 1,84iPTH-Spiegel bei intermittierender im Vergleich zu kontinuierlicher Calcitriolzufuhr. Die Wirksamkeit von intravenösem Calcitriol wurde in mehreren prospektiven Studien bestätigt, allerdings war im direkten Wirkungsvergleich die intravenöse Calcitriolzufuhr der oralen nicht überlegen. Gegenwärtig verfolgen mehrere Arbeitsgruppen den Einsatz chemisch modifizierter, »nichthyperkalzämischer »Vitamin-DAnaloga, z. B. 22-oxa-25-Dihydroxy-Vitamin D3 oder 1-α-Hydroxy-Vitamin D2 (Nemeth u. Bennett 1998). Von besonderem Interesse sind neuere Daten aus Beobachtungsstudien, dass – unabhängig von Kalzium-Phosphat- oder PTH-Konzentration – die Zufuhr aktiver Vitamin-D-Metabolite das Überleben der Dialysepatienten verbessert (Teng et al. 2003, 2005). Diese Be-
. Abb. 3.69. Zeitverlauf des Abfalls der 1,84-iPTH-Konzentration nach Zufuhr von Vitamin D bei Kindern mit hochgradigem (links) und mäßiggradigem (rechts) Hyperparathyreoidismus. (Nach Klaus et al. 1991)
funde müssen allerdings erst in kontrollierten Interventionsstudien bestätigt werden (Drueke u. McCarron 2003). Die Therapie mit aktivem Vitamin D muss überwacht werden. Die Wirksamkeit kann durch Messung von 1,84-iPTH-Werten überprüft werden. Diese fallen in der Regel nach 4–8 Wochen um 50% des Ausgangswertes ab, wenn die Patienten ansprechen (. Abb. 3.69). Sprechen die Patienten nicht an, ist eine Parathyreoidektomie zu erwägen (Klaus et al. 1991). Kalzimimetika. Als neue Option – und potenzielle Alternative
zur Parathyreoidektomie – steht neuerdings das Kalzimimetikum Cinacalcet (Mimpara) zur Verfügung (Block et al. 2004). Das Wirkprinzip besteht darin, dass die Substanz am »Calciumsensing«-Rezeptor das supprimierende Signal des ionisierten Kalziums verstärkt. In Abwesenheit von Kalzium ist die Substanz unwirksam. Trotz der ubiquitären Expression des »Calciumsensing«-Rezeptor ist die Wirkung relativ spezifisch auf die Parathyroidea begrenzt. Lediglich gastrointestinale Nebenwirkungen werden häufiger beobachtet. Zu Therapiebeginn muss jedoch das Serumkalzium wegen der Gefahr der Hypokalzämie überwacht werden. Die Initialdosis beträgt 30 mg/Tag, die Maximaldosis 180 mg/Tag. Selbst nach Jahren wird kein Nachlassen der Wirksamkeit (»escape«) gesehen. Erste Beobachtungen zeigen, dass selbst nach Nierentransplantation der Einsatz nicht durch Nebenwirkungen belastet ist (Serra et al. 2005). 3.5.4.1 Operationsindikation Bei Patienten mit fortgeschrittenem Hyperparathyreoidismus, speziell bei therapierefraktärem Hyperparathyreoidismus, sollte – falls die Option des Kalzimimetikums nicht verfügbar ist oder kein befriedigendes Ergebnis brachte – generell die chirurgische Reduktion der Parathyreoidea erwogen werden. Im Folgenden werden verschiedene Gesichtspunkte genannt, die beim Abwägen zwischen konservativer und chirurgischer Therapie zu berücksichtigen sind (Schömig u. Ritz 2000).
265 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
3
holinjektion in die Parathyreoidea vorgeschlagen (Schamp et al. 2003; Nakamura et al. 2003). Zur Frage, ob die Parathyreoidektomie mit oder ohne Autotransplantation eines Parathyreoidearestes durchgeführt werden sollte, hat sich unter Nephrologen noch keine einheitliche Meinung gebildet. Weitere Indikationen für die Parathyreoidektomie sind 4 therapieresistente Hyperkalzämie und Hyperphosphatämie, die Kontraindikationen zumindest gegen die Behandlung mit aktiven Vitamin D darstellen, 4 biomechanische Probleme, die rasche Maßnahmen erfordern (z. B. Fraktur oder Sehnenabriss), 4 therapierefraktärer Pruritus bei massiver Erhöhung von 1,84iPTH sowie 4 Kalziphylaxie (Matsuoka et al. 2005), d. h. ischämische Hautnekrosen (. Abb. 3.70) durch Verkalkung und Verschluss arterieller Hautgefäße. Eine Kalziphylaxie kann auch ohne Erhöhung des PTH auftreten. Die Kalziphylaxie stellt jedoch bei erhöhtem PTH eine absolute Indikation für die Parathyreoidektomie dar. Literatur
. Abb. 3.70. Ischämische Hautnekrose infolge von Kalziphylaxie bei einer Patientin mit mehrjähriger chronischer Niereninsuffizienz im Präterminalstadium und ausgeprägtem sekundärem Hyperparathyreoidismus
Die Gabe aktiver Vitamin-D-Präparate geht mit einem erheblichen Risiko der Hyperkalzämie und/oder Hyperphosphatämie einher. Außerdem spricht ein hoher Prozentsatz der Patienten nicht an. Selbst bei den Patienten, die ansprechen, wird häufig nur Zeit gewonnen, ohne dass die Parathyreoidektomie endgültig vermieden werden kann (Cunningham 2000). Man sollte daher sowohl bei hämodialysierten (Ritz et al. 1993, 1994) als auch bei nierentransplantierten Patienten die Parathyreoidektomie ins Auge fassen, wenn bei dem Patienten nach befristeter Gabe (Klaus et al. 1991) von aktivem Vitamin D (etwa 6–8 Wochen) die PTH-Spiegel nicht mindestens um 30–50% abfallen (. Abb. 3.69). Ebenfalls ist bei der Entscheidung zu berücksichtigen, dass bei Patienten mit langdauerndem, fortgeschrittenem Hyperparathyreoidismus meist eine nodöse Hyperplasie mit verminderter VDR-Expression in den Parathyreoideae und monoklonalem Parathyreoideawachstum vorliegen (. Abb. 3.61; Chudek et al. 1998). Mehrere Autoren schlagen eine Parathyreoidektomie dann vor, wenn mit bildgebenden Verfahren die Parathyreoideamasse auf mehr als 1 g geschätzt wird (Ritz 1994). Die Darstellung der Parathyreoidea ist hier nicht Lokalisationshilfe für den Chirurgen beim Ersteingriff, sondern Maßnahme zur Abschätzung des Ausmaßes der Hyperplasie. Als Alternative wurde die Feinnadelalko-
Arnold A, Brown MF, Urena P, Gaz RD, Sarfati E, Drueke TB (1995) Monoclonality of parathyroid tumors in chronic renal failure and in primary parathyroid hyperplasia. J Clin Invest 95:2047–2053 Block GA, Martin KJ, de Francisco AL, Turner SA, Avram MM, Suranyi MG, Hercz G, Cunningham J, Abu-Alfa AK, Messa P, Coyne DW, Locatelli F, Cohen RM, Evenepoel P, Moe SM, Fournier A, Braun J, McCary LC, Zani VJ, Olson KA, DruekeTB, Goodman WG (2004) Cinacalcet for secondary hyperparathyroidism in patients receiving hemodialysis. N Engl J Med 350:1516–1525 Chudek J, Ritz E, Kovacs G (1998) Genetic abnormalities in parathyroid nodules of uremic patients. Clin Cancer Res 4:211–214 Coburn JW, Salusky IB (1989) Control of serum phosphorus in uremia. N Engl J Med 320:1140–1142 Cunningham J (2000) Are parathyroidectomies still appropriate in chronic dialysis patients? Semin Dial 13:275–278 Drueke TB, McCarron DA (2003) Paricalcitol as compared with calcitriol in patients undergoing hemodialysis. N Engl J Med 349:496–499 Felsenfeld AJ, Rodriguez M, Coleman M, Ross D, Llach F (1989) Desferrioxamine therapy in hemodialysis patients with aluminum-associated bone disease. Kidney Int 35:1371–1378 Foley RN, Li S, Liu J, Gilbertson DT, Chen SC, Collins AJ (2005) The fall and rise of parathyroidectomy in u.s. Hemodialysis patients, 1992 to 2002. J Am Soc Nephrol 16:210–218 Foundation NK (2003) K/DOQI clinical practice guidelines for bone metabolism and disease in chronic kidney disease. Am.J.Kidney Disease 42:S1 Fukuda N, Tanaka H, Tominaga Y, Fukagawa M, Kurokawa K, Seino Y (1993) Decreased 1,25-dihydroxyvitamin D3 receptor density is associated with a more severe form of parathyroid hyperplasia in chronic uremic patients. J Clin Invest 92:1436–1443 Gagne ER, Urena P, Leite-Silva S, Zingraff J, Chevalier A, Sarfati E, Dubost C, Drueke TB (1992) Short- and long-term efficacy of total parathyroidectomy with immediate autografting compared with subtotal parathyroidectomy in hemodialysis patients. J Am Soc Nephrol 3: 1008–1017 Goodman WG, Goldin J, Kuizon BD, Yoon C, Gales B, Sider D, Wang Y, Chung J, Emerick A, Greaser L, Elashoff RM, Salusky IB ( 2000) Coronary-artery calcification in young adults with end-stage renal disease who are undergoing dialysis. N Engl J Med 342:1478–1483 Herrmann P, Ritz E, Schmidt-Gayk H, Schafer I, Geyer J, Nonnast-Daniel B, Koch KM, Weber U, Horl W, Haas-Worle A et al. (1994) Comparison of intermittent and continuous oral administration of calcitriol in dialysis patients: a randomized prospective trial. Nephron 67: 48–53
266
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Hutchison AJ, Maes B, Vanwalleghem J, Asmus G, Mohamed E, Schmieder R, Backs W, Jamar R, Vosskuhler A (2006) Long-term efficacy and tolerability of lanthanum carbonate: results from a 3-year study. Nephron Clin Pract 102:c61–71 Kestenbaum B, Andress DL, Schwartz SM, Gillen DL, Seliger SL, Jadav PR, Sherrard DJ, Stehman-Breen C (2004) Survival following parathyroidectomy among United States dialysis patients. Kidney Int 66:2010– 2016 Klaus G, Mehls O, Hinderer J, Ritz E (1991) Is intermittent oral calcitriol safe and effective in renal secondary hyperparathyroidism? Lancet 337:800–801 Matsuoka S, Tominaga Y, Uno N, Goto N, Sato T, Katayama A, Haba T, Uchida K, Kobayashi K, Nakao A (2005) Calciphylaxis: a rare complication of patients who required parathyroidectomy for advanced renal hyperparathyroidism. World J Surg 29:632–635 Nakamura M, Fuchinoue S, Teraoka S (2003) Clinical experience with percutaneous ethanol injection therapy in hemodialysis patients with renal hyperparathyroidism. Am J Kidney Dis 42:739–745 Reichel H, Drueke T, Ritz E (1998) Skeletal disorders. In: Davison AM, Cameron JS,Grünfeld JP,Kerr DNS, Ritz E, Winearls CG (eds) Oxford textbook clinical nephrology. Oxford University Press, Oxford New York Oxford Tokyo, pp 1954–1981 Ritz E (1994) Which is the preferred treatment of advanced hyperparathyroidism in a renal patient? II. Early parathyroidectomy should be considered as the first choice. Nephrol Dial Transplant 9:1819–1821 Ritz E, Szabo A, Reichel H (1993) Parathyroidectomy in secondary (renal) hyperparathyroidism–whom, when, how? Int J Artif Organs 16:7–10 Schamp S, Dunser E, Schuster H, Kramer-Deimer J, Kettenbach J, Funovics M, Lang U, Meisl FT, Umek H (2004) Ultrasound-guided percutaneous ethanol ablation of parathyroid hyperplasia: preliminary experience in patients on chronic dialysis. Ultraschall Med 25:131–136 Schömig M, Ritz E (2000) Management of disturbed calcium metabolism in uraemic patients: 2. Indications for parathyroidectomy. Nephrol Dial Transplant 15 Suppl 5:25–29 Serra AL, Schwarz AA, Wick FH, Marti HP, Wuthrich RP (2005) Successful treatment of hypercalcemia with cinacalcet in renal transplant recipients with persistent hyperparathyroidism. Nephrol Dial Transplant 20:1315–1319 Szabo A, Merke J, Beier E, Mall G, Ritz E (1989) 1,25(OH)2 vitamin D3 inhibits parathyroid cell proliferation in experimental uremia. Kidney Int 35:1049–1056 Teng M, Wolf M, Lowrie E, Ofsthun N, Lazarus JM, Thadhani R (2003) Survival of patients undergoing hemodialysis with paricalcitol or calcitriol therapy. N Engl J Med 349:44–456 Teng M, Wolf M, Ofsthun MN, Lazarus JM, Hernan MA, Camargo CA Jr, Thadhani R (2005) Activated injectable vitamin D and hemodialysis survival: a historical cohort study. J Am Soc Nephrol 16:1115–1125
3.5.5 Operative Therapie
B. Niederle ) ) Alle Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz entwickeln eine mehr oder weniger ausgeprägte reaktive, renale (= sekundäre) Nebenschilddrüsenüberfunktion (sHPT) durch Stimulation des Epithelkörperchengewebes (De Francisco et al. 2002; Felsenfeld 1997; Salem 1997). Erste laborchemische Hinweise auf einen beginnenden sHPT sind erniedrigte Serumkalzium – und (anfangs noch) hoch normale Serumphosphatspiegel. Bei Fortschreiten der Niereninsuffizienz sind ohne Behandlung die Se6
rumphosphatwerte und somit das Kalzium-Phosphat-Produkt erhöht, zunehmend die Vitamin-D-(Calcitriol)-Spiegel erniedrigt (Llach et al. 2001). Das frühzeitige Erkennen einer chronischen Niereninsuffizienz und als Folge eine konsequente (prophylaktische) Kalziumund orale oder intravenöse Vitamin-D-Substitution helfen den Serumkalziumspiegel anzuheben (Brown 2001; Coburn 1994). Durch Phosphatbinder gelingt das Senken des Serumphospats auf normale Werte. Diese medikamentösen Maßnahmen reduzieren die Proliferation der Nebenschilddrüsen und somit die Parathormonsekretion und verhindern die klinischen Manifestationen des sHPT (Drueke 1994, 2000). Die individuell dem Patienten und der Schwere der Störung des Kalzium-Phosphat- und Knochenstoffwechsels angepasste »medikamentöse Parathyreoidektomie«, vor allem durch Einsatz potenter Vitamin-D-Metabolite hat vorübergehend zu einer Reduktion der Parathyreoidektomie-Frequenz geführt (Cohen et al. 2001; Kestenbaum et al. 2004), die aber in der Folgezeit wieder angestiegen ist (Foley et al. 2005). In 1–28% der Fälle versagt die »medikamentöse« Parathyreoidektomie (Druecke 1994; Niederle et al. 1982; Valderrabano et al. 1996). Erste Erfahrungen mit dem neuen Kalzimimetikum Cinacalcet (Block et al. 2004; Chertow et al. 2005; Cunningham 2004; Wada et al. 2003) lassen erwarten, dass die Notwendigkeit einer chirurgischen Reduktion des hyperaktiven Nebenschilddrüsengewebes in Zukunft wieder abnehmen könnte. Obwohl nach erfolgreicher Nierentransplantation fast ausnahmslos alle Erscheinungen des sHPT in wenigen Wochen, Monaten, selten nach einem Jahr völlig verschwunden sind (Malberti et al. 2001), persistiert der sHPT trotz guter Transplantatfunktion (= tertiärer HPT) bei etwa 1–17% der Patienten (Evenepoel et al. 2004; Kerby 1998; Niederle et al. 1982). Versagt die herkömmliche konservative Therapie (Jorna et al. 2004), ist der Patient, egal ob Dialyse- oder Transplantationspatient, einer definitiven (chirurgischen) Therapie zuzuführen (Coburn 1994; Druecke 1994; Felsenfeld 1997).
3.5.5.1 Indikationsstellung Hyperkalzämie. Das Auftreten einer Hyperkalzämie im Rahmen der chronischen Dialyse ist eine absolute Operationsindikation. Eine Ausnahme ist eine Hyperkalzämie unmittelbar nach erfolgreicher Nierentransplantation. Gelingt es dem gut funktionierenden Nierentransplantat nicht innerhalb eines Jahres eine vor der Transplantation bestehende, milde Hyperkalzämie (–2,8 mmol/l) zu korrigieren bzw. tritt diese trotz sehr guter Nierentransplantatfunktion auf, muss der Patienten zur Nebenschilddrüsenoperation zugewiesen werden (Schutz vor einer Funktionsverschlechterung des Nierentransplantats, Nephrolithiasis oder Nephrokalzinose des Nierentransplantats). Eine nach der Transplantation akut auftretende Hyperkalzämie >3,0 mmol/l (mit/ohne Symptomen) stellt eine akute Operationsindikation dar. Normokalzämie. Auch bei Normokalzämie kann sich der sHPT
durch Medikamente unbeeinflusst, progredient weiterentwickeln. Indikationen für eine Operation sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt (nach K/DOQI-Guidelines; Tominaga et al. 2005).
267 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Operationsindikationen bei therapieresistentem sHPT und Normokalzämie 5 Intaktes PTH, das um mindestens das 10-fache der Norm angestiegen ist 5 Therapieresistente Hyperphosphatämie mit Überschreiten des Kalzium-Phosphat-Löslichkeitsprodukts als Folge davon extraossäre Verkalkungen 5 Sonographisch nachgewiesene vergrößerte Nebenschilddrüsen (größte Drüse >500 mm3) 5 Fortgeschrittene renale Osteopathie mit erhöhten Knochenstoffwechselparametern bzw. radiologischen und/oder histologischen Zeichen einer Fibroosteoklasie mit erhöhtem Spongiosaumbau (Typ IIIb oder IIIc nach Delling) sowie verringerter Knochendichte 5 Therapieresistente schwere klinische Symptome wie starke Knochenschmerzen, Spontanfrakturen, Sehnenrisse, Juckreiz 5 Kalziphylaxie (ischämische Ulzera und Nekrosen) 5 Erythropoetin-resistente Anämie
Die gemeinsame Berücksichtigung von Serumkalzium, Knochenstoffwechsel (alkalischer Phosphatase) und Röntgenbefunden am Handskelett (Weichteiltechnik) lassen sehr vereinfacht drei Schweregrade des sHPT unterscheiden und grobe Richtlinien zur relativen und absoluten Operationsindikation ableiten (. Tab. 3.15; Wagner et al. 1987).
3
3.5.5.2 Operative Methoden – Vorteile und Nachteile Die ersten chirurgischen Behandlungsprinzipien erarbeiteten Stanbury et al. (1960), Fordham et al. (1963), Felts et al. (1965) und Ogg (1967). Die Autoren empfahlen eine subtotale (Stanbury 1960) bzw. totale (Felts 1965; Fordham 1963; Ogg 1967) Entfernung des hyperaktiven Epithelkörperchengewebes. Eine Operation reduziert die erhöhte PTH-Sekretion mit seiner Wirkung am Knochen und liefert die Voraussetzung für eine weiterführende Therapie mit Kalzium, Vitamin D und seiner Metabolite (Druecke 1994). Beide Methoden haben Vor- und Nachteile (. Tab. 3.16). Totale Parathyreoidektomie. Nach Entfernung des gesamten Nebenschilddrüsengewebes (tPTX) fehlt PTH vollständig. Der durch den sHPT demineralisierte Knochen kann sich nicht mehr remineralisieren. Aus der »High-turnover«-Ostitis wird eine latente Osteomalazie. Zusätzlich ist eine lebenslange Substitutionstherapie mit Kalzium und Vitamin-D-Metaboliten notwendig. Vor allem nach erfolgreicher Nierentransplantation können bei nun wieder normaler renaler Kalziumelimination beträchtliche Probleme durch unkontrolliert auftretende Hypokalzämien auftreten. Die tPTX ohne weiterer Maßnahmen (Autotransplantation) ist nur ausnahmsweise indiziert (7 unten). Subtotale Parathyreoidektomie. Nach subtotaler (3½) Parathy-
reoidektomie (sPTX) verbleibt Nebenschilddrüsengewebe in situ. Die postoperative Nebenschilddrüsenfunktion hängt von
. Tab. 3.15. (Vereinfachte) Stadieneinteilung des sHPT nach Schweregraden: Operationsindikation unter Berücksichtigung von Serumkalzium, alkalischer Phosphatase und röntgenologisch nachgewiesener renaler Osteopathie. (Nach Wagner u. Rothmund 1987)
Parameter
Stadium I
Stadium II
Stadium III
Normalwerte
Serumkalzium
<2,6
<2,6
>2,6
2,1–2,6 mmol/l
Alkalische Phosphatase
<300
>300
Normal oder erhöht
50–80 U/l
Röntgenbefunde (Handskelett)
Normal
Subperiostale Resorption
Normal oder sub-periostale Resorption
Operationsindikation
Keine
Relativ (Klinik!)
Absolut
. Tab. 3.16. Vor- und Nachteile der zur Korrektur des reaktiven Hyperparathyreoidismus (sHPT) verwendeten operativen Techniken. tPTX totale Parathyreoidektomie; sPTX subtotale (3½) Parathyreoidektomie; AT Autotransplantation
Operatives Vorgehen
Vorteile
Nachteile
tPTX
5 Bei Rezidiv/Persistenz: morphologisches Substrat zervikal oder mediastinal
5 Fehlen von PTH o Osteomalazie 5 Lebenslange Substitution 5 Unvorhersehbare Tetanien
sPTX
5 Kurze oder fehlende postoperative Hypokalzämieperiode 5 Bei Rezidiv/Persistenz: Morphologisches Substrat zervikal oder mediastinal
5 Keine Gewebeauswahl 5 »Seeding« zervikal 5 Zervikale Rezidiveingriffe mit höherer Morbidität
tPTX + AT
5 Gewebeauswahl möglich 5 Rezidiveingriffe mit geringer Morbidität
5 Längere postoperative Hypokalzämieperiode 5 Bei Rezidiv: Lokalisation des Substrats schwierig (zervikal? mediastinal? Autotransplantat? Zervikal/ mediastinal und Autotransplantat?) 5 »Seeding« intramuskulär im Unterarm
268
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
der Größe des Drüsenrests und somit von der Menge des verbliebenen Nebenschilddrüsengewebes ab. Bei zu klein bemessenen Resten werden Unterfunktionen (6,3–18%; Niederle et al. 1982; Wagner et al. 1991), bei zu großem ein Persistieren oder nach wechselnd langem Intervall ein Rezidiv der Nebenschilddrüsenüberfunktion (5,8–16,2%) beobachtet (Niederle et al. 1982; Wagner et al. 1991). Die postoperative Hypokalzämieperiode ist nach sPTX meist kurz oder fehlt bei präoperativ gering ausgeprägten Knochenveränderungen. Beim Auftreten eines Rezidivhyperparathyreoidismus ist zwar die Lokalisation des morphologischen Substrats definiert (zervikal oder mediastinal). Rezidiveingriffe sind allerdingsmit einer höheren Morbidität verbunden. Totale Parathyreoidektomie mit simultaner orthotoper oder heterotoper Autotransplantation. Die Nachteile der tPTX ohne
weitere Maßnahmen (völliges Fehlen von PTH) sowie der sPTX (zervikale Rezidiveingriffe mit höherer Morbidität) versucht die technisch einfache tPTX mit simultaner orthotoper oder heterotoper Autotransplantation (AT) auszugleichen! Als weitere Vorteile dieses Verfahrens, vor allem bei heterotoper AT in die Unterarmmuskulatur, beschreiben Wells et al. (1975) nach Analyse ihrer ersten Erfahrungen eine niedrigere Rezidivrate im Vergleich zur subtotalen Parathyreoidektomie, die Überprüfung der Transplantatfunktion durch seitengetrennte PTH Bestimmung im Blut der Kubitalvenen sowie die einfache komplikationslose Transplantatreduktion in Lokalanästhesie bei Auftreten eines transplantatabhängigen Rezidivs. In der Folge wurde diese Operationstechnik von zahlreichen Arbeitsgruppen als Operationsmethode der Wahl empfohlen. Transplantatabhängige Unter- und Überfunktionen werden bei Analyse der jüngsten Literatur bei 1,4% bzw. 6,6% beobachtet.
Subtotale Parathyreoidektomie und totale Parathyreoidektomie mit simultaner Autotransplantation sind somit zwei etablierte Operationsmethoden zur Behandlung des sekundären Hyperparathyreoidismus (Wagner et al. 1991).
3.5.5.3 Technisches Vorgehen Ziel der chirurgischen Parathyreoidektomie ist die bleibende Normalisierung des Kalziumstoffwechsels in einem Eingriff. Somit sollte funktionsfähiges Nebenschilddrüsengewebe in ausreichender Menge im Körper verbleiben. Der Eingriff erfolgt an einem dialysefreien Tag. Subtotale Parathyreoidektomie. Nach sorgfältiger Präparation
des Nervus laryngeus recurrens und der Arteria thyreoidea inferior werden (zumindest) 4 Nebenschilddrüsen an den typischen Lokalisationen unter Beachtung aller möglichen Lagevariationen dargestellt und in situ belassen. Sie finden sich bei über 80% aller Patienten in unmittelbarer Nähe der Kreuzungsstelle beider Strukturen. Nur ausnahmsweise sind alle Epithelkörperchen in demselben Ausmaß vergrößert. Meist liegt eine asymmetrische Hyperplasie vor. Findet sich eine obere Nebenschilddrüse nicht an normaler Stelle, so wird sie in Richtung auf das hintere Mediastinum gesucht, ektope untere liegen bevorzugt im vorderen Mediastinum (Thymus).
Nach der Darstellung der Nebenschilddrüsen wird der »kleinste« Epithelkörperchentumor soweit reseziert, dass etwa 50–60 mg mit intakter Blutversorgung in situ verbleiben. Dies entspricht etwa der Größe von zwei gesunden Nebenschilddrüsen. Um die Größe des belassenen Rests richtig abschätzen zu können, muss die Drüse ausreichend freigelegt werden. Aufgrund der häufig in der Längsachse gekippten Epithelkörperchen ist die »adäquate« Größe des Drüsenrests schwer abschätzbar. Die sPTX ist somit eine technisch aufwendige Operation. Ist der subtotal belassene Drüsenrest gut durchblutet, werden die übrigen Epithelkörperchen vorsichtig komplett entfernt. Die Organdiagnose »Nebenschilddrüse« ist intraoperativ an jeder einzelnen Drüse im Schnellschnitt zu sichern und der intraoperative Situs detailliert zu dokumentieren. Im Rahmen der sPTX können von der Schnittfläche oder bei Eröffnung der Epithelkörperchenkapsel Zellen »abtropfen«. Unbeabsichtigte Autotransplantationen (»Seeding«; Akerström 1988)) können daraus resultieren. Thompson (persönliche Mitteilung) versuchte durch »Abdichten« der Resektionsfläche mit einem Tantal-Clip die Implantation von Zellen im Operationsgebiet zu vermeiden. Dieser dient gleichzeitig zur Markierung des verkleinerten Epithelkörperchens. Abgesehen von der Größe kann die Schnittfläche der in situ belassenen Drüse nicht beurteilt werden. Somit sind Rückschlüsse auf ihre mögliche Funktion, vor allem Hinweise auf die Gefahr eines Rezidivs, unmöglich. Werden nach Exploration auch der ektopen Lagemöglichkeiten zervikal und mediastinal weniger als 4 Drüsen gefunden, so sind die dargestellten Epithelkörperchen komplett zu entfernen. Eine Sternotomie ist beim Ersteingriff zur Entfernung einer fehlenden Drüse nicht indiziert. Zunächst wird der postoperative Verlauf abgewartet. Durchblutungsstörungen des Epithelkörperchenrestes am Hals haben einen anhaltenden postoperativen Hypoparathyreoidismus, ein zu großer Drüsenrest oder eine neuerliche Hyperplasie eine Persistenz bzw. ein Rezidiv zur Folge. Totale Parathyreoidektomie und Autotransplantation. Die Prä-
paration erfolgt wie oben beschrieben. Man exstirpiert die lokalisierten Nebenschilddrüsen jedoch komplett. Ein »Seeding« ist peinlichst zu vermeiden! Die Nebenschilddrüsen werden bis zur Beendigung des zervikalen Eingriffes in physiologischer Kochsalzlösung bei +4°C gekühlt. Durch die niedrigen Temperaturen wird das Epithelkörperchengewebe in seiner Konsistenz härter und kann zur Autotransplantation vorbereitet werden. Mit einer scharfen Klinge werden nun 1×1×3 mm große Fragmente geschnitten (ca. 60 mg Gewebe). Hierbei sollte man homogenes Gewebe aus einer diffus hyperplastischen Nebenschilddrüse (7 »Gewebeauswahl«) den Vorzug geben. Knotig veränderte Drüsenareale aus nodulär-hyperplastischen Epithelkörperchen führen gehäuft zu einer Transplantatüberfunktion. Ihre Verwendung ist zu vermeiden. Implantationsort für die 20 Gewebspartikel ist der M. brachioradialis des nicht-dominanten oder nicht-shunt-tragenden Unterarmes. Nach Durchtrennung der Faszie werden die Muskelfasern auseinandergedrängt und die vorher bereiteten Gewebeteile in einzelne Muskeltaschen eingebettet. Die Muskeltaschen werden vor Verschluss der Muskelfaszie mit einem nicht resorbierbaren Faden markiert.
269 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Cave Werden weniger als 4 Nebenschilddrüsen gefunden, so erfolgt keine simultane Autotransplantation, der postoperative Verlauf ist zunächst abzuwarten (Donckier 1997). Bei über 6 Monate anhaltender Hypokalzämie ist eine verzögerte Autotransplantation kältekonservierten Nebenschilddrüsengewebes vorzunehmen.
Transzervikale Thymektomie und zentrale Halsdissektion.
Überzählige Drüsen werden in systematischen anatomischen Studien in bis zu 37% (Akerström 1984; Aly u. Douglas 2003; Liechty 1984; Meakins 1984; Pattou et al. 2000) beschrieben. Sie sind entweder im Thymusrest oder im paratrachealen/retrothyreoidalen Fettgewebe entlang des Nervus laryngeus recurrens gelegen (Thompson et al. 1982; Akerström 1984; Niederle 1996a; Aly u. Douglas 2003). Somit ist im Ersteingriff neben der routinemäßig durchzuführenden transzervikalen Thymektomie im Rahmen der bilateralen Halsexploration bei sPTX wie auch bei tPTX + AT eine exakte Entfernung des zervikalen, zentralen Lymph- und Fettgewebes (zentrale Halsdissektion) anzuschließen (Niederle 1996a). Durch dieses radikale zervikomediastinale Vorgehen kann eine postoperative Persistenz und/ oder ein Rezidiv vermieden werden. Gleichzeitig wird ein partielles Zurücklassen von Drüsen durch En-bloc-Exstirpation der Drüse mit dem sie umgebenden Fettgewebe minimiert. Minimalinvasive Operationstechniken. In jüngster Zeit erschie-
nen vermehrt Berichte zur endoskopischen (Ikeda et al. 2002) und video-assisierten (Mourad et al. 2001) Freilegung der Nebenschilddrüsen bei sHPT. Dabei wurden ausschließlich die vergrößerten Nebenschilddrüsen aufgesucht und die Operation ohne zentrale Halsdissektion oder Thymektomie als tPTX (Ikeda et al. 2002) oder sPTX (Mourad et al. 2001) abgeschlossen. Minimalinvasive Freilegungen aller 4 Nebenschilddrüsen ist machbar, ihr Stellenwert mangels Langzeitbeobachtungen noch nicht abschätzbar. Die beidseitige zentrale Halsdissektion sowie die transzervikale Thymektomie zur Entfernung evtl. vorhandener überzähliger, ektop gelegener Nebenschilddrüsen scheinen minimalinvasiv problematisch. Gewebeauswahl vor der Autotransplantation. Morphologische Untersuchungen der im Rahmen der totalen Parathyreoidektomie entfernten Epithelkörperchen zeigten selbst beim gleichen Patienten einen unterschiedlichen, ultrastrukturellen Aufbau einzelner Drüsen und Drüsenanteile (Niederle et al. 1988a). Dieser unterschiedliche zytologische Aufbau bewirkt auch ein unterschiedliches, kalziumabhängiges Parathormonsekretionsverhalten (Niederle et al. 1988b). Bei Auswahl einer schlecht supprimierbaren Drüse oder von schlecht supprimierbaren Drüsenanteilen scheint das transplantatabhängige Rezidiv, wie mehrfach gezeigt, bereits vorprogrammiert (Niederle et al. 1988a, 1988b, 1989a, 1989b). Rothmund et al. (1987), Akerström et al. (1991) sowie Tominaga et al. (1992) wählen zur AT jeweils die kleinste Drüse mit der Vorstellung, dass diese morphologisch am ehesten einer »normalen« Drüse entspricht. Tominaga et al. (1992) sowie Ohta et al. (1994) warnen, basierend auf DNA- bzw. PCNA-Analysen, vor der Verwendung knotiger Drüsenanteile. Wallfelt et al. (1988) und Aston et al. (1988) empfehlen, basierend auf In-vitroUntersuchungen, die Verwendung von hyperplastischen Drü-
3
senarealen. Welsh et al. (1984) verwendeten zur Gewebeauswahl den »Density-Test«. Aufgrund der Erkenntnis, dass normales Parathyreoideagewebe wegen des höheren Fettgehalts schwimmt, gelang eine Differenzierung von normalen Epithelkörperchen, Hyperplasie und Adenom. Letztlich stehen alle diese Meinungen in Einklang mit eigenen Untersuchungen, die ergeben, dass vor allem diffus veränderte Drüsen oder Drüsenanteile, hier aber wieder solche mit Stromafett (polyklonales Wachstum; sog. A-Areale; Niederle et al. 1989a), zur AT verwendet, und knotige Areale (Fehlen von Stromafett; monoklonales Wachstum; verringerte Vitamin-DRezeptoren-Dichte; sog. B- bzw. C-Areale) vermieden werden sollten (Niederle 1996a). Eine Differenzierung dieser unterschiedlich zur AT geeigneten Drüsenanteile ist mit einiger Erfahrung intraoperativ unter Verwendung einer Lupe möglich (Niederle et al. 1989a; Neyer et al. 2002). Welches chirurgische Verfahren bei sHPT? Die Frage, welches dieser beiden etablierten Verfahren – sPTX oder tPTX + AT – das bessere und somit zu bevorzugen ist, lässt sich bei Analyse der Literatur mit ähnlichen biochemischen und klinischen Ergebnissen nicht objektiv beantworten, da die Untersuchungen meist retrospektiv und aufgrund des inhomogenen Krankenguts mit unterschiedlich langen Nachbeobachtungsperioden letztlich nicht vergleichbar sind. Nach sPTX ist bei 5,8% nach PTX + AT bei 6,6% mit einer Persistenz oder einem Rezidiv mit einer anhaltenden Hypokalzämie bei 6,3% bzw. bei 1,4% zu rechnen (Rothmund et al. 1991). Beide Operationsverfahren sind zur chirurgischen Behandlung des sHPT gleichwertig. Es obliegt somit dem endokrinen Chirurgen und seinen Erfahrungen, welche Operationstaktik er wählen möchte (Niederle 1996a) In der Literatur findet sich nur eine randomisierte Studie, die versucht, die oben gestellte Frage möglichst objektiv zu klären (Wagner et al. 1991). Von 40 Patienten mit einem sHPT wurden je 20 subtotal parathyreoidektomiert und bei 20 nach totaler Parathyreoidektomie eine simultane AT in die Unterarmbeugemuskulatur durchgeführt. Beide Gruppen wurden biochemisch und klinisch zweimal nachuntersucht. Die tPTX mit simultaner AT von frischem Nebenschilddrüsengewebe ergab hinsichtlich der Laborparameter Kalzium und alkalischer Phosphatase, der klinischen Symptomatik und der radiologischen Veränderungen der renalen Osteopathie günstigere Ergebnisse, die Anzahl der Reeingriffe war niedriger, komplikationsärmer und für den Patienten weniger belastend als eine Exstirpation des Drüsenrestes am Hals nach sPTX. Zusammenfassend kommen die Autoren zum Schluss, dass nach wie vor die tPTX + AT das Verfahren der Wahl in der operativen Behandlung des sHPT zu sein scheint. In Serien von mehr als 1600 Patienten wird diese Empfehlung bestätigt (Tominaga et al. 2005).
.
Intraoperatives PTH-Monitoring. Trotz erweiterter bilateraler
Halsdissektion mit beidseitiger Thymektomie und beidseitiger zervikaler, zentraler Halsdissektion und Entfernung von zumindest 4 Nebenschilddrüsen gelang nur bei 16 von 35 Patienten (46%) eine postoperativ biochemisch dokumentierte tPTX (intaktes PTH <10 pg/ml; Kaczirek et al. 2005). Die inkomplette Parathyreoidektomie konnte durch intraoperatives PTH-Monitoring bei Verwendung eines PTH-Kurzassays der ersten Generation (intak PTH) weder bei chronischen Dialysepatienten noch nach Nierentransplantation vorausgesagt werden. Auch gelang
270
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
keine Differenzierung zwischen ausreichender Gewebsreduktion und persistierendem sHPT (Kaczirek et al. 2005). Der Stellenwert weiter entwickelter PTH-Assays der zweiten Generation (BioPTH, 1-84-PTH; Fujimori et al. 2004) ist zurzeit noch nicht abschätzbar (Kaczirek et al. 2006).
3
Totale Parathyreoidektomie ohne Autotransplantation. Nach
tPTX ohne Autotransplantation treten, wie zu erwarten, Rezidive des sHPT weniger häufig auf, als nach tPTX und AT (Ockert et al. 2002). Das Fehlen von PTH führt zwar zu einem adynamen Knochenstoffwechsel, hat aber bei chronischen Dialysepatienten mit schwerem sHPT und konsequenter postoperativer Kalzium- und Vitamin-D-Substitution keine entscheidenden knochenmetabolischen Nachteile (De Francisco et al. 2002). Vor allem bei älteren Patienten mit vielen Risikofaktoren, die keine Kandidaten für eine Nierentransplantation sind, scheint dieses Vorgehen indiziert. Bei Patienten mit schwerer Kalziphylaxie ist die frühzeitige tPTX die Methode der Wahl (Girotto et al. 2001). Prospektive Studien müssen klären, ob die tPTX mit oder ohne AT vorteilhafter für die Patienten mit sHPT ist. 3.5.5.4 Postoperativer Verlauf Der unmittelbare postoperative Verlauf ist bei beiden Operationsverfahren durch einen Abfall des Serumkalziums in einen substitutionsbedürftigen Bereich charakterisiert. Oral werden Kalzium und Vitamin-D-Präparate (bevorzugt Calcitriol) verabreicht. Bei ausgeprägter renaler Osteopathie ist wegen des »Kalziumhungers« des Skeletts gelegentlich eine hochdosierte, parenterale Kalziumsubstitution erforderlich. In den anschließenden Wochen kann die Substitutionstherapie bei geringer werdendem Kalziumbedarf des Skeletts und in Abhängigkeit von der Funktion des Epithelkörperchenrestes am Hals bzw. des anwachsenden Autotransplantats schrittweise reduziert werden. Trotz einer normalen Nebenschilddrüsenfunktion kann darüber hinaus eine langfristige Behandlung der renalen Osteopathie mit niedrig dosiertem Kalzium und/oder Vitamin-D-Präparaten erforderlich sein. Laufende PTH- und Kalziumbestimmungen sind postoperativ zur Überwachung des Nebenschilddrüsenstoffwechsels zu empfehlen.
Der alleinige postoperative Kalziumverlauf erlaubt keinen eindeutigen Hinweis auf eine ausreichende Reduktion oder komplette Entfernung des hyperaktiven Nebenschilddrüsengewebes. Ist das Parathormon am ersten postoperativen Tag nach PTX + AT nicht messbar, wurde das gesamte hyperplastische Nebenschilddrüsengewebe entfernt. Jedes neuerliche biochemische und klinische Auftreten eines sHPT wird somit durch das AT verursacht (Kinnaert et al. 1998).
3.5.5.5 Komplikationen Die postoperative Morbidität, bezogen auf Wundheilungsstörungen, Rekurrensparese und Nachblutung, liegt deutlich unter 5%. Trotz der Multimorbidität dieser Patienten beträgt die Operationsletalität weniger als 1%. 3.5.5.6 Ergebnisse Über 90% der Beschwerden verschwinden fast vollständig nach erfolgreicher Operation innerhalb weniger Wochen. Die Knochen- und Gelenksschmerzen bessern sich in wenigen Tagen bis zu 90% (Stein et al. 1997). Der Juckreiz verschwindet vollständig. Weniger günstig (60%) können Weichteilverkalkungen beeinflusst werden (Niederle et al. 1989b). Die günstige Beeinflussung der klinischen Symptome und radiologischen Veränderungen durch eine erfolgreiche sPTX oder tPTX + AT zeigt objektiv die prospektive, randomisierte Studie von Wagner et al. (1991). Rund 40 Monate nach erfolgreicher Korrektur der Nebenschilddrüsenüberfunktion waren je nach klinischem Symptom 20–61% nach sPTX bzw. 69–100% nach tPTX+AT deutlich gebessert (. Tab. 3.17; . Abb. 3.71). 3.5.5.7 Kryopräservation Im Gegensatz zur sPTX (6,3%), werden nach tPTX + AT transplantatabhängige Unterfunktionen kaum beobachtet (1,4%; Wagner et al. 1991). Das ist auch der Grund, dass manche Zentren auf eine Kryopräservation nach tPTX+AT verzichten. Unseres Erachtens sollte sowohl nach sPTX wie auch nach tPTX + AT immer Parathyreoideagewebe kryopräserviert werden, um eine verzögerte AT zu ermöglichen, falls unerwartet der zervikale Drüsenrest oder das AT nicht die gewünschte Funktion aufrecht erhalten kann.
. Tab. 3.17. Postoperative objektive Verbesserung klinischer Symptome und radiologischer Zeichen der renalen Osteopathie rund 40 Monate nach erfolgreicher Normalisierung der Nebenschilddrüsenüberfunktion durch sPTX bzw. tPTX+AT (Wagner et al. 1991). Die präoperativen Beschwerden und radiologischen Befunde waren durch jede der beiden Operationsmethoden größtenteils zufriedenstellend zu beeinflussen, in manchen Bereichen jedoch signifikant besser durch tPTX + AT. tPTX totale Parathyreoidektomie; sPTX subtotale (3½) Parathyreoidektomie; AT Autotransplantation; n.s. nicht signifikant
Symptom
sPTX
tPTX + AT
Chi2-Test (p<)
Knochenschmerzen
8/13 (61%)
13/15 (87%)
n.s.
Juckreiz
5/11 (45%)
10/10 (100%)
0,005
Muskelschwäche
1/5 (20%)
5/6 (83%)
0,04
Radiologische Zeichen der renalen Osteopathie
45/135 (33%)
11/16 (69%)
0,05
271 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
3
frischem Material zu erreichen, sollten 30 statt 20 Gewebestückchen verwendet werden (Wagner et al. 1991). Die Operationstechnik, der Transplantationsort und der postoperative Verlauf sind analog zur Autotransplantation von frischem Nebenschilddrüsengewebe (Niederle 1996b). Literatur
a
b
. Abb. 3.71a,b. Radiologische Verlaufsbeobachtung der renalen Osteopathie (Weichteiltechnik). a Typische subperiostale Resorption und Knochenlamellierung der Mittelphalanx einer Patientin mit sHPT und renaler Osteopathie. b Zwei Jahre nach erfolgreicher tPTX + AT die identische Aufnahme mit Heilung der subperiostalen Resorptionszone, bessere Kalzifizierung des Knochens
Die Kältekonservierung von Nebenschilddrüsengewebe ist eine Sicherheitsmaßnahme in der Chirurgie des sHPT und bewahrt den Patienten vor einer lebenslangen notwendigen Substitution mit Kalzium und Vitamin D.
Dauert eine substitutionsbedürftige Hypokalzämie mehr als 6 Monate ist die Indikation zur Replantation von kältekonserviertem Nebenschilddrüsengewebe gegeben. Zufriedenstellende Ergebnisse (80% Normokalzämie ohne Kalzium- und/oder Vitamin-D-Medikation) der verzögerten AT rechtfertigen dieses Vorgehen (Niederle 1996b). Technik der Kältekonservierung und des Auftauens. Das entnommene Epithelkörperchengewebe wird in kleine 1×1×3 mm große Partikel geteilt. Jeweils 10 dieser Fragmente werden in ein verschraubbares Kunstoffröhrchen (Nunc-Cryo-Röhrchen, 2 ml Fassungsvolumen) gefüllt. Dieses enthält 0,8 ml RPMI 1640, 0,1 ml autologes oder AB-Serum. Unmittelbar vor Beginn des Einfriervorgangs wird 0,1 ml DMSO (Gewebegefrierschutzmittel) zugesetzt. Mindestens 60 Partikel werden mit einer Geschwindigkeit von 1ºC pro Minute eingefroren. Die Proben werden dann in flüssigem Stickstoff (–196ºC) aufbewahrt. Der Auftauvorgang erfolgt im Wasserbad bei +37°C. Das DMSO-haltige Medium wird abpipettiert und durch eine DMSOfreie Lösung ersetzt. Anschließend können die Partikel transplantiert werden. Ein Teil der Nebenschilddrüsenzellen nekrotisiert infolge der Kältekonservierung oder des Auftauvorganges. Um trotzdem ähnlich gute Langzeitergebnisse wie nach Transplantation von
Akerström G, Bergström R (1984) Surgical anatomy of human parathyroid glands. Surgery 95: 14 Akerström g, Grimelius L, Rastad J (1988) Recurrent hyperparathyroidism due to preoperative seeding on neoplastic, hyperplastic or parathyreoidea tissue. Acta chir Scand 154:549 Akerström , Ljunghall S, Ridefelt P, Juhin C, Gylfe E (1991) Cellular Physiology and pathophysiology of the parathyroid glands. World J Surg 15:672 Aly A, Douglas M (2003) Embryonic parathyroid rests occur commonly and have implications in the management of secondary hyperparathyroidism. ANZ J Surg 73:284–288 Aston JP, Brown RC, Curley IR, Woodhead JS (1988) Studies on in vivo release of intact parathyroid hormone using a new twosite immunochemiluminometric assay. World J Surg 12:454 Block GA, Martin KJ, de Francisco AL, Turner SA, Avram MM, Suranyi MG, Hercz G, Cunningham J, Abu-Alfa AK, Messa P, Coyne DW, Locatelli F, Cohen RM, Evenepoel P, Moe SM, Fournier A, Braun J, McCary LC, Zani VJ, Olson KA, Drueke TB, Goodman WG (2004) Cinacalcet for secondary hyperparathyroidism in patients receiving hemodialysis. N Engl J Med 350:1516–1525 Brown AJ (2001) Therapeutic uses of vitamin D analogues. Am J Kidney Dis 38:S3–S19 Chertow GM, Moe SM (2005) Calcification or classification? J Am Soc Nephrol 16:293–295 Cohen EP, Moulder JE (2001) Parathyroidectomy in chronic renal failure: has medical care reduced the need for surgery? Nephron 89:271– 273 Cunningham J (2004) Achieving therapeutic targets in the treatment of secondary hyperparathyroidism. Nephrol Dial Transplant 19 Suppl 5: V9–14 De Francisco AL, Fresnedo GF, Rodrigo E, Pinera C, Amado JA, Arias M (2002) Parathyroidectomy in dialysis patients. Kidney Int (Suppl) 161– 166 Donckier VD-GC, Kinnaert P (1997) Long-term results after surgical treatment of renal hyperparathyroidism when fewer than four glands ar identified at operation. J Am Coll Surg 184:70 Drueke TB (1994) The dilemma of parathyroidectomy in chronic renal failure. Curr Opin Nephrol Hypertens 3:386 Drueke TB (2000) Cell biology of parathyroid gland hyperplasia in chronic renal failure. J Am Soc Nephrol 11:1141–1152 Evenepoel P, Claes K, Kuypers D, Maes B, Bammens B, Vanrenterghem Y (2004) Natural history of parathyroid function and calcium metabolism after kidney transplantation: a single-centre study. Nephrol Dial Transplant 19:1281–1287 Felsenfeld A (1997) Considerations for the treatment of secondary hyperparathyroidsm in renal failure. J Am Soc Nephrol 7:993 Felts JH WJ, Anderson LD, Carpenter HM, Bradshaw HH (1965) Medical and surgical treatment of azotemic osteodystrophy. Ann Inter Med 62:1272 Foley RN, Li S, Liu J, Gilbertson DT, Chen SC, Collins AJ (2005) The fall and rise of parathyroidectomy in U.S. hemodialysis patients, 1992 to 2002. J Am Soc Nephrol 16:210–218 Fordham CC WR (1963) Brown tumor and secondary hyperparathyroidism. N Engl J Med 269:129 Fujimori A, Sakai M, Yoshiya K, Shin J, Kim JI, Inaba Y, Miyamoto T, Inoue S, Fukagawa M (2004) Bio-intact parathyroid hormone and intact parathyroid hormone in hemodialysis patients with secondary hyperparathyroidism receiving intravenous calcitriol therapy. Ther Apher Dial 8:474–479
272
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Girotto JA, Harmon JW, Ratner LE, Nicol TL, Wong L, Chen H (2001) Parathyroidectomy promotes wound healing and prolongs survival in patients with calciphylaxis from secondary hyperparathyroidism. Surgery 130 645–650; discussion 650–651 Ikeda Y, Takami H, Niimi M, Kan S, Sasaki Y, Takayama J (2002) Endoscopic total parathyroidectomy by the anterior chest approach for renal hyperparathyroidism. Surg Endosc 16:320–322 Jorna FH, Tobe TJ, Huisman RM, de Jong PE, Plukker JT, Stegeman CA (2004) Early identification of risk factors for refractory secondary hyperparathyroidism in patients with long-term renal replacement therapy. Nephrol Dial Transplant 19:1168–1173 Kaczirek K, Riss P, Wunderer G, Prager G, Asari R, Scheuba C, Bieglmayer C, Niederle B (2005) Quick PTH assay cannot predict incomplete parathyroidectomy in patients with renal hyperparathyroidism. Surgery 137:431–435 Kaczirek K, Prager G, Riss Ph, Wunderer G, Asari R, Scheuba Ch, Bieglmayer Ch, Niederle B (2006) A novel PTH (1-84) assay as basis for PTH monitoring in renal hyperparathyroidism. Arch Surg 141:129–134 Kerby JD RL, Blair H, Hudson S, Sellers MT, Diethelm AG (1998) Operative treatment of tertiary hyperparathyroidism. Ann Surg 878 Kestenbaum B, Seliger SL, Gillen DL, Wasse H, Young B, Sherrard DJ, Weiss NS, Stehman-Breen CO (2004) Parathyroidectomy rates among United States dialysis patients: 1990–1999. Kidney Int 65:282–288 Kinnaert P, Tielemans C, Dhaene M, Decoster-Gervy C (1998) Evaluation of surgical treatment of renal hyperparathyroidism by measuring intact parathormone blood levels on first postoperative day. World J Surg 22:695–699 Liechty RD WR (1984) The anatomy of parathyroid hyperplasia. Surgey 96:1099 Llach F, Velasquez Forero F (2001) Secondary hyperparathyroidism in chronic renal failure: pathogenic and clinical aspects. Am J Kidney Dis 38: S20–33 Malberti F, Marcelli D, Conte F, Limido A, Spotti D, Locatelli F (2001) Parathyroidectomy in patients on renal replacement therapy: an epidemiologic study. J Am Soc Nephrol 12:1242–1248 Meakins JL MC, Hollomby DJ, Goltzman D (1984) Total parathyroidectomy: parathyroid hormone lavels and supernumerary glands in hemodialysis patients. Clin Invest Med 7:21 Mourad M, Ngongang C, Saab N, Coche E, Jamar F, Michel JM, Maiter D, Malaise J, Squifflet JP (2001) Video-assisted neck exploration for primary and secondary hyperparathyroidism: initial experience. Surg Endosc 15:1112–1115 Neyer U, Horandner H, Haid A, Zimmermann G, Niederle B (2002) Total parathyroidectomy with autotransplantation in renal hyperparathyroidism: low recurrence after intra-operative tissue selection. Nephrol Dial Transplant 17:625–629 Niederle B, Roka R, Brennan MF (1982) The transplantation of parathyroid tissue in man: development, indications, technique, and results. Endocr Rev 3:245–279 Niederle B (1996a) Secondary parathyroid hyperplasia surgical strategy: subtotal or total parathyroidectomy with autograft. Acta Chir Austriaca 28 (Suppl):4 Niederle B (1996b) The technique of parathyroid cryopreservation and results of delayed autotransplantation. Acta Chir Austriaca 28 (Suppl):6 Niederle B, Horandner H, Roka R, Woloszczuk W (1988a) Parathyroidectomy and autotransplantation in renal hyperparathyroidism. I. Morphologic studies for tissue selection. Langenbecks Arch Chir 373:325–336 Niederle B, Roka R, Horandner H (1988b) Recurrent renal hyperparathyroidism: reoperation on the autograft. Wien Klin Wochenschr 100:369– 372
Niederle B, Horandner H, Roka R, Woloszczuk W (1989a) Morphologic and functional studies to prevent graft-dependent recurrence in renal osteodystrophy. Surgery 106:1043–1048 Niederle B, Horandner H, Roka R, Woloszczuk W (1989b) Parathyroidectomy and autotransplantation in renal hyperparathyroidism. I. Clinical and chemical laboratory studies following tissue selection. Chirurg 60:665–670 Ockert S, Willeke F, Richter A, Jonescheit J, Schnuelle P, Van Der Woude F, Post S (2002) Total parathyroidectomy without autotransplantation as a standard procedure in the treatment of secondary hyperparathyroidism. Langenbecks Arch Surg 387:204–209 Ogg CS (1967) Total parathyroidectomy in treatment of secondary (renal) hyperparathroidism. Br J Med 4:331 Ohta K, Manabe T, Katagiri M, Harada T (1994) Expression of proliferating cell nuclear antigens in parathyroid glands of renal hyperparathyroidism. World J Surg 18:625–628; discussion 628–629 Pattou FN, Pellissier LC, Noel C, Wambergue F, Huglo DG, Proye CA (2000) Supernumerary parathyroid glands: frequency and surgical significance in treatment of renal hyperparathyroidism. World J Surg 24:1330–1334 Rothmund M, Wagner PK, Schark C (1991) Subtotal parathyroidectomy versus total parathyroidectomy and autotransplantation in secondary hyperparathyroidism: a randomized trial. World J Surg 15:745–750 Salem MM (1997) Hyperparathyroidism in the hemodialysis population: a survey of 612 patients. Am J Kidney Dis 29:862–865 Stanbury SW, Nicholson WF (1960) Selective subtotal parathyroidectomy for renal hyperparathyroidism. Lancet 1:793 Stein MS, Packham DK, Wark JD, Ebeling PR, Becker GJ (1997) Large, rapid skeletal changes after parathyroidectomy. Clin Nephrol 48:191–194 Thompson NW, Eckhauser FE, Harness JK (1982) The anatomy of primary hyperparathyroidism. Surgery 92:814–821 Tominaga Y, Tanaka Y, Sato K, Numano M, Uchida K, Falkmer U, Grimelius L, Johansson H, Takagi H (1992) Recurrent renal hyperparathyroidism and DNA analysis of autografted parathyroid tissue. World J Surg 16:595–602; discussion 602–603 Tominaga Y, Matsuoka S, Sato T (2005) Surgical indications and procedures of parathyroidectomy in patients with chronic kidney disease. Ther Apher Dial 9:44–47 Valderrabano F, Berthoux FC, Jones EH, Mehls O (1996) Report on management of renal failure in Europe, XXV, 1994 end stage renal disease and dialysis report. The EDTA-ERA Registry. European Dialysis and Transplant Association-European Renal Association. Nephrol Dial Transplant 11 (Suppl 1):2–21 Wada M, Nagano N (2003) Control of parathyroid cell growth by calcimimetics. Nephrol Dial Transplant 18 Suppl 3:III13–7 Wagner PK, Rothmund M (1987) Reoperations in persistent and recurrent secondary hyperparathyroidism. Chirurg 58:543–548 Wagner PK, Eckhardt J, Rothmund M (1991) Subtotale Parathyreoidektomie versus totael Parathyreoidektomie mit Autotransplantation beim sekundären Hyperparathyreoidismus. Eine randomisierte Studie. Chirurg 62:189–194 Wallfelt CH, Larsson R, Gylfe E, Ljunghall S, Rastad J, Akerstrom G (1988) Secretory disturbance in hyperplastic parathyroid nodules of uremic hyperparathyroidism: implication for parathyroid autotransplantation. World J Surg 12:431–438 Wells SA, Jr., Gunnells JC, Shelburne JD, Schneider AB, Sherwood LM (1975) Transplantation of the parathyroid glands in man: clinical indications and results. Surgery 78:34–44 Welsh CL, Taylor GW, Cattell WR, Baker LR (1984) Parathyroid surgery in chronic renal failure: subtotal parathyroidectomy or autotransplantation? Br J Surg 71:591–592
273 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
3.5.6 Therapie des rezidivierenden
und persistierenden sekundären Hyperparathyreoidismus B. Niederle ) ) Eine Persistenz des reaktiven, renalen (sekundären) Hyperparathyreoidismus (sHPT) liegt dann vor, wenn nach einer vorübergehenden Besserung innerhalb der ersten 6 Monate nach dem Ersteingriff erneut typische klinische Symptome, Laborparameter und/oder klassische Röntgenbefunde der Nebenschilddrüsenüberfunktion auftreten. Eine spätere neuerliche Manifestation der Stoffwechselstörung gilt als Rezidiv. Rezidive werden nur beim chronischen Dialysepatienten, nicht aber beim Patienten mit gut funktionierendem Nierentransplantat beobachtet (Higgins et al. 1991; Niederle et al. 1989). Die Operationsindikationen für einen Reeingriff entsprechen denen für die Erstoperation (7 Kap. 3.5.5).
Neben der Differenzialdiagnose zwischen persistierendem und rezidivierendem Hyperparathyreoidismus ist die Lokalisation der Rezidivursache zur Planung des weiteren chirurgischen Vorgehens nach Durchsicht früherer Operations- und histologischer Protokolle sowie nach Analyse des postoperativen Parathormonverlaufs von besonderer Bedeutung. Nach sPTX ist bei 5,8%, nach PTX + AT bei 6,6% der Fälle mit einer Persistenz oder einem Rezidiv zu rechnen (Wagner et al. 1991). Als Ursache für die Persistenz oder ein Rezidiv nach sPTX ist ein zu großer Drüsenrest oder eine zervikal bzw. mediastinal gelegene überzählige Drüse anzunehmen. Nach totaler Parathyreoidektomie mit Entfernung von zumindest 4 vergrößerten Nebenschilddrüsen und simultaner Autotransplantation (tPTX + AT) liegt die Ursache mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in einer zervikalen oder mediastinal gelegenen Drüse, eher nicht im Parathyreoidea-Autotransplantat. Hinweise auf eine überzählige Drüse sind ein nicht ausreichendes Absinken des PTH-Spiegels am ersten postoperativen Tag (Kinnaert et al. 1998). Die Ursachen für ein Rezidiv liegen entweder in einer überzähligen Drüse zervikal bzw. mediastinal oder im AT. Vor jedem Eingriff muss der Versuch einer Lokalisation der Persistenz- bzw. Rezidivursache durchgeführt werden. Nichtinvasive Lokalisationsmethoden wie Sonographie (Tominaga et al. 1992; Wagner et al. 1987; Winkelbauer et al. 1993), TechnetiumThallium- oder Sesta-MIBI-Scan (mit SPECT) des Halses, Mediastinums (Baker et al. 1991; Krutakkrol 1989) und des Autotransplantates (Takebayashi et al. 1990; Wagner et al. 1987) kommen mit mehr oder weniger großem Erfolg zum Einsatz. Die selektive Blutentnahme aus den Hals- und Mediastinalvenen gibt im Einzelfall wertvolle Hinweise auf die Lokalisation des hyperaktiven Gewebes (Nakatsuka et al. 1989). Computertomographie oder Magnetresonanztomographie der »region of interest« im Sesta-MIBI-Scan erlauben zwar eine detaillierte Operationsplanung, sind allerdings wegen der Trefferquote von knapp 50% alleine von untergeordneter Bedeutung (Seehofer et al. 2004). Falls bei dem Patienten eine Autotransplantation durchgeführt wurde, ist vor einer Reoperation genau zu klären, ob die Überfunktion vom AT oder von einer (überzähligen) zervikalen oder mediastinalen Nebenschilddrüse ausgeht.
3
3.5.6.1 Lokalisation der Rezidivursache Henry et al. (1990) kommen zum Schluss, dass Rezidiveingriffe nach sPTX zahlenmäßig gering (2 von 79 = 2,5%) und bei subtiler Technik auch einfach, ohne wesentliche Komplikationen erfolgreich ausführbar sind. Zwar beobachtete die Arbeitsgruppe nach tPTX und AT nur unwesentlich mehr Rezidive (4 von 152 = 2,6%), es konnten jedoch nicht alle Patienten durch Reduktion des Autotransplantats, vom Rezidiv geheilt werden. Hyperaktives Nebenschilddrüsengewebe am Hals oder Mediastinum war dafür verantwortlich. Ursache für den Rezidivhyperparathyreoidismus können das Autotransplantat selbst bzw. zervikal oder mediastinal zurückgelassene überzählige oder unvollständig entfernte Drüsen sein (Henry et al. 1990). Die exakte Lokalisation des Nebenschilddrüsengewebes und somit die adäquate Wahl des chirurgischen Vorgehens ist zur Vermeidung unnötiger Reeingriffe am Hals, Mediastinum oder im Bereich des Autotransplantats zu fordern (Casanova et al. 1991), mitunter aber ein großes Problem (. Abb. 3.72; Baker et al. 1991; Krutakkrol H 1989; Nakatsuka et al. 1989). Die zurzeit beste Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen Rezidivursache am Hals (oder im Mediastinum) und dem Autotransplantat im Arm bietet die »vorübergehende Implantektomie« (Casanova et al. 1991; De Francisco et al. 1991; Schlosser et al. 2004). Dabei wird nach Anlegen einer 30-minütigen Ischämie am transplantattragenden Arm infolge der kurzen Halbwertszeit des intakten PTH bei Transplantatüberfunktion ein deutlicher Abfall des PTH-Spiegels im Kubitalvenenblut des kontralateralen, nicht AT-tragenden Arms beobachtet, wenn das Rezidiv vom AT ausgeht (Casanova et al. 1991; De Francisco et al. 1991; Schlosser et al. 2004). Cave Die seitengetrennte Parathormonbestimmung in beiden Ellenbeugen ist nicht zuverlässig.
Autotransplantatabhängiges Rezidiv. Wurde anfangs nur ver-
einzelt von einem AT-Rezidiv berichtet, nehmen Berichte darüber zu. Insgesamt fanden sich unter 783 eigenen Patienten 61 (7,8%) mit einem AT-abhängigen Rezidiv (Niederle et al. 1988a). Die längeren postoperativen Nachbeobachtungszeiten und die genauere laborchemische Nachuntersuchung sind in erster Linie für die Zunahme der Fallzahl verantwortlich (Tominaga et al. 1997; Niederle 1996). Die Intervalle bis zum Auftreten eines Rezidivs sind nicht einheitlich. Zeiträume bis zu 80 Monaten werden beschrieben (Niederle et al. 1988a). Durchschnittlich wurden die Rezidive nach 26 Monaten beobachtet. Korzets et al. (1987) mussten bei 5 von 9 Patienten wegen transplantatabhängigem Rezidiv 6 bis 66 Monate postoperativ das Autotransplantat entfernen. Nach 6 Jahren beobachteten Higgins et al. (1991) bei 34 der 49 Hämodialysepatienten (69%!) einen Rezidivhyperparathyreoidismus (50% asymptomatisch, 30% symptomatisch mit Transplantatreduktion). Hampl et al. (1991) beschrieben sogar bei 10 von 13 Patienten (77%) klinische und biochemische Rezidive. Dennoch führt eine adäquate Operationstechnik und Gewebeauswahl in Zentren, die ein hohes Operationsaufkommen haben, zu Quoten von transplantatabhängigen Rezidiven von ca. 5% (Wagner et al. 1987; Niederle et al. 1988b; Tominaga et al. 2005).
274
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
. Abb. 3.72. Lokalisationsdiagnostik und operatives Vorgehen bei rezidivierendem oder persistierendem sHPT nach PTX + AT
3
Klinische Untersuchung und Sonographie der AT-Region (Unterarm)
Unauffällig
Knoten palpabel und/oder echoarme Struktur in der Muskulatur
„Vorübergehende Implantektomie”
Negativ (PTH bleibt im nichtTransplantat-tragenden Arm erhöht/messbar)
Positiv (PTH fällt im nichtTransplantat-tragenden Arm ab)
Diagnostik Hals/Mediastinum 1. Sonographie 2. Sesta-Mibi-Scan 3. MRT (oder CT) 4. evtl. selektive PTH-Bestimmung
3.5.6.2 Reoperation am Autotransplantat Ein Rezidiv wird durch Hyperplasie einiger, nicht aller transplantierter Epithelkörperchenfragmente ausgelöst. Sie sind manchmal als knotige Vorwölbungen am Unterarm sichtbar, noch häufiger palpabel. Sonographisch finden sich echoarme Knötchen zwischen den Muskelfasern (Winkelbauer et al. 1993). Bei Durchsicht der Literatur (24 der 38 analysierten Arbeitsgruppen berichten von 61 Rezidiven im Autotransplantat) findet sich ein unterschiedliches operatives Vorgehen zur neuerlichen Normalisierung des erhöhten Nebenschilddrüsenstoffwechsels (Niederle et al. 1988a). Überwiegend (84%) wurde eine subtotale Resektion oft in mehreren Schritten (= »Titration der Nebenschilddrüsenfunktion«, durchgeführt. Bei der Mehrzahl der Patienten finden sich unterschiedlich große Autotransplantatrezidive. Ergebnisse. Die Ergebnisse der Reeingriffe am Autotransplantat sind, egal welches operative Vorgehen zur Anwendung kam, insgesamt unbefriedigend. Bei nur 17 der 27 detailliert beschriebenen Patienten (63%) lag ein normaler Nebenschilddrüsenstoffwechsel im Anschluss an den Eingriff am Autotransplantat vor (Niederle et al. 1988b). Trotz mehrfachen Reoperationen wurden bei 33% (9 von 27 Patienten) ein Persistieren, und bei 4% (1 von 27 Patienten) eine Unterfunktion des Autotransplantats dokumentiert (Niederle et al. 1988b). Nach eigener Erfahrung sollten ausschließlich vergrößerte, knotig veränderte ev. ultraschallmarkierte Fragmente entfernt werden (Niederle et al. 1988b; Winkelbauer et al. 1993). Die nicht vergrößerten Nebenschilddrüsenfragmente werden in situ belassen. Der Eingriff kann ambulant in Lokalanästhesie durchgeführt werden. In jedem Fall sollten Teile des entfernten Parathyreoideagewebes kryopräserviert werden. Bei Fortbestehen der Niereninsuffizienz ist jederzeit mit einem Rezidivhyperparathyreoidismus zu rechnen. AT-Rezidive
Selektive Reoperation des AT in Lokalanästhesie
Je nach Befund: zervikale und/oder mediastinale Reoperation
sind per se keine Komplikation der Technik, sondern Ursache einer zuwenig konsequent eingesetzten und überwachten medikamentösen Prophylaxe des sHPT. Eine gezielte Gewebeauswahl vor AT kann die Bereitschaft zur Rezidiventstehung verringern (7 Kap. 3.5.5). Morphologie des Autotransplantates. Die morphologische Untersuchung der im Rahmen der »Transplantat-Titration« (Niederle et al. 1989) gewonnenen Fragmente zeigten unabhängig von ihrer Größe ein expansives, in keinem Fall ein invasives Wachstum. Die vereinzelt beobachteten Epithelkörperchennester um größere Fragmente oder zwischen Muskelfasern, von Klempa et al. (1982) und Korzets et al. (1987) sowie von Hampl et al. (1991) als Zeichen eines invasiven Wachstums interpretiert, könnten im Rahmen der AT aus Zellen, die sich von der Fragmentschnittfläche abgelöst haben, proliferiert sein. Außerdem ist es definitionsgemäß schwierig, ein echtes invasives Wachstum zu diagnostizieren, da die AT ja bewusst zwischen die Muskelfasern erfolgt und somit ein invasives Wachstum in jedem Fall vorgetäuscht wird (Niederle et al. 1989). Das »unkontrollierte« Wachstum von im Rahmen der AT abgelöster Zellen dürfte nur bei primär erhöhter Proliferationstendenz einzelner Drüsen oder Drüsenanteile entstehen (Niederle et al. 1988a, Niederle et al. 1988b) Die Wahl des subkutanen Fettgewebes als Implantationsort oder die geänderte Aufbereitung der Drüse selbst könnte eine Entfernung erleichtern. Abgetropfte Parathyreoideainseln unterhalten im Einzelfalle selbst nach ausgedehnter Revision der Transplantatloge einen normalen, persistierenden oder rezidivierenden Hyperparathyreoidismus (Niederle et al. 1988b). Letztlich ist ein ähnlicher Mechanismus auch für ein zervikales Rezidiv bei Eröffnung der Drüsenkapsel im Rahmen der Parathyreoidektomie verantwortlich (Rattner et al. 1985; Akerström et al. 1988).
275 3.5 · Sekundärer Hyperparathyreoidismus
Gefäßinvasionen als echtes Malignitätskriterium, wie erstmals von Klempa et al. (1982) sowie von Korzets et al. (1987) und Hampl et al. (1991) beschrieben oder gar Fernmetastasen wurden weder bei den genauen histologisch dokumentierten Kasuistiken der Literatur noch im eigenen Krankengut beobachtet. Bei größeren Fragmenten zeigt sich ein höherer Mitoseindex als Hinweis auf eine besondere Proliferationstendenz, keineswegs als Hinweis auf ein malignes Wachstum. Vor allem in Drüsen oder Drüsenarealen mit Hauptzellen in follikulärer Anordnung zeigen sich besonders häufig Mitosen (Niederle et al. 1988a). Diese Areale sind am Fehlen von Stromafettzellen zu erkennen und sollten auf jeden Fall nicht zur AT verwendet werden. Ergebnisse eigener morphologischer und funktioneller Untersuchungen bestätigen somit, dass der zytologische Aufbau der zur AT verwendeten Fragmente die Rezidiventstehung selbst induzieren kann. In keinem Fall konnte ein malignes Wachstum (= lokal infiltratives Wachstum, Gefäßinvasion, Metastasen) per se beobachtet werden. Allerdings ist im seltenen Einzelfall trotz mehrfacher Reduktion oder gar vollständiger Entfernung des Transplantates ein Fortbestehen oder neuerliches Auftreten der Nebenschilddrüsenüberfunktion durch die vielfach auftretende unkontrollierte Selbstimplantation ein nicht zu vernachlässigendes klinisches Problem (Niederle et al. 1989). Parathyreoideakarzinome werden sehr selten bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus gefunden. In Kasuistiken (Tominaga 1995; Miki et al. 1996; Dionisio et al. 1996; Khan et al. 2004) wurden sie aber auch bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz beschrieben. Parathyreoideakarzinome sind mitunter makroskopisch nicht erkennbar, ja auch mikroskopisch oft nicht genau klassifizierbar. Erst der postoperative Verlauf (Lokalrezidive, vor allem aber Fernmetastasen) beweist das Vorliegen maligner Epithelkörperchenveränderungen. Theoretisch kann makroskopisch und mikroskopisch unerkanntes, malige verändertes Parathyreoideagewebe zur AT Verwendung finden. 3.5.6.3 Zervikale Reoperation Zervikale Reoperationen können nach sPTX und tPTX + AT, meist erweitert auf das Mediastinum, notwendig werden (Dubost et al. 1986; Henry et al. 1990; Wagner et al. 1987). Der Operateur muss frühere Operationsberichte mit zugehörigen Histologiebefunden und den laborchemischen postoperativen Verlauf im Detail vor Planung der Reoperation kennen. Findet sich nach sPTX eine Hyperplasie des Drüsenrestes, so wird dieser exstirpiert. Frisches Epithelkörperchengewebe wird wie oben beschrieben in die Unterarmmuskulatur transplantiert, der Rest wird kryopräserviert. Ist der Drüsenrest nur gering vergrößert, so muss sich eine Exploration zum Ausschluss einer überzähligen Drüse anschließen, diese wird dann komplett entfernt. Vor einer transsternalen Mediastinalfreilegung sollte das hyperaktive Nebenschilddrüsengewebe dort lokalisiert sein. Eine Alternative zum transsternalen Vorgehen ist die thorakoskopische Entfernung des lokalisierten hyperfunktionellen Nebenschilddrüsengewebes (Kumar et al. 2002). Wenn die Überfunktion des Autotransplantates nach PTX + AT ausgeschlossen ist, erfolgt die zervikale Reoperation zum Ausschluss einer überzähligen Drüse nach den üblichen Regeln. Ein Ausschöpfen aller Lokalisationsmöglichkeiten ist anzustreben.
3
Literatur Akerström G, Grimelius L, Rastad J (1988) Recurrent hyperparathyroidism due to preoperative seeding on neoplastic, hyperplastic or parathyreoidea tissue. Acta chir Scand 154:549 Baker LR, Otieno LS, Brown AL, Carroll MJ, Cattell WR, Farrington K (1991) Pitfalls after total parathyroidectomy and parathyroid autotransplantation in chronic renal failure. Am J Nephrol 11:186–191 Casanova D, Sarfati E, De Francisco A, Amado JA, Arias M and Dubost C (1991) Secondary hyperparathyroidism: diagnosis of site of recurrence. World J Surg 15:546–549; discussion 549–550 De Francisco ALM, Casanova D, Biz E, Rianchi J, Cotorruelo J, De Bonis E, Canga E, Arias M (1991) Recurrence of Hyperparathyroidism after total parathyroidectomy with autotranplantaion: A new technique of localize the source of hormone excess. Nephron 58:306 Dionisio P, Stramignoni E, Passarino G, Pucci A, Valenti M, Berto IM, Portigliatti Barbos M, Cadario A, Gasparri G, Bajardi P (1996) Recurrent secondary hyperparathyroidism due to parathyroid carcinoma: usefulness of Ki-67 immunostaining in the diagnosis of a malignant parathyroid tumor. Nephron 74:720–723 Dubost C, Kracht M, Assens P, Sarfati E, Zingraff J, Drueke T (1986) Reoperation for secondary hyperparathyroidism in hemodialysis patients. World J Surg 10:654–660 Hampl H, Steinmuller T, Stabell U, Klingenberg HJ, Schnoy N, Neuhaus P (1991) Recurrent hyperparathyroidism after total parathyroidectomy and autotransplantation in patients with long-term hemodialysis. Miner Electrolyte Metab 17:256–260 Henry JF, Denizot A, Audiffret J, France G (1990) Results of reoperations for persistent or recurrent secondary hyperparathyroidism in hemodialysis patients. World J Surg 14:303–306; discussion 307 Higgins RM, Richardson AJ, Ratcliffe PJ, Woods CG, Oliver DO, Morris PJ (1991) Total parathyroidectomy alone or with autograft for renal hyperparathyroidism? Q J Med 79:323–332 Khan MW, Worcester EM, Straus FH, 2nd, Khan S, Staszak V, Kaplan EL (2004) Parathyroid carcinoma in secondary and tertiary hyperparathyroidism. J Am Coll Surg 199:312–319 Kinnaert P, Tielemans C, Dhaene M, Decoster-Gervy C (1998) Evaluation of surgical treatment of renal hyperparathyroidism by measuring intact parathormone blood levels on first postoperative day. World J Surg 22:695–699 Klempa I, Rottger P, Schneider M, Frei U, Koch KM (1982) Transplantation hyperparathyroidism–tumorlike growth and autonomous function of autografts of the hyperplastic parathyroid (author’s transl). Langenbecks Arch Chir 356:191–204 Korzets Z, Magen H, Kraus L, Bernheim J (1987) Total parathyroidectomy with autotransplantation in haemodialysed patients with secondary hyperparathyroidism–should it be abandoned? Nephrol Dial Transplant 2:341–346 Krutakkrol H MC, Nichols W, Singh A, Twardowski Z (1989) Diagnostic Dilemma of an Unsuspected Hyperfunktioning Accessory Parathyroid Gland after total parathyroidctomy with Autotransplantation in a peritoneal dialysis patient. Am J Nephrol 9:495 Kumar A, Kumar S, Aggarwal S, Kumar R, Tandon N (2002) Thoracoscopy: the preferred method for excision of mediastinal parathyroids. Surg Laparosc Endosc Percutan Tech 12:295–300 Miki H, Sumitomo M, Inoue H, Kita S, Monden Y (1996) Parathyroid carcinoma in patients with chronic renal failure on maintenance hemodialysis. Surgery 120:897–901 Nakatsuka K, Nishizawa Y, Ishimura E, Miki T, Hagiwara S, Morita A, Inoue S, Morii H (1989) The fifth hyperfunctioning parathyroid gland in endstage renal disease. Nephron 51:140–142 Niederle B, Horandner H, Roka R, Woloszczuk W (1988a) Parathyroidectomy and autotransplantation in renal hyperparathyroidism. I. Morphologic studies for tissue selection. Langenbecks Arch Chir 373:325–336 Niederle B, Roka R, Horandner H (1988b) Recurrent renal hyperparathyroidism: reoperation on the autograft.Wien KlinWochenschr 100:369– 372
276
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Niederle B, Horandner H, Roka R, Woloszczuk W (1989) Parathyroidectomy and autotransplantation in renal hyperparathyroidism. I. Clinical and chemical laboratory studies following tissue selection. Chirurg 60:665–670 Niederle B (1996) Secondary parathyroid hyperplasia surgical strategy: subtotal or total parathyroidectomy with autograft. Acta Chir Austriaca 28 Supp:4 Niederle B RR, Hörander, H. (1988) Rezidivierender renaler Hyperparathyreoidismus: Reoperation am Autotransplantat. Wien Klin Wochenschr 11:369 Rattner DW, Marrone GC, Kasdon E, Silen W (1985) Recurrent hyperparathyroidism due to implantation of parathyroid tissue. Am J Surg 149:745–748 Schlosser K, Sitter H, Rothmund M, Zielke A (2004) Assessing the site of recurrence in patients with secondary hyperparathyroidism by a simplified Casanova autograftectomy test. World J Surg 28:583–588 Seehofer D, Steinmuller T, Rayes N, Podrabsky P, Riethmuller J, Klupp J, Ulrich F, Schindler R, Frei U, Neuhaus P (2004) Parathyroid hormone venous sampling before reoperative surgery in renal hyperparathyroidism: comparison with noninvasive localization procedures and review of the literature. Arch Surg 139:1331–1338 Takebayashi S, Matsui K, Nozawa T, Fujioka E, Hidai H (1990) Hyperplasia of autotransplanted parathyroid in the forearm. Clin Nucl Med 15:354–355 Tominaga Y, Tanaka Y, Sato K, Numano M, Uchida K, Falkmer U, Grimelius L, Johansson H, Takagi H (1992) Recurrent renal hyperparathyroidism and DNA analysis of autografted parathyroid tissue. World J Surg 16:595–602; discussion 602–603 Tominaga Y, Numano M, Tanaka Y, Uchida K, Takagi H (1997) Surgical treatment of renal hyperparathyroidism. Semin Surg Oncol 13:87–96 Tominaga Y, Tanaka Y, Uchida K, Sato K, Asano H, Haba T, Katayama A, Mukoyama A, Suzuki K, TanakaY, Takagi H (1995) Lung metastasis from parathyroid carcinoma causing recurrent renal hyperparathyroidism in a hemodialysis patient: report of a case. Surg Today Jpn J Surg 25:984 Wagner PK, Rothmund M (1987) Reoperationen bei persistierendem und rezidivierendem, sekundären Hyperparathyreoidismus. Chirurg 58:543–548 Wagner PK, Eckhardt J, Rothmund M (1991) Suptotale Parathyreoidektomie versus totale Parathyreoidektomie mit Autotransplantation bei sekundärem Hyperparathyreoidismus. Eine randomisierte Studie. Chirurg 62:189–194 Winkelbauer F, Ammann M, Langle F, Niederle B, Lechner G (1993) The sonographic diagnosis of recurrences after parathyroid autotransplantation. The preliminary results of a prospective study. Rofo 158: 39–42
Hypoparathyreoidismus
3.6
D. Weismann, B. Allolio ) ) Ein Hypoparathyreoidismus entsteht meist iatrogen im Rahmen einer Thyreoidektomie und geht mit einer erheblichen Beschwerdelast einher. Hypokalzämien werden mit Kribbelparästhesien und Tetanien, die sich krisenhaft zuspitzen können, symptomatisch. Therapeutisch wird regelhaft eine Kombination aus Kalzium und aktivem Vitamin D (z. B. Calcitriol) eingesetzt.
3.6.1 Definition
Der Hypoparathyreoidismus ist eine Verminderung der Konzentration des intakten Parathormons (iPTH) und des Gesamtkalziums im Serum unter den Normbereich aufgrund einer eingeschränkten oder fehlenden Nebenschilddrüsenfunktion, die in der Regel mit tetanischen Beschwerden einhergeht.
4 Der primäre Hypoparathyreoidismus wird meist in der Kindheit manifest oder kann im Rahmen syndromaler Erkrankungen angeboren sein. 4 Der sekundäre Hypoparathyreoidismus umfasst die erworbenen Formen, vor allem den iatrogen verursachten Funktionsverlust. 4 Ein kurzfristiger Abfall des Serumkalziums und des iPTH mit rascher Erholung (in der Regel innerhalb weniger Tage), der insbesondere nach Thyreoidektomie beobachtet wird, wird als transienter Hypoparathyreoidismus bezeichnet. 4 Bleibt die Erholung über 6 Monate aus, muss von einem dauerhaften Funktionsverlust ausgegangen werden (permanenter Hypoparathyreoidismus). 4 Finden sich tetanische Beschwerden, spricht man von einem manifesten Hypoparathyreoidismus. 4 Findet sich hingegen lediglich eine auffällige Laborkonstellation bei einem stets asymptomatischen Patienten (häufig nach Nebenschilddrüsenautotransplantation), kann dies als latenter Hypoparathyreoidismus bezeichnet werden. 3.6.2 Ätiologie und Inzidenz Die wichtigsten Ursachen des Hypoparathyreoidismus sind in . Tab. 3.18 zusammengefasst. Mit Abstand die häufigste Ursache im Erwachsenenalter ist der iatrogen bedingte Verlust von funktionellem Nebenschilddrüsengewebe, entweder akzidentell im Rahmen einer Schilddrüsenresektion (etwa 1–1,5%; Thomusch et al. 2000) oder – seltener – als Folge der Behandlung eines primären oder tertiären Hyperparathyreoidismus. Bei jedem chirurgischen Eingriff im Halsbereich, insbesondere aber auch bei Zweiteingriffen, kann es neben einer ungewollten Resektion zu einer Beeinträchtigung der Nebenschilddrüsenfunktion durch mangelnde Blutversorgung nach Gefäßligaturen kommen. Die Häufigkeit des Hypoparathyreoidismus korreliert mit dem Umfang des operativen Eingriffes. Er tritt häufiger bei totaler Thyreoidektomie (bis zu 9%; Thomusch et al. 2000), z. B. bei großer Struma multinodosa oder nach Resektion eines Schilddrüsenkarzinoms mit Entfernung der Lymphknoten auf, aber insbesondere auch nach Thyreoidektomie bei Morbus Basedow (Thomusch et al. 2000). Bei über 100.000 Strumaoperationen im Jahr bedeutet dies jährlich ca. 1000–1500 neue Patienten mit Hypoparathyreoidismus. Die seltenen Entwicklungsstörungen der Nebenschilddrüsen werden entweder als isolierter primärer Hypoparathyreoidismus manifest oder als Teil einer komplexen Entwicklungsstörung (z. B. Kearns-Sayre-Syndrom). Weitere seltene Ursachen sind Autoimmunerkrankungen, die ebenfalls isoliert die Nebenschilddrüse (NSD) betreffen können oder Teil einer polyglandulären Autoimmunendokrinopathie Typ 1 sind. Diese werden in der
277 3.6 · Hyperparathyreoidismus
3
. Tab. 3.18. Ursachen des Hypoparathyreoidismus Nebenschilddrüsenagenesie
Primär
Isoliert oder Teil eines Syndromes (z. B. DiGeorge Syndrom, Kearns-Sayre-Syndrom)
Autoimmunerkrankung
Primär
Isoliert Polyglanduläre Endokrinopathie Typ I
Funktionsstörung der Nebenschilddrüsen
Primär
Gendefekte (autosomal-dominanter Hypoparathyreoidismus [ADHP], Pseudohypoparathyreoidismus) »Calcium-sensing«-Rezeptor-Mutationen
Sekundär
Hypomagnesiämie Neonatale Hypokalzämie (z. B. bei mütterlicher Hyperkaliämie) »Hungry-bone«-Syndrom (nach Nebenschilddrüsenadenomresektion)
Destruktion von Nebenschilddrüsengewebe
Sekundär
Operationen im Halsbereich Bestrahlung, Radiojodtherapie (selten) Lokale Infiltration, Metastasen Beteiligung bei systemischen Erkrankungen (Hämochromatose, Amyloidose, Sarkoidose, M. Wilson und Thalassämien)
Regel bereits im Kindesalter manifest. Wichtig ist hierbei, nach der Diagnose des Hypoparathyreoidismus eine sich entwickelnde Nebenniereninsuffizienz nicht zu übersehen! 3.6.3 Pathophysiologie Der Gesamtkalziumbestand des normalen Erwachsenenkörpers liegt bei über 1000 g, wovon über 99% als Hydroxylapatit im Knochen gebunden sind. Weniger als 1% liegt in löslicher Form im Extra- bzw. Intrazellulärraum vor. 50% des Kalziums in der extrazellulären Flüssigkeit liegen als freies, ionisiertes Kalzium vor, während der übrige Anteil überwiegend an Albumin gebunden ist. Die extrazelluläre Kalziumkonzentration ist in einem schmalen physiologischen Fenster reguliert, sodass bei ausgeglichener Kalziumbilanz das gesamte resorbierte Kalzium über die Nieren (10%) und über den Darm (90%) wieder ausgeschieden wird. Die wichtigsten Regulatoren sind Parathormon und Calcitriol (1,25(OH)2D3). Unter anderem stimuliert PTH die osteoklastäre Knochenresorption, wodurch Kalzium aus dem Knochen mobilisiert und der Serumkalziumspiegel angehoben wird. Am distalen Tubulus steigert Parathormon die Resorption von Kalzium und Magnesium und wirkt gleichzeitig phosphaturisch. PTH stimuliert außerdem die 1-α-Hydroxylase in der Niere, die die Hydroxylierung von 25-OH-Vitamin D3 (Calcidol) zu 1,25 (OH)2D3 (Calcitriol) katalysiert. Das somit PTH abhängig synthetisierte Calcitriol steigert die intestinale Kalziumresorption und ist damit maßgeblich für die Resorption von Kalzium aus der Nahrung verantwortlich. Da bei fehlender PTH-Wirkung nicht nur die Kalziumaufnahme aus dem Darm und die Mobilisierung aus dem Knochen vermindert ist, sondern auch die Phosphatausscheidung reduziert ist, geht die Hypokalzämie beim Hypoparathyreoidismus regelhaft mit einer Neigung zur Hyperphosphatämie einher. Hier kommt es bei zu hoher Kalziumsubstitution
leicht zur Überschreitung des Kalzium-Phosphat-Produktes, sodass es zu extraossären Kalzifikationen kommen kann. Umgekehrt führt die Hypokalzämie zu einer gesteigerten neuromuskulären Erregbarkeit, die z. B. als Tetanie symptomatisch wird. Eine Alkalose, z. B. respiratorisch bedingt bei Hyperventilation, führt zu einer stärkeren Bindung von Kalzium an Albumin, wodurch ebenfalls das funktionell wichtige freie Kalzium reduziert und die neuromuskuläre Erregbarkeit gesteigert wird. Welche Rolle die im zentralen Nervensystem nachgewiesenen PTH-Rezeptoren haben, ist noch nicht abzuschätzen. 3.6.4 Klinische Symptomatik Das klassische Leitsymptom der Hypokalzämie ist die Tetanie. Hierbei kommt es zu Verkrampfungen, insbesondere im Bereich der Hand- und Fußmuskulatur, die zu der typischen Pfötchenstellung führen. Im Gesicht führen Spasmen der perioralen Muskulatur zur »Fischmaulstellung« oder »Karpfenstellung« des Mundes. Die Krämpfe können allerdings auch Larynx, Bronchien und Atemmuskulatur betreffen und dadurch zu akuter Dyspnoe führen. Eine Hypokalzämie induziert gelegentlich krampfartige Bauchschmerzen, die sog. »viszerale Tetanie«, die sowohl mit Diarrhöen wie auch mit Obstipation einhergehen kann. Bei schweren Hypokalzämien sind gelegentlich auch cerebrale Krampfanfälle möglich. Ebenfalls selten wird über eine reversible Kardiomyopathie berichtet (Avsar et al. 2004). Ausgedehnte Tetanien können mit einem beträchtlichen Anstieg der CK einhergehen. Tetanien gehen häufig mit einem Angstgefühl einher, das sich bis zur Todesangst steigern kann. Ähnlich wie Kribbelparästhesien kann die Angst auch schon im Vorfeld bestehen und folgende Tetanien ankündigen. Die regelhaft bestehenden Kribbelparästhesien treten vor allem an den Fingern und perioral sowie an den Zehenspitzen auf. Ein schwerer tetanischer Anfall ist ein eindrucksvolles, ängstigendes Erlebnis für den Patienten
278
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Insbesondere durch die häufig vorhandene Hyperphosphatämie begünstigt der Hypoparathyreoidismus das Auftreten von Organverkalkungen. Der genaue Pathomechanismus ist weiterhin nicht vollständig aufgeklärt. Charakteristisch sind symmetrische Verkalkungen der Basalganglien (Rastogi et al. 2003), seltener auch im Bereich des Thalamus, des Kortex und ausnahmsweise auch der grauen Substanz. Syndromatisch wird dies als Morbus Fahr bezeichnet (. Abb. 3.73). Gelegentlich gehen diese Befunde mit extrapyramidal-motorischen Symptomen einher. In den meisten Fällen bleiben sie asymptomatisch. Der lange bestehende Hypoparathyreoidismus begünstigt das Auftreten einer Katarakt. Die häufig nachweisbare Hyperkalziurie kann zu einer Nephrokalzinose führen, die die Nierenfunktion bis hin zur Dialysepflichtigkeit beeinträchtigen kann (. Abb. 3.74). Durch den stark veränderten Knochenmetabolismus kommt es zu einer gesteigerten Knochendichte (Chan et al. 2003). Zur Knochenstabilität liegen dabei keine Daten vor.
3
3.6.5 Diagnostik
Ein intaktes PTH (iPTH) unterhalb der Nachweisgrenze und ein erniedrigtes Kalzium sind charakteristisch für einen Hypoparathyreoidismus. . Abb. 3.73. Basalganglienverkalkung (M. Fahr) in der kraniellen Computertomographie (Institut für Röntgendiagnostik, Universität Würzburg)
und triggert die Angst vor weiteren Tetanien. Untersuchungen zur Lebensqualität zeigen, dass viele Patienten mit Hypoparathyreoidismus unter der derzeitigen Standardtherapie eine ängstlich-depressive Störung aufweisen (Arlt et al. 2002). Bei der körperlichen Untersuchung lässt sich das ChvostekZeichen durch Beklopfen des N. facialis vor dem Ohr auslösen. Das Trousseau-Zeichen kann durch Aufpumpen einer Blutdruckmanschette nachgewiesen werden: beim Aufpumpen der Manschette über den diastolischen Blutdruck kommt es nach Sekunden bis Minuten zu einer Pfötchenstellung der Hand.
. Abb. 3.74. Sonographische Darstellung einer Nephrokalzinose. (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. M. Jenett, Institut für Röntgendiagnostik, Universität Würzburg)
Labordiagnostik. Der Normalbereich für das Gesamtkalzium im Serum (gebunden und ungebunden) liegt laborabhängig etwa bei 2,0–2,7 mmol/l. Bei grenzwertig erniedrigtem Serumkalzium sollte das Albumin mitbestimmt werden. Bei einem Serumalbumin außerhalb der Norm sollte der Kalziumwert korrigiert werden: Korrigiertes Kalzium = gemessenes Kalzium (mmol/l) + 0,025 × (40–Albumin g/l). Die direkte Messung des ionisierten Kalziums wird nur selten durchgeführt und die Abschätzung nach der aufgeführten Formel über die Albuminkonzentration ist in der Regel genügend. In der Regel reicht die ggf. auch mehrfache, gleichzeitige Bestimmung von iPTH und Kalzium aus, um einen Hypoparathyreoidismus zu diagnostizieren, insbesondere, wenn auch noch charakteristische Beschwerden bestehen. Bei latenten Formen, z. B. nach Nebenschilddrüsenautotransplantation, kann sich ein niedrignormales bis leichtgradig erniedrigtes Kalzium in Kombination mit einem iPTH im Normbereich finden, wobei letzteres in Relation zu den Kalziumspiegeln allerdings eindeutig zu niedrig ist. Eine Bestimmung der Kalziumausscheidung im Urin sollte ebenfalls erfolgen und muss zur Therapiekontrolle regelmäßig durchgeführt werden. In Ausnahmefällen kann es notwendig sein auch Funktionstests durchzuführen. Dabei deutet die Steigerung der Phosphatausscheidung im Urin nach Gabe von iPTH oder PTH 1-34 auf einen Hypoparathyreoidismus hin, ebenso wie ein nur zögerlicher oder ganz ausbleibender Anstieg des iPTH im Serum nach Komplexierung des ionisierten Kalziums mit EDTA. Bildgebende Verfahren. Nach biochemischer Sicherung der Diagnose muss eine Abdomensonographie durchgeführt und im Verlauf regelmäßig wiederholt werden, um eine Nephrokalzinose frühzeitig zu erkennen. Die Kontrolle der Retentionsparameter sollte hierbei erfolgen. Eine Spaltlampenuntersuchung ist bei langjährig bestehendem Hypoparathyreoidismus anzuraten,
279 3.6 · Hyperparathyreoidismus
um eine tetanische Katarakt zu erkennen. Eine CT-Untersuchung des Gehirns zur Frage eines M. Fahr sollte nicht routinemäßig erfolgen, da eine Verkalkung der Basalganglien häufig asymptomatisch verläuft und der Befund ohne Konsequenz bleibt. Bei typischen extrapyramidal-motorischen Beschwerden ist natürlich die Indikation zur differenzialdiagnostischen Abklärung gegeben. 3.6.6 Therapie Hypokalziämische Krise – akute Tetanie. Es sollten zunächst 1–2 Ampullen 10%-ige Kalziumlösung als Kurzinfusion über 10–20 min verabreicht werden. Die Infusionsgeschwindigkeit sollte wegen möglicher Arrythmien nicht schneller gewählt werden. Eine Ampulle 10%ige Kalziumlösung enthält 4,5 mmol Kalzium in 10 ml Flüssigkeit. Der Effekt dieser Infusion sollte etwa 2–3 h anhalten. Falls notwendig, können zusätzlich 6–8 Ampullen 10% Kalziumlösung in einem Gesamtvolumen von 1000 ml über 24 h infundiert werden. Bei einer laufenden Digitalistherapie müssen die Kalziumwerte engmaschig überprüft werden, da insbesondere eine Hyperkalzämie in Kombination mit Digitalis höhergradige Rhythmusstörungen provozieren kann. Eine Überwachung am Monitor kann hier notwendig sein. Kalzium und Vitamin D. Neben der Symptomfreiheit ist das wich-
tigste Therapieziel, eine Hyperkalziurie zu vermeiden, um das Risiko einer Nephrokalzinose zu minimieren. Aus diesem Grunde wird ein Serumkalzium im unteren Normbereich angestrebt. Hier ist auch das Risiko für extraossäre Kalzifikationen niedrig, da vor allem bei höheren Kalziumspiegeln und bestehender Hyperphosphatämie das Kalzium/Phosphat-Produkt leicht überschritten werden kann. Therapeutisch werden 1000–3000 mg Kalzium/Tag in Kombination mit Vitamin D gegeben (. Tab. 3.19). Da Calcitriol der aktive Metabolit ist und dessen Bildung von PTH gesteuert wird, empfiehlt es sich, diese Substanz einzusetzen (2×0,25–1,0 µg/Tag). Weit verbreitet ist allerdings auch der Einsatz von Dihydrotachysterol (z. B. AT 10), was häufig mit Preisvorteilen begründet wird. Dihydrotachysterol akkumuliert jedoch und kann bei einer Halbwertszeit von Wochen zu anhaltenden lebensbedrohlichen Intoxikationen mit erheblichen Hyperkalzämien führen (Quack et al. 2005). Aus diesem Grunde sollte eine Langzeittherapie mit dieser Substanz nur von einem Erfahrenen durchgeführt werden, der eine ausreichend engmaschige Kontrolle sicherstellen kann. Sollte trotz Erreichen eines niedrig-normalen Kalziumspiegels eine Hyperkalziurie bestehen, kann der kalziumretinierende Effekt von Thiaziddiuretika ausgenutzt und z. B. Hydrochloro-
3
thiazid (12,5–25 mg) gegeben werden. Hierbei sind Kontrollen des Serumkaliums geboten. Zur Kontrolle der Hyperphosphatämie wird die Phosphatzufuhr reduziert. Da diätetische Maßnahmen allerdings rasch zu Compliance-Problemen führen, empfiehlt es sich, frühzeitig den Einsatz von Phosphatbindern zu erwägen (z. B. Kalziumazetat 500–1000 mg vor den Mahlzeiten). Ein Magnesiummangel alleine kann bereits zu Muskelkrämpfen führen und wird deshalb ausgeglichen (Magnesiumkarbonat 670 mg 1- bis 2-mal/Tag). Prävention des transienten postoperativen Hypoparathyreoidismus. Transiente Hypokalzämien nach Thyreoidektomien sind
häufig. In der Literatur finden sich hier Zahlen von bis zu 70% (Kihara et al. 2005). Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens und die Schwere der Hypokalzämie, je mehr Nebenschilddrüsen devaskularisiert wurden und autotransplantiert werden mussten. Der Abfall des Serumkalziums ist meist schon am 1. postoperativen Tag deutlich und hält mehrere Tage an, wobei die Patienten meist nicht innerhalb der ersten 24 h symptomatisch werden. Ein Abfall des Kalziums auf unter 1,8 mmol/l (7,5 mg/dl) am 2. oder 3. postoperativen Tag ist bezüglich des Auftretens von Tetanien prognostisch bedeutsam. Eine Prävention der Tetanien gelingt durch prophylaktische Gabe von Calcitriol 2×1 µg/Tag und 3×500 mg Kalzium pro Tag (Tartaglia et al. 2005). Dennoch fallen auch unter dieser Therapie bis zu 10% der Patienten mit dem Serumkalzium unter 1,8 mmol/l und haben damit ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Tetanien. Die Therapie kann in der Regel nach 1–2 Wochen ausgeschlichen werden. Hierbei sollte auf einen adäquaten Anstieg des PTH sowie auf stabile Serumkalziumspigel geachtet werden, um einen permanenten Hypoparathyreoidismus frühzeitig zu erkennen. Parathormon. Durch die Verfügbarkeit von rekombinantem hu-
manem Parathormon (PTH 1-34) stellt sich die Frage, ob die Patienten nicht besser mit PTH substituiert werden können. Bisher liegen hierzu nur wenige Daten vor. In den umfangreichsten Untersuchungen wurden Patienten mit Hypoparathyreoidismus über 3 Jahre behandelt (Winer et al. 2003). Die Patienten erhielten entweder PTH 1-34 in einer mittleren Dosis von 37 µg/Tag verteilt auf 2 Injektionen pro Tag oder die konventionelle Therapie mit Kalzium + Calcitriol. Die Pharmakokinetik von 1-34 PTH ist nicht optimal, da keine langfristige Spiegelerhöhung gelingt und auf supraphysiologische Konzentrationen rasch wieder subphysiologische Konzentrationen folgen. Trotzdem gelang es, die Hyperkalziurie durch Parathormon zu reduzieren (bei insgesamt eher niedrigeren Serumkalziumkonzentrationen). Die bei Hypoparathyreoidismus unter der Standardtherapie mit Kalzium und
. Tab. 3.19. Häufig verwendete Vitamin-D-Präparate bei Hypoparathyreoidismus
Präparat
Handelsname
Relative Potenz
Ungefähre Tagesdosis
Tagestherapiekosten
Cholecalciferol (Vitamin D3)
Vigantol
1
0,5–2,5 mg (=20.000–100.000 IE)
0,34€
Alfacalcidol (1-α-Hydroxy-Vitamin D3)
Bondiol, Doss, Eins-Alpha
≈1000
1–3 µg
1–3 €
Calcitriol (1-α-25-Dihydroxy-Vitamin D3)
Rocaltrol
1000–1500
0,5–2 µg
0,5–2 €
AT 10 (Dihydrotachysterol)
AT 10
2,5
0,375–0,75 mg
0,6–0,8 €
280
3
Kapitel 3 · Nebenschilddrüsen
Calcitriol zu beobachtende Zunahme der Knochendichte war unter PTH nicht zu verzeichnen, tatsächlich kam es zu einer Steigerung des Knochenumbaues. Nach dem Abschluss der 3-jährigen Therapie wollte eine Mehrzahl der Patienten, die auf PTH eingestellt worden waren, die Injektionstherapie fortsetzen. Dies wird als Hinweis darauf gewertet, dass die PTH-Behandlung offenbar als physiologischer empfunden wird, kann aber auch ein Effekt sein, der auf den innovativen Charakter der Behandlung zurückzuführen ist. Neue Untersuchungen berichten über die Entwicklung eines Systems mit kontrollierter Freisetzung von PTH, das Mikrosphären nutzt. Eine Parathormonfreisetzung konnte in-vitro über einen 3 Wochenzeitraum nachgewiesen werden (Anthony et al. 2005). In-vivo-Untersuchungen fehlen noch. Transplantation. Die Autotransplantation ist das Mittel der
Wahl, wenn intraoperativ Nebenschilddrüsen devaskularisiert werden. Dennoch konnte in aktuellen Arbeiten gezeigt werden, dass die Häufigkeit eines latenten und vor allem auch eines permanenten Hypoparathyreoidismus trotz Autotransplantation steigt, je weniger Nebenschilddrüsen unversehrt in situ belassen wurden. Somit ist die Autotransplantation nur das Mittel der Wahl, um die Komplikation der Devaskularisation zu behandeln (Kihara et al. 2005). Die Allotransplantation bleibt mit dem Problem der Immunsuppression verknüpft, die nur bei gleichzeitiger Transplantation weiterer Organe zu rechtfertigen ist. In Einzellfällen werden hier jedoch Erfolge berichtet (Torregrosa et al. 2005). Die Mikroverkapselung mit Alginaten, die zu einer Immunisolierung führt und damit eine Immunsuppression unnötig machen soll, ist ein viel versprechender Ansatz, insbesondere nachdem es gelungen ist, gute Langzeiterfolge mit amitogenen Alginaten im Tierversuch zu erzielen. Mit amitogenen Alginaten war es sogar möglich, eine Xenotransplantation (humane Nebenschilddrüse in der Ratte) erfolgreich durchzuführen (Hasse et al. 2000). Die klinische Prüfung steht allerdings noch aus.
Literatur Anthony T, Fong P, Goyal A, Saltzman WM, Moss RL, Breuer C (2005) Development of a parathyroid hormone-controlled release system as a potential surgical treatment for hypoparathyroidism. J Pediatr Surg 40:81–85 Arlt W, Fremerey C, Callies F, Reincke M, Schneider P, Timmermann W, Allolio B (2002) Well-being, mood and calcium homeostasis in patients with hypoparathyroidism receiving standard treatment with calcium and vitamin D. Eur J Endocrinol 146:215–222 Avsar A, Dogan A, Tavli T (2004) A rare cause of reversible dilated cardiomyopathy: hypocalcemia. Echocardiography 21:609–612 Chan FK, Tiu SC, Choi KL, Choi CH, Kong AP, Shek CC (2003) Increased bone mineral density in patients with chronic hypoparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 88:3155–3159 Hasse C, Bohrer T, Barth P, Stinner B, Cohen R, Cramer H, Zimmermann U, Rothmund M (2000) Parathyroid xenotransplantation without immunosuppression in experimental hypoparathyroidism: long-term in vivo function following microencapsulation with a clinically suitable alginate. World J Surg 24:1361–1366 Kihara M, Miyauchi A, Kontani K, Yamauchi A, Yokomise H (2005) Recovery of parathyroid function after total thyroidectomy: long-term followup study. ANZ J Surg 75:532–536 Quack I, Zwernemann C, Weiner SM, Sellin L, Henning BF, Waldherr R, Buchner NJ, Stegbauer J, Vonend O, Rump LC (2005) Dihydrotachysterol therapy for hypoparathyroidism: consequences of inadequate monitoring. Five cases and a review. Exp Clin Endocrinol Diabetes 113:376– 380 Rastogi R, Beauchamp NJ, Ladenson PW (2003) Calcification of the basal ganglia in chronic hypoparathyroidism. J Clin Endocrinol Metab 88:1476–1477 Tartaglia F, Giuliani A, Sgueglia M, Biancari F, Juvonen T, Campana FP (2005) Randomized study on oral administration of calcitriol to prevent symptomatic hypocalcemia after total thyroidectomy. Am J Surg 190:424–429 Thomusch O, Machens A, Sekulla C, Ukkat J, Lippert H, Gastinger I, Dralle H (2000) Multivariate analysis of risk factors for postoperative complications in benign goiter surgery: prospective multicenter study in Germany. World J Surg 24:1335–1341 Torregrosa NM, Rodriguez JM, Llorente S, Balsalobre MD, Rios A, Jimeno L, Parrilla P (2005) Definitive treatment for persistent hypoparathyroidism in a kidney transplant patient: parathyroid allotransplantation. Thyroid 15:1299–1302 Winer KK, Ko CW, Reynolds JC, Dowdy K, Keil M, Peterson D, Gerber LH, McGarvey C, Cutler GB Jr. (2003) Long-term treatment of hypoparathyroidism: a randomized controlled study comparing parathyroid hormone-(1-34) versus calcitriol and calcium. J Clin Endocrinol Metab 88:4214–4220
4 4 Nebennieren B. Allolio, P.J. Barth, F. Beuschlein, H. Dralle, O. Gimm, K.J. Klose, H. Lehnert, A. Machens, R. Moll, C. Nies, M. Reincke, N. Reisch, M. Rothmund, J. Waldmann, O. Zwermann
4.1
Pathophysiologie der Nebenniere
– 282
4.1.1 4.1.2
Nebennierenrinde – 282 Nebennierenmark – 293
4.2
Chirurgische Anatomie, konventionelle und minimalinvasive Zugänge zur Nebenniere – 296
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Anatomie – 296 Lagebeziehungen – 296 Gefäßversorgung – 297 Chirurgische Zugänge – 297
4.3
Pathologie der Nebenniere
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.3.8 4.3.9 4.3.10
Nebennierenentzündungen – 304 Kreislaufstörungen – 305 Nebennierenzysten – 306 Nebennierenrindenhyperplasien – 306 Nebennierenrindenadenome – 307 Nebennierenrindenkarzinome – 309 Myelolipom – 312 Tumoren des Nebennierenmarkes – 312 Seltene primäre Nebennierentumoren – 315 Metastasen in der Nebenniere – 316
– 304
4.4
Nebennierentumoren – 318
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8
Funktionsdiagnostik – 318 Bildgebende Verfahren – 323 Phäochromozytom – 336 Primärer Hyperaldosteronismus – 344 Adrenales Cushing-Syndrom – 347 Adrenalektomie beim Morbus Cushing (hypophysäres Cushing-Syndrom) – 354 Das Inzidentalom und seltene Tumoren – 356 Adrenokortikales Karzinom – 362
4.5
Folgeerscheinung der Adrenalektomie
4.5.1 4.5.2
Diagnostik der Unterfunktion – 370 Therapie der Unterfunktion – 371
4.6
Primäre Unterfunktion der Nebennieren
4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4 4.6.5
Epidemiologie und Klinik – 371 Pathogenese – 372 Klinische Symptomatik – 373 Diagnostik – 373 Therapie – 374
– 370
– 371
282
Kapitel 4 · Nebennieren
4.1
Pathophysiologie der Nebenniere B. Allolio
) )
4
Die Nebennieren umfassen 2 anatomisch und funktionell unterscheidbare Organe: die Nebennierenrinde und das Nebennierenmark. Beide spielen eine zentrale Rolle in der Stressbewältigung und sind regulativ miteinander verknüpft. Unterfunktionen der Nebennierenrinde können primär (z. B. durch Organzerstörung) oder sekundär durch den Ausfall regulativer Hormone (ACTH, Renin) bedingt sein. Ein Ausfall des Nebennierenmarks ist von geringer klinischer Bedeutung. Überfunktionssyndrome der Nebenniere (Cushing-Syndrom, primärer Hyperaldosteronismus, Phäochromozytom) sind oft die Folge monoklonaler adrenaler Tumoren, die in ihrer Mehrzahl benigne sind und zur Suppression der Funktion der intakten kontralateralen und der paraadenomatösen Nebenniere führen können. Sie können auch sekundär durch eine gesteigerte Stimulation der Nebenniere entstehen (z. B. ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom). Adrenale Enzymdefekte sind meist durch eine Kombination von Unterfunktion und Überfunktion als Folge der Anhäufung von Steroidhormonvorstufen gekennzeichnet.
Beim Menschen liegen die Nebennieren posteromedial in enger Nachbarschaft zum oberen Nierenpol. Das Gewicht einer Nebenniere beträgt beim Erwachsenen ca. 4 g und ist weitgehend unabhängig von Alter, Körpergewicht und Geschlecht. Durch schwere Allgemeinerkrankungen und präterminalen Stress kann das Gewicht der Nebenniere postmortal auf über 20 g ansteigen. Jede Nebenniere besteht aus 2 funktionell getrennten, endokrinen Drüsen, die von einer gemeinsamen Kapsel umgeben sind. Die Nebennierenrinde entwickelt sich aus mesenchymalen Zellen. Während der Embryonalentwicklung wandern neuroektodermale Zellen ein, die im Zentrum der Nebenniere das Nebennierenmark formen. Beim Erwachsenen umgibt die lipidreiche, gelblich gefärbte Nebennierenrinde, die 90% des Nebennierengewichts ausmacht, das blass gräulich gefärbte Nebennierenmark. . Abb. 4.1. Zonierung der Nebennierenrinde. (Aus Neville u. O’Hare 1979)
Die Nebenniere spielt eine herausragende Rolle in der Stressanpassung des Organismus. Die Hauptsekretionsprodukte des Nebennierenmarks sind die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin, während in der umgebenden Nebennierenrinde die lebensnotwendigen Kortikosteroide Kortisol und Aldosteron gebildet werden.
Nebennierenrinde und Nebennierenmark stehen in engem funktionellem Kontakt. Das für die Adrenalinsynthese erforderliche Enzym Phenylethanolamin N-Methyltransferase (PNMT) wird durch Glukokortikoide induziert. Hierfür sind die hohen Kortisolkonzentrationen erforderlich, die durch den zentripetalen Blutfluss der Nebenniere im Nebennierenmark vorherrschen. Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass eine enge parakrine Interaktion zwischen den Zellen des Nebennierenmarks und der Nebennierenrinde besteht, sodass auch die adrenokortikale Funktion von Funktionsänderungen des Nebennierenmarks beeinflusst wird (Ehrhart-Bornstein et al. 1998). 4.1.1 Nebennierenrinde Zonierung. Die Nebennierenrinde des Menschen zeigt eine auffällige Zonierung: Unter der bindegewebigen äußeren Kapsel findet sich die Zona glomerulosa, die aus relativ kleinen kompakten Zellen besteht, die ungefähr 15% der Nebennierenrinde einnehmen. Deutlich abgegrenzt folgt weiter nach innen die Zona fasciculata, deren Zellen lipidreicher und größer sind. Sie sind in radiären Säulen angeordnet, zwischen denen sich parallel verlaufende Blutgefäße und Bindegewebszellen finden. Zum Mark hin schließt sich die Zona reticularis an, deren Zellen kompakter, pigmentreicher und lipidärmer sind. Die Zellen sind hier netzartig angeordnet (. Abb. 4.1). An der Grenze zwischen Zona glomerulosa und Zona fasciculata besteht eine höhere proliferative Aktivität, sodass dieser Bereich auch als Zona intermedia bezeichnet worden ist. Die erhöhte Teilungsfähigkeit der Zellen in diesem Bereich hat zur Hypothese geführt, dass diese Zellen als Stammzellen aufzufassen sind, und dass im Rahmen
283 4.1 · Pathophysiologie der Nebennieren
der von hier ausgehenden Proliferation die Zellen zentripetal wandern und dabei unterschiedliche Differenzierungszustände annehmen. In der Zona glomerulosa wird das Mineralokortikoid Aldosteron gebildet, wohingegen die Zona fasciculata und die Zona reticularis in der Lage sind, Kortisol und das adrenale Androgen Dehydroepiandrosteron (DHEA), unter dem Einfluss von Adrenokortikotropin (ACTH), zu bilden. Immunhistochemische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die Sulfotransferase, die für die Bildung von DHEA-Sulfat erforderlich ist, nur in der Zona reticularis vorhanden ist, sodass die adrenalen Androgene überwiegend in der Zona reticularis gebildet werden. Eine andauernde Stimulation der Nebennierenrinde mit ACTH führt zu einer Veränderung der Nebennierenrindenstruktur mit einer Ausdehnung der Zona reticularis, die schließlich bis zur Zona glomerulosa und vielfach bis zur Nebennierenrindenkapsel reichen kann. Kompensatorisches Wachstum. Nach dem Verlust einer Nebenniere kommt es zum kompensatorischen Wachstum der verbliebenen Nebenniere. Dieser Prozess unterbleibt bei hypophysektomierten Patienten. Diese Beobachtung legt nahe, dass ACTH für das Wachstum eine entscheidende Rolle spielt. Untersuchungen an Zellkulturen wie auch Tierexperimente zeigen jedoch, dass synthetisches ACTH ein Differenzierungsfaktor ist und lediglich die Steroidsekretion fördert, nicht aber das Wachstum der Nebennierenrinde. Es wird vermutet, dass N-terminale Fragmente des Proopiomelanokortins eine wesentliche Rolle für die adrenale Regeneration spielen (Fassnacht et al. 2003). Auch die Nebenniereninnervation ist für das Wachstum wesentlich: die unilaterale Reizung einer Nebenniere ist im Tierexperiment hinrei-
4
chend, um ein kompensatorisches Wachstum der kontralateralen Nebenniere zu induzieren. Kochsalzarme Diät führt zu einer Hypertrophie der Zona glomerulosa. Dieser Effekt kann auch durch chronische Angiotensin-II-Gabe erreicht werden. Weitere Faktoren, die das Wachstum der Nebenniere begünstigen sind adrenale Wachstumsfaktoren wie »insulin-like-growth-factor-I« (IGF-I), IGF-II und »basic fibroblast growth factor« (bFGF). 4.1.1.1 Adrenokortikale Steroidsynthese Alle Steroidhormone leiten sich vom Cholesterin ab. 80% des Cholesterins wird als LDL-Cholesterin über den LDL-Rezeptor in die Nebennierenzelle aufgenommen, ungefähr 20% entsteht in der Nebennierenrinde selbst. Die Synthese der Steroidhormone erfolgt über die sequenzielle Wirkung der Enzyme der Steroidbiosynthese, die mit Ausnahme der 3-β-Hydroxysteroiddehydrogenase (3-β-HSD) ausnahmslos Mitglieder der Zytochrom-P450Familie sind (CYP). Einen Überblick über die Steroidsynthese bei Menschen in der Nebennierenrinde und in der Körperperipherie gibt . Abb. 4.2. Jeder enzymatische Schritt in der adrenalen Steroidbiosynthese ist in der Zelle einem definierten Kompartiment zugeordnet (. Abb. 4.3). Der 1. Schritt der Glukokortikoidsynthese ist die Bildung von Pregnenolon durch die Wirkung des »Cholesterol-side-chaincleavage«-Enzyms (P450SCC, CYP11A1, Desmolase). Dieses Enzym sitzt auf der Innenseite der mitochondrialen Membran. Pregnelonon wird dann im Zytosol durch mikrosomal lokalisierte Enzyme in 11-Desoxykortisol umgewandelt. Hieran beteiligt sind die Enzyme 3-β-HSD, 17-α-Hydroxylase/17,20-Lyase (P450C17, CYP17) und die 21-Hydroxylase (P450C21, CYP21A2). Der letzte Schritt in der Kortisolbiosynthese ist die 11-β-Hydroxylierung, die durch die mitochondriale 11-β-Hydroxylase
Pregnenolon
Pregnenolon
. Abb. 4.2. Steroidbiosynthese in der Nebennierenrinde und periphere Hormonmodifikation
284
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.3. Intrazelluläre Kompartimentierung der Steroidbiosynthese
(P450C11, CYP11B1) erfolgt (. Abb. 4.3). Die 11-β-Hydroxylase, die zur Bildung des Kortisols erforderlich ist, zeigt eine hohe Homologie zur Aldosteronsynthase (P450C18, CYP11B2), besitzt jedoch nicht die Fähigkeit, Kortikosteron in Aldosteron umzuwandeln. Die Aldosteronsynthase, die in der Zona glomerulosa exprimiert und mitochondrial lokalisiert wird, ist für die Aldosteronbiosynthese essenziell und ein spezifischer Marker der Zona glomerulosa, die durch das Fehlen des Enzyms P450C17 nicht in der Lage ist, Kortisol und adrenale Androgene zu bilden. Die adrenalen Androgene DHEA und sein Sulfat DHEAS sind quantitativ neben dem Kortisol die Hauptsekretionsprodukte der Nebennierenrinde. Durch Sulfatasen und Sulfotransferasen können sie ineinander überführt werden. Sie dienen als Vorstufen für die Bildung von potenten Androgenen wie Testosteron und Dihydrotestosteron bzw. von Östrogenen wie Östradiol und Östron in der Körperperipherie (. Abb. 4.2). Die hierfür erforderlichen Enzyme 17-β-Hydroxysteroiddehydrogenase, 3-β-Hydroxysteroiddehydrogenase und 5-α-Reduktase sowie Aromatase werden in zahlreichen Geweben exprimiert, sodass DHEA einen wesentlichen Anteil an der Sexualsteroidproduktion des Menschen hat (Allolio u. Arlt 2002).
synthese stehen unter Kontrolle des Transkriptionsfaktors SF-1 (»steroidogenic factor 1«), der darüber hinaus eine kritische Bedeutung für die Entwicklung von Nebennieren und Gonaden besitzt. Ein weiterer wichtiger Transkriptionsfaktor für die Regulation der Nebennierenrindenfunktion ist DAX-1. DAX-1 bindet an den Promotor des StAR-Gens und hemmt außerdem die SF-1-Transkription. DAX-1 ist damit ein wesentlicher inhibitorischer Transkriptionsfaktor in der Nebennierenrinde (Stocco u. Clark 1996; Zazopoulos et al. 1997; Else u. Hammer 2005). 4.1.1.2 Störungen der Kortikosteroidbiosynthese Die häufigsten Störungen der Steroidbiosynthese entstehen durch Mutationen der für die Synthese von Steroiden erforderlichen Enzyme. Es handelt sich um autosomal-rezessiv vererbte Störungen, die als kongenitale adrenogenitale Syndrome (AGS) zusammengefasst werden können (Speiser u. White 2003; Dörr 1996). Man unterscheidet verschiedene Formen in Abhängigkeit von der Androgenproduktion: 4 AGS mit Androgenüberproduktion: 21-Hydroxylase- und 11-β-Hydroxylasedefekt 4 AGS ohne Androgenüberproduktion: 17-Hydroxylase/1720-Lyase, 3-β-Hydroxysteroiddehydrogenasedefekt
Regulation der Steroidsynthese. Die Aktivität der adrenalen
Steroidenzyme wird durch multiple Faktoren geregelt. Der für die Produktion von Steroidhormonen begrenzende Schritt (»rate limiting step«) besteht in dem Transfer des Cholesterins von der äußeren zur inneren Mitochondrienmembran, sodass durch »side-chain cleavage« die Umwandlung zum Pregnelonon stattfinden kann. Der entscheidende Faktor für diesen Schritt ist das StAR-Protein (»steroidogenic acute regulatory protein«). Die Stimulation von StAR ist in der Nebenniere ACTH abhängig. StAR und auch alle Enzyme der Steroid-
In weitaus der größten Zahl der Fälle (>90%) liegt ein Defekt der 21-Hydroxylase vor, gefolgt von Störungen der 11-β-Hydroxylase (5–8%). Der Defekt der 21-Hydroxylase tritt in unterschiedlichen Formen auf: 4 AGS mit Salzverlustsyndrom 4 Einfach virilisierendes AGS 4 »Late-onset«-AGS 4 Kryptisches AGS
285 4.1 · Pathophysiologie der Nebennieren
Das AGS mit Salzverlustsyndrom und das unkomplizierte AGS bilden die klassischen Formen, das »Late-onset«-AGS und das kryptische AGS werden als nicht-klassische Formen bezeichnet. Liegt ein Salzverlustsyndrom vor, so fehlt eine 21-Hydroxylaseaktivität auch in der Zona glomerulosa, sodass die Aldosteronbiosynthese gestört ist, beim unkomplizierten AGS ist nur die Kortisolbiosynthese signifikant beeinträchtigt. Klinisch sind die Übergänge zwischen beiden Formen fließend. 21-Hydroxylasedefekt. In der deutschen Bevölkerung geht man
von einer Heterozygotenfrequenz von ca. 1:55 aus. Der Genort für die 21-Hydroxylase liegt auf dem kurzen Arm des 6. Chromosoms, wobei 2 dicht beieinanderliegende Gene existieren, ein aktives Gen B, das spezifisch die 21-Hydroxylase kodiert, und ein inaktives Pseudogen A (CYP21-B oder CYP21-A). Die enge Nachbarschaft des Pseudogens mit dem aktiven Gen spielt eine wichtige Rolle für die Häufigkeit der Gendefekte. Durch die Hemmung der 21-Hydroxylase kommt es zu einer Anreicherung von Kortikosteroidvorstufen mit der verstärkten Bildung von adrenalen Androgenen als Folge der kompensatorischen Erhöhung des ACTH (. Abb. 4.2). Aufgrund der bereits in utero stattfindenden Virilisierung haben die weiblichen AGS-Neugeborenen bei der Geburt ein intersexuelles Genitale. Das innere Genitale der AGS-Mädchen ist dabei immer weiblich. Ohne Therapie kommt es durch die erhöhten adrenalen Androgene zur Pseudopubertas praecox mit vorzeitigem Epiphysenschluss, sodass die Patienten kleinwüchsig bleiben. Unbehandelte Mädchen bleiben ohne Therapie primär amenorrhoisch durch die Suppression der Gonadenachse durch die hohen Androgenspiegel. Bei Salzverlustsyndrom setzt eine lebensbedrohliche Salzverlustkrise in der Regel zwischen der 2. und 3. Lebenswoche ein, verbunden mit Trinkschwäche, Erbrechen, Elektrolytveränderungen, Exsikkose und metabolischer Azidose. Unbehandelt oder unzureichend behandelt begünstigt der 21-Hydroxylasemangel das Auftreten von bilateralen hyperplasiogenen Nebennierenknoten (Jaresch et al. 1992). Beim 11-β-Hydroxylasemangel (CYP11B1-Mangel) ist sowohl die Glukokortikoid- als auch die Mineralokortikoidbiosynthese gestört (. Abb. 4.2). In der Regel tritt jedoch kein Salzverlustsyndrom auf, da das vermehrt produzierte Desoxykortikosteron (DOC) aufgrund seiner mineralokortikoiden Aktivität den Aldosteronmangel kompensiert. Bei den meisten Patienten entwickelt sich bereits in den ersten Lebensjahren eine arterielle Hypertonie die zu sekundären Organschäden führen kann. 11-β-Hydroxylasedefekt.
3-β-Hydroxysteroiddehydrogenasedefekt. Bei diesem Defekt können Mineralokortikoide und Glukokortikoide nicht gebildet werden, sodass ein Salzverlustsyndrom und eine Nebennierenrindeninsuffizienz auftreten können. Durch die stark erhöhten DHEA-Konzentrationen können leichte Virilisierungszeichen bei Mädchen auftreten. Bei Jungen kann sich eine Hypospadie entwickeln, da auch die Testosteronsynthese in den Testes betroffen ist. 17-Hydroxylase-17-20-Lyasedefekt. Der 17-Hydroxylase-1720-Lyasedefekt ist durch eine vermehrte Produktion von DOC und Kortikosteron geprägt. Die gesteigerte Mineralokortikoidwirkung durch diese Verschiebung der Kortikosteroidsynthese führt zu Hypertonie, Hypernatriämie und hypokaliämischer Al-
4
kalose. Da weder genügend Östrogene noch Androgene gebildet werden können, ist die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale unzureichend. Es zeigt sich die Konstellation eines hypergonadotropen Hypogonadismus. Männliche Neugeborene fallen, wenn überhaupt, durch ein intersexuelles Genitale auf. Bei Mädchen liegt eine primäre Amenorrhö vor (Doerr 1996). Kongenitale Lipoidhyperplasie. Bei der kongenitalen Lipoid-
hyperplasie ist die Biosynthese aller Steroide einschließlich der Sexualhormone in den Gonaden auf der frühesten Stufe blockiert. Daneben kommt es zu einer massiven Anreicherung von Cholesterin in der Nebennierenrinde, sodass man auffallend große und lipidreiche Nebennieren findet. Bei diesen Patienten liegt eine inaktivierende Mutation im Gen für das StAR-Protein vor (Stocco u. Clark 1996). Interessanterweise führen auch inaktivierende Mutationen des menschlichen DAX-1-Gens zu einer Störung der Nebennierenfunktion im Sinne einer angeborenen Nebennierenhypoplasie mit Nebennierenrindeninsuffizienz und gleichzeitig vorliegendem hypogonadotropen Hypogonadismus. Die genaue pathophysiologische Basis für diese Entwicklungsstörung ist nicht aufgeklärt. Die Konsequenzen eines inaktivierenden Defektes im SF-1-Gen sind bisher für den Menschen nicht beschrieben worden. Legt man die Erfahrungen von Knock-out-Experimenten zugrunde, so ist auch in diesem Falle von einer schweren angeborenen Nebennierenrindeninsuffizienz in Verbindung mit einem Hypogonadismus auszugehen (Zanaria et al. 1994). 4.1.1.3 Enzymeffekte durch Pharmaka Die Enzymblockade durch Pharmaka kann einerseits das erwünschte Ergebnis einer Therapie der Nebennierenüberfunktion sein, zum anderen als unerwünschte Nebenwirkung auftreten. Adrenale Enzymblockaden treten beispielsweise bei der Anwendung von Ketoconazol und Etomidat auf. Klinisch relevante Blockaden werden unter Ketoconazol in der Regel erst bei Dosierungen über 600 mg erreicht, im Einzelfall können sie jedoch auch schon bei niedrigeren Dosierungen auftreten. Das als Kurznarkotikum eingesetzte Etomidat führt über mehrere Stunden zu einer reversiblen Blockade der 11-β-Hydroxylase und auch der Desmolase. Cave Die längerfristige Anwendung von Ketoconazol und Etomidat kann im Einzelfall zu einer gravierenden Nebennierenrindeninsuffizienz führen. Weitere Substanzen, die zur Enzymblockade führen können, sind Metyrapon und Aminoglutethimid (Allolio et al. 1996).
4.1.1.4 Regulation der Glukokortikoid- und Mineralokortikoidsekretion Regulation der Glukokortikoidsekretion. Die Kortisolsekretion steht unter der Kontrolle des aus den kortikotropen Zellen der Hypophyse stammenden ACTH, das seinerseits unter hypothalamischer Kontrolle steht. Die wichtigsten hypothalamischen Releasing-Hormone sind das Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH) und das Vasopressin. Der Hypothalamus steht wiederum unter dem Einfluss multipler neuraler und anderer Stimuli. Kortisol wirkt im Sinne einer negativen Rückkopplung sowohl auf die hypothalamische CRH-Sekretion als auch auf die hypophysäre ACTH-Sekretion zurück. Auf diese Weise entsteht ein geschlossener Regelkreis. Die Freisetzung der hypothalamischen
286
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.4. Kaskadenaktivierung der adrenalen Steroidproduktion durch ACTH
Releasing-Faktoren in das hypothalamisch-hypophysäre Portalvenenblut erfolgt pulsatil, konsekutiv ist die ACTH-Sekretion episodisch, und auch die adrenale Kortisolsekretion erfolgt in pulsatiler Weise, wobei die Sekretionspulse einen Tagesrhythmus überlagern mit einem Sekretionsmaximum in den frühen Morgenstunden und einem Sekretionsnadir in den späten Abendstunden. ACTH wird aus der Vorstufe Proopiomelanokortin abgespalten und kontrolliert neben der Kortisolsekretion auch die adrenale Androgensekretion. Darüber hinaus steigert ACTH kurzfristig die Sekretion von Mineralokortikoiden aus der Zona glomerulosa. ACTH bindet an den adrenalen ACTH-Rezeptor einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor mit konsekutiver Aktivierung der Adenylatzyklase. Der ACTH-Rezeptor ist ein Mitglied der Melanokortinrezeptoren (MC2-Rezeptor). Die längerfristige Aktivierung führt zu einer Steigerung der Expression wichtiger steroidsynthetisierender Enzyme. Eine ungewöhnliche Eigenschaft des ACTH-Rezeptors besteht darin, dass er seine eigene Expression fördert, sodass es unter ACTH-Gabe zu einer Hochregulation des ACTH-Rezeptors kommt. Auch Kortisol selbst begünstigt die Expression des ACTH-Rezeptors. Die Stimulation der Nebenniere mit ACTH führt daher innerhalb von kurzer Zeit zu einer Kaskadenaktivierung der adrenalen Steroidproduktion (. Abb. 4.4). Umgekehrt wird verständlich, dass mit dem Ausfall der ACTH-Sekretion sich rasch eine verminderte adrenale Reagibilität einstellt. Inaktivierende Mutationen des ACTHRezeptors führen zum familiären Glukokortikoidmangel, einer seltenen autosomal-rezessiven Erkrankung, die durch einen angeborenen Glukokortikoidmangel bei intakter Mineralokortikoidsekretion gekennzeichnet ist (Clark et al. 2005). Eine andere Form der ACTH-Resistenz ist durch Mutationen im MRAP Gen bedingt. Das MRAP-Protein ist notwendig für den Einbau des ACTH-Rezeptors in die Zellmembran (Clark et al. 2005). Regulation der Mineralokortikoidsekretion. Die wichtigsten Mineralokortikoide sind Aldosteron und Desoxykortikosteron (DOC), wobei DOC nur über etwa 5% der mineralokortikoiden Aktivität von Aldosteron verfügt. Die Aldosteronsekretion ist
durch vielfältige regulatorische Interaktionen beeinflusst. Die entscheidenden Regulatoren sind das Renin-Angiotensin-System und das Kaliumion. Renin aus den juxtaglomerulären Zellen der Niere ist ein Enzym, das Angiotensinogen spaltet, sodass das Dekapeptid Angiotensin I entsteht. Angiotensin I wird durch das Angiotensin-Converting-Enzym (ACE) weiter in das Oktapeptid Angiotensin II umgewandelt. Die Abspaltung des N-terminalen Asparaginrestes führt zum Angiotensin III, das ebenso wie Angiotensin II die Aldosteronsekretion stimuliert, aber weniger vasopressorisch wirkt. Die Reninfreisetzung wird durch den Blutdruck in den renalen Arteriolen und die Natriumkonzentration beeinflusst. Verminderungen des renalen Blutflusses (Hämorrhagie, Dehydratation, Salzrestriktion, Orthostase, Nierenarterienstenose etc.) führen zu einem Anstieg der Plasmareninaktivität. Aldosteron hemmt die Reninfreisetzung durch die gesteigerte Natriumrückresorption und die damit verbundene Expansion des Plasmavolumens. Eine Hypokaliämie steigert, eine Hyperkaliämie vermindert die Reninfreisetzung. Ebenso besteht eine Beziehung zwischen Serumkalium und Aldosteronkonzentration. Kalium steigert direkt die Aldosteronsekretion der Zona glomerulosa, während Aldosteron die Serumkaliumkonzentration über eine gesteigerte renale Ausscheidung verringert (Orth u. Kovacs 1998). Regulation der Androgensekretion. Sie ist bisher nicht völlig aufgeklärt. Durch ACTH-Gabe lässt sich die Sekretion von DHEA und DHEAS akut steigern. Auf der anderen Seite kommt es altersabhängig zu einer Abnahme der adrenalen DHEA(S)Sekretion, die im Alter von 80 Jahren nur noch 10–20% der Sekretion im jungen Erwachsenenalter ausmacht, während die ACTH- und die Kortisolsekretion altersunabhängig unverändert bleiben. Es wird postuliert, dass es durch adrenale Altersvorgänge zu Änderungen in der Regulation des adrenalen Enzymmusters kommt, die insbesondere die Funktion der 17/20-Lyase (CYP17) beeinflusst (Orentreich et al. 1984).
4.1.1.5 Wirkungen der Kortikosteroidhormone Auf zellulärer und molekularer Ebene werden die Glukokortikoideffekte durch eine Stimulation oder Inhibition der Transkriptionsrate von hormonresponsiven Zielgenen bewirkt (Bamberger et al. 1996). Während die meisten metabolisch und kardiovaskulär relevanten Zielgene durch Glukokortikoide stimuliert werden (z. B. Schlüsselenzyme der Glukoneogenese), erfahren die für die Immunantwort wesentlichen Gene meist eine Inhibition. Die Glukokortikoidwirkung wird über den ubiquitär exprimierten Glukokortikoidrezeptor, ein im Zytosol lokalisiertes Protein, vermittelt. Im unligierten Zustand befindet sich dieser Rezeptor im Zytosol und ist an einen größeren Komplex aus sog. Hitzeschockproteinen gebunden. Diese fungieren als Chaperone und garantieren die korrekte dreidimensionale Struktur des Rezeptors. Glukokortikoide binden an die Hormonbindungsdomäne des Glukokortikoidrezeptors. Durch diese Bindung erfährt der Rezeptor eine Konformationsänderung, die zur Abspaltung der Hitzeschockproteine führt. Der Rezeptor kann jetzt in den Zellkern transloziert werden, wo er die Gentranskription im Wesentlichen auf 2 Arten beeinflusst, die als Typ 1 und Typ 2 der Glukokortikoidwirkung bezeichnet werden können (. Abb. 4.5). 4 Der Typ-1-Mechanismus stellt den klassischen Wirkmechanismus dar und resultiert in der Regel in einer Steigerung der Transkriptionsrate. Für diesen Effekt sind eine Dimerisierung von 2 Rezeptormolekülen und eine Bindung an eine spezifische DNA-Sequenz der Promotorregion des glukokortikoid-
287 4.1 · Pathophysiologie der Nebennieren
. Abb. 4.5. Vereinfachtes Modell der Wirkung des Glukokortikoidrezeptors auf die Transkription. Im Zellkern wirkt der aktivierte Glukokortikoidrezeptor über unterschiedliche Mechanismen; der Rezeptor bindet entweder an Glukokortikoid-Response-Elemente (links) oder interagiert mit anderen Transkriptionsfaktoren (rechts). (Bamberger et al. 1996)
empfindlichen Gens erforderlich. Durch diese Bindung wird eine Steigerung der Transkriptionsrate bewirkt mit einer vermehrten Produktion des Zielproteins. 4 Der Typ-2-Mechanismus betrifft inhibitorisch beeinflusste Gene und somit insbesondere Gene von inflammatorischer bzw. immunologischer Bedeutung. Es konnte gezeigt werden, dass der aktivierte Glukokortikoidrezeptor bei diesen Genen den stimulierenden Effekt anderer Transkriptionsfaktoren (AP1 und NFκB) antagonisieren kann ohne selbst direkt an die DNA zu binden. Eine Dimerisierung ist hierfür nicht erforderlich. Das verbesserte Verständnis der Glukokortikoidwirkung führte zur Entwicklung selektiver Glukokortikoidrezeptor-Agonisten (SEGRA) mit bevorzugt antiinflammatorischer Wirkung (Song et al. 2005). Aldosteron kann an 2 Rezeptoren binden (Typ 1 und Typ 2), wobei der Typ-2-Rezeptor dem Glukokortikoidrezeptor entspricht. Aldosteron bindet mit hoher Affinität an den Typ 1 und mit niedrigerer Affinität an den Typ 2. Der Typ-1-Rezeptor ist in vitro wenig spezifisch, Aldosteron und Kortisol binden mit gleicher Affinität an diesen Rezeptor. Die Spezifität des Typ-1-Rezeptors erfordert die Gegenwart der 11-β-Hydroxysteroiddehydrogenase (11-β-HSD). Die 11-β-HSD inaktiviert Kortisol zum Kortison, das nicht mehr in der Lage ist, an den Typ-1-Rezeptor zu binden, sodass auf diese Weise die Spezifität dieses Rezeptors für Aldosteron gesichert wird (Funder 1995). Ein spezifischer Rezeptor für DHEA bzw. DHEAS ist bisher nicht gefunden worden. Es wird daher angenommen, dass alle biologischen Wirkungen dieser Steroide erst nach der Konversion in wirksame Sexualsteroide möglich sind. Allerdings gibt es experimentelle Daten für einen spezifischen membranständigen Rezeptor (Widstrom u. Dillon 2004). 4.1.1.5.1 Wirkungen der Glukokortikoide Glukokortikoide steigern die Glukoneogenese und hemmen die periphere Glukoseaufnahme. Sie aktivieren die Lipolyse im Fettgewebe und beeinflussen die Verteilung des Fettgewebes. Diese Wirkungen begünstigen das Auftreten eines Diabetes mellitus bei Hyperkortisolismus und die charakteristische Umverteilung mit stammbetonter Adipositas beim Cushing-Syndrom. Glukokorti-
4
koide supprimieren immunologische und inflammatorische Aktivität, sodass sie als Immunsuppressiva und antiinflammatorische Substanzen eingesetzt werden. Es kommt zu einer Abnahme der Lymphozytenzahl, zur Apoptose der Lymphozyten, wobei insbesondere T-Zellen und weniger ausgeprägt B-Zellen beeinflusst werden. Die Produktion von Zytokinen (z. B. Interleukin 2) wird supprimiert. Die Anzahl der Eosinophilen im Blut nimmt ab, während es zu einer Zunahme der Zahl an Granulozyten kommt. Glukokortikoide haben darüber hinaus einen ausgeprägten katabolen Effekt. Die Funktion von Fibroblasten, Osteoblasten und Muskelzellen wird beeinträchtigt. Die Synthese von Komponenten der extrazellulären Matrix, wie Kollagen, ist verringert. Das Ergebnis ist eine Beeinträchtigung der Wundheilung, eine geringere Stabilität des Bindegewebes, eine Verminderung der Muskelmasse und eine Osteoporose, wenn ein Hyperkortisolismus vorliegt. Glukokortikoide verringern die Kalziumaufnahme aus dem Darm und steigern die renale Kalziumausscheidung. Insbesondere in höherer Konzentration hat Kortisol auch eine deutliche Mineralokortikoidwirkung und kann zu Natriumretention und Hypokaliämie führen (Orth u. Kovacs 1998). Glukokortikoide beeinflussen darüber hinaus das Zentralnervensystem und können sowohl euphorisierende wie auch depressive Stimmungsschwankungen auslösen. Beim Hyperkortisolismus sind Depressionen, manisches Verhalten und offene Psychosen möglich. Im Glukokortikoiddefizit beobachtet man Apathie und Somnolenz. Glukokortikoide spielen nicht nur eine wichtige Rolle für die Synthese des Adrenalins über die PNMT, sie beeinflussen auch die Expression von Adrenozeptoren im kardiovaskulären System (Allolio et al. 1994). Im Glukokortikoidmangel können daher die Patienten eine katecholaminrefraktäre Hypotonie entwickeln. Auch die Wasserausscheidung ist bei Patienten im Glukokortikoidmangel verringert. Ein Glukokortikoidmangel kann zum Bild der inadäquaten ADH-Sekretion mit Hyponatriämie führen (Oelkers 1989). 4.1.1.5.2 Wirkungen der Mineralkortikoide Die Wirkungen der Mineralokortikoide erstrecken sich auf die Nierentubuli, die Schweißdrüsen und die Speicheldrüsen sowie auf das Darmepithel. Es kommt zu einer Natriumretention und damit zu einer Hypervolämie, die längerfristig blutdrucksteigernd wirkt. Da vermehrt Kaliumionen in das Tubuluslumen ausgeschieden werden, bewirkt eine vermehrte Sekretion von Mineralokortikoiden eine Hypokaliämie. Diese Elektrolytverschiebungen werden durch die Aldosteroneffekte auch am distalen Tubulus der Niere vermittelt. 4.1.1.6 Transport und Stoffwechsel Kortisol liegt im Serum überwiegend in gebundener Form vor, wobei etwa 90% an das Transkortin (kortisolbindendes Globulin) gebunden sind, während 6% an Albumin gebunden vorliegen. Man geht davon aus, dass nur die freie Kortisolfraktion biologisch wirksam ist, obgleich sich zunehmend Hinweise finden, dass kortisolbindendes Globulin über seinen Transportcharakter hinaus biologische Funktionen besitzt (Rosner 1990). Bei einer Konzentration von 25 μg/dl sind die Transkortinbindungsstellen weitgehend abgesättigt, sodass bei höheren Kortisolkonzentrationen im Serum der Anteil an freiem Kortisol überproportional ansteigt. Aldosteron liegt etwa zu 60% an Eiweiß gebunden vor, wobei der größte Anteil an Albumin gebunden ist und etwa 20% an das Transkortin gebunden vorliegen. Die freie Fraktion beträgt ca. 40%.
288
4
Kapitel 4 · Nebennieren
Der Abbau der Nebennierenrindenhormone erfolgt überwiegend in der Leber, in geringerem Umfange auch in der Niere. Nur etwa 0,5% wird als freies Kortisol ausgeschieden. Ebenso wie Kortisol wird Aldosteron überwiegend in der Leber inaktiviert. Aldosteron-18-Glukuronid entsteht durch die direkte Konjugierung des nicht reduzierten Aldosterons und ist ein Maß für die Aldosteronsekretion bei Patienten mit Hyperaldosteronismus. Bei Patienten mit Leberzirrhose und Aszites sind die Aldosteronkonzentrationen deutlich erhöht, da die Metabolisierung des Aldosterons eingeschränkt ist. 4.1.1.7 Nebennierenrindenknoten, Nebennierenrindenadenome Eine fokale noduläre Proliferation von Nebennierenrindenzellen ist ein häufiger Befund bei Sektionen. Die Inzidenz dieser Knoten nimmt mit zunehmendem Lebensalter zu und ist häufiger bei arterieller Hypertonie und vaskulären Erkrankungen. Diese Knoten sind meistens multipel und bilateral und besitzen überwiegend einen Durchmesser unter 1 cm, können aber eine Größe bis 2 und 3 cm erreichen. Sehr oft entstehen sie in der äußeren Zona fasciculata.
Die noduläre Hyperplasie der Nebenniere wird als eine Manifestation der alternden Nebenniere angesehen.
Hierzu passt die Beobachtung, dass das Auftreten von Nebennierenknoten häufig mit einer Arteriopathie der Kapselgefäße einhergeht. Die Knoten sind daher als fokale Hyperplasie nach fokaler Ischämie erklärt worden (Dobbie 1969). Neuere Untersuchungen sprechen jedoch dafür, dass zumindest bei größeren Nebennierenknoten in der Mehrzahl von Adenomen ausgegangen werden muss. Hierfür spricht, dass die Knoten ganz überwiegend monoklonalen Charakter haben und damit Ausdruck einer klonalen Expansion nach somatischen Onkogenmutationen sind. Tumoren der Nebennierenrinde, wie sie mit der Computertomographie zunehmend häufiger nachgewiesen werden, stellen somit überwiegend echte Neoplasien dar, daneben aber auch fokale noduläre Hyperplasien, insbesondere bei kleineren Knoten (Mansmann et al. 2004). Die Pathogenese von Nebennierenrindenadenomen folgt dem Prinzip eines Mehr-Schritt-Geschehens. Die Tumorentwicklung wird in der Regel durch eine somatische Neumutation in einem die Zellproliferation kontrollierenden Gen eingeleitet. Diese initiale Mutation wird als Tumorinitiation bezeichnet und betrifft proliferationsfördernde Protoonkogene, die durch diese Mutation konstitutiv aktiviert werden und hierdurch zu Onkogenen werden, oder proliferationshemmende Gene (Tumorsuppressorgene), die durch die Mutation inaktiviert werden. Hierdurch erhält eine Zelle des Gewebeverbandes einen selektiven Wachstumsvorteil. Nachfolgende Mutationen in anderen Onkogenen zusammen mit parakrinen und autokrinen Wachstumsfaktoren führen schließlich zur Expansion dieses Zellklons (Tumorpromotion), bis sich ein neoplastischer Zellverband u. U. mit malignem Phänotyp entwickeln kann. Dieses Konzept wird durch familiäre Tumorsyndrome, die mit der Ausbildung von Nebennierenrindentumoren einhergehen, gestützt. Beim Li-Fraumeni-Syndrom werden neben Nebennierenrindenkarzinomen auch Mammakarzinome, Sarkome und Gliome beobachtet. Die molekulare Basis der Erkrankung
besteht in einer Keimbahnmutation im TP53-Tumorsuppressorgen bei den betroffenen Familienmitgliedern. Eine TP53-Keimbahnmutation, die spezifisch zur Entwicklung von Nebennierenrindenkarzinomen führt, ist für die hohe Inzidenz dieses Malignoms in Brasilien ursächlich (Ribeiro et al. 2002). Beim Beckwith-Wiedemann-Syndrom kommt es zu einer Hypersekretion von IGF-II, sowohl lokal als auch systemisch. Der Phänotyp ist charakterisiert durch Makroglossie, Gigantismus, Hypoglykämien und Viszeromegalie. Es besteht ein erhöhtes Risiko nicht nur für die Entwicklung von Nebennierenrindenkarzinomen, sondern auch von Wilms-Tumoren (Reincke u. Allolio 1997). Patienten mit multipler endokriner Neoplasie Typ 1 (MEN 1) entwickeln neben einer Hyperplasie der Nebenschilddrüsen auch Tumoren des endokrinen Pankreas und des Hypophysenvorderlappens und in ca. 40% der Nebennierenrinde. Molekularbiologische Untersuchungen haben andrerseits gezeigt, dass Mutationen im Menin-Gen bei zufällig entdeckten Nebennierentumoren keine Rolle spielen (Heppner et al. 1999). Im Vergleich zu anderen endokrinen Tumoren ist das Verständnis der adrenalen Tumorgenese immer noch lückenhaft. Die meisten Daten liegen zum Nebennierenrindenkarzinom vor, während für Nebennierenadenome meist »negative« Befunde publiziert wurden. So wurde ein Allelverlust der chromosomalen Loki 11p15.5, 11q13, 13q und 17p regelmäßig bei Nebennierenrindenkarzinomen, nicht aber bei gutartigen Tumoren der Nebennierenrinde gefunden. Rearrangements des Lokus 11p15 mit Überexpression von IGF-II wurde bei über 90% der Nebennierenrindenkarzinome aber nur bei 2 von 17 benignen Adenomen nachgewiesen (Giordano et al. 2003). Mutationen in der Familie der Ras-Onkogene fanden sich weder in Karzinomen noch in Adenomen. Die Suche nach Veränderungen durch komparative genomische Hybridisierung zeigte, dass bei Nebennierenrindenkarzinomen und sehr großen Nebennierenrindenadenomen auffällig viele, über das Genom verteilte Duplikationen und relativ weniger Allelverluste nachweisbar waren (Sidhu et al. 2004; Reincke 1998). Besonderes Interesse hinsichtlich der Tumorgenese fanden der ACTH-Rezeptor und der Angiotensin-II-Rezeptor als Schlüsselrezeptoren der Nebennierenrinde und Kandidatengene für die adrenale Tumorgenese. Es konnten allerdings bisher in keinem Falle aktivierende Mutationen gefunden werden (Latronico et al. 1995). Interessanterweise zeigte sich, dass bei manchen rascher wachsenden Tumoren ein Allelverlust eines ACTH-Rezeptorallels beobachtet wurde. Dies unterstützt die Annahme, dass ACTH weniger ein mitogener Faktor als ein Differenzierungsfaktor ist (Beuschlein et al. 2001). Bei Nebennierenrindenkarzinomen finden sich häufiger Mutationen des TP53-Tumorsuppressorgens, in Adenomen werden solche Mutationen nur ausnahmsweise nachgewiesen (Reincke 1998). Eine mögliche pathophysiologische Rolle in der adrenalen Tumorgenese wird auch für adrenale Enzymdefekte postuliert. Patienten mit adrenogenitalem Syndrom entwickeln insbesondere bei inadäquater Behandlung makronodulär veränderte Nebennieren, und unbehandelte Patienten mit AGS haben ein höheres Risiko für das Auftreten eines Nebennierenrindenkarzinoms. Neuere Genanalysen in zufällig entdeckten Tumoren haben nur eine geringgradig erhöhte Mutationsrate im 21-Hydroxylasegen nachweisen können, sodass Enzymdefekte für die Pathogenese der meisten Nebennierentumoren keine Rolle zu spielen scheinen (Beuschlein et al. 1998).
289 4.1 · Pathophysiologie der Nebennieren
Patienten mit Nebennierentumoren zeigen häufig eine arterielle Hypertonie, eine Adipositas, eine pathologische Glukosetoleranz bis hin zum Diabetes mellitus Typ II. Dies sind Charakteristika des metabolischen Syndroms. Verschiedene Untersucher konnten zeigen, dass Patienten mit Nebennierentumoren eine Insulinresistenz und eine Hyperinsulinämie aufweisen. Es ist damit denkbar, dass Nebennierentumoren eine Manifestation des metabolischen Syndroms darstellen. Der Hyperinsulinismus könnte an der Nebenniere mitogen über den Insulinrezeptor als auch über IGF-Rezeptoren erfolgen. . Abb. 4.6 gibt eine schematische Darstellung zur Nebennierenkarzinomgenese (Reincke 1998). 4.1.1.8 Unterfunktion der Nebennierenrinde 4.1.1.8.1 Einteilung Je nach dem Ort der Schädigung spricht man von einer primären, sekundären oder tertiären Nebennierenrindeninsuffizienz. Bei der primären NNR-Insuffizienz liegt die Störung auf der Ebene der Nebenniere selbst, bei der sekundären NNR-Insuffizienz kommt es zum Ausfall der hypophysären ACTH-Sekretion, bei der tertiären NNR-Insuffizienz ist die hypothalamische ReleasingHormon-Sekretion ausgefallen bzw. die Releasing-Hormone erreichen nicht mehr die kortikotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens (z. B. durch Kompression des Hypophysenstiels durch einen suprasellären Tumor; . Abb. 4.7). Bei der primären NNR-Insuffizienz liegt fast immer ein Ausfall sämtlicher NNR-Hormone vor. Konsekutiv kommt es daher zu einer gesteigerten Sekretion von ACTH bzw. zu einer Erhöhung der Plasmareninaktivität. Die Steigerung der ACTH-Sekretion führt zu einer verstärkten Pigmentierung der Haut und der Schleimhäute, die durch die Melanozyten stimulierende Aktivität (MSH-Aktivität) des ACTH bedingt ist. Die ersten 13 Aminosäuren des ACTH entsprechen denen des α-MSH, das ein hochwirksamer Ligand des MC1-Rezeptors ist, der der wichtigste Melanokortinrezeptor in den Melanozyten ist. Da bei sekundärer und tertiärer NNR-Insuffizienz ein ACTH-Defizit vorliegt, ist die Haut dieser Patienten blass. Die Dunkelpigmentierung der Haut erfordert eine chronische NNR-Insuffizienz und fehlt, wenn sich die NNR-Unterfunktion rasch entwickelt hat. Da die Aldosteronsekretion überwiegend über das Renin-Angiotensin-System gesteuert wird, bleibt sie bei einem Ausfall der hypophysären ACTH-Sekretion weitgehend intakt. Ein sekundärer Hypoaldosteronismus kann als hyporeninämischer Hypoaldosteronismus insbesondere bei lange bestehendem Diabetes mellitus mit Spätsyndrom beobachtet werden. 4.1.1.8.2 Folgen des Hormondefizits Glukokortikoiddefizit. Ein Kortisolmangel begünstigt das Auftreten von spontanen Nüchternhypoglykämien, da die glukoneogenetische und insulinantagonistische Wirkung des Kortisols entfällt. Daneben entwickeln sich eine Anorexie, eine Adynamie und eine gesteigerte Müdigkeit, die wesentlich durch das Fehlen einer ZNS-Wirkung des Kortisols mitbedingt sind (Arlt u. Allolio 2003). Da die Expression von β-Adrenozeptoren glukokortikoidabhängig ist, entwickelt sich eine kardiovaskuläre Dysfunktion, die durch Hypotonie und diastolische Funktionsstörungen des Herzens gekennzeichnet ist, die unzureichend auf Katecholamine ansprechen. Manche Symptome des Glukokortikoiddefizites wie rheumatiforme, myalgische Beschwerden und Kraft-
. Abb. 4.6. Modell der Nebennierenkarzinompathogenese. (Reincke 1998) LOH »loss of heterozygosity«
. Abb. 4.7. Formen der Nebennierenrindeninsuffizienz. Normale Nebennierenrindenfunktion, primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (oben), sekundäre und tertiäre Nebennierenrindeninsuffizienz (unten)
4
290
Kapitel 4 · Nebennieren
losigkeit sind pathophysiologisch nicht vollständig geklärt. Der Ausfall der Kortisolsekretion kann insbesondere bei Stress zum Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion führen, mit Hyponatriämie durch Wasserretention (Oelkers 1989).
4
Mineralokortikoiddefizit. Der Ausfall der Mineralokortikoidwirkung führt zu einer gesteigerten Natriurese und damit verbunden zu einer Hypovolämie mit einer Verringerung des intravasalen Volumens und konsekutiver Hypotonie und Dehydratation bis hin zum Schock. Die Kaliumretention führt zur Hyperkaliämie, die bedrohliche Arrhythmien begünstigt. Androgendefizit. Die Bedeutung des Ausfalls der adrenalen Androgene ist bisher nicht vollständig verstanden. Bei Frauen kommt es zu einem Absinken der zirkulierenden Androgenspiegel mit einem Verlust der sekundären Sexualbehaarung und einem Libidodefizit (Arlt et al. 1999). Die Bedeutung der adrenalen Androgene für den Mann ist bisher nicht aufgeklärt. Da die Androgenproduktion überwiegend über die Testes erfolgt, wird ein Androgenmangel nicht manifest. Adrenale Krise. Die gravierendste Form der Nebennierenrindeninsuffizienz ist die adrenale Krise, die typischerweise bei noch nicht diagnostizierter NNR-Insuffizienz auftritt. Patienten mit primärer NNR-Insuffizienz sind häufiger betroffen, weil hier in der Regel Mineralokortikoiddefizit und Glukokortikoiddefizit zusammenwirken: Die Kombination von Volumenkontraktion und verminderter adrenerger Reagibilität begünstigen das Auftreten eines lebensbedrohlichen Schocks. Das Mineralokortikoiddefizit ist dabei von sehr großer Bedeutung, sodass eine alleinige Glukortikoidsubstitution therapeutisch nicht ausreichend ist. Bei hochdosierter Gabe von Kortisol ist allerdings die Mineralokortikoidaktivität des Kortisols ausreichend, um auch das bestehende Mineralokortikoiddefizit auszugleichen. Fast immer entsteht die Krise durch ein auslösendes Ereignis, das beim Gesunden mit einer Steigerung der Kortisol- und Aldosteronsekretion einhergeht: Typische Beispiele sind gravierende Infektionen, Operationen oder größere Volumenverluste (Erbrechen, Durchfall; Arlt u. Allolio 2003).
4.1.1.8.3 Pathogenese
anderer Organe einher. Eine andere Störung ist die Adrenoleukodystrophie, eine seltene, X-chromosomal rezessiv vererbte Stoffwechselstörung, bei der der Abbau langkettiger Fettsäuren (besonders C26) gestört ist. Neben der Beeinträchtigung der Nebennierenrindenfunktion liegen Störungen des zentralen Nervensystems vor, die sich als Spastik, distale Polyneuropathie und Demenz manifestieren können. Es kommt zu einer Anhäufung der langkettigen Fettsäuren auch in der Nebennierenrinde. Eine Zerstörung der Nebennierenrinde ist auch durch disseminierte Pilzinfektionen und Virusinfektionen insbesondere in Verbindung mit AIDS möglich, wo bevorzugt Zytomegalieinfektionen zur NNR-Insuffizienz führen können. SekundäreNebennierenrindeninsuffizienz. Ursachen der sekundären NNR-Insuffizienz sind am häufigsten große Hypophysentumoren und Kraniopharyngeome, die zu einer Zerstörung der kortikotropen Zellen der Hypophyse führen. Seltenere Ursachen sind die lymphozytäre Hypophysitis, Metastasen oder Aneurysmen. Ein Hypophyseninfarkt kann in Verbindung mit einem starken Blutverlust bei Entbindung auftreten (Sheehan-Syndrom). Ein isolierter hypophysärer ACTH-Mangel ist dabei selten. Meist liegen gleichzeitige Störungen der Gonadotropinund der TSH-Sekretion vor. Gelegentlich wird ein isolierter ACTH-Mangel in Verbindung mit einer Autoimmunthyreoiditis vom Typ Hashimoto beobachtet, sodass eine selektive Zerstörung der kortikotropen Zellen im Rahmen eines Autoimmunprozesses angenommen werden muss. Tertiäre Nebennierenrindeninsuffizienz. Bei weitem die häufigste Ursache der tertiären NNR-Insuffizienz ist iatrogener Natur. Meist handelt es sich um einen Zustand nach langfristiger Glukokortikoidtherapie, die zu einer anhaltenden Suppression der hypothalamischen CRH-Neurone führt. Auch nach erfolgreicher chirurgischer Therapie eines endogenen CushingSyndroms folgt regelhaft eine anhaltende Phase einer tertiären Nebennierenrindeninsuffizienz, die sich nur allmählich erholt. Die Erholung der Hypothalamus-Hypophysen-NNR-Achse folgt dabei einer sequenziellen Erholung, die in . Abb. 4.8 dargestellt ist. Seltenere Ursachen der tertiären NNR-Insuffizienz sind supraselläre Tumoren oder hypothalamische Schädigungen.
Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz. Die häufigste Ursache
der primären NNR-Insuffizienz ist eine Immunadrenalitis, die zu einer Zerstörung der Nebennierenrinde mit lymphozytärer Infiltration führt. Betroffen sind überwiegend Frauen. Es handelt sich um einen langsam fortschreitenden Prozess, der initial durch einen Anstieg der Plasmareninaktivität und des Plasma-ACTH gekennzeichnet ist, bei verminderter Kortisolantwort auf ACTH. Wichtige Antigene in diesem Autoimmunprozess sind die steroidsynthetisierenden Enzyme P450SCC, P450C17 und P450C21 (Uibo et al. 1994). Diese Antigene lassen sich insbesondere in der Frühphase der Erkrankung nachweisen. Störungen der T-Zellfunktion wurden ebenfalls nachgewiesen. Häufig tritt die Autoimmunadrenalitis im Rahmen polyglandulärer Autoimmunsyndrome (Typ 1 und Typ 2) auf (7 Kap. 4.5). Eine weitere wichtige Ursache der primären Nebennierenrindeninsuffizienz ist die Tuberkulose, die weltweit nach wie vor die häufigste Ursache der primären NNR-Insuffizienz ist, in Deutschland jedoch selten geworden ist. Sie wird erst nach hämatogener Aussaat beobachtet und geht häufig mit dem Befall
. Abb. 4.8. Schematische Darstellung der Erholung der HypothalamusHypophysen-NNR-Achse nach Glukokortikoidtherapie
291 4.1 · Pathophysiologie der Nebennieren
. Tab. 4.1. Einteilung des Cushing-Syndroms
Form des Cushing-Syndroms
Relative Häufigkeit
ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom
85% aller Fälle
Morbus Cushing (ACTH-produzierendes Hypophysenadenom)
80–85%
Ektopes ACTH-Syndrom (paraneoplastische ACTH-Sekretion)
15–20%
Ektope Kortikotropin-Releasing-Hormonsekretion (paraneoplastisch)
Rarität
ACTH-unabhängiges Cushing-Syndrom
15% aller Fälle
Nebennierenrindenadenom
≈10%
Nebennierenrindenkarzinom
≈5%
Mikronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie
Sehr selten
Makronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie
Sehr selten
Sonderformen Nahrungsabhängiges Cushing-Syndrom, Alkohol-induziertes Cushing-Syndrom
Raritäten
4.1.1.9 Glukokortikoidexzess 4.1.1.9.1 Einteilung Die längerfristige Wirkung eines Glukokortikoidexzesses führt zum Cushing-Syndrom. Da Zona-fasciculata- und Zona-reticularis-Zellen einer ähnlichen Regulation unterworfen sind, ist ein endogenes Cushing-Syndrom häufiger auch mit einer Hypersekretion von NNR-Androgenen verbunden. Das Cushing-Syndrom ist entweder ACTH-abhängig oder ACTH-unabhängig (. Tab. 4.1). Für alle Formen des endogenen Cushing-Syndroms ist charakteristisch, dass wichtige physiologische Regulationsprinzipien außer Kraft gesetzt sind: Die Tagesrhythmik ist aufgehoben, das Kortisol-Feedback ist gestört oder durch autonome adrenale Kortisolsekretion unterbrochen, der Anteil an freiem biologisch wirksamen Kortisol ist durch das erhöhte Gesamtkortisol überproportional hoch (Boscaro et al. 2001).
4.1.1.9.2 Folgen des Glukokortikoidexzesses
Die Konsequenzen einer länger bestehenden erhöhten Glukokortikoidwirkung lassen sich aus den physiologischen Wirkungen der Glukokortikoide ableiten. Es kommt zu einer Gewichtszunahme durch eine Steigerung des Appetites mit typischer Umverteilung des Fettgewebes hin zu einer stammbetonten Adipositas. Die inhibierende Wirkung der Glukokortikoide auf mesenchymale Zellen in Verbindung mit den katabolen Eigenschaften des Kortisols führt zu Hautatrophie, Wundheilungsstörungen, Gefäßfragilität und Striae. Die Muskulatur wird atrophisch, es kommt zum Verlust der Knochensubstanz bis zur manifesten Osteoporose. Hierbei unterstützend wirkt die negative Kalziumbilanz durch eine Verminderung der intestinalen Kalziumauf-
4
nahme und eine gesteigerte Kalziurese. Ein Hyperkortisolismus führt zur Suppression der Gonadotropinsekretion mit konsekutivem Hypogonadismus, Oligo/Amenorrhö und erektiler Dysfunktion. Die insulinantagonistische Wirkung und die gesteigerte hepatische Glukoseproduktion begünstigen das Auftreten einer Glukoseintoleranz bis hin zum sekundären Diabetes mellitus. Die chronische Immunsuppression begünstigt Infektionen, die sich insbesondere als Pilzinfektionen der Haut manifestieren. Schwerste Psychosen sind möglich, geringgradigere psychische Veränderungen mit depressiver Verstimmung sehr häufig. Bei ausgeprägtem Hyperkortisolismus ist offenbar die 11-βHydroxysteroiddehydrogenase II der Niere überlastet, sodass Kortisol als Mineralokortikoid wirksam werden kann. Es entwickelt sich eine schwere hypokaliämische Alkalose mit massivem renalen Kaliumverlust. Ein chronischer Glukokortikoidexzess führt zu einer relativen Verminderung der Glukokortikoidwirkung, möglicherweise durch eine verminderte Expression von Glukokortikoidrezeptoren.
Die akute Beseitigung des Glukokortikoidexzesses (z. B. durch chirurgische Entfernung eines kortisolsezernierenden Nebennierentumors) erfordert daher in der Initialphase postoperativ eine höhere Glukokortikoidsubstitution als bei Patienten mit anderen Formen der NNR-Insuffizienz.
4.1.1.9.3 Pathogenese Die Basis des zentralen Cushing-Syndroms (Morbus Cushing) ist ein Adenom, in sehr seltenen Fällen ein Karzinom der kortikotropen Zellen der Hypophyse (. Abb. 4.9). Die Tumoren sind ganz überwiegend monoklonal und damit Ausdruck einer klonalen Expansion nach somatischen Mutationen (Schulte et al. 1991). Die Sekretionsamplituden des ACTH sind erhöht. Die hypothalamische CRH-Sekretion wird durch den Hyperkortisolismus supprimiert. Die Adenomzellen besitzen in den meisten Fällen CRH-Rezeptoren und reagieren auf exogenes CRH mit einer kräftigen Steigerung der ACTH-Sekretion (Chrousos et al. 1984). Als Konsequenz der chronischen Stimulation kommt es zur bilateralen adrenalen Hyperplasie, die auch als knotige Hyperplasie imponieren kann. Die Nebennieren reagieren auf exogene ACTH-Gabe entsprechend mit einer überschießenden Kortisolantwort. In den meisten Fällen liegt ein Mikroadenom der Hypophyse (Durchmesser <1 cm) vor. Nach bilateraler Adrenalektomie entwickelt ein Teil der hypophysären Cushing-Adenome eine starke Wachstumstendenz und entwickelt sich zu einem infiltrativ wachsenden Nelson-Tumor. Pathophysiologisch relevant ist hier die Wiederherstellung der hypothalamischen Releasing-Hormon-Sekretion, die als Wachstumsreiz für den kortikotropen Tumor wirksam wird (Moore et al. 1976). Eine pathologische ACTH-Sekretion kann auch ektop ausgelöst sein. Beim ektopen ACTH-Syndrom sezerniert nichthypophysäres Tumorgewebe biologisch aktives ACTH und führt damit zur bilateralen Nebennierenhyperplasie. Die hypothalamische CRH-Sekretion und die hypophysäre ACTH-Sekretion werden durch den Hyperkortisolismus supprimiert. Häufige Quellen einer ektopen ACTH-Sekretion sind Bronchialkarzinome und Bronchialkarzinoide, ein medulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytome und endokrine Pankreastumoren.
292
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.9. Pathogenese unterschiedlicher Formen des Cushing-Syndroms
Proopiomelanokortin wird nicht nur in den kortikotropen Zellen der Hypophyse exprimiert, sondern physiologisch auch in einer Vielzahl anderer Gewebe, insbesondere in Geweben von neuroendokrinem Charakter. In diesen Geweben erfolgt physiologischerweise eine andere Prozessierung des Proopiomelanokortins, und die so generierten Peptide werden nur parakrin wirksam. Beim ektopen ACTH-Syndrom entsteht biologisch aktives ACTH, das aufgrund der Tumormasse Konzentrationen erreicht, die an der Nebennierenrinde wirksam werden können. Häufig liegen auch ACTH-Vorstufen im Plasma vor, die als Hinweise auf den ektopen Charakter der ACTH-Quelle gewertet werden können (de Keyzer et al. 1985). In seltenen Fällen liegt auch eine ektope CRH-Sekretion vor, die dazu führt, dass eine konstante Stimulation der hypophysären ACTH-Sekretion bewirkt wird. Bei fast allen bisher beschriebenen Fällen sezerniert die CRH-Quelle jedoch auch gleichzeitig ektop ACTH, sodass unklar ist, in welchem Umfang ektope und eutope ACTH-Sekretion zum Hyperkortisolismus führen. Die häufigste Form des ACTH-unabhängigen CushingSyndroms entsteht durch die exogene Zufuhr potenter synthetischer Glukokortikoide im Rahmen einer ärztlichen Behandlung. Da hier die endogene Nebennierenrindenfunktion supprimiert ist, sind die adrenalen Androgene ausnahmslos erniedrigt. ACTH-unabhängige Formen des endogenen Cushing-Syndroms entstehen durch kortisolproduzierende Nebennierentumoren (adrenale Adenome, Nebennierenrindenkarzinome) oder durch ACTH-unabhängige bilaterale Hyperplasien (mikronoduläre Hyperplasie, makronoduläre Hyperplasie). Als Folge der primär gesteigerten adrenalen Kortisolsekretion sind hypothalamische CRH-Sekretion und hypophysäre ACTH-Sekretion supprimiert. Die Basis der bilateralen Hyperplasien ist bisher noch nicht geklärt, angeborene genetische Dispositionen müssen vermutet werden. Die mikronoduläre bilaterale Hyperplasie reagiert nicht auf exogenes ACTH, die bilaterale makronoduläre Hyperplasie lässt sich durch exogenes ACTH in den allermeisten Fällen massiv stimulieren (Strohm et al. 1994). In seltenen Fällen kann ein ACTH-unabhängiges CushingSyndrom dadurch entstehen, dass in Nebennierengewebe ektop Rezeptoren für das »Gastric-inhibitory«-Peptid (GIP) oder auch andere Liganden exprimiert werden. Durch den postprandialen
GIP-Anstieg wird dann eine massive Kortisolsekretion induziert (Lacroix et al. 1992). 4.1.1.10 Hyperaldosteronismus 4.1.1.10.1 Einteilung Pathophysiologisch ist es sinnvoll, einen sekundären Hyperaldosteronismus vom primären Hyperaldosteronismus abzugrenzen. Der sekundäre Hyperaldosteronismus entsteht als Folge einer Hyperreninämie und einer Hyperangiotensinämie und ist in vielen Fällen Ausdruck einer physiologischen Anpassung. So steigen unter natriumarmer Diät Plasmareninaktivität, Angiotensin II und Plasmaaldosteron deutlich an, um eine ausreichende Natriumretention zu gewährleisten. Wenn ein sekundärer Hyperaldosteronismus als Kompensation eines Natriummangels, eines Volumenmangels oder eines niedrigen Herzminutenvolumens auftritt, ist der Blutdruck in der Regel normal oder eher niedrig, da im Natriummangel die vasokonstriktorische Wirkung von Angiotensin II abgeschwächt ist. Auch die Zahl der AngiotensinII-Rezeptoren im kardiovaskulären System ist erniedrigt. Eine solche Situation liegt bei dekompensierter Leberzirrhose, Herzinsuffizienz und nephrotischem Syndrom sowie bei Diuretikaabusus vor. Kommt es zu einer gesteigerten Angiotensinsekretion bei Normovolämie oder normaler bis hoher Kochsalzzufuhr, entwickelt sich eine arterielle Hypertonie. Beispiele hierfür sind Nierenarterienstenose, maligne Hypertonie und Renin-produzierende Tumoren (Oelkers 1991). Die Hypertonie entsteht in diesem Falle überwiegend über die vasokonstriktorische Wirkung des Angiotensin II. Beim primären Hyperaldosteronismus werden unterschiedliche Formen unterschieden: 4 Aldosteronproduzierendes Adenom (Conn-Adenom) 4 Mikronoduläre Hyperplasie der Zona glomerulosa bzw. idiopathischer Hyperaldosteronismus 4 Makronoduläre Hyperplasie der Zona glomerulosa (sehr selten) 4 Glukokortikoid-supprimierbarer Hyperaldosteronismus
293 4.1 · Pathophysiologie der Nebennieren
4.1.1.10.2 Folgen des Mineralokortikoidexzesses Als Folge der autonomen Hypersekretion von Aldosteron kommt es zu einer Erhöhung des extrazellulären Natriums und des Gesamtkörpernatriums. Die Plasmareninaktivität und das Angiotensin II sind supprimiert. Die Natriumretention begünstigt das Auftreten einer arteriellen Hypertonie, das Gesamtkörperkalium ist erniedrigt, und eine Steigerung der renalen Sekretion von Kalium ins Tubuluslumen führt zu einem renalen Kaliumverlust und zur Hypokaliämie und einem erniedrigten Gesamtkörperkalium. Bei hochgradiger Hypokaliämie kann sich eine hypokaliämische Nephropathie mit einer Tubulusfunktionsstörung entwickeln, die einem renalen Diabetes insipidus mit Polyurie und Polydipsie entspricht. Die Hypokaliämie begünstigt darüber hinaus motorische Lähmungen, tetanische Symptome, allgemeine Schwäche und Depressionen (Orth u. Kovacs 1998). 4.1.1.10.3 Pathogenese des primären Hyperaldosteronismus Beim aldosteronsezernierenden Nebennierenrindenadenom (Conn-Adenom) sind die somatischen Mutationen, die zur autonomen Aldosteronsekretion und zum Tumorwachstum führen, bisher nicht aufgeklärt worden. Charakteristisch ist aber eine Überexpression der Aldosteronsynthase (Assie et al. 2005). Aktivierende Mutationen im Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor wurden nicht gefunden (Sachse et al. 1997). Bei den meisten Tumoren wird die Aldosteronsekretion durch exogene Gabe von Angiotensin II nicht stimuliert, einzelne Tumoren sprechen allerdings auf Angiotensin II an. Dagegen besteht eine gewisse Abhängigkeit der Aldosteronsekretion vom ACTH bei der Mehrzahl der ConnAdenome, sodass in Abhängigkeit von der ACTH-Tagesrhythmik die Aldosteronkonzentrationen schwanken können. Viele Adenome sezernieren neben Aldosteron auch 18-OH-Kortikosteron, Kortikosteron und 11-Desoxykortikosteron. Ausnahmsweise können aldosteronproduzierende Adenome als familiärer Hyperaldosteronismus (Typ II) auftreten. Beim idiopathischen Hyperaldosteronismus liegt eine bilaterale mikronoduläre Hyperplasie vor. Die Patienten weisen häufig eine schwerere Hypertonie, aber einen milderen Hyperaldosteronismus auf. Die Aldosteronsekretion reagiert meist überempfindlich auf endogenes und exogenes Angiotensin II. Obwohl die Plasmareninaktivität und konsekutiv auch die Angiotensin-II-Konzentration im Plasma supprimiert sind, spielt die verbliebene endogene Angiotensin-II-Sekretion noch eine Rolle als endogener Regulator der Aldosteronsekretion in dieser Situation. Es gibt keine klare Trennlinie zwischen Patienten mit essenzieller Hypertonie und Patienten mit idiopathischem Hyperaldosteronismus. Dies gilt insbesondere für die Patienten mit essenzieller Hypertonie bei niedriger Plasmareninaktivität (Low-Renin-Hypertonie; Oelkers 1991). Bei der makronodulären Hyperplasie besteht eine autonome Aldosteronsekretion entweder unilateral oder bilateral. Im regulativen Verhalten ähnelt die Aldosteronsekretion derjenigen beim Conn-Adenom. Der Glukokortikoid-supprimierbare Hyperaldosteronismus ist die Folge eines in den letzten Jahren charakterisierten genetischen Defektes. Es entsteht aufgrund eines ungleichen Crossing-over eine Fusion der Gene für die 11-β-Hydroxylase (P450C11β) und die Aldosteronsynthase (P450C11AS; Dluhy u. Williams 1998). Das resultierende Gen steht unter einem Promotor, der vom ACTH kontrolliert wird. Das Enzym, das durch dieses neue Gen kodiert wird, produziert charakteristische und
4
einzigartige Hybridsteroide mit mineralokortikoider Wirkung, nämlich 18-Oxokortisol und 18-Hydroxykortisol. Die Bildung von Mineralokortikoiden ist damit ACTH-abhängig, sodass hier die therapeutische Option einer Dexamethason-Therapie gegeben ist. Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt mit variabler Penetranz. Ein Mineralokortikoidexzess kann auch bei niedrigem Plasmaaldosteron auftreten und wird dann als Pseudohyperaldosteronismus bezeichnet. Ursache sind fast immer Enzymdefekte (Doerr 1996). Beim 11-β-Hydroxylasemangel und beim 17-αHydroxylasemangel wirkt Desoxykortikosteron als Mineralokortikoid und führt entsprechend zur Suppression von Angiotensin II und Plasmareninaktivität. Beim apparenten Mineralokortikoidexzess liegt ein genetischer Defekt der 11-β-Hydroxysteroiddehydrogenase vor. Auf diese Weise wird in der Niere Kortisol nicht mehr zum Kortison inaktiviert, kann daher effektiv an den Mineralokortikoidrezeptor binden und eine entsprechende Wirksamkeit entfalten (Funder 1995). Ein solcher Enzymdefekt kann auch durch den Konsum von großen Mengen Lakritze oder durch die Gabe von Carbenoxolon induziert werden, sodass auch in diesem Falle eine Mineralokortikoidhypertonie mit erniedrigtem Aldosteron vorliegt. 4.1.2 Nebennierenmark Das Nebennierenmark kann als eine Ansammlung sympathischer postganglionärer Neurone ohne Axone angesehen werden. Wie die sympathischen postganglionären Neurone ist das Nebennierenmark neuroektodermalen Ursprungs und aus Zellen entstanden, die aus der Neuralleiste ausgewandert sind. Die chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks stammen dabei embryologisch von einer Vorläuferzelle ab, die den Nebennierenmarkzellen und den sympathischen postganglionären Neuronen gemeinsam ist. Ebenso wie diese sind die chromaffinen Zellen des Nebennierenmarkes in der Lage, Katecholamine zu synthetisieren, zu speichern und reguliert freizusetzen. Während die sympathischen postganglionären Neurone nahezu ausschließlich Noradrenalin als Katecholamin freisetzen, wird allerdings im Nebennierenmark überwiegend Adrenalin und in geringerem Umfange Noradrenalin sezerniert. Die Zellen des Nebennierenmarkes geben die Katecholamine direkt in die Zirkulation ab, sodass die Katecholamine als klassische Hormone agieren können, während die sympathischen postganglionären Neurone die Katecholamine in den synaptischen Spalt freisetzen und damit eine Neurotransmitterwirkung auslösen (Young u. Landsberg 1998). Die renalen Katecholamine werden insbesondere unter Belastungssituationen (Stress) verstärkt ausgeschüttet. Es kommt zu einer Aktivierung des kardiovaskulären Systems mit einer Kontraktion der Gefäße im Splanchnikusgebiet und einer Dilatation der muskelversorgenden Gefäße. Die gastrointestinale Motilität wird gehemmt, und die Bronchien werden dilatiert. Der Glykogenabbau in Leber und Muskulatur wird vom Adrenalin gefördert. Das Gesamtergebnis ist eine Bereitstellung von Energie in Form von Glukose für »Kampf- bzw. Fluchtreaktionen«. Die Wirkung der Katecholamine auf die Zielzellen erfolgt über spezifische adrenerge Rezeptoren (Adrenozeptoren). Die adrenergen Rezeptoren werden in verschiedene Typen aufgeteilt, α-Rezeptoren und β-Rezeptoren, die wiederum aufgrund ihrer pharmakologischen und Liganden- bzw. Bindungseigenschaften in Subtypen (z. B. α1 und α2, β1, β2 und β3) aufgegliedert werden
294
4
Kapitel 4 · Nebennieren
können. Adrenalin und Noradrenalin wirken ungefähr equipotent an β1-Rezeptoren, während Adrenalin deutlich wirksamer als Noradrenalin an β2-Rezeptoren wirkt. Auch an α-Rezeptoren ist die Wirksamkeit von Adrenalin deutlicher als von Noradrenalin (Young u. Landsberg 1998). Neben den Katecholaminen sind in den letzten Jahren zahlreiche Peptidhormone in Zellen des Nebennierenmarks nachgewiesen worden. Hierzu gehören Somatostatin, Metenkephalin, Vasopressin, Oxytozin, Proopiomelanokortin, ACTH und VIP. Die physiologische Bedeutung dieser Peptide ist bisher nicht aufgeklärt. Sie können aber eine wichtige Rolle für die parakrine Interaktion mit der Nebennierenrinde spielen (Erhart-Bornstein et al. 1998). 4.1.2.1 Phäochromozytom Das Fehlen des Nebennierenmarkes führt in der Regel nicht zu Krankheitsphänomenen. Lediglich bei Diabetikern hat das Fehlen des Nebennierenmarkes eine gestörte Gegenregulation zur Folge. Die einzig wichtige Erkrankung des Nebennierenmarkes ist das Phäochromozytom. Beim Phäochromozytom handelt es sich um Katecholamin-produzierende Tumoren, die von intraadrenalen chromaffinen Zellen ausgehen. Extraadrenal auftretende Phäochromozytome werden nach neuer Nomenklatur auch als Paragangliome bezeichnet, während andere Autoren den Begriff Paragangliom auf nichtsekretorische Tumoren im Halsbereich beschränken. Phäochromozytome sezernieren überwiegend Noradrenalin, in ungefähr 15% der Fälle überwiegend Adrenalin. Vorwiegend in malignen Phäochromozytomen und Neuroblastomen kann die Dopamin-β-Hydroxylase, die für die Metabolisierung von Dopamin zu Noradrenalin verantwortlich ist, fehlen, sodass diese Tumoren deutlich mehr Dopamin sezernieren. Typischerweise sezernieren Paragangliome (extraadrenale Phäochromozytome) ausschließlich Noradrenalin. Anders als das gesunde Nebennierenmark sind adrenale Phäochromozytome nicht innerviert und die Katecholaminfreisetzung wird nicht neural gesteuert. Änderungen im Blutfluss, direkter Druck auf den Tumor und Pharmaka können die Katecholaminfreisetzung beeinflussen. 4.1.2.1.1 Folgen des Katecholaminexzesses Die pathologisch gesteigerte Katecholaminfreisetzung führt zur arteriellen Hypertonie, auf die sich krisenhafte Blutdruckspitzen (hypertensive Krisen) aufpropfen können. Bei anhaltendem massiven Katecholaminexzess kann eine katecholamin-induzierte Kardiomyopathie auftreten. Die arterielle Hypertonie beim Phäochromozytom zeigt eine aufgehobene zirkadiane Rhythmik ohne nächtlichen Blutdruckabfall. Als Folge der Noradrenalin-induzierten Vasokonstriktion gehen die Blutdrucksteigerungen mit Blässe einher. Andere Effekte der Katecholaminfreisetzung bestehen in Palpitationen, Tremor, profusen Schweißausbrüchen und Kopfschmerzen (Bravo u. Tagle 2003). Die metabolischen Wirkungen der Katecholamine begünstigen das Auftreten von Hyperglykämien bis zum symptomatischen sekundären Diabetes mellitus, führen zum Hypermetabolismus und begünstigen eine Gewichtsabnahme. Die meist dominierende Vasokonstriktion führt zu einer Verringerung des intravasalen Volumens. Die chronisch erhöhten Katecholaminkonzentrationen führen zu einer Down-Regulation der Adrenozeptoren. Erfolgt die Entfernung des Phäochromozytoms daher ohne Vorbehandlung,
so kann sich nach der Entfernung des Phäochromozytoms rasch eine gravierende Hypotonie bis zum Schock einstellen. Die Vorbehandlung mit Alphablockern senkt nicht nur den erhöhten arteriellen Blutdruck, sondern normalisiert auch das Plasmavolumen. Der nach Tumorentfernung einsetzende Blutdruckabfall kann besser beherrscht werden (Bravo u. Tagle 2003). 4.1.2.1.2 Pathogenese Auch beim Phäochromozytom muss man davon ausgehen, dass die Inaktivierung multipler Tumorsuppressorgene oder die Aktivierung von Onkogenen für die Entwicklung und das Wachstum notwendig sind. Der Verlust der Heterozygosität auf dem kurzen Arm von Chromosom 1 (1p) und dem langen Arm von Chromosom 22 (22q) ist gehäuft mit Phäochromozytomen assoziiert. Die Bedeutung von Mutationen in Onkogenen und TumorsupressorGenen wird durch das familiäre Auftreten von Phäochromozytomen gestützt. Bei den multiplen endokrinen Neoplasien Typ 2 (MEN 2A/2B) liegen Keimbahnmutationen des RET-Protoonkogens vor, eines Rezeptors mit Tyrosinkinaseaktivität. Beim MEN-2A-Syndrom wurden unterschiedliche Punktmutationen im Bereich der extrazellulären Domäne dieses Rezeptors gefunden, während bei der MEN-2B-Punktmutationen im Bereich des intrazellulären Abschnittes (Tyrosinkinase) beobachtet wurden (7 Kap. 2.4). Durch die Mutationen kommt es zu einer Aktivierung des RET-Protoonkogens, die die neoplastische Transformation begünstigt. Bei sporadischen Phäochromozytomen werden in 6–8% entsprechende Mutationen im RET-Protoonkogen nachgewiesen. Bei der Von-Hippel-Lindau-Erkrankung werden bei 10–20% der Patienten Phäochromozytome beobachtet. Das ursächliche VHL-Gen liegt auf dem Chromosom 3 und wirkt nach ersten Untersuchungen als ein Tumorsuppressorgen, das bei dieser Erkrankung durch Mutationen inaktiviert wird (Latif et al. 1993). Auch bei der Neurofibromatose Typ 1 treten gehäuft Phäochromozytome auf. Zugrunde liegen Mutationen im NF-1-Gen, das ebenfalls als Tumorsuppressorgen angesehen wird, und für das Protein Neurofibromin kodiert. Patienten mit Neurofibromatose Typ 1 haben inaktivierende Mutationen in diesem Tumorsuppressorgen (Colman u. Wallace 1994). Weiterhin ist das Auftreten von Paragangliomen und Phäochromozytomen bei Keimbahnmutationen in den Genen für Untereinheiten der Succinatdehydrogenase (SDH) assoziiert, insbesondere mit den Untereinheiten B und D, sehr selten mit der Untereinheit C (Neumann et al. 2004). Für SDHD-Mutationen sind multifokale Paragangliome typisch, während bei SDHBMutationen häufiger ein maligner Verlauf und das Auftreten anderer Malignome beobachtet werden. Literatur Allolio B, Arlt W (2002) DHEA treatment: myth or reality? Trends Endocrinol Metab 13:288–294 Allolio B, Arlt W, Reincke M (1996) Medical therapy of Cushing’s syndrome. In: von Werder K, Fahlbusch R (eds) Pituitary adenomas. Elsevier, Amsterdam, pp 223–229 Allolio B, Ehses W, Steffen HM, Muller R (1994) Reduced lymphocyte beta 2-adrenoceptor density and impaired diastolic left ventricular function in patients with glucocorticoid deficiency. Clin Endocrinol Oxf 40:769–775 Arlt W, Allolio B (2003) Adrenal insufficiency. Lancet 361:1881–1893 Arlt W, Callies F, van Vlijmen JC, Koehler I, Reincke M, Bidlingmaier M et al. (1999) Dehydroepiandrosterone replacement in women with adrenal insufficiency. N Engl J Med 341:1013–1020
295 4.1 · Pathophysiologie der Nebennieren
Assie G, Auzan C, Gasc JM, Baviera E, Balaton A, Elalouf JM et al. (2005) Steroidogenesis in Aldosterone-producing adenoma revisited by transcriptome analysis. J Clin Endocrinol Metab 90:6638–6649 Bamberger CM, Schulte HM, Chrousos GP (1996) Molecular determinants of glucocorticoid receptor function and tissue sensitivity to glucocorticoids. Endocr Rev 17:245–261 Beuschlein F, Fassnacht M, Klink A, Allolio B, Reincke M (2001) ACTHreceptor expression, regulation and role in adrenocortical tumor formation. Eur J Endocrinol 144:199–206 Beuschlein F, Schulze E, Mora P, Gensheimer HP, Maser-Gluth C, Allolio B, Reincke M (1998) Steroid 21-hydroxylase mutations and 21-hydroxylase messenger ribonucleic acid expression in human adrenocortical tumors. J Clin Endocrinol Metab 83:2585–2588 Beuschlein F, Reincke M, Karl M et al. (1994) Clonal composition of human adrenocortical neoplasms. Cancer Res 54:4927–4932 Boscaro M, Barzon L, Fallo F, Sonino N (2001) Cushing’s syndrome. Lancet 357:783–791 Bravo EL,Tagle R (2003) Pheochromocytoma: state of the art and future prospects. Endocr Rev 24:539–553 Chrousos GP, Schulte HM, Oldfield EH, Gold PW, Cutler GB, Loriaux DL (1984) The corticotropin-releasing factor stimulation test. An aid in the evaluation of patients with Cushing’s syndrome. N Engl J Med 310:622–626 Clark AJL, Metherell LA, Cheetham ME, Huebner A (2005) Inherited ACTH insensitivity illuminates the mechanisms of ACTH action. Trends Endocrinol Metab 16:451–457 Colman SD, Wallace MR (1994) Neurofibromatosis type 1. Eur J Cancer 30:1974–1981 De Keyzer, Bertagna YX, Lenne F, Girard F, Luton JP, Kahn A (1985) Altered proopiomelanocortin gene expression in adrenocorticotropin-producing nonpituitary tumors. Comparative studies with corticotropic adenomas and normal pituitaries. J Clin Invest 76:1892–1898 Dluhy RG, Williams GH (1998) Endocrine hypertension. In: Wilson, JD, Foster DW, Kronenberg HM, Larsen R (eds) Williams textbook of endocrinology, 9th ed. Saunders, Philadelphia, pp 729–750 Dobbie JW (1969) Adrenocortical nodular hyperplasia: the ageing adrenal. J Pathol 99:1–18 Dörr, HG (1996) Adrenogenitales Syndrom. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Praktische Endokrinologie. Urban & Schwarzenberg, München, S 247–260 Else T, Hammer G (2005) Genetic analysis of adrenal absence: agenesis and aplasia. Trends Endocrinol Metab 16:458–468 Ehrhart-Bornstein M, Hinson JP, Bornstein SR, Scherbaum WA, Vinson GP (1998) Intraadrenal interactions in the regulation of adrenocortical steroidogenesis. Endocr Rev 19:101–143 Fassnacht M, Hahner S, Hansen IA, Kreutzberger T, Zink M, Adermann K, Jakob F, Troppmair J, Allolio B (2003) N-terminal proopiomelanocortin acts as mitogen in adrenocortical tumor cells and decreases steroidogenesis. J Clin Endocrinol Metab 88:2171–2179 Funder JW (1995) Mineralocorticoid receptors and hypertension. J Steroid Biochem Mol Biol 53:53–55 Giordano TJ, Thomas DG,Kuick R, Lizyness M, Misek DE, Smith AL et al. (2003) Distinct transcriptional profiles of adrenocortical tumors uncovered by DNA microarray analysis. Am J Pathol 162:521–531 Heppner C, Reincke M, Agarwal SKP et al. (1999) MEN 1 gene analysis in sporadic adrenocortical neoplasms. J Clin Endocrinol Metab 84:216–219 Jaresch S, Kley HK, Schlaghecke R (1990) Adrenogenitales Syndrom – Heute eine radiologische Diagnose? Klin Wochenschr 68:328–331 Lacroix A, Bolte E, Tremblay J et al. (1992) Gastric inhibitory polypeptidedependent cortisol hypersecretion – a new cause of Cushing’s syndrome. N Engl J Med 327:974–980 Latif F, Tory K, Gnarra J et al. (1993) Identification of the von Hippel-Lindau disease tumor suppressor gene. Science 260:1317–1320 Latronico AC, Reincke M, Mendonca BB et al. (1995) No evidence for oncogenic mutations in the adrenocorticotropin receptor gene in human adrenocortical neoplasms. J Clin Endocrinol Metab 80:875–877 Mansmann G, Lau J, Balk E, Rothberg M, Miyachi Y, Bornstein SR (2004) The clinically inapparent adrenal mass: update in diagnosis and management. Endocr Rev 25:309–340
4
Moore TJ, Dluhy RG, Williams GH, Cain JP (1976) Nelson’s syndrome: frequency, prognosis, and effect of prior pituitary irradiation. Ann Intern Med 85:731–734 Neumann HPH, Pawlu C, Peczkowska M, Bausch B, McWhinney SR, Muresan M, Buchta M et al. (2004) Distinct clinical features of paraganglioma syndromes associated with SDHB and SDHD mutations. JAMA 292:943–951 Neville AM, O’Hare MJ (1979) Aspects of structure, function and pathology. In: James VHT (ed): The adrenal gland. Raven Press, New York, pp 1–65 Oelkers W (1989) Hyponatremia and inappropriate secretion of vasopressin (antidiuretic hormone) in patients with hypopituitarism. N Engl J Med 321:492–496 Oelkers W (1991) System Hypothalamus-Hypophyse-Nebenniere. In: Hierholzer K, Schmidt RF (Hrsg) Pathophysiologie des Menschen. VCH, Weinheim S 19.15–19.22 Orentreich N, Brind JL, Rizer RL, Vogelman JH (1984) Age changes and sex differences in serum dehydroepiandrosterone sulfate concentrations throughout adulthood. J Clin Endocrinol Metab 59:551–555 Orth DN, Kovacs WJ (1998) The adrenal cortex. In: Wilson JD, Foster DW, Kronenberg HM, Larsen R (eds) Williams Textbook of Endocrinology, 9th ed. Saunders, Philadelphia, pp 517–664 Reincke M, Allolio B (1997) Molekularbiologie der zufällig diagnostizierten Nebennierenraumforderung. Zentralbl Chir 122:430–437 Reincke M (1998) Mutations in adrenocortical tumors. Horm Metab Res 30:447–455 Ribeiro RC, Sandrini F, Figueiredo B, Zambetti GP, Michalkiewicz E et al. (2002) An inherited p53 mutation that contributes in a tissue-specific manner to pediatric adrenal cortical carcinoma. Proc Natl Acad Sci 98:9330–9335 Rosner W (1990) The functions of corticosteroid-binding globulin and sex hormone-binding globulin: recent advances. Endocr Rev 11: 80–91 Sachse R, Shao XJ, Rico A, Finckh U, Rolfs A, Reincke M, Hensen J (1997) Absence of angiotensin II type 1 receptor gene mutations in human adrenal tumors. Eur J Endocrinol 137:262–266 Schulte HM, Oldfield EH, Allolio B, Katz DA, Berkman RA, Ali IU (1991) Clonal composition of pituitary adenomas in patients with Cushing’s disease: determination by X-chromosome inactivation analysis. J Clin Endocrinol Metab 73:1302–1308 Sidhu S, Sywak M, Robinson B, Delbridge L (2004) Adrenocortical Cancer: recent clinical and molecular advances. Curr Opin Oncol 16:13–18 Song IH, Gold R, Straub RH, Burmester GR, Buttgereit F (2005) New glucocorticoids on the horizon: repress, don’t activate! J Rheumatol 32:1199–1207 Speiser PW, White PC (2003) Congenital adrenal hyperplasia. N Engl J Med 349:776–788 Stocco DM, Clark BJ (1996) Regulation of the acute production of steroids in steroidogenic cells. Endocr Rev 17:221–244 Strohm M, Reincke M, Theiss M, Diehl KL, Allolio B (1994) Bilateral massive macronodular adrenal gland hyperplasia. A rare cause of Cushing’s syndrome. Dtsch Med Wochenschr 119:180–184 Uibo R, Aavik E, Peterson P, Perheentupa J, Aranko S, Pelkonen R, Krohn KJ (1994) Autoantibodies to cytochrome P450 enzymes P450scc, P450c17, and P450c21 in autoimmune polyglandular disease types I and II and in isolated Addison’s disease. J Clin Endocrinol Metab 78:323–328 Widstrom RL, Dillon JS (2004) Is there a receptor for dehydroepiandrosterone or dehydroepiandrosterone sulfate? Semin Reprod Med 22:279–280 Young JB, Landsberg L (1998) Catecholamines and the adrenal medulla. In: Wilson JD, Foster DW, Kronenberg HM, Larsen R (eds) WilliamsTextbook of Endocrinology, 9th edition, WB Saunders, Philadelphia, pp 665–728 Zanaria E, Muscatelli F, Bardoni B et al. (1994) An unusual member of the nuclear hormone receptor superfamily responsible for X-linked adrenal hypoplasia congenita. Nature 372:635–641 Zazopoulos E, Lalli E, Stocco DM, Sassone-Corsi P (1997) DNA binding and transcriptional repression by DAX-1 blocks steroidogenesis. Nature 390:311–315
296
Kapitel 4 · Nebennieren
. Abb. 4.10. Makroskopischer Aspekt des Querschnitts einer gesunden Nebenniere. Man erkennt die typische Dreischichtung. Das zentral gelegene Nebennierenmark ist von der Nebennierenrinde umgeben
4 Chirurgische Anatomie, konventionelle und minimalinvasive Zugänge zur Nebenniere
4.2
C. Nies ) ) Die Nebennieren bestehen aus 2 funktionell und embryologisch unterschiedlichen Anteilen, dem Nebennierenmark und der Nebennierenrinde. Sie liegen im Retroperitoneum in unmittelbarer Beziehung zu den oberen Nierenpolen. Entscheidend für die chirurgische Behandlung von Nebennierenerkrankungen ist die Kenntnis der venösen Drainage dieser Drüsen. Die rechte Nebennierenvene mündet in die V. cava inferior, die linke in die linke Nierenvene. Es wurde eine Reihe unterschiedlicher chirurgischer Zugänge zu den Nebennieren beschrieben. Die verschiedenen konventionellen Zugänge wurden bei der Behandlung von benignen Nebennierenerkrankungen mehr und mehr von minimalinvasiven Verfahren verdrängt. Hierbei muss zwischen laparoskopisch transabdominellen Verfahren und retroperitoneoskopischen Techniken unterschieden werden.
Zum Zeitpunkt der Geburt sind die Nebennieren im Vergleich zu den anderen Organen unverhältnismäßig groß. Ihre Größe entspricht zu diesem Zeitpunkt mehr als einem Drittel der Niere. Postnatal kommt es rasch zu einer Verkleinerung des Rindenanteils, sodass es nicht nur zu einer relativen, sondern zu einer absoluten Verkleinerung dieser Drüsen kommt. Eine normale Nebenniere des Erwachsenen wiegt ca. 4–5 g. Es handelt sich um ein flaches Gebilde, das im sagittalen Durchmesser eine Stärke von weniger als 1 cm aufweist. In transversaler Richtung beträgt der Durchmesser ca. 3 cm, während die Ausdehnung in kraniokaudaler Richtung mit 4–5 cm am größten ist. Die rechte und die linke Nebenniere unterscheiden sich in ihrer Form. Während die rechte Drüse einen dreieckigen bzw. pyramidenförmigen Aspekt hat, erinnert die Form der linken Nebenniere eher an einen Halbmond. Im Sagittalschnitt (Computertomographie, Kernspintomographie) lassen sich in den dorsalen Anteilen beider Nebennieren jeweils ein medialer und ein lateraler Schenkel unterscheiden. Dadurch stellen sie sich in dieser Ebene λ- bzw. V-förmig, die linke gelegentlich auch kommaförmig dar (. Abb. 4.11). 4.2.2 Lagebeziehungen
4.2.1 Anatomie Embryologie. Die Nebenniere ist ein paarig angelegtes, retroperitoneal gelegenes Organ, das aus 2 sowohl funktionell als auch embryologisch völlig unterschiedlichen Anteilen besteht: der Nebennierenrinde und dem Nebennierenmark. Die Nebennierenrinde entstammt entwicklungsgeschichtlich dem Mesoderm. Etwa in der 5. Gestationswoche beginnt sie sich aus Zellen des Coelomepithels zu differenzieren. Das Nebennierenmark entwickelt sich etwas später aus Anteilen der Neuralleiste. Dieser Anteil der Nebennieren ist also ektodermaler Herkunft. Die Zellen des Nebennierenmarkes wandern in die fetale Nebennierenrinde ein und werden schließlich vollständig von ihr umschlossen. Es entsteht so die typische Dreischichtung, die am Querschnitt einer gesunden Nebenniere zu erkennen ist: Zentral das graue Nebennierenmark, das beidseits von der gelben Nebennierenrinde umgeben ist (. Abb. 4.10). Makroskopischer Aspekt. Die Nebennieren sind zumeist anhand der Farbe von dem umgebenden Fettgewebe bereits makroskopisch gut abzugrenzen. Die gelbe Farbe der oberflächenbildenden Nebennierenrinde (polentagelb) ist leuchtender und intensiver als die des Fetts.
Rechte Nebenniere. Die rechte Nebenniere sitzt dem oberen Pol der rechten Niere haubenförmig auf. Nach ventral wird sie vom rechten Leberlappen bedeckt und ist von ihm teilweise durch eine
. Abb. 4.11. Computertomographische Darstellung normaler Nebennieren. Im Schnittbild stellt sich die rechte Nebenniere λ-förmig, die linke kommaförmig dar. Man beachte auch die zentrale Lage beider Nebennieren
297 4.2 · Chirurgische Anatomie, konventionelle und minimalinvasive Zugänge zur Nebenniere
4
Peritonealschicht getrennt. Die Dorsalfläche hat Kontakt mit dem Zwerchfell. Der kraniomediale Anteil der rechten Nebenniere liegt dorsal der V. cava inferior, sodass dieser beim Blick von ventral erst eingesehen werden kann, wenn die V. cava inferior nach medial retrahiert wird. Umgekehrt werden beim Blick von dorsal die V. cava inferior und die Einmündung der rechten Nebennierenvene in die V. cava inferior durch diesen Nebennierenteil verdeckt. Linke Nebenniere. Die linke Nebenniere liegt dem medialen Rand des oberen Nierenpols an und reicht mit ihren kaudalen Ausläufern bis nahe an die Strukturen des Nierenstiels heran. Der untere Anteil wird vom Pankreasschwanz, der Milzvene und u. U. auch von der Milz bedeckt. Der obere Teil der linken Nebenniere ist von der Peritonealschicht der Bursa omentalis überzogen, die sie von der Magenhinterwand trennt. Dorsalseitig grenzt sie an das Zwerchfell.
4.2.3 Gefäßversorgung Arterien. Die Nebennieren sind wie alle endokrinen Organe
exzellent durchblutet. Beide Nebennieren werden arteriell aus 3 Richtungen versorgt. Die A. phrenica inferior gibt beidseits mehrere Äste ab, die als Aa. suprarenales superiores zu den kranialen Anteilen der Nebenniere verlaufen. Etwas oberhalb der Nierenarterien gehen die Aa. suprarenales mediae aus der Aorta ab. Sie entspringen beidseits zumeist als einzelne Gefäßstämme, die sich nahe der Nebennieren aufzweigen und diese an ihrem anteromedialen Aspekt erreichen. Die Aa. suprarenales inferiores werden von den Nierenarterien abgegeben und treten von kaudal in die Nebennieren ein. Venen. Die Anatomie der Nebennierenvenen ist erstaunlich wenig Variationen unterworfen. Ganz im Gegensatz zu der vielfältigen arteriellen Versorgung dient beidseits im Wesentlichen ein Gefäß für die venöse Drainage der Nebennieren. Auf der rechten Seite mündet die Nebennierenvene direkt in die V. cava inferior. Da Nebenniere und V. cava inferior unmittelbar aneinandergrenzen, ist diese Vene sehr kurz und häufig nicht länger als 1 cm. Die linke Nebennierenvene mündet in die linke Nierenvene (. Abb. 4.12). Sie ist deutlich länger als die rechtsseitige Vene und daher bei einer Adrenalektomie auch leichter zu versorgen. Nahe der Nebenniere nimmt sie regelhaft die V. phrenica inferior auf, die ebenfalls versorgt werden muss, wenn die Nebennierenvene nahe der Nierenvene durchtrennt wird. Auf beiden Seiten gibt es zusätzliche kleine Venen, die in die Nierenvenen, die Zwerchfellvenen bzw. die V. cava inferior münden. Sehr selten gibt es auch Verbindungen zum Pfortaderstromgebiet (Monkhouse u. Khalique 1986).
. Abb. 4.12. Arterien und Venen der linken Nebenniere. Die V. phrenica inferior mündet in die Nebennierenvene und in die V. cava inferior. 1 Glandula suprarenalis sinistra; 2 V. suprarenalis sinistra; 3 A. suprarenalis inferior; 4 A. phrenica inferior; 5 V. phrenica inferior
aus Baltimore, verwendete erstmals den Flankenzugang zu den Nebennieren (Welbourn 1990). Da er die Patienten für die damals häufig erforderliche bilaterale Exploration jedoch umlagern musste, kam er später auf die Idee des dorsalen Zuganges, den er 1936 erstmals beschrieb (Young 1936). Zu den einzelnen Zugängen gibt es eine Reihe von Modifikationen. Die Wahl des Zugangs wird neben der Konstitution des Patienten und der Erfahrung des Chirurgen sowie seiner persönlichen Präferenz von verschiedenen Tumoreigenschaften beeinflusst: 4 Größe 4 Dignität 4 Hormonelle Aktivität 4 Lokalisation (einseitig oder beidseitig)
. Tab. 4.2. Konventionelle und minimalinvasive Zugänge zu den Nebennieren. Der minimalinvasive transabdominelle Zugang in Rückenlage des Patienten wird kaum noch angewendet
Konventionell
Minimalinvasiv
Ventral transabdominell
(Transabdominell in Rückenlage)
Thorakoabdominell
Transabdominell in Seitenlage
Lateral (Flankenzugang)
Retroperitoneoskopisch in Seitenlage
Dorsal (durch das Bett der 12. Rippe)
Retroperitoneoskopisch in Bauchlage
4.2.4 Chirurgische Zugänge Die Nebennieren liegen zentral im Körper (. Abb. 4.11). Aus diesem Grunde ist es verständlich, dass eine Reihe unterschiedlicher Zugangswege zu den Nebennieren beschrieben wurde (. Tab. 4.2). Die erste transabdominelle Adrenalektomie wurde von Thornton 1889 vorgenommen, wobei er anstelle des heute üblichen Subkostal- oder Oberbauchquerschnittes eine T-förmige Inzision verwendete (Thornton 1890). Young, ein Urologe
298
4
Kapitel 4 · Nebennieren
4.2.4.1 Konventionelle Zugänge 4.2.4.1.1 Ventraler Zugang Dies ist der traditionelle Zugang zu den Nebennieren und wurde in früheren Jahren bevorzugt verwendet. Besonders für die operative Behandlung von Phäochromozytomen wurde der transabdominelle Zugang lange Zeit empfohlen, da er es dem Chirurgen ermöglicht, beide Nebennieren über einen Zugang zu explorieren. Die Notwendigkeit hierzu besteht angesichts der sehr verlässlichen präoperativen bildgebenden Diagnostik heute nicht mehr. Technik. Prinzipiell kann der transabdominelle Zugang über
einen großzügigen Mittelschnitt oder über einen Subkostalschnitt (ggf. beidseitigen Subkostalschnitt) erfolgen. Sofern der Patient einen nicht besonders steilen Rippenbogen aufweist, erscheint der Subkostalschnitt vorteilhafter. Die entscheidende Leitstruktur bei der rechtsseitigen Adrenalektomie ist die V. cava inferior. Sie sollte zu Beginn der Operation freigelegt werden, um die Nebennierenvene frühzeitig identifizieren zu können, und um mögliche Blutungskomplikationen leichter beherrschen zu können. Unterhalb der Nebenniere wird die V. cava inferior vom Duodenum bedeckt, das durch ein großzügiges Kocher-Manöver mobilisiert werden sollte. Der rechte Leberlappen wird mit einem Haken nach kranial retrahiert, um die Nebenierenloge zu exponieren (. Abb. 4.13). Bei größeren oder weit nach kranial reichenden Nebennierentumoren kann es von Vorteil sein, den rechten Leberlappen von lateral bis zur V. cava inferior zu mobilisieren. In diesen Fällen sollte jedoch auch an die Möglichkeit der thorakoabdominellen Inzision gedacht werden. Nach Exposition der V. cava inferior wird an ihrem rechtslateralen Aspekt beginnend etwas oberhalb der Einmündung der rechten Nierenvene von kaudal nach kranial präpariert, wobei auf kleine einmündende Venen geachtet werden muss. Bei der
Dissektion zwischen V. cava inferior und der Nebenniere erkennt man die kurze Nebennierenvene, die zumeist vom oberen Drittel der Drüse direkt in die V. cava inferior mündet. Sie muss vorsichtig ligiert und durchtrennt werden. Ein Abrutschen der Ligatur oder ein Einriss der V. cava kann eine heftige Blutung verursachen, die schnell zu sehr unübersichtlichen Verhältnissen führen kann. Nach Versorgung der Nebennierenvene wird die V. cava etwas nach links retrahiert, um so den retrokaval gelegenen oberen Anteil der Nebenniere freipräparieren zu können. Anschließend kann die Nebenniere relativ leicht vollständig mobilisiert werden, wobei die arteriellen Zuflüsse aus der Nierenarterie bzw. der A. phrenica inferior beachtet werden müssen. Auf der linken Seite kann die Nebenniere, die zum größten Teil hinter der Bursa omentalis liegt, nach Eröffnung der Bauchhöhle auf verschiedenen Wegen erreicht werden: 4 Nach Mobilisation der linken Kolonflexur, der Milz und des Pankreasschwanzes, die nach medial retrahiert werden 4 Nach Durchtrennung des Ligamentum gastrocolicum und Retraktion von Magen und Pankreasschwanz nach kranial 4 Durch das Mesocolon transversum Unabhängig davon, wie die Nebennierenregion erreicht wird, sollte auch auf der linken Seite zunächst die entscheidende vaskuläre Leitstruktur, die linke Nierenvene, aufgesucht werden. An ihrem Oberrand lässt sich leicht die hier einmündende Nebennierenvene identifizieren, die an dieser Stelle durchtrennt und ligiert wird. Die Nebenniere selbst wird dann zirkulär freipräpariert, wobei wie auf der rechten Seite die verschiedenen arteriellen Zuflüsse beachtet werden müssen. Vorteile. Der ventrale Zugang ist der einzige konventionelle Zugang, mit dem beide Nebennieren über eine Inzision erreicht werden können. Im Falle beidseitiger Läsionen kann dies ein Vorteil sein. Es können außerdem Nebennierentumoren nahezu jeder Größe auf diesem Weg entfernt werden. Ferner ermöglicht dieser Zugang eine frühzeitig Unterbindung der Nebennierenvenen, die bei der operativen Behandlung von Phäochromozytomen vorteilhaft ist. Nachteile. Der ventrale Zugang bringt alle Risiken und Probleme mit sich, die mit einer Laparotomie verbunden sind. Neben der intraoperativen Gefährdung intraabdomineller Organe kann dieser Zugang in der frühen postoperativen Phase zu einer Darmatonie führen. Im späteren Leben des Patienten kann es durch Adhäsionen oder Briden zu Passagestörungen des Darmes kommen. Bei sehr adipösen Patienten kann die Exposition der Nebennierenregionen schwierig sein.
. Abb. 4.13. Operationssitus bei der rechtsseitigen Adrenalektomie über den konventionellen ventralen Zugang. V. cava inferior und die rechte Nebennierenloge können durch die Mobilisation des Duodenums und durch Anheben der Leber exponiert werden
4.2.4.1.2 Thorakoabdomineller Zugang Technik. Der Patient liegt in Rückenlage, wobei es vorteilhaft ist, den Oberkörper auf der zu operierenden Seite durch ein Kissen etwas anzuheben. Es wird eine Inzision im ventrolateralen Abschnitt des 9. Interkostalraumes gemacht, die im Verlauf dieses Interkostalraumes über den Rippenbogen hinweg bis zum Oberbauch nahe der Mittellinie verlängert wird (. Abb. 4.14). Peritoneal- und Pleurahöhle werden eröffnet, die knorpelige Verbindung zwischen 9. und 10. Rippe wird durchtrennt. Das Zwerchfell wird nahe dem Rippenansatz bis weit nach dorsal abgelöst. Es sollte dabei an den Rippen nur ein kleiner Saum von Zwerchfellgewebe verbleiben, um die Innervation des Muskels möglichst wenig zu schädigen. Der Saum muss jedoch groß genug sein, um
299 4.2 · Chirurgische Anatomie, konventionelle und minimalinvasive Zugänge zur Nebenniere
4
. Abb. 4.14. Schnittführung beim thorakoabdominellen Zugang zur linken Nebenniere
. Abb. 4.15. Schnittführung beim konventionellen dorsalen Zugang zur rechten Nebenniere
am Ende der Operation das Zwerchfell problemlos wieder vernähen zu können. Auf der rechten Seite wird das Ligamentum triangulare der Leber durchtrennt und der rechte Leberlappen vollständig bis zur V. cava inferior mobilisiert. Links werden die Milz und der Pankreasschwanz mobilisiert und nach rechts retrahiert. Die linke Kolonflexur wird ebenfalls mobilisiert und nach kaudal abgedrängt. Auf beiden Seiten erreicht man so eine großzügige und sehr übersichtliche Exposition der Nebennierenloge.
verläuft und über der 12. Rippe nach lateral abweicht und dem Verlauf der 12. Rippe folgt (. Abb. 4.15). Nach Durchtrennung des subkutanen Fettgewebes gelangt man auf den M. latissimus dorsi, der ebenso wie der laterale Anteil des M. sacrospinalis durchtrennt wird. Somit wird die 12. Rippe exponiert, deren Periostschlauch inzidiert und zirkulär von der Rippe abgeschoben wird. Dabei muss darauf geachtet werden, die Interkostalarterie und den N. subcostalis nicht zu verletzen. Anschließend wird die Rippe nahe der Wirbelsäule durchtrennt und entfernt. Unter dem ventralen Anteil des Periostschlauches der 12. Rippe gelangt man in den retroperitonealen Fettkörper. An dieser Stelle sollte man sich den unteren Umschlagspunkt der Pleura parietalis darstellen und nach kranial abdrängen, um eine Verletzung und damit einen Pneumothorax zu vermeiden. Im retroperitonealen Fett wird der obere Nierenpol dargestellt, der nach kaudal retrahiert wird. Medial des oberen Nierenpols kann dann die Nebenniere an ihrer typischen Farbe sowie an ihrer Konsistenz erkannt werden. Die Nebennierenvene kann zumeist erst spät unterbunden werden, nachdem das Organ bereits weitgehend freigelegt und mobilisiert ist.
Vorteile. Mit keinem anderen Zugang kann eine vergleichbare Übersicht über die Nebennierenregion erzielt werden. Die thorakoabdominelle Inzision eignet sich daher für die Entfernung besonders großer Nebennierentumoren, insbesondere für die operative Behandlung von Nebennierenkarzinomen. Bei diesen Tumoren ist eine exzellente Exposition erforderlich, um die Gefäßverbindungen insbesondere zur V. cava inferior kontrollieren zu können. Nachteile. Dieser Zugang ist relativ traumatisierend und verbindet die möglichen Probleme einer Thorakotomie mit den oben genannten Problemen der Laparotomie. Für die Entfernung kleinerer Tumoren sollte er daher nicht verwendet werden. Zudem kann auf diese Weise nur eine Nebenniere erreicht werden.
4.2.4.1.3 Dorsaler Zugang Technik. Der Patient liegt in Bauchlage, wobei Brustkorb und Becken mit einem Kissen oder mit Decken unterpolstert werden, um den Druck auf das Abdomen zu reduzieren. Der Operationstisch wird in Höhe der 12. Rippe aufgeknickt. Es wird eine gebogene (hockeyschlägerförmige) Hautinzision gemacht, die etwa über dem vertebralen Ansatz der 10. Rippe beginnt, nach kaudal
Vorteile. Dies ist der schonendste konventionelle Zugang zu
den Nebennieren, mit dem sich die neuen minimalinvasiven Verfahren messen lassen müssen. Im Vergleich zu anderen konventionellen Zugängen ist die von dorsal durchgeführte Adrenalektomie mit einer deutlich kürzeren Operationszeit (Prinz 1995; Linos et al. 1997) sowie einer signifikant kürzeren Krankenhausverweildauer (Russell et al. 1982; Prinz 1995; Linos et al. 1997) verbunden. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die Tatsache, dass es bei den Patienten postoperativ nicht zu einer Darmatonie kommt, sodass die normale enterale Ernährung zumeist nicht beeinträchtigt ist. Ferner ist eine Verletzung intraabdomineller
300
4
Kapitel 4 · Nebennieren
Organe sehr unwahrscheinlich, und die Operation wird auch durch Verwachsungen nach vorangegangenen Laparotomien nicht erschwert. Eine beidseitige Operation ist ohne Umlagerung des Patienten möglich.
tungskomplikationen und bei Operationen wegen Phäochromozytomen von Bedeutung sein kann. Pleuraverletzungen und Irritationen von Interkostalnerven sind wie beim dorsalen Zugang möglich.
Nachteile. Die Übersicht über das Operationsgebiet ist im Ver-
4.2.4.2 Minimalinvasive Verfahren Das Spektrum der möglichen chirurgischen Zugänge zu den Nebennieren wurde durch die endoskopischen Operationsverfahren erweitert. 1992 berichten Gagner et al. (Gagner et al. 1992) erstmals von der Möglichkeit der laparoskopischen Adrenalektomie.
gleich zu den anderen konventionellen Zugängen eingeschränkt. Dieser Zugang eignet sich daher nicht für die Entfernung großer (>5 cm) Nebennierenveränderungen. Die Nebennierenvene kann auf beiden Seiten erst spät unterbunden werden. Insbesondere bei bei der Entfernung von Phäochromozytomen wurde lange die frühzeitige Unterbindung der Vene gefordert, um eine exzessive Hormonfreisetzung und die damit verbundenen u. U. lebensbedrohlichen Konsequenzen zu vermeiden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass nach adäquater Vorbehandlung der Patienten mit einem Alpharezeptorenblocker (z. B. Phenoxybenzamin) bei schonender Operationstechnik auch Phäochromozytome sicher über den dorsalen Zugang entfernt werden können (Grant 1997). Ein weiterer Nachteil im Vergleich zu dem transabdominellen Zugang ist die mögliche Verletzung der Pleura. Wird sie erkannt und ist eine Lungenverletzung sicher ausgeschlossen, kann die Pleura nach Blähen der Lunge durch den Anästhesisten durch Naht wieder verschlossen werden. Gelegentlich muss eine Thoraxdrainage eingelegt werden. Beim Verschluss der durchtrennten Gewebeschichten kann der N. subcostalis leicht verletzt oder mit einer Naht gefasst werden. Die hierdurch bedingten neuralgiformen Beschwerden können den Patienten außerordentlich beeinträchtigen und stellen den wohl wichtigsten Morbiditätsfaktor dieses Zuganges dar (Buell et al. 1997). 4.2.4.1.4 Lateraler (Flanken-)Zugang Technik. Der Patient liegt auf der Seite. Er wird so gelagert, dass der Operationstisch in Höhe der unteren Thoraxappertur aufgeknickt werden kann. Es wird eine Inzision vorgenommen, deren Mittelpunkt sich etwa in der mittleren Axillarlinie befindet. Der ventrale Anteil der Inzision liegt subkostal, der dorsale Anteil verläuft zwischen der 10. und 11. oder 11. und 12. Rippe. Nach Durchtrennung der Bauchmuskulatur wird der Peritonealsack nach ventral abgedrängt. Die dorsalen Anteile des Zwerchfellansatzes werden von der Rippe bzw. vom M. psoas abgelöst. Die Pleura wird nach kranial abgeschoben. Man erhält so einen großzügigen Zugang zur Niere und zur Nebenniere. In aller Regel muss die Nebenniere zunächst freigelegt und mobilisiert werden, bevor ihre Vene versorgt werden kann. Vorteile. Dieser von vielen Urologen bevorzugte Zugang bietet eine bessere Übersicht als der dorsale Zugang und erlaubt daher auch die Entfernung größerer Nebennierentumoren. Dabei hat er nicht die Nachteile einer Laparotomie. Insbesondere nach größeren abdominellen Voroperationen ist dies ein wichtiger Aspekt. Bei sehr adipösen Patienten ist dieser Zugang auch deshalb vorteilhaft, da das im Bereich der ventralen Bauchdecke zumeist besonders stark entwickelte Fettgewebe nicht durchquert werden muss. Nachteile. Für die operative Behandlung beidseitiger Nebennierenveränderungen ist dieser Zugang wie die thorakoabdominelle Inzision nicht so geeignet. In diesem Fall wäre eine zwischenzeitliche Umlagerung des Patienten erforderlich, die den Operationsaufwand und die Operationszeit erheblich steigert. Wie bei dem dorsalen Zugang ist die Gefäßkontrolle schwieriger als bei den transabdominellen Operationen, was bei intraoperativen Blu-
Die Adrenalektomie ist ein Eingriff, der sich in idealer Weise für die laparoskopischen Operationstechniken eignet.
Bei den meisten endokrin aktiven Tumoren der Nebennieren handelt es sich um verhältnismäßig kleine Befunde. Ihre Entfernung erfordert beim konventionellen Vorgehen eine relativ große Inzision, sodass das Trauma des chirurgischen Zugangs einen besonders großen Anteil des operativen Gesamttraumas ausmacht. In solchen Fällen kommen die Vorteile der minimalinvasiven Techniken besonders zum Tragen. Zudem handelt es sich bei der Adrenalektomie um einen rein ablativen Eingriff. Eine aufwendige Rekonstruktion, die besondere technische Anforderungen an den Laparoskopiker stellt, ist nicht erforderlich. Die endoskopischen Operationstechniken haben an vielen endokrin-chirurgisch interessierten Zentren die konventionellen Operationsverfahren bei der chirurgischen Behandlung von benignen Nebennierenveränderungen weitgehend verdrängt. Allerdings haben diese Operationsverfahren wie alle minimalinvasiven Techniken eine Lernkurve, die zu durchlaufen etwa 30 Eingriffe erfordert (David et al. 2004). Es lohnt sich daher nicht, sie für eine »gelegentliche« Adrenalektomie zu erlernen (Nies et al. 1997). In verschiedenen Arbeiten wurden die Ergebnisse minimalinvasiver Adrenalektomien den Ergebnissen historischer konventionell operierter Vergleichskollektive gegenübergestellt (Naito et al. 1994; Guazzoni et al. 1995; Prinz 1995; Brunt et al. 1996; MacGillivray et al. 1996; Möbius et al. 1999; Gonzalez et al. 2004). Es ergaben sich jeweils Vorteile für die minimalinvasiven Operationsverfahren. Die Patienten haben weniger Schmerzen, eine kürzere Rekonvaleszenzzeit, eine kürzere Krankenhausverweildauer sowie ein besseres kosmetisches Ergebnis. Auch die Zahl postoperativer Komplikationen ist bei den minimalinvasiven Techniken geringer. Randomisierte Studien zum Vergleich von konventioneller und minimalinvasiver Adrenalektomie liegen bisher nicht vor. Wegen der Seltenheit von Nebennierentumoren sind sie auch nur schwer durchführbar. Ein prospektiver Vergleich mit dem ebenfalls sehr schonenden dorsalen konventionellen Zugang wäre jedoch wünschenswert. Seit der ersten Publikation über die laparoskopische Adrenalektomie wurden verschiedene andere minimalinvasive Operationstechniken zur Entfernung einer Nebenniere beschrieben (Fernandez-Cruz et al. 1993; Heintz u. Junginger 1994; Walz et al. 1995). Prinzipiell muss zwischen den transperitonealen und den retroperitoneoskopischen Techniken unterschieden werden, die jeweils durch unterschiedliche Lagerungen des Patienten variiert werden können. Während bei den transperitonealen Techniken die Bauchhöhle als präformierter Hohlraum genutzt wird, in dem
301 4.2 · Chirurgische Anatomie, konventionelle und minimalinvasive Zugänge zur Nebenniere
4
. Abb. 4.16. Lagerung des Patienten bei der minimalinvasiven transperitonealen Adrenalektomie in Seitenlage. Der Rumpf wird zwischen unterer Thoraxappertur und Crista iliaca möglichst weit aufgeknickt
die Operation nach Anlage eines Pneumoperitoneums durchgeführt werden kann, muss bei den retroperitoneoskopischen Zugängen ein entsprechender Raum erst geschaffen werden. Hierfür wurde zunächst ein Distensionsballon verwendet, der im Retroperitoneum aufgeblasen wird und die Bindegewebs- und Fettstrukturen auseinanderdrängt. Inzwischen wird von vielen Chirurgen auf einen solchen Ballon verzichtet. Der notwendige Raum kann auch durch stumpfe Dissektion geschaffen werden, wenn gleichzeitig ein Pneumoretroperitoneum mit höherem Druck angelegt wird, als es bei transperitonealen Eingriffen üblich ist. Drücke von bis zu 20 mmHg werden ohne Probleme toleriert (Walz 1998). Die aufgrund einer retrospektiven Datenanalyse vermuteten Vorteile des retroperitoneoskopischen Verfahrens (Bonjer et al. 1997) konnten in der einzigen bisher publizierten prospektiven randomisierten Studie zu diesem Thema nicht bestätigt werden (Fernandez-Cruz et al. 1996). In den vergangenen Jahren wurde über erste Erfahrungen mit Roboter-unterstützter minimalinvasiver Adrenalektomie berichtet (Brunaud et al. 2004; Corcione et al. 2004; Moinzadeh u. Gill 2004). Eindeutige Vorteile dieser Verfahren gegenüber den Techniken ohne Robotereinsatz konnten bisher nicht nachgewiesen werden. 4.2.4.2.1 Transperitonealer Zugang in Seitenlage des Patienten Technik. Der Patient wird in Seitenlage gebracht und liegt auf der nicht zu operierenden Seite. Eine strenge 90°-Seitenlage ist nicht erforderlich, vielmehr ist es vorteilhaft, den Patienten etwas nach dorsal zu kippen, sodass eine 70–80°-Seitenlagerung resultiert. Der Operationstisch wird abgeknickt, sodass der Bereich zwischen Rippenbogen und Crista iliaca möglichst weit aufgedehnt wird (. Abb. 4.16). Der Monitor steht neben dem Kopf des Patienten auf dessen Rückenseite, während der Operateur auf der dem Abdomen zugewandten Seite steht. Der Kameramann steht wahlweise neben dem Operateur oder ihm gegenüber (. Abb. 4.17). Ein 2. Assistent ist nur gelegentlich bei der rechtsseitigen Adrenalektomie erforderlich. Er steht dann rechts neben dem Operateur, der Kameramann steht in diesem Fall dem Operateur gegenüber.
Auf der rechten Seite werden 4 Trokare benötigt. Der 1. wird in der Medioklavikularlinie unmittelbar unterhalb des Rippenbogens eingebracht. Er sollte in der offenen Technik platziert werden, um eine Verletzung der Leber zu vermeiden. Die anderen Trokare werden unter Sicht einer 30°-Winkeloptik eingebracht, nachdem ein Pneumoperitoneum angelegt wurde. Ein Trokar wird unmittelbar ventral der peritonealen Umschlagsfalte eben-
. Abb. 4.17. Position des Operationsteams und des Laparoskopieturms bei der laparoskopischen transperitonealen Entfernung der linken Nebenniere in Seitenlage des Patienten
302
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.19. Intraoperatives Bild bei der rechtsseitigen laparoskopischen transperitonealen Adrenalektomie in Seitenlage des Patienten. Zwischen Nebennierentumor (1) und V. cava inferior (2) ist die bereits mit Clips verschlossene Nebennierenvene erkennbar
. Abb. 4.18. Exposition der rechten Nebennierenregion beim laparoskopischen transabdominellen Zugang in Seitenlage des Patienten. Der rechte Leberlappen ist vollständig mobilisiert und wird nach rechts retrahiert. 1 Glandula suprarenalis dextra; 2 V. suprarenalis; 3 V. cava inf.; 4 Lig. hepatoduodenale; 5 Bulbus duodeni. (Modifiziert nach Walz 1998)
falls möglichst dicht am Rippenbogen und der 3. Trokar zwischen den beiden ersten platziert. Der 4. Trokar, über den ein Retraktionsinstrument für die Leber eingebracht wird, wird weiter ventral im rechten Oberbauch eingestochen. Zunächst wird der rechte Leberlappen mobilisiert, um so wie beim konventionellen thorakoabdominellen Zugang die V. cava inferior und die rechte Nebennierenregion übersichtlich exponieren zu können. Aufgrund der Seitenlage fällt die Leber der Schwerkraft folgend nach links und muss mit einem Fächerspreizer nur noch leicht nach kranial abgedrängt werden (. Abb. 4.18). Die Nebenniere ist dann zumeist bereits erkennbar. Die V. cava inferior wird aufgesucht und es wird – wie bei den konventionellen Vorgehen – an ihrem rechtslateralen Aspekt von kaudal nach kranial bis zum Auffinden der Nebennierenvene präpariert. Durch die Blickrichtung von anterolateral auf das Operationsgebiet kann der Winkel zwischen V. cava inferior und Nebenniere und damit auch die dorsolateral in die V. cava einmündende Nebennierenvene eingesehen werden (. Abb. 4.19). Sie wird mit Clips verschlossen und durchtrennt. Gerade dieser Operationsschritt lässt sich laparoskopisch besonders kontrolliert durchführen, da das Laparoskop bis unmittelbar an die Vene herangeführt werden kann. Zudem bedingt der Vergrößerungseffekt der Optik eine besonders gute Detailansicht. Anschließend wird die Nebenniere wie beim konventionellen Vorgehen zirkulär freipräpariert und in einem Bergebeutel aus der Bauchhöhle entfernt. Auf der linken Seite werden nur 3 Trokare benötigt. Sie werden analog den ersten 3 Trokaren bei der rechtsseitigen Operation platziert. Die Anheftung der Milz an der lateralen Bauchwand wird vollständig gelöst, sodass die Milz aufgrund ihres Gewichtes nach rechts fällt. Dadurch wird auch der Pankreasschwanz nach rechts gezogen und umgeklappt. Er wird weiter mobilisiert, bis an seiner
. Abb. 4.20. Intraoperatives Bild bei der linksseitigen laparoskopischen transperitonealen Adrenalektomie in Seitenlage des Patienten. An der Rückfläche des umgeschlagenen Pankreasschwanzes (1) erkennt man die Milzvene (2). Unmittelbar dorsal davon verläuft die Nierenvene (3), in die von kranial die Nebennierenvene (4) einmündet
Rückfläche die Milzvene erkennbar wird. In einer etwas tieferen Gewebeschicht verläuft die Nierenvene, die etwas kaudal und lateral der Milzvene aufgefunden werden kann. An ihrem Oberrand wird die Nebennierenvene identifiziert (. Abb. 4.20). Sie wird mit Clips versorgt und durchtrennt. Sofern die Nebenniere selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennbar ist, weist der periphere Stumpf der Vene den weiteren Weg. Die weitere Präparation unterscheidet sich nicht von der der konventionellen Operationstechnik. Vorteile. Diese Technik ist das am häufigsten angewandte Verfah-
ren zur minimalinvasiven Adrenalektomie. Sie ermöglicht eine einfache und rasche Exposition der Nebennieren. Die meisten Chirurgen sind mit der Anatomie beim transperitonealen Vorgehen vertrauter, weshalb dieses Verfahren von vielen gegenüber den retroperitoneoskopischen Techniken favorisiert wird. Zudem ist der für die Operation zur Verfügung stehende Raum größer als bei den retroperitoneoskopischen Techniken, sodass
303 4.2 · Chirurgische Anatomie, konventionelle und minimalinvasive Zugänge zur Nebenniere
auch etwas größere Tumoren (6–8 cm) entfernt werden können. Es sollte hierbei jedoch beachtet werden, dass mit zunehmender Größe eines Nebennierentumors die Wahrscheinlickeit ansteigt, dass es sich um einen malignen Befund handelt. Auch ist die Übersicht besser, was vor allem von Bedeutung sein kann, wenn wegen einer Blutungskomplikation auf das konventionelle Operationsverfahren umgestiegen werden muss. Die Seitenlagerung bedingt einen weiteren Vorteil: Kleinere Blutmengen fließen vom eigentlichen Operationsgebiet zum tiefsten Punkt hin ab und behindern somit die Sicht weniger als bei verschiedenen anderen Techniken. Nachteile. Gegenüber den retroperitoneoskopischen Verfahren haben die transperitonealen Techniken den Nachteil, dass ihr Einsatz nach größeren Voroperationen im Bauchraum aufgrund von Verwachsungen schwierig sein kann. Außerdem ist eine Verletzung von intraabdominell gelegenen Organen leichter möglich. Die Operation beidseitiger Nebennierenveränderungen erfordert bei Anwendung dieser Technik eine Umlagerung des Patienten.
4.2.4.2.2 Transperitonealer Zugang in Rückenlage des Patienten Diese Technik, mit der die ersten laparoskopischen Nebennierenentfernungen durchgeführt wurden, hat heute im Wesentlichen nur noch historische Bedeutung. Sie ist präparatorisch ungleich aufwändiger als alle anderen minimalinvasiven Verfahren und deshalb weitestgehend verlassen worden. Auf ihre Beschreibung wird daher an dieser Stelle verzichtet. 4.2.4.2.3 Retroperitonealer Zugang in Seitenlage des Patienten Technik. Der Patient wird in eine 90q-Seitenlage gebracht. Der Rumpf wird wie bei der transperitonealen Technik in Seitenlage des Patienten so weit wie möglich aufgeknickt. Der Operateur steht auf der Abdominalseite des Patienten, der Monitor auf der Gegenseite. Der Assistent steht neben dem Operateur. Im Gegensatz zu den transperitonealen Techniken unterscheiden sich die Zugänge zur rechten und zur linken Nebenniere mit dieser Technik nur unwesentlich. Auf beiden Seiten wird zunächst etwa in der mittleren Axillarlinie unmittelbar unterhalb des Rippenbogens eine kleine Hautinzision gemacht. Es wird stumpf durch die Muskulatur bis auf das Peritoneum vorgegangen. Anschließend wird im Retroperitoneum ein Hohlraum geschaffen (z. B. mit Hilfe eines Ballontrokars), in dem dann ein Pneumoretroperitoneum angelegt wird. Anschließend werden 2 weitere Trokare so platziert, dass im Falle eines Umstieges die 3 Trokarinzisionen zu einer subkostalen Inzision verbunden werden können. Als wesentliche Orientierungshilfe dient dann die Niere, deren Kapsel freigelegt wird. Es wird an der Niere entlang nach kranial präpariert bis an ihrem anteromedialen Aspekt die Nebenniere erkennbar wird. Sie wird vollständig mobilisiert. Auf der linken Seite kann erst dann die Nebennierenvene verschlossen und durchtrennt werden, rechts ist dies mitunter früher möglich. Vorteile. Bei den retroperitoneoskopischen Techniken wird der direkteste Zugang zu den Nebennieren gewählt. Eine Verletzung parenchymatöser Organe außer der Niere ist sehr unwahrscheinlich. Zudem können diese Techniken auch nach Voroperationen im Oberbauch problemlos eingesetzt werden.
4
Wie bei der transperitonealen Technik in Seitenlage des Patienten wird die Sicht durch kleine Blutmengen weniger gestört als bei anderen minimalinvasiven Verfahren, da sie sich nicht im eigentlichen Operationsgebiet sammeln. Nachteile. Im Gegensatz zu den transperitonealen Techniken ist der für die Operation zur Verfügung stehende Raum begrenzter. Die Entfernung von Tumoren mit einem Durchmesser von mehr als 5 cm ist deshalb schwierig. Ein theoretischer Nachteil der retroperitoneoskopischen Techniken ist die Tatsache, dass die Nebennierenvene erst spät – nach der Mobilisation der Nebenniere – versorgt werden kann. Bei der Trokarplatzierung kann es zu einer Pleuraverletzung kommen (Heintz et al. 1996). Für die operative Behandlung beidseitiger Nebennierenläsionen erfordert die beschriebene Technik eine zwischenzeitliche Umlagerung des Patienten.
4.2.4.2.4 Retroperitonealer Zugang in Bauchlage des Patienten Technik. Der Patient liegt auf dem Bauch mit gebeugten Hüften, ähnlich der Lagerung beim konventionellen dorsalen Zugang. Der Operateur steht auf der betroffenen Seite, Kameraassistent und Monitor auf der Gegenseite. Zunächst wird unterhalb der Spitze der 12. Rippe eine kleine Inzision gemacht. Es wird durch das subkutane Fettgewebe und die Muskulatur hindurch bis in das Retroperitoneum präpariert. Unter digitaler Kontrolle werden lateral und medial der ersten Inzision 2 Trokare platziert. In die erste Inzision wird ein Abdichtungstrokar eingeführt. Anschließend wird ein Pneumoretroperitoneum angelegt, wobei ein relativ hoher Druck von 15–20 mmHg verwendet wird. Das retroperitoneale Fettgewebe wird in einer gefäßlosen Schicht nach ventral von der Gerota-Faszie abgeschoben. Zumeist kann die Nebenniere bereits jetzt an ihrer typischen Farbe erkannt werden. Sie wird lateral kaudal und kranial freipräpariert. Auf der
. Abb. 4.21. Aspekt der rechten Nebenniere und der V. cava inferior von dorsal. Die Nebennierenvene ist nicht zu erkennen, da sie von dem retrocavalen Anteil der Nebenniere verdeckt ist. 1 V. suprarenalis; 2 V. cava inf.; 3 Glandula suprarenalis dextra; 4 Ren dexter (von dorsal); 5 A. renalis dextra; 6 A. suprarenalis inf.
304
4
Kapitel 4 · Nebennieren
rechten Seite wird nun die Rückfläche der V. cava inferior freigelegt. Kleine arterielle Zuflüsse zur Nebenniere müssen hier beachtet werden. Die Einmündung der Nebennierenvene in die V. cava wird aus der dorsalen Blickrichtung von der Nebenniere verdeckt (. Abb. 4.21). Die mobilisierte Nebenniere wird nach lateral retrahiert, sodass die Nebennierenvene erkennbar wird. Als einer der letzten Präparationsschritte wird sie verschlossen und durchtrennt. Auf der linken Seite wird ebenfalls die Nebenniere zunächst mobilisiert, bevor an ihrem mediokaudalen Anteil die Vene dargestellt und versorgt wird. Vorteile. Zusätzlich zu den oben beschriebenen Vorteilen der retroperitoneoskopischen Verfahren hat diese Technik den Vorteil, dass auch beidseitige Operationen ohne eine zwischenzeitliche Umlagerung des Patienten durchgeführt werden können. Nachteile. Die Nachteile dieses Operationsverfahrens decken
sich – abgesehen von der nicht erforderlichen Umlagerung bei beidseitigen Befunden – mit denen der retroperitoneoskopischen Technik in Seitenlage des Patienten. Literatur Bonjer HJ, Lange JF, Kazemier G, de Herder WW, Steyerberg EW, Bruining HA (1997) Comparison of three techniques for adrenalectomy. Br J Surg 84:679–682 Brunaud L, Bresler L, Zarnegar R, Ayav A, Cormier L, Tretou S, Boissel P (2004) Does robotic adrenalectomy improve patient quality of life when compared to laparoscopic adrenalectomy. World J Surg 28:1180-1185 Brunt LM, Doherty GM, Norton JA, Soper NJ, Quasebarth MA, Moley JF (1996) Laparoscopic adrenalectomy compared to open adrenalectomy for benign adrenal neoplasms. J Am Coll Surg 183:1–10 Buell JF, Alexander HR, Norton JA, Yu KC, Fraker DL (1997) Bilateral adrenalectomy for Cushing’s syndrome – anterior versus posterior surgical approach. Ann Surg 225:63–68 Corcione F, Esposito C, Cuccurullo D, Settembre A, Miranda N, Amato F, Pirozzi F, Caiazzo P (2005) Advantages and limits of robot-assisted laparoscopic surgery: preliminary experience. Surg Endos 19:117–119 David G, Yoav M, Gross D, Reissman P (2004) Laparoscopic adrenalectomy: ascending the learning curve. Surg Endosc 18: 771–773 Fernandez-Cruz L, Benarroch G, Torres E, Martinez-Martin M, Saenz A (1993) Laparoscopic removal of an adrenocortical adenoma. Br J Surg 80:874 Fernandez-Cruz L, Saenz A, Benarroch G, Astudillo E, Taura P, Sabater L (1996) Laparoscopic unilateral and bilateral adrenalectomy for Cushing’s syndrome – transperitoneal and retroperitoneal approaches. Ann Surg 224:727–736 Gagner M, Lacroix A, Bolté E (1992) Laparoscopic adrenalectomy in Cushing’s syndrome and pheochromocytoma. N Engl J Med 327:1033 Gonzalez R, Smith CD, McClusky DA 3rd, Ramaswamy A, Branum GD, Hunter JG, Weber CJ (2004) Laparoscopic approach reduces likelihood of perioperative complications in patients undergoing adrenalectomy. Am Surg 70:668–674 Grant CS (1997) Pheochromocytoma. In: Clark OH, Duh QY (eds) Textbook of endocrine surgery. Saunders Company, Philadelphia London Toronto Montreal Sydney Tokio, pp 513–522 Guazzoni G, Montorsi F, Bocciardi A, da Pozzo L, Rigatti P, Lanzi R, Pontiroli A (1995) Transperitoneal laparoscopic versus open adrenalectomy for benign hyperfunctioning adrenal tumors: A comparative study. J Urol 153:1597–1600 Heintz A, Junginger T (1994) Die endoskopische, extraperitoneale Adrenalektomie. Chirurg 65:1140–1142 Heintz A, Walgenbach S, Junginger T (1996) Results of endoscopic retroperitoneal adrenalectomy. Surg Endosc 10:633–635 Linos DA, Stylopoulos N, Boukis M, Souvatzoglou A, Raptis S, Papadimitriou J (1997) Anterior, posterior, or laparoscopic approach for the management of adrenal diseases ? Am J Surg 173:120–125
MacGillivray DC, Shichman SJ, Ferrer FA, Malchoff CD (1996) A comparison of open vs laparoscopic adrenalectomy. Surg Endosc 10: 987–990 Möbius E, Nies C, Rothmund M (1999) Surgical treatment of pheochromocytomas: Laparoscopic or conventional? Surg Endosc 13:35–39 Moinzadeh A, Gill IS (2004) Robotic adrealectomy. Urol Clin North Am 31: 753–756 Monkhouse WS, Khalique A (1986) The adrenal and renal veins of man and their connections with azygos veins. J Anat 146:105–115 Naito S, Uozumi J, Ichimiya H et al. (1994) Laparoscopic adrenalectomy: Comparison with open adrenalectomy. Eur Urol 26:253–257 Nies C, Möbius E, Rothmund M (1997) Laparoskopische Nebennierenchirurgie. Chirurg 68:99–106. Prinz RA (1995) A comparison of laparoscopic and open adrenalectomies. Arch Surg 130:489–494 Russell CF, Hamberger B, van Heerden JA, Edis AJ, Ilstrup DM (1982) Adrenalectomy: Anterior or posterior approach ? Am J Surg 144:322–325 Thornton JK (1890) Abdominal nephrectomy for large sarcoma of the left suprarenal capsule: Recovery. Trans Clin Soc London 23:150–153 Young HH (1936) A technique for simultaneous exposure and operation on the adrenals. Surg gynecol Obstet 63:179–188 Walz MK, Peitgen K, Krause U, Eigler FW (1995) Die dorsale retroperitoneoskopische Adrenalektomie – eine neue operative Technik. Zentralbl Chir 120:53–58 Walz MK (1998) Minimal-invasive Nebennierenchirurgie. Chirurg 69:613– 620 Welbourn RB (1990) The adrenal glands. In: Welbourn RB (ed) The history of endocrine surgery. Praeger, New York Westport London, pp 147–210
Pathologie der Nebenniere
4.3
R. Moll, P.J. Barth ) ) Bei den Erkrankungen der Nebenniere sind Struktur und Funktion, also pathologische Anatomie und Pathophysiologie, in engem Maße miteinander verknüpft. In diesem Kapitel soll der Schwerpunkt auf den strukturellen, pathomorphologischen Veränderungen der Nebenniere liegen, weil diese im Rahmen der Chirurgie von erheblicher Relevanz sind. Nach einer kurzen Besprechung nicht-neoplastischer Veränderungen liegt der Schwerpunkt des Kapitels bei den Tumoren, wobei zunächst die Adenome und Karzinome der Nebennierenrinde, dann die Tumoren des Nebennierenmarks dargestellt werden. Hierbei kommt der histologischen Dignitätsbestimmung besonderes Gewicht und klinische Tragweite zu.
4.3.1 Nebennierenentzündungen Die Nebenniere kann indirekt oder direkt von entzündlichen Prozessen betroffen oder durch sie verändert sein. In anderen Organen lokalisierte Entzündungen, insbesondere schwere Infekte, manifestieren sich indirekt an der Nebenniere im Sinne eines Lipidschwunds der Zona fasciculata sowie regressiven Zellveränderungen. Folgeerscheinung chronischer Entzündungen kann eine sekundäre Amyloidose vom AA-Typ sein; bei exzessivem Nebennierenbefall mit Amyloidablagerung im Interstitium und konsekutiver Atrophie der Nebennierenrindenzellen (. Abb. 4.22), die großteils schwinden können, kann diese eine seltene Ursache des Morbus Addison darstellen. Dabei können
305 4.3 · Pathologie der Nebenniere
4
zweithäufigste Ursache des Morbus Addison (ca. 1/5 der Fälle). Mikroskopisch sind ausgedehnte käsige Nekrosen charakteristisch, wobei eine produktiv-granulomatöse Reaktion oft nur spärlich ist. Die tuberkulöse Destruktion kann sehr schleichendprotrahiert schubweise ablaufen (Dhom 1981). Die spezifische Entzündung führt makroskopisch zu einer oft beträchtlichen knotigen Vergrößerung der Nebennieren (Einzelgewicht 10– 20 g). Bei fibrös verdickter Kapsel zeigt die Schnittfläche konfluierte grau-weißliche, konfluierende, trocken-feste, käsige Nekroseknoten, die gelegentlich verkalken. Das Restparenchym kann als dünnes Rindenband erhalten sein oder völlig fehlen. Das geringe Ausmaß der produktiv-granulomatösen Reaktion könnte mit der lokal hohen Glukokortikoidkonzentration in diesem Organ erklärt werden. . Abb. 4.22. Amyloidose der Nebenniere (73-jähriger Patient, AA-Amyloidose) mit massiver Ablagerung rötlich gefärbten extrazellulären Amyloids (Kongorotfärbung). Man beachte die ausgeprägte Atrophie und den partiellen Schwund der Nebennierenrindenzellen
die Nebennieren deutlich vergrößert sein. Noch seltener sind Nebennierenamyloidosen der Typen AF und AL (Dhom 1981; Saeger 1997). An der Nebenniere selbst können sich verschiedene Entzündungen abspielen. So ist die Nebennierenrinde bei viralen Infektionskrankheiten oft mitbeteiligt. Zu nennen sind hier die Herpes-simplex-Virus-Infektion des Neugeborenen, die sich in scharf begrenzten Nebennierenrindennekrosen sowie Zellkerneinschlüssen manifestiert, und die Zytomegalievirus-Adrenalitis, die bei HIV-Patienten häufig vorkommt. Weitgehende (>90% des Gewebes) oder komplette entzündliche Zerstörungen der Nebennieren mit Entwicklung eines Morbus Addison sind aber im Wesentlichen auf die Autoimmunadrenalitis und die Nebennierentuberkulose beschränkt. 4.3.1.1 Autoimmunadrenalitis Heute ist die Autoimmunadrenalitis (Dhom 1981; Lack 1997b) – nicht mehr die Nebennierentuberkulose – die weitaus häufigste Ursache des primären Morbus Addison. Möglicherweise auf dem Boden einer aberranten Expression von MHC-Klasse-II-Antigenen (Jackson et al. 1988) kommt es zu einer destruierenden Autoimmunreaktion gegen Nebennierenrindenzellen, verbunden mit zirkulierenden Nebennierenrindenautoantikörpern. Makroskopisch sind beide Nebennieren hochgradig verkleinert (Einzeldrüse 1 g und weniger) und autoptisch oft kaum aufzufinden. Mikroskopisch ist bei erhaltenem Mark die Nebennierenrinde hochgradig verschmälert bis geschwunden, das Fasergerüst kollabiert. Erhaltenes Restparenchym ist – bei reaktiv verstärkter ACTH-Stimulation – manchmal kleinknotig im Sinne von Regeneratknötchen gestaltet. Die Zellen sind lipidarm, kompakt und weisen regressive Zell- und Kernpleomorphien auf. Das Interstitium zeigt ein sehr wechselnd ausgeprägtes lymphoplasmazelluläres Infiltrat, das manchmal Lymphfollikel enthält. Makrophagen können reichlich sein. Abzugrenzen von der Autoimmunadrenalitis sind fokale lymphozytäre Infiltrate (»fokale Adrenalitis«), die klinisch bedeutungslos sind. 4.3.1.2 Nebennierentuberkulose Im Rahmen einer sekundären Tuberkulose sind die Nebennieren relativ häufig betroffen und bei beidseitigem Befall heute die
4.3.2
Kreislaufstörungen
4.3.2.1 Nebennierenblutungen Nebennierenblutungen können vielfältige Ursachen haben und treten überwiegend einseitig – betont auf der rechten Seite –, seltener auch doppelseitig auf, wobei u. U. eine letale Nebennierenrindeninsuffizienz resultieren kann (Dhom 1981; Lack u. Kozakewich 1990). Am eindrucksvollsten ist die apoplektiforme Blutung mit ausgedehnter zentraler Hämatombildung und resultierender Organvergrößerung, wie sie beim Neugeborenen als Geburtskomplikation, beim Erwachsenen nach schweren stumpfen abdominothorakalen Traumen oder als Komplikation bei abdominellen Operationen, adrenaler Venographie oder Antikoagulanzientherapie auftreten kann (. Abb. 4.23). Die Nebenniere kann durch das zentrale Hämatom sackförmig aufgetrieben werden, und es kann zu einem retroperitonealen oder intraperitonealen Einbruch des Hämatoms kommen. Nach längerem Bestehen kommt es zur bindegewebigen Organisation mit Hämosiderinablagerungen und insbesondere Verkalkungen des Hämatoms, die radiologisch sichtbar sind. Weniger massive, diffuse Nebennierenblutungen ohne nennenswerte Organvergrößerung, die sog. diffuse hämorrhagische Durchsetzung, kommt insbesondere als Schockfolge vor. Eine Sonderform stellt das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom bei Meningokokkensepsis im Kindesalter dar; die Endotoxinämie führt hierbei über hyaline Thrombenbildung in Nebennieren-
. Abb. 4.23. Frische Nebennierenblutung (60-jähriger Patient, intraoperative Blutung bei Nierentumoroperation) mit zentralem Hämatom bei weitgehend erhaltener Rinde
306
Kapitel 4 · Nebennieren
sinosoiden zu einer schweren Verbrauchskoagulopathie mit intensiver hämorrhagischer Durchtränkung beider Nebennieren. Oft versterben die Patienten innerhalb eines Tages.
4
4.3.2.2 Nebennierennekrosen Anämische Infarkte der Nebenniere sind die Folge arterieller Verschlüsse, wie sie durch Arteriosklerose, Thrombembolie, Arteriitiden und postoperativ vorkommen können (Dhom 1981; Lack 1997b). In der Regel ist nur ein Organpol betroffen, der zunächst einer makroskopisch weißlich-gelblichen, festen Koagulationsnekrose unterliegt. Durch Organisationsvorgänge entsteht später eine narbige Schrumpfung. Auch dystrophe Verkalkungen können auf dem Boden anämischer Nekrosen entstehen. 4.3.3 Nebennierenzysten Zysten und Pseudozysten der Nebenniere werden überwiegend im Erwachsenenalter angetroffen. Entsprechend ihrer Ätiologie unterscheidet man in abnehmender Häufigkeit endotheliale, epitheliale und parasitäre Zysten. Endotheliale Zysten zeigen eine zarte fibröse Wand, die von einer flachen, endothelialen Zelllage bekleidet wird. Epitheliale Zysten sind Folge der zystischen Umwandlung von soliden epithelialen Tumoren wie Adenomen oder Karzinomen, vor allem aber von Phäochromozytomen. Die Beteiligung der Nebenniere im Rahmen der Echinokokkose ist Ursache parasitärer Nebennierenzysten. Die Pseudozysten der Nebenniere zeigen eine dicke bindegewebige Kapsel mit fokalen Verkalkungen; eine epitheliale Auskleidung ist definitionsgemäß nicht nachweisbar, und im Lumen findet man ein bräunliches Material von lehmiger Konsistenz. Ursache der Pseudozysten sind länger zurückliegende Traumata, Blutungen oder Entzündungen. 4.3.4 Nebennierenrindenhyperplasien Hyperplasien der Nebennierenrinde sind strukturell und funktionell vielfältig. Per definitionem liegt der Hyperplasie eine Zunahme der Zahl der Nebennierenrindenzellen zugrunde, die oft von einer Zellvergrößerung (Hypertrophie) begleitet ist. Dieser Prozess resultiert in der Regel in einer Organvergrößerung, sodass die Einzeldrüse mehr als 4 g wiegt. Die Nebennierenrindenhyperplasien sind fast stets bilateral ausgeprägt. Das makroskopische Spektrum umfasst diffuse, noduläre (mikro-/ makronodulär) sowie kombiniert diffuse und noduläre Hyperplasien. Dabei lassen sich verschiedene funktionell und morphologisch definierte Formen der Nebennierenrindenhyperplasie unterscheiden (Dhom 1981; Lack 1997a,b; Saeger 1997, 2003). 4.3.4.1 Nebennierenrindenhyperplasie mit normalem hormonellen Status: noduläre Hyperplasie Die einfache noduläre Hyperplasie der Nebennierenrinde ist ein sehr häufiger Befund. Nebennierenrindennoduli werden in mehr als der Hälfte der Obduktionen beobachtet (Dobbie 1969; Reinhard et al. 1996). Die noduläre Hyperplasie tritt insbesondere bei älteren Patienten mit Hypertonus und Arteriosklerose auf. Sie kann mit einer Sklerose arterieller Gefäße der Nebennierenkapsel (mit Arteriolosklerose) verbunden sein (Dhom 1981), wobei resultierende lokale Ischämien pathogenetisch von Bedeutung
sein könnten (Dobbie 1969). Trotz der überschießenden Knotenbildung besteht keine Kortikoidüberfunktion. Makroskopisch weisen die Nebennieren multiple, gelbe Noduli auf, deren Größe in der Regel im Millimeterbereich liegt (. Abb. 4.24a), die aber auch – als Makronoduli – mehr als 1 cm Durchmesser erreichen können (. Abb. 4.24d). Manchmal findet man einen einzelnen, dominanten Makronodulus, der klinisch als Inzidentalom imponiert und schwierig von einem Nebennierenrindenadenom abzugrenzen sein kann. Die Noduli sind oft im äußeren Teil der Rinde gelegen und buckeln sich häufig zum Fettgewebe hin vor, betreffen aber auch die zentrale Rinde (. Abb. 4.24a; Dhom 1981). Zum angrenzenden Nebennierengewebe ist keine Kapsel ausgebildet. Braun oder schwarz pigmentierte inzidentelle Rindennoduli sind vorwiegend im Bereich der Zona reticularis lokalisiert (Lack 1997a,b). Mikroskopisch bestehen die Noduli überwiegend aus lipidreichen Spongiozyten, die keine zytologischen Atypien aufweisen; ihre Gewebsarchitektur kann sich aber durchaus von der der normalen Nebennierenrindenzonen abheben (. Abb. 4.24b; Lack 1997a). Knotig transformiertes Nebennierenrindengewebe kann umschrieben in das periadrenale Fettgewebe eindringen (. Abb. 4.24c). 4.3.4.1.1 Nebennierenrindenhyperplasie mit hormoneller Dysfunktion: adrenogenitales Syndrom Diesem Syndrom liegen verschiedene angeborene Enzymdefekte der Steroidbiosynthese zugrunde, wobei der 21-HydroxylaseDefekt am häufigsten ist (7 Kap. 4.1). Durch den hypophysären Feed-back-Mechanismus kommt es zu stark erhöhter ACTHAusschüttung und damit zu einer bereits von Geburt an bestehenden, starken, bilateralen Vergrößerung der Nebennieren (Einzeldrüsen bei Kindern bis 15 g, bei Erwachsenen bis 35 g schwer). Makroskopisch liegt eine diffuse Hyperplasie der Nebennierenrinde mit typischer gyrierter, hirnwindungsartiger Oberfläche des Organs vor (Dhom 1981; Lack 1997a,b). Die Farbe ist meist bräunlich. Dementsprechend sieht man mikroskopisch lipidarme, kompakte Zellen mit eosinophilem Zytoplasma. Bei Steroidsubstitution treten auch lipidreiche Zellen vom Typ der Spongiozyten auf. 4.3.4.2 Nebennierenrindenhyperplasie mit Hyperkortisolismus Morbus Cushing. Beim hypophysär bedingten, meist durch ein ACTH-bildendes Adenom der Adenohypophyse ausgelösten Morbus Cushing besteht makroskopisch eine in der Regel nur leichte Vergrößerung beider Nebennieren (Einzelgewicht 6–12 g; Lack 1997a). Sie zeigen meist eine diffuse oder kombiniert diffuse und mikronoduläre Rindenhyperplasie, die histologisch aus Spongiozyten (peripher) und kompakten Zellen (zentral) aufgebaut ist. Seltener, besonders nach längerem Bestehen der Krankheit, bildet sich eine makronoduläre Hyperplasie mit größeren gelben Knoten aus. Diese können im weiteren Verlauf hormonelle Autonomie erlangen. Ektopes (paraneoplastisches) ACTH-Syndrom. Eine Reihe von Tumoren wie Bronchuskarzinoide, kleinzellige Bronchialkarzinome, endokrine Tumoren sowie verschiedene weitere Tumoren können ektope ACTH-Quellen darstellen, wobei das kleinzellige Bronchialkarzinom etwa die Hälfte dieser Fälle ausmacht. Es liegen oft stark erhöhte ACTH-Spiegel vor. Dementsprechend resultiert eine Vergrößerung der Nebennieren (Einzelgewicht
307 4.3 · Pathologie der Nebenniere
4
. Abb. 4.24a–d. Einfache noduläre Nebennierenrindenhyperplasie. a–c Mikronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie bei Oxalatnephropathie und Urämie (58-jähriger Mann). a Gelbe Knötchenbildung auch in der zentralen Rinde. b, c Histologie mit kortikalen Mikronoduli (helle
Zellknoten in b), die ins periadrenale Fettgewebe eindringen können (c). Kapselfibrose (b, oberer Bildteil). d Makronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie (63-jähriger Patient mit Hypertonie, Arteriosklerose und Bronchialkarzinom; Autopsiepräparat)
10–15 g) mit einer meist diffusen Hyperplasie und überwiegend bräunlichen Farbe. Histologisch dominieren kompakte Zellen (Lack 1997a).
Hyperplasie der Zona glomerulosa – Hyperaldosteronismus.
Makronoduläre Hyperplasie mit starker Nebennierenvergrößerung. Bei dieser seltenen Form der primären Nebennieren-
rindenüberfunktion sind die Einzelzellen funktionell unterwertig, aber so stark vermehrt, dass insgesamt ein Cushing-Syndrom resultiert (Aiba et al. 1991; Lack 1997a). Makroskopisch sind beide Nebennieren hochgradig vergrößert (Einzeldrüse 30–90 g) und durch ihren Aufbau aus gelben, nicht gekapselten Makronoduli bizarr deformiert. Es ist offensichtlich, dass diese Veränderung klinisch oft einen hochgradigen Tumorverdacht hervorruft. Primäre pigmentierte noduläre Nebennierenrindenerkrankung (kleinknotige Rindenadenomatose). Dieses seltene Krank-
heitsbild findet sich überwiegend bei jüngeren Patienten. Bei insgesamt meist regelrechter Organgröße enthalten die Nebennieren multiple braun pigmentierte Mikronoduli (Dhom 1981; Shenoy et al. 1984; Lack 1997a). Sie sind oft in der tiefen Rindenzone lokalisiert und histologisch aus kompakten lipofuszinhaltigen Zellen aufgebaut, ähneln damit der Zona reticularis. Da diese Zellen funktionell stark aktiv sind, entsteht ein CushingSyndrom. Die übrige Rinde zwischen den Noduli ist atrophisch. Pathogenetisch werden autoimmune Mechanismen diskutiert (Lack 1997a).
Ein primärer Hyperaldosteronismus liegt klassischerweise beim aldosteronproduzierenden Adenom (selten auch Karzinom) vor (7 Kap. 4.3.5.1). Häufiger als früher angenommen – wohl sogar in der Mehrzahl der Fälle – kann diesem aber auch eine primäre Hyperplasie der Zona glomerulosa zugrunde liegen. Die Hyperplasie der Zona glomerulosa ist morphologisch variabel ausgeprägt, teils als diffuse bandartige Verbreiterung in der typischen subkapsulären Topographie, teils auch mit nodulärer Umwandlung (Neville u. O’Hare 1985; Lack 1997a). Ein therapeutisch induzierter, eigentümlicher mikroskopischer Befund sind die Spironolactonkörperchen, lamelläre zwiebelschalenartige eosinophile Zytoplasmaeinschlüsse in den Glomerulosazellen (Dhom 1981). Beim sekundären Hyperaldosteronismus wird meist eine diffuse Hyperplasie der Zona glomerulosa beobachtet. 4.3.5 Nebennierenrindenadenome Nebennierenrindenadenome sind autonom wachsende, aber benigne epitheliale Tumoren der Nebennierenrinde (Lack 1997a; Saeger 1997, 2003). Sie sind häufig endokrin aktiv und können entsprechend dem produzierten Steroidhormon spezifische endokrine Syndrome hervorrufen. Die makroskopische und mikroskopische Struktur zeigt eine lockere, aber keineswegs strenge Korrelation mit dem endokrinen Funktionstyp. Im Spektrum
308
4
Kapitel 4 · Nebennieren
proliferativer Nebennierenrindenläsionen sind die Nebennierenrindenadenome auf der einen Seite gegenüber der nodulären Hyperplasie (insbesondere gegenüber dominanten Makronoduli), auf der anderen Seite gegenüber dem Nebennierenrindenkarzinom abzugrenzen. Beide Grenzlinien sind unscharf, weshalb besonders in der Differenzialdiagnose Adenom versus Karzinom in Einzelfällen beträchtliche Probleme auftreten können. Zur Molekularpathogenese der Adenome und Karzinome der Nebennierenrinde 7 Kap. 4.1. 4.3.5.1 Aldosteronsezernierendes Nebennierenrindenadenom Nebennierenrindenadenome mit Aldosteronproduktion und konsekutiver Ausbildung eines Conn-Syndroms stellen etwa 4/5 aller endokrin aktiven Nebennierenrindenadenome dar. Sie kommen am häufigsten im mittleren Lebensalter vor, wobei das weibliche Geschlecht dominiert. Diese Tumoren sind typischerweise recht klein (meist <2 cm Durchmesser, Gewicht meist <10 g), meist solitär, nur selten bilateral. Makroskopisch erscheinen sie als runde bis ovale Knoten mit homogener, gelb-orangefarbener oder goldgelber Schnittfläche (. Abb. 4.25a). Regressive Veränderungen und Hämorrhagien können vorkommen. Ihr Rand ist glatt, wobei mikroskopisch eine fibröse (Pseudo-)Kapsel zum angrenzenden Nebennierengewebe inkonstant ausgebildet ist; an der Außenseite kann die Organkapsel selbst durch das Adenom expandiert werden. Im zellulären Aufbau dominieren große lipidreiche Spongiozyten (. Abb. 4.25b); daneben kommen lipidärmere oder kompakte Zellen vom Typ der Zona glomerulosa (die nicht im Vordergrund stehen!) und der Zona reticularis vor. Die Zellkerne können leicht bis mäßig pleomorph sein (. Abb. 4.25b). Die Adenomzellen sind meist in Alveolen oder kurzen soliden Strängen angeordnet, die von schmalem gitterfaserhaltigem, kapillarführendem Stroma getrennt werden (Dhom 1981; Lack 1997a). Bemerkenswerterweise zeichnet sich die angrenzende und auch die kontralaterale Nebennierenrinde häufig durch eine diffuse oder noduläre Hyperplasie aus, die sich histologisch der Zona glomerulosa zuordnen lässt. Bei Behandlung mit dem entsprechenden Aldosteronantagonisten entstehen Spironolactonkörperchen (7 Kap. 4.3.4.2, Abschn. »Hyperplasie der Zona glomerulosa – Hyperaldosteronismus«) sowohl in Adenomzellen als auch in Zellen der hyperplastischen Zona glomerulosa. 4.3.5.2 Kortisolsezernierendes Nebennierenrindenadenom Dieses ist mit knapp 1/5 aller endokrin aktiven Nebennierenrindenadenome der zweithäufigste Typ. Kortisolsezernierende Adenome kommen vom Kindes- bis zum höheren Erwachsenenalter vor und sind in der Regel größer als die aldosteronsezernierenden Adenome; sie liegen typischerweise im Durchmesser zwischen 3 und 5 cm und im Gewicht zwischen 10 und 40 g (bei einem Gewicht über 100 g liegt häufig schon ein Karzinom vor). Makroskopisch zeigen die meist weichen Adenome eine gelbe, homogene oder angedeutet lobulierte Schnittfläche, die aber häufig in unterschiedlichem Ausmaß irregulär von braunen Herden und Zonen durchsetzt ist. Zum benachbarten Nebennierengewebe kann eine fibröse (Pseudo-)Kapsel vorhanden sein, aber auch fehlen (. Abb. 4.25c). Den makroskopisch gelben Arealen liegen histologisch große hellzellige lipidreiche Spongiozyten mit deutlichen Zellgrenzen (Zona-fasciculata-Typ) zu-
grunde (. Abb. 4.25d, linke Bildhälfte), den braunen Bezirken eosinophile kompakte Zellen mit Lipofuszinpigment (Zonareticularis-Typ; . Abb. 4.25d, rechte Bildhälfte, und . Abb. 4.25e). Es können leichte bis mäßige, manchmal auch ausgeprägte Kernpleomorphien beobachtet werden, die besonders die kompakten Zellen betreffen (. Abb. 4.25e); auch nukleäre Pseudoinklusionen kommen vor. Mitosen sind aber (außer bei kleinen Kindern) selten. Regressive Veränderungen mit Kalzifizierungen und metaplastischer Knochenbildung können vorkommen (Lack 1997a). Durch die Suppression der ACTH-Bildung im Hypophysenvorderlappen ist die übrige und kontralaterale Nebenniere typischerweise atrophisch. Es liegt somit klinisch ein primäres adrenales Cushing-Syndrom vor. 4.3.5.3 Pigmentiertes (»schwarzes«) Nebennierenrindenadenom Es handelt sich hier um eine seltene Sonderform kortisolsezernierender Nebennierenrindenadenome mit Cushing-Syndrom, die vorwiegend bei Frauen mittleren Lebensalters auftreten. Diese bis etwa 30 g schweren und bis 3 cm durchmessenden Adenome verdanken ihre makroskopisch tiefbraune bis fast schwarze Farbe ihrem histologischen Aufbau aus kompakten (Zona-reticularis-ähnlichen) Zellen mit reichlich Lipofuszinpigment (Lack 1997a). Naturgemäß ist die anhängende Nebennierenrinde atrophisch. 4.3.5.4 Androgensezernierendes Nebennierenrindenadenom Nebennierenrindenadenome mit Androgenproduktion sind selten; sie werden vorwiegend bei Kindern beobachtet und wirken sich bei Mädchen virilisierend aus. Histologisch sind sie meist durch kompakte Zellen (Zona-reticularis-Typ) mit eosinophilem Zytoplasma gekennzeichnet, ohne dass diese Morphologie für Androgenproduktion spezifisch ist (Lack 1997a). Die angrenzende Nebennierenrinde ist nicht atrophisch und wird nur lokal durch das Adenom komprimiert. Bei Androgen-bildenden Nebennierenrindentumoren ist stets zu bedenken, dass die Mehrzahl maligne ist (7 Kap. 4.3.6). 4.3.5.5 Östrogensezernierendes Nebennierenrindenadenom Diese sind noch seltener als die androgenbildenden Adenome. Sie treten meist im jüngeren Erwachsenenalter auf und wirken bei Männern feminisierend. Wie ihre Androgen-bildenden Gegenstücke sind sie meist aus kompakten Zellen aufgebaut. Auch hier ist stets an potenzielle Malignität zu denken. 4.3.5.6 Inaktives inzidentelles Nebennierenrindenadenom Inzidentelle Nebennierenrindenadenome bzw -knoten ohne endokrine Überfunktion werden heute durch bildgebende Verfahren zunehmend vor allem bei älteren Patienten gefunden. Sie sind meist nicht sehr groß (bis ca. 5 cm Durchmesser); die kleineren stellen oft keine echten Adenome, sondern nicht-autonome Makronoduli dar (7 oben). Mikroskopisch liegen Spongiozyten, seltener kompakte Zellen vor (Lack 1997a). Die Knoten können regressiv verändert sein (. Abb. 4.25f). Bei Inzidentalomen von mehr als 6 cm Durchmesser handelt es sich in etwa 25% der Fälle um Nebennierenrindenkarzinome (7 unten; Grumbach et al. 2003).
309 4.3 · Pathologie der Nebenniere
4
. Abb. 4.25a–f. Nebennierenrindenadenome (a, b mit Conn-Syndrom; c–f mit Cushing-Syndrom). a Aldosteronsezernierendes Nebennierenrindenadenom (Conn-Adenom) von maximal 2,7 cm Durchmesser (58-jähriger Mann) mit überwiegend gold-gelber Schnittfläche. b Typische Histologie eines Conn-Adenoms mit großen lipidreichen Spongiozyten mit hellem feinvakuolärem Zytoplasma. Mäßige Kernpleomorphie (prominenter Zellkern in rechter Bildhälfte). c–e Kortisolsezernierendes Nebennierenrindenadenom (47-jährige Frau mit Cushing-Syndrom). c Hier direktes Angrenzen der leicht polymorph erscheinenden Adenom-
zellen (hier überwiegend spongiozytär) in der linken Bildhälfte an einen subkapsulären Streifen normalen hellzelligen Nebennierenrindengewebes in der rechten Bildhälfte. d, e Die höhere Vergrößerung zeigt rötliche kompakte Zellen (d, rechte Bildhälfte; e) mit zum Teil pleomorphen Zellkernen (e) neben hellen lipidreichen Spongiozyten (d, linke Bildhälfte). f Inzidentelles Nebennierenrindenadenom links (70-jährige Frau, Autopsiepräparat) mit starken regressiven Veränderungen im Sinne hämorrhagischer Zystenbildung
4.3.5.7 Onkozytäres Nebennierenrindenadenom Die onkozytäre Sonderform des Nebennierenrindenadenoms (Lack 1997a) zeigt, ebenso wie onkozytäre Tumoren anderer Organe, makroskopisch eine typische braune Schnittfläche und histologisch Zellen mit stark granulärem eosinophilem Zytoplasma, bedingt durch zahllose Mitochondrien. Es besteht oft eine erhebliche Kernpleomorphie, ohne dass Malignität vorliegen muss. Diese sehr seltenen Tumoren sind endokrin inaktiv.
4.3.6
Nebennierenrindenkarzinome
4.3.6.1 Epidemiologie und klinische Symptomatik Das Nebennierenrindenkarzinom ist ein maligner Tumor, der sich von Zellen der Nebennierenrinde ableitet. Die Inzidenz wird in der Literatur mit 1–2 pro 1 Mio. angegeben, damit zählt das Nebennierenrindenkarzinom zu den seltenen malignen Tumoren (Correa u. Chen 1995). Die Altersverteilung der Patienten
310
4
Kapitel 4 · Nebennieren
ist bimodal mit einem Altersgipfel in der 1. Dekade und einem 2. Altersgipfel in der 4. bis 5. Lebensdekade (Wooten u. King 1993). Zur Geschlechtsverteilung liegen keine eindeutigen Daten vor. Während einzelne Autoren eine weibliche Prädilektion (1,5:1) beschreiben, zeigt sich in anderen Studien keine eindeutige Geschlechtsprädilektion. Zur molekularen Karzinogenese 7 Kap. 4.1. Nebennierenrindenkarzinome treten etwas häufiger in der linken Nebenniere als in der rechten Nebenniere auf (Wooten u. King 1993). Bilaterale Tumoren sind extrem selten (D’Agata et al. 1987; Sullivan et al. 1978), jedoch finden sich gelegentlich Metastasen in die kontralaterale Nebenniere (Hutter u. Kayhoe 1966; Nader et al. 1983). Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bestehen bei vielen – bis über einem Drittel – der Patienten bereits hämatogene Metastasen (Cohn et al. 1986; Venkatesh et al. 1989). Bevorzugte Lokalisation hämatogener Metastasen des Nebennierenrindenkarzinoms sind die Lunge, die Leber, das Skelettsystem und das Retroperitoneum (King u. Lack 1979). Eine hormonelle Aktivität, die in einigen Fällen zur Primärdiagnose des Tumors führt, wird in 25–75% der Fälle beschrieben. In Fällen hormoneller Aktivität kann sich die endokrine Symptomatik als reines, durch die Erhöhung eines einzelnen Steroidhormons erklärbares Krankheitsbild manifestieren, wobei im Gegensatz zu den Adenomen (7 Kap. 4.3.5.1) eine Aldosteronproduktion nur selten vorkommt und statt dessen kortisolsezernierende Nebennierenrindenkarzinome dominieren, gefolgt von androgensezernierenden Karzinomen (welche bei Kindern im Vordergrund stehen). Es treten aber auch Fälle mit kombinierter hormoneller Symptomatik auf, in denen mehr als ein Steroidhormon von den Tumorzellen gebildet wird, wobei die Kombination von Kortisolund Androgensekretion am häufigsten ist. Im Kindesalter ist ein gemischtes Überfunktionssyndrom mit Cushing-Syndrom und Virilisierung besonders typisch. 4.3.6.2 Pathologie Makroskopie. Bei den Nebennierenrindenkarzinomen handelt
es sich um große lobulierte, von einer bindegewebigen Pseudokapsel umgebene Tumoren von weicher Konsistenz. Der Tumor hat eine orange-gelbe bis mahagonibraune Farbe. Nekrosen, die häufig in Nebennierenkarzinomen angetroffen werden, zeichnen sich durch eine trockene, lehmgelbe Schnittfläche aus. Der Tumor wird von breiten fibrösen Bändern septiert. Der Durchmesser liegt meist über 5–6 cm (Henley et al. 1983; Icard et al. 1992; King u. Lack 1979; Weiss 1984; Cohn et al. 1986; Lack 1997a). Das mittlere Gewicht der Nebennierenrindenkarzinome, die in verschiedenen Studien untersucht wurden, liegt zwischen 500 und 1200 g (Cohn et al. 1986; Weiss 1984; Icard et al. 1992).
Das Tumorgewicht stellt bei den Nebennierenrindenkarzinomen ein wichtiges diagnostisches Kriterium dar; so wurde in einer Studie gezeigt, dass alle Tumoren mit einem Gewicht von mehr als 95 g einen malignen Verlauf nahmen (Tang u. Gray 1975).
Andererseits wurden auch Tumoren mit weniger als 50 g beschrieben, die hämatogen metastasierten (Tang u. Gray 1975). Nebennierenrindenkarzinome können in das angrenzende Weichteilgewebe und in Nachbarorgane, insbesondere Niere und Leber, invasiv einwachsen.
Histologie. Nebennierenrindenkarzinome bestehen aus soliden
und alveolären Arealen und aus breiten anastomosierenden Trabekeln, die von zarten Stromasepten umgeben sind (. Abb. 4.26a–c). Zwischen den Tumortrabekeln kommen ausgedehnte sinusoidal erweiterte, venöse dünnwandige Gefäße zur Darstellung, in denen Tumorthromben nachweisbar sein können. Auch größere Venen und die V. cava inferior können Karzinomzapfen enthalten (Dhom 1981; Brabrand u. Soreide 1987; Ritchey et al. 1987; Lack 1997a). Die einzelnen, bereits makroskopisch erkennbaren Lobuli werden von breiten fibrösen Bändern umscheidet (. Abb. 4.26a). In der Regel dominieren lipidarme oder kompakte Tumorzellen mit blassem oder eosinophilem Zytoplasma (. Abb. 4.26b,c). Daneben können auch lipidreiche Tumorzellen mit einem transparenten Zytoplasma angetroffen werden. Des Weiteren finden sich große Tumorzellen und Tumorriesenzellen mit deutlich pleomorphen, vergrößerten, hyperchromatischen und entrundeten Kernen, die große Zytoplasmainklusionen aufweisen (Lack 1997a). Wie bei anderen endokrinen Neoplasien auch ist die Tumorzellpleomorphie kein sicheres Kriterium für die Diagnose der Malignität. Für das Tumorgrading sollte als objektives Kriterium die Mitosefrequenz herangezogen werden, wobei Tumoren mit 20 oder weniger Mitosen pro 50 HPF (»high power field«, mikroskopisches Gesichtsfeld mit hoher Vergrößerung) als niedrigmaligne Tumoren und Tumoren mit mehr als 20 Mitosen pro 50 HPF als hochmaligne Tumoren eingestuft werden sollten (Weiss et al. 1989). Die seltenen kindlichen Nebennierenrindentumoren, insbesondere bei kleinen Kindern unter 5 Jahren, nehmen biologisch eine Sonderstellung ein. Gemäß den konventionellen pathologischen Kriterien machen Adenome nur etwa 1/4 der Fälle aus, während überwiegend, in etwa 3/4 der Fälle Karzinome vorzuliegen scheinen, die sich oft durch atypische Mitosen, Nekrosen und Kapselinvasion auszeichnen (Lack 1997a). Ähnlich den Nebennierenrindenkarzinomen beim Erwachsenen manifestiert sich die Mehrzahl kindlicher Nebennierenrindentumoren als virilisierend oder als virilisierend kombiniert mit einem CushingSyndrom (Lack et al. 1992; Neblett et al. 1987). Die Besonderheit liegt aber darin, dass sich viele dieser morphologisch und endokrinologisch bösartig erscheinenden Tumoren klinisch benigne verhalten. In einer Serie kindlicher Nebennierenrindentumoren zeigten etwa die Hälfte, also einschließlich morphologisch als Karzinome imponierender Fälle, einen klinisch blanden Verlauf (Zerbini et al. 1992). 4.3.6.3 Immunhistochemie (. Tab. 4.3) Während normales Nebennierenrindengewebe eine häufige, wenngleich heterogene Expression der Zytokeratine CK8 und CK18 aufweist, lassen sich Zytokeratine in Nebennierenrindenkarzinomen nur in einer kleinen Subpopulation nachweisen, wobei der Prozentsatz der Keratin-reaktiven Tumorzellen von Studie zu Studie stark schwankt (Miettinen et al. 1985; Wick et al. 1986; Cote et al. 1990; Schröder et al. 1992; Lack 1997a). Vimentin wird dagegen in den Nebennierenrindenkarzinomen ausgedehnter exprimiert (Miettinen et al. 1985; Cote et al. 1990), während dieses Intermediärfilamentprotein in normalen Nebennierenrindenzellen nur spärlich vorkommt. EMA (»epithelial membrane antigen«), CEA, AFP und HMFG-2 werden in Nebennierenrindenkarzinomen konstant nicht nachgewiesen (Wick et al. 1986; Gaffey et al. 1992; Schröder et al. 1992). Ebenso ist keine S-100-Immunreaktion in Nebennierenrin-
311 4.3 · Pathologie der Nebenniere
4
a . Abb. 4.26a–c. Nebennierenrindenkarzinom. a Übersicht im histologischen Direktpräparat mit typischem irregulär-nodulärem Aufbau mit breiten fibrösen Bändern, die in der van Gieson-Färbung rot dargestellt sind. Die gelblichen Herde (oben Mitte und linker unterer Rand des Präparats) stellen Nekrosen dar. b Das Tumorgewebe wird von breiten fibrösen Bändern durchzogen. c Zwischen den Tumorzellkomplexen zeigen sich stark erweiterte sinosoidale Gefäße, in denen Tumorthromben frei flottieren
. Tab. 4.3. Immunhistochemisches Markerprofil der Nebennierentumoren
Immunhistochemischer Marker
Nebennierenrindenkarzinom
Phäochromozytom
Andere positive Primärtumoren der Nebenniere
Positive Metastasen
CK 8, CK 18
–/+
–
–
Leber-, Nieren- und andere Karzinome
A103
+
–
–
Malignes Melanom
Inhibin (α-Untereinheit)
+
–
–
–
Chromogranin A
–
+
Neuroblastom (z. T.)
Neuroendokrine Karzinome
S-100
–
+
Schwannom
Malignes Melanom
HMB-45
–
–/+
–
Malignes Melanom
EMA
–
–
–
Karzinome (Mamma, Niere u. a.)
CEA
–
–
–
Adenokarzinome (Gastrointestinaltrakt u. a.)
AFP
–
–
–
Keimzelltumoren, Leberzellkarzinom
denkarzinomen nachweisbar (Schröder et al. 1992). Als Zelltypmarker der Nebennierenrindenzellen können die α-Untereinheit von Inhibin (Renshaw u. Granter 1998; Cho u. Ahn 2001), ein durch den Melanomantikörper A103 erkanntes Antigen (Renshaw u. Granter 1998) sowie Calretinin herangezogen werden, die für die Differenzialdiagnose primärer und metastatischer Nebennierenrindenkarzinome gegenüber histologisch ähnlichen Tumoren anderer Herkunft wie z. B. Leber- oder Nierenzellkarzinomen hilfreich sein können.
4.3.6.4 Differenzialdiagnose Die Differenzialdiagnose des Nebennierenrindenkarzinoms schließt gutartige Nebennierenrindentumoren und Metastasen ein. Die Abgrenzung zu gutartigen Nebennierenrindentumoren, insbesondere zum Nebennierenrindenadenom (7 Kap. 4.3.5), kann im Einzelfall große Probleme bereiten (zu Malignitätskriterien adrenokortikaler Tumoren siehe Weiss 1984; Aubert et al. 2002; Saeger 2003; Fassnacht et al. 2004). Die wichtigsten morphologischen Kriterien für die Diagnose eines Nebennierenrin-
312
Kapitel 4 · Nebennieren
denkarzinoms sind das Tumorgewicht sowie der histologische Nachweis eines kapselüberschreitenden Wachstums, Veneneinbrüche und das Vorhandensein von breiten fibrösen Bändern, Nekrosen sowie das Auftreten von hämatogenen Metastasen (7 Übersicht).
4
Diagnostische Kriterien des Nebennierenrindenkarzinoms (Die Reihenfolge entspricht einer absteigenden Relevanz für die Diagnose eines Nebennierenrindenkarzinoms) 5 Breite Fibrosezonen (fibröse Bänder) 5 Diffuses infiltrierendes Wachstum 5 Gefäßinvasion 5 Ausgedehnte Tumornekrose 5 >10 Mitosen/100 HPF (Gesichtsfelder hoher Vergrößerung) 5 Zellpolymorphie 5 Kapseldurchbruch
Zytologische Veränderungen, wie das Vorhandensein von bizarren hyperchromatischen pleomorphen Kernen, sind – abgesehen von einer hohen Mitoserate und von atypischen Mitosen – nicht pathognomonisch für das Vorliegen eines Nebennierenrindenkarzinoms. Nebennierenmetastasen, ausgehend von Tumoren des Gastrointestinaltraktes, der Nieren, der Lunge und anderer endokriner Organe (7 Kap. 4.3.10 und . Tab. 4.3) müssen differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden, wobei Probleme insbesondere bei Primärtumoren mit einer hellzelligen Morphologie entstehen. Die Abgrenzung der Nebennierenrindenkarzinome gegenüber Metastasen aus dem Gastrointestinaltrakt gelingt aufgrund der meist positiven CEA-Reaktivität der gastrointestinalen Tumoren, während Nebennierenrindenkarzinome für CEA negativ reagieren. Des Weiteren sollten hellzellige Karzinome der Leber und der Niere erwogen werden. Hellzellige hepatozelluläre Karzinome können aufgrund ihrer Positivität für AFP (teilweise) und HepPar1 von Nebennierenrindenkarzinomen abgegrenzt werden. Der immunhistochemische Nachweis der Zytokeratine CK8 und CK18, der fast konstant in hellzelligen Leberzellkarzinomen und Nierenzellkarzinomen möglich ist, fällt in Nebennierenrindenkarzinomen allenfalls gering und fokal aus (Miettinen et al. 1985; Wick et al. 1986; Schröder et al. 1992); eine sichere Abgrenzung ist damit aber – besonders bei kleinen Biopsien – nicht möglich. Im Gegensatz zu Nebennierenrindenkarzinomen (7 oben) sind Metastasen eines hellzelligen (klarzelligen) Nierenzellkarzinoms positiv mit EMA (7 unten, . Abb. 4.30b,c; Kumar u. Kumar 1993; Medeiros et al. 1988; Wick et al. 1986) und weisen meist auch eine positive PASReaktion auf, die in Nebennierenrindenkarzinomen nicht nachweisbar ist. Während klarzellige Nierenzellkarzinome ein strukturloses, transparentes, klares Zytoplasma zeigen, ist das Zytoplasma der hellen Zellen in Nebennierenrindenkarzinomen feingranulär. Als immunhistochemische Marker für Nebennierenrindenkarzinome können A103, Inhibin und Calretinin dienen (7 oben). Die Feinnadelpunktionszytologie (Wadih et al. 1992; Lack 1997a) trägt in den meisten Fällen wenig zur Differenzialdiagnose zwischen Nebennierenrindenadenomen und Nebennierenrindenkarzinomen bei und ist im Allgemeinen nur bei
. Abb. 4.27a,b. Myelolipom (rechtsseitig, maximal 9 cm Durchmesser; 57-jährige Frau). a Übersichtsvergrößerung; b höhere Vergrößerung. Unter einem subkapsulären Saum residuellen Nebennierenrindengewebes (in a oben, in b links) ein teils aus Fettgewebe, teils aus hämatopoetischem Gewebe mit Einschluss typischer großer Megakaryozyten (b, rechts der Mitte) bestehender benigner Tumor
Verdacht auf eine Nebennierenmetastase indiziert (7 unten; . Abb. 4.30d). 4.3.7 Myelolipom Myelolipome sind eigentümliche gutartige Tumoren der Nebenniere, die oft als inzidentelle Knoten bei CT-Untersuchungen entdeckt werden und sehr unterschiedliche Größe erreichen können. Makroskopisch ist die Schnittfläche fettig-gelblich mit rötlichen Bezirken. Histologisch liegt eine Mischung aus reifem, univakuolärem Fettgewebe und Blutbildungsarealen mit hämatopoetischen Zellen der weißen und roten Reihen vor (. Abb. 4.27). Regressive Veränderungen bis hin zu Ossifikationsherden können vorkommen (Dhom 1981; Lack 1997a). Die Biologie dieser Tumoren ist noch nicht voll verstanden; möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der myelolipomatösen Metaplasie, die in der normalen Nebennierenrinde und in Nebennierenrindenadenomen vorkommen kann. 4.3.8
Tumoren des Nebennierenmarkes
4.3.8.1 Phäochromozytom (adrenales Paragangliom) Bei den Phäochromozytomen handelt es sich um benigne, seltener auch maligne Tumoren der chromaffinen Zellen der sympathi-
313 4.3 · Pathologie der Nebenniere
schen Paraganglien, zu denen auch das Nebennierenmark zählt (Hume 1960; Lack 1994, 1997a; Klöppel 2003). Das mittlere Erkrankungsalter liegt in der 4. und 5. Lebensdekade. Familiäre Fälle im Rahmen eines MEN 2 oder einer Von-Recklinghausenoder Von-Hippel-Lindau-Erkrankung treten früher auf. Es sind aber durchaus auch Phäochromozytome bekannt, die im Kindesalter auftraten (Stackpole et al. 1963), ohne dass sich eine familiäre Disposition nachweisen ließ. Die familiären Phäochromozytome bei MEN 2 sind im Vergleich zu den sporadischen Formen häufiger bilateral oder multifokal (Carney et al. 1975).
4
Dignität. Aufgrund pathomorphologischer Befunde können
maligne Phäochromozytome, die etwa 10% aller Phäochromozytome ausmachen (Aguilo et al. 1960), nicht von benignen Phäochromozytomen unterschieden werden. Verdächtig auf Malignität sind in einem kürzlich vorgeschlagenen Score (»PASS«) gewichtete morphologische Kriterien (Thompson 2002), ein Ki-67-Proliferationsindex von >5% (Salmenkivi et al. 2004; Scarpelli et al. 2004) und eine erhöhte VEGF-Expression (Zielke et al. 2002; Salmenkivi et al. 2004). Aber nur lymphogene oder hämatogene Metastasen sind beweisend für die Malignität eines Phäochromozytoms.
Makroskopie. Phäochromozytome zeigen eine grauweißliche
bis graubraune, weiche bis elastische, teilweise eingeblutete Schnittfläche und können eine makroskopisch erkennbare Kapsel aufweisen (. Abb. 4.28a). Bei kleinen Tumoren ist die anatomische Beziehung zum Nebennierenmark oft noch erkennbar. Bei größeren Tumoren sitzt die Nebennierenrinde dem Phäochromozytom auf und wird durch das Wachstum des Tumors komprimiert. Nekrosen und zentrale Zystenbildungen (. Abb. 4.28a) sind häufige Charakteristika insbesondere der großen Phäochromozytome, Verkalkungen treten seltener auf (Lack 1994, 1997a; Klöppel 2003). Nach der Fixierung in wässrigen Fixanzien nehmen diese nach einigen Stunden eine gelbbraune Farbe an, im UV-Licht zeigt die Lösung eine starke Fluoreszenz. Die in den Phäochromozytomen enthaltenen Katecholamine können nach Fixierung in Orth-Gemisch oder Zenker-Lösung (Kaliumdichromatlösung) lichtmikroskopisch als granuläre braune intrazytoplasmatische Einschlüsse nachgewiesen werden (Lack 1994).
4.3.8.2 Neuroblastom und Ganglioneuroblastom Neuroblastome und Ganglioneuroblastome sind maligne Tumoren, die sich von primitiven neuroektodermalen Zellen des sympathischen Nervensystems ableiten. Liegen ausschließlich unreife Gewebeelemente vor, spricht man von einem Neuroblastom; finden sich in einem Tumor neben unreifen neuroektodermalen Gewebeanteilen auch reife Anteile wie neuromartig gelagerte Nervenfasern oder Ganglienzellen, spricht man von einem Ganglioneuroblastom. Neuroblastome und Ganglioneuroblastome können in verschiedenen anatomischen Lokalisationen entlang des Grenzstrangs auftreten; mit 38% ist jedoch die Nebenniere häufigster Sitz des Neuroblastoms. Seltener treten Neuroblastome zervikal (3%), thorakal (20%), abdominell-extraadrenal (30%) und pelvin (3%) auf (Rosen et al. 1984). Überwiegend sind Säuglinge und Neugeborene betroffen, wobei auch konnatale Neuroblastome beschrieben sind (Young et al. 1986). Makroskopie. Neuroblastome zeigen eine lobulierte, grauweiße
Histologie. Phäochromozytome sind überwiegend aus großen,
polygonalen oder seltener spindeligen Zellen mit feingranulärem eosinophilen oder amphiphilen Zytoplasma aufgebaut (. Abb. 4.28b–d; Lack 1994, 1997a; Klöppel 2003). Das Zytoplasma enthält manchmal hyaline kugelförmige PAS-positive Einschlüsse (. Abb. 4.28d). Die Zellkerne können in manchen Fällen recht pleomorph sein und Pseudoinklusionen aufweisen (. Abb. 4.28c; DeLellis et al. 1980). Vereinzelte Mitosen kommen auch in benignen Phäochromozytomen vor. Aufgrund des Wachstumsmusters lassen sich 3 Typen unterscheiden. Alveoläre Phäochromozytome zeigen kleine Zellhaufen oder Zellballen, die von zarten, stark vaskularisierten Bindegewebesepten umgeben werden. Der trabekuläre Typ (. Abb. 4.28b–d) zeigt plumpere, anastomosierende Zellverbände (ReMine et al. 1974; Linnoila et al. 1990). Das seltene spindelzellige Phäochromozytom wird von elongierten, in soliden Formationen gelagerten Tumorzellen gebildet (ReMine et al. 1974). Regressive Hämorrhagien dieser stark vaskularisierten Tumoren sind häufig (. Abb. 4.28b). Die Tumorzellen sind charakteristischerweise argyrophil, also in der Grimeliusfärbung positiv. Immunhistochemisch zeigen die Tumorzellen eine positive Reaktion für Neurofilamente (Miettinen et al. 1985) und neuroendokrine Marker (Lloyd 1997), wobei dem Chromogranin A die größte Spezifität und diagnostische Bedeutung zukommt (. Abb. 4.28e). Dies kann bei der morphologisch manchmal schwierigen Abgrenzung gegenüber Nebennierenrindentumoren sehr hilfreich sein. In der Reaktion auf S-100-Protein können Sustentakularzellen, länglich ausgezogene Zellen, die die Tumorzellnester peripher umgeben, spezifisch markiert sein (Achilles et al. 1991; Klöppel 1997; Lloyd 1997), aber auch die Tumorzellen selbst können deutlich positiv sein (. Abb. 4.28f).
Schnittfläche; mit zunehmender Tumorgröße finden sich ausgedehnte Einblutungen und Nekrosen. Die Tumoren zeigen eine bindegewebige Pseudokapsel. Verkalkungen treten in allen Neuroblastomen auf und können sehr ausgedehnt sein. Histologie. Die Zellen des Neuroblastoms sind in unterschiedlich großen lobulären Formationen angeordnet, die von zarten Kollagenfasersepten umgeben werden. Diese Septen sind meist inkomplett, sodass ein typisches Zellballenmuster wie bei anderen neuroendokrinen Tumoren nicht vorliegt. Die Tumorzellen zeigen ein schmales, oft lichtmikroskopisch nicht mehr nachweisbares Zytoplasma und kleine bis mittelgroße Kerne mit einer feingranulären Chromatinstruktur. Die Grundsubstanz ist blass-eosinophil und fibrillär. Charakteristisch für das Neuroblastom ist die Ausbildung von Homer-Wright-Rosetten. Hierbei handelt es sich um zirkuläre Formationen von Tumorzellen, die in ihrem Zentrum Ablagerungen einer fibrillären Grundsubstanz einschließen (Lack 1997a). Zentrale Lumina, wie z. B. bei Flexner-Wintersteiner-Rosetten, die im Retinoblastom angetroffen werden, liegen nicht vor. Immunhistochemisch zeigen die Neuroblastome fakultativ positive Reaktionen mit NSE, Chromogranin A (Pagani et al. 1992), Synaptophysin (Hachitanda et al. 1989) und S-100-Protein (Misugi et al. 1985), wobei diese Marker nicht in jedem Tumor in gleichem Maß positiv ausfallen müssen. Differenzialdiagnose. Das Neuroblastom gehört zur Gruppe der »klein-blau-rund-zelligen« Tumoren des Kindesalters, die embryonale Rhabdomyosarkome, primitive neuroektodermale Tumoren (PNET) und Non-Hodgkin-Lymphome einschließt. Diese Entitäten sind differenzialdiagnostisch zu erwägen und
314
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.28a–f. Phäochromozytom. a Makroskopisches Präparat eines formalinfixierten Phäochromozytoms. Die Schnittfläche zeigt kleinherdige zystische Degenerationsherde (untere Bildhälfte). b–d Trabekulärer Typ. b Histologisch zeigt das Tumorgewebe unterschiedlich große Tumorzellverbände, die von zarten Kollagenfaserzügen umscheidet werden. Der Tumor weist pseudozystische Degenerationsherde mit Hämorrhagien auf. c In der stärkeren Vergrößerung kommen intranukleäre Pseudo-
inklusionen zur Darstellung. d Nach Fixierung in Kaliumdichromatlösung stellen sich die Katecholamingranula als große intrazytoplasmatische runde Einschlüsse dar. e Die immunhistochemische Reaktion mit Chromogranin A fällt in zahlreichen Tumorzellen intrazytoplasmatisch diffus positiv aus. f Die S-100-Reaktion fällt intranukleär und zytoplasmatisch in den Tumorzellen positiv aus
lassen sich aufgrund der Klinik, der Morphologie und der immunhistochemischen Markerexpression unterscheiden.
rate haben eine gute Prognose. Weitere mit einer schlechten Prognose assoziierte Befunde sind N-myc-Amplifikation, DNADiploidie, Erhöhung von Ferritin, NSE oder LDH im Serum, erhöhte Cystathionin-Urinspiegel und erniedrigte Serum-NGFSpiegel.
Prognose. Die Prognose der Neuroblastome und Ganglioneuroblastome wird im Wesentlichen vom Lebensalter, dem Tumorstadium (Evans et al. 1971; Rosen et al. 1984; Tsuchida et al. 1984), dem Stromaanteil (Shimada et al. 1984) und der Mitoserate bestimmt (Joshi et al. 1992). Die Prognose wird mit zunehmendem Lebensalter und Tumorstadium schlechter. Tumoren mit hohem Stromaanteil, höherer Zelldifferenzierung und niedriger Mitose-
4.3.8.3 Ganglioneurom Ganglioneurome sind Tumoren, die im Gegensatz zu Neuroblastomen und Ganglioneuroblastomen ausschließlich aus reifen neuralen Strukturen bestehen (Bove u. McAdams 1981). Hierbei
315 4.3 · Pathologie der Nebenniere
4
handelt es sich um neuromartig angeordnete Nervenfasern und um große Ganglienzellen (. Abb. 4.29). Die Diagnose eines Ganglioneuroms ist nur gerechtfertigt, wenn durch möglichst vollständige Untersuchung des Tumors (z. B. mittels Großschnitten) sichergestellt ist, dass keine Tumoranteile im Sinne eines Neuroblastoms vorliegen, die die Diagnose eines Ganglioneuroblastoms (7 Kap. 4.3.8.2) implizieren würden. Ganglioneurome kommen in verschiedenen Lokalisationen vor, besonders im posterioren Mediastinum und im Retroperitoneum, sind aber in der Nebenniere relativ selten (Enzinger u. Weiss 1995). 4.3.9
Seltene primäre Nebennierentumoren
. Abb. 4.29. Ganglioneurom. Histologisch erkennt man Ganglienzellen mit großen exzentrischen Kernen und prominenten Nukleolen. Die Grundsubstanz wird von Nervenfaserfortsätzen gebildet
Mesenchymale Tumoren, insbesondere Leiomyome, Schwannome und Hämangiome treten, wie auch die jeweils malignen Varianten, also Leiomyosarkome, maligne periphere Nervenscheidentumoren und Angiosarkome, in der Nebenniere selten primär auf. Primäre maligne Lymphome der Nebenniere zählen zu den Raritäten, häufiger wird eine Nebennierenbeteiligung im Rahmen eines generalisierten malignen Lymphoms beobachtet. Maligne Melanome der Nebenniere wurden gelegentlich in der
. Abb. 4.30a–d. Nebennierenmetastasen. a Makroskopisches Präparat der linken Nebenniere. In der Nebenniere findet sich ein 1,5 cm im größten Durchmesser großes Nebennierenrindenadenom mit einer typischen gold-gelben Farbe. In dem Rindenadenom kommt eine 6 mm große grau-weiße Mammakarzinommetastase zur Darstellung (48-jährige Frau, Autopsiepräparat). b Nebennierenmetastase eines klarzelligen Nierenzellkarzinoms (linker oberer Bildrand). Die Metastase wird von einer bindegewebigen Pseudokapsel umgeben. In der rechten Bildhälfte findet sich normales Nebennierengewebe. c Die immunhistochemische Reaktion mit EMA fällt in der Karzinommetastase positiv aus, während das
gehörige ortsständige Nebennierenrindengewebe eine negative Reaktion aufweist. d Feinnadelpunktionszytologie einer Nebennierenmetastase eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms. Die Tumorzellen zeigen große nackte Kerne, die z. T. dicht aneinander gelagert sind und ein sog. Panzerkettenphänomen ausbilden (Zellen eines Nebennierenrindenadenoms oder -karzinoms könnten auch nackte Kerne aufweisen, würden aber in der Regel ein relativ breites, helles oder kompaktes Zytoplasma oder vakuolisiertes zytoplasmatisches Material erkennen lassen). Im Hintergrund kleinere Leukozyten und Erythrozyten sowie nekrotischer Detritus
316
Kapitel 4 · Nebennieren
Literatur beschrieben, allerdings sind an die Diagnose dieser Entität strenge diagnostische Kriterien zu stellen. Dazu gehört vor allem der Ausschluss eines primären kutanen Melanoms. 4.3.10 Metastasen in der Nebenniere
4
Hämatogene Nebennierenmetastasen finden sich autoptisch bei 1/3 der Patienten mit metastasiertem Tumorleiden (Abrams et al. 1950). Die häufigsten Primärtumorlokalisationen sind mit absteigender Häufigkeit Mamma (. Abb. 4.30a), Lunge (insbesondere kleinzellige Bronchialkarzinome), Niere, Magen, Pankreas, Ovar und Kolon. Etwa 40% der Patienten weisen einen bilateralen Befall der Nebennieren mit konsekutivem Addison-Syndrom auf (Sahagian-Edwards u. Holland 1954). Karzinommetastasen können auch in vorbestehenden Nebennierenrindenadenomen entstehen (. Abb. 4.30a). Im bioptischen Untersuchungsgut werden am häufigsten Metastasen von Nierenzellkarzinomen beobachtet (. Abb. 4.30b), die nicht selten in der kontralateralen Nebenniere lokalisiert sind; sie sind immunhistochemisch positiv für EMA (. Abb. 4.30c), was für die Abgrenzung gegenüber den EMA-negativen Nebennierenrindentumoren hilfreich ist (7 Kap. 4.3.6 und . Tab. 4.3). In der Diagnostik von Nebennierenmetastasen können die CT- oder MRT-gesteuerte Feinnadelpunktionszytologie (. Abb. 4.30d) oder die histologisch aufgearbeitete Nadelstanzbiopsie indiziert und wertvoll sein (Fassnacht et al. 2004). Ist eine Punktion geplant, muss vorher ein Phäochromozytom ausgeschlossen werden, weil sonst die Gefahr einer hypertensiven Krise besteht. Literatur Abrams HL, Spiro R, Goldstein N (1950) Metastases in carcinoma. Analysis of 1.000 autopsied cases. Cancer 3:74–85 Achilles E, Padberg BC, Holl K, Klöppel G, Schröder S (1991) Immuncytochemistry of paragangliomas – value of staining for S-100 protein and glial fibrillary acid protein in diagnosis and prognosis. Histopathology 18:453–458 Aguilo F, Tamayo N, Vazquez-Quintana E et al. (1991) Pheochromocytoma: a twenty year experience at the University Hospital. PR Heath Sci J 10:135–142 Aiba M, Hirayama A, Iri H, Ito Y, Fujimoto Y, Mabuchi G, Murai M, Tazaki H, Maruyama H, Saruta T et al. (1991) Adrenocorticotropic hormoneindependent bilateral adrenocortical macronodular hyperplasia as a distinct subtype of Cushing’s syndrome. Enzyme histochemical and ultrastructural study of four cases with a review of the literature. Am J Clin Pathol 96:334–340 Aubert S, Wacrenier A, Leroy X, Devos P, Carnaille B, Prove C, Wemeau JL, Lecomte-Houcke M, Leteurtre E (2002) Weiss system revisited: a clinicopathologic and immunohistochemical study of 49 adrenocortical tumors. Am J Surg Pathol 26:1612–1619 Bove KE, McAdams AJ (1981) Composite ganglioneuroblastoma. An assessment of the significance of histological maturation in neuroblastoma diagnosed beyond infancy. Arch Pathol Lab Med 105:325– 330 Brabrand K, Soreide JA (1987) Adrenal cortical carcinoma with invasion into the inferior vena cava. Br J Surg 74:598–599 Carney JA, Sizemore GW, Tyce GM (1975) Bilateral adrenal medullary hyperplasia in multiple endocrine neoplasia, type 2: the precursor of bilateral pheochromocytoma. Mayo Clin Proc 50:3–10 Cho EY, Ahn GH (2001) Immunoexpression of inhibin alpha-subunit in adrenal neoplasms. Appl Immunohistochem Mol Morphol 9:222– 228 Cohn K, Gottesman L, Brennan M (1986) Adrenocortical carcinoma. Surgery 100:1170–1177
Correa P, Chen VW (1995) Endocrine gland cancer. Cancer 75:338–352 Cote RJ, Cordon-Cardo C, Reuter VE, Rosen PP (1990) Immunopathology of adrenal and renal cortical tumors. Coordinated change in antigen expression is associated with neoplastics conversion in the adrenal cortex. Am J Pathol 136:1077–1084 D’Agata R, Malozowski S, Barkan A, Cassorla F, Loriaux D (1987) Steroid biosynthesis in human adrenal tumors. Horm Metabol Res 19:386–388 DeLellis RA, Suchow E, Wolfe HJ (1980) Ultrastructure of nuclear inclusions in pheochromocytoma and paraganglioma. Hum Pathol 11:205– 207 Dhom G (1981) Die Nebennierenrinde. In: Doerr W, Seifert G (Hrsg) Spezielle pathologische Anatomie, Bd. 14/2: Pathologie der endokrinen Organe. Springer, Berlin, S 729–970 Dobbie JW (1969) Adrenocortical nodular hyperplasia: the ageing adrenal. J Pathol 99:1–18 Enzinger FM, Weiss SW (1995) Soft tissue tumors. Mosby, St. Louis, pp 828–831 Evans AE, D’Angio GJ, Randolph J (1971) A proposed staging for children with neuroblastoma. Children’s Cancer Study Group A. Cancer 27:374– 378 Fassnacht M, Kenn W, Allolio B (2004) Adrenal tumors: How to establish malignancy? J Endocrinol Invest 27:387–399 Gaffey MJ, Traweek ST, Mills SE, Travis WD, Lack EE, Medeiros LJ, Weiss LM (1992) Cytokeratin expression in adrenocortical neoplasia: an immunohistochemical and biochemical study with implications for the differential diagnosis of adrenocortical, hepatocellular, and renal cell carcinoma. Hum Pathol 23:144–153 Grumbach MM, Biller BMK, Braunstein GD, Campbell KK, Carney JA, Godley PA, Harris EL, Lee JKT, Oertel YC, Posner MC, Schlechte JA, Wieand HS (2003) Management of the clinical inapperent adrenal mass (»incidentaloma«). Ann Intern Med 138:424–429 Hachitanda Y, Tsuneyoshi M, Enjoji M (1989) Expression of pan-neuroendocrine proteins in 53 neuroblastic tumors. An immunohistochemical study with neuronspecific enolase, chromogranin, and synaptophysin. Arch Pathol Lab Med 11:381–384 Henley DJ, van Heerden JA, Grant CS, Carney JA, Carpenter PC (1983) Adrenal cortical carcinoma – a continuing challenge. Surgery 94: 926–931 Hume DM (1960) Pheochromocytoma in the adult and in the child. Am J Surg 99:458–496 Hutter AM, Kayhoe DE (1966) Adrenal cortical carcinoma. Clinical features of 138 patients. Am J Med 41:572–580 Icard P, Chapuis Y, Andreassian B, Bernard A, Proye C (1992) Adrenocortical carcinoma in surgically treated patients: a retrospective study on 156 cases by the French Association of Endocrine Surgery. Surgery 112:972–980 Jackson R, McNicol AM, Farquharson M, Foulis AK (1988) Class II MHC expression in normal adrenal cortex and cortical cells in autoimmune Addison’s disease. J Pathol 155:113–120 Joshi VV, Cantor AB, Altshuler G et al. (1992) Age-linked prognostic categorization based on a new histologic grading system of neuroblastomas. A clinicopathologic study of 211 cases from the Pediatric Oncology Group. Cancer 69:2197–2211 King DR, Lack EE (1979) Adrenal cortical carcinoma: a clinical and pathologic study of 49 cases. Cancer 44:239–244 Klöppel G (1997) Nebennierenmark. In: Remmele W (Hrsg) Pathologie, Bd. 4, 2. Auflage. Springer, Berlin, S 654–658 Klöppel G (2003) Tumoren des Nebennierenmarks und der Paraganglien. Pathologe 24:280–286 Kumar D, Kumar S (1993) Adrenal cortical adenoma and adrenal metastasis of renal cell carcinoma: immunohistochemical and DNA ploidy analysis. Mod Pathol 6:36–41 Lack EE (1994) Pathology of adrenal and extra-adrenal paraganglia. In: Major problems in pathology, Vol 29. WB Saunders, Philadelphia Lack EE (1997a)Tumors of the adrenal gland and extra-adrenal paraganglia. Atlas of tumor pathology, 3rd series, fascicle 19. Armed Forces Institute of Pathology, Washington D.C., pp 1–468
317 4.3 · Pathologie der Nebenniere
Lack EE (1997b) Pathology of the adrenal cortex. In: Lechago J, Gould VE (eds) Bloodworth’s endocrine pathology, 3rd ed. Williams and Wilkins, Baltimore, pp 355–415 Lack EE, Kozakewich HPW (1990) Embryology, developmental anatomy, and selected aspects of non-neoplastic pathology. In: Lack EE (ed) Pathology of the adrenal glands. Churchill Livingstone, New York, pp 1–74 Lack EE, Mulvihill JJ, Travis WD, Kozakewich HP (1992) Adrenal cortical neoplasms in the pediatric and adolescent age group. Clinicopathological study of 30 cases with emphasis on epidemiological and prognostic factors. Pathol Annu 27:1–53 Linnoila RI, Keiser HR, Steinberg SM, Lack EE (1990) Histopathology of benign versus malignant sympathoadrenal paragangliomas: clinicopathologic study of 120 cases including unusual histologic features. Hum Pathol 21:1168–1180 Lloyd RV (1997) Adrenal medulla and paraganglia. In: Lechago J, Gould VE (eds) Bloodworth’s endocrine pathology, 3rd ed. Williams and Wilkins, Baltimore, pp 417–461 Medeiros LJ, Michie SA, Johnson DE, Warnke RA, Weis LM (1988) An immunoperoxidase study of renal cell carcinomas: correlation with nuclear grade, cell type and histologic pattern. Hum Pathol 19: 980–987 Miettinen M, Lehto VP, Virtanen I (1985) Immunofluorescence microscopic evaluation of the intermediate filament expression of the adrenal cortex and medulla and their tumors. Am J Pathol 118:360–366 Misugi K, Aoki I, Kikyo S, Sasaki Y, Tsunoda A, Nakajima T (1985) Immunohistochemical study of neuroblastoma and related tumors with antiS-100 protein antibody. Pediat Pathol 3:217–226 Nader S, Hickey RC, Sellin RV, Samaan NA (1983) Adrenal cortical carcinoma. A study of 77 cases. Cancer 52:707–711 Nakano M (1988) Adrenal cortical carcinoma. A clinicopathological and immunohistochemical study of 91 autopsy cases. Acta Pathol Jpn 38:163–180 Neblett WW, Frexes-Steed M, Scott HW Jr. (1987) Experience with adrenocortical neoplasms in childhood. Am Surg 53:117–125 Neville AM, O’Hare MJ (1985) Histopathology of the human adrenal cortex. Clin Endocrinol Metab 14:791–820 Pagani A, Forni M, Tonini GP, Papotti M, Bussolati G (1992) Expression of members of the chromogranin family in primary neuroblastomas. Diagn Mol Pathol 1:16–24 Reinhard C, Saeger W, Schubert B (1996) Adrenocortical nodules in postmortem series. Development, functional significance, and differentiation from adenomas. Gener Diagn Pathol 141:203–208 ReMine WH, Chong GC, van Heerden JA, Sheps SG, Harrison EG Jr. (1974) Current management of pheochromocytoma. Ann Surg 179:740– 747 Renshaw AA, Granter SR (1998) A comparison of A103 and inhibin reactivity in adrenal cortical tumors: distinction from hepatocellular carcinoma and renal tumors. Mod Pathol 11:1160–1164 Ritchey ML, Kinard R, Novicki DE (1987) Adrenal tumors: involvement of the inferior vena cava. J Urol 138:1134–1136 Rosen EM, Cassady JR, Frantz CN, Kretschmar C, Levey R, Sallan SE (1984) Neuroblastoma: the Joint Center for radiation therapy/Dana-Farber Cancer Institute/Children’s Hospital experience. J Clin Oncol 2:719– 732 Saeger W (1997) Nebennierenrinde. In: Remmele W (Hrsg) Pathologie, Bd. 4, 2. Aufl. Springer, Berlin, S 629–653 Saeger W (2003) Nebennierenrindentumoren. Pathologe 24:272–279 Sahagian-Edwards A, Holland JF (1954) Metastatic carcinoma to the adrenal glands with cortical hypofunction. Cancer 7:1242–1245 Salmenkivi K, Heikkilä P, Haglund C, Arola J (2004) Malignancy in pheochromocytomas. APMIS 112:551–559 Scarpelli M, Algaba F, Kirkali Z, Van Poppel H; European Society of Uropathology, European Association of Urology; Uropathology Working Group, European Society of Pathology (2004) Handling and pathology reporting of adrenal gland specimens. Eur Urol 45: 722–729
4
Schröder S, Padberg BC, Achilles E, Holl K, Dralle H, Klöppel G (1992) Immunocytochemistry in adrenocortical tumours: a clinicomorphological study of 72 neoplasms. Virchows Archiv A Pathol Anat 420:65–70 Shenoy BV, Carpenter PC, Carney JA (1984) Bilateral primary pigmented nodular adrenocortical disease. Rare cause of the Cushing syndrome. Am J Surg Pathol 8:335–344 Shimada H, Chatten J, Newton WA Jr. et al. (1984) Histopathologic prognostic factors in neuroblastic tumors: definition of subtypes of ganglioneuroblastoma and agelinked classification of neuroblastomas. J Natl Cancer Inst 73:405–416 Stackpole RH, Melicow MM, Uson AC (1963) Pheochromocytoma in children. Report of 9 cases and review of the first 100 publishing cases with follow-up studies. J Pediatr 63:315–330 Sullivan M, Boileau M, Hodges CV (1978) Adrenal cortical carcinoma. J Urol 120:660–665 Tang CK, Gray GF (1975) Adrenocortical neoplasms. Prognosis and morphology. Urology 5:691–695 Thompson LD (2002) Pheochromocytoma of the Adrenal gland Scaled Score (PASS) to separate benign from malignant neoplasms: a clinicopathologic and immunophenotypic study of 100 cases. Am J Surg Pathol 26:551–566 Tsuchida Y, Yokomori K, Saito S, Kaku H, Bessho F (1984) Stage IV-S neuroblastoma involving the liver and ectopic liver. Report of an unusual case. Cancer 53:1609–1611 Venkatesh S, Hickey RC, Sellin RV, Fernandez JF, Samaan NA (1989) Adrenal cortical carcinoma. Cancer 64:765–769 Wadih GE, Nance KV, Silverman JF (1992) Fine needle aspiration cytology of the adrenal gland. Fifty biopsies in 48 patients. Arch Pathol Lab Med 116:841–846 Weiss LM (1984) Comparative histologic study of 43 metastasizing and nonmetastasizing adrenocortical tumors. Am J Surg Pathol 8:163– 169 Weiss LM, Medeiros LJ, Vickera AL Jr. (1989) Pathologic features of prognostic significance in adrenocortical carcinoma. Am J Surg Pathol 13:202–206 Wick MR, Cherwitz DL, McGlennan RC, Dehner LP (1986) Adrenocortical carcinoma. An immunohistochemical comparison with renal cell carcinoma. Am J Pathol 122:343–352 Wooten MD, King DK (1993) Adrenal cortical carcinoma. Epidemiology and treatment with mitotane and a review of the literature. Cancer 72:3145–3155 Young JL Jr., Ries LG, Silverberg E, Horm JW, Miller RW (1986) Cancer incidence, survival, and mortality for children younger than age 15 years. Cancer 58:598–602 Zerbini C, Kozakewich HP, Weinberg DS, Mundt DJ, Edwards JA III, Lack EE (1992) Adrenocortical neoplasms in childhood and adolescence: analysis of prognostic factors including DNA content. Endocr Pathol 3:116–128 Zielke A, Middecke M, Hoffmann S, Colombo-Benkmann M, Barth P, Hassan I, Wunderlich A, Hofbauer LC, Duh QY (2002) VEGF-mediated angiogenesis of human pheochromocytomas is associated to malignancy and inhibited by anti-VEGF antibodies in experimental tumors. Surgery 132:1056–1063
318
Kapitel 4 · Nebennieren
4.4
Nebennierentumoren
4.4.1 Funktionsdiagnostik
B. Allolio ) )
4
Bei Nebennierentumoren ist das Ziel der endokrinologischen Funktionsdiagnostik der Nachweis bzw. Ausschluss einer pathologischen Hormonsekretion durch den Tumor. Eine Stufendiagnostik ist dabei einzuhalten. Der 1. Schritt besteht in der zielgerichteten Anamnese und der körperlichen Untersuchung zur Analyse der Wirkungen eines möglichen Hormonexzesses (Bioassay). Danach erfolgt die Diagnosesicherung durch spezifische Funktionstests. Erst nach Diagnosesicherung werden im nächsten Schritt selektive Funktionsuntersuchungen zur differenzialdiagnostischen Klärung angeschlossen. Die Ergebnisse der Funktionsdiagnostik begründen den Einsatz von bildgebenden Untersuchungen und haben gegenüber diesen stets das diagnostische Primat. Eine präoperative endokrine Diagnostik ist bei Nebennierentumoren zwingend geboten, da das perioperative therapeutische Vorgehen in der Regel von dem Ergebnis beeinflusst wird.
4.4.1.1 Einleitung Endokrinologische Funktionstests nehmen in der Diagnostik von Nebennierentumoren einen zentralen Platz ein. Klinisch lassen sich 2 Ausgangssituationen unterscheiden: Anamnese und körperliche Untersuchung führen zum begründeten Verdacht, dass eine Hormonstörung vorliegen könnte, die dann durch die Funktionsdiagnostik bestätigt werden muss. Eine Bildgebung wird dann gezielt angeschlossen, wenn der funktionsdiagnostische Beweis einer Hormonstörung erbracht ist. Alternativ, und zunehmend häufiger, werden Nebennierentumoren zufällig nachgewiesen (sog. Inzidentalome). Der Nachweis einer endokrinen Aktivität dieser Tumoren mit Hilfe der Funktionsdiagnostik ist in vielen Fällen das entscheidende Kriterium zur Durchführung der operativen Entfernung. Aber selbst wenn die Operationsindikation durch die Tumorgröße alleine bereits gestellt werden kann (z. B. Durchmesser >6 cm), kann auf die Funktionsdiagnostik nicht verzichtet werden, da je nach endokriner Aktivität eine ausreichende Vorbehandlung (z. B. beim Phäochromozytom) bzw. eine gezielte perioperative Therapie (z. B. beim kortisolproduzierenden Nebennierentumor) erforderlich sind. Cave Die operative Entfernung eines Nebennierentumors ohne vorherige endokrine Funktionsdiagnostik ist daher ein gravierender Regelverstoß.
Nebennierentumoren lassen grundsätzlich Überfunktionssyndrome erwarten. Selbst große, bilaterale, endokrin inaktive Nebennierenraumforderungen (z. B. Metastasen) führen nur ausnahmsweise zu einer Beeinträchtigung der Nebennierenfunktion im Sinne einer Nebennierenrindeninsuffizienz. Der Ausfall des Nebennierenmarks bleibt klinisch weitgehend stumm. Anamnese und körperliche Untersuchung stellen im Rahmen der Funktionsdiagnostik eine wichtige Methode dar, um
relevante Hormonstörungen nachzuweisen und einzuordnen (Bioassay; Allolio 1996). Eine Diskrepanz zwischen Klinik und Hormonmessergebnissen sollte immer zur Suche nach übersehenen Störfaktoren veranlassen (z. B. Medikamenteneffekte). Allerdings werden subklinische Störungen, die bei Untersuchung und Befragung wenig eindrucksvoll sind, zunehmend häufiger entdeckt. Die endokrine Funktionsdiagnostik muss berücksichtigen, dass die adrenale Hormonsekretion eingebettet ist in Regelkreise, und dass die Hormonfreisetzung pulsatil erfolgt und einer Tagesrhythmik gehorcht. Die alleinige Messung basaler Hormonkonzentrationen reicht daher in der Regel nicht aus (Lehnert et al. 2003). Wichtige Hilfsmittel sind die kombinierte Erfassung von regulativ zusammenhängenden Parametern (z. B. ACTH/Kortisol und Plasmareninaktivität/Aldosteron), die Messung von Hormonen im 24-h-Urin, die Erfassung der Tagesrhythmik und die Durchführung von Suppressionstests. Ein besonderes Problem in der Nebennierendiagnostik stellen die Einflüsse von Pharmaka dar. Eine sorgfältige Medikamentenanamnese ist daher wichtiger Bestandteil der Funktionsdiagnostik (Griffin 1993). 4.4.1.2 Glukokortikoidexzess Bevor der Nachweis geführt wird, dass ein Nebennierentumor ursächlich für einen Glukokortikoidexzess ist, muss gesichert werden, dass überhaupt ein Hyperkortisolismus vorliegt. Hier finden 3 Verfahren Anwendung: niedrig dosierter Dexamethasontest, Bestimmung der Ausscheidung des freien Kortisols im 24-hUrin und Nachweis einer pathologischen Kortisol-Tagesrhythmik (Boscaro et al. 2001). 4.4.1.3 Diagnosesicherung 4.4.1.3.1 Niedrig dosierter Dexamethasontest Jede Form des endogenen Glukokortikoidexzesses (CushingSyndrom) ist dadurch gekennzeichnet, dass die endogene Kortisolsekretion durch exogene Glukokortikoide (Dexamethason) nicht adäquat supprimiert werden kann. Dies ist Ausdruck der autonomen pathologischen Hormonsekretion. Dexamethason ist ein hochpotentes Glukokortikoid, das nicht mit der Kortisolmessung interferiert. Durchführung. Tag 1: Gabe von 1 (bis 2 mg) Dexamethason oral um 23 Uhr, Tag 2: Blutentnahme für Serumkortisol zwischen 8 und 9 Uhr. Bewertung. Bei Gesunden Suppression des Serumkortisols auf unter 3 μg/dl. Beim Cushing-Syndrom liegt das Serumkortisol nach Dexamethason immer deutlich über 3 μg/dl. Der niedrig dosierte Dexamethasontest hat eine hohe Sensitivität bei einer eingeschränkten Spezifität. Eine Anzahl von Störfaktoren (7 folgende Übersicht) kann zu einem falsch-positiven Testergebnis führen (Benker et al. 1990). Ist zum Zeitpunkt der Durchführung des Testes die Existenz einer Nebennierenraumforderung bereits nachgewiesen, kann initial eine höhere Dexamethason-Dosis eingesetzt werden (z. B. 3 mg), um die Zahl der falsch-positiven Befunde von vornherein zu reduzieren.
4.4.1.3.2 Freies Kortisol im 24-h-Urin Durchführung. Vollständiges Sammeln des Urins von 8 Uhr bis 8 Uhr des Folgetages nach vorheriger sorgfältiger Instruktion zur Vermeidung von Sammelfehlern.
319 4.4 · Nebennierentumoren
4
Cave Störfaktoren, die zu einem falsch-positiven Dexamethasonhemmtest führen können 5 5 5 5 5 5 5 5
Orale Kontrazeptiva Phenytoin Entzugssyndrom nach Drogenabusus B-Symptomatik bei Lymphom Ausgeprägte Adipositas Depression Niereninsuffizienz Schwerste Allgemeinerkrankungen
Bewertung. Die Ausscheidung von freiem Kortisol ist bei klinisch eindrucksvollem Cushing-Syndrom immer deutlich erhöht. Allerdings findet sich beim subklinischen Cushing-Syndrom auf dem Boden eines Nebennierenrindenadenoms häufiger nur eine im oberen Normbereich gelegene Ausscheidung des freien Kortisols. Die Sammelperiode lässt sich von 24 auf 4 h abkürzen, vorausgesetzt man wählt die Zeit von 20–24 Uhr und drückt das Ergebnis als Kortisol/Kreatininquotient aus. Mit dieser Methode fanden sich bei 61 Gesunden Werte von 1,1–9,4 μmol/mol, bei 20 Patienten mit Cushing-Syndrom Werte von 27,5–855,5 μmol/mol (Laudat el al 1988). Wie beim Dexamethasontest können falsch-positive Ergebnisse auftreten. Diese finden sich bei Adipösen und bei besonderem Stress (Intensivpatienten, fieberhafter Infekt etc.). Tagesrhythmik. Abweichungen von der typischen physiologischen Kortisoltagesrhythmik mit hohen morgendlichen Hormonkonzentrationen und sehr niedrigen Konzentrationen um Mitternacht sind charakteristisch für alle Formen des CushingSyndroms. Insbesondere in den Abendstunden liegt die KortisolKonzentration beim Cushing-Syndrom über der von Gesunden. Unterschiedliche Verfahren werden eingesetzt, um den Nachweis der aufgehobenen Tagesrhythmik zu führen. Eine elegante Methode besteht in der Messung des freien Kortisols im Speichel (Allolio et al. 1986). Das Sammeln der Proben kann ambulant von 7–24 Uhr in stündlichen Abständen erfolgen. Alternativ können über den Tag verteilt in 3- bis 4-stündigen Abständen Blut- oder Speichelentnahmen erfolgen. Blutentnahmen sollten möglichst aus einer bereits liegenden Kanüle entnommen werden, um Stresseffekte, die zu jeder Tageszeit zu einer Kortisolerhöhung führen können, zu vermeiden. Eine weitere Methode besteht darin, beim schlafenden Patienten um 24 Uhr eine Blutentnahme zur Bestimmung des Serumkortisols zu entnehmen.
Bei Gesunden werden um Mitternacht Konzentrationen unter 5 μg/dl gefunden (Orth u. Kovacs 1998). Ein fehlendes oder nur geringes Absinken der Kortisolkonzentrationen, insbesondere ein zu hohes Mitternachtskortisol beim nicht gestressten Patienten, spricht für das Vorliegen eines Cushing-Syndroms (Arnaldi et al. 2003).
4.4.1.4 Differenzialdiagnose Ist das Vorliegen eines endogenen Glukokortikoidexzesses durch die aufgeführten Verfahren gesichert, so ist nachzuweisen, dass eine Nebennierenraumforderung pathogenetisch anzuschuldigen ist.
Der Nachweis eines Cushing-Syndroms in Verbindung mit dem Nachweis einer Nebennierenraumforderung ist für die Diagnose adrenales Cushing-Syndrom nicht ausreichend.
Einerseits kann ein ACTH-Exzess an der Nebenniere zu hyperplasiogenen Knoten führen, die als Adenom fehlgedeutet werden. Andererseits kann ein ACTH-sezernierendes Phäochromozytom oder die Nebennierenmetastase eines ACTH-sezernierenden Bronchialkarzinoms vorliegen. Es sollte daher prinzipiell ein Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH)-Test durchgeführt werden. 4.4.1.4.1 CRH-Test CRH ist ein physiologischer Stimulus der kortikotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens. Durchführung. Nach einer Ruhephase Injektion von 100 μg synthetischem humanem CRH i.v. . Die Blutentnahmen zur Messung von ACTH und Kortisol erfolgen zum Zeitpunkt 0, 15, 30, 45, 60 und 90 min. Bewertung. Der CRH-Test ist die entscheidende diagnostische Maßnahme in der Differenzialdiagnose des Cushing-Syndroms: Beim Morbus Cushing kommt es typischerweise zu einem kräftigen Anstieg des normalen oder erhöhten basalen PlasmaACTH, gefolgt von einem Anstieg des Kortisols (Kortisolanstieg >50% des Basalwertes). Beim ektopen ACTH-abhängigen Cushing-Syndrom findet sich ein deutlich erhöhtes basales ACTH, das nicht auf CRH reagiert und dementsprechend ein fehlender Kortisolanstieg. Beim adrenalen Cushing-Syndrom ist das Plasma-ACTH supprimiert und reagiert nicht auf exogenes CRH, sodass auch ein Kortisolanstieg ausbleibt. Beim subklinischen adrenalen Cushing-Syndrom kann es ausgehend von niedrigen Plasma-ACTH-Werten zu einem subnormalen ACTH-Anstieg kommen. Durch den Nachweis des erniedrigten Plasma-ACTH im Rahmen des CRH-Testes kann die adrenale Genese des Glukokortikoidexzesses sicher etabliert werden.
4.4.1.5 Primärer Hyperaldosteronismus Leitsymptome des klassischen primären Hyperaldosteronismus sind arterielle Hypertonie, Hypokaliämie (Serumkalium <3,7 mmol/l) und metabolische Alkalose. Neuerdings werden allerdings zunehmend Fälle auch ohne Hypokaliämie dokumentiert.
Die Kombination Hypertonie und Hypokaliämie findet sich bei einer Vielzahl von häufigen und seltenen Störungen, sodass entsprechende differenzialdiagnostische Überlegungen erforderlich sind (. Tab. 4.4; Young u. Hogan 1994). Die häufigste Ursache einer Hypokaliämie bei Hypertonikern ist die Behandlung mit Diuretika. Im Zweifelsfall müssen die Diuretika abgesetzt werden, gefolgt von einer Kontrolle des Serumkaliums nach 14 Tagen. Eine Hypokaliämie kann also nur dann als Hinweis auf einen Hyperaldosteronismus gewertet werden, wenn sie nach Beendigung der Diuretikagabe persistiert (spontane Hypokaliämie). In diesem Falle muss ein Hyperaldosteronismus durch eine adäquate
320
Kapitel 4 · Nebennieren
. Tab. 4.4. Plasmareninaktivität und Aldosteron in der Differentialdiagnose der hypokaliämischen Hypertonie. PRA Plasmareninaktivität; DOC Desoxykortikosteron
4
Diagnose
PRA
Aldosteron
Bemerkungen
Essenzielle Hypertonie unter Diuretikatherapie
n
n
Sekundärer Hyperaldosteronismus durch Natriumverlust
Renovaskuläre Hypertonie
n
n
Sekundärer Hyperaldosteronismus
Primärer Hyperaldosteronismus
p
n
Meist Conn-Adenom oder bilaterale Hyperplasie der Nebennieren
11β-Hydroxylasemangel
p
p
DOC erhöht
17α-Hydroxylasemangel
p
p
DOC erhöht
DOC-sezernierender Tumor
p
p
DOC erhöht
Apparenter Mineralokortikoidexzess (AME)
p
p
Kortisol wirkt als Mineralokortikoid durch fehlende Aktivität der11β-HydroxysteroidDehydrogenase Typ II
Liddle-Syndrom
p
p
Konstitutive Aktivierung des amiloridsensitiven Natriumkanals
endokrinologische Diagnostik ausgeschlossen werden. Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass die Hypokalämie in vielen Fällen eines primären Hyperaldosteronismus fehlt (Mulatero et al. 2004). Insbesondere bei Patienten mit schwer einstellbarer Hypertonie findet sich in einem hohen Prozentsatz ein normokaliämischer primärer Hyperaldosteronismus. Da sowohl ein primärer wie ein sekundärer Hyperaldosteronismus möglich sind, werden prinzipiell die Serumaldosteronkonzentrationen und die Plasmareninaktivität (PRA) gleichzeitig erfasst. Da auf das System verschiedene Pharmaka einwirken können müssen insbesondere ß-Blocker ausreichend lange (4–5 Tage) vor der Blutgewinnung abgesetzt werden. Eine Therapie mit Spironolacton muss vor einer Diagnostik über mehrere Wochen unterbrochen sein. Der Patient soll während der Diagnostik 100–200 mmol Natrium/Tag zu sich nehmen. Als geeignete Antihypertensiva ohne Störeinfluss können Kalziumantagonisten und alpha-Blocker eingesetzt werden. 4.4.1.5.1 Bestätigungsdiagnostik Durchführung. Messung von Serumaldosteron und Plasmareninaktivität (PRA) unter kochsalzreicher Diät. Die Natriumausscheidung im 24-h-Urin soll dabei >200 mmol/Tag sein. Da unter der kochsalzreichen Diät die Kaliumausscheidung zunimmt, muss eine entsprechende Kaliumsubstitution erfolgen. Zusätzlich Bestimmung von Aldosteron-18-Glukoronid im 24-h-Urin. Bewertung. Beim Hyperaldosteronismus ist die PRA supprimiert bei erhöhtem oder hochnormalem Aldosteron, die Ausscheidung an Aldosteron-18-Glukoronid ist erhöht. Die Messung dieses Urinmetaboliten steht in vielen Labors zur Verfügung und ist daher einfacher anwendbar als die Messung des Tetrahydroaldosteronglukoronides, das eine noch höhere Treffsicherheit im Nachweis des primären Hyperaldosteronismus besitzt.
4.4.1.5.2 Kochsalzbelastungstest Dieser Test kann zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose herangezogen werden (Loh et al. 2000).
Durchführung. Nach einer basalen Blutentnahme zur Messung von Serumaldosteron und PRA verabreicht man dem sitzenden Patienten eine intravenöse Infusion von 0,9%-iger NaCl-Lösung (2000 ml über 4 h). Danach erfolgt am kontralateralen Arm eine erneute Blutentnahme zur Messung von Aldosteron und PRA. Bewertung. Bei Gesunden führtein hohes Natriumangebot zur
Suppression der endogenen Aldosteronsekretion, die beim primären Hyperaldosteronismus unvollständig bleibt oder fehlt. Bei Patienten mit prim. Hyperaldosteronismus lässt sich das Aldosteron nicht unter 8,5 ng/dl absenken. Auf eine ausreichende Kaliumsubstitution muss geachtet werden, eine Blutdrucküberwachung ist ebenfalls erforderlich. 4.4.1.5.3 Differenzialdiagnostische Funktionstests (Orthostasetest) Die häufigsten Ursachen eines primären Hyperaldosteronismus sind das einseitige Adenom (aldosteronproduzierendes Adenom (APA; Conn-Syndrom) und der idiopathische primäre Hyperaldosteronismus (IHA) auf dem Boden einer bilateralen Hyperplasie. Seltene Ursachen sind der Glukokortikoid-supprimierbare Hyperaldosteronismus und die autonome makronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie. Der wichtigste Test zur Differenzierung zwischen APA und IHA ist der Orthostasetest mit Messung von Serumaldosteron und PRA. Durchführung. Der Patient hält Bettruhe ab 24 Uhr bis zur
1. Blutentnahme um 8 Uhr ein. Danach muss der Patient mindestens 2 h herumlaufen. Zwischen 10 und 12 Uhr erneute Blutentnahme. Gemessen werden Serumaldosteron und Plasmareninaktivität, fakultativ kann auch 18-OH-Kortikosteron bestimmt werden. Bewertung. Beim Gesunden und bei Patienten mit IHA steigt das Serumaldosteron morgens nach mehrstündiger Orthostase an, beim aldosteronproduzierenden Adenom (APA) bleibt der Anstieg des Aldosterons wegen der meist fehlenden Angiotensin-II-
321 4.4 · Nebennierentumoren
4
Empfindlichkeit des Adenoms in der Regel aus. Vielfach kommt es sogar zu einem Absinken des Aldosterons, das beim APA eine Abhängigkeit von der hypophysären ACTH-Sekretion zeigt, die der Tagesrhythmik folgend in diesem Zeitraum absinkt. Beim IHA finden sich basal hochnormale oder leicht erhöhte Werte für Serumaldosteron und 18-OH-Kortikosteron. Sie zeigen einen Anstieg nach Orthostase um mehr als 30%. Beim APA finden sich basal deutlich erhöhte Werte für Serumaldosteron und 18OH-Kortikosteron und ein Abfall bzw. fehlender oder unzureichender Anstieg nach Orthostase. Die Plasmareninaktivität ist bei allen Formen des primären Hyperaldosteronismus unter diesen Bedingungen supprimiert. 4.4.1.5.4 Nebennierenvenenkatheterisierung Die moderne Bildgebung, insbesondere das Spiral-CT, ist in der Lage, adrenale Knoten bis hinunter zu einer Größe von 5 mm sicher nachzuweisen. Die Häufigkeit solcher Knoten bei Gesunden ist nicht unerheblich, sodass die Differenzialdiagnose nicht alleine auf die Bildgebung gestützt werden kann. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die hochauflösende Bildgebung fälschlicherweise zur Diagnose einer bilateralen nodulären Hyperplasie führen kann, während tatsächlich nur eine Nebenniere den Hyperaldosteronismus auslöst (Doppman 1993). Die Indikation zur bilateralen Nebennierenvenenblutentnahme zur Differenzialdiagnose des primären Hyperaldosteronismus sollte daher häufiger erwogen werden. Nach Einführen eines Katheters über die V. femoralis wird Blut aus den Nebennierenvenen links und rechts sowie zusätzlich vorher und nachher aus der unteren V. cava entnommen. Insbesondere die Katheterisierung der rechten Nebennierenvene ist schwierig und sollte nur von einem erfahrenen Radiologen vorgenommen werden. Grundsätzlich werden aus allen gewonnenen Proben das Serumkortisol und das Serumaldosteron bestimmt. Die Bestimmung des Kortisols erlaubt die Beurteilung, ob die Katheterisierung erfolgreich war. Bei Vorliegen eines aldosteronproduzierenden Adenoms ist der Quotient Aldosteron/Kortisol im Venenblut der adenomtragenden Nebenniere deutlich höher als im peripheren Blut, während der Quotient im Venenblut der Gegenseite niedriger ist als im peripheren Venenblut (. Abb. 4.31). 4.4.1.5.5 Urinausscheidung von 18-Hydroxykortisol und 18-Oxokortisol Die Hybridsteroide 18-Hydroxykortisol und 18-Oxokortisol sind bei Glukokortikoid-supprimierbarem Hyperaldosteronismus im Urin deutlich erhöht. Bei Patienten mit aldosteronproduzierendem Adenom, nicht aber bei IHA sind beide Steroide ebenfalls im Urin nachweisbar, wenngleich in deutlich geringeren Konzentrationen als beim Glukokortikoid-supprimierbaren Hyperaldosteronismus. Prinzipiell lässt sich daher durch die Bestimmung von 18-Hydroxykortisol im Urin eine sehr gute Abgrenzung von aldosteronproduzierendem Adenom zu IHA erreichen. Allerdings stehen diese Messmethoden noch nicht in der ausreichenden Empfindlichkeit allgemein zur Verfügung (Oelkers 1996). 4.4.1.5.6 Adrenaler Androgen- bzw. Östrogenexzess Hohe Konzentrationen von Dehydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS) im Serum (>7 mg/l) können auf einen hormonaktiven Nebennierentumor hinweisen, der dann meist ein Nebennierenrindenkarzinom ist. Mit Hilfe eines Androgensuppressionstestes kann dann zwischen einer funktionellen regulierten Hyperan-
. Abb. 4.31. Ergebnis der bilateralen Nebennierenvenenkatheterisierung bei einem Patienten mit rechtsseitigem Aldosteron-produzierenden Adenom. Der Aldosteron/Kortisol-Quotient (pmol/l/nmol/l) ist in der rechten Nebennierenvene am höchsten (4,8), gefolgt vom Wert in der V. cava inferior (2,3), während die kontralaterale Nebennierenvene links den niedrigsten Quotienten aufweist (0,3)
drogenämie und einer autonomen tumorbedingten Hyperandrogenämie unterschieden werden. Die Suppression des DHEAS erfolgt durch Dexamethason (Arlt et al. 1998). Da DHEAS eine lange Halbwertzeit hat, muss Dexamethason über mehrere Tage verabreicht werden, um eine Suppression nachweisen zu können. Eine allgemein akzeptierte Version dieses Testes existiert nicht. Durchführung. 2×2 mg Dexamethason täglich über 4–5 Tage. Blutentnahmen zur Bestimmung von Serum-DHEAS und Serumkortisol erfolgen vor Beginn der Dexamethasongabe und am Morgen nach der letzten Dexamethasondosis. Bewertung. Bei regulierter funktioneller Hyperandrogenämie
kommt es zu einem Absinken des DHEAS auf unter 50% des Ausgangswertes. Mit dem gleichen Verfahren gelingt es gelegentlich auch, eine funktionelle Erhöhung des Testosterons durch adrenale Testosteronüberproduktion als reguliert zu dokumentieren. Östrogenproduzierende Tumoren bei Männern können sowohl in der Nebenniere als auch im Hoden (Leydig-Zelltumoren) lokalisiert sein. Im Einzelfall kann eine Katheterisierung von Nebennierenvenen und testikulären Venen erforderlich werden. Auch in diesem Falle erfolgt neben der Messung des Östradiols die Bestimmung von Kortisol und Testosteron, um die erfolgreiche Katheterisierung zu dokumentieren. Bei Frauen mit Hirsutismus oder Virilisierung können deutlich erhöhte Androgene auch ovariellen Ursprungs sein. In den meisten Fällen liegt dann eine funktionelle ovarielle Hyperandrogenämie vor. Die Ovarialfunktion lässt sich in diesem Falle durch
322
Kapitel 4 · Nebennieren
längerfristige Anwendung eines oralen Kontrazeptivums supprimieren oder durch den Einsatz von LH-RH-Superagonisten bzw. -Antagonisten. Ein Absinken der zirkulierenden Androgenkonzentrationen unter diesen Maßnahmen belegt die funktionelle Natur der Androgenerhöhung und ihren ovariellen Ursprung.
. Tab. 4.5. Screening-Diagnostik beim Phäochromozytom
Parameter
Normbereich
Grenzwerta
Phäochromozytom
Adrenalin + Noradrenalin (μg/24 h)
<50
50–150
>150
Gesamtmetanephrine (mg/24 h)
<0,5
0,5–2,5
>2,5
Vanillinmandelsäure (mg/24 h)
1–8
8–11
>11
Adrenalin + Noradrenalin (ng/l)
<500
500–2000
>2000
Metanephrin (nmol/l)
<0,3
0,3–0,6
>0,6
Normetanephrin (nmol/l)
<0,7
0,7–1,0
>1,0
Urin
4
4.4.1.6 Phäochromozytom Bei nachgewiesener arterieller Hypertonie zeigt die Symptomtrias Kopfschmerzen, Hyperhidrosis und Tachykardie eine hohe diagnostische Spezifität (94%) und Sensitivität (90%). Allerdings sind viele Phäochromozytome symptomarm. Bei uns wurde in den letzten Jahren das Phäochromozytom häufig primär durch bildgebende Verfahren als »Inzidentalom« auffällig, die klinischen Symptome wurden nicht spontan geäußert. Die Verdachtsdiagnose Phäochromozytom erfordert immer die biochemische Sicherung der Diagnose, da eine normale Nebennierenmorphologie ein Phäochromozytom nicht ausschließt und umgekehrt das Vorliegen eines Nebennierentumors auch bei sonst typischer Klinik ein Phäochromozytom nicht beweist. 4.4.1.6.1 Screening-Verfahren Als klassischer Standard zum Nachweis oder Ausschluss eines Phäochromozytoms gilt die Bestimmung der freien Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin und der Metanephrine im Urin.
Ein wichtiges neues Verfahren, das zunehmend Verbreitung findet, ist die Bestimmung der freien Plasmametanephrine (Normetanephrin und Metanephrin; Lenders et al. 2002).
Durchführung. Die Sammelperiode beträgt 24 h. Der Urin muss angesäuert werden (20 ml 6 N HCl), um die Oxidation der Katecholamine zu verhindern. Der Behälter muss einen festen Schraubverschluss besitzen. Eine diagnostische Alternative bzw. Ergänzung ist die Bestimmung der totalen Metanephrine im 24-h-Urin. Die Messung der Vanillinmandelsäure im 24-h-Urin hat an Bedeutung verloren. Bewertung. Unter der Voraussetzung, dass entweder Adrenalin oder aber Noradrenalin pathologisch erhöht ist, zeigt diese Methode eine Sensitivität zwischen 90 und 95%. Die Spezifität liegt etwa zwischen 60 und 80%. Typischerweise liegt beim Phäochromozytom das Urin-Noradrenalin über 100 μg/24 h und/oder das Urin-Adrenalin über 50 μg/24 h. Die Gesamt-Metanephrine liegen in den meisten Fällen über 2,5 mg/24 h (. Tab. 4.5). Dieses Screening-Verfahren sollte mindestens 2-mal durchgeführt werden. Bei der großen Mehrzahl der Patienten mit Phäochromozytom ist die Ausscheidung von Adrenalin und/oder Noradrenalin im 24-h-Urin konstant erhöht. Im Zweifelsfall sollte die Sammlung im Anschluss an eine typische klinische Episode erfolgen. Verschiedene Medikamente können mit der Messung der Katecholamine im 24-h-Urin methodenabhängig interferieren. Hier sollte mit dem Labor Kontakt aufgenommen werden. Der Patient sollte daher während der Untersuchungen möglichst keine Medikamente einnehmen. Muss eine Blutdruckmedikation fortgeführt werden, so sind die Interferenzen am wenigsten ausgeprägt beim Einsatz von Kalziumantagonisten, Diuretika und Alphablockern. Viele Patienten mit essenzieller Hypertonie zei-
Plasma
a
Grenzwerte, z. B. durch Pharmaka, Stress oder arterielle Hypertonie bedingt, erfordern Kontrollen und ggf. erweiterte Diagnostik
gen geringfügig erhöhte Katecholaminausscheidungen. Eine nur mäßig über dem oberen Normbereich gelegene Ausscheidung an Noradrenalin kann damit nicht als beweisend für das Vorliegen eines Phäochromozytoms angesehen werden. Die Bestimmung der Katecholamine im Plasma ist als Screening-Verfahren der Messung der Katecholamine im Urin eindeutig unterlegen. Lediglich eine Plasmanoradrenalinkonzentration über 2000 ng/l unter Ruhebedingungen kann als eindeutiger Hinweis auf das Vorliegen eines Phäochromozytoms gewertet werden. Die Plasmametanephrine zeigen wesentlich geringere Schwankungen und eine höhere Stabilität. Sie haben daher als diagnostisches Verfahren eine sehr hohe Sensitivität bei guter Spezifität (Pacak et al. 2005). Die Bestimmung der Urinkatecholamine in Verbindung mit der Bildgebung ist beim adrenalen Phäochromozytom nahezu immer ausreichend zur Diagnosesicherung, da bereits die Bildgebung charakteristische Hinweise auf das Phäochromozytom liefert (größerer Tumor, Nekrosen, typischer MRT-Befund). Eine weiterführende Funktionsdiagnostik ist daher nur in Ausnahmefällen notwendig. Meistens handelt es sich um Grenzbefunde oder um den Verdacht auf ein extraadrenales Phäochromozytom. 4.4.1.6.2 Clonidintest Der am besten etablierte Suppressionstest ist der Clonidintest (Bravo 1994). Das Prinzip beruht darauf, dass Clonidin durch zentral-nervöse Stimulation von α2-Rezeptoren den Sympathikotonus senkt, sodass bei Gesunden und bei Patienten mit essenzieller Hypertonie Plasmaadrenalin und Plasmanoradrenalin abfallen. Im Gegensatz dazu werden beim Phäochromozytom die erhöhten Plasmakatecholaminwerte durch Clonidin nicht beeinflusst. Durchführung. Die Patienten werden ruhig gelagert und mit einer Venenkanüle versehen. Halbstündlich erfolgen Messungen
323 4.4 · Nebennierentumoren
von Blutdruck und Herzfrequenz. Eine Stunde nach Beginn der Ruhephase Entnahme von 2 Blutproben für Plasmakatecholaminmessungen in 5-minütigem Abstand. Danach orale Gabe von 300 μg Clonidin. Anschließend halbstündige Kontrollen von Blutdruck und Herzfrequenz. Erneute Blutentnahme zur Bestimmung der Plasmakatecholamine nach 180 min. Bewertung. Ein pathologisches Testergebnis liegt vor, wenn es nicht zum Abfall des Noradrenalins und des Adrenalins in den Normbereich (<350 ng/l für Noradrenalin und <180 ng/l für Adrenalin) kommt. Der Test kann nur dann gewertet werden, wenn die Ausgangswerte erhöht sind (>500 ng/ml). Bei Plasmakatecholaminen in Ruhe im Normbereich kann der Test nur als pathologisch gewertet werden, wenn es zu einem paradoxen Anstieg der Katecholamine kommt. Die Sensitivität des Clonidintests liegt zwischen 70 und 98%, die Spezifität zwischen 85 und 90%.
4.4.1.6.3 Funktionsszintigraphie Eine Kombination aus Bildgebung und Funktionsdiagnostik ist die Szintigraphie mit 123J-Metajodobenzylguanidin (123J-MIBG). Diese Substanz ist ein Guanidin- und Noradrenalin-Analog mit hoher Affinität für chromaffine Zellen und wird über einen spezifischen Transportmechanismus in die Zellen aufgenommen. Die Sensitivität (Nachweis von fokaler Speicherung im Tumor) der MIBG-Szintigraphie bei sporadischem Phäochromozytom beträgt ca. 78%, bei malignem Phäochromozytom 92% und bei familiärem Phäochromozytom 94%. Die Spezifität ist mit 96–100% hoch. Funktionsdiagnostisch hat die MIBG-Szintigraphie ihren besonderen Wert bei grenzwertigen biochemischen Testen und Nachweis einer Nebennierenraumforderung. Als Bildgebungsverfahren hat sie den höchsten Stellenwert zum Nachweis eines extraadrenalen Phäochromozytoms bzw. zum Nachweis der Metastasierung (Bravo 1994). Ein wichtiges neues Verfahren ist die Positronenemissionstomographie (PET), entweder als FDG-PET oder als DOPA-PET, wobei bei guter Sensitivität nur letzteres eine hohe Spezifität besitzt, aber dafür nur begrenzt verfügbar ist (Pacak et al. 2005). Literatur Allolio B (1996) Prinzipien endokrinologischer Funktionsdiagnostik. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Praktische Endokrinologie. Urban & Schwarzenberg, München S 7–11 Allolio B, Deuß U, Kaulen D, Feltes G, Kosse P, Winkelmann W (1986) Verbesserte ambulante Diagnostik von Nebennierenrinden- (NNR-) Erkrankungen durch Messung von Kortisol im Speichel. Akt Endokr Stoff 7:140–144 Arlt W, Justl HG, Callies F et al. (1998) Oral dehydroepiandrosterone for adrenal androgen replacement: pharmacokinetics und peripheral conversion to androgens and estrogens in young healthy females after dexamethasone suppression. J Clin Endocrinol Metab 83: 1928–1934 Arnaldi G, Angeli A, Atkinson AB, Bertagna X, Cavagnini F, Chrousos GP, Fava GA, Findling JW, Gaillard RC, Grossman AB, Kola B, Lacroix A, Mancini T, Mantero F, Newell-Price J, Nieman LK, Sonino N, Vance ML, Giustina A, Boscaro M (2003) Diagnosis and complications of Cushing’s syndrome: a consensus statement. J Clin Endocrinol Metab 88:2194–2200 Benker G, Schulte HM, Günther RW, Reinwein D (1990) Diagnostische Strategien beim Cushing-Syndrom. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Diagnostik und therapeutische Strategien bei Nebennierenerkrankungen. Schattauer, Stuttgart, S 74–90 Boscaro M, Barzon L, Fallo F, Sonino N (2001) Cushing’s syndrome. Lancet 357:783–791
4
Bravo EL (1994) Evolving concept in the pathophysiology, diagnosis, and treatment of pheochromocytoma. Endocr Rev 15:356–368 Doppman JL (1993) The dilemma of bilateral adrenocortical nodularity in Conn’s and Cushing’s syndromes. Radiol Clin North Am 31:1039– 1050 Griffin JE (1993) Dynamic tests of endocrine function. In: Wilson JD, Foster DW (eds) Textbook of endocrinology, 8th ed. Saunders, Philadelphia, pp 1663–1670 Laudat MH, Billaud L, Thompoulos P, Vera O, Yllia A, Luton JP (1988) Evening urinary free corticoids: a screening test in Cushing’s syndrome and incidentally discovered adrenal tumours. Acta Endocrinol (Copenh) 119:459–464 Lehnert H, Allolio B, Buhr HJ, Hahn K, Mann B, Mohnike K, Weiss M (2003) Nebenniere. In: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (Hrsg) Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel. Thieme, Stuttgart S 137–180 Lenders JW, Pacak K, Walther MM, Linehan WM, Mannelli M, Friberg P, Keiser HR, Goldstein DS, Eisenhofer G (2002) Biochemical diagnosis of pheochromocytoma: which test is best? JAMA 287:1427–1434 Loh KC, Koay ES, Khaw MC, Emmanuel SC, Young WF Jr. (2000) Prevalence of primary aldosteronism among Asian hypertensive patients in Singapore. J Clin Endocrinol Metab 85:2854–2859 Mulatero P, Stowasser M, Loh KC, Fardella CE, Gordon RD, Mosso L, Gomez-Sanchez CE, Veglio F, Young WF Jr. (2004) Increased diagnosis of primary aldosteronism, including surgically correctable forms, in centers from five continents. J Clin Endocrinol Metab 89:1045– 1050 OelkersW (1996) Diagnostische Methoden bei Nebennierenerkrankungen. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Praktische Endokrinologie. Urban & Schwarzenberg, München, S 212–218 Oelkers W, Holzhäuer H (1990) Hypertonie durch Hypersekretion von Mineralokortikoiden. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Diagnostik und therapeutische Strategien bei Nebennierenerkrankungen. Schattauer, Stuttgart, S 40–52 Orth DN, Kovacs WJ (1998) The adrenal contex. In: Wilson JD, Foster DW, Kronenberg HM, Larsen PR (eds) Williams textbook of endocrinology, 9th ed. Saunders, Philadelphia, pp 517–664 Pacak K, Ilias I, Adams KT, Eisenhofer G (2005) Biochemical diagnosis, localization and management of pheochromocytoma: focus on multiple endocrine neoplasia type 2 in relation to other hereditary syndromes and sporadic forms of the tumour. J Intern Med 257:60–68 Young WF Jr, Hogan MJ (1994) Renin-independent hypermineralocorticoidism. Trends Endocr Metab 5:97–106
4.4.2 Bildgebende Verfahren
K.J. Klose ) ) Die Einführung der Schnittbildverfahren, allen voran der Computertomographie, in den letzten Jahren aber auch der Magnetresonanztomographie, hat die Diagnostik und Therapie von Nebennierenerkrankungen verändert. Auf Seiten der Inneren Medizin mehren sich die Fälle von subklinischen Cushing- und Conn-Syndromen, die bei der endokrinologischen Aufarbeitung von »Inzidentalomen« entdeckt werden (Terzolo et al. 2005). In der chirurgischen Behandlung können dank der präoperativen Sicherheit der Lokalisation kleiner, endokrin aktiver Tumoren minimalinvasive Verfahren eingesetzt werden, wo früher wegen der erst intraoperativ möglichen Klärung große Zugangswege notwendig waren. 6
324
4
Kapitel 4 · Nebennieren
Daneben erobert sich die moderne Bildgebung zunehmend auch einen Platz als Steuerungsverfahren für perkutane Engriffe, vorwiegend zur Ablation von Metastasen, durchaus aber auch zur Behandlung von endokrin aktiven Tumoren (Lo et al. 2006; Al-Shaikh et al. 2004; Mayo-Smith et al. 2004). Unabhängig davon gilt für die Diagnostik, dass eine endokrin auffällige Nebenniere in der Bildgebung mit CT und/oder MRT morphologisch unauffällig sein kann. Ob diese Lücke irgendwann, z. B. durch den Einsatz der Endosonographie (Kann 2005) oder neuer molekularer Bildgebungsverfahren, zu schließen sein wird, bleibt abzuwarten.
4.4.2.1 Methoden Der Einsatz bildgebender Verfahren in der Diagnostik von Tumoren der Nebennieren ist auf wenige konkrete Fragestellungen beschränkt: 4 Patienten ohne Hormonexzess 5 Ausschluss radiomorphologischer Veränderungen 5 Charakterisierung von Nebennierenraumforderungen 5 Staging bei bekanntem Primärtumor 4 Patienten mit Hormonexzess 5 Lateralisation radiomorphologischer Veränderungen bei typischer Lage 5 Lokalisation radiomorphologischer Veränderungen bei extraadrenaler Lage Hierfür steht eine Reihe von Methoden zur Verfügung, die sich nach ihrer Invasivität in nichtinvasive First-line-Verfahren (Sonographie, CT, MRT) und minimalinvasive Second-line-Verfahren (Endosonographie, selektive Venenblutentnahme und bildgesteuerte Punktion) unterscheiden lassen. Der Computertomographie kommt dabei die größte Bedeutung zu, die Magnetresonanztomographie dient der Klärung von Spezialfällen. Daneben spielen in der gezielten Diagnostik die nuklearmedizinischen Verfahren der MIBG-Szintigraphie und PET eine Rolle (Brink et al. 2005). 4.4.2.2 Projektionsradiographie 4.4.2.2.1 Übersichtsaufnahmen Die Thoraxübersichtsaufnahme spielt lediglich bei Patienten mit nachgewiesenen malignen Prozessen im Rahmen des Stagings eine Rolle, wobei zum sicheren Ausschluss bzw. Nachweis auch kleinerer Rundherde, die Computertomographie als Verfahren der Wahl angesehen werden muss. Die Abdomenübersichtsaufnahme spielt in der Diagnostik von adrenalen Prozessen keine primäre Rolle, allerdings können Verkalkungen der Nebenniere bei Durchführung dieser Untersuchung aus anderer Indikation hiermit nachgewiesen werden. Die Retropneumoperitoneographie, bei der zur Darstellung der Nebenniere präsakral Luft oder Kohlendioxid insuffliert wurde, hat nur noch medizinhistorische Bedeutung. 4.4.2.2.2 Urographie Die Ausscheidungsurographie spielt beim Erwachsenen keine Rolle mehr in der Differenzierung renaler und suprarenaler Raumforderungen, im Kindesalter hatte sie in der Differenzierung von Neuroblastomen und Wilms-Tumoren eine gewisse Bedeutung, wird hier mittlerweile aber durch die MR-Bildgebung, insbesondere unter Verwendung von 3D-Techniken für die präoperative Planung, abgelöst (Günther et al. 2004; Hoffer 2005).
4.4.2.3 Nuklearmedizinische Verfahren Zur Lokalisationsdiagnostik beim Phäochromozytom und Neuroblastom wird die 123 J- oder 131J-Metaiodobenzylguanidin-Szintigraphie (MIBG-Szintigraphie) in der Routine eingesetzt (Ilias et al. 2005). Der Nachteil ihrer geringen räumlichen Auflösung wird durch den Vorteil der Übersicht über alle speichernden Herde kompensiert. Dies spielt besonders bei dem in ca. 10% extraadrenal lokalisierten Phäochromozytom eine Rolle. Dies gilt auch für den Nachweis von Metastasen, z. B. beim Neuroblastom, sodass auf die Methode im Rahmen der initialen Staging-Diagnostik nicht verzichtet werden sollte. Die Treffsicherheit der MIBGSzintigraphie wird in der Literatur mit über 90% angegeben (Quint et al. 1987). Die Szintigraphie mit 131J-Norcholesterol (NP 59) zur Lateralisationsdiagnostik beim Conn-Syndrom führt 4–7 Tage nach Applikation des Tracers zur Darstellung des Tumors, wird heute jedoch nur noch selten eingesetzt (Miles et al. 1979). Auf die zunehmende Rolle der PET sei an dieser Stellen hingewiesen, ohne das hier eine weitere Detaillierung erfolgen kann (Ilias et al. 2005). Auch kann hier nur auf erste Literaturberichte zum Stellenwert der PET-CT hingewiesen werden (Bagheri et al. 2004). 4.4.2.4 Schnittbildverfahren 4.4.2.4.1 Ultraschall Die normale Nebenniere ist beim Erwachsenen sonographisch nur in Ausnahmefällen darzustellen. Die Darstellung der fettreichen Nebennierenregion über einen interkostalen Longitudinalschnitt gelingt beim Erwachsenen rechts in ca. 80% und links in ca. 40% (Günther et al. 1984). Bessere Ergebnisse wurden durch Anwendung der sog. Compound-Technik mitgeteilt (Sample 1978; Yeh 1980). Selbst die Anwendung zeitgemäßer Techniken in Form der farbkodierten Duplex-Sonographie und des Power-FlowImaging sind nicht in der Lage, für die Differenzierung adrenaler Läsionen hilfreiche Informationen zu liefern (Ghiatas 1996). Lediglich die Endosonographie könnte hier in Zukunft eine Lücke schließen (Kann 2005). Bei Neugeborenen und Kindern kann die Sonographie aufgrund des Mangels an Bauchfett mit ausreichend hoher Treffsicherheit, z. B. zum Nachweis von Neuroblastomen oder zum Ausschluss von Blutungen, eingesetzt werden. So mehren sich die Publikationen zur pränatalen, intrauterinen Diagnostik von Tumoren der Nebenniere (Izbizky et al. 2005). 4.4.2.4.2 Computertomographie Die CT ist der Goldstandard in der Diagnostik von Nebennierenprozessen. Mit ihrer Hilfe kann man im Rahmen von Übersichtsdarstellungen (8–10 mm Schichtdicke) die meisten Nebennierentumoren bereits erkennen. Zur gezielten Abklärung von Nebennierenerkrankungen wird die Untersuchung heute in der Regel mit Mehrzeilen-CTGeräten (MS-CT) in Spiraltechnik mit Aufnahmeparametern von 120 kV und 75–150 mAs und einer Schichtdicke von 2–3 mm durchgeführt. Insbesondere bei Patienten mit multipler endokriner Neoplasie (MEN) und der Prädisposition zu multiplen und ektopen Phäochromozytomen empfiehlt sich eine engere Schichtführung im Bereich der Nebenniere und des Abdomens. Zur besseren Übersicht können sekundäre Rekonstruktionen eingesetzt werden, insbesondere seit die MS-CT (ab 4-Zeiler aufwärts) eine isotrope Ortsauflösung im Voxel bieten (. Abb. 4.32).
325 4.4 · Nebennierentumoren
. Abb. 4.32. Normale Nebenniere: horizontale Rekonstruktion der Nieren und Nebennieren (Mehrzeilen-CT). Die normalen Nebennieren beidseits sind in Fettgewebe eingebettet und ihre umgekehrte Y-Form gut erkennbar
Die Kontrastmittelgabe zur Differenzierung zystischer und solider Tumoren erfolgt regelhaft maschinell mit Hilfe einer Kontrastmittelspritze (»flow rate« 2–3ml/s, Kontrastmittelmenge 100–150 ml (Jodgehalt 300–320 mg/ml), Startverzögerung 70 s nach Bolusbeginn). Die jeweilige Kontrastmittelaufnahme der Tumoren wird mit einer »Region-of-interest«-Technik (ROI) gemessen, wobei die ROI auf die Objektgröße angepasst werden muss (. Abb. 4.33). Unter Verwendung der absoluten Dichtewerte nativ (<0 HE benigne, >43 HE maligne) und dem absoluten und relativen Kontrastmittelauswaschverhalten nach 10 min nach Kontrastmittelgabe (Schwellwert von 52%) lässt sich nach neueren Ergebnissen die Sensitivität der CT zur Differenzierung benigner/ maligner Herde auf 100% bei einer Spezifität von 98% steigern (Blake et al. 2006).
. Abb. 4.33. Inzidentalom der Nebennieren und Nebenierenzyste: Die Dichtemessung nativ, nach Kontrastmittelgabe und in der Spätphase zeigt das typische Kontrastmittelverhalten eines Adenoms (Pfeil). Zusätz-
4
4.4.2.4.3 Magnetresonanztomographie Die MRT kommt als weiterführende Methode zur Anwendung. Ihr Wert liegt in der weiteren Charakterisierung von Läsionen, die im CT unklar bleiben. Meist kommt die Körperspule zum Einsatz. Die Positionierung des Patienten sollte in der Nähe des Isozentrums des Magneten erfolgen. Zur Reduktion von entsprechenden Artefakten empfiehlt sich ein Atemgating (alternativ: Atemanhaltesequenzen) und die Applikation von Vorsättigungsimpulsen ober- und unterhalb des Untersuchungsvolumens. Das »field of view« (FOV) wird der Größe des Patienten angepasst und liegt zwischen 250–350 mm. In den üblichen Untersuchungsprotokollen verwenden wir neben koronaren Übersichtsdarstellungen (z. B. TRUEFISP), axiale T1-gewichtete Gradientenechosequenzen vor und nach Kontrastmittelgabe und T2-gewichtete TSE-Sequenzen mit Schichtdicken von 5 mm und einer Bildmatrix von 256×256 (. Abb. 4.34). Fettsättigungssequenzen sind geeignet, um Atemartefakte und »Chemical-shift«-Artefakte zu reduzieren, verlängern jedoch die Untersuchungszeit und erniedrigen die Zahl der möglichen Schnitte um ca. 15–20% pro Akquisition. Die Differenzierung verschiedener Nebennierenprozesse gelingt am besten mit T2-gewichteten Sequenzen (Doppmann et al. 1987; Kier u. McCarthy 1989). Mit der zusätzlichen, dynamischen Untersuchung nach Kontrastmittelapplikation von Gadolinium-DTPA konnten Krestin et al. (1991) bei onkologischen Patienten eine deutliche Verbesserung der Treffsicherheit erzielen. In-vivo-Magnetresonanzspektroskopie (MRS)-Untersuchungen von Nebennierenadenomen und -karzinomen (<15 mm) haben gezeigt, dass der Fettgehalt in diesen Tumoren sich mit 13,4±8% bzw. 3,5±2% deutlich unterscheidet (LeroyWillig 1989). Auf Basis dieser Unterschiede in der Fettzusammensetzung hat sich der Einsatz der frequenzselektiven Fett-/Wasserbildgebung, auch bekannt unter den Namen »chemical shift imaging« (CSI), durchgesetzt (. Abb. 4.35; Bilbey et al. 1995). Heute werden zur Differenzierung von Nebennierenläsionen neben den T2-gewichteten (fettsupprimierten) Turbospinechosequenzen und dem CSI noch dynamische, kontrastverstärkte Gradientenechosequenzen eingesetzt, um eine möglichst hohe Treffsicherheit in der Unterscheidung von Läsionen zu erreichen (Zimmermann et al. 1997).
lich Darstellung einer ringförmig verkalkten Nebennierenzyste des lateralen Schenkels
326
Kapitel 4 · Nebennieren
4 . Abb. 4.34. Inzidentalom der rechten Nebenniere: MR-Bildgebung mit T2-gewichteter Sequenz (z. B. HASTE) und T1-gewichteten TSE-Sequenzen vor und nach Gabe von Gadolinium-DTPA
. Abb. 4.35. Gleicher Patient wie in . Abb. 4.34. Die fettsupprimierte Fett-/Wasserbildgebung (»chemical shift imaging«) führt bei fetthaltigen Tumoren zu einer Signalintensitätszunahme in den »In-phase«- gegen-
Insgesamt hat die MRT gegenüber der CT in den letzten Jahren durch die Verfügbarkeit neuer Untersuchungstechniken deutlich Fortschritte erzielt und ist als ebenbürtig einzustufen (Noone et al. 2004).
4.4.2.5 Minimalinvasive Verfahren 4.4.2.5.1 Arteriographie und selektive venöse Blutentnahme Die Nebennierenarteriographie hat praktisch keine Bedeutung mehr in der Differenzierung adrenaler Tumoren. Beim Vorliegen eines Phäochromozytoms, eine der letzten Domänen dieses Verfahrens bei Suche nach extraadrenalen Tumoren, können schwerste hypertensive Krisen und ein akutes Herzversagen verursacht werden, wenn Manipulationen an der Drüse ohne Prä-
über den »Out-of-phase«-Bildern, wo sich Fett- und Wassersignal gegenseitig auslöschen
medikation mit Alphablockern durchgeführt werden (Brückel u. Böhm 1998). Die selektive Blutentnahme aus den Nebennierenvenen ist keine Routinemaßnahme und kommt in der Lateralisation von Nebennierentumoren zum Einsatz, wenn die Schnittbildverfahren keine eindeutigen Befunde ergeben. Sie setzt vor allem bei der Sondierung des rechten Nebennierenvenenostiums eine große Erfahrung des Untersuchers voraus und ermöglicht beim Überschreiten der Grenzwerte von 8000 ng/l für Noradrenalinin bzw. 1400 pg/l für Aldosteron in 94,6% bzw. 97,4% die Diagnose eines Phäochromozytoms bzw. Conn-Adenoms. Beim CushingSyndrom ergaben sich keine eindeutigen Befunde (Kahaly et al. 1985). Beim Morbus Cushing liefert die selektive Blutentnahme aus dem Sinus petrosus inferior gegenüber der Lateralisationsdiagnostik mit CT und MRT bessere Ergebnisse und kommt zum
327 4.4 · Nebennierentumoren
Einsatz, wenn die Schnittbildmethoden unklare Befunde ergeben (Booth et al. 1998). 4.4.2.5.2 Perkutane Nebennierenpunktion Die Indikation zur Nebennierenbiopsie ist lediglich bei Tumorpatienten gegeben, deren metastasenverdächtige Nebennierenläsion sich mit bildgebenden Methoden nicht eindeutig charakterisieren lässt, und deren therapeutisches Management sich durch den Metastasennachweis ändert. In der Regel reicht die Verwendung von Feinnadeln zur Aspirationsbiopsie aus (Bernardino et al. 1985). Die Treffsicherheit der CT-gesteuerten Biopsie liegt bei ca. 90%. Die Komplikationsrate von 5,3% (Blutung, Pneumothorax u. a.) mahnt zu einer strengen Indikationsstellung (Welch et al. 1989). Wie bei der Angiographie können auch durch die Punktion von Phäochromozytomen schwere Komplikationen (Blutdruckkrise, Herzversagen) ausgelöst werden, weswegen bei endokrinologischen Hinweisen und/oder verdächtigen Befunde in der Schnittbildmorphologie von dem Verfahren Abstand genommen werden muss (McCorkell u. Niles 1985). Durch die Verbesserung der MR-Bildgebung kann die Notwendigkeit der adrenalen Punktion bei Tumorpatienten um 54% reduziert werden, ohne die diagnostische Abklärung zu verteuern (Schwartz et al. 1997). 4.4.2.6 Normale Anatomie Die Nebennieren sind beidseits über den oberen Nierenpolen im perirenalen Fettgewebe eingebettet. Die rechte Nebenniere schmiegt sich dabei sehr eng an die V. cava inferior bzw. die Dorsalseite des rechten Leberlappens an. Die linke Nebenniere weist eine enge Beziehung zur Aorta abdominalis bzw. dem linksseitigen Diaphragmaschenkel auf. Sowohl die Nebennierenrinde als auch das Nebennierenmark haben einen hohen Fettgehalt, dennoch können sie mit bildgebenden Verfahren, ebenso wie der zonale Aufbau der Nebennierenrinde, nicht unterschieden werden. Nebennierenrindengewebe findet sich überwiegend im Bereich der Nebennierenschenkel, während das Nebennierenmark überwiegend im Nebennierenkörper lokalisiert ist. Die normale Nebenniere kann unterschiedliche Formvarianten aufweisen, die von Strich-, H- und L-Formen über eine umgekehrte Y- oder V-Konfiguration bis hin zu Dreiecksformen reichen. Die Nebennierenschenkel verlaufen dabei gestreckt oder konvexbogig. Für die Dickenmessungen der Nebennieren wurden die in . Tab. 4.6 aufgeführten Normwerte ermittelt. Wegen der unmittelbaren Nachbarschaft zur Niere ist mitunter die Abgrenzung von Nebennierentumoren zu Nierentu-
4
moren am oberen Pol schwierig. Hier ist die Anfertigung horizontaler Rekonstruktionen aus den Spiraldatensätzen bzw. die primär frontale/koronare Untersuchung in der MRT hilfreich. Dabei sind die Bestimmung des Tumorzentrums und seine Lagebeziehung zu Nachbarschaftsorganen wichtig. Auch können die Nachbarschaftsorgane einen adrenalen Pseudotumor vortäuschen. Auf der linken Seite sind dies Nebenmilzen, geschlängelte Milzgefäße, Pankreaskorpus und -schwanztumoren sowie nicht kontrastierte Darmschlingen oder portosystemische Varizen (Brady et al. 1985). Auf der rechten Seite kann die Abgrenzung von Nieren- und Lebertumoren bzw. geschlängelt verlaufenden Nierengefäßen einen solchen Zustand vorspiegeln. Abhilfe schaffen meist eine dünne Schichtführung, der Gebrauch von oralem und intravenösem Kontrastmittel, und die multiplanare Rekonstruktion aus Spiraldatensätzen. 4.4.2.7 Pathologische Prozesse der Nebennierenrinde 4.4.2.7.1 Zysten Ähnlich wie die »Inzidentalome« stellen Zysten Zufallsbefunde bei der Untersuchung des Abdomens aus anderer Indikation dar. Sie sind endothelialer, epithelialer, parasitärer Herkunft, haben wasseräquivalente Dichtewerte und zeigen nach Kontrastmittelgabe kein Enhancement. Zarte Wandverkalkungen sind nicht ungewöhnlich (. Abb. 4.33). 4.4.2.7.2 Hyperplasie Hyperplastische Veränderungen der Nebenniere können diffus (. Abb. 4.36) oder fokal-nodulär auftreten und mit oder ohne Funktionsstörung einhergehen. Die Knoten sind überwiegend unter 5 mm groß, können jedoch in einzelnen Fällen 1 cm übersteigen und sind dann radiomorphologisch von Adenomen nicht zu unterscheiden. Vincent et al. (1994b) konnten an einem Patientenkollektiv mit Lymphomen (n=47) bzw. anderen bekannten Primärtumoren (n=144) im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv ohne Tumor oder bekanntem endokrinologischem Grundleiden (n=55)
. Tab. 4.6. 95%-Perzentile-Messungen der normalen Nebenniere. (Nach Vincent et al. 1994a)
Seite
Maximale Breite (cm)
Mediale Schenkelbreite (cm)
Laterale Schenkelbreite (cm)
Rechts
0,99
0,44
0,39
Links
1,22
0,47
0,48
. Abb. 4.36. Diffuse Hyperplasie beidseits bei einem Patienten mit konsumierenden Tumorleiden
328
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.37. Bilaterale Nebennierenhyperplasie (Conn-Syndrom) mit knotiger Umwandlung der Drüsenstruktur, die in den weiter dorsal ge-
legenen Schichten (linker Bildteil) der koronaren MR-Untersuchung jedoch noch deutlich abgrenzbar ist
zeigen, dass eine proportionale Vergrößerung der Nebennieren (17% der Lymphompatienten, 35% der Tumorpatienten), ohne Nachweis fokaler oder multifokaler Knotenbildung im Sinne der Metastasierung (unabhängig vom Tumorstadium, auch bei Tumoren, die normalerweise nicht in die Nebennieren metastasieren), vorliegen kann. Sie führen dies auf eine diffuse Hyperplasie zurück, die durch adrenokortikotrope Polypeptide aus dem Tumor induziert wird. Eine »stressinduzierte«, vorübergehende Hyperplasie mit Änderung der Signalintensität in der MRT bei Tumorpatienten konnten auch Premkuwar et al. (1992) beobachten.
wichteten Sequenzen (Tumor/Fett, Tumor/Muskel und Tumor/ Leber) als aussagekräftig. Einzelne Symptome für sich allein, wie z. B. das dynamische Kontrastmittelverhalten, sind meist nicht aussagekräftig (Klose et al. 1992). Adenome können durch den Nachweis von Fett von Metastasen differenziert werden. Hierzu ist die native Dünnschicht-CT mit Dichtemessung ebenso geeignet wie die MRT unter Verwendung von »Chemical-shift«-Bildern. Berücksichtigt man daneben noch die Größe der zufällig entdeckten Läsion, so ergibt sich ein Algorithmus (. Abb. 4.38), der in den letzten Jahren für die diagnostische Klärung zufällig entdeckter Nebennierentumoren zunehmend akzeptiert wird (Choyke 1998; Zimmermann et al. 1997). Nebennierenläsionen mit einer CT-Dichte unter 15 Houndsfield-Einheiten (HE) – Choyke (1998) setzt die Grenze bei 10 HE an – in der Nativserie bedürfen danach keiner weiteren Analyse und können beobachtet werden (Intervallempfehlung: 6, 12, 24, 48 Monate). In der Serie von van Erkel et al. (1994) waren alle benignen Raumforderungen bis auf eine Ausnahme kleiner als 4 cm. Choyke gibt als Grenze für das konservative Vorgehen 3 cm an.
Radiomorphologie. Trotz mikroskopischer Veränderungen beim Vorliegen einer adrenalen Hyperplasie ist die Hälfte der Fälle im CT morphologisch unauffällig. Die makroskopisch auffälligen Formen imponieren durch glatte oder knotige Verdickung der einzelnen Nebennierenschenkel unter Beibehaltung der Basismorphologie (. Abb. 4.37).
4.4.2.8 Epitheliale Nebennierenrindentumoren 4.4.2.8.1 Inzidentalome Unter einem »Inzidentalom« versteht man eine Raumforderung der Nebenniere, die zufällig bei Schnittbilduntersuchungen aus anderer Indikation in bis zu 8% der Fälle entdeckt wird (Seddon et al. 1985). Inzidentalome sind häufiger bei älteren Patienten mit Adipositas, Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie zu finden. Hiervon haben bis zu 25% der Fälle ein »subklinisches Cushing-Syndrom« (Terzolo et al. 2005). Die diagnostische Herausforderung beim Vorliegen eines Inzidentaloms liegt in der Differenzierung von primären Nebennierentumoren benigner oder maligner Genese (Adenom versus Karzinom) bzw. sekundären Tumoren im Sinne von Metastasen. Radiomorphologie. Van Erkel et al. haben die Bedeutung verschiedener CT- und MRT-morphologischer Kriterien in der Unterscheidung adenomatöser und nicht-adenomatöser Nebennierenraumforderungen untersucht (Van Erkel et al. 1994). Dabei erwiesen sich lediglich die Größe der Läsionen, die CT-Dichte und verschiedene MRT-Signalintensitätsverhältnisse in T2-ge-
„Inzidentalom“
Tumordurchmesser < 3 cm
Tumordurchmesser > 3 cm, < 5 cm
Tumordurchmesser > 5 cm
Stop
CT/MR
Operation
< 10 HE oder Verlust des Signals bei CSI
> 10 HE oder kein Verlust des Signals bei CSI
+
Biopsie . Abb. 4.38. Algorithmus zum diagnostischen Vorgehen bei Inzidentalomen. HE Houndsfield-Einheit, CSI »chemical shift imaging«. (Nach Choyke 1998)
329 4.4 · Nebennierentumoren
4.4.2.9
Raumforderungen der Nebennierenrinde mit Überfunktion 4.4.2.9.1 Cushing-Syndrom Das Cushing-Syndrom beschreibt die klinischen und metabolischen Veränderungen unabhängig von der zugrundeliegenden Ursache. Die Diagnose wird primär klinisch bzw. durch die Kortisolspiegel im 24-h-Urin und den niedrigdosierten Dexamethasonhemmtests gestellt. Die häufigste Ursache des CushingSyndroms ist die iatrogene Steroidapplikation. Radiomorphologie und diagnostische Strategie. 85% der Fälle zeigen eine bilaterale adrenale Hyperplasie (. Abb. 4.39). Knoten von wenigen mm bis zu 7 cm sind beschrieben (Doppmann et al. 1988), die meist durch ein ACTH-produzierendes Hypophysenadenom (Morbus Cushing) verursacht werden.
Beim M. Cushing besteht lediglich die Indikation zur Abklärung des Hypophysenadenoms.
4
Diese erfolgt vorzugsweise mit Hilfe der MRT, die im Vergleich zum CT eine bessere Kontrastauflösung aufweist (. Abb. 4.40). Falls hiermit eine Lateralisation nicht gelingt (z. B. Mikroadenom), ist die Indikation zur Durchführung einer simultanen, selektiven, seitengetrennten, venösen Blutentnahme aus dem Sinus petrosus inferior gegeben. Die Methode gewinnt in Zukunft auch dadurch an Bedeutung, da die Zahl der »Inzidentalome« der Hypophyse mit der Verfügbarkeit moderner Bildgebung zu nimmt (Oyama et al. 2005). 10% der Cushing-Syndrome werden durch ein benignes autonomes Adenom der Nebenniere verursacht (. Abb. 4.41). Die Diagnose wird in diesen Fällen durch die fehlende Supprimierbarkeit des ACTH auch mit hohen Dosen Dexamethason gestellt.
Beim adrenalen Cushing-Syndrom besteht die Indikation zur Lokalisation des Adenoms, die primär in Form einer Dünnschicht-CT-Untersuchung der Nebennieren (3 mm Schichtdicke) erfolgt.
. Abb. 4.39. Darstellung einer bilateralen Nebennierenhyperplasie bei Morbus Cushing. Axiale Schnittführung mit T2- (intermediäre Signalintensität der Nebenniere) und T1-gewichteten Bildern, sowie axiale T1-gewichte Aufnahme nach Kontrastmittelgabe (geringe Anreicherung). Ins-
besondere in der koronaren T1-gewichteten Aufnahme erkennt man den mehr diffusen Charakter der Hyperplasie auf der rechten Seite, während die linke Nebenniere eher knotig aufgetrieben ist
. Abb. 4.40. MRT der Hypophyse nach Kontrastmittelgabe (Gd-DTPA) in koronarer und sagittaler Schichtführung. Das Adenom der Hypophyse
stellt sich nach Kontrastmittelgabe im Vergleich zur Umgebung als gering signalärmere Raumforderung rechts paramedian dar
330
Kapitel 4 · Nebennieren
4 . Abb. 4.41. Linksseitiges Cushing-Adenom. Rechte Nebenniere normal. Das Adenom (Ad) kommt in der T2-gewichteten Darstellung mit intermediärer Signalintensität zur Darstellung, nach Kontrastmittelgabe
deutliche Anreicherung. Man erkennt in allen Wichtungen den normalen medialen Nebennierenschenkel
Nach Miyake et al. (1989) weisen Cushing-Adenome mittlere Dichtewerte von 27,6±12 HE auf. In ca. 5–10% der Fälle findet sich eine ektope ACTH-Produktion (z. B. durch Bronchuskarzinoide, Thymuskarzinoide, medulläre Schilddrüsenkarzinome, Phäochromozytome und Inselzelltumoren des Pankreas (Howlett et al. 1986), die durch eine Schnittbilduntersuchung der entsprechenden Region weiter abgeklärt werden kann. Die restlichen Fälle des Cushing-Syndroms können durch ein adrenokortikales Karzinom, eine primär pigmentierte noduläre adrenokortikale Erkrankung (Grant et al. 1986) sowie die primäre makronoduläre Hyperplasie (Doppmann et al. 1991) verursacht werden.
4.4.2.9.4 Nebennierenkarzinom Nebennierenkarzinome sind selten, meist jedoch sehr maligne, mit einer je nach Stadium geringen 5-Jahres-Überlebenszeit. Ihr Häufigkeitsgipfel liegt in der 5. Dekade. Die Hormonproduktion ist inkonstant. Lediglich 50% der Patienten haben Zeichen des Cushing-Syndroms, bzw. Virilisierungs- oder Feminisierungserscheinungen bei der Erstdiagnose. Radiomorphologie. Meist sind die Tumoren groß (>6 cm) und weisen hypodense Nekrosezonen auf. Die Ränder sind irregulär, 30% weisen Verkalkungen auf. Die Kontrastmittelaufnahme ist heterogen (. Abb. 4.42). Das MRT-Erscheinungsbild ist nicht
4.4.2.9.2 Conn-Syndrom Der primäre Hyperaldosteronismus fällt klinisch durch eine Hypertonie auf und ist laborchemisch charakterisiert durch die Befunde der Hypokaliämie, Erhöhung des Serumaldosterons und Erniedrigung des Serumreninspiegels. Letzterer differenziert den primären Hyperaldosteronismus vom renovaskulären oder sekundären Hyperaldosteronismus. Morphologisches Substrat und diagnostische Strategie. Die Hauptursache (80%) des Conn-Syndroms ist ein adrenales Adenom. 20% werden durch eine adrenale Hyperplasie verursacht. Nebennierenkarzinome produzieren in der Regel nicht genug Aldosteron, um ein Conn-Syndrom auszulösen. Von Miyake et al. (1989) konnte gezeigt werden, dass insbesondere Conn-Adenome sehr niedrige, teilweise sogar negative Dichtewerte aufweisen. Mit Hilfe der CT gelingt die Lokalisation von Conn-Adenomen mit einer Sensitivität von ca. 80%. Falls die Lokalisation eines Conn-Adenoms im Dünnschicht-CT nicht gelingt, ist die Durchführung einer seitengetrennten venösen Blutentnahme indiziert, da auch die Hyperplasie beim ConnSyndrom (. Abb. 4.37) nur in ca. 50% der Fälle morphologisch fassbar ist (Dunnick et al. 1993).
4.4.2.9.3 Adrenogenitales Syndrom Adrenale Läsionen, die zu einer Feminisierung/Maskulinisierung führen, basieren auf kongenitalen/erworbenen Hyperplasien oder adrenokortikalen Tumoren (Adenome, Karzinome; Baker et al. 1987). Die CT-Dichtewerte dieser Läsionen liegen zwischen 30 und 50 HE (Huebener und Treugut 1984). Differenzialdiagnostisch müssen Tumoren der Testes bzw. der Ovarien bedacht und ggf. durch selektive Blutentnahme aus den Gonadalvenen ausgeschlossen werden (Shapiro et al. 1985).
. Abb. 4.42. Nebennierenkarzinom rechts mit zarten, randständigen Verkalkungen. Dichte im Vergleich zur Leber und Muskulatur hypodens. Nach Kontrastmittelgabe inhomogene, insbesondere im Randbereich eintretende, Kontrastmittelaufnahme. Die zentral hypodensen Areale stellen meist stromareiches Gewebe dar oder entsprechen Tumornekrosen. Mit T markiert ist der Tumoreinbruch des Karzinoms in die V. cava inferior
331 4.4 · Nebennierentumoren
4
. Abb. 4.43. Nebennierenkarzinom rechts mit Einbruch in die V. cava inferior. Wegen des Tumoreinbruchs mit der zunehmenden Stenosierung
des Lumens der V. cava inferior kommt es zu einem beginnenden Kollateralkreiskauf über Lebervenen
. Abb. 4.44. Nebenierenkarzinom. Tumorthrombus (T) in der V. cava inferior (V. c. i.) in koronarer Darstellung (»True-fisp«-Sequenz). Daneben die MR-Angiographie der venösen Abdominal- und Retroperitonealge-
fäße in einer LAO-Projektion mit Darstellung der Einengung der V. porta (V. p.) und V. mesenterica superior (V. m. s.)
charakteristisch (Dunnick et al. 1982a). Vereinzelt sind in malignen Läsionen fetthaltige Areale beschrieben worden (Ferrozzi u. Bova 1995). Ähnlich wie von Nierentumoren gehen auch von den Nebennierenkarzinomen Tumorthromben in die V. cava inferior bzw. die linke Nierenvene aus (. Abb. 4.43). Diese lassen sich besonders gut koronar in der MRT darstellen, wobei mittels der i.v. Kontrastmittelapplikation (Gadolinium-DTPA) zwischen dem eigentlichen Tumorthrombus und dem Abscheidungsthrombus an der Spitze unterschieden werden kann. Aufgrund der frei wählbaren Schnittbildebene lässt sich die Thrombosierung besonders eindrucksvoll in der koronaren Ebene darstellen. Mit Hilfe der MR-Angiographie (MRA), insbesondere nach Kontrastmittelgabe (»contrast enhanced« = CE-MRA), lässt sich die Perfusion der V. cava inferior und die beginnende Ausbildung von Kollateralen auch nichtinvasiv gut darstellen (. Abb. 4.44).
4.4.2.9.5 Metastasen, Lymphombefall Primärtumoren, die bevorzugt in die Nebennieren metastasieren, sind: Kleinzelliges Bronchial-, Mamma-, Schilddrüsen-, Ösophagus-, Magen-, Pankreas- und Kolonkarzinom sowie das Melanom. Nebennierenmetastasen sind die vierthäufigste Fernmetastasenform und finden sich in bis zu 25% der Patienten mit bekanntem Primärtumor. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei einem Patienten mit bekanntem Tumorleiden und einer zufällig entdeckten Nebennierenraumforderung um ein funktionell inaktives Adenom handelt, größer. Der Nebennierenbefall im Rahmen lymphatischer Systemerkrankungen findet sich häufiger beim Non-Hodgkin-Lymphom und wird in 1–4% der Fälle beschrieben. Eine Unterscheidung gegenüber Metastasen ist nicht möglich (Paling u. Williamson 1983). Auf die Verwechslungsmöglichkeit von Metastasen und Hyperplasien haben Premkuwar et al. (1992) sowie Vincent et al. (1994b) hingewiesen.
332
Kapitel 4 · Nebennieren
. Abb. 4.45. Spiral-CT des Oberbauches nach Kontrastmittelgabe: multiple fokale Läsionen in der Leber, der rechten Niere und monströse Auftreibung der rechten Nebenniere im Sinne der Metastasierung bei einem Bronchialkarzinom
4
Radiomorphologie. Wegen ihrer hohen Treffsicherheit und großen Verbreitung wird die CT zum Nachweis bzw. Ausschluss von Nebennierenraumforderungen im Rahmen des Staging eingesetzt (. Abb. 4.45). Es ist bekannt, dass bei bioptischer Korrelation das Vorhandensein von Metastasen, zumindest bei Patienten mit Bronchialkarzinom, unterschätzt wird (Pagani 1984). Morphologisch normal imponierende Nebennieren schließen das Vorliegen von Metastasen nicht aus. Zur Differenzierung von metastasenverdächtigen Herden wird die dynamische, kontrastverstärkte MRT (Krestin et al. 1991) bzw. die MRT mit CSI herangezogen (Schwartz et al. 1997).
mit Hilfe des CSI Fett nachgewiesen werden, was computertomographisch nicht eindeutig gelang (Damman et al. 1995). 4.4.2.9.7 Tumorähnliche Veränderungen, Pseudotumoren Nebennierenblutung. Nebennierenblutungen sind überwiegend im Kindesalter anzutreffen. Wegen der Einblutungen kommt es zu pseudotumorösen Auftreibungen der Nebenniere. Ursachen sind Geburtstraumen, Hypoxie oder Sepsis. Immer sollte bei
4.4.2.9.6 Mesenchymale Tumoren Myelolipom. Myelolipome sind Hamartome, die aus erythroiden, myeloiden und fettigen Elementen zusammengesetzt sind, mit einer Autopsiehäufigkeit von 0,08–0,2% (Noble et al. 1982). Entsprechend dieser Zusammensetzung variiert auch ihre Schnittbildmorphologie, wobei insbesondere kernspintomographisch die nicht-fetthaltigen Anteile ins Auge stechen. Radiomorphologie. Dichtemessungen von weniger als 0 HE (Fettdichte) erhärten die Diagnose, insbesondere wenn es sich um große Läsionen handelt (. Abb. 4.46). Musante et al. (1991) fanden die pathognomonischen, rein fetthaltigen Tumoren lediglich in 3/7 aller Fälle, während 4/7 der Patienten einen heterogenen Tumoraufbau aufwies, sodass auch für diese Tumorgruppe gilt, dass lediglich die pathognomonischen Fälle einem abwartenden Verhalten zugeführt werden können. Hämangiom. Hämangiome der Nebenniere sind sehr seltene Tumoren, die sich computer- und magnetresonanztomographisch ähnlich verhalten wie die wesentlich häufigeren Leberhämangiome, indem sie nach Kontrastmittelgabe ein langsames Zulaufen der Läsion (»Irisblenden-Phänomen«) aufweisen. In der MRT konnte
. Abb. 4.46. Myelolipom der linken Nebenniere: Nachweis fetthaltiger Areale im Zentrum des Tumors. Die Randbereiche zeigen weichteildichte Zonen, die den zum Teil soliden Gewebekomponenten entsprechen
333 4.4 · Nebennierentumoren
4
unterscheidet man die Phäochromozytome und sympathische und parasympathische Paragangliome. All diese Tumoren kommen in benignen und malignen Formen vor. Zu den neuralen Tumoren zählen die benignen Neurofibrome und Ganglioneurome sowie die malignen Neuroblastome und Ganglioneuroblastome (Klöppel 1984).
. Abb. 4.47. CT der Nebenniere mit bilateraler Blutung bei Immunadrenalitis. Die Blutung ist frisch, da man im Zentrum der pseudotumorösen Auftreibung noch hyperdense Dichtewerte nachweisen kann
einer Nebennierenblutung auch an das Vorliegen einer Kindesmisshandlung gedacht werden (Nimkin et al. 1994). Bei Erwachsenen sind die häufigsten Ursachen Antikoagulationsbehandlung, Sepsis (speziell die Meningokokkensepsis), Autoimmunerkrankungen (Provenzale et al. 1995) und ebenfalls Traumen, die überwiegend die rechte Seite betreffen. Verantwortlich für diese bevorzugte Lokalisation werden Zugkräfte der V. cava inferior an der kurzen V. suprarenalis dextra gemacht (Murphy et al. 1988). Radiomorphologie. Im Kindesalter ist die Sonographie ausreichend für die Diagnose. Fokale Einblutungen unter Erhaltung der Nebennierenform sind beschrieben (Cohen et al. 1986). Sonographisch erscheint die Blutung initial echogen, um schnell echoarm und kleiner zu werden. Die wichtigste Differenzialdiagnose ist das kongenitale Neuroblastom, dessen Differenzierung durch den Nachweis von vaskulären Strukturen in der farbkodierten Duplexsonographie (FKDS) oder durch kurzfristige Verlaufskontrollen gelingt. Im nativen CT kommt die Nebennierenblutung in der akuten und subakuten Phase hyperdens mit Dichtewerten von 50–70 HE zur Darstellung (. Abb. 4.47). Später fallen die Werte auf 10– 15 HE ab (Ling et al. 1983). Durch regressive Veränderungen können in späteren Stadien Pseudozysten und Verkalkungen der Nebenniere entstehen.
4.4.2.10.1 Phäochromozytom Phäochromozytome sind die häufigsten Tumoren des Nebennierenmarkes, das embryologisch ebenso ektodermalen Ursprungs ist wie die chromaffinen Zellen des paraspinalen Grenzstranges. Daher können Phäochromozytome ausserhalb der Nebenniere lokalisiert sein (von der Schädelbasis bis ins kleine Becken). Diese Tumoren produzieren Katecholamine, jedoch sind lediglich ca. 0,1% der Hypertoniker Phäochromozytomträger. Klinisch imponieren paroxysmale Schweißausbrüche und Palpitationen. Die Katecholamine im Urin (Metanephrin, Vanillinmandelsäure) sind erhöht. Phäochromozytome können spontan auftreten, häufig sind sie jedoch assoziiert mit: 4 Von-Hippel-Lindau-Syndrom (Angiome der Retina, Hämangioblastome des ZNS, Nierenzellkarzinome, Pankreaszysten und Zystadenome des Nebenhoden) 4 Multiple endokrine Neoplasie 2 5 MEN 2a: C-Zellhyperplasie oder medullären Schilddrüsenkarzinomen, Hyperparathyreoidismus 5 MEN 2b: Neuromen der Schleimhäute, marfanoiden Habitus (Neumann et al. 1993) Phäochromozytome gelten auch als die »10%-Tumoren«, da sie in ca. 10% der Fälle bilateral, oder extraadrenal vorkommen, maligne sind bzw. familiär gehäuft auftreten. Radiomorphologie und diagnostische Strategie. Wegen der
ektopen und multiplen Lokalisationsmöglichkeiten beim Phäochromozytom, ist das bildgebende Verfahren der ersten Wahl die MIBG-Szintigraphie (Neumann et al. 1993; Quint et al. 1987; Shapiro et al. 1985). Hiermit lassen sich multifokale und extra-
4.4.2.9.8 Entzündung Nebennierenentzündungen sind selten und gehen u. U. mit einem Funktionsverlust des Organs einher. Die Nebennierentuberkulose ist dabei die klassische Ursache des Morbus Addison und führt zunächst zu einer Vergrößerung der Drüsen mit zystoiden Arealen verkäsender Nekrosen (Hauser u. Gurret 1986). Später kann es zur Atrophie mit Verkalkungen kommen. In den USA sind Nebennierenentzündungen durch Histoplasmose und Blastomykose beschrieben worden (Wilson et al. 1984). Bakterielle Abszesse der Nebennieren sind sehr selten (O’Brien et al. 1987). 4.4.2.10 Tumoren des Nebennierenmarks Die Tumoren des Nebennierenmarks lassen sich in neuroendokrine (NET) und neurale Tumoren unterscheiden. Bei den NET
. Abb. 4.48. Phäochromozytom links. Man erkennt im CT eine mäßige Kontrastmittelanreicherung (Pfeil) und große Nekroseareale zentral und dorsal (»swiss cheese«)
334
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.49. Bilaterales Phäochromozytom (Pfeile): MRT mit sehr unterschiedlichem Signalverhalten. In der T2-Wichtung weist der linke Tumor eine sehr hohe Signalintensität auf, der rechte Tumor dagegen zeigt
lediglich intermediäre Signalintensitäten. Auch die Kontrastmittelaufnahme in der T1-Wichtung ist sehr unterschiedlich
adrenale Adenome ebenso nachweisen wie Metastasen bei malignen Phäochromozytomen. Nachteil der MIBG-Szintigraphie ist die schlechte Ortsauflösung, weshalb die morphologische Detaildiagnostik mit der CT, im Bereich der Wirbelsäule bzw. des Grenzstranges, bevorzugt auch mit der MRT erfolgt. In der CT kommen Phäochromozytome als glatt begrenzte Raumforderungen mit einer mittleren Dichte von 35,9±9,8 HE (Miyake et al. 1989) zur Darstellung. Sie sind häufig größer als 3 cm, weisen fakultativ Verkalkungen und multiple Zonen geringer Dichte infolge Nekrosen und/oder Einblutungen auf. Dies führt zum sog. »Schweizer-Käse-Muster«, das insbesondere nach Kontrastmittelapplikation sichtbar wird, allerdings nicht pathognomonisch ist (. Abb. 4.49). Kernspintomographisch imponieren die Phäochromozytome in den T2-gewichteten Sequenzen als sehr signalintensive (»Glühlampen-Läsionen« (. Abb. 4.49; Doppmann et al. 1987). Hierdurch kommt es in einzelnen Studien zu einer höheren Treffsicherheit der MRT im Vergleich zur CT (Quint et al. 1987). Allerdings haben auch Zysten und Nebennierenkarzinome hohe Signalintensitäten. Die selektive Blutentnahme aus den Zuflüssen der V. cava inferior und superior mit Bestimmung der Adrenalin- und Noradrenalinwerte bleibt Problemfällen vorbehalten (Cordes et al. 1979; Dunnick et al. 1982a).
Radiomorphologie. Charakteristisch für diese Tumoren ist ihre Lokalisation in der Nebennierenloge, von der aus sie jedoch häufig in die Mittellinie hineinwachsen und diese überschreiten bzw. sich in der Paraaortalregion ausbreiten. In 40% weisen sie fleckförmige, z. T. auch ringförmige Verkalkungen auf (Stark et al. 1983a, b). Ihre Binnenstruktur ist inhomogen, auch nach Kontrastmittelgabe. Im MRT (T2-gewichtete Sequenzen) sind die Tumoren signalintensiver als die Leber und ähnlich intensiv wie die Niere (Dietrich et al. 1987). Die MRT ist wegen ihrer überragenden Weichteilauflösung besonders zum Nachweis der intraspinalen Ausdehnung geeignet. Aber auch medulläre Knochenmetastasen lassen sich hiermit sehr sensitiv erfassen, wobei die prognostisch ungünstigeren Kortikalisabsiedlungen sich besser im Szintigramm erkennen lassen. Der Nachweis zarter Verkalkungen entgeht der MRT eher als der CT.
Ganglioneurom. Ganglioneurome sind seltene, relativ ausgereif-
te Tumoren des sympathischen Nervensystems. Sie entwickeln sich im Nebennierenmark oder an anderen Stellen des sympathischen Nervensystems (Hals, hinteres Mediastinum und Retroperitoneum). Ähnlich wie die Neuroblastome breiten die Tumoren sich bei entsprechender Größe interaortokaval aus, und sind hierdurch von anderen Entitäten zu unterscheiden. Neuroblastom. Neuroblastome sind nach dem Wilms-Tumor die
zweithäufigsten malignen Tumoren im Kindesalter. Sie entstammen dem sympathischen Nervengewebe. Mehr als 50% der Neuroblastome sind im Abdomen lokalisiert und ca. 2/3 hiervon in der Nebenniere. Bei der Erstdiagnose sind sie häufig schon palpabel und haben metastasiert, wobei die Lunge und das Skelett bevorzugt werden.
Zusammenfassung der radiologischen Diagnostik von Nebennierentumoren 5 Eine radiomorphologisch normal imponierende Nebenniere schließt das Vorliegen einer Metastasierung bei bekanntem Primärtumor, eine Hyperplasie oder ein kleines endokrin aktives Adenom nicht aus. 5 Das bildgebende Verfahren der Wahl zur Abklärung krankhafter Nebennierenprozesse ist die Computertomographie. MRT, Nuklearmedizin und selektive Blutentnahme haben Problemlösungsaufgaben. 5 Eine zufällig entdeckte Raumforderung an der Nebenniere mit CT-Dichtewerten unter 10–5 HE, einem Signalverlust im Chemical-shift-Imaging und einer Größe unter 3 cm kann als benignes Inzidentalom angesehen und beobachtet werden. 5 Die Lokalisations-/Lateralisationsdiagnostik von Nebennierenprozessen mit Hormonexzess erfolgt nach gesicherter klinisch/laborchemischer Diagnostik. 5 Bei Mikroadenomen (Hypophyse, Nebenniere) ist die selektive Blutentnahme bei inkonklusiver Schnittbilddiagnostik indiziert. 6
335 4.4 · Nebennierentumoren
5 Beim Phäochromozytom (insbesondere bei malignen Formen) und beim Neuroblastom steht die MIBG-Szintigraphie am Anfang der Lokalisationsdiagnostik. 5 Radiologische Manipulationen (Arteriographie, Punktionsdiagnostik) sind beim Phäochromozytom wegen der Gefahr der Auslösung potenziell letaler, hypertensiver Krisen zu unterlassen.
Literatur Al-Shaikh AA, Al-Rawas MM, Al-Asnag MA (2004) Primary hyperaldosteronism treated by radiofrequency ablation. Saudi Med J 25:1711–4 Bagheri B, Maurer AH, Cone L, Doss M, Adler L (2004) Characterization of the normal adrenal gland with 18F-FDG PET/CT. J Nucl Med 45:1340–3 Baker ME, Spritzer C, Blinder R, Herfkens RJ, Leight GS, Dunnick NR (1987) Benign adrenal lesions mimicking malignancy on MR imaging: Report of two cases. Radiology 163:669 Bernardino ME, Walter McCM, Phillips VM et al. (1985) CT-guided adrenal biopsy: accuracy, safety and indications. AJR 144:67 Bilbey JH, McLoughlin RF, Kurkjian PS, Wilkins GEL, Chan NHL, Schmidt N, Singer J (1995) MR Imaging of adrenal masses: Value of chemical-shift imaging for distinguishing adenomas from other tumors. AJR 164:637–642 Blake MA, Kalra MK, Sweeney AT, Lucey BC, Maher MM, Sahani DV, Halpern EF, Mueller PR, Hahn PF, Boland GW (2006) Distinguishing benign from malignant adrenal masses: multi-detector row CT protocol with 10-minute delay. Radiology 238:578–85 Booth GL, Redelmeier DA, Grosman H, Kovacs K, Smyth HS, Ezzat S (1998) Improved diagnostic accuracy of inferior pertrosal sinus sampling over imaging for localizing pituitary pathology in patients with Cushing’s disease. J Clin Endocrin Metab 83:2291–2295 Brady TM, Gross BH, Glazer GM, Williams DM (1985) Adrenal pseudomasses due to varices: Angiographic-CT-MRI-pathologic correlations. AJR 145:301–304 Brink I, Hoegerle S, Klisch J, Bley TA (2005) Imaging of pheochromocytoma and paraganglioma. Fam Cancer. 4:61–8 Brueckel J, Boehm BO (1998) Crisis after angiography. Lancet 352:1278 Choyke PL (1998) From needles to numbers: can non-invasive imaging distuinguish benign and malignant adrenal lesions? World J Urol 16:29–34 Cohen, EK, Daneman A, Stringer DA, Soto G, Thorner P (1986) Focal adrenal hemorrhage: A new US appearance. Radiology 161:631 Cordes K, Georgi M, Günther R, Beyer J (1979) Adrenale und extraadrenale Phäochromocytome. DMW 104:317 Dammann F, Wehrmann M, Rieber A (1995) Hämangiom der Nebenniere: Korrelation von CT, MRT und Histologie in einem Fallbericht. Fortschr Röntgenstr 162:353–355 Dietrich RB, Kangarloo H, Lenarsky C, Feig SA (1987) Neuroblastoma: The role of MR imaging. AJR 148:937 Doppmann JL, Reinig JW, Dwyer AJ, Frank JP, Norton J, Loriaux L, Keiser H (1987) Differentiation of adrenal masses by magnetic resonance imaging. Surgery 102:1018–1025 Doppmann JL, Miller DL, Dwyer AJ et al. (1988) Macronodular adrenal hyperplasia in Cushing disease. Radiology 166:347–352 Doppmann JL, Nieman L,Travis WD, Miller DL, Cutler GB Jr, Chrousos GP, Norton JA (1991) CT and MR imaging of massive macronodular adrenocortical disease: a rare cause of autonomous primary adrenal hypercortisolism. JCAT 15:773–779 Dunnick NR, Heaston D, Halvorsen R, Moore AV, Korobkin M (1982a) CT appearance of adrenal cortical carcinoma. JCAT 6:978–982 Dunnick NR, Doppmann JL, Gill JR, Strott CA, Keiser HR, Brennan MF (1982b) Localization of functional adrenal tumors by computed tomography and venous sampling. Radiology 142:429 Dunnick NR, Leight GS Jr, Roubidoux MA, Leder RA, Paulson E, Kurylo L (1993) CT in the diagnosis of primary aldosteronism: Sensitivity in 29 patients. AJR 160:321–324
4
Ferrozzi F, Bova D (1995) CT and MR demonstration of fat within adrenal cortical carcinoma. Abdom Imaging 20:272–274 Ghiatas AA, Chopra S, Schnitker JB (1996) Is sonographic flow imaging useful in the differential diagnosis of adrenal masses? Brit J Radiol 69:1005–1008 Grant CS, Carney JA, Carpenter PC, van Heerden JA (1986) Primary pigmented nodular adrenocortical disease: diagnosis and management. Surgery 100:1178–1183 Gunther P, Schenk JP, Wunsch R, Troger J, Waag KL(2004) Abdominal tumours in children: 3-D visualisation and surgical planning. Eur J Pediatr Surg 14:316–21 Günther R, Kelbel C, Lenner V (1984) Real-time ultrasound of normal adrenal glands and small tumours. J Clin Ultrasound 12:211–217 Hauser H, Gurret JP (1986) Miliary tuberculosis associated with adrenal enlargement: CT appearance. JCAT 10:254 Hoffer FA (2005) Magnetic resonance imaging of abdominal masses in the pediatric patient. Semin Ultrasound CT MR 26:212–223 Howlett TA, Drury PL, Perry L (1986) Diagnosis and management of ACTH-dependant Cushing’s syndrome: comparison of the features in ectopic and pituitary ACTH production. Clin Endocrinol 24:699–713 Huebener KH, Treugut H (1984) Adrenal cortes dysfunction. CT findings. Radiology 150:195 Ilias I, Pacak K (2005) Diagnosis and management of tumors of the adrenal medulla. Horm Metab Res 37:717–721 Izbizky G, Elias D, Gallo A, Farias P, Sod R (2005) Prenatal diagnosis of fetal bilateral adrenal carcinoma. Ultrasound Obstet Gynecol 26:669–671 Kahaly G, Krause U, Ritthaler H, Cordes U, Günther R, Schrezenmeir J, Beyer J (1985) Selective blood sampling in adrenal hypertension. Cardiology 72:179–181 Kann PH (2005) Endoscopic ultrasound imaging of the adrenals. Endoscopy. 37:244–253 Kier R, McCarthy S (1989) MR characterization of adrenal masses: field strength and pulse sequence considerations. Radiology 171:671 Klose KC, Andreopoulos D, Adam G, Biesterfeld S (1992) Hypervaskularisiertes Nebennierenrindenadenom. Ein differentialdiagnostisches Problem in der dynamischen CT und MRT. Radiologe 32:32–35 Klöppel G (1984) Nebennierenmark. In: Remmele W (Hrsg) Pathologie. Ein Lehr- und Nachschlagebuch, Band 3. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 467–475 Krestin GP, Friedmann G, Fischbach R, Neufang KFR, Allolio B (1991) Evaluation of adrenal masses in oncologic patients: Dynamic contrastenhanced MR vs CT. JCAT 15:104–110 Leroy-Willig A, Bittoun J, Luton JP (1989) In vivo MR spectroscopic imaging of the adrenal glands: Distinction between adenomas and carcinomas larger than 15 mm based on lipid content. AJR 153:771–773 Ling D, Korobkin M, Silverman PM, Dunnick NR (1983) CT demonstration of bilateral adrenal hemorrhage. AJR 141:307 Lo WK, Vansonnenberg E, Shankar S, Morrison PR, Silverman SG, Tuncali K, Rabin M (2006). Percutaneous CT-guided Radiofrequency Ablation of Symptomatic Bilateral Adrenal Metastases in a Single Session. J Vasc Interv Radiol. 17:175–179 Mayo-Smith WW, Dupuy DE (2004) Adrenal neoplasms: CT-guided radiofrequency ablation-preliminary results. Radiology 231:225–230 McCorkell SJ, Niles NL (1985) Fine-needle aspiration of catecholamineproducing adrenal masses: A possible fatal mistake. AJR 145:113 Miles JM, Wahner HW, Carpenter PC, Salassa RM, Northcutt RC (1979) Adrenal scintiscanning with NP 59, a new radioiodinated cholesterol agent. Mayo Clin Proc 54:321 Miyake H, Maeda H, Tashiro M et al. (1989) CT of adrenal tumors: Frequency and clinical significance of low-attenuation lesions. AJR 152:1005–1007 Murphy BJ, Casillas J, Yrizarry JM (1988) Traumatic adrenal hemorrhage; Radiological findings. Radiology 169:701–703 Musante F, Derchi LE, Bazzocchi M, Avataneo T, Gandini G, Pozzi Mucelli RS (1991) MR imaging of adrenal myelolipomas. JCAT 15:111–114 Neumann HPH, Berger DP, Sigmund G et al. (1993) Pheochromocytomas, multiple endocrine neoplasia type 2, and von Hippel-Lindau disease. N Engl J Med 329:1531–1538
336
4
Kapitel 4 · Nebennieren
Nimkin K, Teeger S, Wallach MT, DuVally JC, Spevak MR, Kleinmann PK (1994) Adrenal hemorrhage in abused children: Imaging and postmortem findings. AJR 162:661–663 Noble MJ, Montaggue DK, Levin HS (1982) Myelolipoma: An unusual surgical lesion of the adrenal gland. Cancer 49:952 Noone TC, Semelka RC, Chaney DM, Reinhold C (2004) Abdominal imaging studies: comparison of diagnostic accuracies resulting from ultrasound, computed tomography, and magnetic resonance imaging in the same individual. Magn Reson Imaging. 22:19–24 O’Brien WM, Choyke PL, Copeland J, Klappenbach RS, Lynch JH (1987) Computed tomography of adrenal abscess. JCAT 11: 550 Oyama K, Sanno N, Tahara S, Teramoto A (2005) Management of pituitary incidentalomas: according to a survey of pituitary incidentalomas in Japan. Semin Ultrasound CT MR 26:47–50 Pagani, JJ (1984) Non-small cell lung carcinoma adrenal metastases. Computed tomography and percutaneous needle biopsy in their diagnosis. Cancer 53:1058–1060 Paling MR, Williamson BRJ (1983) Adrenal involvement in non-Hodgkin lymphoma. AJR 1983:303 Provenzale JM, Ortel TL, Nelson RC (1995) Adrenal hemorrhage in patients with primary antiphospholipid syndrome: Imaging findings. AJR 165:361–364 Premkuwar A, Chow CK, Choyke PL, Doppmann JL (1992) Stress-induced adrenal hyperplasia simulating metastastic disease: CT and MR findings. AJR 159:675–676 Quint LE, Glazer GM, Francis IR, Shapiro B, Chenevert TL (1987) Pheochromocytoma and paraganglioma: Comparison of MR imaging with CT and J-131-MIBG scintigraphy. Radiology 165:89 Sample WF (1978) Adrenal ultrasonography. Radiology 127:461 Seddon JM, Baranetzsky N, VanBoxel PJ (1985) Adrenal »incidentalomas«. Urology 25:1 Schwartz LH, Panicek DM, Doyle MV et al. (1997) Comparison of two algorithms and their associated charges when evaluating adrenal masses in patients with malignancies. AJR 168:1575–1578 Shapiro B, Copp JE, Sissan JC, Eyre PL, Wallis J, Beierwaltes WH (1985) Iodine-131 meatiodobenzylguanidine for the locating of suspected pheochromocytoma – experience in 400 cases. J Nucl Med 26:576– 585 Sörensen R, Moltz L (1981) Diagnostik beim progredienten Hirsutismus. Kathetertechnik und Ergebnisse. Röfo 135:257 Stark DD, Moss AA, Brasch RC (1983a) Neuroblastoma. Diagnostic imaging and staging. Radiology 148:101 Stark DD, Moss AA, Brasch RC (1983b) Recurrent neuroblastoma: The role of CT and alternative imaging tests. Radiology 148:107 Terzolo M, Bovio S, Reimondo G, Pia A, Osella G, Borretta G, Angeli A (2005) Subclinical Cushing’s syndrome in adrenal incidentalomas. Endocrinol Metab Clin North Am 34:423–439 Van Erkel AR, van Gils APG, Lequin M, Kruitwagen C, Bloem JL, Falke THM (1994) CT and MR distinction of adenomas and nonadenomas of the adrenal gland. JCAT 18:432–438 Vincent JM, Morrison ID, Armstrong P, Reznek RH (1994a) The size of normal adrenal gland on computed tomography. Clinical Radiology 49:453– 455 Vincent JM, Morrison ID, Armstrong P, Reznek RH (1994b) Computed tomography of diffuse, non-metastatic enlargement of the adrenal glands in patients with malignant disease. Clinical Radiology 49:456– 460 Welch TJ, Sheedy PF, Johnson CM, Stephens DH (1989) CT-guided biopsy: Prospective analysis of 1000 procedures. Radiology 171:493 Wilson DA, Muchmore HG, Tisdal RG, Fahmy A, Pitha JV (1984) Histoplasmosis of the adrenal glands studied by CT. Radiology 150:779 Yeh H (1980) Sonography of the adrenal glands and small masses. AJR 135:1167 Zimmermann GG, Debatin JF, Krestin GP (1997) Differenzierung von Nebennierentumoren: Verbesserung der Treffsicherheit durch Kombination fettsensitiver, T2 gewichteter und kontrastverstärkter MRSequenzen. Fortschr Röntgenstr 167:153–159
4.4.3 Phäochromozytom ) ) Phäochromozytome sind Tumoren, die aus chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks entstehen. Sie bilden, speichern und sezernieren Katecholamine. Embryonalgeschichtlich entsteht das Nebennierenmark aus neuroektodermalen Zellen der Neuralleiste und wird auch als Paraganglion suprarenale bezeichnet. Extraadrenale Paraganglien finden sich in Bezug zum peripheren sympathischen Nervensystem, das die A. carotis, den Aortenbogen und die abdominelle Aorta begleitet und vom Schädel bis ins Becken reicht. Sie können überall dort auftreten, wo sympathisches Nervengewebe vorkommt. Die Tumoren, die in den extraadrenalen Paraganglien entstehen, werden als extraadrenale Phäochromozytome oder als Paragangliome bezeichnet.
4.4.3.1
Klinische Symptomatik, präoperative Diagnostik und operative Therapie
J. Waldmann, M. Rothmund 4.4.3.1.1 Epidemiologie Die Inzidenz der Phäochromozytome wird in der Literatur mit 1–2 pro 1 Mio. Einwohner und Jahr angegeben (Stenstrom et al. 1988; Goldstein et al. 1999; Pacak et al. 2001). Patienten, die an einer arteriellen Hypertonie leiden, haben in 0,1–0,6% ein Phäochromozytom (Anderson et al. 1994; Sinclair 1987; Omura 2004). Eine 6-mal höhere Inzidenz ist in Autopsiestudien beobachtet worden, was darauf hindeutet, dass Phäochromozytome zu Lebzeiten häufig nicht erkannt werden (Lo et al. 2000; KhorramManesh et al. 2004). Das Phäochromozytom wird auch als der »10%-Tumor« bezeichnet, da es in 10% maligne, in 10% bilateral, in 10% extraadrenal und in 10% familiär vorkommt. Es gibt bestimmte hereditäre Tumorsyndrome, die mit Phäochromozytomen assoziiert sind (7 Kap. 6.1, 6.2 und . Tab. 4.7). Bei 24% der Patienten mit einem sporadischen Phäochromozytom wurde in einer Multicenter-Studie eine ursächliche Keimbahnmutation identifiziert (Neumann et al. 2002), d. h., der Anteil der genetisch determinierten Phäochromozytome ist wesentlich höher als bisher angekommen. Für den Chirurgen ist das Wissen um ein hereditäres Tumorsyndrom aus mehreren Gründen von Bedeutung: Erstens können sich die chirurgischen Konzepte unterscheiden, und zweitens sollten die syndromspezifischen Tumormanifestationen vor einer Operation abgeklärt werden. 4.4.3.1.2 Klinische Symptomatik Die klinischen Beschwerden der Patienten sind variabel und häufig unspezifisch. Die Symptome sind überwiegend Folge der gesteigerten Katecholaminfreisetzung. Symptome und ihre Häufigkeiten sind in . Tab. 4.8 systematisch zusammengefasst. Obwohl die unspezifischen Symptome Kopfschmerzen, Palpationen und Schwitzen zahlreiche Ursachen haben können, haben 90% der Patienten, die an diesen drei Symptomen leiden, ein Phäochromozytom (Plouin 1981). Auslöser paroxysmaler Blutdruckkrisen sind körperliche Anstrengung, Manipulationen am Tumor, Narkoseeinleitung, zahlreiche chemische Substanzen und Medikamente (Kontrast-
4
337 4.4 · Nebennierentumoren
. Tab. 4.7. Hereditäre Tumorsyndrome mit Phäochromozytomen und weitere Organmanifestationen
. Tab. 4.8. Häufigkeiten der Symptome und klinischen Anzeichen beim Phäochromozytom
Hereditäres Tumorsyndrom
Organmanifestationen
Gen
Symptome
Häufigkeit
MEN 2A
Medulläres Schilddrüsenkarzinom Hyperparathyroidismus
RET
Hypertonie 5 kontinuierlich 5 paroxysmal
80–90% 5 50–60% 5 30%
Kopfschmerzen
60–90%
Von-HippelLindau-Syndrom
Hämangioblastome in Retina und ZNS Nierenzellkarzinom Pankreastumoren
VHL Schwitzen
50–70%
Palpitationen
50–70%
Neurofibromatose Typ 1
Fibrome an Haut-und Schleimhaut Café-au-lait-Flecken
NF1
Blässe
40–45%
Gewichtsverlust
20–40%
Hyperglykämie
40%
ParagangliomSyndrom
Glomustumoren (Glomus caroticum, Trommelfell, jugulär und vagal) Abdominelle und thorakale Paragangliome
SDHB, SDHD
Übelkeit
20–40%
Psychische Beeinträchtigung
20–40%
Orthostatische Dysregulation
10–50%
mittel, trizyklische Antidepressiva, Metoclopramid, Tyramin etc.). Zwischen den Blutdruckkrisen, die nur bei einem Drittel der Patienten zu beobachten sind, kann der Blutdruck erhöht oder normal sein. Ungefähr die Hälfte der Patienten hat eine therapieresistente Hypertonie, die meist nur durch Kombinationen mehrerer Substanzgruppen medikamentös beherrschbar ist. Früherkennungsuntersuchungen in Familien mit bekanntem Gendefekt und zufällig entdeckte Nebennierentumore, sog. Inzidentalome, führen immer häufiger zur Diagnosestellung bei asymptomatischen Patienten. Rund ein Viertel der Phäochromozytome werden im Rahmen radiologischer Untersuchungen entdeckt, die wegen anderer Ursachen veranlasst wurden. Fünf % der Inzidentalome stellen sich nach weiterführender Diagnostik als Phäochromozytome heraus (Mantero 2000; Manelli 1999; Mansmann 2004; Amar et al. 2005). Im Durchschnitt wird die . Abb. 4.50. Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Phäochromozytom
Hereditäres Tumorsyndrom
Diagnose 3 Jahre nach klinischer Manifestation gestellt (Manelli 1999; Eisenhofer et al. 1999; Amar et al. 2005). 4.4.3.1.3 Präoperative Diagnostik Die Bestimmung der Katecholamine im Urin sollte bei dem klinischen Verdacht auf ein Phäochromozytom immer der erste diagnostische Schritt sein. Bei den betroffenen Patienten betragen die gemessenen Konzentrationen zumeist das 2- bis 40-fache des Normalwertes. Katecholaminkonzentrationen, die weniger als das 2-fache des Normalwertes betragen, sind fast ausschließlich Folge psychischer oder physischer Belastung und bedürfen lediglich einer Verlaufskontrolle. Die höchste Sensitivität scheinen nach aktuellen Studien die chromatographische Bestimmung (HPLC-Methode) plasmafreier Metanephrine und die Bestimmung von Metanephrin und Normetanephrin im Sammelurin zu haben (Eisenhofer et al. 1999; Sawka et al. 2003).
Klinischer Verdacht
Inzidentalom
Urinkatecholamine und Metaboliten
normal
1- bis 2-fache Erhöhung
Ausschluss (Sensitivität > 99%)
Wiederholte Bestimmung der Urinkatecholamine/ Metabolite (Clonidintest)
> 2-fache Erhöhung
positiv
D-Blockade und Lokalisationsdiagnostik
338
Kapitel 4 · Nebennieren
4
a
. Abb. 4.51a–c. Lokalisationsdiagnostik beim Phäochromozytom. a,b Magnetresonanztomographie mit einem 6 cm großen sporadischen Phäochromozytom der linken Nebenniere mit dem typischen »SchweizerKäse-Muster«. * markiert den Tumor. c SPECT einer 123I-MIBG-Szintigraphie 4 h nach Injektion mit einer deutlichen Mehranreicherung im Bereich der linken Nebennierenloge
Die biochemische Diagnostik bei Verdacht auf Phäochromozytom ist ausführlich in 7 Kap. 4.4.1 beschrieben. Sie sollte vor einer Lokalisationsdiagnostik durch ein Schnittbildverfahren erfolgen. Eine Übersicht des diagnostischen Weges zum Ausschluss oder zur Bestätigung eines Phäochromozytoms ist in . Abb. 4.50 dargestellt. Ist die biochemische Diagnose gestellt, sollte umgehend mit einer α-Blockade begonnen werden. Die bildgebenden Verfahren, die zur Lokalisationsdiagnostik notwendig sind, werden ausführlich in 7 Kap. 4.4.2 behandelt. Die Spiral-CT in Dünnschichttechnik und die Magnetresonanztomographie sind die bildgebenden Verfahren der Wahl (. Abb. 4.51). Die 123I-Metaiodobenzylguanidin (MIBG)-Szintigraphie in SPECT-Technik ist mit einer Spezifität und Sensitivität von über 90% vor allem bei multilokulären Tumoren den schnittbildgebenden Verfahren überlegen. Das 18F-DOPA-PET ist ein neues Untersuchungsverfahren, das immer dann zur Anwendung kommen sollte, wenn biochemisch ein Phäochromozytom nachgewiesen ist, das mit den o. g. Verfahren nicht lokalisert werden kann. 4.4.3.1.4 Präoperative Behandlung Die Mortalität einer Adrenalektomie beim Phäochromozytom wird in neueren Studien mit 0–3% angegeben (Kinney et al. 2000; Plouin et al. 2001). Eine Absenkung der früher berichteten Mor-
b
c
talität von 13–45% auf unter 1% ist zu großem Anteil der präoperativen α-Blockade zuzuschreiben, die heute Standard ist. Cave Besonders während der intraoperativen Manipulation am Tumor durch den Chirurgen sind aufgrund der Katecholaminfreisetzung ohne eine ausreichende α-Blockade exzessive Blutdruckkrisen zu erwarten.
Die umfangreichsten Erfahrungen liegen mit dem irreversiblen, nicht-kompetitiven α-Blocker Phenoxybenzamin vor. Die Anfangsdosis von 20 mg, verteilt auf 2 Einzeldosen, sollte täglich um 10–20 mg gesteigert werden, bis eine Tagesdosis von 100–160 mg (0,1 mg/kg KG) erreicht wird. Nach eigenen Erfahrungen kann beim nicht-herzinsuffizienten Patienten eine suffiziente α-Blockade bereits nach 7 Tagen erreicht werden, wenn die Dosis täglich um 20 mg erhöht wird. Die Kombination mit einem β-Blocker (z. B. Labetalol) ist nur bei Tachykardie erforderlich. Sie sollte jedoch erst 4 Tage nach Beginn der α-Blockade begonnen werden, da sich sonst eine Linksherzinsuffizienz und ein Lungenödem ausbilden können. Ein wesentlicher Nachteil, dem in der postoperativen Phase besondere Beachtung geschenkt werden muss, ist die durch die lange Halbwertszeit bedingte, für 24–48 h
339 4.4 · Nebennierentumoren
persistierende α-Blockade. Es kann zu Linksherzinsuffizienz und Ausbildung eines Lungenödemes kommen. Eine alternative, aber weniger gebräuchliche Substanz ist Doxazosin mit einer üblichen Tagesdosis von 2–8 mg (Bravo 1997; Prys-Roberts et al. 2002). Kriterien einer ausreichenden präoperativen α-Blockade 5 Normo- bis hypotoner Blutdruck 5 Orthostatische Dysregulation (»Schwarzwerden vor den Augen« beim Aufstehen aus horizontaler Lage) 5 Keine ST-Strecken-Veränderung, VES <5/min im EKG 5 »Verstopfte Nase«
4.4.3.1.5 Intraoperative Behandlung Bei ausreichender α-Blockade und Erreichen der Zielkriterien unterscheidet sich die Anästhesie meist nicht von der bei hormoninaktiven Nebennierentumoren. Nur selten ist das Senken des Blutdruckes bei Blutdruckkrisen während der Operation nötig. Zusätzlich kann eine ausreichende Prämedikation durch ihre anxiolytische und sedierende Wirkung Blutdruckkrisen während der Narkose vorbeugen. Eine invasive arterielle Blutdruckmessung und ZVD-Messungen über einen zentralen Venenkatheter sind unbedingt erforderlich, um auf Kreislaufschwankungen unverzüglich reagieren zu können. Patienten, die an einer dilatativen Kardiomyopathie oder anderen schweren kardialen Erkrankungen leiden, sollten über einen Rechtsherzkatheter/PICCO hämodynamisch überwacht werden. Treten Blutdruckkrisen auf, die trotz ausreichender α-Blockade durch Manipulationen am Tumor oder durch Schmerzreize auslösbar sind, wird die Gabe von Natriumprussidnatrium, Nitro und Kalziumantagonisten (z. B. Nicardipin) empfohlen. Bei schweren Krisen ist die Operation zu unterbrechen. Tachykarde Rhythmusstörungen können mit kurz-wirksamen Betablockern kupiert werden. Es muss unbedingt eine ausreichende Narkosetiefe und Analgesie gewährleistet werden. Nach der Tumorentfernung kann gelegentlich eine Hypotension, die durch eine β-Downregulation verursacht wird, eine großzügige Volumensubstitution erforderlich machen. Aus diesem Grund muss die Ligatur der Nebennierenvene dem Anästhesisten unverzüglich mitgeteilt werden. Eine Hyperglykämie, die nahezu die Hälfte der Patienten präoperativ entwickeln, bildet sich innerhalb einiger Tage zurück und erfordert nur in seltenen Fällen eine medikamentöse Therapie (Kinney et al. 2002). 4.4.3.1.6 Operative Therapie Minimalinvasive Verfahren Die Standardtherapie des unilateralen sporadischen Phäochromozytoms ist heute die minimalinvasive Adrenalektomie (7 Kap. 4.2).
Ob dabei das laparoskopische oder retroperitoneoskopische Vorgehen gewählt wird, hängt von der Erfahrung und persönlichen Auffassung des Operateurs ab. Die Vorteile des retroperitoneoskopischen Zuganges sind ein geringeres Trauma durch den extraperitonealen Zugang und eine Kompression der kleinen Gefäße im Operationsgebiet durch einen höheren Insufflationsdruck (20–25 mmHg). Der laparoskopische Zugang verschafft nach
4
Ansicht der Autoren einen großzügigeren Überblick auf das Operationsfeld und ist aus diesem Grund leichter zu erlernen. In der Klinik der Autoren wird bevorzugt das laparoskopische Verfahren angewendet. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass durch die minimalinvasiven Verfahren eine Reduktion der postoperativen Morbidität, Aufenthaltsdauer und der Kosten erreicht wird (Fernandez-Cruz et al. 1996; Walz 2002; Jaroszewski et al. 2003; Walz 2004). Prospektiv randomisierte Studien, die die laparoskopische mit der konventionellen Adrenalektomie vergleichen, fehlen aufgrund der offensichtlichen Vorteile des minimalinvasiven Vorgehens. Die kontralaterale Nebenniere sollte bei sporadischen Tumoren radiomorphologisch normal sein. Bei der häufig bilateralen Erkrankung bei MEN-2-Syndrom ist eine subtotale, gesundes Nebennierengewebe erhaltende Resektion zu empfehlen. Der belassene Parenchymrest verhindert eine Nebenniereninsuffizienz mit der Gefahr einer Addisonkrise, die bei ca. 30% der Patienten nach bilateraler Adrenalektomie auftritt (Neumann et al. 1999; Baghai et al. 2002). Obwohl syndromassoziierte Phäochromozytome häufig bilateral oder multipel vorkommen und in bis zu 30% der Fälle rezidivieren (Brunt et al. 2002), ist ein parenchymsparendes Vorgehen sinnvoll. In der Klinik der Autoren ist die parenchymsparende laparoskopische Resektion Standard. Dabei wird der Patient in Seitenlage operiert. Operative Strategie ist die von Duh et al. beschriebene Technik, bei der die Dissektionsebene auf der rechten Seite im Sulkus zwischen Vena cava inferior und retroperitonealem Fett bzw. Gerota-Faszie liegt und zuerst die Nebennierenvene identifiziert und geclipt wird. Links wird nach Mobilisierung von Milz und Pankreasschwanz ebenfalls zunächst die Nebennierenvene an ihrem Eintritt in die Nierenvene dargestellt und verschlossen (7 Kap. 4.2; Duh 1996; Cheah et al. 2002). Konventionelle Verfahren
Ein konventionelles Vorgehen sollte immer dann gewählt werden, wenn der Tumor größer als 6 cm ist, oder radiomorphologische Malignitätskriterien evident sind. Die Größenbegrenzung ist an den Empfehlungen der Konferenz am National Institute of Health (NIH), Bethesda, Maryland 1999 orientiert und basiert auf der Beobachtung, dass das Malignitätsrisiko mit zunehmender Größe exponentiell ansteigt (Pacak et al. 2001). Dieses Vorgehen wird auch an unserer Klinik verfolgt. Allerdings wird von anderen Autoren bei Tumoren, die größer als 6 cm sind und keine radiomorphologischen Malignitätskriterien aufweisen, ein minimalinvasives Verfahren gewählt (Henry et al. 2002; Walz et al. 2005). Der transabdominelle Zugang über einen Subkostalschnitt oder ein dorsaler Zugang über das Bett der 12. Rippe wird von den Autoren dieses Kapitels bei Phäochromozytomen zwischen 6 und 10 cm bevorzugt. Bei Tumoren, die größer als 10 cm sind und/ oder deutlichen Hinweisen für Malignität, bietet der thorakoabdominelle Zugang über den 9. Interkostalraum eine noch bessere Übersicht, auch in Hinblick auf eine in diesen Fällen empfohlene Lymphadenektomie. Generell gilt, dass das Malignitätsrisiko mit der Tumorgröße wächst (Scott et al. 1984; Shen et al. 2004; Sturgeon 2006). Beim dorsalen retroperitonealen Zugang kann auf der rechten Seite die relativ späte Ligatur der kurzen Nebennierenvene zu größeren intraoperativen Blutdruckschwankungen führen. Eine Übersicht über die einzelnen Operationsverfahren gibt 7 Kap. 4.2. Die Zugangswege sind in . Tab. 4.9 angegeben.
340
Kapitel 4 · Nebennieren
. Tab. 4.9. Operative Zugänge und Lagerungen beim Phäochromozytom
Endoskopisch
4 Konventionell
Zugang
Lagerung
Laparoskopisch transabdominell
Seitenlage
Retroperitoneoskopisch
Bauch- oder Seitenlage
Transabdominell
Rückenlage
Thorakoabdominell
Seitenlage
Retroperitoneal
Bauchlage
Die minimalinvasive Resektion eines Phäochromozytoms sollte aufgrund der ausgezeichneten Daten aus spezialisierten Zentren dem laparoskopisch bzw. retroperitoneoskopisch und in der Nebennierenchirurgie erfahrenen Chirurgen an einem endokrinen Zentrum vorbehalten bleiben (Kercher et al. 2005). Unabhängig davon, ob ein konventionelles oder ein minimalinvasives Verfahren gewählt wird, helfen eine zügige Identifikation und Ligatur der Nebennierenvene und eine atraumatische Dissektion intraoperative Blutdruckkrisen zu vermeiden. Es hat sich bei der Entfernung des Tumors bewährt, das periadrenale Fett als Dissektionsebene zu wählen, um direkte Manipulationen an der Nebenniere bzw. dem Tumor zu vermeiden. Die einzelnen Operationschritte und Lagerungen sind in 7 Kap. 4.2 detailliert beschrieben. Cave Besondere Sorgfalt ist erforderlich, um die den Tumor umgebende Kapsel unversehrt zu lassen und so ein Rezidiv bzw. eine sog. Phäochromozytomatose zu verhindern.
4.4.3.1.7 Postoperative Behandlung Die postoperative Überwachung der Patienten sollte die ersten 24 h auf einer Intensivstation bzw. einer »intermediate care unit« erfolgen. Die α-Blockade kann unmittelbar postoperativ beendet werden. Eine eventuell notwendige antihypertensive Therapie sollte dem Blutdruck angepasst werden. Besonders eine Hypotonie und Hypoglykämie sollten vermieden werden, was nicht selten eine großzügige Volumensubstitution und engmaschige Blutzuckerkontrollen erforderlich macht. Bei der bilateralen Adrenalektomie ist eine Hydrokortisonsubstitution mit 300 mg in den ersten 24 h und anschließender Dosisreduktion zu empfehlen um einer Addison-Krise vorzubeugen. 4.4.3.1.8 Nachsorge Patienten, die wegen eines Phäochromozytoms operiert wurden, sollten 6 Wochen und 6 Monate postoperativ nachuntersucht werden. Empfohlen wird eine Bestimmung der Meta- und Normetanephrine im Sammelurin. Alle Patienten sollten mindestens 10 Jahre lang nachuntersucht werden. In einer kürzlich veröffentlichten Langzeit-Studie entwickelten 17% ein Rezidiv; die Hälfte davon mit Anzeichen einer malignen Erkrankung (Amar et al. 2005). Patienten mit Phäochromozytom assoziierten Syndromen und extraadrenalen Paragangliomen sollte lebenslänglich nach-
untersucht werden, da sie in bis zu 33% der Fälle ein Tumorrezidiv entwickeln (Sapienza 1999; Brunt et al. 2002). Das Risiko für ein metachrones Phäochromozytom bei einer parenchymerhaltenden Resektion in der ipsilateralen Nebenniere beträgt 10%. Patienten, bei denen die Diagnose Phäochromozytom weniger als 5 Jahre nach ersten Symptomen gestellt und der Tumor operativ entfernt wurde sind in der Regel normotensiv (Sapienza 1999). Insgesamt persistiert die Hypertonie bei 50% der Patienten. Sie ist allerdings medikamentös gut zu behandeln. 4.4.3.1.9 Molekulargenetische Aspekte Neumann et al. konnten 2002 bei Patienten mit sporadischen Phäochromozytomen und negativer Familienanamnese in 24% ein hereditäres Tumorsyndrom nachweisen (Neumann et al. 2002). Es wird aufgrund dieser Beobachtung von mehreren Autoren gefordert jeden Patienten mit einem Phäochromozytom einer genetischen Untersuchung der Gene SDHD, SDHB, VHL und RET zu unterziehen (Neumann 2004; Favier et al. 2005), insbesondere wenn es sich um multiple oder extraadrenale Paragangliome handelt. Gründe hierfür sind die Identifizierung anderer syndromassoziierter Organmanifestationen, die höhere Inzidenz für multiple, rezidivierende und maligne Tumoren und die Möglichkeit einer prädiktiven genetischen Untersuchung von Familienangehörigen. 4.4.3.1.10 Malignität Die Dignität eines Phäochromozytoms ist trotz zahlreicher prognostischer Marker anhand der histologischen Untersuchungen des Tumors nur schwer festzustellen. Malignität liegt ausschließlich dann sicher vor, wenn Metastasen chromaffinen Gewebes an Lokalisationen nachgewiesen werden, an denen normalerweise kein chromaffines Gewebe vorkommt. Häufige Lokalisationen sind Knochen, Lunge, Leber und Lymphknoten. Phäochromozytome, die größer als 5 cm oder extraadrenal gelegen sind, haben ein signifikant höheres Malignitätsrisiko. Die Häufigkeit eines malignen Phäochromozytoms wird auf 5–26%, in extraadrenaler Lokalisation bis auf 46%, geschätzt (Goldstein et al. 1999). Neben diesen primär malignen Phäochromozytomen entwickeln ca 8% der Patienten mit einem als benigne eingestuften Phäochromozytom Metastasen (Amar et al. 2005). Da eine Unterscheidung von benignen und malignen Phäochromozytomen anhand histologischer Kriterien nicht sicher möglich ist, erarbeitete Thompson einen Index (PASS), der sich aus bestimmten histopathologischen Charakteristika zusammensetzt und zwischen benignen und malignen Phäochromozytomen unterscheiden soll (Thompson 2002). Zur Bestätigung der prognostischen Aussagekraft sind jedoch weitere prospektive Studien notwendig. Immunhistochemische Marker, denen eine gewisse prognostische Bedeutung zugeschrieben wird sind Ki-67, Mib1 und eine Überexpression der humanen Telomerase hTERT sowie des Hitzeschockproteins 90 (HSP 90). Maligne Tumoren werden besonders häufig bei Mutationen im NF1-Gen (11%) und bei Mutationen im SDHB-Gen (50%) beobachtet (Astuti et al. 2001; Neumann et al. 2002). Die chirurgische Entfernung des Tumors stellt beim malignen Phäochromozytom die wichtigste Therapieoption dar. Im Falle einer metastasierten Erkrankung, ist das Therapieziel die Reduktion der Tumormasse, um eine Kontrolle der Hypertonie zu erreichen. Ein Debulking ist auch vor einer geplanten Radiochemotherapie und bei Komplikationen, die durch Metastasen bedingt sind zu empfehlen.
341 4.4 · Nebennierentumoren
Eine palliative symptomatische Therapie im Falle ausgeprägter Metastasen kann mit Phenoxybenzamin oder einem Kalziumantagonisten erfolgen. Weitere Therapieoptionen sind eine Radionukleotidtherapie mit 131I-MIBG oder eine Chemotherapie, ggf. in Kombination mit einer Strahlentherapie. Die mittlere 5-Jahres-Überlebensrate beim malignen Phäochromozytom wird auf ca. 50% geschätzt (Lenders et al. 2002; Khorram-Manesh et al. 2005). Zum malignen Phäochromozytom 7 Kap. 4.4.3.2. 4.4.3.1.11 Schwangerschaft Phäochromozytome bei Schwangeren können eine Amnioninfektionssyndrom oder eine Eklampsie vortäuschen (Prys-Roberts 2000). Ohne eine adäquate α-Blockade sind die Mutter und das Neugeborene durch die großen körperlichen Anstrengungen einer vaginalen Geburt und die damit verbundenen hypertensiven Krisen vital bedroht. Im ersten und zweiten Trimenon sollte nach einer adäquaten α-Blockade eine Resektion des Tumors erfolgen. Das Risiko eines Spontanabortes während der Operation ist erheblich. Im dritten Trimenon sollte unter α-Blockade, wenn es die Reife des Kindes erlaubt, durch einen Kaiserschnitt entbunden und danach der Tumor reseziert werden. 4.4.3.1.12 Pädiatrie Das Phäochromozytom ist beim Kind sehr selten und unterliegt den gleichen diagnostischen und therapeutischen Strategien wie beim Erwachsenen. Allerdings ist es bei rund ein Drittel der betroffenen Kinder multipel und extraadrenal. Diese Eigenschaft macht die Diagnostik und vor allem die chirurgische Therapie zu einer besonderen Herausforderung. Bei Kindern muss immer intensiv nach einem hereditären Tumorsyndrom gefahndet werden. Die präoperative Vorbereitung kann mit Phenoxybenzamin oder einem Kalziumantagonisten erfolgen. Literatur Amar L, Servais A et al. (2005) Year of diagnosis, features at presentation, and risk of recurrence in patients with pheochromocytoma or secreting paraganglioma. J Clin Endocrinol Metab 90:2110–2116 Anderson GH, Blakeman N Jr et al. (1994) The effect of age on prevalence of secondary forms of hypertension in 4429 consecutively referred patients. J Hypertens 12:609–615 Astuti D, Latif F et al. (2001) Gene mutations in the succinate dehydrogenase subunit SDHB cause susceptibility to familial pheochromocytoma and to familial paraganglioma. Am J Hum Genet 69:49–54 Baghai MTG, Young WF Jr, Grant CS, Michels VV, van Heerden JA (2002) Phaechromocytomas and paragangliomas in von-Hippel-Lindau disease: a role for laparoscopic and cortical-sparing surgery. Arch Surg 17:682–688 Bravo EL (1997) Pheochromocytoma. Curr Ther Endocrinol Metab 6:195– 197 Brunt LM, Lairmore TC et al. (2002) Adrenalectomy for familial pheochromocytoma in the laparoscopic era. Ann Surg 235:713–720; discussion 720–721 Cheah WK, Clark OH et al. (2002) Laparoscopic adrenalectomy for pheochromocytoma. World J Surg 26:1048–1051 Duh QY, Siperstein AE, Clark OH, Schecter WP, Horn JK, Harrison MR, Hunt TK, Way LW (1996) Laparoscopic adrenalectomy. Comparison of the lateral and posterior approach. Arch Surg 8:870–875 Eisenhofer G, Lenders JW et al. (1999) Plasma normetanephrine and metanephrine for detecting pheochromocytoma in von Hippel-Lindau disease and multiple endocrine neoplasia type 2. N Engl J Med 340:1872–1879 Favier J, Briere JJ et al. (2005) Hereditary paraganglioma/pheochromocytoma and inherited succinate dehydrogenase deficiency. Horm Res 63:171–179
4
Fernandez-Cruz L, Taura P et al. (1996) Laparoscopic approach to pheochromocytoma: hemodynamic changes and catecholamine secretion. World J Surg 20:762–768; discussion 768 Goldstein RE, O’Neill JA Jr et al. (1999) Clinical experience over 48 years with pheochromocytoma. Ann Surg 229:755–756; discussion 764– 766 Henry J, Sebag F, Iacobone M, Mirallie E (2002) Results of laparoscopic adrenalectomy for large and potentially malignant tumors. World J Surg 26:1043–1047 Jaroszewski DE, Tessier DJ et al. (2003) Laparoscopic adrenalectomy for pheochromocytoma.Mayo Clin Proc 78:1501–1504 Kercher KW, Novitsky YW, Park A, Matthew BD, Litwin DE, Heniford BT (2005) Laparoscopic curative resection of pheochromocytomas. Ann Surg 6:919–926 Khorram-Manesh, A, H Ahlman et al. (2005) Long-term outcome of a large series of patients surgically treated for pheochromocytoma. J Intern Med 258:55–66 Khorram-Manesh A, Ahlman H et al. (2004) Mortality associated with pheochromocytoma in a large Swedish cohort. Eur J Surg Oncol 30:556– 559 Kinney MA, Narr BJ et al. (2002) Perioperative management of pheochromocytoma. J Cardiothorac Vasc Anesth 16:359–369 Kinney MA, Warner ME et al. (2000) Perianesthetic risks and outcomes of pheochromocytoma and paraganglioma resection. Anesth Analg 91:1118–1123 Lenders JW, Pacak K et al. (2002) Biochemical diagnosis of pheochromocytoma: which test is best? Jama 287:1427–1434 Lo CY, Lam KY et al. (2000) Adrenal pheochromocytoma remains a frequently overlooked diagnosis. Am J Surg 179:212–215 Manelli M, Ianni L, Cilotti A, Conti A (1999) Pheochromocytoma in Italy: a multicentric retrospective study. Eur J Endocrinol:619–624 Mansmann G, Lau J, Balk E, Rothberg M, Miyachi Y, Borstein SR (2004) The clinically inapperent adrenal mass: update in diagnosis and management. Endocr Rev 25:309–340 Mantero F, Terzolo M, Arnaldi G et al. (2000) A survey of adrenal incidentaloma in Italy. Study group on Adrenal Tumors of the Italian Society of Endocrinology. J Clin Endocrinol Metab 85:637–644 Neumann HP, Pawlu C, Peczkowska M, Bausch B, McWhinney SR, Muresan M, Buchta M, Franke G, Klisch J, Bley TA, Hoegerle S, Boedecker CC, Opocher G, Schipper J, Januszewicz A, Eng C (2004) Distinct clinical features of paraganglioma syndromes associated with SDHB and SDHD gene mutations. Jama 8:943–951 Neumann, HP, Reincke M et al. (1999). Preserved adrenocortical function after laparoscopic bilateral adrenal sparing surgery for hereditary pheochromocytoma. J Clin Endocrinol Metab 84:2608–2610 Neumann HP, Bausch B et al. (2002) Germ-line mutations in nonsyndromic pheochromocytoma. N Engl J Med 346:1459–1466 Omura M, Saito J, Yamaguchi K, Kakuta Y, Nishikawa T (2004) Prospective study on the prevalence of secondary hypertension among hypertensive patients visiting a general outpatient clinic in Japan. Hyperten Res 12:193–202 Pacak K, Linehan WM et al. (2001) Recent advances in genetics, diagnosis, localization, and treatment of pheochromocytoma. Ann Intern Med 134:315–329 Plouin P, Degoulet P, Tugaye A, Ducrocq MB, Menard J (1981) Screening for phaeochromocytoma: in which hypertensive patients? A semiological study of 2585 patients, including 11 with phaochromocytoma. Nouv Presse Med 10:869–872 Plouin PF, Duclos JM et al. (2001) Factors associated with perioperative morbidity and mortality in patients with pheochromocytoma: analysis of 165 operations at a single center. J Clin Endocrinol Metab 86:1480–1486 Prys-Roberts C (2000) Pheochromocytoma-recent progress in its management. Br J Anaesth 85:44–57 Prys-Roberts C, Farndon JF (2002) Efficacy and safety of doxazosin for perioperative management of patients with pheochromocytoma. World J Surg 26:1037–1042
342
4
Kapitel 4 · Nebennieren
Sapienza PCA (1999) Persistent hypertension after removal of adrenal tumors. Eur J Surg 3:201–206 Sawka AM, Jaeschke R et al. (2003) A comparison of biochemical tests for pheochromocytoma: measurement of fractionated plasma metanephrines compared with the combination of 24-hour urinary metanephrines and catecholamines. J Clin Endocrinol Metab 88:553–558 Scott HW Jr, Halter SA (1984) Oncologic aspects of pheochromocytoma: the importance of follow-up. Surgery 96:1061–1066 Shen WT, Sturgeon C et al. (2004) Should pheochromocytoma size influence surgical approach? A comparison of 90 malignant and 60 benign pheochromocytomas. Surgery 136:1129–1137 Sinclair A, Isles CG, Brown I, Cameron H, Murray GD (1987) Secondary hypertension in a blood pressure clinic. Arch Intern Med 147:1289–1293 Stenstrom, G, Ernest I et al. (1988). Long-term results in 64 patients operated upon for pheochromocytoma. Acta Med Scand 223:345–352 Sturgeon CSW, Clark OH, Duh QY, Kebebew E (2006) Risk assessment in 457 Adrenal Cortical Carcinomas: How much does tumor size predict the likehood of malignancy. J Am Coll Surg 202:423–430 Thompson L (2002) Pheochromocytoma of the Adrenal gland Scaled Score (PASS) to seperate benign from malignant neoplasms: a clinicopathologic and immunophenotypic study of 100 cases. Am J Surg Pathol 26:551–566 Walz M, Peitgen K, Diesing D, Petersenn S, Janssen OE, Philipp T, Metz KA, Mann K, Schmidt KW, Neumann HP (2004) Partial versus total adrenalectomy by the posterior retroperitoneoscopic approach: Early and long-term results of 325 consecutive procedures in primary adrenal neoplasia. World J Surg 28:1323–1329 Walz M, Petersenn S, Koch JA, Mann K, Neumann HP, Schmidt KW (2005) Endoscopic treatment of large primary adrenal tumors. Br J Surg 92:719–723 Walz M, Peitgen K, Neuman HP, Janssen OE, Philipp T, Mann K (2002) Endoscopic treatment of solitary, bilateral, multiple and recurrent pheochromocytomas and paragangliomas. World J Surg 26:1005– 1012
4.4.3.2 Malignes Phäochromozytom
H. Lehnert ) ) Das Auftreten eines malignen Phäochromozytoms ist eines der bedeutsamsten klinischen Probleme in der Betreuung von Patienten mit einem Phäochromozytom. Das Risiko der Malignität kann aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht präzise eingeschätzt werden. »Metaanalytisch« liegt das Risiko bei etwa 10–15% bei intraadrenalen Tumoren, dagegen wesentlich höher bei extraadrenalen Tumoren mit etwa 30–40%. Prinzipiell ist eine höhere Malignitätsrate bei niedrigem Lebensalter, weiblichem Geschlecht und einer Tumorgröße über 5 cm beschrieben worden. Hochbedeutsam ist die Assoziation mit malignen Phäochromozytomen und bestimmten familiären Formen; dies gilt zum Beispiel im Rahmen einer multiplen Neoplasie Typ 2b und beim Paragangliom mit einer Mutation des SDHB-Genes. Dies unterstreicht noch einmal die hohe Bedeutung der molekulargenetischen (familiären) Diagnostik bei Auftreten eines Phäochromozytoms (Mulligan et al. 1994).
4.4.3.2.1 Pathophysiologie Die Differenzierung zwischen einem benignen und malignen Phäochromozytom bereitet unverändert große Probleme. Während der Nachweis von Metastasen in nicht-chromaffinem Gewebe als valider Marker der Malignität angesehen werden kann,
werden andere histologische Eigenschaften wie z. B. Kernpleomorphismen, hoher mitotischer Index oder auch Aneuploidie bzw. Tetraploidie sowohl bei benignen wie malignen Tumoren gefunden. Es ist daher von großer Bedeutung, neue immunhistochemische oder molekulare Marker der Malignität zu analysieren. In eigenen Untersuchungen konnten wir keinen Unterschied im Somatostatinrezeptorbesatz zwischen malignen und benignen Phäochromozytomen feststellen, dagegen zeigte sich eine deutlich höhere Telomeraseaktivität wie auch eine hohe Aktivität der katalytischen Untereinheit der Telomerase (hTERT) bei malignen Phäochromozytomen. In anderen Untersuchungen wurden die klassischen histologischen Marker reevaluiert und ein sog. »pheochromocytoma of the adrenal gland scale score« (PASS) erstellt. Maligne Phäochromozytome zeigten hier mittels dieses Scores häufiger eine vaskuläre und kapsuläre Invasion, periadrenales adipöses Fettgewebe, fokale Nekrose, hohe Zellularität, hohen Mitoseindex und Kernpleomorphismen 4.4.3.2.2 Klinische Symptomatik Grundsätzlich sind die klinischen Symptome eines malignen Phäochromozytoms nicht unterschiedlich von denen eines benignen Tumors. Mit anderen Worten, die typischen Symptome wie Hochdruck, Kopfschmerzen, Schwitzen und weitere adrenerge Symptome werden beobachtet. Aufgrund der Verteilung metastatischer Läsionen können natürlich bestimmte Symptome häufiger beobachtet werden. Dies trifft beispielsweise die Knochenmetastasen wie auch Läsionen in der Leber, im ZNS oder in der Pleura (Lehnert et al. 1997). 4.4.3.2.3 Diagnostik Grundsätzlich folgt die biochemische Diagnostik des malignen Phäochromozytoms den Richtlinien der generellen Phäochromozytomdiagnostik. Im Vordergrund steht hier also die Bestimmung der Plasmametanephrine bzw., sollten diese nicht verfügbar sein, die Bestimmung der freien Katecholamine im 24-Stunden-Urin. Dies dient auch der Langzeitnachbeobachtung. Als weiterer Parameter in der Tumornachsorge eignet sich möglicherweise die Neuronen-spezifische Enolase; hier wurden sehr hohe Konzentrationen beim malignen Phäochromozytom beschrieben. Von größter Bedeutung sind die bildgebenden Verfahren. Der Einsatz der 123I-Metaiodobenzylguanidin (MIBG)-Szintigraphie ist von besonderer Bedeutung bei einem malignen Tumor. Wenn irgend möglich, sollte die Szintigraphie vor einem CT oder einer MR durchgeführt werden. Vorteile der MIBG-Szintigraphie 5 Tumorgewebe kann mit einer sehr hohen Sensitivität (85–90%) und hohen Spezifität (90–100%) entdeckt werden 5 Nachweis extraadrenaler Läsionen 5 Nachweis von postoperativen Restgewebe 5 Diagnostik und Therapie des malignen Phäochromozytoms
Komplementär zur MIBG kann eine Octreotide-Szintigraphie durchgeführt werden; insbesondere der häufige Nachweis von Somatostatin-Rezeptor Subtypen 2 und 3 beim malignen Phäochromozytom macht diese Szintigraphie sinnvoll. Die Bedeutung
343 4.4 · Nebennierentumoren
der Octreotide- und MIBG-Szintigraphie wurde in einigen Studien in benignen und malignen Phäochromozytomen verglichen. Wir fanden beispielsweise eine Sensitivität der MIBG-Szintigraphie von 80% und eine Sensitivität von der Octreotide-Szintigraphie nur in 44%; dennoch konnten durch diese Szintigraphie insgesamt sechs MIBG-negative Läsionen dargestellt werden (Kopf et al. 1997).
MIBG- und Octreotide-Szintigraphie sollten komplementär beim malignen Phäochromozytom eingesetzt werden.
In den vergangenen Jahren konnte gezeigt werden, dass der Fluorodeoxyglukose-PET-Scan von größter Bedeutung bei der Diagnose des okkulten Phäochromozytoms respektive bei der Suche nach okkulten metastatischen Läsionen ist. Eine hohe Sensitivität und Spezifität für Patienten sowohl mit benignem wie auch metastasierendem Phäochromozytom wurde gezeigt. 4.4.3.2.4 Therapeutische Strategie Eine erhebliche Problematik des Phäochromozytoms ist die Gefahr der malignen Entartung. Die mittlere Überlebenszeit eines Patienten liegt postoperativ bei etwa 5½ Jahren, wobei Verläufe zwischen 1 Monat und 17 Jahren mitgeteilt wurden. Schlechte Prognosekriterien sind eine rasche Progression der Tumorinfiltrate im ersten postoperativen Jahr und insbesondere Lungenmetastasen. Nach wie vor ist die Behandlung unbefriedigend, wenngleich auch im Einzelfall keine strikte Vorhersage getroffen werden kann. α-Blockade. Die Prinzipien der Behandlung basieren zum einen auf der Blockade der unerwünschten und potenziell letalen endokrinen Aktivität des Tumors und zum anderen auf einer Reduktion des Tumorgewebes (Brauckhoff et al. 2004). Damit ist zunächst auch hier in der Langzeittherapie die Gabe von Phenoxybenzamin die Therapie der Wahl; die Dosis kann etwas niedriger gewählt werden als bei der präoperativen Behandlung des Phäochromozytoms, zumeist werden hier 4 Tagesdosen mit einer Gesamtdosis von 40–80 mg gegeben. Alternativ – insbesondere bei unbeherrschbarem Katecholaminexzess – kann die Katecholaminsekretion auch durch Gabe von α-Methylparatyrosin inhibiert werden. Radiojodtherapie. Nach wie vor ist der Goldstandard der Therapie des malignen Phäochromozytoms die Applikation von 131JodMIBG. In den hierzu durchgeführten Studien lag die Einzeldosis zwischen 3,7 und 9,8 GBq, die kumulative Dosis zwischen 3,8 und 85,9 GBq. Wegen der toxischen Effekte auf das Knochenmark sollte die kumulative Dosis zwischen 40 und 45 GBq liegen. Bei höheren Dosierungen, insbesondere bei der jetzt auch in einigen Zentren durchgeführten MIBG-Hochdosistherapie sollte ein Stammzell-Rescue durchgeführt werden. Üblicherweise liegen 6 bis 12 Monate zwischen der Einzelapplikation. Dabei sind die wesentlichen Kriterien für die Behandlung die folgenden: 4 Keine Behandlungsmöglichkeit mit anderen Maßnahmen, insbesondere nach Ausschöpfung aller operativen Möglichkeiten 4 Erwartete Überlebenswahrscheinlichkeit ohne Therapie von mindestens einem Jahr
4
4 Sehr gute Aufnahme des Tracers, sodass mindestens 20 rad/mCi appliziert werden können 4 Tracer-Aufnahme möglichst aller bekannten Tumoren Nach dem jetzigen Kenntnisstand ist bei etwa 40% aller mit MIBG behandelten Patienten ein partieller Tumorrespons zu erwarten; ein Stillstand und eine Stabilisierung für mehrere Jahre kann in etwa der Hälfte der Fälle erwartet werden. Eine Vollremission ist bislang nicht beschrieben worden. Bei Patienten mit MIBG-negativen Läsionen sollte eine Therapie mit radioaktiv markierten Somatostatinanaloga durchgeführt werden; erste Erfolge sind mit 86-Y-Dotatoc berichtet worden. Neben dieser Behandlung besteht auch die Möglichkeit, eine externe Strahlentherapie von Skelettmetastasen zur Stabilisierung und Prävention von pathologischen Frakturen durchzuführen. Chemotherapie. Wir sehen heute die Indikation für den Einsatz einer chemotherapeutischen Behandlung dann als gegeben an, wenn keine oder eine im Vergleich zur Gesamtheit des Tumors inadäquate Speicherung des Radiopharmakons vorliegt. Darüber hinaus sollte auch dann behandelt werden, wenn trotz nachgewiesener Speicherung die Gabe von 131Jod-MIBG nicht zu einer wenigstens partiellen Remission nach Applikation von 5–6 Therapiezyklen geführt hat. Zahlreiche unterschiedliche Therapieschemata wurden mitgeteilt, die sowohl eine Monotherapie Cyclophosphamid oder Streptozotozin sowie auch die Kombination von Cyclophosphamid, Vincristin und Adriamycin umfassen. Dies waren im Wesentlichen Einzelfallstudien und ohne überzeugenden Erfolg. Vor einigen Jahren wurde eine chemotherapeutische Kombinationstherapie mitgeteilt, die über einen Beobachtungszeitraum von 6–35 Monaten bei 14 Patienten mit recht gutem Erfolg durchgeführt wurde. Das Schema besteht aus: 4 Cyclophosphamid (750 mg/m2 KO am Tag 1) 4 Vincristin (1,4 mg/m2 KO am Tag 1) und 4 Dacarbazin (600 mg/m2 KO am Tag 1 und 2)
Insgesamt wird dieses Schema alle 21 Tage wiederholt, Dosisanpassungen von Cyclophophamid werden in Abhängigkeit von hämatologischen Nebenwirkungen und von Vincristin in Abhängigkeit von neurologischen Nebenwirkungen vorgenommen. In der genannten Studie zeigten 2 der behandelten Patienten eine komplette, 6 eine Regression von über 50%, 3 von über 25%. Alle wiesen eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Reduktion der Blutdruckwerte auf (Averbuch et al. 1988). Ob die Behandlung mit Somatostatinanaloga eine Option ist, wird derzeit von einer von uns durchgeführten Multicenter-Studie evaluiert. 4.4.3.2.5 Schwangerschaft Ein seltenes und sehr schwerwiegendes Problem ist das Auftreten eines Phäochromozytoms in der Schwangerschaft, das differenzialdiagnostisch nicht mit einer Eklampsie verwechselt werden darf. Insgesamt liegt die mütterliche Mortalität zwischen 45 und 50%, hingegen zwischen 15 und 20% in der Gruppe der Schwangeren, bei denen die korrekte Diagnose vor der Geburt gestellt wurde. Die fetale Mortalität lag bei 55%, wobei zwar die Prognose durch korrekte Diagnosestellung für die Mutter deutlich verbessert wird, sich für den Fetus allerdings kaum auswirkt. Diese Assoziation bedeutet daher sowohl für Mutter wie für den Fetus ein außergewöhnlich hohes Risiko, sodass ein rasches Einschreiten unbedingt notwendig ist. Sofort bei Diagnosestellung sollten
344
4
Kapitel 4 · Nebennieren
α-Rezeptorenblocker nach oben geschildertem Vorgehen eingesetzt werden. Der Tumor sollte während des 1. bis 2. Trimenons unmittelbar nach adäquater Vorbehandlung operativ entfernt werden. Ein spontaner Abort ist bei diesem Vorgehen sehr unwahrscheinlich, muss unter Berücksichtigung des mütterlichen Risikos aber in Kauf genommen werden. Im dritten Trimenon kann die Patientin mit α-Rezeptorenblockern längerfristig behandelt werden. Sie muss so lange sorgfältig beobachtet werden, bis eine Überlebenswahrscheinlichkeit des dann Frühgeborenen besteht. Innerhalb einer Sitzung können dann eine Sectio caesarea und die Tumorentfernung erfolgen. In Notfallsituationen wie bei nicht kontrollierbarer Hypertonie oder Blutung muss eine sofortige Tumorentfernung erfolgen. 4.4.3.2.6 Nachsorge und Prognose Hinsichtlich der Langzeitprognose kann man davon ausgehen, dass die 5-Jahres-Überlebensrate bei einem benignen Phäochromozytom ungefähr bei 95% und bei einem malignen Phäochromozytom etwa bei 45% liegt. Entscheidend dafür sind die Klassifikation des Phäochromozytoms und das postoperative Blutdruckverhalten. Der Blutdruck normalisiert sich in etwa 70% der Fälle, wobei die Patienten mit einer präoperativ nur intermittierenden Hypertonie hier eine offensichtlich bessere Prognose aufweisen. Eine systematische Nachsorge ist von größter Bedeutung; dies gilt vor allem wegen der Rezidivgefahr des sporadischen Phäochromozytoms, des familiär gehäuften Auftreten dieses Tumors und weiterhin erhöhter Blutdruckwerte. Dies Nachsorgeuntersuchungen müssen daher regelmäßig durchgeführt werden, postoperativ in einem Abstand von 3–6 Monaten und dann zumindest einmal jährlich. Basisprogramm sind hierbei Blutdruckkontrolle, Katecholamine im 24-h-Urin und Abdomensonographie. Literatur Averbuch SD, Steakley CS, Young RC, Gelmann EP, Goldstein OS, Stull R, Keiser HR (1988) Malignant pheochromocytoma: effective treatment with a combination of cyclophosphamide, vincristine and dacarbazine. Ann Intern Med 109:267–273 Brauckhoff M, Gimm O, Dralle H (2004) Preoperative and surgical therapy in sporadic and familial pheochromocytoma. Front Horm Res 31:121– 144 Kopf D, Bockisch A, Steiner H, Hahn K, Beyer J, Neumann HPH, Hensen J, Lehnert H (1997) Octreotide scintigraphy and catecholamine response to an octreotide challenge in malignant pheochromocytoma. Clin Endocr 46:39–44 Lehnert H, Mundschenk J, Hahn K (2004) Malignant pheochromocytoma. Front Horm Res 31:155–162 Lehnert H, Schulz C, Mundschenk J, Kopf D (1997) Klinik und endokrine Diagnostik des Phäochromozytoms. Zbl Chir 122:444–453 Mulligan LM, Eng C, Healey CS, Clayton D, Kwok JB, Gardne E, Ponder MA, Frilling A, Jackson CE, Lehnert H, Neumann HPH, Thibodeau SN, Ponder BAJ (1994) Specific mutations of the TET proto-oncogene are related to disease phenotype in MEN 2A and FMTC. Nature Genet 6:70–74
4.4.4 Primärer Hyperaldosteronismus
H. Dralle, O. Gimm, A. Machens ) ) Das Syndrom des primären Hyperaldosteronismus (PHA) wurde erstmals von Conn 1955 beschrieben. Aufgrund neuerer Untersuchungen ist davon auszugehen, dass bei etwa 10% der Patienten mit vermuteter essenzieller Hypertonie ein potenziell kurativ behandelbarer PHA vorliegt. Die Ursache der in den letzten Jahren zunehmenden Inzidenz des PHA liegt in der verbesserten biochemischen Diagnostik, vor allem aber in der Erkenntnis, dass sehr häufig keine Hypokaliämie, sondern Normokaliämie besteht. Auch eine normale Aldosteronkonzentration schließt einen PHA nicht aus (Gordon et al. 2001). Hypertensive Patienten mit Normokaliämie sollten daher einer gezielten PHA-Diagnostik unterzogen werden. Rund 70–90% der Patienten können durch eine Entfernung des zugrundeliegenden Adenoms vom Hypertonus geheilt werden. Da neben der Adenomerkrankung auch mikro- und makronoduläreFormendesprimärenAldosteronismusvorkommenkönnen, die in der Regel beidseitig bestehen und hinsichtlich des Hypertonus durch eine Operation meist nicht geheilt werden, kommt der präoperativen Differenzierung der jeweils vorliegenden Form des Aldosteronismus entscheidende Bedeutung in der Therapieplanung einer konservativen bzw. operativen Behandlung zu. Das Conn-Adenom ist heute eine der Hauptindikationen bei Nebennierenerkrankungen für ein minimalinvasives Vorgehen.
4.4.4.1 Ätiologie Häufigste Ursache des Conn-Syndroms ist ein unilaterales aldosteronproduzierendes Nebennierenrindenadenom (insgesamt ca. 50–70%), extrem selten ein aldosteronproduzierendes Nebennierenrindenkarzinom (Ludvik et al. 1993). In ca. 20–40% der Fälle liegt dem primären Aldosteronismus eine mikronoduläre Hyperplasie der Zona glomerulosa (sog. idiopathischer primärer Aldosteronismus, IHA, ca. 20–40%), eine primäre makronoduläre Hyperplasie (PMH, 1–5%), oder ein Glukokortikoid-supprimierbarer Hyperaldosteronismus (GSH, 1–5%) zugrunde (. Tab. 4.10; Oelkers et al. 1993).
. Tab. 4.10. Klinische Formen des primären Hyperaldosteronismus. (Modifiziert nach Einteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie; Lehnert et al. 2003)
Häufigkeit (%) Unilaterales Adenom (Angiotensin-II-unabhängig bzw. -abhängig)
50–70
Bilaterale mikronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie (sog. idiopathischer PHA, IHA)
20–40
Uni- oder bilaterale primäre makronoduläre Hyperplasie (PMH)
5
Glukokortikoid (Dexamethason)-supprimierbarer PHA (GSH)
5
Aldosteronproduzierendes Karzinom
<5
345 4.4 · Nebennierentumoren
4.4.4.2 Klinische Symptomatik Die führenden, aber nicht immer gleichzeitig vorhandenen Symptome des primären Hyperaldosteronismus – Hypertension und Hypokaliämie – sind Folge einer erhöhten adrenalen Sekretion von Aldosteron und konsekutiver Suppression der Plasmareninaktivität (PRA). Beim sekundären Aldosteronismus sind sowohl Aldosteron als auch PRA erhöht. Die anderen charakteristischen Symptome des primären Aldosteronismus (muskuläre Schwäche und Krämpfe, intermittierende Lähmungen, Kopfschmerzen, Polydipsie, Polyurie, Nykturie) sind überwiegend Folge der Hypokaliämie. Am häufigsten sind Frauen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr betroffen. Selten können Aldosteronome auch im Rahmen einer MEN-1-Erkrankung vorkommen (Beckers et al. 1992). 4.4.4.3 Diagnostik Der PHA stellt ein Syndrom dar, unter dem sich verschiedene pathophysiologisch zu differenzierende Entitäten verbergen. Der internistisch-endokrinologische Part der Diagnostik besteht daher zunächst im biochemischen Nachweis der Erkrankung und anschließend in der Differenzierung der verschiedenen Subtypen des PHA. Zur Therapieentscheidung über eine medikamentöse oder operative Behandlung ist im zweiten Schritt eine eingriffsorientierte Diagnostik erforderlich, die zum Ziel hat, unilaterale von bilateralen Erkrankungen zu differenzieren.
Der unilaterale PHA (Adenom) stellt die Hauptindikation zur operativen Behandlung dar, beim bilateralen PHA (Hyperplasie) wird in der Regel eine medikamentöse Therapie durchgeführt (mögliche Ausnahme: asymmetrische bilaterale Hyperplasie).
Indikationen zur Diagnostik. Da die meisten Patienten mit An-
tihypertensiva behandelt werden, die selbst eine Hypokaliämie verursachen können bzw. die Renin-Aldosteron-Regulation beeinflussen, sollten diese Medikamente (Diuretika, Spironolacton, ACE-Hemmer) vor Einleitung weiterer diagnostischer Maßnahmen zunächst abgesetzt werden (Spirinolacton 6 Wochen, die anderen Diuretika 2 Wochen). Bei Plasmakaliumwerten unter 3,6 mmol/l ist in jedem Fall eine Aldosteronismusdiagnostik angezeigt, bei klinischem Verdacht oder zum Ausschluss bzw. Nachweis eines Conn-Syndroms bei schwerer Hypertonie auch bei weniger oder nicht erniedrigtem Serumkalium. Biochemische Diagnostik. In den letzten Jahren hat sich zum
Nachweis eines PHA als sensitivster biochemischer Test hypertensiver Patienten die Bestimmung des Aldosteron/Plasmareninaktivitäts-Quotienten herausgestellt. Hiermit können vor allem Frühformen des PHA, bei denen Serumaldosteron nicht erhöht und Serumkalium (noch) nicht erniedrigt sind, erkannt werden (Gordon et al. 2001). Die Erhöhung des Blutdruckes ist immer das erste klinische Zeichen eines PHA, da eine zusätzlich zur normalen Aldosteronsekretion erfolgende Aldosteronsekretion über eine Salzretention und Volumenexpansion als erstes zur Blutdruckerhöhung führt. In dieser frühen Phase des PHA befinden sich Aldosteron und Plasmareninaktivität (PRA) noch innerhalb ihrer Normbereiche, der Quotient zwischen beiden ist allerdings bereits verändert. Erst wenn das supprimierte Renin nicht weiter supprimiert werden kann, steigt der Aldosteronspiegel an.
4
Das Auftreten einer Hypokaliämie erfolgt relativ spät und hängt außerdem von zahlreichen Einflussfaktoren ab (ernährungsbedingte Kalium- und Natriumaufnahme, Funktion der distalen Tubuli und andere). Die Diagnose eines PHA durch Bestimmung des Aldosteron/PRA-Quotienten wird durch den FludrokortisonSuppressionstest bestätigt (Gorden et al. 2001). Differenzialdiagnostik zwischen unilateralem und bilateralem PHA. Die anschließend erforderliche Differenzialdiagnostik hat
das Ziel, diejenigen Patienten von einer Operationsempfehlung auszuschließen, die voraussichtlich von einer Operation hinsichtlich der Beseitigung des Hypertonus nicht profitieren. Dazu dienen der Orthostasetest und die Lateralisation des PHA durch selektiven Stufenkatheter. Orthostasetest. Bei diesem Test werden nach Bettruhe ab Mit-
ternacht am folgenden Morgen um 08.00 Uhr Serumaldosteron, PRA und (fakultativ) 18-Hydroxykortikosteron (18-OH-B) bestimmt. Anschließend soll der Patient 3 h herumlaufen, um 11.00 Uhr erfolgt im Sitzen eine erneute Blutabnahme. Die Treffsicherheit dieses Tests liegt bei ca. 85% (Young et al. 1990). Im Gegensatz zu Gesunden, aber auch zu Patienten mit bilateraler Hyperplasie oder Angiotensin (A)-II-abhängigem PHA, bei denen Serumaldosteron, PRA und 18-OH-B nach Orthostase um ca. 50–200% ansteigen, steigt beim klassischen A-II-unabhängigen PHA PRA nur minimal an, Serumaldosteron und 18-OH-B fallen ab oder ändern sich nicht. Da sich A-II-abhängige Conn-Adenome, die ebenso wie klassische A-II-unabhängige Conn-Adenome durch eine Operation gut behandelbar sind, im Orthostasetest wie bilaterale Hyperplasien verhalten, profitieren vor allem diese Patienten von einer weiterführenden Lokalisationsdiagnostik. Der Anteil A-II-abhängiger Formen des Conn-Adenoms wird heute mit ca. 50% angegeben (Gordon et al. 2001). Lokalisationsdiagnostik. Trotz der gestiegenen Sensitivität der Computertomographie neuerer Generation (80–90%), die Tumoren bis zu 1–2 cm Größe erkennt (Doppman et al. 1992; Young et al. 1990), können mit Hilfe der Schnittbildverfahren mikronoduläre Formen des PHA, unilateral oder bilateral, nicht detektiert werden. Der CT entgehen damit die kleinen ConnAdenome, deren Anteil im Operationsgut heute bis zu 50% der Conn-Adenome beträgt (Gordon et al. 2001). Darüber hinaus hat die CT den Nachteil, dass hormoninaktive Nebennierenrindentumoren als Conn-Adenome missinterpretiert werden und damit u. U. die nicht Aldosteron-überproduzierende Nebenniere entfernt wird. Daher sollte generell zusätzlich zur CT eine funktionelle Seitendifferenzierung durch selektive Stufenkatheterisierung durchgeführt werden. Die Erfolgsrate korrekter Nebennierenvenen (NNV) Kanülierungen liegt in erfahrenen Zentren bei 90% (Gordon et al. 2001). Eine erfolgreiche Kanülierung der NNV ist gegeben, wenn der Kortisolgradient NNV-peripher 3,0 beträgt. Durch Substanzverdünnungen infolge von Beimischungen nicht-adrenalen venösen Blutes wird der Aldosteron/Kortisol-Quotient (ACQ) für jede Probe berechnet.
Der Befund einer positiven Lateralisation ist gegeben, wenn der ACQ einer Seite signifikant höher ist als peripher und an der anderen Nebennierenseite.
346
4
Kapitel 4 · Nebennieren
4.4.4.4 Operative Therapie 4.4.4.4.1 Präoperative medikamentöse Vorbehandlung Bei schwerer Hypokaliämie ist präoperativ eine u. U. mehrwöchige Vorbehandlung mit dem Aldosteronrezeptorantagonisten Spironolacton (200–400 mg/Tag) erforderlich. Dies korrigiert die Hypokaliämie und reaktiviert das Renin-Angiotensin-System. Manchmal ist die zusätzliche Gabe von Kalium und weiteren Antihypertensiva angezeigt. Bei intolerablen Nebenwirkungen von Spironolacton kann mit Trilostan, einem Steroidbiosynthesehemmer, therapiert werden (Stimpel et al. 1986; Stimpel 1992). 4.4.4.4.2 Patientenaufklärung Da heute das Standardverfahren beim Conn-Syndrom die laparoskopische oder, im eigenen Vorgehen bevorzugt, retroperitoneoskopische Adrenalektomie ist, steht die Aufklärung über diese technischen Verfahren einschließlich der möglichen Gründe und Komplikationen für eine erforderliche Konversion zum offenen Vorgehen im Vordergrund der Patienteninformation. Die eingriffsbedingte Morbidität laparoskopischer bzw. retroperitoneoskopischer Adrenalektomien beim Conn-Syndrom ist gering (z. B. <1% Porthernien, Null- bzw. Nahe-Null-Mortalität, n=179, Gordon et al. 2001). Seltene gravierende Komplikationen sind wie bei der offenen Adrenalektomie Milzblutungen mit potenziellem Milzverlust und postoperative Pankreatitis mit entsprechenden Krankheitsfolgen (Fistel, Pseudozyste). Da trotz exakter präoperativer Diagnostik bei einem Teil der Patienten eine persistierende postoperative behandlungspflichtige Hypertension resultiert (10–30%; Wheeler u. Harris 2003), ist über diesen Umstand aufzuklären. Die wesentlichen Risikofaktoren für die Per-
sistenz des Hypertonus nach Adrenalektomie sind Geschlecht (Männer), Alter (>40–50 Jahre), Dauer des Hypertonus, Blutdruck zum Diagnosezeitpunkt, das Vorliegen einer mikronodulären Hyperplasie und persistierender Hypertonus bei Entlassung (Dunn u. Fardon 1993; Favia et al. 1992; Grant et al. 1984; Ito et al. 1990; Lo et al. 1996; Obara et al. 1997). 4.4.4.4.3 Verfahrenswahl Aufgrund der Rarität maligner Aldosteronome ist eine totale unilaterale Adrenalektomie nur dann erforderlich, wenn prä- oder intraoperativ eine multilokuläre adrenokortikale Erkrankungsform oder Malignität nachgewiesen werden konnte. Bei einem typischen solitären Adenom mit unauffälliger Restnebenniere ist eine subtotale Adrenalektomie ausreichend. Die subtotale Adrenalektomie erfordert eine sorgfältige, durchblutungsschonende Freilegung der gesamten Nebenniere. Eine Indikation zur bilateral-totalen Adrenalektomie ist beim primären Aldosteronismus nicht gegeben, da auch durch sie eine Korrektur der Hypertension nicht zu erwarten ist. . Abb. 4.52 zeigt den Therapiealgorithmus beim PHA. Funktionserhaltende bilaterale Adrenalektomie. Mögliche Indikationen zu einer funktionserhaltenen bilateralen Adrenalektomie (einseitige Adrenalektomie plus subtotale Adrenalektomie der Gegenseite) sind: 4 Unilaterales Conn-Syndrom mit kontralateral adrenalem, nicht-funktionellem Adenom 4 Bilaterales Conn-Sydrom mit asymmetrischer Hypersekretion
Anamnese Hypertonie
Serumaldosteron-PRA-Quotient Fludrokortison-Suppressionstest
Orthostasetest
Lokalisationsdiagnostik: CT/MRT und selektiver Venenkatheter
unilateraler primärer Hyperaldosteronismus
bilateraler primärer Hyperaldosteronismus
ohne kontralateralen Nebennierentumor
mit kontralateralem Nebennierentumor
asymmetrische Hyperplasie
symmetrische Hyperplasie
ipsilaterale Adrenalektomie (subtotal oder total)
ipsilaterale totale plus kontralaterale subtotale Adrenalektomie (einzeitig oder zweizeitig)
synchrone unilaterale totale (befunddominante Seite) plus kontralaterale subtotale Adrenalektomie (einzeitig oder zweizeitig) oder: antihypertensive medikamentöse Dauertherapie
antihypertensive medikamentöse Dauertherapie
. Abb. 4.52. Therapiealgorithmus beim primären Hyperaldosteronismus
347 4.4 · Nebennierentumoren
Beide Diagnosen setzen zwangsläufig eine venöse Stufenkatheterisierung mit Bestimmung des ACQ voraus. Beim PHA mit asymmetrischer bilateraler Hyperplasie ist u. U. empfehlenswert, zunächst die befunddominante Seite total zu adrenalektomieren und in Abhängigkeit vom Therapieerfolg bzw. den noch bestehenden Nebenwirkungen einer reduzierten antihypertensiven Therapie mit Spironolacton (Gynäkomastie, Mastodynie, Libidoabnahme, Zyklusstörungen) (alternativ: Amilorid, Triamteren, Kalziumantagonisten) dann zweizeitig eine subtotale Adrenalektomie der Gegenseite vorzunehmen. 4.4.4.4.4 Verlaufskontrolle und Nachsorge Aus chirurgischer Sicht wird die kurz- und langfristige Prognose des Hypertonus und der Korrektur des gestörten Aldosteronmetabolismus ganz wesentlich von der morphologisch funktionellen Form des PHA bestimmt. Während beim unifokalen bzw. unilateralen PHA mit einer schnellen (innerhalb der ersten postoperativen Woche) und dauerhaften Normalisierung des Blutdrucks in über 70% gerechnet werden kann, nimmt die Normalisierung des Blutdrucks bei Patienten mit bilateraler Erkrankung meist längere Zeit in Anspruch, u. U. bis zu einem Jahr (Dunn u. Farndon 1993; Favia et al. 1992; Grant et al. 1984; Groth et al. 1985; Ito et al. 1990; Lo et al. 1996) und die Rate persistierender Hypertonien ist wesentlich höher (40–80%). Art und Intensität der Verlaufskontrollen richten sich daher vor allem nach der aus diesen Befunden resultierenden individuellen Prognosebeurteilung, die Nachbehandlung nach den Ergebnissen der Verlaufskontrolle. Literatur Beckers A, Abs R, Willems PJ, Van der Auwera B, Kovacs K, Reznik M, Stevenaert A (1992) Aldosterone-secreting adrenal adenoma as part of multiple endocrine neoplasia type 1 (MEN 1): loss of heterozygosity for polymorphic chromosome 11 deoxyribonucleic acid markers, including the MEN 1 locus. J Clin Endocrinol Metab 75: 564–570 Conn JW (1955) Primary aldosteronism, a new clinical syndrome. J Lab Clin Med 45:3–17 Doppman JL, Gill JR jr., Miller DL et al. (1992) Distinction between hyperaldosteronism due to bilateral hyperplasia and unilateral aldosteronoma: reliability of CT. Radiology 184:677–682 Dunn JM, Farndon JR (1993) Hyperaldosteronism. Acta Chir Austriaca 25:209–211 Favia G, Lumachi F, Scarpa V, D’Amico DF (1992) Adrenalectomy in primary aldosteronism: a long-term follow-up study in 52 patients. World J Surg 16:680–684 Gordon RD, Stowasser M, Rutherford JC (2001) Primary aldosteronism: are we diagnosing and operating on too few patients? World J Surg 25:941–947 Grant CS, Carpenter P, Van Heerden JA, Hamberger B (1984) Primary aldosteronism. Clinical management. Arch Surg 119:85–590 Groth H, Vetter W, Stimpel M, Greminger P, Tenschert W, Klaiber E, Vetter H (1985) Adrenalectomy in primary aldosteronism: a long-term followup study. Cardiology 72/1:107–116 Ito Y, Fujimoto Y, Obarat T, Kodama T (1990) Clinical significance of associated lesions of the adrenal in patients with aldosteronoma. World J Surg 14:330–334 Lehnert H, Allolio B, Buhr HJ, Hahn K, Mann B, Mohnike K, Weiss M (2003) Nebenniere. In: Lehnert H und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (Hrsg): Rationelle Diagnostik und Therapie in Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart, S 137–177 Lo CY, Tam PC, Kung AWC, Lam KST, Wong J (1996) Primary aldosteronism. Results of surgical treatment. Ann Surg 224:125–130
4
Ludvik B, Niederle B, Roka R, Längle F, Neuhold N, Templ M, Schernthaner G (1993) Isolated primary aldosteronism in adrenocortical carcinoma: a cese report and review of the literature. Acta Chir Austriaca 25:212– 216 Obara T, Ito Y, Fujimoto Y (1997) Hyperaldosteronism. In: Clark OH, Duh QY (eds) Textbook of Endocrine Surgery. Saunders, Philadelphia, 483– 489 Oelkers W, Dörr HG, Fehm HL, Müller OA (1993) Nebennierenrinde. In: Ziegler R, Pickardt CR, Willig RP (Hrsg) Rationelle Diagnostik in der Endokrinologie. Thieme, Stuttgart, S 148–151 Stimpel M (1992) Therapie des primären Aldosteronismus. Dtsch Med Wschr 117:947–949 Stimpel M, Dralle H, von zur Mühlen A (1986) Therapie des primären Aldosteronismus. Dtsch Med Wschr 11:1487–1488 Wheeler MH, Harris DA (2003) Diagnosis and management of primary aldosteronism. World J Surg 27:627–631 Young WF jr, Hogan MJ, Klee GG, Grant CS, Van Herden JA (1990) Primary aldosteronism: diagnosis and treatment. Mayo Clin Proc 65:96–110
4.4.5
Adrenales Cushing-Syndrom
4.4.5.1 Diagnostik
B. Allolio ) ) Das adrenale Cushing-Syndrom ist selten und entsteht meist als Manifestation eines benignen adrenalen Adenoms oder eines Nebennierenrindenkarzinoms. Weitere Ursachen sind die mikronoduläre und die makronoduläre bilaterale Hyperplasie. Klinisch im Vordergrund stehen die typischen Symptome des CushingSyndroms mit stammbetonter Adipositas, charakteristischen Hautveränderungen, Myopathie, arterieller Hypertonie und Zyklusstörungen. Ist das Cushing-Syndrom biochemisch nachgewiesen, so gelingt der Beweis des adrenalen Ursprungs durch den Nachweis, dass das Plasma-ACTH supprimiert ist und nicht durch CRH stimuliert werden kann. Die Computertomographie erlaubt die Differenzierung zwischen einseitiger und bilateraler Erkrankung. Bei einseitigem Adenom oder Karzinom besteht die Therapie des Cushing-Syndroms in der unilateralen Adrenalektomie, die primären adrenalen Hyperplasien erfordern die bilaterale Adrenalektomie mit lebenslanger konsekutiver Substitutionsbehandlung mit Glukokortikoiden und Mineralokortikoiden.
4.4.5.1.1 Epidemiologie und Klassifikation Das endogene Cushing-Syndrom ist mit einer Inzidenz von 1:100.000 bis 1:500.000 selten. In den meisten Fällen liegt ein ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom vor (85% der Fälle), das wiederum am häufigsten durch ein ACTH-sezernierendes Hypophysenadenom ausgelöst wird (Morbus Cushing), während das ektope ACTH-Syndrom seltener ist. Das adrenale Cushing-Syndrom ist ACTH-unabhängig und stellt 15% der Fälle (Boscaro et al. 2001). Benigne und maligne Nebennierentumoren als Ursache des adrenalen Cushing-Syndroms sind etwa gleich häufig. Seltene Formen des adrenalen ACTH-unabhängigen Cushing-Syndroms sind die mikronoduläre Hyperplasie und die makronoduläre Hyperplasie der Nebennieren. Es handelt sich um bilaterale Erkrankungen unklarer Ätiologie (Malchoff et al. 1996).
348
Kapitel 4 · Nebennieren
Klassifikation des adrenalen Cushing-Syndroms 5 5 5 5
4
Nebennierenrindenadenom Nebennierenrindenkarzinom Bilaterale mikronoduläre Hyperplasie (selten) Bilaterale makronoduläre Hyperplasie (selten)
Nebennierentumoren können in jedem Lebensalter auftreten. Die Altersverteilung ist bimodal mit einem 1. Gipfel im Kindesalter. In diesem Falle liegt meist eine maligne Nebennierenraumforderung vor. Ein 2. Gipfel findet sich in der 5. und 6. Lebensdekade. Frauen sind dann etwas häufiger betroffen. Eine neue klinische Entität ist das präklinische oder subklinische Cushing-Syndrom. Hierunter versteht man einen biochemisch nachweisbaren Glukokortikoidexzess auf dem Boden eines Nebennierenadenoms ohne die typische klinische Symptomatik des Cushing-Syndroms. Aufgrund epidemiologischer Schätzungen ist die Prävalenz des subklinischen Cushing-Syndroms 5- bis 10-mal höher als die des Vollbilds des adrenalen Cushing-Syndroms (Reincke et al. 1992). 4.4.5.1.2 Klinische Symptomatik und Differenzialdiagnose Am Anfang des diagnostischen Prozesses steht der begründete klinische Verdacht.
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist das metabolische Syndrom mit der klinischen Kombination von diffuser Adipositas, arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2. Patienten mit einem Cushing-Syndrom haben zwar häufig ebenfalls diese Symptomtrias und berichten über eine Gewichtszunahme, sind jedoch selten extrem übergewichtig.
Um von einem klinischen Vorverdacht zu einem begründeten Verdacht zu gelangen, der das Einleiten der spezifischen Diagnostik rechtfertigt, muss nach charakteristischeren Symptomen gefahndet werden (. Tab. 4.11; Allolio 1987). Von zentraler Bedeutung ist dabei die Beurteilung der Haut des Patienten. Beim Cushing-Syndrom ist die Haut atrophisch und dünn, oft mit rötlichem Farbton (Rubeosis). Die erhöhte Fragilität führt zu Ekchymosen und breiten (>1 cm), lividen Striae (. Abb. 4.53). Hautin-
. Abb. 4.53. Breite (>1 cm) livide Striae bei einem Patienten mit Cushing-Syndrom
. Tab. 4.11. Klinik des Cushing-Syndroms
Symptome
Häufigkeit (%)
a) Symptome, die einzeln keinen begründeten Verdacht auf das Vorliegen eines Cushing-Syndroms darstellen Adipositas
90
Diabetes mellitus
40–90
Hirsutismus
60–80
Hypertonie
75–85
b) Symptome, die zusammen mit a) zur begründeten Verdachtsdiagnose »Cushing-Syndrom« führen Hautveränderungen (Hautatrophie)
100
Rubeosis, Plethora, Ekchymosen, livide Striae, Akne, (Hautinfektionen), stammbetonte Fettgewebsverteilung
80–100
Myopathie
30–90
Zyklusstörungen, Impotenz
55–80
Osteoporose
40–50
Psychische Auffälligkeiten
30–85
Hypokaliämie
10
fektionen, insbesondere Candidainfektionen in Umschlagsfalten, sind häufig. Der Androgenexzess begünstigt die Entwicklung von Akne und Hirsutismus. Weitere typische Hinweise sind die auffällige Fettgewebeumverteilung mit stammbetonter Adipositas, Büffelnacken und Facies lunata bei auffallend schlanken Extremitäten. Die Symptome der Myopathie müssen grundsätzlich erfragt werden. Die Muskelschwäche betrifft besonders die proximale Muskulatur der unteren Extremität. Die Patienten berichten über Muskelermüdung beim Treppensteigen und können sich häufig nicht ohne Hilfe aus der Hocke aufrichten. Weitere richtungsweisende Symptome sind psychische Auffälligkeiten, Zyklusstörungen bei Frauen und Potenzprobleme. Im Gegensatz dazu haben Patienten mit metabolischem Syndrom in aller Regel eine kräftige Haut und eine überdurchschnittlich kräftige Muskulatur. Nicht selten besteht bei Diagnosestellung eine manifeste Osteoporose mit Spontanfrakturen der Rippen und Kompressionsfrakturen einzelner Wirbelkörper, sodass die Patienten über Rückenschmerzen klagen. In seltenen Fällen steht die Osteoporose klinisch ganz im Vordergrund. Kardiovaskuläre Komplikationen sind bei Patienten mit CushingSyndrom häufig. Die arterielle Hypertonie in Verbindung mit einer sich offenbar rascher entwickelnden Arteriosklerose begünstigt das Auftreten entsprechender Komplikationen. In manchen Patientenserien ist eine hohe Inzidenz von Herzinsuffizienz berichtet worden (Ross et al. 1966). Bei Patienten mit mikronodulärer bilateraler Hyperplasie der Nebenniere kann die Familienanamnese positiv sein. Außerdem ist diese Erkrankung nicht selten kombiniert mit anderen Tumoren wie wachstumshormonproduzierenden Hypophysenadenomen, Hodentumoren und Vorhofmyxomen (Carney-Kom-
4
349 4.4 · Nebennierentumoren
. Abb. 4.54. Stufendiagnostik beim adrenalen Cushing-Syndrom
Dexamethason-Hemmtest freies Kortisol-im 24-h-Urin (Kortisol-Tagesrhythmik)
„normale“ Nebennierenmorphologie
mikronoduläre. „pigmentierte“ Nebennierenhyperplasie (< 0,1%)
Ausschluss CushingSyndrom
plex; Carney 1995). Charakteristisch sind auch periorale Lentigines (»Sommersprossen«). Die Erkrankung manifestiert sich überwiegend im Kindesalter oder bei jungen Erwachsenen bei langsamer Progredienz.
sich an der Grenze des Tagesbedarfs des Patienten befindet, findet sich häufig ein basal niedriges Plasma-ACTH, das nach Verabreichung von CRH einen subnormalen Anstieg aufweist.
4.4.5.1.3 Endokrine Funktionsdiagnostik Ein Flussdiagramm zur endokrinen Funktionsdiagnostik beim adrenalen Cushing-Syndrom ist in . Abb. 4.54 dargestellt. Die Diagnosesicherung erfolgt in erster Linie mit dem Dexamethasonhemmtest und der Messung des freien Kortisols im 24-hUrin, ggf. ergänzt durch die Analyse des Kortisoltagesprofils (7 Kap. 4.4.1). Ist die Diagnose des Cushing-Syndroms sicher, so erfolgt der Nachweis, dass ein ACTH-unabhängiges CushingSyndrom vorliegt. Dies geschieht am besten mit dem CRH-Test, da im Rahmen dieser Diagnostik mehrere ACTH-Messungen auch unter Stimulation der Hypophyse gewonnen werden. Beim Vollbild des adrenalen Cushing-Syndroms ist das Plasma-ACTH vollständig supprimiert und steigt auch unter Stimulation mit CRH nicht an. Entsprechend findet sich auch kein Anstieg des Serumkortisols nach Stimulation mit CRH. Beim subklinischen Cushing-Syndrom mit einer autonomen Kortisolproduktion, die
Die Suppression der ACTH-Antwort nach CRH-Stimulation ist ein Maß für die Suppression des paraadenomatösen und des kontralateralen Nebennierenrindengewebes: Bei vollständiger Suppression der ACTH-Sekretion im CRH-Test muss von einer Atrophie des gesunden Nebennierengewebes ausgegangen werden.
Eine weitergehende endokrine Funktionsdiagnostik ist in der Regel nicht notwendig. Erfahrungsgemäß besteht aber eine diagnostische Unsicherheit bei der bilateralen ACTH-unabhängigen Hyperplasie. Wiederholte ACTH-Messungen können erforderlich werden, um definitiv die ACTH-Unabhängigkeit zu etablieren. Charakteristischerweise reagiert die Kortisolsekretion bei mikronodulärer Hyperplasie nicht auf exogenes ACTH. Ein fehlender Kortisolanstieg im ACTH-Kurztest (250 μg ACTH1–24
350
4
Kapitel 4 · Nebennieren
i.v.) kann daher als weiterer Hinweis auf eine mikronoduläre Hyperplasie gewertet werden. Im Gegensatz dazu findet sich bei der makronodulären Hyperplasie in der überwiegenden Zahl der Fälle eine kräftige Antwort des Kortisols auf das exogene ACTH (Findlay et al. 1993; Strohm et al. 1994). In seltenen Fällen ist die Kortisolsekretion nahrungsabhängig durch die adrenale Expression von Rezeptoren für das gastrische inhibitorische Polypeptid (GIP), aber auch andere ektope Rezeptoren sind sowohl bei der bilateralen Hyperplasie als auch bei einseitigen Adenomen nachgewiesen worden: ß-Rezeptoren, Rezeptoren für Vasopressin und Serotonin (Lacroix et al. 2004). Nebennierenrindenadenome und Nebennierenrindenkarzinome zeigen eine variable Antwort auf die exogene Zufuhr von ACTH im ACTH-Kurztest: Bei Karzinomen liegt meist eine fehlende oder subnormale Antwort vor, während einzelne Adenome einen normalen Kortisolanstieg zeigen. Bei mikronodulärer bilateraler Hyperplasie kann in Ausnahmefällen eine bilaterale Nebennierenvenenkatheterisierung sinnvoll sein. Mit dieser Technik lässt sich zweifelsfrei nachweisen, dass beide Nebennieren am Glukokortikoidexzess beteiligt sind. Darüber hinaus liegt nicht selten eine Asymmetrie der Kortisolproduktion vor, sodass im Einzelfall eine langfristige Remission des Cushing-Syndroms durch unilaterale Adrenalektomie der dominierend betroffenen Nebenniere erreicht werden kann. Da in der Regel eine bilaterale Adrenalektomie bei dieser Störung empfohlen wird, bleibt die Katheterisierung nur schwierigen Ausnahmefällen vorbehalten. 4.4.5.1.4 Bildgebende Diagnostik Beim adrenalen Cushing-Syndrom auf dem Boden eines benignen Nebennierenrindenadenoms oder eines Nebennierenrindenkarzinoms gelingt der Nachweis der Raumforderung fast immer mit allen bildgebenden Verfahren. Adenome erscheinen in der Sonographie als echoarme glatt begrenzte Raumforderungen, die sich insbesondere auf der rechten Seite durch das Leberschallfenster kraniomedial von der Niere sehr gut darstellen lassen. Auf der linken Seite kann der Adenomnachweis im Einzelfall schwierig sein. Karzinome haben meist einen Durchmesser von über 6 cm mit variabler, meist echokomplexer Struktur. Die Bildgebungsmethode der Wahl ist die Computertomographie. Durch die hervorragende Auflösung (z. B. Spiral-CT) leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur Differenzialdiagnose des adrenalen Cushing-Syndroms. Adenome und Karzinome lassen sich ausnahmslos darstellen und häufig durch Größe, Morphologie und Hounsfield-Einheiten als benigne bzw. maligne charakterisieren (Fassnacht et al. 2004). Darüber hinaus können mit dieser Methode bereits Hinweise auf die Atrophie der kontralateralen Nebenniere gewonnen werden. Bei der mikronodulären Hyperplasie sind die Nebennieren nicht oder nur wenig beidseits vergrößert. Die Mikronoduli lassen sich in der Bildgebung (mit Ausnahme der Endosonographie) nicht nachweisen. Im Gegensatz dazu zeigt die bilaterale makronoduläre Hyperplasie eine beidseitige z. T. groteske Vergrößerung beider Nebennieren mit multiplen Knoten, die zu einem charakteristischen Bild führen (. Abb. 4.55). Die Durchführung einer Kernspintomographie ist meist nicht erforderlich. Sie kann herangezogen werden, um im Einzelfall einen Hinweis auf die Dignität größerer unilateraler Tumoren zu gewinnen. Die Signalintensität in den T2-gewichteten Bildern, das Verhalten nach Kontrastmittelgabe und die »Chemical-
. Abb. 4.55. ACTH-unabhängige bilaterale makronoduläre Hyperplasie der Nebennieren
shift«-Analyse erlauben in Verbindung mit der Morphologie eine weitgehend zuverlässige Dignitätsbeurteilung. Maligne Raumforderungen zeigen typischerweise eine hohe Intensität im T2gewichteten Bild im Vergleich zur Leber, nach Kontrastmittel kommt es zu einem starken Enhancement und zu einem langsamen Auswaschen des Kontrastmittels. Benigne Tumoren mit hohem Fettgehalt zeigen typischerweise einen Verlust der Signalintensität im Vergleich zur Leber in der »Chemical-shift«Charakterisierung (Fassnacht et al. 2004). Die Nebennierenszintigraphie spielt in der Diagnostik des adrenalen Cushing-Syndroms keine Rolle. Literatur Allolio B (1987) Diagnostik beim Cushing-Syndrom. Therapiewoche 37:3068–3074 Boscaro M, Barzon L,Fallo F, Sonino N (2001) Cushing’s syndrome. Lancet 357:783–791 Carney JA (1995) The carney complex (myxomas, spotty pigmentation, endocrine overactivity and schwannomas). Dermatol Clin 13:19–26 Fassnacht M, Kenn W, Allolio B (2004) Adrenal tumors: how to establish malignancy. J Endocrinol Invest 27:387–399 Findlay JC, Sheeler LR, Engeland WC et al. (1993) Familial adrenocorticotropin-independent Cushing’s syndrome with bilateral macronodular adrenal hyperplasia. J Clin Endocrinol Metab 76:189–191 Lacroix A, Baldacchino V, Bourdeau I, Hamet P, Tremblay J (2004) Cushing’s syndrome variants secondary to aberrant hormone receptors. Trends Endocrinol Metab 15:375–382 Malchoff CD, MacGillivray D, Malchoff DM (1996) Adrenocorticotropic hormone-independent adrenal hyperplasia. Endocrinologist 6:79–85 Reincke M, Nieke J, Krestin GP, Saegeer W, Allolio B, Winkelmann W (1992) Preclinical Cushing’s syndrome in patients with adrenal »incidentalomas«: comparison with adrenal Cushing’s syndrome. J Clin Endocrinol Metab 75:826–832 Ross EJ, Marshall-Jones P, Friedman M (1966) Cushing’s syndrome: diagnostic criteria. Q J Med 35:149–192 Strohm M, Reincke M, Theiss M et al. (1994) Bilaterale massive makronoduläre Nebennierenhyperplasie: Eine seltene Ursache des adrenalen Cushing-Syndrom. Dtsch Med Wochenschr 119:180–184
351 4.4 · Nebennierentumoren
4.4.5.2 Operative Therapie
C. Nies ) ) Das Nebennierenrindenadenom wird durch die Entfernung der betroffenen Nebenniere behandelt, die Nebennierenrindenhyperplasie durch eine vollständige bilaterale Adrenalektomie. Hierfür bieten sich die minimalinvasiven Techniken an. Peri- und postoperativ ist eine Substitution der Glukokortikoide, nach beidseitiger Adrenalektomie, langfristig auch der Mineralokortikoide erforderlich. Die Erholung der Nebennierenfunktion nach Adrenalektomie wegen eines kortisolproduzierenden Adenoms kann mehr als ein Jahr dauern. Nebenniereneingriffe wegen eines Cushing-Syndroms sind mit einer erheblichen Mortalität und Morbidität belastet. Daher ist insbesondere auf eine adäquate Thromboseprophylaxe und eine Antibiotikaprophylaxe zu achten.
4.4.5.2.1 Indikationsstellung Unbehandelt führt das Cushing-Syndrom innerhalb von 5 Jahren bei 50% der Patienten zum Tode (Plotz et al. 1952). Es muss daher immer einer geeigneten Therapie zugeführt werden, die in aller Regel operativ ist. Eine längerfristige medikamentöse Therapie ist nur bei Patienten mit einem inakzeptabel hohen Operationsrisiko zu rechtfertigen. Prinzipiell müssen 3 Ursachen des primär adrenalen (ACTHunabhängigen) Cushing-Syndroms unterschieden werden: 4 Kortisolproduzierende Nebennierenrindenadenome 4 Kortisolproduzierende adrenokortikale Karzinome 4 Verschiedenen Formen der primären nodulären Nebennierenrindenhyperplasie Adrenokortikales Karzinom. 7 Kap. 4.4.8. Nebennierenrindenadenom. Die vollständige Entfernung der betroffenen Nebenniere ist die kausale Therapie des adrenalen Cushing-Syndroms aufgrund eines kortisolbildenden Nebennierenrindenadenoms (. Abb. 4.56). Der Eingriff ist daher bei Patienten mit diesem Krankheitsbild immer indiziert, wenn nicht schwerwiegende andere Erkrankungen einen operativen Eingriff verbieten.
Inzidentalom. Durch eine sorgfältige Hormondiagnostik wurde
in den letzten Jahren bei einer Reihe von Patienten mit zufällig entdeckten Nebennierentumoren (Inzidentalomen) ein subklinisches Cushing-Syndrom diagnostiziert. Diese Patienten zeigen eine fehlende Suppression der Kortisolproduktion im niedrig dosierten Dexamethasonhemmtest, ohne dass es zur Ausbildung eines klinisch erkennbaren Cushing-Syndroms kommt. Bis zu 20% aller Patienten mit einem Inzidentalom der Nebenniere sollen eine solche hormonelle Störung aufweisen (Sippel u. Chen 2004). Bei Patienten mit einem subklinischen Cushing-Syndrom findet man häufiger Begleiterkrankungen wie Hypertonie, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Adipositas als in der Allgemeinbevölkerung (Tauchmanova et al. 2002; Emral et al. 2003). Auch eine verminderte Knochendichte wurde bei diesen Patienten gemessen (Rossi et al. 2000). Eine Hypertonie und die metabolischen Störungen bessern sich nach der Entfernung des ursächlichen Nebennierenadenoms (Rossi et al. 2000). Daher wird die Adrenalektomie bei nachgewiesenem subklinischem Cushing-Syndrom zunehmend empfohlen. Primäre noduläre Nebennierenrindenhyperplasie. Die seltene ACTH-unabhängige primäre Nebennierenrindenhyperplasie wird durch eine vollständige beidseitige Adrenalektomie behandelt. In einem Einzelfall wurde bei einem Patienten mit dieser Erkrankung das Cushing-Syndrom auch nach einer einseitigen Adrenalektomie über mehrere Jahre beherrscht, nachdem in einer präoperativen NP59-Szintigraphie eine starke Anreicherung des Tracers in der später entfernten Nebenniere und nur eine schwache Anreicherung in der gegenseitigen Nebenniere beobachtet worden war (Imai et al. 1996). Hierbei handelt es sich jedoch um eine äußerst seltene Ausnahmesituation.
4.4.5.2.2 Operationsvoraussetzungen Diagnostik. Die Ursache des Cushing-Syndroms muss durch die entsprechende Hormondiagnostik (7 Kap. 4.4.5.1) eindeutig geklärt sein. Die bildgebende Diagnostik dient beim ACTH-unabhängigen Cushing-Syndrom der Differenzierung zwischen einem Adenom und einer beidseitigen Hyperplasie der Nebennierenrinde sowie der Lokalisation des Adenoms. Medikamentöse Vorbehandlung. Das operative Risiko von Patienten mit einem Cushing-Syndrom ist erheblich und wird vielfach unterschätzt. Es ist erforderlich, die metabolischen und kardiovaskulären Störungen dieser Patienten präoperativ so weit wie möglich zu normalisieren. Bei Patienten mit einem schweren Hyperkortisolismus kann eine Vorbehandlung mit Ketoconazol, einem Inhibitor der Steroidsynthese, erwogen werden (Sonino 1987). Für einen therapeutischen Effekt sind 600–900 mg/Tag verteilt auf 3 Einzeldosen erforderlich. In jedem Fall muss präoperativ eine Normalisierung des Elektrolythaushalts erreicht werden. Insbesondere eine Hypokaliämie ist zu beseitigen. Ebenso müssen die bei den meisten Patienten bestehende Hypertonie und die diabetische Stoffwechsellage durch eine entsprechende Medikation kontrolliert werden. Cave Patienten mit einem Cushing-Syndrom haben ein erhöhtes Risiko, im perioperativen Verlauf thromboembolische Komplikationen zu erleiden.
. Abb. 4.56. Nebennierenadenom bei Cushing-Syndrom
4
352
Kapitel 4 · Nebennieren
Die wahrscheinliche Ursache hierfür sind erhöhte Faktor-VIIISpiegel (Sjöberg 1976; Dal Bo Zanon 1982; Favia 1994). Aus diesem Grunde ist eine sorgfältige Thromboseprophylaxe bei diesen Patienten besonders wichtig. Sie sollte präoperativ begonnen werden. Der Hyperkortisolismus prädisponiert die Patienten auch für postoperative Infektionen. Eine perioperative Antibiotikaprophylaxe ist deshalb empfehlenswert.
4
Patientenaufklärung. Der Patient muss präoperativ wissen, dass
es sich bei dem Cushing-Syndrom um eine schwere Erkrankung handelt, dessen operative Behandlung mit einer nicht zu vernachlässigenden Mortalität von ca. 3% verbunden ist. Diese geht jedoch überwiegend zu Lasten der ACTH-abhängigen Krankheitsbilder. Die Adrenalektomie ist eine rein ablative Operation, die nach Entfernung des Präparats keine Rekonstruktion erfordert. Daher besteht aus operationstechnischer Sicht nur das Risiko einer Verletzung von Nachbarorganen, über die die Patienten aufgeklärt werden sollten. Bei der linksseitigen Adrenalektomie sind hier insbesondere das Pankreas und die Milz zu nennen. Unter Umständen kann dies die Entfernung der Milz zur Folge haben. Kolon oder Magenverletzungen sind seltener. Auch eine Verletzung der Niere ist eine seltene Komplikation. Dennoch sollte die Möglichkeit einer Nierenschädigung mit dem Patienten besprochen werden, da eine Verletzung der Nierengefäße möglich ist. Vor Operationen auf der rechten Seite sollten mögliche Verletzungen der Leber, des Duodenums, der Niere und der Nierengefäße sowie der V. cava inferior angesprochen werden. Das oben erwähnte erhöhte Infektions- und Thromboserisiko muss dem Patienten ebenfalls erläutert werden. Schließlich muss dem Patienten erklärt werden, dass eine postoperative Substitutionstherapie erforderlich ist. 4.4.5.2.3 Verfahrenswahl Nachdem anfänglich über gewisse Schwierigkeiten mit der minimalinvasiven Adrenalektomie bei Patienten mit einem CushingSyndrom berichtet wurde (Nies et al. 1995), gilt heute die laparoskopische oder retroperitoneoskopische Adrenalektomie als die Vorgehensweise der Wahl bei Patienten mit einem adrenalen Cushing-Syndrom. Schon bei anderen Eingriffen hatte sich gezeigt, dass übergewichtige Patienten besonders von minimalinvasiven Operationstechniken profitieren (Nies et al. 1994). Das Trauma des chirurgischen Zugangs ist kleiner als bei den konventionellen Techniken, was gerade bei Cushing-Patienten mit einem erhöhten Wundinfektionsrisiko von Vorteil ist. Welche der verschiedenen minimalinvasiven Techniken angewendet wird, hängt von der Erfahrung des Operateurs und den besonderen Umständen des Einzelfalls (transperitoneales Vorgehen nach Voroperationen im Oberbauch schwieriger) ab. In einer vergleichenden Studie an Patienten mit einem CushingSyndrom wurde zwischen der transperitonealen Technik und dem retroperitoneoskopischen Zugang kein wesentlicher Unterschied festgestellt (Fernandez-Cruz et al. 1996). 4.4.5.2.4 Ergebnisse Funktionelle Ergebnisse. Nach einseitiger Adrenalektomie bei Patienten mit einem Nebennierenrindenadenom und beidseitiger Adrenalektomie bei Patienten mit einer bilateralen Nebennierenhyperplasie kann das Cushing-Syndrom sicher und dauerhaft beherrscht werden. Die metabolischen Veränderungen und die Muskelschwäche verschwinden innerhalb weniger Wochen,
während die Normalisierung des Blutdrucks, der Hautveränderungen und des Hirsutismus längere Zeit in Anspruch nimmt. Bis zum vollständigen Verschwinden des Übergewichts und der Fettverteilungsstörung kann ein Jahr vergehen. Krankheitsrezidive sind nach vollständiger beidseitiger Adrenalektomie ausgeschlossen. Verbleiben jedoch kleine Nebennierenreste, so kann hiervon ein Rezidiv ausgehen. Nach unilateraler Adrenalektomie wegen eines Nebennierenrindenadenoms wurde bei 2 Patienten 20 Jahre nach der Operation ein Rezidiv des Cushing-Syndroms aufgrund eines Adenoms in der verbliebenen Nebenniere beschrieben (Imai et al. 1996). Bei diesen Fällen handelt es sich jedoch um absolute Raritäten. Im Gegensatz zur Adrenalektomie beim Morbus Cushing ist nach der Entfernung beider Nebennieren wegen einer bilateralen Nebennierenrindenhyperplasie die Entwicklung eines NelsonSyndroms (7 Kap. 4.4.6) nicht zu befürchten (Imai et al. 1996). Mortalität und Morbidität. Die operationsassoziierte Mortalität wurde nach Eingriffen an den Nebennieren bei Patienten mit einem Cushing-Syndrom noch in den 80er-Jahren mit 5–6% sehr hoch angegeben (Hamberger et al. 1982; Watson et al. 1986). Zumeist waren jedoch Patienten mit einem Morbus Cushing oder einem Nebennierenkarzinom betroffen. Die operativen Ergebnisse haben sich seit den 90er-Jahren deutlich verbessert. So wurde über eine Operationssterblichkeit von <3% berichtet (Sarkar et al. 1990; van Heerden et al. 1995; Daitch et al. 1997). Nebenniereneingriffe bei Patienten mit einem CushingSyndrom sind mit einer erheblichen Morbidität von bis zu 40% verbunden (Watson et al. 1986). In erster Linie handelt es sich um pulmonale Komplikationen und Wundheilungsstörungen. In den letzten Jahren sind auch diesbezüglich deutlich bessere Ergebnisse erzielt worden, sicher auch aufgrund des Einsatzes der minimalinvasiven Operationsverfahren (Mancini et al. 1999; Henry et al. 2000; Walz et al. 2001; Assalia u. Gagner 2004). Langzeitprognose. Das Langzeitüberleben der Patienten wird durch die Möglichkeit einer Addison-Symptomatik bei insuffizienter Steroidsubstitution beeinträchtigt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Patienten mit einem Nebennierenrindenadenom als Ursache ihres Cushing-Syndroms die beste Prognose haben. Ihre Lebenserwartung unterscheidet sich nicht wesentlich von der eines altersentsprechenden, gesunden Vergleichskollektivs, während die Prognose von Patienten nach vollständiger Adrenalektomie wegen einer bilateralen Nebennierenrindenhyperplasie deutlich schlechter ist (Imai et al. 1996).
4.4.5.2.5 Peri- und postoperative Substitutionstherapie Glukokortikoide. In der perioperativen Phase muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Patienten nach Entfernung der betroffenen Nebenniere(n) über keine körpereigene Produktion von Glukokortikoiden mehr verfügen. Dies gilt auch für Patienten mit einem einseitigen Nebennierenrindenadenom, da die gesunde Nebenniere aufgrund des langbestehenden Hyperkortisolismus supprimiert ist. Gerade in einer stressreichen Situation wie einer Operation und in der postoperativen Phase besteht jedoch ein vermehrter Bedarf an Glukokortikoiden. Daher ist eine ausreichende Substitution von Glukokortikoiden perioperativ besonders wichtig. Sie wird nach unilateraler Adrenalektomie ebenso gehandhabt wie nach beidseitiger Adrenalektomie. Man beginnt mit der Substitution intraoperativ und appliziert Hydrokortison kontinuierlich in einer Dosierung von
353 4.4 · Nebennierentumoren
4
. Abb. 4.57. Steroidausweis eines beidseits adrenalektomierten Patienten
15 mg/h. Insgesamt benötigt ein Patient ca. 250 mg am Operationstag. Die Dosierung im weiteren postoperativen Verlauf ist in . Tab. 4.12 angegeben. Nach bilateraler Adrenalektomie bleibt es lebenslang bei der Erhaltungsdosis von zumeist 37,5 mg Hydrokortison/Tag. Diese Patienten müssen darüber informiert werden, dass die Dosis in besonderen Stresssituationen (z. B. operative Eingriffe) gesteigert werden muss. Es ist empfehlenswert, den Patienten einen Ausweis auszuhändigen, der auf ihren nebennierenlosen Zustand hinweist (. Abb. 4.57). Nach einseitiger Adrenalektomie wegen eines kortisolproduzierenden Nebennierenrindenadenoms kann die Substitutionsdosis im weiteren Verlauf langsam reduziert werden. Hierbei orientiert man sich an dem klinischen Befinden des Patienten und dem ACTH-Spiegel. Unter Umständen kann ein ACTH-Stimulationstest hilfreich sein, um den Funktionszustand der verbliebenen Nebenniere zu überprüfen. Es dauert
lange, bis sich die Nebennierenfunktion soweit erholt hat, dass die Substitution von Hydrokortison beendet werden kann. Im Durchschnitt ist dies nach 17–19 Monaten der Fall (Doherty et al. 1990; Daitch et al. 1997). Bei einem kleinen Teil der Patienten erholt sich die Funktion der verbliebenen Nebenniere nicht ausreichend, sodass sie einer dauerhaften Substitution bedürfen. Mineralokortikoide. Zusätzlich zu dem Ersatz von Glukokorti-
koiden bedürfen beidseits adrenalektomierte Patienten zumeist der Substitution von Mineralokortikoiden. Hiermit muss nicht unmittelbar postoperativ begonnen werden, denn der mineralokortikoide Effekt der perioperativ relativ hochdosierten Glukokortikoide ist ausreichend. Wenn die Glukokortikoidsubstitution etwa am 5. postoperativen Tag auf die orale Applikation umgestellt wird, kann mit einer ebenfalls oralen Dosis von 0,1 mg Fludrokortison/Tag begonnen werden.
354
Kapitel 4 · Nebennieren
. Tab. 4.12. Peri- und postoperative Substitutionstherapie bei Patienten, die wegen eines Cushing-Syndroms einer beidseitigen Adrenalektomie unterzogen werden
4
Tag (postoperativ)
Hydrokortison
Fludrokortison
Operationstag
250 mg i.v.
–
1
100 mg i.v.
–
2
100 mg i.v.
–
3
50 mg i.v.
–
4
50 mg i.v.
–
5
25 mg morgens, 25 mg abends oral
0,1 mg oral
6
25 mg morgens, 25 mg abends oral
0,1 mg oral
Auf Dauer
25 mg morgens, 12,5 mg abends oral
0,1 mg oral
Plotz CM, Knowlton AI, Ragan C (1952) The natural history of Cushing’s syndrome. Amer J Med 13:597–614 Rossi R, Tauchmanova L, Luciano A, DiMartino M, Battista C, Del Viscovo L, Nuzzo V, Lombardi G (2000) Subclinical Cushing´s syndrome in patients with adrenal incidentaloma: clinical and biochemical features. J Clin Endocrinol Metab 85:1440–1448 Sarkar R, Thompson NW, Mcleod MK (1990) The role of adrenalectomy in Cushing’s syndrome. Surgery 108:1079–1084 Sippel RS, Chen H (2004) Subclinical Cushing´s syndrome in adrenal incidentalomas. Surg Clin North Am 84:875–885 Sjöberg HE, Blombäck M, Granberg PO (1976) Thromboembolic complications, heparin treatment and increase in coagulation factors in Cushing’s syndrome. Acta Med Scand 199:95–98 Sonino N (1987) The use of Ketoconazole as an inhibitor of steroid production. N Engl J Med 317:812–818 Tauchmanova L, Rossi R, Biondi B, Pulcrano M, Nuzzo V, Palmieri EA, Fazio S, Lombardi G (2002) J Clin Endocrinol Metab 87:4872–4878 van Heerden JA, Young WF Jr., Grant CS, Carpenter PC (1995) Adrenal surgery for hypercortisolism – surgical aspects. Surgery 117:466–472 Walz MK, Peitgen K, Walz MV, Hoermann R, Saller B, Giebler RM, Jockenhovel F, Philipp T, Broelsch CE, Eigler FW, Mann K (2001) Posterior retroperitoneoscopic adrenalectomy: lessons learned within five years. World J Surg 25:728–734 Watson RGK, van Heerden JA, Northcutt RC, Grant CS, Ilstrup DM (1986) Results of adrenal surgery for Cushing’s syndrome: 10 years’ experience. World J Surg 10:531–538
Literatur Assalia A, Gagner M (2004) Laparoscopic adrenalectomy. Br J Surg 10:1259– 1274 Dal Bo Zanon R, Fornasiero L, Boscaro M, Cappellato G, Fabris F, Birolami A (1982) Increased factor VIII associated activities in Cushing’s syndrome: a probable hypercoagulable state. Thromb Haemost 47:116– 117 Daitch JA, Goldfarb DA, Novick AC (1997) Cleveland Clinic experience with adrenal Cushing’s syndrome. J Urol 158:2051–2055 Doherty GM, Niemann LK, Cutler GB Jr., Chrousos GP, Norton JA (1990) Time to recovery of the hypothalamic-pituitary-adrenal axis after curative resection of adrenal tumors in patients with Cushing’s syndrome. Surgery 108:1085–1090 Emral R, Uysal AR, Asik M, Gullu S, Corapcioglu D, Tonyukuk V, Erdogan G (2003) Prevalence of subclinical Cushing´s syndrome in 70 patients with adrenal incidentaloma: clinical, biochemical and surgical outcomes. Endrocr J 50:399–408 Favia G, Boscaro M, Lumachi F, D’Amico DF (1994) Role of bilateral adrenalectomy in Cushing’s disease. World J Surg 18:462–466 Fernandez-Cruz L, Saenz A, Bennaroch G, Astudillo E, Taura P, Sabater L (1996) Laparoscopic unilateral and bilateral adrenalectomy for Cushing’s syndrome – transperitoneal and retroperitoneal approaches. Ann Surg 224:727–736 Hamberger B, Russell CF, van Heerden JA et al. (1982) Adrenal surgery: trends during the seventies. Am J Surg 144:523–526 Henry JF, Defechereux T, Raffaelli M, Lubrano D, Gramatica L (2000) Complications of laparoscopic adrenalectomy: results of 169 consecutive procedures. World J Surg 24:1342–1346 Imai T, Funahashi H, Tanaka Y et al. (1996) Adrenalectomy for treatment of Cushing syndrome: Results in 122 patients and long-term follow-up studies. World J Surg 20:781–787 Mancini F, Mutter D, Peix JL, Chapuis Y, Henry JF, Proye C, Cougard P, Marescaux J (1999) Experience with adrenalectomy in 1997 Apropos of 247 cases. A multicenter prospective study of the French-speaking Association of Endocrine Surgery. Chirurgie 124:368–374 Nies C, Bartsch D, Rothmund M (1994) Laparoskopische Cholecystektomie bei schwerer Adipositas – Indikation oder Kontraindikation? Chirurg 65:29–32 Nies C, Rothmund M (1995) Endoskopische Adrenalektomie – Indikationen, Technik, erste Ergebnisse. Acta Chir Austr 27:256–263
4.4.6 Adrenalektomie beim Morbus Cushing
(hypophysäres Cushing-Syndrom) C. Nies ) ) Die neurochirurgische Entfernung des ACTH-produzierenden Hypophysenadenoms ist die Therapie der Wahl zur Behandlung des Morbus Cushing. Allerdings ist hierbei im Langzeitverlauf mit einer Rezidivrate von 40–50% zu rechnen. Nach erfolgloser Operation an der Hypophyse oder beim Auftreten eines Krankheitsrezidivs besteht die Indikation zur bilateralen Adrenalektomie. Hiermit kann der Hyperkortisolismus rasch, zuverlässig und dauerhaft beherrscht werden. Der Eingriff ist mit einer signifikanten Mortalität und Morbidität verbunden. Möglicherweise lassen sich mit den minimalinvasiven Techniken bessere Ergebnisse erzielen. Nachteile der bilateralen Adrenalektomie sind zum einen die Notwendigkeit einer lebenslangen Substitution der Gluko- und Mineralokortikoide sowie zum anderen die Möglichkeit der Entwicklung eines Nelson-Syndroms. Hierbei handelt es sich um einen mit einer kutanen Hyperpigmentation verbundenen Hypophysentumor, der nicht selten ein aggressives Wachstum zeigt und aufgrund seiner Größe symptomatisch werden kann.
4.4.6.1 Indikationsstellung Bis Ende der 70er-Jahre war die Entfernung beider Nebennieren die Therapie der Wahl bei Patienten mit einem hypothalamisch/ hypophysär bedingten Cushing-Syndrom (Morbus Cushing). Nach den ersten erfolgreichen transsphenoidalen Entfernungen von ACTH-produzierenden Hypophysenadenomen (Hardy 1969) wurde dieser kausale Therapieansatz später zu der bevor-
355 4.4 · Nebennierentumoren
zugten operativen Strategie. Eine zumindest kurzfristige Kontrolle der Erkrankung kann mit dieser neurochirurgischen Intervention in 75–96% der Fälle erreicht werden (Chandler et al. 1987; Fahlbusch et al. 1986; Mampalam et al. 1988; Salassa et al. 1978). Langzeitstudien ergaben jedoch eine hohe Rezidivrate, die nach 10–15 Jahren ca. 40–50% beträgt (Arnott et al. 1990; Clarke et al. 1992). Bei persistierendem bzw. rezidiviertem Hyperkortisolismus aufgrund eines Morbus Cushing stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung: 4 Neurochirurgischer Reeingriff 4 Bestrahlung der Hypophyse 4 Bilaterale Adrenalektomie Eine medikamentöse Beeinflussung der ACTH-Sekretion, der Kortisolsekretion oder der Kortisolsynthese kommt allenfalls temporär (z. B. zur präoperativen Kontrolle eines erheblichen Hyperkortisolismus) in Frage. Neurochirurgischer Reeingriff. Ein erneuter neurochirurgischer Eingriff kann zum Erfolg führen (Boggan et al. 1983), ist jedoch mit einem erheblichen Risiko einer globalen Hypophysenunterfunktion verbunden, die auch den Hypophysenhinterlappen (Diabetes insipidus) betreffen kann. Auch der Ersteingriff führt nicht selten zu derartigen endokrinologischen Störungen. Insbesondere für jüngere Patienten mit Kinderwunsch ist eine Störung der Gonadotropinsekretion eine schwerwiegende Komplikation. Bestrahlung der Hypophyse. Die Bestrahlung der Hypophyse
hat verschiedene Nachteile. Zum einen ist sie nicht selektiv und kann daher ebenfalls leicht zu einer globalen Hypophysenunterfunktion führen. Zum anderen ist der Effekt der Behandlung nicht zuverlässig voraussagbar und tritt erst mit erheblicher Verzögerung ein. Bilaterale Adrenalektomie. Nach vollständiger bilateraler Adrenalektomie ist das Cushing-Syndrom unmittelbar, zuverlässig und dauerhaft therapiert. Allerdings ist die beidseitige Adrenalektomie beim Morbus Cushing auch mit Nachteilen verbunden. Die Patienten sind postoperativ lebenslang auf eine Steroidsubstitution (Glukokortikoide und zumeist auch Mineralokortikoide) angewiesen. In 10–25% der Fälle entwickelt sich bei diesen Patienten Jahre nach der Operation das von Nelson et al. (1960) erstmals beschriebene und nach dem Erstautor benannte Nelson-Syndrom (Favia et al. 1994; Grabner et al. 1991; Imai et al. 1996; Watson et al. 1986). Hierbei handelt es sich einen ACTH-produzierenden Hypophysentumor, der mitunter ein recht aggressives Wachstumsverhalten zeigt und aufgrund seiner Größe zu Kopfschmerzen, Gesichtsfeldausfällen und einer Hypophysenunterfunktion führen kann. Er entwickelt sich im Median 9–10 Jahre nach der Adrenalektomie (Grabner et al. 1991) und ist zumeist mit einer kutanen Hyperpigmentation assoziiert. Über seine Pathogenese ist wenig bekannt, dem vollständigen Fehlen eines negativen feed-back-Mechanismus nach der Adrenalektomie wird jedoch eine ursächliche Bedeutung beigemessen. Er erfordert eine ausgedehnte Resektion sowie unter Umständen eine zusätzliche Strahlentherapie. Diese Langzeitkomplikation wird vor allem bei jüngeren Patienten beobachtet (Kemink et al. 1994; Imai et al. 1996).
4
Nach einem erfolglosen Versuch einer neurochirurgischen Intervention oder beim Auftreten eines Krankheitsrezidivs des Morbus Cushing ist eine beidseitige Adrenalektomie indiziert. Ebenso besteht die Indikation zu diesem Eingriff, wenn eine Operation an der Hypophyse technisch nicht möglich ist.
4.4.6.2 Operationsziel Mit der Operation soll der Hyperkortisolismus dauerhaft behandelt werden. Dies erfordert die vollständige Entfernung beider Nebennieren. In dem Bestreben, die Entwicklung des Nelson-Syndroms zu vermeiden und dem Patienten die lebenslange Substitution der lebenswichtigen Nebennierenrindenhormone zu ersparen, wurde in früheren Jahren bei einer Reihe von Patienten nur eine subtotale Adrenalektomie vorgenommen. Dieser Eingriff führte zumeist durch die Reduktion der Nebennierenmasse zu einer Remission der Erkrankung. Im weiteren Verlauf kam es jedoch bei einer erheblichen Anzahl von Patienten zu einem Rezidiv, das dann mit der Entfernung des verbliebenen Nebennierenrestes behandelt werden musste. Bei den 32 Patienten, die von Welbourn (Welbourn 1985) mit einer subtotalen Adrenalektomie behandelt worden waren, war dies bei 6 Patienten der Fall. Bei den verbleibenden 26 Patienten war der Hyperkortisolismus zwar beherrscht, 23 von ihnen bedurften jedoch schlussendlich einer dauerhaften Substitutionstherapie. Schließlich ist die Langzeitmortalität nach subtotaler Adrenalektomie höher als nach totaler Entfernung beider Nebennieren (Welbourn 1985). Die subtotale Adrenalektomie hat daher heute in der Behandlung des Morbus Cushing keine Bedeutung. Auch mit einer Autotransplantation von Nebennierengewebe wurde versucht, die Nachteile zu umgehen, die mit dem vollständigen Fehlen der körpereigenen Nebennierenfunktion verbunden sind. Trotz einiger optimistischer Berichte (Demeter et al. 1990; Hardy et al.1985; Xu et al. 1992) sind dauerhaft gute Ergebnisse bisher selten. Der Stellenwert dieses Verfahrens muss daher zurzeit zurückhaltend beurteilt werden, von manchen Autoren wird es aufgrund unbefriedigender eigener Ergebnisse abgelehnt (Okamoto et al. 1996). 4.4.6.3 Operationsvoraussetzungen Medikamentöse Vorbehandlung. Die medikamentöse Vorbehandlung entspricht der von Patienten mit einem adrenalen Cushing-Syndrom (7 Kap. 4.4.5). Patientenaufklärung. Die Patienten sind im Wesentlichen über
die gleichen Risiken aufzuklären wie Patienten mit einem Cushing-Syndrom aufgrund eines Nebennierenrindenadenoms (7 Kap. 4.4.5). Die Mortalität in Zusammenhang mit einer beidseitigen Adrenalektomie wegen eines Morbus Cushing ist jedoch höher und liegt in der Größenordnung von 3–5%. Als mögliche Langzeitfolge einer beidseitigen Adrenalektomie bei einem Patienten mit einem ACTH-produzierenden Hypophysenadenom muss die Entwicklung eines Nelson-Syndroms erwähnt werden. Die Patienten müssen ferner darauf hingewiesen werden, dass sie postoperativ einer lebenslangen Hormonsubstitution bedürfen, die in besonderen Stresssituationen angepasst werden muss. 4.4.6.4 Verfahrenswahl Hinsichtlich der Verfahrenswahl wird auf den entsprechenden Absatz in 7 Kap. 4.4.5.2 verwiesen.
356
Kapitel 4 · Nebennieren
4.4.6.4.1 Ergebnisse Funktionelle Ergebnisse. Im Gegensatz zu dem neurochirurgi-
4
schen Eingriff an der Hypophyse ist der Hyperkortisolismus nach einer vollständigen bilateralen Adrenalektomie zuverlässig und vor allem dauerhaft beherrscht. Allerdings bilden sich die Symptome langsamer zurück als nach der operativen Behandlung der primär adrenalen Ursachen des Cushing-Syndroms. Nicht alle Symptome verschwinden vollständig. So persistiert bei 20–30% der Patienten die Adipositas, der Diabetes oder die Hypertonie (Favia u. Lumachi 1997). MorbiditätundMortalität. Die Mortalität der bilateralen Adrenal-
ektomie wegen eines hypophysären Cushing-Syndroms ist höher als bei Operationen wegen eines adrenalen Cushing-Syndroms. In Serien, in denen ausschließlich Patienten mit einen Morbus Cushing erfasst wurden, wird sie mit 4–7% angegeben (Welbourn 1985; Grabner et al. 1991). Sogar über eine Mortalität von 14% wurde berichtet (Brunicardi et al. 1985). Postoperative Komplikationen sind wie nach Adrenalektomien wegen adrenaler Ursachen des Cushing-Syndroms häufig. Es handelt sich in erster Linie um Wundinfektionen, die nach konventionellen Operationen in ca. 14–23% der Fälle beobachtet wurden (Grabner et al. 1991; Favia et al. 1994; van Heerden et al. 1995). Mit den Techniken der minimalinvasiven Adrenalektomie scheinen sich diesbezüglich bessere Ergebnisse erzielen zu lassen. Weitere häufige postoperative Komplikationen sind pulmonale Infekte sowie thromboembolische Komplikationen. Langzeitprognose. Die Langzeitprognose dieser Patienten ist schlechter als die von Patienten mit einem Cushing-Syndrom aufgrund eines Nebennierenrindenadenoms. Untersuchungen von Welbourn (Welbourn 1985) zeigen, dass von Patienten mit einem Morbus Cushing 5 Jahre nach einer beidseitigen Adrenalektomie 19% weniger leben, als es aufgrund der Überlebenskurve eines vergleichbaren gesunden Kollektivs zu erwarten gewesen wäre. Nach 10 Jahren beträgt der Unterschied in der Überlebensrate bereits 23,5%. Neben der perioperativen Mortalität sind die Ursachen für den vorzeitigen Tod dieser Patienten in erster Linie kardiale Erkrankungen. Weitere wesentliche Gründe sind Addison-Krisen und Folgen des Nelson-Syndroms.
4.4.6.5 Peri- und postoperative Substitutionstherapie Die Substitution von Gluko- und Mineralokortikoiden wird in derselben Weise durchgeführt wie bei Patienten, die wegen eines ACTH-unabhängigen Cushing-Syndroms einer beidseitigen Adrenalektomie bedürfen. Es wird daher diesbezüglich auf den entsprechenden Absatz in 7 Kap. 4.4.5.2 verwiesen. Literatur Arnott RD, Pastell RG, McKelvie PA, Henderson JK, McNeil PM, Alford FP (1990) A critical evaluation of transsphenoidal pituitary surgery in the treatment of Cushing’s disease: prediction of outcome. Acta Endocrinol 123:423–430 Boggan JE, Tyrrell JB, Wilson CB (1983) Transsphenoidal microsurgical management of Cushing’s disease: Report of 100 cases. J Neurosurg 59:195–200 Brunicardi FC, Rosman PM, Lesser KL, Andersen DK (1985) Current status of adrenalectomy for Cushing’s disease. Surgery 98:1127–1133 Chandler WF, Schteingart DE, Lloyd RV, McKeever PE, Ibarra-Perez G (1987) Surgical treatment of Cushing’s disease. J Neurosurg 66:204–212 Clarke SD, Woo SY, Butler BE et al. (1992) Treament of secretory pituitary adenoma with radiation therapy. Radiology 188:759–763
Demeter JG, De Jong SA, Brooks MH, Lawrence AM, Paloyan E (1990) Long-term results of adrenal autotransplantation in Cushing’s disease. Surgery 108:1117–1123 Fahlbusch R, Buchfelder M, Muller OA (1986) Transsphenoidal surgery for Cushing’s disease. J R Soc Med 79:262–269 Favia G, Boscaro M, Lumachi F, D’Amico DF (1994) Role of bilateral adrenalectomy in Cushing’s disease. World J Surg 18:462–466 Favia G, Lumachi FN (1997) Cushing’s syndrome.In: Clark OH, Duh QY (eds) Textbook of endocrine surgery. Saunders, Philadelphia London Toronto Montreal Sydney Tokyo, pp 497–505 Grabner P, Hauer-Jensen M, Jervell J, Flatmark A (1991) Long term results of treatment of Cushing’s disease by adrenalectomy. Eur J Surg 157: 461–464 Hardy J (1969) Transspenoidal microsurgery of the normal and pathological pituitary. Clin Neurosurg 16:185–217 Hardy JD, Moore DO, Langford HG (1985) Cushing’s disease today – Late follow-up of 17 adrenalectomy patients with emphasis on eight with adrenal autotransplants. Ann Surg 201:595–603 Imai T, Funahashi H, Tanaka Y et al. (1996) Adrenalectomy for treatment of Cushing syndrome: Results in 122 patients and long-term follow-up studies. World J Surg 20:781–787 Kemink L, Pieters G, Hermus A, Smals A, Kloppenborg P (1994) Patient’s age is a simple predictive factor for the development of Nelson’s syndrome after total adrenalectomy for Cushing’s disease. J Clin Endocrinol Metab 79:887–889 Mampalam TJ, Tyrrell JB, Wilson CB (1988) Transsphenoidal microsurgery for Cushing disease – A report of 216 cases. Ann Int Med 109:487– 493 Nelson DH, Meakin JW, Thorn GW (1960) ACTH producing pituitary tumors following adrenalectomy for Cushing’s syndrome. Ann Int Med 52:560–569 Okamoto T, Obara T, Ito Y et al. (1996) Bilateral adrenalectomy with autotransplantation of adrenocortical tissue or unilateral adrenalectomy: treatment options for pheochromocytomas in multiple endocrine neoplasia type 2 A Endocr J 43:169–175 Salassa RM, Laws ER Jr., Carpenter PC, Northcutt RC (1978) Transsphenoidal removal of pituitary microadenoma in Cushing’s disease. Mayo Clin Proc 53:24–28 Watson RGK, van Heerden JA, Northcutt RC, Grant CS, Ilstrup DM (1986) Results of adrenal surgery for Cushing’s syndrome: 10 years’ experience. World J Surg 10:531–538 Welbourn RB (1985) Survival and causes of death after adrenalectomy for Cushing’s disease. Surgery 97:16–20 Xu YM, Chen ZD, Qiao Y, Jin NT (1992) The value of adrenal autotransplantation with attached blood vessels for the treatment of Cushing’s disease: A preliminary report. J Urol 147:1209–1211
4.4.7 Das Inzidentalom und seltene Tumoren
F. Beuschlein, C. Nies, M. Reincke ) ) Das Inzidentalom der Nebenniere ist ein häufiger Zufallsbefund, in der Regel ohne Krankheitswert. Eine zurückhaltende Diagnostik und Therapie konzentriert sich auf den Ausschluss oder Nachweis eines Phäochromozytoms und eines kortisol- oder aldosteronproduzierenden Nebennierenadenoms. Die Dignität des Tumors ist am zuverlässigsten aus seiner Größe ableitbar. Bei Tumoren mit einem Durchmesser von über 6 cm ist wegen des Malignitätsrisikos eine Operation indiziert. Bei kleineren endokrin inaktiven Tumoren ist eine Verlaufsbeobachtung nach 6–12 Monaten gerechtfertigt. Nur bei eindeutiger Größenzunahme 6
357 4.4 · Nebennierentumoren
besteht eine Indikation zur operativen Sanierung. In Zweifelsfällen können die Kernspintomographie und das FDG-PET zur Differenzierung zwischen Adenom und Malignom herangezogen werden.
4.4.7.1 Epidemiologie Die Nebennierendiagnostik war durch das Fehlen adäquater bildgebender Verfahren viele Jahrzehnte äußerst schwierig. Durch die Entwicklung moderner Verfahren wie Computertomographie, Kernspintomographie und PET wurde die Bildgebung der Nebenniere revolutioniert. Eine Folge dieser Entwicklung ist der Nachweis von Tumoren im Bereich der Nebenniere als Zufallsbefund (Inzidentalom). Man versteht hierunter jeden zufälligen Nebennierentumor, der mit einem Schnittbildverfahren diagnostiziert wird, wenn die entsprechende Untersuchung nicht zur Darstellung der Nebennieren veranlasst wurde. Der Nachweis von Nebennierenmetastasen im Rahmen von StagingUntersuchungen bei einem bekanntem Malignom erlaubt nicht die Einordnung als Zufallsbefund. Problematisch ist auch eine klare Zuordnung bei Patienten mit arterieller Hypertonie. Kommt es hier im Rahmen der bildgebenden Abklärung zum Nachweis einer adrenalen Raumforderung, kann das Inzidentalom als Ergebnis einer zielgerichteten Diagnostik eingestuft werden. Andererseits gilt aber für sekundäre, endokrine Ursachen einer arteriellen Hypertonie, dass vor Durchführung einer Lokalisationsdiagnostik zunächst der biochemische Nachweis einer endokrinen Störung erbracht werden sollte. Die Beschreibung von Nebennierenzufallstumoren nach Einführung der Computertomographie Anfang der 80er-Jahre war allerdings keine grundsätzlich neue Beobachtung. Aus Sektionsstudien aus den 60er-Jahren war bekannt, dass klinisch unerkannte Nebennierenrindenadenome in einer Häufigkeit von 1,4–8,7% der Fälle vorliegen (Copeland 1999). Die meisten der autoptisch diagnostizierten Adenome sind klein, aber die Prävalenz von Adenomen mit einer Größe von mehr als 1,5 cm, beträgt ca. 2%. Raumforderungen mit einem Durchmesser von 6 cm und mehr wurden in Sektionsstudien mit einer Häufigkeit von 0,03% gefunden. In der abdominellen Computertomographie schwanken die Angaben über die Prävalenz zufällig entdeckter Nebennierentumoren zwischen 0,6 und 4,4% und liegen bei 30.000 Untersuchungen im Mittel bei 1%. Am häufigsten sind kleine Tumoren mit einem Durchmesser von weniger als 1 cm. 80% aller computertomographisch nachgewiesenen Raumforderungen sind kleiner als 2 cm (Kley et al.1990).
Beim Nebenniereninzidentalom handelt es sich um die mit Abstand häufigste pathologische Veränderung der Nebenniere.
Während die zufällig entdeckte Nebennierenraumforderung ausgesprochen häufig ist, stellt das Nebennierenrindenkarzinom einen der seltensten Tumoren überhaupt dar. Man rechnet mit einer Neuerkrankung auf 2 Millionen pro Jahr (Wajchenberg et al. 2000; Dackiw et al. 2001). Im Gegensatz zu den gutartigen Nebennierenadenomen ist das Nebennierenrindenkarzinom bei Diagnosestellung typischerweise mit einem mittleren Tumorgewicht von 800 g bereits sehr groß. Hingegen sind kleine Nebennierenkarzinome mit einem Durchmesser von weniger als 5 cm
4
sehr selten. Auch wenn die operationsbedingte Mortalität der unilateralen Adrenalektomie durch moderne endoskopische Verfahren unter denen des offenen Zuganges liegen ist vor dem Hintergrund dieser epidemiologischen Daten evident, dass der Nachweis einer adrenalen Raumforderung allein niemals einen operativen Eingriff rechtfertigt. Um den zunehmenden klinischen Problemen durch zufällig entdeckte Raumforderungen der Nebenniere Rechnung zu tragen, wurde im Februar 2002 eine Konsensus-Konferenz durch das NIH veranstaltet, in der nach Literaturrecherche und Expertenmeinung allgemeine Richtlinien für Diagnostik und Therapie adrenaler Inzidentalome abgeleitet wurden (Grumbach et al. 2003). 4.4.7.2 Klinische Symptomatik Da bei Patienten mit Nebennierenzufallstumor kein Primärverdacht auf das Vorliegen einer endokrinen Erkrankung besteht, sollten sie per definitionem keine richtungsweisenden Symptome erkennen lassen. Mehrere Studien haben allerdings übereinstimmend gezeigt, dass Patienten mit Nebennierenzufallstumor überzufällig häufig ein metabolisches Syndrom aufweisen (Reincke et al. 1995). Ob ein kausaler Zusammenhang zwischen metabolischem Syndrom und Nebennierenraumforderung besteht, ist noch unklar. Möglicherweise erklärt sich die Assoziation durch die höhere Untersuchungsfrequenz dieser Patienten aufgrund der größeren Morbidität an kardiovaskulären Erkrankungen. Die Altersverteilung von Patienten mit Nebenniereninzidentalom zeigt einen Gipfel zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr, wobei Frauen in mehreren Serien etwas häufiger betroffen sind als Männer. Ist ein Nebenniereninzidentalom nachgewiesen worden, muss sorgfältig nach klinischen Hinweisen auf eine endokrine Aktivität gesucht werden. Keinesfalls darf bei Fehlen klinischer Zeichen oder entsprechender anamnestischer Angaben ohne biochemische Analyse eine endokrine Aktivität des Tumors verneint werden, da symptomarme Phäochromozytome und kortisolsezernierende Adenome nicht ungewöhnlich sind. 4.4.7.3 Differenzialdiagnose Die Differenzialdiagnose der zufällig diagnostizierten Nebennierenraumforderungen ist umfangreich. Sie reicht von dem häufigsten Tumor, dem endokrin inaktiven Nebennierenrindenadenom, über Nebennierenmarkserkrankungen, Metastasen bis zu extraadrenalen Raumforderungen, die gelegentlich als von der Nebenniere ausgehend eingeordnet werden (7 Übersicht). Differenzialdiagnose der zufällig entdeckten Nebennierenraumforderung 5 Nebennierenrindenadenom – Endokrin inaktiv – Kortisolproduzierendes Adenom – Aldosteronproduzierendes Adenom – Androgenproduzierendes Adenom – Östrogenproduzierendes Adenom 5 Nebennierenrindenkarzinom 5 Phäochromozytom 5 Knotige Nebennierenrindenhyperplasie 5 Nebennierenzyste 6
358
4
Kapitel 4 · Nebennieren
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
. Tab. 4.14. Endokrine Diagnostik bei der zufällig entdeckten Nebennierenraumforderung
Myelolipom Metastasen Malignes Lymphom Fribröse Histiozytome Hämatom Nierenzellkarzinom Leiomyom des Magens Retroperitoneale Sarkome Ganglioneurom Neurolemmom Neuroblastom
Basisprogramm
Die Auswertung mehrerer Studien mit den pathologischanatomischen Diagnosen von operierten, zufällig entdeckten Nebennierentumoren zeigt, dass mehr als 75% aller Tumoren hormoninaktive Nebennierenrindenadenome darstellen (. Tab. 4.13). Allerdings werden kortisolproduzierende Adenome ohne klassische Cushing-Symptomatik und Phäochromozytome in zunehmender Häufigkeit gefunden. 4.4.7.4 Diagnostik 4.4.7.4.1 Biochemische Diagnostik Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass zwischen der Größe der zufällig entdeckten Nebennierenraumforderung und der endokrinen Aktivität eine Beziehung besteht. Während sich bei kleinen Tumoren mit weniger als 1 cm Durchmesser extrem selten eine endokrine Aktivität nachweisen lässt (Reincke et al. 1995), steigt die Wahrscheinlichkeit einer autonomen, klinisch inapparenten Hormonsekretion bei größeren Tumoren an und liegt bei Raumforderungen mit einem Durchmesser von mehr als 6 cm bei ca. 50%. Es ist daher ratsam, bei jeder Raumforderung mit einem Durchmesser von mehr als 1 cm oder bei einer entsprechenden Klinik (z. B. arterielle Hypertonie, Palpitationen, Hyperhydrosis) eine endokrinologische Basisuntersuchung durchzuführen (. Tab. 4.14).
. Tab. 4.13. Pathologisch-anatomische Diagnosen bei 702 Inzidentalomen. (Nach Montero et al. 1997; Adrenal incidentaloma National Italian Study Group)
Endokrin inaktive Adenome
537
76,5%
Kortisolproduzierende Adenome
49
6,2%
7
0,89%
Nebennierenrindenkarzinom
32
4,5%
Phäochromozytom
26
3,7%
Myelolipom
16
2,3%
Zysten
13
1,8%
Metastasen
12
1,7%
Aldosteronproduzierende Adenome
Ganglioneurome Andere a
7 13
1% 1,8%
Diagnose z. T. ohne Operation allein durch bildgebende Verfahren oder Verlaufskontrollen gesichert
Obligat
5 Katecholamine im 24-h-Urin oder Metanephrine im Plasma 5 Serumkortisol im Dexamethasonhemmtest (2 mg) 5 DHEA-S
Fakultativ (bei Hypertonie und/ oder Hypokaliämie)
Aldosteron/Renin-Quotient
Erweiterte Diagnostik bei pathologischem Basisprogramm Subklinisches Cushing-Syndrom
5 Hochdosierter Dexamethasonhemmtest (8 mg) 5 CRH-Stimulationstest
Conn-Syndrom
5 Kochsalzbelastungstest oder Fludrokortison- oder CaptoprilSuppressionstest 5 Aldosteron-18-Glukoronid im 24-h-Urin 5 Reninaktivität und Aldosteron im Plasma in Ruhe und Orthostase 5 Bedarfsweise selektive Nebennierenvenenkatheterisierung mit beidseitiger Blutentnahme zur Bestimmung von Aldosteron und Kortisol im Nebennierenvenenblut
Oligo- oder asymptomatische Phäochromozytome. Die Frühdiagnose von potenziellen lebensbedrohlichen oligo- oder asymptomatischen Phäochromozytomen wird durch die Bestimmung der Metanephrine im Plasma und Katecholamine (Adrenalin und Noradrenalin) im 24-h-Urin ermöglicht. Die Sensitivität und Spezifität lässt sich dadurch erhöhen, dass 2 Sammelurine durchgeführt werden. Subklinisches Cushing-Syndrom. Kortisolproduzierende Tumoren ohne klinische Zeichen des Cushing-Syndroms liegen bei 5–20% aller Patienten vor und stellen die häufigste endokrine Aktivität der zufällig diagnostizierten Nebennierenraumforderung dar (Reincke et al. 1992). Aufgrund der Häufigkeit von Nebenniereninzidentalomen in der Allgemeinbevölkerung ist davon auszugehen, dass das subklinische Cushing-Syndrom mindestens 5-mal häufiger als das klinisch manifeste adrenale Cushing-Syndrom ist. Zum Nachweis einer klinisch inapparenten Kortisolproduktion durch die Nebennierenraumforderung ist die Bestimmung des Serumkortisols im Dexamethasonkurztest am besten geeignet. Eine Serumkortisolkonzentration nach 2 mg Dexamethason unter 3 μg/dl schließt eine signifikante Kortisolproduktion durch den Tumor aus. Konzentrationen zwischen 3 und 5 μg/dl weisen möglicherweise auf ein kortisolproduzierendes Adenom hin, das in Analogie zum warmen Knoten der Schilddrüse weniger als den Kortisoltagesbedarf sezerniert. Eine Demaskierung dieser Autonomie ist noch sicherer durch hochdosiertes Dexamethason möglich, da in diesem Fall ebenfalls keine Suppression unter 3 μg/dl gelingt.
359 4.4 · Nebennierentumoren
. Abb. 4.58. Flussdiagramm zur Differenzialdiagnostik des primären Hyperaldosteronismus bei Patienten mit zufällig diagnostizierter Nebennierenraumforderung
4
Adrenales Inzidentalom plus Hypertonie oder Hypokaliämie
Screening
2× Aldosteron plus Aldosteron-Renin-Quotient
Bestätigungstest
NaCl-Belastungstest oder Aldosteronmetaboliten im Sammelurin alternativ: Fludrokortison-Suppressionstest Captopril-Belastungstest
Subtypisierung
Orthostasetest
Abfall von Aldosteron
Kein Abfall von Aldosteron
Nebennierenvenenkatheter
Aldosteron produzierendes Adenom
Gradient
kein Gradient
Bilaterale NN-Hyperplasie + Inzidentalom
Findet sich eine Erhöhung des Kortisols im 24-h-Urin, ist ein Übergang in ein klinisch symptomatisches Cushing-Syndrom innerhalb kurzer Zeit anzunehmen. Weitere Risikofaktoren für die Entwicklung einer autonomen Hormonsekretion ist eine Größe des Inzidentaloms bei Diagnosestellung von mehr als 3 cm (Barzon et al. 1999). Muss eine Kortisolproduktion durch den Tumor angenommen werden, ist die Durchführung eines CRH-Stimulationstest sinnvoll, um das Ausmaß des Kortisolexzesses sicher beurteilen zu können. Bleibt ein Kortisol- und ACTH-Anstieg im CRH-Test aus, ist nach operativer Entfernung eines solchen Adenoms mit einem postoperativen passageren Hypokortisolismus zu rechnen, der adäquat substituiert werden muss, um eine krisenhafte Nebennierenrindeninsuffizienz zu vermeiden. Normokaliämisches Conn-Syndrom. Bei arterieller Hypertonie
und gleichzeitiger spontaner, nicht-Diuretika-induzierter Hypokaliämie besteht der dringende Verdacht auf ein Conn-Syndrom, und die endokrine Diagnostik muss dementsprechend durchgeführt werden. Allerdings zeigen neuere Daten, dass auch bei normokaliämischen Patienten mit langjähriger arterieller Hypertonie nicht selten ein primärer Hyperaldosteronismus vorliegt (Fardella et al. 2000). In diesem Falle wird vom normokaliämischen Conn-Syndrom gesprochen, bei dem der Aldosteronexzess zwar die Hypertonie unterhält, aber bisher noch nicht zur Ausbildung einer Hypokaliämie geführt hat. Bei Patienten mit einem adrenalen Inzidentalom und arteriellem Hypertonus ist es deshalb ratsam auch bei normalem Serumkalium ein entsprechendes Screening durchzuführen (. Abb. 4.58).
In den letzten Jahren wurde als Screeningtest für den primären Hyperaldosteronismus der Aldosteron-Renin-Quotient etabliert (Seiler u. Reincke 2003). Vorteil des Quotienten ist die größere Sensitivität, da ein pathologisch hoher Quotient bereits Hinweise auf eine autonome Aldosteronsekretion gibt, wenn Aldosteron und Renin für sich genommen noch keine Veränderungen zeigen. Da durch die höhere Sensitivität des Screeningtests die Rate der falsch pathologischen Testergebnisse ansteigt, ist ein Bestätigungstest zur Diagnosesicherung erforderlich. Die Bestätigung kann erfolgen durch Bestimmung der Aldosteronmetaboliten im Urin sowie durch Funktionstests wie den Kochsalzbelastungstest, oder den Fludrokortison- oder Captopril-Suppressionstest. In Anbetracht der relativen Häufigkeit von endokrin inaktiven Inzidentalomen einerseits und der bilateralen Nebennierenhyperplasie als häufige Ursache eines primären Hyperaldosteronismus andererseits muss im Weiteren eine Subtypisierung der pathologischen Befunde erfolgen: Bei fehlendem Anstieg des Aldosterons im Orthostasetest und nachgewiesener adrenaler Raumforderung ist ein aldosteronproduzierendes Adenom hinreichend wahrscheinlich und die Indikation zur unilateralen Adrenalektomie gegeben (Phillips et al. 2000). Bei diskordanten Befunden ohne Abfall des Aldosterons im Orthostasetest ist die Durchführung eines Nebennierenvenenkatheters zum sicheren Nachweis bzw. Ausschluss eines Aldosterongradienten zur tumortragenden Seite angezeigt. Beim Fehlen eines Gradienten besteht ein primärer Hyperaldosteronismus bei bilateraler Hyperplasie und zusätzlichem hormonell inaktiven Inzidentalom. Ein operatives Eingreifen ist dann nicht gerechtfertigt.
360
Kapitel 4 · Nebennieren
Virilisierung/Feminisierung. Da bisher eine latente Östrogenbzw. Testosteronsekretion nicht beschrieben wurde, hat sich ein biochemisches Screening bei Fehlen einer entsprechenden klinischen Symptomatik nicht bewährt. Beim Vorliegen klinischer Stigmata wie Hirsutismus, Virilisierung und Gynäkomastie muss jedoch eine entsprechende Diagnostik durchgeführt werden (ggf. DHEA-S, Testosteron, Androstendion, 17-β-Östradiol, LH, FSH).
4
4.4.7.4.2 Bildgebende Diagnostik Je nach dem, mit welchem Verfahren die Nebennierenraumforderung primär nachgewiesen wurde und welche klinischen Verdachtsmomente vorliegen, kann der Einsatz weiterer bildgebender Diagnostik sinnvoll sein. Die Sonographie ist im Nachweis kleiner adrenaler Raumforderungen der Computertomographie unterlegen. Hier kann daher die Computertomographie zur besseren anatomischen Darstellung ergänzend erforderlich werden. Die Untersuchung sollte mit einer engen Schnittführung (2-mm-Schichten) durchgeführt werden, um den maximalen Tumordurchmesser zu erfassen. Bei der Auswertung ist darauf zu achten, dass die relative Dichte der Nebennierenraumforderung vor und nach Kontrastmittel erfasst wird. Dichtewerte vor Kontrastmittelgabe von <10 Houndsfield-Einheiten und ein Kontrastmittel-Washout von >60% sprechen für das Vorliegen eines Nebennierenrindenadenoms (Spezifität 92%, Sensitivität 98%: Caoili et al. 2002). Eine weitere differenzialdiagnostische Klärung ist mittels Sonographie und Computertomographie in der Regel nicht möglich. Ausnahmen hierfür sind zystische Veränderungen und das Myelolipom, das durch seine typische Echotextur sicher diagnostiziert werden kann. Malignomverdächtige Befunde sind eine unregelmäßige Begrenzung des Tumors sowie eine deutliche Inhomogenität. Die Endosonographie kann hier wertvolle Zusatz- und Detailinformationen liefern (Kann et al. 2004). Für Verlaufsuntersuchungen zur Frage der Größenzunahme der Raumforderung ist die Sonographie bei Tumoren >1,5 cm und dem Fehlen einer Adipositas häufig ausreichend, in den übrigen Fällen sollte eine computertomographische Verlaufskontrolle erfolgen. In größer angelegten Follow-up Studien an Patienten mit Nebenniereninzidentalomen konnte gezeigt werden, dass das Risiko einer Größenzunahme nach einem Jahr bei 8% und nach 5 Jahren bei 23% liegt (Barzon et al. 1999). Bei längerfristigen Verlaufskontrollen lässt sich nur selten ein Größenwachstum nachweisen, was generell für eine niedrige Wachstumsrate der zufällig entdeckten Nebennierenraumforderung spricht und Ausdruck ihrer benignen Grundnatur ist. Durch die Kernspintomographie sind in begrenztem Umfang Aussagen zur Dignität der Raumforderung möglich geworden. Mit T2-betonten Sequenzen ist die relative, auf das Fettgewebe bezogene Signalintensität der meisten gutartigen Raumforderungen zwischen 0,6 und 1,4 zu finden, während Malignome und Phäochromozytome überwiegend eine Signalintensität von über 2,0 aufweisen. Durch dynamische Kontrastmitteluntersuchungen mit Gadolinium-DTPA oder durch spezielle Sequenzen (»chemical shift«) gelingt darüber hinaus oft noch die Differenzierung unklar gebliebener Fälle, da Malignome und Phäochromozytome einen deutlich stärkeren Signalintensitätsanstieg und eine länger anhaltende Anreicherung nach Kontrastmittel zeigen (Heinz-Peer et al. 1999). Eine weitere Möglichkeit der Differenzierung zwischen benigner und maligner Nebennierenraumforderung ist die FDGPET (Fluordeoxyglukose-Positronenemissionstomographie),
eine Technik, die durch Abbildung der tumorösen Stoffwechselaktivität eine gute Trennschärfe zwischen Nebennierenmetastasen und Adenomen der Nebenniere aufweist (Kumar et al. 2004). Neuere Untersuchungen mit nebennierenspezifischen Tracern (Metomidate), die sich von adrenostatischen Substanzen ableiten und damit durch hohe Affinität zu Enzymen der Steroidbiosynthese auszeichnen, sind viel versprechend (Bergstrom et al. 2000). Medikamentöse Interaktionen und eine schlechte Traceranreicherung in zystischen oder nekrotischen Läsionen können allerdings die Sensitivität der Methode beeinträchtigen. Einem breiteren Einsatz der PET in der Nebennierenbildgebung stehen zudem die hohen Kosten durch hohen apparativen Aufwand und die nur an spezialisierten Zentren verfügbaren Tracer entgegen. Möglicherweise kann auch die Endosonographie zukünftig wertvolle Informationen bei bildgebender Diagnostik von Nebennierenläsionen, insbesondere Phäochromozytomen, beitragen (Kann et al. 2004). In der Lokalisation des biochemisch gesicherten Phäochromozytoms kann die szintigraphische Diagnostik mit 123Jod- bzw. 131 Jod-Metajodobenzylguanidin-Szintigraphie zur Frage eines multilokulären Vorkommens bzw. einer Metastasierung einen wichtigen Beitrag liefern. Andere szintigraphische Verfahren spielen unserer Erfahrung nach eine untergeordnete Rolle.
Eine häufig geübte Praxis ist die Sonographie- oder CT-gesteuerte Punktion des Nebennierenprozesses. Die Feinnadelpunktion eines Inzidentaloms ist aber nach übereinstimmender Erfahrung nahezu nie indiziert, da das gewonnene Material eine Differenzierung zwischen Nebennierenadenom und -karzinom unter klinischen Routinebedingungen nicht erlaubt.
Als Ausnahme kann gelten, wenn eine Nebennierenraumforderung der einzige metastasenverdächtige Befund im Rahmen eines Tumor-Stagings ist. Hier kann die Feinnadelpunktion den Nachweis der Metastasierung erbringen. Cave Vor Punktion einer Nebennierenraumforderung muss in jedem Fall ein Phäochromozytom biochemisch ausgeschlossen sein, da es unter der Punktion zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen kann.
4.4.7.5 Verlaufskontrolle Bei einem großen Teil der Patienten mit kleinem Inzidentalom ohne biochemischen Nachweis einer endokrinen Aktivität und ohne bildgebende Hinweise auf ein Malignom ist primär keine Indikation zur Operation gegeben. Hieraus ergeben sich allerdings Fragen bezüglich des Follow-up dieses Patientenkollektivs. Die Richtlinien der NIH-Konsensus-Konferenz empfehlen in Anlehnung an longitudinale epidemiologische Untersuchungen eine einmalige bildgebende Verlaufskontrolle zur Erfassung der Wachstumskinetik nach 6–12 Monaten. Bei Patienten mit konstantem Größenbefund werden keine weiteren bildgebenden Verlaufskontrollen empfohlen. Patienten, die nach 4 Jahren nach initialer Diagnosestellung keine Hinweise einer hormonellen Autonomie zeigen, sind zudem keine gezielten endokrinologischen Verlaufskontrollen angezeigt (Grumbach et al. 2002).
361 4.4 · Nebennierentumoren
4
%" &","' #!
/ / /
$'# #&
'# !"!!! (%" #&'%#" #&'%#"""(#'"' "+$%'"&)"'"'" %#&%'% *!'" !!'&'
$'# #&
"#%!
/ -#%#!#,+'#! / #"" "#! " .%", "#&' / ( "&& (&"+"%#! " .%", "#&'
#%!#" "')(!#%%("
1!
/0!
20!
(&-', ("
Nachsorge (Bildgebung nach 6–12 Monaten)
Operation
. Abb. 4.59. Flussdiagramm zur Abklärung und Therapie der zufällig diagnostizierten Nebennierenraumforderung
4.4.7.6 Therapie Die Behandlung des Nebenniereninzidentaloms ist weiterhin strittig, da prospektive, kontrollierte Studien bisher fehlen. Das von der NIH-Konsensus-Konferenz empfohlene Vorgehen richtet sich nach der endokrinen Aktivität und der Größe des nachgewiesen Nebennierenzufallstumors (. Abb. 4.59; Grumbach et al. 2002). Als Grundregel wird die operative Entfernung von endokrin aktiven Tumoren empfohlen, unabhängig von der Tumorgröße. Beim Phäochromozytom ist dabei auf eine entsprechende pharmakologische Vorbehandlung zu achten. Ist der Tumor endokrin inaktiv, entscheidet die Tumorgröße über das weitere Vorgehen. Neueren Autopsieserien zufolge (Copeland 1999) sind weniger als 2% der Nebennierenrindenadenome größer als 4 cm und weniger als 0,03% größer als 6 cm, während 92% der Nebennierenkarzinome eine Größe von mindestens 6 cm haben. Demzufolge besteht bei Tumoren >6 cm eine absolute Operationsindikation wegen des Risikos der Malignität. Bei Tumoren <3 cm ist hingegen eine Operationsindikation nicht gegeben und das Vorgehen beschränkt sich auf sonographische und computertomographische Verlaufskontrollen. Die Frage, ob eine Adrenalektomie bei Tumoren zwischen 3 und 6 cm grundsätzlich angestrebt werden sollte, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht sicher beantworten. Ein wesentliches Problem ist hierbei, dass genaue Angaben zur Adrenalektomie-bedingten Morbidität und Mortalität, vor allem vor dem Hintergrund der neueren laparoskopischen Techniken, noch nicht in ausreichendem Umfang
vorliegen. Eine kurzfristige Größenkontrolle nach 6 Monaten kann zur Entscheidungsfindung wesentlich beitragen. Lässt sich hier eine signifikante Größenzunahme nachweisen (>1 cm), ist eine Operationsindikation gegeben, da ein Malignomverdacht geäußert werden muss. Myelolipome, die mittels CT zuverlässig diagnostiziert werden können, bedürfen bis zu einer Größe von 10 cm keiner operativen Therapie. Größere Tumoren dieses Typs sollten jedoch wegen der Gefahr einer spontanen Ruptur und der damit verbundenen Blutung entfernt werden. In Zweifelsfällen kann die Kernspintomographie hilfreich sein, um die Dignität einer Raumforderung sicherer einzuordnen. Literatur Barzon L, Scaroni C, Sonino N, Fallo F, Paoletta A, Boscaro M (1999) Risk factors and long-term follow-up of adrenal incidentalomas. J Clin Endocrinol Metab 84:520–526 Bergstrom M, Juhlin C, Bonasera TA, Sundin A, Rastad J, Akerstrom G, Langstrom B (2000) PET imaging of adrenal cortical tumors with the 11beta-hydroxylase tracer 11C-metomidate. J Nucl Med 41:1933– 1934 Caoili EM, Korobkin M, Francis IR, Cohan RH, Platt JF, Dunnick NR, Raghupathi KI (2002) Adrenal masses: characterization with combined unenhanced and delayed enhanced CT. Radiology 222:629–633 Copeland PM (1999) The incidentally discovered adrenal mass: an update. The Endocrinologist 9:415–423 Dackiw AP, Lee JE, Gagel RF, Evans DB (2001) Adrenal cortical carcinoma. World J Surg 25:914–926
362
4
Kapitel 4 · Nebennieren
Fardella CE, Mosso L, Gomez-Sanchez C, Cortes P, Soto J, Gomez L, Pinto M, Huete A, Oestreicher E, Foradori A, Montero J. (2000) Primary hyperaldosteronism in essential hypertensives: prevalence, biochemical profile, and molecular biology. J Clin Endocrinol Metab 85:1863– 1867 Grumbach MM, Biller BM, Braunstein GD, Campbell KK, Carney JA, Godley PA, Harris EL, Lee JK, Oertel YC, Posner MC, Schlechte JA, Wieand HS (2003) Management of the clinically inapparent adrenal mass (»incidentaloma«). Ann Intern Med 138:424–429 Heinz-Peer G, Honigschnabl S, Schneider B, Niederle B, Kaserer K, Lechner G (1999) Characterization of adrenal masses using MR imaging with histopathologic correlation. Am J Roentgenol 173:15–22 Kann PH, Wirkus B, Behr T, Klose KJ, Meyer S (2004) Endosonographic imaging of benign and malignant pheochromocytomas. J Clin Endocrinol Metab 89: 1694–1697 Kley HK, Wagner H, Jaresch S, Jungbluth R, Schlaghecke R (1990) Endokrin inaktive Nebennierentumoren. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Diagnostik und therapeutische Strategien bei Nebennierenerkrankungen. Schattauer, Stuttgart, S 216–222 Kumar R, Xiu Y, Yu JQ, Takalkar A, El-Haddad G, Potenta S, Kung J, Zhuang H, Alavi A (2004) 18F-FDG PET in evaluation of adrenal lesions in patients with lung cancer. J Nucl Med 45:2058–62. Mantero F, Masini AM, Opocher G, Giovagnetti M, Arnaldi G (1997) Adrenal incidentaloma: An overview of hormonal data from the National Italian Study Group. Horm Res 47:284–289 Phillips JL, Walther MM, Pezzullo JC, Rayford W, Choyke PL, Berman AA, Linehan WM, Doppman JL, Gill Jr JR Jr. (2000) Predictive value of preoperative tests in discriminating bilateral adrenal hyperplasia from an aldosterone-producing adrenal adenoma. J Clin Endocrinol Metab 85:4526–33 Reincke M, Allolio B (1995) Das Nebenniereninzidentalom: Die Kunst der Beschränkung in Diagnostik und Therapie. Dtsch Ärztebl 92:764–770 Reincke M, Nieke J, Krestin GP, Saeger W, Allolio B, Winkelmann W (1992) Preclinical Cushing’s syndrome in patients with adrenal »incidentalomas«: comparison with adrenal Cushing’s syndrome. J Clin Endocr 75:826–832 Seiler L, Reincke M (2003) Der Aldosteron-Renin-Quotient bei sekundärer Hypertonie. Herz 28:686–691 Wajchenberg BL, Albergaria Pereira MA, Medonca BB, Latronico AC, Campos Carneiro P, Alves VA, Zerbini MC, Liberman B, Carlos Gomes G, Kirschner MA (2000) Adrenocortical carcinoma: clinical and laboratory observations. Cancer 88:711–736
4.4.8 Adrenokortikales Karzinom
O. Zwermann, M. Reincke ) ) Das Nebennierenrindenkarzinom ist ein seltener, hochmaligner Tumor. Seine jährliche Inzidenz liegt bei ca. 1 auf 2 Mio. Einwohner. Etwa 0,2% aller Krebstodesfälle sind durch das Nebennierenrindenkarzinom verursacht. Bei Diagnosestellung liegt häufig schon ein fortgeschrittenes Stadium mit lokaler Invasion oder Fernmetastasierung vor. Die Prognose der Erkrankung ist ungünstig: Auch bei Ausnutzung aller Behandlungsmöglichkeiten ist die Hälfte der Patienten nach den ersten 2 Jahren verstorben, die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei nur 20%.
4.4.8.1 Klinische Symptomatik Das Nebennierenrindenkarzinom kann in jedem Lebensalter auftreten, bevorzugt aber im 4. und 5. Lebensjahrzehnt (Arlt et al.
1990). Grundsätzlich werden endokrin aktive von endokrin inaktiven Karzinomen unterschieden. Bei genauer biochemischer Diagnostik erweisen sich deutlich mehr als die Hälfte aller Karzinome als endokrin aktiv. Eine endokrine Symptomatik besteht allerdings nur bei ca. 40% der Patienten (Didolkar et al. 1981; Nader et al. 1983). Die häufigste endokrine Störung ist die autonome Glukokortikoidsekretion mit Ausbildung eines CushingSyndroms. Hier finden sich Muskelschwäche, stammbetonte Adipositas, Hautatrophie, Wirbelfrakturen etc. (7 Kap. 4.4.5). Bei Kindern ist das Nebennierenrindenkarzinom die häufigste Ursache eines Cushing-Syndroms. Androgenbildende Tumoren führen bei Frauen zur Virilisierung mit Glatzenbildung, Klitorishypertrophie und Vertiefung der Stimmlage. Eine gesteigerte Androgenbildung kann gleichzeitig auch mit anderen Endokrinopathien, z. B. Glukokortikoidexzess, einhergehen. Östrogenproduzierende Nebennierentumoren beim Mann sind praktisch immer als maligne anzusehen. Es kommt zu Gynäkomastie, Hodenatrophie, Oligospermie und Impotenz. Weiterhin weist ein erhöhter Wert für DHEAS im Serum auf das Vorliegen eines Karzinoms hin. Ein primärer Hyperaldosteronismus beim Nebennierenrindenkarzinom ist selten. Eine hypokaliämische Hypertonie aber findet sich häufig als Folge einer Mehrsekretion von Steroidvorstufen mit mineralokortikoider Wirkung (z. B. Desoxycorticosteron) oder bei exzessiver Sekretion von Kortisol, da Kortisol in hohen Konzentrationen eine mineralokortikoide Wirkung entfaltet. 4.4.8.2 Klassifikation Das Nebennierenrindenkarzinom lässt sich nach der TNMKlassifikation und nach der im Angelsächsischen gebräuchlichen MacFarlane-Klassifikation einteilen (. Tab. 4.15). Tumoren im Stadium I haben generell eine gute Prognose mit Langzeitremissionen nach Tumorresektion. Allerdings ist bei dieser Tumorgröße die Unterscheidung zwischen Adenom und Karzinom nach histopathologischen Kriterien alleine schwierig. Tumoren im Stadium II sind größer als 5 cm im maximalen Durchmesser, bleiben aber auf die Nebenniere beschränkt. Die Mehrheit der Patienten im Tumorstadium II entwickeln zu einem späteren Zeitpunkt ein Tumorrezidiv oder Fernmetastasen. Die Wahrscheinlichkeit einer Metastasierung ist größer bei Patienten mit großen Tumoren, ausgedehnten Tumornekrosen, vaskulärer Tumorinvasion und hoher mitotischer Aktivität. Die 5-JahresÜberlebenszeit von Patienten mit Stadium II ist 30–58%, wenn der Tumor makroskopisch komplett reseziert wurde.
. Tab. 4.15. Stadieneinteilung des Nebennierenrindenkarzinoms nach MacFarlane
Stadium
TNM-Klassifikation
I
T1 N0 M0
II
T2 N0 M0
III
T3 N0 M0 oder T1–3 N1 M0
IV
T1–3 N0–1 M1
T1 Tumor <5 cm; T2 Tumor >5 cm; T3 lokal infiltrierend; N1 regionaler Lymphknotenbefall; M1 Fernmetastasen
363 4.4 · Nebennierentumoren
Mehr als 70% aller Patienten haben ein Nebennierenkarzinom Stadium III oder IV zum Zeitpunkt der Diagnose (Söreide et al. 1992). Stadium III umfasst Tumoren mit lokalinvasivem Wachstum oder lokalen Lymphknotenmetastasen, ohne dass aber die umliegenden Organe betroffen sind. Trotz einer kompletten Resektion haben praktisch 100% aller Patienten im Stadium III ein Tumorrezidiv oder Fernmetastasen innerhalb von 5 Jahren nach Resektion. Die 5-Jahres-Überlebensrate im Stadium III ist im Allgemeinen geringer als 30%. Tumoren im Stadium IV haben einen Durchmesser von mehr als 5 cm mit Invasion der umliegenden Organe oder mit Fernmetastasen. Betroffen von der Tumorinfiltration sind vor allem die Nieren, das Mesenterium, das Retroperitoneum, Pankreas, Diaphragma, die Nierenvene und die V. cava inferior. Das Nebennierenkarzinom kann außerdem zu paraaortalen Lymphknotenmetastasen führen, häufiger ist allerdings eine hämatogene Metastasierung. Die Metastasierung betrifft die Lymphknoten (25–46%), Lunge (47–97%), Leber (53–68%), Abdomen (33–43%) und Knochen (11–33%). Die 5-Jahres-Überlebensrate von Patienten im Stadium IV ist weniger als 15%, selbst wenn eine komplette Tumorresektion möglich war. 4.4.8.3 Pathogenese und Pathophysiologie Die Entstehung des Nebennierenrindenkarzinoms ist bisher nicht aufgeklärt. Nebennierenrindenkarzinome sind bei familiären Tumorsyndromen, wie dem Li-Fraumeni-Syndrom, dem Beckwith-Wiedemann-Syndrom, dem unbehandelten adrenogenitalen Syndrom und dem Carney-Komplex, beschrieben worden (Reincke 1998). Mutationen in sporadischen Tumoren finden sich im p53-Tumorsuppressorgen und am IGF-II-Genlocus. Die Steroidsekretion der Tumorzellen ist ineffektiv und in der Regel ACTH-unabhängig. Das Sekretionsmuster ist häufig verschoben, sodass überproportional adrenale Androgene und Vorstufen der Mineralokortikoide und Glukokortikoide produziert werden. Die Ursache hierfür liegt möglicherweise darin, dass die Steroidbiosynthese der 11-β-Hydroxylase insuffizient ist und es damit zu einer Anhäufung der Vorstufen kommt. Selten treten bei Nebennierenkarzinomen tumorinduzierte Hypoglykämien auf, die durch eine parakrine IGF-II-Aktivität mit konsekutiver Steigerung der Glukoseaufnahme bei großer Tumormasse entstehen. 4.4.8.4 Diagnostik Bildgebende Verfahren. Wenn Patienten durch die Symptome
der Raumforderung auffällig werden, liegt initial meist bildgebende Diagnostik vor. Der Tumor kann mit allen Verfahren gut dargestellt werden. Sein Durchmesser beträgt bei Diagnosestellung in der Regel mehr als 8 cm, das Gewicht liegt bei mehr als 500 g (. Abb. 4.60). Sonographisch findet sich eine variable Echotextur mit heterogenem Muster, Nachweis von Tumornekrosen, Einblutungen und auch Kalzifizierungen. Computertomographische Kriterien für das Vorliegen eines Nebennierenrindenkarzinoms sind typischerweise wechselnde Dichtewerte als Ausdruck der Nekrose und eine unregelmäßige Kontrastmittelanreicherung mit spätem Wash-out. Nachweis von Kalzifizierungen und gelegentlich ein schmaler kapselähnlicher Ring, der den Tumor umgibt, sind weitere Karzinomkriterien. Meist liegt die Dichte aufgrund verminderten Lipid-Gehalts über 10 Hounsfield-Einheiten nativ. Kernspintomographisch findet sich charakteristischerweise eine hohe Signalintensität in den T2-gewichteten Bildern sowie ein lange anhaltendes Kontrastmittel-Enhance-
4
. Abb. 4.60. Typischer CT-Befund eines Nebennierenkarzinoms: sehr große, inhomogene Raumforderung rechts
ment nach Gabe von Gadolinium-DTPA. Dadurch unterscheidet sich das Signalverhalten von demjenigen benigner Nebennierentumoren (Krestin et al. 1989). Die 18Fluordeoxyglukose-Positronenemissionstomographie (18F-FDG-PET) kann bei der Abgrenzung zwischen benignen und malignen Nebennierentumoren hilfreich sein. Weiterhin können durch sie okkulte Metastasen detektiert werden. Dieses Verfahren eignet sich deshalb besonders zum Staging. Endokrine Diagnostik. Einerseits leitet die klinische Präsentation des Patienten die zielgerichtete endokrine Diagnostik. Andererseits ist auch bei klinisch endokrin inaktiven Tumoren eine biochemische Diagnostik sinnvoll, um hierdurch eine subklinische endokrine Aktivität aufzudecken und einen geeigneten Tumormarker zur Überwachung der postoperativen Therapie zu identifizieren (. Tab. 4.16). Die Messung der adrenalen Androgene, des Kortisols und von Steroidvorstufen erfolgen grundsätzlich unter Dexamethasonsuppression, um die Autonomie der Steroidproduktion nachzuweisen. Vor der geplanten Adrenalektomie ist in jedem Fall ein subklinisches adrenales Cushing-Syndrom auszuschließen, um eine postoperative Nebennierenkrise zu vermeiden. Weiterhin muss differenzialdiagnostisch ein Phäochromozytom durch Katecholaminbestimmung im 24-h-Urin ausgeschlossen werden um intraoperativen Komplikationen vorzubeugen. Weitere Diagnostik und Staging. Die Feinnadelpunktion des Tumors unklarer Dignität ist fast nie indiziert, da die Tumorgröße in der Regel eine Indikation zur operativen Entfernung darstellt und die pathologische Differenzierung von benignen versus malignen Nebennierenraumforderungen im Biopsat problematisch ist. Außerdem ist für das Nebennierenkarzinom das Auftreten von Stichkanalmetastasen beschrieben worden. Die Metastasensuche umfasst die Röntgenaufnahme des Thorax, ein Thorax-CT, Abdomen-CT und eine Knochenszintigraphie, sowie ggf. eine 18 F-FDG-PET. Differenzialdiagnose. Die Differenzialdiagnose gleicht der der zufällig entdeckten Nebennierenraumforderung (7 Kap. 4.4.7).
364
Kapitel 4 · Nebennieren
. Tab. 4.16. Endokrinologische Diagnostik beim Nebennierenkarzinom Basisprogramm
4
Obligat
Serumkortisol im Dexamethasonhemmtest (2 mg) DHEA-S Katecholamine im 24-h-Urin (zum differenzialdiagnostischen Ausschluss eines Phäochromozytoms)
Fakultativ (bei klinischer Symptomatik)
Testosteron, 17-β-Östradiol, LH, FSH (Virilisierung/Feminisierung) Reninaktivität (bzw. -konzentration) und Aldosteron im Plasma, Desoxykortikosteron im Serum (Hypertonie/Hypokaliämie)
Erweiterte Diagnostik bei pathologischem Basisprogramm Cushing-Syndrom
Kortisol im 24-h-Urin Hochdosierter Dexamethasonhemmtest (8 mg) CRH-Stimulationstest
Virilisierung/Feminisierung
LHRH-Test DHEA-S, Testosteron, 17-β-Östradiol im Dexamethasonhemmtest
Mineralokortikoidhypertonie
Aldosteron-18-Glukoronid/Tetrahydroaldosteron im 24-h-Urin NaCl-Belastungstest
Abgegrenzt werden müssen Nebennierenrindenadenome, Nebennierenmetastasen (bevorzugt Mammakarzinom, Bronchialkarzinom und malignes Melanom) sowie retroperitoneale Tumoren (Fibrosarkome, Rhabdomyosarkome, Nierenzellkarzinome etc.), die im CT als Nebennierenraumforderung gelegentlich fehlgedeutet werden. Eine wichtige Differenzialdiagnose ist das Phäochromozytom, das morphologisch durch seine inhomogene zystische Struktur mit einem Nebennierenrindenkarzinom verwechselt werden kann. Hierzu trägt auch das ähnliche Verhalten in der Kernspintomographie bei (7 Kap. 4.4.2). Ein Phäochromozytom muss daher biochemisch ausgeschlossen werden, da eine intraoperative Katecholaminfreisetzung tödliche Komplikationen hervorrufen kann. 4.4.8.5 Chemotherapie und Strahlentherapie Wegen der Seltenheit des Nebennierenrindenkarzinoms ist die Durchführung von Therapiestudien äußerst schwierig. Deshalb gibt es bisher keine medikamentöse Therapie bzw. Strahlentherapie, deren Wirksamkeit in prospektiven randomisierten Studien etabliert wurde. Die wichtigste Substanz ist Mitotane (Lysodren), eine vom DDT-abgeleitete adrenolytische Verbindung, die erstmals 1960 klinisch eingesetzt wurde (Bergenstal et al. 1960). Mitotane wirkt selektiv adrenotoxisch und führt zur Zerstörung von Nebennierengewebe sowie zur Hemmung unterschiedlicher Enzymsysteme in der Nebenniere. Die Wirksamkeit von Mitotane beim Nebennierenrindenkarzinom ist variabel, und anhaltende Remissionen und Heilungen sind eher die Ausnahme. Langsam wachsende Karzinome mit Hormonaktivität sprechen eher an als rasch progrediente undifferenzierte endokrin inaktive Tumoren (Luton et al. 1990). Die Dosis wird schrittweise bis an die Grenze der Toleranz gesteigert. Maximaldosen bis 12 g/Tag können eingesetzt werden, sind aber in der Regel aufgrund der Nebenwirkungen nicht erreichbar. Diese bestehen in gastrointestinalen Störungen mit Übelkeit, Erbrechen sowie zentralnervösen Nebenwirkungen mit Müdigkeit, Adynamie, Anorexie, Schwäche, Schwindel, Sprachstörungen und Ataxie. Mäßige Transaminasenerhöhungen werden regelhaft beobachtet. Prinzipiell sollte man
versuchen, eine Tagesdosis von 3–6 g langfristig zu erreichen. Aufgrund der außerordentlich langen Halbwertszeit und der Kumulation im Fettgewebe steigen die Serumspiegel bei konstanter Dosis über einen Zeitraum von mehreren Monaten an und sinken nach Absetzen nur langsam wieder ab, sodass auch die Nebenwirkungen nur langsam wieder abklingen. Durch Monitoring der Serumspiegel (Zielbereich 14–20 mg/l) ist es möglich, die Effektivität zu steigern und die Nebenwirkungen zu reduzieren, da einerseits Spiegel unter 14 mg/l keinen Effekt auf das Tumorwachstum zu haben scheinen und andererseits ab einem Spiegel von 20 mg/l die Nebenwirkungen stark zunehmen. Unter der Therapie mit Mitotane ist der Kortisolmetabolismus gesteigert. Eine hochdosierte Glukokortikoidsubstitution mit Dexamethason ist deshalb notwendig, um unter der Therapie eine Nebennierenrindeninsuffizienz zu verhindern und die Verträglichkeit der Behandlung zu verbessern. Das Plasma-ACTH sollte dabei im unteren Normbereich bleiben. Die Mineralokortikoidsubstitution muss so erfolgen, dass die Plasmareninaktivität bei Normotonie nicht erhöht ist. Insgesamt machen die Nebenwirkungen, die Gefahr der Nebennierenrindeninsuffizienz und die mehrwöchige Halbwertszeit die sorgfältige Überwachung der Mitotanetherapie durch einen erfahrenen Arzt erforderlich. Bei etwas mehr als 30% der Patienten kommt es unter einer Mitotanetherapie zu einem (partiellen) Ansprechen. Dieser Behandlungserfolg ist leider in der Regel nur kurzfristig und hält 6–10 Monate an. In Fallberichten ist allerdings wiederholt über komplette Remission bei Patienten mit Nebennierenkarzinom berichtet worden. Eine Verlängerung der Überlebenszeit durch die Mitotanetherapie ist bisher nicht belegt. Bei endokrin aktiven Tumoren, speziell beim Cushing-Syndrom, kann bei 50–60% aller Patienten mit Mitotane eine Remission der klinischen Symptomatik erzielt werden. Zahlreiche Chemotherapeutika sind zur Behandlung des Nebennierenrindenkarzinoms eingesetzt worden: Doxorubicin, BCNU, 5-Fluorouracil, Methotrexat, Cisplatin, Etoposid und andere (Bukowski et al. 1993; Johnson u. Greco 1986; Schlumberger et al. 1988). Eine Partialremission ist für alle dieser Therapeutika in Einzelfällen beschrieben worden. In vitro hat sich gezeigt,
365 4.4 · Nebennierentumoren
. Tab. 4.17. Kombinationstherapie von Mitotane und Polychemotherapie beim Nebennierenrindenkarzinom (Berruti et al. 1998) Tag 1
Adriamycin 20 mg/m2, Cisplatin 40 mg/m2
Tag 5–7
Etoposid 100 mg/m2
Tag 8
Adryamicin 20 mg/m2
Tag 9
Cisplatin 40 mg/m2 i.v. Mitotane 4 g/Tag kontinuierlich ab Tag 1 (Zyklusabstand 28 Tage)
. Tab. 4.18. Palliative Chemotherapie beim metastasierten Nebennierenrindenkarzinom Tag 1–5
Streptozotocin 1 g/Tag
Alle 21 Tage
Streptozotocin 1 g/Tag Mitotane kontinuierlich ab Tag 1 nach Serumspiegel (Ziel 14–20 mg/l)
dass Nebennierenrindenkarzinomgewebe aufgrund einer hohen Expression des »Multi-drug-resistance«-Gens ausgesprochen Chemotherapie-insensibel ist. Mitotane hemmt das »Multidrug-resistance«-Gen und kann so die Empfindlichkeit auf die Chemotherapeutika in vitro verbessern. Das Chemotherapieprotokoll (Berruti et al. 1998) mit der bisher beschriebenen höchsten Ansprechrate kombiniert deshalb die Mitotanetherapie mit einer Polychemotherapie (. Tab. 4.17). Von 28 so behandelten Patienten hatten 2 Patienten eine komplette Remission und 13 Pa-
4
tienten eine partielle Remission (gesamte Ansprechrate: 15 von 28; also 54%). Diese Zahlen konnten durch eine neuere Arbeit bestätigt werden. Streptozotocin scheint in Kombination mit Mitotane eine Ansprech-Rate von 36% zu erreichen. Eine unkontrollierte Studie konnte einen lebensverlängernden Effekt in der palliativen Situation zeigen (. Tab. 4.18). Aktuell wird im Rahmen der ersten multizentrischen, internationalen Studie zur Therapie des Nebennierenrindenkarzinoms (FIRM-ACT) diese Therapie mit dem Polychemotherapieprotokoll nach Berruti verglichen. Patienten mit fortgeschrittenem Nebennierenrindenkarzinom sollten möglichst im Rahmen dieser Studie behandelt werden (weitere Informationen unter www.nebennierenkarzinom. de oder www.firm-act.org). Angesichts der hohen Rezidivrate, auch bei scheinbar kompletter Resektion, wird eine adjuvante Chemotherapie ab Stadium II bei entsprechendem Risiko diskutiert. Aufgrund der bisherigen Datenlage kommen hier Streptozotocin und Mitotane zum Einsatz (Allolio et al. 2004). Kinder und Jugendliche sollten innerhalb der Therapiestudie der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie »Maligne Endokrine Tumoren im Kindes- und Jugendalter« (GPOH-MET97) behandelt werden. Sollen ausschließlich die endokrinen Symptome des Tumors behandelt werden, so sind andere Therapieoptionen mit den Adrenostatika Ketokonazol, Metyrapon und Aminoglutethimid vorhanden (. Tab. 4.19). Unter Ketokonazol sind auch in Einzelfällen Tumorrückbildungen berichtet worden. Bei einer entsprechenden Behandlung muss die Möglichkeit einer Nebennierenrindeninsuffizienz erwogen und ggf. eine Substitutionstherapie eingeleitet werden. Die Strahlentherapie des Nebennierenkarzinoms ist bisher wenig evaluiert. Eine Bestrahlung des Tumorbetts inklusive befallener Lymphknotenstationen wird für das Tumorstadium III (Markoe et al. 1991) empfohlen. Patienten im Stadium II können
. Tab. 4.19. Adrenostatische Therapie des Cushing-Syndroms
Substanz
Wirkmechanismus
Dosis
Nebenwirkungen
Ketokonazol (Nizoral)
Hemmung von 17,20-Desmolase, 17-α-Hydroxylase, 11-β-Hydroxylase
400–1200 mg/Tag
5 Transaminasenerhöhung 5 Übelkeit 5 Gynäkomastie 5 Medikamenteninduzierte Hepatitis (1:15.000)
Metyrapon (Metopiron)
Hemmung der 11-β-Hydroxylase (Desmolase)
750–2000 mg
5 Übelkeit 5 Müdigkeit 5 Hirsutismus
Aminoglutethimid (Orimeten)
Hemmung der Desmolase
500–2000 mg
5 Müdigkeit 5 Kopfschmerzen 5 Myalgien 5 Exantheme
Mitotane (Lysodren)
Zerstörung der Zona reticularis und fasciculata
3u0,5–3u4 g
5 Übelkeit 5 Erbrechen 5 Gewichtsverlust 5 Schwindel 5 Somnolenz
Etomidat (Hypnomidate)
Hemmung der 11-β-Hydroxylase
50–80 mg/Tag i.v.
5 Sedation 5 Atemdepression
366
Kapitel 4 · Nebennieren
in Einzelfällen bei hohem Lokalrezidivrisiko prophylaktisch bestrahlt werden (z. B. bei großem Primärtumor >10 cm oder bei operationsbedingtem Einriss der Tumorkapsel). Literatur
4
Arlt W, Reincke M, Winkelmann W, Allolio B (1990) Klinik und Therapie des Nebenniererindenkarzinoms. Therapiewoche 40: 2400–2406 Allolio B, Hahner S, Weismann D et al. (2004) Management of adrenocortical carcinoma. Clin Endocrinol 60:273–287 Bergenstal DM, Hertz R, Lipsett MB, Moy RH (1960) Chemotherapie of adrenocortical carcinoma with o,p’-DDD. Ann Intern Med 63:672–682 Berutti A, Terzolo M, Pia A et al. (1998) Mitotane associated with etoposide, doxorubicin and cisplatin in the treatment of advanced adrenocortical carcinoma. Italian Group for the Study of Adrenal Cancer. Cancer 83:2194–2000 Bukowski R, Wolfe MM, Levine HS, Crawford DE, Stephens RL, Aynor E, Harker WG (1993) Phase II trial of mitotane and cisplatin in patients with adrenal carcinoma: A southwest oncology group study. J Clin Oncol 11:161–165 Didolkar MS, Beschwer RA, Elias EG, Moore RH (1981) Natural history of adrenal cortical carcinoma: A clinicopathologic study of 42 patients. Cancer 47:2153–2161 Johnson DH, Greco FA (1986) Treatment of metastatic adrenal cortical carcinoma with cisplatin and etoposide (VP-16). Cancer 58:2198– 2002 Krestin GP, Steinbrich W, Friedmann G (1989) Adrenal masses: Evaluation with fast gradient-echo MR imaging and Gd-DTPA-enhanced dynamic studies. Radiology 171:675–680 Luton JP, Cerdas S, Billaud L et al. (1990) Clinical features of adrenocortical carcinoma, prognostic factors, and the effect of mitotane therapy. New Engl J Med 322:1195–1201 Markoe AM, Serber W, Micaily B, Brady LW (1991) Radiation therapy for adjunctive treatment of adrenal cortical carcinoma. Amer J Clin Oncol 14:170–174 Nader S, Hickey RC, Sellin RV, Sammaan NA (1983) Adrenal cortical car cinoma. Cancer 52:707–711 Reincke M (1998) Mutations in adrenocortical tumors. Horm Metab Res 30:417–455 Söreide JA, Braband K, Thoresen SÒ (1992) Adrenal cortical carcinoma in Norway, 1970–1984. World J Surg 16:663–668 Schlumberger M, Ostronoff M, Bellaiche M, Rougier P, Droz JP, Parmentier C (1988) 5-Flurouracil, doxorubicin, and cisplatin regimen in adrenal cortical carcinoma. Cancer 61:1492–1494
4.4.8.6 Operative Therapie
C. Nies ) ) Der einzig kurative Ansatz in der Behandlung des adrenokortikalen Karzinoms ist die radikale chirurgische Entfernung allen Tumorgewebes. Deshalb besteht bei lokal begrenzten Tumorstadien (Stadien I–III) nahezu immer eine Operationsindikation. Wegen der infausten Prognose ist die Operationsindikation bei Patienten mit Fernmetastasen kritisch zu stellen. Laparoskopische Operationsverfahren sollten bei dieser Erkrankung nur mit großer Zurückhaltung eingesetzt werden. Die beste Übersicht bietet der konventionelle thorakoabdominelle Zugang. Die Operation beinhaltet die radikale Entfernung des Primärtumors und in den meisten Zentren eine regionäre Lymphadenektomie. Ein prognostischer Vorteil ist für die Lymphadenektomie jedoch nicht nachgewiesen. Die Sinnhaftigkeit einer Resektion von Fernmetastasen ist im Einzelfall zu prüfen.
4.4.8.6.1 Indikationsstellung Primäreingriff. Das adrenokortikale Karzinom ist ein Tumor mit einer ausgesprochen schlechten Prognose. Die einzige Aussicht auf Heilung bietet die vollständige Entfernung des Tumors. Die Diagnose eines adrenokortikalen Karzinoms in den Stadien I–III stellt daher eine prinzipielle Operationsindikation dar. Patienten mit Fernmetastasen haben eine so schlechte Prognose, dass die Indikation zur Operation sehr kritisch gestellt werden muss. In diesem Stadium der Erkrankung liegt die 5-Jahres-Überlebensrate auch nach Entfernung des Primärtumors und anschließender adjuvanter Behandlung bei 0%, die mittlere Überlebenszeit beträgt nur 8 Monate (Icard et al. 1992). Dennoch kann auch in diesem Stadium ein operatives Vorgehen indiziert sein. Bei einer ausgeprägten endokrinen Aktivität des Tumors (z. B. schwere Cushing-Symptomatik) kann in Einzelfällen durch die Resektion des Primärtumors im Sinne eines Tumordebulkings eine Palliation erreicht werden. In den seltenen Fällen von solitären oder nur wenigen resektablen Metastasen ist vor allem bei jüngeren Patienten ein aggressives Vorgehen mit Entfernung von Primärtumor, regionärer Lymphadenektomie und Resektion der Metastasen (ggf. in einem Zweiteingriff) in Ermangelung einer besseren Therapieoption zu vertreten. Erste Erfahrungen mit neuen Chemotherapieprotokollen (7 Kap. 4.4.8.5) geben Anlass zur Hoffnung, dass hiermit die Prognose auch von Patienten mit einer disseminierten Tumorerkrankung verbessert werden kann. Die Wertigkeit dieser Therapien wird zurzeit noch in Studien überprüft. Im Rahmen derartiger Therapiestudien ist auch bei diesen Patienten die chirurgische lokoregionäre Kontrolle der Erkrankung als Voraussetzung für die anschließende adjuvante medikamentöse Behandlung sinnvoll. Lokalrezidiv und metachrone Fernmetastasen. In retrospektiven Studien zeigte sich bei Tumorrezidiven ein Überlebensvorteil für Patienten, bei denen das Tumorrezidiv vollständig entfernt werden konnte (Ircard et al. 1992; Pommier u. Brennan 1992; Jensen et al. 1991). Nach R0-Resektion von lokoregionären Tumorrezidiven wurde über 5-Jahres-Überlebensraten von 28–33% berichtet (Ircard et al. 1992; Jensen et al. 1991). Obwohl in diesen Studien z. T. die Gruppen der operierten Patienten und die der nicht-operierten Patienten vergleichbar schienen, sind die Ergebnisse dieser retrospektiven Analysen mit Vorsicht zu interpretieren. Prospektive Untersuchungen gibt es bei der Seltenheit dieses Tumors bisher nicht. Aufgrund der bisher vorliegenden Daten besteht jedoch bei Patienten mit lokoregionären Tumorrezidiven die Indikation u. U. auch zu wiederholten Reeingriffen. Die Indikation zur aggressiven Entfernung von Fernmetastasen ist umstrittener, wird jedoch von einigen Autoren ebenfalls befürwortet (Pommier u. Brennan 1992; Jensen et al. 1991).
4.4.8.6.2 Operationsvoraussetzungen Bildgebende Diagnostik. Die meisten adrenokortikalen Karzinome haben eine beträchtliche Größe (. Abb. 4.61). Um das Ausmaß der Operation und den Zugang planen zu können, ist eine entsprechende bildgebende Diagnostik erforderlich. Die meisten Tumoren weisen eine mehr oder weniger dicke Kapsel auf, eine Infiltration von Nachbarorganen ist selten. Die Computertomographie stellt die Trennschichten zwischen Tumor und angrenzenden Organen (Leber, Niere) zumeist unzureichend dar, sodass die lokale Tumorausdehnung häufig überschätzt wird.
367 4.4 · Nebennierentumoren
4
. Abb. 4.61a–c. Großes Nebennierenkarzinom. a Im Oberbauch-CT sichtbare Verdrängung der V. cava inferior nach ventral. b MRT (koronare Schnittebene): Abdrängung der Leber nach kranial und der Niere nach kaudal ohne Infiltration c Präparat mit Tumorthrombus in rechter Nebennierenvene und V. cava inferior
Eine Tumorausdehnung in das Venensystem (Tumorthrombus in der V. renalis und/oder in der V. cava inferior) ist vermutlich häufiger als zumeist angenommen wird. Mit derartigen intravasalen Tumormanifestationen muss in bis zu 36% der Fälle gerechnet werden (Cahill u. Sukov 1977; Langer et al. 2000). Ähnlich wie bei Nierenzellkarzinomen wurden Tumorzapfen mit einer Ausdehnung bis in den rechten Vorhof beschrieben. Eine solche Situation sollte präoperativ erkannt werden, denn sie kann u. U. besondere Maßnahmen (Herz-Lungen-Maschine, Venenersatz) erfordern (Hedican u. Marshall 1997). Aus diesem Grunde ist es empfehlenswert, präoperativ eine Kernspintomographie mit einer MR-Phlebographie der V. cava inferior und der Nierenvenen durchzuführen (Siegelbaum et al. 1994). Besonders bei großen Tumoren sollte an die Möglichkeit gedacht werden, dass aus Radikalitätsgründen eine Mitentfernung der Niere erforderlich ist. In diesen Fällen sollte man sich präoperativ mit Hilfe einer szintigraphischen Bestimmung der seitengetrennten Kreatininclearance Klarheit über die Funktion der gegenseitigen Niere verschaffen. Labordiagnostik. Kürzlich wurde von einer schwedischen Arbeitsgruppe darauf hingewiesen, dass das individuelle Steroidprofil eines adrenokortikalen Karzinoms eine für die Verlaufsbeobachtung des Patienten wichtige Information ist (Khorram-
Manesh et al. 1998). Tumorrezidive bzw. Metastasen produzieren dieselben Steroide wie der Primärtumor, sodass sich das im Urin des Patienten bestimmte Steroidprofil gewissermaßen als Tumormarker eignet. Rezidive können so u. U. erkannt werden, bevor sie in der bildgebenden Diagnostik nachweisbar sind. Aus diesem Grunde ist neben den üblichen Hormonuntersuchungen zur Festlegung der hormonellen Aktivität des Tumors die präoperative Untersuchung des Steroidprofils im Urin des Patienten empfehlenswert, jedoch nicht überall verfügbar. Medikamentöse Vorbehandlung. Die medikamentöse Vorbehandlung der Patienten richtet sich nach der endokrinen Aktivität des Tumors und gleicht im Wesentlichen der Vorbereitung von Patienten mit einer entsprechenden Symptomatik aufgrund benigner Nebennierentumoren. Eine Hypertonie muss eingestellt und Elektrolytverschiebungen müssen ausgeglichen werden. Dem erhöhten Infekt- und Thromboserisiko von Patienten mit kortisolproduzierenden Tumoren muss durch entsprechende Prophylaxen Rechnung getragen werden. Die peri- und postoperative Substitutionstherapie mit Kortikosteroiden bei diesen Patienten entspricht der von Patienten mit kortisolproduzierenden Nebennierenrindenadenomen (7 Kap. 4.4.5). Bei Patienten mit einem ausgeprägten Hyperkortisolismus kann eine Vorbehandlung mit Ketokonazol sinnvoll sein.
368
Kapitel 4 · Nebennieren
Patientenaufklärung. Der Verlauf einer Operation wegen eines
4
adrenokortikalen Karzinoms lässt sich nicht in allen Einzelheiten voraussehen. Daher muss der Patient neben möglichen Komplikationen auch über ggf. erforderliche Erweiterungen des Eingriffs informiert werden. An allgemeinen perioperativen Risiken sind insbesondere bei Patienten mit einem Hyperkortisolismus die postoperative Infektion und thromboembolische Komplikationen zu nennen. Diese Patienten sollten auch von der Notwendigkeit einer vorübergehenden postoperativen Kortisolsubstitution in Kenntnis gesetzt werden. Die Möglichkeit einer Verletzung der dem Tumor benachbarten Gefäße (V. cava inferior bzw. die Gefäße des Nierenstiels) und daraus resultierende u. U. transfusionspflichtige Blutungen müssen mit dem Patienten besprochen werden. Ebenso sollte er über die Möglichkeit einer Verletzung von angrenzenden parenchymatösen Organen (Leber, Milz, Niere, Pankreas) und die Tatsache informiert werden, dass eine solche Verletzung zu einem vollständigen oder teilweisen Verlust des entsprechenden Organs führen kann. In Grundzügen sollte dem Patienten auch erklärt werden, dass aus Radikalitätsgründen ggf. eine Nephrektomie, eine Leber-
teilresektion, eine Zwerchfellresektion oder eine Teilresektion der V. cava inferior mit entsprechendem Venenersatz erforderlich sein kann. 4.4.8.6.3 Operatives Vorgehen Lagerung und Zugang. Die laparoskopischen Techniken galten bei der chirurgischen Behandlung des adrenokortikalen Karzinoms lange als kontraindiziert (Nies et al. 1997). Inzwischen gibt es eine Reihe von Experten auf dem Gebiet der laparoskopischen Adrenalektomie, die ein minimalinvasives Vorgehen auch bei malignen Nebennierentumoren für gerechtfertigt halten (Henry et al. 2002; Porpiglia et al. 2004; Saunders u. Doherty 2004; Sturgeon u. Kebebew 2004). Es findet sich jedoch auch eine Reihe von Berichten über eine lokoregionäre Tumoraussaat mit katastrophalen Verläufen nach laparoskopischer Entfernung von malignen Nebennierentumoren in der Literatur (Suzuki et al. 1997; Hofle et al. 1998; Decker et al. 1999; Foxius et al. 1999; Bonjer et al. 2000; Iino et al. 2000). Ein minimalinvasives Vorgehen bei einem Patienten mit Verdacht auf adrenokortikales Karzinom ist daher meines Erachtens kontraindiziert (. Abb. 4.62). Die Wahl
. Abb. 4.62. Lokalrezidiv eines Nebennierenkarzinoms nach laparoskopischer Entfernung (beide oberen Bilder, großer Pfeil) und Implantationsmetastasen im Trokarkanal (beide unteren Bilder, kleine Pfeile)
369 4.4 · Nebennierentumoren
des konventionellen Zugangs und die dafür erforderliche Lagerung des Patienten hängen im Wesentlichen von der Größe des Tumors ab. Die meisten adrenokortikalen Karzinome haben zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits eine beträchtliche Größe, sodass ihre Entfernung eine entsprechend großzügige Exposition erfordert. Daher ist auch der dorsale Zugang durch das Bett der 12. Rippe ungeeignet. Der thorakoabdominelle Zugang bietet die beste Übersicht (7 Kap. 4.2). Der Patient liegt in Rückenlage, wobei der Oberkörper auf der betroffenen Seite etwas angehoben wird. Exploration und Exposition. Nach Inzision im 9. Interkostalraum mit Verlängerung des Schnitts bis zum Nabel und nach Inzision des Zwerchfells bis zu einer optimalen Exposition sollte zunächst die Leber auf metastasenverdächtige Veränderungen untersucht werden. Anschließend werden bei rechtsseitigen Tumoren Leber, rechte Kolonflexur und Duodenum, bei linksseitigen Tumoren linke Kolonflexur, Milz und Pankreasschwanz mobilisiert, um die Ventralfläche des Tumors zu exponieren. Kontrolle der Gefäßversorgung und Resektion des Tumors. Es empfiehlt sich, den Tumor frühzeitig von der V. cava inferior bzw. den Nierenstielgefäßen abzupräparieren und die V. suprarenalis zu unterbinden. Hierbei ist auf die Möglichkeit eines Tumorthrombus in den abführenden Venen zu achten. Kleine Thromben können nach Eröffnung der Vene entweder direkt oder mit Hilfe eines großlumigen Thrombektomiekatheters entfernt werden. Reicht ein Tumorthrombus bis in das rechte Atrium, so muss der Patient sternotomiert und ggf. mit kardiochirurgischer Hilfe (kardiopulmonaler Bypass) operiert werden. Auf eine solche Situation sollte man jedoch durch entsprechende präoperative Diagnostik vorbereitet sein. Aufgrund der Größe des Tumors sind die versorgenden Arterien oft sehr kräftig und müssen sorgfältig ligiert werden. In den meisten Fällen lässt sich zwischen Tumor und angrenzenden Organen (Leber, Niere) eine gute Trennschicht finden. Eine Nephrektomie oder Leberresektion ist aus Radikalitätsgründen nur selten erforderlich. Cave Eine Verletzung der Tumorkapsel mit einer resultierenden Aussaat von Tumorzellen ist unbedingt zu vermeiden.
4
4.4.8.6.4 Ergebnisse Operationssterblichkeit. Die Mortalität nach Eingriffen wegen
adrenokortikalen Karzinomen ist nicht unerheblich und wird mit 4–10% angegeben (Icard et al. 1992a, Luton et al. 1990). Die Todesfälle betreffen überwiegend Patienten mit den Tumorstadien III und IV, bei denen ausgedehnte Resektionen wegen der Infiltration von Nachbarorganen erforderlich sind (Icard et al. 1992). Aus diesem Grunde sollte – wie oben erwähnt – die Indikation zu ausgedehnten Operationen bei Patienten mit dissemierter Tumorerkrankung (Stadium IV) sehr kritisch gestellt werden. Langzeitergebnisse. Die Literaturangaben zur 5-Jahres-Über-
lebensrate von allen Patienten mit adrenokortikalen Karzinomen schwanken zwischen 19 und 58% (Gröndal et al. 1990; Icard et al. 1992; Khorram-Manesh et al. 1998; Venkatesh et al. 1989). Die Selektion der Patienten spielt bei diesen Zahlen eine entscheidende Rolle. So ist die Prognose nach vermeintlich kurativer Operation (R0-Resektion) mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 40–45% besser (Gröndal et al. 1990; Icard et al. 1992a). Prognose. Das entscheidende Prognosekriterium ist das Tumorstadium (Gröndal et al. 1990; Soreide et al. 1992; Icard et al. 2001). Die mittlere Überlebenszeit von Patienten mit Tumoren im Stadium I oder II beträgt 35 Monate, im Stadium III 26 Monate und im Stadium IV 9 Monate (Pommier u. Brennan 1992).
Die Prognose der Erkrankung wird im Wesentlichen von dem Tumorstadium bestimmt.
In geringem Maße ist die Prognose auch von anderen Faktoren bzw. Tumorcharakteristika abhängig. So haben Patienten mit einem Alter von unter 35 Jahren eine bessere Prognose als ältere Patienten (Icard et al. 2001). Ebenso haben Patienten mit Tumoren, die Hormonvorstufen sezernieren, einen gewissen Überlebensvorteil (Icard et al. 2001). Auch androgenproduzierende Tumoren sind mit einer etwas besseren Prognose assoziiert (Icard et al. 1992). Patienten mit Tumorrezidiven haben eine umso bessere Prognose, je größer das Zeitintervall zwischen Erstoperation und Auftreten des Rezidivs ist (Khorram-Manesh et al. 1998). Literatur
Lymphadenektomie. Es wird zumeist empfohlen, nach der Ent-
fernung des Tumors eine regionäre Lymphadenektomie durchzuführen. Diese Empfehlung wird bisher durch keine wisssenschaftlichen Daten unterstützt. Eine Verbesserung der Prognose nach Lymphadenektomie wurde bisher nicht nachgewiesen. Lymphknotenmetastasen eines adrenokortikalen Karzinoms sind selten, viele Patienten mit Lymphknotenmetastasen haben auch bereits Fernmetastasen (Nies u. Langer 2003). Sofern eine Lymphknotendissektion durchgeführt wird, muss der Nierenstiel freipräpariert werden. Das Fett- und Bindegewebe mit den darin enthaltenen Lymphknoten oberhalb des Nierenstiels einschließlich der Nierenfettkapsel in diesem Bereich wird bis zum Zwerchfell ausgeräumt. Auch die interaortokavalen Lymphknoten oberhalb der Nierenarterienabgänge sollten entfernt werden.
Bonjer HJ, Sorm V, Berends FJ, Kazemier G, Steyerberg EW, deHerder WW, Bruining HA (2000) Endoscopic retroperitoneal adrenalectomy: lessons learned from 111 consecutive cases. Ann Surg 232:796–803 Cahill PJ, Sukov RJ (1977) Inferior vena cava involvement by adrenal cortical carcinoma. Urology 10:604–607 Deckers S, Derdelinckx L, Col V, Hamels J, Maiter D (1999) Peritoeal carcinomatosis following laparoscopic resection of an adrenocortical tumor causing primary hyperaldosteronism. Horm Res 52:987–990 Foxius A, Ramboux A, Lefebvre Y, Broze B, Hamels J, Squifflet JP (1999) Hazards of laparoscopic adrenalectomy for Conn´s adenoma: when enthusiasm turns to tragedy. Surg Endosc 13:715–717 Gröndal S, Cedermark B, Ericksson B et al. (1990) Adrenocortical carcinoma: A retrospective study of a rare tumor with a poor prognosis. Eur J Surg Oncol 16:500–506 Hedican SP, Marshall FF (1997) Adrenocortical carcinoma with intracaval extension. J Urol 158:2056–2061 Henry JF, Sebag F, Iacobone M, Mirallie E (2002) Results of laparoscopic adrenalectomy for large and potentially malignant tumors. World J Surg 26:1043–1047
370
4
Kapitel 4 · Nebennieren
Hofle G, Gasser RW, Lhotta K, Janetschek G, Kreczy A, Finkenstedt G (1998) adrenocortical carcinoma evolving after diagnosis of preclinical Cushing´s syndrome in an adrenal incidentaloma. A case report. Horm Res 50:237–242 Icard P, Chapuis Y, Andreassian B, Bernard A, Proye C (1992) Adrenocortical carcinoma in surgically treated patients: A retrospective study on 156 cases by the French association of endocrine surgery. Surgery 112: 972–980 Icard P, Louvel A, Chapuis Y (1992a) Survival rates and prognostic factors in adrenocortical carcinoma. World J Surg 16:753–758 Icard P, Goudet P, Charpenay C, Andreassian B, Carnaille B, Chapuis Y, Cougard P, Henry JF, Proye C (2001) Word J Surg 25:891–897 Iino K, Oki Y, Sasano H (2000) A case of adrenocortical carcinoma associated with recurrence after laparoscopic surgery. Clin Endocrinol 53:243–248 Jensen JC, Pass HI, Sindelar WF, Norton JA (1991) Recurrent or metastatic disease in select patients with adrenocortical carcinoma. Arch Surg 126:457–461 Khorram-Manesh A, Ahlman H, Jansson S et al. (1998) Adrenocortical carcinoma: Surgery and mitotane for treatment and steroid profiles for follow-up. World J Surg 22:605–612 Langer P, Bartsch D, Moebius E, Rothmund M, Nies C (2000) Adrenocortical carcinoma – our experience with 11 cases. Langenbecks Arch Surg 385:393–397 Luton JP, Cerdas S, Billaud L et al. (1990) Clinical features of adrenocortical carcinoma, prognostic factors, and the effect of mitotane therapy. N Engl J Med 322:1195–1201 Nies C, Möbius E, Rothmund M (1997) Laparoskopische Nebennierenchirurgie. Chirurg 68:99–106 Nies C, Langer P (2003) Minimally invasive adrenalectomy and malignant adrenal tumors. Eur Surg 35:76–79 Pommier RF, Brennan MF (1991) An eleven-year experience with adrenocortical carcinoma. Surgery 112:963–971 Porpiglia F, Fiori C, Tarabuzzi R, Giraudo G, Garrone C, Morino M, Fontana D, Scarpa RM (2004) Is laparoscopic adrenalectomy feasible for adrenocortical carcinoma or metastasis? BJU Int 94:1026–1029 Saunders BD, Doherty GM (2004) Laparoscopic adrenalectomy for malignant disease. Lancet Oncol 5:718–726 Siegelbaum MH, Moulsdale JE, Murphy JB, McDonald GR (1993) Use of magnetic resonance imaging scanning in adrenocortical carcinoma with vena caval involvement. Urology 43:869–873 Soreide JA, Braband K, Thoresen SO (1992) Adrenal cortical carcinoma in Norway, 1970–1984. World J Surg 16:663–668 Sturgeon C, Kebebew E (2004) Laparoscopic adrenalctomy for malignancy. Surg Clin North Am 84:755–774 Suzuki K, Ushiyama T, Mugiya S, Kageyama S, Saisu K, Fujita K (1997) Hazards of laparoscopic adrenalectomy in patients with adrenal malignanacy. J Urol 158:2227 Venkatesh S, Hickey RC, Sellin RV, Fernandez JF, Samaan NA (1989) Adrenal cortical carcinoma. Cancer 64:765–769
Folgeerscheinung der Adrenalektomie
4.5
N. Reisch, M. Reincke ) ) Operative Eingriffe der Nebenniere haben das Ziel, einen Hormonexzess zu beseitigen und tumoröses Gewebe zu entfernen. Als Folge des Eingriffs kommt es, je nach zugrundeliegender Erkrankung, zu einer permanenten oder vorübergehenden behandlungsbedürftigen Unterfunktion der Nebenniere. Bei der bilateralen Adrenalektomie ist die lebenslange Substitution von Glukokortikoiden und Mineralokortikoiden notwendig. Bei unilateraler Adrenalektomie ist postoperativ eine engmaschige Betreuung zur Dokumentation des Behandlungserfolges sowie zur Substitution eines evtl. Hormondefizits erforderlich.
4.5.1
Diagnostik der Unterfunktion
4.5.1.1 Unilaterale Adrenalektomie 4.5.1.1.1 Cushing-Syndrom Nach einer unilateralen Adrenalektomie beim kortisolproduzierenden Nebennierentumor kommt es postoperativ obligat zu einer Nebennierenrindeninsuffizienz. Pathophysiologisch handelt es sich um eine tertiäre Nebennierenrindeninsuffizienz (Suppression der hypothalamischen CRH-bildenden Neurone durch den Glukokortikoidexzess). Die Folge der verminderten CRH-Sekretion ist eine supprimierte ACTH-Sekretion mit kontralateraler Nebennierenrindenatrophie, die sich aber klinisch erst nach der Adrenalektomie manifestiert. Klinisch finden sich in der postoperativen Phase bei laufender Glukokortikoidsubstitution häufig Appetitlosigkeit und Übelkeit, Gewichtsabnahme, Arthralgien (v. a. in den kleinen Fingergelenken), Myalgien, Lethargie, ein gestörter Schlafrhythmus und depressive Zustände. Bei manchen Patienten kommt es darüber hinaus zu einer feinen Schuppung der Haut. Die Kombination dieser Beschwerden wird als Glukokortikoidentzugssyndrom zusammengefasst. Sie können über mehrere Wochen bestehen und beeinträchtigen den Patienten häufig stärker als das zuvor bestehende Cushing-Syndrom.
Diagnostisch wird die Nebenniereninsuffizienz durch die Bestimmung des Morgen-Serumkortisols basal und nach ACTHStimulation nachgewiesen.
Die Serumkortisolwerte sind initial immer drastisch erniedrigt auf unter 3 μg/dl und lassen sich nicht oder nur gering durch synthetisches ACTH1–24 (Synacthen) stimulieren. Mit einer Erholung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenfunktion ist im Mittel nach 12 Monaten zu rechnen, sie beträgt selten mehr als 2 Jahre. Wir führen zur Dokumentation der Normalisierung der Kortisolsekretion ACTH-Stimulationstests unmittelbar postoperativ, nach 1 Monat und anschließend alle 3 Monate bis zur Erholung der Nebennierenfunktion durch. Vor einer Normalisierung der Kortisolwerte wird häufig als Ausdruck der hypothalamisch-hypophysären Erholung ein PlasmaACTH-Anstieg auf leicht supraphysiologische Werte gefunden (»Morgenröte des Normokortisolismus«), dem dann mit Rück-
371 4.6 · Primäre Unterfunktion der Nebennieren
bildung der Nebennierenatrophie rasch eine Normalisierung der Kortisolwerte folgt. Sind die basalen Kortisolwerte auf über 10 μg/dl angestiegen, und lassen sie sich im ACTH-Test über 20 μg/dl stimulieren, ist von einer Normalisierung der Nebennierenfunktion auszugehen. Eine Hydrokortisonsubstitution ist dann nicht mehr erforderlich. 4.5.1.1.2 Primärer Hyperaldosteronismus Beim primären Hyperaldosteronismus auf dem Boden eines Conn-Adenoms sind die Plasmarenin- und Angiotensin-II-Werte durch negatives Feedback supprimiert. Hierdurch kommt es in der nicht-adenomatösen Zona glomerulosa morphologisch und funktionell zur Atrophie. Erfolgt die Adrenalektomie ohne längere Vorbehandlung mit Spironolacton, resultiert fast immer ein mehrere Wochen anhaltender postoperativer sekundärer Hypoaldosteronismus, der zu arterieller Hypotension mit Hyperkaliämie führen kann. Vor Adrenalektomie bei Morbus Conn ist deshalb bis zur Normalisierung der Reninwerte eine vier- bis achtwöchige Vorbehandlung mit 100–200 mg Spironolacton pro Tag erforderlich. Neuere Studien zeigen, dass auch mit einer deutlich niedrigeren Dosis (12,5–25 mg zweimal täglich) eine gute Blutdruckkontrolle erzielt werden kann (Stowasser u. Gordon 2003). Sie führt zu einer Verbesserung des Blutdrucks und zu einer Normalisierung der Kaliumdepots und der Plasmareninwerte. Postoperativ erfolgt die sachgemäße Überwachung des Patienten durch engmaschige Messung des Blutdrucks und Bestimmung des Serumkaliums und ggf. der Plasmareninaktivität. Der Operationserfolg wird nachgewiesen durch die Normalisierung der Aldosteronsekretion (normale Aldosteron-, Aldosteron-18-Glukoronid und Tetrahydroaldosteron-Ausscheidung im 24-h-Urin). 4.5.1.2 Bilaterale Adrenalektomie Bei bilateraler Adrenalektomie besteht postoperativ eine komplette primäre Nebennierenrindeninsuffizienz. Ein biochemischer Nachweis der Nebenniereninsuffizienz ist nicht erforderlich, da der Operationserfolg praktisch 100% ist. 4.5.2
Therapie der Unterfunktion
4.5.2.1 Glukokortikoiddefizienz Die perioperative Hydrokortisonsubstitution erfolgt bei unkompliziertem Verlauf in der Regel nach folgendem Schema: 4 200 mg Hydrokortison über 24 h intravenös am Operationstag, beginnend mit der Narkoseeinleitung 4 100 mg Hydrokortison über 24 h am 1. postoperativen Tag 4 50 mg Hydrokortison i.v. über 24 h ab 2. postoperativen Tag für 14 Tage 4 Ab 3. Woche langsame Reduktion der Hydrokortisondosis auf 30 mg/Tag bei Entlassung Die weitere Substitutionsdosis richtet sich nach der Klinik (Glukokortikoidentzungssyndrom) und nach den Ergebnissen der endokrinen Funktionsdiagnostik. Eine rasche Reduktion der Dosis auf 10 mg/m2 Körperoberfläche (aufgeteilt in 2 Tagesdosen: morgens und mittags) ist erstrebenswert, um die Erholung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenfunktion zu beschleunigen, wird aber limitiert durch die manchmal ausgeprägten Symptome des Glukokortikoidentzugssyndroms. Sobald es zur Erholung der basalen Serumkortisolwerte kommt, kann die Glukokortikoidsubstitution in kleinen Schrit-
4
ten (2,5 mg) in zweiwöchigen Abständen reduziert werden, bis bei biochemischer Normalisierung die Medikation vollständig abgesetzt werden kann. Die Patienten sollten ausführlich über die Symptome der Nebenniereninsuffizienz aufgeklärt sein. Sie erhalten obligat einen Glukokortikoidnotfallausweis. Bei Stresssituationen (Fieber über 38°C, operativen Eingriffen etc.) ist eine bedarfsgerechte Glukokortikoidadaptation erforderlich (7 Kap. 4.6). Die Patienten müssen hierüber wiederholt und sorgfältig aufgeklärt werden, da es sonst zu lebensbedrohlichen Unterfunktionszuständen mit Todesfolge kommen kann. 4.5.2.2 Mineralokortikoiddefizienz Die sachgemäße postoperative Überwachung des Patienten ermöglicht frühzeitig das Erkennen eines sekundären Hypoaldosteronismus. Bei rezidivierender Hyperkaliämie und Hypotonie wird das synthetische Mineralokortikoid Fludrokortison (Astonin H) in einer Dosis von 0,05–0,1 mg/Tag gegeben. Diese Behandlung ist häufig nur für 1–3 Wochen erforderlich, selten muss mehrere Monate behandelt werden. Der postoperative Hypoaldosteronismus lässt sich durch die präoperative Spironolactonbehandlung vermeiden (7 oben). Literatur Stowasser M, Gordon RD (2003) Primary aldosteronism. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 17:591–605
Primäre Unterfunktion der Nebennieren
4.6
N. Reisch, M. Reincke ) ) Als Nebennierenrindeninsuffizienz wird der vollständige oder teilweise Funktionsverlust der Nebennierenrinde bezeichnet. Die frühzeitige Diagnosestellung ist auch heutzutage noch eine klinische Herausforderung. Bei vielen Patienten wird die Erkrankung immer noch erst nach jahrelanger Leidensgeschichte diagnostiziert. Der Funktionsverlust der Nebennierenrinde kann dabei sowohl durch eine Schädigung des Organs selbst (primäre Nebennierenrindeninsuffizienz) wie auch durch eine Störung der hypophysären oder hypothalamischen Steuerungszentren (sekundäre bzw. tertiäre Nebennierenrindeninsuffizienz) bedingt sein. Der Goldstandard zum Nachweis einer Nebenniereninsuffizienz ist der ACTH-Kurztest. Die Behandlung besteht in der Gabe von Hydrokortison 10 mg/m2 Körperoberfläche zusammen mit 0,05–0,1 mg Fludrokortison.
4.6.1 Epidemiologie und Klinik Die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz wird nach Thomas Addison benannt, der 1855 in seiner klinisch-autoptischen Arbeit »On the constitutional and local effects of disease of the suprarenal capsules« als erster dieses Krankheitsbild beschrieb. Ende der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts gelang dann die Isolation und Identifikation eines als Kortison benannten Steroidhormons aus der Nebenniere des Rindes, dessen synthetische Herstellung 1946 begann. Dadurch wurden erstmals eine Behandlung und damit
372
4
Kapitel 4 · Nebennieren
das dauerhafte Überleben von Patienten mit Nebennierenrindeninsuffizienz möglich, einer Krankheit, die zuvor zwangsläufig zum Tode führte. Die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz ist eine seltene Erkrankung mit einer Prävalenz von etwa 100 Erkrankten pro Mio. Einwohner und einer Inzidenz von jährlich 5–6 Neuerkrankungen pro Mio. (Willis u. Vince 1997; Laureti et al. 1999; Lovas u. Husebye 2002). Das Alter bei Diagnosestellung liegt in der Regel zwischen 30 und 50 Jahren. Als Folge der modernen tuberkulostatischen Therapie ist in den Industriestaaten heute die Autoimmunadrenalitis mit 80–90% die führende Krankheitsursache, die isoliert oder im Rahmen einer polyglandulären Autoimmunendokrinopathie auftreten kann (7 Übersicht). In den Entwicklungsländern stellt hingegen die Tuberkulose immer noch mit 20–50% eine häufige Ursache der Nebenniereninsuffizienz dar (Soule 1999; Lam u. Lo 2001). Während bei der Autoimmunadrenalitis das weibliche Geschlecht überwiegt, ist es bei der tuberkulösen Genese das männliche. Frauen sind zweimal häufiger als Männer von einer primären Nebenniereninsuffizienz betroffen. 4.6.2 Pathogenese Die Autoimmunadrenalitis tritt zumeist isoliert auf. 50–60% der Patienten erkranken jedoch im Rahmen einer polyglandulären Insuffizienz Typ 1, Typ 2 oder Typ 4 an weiteren Autoimmunerkrankungen. Makroskopisch imponiert bei der Autoimmunadrenalitis eine deutliche Atrophie der Nebennierenrinde bei zumeist morphologisch unauffälligem Nebennierenmark. Histologisch findet sich neben einer Fibrose und Atrophie eine vermehrte lymphozytäre Infiltration der Nebennierenrinde. Polyglanduläre Insuffizienz Typ 1. Der seltene Typ 1 (13%), auch APS-I (»autoimmune polyglandular syndrome I«) oder APECED (»autoimmune polyendocrinopathy-candidiasis-ectodermal dystrophy syndrome«) genannt, umfasst mindestens 2 der 3 folgenden Krankheitsentitäten (Peterson et al. 2000; Betterle et al. 2002; Arlt u. Allolio 2003a): Morbus Addison, Hypoparathyreoidismus und chronische mukokutane Kandidiasis (mit Befall von Nägeln, Haut, seltener auch der oralen, vaginalen oder ösophagealen Schleimhaut). Der Krankheit liegen Mutationen im Autoimmunregulator (AIRE) -Gen zugrunde (Finnisch-German APECED Consortium 1997; Nagamine et al. 1997). Sie wird autosomal-rezessiv vererbt und manifestiert sich zumeist in der Kindheit. Im zeitlichen Verlauf der Erkrankung geht die oft schon neonatal vorhandene mukokutane Candidiasis dem Hypoparathyreoidismus voraus, gefolgt von der Manifestation der Nebennierenrindeninsuffizienz im 15. bis 25. Lebensjahr. Polyglanduläre Insuffizienz Typ 2. Beim Typ 2 der polyglandu-
lären Autoimmunendokrinopathie (41%) findet man neben dem Morbus Addison eine Autoimmunthyreopathie (meist Autoimmunthyreoiditis, aber auch Morbus Basedow) seltener auch ein Diabetes Typ 1 und/oder eine primäre Ovarialinsuffizienz (Neufeld et al. 1981; Betterle et al. 2002). Nach den Erstbeschreibern wird die Kombination Morbus Addison/Autoimmunthyreopathie auch als Schmidt-Syndrom bezeichnet, die Koinzidenz von Morbus Addison und Diabetes mellitus Typ 1 als CarpenterSyndrom. Das Syndrom wird autosomal-dominant vererbt mit inkompletter Penetranz. Das Manifestationsalter liegt in der Regel
Ursachen der primären Nebennierenrindeninsuffizienz 5 Autoimmunadrenalitis (isoliert oder im Rahmen der polyglandulären Insuffizienz – Typ 1, Typ 2 und Typ 4) 5 Tuberkulose 5 Zustand nach bilateraler Adrenalektomie 5 Blutungen bzw. adrenaler Infarkt mit sekundärer Hämorrhagie – Septischer Schock bzw. Waterhouse-FriderichsenSyndrom – Antiphospholipidsyndrom und andere 5 Tumoröse Infiltration der Nebennieren – Metastasen – Lymphome – Leukämische Infiltrate 5 Nichttumoröse Infiltration der Nebennieren – Sarkoidose – Amyloidose – Hämochromatose – Mykosen (wie Coccidioides immittis) 5 Genetische Erkrankungen – Adrenoleukodystrophie – Adrenomyeloneuropathie – Adrenogenitales Syndrom – 21-Hydroxylasemangel – 11-β-Hydroxylasemangel – 3-β-Hydroxysteroiddehydrogenasemangel – Lipoide Nebennierenhyperplasie – 17-α-Hydroxylasemangel – X-chromosomale kongenitale adrenale Hypoplasie – Familiärer Glukokortikoidmangel – Triple-A-Syndrom (Allgroves-Syndrom) – Smith-Lemli-Opitz-Syndrom – Kearns-Sayre Syndrom 5 Aids – HIV – CMV – Atypische Mykobakteriose – Cryptococcus neoformans – Nocardia asteroides – Histoplasmose – Kaposi-Sarkom und andere 5 Medikamente – Adrenolytika (Mitotane) – Steroidbiosyntheseinhibitoren (Ketokonazol, Etomidate, Aminoglutethimid, Metyrapon) – Steroidantagonisten (Mifepriston)
zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Die genetische Grundlage der isolierten Autoimmunadrenalitis sowie der polyglandulären Insuffizienz Typ 2 wird im »major histocompatibility complex« (MHC) vermutet. Es besteht eine Assoziation mit den Phänotypen HLA-DR 3, -DR 4, -DR-5, -B 8, -A 28. Bei betroffenen Patienten lassen sich Nebennierenautoantikörper nachweisen, die sich gegen intrazelluläre Antigene wie z. B. P450-21-Hydroxylase richten (Winqvist et al. 1992; Peterson et al. 2000; Betterle et al. 2002). Polyglanduläre Insuffizienz Typ 4. Unter dem Typ 4 der poly-
glandulären Autoimmunendokrinopathie (5%) sind das gemein-
373 4.6 · Primäre Unterfunktion der Nebennieren
same Auftreten von Morbus Addison mit einer oder mehreren anderen Autoimmunerkrankungen zusammengefasst wie: Vitiligo, Alopecia areata oder totalis, chronisch-atrophische Gastritis, perniziöse Anämie oder Zöliakie, chronisch-aktive Hepatitis, Polymyalgia rheumatica, Myasthenia gravis etc. Diese können ebenfalls bei der polyglandulären Autoimmunendokrinopathie Typ 1 und 2 zusätzlich zu den genannten diagnosebestimmenden Kriterien auftreten, beim Typ 1 auch zelluläre und humorale Immundefekte. Seltene Ursachen der primären Nebennierenrindeninsuffizienz sind die Adrenoleukodystrophie und Adrenomyeloneuropathie, die X-chromosomal-rezessiv vererbt werden und damit klinisch manifest nur Männer betreffen (Mosser et al. 1993; Mosser et al. 1994; Spurek et al. 2004). Die Prognose dieser Erkrankung wird durch die zerebrale Demyelinisierung und/oder Störung der peripheren Reizleitung bedingt, die zu einem progressiven neurodegenerativen Krankheitsbild führt. Pathogenetisch liegt eine Akkumulation langkettiger gesättigter Fettsäuren vor. 4.6.3 Klinische Symptomatik Als Folge der Zerstörung bzw. des Funktionsverlustes der Zona fasciculata kommt es zum Glukokortikoidmangel und damit zu vermehrter Abgeschlagenheit, Müdigkeit und einer deutlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit (7 folgende Übersicht; Mason et al. 1968; Nerup 1974; Kong u. Jeffcoate 1994). Klinische Symptome und Befunde bei primärer Nebennierenrindeninsuffizienz 5 Glukokortikoidmangel – Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Leistungsknick (100%) – Diffuse Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen (60–90%) – Gewichtsabnahme (90–100%) – Muskel- und Gelenkschmerzen – Normochrome Anämie, Lymphozytose, Eosinophilie – Fieber – TSH-Anstieg – Hypoglykämieneigung 5 Mineralokortikoidmangel – Arterielle Hypotonie (RR systolisch <100 mmHg (80–95%), orthostatische Dysregulation (15%) – Elektrolytstörungen (90–95%): Serumnatrium p, Salzhunger (90%), Serumkalium n (65%) (Kalium im Urin p, Natrium im Urin n) – Erhöhte Retentionswerte 5 Adrenaler Androgenmangel – Verlust der sekundären Geschlechtsbehaarung (bei Frauen) – Trockene, rauhe Haut – Seelische Veränderungen (verminderte Belastbarkeit, vermehrte Reizbarkeit) – Einschränkung oder Verlust der Libido – Gesteigerte Produktion von POMC-Peptiden: Hyperpigmentation von Haut (generalisiert, Handlinien, Narben) und Schleimhäuten (fleckige Pigmentierung der Mundschleimhaut; 90%)
4
Im weiteren Verlauf treten ausgeprägte gastrointestinale Symptome mit Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Gewichtsabnahme und diffusen Bauchschmerzen auf. Aufgrund begleitender Infektionen kann Fieber bestehen, das durch das Glukokortikoiddefizit noch begünstigt wird. Cave Die Abdominalsymptomatik zusammen mit dem Fieber führt durchaus bei manchen Patienten zur Fehldiagnose eines akuten Abdomens.
Die meisten Patienten verlieren deutlich an Gewicht bis hin zur ausgeprägten Kachexie. Als Folge der gegenregulatorischen ACTH-Erhöhung und anderer POMC-Peptide mit MSH-Aktivität kommt es über eine Stimulation der Melanozyten zu einer variabel ausgeprägten generalisierten Dunkelpigmentierung der Haut (. Abb. 4.63). Prädilektionsstellen sind dabei die sonnenexponierte Haut sowie diejenigen Stellen, die einem chronischen Druck oder Bewegungen ausgesetzt sind, wie z. B. die Handlinien, die Mamillen, die Ellenbogen, Narben und die Mundschleimhaut. Im Rahmen des Glukokortikoidmangels kommt es zu einer vermehrten peripheren Glukoseutilisation, verbunden mit einer erhöhten Insulinsensivität bei gleichzeitig herabgesetzter Glukoneogenese. Manche der Patienten weisen deshalb Symptome einer Hypoglykämie auf. Der Funktionsverlust der Zona glomerulosa hat einen Mineralokortikoidmangel zur Folge, dessen Hauptsymptom über eine vermehrte Natriurese und den damit verbundenen Flüssigkeitsverlust eine relative Hypovolämie mit Blutdruckabfall ist. Diagnostisch hinweisend sind systolische Blutdruckwerte unter 100 mmHg. Durch die Dehydratation kommt es zu einem beginnenden prärenalen Nierenversagen mit erhöhten Retentionswerten. Eine verminderte Kaliumexkretion führt zur Hyperkaliämie. Ein selten beobachtetes Symptom der Nebennierenrindeninsuffizienz ist die Hyperkalzämie, die sich bei 5–10% der Fälle findet und durch eine gesteigerte intestinale Kalziumresorption und eine verminderte renale Kalziumausscheidung bedingt ist (Vasikaran et al. 1994). Der Funktionsverlust der Zona reticularis führt zum adrenalen Androgenmangel und damit zu einer deutlich erniedrigten Serumkonzentration von Dehydroepiandrosteronsulfat. Da bei gesunden Frauen 60% der zirkulierenden Androgene durch periphere Konversion von DHEAS entstehen, entwickeln Frauen mit Nebennierenrindeninsuffizienz ein Androgenmangelsyndrom (7 oben, Übersicht der klinischen Symptome und Befunde). Männer bleiben hingegen durch die testikuläre Testosteronsekretion hinsichtlich des adrenalen Androgenmangels asymptomatisch. 4.6.4 Diagnostik 4.6.4.1 Labordiagnostik Bei klinisch begründetem Verdacht auf das Vorliegen einer primären Nebennierenrindeninsuffizienz erfolgt die laborchemische Sicherung der Diagnose (Grinspoon und Biller 1994; Clark et al. 1998; Oelkers 1998; Arlt u. Allolio 2003a).
374
Kapitel 4 · Nebennieren
4
. Abb. 4.63a–d. Hautpigmentation bei Morbus Addison. Dunkel pigmentiert sind v. a. die Hautareale mit vermehrter mechanischer Belastung, z. B. Handlinien, Bereich der BH-Träger, Ellenbogen und Gesäß
Die Bestimmung der basalen Steroidhormone Kortisol und Aldosteron ist wegen der ausgeprägten zirkadianen Rhythmik (Kortisol) bzw. der Abhängigkeit von der Körperposition und der Medikamenteneinnahme (Aldosteron) wenig sinnvoll.
Eine zielgerichtete endokrine Diagnostik umfasst die Bestimmung der übergeordneten Hormone (ACTH/Renin) mit ihren jeweiligen untergeordneten Steroiden Kortisol/Aldosteron. Typischerweise ist das Serumkortisol bei der primären Nebennierenrindeninsuffizienz unter 5 μg/dl (<140 nmol/l) erniedrigt, bei gleichzeitiger Erhöhung des Plasma-ACTH. Auch die Aldosteronkonzentration im Serum ist erniedrigt bei deutlich stimulierter Plasmareninaktivität. Patienten mit primärer Nebennierenrindeninsuffizienz haben charakteristischerweise deutlich erniedrigte Serum-DHEAS-Konzentrationen. Der Goldstandard zum Nachweis einer Nebennierenrindeninsuffizienz ist der ACTH-Kurztest. Hierbei werden 250 μg ACTH1-24 (Synacthen) injiziert und Blutabnahmen auf Kortisol zu den Zeitpunkten 0 und 60 min durchgeführt. Zum Beweis einer intakten Nebennierenrindenfunktion sollte das Serumkortisol 60 min nach ACTH-Stimulation auf >20 μg/dl (>550 nmol/l) ansteigen. Ist das basale Serumkortisol schon größer als 20 μg/dl, so liegt bereits eine deutliche, z. B. stressbedingte Stimulation der kortikotropen Achse vor, und eine wesentliche weitere Steigerung der Kortisolsekretion durch ACTH ist nicht zu erwarten.
Die Bestimmung der Kortisolausscheidung im 24-h-Urin ist zum Nachweis einer primären Nebenniereninsuffizienz weniger geeignet, da diese Methode durch Sammelfehler und Assayprobleme in ihrer Wertigkeit eingeschränkt wird. Der Nachweis von Autoantikörpern gegen Nebennierenzellen gelingt nur in 40–80% der Fälle bei der isolierten Autoimmunadrenalitis und hat deshalb keinen Stellenwert in der Diagnostik. 4.6.4.2 Bildgebende Diagnostik Bei Nachweis einer primären Nebennierenrindeninsuffizienz in der endokrinologischen Funktionsdiagnostik ist eine adrenale Bildgebung nicht zwingend erforderlich. Ausnahmen hiervon sind allerdings der Verdacht auf eine Hämorrhagie, eine neoplastische oder infektiöse Infiltration der Nebennieren, bei dem eine abdominelle Computertomographie durchgeführt werden sollte. 4.6.5
Therapie
4.6.5.1 Substitutionstherapie Ist die Diagnose einer primären Nebenniereninsuffizienz gesichert, erfolgt die bedarfsadaptierte Substitution von Glukokortikoiden und Mineralokortikoiden. Der durchschnittliche Glukokortikoidbedarf beträgt 10 mg/m2 Körperoberfläche (Esteban et al. 1991), entsprechend einer täglichen Dosis von 15–20 mg Hydrokortison. Es gelten folgende Therapieempfehlungen bei chronischer Nebennierenrindeninsuffizienz:
375 4.6 · Primäre Unterfunktion der Nebennieren
4 Glukokortikoidsubstitution: Hydrokortison (Hydrocortison Hoechst, Hydrokortison 10 mg Jenapharm) 15–20 mg/ Tag (z. B. 10–5–0 oder 10–10–0 oder 15–5–0) 4 Mineralokortikoidsubstitution: Fludrokortison (Astonin H) 0,05–0,2 mg/Tag (Tabl. à 0,1 mg); Glukokortikoidnotfallausweis, regelmäßige Schulung (Angehörige) 4 Erhöhter Stress (z. B. viraler Infekt): Verdoppelung der Tagesdosis bis zur Gesundung (bei Gastroenteritis, d. h. Erbrechen und/oder Durchfall, ggf. i.v. Hydrokortisongabe) 4 Starker Stress (schwere Krankheiten, Operationen, Entbindung): 200 mg Hydrokortison in Glukose 5% über 24 h kontinuierlich (präoperativ beginnend), 100 mg i.v. am 1. postoperativen Tag, Reduktion nach Allgemeinzustand, Fludrokortisonpause bis Hydrokortisontagesdosis <50 mg Um den zirkadianen Rhythmus der Kortisolsekretion zu imitieren, empfiehlt sich die Verteilung auf 2 Tagesdosen (früh morgens und am frühen Nachmittag). Ob eine kleine abendliche Dosis zusätzlich sinnvoll ist, bleibt weiterhin umstritten (Groves et al. 1988; Allolio et al. 1990). Allerdings ist die rationale Basis hierfür dünn, da physiologischerweise abends und nachts niedrige Kortisolserumkonzentrationen vorliegen. Zur Glukokortikoidsubstitution wird in der Regel Hydrokortison verwendet, sehr selten auch Kortisonazetat, das in der Leber erst zu Hydrokortison metabolisiert wird und deshalb als Pro-Drug keinen Vorteil besitzt (Allolio et al. 1985). Die Äquivalenzdosis beträgt 20 mg Hydrokortison entsprechend 37,5 mg Kortisonazetat. Eine weitgehend verlassene Form der Glukokortikoidsubstituion ist die Gabe von Prednison oder Prednisolon, wobei hier Tagesdosen um 5 mg zum Einsatz kommen. Dieses Vorgehen erscheint wegen der fehlenden Mineralokortikoidaktivität und der deutlich längeren Halbwertszeit wenig sinnvoll zu sein. Die Mineralokortikoidsubstitution erfolgt durch Fludrokortison oral, in der Regel in einer Dosis von 0,05–0,1 mg täglich. Eine Mineralokortikoidmedikation ist notwendig, da Hydrokortison seine mineralokortikoide Wirkung erst ab einer Tagesdosis von mehr als 50 mg/Tag entwickelt. Auch unter optimierter Gluko- und Mineralokortikoidsubstitution klagen viele Patienten über anhaltende Einschränkung ihrer seelischen Belastbarkeit, ihres Gefühlserlebens und ihrer Sexualität. Einige Studien konnten zeigen, dass Patienten mit Morbus Addison von einer zusätzlichen DHEA-Substitution bezüglich dieser Symptome signifikant profitierten (Arlt et al. 1999; Hunt et al. 2000; Arlt 2002; Arlt u. Allolio 2003b). Derzeit kann DHEA jedoch in der Therapie nicht eingesetzt werden, da es als Medikament nicht auf dem Markt verfügbar ist. Ob die DHEASubstitution künftig zur Standardtherapie bei nebennierenrindeninsuffizienten Patienten wird, werden Langzeitstudien zeigen müssen (Arlt et al. 1999; Hunt et al. 2000; Arlt 2002; Arlt u. Allolio 2003b).
Bei physischem Stress, z. B. im Rahmen eines grippalen Infektes oder einer Gastroenteritis, muss eine akute Anpassung der Glukokortikoiddosis erfolgen. Als Grundregel gilt, dass die Tagesdosis bis zur Genesung verdoppelt wird.
Eine längerfristige Glukokortikoidanpassung ist nicht erforderlich bei kurzfristigen Stressereignissen wie sportlichem Training, Prüfungssituation oder Bergwanderung: Hier reicht eine einma-
4
lige Erhöhung der Dosis unmittelbar vor dem anstehenden Ereignis aus. Bei gestörter gastrointestinaler Resorption (z. B. Erbrechen, anhaltende Diarrhö, Operationen und Entbindungen) muss eine intravenöse Glukokortikoidsubstitution durch Haus-, Not- oder Krankenhausarzt erfolgen. Für Urlaubsreisen (in das weit entfernte Ausland) ist es ggf. auch sinnvoll, Hydrokortisonampullen oder Hydrokortisonsuppositorien mitzunehmen. 4.6.5.2 Addison-Krise Bei der Erstmanifestation der Erkrankung, wie auch in deren Verlauf, kann es zur krisenhaften Entgleisung im Sinne einer adrenalen Krise, der sog. Addison-Krise, kommen, die einen lebensbedrohlichen Notfall darstellt. Zu einer Krise kommt es durch einen akuten Glukokortikoidmehrbedarf bei Stress, z. B. bei Operationen, Infektionen oder auch im Rahmen einer Hyperthyreose. Häufigste Ursache einer Krise bei Patienten mit bereits diagnostizierter Nebennierenrindeninsuffizienz sind mangelnde Dosisanpassung bei Stress und Compliance-Probleme (z. B. der Versuch, bei kompletter Nebennierenrindeninsuffizienz zur Vermeidung von vermeintlichen »Kortisonnebenwirkungen« die Glukokortikoiddosis auszuschleichen; Dies beruht zumeist auf fehlender oder falscher Information des Patienten und/oder seiner Angehörigen.
Wichtigste prophylaktische Maßnahme zur Vermeidung adrenaler Krisen ist daher die wiederholte und gezielte Aufklärung bzw. Schulung des Patienten und seiner Angehörigen.
Die Leitsymptome der Addison-Krise sind arterielle Hypotonie bis hin zur Schocksymptomatik ohne erkennbare andere Ursachen sowie gastrointestinale Beschwerden bis hin zu einer Pseudoperitonitis, die bei häufig ebenfalls bestehendem Fieber fatalerweise als akutes Abdomen verkannt werden kann. Bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer Addison-Krise muss eine Glukokortikoidsubstitution unverzüglich eingeleitet werden, auch ohne dass eine adäquate Funktionsdiagnostik durchgeführt wurde. Im Notfall kann deshalb häufig nur eine basale Blutentnahme zur Bestimmung von Kortisol, Aldosteron, Plasma-ACTH und Plasmarenin erfolgen, wobei die typische Konstellation von erniedrigtem Kortisol bzw. Aldosteron bei erhöhtem ACTH und Renin eine ausreichende diagnostische Sicherheit besitzen. Die Therapie besteht in hochdosierter parenteraler Glukokortikoidgabe (initial 100 mg Hydrokortison als i.v. Bolus, anschließend 100–200 mg Hydrokortison in Glukose 5%/24 h kontinuierlich i.v.) bei gleichzeitig großzügiger Volumengabe (NaCl 0,9%, initial 3 l/6 h) und engmaschiger Kreislaufmonitorisierung. 4.6.5.3 Operative Eingriffe Die Glukokortikoidsubstitution bei operativen Eingriffen richtet sich nach der Größe des Eingriffs und der Klinik. Grundsätzlich wird die Indikation zur intravenösen Glukokortikoidapplikation großzügig gestellt. Hierbei hat sich das in 7 Kap. 4.5.2 angegebene Schema bewährt. Eine Mineralokortikoidsubstitution ist bei einer Hydrokortisondosis über 50 mg/Tag nicht erforderlich, aufgrund der mineralokortikoiden Wirkung von Hydrokortison. Bei kleineren operativen Eingriffen (z. B. Zahnextraktion) reicht in der Regel eine Verdoppelung der normalen Hydrokortisondosis am Operationstag aus.
376
Kapitel 4 · Nebennieren
Literatur
4
Allolio B, Kaulen D, Deuß U, Hipp FX, Winkelmann W (1985) Vergleich von Hydrocortison und Cortisonacetat in der Substitutionstherapie der Nebennierenrindeninsuffizienz. Akt Endokr Stoffw 6:35–39 Allolio B, Rosenthal C, Schulte HM (1990) Überwachung der Substitutionstherapie bei Nebennierenrindeninsuffizienz. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Diagnostik und therapeutische Strategien bei Nebennierenerkrankunen. Schattauer, Stuttgart New York Arlt W (2002) Quality of life in Addison’s disease – the case for DHEA replacement. Clin Endocrinol (Oxf ) 56:573–574 Arlt W, Allolio B (2003a) Adrenal insufficiency. Lancet 361:1881–1893 Arlt W, Allolio B (2003b) DHEA replacement in adrenal insufficiency. J Clin Endocrinol Metab 88:4001; author reply 4001–4002 Arlt W, Callies F, van Vlijmen JC, Koehler I, Reincke M, Bidlingmaier M, Huebler D, Oettel M, Ernst M, Schulte HM, Allolio B (1999) Dehydroepiandrosterone replacement in women with adrenal insufficiency. N Engl J Med 341:1013–1020 Betterle C, Dal Pra C, Mantero F, Zanchetta R (2002) Autoimmune adrenal insufficiency and autoimmune polyendocrine syndromes: autoantibodies, autoantigens, and their applicability in diagnosis and disease prediction. Endocr Rev 23:327–364 Clark PM, Neylon I, Raggatt PR, Sheppard MC, Stewart PM (1998) Defining the normal cortisol response to the short Synacthen test: implications for the investigation of hypothalamic-pituitary disorders. Clin Endocrinol (Oxf ) 49:287–292 Esteban NV, Loughlin T, Yergey AL, Zawadzki JK, Booth JD, Winterer JC, Loriaux DL (1991) Daily cortisol production rate in man determined by stable isotope dilution/mass spectrometry. J Clin Endocrinol Metab 72:39–45 The Finnish-German APECED Consortium (1997) An autoimmune disease, APECED, caused by mutations in a novel gene featuring two PHD-type zinc-finger domains. Nat Genet 17:399–403 Flemming TG, Kristensen LO (1999) Quality of self-care in patients on replacement therapy with hydrocortisone. J Intern Med 246:497–501 Grinspoon SK, Biller BM (1994) Clinical review 62: Laboratory assessment of adrenal insufficiency. J Clin Endocrinol Metab 79:923–931 Groves RW, Toms GC, Houghton BJ, Monson JP (1988) Corticosteroid replacement therapy: twice or thrice daily? J R Soc Med 81:514–516 Hunt PJ, Gurnell EM, Huppert FA, Richards C, Prevost AT, Wass JA, Herbert J, Chatterjee VK (2000) Improvement in mood and fatigue after dehydroepiandrosterone replacement in Addison’s disease in a randomized, double blind trial. J Clin Endocrinol Metab 85:4650–4656 Kong MF, Jeffcoate W (1994) Eighty-six cases of Addison’s disease. Clin Endocrinol (Oxf ) 41:757–761 Lam KY, Lo CY (2001) A critical examination of adrenal tuberculosis and a 28-year autopsy experience of active tuberculosis. Clin Endocrinol (Oxf ) 54: 633–639 Laureti S, Vecchi L, Santeusanio F, Falorni A (1999) Is the prevalence of Addison’s disease underestimated? J Clin Endocrinol Metab 84:1762 Lovas K, Husebye ES (2002) High prevalence and increasing incidence of Addison’s disease in western Norway. Clin Endocrinol (Oxf ) 56:787– 791 Mason AS, Meade TW, Lee JA, Morris JN (1968) Epidemiological and clinical picture of Addison’s disease. Lancet 2:744–747 Mosser J, Douar AM, Sarde CO, Kioschis P, Feil R, Moser H, Poustka AM, Mandel JL, Aubourg P (1993) Putative X-linked adrenoleukodystrophy gene shares unexpected homology with ABC transporters. Nature 361: 726–730 Mosser J, Lutz Y, Stoeckel ME, Sarde CO, Kretz C, Douar AM, Lopez J, Aubourg P, Mandel JL (1994) The gene responsible for adrenoleukodystrophy encodes a peroxisomal membrane protein. Hum Mol Genet 3:265–271 Nagamine K, Peterson P, Scott HS, Kudoh J, Minoshima S, Heino M, Krohn KJ, Lalioti MD, Mullis PE, Antonarakis SE, Kawasaki K, Asakawa S, Ito F, Shimizu N (1997) Positional cloning of the APECED gene. Nat Genet 17:393–398
Nerup J (1974) Addison’s disease – clinical studies. A report fo 108 cases. Acta Endocrinol (Copenh) 76:127–141 Neufeld M, Maclaren NK, Blizzard RM (1981) Two types of autoimmune Addison’s disease associated with different polyglandular autoimmune (PGA) syndromes. Medicine (Baltimore) 60:355–362 Oelkers W (1998) Addison disease, diagnosis and therapy. Med Klin (Munich) 93:683 Peterson P, Uibo R, Krohn KJ (2000) Adrenal autoimmunity: results and developments. Trends Endocrinol Metab 11:285–290 Soule S (1999) Addison’s disease in Africa – a teaching hospital experience. Clin Endocrinol (Oxf ) 50:115–120 Spurek M, Taylor-Gjevre R, Van Uum S, Khandwala HM (2004) Adrenomyeloneuropathy as a cause of primary adrenal insufficiency and spastic paraparesis. Can Med Ass J 171:1073–1077 Vasikaran SD, Tallis GA, Braund WJ (1994) Secondary hypoadrenalism presenting with hypercalcaemia. Clin Endocrinol (Oxf ) 41:261–264 Willis AC, Vince FP (1997) The prevalence of Addison’s disease in Coventry, UK. Postgrad Med J 73:286–288 Winqvist O, Karlsson FA, Kampe O (1992) 21-Hydroxylase, a major autoantigen in idiopathic Addison’s disease. Lancet 339:1559–1562
5 5 Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems H. Ahlman, R. Arnold, D.K. Bartsch, V. Fendrich, P.H. Kann, G. Klöppel, K.J. Klose, P. Langer, M. Rothmund, S. Schaefer, B. Simon, B. Stinner, H.J. Wagner, B. Wiedenmann
5.1
Pathophysiologie der endokrinen Zellen des gastroenteropankreatischen Systems – 378
5.1.1 Regulatorische Peptide – 378 5.1.2 Pathophysiologie der endokrinen Zellen
5.2
Chirurgische Anatomie
– 380
– 382
5.2.1 Exploration und Resektion des Pankreaskopfes – 382 5.2.2 Exploration und Resektion von Pankreaskorpus- und -schwanz
5.3
Histologie, Nomenklatur und Pathologie
– 384
– 384
5.3.1 Hyperplastische Veränderungen des diffusen neuroendokrinen Zellsystems des Gastrointestinaltrakts – 385 5.3.2 Endokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes – 386 5.3.3 Nesidioblastose des Pankreas bei persistierender Hypoglykämie mit Hyperinsulinismus (PHH) – 394 5.3.4 Tumoren des endokrinen Pankreas – 396 5.3.5 Insulinom – 398 5.3.6 Gastrinom – 398 5.3.7 VIPom – 399 5.3.8 Glukagonom – 399 5.3.9 Sonstige Tumoren – 400
5.4
Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
– 403
5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4
Insulinome – 403 Duodenale und pankreatische Gastrinome – 423 Nichtfunktionelle neuroendokrine Pankreastumoren – 431 Seltene neuroendokrine Pankreastumoren – 439
5.5
Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren) – 443
5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4 5.5.5
Funktionsdiagnostik – 443 Bildgebende Verfahren – 443 Neuroendokrine Tumoren des Magens – 453 Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) des Dünn- und Dickdarms – 457 Therapie von Lebermetastasen neuroendokriner Tumoren – 466
5.6
Neuroendokrine Tumoren des Bronchialsystems
5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4
Epidemiologie – 480 Klassifikation – 480 Klinische Symptomatik – 480 Diagnostik – 481
– 480
378
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5.1
Pathophysiologie der endokrinen Zellen des gastroenteropankreatischen Systems R. Arnold
) )
5
Das endokrine gastroenteropankreatische System ist das größte endokrine System des Körpers. Die hier gebildeten Hormone sind für die Freisetzung von Verdauungssäften und die Darmmotilität verantwortlich. In gleicher Weise ist aber auch das enterische Nervensystem in diese Aufgaben involviert. Der einzige bekannte klinisch relevante Mangelzustand ist der Diabetes mellitus Typ 1, bedingt durch den Ausfall der pankreatischen β-Zelle. Beispiele einer autonomen Hypersekretion sind endokrine Tumoren.
5.1.1 Regulatorische Peptide Die beiden zuerst entdeckten gastrointestinalen Hormone sind Sekretin, das 1902 von Bayliss u. Starling (Bayliss u. Starling 1902) sowie Gastrin, das 1906 von Edkins (Edkins 1906) beschrieben wurde. Die Strukturaufklärung beider Hormone als Voraussetzung für die Identifizierung ihres zellulären Ursprungs und für den radioimmunologischen Nachweis erfolgte aber erst in den 60er-Jahren durch Gregory für Gastrin (Gregory et al. 1964) und durch Mutt für Sekretin (Mutt et al. 1970). . Abb. 5.1 zeigt die Entdeckung gastrointestinaler Hormone – präziser ist die Bezeichnung »regulatorische Peptide« – im Zeitraster. Der exponentielle Anstieg der Entdeckung neuer Peptide in den Jahren ab 1970 spiegelt den proteinchemischen Fortschritt wieder. . Abb. 5.1 enhält darüber hinaus Angaben über den Sekretionsmodus (endokrin, parakrin, neurokrin) sowie darüber, welches Hormon bei Überproduktion in einem Tumor ein charakteristisches klinisches Syndrom verursachen kann.
Ghrelin
. Abb. 5.1. Chronologische Auflistung der regulatorischen Peptide im Gastrointestinaltrakt. Der exponentielle Zuwachs neuer gastrointestinaler regulatorischer Peptide seit den 70er-Jahren ist längst nicht abge-
schlossen und spiegelt den Fortschritt in biochemischen und molekularbiologischen Techniken wieder
5
379 5.1 · Pathophysiologie der endokrinen Zellen des gastroenteropankreatischen Systems
. Tab. 5.1. Die endokrinen Zellen des gastroenteropankreatischen Systems beim Menschen. (Nach Solcia et al. 1987)
Zelle
Sekretionsprodukt
Pankreas
Magen
Dünndarm
Korpus
Antrum
Oben
Unten
Dickdarm
Klinisches Syndrom bei Überproduktion
P/D1
Unbekannt
Wenig
+
+
+
Wenig
Wenig
–
EC
5-HT
Wenig
+
+
+
+
+
+
D
Somatostatin
+
+
+
+
Wenig
Wenig
?
B
Insulin
+
–
–
–
–
–
+
PP
Pankreatisches Polypeptid
+
–
–
–
–
–
–
A
Glukagon
+
–
–
–
–
–
+
X
Unbekannt
–
+
–
–
–
–
–
ECL
Histamin, 5-HT
–
+
–
–
–
–
?
G
Gastrin
–
–
+
+
–
–
+
A-like
Ghrelin
–
+
–
–
–
–
–
CCK
Cholezystokinin
–
–
–
+
Wenig
–
–
S
Sekretin
–
–
–
+
Wenig
–
–
GIP
Gastric-Inhibitory-Polypeptide
–
–
–
+
Wenig
–
–
M
Motilin
–
–
–
+
Wenig
–
–
N
Neurotensin
–
–
–
Wenig
+
Wenig
–
L
PYY, »Glucagon-like«-Peptide 1 und 2
–
–
–
Wenig
+
+
+
Die regulatorischen Peptide des gastroenteropankreatischen (GEP) Systems werden in speziellen endokrinen Zellen (. Tab. 5.1; Solcia et al. 1987) sowie in Nervenfasern gebildet, gespeichert und freigesetzt. Sie kontrollieren bzw. regulieren die Sekretion, Motilität und Durchblutung im Gastrointestinaltrakt. Eine wichtige Bedeutung haben die regulatorischen Peptide des GEP-Systems darüber hinaus in der Kontrolle der Aufrechterhaltung der Struktur des Gastrointestinaltrakts. So ist Gastrin nicht nur für die Säuresekretion, sondern für das Wachstum und die Integrität der Magenkorpusschleimhaut verantwortlich (Johnson 1976). »Glucagon-likepeptide II« steuert das Wachstum des Dünndarms (Drucker et al. 1996). Gastrointestinale regulatorische Peptide wirken also trophisch. Physiologische Stimuli für die Freisetzung der Peptide sind die aufgenommene Nahrung, die Dehnung des Magenbzw. Darmlumens und pH-Änderungen im Lumen. Die endokrinen Zellen stehen darüber hinaus unter der Kontrolle des intrinsischen und extrinsischen Nervensystems und deren Transmitter. Zu diesen gehören neben dem Azetylcholin, Substanz P, GABA, VIP, Enkephaline und Serotonin als die wichtigsten der in . Abb. 5.1 aufgelisteten Neurotransmitter. Viele regulatorische Peptide wie das Gastrin, Cholezystokinin, Histamin, Serotonin und auch das erst 1999 entdeckte Ghrelin kommen sowohl in endokrinen Zellen als auch in Nervenfasern des Gastrointestinaltrakts und des Gehirns vor. In . Abb. 5.2 ist das Zusammenspiel endokriner Zellen und des
intrinsischen Nervensystems am Beispiel der Regulation der Gastrinsekretion aus antralen G-Zellen gezeigt. Die G-Zellen stehen unter Kontrolle benachbarter somatostatinproduzierender D-Zellen (Saffouri et al. 1979). Somatostatin erreicht seine Zielzelle, nämlich die G-Zelle, parakrin, d. h. durch Diffusion. Das Sekretionsprodukt der G-Zelle wird dagegen in eine Kapillare abgegeben und erreicht über den Blutweg die säurebildenden Parietalzellen im Fundus des Magens. Beide Zellen stehen unter Kontrolle des enterischen Nervensystems. Das enterische Nervensystem vermittelt und erhält Impulse vom bzw. zum zentralen Nervensystem (»Brain-GutAchse«). Viele der in endokrinen Zellen des GEP-Systems und im enterischen Nervensystem vorhandenen regulatorischen Peptide kommen auch außerhalb des Gastrointestinaltrakts und hier im Besonderen im ZNS vor. Sie sind im Gehirn u. a. mitverantwortlich für das Appetit- und Sättigungsgefühl. Im Folgenden wird auf einige klinisch relevante pathophysiologische Aspekte endokriner Zellen des GEP-Systems eingegangen. Für Ghrelin, einem sog. orexigenen Peptid, konnte gezeigt werden, dass es u. a. eine Rolle im Energie- und in der Sättigungshomöostase zuspielt (Murray et al. 2003). Darüber hinaus reguliert es die Sekretion des Wachstumshormons und des Prolaktins. Sein endogener Ligand ist der Wachstumshormonrezeptor. Da es den Appetit steigert, könnte ihm künftig möglicherweise in der Behandlung der Tumorkachexie Bedeutung zukommen.
380
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5 a
. Abb. 5.2. Schema der Regulation der Gastrin- und Somtatostatinsekretion aus den G- und D-Zellen des Antrums
5.1.2 Pathophysiologie der endokrinen Zellen Für die überwiegende Mehrzahl der von den endokrinen Zellen des GEP-Systems gebildeten regulatorischen Peptide sind keine Mangel- oder Hypersekretionszustände bekannt. Das gleiche gilt für die im extrinsischen und intrinsischen Nervensystem gebildeten Neuropeptide. Nur das völlige Fehlen eines bestimmten Neuropeptids könnte dessen Rolle für die Physiologie des Gastrointestinaltrakts belegen. Im Tierexperiment hat man versucht, mittels spezifischer Antikörper gegen definierte Neuropeptide (z. B. gegen Gastrin, Somatostatin, Cholezystokinin) deren exakte Rolle zu analysieren. Die Ausschaltung von Somatostatin mit Hilfe von Antikörpern gegen Somatostatin führt zu einem Anstieg des Gastrins (Saffouri et al. 1979) und darüber zu einem Anstieg der Säuresekretion. Es gibt allerdings weder beim Tier noch beim Menschen Somatostatinmangelzustände. Das einzig klinisch relevante Mangelsyndrom im Gastrointestinaltrakt ist der insulinpflichtige Diabetes mellitus Typ 1. Er ist durch eine Zerstörung der insulinproduzierenden B-Zellen und einen absoluten Insulinmangel charakterisiert, der untherapiert mit dem Leben nicht vereinbar ist. Weitere Mangelzustände sind nicht bekannt. Offenbar ist das Gastroendokrinium extrem wenig anfällig für Störungen seiner Architektur im Interesse der Integrität des für das Überleben wichtigen Verdauungsapparats. Die vermehrte Sekretion einzelner gastrointestinaler Neuropeptide kann entweder Folge einer autonomen Hormonproduktion oder einer Störung des Feedback-Mechanismus sein, dem die entsprechende GEP-Zelle unterliegt. Hierfür sollen im Folgenden einzelne klinisch relevante Beispiele aufgezeigt werden. 5.1.2.1 Autonome Hormonproduktion Klinisch relevant ist die ungezügelte Freisetzung gastrointestinaler Neuropeptide bei den hormonproduzierenden Tumoren. Diesen sind nachfolgend eigene Kapitel zur Klinik, Diagnostik und Therapie gewidmet. Der einer hormonproduzierenden Tu-
b . Abb. 5.3a,b. Gastringehalt im Gastrinomgewebe (a) und Serumgastrin (b) bei Patienten mit Zollinger-Ellison-Syndrom im Vergleich zum Gastringehalt in der Antrumschleimhaut und Serumgastrin bei Patienten mit Ulcus duodeni (U. d.) und magengesunden Kontrollpatienten (K)
morzelle zugrunde liegende Defekt ist in . Abb. 5.3 stellvertretend für alle anderen hormonproduzierenden Tumoren am Beispiel des Gastrinoms gezeigt. Im oberen Teil der Abbildung ist der Gastringehalt verschiedener Gastrinome dem Gastringehalt der Antrumschleimhaut gegenübergestellt, in der physiologischerweise gastrinproduzierende Zellen vorkommen. Es fällt auf, dass der Gastringehalt in der Antrumschleimhaut sowohl beim Gesunden als auch beispielsweise bei Patienten mit Ulcus duodeni viel höher ist als in einem Gastrinom (Creutzfeldt et al. 1975). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Tumor nahezu ausschließlich aus gastrinproduzierenden Zellen besteht, während in der Antrumschleimhaut die G-Zellen nur einen Bruchteil des Gesamtgewichts ausmachen. Berechnet man also den Gastringehalt in Gastrinomen und in der Antrumschleimhaut nach Gramm pro Gewebe, so wird deutlich, wie wenig Gastrin ein gastrinproduzierender Tumor enthält. Das ist darauf zurückzuführen, dass die gastrinproduzierende Tumorzelle die Fähigkeit verloren hat, das Hormon zu speichern. Sie setzt das neugebildete Gastrin unkontrolliert in die Zirkulation frei. Die Serumgastrinspiegel sind daher bei einem Gastrinompatienten ungleich höher als bei einem Gesunden, dessen Antrumschleimhaut weitaus mehr Gastrin enthält, das aber in den G-Zellen gespeichert und nur nach kontrollierter Stimulation freigesetzt wird (. Abb. 5.3). Der gleiche Mechanismus gilt für Insulinome, VIPome und alle anderen neuroendokrinen Tumoren des Gastrointestinaltrakts.
381 5.1 · Pathophysiologie der endokrinen Zellen des gastroenteropankreatischen Systems
5.1.2.2
Nicht-tumorbedingte vermehrte Hormonfreisetzung 5.1.2.2.1 Mechanismen der Hypergastrinämie Die hormonproduzierenden Zellen des GEP-Systems unterliegen einer feinen Feedback-Regulation. Dies ist in . Abb. 5.2 am Beispiel der antralen gastrinproduzierenden G-Zelle gezeigt, deren Funktion ganz wesentlich vom intragastralen pH sowie von der benachbarten somatostatinproduzierenden D-Zelle reguliert wird. Die G-Zelle steht unter permanenter Kontrolle durch das von der D-Zelle parakrin abgegebene Somatostatin. Dagegen beeinflusst die G-Zelle die D-Zelle nicht oder nur ganz gering. Der stärkste Reiz für die Freisetzung von Gastrin ist die Aufnahme von Nahrung und ein neutraler pH-Wert im Magen. Nahrung und hoher Magen-pH hemmen auf der anderen Seite die somatostatinproduzierende D-Zelle. Der Anstieg des Serumgastrins nach Nahrungsaufnahme oder in Gegenwart eines neutralen Magen-pH ist daher einmal auf den direkten Einfluss dieser beiden Stimuli auf die G-Zelle zurückzuführen und zudem auf die Hemmung der D-Zelle durch die gleichen Substanzen. Darüber hinaus steht die G-Zelle unter einer positiven Kontrolle durch Azetylcholin, das aus dem Vagus stammt. Auf der anderen Seite hemmt Azetylcholin die Somatostatinfreisetzung. Eine erhöhte vagale Aktivität (beispielsweise bei der Ulkuskrankheit) stimuliert also die Gastrinsekretion durch einen direkten Angriffspunkt an der G-Zelle bei gleichzeitiger Hemmung der D-Zelle. Klinisch relevant sind diese Beziehungen bei 2 Zuständen, nämlich der Achlorhydrie im Rahmen der atrophischen Typ-A-Gastritis und der Helicobacter-pylori-Infektion. Atrophische Typ-A-Gastritis. Bei der Typ-A-Gastritis bleiben das Antrum und die im Antrum liegenden G-Zellen intakt. Die Parietalzellen der Korpusschleimhaut gehen dagegen aufgrund eines autoimmunen Geschehens zugrunde. Es entwickeln sich eine atrophische Gastritis und ein absoluter Säuremangel. Der Säuremangel selbst führt über eine Hemmung der D-Zellen zu einer Enthemmung der antralen G-Zelle und damit zur Hypergastrinämie (Arnold et al. 1982). Die Serumgastrinspiegel bei der Typ-A-Gastritis können Werte erreichen, wie man sie beim Zollinger-Ellison-Syndrom kennt. Die Gastrinspiegel bleiben unwirksam, weil ihre Effektorzelle, die säurebildende Parietalzelle in der Korpusschleimhaut, zugrunde gegangen ist. Helicobacter-pylori-Infektion. Bei der Helicobacter-pylori-In-
fektion kommt es bekanntlich zu einer Oberflächengastritis der Antrumschleimhaut und nur in späteren Stadien zu atrophischen Veränderungen der Antrum- und Korpusschleimhaut. Helicobacter pylori hemmt über verschiedene Mechanismen die antrale D-Zelle (Calam 1995). Damit wird die physiologische Hemmung der benachbarten gastrinproduzierenden G-Zellen durch Somatostatin beeinträchtigt. Es kommt zur Hypergastrinämie. Die Hypergastrinämie, die bei Helicobacter-pylori-Infektion sowohl basal als auch nach einer Nahrungsaufnahme nachweisbar ist, führt zu einer vermehrten Stimulation der Parietalzellen und damit zur Säurehypersekretion als eine wichtige Voraussetzung für die Ulcus-duodeni-Entwicklung. Gelegentlich kann die Enthemmung der antralen D-Zelle so stark sein, dass eine Hypergastrinämie entsteht, wie man sie auch beim Zollinger-EllisonSyndrom kennt. Wahrscheinlich ist die früher immer wieder beschriebene, wenn auch seltene, antrale G-Zellüberfunktion Folge einer Helicobacter-pylori-Infektion (Lamers et al. 1978; Arnold 1991; Metz et al. 1995). Die Sanierung der Helicobacter-
5
pylori-Infektion führt über eine Wiederherstellung der Funktion der D-Zelle zu einem Abfall der Gastrinspiegel und damit zu einer Reduktion der Säuresekretion. 5.1.2.2.2 Integrität der Dünndarmmukosa und endokrine GEP-Zellen Eine Vielzahl endokriner GEP-Zellen liegt im Dünn- und Dickdarm (. Tab. 5.1). Die in diesen Zellen gebildeten regulatorischen Peptide haben wichtige Aufgaben in der Kontrolle der Pankreasund Gallenblasenfunktion (CCK, Sekretin) und des Kohlenhydratstoffwechsels (GIP, GLP-1). Darüber hinaus kontrollieren sie vom Dünndarm aus die Magensekretion und schalten diese ab, wenn Nahrung in den Dünndarm gelangt (Cholezystokinin, GIP, Enterogastron). Es ist daher verständlich, dass bei Zöliakiepatienten als Folge des Schleimhautuntergangs die Freisetzung vieler regulatorischer Peptide beeinträchtigt ist. Dies betrifft im Besonderen die Hormone CCK, Sekretin und GIP (Creutzfeldt et al. 1976). Als deren Folge ist bei Patienten mit Zöliakie die Motiliät der Gallenblase beeinflusst, sodass die Zöliakie zur Cholezystolithiasis prädisponiert. Auch die exokrine und endokrine Pankreasfunktion ist bei der Zöliakie beeinträchtigt, obgleich dies klinisch nicht relevant wird. Die Befunde bei der Zöliakie mit ihren nur mäßigen Auswirkungen auf die Funktion des exokrinen Pankreas und der Gallenblase sowie des Stoffwechsels zeigen, dass die Funktion dieser Organe nicht nur durch Hormone aus endokrinen Zellen, sondern in erster Linie durch das enterische Nervensystem gesteuert wird. Im Sinne einer Konditionierung genügen offenbar geringe Restmengen an gastrointestinalen regulatorischen Peptiden, um beispielsweise die exokrine Pankreassekretion nicht zu kompromittieren. 5.1.2.2.3 Postprandiale Hypoglykämie Nach Billroth-II- und Billroth-I-Resektionen kann sowohl ein Früh- als auch ein Spätdumping-Syndrom resultieren. Beide Krankheitsbilder sind Folge der fehlenden Reservoirfunktion des Magens und auf den schnellen Transport von hochkonzentrierten Nahrungstoffen in den oberen und unteren Dünndarm zurückzuführen. Das Spätdumping-Syndrom ist durch eine Neigung zu Hypoglykämien charakterisiert, die etwa 2–3 h nach einer kohlenhydrathaltigen Nahrung auftreten. Identische Symptome sind gelegentlich auch ohne Magenteilresektion bei anderweitig Gesunden zu beobachten und Folge einer in ihrer Ursache ungeklärten beschleunigten Magenentleerung. Durch den Einstrom von Kohlenhydraten in den oberen Dünndarm wird schnell Glukose absorbiert, die die Insulinsekretion stimuliert. Die Insulinsekretion wird zusätzlich noch durch »insulinotrope« Darmhormone wie GIP und GLP-1 potenziert, die durch Glukose aus dem Darm in die Zirkulation freigesetzt werden. Diese durch die Inkretinhormone mitverursachte überschießende Insulinsekretion führt zu einem raschen Blutzuckerabfall und durch das Nachhinken der Insulinsekretion zu der für das SpätdumpingSyndrom charakteristischen Hypoglykämie (Toft-Nielsen et al. 1998). Im verlängerten Glukosetoleranztest sind solche Patienten daran zu erkennen, dass der Blutzucker nach 30–60 min aus dem Normalbereich überschießend in einen »diabetischen« Bereich ansteigt, dann aber sehr rasch abfällt, um nach 120 min bereits wieder Normalwerte sowie nach 150–180 min hypoglykämische Werte zu erreichen. Der sehr rasche Blutzuckerabfall von hohen zu niedrig-normalen oder hypoglykämischen Werten führt zu den typischen Zeichen der Neuroglukopenie.
382
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Literatur
5
Arnold R, Hülst M, Neuhof C, Schwarting H, Becker HD, Creutzfeldt W (1982) Antral gastrin producing G-cells in different states of gastric acid secretion. Gut 23:285–291 Arnold R (1991) Hyperplasia of gastric endocrine cells in the human antral mucosa. In: Håkanson B, Sundler F (eds) The stomach as an endocrine organ. Elevier, Amsterdam, pp 391–401 Bayliss WM, Starling EH (1902) The mechanism of pancreatic secretion. J Physiol 28:325–335 Calam J (1995) Helicobacter pylori, acid and gastrin. Europ J Gastroenterol Heptol 7:310–317 Creutzfeldt W, Arnold R, Creutzfeldt C, Track NS (1975) Pathomorphologic, biochemical and diagnostic aspects of gastrinoma (Zollinger-Ellison syndrome). Human Pathology 6:47–76 Creutzfeldt W, Ebert R, Arnold R, Frerichs H, Brown JC (1976) Gastric inhibitory polypeptide (GIP), gastrin and insulin: response to test meal in coeliac disease and after duodeno-pancreatectomy. Diabetologia 12:279–286 Drucker DJ, Ehrlich P, Asa SL, Brubaker PL (1996) Induction of intestinal proliferation by glucagon-like peptide-2. Proc Natl Acad Sci 93:7911– 7916 Edkins JS (1906) The chemical mechanism of gastric secretion. J Physiol 34:133–144 Gregory A, Hardy PM, Jones DS, Kenner GW, Sheppard RC (1964) The antral hormone gastrin. Structure of gastrin. Nature 204:931–933 Johnson LR (1976) The trophic action of gastrointestinal hormones. Gastroenterology 70:278–288 Lamers CBH, Ruland CM, Joosten HJM, Verkoogen HCM, van Tongeren JHM, Rehfeld JF (1978) Hypergastrinemia of antral origin in duodenal ulcer. Dig Dis Sci 23:998–1002 Metz DC, Weber HCh, Orbach M, Strader DB, Lubensky IA, Jensen RT (1995) Helicobacter pylori infection. A reversible cause of hypergastrinemia and hyperchlorhydria which may mimic Zollinger-Ellison syndrome. Dig Dis Sci 40:153–159 Murray CDR, Kamm MA, Bloom StR, Emmanuel AV (2003) Ghrelin for the gastroenterologist: history and potential. Gastroenterology 125:1492– 1502 Mutt V, Jorpes J, Magnusson S (1970) Structure of porcine secretin: The amino acid sequence. Eur J Biochem 15:513–519 Saffouri B, Weir G, Bitar K, Makhlouf G (1979) Stimulation of gastrin secretion from the perfused rat stomach by somatostatin antiserum. Life Sci 25:1749–1753 Solcia E, Capella C, Buffa R, Usellini L, Fiocca R, Sessa F (1987) Endocrine cells of the digestive system. In: Johnson (ed) Physiology of the gastrointestinal tract, 2ed. Raven Press, New York, pp 111–130 Toft-Nielsen M, Madsbad S, Holst JJ (1998) Exaggerated secretion of glu cagon-like peptide-1 (GLP-1) could cause reactive hypoglycaemia. Diabetologia 41:1180–1186
Kenntnisse des Chirurgen keine von der üblichen Darmchirurgie sich unterscheidenden Anforderungen. Aus diesem Grunde wird ausschließlich auf die chirurgische Anatomie des Pankreas eingegangen. In diesem Fall muss der Chirurg nicht nur die topographische Anatomie des Pankreas und der benachbarten Strukturen kennen, sondern muss das ganze Repertoire an Techniken zur Verfügung haben, umTumoren enukleieren oderTeile der Drüse resezieren zu können. Hilfreich zur Darstellung der topographischen Anatomie, z. B. der Lagebeziehung von Tumoren zum Pankreashauptgang, zur V. mesenterica superior oder zu den Milzgefäßen hat sich die intraoperative Sonographie erwiesen. Da auch künftig minimalinvasive Verfahren zur Entfernung von endokrinen Pankreastumoren die Ausnahme in wenigen speziellen Zentren bilden werden, beziehen sich die folgenden Ausführungen auf die operative Therapie nach Laparotomie. Die Inzision entspricht entweder einem bogenförmigen, über den ganzen Oberbauch gehenden Subkostalschnitt beidseits oder einer Längsinzision in der Mitte des Abdomens vom Processus xiphoideus bis in die Mitte des Unterbauchs.
5.2.1 Exploration und Resektion des Pankreas-
kopfes Das Pankreas liegt zusammen mit der Pars descendens duodeni im Retroperitoneum (. Abb. 5.4). Will man den Pankreaskopf mobilisieren, d. h. ein Kocher-Manöver durchführen, muss zu-
Chirurgische Anatomie
5.2
M. Rothmund ) ) Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems liegen in oder nahe der Bauchspeicheldrüse bzw. im Dünndarm, der Appendix oder dem Kolon und Rektum. Obwohl Fallbeschreibungen publiziert wurden, die dies nahelegen, ist es fraglich, ob primäre Gastrinome in peripankreatischen Lymphknoten entstehen. Neuroendokrine Tumoren des Dünn- und Dickdarms werden per Resektion behandelt und stellen an die anatomischen 6
. Abb. 5.4a,b. Lagebeziehung des Pankreas zu den großen Oberbauchgefäßen und den übrigen Oberbauchorganen. a 1. V. portae, 2. A. gastroduodenalis, 3. Ductus choledochus, 4. Leber, 5. Magen, 6. Milz, 7. A. und V. splenica, 8. V. mesenterica inferior, 9. A. und V. mesenterica superior, 10. V. spermatica bzw. uteroovarialis, 11. V. cava inferior. b 1 Kopf, 2. Isthmus, 3. Korpus, 4. Schwanz
383 5.2 · Chirurgische Anatomie
5
. Abb. 5.5. Pankreaskopf, -korpus und -schwanz mit den umgebenden Organen und den ernährenden Gefäßen
nächst die vor dem Pankreaskopf liegende rechte Kolonflexur abpräpariert und nach unten gehalten und das Retroperitoneum rechts vom duodenalen C inzidiert werden. Unmittelbar hinter dem Pankreaskopf liegt die V. cava inferior, in die von rechts die V. renalis dextra einmündet. Kaudal davon tritt am ventralen Aspekt der V. cava die V. spermatica bzw. ovarica ein. Zwischen der V. cava inferior und der links von ihr verlaufenden Aorta liegen zahlreiche Lymphknoten, wie auch an der Rückfläche des Pankreaskopfes. Ein adäquates Kocher-Manöver zur Exploration des Pankreaskopfes durch bidigitale Palpation setzt die Abhebung des Pankreaskopfes auch von der Aorta voraus. Das Pankreasparenchym ist häufig unmittelbar rechts neben der V. mesenterica inferior bzw. der Pfortader und im Bereich des Processus uncinatus am dicksten. Hier entziehen sich gelegentlich kleine endokrine Tumoren der Palpation, sodass hier besonders sorgfältig sonographiert werden muss. Bei der Palpation und Sonographie treten auch die den Pankreaskopf ernährenden Arterien in Erscheinung. Die dorsale und ventrale A. pancreaticoduodenalis superior, die beide
Äste der A. gastroduodenalis sind, wie auch die A. gastroduodenalis inferior aus der A. mesenterica superior, die sich ebenfalls in einen dorsalen und ventralen Ast teilt, wobei die ventralen Äste beider Arterien auf der Pankreasvorderfläche, die dorsalen Äste auf der Pankreashinterfläche meistens im Sulcus zwischen Duodenum und Pankreaskopf zu liegen kommen. Bei der intraoperativen Sonographie kann der retroduodenale und intrapankreatische Anteil des Ductus choledochus sichtbar sein, dessen Lagebeziehung zu einem evtl. im Pankreaskopf vorhandenen endokrinen Tumor von Interesse ist, um bei der Exzision des Tumors keine Verletzung dieser Strukturen hervorzurufen (. Abb. 5.5).
Die Durchführung eines Kocher-Manövers ist auch Voraussetzung für eine adäquate Längsduodenotomie, die bei Patienten mit Zollinger-Ellison-Syndrom durchgeführt werden muss, um Duodenalwandgastrinome zu finden.
384
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Bei Patienten mit MEN-1-Syndrom ist eine Längsduodenotomie vom Bulbus duodeni bis zum unteren Duodenalknie auf jeden Fall erforderlich, auch bei Nachweis eines endokrinen Pankreastumors, um die meist multiplen Duodenalwandgastrinome identifizieren zu können. Hier ist an die Lagevariabilität der Papille zu denken, die unmittelbar unterhalb des Bulbus duodeni münden kann oder auch in die Pars ascendens duodeni und überall dazwischen. Um die Papille zwischen den zahlreichen Kerckring-Falten exakt zu lokalisieren, ist es häufig sinnvoll, eine Choledochotomie vorzunehmen, und einen Bougie über den Ductus choledochus durch die Papille zu schieben. Dies ist v. a. bei Tumoren zu empfehlen, die sehr nahe an der Papille liegen und dort exzidiert werden müssen. Das gleiche Manöver empfiehlt sich auch bei endokrinen Tumoren, die duodenalnahe im Pankreaskopf liegen und enukleiert werden sollen. Plant man eine duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion oder gar eine Whipple-Operation, was bei endokrinen Pankreastumoren im Kopfbereich extrem selten notwendig ist, müssen auch die Gebilde des Lig. hepatoduodenale dargestellt und angeschlungen werden. Am weitesten rechts im Lig. hepatoduodenale liegt der Ductus hepatocholedochus, der nach kaudal hinter dem Bulbus duodeni verschwindet, links davon die A. hepatica communis mit ihren zahlreichen anatomischen Varianten. Obligat ist die Darstellung der A. gastroduodenalis, die fast immer an der Stelle entspringt, wo die horizontal verlaufende A. hepatica propria in die nach kranial zum Leberhilus verlaufende A. hepatica communis umbiegt. Wichtig ist es, die häufige Variante des Abgangs der A. hepatica dextra unmittelbar aus der A. mesenterica superior zu kennen. Diese Situation ist leicht zu diagnostizieren, wenn man das Lig. hepatoduodenale zwischen Daumen und Zeigefinger palpiert und dorsal des Ductus hepatocholedochus eine pulsierende Struktur fühlt. Dorsal und zwischen Ductus hepatocholedochus und A. hepatica communis liegt die Pfortader. Zur Vorbereitung der Pankreaskopfresektion muss ihre Vorderfläche, meist nach Durchtrennung der A. gastroduodenalis, dargestellt und der Pankreaskopf-Korpus-Übergang von ihr stumpf von kranial und kaudal abpräpariert werden (. Abb. 5.5). 5.2.2 Exploration und Resektion von Pankreas-
korpus- und -schwanz Die Freilegung dieser Teile des Pankreas beginnt mit der Durchtrennung des Lig. gastrocolicum und dem Weghalten des Magens nach oben und des C. transversum nach unten. Auch hier muss das Pankreas, um es adäquat explorieren zu können, zunächst aus seiner retroperitonealen Lage befreit werden, indem das Peritoneum am kaudalen Pankreasrand durchtrennt wird. Kopfwärts sollte dann die V. mesenterica inferior freipräpariert werden, die eine wichtige Leitstruktur zur Exploration des Pankreas ist. Weiter nach links hin findet sich die V. mesenterica superior, die in die V. lienalis einmündet. Die letztere kann gut dargestellt werden, indem der Pankreasunterrand nach oben geklappt wird, und die Rückfläche der Bauchspeicheldrüse sichtbar wird. Um den Pankreasschwanz adäquat explorieren zu können, muss die Präparation nach links fortgesetzt werden bis in den Milzhilus, wobei es gelegentlich nötig ist, die Milz vorsichtig aus ihrer ligamentären Verbindung mit der linken Kolonflexur und dem Magen zu befreien, wobei auch die Durchtrennung der Vv. gastricae breves notwendig wird. Hier ist dann nach Luxation von Milz und Pan-
kreasschwanz nach ventral und rechts dorsal des Pankreasschwanzes die Vorderfläche der linken Nebenniere zu erkennen. Mit der A. lienalis, die aus dem Truncus coeliacus entspringend geschlängelt am Pankreasoberrand verläuft, gerät man bei der Freilegung der Bauchspeicheldrüse nicht in Konflikt. Dies geschieht erst im Rahmen der Pankreasschwanzresektion oder auch ausgedehnterer Resektionen von links. Bei endokrinen Pankreastumoren ist generell eine Erhaltung der Milz anzustreben, was bedeutet, dass auch die A. und V. lienalis erhalten werden müssen. Die Pankreaslinksresektion gelingt bei dem meist unveränderten, weichen Parenchym gut, wenn man sehr sorgfältig und schrittweise vom Pankreasschwanz nach rechts fortschreitend die kleinen Äste der Arterie und der Vene ligiert und durchtrennt, die im Abstand von wenigen mm bis zu 1 cm diesen Pankreasabschnitt arteriell versorgen bzw. venös drainieren. Literatur Edis AJ, Grant CS, Egdahl RH (1984) Manual of endocrine surgery. Springer, New York Berlin Heidelberg Tokyo Hollender LF, Peiper HJ (1988) Die Praxis der Chirurgie – Pankreaschirurgie. Springer, Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo
Histologie, Nomenklatur und Pathologie
5.3
G. Klöppel ) ) Die endokrinen Tumoren im Magen, Darm und Pankreas nehmen ihren Ausgangspunkt vom diffusen neuroendokrinen Zellsystem dieser Organe. Diese Zellen, die verstreut in der Schleimhaut von Magen und Darm und zu Inselkomplexen zusammengefasst im Pankreas liegen, zeichnen sich durch die Expression neuroendokriner Marker wie Synaptophysin oder Chromogranin aus. Für die meisten Zellen ist auch die Produktion eines speziellen Hormons bekannt. Neoplastische und nicht neoplastische Veränderungen dieser Zellen treten nur selten auf. Hyperplastisch-hyperfunktionelle Veränderungen finden sich im Magen und im Pankreas in Form der G-Zellhyperplasie, der ECL-Zellhyperplasie sowie der Nesidioblastose mit hyperinsulinämischer Hypoglykämie. Tumoren kommen in unterschiedlicher Häufigkeit in allen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes sowie des Pankreas vor. Sie unterscheiden sich in Abhängigkeit von der Lokalisation hinsichtlich Morphologie, Biologie und Prognose. Die neuroendokrinen Tumoren des Gastrointestinaltraktes, die als »Karzinoid« bekannt sind, werden in diesem Kapitel unter dem Oberbegriff des neuroendokrinen Tumors dargestellt.
Das diffuse neuroendokrine Zellsystem umfasst alle Zellen mit neuroendokrinen Eigenschaften, die einzeln oder in kleinen Gruppen verstreut im Bereich der Bronchien, des Magens und Darms, des Pankreas, der Gallenwege, des Urogenitaltraktes und der Haut liegen. Diese Zellpopulation ist weitgehend identisch mit den »hellen Zellen« von Feyrter und dem APUD-Zellsystem von Pearse (Pearse 1977). Alle Zellen des diffusen neuroendokrinen Systems exprimieren die neuroendokrinen Marker Synaptophysin, Chromogranine sowie NSE und bilden Peptidhormone, die in Sekretgranula
385 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
gespeichert werden. . Tab. 5.1 (7 Kap. 5.1) fasst die hormonproduzierenden Zellen des gastroenteropankreatischen (GEP-) Bereiches zusammen. 5.3.1 Hyperplastische Veränderungen
des diffusen neuroendokrinen Zellsystems des Gastrointestinaltrakts Es ist schwierig, eine Hyperplasie der GEP-Zellen in Biopsiepartikeln oder selbst in Resektionspräparaten zu sichern (Dayal 1994; Klöppel u. Heitz 1981). Dies liegt an methodischen Problemen und an der bereits beim Gesunden sehr großen Varianz der Zahl der endokrinen Zellen (Keuppens et al. 1980). Dennoch steht außer Zweifel, dass bei Rückkoppelungsstörungen der Gastrinsekretion eine Hyperplasie der G-Zellen im Magenantrum und eine Hyperplasie der ECL-Zellen im Magenkorpus auftreten (Creutzfeldt 1988). Im Dünn- und Dickdarm kommen keine funktionell und morphologisch definierten Hyperplasien endokriner Zelltypen vor. 5.3.1.1 G-Zellhyperplasie
Bei autoimmuner chronisch atrophischer Korpusgastritis mit erhaltenem Antrum (chronisch-atrophische Typ-A-Gastritis), wie sie oft mit einer perniziösen Anämie kombiniert ist, kommt es zu einer Hypergastrinämie infolge fehlender Inhibition der Sekretion der G-Zellen durch Salzsäure. Salzsäure wiederum fehlt wegen der Atrophie der Parietalzellen im Korpusbereich. Korrelierend zur Hypergastrinämie findet sich eine G-Zellhyperplasie im Antrum (Dayal 1994; Mitschke 1977). Nach Billroth-II-Resektion tritt bei Zurücklassung eines Antrumrests am Duodenalstumpf, der nicht mehr von der Salzsäure des Magens erreicht werden kann, eine Hypergastrinämie mit ausgeprägter G-Zellhyperplasie auf. Die Folge sind rezidivierende postanastomotische Ulzera (Dayal 1994; Mitschke 1977). Nach Vagotomie ohne Antrektomie kann eine Aktivierung der G-Zellen beobachtet werden, da die Ansprechbarkeit der Parie. Abb. 5.6. Lineare und mikronoduläre ECL-Zellhyperplasie bei atrophischer autoimmuner Korpusgastritis. Immunfärbung mit Chromogranin
5
talzellen für Gastrin herabgesetzt wird (Dayal 1994; Mitschke 1977). Beim primären Hyperparathyreodismus und bei Akromegalie werden die antralen G-Zellzahlen ebenfalls erhöht gefunden (Dayal 1994; Klöppel u. Heitz 1981; Mitschke 1977). Eine Überfunktion und eventuelle Hyperplasie der G-Zellen könnte auch für die Pathogenese des Ulcus duodeni von Bedeutung sein. In früheren Untersuchungen wurde bei einzelnen Ulcus-duodeni-Fällen eine »primäre« antrale G-Zellhyperplasie beschrieben, die funktionell mit einer massiven reaktiven Hypergastrinämie einherging (Friesen u. Tomita 1981; Keuppens et al. 1980; Lewin et al. 1984). Diese Befunde wurden aber in der Literatur der letzten Jahre nicht mehr bestätigt, sodass die Existenz einer »primären« G-Zellhyperplasie bezweifelt werden muss. Wahrscheinlich war in diesen Fällen ein unentdeckt gebliebenes Mikrogastrinom im Duodenum die Ursache der Hypergastrinämie. 5.3.1.2 ECL-Zellhyperplasie
Bei chronisch-atrophischer Typ-A-Gastritis (CAG) ist zusätzlich zu der G-Zellhyperplasie im Antrum in der atrophischen Korpusschleimhaut eine Hyperplasie der histaminbildenden (Håkansson et al. 1992; Sundler et al. 1992) ECL (»enterochromaffine like«)-Zellen nachzuweisen. Ihr Wachstum wird durch Gastrin gefördert (Bordi et al. 1975, 1988, 1991; Dayal 1994), wie aus Untersuchungen an Ratten hervorgeht, die nach monatelanger Behandlung mit H2-Blockern (Ranitidin) eine Hypergastrinämie und ECL-Hyperplasie entwickelten (Håkansson et al. 1992). Ähnliche Veränderungen wurden auch bei Patienten unter langzeitiger Behandlung mit Protonenpumpeninhibitoren (Omeprazol) beschrieben (Lamberts et al. 1993). Die ECL-Zellhyperplasie bei CAG ist nach längerem Bestehen mit einer erhöhten Rate von gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren (Karzinoiden) assoziiert, die meist multipel in Form einer Mikrokarzinoidose auftreten (Bordi et al. 1975, 1988, 1991; Dayal 1994; Klöppel et al. 1996). Der Übergang einer ECL-Zellhyperplasie in eine Neoplasie wurde von Solcia et al. (1988) in Form einer Sequenz beschrieben, wobei der Weg von einer einfachen linearen über eine mikronoduläre (. Abb. 5.6) und adenomatoide Hyper-
386
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Tab. 5.2. Revidierte Klassifikation der neuroendokrinen Magentumoren. (Modifiziert nach Capella et al. 1995)
5
Dignität
Endokrine Aktivität, Differenzierungsgrad
Größe, Lokalisation, Ausbreitung
Vorkommen, Prognose
Benignes Verhalten
Funktionell inaktive, kleine und hochdifferenzierte Tumoren
Bis zu 1 cm < Mukosa/Submukosa, keine Angioinvasion
Gewöhnlich ECL-Tumoren der Fundusmukosa in Verbindung mit einer chronischen atrophischen Gastritis (CAG) oder Hypergastrinämie
Benignes oder niedrigmalignes Verhalten
Funktionell inaktive, hochdifferenzierte Tumoren
Intermediäre Größe (1–2 cm <) Mukosa/Submukosa oder Angioinvasion
Gewöhnlich ECL-Tumoren der Fundusmukosa in Verbindung mit CAG und Hypergastrinämie
Niedrigmalignes Verhaltena
Funktionell inaktive, hochdifferenzierte Tumoren
> 2 cm < oder Ausbreitung über die Submukosa hinaus
Gewöhnlich sporadische ECL-Tumoren; selten serotoninbildende Tumorenb oder andere, selten MEN-1- oder CAG-assoziierte ECL-Tumoren
Funktionell aktive, hochdifferenzierte Tumoren Hochmalignes Verhalten
a
b
Funktionell inaktive niedrig differenzierte Tumoren
Sporadisches Gastrinom, serotoninbildender Tumorb oder andere Größe und Ausdehnung beliebig
3/4 der Patienten erliegen der Krankheit innerhalb des 1. Jahres nach Diagnosestellung an multiplen Metastasen
Bei Vorkommen von Metastasen oder einer makroskopisch erkennbaren Invasion sollte der Tumor als niedrigmalignes neuroendokrines Karzinom bezeichnet werden. Andere Bezeichnung: EC-Zelltumor
plasie hin zur Dysplasie und Neoplasie führt. Die Berücksichtigung dieser Nomenklatur ist für die Diagnostik von geringer Bedeutung, da alle neuroendokrinen Tumoren, die sich in Zusammenhang mit einer CAG aus einer ECL-Zellhyperplasie entwickeln, prognostisch günstig sind. 5.3.2 Endokrine Tumoren des Gastrointestinal-
traktes 5.3.2.1 Nomenklatur und Klassifikation
Die zunehmende Kenntnis der neuroendokrinen Tumoren machte deutlich, dass diese Tumoren nicht nur aus gut differenzierten und folglich niedrigmalignen Neoplasien – den Karzinoiden, wie sie Oberndorfer (1907) bezeichnete – bestehen, sondern auch hochmaligne Neoplasien umfassen (Klöppel u. Heitz 1981). Daher wurde der umfassendere Begriff des neuroendokrinen Tumors (NET) eingeführt (. Tab. 5.2 bis 5.4; Capella et al. 1995; Klöppel et al. 1996; Polak 1993). Ein weiteres Problem der alten Nomenklatur und der damit verbundenen Klassifikationen ist, dass sie keine Aussage zur funktionellen und prognostischen Einordnung des individuellen Tumors gestatten. Die neue WHO-Klassifikation der gastrointestinalen NET trägt dieser Tatsache Rechnung (. Tab. 5.2 bis 5.4). 5.3.2.2 Epidemiologie und Lokalisation
Die globale Inzidenz der gut differenzierten NET (Karzinoide) ist nicht bekannt, jedoch ist klar, dass es sich um seltene Tumoren handelt (Godwin 1975; Klöppel u. Heitz 1981; Modlin et al. 2005). Im Bereich des Gastrointestinaltraktes werden NET in 0,1–0,3% aller Obduktionsfälle gefunden. Der gut differenzierte NET tritt überwiegend im höheren Lebensalter und in gleicher Häufigkeit
bei Männern und Frauen auf. Eine Ausnahme sind die NET der Appendix, die häufiger bei Frauen als bei Männern vorkommen, ihren Altersgipfel bei 40 Jahren haben und auch bei Kindern beobachtet werden können (Klöppel u. Heitz 1981; Polak 1993; Capella 1991). NET treten in abnehmender Häufigkeit in der Appendix (30–45%), dem (Jejunum-) Ileum (28–38%), dem Rektum (15– 17%), dem Duodenum (5%), dem Magen (4%) und dem Kolon (2%) auf (Godwin 1975; Marshall u. Bodnarchuk 1993; Capella 1991). Der Rest von etwa 2% verteilt sich auf Ösophagus, Gallengangsystem und extragastrointestinale Lokalisationen wie Bronchialsystem und Ovarien (Godwin 1975; Polak 1993). Nach neueren Arbeiten scheint die relative Inzidenz der NET im Magen, bedingt durch eine gesteigerte endoskopische Untersuchungsrate, höher zu liegen als bisher angenommen (10–40%; Klöppel et al. 1996). 5.3.2.3 Ätiopathogenese
Hinweise auf genetische Faktoren, die bei der Genese der NET eine Rolle spielen, finden sich bei jenen NET, die im Rahmen einer MEN 1 entstehen (Shepherd 1991; Solcia et al. 1990; 7 Kap. 5.4.4). Für die Ätiologie der nichtfamiliären NET ist das gehäufte Auftreten dieser Tumoren im Magenkorpus bei chronisch atrophischer Typ-A-Gastritis (CAG) von Interesse (Bordi et al. 1988, 1991; Solcia et al. 1988). Die gastrointestinalen NET setzen sich zumeist aus NE-Zellen zusammen, die am Ort der Tumoren häufig vorkommen (z. B. EC-Zell-NET im Ileum und der Appendix; G-Zell-NET im Duodenum). Viele NET zeigen immunhistologisch die Expression mehrerer Hormone, wobei jedoch eines davon dominiert. Interessanterweise scheinen einzelne neuroendokrine Zelltypen wie S-, I-, K- oder M-Zellen nicht oder nur extrem selten in gastrointestinalen NET exprimiert zu werden.
387 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
5
. Tab. 5.3. Revidierte Klassifikation der neuroendokrinen Duodenaltumoren. (Modifiziert nach Capella et al. 1995)
Dignität
Beschreibung
Benignes Verhalten
Funktionell inaktive, hochdifferenzierte, kleine Tumoren (≤1 cm) in der Mukosa/Submukosa ohne Angioinvasion 5 Gastrin- oder serotoninbildendeb Tumoren im proximalen Duodenum 5 Gangliozytisches Paragangliom (jede Größe; periampulläre Lage)
Benignes oder niedrigmalignes Verhalten
Funktionell inaktive, hochdifferenzierte Tumoren in der Mukosa/Submukosa von intermediärer Größe (>1–2 cm) ohne Angioinvasion oder 5 Serotoninbildendeb Tumoren oder andere (jede Lokalisation) 5 Somatostatinbildende Tumoren (Ampullenregion) mit oder ohne Morbus v. Recklinghausen
Niedrigmalignes Verhaltena
Funktionell inaktive, hochdifferenzierte große Tumoren (>2 cm) oder mit Ausdehnung über die Submukosa hinaus 5 Gastrin- oder Serotoninbildendeb Tumoren (jede Lokalisation) 5 Somatostatinbildende Tumoren (Ampullenregion) mit oder ohne assoziierten Morbus v. Recklinghausen Funktionell aktive, hochdifferenzierte Tumoren jeder Größe und Ausdehnung 5 Sporadisches Gastrinom, serotoninbildender Tumorb oder andere 5 Hereditäres MEN-1-assoziiertes Gastrinom, gewöhnlich multipel
Hochmalignes Verhalten a
b
Funktionell aktive oder inaktive, niedrig differenzierte Tumoren vom intermediären oder kleinzelligen Typ (gewöhnlich Ampullenregion)
Wenn Metastasen oder eine makroskopisch erkennbare Invasion vorliegen, sollte von einem niedrigmalignen neuroendokrinen Karzinom gesprochen werden. Andere Bezeichnung: EC-Zelltumor
5.3.2.4 Morphologie Makroskopie. Die meisten gastrointestinalen NET präsentieren
sich als harte submuköse Knoten (Klöppel u. Heitz 1981). Solange diese NET noch nicht in die Muscularis propria eingedrungen sind, bleiben sie über ihrer Unterlage frei verschieblich. Eine Schleimhautulzeration tritt erst bei sehr großen oder hoch malignen Tumoren auf. Generell sind die Tumoren von fester Konsistenz und grauweißer Farbe. Eine typisch gelbgraue Farbe findet sich bei den NET des Ileums und der Appendix (Klöppel u. Heitz 1981; Polak 1993). Mit zunehmender Größe und Infiltrationstiefe kommt es zur lymphangischen Invasion sowie zu regionalen Lymphknotenmetastasen. Diese sind oft wesentlich größer als der Primärtumor. Hämatogene Metastasen im Bereich der venösen Abflussgebiete entwickeln sich in der Regel erst nach Manifestation von Lymphknotenmetastasen. Mikroskopie. Es werden nach Soga (1976) lobulär-solide (Typ A), trabekuläre (Typ B), tubuläre bis pseudoglanduläre (Typ C), niedrig differenzierte trabekuläre, medulläre oder faszikuläre (Typ D) und gemischte histologische Muster (Typ E) unterschieden. NET mit überwiegend lobulär-solidem Muster treten bevorzugt im Ileum und der Appendix auf, während die gastrischen und duodenalen NET trabekulär, pseudoglandulärer oder gemischter Gestalt und die rektalen NET gemischt aufgebaut sind. Niedrig differenzierte NET finden sich vor allem im Magen, in der Papilla Vateri und im Kolon. Zytologisch wird das Bild der gut differenzierten NET durch uniforme, runde bis ovale Zellkerne und das gut ausgebildete eosinophile feingranuläre Zytoplasma bestimmt. Niedrig differenzierte NET haben oft weniger und helleres Zytoplasma sowie chromatinreichere Kerne. Sie entsprechen weitgehend dem kleinzelligen Karzinom vom intermediären Typ. Eine histochemische Differenzierung der NET ist durch Versilberungsmethoden zur Bestimmung der Argyrophilie (nach Grimelius) und der Argent-
affinität (nach Masson-Hamperl oder Masson-Fontana) möglich (Klöppel u. Heitz 1981). Immunhistologisch können in Abhängigkeit von der jeweiligen Lokalisation (7 unten) Serotonin, SubstanzP, Enteroglukagon (Glyzentin), Somatostatin, pankreatisches Polypeptid, Kalzitonin, Xenin, Gastrin oder Somatostatinrezeptoren nachgewiesen werden (DeLellis u. Tischler 1990; Klöppel u. Heitz 1981; Polak 1993; Feurle et al. 2002). Ultrastrukturell enthalten die Tumorzellen membranbegrenzte elektronendichte Sekretgranula, die in Abhängigkeit vom Differenzierungsgrad des jeweiligen Tumors bestimmten Zelltypen zugeordnet werden können (z. B. EC- oder G-Zellen) (Klöppel u. Heitz 1981; Klöppel et al. 1998; Polak 1993). 5.3.2.5 NET-Sonderformen und exokrin-endokrine (amphikrine) Mischtumoren
Der am längsten bekannte Tumor dieser Gruppe ist das Becherzellkarzinoid (Warkel et al. 1978; Burke et al. 1990a). Dieses ist ein sehr seltenes Adenokarzinom mit niedrigmalignem Wachstumsverhalten und der Differenzierung in neuroendokrine Zellen und schleimbildende Zylinderepithelien oder Becherzellen (Hernandez u. Reid 1969; Klöppel u. Heitz 1981; Warkel et al. 1978). Sie kommen nahezu ausschließlich in der Appendix vor. In den letzten Jahren wurden bei systematischen Untersuchungen in zahlreichen Karzinomen, insbesondere im Magen und Kolon, verstreut liegende endokrine Zellen gefunden. Diese erhielten die verschiedensten Namen (z. B. gemischtes Karzinoid-Adenokarzinom, adenoendokrines Karzinom). Als echte exokrin-endokrine Mischtumoren sollten sie jedoch nur dann bezeichnet werden, wenn die endokrine Komponente 1/3–1/2 der Tumorzellen ausmacht. Legt man dieses Kriterium zu Grunde, so bleiben nur wenige echte Mischtumoren übrig. Für die prognostische Einordnung dieser Tumoren ist wichtig, dass sie sich nach den bislang vorliegenden Erfahrungen nicht anders
388
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
verhalten als reine exokrine Adenokarzinome (Ausnahme: Becherzellkarzinoid der Appendix) der entsprechenden Lokalisationen (Klöppel et al. 1996). Deswegen sollten sie nicht unter die endokrinen Tumoren eingereiht werden. Von den gemischten Karzinomen müssen die Kollisionstumoren (Nebeneinandervorkommen von 2 unterschiedlich differenzierten Tumoren) abgegrenzt werden. 5.3.2.6 Malignität
5
Das Metastasierungsrisiko und damit die prognostische Einschätzung der NET zum Zeitpunkt ihrer Diagnose sind abhängig von Lokalisation, Größe, histologischer Differenzierung, Angioinvasion und endokriner Funktion. Diesen Gegebenheiten wurde in der bereits oben erwähnten neuen Klassifikation der gastrointestinalen NET Rechnung getragen (. Tab. 5.2 bis 5.4; Capella et al. 1995; Klöppel et al. 1996). 5.3.2.7 Ösophageale NET
Die sehr seltenen NET des Ösophagus sind niedrig differenziert vom Typ eines kleinzelligen oder intermediärzelligen Karzinoms (Klöppel u. Heitz 1981; Klöppel et al. 1996), gelegentlich mit zusätzlicher squamöser und glandulärer Komponente. Hauptlokalisation ist das untere Ösophagusdrittel. 80% haben zum Zeitpunkt der Entdeckung lymphogen und hämatogen metastasiert. Eine endokrinologische Symptomatik wurde bislang nicht beobachtet. 5.3.2.8 Gastrale NET . Tab. 5.2 gibt einen Überblick über die diagnostisch-prognos-
tische Klassifikation der gastralen NET. Unabhängig von dieser Einteilung können bei den gastralen NET aufgrund ihrer Kombinationen mit bestimmten anderen Erkrankungen mindestens 4 Typen unterschieden werden (7 Kap. 5.5.3; Klöppel u. Clemens 1996; Rindi et al. 1993; Solcia et al. 1991; Wilander et al. 1979b). Gastrale NET Typ 1. 80% aller gastralen NET sind dem Typ 1 zuzurechnen. Bei den betroffenen Patienten handelt es sich in der . Abb. 5.7. Antrumschleimhaut des Magens mit Infiltration durch ein gut differenziertes neuroendokrines Karzinom
Mehrzahl um Frauen im Alter zwischen 50 und 60 Jahren. Der Typ-1-NET tritt immer multipel, nur im Korpus/Fundus des Magens und im Zusammenhang mit einer autoimmunen chronisch-atrophischen Korpusgastritis (CAG) auf. Die CAG ist die Folge einer autoimmunen Zerstörung der spezifischen Drüsen der Korpusschleimhaut. Zum einen führt der Verlust der Parietalzellen zur mangelhaften Produktion des Intrinsic-Faktors und kann damit über die verminderte Resorption von Vitamin B12 eine perniziöse Anämie auslösen. Zum anderen verursacht der Verlust der salzsäureproduzierenden Hauptzellen eine Achlorhydrie des Magens, die wiederum die Gastrinsekretion der antralen G-Zellen stimuliert und eine anhaltende Hypergastrinämie nach sich zieht. Diese, so wird angenommen, fördert das Wachstum der ECL-Zellen der Korpusschleimhaut, sodass es zu einer diffusen bis mikronodulären ECL-Zellhyperplasie kommt, aus der nach langjähriger Latenzzeit multiple ECL-Zelltumoren hervorgehen (Solcia et al. 1991; Wilander et al. 1979b). Ein hormonelles Syndrom entwickelt sich dabei nicht. Die Beobachtung, dass die Tumoren bereits in einer nur partiell atrophischen Korpusgastritis auftreten können und der Nachweis von Wachstumsfaktoren wie TGF-α, bFGF und BCL-2 lassen vermuten, dass die Hypergastrinämie wahrscheinlich nicht die einzige Ursache für die Tumorentwicklung ist (Bordi et al. 1998). Die Typ-1-NET präsentieren sich als multiple polypöse Schleimhautvorwölbungen im Korpus, die gewöhnlich kleiner als 1 cm sind (»Mikrokarzinoidose«; Klöppel u. Heitz 1981; Ratzenhofer 1977). Lymphknotenmetastasen zum Zeitpunkt der Diagnose wurden in maximal 8% der Fälle gefunden und scheinen nur bei Tumoren vorzukommen, die größer als 2 cm sind (Rappel et al. 1995; Rindi et al. 1993). Mikroskopisch sind die weitaus meisten dieser trabekulär aufgebauten NET auf die Mukosa und Submukosa beschränkt und zeigen keine Angioinvasion (. Abb. 5.7). Histochemisch, immunhistologisch und/oder ultrastrukturell lassen sich ECL-Zellen und nur einzelne EC (Serotonin)-Zellen und Somatostatinzellen nachweisen. Die ECL-Zellen sind stark Chromogranin-A-positiv und exprimieren auch α-HCG (Bordi et al. 1988) sowie den vesikulären Monoamintransporter 2 (VMAT2;
389 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
Eissele et al. 1999; Rindi et al. 2000). Die Prognose ist bei endoskopischer Kontrolle und Entfernung der Tumoren günstig. Eine operative Entfernung ist lediglich bei Tumoren in der Größenordnung von über 1–2 cm zu erwägen. Eine Tumorregression wurde nach Antrektomie beobachtet (7 Kap. 5.5.3; Hirschowitz et al. 1992). Gastrale NET Typ 2. Diese NET machen etwa 3% der Fälle aus. Sie
treten bei Patienten mit einem Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES) in Folge eines duodenalen Gastrinoms im Rahmen einer MEN 1 auf (Komminoth et al. 1998; Padberg et al. 1995; Rindi et al. 1993; Solcia et al. 1990). ZES-Patienten mit sporadischem Gastrinom scheinen nicht von Typ-2-NET betroffen zu sein. Hierfür könnte die unterschiedliche Dauer der Hypergastrinämie (bei MEN-1/ ZES-Patienten länger als bei sporadischen ZES-Patienten) oder die besondere genetische Konstellation verantwortlich sein (Creutzfeldt 1988). Der MEN-1/ZES-assoziierte Typ-2-NET tritt bei Männern und Frauen gleich häufig auf; das mittlere Alter liegt bei 45 Jahren. Makroskopisch handelt es sich meist um multiple (>1 cm) submuköse Tumoren im Magenkorpus und -fundus. Lymphknotenmetasen werden bei 12% der Fälle angegeben, wobei auch hier wieder die Tumorgröße (>2 cm) eine Rolle zu spielen scheint (Klöppel et al. 1996; Rindi et al. 1993). Mikroskopisch sind die Tumoren gut differenziert und trabekulär gestaltet. Die tumorfreie Korpusmukosa zeigt immer eine ECLZellhyperplasie. Immunhistologisch sind sie mit den Typ-1-NET vergleichbar. Die Prognose ist gut. Eine Resektion ist nur bei Tumoren über 2 cm angezeigt. Gastrale NET Typ 3. Dieser NET macht etwa 15% der Fälle aus
(Klöppel u. Clemens 1996; Rindi et al. 1993). Als »sporadischer NET« ist er mit keiner weiteren Erkrankung assoziiert. Das mittlere Alter der Patienten liegt bei 50 Jahren. Die polypoiden, solitär auftretenden Tumoren zeigen keine spezielle Lokalisation im Magen und sind nicht mit einer ECL-Hyperplasie und CAG assoziiert. Etwa 25% der Tumoren sind größer als 2 cm. Regionale Lymphknotenmetastasen und Fernmetastasen finden sich zum Zeitpunkt der Diagnose bei 26%, bzw. 8% der Patienten, und bei diesen Patienten sind die Tumoren in der Regel 2 cm und größer (. Abb. 5.8; Håkanson et al. 1992; Suster u. Moran 1995). Mikroskopisch finden sich solide und trabekuläre Muster und gelegentlich eine Angioinvasion und verstärkte Zellpolymorphie. Die Angioinvasion kor-
. Abb. 5.8. Sporadisches solitäres (Typ 3) neuroendokrines Karzinom des Magens mit Invasion der Muscularis propria
5
reliert mit dem Nachweis von Metastasen. Immunhistologisch finden sich ähnliche Muster wie beim Typ 1. Klinisch haben die meisten Patienten uncharakteristische epigastrische Beschwerden und nur bei 7% der Patienten (alle mit Lebermetastasen) tritt ein »atypisches« Karzinoidsyndrom mit Flush und Asthmaattacken bedingt durch Histaminausschüttung auf (Ahlman et al. 1988; Roberts et al. 1983). Ein Cushing-Syndrom als Folge einer ektopen ACTH-Produktion ist eine Rarität (Klöppel u. Clemens 1996; Klöppel u. Heitz 1981). Die Patienten haben fast immer normale Serumgastrinspiegel. Eine Hypergastrinämie mit ZollingerEllison-Syndrom wurde nur bei wenigen Patienten mit gastralen NET beschrieben (Klöppel u. Clemens 1996; Larsson et al. 1973; Royston et al. 1972; Solcia et al. 1991). Als prognostisch ungünstig sind vor allem die Tumoren mit einem Durchmesser von mehr als 2 cm und/oder einem hormonellen Syndrom anzusehen, da bei ihnen bereits mit Metastasen zum Zeitpunkt der Diagnose gerechnet werden muss. Eine Resektion ist die Therapie der Wahl. Die Behandlung der Tumoren mit einem Durchmesser unter 2 cm ist gegenwärtig in Diskussion. Es sieht jedoch so aus, dass nur die Tumoren chirurgisch angegangen werden müssen, die eine vollständige endoskopische Abtragung nicht zulassen oder mikroskopisch eine Angioinvasion aufweisen. Gastrale NET Typ 4. Diese niedrig differenzierten neuroendo-
krinen Karzinome sind sehr selten (Chejfec et al. 1992; Klöppel u. Clemens 1996; Matsui et al. 1991). Es handelt sich wie beim Typ 3 um einen sporadisch auftretenden Tumor ohne bevorzugte Lokalisation im Magen. Betroffen sind vor allem ältere (>60. Lebensjahr) Männer. Die Tumoren sind von erheblicher Größe (5–7 cm) und haben zum Zeitpunkt der Diagnose in über 90% der Fälle bereits metastasiert (Rappel et al. 1995; Rindi et al. 1993). Mikroskopisch bestehen sie aus undifferenzierten mittelgroßen bis kleinen Zellen, die zahlreiche Mitosen und eine Angioinvasion zeigen. Immunhistologisch sind die Tumorzellen positiv für neuroendokrine Marker, üblicherweise jedoch nicht für bestimmte Hormone. Die Prognose des Typ-4-NET ist äußerst ungünstig; die Behandlung muss wie bei einem üblichen Magenkarzinom erfolgen. 5.3.2.9 Duodenale NET . Tab. 5.3 gibt Auskunft über die diagnostisch-prognostische
Klassifikation der duodenalen NET. Diese Tumoren sind im
390
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
6. Lebensjahrzehnt am häufigsten; Männer sind etwas bevorzugt betroffen (Burke et al. 1989a, 1990; Capella et al. 1991; Lasson et al. 1983; Wilander et al. 1979a). Innerhalb dieser Tumoren lassen sich aufgrund funktioneller, struktureller und biologischer Besonderheiten mindestens 5 Entitäten unterscheiden (Capella et al. 1995; Klöppel et al. 1996):
5
Duodenal-NET mit Gastrinproduktion. Diese Tumoren machen zwei Drittel aller duodenalen NET aus (Capella et al. 1991; Capella et al. 1995). Sie sind meistens Ursache einer Hypergastrinämie mit ZES; endokrin inaktive Tumoren scheinen jedoch auch vorzukommen (Capella et al. 1991). Die duodenalen Gastrinome bevorzugen das proximale Duodenum (Capella et al. 1991; Donow et al. 1990). Die Mehrheit der Tumoren sind kleiner als 1 cm und maligne (. Abb. 5.9; Metastasenrate bei 60–90%). Auch ohne Nachweis von Angioinvasion oder Invasion der muskulären Wandschichten finden sich Metastasen in den paraduodenalen Lymphknoten, die dann teilweise erheblich größer sein können als der winzige Primärtumor. Wahrscheinlich sind aufgrund des Missverhälnisses zwischen der Größe des Primärtumors und der Größe der Metastase alle sog. Lymphknotengastrinome (Bhagavan et al. 1986) auf nicht erkannte Mikrogastrinome im Duodenum zurückzuführen (Klöppel et al. 1996; Pipeleers-Marichal et al. 1993; Thompson et al. 1989). Duodenale Gastrinome kommen sporadisch oder assoziiert mit einer MEN 1 vor (Donow et al. 1991; Klöppel et al. 1996;
Komminoth et al. 1998; Perkins et al. 1992; Pipeleers-Marichal et al. 1990; Pipeleers-Marichal et al. 1993). In beiden Fällen handelt es sich überwiegend um Mikrogastrinome (<1 cm), die nur äußerst schwierig endoskopisch zu sehen oder intraoperativ zu tasten sind (Burke u. Helwig 1989; Hamid et al. 1986; Thompson et al. 1989). Beide haben eine gleich hohe Malignitätsrate. Unterschiedlich ist aber, dass MEN-1-assoziierte duodenale Gastrinome meist multipel auftreten und Vorläuferveränderungen zeigen (. Abb. 5.9; Anlauf et al. 2005a), während sporadische Gastrinome solitär sind (Pipeleers-Marichal et al. 1990). Über 90% der MEN1-assoziierten ZES-Fälle sind auf duodenale Mikrogastrinome zurückzuführen, während das sporadische ZES in etwa 30%, nach neueren Arbeiten bis zu 45%, von duodenalen Gastrinomen verursacht wird (Donow et al. 1991). Der histologische Aufbau ist pseudoglandulär bis trabekulär. Immunhistologisch können in allen Fällen Gastrin-positive und häufig auch xeninpositive Zellen nachgewiesen werden (Capella et al. 1991; Donow et al. 1991; Perkins et al. 1992; Pipeleers-Marichal et al. 1990; Feurle et al. 2002). Prognostisch verhalten sich die duodenalen Gastrinome – im Gegensatz zu vielen pankreatischen Gastrinomen – trotz nachgewiesener Lymphknotenmetastasen günstig (Donow et al. 1991; Pipeleers-Marichal et al. 1993). Eine Lebermetastasierung ist selten (Donow et al. 1991; Weber et al. 1995). Duodenal-NET mit Somatostatinproduktion. Diese Tumoren machen etwa 15–20% aller duodenalen NET aus (Capella et al. 1991; Dayal et al. 1986). Sie liegen als solitäre Tumoren bevorzugt im Ampullenbereich (Capella et al. 1995; Dayal et al. 1983). Mit regionären Lymphknotenmetastasen ist zu rechnen, wenn die Tumoren größer als 2 cm sind, invasiv in die muskulären Wandschichten einwachsen und/oder angioinvasiv sind (. Tab. 5.3). Mikroskopisch zeigen sie ein hochdifferenziertes trabekulär bis pseudoglanduläres Muster, wobei vielfach Psammomkörper vorkommen (. Abb. 5.10a). Immunhistologisch besteht eine intensive Somatostatinpositivität (. Abb. 5.10b); selten sind kalzitoninpositive Tumoren (Posalaky et al. 1987; Stamm et al. 1986). Etwa ein Drittel der Fälle sind assoziiert mit einer Neurofibromatose (von Recklinghausen) Typ 1 (Capella et al. 1995; Dayal et al. 1983; Dayal et al. 1986; Stephens et al. 1987). Darüber hinaus ist eine Kombination mit einem ein- oder doppelseitigen Phäochromozytom möglich, ohne dass eine Beziehung zum Von-Hippel-Lindau-Syndrom besteht (Griffiths et al. 1984). Trotz der intensiven Somatostatinproduktion entwickelt sich kein Somatostatinomsyndrom. Gangliozytische Paragangliome. Diese Tumoren machen etwa
. Abb. 5.9. Querschnitt durch die Duodenalwand (D) und den Pankreaskopf auf der Höhe der Papilla Vateri mit eröffnetem Gallengang (C) und Pankreasgang bei einem Patienten mit MEN 1 und ZES. In der Submukosa ein Mikrogastrinom (Pfeile). Insert: Histologie des Mikrogastrinoms
10% der duodenalen NET aus. Sie finden sich periampullär, wo sie relativ große polypöse Tumoren (2–4 cm) bilden können (Barbareschi et al. 1989; Burke u. Helwig 1989; Hamid et al. 1986). Trotz ihrer Größe verhalten sie sich mit wenigen Ausnahmen (Dookhan et al. 1993) benigne. Eine Assoziation mit einem duodenalen Somatostatin-NET und Neurofibromatose wurde mitgeteilt (Stephens et al. 1987). Mikroskopisch sieht man trabekulär bis solide endokrine (meist zytokeratinnegative) Zellkomplexe gemischt mit einzelnen oder in Gruppen liegenden gangliozytischen Elementen. Zwischen diesen Zellen liegen S-100-positive Zellen. Immunhistologisch sind die endokrinen Zellen oft PPpositiv, gefolgt von Somatostatin und VIP (Burke u. Helwig 1989; Hamid et al. 1986; Perrone et al. 1985). Duodenal-NET mit Serotoninproduktion. Diese Tumoren
machen etwa 5% der duodenalen NET aus, liegen solitär im
391 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
5
. Abb. 5.10a,b. Duodenal-NET im Bereich der Papilla Vateri mit Somatostatinproduktion. a Gut differenzierter trabekulärer bis glandulärer neuroendokriner Tumor mit Psammomkörperchen. b Starke immunhistochemische Positivität des Tumors für Somatostatin
a
b
proximalen Duodenum, sind meist zwischen 1–2 cm groß, verhalten sich damit benigne und funktionell inaktiv. Mikroskopisch findet sich ein trabekulärer Aufbau. Immunhistologisch enthalten sie neben serotonin- auch einige somatostatinund/oder gastrinpositive Zellen (Burke et al. 1989; Capella et al. 1991).
5.3.2.10 Jejunoileale NET . Tab. 5.4 gibt einen Überblick über die diagnostisch-prognos-
Undifferenziertes duodenales NE-Karzinom (ICD-0 M-8041/3).
tische Einordnung der ilealen NET in Zusammenhang mit den kolorektalen NET (Capella et al. 1995). Bevorzugte Lokalisation ist das distale Ileum (Klöppel u. Heitz 1981; Klöppel et al. 1996; Polak 1993), selten dagegen das Jejunum (Antonioli et al. 1987) oder ein Meckel-Divertikel (Moyana 1989). Die meisten Patienten sind zwischen 50 und 70 Jahren alt.
Diese Tumoren sind äußerst selten. Sie liegen überwiegend in oder an der Papilla Vateri und haben zum Zeitpunkt der Diagnose bereits zu Lymphknoten- und Fernmetastasen geführt. Histologisch sind sie vom kleinzelligen oder intermediären Typ; meist ohne Hormonnachweis (Capella et al. 1995; Zamboni et al. 1990).
Makroskopie. Es handelt es sich um polypöse oder flach erhabene Tumoren (. Abb. 5.11), die in 40% der Fälle multipel auftreten. Ihr Durchmesser liegt zwischen 0,5 und 3 cm. Beim Einwachsen in die Muscularis propria und das angrenzende subseröse Fettbindegewebe kommt es durch eine erhebliche tumorassoziierte (und
392
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Tab. 5.4. Revidierte Klassifikation der neuroendokrinen Tumoren der Appendix, des Dünn- und Dickdarms. (Nach Capella et al. 1995)
Appendix
Jejunum/Ileum
Kolon/Rektum
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter kleiner Tumor (=1 cm) in der Mukosa/ Submukosa, aber ohne Angioinvasion 5 Gewöhnlich serotoninbildende Tumorenb im terminalen Ileum
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter kleiner Tumor (<1 cm) in der Mukosa-Submukosa ohne Angioinvasion 5 Trabekuläre enteroglukagonproduzierende Tumorenc, gewöhnlich im Rektum 5 Serotoninproduzierende Tumorenb, gewöhnlich im Zökum oder Kolon
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter Tumor mittlerer Größe (>1–2 cm), aber ohne Angioinvasion oder Ausdehnung über die Submukosa hinaus 5 Gewöhnlich serotoninbildende Tumorenb des terminalen Ileums
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter kleiner Tumor (1–2 cm) in der Mukosa/ Submukosa mit Angioinvasion 5 Subtypen wie bei den benignen Tumoren
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter, großer Tumor (>2 cm) mit tiefer Invasion der Mesoappendix 5 Serotoninproduzierende Tumorenb
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter, großer Tumor (>2 cm) mit Ausbreitung jenseits der Submukosa und/oder Angioinvasion 5 Gewöhnlich serotoninbildende Tumoren des terminalen Ileums
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter, großer Tumor (>2 cm) mit Ausbreitung jenseits der Submukosa 5 Subtypen wie bei den benignen Tumoren
Funktionell hochdifferenzierter Tumor jeder Größe und Ausbreitung 5 Serotoninproduzierender Tumorb mit Karzinoidsyndrom
Funktionell aktiver, hochdifferenzierter Tumor jeder Größe und Ausbreitung 5 Serotoninbildender Tumorb mit Karzinoidsyndrom 5 Sporadisches Gastrinom (oberes Jejunum)
Funktionell aktiver, hochdifferenzierter Tumor jeder Größe und Ausbreitung 5 Serotoninbildender Tumorb mit Karzinoidsyndrom
Funktionell inaktiver/aktiver, niedrig differenzierter Tumor
Funktionell inaktiver/aktiver, niedrig differenzierter Tumor
Benignes Verhalten
5
Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter kleiner Tumor (<1 cm) ohne Ausbreitung auf die Mesoappendix 5 Gewöhnlich serotoninbildende Tumorenb in der Appendixspitze 5 Selten enteroglukagonbildende Tumorenc
Benignes oder niedrigmalignes Verhalten Funktionell inaktiver, hochdifferenzierter großer Tumor (<2 cm) mit beginnender Ausbreitung auf die Mesoappendix 5 Subtypen wie bei den benignen Tumoren
Niedrigmalignes Verhaltena
Hochmalignes Verhalten Funktionell inaktiver/aktiver, niedrig differenzierter Tumor a
b
c
Beim Vorkommen von Metastasen oder makroskopischer Invasion sollte der Tumor als »Low-grade«-neuroendokrines-Karzinom bezeichnet werden. Auch als EC-Tumor bezeichnet. Da Serotonin von der Leber metabolisiert und inaktiviert wird, erzeugen serotoninbildende Tumoren des Magendarmtraktes nur dann ein Syndrom, wenn Lebermetastasen vorliegen. Auch als L-Zelltumoren bezeichnet, die Glukagon-, PP- und PYY-verwandte Peptide erzeugen.
wahrscheinlich durch Produktion von Fibroblast Growth Factor verursachte) Stromasklerose zur Abknickung der Darmlichtung, die eine Obstruktion nach sich ziehen kann. Tumoren mit einer Größe unter 1 cm haben in 2%, Tumoren über 2 cm in 100% metastasiert (regionale Lymphknoten, Leber; . Abb. 5.11). Tumoren in Meckel-Divertikeln sind klein (<1,5 cm) und meistens frei von Metastasen (Moyana 1989). Mikroskopie. Mikroskopisch findet sich ein insulär-solides Mus-
ter (. Abb. 5.12). Die zytoplasmareichen feingranulären Zellen sind in der Regel argyrophil und argentaffin, was sie als EC (Serotonin)-Zellen kennzeichnet. Immunhistologisch findet sich eine Doppelexpression von Serotonin und Substanz P (Ausnahme: Gastrin in jejunalen NET (Antonioli et al. 1987). Die Tumoren produzieren außerdem Kallikrein (ein Bradykininaktivator) so-
wie Neurotransmitter und sind positiv für CDX2 (Capella et al. 1995; Klöppel u. Heitz 1981; Polak 1993; La Rosa et al. 2004). S-100-positive Zellen fehlen. Klinische Symptomatik. Funktionell entwickelt sich durch die
Sekretion von Serotonin, Bradykinin und Substanz P bei etwa 20% der Patienten eine hormonelle Symptomatik (Karzinoidsyndrom). Diese weist auf eine bereits in die Leber erfolgte Metastasierung hin, da Serotonin, das über die Pfortader in die Leber gelangt, normalerweise dort abgebaut wird (Klöppel u. Heitz 1981). Das Karzinoidsyndrom ist durch anfallsweisen Flush, wäßrige Diarrhöen, kolikartige Leibschmerzen und Bronchuskonstriktion charakterisiert. Im weiteren Verlauf treten in 50% der Fälle Teleangiektasien der Haut und eine plaqueartige Endokardfibrose des rechten Herzens mit Pulmonalstenose und Tri-
393 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
5
. Abb. 5.11. Multiple neuroendokrine Tumoren in der Ileumschleimhaut (Pfeile) sowie Lymphknotenmetastase in der Mesenterialwurzel
kuspidalinsuffizienz auf. Eine Behandlung mit Somatostatinanaloga kann die Symptomatik günstig beeinflussen. Bei Patienten ohne Karzinoidsyndrom (60%) ist es die lokale Symptomatik mit Schmerzen bei Subileussituation durch Abknickung des Darmrohrs, die zur Diagnose führt. 5.3.2.11 NET der Appendix . Tab. 5.4 gibt einen Überblick über die diagnostisch-prognostische Einordnung des NET der Appendix (Karzinoid; Capella et al. 1995). Er ist der häufigste Appendixtumor. Das mittlere Lebensalter der zumeist weiblichen Patienten liegt bei etwa 40 Jahren. Kinder können auch betroffen sein (Assadi et al. 2002). Makroskopie. Es handelt es sich in den meisten Fällen um einen submukösen, graugelben, etwa 1–2 cm großen Tumor im distalen Drittel, bzw. der Appendixspitze (. Abb. 5.13a; Syracuse et al. 1979). Fortgeschrittene Fälle (>2 cm) haben die Mesoappendix tief infiltriert und können zu regionären Lymphknotenmetastasen führen. Damit ist nur in 2% der Fälle zu rechnen. Hämatogene Metastasen fehlen so gut wie immer. Mikroskopie. Mikroskopisch findet sich ganz überwiegend
. Abb. 5.12. Gut differenzierter neuroendokriner Tumor des Ileum mit solidem inselartigem Muster in typischer submuköser Lage
ein insuläres und argentaffines Muster, wie es auch für ileale NET typisch ist. Immunhistologisch wird Serotonin und Substanz P nachgewiesen (. Abb. 5.13b). Gleichzeitig sieht man S-100-positive Sustentakularzellen. Selten sind trabekuläre, nicht-argentaffine enteroglukagonbildendende Tumoren (Capella et al. 1995). Klinische Symptomatik und Therapie. Klinisch stehen Symptome wie bei einer akuten Appendizitis im Vordergrund. Da es praktisch nie zur Lebermetastasierung kommt, ist ein Karzinoidsyndrom eine Rarität. Eine Appendektomie ist mit Ausnahme von Tumoren über 2,5–3 cm ausreichend (Besprechung des Becherzellkarzinoids 7 Kap. 5.3.2.5).
394
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5 a
b
. Abb. 5.13a,b. NET der Appendix. a Appendixlumen ausgefüllt durch einen gut differenzierten neuroendokrinen Tumor. b In der immunhisto-
chemischen Darstellung von Serotonin sieht man die Infiltration der muskulären Wandschichten durch Tumorzellen
5.3.2.12 Kolorektale NET Die diagnostisch-prognostische Einordnung der kolorektalen NET geht aus . Tab. 5.4 hervor. Gut differenzierte rektale NET kommen bei beiden Geschlechtern gleich häufig vor und bevorzugen das 5. bis 7. Lebensjahrzehnt. Während es sich bei dem im Kolon liegenden NET um seltene, relativ große (3–4 cm), polypöse, oft ulzerierte niedrig differenzierte NET handelt, die bereits in 50–60% metastasiert haben, sind die im Rektum gelegenen NET häufig, bedeutend kleiner (1–2 cm), gut differenziert und in den allermeisten Fällen benigne (. Abb. 5.14; Capella et al. 1995; Klöppel et al. 1996; Klöppel u. Heitz 1981; Grabowski et al. 2002). Die Metastasierungsfrequenz korreliert gut mit der Tumorgröße (<1 cm Metastasen in 1,7%; 1–2 cm in 10%; >2 cm in 82% der Fälle). Immunhistologisch können in den rektalen NET vor allem Glukagon- und PP-Zellen nachgewiesen werden. Karzinoidsyndrome stellen eine Ausnahme dar. Da die Mehrzahl der Rektumkarzinoide als kleine Schleimhautpolypen imponiert, können
sie endoskopisch abgetragen werden. Niedrig bis undifferenzierte kolorektale NET vom kleinzelligen oder intermediären Typ haben eine generell schlechte Prognose (Gaffey et al. 1990).
. Abb. 5.14. Endoskopisch gewonnene Biopsiepartikel aus dem Rektum mit einem submukösen gut differenzierten neuroendokrinen Tumor
5.3.2.13 NET der Gallenwege und der Leber NET der Gallenwege (Angeles-Angeles et al. 1991) oder Leber (Moriura et al. 1993; Sioutos et al. 1991) sind Raritäten. 5.3.3
Nesidioblastose des Pankreas bei persistierender Hypoglykämie mit Hyperinsulinismus (PHH)
Unter dem Krankheitsbegriff Nesidioblastose werden alle Inselveränderungen zusammengefasst, die im Zusammenhang mit einer PHH vorkommen (Klöppel et al. 1998).
395 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
Ursprünglich bezeichnete der Begriff der Nesidioblastose allein die Neubildung endokriner Zellen aus pluripotentem Gangepithel, wie es vor allem im fetalen Pankreasgewebe zu sehen ist. 5.3.3.1 Epidemiologie Bei Kindern mit einem Hypoglykämiesyndrom macht die PHH nur etwa 10% der Fälle aus. Beide Geschlechter sind gleichmäßig betroffen. 5.3.3.2 Ätiopathogenese Die Ursache der PHH ist wahrscheinlich genetisch bedingt, da bei familiären Fällen ein Gendefekt auf dem Chromosom 11 gefunden wurde, der eine permanente Stimulation der Insulinsekretion zur Folge hat (Reinecke-Lüthge et al. 2000). Damit beruht der Hyperinsulinismus auf einer funktionellen Störung der β-Zelle und nicht, wie früher diskutiert wurde, auf einer Zunahme der β-Zellzahl (Goossens et al. 1989). 5.3.3.3 Morphologie Die Nesidioblastose des endokrinen Pankreas wird in eine fokale und eine diffuse Form unterteilt (Goossens et al. 1 989; Solcia et . Abb. 5.15. Ausschnitt aus fokaler Nesidioblastose mit »adenomatöser« Inselhyperplasie
. Abb. 5.16. Diffuse Nesidioblastose mit deutlicher Hypertrophie (Kerne!) der Beta-Zellen
5
al. 1997). Die häufigere Veränderung scheint die diffuse Nesidioblastose zu sein (Reinecke-Lüthge et al. 2000). Makroskopie. Das Pankreas ist bei diffuser Nesidioblastose un-
auffällig. Bei fokaler Nesidioblastose kann eine umschriebene Konsistenzvermehrung, bzw. ein Tumor (0,5–0,8 cm) im Pankreas tastbar oder sogar sichtbar sein. Mikroskopie. Mikroskopisch findet sich bei fokaler Nesidioblas-
tose eine oft auf einen Lobulus beschränkte adenomatoide Inselhyperplasie mit einer Vermehrung und Kernhypertrophie der β-Zellen sowie mit duktuloinsulären Komplexen (. Abb. 5.15). Fehlt das azinäre Gewebe, kann die Veränderung tumorartig sein. Sehr selten sind 2 oder mehr fokale Veränderungen im Pankreas anzutreffen (multifokale Nesidioblastose). Bei der diffusen Nesidioblastose finden sich in den meisten Inseln einzelne deutlich hypertrophe β-Zellen mit ausgeprägter Kernvergrößerung (. Abb. 5.16). Außerdem können auffällige duktuloinsuläre Komplexe, die β-Zellen und andere Inselzellen enthalten, zu beobachten sein. Klinische Symptomatik und Therapie. Das klinische Bild der PHH bei Kindern erlaubt nicht, zwischen fokaler und diffuser
396
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
PHH zu unterscheiden. Bei mehr als 3/4 der Fälle tritt die PHH unmittelbar nach der Geburt auf. Viele dieser Kinder sind übergewichtig und plethorisch. Die subtotale (90%-ige) Pankreatektomie ist bei diffuser Nesidioblastose in der Mehrzahl der Fälle erfolgreich; ein insulinpflichtiger Diabetes muss jedoch häufig nach Jahren in Kauf genommen werden. Bei fokaler Nesidioblastose ist bei sicherer Identifizierung des Herdes (Tastbefund, sichtbarer Tumor) die Entfernung dieser Veränderung ausreichend. PHH bei Erwachsenen, die nicht durch ein Insulinom bedingt ist, ist selten. Die morphologischen Charakteristika der diffusen Nesidioblastose im Kindesalter sind bei Erwachsenen meist nur angedeutet ausgebildet (Angeles-Angeles et al. 1991; Anlauf et al. 2005b). Die Diagnose ist entsprechend schwierig und oft nur nach sicherem Ausschluss eines Insulinoms zu stellen. 5.3.4
Tumoren des endokrinen Pankreas
5.3.4.1 Nomenklatur und Klassifikation Die endokrinen Pankreastumoren bestehen aus neuroendokrinen Zellen, die phänotypisch-funktionell meist Inselzellen, gelegentlich aber auch extrapankreatischen neuroendokrinen Zellen entsprechen. Diese Tumoren sind unter dem Namen Inselzelltumoren bekannt und wurden auch zeitweilig als Apudome bezeichnet (Pearse u. Polak 1974). Da der Begriff Inselzelltumor nicht der oft komplexen Differenzierung der Tumoren gerecht wird und das Apudom sich auf eine inzwischen überholte ontogenetische Theorie bezieht, wird dem allgemeinen Terminus des »(neuro)endokrinen Pankreastumors« der Vorzug gegeben. Unter Berücksichtigung aller bislang vorliegenden Informationen werden in der neuen WHO-Klassifikation die neuroendokrinen Pankreastumoren nach morphologischen, klinischen und funktionellen Gesichtspunkten klassifiziert (Capella et al. 1995; Heitz et al. 2004). Morphologische Kriterien dieser Klassifikation sind die histologische Differenzierung, Größe sowie Angioinvasion, klinisch-funktionelle Kriterien und das Vorhandensein eines hormonellen Syndroms, verursacht durch die übermäßige Sekretion eines bestimmten Hormons (Insulinom, Glukagonom usw.; Klöppel et al. 1993). Auf dieser Basis ist eine Klassifikation möglich, die sowohl für die Morphologie, Funktion als auch Prognose von Relevanz ist (. Tab. 5.5). Außerdem
ist sie vergleichbar mit Einteilungen der neuroendokrinen Tumoren des Gastrointestinaltrakts. 5.3.4.2 Epidemiologie Die Häufigkeit der kleinen (<1 cm), in jeglicher Hinsicht asymptomatischen endokrinen Pankreastumoren beläuft sich auf 0,4– 1,5% aller Autopsiefälle. Bei systematischer Untersuchung des Pankreas liegt die Häufigkeit höher (Klöppel et al. 1993). Die Prävalenz funktionell aktiver oder inaktiver endokriner Pankreastumoren wird 1/100.000 geschätzt. Die Inzidenz des Insulinoms wird mit 4/10.000.000 und die des Gastrinoms auf 1,5/1.000.000 angegeben. Unter den resezierten Tumoren machen die hormonell (funktionell) aktiven Tumoren aktuell etwa 50% aus (Heitz et al. 2004). 5.3.4.3 Ätiopathogenese Die ersten Genveränderungen, die für die endokrinen Pankreastumoren eine Rolle spielen könnten, wurden bei der multiplen endokrinen Neoplasie (MEN) Typ 1 entdeckt. Die MEN 1 wird autosomal-dominant mit unterschiedlicher Penetranz vererbt; das Gen liegt auf dem Chromosom 11q und kodiert das Protein Menin (7 Kap. 6.1.2). Kürzlich wurde gezeigt, dass dieses Gen auch bei einem Teil der sporadischen endokrinen Pankreastumoren eine Rolle spielen könnte (Shan et al. 1998; Zhuang et al. 1997). Außerdem könnte das Von-Hippel-Lindau-Gen von Bedeutung sein (Lubensky et al. 1998). Im Gegensatz zum exokrinen duktalen Pankreaskarzinom werden bei endokrinen Pankreastumoren keine Punktmutationen im Kodon 12 des K-ras-Gens gefunden. 5.3.4.4 Morphologie Makroskopie. In 80–90% der Fälle entwickelt sich ein solitärer runder Tumor mit einem Durchmesser zwischen 1–5 cm (. Abb. 5.17). Durch den hohen Bindegewebsgehalt sind die Tumoren zumeist konsistenter als das umgebende Gewebe. Bei MEN Typ 1 sind die Tumoren unter 0,5 cm (»Mikroadenome«), die den größten Teil der Tumoren ausmachen, makroskopisch kaum sichtbar. Mikroskopie. Es finden sich solide oder trabekuläre (. Abb. 5.18a) bis (pseudo)glanduläre Muster, die in Kombination auftreten und keinem funktionellen Typ mit Sicherheit zugeordnet werden
. Tab. 5.5. Revidierte Klassifikation der endokrinen Pankreastumoren (Capella et al. 1995)
Dignität
Endokrine Aktivität/Differenzierungsgrad
Ausbreitung/Größe
Tumortyp
Benignes Verhalten
Funktionell aktive oder inaktive hochdifferenzierte Tumoren
Keine Angioinvasion, <2 cm <
Insulinome u. a.b, nichtfunktionelle Tumoren
Benignes oder niedrigmalignes Verhalten
Funktionell aktive oder inaktive hochdifferenzierte Tumoren
Angioinvasion, t2 cm <
Insulinome u. a.b, nichtfunktionelle Tumoren
Niedrigmalignes Verhaltena
Funktionell aktive oder inaktive hochdifferenzierte Tumoren
Lokale Infiltration und/ oder Metastasen
Insulinome u. a.b, nichtfunktionelle Tumoren
Funktionell aktive oder inaktive niedrig differenzierte Tumoren
Größe und Ausdehnung beliebig
Insulinome u. a.b, nichtfunktionelle Tumoren
Hochmalignes Verhalten
a
b
Beim Vorkommen von Metastasen oder einer makroskopisch erkennbaren Invasion sollte der Tumor als niedrigmalignes neuroendokrines Karzinom bezeichnet werden. Andere funktionell aktive Tumoren: Gastrinom, VIPom, Glukagonom u. a.
397 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
. Abb. 5.17. Großer endokriner Tumor im Bereich des Pankreaskopfes
. Abb. 5.18a,b. Neuroendokriner Pankreastumor. a Tumor mit trabekulärem Muster. b Maligner Tumor mit Angioinvasion
a
b
5
398
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
können. Die Tumoren können Gangstrukturen enthalten. Meist ist ein hyalines Stroma entwickelt, das einen beträchtlichen Teil des Tumors einnehmen kann. Gelegentlich finden sich massive Amyloidablagerungen (7 Insulinome) und vereinzelt auch Verkalkungen. Generell werden in endokrinen Tumoren neuroendokrine Marker (z. B. Synaptophysin, Chromogranin A), Zytokeratine 8 und 18 sowie Neurofilamente exprimiert (Höfler et al. 1986). Zum spezifischen Hormonnachweis in den Tumorzellen sind immunhistologische Untersuchungen notwendig. In sehr gut differenzierten Tumoren (z. B. Insulinomen) gelingt oft eine exakte Zellcharakterisierung auch ultrastrukturell, da die Tumorzellen bezüglich der Form ihrer Hormongranula den normalen Inselzellen sehr ähneln. 5.3.4.5 Malignität Bei niedrig bis undifferenzierten neuroendokrinen Karzinomen vom klein- bis intermediärzelligen Typ spricht die Histologie für sich selbst und lässt an der Malignität keinen Zweifel. Bei gut differenzierten endokrinen Pankreastumoren sind als sichere Kriterien für die Malignität der Nachweis von Metastasen oder die direkte Invasion in angrenzende Organe zu nennen. Zusätzlich wird heutzutage in Parallelität zu anderen endokrinen Tumoren die Angioinvasion als Malignitätskriterium gewertet (. Abb. 5.18b). Tumorgröße, funktionelle Aktivität (. Tab. 5.5) sowie Zellund Mitosenreichtum und der Ki67-Proliferationsindex dienen als weitere Hinweise auf ein malignes Verhalten (Capella et al. 1997; LaRosa et al. 1996). Mit Hilfe des Proliferationsmarkers PCNA sowie des AgNOR-Nachweises ist es nur bedingt möglich, die Biologie eines Tumors einzuschätzen (Klöppel et al. 1993). Ebenfalls gestattet die Bestimmung des DNA-Gehalts der Tumoren nicht, zwischen Gut- oder Bösartigkeit zu unterscheiden, jedoch scheint eine Aussage zur Progression maligner Tumoren möglich zu sein. Die Malignitätsrate der funktionell aktiven endokrinen Pankreastumoren variiert in Abhängigkeit vom jeweiligen Syndrom (z. B. Insulinome selten maligne; Glukagonome häufig maligne). Der immunhistologische Nachweis von α-HCG kann nach neueren Untersuchungen nur bedingt bei diesen Tumoren als Malignitätsmarker angesehen werden (Klöppel et al. 1993). Die Metastasierung erfolgt zuerst in die regionalen Lymphknoten und dann in die Leber. Metastasen anderer Lokalisation sind selten. Die mittlere Überlebenszeit bei nachgewiesener Metastasierung beträgt 4 Jahre, wobei Verläufe bis zu 20 Jahren möglich sind (Klöppel et al. 1993). Wegen des langsamen Wachstums der endokrinen Tumoren sind generell lange Nachbeobachtungszeiten nötig. 5.3.4.6 Differenzialdiagnose Wichtig ist die Abgrenzung der prognostisch günstigen endokrinen Pankreastumoren von den prognostisch ungünstigen exokrinen duktalen Adenokarzinomen. Dies bereitet durch die PAS-Positivität der duktalen Karzinome normalerweise keine Schwierigkeit. Dagegen können das Azinuszellkarzinom, der solidpseudopapilläre (früher: solid-zystische oder solid-papilläre) Tumor und das Pankreatoblastom mit neuroendokrinen Tumoren verwechselt werden. In allen Fällen ist die diffuse Positivität für neuroendokrine Marker in den endokrinen Tumoren richtungsweisend. Dabei ist allerdings im Hinblick auf den Marker neuronspezifische Enolase (NSE) die eingeschränkte Spezifität vieler Anti-
seren für NSE und die generelle NSE-Positivität von solid-pseudopapillären Tumoren zu berücksichtigen. Auch muss darauf hingewiesen werden, dass Azinuszellkarzinome und Pankreatoblastome einzelne neuroendokrine Zellen enthalten können. Unter den seltenen Metastasen im Pankreas, die mit endokrinen Primärtumoren verwechselt werden können, sind Absiedelungen von Melanomen, kleinzelligen Bronchialkarzinomen und klarzelligen Nierenzellkarzinomen zu nennen. 5.3.5 Insulinom
Insulinome sind endokrine Tumoren mit Produktion von Insulin und einem Hypoglykämiesyndrom (Donow et al. 1990; Klöppel et al. 1993; Stefanini et al. 1974).
Epidemiologie. Insulinome sind mit etwa 40–70% die häufigsten
endokrin aktiven Pankreastumoren. Sie manifestieren sich zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr; vor dem 15. Lebensjahr sind sie extrem selten. Insulinome treten bei Männern und Frauen gleich häufig auf und können sich auch im Pankreas von Diabetikern entwickeln. Makroskopie. Etwa 90–95 % der Insulinome imponieren als so-
litäre runde Pankreastumoren mit einem Durchmesser zwischen 1–2 cm (Donow et al. 1990). Multiples Auftreten ist in etwa 6% der Fall; weitere 6% entstehen im Rahmen einer MEN 1. Außerhalb des Pankreas sind insulinproduzierende Tumoren extrem selten (Donow et al. 1990). Mikroskopie. Es handelt es sich um solide oder trabekulär struk-
turierte Tumoren, deren Stroma zumeist hyalinisiert ist. 3–5% der Tumoren enthalten ausgedehnte Amyloidablagerungen, wobei es sich um Präzipitationen des mit Insulin kosezernierten Inselzell-Amyloid-Polypeptid (IAPP), auch Amylin genannt, handelt (Klöppel u. Heitz 2000). Immunhistologisch kann in allen Insulinomen Insulin und Proinsulin nachgewiesen werden (Roth et al. 1992). Klinische Symptomatik und Therapie. Das durch die unkontrollierte Sekretion des Insulins hervorgerufene Hypoglykämiesyndrom steht in seinem Schweregrad in keiner Beziehung zur Größe oder Malignität der Tumoren. Maligne Insulinome machen 5–10% der Fälle aus, wobei diese Tumoren generell größer als 2 cm sind (. Abb. 5.19; Donow et al. 1990). Die Resektion der benignen Tumoren führt zur Heilung (Ausnahme multiple Insulinome, vor allem bei metachronem Auftreten).
5.3.6 Gastrinom
Gastrinome sind endokrine Tumoren mit Gastrinproduktion und einem Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES; Isenberg et al. 1973). Es gibt pankreatische und duodenale Gastrinome.
Epidemiologie. Die Gastrinome des Pankreas sind überwiegend sporadischer Natur und nicht mit einer MEN 1 assoziiert (Do-
399 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
a
5
eigenartigerweise nicht beobachtet. Früher wurde das klinische Bild des Zollinger-Ellison-Syndroms vereinzelt durch eine G-Zellhyperplasie im Antrum erklärt (Pseudo-ZES; Klöppel et al. 1993). Das Versiegen bestätigender Publikationen in den letzten Jahren wirft jedoch die Frage auf, ob bei den Patienten mit vermeintlicher G-Zellhyperplasie nicht ein duodenales Mikrogastrinom übersehen wurde (Donow et al. 1991). Pankreatische Gastrinome sind in über 60% maligne und scheinen im Vergleich zu malignen duodenalen Gastrinomen rascher progredient zu sein (Donow et al. 1991; Weber et al. 1995). 5.3.7 VIPom
b
VIPome sind endokrine Tumoren mit der Produktion von vasoaktivem intestinalen Polypeptid (VlP) und einem VernerMorrison-Syndrom, das auch WDHA (»watery diarrhea, hypokalemia, achlorhydria«) oder pankreatisches Cholerasyndrom genannt wird (Bloom et al. 1973; Jensen u. Gardner 1991).
Epidemiologie. Die VIPome machen etwa 3% der endokrin ak. Abb. 5.19a,b. Schnittflächen eines Pankreasresektates mit einem malignen Insulinom (a) und einer am Pankreasgewebe anhängenden Lymphknotenmetastase (b)
now et al. 1990). Nach neueren Einschätzungen sind sie seltener als die duodenalen Gastrinome (7 5.3.2.9) (Donow et al. 1990; Donow et al. 1991; Pipeleers-Marichal et al. 1990). Sie treten meistens zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf, wurden jedoch auch bei Kindern (7. Lebensjahr) als auch sehr alten Menschen (90. Lebensjahr) beobachtet. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Etwa 0,1% aller Ulkuspatienten haben ein ZES. Lokalisation. Die Gastrinome finden sich verteilt im Pankreas mit leichter Bevorzugung des Pankreaskopfes (Donow et al. 1990, 1991). Die sporadischen extrapankreatischen MEN-1-assoziierten Gastrinome sind nahezu alle im proximalen Duodenum zu finden (Donow et al. 1991; Pipeleers-Marichal et al. 1990). Makroskopie. Das intrapankreatische sporadische Gastrinom
imponiert zumeist als ein solitärer 2–4 cm großer Tumor. Mikroskopisch liegt ein solides und/oder trabekulär-pseudoglanduläres Muster vor. Immunhistologisch gelingt der Gastrinnachweis in praktisch allen Fällen (Donow et al. 1991). Zusätzlich können gelegentlich PP, Glukagon und andere Hormone nachgewiesen werden. Klinische Symptomatik. Die Hypergastrinämie führt zu einer Sti-
mulierung der Parietalzellen des Magens mit Parietalzellhyperplasie (glanduläre Korpusschleimhauthyperplasie) und exzessiver Salzsäureproduktion (Isenberg et al. 1973). Dies führt in 90–95% der Fälle zu rezidivierenden Ulzera, die praktisch alle im Duodenum liegen. Außerdem kommt es in etwa 30% durch die massive Säureproduktion zur Schleimhautreizung und Motilitätsteigerung des Dünndarms mit Diarrhöen. Eine ECL-Zellhyperplasie in der Korpusschleimhaut des Magens, die für die chronisch atrophische Typ A Gastritis mit assoziierter Hypergastrinämie typisch ist, wird
tiven Pankreastumoren aus. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 40. bis 60. Lebensjahr, wobei Frauen mit 66% etwas stärker betroffen sind als Männer (Capella et al. 1983). Gelegentlich treten Tumoren mit einem Verner-Morrison-Syndrom extrapankreatisch auf. Bei Erwachsenen handelt es sich dann um VIP-produzierende Phäochromozytome, bei Kindern meist um extraadrenale Ganglioneurome oder Neuroblastome (Klöppel et al. 1993). Makroskopie. Das VIPom ist durch beträchtliche Größe (2–7 cm) und bevorzugte Lokalisation im Pankreasschwanzbereich charakterisiert. Mikroskopie. Häufig findet sich ein trabekuläres Muster. Immunhistologisch kann in den meisten Tumoren VIP, daneben auch PP nachgewiesen werden. Klinische Symptomatik. Durch die VIP-Produktion kommt es zu einer Hemmung der gastralen Salzsäure- und Pepsinproduktion (Hypo-Achlorhydrie) und zu einer vermehrten Stimulierung der intestinalen Sekretion (Diarrhö; Bloom et al. 1973; Klöppel et al. 1993). Bei etwa 50% werden zusätzlich eine diabetische Stoffwechsellage und in 20% eine Flushsymptomatik beobachtet. 40–60% der Fälle sind maligne (Capella et al. 1983).
5.3.8 Glukagonom
Glukagonome sind endokrine Tumoren mit Produktion von Glukagon und einem Glukagonomsyndrom (Binnick et al. 1977; Gössner u. Korting 1960; Klöppel et al. 1993; Ruttman et al. 1980).
Epidemiologie. Glukagonome mit einem Syndrom machen etwa
1% der endokrin aktiven Tumoren aus. Die Patienten sind zwischen 40 und 70 Jahren alt, wobei Frauen überwiegen (Ruttmann et al. 1980).
400
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5
a
b
. Abb. 5.20a,b. Multiple endokrine Neoplasie Typ 1. a Schnittflächen resezierter Pankreassegmente mit multiplen endokrinen Tumoren. b Anschnitt mehrerer Mikroadenome
Makroskopie. Die Tumoren erreichen oft beträchtliche Größe (4–10 cm) und liegen bevorzugt im Pankreasschwanz.
gegeben, wobei die Kombinationen eines Zollinger-Ellison-Syndroms mit einem Hypoglykämiesyndrom oder einem Cushing-Syndrom am häufigsten sind.
Mikroskopie. Meist findet sich eine trabekuläre Architektur. Im-
munhistologisch lassen sich nahezu immer Glukagon und seine Vorstufen nachweisen (Gössner u. Korting 1960). Klinische Symptomatik. Die Pathophysiologie des Glukagonom-
syndroms ist ungeklärt. Zum klinischen Bild gehört eine Dermatose (nekrolytisches migratorisches Erythem) mit Bevorzugung der unteren Körperhälfte, die mit einer schmerzhaften Glossitis und Mundwinkelrhagaden einhergeht. Milder Diabetes, normochrome, normozytäre Anämie und Gewichtsverlust kommen meist hinzu (Binnick et al. 1977). Etwa 60% der Fälle sind maligne (Ruttman et al. 1980). 5.3.9 Sonstige Tumoren Tumoren mit hormonellen Syndromen. Die Tumoren mit sel-
tenen hormonellen Syndromen sind meistens maligne und von beträchtlicher Größe (Heitz et al. 1977). Zu ihnen gehören: 4 Somatostatinom (mit Diabetes, Steatorrhö und Cholelithiasis; Krejs et al. 1979) 4 Kalzitoninom (mit Durchfällen oder Hyperkalzämie; Fleury et al. 1998; Heitz et al. 1981) 4 Serotoninom (mit Karzinoidsyndrom) 4 Kortikotrophinom (mit Cushing-Syndrom; etwa 10% aller paraneoplastischen Cushing-Fälle ausmachend) Histologisch sind diese Tumoren meist trabekulär aufgebaut. Immunhistologisch können die entsprechenden Hormone nachgewiesen werden. MultihormonaleTumoren. Immunhistologische Untersuchungen
zeigen, dass viele endokrine Tumoren multihormonal aufgebaut sind, obwohl klinisch nur ein Hormon in Erscheinung tritt. Nur sehr selten ist auch klinisch eine multihormonale Symptomatik
Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 und Von-Hippel-LindauSyndrom. Bei der MEN 1 wird mit großer Regelmäßigkeit außer
den Nebenschilddrüsen und der Hypophyse auch das Pankreas und Duodenum befallen (Komminoth et al. 1998; Padberg et al. 1995; Pipeleers-Marichal et al. 1990). Das Pankreas enthält zahlreiche Mikroadenome (<0,5 cm) und oft nur einzelne größere Tumoren (. Abb. 5.20; Klöppel et al. 1986). Malignität im Zusammenhang mit einer MEN 1 wurde nur sehr selten beobachtet. Beim VHL-Syndrom können solitäre oder auch gelegentlich mehrere endokrine, meist hellzellige Tumoren im Pankreas auftreten. Sie sind funktionell nicht aktiv und selten maligne (Lubensky et al. 1998). Nichtfunktionelle Tumoren. Etwa 20–30% der resezierten endokrinen Pankreastumoren zeigen klinisch keine Überfunktionssyndrome und werden nur durch Invasion angrenzender Organe oder Metastasierung auffällig (Klöppel et al. 1993; Madura et al. 1997). Über zwei Drittel von ihnen sind maligne. Immunhistologisch können häufig PP-Zellen oder auch Glukagonzellen nachgewiesen werden.
Literatur Ahlman H, Dahlström A, Enerbäck L, Granérus G, Nilsson O, Persson S, Tisell LE (1988) Two cases of gastric carcinoids: diagnostic and therapeutic aspects. World J Surg 12:356–361 Angeles-Angeles A, Quintanilla-Martinez L, Larriva-Sahd J (1991) Primary carcinoid of the common bile duct. Immunohistochemical characterization of a case and review of the literature. Am J Clin Pathol 96:341–344 Antonioli DA, Dayal Y, Dvorak AM, Banks PA (1987) Zollinger-Ellison syndrome. Cure by surgical resection of a jejunal gastrinoma containing growth hormone releasing factor. Gastroenterology 92:814–823 Anlauf M, Perren A, Meyer CL, Schmid S, Saremaslani P, Kruse ML, Weihe E, Komminoth P, Heitz PU, Klöppel G (2005a) Precursor lesions in patients with multiple endocrine neoplasia type 1-associated duodenal gastrinomas. Gastroenterology 128:1187–1198
401 5.3 · Histologie, Nomenklatur und Pathologie
Anlauf M, Wieben D, Perren A, Sipos B, Komminoth P, Raffel A, Kruse ML, Fottner C, Knoefel WT, Mönig H, Heitz PU, Klöppel G (2005b) Persistent hyperinsulinemic hypoglycemia in 15 adults with diffuse nesidioblastosis: diagnostic criteria, incidence and characterization of E-cell changes. Am J Surg Pathol 29:524–533 Barbareschi M, Frigo B, Aldovini D, Leonardi E, Cristina S, Falleni M (1989) Duodenal gangliocytic paraganglioma. Report of a case and review of the literature. Virchows Arch 416:81–89 Bhagavan BS, Slavin RE, Goldberg J, Rao RN (1986) Ectopic gastrinoma and Zollinger-Ellison syndrome. Hum Pathol 17:584–592 Binnick AN, Spencer SK, Dennison WLJ, Horton ES (1977) Glucagonoma syndrome. Report of two cases and literature review. Arch Dermatol 113:749–754 Bloom SR, Polak JM, Pearse AGE (1973) Vasoactive intestinal peptide and watery-diarrhoea syndrome. Lancet II:14–16 Bordi C, Costa A, Missale G (1975) ECL cell proliferation and gastrin levels. Gastroenterology 68:205–206 Bordi C, Pilato FP, Bertelé A, D’Adda T, Missale G (1988) Expression of glycoprotein hormone alpha-subunit by endocrine cells of the oxyntic mucosa is associated with hypergastrinemia. Hum Pathol 19:580–585 Bordi C, Yu J-Y, Baggi MT, Davoli C, Pilato FP, Baruzzi G, Gardini G, Zamboni G, Franzin G, Papotti M, Bussolati G (1991) Gastric carcinoids and their precursor lesions. A histologic and immunohistochemical study of 23 cases. Cancer 67:663–672 Burke AP, Federspiel BH, Sobin LH, Shekitka KM, Helwig EB (1989a) Carcinoids of the duodenum. A histologic and immunohistochemical study of 65 tumors. Am J Surg Pathol 13:828–837 Burke AP, Helwig EB (1989b) Gangliocytic paraganglioma. Am J Clin Pathol 92:1–9 Burke AP, Sobin LH, Federspiel BH, Shekitka KM, Helwig EB (1990) Carcinoid tumors of the duodenum. A clinicopathologic study of 99 cases. Arch Pathol Lab Med 114:700–704 Capella C, Solcia E, Frigerio B, Buffa R, Usellini L, Fontana P (1977) The endocrine cells of the pancreas and related tumours. Ultrustructural study and classification. Virchows Arch 373:327–352 Capella C, Polak JM, Buffa R et al. (1983) Morphologic patterns and diagnostic criteria of VIP-producing endocrine tumors. A histologic, histochemical, ultrastructural and biochemical study of 32 cases. Cancer 52:1860–1874 Capella C, Riva C, Rindi G et al. (1991) Histopathology, hormone products, and clinicopathological profile of endocrine tumors of the upper small intestine: a study of 44 cases. Endocr Pathol 2:92–110 Capella C, Heitz PU, Höfler H, Solcia E, Klöppel G (1995) Revised classification of neuroendocrine tumours of the lung, pancreas and gut. Virchows Arch 425:547–560 Capella C, La Rosa S, Solcia E (1997) Criteria for malignancy in pancreatic endocrine tumors. Endocr Pathol 8:87–90 Chejfec G, Kovarick P, Graham G, Eichorst M, Gould VE (1992) Neuroendocrine carcinoma of the stomach with extensive somatostatin immunoreactivity. Ultrastruct Pathol 16:537–545 Creutzfeldt W (1988) The achlorhydria-carcinoid sequence: Role of gastrin. Digestion 39:61–79 Dayal Y (1994) Hyperplastic proliferations of enteroendocrine cells. Endocr Pathol 5:4–26 DayalY, Doos WG, O’Brien MJ, Nunnemacher G, DeLellis RA, Wolfe HJ (1983) Psammomatous somatostatinomas of the duodenum. Am J Surg Pathol 7:653–665 Dayal Y, Tallberg KA, Nunnemacher G, DeLellis RA, Wolfe HJ (1986) Duodenal carcinoids in patients with and without neurofibromatosis. A comparative study. Am J Surg Pathol 10:348–357 DeLellis RA, Tischler AS (1990) The dispersed neuroendocrine cell system. In: Kovacs K, Asa SL (eds) Functional endocrine pathology (vol. 1). Blackwell, Boston, pp 493–508 Donow C, Pipeleers-Marichal M, Stamm B, Heitz PU, Klöppel G (1990) Pathologie des Insulinoms und Gastrinoms. Lokalisation, Größe, Multizentrizität, Assoziation mit der multiplen endokrinen Neoplasie Typ I und Malignität. Dtsch Med Wochenschr 115:1386–1391
5
Donow C, Pipeleers-Marichal MA, Schröder S, Stamm B, Heitz PU, Klöppel G (1991) Surgical pathology of gastrinoma. Site, size, multicentricity, association with multiple endocrine neoplasia type 1, and malignancy. Cancer 68:1329–1334 Dookhan DB, Miettinen M, Finkel G, Gibas Z (1993) Recurrent duodenal gangliocytic paraganglioma with lymph node metastases. Histopathology 22:399–401 Feurle GE, Anlauf M, Hamscher G, Arnold R, Klöppel G, Weihe E (2002) Xenin-immunoreactive cells and extractable xenin in neuroendocrine tumors of duodenal origin. Gastroenterology 123:1616–1626 Fleury A, Fléjou JF, Sauvanet A et al. (1998) Calcitonin-secreting tumors of the pancreas: About six cases. Pancreas 16:545–550 Friesen SR, Tomita T (1981) Pseudo-Zollinger-Ellison syndrome: hypergastrinemia, hyperchlorhydria without tumor. Ann Surg 194:481– 493 Gaffey MJ, Mills SE, Lack EE (1990) Neuroendocrine carcinoma of the colon and rectum. A clinicopathologic, ultrastructural, and immunohistochemical study of 24 cases. Am J Surg Pathol 14:1010–1023 Godwin JD (1975) Carcinoid tumors. An analysis of 2837 cases. Cancer 36:560–569 Goossens A, Gepts W, Saudubray JM, Bonnefont JP, Nihoul-Fekete C, Heitz PU, Klöppel G (1989) Diffuse and focal nesidioblastosis: A clinicopathological study of 24 patients with persistent neonatal hyperinsulinemic hypoglycemia. Am J Surg Pathol 13:766–775 Gössner W, Korting GW (1960) Metastasierendes Inselzellkarzinom vom A-Zelltyp bei einem Fall von Pemphigus foliaceus mit Diabetes renalis. Dtsch Med Wochenschr 11:434–437 Grabowski P, Schönfelder J, Ahnert-Hilger G, Foss HD, Heine B, Schindler I, Stein H, Berger G, Zeitz M, Scherübel H (2002) Expression of neuroendocrine markers: a signature of human undifferentiated carcinoma of the colon and rectum. Virchows Arch 441:256–263 Griffiths DF, Jasani B, Newman GR, Williams ED, Williams GT (1984) Glandular duodenal carcinoid–a somatostatin rich tumour with neuroendocrine associations. J Clin Pathol 37:163–169 Hamid QA, Bishop AE, Rode J et al. (1986) Duodenal gangliocytic paragangliomas: a study of 10 cases with immunocytochemical neuroendocrine markers. Hum Pathol 17:1151–1157 Håkansson R, Tielemans Y, Chen D, Andersson K, Ryberg B, Mattsson H, Sundler F (1992) The biology and pathobiology of the ECL cells. Yale J Biol Med 65:761–774 Heitz PU, Kasper M, Polak JM, Klöppel G (1982) Pancreatic endocrine tumours. Immunohistochemical analysis of 125 tumours. Hum Pathol 13:263–271 Heitz PU, Klöppel G, Häcki WH, Polak JM, Pearse AGE (1977) Nesidioblastosis: The pathologic basis of persistent hyperinsulinemic hypoglycemia in infants. Morphologic and quantitative analysis of seven cases based on specific immunostaining and electron microscopy. Diabetes 26:632–641 Heitz PU, Klöppel G, Polak JM, Staub JJ (1981) Ectopic hormone production by endocrine tumors: localization of hormones at the cellular level by immunocytochemistry. Cancer 48:2029–2037 Heitz PU, Klöppel G, Häcki WH, Polak JM, Pearse AGE (1977) Nesidioblastosis: the pathologic basis of persistent hyperinsulinemic hypoglycemia in infants. Morphologic and quantitative analysis of seven cases based on specific immunostaining and electron microscopy. Diabetes 26:632–642 Hernandez FJ, Reid JD (1969) Mixed carcinoid and mucus-secreting intestinal tumors. Arch Pathol 88:489–496 Hirschowitz BI, Griffith J, Pellegrin D, Cummings OW (1992) Rapid regression of enterochromaffin-like cell gastric carcinoids in pernicious anemia after antrectomy. Gastroenterology 102:1409–1418 Höfler H, Denk H, Lackinger E, Helleis G, Polak JM, Heitz PU (1986) Immunocytochemical demonstration of intermediate filament cytoskeleton proteins in human endocrine tissues and (neuro-) endocrine tumours. Virchows Arch Pathol Anat 409:609–626 Isenberg JI, Walsh JH, Grossman MI (1973) Zollinger-Ellison syndrome. Gastroenterology 65:140–165
402
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Jensen RT, Gardner JD (1991) Zollinger-Ellison syndrome: clinical presentation, pathology, diagnosis and treatement. In: Dannenberg A, Zakim D (eds) Peptic ulcer and other acid-related diseases. Spectrum Publishing Co, New York, pp 117–211 Keuppens F, Willems G, De GJ, Woussen-Colle MC (1980) Antral gastrin cell hyperplasia in patients with peptic ulcer. Ann Surg 191:276–281 Klöppel G, Heitz PU (1981) Die disseminierten (diffusen) endokrinen Zellen. In: Doerr W, Seifert G (Hrsg) Spezielle pathologische Anatomie, Bd 14. Springer, Berlin Heidelberg New York, pp 1079–1135 Klöppel G, Clemens A (1996) The biological relevance of gastric neuroendocrine tumors. Yale J Biol Med 69:69–74 Klöppel G, Willemer S, Stamm B, Häcki WH, Heitz PU (1986) Pancreatic lesions and hormonal profile of pancreatic tumors in multiple endocrine neoplasia type I. An immunocytochemical study of nine patients. Cancer 57:1824–1832 Klöppel G, Höfler H, Heitz PU (1993) Pancreatic endocrine tumours in man. In: Polak JM (ed) Diagnostic histopathology of neuroendocrine tumours, chapter 5. Churchill Livingstone, Edinburgh, pp 91–121 Klöppel G, Heitz PU, Capella C, Solcia E (1996) Pathology and nomenclature of human gastrointestinal neuroendocrine (carcinoid) tumors and related lesions. World J Surg 20:132–141 Klöppel G, In’t Veld PA, Komminoth P, Heitz PU (1998) The endocrine pancreas. In: Kovacs K, Asa SL (eds) Functional endocrine pathology, 2nd. Ed. Blackwell, Boston, pp 415–487 Klöppel G, Heitz PU (2000) Tumors of the endocrine pancreas. In: CDM Fletcher (ed) Diagnostic histopathology of tumors, 2nd ed. Churchill Livingstone, London, pp 1083–1098 Komminoth P, Heitz PU, Klöppel G (1998) Pathology of MEN-1: morphology, clinicopathologic correlations and tumour development. J Intern Med 243:455–464 Krejs GJ, Orci L, Conlon JM et al. (1979) Somatostatinoma syndrome. Biochemical, morphologic and clinical features. N Engl J Med 301:285–292 Kulaksiz H, Eissele R, Rössler D, Schulz S, Höllt V, Cetin Y, Arnold A (2002) Identification of somatostatin receptor subtypes 1, 2A, 3 and 5 in neuroendocrine tumours with subtype specific antibodies. Gut 50:52–60 La Rosa S, Sessa F, Capella C et al. (1996) Prognostic criteria in nonfunctioning pancreatic endocrine tumours. Virchows Arch 429:323–333 Lamberts R, Creutzfeldt W, Struber HG, Brunner G, Solcia E (1993) Longterm omeprazole therapy in peptic ulcer disease: gastrin, endocrine cell growth, and gastritis. Gastroenterology 104:1356–1370 Larsson LI, Ljungberg O, Sundler F et al. (1973) Antro-pyloric gastrinoma associated with pancreatic nesidioblastosis and proliferation of islets. Virchows Arch 360:305–314 Lasson A, Alwmark A, Nobin A, Sundler F (1983) Endocrine tumors of the duodenum. Clinical characteristics and hormone content. Ann Surg 197:393–398 Lewin KJ, Yang K, Ulrich T, Elashoff JD, Walsh J (1984) Primary gastrin-cell hyperplasia. Am J Surg Pathol 8:821–832 Lubensky IA, Pack S, Ault D, Vortmeyer AO, Libutti SK, Choyke PL, Walther MM, Linehan WM, Zhuang Z (1998) Multiple neuroendocrine tumors of the pancreas in von Hippel-Lindau disease patients. Am J Pathol 153:223–231 Madura JA, Cummings OW, Wiebke EA, Broadie TA, Goulet RL, Jr., Howard TJ (1997) Nonfunctioning islet cell tumors of the pancreas: a difficult diagnosis but one worth the effort. Am Surg 63:573–577 Marshall JB, Bodnarchuk G (1993) Carcinoid tumors of the gut. Our experience over three decades and review of the literature. J Clin Gastroenterol 16:123–129 Matsui K, Kitagawa M, Miwa A, KurodaY, Tsuji M (1991) Small cell carcinoma of the stomach: a clinicopathologic study of 17 cases. Am J Gastroenterol 86:1167–1175 Mitschke H (1977) Funktionelle Pathomorphologie des gastrointestinalen endokrinen Zellsystems. In: Büngeler W, Eder M, Lennert K, Peters G, Sandritter W, and Seifert G (eds) Progress in Pathology 104. Fischer, Stuttgart New York Modlin IM, Kidd M, Latich I, Zikusoka MN, Shapiro MD (2005) Current status of gastrointestinal carcinoids. Gastroenterology 128:1717–1751
Moriura S, Ikeda S, Hirai M, Naiki K, Fujioka T, Yokochi K, Gotou S (1993) Hepatic gastrinoma. Cancer 72:1547–1550 Moyana TN (1989) Carcinoid tumors arising from Meckel’s diverticulum. A clinical, morphologic, and immunohistochemical study. Am J Clin Pathol 91:52–56 Oberndorfer S (1907) Karzinoide Tumoren des Dünndarms. Frankf Z Pathol 1:426–429 Padberg B, Schröder S, Capella C, Frilling A, Klöppel G, Heitz PU (1995) Multiple endocrine neoplasia type 1 (MEN 1) revisited. Virchows Arch 426:541–548 Pearse AGE (1977) Das diffuse endokrine (parakrine) System: Feyrter’s Konzept und seine moderne Geschichte. Verh Dtsch Ges Pathol 61:2–6 Pearse AG, Polak JM (1974) Endocrine tumours of neural crest origin: neurolophomas, apudomas and the APUD concept. Med Biol 52:3–18 Perkins PL, McLeod MK, Jin L, Fukuuchi A, Cho KJ, Thompson NW, Lloyd RV (1992) Analysis of gastrinomas by immunohistochemistry and in situ hybridization histochemistry. Diagn Mol Pathol 1:155–164 Perrone T, Sibley RK, Rosai J (1985) Duodenal gangliocytic paraganglioma. An immunohistochemical and ultrastructural study and a hypothesis concerning its origin. Am J Surg Pathol 9:31–41 Pipeleers-Marichal MA, Donow C, Heitz PU, Klöppel G (1993) Pathologic aspects of gastrinomas in patients with Zollinger-Ellison syndrome with and without multiple endocrine neoplasia type I. World J Surg 17:481–488 Pipeleers-Marichal MA, Somers G, Willems G et al. (1990) Gastrinomas in the duodenums of patients with multiple endocrine neoplasia type 1 and the Zollinger-Ellison syndrome. N Engl J Med 322:723–727 Polak JM (1993) Diagnostic histopathology of neuroendocrine tumours. Churchill Livingstone, Edinburgh Posalaky Z, Mulholland M, Kasperson E, Posalaky IP (1987) Duodenal carcinoid in neurofibromatosis: a calcitonin- and amyloid- containing tumor. World J Surg 11:120–124 Rappel S, Altendorf-Hofmann A, Stolte M (1995) Prognosis of gastric carcinoid tumours. Digestion 56:455–462 Ratzenhofer M (1977) Über enterale Hyperplasien und Geschwülste der disseminierten endokrinen (parakrinen) Hellen Zellen Feyrter’s unter Berücksichtigung amphikriner Zellwucherungen. Verh Dtsch Ges Pathol 61:7–24 Reinecke-Lüthge A, Koschoreck F, Klöppel G (2000) The molecular basis of persistent hyperinsulinemic hypoglycemia of infancy and its pathologic substrates. Virchows Arch 436:1–5 Rindi G, Luinetti O, Cornaggia M, Capella C, Solcia E (1993)Three subtypes of gastric argyrophil carcinoid and the gastric neuroendocrine carcinoma: a clinicopathologic study. Gastroenterology 104:994–1006 Rindi G, Paolotti D, Fiocca R, Wiedenmann B, Henry JP, Solcia E (2000) Vesicular monoamine transporter 2 as a marker of gastric enterochromaffin-like cell tumors. Virchows Arch 436:217–223 Roberts LJII, Bloomgarden ZT, Marney SR, Jr., Rabin D, Oates JA (1983) Histamine release from a gastric carcinoid: Provocation by pentagastrin and inhibition by somatostatin. Gastroenterology 84:272–275 Roth J, Klöppel G, Madsen OD, Storch MJ, Heitz PU (1992) Distribution patterns of proinsulin and insulin in human insulinomas: an immunohistochemical analysis in 76 tumors. Virchows Arch Cell Pathol 63:51–61 Royston CMS, Brew DStJ, Garnham JR, Stagg BH, Polak J (1972) The Zollinger-Ellison syndrome due to an infiltrating tumour of the stomach. Gut 13:638–642 Ruttmann E, Klöppel G, Bommer G, Kiehn M, Heitz PU (1980) Pancreatic glucagonoma with and without syndrome. Immunocytochemical study of 5 tumour cases and review of the literature. Virchows Arch Pathol Anat 388:51–67 Shan L, Nakamura Y, Nakamura M et al. (1998) Somatic mutations of multiple endocrine neoplasia type 1 gene in the sporadic endocrine tumors. Lab Invest 78:471–475 Shepherd JJ (1991) The natural history of multiple endocrine neoplasia type 1. Highly uncommon or highly unrecognized? Arch Surg 126: 935–952
403 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Sioutos N, Virta S, Kessimian N (1991) Primary hepatic carcinoid tumor. An electron microscopic and immunohistochemical study. Am J Clin Pathol 95:172–175 Soga J (1976) Neoplasms of GEP endocrine cells: The present day concept of carcinoids. In: Fujita T (ed) Endocrine gut and pancreas. Elsevier Amsterdam, New York, pp 387–394 Solcia E, Polak JM, Pearse AGE (1978) Lausanne 1977 classification of gastroenteropancreatic endocrine cells. In: Bloom SR (ed) Gut hormones. Churchill Livingstone, Edinburgh, London New York, pp 40–48 Solcia E, Bordi C, Creutzfeldt W et al. (1988) Histopathological classification of nonantral gastric endocrine growths in man. Digestion 41:185–200 Solcia E, Capella C, Fiocca R, Rindi G, Rosai J (1990) Gastric argyrophil carcinoidosis in patients with Zollinger-Ellison syndrome due to type 1 multiple endocrine neoplasia. A newly recognized association. Am J Surg Pathol 14:503–513 Solcia E, Fiocca R, Sessa F, Rindi G, Giannatti A, Cornaggia M, Capella C (1991) Morphology and natural history of gastric endocrine tumors. In: Hakanson R, Sundler F (eds) The stomach as an endocrine organ. Elsevier, Amsterdam, pp 473–498 Solcia E, Capella C, Klöppel G (1997) Tumors of the pancreas. AFIP Atlas of Tumor Pathology, third series, fascicle 20. Armed Forces Institute of Pathology, Washington DC Stamm B, Hedinger CE, Saremaslani P (1986) Duodenal and ampullary carcinoid tumors. A report of 12 cases with pathological characteristics, polypeptide content and relation to the MEN 1 syndrome and von Recklingshausen’s disease (neurofibromatosis). Virchows Arch Pathol Anat 408:485–489 Stefanini P, Carboni M, Patrassi N, Basoli A (1974) Beta-islet cell tumors of the pancreas: results of a study on 1,067 cases. Surgery 75:597–609 Stephens M, Williams GT, Jasani B, Williams ED (1987) Synchronous duodenal neuroendocrine tumours in von Recklinghausen’s disease– a case report of co-existing gangliocytic paraganglioma and somatostatin-rich glandular carcinoid. Histopathology 11:1331–1340 Sundler F, Eriksson B, Grimelius L, Håkansson R, Lönroth H, Lundell L (1992) Histamine in gastric carcinoid tumors: immunocytochemical evidence. Endocr Pathol 3:23–27 Suster S, Moran CA (1995) Thymic carcinoid with prominent mucinous stroma. Report of a distinctive morphologic variant of thymic neuroendocrine neoplasm. Am J Surg Pathol 19:1277–1285 Syracuse DC, Perzin KH, Price JB, Wiedel PD, Mesa-Tejada R (1979) Carcinoid tumors of the appendix. Mesoappendiceal extension and nodal metastases. Ann Surg 190:58–63 Thakker RV (1993) The molecular genetics of the multiple endocrine neoplasia syndromes. Clin Endocrinol 38:1–14 Thompson NW, Vinik AI, Eckhauser FE (1989) Microgastrinomas of the duodenum. A cause of failed operations for the Zollinger-Ellison syndrome. Ann Surg 209:396–404 Warkel RL, Cooper PH, Helwig EB (1978) Adenocarcinoid, a mucin-producing carcinoid tumor of the appendix: a study of 39 cases. Cancer 42:2781–2793 Weber HC, Venzon DJ, Lin JT, Fishbein VA, Orbuch M, Strader DB, Gibril F, Metz DC, Fraker DL, Norton JA, Jensen RT (1995) Determinants of metastatic rate and survival in patients with Zollinger-Ellison syndrome: A prospective long-term study. Gastroenterology 108:1637–1649 Wilander E, Grimelius L, Lundqvist G, Skoog V (1979a) Polypeptide hormones in argentaffin and argyrophil gastroduodenal endocrine tumors. Am J Pathol 96:519–530 Wilander E, Sundstrom C, Grimelius L (1979b) Pernicious anaemia in association with argyrophil (Sevier-Munger) gastric carcinoid. Scand J Haematol 23:415–420 Zamboni G, Franzin G, Bonetti F, Scarpa A, Chilosi M, Colombari R, Menestrina F, Pea M, Iacono C, Serio G (1990) Small-cell neuroendocrine carcinoma of the ampullary region. A clinicopathologic, immunohistochemical, and ultrastructural study of three cases. Am J Surg Pathol 14:703–713 Zhuang Z, Vortmeyer AO, Pack S et al. (1997) Somatic mutations of the MEN 1 tumor suppressor gene in sporadic gastrinomas and insulinomas. Cancer Res 57:4682–4686
5
5.4
Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
5.4.1
Insulinome
5.4.1.1 Klinische Symptomatik und Diagnostik
P.H. Kann, S. Schaefer ) ) Finden sich bei einem Patienten vorwiegend Nüchternhypoglykämien mit neuroglukopenischen Symptomen und keine Hinweise auf eine schwere Grunderkrankung oder eine medikamentös-toxische Ursache, so besteht der Verdacht auf ein Insulinom. Vor jedem Versuch einer Lokalisation muss eine sichere endokrinologische Diagnose des Insulinoms erfolgen. Der Standardtest ist der Hungerversuch über 72 h mit einer Sensitivität und Spezifität von nahezu 100%. Eine Hypoglycaemia factitia muss ausgeschlossen werden. Weitere Funktionstests (Tolbutamidtest, selektiver arterieller Kalziumstimulationstest, C-Peptid-Suppressionstest) sind keine Routineverfahren.
5.4.1.1.1 Epidemiologie Das Insulinom ist der häufigste neuroendokrine Tumor des Pankreas. Die Inzidenz beträgt ca. 4 Erkrankungen/1.000.000 Personen pro Jahr. Es bevorzugt das Erwachsenenalter, kann aber von der Kindheit bis ins hohe Alter auftreten. Frauen sind etwas häufiger (ca. 60%) betroffen als Männer. Insulinome sind meist benigne, solitäre Tumoren. Weniger als 10% treten multipel auf (oft im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1), weniger als 10% sind maligne. Das Insulinom ist nahezu ausschließlich im Pankreas lokalisiert (Service et al. 1991). 5.4.1.1.2 Klinische Symptomatik Leitsymptom des Insulinoms ist die Hypoglykämie, definiert durch die Whipple-Trias: Plasmaglukosekonzentrationen <40 mg/dl, Symptome der Hypoglykämie und Reversibilität der Symptome durch Glukosegabe.
Die Symptome können in autonome (z. B. Tachykardie, Schwitzen, Tremor) und neuroglukopenische (z. B. Denk-, Seh- und Sprachstörungen, bizarres Verhalten, Somnolenz, fokale neurologische Defizite, Krampfanfälle) unterteilt werden. Verdächtig für das Vorliegen eines Insulinoms ist insbesondere eine rezidivierende neuroglukopenische Symptomatik. Gelegentlich wird diese Symptomatik missgedeutet und führt die betroffenen Patienten zunächst in eine neurologische oder psychiatrische Behandlung. Die Latenz zwischen ersten Beschwerden und endgültiger Diagnose kann Jahre oder Jahrzehnte betragen. Hypoglykämische Episoden treten bei Patienten mit Insulinom vor allem nach längerem Fasten auf (Nüchternhypoglykämie). In der Anamnese sollten Symptome während der längsten Zeit des Tages ohne Nahrungsaufnahme (meist vom Abendessen bis zum Frühstück) und kürzliche Änderungen der Essgewohnheiten (z. B. nächtliche Zwischenmahlzeiten) sorgfältig erfragt werden. Bei einem Teil der Patienten tritt eine deutliche Gewichtszunahme auf. Die früher propagierte Einteilung der Hypoglykämien in Nüchtern- und postprandiale Hypoglykämien ist nicht in allen Fällen diagnostisch wegweisend. Ein Insulinom
404
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
kann sich auch in seltenen Fällen ausschließlich durch postprandiale Hypoglykämien manifestieren. Hypoglykämien müssen im klinischen Kontext bewertet werden. Finden sich bei einem Patienten mit neuroglukopenischen Symptomen keine Hinweise auf eine schwere Grunderkrankung (z. B. Leber- oder Niereninsuffizienz, Sepsis, Kachexie, hypothalamisch-hypophysäre und/oder adrenale endokrine Insuffizienzen, Tumor) oder eine medikamentös-toxische Ursache (meist Insulin, orale Antidiabetika oder Alkohol), besteht der Verdacht auf ein Insulinom (Becker 1995; Service 1995, 1999).
5
5.4.1.1.3 Diagnostik Die endokrinologische Funktionsuntersuchung ist nach wie vor das entscheidende und wegweisende diagnostische Instrument.
Erst die Diagnose des Insulinoms, dann der Versuch der Lokalisation.
Eine Lokalisationsdiagnostik ohne vorherigen sicheren Nachweis eines Insulinoms kann durch Pankreasraumforderungen unklarer Signifikanz (sog. PNUD = »pancreatic nodules of unknown dignity«) zu falsch-positiven Befunden führen. Ferner muss in relevantem Umfang mit falsch-negativen Befunden der Bildgebung gerechnet werden (Becker 1995; Kann et al. 2003, 2005). Der Standardtest: Hungerversuch
Der etablierte Standardtest für die Diagnostik des Insulinoms ist der Hungerversuch über 72 h, der eine Sensitivität und Spezifität von nahezu 100% besitzt. Ob eine Dauer von 48 h ausreichend ist wird kontrovers diskutiert. Unter stationären Bedingungen wird die Plasmaglukosekonzentration engmaschig überwacht, initial mindestens alle 2 h, bei abnehmenden Messwerten dann entsprechend häufiger. Durch regelmäßige Blutentnahmen (mindestens alle 6 h – besser alle 2 h – bis Glukosekonzentration <60 mg/dl, dann alle 1–2 h, ggf. noch häufiger) werden die Konzentrationen von Insulin, C-Peptid und Proinsulin bestimmt. . Abb. 5.21. Pathologischer Hungerversuch über 27 h. Man beachte die 1- bis 2-stündlichen Messungen von Blutzucker, Insulin und C-Peptid, den Abfall von Blutzucker bei gleichzeitigem Anstieg von Insulin und fast unveränderten C-PeptidWerten gegen Ende beim Auftreten hypoglykämischer Symptome des Patienten
Cave Es muss als Kunstfehler angesehen werden, einen Hungerversuch ambulant durchzuführen, da dies mit einer erheblichen Gefährdung des Patienten einhergehen kann.
Langdauerndes Hungern führt bei gesunden Personen nur selten zu Plasmaglukosekonzentrationen unter 40 mg/dl und fast nie zu neuroglukopenischer Symptomatik. Im Gegensatz dazu wird die Insulinsekretion eines Insulinoms nicht durch niedrige Glukosekonzentrationen supprimiert. Bei nahezu allen Patienten mit einem Insulinom kommt es daher im Verlauf des Hungerversuchs zu einer neuroglukopenischen Symptomatik, dem wichtigsten Abbruchkriterium des Tests. Wenn allein Plasmaglukosekonzentrationen kleiner 45 mg/dl oder 40 mg/dl vor Auftreten einer neuroglukopenischen Symptomatik als Abbruchkriterium benutzt werden, sinken die Chancen für eine erfolgreiche Unterscheidung von Gesunden und Patienten mit einem Insulinom. Problematisch kann die Entscheidung über einen Abbruch des Hungerversuchs bei nur subtiler neuroglukopenischer Symptomatik sein oder bei Patienten, die durch langen Krankheitsverlauf erst bei sehr niedrigen Glukosekonzentrationen eine entsprechende Symptomatik zeigen. Ein negativer Hungerversuch über 72 h schließt ein Insulinom mit nahezu 100%-iger Sicherheit aus (Service 1995, Service 1999; Service u. Natt 2000; Hirshberg et al. 2000; Wiesli et al. 2002). Ein pathologischer Hungerversuch ist in . Abb. 5.21 dargestellt. In Analogie zum Übergang eines »kompensierten« zum »dekompensierten« autonomen Adenom der Schilddrüse benötigen Insulinome auch eine kritische Zellmasse, die zur wegweisenden klinischen Symptomatik und in der Diagnostik zu einem positiven Hungerversuch führt. Eigene Daten zeigen, dass diese kritische Zellmasse bei einem Tumordurchmesser von etwa 5 mm in der endosonographischen Bildgebung erreicht wird. Bei Abbruch des Hungerversuchs werden die Konzentrationen von Glukose, Insulin, C-Peptid, Proinsulin und β-Hydroxybutyrat im Blut bestimmt. Zur Klärung der Differenzialdiagnose einer hypothalamisch-hypophysären Insuffizienz oder anderer Störungen der hormonellen Gegenregulation sollten sinnvoller-
405 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
weise zu diesem Zeitpunkt auch die Konzentrationen der kontrainsulinären Hormone – Glukagon, (Nor)Adrenalin, Kortisol, Wachstumshormon – bestimmt werden. Gleichzeitig muss zum Ausschluss einer Hypoglycaemia factitia der Nachweis von Sulfonylharnstoffen und Gliniden im Serum und/oder Urin versucht werden. Die Glukosekonzentrationen sollen mit einer qualitätskontrollierten Methode in einem Labor exakt bestimmt werden. Messungen am Patientenbett mit Teststreifengeräten liefern im hypoglykämischen Bereich keine exakten Werte, sind aber oft die einzige Möglichkeit, zeitnah Ergebnisse zu erhalten.
Für das Vorliegen eines Insulinoms sprechen bei Abbruch des Tests Insulinkonzentrationen ≥6 μU/ml (36 pmol/l) und C-Peptid-Konzentrationen ≥0,2 nmol/l bei Glukosekonzentrationen ≤45 mg/dl. Auch ein erhöhter Insulin-Glukose-Quotient (Insulin in μU/ml; Glukose in mg/dl) weist auf ein Insulinom hin, verschiedene Grenzwerte >0,25, >0,3 oder >0,5 werden in der Literatur genannt. Im Gegensatz zu Gesunden nehmen die Insulin-Glukose-Quotienten bei Patienten mit Insulinom im Verlauf des Hungerversuches zu.
Bei Adipositas sind die Insulin-Glukose-Quotienten ebenfalls erhöht, im Gegensatz zu Patienten mit einem Insulinom führt aber Hungern bei adipösen Gesunden nicht zu einer Hypoglykämie oder einer neuroglukopenischen Symptomatik. Die erhöhten Quotienten spiegeln hier eine periphere Insulinresistenz und kein Insulinom wieder (Service 1999; Wiesli et al. 2002; Merimee und Tyson 1977; Trajonski et al. 1996; Service et al. 1993, keller 1980; Ulrich et al. 1991; Rothmund et al. 1986). Die genannten Grenzwerte für die Insulinkonzentration und Insulin-Glukose-Quotienten wurden durch Bestimmung der Insulinkonzentration mit Radioimmunoassays (RIA) etabliert. Insulinome können aber hohe Konzentrationen von Proinsulin sezernieren. Die klassischen (unspezifischen) RIA weisen eine hohe Kreuzreaktivität mit Proinsulin auf. Die Bestimmung der Insulinkonzentration mit neueren, spezifischen Assays (z. B. ELISA oder ICMA) führt zu geringeren Messwerten. Spezifische Insulinassays weisen im Vergleich zu den klassischen RIA eine geringere Sensitivität für die Diagnose eines Insulinoms auf, wenn die traditionellen Grenzwerte angewandt werden. Insulinome, die vor allem Proinsulin sezernieren, werden evtl. nicht diagnostiziert. Bei Verwendung spezifischer Assays weisen daher schon Insulinkonzentrationen ≥3 μU/ml (18 pmol/l) bei Abbruch des Tests auf ein Insulinom hin. Proinsulinkonzentrationen sollten insbesondere dann bestimmt werden, wenn zur Messung der Insulinkonzentrationen spezifische Assays verwendet werden. Patienten mit einem Insulinom haben bei Abbruch des Hungerversuches einen Proinsulinanteil größer 20–25% am gesamten immunoreaktiven Insulin (bestimmt durch Gelfiltrationsmethode nach RIA). Absolute Proinsulinkonzentrationen ≥5 pmol/l (bestimmt durch spezifische Assays) weisen auf ein Insulinom hin. Die Proinsulinkonzentrationen sinken im Verlauf des Hungerversuchs bei Patienten mit einem Insulinom im Gegensatz zu Gesunden nur gering (Service 1999; Hirshberg et al. 2000; Keller 1980; Gorden et al. 1995; Wieli et al. 2004; Kao et al. 1994). In manchen Fällen führt eine körperliche Belastung (z. B. eine halbe Stunde auf dem Fahrradergometer) am Testende zu einem eindeutig positiven Befund des Hungerversuches.
5
Während langen Fastens sind Lipolyse und Ketogenese gesteigert. Ein Anstieg der β-Hydroxybutyratkonzentration über 2,7 mmol/l spricht für ein adäquates Fasten und gegen das Vorliegen eines Insulinoms. Bei Patienten mit einem Insulinom blockiert die Hyperinsulinämie Lipolyse und Ketogenese, was zu einer β-Hydroxybutyratkonzentration <2,7 mmol/l bei Abbruch des Hungerversuchs führt. Weiterhin spricht ein mittlerer Anstieg der Glukosekonzentration ≥25 mg/dl 10, 20 und 30 min nach i.v.Gabe von 1 mg Glukagon bei Abbruch des Hungerversuchs für ein Insulinom. Im Falle eines pathologischen (»positiven«) Hungerversuchs ist differenzialdiagnostisch immer eine Hypoglycaemia factitia zu erwägen und auszuschließen. Nach klinischer Erfahrung sind es vor allem Personen mit Berufen aus dem medizinischen Bereich sowie Angehörige von medikamentös behandelten Diabetikern, die mit diesen in Wohngemeinschaft leben, bei denen man gehäuft mit dieser Möglichkeit rechnen muss. Auch die Fremdapplikation von hypoglykämisierenden Medikamenten in krimineller Intention kommt vor. Der diskongruente Verlauf der Serumkonzentrationen von Insulin und C-Peptid (in der Hypoglykämie hohes Insulin, gleichzeitig supprimiertes C-Peptid) beim Abbruch des Hungerversuchs gilt als beweisend für eine exogene Insulinapplikation. Ist der Verlauf der Insulin- und C-Peptid-Konzentrationen parallel (in der Hypoglykämie hohes Insulin und hohes C-Peptid), kommt die Einnahme von Sulfonylharnstoffen oder Gliniden in Frage. Eine toxikologische Analyse aus der Serumprobe zum Zeitpunkt der Hypoglykämie sowie der davor genommen Probe ist generell zu empfehlen, auch ist die Asservierung von Urin während des Hungerversuchs anzuraten, um im Zweifelsfall weitere diagnostische Möglichkeiten zu haben (Service 1999; Wiesli et al. 2002; O’Brien et al. 1993; Kann et al. 2005). Es gibt inzwischen eine kaum noch überschaubare Fülle von Hypoglykämie-induzierenden Medikamenten, die auch analytische Probleme mit sich bringen können (7 Übersicht). Glimepirid, Nateglinid und Repaglinid sind im Urin nur nachweisbar, wenn höhere Dosierungen eingenommen worden sind und auch eine repräsentative Urinprobe zur Verfügung steht. Letzteres ist ohne kontinuierliche Überwachung der Patienten nicht mit absoluter Sicherheit zu gewährleisten. Nateglinid und Repaglinid haben eine kurze Halbwertszeit im Serum, sodass hier die Verfügbarkeit und toxikologische Analytik der korrekten Serumproben wichtig ist.
Positive Testkriterien für die Diagnose »Insulinom« 5 Hungerversuch (bei Abbruch des Tests) – Glukose: ≤ 45 mg/dl – Insulin (RIA): ≥6 μU/ml (36 pmol/l) – Insulin (spezifischer Assay): ≥3 μU/ml (18 pmol/l) – Insulin-Glukose-Quotient: >0,25–0,5 μU/ml mg/dl, Anstieg während des Tests – C-Peptid: ≥0,2 nmol/l – Proinsulin (% des totalen immunoreaktiven Insulins): >20–25% – Proinsulin (spezifischer Assay): ≥5 pmol/l, kein Abfall während des Tests – β-Hydroxybutyrat: <2,7 mmol/l 6
406
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5 Glukagonstimulationstest (am Ende des Hungerversuchs) – Mittlerer Glukoseanstieg nach 10, 20 und 30 min: ≥25 mg/dl 5 Tolbutamidtest – Mittlere Glukosekonzentration nach 120, 150 und 180 min: ≤55 mg/dl (Schlanke) bzw. ≤62 mg/dl (Adipöse) 5 Selektive arterielle Kalziumstimulation mit Lebervenenblutentnahme (bei Kalziuminjektion in das Versorgungsgebiet des Insulinoms) – Insulinanstieg (RIA): >2-fach – Insulinanstieg (spezifischer Assay): >5- bis 6-fach
. Tab. 5.6. C-Peptid-Suppressionstest: Normwerte für C-Peptid-Abfall beim Gesunden (Service et al. 1992)
Zeit nach Insulingabe
Alter
30 min
60 min
Orale Antidiabetika, die Hypoglykämien induzieren können 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Chlorpropamide Glibenclamide Glibonuride Tolazamide Tolbutamide Gliclazide Glimepiride Glipizide Gliquidone Glisoxepide Nateglinide Repaglinide
90 min
BMI (kg/m2) 20–24
25–29
30–34
20–29
38%
28%
18%
30–39
35%
22%
15%
40–49
33%
25%
11%
50–59
31%
19%
8%
60–69
29%
17%
5%
70–79
26%
14%
1%
20–29
67%
66%
65%
30–39
65%
64%
62%
40–49
63%
61%
59%
50–59
61%
59%
57%
60–69
59%
57%
54%
70–79
57%
54%
51%
20–29
77%
77%
77%
30–39
76%
74%
74%
40–49
69%
70%
70%
50–59
67%
67%
67%
60–69
64%
64%
64%
70–79
60%
60%
60%
Jedes Alter
64%
64%
64%
Tests der 2. Wahl
Weitere Funktionstests können eine erhöhte Insulinsekretionskapazität oder eine verminderte Supprimierbarkeit der Insulinsekretion nachweisen:
120 min
Tolbutamidtest. Im Vergleich zu Gesunden reagieren Patienten
<25 kg/m2 bei Frauen) und ≤62 mg/dl bei Adipösen weist auf das Vorliegen eines Insulinoms hin.
mit Insulinom auf Gabe von 1 g Tolbutamid i.v. mit einer verstärkten Hypoglykämie. Ein Mittelwert der Plasmaglukosekonzentrationen 120, 150 und 180 min nach Gabe von Tolbutamid ≤55 mg/dl bei Schlanken (BMI <27 kg/m2 bei Männern und
C-Peptid-Suppressionstest. Die Gabe von Insulin (z. B. 0,125 IE/ kg KG i.v. über 60 min) führt bei Patienten mit Insulinom zu einer geringeren Suppression der C-Peptid-Konzentrationen im
. Abb. 5.22. C-Peptid-Suppressionstest. Natürlicher Logarithmus (ln) [Glukose-C-PeptidQuotient zum Zeitpunkt der minimalen C-Peptid-Konzentration] gegen ln [mittlere Glukosekonzentration] (Saddig et al. 2002)
407 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Vergleich zu gesunden Kontrollen. Normwerte unter Berücksichtigung des Alters und des BMI wurden 1992 von Service et al. veröffentlicht (. Abb. 5.22 und . Tab. 5.6). Die optimalen Parameter und Grenzwerte zur Diagnose eines Insulinoms durch den C-Peptid-Suppressionstest sind noch in der Diskussion, sodass der Stellenwert dieses Tests noch nicht abschließend zu bewerten und sein klinischer Einsatz nicht allgemein zu empfehlen ist (McMahon et al. 1989; Doppman et al. 1995; Brown et al. 1997; Wieli et al. 2004; Service et al. 1992; Saddig et al. 2002; Marks 1989). Selektiver arterieller Kalziumstimulationstest. Der selektive
arterielle Kalziumstimulationstest wird im Rahmen einer Angiographie durchgeführt. Nach Injektion von Kalzium in die verschiedenen Pankreasarterien kommt es beim Vorliegen eines Insulinoms im entsprechenden Versorgungsgebiet zu einem Anstieg der Insulinkonzentrationen in den Lebervenen auf mehr als das Doppelte (Bestimmung mit RIA) oder auf mehr als das 5- bis 6-fache (spezifischer Assay). Literatur Becker KL (1995) Principles and practice of endocrinology and metabolism, 2nd ed, chapter 152: Hypoglycemic disorders in the adult, chapter 153: Localization of islet cell tumors. Lippincott, Philadelphia 1995 Brown CK, Bartlett DL, Doppman JL, Gorden P, Libutti SK, Fraker DL, Shawker TH, Skarulis MC, Alexander HR (1997) Intraarterial calcium stimulation and intraoperative ultrasonography in the localization and resection of insulinomas. Surgery 122:1189–1194 Doppman JL, Chang R, Fraker DL, Norton JA, Alexander HR, Miller DL, Collier E, Skarulis MC, Gorden P (1995) Localization of insulinomas to regions of the pancreas by intra-arterial stimulation with calcium. Ann Int Med 123:269–273 Gorden P, Skarulis MC, Roach P, Comi RJ, Fraker DL, Norton JA, Alexander HR, Doppman JL (1995) Plasma proinsulin-like component in insulinoma: a 25-year experience. J Clin Endocrinol Metab 80: 2884–2887 Hirshberg B, Livi A, Bartlett DL, Libutti SK, Alexander HR, Doppman JL, Skarulis MC, Gorden P (2000) Forty-eight-hour fast: the diagnostic test for insulinoma. J Clin Endocrinol Metab 85:3222–3226 Kann PH, Wirkus B, Keth A, Goitom K (2003) Pitfalls in endosonographic imaging of suspected insulinomas: pancreatic nodules of unknown dignity. Eur J Endocrinol 148:531–534 Kann PH, Rothmund M, Zielke A (2005) Endoscopic ultrasound imaging of insulinomas: limitations and clinical relevance. Exp Clin Endocrinol Diab 113:471–474 Kao PC, Taylor RL, Service FJ (1994) Proinsulin by immunochemiluminometric assay for the diagnosis of insulinoma. J Clin Endocrinol Metab 78:1048–1051 Keller U (1980) Hypoglycemia: clarification and etiology. Schweiz Med Wochenschr 110:495–498 [article in German] Marks V (1989) Diagnosis and differential diagnosis of hypoglycaemia. Mayo Clin Proc 64:1558–1561 McMahon MM, O’Brien PC, Service FJ (1989) Diagnostic interpretation of the intravenous tolbutamide test for insulinoma. Mayo Clin Proc 64:1481–1488 Merimee TJ, Tyson JE (1977) Hypoglycemia in man: pathologic and physiologic variants. Diabetes 26:161–16165 O’Brien T, O’Brien PC, Service FJ (1993) Insulin surrogates in insulinoma. J Clin Endocrinol Metab 77:448–451 Rothmund M, Rückert K, Beyer J (1996) Insulinomas and rare endocrine tumors. Chirurg 57:541–551 [article in German] Saddig C, Bender R, Starke AAR (2002) A new classification plot for the C-peptide suppression test. JOP (Online) 3:16–25 Service FJ (1995) Hypoglycemic disorders. N Engl J Med 332:1144–1152
5
Service FJ (1999) Diagnostic approach to adults with hypoglycemic disorders. Endocrinol Metab Clin North Am 28:519–532 Service FJ, Natt N (2000) The prolonged fast. J Clin Endocrinol Metab 85:3973–3974 Service FJ, McMahon MM, O’Brien PC, Ballard DJ (1991) Functioning insulinoma-incidence, recurrence and long-term survival of patients: a 60-year study. Mayo Clin Proc 66:711 Service FJ, O’Brien PC, Kao PC, Young WF Jr. (1992) C-peptide suppression test: effects of gender, age, and body mass index; implications for the diagnosis of insulinoma. J Clin Endocrinol Metab 74:204–210 Service FJ, O’Brien PC, McMahon MM, Kao PC (1993) C-peptide during the prolonged fast in insulinoma. J Clin Endocrinol Metab 76:655–659 Trajanoski Z, Brunner GA, Gfrerer RJ, Wach P, Pieber TR (1996) Accuracy of home blood glucose meters during hypoglycaemia. Diabetes Care 19:1412–1415 Ulrich FE, Schneyder U, Hadecke J (1991) Organic hyperinsulinism. Clinical aspects – diagnosis – therapy. Z Gesamte Inn Med 46:568–572 [article in German] Wiesli P, Brandle M, Schwegler B, Lehmann R, Spinas GA, Schmid C (2002) A plasma glucose concentration below 2.5 mmol L-1 is not an appropriate criterion to end the 72-h fast. J Intern Med 252:504–509 Wiesli P, Brandle M, Zapf J, Seiler H, Zwimpfer C, Spinas GA, Schmid C (2004a) Assessment of hyperinsulinaemia at the termination of the prolonged fast. Clin Chim Acta 342:227–231 Wiesli P, Brändle M, Pfammatter T, Zapf J, Spinas GA, Schmid C (2004b) Insulin determination by specific and unspecific immunoassays in patients with insulinoma evaluated by the arterial stimulation and venous sampling test. Eur J Endocrinol 151:123–126
5.4.1.2 Bildgebende Diagnostik
P.H. Kann, H.J. Wagner ) ) Die Diagnostik des Insulinoms erfolgt mittels endokrinologischer Standardtestverfahren, insbesondere dem Hungerversuch. Die Diagnostik des Insulinoms erfolgt nicht primär bildgebend. Insulinome sind durch die Kombination von chirurgischer Exploration des Pankreas mit Palpation des gesamten Organs und intraoperativer Ultraschalluntersuchung in nahezu allen Fällen lokalisierbar (Boukhman et al. 1999). Somit wäre eine präoperative Lokalisationsdiagnostik prinzipiell nicht erforderlich. Da die solitären kleinen Insulinome aber zunehmend minimalinvasiv auf laparoskopischem Weg entfernt werden, meist durch Enukleation oder, im Fall einer Lage im Pankreasschwanz, durch Linksresektion, kommt der präoperativen Lokalisationsdiagnostik aktuell wieder eine größere Bedeutung zu (Assalia u. Gagner 2004). Die Bildgebung dient dem Versuch der korrekten Lokalisation der Quelle des autonom und in pathologischen Mengen sezernierten Insulins.
5.4.1.2.1 Konventionelle Sonographie Die konventionelle Sonographie wird üblicherweise transabdominell mit 3,5-MHz- oder 5-MHz-Schallköpfen durchgeführt. Hierbei sucht man im Pankreas nach in der Regel 8–14 mm großen, deutlich oder nur gering echoarmen, aber auch isoechogenen Rundherden. Zur Untersuchung stellt sich häufig ein Patient vor, der infolge seiner Grunderkrankung an Gewicht zugenommen hat, was die Einsehbarkeit und diagnostische Beurteilbarkeit des Pankreas deutlich erschweren kann. Die Literatur berichtet über Treffsicherheiten zwischen 10% und 79% (Angeli
408
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
et al. 1997; Böttger el al. 1995; Lippert et al. 1990). Klinische Erfahrungen lassen eine eindeutige und korrekte Lokalisation in einem Prozentsatz von über 50% nur bei besonders glücklich zusammengesetzten Patientenkollektiven und extrem erfahrenen Untersuchern realistisch und möglich erscheinen. In vielen Fällen kommt ihr weder für die diagnostische noch die therapeutische Entscheidungsfindung eine besondere Relevanz zu. Inselzellkarzinome, die häufig größer sind, können leichter identifiziert und beurteilt werden, der Nachweis einer beispielsweise hepatischen Metastasierung kann zur Wertung des gesamten Krankheitsbildes beitragen. 5.4.1.2.2 Endoskopische Sonographie Die endosonographische Darstellung des Pankreas kann mit verschiedenen Endosonoskopen erfolgen. Sowohl zirkuläre Schallsysteme als auch longitudinale Scanner können verwendet werden. Die Darstellung des Corpus und der Cauda pancreatis erfolgt aus dem Magen. Caput und Processus uncinatus werden sowohl aus dem Antrum als auch dem Bulbus, der Pars descendens und der Pars horizontalis des Duodenums dargestellt (Kann et al. 2001, 2003; Langer et al. 2004). Insulinome sind häufig echoarm, können im Vergleich zum umgebenden Pankreas aber auch iso. Abb. 5.23. Heterogen-multinoduläres Inselzellkarzinom mit Einbruch in die Vena lienalis (Pfeil)
Abb. 5.24. Kleiner, histologisch gesicherter neuroendokriner Tumor einer Patientin mit MEN-1-Erkrankung
. Tab. 5.7. Endoskopischer Ultraschall neuroendokriner Pankreastumoren: Kriterien der Dignität (Kann et al. 2001)
Benigne Pankreastumoren
Maligne Pankreastumoren
Echoarm < Homogen
20 mm
>
Heterogen Multinodulär Echofreie Areale Invasiv
echogen mit einem schmalen Halo oder komplett isoechogen, sehr selten auch leicht echoreich zur Darstellung kommen. Die Analyse der Echotextur bietet gewisse Hinweise dafür, ob man eher mit einer benignen oder malignen Raumforderung konfrontiert ist (. Tab. 5.7). Insbesondere der Nachweis der Gefäßinvasion ist ein klares Malignitätskriterium (. Abb. 5.23). Die Nachweisgrenze für neuroendokrine Tumoren im Pankreas liegt bei einem Tumordurchmesser von 2–3 mm (. Abb. 5.24). In dieser
409 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
5
. Abb. 5.25. Echoarmer Bezirk im Pankreaskopf eines Patienten mit reaktiven Hypoglykämien, computertomographisch verdächtig auf ein Adenokarzinom und deshalb operiert: histologisch regelrechtes Pankreasgewebe
Größe verursachen Insulinome wahrscheinlich noch keine Symptome, die zu einer Diagnostik Anlass geben. Falsch-positive Befunde. Ein Problem der endosonographischen Insulinomdarstellung sind falsch-positive Befunde (Kann et al. 2003). Sie werden als PNUD (»pancreatic nodules of unknown dignity«, Pankreasknoten unklarer Signifikanz) bezeichnet. Einzelfälle, in denen solche Befunde operiert wurden, zeigten, dass sich hinter diesen Befunden histologisch völlig normal aussehendes Pankreasgewebe verbergen kann (. Abb. 5.25). Mit solchen unklaren nodulären Befunden im Pankreas muss in etwa 1% aller bildgebenden Untersuchungen gerechnet werden (Kann et al. 2003). Evidenzbasierte Entscheidungskriterien zum Umgang mit solchen Befunden stehen derzeit nicht zur Verfügung. Falsch-negative Befunde. Bei Durchsicht der Literatur (. Tab. 5.8) muss man feststellen, dass auch extrem erfahrene Untersucher und Arbeitsgruppen eine Trefferquote von 100% ihrer Insulinome nicht erreichen. Insulinome können in Einzelfällen komplett isoechogen zum normalen Pankreas sein und sich selbst in der intraoperativen Sonographie nur dann ein-
stellen lassen, wenn man den Befund vorher palpiert hat (. Abb. 5.26). Diese »unsichtbaren Insulinome« sind letztlich nur durch die intraoperative Palpation nachweisbar. Die diesbezüglich bislang nur kasuistisch verfügbaren Erfahrungen deuten darauf hin, dass wir mit diesem diagnostischen Problem insbesondere bei jüngeren, schlanken Frauen konfrontiert werden können. Diagnostische Aussagekraft. Fasst man die seit der Jahrtausend-
wende publizierten und die eigenen Daten zur endoskopischen Sonographie des Insulinoms zusammen, findet man eine Trefferquote von 80% (. Tab. 5.8).
Die Endosonographie bleibt weiterhin dem goldenen Standard, nämlich dem Finger des erfahrenen Chirurgen in Kombination mit der intraoperativen Sonographie, unterlegen.
Mehrere Gründe spielen für diese diagnostische Lücke der Endosonographie eine Rolle:
. Tab. 5.8. Lokalisationsdiagnostik des Insulinoms mittels endoskopischem Ultraschall (seit 2000 publizierte und eigene Daten)
Autor
Jahr
Korrekt/ gesamt
% korrekt
Ardengh
2000
10/12
83%
Zimmer
2000
16/17
94%
Mirallie
2002
24/28
85%
Besim
2002
6/8
75%
Nesje
2002
5/7
71%
Fendrich
2004
26/40
65%
Kann
2005
18/20
90%
105/132
80%
Summe
. Abb. 5.26. Intraoperative Sonographie eines »unsichtbaren«, komplett isoechogenes Insulinoms, das nur durch intraoperative Palpation lokalisierbar war
410
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
4 Die Trefferquote ist wahrscheinlich in hohem Maße abhängig von der Erfahrung des Untersuchers. Es ist sicherlich zu empfehlen, ähnlich wie die chirurgische Therapie des Insulinoms auch die Lokalisationsdiagnostik mittels Endosonographie in einem erfahrenen Zentrum durchführen zu lassen. 4 Ein weiteres Problem scheint die korrekte Lagerung des Patienten zu sein. Auch wenn es hierzu keine klare Daten in der Literatur gibt, scheint die Linksseitenlage des Patienten, wie sie vielerorts noch praktiziert wird, ungünstig zu sein, da der Schallkopf in Seitenlage über das Pankreas nach lateral abrutscht und die nachzuweisenden kleinen Befunde übersehen werden können. Die eigene Erfahrung zeigt, dass nach auswärts negativer Endosonographie die endoskopische sonographische Bildgebung des Pankreas positiv sein kann, wenn man den Patienten für die Untersuchung auf den Rücken lagert und damit eine stabile Position des Schallkopfes auf dem Pankreas gewährleistet. 4 Schließlich bleibt festzuhalten, dass ein gewisser Prozentsatz (10–20%) der Insulinome technisch bedingt unsichtbar bleibt, weil sie komplett isoechogen zum umgebenden Pankreasgewebe sind (7 oben, . Abb. 5.26). Klinische Relevanz. Warum dennoch die endosonographische Darstellung des Pankreas in der präoperativen Diagnostik sinnvoll ist, und welche Relevanz ihr zukommt, sei exemplarisch an drei Fällen dargestellt: 4 15-jähriger Patient: Es handelt sich um einen Schüler, der seit über 3 Jahren unter schwersten Hypoglykämien leidet und deshalb mehrfach Krampfanfälle erlitten hat. Seine Mutter weckt ihn zweimal pro Nacht, um eine kontinuierliche Nahrungszufuhr zu gewährleisten und die Hypoglykämien zu vermeiden. Der junge Patient hat infolge dessen in den vergangenen 3 Jahren 30 kg an Gewicht zugenommen. Der organische Hyperinsulinismus war mittels Hungerversuch, der nur wenige Stunden vom Patienten durchgehalten werden konnte und wegen eines Krampfanfalles beendet werden musste, eindeutig nachgewiesen. Auswärtig durchgeführte Versuche der Lokalisationsdiagnostik (einschließlich Endosonographie in Linksseitenlage) waren negativ geblieben. Die endosonographische Bildgebung des Patienten in Rückenlage zeigte einen solitären echoarmen, mäßig hyperperfun. Abb. 5.27. Insulinom im Pankreasschwanz, Therapie mittels laparoskopischer Enukleation (15-jähriger Patient)
dierten Tumor im Pankreasschwanz, Durchmesser 15 mm, der eine deutliche Distanz zum Ductus Wirsungianus aufwies (. Abb. 5.27). Dieser Befund konnte minimalinvasiv über einen laparoskopischen Zugang enukleiert werden. Der Patient war anschließend geheilt und hatte ein halbes Jahr nach der endoskopischen Insulinomenukleation wieder 20 kg an Gewicht abgenommen. 4 50-jähriger Patient: Es wurde ein Patient vorgestellt, dessen Ehefrau im Gesundheitssystem/Diabetessektor tätig ist, was zur Erwägung der Differenzialdiagnose einer Hypoglycaemia factitia Anlass gibt. Ein Hungerversuch war durchgeführt worden. Dieser war zwar positiv, allerdings ohne entsprechende Toxikologie (Sulfonylharnstoffe, Glinide). Die endosonographische Diagnostik zeigte eine noduläre Hyperplasie der Nebenniere, was zusätzlich die Verdachtsdiagnose des organischen Hyperinsulinismus stützt, wobei allerdings die diesbezügliche Datenlage noch nicht abschließend bewertet werden kann (. Abb. 5.28a; Kann et al. 2005). Hier ließ sich ein deutlich echoarmer Tumor im Pankreasschwanz nachweisen, der eine enge topographische Beziehung zum Ductus Wirsungianus aufwies (. Abb. 5.28b). Infolge dieses Befundes wurde hier keine Enukleation, sondern eine laparoskopische Resektion des Pankreasschwanzes durchgeführt. 4 48-jährige Patientin: Zur Diagnostik kam eine Patientin mit einem nach endokrinologischen Standardtestverfahren nachgewiesenen organischen Hyperinsulinismus und negativer Toxikologie. Hier wurde unmittelbar benachbart der Duodenalwand im dorsalen Anteil des Pankreaskopfes eine mäßig echoarme Raumforderung, gut passend zu einem Insulinom, nachgewiesen, der eine unmittelbare topographische Beziehung sowohl zum Ductus Wirsungianus als auch zum Ductus choledochus aufwies (. Abb. 5.29). Somit kam hier der Versuch einer endoskopischen Operation nicht in Frage. Diese Patientin wurde offen operiert. Diese dargestellten Fälle zeigen, dass die endosonographische Bildgebung, wenn sie korrekt und aussagekräftig durchgeführt wird, die Chance bietet, Patienten zu identifizieren, die einem minimalinvasiven endoskopischen Operationsverfahren zugeführt werden können. Die Darstellung der topographischen Be-
411 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
5
. Abb. 5.28a,b. Insulinom im Pankreasschwanz. a Noduläre Hyperplasie der linken Nebenniere eines 50-jährigen Patienten mit Insulinom im Pankreasschwanz. 1 Pankreasschwanz; 2 Milzgefäße; 3 linke Nebenniere. b Therapie mittels laparoskopischer Linksresektion. Pfeil Ductus Wirsungianus
a
b
. Abb. 5.29. Insulinom im Pankreaskopf, unmittelbar dem Ductus Wirsungianus (weißer Pfeil) anliegend, dem Ductus choledochus (schwarzer Pfeil) benachbart (48-jährige Patientin)
412
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Abb. 5.30. Pankreasknoten unklarer Signifikanz (PNUD) dorsal im Pankreasschwanz eines Patienten mit Glimepirid-induzierter Hypoglycaemia factitia: Der Patient war nach Auskunft seines Hausarztes 3 Jahre nach Diagnosestellung gesund und frei von Hypoglykämien, zur empfohlenen Verlaufskontrolle seines Pankreasbefundes stellte er sich nicht wieder vor; computertomographisch »suspektes Areal« in gleicher Lokalisation
5
. Abb. 5.31. Insulinom des Pankreaskopfes, das sich als deutlich hypervaskularisierte Rauforderung in der pankreatischen Phase des kontrastmittelverstärkten Computertomogramms hyperdens gegenüber dem umliegenden Pankreasgewebe demarkiert (Pfeil). V Vena mesenterica superior; A Arteria mesenterica superior
ziehung zu kritischen Strukturen im Pankreas erlaubt ferner eine Entscheidungshilfe zur Frage Enukleation oder Pankreasschwanzresektion. Große Serien von Patienten zur Relevanz der Endosonographie in dieser Frage stehen allerdings derzeit nicht zur Verfügung. Hypoglycaemia factitia. Bei der Diagnostik des Insulinoms ist
man immer mit der Problematik der Hypoglycaemia factitia konfrontiert. In diesem Kontext kommt der endosonographischen Bildgebung des Pankreas als sensitivstem Verfahren zum Nachweis von Pankreasraumforderungen die Funktion der Bestätigung der Diagnose zu. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass falsch-positive Befunde irreleitend sein können (. Abb. 5.30). 5.4.1.2.3 Computertomographie Die Computertomographie wird weiterhin an vielen Kliniken zur präoperativen Lokalisationsdiagnostik genutzt. Technologische Neuerungen, wie die Spiralcomputertomographie und die Entwicklung sog. Multi-Detektor-Computertomographen, gestatten neben einer Volumendatenakquisition auch eine rasche Bildgebung, sodass das gesamte Pankreas während der arteriellen Pha-
se, der pankreatischen Phase (mit Anflutung des Kontrastmittels im Pankreasparenchym) und der portalvenösen Phase abgebildet werden kann (. Abb. 5.31). Mit modernen Computertomographen werden dabei Schichtdicken im Millimeter- und Submillimeterbereich realisiert. Mehrere Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass die überwiegende Anzahl der Insulinome vor allem in den frühen Kontrastmittelphasen (arterielle und pankreatische Phase) zur Darstellung kommt (Fidler et al. 2003, Gouya et al. 2003, King et al. 1998). Durch die Anwendung der multiphasischen Dünnschichtbildgebung konnte die Sensitivität der Computertomographie von 30% für das sequenzielle CT auf ca. 90% für die Anwendung der multiphasischen Bildgebung mit engen Schichten gesteigert werden (Gouya et al. 2003; King et al. 1998). Problematisch für die CT-Bildgebung bleiben hypodense Läsionen oder in allen Kontrastmittelphasen zum Pankreasparenchym isodense Läsionen. Bei einer prospektiven Datenanalyse fand eine Arbeitsgruppe der Mayo-Klinik auch unter Verwendung eines multiphasischen helikalen CT-Protokolls prospektiv nur 19 von 30 Insulinomen (63%; Fidler et al. 2003). Die computertomographische Bildgebung gestattet neben der Lokalisation des Insulinoms aber
413 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
5
. Abb. 5.32. Malignes Insulinom des Pankreasschwanzes (I). Die Läsion ist gering hyperdens zum umgebenden Pankreasparenchym. Multiple hepatische Metastasen in beiden Leberlappen (M)
gleichzeitig die Beurteilung des gesamten Oberbauchs und kann damit sinnvoll angewendet werden, um ein malignes Insulinom mit hepatischen Metastasen zu diagnostizieren (. Abb. 5.32). 5.4.1.2.4 Magnetresonanztomographie Die Kernspintomographie wird seit über 10 Jahren zur Detektion und Lokalisation von Insulinomen eingesetzt (Semelka et al. 1993). Mehrere Arbeitsgruppen konnten insbesondere unter Verwendung fettgesättigter T1-gewichteter Sequenzen und kontrastverstärkter T1-gewichteter Sequenzen sowie stark T2-gewichteter Sequenzen eine Sensitivität zwischen 79 und über 90% erreichen (Catalano et al. 1999; Thoeni et al. 2000; Ichikawa et al. 2000; Owen et al. 2001). Die Verwendung moderner Sequenzen zur schnellen Bildgebung mit der Möglichkeit einer dynamischen Kernspintomographie in der arteriellen, pankreatischen und portalvenösen Phase kann vermutlich die Sensitivität weiter steigern. Das pankreasspezifische Kontrastmittel Mangafodipir erwies sich in einem Fallbericht als ausgezeichnet geeignet zur Detektion eines Insulinoms, das das Kontrastmittel im Gegensatz zum normalen Pankreasparenchym nicht anreicherte (Hamoud et al. 2004). 5.4.1.2.5 Somatostatinrezeptor-Szintigraphie Insulinome können Somatostatinrezeptoren exprimieren, wobei die Expression der Rezeptorsubtypen sst 2 und sst 5 selten ist. Das für den Somatostatinrezeptor eingesetzte Somatostatinanalogon 111 In-DTPA-D-Phe1-Octreotid hat aber eine besonders hohe Affinität zu den humanen Rezeptorsubtypen sst 2 und sst 5. Aufgrund dieser Tatsache der geringen Expression der Rezeptorsubtypen bei Insulinomen ist eine positive Szintigraphie nur mit einer Sensitivität von 10–50% gegeben (Modlin u. Tang 1997). Maligne Insulinome exprimieren die entsprechenden Rezeptorsubtypen häufiger und können deshalb besser dargestellt werden. Wegen der geringen Sensitivität der Diagnostik solitärer benigner Insulinome sollte das Verfahren nicht zur Anwendung kommen. 5.4.1.2.6 Invasive Diagnostik Angiographie. Die Angiographie stellt eine der ältesten Lokalisationstechniken dar. Da in der pathologischen Aufarbeitung
viele Insulinome als hypervaskularisierte Tumoren imponieren, versuchte man mittels selektiver Angiographie der das Pankreas versorgenden Äste des Truncus coeliacus und der Arteria mesenterica superior einen sog. »tumor blush« nachzuweisen. Aufgrund der Kleinheit der Befunde, Überlagerungen und Hypervaskularisation anderer Strukturen erreichte das Verfahren aber auch in der Hand von sehr erfahrenen Untersuchern nur eine Sensitivität von ca. 35% (Doherty et al. 1991; Doppman et al. 1995). Das Verfahren wurde zwischenzeitlich zugunsten der Technik der selektiven arteriellen Kalziumstimulation bei gleichzeitiger hepatisch-venöser Blutentnahme (ASVS) verlassen. Selektive portalvenöse Blutentnahme. Die selektive Blutentnahme aus den das Pankreas drainierenden Venen (V. lienalis, V. mesenterica superior und V. portae) ist eine invasive Technik, die einen perkutan transhepatischen Zugang zur Vena portae und lange Untersuchungszeiten erfordert und nicht ohne Komplikationen verläuft (Miller et al. 1992). Eine korrekte Regionalisierung (eine exakte Lokalisation ist wegen der nicht einheitlichen venösen Drainage nicht möglich) gelang in den Händen geübter Untersucher in immerhin 77% (Doherty et al. 1991). Auch dieser Test wurde durch die Einführung des selektiven intraarteriellen Kalziumstimulationstests mit hepatisch-venöser Blutsammeltechnik obsolet. Intraarterieller Kalziumstimulationstest mit hepatisch-venöser Blutentnahme (ASVS). Das Verfahren wurde von Doppman et al.
(1991) entwickelt. Es geht zurück auf den intraarteriellen Sekretinstimulationstest zur Lokalisation von Gastrinomen von Imamura et al. (1987). Der Test erfordert eine selektive venöse Katheterisierung entweder einer oder zweier hepatischer Venen über einen (zumeist) transfemoralen Zugang. Über einen weiteren arteriellen femoralen Zugang erfolgt die selektive Sondierung der A. lienalis, A. gastroduodenalis, A. hepatica communis, A. hepatica propria und der A. mesenterica superior (ggf. auch weiterer Äste wie der A. retroduodenalis). Nach selektiver intraarterieller Katheterplatzierung erfolgt die Kalziumstimulation mittels Gabe von 0,025 mval Kalzium/kg KG. Dabei werden venöse Blutent-
414
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
nahmen aus der hepatischen Vene 30, 60 und 120 s nach Kalziuminjektion vorgenommen. Der positive Nachweis eines Insulinoms wird bei einem mehr als zweifachen Anstieg der basalen Insulinkonzentration 30–120 s nach Injektion angenommen (Doppman et al. 1995). Mittlerweile haben verschiedene Publikationen über eine Sensitivität des Verfahrens zur korrekten Regionalisierung eines Insulinoms in über 90% der Fälle berichtet (Doppman et al. 1995; Pereira et al. 1998; Brändle et al. 2001; Lo et al. 2000; Wiesli et al. 2004). Der ASVS-Test war in vielen Studien positiv bei Patienten, bei denen andere Bildgebungsmodalitäten keinen Insulinomnachweis führen konnten (Wiesli et al. 2004). Darüber hinaus bietet der ASVS-Test die Möglichkeit ein umschriebenes Insulinom von einer Betazellhyperplasie, die eine pathologische Insulinstimulation in mehreren Territorien des Pankreas zeigt, zu differenzieren (Wiesli et al. 2004; Ito et al. 2004).
Vorgehen oder konventioneller Operation sowie zur Planung des operativen Procederes (Enukleation oder Pankreasschwanzresektion) hilfreich. Gelingt präoperativ keine Lokalisation des vermuteten Insulinoms, so ist die Durchführung einer selektiven intraarteriellen Kalziumstimulation mit gleichzeitiger hepatisch-venöser Blutentnahme (ASVS) zu erwägen, insbesondere wenn der Fastenversuch nicht eindeutig pathologisch ausfiel. In diesem Falle könnte eine Nesidioblastose vorliegen, die als sog. »non-insulinoma pancreatogenous hypoglycemia syndrome« (NIPHS) in den letzten Jahren zunehmend häufiger diagnostiziert und therapiert wird. Zugrunde liegt eine diffuse Betazellhyperplasie. Die Regionalisierungsdiagnostik mittels ASVS kann die Resektion des betroffenen Pankreasanteils steuern (Service et al. 1999; Thompson et al. 2000; Anlauf et al. 2005).
Intraoperative Sonographie. Die intraoperative Ultraschalluntersuchung erreichte in verschiedenen prospektiven und retrospektiven Studien konstant Sensitivitäten über 90% (Boukhman et al. 1999; Hiramato et al. 2001; Fendrich et al. 2004). Ein besonderer Wert der intraoperativen Ultraschalldiagnostik liegt in der Detektion von Insulinomen, die intraoperativ weder visuell sichtbar noch palpierbar sind. So fand eine Arbeitsgruppe an der Universität von San Francisco 9 von 11 nicht palpablen und nicht sichtbaren Tumoren mittels intraoperativer Ultraschalluntersuchung (Boukham et al. 1999). Die intraoperative Ultraschalldiagnostik kann auch bei laparoskopischen Insulinom-Enukleationen genutzt werden (Langer et al. 2005). Die Kombination von intraoperativer Ultraschalldiagnostik und digitaler Palpation des Pankreas führt in praktisch allen Fällen zur Lokalisation des Insulinoms (Fendrich et al. 2004).
Literatur
5.4.1.2.7 Algorithmus der Lokalisationsdiagnostik des Insulinoms Das Vorliegen eines Insulinoms kann in aller Regel durch einen Hungerversuch diagnostiziert werden. Da die intraoperative Sonographie in Verbindung mit der bidigitalen Pankreaspalpation praktisch alle Insulinome detektieren kann, wäre eine präoperative Lokalisationsdiagnostik prinzipiell verzichtbar (Fendrich et al. 2004). Da zunehmend die minimalinvasive Operationstechnik der laparaskopischen Enukleation oder Resektion zur Anwendung kommt (Assalia u. Gagner 2004; Ayav et al. 2005) ist eine präoperative Lokalisationsdiagnostik wünschenswert. Die präoperative Detektion eines malignen Insulinoms, insbesondere der Nachweis hepatischer Metastasen, hat Einfluss auf die therapeutische Strategie. Deswegen ist präoperativ die Durchführung einer schnittbildgebenden Diagnostik (transabdominelle Sonographie, CT oder MRT) zum Nachweis respektive Ausschluss hepatischer Metastasen sinnvoll. Die moderne computertomographische Technik mit einem Mehrzeilen-DetektorScanner gestattet die Darstellung des Pankreas in Submillimeterschichten in verschiedenen Kontrastmittelphasen (arteriell, pankreatisch und portal-venös). Gleiches gilt für moderne Kernspintomographiegeräte. Beide Verfahren gestatten somit in einer Vielzahl der Fälle die Lokalisation des Insulinoms bei gleichzeitigem Nachweis bzw. Ausschluss hepatischer Filiae. Die Endosonographie weist in erfahrenen Händen unter den minimalinvasiven Verfahren die höchste Sensitivität in der Lokalisation der Insulinome auf. Sie ist allerdings das Verfahren mit der höchsten Untersucherabhängigkeit. Weiterhin ist die Endosonographie für die Entscheidung zwischen laparoskopischem
Angeli E, Vanzulli A, Castrucci M et al. (1997) Value of abdominal sonography and MR imaging at 0.5 T in preoperative detection of pancreatic insulinoma: a comparison with dynamic CT and angiography. Abdom Imaging 22:295–303 Anlauf M, Wieben D, Perren A, Sipos B et al. (2005) Persistant hyperinsulinemic hypoglycemia in 15 adults with diffuse nesidioblastosis. Am J Surg Pathol 29:524–533 Ardengh JC, Rosenbaum P, Ganc AJ, Goldenberg A, Lobo EJ, Malheiros CA, Rahal F, Ferrari AP (2000) Role of EUS in the preoperative localization of insulinomas compared with spiral CT. Gastrointest Endosc 51:552– 555 Assalia A, Gagner M (2004) Laparoscopic pancreatic surgery for islet cell tumors of the pancreas. World J Surg 28:1239–1247 Ayav A, Bresler L, Brunaud L, Boissel P et al. (2005) Laparoscopic approach for solitary insulinoma: a multicenter study. Langenbecks Arch Surg 390:134–140 Besim H, Korkmaz A, Hamamcy O, Karaahmetoglu S (2002) Review of eight cases of insulinoma. East Afr Med J 79:368–372 Böttger T, Junginger T, Beyer J, Düber C (1995) Diagnosis of the origin and therapy of organic hyperinsulinism. Med Klin (Munich) 90:688– 692 Boukhman MP, Karam JM, Shaver J, Siperstein AE, DeLorimier AA, Clark OH (1999) Localization of insulinomas. Arch Surg 134:818–823 Brändle M, Pfammatter T, Spinas GA, Lehmann R, Schmid C (2001) Assessment of selective arterial calcium stimulation and hepatic venous sampling to localize insulin-secreting tumours. Clin Endocrinol 55:357–362 Catalano C, Pavone P, Laghi A, Panebianco V, Fraioli F et al. (1999) Localization of pancreatic insulinomas with MR Imaging at 0.5 T. Acta Radiologica 39:644–648 Doherty GM, Doppman JL, Shawker TH, Miller DL et al. (1991) Results of a prospective strategy to diagnose, localize and resect insulinomas. Surgery 110:989–996 Doppman JL, Miller DL, Chang R, Shawker TH et al. (1991) Insulinomas: localization with selective intraarterial injection of calcium. Radiology 178:237–241 Doppman JL, Chang R, Fraker D, Norton JA, Alexander HR et al. (1995) Localization of insulinomas to regions of the pancreas by intra-arterial stimulation with calcium. Ann Intern Med 123:269–273 Fendrich V, Bartsch DK, Langer P, Zielke A, Rothmund M (2004) Diagnosis and surgical treatment of insulinoma – experiences in 40 cases. Dtsch Med Wochenschr 129:941–946 Fidler JL, Fletcher JG, Reading CC, Andrews JC et al. (2003) Preoperative detection of pancreatic insulinomas on multiphasic helical CT. Am J Roentgenol 181:575–780 Gouya H, Vignaux O, Augui J. Dousset B, Palazzo L et al. (2003) CT, endoscopic sonography and a combined protocol for preoperative evaluation of pancreatic insulinomas. Am J Roentgenol 181:987–992
415 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Hamoud AK, Khan MF, Aboalmaali N, Usadel K-H, Wullstein C, Vogl T (2004) Mangan-enhanced MR imaging for the detection and localisation of small pancreatic insulinoma. Eur Radiol 14:923–925 Hiramato JS, Feldstein VA, LaBerge JM, Norton JA (2001) Intraoperative ultrasound and preoperative localization detects all occult insulinomas. Arch Surg 136:1020–1026 Ichikawa T, Peterson MS, Federle M, Baron R, Haradome H et al. (2000) Islet cell tumor of the pancreas: biphasic CT versus MR imaging in tumor detection. Radiology 216:163–171 Imamura M, Takahashi K, Adachi H, Minematsu S et al. (1987) Usefulness of selective arterial secretin injection test for localization of gastrinoma in the Zollinger-Ellison syndrome. Ann Surg 205:230–239 Ito K, Takada T, Amano H, Toyota N, Yasuda H, Yoshida M et al. (2004) Localization of islet-cell hyperplasia: value of pre- and intraoperative arterial stimulation and venous sampling. J Hepatobil Pancreatic Surg 11:203–206 Kann PH (2006) Endoscopic ultrasound imaging of the adrenals. Endoscopy, im Druck Kann P, Bittinger F, Engelbach M, Bohner S, Weis A, Beyer J (2001) Endosonography of insulin-secreting and clinically non-functioning neuroendocrine tumors of the pancreas: criteria for benignancy and malignancy. Eur J Med Res 6:385–390 Kann PH, Wirkus B, Keth A, Goitom K (2003) Pitfalls in endosonographic imaging of suspected insulinomas: pancreatic nodules of unknown dignity. Eur J Endocrinol148:531–534 Kann PH, Rothmund M, Zielke A (2005) Endoscopic ultrasound imaging of insulinomas: limitations and clinical relevance Exp Clin Endocr Diab 113:471–474 King AD, Ko CTC, Yeung VTF, Chow CC, Griffith J, Cockram CS (1998) Dual phase spiral CT in the detection of small insulinomas of the pancreas. Br J Radiol 71:20–23 King CM, Reznek RH, Dacie JE, Wass JA (1994) Imaging islet cell tumours. Clin Radiol 49:295–303 Langer P, Kann PH, Fendrich V, Richter G, Diehl S, Rothmund M, Bartsch DK (2004) Prospective evaluation of imaging procedures for the detection of pancreaticoduodenal endocrine tumors in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. World J Surg 28:1317– 1322 Lippert H, Wolff H, Kuhn F (1990) Diagnosis and therapy of hyperinsulinism. Langenbecks Arch Chir Suppl II Verh Dtsch Ges Chir 1007–1008 Lo CY, Chan FL, Tam CF, Cheng PW et al. (2000) Value of intra-arterial calcium stimulated venous sampling for regionalization of pancreatic insulinomas. Surgery 128:903–909 Miller DL, Doppman JL, Metz DC, Maton PN, Norton JA, Jensen RT (1992) Zollinger-Ellison syndrome: technique, results and complications of portal venous sampling. Radiology 1982:235–241 Mirallie E, Pattou F, Malvaux P et al. (2002) Value of endoscopic ultrasonography and somatostatin receptor scintigraphy in the preoperative localization of insulinomas and gastrinomas. Experience of 54 cases. Gastroenterol Clin Biol 26:360–306 Modlin IM, Tang LH (1997) Approaches to the diagnosis of neuroendocrine tumors: the last word (today). Gastroenterology 112:583–590 Nesje LB, Varhaug JE, Husebye ES, Odegaard S (2002) Endoscopic ultrasonography for preoperative diagnosis and localization of insulinomas. Scand J Gastroenterol 37:732–737 Owen NJ, Sohaib SAA, Peppercorn PD, Monson JP et al. (2001) MRI of pancreatic neuroendocrine tumours. Br J Radiol 74:968–973 Pereira PL, Roche AJ, Maier GW, Huppert PE, Dammann F et al. (1998) Insulinoma and islet cell hyperplasia: value of the calcium intraarterial stimulation test when findings of other preoperative studies are negative. Radiology 206:703–709 Semelka RC, Cumming MJ, Shoenut JP, Magro CM et al. (1993) Islet cell tumors: comparison of dynamic contrast-enhanced CT and MR imaging with dynamic gadolinium enhancement and fat suppression. Radiology 186:799–802 Service FJ, Natt N, Thompson GB, Grant CS et al. (1999) Noninsulinoma pancreatogenous hypoglycemia: a novel syndrome of hyperinsuline-
5
mic hypoglycemia in adults independent of mutations in Kir6.2 and SUR1 genes. J Clin Endocrinol Metabol 84:1582–1589 Service FJ, McMahon MM, O´Brien PC, Ballard DJ (1991) Functioning insulinoma – incidence, recurrence and long-term survival of patients: a 60-year study. Mayo Clin Proc 66:711–719 Thoeni RF, Mueller-Lisse UG, Chan R, Do NK, Shyn PB (2000) Detection of small, functional islet cell tumors in the pancreas: selection of MR imaging sequences for optimal sensitivity. Radiology 214:483–490 Thompson GB, Service FJ, Andrews JC, Lloyd RV et al. (2000) Noninsulinoma pancreatogenous hypoglycemia syndrome: an update in 10 surgically treated patients. Surgery 128:937–945 Watson RG, Johnston CF, O´Hare MM, Anderson JR et al. (1989) The frequency of gastrointestinal endocrine tumours in a well-defined population – Northern Ireland 1970–1985. Q J Med 72:647–657 Wiesli P, Brändle M, Schmid C, Krähenbühl L, Furrer J, Keller U et al. (2004) Selective arterial calcium stimulation and hepatic venous sampling in the evaluation of hyperinsulinemic hypoglycemia: potential and limitations. J Vasc Intervent Radiol 15:1251–1256 Zimmer T, Scherubl H, Faiss S, Stolzel U, Riecken EO, Wiedenmann B (2000) Endoscopic ultrasonography of neuroendocrine tumours. Digestion 62 (Suppl 1):45–50
5.4.1.3 Operative Therapie des benignen Insulinoms
V. Fendrich, D.K. Bartsch, M. Rothmund ) ) Benigne Insulinome können durch eine parenchymsparende Enukleation bzw. Pankreasresektion dauerhaft geheilt werden. Essenzielle Voraussetzung für eine erfolgreiche Operation ist der eindeutige Nachweis eines organischen Hyperinsulinismus. Bei konventionell chirurgischem Vorgehen ist keine Lokalisationsdiagnostik erforderlich, bei geplantem laparoskopischen Vorgehen sollte der Tumor präoperativ lokalisiert sein. Ein laparoskopisches Vorgehen ist prinzipiell möglich, jedoch muss in prospektiven Studien geklärt werden, ob hierdurch die sehr guten Ergebnisse der offenen Operationstechnik erreicht werden können.
5.4.1.3.1 Operationsziel Die einzig kurative Behandlungsmethode eines Insulinoms ist die komplette operative Entfernung. Hierdurch werden die Symptome der Neuroglukopenie und auch der hyperadrenergen Reaktion dauerhaft beseitigt. Benigne Insulinome sollten parenchymsparend und möglichst lokal entfernt werden. Dies gelingt in erfahrener Hand in über 95% durch den Ersteingriff (Rothmund et al. 1990). Wesentlich sind eine gute Vorbereitung des Patienten und die Operation in erfahrener Hand, am besten in einem entsprechenden Zentrum. Dies gilt insbesondere für Wiederholungseingriffe, da diese durch meist ausgedehnte Verwachsungen, schwierige Palpations- und Ultraschallbedingungen und erhöhte Komplikationsträchtigkeit erheblich erschwert sind. 5.4.1.3.2 Indikationsstellung Entscheidend für die Indikationsstellung zur Operation ist ein akkurat durchgeführter und dokumentierter Hungerversuch mit biochemischem Nachweis des organischen Hyperinsulinismus und sicherem Ausschluss einer faktiziellen Hypoglykämie, induziert durch Insulingabe oder Einnahme von oralen Antidiabetika. Nach biochemischer Sicherung des Insulinoms ist die Operationsindikation immer gegeben, vorausgesetzt der Patient ist
416
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
operabel. Eine primär medikamentöse Behandlung z. B. mit Diaxoid zur Besserung der Hypoglykämiesymptomatik ist zwar möglich, sollte jedoch nur inoperablen Patienten vorbehalten sein. Neben der biochemischen Sicherung ist auch wichtig, möglichst präoperativ zu ermitteln, ob es sich um ein sporadisches oder MEN-1-assoziiertes Insulinom vorliegt, da sich hiervon unterschiedliche operative Strategien ableiten. Daher sollte insbesondere bei jungen Patienten (<40 Jahre) die Familienanamnese hinterfragt und das Vorliegen eines pHPT durch Bestimmung des Serumkalziums und des intakten Parathormons sowie das Vorliegen eines Prolaktinoms durch Prolaktinbestimmung geprüft werden. Da bis zu 30% der MEN-1-Patienten eine negative Familienanamnese aufweisen (Langer et al. 2001), wird von den meisten Experten bei jungen Patienten (<40 Jahre) ohne bisherige Sicherung eines MEN 1 die Durchführung einer MEN-1-Mutationsanalyse (Langer et al. 2003) empfohlen, wodurch bei 85–90% der Patienten die Diagnose MEN-1-Syndrom definitiv geklärt werden kann. 5.4.1.3.3 Operationsvorbereitung Die unmittelbar präoperative Phase bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit. Hier gilt es durch ausreichende Nahrungszufuhr bzw. bei Nahrungskarenz durch intravenöse Glukosezufuhr das Auftreten von Hypoglykämien zu vermeiden. Daher sollte am Vorabend der Operation bei bestehender Nahrungskarenz eine kontinuierliche 20%-ige Glukoseinfusion verabreicht werden und über Nacht mehrfache Blutzuckerbestimmungen erfolgen. 2 h vor Narkosebeginn wird die Glukoseinfusion gestoppt, sodass durch engmaschiges intraoperatives Blutzuckermonitoring nach Entfernung des Insulinoms der Therapieerfolg anhand des Blutzuckeranstiegs, der sog. reaktive Hyperglykämie, bestätigt werden kann. 5.4.1.3.4 Patientenaufklärung Der Patient muss über die verschiedenen Resektionsverfahren am Pankreas aufgeklärt werden, die je nach Befund angewendet werden müssen. Primäres Ziel ist die lokale parenchymsparende Enukleation des Tumors, insbesondere bei Lokalisation im Pankreaskopf. Bei Tumoren im Pankreasschwanz bzw. bei MEN-1assoziiertem Insulinom oder Nesidioblastose sollte eine milzerhaltende Pankreaslinksresektion bzw. subtotale Pankreaslinksresektion vorgenommen werden. In seltenen Fällen liegt das Insulinom tief im Pankreaskopf nahe dem Ductus Wirsungianus, sodass eine pyloruserhaltende Pankreakopfresektion erforderlich ist. Eine postoperative diabetische Stoffwechsellage resultiert sehr selten und ist allenfalls bei ausgedehnter subtotaler Linksresektion zu erwarten. Auch eine postoperative exokrine Pankreasinsuffizienz ist bei sparsamer Parenchymresektion selten. Der Patient muss darüber aufgeklärt werden, dass das Insulinom auch durch einen erfahrenen Operateur in 1–5% der Fälle nicht aufgefunden wird und dann der organische Hyperinsulinismus persistiert. Typische Komplikationen der endokrinen Pankreaschirurgie sind eine Pankreasfistelbildung, Pseudozystenbildung und Milzverletzung. Insbesondere das Risiko einer Pankreasfistel ist bei den meist gesunden, weichen Pankreata hoch und beträgt auch in erfahrenen Händen bis zu 30%. Das Blutungsrisiko ist gering, es sollten jedoch für den Fall einer intraoperativen Blutung, z. B. bei Milzgefäß- bzw. Milzverletzung, 2 Blutkonserven bereit stehen.
5.4.1.3.5 Operatives Vorgehen beim sporadischen Insulinom Das operative Vorgehen beim solitären sporadischen Insulinom hängt heute im Wesentlichen von der Operationsmethode ab. Prinzipiell können solitäre Insulinome konventionell chirurgisch oder minimalinvasiv laparoskopisch operiert werden. Das laparoskopische Vorgehen erfordert neben ausreichender Erfahrung in der endokrinen Pankreaschirurgie auch eine ausgereifte laparoskopische Expertise. Nach Ansicht der meisten Experten eignet sich das laparoskopische Vorgehen nur für Tumoren im Pankreasschwanz bzw. ventral gelegene Tumoren im Pankreaskorpus oder -kopf. Die vorliegenden Daten kleiner Fallserien zeigen, dass die laparoskopische Entfernung eines solitären Insulinoms prinzipiell möglich ist, bisher ist jedoch das offene chirurgische Vorgehen noch als Goldstandard anzusehen. Konventionell chirurgisches Vorgehen
Eine präoperative Lokalisationsdiagnostik ist beim konventionellen chirurgischen Vorgehen nicht erforderlich, da in Zentren die intraoperativen Lokalisationsverfahren in Form der bidigitalen Pankreaspalpation und des intraoperativen Ultraschall Detektionsraten von mindestens 95% erzielen (Fendrich et al. 2004; Mansour u. Chen 2004). Zum Ausschluss eines malignen, metastasierten Insulinoms ist präoperativ lediglich ein Schnittbildverfahren (Sonographie bzw. CT) durchzuführen (van Heerden et al. 1992). Nach Eröffnung des Abdomens über einen Oberbauchquerschnitt werden zunächst die Leber und das übrige Abdomen im Hinblick auf Metastasen exploriert. Anschließend wird ein ausgedehntes Kocher-Manöver bis über die Aorta vorgenommen und das Ligamentum gastrocolicum durchtrennt, um einen breiten Zugang zur Bursa omentalis zu schaffen. Pankreaskorpus und -schwanz werden aus dem Retroperitoeneum mobilisiert. Der Pankreasschwanz kann am besten exploriert werden, indem die Milz nach Durchtrennung der Gastricabreves-Gefäße aus ihrem Bett gelöst und mitsamt Pankreasschwanz aus dem linken oberen Quadranten nach medial hervorluxiert wird. Es erfolgt die bidigitale Palpation des gesamten Pankreas, die bei solitärem Befund in über 95% der Fälle erfolgreich ist (Finlayson u. Clark 2004). Typischerweise sind Insulinome bedeckt von einem variabel dicken Saum normalen Pankreasgewebes, selten erkennt man den »reddish-purple« bzw. weißlichen Tumor direkt an der Oberfläche. Auch bei bereits identifiziertem Tumor wird nun eine intraoperative Sonographie (IOUS) durchgeführt, deren Nutzen in zahlreichen Studien belegt und von besonderem Wert im Nachweis sehr kleiner (<10 mm) und multipler Insulinome ist (Norton 1999). Neben der Tumordetektion ist der vielleicht noch größere Nutzen der IOUS die Darstellung des Tumors und sein Verhältnis zum Ductus Wirsungianus und zu den Gefäßen (Vena und Arteria lienalis, Pfortader).
Angestrebtes Verfahren beim benignen Insulinom ist die parenchymsparende Enukleation. Dies bedeutet eine tumorwandnahe Entfernung aus dem Pankreasparenchym mit möglichst geringer Verletzungsmöglichkeit von Pankreasgängen (Proye u. Lokey 2004) unter Verwendung einer bipolaren Pinzette und eines har-
5
417 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
. Tab. 5.9. Eingriffe bei 40 Patienten mit benignem Insulinom, die von den Autoren zwischen 1987 und 2005 operiert wurden
Operationsverfahren
. Abb. 5.33. Enukleiertes Insulinom
monischen Skalpells (Ultrazision). Bei oberflächlicher Lage gelingt dies in der Regel gut, da die Tumoren meist eine Pseudokapsel haben, wodurch sich eine klare Dissektionsebene zwischen Tumor und normalem Pankreas etablieren lässt (. Abb. 5.33). Liegt der Tumor tief im Parenchym oder in unmittelbarer Nähe zum Pankreasgang, ist ein Resektionsverfahren entsprechend der Lokalisation vorzuziehen. Dies bedeutet in der Mehrzahl der Fälle eine milzerhaltende Pankreaslinksresektion. In sehr seltenen Fällen kann bei großen Tumoren oder tiefer Lokalisation im Pankreaskopf auch eine pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie erforderlich sein. Besteht der Verdacht oder Nachweis der Malignität, so ist aus Radikaliätsgründen eine onkologische Pankreasresektion mit Lymphadenektomie vorzunehmen. Cave Eine »blinde« Pankreaslinksresektion bei Nichtauffinden des Insulinoms ist nicht indiziert und gilt als obsolet (Hirshberg et al. 2002).
In einem solch selten Fall kann intraoperativ ein selektiver Kalziumstimulationstest mit Sampling von Blut aus der Pfortader mit nachfolgender Insulinbestimmung vorgenommen werden, um den Tumor zu regionalisieren. In jedem Fall sollte der Patient bei erfolgloser Exploration in ein Zentrum mit entsprechender Erfahrung überwiesen werden. Im eigenen Patientengut konnten durch die Kombination von IOUS und Palpation alle Primärtumoren intraoperativ korrekt lokalisiert und entfernt werden (Fendrich et al. 2004; . Tab. 5.9). Laparoskopisches Vorgehen
Susmann et al. beschrieben 1996 erstmals eine erfolgreiche laparoskopische Pankreasschwanzresektion bei einem Insulinom nach vorheriger Lokalisation des Tumors (Susmann et al. 1996). Seither wird zunehmend über die laparoskopische Möglichkeit von Pankreasschwanzresektionen und Enukleationen bei Insulinomen berichtet. Wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche laparoskopische Insulinomentfernung scheint die korrekte prä-
Häufigkeit Sporadisches Insulinom (n=34)
MEN-1-Insulinoma (n=6)
Operationen gesamt
34
6
Ersteingriff/Reoperation
28/6
5/1
Enukleationen
20
4
Pankreaslinksresektion (mit Splenektomie)
9 (3)
5
Pyloruserhaltende Whipple-Operation
1
0
Pankreaskorpusresektion
1
1
Laparoskopische Enukleation/Linksresektion
3
0
a
Kombinationen der Verfahren möglich
operative Lokalisation zu sein, wobei die Endosonographie das sensitivste Verfahren darstellt. Dies hat mehrere Gründe: 4 Die meisten Autoren bevorzugen eine 70°- bis 90°-Linksoder -Rechtsseitenlagerung, je nachdem, ob der Tumor im linkseitigen Pankreas oder im Pankreaskopf lokalisiert ist. 4 Die Trokarposition ist von der Lokalisation des Tumors abhängig. 4 Tief im Pankreaskopf, dorsal im Pankreaskopf bzw. Pankreashals liegende Insulinome sind für das laparoskopische Vorgehen nicht geeignet. 4 Die bidigitale Palpation der Drüse ist nicht möglich und die Möglichkeiten des laparoskopischen IOUS sind insbesondere im Kopf- und Korpusbereich häufig eingeschränkt, sodass die Tumoren auch intraoperativ relativ häufig nicht identifiziert werden können und eine Konversion zum offenen Vorgehen erforderlich wird (Assalia u. Gagner 2004). Die meisten Autoren benutzen 4–5 Trokare, die je nach Lokalisation des Insulinoms im rechten oder linken Oberbauch platziert werden (. Abb. 5.34). Für linksseitige Läsionen werden zunächst die Ligamenti splenorenale und splenocolicum mit dem Ultrazision durchtrennt. Die linke Kolonflexur wird nach kaudal abpräpariert und anschließend das Lig. gastrocolicum weit bis zur mesenterikoportalen Gefäßachse eröffnet, sodass Pankreaskorpus und -schwanz sichtbar werden. Die Vorderfläche des Pankreas wird exponiert, indem die die Adhäsionen zur dorsalen Magenwand durchtrennt werden, wobei die Gastrica breves Gefäßes geschont werden sollten. Anschließend wird das Pankreas vorsichtig unter Schonung der Milzgefäße aus der retroperitonealen Platte mit dem harmonischen Skalpell herausmobilisiert. 6
418
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5
. Abb. 5.34. Trokarpostion beim laparoskopischen Vorgehen
Nun erfolgt der laparoskopische intraoperative Ultraschall, um die präoperative Lokalisation des Tumors zu bestätigen und die Präsenz weiterer Tumoren zu prüfen. Analog zum konventionellen Vorgehen schließt sich eine möglichst parenchymsparende Enukleation des Insulinoms an, die sich gut mit dem harmonischen Skalpell bewerkstelligen lässt (. Abb. 5.35).
Ist eine milzerhaltende Pankreaslinksresektion erforderlich, sollte das linkseitige Pankreas bis zur gedachten Resektionslinie komplett von den Milzgefäßen, insbesondere der Milzvene, abpräpariert werden. Wir beginnen dabei vom Milzhilus her die kleinen pankreatischen Venen unter Verwendung von Titanclips bzw. dem harmonischen Skalpell zu durchtrennen. Hat man die Resektionslinie erreicht, die etwa 1 cm proximal des Tumorsliegen sollte, wird das Pankreas mit einem endoskopischen Linearstapler durchtrennt. Dies gewährleistet einen sicheren Verschluss des Pankreasganges sowie eine Ligatur der pankreatischen arteriellen Arkaden. Das Präparat wird dann mittels Bergebeutel geborgen. Bei Insulinomen im Pankreaskopf kommen nach Auffassung der meisten Experten nur ventral, oberflächlich gelegene für
eine laparoskopische Entfernung in Frage, da der laparoskopische Zugang zum Pankreaskopf technisch eine Herausforderung ist. Es muss zunächst ein ausgiebiges Kocher-Manöver vorgenommen sowie die Plica pancreaticoduodenalis durchtrennt werden, um ausreichenden Zugang zum Pankreaskopf, insbesondere zum Processus uncinatus zu bekommen. Sollte sich der Tumor im laparoskopischen Ultraschall ventral gelegen und ohne unmittelbare Beziehung zum Ductus Wirsungianus zeigen, kann er enukleiert werden. Ergebnisse. Mehrere uni- und multizentrische Beobachtungsstudien mit bis zu 30 Patienten der letzten 3 Jahre haben gezeigt, dass eine laparoskopische Entfernung von Insulinomen prinzipiell möglich ist (Assalia et al. 2004; Fernandez-Cruz 2002; Langer 2005). Eine Metaanalyse aller bis 2004 veröffentlichten Arbeiten mit insgesamt 81 Insulinomen ergab eine Konversionsrate von 16% (Assalia 2004). Hauptgründe für die Konversion waren die fehlende Detektion mit dem laparoskopischen Ultraschall oder die Nähe des Tumors zum Pankreasgang bzw. der Pfortader. Die Rate der postoperativen Pankreasfisteln lag bei 18%. Die medianen Operationszeiten waren mit durchschnittlich 4 h recht lang, die Komplikationsraten (Blutung, Abszess, Pankreasfistel) denen der offenen Chirurgie vergleichbar. Die Patienten scheinen auch bei der laparoskopischen Pankreaschirurgie von den Vorteilen der minimalinvasiven Chirurgie wie besseres kosmetisches Ergebnis, weniger Wundinfekte und weniger postoperativer Schmerz zu profitieren. Allerdings fehlen derzeit prospektiv, randomisierte Multicenter-Studien, um die Wertigkeit des laparoskopischen Vorgehens bei benignen endokrinen Pankreastumoren definitiv zu beurteilen. Unabhängig von der Operationstechnik sollte eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung des Präparats mit Bestätigung eines neuroendokrinen Tumors erfolgen. Zum anderen gibt das Blutzuckermonitoring mit entsprechendem Anstieg des Blutzuckers noch intraoperativ auf 120–200 mg/dl einen guten Hinweis auf die erfolgreiche Entfernung des Tumors. Reoperation
. Abb. 5.35. Laparoskopische Enukleation eines Insulinoms im Pankreasschwanz
Eine erneute Operation beim benignen Insulinom wird dann notwendig, wenn bei der Erstoperation der (oder die) Primärtumor(en) nicht komplett entfernt wurden, oder wenn bei es z. B. im Rahmen eines MEN-1-Syndroms zu einem Rezidiv des orga-
419 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
nischen Hyperinsulinismus kommt. Patienten mit notwendiger Reoperation wegen eines Insulinoms sollten an ein Zentrum mit großer Erfahrung überwiesen werden, da der Reeingriff gegenüber dem Ersteingriff mit einer weit höheren Morbidität belastet ist und in einem Zentrum auch die Reoperation eine relativ hohe Aussicht auf Erfolg hat (Thompson et al. 1993, Rothmund et al. 1990). Wiederholungseingriffe sind nicht nur durch meist ausgedehnte Verwachsungen, sondern durch deutlich erschwerte intraoperative Palpations- und Untersuchungsbedingungen kompliziert. Deshalb ist auch eine ausgiebige präoperative bildgebende Diagnostik mittels Endosonographie, MRT oder CT indiziert. Auch die recht aufwändige selektive intraarterielle Kalziumstimulation mit portalvenösem Sampling und Bestimmung des Insulinwertes (sog. SACI-Test) sollte zur Anwendung kommen (Doppmann et al. 1993). In unserem Krankengut konnten 6 Patienten mit bei der Voroperation nicht identifiziertem Insulinom durch den Reeingriff dauerhaft geheilt werden (Fendrich et al. 2004). Operatives Vorgehen beim MEN-1-Insulinom
Wie bereits oben erwähnt sollte ein junges Manifestationsalter (<40 Jahre), eine auffällige Eigen- oder Familienanamnese oder das Vorliegen multipler Tumoren an ein MEN-1-Syndrom denken lassen. Zur Bestätigung sollte eine Mutationsanalyse des MEN-1-Gens durchgeführt werden. Jeder organische Hyperinsulinismus im Rahmen eines MEN-1-Syndroms stellt eine Operationsindikation dar. Da bei den meisten MEN-1-Patienten multiple (bis zu 15) endokrine Pankreastumoren vorliegen und nicht zu eruieren ist, welcher Tumor die insulinproduzierende Quelle darstellt, empfehlen die meisten Experten eine Pankreaslinksresektion bis auf Höhe der mesenterikoportalen Gefäßachse mit zusätzlicher Enukleation von Tumoren aus dem Pankreaskopf (. Abb. 5.36; Bartsch et al. 2005; O’Riordian et al. 1994). Obwohl es bereits einzelne Berichte über laparoskopische Pankreaslinksresektionen beim MEN-1-Insulinom gibt, ist dies wahrscheinlich keine gute Indikation, da hier zum sicheren Erreichen des Operationserfolges die Komplettfreilegung des Pankreas mit bidigitaler Palpation und IOUS in allen Bereichen erforderlich scheint, was, wie oben bereits erwähnt, laparoskopisch nur bedingt möglich ist. In unserem Patientengut konnten alle 5 MEN-1-Patienten, die aufgrund eines Hyperinsulinismus mittels konventioneller Pankraslinksresektion operiert wurden, bei einer Nachbeobachtung von bis zu 12 Jahren dauerhaft geheilt werden. . Abb. 5.36. Präparat nach Pankreaslinksresktion bis auf Höhe der Pfortader und Enukleation eines NPT aus dem Pankreaskopf bei MEN-1-assoziiertem Insulinom
5
5.4.1.3.6 Diffuse Erkrankung (Nesidioblastose) Eine Nesidioblastose ist eine diffuse oder disseminierte Proliferation von Inselzellen. Sie ist beim Kind relativ häufig Ursache einer Hypoglykämie (Böttger et al. 2001). Die diffuse Erkrankung des Inselzellorgans im Erwachsenenalter ist eine Rarität und nur in etwa 1–2% Ursache eines organischen Hyperinsulinismus. Man unterscheidet morphologisch die diffuse Hyperplasie oder Nesidioblastose von der adenomatösen kleinknotigen Hyperplasie. Die Diagnosestellung ist außerordentlich schwierig. Atypische klinische Symptome und zweifelhafte laborchemische Befunde lassen an eine Nesidioblastose denken. Für diesen Fall kann zur Sicherung der Diagnose der sog. SACI-Test hilfreich sein. Intraoperativ sollte beim nicht auffindbaren Adenom an das Vorliegen dieser Rarität gedacht werden, die sich im Schnellschnitt nachweisen lässt. Die meisten Experten empfehlen einen Behandlungsversuch mit Diazoxid und bei klinischem Ansprechen eine subtotale Pankreaslinksresektion mit Belasen eines Saumes Pankreasgewebes am duodenalen C (Thompson et al. 1993). Das Risiko eines postoperativen pankreopriven Diabetes sowie auch die postoperative Morbidität sind relativ hoch. Eine totale Pankreatektomie ist nicht gerechtfertigt. Bei postoperativer Persistenz der Erkrankung müssen medikamentöse Therapieverfahren zur Anwendung kommen. 5.4.1.3.7 Komplikationen Das Risiko der Pankreasfisteln und Pankreaspseudozysten ist bei den generell sehr weichen Pankreata sowohl nach Enukleation wie auch nach Linksresektion vergleichsweise hoch und beträgt 15–40%. Das Aufbringen von Hämostyptika oder Fibrinkleber bietet keinen nachweislichen Schutz. Ob das Absetzen des Pankreas mit einem Linearstapler bzw. die seromuskuläre Deckung der Resektionskante durch eine Dünndarmschlinge das Auftreten von Fisteln verhindert, ist offen. Wichtig ist eine gute und gezielte Drainage des Operationsgebietes, da dadurch eine Reintervention fast immer vermieden werden kann. Ansonsten können interventionelle Maßnahmen mit sonographisch oder CTgesteuerter Abszessdrainage meist eine Reoperation vermeiden. 5.4.1.3.8 Postoperative Behandlung und Ergebnisse Postoperativ ist eine Blutzuckerüberwachung wichtig, und es sollten in den ersten 24 h glukosehaltige Lösungen vermieden werden, da mit ganz unterschiedlichem zeitlichem Ablauf die Blutzuckerwerte ansteigen. Blutzuckerwerte von 200–300 mg% in den ersten Stunden bis zu einem Tag postoperativ sind normal und erwünscht als Erfolgskontrolle, sodass sie ohne Gegensteue-
420
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
rung toleriert werden. Erst bei Werten darüber ist eine Insulingabe sinnvoll, um eine osmotische Diurese zu vermeiden. Die Hypoglykämie bleibt dauerhaft beseitigt (Röher et al. 1994). Nach Resektion eines benignen Insulinoms sind die Patienten in der Regel geheilt und bedürfen keiner onkologischen Nachsorge. Die Langzeitergebnisse sind in der Regel sehr gut und eine dauerhafte diabetische Stoffwechsellage ist sehr selten und nur bei ausgedehnten Pankreasresektionen zu erwarten. Eine Persistenz der Erkrankung mit entsprechendem konservativem Therapieerfordernis ist nur nach misslungener Resektion oder bei maligner Erkrankung zu erwarten. Dann kommen zur Vermeidung erneuter Hypoglykämien in erster Linie Diazoxid und Phenytoin in Betracht. Sandostatin als langwirksames Somatostatinanalog kann gleichfalls zur Minderung der Insulinsekretion führen.
5.4.1.4 Therapie des malignen Insulinoms
V. Fendrich, D.K. Bartsch, M. Rothmund ) ) Etwa 5–10% aller Insulinome sind maligne. Sie sind meist größer (>2 cm) als die benignen Insulinome, jedoch kann ihre Malignität nur durch den direkten Nachweis von Lymphknoten- oder Fernmetastasen, bzw. die Invasion in Nachbarstrukturen erbracht werden. Aufgrund des langsamen Wachstums der Tumoren sind sowohl kurative als auch palliative Maßnahmen von großer Bedeutung für die Therapie. Neben der kurativen Resektion, die stets anzustreben ist, stehen bei diffus metastasiertem Leiden verschiedene palliative Verfahren, die individuell abzustimmen sind, zur Verfügung.
Literatur Assalia A, Gagner M (2004) Laparoscopic pancreatic surgery for islet cell tumors of the pancreas. World J Surg 28:1239–1247 Bartsch DK, Fendrich V, Langer P, Celik I, Kann PH, Rothmund M (2005) Outcome of duodenopancreatic resections in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 242:757–764 Böttger T (2001) Operative Therapie und Ergebnisse beim Insulinom. Zentralbl Chir 126:273–278 Doppmann JL, Miller DL, Chang R, Gorden P, Eastman RC, Norton JA (1993) Intraarterial calcium stimulation test for detection of insulinomas. World J Surg 17:439–443 Fendrich V, Bartsch DK, Langer P, Zielke A, Rothmund M (2004) Diagnosis and therapy in 40 patients with insulinoma. Dtsch Med Wochenschr 129:941–946 Finlayson E, Clark OH (2004) Surgical treatment of insulinomas. Surg Clin N Am 84:775–785 Hirshberg B, Libutti SK, Alexander HR et al. (2002) Blind distal pancreatectomy for occult insulinoma, an inadvisable procedure. J Am Coll Surg 194:761–764 Langer P, Wild A, Nies C, Rothmund M, Bartsch DK (2001). Variable expression of multiple endocrine neoplasia type 1 – implications for screening strategies. Int J Surg Invest 3:473–477 Langer P, Wild A, Hall A, Celik I, Rothmund M, Bartsch DK (2003) Prevalence of multiple endocrine neoplasia type 1 in young patients with apparently sporadic primary hyperparathyroidism or pancreaticoduodenal endocrine tumours. Br J Surg 90:1599–1603 Langer P, Bartsch DK, Fendrich V, Kann PH, Rothmund M, Zielke A (2005) Minimal-invasive Treatment of organic hyperinsulism. Dtsch Med Wochenschr 130:514–518 Mansour JC, Chen H (2004) Pancreatic endocrine tumors. J Surg Res 120:139–161 Norton JA (1999) Intraoperative methods to stage and localize pancreatic and duodenal tumors. Ann Oncol 4:182–184 O’Riordian DS, O’Brian T, van Heerden JA, Service FJ, Grant CS (1994) Surgical management of insulinoma associated with multiple endocrine neoplasia type I. World J Surg 18:488–494 Proye CAG, Lokey JS (2004) Current concepts in functioning endocrine tumors of the pancreas. World J Surg 28:1231–1238 Röher HD, Simon D, Starke A, Goretzki PE (1997) Spezielle diagnostische und therapeutische Aspekte beim Insulinom. Chirurg 68:116–121 Rothmund M, Angelini L, Brunt M et al. (1990) Surgery for benign insulinoma: an international review. World J Surg 14:393–398 Sussman LA, Christie R, Whittle DE (1996) Laparoscopic excision of distal pancreas including insulinoma. Aust N Z J Surg 66:414–416 Thompson GB, Service FJ, van Heerden JA, Carney JA, Charboneau JW, O’Brien PC, Grant CS (1993) Reoperative insulinomas, 1927 to 1992: an institutional experience. Surgery 114:1196–1204 Van Heerden JA, Grant CS, Czako PF, Service FJ, Charboneau JW (1992) Occult functioning insulinomas: Which localizing studies are indicated? Surgery 112:1010–1014
5.4.1.4.1 Pathologie Die Malignität von Insulinomen kann nur sicher diagnostiziert werden, wenn Metastasen oder eine Invasion in Nachbarstrukturen, sprich eine Infiltration von Nachbarorganen, Gefäßinvasion oder perineurale Invasion, vorliegt. Nach einer Revision der Klassifikation neuroendokriner Tumoren (Capella et al. 1995), die verschiedene Malignitätsgrade anhand von Differenzierung, Angioinvasion, Größe und hormoneller Aktivität unterscheidet, sind Insulinome größer als 2 cm im Durchmesser immer maligne. Zudem deuten auch Mitosenreichtum und ein erhöhter Ki67-Proliferationsindex auf ein mögliches malignes Verhalten hin (Klöppel 2003). In jüngeren Studien mit kleinen Fallzahlen wurden auch bestimmte molekulare Marker wie der Verlust der Heterozygosität (LOH) auf Chromosom 3p, 6q, 9q und 22q mit einem malignen Verhalten assoziiert (Speel et al. 2001; Wild et al. 2001). Allerdings steht die Bestätigung dieser Marker in großen kontrollierten Studien noch aus. 5.4.1.4.2 Operationsziel und Indikationsstellung Während beim benignen Insulinom die Enukleation im Vordergrund der chirurgischen Therapie steht, ist bei malignen Insulinomen eine onkologische Pankreasresektion mit Ausräumung der regionalen Lymphknoten erforderlich. Typischerweise metastasieren maligne Insulinome primär lymphatisch. Vermeintlich primär extrapankreatische Insulinome in Lymphknoten sind in Wahrheit Metastasen eines nicht entdeckten Primärtumors. In vielen Fällen liegt bei Diagnosestellung eines malignen Insulinoms bereits eine Lebermetastasierung vor, die bei meist diffuser Verteilung einen kurativen Therapieansatz vereitelt. So muss neben der anzustrebenden kompletten Resektion des Primärtumors die Frage gestellt werden, ob eine kurative Resektion der Lebermetastasen möglich ist. Je nach Verteilung der Lebermetastasen (solitärer oder segmental) muss zwischen atypischer Leberresektion, Segmentresektion oder Hemihepatektomie entschieden werden. Es ist immer eine R0-Rektion anzustreben. Die meisten Autoren halten auch ein Debulking für indiziert, wenn mindestens 80% der Tumormasse reseziert werden kann und weniger als 75% der Leber befallen ist (Mansour et al. 2004). So kann eine bessere Grundlage für weitere, palliative Maßnahmen geschaffen werden. Dieser aggressive Ansatz scheint mit einer verlängerten Überlebenszeit assoziiert zu sein. Chen et al. (1998) erzielten bei Patienten mit metastasierten neuroendokrinen Tumoren nach kompletter Resektion von Lebermetastasen eine 5-Jahres-Überlebensrate von 73% gegenüber 25% bei Patienten mit inkom-
421 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
5
. Abb. 5.37. Operationspräparat (Splenopankreatektomie) eines malignen Insulinoms mit Tumorthrombus in der Pfortader. Raute markiert extrahierten Pfortaderthrombus; Pfeilspitzen markieren malignes Insulinom
. Abb. 5.38. Langzeitverlauf durch aggressives chirurgisches Vorgehen bei malignem Insulinom
pletter Resektion. In einer anderen Studie lag die 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten nach Resektion der Lebermetastasen bei 76%, 50% nach Chemoembolisation und 39% nach medikamentöser Therapie (Chamberlain et al. 2000). 5.4.1.4.3 Operatives Vorgehen Um ein malignes Insulinom onkologisch radikal zu resezieren, werden die gleichen Resektionsverfahren wie beim duktalen Adenokarzinom des Pankreas angewandt. Dies bedeutet die klassische Pankreaslinksresektion mit Splenektomie (. Abb. 5.37) oder die Whipple-Operation, die, wenn technisch möglich, pyloruserhaltend durchgeführt werden sollte. Aufgrund des meist langsamen Wachstums der malignen Insulinome ist im Gegensatz zu Patienten mit einem duktalen Adenokarzinom ein sehr aggressives chirurgisches Vorgehen indiziert. Selbst sehr große Tumormassen sind resektabel, sodass in bis zu 60% der Fälle eine R0-Resektion mit kurativer Intention durchgeführt werden kann (Lo et al. 1996). Auch wiederholte Metastasenresektionen sind sinnvoll (. Abb. 5.38), um verlängerte Überlebenszeiten zu erreichen. Thompson et al. konnten zeigen, dass 50% der Insulinompatienten mit nicht-resektablen Lebermetastasen, bei denen ein Tumordebulking durchgeführt wurde, über eine signifikante Besserung ihrer Symptome für eine Dauer von 39 Monaten berichteten (Thompson et al. 1988). Von unseren 6 Patienten mit malignem Insulinom leben 2 Patienten ohne Erkrankungen 25 und 186 Monate postoperativ, 1 Patientin lebt mit diffusen Lebermetastasen seit 97 Monaten und 2 Patienten verstar-
ben nach 164 bzw. 339 Monaten an der Erkrankung (Fendrich et al. 2004). 5.4.1.4.4 Behandlungsalternativen bei diffus metastasierter Erkrankung Bei Vorliegen von diffusen Lebermetastasen ohne Möglichkeit einer Resektion oder bei Patienten, bei denen aufgrund ihres schlechten Allgemeinzustandes eine Operation nicht mehr durchführbar ist, stehen im Hinblick auf die Palliation der Symptome multiple Therapieverfahren zur Auswahl: Chemoembolisation. Die Chemoembolisation beruht auf der Beobachtung, dass die meisten malignen Insulinome eine kräftige Blutversorgung aus einer Leberarterie erhalten, während die Pfortader zumeist das normale Leberparenchym versorgt. Dies in vielen Zentren favorisierte Verfahren kombiniert die Infusion von vaso-okklusivem Material (z. B. Lipiodol) in die tumorversorgenden Leberarterienäste mit lokal applizierten Chemotherapeutika wie Doxorubicin, Cisplatin, Streptozocin, oder 5-FU. Die erfolgreiche Chemoembolisation setzt voraus, dass der Primärtumor entfernt und die Metastasen hypervaskulär sind. Kontraindikationen dieses Verfahrens ist ein Bilirubin >2 mg/dl, eine GOT >100U/l, eine Pfortaderthrombose oder wenn der Tumor mehr als 50% des Lebervolumens einnimmt (Mansour et al. 2004). Studien haben nachgewiesen, dass dieses Verfahren zu einem kurzfristigen Abfall der Hormonwerte führt, allerdings waren diese Effekte meist kürzer als ein Jahr (Chamberlain 2000).
422
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Radiofrequenzablation. Ein relativ neues Verfahren zur Behand-
5
lung von Lebermetastasen ist die Radiofrequenzablation (RFA). In einer kürzlich erschienenen Studie wurden die Lebermetastasen von 16 Patienten mit neuroendokrinen Tumoren (2 maligne Insulinome) mit RFA behandelt (Giliams et al. 2005). 69% der 16 Patienten berichteten über eine signifikante Besserung ihrer Symptome. Das Tumorleiden konnte bei 74% der Patienten vorübergehend kontrolliert werden, die mittlere Űberlebenszeit nach Diagnosestellung der Lebermetastasen betrug 53 Monate. Somit sind diese ersten Ergebnisse der RFA vielversprechend, müssen allerdings in deutlich größeren, kontrollierten Studien bestätigt werden. Lebertransplantation. Die Metastasierung eines malignen Insu-
linoms kann aufgrund des langsamen Wachstums für lange Zeit auf die Leber begrenzt sein. Aus diesem Grund kann eine Lebertransplantation, nach Ausschöpfen sämtlicher anderer Behandlungsmaßnahmen, fűr junge Patienten ohne Risiko mit hepatisch diffus filialisiertem Insulinom im Ausnahmefall in Betracht gezogen werden. Derzeit ist jedoch sehr fraglich, ob Patienten von einer Lebertransplantation gegenüber lokalen Ablationsverfahren wie Chemoembolisation und RFA im Hinblick auf Symptomfreiheit und Überlebenszeit profitieren. Lehnert et al. veröffentlichten 1998 eine Metaanalyse über 103 Patienten mit Lebertransplantation bei metastasierten neuroendokrinen Karzinomen, wobei hierbei allerdings diverse NET des Pankreas und des Darmes zusammengefasst wurden. Die 5-Jahres-Überlebensrate lag bei 47%. Allerdings waren Tumorrezidive häufig, nur 39 (38%) Patienten lebten nach einer Nachbeobachtungszeit von 23 Monaten ohne Nachweis eines Rezidivs bzw. Metastasen (Lehnert et al. 1998). Lang et al. (1999) berichteten über ähnliche Ergebnisse bei 10 Patienten mit hepatisch metastasiertem neuroendokrinen Pankreastumor (4 nichtfunktionelle, 3 Gastrinome, 2 VIPome, 1 Glukagonom). Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 33 Monaten lebten zwar noch 9 Patienten, allerdings hatten 7 (70%) ein Rezidiv bzw. neue Metastasen 6 Wochen bis 48 Monate nach der Transplantation entwickelt. Inzwischen kristallisiert sich trotz sehr limitierter Daten heraus, dass eine Exenteration des Oberbauches mit Cluster-Transplantation von Leber, Dünndarm und Pankreas keine gute Therapieoption beim metastasierten endokrinen Pankreastumor, inklusive Insulinom, zu sein scheint. In einer multizentrischen Studie aus Frankreich an 31 Patienten betrug die Mortalität der Cluster-Operation 100% (Le Treut 1997). Diese enttäuschenden Zahlen wurden durch eine Studie an 12 Patienten von Ahlman et al. bestätigt. Keiner der 8 Patienten, darunter zwei mit malignem Insulinom, bei denen nur eine orthotope Lebertransplantation durchgeführt wurde verstarb, während 2 der 4 Patienten nach Cluster-Transplantation innerhalb der ersten 4 Monate postoperativ verstarben (Ahlman et al. 2004). Chemotherapie. Neben all diesen invasiven Behandlungsmöglichkeiten ist eine medikamentöse Therapie, insbesondere eine Chemotherapie, in den Augen vieler Internisten die erste Alternative zur Behandlung nicht-resektabler, metastasierter Insulinome. 1968 beschrieb Murray-Lyon erstmals die erfolgreiche Behandlung eines malignen Insulinoms mit Streptozotocin (Murray-Lyon et al. 1968). Seitdem wurden viele verschiedene Chemotherapeutika, u. a. Streptozozin in Kombination mit Doxorubizin, zur Behandlung dieser Tumoren und/oder Metastasen eingesetzt. Die Interpretation dieser Studien ist durch kleine
Fallzahlen und vermischte Kohorten von Patienten mit neuroendokrinen Pankreastumoren und Karzinoiden erheblich erschwert. Zusammenfassend liegt die vorübergehende Ansprechrate der Chemotherapeutika Streptozozin und Doxorubizin bei metatstasierten Insulinomen bei 40–70% (Mansour et al. 2004). Streptozozin in Kombination mit Doxorubizin zeigte im Vergleich zu der Kombination von Streptozozin mit 5-Fluorouracil eine bessere Ansprechrate von 69% gegenüber 45% und eine längere mittlere Überlebenszeit von 2,2 versus 1,4 Jahren (Moertel et al. 1992). Medikamentöse Therapie. Die Präsenz von Somatostatinrezeptoren in vielen neuroendokrinen Pankreastumoren wurde sowohl zur Lokalisation als auch zur Therapie der Tumoren genutzt. Im Gegensatz zu Gastrinomen, VIPomen und nichtfunktionellen neuroendokrinen Pankreastumoren, die meist auf die Therapie mit Somatostatinanaloga wie Octreotid gut ansprechen, ist dies bei Insulinomen häufig nicht der Fall. Dies liegt an der niedrigeren Expressionsrate vom Somatostatinrezeptor Subtyp 2 und 3 in Insulinomen. Beachtet werden muss zudem, dass Octreotid die Ausschüttung von Glukagon hemmt und so zu einer Verschlechterung der Hypoglykämien führen kann. Studien mit α-Interferon bei neuroendokrinen Tumoren, inklusive metastasierter Insulinome, konnten eine Ansprechrate bei malignen endokrinen Pankreastumoren in bis zu 50% der Fälle nachweisen (Frank et al. 1999; Oberg et al. 2001). α-Interferon stimuliert die Funktion der natürlichen Killerzellen und kontrolliert die hormonell induzierten Symptome. Die Kombination von Octreotid und α-Interferon kann zudem bei bis zu 88% der Patienten zu einer Steigerung der Ansprechrate führen, insbesondere bei Patienten, die auf die alleinige Gabe von Octreotid nicht ansprachen (Fjallskog et al. 2002). Bei der symptomatischen medikamentösen Kontrolle der Hypglykämie spielt Diazoxid eine wichtige Rolle. Diazoxid stimuliert ß-Zell-adrenerge Rezeptoren und senkt so die Insulinfreisetzung. Die Standarddosis liegt bei 150–450 mg täglich, kann aber je nach Schweregrad der Hypoglykämie auf 800 mg täglich gesteigert werden. Die markanteste Nebenwirkung ist eine Natrium- und Wasserretention, sodass die zusätzliche Gabe eines Diuretikums indiziert ist (Gill et al. 1997).
Literatur Ahlman H, Friman S, Cahlin C et al. (2004) Liver transplantation of metastatic neuroendocrine tumors. Ann NY Acad Sci 1014:265–269 Capella C, Heitz P, Höfler H, Solcia E et al. (1995) Revised classification of neuroendocrine tumors of the lung, pancreas and gut. Virchows Archiv 425:547–560 Chamberlain RS, Canes D, Brown KT, Saltz L, Jarnagin W, Fong Y, Blumgart LH (2000) Hepatic neuroendocrine metastases: Does intervention alter outcome? J Am Coll Surg 190:432–445 Chen H, Hardacre JM, Uzar A, Cameron JL, Choti MA (1998) Isolated liver metastases from neuroendocrine tumors: does resection prolong survival? J Am Coll Surg 187:88–92 Fendrich V, Bartsch DK, Langer P, Zielke A, Rothmund M (2004) Diagnosis and therapy in 40 patients with insulinoma. Dtsch Med Wochenschr 129:941–946 Fjallskog ML, Sundin A, Westlin JE, Oberg K, Janson ET, Eriksson B (2002) Treatment of malignant endocrine pancreatic tumors with a combination of alpha-interferon and somatostatin analogs. Med Oncol 19:35–42 Frank M, Klose KJ, Wied M, Ishaque N, Schade-Brittinger C, Arnold R (1999) Combination therapy with octreotide and alpha-interferon: Effect on tumor growth in metastatic endocrine gastroenteropancreatic tumors. Am J Gastroenterol 94:1381–1387
423 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Gillams A, Cassoni A, Conway G, Lees W (2005) Radiofrequency ablation of neuroendocrine liver metastases-the Middlesex experience. Abdom Imaging 30:435–441] Gill GV, Rauf IA, MacFarlane IA (1997) Diazoxide treatment for insulinomas: a national UK survey. Postgrad Med J 73:640–641 Klöppel G (2003) Tumoren des endokrinen Pancreas. Pathologe 24:265– 271 Lang H, Schlitt HJ, Schmidt H et al. (1999) Total hepatectomy and liver transplantation for metastatic neuroendocrine tumors of the pancreas – a single center experience with ten patients. Langenbeck’s Arch Surg 384:370–377 Lehnert T (1998) Liver transplantation for metastatic neuroendocrine carcinoma. Transplantation 66:1307–1312 Le Treut YP, Delpero JR, Dousset B et al. (1997) Results of liver transplantation in the treatment of metastatic neuroendocrine tumors: a 31-case French multicentric report. Ann Surg 225:355–364 Lo CY, van Heerden JA, Thompson GB et al. (1996) Islet cell carcinomas of the pancreas. World J Surg 20:878–884 Mansour JC (2004) Chen H. Pancreatic endocrine tumors. J Surg Res 120:139–161 Moertel CG, Lefkopoulo M, Lipsitz S, Hahn RG, Klaassen D (1992) Streptozocin-doxorubicin, streptozocin-fluorouracil or chlorozotocin in the treatment of advanced islet-cell carcinoma. N Engl J Med 326:519–523 Murray-Lyon IM, Eddleston AL, Williams R, Brown M, Hogbin BM, Bennett A, Edwards JC, Taylor KW (1968) Treatment of multiple-hormone-producing malignant islet-cell tumour with streptozotocin. Lancet 2:895– 898 Oberg K (2001) Chemotherapy and biotherapy in the treatment of neuroendocrine tumours. Ann Oncol 12 Suppl 2:111–114 Speel EJ, Scheidweiler AF, Zhao J et al. (2001) Genetic evidence for early divergence of small functioning and nonfunctioning endocrine pancreatic tumors: gain of 9Q34 is an early event in insulinomas. Cancer Res 61:5186–5192 Thompson GB, van Heerden JA, Grant CS, Carney JA, Ilstrup DM (1988) Islet cell carcinomas of the pancreas: A twenty-year experience. Surgery 104:1011–1017 Wild A, Langer P, Ramaswamy A et al. (2001) A novel insulinoma tumor suppressor gene locus on chromosome 22q with potential prognostic implications. J Clin Endocrinol Metab 86:5782–5787
5.4.2
Duodenale und pankreatische Gastrinome
5.4.2.1 Klinische Symptomatik und Diagnostik
R. Arnold, B. Simon
Symptome und Befunde beim Zollinger-EllisonSyndrom 5 Oberbauchschmerzen 5 Ulcera duodeni an typischer und untypischer Stelle, häufig multipel, seltener Ulcera ventriculi (beide resistent gegenüber Standardtherapie und mit Neigung zu Komplikationen wie Blutung, Perforation) 5 Ausgeprägte Refluxkrankheit 5 Wässrige (sekretorische) Diarrhöen, selten Steatorrhö 5 Säurehypersekretion 5 Ausgeprägte Magenkorpusfalten 5 Hypergastrinämie
Symptome und Befunde bei gleichzeitigem MEN-1-Syndrom 5 Positive Familienanamnese für Ulkuskrankheit und Symptome des Hyperparathyreoidismus, insbesondere Nierensteine 5 Parathormon n 5 Hyperkalzämie 5 Epithelkörperchenhyperplasie(n) 5 Neigung zu Hypoglykämie 5 Mehrere Pankreastumoren 5 Freies Kortisol im Urin n 5 Hyperprolaktinämie
Die Trias: exzessive Magensäuresekretion, rezidivierende Ulzera im Magen, Duodenum und proximalen Jejunum in Gegenwart eines nicht-insulinproduzierenden Pankreastumors wurde 1955 von Zollinger und Ellison als eigenständige Krankheitsentität erkannt (Zollinger u. Ellison 1955).
Eine Ulkuserkrankung liegt bei über 90% der Patienten vor. Atypisch lokalisierte Ulzera sind eher die Ausnahme. Häufiger sind multiple Ulzera an typischer Stelle im Bulbus duodeni und/oder Magen. Bei antrektomierten Patienten mit Gastrinom liegen die Ulzera anastomosennah in der zuführenden oder abführenden Dünndarmschlinge. Schwerwiegende Komplikationen wie Perforation, Penetration und Blutung treten seit der Einführung
) ) Gastrinome kommen sporadisch und in etwa 30% im Rahmen des MEN-1-Syndroms vor (Benya et al. 1994). Sporadische Gastrinome liegen zu 60% im Pankreas und in bis zu 45% im Duodenum. Sporadische Gastrinome sind in der Regel solitär. Die überwiegende Mehrzahl der Gastrinome im Rahmen eines MEN-1-Syndroms (über 90%) ist im Duodenum lokalisiert und in der Regel sehr klein und multizentrisch (Jensen 1998). Patienten mit Zollinger-Ellison-Syndrom im Rahmen eines MEN-1-Syndroms sind in der Regel jünger und haben quo ad vitam eine bessere Prognose als Patienten mit sporadischem Gastrinom (Jensen 1998).
5.4.2.1.1 Klinische Symptomatik Die Symptomatologie des Zollinger-Ellison-Syndroms ist unabhängig von der Tumorlokalisation. Die führenden Symptome sind in der folgenden Übersicht wiedergegeben (. Abb. 5.39).
5
. Abb. 5.39. Pathophysiologie beim Zollinger Ellison-Syndrom
424
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
hochpotenter Säurehemmer nur noch selten auf, sind aber bei inadäquater Säuresuppression weiterhin zu beobachten. Neben den zu Oberbauchschmerzen führenden Ulzera weist die Hälfte der Patienten zusätzlich eine Diarrhö auf. Die voluminösen, meist wässrigen Durchfälle sind Folge der Volumenüberlastung des Darms durch die exzessiv erhöhte Säuresekretion und in zweiter Linie auf eine Hemmung pankreatischer Enzyme durch die Säure zurückzuführen (. Abb. 5.39). Gelegentlich kann es als Folge der Inaktivierung luminaler Gallensäuren und der Pankreasfermente zur Steatorrhö kommen. Eine säurebedingte Schädigung der Dünndarmmukosa trägt ebenfalls zur Malabsorption bei. Zu beachten ist, dass bei etwa 10% der Patienten Ulzera fehlen können und dann die sekretorische Diarrhö das Leitsymptom darstellt. Offenbar verfügen solche Patienten über besondere protektive Eigenschaften ihrer Magen- bzw. Duodenalschleimhaut. In früheren Aufstellungen häufig übersehen besteht bei fast allen Patienten eine schwere und gegenüber normal dosierten Säurehemmern resistente Refluxkrankheit (Jensen u. Gardner 1993). Die Refluxkrankheit und/oder die peptischen Ulzera sind Ursache der Oberbauchbeschwerden. Wahrscheinlich werden heute nicht mehr alle Patienten mit einem Zollinger-Ellison-Syndrom frühzeitig erkannt. Seit der Verfügbarkeit potenter Sekretionshemmer (Protonenpumpenblocker) werden Patienten mit rezidivierenden peptischen Ulzera langfristig antisekretorisch behandelt und so das zugrunde liegende Gastrinom nicht erkannt. Erst spätere Therapieunterbrechungen mit dadurch induzierten Ulkusrezidiven und Ulkusrezidive trotz Helicobacter-pylori-Sanierung (etwa 30% der Patienten mit ZES sind Helicobacter-positiv) führen dann doch zu einer Serumgastrinbestimmung. Die späte Diagnostik ist für den betroffenen Patienten kein Nachteil, da Gastrinome entweder früh im Verlauf ihrer Erkrankung metastasieren und so erkannt werden oder gar nicht metastasieren oder – wie im Falle vieler duodenaler Gastrinome – in der Regel nur Lymphknotenmetastasen und keine Lebermetastasen auftreten. Die Prognose dieser meist nur in die Lymphknoten metastasierten Tumoren ist sehr gut. 60–90% der pankreatischen Gastrinome sind dagegen maligne und in der Regel viel rascher progredient als duodenale Gastrinome. Besonderheiten beim Zollinger-Ellison-Syndrom in Gegenwart eines MEN-1-Syndroms. Tritt das Gastrinom im Rahmen eines
MEN-1-Syndroms auf, werden zusätzliche Symptome beobachtet, die entweder auf einen primären Hyperparathyreoidismus oder auf ein Hypophysenadenom zu beziehen sind. Bei den Hypophysenadenomen handelt es sich in der Regel um ein Prolaktinom oder einen funktionell nicht aktiven Hypophysentumor (Mignon u. Cadiot 1998). Führendes Symptom des Hyperparathyreoidismus ist eine Nephrolithiasis in Gegenwart erhöhter Serumkalziumspiegel. Im Gegensatz zur Auffassung früherer Lehrbücher führt ein Hyperparathyreoidismus selbst nicht zur Hypergastrinämie und zur Ulkuskrankheit. Finden sich beim Hyperparathyreoidismus hohe Serumgastrinspiegel, ist dies der Beweis für ein zusätzlich bestehendes Gastrinom, das sehr klein sein kann oder auch multipel im Duodenum auftritt. Die Beobachtung, dass die chirurgische Sanierung eines Hyperparathyreoidismus zu einem Abfall, nicht Normalisierung der Serumgastrinkonzentrationen als auch zum Abfall der basalen nicht-stimulierten Säuresekretion führt, ist auf den Effekt des hohen Kalziums auf die Serumgastrin- und Säurefreisetzung zurückzuführen. Beim MEN-1-Syndrom liegen neben dem oder den duodenalen oder pankreatischen Gastrinom(en) in der Regel noch
weitere endokrine Pankreastumoren vor (Jensen u. Gardner 1993). Diese können Insulin, Glukagon, pankreatisches Polypeptid oder auch gar kein Hormon freisetzen. Von den genannten Tumoren werden Insulinome häufig, aber nicht in der Regel, symptomatisch und führen dann zu den Symptomen der Neuroglukopenie. Glukagon ebenso wie pankreatisches Polypeptid produzierende Tumoren bleiben dagegen asymptomatisch. Sie lassen sich daher erst nach der chirurgischen Entfernung als Glukagon- oder pankreatisches Polypeptid speicherndeTumoren mittels spezifischer immunhistologischer Methoden identifizieren. 5.4.2.1.2 Diagnostik Labordiagnostik
Das Serumgastrin ist bei mehr als 98% der Patienten um das 3- bis 10-fache der Norm erhöht (Creutzfeldt et al. 1975; Jensen u. Gardner 1993). Gleichzeitig besteht eine Säurehypersekretion. Praktisch sollte man so vorgehen, dass man zunächst das Nüchtern-Serumgastrin untersucht und endoskopisch den pH-Wert des Magensafts bestimmt. Ist der pH im Magensaft >2,5, so ist es unwahrscheinlich, dass eine zuvor festgestellte Hypergastrinämie Ausdruck eines Zollinger-Ellison-Syndroms ist (Jensen 1996). Für die Hypergastrinämie müssen dann die in . Tab. 5.10 aufgeführten alternativen Ursachen angenommen werden. So stehen viele Patienten unter säurehemmender Medikation. Gerade die Protonenpumpenhemmer, weniger die Histamin-H2-Rezeptorblocker, führen zu einer unterschiedlich ausgeprägten Hypergastrinämie (Koop et al. 1990, 1996; Eissele et al. 1997). In diesen Fällen sollten die Protonenpumpenhemmer für eine Woche, die H2-Rezeptorantagonisten für mindestens 30 h abgesetzt werden, um dann beim nüchternen Patienten das Serumgastrin und mittels Endoskopie den pH des Magensafts erneut zu bestimmen (Jensen 1996). Bei einem Magensaft-pH von <2,5 und einem Serumgastrinspiegel von >1000 pg/ml (normal 60–100 pg/ml) ist ein Gastrinom anzunehmen. Allerdings lässt sich die Magensäuresekretion bei einem Patienten mit Zollinger-Ellison-Syndrom in den allermeisten Fällen durch eine Standarddosis eines Protonenpumpenhemmers nicht adäquat supprimieren, sodass der Magensaft-pH auch unter Therapie unter 2,5 liegt. Dann entfällt natürlich das ansonsten für den Patienten gefährliche Absetzen des Protonenpumpenhemmers für 1 Woche. Unbehandelt kann insbesondere die Ulkuskrankheit schnell zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Die Diagnose eines Gastrinoms kann bei Patienten mit nur mäßig hohem Serumgastrin biochemisch mittels eines Sekretintests untermauert werden (Creutzfeldt et al. 1975). Von den früher vorgeschlagenen alternativen Gastrinstimulationstests (Sekretininfusion, Glukagonbolus, Kalziuminfusion, Theophyllinbolus, Bombesinbolus, Testmahlzeit) besitzt der einfach durchzuführende Sekretinbolustest die höchste Sensitivität und Spezifität, sodass auf weitere Verfahren verzichtet werden kann (Jensen u. Gardner 1993). Durchführung des Sekretintests. Beim nüchternen Patienten (vorheriges Absetzen von Protonenpumpenhemmer oder Histamin-H2-Rezeptorantagonisten nicht erforderlich), werden im Abstand von 10 min über eine liegende Braunüle jeweils 5–10 ml Nativblut zur Bestimmung des basalen Gastrins abgenommen. Zum Zeitpunkt 0 werden 75 KE Sekretin (Sekretolin) rasch intravenös appliziert. Weitere Blutentnahmen erfolgen 2, 5, 10, 15 und 30 min nach Sekretingabe. Das Verhalten des Gastrins nach
425 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
5
. Tab. 5.10. Differenzialdiagnose der Hypergastrinämie
Ausmaß der Hypergastrinämie Bei erhöhter Säuresekretion Magenausgangsstenose
++
Zollinger-Ellison-Syndrom
+ o +++
Am Duodenalstumpf belassener Antrumrest nach BII-Operation (selten)
+++
Chronische Niereninsuffizienz (selten)
+++
Antrale G-Zellüberfunktion im Rahmen einer H.-pylori-Infektion (selten)
++
Kurzdarmsyndrom
++
Bei verminderter (fehlender) Säuresekretion Typ-A-Gastritis
+++
Nach Vagotomie
++
Einnahme potenter Säurehemmer vom Typ der Protonenpumpenblocker
+ o++
Chronische Niereninsuffizienz
++
Sekretin bei Patienten mit Zollinger-Ellison-Syndrom ist in . Abb. 5.40 dargestellt. Fast bei allen Gastrinompatienten kommt es 2–10 min nach der Sekretininjektion zu einer »paradoxen« Freisetzung von Tumorgastrin, d. h. zu einem Anstieg um mehr als 100% vom Basalwert. Im Gegensatz dazu ist dieser Anstieg bei H.-pylori-bedingter Ulkuskrankheit, bei Patienten mit antraler G-Zellüberfunktion oder bei Patienten mit einem Antrumrest am nach Billroth-II-Operation verschlossenen Duodenalstumpf geringer oder fehlt. Hier kommt es sogar zu einem Abfall des Serumgastrinspiegels unter den Basalwert. Allerdings kann bei Gastrinompatienten, v. a. bei solchen mit bereits basal sehr hohen Werten, der Gastrinanstieg ausbleiben. Daher empfiehlt sich die Durchführung eines Sekretinstests nur bei einem basalen Serumgastrin <1000 pg/ml. Basale Magensaftsekretion. Da die Annahme eines ZollingerEllison-Syndroms auf dem gleichzeitigen Nachweis einer basalen Säurehypersekretion und einer Hypergastrinämie beruht, sollte zumindest einmal eine Bestimmung der basalen Magensaftsekretion (BAO) angestrebt werden. Eine basale Säuresekretion >15 mmol HCl/h sowie bei Patienten nach vorausgegangener Magenteilresektion von >5 mmol HCl/h ist bei gleichzeitiger Hypergastrinämie beweisend für ein Gastrinom (Aoyagi et al. 1966). Auch vor der Magensaftanalyse müssen säurehemmende Medikamente in der oben genannten Weise abgesetzt werden, falls nicht bereits unter Standarddosis eines Protonenpumpenhemmers die geannten Kriterien erfüllt sind. Ist eine Magensaftsekretionsanalyse nicht möglich, muss wenigstens der Magensaft-pH bestimmt werden, der beim nicht therapierten Gastrinompatienten zwischen 1 und 2 liegt.
. Abb. 5.40. Verhalten von Serumgastrin nach i.v. Injektion von 75 KU Sekretin bei Patienten mit Gastrinomen, antraler G-Zellüberfunktion und »excluded antrum«. Zu beachten sind die in den 3 Gruppen vergleichbaren basalen Serumgastrinspiegel, die den oberen Grenzbereich der Serumgastrinspiegel von Patienten mit unkomplizierter Ulkuskrankheit nur gering überschreiten
Patienten mit gesichertem Gastrinom und normalen Serumgastrinspiegeln sind eine ausgesprochene Rarität (Jais u. Mignon 1995; Zimmer et al. 1995). Hier muss angenommen werden, dass vom Tumor eine molekulare Gastrinform sezerniert wird, die durch die verfügbaren Antikörper, die gegen die α-amidierten d. h. bioaktiven Formen des Gastrins gerichtet sind, nicht erkannt werden. Hier empfiehlt sich die Gastrinbestimmung mittels eines Antikörpers, der alle amidierten Gastrinmoleküle und alle nichtamidierten Vorläufermoleküle (Progastrin) erkennt (Jorgensen et al. 1998). Bei den meisten dieser Patienten ist allerdings der Sekretintest positiv. Differenzialdiagnose der Hypergastrinämie
Die wichtigsten Ursachen einer chronischen Hypergastrinämie sind in . Tab. 5.10 aufgeführt. Man unterteilt Hypergastrinämien nach dem Vorliegen einer verminderten Säuresekretion bzw. einer Säurehypersekretion. Da die Säure die antrale Gastrinsekretion im Sinne eines Feedbacks hemmt, führt jede Verminderung der Säuresekretion, ganz besonders aber die Achlorhydrie, zu einem Serumgastrinanstieg, der vom Gastrinwert beim Gastrinom nicht zu unterscheiden ist. Die häufigsten Ursachen einer Hypergastrinämie bei verminderter oder fehlender Säuresekretion sind die Typ-A-Gastritis und die Einnahme von potenten Säuresekretionshemmern. Aber auch die selektive oder trunkuläre Vagotomie kann über eine Hemmung der Säuresekretion und Beeinträchtigung der Innervation zwischen Magenkorpus und Magenantrum zur Hypergastrinämie führen. Säurehypersekretion und Hypergastrinämie ohne Gastrinom sind Raritäten. So wird die früher beschriebene antrale G-Zellüberfunktion heute auf eine H.-pylori-Infektion zurückgeführt (Lamers et al. 1978; Arnold et al. 1991; Metz et al. 1995; El Omar et al. 1996). Sie kann ein Zollinger-Ellison-Syndrom klinisch imitieren und normalisiert sich nach H.-pylori-Sanierung. Die Magenausgangsstenose
426
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
führt über eine Dehnung des Antrums zur Hypergastrinämie und Säurehypersekretion. Sie ist endoskopisch einfach zu diagnostizieren. Der früher gelegentlich beschriebene am Duodenalstumpf belassene Antrumrest nach einer Billroth-II-Operation wird heute praktisch nicht mehr beobachtet. Zusätzliche Laboratoriumsbefunde beim MEN-1-Syndrom
5
Bei jedem Gastrinomverdacht sollten Serumkalzium und Parathormon mitbestimmt werden, um einen zusätzlich bestehenden primären Hyperparathyreoidismus zu sichern oder auszuschließen. Gleichzeitig sollten die wichtigsten hypophysären Hormone (Prolaktin, ACTH, Wachstumshormon) zum Ausschluss oder Beweis eines funktionell aktiven Hypophysentumors bestimmt werden. Da viele Hypophysentumoren aber funktionell inaktiv sind, müssen bei Sicherung eines Gastrinoms und eines gleichzeitig bestehenden Hyperparathyreoidismus bildgebende Verfahren herangezogen werden, um einen Hypophysentumor zu sichern oder auszuschließen. Tumorvorsorge beim MEN-1-Syndrom
Die Prädisposition für MEN 1 beruht auf einer Keimbahnmutation im MEN-1-Gen (Locus 11q13), wobei Kinder und Geschwister von Patienten mit MEN 1 ein 50%-iges Erkrankungsrisiko haben (Larsson et al. 1988). Im MEN-1-Gen, das sich über 9 kb erstreckt, findet sich ein 2,8 kb Transkript, das Menin kodiert (7 Kap. 6.1.2). Die beschriebenen Mutationen im MEN-1-Gen liegen im Menin verstreut. Das Mutationsspektrum umfasst hauptsächlich »Nonsense«- und »Frame-shift«-Mutationen, die zu einem Transkriptionsstop und damit zu einem verkürzten Protein führen. Die derzeit verfügbare molekulargenetische Diagnostik zur Ermittlung von Genträgern beinhaltet eine direkte Genotypanalyse (Nachweis der Mutation im MEN-1-Gen) und ggf. eine indirekte Genotypanalyse (Kopplungsuntersuchung). Im Hinblick auf eine effiziente Tumorvorsorge sollten bisher nicht erkrankte Mutationsträger gezielten Früherkennungsprogrammen unter Einschluss der genannten molekulargenetischen Diagnostik zugeführt werden. Nicht-Anlageträgern können die belastenden MEN-1-Früherkennungsuntersuchungen so erspart bleiben. Wird ein Genträger identifiziert, sollte er ab dem 16. Lebensjahr in 2-jährlichen Intervallen mittels biochemischer Tests untersucht werden. Diese beinhalten die Bestimmung des Serumkalziums, des Parathormons, des Prolaktins, des Gastrins, des pankeatischen Polypeptids und des unspezifischen Markers Chromogranin A (Simon et al. 2000). Lokalisationsdiagnostik
Für die im Pankreaskopf bzw. in der Pars descendens des Duodenum gelegenen Gastrinome stehen eine Reihe bildgebender Verfahren zur Verfügung, die im 7 Kap. 5.5.2 im Einzelnen dargestellt werden. Zu beachten ist, dass Gastrinome nicht selten klein und bei Sitz im Duodenum multipel und submukös in der Wand der Pars descendens duodeni lokalisiert sind. Zu den empfindlichsten Verfahren zum Nachweis des Gastrinoms zählen die OctreotidSzintigraphie (Octreoscan) und der endoskopische Ultraschall. Beide sind dem Angio-CT, der MRT, der Angiographie und der konventionellen Sonographie deutlich überlegen (Rösch et al. 1992; Cadiot et al. 1997; Termanini et al. 1997; Alexander et al. 1998). Dagegen lassen sich Leber- und Lymphknotenmetastasen mittels konventioneller Sonographie, Angio-CT und kontrastmittelverstärkter MRT mit relativ hoher Sensitivität und Spezifität diagnostizieren. Aber auch zum Nachweis von Metastasen ist
die Octreotid-Szintigraphie unentbehrlich, da sie Fernmetastasen (Knochen, Thorax) erkennt. 5.4.2.2 Konservative Therapie
Die medikamentöse Therapie des Zollinger-Ellison-Syndroms hat ihren Platz in der präoperativen Phase, um den Patienten vor den Komplikationen der Säurehypersekretion zu schützen, und bei Patienten mit metastasiertem Gastrinom.
Säurehypersekretion und deren Folgen (Ulzera, Refluxkrankheit, Durchfälle) lassen sich zuverlässig durch die heute verfügbaren Protonenpumpenhemmer vom Typ des Omeprazols, Esomeprazols, Lansoprazols, Pantoprazols u. a. beeinflussen (McArthur et al. 1985; Maton et al. 1986; Metz u. Jensen 1995). Sie haben die weniger wirksamen und sehr hohe Dosen erfordernden H2-Rezeptorantagonisten ersetzt. Letzere mussten bei ausgeprägter Säurehypersekretion in bis zu 6-stündigen Intervallen gegeben werden (McCarthy et al. 1977). Protonenpumpenhemmer verlangen dagegen eine 1- bis 2-malige Einnahme pro Tag. Die Dosis muss so titriert werden, dass die basale Säuresekretion bei Patienten mit intaktem Magen unter 10 mmol/h und bei Magenresezierten Patienten unter 5 mmol/h bzw. der Magensaft-pH über 3 liegt (Maton et al. 1986). Eine Säuresuppression in diesen Bereich gewährleistet die Abheilung peptischer Läsionen und verhindert Ulkusrezidive. In 70% der Patienten sind hierfür Dosierungen von 40–80 mg/Tag Omeprazol oder der Äquivalenzdosis eines anderen Protonenpumpenhemmers ausreichend. Bei Patienten, die auf diese Dosierung ungenügend ansprechen, erkennbar an einer nicht adäquat supprimierten basalen Säuresekretion, sollte die Dosis des Protonenpumpenhemmers auf 2 Gaben aufgeteilt (z. B. 2×40 mg Omeprazol) und ggf. gesteigert werden. Es empfiehlt sich, die basale Säuresekretion bzw. den Magensaft-pH nach 3 und 12 Monaten zu kontrollieren, um eine Therapieanpassung oder Dosisreduktion des Protonenpumpenhemmers vornehmen zu können. Die Protonenpumpenhemmer haben früher notwendige Verfahren zur Säurereduktion wie Vagotomie, Antrektomie oder totale Gastrektomie vollständig ersetzt. Das gilt auch für Medikamente wie Anticholinergika, die früher mit H2-Rezeptorantagonisten kombiniert worden sind. Diese haben keinen Platz mehr in der Therapie der Säurehypersekretion des Gastrinompatienten. Somatostatinanaloga vom Typ des Octreotids oder Lanreotids senken den Serumgastrinspiegel (Koop et al. 1990) und führen darüber sowie über eine direkte Beeinflussung der säureproduzierenden Parietalzelle zur Hemmung der Säureproduktion. Allerdings müssen sie parenteral appliziert werden und hemmen die Säuresekretion nicht gleichbleibend wie die Protonenpumpenhemmer. Sie eignen sich daher nicht zur Therapie des Gastrinompatienten. Literatur Alexander HR, Fraker DL, Norton JA, Bartlett DL et al. (1998) Prospective study of somatostatin receptor scintigraphy and its effect on operative outcome in patients with Zollinger-Ellison Syndrome. Ann Surg 228:228–238 Aoyagi T, Summerskill WHJ (1966) Gastric secretion with ulcerogenic islet tumors. Importance of basal acid output. Arch Int Med 117:667– 672
427 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Arnold R (1991) Hyperplasia of gastric endocrine cells in the human antral mucosa. In: Hakanson R, Sundler F (eds) The stomach as an endocrine organ, Fernström Foundation Series, Elsevier, pp 391–402 Benya RV, Metz DC, Venzon DJ et al. (1994) Zollinger-Ellison syndrome can be the initial endocrine manifestation in patients with multiple endocrine neoplasia-type I. Am J Med 97:436–444 Cadiot G, Bonnaud G, Labtahi R, Sarda L et al. (1997) Usefulness of somatostatin receptor scintigraphy in the management of patients with Zollinger-Ellison syndrome. Gut 41:107–114 Creutzfeldt W, Arnold R, Creutzfeldt C, Track NS (1975) Pathomorphologic, biochemical and diagnostic aspects of gastrinomas (Zollinger-Ellison syndrome). Hum Pathol 6:47–76 Eissele R, Brunner G, Simon B, Solcia E, Arnold R (1997) Gastric mucosa during treatment with Lansoprazole: Helicobacter pylori is a risk factor for argyrophil cell hyperplasia. Gastroenterology 112:707–717 El-Omar EM, Penmann ID, Ardill JES et al. (1996) Helicobacter infection and abnormalities of acid secretion in patients with duodenal ulcer disease. Gastroenterology 109:681–691 Jais P, Mignon M (1995) Normal serum gastrin concentration in gastrinoma. Lancet 346:1421–1422 Jensen RT (1996) Gastrinoma. In: O’Shea D, Bloom SR (eds) Bailliere’s clinical gastroenterology. Gastrointestinal endocrine tumours, vol. 10/Nr 4. Bailliere Tindall, London Philadelphia Sydney Tokyo Toronto, pp 603– 643 Jensen RT (1998) Management of the Zollinger-Ellison syndrome in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. J Int Med 243:477– 488 Jensen RT, Gardner JD (1993) Gastrinoma. In: Go VLW, Di Magno EP, Gardner JD (eds) The pancreas: biology, pathobiology and disease, 2nd ed. Raven Press, New York, pp 931–978 Jorgensen NR, Rehfeld JF, Bardram L, Hilsted L (1998) Processing-independent analysis in the diagnosis of gastrinomas. Scand J Gastroenterol 33:379–385 Koop H, Naumann-Koch Ch, Arnold R (1990) Effect of omeprazole on serum gastrin levels: influence of age and sex. Z Gastroenterol 28:603– 605 Koop H, Klein M, Arnold R (1990) Acid inhibitory effects of somatostatin analog in malignant gastrinomas (letter to the editor). J Clin Gastroenterol 12:120–121 Koop H, Kuly S, Flüg M, Eissele R et al. (1996) Intragastric pH and serum gastrin during administration of different doses of pantoprazole in healthy subjects. Europ J Gastroenterol Hepatol 8/9:915–918 Lamers CBH, Ruland CM, Joosten HJM, Verkoogen HCM (1978) Hypergastrinemia of antral origin in duodenal ulcer. Digestive Diseases 23:998–1002 Larsson C, Skogseid B, Öberg K et al. (1988) Multiple endocrine neoplasia type 1 gene maps to chromosome 11 and is lost in insulimona. Nature 322:85–87 Maton PN, Vinayek R, Frucht H, McArthur KA et al. (1986) Long-term efficacy and safety of omeprazole in patients with Zollinger-Ellison syndrome: a prospective study. Gastroenterology 97:827–836 McArthur KE, Collen MJ, Maton PN, Cherner JA, Howard JM et al. (1985) Omeprazole: effective, convenient therapy for Zollinger-Ellison syndrome. Gastroenterology 88:939–944 McCarthy DM, Olinger EJ, May R J, Long BW, Gardner JD (1977) H2-histamine receptor blocking agents in the Zollinger-Ellison syndrome: experience in several cases and implications for long-term therapy. Annals of Internal Medicine 87:668–675 Metz DC, Jensen RT (1995) Advances in gastric antisecretory therapy in Zollinger-Ellison-Syndrome. In Mignon M, Jensen RT (eds) Endocrine tumours of the pancreas. Recent advances in research and management. Frontiers of Gastrointestinal Research Basel. Karger 23:240– 257 Metz DC, Weber HCh, Orbach M, Strader DB, Lubensky IA, Jensen RT (1995) Helicobacter pylori infection. A reversible cause of hypergastrinemia and hyperchlorhydria which may mimic Zollinger-Ellison syndrome. Dig Dis Sci 40:153–159
5
Mignon M, Cadiot G (1998) Diagnostic and therapeutic criteria in patients with Zollinger-Ellison syndrome and multiple endocrine neoplasia type 1. J Int Med 243:489–494 Rösch Th, Lightdale CJ, Botet JF et al. (1992) Localization of pancreatic endocrine tumors by endoscopic ultrasonography. N Engl J Med 326:1721–72 Simon B, Bartsch D, Joseph K, Rieder H, Rothmund M, Arnold R (2000) Multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN-1): Aktueller Stand der Diagnostik und Tumorprävention. Dtsch Ärztebl 97:600–605 Termanini B, Gibril F, Reynolds C, Doppmann JL et al. (1997) Value of somatostatin receptor scintigraphy: A prospective study in gastrinoma of its effect on clinical management. Gastroenterology 112:335–347 Zimmer T, Stölzel U, Bader M et al. (1995) Brief report: A duodenal gastrinoma in a patient with diarrhea and normal serum gastrin concentration. N Engl J Med 333:634–636 Zollinger RM, Ellison EH (1955) Primary peptic ulcerations of the jejunum associated with islet cell tumors of the pancreas. Ann Surgery 142:709–726
5.4.2.3 Operative Therapie
M. Rothmund ) ) Das Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES) wird bei ca. 70–80% der Patienten durch sproradische Gastrinome, in 20–30% durch Gastrinome im Rahmen des MEN-1-Syndroms verursacht. Duodenale Gastrinome sind 3- bis 10-mal häufiger anzutreffen als pankreatische. Dies ist vor allem bei Patienten mit Gastrinomen im Rahmen des MEN-1-Syndroms der Fall. Hier ist immer mit multiplen Tumoren im Duodenum zu rechnen. Während die Heilungsrate von sporadischen Tumoren mit etwa 40% nach 5 Jahren recht gut ist, werden nur 0–10% aller MEN-1-Gastrinom-Patienten kurativ behandelt. Die letztgenannten Ergebnisse lassen sich deutlich verbessern, wenn eine Duodenopankreatektomie erfolgt. Ob ein so aggressives chirurgisches Vorgehen bei MEN-1-ZES gerechtfertigt ist, ist bei den hohen Langzeit-Überlebensraten auch ohne diese Operation fraglich.
Indikationsstellung
Obwohl etwa 50–70% der Patienten mit Zollinger-Ellison-Syndrom bei Diagnosestellung bereits Lymphknotenmetastasen und etwa 10% Lebermetastasen haben, ist eine operative Therapie gerechtfertigt. Bei sporadischen Tumoren können der Primärtumor und die Metastasen entfernt werden. Die biochemisch dokumentierte Heilungsrate liegt bei 40–60% (Norton u. Jensen 2004; Doherty et al. 1998). Dean et al. (2000) konnten auch zeigen, dass bei Patienten mit MEN-1-Syndrom die Progression von endokrinen Tumoren des Pankreas und speziell von Gastrinomen wichtigste Determinante des Langzeitüberlebens ist und daher operative Maßnahmen, die den natürlichen Verlauf dieser Tumoren beeinflussen, sinnvoll sind. Bei allen Tumoren ist das Vorhandensein von Lebermetastasen der wichtigste Faktor für eine schlechte Prognose: Aus diesem Grunde ist es angebracht, bei Patienten mit sporadischem und MEN-1-ZES ohne Lebermetastasen eine chirurgische Exploration vorzunehmen und nicht nur die Primärtumoren, sondern auch die Lymphknotenmetastasen zu entfernen, um das Entstehen von Lebermetastasen zu vermeiden. Dass dies möglich ist, konnten Fraker et al. (1994) zeigen. In Einzelfällen kann auch
428
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
eine operative Behandlung von Lebermetastasen sinnvoll sein, wenn gesichert werden kann, dass mit vertretbarer Morbidität und Mortalität etwa 90% der Tumormasse entfernbar sind.
Die Indikation zur Operation ist gegeben, wenn die Diagnose durch Anamnese und biochemische Untersuchungen gesichert ist und wenn Lokalisationsverfahren eine diffuse Lebermetastasierung ausgeschlossen haben.
5
Die Einstellung zur Operationsindikation variiert jedoch erheblich. Norton und Jensen empfehlen eine operative Behandlung von sporadischen pankreatischen Gastrinomen, wenn der Tumor mindestens eine Größe von 2–3 cm hat (Norton 1999; Norton u. Jensen 2004). Andere sprechen sich schon bei biochemischer Sicherung der Diagnose für eine operative Therapie aus (Skogseid et al. 1998). Präoperative Diagnostik
Voraussetzung für eine operative Therapie ist neben der Diagnosestellung die Lokalisationsdiagnostik durch Schnittbildverfahren, am besten durch eine helikale Computertomographie des Oberbauchs zur Entdeckung von Primärtumoren, Lymphknotenmetastasen und evtl. vorhandenen Lebermetastasen sowie eine Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (. Abb. 5.41) zur Entdeckung von Metastasen in allen Organsystemen (Gibril et al. 1996). Eine Endosonographie sollte nur dann durchgeführt werden, wenn man einen erfahrenen Untersucher vor Ort hat, der wenig falsch-positive Resultate erzielt. Während die Sensitivität
. Abb. 5.41. Somatostatinrezeptor-Szintigraphie einer Patientin mit sporadischem Duodenalwandgastrinom. Dargestellt sind 2 Lymphknotenmetastasen im Oberbauch, das nur wenige mm große primäre Gastrinom stellt sich nicht dar
der Endosonographie bei 85% für pankreatische Gastrinome liegt, ist sie mit etwas mehr als 40% für Duodenalwandgastrinome erwartungsgemäß deutlich schlechter. Eine Duodenotomie und Exploration von Vorder- und Hinterwand des Duodenums sollte Bestandteil jeder Operation für ein ZES sein, da sie die Heilungsrate signifikant verbessert. Sie ist die sensitivste Methode zur Entdeckung von duodenalen Gastrinomen (Sugg et al. 1993). Daher ist die Bemühung, duodenale Gastrinome präoperativ zu lokalisieren, ohnehin sinnlos (Norton et al. 2004). Die superselektive arterielle Injektion von Sekretin zur Stimulation der Gastrinausschüttung und die Blutentnahme aus Lebervenen sind eine aufwändige Methode, die eine Regionalisierung der Gastrinquelle im Duodenum/Pankreaskopf, Pankreaskorpus oder Pankreasschwanz erlaubt. Sie ist Reoperationen vorbehalten und nur von begrenzter Bedeutung, da die meisten Gastrinome im sog. »Gastrinomdreieck« liegen, das Pankreaskopf, Duodenum und seine Umgebung einschließt (Imamura et al. 1989; Sugg et al. 1993). Vor einer Operation sollte klar sein, ob es sich um einen Patienten mit einem sporadischen Gastrinom oder um einen Patienten mit Gastrinomen bei MEN-1-Syndrom handelt. Dies lässt sich anhand von Anamnese, biochemischen Tests und molekulargenetischen Untersuchungen klären. Chirurgisches Vorgehen bei sporadischem Gastrinom
Die Operationsindikation ist bei sporadischen Gastrinomen dann gegeben, wenn die Diagnose eines ZES gestellt ist und lokalisationsdiagnostische Verfahren eine begrenzte oder keine Tumorlokalisation zeigen. Minimalinvasive Verfahren zur Behandlung von duodenalen oder pankreatischen Gastrinomen sind nicht ratsam und auch nur sporadisch publiziert worden. Ratsam sind sie deshalb nicht, da, wie schon erwähnt, zu jeder chirurgischen Exploration bei ZES ohnehin eine Längsduodenotomie und separate palpatorische Exploration von Duodenalvorderund -hinterwand gehört, was sich laparoskopisch nicht machen lässt. Vereinzelt wurde auch über die endoskopische Entfernung von Duodenalwandgastrinomen berichtet, dies ist jedoch ebenfalls ein fragliches Unterfangen, da häufig (50–70%) vorhandene Lymphknotenmetastasen nicht mitentfernt werden können (Norton u. Jensen 2004). Der Autor geht daher auf jeden Fall konventionell vor und eröffnet das Abdomen über einen nach kranial konvexen Oberbauchquerschnitt und exploriert zunächst das Abdomen. Danach wird die Leber abgetastet und mittels eines sterilen Schallkopfes sonographiert. Anschließend erfolgt die Suche nach dem Primärtumor. Auch wenn ein Tumor im Pankreas gesehen wurde, wird nach einem Kocher-Manöver eine Längsduodenotomie vom Bulbus duodeni bis zum unteren Duodenalknie durchgeführt, und anschließend die Vorder- und Hinterwand separat zwischen Daumen und Zeigefinger palpiert, um Mikrogastrinome zu erkennen, die dann exzidiert werden. Nach Verschluss des Duodenums mit Einzelknopfnähten, Vicryl der Stärke 3/0 oder 4/0, erfolgt die Exploration des Pankreas. Hierzu wird das Kocher-Manöver vervollständigt, anschließend der Pankreaskopf palpiert und auch der Pankreasschwanz sowie das Pankreaskorpus vom Retroperitoneum abgehoben – evtl. mit Luxation der Milz – und ebenfalls sorgfältig durchpalpiert. 6
429 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
. Abb. 5.42. Intraoperative Sonographie des Pankreas bei pankreatischem Gastrinoms. Es zeigt sich der etwa 8 mm im Durchmesser große Tumor im Pankreasschwanz oberhalb der V. lienalis echoarm im echoreichen exokrinen Pankreas (Lage der Sonde quer im Oberbauch)
Anschließend folgt eine intraoperative Sonographie des Pankreas mit einem 7,5- oder 10-MHz-Schallkopf, wobei nach echoarmen, rundlichen Bezirken im echoreichen Pankreas gesucht wird. Die Echoarmut ist ein typisches Zeichen eines endokrinen Pankreastumors (. Abb. 5.42). Pankreatische Gastrinome sind üblicherweise leicht zu finden, da sie zwischen 2 und 3 cm groß sind. Palpation und intraoperative Sonographie können Tumoren bis 0,5 cm Durchmesser darstellen. Findet sich ein Gastrinom im Pankreaskopf, wird es enukleiert, wobei der Autor zunächst das meist nur wenige Millimeter dicke exokrine Pankreas über dem Tumor mit einer bipolaren Elektrokoagulations-Pinzette durchtrennt und schließlich in der Schicht zwischen exokrinem Gewebe und dem endokrinen Tumor präparatorisch fortschreitet. Es empfiehlt sich, langsam unter sorgfältiger Blutstillung vorzugehen, da die endokrinen Tumoren sehr gut vaskularisiert sind und eine gute Übersicht zur Präparation in der Schicht notwendig ist.
Nach der Exzision wird ein Teil des Tumors zum Schnellschnitt gegeben, um das Vorhandensein eines endokrinen Tumors zu bestätigen. Der Rest wird zur immunhistochemischen Untersuchung tiefgefroren. Schon während der Operation empfiehlt es sich, Somatostatin zu infundieren, um eine traumatische Pankreatitis zu vermeiden. Wir empfehlen auch postoperativ die Gabe von Octreotid subkutan in den ersten Tagen. Auch wenn der Krater im exokrinen Pankreas nach Entfernung des Tumors tief ist, wird keine Anastomose mit einer nach Roux ausgeschalteten Dünndarmschlinge vorgenommen. Dies ist nur dann zu empfehlen, wenn man den Verdacht hat, den Pankreashauptgang oder einen großen Nebengang verletzt zu haben. Die Nachbarschaft zu großen Pankreasgängen lässt sich jedoch durch intraoperative Sonographie meistens klären. In die Nähe der Höhle im Pankreas, in der der Tumor lag, wird eine JacksonPratt-Drainage eingelegt. Die meisten pankreatischen Gastrinome liegen im Gastrinomdreieck und damit im Duodenum oder Pankreaskopf (. Abb. 5.43).
5
. Abb. 5.43. Sogenanntes Gastrinomdreieck, die Region, wo die meisten Gastrinome zu finden sind
Extrem selten sind Gastrinome im Pankreaskorpus oder -schwanz gelegen (Weber et al. 1995). Hier ist eine milzerhaltende Resektion des Pankreas bis in Höhe des Tumors die Methode der Wahl und eine Abnaht des Pankreas rechts vom Tumor, entweder mit einem linearen Stapler oder 4/0-PDS-Einzelknopfnähten. Sehr selten kommen primäre Gastrinome auch in Lymphknoten vor. Norton u. Jensen (2004) fanden unter 138 Patienten mit sporadischem ZES 22 Patienten, die nach Entfernung eines oder mehrerer Lymphknoten (aber keines Primärtumors) biochemisch geheilt waren (negativer Sekretintest). Nach einem Follow-up von median 11,3 Jahren hatten immer noch 16 Patienten einen negativen Sekretin-Test, nur bei 6 lag ein Rezidiv vor. Somit konnte das Vorliegen von primären Gastrinomen in Lymphknoten wahrscheinlich gemacht werden.
In jeden Fall ist eine Lymphknotendissektion um den Pankreaskopf herum, auch wenn man einen Primärtumor gefunden hat, ein integraler Bestandteil der Operation.
Lymphknotenmetastasen sind bei etwa 50–70% der Patienten mit sporadischem Gastrinom zu erwarten. Der Autor entfernt Lymphknoten im Lig. hepatoduodenale, hinter dem Pankreaskopf und interaortokaval. Wird kein Primärtumor gefunden, sind blinde Resektionen nicht angezeigt, da die Protonenpumpeninhibitoren so effizient sind, dass zu erwartende Komplikationen im Bereich des Magens (Blutung, Perforation) vermieden werden. Operatives Vorgehen bei Gastrinomem im Rahmen des MEN-1-Syndroms
Die Gruppe des Autors dieses Kapitels konnte zeigen, dass ein aggressives chirurgisches Vorgehen bei Patienten mit Gastrinomen im Rahmen des MEN-1-Syndroms langfristig in der Lage ist, die Entstehung von Lebermetastasen zu vermeiden. Unter
430
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5
. Abb. 5.44. Präparatefoto nach Exzision von multiplen Duodenalwandgastrinomen bei MEN-1-Syndrom
11 Patienten mit MEN-1-ZES fand sich nur 1 Patient mit Lebermetastasen, dies allerdings schon bei der Erstoperation. In einem Follow-up von 10±3 Jahren konnte bei keinem der übrigen Patienten die Entwicklung von Lebermetastasen – dem determinierenden Prognosefaktor – gesehen werden (Bartsch et al. 2005). Die Indikation zur operativen Behandlung eines MEN-1ZES ist nach Einschätzung der Autoren dann gegeben, wenn die Diagnose gestellt ist und keine diffusen Lebermetastasen vorliegen. Wahrscheinlich gehen die meisten Autoren wie folgt vor: Die Operation beginnt wie beim sporadischen Gastrinom mit einer Exploration des Abdomens über einen bilateralen subkostalen Zugang, einer Inspektion, Palpation und Sonographie der Leber. Anschließend wird ein Kocher-Manöver durchgeführt und auch Pankreaskopf- und -schwanz von der retroperitonealen Unterlage befreit. Nach sorgfältiger Palpation der Drüse wird eine intraoperative Sonographie des Pankreas durchgeführt. Es folgt obligatorisch eine Längsduodenotomie und Palpation von Duodenalvorder- und -hinterwand. Nach Exzision der meist multipel vorhandenen Mikrogastrinome im Duodenum wird dieses wieder verschlossen (. Abb. 5.44). Anschließend erfolgt eine Lymphknotendissektion um den Pankreaskopf herum und im Lig. hepatoduodenale sowie eine milzerhaltende Pankreaslinksresektion.
Diese von Thompson in den 90er-Jahren empfohlene Operation (Thompson et al. 1989) ist in ihrem Effekt umstritten. Die Rezidivneigung liegt zwischen 20 und 60%. Insbesondere ist die als Bestandteil der Operation empfohlene Linksresektion des Pankreas wahrscheinlich überflüssig. Norton et al. konnten 2001 zeigen, dass hervorragende Ergebnisse in der operativen Behandlung des MEN-1-ZES ohne Pankreaslinksresektion erzielt werden konnten. Auf jeden Fall müssen endokrine Tumoren im Pankreaskopf, wenn sie größer als 1 cm sind, entfernt werden. Bei Vorliegen eines MEN-1-ZES und Mikrogastrinomen im Duodenum sind endokrine Tumoren im Pankreas meist nicht auch Gastrinome, sondern entsprechend PPomen oder gelegentlich auch Insulinomen (Weber 1995).
. Abb. 5.45. Juxtapapilläres duodenales Mikrogastrinom (Papille mit Sonde markiert). Entfernung durch pyloruserhaltende Duodenopakreatektomie als Reoperation nach lokaler Exzision von Duodenalwandgastrinomen und Rezidiv des Zollinger-Ellison-Syndroms
Die Lokalexzision von Duodenalwandgastrinomen ist von einer hohen Rezidivrate gefolgt. Aus diesem Grunde haben sich die Autoren dieses Kapitels entschlossen, auch bei dieser Erkrankung mit relativ guter Prognose, eine Whipple-Operation durchzuführen (. Abb. 5.45). Die Ergebnisse sind deutlich besser als bei lokaler Exzision oder auch der Thompson-Operation. Die meisten Autoren konnten – allerdings in kleinen Serien – eine biochemische Heilung bei 60–100% der Patienten erreichen (. Tab. 5.11). Die Autoren selbst haben bei 4 von 5 Patienten mit einem MEN-1-ZES nach Duodenopankreatektomie langfristig negative Sekretintests gesehen und geben dieser Operation den Vorzug vor anderen. Alternativ kommt auch eine pankreaserhaltende Duodenektomie in Frage, die von Imamura (2005) bei dieser Indikation durchgeführt wurde.
. Tab. 5.11. Ergebnissse der Duodenopankreatektomie bei Zollinger-Ellison-Syndrom in Serien mit 5 oder mehr Patienten. n.a. nicht angegeben
Autor/Jahr
Patientenzahl (MEN 1)
Krankheitsfrei n (%)
Follow-up (Durchschnitt/ Spannbreite)
Delcore u. Friesen 1992
5 (2)
3 (60)
8,5 (5–12)
Stadil 1995
12 (3)
11 (90)
6 (0,5–14)
Phan et al. 1997
6
6 (100)
2,5 (0,1–3,4)
Jordan 1999
8 (1)
1 (12)
1 (0–6)
Lairmore et al. 2000
5 (5)
n.a.
n.a.
Thodiyil et al. 2001
6
6 (100)
5,2 (1–6)
Rothmund 2006a
5 (5)
4 (80)
4,5 (1–8)
a
unpublizierte Daten
431 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Auch Reoperationen bei sporadischen und MEN-1-Gastrinomen sind sinnvoll. Jaskowiak et al. (1996) konnten immerhin bei 15 Reoperationen eine krankheitsfreie Rate von 23% erreichen. Der wichtigste prognostische Faktor bei neuroendokrinen Tumoren des Pankreas, auch der Gastrinome, sind Lebermetastasen (Yu et al. 1999; Cadiot et al. 1999). Daher sind Resektionen indiziert, wenn mehr als 90% der Tumormasse entfernt werden kann und wenn die Expertise des Zentrums so ist, dass niedrige Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken erwartet werden können (Norton et al. 1986). Literatur Bartsch DK, Fendrich V, Langer P, Celik I, Kann P, Rothmund M (2005). Outcome of duodenopancreatic resections in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 242:757–766 Cadiot G, Vuagnat A, Doukhan I et al. (1999) Prognostic factors in patients with Zollinger-Ellison syndrome and multiple endocrine neoplasia type 1. Gastroenterology 116:286–293 Dean PG, van Heerden JA, Farley DR et al. (2000) Are patients with multiple endocrine neoplasia type 1 prone to premature death? World J Surg 24:1437–1441 Delcore R, Friesen SR (1992) Role of pancreaticoduodenectomy in the management of primary duodenal wall gastrinomas in patients with Zollinger-Ellison-syndrome. Surgery 112:1016–1022 Doherty GM, Olson JA, Friesella MM et al. (1998) Lethality of multiple endocrine neoplasia type I. World J Surg 22:581–587 Fraker DL, Norton JA, Alexander HR et al. (1994) Surgery in Zollinger-Ellison syndrome alters the natural history of gastrinoma. Ann Surg 220:320– 330 Gibril F, Reynolds JC, Doppman JL et al. (1996). Somatostatin receptor scintigraphy: its sensitivity compared with that of other imaging methods in detecting primary and metastatic gastrinomas. Ann Int Med 125:26–34 Imamura M, Takahashi K, IsobeY et al. (1989). Curative resection of multiple gastrinomas aided by selective arterial secretin injection test and intraoperative secretin test. Ann Surg 210:710–718 Imamura M, Komoto I, Doi R et al. (2005) New pancreas-preserving total duodenectomy technique. World J Surg 29:203–207 Jaskowiak NT, Fraker DL, Alexander HR et al. (1996) Is reoperation for gastrinoma excision in Zollinger-Ellison syndrome (ZES) indicated? Surgery 120:1057–1063 Jordan PH Jr (1999) A personal experience with pancreatic and duodenal neuroendocrine tumors. J Am Coll Surg 189:470–482 Lairmore TC, Chen VY, DeBenedetti MK et al. (2000) Duodenopancreatic resections in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 231:909–918 Norton JA, Doppman JL, Gardner JD et al. (1986) Aggressive resection of metastatic disease in selected patients with malignant gastrinoma. Ann Surg 203:352–359 Norton JA, Fraker DL, Alexander HR et al. (1999) Surgery to cure the Zollinger-Ellison Syndrome New Engl J Med 341:635–644 Norton JA, Alexander HR, Fraker DL et al. (2001) Comparison of surgical results in patients with advanced an limited disease with multiple endocrine neoplasia type 1 and Zollinger-Ellison syndrome. Ann Surg 234:495–506 Norton JA, Alexander HR, Fraker DL et al. (2004) Does the use of routine dudenotomy (DUODX) affect rate of cure, development of liver metastases, of survival in patients with Zollinger-Ellison Syndrome? Ann Surg 239:617–626 Norton JA und Jensen RT (2004) Resolved and unresolved controversies in the surgical management of patients with Zollinger-Ellison-Syndrom. Ann Surg 240:757–771 Phan GQ, Yeo CJ, Cameron JL et al. (1997) Pancreaticoduodenectomy for selected periampullary neuroendocrine tumors: fifty patients. Surgery 122:989–997 Skogseid B, Öberg K, Akerström G et al. (1998) Limited tumor involvement found at multiple endocrine neoplasia type I pancreatic exploration:
5
Can it be predicted by preoperative tumor localization? World J Surg 22:673–678 Stadil F (1995) Treatment of gastrinomas with pancreaticoduodenectomy. In: Mignon M, Jensen RT (eds) Endocrine tumors of pancreas: recent advances in research and management: frontiers in gastrointestinal research. Karger, Basel, pp 333–341 Sugg SL, Norton JA, Fraker DL et al. (1993) A prospective study of intraoperative methods to find and resect duodenal gastrinomas. Ann Surg 218:138–143 Thodiyil PA, El-Masry NS, Silliamson RC (2001) Achieving eugastrinaemia in Zollinger-Ellison syndrome: resections or enucleation? Dig Surg 18:118–123 Thompson NW, Bondeson AG, Bondeson L et al. (1989) The surgical treatment of gastrinoma in MEN 1 syndrome patients. Surgery 106:1081– 1086 Weber HC, Venzon DJ, Lin JT et al. (1995) Determinants of metastatic rate and survival in patients with Zollinger-Ellison Syndrome: A prospective long-term study. Gastroenterology 108:1637–1649 Yu F, Venzon DJ, Serrano D et al. (1999) Prospective study of the clinical course, prognostic factors, causes of death, and survival in patients with long-standing Zollinger-Ellison Syndrome J Clin Oncol 17:615– 630
5.4.3 Nichtfunktionelle neuroendokrine
Pankreastumoren D.K. Bartsch, V. Fendrich, M. Rothmund ) ) Nichtfunktionelle neuroendokrine Tumoren des Pankreas (NFPET) sind nicht mit einem durch Hormonüberproduktion bedingten klinischen Syndrom assoziiert und sind damit hormonell »stumm«. NF-PET wachsen zwar langsam, sind aber in bis zu 70% maligne. Aufgrund ihrer Größe bei Diagnosestellung (meist >5 cm) sind die Tumoren durch Bildgebung mittels CT, MRT oder Sonographie meist problemlos zu detektieren bzw. das Metastasierungsausmaß festzulegen. Eine positive Somatostatinrezeptor-Szintigraphie ist hilfreich bei der Differenzialdiagnose, vor allem zum duktalen Pankreaskarzinom, und bei der Evaluierung von Fernmetastasen. Beim Vorliegen von multiplen kleinen NF-PET sollte immer an ein MEN-1-Syndrom gedacht werden, da es die häufigsten PET im Rahmen dieser Erkrankung sind. Die einzig kurative Therapieoption für NF-PET ist die chirurgische Resektion. Kleine Tumoren (<2 cm) ohne Hinweis auf Filialisierung können enukleiert werden. Größere und maligne Tumoren werden durch formale Pankreasresektion mit Ausräumung des lokalen Lymphabflussgebietes behandelt. Liegt eine synchrone Lebermetastasierung vor, sollte je nach Ausmaß und Konstitution des Patienten zusammen mit der Pankreasresektion oder auch zweizeitig die Resektion der Metastasen erfolgen. Die 5-Jahres-Überlebensraten nach R0-Resektion liegen bei 50–70%. Bei diffuser Lebermetastasierung können durch palliative Therapieverfahren wie z. B. Chemoembolisation und Radiofrequenzablation ebenfalls beachtliche Überlebenzeiten erreicht werden.
5.4.3.1 Definition Nichtfunktionelle neurendokrine Tumoren des Pankreas (NFPET) rufen klinisch kein hormonelles Syndrom hervor, da sie entweder zu geringe Mengen an funktionell aktiven Hormonen,
432
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
inaktive Vorstufen oder aber Hormone, die beim Menschen zu keinem typischen klinischen Krankheitsbild führen (z. B. pankreatisches Polypeptid), produzieren. Der Begriff »nichtfunktionell« wird unterschiedlich gesehen. Manche Autoren klassifizieren einen endokrinen Pankreastumor als nichtfunktionell, wenn keine klinischen Symptome eines Hormonexzesses vorhanden sind, auch wenn im Serum radioimmunologisch erhöhte Hormonspiegel nachweisbar sind. Von den meisten Autoren werden NF-PET definiert als Inselzelltumoren, die keine hormonbedingte Symptomatik verursachen und die keine erhöht messbaren Hormonkonzentrationen im Serum verursachen. 5.4.3.2 Epidemiologie und Pathologie Endokrine Pankreastumoren finden sich bei 0,4–1,5% aller Autopsiefälle, ihre Prävalenz wird auf 1/100.000 geschätzt (Klöppel 2003). Der Anteil der NF-PET unter allen neuroendokrinen Tumoren des Pankreas beträgt, je nach Definition, 25–40%. Betrachtet man nur die Gruppe der Inselzellkarzinome, steigt der Anteil der NF-PET auf bis zu 65% (Lo et al. 1996). Die Mehrzahl der NF-PET ist größer als 3 cm, solide und im Pankreakopf lokalisiert. Es wird geschätzt, dass bis zu 90% der sporadischen NF-PET maligne sind, und nicht selten liegt bei Diagnosestellung bereits ein metastasiertes Leiden vor (Broughan et al. 1986; Solorzano et al. 2001). Dies beruht auf dem meist indolenten Wachstumsverhalten der Tumoren und der fehlenden Hormonüberproduktion, das oft eine Diagnoseverzögerung von 4–6 Jahren zur Folge hat (Jensen et al. 1999). Typischerweise werden NF-PET im 5. und 6. Lebensjahrzehnt diagnostiziert, wobei es keine Geschlechtsprädilektion gibt (Jensen et al. 1999).
Als Nachweis der Malignität gelten per Definition Metastasen oder eine direkte Invasion in angrenzende Organe (Klöppel 2003). Tumorgröße, Angioinvasion, ein hoher Ki67-Proliferationsindex dienen als weitere Hinweise auf ein potenziell malignes Verhalten.
Eine Sonderstellung nehmen die NF-PET bei vererbter Prädisposition im Rahmen der multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN 1) und des Von-Hippel-Lindau-Syndroms (VHL) ein. Diese Tumoren sind meist klein, benigne und multiple vorhanden. NF-PET sind der häufigste endokrine Pankreastumor bei der MEN 1 und werden bei Mutationsträgern im Rahmen von Screening-Programmen durch Endosonographie häufig schon in der 3. Lebensdekade nachgewiesen. Beim Vorliegen von multiplen endokrinen Pankreastumoren sollte daher auch beim Fehlen einer familiären Vorbelastung immer an ein MEN-1-Syndrom gedacht werden. 5.4.3.3 Ätiopathogenese Die Ursache der Entstehung von NF-PET ist noch ungeklärt, allerdings scheinen Rauchen, Alkohol und Diabetes als Risikofaktoren keine Rolle spielen (Gullo et al. 2003). Die meisten NF-PET sind sporadisch und treten solitär auf. Eine geringerer, bisher nicht genau zu bestimmender Anteil tritt im Rahmen der autosomal-dominant vererbten Syndrome MEN 1 und VHL auf (Jensen et al. 1999), die durch Keimbahnmutationen im MEN-1-Gen auf Chromosom 11q13 bzw. im VHL-Gen auf Chromosom 3p25-26 verursacht werden.
Es gibt nur wenige Studien mit geringen Fallzahlen, die die molekulare Pathogenese bei NF-PET untersucht haben (Űbersicht in Wild et al. 2003). Muscarella et al. (1998) konnten eine Inaktivierung von p16 durch homozygote Deletion oder Methylierung in 92% der Tumoren nachweisen, während Bartsch et al. dies in 55% für das Tumorsuppressorgen DPC4/Smad4 gelang (Bartsch 1999). Allerdings konnte diese Zahlen in einer weiteren Studie nicht bestätigt werden (Perren et al. 2003). In einer kűrzlich veröffentlichten Studie untersuchten House et al. (2003) den Methylierungsstatus von 11 Tumorsuppressorgenen bei vorrangig NF-PET und fanden eine Methylierung von RASSF1A in 75% der Tumoren. Auch wenn verschiedene Genalterationen nachgewiesen wurden, bleibt die Tumorgenese größtenteils noch ungeklärt. 5.4.3.4 Klinische Symptomatik NF-PET führen zu keinem spezifischen klinischen Syndrom. Die Diagnose der NF-PET wird daher häufig erst relativ spät gestellt, da lediglich durch die Tumormasse Symptome hervorgerufen werden, vergleichbar denen exokriner Pankreastumoren. Die häufigsten Symptome bei Patienten mit sporadischen NF-PET sind unspezifische abdominelle Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö), Ikterus, Gewichtsverlust bzw. eine palpable Tumormasse im Abdomen (. Tab. 5.12). Selten verursachen NF-PET eine obere gastrointestinale Bultung aufgrund einer Tumorinvasion in den Magen bzw. in das Duodenum (Matthews et al. 2000). Ein Diabetes mellitus kann sich ebenfalls entwickeln, meist geschieht dies kurz vor Diagnosestellung als Zeichen der fortschreitenden Zerstörung von normalem Pankreasgewebe (Gullo et al. 2003). Die Tumorlokalisation ist maßgeblich verantwortlich für die Art der auftretenden Symptome. NF-PET im Pankreakopf führen häufig durch Obstruktion des intrapankreatisch verlaufenden Gallenganges zu einem Ikterus oder durch Irritation intrapankreatischer Nerven zu Rückenschmerzen, während sich Tumoren linksseitig der angesprochenen Gefäße eher durch unspezifische Oberbauchschmerzen bzw. als palpable Masse bemerkbar machen, oft aber sehr lange asymptomatisch bleiben (Kouvaraki et al. 2005). In 10–15% der Fälle werden NF-PET zufällig bei einer abdominellen Exploration oder einer radiologischen Untersuchung wegen eines unabhängigen Problems entdeckt (Lo et al. 1996). Anders verhält es sich bei NF-PET im Rahmen der MEN 1. Diese werden heute bei asymptomatischen Mutationsträgern durch regelmäßige Screening-Programme mittels Endosonographie sehr frühzeitig bereits bei einer Größe ab 3–5 mm nachgewiesen (Akerstrom et al. 2002; Langer et al. 2004). Allerdings ist bisher nicht hinreichend geklärt, welche Wachstumtendenz diese NF-PET haben und vor allem ab welcher Größe eine maligne Transformation stattfindet. 5.4.3.5 Diagnostik Anamnese. Zur Diagnose bzw. Abgrenzung der NF-PET gegenüber dem Adenokarzinom und funktionellen PET, sollte bei den Patienten zunächst eine ausgiebige Anamnese erhoben werden. Ziel ist es, neben relevanten Begleiterkrankungen des Patienten, funktionell aktive Tumoren und das Vorliegen eines MEN-1-Syndroms auszuschließen bzw. zu erfassen. So sollte insbesondere nach Art und Dauer der Symptome, speziell nach Hyperglykämien (Glukagonom, Somatostatinom), Hypoglykämien und damit verbundene psychischen Auffälligkeiten (Insulinom), Ulkuserkrankungen (Gastrinom) und Diarrhö (Gastrinom, VIPom),
5
433 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
. Tab. 5.12. Symptome bei Patienten mit sporadischen NF-PET. n.b. nicht bestimmt
Autor/Jahr
Anzahl Patienten
Abdominale Beschwerden (%)
Ikterus (%)
Gewichtsverlust (%)
Palpable Tumormasse (%)
Cheslyn-Curtis et al. 1993
20
35
35%
30
40
Phan et al. 1998
64
56
35
46
n.b.
Matthews et al. 2000
38
68
21
32
7
Chu et al. 2002
29
55
17
34
n.b.
Marburg 2004 (nicht publiziert)
34
48
26
21
11
gefragt werden. Typischerweise berichten die Patienten schon Monate vor der eigentlichen Diagnose über entsprechende Symptome. Die Anamnese bezüglich eines MEN-1-Syndroms zielt hier insbesondere auf andere endokrine Erkrankungen (Hypophysenadenom, Hyperparathyreoidismus) beim Patienten bzw. innerhalb der Familie ab. Die sorgfältige klinische Untersuchung sollte insbesondere den Status der Ernährung, die Hautfarbe (Ikterus) und evtl. atypische Erscheinungen (Erythema necrolyticans migrans beim Glukagonom) umfassen. Die Palpation des Abdomens dient der Entdeckung einer Raumforderung. Wird ein funktionell aktiver endokriner Pankreastumor vermutet, sind Insulin, Gastrin, Glukagon, Somatostatin und pankreatisches Polypeptid im Serum zu bestimmen, beim Verdacht auf ein MEN-1-Syndrom sollte ein biochemisches Screening gemäß den aktuellen Empfehlungen erfolgen und eine Mutationsanalyse des MEN-1-Gens eingeleitet werden (Bartsch et al. 2005; Doherty 2005; Langer et al. 2004). Labordiagnostik. NF-PET können eine ganze Vielzahl von Hormonen, Proteinen und Glykoproteinen produzieren, vor allem Chromogranin A (CgA), neuronenspezifische Enolase, β-hCG und pankreatisches Polypeptid (PP) (Kouvaraki et al. 2005). Da der Serumspiegel von CgA bei 60–100% der Patienten mit NFPET erhöht ist, ist CgA momentan der sensitivste Tumormarker. Die Sensitivitäts- und Spezifitätsraten bewegen sich zwischen 70 und 100% für den Nachweis eines endokrinen Pankrastumors (Kouvaraki et al. 2005). Die Höhe des CgA-Spiegels im Serum scheint mit der Größe des Tumors zu korrelieren, ohne zu unterscheiden, ob es sich bei dem Tumor um einen NF-PET oder einen funktionellen neuroendokrinen Tumor handelt. Nützlich ist das CgA vor allem als postoperativer Verlaufsmarker, da ein normaler postoperativer CgA-Wert eine Spezifität von mindestens 85% für Tumorfreiheit besitzt (Bajetta et al. 1999). Bei bis zu 75% der NF-PET sind auch erhöhte PP-Spiegel im Blut nachweisbar. PP-Spiegel korrelieren jedoch kaum mit der Tumorlast, bleiben nach erfolgter Resektion des Tumors oft erhöht und sind manchmal sogar in Patienten ohne neuroendokrine Pankreastumoren erhöht (Kouvaraki et al. 2005). Beachtet werden muss auch, dass PP postprandial ebenso ansteigt, wie bei älteren Menschen, Diabetikern, nach Alkoholabusus, nach Darmresektion, bei chronischer Niereninsuffizienz und bei peptischen Ulzera (Kouvaraki et al. 2005).
5.4.3.6 Lokalisationsdiagnostik Da die meisten (ca. 70%) der sporadischen NF-PET bei Diagnosestellung ≥5 cm im Durchmesser sind, ist die präoperative Lo-
kalisation unproblematisch (Cheslyn-Curtis et al. 1993, Bartsch et al. 2000). Bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT), Kernspintomographie (MRT) und der Ultraschall (US) hatten in unserem Patientengut jeweils Detektionsraten von >90% (. Tab. 5.13).
Die hochauflösende, multiphasische Dünnschicht-Spiralcomputertomographie ist heute die Methode der Wahl, um NF-PET und ihre eventuell vorhandenen Metastasen nachzuweisen (Noone et al. 2005).
Computertomographie. NF-PET zeigen sich im Gegensatz zum
normalen Pankreasgewebe und zu duktalen Pankreaskarzinomen nach Applikation von Kontrastmittel hyperdens und können aufgrund ihrer Größe nekrotische und zystische Herde aufweisen. Darum gelingt der Nachweis der Tumoren besonders gut in der arteriellen Phase der Untersuchung. Der Zeitpunkt nach Kontrastmittelinjektion ist äußerst wichtig, da sich die hypervaskulären Tumoren 20–30 s nach Gabe des Kontrastmittels besonders anreichern und vereinfacht darstellen lassen (Kouvaraki et al. 2005). Magnetresonanztomographie. Wie die CT, so erzielt auch das
MRT, insbesondere mit Fettsuppression, bei der Lokalisation von NF-PET hohe Sensitivitätsraten (. Abb. 5.46). Owen et al. (2001) konnten 29 von 31 Tumoren (94%) mittels MRT identifizieren, wobei es sich bei den 2 nicht detektierten Tumoren um 5 und 7 mm große NF-PET im Pankreasschwanz handelte.
. Tab. 5.13. Präoperative Lokalisationsdiagnostik bei 34 NFPET im eigenen Krankengut (1987–2004)
Lokalisationsverfahren (Anzahl Patienten)
Erfolgreiche Lokalisation
Endosonographie (n=8)
5/8 (63%)
Angiographie (n=7)
5/7 (71%)
Computertomographie (n=24)
22/24 (92%)
Ultraschall (n=28)
27/28 (96%)
Kernspintomographie (n=12)
11/12 (92%)
Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (n=19)
12/19 (63%)
434
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Abb. 5.46. MRT eines 15×20 cm großen NF-PET im Pankreaskopf. Kein Hinweis auf Fernmetastasierung. Der Tumor ließ sich durch totale Pankreatektomie mit Pfortaderersatz resezieren
5
Sonographie. Aufgrund ihrer Größe werden bis zu 100% der
NF-PET im transabdominellen Ultraschall gefunden, obwohl der Erfolg sehr von den Fähigkeiten des jeweiligen Untersuchers abhängig ist. Verglichen mit normalem Pankreasgewebe, stellen sich NF-PET mit einer verminderten Echogenität und einer feineren Parenchymstruktur dar. In der kontrastmittelverstärkten Sonographie ist meist ein deutliches Anfluten des Kontrastmittels im Tumor zu beobachten (Kouvaraki et al. 2005). Da die Großzahl der sporadischen NF-PET größer als 2 cm und damit durch CT oder MRT leicht detektierbar ist, spielt die Endosonographie (EUS) in diesem Zusammenhang keine wesentliche Rolle. Anders verhält es sich bei der MEN 1. Hier ist die EUS die sensitivste Untersuchungsmethode zur Aufdeckung von NF-PET und anderen endodkrinen Pankreastumoren bei asymptomatischen Mutationsträgern im Rahmen der regelmäßigen Screening-Programme (Langer et al. 2004; Doherty 2005). Es gelingt mit der EUS die meist hypoechogenen NF-PET ab einer Größe von 3–5 mm zu detektieren. Somatostatinrezeptor-Szintigraphie. Viele NF-PET exprimieren im Gegensatz zu duktalen Pankreaskarzinomen Somatostatinrezeptoren, vor allem den Rezeptorsubtyp 2. Daher können NF-PET durch eine Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (SRS) mittels radioaktiv markierter Somatostatinanaloga (Octreotid und Pentatreotid) mit einer Sensitivität von bis zu 90% dargestellt werden (Virgolini et al. 2005). Allerdings ist die Methode von der Rezeptordichte abhängig, sodass Primärtumoren und Metastasen kleiner als 1 cm im Durchmesser sich häufig nicht visualisieren lassen. Dennoch ist die SRS nicht nur zur Abgrenzung gegenüber exokrinen Pankreastumoren die wesentliche Untersuchung, sondern auch allen anderen Untrersuchungen im Staging der Erkrankung überlegen. Feinnadelpunktion. Die Abgrenzung von malignen NF-PET gegenüber exokrinen Pankreastumoren durch ultraschall- oder CT-gesteuerte Feinnadelpunktion und -zytologie ist nach Literaturangaben (Voss et al. 2000) und eigener Erfahrung (Bartsch
et al. 2000) weniger zuverlässig als durch SRS. Aus diesem Grund wird von vielen darauf verzichtet. Angiographie. NF-PET stellen sich zwar in der selektiven Angiographie des Truncus coeliacus bzw. der A. mesenterica superior hypervaskulär dar und können aufgrund ihrer Größe hierdurch in etwa 80% der Fälle nachgewiesen werden (Cheslyn-Curtis 1993). Da die heute verfügbaren CT- und MRT-Technologie ebenfalls eine Hypervaskularität darstellt, sowie Fragen zur Gefäßinfiltration zuverlässig beantworten können, ist eine Angiographie als invasives Verfahren nur noch in Ausnahmefällen indiziert. Intraoperative Sonographie. Die intraoperative Sonographie
(IOUS) ist insbesondere zur Lokalisation funktionell aktiver Tumoren von großem Nutzen, da sie klein sind und nur in 50% der Fälle präoperativ gesehen werden. Da NF-PET vergleichsweise größer sind, ist der Einsatz der IOUS zur Lokalisation des Primärtumors nicht notwendig. Hier hat die IOUS ihren Stellenwert lediglich zum Auschluss bzw. Nachweis von Lebermetastasen. 5.4.3.7 Differenzialdiagnostik Die Differenzialdiagnose bei Patienten mit NF-PET schließt vor allem funktionell aktive Pankreastumoren und exokrine Pankreaskarzinome ein. Die Abgrenzung gegenüber funktionell aktiven PET ist durch Hormonbestimmung und entsprechende Funktionstests möglich und wird ausführlich in den 7 Kap. 5.4.1, 5.4.2 und 5.4.4 beschrieben. Eine diagnostische Abgrenzung eines NFPET zum duktalen Pankreaskarzinom ist erforderlich (. Tab. 5.14), da Therapie, Ausmaß des chirurgischen Eingriffs und Prognose beider Erkrankungen sehr unterschiedlich sind. Wir empfehlen folgendes Vorgehen: Sollte bei einem Patienten in der Sonographie des Abdomens ein hormoninaktiver Pankreastumor diagnostiziert worden sein, sind zur Differenzialdiagnose zunächst eine Dünnschichtspiral-CT oder eine »One-stop-shop«-MRT indiziert. Handelt es sich um einen großen Pankreastumor, der nicht die typischen bildmorphologischen Kriterien eines exokri-
5
435 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
. Tab. 5.14. Differenzialdiagnose duktales Pankreaskarzinom versus NF-PET
Studie
Patientenzahl
Resektionsrate
5-Jahres-/ 10-JahresÜberlebenszeit (%)
Kent et al. 1981
25
60
60/44
Broughan et al. 1986
21
57
63/55
Meist positiv
Thompson et al. 1988
27
51
58
Meist positiv
Lo et al. 1996
34
52
49
Solorzano et al. 2001
163
38
43
Marburg 2005 (nicht publiziert)
34
85
69/54
Pankreaskarzinom
NF-PET
Tumorgröße
Meist <5 cm
Meist >5 cm
Computertomographie
Hypodens Keine Kalzifikationen
Hyperdens Manchmal Kalzifikationen
Chromogranin A im Serum
Negativ
SomatostatinrezeptorSzintigraphie
Negativ
nen Tumors aufweist, sollte immer eine SRS angefertigt werden. Ist diese positiv, ist die Diagnose NF-PET hochwahrscheinlich. Ist die SRS negativ kann noch eine CT- oder US-gesteuert FNA angeschlossen werden. Allerdings ist mit einem klärenden Ergebnis nur in ca. 50–60% der Fälle zu rechnen. Wir verzichten daher auf die FNA und favorisieren bei allen Patienten, denen man einen operativen Eingriff zumuten kann, eine Probelaparotomie mit Biopsie und ggf. Resektion des Tumors. 5.4.3.8 Operative Therapie 5.4.3.8.1 Indikationsstellung Die chirurgische Therapie spielt unter den Optionen bei NFPET die entscheidende Rolle. Das Hauptziel ist die potenziell kurative R0-Resektion des Primärtumors und seiner Metastasen, da dies die einzige Heilungschance für die Patienten darstellt, Symptome lindert und die Überlebensrate steigert (. Tab. 5.15; . Abb. 5.47 und 5.48; Lo et al. 1996; Solorzano et al. 2001; Dralle et al. 2004). Im Gegensatz zum duktalen Adenokarzinom des Pankreas, an dem mindestens 80% der Patienten im ersten Jahr nach Diagnosestellung versterben, sind NF-PET sehr langsam wachsende Tumoren. Viele Patienten überleben . Abb. 5.47. CT eines NF-PET im Pankreaskopf (Raute) mit solitärer Lebermetastase im Segment 3 (Pfeil)
. Tab. 5.15. Ergebnisse chirurgischer Therapie von NF-PET
5 Jahre und länger, selbst wenn Metastasen vorliegen (Bartsch et al. 2000; Solorzano et al. 2001; Dralle et al. 2004). Daher ist die Indikation zur Operation bei Patienten mit NF-PET ohne diffuse Fernmetastasierung immer gegeben. Dies schließt auch benigne, kleine NF-PET ein, da diese ein signifikantes Potenzial zur malignen Entartung haben. Prinzipiell ist bei NF-PET ein agrressives chirurgisches indiziert, da selbst große Tumormassen mit limitierter Metastasierung in 40–80% resektabel sind (Bartsch et al. 2000; Solorzano 2001). 5.4.3.8.2 Operative Therapie beim sporadischen NF-PET Die Operation beginnt mit dem Ausschluss einer diffusen Lebermetastasierung durch Inspektion, Palpation und intraoperative Sonographie. Kleine sporadische NF-PET (<2 cm) ohne Hinweise auf Metastasierung sollten parenchymsparend enukleiert werden, sofern dies ohne Verletzung des Pankreasganges durchgeführt werden kann. Bei Patienten mit größeren NF-PET im
436
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Abb. 5.48. Operationspräparat (WhippleOperation) des im CT in . Abb. 5.47 dargestellten sporadischen NF-PET (Pfeil) mit atypischer resezierter Lebermetastase.
5
Bereich des Pankreaskopfes sollte dagegen immer eine partielle Pankreatikoduodenektomie durchgeführt werden. Hierbei ist inzwischen, wenn technisch möglich, die pyloruserhaltende Variante die Methode der Wahl, da in prospektiv, randomisierten Studien die Gleichwertigkeit der pyloruserhaltenden Pankreatikoduodenektonie gegenüber der klassischen Operation nach Whipple dokumentiert wurde (Tran et al. 2004). Bei großen sporadischen NF-PET im linksseitigen Pankreas ist eine Pankreaslinksresektion mit Splenektomie indiziert. Eine milzerhaltende Pankreaslinksresektion ist zwar theoretisch möglich, sollte aufgrund der hohen Rate peripankreatischer Lymphknotenmetastasen aus onkologischen Gründen nicht vorgenommen werden. Das gleiche gilt für eine technisch mögliche laparoskopische Pankreaslinksresektion, solange nicht durch prospektive Studien belegt ist, dass Rezidiv- und Überlebensraten mit der konventionellen Operation vergleichbar sind. Da Lymphknotenmetastasen bei bis zu 83% der sporadischen NF-PET vorliegen, ist immer eine Ausräumung des lokalen Lymphabflussgebietes mit der En-bloc-Resektion des Primärtumors angezeigt (Dralle et al. 2004). Aufgrund des langsamen Wachstumsverhalten der malignen NF-PET ist die Resektion und Rekonstruktion von tumorinfiltrierten Gefäßtrukturen (z. B. V. porta), die Exhairese von Tumorthromben aus der Pfortader sowie auch die Resektion von synchronen Lebermetastasen indiziert (. Abb. 5.48; Lo et al. 1996; Bartsch et al. 2000; Dralle et al. 2004). Im eigenen Krankengut von 34 Patienten hatten 17 von 28 potenziell kurativ resezierten Patienten lokal fortgeschrittene Tumoren mit Lymphknotenmetastasen und 5 Patienten zusätzliche Lebermetastasen. Resektionen mit kurativer Intention sind in bis zu 80% der Fälle möglich mit 5-/10-Jahres-Überlebensraten von 43–69% bzw. 44–55% (. Tab. 5.15). Auch eine zytoreduktive Chirurgie (Debulking) hat bei Patienten ohne bzw. mit nur geringen Risikofaktoren ihre Berechtigung, wenn mindestens 90% der Tumormasse entfernt werden können. Eine kürzliche Studie an 163 Patienten hat gezeigt, dass die mediane Überlebenszeit von Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Tumorleiden, die nicht operativ therapiert wurden 5,2 Jahre, während sie bei Patienten bei denen eine Re-
sektion (R0, R1 oder R2) durchgeführt wurde, bei 7,1 Jahren lag (Solorzano et al. 2001). Komplikationen. Operationen bei NF-PET haben je nach Aus-
maß der Resektion Mortalitätsraten von 0–8% und Komplikationsraten von bis zu 40% (Matthews et al. 2000; Dralle et al. 2004). Häufige postoperative Komplikationen sind Pankreasfisteln, intraabdominelle Abszesse, Nachblutung und Pankreatitis. Wiederholte Resektionen wegen eines Lokalrezidivs und/oder neu aufgetretener Metastasen sind ebenfalls indiziert, um die Überlebenszeit zu verlängern (Lo et al. 1996; Bartsch et al. 2000). Im eigenen Krankengut konnte bei 3 Patienten durch bis zu 4 Reoperationen nach der Erstoperation Überlebenszeiten von 41 bis zu 180 Monaten erreicht werden, wobei 2 Patienten immer noch leben. Diese Ergebnisse sind mit denen anderer Arbeitsgruppen vergleichbar (Cheslyn-Curtis et al. 1993, Solarzano et al. 2001). Diffuse Fernmetastasierung. Dagegen ist aufgrund der Datenlage bisher unklar, ob Patienten mit diffuser Fernmetastasierung, vor allem der Leber, von der Entfernung des Primärtumors profitieren. In einer Studie von Solarzano und Mitarbeitern (2001) fand sich in dieser Situation zwar ein tendenzieller, aber kein signifikanter Überlebensvorteil für resezierte gegnüber nicht operierten Patienten mit median 3,0 Jahren versus 1,8 Jahren. Wir und andere halten bei guter körperlicher Konstitution des Patienten eine palliative Tumorresektion bei Vorliegen diffuser Fernmetastasen (z. B. Leber) für gerechtfertigt, um durch den Primärtumor bedingte Komplikationen wie obere gastrointestinale Blutung, gastrointestinale Obstruktion und Schmerzen, die in der Endphase der Tumorerkrankung auftreten, zu vermeiden. Allerdings muss bei Tumoren, die eine ausgedehnte Resektion und Rekonstruktion des Truncus coeliacus oder der mesenterikoportalen Achse erfordern, aufgrund einer deutlich erhöhten Morbitität und Mortalität die Indikation von Fall zu Fall sehr kritisch hinterfragt werden. Ob bei jungen Patienten mit diffuser Lebermetastasierung eine orthotope Lebertransplantation oder gar eine Exenteration des Oberbauches mit einer sog. Cluster-Transplantation der Le-
437 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
ber, des Duodenums, Dünndarms und des Pankreas sinnvoll ist, ist aufgrund der dürftigen Datenlage, die eine hohe Morbidität und eine relative geringe rezidivfreie 5-Jahres-Überlebensrate widerspiegelt, sehr fraglich (Fernandez et al. 2003). Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund des Spenderorganmangels und der Behandlungsalternativen für diffuse Lebermetastasen der sehr langsam wachsenden NF-PET. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse über 103 Patienten mit orthotoper Lebertransplantation bei hepatisch metastasierten neuroendokrinen Karzinomen, die 14 Patienten mit NF-PET einschloss, ergab eine 5-JahresÜberlebensrate von 47% (Lehnert et al. 1998). Allerdings waren Tumorrezidive häufig, sodass nur 39 (38%) Patienten nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 2 Jahren ohne Nachweis eines Rezidivs bzw. Metastasen lebten. 5.4.3.8.3 Chirurgische Therapie beim MEN-1-NF-PET Wie bereits oben erwähnt nehmen die hereditären NF-PET im Rahmen der MEN 1 eine Sonderstellung ein, da diese im Rahmen von Screening-Programmen bei asymptomatischen Mutationsträgern bereits ab einer Größe von 3–5 mm detektiert werden und fast immer multiple auftreten. Die Wachstumrate sowie die größenassoziierte Entartungstendenz sind bis heute nicht zuverlässig bekannt. Daher besteht kein Konsens, wann Patienten mit MEN-1-NF-PET operiert werden sollten. Lowney et al. 1998 konnten in einer retrospektiven Studie zeigen, dass bereits ab einer Größe von 1 cm ein bedeutendes Metastasierungspotenzial von 25% besteht. Dies wurde durch Erfahrungen unserer Arbeitsgruppe bestätigt (Bartsch et al. 2005). Aufgrund des potenziell malignen Verhaltens dieser NF-PET sehen wir und andere die Indikation zur Resektion ab einer dokumentierten Größe von ≥1 cm im Durchmesser (Akerstrom et al. 2002; Bartsch et al. 2005). Die Operation beginnt mit einer kompletten Pankreasfreilegung mit bidigitaler Palpation und intraoperativem Ultraschall, wodurch sich Tumoren ab 3 mm Größe darstellen lassen. Als Standardtherapie gilt eine Pankreaslinksresektion bis auf Höhe der mesenterikoportalen Gefäßachse mit Enukleation von Tumoren aus dem Pankreaskopf (. Abb. 5.49). Auf eine Lymphadenektomie und Splenektomie kann bei Patienten mit ausschließlich sehr kleinen Tumoren ohne Malignitätsverdacht verzichtet werden. Da einige bisher unerkannte MEN-1-Patienten nicht an
. Abb. 5.49. Operationspräparat einer milzerhaltenden Pankreaslinksresektion bei multiplen MEN-1-NF-PET. Makroskopisch sind drei von 3 mm bis 2 cm große Tumoren zu erkennen (Pfeile)
5
einem Screening-Programm partizipieren, kommt es vor, dass bei diesen Patienten die NF-PET erst entdeckt werden, wenn sie durch ihre enorme Größe Symptome hervorrufen. In diesen Fällen gelten die gleichen operativen Prinzipien wie für sporadische NF-PET. 5.4.3.8.4 Behandlungsalternativen bei diffus metastasierten NF-PET Die Behandlung von Patienten mit diffus, vor allem hepatisch metastasierten NF-PET gleicht im wesentlichen der Behandlung maligner funktioneller endokriner Pankreastumoren, wie in den 7 Kap. 5.1.4.4, 5.4.2.3 und 5.4.4 beschrieben. Unterschiedlich ist lediglich, dass Patienten mit NF-PET nicht durch ein hormonelles Syndrom gefährdet sind, das eingedämmt werden müsste. Bis heute gibt es zu all den palliativen Therapiemaßnahmen bei metastasierten endokrinen Pankreastumoren keine prospektiven, randomisierten Studien, sodass evidenzbasierte Empfehlungen nur schwer möglich sind. Hinzu kommt, dass bei nachfolgend zitierten Studien viele verschiedene Tumorentitäten (funktionelle und nichtfunktionelle Inselzelltumoren, Dünndarmkarzinoide) zu einer heterogenen Gruppe zusammengefasst wurden und darüber hinaus die Patienten meist gezielt einer bestimmten Therapiegruppe zugeteilt wurden. (Chemo-)Embolisation. Bei Patienten mit nicht-resektablen Lebermetastasen maligner NF-PET kann eine Embolisation der A. hepatica allein oder eine Chemoembolisation die Symptome und die Tumormasse kontrollieren, sowie die Überlebenszeit verlängern. Allerdings wird die Mortalität dieser interventionellen Maßnahmen mit bis zu 5–7% angegeben (Kress et al. 2003). Durch die selektive Embolisation der A. hepatica kommt es bei ca. 50% der Patienten zu einem Ansprechen ihres Tumorleidens (Kouvaraki et al. 2005). Die Ursache dieses Erfolges liegt daran, dass die meist sehr gut vaskularisierten Metastasen ihre Blutzufuhr hauptsächlich über die genannte Arterie beziehen. In 6 Studien mit Patientenzahlen zwischen 2 und 22 lag die durchschnittliche Ansprechdauer bei ca. 20 Monaten (Übersicht in Kouvaraki et al. 2005). Durch die Chemoembolisation wird eine 10- bis 15-fache höhere Konzentration des Chemotherapeutikums (meist Strep-
438
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
tozotocin oder Doxorubicin) am Tumor erreicht, gleichzeitig kann die systemische Toxizität um bis zu 85% gesenkt werden. Trotz des weit verbreiteten Einsatz der Chemoembolisation liegen keine randomisierten Daten vor, die einen Überlebensvorteil gegenüber dem Spontanverlauf belegen können (Kouvaraki et al. 2005). Allerdings haben 3 retrospektive Studien nach Chemoembolisation mediane Überlebensraten zwischen 40 und 50% gezeigt, was zwar deutlich schlechter war als median 70–75% nach chirurgischer Resektion der Lebermetastasen, aber besser als nach alleiniger Chemotherapie (Chamberlain et al. 2000; Yao et al. 2001; Touzios et al. 2005). Kryochirurgie und Radiofrequenzablation. Neuere Behandlungsalternativen stellen die ultraschallgesteuerte kryochirurgische Ablation sowie die Radiofrequenzablation (RFA) von nicht-resektablen Lebermetastasen dar. In einer kleinen Serie von 7 NF-PET konnte durch die kryochirurgische Behandlung eine mediane Überlebenszeit von 49 Monaten erreicht werden (Bilchik et al. 1997). Die perkutane oder intraoperative Radiofrequenzablation ist zurzeit die mit am häufigsten angewandte Prozedur zur lokalen Ablation von nicht-resektablen Lebermetastasen. Inzwischen deuten zwei erste kleine Pilotstudien an, dass auch Lebermetastasen von NF-PET hierdurch erfolgreich behandelt werden können. Hellman et al. (2002) konnten bei 21 Patienten 41 von 43 Lebermetastasen (96%) bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 2 Jahren erfolgreich therapieren. Berber et al. (2002) berichteten kürzlich über ihre Erfahrungen mit der RFA bei 34 Patienten mit Lebermetastasen von neuroendokrinen Tumoren. 28% der Patienten entwickelten neue Lebermetastasen, 25% extrahepatische Manifestationen und 13% ein lokales Metastasenrezidiv in der Leber. Die mittleren Überlebenszeiten nach Diagnose des Primärtumors, Erstentdeckung der Lebermetastasen und Durchführung der RFA lagen bei 5, 3 und 1,6 Jahren. Die Mortalität lag bei 0%, die Morbidität des Verfahrens bei 5%. Sollten sich diese ersten Erfahrungen an größeren prospektiv, randomisiert behandelten Patientenkollektiven bestätigen, wird die Rolle der RFA in der Behandlung von Lebermetastasen neuroendokriner Tumoren vorraussichtlich an Bedeutung zunehmen. Medikamentöse Therapie. Neben all diesen invasiven Behandlungsmöglichkeiten ist eine medikamentöse Therapie, insbesondere eine Chemotherapie, nach Auffassung vieler Internisten eine echte Alternative zur Behandlung nicht-resektabler, metastasierter NF-PET. Die Behandlung mit dem Somatostatinanalogon Sandostatin induziert einen Wachstumsstillstand durch den antiproliferativen Effekt bei mindestens 20% der Tumoren (Arnold et al. 1993). Der antiproliferative Effekt kann durch eine Kombination von Sandostatin und α-Interferon wahrscheinlich noch gesteigert werden. In einer Studie von Frank et al. (1999) resultierte die Gabe dieser beiden Substanzen in einer vorübergehenden Hemmung des Tumorwachstums bei 67% der Patienten. Durch Chemotherapie, meist Streptozotocin in Kombination mit Dacarbazin, Etoposid oder Cisplatin kann ebenfalls in vielen Fällen eine mittelfristige Tumorkontrolle erreicht werden (Moertel et al. 1992).
5.4.3.8.5 Zusammenfassung der Therapieoptionen Die Behandlung der ersten Wahl bei NF-PET ist ein radikal chirurgisches Vorgehen.
Dies gilt auch bei denjenigen Patienten mit metastasierten Tumoren, die ein niedriges Operationsrisiko haben und bei denen der Primärtumor und die Hauptmasse der Metastasen reseziert werden können. Obwohl viele NF-PET durch ein solches Vorgehen nicht definitiv geheilt werden können, sind fast immer lange Überlebenszeiten zu erreichen. Wenn nach einer solchen zytoreduktiven Chirurgie nicht-resektable Rezidive bzw. nicht-resektable Lebermetastasen auftreten bzw. bei Patienten, die primär aufgrund eines diffus metastasierten NF-PET keine Kandidaten für eine Operation sind, ist zunächst eine konservative Therapie mit Somatostatin und/oder α-Interferon bzw. eine Chemotherapie angezeigt. Diffuse Lebermetastasen können in individuell anzupassenden Konzepten mittels Chemoembolisation, Kryobzw. Radiofrequenzablation behandelt werden, um die Symptome zu lindern und die Überlebenszeit zu verlängern. Enorm wichtig wäre der Beleg der Wirksamkeit all dieser Verfahren in kontrollierten Studien, was bisher nicht der Fall ist. Basierend auf existierenden Daten ist eine Lebertransplantation zur Behandlung von Lebermetastasen oder eine abdominelle Exenteration mit Cluster-Transplantation nur im Ausnahmefall indiziert. Literatur Akerstrom G, Hessman O, Skogseid B (2002) Timing and extent of surgery in symptomatic and asymptomatic neuroendocrine tumors of the pancreas in MEN1. Langenbecks Arch Surg 386:558–569 Arnold R, Neuhaus C, Benning R, Schwerk WB, Trautmann ME, Joseph K, Bruns C (1993) Somatostatin analog sandostatin and inhibition of tumor growth in patients with metastatic endocrine gastroenteropancreatic tumors. World J Surg 17:511–519 Bajetta E, Ferrari L, Martinetti A et al. (1999) Chromogranin A, neuron specific enolase, carcinoembryonic antigen, and hydroxyindole acetic acid evaluation in patients with neureondocrine tumors. Cancer 86:858–865 Bartsch DK, Hahn SA, Danichevski KD et al. (1999) Mutations of the DPC4/ Smad4 gene in neuroendocrine pancreatic tumors. Oncogene 18: 2367–2371 Bartsch DK, Schilling T, Ramaswamy A, Gerdes B, Celik I, Wagner HJ, Simon B, Rothmund M (2000) Management of nonfunctioning islet cell carcinomas World J Surg 24:1418–1424 Bartsch DK, Fendrich V, Langer P et al. (2005) Outcome of duodenopancreatic resections in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 2421:757–764 Berber E, Flesher N, Siperstein AE (2002) Laparoscopic radiofrequency ablation of neuroendocrine liver metastases. World J Surg 26:985– 990 Bilchik AJ, Sarantou T, Wardlaw JC, Ramming KP (1997) Cryosurgery causes a profound reduction in tumor markers in hepatoma and noncolorectal hepatic metastases. Am Surg 63:796–800 Broughan TA, Leslie JD, Soto JM et al. (1986) Pancreatic islet cell tumors. Surgery 99:671–678 Chamberlain RS, Canes D, Brown KT, Saltz L, Jarnagin W, Fong Y, Blumgart LH (2000) Hepatic neuroendocrine metastases: Does intervention alter outcome? J Am Coll Surg 190:432–445 Cheslyn-Curtis S, Sitaram V, Williamson RCN (1993) Management of nonfunctioning neuroendocrine tumors of the pancreas. Br J Surg 80:625– 627 Chu QD, Hill HC, Douglass Jr HA, Driscoll D, Smith JL, Nava HR, Gibbs JF (2002) Predictive factors associated with long-term survival in patients with neuroendocrine tumors of the pancreas. Ann Surg Oncol 9:855–862 Doherty GM (2005) Multiple endocrine neoplasia type 1. J Surg Oncol 89:143–150 Dralle H, Krohn, SL, Karges W et al. (2004) Surgery of resectable nonfunctioning neureondocrine pancreatic tumors. World J Surg 28:1248– 1260
439 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Fernandez JA, Robles R, Marin C et al. (2003) Role of liver transplantation in the management of metastatic neuroendocrine tumors. Transplant Proc 35:1832–1833 Frank M, Klose KJ, Wied M, Ishaque N, Schade-Brittinger C, Arnold R (1999) Combination therapy with octreotide and alpha-interferon: Effect on tumor growth in metastatic endocrine gastroenteropancreatic tumors. Am J Gastroenterol 94:1381–1387 Gullo L, Migliori M, Falconi M et al. (2003) Nonfunctioning pancreatic endocrine tumors: a multicenter clinical study. Am J Gastroenterol 98:2435–2439 Hellman P, Ladjevardi S, Skogseid B, Akerstrom G, Elvin A (2002) Radiofrequency tissue ablation using cooled tip for liver metastases of endocrine tumors. World J Surg 26:1052–1056 House MG, Hermann JG, Cono MZ et al. (2003) Aberrant hypermethylation of tumor suppressor genes in pancreatic endocrine neoplasms. Ann Surg 238:423–432 Jensen RT (1999) Pancreatic endocrine tumors: Recent advances Ann Oncol 10:170–176 Kent RB, van Heerden JA, Weiland LH et al. (1981) Nonfunctioning islet cell tumors. Ann Surg 193:185–190 Klöppel G (2003) Tumoren des endokrinen Pancreas. Pathologe 24:265–271 Kouvaraki MA, Solorzano CC, Shapiro SE et al. (2005) Surgical treatment of non-functioning pancreatic islet cell tumors. J Surg Oncol 89:170–185 Kress O, Wagner HJ, Wied M, Klose KJ, Arnold R, Alfke H (2003) Transarterial chemoembolization of advanced liver metastases of neuroendocrine tumors-a retrospective single-center analysis. Digestion 68:94–101 Langer P, Kann PH, Fendrich V et al. (2004) Prospective evaluation of imaging procedures for the detection of pancreaticoduodenal endocrine tumors in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. World J Surg 28:1317–1322 Lehnert T (1998) Liver transplantation for metastatic neuroendocrine carcinoma: an analysis of 102 patients. Transplantation 66:1307–1312 Lo CY, van Heerden JA, Thompson GB et al. (1996) Islet cell carcinomas of the pancreas. World J Surg 20:878–884 Lowney JK, Frisella MM, Lairmore TC et al. (1999) Pancreatic islet cell tumor metastasis in multiple endocrine neoplasia type 1: correlation with primary tumor size. Surgery 125:1043–1049 Matthews BD, Heniford BT, Reardon PR et al. (2000) Surgical experience with nonfunctioning neuroendocrine tumors of the pancreas. Am Surg 66:1116–1122 Moertel CG, Lefkopoulo M, Lipsitz S, Hahn RG, Klaassen D (1992) Streptozocin-doxorubicin, streptozocin-fluorouracil or chlorozotocin in the treatment of advanced islet-cell carcinoma. N Engl J Med 326:519–523 Muscarella P, Melvin WS, Fisher WE et al. (1998) Genetic alterations in gastrinomas and nonfunctioning pancreatic neuroendocrine tumors: an analysis of p16/MTS1 tumor suppressor gene inactivation. Cancer Res 58:237–240 Noone TC, Hosey J, Firat Z, Semelka RC (2005) Imaging and localization of islet-cell tumors of the pancreas on CT and MRI. Best Practice Res Clin Endocrinol Metab 2:195–211 Owen NJ, Sohaib SAS, Peppercorn PD et al. (2001) MRI of pancreatic neuroendocrine tumors. Br J Radiol 74:968–973 Perren A, Saremaslani P, Schmid S, Bonvin C, Locher T, Roth J, Heitz PU, Komminoth P (2003) DPC4/Smad4: no mutations, rare allelic imbalances, and retained protein expression in pancreatic endocrine tumors. Diagn Mol Pathol 12:181–186 Phan GQ, Yeo CJ, Hruban RH, Lillemoe KD, Pitt HA, Cameron JL (1998) Surgical experience with pancreatic and peripancreatic neuroendocrine tumros: review of 125 patients. J gastrointest Surg 2:472–482 Solorzano CC, Lee JE, Pisters PTW et al. (2001) Nonfunctioning islet cell carcinoma of the pancreas: Survival results in a contemporary series of 163 patients. Surgery 130:1078–1085 Thompson GB, van Heerden JA, Grant CS et al. (1988) Islet cell carcinoma of the pancreas: a twenty-year experience. Surgery 104:1011–1017 Touzios JG, Kiely JM, Pitt SC et al. (2005) Neuroendocrine hepatic metastases. Does aggressive management improve survival? Ann Surg 241:776–785
5
Tran KTC, Smeenk HG, van Eijck CHJ et al. (2004) Pylorus preserving pancreaticoduodenectomy versus standard whipple procedure. A prospective, randomized, multicenter analysis of 170 patients with pancreatic and periampullary tumors. Ann Surg 240:738–745 Voss M, Hammel P, Molas G et al. (2000) Value of endoscopic ultrasound guided fine needle aspiration biopsy in the diagnosis of solid pancreatic masses. Gut 460:244–249 Virgolini I, Traub-Weidinger T, Decristoforo C (2005) Nuclear medicine in the detection and management of pancreatic islet-cell tumors. Best Practice Res Clin Endocrinol Metab 2:213–227 Wild A, Ramaswamy A, Langer P, Celik I, Fendrich V, Chaloupka B, Simon B, Bartsch DK (2003) Frequent methylation-associated silencing of the tissue inhibitor of metalloproteinase-3 gene in pancreatic endocrine tumors. J Clin Endocrinol Metab 88:1367–1373 Yao KA, Talamonti MS, Nemcek A et al. (2001) Indications and results of liver resection and hepatic chemoembolization for metastatic gastrointestinal neuroendocrine tumors. Surgery 130:677–685
5.4.4 Seltene neuroendokrine Pankreastumoren
R. Arnold ) ) Zu den seltenen neuroendokrinen Pankreastumoren zählen das Glukagonom, das VIPom, das Somatostatinom, pankreatisches Polypeptid-produzierende Tumoren sowie Tumoren mit ektoper Hormonproduktion. Diese Termini sollten ausschließlich bei funktionell aktiven Tumoren verwendet werden. Andernfalls wird von »Funktionell nicht aktiven Tumoren« gesprochen.
5.4.4.1 Glukagonom Der Terminus »Glukagonom« sagt nichts über die funktionelle Aktivität eines immunhistologisch als glukagonproduzierend klassifizierten Tumors aus. Die meisten Glukagonome sind funktionell inaktiv und führen nicht zu einem typischen klinischen Syndrom. Sie sind entweder Zufallsbefunde bei der Autopsie und häufig assoziiert mit einem MEN-1-Syndrom. Dagegen sind Glukagonome, die mit dem Glukagonomsyndrom einhergehen, sehr selten. Ihre Inzidenz dürfte bei 1:20.000.000 liegen. Entsprechend basieren die Angaben zum Glukagonomsyndrom auf Einzelkasuistiken oder Übersichten zu wenigen Patienten (Frankton u. Bloom 1996). Klinische Symptomatik. Die Symptome des Glukagonomsyn-
droms sind in der Übersicht zusammengefasst. Symptome und Befunde beim Glukagonomsyndrom 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Gewichtsverlust – Kachexie Nekrolytisches, migratorisches Exanthem Diabetes mellitus Metastasen bei Diagnosestellung Normochrome Anämie Thromboseneigung (Lungenembolien) Diarrhö Psychische und/oder neurologische Auffälligkeiten Niedriges Plasmaalbumin Niedriges Plasmacholesterin
440
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
günstige Ergebnisse nach Einsatz von Dacarbacin sowie nach Gabe von Streptozotocin und Doxorubicin beobachtet (Marynick et al. 1980, 1992).
5
. Abb. 5.50. Nekrolytisches, migratorisches Erythem bei Glukagonomsyndrom
Charakteristisch sind Hautveränderungen, die man unter der Bezeichnung nekrolytisches, migratorisches Erythem zusammenfasst und Ähnlichkeiten mit der Akrodermatitis enteropathica aufweisen (. Abb. 5.50). Die Hautveränderungen beginnen mit einem fleckförmigen Erythem, das sich ausbreitet und mit einer Blasenbildung assoziiert ist. Meist sind das Perineum und die unteren Extremitäten betroffen. Die Läsionen kommen und gehen und lassen an den Stellen der Abheilung eine Hyperpigmentation zurück. Glukagonompatienten werden daher häufig zunächst von einem Dermatologen gesehen. Die Ursache der Hautveränderungen ist unklar. Ein direkter Effekt des Glukagons auf die Haut, eine erhöhte Prostaglandinfreisetzung, ein Mangel an Aminosäuren und freien Fettsäuren und auch ein Zinkmangel werden für die Veränderungen verantwortlich gemacht (Horrobin u. Cunnane 1980; Peterson et al. 1984; Roth et al. 1987). Weitere Leitsymptome sind eine ausgeprägte Kachexie, ein Diabetes mellitus und eine Anämie. Dem Glukagonomsyndrom liegt in der Regel ein großer, im Pankreas lokalisierter Tumor zugrunde, der zu Lebermetastasen führen kann.
5.4.4.2 VIPom Vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP) sezernierende Tumoren (VIPome) führen zum klinischen Bild des von Verner und Morrison zuerst beschriebenen und dann nach diesen Autoren benannten Krankheitsbild, das durch exzessive wässrige Diarrhöen gekennzeichnet ist (Verner u. Morrison 1958). Alternative Bezeichnungen sind: »pankreatische Cholera«, »WDHH (»watery diarrhoea hypokalemia hypochlorhydria«)-Syndrom« sowie »diarrhöogener Tumor«. Die Tumoren sind fast immer maligne und liegen entweder im Pankreas oder – besonders häufig bei Kindern – im Bereich des Grenzstrangs. Dann werden sie als Ganglioneurome oder Ganglioneuroblastome bezeichnet (Long et al. 1981). Warum VIP-produzierende Tumoren im Pankreas vorkommen können, ist unklar, da VIP in den humanen Inseln zu keiner Zeit der Ontogenese gebildet wird. VIPome sind selten. Es wird von einer Inzidenz von 1:10.000.000 Einwohner ausgegangen (Krejs 1987). Wie bei den Glukagonomen handelt es sich häufig um relativ große, das Pankreasorgan überschreitende Tumoren (. Abb. 5.51). Klinische Symptomatik. Leitsymptom des VIPoms sind sekreto-
rische, wässrige Durchfälle, die auch bei Nahrungskarenz nicht persistieren. Sie sind auf die Stimulation der intestinalen Flüssigkeitssekretion durch VIP zurückzuführen (Krejs et al. 1977; Krejs
Diagnostik. Die Diagnose ergibt sich aus dem typischen klinischen Bild mit Kachexie und Hautveränderungen sowie dem Nachweis eines großen Pankreastumors, der sich histologisch als neuroendokrines, glukagonproduzierendes Karzinom erweist. Die Plasmaglukagonspiegel sind stark erhöht (Edney et al. 1990). Therapie. Die Therapie folgt den Prinzipien, die für neuroendokrine Tumoren anderer Hormonfreisetzung gelten. Nach Möglichkeit sollte der Tumor entfernt werden. Bei Inoperabilität sind Somatostatinanaloga die Therapie der Wahl. Sie führen schnell zum Abheilen der Hautveränderungen und zu einer Besserung des Allgemeinbefindens (Schmid et al. 1988; Jockenhovel et al. 1994; Anderson u. Bloom 1986). Die hierfür notwendigen Octreotid-Dosen liegen zwischen 3×50 und 3×500 µg/Tag. Bei Lebermetastasierung kann eine Embolisierung der Lebermetastasen erwogen werden (Ajani et al. 1988). Chemotherapeutisch wurden
. Abb. 5.51a,b. Großes VIPom von Pankreaskorpus und -schwanz bei MEN-1-Syndrom. a Computertomographisches Bild. b Aufgeschnittenes Präparat nach Pankreaslinksresektion
441 5.4 · Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
et al. 1978). Anfangs sind die Durchfälle intermittierend und mild, können aber später in profuse, choleraähnliche Darmentleerungen übergehen mit einem Stuhlgewicht zwischen 6 und 10 l/24 h. Die Durchfälle führen zu Hypovolämie und Exsikkose, zur Hypokaliämie und Azidose. Die Hypokaliämie ist ein Leitsymptom beim VIPom und muss wie der Flüssigkeitsverlust durch intravenöse Therapie korrigiert werden. Regelmäßig besteht eine Hypo- oder Achlorhydrie als Folge der Hemmung der Säuresekretion durch VIP. Seltenere Symptome sind Flush-ähnliche Hautveränderungen, die z. T. urtikariellen Charakter haben. Gelegentlich wird eine Hyperkalzämie beobachtet, deren Natur unklar ist und möglicherweise Folge eines weiteren Sekretionsprodukts des neuroendokrinen Tumors ist. Ein Abfall des Magnesiums kann Folge der profusen Diarrhöen sein und zu tetanischen Erscheinungen auch in Gegenwart erhöhter Kalziumwerte führen. Bei vielen Patienten besteht eine Hypotonie als Ausdruck der Exsikkose und einer peripheren Vasodilatation. Bei einigen Patienten wird darüber hinaus eine gestörte Glukosetoleranz beobachtet (Park et al. 1996). Diagnostik. Der Nachweis sekretorischer Diarrhöen und erhöhter Plasma-VIP-Spiegel bei einem neuroendokrinen Pankreastumor sind beweisend für das Vorliegen eines VIPoms. Differenzialdiagnostisch müssen Krankheitsbilder, die ebenfalls mit sekretorischen Diarrhöen einhergehen, ausgeschlossen werden, wie das Zollinger-Ellison-Syndrom, das medulläre Schilddrüsenkarzinom und das Karzinoidsyndrom. Bei diesen Entitäten sind die Durchfälle selten so ausgeprägt wie bei einem VIPom. Die wichtigste Differenzialdiagnose besteht im Ausschluss eines Münchhausen-Syndroms als Folge eines Laxanzienabusus. Therapie. Die Korrektur des Flüssigkeitsverlusts und der Hypokaliämie durch Infusionen oder orale Substitution können lebensrettend sein. Auch hier haben langwirkende Somatostatinanaloga einen Durchbruch bedeutet (Debas u. Gittes 1993; Ruskone et al. 1982), da früher verwendete Pharmaka wie Glukokortikoide, Lithiumverbindungen, Clonidin, Phenothiazine sowie Loperamid nur begrenzte Wirksamkeit hatten. In Dosen von 3×50 bis 3×200 µg/Tag kann Octreotid oder Lanreotid die Durchfälle drastisch reduzieren. Bei allen Patienten sollte dann die chirurgische Entfernung des VIPoms angestrebt werden. Bei bestehenden Lebermetastasen kann eine Debulking-Operation erwogen werden. Ist eine chirurgische Sanierung nicht möglich, bietet sich als Chemotherapie ein Schema bestehend aus Streptozotocin und Doxorubicin bzw. 5-FU an (Moertel et al. 1992). Vorläufige Befunde deuten darauf hin, dass auch α-Interferon das Wachstum metastasierter VIPome zu hemmen vermag (Eriksson et al. 1986). In laufenden Studien wird die Kombination von langwirkenden Somatostatinanaloga und α-Interferon untersucht.
5.4.4.3 Somatostatinom Somatostatin wird bei einer sorgfältigen immunhistologischen Analyse vereinzelt in fast allen neuroendokrinen Tumoren gefunden. Als Somatostatinom bezeichnet man Tumoren, die überwiegend Somatostatin enthalten und solche, bei denen das Plasmasomatostatin erhöht ist und in entsprechendem klinischen Syndrom vorliegt. Funktionell nicht aktive Somatostatinome können sowohl im Pankreas als auch im Duodenum und hier in der periampullären Region vorkommen (Vinik et al. 1987; Attanoos u. Williams 1991; Burke et al. 1989). Letztere können auf
5
eine Neurofibromatose Typ 1 hindeuten, da beide Entitäten gelegentlich assoziiert sind (Hagen et al. 1992; Swinburn et al. 1988). Im Unterschied zu pankreatischen Somatostatinomen enthalten solche im Duodenum meist histologisch Psammomkörperchen. Klinische Symptomatik. Das erstmals von Krejs et al. 1979 be-
schriebene Somatostatinomsyndrom ist fast immer mit einem endokrinen Pankreastumor assoziiert. Fast alle Patienten haben einen Diabetes mellitus, dessen Einstellung mit Insulin unproblematisch ist. Der Diabetes wird auf eine Hemmung der Insulinsekretion durch das Somatostatin bezogen. Weiteres Leitsymptom ist eine Cholezystolithiasis und Folge der Hemmung der Gallenblasenkontraktion durch Somatostatin. Die Cholezystolithiasis kann symptomatisch und asymptomatisch verlaufen. Darüber hinaus bestehen regelmäßig eine Diarrhö und Steatorrhö als Folge der Hemmung der Pankreassekretion durch Somatostatin. Weitere, eher uncharakteristische Oberbauchbeschwerden umfassen Symptome der funktionellen Dyspepsie (Krejs et al. 1979). Insgesamt ist die klinische Symptomatik somit sehr unspezifisch. Es ergibt sich daher die Frage, ob es das Krankheitsbild des Somatostatinoms überhaupt gibt. Diagnostik. Die Diagnose fußt auf dem Nachweis eines endokrinen, überwiegend somatostatinproduzierenden Tumors und erhöhter Plasma-Somatostatin-Werte. Therapie. Die Therapie der Wahl ist die möglichst kurative Entfernung des Tumors, befallener Lymphknoten und Metastasen.
5.4.4.4 Pankreatisches Polypeptid-produzierender Tumor Pankreatisches Polypeptid (PP) kommt in fast allen funktionell aktiven und funktionell inaktiven neuroendokrinen Pankreastumoren vor. Tumoren, die überwiegend bis ausschließlich pankreatisches Polypeptid produzieren, können als PPom bezeichnet werden. PPome sind in der Regel funktionell inaktiv und werden als solche unter den in der Regel multipel auftretenden pankreatischen endokrinen Tumoren beim MEN-1-Syndrom immunhistologisch identifiziert. Ob ein PPom ein charakteristisches klinisches Syndrom verursachen kann, ist umstritten. Auch bei extrem hohen Serum-PP-Werten wird in der Regel kein spezifisches klinisches Syndrom beobachtet (Eriksson u. Öberg 1995). Therapie. Hier gelten die gleichen Regeln wie für funktionell nicht aktive neuroendokrine Pankreastumoren. Im Vordergrund steht die chirurgische Entfernung des Tumors.
5.4.4.5 GRFom »Growth-hormone-releasing-factor (GRF)«-produzierende Tumoren des Pankreas sind eine Rarität. Eine ektope GRF-Produktion kann durch einige Bronchialkarzinome oder endokrine Pankreastumoren erfolgen (von Werder et al. 1991; Losa et al. 1993). Bislang wurden etwa 40 Fälle publiziert, davon lagen 11 im Pankreas. In der Regel waren sie mit einem MEN-1-Syndrom assoziiert. 30% der Tumoren waren maligne. Klinische Symptomatik. Die klinische Symptomatik entspricht den Befunden bei der Akromegalie. Diagnostik. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis erhöhter Wachstumshormon- und IGF-1-Spiegel.
442
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Therapie. Das Therapieziel ist die chirurgische Entfernung des Tumors. Bei metastasierten Tumoren sollte eine DebulkingStrategie überlegt werden. Bei Lebermetastasen bietet sich entweder eine systemische Chemotherapie mit einemStreptozotocinSchema (Moertel et al. 1992) oder eine Chemoembolisation an. Auch hier können langwirkende Somatostatinanaloga die GRFSekretion zufriedenstellend kontrollieren.
5
5.4.4.6 CRFom »Corticotrophin-releasing-hormone«-produzierende Tumoren sind wie die GRFome extrem selten und führen zum klinischen Bild eines Cushing-Syndroms (von Werder u. Faglia 1992). CRF stimuliert die hypophysäre ACTH-Sekretion. Pankreastumoren können sowohl CRF und ACTH produzieren. Klinische Symptomatik. Im Unterschied zum klassischen Cushing-Syndrom ist die ektope ACTH Produktion durch einen Gewichtsverlust (Gegensatz zum klassischen Cushing-Syndrom), eine generalisierte Muskelschwäche als Ausdruck einer Steroidmyopathie, eine hypokaliämische Alkalose und eine Hyperpigmentation gekennzeichnet. Weitere Symptome beinhalten periphere Ödeme, eine Hypertension, Polyurie und Polydipsie sowie einen Hirsutismus. Diagnostik. Der Nachweis erhöhter ACTH-Spiegel führt zur Diagnose. Es bestehen hohe Urinausscheidungen von 17-Hydroxysteroiden, 17-Hydroxy- und 17-Ketosteroiden sowie freiem Kortisol. In der Regel sind der Metyrapontest und der Dexamethasonsuppressionstest negativ. Therapie. Auch hier ist die Therapie der Wahl die möglichst vollständige chirurgische Entfernung des Tumors. Symptomatisch können langwirkende Somatostatinanaloga sowie Hemmer der adrenalen Steroidbiosynthese wie Aminoglutethimid und Ketoconacol versucht werden.
Literatur Ajani JA, Carraso CH, Charnsangavej C et al. (1988) Islet cell tumours metastatic to the liver. Effective palliation by sequential percutaneous artery embolization. Ann Intern Med 108:340–344 Anderson JV, Bloom SR (1986) Neuroendocrine tumours of the gut: long term therapy with the somatostatin analogue SMS 201–995. Scand J Gastroenterol 119 (suppl.):115–128 Attanoos R, Williams GT (1991) Epithelial and neuroendocrine tumors of the duodenum. Semin Diagn Pathol 8:149–162 Burke AP, Federspiel BH, Sobin LH, Shekitka KM, Helwig EB (1989) Carcinoids of the duodenum. A histologic and immunohistochemical study of 65 tumors. Am J Surg Pathol 13:828–237 Debas HT, Gittes G (1993) Somatostatin analogue therapy in functioning neuroendocrine gut tumors. Digestion 54:68–71 Edney JA, Hofmann S, Thompson JS, Kessinger A (1990) Glucagonoma syndrome is an under diagnosed clinical entity. Am J Surg 160:625– 628 (discussion 628–629) Eriksson B, Öberg K (1995) PPomas and nonfunctioning endocrine pancreatic tumors: Clinical presentation, diagnosis, and advances in management. In: Mignon M, Jensen RT (eds) Endocrine tumors of the pancreas. Recent advances in research and management. Frontiers of Gastrointestinal Research, 23. Karger, Basel, pp 451–460 Eriksson B, Alm G, Lundqvist G et al. (1986) Treatment of malignant endocrine pancreatic tumours with human leucocyte interferon. Lancet II:1307–1308 Frankton S, Bloom St (1996) Glucagonomas. In: Bailliere’s Clinical Gastroenterology. Gastrointestinal endocrine tumours. O’Shea D, Bloom SR
(guest editors). Vol. 10/4. Bailliere Tindall. London Philadelphia Sydney Tokyo Toronto, pp 697–705 Hagen EC, Houben GM, Nikkels RE et al. (1992) Exocrine pancreatic insufficiency and pancreatic fibrosis due to duodenal somatostatinoma in a patient with neurofibromatosis. Pancreas 7:98–104 Horrobin DF, Cunnane SC (1980) Interactions between zinc, essential fatty acids and prostaglandins; relevance to acrodermatitis enteropathica, total parenteral nutrition, the glucagonoma syndrome, diabetes, anorexia nervosa and sickle cell anaemia. Medical Hypothesis 6:277–293 Jockenhovel F, Lederbogen S, Olbricht T et al. (1994) The long acting somatostatin analogue octreotide alleviates symptoms by reducing posttranslational conversion of prepro glucagon to glucagon in a patient with malignant glucagonoma, but does not prevent tumor growth. Clin Invest 72:127–133 Krejs GJ (1987) VIPoma syndrome. Am J Med 82:37–48 Krejs GJ, Walsh JH, Morawski SG, Fordtran JS (1977) Intractable diarrhea. Intestinal perfusion studies and plasma VIP concentrations in patients with pancreatic cholera syndrome and surreptitious ingestion of laxatives and diuretics. Am J Dig Dis 22:280–292 Krejs GJ, Barkley RM, Read NW, Fordtran JS (1978) Intestinal secretion induced by vasoactive intestinal polypeptide. J Clin Invest 61:1337– 1345 Krejs GJ, Orci L, Conlon JM et al. (1979) Somatostatinoma syndrome: Biochemical, morphologic and clinical features. N Engl J Med 301:285– 292 Long RG, Bryant MG, Mitchell SJ et al. (1981) Clinicopathological study of pancreatic ganglio-neuroblastoma tumours secreting vasoactive intestinal polypepetide (vipomas). Brit Med J 282:1767–1771 Losa M, Schopohl J, von Werder K (1993) Ectopic secretion of growth hormone-releasing hormones in man. J Endocrinol Invest 16:69–81 Marynick SP, Fagadau WR, Duncan LA (1980) Malignant glucagonoma syndrome. Response to chemotherapy. Ann Intern Med 93:453–454 Moertel CG, Lefkopoulo M, Lipsitz S et al. (1992) Streptozocin-doxorubicin, streptozocin-fluorouracil or chlorozotocin in the treatment of advanced islet-cell carcinoma. New England Journal of Medicine 326:519– 523 Park SK, O’Dorisio MS, O’Dorision Th (1996) Vasoactive intestinal polypeptide-secreting tumours: biology and therapy. In: O’Shea D, Bloom SR (eds) Bailliere’s clinical gastroenterology. Gastrointestinal endocrine tumours, vol. 10/4. Bailliere Tindall, London Philadelphia Sydney Tokyo Toronto Peterson LL, Shaw JC, Acott KM et al. (1984) Glucagonoma syndrome; in vitro evidence that glucagon increases epidermal arachidonic acid. J Am Acad Dermatology 11:468–473 Roth E, Muhlbacher F, Karner J et al. (1987) Free amino acid levels in muscle and liver of a patient with glucagonoma syndrome. Metabolism 36:7– 13 Ruskone A, Rene E, Chayvialle JA et al. (1982) Effect of somatostatin on diarrhea and on small intestinal water and electrolyte transport in a patient with pancreatic cholera. Dig Dis Sci 27:459–466 Schmid R, Allescher HD, Schepp W et al. (1988) Effect of somatostatin in skin lesions and concentrations of plasma amino acids in a patient with glucagonoma syndrome. Hepatogastroenterology 35:34–37 Swinburn BA, Yeong ML, Lane MR, Nicholson GI, Holdaway IM (1988) Neurofibromatosis associated with somatostatinoma: A report of two patients. Clin Endocrinol 28:353–359 Verner JV, Morrison AB (1958) Islet-cell tumor and a syndrome of refractory watery diarrhea and hypokalemia. Am J Med 25:374–380 Vinik AI, Strodel WE, Eckhauser FE, Moattari AR, Lloyd R (1987) Somatostatinomas, PPomas, neurotensinomas. Semin Ocol 14:263–281 von Werder K, Faglia G (1992) Potential indication for octreotide in endocrinology. Metabolism 41 (suppl. 2):91–98 von Werder K, Losa M, Stalla GK et al. (1991) Measurement of human growth hormone- and corticotropin-releasing hormone. In: Faglia G, Beck-Peccoz P, Ambrosi B et al. (eds) Pituitary adenomas: new trends in basic and clinical research. Amsterdam, The Netherlands, Elsevier pp 215–225
443 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
5.5
5.5.1 Funktionsdiagnostik
R. Arnold ) ) Die Funktionsdiagnostik neuroendokriner Tumoren (NET) des Magen-Darm-Traktes beruht auf dem Nachweis einer exzessiven Hormonproduktion durch diese Tumoren. Bei den funktionell aktiven Tumoren des Magen-Darm-Traktes handelt es sich in der Regel um Gastrinome sowie neuroendokrine Tumoren, die für das Karzinoidsyndrom verantwortlich sind.
5.5.1.1 Gastrinom Die Sicherung eines Gastrinoms basiert auf dem Nachweis hoher zirkulierender Serumgastrinspiegel und dem Nachweis einer Säurehypersekretion. Im Einzelnen sei auf die Ausführungen in 7 Kap. 5.4.2 verwiesen. 5.5.1.2 Karzinoidsyndrom Die dem Karzinoidsyndrom zugrunde liegenden Tumoren produzieren eine Vielzahl von Sekretionsprodukten, deren Rolle für die Symptome der Erkrankung vielfach noch unklar ist. Der diagnostische Leitparameter für das Karzinoidsyndrom ist der Serotonin-Hauptmetabolit 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES), der im angesäuerten 24-h-Sammelurin mit einer Spezifität und Sensitivität von über 90% erhöht gemessen werden kann (Referenzbereich 2–9 mg/24 h). Die renale Ausscheidung von 5-HIES sollte in 3 getrennten Sammelperioden ermittelt werden. Die Bestimmung wird durch die Einnahme verschiedener Nahrungsmittel (Auberginen, Avocados, Ananas, Bananen, Kiwis, Melonen, Pflaumen, Tomaten, Nüsse, Schokolade) sowie Pharmaka (Kumarine, Koffein, Paracetamol, Phenacetin, Phenobarbital) beeinflusst. Die radioimmunologische Bestimmung von Serotonin hat dagegen in der Diagnostik und in der Verlaufsbeobachtung keinen Stellenwert, da die Bestimmung störanfällig ist und oft falsch-positive Werte ermittelt werden. Von den unspezifischen, allgemeinen Serummarkern für neuroendokrine Tumoren eignet sich besonders Chromogranin A zur Verlaufsbeurteilung der Tumorerkrankung, weniger für die Primärdiagnostik. Bei den Chromograninen handelt es sich um eine Gruppe von sekretorischen Proteinen, die von den neuroendokrinen Granula sezerniert werden. Sie werden im Plasma der meisten Patienten mit Neuroendokrinen Karzinomen, ganz gleich ob funktionell aktiv oder inaktiv, und damit auch beim Karzinoidsyndrom erhöht gefunden und eignen sich für die Verlaufsbeurteilung unter Therapie mit langwirkenden Somatostatinanaloga, α-Interferon und nach Chemoembolisation. Dagegen ist die neuronenspezifische Enolase beim Karzinoidsyndrom nur gelegentlich erhöht, während sie beim Bronchialkarzinoid regelmäßig erhöht gefunden wird. Der zusätzlichen Bestimmung von pankreatischem Polypeptid (PP) sowie der Untereinheiten von α- und β-HCG kommt dagegen keine klinisch relevante Bedeutung zu.
5
5.5.1.3 Funktionell inaktive Tumoren In der metastasierten Situation eignet sich Chromogranin A als verlässlicher Verlaufsparameter (Seregni et al. 2001; Sondenaa et al. 2004; Kolby et al. 2004). Chromogranin A sollte aber nicht bei Karzinoiden des Magens und im Rahmen einer Typ-A-Gastritits untersucht werden, da hier das Chromogranin A auch in den diffus vermehrten ECL-Zellen gebildet und freigesetzt wird. Erhöhte Werte sind also hier kein Ausdruck einer Tumormetastasierung (Peracchi et al. 2005). Chromogranin A sollte auch nicht nach Karzinoidentfernung im Rahmen einer Appendektomie untersucht werden, weil bei Karzinoiden mit einer Größe <2 cm die Appendektomie kurativ ist. Geringe Erhöhungen des Chromogranin A kommen auch ohne Tumor vor und sind bedeutungslos. Sie geben oft zu nicht weiterführenden und teuren Untersuchungen Anlass und beunruhigen sowohl den Patienten als auch dessen behandelnde Ärzte. Dagegen eignet sich die Chromogranin-A-Bestimmung zur Diagnostik und besonders zur Verlaufsbeurteilung funktionell inaktiver Tumoren. Dies schließt auch solche Tumoren ein, die histologisch beispielsweise Somatostatin oder pankratisches Polypeptid enthalten, aber klinisch »stumm« sind. Literatur Kolby L, Bernhardt P, Sward C, Johanson V, Ahlman H, Forssell-Aronsson E, Stridsberg M, Wangberg B, Nilsson O (2004) Chromogranin A as a determinant of midgut carcinoid tumour volume. Regul Pept 120:269– 273 Peracchi M, Gebbia C, Basilisco G, Quatrini M, Tarantino C, Vescarelli C, Massironi S, Conte D (2005) Plasma chromogranin A in patients with autoimmune chronic atrophic gastritis, enterochromaffin-like cell lesions and gastric carcinoids. Eur J Endocrinol 152:443–448 Seregni E, Ferrari L, Bajetta E, Martinetti A, Bombardieri E (2001) Clinical significance of blood chromogranin A measurement in neuroendocrine tumours. Ann Oncol 12 (suppl. 2):60–72 Sondenaa K, Sen J, Heinle F, Fjetland L, Gudlaugsson E, Syversen U (2004) Chromogranin A, a marker of the therapeutic success of resection of neuroendocrine liver metastases: preliminary report. World J Surg 28:890–895
5.5.2 Bildgebende Verfahren
K.J. Klose ) ) Im folgenden Kapitel werden nur neuroendokrine Tumoren (NET) des Magen-Darm-Traktes behandelt, die extraintestinalen Tumoren des Foregut (Respirationstrakt und Pankreas) werden an anderer Stelle besprochen. NET des Magen-Darm-Traktes (sog. Karzinoide) werden klinisch auf unterschiedliche Weise auffällig (Caplin et al. 1998). Den Internisten suchen die Patienten meist wegen Symptomen des paraneoplastischen Karzinoidsyndroms (Flush, asthmaähnliche Attacken, Diarrhö, Rechtsherzinsuffizienz durch Endokardfibrose mit Stenosierung der Trikuspidal- bzw. Pulmonalklappe) auf (Wilander et al. 1989). Manchmal sind auch pellagraähnliche Hautveränderungen, Magengeschwüre oder Malabsorptionssymptome Anfangssymptome der Erkrankung. Dem Chirurgen sind sie als seltene Ursache für einen Dünndarmileus bekannt (Minardi et al. 1998) und dem Radiologen 6
444
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
fallen häufig zuerst die Lebermetastasen bei Untersuchung des Abdomens mit Schnittbildverfahren wegen unklarer Abdominalsymptome oder aus anderer Indikation auf. Immer wieder wird die Diagnose vom Pathologen zufällig im Appendektomiepräparat gestellt. Entsprechend gut ist dabei die Prognose mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 99% (Godwin 1975).
5
Die Radiomorphologie der NET des Magen-Darm-Traktes ist vielfältig und hängt vor allem von der anatomischen Lokalisation und Blutversorgung, dem Tumorausmaß und der Tumorausbreitung ab (Jetmore et al. 1992; Martensson et al. 1983). Fragestellungen, die an die Untersuchung mit bildgebenden Verfahren geknüpft werden, lassen sich im Wesentlichen in 3 Komplexen zusammenfassen: 4 Primärtumorsuche (bei histologisch verifizierten Metastasen eines NET) 4 Staging – Ausmaß der Metastasierung 4 Therapieplanung – Monitoring der Tumorlast Für die morphologische Aufarbeitung dieser Fragestellungen stehen eine Reihe bildgebender Verfahren zur Verfügung, deren Einsatz sehr stark von den o. g Fragestellungen bestimmt wird: 4 Projektionsradiographie 4 Enterale Kontrastmittelverfahren (MDP, Enteroklysma, Kontrasteinlauf) 4 Parenterale Kontrastmittelverfahren (Arteriographie) 4 Schnittbildverfahren (Ultraschall, CT und MRT) 4 Nuklearmedizinische Methoden 5.5.2.1 Primärtumorsuche 5.5.2.1.1 Projektionsradiographie Abdomenübersicht. Diese Untersuchung trägt zur Lokalisation der intestinalen NET nur begrenzt bei. Die Abdomenleeraufnahme hat jedoch im Rahmen der Ileusdiagnostik, auch bei Verfügbarkeit von Schnittbildverfahren, weiterhin ihren festen Platz.
. Abb. 5.52. Doppelkontrastuntersuchung des Magens. Großer, welliger Tumor (*) im Korpus ventriculi mit glatter Oberfläche ohne Zeichen der Schleimhautnekrosen
5.5.2.1.2 Enterale Kontrastmittelverfahren Magen-Darm-Passage – hypotone Duodenographie. Die NET des Magen-Darm-Traktes entstehen in den Kulchitsky-Zellen der Darmwand bzw. in den Lieberkühn-Krypten. Sie imponieren daher bei der Doppelkontrastdarstellung als submuköse Wandtumoren mit intakter Schleimhaut, insbesondere im Bereich des Magen und Duodenums. Allerdings wurden auch große, exulzerierende Tumoren beschrieben (Clements u. Roche 1984). Dementsprechend umfasst die differenzialdiagnostische Abwägung alle benignen mukosalen, submukösen und intramuralen Tumoren (Adenome, Leiomyome, Lipome, eosinophile Granulome und versprengtes Pankreasgewebe) ebenso wie z. B. submuköse Metastasen, Melanome, Lymphome oder Kaposi-Sarkome. Die gastralen NET sitzen bevorzugt im Fundus und Korpus des Magens (. Abb. 5.52) und sind häufig multipel und gehen mit einer atrophischen Gastritis einher. Die NET im Duodenum imponieren in mehr als der Hälfte der Fälle als intraluminäre, polypoide Läsionen (. Abb. 5.53), sind in gut einem Drittel der Fälle intramural lokalisiert und lassen sich in ca. 10% der Fälle mit bildgebenden Verfahren nicht darstellen (Levy et al. 2005). Dünndarmdarstellung – Enteroklysma. Die Kontrastmitteldarstellung des Dünndarms ist in der Lage, auch kleine NET (. Abb. 5.54) mit bevorzugter Lokalisation im distalen Ileum, aufzufinden (Balthazar 1978; Jeffree u. Nolan 1987). Wegen der
häufig bereits vorhandenen Metastasierung und der lokalen Ausdehnung in Lymphknoten und das Mesenterium ist sie jedoch selten zur Lokalisation erforderlich. Durch die Tumoren kann es zu Obstruktionen des Darmlumens kommen, ggf. kann sich hieraus eine Invagination ableiten. Manchmal führt dies zum Bild einer vergrößerten Ileozäkalklappe (Schnur u. Seaman 1980). Differenzialdiagnostisch ist an alle benignen mukosalen oder submukösen Tumoren, versprengte Magenschleimhaut bzw. solitäre Metastasen zu denken. Insbesondere Ileum- und Kolon-NET können exulzerieren (. Abb. 5.55). Die Differenzialdiagnose dieser Läsionen umfasst intestinale Lymphome, Melanome und Kaposi-Sarkome. Bei ca. 1/3 der Patienten findet man multiple Läsionen. Dabei handelt es sich um ein primär multifokales Leiden oder es liegt eine Metastasierung vor. Mit zunehmender Größe der Tumoren überwiegt der submuköse Anteil des Tumors, es entwickelt sich eine charakteristische Hypertrophie der Darmwand. Die Bariumuntersuchungen zeigen dann eine Verdickung des Faltenreliefs. Die Tumoren können darüber hinaus auch überwiegend extraluminär, mit nur kleiner oder ohne sichtbare intraluminäre Komponente wachsen (»EisbergPhänomen«). Radiomorphologisch finden sich die Zeichen der extraluminären Raumforderung mit Kompression und Ausziehung der betroffenen Darmabschnitte (. Abb. 5.55), die zu Ähnlichkeiten mit entzündlichen Erkrankungen des terminalen Ileums
445 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
. Abb. 5.53. Intraluminärer Füllungsdefekt in der hypotonen Duodenographie aufgrund eines großen Tumors in der Pars descendens duodeni (*). Glatte Schleimhaut als Zeichen des submukösen Wachstums
. Abb. 5.54. Zielaufnahme aus einer DünndarmDoppelkontrastuntersuchung (Enteroklysma) mit ca. 1,5 cm großem Karzinoidtumor im Ileum (*). Glatte Oberfläche des Tumors und fehlende Distanzierung der Dünndarmschlingen weisen auf ein überwiegend intraluminäres Wachstum hin
5
. Abb. 5.55. Fraktionierte Monokontrastverfahren (MDP) mit auffälliger Distanzierung, Abknickung und Kompression von Dünndarmschlingen im präterminalen Ileumbereich durch einen Karzinoidtumor (*) mit überwiegend extraintestinalem Anteil (»Eisberg-Phänomen«). Diskrete Dilatation der prästenotischen Dünndarmschlingen im rechten Unterbauch
446
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Abb. 5.56. Kolon-Doppelkontrasteinlauf bei einem großen Dünndarmkarzinoidtumor mit ausgeprägtem extraluminärem Wachstum (*) und zentraler Tumornekrose (N). Durch den extraluminären Tumoranteil kommt es zu einer Pelottierung der proximalen Sigmaschlinge (Pfeile), die in den distalen Anteilen (hier Kräuselung der Darmwand) in eine Wandinfiltration übergeht
5
führen. Allerdings fehlen die charakteristischen Fisteln wie beim Morbus Crohn und diese Patienten haben in der Regel bereits ein Karzinoidsyndrom (Jeffree et al. 1984). Mit zunehmender extraluminärer Extension kommt es zur Infiltration des Mesenteriums mit Ausbildung einer durch Botenstoffe hervorgerufenen fibroblastischen Reaktion. Die Manifestation in Form einer ausgeprägten desmoplastischen Reaktion ohne sicheren Tumornachweis ist eine charakteristische Erscheinungsform der NET des Dünndarms. Sie zeichnet sich durch eine Starre und Fixierung der Schlingen mit Kontraktion in Richtung auf die Mesenterialwurzel aus, ein Befund, der schon 1942 von Miller und Herrmann als pathognomonisch für NET beschrieben wurde (Miller u. Hermann 1942). Dabei treten auch scharfe Knick- und Schlaufenbildungen auf, die zur Obstruktion führen können (. Abb. 5.56). Traktionen und Verjüngung am Faltenrelief sind subtile Begleitzeichen. Kolon-Doppelkontrasteinlauf. Spezielle Darstellungen zur Diagnostik der NET in der Kontrasteinlauftechnik fehlen. Radiomorphologisch sind die Veränderungen wie in den proximalen Darmabschnitten zu erwarten. Neuerdings wird auf die mögliche Bedeutung der Endosonographie in der Diagnostik dieser Tumoren hingewiesen, deren Rolle sich zunehmend im Rahmen der endoskpoischen Resektion kleiner NET etabliert (Akahoshi et al. 2001; Kobayashi et al. 2005).
nisch oder laborchemisch der Verdacht auf das Vorliegen eines NET besteht, der mit Hilfe der Hohlraumdiagnostik bzw. Schnittbildverfahren nicht gesichert werden kann (Boijsenet et al. 1974; Seigel et al. 1980; Shulman u. Giustra 1971). In unserer Erfahrung spielt dies jedoch seit Jahren keine Rolle mehr. Charakteristischerweise zeigt sich im Bereich des Primärtumors eine kräftige Tumoranfärbung. Vereinzelt kann die Arteriographie zur Abgrenzung gegenüber anderen neoplastischen oder entzündlichen Prozessen beitragen (Gould u. Johnson 1986; Rose et al. 1989). Die meist sehr ausgeprägte desmoplastische Mesenterialreaktion führt auch zu einer Ummauerung der Mesenterialgefäße, die mittlerweile auch mit der MRT regelhaft nachgewiesen werden kann (. Abb. 5.57). Zusammen mit der Retraktion in Richtung auf die Mesenterialwurzel und der Schlaufen- bzw. Knickbildung der Darmschlingen führt sie zu dem angiographisch sehr eindrucksvollen »Radspeichenmuster« (. Abb. 5.58) dieser Tumoren (Bardach et al. 1978; Picus et al. 1984). Die selek-
5.5.2.1.3 Parenterale Kontrastmitteldiagnostik Direkte Cholangiographie. Primäre NET der Leber (Takayasu et al. 1992) und der Gallengänge sind rar (Godwin 1975). Während die primären NET der Leber mit Schnittbildverfahren am besten nachgewiesen werden können, kommen die primären NET der Gallengänge radiologisch meist mit direkten Cholangiographieverfahren (perkutane transhepatische oder endoskopisch retrograde Cholangiographie) zur Darstellung und weisen hierbei prinzipielle Ähnlichkeiten mit den Tumoren im Magen-DarmTrakt auf (Gembala et al. 1993). Arteriographie. Die viszerale Arteriographie in Form der Zöliako- und Mesenterikographie geht zurück auf Reuter und Boijsen (1966). Sie hat in der Lokalisation von Primärtumoren heute eher eine kasuistische Bedeutung und kann hilfreich sein, wenn kli-
. Abb. 5.57. Mesenteriales Tumorkonglomerat mit Gefäßinfiltration (Pfeile). MRT in koronarer Schnittführung (TRUEFISP)
447 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
5
Computertomographie, Magnetresonanztomographie. Auch mit
. Abb. 5.58. Kapilläre Phase einer selektiven Mesenterikographie. In Projektion auf die kaudale Wirbelsäule kommt es zur Darstellung einer gut vaskularisierten Raumforderung mit einer »radspeichenartigen« Zentrierung der Dünndarmgefäße auf das Zentrum des überwiegend extraintestinal gelegenen Karzinoidtumors
tive Mesenterikographie ist auch in der Lage eine multifokale Tumorlokalisation darzustellen (Hermanutz et al. 1974). 5.5.2.1.4 Schnittbildverfahren Ultraschall. In der diagnostischen Dokumentation des Primärtumors spielt der perkutane Ultraschall eine nachgeordnete Rolle (Modlin et al. 2005; Komatsuta et al. 2005).
. Abb. 5.59. Computertomographie des Abdomens. In den kranialen Schnittbildern erkennt man multiple paraaortale und mesenteriale Lymphknotenvergrößerungen (*), die differenzialdiagnostisch von einer primären Systemerkrankung der Lymphknoten nicht zu unterscheiden
diesen Verfahren ist der Nachweis kleiner Primärtumoren schwierig und erst ab einer Größe von 2 cm reliabel möglich (Kisker et al. 1996). CT und/oder MRT weisen jedoch die extraluminären Veränderungen, insbesondere die desmoplastische Reaktion des Mesenteriums, direkt sehr empfindlich nach (Sugimoto et al. 1995). Die CT ist besonders empfindlich in der Detektion der in bis zu 50% vorkommenden mesenterialen Verkalkungen (Boijsen et al. 1974). Diese können u. U. lediglich in Form kleiner stippchenartiger Verkalkungen vorliegen. Zusammen mit der radiären Struktur der desmoplastischen Reaktion, den inkonstant nachweisbaren soliden Raumforderungen in der Mesenterialwurzel (. Abb. 5.59) und meist gleichzeitig nachweisbaren Rundherden in der Leber sind diese Zeichen für das Vorliegen eines NET pathognomonisch (Cockey et al. 1985). Die Fibrose zusammen mit der Hypertrophie der Darmwandmuskulatur kann zu einer diffusen Lumenreduktion führen, deren Differenzialdiagnose von der Peritonealkarzinose über postoperative Verwachsungen bis hin zur strahlenbedingten oder granulomatösen Enteritis reicht. Im Gegensatz zu den bisherigen Erfahrungen (Semelka et al. 1996) hat sich die MRT in der Erkennung der Primärtumoren im Gastrointestinaltrakt in unseren Händen in den letzten Jahren zunehmend bewährt, wenn man die mesenterialen Lymphknoten und die desmoplastische Reaktion als Hinweise auf die Lokalisation des Primärtumors im Darm mitbewertet. Hierbei sind methodisch insbesondere koronare Übersichten des Abdomens (. Abb. 5.60) und das MR-Enteroklysma (. Abb. 5.61) zu nennen. 5.5.2.1.5 Nuklearmedizinische Methoden Somatostatinrezeptor-Szintigraphie. In der Diagnostik der neuroendokrinen Tumoren spielt die SMS-Rezeptor-Szintigraphie
sind. Zusammen mit dem Mesenterialtumor und der ausgeprägten desmoplastischen Reaktion, sowie dem abschnittsweise auftretenden Darmwandödem ist der Befund pathognomonisch für einen Dünndarmkarzinoidtumor
448
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5
. Abb. 5.60. Koronare Übersichtsaufnahme des Bauchraums (TRUEFISP-Sequenz). NET des Ileums mit Lymphknoten und ausgeprägter desmoplastischer Reaktion im Mesenterium, wodurch die aus der Angiographie bekannte »Radspeichen-Struktur« nachgeahmt wird
. Abb. 5.61. MR-Enteroklysma bei NET des Ileums (mit Pfeilen markiert) mit beginnender Transportstörung. Obstruktion der Gallenblase durch Lymphknoten im Lig. hepatoduodenale
eine zentrale Rolle, da sie als nichtinvasive, schnelle Suchmethode am Anfang der Diagnostik zum Nachweis des Primärtumors (Krausz et al. 1998) und der klinisch-radiologisch mitunter stummen Metastasen eine hohe Treffsicherheit hat. Lediglich im schwierigen Nachweis kleiner Primärtumoren hilft die SMS-Szintigraphie nicht immer weiter (Nikou et al. 2005). Ihr Stellenwert ist an das Vorhandensein spezifischer Somatostatinrezeptoren gebunden, die mit dem Radiopharmakon unter Verwendung eines somatostatinanalogen Peptids (Octreotid) gezielt dargestellt werden (Eising et al. 1996). Zurzeit sind 5 Subtypen dieses Rezeptors bekannt, der häufigste ist der Subtyp 2. Ein Zusammenhang
mit der szintigraphischen Darstellbarkeit konnte bisher nicht nachgewiesen werden (Jais et al. 1997). Methodisch kommt überwiegend das langlebige 111IN-DTPAOctreotid (»diethylen-triamin pentaacetic acid«) zum Einsatz, das gegenüber dem initial verwendeten 123J-Tyr3-Octreotid neben der längeren Halbwertszeit (3 Tage versus 12 h), den Vorteil hat, dass es überwiegend über die Nieren und nicht hepatobiliär ausgeschieden wird. Hierdurch werden Fehlinterpretationen im Darmbereich reduziert (Bakker et al. 1991). Wichtig für die diagnostische Ausbeute ist ferner der Zeitpunkt der Aufnahmen. Spätaufnahmen nach 24 h sind den frühen Aufnahmen nach 4 h überlegen. Auch kann die diagnostische Treffsicherheit durch Anwendung der SPECT-Technik (Single-Protonen-Emissionscomputertomographie) gegenüber der planaren Szintigraphie gesteigert werden (Nauck et al. 1994). Methodisch ergänzt sich die SMS-Szintigraphie mit den radiologischen Darstellungsverfahren, wobei in vorliegenden Studien immer Patienten enthalten sind, die entweder dem szintigraphischen Nachweis oder den anderen Methoden entgehen (Gotthardt et al. 2003). Andere nuklearmedizinische Verfahren. Neben der SMS-Szinti-
graphie kommt auch die MIBG-Szintigraphie für den Nachweis neuroendokriner Tumoren zum Einsatz, deren Treffsicherheit allerdings unterschiedlich eingestuft wird (Dresel et al. 1996; Nocaudi-Calzada et al. 1996; Taal et al. 1996). Ihre Bedeutung liegt überwiegend im Bereich der Therapieplanung mit MIBG (Oberg u. Eriksson 2005). Das Prinzip der Rezeptor-Szintigraphie bei endokrinen Tumoren des Magen-Darm-Traktes wurde auch für andere Substanzen etabliert. So konnten Virgolini et al. (1994) über den erfolgreichen Einsatz der VIP-Rezeptor-Szintigraphie berichten. Ein weiteres In-vivo-Immunszintigraphieverfahren zur Darstellung Chromogranin-A-positiver endokriner Tumoren wurde kürzlich beschrieben. Allerdings ist die Methode den konventionellen bildgebenden Verfahren für NET im engeren Sinne nicht überlegen (Siccardi et al. 1996). Mitteilungen zum Wert der Positronenemissionstomographie (PET) mit Fluordesoxyglukose (FDG) als Radiopharmakon zeigen, dass die in der Regel langsam wachsenden neuroendokrinen Tumoren mit dieser Methode nur teilweise zur Darstellung kommen (Adams et al. 1998). Hingegen berichtet die schwedische Arbeitsgruppe um Oberg und Ericsson immer wieder über gute Erfahrungen mit der PET bei Verwendung von 11C-5HTP (Hydroxytryptophan) als Tracer (Oberg 2003). 5.5.2.2 Staging – Ausmaß der Metastasierung 5.5.2.2.1 Projektionsradiographie Thoraxaufnahme. Die Thoraxaufnahme wird gezielt bei Beschwerden der Patienten eingesetzt. Für den Nachweis einer frühen Metastasierung in die Lunge ist die SMS-Szintigraphie als Suchmethode bzw. die Computertomographie wegen ihrer besseren Auflösung geeigneter. Skelettaufnahme. Skelettaufnahmen werden entsprechend der Beschwerden der Patienten bei Verdacht auf den seltenen metastatischen Befall des Skelettsystems im Sinne der Grunderkrankung zur Beurteilung der Frakturgefährdung eingesetzt und zeigen hierbei in der Regel eine sklerosierende Form der Metas-
449 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
5
. Abb. 5.62. Selektive Arteriographie der A. hepatica propria in digitaler Subtraktionsangiographietechnik (DSA). Darstellung von multiplen Lebermetastasen eines Karzinoidtumors in der arteriellen Phase (ausge-
spannte Gefäße um die Herde), kapillären Phase (intensive Tumoranfärbung = Blush) und portal-venösen Phase (Kontrastierungsdefizit im Vergleich zum umliegenden, gesunden Parenchym)
tasierung (Zuetenhorst et al. 2005). Einzelfälle einer »Karzinoidarthropathie« sind beschrieben worden (Horwitz u. Schachter 1983).
Durch den gezielten Einsatz der US-gesteuerten Feinnadelbiopsie kann in solchen Fällen die zytologische bzw. histologische Diagnose mit einer Treffsicherheit von ca. 80% erreicht werden (Ekberg et al. 1988). Eine eindeutige morphologische Charakterisierung (Wernecke u. Peters 1985) gelingt für die Metastasen von NET ebenso wie für Metastasen anderer Tumoren nach eigener Erfahrung nicht.
5.5.2.2.2 Parenterale Kontrastmitteldiagnostik Arteriographie. Das Auftreten von Metastasen der NET korreliert sehr eng mit der Größe des Primärtumors. Bei Läsionen unter 1 cm liegt die Wahrscheinlichkeit bei ca. 2%, während sie bei Tumoren über 2 cm Größe auf ca. 80% ansteigt. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose haben ca. 90% der Patienten bereits Metastasen. Diese kommen bevorzugt in der Leber, den Lymphknoten, Knochen, Lunge und Peritonealhöhle vor, wohingegen Haut- und ZNS-Absiedlungen selten sind. Dort kommen sie bevorzugt im Auge bzw. in der Orbita vor. Vor Einführung der Schnittbildverfahren war die Leberarteriographie zur Darstellung der Lebermetastasen die zuverlässigste Methode. Normalerweise imitieren Metastasen die Gefäßversorgung der Primärtumoren. Daher sind Lebermetastasen der NET, selbst bei hypovaskularisierten Primärtumoren mit ausgedehnter desmoplastischer Reaktion, gut durchblutet. Hierauf beruht die hohe Treffsicherheit der Leberarteriographie. In der kapillären Phase kommt es zu einer intensiven Kontrastmittelanfärbung (»Blush«) der Herde, während sie in der portal-venösen Phase als Füllungsdefekte imponieren (. Abb. 5.62). Die Leberarteriographie dient heute im Wesentlichen der Vorbereitung von interventionellen Maßnahmen (Chemoembolisation). Dabei kommen superselektive Techniken mit Mikrokathetern (2–3 F) ebenso zum Einsatz wie spezielle Aufnahmetechniken (Vergrößerungsangiographie). 5.5.2.2.3 Schnittbildverfahren Ultraschall. Die Sonographie des Abdomens ist als Erstmaßnahme bei Patienten mit unklaren gastrointestinalen Beschwerden anerkannt. Mit dieser Methode werden in der Mehrzahl der Fälle Lebermetastasen, ggf. auch vergrößerte paraaortale Lymphknoten bei Patienten mit neuroendokrinen Tumoren erstmals nachgewiesen (Moertel 1987; Oberg 1998). Ob der Einsatz der Kontrastmittelsonographie mit »intravaskulären Microbubbles« langfristig einen Stellenwert bekommen wird, bleibt abzuwarten (Brannigan et al. 2004). Die bei der Erstdiagnose bereits in ca. 90% der Patienten vorkommenden Lebermetastasen können auch als zystische Läsionen mit Flüssigkeitsspiegeln auftreten (Dent u. Feldman 1984).
Computertomographie, Magnetresonanztomographie. Trotz einer hohen Treffsicherheit der meisten bildgebenden Verfahren, insbesondere im Nachweis der Lebermetastasierung, hat jede Methode für sich allein manchmal Schwierigkeiten, das volle Ausmaß der Tumorerkrankung zu erfassen. Auf die gute Darstellbarkeit der extraluminären Veränderungen, insbesondere die desmoplastische Reaktion des Mesenteriums, wurde bereits hingewiesen. Während die Rezeptor-Szintigraphie auf das Vorhandensein von Rezeptoren in den Tumoren bzw. Metastasen angewiesen ist und dadurch insbesondere bei kleinen, dicht mir Rezeptoren besetzten Läsionen überlegen ist, zeigen die Schnittbildverfahren (US, CT und MRT) die pathologisch-anatomischen Tumorkorrelate der Herdläsionen und sind unabhängig vom Rezeptorbesatz. Wie bereits in der Einleitung erwähnt werden Patienten mit NET mitunter zufällig durch den Nachweis von Lebermetastasen in der Sonographie des Abdomens bei unklarer Fragestellung entdeckt. Wegen der guten Vaskularisation der Tumoren sind Nativserien im CT/MRT vor der Kontrastmittelgabe unabdingbar, da nach der Kontrastmittelgabe Metastasen und Parenchym isodens werden können und so dem Nachweis entgehen (McCarthy et al. 1984). Der bisherige »Goldstandard« im Nachweis von Leberherden, die portalvenöse Angio-CT der Leber, bei der über selektive Katheter in der A. mesenterica superior und/oder A. lienalis das Kontrastmittel portalvenös in die Leber infundiert wurde und hierdurch bei einem exzellenten Parenchymkontrast auch kleinste Herdbildung darstellbar waren, ist mittlerweile durch die Methoden der triphasischen Leber-CT und der MRT mit leberspezifischen Kontrastmitteln wegen ihrer Invasivität verdrängt worden (. Abb. 5.63). Die MRT-Diagnostik wird im Vergleich zur CT in den letzten Jahren stetig besser. Dies liegt im Wesentlichen an der zunehmenden Verfügbarkeit der schnellen Bildgebung (Turbospinechound Gradientenecho-Sequenzen) in Hochfeldgeräten (1–1,5
450
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5.5.2.3 Therapieplanung – Monitoring der Tumorlast Verlaufsbeobachtung. Zur Verlaufsbeobachtung neuroendokri-
5 a
ner Tumoren unter antineoplastischer Therapie liegen nur wenige Studien vor. Während Andersson et al. 1987 an einem Kollektiv von 25 Patienten mit Nachbeobachtungszeiten zwischen 3 und 66 Monaten die Sonographie als verlässlichste Methode herausstellen, konnte dies von der Marburger Arbeitsgruppe bereits in der ersten deutschen SMS-Multicenter-Studie mit 96 Patienten nicht bestätigt werden. Hier hatte sich die Computertomographie als bestes Referenzverfahren herausgestellt (Benning et al. 1991). In einer neueren Zusammenstellung konnte der Nutzen des kombinierten Nutzens aller Verfahren (SMS-Szintigraphie, CT und/ oder MRT) auf das therapeutische Management der Patienten nachgewiesen werden (Gotthardt et al. 2003). Wegen der Untersucherunabhängigkeit kann die CT/MRT insbesondere bei therapierelevanten Entscheidungen als die überlegene Methode im Nachweis von Lebermetastasen angesehen werden. Gegenüber der MRT hat die CT den Vorteil der größeren Verbreitung und dem Fehlen von Limitationen hinsichtlich Kontraindikationen (Metallimplantate) und Patientenakzeptanz (Klaustrophobie). Sie ist allerdings mit einer substanziellen Strahlenexposition verbunden, was ihren liberalen Einsatz, insbesondere im Rahmen von Studien mit regelmäßigen Verlaufskontrollen einschränkt. Therapieplanung. Insbesondere auch vor eingreifenden Thera-
b . Abb. 5.63a,b. Triphasische Leber-CT bei Filiae eines NET des Ileums. a Spätarterielle Phase mit massiver kapillärer Anreicherung des Kontrastmittels. Die Metastasen sind heller als das normale Leberparenchym. b Portalvenöse Phase mit Kontrastumkehr. Die Metastasen sind jetzt insgesamt dunkler als das Leberparenchym
Tesla) mit Atemanhaltesequenzen, die zu einer deutlichen Verbesserung der Oberbauchdiagnostik geführt haben. Auch existieren mittlerweile leberspezifische Kontrastmittel auf Manganund Eisenbasis, die zu einer Verbesserung des Läsionskontrastes führen. Eigene Ergebnisse einer prospektiven Untersuchung bei Patienten mit hepatisch metastasierten NET zeigen eine Überlegenheit dieses Verfahrens gegenüber den anderen bildgebenden Verfahren. 5.5.2.2.4 Nuklearmedizinische Methoden Somatostatinrezeptor-Szintigraphie. Methodisch ergänzt sich die SMS-Szintigraphie mit den radiologischen Darstellungsverfahren, wobei in vorliegenden Studien immer Patienten enthalten sind, die entweder dem szintigraphischen Nachweis oder den anderen Methoden entgehen (Gotthardt et al. 2003). Die Schwachstellen der SMS-Szintigraphie liegen in der Diagnostik des tumorösen Befalls von Pleura- und Peritonealhöhle (Frilling et al. 1998; Joseph et al. 1997). Insgesamt konnten die eher optimistischen Ergebnisse aus Europa (Nikou et al. 2005) in den USA nicht umfänglich nachvollzogen werden (Meko et al. 1996).
pieverfahren, wie der Lebertransplantation (Frilling et al. 1998) oder ausgedehnten Leberresektionen (Sarmiento et al. 2003), sollte die SMS-Szintigraphie eingesetzt werden (Lamberts et al. 1993; Oberg et al. 2005). Mit dem szintigraphischen Nachweis der SMS-Rezeptoren ist nicht nur der diagnostische Aspekt verbunden, sondern auch eine prognostische Bedeutung. Die Therapie mit SMS-Analoga (Octreotid) führt durch die Unterdrückung der durch den Tumor verursachten hormonellen Hypersekretion (Kvo et al. 1986) zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität dieser Patienten und kann als wesentlicher Schritt in der Behandlung dieser Tumorpatienten angesehen werden (Lamberts et al. 1988). 5.5.2.4 Zusammenfassung In den letzten Jahren hat sich in Europa eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Gastroenterologen, Onkologen, Endokrinologen, Chirurgen, Pathologen und Radiologen (ENETS – European Neuroendocrine Tumour Society – www.neuroendocrine.net/) in einem mehrstufigen Konsensusprozess mit der Frage der Standardisierung der Bildgebung bei neuroendokrinen Tumoren befasst und Empfehlungen erarbeitet (Ricke et al. 2000). Für die Diagnostik dieser Tumoren wurden zwei Algorithmen erarbeitet, die sich mit der Aufarbeitung des unbekannten Primärtumors und der Metastasen bei bekanntem Primärtumor befassen (. Abb. 5.64 und . Abb. 5.65). Hierin wird nach der eher als Eingangs- bzw. Basisdiagnostik zu bezeichnenden Sonographie und Thoraxübersichtsaufnahme die zentrale Bedeutung der SMS-Rezeptor-Szintigraphie als Schaltstelle für die weiteren Verfahren offensichtlich. Die Empfehlungen wurden zuletzt von der britischen NET-Arbeitsgruppe erneut überarbeitet (Ramage et al. 2005) und mit evidenzbasierten Empfehlungsgraden versehen (. Tab. 5.16).
451 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
. Abb. 5.64. Algorithmus zur Diagnostik von Karzinoidpatienten mit unbekanntem Primärtumor. Empfehlung des ENET (2000)
. Abb. 5.65. Algorithmus zur Diagnostik von Metastasen bei bekanntem Karzinoidtumor. Empfehlungen des ENET (2000)
. Tab. 5.16. Empfehlungen der britischen NET-Arbeitsgruppe zur bildgebenden Diagnostik der neuroendokrinen Tumoren
Zielstellung
Verfahren
Evidenzbasierter Empfehlungsgrad
Primärtumorsuche (auch Pankreas) bei bekannten Metastasen
Multimodalitätseinsatz von CT, MRT, SMS-Szintigraphie, EUS, DSA und selektive Blutentnahme
B/C
Beurteilung der Metastasierung
SMS-Rezeptorszintigraphie
B
Follow-up nach Resektion des Primärtumors
SMS-Szintigraphie
D
5
452
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Als kosteneffektive Untersuchungsstrategie hat sich in neueren Untersuchungen die Kombination von Röntgen des Thorax, CT des Oberbauchs und SMS-Rezeptor-Szintigraphie erwiesen (Dimitroulopoulos et al. 2004).
Literatur
5
Adams S, Baum R, Rink T, Schumm-Dräger PM, Usadel KH, Hör G (1998) Limited value of fluorine-18 fluorodeoxyglucose positron emission tomography for the imaging of neuroendocrine tumours. Eur J Nucl Med 25:79–83 Akahoshi K, Fujimaru T, Nakanishi K, Harada N, Nawata H (2001) Endosonography probe-guided endoscopic resection of small flat rectal carcinoid tumor using band ligation technique. Endoscopy 33:471 Andersson T, Erikson B, Hemmnsson A, Lindgren PG, Öberg K (1987) Angiography, computed tomography, magnetic resonance imaging and ultrasonography in detection of liver metastases from endocrine gastrointestinal tumours. Acta Radiol 28:535–539 Bakker WH, Krenning EP, Bruns C (1991) (111In-DTPA-D-Phe)1-octreotide, a potential radiopharmaceutical for imaging of somatostatin receptor-positive tumors: Synthesis, radiolabelling and in vitro validation. Life Sci 49:1583–1591 Balthazar EJ (1978) Carcinoid tumors of the alimentary tract. Radiographic diagnosis. Gastrointest Radiol 3:47–56 Bardach G, Faching W, Raff M (1978) Zur angiographischen Diagnose von Darmkarzinoiden. Röntgenbl 31:155–159 Benning R, Leppek R, Rollwage M, Klose KJ (1991) Die Computertomographie zur Verlaufsbeobachtung metastasierter gastroenteropankreatischer Tumoren. Zbl Radiol 145:14–15 Boijsen E, Kaude J, Tylén U (1974) Radiologic diagnosis of ileal carcinoid tumors. Acta Radiol (Diagn.) 15:65–82 Brannigan M, Burns PN, Wilson SR (2004) Blood flow patterns in focal liver lesions at microbubble-enhanced US. Radiographics 24:921–935 Caplin ME, Buscombe JR, Hilson AJ, Jones AL, Watkinson AF, Burroughs AK (1998) Carcinoid tumour. Lancet 352:799–805 Cockey BM, Fishman EK, Jones B, Siegelman SS (1985) Computed tomography of abdominal carcinoid tumors. JCAT 9:38–42 Clements Jr JL, Roche RR (1984) Carcinoid of the duodenum: a report of six cases. Gastrointest Radiol 9:17–21 Dent AD, Feldman JM (1984) Pseudocystic liver metastases in patients with carcinoid tumors. Report of three cases. Am J Clin Pathol 82:275–279 Dimitroulopoulos D, Xynopoulos D, Tsamakidis K, Paraskevas E, Zisimopoulos A, Andriotis E, Fotopoulou E, Kontis M, Paraskevas I (2004) Scintigraphic detection of carcinoid tumors with a cost effectiveness analysis. World J Gastroenterol 10:3628–3633 Dresel S, Tatsch K, Zachoval R, Hahn K (1996) 111In-Octreotide und 123IMIBG-Szintigraphie in der Diagnostik von Dünndarmkarzinoiden. Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung. Nucl Med 35:53–58 Eising EG, Bier D, Knust EJ, Reiners C (1996) Somatostatinrezeptor-Szintigraphie. Methodik, Indikationen, Ergebnisse. Radiologe 36:81–88 Ekberg O, Bergenfeldt M, Aspelin P et al. (1988) Reliability of Ultrasoundguided fine-needle biopsy of pancreatic masses. Acta Radiol 29:535– 539 Frilling A, Malago M, Hertl M, Broelsch CE (1998) Use of somatostatin receptor scintigraphy to image extrahepatic metastases of neuroendocrine tumors. Surgery 124:1000–1004 Gembala RB, Arsuaga JE, Friedman AC et al. (1993) Carcinoid of the intrahepatic ducts. Abdom. Imaging 18:242–244 Godwin DJ (1975) Carcinoid tumors: an analysis of 2,837 cases. Cancer 36:560–569 Gotthardt M, Dirkmorfeld LM, Wied MU, Rinke A, Behe MP, Schlieck A, Hoffken H, Alfke H, Joseph K, Klose KJ, Behr TM, Arnold R (2003) Influence of somatostatin receptor scintigraphy and CT/MRI on the clinical management of patients with gastrointestinal neuroendocrine tumors: an analysis in 188 patients. Digestion 68:80–85
Gould M, Johnson RJ (1986) Computed tomography of abdominal carcinoid tumor. Brit J Radiol 59:881–885 Hermanutz KD, Bücheler E, Biersack HJ (1974) Zur Röntgendiagnose des Karzinoids. Fortschr Röntgenstr 121:186–196 Horwitz B, Schachter W (1983) Carcinoid arthropathy – radiological features. Brit. J. Radiol 56:131–132 Jais P, Terris B, Ruszniewski P et al. (1997) Somatostatin receptor subtype gene expression in human endocrine gastroentero-pancreatic tumours. Eur J Clin Invest 27:639–644 Jeffree MA, Barter SJ, Hemingway AP, Nolan DJ (1984) Primary carcinoid of the ileum: the radiological appearances. Clin Radiol 35:451–455 Jeffree MA, Nolan DJ (1987) Multiple ileal carcinoid tumors. Brit J Radiol 60:402–403 Jetmore AB, Ray JE, Gathright JB, McMuller KM, Hicks TC, Timmcke AE (1992) Rectals carcinoids: the most frequent carcinoid tumor. Dis Colon Rectum 35:717–725 Joseph K, Ishaque N, Klose KJ, Frank M, Kajdan U, Sprenger A (1997) Klinischer Stellenwert der Pentetreotid-Rezeptorszintigraphie bei GEPTumoren im Vergleich mit CT. Nuklearmedizin 36:A 80 Kisker O, Weinel RJ, Geks J, Zacara F, Joseph K, Rothmund M (1996) Value of somotostatin receptor scintigraphy for preoperative localization of carcinoids. World J Surg 20:162–167 Kobayashi K, Katsumata T, Yoshizawa S, Sada M, Igarashi M, Saigenji K, Otani Y (2005) Indications of endoscopic polypectomy for rectal carcinoid tumors and clinical usefulness of endoscopic ultrasonography. Dis Colon Rectum 48:285–291 Komatsuda T, Ishida H, Furukawa K, Miyauchi T, Heianna J (2005) Primary carcinoid tumor of the liver: report of a case with an emphasis on contrast-enhanced ultrasonographic findings. J Clin Ultrasound 33: 302–304 Krausz Y, Bar-Ziv J, deJong RBJ, Ish-Shalom S, Chisin R, Shibley N, Glaser B (1998) Somatostatin-receptor scintigraphy in the management of gastroenteropancreatic tumors. Am J Gastroenterol 93:66–70 Kvols LK, Moertel CG, O’Connell MJ et al. (1986) Treatment of malignant carcinoid syndrome. Evaluation of a long acting somatostatine analogue. N Engl J Med 315:663–666 Lamberts SWJ, Krenning EP, Reubi JC (1988) The role of somatostatin and its analogues in the diagnosis and treatment of tumors. Endocr Rev 9:417–436 Lamberts SWJ, Chayvialle JA, Krenning EP (1993) The visualization of gastroenteropancreatic endocrine tumors. Digestion 54/1:92–97 Levy AD,Taylor LD, Abbott RM, Sobin LH (2005) Duodenal carcinoids: imaging features with clinical-pathologic comparison. Radiology 237:967–972 Martensson H, Nobin A, Sundler F (1983) Carcinoid tumors in the gastrointestinal tract: an analysis of 156 cases. Acta Chir Scan 149:607–616 McCarthy SM, Stark DD, Moss AA, Goldberg HI (1984) Computed tomography of malignant carcinoid disease. J Comp Assist Tomogr 8:846–850 Meko JB, Doherty GM, Siegel BA, Norton JA (1996) Evaluation of somatostatin-receptor scintigraphy for detecting neuroendocrine tumors. Surgery 120:975–984 Miller ER, Herrmann RR (1942) Argentaffin tumors of the small bowel: Roentgen sign of malignant change. Radiology 39:214 Minardi Jr. AJ, Zibari GB, Aultman DF, McMillan RW, McDonald JC (1998) Small-bowel tumors. Am Coll Surg 186:664–668 Modlin IM, Kidd M, Latich I, Zikusoka MN, Shapiro MD (2005) Current status of gastrointestinal carcinoids. Gastroenterology 128:1717–1751 Moertel CG (1987) An odyssey in the land of small tumors. J Clin Oncol 5:1503–1522 Nauck C, Ivancevic V, Emrich D, Creutzfeldt W (1994) 111In –pentreotide (somatostatin analogue) scintigraphy as an imaging procedure for endocrine gastro-entero-pancreatic tumors. Z Gastroenterol 32:323– 327 Nikou GC, Lygidakis NJ, Toubanakis C, Pavlatos S, Tseleni-Balafouta S, Giannatou E, Mallas E, Safioleas M (2005) Current diagnosis and treatment of gastrointestinal carcinoids in a series of 101 patients: the significance of serum chromogranin-A, somatostatin receptor scintigraphy and somatostatin analogues. Hepatogastroenterology 52:731–741
453 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
Nocaudie-Calzada M, Huglo D, Carnaille B, Proye C Marchandise X (1996) Comparison of somatostatin analogue and metaiodobenzylguanidine scintigraphy for the detection of carcinoid tumours. Eur J Nucl Med 23:1448–1454 Oberg K (1998) Carcinoid tumors: current concepts in diagnosis and treatment. Oncologist 3:339–345 Oberg K (2003) Diagnosis and treatment of carcinoid tumors. Expert Rev Anticancer Ther 3:863–77 Oberg K, Eriksson B (2005) Nuclear medicine in the detection, staging and treatment of gastrointestinal carcinoid tumours. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 19:265–276 Picus D, Glazer HS, Levitt RG, Husband JE (1984) Computed tomography of abdominal carcinoid tumors. AJR 143:581–584 Ramage JK, Davies AH, Ardill J, Bax N, Caplin M, Grossman A, Hawkins R, McNicol AM, Reed N, Sutton R, Thakker R, Aylwin S, Breen D, Britton K, Buchanan K, Corrie P, Gillams A, Lewington V, McCance D, Meeran K, Watkinson A; UKNETwork for Neuroendocrine Tumours ( 2005) Guidelines for the management of gastroenteropancreatic neuroendocrine (including carcinoid) tumours. Gut 54 (Suppl 4):1–16 Reuter SR, Boijsen E (1966) Angiographic findings in two ileal carcinoid tumors. Radiology 87:836 Ricke J, Klose KJ (2000) Imaging procedures in neuroendocrine tumours. Digestion 62 (Suppl 1):39–44 Rose SC, Meyers WC, Saeed M, Feldman JM (1989) Limitations of angiography for mesenteric ischemia caused by midgut carcinoid tumors. Cardiovasc Intervent Radiol 12:131 Sarmiento JM, Que FG (2003) Hepatic surgery for metastases from neuroendocrine tumors. Surg Oncol Clin N Am 12:231–242 Schnur MJ, Seaman WB (1980) Prolapsing neoplasms of temterminal ileum simulating enlarged ileocoecal valves. AJR 134:1133–1136 Seigel RS, Kuhns LR, Borlaza GS, McCormick TL, Simmons JL (1980) Computed tomogaphy and angiography in ileal carcinoid tumor and retractile mesenteritis. Radiology 134:437–440 Semelka RC, John G, Kelekis NL, Burdeny DA, Ascher SM (1996) Small bowel neoplastic disease demonstrated by MRI. J Magn Reson Imaging 6:855–860 Siccardi AG, Paganelli G, Pontiroli AE (1996) In vivo imaging of chromogranin A-positive endocrine tumours by the three-step monoclonal antibody targeting. Eur J Nucl Med 23:1455–1459 Shulman H, Giustra P (1971) Invasive carcinoids of the colon. Radiology 98:139–143 Sugimoto E, Lorelius LE, Eriksson B, Öberg K (1995) Midgut carcinoid tumours: CT appearance. Acta Radiol 36:367–371 Taal BG, Hoefnagel CA, Valdes Olmos RA, Boot H (1996) Combined diagnostic imaging with 131I-Metaiodobenzylguanidine and 111In –pentreotide in carcinoid tumours. Eur J Cancer 32 A:1924–1932 Takayasu K, Muramatsu Y, Sakamoto M et al. (1992) Pindings in primary hepatic carcinoid tumor: US, CT, MRI and angiography. J Comp Assist Tomogr 16:99–102 Virgolini I, Raderer M, Kurtaran A et al. (1994) Vasoactive intestinal peptidereceptor imaging for the localization of intestinal adenocarcinomas and endocrine tumors. N Engl J Med 331:1116–1121 Wernecke K, Peters PE (1985) Sonographische und computertomographische Diagnostik von Lebermetastasen. Radiologe 25:141–151 Wilander E, Lundquist M, Öberg K (1989) Gastrointestinal carcinoid tumours: histogenetic, histochemical, immunhistochemical, clinical and therapeutic aspects. Progress in histochemistry and cytochemistry 19:1–87 Zuetenhorst JM, Taal BG (2005) Metastatic carcinoid tumors: a clinical review. Oncologist 10:123–131
5
5.5.3 Neuroendokrine Tumoren des Magens
G. Klöppel, B. Wiedenmann ) ) Die neuroendokrinen Tumoren des Magens sind überwiegend gut differenziert und zeigen, wenn sie im Zusammenhang mit einer chronisch-atrophischen Korpusgastritis auftreten, ein benignes Verhalten. Gut differenzierte und schlecht differenzierte neuroendokrine Karziinome sind selten.
5.5.3.1 Epidemiologie Neuroendokrine (bzw. endokrine) Tumoren (NET) des Magens umfassen ca. 5–10% aller NET des Gastrointestinaltrakts. Die jährlich angepasste Inzidenz gastraler NET beträgt ca. 0,2 pro 100.000 Einwohner (Rindi et al. 1996; Rindi et al. 1999; Solcia et al. 2000). Die Inzidenz ist in den letzten Jahren leicht steigend. Dies erklärt sich am ehesten durch eine erhöhte endoskopische Wachsamkeit bedingt durch eine verbesserte Kenntnis des Krankheitsbildes. 5.5.3.2 Klassifikation NET des Magens lassen sich klinisch wie auch histologisch in unterschiedliche Subtypen einteilen (. Tab. 5.17). Ebenso wie andere nicht-gastrale NET des Gastrointestinaltrakts zeigen sie histologisch ein Spektrum von gut bis hin zu schlecht differenzierten Tumoren/Karzinomen (Granberg et al. 1998). Gut differenzierte Tumoren stellen die Mehrheit aller gastralen NET dar. Die meisten gut differenzierten Tumoren leiten sich von den »enterochromaffin-like« (ECL) Zellen ab und finden sich in der Korpusmukosa des Magens. Diese Tumoren, die auch ECL-Zellkarzinoide oder auch ECLome genannt werden, sind praktisch immer gutartig. Sie zeichnen sich durch die Synthese von Histamin und den vesikulären Monoamintransporter vom Subtyp 2 (VMAT 2) aus. Letztgenanntes Transportermolekül kann immunhistochemisch als Marker für ECLome des Magens eingesetzt werden (Rindi et al. 1993, 2000; Jakobsen et al. 2001). Nur äußerst selten finden sich darüber hinaus noch gastrin-, somatostatin- oder serotoninproduzierende neuroendokrine Tumoren im Magen. 5.5.3.3 Endokrine Tumoren des Magens vom Typ 1 und 2 70–85% aller gastralen NET gehören dem Typ 1 an. Es handelt sich dabei um ECLome, die ganz überwiegend benigne, klein (<1 cm) und polypoid sind, sowie multipel auftreten (. Abb. 5.66). Sie sind von einer glatten spiegelnden Schleimhautoberfläche überzogen. Diese Tumoren sind zwingend mit einer Hypergastrinämie infolge einer atrophischen Gastritis vergesellschaftet und entwickeln sich auf dem Boden einer ECL-Zellhyperplasie. Viel seltener findet sich der Typ 2. Auch hier handelt es sich um ECLome im Zusammenhang mit einer Hypergastrinämie, die jedoch als Ausdruck eines Zollinger-Ellison-Syndroms vor dem Hintergrund einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN 1) entstanden ist. Ebenso wie bei Typ 1 finden sich multiple Tumoren in der Korpusmukosa des Magens. Im Gegensatz zu Typ 1 sind die Tumoren jedoch oft größer und haben zum Zeitpunkt der Diagnosestellung gelegentlich bereits zu Metastasen geführt. Beim Typ 1 sind mehrheitlich Frauen (70–80% aller Patienten) in der 5. bis 7. Lebensdekade betroffen, die auch noch
454
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Tab. 5.17. Klassifikation der gastralen neuroendokrinen Tumoren
5
Dignität
Endokrine Aktivität, Differenzierungsgrad
Größe, Lokalisation, Ausbreitung
Vorkommen, Prognose
Benignes Verhalten
Funktionell inaktive, kleine und hoch differenzierte Tumoren; Typ 1 und Typ 2 nach Rindi
Bis zu 1 cm < Mukosa/ Submukosa, keine Angioinvasion
ECLome der Korpusmukosa bei chronisch-atrophischer Gastritis (CAG) und Hypergastrinämie oder MEN 1 und Hypergastrinämie
Benignes oder niedrigmalignes Verhalten
Funktionell inaktive, hoch differenzierte Tumoren Typ 1 und Typ 2 nach Rindi
Intermediäre Größe (1–2 cm <) Mukosa/Submukosa oder Angioinvasion
ECLome der Fundusmukosa in Verbindung mit CAG und Hypergastrinämie oder MEN 1 und Hypergastrinämie
Niedrigmalignes Verhaltena
Meist funktionell inaktive, hoch differenzierte Tumoren; Typ 3 nach Rindi
Bis 2 cm oder Ausbreitung über die Submukosa hinaus
Sporadische ECLome; selten serotoninbildende Tumoren oder andere, selten MEN-1- oder CAG-assoziierte ECL-Tumoren
Hochmalignes Verhalten
Funktionell inaktive Tumoren vom intermediären oder kleinzelligen Typ
Größe und Ausdehnung beliebig
Bei Diagnosestellung meist bereits metastasiert
a c
b . Abb. 5.66a–d. Makroskopisches und mikroskopisches Erscheinungsbild gastraler NET vom Typ 1. a Multiple gastrale NET vom Typ 1 (sog. ECLome). Beachte die typischen breitbasig aufsitzenden Polypen, die von einer glatten Schleimhaut überzogen werden. b Histologisches Erscheinungsbild. Submuköser gut differenzierter neuroendokriner Tumor
d (H&E). c, d Endoskopischer Aspekt eines gastralen NET vom Typ 1 (sog. ECLom). Beachte die breitbasig aufsitzenden Polypen (c), die von einer glatten Schleimhaut überzogen sind und sich typischerweise in einer atrophen Korpusschleimhaut (d) meist multipel angesiedelt finden lassen
455 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
andere Autoimmunopathien aufweisen können und in über einem Drittel der Fälle im Rahmen ihrer atrophischen Korpusgastritis eine perniziöse Anämie entwickelt haben. Die Prognose der Patienten mit Typ 1 ist exzellent, ähnliches gilt in der Regel auch für den Typ 2. Klinische Symptomatik. Typ-1- und Typ-2-NET des Magens sind
praktisch immer asymptomatisch. Die Diagnose wird häufiger zufällig im Rahmen der Diagnostik einer Anämie oder zufällig im Rahmen von Gastroskopien mit der Diagnose einer atrophischen Gastritis erhoben. Diagnostisches Vorgehen. Zur Diagnosestellung wird an erster
Stelle eine Gastroskopie verbunden mit der Entnahme von antralen (2 Biopsien) wie auch Biopsien des Fundus (>4 Biopsien) zusammen mit Biopsien aus dem größten Polyp empfohlen (Plöckinger et al. 2004; Consensus Conference on the ENETS Guidelines for the Diagnosis and Treatment of Neuroendocrine Tumors 2005). In der Regel reicht die Endoskopie mit der Entnahme von Biopsien bei Tumoren, die kleiner als 1 cm sind, aus. Im Falle größerer Polypen sollte eine Endosonographie durchgeführt werden. Sollten sich vergrößerte Lymphknoten darstellen, empfiehlt sich eine Feinnadelpunktion unter endosonographischer Kontrolle sowie die Durchführung einer MRT oder CT des Abdomens. Bisher ist die Notwendigkeit einer Somatostatinrezeptor-Szintigraphie nicht belegt.
5
der Patienten effektiv. Sollten bereits Lymphknotenmetastasen vorliegen, muss jedoch eine radikalere chirurgische Behandlung erfolgen. Medikamentöse Therapie. Eine Biotherapie kann bei Typ-1- und Typ-2-Tumoren außer bei äußerst seltenen hormonaktiven/funktionellen gastralen NET nicht empfohlen werden; ebenso ist eine Chemotherapie wirkungslos. Eine Peptidrezeptor-NukleotidTherapie (PRRT) sollte nur bei Metastasen erwogen werden, die im Somatostatinrezeptor-Szintigramm positiv sind. Follow-up. Es empfiehlt sich bei Typ-1-Tumoren eine Gastroskopie alle 2 Jahre, bei Typ-2-Tumoren in jährlichem Abstand.
Histopathologie. Zusätzlich zu den konventionellen Färbungen
5.5.3.4 Endokrine Tumoren des Magens vom Typ 3 und niedrig differenzierte neuroendokrine Karzinome Gastrale NET des Typ 3 umfassen ca. 15–20% aller gastralen NET. Diese Tumoren entstehen sporadisch ohne prädisponierende Faktoren wie z. B. einer atrophischen Korpusgastritis oder einem MEN-1-Syndrom. Sie treten gewöhnlich einzeln auf, sind bei Erstdiagnose oft größer als 2 cm, infiltrieren die Muscularis propria (. Abb. 5.67) und zeigen daher meist schon eine Metastasierung in die lokoregionalen Lymphknoten wie auch Fernmetastasen in die Leber. Etwa 1% dieser Tumoren verursachen ein sog. atypisches Karzinoidsyndrom. Dieses beruht auf der Synthese wie auch exzessiven Sekretion von Histamin. Typ-3-Tumoren scheinen häufiger bei Männern als bei Frauen vorzukommen. Niedrig differenzierte neuroendokrine Karzinome (NETTyp 4) sind selten. Zum Zeitpunkt der Diagnose präsentieren sie sich meistens als fortgeschrittene ulzerierte und metastasierte Magenkarzinome. Immunhistochemisch findet sich eine Synaptophysinpositivität bei sehr geringer oder fehlender Chromograninexpression.
(Hämatoxylin-Eosin, PAS, Giemsa) ist der immunhistochemische Nachweis von Chromogranin A und Synaptophysin notwendig. Darüber hinaus sollte der Proliferationsmarker Ki67 eingesetzt werden. Zusätzliche immunhistochemische Färbungen sind nur im Hinblick auf eine weitere Abgrenzung dieser Tumoren oder akademische Fragestellungen sinnvoll.
Prognose. Typ-3-Tumoren haben eine deutlich schlechtere Prognose als Typ-1- und Typ-2-Tumoren. Niedrig differenzierte neuroendokrine Karzinome sind prognostisch vom Stadium abhängig und darin weitgehend den klassischen Magenkarzinomen vergleichbar.
Labordiagnostik. Für die Diagnose eines gastralen NET von Typ
1 oder Typ 2 ist normalerweise die Bestimmung von Gastrin mit/ oder Chromogranin A im Serum ausreichend. Neben o. g. bildgebenden Verfahren eignen sich beide Marker auch für das Follow-up.
Operative Therapie. In der Regel lassen sich die gastralen NET vom Typ 1 und 2 allein endoskopisch behandeln. Hierbei gilt, dass Polypen mit einer Größe von <1 cm jährlich endoskopisch kontrolliert werden sollten. Zeigen sich mehr als 6 Polypen und ist ein Polyp größer als 1 cm im Durchmesser empfiehlt sich die endoskopische Resektion unter endosonographischer Kontrolle und Verlaufsbeobachtung. Bei mehr als 6 Polypen und einem Tumordurchmesser von >1 cm verbunden mit einer Infiltration der Muscularis propria und/oder wiederholten Rezidiven empfiehlt sich bei Typ-1-Tumoren die chirurgische Resektion oder, wie kürzlich auch im Rahmen einer Konsensuskonferenz festgelegt, die Antrektomie (Consensus Conference on the ENETS Guidelines for the Diagnosis and Treatment of Neuroendocrine Tumors 2005). Ziel der Antrektomie ist, durch Reduktion der Gastrinsekretion der antralen G-Zellen den Wachstumsstimulus für die ECL-Zellen der Korpusschleimhaut zu eliminieren. Im Gegensatz zu Typ-1-NET sollte bei Typ-2-NET lediglich eine lokale Exzision und keine Antrektomie vorgenommen werden. Nach Empfehlung des chirurgischen Konsensus-Panels von ENETS ist die Antrektomie bei Typ-1-Patienten in mehr als 80%
Klinische Symptomatik. Selten können größere gastrale NET des
Typ 3 durch eine intestinale Blutung auffallen. Ansonsten sind diese NET (abgesehen von einem sehr seltenen atypischen Karzinoidsyndrom) asymptomatisch. Niedrig differenzierte neuroendokrine Karzinome zeigen die übliche Symptomatik der Magenkarzinome. Diagnostisches Vorgehen. Diagnostik der Wahl ist die Gastrosko-
pie mit Entnahme von Biopsien aus dem Tumor ebenso wie aus der antralen und Fundusmukosa. Zwingend notwendig ist die Computertomographie oder Magnetresonanztomographie; die Endosonographie ist als optional zu betrachten. Im Falle von schlecht differenzierten neuroendokrinen Karzinomen ist aufgrund der praktisch immer vorliegenden Fernmetastasierung eine Endosonographie unnötig, lediglich bei Tumoren von <1 cm und gutem Differenzierungsstadium ist die Endosonographie indiziert. Während im Falle von schlecht differenzierten Karzinomen die Computertomographie bzw. MRT des Thorax und Abdomens ausreicht, sollte bei gut differenzierten Karzinomen des Typ 3 zusätzlich eine Somatostatinrezeptor-Szintigraphie durchgeführt werden.
456
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5 a c
b
d
. Abb. 5.67a–d. Makroskopisches und mikroskopisches Erscheinungsbild eines gastralen NET vom Typ 3. a Im Gegensatz zum dem Typ 1 der gastralen NET ist der Typ 3 praktisch immer maligne und infiltriert die Muscularis propria. b Histologisches Erscheinungsbild. Gut differenzier-
tes neuroendokrines Karzinom (H&E) Typ 3 nach Rindi. c, d Endoskopie. Im Gegensatz zum Typ 1 finden sich beim Typ-3-NET in proximalen und distalen Magenanteilen solitäre Läsionen, häufig auch als Ulzerationen. NET vom Typ 3 treten typischerweise solitär auf
Labordiagnostik. Bei NET des Magens vom Typ 3 empfiehlt sich die Bestimmung von Chromogranin A sowie möglicherweise der neuronspezifischen Enolase (NSE).
rapie mit Streptozotocin und 5-FU oder Doxorubicin durchgeführt werden. Literatur
Therapie. Im Gegensatz zu Typ-1- und Typ-2-Tumoren ist beim
Typ-3 nur eine chirurgische Behandlung möglich, die in Abhängigkeit von der Tumorgröße und Lage eine partielle oder komplette Magenresektion und Lymphknotendissektion analog zu den Empfehlungen beim Adenokarzinom des Magens zum Ziel hat (Ackerstrom 1996). Beim Vorliegen von Lebermetastasen kann deren Resektion vor allem bei relativ guter histologischer Differenzierung erwogen werden. Jedoch liegen bis dato keine ausreichenden Daten vor, die dieses Vorgehen eindeutig zur Empfehlung machen. Alternativ zur chirurgischen Resektion von Lebermetastasen kann eine Zytoreduktion der Tumormasse auch mit Chemoembolisation wie auch anderen ablativen Verfahren erwogen werden. Eine Radiorezeptortherapie unter Einsatz von Yttrium 90 oder Lutetium 144 gekoppelten Octreotid/Octreotate sollte bei Typ-3-Tumoren nur im Falle eines hormonellen Syndroms zum Einsatz kommen. Biotherapeutische Ansätze können bei gut differenzierten Tumoren erwogen werden, sollten jedoch nur im Rahmen von prospektiven Studien durchgeführt werden. Chemotherapeutisch bietet sich bei schlecht differenzierten Karzinomen die Behandlung mit Cisplatin und Etoposid als Therapie der Wahl bei fehlender Resektabilität an. Bei besser differenzierten Karzinomen und fehlender Resektabilität kann eine The-
Ackerstrom G (1996) Management of carcinoid tumors of the stomach, duodenum, and pancreas. World J Surg 20:173–182 Granberg D, Wilander E, Stridsberg M. Graneurs G, Skogseid B, Oberg K (1998) Clinical symptoms, hormone profiles, treatment and prognosis in patients with gastric carcinoids. Gut 43:223–228 Jakobsen AM, Andersson P, Saglik G, Andersson E, Kolby L, Erickson JD, Forssell-Aronsson E, Wangberg B, Ahlman H, Nilsson O (2001) Differential expression of vesicular monoamine transporter (VMAT) 1 and 2 in gastrointestinal endocrine tumours. J Pathol 195:463–472 Plockinger U, Rindi G, Arnold R et al. (2004) European Neuroendocrine Tumour Society: Neuroendocrinology 80:394–424 Rindi G, Luinetti O, Cornaggia M, Capella C, Solcia E (1993) Three subtypes of gastric argyrophil carcinoid and the gastric neuroendocrine carcinoma: a clinicopathologic study. Gastroenterology 104:994–1006 Rindi G, Bordi C, Rappel S, La Rosa S, Solte M, Solica E (1996) Gastric carcinoids and neuroendocrine carcinomas: pathogenesis, pathology and behavior. World J Surg 20:168–172 Rindi G, Azzoni C, La Rosa S, Klersy C, Paolotti D, Rappel S, Stolte M, Capella C, Bordi C, Solcia E (1999) ECL cell tumor and poorly differentiated endocrine carcinoma of the stomach: prognostic evaluation by pathological analysis. Gastroenterology 116:532–542 Rindi G, Paolotti D, Fiocca R, Wiedenmann B, Henry JP, Solcia E (2000) Vesicular monoamine transporter 2 as a marker of gastric enterochromaffin-like cell tumors. Virchows Arch 436:217–223
457 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
Solcia E, Klöppel G, Sobin LH (2000) Histological typing of endocrine tumours. WHO International Histological Classification of Endocrine Tumors. Springer, Berlin Heidelberg New York Wiedenmann B, Jensen RT, Mignon M, Modlin CI, Skogseid B, Doherty G, Oberg K (1998) Preoperative diagnosis and surgical management of neuroendocrine gastroenteropancreatic tumors: general recommendations by a consensus workshop. World J Surg 22:309–318
5.5.4 Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«)
des Dünn- und Dickdarms B. Stinner, M. Rothmund ) ) Neuroendokrine Tumoren (NET, vormals »Karzinoide«) des Dünnund Dickdarms sind maligne Tumoren. Sie sind langsam wachsend und abhängig von ihrer Lokalisation in der Lage, unterschiedliche Hormone zu produzieren. Ein Karzinoidsyndrom ist dabei immer Ausdruck einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung und tritt nur dann auf, wenn die Abbaukapazität der Leber für das entsprechend produzierte Hormon überschritten wird bzw. wenn die Leber selbst Ort ausgedehnter Metastasierung und damit auch der Hormonproduktion ist. Die Prognose einer NET-Erkrankung wird bestimmt durch die Lokalisation des Primärtumors, das Ausmaß der bereits stattgehabten Filialisierung bei der Erstoperation (regional, Leber), der hormonellen Aktivität und der chirurgischen Resektabilität. NET der Appendix sind meistens klein und haben hervorragende Ergebnisse nach chirurgischer Resektion mit 5-JahresÜberlebensraten zwischen 90 und 100%. Frühstadien der Rektum-NET verhalten sich ähnlich, größere Tumoren an dieser Stelle dagegen sind kaum zu heilen. NET des Dünn- und Dickdarms haben bei Diagnosestellung deutlich häufiger bereits metastasiert und sind daher zwar prognostisch ungünstiger, dennoch liegen ihre Überlebensraten nach Therapie immer noch über denen der vergleichbaren Adenokarzinome. NET des Dünn- und Dickdarms können multizentrisch auftreten. Grundsätzlich muss immer nach synchronen intestinalen Karzinomen, aber auch extraintestinalen Neubildungen gesucht werden. Die Therapie ist grundsätzlich aggressiv-chirurgisch mit dem Ziel der Resektion des Primärtumors und seiner Metastasen (zur Therapie der Lebermetastasen 7 Kap. 5.5.5), da dieses Vorgehen die einzige Möglichkeit zur Heilung darstellt und bei symptomatischem und nicht-resezierbarem Leiden eine sinnvolle Palliation ermöglicht. Durch das langsame Wachstum und die guten Überlebenszeiten sind auch wiederholte palliative Eingriffe gerechtfertigt. Die operative Manipulation von NET kann eine »Karzinoidkrise« mit lebensbedrohlicher Hypo-/Hypertension und Bronchospasmus hervorrufen, die dann mit konventionellen Maßnahmen nicht mehr zu durchbrechen ist. Narkose und Operation müssen daher unter dem Schutz von Somatostatin oder Octreotid durchgeführt werden.
5
10 Regeln für den Umgang mit neuroendokrinen Tumoren (NET) des Dünn- und Dickdarms 1. NET sind maligne Tumoren. 2. NET sind langsam wachsend. 3. NET haben eine bessere Prognose als Karzinome und sind im Einzelfall in ihrer Entwicklung kaum vorhersagbar. 4. Aggressivität und Prognose von NET hängt von der Lokalisation ab. 5. Das »Karzinoid«-Syndrom ist Ausdruck eines fortgeschrittenen Tumorleidens. 6. Hepatische oder lymphogene Metastasierungen rechtfertigen keinen chirurgischen Nihilismus. 7. Die chirugische Resektion ist die einzige kurative Maßnahme. 8. Palliative Operationen (Ileusvermeidung, Debulking, operative Therapie der kardialen Veränderungen) sind grundsätzlich (auch wiederholt) indiziert. 9. Operative Maßnahmen bei NET müssen von einer perioperativen Prophylaxe der »Karzinoidkrise« begleitet sein. 10. Die medikamentöse Therapie (Somatostatin, Interferon) kann nur Symptome lindern, eine antiproliferative Wirkung ist fraglich.
5.5.4.1 Historische Entwicklung, Klassifikation und Nomenklatur (7 Kap. 5.3) Neuroendokrine Tumoren (NET) sind seltene Erkrankungen im Gastrointestinaltrakt. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden sie Karzinoide genannt. Die Erstbeschreibung erfolgte durch Lubarsch (1888) und der Begriff »Karzinoid« wurde 1907 von Oberndorfer (Oberndorfer 1907) geprägt, der hiermit ausdrücken wollte, dass diese Neubildungen zwar die proliferative Natur eines malignen Tumors haben, aber gleichzeitig eine geringere Aggressivität aufweisen. Masson (1928) konnte als Ursprungsgewebe dieser Neubildung die sog. enterochromaffinen Zellen an der Basis der Lieberkühn-Krypten identifizieren. Der Zusammenhang zwischen diesen Neubildungen und der Produktion von Serotonin als einem der Auslöser der Symptome des Karzinoidsyndroms (Durchfälle, Flush-Symptomatik, Herzklappenveränderungen, Endokardfibrose) wurden erst 1953 von Lembeck gefunden. Zwei Jahre später konnte die Kausalkette zwischen den Karzinoidtumoren und dem Karzinoidsyndrom definitiv durch Page über den Nachweis von 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIAA) im Urin bei Patienten mit einem Karzinoidsyndrom geschlossen werden (Neary et al. 1997). Ausgehend von ihrem embryologischem Ursprung, wurden die »Karzinoide« in sog. »Fore-, Mid- und Hindgut«-Karzinoide eingeteilt (Williams et al. 1963). Die »Midgut«-Tumoren (Versorgungsgebiet der A. mesenterica superior: Jejunum, Ileum und rechtes Kolon) entsprechen dabei der am weitesten verbreiteten Vorstellung von einem serotoninproduzierenden Tumor. Ein Karzinoidsyndrom tritt aber nur dann auf, wenn die Abbaufähigkeit der Leber für Serotonin überschritten wird, die Leber selbst durch eine ausgedehnte Metastasierung Ort der Serotoninbildung ist, oder in seltenen Fällen der Tumor durch Invasion Anschluss an das System der V. cava inferior findet. »Hindgut«-Tumoren (Versorgungsgebiet der A. mesenterica inferior: linkes Kolon und Rektum) sind nahezu nie endokrinologisch aktiv.
458
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Diese Einteilungsstrukturen wurden in der Zwischenzeit neu gefasst. Basierend auf der Erkenntnis, dass es sich bei »Karzinoiden« häufig um Neubildungen mit allen Charakteristika einer malignen Erkrankung handelt, wurde vorgeschlagen, diesen Begriff durch »neuroendokrinen Tumor« (NET) mit der Angabe zusätzlicher morphologischer, funktioneller und biologischer Eigenschaften zu ersetzen (Klöppel et al. 1996). Nur 3–5% aller Patienten mit NET entwickeln ein Karzinoidsyndrom. Bei bis zu 70% aller Patienten, die ein Karzinoidsyndrom entwickeln, findet sich der Primärtumor im Dünndarm (Neary et al. 1997). 5.5.4.2 Epidemiologie Zur Häufigkeitsverteilung der NET von Dünn- und Dickdarm liegen unterschiedliche Angaben vor. Die gesamte Prävalenz von NET wird in der Literatur mit etwa 0,7–3,8/100.000 Einwohnern angeben (Maggard et al. 2004). Diese Häufigkeitsbeschreibung beruht zwangsläufig auf den zufällig oder aufgrund ihrer klinischen Symptomatologie manifest gewordenen NET. Interessanterweise entspricht diese Prävalenz nur einem Teil derjenigen, die in einer großen schwedischen Untersuchung bei 16.294 Autopsien gefunden wurde. Hier wurde sie mit 8,4 pro 100.000 Einwohner ermittelt (Berge et al. 1976).
Viele NET des Gastrointestinaltraktes bleiben wahrscheinlich lebenslang unentdeckt.
Ein ähnliches Problem ergibt sich bei der Bewertung der in der Literatur angegebenen Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Lokalisationen. Vorwiegend in den älteren Übersichten weisen die NET des Dünndarms und der Appendix die größte Häufigkeit auf. Dies mag zum einen die Tatsache reflektieren, dass sie häufiger eine klinische Symptomatik zeigten und damit eine operative Maßnahme erforderten (Dünndarm), oder dass die zugrunde liegende Operation, die zur definitiven Histologiebestimmung führte, eine enorm weite Verbreitung hat (Appendix). Ob eine Abnahme der Häufigkeit über die letzten Jahrzehnte, wie sie für die NET der Appendix zu finden ist (Abnahme von 31,8 auf nur noch 12% aller gastrointestinalen NET), einem echten Wandel der Krankheitshäufigkeit entspricht, oder ob sie allein methodologische Ursachen hat (nur Erfassen der »malignen« Varianten der NET) oder auch auf den deutlichen Rückgang der Inzidenz der zugrunde liegenden Operation (Abnahme der Häufigkeit der primären Appendektomie von etwa 20%) zurückzuführen ist, bleibt unklar (Maggard et al. 2004). Dass die Selektions-Bias in Serien, die aus Referenzzentren mitgeteilt werden, einen erheblichen Einfluss auf die Zahlenangaben hat, bestätigt ein Bericht aus der Ochsner-Klinik, in der NET des Rektums 55,3% aller NET ausmachten (Jetmore et al. 1992). Berücksichtigt man diese vielen Einflussfaktoren, die in die Angaben der publizierten Zahlen einfließen, so ist nach wie vor die »wahre« Häufigkeitsverteilung der NET des Dünn- und Dickdarms nicht bekannt. Unter diesen Vorbehalten sind auch alle weiteren epidemiologischen Daten zu sehen: eine leichte Bevorzugung des weiblichen Geschlechts und eine Altersverteilung, die eine extreme Spannweite aufweist, zusammengefasst aber etwas jünger ist als für die Adenokarzinome. Ähnliche Selektionsprobleme ergeben sich für die in der Literatur angegebenen Inzidenzen koexistierender weiterer ma-
ligner Tumoren bei Patienten mit NET (z. B. Endometrium oder kolorektale Karzinome). Hier finden sich Angaben abhängig von der Lokalisation zwischen 7–61% (Brune et al. 2003, Modlin et al. 2003). Hier wurden in der Autopsiestudie bei 40,7% von 199 Patienten mit NET ein oder mehrere Zweittumoren gefunden, wobei die meisten von diesen im Gastroinstestinaltrakt lokalisiert waren (Berge et al. 1976).
Koinzidierende Adeokarzinome bei NET des Gastrointestinaltraktes sind häufig.
Multiple NET des Dünndarms wurden nach Autopsien mit einer Häufigkeit von 33%, in klinischen Serien immerhin ebenfalls in einer Größenordnung von 10–12% angegeben (Modlin et al. 2003). 5.5.4.3 Biologisches Verhalten und Behandlungsstrategie Die Aggressivität von NET ist in Abhängigkeit von der Lokalisation extrem unterschiedlich. Daneben ist das Ausmaß der histologischen Differenzierung ein Merkmal, das als unabhängiger prognostischer Faktor für das Überleben gesichert ist, obwohl diese Klassifikation das Ausmaß der chirurgischen Therapie nicht bestimmen sollte (Memon et al. 1997). Die chirurgische Resektion von Tumor und Metastasen ist die einzige definitive Möglichkeit der Heilung.
NET des Gastrointestinaltraktes können nur durch die vollständige operative Entfernung geheilt werden.
NET sind langsam wachsende Tumoren mit der Neigung zur lokalen und Fernmetastasierung, aber auch der Möglichkeit des Langzeitüberlebens der Patienten bei schon fortgeschrittenem Tumorstadium. Sogar für Patienten, die nicht-resezierte peritoneale und Lymphknotenmetastasen hatten, konnten jahrelange Überlebensraten und Symptomkontrolle gezeigt werden (Hellmann et al. 2002; Söreide et al. 2000). Wenn die lokale Resektion oder eine Tumorreduktion (Debulking) nicht möglich ist (Ausnahme!), sind in jedem Tumorstadium Bypass-Operationen, Segmentresektionen oder andere Maßnahmen gerechtfertigt, die die Lebensqualität des Patienten verbessern können (zur Therapie der hepatischen Beteiligung 7 Kap. 5.5.5). Hierdurch können nicht nur die lokalen Komplikationen wie Ischämie, Blutung oder Ileus verzögert werden, sondern auch die sekundären Effekte des Tumors (Herzbeteiligung) beeinflusst, sowie das Ausmaß der folgenden medikamentösen Therapie vermindert und die Palliationseffekte verbessert werden (Memon et al. 1997).
Resektionen, auch ausgedehnt und ggf. inkomplett, sind in der Regel gerechtfertigt.
Eine symptomatische Besserung des »Karzinoidsyndroms« lässt sich mit dem Somatostatinanalogon Octreotid erreichen, für das auch eine antiproliferative Wirkung diskutiert wird. Die Wirk-
459 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
samkeit von Chemotherapeutika (Streptozotocin, 5-FU) ist nicht gesichert (Öberg et al. 2004). Bei gemeinsamem Auftreten von NET und gastrointestinalen Adenokarzinomen wird die Prognose des Patienten in der Regel durch das Adenokarzinom und nicht durch den mittherapierten neuroendokrinen Tumor limitiert. Grundsätzlich ist die Anwesenheit von Lebermetastasen kein Grund, auf eine radikale Resektion des Primärtumors und der regionären Lymphknotenmetastasen zu verzichten. Neben diesen Zielen hat die Operation den Charakter einer Staging-Laparotomie, die bislang unbekannte Tumorabsiedlungen erkennen kann. Zusätzlich sollte eine Cholezystektomie vorgenommen werden, um hierdurch das Risiko einer Gallenblasennekrose, bei einer später möglicherweise indizierten interventionellen Embolisationsbehandlung der Metastasenleber, zu vermeiden. Eine gleichzeitige Resektion der Leberfiliae ist dann indiziert, wenn mehr als 90% der Metastasen entfernt werden können, ohne den Patienten zu gefährden. 5.5.4.4 Patientenaufklärung Operationen wegen neuroendokriner Tumoren erfolgen häufig in Unkenntnis der eigentlichen Grundkrankheit und sind durch das Ausbilden von Symptomen wie Ileus oder Schmerz dirigiert, wobei die Aufklärung sowieso die Ausdehnung einer Operation bei bestehender diagnostischer Unsicherheit enthalten muss. Ist ein NET bekannt, so beinhaltet sie sowohl die Ausdehnung der Operation auf die Resektion bis dahin nicht bekannter hepatischer oder Lymphknotenmetastasen, als auch »prophylaktischer« Maßnahmen wie Cholezystektomie oder Resektion von Darmanteilen, die durch eine desmoplastische Reaktion bedroht sind. Der Patient muss wissen, dass der intraoperative Befund über das vorher diagnostizierte Ausmaß hinausgehen kann und dass ggf. auch nur eine Tumorreduktion möglich, aber auch sinnvoll ist. Manipulationen an neuroendokrinen Tumoren beinhalten das Risiko einer »Karzinoidkrise« und erfordern eine intensivierte Kreislaufüberwachung (invasives Monitoring mit arterieller Messkanüle und zentralem Venenkatheter, Überwachung auf einer Intensivstation) und eine perioperative SomatostatinProphylaxe. 5.5.4.5 Anästhesie und perioperative Prophylaxe der »Karzinoidkrise« Patienten mit einem symptomatischen NET (Flush, Diarrhö, Asthma) können schon vor der Operation eine Reihe von Elektrolytimbalancen aufweisen, die sorgfältig ausgeglichen werden müssen. Jede (!) Operation bei einem Patienten mit NET kann eine sog. »Karzinoidkrise« hervorrufen, wobei dieses im Wesentlichen die häufiger endokrin aktiven »midgut« NET betrifft. Diese Krise ist eine Reaktion auf die Freisetzung verschiedener Substanzen wie Serotonin, Kallikreine, Bradykinine, Histamin oder Tachykinine mit teils gegensätzlichen Kreislaufeffekten, die im Zusammenspiel nicht vorhersagbar sind. Häufigstes Merkmal einer solchen Krise sind lebensbedrohliche Hypotensionen und Bronchospasmus, die oft mit konventionellen Maßnahmen nicht mehr zu durchbrechen sind. Cave Operationen wegen NET erfordern eine Prophylaxe der »Karzinoidkrise« mit Octreotid oder Somatostatin!
5
Eine sorgfältige Prämedikation zur Anxiolyse (Stress kann Flush-Episoden schon bei der Narkoseeinleitung triggern) ist zwingend. Hinzu kommen weitere medikamentöse Prophylaxen gegen die führenden Mediatoren (H1-H2-Blockade, ggf. Methysergid). Um das Risiko einer »Karzinoidkrise« zu minimieren, ist heute die präoperative Gabe von Octreotid (50– 500 µg s.c. alle 8 h, beginnend bevorzugt 24 h vor der geplanten Operation) gefordert. Die Operation selbst kann unter dem Schutz der intravenösen Gabe von Octreotid oder Somatostatin erfolgen, die beide in der Lage sind, die Peptidfreisetzung aus Zellen des GEP-Systems zu hemmen. Dennoch auftretende intraoperative Kreislaufinstabilitäten sind oft nur schwer einer definierten Ursache zuzuordnen, da sich Hypovolämie und Mediatoreffekte überlagern können. Die Therapie der Hypotension erfolgt dann durch Volumensubstitution und i.v. Bolusgaben von Octreotid (10–20 µg Einzeldosis). Sympathomimetisch wirksame Vasokonstriktoren sind kontraindiziert, da sie die Peptidfreisetzung über α-Rezeptoren noch steigern können (Veall et al. 1994). Zur Verminderung des perioperativen Risikos bei Patienten mit NET sind eine Reihe von Richtlinien zusammengestellt worden (7 Übersicht, modifiziert nach Memon et al. 1997). Richtlinien zur Vermeidung der »Karzinoidkrise« in Anästhesie und Chirurgie 5 Prämedikation und sofortige Verfügbarkeit mit/von Somatostatin/Octreotid 5 Ausgleich von Elektrolytverschiebungen 5 Adäquate präoperative Hydratation 5 H1/H2-Antihistaminika-Prophylaxe, Serotoninantagonisten, Glukokortikoide 5 Vorsichtige Anästhesieeinleitung 5 Lokalanästhesie zur Minimierung des Intubationstraumas 5 Vermeidung von Regionalanästhesie 5 Vermeidung von spezifischen Medikamenten wie Morphin, Suxamethonium, Beta- Rezeptorblocker, Tubocurarin, Halothan und Atracurium 5 Extrem vorsichtige und aufmerksame Führung des Patienten
5.5.4.6 Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) des Dünndarms Epidemiologie und Lokalisation. Die durchschnittliche Prävalenz von NET des Dünndarms beträgt 0,5 Fälle auf 100.000 Einwohner/Jahr, NET machen 13–34% aller Dünndarmneoplasien und 17–46% aller bösartigen Tumoren des Dünndarms aus. Dabei ist die Verteilung über den Dünndarm sehr unterschiedlich, ca. 80% aller NET finden sich im Ileum, auf Jejunum und Duodenum verteilt sich der Rest mit jeweils etwa 10%. Klinische Symptomatik. Duodenale NET bilden zu 60% Gastrin,
zu 30% Somatostatin und zu 10% andere Hormone. Die meisten NET des Ileums produzieren Serotonin und Substanz P und haben eine typisch insuläre histopathologische Struktur. Jejunale Tumoren sind dagegen mehr trabekulär strukturiert und erlauben vorwiegend den immunhistochemischen Nachweis von Gastrin und Somatostatin (Capella et al. 1994).
460
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
NET des Jejunums und des Ileums sind die typischen serotoninproduzierenden »Karzinoide«.
5
NET des Dünndarms werden präoperativ selten richtig diagnostiziert und verursachen die unterschiedlichsten Symptome (Schmerzen durch Ischämie, Obstruktion). Wird präoperativ die Diagnose einer Tumormasse gestellt, so entspricht der gesehene Befund in der Regel befallenen Lymphknotenkonglomeraten. Die meisten Patienten mit NET des Dünndarms werden im Bilde des Dünndarmileus oder unter dem Verdacht einer mesenterialen Ischämie operiert. Dabei ist diese Obstruktion in der Regel nicht durch den Tumor selbst verursacht (NET des Dünndarms sind klein! . Abb. 5.68), sondern durch eine sog. »desmoplastische Reaktion«, die zu einer Schrumpfung des Mesenteriums und Knickbildungen des Darms führen kann. Zeichen der intestinalen Ischämie sind durch eine Kombination von Gefäßsklerose im Rahmen dieser Reaktion, Hormoneffekte sowie Kompromittierung der Gefäße durch die desmoplastische Reaktion und die Lymphknotenmetastasen bedingt (Öhrvall et al. 2000). Ganz selten können sich NET des Dünndarms unter dem Bild der gastrointestinalen Blutung manifestieren. Cave Sieht man präoperativ große Knoten, entsprechen sie den Lymphknotenmetastasen und nicht dem Primärtumor.
Metastasierung. Der Lymphknotenbefall zeigt einen direkten
Zusammenhang zur Tumorgröße. Bei Tumoren <1 cm finden
a
. Abb. 5.68a–c. Kleiner NET des Dünndarms. a Der NET kann nur bei sorgfältiger Untersuchung des Darms gefunden werden. b Lymphknotenkonglomerat mit desmoplastischer Reaktion und Verziehung des gesamten Dünndarmmesenteriums. c Typisches Resektat, in diesem Falle eines multizentrischen NET (Pfeile), unter Mitnahme beider Primärtumoren und des mit Lymphknotenmetastasen durchsetzten Mesenteriums (onkologische Radikalität und Vermeidung lokaler Komplikationen)
sich Angaben von 5% (Morgan et al. 1974) bis zu 84% (Makridis et al. 1990), der durchschnittliche Lymphknotenbefall bei Tumoren dieser Größe beträgt etwa 44% (Stinner et al. 1996). Die Invasionstiefe (normalerweise abhängig von der Tumorgröße) und multiples Auftreten begünstigen zudem das Auftreten von Lymphknotenmetastasen. Das Risiko für Lymphknotenmetastasen steigt bis zu 82% für Tumoren >2 cm (Memon et al. 1997; Shebani 1999). Prognose. Das Ausmaß der Lymphknoten- und Lebermetastasierung bei Diagnosestellung ist der definitive prognostische Faktor für das Überleben. Die 5-Jahres-Überlebensraten sinken von etwa 73% für die Patienten mit einer lokal begrenzten Erkrankung auf etwa 50% für die Patienten, bei denen Lebermetastasen vorhanden sind (Modlin 2003).
Klinische Manifestation des NET bedeutet meist eine klinische Manifestation der Metastasierungskomplikation und ein fortgeschrittenes Tumorstadium.
Therapie. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren gibt es in der Therapie von NET des Dünndarms keinen Platz für limitierte Resektionen. Selbst bei den kleinen Tumoren sollte eine ausgedehnte Resektion gemeinsam mit dem relevanten Lymphabflussgebiet erfolgen. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Länge des zu resezierenden Dünndarms durch das mögliche Auftreten eines Kurzdarmsyndromes Grenzen gesetzt sind. Auf jeden Fall sollte ein Debulking der entsprechenden mesenterialen Lymphknotenpakete versucht werden, dies auch selektiv unter
b
c
461 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
Schonung der mesenterialen Hauptgefäßachsen. Diese Operationen können chirurgisch extrem anspruchsvoll sein, sparen aber Resektatlänge und führen zu einer nachweisbaren Prognoseverbesserung der Patienten mit Überlebensraten über Jahre (Öhrvall et al. 2000; Hellmann et al. 2002). Der aggressive chirurgische Zugang ist der einzige, der ein definitives histopathologisches Staging ermöglicht, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verborgene Lymphknotenmetastasen beseitigen kann, und der v. a. auch vor den lokalen Komplikationen infolge der desmoplastischen Reaktionen schützt.
Ausgedehnte Resektionen sind sinnvoll, eine gefäßsparende Lymphknotendissektion ist besser als Bypass-Operationen.
Intraoperativ muss der gesamte Intestinaltrakt sorgfältig palpatorisch untersucht werden, um mögliche Zweit-NET (20–40% der Fälle) oder auch gleichzeitig auftretende andere gastrointestinale Tumoren zu entdecken (8–29% der Fälle; Shebani et al. 1999; Brune et al. 2003). 5.5.4.7 Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) des Meckel-Divertikels Neuroendokrine Tumoren (NET) im Meckel-Divertikel sind extrem selten (Nies et al. 1992). Aufgrund der äußeren makromorphologischen Ähnlichkeiten werden sie oft mit NET der Appendix assoziiert. Im Gegensatz zu diesen jedoch, die bis zu einer Größe von 1 cm faktisch nie metastasieren, zeigen die durchschnittlich größeren NET im Meckel-Divertikel schon ab einem Durchmesser von 5 mm ein Metastasierungsrisiko von 6,3%, bei einer Größe von 6–10 mm von 26,3% und bei 1–2 cm von 58%. Sie liegen dabei dichter am Metastasierungsverhalten der NET des Dünndarms. Zudem haben histopathologische Untersuchungen gezeigt, dass NET in Meckel-Divertikeln in ihrem Feinbau sehr viel stärker jejunal-ilealen NET entsprechen als denen der Appendix (Moyana 1989). Zum Zeitpunkt der Diagnose hatten 24% der bisher beschriebenen Meckel-NET bereits Metastasen, 77% der symptomatischen Patienten hatten keine lokalisierte Tumorerkrankung mehr.
NET im Meckel-Divertikel sind so zu behandeln wie NET des Dünndarms.
Das beinhaltet das großzügige Entfernen des zugehörigen Lymphabstromgebietes und, wenn vorhanden, der Metastasen. Der klare Zusammenhang zwischen Tumorgröße und dem Risiko der Metastasierung ermöglicht die Kalkulation des Risikos einer limitierten Resektion im Falle einer möglichen Nachresektion, falls ein NET als Zufallsbefund gefunden wurde, oder bei Hochrisikopatienten. 5.5.4.8 Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) der Appendix Epidemiologie. NET der Appendix, längere Zeit als die häufigsten NET angesehen, werden meist zufällig in Operationspräparaten nach Appendektomie gefunden und haben in der Regel wenig Einfluss auf die Gesamtprognose des Patienten. Das Vorkommen in Appendektomiepräparaten beträgt bis 0,7%, und die
5
epidemiologisch nachgewiesene Bevorzugung des weiblichen Geschlechts wird von vielen Autoren auf die größere Häufigkeit der Appendektomie bei Frauen zurückgeführt. Das durchschnittliche Manifestationsalter ist 41 Jahre (Memon et al. 1997). Metastasierung und Prognose. Die Verteilung der NET in der
Appendix ist ungleichmäßig und für die Prognose günstig: 60– 70% finden sich an der Spitze, 5–21% in der Mitte und nur etwa 7–10% an der Basis der Appendix, sodass in der Regel eine definitive Therapie durch eine einfache Appendektomie möglich ist. Hinzu kommt, dass 60–76% 2 cm gefunden wurden (Memon et al. 1997). Da auch bei diesem Tumor das Metastasenrisiko von der Größe abhängt, ist auch diese Größenverteilung günstig für die Gesamtprognose. Das Metastasenrisiko für Tumoren <1 cm ist faktisch 0, für Tumoren zwischen 1 und 2 cm liegt es nur zwischen 0–1%. Der definitive Prognosesprung findet sich bei Tumoren >2 cm, für die eine Metastasierungsrate zwischen 20 (Thompson et al. 1985) bis zu fast 85% (MacGillivray et al. 1992) beschrieben wird. Fasst man die Daten verschiedener Studien zusammen, so ergibt sich etwa ein durchschnittliches Risiko von 30% für diese Tumorgröße. Die bisherigen Überlegungen zur Prognose der NET der Appendix gelten in gleicher Weise für Kinder. In Serien von 40 und 36 appendektomierten Kindern mit einem medianen Alter von 12 Jahren und einer medianen Nachuntersuchungszeit von 18 und 10 Jahren (!), die wegen der Diagnose »Appendizitis« operiert worden waren und als Zufallsbefund ein Karzinoid enthielten, hatte keiner dieser Patienten ein Rezidiv (Parkes et al. 1993; Prommegger et al. 2002). In der ersten Serie waren 2 von den 40 Kindern nachoperiert worden, einmal weil bei der Erstoperation ein Residualtumor an der Appendixbasis zurückgelassen worden war und in einem zweiten Fall, weil der NET die gesamte Appendix durchsetzt hatte und als gangränös beschrieben worden war. Die genaue Ursache des weniger aggressiven Verhaltens der NET der Appendix ist nicht bekannt. Die leichte Zugänglichkeit der Appendix für die operative Entfernung und die absolute Häufigkeit dieser Operation mögen gemeinsam mit der klinischen Präsentation als Appendizitis einen Anteil daran haben. Histopathologie. Die heterogene Lokalisationsverteilung und die gute Prognose haben schon früh zu der Theorie geführt, dass NET der Appendix nicht von epithelialen neuroendokrinen Zellen abstammen, sondern von einer subepithelialen Spezies. Histopathologisch konnte gezeigt werden, dass zwar die epitheliale Form gleichmäßig über die gesamte Appendix verteilt ist, die subepithelialen neuroendokrinen Zellen jedoch sehr viel häufiger an der Spitze als an der Basis der Appendix vorkommen. Zudem verändert sich ihre Verteilung über die Lebensspanne eines Menschen in der Weise, dass tatsächlich im Erkrankungsmaximum für einen NET der Appendix auch das Maximum der Verteilung der subepithelialen neuroendokrinen Zellen an der Spitze erreicht ist (Shaw 1991). Therapie. Die einfache Appendektomie ist die Behandlung der Wahl für Tumoren <1 cm im Durchmesser, die Hemikolektomie rechts für Tumoren >2 cm. Dabei ist der Hemikolektomie rechts der Vorzug gegenüber einer einfachen Ileozökalresektion zu geben, da letztere nicht zu einer angemessenen Entfernung des zugehörigen Lymphabflussgebietes führt.
462
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
NET <1 cm an der Appendixspitze werden durch eine Appendektomie saniert, NET der Appendix >2 cm erfordern eine Hemikolektomie rechts.
5
Schwieriger ist die Entscheidung bei Tumoren mit einem Durchmesser zwischen 1 und 2 cm. Hier müssen weitere Entscheidungskriterien herangezogen werden. Eine Hemikolektomie ist dann indiziert, wenn der Tumor dicht an der Basis liegt, eine Lymphgefäßinvasion, Serosabeteiligung oder Infiltration der Mesoappendix vorliegt und/oder histologisch Schleimproduktion und zellulärer Pleomorphismus mit einer hohen Mitoserate zu finden sind (Goede et al. 2003). Berücksichtigt man das Metastasierungsrisiko von ungefähr 0,5–0,7% für diese Tumoren, so ist bei jungen Patienten eher die Indikation für eine großzügigere Resektion zu stellen. Die Resektion eines NET der Appendix führt in der Regel zur Heilung, die 5-Jahres-Überlebensraten liegen zwischen 90–100%. Die laparoskopische Entfernung der Appendix führt zwar bei unsichererem Lokalbefund häufiger zur Nachoperation, verschlechtert aber nicht die Gesamtprognose (Bucher et al. 2004). Becherzellkarzinoide. Eine Sonderform der NET der Appendix stellen die sog. »Becherzellkarzinoide« oder »Adenokarzinoide« dar, die sowohl die histopathologischen Merkmale des NET als auch des Adenokarzinoms zeigen. Sie sind Mischtumoren, die in ihrem Dignitätsverhalten ebenfalls zwischen diesen Tumortypen liegen und deswegen einer Hemikolektomie rechts bedürfen (Goede et al. 2003). Bei NET der Appendix treten koinzidierend in etwa 10% der Betroffenen Adenokarzinome an unterschiedlichen Stellen des Gastrointestinaltraktes auf.
»Becherzellkarzinoide« der Appendix sind eine Mischform aus NET und Adenokarzinom.
5.5.4.9 Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) des Kolons Epidemiologie und Prognose. Neuroendokrine Tumoren (NET) des Kolons machen etwa 3–8% aller intestinalen NET aus und haben eine von oral nach anal abnehmende Inzidenz (im Gegensatz zu Adenokarzinomen). 60% der Patienten haben bei Diagnosestellung bereits ein metastasiertes Tumorleiden. Die Gesamt-5-Jahres-Überlebensrate ist die schlechteste aller intestinalen NET mit im Durchschnitt 41,6% (bei distaler Lokalisation mit 33% sogar noch schlechter; Modlin et al. 1997). Wie die Adenokarzinome treten sie vorwiegend bei älteren Patienten auf (Altersgipfel 70–80 Jahre). Klinische Symptomatik. Die meisten NET des Kolons sind bei Diagnose >5 cm und fallen durch die Symptomatik einer intestinalen Obstruktion und Gewichtsverlust auf (Ballantyne et al. 1992; Rosenberg et al. 1985). Aufgrund der bevorzugten Lokalisation im rechten Hemikolon ist transanaler Blutabgang als Symptom eher selten.
NET des Kolons sind bei Diagnosestellung groß und fallen durch Obstruktion auf.
Therapie. NET des Kolons haben eine etwas geringere Tendenz zur regionalen Metastasierung und eine deutlich höherer Neigung zur Entwicklung von Fernmetastasen verglichen mit Adenokarzinomen. Obwohl die insgesamt berichteten Zahlen in der Literatur klein sind, sollte auch bei einem durchschnittlichen lymphogenen Metastasierungsrisiko von etwa 20% für Tumoren <2 cm eine Standard-Kolonresektion inklusive des Lymphabflussweges durchgeführt werden. Nur hierdurch ist ein exaktes Staging möglich und es lassen sich die lokalen Komplikationen der Lymphknotenmetastasierung vermeiden. Zudem ist eine formale Tumorresektion im Kolon nicht mit einer höheren Morbidität vergesellschaftet als eine Segmentresektion.
NET des Kolons sollten nach den gleichen Prinzipien wie ein Kolon-Karzinom entfernt werden.
Für Kolonkarzinoide >2 cm steht die standardisierte tumortaktische Resektion des betreffenden Kolonabschnitts außer Frage. Die prognostische Bewertung im Vergleich zu Adenokarzinomen ist widersprüchlich. 5.5.4.10 Neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) des Rektums Epidemiologie. In großen populationsbasierten Übersichten sind neuroendokrine Tumoren (NET) des Rektums die dritthäufigste Lokalisation (27,4%) bei intestinalen NET (Modlin 2003). Dieses unterscheidet sich wesentlich von publizierten Serien aus speziellen Referenzkrankenhäusern, in denen NET des Rektums bis zu 55% aller Karzinoide ausmachen und damit die häufigste Entität darstellen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die meisten Rektumkarzinoide kleine gelbliche submukös liegende Knötchen sind, die sich zwischen 4 und 13 cm jenseits der Linea dentata finden, wird deutlich, dass die Inzidenz wesentlich von der Aufmerksamkeit und der Frequenz der Untersuchungen abhängen muss. Klinische Symptomatik. Nur die Hälfte aller NET des Rektums
verursacht Symptome, im Wesentlichen transanale Blutabgänge, die als klinisch prognostisch ungünstiges Zeichen zu werten sind (Jetmore et al. 1992). Ansonsten werden sie bei der Abklärung von Symptomen benigner proktologischer Erkrankungen gefunden. NET des Rektums sind hormonell inaktiv und selbst bei ausgedehnter hepatischer Filialisierung fehlt ein Karzinoidsyndrom. Diagnostik. Die Diagnose erfolgt klinisch und durch histolo-
gische Sicherung. Neben den üblichen Markern, wie die neuronenspezifische Enolase und Chromogranin, finden sich bei 80% der Patienten mit NET des Rektums ein erhöhter Spiegel der sauren Prostataphosphatase und bei 25% ein erhöhter CEA-Spiegel. Deswegen gehören NET des Rektums zur Differenzialdiagnose des Prostatakarzinoms und der Karzinome des Gastrointestinaltraktes. Dies gilt umso mehr, da synchron auftretende intestinale Karzinome mit einer Inzidenz von etwa 7–9% vorkommen.
463 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
5
sellschaftet, wenn es eine der folgenden histopathologischen Charakteristiken aufweist: 4 Invasion von Lymphgefäßbahnen oder Perineuralscheiden 4 Invasion der Muscularis propria 4 Anaplastisches Aussehen der Feinstruktur 4 Hohe mitotische Aktivität 4 Zellulärer Pleomorphismus 4 Schleimproduktion
. Abb. 5.69. Relatives lymphogenes Metastasierungsrisiko (%) bei NET des Dünn- und Dickdarms in Abhängigkeit von Tumorgröße und -lokalisation (Tumoren <2 cm bei Dickdarm und Rektum als jeweils eine Gruppe zusammengefasst. (Modifiziert und ergänzt nach Stinner et al. 1996)
Prognose. Verglichen mit Adenokarzinomen werden NET des Rektums weit häufiger in einem frühen Stadium erfasst und haben deswegen auch eine signifikant bessere 5-Jahres-Überlebensrate von etwa 77% über alle Stadien (. Abb. 5.69; Maggard 2004).
NET des Rektums haben eine sehr gute (<1 cm) oder eine sehr schlechte (>2 cm) Prognose.
Therapie. Aufgrund des geringen Metastasierungsrisikos besteht Einigkeit darüber, dass Läsionen <1 cm durch einfaches endoskopisches Entfernen adäquat behandelt sind. Dieser Typ macht etwa 60% aller NET des Rektums aus und zeigt etwa in 2% der Fälle Metastasen. Einzelfallberichte über Lymphknotenmetastasen selbst bei Tumoren von 0,1 cm existieren, rechtfertigen aber schwerlich die generelle ausgedehnte Resektion bei dieser Größe (Heah et al. 2001). Läsionen >2 cm haben ein Metastasierungsrisiko von über 60–80% und eine 5-Jahres-Überlebensrate von 7%, daher ist die Möglichkeit einer kurativen Resektion gering, so das die Indikation für riskante Operationen bei nachgewiesenen Metastasen oder bei Patienten mit hohem Risiko sehr kritisch hinterfragt werden muss. Auch hier gibt es erhebliche Einzelfallabweichungen im Überleben, sodass zumindest bei fehlender Fernmetastasierung NET des Rektums dieser Größe wie ein Rektumkarzinom behandelt werden sollten (Heah et al. 2001). Zur Tumorgröße zwischen 1 und 2 cm schwanken die Literaturangaben für die lymphogene Metastasierung zwischen 10 und 15%, sodass hier nach weiteren Kriterien für den malignen Charakter der einzelnen Läsion gesucht wurde. In jedem Fall bedürfen solche Läsionen einer vollständigen Exzision, um eine sorgfältige histopathologische Aufarbeitung möglich zu machen. Besonders die Tumorinvasion der Muscularis propria sowie die Ulzeration der Mukosa zeigen eine ungünstigere Prognose des Tumors an und sollten ggf. zu einer größeren Resektion führen (Federspiel et al. 1990). Als weiteres Entscheidungskriterium für die ausgedehntere Operation wurde der Begriff »atypisches Karzinoid« eingeführt (Koura et al. 1997). »Atypisch« ist ein NET in diesem Sinne und damit mit einer schlechteren Prognose verge-
Diese Merkmale scheinen für Tumoren <1 cm ohne Bedeutung zu sein. In der Zusammenschau der berichteten Daten scheint es eine konsensfähige Feststellung zu sein, dass ein NET des Rektums dann chirurgisch heilbar ist, wenn es die Muscularis propria noch nicht erreicht hat, weniger als 2 cm Durchmesser zeigt und Lymphknotenmetastasen nicht vorhanden sind (bei einer Größe >2 cm ohne (!) Metastasen ist dies nur in 20–30% der Fälle möglich). Für die bessere Eingrenzung dieser präoperativen Klassifikation sollte auf Möglichkeit des transanalen Ultraschalls mit seiner guten Nahauflösung der Rektumschichten zurückgegriffen werden (Heah et al. 2001).
Kleinste NET des Rektums, die vollständig mit der PE-Zange beseitigt wurden, erfordern keine Nachoperation.
Ziel der operativen Maßnahme mit kurativer Intention muss immer die vollständige Entfernung des Tumors, bei größeren Tumoren auch die Entfernung des regionalen Lymphabflussgebietes, sein. Die individuelle Therapieentscheidung über die Art der Operation, besonders bei Tumoren zwischen 1 und 2 cm, wird dabei immer von mehr als nur den lokalen Tumorcharakteristiken abhängen. Auch die Empfehlungen für Tumoren >2 cm sind nicht einheitlich. Hier wird man sich, bei nicht nachgewiesenen Lymphknotenmetastasen und jungen Patienten eher zu einer Standardtumoroperation entschließen, da alle Literaturangaben an der geringen Patientenzahl und an der retrospektiven Datenanalyse über längere Zeiträume leiden und einzelne Langzeitüberlebende beschrieben sind (Heah et al. 2001). Sicher sollte man eine solche Operation nicht bei multimorbiden Patienten und solchen mit eindeutiger Tumorprogredienz durchführen. Für die Chirurgie der fortgeschrittenen Tumoren sind neben der primären Intention, den NET mit all seinen möglichen Metastasen zu entfernen, auch palliative Operationen gerechtfertigt.
Größere NET des Rektums erfordern ein ausgedehnteres Staging und eine Standardrektumresektion.
In . Tab. 5.18 und 5.19 werden die Therapieformen und charakteristischen Merkmale der NET des Dünn- und Dickdarms zusammengefasst. 5.5.4.11 Herzerkrankungen bei neurendokrinen Dünndarmtumoren Veränderungen der Herzklappen bei NET sind relativ häufig und finden sich in einer großen Variabilität bei sorgfältiger Untersuchung durch kardialen Ultraschall bei bis zu 60–70% der Pati-
464
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Tab. 5.18. Stadienabhängige Therapie der NET des Dünn- und Dickdarms
5
Lokalisation
Durchmesser (cm)
Risiko für Lymphknotenmetastasen (%)
Behandlungsstrategie
Behandlungsempfehlung
Ileum/Jejunum
<1
44
Aggressiver chirurgischer Zugang
Weite Segmentresektion mit abführendem Lymphabflussgebiet
1–2
77
Wiederholungseingriffe gerechtfertigt (alle Stadien)
Gegebenenfalls ausgedehnte gefäßsparende Lymphadenektomie
>2
85
<1
17
Verhalten sich wie Dünndarmkarzinoide (alle Stadien)
Weite Segmentresektion mit abführendem Lymphabflussgebiet
1–2
58
>2
100
<1
0
Wenig aggressiv bei extrem guter Prognose
Einfache Appendektomie (Basis muss tumorfrei sein!)
1–2
0,7
Prognose von zusätzlichen Faktoren abhängig; je jünger der Patient, desto eher weite Resektion
Appendektomie oder Hemikolektomie rechts (keine Ileozökalresektion!)
>2
30
Standardoperation wegen erheblichem Metastasierungsrisiko
Hemikolektomie rechts
Becherzellkarzinoid
30
Mischform NET/Adenokarzinom
Hemikolektomie rechts
<1
22
Grundsätzlich Behandlung wie bei Adenokarzinomen (alle Stadien)
Standardtumoroperation, abhängig von der Lokalisation des Tumors
1–2
–
>2
78
<1
3,8
Extrem selten Metastasen, extrem gute Prognose
Endoskopische Entfernung ausreichend
1–2
10–15
Vollständige Histologiegewinnung! (Invasionstiefe als Prognosefaktor)
Vollwandexzision (oder Standardtumorresektion bei zusätzlichen histologischen Risikofaktoren)
>2
86
Extrem schlechte Prognose. Therapieausmaß abhängig von Patienten; nie große riskante Operationen bei stattgehabter Metastasierung
Vollwandexzision oder Standardtumorresektion
Meckel-Divertikel
Appendix
Kolon
Rektum
enten. Sie beinhalten Veränderungen der Trikuspidalklappe und Pulmonalklappe, Vergrößerungen des rechten Herzens und paradoxe septale Kontraktionen. Am häufigsten (90%) findet sich eine Pulmonalklappenstenose, gefolgt von einer Trikuspidalinsuffizienz und Trikuspidalstenose. Es scheint keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß sonstiger Symptome des Karzinoidsyndroms wie Flush und Durchfall, noch mit dem Ausmaß der Gesamttumorerkrankung zu geben. Der Ursprung dieser kardialen Veränderungen ist unklar. Erhöhte Spiegel von Serotonin, Neurokinin A sowie Substanz P sind hierfür angeschuldigt aber nicht bewiesen worden. Zwar finden sich zudem die Veränderungen meistens im rechten Herzen, jedoch gibt es auch Berichte über Veränderungen der Aorten- und Mitralklappe. Diese wiederum können dann nicht auf einen Serotonineffekt zurückgeführt werden, da dieses bei der Lungenpassage fast vollständig abgebaut wird.
Patienten mit einem ausgedehnten Klappendefekt, die hierdurch stark beeinträchtigt werden, sind grundsätzlich für einen operativen Ersatz der Herzklappe in Betracht zu ziehen, da – wie schon ausgeführt – der individuelle Verlauf ihrer Erkrankung nicht vorherzusehen ist, bei vielen Patienten der Verlauf der Karzinoiderkrankung völlig schmerzlos sein kann, und sich die Patienten ansonsten bei guter Gesundheit befinden (Moertel et al. 1983). Durch diese Maßnahme kann es bei sorgfältiger Auswahl der geeigneten Patienten zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität kommen.
5
465 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
. Tab. 5.19. Charakteristische Merkmale von NET des Dünn- und Dickdarms
Klinik
Altersgipfel
Typische Lokalisation
Größe
Zweitkarzinoid
Anderes Zweitmalignom
Karzinoidsyndrom
Prognose
5-JahresÜberlebensrate
Dünndarm
Unspezifische Schmerzen, Ileus, mesenteriale Ischämie, selten korrekt diagnostiziert
50–70
Distales Ileum (80%)
Klein
Häufig (30–50%)
Häufig (20–30%)
Möglich
Mäßig bei Lymphknoten und Leberbefall
75% N0; 60% N+; 20–25% hepatische Metastasen
MeckelDivertikel
Unspezifische Schmerzen, 2/3 asymptomatisch, intraoperativer Zufallsbefund
50–60
Spitze des Divertikels (72%)
Klein
Möglich (7,4%)
10%
Möglich
Wie Dünndarmkarzinoid
Keine Angaben in der Literatur
Appendix
Appendizitis, intraoperativer Zufallsbefund
40–50
Spitze der Appendix (67%)
Klein
Selten (4,2%)
13%
Selten
Extrem gut
99%
Dickdarm
Tastbare Resistenz, Darmobstruktion, Symptome wie bei Kolonkarzinom
70–80
Zäkum (48%), Sigma
Groß (>5 cm)
Sehr selten
Häufig (25–40%)
Selten
Extrem schlecht
20–52%
Rektum
Unspezifische Beschwerden (Pruritus etc.), Blutabgang (Signum malum!), Zufallsbefund bei Proktoskopie
50–80 (auch bei jüngeren Patienten)
4–13 cm ab Linea dentata (99%)
Klein
Sehr selten (0–3%)
7–32%
Selten
Extrem gut (<2 cm) oder extrem schlecht (>2 cm)
70–83% (<2 cm) oder 7% (>2 cm)
Literatur Ballantyne GH, Savoca PE, Flannery JT, Ahlman MH, Modlin IM (1992) Incidence and mortality of carcinoids of the colon. Data from the Connecticut Tumor Registry. Cancer 69:2400–2405 Berge T, Linell F (1976) Carcinoid tumors. Frequency in a defined population during a 12-year period. Acta Pathol Microbiol Scand (A) 84:322– 330 Brune M, Gerdes B, Koller M, Rothmund M (2003) Neuroendokrine Tumore des Gastrointestinaltraktes (NETGI) und Zweitkarzinome. Dtsch Med Wochenschr 128:2413–2517 Bucher P, Mathe Z, Demirag A, Morel P (2004) Appendix tumors in the era of laparoscopic appendectomy. Surg Endosc 18:1063–1066 Capella C, Heitz PU, Hofler H, Solcia E, Kloppel G (1994) Revised classification of neuroendocrine tumors of the lung, pancreas and gut. Digestion 55:11–23 Federspiel BH, Burke AP, Sobin LH, Shekitka KM (1990) Rectal and colonic carcinoids. A clinicopathologic study of 84 cases. Cancer 65:135– 140 Goede AC, Caplin ME, Winslet MC (2003) Carcinoid tumour of the appendix. Br J Surg 90:1317–1322
Heah SM, Eu KW, Ooi BS, Ho YH, Seow-Choen F (2001) Tumor size is irrelevant in predicting malignant potential of carcinoid tumors of the rectum. Tech Coloproctol 5:73–77 Hellmann P, LundströmT, Öhrvall U, Eriksson B, Skogseid B, Öberg K, Janson ET, Äkerström G (2002) Effect of surgery on the outcome of midgut carcinoid disease with lymph node and liver metastases. World J Surg 26:991–997 Jetmore AB, Ray JE; Gathright JB Jr, McMullen KM, Hicks TC, Timmcke AE (1992) Rectal carcinoids: the most frequent carcinoid tumor. Dis Colon Rectum 35:717–725 Kloppel G, Heitz PU, Capella C, Solcia E (1996) Pathology and nomenclature of human gastrointestinal neuroendocrine (carcinoid) tumors and related lesions. World J Surg 20:132–141 Koura AN, Giacco GG, Curley SA, Skibber JM, Feig BW, Ellis LM (1997) Carcinoid tumors of the rectum: effect of size, histopathology, and surgical treatment on metastasis free survival. Cancer 79:1294– 1298 Lubarsch O (1888) Über den primären Krebs des Ileums, nebst Bemerkungen über das gleichzeitige Vorkommen von Krebs und Tuberkulose. Virchow Arch Pathol Anat Physiol Klin Med 111:280–317
466
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
MacGillivray DC, Heaton RB, Rushin JM, Cruess DF (1992) Distant metastasis from a carcinoid tumor of the appendix less than one centimeter in size. Surgery 111:466–471 Maggard MA, O’Connel JB, Ko CY (2004) Updated population-based review of carcinoid tumors. Ann Surg 240:117–121 Makridis C, Oberg K, Juhlin C, Rastad J et al. (1990) Surgical treatment of mid-gut carcinoid tumors. World J Surg 14/3:377–381 Masson P (1928) Carcinoids (argentaffin cell tumors) and nerve hyperplasia of the appendicular mucosa. Am J Pathol 4:181–185 Memon MA, Nelson H (1997) Gastrointestinal carcinoid tumors: current management strategies. Dis Colon Rectum 40:1101–1118 Modlin IM, Lye KD, Kidd M (2003) A 5-Decade analysis of 13.715 carcinoid tumors. Cancer 97:934–959 Moertel CG (1983) Treatment of the carcinoid tumor and the malignant carcinoid syndrome. J Clin Oncol 1:727–740 Morgan JG, Marks C, Hearn D (1974) Carcinoid tumors of the gastrointestinal tract. Ann Surg 180/5:720–727 Moyana TN (1989) Carcinoid tumors arising from Meckel’s diverticulum – a clinical, morphologic, and immunohistochemical study. Am J Clin Pathol 91:52–56 Neary PC, Redmond PH, Houghton T, Watson GRD, Bouchier-Hayes D (1997) Carcinoid disease: review of the literature. Dis Colon Rectum 40:349–362 Nies C, Zielke A, Hasse C, Rüschoff M, Rothmund M (1992) Carcinoid tumors of Meckel’s diverticula. Dis Colon Rectum 35:589–596 Oberndorfer S (1907) Karzinoide Tumoren des Dünndarms. Frankf Zschr Pathol 1:426–430 Öberg K, Kvols L, Caplin M, Delle Fave G, de Herder W, Rindi G, Rusziewski P, Woltering EA, Wiedenmann B (2004) Consensus report on the use of somatostatin analogs fort he management of neuroendocrine tumors of the gastroenteropancreatic system. Ann Oncol 15:966–973 Öhrvall U, Eriksson B, Juhlin C, Karacagil S, Rastad J, Hellmann P, Äkerström G (2000) Method for dissection of mesenteric metastases in mid-gut carcinoid tumors. World J Surg 24:1402–1408 Parkes SE, Muir KR, Al-Sheyyab M, Cameron AH et al. (1993) Carcinoid tumours of the appendix in children 1957–1986: incidence, treatment and outcome. Br J Surg 80:502–504 Promegger R, Obrist P, Ensinger C, Profanter C, Mittermayer R, Hager J (2002) Retrospective evaluation of carcinoidtumors of the appendix in children. World J Surg 26 (12):1489–1492 Rosenberg JM, Welch JP (1985) Carcinoid tumors of the colon. A study of 72 patients. Am J Surg 149:775–779 Shaw PA (1991) The topographical and age distributions of neuroendocrine cells in the normal human appendix. J Pathol 164:235–239 Shebani KO, Souba WW, Finkelstein DM, Stark PC, Elgadi KM, Tanabe KK, Ott MJ (1999) Prognosis and survival in patients with gastrointestinal tract carcinoid tumors. Ann Surg 229:815–823 Söreide JA, van Heerden JA, Thompson GB, Schleck C, Ilstrup DM, Churchward M (2000) Gastrointestinal carcinoid tumors: Long-term prognosis for surgically treated patients. World J Surg 24:1431–1436 Stinner B, Kisker O, Zielke A, Rothmund M (1996) Surgical management for carcinoid tumors of small bowel, appendix, colon and rectum. World J Surg 20:183–188 Thompson GB, van Heerden JA, Martin JK Jr, Schutt AK, Ilstrup DM, Carney JA (1985) Carcinoid tumors of the gastrointestinal tract: presentation, management, and prognosis. Surgery 98:1054–1063 Veall GRQ, Peacock JE, Bax NDS, Reilly CS (1994) Review of the anaesthetic management of 21 patients undergoing laparotomy for carcinoid syndrome. Br J Anaesth 72:335–341 Williams ED, Sandler M (1963) The classification of carcinoid tumors. Lancet 1:238–239
5.5.5 Therapie von Lebermetastasen
neuroendokriner Tumoren H. Ahlman Übersetzt aus dem Englischen von Dr. N. Habbe ) ) Lebermetastasen können ein beträchtliches Problem bei Patienten mit neuroendokrinen Tumoren darstellen, insbesondere wenn sie mit Hormonüberproduktion vergesellschaftet sind. Die Metastasenresektion bei Patienten mit Fernmetastasen ist sowohl unter kurativen als auch unter palliativen Gesichtspunkten zur Symptomreduktion möglich. Demgegenüber stehen bei Patienten mit bilobären Metastasen andere Verfahren zur Verfügung, z. B. die lokale Ablation oder die arterielle Embolisation. In ausgewählten Fällen bietet die Lebertransplantation eine Behandlungsalternative. Vor solchen Interventionen kann bei Patienten mit Überproduktion bestimmter Amine und Peptide eine Reduktion der Hormonsekretion durch Applikation von Somatostatinanaloga erreicht werden. Zudem kann es im Rahmen solcher Interventionen bei Patienten mit Karzinoiden des Vorderdarms oder Phäochromozytomen durch Ausschüttung von Histaminen und Katecholaminen zu lebensbedrohenden Komplikationen kommen.
5.5.5.1 Therapeutische Zielstellung Neuroendokrine Tumoren des Gastrointestinaltraktes (Karzinoide und endokrine Pankreastumoren – EPT) sind seltene Erkrankungen. Das Auftreten von Lebermetastasen bei diesen Patienten führt häufig aufgrund der Hormonüberproduktion zu ernsten Beschwerden. Bei Patienten mit lokal begrenzter Erkrankung kann eine Tumorresektion in kurativer Absicht vorgenommen werden. Bei Lebermetastasen kann ebenfalls kurativ reseziert werden. Bei langer Nachbeobachtung lässt sich für diese Fälle jedoch ein häufiges Wiederauftreten der Tumoren nachweisen (Norton 1994; Chamberlain et al. 2000; Sarmiento u. Que 2003; Sutcliffe et al. 2004). Die Kombination aus laborchemischer Kontrolle von Tumormarkern und neuer bildgebender Verfahren wie Octreotid-Szintigraphie, Spiral-CT und MRT ermöglicht eine frühzeitige Diagnose dieser Rezidive, sodass sich die Patienten einer erneuten chirurgischen Therapie unterziehen können (Olausson et al. 2002). Die vollständige Tumorresektion führt sowohl zu einer Verlängerung der Lebensdauer als auch zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität (Pederzoli et al. 1999; Chamberlain et al. 2000; Norton et al. 2003). Bei Patienten, die nicht für eine kurative Resektion der Lebermetastasen in Frage kommen, kann eine chirurgische Tumorreduktion in Betracht gezogen werden, wenn die Haupttumorlast sicher entfernt werden kann (Sarmiento u. Que 2003). Das Ziel dieser Behandlung ist die Palliation hormonaler Symptome sowie die Schmerzreduktion. Aktives chirurgisches Vorgehen war für hochdifferenzierte neuroendokrine Tumoren schon frühzeitig empfohlen worden, da viele dieser Tumoren ein langsames Wachstum zeigten (McEntee et al. 1990; Carty et al. 1992; Norton 1994; Que et al. 1995). Ausgedehntes chirurgisches Vorgehen bei neuroendokrinen Tumoren kann heutzutage mit niedriger Mortalität und Morbidität durchgeführt werden, zudem kann die Leber-
467 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
chirurgie sicher mit chirurgischen Eingriffen am Gastrointestinaltrakt kombiniert werden (Chen et al. 1998; Chung et al. 2001; Norton et al. 2003). Die chirurgische Behandlung kann weiterhin zu einer Reduktion sekundärer Symptome, z. B. Galleabflussstörung, Darmobstruktion sowie Blutungen oder Verdrängungserscheinungen führen. Da Patienten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien unter den verschiedensten Formen einer Metastasierung leiden, sollte die Behandlung durch ein multidisziplinäres Team erfolgen. In einer großen Fallserie wurden bei der Hälfte der Patienten extrahepatische Metastasen und bei über 80% bilobäre Lebermetastasen festgestellt. Demzufolge wurden einige Patienten nur medikamentös behandelt, während ein weiterer Teil interventionell entweder durch hepatische arterielle Embolisation (HAE) oder Resektion therapiert wurde. Aufgrund dieser Selektionseffekte konnte für die interventionell behandelte Gruppe ein Überlebensvorteil nach 3 Jahren und ein noch größerer nach 5 Jahren Follow-up nachgewiesen werden. Beide Verfahren, HAE und Resektion, führten zu einer zufriedenstellenden Palliation der hormonell bedingten Symptomatik und zu einer Schmerzreduktion (Chamberlain et al. 2000). 5.5.5.2 Präoperative Besonderheiten Die Abklärung der jeweiligen Tumorentität und insbesondere der Hormonproduktion sollte vor jedem interventionellen Behandlungsverfahren bei neuroendokrinen Tumoren abgeklärt werden. Bei Patienten mit »Midgut«-NET hat sich die Vorbehandlung mit einem lang wirksamen Somatostatinanalogon, z. B. 4×100 µg Octreotid subkutan, zur Verhinderung einer Karzinoidkrise während der Intervention bewährt. Im Falle einer Karzinoidkrise mit schwerer Gesichtsrötung, Bronchokonstriktion und Hypotension sollten adrenerge Substanzen gemieden werden, da Karzinoide selbst Adrenorezeptoren tragen und somit ein Teufelskreis mit überschießender Sekretion von Serotonin und Tachykininen eingeleitet werden könnte. Vielmehr ist das operative Vorgehen zu unterbrechen und, gesteuert nach hämodynamischen Parametern, Volumen zu substituieren sowie intravenös Octreotid und Kortison zu applizieren. Die Spinalanästhesie kann bei Karzinoiden eine Freisetzung von Serotonin aus dem Tumor verursachen, da die Blutdruckabsenkung einen adrenalen Kompensationsmechanismus mit Katecholaminausschüttung aktiviert. Für die postinterventionelle Schmerztherapie wird die epidurale Anästhesie bevorzugt (Ahlman et al. 1988). Ein besonderes Augenmerk sollte auf das Karzinoid-Herzsyndrom gerichtet werden, da diese Patienten nicht nur ein Rechtsherzversagen mit erhöhtem zentralem Venendruck entwickeln können, sondern auch ein erhöhtes Risiko für stauungsbedingte Blutungen aus Lebervenen während Lebereingriffen haben. Der Ersatz der beteiligten Herzklappen kann somit vor einer Leberresektion indiziert sein (Westberg et al. 2001; Sarmiento u. Que 2003). Bei histaminproduzierenden »Foregut«-NET kann ein »atypisches Karzinoidsyndrom« mit generalisierter Rötung, Bronchokonstriktion, Hypotension, Lakrimation und Hautödem auftreten. Bei diesen Patienten ist eine hepatische arterielle Embolisation aufgrund zu erwartender unkontrollierter Hormonfreisetzung kontraindiziert. Die korrekte Diagnosestellung beruht auf der Untersuchung des Histaminmetaboliten Methylimidazolazetsäure (MelmAA) im Urin. Die Vorbehandlung von Patienten mit histaminproduzierenden Tumoren umfasst neben der Gabe von Somatostatinanaloga die Kombination mit H1-
5
und H2-Blockern und Kortison. Histaminliberisierende Medikamente wie Morphin oder Tubocurarin sollten vermieden werden (Ahlman et al. 1992). Patienten mit Glukagonomen oder VIPomen sind präoperativ mit Octreotid ausreichend kontrolliert. Hautläsionen wie das Erythema necrolyticans migrans, das gelegentlich mit Glukagonomen einhergeht, heilen zumeist unter der Therapie mit Somatostatinanaloga, Antibiotika und Aminosäurensubstitution vor einer geplanten Operation. In der perioperativen Phase ist die Gabe von Low-dose-Heparin angeraten, da Glukagonome mit einem erhöhten Thromboserisiko behaftet sind. Eine Fortführung der Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren bis in die postoperative Rehabilitationsphase bei Patienten mit Gastrinomen ist notwendig, da die hypertrophierte Magenschleimhaut noch exzessive Säuresekretion bewirken kann. Patienten mit Insulinomen benötigen nach der Entfernung des Tumors aufgrund eines anhaltenden Insulineffektes gelegentlich hypertone Glukoselösungen. Ebenso ist eine engmaschige Überwachung des Blutzuckerwertes erforderlich. Die chirurgische Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Phäochromozytomen oder Paragangliomen ist häufig von Problemen begleitet, die durch die kardiovaskulären Effekte aufgrund einer exzessiven Katecholaminausschüttung bedingt sind. Die Aktivierung von α-Adrenorezeptoren führt zur Vasokonstriktion und vermindertem Plasmavolumen. Zudem tritt auch eine β1-Rezeptor-vermittelte Tachykardie auf. Die Kombination von chronisch erhöhter Nachlast und Tachykardie kann zu einer Schädigung des Myokards führen. Mit sukzessiver Dosissteigerung des α-Adrenorezeptorblockers Phenoxybenzamin nimmt die Vasokonstriktion ab und das Plasmavolumen normalisiert sich. Unter der Therapie können Tachykardien auftreten als Folge der Vasodilatation oder sekundär durch die Blockade präsynaptischer α2-Adrenorezeptoren. Diese Tachykardie kann nach Normalisierung des Plasmavolumens mit β-Rezeptorenblockern therapiert werden. Postoperativ kommt es wegen der Geschwindigkeit der Rezeptorsynthese zu einem langsamen Rückgang der Phenoxybenzaminwirkung mit prolongierter Hypotension. Selektive α1-Adrenorezeptorantagonisten zeigen eine kürzere Wirkdauer und induzieren keine α2-Blockade-vermittelte Reflextachykardie (Kinney et al. 2002). Besondere Vorsicht ist bei adrenalinproduzierenden Tumoren mit vornehmlicher Aktivierung von β-Adrenorezeptoren nötig. Hier kann eine schnelle Vasodilatation durch Phenoxybenzamin zum kardiovaskulären Kollaps führen. Intraoperativ kann der Gefäßtonus durch Nitroprussid oder Adenosin kontrolliert werden. Letzteres zeigt auch eine antiarrhythmogene Wirkung, die günstig für das durch die Katecholamine sensibilisierte Myokard ist. Einige gängige Medikamente sollten unbedingt gemieden werden, z. B. Sympathomimetika (Ketamine), Stimulanzien der autonomen Ganglien (Succinylcholin), Katecholaminwiederaufnahmehemmer (Droperidol), Vagolytika (Atropin) sowie Halothan, die arrhythmogen wirken können. Für den Fall eines geplanten umfangreichen Tumordebulking kann in einem ersten Schritt die Reduktion der Tumorlast und somit der Katecholaminsekretion durch nicht-interventionelle Verfahren wie Radiotherapie mit 131I-MIBG oder Chemotherapie mit Cyclophosphamid, Dacarbazine und Vincristin versucht werden. Additive Effekte können mit α-Methyl-ρ-Tyrosin erzielt werden, da dieser Tyrosinhydroxylaseinhibitor die Synthese aller Katecholamine reduziert (Kinney et al. 2002).
468
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5.5.5.3 Interventionelle Therapie von Lebermetastasen Die Behandlung von Lebermetastasen unter kurativen oder palliativen Gesichtspunkten stellt eine große Herausforderung dar und beinhaltet zumeist verschiedene Behandlungsformen. Sollte als zweiter Schritt eine Lebertransplantation geplant sein, ist eine Resektion aller extrahepatischer Tumoranteile umso wichtiger. Derzeit gibt es keine generelle Übereinkunft, wann eine palliative chirurgische Behandlung zu beginnen ist, da z. B. hepatisch filialisierte Gastrinome bei jedem einzelnen Patienten verschiedenste Wachstumsraten zeigen, was wiederum die Entscheidungsfindung beeinflusst (Sutliff et al. 1997). Die chirurgischen Behandlungsverfahren der Lebermetastasen können in 4 Kategorien unterteilt werden: 4 Leberresektion 4 Vaskuläre Interventionen 4 Perioperative Maßnahmen 4 Lebertransplantation Nichtresektable Lebermetastasen können konservativ behandelt werden oder durch eine kombinierte chirurgische und adjuvante Therapie (Chemo-, Bio-, Radioisotopentherapie). 5.5.5.3.1 Leberresektion Bei Läsionen, die sich auf eines der 8 Lebersegmente, von denen jedes einzelne durch einen Ast der Leberarterien und der Pfortadervenen versorgt wird und in einen Gallengang drainiert, kann eine anatomische Leberresektion durchgeführt werden (. Abb. 5.70). Bei kurativen Resektion ist auf eine ausreichend breite tumorfreie Resektionskante zu achten, im Falle einer palliativen Resektion neuroendokriner Metastasen kann diese Schnittkante schmaler sein und lokale Tumorreste können durch atypische Resektionen entfernt werden. Das Ausmaß der Tumorerkrankung wird erfasst durch Inspektion, Palpation und intraoperativen Ultraschall. Letztere Technik erlaubt eine gute Definition der Beziehung des Tumors zu Pfortader- und Lebervenenstämmen. Dies ist besonders wichtig, wenn spezielle chirurgische Techniken wie Kryo- oder Lasertherapie angewandt werden. Die Leber wird sagital durch die 3 Hauptstämme der Lebervenen unterteilt, sodass sich derart 3 Resektionsverfahren abgrenzen lassen: 4 Hemihepatektomie links (Entfernung der Segmente II–IV) 4 Rechte Hemihepatektomie (Entfernung der Segmente V–VIII) 4 Trisegmentektomie (gelegentlich mit Lobus caudatus, Segment I) Die Resektion der einzelnen Segmente erfordert die Identifikation und nachfolgende Ligatur der Pfortaderäste. Dies kann sich bei den Segmenten VII und VIII als schwierig erweisen bei beeinträchtigtem venösem Abfluss aus den belassenen unteren Segmenten. Diese Art der Resektion wird jedoch selten durchgeführt. Oberflächliche Lebermetastasen an den Leberrändern können sicher mittels Keilexzision entfernt werden. Die Blutstillung sollte durch das Einbringen von absorbierbaren Fibrinmaterialien sichergestellt werden. Operatives Vorgehen
Üblicherweise erfolgt ein ausgedehnter beidseitiger Rippenbogenrandschnitt in Rückenlage. Der Patient sollte bis zum Jugulum abgewaschen werden, für den Fall, dass die V. cava von ober-
. Abb. 5.70. Chirurgische Anatomie der Leber
halb des Zwerchfells unter Kontrolle gebracht werden muss. Für alle Resektionen und für den Fall, dass therapeutisch dearterialisiert werden soll (d. h. Ligatur der A. hepatica), sollte die Leber vollständig mobilisiert werden mittels Durchtrennung der Hauptligamente (teres, falciformis und coronarius). Die V. cava inferior wird kontrolliert durch Anzügeln unterhalb der Leber. Die rechte Kolonflexur und das Duodenum sollten mobilisiert werden. Die kleinen zum rechten Leberlappen und Lobus caudatus ziehenden Venen werden bei der Mobilisation durchtrennt. Bei der Hemihepatektomie links ist zu beachten, dass die Aufteilung der mittleren und linken Lebervene in variabler Höhe erfolgen kann, d. h. ihre separate Darstellung gelingt nicht immer außerhalb der Leber. Verschiedenste Techniken können bei der Präparation im Leberparenchym Verwendung finden, z. B. die Fingerrisstechnik, das Saugmesser oder der Ultraschalldissektor, der Lebergewebe durchtrennt, jedoch die widerstandsfähigeren Gallengänge und Gefäßstrukturen intakt belässt, was eine exakte Platzierung von Ligaturen und Clips ermöglicht. Um ein Sickern aus der rauhen Oberfläche zu minimieren, können verschiedene, die Blutstillung unterstützende Materialien verwendet werden, z. B. schnellhaftender Fibrinkleber, Fibrinpuffer oder ein Oberflächen-Argon-Koagulator. Die häufigste Variante in der Gefäßanatomie ist das Entspringen der A. hepatica dextra als Ast der A. mesenterica superior. Bei rechtsseitigen Lebertumoren ist daher eine präoperative Angiographie oder MR-Angiographie wertvoll. Bei der Hemihepatektomie rechts kann es einfacher sein, die rechte Lebervene während der Resektion außerhalb der Leber darzustellen. Zum Ausklemmen muss man den freien Rand des Omentum minus sichern, um Blutungen zu minimieren und akzidentelle Blutungen zu verhindern. Die Unterbindung der Blutzufuhr erfolgt durch das sog. Pringle-Manöver. Der sichere Zeitraum für die totale Ischämie der Leber bei Normothermie liegt bei über einer Stunde, ist jedoch bei Dysfunktion des Organs reduziert. Da es zu einer intestinalen Stauung mit Anfall toxischer Metabolite kommt, sollte die Ausklemmzeit so kurz wie möglich gehalten werden. In der Literatur wird allgemein ein intermittierendes Abklemmen in 15-minütigen Intervallen empfohlen (Benjamin 1993).
469 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
Erweiterte Hemihepatektomie rechts. In wenigen Fällen kann
eine erweiterte Hemihepatektomie rechts durchgeführt werden, sodass nur noch 2 Lebersegmente belassen werden. Bei weniger als 20–25% belassenem Leberparenchym kann es zu einem Leberversagen kommen. Die Mortalität und Morbidität dieses Eingriffes kann durch präoperative portale Embolisation des tumortragenden rechten Leberlappens reduziert werden, da dadurch über 4–6 Wochen eine Hypertrophie des intakten linken Leberlappens induziert wird. Nach diesem Vorgehen kann dann die geplante Resektion sicher durchgeführt werden (Farges u. Belghiti 1999). Die Metastasenresektion bei multiplen Absiedlungen erfordert gewöhnlich ein intermittierendes Ausklemmen zuführender Gefäße, Präparation des umgebenden Gewebes mit der Diathermie und stumpfe Dissektion. Die resultierende Höhle kann Gefäßstümpfe beherbergen, die ligiert werden sollten, ebenso wie kleine Galleleckagen. Um einen guten DebulkingEffekt zu erzielen, werden die Verfahren der anatomischen Resektion, Metastasenresektion und Keilresektion häufig kombiniert. Komplikationen
Die perioperative Mortalität elektiver Leberchirurgie muss so gering wie möglich gehalten werden. Aus den meisten Serien werden Zahlen unter 5% berichtet. Mit der perioperativen antibiotischen Therapie konnte die Zahl infektionsbedingter Komplikationen reduziert werden; jedoch korreliert die Morbidität noch immer häufiger mit der Sepsis als mit dem Blutverlust während der Operation. Postoperative Behandlung
Zur postoperativen Analgesie werden Epiduralkatheter oder PCA verwandt. Nach größeren chirugischen Eingriffen sollten Hypoglykämien und Hypalbuminämien vermieden werden. Die Blutgerinnung sollte überwacht und gegebenenfalls Frischplasma substituiert werden. Ergebnisse
In der letzten Dekade hat sich zunehmend eine aktive chirurgische Haltung in der Primärtherapie hochdifferenzierter neuroendokriner Tumoren und ihrer Metastasen durchgesetzt. Eine kurative Leberchirurgie (d. h. ohne Tumorresiduen) muss für alle Patienten mit resektablen Befunden erwogen werden, da dieses auf lange Sicht die einzige effektive Strategie darstellt (Norton et al. 2003). Palliative Leberchirurgie kann bei Patienten mit langsamen Tumorwachstum und schweren hormonellen Symptomen in Betracht gezogen werden. Palliative Leberresektionen kommen im Allgemeinen in Frage wenn mehr als 90% der Tumormasse sicher exzidiert werden kann (Sarmiento u. Que 2003). Präoperative HAE kann zur Tumorverkleinerung genutzt werden, insbesondere da das alleinige chirurgische Vorgehen bei Patienten mit großer Tumorlast eine schlechte Prognose mit sich bringt (Sutcliffe et al. 2004). Vor 20 Jahren betrug die Rate der Leberresektionen in kurativer Absicht bei Patienten mit NET etwa 10% (Galland u. Blumgart 1986; Hughes u. Sugarbaker 1987). Dieses lag häufig an einer diffusen Ausbreitung des Tumors in der Leber bei der klinischen Vorstellung des Patienten. In unserer konsekutiven Serie von 64 Patienten mit gastrointestinalem NET und Lebermetastasen wurden 14 Patienten (22%) mit unilobären Läsionen in kurativer Intention an der Leber operiert und zeigten normalisierte Tumorparameter, d. h. Plasma-Chromogranin A und 5-HIES im Urin (Wängberg et al. 1996). In wei-
5
teren Serien wurden bei 40–50% der Patienten mit NET Leberresektionen in kurativer oder palliativer Absicht durchgeführt (Carty et al. 1992; Que et al. 1995; Dousset et al. 1996; Chamberlain et al. 2000; Sarmiento u. Que 2003). Nach einer kürzlich erschienen kleinen konsekutiven Serie wurde bei 50% der Patienten eine Leberresektion in kurativer Absicht durchgeführt (Norton et al. 2003). In allen berichteten Serien war die Mortalität gering (<6%) mit einer Komplikationsrate unter 30%. Auch bei sog. kurativen Resektionen kann es zu einem Tumorrezidiv kommen. Es ist daher von großer Wichtigkeit, dass diese Patienten in ein Nachsorgeprogramm eingeschlossen werden, um mittels biochemischer Tumormarker (Chromogranin A und anderer tumorspezifischer Peptide oder Amine) in Kombination mit Octreotid-Szintigraphie und SPECT, sowie Spiral-CT und MRT subklinische Erkrankungen früh zu entdecken, sodass limitierte Läsionen erneut reseziert werden können. Dieses Vorgehen hat sich bei Patienten nach Lebertransplantation zur Behandlung eines hochdifferenzierten NET als erfolgreich herausgestellt. Nach unserer Erfahrung ist die Szintigraphie den biochemischen Markern überlegen (Olausson et al. 2002). Vor 20 Jahren berichteten Norton et al. über ein sehr aktives chirurgisches Vorgehen bei ausgewählten Patienten mit metastasierenden Gastrinomen (Norton et al. 1986). Alle erhielten ausgedehnte Leberresektionen in Kombination mit anderen Debulking-Verfahren in einem Stadium progressiven Tumorleidens. Nach der Resektion erfolgte eine Chemotherapie. Im KurzzeitIntervall wurde mit dieser Strategie auch bei fortgeschrittenen Erkrankungen eine gute symptomatische Verbesserung sowie ein deutlicher Abfall der Tumormarker beobachtet. Von 42 konsekutiven Patienten mit endokrinen Pankreastumoren, die über einen Zeitraum von 10 Jahren am NIH behandelt wurden, wurden 17 reseziert und 25 als inoperabel beurteilt und konservativ behandelt (Carty et al. 1992). Die Gruppe chirurgisch therapierter Patienten zeigte einen klaren Vorteil in der 5-Jahres-Überlebensrate (79%) gegenüber der konservativ therapierten (28%) in dieser ausgewählten Serie. Es gab keine operative Mortalität. Über längere Sicht rezidivierte das Tumorleiden jedoch bei allen chirurgisch therapierten Patienten innerhalb von 8 Jahren. Eine solche Verzögerung der Tumorprogression mit einem langen medikationsfreien Intervall, wie sie auch bei »Midgut«-NET gesehen wird, ist per se ein therapeutischer Vorteil (Wängberg et al. 1996). Ähnliche 5-Jahres-Überlebensraten bei chirurgisch therapierten Patienten mit NET und Lebermetastasen wurden in Serien aus dem MSKCC (Chamberlain et al. 2000), sowie aus Chicago und Hannover berichtet (Yao et al. 2001; Nave et al. 2001). Dabei zeigte sich das chirurgische Vorgehen in kurativer Absicht als bester Prognosefaktor; weitere bezogen sich auf die Größe der Lebertumoren, die Lokalisation des Primärtumors und vorhergegangene Resektionen des Primärtumors. McEntee et al. (1990) aus der Mayo-Klinik berichteten auch über ermutigende Ergebnisse bei 37 Patienten mit Leberresektionen (24 NET des Darmes und 13 NET des Pankreas). Sie hatten 17 kurative Resektionen, 9 Patienten mit hormonellen Symptomen waren postoperativ komplett symptomfrei. 20 Patienten, davon 16 mit hormonellen Symptomen, wurden palliativ reseziert. Von diesen Patienten hatten 8 eine Symptomerleichterung. In einer späteren Veröffentlichung aus der Mayo-Klinik erschienen die Ergebnisse einer Beobachtung von 74 Patienten mit metastasiertem NET und Leberresektionen. Die 4-JahresÜberlebensrate betrug 73%, obwohl nahezu 2/3 der Resektionen in palliativer Absicht erfolgt waren (Que et al. 1995). In einer
470
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
kürzlich erschienen Übersichtsarbeit konstatierten Sarmiento und Que (2003), dass Patienten mit zufriedenstellendem Allgemeinzustand, deren Primärtumor kontrolliert und deren extrahepatische Metastasen limitiert waren, einem chirurgischen Lebereingriff unterzogen wurden. Bei der Hälfte der Patienten wurde mindestens ein Leberlappen entfernt, wobei die Mortalität gering (<1,2%) und die Komplikationsrate niedrig (15%) waren. Das Ansprechen der hormonell bedingten Symptomatik betrug 95% und hielt im Mittel 45 Monate an.
5
Das aktive chirugische Vorgehen bei Lebermetastasen neuroendokriner Tumoren wird durch die Daten großer Zentren untermauert, obgleich die Rolle der palliativen Chirurgie zur Überlebensverlängerung in randomisierten Studien weiter überprüft werden muss.
5.5.5.3.2 Vaskuläre Interventionen Markowitz schlug 1952 erstmals Interventionen an den Lebergefäßen als therapeutisches Verfahren vor. Der Hintergrund für die Ischämiebehandlung von NET basiert auf der Hauptblutversorgung aus der A. hepatica (Cho et al. 1976). Unterbindung des arteriellen Zustroms verursacht eine selektive Schädigung des Tumors mit verbleibender portaler Perfusion des normalen Leberparenchyms. Die Ischämie kann über verschiedene direkt an der A. hepatica angewandte Verfahren erreicht werden: 4 Ligatur 4 Selektive Embolisation (HAE) 4 Temporäre Okklusion 4 Chemoembolisation (HACE) Die Methoden unterscheiden sich durch Vollständigkeit, Verteilung und Dauer der Ischämie. Ligatur
Die Ligatur der A. hepatica wurde vor mehr als 30 Jahren klinisch eingeführt (Nilsson et al. 1966). Sie ist aufgrund ihrer Unzulänglichkeiten weitgehend verlassen worden. Schwierigkeiten bereitet die Aufrechterhaltung der Ischämie bei ausgeprägter Kollateralversorgung der Leber; auch geht das Verfahren mit einer hohen Mortalität bei Patienten im Endstadium der Erkrankung einher und die Möglichkeiten zu einer erneuten vaskulären Intervention werden eingeschränkt. Die selektive Embolisation der Leberarterien (HAE) bewirkt eine temporäre, aber komplette Ischämie, da die arteriellen Äste distal der Injektion komplett mit Embolisationsmaterial ausgefüllt werden (Chuang u. Wallace 1981). Die Embolisation ist bei den meisten Patienten anwendbar, Kontraindikationen sind jedoch: 4 Tumorlast über 50% 4 Verschluss der Portalvene 4 Hyperbilirubinämie 4 Persistierende Erhöhung der Leberenzyme Als relative Kontraindikationen gelten: 4 Kontrastmittelallergie 4 Gerinnungsstörungen 4 Extrahepatische Tumorhauptlast 4 Schlechter Allgemeinzustand des Patienten
Nach unseren Erfahrungen können Patienten mit einem Tumorvolumen über 50% sicher mit dieser Methode therapiert werden, wenn in ausreichenden zeitlichen Intervallen (2–4 Wochen) der aufeinanderfolgenden Sitzungen subsegmental (superselektiv) embolisiert wird. Eine ähnliche Strategie kann bei hemihepatektomierten Patienten mit Tumorrezidiv im verbliebenen Lappen verfolgt werden. Selektive Embolisation
Wenn der Gefäßzugang geschaffen ist (üblicherweise wird die A. hepatica von der Leiste aus katheterisiert), wird eine Angiographie zur Darstellung der arteriellen Gefäßanatomie, des Blutflusses im Tumor sowie der Kapazität der Portalvene durchgeführt. Verwendung finden absorbierbare und nicht-absorbierbare Embolisationsmaterialien, z. B. Gelpuder (40–60 µm Partikeldurchmesser, Trockensubstanz) oder Alkoholpartikel (200–300 µm, Ivalonschwamm; Ajani et al. 1994). Die Notwendigkeit, einen Zugang für den Fall wiederholter Anwendungen zu erhalten, verbietet den Einsatz von Drahtcoils im proximalen Arteriensegment. Mit dem Ziel langanhaltener kompletter Ischämie ging die Entwicklung in Richtung kleinerer, verweilender Emboli, um eine gute periphere Ischämie zu erzielen ohne die Lebersinusoide zu erreichen. Temporäre Okklusion
Verschiedene Zentren berichteten über eine gute symptombezogene Palliation, ebenso wie biochemisches und klinisches Ansprechen des Tumors nach temporärer Okklusion der Leberarterie bei Patienten mit »Midgut«-Karzinoidsyndrom. Hierzu wird das Gefäß intermittierend extern über chirurgisch eingebrachte Gefäßzügel unterbunden (Nobin et al. 1989). Für die Langzeitbehandlung mit temporärer Ischämie kann ein Portsystem mit Tourniquet um die Leberarterien angewandt werden. Die Kombination aus peripherer Embolisation und temporärer proximaler Okklusion zeigt insbesondere in therapieresistenten Fällen eine additive Wirkung. Das Embolisationsverfahren geht häufig mit Leberschmerzen und Übelkeit einher. Zudem entwickeln die Patienten eine fieberhafte Reaktion 24–48 h postinterventionell mit transienter Erhöhung der Leberenzyme. Bei einzelnen Patien ten kann es zu folgenden, schwerwiegenden Komplikationen kommen: 4 Ischämie der Gallenblase 4 Pankreatitis 4 Leberabszess 4 Gefäßschädigung 4 Aneurysmabildung 4 Hepatorenales Syndrom 4 Hormonelle Krise Die Mortalität größerer Serien liegt unter 5%, das als Qualitätsstandard gelten sollte (Ajani et al. 1994; Gupta et al. 2003). Um Gegenreaktionen zu minimieren, können folgende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden: 4 Durchführung durch einen erfahrenen Radiologen 4 Verwendung koaxialer Katheter für die superselektive Katheterisierung für ein geringeres Risiko eines Gefäßschadens 4 Prophylaktische Gabe von Somatostatinanaloga zur Reduktion der Hormonfreisetzung und peripherer Hormonwirkung
471 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
4 Prophylaktische Cholezystektomie zum Zeitpunkt der primären Chirurgie zur Vermeidung einer Gallenblasenperforation sowie der Sludgebildung unter langfristiger Somatostatintherapie 4 Intravenöse Flüssigkeitssubstitution und engmaschige Kontrolle der hämodynamischen Parameter zur Reduktion des Risikos eines hepatorenalen Syndroms Perioperativ sollte regelhaft eine analgetische Therapie erfolgen. Der prophylaktische Einsatz von Breitspektrumantibiotika ist jedoch umstritten und an einigen Zentren nicht Bestandteil des Routineablaufs. Zur Kontrolle des Ergebnisses einer Embolisation setzen wir generell die Computertomographie sowie die Magnetresonanztomographie und biochemische Tumormarker ein. Nach unserem Nachsorgeschema erfolgt die Kontrolle in der Poliklinik etwa 4–6 Wochen nach Abschluss der Embolisationstherapie unter Vergleich mit den präinterventionellen Daten (. Abb. 5.71). Es wäre vorteilhaft, wenn die Reaktion auf die Ischämie kurzfristiger nach der therapeutischen Maßnahme kontrolliert werden könnte. Zu diesem Zwecke haben wir versucht, bessere Kontrollverfahren zu entwickeln. In einer Serie entwickelten einige Patienten eine rasche Lymphozytose mit Dominanz der Killerzellen. In vitro stieg
5
die zytotoxische Aktivität isolierter Lymphozyten dieser Patienten kurzfristig nach der Embolisation deutlich an. Während des Nachbeobachtungszeitraums korrelierte die frühe immunologische Reaktion eng mit den späten biochemischen Markern des therapeutischen Effekts (Wängberg 1995). Die MR-Spektrographie von Lebertumoren vor und nach Embolisation kann durch den Nachweis energiereicher Phosphate ebenfalls Auskunft über den Grad der erreichten Ischämie geben. Wahrscheinlich sind auch szintigraphische Untersuchungen mit Radioisotopenmarkierung des Embolisats für diesen Zweck hilfreich. Chemoembolisation
Die Chemoembolisation ist eine hepatische arterielle Embolisation in Kombination mit einer ausschließlich auf die Leber gerichteten intraarteriellen Chemotherapie (HACE), um auf diesem Wege eine systemische Wirkung der Toxine zu verhindern. Zudem erhöht der ischämische Zellschaden die Sensibilität der Tumorzellen für die Chemotherapie. Hajarizadeh et al. (1992) berichteten über eine Symptomlinderung bei Karzinoidpatienten durch HACE, in der 5-FU Verwendung fand. Die mittlere Ansprechzeit betrug 2 Jahre und war zudem begleitet von einer Tumorregression bei der Hälfte der Patienten. Dabei konnte bei 90% der Patienten mit fortgeschrittenen NET eine Tumorkontrolle
a
b
c
d
. Abb. 5.71a–d. NET des Gastrointestinaltraktes mit Lebermetastasen. a, b Im CT ist die Tumorausdehnung in der Leber vor (a) und 6 Wochen (b) nach Beendigung zweier, in Abständen von 4 Wochen durchgeführ-
ter Embolisationssitzungen zu beurteilen. c, d Arteriogramm vor arterieller Embolisation (c) und 10 min nach erfolgter Embolisation (d)
472
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
erreicht werden, jedoch nur unter wiederholter Anwendung von Kombinationen verschiedenster Zytostatika, zumeist Doxorubicin, Streptozotocin, Cisplatin und Mitomycin C (Ruszniewski et al. 1993; Perry et al. 1994; Drougas et al. 1998; Yao et al. 2001). Modifizierte Chemoembolisationsverfahren mit zytotoxischen Agenzien, die als Emulsion mit jodhaltigem Öl vor der eigentlichen Embolisation mittels Gelpuderpartikeln appliziert wurden, gingen ebenfalls mit einer deutlichen Tumorregression einher (Dominquez et al. 2000; Roche et al. 2003). In einigen Untersuchungen wurde versucht, den jeweiligen Tumorarten ein spezielles Zytostatikum oder eine Kombination mehrerer zuzuordnen, z. B. Cisplatin und Doxorubicin bei Karzinoiden oder Streptozotocin und 5-FU bei endokrinen Pankreastumoren. Diese Untersuchungen konnten aber keine überzeugenden Ergebnisse aufzeigen (Kim et al. 1999). In einer weiteren, aus 2 Phasen bestehenden Studie, wurden 100 µm große, aus Polylactat bestehende Mikrokapsel mit Cisplatin zur Embolisation verwendet. Dabei wurde der Gehalt an Cisplatin in den Kapsel stetig erhöht, um die maximal tolerierbare Dosis zu erkennen. Der Vorteil dieser Kapseln liegt in der Möglichkeit, verschiedenste Medikamente in den Kapseln zu konzentrieren und durch die Umhüllung spezifische Rezeptoren anzusteuern (Diamandidou et al. 1998). Eine weitere Modifikation der Embolisationsverfahren stellt die Radioembolisation dar. Hierbei werden Mikrosphären mit β-Strahlern markiert und als Embolisationsmaterial benutzt. Da Tumorarteriolen im Vergleich zu nicht betroffenem Leberparenchym weitere Arteriolen besitzen, lässt sich somit eine hohe Strahlendosis direkt in den Tumor bringen (Andrews et al. 1994). Ungelöste Probleme dieses Verfahrens stellen jedoch die Ausbildung von AV-Shunts in die Lunge, die exakte Dosimetrie und die nicht homogene Verteilung der Mikrosphären dar, insbesondere, da die strahleninduzierte Gewebeschädigung zu einer Umverteilung des Blutflusses führt. Ergebnisse der Embolisation
Das Ergebnis einer Ischämiebehandlung ist offensichtlich abhängig von der Ausprägung und dem zeitlichen Verlauf der Tumorerkrankung. Coupe et al. (1989) berichteten über eine Serie von 63 Patienten mit fortgeschrittenem Karzinoidsyndrom, von denen die Hälfte als palliative Maßnahme embolisiert wurde, was jedoch nicht zu einem signifikanten Überlebensvorteil führte. Andere Untersucher zeigten eine Verlängerung der Überlebenszeit von wenigen Jahren durch Embolisation (Mitty et al. 1985). Ein Überlebensvorteil bei embolisierten Patienten mit NET wurde in einer kleinen, randomisierten Studie beobachtet, in der das Kontrollkollektiv chirurgisch und nachfolgend mit Interferon behandelt wurde (Jacobsen et al. 1995). Eine weitere, nicht-randomisierte Serie konnte zudem zeigen, dass eine der Embolisation nachfolgende Chemotherapie die Wirkung der Embolisation bei Patienten mit Karzinoiden und endokrinen Pankreastumoren verstärkt (Moertel et al. 1994). Einige Autoren berichteten zudem über ein geringeres Ansprechen bei Patienten mit endokrinen Pankreastumoren im Vergleich zu Patienten mit Karzinoiden (Eriksson et al. 1998). Unsere initiale Studie mit 64 konsekutiv eingeschlossenen Patienten mit »Midgut«-Karzinoidsyndrom bediente sich des in . Abb. 5.72 dargestellten Algorithmus; 14 Patienten unterzogen sich einer kurativen Leberresektion. Die 5-Jahres-Überlebensrate lag in dieser Gruppe bei 100%. Bei 40 Patienten lag ein bilobärer Leberbefall vor, sodass diese mittels arterieller Embolisation
behandelt wurden (5-Jahres-Überlebensrate 63%); 10 Patienten konnten aufgrund ihrer Vorerkrankungen (Zirrhose, Zweitmalignome, psychiatrische Erkrankungen) nur medikamentös nach Entfernung des Primärtumors behandelt werden (5-Jahres-Überlebenszeit 0%). Die 5-Jahres-Überlebensrate des Gesamtkollektivs lag bei 69% und stabilisierte sich nach 10 Jahren bei einem Wert von 60% (Wängberg et al. 1996). Diese Zahlen stellten sich im Vergleich mit vorherigen Serien, die 5-Jahres-Überlebensraten von 19–40% zeigten, als positiv heraus (Moertel 1983; Moertel et. al 1994; McDermott et al. 1994; Modlin u. Sandor 1997). Die Patienten unserer Studie, die embolisiert wurden, konnten in zwei gleichgroße Gruppen je nach radiologischem und biochemischem Ansprechen, eingeordnet werden: Responder mit mehr als 50%-iger Tumorreduktion und deutlichem Rückgang der 5-HIES-Ausscheidung (80%) und NonResponder mit weniger als 50%-iger Tumorreduktion sowie geringfügigem Rückgang der 5-HIES-Ausscheidung (30%). Die Responder zeigten zudem einen deutlichen Überlebensvorteil über 5 Jahre. Kürzlich wurden die Erfahrungen des M.D. Anderson Centers bei Patienten mit metastasierten NET veröffentlicht, wonach 50 Patienten mittels HAE und 31 Patienten mittels HACE in den Jahren 1992–2000 behandelt wurden. Bei der Mehrheit der Patienten konnte radiologisch ein Ansprechen beobachtet werden. Bei zwei Drittel der Patienten konnte eine Tumorreduktion >50% sowie eine Palliation der hormonalen Symptome festgestellt werden. Die Überlebenswahrscheinlichkeit lag im ersten Jahr bei 93%, im zweiten Jahr bei 62% und im fünften Jahr bei 24%. Dabei war die progressionsfreie Überlebenszeit von 19 Monaten besonders ermutigend, waren doch alle Patienten in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit einem Fortschreiten der Erkrankung unter systemischer Therapie. Es existiert derzeit keine Übereinkunft wann mit einer palliativen interventionellen Behandlung zu beginnen ist. Eine schwedische Multicenter-Studie schloss Patienten mit Midgut-NET bei bilobärem Leberbefall ein, denen in zwei Sitzungen jeweils die rechte und linke Leberarterie embolisiert wurde. Die zuvor durchgeführte primäre chirurgische Therapie umfasste die Resektion des Primärtumors, Entfernung oder Reduktion der regionären Lymphknotenmetastasen sowie die Cholezystektomie. Zeigten die Patienten Symptome und lag die 5-HIES-Ausscheidung im Urin über 250 µmol/24 h (Normbereich bis 50 µmol/ 24 h) wurde mit der Behandlung begonnen. Ebenso wurde eine Stratifizierung bezüglich der Schwere der Erkrankung durchgeführt. Diese lag bei einer 5-HIES-Ausscheidung über 500 µmol/ 24 h und/oder dem Nachweis einer Karzinoidherzerkrankung vor. Nach Beendigung der interventionellen Behandlung erfolgte die Randomisierung in einer Octreotid-Monotherapie oder der kombinierten Therapie mit α-Interferon. Hier ergaben sich jedoch keine Unterschiede im Überleben zwischen diesen Therapiearmen (Kölby et al. 2003). Eine französische Serie berichtete über eine initial hohe Ansprechrate bei 14 Patienten mit fortschreitenden, nicht-resektablen neuroendokrinen Lebermetastasen, die eine arterielle Chemoembolisation (HACE) mit Doxorubicin-Lipoidol als »Firstline«-Behandlung erhielten. Bei 3 Patienten kam es zu einer erfolgreichen Langzeitpalliation (Roche et al. 2003). Bei Überprüfung der Erfahrungen mit allen 64 Patienten, die sich einer HACE unterzogen haben, zeigte sich eine Reduktion der hormonell bedingten Symptome bei zwei Drittel der Patienten mit einer mittleren Ansprechdauer von 15 Monaten. Als positive prognos-
473 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
5
Exzision des Primärtumors + lokoregionaler Herde und Cholezystektomie
Keine extrahepatische Manifestation
Resektabel
Extrahepatische Manifestation
Nicht-resektabel Günstige Befundkonstellation?
Leberresektion
Tumorreduktion
OLT
Systemische Chemooder Radiotherapie Biotherapie Heilung
Palliation
Tumorreduktion
Systemische Chemooder Radiotherapie Biotherapie Potenzielle Heilung
Palliation
. Abb. 5.72. Möglicher Behandlungsalgorithmus für Patienten mit hochdifferenzierten neuroendokrinen Karzinomen und Lebermetastasen. Dabei kann eine Tumorreduktion durch Debulking-Eingriffe, Embo-
lisation oder Chemoembolisation sowie lokal-ablative Verfahren erreicht werden. Die Biotherapie umfasst Somatostatinanaloga, ggf. in Kombination mit Interferon
tische Faktoren für ein Ansprechen erwiesen sich Primärtumoren außerhalb des Pankreas und HACE als First-line-Behandlung. Bei limitierter Tumorlast (<30%) konnte radiologisch das beste Ansprechen festgestellt werden, wobei schwere toxische Reaktionen bei Patienten mit hoher Tumorlast (>70%) auftraten (Roche et al. 2004). Wie bereits gezeigt kommt es bei alleiniger arterieller Embolisation (HAE) zu einer hervorragenden Kontrolle tumorbedingter Schmerzen oder hormoneller Symptome, sodass die relativen Vorteile der HACE erst gegenüber der HAE noch zu untersuchen sind (Chamberlain et al. 2000; Schell et al. 2002; Kölby et al. 2003; Gupta et al. 2003).
vieler neuroendokriner Tumor zu ziehen, wurden verschiedene Ansätze zur Entwicklung einer radionuklidassistierten Chirurgie mittels tragbaren Szintillationsdetektoren verfolgt. Dazu wurde den Patienten präoperativ ein radionuklidmarkiertes Somatostatinanalogon injiziert. Die Indikation zur radionuklidassistiertem chirurgischen Vorgehen stellen dabei rezidivierende Tumoren in Lokalisationen, die mittels anderer Methoden nur eingeschränkt beurteilt werden können, so z. B. bei Halsmetastasen eines MTC oder NET, kleinen endokrinen Pankreastumoren oder zur Kontrolle der operativen Tumorentfernung, insbesondere bei residualen NET Metastasen in der Mesenterialwurzel nach Lymphknotenentfernung. Vielversprechende Resultate konnten bisher demonstriert werden, jedoch ist die Szintillationsdetektion noch nicht sensibel genug, um mikroskopisches Tumorwachstum oder Mikroadenome ausfindig zu machen (Wängberg et al. 1996).
Komplikationen der Embolisation
Nach unseren Erfahrungen mit 94 Embolisationen bei 40 Patienten mit Karzinoidsyndrom, von denen die ersten 11 mit konventionellen Angiographiekathetern durchgeführt wurden, sahen wir folgende Komplikationen: 3 Patienten hatten einen Verschluss der A. hepatica, einer von ihnen entwickelte einen Leberabszess. Weiterhin kam es zu einem Aneurysma der A. hepatica, einer Pankreatitis und einen schweren hepatorenalem Syndrom. Nach der Einführung eines koaxialen Kathetersystems traten bei 83 konsekutiven Embolisationen nur zwei kleinere Komplikationen auf: passagere Niereninsuffizienz und Arrythmie. In einer zweiten Serie ähnlicher Größe aus unserem Zentrum bestätigte sich diese niedrige Komplikationsrate. 5.5.5.3.3 Perioperatives Vorgehen Radionuklidassistierte Chirurgie. Um einen Vorteil aus der hohen Expression von Somatostatinrezeptoren auf der Oberfläche
Perfusion der Leber mit Zytostatika. Im Falle einer fortgeschrittenen Erkrankung mit histamin- oder katecholaminproduzierenden Tumoren ist eine ischämische Leberbehandlung kontraindiziert, da es unter der Therapie zu einer unkontrollierten Sekretion dieser Botenstoffe kommen kann. Bei einigen Patienten mit »Foregut«-Karzinoidsyndrom haben wir erfolgreich Zytostatika wie Melphalan und Cisplatin eingesetzt, die über eine regionale hypertherme Leberperfusion eingebracht wurden. Während der Applikation muss der vasoaktive Substanzen enthaltende venöse Abstrom aus der Leber aus dem Systemkreislauf via Shuntperfusion ausgeschaltet werden, um vasomotorische Reaktionen zu vermeiden. Die Perfusion der isolierten Leber mit Zytostatika mit simultaner Filtration des Portalvenenbluts unter
474
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Aufrechterhaltung der systemischen Zirkulation wird ermöglicht durch Implantation eines speziellen Katheters in die V. cava. Die chirurgische Technik umfasst hierbei die Darstellung der A. hepatica, der Portalvene und der V. cava inferior oberhalb der Leber mit temporärer Anlage eines portokavalen Shunts, der eine Aufrechterhaltung des Blutflusses sowohl im arteriellen als auch im portalvenösen Stromgebiet erlaubt (Schersten et al. 1991). Die Wiederholung einer hyperthermen Perfusion kann sich sehr schwierig gestalten, da die betroffenen Gefäße stark fibrosieren.
5
Perkutane Alkoholinjektion. Bei älteren Patienten oder Tumor-
progression nach der Primärtherapie können perkutane Alkoholinjektionen direkt in isolierte Leberläsionen zur Zerstörung des Tumorgewebes eingebracht werden. Hierzu wird das Volumen der jeweiligen Metastase ultrasonographisch abgeschätzt und ein entsprechendes Volumen 70- bis 90%-igen Alkohols injiziert. Während der Injektion entwickeln die Metastasen eine Hyperechogenität. Durch sukzessive Injektionen kann eine bemerkenswerte Symptompalliation, Reduktion der Tumormarker sowie nachweisliche Tumornekrose erreicht werden. Kryotherapie. In ausgewählten Fällen kann der Tumor durch
kryochirurgische Techniken oder interstitieller Laserbehandlung zerstört werden. Der Gefrierschaden wird dabei durch intra- sowie extrazelluläre Kristallbildung, Dehydratation und Gefäßschaden hervorgerufen. Kryochirurgie ist in der Nähe großer Gefäße ineffektiv und sollte nicht bei großen Tumoren eingesetzt werden, da es zu Gerinnungsstörungen, Lungenversagen und akutem Nierenversagen führen kann. Die Kryoapplikatoren können mit einem Hochfrequenzscanner für intraoperativen Ultraschall zur Tumorlokalisation ausgestattet sein. Diese Geräte können tief in der Leber liegende Läsionen zerstören, ohne das darüber liegende Parenchym zu schädigen. Einige kleinere Serien berichteten über eine zufriedenstellende Symptomerleichterung nach dieser Behandlung (Cozzi et al. 1995; Bilchik et al. 1997). Radiofrequenzablation. Heutzutage stellt die Radiofrequenzablation das gängigste Verfahren dar, mit dem Läsionen bis zu einer Größe von 5 cm Durchmesser selektiv thermokoaguliert werden können. Ebenso können Tumoren in der Nähe großer Gefäße behandelt werden, da diese Gefäße durch den Blutstrom gekühlt werden (Bilchik et al. 1999; Siperstein et al. 2000; Wessel u. Schnee 2001). Zumeist wird ein ultraschallgesteuertes Vorgehen gewählt, jedoch befinden sich offene thermosensible Magnetresonanzsysteme in der Entwicklung. Die ablativen Techniken können sowohl bei offenen als auch bei laparoskopischen Operationen eingesetzt werden und ggf. auch perkutan appliziert werden (. Abb. 5.73). Somit stellen sie eine wertvolle Ergänzung zur Leberresektion dar, insbesondere bei Tumorrezidiven in den belassenen Leberanteilen nach Resektion. Weiterhin besteht die Möglichkeit, mehrere Läsionen in einer Sitzung zu behandeln.
5.5.5.3.4 Lebertransplantation Indikationsstellung
Metastasen gastrointestinaler NET zeichnen sich durch ein langsames Wachstum aus und können über einen langen Zeitraum auf die Leber beschränkt sein, sodass bei ausgewählten Patienten die Möglichkeit zur Lebertransplantation gegeben ist. Die derzeitige Datenlage empfiehlt die Entfernung des Primärtumors in einer ersten Operation, sodass die Stabilität der Erkrankung er-
. Abb. 5.73. Computertomographie eines Patienten mit endokrinem Pankreastumor, der zuvor mittels totaler Pankreatektomie und Hemihepatektomie links behandelt wurde und ein Tumorrezidiv in der rechten Leber entwickelte. Die Behandlung des Rezidivs erfolgte durch Radiofrequenzablation
fasst werden kann. Ebenso können Patienten mit günstigen Eigenschaften des Tumors (hochdifferenziert, niedrige Proliferationsrate, stabile Krankheit) ohne extrahepatische Metastasen durch Lebertransplantation kurativ behandelt werden. Die Prognose ist ungleich schwieriger zu stellen, wenn es sich um Patienten mit nicht-resektabler, auf die Leber limitierter Erkrankung handelt, die auf ein vorhergehendes interventionelles Verfahren nicht ansprachen oder die unter einer lebensbedrohenden Hormonsekretion leiden (Rosado u. Gores 2003). Für die Lebertransplantation wurde eine obere Altersgrenze von 55 Jahren festgelegt. Einige Zentren lehnen eine Transplantation ab, sofern die Tumormasse 50% des Lebervolumens überschreitet, obwohl keine Studien zur Frage der Relation von Transplantationsergebnis und Tumorvolumen existieren (Schweizer et al. 1993). Geringgradig differenzierte neuroendokrine Karzinome werden selten in einem resektablen Stadium diagnostiziert. Aufgrund der schlechten Prognose dieser schnell wachsenden Tumoren ist eine Lebertransplantation kontraindiziert. Behandlungsstrategie
Nach der primären chirurgischen Therapie sollte sorgfältig ein aktueller Status erhoben werden, da unter Immunsuppression die Proliferation verbliebenen Tumorgewebes beschleunigt werden kann. Mit Hilfe biochemischer Marker und den bildgebenden Verfahren konnte bei einem hohen Anteil für die Transplantation vorgesehener Patienten extrahepatisches Tumorgewebe aufgedeckt werden (Frilling et al. 1994). Es scheint daher sinnvoll, eine 2-stufige Strategie zu verfolgen. Dabei sollte im ersten Schritt der neuroendokrine Primärtumor histologisch gesichert radikal entfernt werden. Sollte eine effektive Chemotherapie zur Behandlung des Tumors existieren, erfolgt die Applikation vor der Transplantation. Endokrine Tumoren im Pankreaskopf können mittels Whipple-Operation behandelt werden, gefolgt von einer orthoto-
475 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
pen Lebertransplantation (OLT). Eine weitere Möglichkeit wäre die Tumorexzision mit anschließender multiviszeraler Transplantation (MVTx) in einer Sitzung. Ergebnisse
Bechstein und Neuhaus fassten 1994 die Weltliteratur mit über 30 Patienten mit neuroendokrinen Tumoren zusammen (15 NET des Pankreas, 15 weitere NET). Die 1-Jahres-Überlebensrate betrug 52%. Bei ca. der Hälfte aller in den ersten 8 Monaten beobachteten Todesfällen bestand eine Assoziation mit der Transplantation. Wenige Jahre später erschienen vielversprechende Daten eines ausgewählten Patientengutes: in Hannover wurde eine 5-Jahres-Überlebensrate von 80% (nur 1 Patient von 12 nach OLT verstarb an einem Tumorrezidiv) erreicht (Lang et al. 1997). Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte die französische multizentrische Studie bei gastrointestinalen NET, während bei NET des Pankreas die 5-Jahres-Überlebensrate ungleich schlechter mit nur 10% beziffert wurde (Le Treut et al. 1997). Eine kürzlich erschienene Serie aus London berichtete über eine hohe Rezidivrate und über eine deutlich kürzere Überlebenswahrscheinlichkeit. Auffällig war hier eine große Zeitspanne zwischen Diagnosestellung und Lebertransplantation (Sutcliffe et al. 2004). Bei der multiviszeralen Transplantation ist die Prognose der NET mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 60% deutlich besser (Alessiani et al. 1995) als die anderer Tumorerkrankungen (Sarkom, hepatozelluläres Karzinom, cholangiozelluläres Karzinom). In einer Übersichtarbeit der ersten 103 berichteten Fälle von Transplatationen als Behandlung neuroendokriner Tumoren konnte Lehnert (1998) eine Gesamt-5-Jahres-Überlebensrate von 47% mit einem krankheitsfreien Überleben von 24% herausarbeiten. Als positive Einflussfaktoren auf die Überlebenszeit konnten ein junges Alter der Patienten, bestimmte Tumoren (NET der Lunge und des Dünndarms), geringerer Umfang der Oberbaucheingriffe und Octreotid-Behandlung vor den chirurgischen Eingriffen identifiziert werden. Letzteres scheint Ausdruck einer eher hochdifferenzierten Tumorerkrankung mit Hormonproduktion zu sein. Unsere Erfahrung in den Jahren 1997–2003 umfasst 12 Patienten (8 NET des Pankreas, 4 NET des Gastrointestinaltraktes) mit hochdifferenzierten neuroendokrinen Karzinomen und einer limitierten Proliferationsrate (Ki67≤10%) in Leberbiopsien. Es wurden bei 8 Patienten eine orthotope Lebertransplantation durchgeführt, 4 Patienten unterzogen sich einer multiviszeralen Transplantation. Bei einem mittleren Nachbeobachtungszeitraum von 4 Jahren überlebten sämtliche Patienten nach OLT, wobei 3 Patienten aufgrund eines Rezidivs erneut reseziert werden mussten. Bei einem Patienten wurde nach Transplantation eine Somatostatinrezeptor-Radiotherapie durchgeführt. Von den 4 Patienten mit MVTx verstarben 2 aufgrund transplantationsassoziierter Komplikationen 4 Monate nach der Operation, wohingegen die anderen 2 Patienten tumorfrei verblieben. Unsere Serie unterscheidet sich von den vorhergehenden in einigen wesentlichen Aspekten. Es wurden Patienten bis zum 60. Lebensjahr eingeschlossen, ebenso Patienten mit einer großen Tumorlast. Zudem wurden Patienten mit einem NET des Pankreaskopfes mittels multiviszeraler Transplantation behandelt. Generell kann gesagt werden, dass diese Patienten eine größere Tumorlast und höhere Ki67-Werte aufwiesen als Patienten, die mittels OLT therapiert wurden, was per se einen negativen Selektionsbias darstellt. Bei den NET des Pankreas ist es über einen Ausschlusswert von 5% möglich, Patienten mit einer kürzeren
5
Überlebenszeit zu identifizieren (Pelosi et al. 1996); in unsere Studie hingegen wurden Patienten bis zu einer Proliferationsrate von 10% eingeschlossen (Ahlman et al. 2004). Eine Studie mit Langzeit-Follow-up an 19 Patienten nach orthotoper Lebertransplantation konnte zeigen, dass niedrige Ki67-Werte ebenso wie eine normale Expression des Adhäsionsmoleküls E-Cadherin mit einer guten Prognose assoziiert waren, wogegen die Analyse der p53-Expression keine Verbesserung der Prognosegenauigkeit darstellte (Rosenau et al. 2002). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die orthotope Lebertransplantation eine befriedigende Symptomerleichterung bietet und mit einem langen krankheitsfreien Überleben einhergeht. Dabei sind die Überlebensraten der Transplantate sowie der Patienten denen einer Zirrhoseerkrankung ähnlich. Die Erfahrungen mit der multiviszeralen Transplantation sind derzeit noch zu gering. Es werden noch weitere, prospektive Studien notwendig sein, um die besten Kriterien zur Vorhersage der klinischen Transplantationsergebnisse zu definieren. 5.5.5.4 Radiotherapie 131
I-MIBG Radiotherapie. NET sind allgemein gegen extern applizierte Strahlung resistent, jedoch können Hirn- und Knochenmetastasen mit gutem Effekt bestrahlt werden. Zur systemischen Anwendung der Radiotherapie stand zuerst das Katecholaminanalogon MIBG zur Verfügung, das, radioaktiv markiert, von Phäochromozytomen, gastrointestinalen NET und kindlichen Neuroblastomen aufgenommen wird (Kimmig 1994). Die Frühergebnisse der 131I-MIBG Behandlung waren sehr ermutigend, jedoch exprimieren nur die Hälfte aller Tumoren die Katecholamin- und Vesikeltransporter, die für eine Aufnahme unerlässlich sind (Castellani et al. 2000; Mukherjee et al. 2001). Somatostatinrezeptor-Radiotherapie. Da es in NET häufig zu
einer massiven Expression von Somatostatinrezeptoren kommt, die nach Bindung eines Liganden in das Zellinnere aufgenommen werden, besteht die Möglichkeit, auf diesem Wege das Radiopharmakon im Tumor zu akkumulieren (Andersson et al. 1996). Dabei werden insbesondere die Rezeptorsubtypen 2 und 5 exprimiert, die eine hohe Affinität zu Octreotid zeigen, was die Grundlage der Octreotid-Szintigraphie darstellt. Die ersten Versuche wurden mit intravenöser Applikation von 111In-DTPA-DPhe1-Octreotid in therapeutischen Dosen unternommen (Krenning et al. 1996). 111Indium ist ein Emittent niedrig-energetischer β-Strahlung mit einem Auger-Elektron. Die beobachteten therapeutischen Effekte waren jedoch nur moderat. Um einen besseren tumorzerstörenden Effekt zu erhalten wurde daher der hoch-energetische β-Emittent 90Y in 90Y-DOTA-D-Phe1, Tyr3Octreotid eingebracht. Einzelne Patienten wiesen nach mehrfacher Behandlung eine Tumorregression oder eine stabile Erkrankung auf (Smith et al. 2000). Nebenwirkungen dieser Behandlung traten insbesondere im Knochenmark sowie an den Nieren in Erscheinung. Die Nierentoxizität kann mittels Infusion von Aminosäuren beherrscht werden, da es unter Infusion zu einer geringeren tubulären Reabsorption der Peptide kommt. Die klinischen Studien mit dem mittelenergetischen 177Luthetium, das an DOTA-Tyr3-Octreotat gebunden wird, sind vielversprechend (Kwekkeboom et al. 2005). Bei Patienten mit Metastasen verschiedener Größe mag eine Kombination aus 90Y und 177Lu gebunden an Somatostatinanaloga einen Vorteil bedeuten. Wir haben bisher bei einem Patienten mit nicht-resektablen Tumorrezidiv nach OLT 177Lu-DOTA-Tyr3-Octreotat als weitere Be-
476
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5
b
a . Abb. 5.74a,b. Octreotid-Szintigraphie eines Patienten mit Rezidiv eines gastrointestinalen NET 2 Jahre nach orthotoper Lebertransplantation (a). Nach 4 Anwendungen der Somatostatinrezeptor-Radiotherapie konnte
innerhalb eines Jahres eine Radionekrose beobachtet werden, die mit einer Reduktion der Tumormarker um 50% einherging (b). 3 Jahre nach der Radiotherapie zeigte der Patient einen stabilen Krankheitsverlauf
handlungsoption eingesetzt. Unter dieser Therapie kam es zu einer beachtlichen Tumorreduktion und reduzierten Tumormarkern (. Abb. 5.74).
gleich; sie lag 60% nach alleiniger Embolisation und bei 80% bei Kombination mit Chemotherapie. Median hielt die Tumorregression nach Embolisation 4 Monate an gegenüber 18 Monaten nach kombinierter Therapie. Das mediane Überleben verdoppelte sich nahezu nach sequenzieller Chemotherapie. Die Studie zeigt klar, dass die Embolisation mit adjuvanter Chemotherapie deutlich effektiver ist als die Ischämiebehandlung allein, allerdings um den Preis vermehrter Nebenwirkungen (Übelkeit, Leukopenie, Alopezie). Wenig differenzierte, schnell wachsende neuroendokrine Karzinome werden, wenn überhaupt, nur selten größeren chirurgischen Maßnahmen zugeführt. Patienten mit solchen High-grade-Tumoren können mit einer kombinierten Chemotherapie effektiv behandelt werden; bei Kombination von Cisplatin und Etoposid sprechen 60% objektiv an. Demgegenüber zeigen hochdifferenzierte NET auf diese Medikamente nahezu überhaupt keine Reaktion (Moertel et al. 1994).
5.5.5.5 Chemotherapie Die Chemotherapie ist gemeinhin in Fällen angeraten, in denen die Patienten entweder unter hochproliferativen Tumoren (z. B. endokrinen Pankreastumoren oder bronchialen NET) oder großer Tumorlast leiden. Ebenso stellt die Chemotherapie eine Behandlungsform bei entdifferenzierten neuroendokrinen Karzinomen dar, die nicht auf andere Behandlungsformen ansprechen. Klassische Midgut-Karzinoide mit einem Ki67-Wert <2% profitieren nicht von einer Chemotherapie. Die Gesamtergebnisse der Monotherapie sind enttäuschend. Streptozotocin wurde in den 60er-Jahren für die Therapie des malignen Insulinoms entwickelt, aber bald auch in der Behandlung anderer nicht-resektabler NET eingesetzt. Die Ergebnisse nach Monotherapie mit Streptozotocin bei NET des Pankreas zeigte Ansprechraten von 7–26%; noch geringer sprachen NET des Gastrointestinaltraktes an (0–17%). Die Kombinationstherapie mit Streptozotocin und 5-Fluorouracil (5-FU) oder Doxorubicin führte zu einem Anstieg der Ansprechrate auf 60–65% bei einer mittleren Remissionsdauer von 1,5 Jahren bei NET des Pankreas (Öberg u. Ahlman 2004). Viele Zentren benutzen als Anfangskombination Streptozotocin und 5-FU, da diese Kombination nur durch die Toxizität, nicht jedoch hinsichtlich der Gesamtdosis limitiert ist. In einer nichtrandomisierten Untersuchung eines großen Patientenkollektivs an der Mayo-Klinik (Moertel et al. 1994) wurden die therapeutischen Ergebnisse nach alleiniger arterieller Embolisation mit denen nach Embolisation und adjuvanter Chemotherapie verglichen. Die Studie schloss alle Chemotherapeutika ein, die sich bei Einzelanwendung als effektiv erwiesen haben (Streptozotocin, 5-FU und Doxorubicin). In der kombiniert therapierten Gruppe zeigten 50% der Patienten mit NET des Pankreas sowie 12% der Patienten mit gastrointestinalem NET eine biochemische Remission. Die Tumorregressionsrate war bei beiden Entitäten
5.5.5.6 Biotherapie Die Biotherapie der NET umfasst die Behandlung mit Somatostatinanaloga und α-Interferon (IFN). Somatostatinanaloga. Das erste Somatostatinanalogon in klinischer Anwendung war ein lang wirksames Oktapeptid, das Octreotid, das eine hohe Affinität zu den SomatostatinrezeptorSubtypen (SSTR) 2 und 5 aufweist. In klinischen Studien zeigen Rapreotid und Lanreotid ähnliche Eigenschaften. Somatostatinanaloga beeinflussen die Hormonsynthese und Freisetzung über inhibitorisch wirksame G-Proteine, können aber auch die peripheren Effekte zirkulierender Hormone reduzieren, z. B. Serotonin, Tachykinin, Glukagon und VIP (Lamberts et al. 1996). Darüber hinaus inhibieren Somatostatinanaloga den Zellzyklus und reduzieren die Expression von Wachstumsfaktoren. Die hochdosierte Therapie kann eine Apoptose induzieren und so sogar zu einer Reduktion der Tumormasse führen. Laut experimentellen Studien wird ein Antitumoreffekt über Phosphotyrosin-Phosphatasen vermittelt. Es wird vermutet, dass bei diesen
477 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
Effekten andere Rezeptorsubtypen als 2 und 5 eine Rolle spielen, die erst bei hochdosierter Behandlung aktiviert werden (Buscail et al. 1995; Patel et al. 1997). Die Octreotid-Dosis wird gewöhnlich symptomorientiert angepasst; die Standarddosis beträt 100– 200 µg/Tag. Der Rückgang der Symptomatik korreliert mit der reduzierten Hormonsekretion des Tumors. Das Ansprechen variiert interindividuell ebenso wie in Abhängigkeit vom Tumortyp. Das Nebenwirkungsspektrum kann Gallensteinbildung, biliäre Dysfunktion, Steatorrhö sowie Hypokalzämie und gestörte Glukosetoleranz umfassen. Neuere Somatostatinanaloga mit Depoteffekt wie Lanreotid (30 mg alle 2 Wochen) oder Octreotid-LAR (30 mg alle 4 Wochen) scheinen in klinischen Studien eine ähnliche Wirkung zu besitzen wie die erste Generation der Somatostatinanaloga. Problematisch ist die Tachyphylaxie, die bei höheren Dosen der Analoga mit langsamem Wirkungseintritt häufiger auftritt. Derzeit befinden sich neue Pan-Somatostatinanaloga in der Entwicklung, die an alle 5 Somatostatinrezeptor-Subtypen binden können. Der Vorteil diese Analoga liegt in der Behandlung von NET mit ungewöhnlicher SSTR-Expression und von Metastasen mit differenter SSTR-Expression im Vergleich zum Primärtumor. α-Interferon. IFN ist ein natürlich vorkommendes Glykoprotein,
das erstmals vor 15 Jahren in der Behandlung gastrointestinaler NET eingesetzt wurde. Die Wirksamkeit beruht auf einer Stimulation der Funktion der natürlichen Killerzellen und induziert Klasse-I-Antigene (Öberg et al. 1983). Aus meist nicht-randomisierten Studien wird über mehr als 500 Patienten mit NET berichtet. In der größten Studie zeigte die Hälfte ein biochemisches Ansprechen im Sinne einer Tumorstabilisierung; zu einer signifikanten Tumorregression kam es jedoch nur in 15% der Fälle (Öberg u. Ahlman 2004). Die Dosis muss individuell angepasst werden (3–5 Mio. Einheiten in 5–7 Einzeldosen wöchentlich), orientiert am Abfall der Leukozytenzahl (gewünschter therapeutischer Effekt: 3×109/l). Um Injektionen in einem wöchentlichen Abstand zu ermöglichen wurde pegyliertes IFN entwickelt. In dieser Dosierung hat IFN relativ wenige Nebenwirkungen (grippeähnliche Symptome, Müdigkeit, geringer Gewichtsverlust, Schilddrüsendysfunktion und Depression), jedoch beenden einige Patienten die IFN-Therapie aufgrund dieser Nebenwirkungen. Ebenso wurden Hochdosisprotokolle aufgrund der Nebenwirkungen verlassen (Välimäki et al. 1991). Neutralisierende Antikörper gegen IFN können unter der Therapie mit rekombinantem IFN auftreten, was zur Erlöschen sämtlicher therapeutischer Effekte führt. Die Kombination aus IFN und Somatostatinanaloga kann durch additive Effekte eine Verbesserung der Behandlung bedeuten. Auch wird die IFN-Therapie bei gleichzeitiger Anwendung von Somatostatinanaloga besser toleriert. Jedoch zeigte eine randomisierte Studie an Patienten mit NET des Midgut, die nach primärer chirurgischer Behandlung zunächst embolisiert wurden und dann eine Kombination aus IFN und Octreotid erhielten keinen Überlebensvorteil gegenüber den Patienten, die nur Octreotid allein erhielten (Kölby et al. 2003). Ergebnisse. Zur kritischen Überprüfung der Wirksamkeit anti-
proliferativer Medikamente sind Untersuchungen mit einem Kontrollzeitraum vor Therapiebeginn nötig, in welchem das spontane Wachstumsverhalten des Tumors im Einzelfall jedes Patienten beobachtet wird. Auch sind eine bessere Klassifikation und ein
5
exakteres Staging der Tumoren wichtig, um einen Vergleich zwischen Patienten mit unterschiedlicher Tumorbiologie zu vermeiden. Nur sehr wenige solcher Studien wurden bisher zur Biotherapie publiziert (Bartsch et al. 1990; Nold et al. 1994). In einer prospektiven Studie an Patienten mit gastrointestinalen NET wurde die Kombination von Embolisation mit nachfolgender IFN-Behandlung untersucht (Jacobson et al. 1995). Nach der chirurgischen Primärtherapie wurden alle Patienten für ein Jahr mit IFN behandelt, weniger als die Hälfte erhielt eine Embolisation und die Ausschlussrate (wegen Progression der Erkrankung oder Medikamentenunverträglichkeit) war hoch. Die übrigen Patienten wurden hiernach z. T. für eine weitere IFN-Therapie randomisiert. Die 5-Jahres-Überlebensrate im Gesamtkollektiv lag bei 37% unabhängig von der Interferontherapie, jedoch zeigte die Gruppe der embolisierten Patienten eine bessere Überlebenszeit. Zukünftige medikamentöse Therapieverfahren. Neben den
Pan-Somatostatinanaloga haben die Antitumoreffekte der Tyrosinkinase-Inhibitoren großes Aufsehen erregt. Die Inhibition der intrazellulären Signalkaskade durch Tyrosinkinasen und ihrer assoziierten Proteine und Rezeptoren stellt ein neues Behandlungsprinzip dar, das seit Kurzem für die Behandlung der chronischen myelonischen Leukämie (BCR-ABL-Protein mit Tyrosinkinaseaktivität) und die GIST eingesetzt wird. Letztere entwickeln eine Tyrosinkinase-Aktivierung durch einen mutierten KIT-Rezeptor (Goldmann u. Melo 2001). Obgleich NET ebenfalls diesen KIT-Rezeptor exprimieren, ist dieser bei den NET nicht mutiert und spielt daher höchstwahrscheinlich keine Rolle in der Tumorgenese. Weiterhin sind ähnliche Tyrosinkinasen mit PDGFR und anderen Rezeptoren für Wachstumsfaktoren assoziiert. Diese Rezeptoren werden durch gastrointestinale NET sowohl in Tumorzellen als auch im umgebenden Stroma exprimiert (Chaudhry et al. 1992). Sollte sich die neoadjuvante Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren als ähnlich effektiv wie für die GIST erweisen, sollten die chirurgischen Maßnahmen mit optimaler Tumorreduktion einhergehen, um zu aggressive Zytoreduktion zu verhindern. Einige Tyrosinkinasen vermitteln ihre Wirkung über den m-TOR-Pfadweg (Dennis et al. 1999), der durch Rapamycinanaloga gehemmt werden kann, was heute die letzte Therapieoption für GIST darstellt. Der Focus des Interesses ist weiterhin auf Inhibitoren von IKK-Kinasen gerichtet. Diese kontrollieren die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NFκB, der wiederum zur Apoptosevermittlung beiträgt. Hierunter konnten vielversprechende klinische Effekte bei einigen Tumoren mit neuroendokriner Differenzierung beobachtet werden (Karin et al. 2004). Literatur Ahlman H, Ahlund L, Dahlström A, Martner J et al. (1988) The use of SMS 201-995 and provocation tests in carcinoid patients in preparation for surgery and hepatic arterial embolization. Anesth Analg 67:1142 Ahlman H, Wängberg B, Nilsson O, Grimelius L et al. (1992) Aspects of diagnosis and treatment of the foregut carcinoid syndrome. Scand J Gastroenterol 27:459 Ahlman H, Friman S, Cahlin C, Nilsson O et al. (2004) Liver transplantation for treatment of metastatic neuroendocrine tumors. Ann NY Acad Sci 1014:265 Ajani JA, Carrasco CH, Wallace S (1994) Neuroendocrine tumors metastatic to the liver: vascular occlusion therapy. Ann NY Acad Sci 733:479 Allesiani M, Tzakis A, Todo S et al. (1995) Assessment of 5-year experience with abdominal cluster transplantation. J Am Coll Surg 180:1
478
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Andersson P, Forssell-Aronsson E, Johanson V, Wängberg B et al. (1996) Internalization of 111In-DTPA-D-Phe1-octreotide. J Nucl Med 37:2002 Andrews JC, Walker SC, Ackermann RJ, Cotton LA et al. (1994) Hepatic radioembolization with 90Y-containing glass microspheres, preliminary results and clinical follow-up. J Nucl Med 35:1637 Bartsch H, Stöckmann F, Arnold R, Creutzfeldt W (1990) Treatment of patients with metastatic midgut carcinoid tumours by recombinant human interferon-alpha: results from a phase II study. J Cancer Res Clin Oncol 116:305 Bechstein W, Neuhaus P (1994) Liver transplantation for hepatic metastases of neuroendocrine tumours. Ann NY Acad Sci 733:507 Benjamin IS (1993) Management of secondary endocrine tumours of the liver. In: Lynn J, Bloom SR (eds) Surgical endocrinology. ButterworthHeinemann, Oxford pp 538–547 Bilchik AJ, Sarantou T, Foshag LJ, Giuliano AE et al. (1997) Cryosurgical palliation of metastatic neuroendocrine tumors resistant to conventional therapy. Surgery 122:1040 Bilchik AJ, Rose DM, Allegra DP, Bostick PJ et al. (1999) Radiofrequency ablation: a normally invasive technique with multiple applications. Cancer J Sci Am 6:356 Buscail L, Estève JP, Saint LN, Bertrand U et al. (1995) Inhibition of all proliferation by the somatostatin analogue RC-160 is mediated by SSTR 2 & 5 through different mechanisms. Proc Natl Acad Sci USA 92:1580 Carty SE, Jensen RT, Norton JA (1992) Prospective study of aggressive resection of metastatic pancreatic endocrine tumors. Surgery 112:1024 Castellani MR, Chiti A, Seregni E, Bombardieri E (2000) Role of 131I-metaiodobenzylguanidine (MIBG) in the treatment of neuroendocrine tumours. Experience of the National Cancer Institute in Milan. Q J Nucl Med 44:77 Chamberlain RS, Canes D, Brown KT, Saltz L et al. (2000) Hepatic neuroendocrine metastases: does intervention alter outcomes? J Am Coll Surg 190:432 Chaudhry A, Papanicolaou V, Öberg K, Heldin CH et al. (1992) Expression of platelet-derived growth factor and its receptors in neuroendocrine tumors of the digestive system. Cancer Res 52:1006 Chen H, Hardacre JM, Uzar A, Cameron JL et al. (1998) Isolated liver metastases from neuroendocrine tumors: does resection prolong survival? J Am Coll Surg 187:88 Cho KJ, Reuter SR, Schmidt R (1976) Effects of experimental hepatic artery embolization on hepatic function. Am J Roentgenol 27:563 Chuang VP, Wallace S (1981) Hepatic artery embolization in the treatment of hepatic neoplasms. Radiology 140:51 Chung MH, Pisegna J, Spirt M, Ye E et al. (2001) Hepatic cytoreduction followed by novel long-acting somatostatin analog: a paradigm for intractable neuroendocrine tumors. Surgery 130:954 Coupe MO, Hodgson HJF, Hemingway A, Allison DJ (1989) The effect of hepatic artery embolization on survival in the carcinoid syndrom. J Intervent Radiol 4:179 Cozzi PJ, Englund R, Morris DL (1995) Cryotherapy treatment of patients with hepatic metastases from neuroendocrine tumors. Cancer 76:501 Dennis PB, Fumagalli S, Thomas G (1999) Target of rapamycin (TOR): balancing the opposing forces of protein synthesis and degradation. Curr Opin Genet Dev 9:49 Diamandidou E, Ajani JA, Yang DJ, Chuang VP et al. (1998) Two-phase study of hepatic artery vascular occlusion with microencapsulated cisplatin in patients with liver metastases from neuroendocrine tumors. Am J Roentgenol 170:339 Dominquez S, Denys A, Madeira I, Hammel P et al. (2000) Hepatic arterial chemoembolization with streptozotocin in patients with metastastic digestive endocrine tumours. Eur J Gastroenterol Hepatol 12: 141 Dousset B, Saint Marc O, Pitre J, Soubrane O et al. (1996) Metastatic endocrine tumors: medical treatment, surgical resection, or liver transplantation. W J Surg 20:908 Drougas JG, Anthony LB, Blair TK, Lopez RR et al. (1998) Hepatic artery chemoembolization for management of patients with advanced metastatic carcinoid tumors. Am J Surg 175:408
Eriksson B, Larsson EG, Skogseid BM, Löfberg AM et al. (1998) Liver embolizations in patients with malignant neuroendocrine gastrointestinal tumors. Cancer 83:2293 Farges O, Belghiti J (1999) Options in the resection of endocrine liver metastases. In: Mignon M, Colombel JF (eds) Recent advances in the pathophysiology and management of inflammatory bowel disease and digestive endocrine tumours. J Libbey Eurotext, Paris, pp 335– 337 Frilling A, Rogiers X, Knöfel WT, Broelsch CE (1994) Liver transplatation for metastatic carcinoid tumors. Digestion 55:104 Galland RB, Blumgart LH (1986) Carcinoid syndrome: surgical management. Br J Hosp Med 203:352 Goldman JM, Melo JV (2001) Targeting of the BCR-ABL kinase in chronic myeloid leukaemia. N Engl J Med 344:1084 Gupta S, Yao JC, Ahrar K, Wallace MJ et al. (2003) Hepatic artery embolization and chemoembolization for treatment of patients with metastatic carcinoid tumors: the MD Anderson experience. Cancer J 9:261 Hajarizadeh H, Ivancev K, Mueller CR, Fletcher WS et al. (1992) Effective palliative treatment of metastatic carcinoid tumors with intra-arterial chemotherapy/chemoembolization combined with octreotide acetate. Am J Surg 163:479 Hughes KS, Sugarbaker PH (1987) Resection of the liver for metastatic solid tumors. In: Rosenberg SA (ed) Surgical treatment of metastatic cancer. Lippincott, Philadelphia pp 125–164 Jacobsen MB, Hanssen LE, Kolmannskog P, Schrumpf E et al. (1995) Interferon-α2b, with or without prior hepatic artery embolization: clinical response and survival in midgut carcinoid patients. Scand J Gastroenterol 30:789 Karin M, Yamamoto Y, May Wang Q (2004) The IKK NFκB System: a treasure trove for drug development. Nature Rev (Drug Disc) 3:17 Kim YA, Ajani JA, Carrasco CH, Dumas P et al. (1999) Selective hepatic chemoembolization for liver metastases in patients with carcinoid tumor or islet cell carcinoma. Cancer Invest 17:474 Kimmig BN (1994) Radiotherapy for GEP neuroendocrine tumours. Ann NY Acad Sci 733:488 Kinney MA, Narr BJ, Warner MA (2002) Perioperative management of pheochromocytoma. J Cardiothor Vasc Anesth 16:359 Kölby L, Persson G, Franzén S, Ahrén B (2003) Randomized clinical trial on the effect of interferon-α on survival in patients with disseminated midgut carcinoid tumors. Br J Surg 90:687 Krenning EP, Kooij PP, Pauwels S, Breeman WA et al. (1996) Somatostatin receptor: scintigraphy and radionuclide therapy. Digestion 57:57 Kwekkeboom DJ, Moeller-Brand J, Paganelli G, Anthony LB et al. (2005) Overview of results of peptide receptor radionuclide therapy with 3 radiolabelled somatostatin analogs. J Nucl Med 46:62 Lamberts SW, van der Lely AJ, De Heerder WW, Hofland LJ (1996) Octreotide. N Engl J Med 334:246 Lang H, Oldhafer KJ, Weimann A, Schlitt HJ et al. (1997) Liver transplantation for metastatic neuroendocrine tumors Ann Surg 225:347 Le Treut YP, Delpero JR, Dousset B, Cherqui D et al. (1997) Results of liver transplantation in the treatment of metastatic tumors: A 31-case French multicentric report. Ann Surg 225:355 Lehnert T (1998) Liver transplatation for metastatic neuroendocrine carcinoma. Transplantation 66:1307 Markowitz JC (1952) The hepatic artery. Surg Gynecol Obstet 95:644 Mc Dermott EW, Guduric B, Brennan MF (1994) Prognostic variables in patients with gastrointestinal carcinoid tumors. Br J Surg 81:1007 Mc Entee GP, Nagorney DM, Kvols LK, Moertel CG et al. (1990) Cytoreductive hepatic surgery for neuroendocrine tumours. Surgery 108: 1091 Mitty HA, Warner RRP, Neumann LH, Travis JS et al. (1985) Control of carcinoid syndrome with hepatic artery embolization. Radiology 155:623 Modlin IM, Sandor A (1997) An analysis of 8305 cases of carcinoid tumors. Cancer 79:813 Moertel CG (1983) Treatment of the carcinoid tumor and the malignant carcinoid syndrome. J Clin Oncol 1:727
479 5.5 · Neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Karzinoidtumoren)
Moertel CG, Johnson MC, Mc Kusik MA et al. (1994) The management of patients with advanced carcinoid tumors and islet cell carcinoma. Ann Int Med 120:302 Mukherjee JJ, Kaltsas GA, Islam N et al. (2001) Treatment of metastatic carcinoid tumours, pheochromocytoma, paraganglioma and medullary carcinoma of the thyroid with 131I-MIBG. Clin Endocrinol 55:47 Nave H, Mossinger E, Feist H, Lang H et al. (2001) Surgery as primary treatment in patients with liver metastases from carcinoid tumours: a retrospective unicentric study over 13 years. Surgery 129:170 Nilsson LA (1966) Therapeutic hepatic artery ligation in patients with secondary liver tumours. Rev Surg 23:374 Nobin A, Mansson H, Lunderquist A (1989) Evaluation of temporary liver dearterialization and embolization in patients with metastatic carcinoid tumor. Acta Oncol 28:419 Nold R, Frank M, Kajdan U, Arnold R (1994) Kombinierte Behandlung metastasierter endokriner Tumoren des Gastrointestinaltraktes mit Octreotid und Interferon-Alpha Z Gastroenterol 32:193 Norton JA (1994) Surgical management of carcinoid tumors: Role of debulking and surgery for advanced disease. Digestion 55:98 Norton JA, Doppman JL, Gardner JD et al. (1986) Aggressive resection of metastatic disease in selected patients with malignant gastrinoma. Ann Surg 203:352 Norton JA, Warren RS, Kelly MG, Zuraek MB et al. (2003) Aggressive surgery for metastatic liver neuroendocrine tumors. Surgery 134:1057 Öberg K, Ahlman H (2004) Medical management of neuroendocrine gastrointestinal tumors. In A. Schwartz, D Pertsemlidis an M. Gagner Endocrine surgery, Marcel Dekker, New York Basel pp 685 Öberg K, Funa K, Alm G (1983) Effects of leucocyte interferon upon clinical symptoms and hormone levels in patients with midgut carcinoids and the carcinoid syndrome. N Engl J Med 309:129 Olausson M, Friman S, Cahlin C Nilsson O et al. (2002) Indications and results of liver transplantation in patients with neuroendocrine tumors. World J Surg 26:998 Patel Y, Srikant CB, Hukovic A Kumar U et al. (1997) Somatostatin receptors: Subtype selectivity for desensitization and antiproliferation. J Endocrinol Invest 20:14 Pederzoli P, Falconi M, Bonora A, Salvia R et al. (1999) Cytoreductive surgery in advanced endocrine tumours of the pancreas. Ital J Gastroenterol Hepatol 31:207 Pelosi G, Bresaola E, Bogina G et al. (1996) Endocrine tumors of the pancreas: Ki-67 immunoreactivity on paraffin sections is an independent predictor for malignancy. Hum Pathol 27:1124 Perry LJ, Stuart K, Stokes KR, Clouse ME (1994) Hepatic arterial chemoembolization for metastatic tumours. Surgery 166:11 Que FG, Nagorney DM, Batts KP, Linzl J et al. (1995) Hepatic resection for metastatic neuroendocrine carcinomas. Am J Surg 169:36 Roche A, Girish BV, de Baere T, Baudin E et al. (2003) Transcatheter arterial chemoembolization in liver metastases from endocrine tumours. Eur Radiol 13:136 Roche A, Girish BV, de Baere T, Ducruex M et al. (2004) Prognostic factors for chemoembolization in liver metastases from endocrine tumours. Hepatogastroenterology 51:1751 Rosado B, Gores GJ (2004) Liver transplantation for neuroendocrine tumors: Progress and uncertainty. Liver Transplantation 10:712 Rosai J, Higa E (1972) Mediastinal endocrine neoplasm of probable thymic origin related to a carcinoid tumor Clinicopathologic study of 8 cases. Cancer 29:1061 Rosenau J, Bahr MJ, von Wasielewski R et al. (2002) Ki 67, E-Cadherin, and p53 as prognostic indicators of long-term outcome of liver transplantation for metastatic neuroendocrine tumors. Transplantation 73:386 Ruszniewski P, Rougier P, Roche A, Legmann P et al. (1993) Hepatic arterial chemoembolisation in patients with liver metastases of endocrine tumors. Cancer 71:2624 Sarmiento JM, Que FG (2003) Hepatic surgery for metastases from neuroendocrine tumors. Surg Oncol Clin N Am 12:231
5
Schell SR, Camp ER, Caridi JG, Hawkins IF Jr (2002) Hepatic artery embolization for control of symptoms, octreotide requirements, and tumor progression in metastatic carcinoid tumors. J Gastroent Surg 6:664 Scherstén T, Ahlman H, Wängberg B, Granérus G et al. (1991) Hyperthermic liver perfusion chemotherapy in the treatment of the foregut carcinoid syndrome. Lancet 338:568 Schweizer RT, Alsina AE, Rosson R, Bartus SA (1993) Liver transplantation for metastatic neuroendocrine tumours. Transplant Proc 25:1973 SipersteinA, Garland A, Engle K et al. (2000) Laparoscopic radiofrequency ablation of primary and metastatic liver tumors. Technical considerations. Surg Endosc 14:400 Smith MC, Liu J, Chen T, Schrau H et al. (2000) Octreo Ther: ongoing early clinical development of somatostatin receptor-targeted radionuclide for antineoplastic therapy. Digestion 62:69 Sutliff VE, Doppmann JL, Gibril LF (1997) Growth of newly diagnosed untreated metastatic gastrinomas and predictors of growth pattern. J Clin Oncol 15:2420 Sutcliffe R, Maquire D, Ramage J, Rela M et al. (2004) Management of neuroendocrine liver metastases. Am J Surg 187:39 Välimäki M, Järvinen H, Salmela P, Sane T et al. (1991) Is the treatment of metastatic carcinoid tumor with interferon not so successful as suggested? Cancer 67:547 Wängberg B, Ahlman H, Tylén U, Nilsson O et al. (1995) Accumulation of natural killer cells after hepatic artery embolisation in the midgut carcinoid syndrome. Br J Cancer 71:617 Wängberg B, Westberg G, Tylén U, Tisell LE et al. (1996) Survival of patients with disseminated midgut carcinoid tumours after aggressive tumour reduction. W J Surg 20:892 Wängberg B, Forssell-Aronsson E, Tisell LE, Nilsson O et al. (1996) Intraoperative detection of SSTR-positive neuroendocrine tumours using 111 In-labelled DTPA-D-Phe1-octreotide. Br J Cancer 73:770 Wessel FJ, Schell SR (2001) Radiofrequency ablation treatment of refractary carcinoid metastases. J Surg Res 95:8 Westberg G, Wängberg B, Ahlman H, Bergh CH et al. (2001) Prediction of prognosis by echocardiography in patients with the midgut carcinoid syndrome. Br J Surg 88:865 Williams E, Sandler M (1963) The classification of carcinoid tumors. Lancet 1:238 Yao KA, Talamonti MS, Nemcek A, Angelos P et al. (2001) Indications an results of liver resection and hepatic chemoembolization for metastatic gastrointestinal neuroendocrine tumors. Surgery 130:677
480
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
5.6
Neuroendokrine Tumoren des Bronchialsystems P. Langer, D.K. Bartsch, M. Rothmund
In anglo-amerikanischen Publikationen wird auch aktuell noch auf die Klassifikation von Travis et al. (1991) zurückgegriffen, die weiterhin typische und atypische Karzinoide, großzellige neuroendokrine Karzinome und kleinzellige Karzinome voneinander unterscheidet.
) )
5
Neuroendokrine Tumoren (NET) der Lunge (ehemals »Karzinoide«) sind seltene primäre Neubildungen mit einer Häufigkeit von ca. 2% aller Lungentumoren (Conley et al. 1992, Harpole et al. 1992, Granberg u. Skogseid 2001; Warren et al. 1993). Es sind meist gut differenzierte Neoplasmen, die von neuroendokrinen Zellen der Mukosa des Tracheobronchialbaumes ausgehen. Die erstmals 1938 von Feyrter beschriebenen »Hellen Zellen« wurden 1949 von Froelich auch in der Lunge gefunden und 25 Jahre später von Pearse entsprechend ihren histochemischen Eigenschaften dem APUD-Zellsystem (»amin precursor uptake and decarboxylation«) zugeordnet. Der Begriff »Karzinoid« wurde 1907 von Oberndorfer eingeführt. In der Klassifikation von Arrigoni und Mitarbeitern von 1972 wurden bereits die aggressiver wachsenden und früher metastasierenden »Karzinoide« als »atypisch« von den »typischen Karzinoiden« abgegrenzt (Arrigoni et al. 1972). Andere Klassifikationen verwenden den Begriff der Kulchitsky-Zelltumoren I–III (Bittinger et al. 1986). Sie beziehen sich auf die Tatsache, dass NET der Lunge und das kleinzellige Bronchialkarzinom von derselben Stammzelle, der sog. Kulchitsky-Zelle ausgehen. Die Therapie der Wahl besteht mit Ausnahme der kleinzelligen Karzinome in der Resektion. NET der Lunge (vor allem die gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren und Karzinome) haben nach Resektion eine gute Prognose.
5.6.1 Epidemiologie NET der Lunge sind selten und bilden ca. 1–2% aller pulmonalen Neoplasien. Der Erkrankungsgipfel liegt im 5. Lebensjahrzehnt, trotzdem können die Tumoren praktisch in jedem Alter auftreten und auch Kinder betreffen. Die Ätiologie ist unklar, lediglich bei Patienten mit MEN 1 scheint die Ursache in dem durch eine Mutation des Menin-Gens bedingten Proliferationsreiz für Zellen des APUD-Zellsystems zu liegen. Im Gegensatz zum Plattenepithelkarzinom der Lunge wird dem Zigarettenrauchen in der Entstehung der NET der Lunge keine Bedeutung zugemessen (Hasleton et al. 1994). 5.6.2 Klassifikation Die nun gültige Klassifikation der neuroendokrinen Tumoren (NET) nach Capella et al. (1994) hat die Bezeichnung »Karzinoid« abgelöst (7 Übersicht). Sie grenzt gut differenzierte neuroendokrine Tumoren (ehemals »typische Karzinoide«) mit sehr guter Prognose von gut differenzierten neuroendokrinen Karzinomen (»atypisches Karzinoid«) und schlecht differenzierten Karzinomen vom klein- oder großzelligen Typ ab. Mit der Bezeichnung »neuroendokrine Karzinome« wird zum einen der Tatsache Rechnung getragen, dass auch diese Tumoren metastasieren können und zum anderen der Ursprung der Neoplasmen im neuroendokrinen System beschrieben. Im klinischen Sprachgebrauch haben sich die neue Klassifikation und die damit verbundene Bezeichnung dieser Tumoren allerdings noch nicht durchgesetzt.
Einteilung der neuroendokrinen Tumoren der Lunge (Capella et al. 1994) 5 Gutartig bis niedrig-malignes Verhalten (ehemals typisches Karzinoid) – Nichtfunktioneller gut differenzierter neuroendokriner Tumor – Funktioneller gut differenzierter neuroendokriner Tumor 5 Niedrig-malignes Verhalten (ehemals atypisches Karzinoid) – Nichtfunktionelles gut differenziertes Karzinom – Funktionelles gut differenziertes Karzinom 5 Hochgradig malignes Verhalten – Nichtfunktionelles oder funktionelles schlecht differenziertes Karzinom – Großzelliger Typ – Kleinzelliger Typ
Unterscheidungskriterien zwischen neuroendokrinem Tumor und Karzinom sind Tumorgröße, Häufigkeit von Zellatypien, Pleomorphismen und Mitoseraten sowie Areale mit Tumornekrosen. Vadasz et al. (1993) zweifeln eine Unterscheidbarkeit in diesem Sinne jedoch an. Ihrer Meinung nach sind die Mehrzahl der NET der Lunge gut differenzierte Neubildungen mit geringer Malignität und guter Prognose. Eine Abgrenzung der ehemals als »atypische Karzinoide« bezeichneten neuroendokrinen Karzinome sei nicht sinnvoll. Vielmehr handele es sich bei den Tumoren mit fatalen Verläufen eher um schlecht differenzierte großoder kleinzellige Karzinome. NET der Lunge treten meist sporadisch, jedoch in bis zu 15% im Rahmen eines MEN-1-Syndroms auf. Sie gehören in die Gruppe der Vorderdarm (»Foregut«)-Karzinoide. 5.6.3 Klinische Symptomatik Hinsichtlich der klinischen Symptomatik dominieren zum einen rezidivierende bronchiale Infekte und Pneumonien sowie asymptomatische Verläufe, in denen der pulmonale Rundherd ein Zufallsbefund ist. Dabei spielt die Lokalisation des Tumors eine entscheidende Rolle. Während peripher gelegene Tumoren eher asymptomatisch bleiben, führen zentral gelegene Tumoren durch eine Obstruktion des Bronchialbaumes eher zu Symptomen wie Dyspnoe, Husten und zu Bronchitiden und Pneumonien. Flush, Schwitzen und Durchfälle als »klassische« Symptomatik des »Karzinoidsyndroms« werden bei den bronchialen NET kaum angetroffen und spielten in einem von den Autoren untersuchten Patientenkollektiv kaum eine Rolle (Langer et al. 1999). Dies verwundert nicht, da bekanntermaßen das Karzinoidsyndrom insgesamt bei nur 10% aller NET beobachtet wird. Die Tumoren sind in aller Regel nur sehr klein und Tumorprodukte wie Serotonin etc. werden sofort in der Leber extrahiert. Des Weiteren scheint die Tatsache eine Rolle zu spielen, dass in
481 5.6 · Neuroendokrine Tumoren des Bronchialsystems
der Lunge der Gehalt an Monoaminooxidase relativ hoch ist, die Serotonin verstoffwechselt. So findet man ein Karzinoidsyndrom nur in Fällen, wo bereits eine Lebermetastasierung vorliegt. Einige Autoren berichten über eine »Karzinoidkrise«, die bei der bronchoskopischen Biopsie eines bronchialen NET ausgelöst wurde (Karmy-Jones et al. 1993). Zur Vermeidung solcher Krisen wird die perioperative Gabe von Somatostatin empfohlen. Durch ektope ACTH-Produktion kann durch den NET auch ein Cushing-Syndrom ausgelöst werden, das den Patienten dann zum Arzt führt. 5.6.4
Diagnostik
5.6.4.1 Bildgebende Verfahren Röntgen-Thoraxaufnahme und Thorax-CT (TCT) sowie Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (SMS) sind die wesentlichen Untersuchungen. Im TCT erscheinen die Tumoren oft glatt begrenzt und rund (. Abb. 5.75 und 5.76). Die für maligne Läsionen typischen sog. Spiculae fehlen. TCT und alternativ auch Magnetresonanztomographie sind sensitiver als die konventionelle Röntgenaufnahme. Die Darstellbarkeit des Tumors in der SMS mittels 111 Indium-Pentatreotid ist nahezu beweisend für einen NET, da diese meist Somatostatinrezeptoren exprimieren (O’Byrne et al. 1994; Kälkner et al. 1995) (. Abb. 5.77). Des Weiteren lassen sich eventuell vorhandene Metastasen identifizieren (Frilling et al. 1998). Das Verfahren eignet sich außerdem im Rahmen der Nachsorge gut zur Verlaufsbeurteilung und zur Aufdeckung eventueller Rezidive bzw. Metastasen. Allerdings sind ca. 30% der NET der Lunge SMS-negativ (Kälkner et al. 1995). Die Abdomensonographie vervollständigt das Spektrum der bildgebenden Diagnostik. Hier gilt es, hepatische und adrenale Filiae auszuschließen. 5.6.4.2 Endoluminale Diagnostik Die Bronchoskopie dient der Beurteilung des endoluminalen Wachstums als auch zur Histologiegewinnung. Die von mehreren . Abb. 5.75. Röntgenaufnahme eines gut differenzierten neuroendokrinen Tumors der Lunge bei MEN 1
5
Autoren beschriebenen Blutungen nach bronchoskopischen Probeexzisionen haben die Autoren in ihrem Krankengut nicht beobachtet. Jedoch sind in einigen Fällen die Läsionen nicht immer bronchoskopisch zugänglich. In diesen Fällen bleibt die endgültige Diagnose oft der histologischen Aufarbeitung des Operationspräparates vorbehalten, was die Operationsplanung etwas erschwert und mitunter ausgedehntere Resektionen im Interesse einer zu wahrenden Radikalität erforderlich macht. Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass trotz bronchoskopisch erreichbarem Tumor eine endgültige histologische Diagnose oft unsicher ist, da große Variabilitäten innerhalb eines Befundes möglich sind. . Abb. 5.78 zeigt das histologische Bild eines Bronchial-NET vom trabekulären Typ in der Chromogranin-Färbung. 5.6.4.3 Hormonanalytik Die Bestimmung des Serotoninmetaboliten 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) als Screening-Nachweismethode gehört zur diagnostischen Aufarbeitung, obwohl unsere Erfahrungen wie auch die Literatur zeigen, dass dieses neuroendokrine Tumorprodukt nur in seltenen Fällen im 24-h-Urin erhöht ist (Harpole et al. 1992). Ein Merkmal der NET der Lunge als sog. »foregut carcinoid tumors« ist bekanntermaßen ein Defizit des Enzyms Dopa-Decarboxylase, weswegen diese Tumoren vermehrt 5-Hydroxytryptophan und nicht 5-Hydroxytryptamin (Serotonin) in das Gefäßsystem sezernieren (Veall et al. 1994). Dies erklärt unter anderem die relativ hohen Urinspiegel an 5-Hydroxytryptophan und nur selten nachweisbare 5-HIES im 24-h-Urin dieser Patienten. 5.6.4.4 Differenzialdiagnose Wichtigste Differenzialdiagnosen sind Hamartome und Metastasen anderer maligner Tumoren. Die Differenzierung zwischen gut differenziertem neuroendokrinem Karzinom (atypisches Karzinoid) und kleinzelligem Karzinom kann an Biopsiepräparaten bisweilen schwierig sein. Dies kann jedoch
482
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
. Abb. 5.76. Computertomogramm eines gut differenzierten neuroendokrinen Tumors der Lunge bei MEN 1
5
. Abb. 5.77. SMS-Szintigraphie: Anreicherung in der Projektion auf den linken Hilus als Hinweis auf einen SMS-Rezeptoren-exprimierenden Tumor
erhebliche Konsequenzen für die Therapie haben. Hier kann der Proliferationsmarker Ki67 mitunter weiterhelfen. Hohe Proliferationsraten (positives Ki67 in mehr als 20% der Zellen) spricht eher für ein kleinzelliges Karzinom (Granberg u. Skogseid, 2001). 5.6.4.5 Therapie 5.6.4.5.1 Operative Therapie Grundsätzlich sollte die Therapie bei gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren und Karzinomen in der Resektion bestehen.
Einige Autoren favorisieren auf Grund der ausgezeichneten Prognose der gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren (»typisches Karzinoid«) ein eher parenchymsparendes Vorgehen im Sinne atypischer Resektionen (Conley et al. 1992). Harpole et al. (1992) empfehlen für Risikopatienten bei nicht-exophytischen Befunden auch die bronchoskopische Laserabtragung. Dabei gibt es zu bedenken, dass vor allem bei peripher gelegenen Befunden, die einer präoperativen Diagnostik mittels bronchoskopischer Probeexzision nicht zugänglich sind, differenzialdiagnostisch auch primär maligne epitheliale Tumoren (Adeno- und Plattenepithelkarzinome) in Frage kommen. Außerdem sind die endoluminal zu sehenden Befunde oft nur der kleinere Teil der Gesamttumormasse, dem sog. »Eisberg-Phänomen« entsprechend
483 5.6 · Neuroendokrine Tumoren des Bronchialsystems
5
. Abb. 5.78. Histologisches Bild eines NET der Lunge in Chromogranin-Färbung
(Granberg u. Skogseid, 2001). In Zweifelsfällen müssen aus Gründen der zu fordernden Radikalität entsprechend ausgedehnte Operationsverfahren zur Anwendung kommen. Andere Autoren empfehlen grundsätzlich ein radikales Standardvorgehen, wie es bei primären Lungentumoren üblich ist, d. h. Standardlobektomie bzw. Manschettenlobektomie oder ggf. auch Pneumonektomie mit vollständiger ipsilateraler Lymphadenektomie (Smolle-Jüttner et al. 1993; Granberg u. Skogseid et al. 2001). Die Ergebnisse der Autoren zeigen jedoch auch, dass gerade beim sicher diagnostizierten gut differenzierten neuroendokrinen Tumor sparsame Resektionen gerechtfertigt sind. Ein kritisches Überdenken der Forderung nach obligater Lymphadenektomie, wie sie von einigen Autoren gefordert wird, zumindest beim gut differenzierten neuroendokrinen Tumor ist deshalb sicher gerechtfertigt. Dies bestätigen Autoren, die berichten, dass Lymphadenopathien beim »Karzinoid« meist Hyperplasien im Gegensatz zu Metastasen beim primären Lungenkarzinom sind (McElaney et al. 1995). Zahlreiche klinische Studien bestätigen die guten Ergebnisse nach Resektion der gut differenzierten neuroendokrinen Lungentumoren. Die gut differenzierten neuroendokrinen Karzinome haben eine weniger gute Prognose. Die 5-Jahres-Überlebensrate wird von Capella et al. (1995) für die neuroendokrinen Tumoren mit 90–98% und für die neuroendokrinen Karzinome mit 60% angegeben. Smolle-Jüttner et al. (1993) gaben eine 10Jahres-Überlebensrate von 100% für erstere und von 76,4% für letztere nach radikaler chirurgischer Resektion an. 5.6.4.5.2 Chemotherapie Eine Alternative zur chirurgischen Therapie bei disseminierten Befunden mit Metastasen stellt die Chemotherapie dar. Hier kommen Somatostatinanaloga (Octreotid) zur Anwendung, die jedoch nur bei Somatostatinrezeptoren-exprimierenden Tumoren sinnvoll sind (Temeck et al. 1996). Außerdem kommen Chemotherpieschemata mit Cisplatin + Etoposid, Streptozotocin + Doxorubicin oder 5-Fluoruracil (5-FU), Paclitaxel + Doxorubicin oder auch Monotherapien z. B. mit Dacarbacin zur Anwendung. In der Regel sind die Ansprechraten jedoch gering und in wenigen Fällen maximal »stable disease« erreichbar. Weitere zum Einsatz kommende Substanzen sind α-Interferon und
131
I-MIBG (131I-Metajodbenzylguanidin), deren Effizienz allerdings weitaus geringer ist als beim Midgut-Karzinoid.
Die gut differenzierten Tumoren haben nach chirurgischer Resektion eine gute Prognose. Sie stellen die überwiegende Mehrzahl der NET der Lunge dar. Chirurgische Resektionen können unter Umständen parenchymsparend durchgeführt werden. Eine regionäre Lymphadenektomie erscheint nicht zwingend erforderlich, ist jedoch bei makroskopisch suspekt wirkenden Lymphknoten auch zum Staging zu empfehlen. Wichtig ist die Abgrenzung vom kleinzelligen Bronchialkarzinom. Bei zufällig entdeckten oder durch bronchiale Infekte aufgefallenen Befunden, die sich glatt begrenzt und ovalär in bildgebenden Verfahren darstellen, sowie bei gleichzeitig leerer Anamnese für Tabakgenuss sollte an einen NET der Lunge gedacht werden und eine entsprechende Diagnostik und Therapie erfolgen.
Literatur Arrigoni MG, Woolner LB, Bernartz PE (1972) Atypical carcinoid tumors of the lung. J Thorac Cardiovasc Surg 64:413–421 Bittinger A, Thomas C (1986) Tumorlet der Lunge. Medwelt 37:779– 780 Capella C, Heitz PU, Höfler H, Solcia E, Klöppel G (1994) Revised classification of neuroendocrine tumors of the lung, pancreas and gut. Digestion 55 (suppl 3):11–23 Capella C, Heitz PU, Höfler H, Solcia E, Klöppel G (1995) Revised Classification of Neuroendocrine Tumors of the Lung, Pancreas and Gut. Virchows Archiv 425:547–560 Conley YD, Cafoncelli AR, Khan JH, Khan MZ, Aburama AF (1992) Bronchial carcinoid tumor: experience over 20 years. Am Surg 58:670– 672 Feyrter F (1938) Über diffuse endokrine epitheliale Organe. Virchows Arch 301:470 Frilling A, Malago M, Hertl M, Broelsch CE (1998) Use of somatostatin receptor scintigraphy to image extrahepatic metastases of neuroendocrine tumors. Surgery 124:10001004 Froelich F (1949) Die »Helle Zelle« der Bronchialschleimhaut und ihre Beziehungen zum Problem der Chemorezeptoren. Frankf Z Pathol 60:517–557
484
5
Kapitel 5 · Endokrine Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems
Granberg D und Skogseid B (2001) Lung and thymic neuroendocrine tumors. In: Doherty GM, Skogseid B (eds) Surgical endocrinology. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia Baltimore New York Harpole DH, Feldman JM, Buchanan S, Young WG, Wolfe WG (1992) Bronchial carcinoid tumors: a retrospective analysis of 126 patients. Ann Thorac Surg 54:50–55 Hasleton PS (1994) Histopathology and prognostic factors in bronchial carcinoid tumours. Thorax 49:556–562 Kälkner KM, Tiensuu Janson E, Nilsson S et al. (1995) Somatostatin receptor scintigraphy in patients with carcinoid tumors: comparison between radioligand uptake and tumor markers. Cancer Res 55:5801S-5804S Karmy-Jones R, Vallieres E (1993) Carcinoid crisis after biopsy of a bronchial carcinoid. Ann Thorac Surg 56:1403–1405 Langer P, Ernst M, Bartsch D, Ramaswamy A, Rothmund M (2000) Diagnostik und Therapie gut differenzierten neuroendokrinen Lungentumore. Chirurg 71:429–435 McElaney B, McAdams HP, Erasmus J (1995) Chest case of the day. Metastatic bronchial carcinoid. Am J Roentgenol 165:186–187 Oberndorfer S (1907) Karznoide Tumoren des Dünndarms. Frankf Z Path 1:426–432 O’Byrne KJ, O’Hare NJ, Freyne PJ, Luke DA, Clancy LJ (1994) Imaging of bronchial carcinoid tumours with indium-111 pentetreotide. Thorax 49:284–286 O’Byrne KJ, Halmos G, Pinski J, Groot K, Szepeshazi K (1994) Somatostatin receptor expression in lung cancer. Eur J Cancer 30A:1682–1687 Paladugu RR, Benfield JR, Pak HY, Ross RK, Teplitz RL (1985) Bronchopulmonary Kulchitzky Cell Carcinoma. Cancer 55: 1303–1311 Pearse AGE (1974) The APUD cell concept and its implications in pathology. Pathol Annu 9:27–41 Smolle-Jüttner FM, Popper H, Klemen H, Pinter H, Pongratz-Röger M (1993) Clinical features and therapy of »typical« and »atypical« bronchial carcinoid tumors (grade 1 and grade 2 neuroendocrine carcinoma). Eur J Cardio-Thorac Surg 7:121–125 Temeck BK, Koong SS, Reynolds JC, Pass HI (1996) Somatostatin analogue in the localization and treatment of bronchial carcinoid tumors. Surg Oncology 5:195-200 Travis WD, Rush W, Flieder DB et al. (1998) Survival analysis of 200 pulmonary neuroendocrine tumors with clarification of criteria for atypical carcinoid and its separation from typical carcinoid. Am J Surg Pathol 22:934–944 Travis WD, Linnoila RI, Tsokos MG et al. (1991) Neuroendocrine tumors of the lung with proposed criteria for large-cell neuroendocrine carcinoma. An ultrastructural, immunohistochemical, and flow cytometric study of 35 cases. Am J Surg Pathol 15:529–553 Vadasz P, Palffy G, Egervary M, Schaff Z (1993) Diagnosis and treatment of bronchial carcinoid tumors: clinical and pathological review of 120 operated patients. Eur J Cardio-Thorac Surg 7:8 Veall GRQ, Peacock JE, Bax NDS, Reilly CS (1994) Review of the anaesthetic management of 21 patients undergoing laparotomy for carcinoid syndrome. Br J Anaesthesia 72:335–341 Warren WH, Gould VE (1993) Neuroendocrine neoplasms of the lung. A 10 year perspective of their classification. Zentralbl Pathol 139:107–113
6 6 Multiple endokrine Neoplasien D.K. Bartsch, H. Dralle, V. Fendrich, O. Gimm, N. Habbe, W. Höppner, P. Langer, A. Machens, H. Rieder, M. Rothmund
6.1
MEN-1-Syndrom
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4
Klinische Symptomatik, Diagnostik und Screening – 486 Molekulargenetik und molekulargenetische Diagnostik – 490 Operative Therapie – 492 Neuroendokrine Tumoren des Thymus – 497
– 486
6.2
MEN-2-Syndrom
6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
Klinische Symptomatik, Diagnostik und Screening – 499 Molekulargenetik und molekulargenetische Diagnostik – 504 Operative Therapie – 507 Humangenetische Beratung – 513
– 499
6.3
von-Hippel-Lindau-Syndrom – 516
6.3.1 Phäochromozytom beim VHL-Syndrom – 517 6.3.2 Pankreaserkrankungen beim VHL-Syndrom – 518 6.3.3 Screening – 519
6.4
Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen)
– 520
6.4.1 Klinische Symptomatik – 520 6.4.2 Phäochromozytom bei NF1 – 521 6.4.3 Neuroendokrine Tumoren des Duodenums und des Pankreas bei NF1
– 521
486
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
6.1
MEN-1-Syndrom
6.1.1
Klinische Symptomatik, Diagnostik und Screening P. Langer, D.K. Bartsch, M. Rothmund
) )
6
Die multiple endokrine Neoplasie Type 1 (MEN 1) ist, wie von Wermer 1954 bereits vermutet, ein autosomal-dominant vererbtes Tumorsyndrom, das vor allem durch das Auftreten von Neoplasien der Nebenschilddrüsen (primärer Hyperparathyreoidismus), der Inselzellen des Pankreas (endokrine Pankreastumoren) und der Adenohypophyse charakterisiert ist. Es wird nach seinem Erstbeschreiber auch Wermer-Syndrom genannt. Die klassische Trias wird ergänzt durch Nebennierentumoren, neuroendokrine Tumoren (Karzinoide) der Lunge, des Thymus und des Vorderdarmes. Ebenso werden Lipome sowie sehr selten Ependymome des Rückenmarks beschrieben (Carty et al. 1998). Typisch sind multilokuläre endokrine Tumoren, die zu komplexen klinischen Manifestationen führen können (. Tab. 6.1). Die Nebenschilddrüsen sind mit 80–100% am häufigsten betroffen. Pankreatikoduodenale endokrine Tumoren (PET) stellen mit 40–80% die zweithäufigste Manifestation des MEN-1-Syndroms dar. Meist finden sich nebeneinander mehrere Tumoren, die immunhistochemisch häufig unterschiedliche Hormone exprimieren, wobei allerdings ein Hormon dominiert und das klinische Syndrom bestimmt. PET, vor allem die Gastrinome, haben eine bedeutende maligne Entartungstendenz und sind 6
bei MEN-1-Patienten heutzutage die häufigste Todesursache (Doherty et al. 1998; Dean et al. 2000). Die Kenntnis des verursachenden genetischen Defekts (Keimbahnmutation des MEN-1-Gens auf Chromosom 11q13) ermöglicht einerseits durch genetische Screening-Untersuchungen die Erkennung betroffener Familienmitglieder als auch die Untersuchung von Patienten mit MEN-1-assoziierten Tumoren auf eine mögliche vererbte Veranlagung. Trägern einer Mutation werden regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen empfohlen, um frühzeitig die Entwicklung syndromassoziierter benigner und maligner Tumoren zu diagnostizieren und eine Therapie zu ermöglichen.
6.1.1.1 Klinische Symptomatik und Diagnostik Die Prävalenz der MEN 1 wird mit 0,02–0,2/1000 Personen angegeben, die Penetranz beträgt bis zum Alter von 50 Jahren über 90% (Carty et al. 1998; Langer et al. 2001). Die Diagnose der MEN 1 gilt als wahrscheinlich, wenn in mindestens zwei der möglichen betroffenen Organe typische endokrine Tumoren nachgewiesen werden. Sie ist sicher, wenn eine Mutation des MEN-1-Gens nachgewiesen werden kann. Personen, bei denen im Rahmen des Familien-Screenings eine Mutation nachgewiesen wurde, die jedoch noch keine Organmanifestation aufweisen, werden als Mutationsträger bezeichnet. Frauen und Männer sind von der Erkrankung in gleicher Häufigkeit betroffen. Charakteristisch für die Erkrankung sind die klinische Heterogenität und das häufig metachrone Auftreten der einzelnen Organmanifestationen. Die Manifestationen des Syndroms treten häufig in früherem Lebensalter auf als die sporadischen endokrinen Tumoren. Das
. Tab. 6.1. Organmanifestationen und Klinik beim MEN-1-Syndrom
Betroffenes Organ
Tumor
Häufigkeit (%)
Hormon
Klinisches Syndrom
90
Parathormon
Primärer Hyperparathyreoidismus
Gastrinom
Gastrin
Zollinger-Ellison-Syndrom
Insulinom
Insulin
Hypoglykämie-Syndrom
VIPom
Vasoaktives intestinales Polypeptid
Verner-Morrison-Syndrom
Glukagonom
Glukagon
Glukagonom-Syndrom
Nichtfunktionelle Tumoren
Pankreatisches Polypeptid Somatostatin
Funktionell inaktiv Funktionell inaktiv
Prolaktin
Galaktorrhö
Nebenschilddrüsen Pankreas, Duodenum (meist multiple Tumoren)
Adenohypophyse
Prolaktinom
30–60
Nichtfunktionelles Adenom Seltenere Tumoren
Unspezifisch (Kopfschmerz, Sehstörungen u. a.)
Nebennierentumoren
9–40
Kortisol?
Meist funktionell inaktiv
Neuroendokrine Tumoren in Lunge, Thymus, Magen
3–10
Serotonin
Karzinoidsyndrom (selten)
Lipome
5–10
Meist funktionell inaktiv
487 6.1 · MEN-1-Syndrom
klinische Erscheinungsbild wird geprägt durch das betroffene Organsystem. In Früherkennungsprogrammen werden häufig bei Mutationsträgern bereits Organmanifestationen nachgewiesen, die bisher klinisch unauffällig blieben. 6.1.1.1.1 Nebenschilddrüsen Der primäre Hyperparathyreoidismus (pHPT) ist die häufigste Organmanifestation der MEN 1 und stellt in 50–100% der Patienten die Erstmanifestation dar (Benson et al. 1987). Im Gegensatz zum sporadischen pHPT, der sein Häufigkeitsmaximum erst ab dem 5. bis 6. Lebensjahrzehnt hat, lassen sich eine Hyperkalzämie und eine Erhöhung des Parathormonspiegels bei MEN-1Patienten häufig bereits im Alter von ca. 20 Jahren nachweisen. Im Gegensatz zum sporadischen pHPT, bei dem in den meisten Fällen ein Adenom einer einzelnen Nebenschilddrüse vorliegt, sind bei der MEN 1 meist alle vier Drüsen von einer Hyperplasie unterschiedlichen Ausmaßes betroffen. Die Drüsen können dabei durchaus auch metachron erkranken. Dabei können monoklonal entstandene Adenome neben polyklonaler Hyperplasie auftreten. Die Symptome sind in der Regel mild (Marx et al. 1998). Es konnte allerdings gezeigt werden, dass Frauen mit MEN-1-pHPT aufgrund länger bestehender Hyperkalzämie bereits im Alter von 35 Jahren eine reduzierte Knochendichte aufweisen (Burgess et al. 1999). In einer Serie der Autoren litten von 34 Patienten mit MEN-1-pHPT 10 Patienten an einer Nephrolithiasis, ein Patient hatte Knochenschmerzen, ein Patient Kopfschmerzen, die letztlich zur Diagnose führten und ein weiterer Patient litt unter gastrointestinalen Symptomen. 21 Patienten waren asymptomatische MEN-1-Mutationsträger und Vorsorgeuntersuchungen führten zur Diagnose pHPT. Das Durchschnittsalter bei Diagnosestellung in dieser Gruppe war 39,2 (17–78) Jahre (Langer et al. 2004a). Die Diagnose wird, wie beim sporadischen pHPT, unabhängig von Symptomen gestellt, wenn eine Hyperkalzämie (Kalzium >2,6 mmol/l) und ein inadäquat hohes Serumparathormon (ca. >45 pg/ml) festgestellt wird. Eine Lokalisationsdiagnostik ist vor Ersteingriffen nicht notwendig, da ein fokussiertes Vorgehen wie beim sporadischen pHPT, aufgrund der zumeist asymmetrischen Hyperplasie aller Drüsen beim MEN-1-pHPT nicht zu empfehlen ist. 6.1.1.1.2 Endokrines Pankreas Die Prävalenz von pankreatikoduodenalen endokrinen Tumoren (PET) im Rahmen der MEN 1 beläuft sich laut Literaturangaben auf 40–80%. Eigene Daten, wie auch aktuellere Literatur zeigen jedoch, dass die Häufigkeit der MEN-1-PET wahrscheinlich lange unterschätzt wurde und vermutlich um 80% liegt (Skogseid et al. 1996; Langer et al. 2004b). Autopsiestudien haben gezeigt, dass jeder MEN-1-Patient davon betroffen ist, da sich präneoplastische Läsionen bei allen untersuchten Bauchspeicheldrüsen nachweisen ließen. Der diagnostische und therapeutische Umgang mit den MEN-1-PET bedarf besonderer Beachtung, da sie nicht nur die häufigste syndromassoziierte Todesursache darstellen, sondern durch ihre Häufigkeit, Multilokularität und Rezidivneigung für den Chirurgen eine besondere Herausforderung darstellen. Wichtiges Charakteristikum ist, dass sich meist multiple Tumoren nachweisen lassen, oft ist ein hormonelles Syndrom führend. Immer häufiger werden jedoch durch verbesserte Untersuchungsmethoden in Früherkennungsprogrammen auch asymptomatische nichtfunktionelle Tumoren diagnostiziert. Der häufigste funktionelle Tumor ist das Gastrinom mit 60%, gefolgt vom Insulinom mit ca. 20% und seltenen anderen Tumoren wie
6
VIPomen, Glukagonomen und Somatostatinomen mit weniger als 5% der Fälle. Nichtfunktionelle Pankreastumoren finden sich im Rahmen von Früherkennungsprogrammen bei mehr als 50% der MEN-1-Patienten. Diese Tumoren können über Jahrzehnte asymptomatisch bleiben und erst durch die Folgen der Tumorexpansion auffallen. Die Operationsindikation und das Ausmaß der operativen Therapie werden unter Experten kontrovers diskutiert, wobei diese im Wesentlichen von dem durch die Tumoren ausgelösten hormonellen Syndrom abhängt. Die frühe Diagnose MEN-1assoziierter pankreatikoduodenaler Tumoren basiert auf biochemischen Untersuchungen sowie auf deren radiologischem oder endosonographischem Nachweis. Bei begründetem klinischem Verdacht auf ein MEN-1-Syndrom bieten sich als sensitivste bildgebende Verfahren für die Aufdeckung von PET die Endosonographie, die kontrastmittelverstärkte Spiralcomputertomographie und die Magnetresonanztomographie des Abdomens an. Diese Untersuchungen sollten durch eine Ganzkörper-Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (SRS) ergänzt werden. Sie dient nicht der exakten Lokalisation des Primärtumors, sondern dem staging d. h. um ggf. Metastasen in der Leber, Lunge oder anderen Körperregionen feststellen zu können. Insgesamt liegt die Sensitivität zur Aufdeckung von kleinen PET mit den oben genannten Verfahren meist unter 60%. Die Autoren, wie auch andere Arbeitsgruppen, konnten kürzlich zeigen, dass die Endosonographie der abdominellen Computertomographie überlegen ist und in der Hand des erfahrenen Untersuchers die sensitivste Untersuchung zur Diagnostik MEN-1assoziierter PET ist (Gauger et al. 2003; Langer et al. 2004b). Das MEN-1-assoziierte Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES) wird häufig durch multiple, im proximalen Duodenum gelegene Gastrinome ausgelöst (Pipeleers-Marichal et al. 1990). Diese sind im Gegensatz zu pankreatischen Gastrinomen, die an zweiter Stelle der Häufigkeit stehen, meist nur 1–10 mm groß und metastasieren selten und spät in die Leber. Anders als bei sporadischen Gastrinomen ist der natürliche Verlauf der MEN-1-Gastrinome relativ protrahiert und weniger aggressiv. Das klinische Erscheinungsbild des MEN-1-ZES ist, wie beim sporadischen ZES, durch eine Hypergastrinämie und das damit verbundene Auftreten von gastroduodenalen Ulzera geprägt. Nicht selten sind bei MEN-1Mutationsträgern die Gastrinserumspiegel erhöht, ohne dass es bereits zu Krankheitserscheinungen gekommen ist. Beim Auftreten einer Hypergastrinämie und gleichzeitigem Vorliegen eines pHPT sollte immer zuerst der pHPT operativ saniert werden, da mit der Beseitigung der erhöhten Kalziumserumspiegel nicht selten auch die Hypergastrinämie verschwindet (Norton et al. 1999). Voraussetzung zum Stellen der Diagnose »ZES« ist das Vorliegen eines pathologischen Nüchtern-Serumgastrinspiegels (>125 pg/ml) in Anwesenheit von Säure im Magen sowie ein pathologischer Sekretintest, bei dem die Stimulierbarkeit der Gastrinsekretion überprüft wird. Als pathologisch gilt eine Stimulierbarkeit auf >200 pg/ml. Beim Nachweis multipler Tumoren in der bildgebenden Diagnostik kann es zur Planung des operativen Vorgehens entscheidend sein, die Quelle der Gastrinsekretion zu regionalisieren. Hier kommt die selektive arterielle Sekretin-Injektionsangiographie (sog. SASI oder ImamuraAngiographie) zur Anwendung (Imamura et al. 1987). Die Prävalenz des MEN-1-assoziierten Insulinoms beträgt etwa ein Drittel des MEN-1-Gastrinoms. Im Gegensatz zum Gastrinom sind nur etwa 5–10% der MEN-1-assoziierten Insulinome maligne. Eine extrapankreatische Lokalisation ist eine
488
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
Rarität. Das MEN-1-Insulinom ist häufig assoziiert mit multiplen Tumoren, Mikroadenomen bzw. einer Betazellhyperplasie. Typische klinische Zeichen sind, wie beim sporadischen Insulinom, durch hypoglykämische Episoden verursachte neurologische Symptome, wie Verwirrtheit, Konzentrationsschwäche, Sehstörungen und Vigilanzverlust bis hin zur Bewusstlosigkeit. Häufig wird eine deutliche Gewichtszunahme beobachtet, die von den Patienten durch das Konsumieren von Süßigkeiten verursacht wird, um den »Anfällen« vorzubeugen oder sie zu »behandeln«.
6
Die Diagnose des MEN-1-assoziierten Insulinoms wird durch den Nachweis einer Hyperinsulinämie bei Hypoglykämie und gleichzeitig hohem Serum-C-Peptid im Rahmen eines sog. Fastentests gestellt.
Die Prävalenz von nichtfunktionellen Pankreastumoren (NPT) bei MEN 1 wurde bisher mit etwa 15–20% angegeben, scheint aber deutlich höher, speziell in Patientenkollektiven in Früherkennungsprogrammen. Die Tumoren sind in aller Regel asymptomatisch und werden im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen oder im Rahmen der Abklärung der Folgen der Tumorexpansion diagnostiziert. Die sehr seltenen VIPome (VIP = vasointestinales pankreatisches Polypeptid) verursachen das Verner-MorrisonSyndrom, das durch wässrige Diarrhöen gekennzeichnet ist. Beweisend sind die hohen VIP-Serumspiegel. Retrospektive Studien an relativ kleinen Patientenzahlen haben gezeigt, dass ca. 30% der Tumoren, wenn sie mehr als 1 cm groß sind, Lymphknotenmetastasen und bis zu 20% der NPT über 2 cm bereits Lebermetastasen verursacht haben. 6.1.1.1.3 Adenohypophyse Tumoren der Adenohypophyse finden sich bei 30–60% der MEN-1-Patienten. Häufig handelt es sich um Mikroadenome, die entweder asymptomatisch sind oder aber durch eine Hormonüberproduktion, meist Prolaktinämie, typische Symptome hervorrufen. Seltener handelt es sich um nichtfunktionelle Makroadenome, die durch ihr verdrängendes Wachstum Symptome, wie z. B. Gesichtsfeldausfälle durch Druck auf das Chiasma opticum oder Kopfschmerzen, hervorrufen (Sheithauer et al. 1987). 6.1.1.1.4 Nebennierentumoren und weitere Organmanifestationen In Studien zur Nebennierenbeteiligung bei MEN 1 aus den 1990er-Jahren wurde die Inzidenz mit 9–41% beschrieben. Neuere Studien an Patienten mit genetisch gesicherter MEN 1 haben gezeigt, dass die Nebennierenbeteiligung bei ca. 25–40% liegt (Langer et al. 2002). Dabei handelt es sich meist um nichtfunktionelle Adenome, teilweise jedoch auch Karzinome und nur in Ausnahmefällen um Phäochromozytome. Deshalb sind die Tumoren in aller Regel asymptomatisch. In einer Studie an Patienten aus Marburg und Düsseldorf fanden sich bei 4 von 64 MEN-1-Patienten mit Nebennierentumoren Nebennierenkarzinome, die einen letalen Ausgang der Erkrankung verursachten. Im Gegensatz zu sporadischen Inzidentalomen werden deshalb in Marburg MEN-1-Nebennierentumoren ab einer Größe von 3 cm operiert. Die Diagnostik folgt hier den Anforderungen an die Diagnostik sporadischer Nebennierentumoren, wobei den bildgebenden Verfahren, allen voran der Computertomographie
aufgrund der oft nichtfunktionellen Tumoren große Bedeutung zukommt. In den Händen des erfahrenen Untersuchers kann die Endosonographie auch in der Diagnostik der Nebennierentumoren die CT ersetzen. Hormonbestimmungen im Sammelurin gehören wie auch bei den sporadischen Tumoren zum diagnostischen Standard. Eine weitere, häufiger zu beobachtende endokrine Organmanifestation sind neuroendokrine Tumoren des Vorderdarms (sog. »Foregut-Karzinoide«). Croisier et al. beschrieben in ihrer Arbeit von 1971 bereits nicht nur die Nebennierenbeteiligung bei Patienten mit MEN 1 sondern auch bei 5,3% ihrer Patienten Karzinoide. Die NET sind bevorzugt im Bronchialsystem (42%), im Duodenum (23%) und im Dünndarm (23%) lokalisiert (Dry et al. 1972). Besondere Bedeutung hat offensichtlich das erhebliche maligne Potenzial der Thymuskarzinoide, die in bis zu 82% der bisher beschriebenen Fälle maligne waren und oft einen letalen Verlauf hatten (Duh et al. 1987). Diagnostische Verfahren der Wahl sind CT und SRS. Nicht-endokrine Tumoren im Rahmen des Syndroms wurden ebenfalls relativ früh beschrieben. Hierbei handelt es sich meist um subkutane, teilweise jedoch auch viszerale Lipome. Ein weiterer nicht-endokriner Aspekt sind bestimmte Hautveränderungen, wie dermale Angiofibrome und Kollagenome (Darling et al. 1997) sowie eine im Vergleich zur Normalbevölkerung geringere Körpergröße bei weiblichen MEN-1-Patienten (eigene, nicht publizierte Daten). 6.1.1.2
Genetisches Screening und Vorsorgeuntersuchungen Bis zum Jahr 1997 stützte sich die Diagnose des MEN-1-Syndroms lediglich auf das syn- oder metachrone Auftreten der typischen Organmanifestationen bei einem Betroffenen und/oder auf eine positive Familienanamnese. Im Jahr 1997 gelang es durch direkte DNA-Sequenzierung, das MEN-1-Gen zu identifizieren. Es kodiert das Protein Menin. Damit war die molekulargenetische Basis für eine direkte Mutationsanalyse des MEN-1-Gens und für ein Familienscreening (7 Kap. 6.1.2) geschaffen. Diese sog. prädiktive genetische Testung von Mitgliedern einer MEN-1-Familie erfordert allerdings das Vorgehen nach entsprechenden Richtlinien der Bundesärztekammer (Bundesärztekammer 1998). Diese umfassen im Allgemeinen die Information der Familienmitglieder durch den Indexpatienten/in und setzen eine humangenetische Beratung obligat voraus. Im Beratungsgespräch soll die mögliche genetische Grundlage der Erkrankung erörtert, eine Risikoabschätzung vorgenommen sowie über die Indikationen, Möglichkeiten, Grenzen der molekulargenetischen Diagnostik informiert werden. Erst wenn der Proband nach dieser Beratung und einer angemessenen Bedenkzeit von mindestens 4 Wochen seine Zustimmung gibt, darf die Testung erfolgen. Familienmitglieder, die keine prädisponierende Keimbahnmutation im MEN-1-Gen tragen, brauchen keine Früherkennungsuntersuchungen durchführen zu lassen, da sie gegenüber der Normalbevölkerung kein erhöhtes Risiko haben, am MEN-1-Syndrom zu erkranken. Im Gegensatz dazu kann die volle Aufmerksamkeit auf die Mutationsträger konzentriert werden, die ein nahezu 100%iges Erkrankungsrisiko haben. Diese Patienten sollten in ein klinisches Früherkennungsprogramm aufgenommen werden, um die frühzeitige Diagnose und eine effektive Behandlung der MEN-1-assoziierten Tumoren zu gewährleisten. Umfang und Inhalt des durchzuführenden Screening-Programms sind noch Gegenstand kontroverser Diskussionen.
489 6.1 · MEN-1-Syndrom
. Tab. 6.2. Untersuchungsmethoden im Rahmen des MEN-1Früherkennungsprogramms Biochemische Marker (alle 2 Jahre) Nebenschilddrüsen
Ca++, intaktes Parathormon
Endokrines Pankreas/ Duodenum
Glukose, Insulin, Proinsulin, Gastrin, vasoaktives intestinales Polypeptid, Chromogranin A, pankreatisches Polypeptid, Serotonin
Hypophyse
Prolaktin, Wachstumshormon, IGF-1, ACTH, Kortisol
Weitere
Kalzitonin, Serotonin, 24-h-Urin5-HIESa, 24-h-Urin-Katecholamine, 24-h-Urin-Kortisol, Aldosteron, Renin, DHEASb
Funktionstests (alle 2 Jahre) Bei Verdacht auf Insulinom
Fastentest
Bei Verdacht auf Gastrinom
Sekretintest
Wenn pathologisch: Tumor- Somatostatinrezeptor-Szintigraphie, lokalisationsdiagnostik CT Abdomen, MRT Abdomen, Endosonographie, ggf. Imamura-Szintigraphie, ggf. operative Exploration Bildgebende Diagnostik (alle 2–3 Jahre)
a b
Endosonographie, Somatostatinrezeptor-Szintigraphie, CT Abdomen und Thorax, MRT Hypophyse, Sonographie Abdomen und Hals
5-HIES = 5-Hydroxiindolessigsäure DHEAS= Dihydroxy-Androstendion-Sulfat
Einige Autoren propagieren ein extensives Screening, während andere ein sehr begrenztes Früherkennungsprogramm befürworten. Inzwischen liegen Leitlinien von Konsensuskonferenzen führender Experten vor (Brandi et al. 2001). Die Autoren haben sich in Marburg für ein umfassendes Früherkennungsprogramm entschieden (. Tab. 6.2), da die Frühdiagnose von asymptomatischen endokrinen Tumoren, vor allem von Pankreastumoren, eine Reduktion der tumorbedingten Symptome von 75% auf 10% und der Inzidenz maligner Tumoren von 33% auf 10% zur Folge haben soll. Ohne Frage müssten große prospektiv kontrollierte Studien Daten liefern, um klare Empfehlungen für das Screening aussprechen zu können. Unbestritten ist jedoch auch schon heute, dass die optimale Nutzung der Möglichkeiten eines prädiktiven Gentests, insbesondere die Durchführung eines Früherkennungsprogramms nur interdisziplinär unter Beteiligung der Humangenetik, der Chirurgie, der Endokrinologie, der Pathologie und Psychologie realisiert werden sollte. Neben dem prädiktiven Screening von Familienmitgliedern besteht die Möglichkeit, bei vermeintlich sporadischen endokrinen Tumoren das Vorliegen einer Erstmanifestation des MEN-1-Syndroms zu überprüfen. Dies ist vor allem dann von Interesse, wenn MEN-1-assoziierte Tumoren bei jungen Patienten (<40 Jahre) auftreten. Beim pHPT ist dies nur bei Patienten unter 40 Jahren bei gleichzeitigem Vorliegen einer Mehrdrüsenhyperplasie sinnvoll
6
(Goretzki et al. 1998; Langer et al. 2003). Unter den endokrinen Pankreastumoren scheint dies lediglich bei Gastrinomen empfehlenswert, da diese laut einer Publikation von Mignon et al. (1993) bei 10–38% aller Patienten assoziiert mit einer MEN 1 auftreten. Ähnliches gilt offenbar für Prolaktinome, da diese Hypophysentumoren häufig (14,3%) mit der MEN 1 assoziiert sind. Außerdem sollte ein genetisches Screening bei Patienten mit Thymus- und Bronchuskarzinoiden erfolgen (Cupisti et al. 1997). Literatur Benson L, Ljunghall S, Akerstrom G, Öberg K (1987) Hyperparathyroidism presenting as the first lesion in multiple endocrine neoplasia type 1. Am J Med 82:731 Brandi ML, Gagel RF, Angeli A et al. (2001) Guidelines for diagnosis and therapy of MEN type 1 and type 2. J Clin Endocrinol Metab 86:5658– 5671 Bundesärztekammer (1998) Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen. Dtsch Ärztebl 95:B1120–1124 Burgess JR, David R, Greenaway TM, Parameswaran V, Shepherd JJ (1999) Osteoporosis in multiple endocrine neoplasia type 1. Arch Surg 134:1119 Carty SE, Helm AK, Amico JA et al. (1998) The variable penetrance and spectrum of manifestations of multiple endocrine neoplasia type 1. Surgery 124:1106 Chandrasekharappa SC, Guru SC, Manickam P et al. (1997) Positional cloning of the gene for multiple endocrine neoplasia type 1. Science 276:404–406 Cupisti K, Dotzenrath C, Simon D, Goretzki PE, Röher HD (1997) Chirurgische Therapie neuroendokriner Tumore des Thymus. Chirurg 68:136–140 Croisier JC, Azérad E, Lubetzki J (1971) L’adénomatose polyendocrinienne (syndrome de Wermer). Sem Hop Paris 47:494–525 Darling TN, Skarulis MC, Steinberg SM, Marx SJ, Spiegel AM, Turner M (1997) Multiple facial angiofibromas and collagenomas in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Arch Dermatol. 133:853– 857 Dean PG, van Heerden JA, Farley DR, Thompson GB, Grant CS, Harmsen WS, Ilstrup DM (2000) Are patients with multiple endocrine neoplasia type i prone to premature death? World J Surg 24:1437–1441 Doherty GM, Olson JA, Frisella MM, Lairmore TC, Wells JA, Norton JA (1998) Lethality of multiple endocrine neoplasia type 1. World J Surg 22: 581–587 Dry J, Roland J, Bourdarias J, Holler A, Harlay A (1972) La polyadénomatose endocrinienne. A propos d`une observation avec tumeur pancréatique à stroma amyloide. Nouv Presse Méd 1:1341 Duh QY, Hybarger CP, Geist R et al. (1987) Carcinoids associated with multiple endocrine neoplasia syndromes. Am J Surg 154:142–148 Gauger, P.G., Scheiman, J.M., Wamsteker, E.-J., Richards, M.L., Doherty, G.M., Thompson, N.W. (2003) Role of endoscopic ultrasonography in screening and treatment of pancreatic endocrine tumours in asymptomatic patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Br J Surg 90:748 Goretzki PE, Höppner W, Dotzenrath C, Simon D, Schulte H, Röher HD (1998) Genetical and biochemical screening for endocrine disease. World J Surg 22:1202 Imamura M, Takahashi K, Adachi H, Minematsu S, Shimasa Y, Naito M et al. (1987) Usefulness of selective arterial secretin injection test for localization of gastrinoma in the Zollinger-Ellison syndrome. Ann Surg 205:230–227 Langer P, Wild A, Nies C, Rothmund M, Bartsch DK (2001) Variable expression of multiple endocrine neoplasia type 1 – implications for screening strategies. Int J Surg Invest 3:473–481 Langer P, Cupisti K, Bartsch DK, Nies C, Goretzki PE, Rothmund M, Röher HD (2002) Adrenal involvement in multiple endocrine neoplasia type 1. World J Surg 26:891–896
490
6
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
Langer P, Wild A, Hall A, Celik I, Rothmund M, Bartsch DK (2003) Prevalence of multiple endocrine neoplasia type 1 in young patients with apparently sporadic primary hyperparathyroidism or pancreaticoduodenal endocrine tumours. Br J Surg 90:1599–1603 Langer P, Wild A, Schilling T, Nies C, Rothmund M, Bartsch DK (2004a) Multiple Endokrine Neoplasie Typ 1 – Chirurgische Therapie des Primären Hyperparathyreoidismus. Chirurg 75:900–906 Langer P, Kann PH, Fendrich V, Richter G, Diehl S, Rothmund M, Bartsch DK (2004b) Prospective evaluation of imaging procedures for the detection of pancreaticoduodenal endocrine tumors in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. World J Surg 28:1317–1322 Marx S, Spiegel A, Skarulis M, Doppmann JL, Collins FS, Liotta LA (1998) Multiple endocrine neoplasia type 1: clinical and genetic topics. Ann Intern Surg 129:484–494 Mignon M, Ruszniewski P, Podevin P, Sabbagh L, Cadiot G, Rigaud D, Bonfils S (1993) Current approach to the management of a gastrinoma and insulinoma in adults with multiple endocrine neoplasia World J Surg 17:489–497 Norton JA, Fraker DL, Alexander HR, Venzon DJ, Doppman JL, Serano J et al. (1999) Surgery to cure the Zollinger-Ellison syndrome. N Engl J Med 341:635–644 Pipeleers-Marichal MA, Somers G, Willems G et al. (1990) Gastrinomas in the duodenum of patients with multiple endocrine neoplasia type I and the Zollinger-Ellison syndrome. N Engl J Surg 322:723–727 Sheithauer BW, Laws ER, Kovacs K et al. (1987) Pituitary adenomas of the multiple endocrine neoplasia type I syndrome. Semin Diagn Pathol 4:205–211 Skogseid B, Öberg K, Eriksson B, Juhlin C, Granberg D, Akerström G, Rastad J (1996) Surgery for asymptomatic pancreatic lesion in multiple endocrine neoplasia type I. World J Surg 20:872 Wermer P (1954) Genetic aspects of adenomatosis of endocrine glands. Am J Surg 16:363–371
6.1.2 Molekulargenetik und molekulargenetische
Diagnostik W. Höppner ) ) Zehn Jahre nach der Lokalisation des Genortes auf dem langen Arm des Chromosoms 11 gelang es 1997 endlich, das Gen zu identifizieren, das zur multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN 1) führt. Das Gen kodiert ein bisher nicht bekanntes Protein, das man Menin genannt hat. Es ist im Kern fast aller Zellen lokalisiert und hat offenbar regulatorische Funktionen bei der Transkription und der Zellteilung. Verschiedene Typen von inaktivierenden Mutationen werden im gesamten kodierenden Bereich dieses Gens bei MEN-1-Patienten gefunden. Mit den heutigen Möglichkeiten der molekulargenetischen Diagnostik gelingt es, bei bis zu 90% aller klinisch gesicherten MEN-1-Fälle, eine Mutation im MEN-1-Gen nachzuweisen. Innerhalb einer Familie weisen sowohl alle betroffenen als auch alle noch nicht erkrankten, aber genetisch gefährdeten Familienmitglieder die gleiche Mutation im MEN-1-Gen auf. Mit der Kenntnis der Mutation in einer MEN-1-Familie hat man nun ein diagnostisches Werkzeug für die prädiktive Diagnostik in der Hand, das die bisherigen biochemischen Analyseverfahren bei weitem in der Zuverlässigkeit übertrifft.
6.1.2.1 Molekulargenetik Der prädisponierende genetische Defekt, der für das MEN-Syndrom verantwortlich ist, wurde bereits 1988 auf dem langen Arm des Chromosoms 11 (11q13) lokalisiert. Die molekularbiologische Untersuchung von Familien, in denen Erkrankungen der beim MEN-1-Syndrom typischerweise befallenen Organe gehäuft auftreten, ist seitdem mit genetischen Markern als Kopplungsanalyse möglich (Larsson et al. 1992). Es stand bereits sehr früh fest, dass es sich bei dem MEN-1auslösenden Gen um ein Tumorsuppressorgen handelt. Man findet in MEN-1-assoziierten Tumoren häufig zusätzlich zur vererbten Keimbahnmutation im Bereich des MEN-1-Locus auf einem Chromosom 11 eine größere somatische Deletion (»loss of heterozygosity«, LOH; Thakker et al. 1993). Dies ist typisch für Erkrankungen, die auf Defekte von Tumorsuppressorgenen zurückzuführen sind. Die Deletion betrifft den MEN-1-Locus des Chromosoms 11, das vom nicht erkrankten Elternteil stammt. Die Zelle, in dem ein solcher LOH vorliegt, verfügt dann nur noch über die defekte Kopie des MEN-1-Gens, was einen kompletten Verlust der Funktion dieses Gens zur Folge hat. 1997 wurden bei 94% der untersuchten MEN-1-Familien Mutationen in einem Abschnitt des Chromosoms 11 gefunden, den die Erstbeschreiber als MEN-1-Gen bezeichnet haben (Chandrasekharappa et al. 1997). Dieses Gen weist keine Homologien zu bisher bekannten Genen auf. Das von ihm kodierte Protein, Menin genannt, ist im Zellkern lokalisiert (Siradanahalli et al. 1998) und dort an der Regulation mehrerer transkriptioneller Systeme beteiligt. Im C-terminalen Bereich des Proteins wurden unabhängige Peptidsequenzen identifiziert, die als nukleäre Lokalisationssignale für den Transport in den Zellkern verantwortlich sind. Mutationen in diesen Signalsequenzen lösen die MEN-1-Erkrankung aus. In-vivo- und In-vitro-Studien haben gezeigt, dass das Meninprotein direkt mit JunD interagiert (Agarwal et al. 1999) und die Aktivität dieses Transkriptionsfaktors unterdrückt. Für mehrere Mutationen, die bei MEN-1-Patienten gefunden wurden, konnte gezeigt werden, dass sie die Bindung an JunD verhindern, was vermuten lässt, dass für die Tumorsuppressorfunktion von Menin die Bindung an JunD notwendig ist. Experimente mit Antisense-RNA, bei denen die Synthese des Meninproteins blockiert wird, haben gezeigt, dass bei fehlender Meninaktivität die blockierende Wirkung von TGFB auf das Zellwachstum nicht mehr gegeben ist (Kaji et al. 2001). Der Effekt beruht auf der direkten Interaktion des Meninproteins mit dem Transkriptionsfaktor SMAD3, der an der Übertragung des intrazellullären TGFB-Signals in der Zelle beteiligt ist (Zawel et al. 1998). Dieser Mechanismus ist eine weitere Erklärung, warum die Inaktivierung des Menins zur Tumorgenese beiträgt. Darüber hinaus konnte in HELA-Zellen gezeigt werden (Lin u. Elledge 2003), dass Menin ein direkter Repressor der katalytischen Untereinheit der Telomerase (»telomerase reverse transcriptase«, TERT) ist und der Meninaktivitätsverlust zur Immortalisierung der Zellen führt. Das MEN-1-Gen hat eine Größe von 9181 Basenpaaren und enthält 10 Exons. Die mRNA, die von dem Gen gebildet wird besteht aus 2772 Basen und kodiert ein Protein mit 610 Aminosäuren (. Abb. 6.1). In MEN-1-Familien wurden in der Literatur bereits ca. 330 verschiedene heterozygote Mutationen in den Exons 2–10 des Gens beschrieben (. Abb. 6.1), die über das ganze Gen verteilt
491 6.1 · MEN-1-Syndrom
6
. Abb. 6.1. Mutationen im MEN-1-Gen: Das MEN-1-Gen ist aus 10 verschieden großen Exons aufgebaut. Die mRNA enthält im 5’- und 3’-Bereich jeweils eine untranslatierte Region (schraffiert). Einige repräsentative MEN-1-auslösende Mutationen sind eingezeichnet. Sie befinden sich überwiegend in dem Teil, der das Protein kodiert. Es wurden sowohl missense Mutationen (M), die zum Aminosäureaustausch führen, non-
sense-Mutationen (Stoppkodons*), die zum Abbruch der Proteinsynthese führen sowie Deletionen (Δ) und Insertionen (I) mit Verschiebung des Leserasters nachgewiesen. Hinzu kommen einige Polymorphismen (Basenaustausch ohne Einfluss auf die Aminosäuresequenz, nicht eingezeichnet), Mutationen, die für die Funktion offenbar nicht relevant sind
vorkommen (siehe: Human Gene Mutation Database at the Institute of Medical Genetics in Cardiff, http://www.hgmd.cf.ac.uk). Dieses ist typisch für ein Tumorsupressorgen, da inaktivierende Mutationen in allen wichtigen Bereichen des Proteins vorkommen können. In vielen Fällen (ca. 60%) handelt es sich um Punktmutationen (Austausch einer einzelnen Base im MEN-1Gen), die zum Aminosäureaustausch, einem Stoppkodon (Abbruch der Proteinsynthese) oder zu einem fehlerhaften Spleißen der mRNA führen. Bei knapp 40% der MEN-1-Patienten findet man im MEN-1-Gen kleine Deletionen oder Insertionen, die meist das Leseraster so verschieben, dass vorzeitige Stoppkodons entstehen und abgebrochene inaktive Proteine resultieren. In verschiedenen, nicht familiär bedingten neuroendokrinen Tumoren wie z. B. Nebenschilddrüsenadenomen, Gastrinomen, Insulinomen und Karzinoiden wurden mit unterschiedlicher Häufigkeit auch somatische Mutationen im MEN-1-Gen der Tumorzelle beschrieben (Heppner et al. 1997; Zhuang et al. 1997a, 1997b). Bei Hypophysentumoren scheinen somatische Mutationen im MEN-1-Gen eher die Ausnahme zu sein.
Als Indikationen für die genetische Untersuchung gelten: 4 Zugehörigkeit zu einer MEN-1-Familie 4 Familienangehörige von MEN-1-Patienten mit bereits nachgewiesener Mutation 4 Das Auftreten von mindestens 2 verschiedenen MEN-1assoziierten Tumoren oder multiplen Tumoren gleichen Typs 4 Gastrinom bzw. Zollinger-Ellison-Syndrom (auch bei leerer Familienanamnese)
6.1.2.2 Molekulargenetische Diagnostik Bei Verdacht auf eine MEN 1 (z. B. bei Familienuntersuchungen) kann man mit Hilfe von biochemischen Untersuchungen die Diagnose mehrere Jahre vor der ersten klinischen Manifestation stellen. Das z. T. umfangreiche biochemische Screening hat erheblich an Bedeutung verloren, da durch den Nachweis einer Mutation im MEN-1-Gen die Genträgerschaft beliebig früh zu ermitteln ist. Innerhalb der betroffenen Familien können NichtGenträger aus der weiteren klinischen Überwachung entlassen werden, während bei den nachgewiesen genetisch betroffenen Familienmitgliedern eine intensive biochemisch-klinische Überwachung erfolgen muss.
Noch offen ist, ob auch das sporadische Auftreten anderer Pankreastumoren, primärer Hyperparathyreoidismus, Hypophysentumoren und Karzinoide schon Anlass für eine molekulargenetische Überprüfung auf das Vorliegen einer MEN-1-Erkrankung darstellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein sehr frühes Manifestationsalter eher den Verdacht einer hereditären Erkrankung nahe legt. 6.1.2.3 Direkter Mutationsnachweis im Meningen Die Klonierung des MEN-1-Gens ermöglicht die komplette Ermittlung der Basensequenz aller relevanten Genabschnitte bei MEN-1-Patienten. Von Bedeutung ist die Sequenz der Exons 2–10 (. Abb. 6.1), die Genabschnitte repräsentieren, die die Aminosäuresequenz des Meninproteins kodieren. Aber auch die Übergänge zwischen den Introns (Genabschnitte, durch die die kodierenden Bereiche auf Genebene unterbrochen sind, und die während der Reifung der mRNA entfernt werden) und Exons müssen analysiert werden, da Mutationen in diesen Bereichen zur fehlerhaften Synthese der mRNA führen. Der Nachweis der Mutationen im MEN-1-Gen erfolgt aus genomischer DNA, die aus Leukozyten gewonnen werden kann. Die Exons sowie die flankierenden Sequenzen der Introns werden durch die Polymerasekettenreaktion selektiv vermehrt (am-
492
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
plifiziert), durch direkte Sequenzierung die Basensequenz ermittelt und mit der publizierten Sequenz verglichen. Da die Mutationen in allen Bereichen der kodierenden Region des Gens auftreten können, ist stets die komplette Sequenzierung notwendig. In der Regel wird in jeder MEN-1-Familie eine unterschiedliche Mutation nachgewiesen. So genannte »hot spots« für Mutationen, wie sie z. B. im RET-Protoonkogen bei MEN-2-Patienten vorliegen, gibt es nicht.
Zhuang Z, Vortmeyer AO, Pack S et al. (1997a) Somatic mutations of the MEN 1 tumor supressor gene in sporadic gastrinomas and insulinomas. Cancer Res 57:4682–4686 Zhuang Z, Ezzat SZ, Vortmeyer AO et al. (1997b) Mutations of the MEN 1 tumor suppressor gene in pituitary tumors. Cancer Res 57:5446–5451
6.1.3
Operative Therapie P. Langer, D.K. Bartsch, M. Rothmund
6
Der Nachweis einer Mutation bei einem Indexpatienten einer MEN-1-Familie ermöglicht eine effiziente Untersuchung der übrigen Familienmitglieder, da diese nur noch auf das Vorliegen dieser Mutation überprüft werden müssen.
Ist der Indexpatient einer MEN-1-Familie bereits verstorben, sodass keine Blutprobe verfügbar ist, und sind weitere erkrankte Familienmitglieder nicht bekannt, kann der Mutationsnachweis auch aus archiviertem Gewebe (z. B. Paraffinblöcke) erfolgen. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass in sporadischen neuroendokrinen Tumoren somatische Mutationen im MEN-1Gen auftreten können, die naturgemäß nicht vererbt werden. Ob der Nachweis somatischer Mutationen im MEN-1-Gen bei nicht familiär bedingten neuroendokrinen Tumoren ein sinnvoller prognostischer Parameter ist, steht noch nicht fest. Bei einer Kosten-Nutzen-Analyse des molekulargenetischen Nachweises von MEN-1-Gen-Mutationen bei bekannten MEN-1Familien ist zu berücksichtigen, dass der Mutationsnachweis bei dem Indexpatienten zwar relativ hohe Kosten verursacht, die Kosten für die Analyse weiterer Familienmitglieder aber erheblich niedriger sind, da nur das Vorliegen der bekannten Mutation überprüft werden muss. Dem stehen die bisherigen Kosten des aufwändigen biochemischen Screenings gegenüber, die auch bei den genetisch nicht betroffenen Familienmitgliedern durchgeführt werden müssen, wenn der Genträgerstatus nicht bekannt ist. Empfehlungen zu therapeutischen Konsequenzen bei präsymptomatischen Anlageträgern gibt es bisher nicht. Literatur Agarwal SK, Guru SC, Heppner C et al. (1999) Menin interacts with the AP1 transcription factor JunD and represses JunD-activated transcription. Cell 96:143–152 Chandrasekharappa SC, Guru SC, Manickam P et al. (1997) Positional cloning of the gene for multiple endocrine neoplasia-type 1. Science 276:404–407 Heppner C, Kester MB, Agarwal SK et al. (1997) Nat Genet 16:375–378 Kaji H, Canaff L, Lebrun J-J, Goltzman D, Hendy GN (2001) Inactivation of menin, a Smad3-interacting protein, blocks transforming growth factor type beta signaling. Proc Nat Acad Sci 98:3837–3842 Larsson C, Shepherd J, Nakamura Y et al. (1992) Predictive testing for multiple endocrine neoplasia type 1 using DNA polymorphism, J Clin Invest 89:1344–1349 Lin S-Y, Elledge SJ (2003) Multiple tumor suppressor pathways negatively regulate telomerase. Cell 113:881–889 Siradanahalli CG, Goldsmith PK, Burns AL, Marx SJ, Spiegel AM, Collins FS, Chandrasekharappa SC (1998) Menin, the product of the MEN 1 gene, is a nuclear protein. Proc Natl Acad Sci USA 95:1630–1634 Thakker RV, Bouloux P, Wooding C et al. (1989) Association of parathyroid tumors in multiple endocrine neoplasia type 1 with loss of alleles on chromosome 11. N Engl J Med 321:218–224 Zawel L, Dai JL, Buckhaults P, Zhou S et al. (1998) Human Smad3 and Smad4 are sequence-specific transcription activators. Molec Cell 1:611–617
) ) Der wesentliche Unterschied der MEN-1-assoziierten endokrinen Tumoren im Vergleich zu den sporadischen endokrinen Tumoren ist in deren multilokulärem Auftreten und ihrer Heterogenität zu suchen. Dabei erfolgt das Tumorwachstum in Bezug auf die verschiedenen Organe aber auch innerhalb eines Organs oft metachron. Der genetisch determinierte Proliferationsreiz bedingt auch die hohe Rezidivneigung. Dies betrifft alle Organmanifestationen des Syndroms.
6.1.3.1 Nebenschilddrüsen Indikationsstellung. Mit dem Stellen der Diagnose ergibt sich beim MEN-1-pHPT auch die Indikation zur Operation. Der therapeutische Ansatz beim MEN-1-pHPT wird aufgrund des genetisch determinierten Proliferationsreizes für das Nebenschilddrüsengewebe von vielen Autoren jedoch als prinzipiell palliativ angesehen (Goudet et al. 2001; Hubbard et al. 2002). Synchron oder metachron können mehrere Drüsen erkranken und verbliebenes Restgewebe kann grundsätzlich immer ein Rezidiv auslösen. Damit ist die zu erwartende Rate an Rezidiven höher als beim sporadischen pHPT und der Therapieansatz muss ein anderer sein. Andererseits kann eine Überkorrektur durch zu wenig oder funktionslos belassenes Nebenschilddrüsengewebe ebenso zu einem dauerhaften Hypoparathyreoidismus führen, der für die oft jungen Patienten genauso inakzeptabel ist. Daher ist das geeignete Therapieverfahren des MEN-1-pHPT immer noch Gegenstand kontroverser Diskussionen. Prospektive Studien zu dieser Thematik fehlen. Operationszeitpunkt. Bezüglich des Zeitpunktes der operativen
Therapie besteht ebenfalls kein Konsens und Empfehlungen fehlen auch hier (Brandi et al. 2001). Die selektive Entfernung vergrößerter Drüsen ist aufgrund der inakzeptablen Rezidivraten als Verfahren obsolet. Des Weiteren sollte entsprechend den Leitlinien einer Konsensuskonferenz daher auch keine minimalinvasive Parathyroidektomie vorgenommen werden, da auch diese nicht die standardisierte Identifizierung aller 4 Drüsen und deren Entfernung vorsieht (Brandi et al. 2001). Problematisch kann in der Praxis sein, dass die einzelnen Drüsen auch metachron erkranken können. Falls der pHPT dann Erstmanifestation der Erkrankung bei einem Patienten mit negativer Familienanamnese ist, kann dies zu einer selektiven Drüsenexstirpation in Unkenntnis der Grunderkrankung führen. In diesem Zusammenhang konnten die Autoren kürzlich zeigen, dass das Vorliegen einer MEN 1 bei Patienten unter 40 Jahre mit negativer Familienanamnese und pHPT nur bei Mehrdrüsenerkrankung sehr wahrscheinlich ist und in diesen Fällen keine selektive Drüsenexstirpation durchgeführt werden sollte (Langer et al. 2003).
493 6.1 · MEN-1-Syndrom
Verfahrensauswahl. Derzeit sind im Wesentlichen zwei operative Verfahren zu empfehlen. Das von den Autoren bevorzugte Verfahren ist die totale Parathyreoidektomie inklusive zervikaler Thymektomie mit Autotransplantation (tPTX+T) von 20 Stückchen Nebenschilddrüsengewebe in den nicht-dominanten Unterarm. Die Alternative ist die subtotale Parathyreoidektomie (3½-Drüsenresektion) inklusive zervikaler Thymektomie (stPTX), bei der eine mit Titanclip markierte, ca. 60–80 mg große Restdrüse am Hals belassen wird (Goudet et al. 2001; Hubbard et al. 2002). Die stPTX wird von einigen Autoren favorisiert, da sie häufig zu einer Langzeitnormokalzämie führt und die Raten an Hypokalzämie deutlich geringer seien. Für beide Verfahren ist die zervikale Thymektomie unbedingter Bestandteil des Eingriffes. Dies zum einen aufgrund der Tatsache, dass überzählige Drüsen in den Thymuszungen Ursache für Persistenz oder Rezidiv bei der stPTX ohne Thymektomie sein können (Kraimps et al. 1992) und die unteren Drüsen oft in der Thymuszunge lokalisiert sind. Ein weiteres wichtiges Argument für eine zervikale Standardthymektomie ist in der prophylaktischen Therapie hinsichtlich der möglichen Entwicklung eines Thymuskarzinoids/ -karzinoms zu sehen. Unsere Erfahrung wie auch die von Duh et al. zeigen, dass diese überproportional häufig bei Patienten mit MEN 1 auftreten (Duh et al. 1987). Ein Argument gegen die stPTX ist das Belassen von Nebenschilddrüsengewebe im Hals, da bei einer eventuell notwendigen Reoperation die Rekurrenspareserate erhöht ist. Bei der tPTX+T werden alle Nebenschilddrüsen am Hals entfernt und eine bilaterale zervikale Thymektomie vorgenommen. Eine nochmalige Revision des Halses mit den bekannten Risiken ist nur bei einem Rezidiv ausgehend von einer überzähligen Drüse in ungewöhnlicher Lokalisation nötig. Das am nicht-dominanten Unterarm implantierte Nebenschilddrüsengewebe erlaubt bei einem Transplantatrezidiv eine problemlose Revision in Lokalanästhesie im Rahmen eines ambulanten Eingriffs. Ein solches Transplantatrezidiv ist jedoch sehr selten. Ob die Parathormonquelle am Hals oder Unterarm zu suchen ist, kann zuverlässig durch den sog. Casanova-Test ermittelt werden (Casanova et al. 1991; Schlosser et al. 2004). Nach den Erfahrungen der Autoren und den in der Literatur publizierten Daten ist ein Rezidiv nach tPTX+T selten (Langer et al. 2004). Häufiger als nach stPTX kommt es nach tPTX+T laut Literaturangaben zu einer vorübergehenden oder länger andauernden Hypokalzämie (Hellman et al. 1998). Diese ist jedoch meist asymptomatisch und durch Substitution von geringen Mengen Kalzium und Vitamin D problemlos auszugleichen. Sollte sich nach Autotransplantation dauerhaft keine Normokalzämie einstellen, kann jederzeit eine neuerliche Transplantation von kryokonserviertem NSD-Gewebe erfolgen, was die große Bedeutung der Kryopräservation von Nebenschilddrüsengewebe unterstreicht.
Die Therapie der Wahl beim MEN-1-pHPT besteht in der totalen Parathyreoidektomie inklusive zervikaler Thymektomie und Autotransplantation von Nebenschilddrüsengewebe oder in der subtotalen Parathyreoidektomie (3½-Drüsenresektion) mit zervikaler Thymektomie. Eine selektive Drüsenresektion ist als Ersteingriff obsolet. Minimalinvasive Verfahren sind nicht geeignet. Zervikale Thymektomie und Kryokonservation von Nebenschilddrüsengewebe sind obligat.
6
Persistenz und Rezidiv des MEN-1-pHPT. Im Falle einer Persistenz oder eines Rezidivs besteht der erste Schritt in der Bestätigung der Diagnose und in der Aufarbeitung der bereits erfolgten Operationen inklusive Sichtung der Operationsberichte und der histologischen Befunde. Daran angeschlossen erfolgt Lokalisationsdiagnostik, die mit Ultraschall und Sestamibi-Szintigraphie beginnt. Magnetresonanztomographie und selektive Venenblutentnahme können ergänzend vorgenommen werden. Ein fokussiertes Vorgehen ist dann zumeist möglich. Wichtiges Hilfsmittel im Operationssaal ist dann die Quick-PTH-Bestimmung zur Erfolgskontrolle. Quick-PTH kann außerdem zur Regionalisierung der PTH-Quelle genutzt werden, indem nach Eröffnung des Halses und Darstellen der Jugularvenen zunächst beidseits Proben kranial und kaudal entnommen werden. Nach tPTX+T erfolgt zunächst der Casanova-Test zur Ermittlung der Parathormonquelle. Falls eine Revision des Halses dann noch notwendig ist, folgt man dem o. g. Vorgehen. Die Revision des Transplantates im Unterarm kann in Lokalanästhesie im Rahmen einer ambulanten Operation erfolgen (7 Kap. 3.4.5).
6.1.3.2 Endokrines Pankreas 6.1.3.2.1 MEN-1-assoziiertes Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES) Das MEN-1-assoziierte ZES beruht am häufigsten auf duodenalen Gastrinomen, die meist nur 1–10 mm groß und selten und spät in die Leber metastasieren (Mignon et al. 1993; Thompson et al. 1998). Seltener sind pankreatische Gastrinome. Der natürliche Verlauf der MEN-1-Gastrinome ist, verglichen mit den sporadischen Gastrinomen, relativ protrahiert und weniger aggressiv. Jedoch wird auch beim MEN-1-Gastrinom das Überleben durch die Entwicklung von Lebermetastasen determiniert, wobei das 10-Jahres-Überleben bei 96% ohne Lebermetastasen und 30% mit Lebermetastasen liegt (Weber et al. 1996). Die Entwicklung der Lebermetastasen ist abhängig von der Tumorgröße. Bei einer Tumorgröße >1 cm beträgt die Prävalenz von Lebermetastasen 4%, bei einer Tumorgröße von 1–2 cm 28% und bei einer Tumorgröße von >3 cm 62% (Weber et al. 1996). In einer Studie von Cadiot et al. (1998) konnte ebenfalls bei einer Gastrinomgröße von >3 cm eine signifikant höhere Prävalenz von Lebermetastasen von 40% gegenüber 4,8% bei einer Tumorgröße <3 cm gezeigt werden. Des Weiteren erwies sich, dass die chirurgische Resektion von Gastrinomen verglichen mit medikamentöser Behandlung signifikant die Inzidenz von Lebermetastasen reduziert (3% versus 23%, p<0,003) und einen tendenziellen Überlebensvorteil bringt (Cadiot et al. 1998). Das 10-JahresÜberleben bei den operierten Patienten betrug 98% versus 86% bei den medikamentös behandelten Patienten (p=0,085). Indikationsstellung. Trotz dieser Daten gibt es eine Kontroverse bezüglich der Operationsindikation. Das Spektrum der Meinungen reicht von der Empfehlung, nur Gastrinome ab einer Größe von 3 cm zu operieren, bis hin zur Empfehlung der Operation bei biochemisch nachgewiesenem ZES ohne Lokalisationsnachweis durch bildgebende Verfahren. Die Gastrinome haben allerdings auch eine bedeutende maligne Potenz und die Prognose wird schlechter, sobald Lebermetastasen entstehen. Daher empfehlen wir und andere Autoren bei nachgewiesenem MEN-1-ZES nach Ausschluss einer diffusen Lebermetastasierung eine abdominelle Exploration mit der Absicht, Primärtumoren und Lymphknotenmetastasen zu entfernen, um eine Lebermetastasierung zu verhindern. Dies sollte auch dann geschehen,
494
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
wenn kein bildgebendes Verfahren einen Lokalisationsnachweis erbracht hat, da mit hoher Wahrscheinlichkeit kleine Duodonalwandgastrinome und regionäre Lymphknotenmetastasen vorliegen. Verfahrenswahl. Zur Frage, welche Operation durchgeführt wer-
6
den sollte, sind insbesondere die Operationsziele potenzielle Heilung, Erhalt der exokrinen und endokrinen Pankreasfunktion und niedrige Komplikationsrate von entscheidender Bedeutung. In der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts hat die von Thompson 1989 proklamierte komplette Pankreasfreilegung mit bidigitaler Palpation und intraoperativem Ultraschall, subtotaler Pankreaslinksresektion unter Erhalt der Milz bis auf Höhe der Pfortader, Enukleation von neuroendokrinen Tumoren aus dem Pankreaskopf sowie Duodenotomie mit Exzision von neuroendokrinen Tumoren aus der Duodenalwand und regionaler Lymphadenektomie als Standardoperation beim MEN-1-ZES breitere Akzeptanz gefunden (Thompson et al. 1989). Die Ergebnisse nach der von Thompson proklamierten Operation bezüglich der biochemischen Heilung sind allerdings ernüchternd. In mehreren Studien konnten maximale biochemische Heilungsraten, d. h. ein negativer Sekretintest, von 33% erzielt werden. Inzwischen halten deshalb einige Autoren beim MEN-1-ZES eine pyloruserhaltende partielle Pankreatikoduodenektomie (PPPD) für indiziert. Gründe hierfür sind, dass sich 70–90% der Gastrinome beim MEN 1 im Duodenum befinden und dass ZES-Rezidive bei genetischer Prädisposition häufig sind, solange das Erfolgsorgan Duodenum vorhanden ist (Pipeleers-Marichal et al. 1990; Thompson et al. 1998). Das Operationsrisiko der PPPD ist akzeptabel, die Morbidität liegt unter 30% und die Letalität bei den meist jungen und gesunden Patienten deutlich unter 3%. Voraussetzung für die PPPD ist jedoch eine Regionalisierung der Gastrinquelle auf den Pankreaskopf bzw. das Duodenum mit-
. Tab. 6.3. Ergebnisse der pylorus-erhaltenden partiellen Pankreatiko-Duodenektomie (PPPD) beim MEN1-ZES
n
Normaler Sekretintest
Nachbeobachtung (Jahre)
2
2
?
2
2
5, 6
Autor
Pipeleers et al. 1990
Delcore u. Friesen 1992 3
3
1, 6, 7
1
1
2
2
2
2, 4
2
2
?
2
0
2, 7
4
4
4–6
Stadil 1995
Schroder et al. 1996
Kato et al. 2000
Lairmore et al. 2000
Norton et al. 2001
Bartsch et al. 2005
tels selektiver arterieller Sekretin-Injektionsangiographie (sog. SASI oder Imamura-Angiographie, Imamura et al. 1987). Die bisher vorliegenden Ergebnisse der PPPD bei MEN-1-ZES zeigen vielversprechende Ergebnisse (. Tab. 6.3; Bartsch et al. 2005). Ob die PPPD sich als Therapieoption beim MEN-1-assoziierten ZES durchsetzen kann, bleibt abzuwarten, bis größere Patientenserien mit Langzeitnachbeobachtung vorliegen (7 Kap. 5.4.2). 6.1.3.2.2 MEN-1-Insulinom Im Gegensatz zum MEN-1-ZES gibt es beim Insulinom keine medikamentöse Therapieoption. Daher ist die Operationsindikation bei biochemischem Nachweis eines organischen Hyperinsulinismus gegeben, sofern keine diffuse Lebermetastasierung vorliegt (Bartsch et al. 2000; Demeure et al. 1991; O’Riordain et al. 1994). Die komplette Pankreasfreilegung mit bidigitaler Palpation und intraoperativem Ultraschall gefolgt von der subtotalen Pankreaslinksresektion bis zur Vena portae und die Enukleation von Tumoren aus dem Pankreaskopf gilt als Standardverfahren. Eine Lymphadenektomie ist nur bei Malignitätsverdacht notwendig. Die meisten Autoren halten eine Enukleation von einzelnen Tumoren aufgrund einer hohen Rezidivrate für nicht indiziert. Im Gegensatz zum MEN-1-ZES sind die Heilungsraten beim MEN-1-Insulinom nach oben genannter Therapie als durchaus gut zu bezeichnen. In den vorliegenden kleinen Serien von 6–18 Patienten beträgt die biochemische Heilungsrate zwischen 66 und 100% bei einem Follow-up von 1 bis zu 18 Jahren. Bei 80–100% der Patienten fanden sich multiple Tumoren im resezierten Pankreasgewebe, was gegen die selektive Enukleation von einzelnen Tumoren im Pankreaskörper und -schwanz spricht. 6.1.3.2.3 Nichtfunktionelle Tumoren beim MEN 1 Die Prävalenz von nichtfunktionellen Tumoren (NPT) wird in der älteren Literatur mit etwa 15–20% angegeben, liegt jedoch nach neueren Screening-Daten weit über 50% (Bartsch et al. 2005). Retrospektive Studien an relativ kleinen Patientenzahlen haben gezeigt, dass ca. 30% der Tumoren >1 cm Lymphknotenmetastasen und bis zu 20% der NPT >2 cm bereits Lebermetastasen aufweisen bzw. entwickeln. Daher wird von vielen Autoren die Operationsindikation gesehen, wenn ein oder mehrere Tumoren die Größe von 1 cm im Durchmesser überschritten haben (Lairmore et al. 2000; Bartsch et al. 2005). Die Standardoperation ist dieselbe wie beim MEN-1-Insulinom, wobei einige Autoren auch die selektive Enukleation erwägen (. Abb. 6.2). 6.1.3.2.4 Laparoskopische Chirurgie MEN-1-assoziierter Pankreastumoren Prinzipiell besteht auch beim MEN 1 die Möglichkeit, Tumorenukleationen aus dem Pankreaskopf oder -korpus sowie eine erweiterte Pankreaslinksresektion laparoskopisch durchzuführen. Die laparoskopische endokrine Pankreaschirurgie wurde allerdings bisher in Form von Enukleationen oder Pankreaslinksresektionen fast ausschließlich bei sporadischen Insulinomen oder nichtfunktionellen Tumoren angewandt (Gagner et al. 1996; Fernandez-Cruz et al. 2002; Langer et al. 2005). Auch wenn durch den laparoskopischen Ultraschall die Möglichkeit gegeben ist, das Pankreas auch bei laparoskopischen Operationen mit dieser Methode zu untersuchen, so fehlt doch die Möglichkeit der bidigitalen Palpation. Dies ist, insbesondere in Anbetracht der häufig multilokulären Pankreastumoren ein deutlicher Nachteil. Nach Meinung der Autoren werden insbesondere deshalb die
495 6.1 · MEN-1-Syndrom
a
6
b
. Abb. 6.2a,b. Nichtfunktionelle endokrine Pankreastumoren bei MEN 1. a Operationssitus nach milzerhaltender Pankreaslinksresektion bis auf Höhe der Pfortader. P Restpankreas mit Abnaht, VL Vena lienalis,
AL Arteria lienalis, VMI Vena mesenterica inferior. b Pankreasresektat des in a gezeigten Situs, die Pfeile zeigen die nichtfunktionellen endokrinen Tumoren, PA Schemazeichnung Pfortader, VL Vena lienalis
laparoskopischen Verfahren bei diesen Tumoren sicherlich auch in Expertenzentren zunächst die Ausnahme sein.
6.1.3.4 Nebennieren Funktionelle Nebennierentumoren stellen im Rahmen der MEN 1 zwar die Ausnahme dar, eine Operationsindikation ergibt sich hier allerdings genau wie bei den sporadischen Tumoren. Schwieriger ist die Situation bei den nichtfunktionellen Tumoren, von denen offenbar mindestens ein Drittel der Patienten betroffen ist (Langer et al. 2002). Die jüngsten Erfahrungen der Autoren im Vorsorgeprogramm in Marburg zeigen, dass es kaum einen Patienten gibt, bei dem nicht kleinknotige Veränderungen zumindest einer, meist jedoch beider Nebennieren vorliegen. Offenbar können sich aus nichtfunktionellen Knoten auch Nebennierenkarzinome entwickeln, die eine ähnlich schlechte Prognose haben, wie die sporadischen Karzinome. In Marburg werden deshalb MEN-1-Nebennierentumoren bereits operiert, wenn sie eine Größe von 3 cm überschreiten (Langer et al. 2002). Bei den kleineren Tumoren gibt es grundsätzlich 2 Möglichkeiten des Zuganges. Zum einen den laparokopischen und zum anderen den retroperitoneoskopischen Weg. Welchen Weg man wählt, hängt von der Erfahrung des Operateurs ab. Daten, die einen Vorteil eines der beiden Wege belegen, gibt es nicht. Bei großen Tumoren und Malignitätsverdacht sollte ein transabdominell oder thorakoabdominell offen chirurgisches Vorgehen zugunsten der Übersichtlichkeit und der Möglichkeit der aortointerkavalen Lymphadenektomie sowie evtl. notwendiger Operationserweiterungen bevorzugt werden. Im Rahmen der präoperativen Abklärung darf auch bei offensichtlich nichtfunktionellen Tumoren eine Bestimmung der Urinkatecholamine nicht fehlen, um ein klinisch stummes Phäochromozytom nicht zu übersehen.
Zusammenfassend wird betont, dass hinsichtlich der Operationsindikation und der Verfahrenswahl bei MEN-1-assoziierten PET, speziell beim ZES, nach wie vor Kontroversen bestehen, sodass kein allgemeingültiges Indikations- und Therapiekonzept gegeben werden kann. Beim MEN-1-ZES ist nach Strategie der Autoren die Indikation zur Operation bei biochemischer Diagnose gegeben, wenn keine diffuse Lebermetastasierung vorliegt. Präoperativ wird eine SASI- bzw. Imamura-Angiographie durchgeführt. Befindet sich die Gastrinquelle im Pankreaskopf, erfolgt eine PPPD. Sollte sich die Gastrinquelle im Korpus-/Schwanzbereich befinden, wird eine erweiterte milzerhaltende Pankreaslinksresektion mit Duodenotomie und Exzision von Gastrinomen aus der Duodenalwand, ggf. die Enukleation von Tumoren aus dem Pankreaskopf vorgenommen. In beiden Fällen erfolgt eine regionale Lymphadenektomie. Größte Klarheit herrscht beim MEN-1-assoziierten Insulinom. Standardoperation ist hier die Pankreaslinksresektion mit Enukleation von Tumoren aus dem Pankreaskopf, sobald der biochemische Nachweis eines Insulinoms gegeben ist und keine diffuse Lebermetastasierung vorliegt. Bei NPT stellen die Autoren die Operationsindikation, wenn die Tumorgröße >1 cm beträgt und keine diffuse Lebermetastasierung vorliegt. Die bidigitale Palpation und der intraoperative Ultraschall (IOUS) sind bei jedem Pankreaseingriff bei MEN 1 operativer Standard.
6.1.3.3 Adenohypophyse Indikationen für ein operatives Vorgehen bei Hypophysenvorderlappenadenomen ergeben sich beim Versagen einer medikamentösen Therapie der Prolaktinome und bei symptomatischen nichtfunktionellen Adenomen, die aufgrund ihrer Größe durch Druck auf Chiasma opticum etc. Beschwerden verursachen können. Sollten Mikroadenome einen Morbus Cushing verursachen, ist die Therapie der Wahl ebenfalls die Resektion. Meist können die Operationen transsphenoidal vorgenommen werden.
6.1.3.5 Neuroendokrine Tumoren (NET) des Vorderdarmes Hier gelten die Regeln der Therapie wie bei den sporadischen Tumoren. Eine radikale chirurgische Sanierung ist anzustreben, eine Beseitigung des Primärtumors auch beim Vorhandensein von Lebermetastasen empfehlenswert. Beim Vorliegen eines »Karzinoidsyndroms« ist eine Langzeittherapie mit Octreotiden zu erwägen. Eine besondere Rolle spielen die NET des Thymus, die nahezu ausschließlich bei Männern mit MEN 1 vorkommen, eine sehr schlechte Prognose haben und fast immer einen letalen Verlauf nach sich ziehen (Duh et al. 1987).
496
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
6.1.3.6 Nachsorge Grundsätzlich sollten alle MEN-1-Patienten in ein Nachsorgeprogramm eingeschlossen werden, das sich prinzipiell nicht von dem bereits in 7 Kap. 6.1 geschilderten Früherkennungsprogramm unterscheidet. Im Einzelfall muss es dann auf den Patienten und seine individuelle Vorgeschichte abgestimmt werden, d. h. zum Beispiel, dass bei Patienten mit vorausgegangener Operation wegen eines MEN-1-ZES in regelmäßigen (z. B. jährlichen) Abständen eine Nüchtern-Gastrin-Bestimmung und ein Sekretintest im Rahmen der Nachsorge erfolgen sollte. Nebenschilddrüsen. In der Nachsorge nach MEN-1-pHPT sind
6
die wesentlichen Untersuchungen die Kalzium- und Parathormonbestimmung im Serum. Nach subtotaler Parathyreoidektomie oder nach totaler Parathyreoidektomie mit Autotransplantation ist ein passagerer postoperativer Hypoparathyreoidismus zunächst die Regel und eine vorübergehende Kalziumsubstitution ist nahezu bei allen Patienten erforderlich. Die meisten Patienten klagen über periorales und die Finger betreffendes Kribbeln. Vor allem bei präoperativ sehr hohen Kalziumserumwerten können jedoch postoperativ durchaus Tetanien auftreten. Eine stationäre Beobachtung ist deshalb solange erforderlich, bis eine Stabilisierung eingetreten ist und die Kalziumwerte konstant um 2,0 mmol/l liegen. Häufig reicht die Gabe von Kalzium-Frubiase-Trinkampullen oder Kalzium-Brausetabletten nicht aus und es ist die zusätzliche Gabe von Rocaltrol (1,25 Dihydroxycholecalciferol) in der Dosierung 3×25 µg/Tag erforderlich. Diese Medikation sollte im ersten halben Jahr nach der Operation ausgeschlichen werden können. Gelingt dies nicht, so ist von einem persistierenden postoperativen Hypoparathyreoidismus auszugehen. Wenn dieser Zustand auch nach einem Jahr nach Operation des MEN-1-pHPT anhält, sollte eine erneute Autotransplantation von kryokonserviertem Nebenschilddrüsengewebe erwogen werden, die problemlos ambulant in Lokalanästhesie erfolgen kann. Pankreatikoduodenale endokrine Tumoren (PET). Rezidive eines MEN-1-ZES sind nach allen Operationen, außer der PPPD, häufig und werden durch Bestimmung des Nüchterngastrins und ggf. durch Durchführung eines Sekretintests erkannt. Sind diese Werte pathologisch, sollte eine Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren begonnen werden. Die Operationsindikation für ZES-Rezidive ist abhängig von der Symptomatik und von der Führbarkeit der Patienten mit Protonenpumpeninhibitoren. Die Entscheidung sollte hier immer auf den jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Sind die Symptome medikamentös nicht ausreichend kontrollierbar, können auch nach mehrfachen Voroperationen Revisionen indiziert sein. Der präoperative diagnostische Ablauf entspricht dann dem vor der Erstoperation. Rezidive nach Insulinom sind die Ausnahme und durch die entsprechende Symptomatik sowie Nüchtern-Blutzucker- und Insulinbestimmungen im Serum zu erkennen. Die Domäne der Nachsorge der nichtfunktionellen Tumoren stellt die bildgebende Diagnostik da. Hier kommt der Endosonographie in der Hand des Erfahrenen immer mehr Bedeutung zu. Nahezu alle MEN-1-Patienten entwickeln nach Operationen wegen MEN-1-PET kleine, meist nichtfunktionelle Tumoren im Restpankreas. Auch hier ist eine individuelle Therapie-Entscheidung in Abhängigkeit von Symptomatik, Größe der Tumoren und Staging-Ergebnissen erforderlich. In der Abwesenheit von Leber- oder Fernmetastasen ist in der Klinik der Autoren auch bei Rezidiven ab einer Größe von >1 cm eine Operationsindikation gegeben.
Nebennieren. Wichtig ist hier vor allem die Substitution der Nebennierenhormone im Falle beidseitiger Adrenalektomien. In der Regel sind 37,5 mg Hydrokortison/Tag und die zusätzliche Gabe von ca. 0,1 mg Astonin H ausreichend. Außerdem muss den Betroffenen ein entsprechender Ausweis für Adrenalektomierte ausgehändigt werden. Die Patienten müssen aufgeklärt werden, dass im Bedarfsfalle (Stresssituationen, Operationen etc.) eine höhere Dosierung erforderlich ist.
Literatur Brandi ML, Gagel RF, Angeli A, Bilezikian JP, Beck-Peccoz P, Bordi C et al. (2001) Guidelines for diagnosis and therapy of MEN type 1 and type 2. J Clin Endocrinol Metab 86:5658 Bartsch DK, Langer P, Wild A, Schilling T, Rothmund M, Nies C (2000) Pancreaticoduodenal tumors in MEN1 – surgery or surveillance? Surgery 128:958 Bartsch DK, Fendrich V, Langer P, Celik I, Rothmund M (2005) Outcome of duodenopancreatic resections in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 242:757 Cadiot G, Vuagnat A, Doukhan I, Murat A, Bonnaud G, Delemer B et al. (1999) Prognostic factors in patients with Zollinger-Ellison Syndrome and multiple endocrine neoplasia type 1. Gastroenterology 116:286 Casanova D, Sarfati E, De Francisco A, Amado JA, Arias M, Dubost C (1991) Secondary hyperparathyroidism: diagnosis of site of recurrence. World J Surg 15:546 Delcore R, Friesen SR (1992) Role of pancreatoduodenectomy in the management of primary duodenal wall gastrinomas in patients with Zollinger-Ellison syndrome. Surgery 112:1016 Demeure MJ, Klonoff CC, Karam JH, Duh QY, Clark O (1991) Insulinomas associated with multiple endocrine neoplasia type I: the need for a different surgical approach. Surgery 110:998 Duh QY, Hybarger CP, Geist R et al. (1987) Carcinoids associated with multiple endocrine neoplasia syndromes. Am J Surg 154:142 Fernandez-Cruz L. et al. (2002) Outcome of laparoscopic pancreatic surgery: endocrine and nonendocrine tumors. World J Surg 26:1057 Gagner M et al. (1996) Experience with laparoscopic resections of islet cell tumors. Surgery 120:1051 Goudet P, Cougard P, Vergès B et al. (2001) Hyperparathyroidism in multiple endocrine neoplasia type 1: surgical trends and results of a 256-patient series from Groupe d`Etude des Néoplasies Endocriniennes Multiples Study Group. World J Surg 25:886 Hellman P, Skogseid B, Öberg K et al. (1998) Primary and reoperative parathyroid operations in hyperparathyroidism of multiple endocrine neoplasia type 1. Surgery 124:993 Hubbard JG, Sebag F, Majewa S, Henry JF (2002) Primary hyperparathyroidism in MEN 1 – how radical should surgery be? Langenbeck’s Arch Surg 386:553 Imamura M, Takahashi K, Adachi H, Minematsu S, Shimasa Y, Naito M et al. (1987) Usefulness of selective arterial secretin injection test for localization of gastrinoma in the Zollinger-Ellison syndrome. Ann Surg 205:230 Kato M, Imamura M, Hosotani R et al. (2000) Curative resection of microgastrinomas based on the intraoperative secretin test. World J Surg 24:1425 Kraimps JL, Duh QY, Demeure M, Clark OH (1992) Hyperparathyroidism in multiple endocrine neoplasia syndrome. Surgery 112:1080 Lairmore TC, Chen VY, DeBenedetti MK et al. (2000) Duodenopancreatic resections in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 231:909 Langer P, Cupisti K, Bartsch DK, Nies C, Goretzki PE, Rothmund M, Röher HD (2002) Adrenal involvement in multiple endocrine neoplasia type 1. World J Surg 26:891 Langer P, Wild A, Hall A, Celik I, Nies C, Rothmund M et al. (2003) Prevalence of multiple endocrine neoplasia type 1 in young patients with apparently sporadic primary hyperparathyroidism or apparently sporadic pancreaticoduodenal endocrine tumours. Br J Surg 90:1599
6
497 6.1 · MEN-1-Syndrom
Langer P, Wild A, Schilling T, Nies C, Rothmund M, Bartsch DK (2004) Multiple endocrine neoplasia type 1. Surgical therapy of primary hyperparathyroidism. Chirurg 75:900 Langer P, Bartsch DK, Fendrich V, Kann PH, Rothmund M, Zielke A (2005) Minimal-invasive operative treatment of organic hyperinsulinism – case report and review of the literature. Dtsch Med Wochenschr 130:514 Mignon M, Ruszniewski P, Podevin P, Sabbagh L et al. (1993) Current approach to the management of a gastrinoma and insulinoma in adults with multiple endocrine neoplasia I. World J Surg 17:489 Norton JA, Alexander HR, Fraker DL et al. (2001) Comparison of surgical results in patients with advanced and limited disease with multiple endocrine neoplasia type 1 and Zollinger-Ellison syndrome. Ann Surg 234:495 O’Riordain DS, O’Brien T, van Heerden JA, Service FJ, Grant CS (1994) Surgical management of insulinoma associated with multiple endocrine neoplasia type I. World J Surg 18:488 Pipeleers-Marichal M, Somers G, Willems G, Foulis A et al. (1990) Gastrinomas in the duodenums of patients with multiple endocrine neoplasia type 1 and the Zollinger-Ellison syndrome. N Engl J Med 322:723 Schlosser K, Schlosser K, Sitter H, Rothmund M, Zielke A (2004) Assessing the site of recurrence in patients with secondary hyperparathyroidism by a simplified Casanova autograftectomy test. World J Surg 28:583 Schroder W, Holscher AH, Beckurts T et al. (1996) Duodenal microgastrinomas associated with Zollinger-Ellison syndrome. Hepatogastroenterology 43:1465 Stadil F (1995) Treatment of gastrinomas with pancreatoduodenectomy. In: Mignon M, Jensen RT (eds) Endocrine tumors of the pancreas: recent advances in research and management. Frontiers of gastrointestinal research, vol. 23. Karger, Basel, p 333 Thompson NW (1998) Current concepts in the surgical management of multiple endocrine neoplasia type 1 pancreatic-duodenal disease. Results in the treatment of 40 patients with Zollinger-Ellison syndrome, hypoglycaemia or both. J Intern Med 243:495 Thompson NW, Bondeson AG, Bondeson L, Vinik A (1989) The surgical treatment of gastrinoma in MEN I syndrome patients. Surgery 106: 1081 Weber HC, Venzon DJ, Lin JT, Fishbein VA, Orbuch M, Strader DB et al. (1996) Determinants of metastatic rate and survival in patients with Zollinger-Ellison-Syndrome: a prospective long-term study. Gastroenterology 108:1637
6.1.4
Neuroendokrine Tumoren des Thymus N. Habbe, P. Langer, M. Rothmund
wurden ca. 200 Fallberichte oder kleine Serien publiziert, sodass sich daraus eine Inzidenz dieser Erkrankung nicht ableiten lässt. Auffällig ist eine Bevorzugung des männlichen Geschlechts mit einem Verhältnis von 4:1 gegenüber dem Auftreten bei weiblichen Patienten. Das Alter der Patienten lag bei Diagnosestellung zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr (Gibril et al. 2003; Soga et al. 1999). Weiterhin wurde eine deutliche Assoziation zum MEN-1-Syndrom beschrieben. Danach beträgt die Inzidenz beim MEN 1 zwischen 3 und 8% aller Patienten. Die NET des Thymus treten zumeist spät im Rahmen des MEN-1-Syndroms auf und stellen nicht die Erstmanifestation dieses Syndroms dar (Gibril et al. 2003). Allerdings sind sie in bis zu 90% der Fälle die häufigste Todesursache. Die mittlere Überlebenszeit betrug dabei nach Diagnosestellung 4,5 Jahre (Teh et al. 1997). In der einzigen prospektiven Studie traten keine Todesfälle aufgrund des Thymus-NET in einer mittleren Nachuntersuchungszeit von 5,1 Jahren auf. Die längste Überlebenszeit lag in dieser Untersuchung bei 15,3 Jahren (Gibril et al. 2003). 6.1.4.2 Klassifikation Die histologische Einteilung der neuroendokrinen Thymustumoren basiert auf der WHO-Klassifikation von Gal et al. (2001; . Tab. 6.4). 6.1.4.3 Klinische Symptomatik Die klinischen Symptome entstehen durch die mediastinale Raumforderung (Husten, neu aufgetretene Heiserkeit, Brustschmerz oder eine obere Einflussstauung durch Kompression der Vena cava superior), jedoch bleiben bis zu 37% der Patienten asymptomatisch (Soga et al. 2001). Hormonal aktive NET des Thymus treten bei bis zu 40% der Patienten auf. Diese Patienten entwickeln zumeist ein Cushing-Syndrom, selten auch andere Syndrome wie Akromegalie (Wick et al. 1980; Teh et al. 1998). Bei asymptomatischen Patienten erfolgte die Diagnosestellung zumeist im Rahmen einer Röntgen-Thoraxaufnahme aus anderer Indikation als Zufallsbefund. Aufgrund der Einbindung in Vorsorgeprogramme und der damit verbundenden regelmäßigen Bildgebung des Thorax sind MEN-1-Patienten mit NET des Thymus meist asymptomatisch, in einer Untersuchung von Gibril et al. (2003) waren es 71%. Die Metastasierung erfolgt zunächst in die lokoregionalen Lymphknoten, oft liegen bereits Knochenmetastasen und nur zu einem geringen Teil Lebermetastasen vor (Ferolla et al. 2005).
) ) Neuroendokrine Thymustumoren sind selten und treten gehäuft bei MEN-1-Patienten auf. Daher sollten MEN-1-Patienten in Nachsorgeuntersuchungen einem Thymus-Screening unterzogen werden. Geeignete diagnostische Verfahren sind Computertomographie, MRT und SRS. Die einzige kurative Therapieoption ist die Operation, adjuvante oder neoadjuvante Konzepte haben keine Bedeutung bezüglich Verminderung der Rezidivrate oder Verlängerung der Überlebenszeit.
6.1.4.1 Epidemiologie Neuroendokrine Tumoren (NET) des Thymus sind – verglichen mit NET anderer Lokalisationen – eine seltene Tumorentität. Die erste Beschreibung erfolgte 1972 durch Rosai und Higa. Sie unterschieden die NET des Thymus von anderen Thymustumoren wie Thymomen oder Thymuskarzinomen. Seit diesem Zeitpunkt
. Tab. 6.4. Modifizierte Klassifikation der neuroendokrinen Tumoren des Thymus (HPF »high-power fields«)
Typisches Karzinoid
Atypisches Karzinoid
Kleinzelliges Karzinom
Mitosen pro 100 HPFa
<10
>10
>100
Nekrosen
Keine
Vorhanden
Vorhanden
Pleomorphismus
Minimal
Moderat
Moderat
Nukleäre Faltung
Keine
Minimal
Prominent
Crush-Artefakte
Keine
Minimal
Prominent
498
6
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
6.1.4.4 Diagnostik Zur bildgebenden Diagnosesicherung stehen im Wesentlichen die Computertomographie, die Magnetresonanztomographie sowie die Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (SRS) zur Verfügung. Letztere wird in der vorliegenden Literatur kritisch bewertet. Wie NET anderer Lokalisationen exprimieren auch die NET des Thymus den Somatostatinrezeptor Subtyp 2 und binden daher radioaktiv markierte Octreotidanaloga. Dieses ermöglichte in verschiedenen Serien die Diagnosestellung auch kleinerer NET des Thymus mit hoher Sensitivität (Satta et al. 1999; Cadigan et al. 1996). In einer großen Serie zeigten Gibril et al. (2003) jedoch eine höhere Sensitivität von CT oder MRT gegenüber der SRS und der Röntgen-Thoraxaufnahme bei der Diagnosestellung und Nachsorgeuntersuchung. Zwischen MRT und CT konnten in den vorliegenden Serien keine Unterschiede in Sensitivität und Spezifität herausgearbeitet werden, jedoch zeigte die MRT eine höhere Sensitivität bei der Darstellung von Knochenmetastasen als die SRS (Gibril et al. 1998; Ferolla et al. 2005). Der Stellenwert der Positronenemissionstomographie (PET) in der Diagnostik der Thymus-NET bleibt nach Durchsicht der Literatur unklar. So führte ein positives 18-Fluorodeoxyglukose (FDG)-PET zu einer Thymektomie bei histologisch unauffälligem Thymus, dagegen konnte mittels [11C]-5-Hydroxytryptophan-PET ein ACTHsezernierender neuroendokriner Thymustumor diagnostiziert werden, der weder in MRT, CT oder SRS zur Darstellung kam (Wittram et al. 2003; Eriksson et al. 2005). 6.1.4.5 Therapie Chirurgische Therapie. Als kurativer Therapieansatz hat sich in
der vorliegenden Literatur einzig die Resektion herausgestellt, jedoch kommt es selbst bei R0-Resektion häufig zu Rezidiven. Das lokal aggressive Wachstum mit Infiltration in Perikard und Lunge führt zu ausgedehnten Eingriffen. Der Stellenwert der routinemäßigen zervikalen Thymektomie im Rahmen von Halseingriffen aufgrund des Hyperparathyreoidismus bei MEN-1Patienten ist in der Literatur kritisch bewertet. Einige retrospektive Studien heben die Wichtigkeit der zervikalen Thymektomie als Prophylaxe der Thymus-NET hervor (Zeiger et al. 1992; Teh et al. 1998). Demgegenüber stehen Fallberichte und Serien, die ein Auftreten eines Thymus-NET nach zervikaler Thymektomie im Rahmen von Parathyreoidektomien bei MEN-1-Patienten zeigten (Burgess et al. 2001). Die zervikale Thymektomie kann daher nicht als prophylaktischer Eingriff zur Verhinderung eines Thymus-NET angesehen werden, jedoch empfehlen mehrere Autoren aufgrund der geringen Mortalität weiterhin die Durchführung der Thymektomie bei MEN-1-Patienten (Gibril et al. 2003; Ferolla et al. 2005; Langer et al. 2004). Radiotherapie. Neoadjuvante oder adjuvante Radiotherapie
wurde im Rahmen kleiner Serien bei Patienten bereits eingesetzt. Hier zeigte sich in den meisten Fällen kein Prognosevorteil oder eine geringere Rezidivrate. Daher kann zu diesem Zeitpunkt die Radiotherapie zur adjuvanten oder neoadjuvanten Behandlung nicht empfohlen werden (Chakravarthy et al. 1995). Chemotherapie. Bezüglich der adjuvanten oder neoadjuvanten Chemotherapie liegen nur Ergebnisse kleinerer Serien oder Fallberichte vor. Die Kombination aus Ifosfamid und Etoposid, aber auch weitere Kombinationen oder Einzelgaben aus 5-Fluoruracil, Streptozocin, Etoposid oder Cisplatin hatten keinen Einfluss auf die Überlebenszeit oder die Rezidivrate (Spaggiari et al. 2001;
Wang et al. 1994; Takayama et al. 1993). Eine weitere Therapieoption ist die Applikation von Somatostatin-Analoga bei Patienten mit Somatostatinrezeptor-exprimierenden Tumoren (Palmieri et al. 2002). Literatur Burgess JR, Giles N, Shepherd JJ (2001) Malignant thymic carcinoid is not prevented by transcervical thymectomy in multiple endocrine neoplasia type 1. Clin Endocrinol 55:689–693 Cadigan DG, Hollett PD, Collingwood PW, Ur E (1996) Imaging of a mediastinal thymic carcinoid tumor with radiolabeled somatostatin analogue. Clin Nucl Med 21:487–488 Chakravarthy A, Abrams RA (1995) Radiation therapy in the management of patients with malignant carcinoid tumors. Cancer 75:1386– 1390 Eriksson B, Orlefors H, Oberg K, Sundin A, Bergstrom M, Langstrom B (2005) Developments in PET for the detection of endocrine tumours. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 19:311–324 Ferolla P, Falchetti A, Filosso P, Tomassetti P, Tamburrano G, Avenia N, Daddi G, Puma F, Ribacchi R, Santeusanio F, Angeletti G, Brandi ML (2005) Thymic neuroendocrine carcinoma (carcinoid) in multiple endocrine neoplasia type 1 syndrome: the Italian series. J Clin Endocrinol Metab 90:2603–2609 Gal AA, Kornstein MJ, Cohen C, Duarte IG, Miller JI, Mansour KA (2001) Neuroendocrine tumors of the thymus: a clinicopathological and prognostic study. Ann Thorac Surg 72:1179–1182 Gibril F, Chen YJ, Schrump DS, Vortmeyer A, Zhuang Z, Lubensky IA, Reynolds JC, Louie A, Entsuah LK, Huang K, Asgharian B, Jensen RT (2003) Prospective study of thymic carcinoids in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. J Clin Endocrinol Metab 88:1066– 1081 Gibril F, Doppman JL, Reynolds JC, Chen CC, Sutliff VE, Yu F, Serrano J, Venzon DJ, Jensen RT (1998) Bone metastases in patients with gastrinomas: a prospective study of bone scanning, somatostatin receptor scanning, and magnetic resonance image in their detection, frequency, location, and effect of their detection on management. J Clin Oncol 16:1040–1053 Langer P, Wild A, Schilling T, Nies C, Rothmund M, Bartsch DK (2004) Multiple endocrine neoplasia type 1. Surgical therapy of primary hyperparathyroidism. Chirurg 75:900–906 Palmieri G, Montella L, Martignetti A, Muto P, Di Vizio D, De Chiara A, Lastoria S (2002) Somatostatin analogs and prednisone in advanced refractory thymic tumors. Cancer 94:1414–1420 Rosai J, Higa E (1972) Mediastinal endocrine neoplasm, of probable thymic origin, related to carcinoid tumor. Clinicopathologic study of 8 cases. Cancer 29:1061–1074 Satta J, Ahonen A, Parkkila S, Leinonen L, Apaja-Sarkkinen M, Lepojarvi M, Juvonen T (1999) Multiple endocrine neoplastic-associated thymic carcinoid tumour in close relatives: octreotide scan as a new diagnostic and follow-up modality. Two case reports. Scand Cardiovasc J 33:49–53 Soga J, Yakuwa Y, Osaka M (1999) Evaluation of 342 cases of mediastinal/ thymic carcinoids collected from literature: a comparative study between typical carcinoids and atypical varieties. Ann Thorac Cardiovasc Surg 5:285–292 Spaggiari L, Pastorino U (2001) Double transmanubrial approach and sternotomy for resection of a giant thymic carcinoid tumor. Ann Thorac Surg 72:629–631 Takayama T, Kameya T, Inagaki K, Nonaka M, Miyazawa H, Ogawa N, Yano M, Morita T, Arai T, Niino S et al. (1993) MEN type 1 associated with mediastinal carcinoid producing parathyroid hormone, calcitonin and chorionic gonadotropin. Pathol Res Pract 189:1090–1096 Teh BT, Zedenius J, Kytola S, Skogseid B, Trotter J, Choplin H, Twigg S, Farnebo F, Giraud S, Cameron D, Robinson B, Calender A, Larsson C, Salmela P (1998) Thymic carcinoids in multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 228:99-105
6
499 6.2 · MEN-2-Syndrom
Teh BT, McArdle J, Chan SP, Menon J, Hartley L, Pullan P, Ho J, Khir A, Wilkinson S, Larsson C, Cameron D, Shepherd J (1997) Clinicopathologic studies of thymic carcinoids in multiple endocrine neoplasia type 1. Medicine (Baltimore) 76:21–29 Wang DY, Chang DB, Kuo SH, Yang PC, Lee YC, Hsu HC, Luh KT (1994) Carcinoid tumours of the thymus. Thorax 49:357–360 Wick MR, Scott RE, Li CY, Carney JA (1980) Carcinoid tumor of the thymus: a clinicopathologic report of seven cases with a review of the literature. Mayo Clin Proc 55:246–254 Wittram C, Fischman AJ, Mark E, Ko J, Shepard JA (2003) Thymic enlargement and FDG uptake in three patients: CT and FDG positron emission tomography correlated with pathology. AJR Am J Roentgenol 180: 519–522 Zeiger MA, Swartz SE, MacGillivray DC, Linnoila I, Shakir M (1992) Thymic carcinoid in association with MEN syndromes. Am Surg 58:430–434
läres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom und primärer Hyperparathyreoidismus (MEN-2a-Syndrom) bzw. medulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom, okulofaziale und gastrointestinale Schleimhautneurome und marfanoide Skelettanomalien (MEN-2b-Syndrom). Die genetische Grundlage des MEN-2-Syndroms sowie seiner Abortivform, des familiären medullären Schilddrüsenkarzinoms (FMTC; »MTC only«), bilden autosomal-dominant vererbte Punktmutationen im RET-Protoonkogen (»rearranged during transfection«) in der Keimbahn betroffener Genträger (Donis-Keller et al. 1993; Mulligan et al. 1993). Die Inzidenz der Keimbahnmutationen im RET-Protoonkogen wird auf 1 zu 500.000 geschätzt (Russo et al. 2000). Die Kenntnis dieser molekulargenetischen Grundlagen hat nicht nur die Frühdiagnostik bislang asymptomatischer Genträger verbessert, sondern auch die Korrelation zwischen genetischer Veranlagung (Genotyp) und dem Tumorspektrum bzw. klinischen Verlauf des MEN-2-Syndroms (Phänotyp) ermöglicht. Diese Genotyp-Phänotyp-Korrelationen sind von erheblicher Bedeutung für die Bestimmung des Zeitpunkts der prophylaktischen Thyreoidektomie und die Festlegung der Intervalle für das PhäochromozytomScreening.
MEN-2-Syndrom
6.2
6.2.1 Klinische Symptomatik, Diagnostik
und Screening A. Machens, O. Gimm, H. Dralle ) ) Die bahnbrechenden Fortschritte der Molekularbiologie in den letzten 20 Jahren haben auch die Klinik, Diagnostik und Therapie des MEN-2-Syndroms revolutioniert. Das klassische Vollbild des MEN-2-Syndroms besteht aus der Kombination medul6
6.2.1.1 Einteilung Die aus der vormolekularen Ära stammende Abgrenzung der rein klinisch definierten Formen des MEN-2-Syndroms beruht auf der unterschiedlichen Häufigkeit (. Tab. 6.5) und unterschiedlichem Entstehungszeitpunkt der o. g. neuroendokrinen Erkrankungen (. Tab. 6.6). Dabei unterscheidet sich die Prognose
. Tab. 6.5. Erkrankungsprofil einzelner Organe und Organsysteme innerhalb des MEN-2-Spektrums. RET »rearranged during transfection«; FMTC familiäres medulläres Schilddrüsenkarzinom; MEN multiple endokrine Neoplasie; PCC Phäochromozytom; pHPT primärer Hyperparathyreoidismus
RET
FMTC/MEN 2
Intestinale Ganglioneurome
Okulofaziale Neurome
Skelettanomalien (marfanoid)
Lichen amyloidosis
Morbus Hirschsprung
Exon
Kodon
MTC
PCC
pHPT
16
918
+++
++
–
+++
+++
+++
–
–
11
634
+++
++
+
–
–
–
(+)
–
11
630
+++
–a
+
–
–
–
–
–
10
609
++
+
(+)
–
–
–
–
(+)
10
611
++
+
(+)
–
–
–
–
(+)
10
618
++
+
(+)
–
–
–
–
(+)
10
620
++
+
(+)
–
–
–
–
(+)
a
–
–
–
–
–
a
13
768
(+)
a
(+)
–
13
790
+
(+)
–
–
–
–
–
–
13
791
+
+
(+)
–
–
–
–
–
14
804
+
(+)
–a
–
–
–
–
–
15
891
+
(+)
–a
–
–
–
–
–
+++/++/+/(+)/- Penetranz stark/mittel/mäßig/gering/null a Noch nicht berichtet
500
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
. Tab. 6.6. Kodonspezifische altersabhängige Tumorprogression beim MEN-2-Syndrom. RET »rearranged during transfection«; MTC medulläres Schilddrüsenkarzinom; PCC Phäochromozytom; pHPT primärer Hyperparathyreoidismus. (Nach Machens et al. 2003a,b, 2004, 2005a,b; Machens u. Dralle 2006)
RET-Mutation
6
Prozentualer Anteil an den Familien mit RET-Mutation
Exon
Kodon
16
918
11
Frühestes Erkrankungsalter (Jahre) MTC
PCC
pHPT
3–19
0,75
12
–
634
37–68
1,1
12
10
11
630
1
1
–
32
10
609
1
5
22
a
10
611
3
7
30
a
10
618
7–9
7
29
41
10
620
7–8
5
22
a
13
768
1–2
22
59
–
13
790
5–10
10
28
–
13
791
2–7
21
38
38
14
804
2–4
6 bzw. 12
28–33
–
15
891
2
13
52
–
– noch nicht berichtet a Alter nicht angegeben
hereditärer nicht von der sporadischer Tumoren mit gleicher Größe und Tumorstadium. Familiäres Schilddrüsenkarzinom. Medulläre Schilddrüsenkar-
zinome stellen üblicherweise die Erstmanifestation des MEN-2aund MEN-2b-Syndroms dar. Dabei ist es im Einzelfall unmöglich vorherzusagen, ob einzelne Genträger im weiteren Verlauf Phäochromozytome oder Nebenschilddrüsenhyperplasien entwickeln werden. Die strengen Kriterien des internationalen MEN-Konsortiums fordern für die Diagnose des familiären medullären Schilddrüsenkarzinoms (FMTC) den Nachweis von mindestens 3 Genträgern pro Familie (Eng et al. 1996). Diese Forderung ist bei der Vielzahl kleiner Familien mit nur wenigen Genträgern schwer zu erfüllen. Da die meisten Punktmutationen im RETProtoonkogen zu einem MEN-2a-Syndrom führen können, handelt es sich beim familiären medullären Schilddrüsenkarzinom wahrscheinlich eher um eine Abortivform des MEN-2aSyndroms bei niedriger Genpenetranz als um ein eigenständiges Krankheitsbild (Machens et al. 2003a,b; Machens et al. 2005b). Bei reinen FMTC-Familien finden sich überwiegend RETKeimbahnmutationen der intrazellulären (Nicht-Zystein-)Kodons 768, 790, 791, 804 und 891, in selteneren Fällen auch der extrazellulären (Zystein-)Kodons 609, 611, 618, 620 und 630 (. Tab. 6.5). MEN-2a-Syndrom. Die Kombination von medullärem Schilddrüsenkarzinom und Phäochromozytom bezeichnet man nach ihrem Erstbeschreiber als Sipple-Syndrom. Das zusätzliche Vorliegen eines primären Hyperparathyreoidismus komplettiert das Vollbild des MEN-2a-Syndroms (. Tab. 6.5; Eng 1996). Moleku-
largenetisch liegen in der Keimbahn betroffener Genträger mehrheitlich Punktmutationen im Kodon 634 vor. Allerdings ist davon auszugehen, das prinzipiell jede Keimbahnmutation im RETProtoonkogen, wenngleich in unterschiedlicher Häufigkeit, zu einem MEN-2a-Syndrom führen kann. Nachgewiesen ist dies für Punktmutationen in den Kodons 609, 611, 618, 620, 630, 634 und in seltenen Einzelfällen für Punktmutationen in den Kodons 768, 790, 791, 804 und 891 des RET-Protoonkogens (Machens et al. 2005a). Die meisten Mutationen werden vererbt, Neumutationen sind selten. Punktmutationen im Kodon 609, 611, 618 und 620 können zusätzlich mit Morbus Hirschsprung, Punktmutationen im Kodon 634 auch mit Lichen amyloidosis assoziiert sein (. Tab. 6.5; Eng 1996). MEN-2b-Syndrom. Das Vollbild des MEN-2b-Syndroms (. Tab. 6.5) besteht aus der Kombination von medullärem Schilddrüsen-
karzinom, Phäochromozytom, charakteristischen Schleimhautneuromen im Bereich von Konjunktiven, Hornhaut (prominente Kornealnerven), Augenlidern, Wangenschleimhaut, (wulstige) Lippen und Zunge (. Abb. 6.3) sowie multiplen Ganglioneuromen der Submukosa (. Abb. 6.4; intestinale Ganglioneuromatose), die zu chronischer Obstipation und Durchfall führen können. Außerdem liegen oft pathognomonische Skelettanomalien (marfanoider Habitus) mit Verformungen des Brustkorbes und der Gelenke, Skoliose, verlängerte Röhrenknochen, Epiphysenlösung des Hüftkopfes, und Hypergnathie des Mittelgesichts vor. Diese Skelettveränderungen dürften auf eine zusätzlich bestehende Überexpression von Chondromodulin-1, einem bekannten Regulator des Knochen- und Skelettwachstums, zurückgehen (Jain et al. 2004). Im Gegensatz zum MEN-2a-Syndrom besteht
501 6.2 · MEN-2-Syndrom
. Abb. 6.3. Wulstige Lippen und Schleimhautneurome der Zunge bei 15-jährigem Genträger mit MEN-2b-Syndrom
6
RET-Protoonkogens auf (medulläres Karzinom: 9 Monate; Phäochromozytom: 12 Jahre), gefolgt von Mutationen der extrazellulären (Zystein-)Kodons 634 und 630 (medulläres Karzinom: 12–13 Monate; Phäochromozytom: 12 Jahre) und der Kodons 609, 611, 618 und 620 (medulläres Karzinom: 5–7 Jahre; Phäochromozytom: >20 Jahre). Das niedrigste Erkrankungsrisiko liegt bei Punktmutationen der intrazellulären (Non-Zystein-)Kodons 768, 790, 791, 804 und 891 (medulläres Karzinom: 10–22 Jahre; Phäochromozytom: >20 Jahre) vor (Machens et al. 2003a,b, 2004, 2005a,b; Machens u. Dralle 2006). Bei diesen RET-Mutationen mit der niedrigsten transformierenden Aktivität im In-vitroAssay verläuft die Tumorprogression zum medullären Schilddrüsenkarzinom besonders variabel (Machens et al. 2003a,b, 2005a). Die Entwicklung der für das MEN-2b-Syndrom pathognomonischen okulären und oralen Schleimhautneurome und Skelettanomalien unterliegt ebenfalls einer altersabhängigen Progression (Brauckhoff et al. 2004). Von der C-Zellhyperplasie zum medullären (C-Zell-)Karzinom der Schilddrüse. Nach derzeitigem Kenntnisstand besteht ein
. Abb. 6.4. Intestinale Ganglioneuromatose (Dilatation des Colon transversum) bei 15-jähriger Genträgerin mit MEN-2b-Syndrom
beim MEN-2b-Syndrom kein Hyperparathyreoidismus (Eng 1996). Betroffene Patienten weisen in 95% der Fälle eine Keimbahnmutation im Kodon 918 und in 2–3% im Kodon 883 des RET-Protoonkogens auf (Eng et al. 1996). Die meisten Mutationen im Kodon 918 sind Folge von Neumutationen im RETProtoonkogen, da diese Keimbahnmutation ohne frühzeitige chirurgische Intervention aufgrund der hiermit verbundenen hohen Letalität nur selten vererbt wird. 6.2.1.2 Genotyp-Phänotyp-Korrelationen Im Gegensatz zum MEN-1-Syndrom konnten in den vergangenen Jahren Genotyp-Phänotyp-Korrelationen bezüglich Entstehungszeitpunkt und Progressionsdynamik der MEN-2-assoziierten neuroendokrinen Tumoren nachgewiesen werden (Schuffenecker el al. 1998; Machens et al. 2003a, 2003b, 2005a). Diese Korrelationen sind für das medulläre Schilddrüsenkarzinom, den Schrittmacher des MEN-2-Syndroms, enger als für das Phäochromozytom (Machens et al. 2005a). Dabei besteht ein enger Zusammenhang zwischen der experimentell in vitro gemessenen transformierenden Aktivität des RET-Genotyps bzw. des mutierten RET-Kodons (Ito et al. 1997; Iwashita et al. 1999) und dem in vivo beobachteten niedrigsten Erkrankungsalter (Phänotyp) der entsprechenden Genträger (Tab. 6.6): Das höchste und früheste Erkrankungsrisiko weisen Punktmutationen im Kodon 918 des
therapeutisch nutzbares Zeitfenster zwischen präneoplastischer C-Zellhyperplasie und medullärem (C-Zell-)Karzinom (. Tab. 6.6; Machens et al. 2003a,b; Machens u. Dralle 2006) sowie zwischen medullärem Schilddrüsenkarzinom ohne und mit Lymphknotenmetastasen (Machens et al. 2003a,b). Damit ist die Geschwindigkeit der Tumorprogression zum großen Teil genetisch determiniert. Bei Trägern von Punktmutationen im Kodon 634 vergehen im Mittel 6,6 Jahre bis zur Lymphknotenmetastasierung (Machens et al. 2003b). Von seltenen Ausnahmen abgesehen, bilden sich Lymphknotenmetastasen bei Trägern von Mutationen im Kodon 918 nicht vor dem 5. Lebensjahr, bei Trägern von Mutationen im Kodon 634 bzw. 630 nicht vor dem 10. bzw. 15. Lebensjahr, und bei allen anderen o. g. Genträgern nicht vor dem 20. Lebensjahr (Machens et al. 2003a,b, 2004, 2005b; Machens u. Dralle 2006). Allerdings liegen mitunter zusätzliche Keimbahnmutationen im RET-Protoonkogen oder somatische Mutationen im bislang intakten RET-Gen bzw. anderen Genen der Tumorzellen vor. Diese zusätzlichen Mutationen können zu einer beschleunigten Tumorprogression führen, deren Geschwindigkeit im Einzelfall nicht vorhersehbar ist (Machens et al. 2003a,b, 2005a,b, Machens u. Dralle 2006). Von der adrenomedullären Hyperplasie zum Phäochromozytom. Bei Genträgern von Keimbahnmutationen im RET-
Protoonkogen existiert eine vergleichbare Tumorprogression von der präneoplastischen adrenomedullären Hyperplasie (AMH) zum Phäochromozytom. Allerdings ist das Tempo der Tumorprogression zum Phäochromozytom (Zweitmanifestation) im Vergleich zum medullären Schilddrüsenkarzinom (Erstmanifestation) deutlich abgeschwächt (Tab. 6.6). So sind Phäochromozytome bei Genträgern vor dem 10. Lebensjahr extrem ungewöhnlich. Maligne Phäochromozytome werden beim MEN-2Syndrom in weniger als 5% der Fälle gefunden (Pacak et al. 2005). Von der diffusen zur nodulären Nebenschilddrüsenhyperplasie.
Ab dem 3. Lebensjahrzehnt (Eng et al. 1996) entwickeln sich, bei Genträgern von Punktmutationen im Kodon 634 schon ab dem 2. Lebensjahrzehnt (Schuffenecker et al. 1998), noduläre Nebenschilddrüsenhyperplasien, möglicherweise über eine diffuse Hyperplasie. Eine sichere histopathologische Abgrenzung zwischen
502
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
nodulärer Nebenschilddrüsenhyperplasie und Nebenschilddrüsenadenom ist am Operationspräparat nicht immer möglich. Das klinische Korrelat besteht in einem gegenüber dem MEN-1Syndrom vergleichsweise blanden primären Hyperparathyreoidismus (Brandi et al. 2001). Da dieser Hyperparathyreoidismus im Regelfall die Drittmanifestation des MEN-2a-Syndroms darstellt und insgesamt eher selten ist, existieren vergleichsweise wenig klinische Daten zur kodonspezifischen altersabhängigen Progression zum primären Hyperparathyreoidismus (. Tab. 6.5 und 6.6).
6
6.2.1.3 Diagnostik 6.2.1.3.1 Klinische Diagnostik Mit zunehmender Verbreitung der präsymptomatischen Gendiagnostik steigt der Anteil asymptomatischer Genträger (NonIndexpatienten). Dagegen ist die Zahl symptomatischer Genträger (Indexpatienten) mit dem klassischen Erscheinungsbild des medullären Schilddrüsenkarzinoms und Phäochromozytoms, wie in 7 Kap. 2.9.3.1 und 7 Kap. 4.4.3.1 beschrieben, rückläufig. Da das medulläre Schilddrüsenkarzinom im Allgemeinen die Erstmanifestation des MEN-2-Syndroms darstellt und zunehmend im Frühstadium festgestellt wird, sind synchrone, klinisch manifeste Phäochromozytome (7 Kap. 4.4.3.1) zunehmend die Ausnahme. Allerdings können bei einem Drittel der älteren Genträger mit Punktmutationen in den Kodons 918 und 634 des RET-Protoonkogens medulläre Schilddrüsenkarzinome und Phäochromozytome zeitgleich auftreten (Brandi et al. 2001). Beim MEN-2b-Syndrom ermöglichen die pathognomonischen Schleimhautneurome im Gesichts- und Augenbereich (Diagnose mittels Inspektion bzw. Spaltlampenuntersuchung), insbesondere in Verbindung mit chronischer Obstipation und paradoxer Diarrhö (intestinale Ganglioneuromatose), eine erste Verdachtsdiagnose. Eine intestinale Ganglioneuromatose fand sich bei 14 von 19 Genträgern (74%) einer Keimbahnmutation im Kodon 918 und war bei 4 Patienten (21%) so schwerwiegend, dass eine Operation notwendig wurde (Brauckhoff et al. 2004). Die Altersabhängkeit der Entwicklung vieler MEN-2btypischer Stigmata erschwert jedoch die Frühdiagnose: So wiesen innerhalb der ersten 6 Lebensjahre erst 5% der Genträger von Keimbahnmutationen im Kodon 918 Epiphysenlösungen des Hüftkopfs, 20% Lippenneurome, 40% wulstige Lippen, 50% verdickte Kornealnerven und Conjunctivitis sicca, 60% und mehr Neurome der Wangenschleimhaut, Zunge und Konjunktiven sowie Fußanomalien auf. Innerhalb der ersten 6 Lebensjahre bestand bei keinem einzigen Genträger der klassische marfanoide Habitus oder eine entsprechende Skoliose (Brauckhoff et al. 2004). 6.2.1.3.2 Gendiagnostik Bei scheinbar sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinomen und Phäochromozytomen liegen in 1–7% bzw. 5% der Fälle Keimbahnmutationen im RET-Protoonkogen vor (Brandi et al. 2001; Neumann et al. 2002). Aufgrund der Tragweite der Diagnose eines MEN-2-Syndrom und der Seltenheit beider Tumorentitäten sollte bei Patienten mit scheinbar sporadischen Tumoren baldmöglichst nach entsprechender humangenetischer Beratung und Einwilligung des Betroffenen bzw. seiner Erziehungsberechtigten ein DNA-Test auf Keimbahnmutationen in den Exonen 10, 11, 13, 14, 15 und 16 des RET-Protoonkogen vorgenommen werden. Der Gentest identifiziert Genträger von Mutationen in den o. g. Exons unabhängig vom Vorliegen MEN-2-assoziierter
neuroendokriner Hyperplasien und Tumoren (Lips et al. 1994; Wells et al. 1994). Deren Hormonsekretion ist eine notwendige Voraussetzung für ein positives biochemisches Testergebnis. Ca. 25–30% aller Patienten mit medullärem Schilddrüsenkarzinom und 5% aller an einem Phäochromozytom erkrankten Patienten besitzen Keimbahn-Punktmutationen im RET-Protoonkogen. Unbehandelt führten früher beide Tumoren durch Fernmetastasierung bzw. Blutdruckkrisen nicht selten zum Tode. Bei positivem Befund sollte der Gentest aufgrund seiner Tragweite (prophylaktische Thyreoidektomie) an einer zweiten Blutprobe wiederholt werden, um Bestimmungsfehler auszuschließen. Asymptomatische Familienangehörige sollten als potenzielle Non-Indexpatienten ebenfalls entsprechend beraten und genetisch getestet werden. Während Familienmitglieder mit negativem genetischen Testergebnis aus der Überwachung entlassen werden können, da sie kein erhöhtes Krankheitsrisiko gegenüber der Normalbevölkerung besitzen, bedürfen identifizierte Genträger einer lebenslangen Überwachung, um bei Auftreten neuer bzw. Rezidiven operierter medullärer Schilddrüsenkarzinome, Phäochromozytome bzw. Nebenschilddrüsenhyperplasien chirurgisch noch im asymptomatischen Stadium intervenieren zu können (Lips et al. 1994; Wells et al. 1994). 6.2.1.3.3 Screening Weitgehend verdrängt von der Gendiagnostik dient die biochemische Diagnostik nur noch im Ausnahmefall der präsymptomatischen Identifizierung von Genträgern (z. B. bei negativem Gentest, jedoch klinischem Verdacht auf MEN-2-Syndrom). Ziel des biochemischen Screenings ist heute in erster Linie die Früherkennung der mit dem MEN-2-Syndrom assoziierten neuroendokrinen Hyperplasien und Tumoren durch Nachweis erhöhter Hormonkonzentrationen im Serum und/oder Urin. Besondere Bedeutung besitzt der Ausschluss bzw. Nachweis von Phäochromozytomen vor Thyreoidektomie bzw. interventionellen Eingriffen (z. B. Chemoembolisation von Lebermetastasen eines medullären Schilddrüsenkarzinoms). Zur Vermeidung potenziell letaler hypertoner Krisen müssen Phäochromozytome zunächst medikamentös vorbehandelt und vor dem eigentlich geplanten Eingriff operativ entfernt werden (Machens et al. 2000a). C-Zellhyperplasie und medulläres Schilddrüsenkarzinom. Da
hyperplastische und neoplastische C-Zellen vermehrt Kalzitonin sezernieren, dessen Menge die C-Zelllast des Patienten widerspiegelt, ist eine biochemische Frühdiagnose durch Bestimmung des Serumkalzitonin möglich. Dies ist bei Genträgern von Punktmutationen im Kodon 634 wichtig, da einige von ihnen bis zum 5. Lebensjahr (dem empfohlenen Zeitpunkt der prophylaktischen Thyreoidektomie) medulläre Schilddrüsenkarzinome entwickeln (Machens et al. 2003b). Allerdings erlaubt im Einzelfall die Höhe des basalen oder stimulierten Serumkalzitonins ebensowenig eine zuverlässige Differenzialdiagnose zwischen C-Zellhyperplasie und medullärem Karzinom wie zwischen nodal-negativem und nodal-positivem medullärem Schilddrüsenkarzinom (Wells et al. 1994; Machens et al. 2005b). Das karzinoembyronale Antigen (CEA) ist deutlich weniger sensitiv als Kalzitonin, sodass sich erhöhte Serumspiegel in der Regel erst beim fortgeschrittenen medullären Schilddrüsenkarzinom finden und somit für die Frühdiagnostik ausscheiden. Die weitere präoperative Diagnostik des medullären Schilddrüsenkarzinoms ist in 7 Kap. 2.9.3.1 beschrieben. Da C-Zellen praktisch
503 6.2 · MEN-2-Syndrom
ausschließlich in der Schilddrüse vorkommen, eignet sich der Kalzitoninspiegel nach erfolgter Thyreoidektomie und Tumorentfernung auch als Tumormarker zur Rezidivfrüherkennung. Zur Erhöhung der Sensitivität wird die Sekretion von Kalzitonin mit Pentagastrin (0,5 µg/kg KG als iv-Bolus) stimuliert. Dieser Test sollte bei Genträgern mit normalem basalen Serumkalzitonin einmal jährlich erfolgen. Wird der obere Normwert des basalen Kalzitoninwerts nach Stimulation deutlich (z. B. zweifach) überschritten, gilt der Stimulationstest als pathologisch. Damit ist, von seltenen Ausnahmen abgesehen (Machens et al. 2000b), von Resttumor auszugehen. Bezüglich des weiteren Vorgehens bei persistierender Hyperkalzitoninämie sei auf 7 Kap. 2.9.3.4 verwiesen. Phäochromozytom. MEN-2-assoziierte Phäochromozytome
produzieren neben Noradrenalin im Gegensatz zu sporadischen und anderen hereditären Phäochromozytomen auch Adrenalin (Pacak et al. 2005). Beide Katecholamine werden oft in Schüben sezerniert, aber kontinuierlich zu Metanephrinen (Normetanephrin und Metanephrin) abgebaut, die im Plasma und Urin nachweisbar sind. Bei positivem biochemischen Nachweis haben Genträger oftmals schon Phäochromozytome entwickelt. Vor dem 10. Lebensjahr sind MEN-2-assoziierte Phäochromozytome äußerst selten (. Tab. 6.6). Unter Berücksichtigung des frühesten Erkrankungsalters (. Tab. 6.6) sollte das Phäochromozytom-Screening risikoadaptiert und damit kodonspezifisch erfolgen (Machens et al. 2005a): ab dem 10. Lebensjahr bei Genträgern von Mutationen der Kodons 918, 634 und 630, und ab dem 20. Lebensjahr bei Genträgern von Mutationen der Kodons 609, 611, 618, 620, 768, 790, 791, 804 und 891. Bezüglich der weiteren Diagnostik wird auf die detailierte Darstellung der Phäochromozytomdiagnostik in 7 Kap. 4.4.3.1 verwiesen. Primärer Hyperparathyreoidismus. Die Früherkennung des MEN-2a-assoziierten primären Hyperparathyreoidismus besteht wie beim sporadischen primären Hyperparathyreoidismus (7 Kap. 3.4.2) im Wesentlichen aus der Bestimmung von Serumkalzium und intaktem Parathormon. Bei Keimbahnmutationen im Kodon 634 ist die transformatorische In-vitro-Aktivität höher und klinisch ein Hyperparathyreoidismus signifikant häufiger als bei Keimbahnmutationen der Kodons 609, 611, 618 und 620 (. Tab. 6.5; Ito et al. 1997; Iwashita et al. 1999; Eng et al. 1996). Daher ist bei Genträgern von Punktmutationen im Kodon 634 ein jährliches Screening zu empfehlen, während bei Trägern der anderen MEN-2a-assoziierten Keimbahnmutationen 2- bis 3-jährige Screeningintervalle vertretbar erscheinen (Brandi et al. 2001).
Literatur Brandi ML, Gagel RF, Angeli A et al. (2001) Consensus guidelines for diagnosis and therapy of MEN type 1 and type 2. J Clin Endocrinol Metab 86:5658–5671 Brauckhoff M, Gimm O, Weiss CL et al. (2004) Multiple endocrine neoplasia 2B syndrome due to codon 918 mutation: clinical manifestation and course in early and late onset disease. World J Surg 28:1305– 1311 Donis-Keller H, Dou S, Chi D et al. (1993) Mutations of the RET proto-oncogene are associated with MEN 2a and FMTC. Hum Mol Genet 2:851– 856 Eng C (1996) The RET proto-oncogene in multiple endocrine neoplasia type 2 and Hirschsprung’s disease. N Engl J Med 335:943–951
6
Eng C, Clayton D, Schuffenecker I et al. (1996) The relationship between specific RET proto-oncogene mutations and disease phenotype in multiple endocrine neoplasia type 2. J Am Med Assoc 276:1575– 1579 Ito S, Iwashita T, Asai N, Murakami H, Iwata Y, Sobue G, Takahashi M (1997) Biological properties of RET with cysteine mutations correlate with multiple endocrine neoplasia type 2A, familial medullary thyroid carcinoma, and Hirschsprung’s disease phenotype. Cancer Res 57:2870– 2872 Iwashita T, Kato M, Murakami H et al. (1999) Biological and biochemical properties of Ret with kinase domain mutations identified in multiple endocrine neoplasia type 2B and familial medullary thyroid carcinoma. Oncogene 18:3919–3922 Jain S, Watson MA, DeBenedetti MK, Hiraki Y, Moley JF, Milbrandt J (2004) Expression profiles provide insights into early malignant potential and skeletal abnormalities in multiple endocrine neoplasia type 2B syndrome tumors. Cancer Res 64:3907–3913 Lips CJM, Landsvater RM, Höppener JWM et al. (1994) Clinical screening as compared with DNA analysis in families with multiple endocrine neoplasia type 2A. N Engl J Med 331:828–835 Machens A, Dralle H (2006) DNA-based window of opportunity for curative pre-emptive therapy of hereditary medullary thyroid cancer. Surgery 139:279–282 Machens A, Behrmann C, Dralle H (2000a) Chemoembolization of liver metastases from medullary thyroid carcinoma. Ann Intern Med 132:596–597 Machens A, Haedecke J, Holzhausen HJ, Thomusch O, Schneyer U, Dralle H (2000b) Differential diagnosis of calcitonin-secreting neuroendocrine carcinoma of the foregut by pentagastrin stimulation. Langenbecks Arch Surg 385:398–401 Machens A, Holzhausen HJ, Thanh PN, Dralle H (2003a) Malignant progression from C-cell hyperplasia to medullary thyroid carcinoma in 167 carriers of RET germline mutations. Surgery 134:425–431 Machens A, Niccoli-Sire-P, Högel J et al., for the European Multiple Endocrine Neoplasia (EUROMEN) Study Group (2003b) Early malignant progression of hereditary medullary thyroid cancer. N Engl J Med 349:1517–1525 Machens A, Schneyer U, Holzhausen HJ, Raue F, Dralle H (2004) Emergence of medullary thyroid carcinoma in a family with the Cys630Arg RET germline mutation. Surgery 136:1083–1087 Machens A, Brauckhoff M, Holzhausen HJ, Thanh PN, Lehnert H, Dralle H (2005a) Codon-specific development of pheochromocytoma in multiple endocrine neoplasia type 2. J Clin Endocrinol Metab 90:3999– 4003 Machens A, Ukkat J, Brauckhoff M, Gimm O, Dralle H (2005b) Advances in the management of hereditary medullary thyroid cancer. J Intern Med 257:50–59 Mulligan LM, Kwok JB, Healey CS et al. (1993) Germline mutations of the RET proto-oncogene in multiple endocrine neoplasia type 2A. Nature 363:458–460 Neumann HP, Bausch B, McWhinney SR et al. (2002) Germ-line mutations in nonsyndromic pheochromocytoma. N Engl J Med 346:1459– 1466 Pacak K, Ilias I, Adams KT, Eisenhofer G (2005) Biochemical diagnosis, localization and management of pheochromocytoma: focus on multiple endocrine neoplasia type 2 in relation to other hereditary syndromes and sporadic forms of the tumour. J Intern Med 257:60–68 Russo A, Zanna I, Tubiolo C et al. (2000) Hereditary common cancers: molecular and clinical genetics. Anticancer Res 20:4841–4851 Schuffenecker I, Virally-Monod M, Brohet R et al. (1998) Risk and penetrance of primary hyperparathyroidism in multiple endocrine neoplasia type 2A families with mutations at codon 634 of the RET protooncogene. J Clin Endocrinol Metab 83:487–491 Wells SA, Chi DD, Toshima K et al. (1994) Predictive DNA testing and prophylactic thyroidectomy in patients at risk for multiple endocrine neoplasia type 2A. Ann Surg 220:237–250
504
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
6.2.2 Molekulargenetik und molekulargenetische
Diagnostik W. Höppner ) )
6
Die multiple endokrine Neoplasie Typ 2 (MEN 2) war die erste identifizierte hereditäre Krebserkrankung, bei der in der Keimbahn aktivierende Mutationen in einem Protoonkogen vorkommen. Das Gen, das die MEN 2 auslöst, ist das RET-Protoonkogen, ein membranständiger Tyrosinkinaserezeptor, der durch neurotrophe Peptide aktiviert wird. Die MEN-2-auslösenden Mutationen beschränken sich auf wenige, genau charakterisierte Bereiche des RET-Protoonkogens. Bei nahezu allen klinisch gesicherten Fällen von MEN 2 oder familiären medullären Schilddrüsenkarzinomen (FMTC) liegt eine Mutation im RET-Protoonkogen vor. Für MEN-2-Familien steht mit der molekulargenetischen Diagnostik ein Verfahren mit nahezu 100%-iger Sensitivität und Spezifität zur Verfügung, um präsymptomatische Genträger von nicht betroffenen Familienmitgliedern zu unterscheiden. Dieses liefert die zuverlässige Grundlage für die Entscheidung für eine prophylaktische Thyreoidektomie. Auch bei anscheinend sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinomen hat sich die Mutationsanalyse im RET-Protoonkogen als nützlich erwiesen. In bis zu 11% der Fälle wird eine Mutation gefunden und damit eine hereditäre Form der Erkrankung erkannt. Von diesem Ergebnis profitieren v. a. die Nachkommen, bei denen nun eine Genträgerschaft überprüft und gegebenenfalls eine prophylaktische Thyreoidektomie empfohlen werden kann.
. Abb. 6.5. Mutationen im RET-Protoonkogen: Das RET-Protoonkogen ist aus 21 verschieden großen Exons aufgebaut. MEN-2-auslösende Mutationen werden in den Exons 10, 11, 13, 14, 15 und 16 gefunden. Es handelt sich in der Regel um Missense-Mutationen, die zum Amino-
6.2.2.1 Molekulargenetik Die Häufigkeit der MEN-2-Erkrankung wird in der Literatur mit 1:35.000 angegeben. Männer und Frauen erkranken gleich häufig. Geographische und ethnische Präferenzen sind nicht beschrieben. Die multiple endokrine Neoplasie Typ 2 und die familiären medullären Schilddrüsenkarzinome stellen die erste bekannte erbliche Erkrankung dar, die durch aktivierende Mutationen in einem Protoonkogen ausgelöst wird. 1993 berichteten Mulligan et al. und Donis-Keller et al., dass heterozygote Keimbahnmutationen im RET-Protoonkogen für die MEN-2-Erkrankung verantwortlich sind. Das Gen für das RET-Protein ist auf dem Chromosom 10 lokalisiert. Es besteht aus 21 Exons, aus denen eine mRNA von 4 kb und ein Protein von ca. 120 kDa gebildet wird (. Abb. 6.5). Durch alternatives Spleißen entstehen 2 unterschiedliche Isoformen, die sich in der Größe unterscheiden. Das RET-Protein gehört zu der Familie der membranständigen Tyrosinkinaserezeptoren. Der Aufbau entspricht dem verwandter Rezeptoren, wie etwa dem Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF-Rezeptor). Es besteht aus einem extrazellulären Teil, der die Ligandenbindungsdomäne und die zysteinreiche Domäne enthält, der transmembranösen Domäne sowie der intrazellulären Domäne, mit der Tyrosinkinaseaktivität und den Autophosphorylierungsstellen (. Abb. 6.5). Als physiologische Liganden des Rezeptors wurden die neurotrophen Peptide GDNF (»glial-cell-line derived neurotrophic factor«; Trupp et al. 1996), NRTN (Neurturin; Kotzbauer et al. 1996), ARTN (Artemin; Baloh et al. L998) und PSPN (Persephin; Milbrandt et al. 1998) identifiziert.
säureaustausch führen. Das Protein besteht aus der Ligandenbindungsdomäne (LBD), der Transmembrandomäne (TM) sowie den Tyrosinkinasedomänen (TK1 und TK2)
6
505 6.2 · MEN-2-Syndrom
Das RET-Protein bildet in Gegenwart der Liganden einen Komplex mit jeweils einem weiteren ligandenspezifischen Korezeptor (GFRα). In diesem Komplex liegen sowohl das RETProtein als auch der Korezeptor 2-fach vor. Diese für Tyrosinkinaserezeptoren typische Dimerisierung ist u. a. Voraussetzung für die Übertragung des intrazellulären Signals. Bei diesem Aktivierungsmechanismus sind Zysteinreste der extrazellulären zysteinreichen Domäne beteiligt. Das RET-Protein ist wichtig für die Proliferation, Migration, Differenzierung und für das Überleben von Zelllinien, die von der Neuralleiste ausgehen. Inaktivierende Mutationen können praktisch in allen Exons des RET-Protoonkogens vorkommen und führen zur Hirschsprung-Krankheit (Megacolon congenitum, Aganglionose; van Heyningen et al. 1994). Aktivierende Mutationen lösen die hereditären Tumoren der MEN-2-Erkrankung aus. Auch bei einigen MEN-2-auslösenden Mutationen tritt die Hirschsprung-Krankheit als Begleiterscheinung auf. Eine befriedigende Erklärung über den Pathomechanismus dieses Phänomens gibt es bisher nicht. Der Pathomechanismus der MEN 2a beruht in 85% der MEN-2-Familien auf einer Mutation eines von 5 Zysteinresten in eine andere Aminosäure. Dieses mutierte Protein dimerisiert auch ohne Stimulation durch den Liganden, sodass der dimere Komplex entsteht und der Rezeptor somit ständig aktiviert ist. Die Mutation bewirkt also (im Unterschied zu Mutationen in Tumorsuppressorgenen) eine dauernde Aktivierung (»gain of function«) des RET-Proteins (Santoro et al. 1995; Ito et al. 1997). Bei knapp 10% der MEN-2a- und FMTC-Familien liegen Mutationen in Nicht-Zysteinresten vor, meist in der intrazellulären Tyrosinkinase-I-Domäne. Sie führen ebenfalls zu einer Aktivierung. Der genaue Mechanismus ist jedoch noch unbekannt. Der Austausch der Aminosäuren Leucin 790 oder Tyrosin 791 gegen Phenylalanin in Exon 13 sind die häufigsten NichtZystein-Mutationen (Berndt et al. 1998). Die MEN 2b beruht in 95% der Fälle auf einer Mutation in der intrazellulären TK2-Domäne des RET-Proteins, die für die Erkennung der Substrate verantwortlich ist, auf die das Signal übertragen wird. Die Aminosäure Methionin in Position 918 wird in Threonin (Met 918 Thr) umgewandelt (. Tab. 6.7; Hofstra et al. 1994). Der Pathomechanismus beruht auf einer Phosphorylierung falscher intrazellullärer Substrate nach Aktivierung des Rezeptors und damit auf der Erzeugung eines falschen Signals in der Zelle. Kürzlich wurden weitere Mutationen beschrieben (Ala 883 Phe, Exon 15, Smith 1997; Gimm et al. 1997; Ser 904 Cys, Menko et al. 2002; Ser 922 Tyr, Kitamura et al. 1995), die wahrscheinlich bei den restlichen 5% der MEN-2b-Patienten vorkommen. Der genaue Pathomechanismus ist für diese Mutationen noch nicht aufgeklärt. Die Mutationen im RET-Protoonkogen liegen in der Regel heterozygot vor. Die Erkrankung wird dominant vererbt. Es reicht also eine defekte Genkopie aus, um die Erkrankung zum Ausbruch kommen zu lassen. Die Häufigkeitsverteilung der wichtigsten Mutationen im RET-Protoonkogen ist in . Tab. 6.7 dargestellt (Frank-Raue et al. 1996; Eng et al. 1996). Bei einem Vergleich der Mutationen untereinander konnte durch In-vitro-Experimente gezeigt werden, dass das Ausmaß der Aktivierung am stärksten ist, wenn ein bestimmter Zysteinrest (Zystein 634) mutiert ist. Dies könnte erklären, warum die Mutationen des Zystein 634 signifikant häufiger mit den assoziierten Erkrankungen (Hyperparathyreoidismus und Phäochro-
. Tab. 6.7. Verteilung der häufigsten Mutationen im RET-Protoonkogen und korrelierter Phänotyp bei deutschen MEN-2-Familien
Exon
Kodon
Aminosäurenaustausch
Phänotyp
Häufigkeit
10
609
Cys o Xa
MEN 2a, FMTC
610
Cyso X
MEN 2a, FMTC
609–620 insgesamt 23%
618
Cys o X
MEN 2a, FMTC
620
Cys o X
MEN 2a, FMTC
11
634
Cys o X
MEN 2a
66%
13
768
Gln o Asp
FMTC
<1%
790
Leu o Phe
MEN 2a, FMTC
791
Tyr o Phe
MEN 2a, FMTC
790 + 791 insgesamt 8%
804
Val o Leu Val o Met
FMTC
<1%
14
844
Arg o Leu
FMTC
<1%
15
883
Ala o Phe
MEN 2b
5%
16
918
Met o Thr
MEN 2b
95%
a
X steht für die Umwandlung des Zysteins in eine beliebige andere Aminosäure
mozytom) vorkommen, während Familien mit Mutationen in den übrigen Zysteinresten häufig nur von einem medullären Schilddrüsenkarzinom betroffen sind (FMTC-Familien). Es wäre demnach plausibel, dass das klinische Bild, möglicherweise auch der klinische Verlauf, vom Ausmaß der Aktivierung des RETProteins und damit von der Art der Mutation abhängig ist. Diese Erkenntnisse zur Genotyp-Phänotyp-Korrelation haben aber bisher nur geringe klinische Bedeutung, da es immer wieder Familien mit Mutationen in Kodons anderer Aminosäuren als dem Zystein 634 gibt, die dennoch assoziierte Erkrankungen oder schwere Verläufe zeigen. 6.2.2.2 Molekulare Diagnostik Der Nachweis der Mutationen im RET-Protoonkogen wird aus genomischer DNA durchgeführt, die aus Leukozyten, also kernhaltigen Blutzellen, gewonnen wird. Wie bereits dargestellt, befindet sich in nahezu 99% aller Fälle von MEN 2a/FMTC die Mutation in Exon 10, 11, 13, 14 oder 15. Bei der MEN 2b ist Kodon 918 in Exon 16 die häufigste bekannte Mutation, die in mehr als 95% der Fälle vorliegt. Die übrigen Fälle sind wahrscheinlich auf die Mutationen in Exon 15, Kodon 883 (Smith et al. 1997; Gimm et al. 1997) und 904 (Menko et al. 2002) sowie Exon 16, Kodon 922 (Kitamura et al. 1995) zurückzuführen. Aus genomischer DNA werden durch die Polymerasekettenreaktion zunächst die zu untersuchenden Exons vervielfältigt (amplifiziert) und anschließend durch eine direkte DNA-Sequenzierung der Basenaustausch identifiziert. Die Indikation für eine molekulare Diagnostik des RETProtoonkogens ist immer gegeben, wenn ein medulläres Schild-
506
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
a
6
b . Abb. 6.6. a Die Diagnose eines medullären Schilddrüsenkarzinoms oder eines Phäochromozytoms gilt als Indikation für eine molekulare Diagnostik der MEN-2- und FMTC-auslösenden Mutationen des RETProtoonkogens. b Verwandten von MEN-2- oder FMTC-Patienten ist nach humangenetischer Beratung eine molekulare Diagnostik für die in der Familie bekannte Mutation anzubieten. Ist die Mutation beim Indexpatienten nicht bekannt, wäre es sinnvoll, diese zunächst zu ermitteln.
Gelingt dieses nicht, so ist bei dem Ratsuchenden eine Sequenzierung der Exons 10, 11, 13, 14 und 15 des RET-Protoonkogens durchzuführen. Wird bei dem Familienmitglied das Vorliegen der in der Familie bekannten Mutation festgestellt, so ist eine prophylaktische Thyreoidektomie in Betracht zu ziehen. Ein jährliches Screening mit biochemischen Verfahren auf die weiteren MEN-2-Manifestationen ist regelmäßig erforderlich
drüsenkarzinom diagnostiziert wird. Insgesamt sind 30% der medullären Schilddrüsenkarzinome mit einer Keimbahnmutation im RET-Gen assoziiert. Bei etwa 10% der MEN-2-Patienten sind Phäochromozytome die Erstmanifestation dieses Krankheitsbildes. Daher sollte auch in diesen Fällen eine RET-Mutation ausgeschlossen werden (. Abb. 6.6). Ist bei diesem Vorgehen keine Mutation nachweisbar gewesen, kann mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 99% davon ausgegangen werden, dass ein medulläres Schilddrüsenkarzinom oder ein Phäochromozytom sporadisch bedingt ist. Beim Vorliegen eines Phäochromozytoms sollten allerdings auch eine Von-HippelLindau-Erkrankung oder Mutationen in den Genen der Untereinheiten der Succinatdehydrogenase (SDHB, SDHC und SDHD), die zu erblichen Phäochromozytomen oder Paragangliomen führen können, molekulargenetisch ausgeschlossen werden. Als weitere Indikation ist das Vorliegen einer HirschsprungErkrankung zu nennen. Bei mehr als 50% der HirschsprungPatienten werden inaktivierende Mutationen im RET-Protoonkogen gefunden. Einige Mutationen in Exon 10, Kodon 609, führen zur Hirschsprungerkrankung und zu einer genetisch Disposition für medulläre Schilddrüsenkarzinome. Diese Mutationen führen zwar zur Aktivierung des RET-Protoonkogens, der Transport zur Plasmamembran ist aber beeinträchtigt, sodass in einigen Geweben die Aktivierung überwiegt (→ medulläres Schilddrüsenkarzinom), in anderen Geweben aber eine verminderte Aktivität in der Plasmamembran ausschlaggebend ist (→ Morbus Hischsprung). Ist in einer Familie bei einem oder mehreren Mitgliedern bereits die Mutation im RET-Protoonkogen bekannt, reicht es aus, nur das Vorliegen dieser Mutation zu überprüfen (. Abb. 6.6).
Wenn die Indikation für die molekulargenetische Untersuchung im Verdacht auf MEN 2b besteht, werden nur die Exons 15 und 16 auf die Mutation in Kodon 883, 904, 918 und 922 routinemäßig untersucht. In ca. 40–60% der Fälle (nach eigenen Beobachtungen sogar erheblich mehr), sind die Mutationen, die zur MEN 2b führen, Neumutationen. Sie sind also erst während der Reifung der Keimzellen eines Elternteils (meist des Vaters) entstanden und so auf die Keimbahn des Kindes übertragen worden. Da die Patienten häufig versterben, oder zumindest bereits schwer erkranken, bevor sie das reproduktionsfähige Alter erreichen, findet eine Vererbung selten statt. Auch wenn in den Händen eines erfahrenen Labors der molekularbiologische Nachweis bekannter Mutation im RETProtoonkogen in einer MEN-2-Familie methodisch als sehr sicher gilt, sind Fehler in allen Schritten der Probenbearbeitung nie ganz auszuschließen. Die Konsequenzen aus dem Ergebnis der molekulargenetischen Analyse sind recht schwerwiegend: prophylaktische Thyreoidektomie mit lebenslanger Thyroxinsubstitution bei positivem Befund oder keine weitere Überwachung bei negativem Befund. Daher hat das internationale MEN-Consortium empfohlen, bei allen präsymptomatischen Genträgern eine Bestätigung des Ergebnisses aus einer zweiten unabhängig abgenommenen Blutprobe durchzuführen. Aber auch alle Mitglieder einer MEN-2-Familie, bei denen das Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung negativ war, sollen aus einer zweiten Blutprobe überprüft werden. Ein falsch-negatives Ergebnis, durch das die weitere Überwachung des Patienten abgesetzt wurde, kann später zu einem unerwarteten, möglicherweise bereits metastasiertem C-Zellkarzinom führen.
507 6.2 · MEN-2-Syndrom
Gelegentlich kommt es vor, dass ein Indexpatient bereits verstorben ist, und die Familie die Frage beantwortet haben möchte, ob es sich um eine erbliche Form des Tumors gehandelt hat. Es ist grundsätzlich vorzuziehen, die molekulargenetische Familienuntersuchung mit einem klinisch sicher betroffenen Mitglied zu beginnen, da dort eine Mutation im RET-Protoonkogen vorliegen muss – und in der Regel auch gefunden wird. Bei nicht mehr lebenden Tumorpatienten ist meist Tumorgewebe oder sogar Normalgewebe als Paraffinblock oder als Schnittpräparat auf Objektträger verfügbar. Dieses reicht in der Regel aus, um DNA für eine Mutationsanalyse zu gewinnen. Allerdings muss bei der Verwendung von DNA aus Tumormaterial berücksichtigt werden, dass es sich um eine somatische Mutation handeln könnte. Beim Nachweis einer Mutation aus Tumor- oder Normalgewebe müssen Familienmitglieder dann nur noch auf diese Mutation untersucht werden. Ist es nicht möglich, von einem Indexpatienten über die molekulare Diagnostik die Mutation zu identifizieren, muss bei allen Familienmitgliedern, an die nach den Erbregeln eine evtl. vorhandene Mutation vererbt worden sein könnte, eine komplette Analyse der Exons 10, 11, 13, 14 und 15 durchgeführt werden. Auch für Patienten mit scheinbar sporadischem medullärem Schilddrüsenkarzinom, also bei negativer Familienanamnese, ist eine molekularbiologische Diagnostik des RETProtoonkogens sinnvoll. In 11,6% der anscheinend sporadischen Fälle findet man eine Mutation im RET-Protoonkogen (Berndt et al. 1998). Die Untersuchung des Tumorgewebes auf eine somatische Mutation im RET-Protoonkogens stellt einen Prognoseparameter für den Krankheitsverlauf dar. In etwa der Hälfte der C-Zellkarzinome liegt die Mutation in Exon 16, Kodon 918 als somatische Mutation vor. Diese Mutation, die als Keimbahnmutation die MEN-2b-Erkrankung auslöst, wird häufiger in C-Zellkarzinomen gefunden, die metastasiert sind und zu einem besonders aggressiven Verlauf der Erkrankung geführt haben (Schilling et al. 2001). Gelegentlich werden auch andere Mutationen im RET-Protoonkogen somatisch nachgewiesen (Exon 11, Kodon 630; Exon 13, Kodon 768) (Komminoth 1997). Auch kleinere Deletionen oder Duplikationen, die z. T. mehrere Kodons betreffen, kommen in den Exons 10, 11 oder 15 als somatische Mutationen vor. Zur prognostischen Bedeutung dieser Mutationen kann keine Aussage gemacht werden, da sie bisher zu selten gefunden wurden. Literatur Baloh RH, Tansey MG, Lampe et al. (1998) Artemin, a novel member of the GDNF ligand family, supports peripheral and central neurons and signals through the GFR-alpha-3-RET receptor complex. Neuron 21:1291–1302 Berndt I, Reuter M, Saller B et al. (1998) A new hot spot for mutations in the RET proto-oncogene causing familial medullary thyroid carcinoma and multiple endocrine neoplasia type 2A. J Clin Endocrinol Metab 83:770–774 Donis-Keller H, Dou S, Chi D et al. (1993) Mutations in the RET protooncogene are associated with MEN 2a and FMTC. Hum Mol Genet 2:851–856 Eng C, Smith DP, Mulligan LM et al. (1996)The relationship between specific RET proto-oncogene mutations and disease phenotype in multiple endocrine neoplasia type 2. JAMA 276:1575–1579 Frank-Raue K, Höppner W, Frilling A et al. (1996) Mutations of the ret protooncogene in German multiple endocrine neoplasia families: Relation between genotype and phenotype. J Clin Endocrinol Metabol 81:1780–1783
6
Gimm O, Marsh DJ, Andrew SD et al. (1997) Germline dinucleotide mutation in codon 883 of the RET proto-oncogene in multiple endocrine neoplasia type 2b without codon 918 mutation, J Clin Endocrinol Metab 82:3902–3904 Hofstra RMW, Landsvater RM, Ceccherini I et al. (1994) A mutation in the RET proto-oncogene associated with endocrine neoplasia type 2b and sporadic thyroid carcinoma. Nature 367:375–376 Ito S, Iwashita T, Asai N, Mukarami H, Iwata Y, Sobue G, Takahashi M (1997) Biological properties of RET with cysteine mutations correlate with multiple endocrine neoplasia type 2a, familial medullary thyroid carcinoma and Hirschsprung’s disease phenotype. Cancer Research 57:2870–2872 Kitamura Y, Scavarda N, Wells SA Jr et al. (1995) Two maternally derived missense mutations in the tyrosine kinase domain of the RET protooncogene in a patient with de novo MEN 2B. Hum Mol Genet 4:1987–1988 Komminnoth P (1997) The RET proto-oncogene in medullary and papillary thyroid carcinoma. Molecular features, pathophysiology and clincal implications. Virchows Arch 431:1–9 Kotzbauer PT, Lampe PA, Heuckeroth RO (1996) Neurturin, a relative of glial-cell-line-derived neurotrophic factor. Nature 384:467–470 Menko FH, van der Luijt RB, de Valk IA et al. (2002) Atypical MEN type 2B associated with two germline RET mutations on the same allele not involving codon 918. J Clin Endocrinol Metab 87:393–397 Milbrandt J, de Sauvage FJ, Fahrner et al. (1998) Persephin, a novel neurotrophic factor related to GDNF and neurturin. Neuron 20:245–253 Mulligan LM, Kwok JB, Healey CS (1993) Germ-line mutations of the RET proto-oncogene in multiple endocrine neoplasia type 2a. Nature 363:458–460 Santoro M, Carlomagno F, Romano A et al. (1995) Activation of RET as a dominant transforming gene by germ mutations of MEN 2a and MEN 2b. Science 267:381–383 Schilling T, Burck J, Sinn HP, Clemens A (2001) Prognostic value of codon 918 (ATGoACG) RET proto-oncogene mutations in sporadic medullary thyroid carcinoma. Int J Cancer 95:62–66 Smith DP, Houghton C, Ponder BA (1997) Germline mutation of RET codon 883 in two cases of de novo MEN 2b. Oncogene 15:1213–1217 Trupp M, Arena E, Fainzilber M et al. (1996) Functional receptor for GDNF encoded by the c-ret proto-oncogene. Nature 381:785–789 van Heyningen V (1994) One gen – four syndromes. Nature 367:319–320
6.2.3 Operative Therapie
H. Dralle, O. Gimm, A. Machens ) ) Die molekulargenetische Diagnostik des MEN-2-Syndroms hat die operative Therapie vor allem des Schrittmachers der Erkrankung, des medullären Schilddrüsenkarzinoms (MTC), entscheidend verbessert. Während vor 1993, dem Zeitpunkt der Erstpublikation der krankheitsverursachenden Mutationen im RETProtoonkogen (Mulligan et al. 1993; Donnis-Keller et al. 1993), nicht nur Indexpatienten, sondern auch Genträger in bekannten Familien selten im Frühstadium der Erkrankung zur Operation kamen (Wells et al. 1978), können heute zumindest in den Ländern, in denen die molekulargenetische Diagnostik ein Routineverfahren geworden ist, Genträger überwiegend im asymptomatischen, nodal-negativen Frühstadium »prophylaktisch« thyreoidektomiert werden (Wells et al. 1994; Lips et al. 1994; Dralle et al. 1998; Niccoli-Sire et al. 1999; Machens et al. 2003). Mit Ausnahme des hereditären sog. »MTC-only« entwickelt sich bei etwa der Hälfte der Patienten ein meist multifokales 6
508
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
Phäochromozytom und bei einem Viertel der Patienten ein primärer Hyperparathyreoidismus. Beide Organmanifestationen treten zu ca. 80–90% nach der Manifestation des MTC auf. Bei ihnen wird im Gegensatz zum hereditären MTC heute möglichst ein organerhaltendes operatives Vorgehen gewählt.
6
6.2.3.1 C-Zellhyperplasieund medulläres Schilddrüsenkarzinom Nach gegenwärtiger Vorstellung durchläuft die Entwicklung des hereditären medullären Schilddrüsenkarzinoms (MTC) als Folge einer Mutation im RET-Protoonkogen (Kikumori et al. 2001) eine schrittweise Entwicklung von der diffusen C-Zellhyperplasie (CCH) über eine noduläre C-Zellhyperplasie zum C-Zellkarzinom (medulläres Karzinom; . Abb. 6.6; De Lellis et al. 1977). Wenn bei einer C-Zellläsion die follikuläre Basalmembran durchbrochen ist, muss die Diagnose eines C-Zellkarzinoms gestellt werden. Für das Verständnis der lokalen Wachstumscharakteristika des medullären Karzinoms ist die Tatsache von Bedeutung, dass C-Zellen bevorzugt im dorsalen Anteil der mittleren und oberen Schilddrüsenseitenlappen vorkommen, während im äußersten oberen und unteren Polbereich sowie im Schilddrüsenisthmus C-Zellen meist nicht gefunden werden (Gmünder-Lehner et al. 1983; Wolfe et al. 1974). Lokal fortgeschrittenes Tumorwachstum führt daher typischerweise frühzeitig zu einer Invasion der laterodorsalen Trachea und des Ösophagus (Machens et al. 2005b). Lymphknotenstatus. Mit Einschränkung der Tatsache, dass
selbst nodal-negative medulläre Karzinome trotz radikaler Therapie in nur ca. 40% der Fälle biochemisch geheilt werden können (Machens et al. 2005), ist der Lymphknotenstatus beim MTC sowohl für das Überleben als auch das lokoregionäre Rezidivrisiko von ausschlaggebender Bedeutung (Woolner et al. 1968). Wenn man die kodonspezifischen Unterschiede in der Tumorbiologie des hereditären MTC nicht berücksichtigt, besteht aufgrund neuerer multivariater Analysen hinsichtlich der wesentlichen klinischen Prognosefaktoren (Lymphknotenstatus,
a
b
. Abb. 6.7a–c. Unterschiedliche Entwicklungsstadien des bilateralen hereditären medullären Schilddrüsenkarzinoms. a Intrathyreoidale
extrathyreoidales Wachstum, Fernmetastasen) kein Unterschied zwischen hereditären und sporadischen medullären Karzinomen (Machens et al. 2005a). Dies bedeutet, dass auch beim hereditären MTC das Vorkommen eines oder mehrerer der genannten Risikofaktoren ausschlaggebend für das individuelle Therapiekonzept ist (7 Kap. 2.9.3.4, . Abb. 2.63). Aufgrund der präoperativen Kalzitoninspiegel ist bereits eine erste Risikoabschätzung für die Chance einer postoperativen biochemischen Heilung möglich: Beim nodal-negativen MTC ist die Wahrscheinlichkeit einer biochemischen Heilung niedriger als 50%, wenn die präoperativen Kalzitoninspiegel höher als 300 pg/ml sind und der Primärtumor 10 mm überschreitet. Bei nodal-positivem MTC ist eine biochemische Heilung bei präoperativen Kalzitoninspiegeln über 3000 pg/ml und einer Primärtumorgröße über 40 mm nicht mehr zu erwarten. Insgesamt werden nur 20% der MTC-Patienten biochemisch geheilt, 60% bei nodal-negativem und 10% bei nodal-positivem Status. Dies bedeutet, dass ca. 40% der Patienten ohne Lymphknotenmetastasen bereits Fernmetastasen aufweisen. Bei extrathyreoidaler Tumorinfiltration ist das Risiko einer zervikoviszeralen Invasion 22-fach, das Risiko von Fernmetastasen 16-fach und das Risiko mediastinaler Lymphknotenmetastasen 5-fach erhöht. Bei extrathyreoidaler Infiltration bestehen fast immer Lymphknotenmetastasen. Verfahrensauswahl. Für das operative Konzept beim hereditärem medullärem Karzinom ist von wesentlicher Bedeutung, dass bereits bei Tumoren unter 10 mm im Durchmesser Lymphknotenmetastasen im zentralen Kompartiment in 27% der Fälle vorliegen (ipsilateral zervikolateral 24%, kontralateral zervikolateral 24%, mediastinal Null), bei Tumoren über 10 mm ist Lymphknotenbefall der genannten Kompartimente deutlich höher (63%, 52%, 25%, 25%; Machens et al. 2002). Bei Nachweis von Lymphknotenmetastasen ist somit beim medullären Karzinom unabhängig davon, ob es sich um ein sporadisches oder hereditäres Karzinom handelt, stets die Indikation zur zervikalen Dreikompartment-Lymphadenektomie (zentral und bilaterallateral) gegeben.
c
Mikrokarzinome (<1 cm); b intrathyreoidale Karzinome, links >1 cm; c extrathyreoidales Karzinom rechts, intrathyreoidales Karzinom links
6
509 6.2 · MEN-2-Syndrom
Stimuliertes Kalzitonin
erhöht
normal
Risikogruppe (Kodon-Mutation)
jede
hoch (883, 918, 922)
mittleres Risiko (609, 611, 618, 620, 630, 634)
niedrig (768, 790, 791, 804, 891)
Thyreoidektomie (Alter, Jahr)
sofort
<1
6
5–10 (<20)
Zentrale Lymphknotendissektion
gleichzeitig
Bilaterale Lymphknotendissektion
Tumor >10 mm oder nodal positiv
. Abb. 6.8. Operatives Konzept bei Genträgern eines hereditären MTC (Universität Halle Algorithmus). (Dralle et al. 2005)
Kinder mit Mutation im RET-Protoonkogen. Das chirurgische Konzept bei Kindern mit positivem Genträgerstatus, d. h. einer nachgewiesenen Mutation im RET-Protoonkogen, wurde in den letzten Jahren durch den Nachweis von Genotyp-PhänotypKorrelationen (Machens et al. 2001; Machens et al. 2003; Brandi et al. 2001) entscheidend weiterentwickelt. Entsprechend der jeweiligen kodonspezifischen Mutation im RET-Protoonkogen können heute unterschiedliche Risikogruppen definiert werden, anhand derer in Verbindung mit dem Ergebnis des Pentagastrintests eine stratifizierte Empfehlung zum Zeitpunkt und Ausmaß der prophylaktischen Thyreoidektomie gegeben wird (. Abb. 6.8; Dralle et al. 2005; Machens et al. 2005b). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die sog. »Late-onset«-Formen des hereditären MTC, seltene Mutationen wie z. B. die des Kodon 790 und 791 (Gimm et al. 2002), hinsichtlich des empfohlenen Alters der prophylaktischen Thyreoidektomie und ihres Ausmaßes mit Einschränkung zu bewerten sind, da sich die bislang vorliegenden Daten auf begrenzte Erfahrungen stützen. Besonders problematisch sind die Therapieergebnisse bei der aggressivsten Form des hereditären MTC, der MEN-2b-Erkrankung, da es sich fast immer um Primärmutationen handelt, d. h. keine Familienmitglieder der Vorgeneration betroffen sind, sodass die Kinder trotz des erkrankungstypischen Phänotypus in den meisten Fällen erst dann diagnostiziert werden, wenn bereits Lymphknoten- bzw. Fernmetastasen bestehen (Brauckhoff et al. 2004b). Entscheidend ist bei dieser Erkrankungsform daher die pädiatrische Frühdiagnose und operative Therapie, sobald die Diagnose gestellt ist.
Die Akzeptanz eines prophylaktischen Konzepts bei Genträgerkindern wird nicht nur von den überzeugenden Heilungsraten (90–100%, Ukkat et al. 2001; Ukkat et al. 2004; Dralle et al. 1998; Niccoli-Sire et al. 1999), sondern auch dem postoperativen Morbiditätsrisiko bestimmt. Wie sich in einer multizentrischen Analyse gezeigt hat, traten permanente Komplikationen (Hypokalzämie, Rekurrensparese) überwiegend in weniger erfahrenen Zentren auf. Prophylaktische Thyreoidektomien bei Genträgerkindern sollte daher in besonders erfahrenen Zentren durchgeführt werden. Von besonderer Bedeutung für die Vermeidung von Komplikationen ist die Kenntnis der speziellen Anatomie des N. recurrens, der Nebenschilddrüsen und des vor allem bei Kleinkindern noch sehr ausgeprägt entwickelten zervikalen Thymus. Wenn die Indikation zur zentralen Lymphknotendissektion aufgrund eines erhöhten Kalzitoninspiegels gegeben ist, sollte zumindest ein In-situ-Erhalt der oberen Nebenschilddrüsen erfolgen. Die generelle Durchführung einer totalen Parathyreoidektomie mit Autotransplantation ist nicht erforderlich, sie erhöht das Risiko einer postoperativ permanenten Hypokalzämie. Cave Hinsichtlich der Thyreoidektomie ist die besonders sorgfältige Parenchymdissektion im hinteren Kapselbereich der Schilddrüse und im Mündungsbereich des N. recurrens von ausschlaggebender Bedeutung, da C-Zellen in diesem Teil der Schilddrüse besonders konzentriert vorkommen und falsche Sicherheit bei Belassen auch minimaler Schilddrüsenreste für den Langzeitverlauf ein nicht kalkulierbares Risiko schafft.
510
6
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
6.2.3.2 Adrenomedulläre Hyperplasie und Phäochromozytom Phäochromozytome treten bei etwa der Hälfte der MEN-2-Patienten auf, das Nebennierenmark ist somit am zweithäufigsten, und dies meist metachron nach Manifestation des MTC, betroffen. Ebenso wie beim hereditären MTC entwickelt sich auch das hereditäre MEN-2-Phäochromozytom (PCC) über das obligate Vorstadium einer Hyperplasie (diffus, nodulär; De Lellis et al. 1976). Maligne Phäochromozytome bei MEN-2-Syndrom kommen seltener als bei sporadischer Pathogenese vor (3–4% versus 10–15%; Proye et al. 1994; Casanova et al. 1993). Ektope Phäochromozytome sind ebenfalls beim MEN-2-Syndrom selten, diesen liegt meist eine Mutation des SDHB- oder SDHD-Gens oder ein Von-Hippel-Syndrom zugrunde (Neumann et al. 2002). Das operative Konzept hat in den vergangenen Jahren vor allem in zwei Richtungen Änderungen erfahren: 4 Favorisierung eines bestmöglichen adrenokortikalen Funktionserhaltes 4 Favorisierung des laparoskopischen oder retroperitoneoskopischen Vorgehens sowohl bei unilateraler als auch bilateraler Adrenalektomie Während bis vor wenigen Jahren noch vielfach beim MEN-2PCC ein bilateral totales Vorgehen empfohlen (van Heerden et al. 1984) und nur im Ausnahmefall eine subtotale Adrenalektomie durchgeführt wurde (van Heerden et al. 1985), hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass der totale adrenokortikale Funktionsverlust nicht nur ein nicht gänzlich zu beseitigendes Risiko für letal verlaufende Addision-Krisen beinhaltet, sondern auch zu einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität führt (Hamberger et al. 1987). Da bei einem Drittel der MEN-2-Patienten nur eine der beiden Nebennieren symptomatische Phäochromozytome entwickelt (Dralle et al. 1992), und von den restlichen zwei Drittel nur etwa die Hälfte synchron betroffen ist, die andere Hälfte im Abstand von 5–10 Jahren, erscheint es nicht gerechtfertigt, bei jedem MEN-2-PCC eine bilateral-totale Adrenalektomie vorzunehmen. Es wurden Techniken der subtotalen Adrenalektomie entwickelt, die eine ausreichende adrenokortikale Funktionsreserve ermöglichen (Dralle et al. 1992, Brauckhoff et al. 2003a,b) und sogar funktionserhaltende Reoperationen an der Nebenniere möglich machen (Brauckhoff et al. 2004a). Im eigenen Vorgehen wird daher grundsätzlich, wenn dies aufgrund der Verteilung und Größe des bzw. der Phäochromozytome technisch möglich ist, eine subtotale Adrenalektomie angestrebt, bei unilateralem Befall subtotal unilateral, bei bilateralem Befall beidseits subtotal oder unilateral total, kontralateral subtotal. Ein Erhalt der Nebennierenvene bei der subtotalen Adrenalektomie ist nicht erforderlich (Ikeda et al. 2001; Brauckhoff et al. 2003a). Der Erhalt etwa 1/3 normalen Nebennierengewebes ist bei erhaltener Durchblutung ausreichend für den Funktionserhalt und die adrenokortikalen Stressreserve (Brauckhoff et al. 2003b). Selbstverständlich muss ein solches Vorgehen mit dem Patienten präoperativ unter Berücksichtigung des individuellen Rezidivrisikos eingehend besprochen werden. Inwieweit Gentoyp-Phänotyp-Korrelationen auch beim MEN-2-PCC in die operative Strategie einfließen können, ist bislang nicht geklärt.
Nach Etablierung laparoskopischer und retroperitoneoskopischer Techniken der Adrenalektomie hat sich auch für Phäochromozytome ohne Malignitätshinweise das endoskopische Vorgehen etabliert (Walz et al. 2002, Brauckhoff et al. 2003a; Brunt et al. 2002). Auch ein synchron bilaterales Vorgehen ist mit diesen Zugangstechniken möglich und wird aufgrund der geringeren postoperativen Belastung von den Patienten bevorzugt.
6.2.3.3 Primärer Hyperparathyreoidismus bei Ein- oder Mehrdrüsenerkrankung Wie beim MEN-2-MTC und PCC ist auch beim MEN-2-pHPT eine stufenweise Entwicklung von der diffusen zur nodulären Hyperplasie anzunehmen. Ganz im Gegensatz zur MEN-1-Erkrankung ist ein pHPT bei der MEN-2-Erkrankung relativ selten (ca. 25%), meist sind nicht alle Nebenschilddrüsen betroffen (sog. »asymmetrische« Hyperplasie) und der klinische Verlauf ist milde (Schuffenecker et al. 1998). Um die Hauptrisiken der Operation, Rezidiv auf der einen Seite und Hypokalzämie auf der anderen Seite, möglichst niedrig zu halten, hat sich überwiegend ein mehr selektives Vorgehen, d. h. Entfernung nur der makroskopisch vergrößerten Nebenschilddrüsen durchgesetzt, aber auch subtotale und totale Parathyreoidektomien mit heterotoper Autotransplantation werden mit befriedigendem Erfolg durchgeführt. Die Rezidivraten und Hypokalzämieraten liegen bei beiden Vorgehensweisen bei je 10–20% (Dralle et al. 1992, 1994; Herfarth et al. 1996; Kraimps et al. 1996). Bei der MEN-2bErkrankung kommt ein pHPT in der Regel nicht vor (Carney et al. 1978). Nebenschilddrüsenkarzinome bei MEN 2a sind eine absolute Rarität (Jenkins et al. 1997). 6.2.3.4 Multiple synchrone Organmanifestationen Die Synchronmanifestation von zwei oder allen drei Organbereichen (Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Nebenniere) der MEN-2-Erkrankung ist selten (<20%). Aufgrund des erheblichen Risikos einer erhöhten Katecholaminsekretion ist auch bei allen Nicht-Nebennierenoperationen dieses Syndroms eine präoperative Diagnostik der adrenomedullären Funktion erforderlich, um bei Hyperkatecholaminämie eine präoperative Alpharezeptorenblockade durchzuführen. Bei adäquater Alpharezeptorenblockade und geeignetem Allgemeinzustand des Patienten sind auch Synchroneingriffe an der Nebenniere und Schilddrüse bei synchronem MTC und PCC möglich (. Abb. 6.9; Scheumann u. Dralle 1992). Bei Synchroneingriffen an der Schilddrüse und den Nebenschilddrüsen wegen MTC und pHPT (. Abb. 6.10) ist besonders auf die ausreichende Durchblutung in situ zu erhaltender, nicht vergrößerter Nebenschilddrüsen zu achten bzw. anderenfalls eine Autotransplantation dieser Nebenschilddrüsen vorzunehmen. 6.2.3.5 Nachsorge Die Nachsorge von MEN-2-Patienten hat neben der individuellen Syndrommanifestation vor allem die familiären und psychosozialen Aspekte der Erkrankung zu berücksichtigen. Letztere sind aufgrund der hohen Syndrompenetranz (theoretisch 50%) und der meist lebenslangen Betreuungsnotwendigkeit von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität der betroffenen Familienmitglieder und Familien. Aufgrund der bei ca. der Hälfte
511 6.2 · MEN-2-Syndrom
. Abb. 6.9. Synchronoperation (totale Thyreoidektomie mit zentraler Lymphadenektomie, bilaterale Adrenalektomie) eines Patienten mit MEN-2a-Syndrom
der Patienten multiplen Organbeteiligung, aber auch aufgrund der in jedem Fall interdisziplinären Diagnostik und Therapie sollten Hausärzte und betreuende Zentren über das erforderliche Wissen und die notwendigen Erfahrungen unter Berücksichtigung des auf diesem Gebiet raschen Kenntniszuwachses verfügen, um diese Patienten und ihre Familien adäquat zu betreuen. In den meisten Fällen treten die Organmanifestationen metachron auf, sodass entsprechende Screening-Untersuchungen notwendig sind, um den bestmöglichen Zeitpunkt für operative Therapiemaßnahmen interdisziplinär bestimmen zu können. Der Substitutionstherapie nach totaler Organentfernung (z. B. Schilddrüse, ggf. Nebenniere), vor allem nach prophylaktischer Thyreoidektomie im Kindesalter (Frank-Raue et al. 2006) kommt darüber hinaus besonderer Stellenwert zu. Literatur Brandi ML, Gagel RF, Angeli A (2001) Consensus guidelines for diagnosis and therapy of MEN type 1 and type 2. J Clin Endocrinol Metab 86: 5658–5671 Brauckhoff M, Nguyen Thanh P, Bär A, Dralle H (2003a) Subtotale bilaterale Adrenalektomie mit adrenokortikalem Funktionserhalt. Chirurg 74:646–651
6
. Abb. 6.10. Synchronoperation (totale Thyreoidektomie mit zentraler Lymphadenektomie, Parathyreoidektomie links und rechts unten, Pfeile) eines Patienten mit MEN-2a-Syndrom
Brauckhoff M, Gimm O, Nguyen Thanh P, Bär A, Ukkat J, Brauckhoff K, Bönsch T, Dralle H (2003b) Critical size of residual adrenal tissue and recovery from impaired early postoperative adrenocortical function after subtotal bilateral adrenalectomy. Surgery 134:1020– 1028 Brauckhoff M, Gimm O, Brauckhoff K, Dralle H (2004a) Repeat adrenocortical-sparing adrenalectomy for recurrent hereditary pheochromocytoma. Surg Today 34:251–255 Brauckhoff M, Gimm O, Weiss CL, Ukkat J, Sekulla C, Brauckhoff K, Nguyen Thanh P, Dralle H (2004b) Multiple endocrine neoplasia 2B syndrome due to codon 918 mutation: clinical manifestation and course in early and late onset disease. World J Surg 28:1305–1311 Brunt LM, Lairmore TC, Doherty GM, Quasebarth MA, DeBenedetti M, Moley JF (2002) Adrenalectomy for familial pheopchromocytoma in the laparoscopic era. Ann Surg 235:713–721 Carney JA, Sizemore GW, Hayles AB (1978) Multiple endrocrine neoplasia type 2b. Pathol Annu 8:105–153 Casanova S, Rosenberg-Bourgin M, Farkas D, Calmettes C, Feingold N, Heshmati HM, Cohen R, Conte-Devolx B, Guillausseau PJ, Houdent C, Bigorgne JC, Bolleaut V, Caron J, Modigliani E (1993) Phaeochromocytoma in multiple endocrine neoplasia type 2A: survey of 100 cases. Clin Endocrinol 38:531–537 DeLellis RA, Wolfe HJ, Gagel RF, Feldman ZT, Miller HH, Gang DL, Reichling S (1976) Adrenal medullary hyperplasia. Am J Pathol 83:177–196
512
6
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
DeLellis RA, Nunnemacher G, Wolfe HJ (1977) C-cell hyperplasia: an ultrastructural analysis. Lab Invest 46:237 Donis-Keller H, Dou S (1993) Mutations in the RET proto-oncogene are associated with MEN-2A and FMTC. Hum Mol Genet 7:851–856 Dralle H, Scheumann GFW, Kotzerke J, Brabant EG (1992) Surgical management of MEN 2. Cancer Res 125:167–195 Dralle H, Scheumann GFW (1994) How to handle the parathyroid glands in multiple endocrine neoplasia type I (MEN I) and type II (MEN II)? Acta Chir Austriaca 26:35s–38s Dralle H, Gimm O, Simon D, Frank-Raue K, Görtz G, Niederle B, Wahl RA, Koch B, Walgenbach S, Hampel R, Ritter MM, Spelsberg F, Heiss A, Hinze R, Höppner W (1998) Prophylactic thyroidectomy in 75 children and adolescents with hereditary medullary thyroid carcinoma: German and Austrian experience. World J Surg 22:744–751 Dralle H, Machens A, Brauckhoff M, Ukkat J, Sekulla C, Nguyen-Thanh P, Lorenz K, Gimm O (2005) Chirurgie der Schilddrüsenkarzinome. Onkologe 11:58–69 Frank-Raue K, Buhr H, Dralle H, Klar E, Senninger N, Weber T, Rondot S, Höppner W, Raue F (2004) Long-term follow-up in 46 gene carriers of hereditary medullary thyroid carcinoma after prophylactic thyroidectomy. Eur J Endocrinol 155:229–236 Gimm O, Niederle BE, Weber T, Bockhorn M, Ukkat J, Brauckhoff M, Nguyen Thanh P, Frilling A, Klar E, Niederle B, Dralle H (2002) RET proto-oncogene mutations affecting codon 790/791: A mild form of multiple endcrine neoplasia type 2A syndrome? Surgery 132:952–959 Gmünder-Lehner RB, Okamoto E, Hedinger C (1983) Verteilung der C-Zellen in menschlichen Schilddrüsen. Schweiz med Wschr 113:1385– 1394 Hamberger B, Telenius-Berg M, Cedermark B, Grondal S, Hansson BG, Werner S (1987) Subtotal adrenalectomy in multiple endocrine neoplasia type 2. Henry Ford Hosp Med J 35:127–128 Herfarth KKF, Bartsch D, Doherty GM, Wells SA, Lairemore TC (1996) Surgical management of hyperparathyroidism in patients with multiple endocrine neoplasia type 2A. Surgery 120:966–974 Ikeda Y, Takami H, Niimi M (2001) Laparoskopic partial or cortical-sparing adrenalectomy by dividing the adrenal central vein. Surg Endosc 15:747–750 Jenkins PJ, Satta MA, Simmgen M (1997) Metastatic parathyroid carcinoma in the MEN-2A syndrome. Clin Endocrinol 47:747–751 Kikumori T, Evans D, Lee JE, Cote GJ, Gagel RF (2001) Genetic abnormalities in multiple endocrine neoplasia type 2. In: Doherty GM, Skogseid B (eds) Surgical endocrinology. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 533–540 Kraimps JL, Denizot A, Carnoille B, Henry JF, Proye C, Bacourt F, Sarfate E, Dupond JL, Maes B, Travagli JP, Boneu A, Roger P, Houdent C, Barbier J, Modigliani E (1996) Primary hyperparathyroidism in multiple endocrine neoplasia type IIa: retrospective French Multicentre Study. World J Surg 20:808–813 Lips CJ, Landsvater RM, Hoeppener JW, Geerdink Ra, Blijham G, JansenSchillhorn van Veen JM, Van Gils AP, de Witt MJ, Zewald RA, Berends MJ, Beemer FA, Brouwers-Smalbraak J, Jansen RP, Ploos van Amstel HK, van Vroonhoven TJ, Vroom TM (1994) Clinical screening as compared with DNA analysis in families with multiple endocrine neoplasia type 2A. N Engl J Med 331:828 Machens A, Gimm O, Hinze R, Höppner W, Boehm BO, Dralle H (2001) Genotype-phenotype correlations in hereditary medullary thyroid carcinoma: oncological features and biochemical properties. J Clin Endocrinol Metab 86:1104–1109 Machens A, Hinze R, Thomusch O, Dralle H (2002) Pattern of nodal metastasis for primary and reoperative thyroid cancer. World J Surg 26:22–28 Machens A, Niccoli-Sire P, Hoegel J, Frank-Raue K, van Vroonhoven TJ, Roeher HD, Wahl RA, Lamesch P, Raue F, Conte-Devolx B, Dralle H (2003) Early malignant progression of hereditary medullary thyroid cancer. N Engl J Med 349:1517–1525
Machens A, Schneyer U, Holzhausen HJ, Dralle H (2005a) Prospects of remission in medullary thyroid carcinoma according to basal calcitonin level. J Clin Endocrinol Metab 90:2029–2034 Machens A, Ukkat J, Brauckhoff M, Gimm O, Dralle H (2005b) Advances in the management of hereditary medullary thyroid cancer. J Int Med 257:50–59 Mulligan LM, Kwok JB (1993) Germ-line mutations of the RET protooncogene in multiple endocrine neoplasia type 2A. Nature 6428:458– 460 Neumann HPH, Bausch B, McWhinney SR, Bender BU, Gimm O, Franke G, Schipper J, Klisch J, Altehoefer C, Zerres K, Januszewicz A, Eng C (2002) Germ-line mutations in nonsyndromic pheochromocytoma. N Engl J Med 346:1459–1466 Niccoli-Sire P, Murat A, Baudin E, Henry JF, Proye C, Bigorgne JC, Estandig B, Modigliani E, Morange S, Schlumberger M, Conte-Devolx B (1999) Early or prophylactic thyroidectomy in MEN 2/FMTC gene carriers: results in 71 thyroidectomized patients. Eur J Endocrinol 141:468– 474 Proye CAG, Vix M, Jansson S, Tisell LE, Dralle H, Hiller W (1994) »The« pheochromocytoma: a benign, intra-adrenal, hypertensive, sporadic unilateral tumor. Does it exist? World J Surg 18:467–472 Scheumann GFW, Dralle H (1992) Surgical approach of synchronous medullary thyroid carcinoma and pheochromocytoma in MEN 2 syndrome. Henry Ford Hosp Med J 40:278–280 Schuffenecker I, Virally-Monod M, Brohed R, Goldgar D, Conte-Devolx B, Leclerc L, Charbe O, Boneu A, Caron J, Houdent C, Modigliani E, Rohmer V, Schlumberger M, Eng C, Guillausseau PJ, Lenoir GM (1998) Risk and penetrance of primary hyperparathyroidism in multiple endocrine neoplasia type 2a families with mutations at codon 634 of the RET proto-oncogene. J Clin Endocrinol Metab 83:487–491 Ukkat J, Lorenz K, Hinze R, Thomusch O, Dralle H (2001) Importance of early screening and prophylactic thyroidectomy in asymptomatic nonindex RET germline carriers. World J Surg 25:713–717 Ukkat J, Gimm O, Brauckhoff M, Bilkenroth U, Dralle H (2004) Single center experience in primary surgery for medullary thyroid carcinoma. World J Surg 28:1271–1274 van Heerden JA, Sizemore GW, Carney JA, Grant CS, ReMine WH, Sheps SG (1984) Surgical management of the adrenal glands in the multiple endocrine neoplasia type II syndrome. World J Surg 8:612–621 van Heerden JA, Sizemore GW, Carney JA, Brennan MD, Sheps SG (1985) Bilateral subtotal adrenal resection for bilateral pheochromocytomas in multiple endcrine neoplasia, type 2a: a case report. Surgery 98:363– 366 Walz MK, Peitgen K, Neumann HP, Janssen OE, Philipp T, Mann K (2002) Endoscopic treatment of solitary, bilateral, multiple, and recurrent phaeochromocytoma and paragangliomas. World J Surg 26:1005– 1012 Wells SA, Baylin SB, Gann DS, Farrell RE, Dilley WG, Preissig SH, Linehan WM, Cooper CW (1978) Medullary thyroid carcinoma: relationship of method of diagnosis to pathologic staging. Ann Surg 188:376– 383 Wells SA, Chi DD, Toshima K, Dehner LP, Coffin SM, Dowton B, Ivanovich HL, DeBenedetti MK, Dilley WG, Moley JF, Norton JA, Donis-Keller H (1994) Predictive DNA testing and prophylactic thyroidectomy in patients at risk for multiple endocrine neoplasia type 2A. Ann Surg 3:237 Wolfe HJ, Voelkel EF, Tashjian AH Jr (1974) Distribution of calcitonin containing cells in the normal adult human thyroid gland: a correlation of morphology with peptide content. J Clin Endocrinol Metab 38:688 Woolner LB, Beahrs OH, Black BM, McConahey WM, Keating FR (1968) Thyroid carcinoma: general considerations and follow-up data on 1181 cases. In: Young S, Inman DR (eds) Thyroid neoplasia. Academic Press, London New York, pp 51–79
513 6.2 · MEN-2-Syndrom
6.2.4 Humangenetische Beratung
H. Rieder ) ) Die humangenetische Beratung befasst sich mit den Problemen, die mit dem Auftreten oder dem Risiko des Auftretens genetisch bedingter Erkrankungen bei einzelnen Individuen oder in einer Familie verbunden sind. Mit den Ratsuchenden werden die genetischen Grundlagen und medizinischen Fakten sowie die möglichen persönlichen, familiären, sozialen und versicherungsrechtlichen Auswirkungen der jeweiligen Erkrankung umfassend besprochen. Weitere Untersuchungen, wie z. B. genetische Tests, werden herangezogen, wenn sie für eine genauere Risikoabschätzung hilfreich und von den Ratsuchenden gewünscht sind. Bei nicht erkrankten Personen ist die genetische Beratung unbedingte Voraussetzung für einen genetischen Test auf eine Veranlagung für die jeweilige Erkrankung (prädiktiver genetischer Test). Bereits von der Erkrankung betroffenen Patienten sollte ebenfalls eine genetische Beratung angeboten werden, bevor ein genetischer Test durchgeführt wird (diagnostischer genetischer Test). Dadurch wird den Patienten die Möglichkeit gegeben, über die eigene Erkrankung hinausgehende persönliche, familiäre oder soziale Auswirkungen eines genetischen Testergebnisses rechtzeitig zu erkennen. Aufgrund der Ärztlichen Schweigepflicht ist es dem Arzt grundsätzlich nicht gestattet, von sich aus mit weiteren Familienangehörigen in Kontakt zu treten, um sie über die Diagnose einer genetisch bedingten Erkrankung in der Familie zu informieren. Dies obliegt den Betroffenen selbst. Die Voraussetzung für eine möglichst korrekte Weitergabe der Fakten und für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der genetischen Information ist eine umfassende medizinisch-genetische Aufklärung dieser Personen, wie sie die humangenetische Beratung vorsieht.
6.2.4.1 Beratungsziele Die humangenetische Beratung ist Bestandteil eines interdisziplinären Betreuungskonzeptes für Personen, die mit dem Auftreten oder dem Risiko des Auftretens einer genetischen Erkrankung bei sich oder in der Familie konfrontiert sind. Am besten ist die humangenetische Beratung als ein dynamischer psychoedukativer Prozess zu beschreiben, der sich mit der Bewältigung von menschlichen Problemen befasst, die an hereditäre Erkrankungen verknüpft sind. Dabei wird versucht, der jeweiligen Person oder Familie zu helfen, die medizinischen Fakten einschließlich der Diagnose, des Krankheitsverlaufes und der zur Verfügung stehenden Behandlung zu erfassen, den erblichen Anteil der Erkrankung und das Wiederholungsrisiko für sich oder bestimmte Verwandte zu begreifen, und die verschiedenen Möglichkeiten zu erkennen, mit dem Wiederholungsrisiko umzugehen. Auf der Basis der so gewonnenen Informationen sollen die betreffenden Personen in die Lage versetzt werden, eine Entscheidung zu treffen, die ihrem Risiko für die Erkrankung, ihren familiären Zielen sowie ihren ethischen und religiösen Wertvorstellungen entspricht, und schließlich in Übereinstimmung mit dieser Entscheidung zu handeln. Ferner sollen sich die jeweiligen Personen bewusst werden, dass aufgrund der Erblichkeit einer Erkrankung und insbesondere bei einer u. U. späten Mani-
6
festation es nötig sein kann, die Kenntnis und Bedeutung von genetischen Veränderungen über mehrere Jahrzehnte und von Generation zu Generation zu bewahren, um für sich und für Familienangehörige gesundheitlichen Nutzen aus der genetischen Diagnose ziehen zu können (Biesecker u. Peters 2001). 6.2.4.2 Beratungsindikation Grundsätzlich sollte Angehörigen einer Risikofamilie für eine genetische Erkrankung eine humangenetische Beratung angeboten werden. Ein genetischer Test, der mit dem Ziel veranlasst werden soll, eine Veranlagung zu einer Erkrankung bei bisher nicht von dieser Erkrankung betroffenen Personen aufzudecken (prädiktiver genetischer Test), setzt eine humangenetische Beratung voraus. Die Beratung muss bereits vor der Einleitung von Maßnahmen zur genetischen Diagnostik erfolgen (z. B. vor der erforderlichen Blutentnahme). Die Mitteilung des Testergebnisses muss im Rahmen eines genetischen Beratungsgespräches erfolgen. Bei manifest erkrankten Patienten kann ein differenzialdiagnostisch erwogener hereditärer Ursprung der Erkrankung die Abklärung durch einen genetischen Test erfordern, z. B. bei einem erstmals in einer Familie aufgetretenen medullären Schilddrüsenkarzinom. Häufig wird gerade im Hinblick auf vorhandene Kinder eine Mutationssuche gewünscht.
Um den Patienten die Möglichkeit zu geben, sich über die Relevanz des Tests für die eigenen Nachkommen sowie für andere Verwandte klar zu werden, sollte eine genetische Beratung möglichst vor dem Test, auf jeden Fall aber bei einem Mutationsnachweis angeboten werden (Bundesärztekammer 1998, 2003; Brandi et al. 2001).
6.2.4.3 Beratungsvoraussetzungen Ratsuchende. Die Inanspruchnahme einer genetischen Beratung ist freiwillig. Die Ratsuchenden sollten das 18. Lebensjahr vollendet haben. Minderjährige Risikopersonen sollten in Begleitung ihrer Eltern an der Beratung teilnehmen und mit den Zusammenhängen der genetischen Beratung und Tests soweit vertraut gemacht werden, wie es das Einsichtsvermögen der betreffenden Person erlaubt und dem Vorgehen zuträglich ist. Berater. Für die genetische Beratung ist die Qualifikation durch die Berechtigung zur Führung der Gebietsbezeichnung »Facharzt für Humangenetik« oder zumindest der Zusatzbezeichnung »Medizinische Genetik« Voraussetzung. Darüber hinaus sollte der Berater mit Symptomen, Therapie, Verlauf und Prognose des jeweiligen Krankheitsbildes vertraut sein.
6.2.4.4 Beratungsform Die Ratsuchenden sollten vorab eine schriftliche Kurzinformation erhalten, in der die Ziele, Möglichkeiten und Grenzen der genetischen Beratung skizziert sind und auf die Notwendigkeit hingewiesen wird, Informationen über in der Familie aufgetretene Erkrankungen bis zur großelterlichen Generation einzuholen. Die Ehe- oder Lebenspartner der ratsuchenden Personen sollten an den Beratungsgesprächen teilnehmen. Vielfach wird auch der Vorschlag dankbar aufgegriffen, eine an der Fragestellung unbeteiligte Vertrauensperson zur genetischen Beratung als Beistand mitzubringen. Eine Beratung mehrerer Verwandten einer Familie in einer Sitzung sollte erst nach Rücksprache mit
514
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
allen Beteiligten und auf ausdrücklichen Wunsch aller erfolgen. Die Betreffenden sollten sich dabei bewusst sein, dass inter- und intrafamiliäre Strukturen eine selbst bestimmte Entscheidung erschweren können.
6
In der Beratung ist eine klientenorientierte (nondirektive) Gesprächsführung am ehesten in der Lage, die Erwartungen der Ratsuchenden hinsichtlich Informationsvermittlung, Aufklärung und Entscheidungshilfen zu berücksichtigen (Davey et al. 2005). Eine vereinfachte und doch ausführliche Darstellung der häufig komplizierten medizinisch-genetischen Sachverhalte ist zeitaufwändig, für die Entscheidungsfindung der Ratsuchenden aber ausschlaggebend (Bernhardt et al. 2000). In der Regel muss daher für die genetische Beratung eine Gesprächsdauer von 1,5–2 h eingeplant werden.
Da während der Beratung auftauchende klinisch-therapeutische Fragen am besten von dem betreuenden Kliniker der jeweiligen Fachdisziplin zu beantworten sind, sowie vor oder auch während des Beratungsprozesses seelische Probleme oder familiäre Konflikte auftreten können, deren Bewältigung oder Lösung psychologisch-psychiatrisch geschulte Hilfe erfordern, kann eine fest etablierte interdisziplinäre Zusammenarbeit der beteiligten Kliniker, Humangenetiker und Psychotherapeuten am ehesten eine problemorientierte und zielführende Betreuung der Ratsuchenden bei hereditären Erkrankungen gewährleisten (Audrain et al. 1998). Dies ist z. B. mit einer von allen drei Betreuern gestalteten Sprechstunde zu erzielen. 6.2.4.5 Beratungsinhalte 6.2.4.5.1 Familienanamnese und Sicherung der Diagnosen Ausgangspunkt der genetischen Beratung bildet die sorgfältige Erhebung der Familienanamnese mit Zeichnung eines Familienstammbaumes über zumindest 3 Generationen. Zur Erstellung des Familienstammbaumes werden standardisierte Symbole verwendet (. Abb. 6.11; Bennett et al. 1995). Wichtig ist die Identifizierung weiterer betroffener Familienangehöriger durch gezieltes Abfragen von Symptomen. Mündliche Angaben über Diagnosen sollten über die Anforderung von schriftlichen Unterlagen gesichert werden (Murff et al. 2004). Im Einzelfall kann auch die Veranlassung von fachärztlichen Untersuchungen bei Schilderungen von verdächtigen Symptomen bei Verwandten notwendig werden. 6.2.4.5.2 Besprechung des Krankheitsbildes Mit den Ratsuchenden sollten Krankheitssymptome und -verlauf besprochen werden. Dabei ist insbesondere zu erörtern, in welchem Lebensalter bei welchem Anteil der Anlageträger die Krankheit auftritt (Penetranz), und mit welchen Krankheitserscheinungen und -ausprägungen zu rechnen ist (Expressivität). Ferner soll der Einfluss anderer genetischer und nicht-genetischer Faktoren auf Symptomatik und Verlauf der Erkrankung diskutiert werden. Besondere Beachtung sollte dabei dem Verständnis von Wahrscheinlichkeits- und Risikoangaben geschenkt werden. So begegnet man nicht selten der Überzeugung, dass eine Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Erkrankung bei Nachkommen von 50% bedeutet, dass immer eines von zwei Kindern erkrankt. Angaben zu Wahrscheinlichkeiten sollten da-
. Abb. 6.11. Die wichtigsten graphischen Elemente und Gestaltungsmittel für die Erstellung eines Familienstammbaumes (Bennett et al. 1995)
bei sowohl numerisch (z. B. Risiko von 10% entspricht einer Rate von 10 Erkrankten von insgesamt 100 Personen in der gleichen Situation) als auch qualitativ (z. B. Risiko hoch oder niedrig im Vergleich zum Risiko der Allgemeinbevölkerung) angeboten werden, um den Ratsuchenden die Wertung der präsentierten Information zu erleichtern (Mazur u. Hickam 1991). 6.2.4.5.3 Aufklärung über die genetischen Grundlagen der Erkrankung Bei den Ratsuchenden sind Kenntnisse über Aufbau und Funktion der Erbinformation sowie über die Regeln der Vererbung von Genveränderungen an Nachkommen zumeist eher gering (Andrykowski et al. 1996). Andererseits sollten die Ratsuchenden
515 6.2 · MEN-2-Syndrom
die Bedeutung genetischer Veränderungen soweit verstehen, dass sie die daraus resultierenden Nutzen und Risiken für sich und ihre Familienangehörigen erkennen können. So wird z. B. einem Patienten mit einem sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinom zu vermitteln sein, dass in 1–7% der Fälle mit einem hereditären Ursprung des Tumors zu rechnen ist und sich daher aus seiner Erkrankung ein erhöhtes Risiko für diesen Tumor für seine nächsten Verwandten ergibt. Auch kann sich bei einem Kind mit Hirschsprung-Erkrankung aus dem Nachweis einer aktivierenden Mutation des RET-Onkogens (Kodon 609, 618 und 620) die Notwendigkeit ergeben, zusätzlich nach MEN-2-assoziierten Tumoren zu suchen (Brandi et al. 2001). Daher sollte einer an der aktuellen Fragestellung orientierten vereinfachten Darstellung der molekularen und chromosomalen Grundlagen der Vererbung genügend Raum gegeben werden. Auf ein grundlegendes Verständnis der molekularen Vorgänge ist besonders dann Wert zu legen, wenn ein genetischer Test angeboten wird. Zur Vermeidung einer Überforderung der Ratsuchenden durch die präsentierte Information sollten in dem Gespräch ausreichend Gelegenheit für Rückfragen gegeben und Lehrmaterialien wie Schaubilder und Graphiken, oder auch audiovisuelle Präsentationen wie Videofilme verwendet werden. 6.2.4.5.4 Erörterung von Nutzen, Grenzen und Risiken genetischer Test Vor der Veranlassung eines genetischen Tests sind die Ratsuchenden über Nutzen, Grenzen und Risiken dieser Untersuchung aufzuklären. Eine prädiktive genetische Untersuchung soll in der Regel nur bei Volljährigen erfolgen. Eine Ausnahme können Krankheiten wie MEN 2 oder MEN 1 bilden, bei denen präventive oder therapeutische Maßnahmen schon vor der Volljährigkeit eingeleitet werden müssen (Bundesärztekammer 1998, 2003; Brandi et al. 2001). Nutzen genetischer Tests. Die Vorteile einer prädiktiven genetischen Untersuchung ergeben sich aus den Möglichkeiten, sich auf eine drohende Erkrankung einzustellen und entsprechende Vorsorge- und Behandlungsmaßnahmen rechtzeitig und gezielt einzuleiten. Daher sollte mit den Ratsuchenden diskutiert werden, welche Bedeutung die Feststellung oder das Ausbleiben eines Nachweises einer Genveränderung für die Möglichkeiten der Früherkennung und Behandlung sowie die Beeinflussbarkeit des Verlaufs der jeweilige Erkrankung haben. Dabei sollten mögliche Auswirkungen auf die medizinische Betreuung, die eigene Lebensplanung und -führung sowie auf die sozialen Bindungen erörtert werden. Grenzen genetischer Tests. Die Grenzen eines genetischen Tests
werden durch seine Genauigkeit und Vorhersagekraft bestimmt. Beides sollte anhand der Wahrscheinlichkeiten besprochen werden, mit der die Erkrankung bei Feststellung oder ausbleibendem Nachweis einer entsprechenden genetischen Veränderung auftritt. So ist z. B. bei 10–20% der Familien mit MEN 1 keine Mutation im MEN-1-Gen nachweisbar. In solchen Familien kann zur weiteren Identifizierung von Risikopersonen die Haplotyp- oder genomweite Kopplungsanalyse angewandt werden (Brandi et al. 2001). Letztere Verfahren haben eine deutlich geringere Vorhersagekraft für das Auftreten der Erkrankung als der direkte Mutationsnachweis. Auch sollte darauf eingegangen werden, dass der gezielte Gentest andere genetische und nicht-genetische Faktoren nicht erfassen kann, die dennoch einen Einfluss auf den Schweregrad der Erkrankung haben können. Die Wirkung solcher Faktoren lässt
6
sich z. B. durch die häufig vorhandene intrafamiliäre Heterogenität des Krankheitsverlaufes demonstrieren. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Grundannahmen für die Risikoberechnungen an bestimmten Bevölkerungsgruppen erarbeitet wurden. Von diesen kann sich eine ratsuchende Person auch aufgrund ihrer ethnischen Herkunft genetisch unterscheiden, sodass die Grundannahmen für sie nicht in gleicher Weise zutreffen. Risiken genetischer Tests. Die Risiken eines genetischen Tests für die Ratsuchenden betreffen vor allem psychische Belastungen sowie soziale und versicherungsrechtliche Belange. Das Ausmaß einer psychischen Belastung durch den Nachweis einer Veranlagung für ein Leiden ist u. a. abhängig von den Möglichkeiten, der Bedrohung durch die Erkrankung zu begegnen. Für MEN 2 und MEN 1 bestehen klare Vorsorge- und Behandlungskonzepte. Bei MEN 2 wird mit der prophylaktischen Entfernung der Schilddrüse die größte Gefahr für die Gesundheit der Patienten eliminiert. Bei MEN 1 sind dagegen multiple Lokalisationen der Manifestation von Malignomen möglich. Damit sind bei Familien mit MEN 1 im Vergleich zu Familien mit MEN 2 unterschiedliche psychische Belastungen bei Risikopersonen zu erwarten. Je nach psychischer Konstitution kann aus der Besorgnis der Patienten eine verstärkte Motivation zur Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen resultieren. Durch starke Ängste kann aber auch eine Vermeidung dieser Maßnahmen bewirkt und so der Nutzen der genetischen Diagnose gemindert oder sogar aufgehoben werden. Gerade die genetische Beratung ist in der Lage, eine Reduktion dieser Ängste zu bewirken (Aktan-Collan et al. 2001). Untersuchungen zu psychischen Auswirkungen genetischer Tests bei Kindern zeigten, dass in der Regel keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu erwarten sind, wenn die Tests in ein genetisches Beratungskonzept eingebettet sind. In wenigen Fällen kann ein günstiges Testergebnis zu seelischen Problemen führen, indem die Betreffenden sich zu unrecht ausgespart fühlen (»survivor guilt«), oder nicht die erwartete Minderung des empfundenen Krankheitsrisikos bewirken (Michie et al. 2001). Die Ratsuchenden sollten im Gespräch auf potenzielle psychische Folgen eines Gentests aufmerksam gemacht werden. Daran sollte sich das Angebot anschließen, bei auftretenden Problemen professionelle psycho- oder familientherapeutische Beratung oder Betreuung zu beanspruchen. Die Sorge um eine genetische Stigmatisierung oder Diskriminierung einzelner Individuen oder auch der ganzen Familie kann dazu führen, dass ein genetischer Test nicht in Anspruch genommen wird (Apse et al. 2004). Dabei werden Schwierigkeiten bei einer Familiengründung, Nachteile bei der Arbeitsplatzsuche und gesellschaftliche Isolierung befürchtet. Bei Abschluss eines Versicherungsvertrages mit einem privaten Krankenversicherungsunternehmen werden von dem Versicherungsnehmer alle hierfür belangvollen Angaben, einschließlich eines risikorelevanten genetischen Testergebnisses erwartet. Das Versicherungsunternehmen kann Ansprüche verwehren, wenn bei Abschluss des Vertrages eine genetische Veranlagung für die betreffende Erkrankung verschwiegen wurde. Wie bei privaten Krankenversicherungen sind medizinische Daten bei Vertragsabschluss einer Lebensversicherung von entscheidender Bedeutung. Ein risikorelevanter genetischer Befund kann für die betreffende Person dann bedeuten, dass sie nicht versicherbar ist. Diese versicherungsrechtlichen Konsequenzen eines Gentests sollten angesprochen werden. Gegebenenfalls kann eine Untersuchung auch auf die Zeit nach Vertragsabschluss verschoben werden.
516
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
Erörterung der Vertraulichkeit der genetischen Information.
Die Aufdeckung eines genetisch bedingt erhöhten Risikos für eine Erkrankung bei einer ratsuchenden Person oder in einer Familie unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Dies erhält besonderes Gewicht durch die möglichen psychischen, sozialen und versicherungsrechtlichen Folgen bei bekannt werden einer Krankheitsprädisposition für die Ratsuchenden und andere Familienmitglieder. Es hat sich daher bewährt, den Ratsuchenden anzubieten, selbst zu bestimmen, ob und welche Ärzte über die genetische Beratung einschließlich relevanter Testergebnisse informiert werden sollen.
6
Die Ratsuchenden müssen darauf hingewiesen werden, dass die ärztliche Schweigepflicht Ärzten verbietet, selbst weitere Angehörige einer Familie auf ein genetisch bedingt erhöhtes Risiko für eine Erkrankung anzusprechen. Daher ist unbedingt daraufhin zu wirken, dass die Ratsuchenden diese Information im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber ihren Verwandten selbst in die Familie tragen (Bernhardt et al. 2000). Kommen sie dieser Aufgabe nicht nach, so kann ein Arzt aufgrund seiner Fürsorgepflicht gezwungen sein, gegen die Schweigepflicht zu verstoßen und Verwandte selbst zu informieren. Dies sollte sich auf die Personen beschränken, die der betreffende Arzt selbst mitbehandelt.
6.2.4.6 Beratungsbrief Der Beratungsbrief entspricht einer schriftlichen humangenetischen Beurteilung der Familienerkrankung in ihrer Auswirkung auf die jeweils ratsuchende Person. In ihm sind neben den klinischen Daten die Inhalte der genetischen Beratung zusammengefasst. Gleichzeitig soll er dazu beitragen, die Weitergabe des für die Betreuung der Erkrankung bei sich und eventuellen Nachkommen notwendigen Wissens zu gewährleisten. Daher soll jede genetische Beratung durch einen in allgemein verständlicher Weise abgefassten Brief an die Ratsuchenden dokumentiert werden. Alle wesentlichen Befunde sollten darin so niedergelegt werden, dass Art und Ursache der Erkrankung auch für nicht mit dem Krankheitsbild vertraute Ärzte zu erkennen sind. Es sollten ferner Adressen und Telefonnummern der spezialisierten Zentren enthalten sein.
Bei begründetem Verdacht auf eine hereditäre Tumorerkrankung sollte eine humangenetische Beratung angeboten werden. Eine humangenetische Beratung muss vor der Veranlassung eines prädiktiven Gentests erfolgt sein.
Literatur Aktan-Collan K, Haukkala A, MEcklin JP, Uutela A, Kaariainen H (2001) Psychological consequences of predictive genetic testing for hereditary non-polyposis colorectal cancer (HNPCC): a prospective followup study. Int J Cancer 93:608–611 Andrykowski MA, Munn RK, Studts JL (1996) Interest in learning of personal genetic risk for cancer: a general population survey. Prev Med 25:527–536 Apse KA, Biesecker BB, Giardiello FM, Fuller BP, Bernhardt BA (2004) Perceptions of genetic discrimination among at-risk relatives of colorectal cancer patients. Genet Med 6:510–516
Audrain J, Rimer B, Cella D, Garber J, Peshkin BN, Ellis J, Schildkraut J, Stefanek M, Vogel V, Lerman C (1998) Genetic counseling and testing for breast-ovarian cancer susceptibility: what do women want? J Clin Oncol 16:133–138 Bennett RL, Steinhaus KA, Ulrich SB, O´Sullivan CK, Resta RG, LochnerDoyle D, Markel DS, Hamanishi J (1995) Recommendations for Standardized Human Pedigree Nomenclature. J Genet Couns 4:267–280 Bernhardt BA, Biesecker BB, Mastromarino CL (2000) Goals, benefits, and outcomes of genetic counseling: client and genetic counselor assessment. Am J Med Genet 94:189–197 Biesecker BB, Peters KF (2001) Process studies in genetic counseling: peering into the black box. Am J Med Genet 106:191–198 Brandi ML, Gagel RF, Angeli A, Bilezikian JP, Beck-Peccoz P, Bordi C, ConteDevolx B, Falchetti A, Gheri RG, Libroia A, Lips CJ, Lombardi G, Mannelli M, Pacini F, Ponder BA, Raue F, Skogseid B, Tamburrano G, Thakker RV, Thompson NW, Tomassetti P, Tonelli F, Wells SA Jr., Marx SJ (2001) Guidelines for diagnosis and therapy of MEN type 1 and type 2. J Clin Endocrinol Metab 86:5658–5671 Bundesärztekammer (1998) Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen. Dtsch Ärztebl 95:B1121–B1127 Bundesärztekammer (2003) Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik. Dtsch Ärztebl 100:A1297–A1305 Davey A, Rostant K, Harrop K, Goldblatt J, O‘Leary P (2005) Evaluating genetic counseling: client expectations, psychological adjustment and satisfaction with service. J Genet Couns 14:197–206 Mazur DJ, Hickam DH (1991) Patients‘ interpretations of probability terms. J Gen Intern Med 6:237–240 Michie S, Bobrow M, Marteau TM (2001) Predictive genetic testing in children and adults: a study of emotional impact. J Med Genet 38:519– 526 Murff HJ, Spigel DR, Syngal S (2004) Does this patient have a family history of cancer? An evidence-based analysis of the accuracy of family cancer history. JAMA 292:1480–1489
von-Hippel-Lindau-Syndrom
6.3
D.K. Bartsch, V. Fendrich ) ) Das von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL) ist eine autosomaldominant vererbte Erkrankung, die durch das Auftreten von Phäochromozytomen, Angioblastomen des zentralen Nervensystems, endolymphatischen Tumoren, retinalen Angiomen, Nierenzysten und Nierenkarzinomen, neuroendokrinen Tumoren und Zysten des Pankreas sowie epididymalen Zystadenomen in variablen Kombinationen charakterisiert ist (Maher et al. 1990; Glenn et al. 1990; Choyku et al. 1995). Die Inzidenz wird mit 1/36.000 pro Jahr geschätzt, die Penetranz beträgt mehr als 90% bis zum 65. Lebensjahr (Maher et al. 1991). Der zugrunde liegende Gendefekt sind Mutationen im VHL-Tumorsuppressorgen auf Chromosom 3p25-26. Das VHL-Gen kodiert für das VonHippel-Lindau-Protein (pVHL), das eine bedeutende Rolle in der Hypoxieübermittlung spielt (Yang u. Kaelin 2001). Ein mutiertes pVHL-Produkt hat eine gesteigerte Transkription von Hypoxie-induzierbaren Genen, die wiederum zu einer Akkumulation von verschiedenen Proteinen, einschließlich »vascular endothelial growth factor« (VEGF), »transforming growth factor alpha« (TGFα) und Erythropoetin (EPO) führt (Yang u. Kaelin 2001). Hierdurch wird das Wachstum und Überleben von endothelialen Zellen, Perizyten und Stromazellen ge6
517 6.3 · Von-Hippel-Lindau-Syndrom
. Tab. 6.8. Klinische Subtypen des VHL-Syndroms
VHLSubtyp
Tumormanifestation/Phänotyp
Typ 1
Hämangioblastome (ZNS, Retina), Nierenzellkarzinom, Pankreaszysten und -tumoren, niedriges Risiko für Phäochromozytome
Typ 2A
Phäochromozytome, Hämangioblastome (ZNS, Retina), niedriges Risiko für Nierenzellkarzinome und Pankreastumoren
Typ 2B
Phäochromozytome, Hämangioblastome (ZNS, Retina), hohes Risiko für Nierenzellkarzinome und Pankreastumoren
Typ 2C
Vorwiegend Phäochromozytome, sehr niedriges Risiko für Hämangioblstome (ZNS, Retina) und Nierenzellkarzinome
fördert und schlussendlich ihre maligne Transformation induziert. VHL tritt in 80% familiär auf und ist in 20% der Fälle durch Neumutationen verursacht (Richard 2003). Mehr als 250 unterschiedliche Keimbahnmutationen, die über das gesamte Gen verteilt sind, wurden bisher bei VHL-Patienten identifiziert. Anhand des Musters der sich bei VHL-Familien entwickelndenTumoren werden die klinischen Subtypen 1, 2A, 2B und 2C klassifiziert (. Tab. 6.8).
6.3.1
Phäochromozytom beim VHL-Syndrom
6.3.1.1 Genetik Familien mit VHL können klinisch als Familien ohne (VHLTyp 1) und Familien mit Phäochromozytomen (VHL-Typ 2) klassifiziert werden. In den letzten Jahren wurde eine zunehmende Zahl von VHL-Mutationen berichtet und hiervon schließlich auch Genotyp/Phänotyp-Assoziationen abgeleitet. VHLTyp-2-Familien weisen meist »Missense«-Mutationen im VHLGen auf. Ein Drittel der VHL-Familien mit Phäochromozytomen haben Keimbahnmutationen im Kodon 167 des VHL-Gens (Walther et al. 1999). Betroffene mit »Missense«-Mutationen des VHL-Gens an den Nukleotidpositionen 505, 547 und 775 (VHLTyp 2A) oder Mutationen an den Nukleoitidpostionen 695, 712 und 713 (VHL-Typ 2B) haben das höchste Risiko ein Phäochromozytom zu entwickeln (Chen et al. 1995; Tischerman et al. 1993; Neumann et al. 1995; Neumann u. Bender 1998). In einer Studie von 125 Individuen mit der VHL-Mutation c.505T/C hatten 47% Phäochromozytome (Bender et al. 2001). Phäochromozytome scheinen sich bei Betroffenen mit »Missense«-Mutationen an den Nukleoitidpostionen 595 und 695 früher zu entwickeln als bei Betroffenen mit anderen Mutationen (Walther et al. 1999). Die »Missense«-Mutation V84L prädisponiert zum frühen Auftreten bilateraler multipler Phäochromozytome (Abbott et al. 2006). Extraadrenale Phäochromozytome wurden nur in Familien mit »Missense«-Mutationen, meist an der Nukleotidposition 505, gefunden (Walther et al. 1999). Im Gegensatz dazu treten bei VHL-Familien mit Exondeletionen bzw. Verlust des gesamten VHL-Gens nur sehr selten Phäochromozytome auf, sondern es dominieren Hämangioblastome des zentralen Nervensystems (Hes et al. 2000).
6
Aufgrund dieser Erkenntnisse ist ein molekulargenetisches Screening von Betroffenen auf VHL-Genmutationen sinnvoll, da das genetische Ergebnis und dessen Assoziationen mit der Tumorentwicklung relevant für das Management von VHL-Patienten sein können.
6.3.1.2 Klinische Symptomatik Die zugrunde liegenden genetischen Veränderungen erklären, warum Phäochromozytome in VHL-Familien zwischen 0 und 100% identifiziert werden. So fanden sich in einer Studie mit 143 VHL-Familien bei 38 (27%) der Familien Phäochromozytome. Ein neues Phäochromozytom entwickelte sich bei 19% der betroffenen Patienten 1–20 Jahre nach dem erstdiagnostizierten Phäochromozytom. Das Durchschnittsalter bei der Erstdiagnose eine Phäochromozytoms betrug 28 Jahre (Spannbreite 6–56 Jahre). Im Gegensatz dazu entwickelten 182 VHL-Patienten von 105 unterschiedlichen VHL-Familien keine Phäochromozytome (Walther et al. 1999). Patienten mit VHL-Phäochromozytomen, die im Rahmen von Screening-Untersuchungen festgestellt wurden, haben häufig (84%) keine Zeichen oder Symptome des Phäochromozytoms. Walther et al. (1999) fanden nur bei 57% der Patienten mit Phäochromozytom, die im Rahmen des Screenings diagnostiziert wurden, eine erhöht nachweisbare Sekretion von Urinkatecholaminen. 35% der Phäochromozytome traten bei Patienten ohne Symptome, mit normalem Blutdruck und normalen Katecholaminwerten auf. Nur 66% der VHL-Patienten mit Phäochromozytomen in dieser Studie hatten eine positive Methajodobenzylguanidin (MIBG)-Szintigraphie. Im Gegensatz dazu haben VHLPatienten mit Phäochromozytom, die nicht im Rahmen eines Früherkennungsprogramms diagnostiziert wurden, meist Symptome des Phäochromozytoms, erhöht nachweisbare Katecholamine im Urin sowie eine arterielle Hypertonie (Richard et al. 1994). VHL-Patienten mit Phäochromozytom haben in ca. 85% adrenale und 15% extraadenale Tumoren, die ubiquitär im symptatischen Grenzstrang auftreten. Wie die anderen Patienten mit anderen prädisponierenden hereditären Tumorsyndromen sind VHL-Patienten zur Entwicklung von bilateralen und multifokalen Phäochromozytomen prädisponiert (Neumann et al. 1993). Multifokale Phäochromozytome treten bei ca. 50% und Metastasen bei 1,6% der VHL-Patienten auf. Der natürliche Verlauf der Phäochromozytome bei VHLPatienten zeigt ein sehr langsames Fortschreiten mit einer graduellen Entwicklung der Funktion. Früherkennungsuntersuchungen in Hochrisikofamilien sollten nach Expertenmeinung ab dem 10. Lebensjahr beginnen. Solche Screening-Untersuchungen sollten die Bestimmung der Urinkatecholamine, insbesondere der Metanephrine, die MIBG-Szinitigraphie, Computertomographie oder Endosonographie, die im zweijährlichen Intervall durchgeführt werden sollten, umfassen.
VHL-Patienten mit klinischen Zeichen oder Symptomen eines Phäochromozytoms sollten in jedem Fall vor einer anstehenden Operation oder Schwangerschaft in bezug auf das Vorliegen eines Phäochromozytoms evaluiert werden.
518
6
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
6.3.1.3 Operative Therapie Die Behandlung eines unilateralen VHL-Phäochromzytoms kann entweder mit unilateraler Adrenalektomie oder unilateraler partieller Adrenalektomie behandelt werden. Die subtotale einseitige Adrenalektomie scheint mit einer exzellenten Aufrechterhaltung der adrenalen Funktion sowie einer sehr niedrigen Rezidivrate assoziiert zu sein (Walther et al. 1998; Baghai et al. 2002). Bei Vorliegen bilateraler Phäochromozytome erscheint in Abhängigkeit vom Befund (solitär oder multilokulär) eine bilaterale Adrenalektomie oder eine einseitige Adrenalektomie mit subtotaler Adrenalektomie der Gegenseite indiziert. Die minimalinvasive laparoskopische Adrenalektomie oder retroperitoneoskopische Adrenalektomie sind heute die bevorzugten Verfahren. 6.3.2
Pankreaserkrankungen beim VHL-Syndrom
6.3.2.1 Klinische Symptomatik Basierend auf retrospektiven Analysen finden sich Pankreasläsionen bei 50–77% der VHL-Patienten (Hammel et al. 2000; Mukhopadhyay et al. 2002). Die häufigste Pankreasmanifestation des VHL ist sind Pankreaszysten, die bei 17–56% der VHL-Patienten festgestellt werden können (Neumann et al. 1991; Hough et al. 1994). Solche Pankreaszysten, die entweder singulär oder multipel vorkommen können, sind im Allgemeinen asymptomatisch, bergen kein malignes Potenzial und werden normalerweise während routinemäßig durchgeführter bildgebender Untersuchungen des Abdomens diagnostiziert. Gelegentlich kann eine zystische Pankreaserkrankung das gesamte Pankreasorgan zystisch transformieren und Symptome, wie Völlegefühl und Magenausgangsstenose, verursacht durch eine Kompression des Duodenums, hervorrufen. In einigen Fällen kann auch eine exokrine oder endokrine Pankreasinsuffizienz resultieren. Seröse Zystadenome werden ebenfalls vermehrt bei VHLPatienten gefunden (Choyke et al. 1995). Genetische Analysen dieser Läsionen haben gezeigt, dass sie häufig einen Verlust der Heterozygosität des VHL-Locus sowie eine Mutation des VHLTumorsuppressorgens aufweisen (Vortmeyer et al. 1997). Diese Tumoren wachsen sehr langsam, eine Metastasierung ist im Rahmen des VHL-Syndroms bisher nicht beschrieben. Sie bedürfen lediglich einer definitiven operativen Therapie, wenn sie aufgrund ihrer Größe Symptome verursachen. Neuroendokrine Pankreastumoren (NPT) sind zwar deutlich seltener als Pankreaszysten und seröse Zystadenome bei VHL-Syndrom, haben aber eine deutlich größere Bedeutung aufgrund ihres malignen Potenzials. Die Prävalenz der NPT in der VHL-Population liegt zwischen 5 und 17%, allerdings beruhen viele Literaturangaben auf kleineren Fallserien (Fishman et al. 1979; Probst et al. 1978; Mulshine et al. 1984; Mount et al. 1995; Hes et al. 2000; Hammel et al. 2000; Libutti et al. 2000). Das durchschnittliche Alter bei Diagnosestellung eines NPT beträgt bei VHL-Patienten 36 Jahre (Hes et al. 2001; Hammel et al. 2000). NPT bei VHL-Patienten sind fast immer nichtfunktionell, obwohl sie immunhistochemisch häufig für ein oder mehrere neuroendokrine Peptide, wie z. B. Insulin oder Glucagon positiv sind (Lubensky et al. 1998). Da NPT beim VHL-Syndrom häufig klinisch stumm sind, werden sie gewöhnlich während des Routine-Screenings aufgedeckt. In einer französischen Studie an 158 VHL-Patienten zeigten 122 (77%) Patienten eine Pankreasbeteiligung. 99% der Patienten hatten Pankreaszysten, 12,3%
seröse Zystadenome, 12,3% nichtfunktionelle NPT und 11% kombinierte Läsionen (Hammel et al. 2000). NPT beim VHL haben sowohl in der Computertomographie als auch in der Magnetresonanztomographie ein charakteristisches Erscheinungsbild. Sie erscheinen als kontrastmittelaufnehmende Läsionen im CT oder mit hoher Signalintensität in der T2-gewichteten Sequenz im MRT (Choyke et al. 1995), was auf der guten Vaskularisierung dieser Tumoren beruht. NPT beim VHL finden sich in etwa 50% im Pankreaskopf und zu je 25% im Pankreaskorpus oder -schwanz (Marcos et al. 2002). Eine eindeutige Genotyp-Phänotyp-Korrelation konnte für NPT beim VHL-Syndrom bisher nicht nachgewiesen werden. Allerdings gibt es erste Hinweise darauf, dass »Missense-Mutationen« im Exon 3 des VHL-Gens mit einem vermehrten Auftreten von NPT assoziert sein könnten (Curley et al. 1998; Libutti et al. 2000). 6.3.2.2 Operative Therapie Kritisch für das Management von NPT im Rahmen des VHLSyndroms ist, wie auch bei anderen familiären Tumorsyndromen, z. B. MEN 1, eine vorsichtige Abwägung der Risiken und Vorteile einer Operation versus der Beobachtung. Die Rationale für eine chirurgische Behandlung der meist nichtfunktionellen und im Allgemeinen asymptomatischen NPT basiert auf deren malignen Potenzial mit der Möglichkeit zur Metastasierung. Die häufigsten Fernmetastasen finden sich in der Leber und im Knochen (Libutti et al. 1998). Libutti et al. (1998) identifizierten 30 VHLPatienten mit NPT. 5 (17%) dieser Patienten hatten zum Zeitpunkt der Primäroperationen bzw. entwickelten im weiteren Verlauf Fernmetastasen, insbesondere in der Leber. Diese Analyse des erweiterten Patientengutes zeigte, dass Patienten mit Primärtumoren >3 cm in ca. 20% Lebermetastasen aufwiesen, während bei keinem Tumor <3 cm Metastasen nachgewiesen wurden (Marcos et al. 2002). Kein anderer Faktor, außer der Tumorgröße war mit dem Risiko für die Entwicklung einer metastatischen Erkrankung assoziiert.
Die operative Behandlung von VHL-Patienten mit NPT sollte den Grundsatz verfolgen, soviel wie möglich funktionelles Pankreasgewebe zu belassen.
Aus diesem Grunde bevorzugen viele Experten, wenn immer möglich, eine Enukleation. Die intraoperative Ultraschalluntersuchung wird als obligat betrachtet, nicht allein um mögliche okkulte Läsionen aufzudecken, sondern vielmehr um die Nähe eines Tumors zum Pankreasgang zu bestimmen. Um das Operationstrauma möglichst gering zu halten, ist bei präoperativ visualisiertem NPT im Pankreaskorpus oder -schwanz eine laparoskopische Enukleation bzw. laparoskopische milzerhaltende Pankreaslinksresektion möglich. Die entscheidende Frage ist, wann ein NPT im Rahmen des VHL-Syndroms operiert werden sollte. Hierzu gibt es keinerlei evidenzbasierte Daten, nur kleinere Fallserien. Die meisten Experten empfehlen Läsionen kleiner <1 cm alle 12 Monate mit CT, MRT oder Endosonographie zu beobachten. Bei Läsionen zwischen 1 und 3 cm ist eine Fall-zu-Fall-Entscheidung indiziert. Tumoren >3 cm oder kleine Tumoren, die hormonproduzierend sind, sollten reseziert werden. Bei VHL-Patienten, die sich wegen einer anderen Ursache einer abdominellen Exploration oder
519 6.3 · Von-Hippel-Lindau-Syndrom
6
. Tab. 6.9. Überwachungsleitlinien für Patienten mit VHL-Syndrom
Zielorgan
Untersuchungen
Untersuchungsintervall
Empfohlenes Alter bei Erstuntersuchung
ZNS-Hämangioblastom
MRT der kraniospinalen Achse
Jährlich
11–15 Jahre
Retinales Hämangioblastom
Fundoskopie
Jährlich
6 Jahre
Klarzell-Nierenzellkarzinom
Abdomen-MRT, CT oder Ultraschall
Jährlich
15–18 Jahre
Neuroendokriner Pankreastumor
Abdomen-MRT
Jährlich bis 2-jährlich
11–20 Jahre
Phäochromozytom
Katecholamine/Metanephrine im 24-h-Sammelurin, MRT, MIBG-Szintigraphie
Jährlich
10 Jahre
Endolymphatischer Sacktumor
Audiologischer Funktionstest, CT oder MRT des inneren Gehörgangs
Keine
Wenn klinisch indiziert
Operation unterziehen müssen, sollte auch die Resektion eines evtl. vorliegenden Pankreastumors in Betracht gezogen werden. 6.3.3 Screening Obwohl zahlreiche Studien aus jüngerer Zeit zu unserem Verständnis der Genotyp-Phänotyp-Korrelation beim VHL-Syndrom beigetragen haben, sind die Daten für eine mutationsspezifische genetische Beratung und Screening-Programme derzeit noch nicht ausreichend valide. Dies liegt daran, dass die Gesamtzahl der Träger einer bestimmten VHL-Keimbahnmutation in den meisten Fällen zu gering ist. Von daher empfehlen die meisten Autorengruppen immer noch ein routinemäßiges Screening auf alle im Rahmen des VHL-Syndroms möglichen Organmanifestationen (. Tab. 6.9). Für die möglichen Manifestationen in endokrinen Organen bedeutet dies, dass das Vorhandensein eines Phäochromozytoms, insbesondere bei VHL-Typ-2-Familien, ab dem 10. Lebensjahr mit der Bestimmung von Katecholaminen und Metanephrinen im 24-h-Sammelurin, abdominellem MRT und MIBG-Szintigraphie jährlich überprüft werden sollte. Bezüglich der Aufdeckung von NPT reichen die Empfehlungen von 1- bis 2-jährlichem Screening mittels abdominellem MRT oder Endosonographie ab dem 10. bis 20. Lebensjahr. Literatur Abbott MA, Nathanson KL, Nightingale S, Maher ER, Greenstein RM (2006) The von Hippel-Lindau (VHL) germline mutation V84L manifests as early-onset bilateral pheochromocytoma. Am J Med Genet A 140:685– 690 Baghai M, Thompson GB, Young WF Jr, Grant CS, Michels VV, van Heerden JA (2002) Pheochromocytomas and paragangliomas in von HippelLindau disease: a role for laparoscopic and cortical-sparing surgery. Arch Surg 137:682–688 Bender BU, Eng C, Olschewski M, Berger DP, Laubenberger J, Altehofer C, Kirste G, Orszagh M, van Velthoven V, Miosczka H, Schmid D, Neumann HP (2001) VHL c.505 T>C mutation confers a high age related penetrance but no increased overall mortality. J Med Genet 38:508–514 Chen R, Kishida T, Yao M et al. (1995) Germline mutations in the von HippelLindau disease tumor suppressor gene: correlations with phenotype. Hum Mutat 5:66–75 Choyke PL, Glenn GM, Walther MM et al. (1995) Von Hippel-Lindau disease: genetic, clinical, and imaging features. Radiolgy 194:629–642
Curley SA, Lott ST, Luca JW, Frazier ML, Killary AM (2002) Surgical decisionmaking affected by clinical and genetic screeining of a novel kindred with von Hippel-Lindau disease and pancreatic islet cell tumors. Ann Surg 227:229–235 Fishman RS, Bartholomew LG (1979) Severe pancreatic involvement in three generations in von Hippel-Lindau disease. Mayo Clin Proc 54:329–331 Glenn GM, Choyke P, Zbar B et al. (1990) Von Hippel-Lindau disease: clinical review and molecular genetics. Probl Urol 4:312–330 Glenn GM, Daniel LN, Choyke P et al. (1991) Von Hippel-Lindau (VHL) disease: distinct phenotypes suggest more than one mutant allele at the VHL locus. Hum Genet 87:207–210 Hes F, Zewald R, Peeters T, Sijmons R, Links T, Verheij J et al. (2000) Genotype-phenotype correlations in families with deletions in the von Hippel-Lindau (VHL) gene. Hum Genet 106:425–431 Hammel PR, Vilgrain V, Terris B, Penfornis A, Sauvanet A, Correas JM, Chauveau D et al. (2000) Oancreatic involvement in von HippelLindau disease. The Group Francophone d’Etude de la Maladie de von Hippel Lindau. Gastroeneterology 119:1087–1095 Hough DM, Stephens DH, Johnson CD et al. (1994) Pancreatic lesions in von Hippel-Lindau disease: prevalence, clinical significance, and CT findings. Am J Roentgenol 162:1091–1094 Joerger M, Koeberle D, Neumann HP, Gillessen S (2005) Von HippelLindau disease-a rare disease important to recognize.Onkologie 28:159–163 Libutti SK, Choyke PL, Bartlett D et al. (1998) Pancreatic neuroendocrine tumors associated with von Hippel-Lindau: diagnostic and management recommendations. Surgery 124:1153–1159 Libutti SK, Choyke PL, Alexander HR, Glenn G, Bartlett DL, Zbar B et al. (2000) Clinical and genetic analysis of patients with pancreatic neuroendocrine tumors associated with von-Hippel-Lindau disease. Surgery 128:1022–1027 Lubensky IA, Pack S, Ault D et al. (1998) Multiple neuroendocrine tumors of the pancreas in von Hippel-Lindau disease patients. Histopathological and molecular genetic analysis. Am J Pathol 153:223–231 Maher ER, Iselius L, Yates JR et al. (1991)Von Hippel-Lindau disease: a genetic study. J Med Genet 28:443–447 Maher ER, Yates JR, Harries R et al. (1990) Clinical features and natural history of von Hippel-Lindau disease. Q J Med 77:1151–1163 Marcos HB, Libutti SK, Alexander HR, Lubensky IA, Bartlett DL, Walther MM et al. (2002) Neuroendocrine tumors of the pancreas in von HippelLindau disease: spectrum of appearances at CT and MR imaging with histopathologic comparison. Radiology 225:751–758 Mount SL, Weaver DL, Taatjes DJ et al. (1995) Von Hippel-Lindau disease presenting as pancreatic neuroendocrine tumour. Virchows Arch Pathol Anat Histo Patho 426:523–528
520
6
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
Mukhopadhyay B, Sahdev A, Monson JP, Besser GM, Reznek RH, Chew SL (2002) Pancreatic lesions in von Hippel-Lindau disease. Clin Endocrinol 57:603–608. Mulshine JL Tubbs R, Sheeler LR et al. (1984) Clinical significance of the association of the von Hippel-Lindau disease with pheochromocytoma and pancreatic apudoma. Am J Med Sci 288:212–216 Neumann HP, Bender BU (1998) Genotype-phenotype correlations in von Hippel-Lindua disease. J Intern Med 243:541–545 Neumann HP, Dinkel E, Brambs H et al. (1991) Pancreatic lesions in the von Hippel-Lindau syndrome.Gastroenterology 101:465–471 Neumann HP, Berger DP, Sigmund G et al. (1993) Pheochromocytomas, multiple endocrine neoplasia type 2, and von Hippel-Lindau disease. N Engl J Med 329:1531–1538 Neumann HP, Eng C, Mulligan LM et al. (1995) Consequences of direct genetic testing for germline mutations in the clinical management of families with multiple endocrine neoplasia, type II. JAMA 274:1149– 1151 Probst A, Lotz M, Heitz P (1978) Von Hippel-Lindau’s disease, syringomyelia and multiple endocrine tumors: a complex neuroendocrinopathy. Virchows Arch A Pathol Anat Histopathol 378:265–272 Richard S (2003) von Hippel-Lindau disease: recent advances and therapeutic perspectives. Expert Rev Anticancer Ther 3:215–233 Richard S, Beigelman C, Duclos JM et al. (1994) Pheochromocytoma as the first manifestation of von Hippel-Lindau disease. Surgery 116:1076– 1081 Tisherman SE, Tisherman BG, Tisherman SA et al. (1993) Threedecade investigation of familial pheochromocytoma. An allele of von HippelLindau disease? Arch Intern Med 153:2550–2556 Vortmeyer AO; Lubensky IA, Fogt F et al. (1997) Allelic deletion sor gene in pancreatic microcystic adenomas. Am J Pathol 151:951–956 Walther MM, Keiser HR, Choyke PL et al. (1998) Management of hereditary pheochromocytoma in von Hippel-Lindau kindreds with partial adrenalectomy. J Urol 161:395–398 Walther MM, Reiter R, Keiser HR et al. (1999) A clinical and genetic characterization of pheochromocytoma in von Hippel-Lindau families. Comparison with sporadic pheochromocytoma gives insight into natural history of pheochromocytoma. J Urol 162:659–664 Yang H, Kaelin WG Jr (2001) Moelcular pathogenesis of the von HippelLindau hereditary cancer sndrome: implications for oxygen sensing. Cell Growth Differ 12:447–455
Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen)
6.4
V. Fendrich, D.K. Bartsch ) ) Unter der Bezeichnung Neurofibromatose wird eine Gruppe hereditärer neurokutaner Tumorprädispositionskrankheiten zusammengefasst. Friedrich von Recklinghausen prägte 1882 den Begriff »Neurofibromatose« durch seine Schrift: »Über die multiplen Fibrome der Haut und ihrer Beziehung zu den multiplen Neuromen«, in der er auch die Beziehung der Tumoren zum Bindegewebe des peripheren Nervensystems darstellte (von Recklinghausen 1882). Heute wird die Diagnose »Neurofibromatose« mit den Zusätzen »Typ 1« und »Typ 2« (NF1 und NF2) den beiden genetisch am genauesten definierten Formen der Krankheit zugeordnet. Hierbei werden 90% aller Fälle der NF1 zugeordnet. Bei der NF1 treten neben einer Reihe von Tumoren auch Phäochromozytome und neuroendokrine Tumoren des Pankreas bzw. Duodenums auf, die in diesem Kapitel detaillierter besprochen werden.
6.4.1
Klinische Symptomatik
6.4.1.1 Neurofibromatose Typ 1 Die NF1 ist eine häufig auftretende, autosomal-dominant vererbte Erkrankung, die mit einer Inzidenz von 1 auf 3000 Geburten auftritt (Riccardi u. Eichner 1986). Ungefähr 50% aller Neuerkrankungen sind auf Spontanmutationen zurückzuführen und weisen keine Familienanamnese auf. Die Penetranz liegt bei nahezu 100% bei variabler Expressivität. Familien mit mehreren Betroffenen weisen oft ein weites Spektrum der Schwere der Erkrankung und dem damit verbundenen Auftreten von Tumoren auf. Ebenso besteht eine hohe Variabilität innerhalb von Familien trotz gleicher Mutation, vergleichbar den Unterschieden von verschiedenen Familien mit unterschiedlichen Mutationen im NF1-Gen. Somit bleibt festzuhalten, dass kein spezifischer Genotyp-Phänotyp besteht (Lynch u. Gutmann 2002). Die Krankheit ist durch das Auftreten von benignen und malignen Tumoren des zentralen und peripheren Nervensystems, Pigmentierungsanomalien (Café-au-lait-Flecken, gesprenkelte Hyperpigmentierung in Hautfalten) und kutanen, subkutanen und/oder plexiformen Neurofibromen gekennzeichnet (Lynch u. Gutmann 2002). Zudem haben Patienten mit NF1 ein gegenüber der normalen Bevölkerung 4-fach erhöhtes Risiko, maligne Tumoren, insbesondere Karzinome und Sarkome, zu entwickeln (Zöller 1997). Bei 25% der Patienten kommt es zu einer gastrointestinalen Manifestation, meist in Form intestinaler Fibrome, die zu rezidivierenden Blutungen führen können (Fendrich et al. 2004). Ebenso kommt es zum Auftreten von Phäochromozytomen und sehr selten zu neuroendokrinen Tumoren des Pankreas bzw. Duodenums. Die diagnostischen Kriterien der NF1, die 1987 durch eine Consensus Conference des National Institutes of Health festgelegt wurden (NIH 1988), lassen in der Regel eine einwandfreie Diagnosestellung zu. Sie sind erfüllt, wenn 2 oder mehr der folgenden Kennzeichen vorliegen: 4 6 oder mehr Café-au-lait-Flecken mit einem größten Durchmesser >5 mm bei präpubertären und >15 mm bei postpubertären Individuen 4 2 oder mehr Neurofibrome beliebigen Typs oder 1 plexiformes Neurofibrom 4 Gesprenkelte axilläre oder inguinale Hyperpigmentierungen 4 Optikusgliom 4 2 oder mehr Lisch-Knötchen (Irishamartome) 4 Eine umschriebene Knochenläsion wie Keilbeinflügeldysplasie oder Verschmächtigung/Auflockerung der langen Röhrenknochen mit oder ohne Pseudarthrose 4 1 Verwandter I. Grades mit NF1, den obigen Kriterien entsprechend Die zugrunde liegenden Gendefekte sind Mutationen im NF1Tumorsuppressorgen auf Chromosom 17q11.2, das für das Protein Neurofibromin kodiert (Cawthon et al. 1990; Wallace et al. 1990). Neurofibromin gehört zur Familie der Ras-GTPasen. Diese regeln den Aktivierungsstatus des Protoonkogens p21-RAS (Wigler 1990). GAP-Moleküle hydrolysieren die aktive Form von p21-RAS-GTP und überführen sie so in die inaktive Form p21RAS-GDP. Die Aktivierung von RAS bzw. seine fehlende Inaktivierung führt dann zur vermehrten Zellproliferation. Aufgrund dieser Eigenschaften, muss Neurofibromin als Tumorsuppressorgen angesehen werden. Dies konnte in mehreren Studien elegant nachgewiesen werden (Übersicht in Lynch u. Gutmann 2002).
521 6.4 · Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen)
6.4.1.2 Neurofibromatose Typ 2 Die NF2 ist etwa 10-mal seltener als die NF1, die Inzidenz liegt bei 1:40.000. Das Leitsymptom der NF2 ist das bilaterale Vestibularisschwannom. Das NF2-Gen ist auf Chromosom 22 lokalisiert, Phäochromozytome und neuroendokrine Tumoren des Pankreas und Duodenums sind nicht mit der NF2 assoziiert (Walther et al. 1999). 6.4.2
Phäochromozytom bei NF1
1910 erkannte Suzuki erstmals die Assoziation von Phäochromozytomen und der NF1 (Suzuki 1910). Retrospektive Untersuchungen von Familien mit NF1 ergaben eine Inzidenz von Phäochromozytomen, die zwischen 0,1 und 5,7% lag (Zöller et al. 1997). In Autopsieserien lag die Rate der entdeckten Phäochromozytome sogar zwischen 3,3 und 13% (Okada u. Shozawa 1984). 6.4.2.1 Genetik Unter den Tumoren, die sich aufgrund des Verlustes des NF1Gens entwickeln, nimmt das Phäochromozytom eine besondere Rolle ein. Transgene NF1+/--Mäuse haben ein erhöhtes Risiko verschiedene Tumoren zu entwickeln. Besonders Phäochromozytome, die in Wildtypmäusen nur sehr selten spontan auftreten, entwickelten sich regelmäßig in den NF1-Gen mutierten Mäusen und sorgen so für eine enge Verknüpfung von experimenteller und humaner Neurofibromatose (Jacks 1994). Im Gegensatz zum Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL; 7 Kap. 6.3), konnte bei der NF1 bisher keine Genotyp-PhänotypAssoziation nachgewiesen werden. Somit besteht keine Möglichkeit, NF1-Patienten zu identifizieren, die ein erhöhtes Risiko haben, ein Phäochromozytom zu entwickeln (Walther et al. 1999). Interessanterweise konnten Gutmann et al. (1994) nachweisen, dass eine reduzierte oder fehlende NF1-Genexpression zur Tumorgenese von Phäochromozytomen auch dann beiträgt, wenn diese nicht im Rahmen einer NF1 entstehen. Dies war bei einem von vier sporadisch aufgetretenem Phäochromozytom, 3 von 10 MEN-2a-Phäochromozytomem, 2 von 4 MEN-2b-Phäochromozytomem und 1 von 2 VHL-Phäochromozytomem der Fall. 6.4.2.2 Klinische Symptomatik 1999 veröffentlichten Walther et al. die bis heute größte Übersichtsarbeit über das gemeinsame Auftreten der NF1 und Phäochromozytomen. Sie evaluierten die Daten von 148 Patienten (87 Frauen und 61 Männer). Das mittlere Alter der Patienten bei Diagnosestellung des Phäochromozytoms lag bei 42 Jahren (Spannbreite 1,5–74). 84% der Patienten hatten ein solitäres Phäochromozytom, 10% hatten eine bilaterale Erkrankung, eine geringe Zahl im Vergleich zu anderen prädisponierenden hereditären Tumorsyndromen. 6% der Patienten hatten extraadrenale Phäochromozytome, die nahezu komplett im sympathischen Grenzstrang auftraten. Phäochromozytom-assoziierte Symptome lagen bei 61% der Patienten vor, einhergehend mit einer arteriellen Hypertonie bei 61%. 22% der Patienten hatten weder einer arterielle Hypertonie noch andere Beschwerden, die auf ein Phäochromozytom zurückzuführen waren. Grundsätzlich sollte daher bei jedem Patienten mit NF1 und arterieller Hypertonie ein Phäochromozytom als Ursache ausgeschlossen werden. Dies gilt besonders
6
auch für NF1-Patientinnen, bei denen während einer Schwangerschaft eine arterielle Hypertension diagnostiziert wird. Nichtdiagnostizierte Phäochromozytome können, wie in der Normalbevölkerung natürlich auch, zu spontanen Aborten oder gar zum Tod des ungeborenen Kindes führen (Sharma et al. 1991). 77% der NF1-Patienten in dieser Studie hatten eine positive Metajodobenzylguanidin (MIBG)-Szintigraphie (Walther et al. 1999), allerdings lagen den Autoren hierfür lediglich von 22 Patienten die exakten klinischen Daten zur Auswertung vor. Gerade bei NF1-Patienten sollte eine gezielte Evaluation von Inzidentalomen durchgeführt werden, um ein Phäochromozytom sicher auszuschließen (Walther et al. 1999). Maligne Phäochromozytome lagen bei 17 von 148 Patienten (11,5%) vor. Dabei wiesen bereits 15 der 17 Patienten bei Erstdiagnose des Phäochromozytoms Metastasen auf. Bei einem Patienten entwickelten sich Metastasen nach 2 Jahren, bei einem weiteren Patienten 19 Jahre nach Diagnosestellung. 30% der Patienten mit malignem Phäochromozytom hatten Lebermetastasen, 30% Lungenmetastasen, 25% Knochen- und 10% Lymphknotenmetastasen. 5% der Patienten wiesen eine Peritonealkarzinose auf. Zur erwähnen ist, dass Phäochromozytome bei NF1-Patienten mit dem Auftreten von Ganglionneuroblastomen assoziiert sein können. Diese Patienten wiesen in 60% der Fälle Metastasen auf, was auf einen aggressiven Phänotyp hindeuten könnte (Sakaguchi et al. 1996). 6.4.2.3 Therapie Die Behandlung der NF1-Phäochromozytome bzw. die Resektion der Tumoren entspricht der im Rahmen anderer prädisponierender hereditärer Tumorsyndrome (7 Kap. 6.1). 6.4.3
Neuroendokrine Tumoren des Duodenums und des Pankreas bei NF1
6.4.3.1 Genetik Wie beim Phäochromozytom, besteht zurzeit noch keine Möglichkeit, NF1-Patienten zu identifizieren, die ein erhöhtes Risiko haben, duodenale oder pankreatische neuroendokrine Tumoren zu entwickeln. 6.4.3.2 Klinische Symptomatik Bei 25% der NF1-Patienten kommt es zu einer gastrointestinalen Manifestation. Das gesamte Spektrum der Tumoren des Gastrointestinaltrakts reicht von Hyperplasien des Plexus myentericus, zu Neurofibromen, gastrointestinalen Stromatumoren, Phäochromozytomen, Adenokarzinomen, periampullären Tumoren und seltenen neuroendokrinen Tumoren des Pankreas. In einer Übersichtsarbeit berichteten Klein et al. (1989) über 37 Kasuistiken periampullärer Neoplasien in NF1-Patienten. Hiervon entstammten 54% der Ampulla Vateri, 38% lagen im Duodenum und 8% im Pankreas. Die histologische Aufarbeitung ergab, dass es sich in 41% um neuroendokrine Tumoren (»Karzinoide«) und bei 30% um Neurofibrome handelte. Adenokarzinome traten deutlich seltener auf. Eine Form dieser periampullären Tumoren sind die von Cantor et al. (1982) erstmals beschriebenen duodenalen Somatostatinome. Bis 1995 wurden 27 Fälle (16 Frauen und 11 Männer) dieser Koinzidenz beschrieben und von Mao et al. (1995) in einer Übersichtsarbeit zusammengestellt. Das mittlere Alter der Patienten bei Diagnosestellung des Somatostatinoms lag bei
522
Kapitel 6 · Multiple endokrine Neoplasien
b
6 a
. Abb. 6.12a–c. Duodenales Somatostatinom. a Operationspräparat nach pyloruserhaltender partieller Duodenopankreatektomie. b HE-Färbung, ×200. Tumorgewebe mit soliden Zellnestern und glandulären Strukturen. c Immunhistochemische Untersuchung (×200) zeigt die neuroendokrine Herkunft des Tumors durch die positive Expression von Chromogranin
46 Jahren (Spannbreite 26–70). Alle duodenalen Somatostatinome waren entweder direkt an der Papilla Vateri (. Abb. 6.12) oder an der medialen Wand der Pars descendens des Duodenums lokalisiert (Mao et al. 1995). Die mittlere Tumorgröße lag bei 2,8 cm (Spannbreite 1–5). Die klinische Präsentation der duodenalen Somatostatinome wird meist nicht durch das produzierte Hormon, sondern durch Hormon-unspezifische Symptome wie Ikterus, Abdominalschmerzen, Gewichtverlust oder gastrointestinalen Blutungen bestimmt. Bis heute wurden 36 Fälle mit dieser Koinzidenz beschrieben, eine Patientin wurde in der eigenen Klinik behandelt (Fendrich et al. 2004). Bei diesen 36 Fällen wurde 14-mal eine Metastasierung, zumeist lymphogen, beobachtet. Ikterus, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen als Zeichen einer duodenalen Obstruktion, Gewichtsverlust und obere gastrointestinale Blutung sind die häufigsten Beschwerden (Mao 1995). Das bei pankreatischen Somatostatinomen regelhaft auftretende Somatostatinsyndrom mit Hyperglykämie, Cholezystolithiasis und Maldigestion konnte bei keinem Patienten mit duodenalem Somatostatinom nachgewiesen werden. Neuroendokrine Tumoren des Pankreas treten bei NF1Patienten sehr selten auf. 2002 berichtete eine japanische Arbeitsgruppe über den erst 13. Fall eines malignen Pankreastumors bei einem NF1-Patienten, von denen lediglich 4 Tumoren neuroendokriner Herkunft waren (Fujisawa et al. 2002). Dabei handelte es sich um 2 Somatostatinome, ein Gastrinom und ein nichtfunktionelles neuroendokrines Karzinom. Anhand ihrer Größe können die Tumoren durch bildgebende Verfahren wie Abdomensonographie, Endosonographie, Computertomographie und MRT meist problemlos dargestellt werden.
c
6.4.3.3 Therapie Aufgrund der sehr kleinen Fallzahlen und fehlender Daten zur Langzeitnachbeobachtung ist die optimale Behandlung der duodenalen und pankreatischen neuroendokrinen Tumoren bei NF1-Patienten bis heute nicht definiert. Nach Harris et al. (1987) können kleine duodenale Somatostatinome mit einer Größe bis 2 cm durch lokale Exzision adäquat behandelt werden. In einer anderen Studie wurde bei 4 Patienten mit duodenalem Somatostatinom eine solche begrenzte Resektion durchgeführt (O’Brien et al. 1993). Bei allen Patienten war der Tumor kleiner als 2 cm und es gab keinen Hinweis auf eine Metastasierung. Im zweijährigen Follow-up kam es bei keinem Patienten zu einem Tumorrezidiv. Duodenale Somatostatinome der periampullären Region mit einem Durchmesser von über 2 cm bzw. Tumoren mit Lymphknotenmetastasen sollten durch Segmentresektion oder durch partielle Duodenopankreatektomie mit Lymphadenektomie therapiert werden (Eckhauser und Coletti 1998). Bei Patienten mit Lebermetastasen sollte ein Tumor-Debulking in Erwägung gezogen werden. Um die neuroendokrinen Pankreastumoren onkologisch radikal zu resezieren, werden die gleichen Resektionsverfahren wie beim duktalen Adenokarzinom des Pankreas angewandt. Dies bedeutet die klassische Pankreaslinksresektion mit Splenektomie oder die Whipple-Operation, die, wenn technisch möglich, pyloruserhaltend durchgeführt werden sollte. Aufgrund des Fehlens entsprechender Daten und der Seltenheit der Tumoren kann nur aus Einzelberichten von einer verbesserten Prognose für den Patienten geschlossen werden.
523 6.4 · Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen)
6.4.3.4 Screening Derzeit liegt kein ausreichend validiertes Screening-Programm für NF1-Patienten im Hinblick auf Phäochromozytome vor. Daher empfehlen viele Autorengruppen ein jährliches Screening mit der Bestimmung von Katecholaminen und Metanephrinen im 24-h-Sammelurin und abdomineller Computertomographie. Da aber die Inzidenz von Phäochromozytomen bei NF1-Patienten eher gering ist, sollten nach unserer Meinung diese Maßnahmen nur bei NF1-Patienten mit arterieller Hypertonie, Schwangerschaften oder bevorstehenden Interventionen (z. B. Operationen) zum Tragen kommen (Walther et al. 1999; Lenders et al. 2005).
Aufgrund des insgesamt sehr geringen Risikos für NF1-Patienten, neuroendokrine duodenale oder pankreatische Tumoren zu entwickeln, ist ein routinemäßiges Screening zurzeit nicht zu empfehlen. Eine entsprechende Diagnostik ist nur bei symptomatischen Patienten, insbesondere mit Zeichen der duodenalen oder biliären Obstruktion, durchzuführen.
Literatur Cantor AM, Rigby CC, Beck PR, Mangion D (1982) Neurofibromatosis, phaeochromozytoma, and somatostatinoma. BMJ 285:1618 Cawthon R, Weiss R, Xu G, Viskochil D, Culver M, Stevens J, Robertson M, Dunn D, Gesteland R, O’Connell P (1990) A major segment of the neurofibromatosis type 1 gene: cDNA sequence, genomic structure and point mutations. Cell 62:193–201 Eckhauser FE, Colletti LM (1998) Somatostatinoma. In: Beger HG, Warshaw Al, Carr-Locke D, Russell C, Büchler MW, Neoptolemos JP, Starr MG (eds) The pancreas. Blackwell Science, London, p 1270 Fendrich V, Slater EP, Ramaswamy A, Bartsch DK (2004) Duodenal somatostatinoma associated with Von Recklinghausen’s disease. J Hepatobiliary Pancreatic Surg 11:417–421 Fujisawa T, Osuga T, Maeda M, Sakamoto N, Maeda T, Sakaguchi K, Onishi Y, Toyoda M, Maeda H, Miyamoto K, Kawaraya N, Kusumoto C, Nishigami T (2002) Malignant endocrine tumor of the pancreas associated with von Recklinghausen’s disease J Gastroenterol 37:59–67 Gutmann DH, Cole J, Stone W, Ponder BAJ, Collins FS (1994) Loss of neurofibromin in adrenal gland tumors from patients with neurofibromatosis 1. Genes Chromosomes Cancer 10:55–58 Harris GJ, Tio F, Cruz A Jr (1987) Somatostatinoma: a case report and review of the literature. J Surg Oncol 36:8
6
Jacks T, Shih TS, Schmitt EM (1994) Tumour predisposition in mice heterozygous for a targeted mutation in Nf1. Nat Genet 753–761 Klein A, Clemens J, Cameron J (1989) Periampullary neoplasms in von Recklinghausen’s disease. Surgery 106:815 Lenders JWM, Eisenhofer G, Mannelli M, Pacak K (2005) Phaeochromocytoma. Lancet 366:665–675 Lynch TM, Gutmann DH (2002) Neurofibromatosis I. Neurol Clin N Am 841–865 Mao C, Shah A, Hanson D, Howard J (1995) Von Recklinghausen’s Disease associated with duodenal somatostatinoma: contrast of duodenal versus pancreatic somatostatinomas. J Surg Oncol 59:67 NIH Consensus Development Conference Neurofibromatosis (1988) Conference statement. Arch Neurol 45:575–578 O’Brien TD, Chejfec G, Prinz RA (1993) Clinical features of duodenal somatostatinomas. Surgery 114:1144 Okada E, Shozawa T (1984) Von Recklinghausen’s disease (neuroibromatosis) associated with malignant pheochromocytoma. Acta Path Jap 34:425 Riccardi VM, Eichner JE (1986) Neurofibromatosis: phenotype, natural history, and pathogenesis, 2nd ed. Johns Hopkins University Press, Baltimore Sakaguchi N, Sano K, Ito M, Baba T, Fukuzawa M, Hotchi M (1996) A case of von Recklinghausen’s disease with bilateral pheochromocytoma-malignant peripheral nerve sheat tumors of the adrenal and gastrointestinal autonomic nerve tumors.Am J Surg Pathol 20:889 Sharma JB, Gulati N, Malik S (1991) Maternal and pediatric complications in neurofibromatosis during pregnancy. Gynaec Obst 34:221 Suzuki S (1910) Ueber zwei Tumoren aus Nebennierenmark und Nerven. Berlin Klin Wchnschr 47:1623 von Recklinghausen F (1882) Über die multiplen Fibrome der Haut und ihre Beziehung zu den multiplen Neuromen. August Hirschwald, Berlin Wallace M, Marchuk D, Andersen L, Letcher R, Odeh R, Saulino A, Fountain J, Brereton A, Nicholson J, Michell A (1990) Type 1 neurofibromatosis gene: Identification of a large transcript disrupted in three NF1 patients. Science 249:181–186 Walther MM, Herring J, Enquits E, Keiser HR, Linehan WM (1999) Von Recklinghausen’s disease and pheochromocytomas. J Urol 162:1582– 1586 Wigler MH (1990) GAPs in understanding ras. Nature 346:696–697 Zöller M, Rembeck B, Oden A, Samuelsson M et al. (1997) Malignant and benign tumors in patients with neurofibromatosis type 1 in a defined Swedish population. Cancer 79:125–132
Sachverzeichnis
526
Sachverzeichnis
A ACTH 13, 283, 285, 286, 289 – Übersekretion 12, 13, 291 ACTH-Kurztest 349, 374 ACTH-Rezeptor 286 ACTH-Sekretion, pathologische 12, 13, 291 ACTH-Stimulationstest 370 ACTH-Syndrom, ektopes 291, 292, 306 Addison-Krise 339, 375 Adenohypophyse 3, 4 Adenohypophysentumoren 488, 495 Adenolipom 168 Adenomektomie 20 ADH 2 ADH-Sekretion, inadäquate 287, 290 adrenale Krise 290 Adrenalektomie 297, 339, 340 – bilaterale 340, 346, 353–355, 371, 518 – dorsaler Zugang 299, 300 – Folgeerscheinungen 370, 371 – Hydrokortisonsubstitution 340 – Hypophysenadenom 354–356 – Indikation 351, 354 – laparoskopische 300–304, 339, 368, 369 – lateraler Zugang 300 – medikamentöse Vorbehandlung 351, 367 – Nachsorge 340, 347 – Nebennierenkarzinom 366–369 – Nebennierenrindenadenom 351–353 – operative Zugänge 339, 340 – Patientenaufklärung 352, 355, 368 – postoperative Substitutionstherapie 352 – rechtsseitige 298 – retroperitonealer Zugang 303, 304 – Roboter-unterstützte minimalinvasive 301 – subtotale 339, 510, 518 – thorakoabdomineller Zugang 298, 299, 369 – totale 355 – transabdominelle 297 – transperitonealer Zugang 301 – unilaterale 298, 370, 371 – ventraler Zugang 298 – Verfahrenswahl 352 – Voraussetzungen 351 Adrenalin 282 Adrenalitis 7 Nebennierenentzündung adrenogenitales Syndrom 306 – Diagnostik 330 adrenokortikales Karzinom 7 Nebennierenrindenkarzinom adrenokortikotrope Achse 14 adrenokortikotropes Hormon 7 ACTH Adrenokortikotropin 7 ACTH Adrenoleukodystrophie 373 Adrenomyeloneuropathie 373 Adrenostatika 365 Adrenozeptoren 293
Akromegalie 10, 11, 441 – Therapie 18, 19 Akroosteolyse 259 Akropachie 94 Aldosteron 282, 288 Aldosteron/Kortisol-Quotient 345 Aldosteron/Plasmareninaktivitäts-Quotient 345 Aldosteron/Renin-Quotient 358 Aldosteron-18-Glukoronid 320 Aldosteronom 345, 346 Alkoholinjektion, perkutane 65, 474 Alphacalcidol 264 Alpharezeptorenblocker, Phäochromozytom 294, 300, 338, 339, 343 Aminoglutethimid 365 Amiodaron, Hyperthyreose 112, 113 Amyloidablagerung 398 Androgendefizit 290 Androgene 284 Androgenexzess 321, 348 Androgenmangel, adrenaler 373 Androgensekretion, Regulation 286 Androgensuppressionstest 321 Androstendion 360 Angiographie, interventionelle 248 Angiosarkom, epitheloides 167 Angiotensin II 283 Angiotensin-converting-Enzym 213 APUD 33 APUD-Zellen 384 Argininhydrochloridinfusionstest 9 Arteria – hepatica, Ligatur 470 – mammaria interna 192 – suprarenalis 297 – thyreoidea inferior 34, 189, 234 – – superior 192 Arteriographie 326 Autoimmunadrenalitis 305 Autoimmunendokrinopathie, polyglanduläre 373 Autoimmunthyreoiditis 38, 41, 174, 175, 178
B Basedow-Krankheit 7 Morbus Basedow Becherzellkarzinoid 387, 462 Beckwith-Wiedemann-Syndrom 288 Berry-Band 33 Betarezeptorenblocker – Hyperthyreose 88, 108 – thyreotoxische Krise 91 Bisphosphonate 254 Blutentnahme, selektive venöse 224, 248, 326, 329, 413 Bromocriptin 19 Bronchoskopie 481
C Cabergolin 20 Café-au-lait-Flecken 520 Calcitriol 257, 264 Calcium-sensing-Rezeptor 183, 186, 194, 196, 277 Capsula fibrosa 33 Carney-Komplex 348, 349 Casanova-Test 493 CEA-Bestimmung 155 CEA-Expression, C-Zellkarzinom 127 chemical shift imaging 325, 350 Chemoembolisation 421, 437, 472 Chiasma opticum 5 Cholangiographie, direkte 446 Cholera, pankreatische 399, 440 Cholezystektomie 458 Cholezystokinin 379 Chondrokalzinose 197 Chromogranin A 313, 443 – Serumspiegel 433 Chvostek-Zeichen 278 Chylusfistel 138 Cinacalcet 254 Clonidintest 322 Conn-Adenom 293, 328, 344, 371 – Diagnostik 326, 330 – normokaliämisches 358 – operative Therapie 371 C-Peptid 404 C-Peptid-Suppressionstest 406, 407 CRFom 442 CRH 285, 319 CRH-Sekretion, ektope 292 CRH-Test 9, 13, 319 Cross-fire-Effekt 86 Cushing-Syndrom 12, 13, 291, 347–353 – ACTH-abhängiges 291 – ACTH-unabhängiges 291, 349 – adrenales 347 – Computertomographie 350 – Diagnostik 326, 329, 370 – Differenzialdiagnostik 348 – endokrine Funktionsdiagnostik 349, 350 – Epidemiologie 347 – Hypertonie 348 – hypophysäres 354–356 – – Therapie 20, 21 – iatrogene Steroidapplikation 329 – Klassifikation 291, 348 – Magnetresonanztomographie 350 – operative Therapie 351–353 – – medikamentöse Vorbehandlung 351 – – Patientenaufklärung 352 – – postoperative Substitutionstherapie 352 – – Verfahrenswahl 352 – – Voraussetzungen 351
527 Sachverzeichnis
– Strahlentherapie 355 – subklinisches 328, 348, 349, 351 – Symptomatik 348 – Thymustumor 497 – zentrales 291 C-Zelladenom 128 C-Zellhyperplasie 128, 154 – MEN-1-assoziierte 501, 502, 508 C-Zellkarzinom 127, 507 – CEA-Expression 127 – Kalzitoninexpression 127 – MEN-1-assoziiertes 501
D Dehydroepiandrosteron 283 desmoplastische Reaktion 446, 447, 460 Desmopressin 15 Dexamethason-Hemmtest 13, 318, 351 DHEA 283, 284, 286, 287 DHEA-Substitution 375 Diabetes – insipidus 9, 10 – – Therapie 15, 16 – mellitus Typ 1 380 Diazoxid 422 Dickdarmkarzinoid 459–465 DiGeorge-Syndrom 195 Dihydrotestosteron 284 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 183, 184, 213 Dopamin 2 Dopaminagonisten 20 DOPA-Positronenemissionstomographie 323 Dopplersonographie 7 DuplexSonographie Dotatox 343 Doxazosin 339 Doxorubicin 476, 483 111 In-DTPA-DGlu1-Minigastrin 55 Dünndarmkarzinoide 457–465 Duodenographie, hypotone 444 Duodenopankreatektomie 417, 430 Duplexsonographie, fabkodierte 46, 61, 97, 333 Durstversuch 10 D-Zelle 381
E ECLom 453 ECL-Zelle 388, 453 ECL-Zellhyperplasie 385, 388, 399, 453 Eisberg-Phänomen 444 Ekchymose 348 Elleberg-Syndrom 198 Embolisation, selektive arterielle 467, 470
Endosonographie 324, 408–412, 414, 417, 428 Enkephalin 379 Enteroklysma 444 Epithelkörperchen 35, 69, 192, 194 Epithelkörperchen-Flush 234 Epithelkörperchenkarzinom 240, 241, 256 Erythem, nekrolytisches migratorisches 400, 439, 440, 467 Ethanolinjektion, perkutane 65, 474 Exophthalmus 94
F Farbduplexsonographie 46, 61, 97, 333 FDG-Positronenemissionstomographie 53, 148, 152, 323, 360, 448 Feinnadelpunktionszytologie 46, 55–58, 62, 120, 152, 163 – Nebennierenrindenkarzinom 312 – Pankreas 434 – Schilddrüse 46, 55–58, 62, 120, 152, 163 FGF 5 Fibroblastenwachstumsfaktor 5 Fludrokortison 353 Fludrokortison-Suppressionstest 345 18 F-Fluordeoxyglukose 53, 148, 152 – 7 FDG-Positronenemissionstomographie 5-Fluorouracil 475, 483 follikelstimulierendes Hormon 7 FSH Foregut-Tumor 467, 488 FSH 2 FSH-Übersekretion 13 Funktionstests, endokrinologische 318–323, 349, 350
G Ganglioneuroblastom 313, 521 Ganglioneurom 314, 315, 334 Ganglioneuromatose, intestinale 502 Ganzkörperszintigraphie 53 Gastrin 378–380 – 7 Hypergastrinämie – Serumspiegel 380, 424, 425 Gastrinom 380, 398 – Diagnostik 424–426 – duodenales 390, 398, 423–431 – – operative Therapie 428 – – Symptomatik 423, 424 – Endosonographie 428 – konservative Therapie 426 – Lokalisationsdiagnostik 426, 428 – Lymphknoten 429 – MEN-1-Syndrom 423, 429, 430 – Metastasen 426, 427, 429, 430
– – – –
A–H
operative Therapie 427–431 pankreatisches 399, 423–431 Refluxkrankheit 424 selektive arterielle Sekretin-Injektionsangiographie 487 – Serumgastrinspiegel 380 – sporadisches 428 – Ulkuserkrankung 423 – Zollinger-Ellison-Syndrom 487 Gastrinomdreieck 428 Gastritis Typ A 425 – atrophische 381, 385 GEP-Zellen 379–381 GH 7 Wachstumshormon Ghrelin 379 GHRH 4 GHRP 4 Gigantismus 10, 11 – Therapie 18, 19 Glitazone 21 Glockenstrangphänomen 35 Glukagonom 396, 399, 400, 439, 440 – medikamentöse Vorbehandlung 467 Glukagonomsyndrom 399, 439, 440 Glukagonstimulationstest 406 Glukokortikoidadaptation 371 Glukokortikoiddefizit 289, 371, 373 – Hyperthyreose 103, 108 – Substitution 352, 364, 375 – Wirkungen 286, 287 Glukokortikoidentzugssyndrom 370 Glukokortikoidexzess 291, 292, 318, 348 Glukokortikoidmangel, angeborener 286, 287 Glukokortikoidrezeptor 286 Glukokortikoidsekretion – autonome 362 – Regulation 285, 286 Glukosetoleranztest, oraler 11 GnRH 3 gonadotrope Achse 15 Gonadotropin-produzierendes Adenom 13 Gonadotropin-releasing-Hormon 7 GnRH Gondotropine 2 GRFom 441 G-Zelle 381 G-Zellhyperplasie 385 – Typ-A-Gastritis 385 – Ulcus duodeni 385
H Halsdissektion, laterale 134–136 Halslymphknotendissektion 134 Hämangioendotheliom 126, 167 Hämangiom 168 Hämangiosarkom 167 Hämodialyse 253
528
Sachverzeichnis
Hashimoto-Thyreoiditis 39, 40, 165, 166, 175, 178 Hauptzelladenom 200 Hauptzelle 195, 201, 388 Hauptzellhyperplasie, primäre 203 Helicobacter-pylori-Infektion 381 Hemihepatektomie 420, 468 – erweiterte 469 Hemihypophysektomie 21 Hemithyreoidektomie – euthyreotes Knotenstruma 67, 71, 72 – Immunthyreopathie 110 – solitärer Schilddrüsenknoten 122 Hepatektomie 7 Leberresektion hepatische arterielle Embolisation 467 Hindgut-Tumor 457 Hirschsprung-Krankheit 7 Morbus Hirschsprung Hirsutismus 321 Hitzeschockprotein 340 HIV-Infektion, Thyreoiditis 172 Hormon – adrenokortokotropes 7 ACTH – thyreoideastimulierendes 7 TSH – thyreotropes 2 Hormonproduktion, autonome 380 Horner-Syndrom 139 Hungerversuch 404, 405, 414 Hungry-bone-Syndrom 254, 262 Hürthle-Zellkarzinom 131 Hydrokortisonsubstitution 371 5-Hydroxyindolessigsäure 443, 457, 481 18-Hydroxykortisol 321 11-β-Hydroxylasedefekt 285 21-Hydroxylasedefekt 284, 285 17-Hydroxylase-17-20-Lyasedefekt 285 3-β-Hydroxysteroiddehydrogenasedefekt 285 25-Hydroxy-Vitamin D 213 Hyperaldosteronismus 292, 307 – familiärer 293 – Glukokortikoid-supprimierbarer 292, 293, 320 – idiopathischer 292, 293 – primärer 292, 344–347 – – Ätiologie 344 – – Diagnostik 345 – – Hypokaliämie 319 – – Lateralisation 345 – – Lokalisationsdiagnostik 345 – – normokaliämischer 320 – – operative Therapie 346, 347, 371 – – Pathogenese 293 – – selektive Venenkatherisierung 345 – – Symptomatik 319, 320, 345 – – Hypertonie 319 – sekundärer 292 Hyperandrogenämie 321 Hypergastrinämie 381, 399, 487 – Differenzialdiagnostik 425 – ECLom 453
– G-Zellhyperplasie 385 Hyperinsulinismus 394–396 – operative Therapie 415, 416 Hyperkalzämie 184, 197, 209 – Differenzialdiagnostik 213, 214 – familiäre hypokalziurische 186, 213, 229 – Funktionsstörungen 210 – Organveränderungen 210 – parathyreoidale 199 – Persistenz 246 – sekundärer Hyperparathyreoidismus 266 – Therapie 253 – tumorassoziierte 7 Tumorhyperkalzämie hyperkalzämische Krise 209, 253 Hyperkalzitoninämie 152, 158, 159 Hyperkalziurie 213, 278 Hyperkortisolismus 13, 306 Hyperparathyreoidismus – asymptomatischer 229 – familiärer 185, 198 – hereditärer 185, 198 – Hyperkalzämie 197, 199 – Hypophosphatämie 197 – Klassifikation 185 – konnataler 198 – nach Nierentransplantation 199 – normokalzämischer 230 – paraneoplastischer 199 – primärer 185, 197 – – asymptomatischer 210 – – Casanova-Test 493 – – Eindrüsenerkrankung 510 – – Epidemiologie 209 – – Funktionsstörungen 210 – – konservative Therapie 254 – – Labordiagnostik 212–214 – – Lokalisationsdiagnostik 215–227 – – medikamentöse Therapie 254 – – Mehrdrüsenerkrankung 510 – – Mehrdrüsenhyperplasie 489 – – MEN-1-assoziierter 487 – – operative Therapie 228–244, 492, 493, 510 – – – Anästhesie 232 – – – bilaterale zervikale Exploration 231, 233–241 – – – Ergebnisse 243, 244 – – – fokussierte 231, 241, 242 – – – Indikationen 228–230 – – – Instrumente 233 – – – Komplikationen 243 – – – Lokalisationsdiagnostik 232 – – – Nachsorge 254 – – – Neuromonitoring 249 – – – Patientenaufklärung 232 – – – Patientenlagerung 233 – – – Verfahrenswahl 230, 231 – – – Voraussetzungen 231 – – – Zugang zu den Nebenschilddrüsen 233 – – Organveränderungen 210
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– Pathogenese 197 – Pathologie 199–203 – persistierender 246–252 – Reoperation 246–250 – rezidivierender 246–252 – Symptomatik 209, 210 – symptomatischer 228 sekundärer 185, 198, 199, 257–271 – Ätiologie 198, 199 – Diagnostik 260, 261 – Epidemiologie 259 – iatrogener 199 – konservative Therapie 262 – Mikrosatellitenanalyse 258 – negative Kalziumbilanz 263 – operative Therapie 264–267 – Pathophysiologie 257–259 – persistierender 273–275 – Phosphatreduktion 263 – Pruritus 260 – renaler 257, 258 – Reoperation 275 – rezidivierender 273–275 – subperiostale Resorptionszone 259 – – Symptomatik 259 – – Urämie 262 – – Vitamin-D-Zufuhr 263, 264 – tertiärer 186, 199 Hyperparathyreoidismus-KiefertumorSyndrom 185 Hyperphosphatämie 185 – Therapie 263 Hyperplasie, adrenomedulläre 501, 510 Hyperprolaktinämie 11, 12 Hyperthyreose 38, 39, 79–116 – Diagnostik 81, 82, 94–97 – jodinduzierte 41, 112–116 – – Diagnostik 113, 114 – – Epidemiologie 112 – – medikamentöse Therapie 116 – – operative Therapie 110, 116 – – Pathophysiologie 112 – Operationsindikation 88 – operative Therapie 87–91 – posttherapeutische 85 – Radiojodtherapie 83–86 – Rezidiv 97, 100, 101, 111 – Schwangerschaft 107 – Symptomatik 60, 93 – Therapie 83–91 – Thyreostatika 97–99 Hypoaldosteronismus, sekundärer 289 Hypoglycaemia factitia 405, 412 Hypoglykämie – Antidiabetika-induzierte 406 – postprandiale 381 – Spätdumping-Syndrom 381 Hypogonadismus, sekundärer 7 Hypokaliämie, primärer Hyperaldosteronismus 319
529 Sachverzeichnis
Hypokalzämie 184, 185 – Differenzialdiagnostik 185 hypokalzämische Krise 279 Hypokortisolismus 358 Hypoparathyreoidismus 276–280 – Angstgefühl 277 – Ätiologie 276, 277 – Chvostek-Zeichen 278 – Definition 276 – Diagnostik 278, 279 – Diarrhö 277 – Kribbelparästhesien 277 – latenter 276 – manifester 276 – Pathophysiologie 277 – permanter 276 – postoperativer 134, 138, 146, 279, 496 – primärer 276 – sekundärer 276 – Symptomatik277 – Tetanie 277, 279 – Therapie 279, 280 – transienter 276 – Trousseau-Zeichen 278 – Vitamin-D-Zufuhr 279 Hypophosphatämie 197 Hypophyse – Physiologie 2, 3 – Strahlentherapie 355 Hypophysenadenom 348 – ACTH-produzierendes 354 – transphenoidale Entfernung 354 Hypophysenhinterlappen 2 Hypophysenoperation 355 Hypophysentumoren 3, 4 – Diagnostik 5–7 – Differenzialdiagnostik 8 – Epidemiologie 3, 4 – hormoninaktive 7, 22 – operative Therapie 16, 17 – pterionaler Zugang 17 – Radiotherapie 18 – Therapie 16–20 – transkranieller Zugang 17 – transsphenoidaler Zugang 16 Hypophysenvorderlappen 2 Hypophysenvorderlappenadenom 495 Hypophysenvorderlappeninsuffizienz 8, 9 – Therapie 14, 15 Hypothyreose – posttherapeutische 85 – sekundäre 7 – Symptomatik 175
I IGF 283 Imamura-Angiographie 494 Immunhypophysitis 7
Immunthyreopathie 62, 92–111 – 7 Morbus Basedow – bei Kindern und Jugendlichen 107 – endokrine Ophthalmopathie 107 – Schwangerschaft 107 Implantektomie 273 Insulin 379 – Hungerversuch 404, 405 – Proinsulin 404, 405 Insulin-Glukose-Quotient 405 Insulinhypoglykämietest 9 insulin-like growth factor 283 Insulinom 396, 398 – benignes – – operative Therapie 415–420 – – Reoperation 418 – Computertomographie 412 – C-Peptid-Suppressionstest 406, 407 – Debulking 420 – Diagnostik 404–414 – Endosonographie 408–412, 414, 417 – Enukleation 415, 416 – Hungerversuch 414 – Hypoglykämie 403 – intraoperative Sonographie 414 – Magnetresonanztomographie 413 – malignes 420–422 – – Chemotherapie 422 – – medikamentöse Therapie 422 – – Metastasenresektion 421 – – operative Therapie 420–422 – Malignität 420 – MEN-1-assoziiertes 416, 419, 487, 488, 494 – Pankreaskopf 418 – Pankreasresektion 415 – Somatostatinrezeptor-Szintigraphie 413 – sporadisches 416 – Symptomatik 403 – Tolbutamidtest 406 α-Interferon 422, 438, 477 Inzidentalom 308, 328, 351, 356–361 – Diagnostik 358, 359 – Differenzialdiagnostik 357 – Epidemiologie 357 – Operationsindikation 361 – Symptomatik 357 – Therapie 361 – Verlaufskontrolle 360 1,84-iPTH 264 Irenat 88 Irishamartom 520
J Jodbedarf, täglicher 65 Jodkontamination 114, 115 Jodmangel 79 Jodmangelstruma 29, 112
H–K
– Prophylaxe 64, 65 – Rezidivprophylaxe 76 Jodstoffwechsel 27 Jod-Uptake 114, 115
K Kalzimimetika – Nebenschilddrüsenkarzinom 256 – primärer Hyperparathyreoidismus 254 – sekundärer Hyperparathyreoidismus 264 Kalziphylaxie 270 Kalzitonin- Bestimmung 155 Kalzitonin 184 – Kalziumstoffwechsel 184 – Serumspiegel 502, 508 Kalzitoninexpression – C-Zellkarzinom 127 – medulläres Schilddrüsenkarzionom 150, 151, 159 Kalzitoninom 400 Kalzitriol 7 Calcitriol Kalzium – Bestimmung 212 – erniedrigtes 278 – freies 212 Kalziumhaushalt 183, 184 Kalziumhomöostase 183, 194 Kalziumhunger 270 Kalziumstimulation, selektive arterielle 406, 413, 414, 419 Kalziumstoffwechselstörungen 184, 185 Karzinoid 386 – Definition 457 Karzinoid-Herzsyndrom 467 Karzinoidkrise 459 Karzinoidsyndrom 392, 400, 443, 457, 480, 495 – atypisches 467 Karzinoidtumoren 7 NET, Magen-DarmTrakt Karzinom, adrenokortikales 7 Nebennierenrindenkarzinom Karzinosarkom 167 Katecholamine 282, 293 – Bestimmung 337 – im Urin 517 Katecholaminexzess 294 Kearns-Sayre-Syndrom 276 Keilbeinflügeldysplasie 520 Ketoconazol 21, 285, 365 Ki67-Proliferationsindex 420, 432 Klarzellhyperplasie, primäre 204 Knotenstruma 29, 49 – Definition 59 – Differenzialtherapie 102 – euthyreote 59–66 – – Diagnostik 60–63 – – minimalinvasive Operationstechnik 73
530
Sachverzeichnis
Knotenstruma – – medikamentöse Therapie 63–66 – – Operationsindikation 67 – – operative Therapie 67–74 – – Rezidiv 75–78 – hyperthyreote 38 – Labordiagnostik 62 – multinodöse 75 Kocher-Kragenschnitt 69, 78, 110, 134 Kocher-Manöver 298, 382, 383 Kocher-Vene 234 Kochsalzbelastungstest 320 Kolon-Doppelkontrasteinlauf 446 Kolonkarzinoid 462 kongenitales adrenogenitales Syndrom 284 Kortikosteroidbiosynthese 283, 284 – Störungen 284, 285 Kortikosteroidhormone, Wirkungen 286, 287 Kortikotrophinom 400 Kortikotropin-releasing-Hormon 7 CRH Kortisol 282, 283 – Abbau 288 – Biosynthese 283, 284 – freies 287 – – im Speichel 319 – – im Urin 318, 319 – Sekretion 375 – Transport 287 Kortisonazetat 375 Kraniopharyngeom 14, 22 Krise – adrenale 290 – hyperkalzämische 209, 253 – hypokalzämische 279 – thyreotoxische 89, 90, 91, 93, 108 – – Klassifikation 109 – – Schwangerschaft 107, 108
L Lanreotid 477 Late-onset-AGS 284 Leberarteriographie 449 Lebermetastasen – Chemoembolisation 421, 467, 470, 472 – Chemotherapie 476 – Insulinom 420 – α-Interferon 476, 477 – interventionelle Therapie 467–475 – Kryotherapie 474 – Leberresektion 467–470 – Lebertransplantation 474, 475 – Ligatur 470 – NET 458, 466–477 – Radioembolisation 472 – Radiofrequenzablation 422, 474 – Radiotherapie 475
– Somatostatinanaloga 474, 477 – temporäre Okklusion 470, 471 Leberresektion 467–470 Lebertransplantation 474, 475 Lebsche-Meißel 136 Leiomyom 168 Leiomyosarkom 167 Levothyroxin 63–65 Levothyroxintherapie 146 LH 2 LH-RH-Antagonisten 322 LH-RH-Superagonisten 322 LH-Übersekretion 13 Li-Fraumeni-Syndrom 288 Ligamentum – hepatoduodenale 384 – thyreothymicum 187 Lipoadenom 202 Lipoidhyperplasie, kongenitale 285 Liposarkom 168 Lisch-Knötchen 520 Lithium, Hyperthyreose 116 Lobektomie 71, 178 low bone turnover 262 Lugol-Lösung 88, 91 luteinisierendes Hormon 2 Lymphadenektomie 339, 369 Lymphadenektomie – Schilddrüsenkarzinom 154, 155, 157 – transsternale 160 – zervikozentrale 155 Lymphknotendissektion 134–137 – transsternale 136 Lymphknotengastrinom 390 Lymphknotenkompartiment 36
M Mac-Farlane-Klassifikation 362 Magensaft – pH-Wert 424 – basale Magensaftsekretion 425 Magentumoren, neuroendokrine, Klassifikation 386 MALT-Lymphom 166 Marine-Lenhart-Syndrom 62 Meckel-Divertikel 391, 461 Mediastinum 191 Megavolttherapie 18, 19 MEN-1-Gen 491 MEN-1-Syndrom 12, 185, 194, 198, 486–498 – endokriner Pankreastumor 400, 437 – Früherkennungsuntersuchungen 488, 489 – Gastrinom 390, 423, 429, 430 – Insulinom 416, 419, 487, 488, 494 – Labordiagnostik 426 – Molekulargenetik 490–492 – Nachsorge 495
– Nebennierenrindentumor 288 – neuroendokriner Pankreastumor 432, 437 – operative Therapie 492–496 – Symptomatik 486 – Tumorsuche 487–489 – Tumorvorsorge 426 – Zollinger-Ellison-Syndrom 424, 493, 494 MEN-2a-Syndrom 198, 333, 500 MEN-2b-Syndrom 158, 198, 333, 500, 501 MEN-2-Syndrom 185, 194, 499–516 – Adrenalektomie 510 – adrenomedulläre Hyperplasie 501, 510 – Diagnostik 152, 502–506 – Expressivität 514 – Genotyp-Phänotyp-Korrelation 501, 505, 510 – humangenetische Beratung 513–516 – intestinale Ganglioneuromatose 502 – Klassifikation 499, 500 – Lymphknotendissektion 508 – Molekulargenetik 504–506, 514, 515 – Mutationssuche 513 – Nachsorge 510, 511 – operative Therapie 507–511 – orales Schleimhautneurom 501, 502 – Penetranz 514 – Pentagastrintest 509 – Phäochromozytom 501, 503 – prophylaktische Thyreoidektomie 499, 504, 506 – RET-Protoonkogenmutation 294 Menin 488 Menin-Gen 5, 288 – Mutation 426, 491, 492 Merseburger Trias 94 Mesenterikographie 446 metabolisches Syndrom 348 Metanephrin 322, 337 Metapirontest 13 Metastasensprung 151 α-Methylparatyrosin 341 Metyrapon 365 MIBG-Szintigraphie 323, 342, 360, 448, 517 MIBG-Therapie 341, 343, 475 99m Tc-MIBI 55, 216, 223 Midgut-Tumor 457, 467 Mikrogastrinom 390, 430 Mikrokarzinoidose 388 Mikrokarzinom, papilläres 123 Mikroprolaktinom 20 Mikrosatellitenanalyse 258 Mineralokortikoide – Defizit 290, 371, 373 – Wirkungen 287 – Exzess 293 – Sekretion 286 – Substitution 353, 375 Minirin 15 Mischtumoren, exokrin-endokrine 387 Mitotane 21, 364
531 Sachverzeichnis
Morbus Addison 304 Morbus Basedow 39, 92–111 – Diagnostik 94–97 – Differenzialdiagnostik 95 – Epidemiologie 41 – Labordiagnostik 95 – Operationsindikation 67 – operative Therapie 106–111 – – Indikationen 106–111 – – Komplikationen 111 – – Technik 110 – Pathophysiologie 31 – Radiojodtherapie 100–105 – Sonographie 96 – Symptomatik 93 – Thyreostatika 97–99 Morbus Cushing 7 Cushing-Syndrom, hypophysäres Morbus Fahr 278 Morbus Hirschsprung 500, 506 Morbus Recklingshausen 7 Neurofibromatose MR-Angiographie 331 MR-Phlebographie 367 Mukoepidermoidkarzinom 168 Multi-drug-resistance-Gen 365 Myelolipom 312 Myxödem, prätibiales 94
N Natrium-Jodid-Symporter 27, 79, 113 Nebennieren – Anatomie 296, 297, 327 – Aspirationsbiopsie 327 – Autotransplantation 355 – chirurgische Zugänge 297–304 – Computertomographie 324 – Embryologie 296 – Gefäßversorgung 297 – Magnetresonanztomographie 325 – minmalinvasive Zugänge 300–304 – Pathologie 304–317 – Pathophysiologie 282–295 – Röntgendiagnostik 324 – Sonographie 324 – Urographie 324 Nebennierenadenom – aldosteronsezernierendes 293 – Pathogenese 288 Nebennierenamyloidose 305 Nebennierenblutung 305, 306, 332 Nebennierenentzündung 304, 305, 333 Nebennierenhämangiom 332 Nebennierenhyperplasie – Diagnostik 327 – mikronoduläre 348 – noduläre 288 – stressinduzierte 328
Nebennierenkarzinom – Pathogenese 289 – Radiomorphologie 330 Nebennierenmark 282, 293–295 – Ganglioneuroblastom 313 – Ganglioneurom 314, 315, 334 – Katecholamine 293 – Neuroblastom 313, 334 – Peptidhormone 294 Nebennierenmarktumoren 312–315, 333, 334 – katecholaminproduzierende 294 – neurale 333 – neuroendokrine 333 Nebennierenmetastasen 312, 316, 330 Nebennierenmyelolipom 312 Nebennierennekrose 306 Nebennierenpseudotumor 332 Nebennierenpseudozyste 306 Nebennierenpunktion, perkutane 327 Nebennierenrinde 282–292 – ACTH-Stimulation 283 – Steroidbiosynthese 283, 284 Nebennierenrindenadenom 288, 307–309 – aldosteronproduzierendes 308, 344 – androgenproduzierendes 308 – inaktives inzidentelles 308 – kortisolproduziererndes 353 – onkozytäres 309 – operative Therapie 351 – östrogenproduzierendes 308 – pigmentiertes 308 Nebennierenrindenadenomatose 307 Nebennierenrindenautoantikörper 305 Nebennierenrindenhyperplasie 306 – adrenogenitales Syndrom 306 – Hyperaldosteronismus 307 – Hyperkortisolismus 306 – makronoduläre 292, 307, 344 – mikronoduläre 292 – noduläre 306 – – primäre 307, 351 – – pigmentierte noduläre 307 Nebennierenrindeninsuffizienz 289, 290 – Glukokortikoidadaptation 371 – Hydrokortisonsubstitution 371 – primäre 289, 371–375 – – Ätiologie 372 – – Diagnostik 373, 374 – – Dunkelpigmentierung 373 – – Epidemiologie 371, 372 – – operative Therapie 375, 376 – – Pathogenese 290, 372 – – polyglanduläre 372 – – Substitutionstherapie 374, 375 – – Symptomatik 373 – – Pathogenese 290 – sekundäre 7, 289 – – Pathogenese 290 – tertiäre 289, 370 – – Pathogenese 290
K–N
Nebennierenrindenkarzinom 309–312, 351, 362–365 – androgenproduzierendes 362 – Chemotherapie 364 – Debulking 366 – Diagnostik 312, 363, 366, 367 – Differenzialdiagnostik 311, 312, 363, 364 – Epidemiologie 309, 310 – Feinnadelpunktionszytologie 312, 363 – Fernmetastasen 366 – fibröse Bänder 310 – Glukokortikoidsubstitution 364 – Immunhistologie 310, 311 – kindliches 310 – Klassifikation 362 – Lokalrezidiv 366 – Lymphadenektomie 369 – medikamentöse Vorbehandlung 367 – operative Therapie 366–369 – östrogenproduzierende 362 – Pathogenese 310, 363 – Prognose 369 – Strahlentherapie 365, 366 – Symptomatik 310 – Virilisierung 310 Nebennierenrindenknoten 288 Nebennierenrindentumoren – epitheliale 328 – Radiomorphologie 328 Nebennierenrindenzyste, Diagnostik 327 Nebennierentuberkulose 305 Nebennierentumoren 318–369 – funktionelle 495 – Funktionsdiagnostik 318–323 – kortisolproduzierende 292, 371 – MEN-1-assoziierte 488, 495 – mesenchymale 332 Nebennierenvenenkathetisierung 321, 350 Nebennierenzufallstumor 7 Inzidentalom Nebennierenzyste 306 – endotheliale 306 – epitheliale 306 – parasitäre 306 Nebenschilddrüsen 35 – Allotransplantation 280 – Anatomie 187–193 – Anzahl 189 – Autotransplantation 69, 268, 269, 278, 280, 496 – Blutversorgung 192 – Computertomographie 222 – Darstellung 231, 233–241 – Ektoderm 194 – Embryologie 194 – Entoderm 194 – Fettfärbung 207 – fokussierte Operationsverfahren 231, 241, 242 – Gewicht 188 – Größe 188 – Hyperplasie 487
532
Sachverzeichnis
Nebenschilddrüsen – infrathyreoidale 190, 250 – Kältekonservierung 251, 270, 271 – Lage 189 – Lagevarianten 190, 236 – Lokalisationsdiagnostik 232, 487 – Magnetresonanztomographie 223, 248 – Mehrdrüsenhyperplasie 237 – Mikrozyste 195 – Nichtauffinden 238 – obere 187, 189, 190, 235 – oxyphile Zellen 195, 201 – Pathologie 194–199 – Pathophysiologie 183–186 – Phylogenese 194 – Replantation 251, 271 – Schnellschnittuntersuchung 207 – Sonographie 215, 216 – SPECT 216, 217, 220 – Symmetrie 191, 237 – Szintigraphie 216–219, 223 – untere 187, 191, 236 – – nicht deszendierte 237, 249 – Xenotransplantation 280 Nebenschilddrüsenadenom 199–202 – Diagnostik 223 – Glykogennachweis 200 – Hauptzellen 201 – Immunhistologie 201 – Lokalisationsdiagnostik 226, 227 – oxyphile Zellen 201 – oxyphiles 201, 202 – sekundäres 205 – solitäres 185, 237 Nebenschilddrüsenhyperplasie – diffuse 501 – noduläre 501 – primäre 203 – sekundäre 205 Nebenschilddrüsenkarzinom 202, 203, 255, 256 – Ätiologie 255 – Diagnostik 255 – Metastasierung 255 – operative Therapie 255, 256 – Radiotherapie 256 – Rezidiv 255 – Symptomatik 255 Nebenschilddrüsenlipoadenom 202 Nebenschilddrüsenresektion 7 Parathyreoidektomie Nebenschilddrüsentumoren – Identifikation 235 – interventionelle Angiographie 248 – interventionelle Therapie 248 – mediastinale 249 Nebenschilddrüsenunterfunktion 74 Nebenschilddrüsenzysten 206 Nelson-Syndrom 13, 352, 355 – Therapie 21
Neoplasie, multiple endokrine 7 MEN-Syndrom Nephrokalzinose – Hyperparathyreoidismus 197 – Hypoparathyreoidismus 278 – nach Parathyreoidektomie 244 Nephrolithiasis, nach Parathyreoidektomie 244 Nervenscheidentumor, primärer peripherer 169 Nervus larnygeus recurrens 33, 34, 189 – Darstellung 69, 70, 71, 234 – Schädigung 68 – non-recurrens 35 – Präparation 134, 154 Nervus vagus 35 Nesidioblastose 394–396, 414 – diffuse 395 – fokale 395 – operative Therapie 419 NET 386–394 – adrenalinproduzierender 467 – Appendix 386, 392, 393, 461 – Ätiopathogenese 386 – Bronchialsystem 480–483 – – Chemotherapie 483 – – Diagnostik 481 – – Epidemiologie 480 – – Klassifikation 480 – – Symptomatik 480 – – Therapie 482, 483 – Dünn- und Dickdarm 386, 391, 392, 457–459, 495 – – Epidemiologie 458 – – Herzerkrankungen 463, 464 – – Metastasen 458, 460 – – operative Therapie 458, 459 – duodenale 389, 390 – – Lokalisationsdiagnostik 444 – – mit Gastrinproduktion 390 – – mit Serotoninproduktion 390, 391 – – mit Somatostatinproduktion 390 – – Neurofibromatose 521 – – Paraganglion 390 – – undifferenziertes Karzinom 391 – Epidemiologie 386 – Gallenwege 386, 394 – gastrale 386, 388, 389, 444, 453–456 – – Epidemiologie 453 – – Klassifikation 453, 454 – – operative Therapie 455, 456 – – Typ 1 388, 453 – – Typ 2 389, 453 – – Typ 3 389, 455, 456 – – Typ 4 389 – jejunoileale 386, 391, 392 – Kolon 462 – kolorektale 392, 394 – Lebermetastasen 466–477 – Lokalisation 386 – Magen-Darm-Trakt 443–477
– 7 NET, gastrale – Computertomographie 449 – Diagnostik 443–450 – Funktionsdiagnostik 443 – Magnetresonanztomographie 449 – Primärtumorsuche 444–448 – Sonographie 449 – Szintigraphie 447, 448 – Therapieplanung 450 Malignität 388 Meckel-Divertikel 461 Morphologie 387 ösophageale 386, 388 Pankreas 7 Pankreastumoren, neuroendokrine – Rektum 462 – Thymus 497, 498 Neurilemmom 169 Neuroblastom 313, 334 – Sonographie 332 neuroendokrine Pankreastumoren 7 Pankreastumoren, neuroendokrine neuroendokrine Tumoren 7 NET Neurofibromatose 294, 520–523 – Ganglionneuroblastom 521 – Phäochromozytom 521 – Therapie 522 – Typ 1 294, 520 – Typ 2 521 Neurofibromin 520 Neuroglukopenie 404 Neuromonitoring 69, 72 Neuropeptide 380 Neurotensin 379 Neurotransmitter 379 NF1-Gen-Mutation 340 NF-PET 7 Pankreastumoren, neuroendokrine, nichtfunktionelle Niereninsuffizienz, konnatale 285 Nierenzellkarzinom, klarzelliges 312 Noradrenalin 282 131 J-Norcholesterol 324 Normetanephrin 322, 337 Nüchternhypoglykämie 403 Nüchtern-Serumgastrin 424 – – – – – – – – – – – – – –
O Octreotid 155, 422, 426, 429, 459, 473, 477 Octreotidanaloga 498 Octreotid-LAR 477 Octreotid-Szintigraphie 342, 426, 448, 498 Omeprazol 426 Ophthalmopathie, endokrine 93, 101, 102, 107, 109, 111 Orbitopathie 7 Ophthalmopathie Orthostasetest 320, 345, 358 Ösophagusbreischluckaufnahme 61 Osteomalazie 185
533 Sachverzeichnis
Osteoporose 185 Ostitis fibrosa 197, 259 Östradiol 284, 350 Östrogenexzess, adrenaler 321 Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparate 15 Östron 284 18-Oxokortisol 321 Oxytozin 2
P P53-Tumorsuppressorgen 30 Pankreas – Anatomie 382–384 – endokrines 487, 493–495 – Feinnadelpunktion 434 – Nesidioblastose 394–396 – Zystadenom 518 Pankreaskarzinom, exokrines 434 Pankreaskopf – Insulinom 418 – Resektion 382, 383, 416 Pankreaskorpus 384 Pankreaslinksresektion 416 – laparoskopische 436, 518 – milzerhaltende 417, 418, 518 – mit Splenektomie 421, 436 Pankreasresektion 415 – Komplikationen 419 – laparoskopische 417, 494 – Nachsorge 419, 420 – Patientenaufklärung 416 – Schnellschnittuntersuchung 418 Pankreasschwanz 384 Pankreasschwanzresektion 417 Pankreastumoren, endokrine 396–398 – 7 Gastrinom – 7 Glukagonom – 7 Insulinom – 7 VIPom – Ätiopathogenese 396 – Differenzialdiagnose 398 – Epidemiologie 396 – Klassifikation 396 – Malignität 398 – Morphologie 396 – nichtfunktionelle 401, 431–438 – – Ätiopathogenese 432 – – Chemoembolisation 437 – – Debulking 436 – – Definition 431, 432 – – Diagnostik 432–434 – – Differenzialdiagnostik 434, 435 – – Epidemiologie 432 – – Kryochirurgie 438 – – Lebertransplantation 436 – – medikamentöse Therapie 438 – – MEN-1-assoziierte 437, 488, 494
– – Metastasen 435, 437 – – operative Therapie 435–437 – – Pathologie 432 – – Radiofrequenzablation 438 – – sporadische 435 – – Symptomatik 432 – Von-Hippel-Lindau-Syndrom 518 Pankreaszyste 518 Pankreatektomie 7 Pankreasresektion Pankreatikoduodenektomie – partielle 436 – pyloruserhaltende partielle 494 pankreatisches Polypeptid, Serumspiegel 433 Pan-Somatostatinanaloga 477 Paragangliom 168, 169, 467 – adrenales 312, 313 – gangliozytisches 390 Parathormon 183, 184, 196, 257 – Bypass-Sekretion 196 – intaktes 212 – – Bestimmung 212 – – erniedrigtes 278 – intraoperative Bestimmung 230, 250, 251, 269 – rekombinantes humanes 279 – Sekretion 184 – Synthese 196 Parathormon-related-Protein 184, 213 Parathormon-Rezeptor 259 Parathyreoidea 7 Nebenschilddrüsen Parathyreoidektomie 228–244 – Autotransplantation 268 – bilaterale zervikale Exploration 231, 233–241 – Durchführung 268 – endoskopische 241 – Ergebnisse 243, 244, 270 – fokussierte 231, 241, 242 – Indikationen 228–230, 264–267 – Instrumente 233 – Komplikationen 243, 270 – Lokalisationsdiagnostik 232 – minimalinvasive videoassistierte 241, 269 – Nebenschilddrüsenkarzinom 255, 256 – Neuromonitoring 249 – offene minimalinvasive 242 – Patientenaufklärung 232 – Patientenlagerung 233 – subtotale 198, 267, 268, 493, 510 – totale 267, 268, 270, 493, 509 – – mit Autotransplantation 268 – Überlebensrate 244 – Verfahrenswahl 230, 231 – Voraussetzungen 231 – Zugang zu den Nebenschilddrüsen 233 Parathyreoiditis 206 Parathyreomatose 196, 204, 250 parathyroid hormone related peptide 199 Parietalzellhyperplasie 399 PASS 342
N–P
Pentagastrintest 151, 503, 509 pepper pot skull 259 99m Tc-Pertechnetat 50 Phäochromozytom 294, 312, 313, 322, 323 – asymptomatisches 358 – Debulking 340 – Diagnostik 322, 337, 338 – Dignität 340 – extraadrenales 294 – genetische Prädiktoren 340 – Histologie 313 – intraadrenales 294 – intraoperative Behandlung 339 – Labordiagnostik 337, 338 – Lokalisationsdiagnostik 324, 333, 338 – Lymphadenektomie 339 – Makroskopie 313 – malignes 342–344, 501 – – Chemotherapie 343 – – Diagnostik 342 – – Kindern 341 – – Pathophysiologie 342 – – Schwangerschaft 341, 343 – – Symptomatik 342 – – Therapie 343 – – Tumornachsorge 342, 343 – MEN-2-assoziiertes 501, 503, 510 – NET 467 – neuroendokrine Marker 313 – Neurofibromatose 521 – operative Therapie 339, 340 – operative Zugänge 339, 340 – palliative Therapie 340 – Pathogenese 294 – präoperative Behandlung 338, 339 – Radiotherapie 341 – Schweizer-Käse-Muster 334 – sporadisches 323 – Symptomatik 336, 337 – Von-Hippel-Lindau-Syndrom 517 – Vorbehandlung 294 Phenoxybenzamin 338 pheochromcytoma of the adrenal gland scale score 342 PHH 394–396 Phosphatbinder, orale 263 Phrenikusparese 138 Plasmametanephrine, freie 322, 337 Plasmareninaktivität 320 Plummerung 108, 116 Post-Partum-Thyreoiditis 176 Posttherapieszintigramm 142 PPom 441 PP-Zellen 401 Prä-Pro-Parathormon 196 Proinsulin 404, 405 Prolaktin 3, 11 Prolaktinom 11, 19, 495 Proopiomelanokortin 283 Propylthiouracil 98 Protonenpumpenhemmer, Gastrinom 426
534
Sachverzeichnis
Protoonkogen 288 Psammomkörperchen 123 Pseudohyperaldosteronismus 293 Pseudohyperparathyreoidismus 199 Pseudoknoten 60 PTH 7 Parathormon
Rhabdomyosarkom 313 Riedel-Struma 38, 176, 178 Rubeosis 348 rugger jersey spine 259
S Q Quick-Parathormon 231, 250, 251 Quinagolid 20
R Radioembolisation 472 Radiofrequenzablation 422, 438, 474 131 I-Radiojod 53 Radiojodtest 84, 103 Radiojodtherapie 65, 83–86, 92, 100–105, 155 – adjuvante 140, 144 – Dosimetrie 103 – Durchführung 141–143 – genetisches Risiko 144 – Glukokortikoide 103 – Indikationen 83, 84, 101, 139, 140 – Infertilität 144 – Kontraindikationen 83, 140 – kurative 140, 144 – Nachsorge 86, 104, 105 – Nebenwirkungen 85, 144 – palliative 140, 144 – Patientenaufklärung 102 – postoperative 139–145 – Strahlenbelastung 85, 86 – Strahlenschutz 85, 100 – Vorbehandlung 84 Radionukleotidtherapie, Phäochromozytom 341 Radiotherapie – fokussierte 18 – hyperfraktionierte 164 – Nebenschilddrüsenkarzinom 256 – perkutane 144 Radspeichenmuster 446 Ras-Protoonkogen 30 Refluxkrankheit 424 Rektumkarzinoid 462 Rektumresektion 463 Rekurrensparese 74, 77, 101, 110, 134, 138 Renin-Angiotensin-Syndrom 286 RET-Protoonkogen 152, 294, 500, 502, 504, 505 RET-PTC-Onkogen 30, 31 Retropneumoperitoneographie 324 Rezidivhyperthyreose 97, 100, 101, 111 Rezidivstruma 75–78
Sandostatin 438 Schilddrüse – Anatomie 33–36 – Blutversorgung 34, 35 – Computertomographie 47, 48 – C-Zellen 33 – Feinnadelbiopsie 46, 55–58, 62, 120, 152, 163 – Funktionsstörungen 42 – Hämangiom 168 – Hypervaskularisierung 61 – Innervation 34, 35 – Jodaufnahme 27 – Karzinom 7 Schilddrüsenkarzinom – Karzinosarkom 167 – Leiomyom 168 – Leiomyosarkom 167 – Liposarkom 168 – Lymphabfluss 36 – Lymphknontenregionen 36 – Magnetresonanztomographie 48, 49 – Nervenscheidentumor 169 – Neurilemmom 169 – Paragangliom 168, 169 – Pathophysiologie 27–32 – Plattenepithelkarzinom 168 – Positronenemissionstomographie 53, 54, 148, 152 – Präparation 71, 135, 136 – – Instrumente 136 – – Nahtmaterial 136 – Sarkom 7 Schilddrüsensarkom – Sonographie 43–47, 60, 115, 120, 148, 152 – Szintigraphie 50, 61, 96, 121 – Thyreolipom 168 – Volumenbestimmung 44, 45 Schilddrüsenadenom – atypisches 117 – autonomes 29, 30, 61, 87, 88, 122 – bizarre Kernen 117 – Definition 59 – hyalinisierendes trabekuläres 117 – makrofollikuläres 117 – mikrofollikuläres 117 – normofollikuläres 117 – onkozytäres 117 – Pathologie 117 – Therapie 121, 122 – trabekulär-solides 117 Schilddrüsenautonomie 79–91, 112 – autokrine Wachstumsfaktoren 79
– Diagnostik 81, 82 – Differenzialtherapie 102 – disseminierte 62 – Epidemiologie 41 – funktionelle 79, 91 – multifokale 102 – Pathogenese 79 – Rezidiv 91, 92 – unifokale 102 Schilddrüsenentzündung 7 Thyreoiditis Schilddrüsenerkrankungen – Diagnostik 42–58 – – nuklearmedizinische 50–55 – Epidemiologie 40, 41 – Pathologie 37–40 Schilddrüsenfunktionsstörungen 61 Schilddrüsenhormone 27, 28 – 7 Thyroxin – 7 Trijodthyronin – Bestimmung 43, 61 – Freisetzung 28 – Substitution 76, 77, 143, 155 – synthetische 77 – Transport 28 Schilddrüsenkarzinom 30, 31 – Klassifikation 128, 129 – anaplastisches 30, 126 – Ätiopathogenese 131 – Diagnostik 45, 48, 49, 53 – differenziertes 131–149 – – Computertomographie 148 – – Diagnostik 131, 132 – – Epidemiologie 131 – – Fernmetastasen 138 – – Ganzkörperszintigraphie 147, 148 – – Kernspintomographie 148 – – Lymphknotenmetastasen 137 – – Nachsorge 145–149 – – onkozytäres 148 – – operative Therapie 133–138 – – Rezidiv 134 – – Rezidivprophylaxe 146–148 – – Sonographie 147 – – Symptomatik 132 – – Thorax-Röntgenaufnahme 148 – Epidemiologie 41 – familiäres 119 – – MEN-1-assoziiertes 500 – follikuläres 30, 122, 124, 125 – – grob invasives 125 – – minimalinvasives 125 – – onkozytäres 125 – – Überlebensrate 144 – gering differenziertes 126 – Infiltration der Trachea 137, 150 – Lungenmetastasen 48 – Lymphknotenmetastasen 39, 133, 134, 137, 151 – medulläres 31, 54, 149–160 – – Chemotherapie 155 – – Diagnostik 151, 152
535 Sachverzeichnis
– – Erstmanifestation 150 – – Fernmetastasen 151, 154, 159 – – Gendiagnostik 152 – – hereditäres 150, 157, 158 – – Kalzitoninexpression 150, 151, 159 – – Lymphadenektomie 154, 155 – – Lymphknotenmetastasen 151, 159 – – MEN-2-assoziiertes 500–502, 507, 508 – – Metastasen 150, 151, 158–160 – – operative Therapie 153–155 – – Radiojodtherapie 155 – – Rezidiv 158–160 – – Sonographie 152 – – sporadisches 150, 153–156 – – Symptomatik 149, 150 – Metastasen 53 – operative Therapie 110 – papilläres 30, 123, 124 – – diffus sklerosierende Variante 124 – – follikuläre Variante 124 – – gekapseltes 123 – – großzelliges 124 – – onkozytäres 124 – – solid-trabekuläre Variante 124 – – Überlebensrate 144 – – Zylinderepithel-Variante 124 – Pathologie 123–130 – selektive Venenkatherisierung 152 – sporadisches 150, 153–156, 507 – undifferenziertes 126, 161–164 – – adjuvante Chemotherapie 164 – – Ätiopathogenese 161 – – Diagnostik 162, 163 – – Entdifferenzierung 161 – – Fernmetastasen 162, 164 – – Knochenmetastasen 163 – – Lokalrezidiv 164 – – Lymphknotenmetastasen 162, 164 – – operative Therapie 163, 164 – – Symptomatik 161, 162 – – Überlebensrate 162 – Vitamin-A-Säure 145 Schilddrüsenknoten 30 – 7 Struma – Definition 59 – Diagnostik 119–121 – Differenzialdiagnostik 120 – Dignität 46 – dominanter 119 – hyperplastischer 117 – kalter 121 – Malignomwahrscheinlichkeit 132 – Pathogenese 67 – Resektion 89 – Schnellschnittuntersuchung 133 – solitärer 119, 122 – verdächtigter 132, 133 – zystischer 65 Schilddrüsenlymphom 165 – malignes 129 Schilddrüsenmetastasen 169, 170
Schilddrüsenperoxidase 28, 96 Schilddrüsenplasmozytom 166, 167 Schilddrüsensarkom 129, 166, 167, 168 Schilddrüsenthymom 168 Schilddrüsentumoren – benigne 117–122 – maligne 123–171 – nichtepitheliale 165–169 Schilddrüsenüberfunktion 7 Hyperthyreose Schilddrüsenunterfunktion 7 Hypothyreose Schilddrüsenzyste 65 Schnellschnittuntersuchung – Nebenschilddrüsen 207 – Schilddrüse 133 Schwimmprobe 189 SDHB-Gen-Mutation 340 Sekretin 378 – selektive arterielle Injektion 428, 487 Sekretintest 424, 496 selektive arterielle Embolisation 470 selektive arterielle Sekretin-Injektionsangiographie 428, 487 selektive venöse Blutentnahme 224, 248, 326, 329, 413 Sella turcica 2 Sellaexploration, transsphenoidale 21 Serotonin 379 Serotoninom 400 Serumkalzium, Bestimmung 212 Sesta-MIBI-Szintigraphie 232, 248 Sinus-petrosus-Katheter 13 Sippel-Syndrom 198, 500 – 7 MEN-2-Syndrom Somatostatin 2, 379, 390, 429 Somatostatinanaloga 19, 422, 426, 477 Somatostatinom 400, 441, 521 Somatostatinrezeptor-Radiotherapie 475 Somatostatinrezeptor-Szintigraphie 55, 413, 428, 434, 447, 450, 481 somatotrope Achse 15 Spätdumping-Syndrom 381 Spironolacton 320, 346 Staphylococcus aureus, Thyreoiditis 172 StAR-Protein 284 Steatorrhö 424 Stellwag-Zeichen 93 Sternotomie 238 Sternuminfekt, nach Mediastinektomie 138 steroidogenic factor 1 284 Steroidsubstitution 352 Strahlentherapie 7 Radiotherapie Streptococcus pyogenes, Thyreoiditis 172 Streptozotocin 365, 422, 476, 483 Struma – basedowificata 38 – diffusa colloides 37 – diffusa et nodosa 37 – diffusa parenchymatosa 37 – endothoracica falsa 73 – Epidemiologie 40 – euthyreoten 37
P–T
– Pathophysiologie 29 – pseudoendothoracica 73 – retromediastinale 73 – retrosternale 73 Strumarezidiv 111 Subtraktionsszintigraphie 217 Succinatdehydrogenase 294 Suppressionsszintigraphie 61 Synacthen 370, 374
T Technetiumszintigramm 50, 51 Technetium-Uptake 82, 115 Telomerase 490 Telomeraseaktivität, erhöhte 342 Teratom 168 Testosteronsynthese 284 Testosteronpräparate 15 Tetanie 277, 279 Thalliumszintigraphie 148 Thiamazol 88, 98 Thionamide 108, 113 Thompson-Operation 430 Thymektomie 498 – transzervikale 269 – zervikale 239, 493 Thymus 195 Thymusdrüse 187, 191 Thymusdrüse 236, 237 Thymuskarzinom 497 Thymustumoren 497, 498 Thymuszunge 187, 191, 195, 236 Thyreoglobulin 28 – Bestimmung 146 thyreoideastimulierendes Hormon 7 TSH Thyreoidektomie – Durchführung 154 – euthyreotes Knotenstruma 67 – Hypokalzämie 68 – Indikationen 178 – MEN-2-Syndrom 509 – Operationstechnik 70, 71 – Patientenaufklärung 154 – primärer Hyperparathyreoidismus 240 – prophylaktische 499, 504, 506 – Rekurrensschädigung 68 – Rezidiv 134 – Schnittführung 68 – subtotale 67 – – Immunthyreopathie 107, 109, 110 – Thyreoiditis 178 – totale – – differenziertes Schilddrüsenkarzinom 133 – – erweiterte 164 – – Immunthyreopathie 107, 109 – – medulläres Schilddrüsenkarzinom 154, 157
536
Sachverzeichnis
Thyreoidektomie – – Schilddrüsenhormonsubstitution 143, 155 – – undifferenziertes Schilddrüsenkarzinom 163, 164 Thyreoiditis 38–40, 172–178 – akute 172, 173, 177 – Amiodaron-assoziierte 178 – atrophische lymphozytäre 40 – de Quervain 38, 173, 177 – eitrige 38 – Klassifikation 172 – lymphozytäre 40 – medikamenteninduzierte 176, 178 – multifokale granulomatöse 38 – operative Therapie 177 – perineoplastische 176 – stille 176 – subakute 173, 177 – traumatische 176 Thyreolipom 168 Thyreostatika 87, 88, 91, 97–99 – Indikationen 97 – Kontraindikationen 97 – Nebenwirkungen 98, 108, 113 Thyreotoxikose – jodinduzierte 108 – medikamentenassozierte 90 thyreotoxische Krise 74, 89–91, 93, 108 – Klassifikation 109 – Schwangerschaft 107, 108 thyreotrope Achse 14 thyreotropes Hormon 2 Thyreotropin, rekombinantes humanes 104 Thyreotropinom 13, 22 Thyreotropin-releasing-Hormon 7 TRH Thyroxin 27, 42 Tolbutamidteset 406 Tracheazielaufnahme 61, 97 Tracheomalazie 74 TRH 2 TRH-Stimulation 43 TRH-Test 9, 43, 61 Trigonum caroticum 36 Trijodthyronin 27, 42 Trousseau-Zeichen 278 Truncus thyreocervicalis 192 TSH 28 – basales 43, 52, 61, 94 TSH-Rezeptor 29, 30, 32 TSH-Rezeptor-Antikörper 93, 96, 99 TSH-Rezeptor-Autoantikörper 111 TSH-Rezeptor-Gen 79 TSH-Suppression 64, 114 TSH-Übersekretion 13, 14, 22 Tuberkulose, Thyreoiditis 172 Tumoren, neuroendokrine 7 NET
Tumorhyperkalzämie 184, 199 – Therapie 256 Tumorsuppressorgen 30, 258, 363, 490 Tyrosinkinaseinhibitoren 155, 477 Tyrosinkinaserezeptor 504
U Ulcus duodeni 385 Urographie 324
V Vanillinmandelsäure 322 Vasopressin 2, 285 Vena thyreoidea media Kocher 34 Venenkatheterisierung, selektive 152, 345, 350 Verner-Morrison-Syndrom 399, 440, 488 Verschlusshydrozephalus 17 Vestibularisschwannom, bilaterales 521 VIP 399 VIPom 399, 440, 441 – medikamentöse Vorbehandlung 467 – Therapie 441 VIP-Rezeptor-Szintigraphie 448 Virilisierung 310 Vitamin-A-Säure, Schilddrüsenkarzinom 145 Vitamin-D-Analoga 264 Vitamin-D-Rezeptor 257, 198 Volumetrie 45, 294 333 400 432 516–519 – Molekulargenetik 506 – operative Therapie 518 – Phäochromozytom 517 – Screening 519 – Symptomatik 517
W Wachstumsfaktoren, autokrine 79 Wachstumshormon 3 – biochemisch verändertes 19 – Substitutionstherapie 15 – Überproduktion 10 Waterhouse-Friderichsen-Syndrom 305 Wermer-Syndrom 198 Whipple-Operation 384 – Duodenalwandgastrinom 430 – Insulinom 421 Whipple-Trias 403 Wolff-Chaikoff-Effekt 27, 112, 113
Z Zöliakographie 446 Zollinger-Ellison-Syndrom 380, 383, 398 – Diagnostik 424–426 – Gastrinom 487 – Endosonographie 428 – konservative Therapie 426 – Lokalisationsdiagnostik 428 – MEN-1-assoziiertes 424, 429, 430, 493, 494 – Metastasen 427 – operative Therapie 427–431 – Symptomatik 423, 424 Zona – fasciculata 282 – glomerulosa 282 – – Hyperplasie 292, 308 – reticularis 282 Zytochrom P450