J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick Praxis der Viszeralchirurgie Onkologische Chirurgie
J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick (Herausgeber)
Praxis der Viszeralchirurgie
Onkologische Chirurgie J. R. Siewert (Bandherausgeber) 3. Auflage
Mit 586 zum Teil farbigen Abbildungen und 218 Tabellen
123
Professor Dr. med. Dr. h.c. J. R. Siewert Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 672 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Matthias Rothmund Zentrum für Operative Medizin I Klinikum der Philipps-Universität Baldinger Straße 35043 Marburg
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Volker Schumpelick Universitätsklinik und Poliklinik Medizinische Fakultät der RWTH Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
ISBN 978-3-642-03807-5 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Springer-Verlag GmbH Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Fritz Kraemer, Heidelberg Projektmanagement: Willi Bischoff, Heidelberg Lektorat: Ursula Illig, Redaktionsservice, Gauting Einbandgestaltung: deblik Berlin Satz und Digitalisierung der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN 12602773 Gedruckt auf säurefreiem Papier
WB/2111 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Alle guten Dinge sind drei! – Sollte man denken – dann müsste diese dritte Auflage »Praxis der Viszeralchirurgie« besonders gelungen sein. Rechnet man allerdings die ersten beiden Auflagen der »Chirurgischen Gastroenterologie« hinzu, ist dieses Werk sogar schon in der fünften Runde oder anders ausgedrückt – dreißig Jahre auf dem Markt. Damit ist dieses Werk wirklich Standard; ganze Generationen junger Ärzte sind durch diese Buchreihe über den stets aktuellen Stand des Wissens informiert worden. Sie sind zum interdisziplinären Denken angeregt worden. Traditionelle Fächergrenzen sind überwunden worden. Der Weg zu den interdisziplinären Tumorboards in der Onkologie ist entwickelt und geebnet worden. Was vor 20–30 Jahren noch unvorstellbar und revolutionär erschien, ist nun Routine. Alle an der Therapie krebskranker Patienten beteiligten Disziplinen haben sich schon lange in diesem Buch zusammengefunden und praktizieren heute die Interdisziplinarität längst im Alltag. Damit hat dieses Werk eigentlich sein Ziel erreicht. Das Werk ist aber auch Begleiter und Zeitzeuge der strukturellen Entwicklung in der Viszeralchirurgie geworden. Ausgehend von der gastroenterologischen Chirurgie als mehr und mehr eigenständigem Gebiet der Chirurgie und der Erkenntnis, dass ein Schulterschluss mit der Gastroenterologie notwendig war, sind die ersten Überlegungen zur interdisziplinären »Gastroenterologie« und zur Entstehung dieser Buchreihe entstanden. Das Werk hat die Entwicklung zur Viszeralchirurgie angeregt und mitgestaltet. Diese Entwicklung hat konsequenterweise zur Änderung des Titels in »Praxis der Viszeralchirurgie« Anlass gegeben. Es hat ferner den Wechsel in den Schwerpunkten der gastroenterologischen Chirurgie und später der Viszeralchirurgie begleitet, d.h. den Verlust an gutartigen Diagnosen und die daraus resultierende Fokussierung auf Notfalleingriffe. Im Rahmen dieser Entwicklung wurde die Onkologie für die Viszeralchirurgie immer bedeutsamer. Onkologie ist ebenso wie Gastroenterologie interdisziplinär, aber sie benötigt mehr Partner. Auch dem wurde Rechnung getragen. Die Einbindung nahezu aller an der onkologischen Therapie beteiligten Partner ist in den Inhaltsverzeichnissen dieser Buchreihe nachvollziehbar. Das Werk hat mitgeholfen, die Entwicklung zum Tumorboard und zu dem Comprehensive-Cancer-Center zu bahnen. So hat die Buchreihe über insgesamt 30 Jahre die Entwicklung der Viszeralchirurgie begleitet, aber auch mitgestaltet und zum Teil geprägt. Nicht zuletzt waren auch die Herausgeber immer in Schlüsselpositionen an dieser Entwicklung beteiligt. Dieses Werk spiegelt wie kein anderes die moderne Entwicklung in der Viszeral-Chirurgie wieder. Wenn man es weiterführen will, kann dies nur mit der nächsten Generation erfolgen. Ohnehin sind die Herausgeber in die Jahre gekommen und haben bereits ihre praktische Tätigkeit in die Hände der nächsten Generation gelegt. Glücklicherweise ist dieser Generationswechsel unter den Autoren dieses Buches längst schrittweise erfolgt, sodass der Inhalt immer aktuell und auf dem neuesten Stand geblieben ist. Unser besonderer Dank gilt deshalb mehr als zuvor den Autoren, die das Werk jung und aktuell gehalten haben. Hier muss ich ganz besonders Herrn Professor Florian Lordick danken, der diesen Generationswechsel und die onkologische Kompetenz in besonderer Form verkörpert. Unser Dank gilt jedoch auch dem Springer-Verlag, der die Herausgeber zu dieser nochmaligen Neuauflage ermuntert hat und immer wieder den notwendigen Druck zur rechtzeitigen Fertigstellung aufgebaut hat. Hier sind besonders die Herren Dr. Fritz Kraemer und Willi Bischoff zu nennen, sowie Frau Ursula Illig, die das Lektorat des Buches durchgeführt hat. Die Herausgeber wünschen sich sehr, dass diese Neuauflage beim geneigten Leser eine ebenso wohlwollende Aufnahme findet, wie die vorausgegangenen Ausgaben. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h.c. J. Rüdiger Siewert
VII
Inhaltsverzeichnis 6
I
Allgemeine Onkologie: Grundlagen
6.1 6.2 6.3
1
Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
M. Werner Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur und Tumorklassifikation Tumorentstehung . . . . . . . . . . . . Tumorausbreitung . . . . . . . . . . . Tumorgenetik . . . . . . . . . . . . . .
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4 4 8 9 10
2
Präkanzerosen und molekulare Marker . . . . .
13
. . . . .
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. . . . .
7
7.1 7.2 7.3
Genetische Aberration, Genexpressionprofile und Epigenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
R. Kemper, B. M. Ghadimi Genetische Aberrationen . . . . . . . . . . . . . . . Epigenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genexpressionsprofile . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 71 73
Tumorangiogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
H. Nieß, C. Conrad, H. Seeliger, M. K. Angele, M. Eichhorn, K.-W. Jauch, C. J. Bruns Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Tumor dormancy« und »angiogenic switch« . . . . Proangiogene und antiangiogene Signaltransduktionskaskaden . . . . . . . . . . . . . Physiologische Angiogenese versus Tumorangiogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle von Knochenmarkszellen in der Angiogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antiangiogene Therapiestrategien . . . . . . . . . . Antiangiogene Therapie und chirurgische Eingriffe
78 78 79
. . . . . .
14 14
7.5
2.4
A. Tannapfel Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikation der intraepithelialen Neoplasien Präkanzeröse Bedingungen und Läsionen im Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . Maligne Transformation . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
15 16
7.6 7.7
3
Tumorklassifikationen . . . . . . . . . . . . . . . .
19
8
Wachstumssignale und Apoptose . . . . . . . .
87
8.1 8.2
H. Schulze-Bergkamen Wachstumssignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apoptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88 91
Immunkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
2.1 2.2 2.3
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8
C. Wittekind Tumorlokalisation . . . . . . . . . . . . . . . . Histologische Typisierung (Typing) maligner Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grading maligner Tumoren . . . . . . . . . . Staging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikationen nach vorausgegangener (neoadjuvanter) Therapie . . . . . . . . . . . Residualtumor(R)-Klassifikation . . . . . . . . Prädiktive Pathologie (»Theranostik«) . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . .
7.4
. . . .
20
. . . . . . . . . . . .
20 24 24
. . . .
27 27 28 28
. . . .
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. . . .
4
Epidemiologie bösartiger Neubildungen . . .
31
4.1 4.2 4.3 4.4
N. Becker Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Datenquellen und Methoden . . . . Ergebnisse der Krebsepidemiologie Krebsprävention . . . . . . . . . . .
. . . .
32 32 35 44
Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . . . . .
49
5
5.1 5.2
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
M. Kloor, M. von Knebel Doeberitz, J. Gebert Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
II
10
50 51
D. Jäger, S. Meuer Einführung . . . . . . . . . . . . . . . Aktive Immuntherapie . . . . . . . . Passive Immuntherapie . . . . . . . T-Lymphozyten und T-Zell-basierte Immuntherapien . . . . . . . . . . . Zytokine . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . .
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 81 82 85
98 98 99
. . . . . . . . . 100 . . . . . . . . . 100 . . . . . . . . . 100
Allgemeine Onkologie: Onkologische Diagnostik
Präventionsstrategien bei gastrointestinalen Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 M. Ebert Ösophaguskarzinom . . . . Magenkarzinom . . . . . . Kolorektales Karzinom . . . Pankreaskarzinom . . . . . Hepatozelluläres Karzinom
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106 107 108 109 109
VIII
Inhaltsverzeichnis
11
Diagnostische Endoskopie . . . . . . . . . . . . . 111
11.1 11.2 11.3 11.4
M. Burian, N. Yahagi, P. Sauer Grundlagen . . . . . . . . . . Ösophaguskarzinom . . . . . Magenkarzinom . . . . . . . . Kolon- und Rektumkarzinom
112 115 117 119
17.4
12
Radiologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . 123
17.7
12.1 12.2
13
. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
17.3
17.5 17.6
L. Grenacher, C. Rehnitz, H.-U. Kauczor Technische Grundlagen und Stellenwert der einzelnen radiologischen Verfahren . . . . . . . 124 Bildgebende Diagnostik wichtiger onkologischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
. 191 . 192 . 193 . 194 . 195
III Allgemeine Onkologie: Allgemeine Prinzipien in der onkologischen Therapie
Nuklearmedizinische Diagnostik . . . . . . . . . 143 B.J. Krause, K. Herrmann, K. Ott, C. Meyer zum Büschenfelde, M. Schwaiger Technische Grundlagen der nuklearmedizinischen Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Nuklearmedizinische Verfahren zur Charakterisierung und Diagnostik von Tumoren . . 147 FDG-PET und PET/CT zum Therapiemonitoring . . 151
Platinkomplexe: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion . . . . . . . . . . . . . . . Topoisomease-Inhibitoren: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion . . . . . . . . . . . . . . . Molekulare Marker in der »targeted therapy« . . . Molekularbiologische Techniken zur Bestimmung der Response-Prädiktion . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
Multidisziplinarität im Cancer Center . . . . . . 201
Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat . . . . . . 157
18.5
F. Lordick, A. Beiglböck, D. Jäger, J.R. Siewert Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . Definition eines Cancer Centers . . . . . . . . . . . . Etablierung onkologischer Zentren in Deutschland Erfahrungen mit Comprehensive Cancer Centers in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Prinzipien der onkologischen Chirurgie . . . . 213
14.4 14.5 14.6 14.7 14.8 14.9
H. Bläker, H. Höfler, P. Schirmacher Biopsie, Probeexzision . . . . . . . . . . . . . . . . Zytologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befunderstellung und Interpretation bei Biopsie und Zytologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schnellschnittuntersuchung . . . . . . . . . . . . Operationspräparate . . . . . . . . . . . . . . . . . Befunddokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialtechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interdisziplinäre Konferenzen . . . . . . . . . . . . Gewebebank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19.1 19.2 19.3 19.4 19.5 19.6 19.7
J. Weitz, H.E. Vogelsang, J.R. Siewert Rahmenbedingungen der chirurgischen Therapie Präoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . Operatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathologisch-anatomische Präparatebefundung . Postoperative Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung von Rezidiven und Metastasen . . . Onkologische Chirurgie: Stellenwert und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Wächterlymphknotendetektion . . . . . . . . . 167
15.1 15.2 15.3 15.4 15.5
A. Sendler Grundlagen . . . . . . Technik . . . . . . . . . Ösophaguskarzinom . Magenkarzinom . . . . Kolorektale Karzinome
16
Diagnostische Laparoskopie . . . . . . . . . . . . 175
16.1 16.2 16.3 16.4
H. Feussner Definition . . . . . . . . . . . . . . . . Technische Durchführung . . . . . . . Diagnostisches Spektrum . . . . . . . Komplikationen, Fehler und Gefahren
13.1 13.2 13.3
14
14.1 14.2 14.3
. 158 . 159 . . . . . . .
160 162 163 164 164 165 165
18.1 18.2 18.3 18.4
20
17
17.1 17.2
. . . . .
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168 168 170 170 171
. . . .
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. . . .
176 176 178 183
204 210
214 215 217 220 220 222
. 222
Laparoskopische und roboterassistierte Tumorchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
20.2 20.3
F. Köckerling, C. Schug-Paß Limitierungen der laparoskopischen Tumorchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Präparatebergung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Laparoskopische Tumoroperationen . . . . . . . . . 227
21
Transplantation und Onkologie . . . . . . . . . . 233
20.1
21.1
. . . .
. . . . . .
202 202 203
21.2 21.3
Molekulare Diagnostik und ResponsePrädiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
21.4
T. Winder , H.-J. Lenz Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Fluoropyrimidine: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion . . . . . . . . . . . . . . . . 188
21.5 21.6
W. O. Bechstein, C. Mönch Inzidenz von Krebserkrankungen bei Organtransplantierten . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung von Krebs durch das transplantierte Organ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chronische Immunsuppression und De-novo-Malignomentwicklung . . . . . . . . . . Risikogruppen für die Malignomentwicklung nach Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . Prävention und Früherkennung primärer Malignome nach Organtransplantation . . . . . . Behandlung von De-novo-Malignomen nach Organtransplantation . . . . . . . . . . . . .
. 234 . 234 . 235 . 235 . 236 . 237
IX Inhaltsverzeichnis
21.7
Organtransplantation nach anamnestisch bekannter Krebserkrankung . . . . . . . . . . . . . . 237
22
Präoperative Risikoabschätzung . . . . . . . . . 241
22.5 22.6 22.7
H. Bartels Methoden der präoperativen Risikoabschätzung Operationsbezogenes Risiko . . . . . . . . . . . Patientenbezogenes Risiko . . . . . . . . . . . . Umfang und Spektrum obligater Voruntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Vorbehandlung . . . . . . . . . . . Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
22.1 22.2 22.3 22.4
. . 242 . . 242 . . 243 . . . .
. . . .
S. Fruehauf, A. Radujkovic, J. Topaly, W.J. Zeller Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . Chemotherapie und Apoptose . . . . . . . . . . . . Wachstumskinetik von Tumoren . . . . . . . . . . . Resistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinationschemotherapie, Interaktionen in der Chemotherapie, chemotherapeutische Begriffe . . 23.6 Nebenwirkungen der Chemotherapie . . . . . . . . 23.7 Grundlagen der Hormontherapie maligner Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.8 Neue Therapiestrategien . . . . . . . . . . . . . . . . 23.9 Praktische Durchführung der Chemotherapie . . . 23.10 Aktuelle Chemotherapie- und Hormontherapiestrategien viszeraler Tumoren . . . . . . . . . . . . 23.1 23.2 23.3 23.4 23.5
24
244 246 247 247
250 251 252 253 255 255 257 258 258 260
24.1 24.2 24.3 24.4
F. Lordick Wachstumsfaktor-Rezeptoren . . . . . . . . . . . Tumorangiogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezifische biologisch zielgerichtete Wirkstoffe Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Immuntherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
25.1 25.2 25.3 25.4
C. Peschel Prinzipien der Tumorimmunlogie . Immuntherapie von Tumoren . . . Monoklonale Antikörper . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . .
26
26.1 26.2 26.3 26.4 26.5 26.6 26.7
. . . .
27
Partikeltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
27.1 27.2
A. Jensen, M. Münter, J. Debus Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Klinische Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . 307
28
28.1 28.2 28.3 28.4
29
29.1
Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 . . . .
26.8 Akute Nebenwirkungen und Spätreaktionen . . . . 297 26.9 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 26.10 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
266 268 271 273
29.2
. . . .
. . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
278 280 282 282
Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie . . . . . . . 285 H. Geinitz, B. Röper, M. Molls Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physikalische, technische und biologische Grundlagen der Strahlentherapie . . . . . . . . . . Grundlagen der Kombination von Strahlen- und Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strahlentherapie und biologisch zielgerichtete Therapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablauf der Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . . Strahlentherapie in kurativer Intention . . . . . . . . . . Strahlentherapie in palliativer Intention . . . . . . .
286 287 289 290 291 294 296
P. Wust, B. Rau, P. M. Schlag Grundlagen . . . . . . . . . . . . . Methoden der Hyperthermie . . . Klinische Ergebnisse . . . . . . . . Indikationsspektrum und Ausblick
. . . .
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320 322 327 330
Endoradiotherapie mit spezifischen und unspezifischen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 333 U. Haberkorn Unspezifische Therapie – selektive interne Radiotherapie (SIRT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Spezifische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
30
Interventionelle Radiologie . . . . . . . . . . . . 341
30.1 30.2 30.3 30.4
G. M. Richter Leber . . . . . . . . . Lunge . . . . . . . . . Niere . . . . . . . . . Spezialindikationen .
31
31.1 31.2 31.3 31.4 31.5
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Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie . . 319
32
32.1 32.2 32.3 32.4 32.5 32.6 32.7
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. . . .
342 349 350 351
Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 S. Groth, T. Rösch Dilatation und Bougierung . . . . . . . . . Endoskopische Hämostase . . . . . . . . . Kurative endoskopische Tumortherapie . . Endoskopische Tumorpalliation im oberen Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . Verschiedene Verfahren . . . . . . . . . . .
. . . . . 354 . . . . . 355 . . . . . 357 . . . . . 362 . . . . . 363
Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . 371 U. Zech, P.P. Nawroth, T. Schilling Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genese der Mangelernährung bei Tumorpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfassung des Ernährungszustandes . . . . . . . Postaggressionssyndrom/Postaggressionsstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immunonutrition . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxis der perioperativen Ernährung . . . . . . Klinische und laborchemische Überwachung der künstlichen Ernährung . . . . . . . . . . . .
. . 372 . . 372 . . 373 . . 375 . . 376 . . 378 . . 383
X
Inhaltsverzeichnis
33 33.1 33.2 33.3 33.4
34
Psychoonkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
38
P. Herschbach, P. Henningsen Das Fach Psychoonkologie und seine Anwendung Belastung und psychische Komorbidität von Krebspatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikation für Psychoonkologie . . . . . . . . . . . . Psychoonkologische Behandlung . . . . . . . . . .
38.1 38.2 38.3 38.4 38.5
388 388 390 392
Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
34.3 34.4
M. Bullinger, A. Mehnert, C. Bergelt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriterien zur Beurteilung von Lebensqualitätsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfügbare Messinstrumente . . . . . . . . . . Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . .
35
Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
35.1 35.2 35.3
L. Edler, I. Burkholder Prinzipien der Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Studienplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Studienauswertung und Bericht . . . . . . . . . . . 420
34.1 34.2
. . . 398 . . . 399 . . . 400 . . . 404
36
Maligne Lungentumoren . . . . . . . . . . . . . . 425
36.8 36.9
L. Sunder-Plassmann, C. Schumann Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Strategie . . . . . . . . . . . . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative chirurgische Komplikationen . Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operation und Operabilität beim kleinzelligen Bronchialkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . Mediastinaltumoren . . . . . . . . . . . . . . .
37
Lungenmetastasen
36.1 36.2 36.3 36.4 36.5 36.6 36.7
37.1 37.2 37.3 37.4 37.5 37.6 37.7 37.8 37.9
. . . . .
. . . . .
. . . . .
426 428 430 432 446
. . . 448 . . . 449 . . . 450 . . . 450
. . . . . . . . . . . . . . . . . 457
H. Dienemann, J. Pfannschmidt Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . . Notwendige Diagnostik und Staging . . . . . . . Operative Therapie, Strategie . . . . . . . . . . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative KompIikationsmöglichkeiten . . . Neoadjuvante, additive bzw. adjuvante Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
J. R. Siewert, H. J. Stein, F. Lordick Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre . . . . Adenokarzinom der Speiseröhre (»Barrett-Karzinom«) . . . . . . . . . . . . . . . . 38.6 Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . 38.7 Intra- und postoperative Komplikationen . . . . 38.8 Ergebnisse der chirurgischen Therapie . . . . . 38.9 Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie 38.10 Palliation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38.11 Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . .
39
409
IV Spezieller Teil: Therapieentscheidungen und therapeutisches Vorgehen
. . . . . .
458 459 459 464 465 468
. 470 . 471 . 471
Ösophaguskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 . . . .
. . . .
474 480 481 484
. . . . . . .
. . . . . . .
491 497 497 499 502 504 505
Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
39.1 39.2 39.3 39.4 39.5 39.6
J.R. Siewert, H. J. Stein Definitionen . . . . . . . . . . . . . Klassifikation . . . . . . . . . . . . . Epidemiologie und Tumorbiologie UICC-Klassifikation . . . . . . . . . Therapeutische Konsequenzen . . Prognose . . . . . . . . . . . . . . .
40
Magenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
K. Ott, A. Sendler, A. Tannapfel, F. Lordick, J. R. Siewert Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl . . . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morbidität und Mortalität . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . 40.10 Rezidive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.11 Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . . . . 40.12 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40.1 40.2 40.3 40.4 40.5 40.6 40.7 40.8 40.9
41
522 534 534 537 538 542 550 551 551 555 556 557
Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
J. Werner, M.W. Büchler Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinisches Symptomatologie . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . Therapieziele und Indikationsstellung . . . . . . Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . Adjuvante Therapie und neoadjuvante Therapie des Pankreaskarzinoms . . . . . . . . . . . . . . 41.9 Palliation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.10 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.11 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.1 41.2 41.3 41.4 41.5 41.6 41.7 41.8
510 510 511 513 514 516
. . . . . . .
. . . . . . .
564 569 569 572 573 573 582
. . . .
. . . .
583 584 584 585
XI Inhaltsverzeichnis
42
Neuroendokrines Pankreaskarzinom . . . . . . 587
42.1 42.2 42.3 42.4 42.5
V. Fendrich, D. Bartsch Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maligne funktionelle NPT . . . . . . . . . . . . . . Nichtfunktionelle maligne NPT . . . . . . . . . . . Behandlungsalternativen bei metastasierten NPT Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
. 588 . 589 . 590 592 . 593
Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
43.1 43.2 43.3 43.4 43.5 43.6 43.7 43.8 43.9 43.10
A. Thelen, C. Benckert, S. Jonas Grundlagenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . Therapieziele und Indikations-stellung . . . . . Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . Neoadjuvante und adjuvante Therapierinzipien Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
Lebermetastasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
596 607 607 612 622 626 631 633 634 635
45.17 45.18 45.19 45.20
Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenwert der systemischen Chemotherapie . Stellenwert der Strahlentherapie . . . . . . . . . Stellenwert der photodynamischen Therapie . .
46
Maligne Dünndarmtumoren . . . . . . . . . . . . 681
B.L.D.M. Brücher 46.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.2 Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . 46.3 Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . 46.4 Therapieziele und Indikationsstellung . . . . . . 46.5 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl . . . 46.6 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.7 Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . 46.8 Intra- und postoperative Komplikationen . . . . 46.9 Ergebnisse der chirurgischen Therapie . . . . . . 46.10 Neoadjuvante, additive und adjuvante Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 46.11 Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . . 46.12 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
44.1 44.2 44.3 44.4 44.5 44.6 44.7 44.8 44.9
45
C.T. Germer, U. Steger Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatik, Diagnostik und Staging Therapieziele und Indikationsstellung . . . . . . Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operationstechnik, Komplikationen und postoperative Behandlung . . . . . . . . . . Neoadjuvante und adjuvante Therapie . . . . . Alternative Behandlungsverfahren . . . . . . . . Palliation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlung zur Nachsorge . . . . . . . . . . . .
. . 640 . . 642 . . 644 . . 644 . . . . .
. . . . .
Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
R.S. Croner, T. Meyer, W. Hohenberger Histologische Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Anatomie der Gallenwege . . . . . . . Pathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzialdiagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikation der Tumorlokalisation . . . . . . . . . Pathologisches Staging und Grading . . . . . . . . Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präoperative Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . Laparoskopie und Exploration . . . . . . . . . . . . Präoperative Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Therapie des Gallenblasenkarzinoms Chirurgische Therapie des extrahepatischen Gallenwegskarzinoms . . . . . . . . . . . . . . . . . 45.15 Operationstechnische Aspekte der Chirurgie extrahepatischer Gallenwegskarzinome . . . . . . . 45.16 Palliative Verfahren zur Gallenwegsdrainage . . . . 45.1 45.2 45.3 45.4 45.5 45.6 45.7 45.8 45.9 45.10 45.11 45.12 45.13 45.14
649 650 650 651 651
657 657 658 660 660 662 662 662 664 664 668 668 669 670 673 674
. . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
675 676 676 677
682 685 686 687 687 688 688 688 688
. . 689 . . 690 . . 690
Kolonkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
J.-P. Ritz, H.J. Buhr 47.1 Grundlagenwissen . . . . . . . . . . . . . . 47.2 Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . 47.3 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47.4 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl 47.5 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . 47.6 Postoperativer Verlauf . . . . . . . . . . . . 47.7 Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47.8 Adjuvante Therapie . . . . . . . . . . . . . . 47.9 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47.10 Kolonkarzinomrezidiv . . . . . . . . . . . .
48
. . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
694 698 699 701 702 708 710 710 710 711
Rektumkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713
S. Willis, V. Schumpelick 48.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 48.2 Klinische Symptomatologie . . . . . . . . 48.3 Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . 48.4 Therapieziele und Indikationsstellung . . 48.5 Resektionsstrategien . . . . . . . . . . . . 48.6 Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . 48.7 Postoperative Behandlung . . . . . . . . 48.8 Intra- und postoperative Komplikationen 48.9 Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . 48.10 Adjuvante und neoadjuvante Therapie . 48.11 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48.12 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
714 716 716 717 719 725 728 728
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
729 730 731 732
49
Analkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735
49.1 49.2 49.3 49.4 49.5 49.6
F. Zimmermann, Ch. Tympner Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . Therapiestrategie . . . . . . . . . . . . . . . Radio- und Radiochemotherapie . . . . . . Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
736 739 739 741 742 745
XII Inhaltsverzeichnis
756 757
55.1 55.2 55.3 55.4 55.5 55.6 55.7 55.8 55.9 55.10 55.11 55.12
A. Kühnl, H.-H. Eckstein Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . Therapieziele und Indikationsstellung . . . . . . Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . Intra- und postoperative Komplikationen . . . . Ergebnisse der chirurgischen Therapie . . . . . Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie Palliation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . .
763
56
Ovarialkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887
766
56.1 56.2 56.3 56.4 56.5 56.6 56.7 56.8 56.9 56.10
50
Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen) . . . . . . . . . . 753
50.3 50.4 50.5
. . . . . .
Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie . . . 863
Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . Intra- und postoperative Komplikationen . . . . Ergebnisse der chirurgischen Therapie . . . . . . Palliation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . .
50.1 50.2
. . . . . .
55
49.7 49.8 49.9 49.10 49.11 49.12
C. Garbe, J. Göhl Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung von primären Melanomen in extrakutanen und viszeralen Lokalisationen . . . Behandlung lokoregionärer Metastasierung . . . . Indikationsstellungen in der Behandlung des viszeral metastasierten Melanoms (Stadium IV) Behandlung von Patienten mit verschiedenen Metastasenlokalisationen . . . . . . . . . . . . . . .
745 745 746 746 747 748
754
51
Weichgewebssarkome . . . . . . . . . . . . . . . . 773
51.1 51.2 51.3 51.4 51.5 51.6 51.7 51.8 51.9
C. Kettelhack, S. Burock, P. M. Schlag Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnosesicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien der chirurgischen Therapie . . . . . . Komponenten multimodaler Therapien . . . . . Lokalisationsadaptierte Therapieentscheidung Metastasierte Sarkome . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . .
52
Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts 799
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
774 778 779 780 783 785 788 793 794
52.6 52.7
C. Peschel Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . Therapie gastrointestinaler Lymphome . . . . Therapie von gastrointestinalen Lymphomen im Rezidiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
Maligne viszerale Tumoren des Kindes . . . . . 813
53.1 53.2 53.3 53.4 53.5
D. von Schweinitz, H. Till Grundlagen . . . . . . . Neuroblastom . . . . . . Nierentumoren . . . . . Hepatoblastom . . . . . Pankreatoblastom . . .
54
Urogenitale Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . 841
54.1 54.2 54.3 54.4
M. Wirth, M. Fröhner Prostatatumoren . . Hodentumoren . . . Harnblasentumoren Nierentumoren . . .
52.1 52.2 52.3 52.4 52.5
. . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . .
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. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
800 804 805 806
. . . 809 . . . 810 . . . 810
. . . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
. . . . .
. . . .
815 816 824 833 836
843 848 852 857
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
M. Pölcher, B. Schmalfeldt, G. Florack, J. Kalff, W. Kuhn Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . . . Therapieziele und Indikationsstellung . . . . . . . . Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl . . . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Komplikationen . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Chirurgie und adjuvanten Therapie Neoadjuvante, adjuvante und palliative Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56.11 Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . . . . 56.12 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
865 866 867 869 870 873 877 877 879 882 883 883
888 890 890 892 893 894 898 898 898 899 900 901
57
Peritonealkarzinose . . . . . . . . . . . . . . . . . 903
57.1 57.2 57.3 57.4 57.5 57.6 57.7 57.8 57.9 57.10 57.11 57.12 57.13
G. Glockzin, H.J. Schlitt, P. Piso Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . . Diagnostik und Staging . . . . . . . . . . . . . . Therapieziele und Indikationsstellung . . . . . . Chirurgische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . Intra- und postoperative Komplikationen . . . . Ergebnisse der chirurgischen Therapie . . . . . Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie Palliation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zur Nachsorge . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
904 904 904 905 906 907 908 909 909 910 911 911 911
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 913
XIII
Autorenverzeichnis Angele, Martin K., Priv.-Doz. Dr. med.
Bruns, Christiane, Prof. Dr. med.
Debus, Jürgen, Univ.-Prof. Dr. med.
Chirurgische Klinik und Poliklinik H6 Klinikum Großhadern der LMU München Marchioninistraße 15 81337 München
Chirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum Großhadern der LMU München Marchioninistraße 15 81337 München
Radiologische Universitätsklinik Radioonkologie Universität Heidelberg In Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg
Bartels, Holger, Prof. Dr. med.
Büchler, Markus W., Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult.
Chirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Bartsch, Detlef, Univ.-Prof. Dr. med. Zentrum für Operative Medizin Universitätsklinikum Marburg Baldinger Straße 35043 Marburg
Bechstein, Wolf, Univ.-Prof. Dr. med. Klinik für Allgemein- u. Gefäßchirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe Universität Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt/M.
Becker, Nikolaus, Univ.-Prof. Dr. med. DKFZ, Abteilung Epidemiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg
Beiglböck, Astrid, Dr. med. Nationales Zentrum für Tumorerkrankungen Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 350 69120 Heidelberg
Bergelt, Corinna, Dr. phil. UKE Hamburg, Zentrum für Psychosoziale Medizin Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie Martinistraße 52 20246 Hamburg
Bläker, H., Priv.-Doz. Dr. med. Pathologisches Institut Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 220 69120 Heidelberg
Brücher, Björn, F.A.C.S., Prof. Dr. med. Chirurgische Klinik Universitätsklinikum Tübingen Hoppe-Seyler-Straße 3 72076 Tübingen
Chirurgische Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Buhr, Heinz, Univ.-Prof. Dr. med.
Dienemann, Hendrik, Univ.- Prof. Dr. med. Thorax Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg Amalienstraße 5 69126 Heidelberg
Chirurgische Klinik und Poliklinik Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin
II. Medizinische Klinik und Poliklinik Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Bullinger, Monika, Dipl. Psych. Prof. Dr. phil.
Eckstein, Hans-Henning, Univ.-Prof. med.
Ebert, Matthias, Prof. Dr. med.
UKE Hamburg, Zentrum für Psychosoziale Medizin Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie Martinistraße 52 20246 Hamburg
Klinik für Gefäßchirurgie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Burian, Maria, Dr. med.
Deutsches Krebsforschungszentrum DKFZ Abteilung Biostatistk - C060 Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg
Medizinische Klinik/Interdiszipl. Endoskopiezentrum Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Burkholder, Iris, Dr. rer. nat. StaBiL Statistische und Biometrische Lösungen Pistorstraße 7 66482 Zweibrücken
Edler, Lutz, Dr. rer nat.
Eichhorn, Martin, Dr. med. Chirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum der Universität München Marchioninistraße 15 81337 München
Fendrich, Volker, Dr. med.
Chirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum Großhadern der LMU München Marchioninistraße 15 81337 München
Klinik für Viszeral-Thorax-und Gefäßchirurgie Universitätsklinikum Marburg Baldinger Straße 35033 Marburg
Croner, Roland, Dr. rer. nat.
Feussner, Hubertus, Prof. Dr. med.
Chirurgische Klinik Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg Krankenhausstraße 12 91054 Erlangen
Chirurgische Klinik und Poliklinik Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Conrad, Claudius, Dr. med.
Florack, Gerd, Prof. Dr. med. Fuchsbichl 5 82057 Icking
XIV
Autorenverzeichnis
Fruehauf, Stefan, Prof. Dr. med.
Henningsen, Peter, Univ.-Prof. Dr. med.
Kalff, Jörg, Prof. Dr. med.
Zentrum für Tumordiagnostik und -therapie Paracelsus-Klinik Am Natruper Holz 69 49076 Osnabrück
Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin Klinikum rechts der Isar der TU München Langerstraße 3 81675 München
Chirurgische Klinik und Poliklinik Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Garbe, Claus, Univ.-Prof. Dr. med. Sektionsleitung Dermatologische Onkologie Unversitätsklinikum Tübingen Liebermeisterstraße 25 72076 Tübingen
Gebert, J., Dr. rer. nat. Pathologisches Institut, Abt. für angewandte Tumorbiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 220/221 69120 Heidelberg
Geinitz, Hans, Dr. med. Klinik für Strahlentherapie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Germer, Christoph, Univ.-Prof. Dr. med. Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie Universitätsklinikum Würzburg Oberdürrbacher Straße 6 97080 Würzburg
Ghadimi, Michael B., Prof. Dr. med. Klinik u. Poliklinik für Allgemeinchirurgie Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37099 Göttingen
Glockzin, Gabriel, Dr. med. Klinik und Poliklinik für Chirurgie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauss-Allee 11 93053 Regensburg
Grenacher, Lars, Prof. Dr. med. Radiologische Klinik, Abt. Diagnostische und Interventionelle Radiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Haberkorn, Uwe, Univ.-Prof. Dr. med. Radiologische Universitätsklinik Abt. Nuklearmedizin Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg
Kauczor, Hans-Ullrich, Prof. Dr. med. Herrmann, Ken, Dr. med. Klinik für Nuklearmedizin Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Radiologische Klinik, Abt. Diagnostische und Interventionelle Radiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Herschbach, Prof. Dr. med.
Kemper, Robert, Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin Klinikum rechts der Isar der TU München Langerstraße 3 81675 München
Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37099 Göttingen
Hohenberger, Werner, Prof. Dr. med. Dr. h.c.
Pathologisches Institut, Abt. für angewandte Tumorbiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 220/221 69120 Heidelberg
Chirurgische Klinik Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg Krankenhausstraße 12 91054 Erlangen
Jäger, Dirk, Prof. Dr. med. Nationales Zentrum für Tumorerkrankungen Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 350 69120 Heidelberg
Jauch, K.-W., Prof. Dr. med. Chirurgische Klinik und Poliklinik H6 Klinikum Großhadern der LMU München Marchioninistraße 15 81337 München
Jensen, Alexandra, Dr. med. Radiologische Universitätsklinik Radioonkologie Universität Heidelberg In Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg
Jonas, Stefan, Dr. med. Chirurgische Universitätsklinik Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum In der Schornau 23–25 44892 Bochum
Kloor, Mathias, Dr. med.
Köckerling, Ferdinand, Prof. Dr. med. Allgemein- Viszeral- undGefäßchirurgie Vivantes Klinikum Spandau Neue Bergstraße 6 13585 Berlin
Krause, Bernd, Prof. Dr. med. Klinik für Nuklearmedizin Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Kuhn, Walther, Univ.-Prof. Dr. med. Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Kühnl, Andreas, Dr. med. Klinik für Gefäßchirurgie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Lenz, Heinz-Josef, M.D., Prof. USC/ Norris Colorectal Center 1441 Eastlake Avenue 90033-1048 Los Angeles, CA USA
Jonas, Sven, Univ.-Prof. Dr. med.
Lordick, Florian, Prof. Dr. med.
Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie Universitätsklinikum Leipzig AöR Liebigstraße 20 04103 Leipzig
Medizinische Klinik III, Hämatologie und Onkologie Klinikum Braunschweig Celler Straße 38 38114 Braunschweig
XV Autorenverzeichnis
Mehnert, Anja, Dr. phil.
Pfisterer, Achim, Dr. med.
Schirmacher, Peter, Univ.-Prof. Dr. med.
UKE Hamburg, Zentrum für Psychosoziale Medizin Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie Martinistraße 52 20246 Hamburg
Medizinische Onkologie HELIOS Schloßbergklinik Oberstaufen GmbH Schloßstraße 27–29 87534 Oberstaufen
Pathologisches Institut Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 220 69120 Heidelberg
Meyer, Thomas, Prof. Dr. med. Chirurgische Klinik I Klinikum Ansbach Escherichstraße 1 91522 Ansbach
Meyer zum Büschenfelde, C., Priv.-Doz. Dr. med. III. Medizinische Klink Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Molls, Michael, Univ.-Prof. Dr. med. Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radiologische Onkologie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Nawroth, Peter P., Univ.-Prof. Dr. med. I. Medizinische Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Niess, Hanno, Dr. med. Chirurgische Klinik und Poliklinik G5 Klinikum Großhadern der LMU München Marchioninistraße 15 81337 München
Ott, Katja, Prof. Dr. med. Chirurgische Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Peschel, Christian, Univ.-Prof. Dr. med. III. Medizinische Klink Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Pfannschmidt, Joachim, Priv.-Doz. Dr. med. Thorax Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg Amalienstraße 5 69126 Heidelberg
Piso, Pompiliu, Prof. Dr. med.
Schlag, Peter M., Univ.-Prof. Dr. med. Dr. h.c.
Klinik und Poliklinik für Chirurgie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauss-Allee 11 93053 Regensburg
Forschungszentrum der Charité CCCC Charité Universitätsmedizin Berlin Charitéplatz 1 10117 Berlin
Pölcher, Martin, Dr. med.
Schlitt, Hans J., Prof. Dr.med.
Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Klinik und Poliklinik für Chirurgie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauss-Allee 11 93053 Regensburg
Schmalfeldt, Barbara, Prof. Dr. med. Radujkovic, Aleksandar, Dr. med. V. Medizinische Klinik, Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Rau, Beate, Prof. Dr. med. Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Charité Campus Mitte Charitéplatz 1 10117 Berlin
Richter, Götz, Prof. Dr. med. Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie Katharinenhospital Kriegsbergstraße 60 70174 Stuttgart
Frauenklinik und Poliklinik Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Schug-Paß, C., Dr. med. Allgemein- Viszeral- und Gefäßchirurgie Vivantes Klinikum Spandau Neue Bergstraße 6 13585 Berlin
Schulze-Bergkamen, Henning, Priv.-Doz. Dr. med. Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Abteilung für medizinische Onkologie Im Neuenheimer Feld 450 69120 Heidelberg
Schumann, Christian, OA Dr. med. Röper, Barbara, Priv.-Doz. Dr. med. Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radiologische Onkologie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
Rösch, Thomas, Univ.-Prof. Dr. med. Klinik und Poliklinik für Interdisziplinäre Endoskopie Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52 20246 Hamburg
Zentrum für Innere Medizin, Klinik für Innere Medizin II Universitätsklinikum Ulm Albert-Einstein-Allee 23 89081 Ulm
Schumpelick, Volker, Univ.-Prof. Dr. med. Chirurgische Klinik und Poliklinik Medizinische Fakultät der RWTH Pauwelstraße 30 52057 Aachen
Schilling, Tobias, Priv.-Doz. Dr. med.
Schwaiger, Markus, Univ.-Prof. Dr. med.
I. Medizinische Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Klinik für Nuklearmedizin Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
XVI
Autorenverzeichnis
Seeliger, Hendrik, Dr. med.
Tympner, Ch., Dr. med.
Wirth, Manfred, Prof. Dr. med. Dr. h.c.
Chirurgische Klinik und Poliklinik H 21 Klinikum Großhadern der LMU München Marchioninistraße 15 81337 München
Institut für Pathologie Klinikum Großhadern der LMU München Marchioninistraße 15 81337 München
Urologische Klinik Technische Universität Dresden Fetscherstraße 74 01307 Dresden
Sendler, Andreas, Univ.-Prof. Dr. med.
Vogelsang, Holger E., Priv.-Doz. Dr. med.
Wittekind, Christian, Univ.-Prof. Dr. med.
CA der Chirurgischen Klinik Klinikum Garmisch-Partenkirchen GmbH Auenstraße 82467 Garmisch-Partenkirchen
Institut für Pathologie Universitätsklinikum Leipzig AöR Liebigstraße 26 04103 Leipzig
Siewert, Jörg Rüdiger, Prof. Dr. med. Dr. h.c.
von Knebel-Doeberitz, Magnus, Prof. Dr. med.
Wust, P., Prof. Dr. med
Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 672 69120 Heidelberg
Pathologisches Institut, Abt. für angewandte Tumorbiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 220/221 69120 Heidelberg
Steger, Ulrich, Priv.-Doz. Dr. med.
von Schweinitz, Dietrich, Univ.-Prof. Dr. med.
Direktor der Chirurgischen Klinik Marienhospital Herne, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum Hölkeskampring 40 44625 Herne
Klinik für Strahlenheilkunde Charité Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow Klinikum, Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Yahagi, Naohisa, M.D., Ph.D. Oberarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie Universitätsklinikum Würzburg Oberdürrbacherstraße 6 97080 Würzburg
Haunersches Kinderspital der Ludwig-Maximilians Universität München Lindwurmstraße 4 80337 München
Stein, Hubert, Univ.-Prof. Dr. med.
Weitz, Jürgen, MSc, Prof. Dr. med.
Chirurgische Klinik Klinikum Nürnberg-Nord Ernst-Nathan-Straße 1/Haus 20 90419 Nürnberg
Chirurgische Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Sunder-Plassmann, Ludger, Univ.-Prof. em. Dr. med.
Werner, Martin, Univ.-Prof. Dr. med.
Chirurgische Klinik, Klinikum Bogenhausen Städtisches Klinikum München GmbH Englschalkinger Straße 77 81925 München
Abt. Allg. Pathologie und Pathologische Anatomie Universitätsklinikumsklinikum Freiburg Hugstetter Straße 75 79106 Freiburg
Tannapfel, Andrea, Prof. Dr. med.
Werner, Jens, MBA, Prof. Dr. med.
Institut für Pathologie Ruhr-Universität Bochum am BG-Universitätsklinikum Bergmannsheil Bürkle-de-la-Camp Platz 1 44789 Bochum
Klinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Till, Holger, Prof. Dr. med.
Willis, Stefan, Prof. Dr. med.
Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie der Universität Leipzig Oststraße 21/25 04317 Leipzig
Chirurgische Klinik A, Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Unfallchirurgie Klinikum der Stadt Ludwigshafen Bremserstraße 79 67063 Ludwigshafen
Topaly, Julian, Dr. med. Zentrum für Tumordiagnostik und -therapie Paracelsus-Klinik Am Natruper Holz 69 49076 Osnabrück
Winder, Thomas, Dr. med. USC/ Norris Colorectal Center Keck School of Medicine 1441 Eastlake Avenue Los Angeles, CA 90033-1048 USA
Director, Department of Gastroenterology and Endoscopy Unit Toranomon Hospital, Federation of National Public Service Personell Mutual Aid Associations 2-2-2 Toranomon, Minato-ku Tokyo, 105-8470 Japan
Zech, Ulrike, Dr. med. I. Medizinische Klinik, Endokrinologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Zeller, W. J., Prof. Dr. med. Deutsches Krebsforschungszentrum DKFZ Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg
Zimmermann, Frank, Prof. Dr. med. Institut für Radioonkologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 04031 Basel Schweiz
I Allgemeine Onkologie: Grundlagen 1
Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie
–3
M. Werner
2
Präkanzerosen und molekulare Marker
– 13
A. Tannapfel
3
Tumorklassifikationen
– 19
C. Wittekind
4
Epidemiologie bösartiger Neubildungen
– 31
N. Becker
5
Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts – 49 M. Kloor, M. von Knebel Doeberitz, J. Gebert
6
Genetische Aberration, Genexpressionprofile und Epigenetik – 67 R. Kemper, B.M. Ghadimi
7
Tumorangiogenese
– 77
H. Nieß, C. Conrad, H. Seeliger, M.K. Angele, M.E. Eichhorn, K.-W. Jauch, C.J. Bruns
8
Wachstumssignale und Apoptose H. Schulze-Bergkamen
9
Immunkontrolle D. Jäger, S. Meuer
– 97
– 87
1 1 Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie M. Werner
1.1
Einleitung
–4
1.2
Nomenklatur und Tumorklassifikation
1.2.1 Gutartige (benigne) Tumoren – 4 1.2.2 Bösartige (maligne) Tumoren – 5
1.3
Tumorentstehung
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4
Mehrschritttheorie der Karzinogenese – 8 Chemische Karzinogenese – 8 Virale und bakterielle Tumorgenese – 8 Strahlenbedingte Tumorgenese – 8
1.4
Tumorausbreitung
1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4
Klonale Zellvermehrung – 9 Proliferation – Zelltod – 9 Invasives Wachstum – 9 Metastasierung – 10
1.5
Tumorgenetik
– 10
1.5.1 Aneuploidie – 10 1.5.2 Tumorgene – 10 Literatur
– 12
–8
–9
–4
4
1
Kapitel 1 · Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie
> Ein Tumor ist eine abnorm vergrößerte Gewebemasse, in der sich die Zellen unkontrolliert vermehren. Diese Gewebsneubildung unterscheidet sich durch die autonome und irreversibel gestörte Proliferation bzw. verlängerte Lebensdauer der Tumorzellen (Neoplasie) von der physiologischen Geweberegeneration und der pathologischen Gewebereparation. Eine Neoplasie kann sich in allen Organen oder Geweben entwickeln, wobei die Ursache in Abhängigkeit von der Lokalisation und dem Ursprungsgewebe vielfältig und zum Teil unklar sind. Auch die Eigenschaften der Tumoren (z. B. Metastasierungspotenz) können sehr unterschiedlich sein.
1.1
1.2
Nomenklatur und Tumorklassifikation
Die meisten Tumoren im Magen-Darm-Trakt sind epithelialen Ursprungs. Weichgewebstumoren und Lymphome kommen weniger häufig vor, Melanome sind eine Rarität. Nach ihrem klinischen Verhalten (Dignität) werden Tumoren in gutartige (benigne) und bösartige (maligne) Neoplasien eingeteilt. Im klinischen Alltag erfolgt die Dignitätsbestimmung mit Hilfe einer histologischen Begutachtung gefärbter Gewebeschnitte von Tumorproben durch einen entsprechend ausgebildeten Arzt (Facharzt für Pathologie).
Einleitung
Alle Neoplasien zeigen einen komplexen Aufbau aus zwei miteinander durchmischten Komponenten: 4 Tumorzellen 4 Begleitendes Bindegewebe Das Bindegewebe umgibt die Tumorzellen und enthält Gefäße zu ihrer Ernährung, aber auch Fibroblasten, Makrophagen und weitere Entzündungszellen. Die Interaktion zwischen der Tumorzelle und dem direkt umgebenden Bindegewebe ist für das Überleben der Tumorzellen entscheidend. Einige moderne Tumortherapien zielen auf die bindegewebige Komponente (z. B. Angiogenese-Hemmer). Cave Tumoren zeigen einen heterogenen Aufbau und sind in verschiedenen Arealen phänotypisch und genotypisch uneinheitlich. Dieses Phänomen muss bei der präoperativen Diagnostik an kleinen Biopsien berücksichtigt werden (. Abb. 1.1).
. Abb. 1.1. Tumorheterogenität in endoskopischen Biopsien aus einem ulzerierten Tumor im Magen. Acht Biopsiestückchen wurden zur histologischen Untersuchung eingesandt und routinemäßig in
1.2.1 Gutartige (benigne) Tumoren In der Regel wachsen gutartige Tumoren langsam (Monate, Jahre). Gegen das umliegende Gewebe sind sie zumeist gut abgrenzbar. Ihre Ausbreitung erfolgt lokal verdrängend mit Kompression und Druckatrophie des umgebenden Normalgewebes. In den Hohlorganen des Magen-Darm-Traktes wachsen die benignen Tumoren meistens in das Lumen hinein (exophytisches Wachstum). Derart wachsende Tumoren werden in der Endoskopie oft als »Polypen« bezeichnet (7 Kap. 11), wobei auch rein entzündliche Veränderungen ein ähnliches Bild zeigen können und erst eine histologische Gewebeuntersuchung klärt, ob tatsächlich ein Tumor vorliegt. Um benigne Tumoren solider Organe ist häufig eine fibröse Kapsel ausgebildet, wodurch ihre chirurgische Ausschälung erleichtert wird. Definitionsgemäß metastasieren gutartige Tumoren nicht. Histologisch bestehen sie aus zumeist hochdifferenzierten, gleichartigen Zellen und ähneln dem Ursprungsgewebe. Chromosomale Aberrationen sind selten, Mutationen betreffen eher einzelne Gene.
HE-gefärbten Serienschnitten aufgearbeitet (links). Nur eines dieser Stückchen zeigt fokal (Kreis, rechts) ein Tumorinfiltrat. Die anderen Biopsate enthalten reaktive, nicht-neoplastische Magenmukosa
1
5 1.2 · Nomenklatur und Tumorklassifikation
1.2.2 Bösartige (maligne) Tumoren Wichtigstes Kennzeichen der malignen Tumoren ist ihr invasives Wachstum, wodurch umgebendes Normalgewebe zerstört wird. Diese Tumoren wachsen häufig rasch (Wochen, wenige Monate). Sie durchbrechen anatomische Grenzen und infiltrieren benachbarte Organe. Ungünstig ist eine Penetration des viszeralen Peritoneums, da hierdurch die Gefahr einer peritonealen Aussaat (Pleurakarzinose) ansteigt. In Lymphspalten oder Venen eingebrochene Tumorzellen können entlang der Gefäßverläufe verschleppt werden und sich in Lymphknoten und fernen Organen absiedeln (Metastasierung). Histologisch finden sich abnorme, deutlich veränderte Zellen, die wenige Ähnlichkeiten mit dem Ausgangsgewebe zeigen. Neben dem invasiven, das normale Gewebe destruierenden Wachstum sind diagnostisch wichtige Eigenschaften der einzelnen Tumorzelle ihre Zell- und Kernpleomorphie, die Kernhyperchromasie, vergrößerte Zellkerne oder (aty-
pische) Mitosen. Grobe Veränderungen des Karyotyps und Genmutationen sind häufig.
Grad der Tumordifferenzierung Die Graduierung maligner Tumoren ist prognostisch relevant, da sie mit der Wachstumsgeschwindigkeit und Metastasierungspotenz einer Neoplasie korreliert.
Die Tumoren werden in vier verschiedene Grade eingeteilt (. Abb. 1.2). Dabei wird beurteilt, inwieweit eine Ähnlichkeit mit dem Ursprungsgewebe erkennbar ist. Das Ausmaß der Zellatypie sowie die Anzahl von Mitosen gehen auch in die Beurteilung ein: 4 Hochdifferenzierte Tumoren (G1) ähneln stark dem Ausgangsgewebe, und die Tumorzellen weisen geringe Atypien und wenig Mitosen auf.
a
b
c
d . Abb. 1.2a–d. Verschiedene histologische Tumortypen und Differenzierungsgrade. a Mäßig differenziertes (G2) verhornendes Plattenepithelkarzinom des Ösophagus. b hochdifferenziertes (G1) Adeno-
karzinom des Kolons. c Undifferenziertes (G4) Karzinom des Pankreas. d Gastrointestinaler Stromatumor
6
1
Kapitel 1 · Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie
4 Mäßig differenzierte Tumoren (G2) liegen in ihren Eigenschaften zwischen G1 und G3. 4 Schlecht differenzierte Tumoren (G3) haben kaum noch Ähnlichkeiten zum Ursprungsgewebe, die Tumorzellen sind stark atypisch, und es finden sich reichliche Mitosen. 4 Undifferenzierte Tumoren (G4) weisen keine Differenzierung auf (. Abb. 1.2c). Für die klinische Praxis erweist es sich als sinnvoll, die malignen Tumoren in gut (G1 und G2) und schlecht (G3 und G4) differenzierte zu unterteilen. Gut differenzierte Tumoren haben prinzipiell eine bessere Prognose als schlecht differenzierte.
Tumorvorläuferläsionen Die häufigen Karzinome des Magen-Darm-Traktes entwickeln sich aus intraepithelialen Neoplasien. Vorläuferläsionen von Lymphomen oder Weichgewebstumoren sind nicht bekannt. Eine intraepitheliale Neoplasie (alter Begriff: Dysplasie) ist durch eine gestörte Architektur der Mukosa und Atypien der Epithelzellen gekennzeichnet. Sie kann endoskopisch als unauffällige, flache Mukosa imponieren oder einen polypösen Schleimhautknoten (Adenom) ausbilden. Zur besseren Abschätzung des Karzinomrisikos (7 Kap. 2) werden die intraepithelialen Neoplasien in zwei Grade unterteilt: 4 Niedriggradige intraepitheliale Neoplasie 4 Hochgradige intraepitheliale Neoplasie
adenom). Papillome wachsen als exophytische Tumoren in einer plattenepithelialen Mukosa (z. B. Ösophagus, Anus). Sie zeigen ein papillär aufgefaltetes Epithel über einem gefäßführenden Stroma, was dem Tumor eine zottige Oberfläche gibt. Maligne Epitheltumoren. Karzinome sind die häufigsten
malignen Tumoren des Magen-Darm-Traktes. Sie entstehen im Schleimhautepithel sowie in exokrinen und endokrinen Drüsen (7 Kap. 3). In Hohlorganen wachsen Karzinome exophytisch und zum Teil gut begrenzt oder eher diffus die Wand infiltrierend. Die Oberfläche ist häufig ulzeriert und mit Blut und Fibrin belegt (. Abb. 1.3a,b). In parenchymatösen Organen (Pankreas, Leber) bilden sich knotige, das umgebende Normalgewebe zerstörende Tumoren mit zentralen Nekrosen. Plattenepithelkarzinome. Diese Tumoren entstehen haupt-
sächlich in der plattenepithelialen Mukosa von Ösophagus oder Anus und zeigen histologisch noch eine plattenepitheliale Differenzierung, zum Teil mit Verhornung (. Abb. 1.2a). Es werden prognostisch günstigere gut differenzierte Plattenepithelkarzinome (G1, G2) u. a. durch eine deutlich erkennbare Verhornung von den schlechter differenzierten, häufig nicht verhornenden (G3 – G4) unterschieden. Adenokarzinome. Der im Magen-Darm-Trakt am häufigs-
Ein Carcinoma in situ ist eine fortgeschrittene intraepitheliale Neoplasie, die häufig von der hochgradigen intraepithelialen Neoplasie nur schwer oder gar nicht abgrenzbar ist, so dass beide Begriffe auch synonym verwendet werden. Auch das Carcinoma in situ wächst wie die intraepitheliale Neoplasie an der Oberfläche von Schleimhäuten bzw. innerhalb präexistierender Drüsen auf einer intakten Basalmembran. Ein invasives Wachstum mit der Gefahr einer Metastasierung liegt demnach noch nicht vor.
Aus einer hochgradigen intraepithelialen Neoplasie entwickeln sich signifikant häufiger Karzinome (ca. 40–60% der Fälle) als aus einer niedriggradigen intraepithelialen Neoplasie (ca. 5–20% der Fälle). Somit kann das Karzinomrisiko einer Tumorvorläuferläsion durch eine histologische Untersuchung abgeschätzt werden.
Epitheltumoren Benigne Epitheltumoren. Die häufigsten gutartigen Tumo-
ren im Magen-Darm-Trakt sind Adenome. Diese Tumoren gehen von der Mukosa überwiegend größerer Hohlorgane aus und imponieren endoskopisch als Polypen. Adenome bestehen histologisch aus verlängerten Drüsen mit unterschiedlichen Graden der intraepithelialen Neoplasie sowie einem begleitenden fibrovaskulären Stroma. Ein Zystadenom ist ein mit Flüssigkeit gefüllter Hohlraum, der von Drüsenepithel mit intraepithelialer Neoplasie ausgekleidet wird (z. B. Pankreas). Ein Adenom kann auch als solider Tumor in einem parenchymatösen Organ entstehen (z. B. Leberzell-
ten vorkommende maligne Karzinomsubtyp ist das drüsenbzw. schleimbildende Adenokarzinom. Es entsteht insbesondere im Kolorektum (. Abb. 1.2b) und Pankreas, gefolgt vom distalen Ösophagus, dem Magen, den ableitenden Gallenwege, der Papille und dem Dünndarm. Gut differenzierte (G1, G2) Tumoren bilden deutlich erkennbare tubuläre, papilläre oder azinäre Strukturen aus. Schlecht differenzierte (G3, G4) wachsen eher kribriform, solide oder auch einzelzellig (diffus). Muzinöse Karzinome bilden reichlich Schleim, den sie sezernieren. Bei den diffus wachsenden, im Magen häufigen Siegelringzellkarzinomen sammelt sich der Schleim im Zytoplasma an, wodurch der Zellkern flach an die Zellmembran gedrückt wird. Karzinosarkome als Mischtumoren mit einer epithelialen und mesenchymalen Komponente sind sehr selten. Cave Adenokarzinome sind häufig und entwickeln sich über eine intraepitheliale Neoplasie, die insbesondere im Kolorektum unter dem Bild eines Polypen als benignes Adenom vorliegt. Eine regelmäßige Tumorvorsorge mit endoskopisch-bioptischer Kontrolle und rechtzeitige Entfernung solcher Vorläuferläsionen verhindert die Karzinomentstehung.
Neuroendokrine Tumoren. Am häufigsten entstehen neuro-
endokrine Tumoren im Magen, Duodenum, Ileum und Pankreas. Das prognostisch günstigere Karzinoid wird von den sehr aggressiven klein- und großzelligen neuroendokrinen Karzinomen unterschieden.
1
7 1.2 · Nomenklatur und Tumorklassifikation
a
b
c
d . Abb. 1.3a–d. Makroskopische Aufnahmen (b,d) und histologische Wandquerschnitte (a,c) von Operationspräparaten zweier Rektumkarzinome. Ulzerierter Tumor (Pfeil) mit histologisch nach-
weisbarer Infiltration bis in das perimuskuläre Weichgewebe (a). Komplette Tumorregression nach neoadjuvanter Therapie (c,d)
Weichgewebstumoren
und potenziell maligne Varianten unterschieden. Zu den Weichgewebstumoren zählt auch das von der Serosa ausgehende Mesotheliom.
Benigne Weichgewebstumoren. Im Magen-Darm-Trakt
kommen eine Reihe gutartiger Weichgewebstumoren vor, insbesondere gastrointestinale Stromatumoren (aus Kajal-Zellen; . Abb. 1.2c), Leiomyome (aus glatten Muskelfasern), Lipome (aus Fettzellen), Angiome (aus Blut- oder Lymphgefäßen) oder Schwannome (aus schwannschen Zellen). Die Tumorzellen sind ausdifferenziert und ähneln dem Ursprungsgewebe. Maligne Weichgewebstumoren. Die seltenen Sarkome wer-
den wie die gutartigen Weichgewebstumoren nach der histogenetischen Herkunft benannt und in weitere Subtypen eingeteilt (z. B. Leiomyosarkom, Liposarkom, Angiosarkom, malignes Schwannom). Bei den am häufigsten im Magen entstehenden gastrointestinalen Stromatumoren werden maligne
Lymphome Der Magen-Darm-Trakt, insbesondere der Magen, ist der häufigste Sitz eines extranodalen, d. h. nicht primär im Lymphknoten entstandenen Non-Hodgkin-Lymphoms. Diese Tumoren entstehen aus Mukosa-assoziiertem lymphatischen Gewebe (MALT), das sich in der Folge chronischer Reizzustände oder Infektionen (z. B. Helicobacter pylori) in den Schleimhäuten der Hohlorgane ausbilden kann. Es kommen verschiedene Subtypen niedrigmaligner Lymphome aus reifen Lymphozyten und hochmaligner, blastärer Lymphome vor.
8
Kapitel 1 · Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie
Cave
1
Ein Tumor muss bioptisch abgeklärt werden, da eine histopathologische Untersuchung die zuverlässigste Methode für die Unterscheidung benigner und maligner Tumoren ist. Die Klassifikation und Graduierung maligner Tumoren ist entscheidend für die Prognose und Therapie einer Tumorerkrankung.
1.3
Tumorentstehung
1.3.1 Mehrschritttheorie der Karzinogenese Den meisten Tumoren liegen Defekte in Schlüsselgenen zugrunde, die für die Funktion der normalen Abläufe in der Zelle wichtig sind. Ein Ausfall (»loss of function«) oder eine Steigerung (»gain of function«) der Funktion dieser Gene stört die komplexen Vorgänge soweit, dass sich die betroffene Zelle unkontrolliert vermehrt.
Die Schädigung von Schlüsselgenen des Zellstoffwechsels erfolgt in den ersten Schritten der Tumorentstehung (Initiierung) durch eine Einwirkung von Noxen. Initiierende Faktoren können chemische, physikalische oder belebte Noxen wie Viren und Bakterien sein. Auf die Initiation folgt die Tumorpromotion, während der sich zusätzliche genetische Veränderungen etablieren.
Chronisch-entzündliche Reize durch über die Nahrung aufgenommene Noxen oder Infektionen spielen gerade im Magen-Darm-Trakt eine entscheidende Rolle bei der Tumorentstehung: durch den gesteigerten regenerativen oder reparativen Zellersatz wächst das Risiko einer DNA-Schädigung, und damit erhöht sich das Entartungsrisiko (7 Kap. 4). Wahrscheinlich benötigt der gesamte Prozess von der Initiierung, Transformation und Progression bis hin zum klinisch diagnostizierbaren Tumor Jahre oder Jahrzehnte.
1.3.2 Chemische Karzinogenese Über die Nahrung aufgenommene karzinogene Substanzen werden im Gastrointestinaltrakt nach metabolischer Aktivierung eines sog. Prokarzinogens, seltener auch direkt. Das von der Umwelt aufgenommene, zunächst biologisch inaktive Prokarzinogen wird durch körpereigene, aber auch bakterielle Enzyme in seine reaktive Form (Karzinogen) überführt. Aktivierte Karzinogene schädigen die DNA durch Alkylierung oder Änderung der Basenfolge. Dies führt zu einer fehlerhaften Transkription und in der Folge zu einer veränderten Funktion von Schlüsselgenen des Zellstoffwechsels, sodass die betroffenen Zellen zu Tumorzellen transformieren. Bereits im Magen werden über die Nahrung aufgenommene Prokarzinogene wie Nitrate und Nitride (z. B. Konser-
vierungsstoffe) von Bakterien zu karzinogenen Nitrosaminen konvertiert. Letztere fördern die Entstehung von Karzinomen, insbesondere im Magen und in der Leber. Gallenbestandteile fördern die Wirkung von Karzinogenen. Ein potentes Karzinogen für Leberzellen ist das Aflatoxin, ein Metabolit des Aspergillus flavus. Auch primär nichtkarzinogene Stoffe beeinflussen die biologische Potenz von Karzinogenen. So können durch eine veränderte Fettzufuhr die Darmflora in ihrer Zusammensetzung gestört und vermehrt Prokarzinogene konvertiert werden. Andererseits können Expositionszeiten verkürzt werden, in dem durch reichlich pflanzliche Nahrung Darmentleerungen gesteigert und Stuhlvolumina erhöht werden.
1.3.3 Virale und bakterielle Tumorgenese Für eine Reihe von DNA-Viren ist eine karzinogene Wirkung bekannt. Die virale DNA wird dabei in das Genom der befallenen Zelle integriert. In der Folge kommt es unter dem Einfluss der integrierten viralen DNA zu einer veränderten Expression wichtiger zellulärer Gene, wodurch das Zellwachstum stimuliert und die Funktion wichtiger Tumorsuppressorgene geschwächt wird. Zu den onkogenen Viren zählen humane Papillomviren (HPV), die mit Plattenepithelpapillomen und -karzinomen insbesondere des Anogenitalbereiches, aber auch des Ösophagus assoziiert sind. Ein kleiner Teil von Magenkarzinomen ist mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) assoziiert. Eine bekannte Spätfolge einer Hepatitis-B-Virus-Infektion sind Leberzellkarzinome. Helicobacter pylori, der häufige Auslöser einer chronischen Gastritis, ist das erste von der WHO als Karzinogen eingestufte Bakterium. Die peroral aufgenommenen Erreger zeigen eine hohe Durchseuchung der Bevölkerung. Im Magen destruiert Helicobacter pylori durch eine direkte toxische Wirkung das Oberflächenepithel und indirekt als Effekt einer Immunreaktion die tieferen Drüsen der Mukosa, so dass eine Schleimhautatrophie entsteht. Cave Helicobacter pylori kann zu einer Atrophie der Magenschleimhaut führen. Über eine intraepitheliale Neoplasie ist die weitere Entwicklung eines Karzinoms möglich. Auch niedrigmalige (sog. MALT-)Lymphome können Folge einer Helicobacter-pylori-Gastritis sein.
1.3.4 Strahlenbedingte Tumorgenese Die strahlensensiblen Zellen des Gastrointestinaltraktes sind die Epithelien der Schleimhäute. Eine direkte Schädigung durch ionisierende Strahlen führt zu einer Strahlenkolitis. Im Gegensatz zu anderen Organen entstehen Tumoren jedoch selten. Neben gelegentlichen Magen- und Kolonkarzinomen treten lediglich Sarkome des Mesenteriums oder der Bauchwand mit einer Latenzzeit von 5–10 Jahren nach Bestrahlung auf.
9 1.4 · Tumorausbreitung
1.4
Tumorausbreitung
1.4.1 Klonale Zellvermehrung Ein Tumor entsteht aus einer, möglicherweise auch mehreren transformierten Zellen eines Gewebes. Diese Zellen haben einen Wachstumsvorteil gegenüber dem benachbarten Normalgewebe erlangt, der sie vermehrt proliferieren bzw. länger leben lässt. Klonales Zellwachstum beginnt bereits früh in der Karzinogenese. Schon die nichtinvasiven Tumorvorstufen von Karzinomen (intraepitheliale Neoplasie/Carcinoma in situ) weisen eine Vielzahl klonaler genetischer Aberrationen auf. Aufgrund der genomischen Instabilität von Tumorzellen können während der Zellteilung Subklone entstehen (Tumorheterogenität), die gegenüber dem ursprünglichen Tumorklon einen noch größeren Wachstumsvorteil haben. Andere Fähigkeiten der neoplastischen Zellen können auch gesteigert werden: Das invasive Wachstum, die Stimulation einer Gefäßbildung (Angiogenese) oder die Möglichkeit, in entfernte Organe abzusiedeln (Metastasierung).
1.4.2 Proliferation – Zelltod Die Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors korreliert mit der Anzahl sich teilender Zellen (Zellteilungsrate) und der Rate des Zellverlustes. Die Zellteilungsrate liegt bei besser differenzierten Tumoren zwischen 2 und 10%, in schlecht differenzierten Tumoren bei bis zu 30% der Zellen und mehr. Die Wachstumsfraktion eines Tumors (Anzahl der sich teilenden Zellen) kann durch Zählung der Mitosen oder immunhistochemisch, z. B. mit Hilfe von Antikörpern gegen das Ki67-Antigen bestimmt werden. Der Zellverlust in einem Tumor wird durch Apoptose, ischämische oder eventuell auch therapeutisch induzierte Zelluntergänge bzw. Nekrosen verursacht. Eine Tumorregression mit spontanen Nekrosen entwickelt sich bei einem Missverhältnis zwischen Tumormasse und Gefäßversorgung.
Durch eine Therapie (z. B. Chemo- oder Radiotherapie) werden Tumorzelluntergänge verursacht (. Abb. 1.3c,d). Eine direkte therapeutische Beeinflussung der ApoptoseSignalwege in Tumorzellen stellt eine neue Behandlungsoption dar.
1.4.3 Invasives Wachstum Lockerung der Zell-zu-Zell-Kontakte. Adhäsionsmoleküle
verbinden Zellen miteinander. Dabei handelt es sich um transmembrane Glykoproteine wie Integrine, Cadherine oder Catenine. Über Integrine haften Zellen auch an extrazellulären Matrixbestandteilen wie Laminin oder Fibrin. Die Invasion von Tumorzellen setzt zunächst eine gewisse Dissoziation, d. h. ein Herauslösen einzelner Zellen aus dem Verband he-
raus. Bei einer Vielzahl von Tumoren, auch des Magen-DarmTraktes führt eine verminderte Expression von Adhäsionsmolekülen zu einer Lockerung der Zell-zu-Zell-Kontakte. Die dadurch bedingte Zunahme der Zellbeweglichkeit (Motilität) ist die Voraussetzung für ein infiltratives Wachstum und die Metastasierung. Eine komplette Lösung der Zell-zu-Zell-Kontakte liegt beim diffusen Magenkarzinom (Siegelringzellkarzinom) vor. Zelladhäsionsmoleküle rücken zunehmend in den Fokus einer gezielten Tumortherapie. Proteolytische Aufspaltung der extrazellulären Matrix. So-
bald Tumorzellen die Zell-zu-Zell-Kontakte gelöst haben, müssen sie die Bestandteile des sie umgebenden Bindegewebes (extrazelluläre Matrix) auflockern bzw. durchbrechen, um in das umgebende Gewebe zu infiltrierten. Die Degradation der extrazellulären Matrix erfolgt durch eine Reihe von Enzymen, die von den Tumorzellen selbst sezerniert oder von Stromazellen produziert werden. Einige der wichtigsten Vertreter sind Kollagenasen, Stromelysine, Cathepsin D und Metalloproteinasen. Deren Gegenspieler sind Inhibitoren, die auch therapeutisch zur Modulation der proteolytischen Funktion von Tumoren eingesetzt werden können. Bildung tumoreigener Gefäße. Proliferierende Tumorzellen
bilden zunächst einen kleinen Knoten im Gewebe. Zur Versorgung der Tumorzellen reicht bis zu einer Größe von maximal 0,1 cm die Diffusion der benötigten Stoffe aus der Umgebung aus. Mit dem weiteren Anwachsen vergrößert sich jedoch die Diffusionsstrecke zu den zentral gelegenen Tumorabschnitten. Eine ausreichende Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen kann dann nur mit neugebildeten, in den Tumor einwachsenden Gefäßen gewährleistet werden.
Die als Angiogenese bezeichnete Gefäßbildung ist entscheidend für das Überleben der Tumorzellen, insbesondere wenn sie rasch proliferieren. Die Angiogenese kann durch eine gezielte Therapie gehemmt werden (Angiogenesehemmer).
Spezifische Wachstumsfaktoren, die zum Teil auch von Tumorzellen sezerniert werden und auf Endothel mitogen wirken, stimulieren die Angiogenese. Zu den bekannten Angiogenese-fördernden Proteinen zählen der vaskuläre Endothelwachstumsfaktor (VEGF) und der transformierende Wachstumsfaktor (TGF-α). Unter dem Einfluss dieser Faktoren können stimmulierte Endothelzellen mit Hilfe von Proteasen durch die Basalmembran der Gefäße in das benachbarte Gewebe aussprossen und kleine röhrenartige Strukturen bilden, die zu einem Kapillarnetz reifen. Daran beteiligte Prozess sind Proliferation, Zellmotilität und Proteolyse (7 Kap. 7). Tumorimmunologie. Die vielfältig genetisch abnormen ma-
lignen Tumorzellen exprimieren ein von Normalzellen deutlich abweichendes Proteinmuster, das zu einer geänderten Zusammensetzung der Oberflächenantigene führt. Dadurch kann das Immunsystem zu einer Antwort stimuliert und auf
1
10 Kapitel 1 · Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie
1
Tumor-assoziierte Antigene ausgerichtete zytotoxische T-Zellen Zellen aktiviert werden. Auch werden über die Bindung spezifischer Antikörper natürliche Killerzellen stimuliert (7 Kap. 9). Eine adäquate immunologische Antwort auf die Tumorzellen bleibt jedoch in der Regel aus. Neuere immunologische Therapiekonzepte versuchen, die daran beteiligten Prozesse zu verstärken.
(Lungenvenentyp) wird bei Tumoren des Magen-DarmTraktes eher in fortgeschrittenen Stadien einer Generalisierung beobachtet. Äußerst selten erfolgt die iatrogene Implantation von Tumorzellen, etwa in der Folge einer Punktion zur bioptischen Abklärung im sog. Stichkanal, durch den die Punktionsnadel eingeführt wurde.
1.4.4 Metastasierung
1.5
Die Absiedlung von Tumorzellen an vom Primärtumor entfernten anatomischen Lokalisationen wird als Metastasierung bezeichnet. Die meisten malignen Tumoren besitzen ein hohen Metastasierungspotenzial. Tumorzellen können über Lymphgefäße (lymphogen) und auf dem Blutweg (hämatogen) verschleppt werden. Nach Einbruch des Tumors in eine Körperhöhle besteht die Gefahr einer kavitären Aussaat (Peritoneal-, Pleura-, Perikardkarzinose). Nur ein kleiner Bruchteil der zerstreuten Tumorzellen wird letztendlich Metastasen bilden, da dieser komplexe Vorgang bestimmte Fähigkeiten voraussetzt. Die malignen Zellen müssen zunächst in Gefäße oder eine Körperhöhle einbrechen und dann auf ihrer Wanderung den Angriffen des Immunsystems trotzen. Aus den Gefäßen oder einer serösen Höhle müssen sie am Zielort wieder in das Gewebe einwandern und dort die für ein weiteres Wachstum notwendige Angiogenese induzieren. Lymphogen metastasierende Tumorzellen werden zunächst zu den (regionären) Lymphknoten des Abflussgebietes verschleppt. Dort können sie hängen bleiben und zu einer Lymphknotenmetastase auswachsen. Tatsächliche, prognostisch ungünstige Lymphknotenlymphknotenmetastasen, bei der es zu einer Induktion eines tumoreigenen Bindegewebes kommt, müssen von einer Einzelzelldissemination (Sinuskarzinose) unterschieden werden. Die biologische Signifikanz der Einzelzelldissemination ist noch nicht endgültig geklärt. Tumorzellen können auch strangförmig innerhalb von Lymphgefäßen wachsen (Lymphangiosis carcinomatosa). Schlussendlich ist über den Ductus thoracicus eine Einschwemmung in das Blut möglich.
1.5.1 Aneuploidie
Tumorgenetik
Während der Karzinogenese ereignen sich eine Reihe genetischer Veränderungen in den Tumorzellen. Der Begriff Ploidie definiert die Menge der DNA im Zellkern. Diploide Zellen haben einen normalen, aneuploide Zellen einen veränderten, entweder vermehrten oder verminderten DNA-Gehalt. Die meisten Zellen maligner Tumoren, aber auch bereits viele Vorläuferläsionen (intraepitheliale Neoplasie) im Magen-Darm-Trakt sind aneuploid. Eine Aneuploidie ist generell Ausdruck einer genomischen (chromosomalen) Instabilität.
1.5.2 Tumorgene In einem einzelnen malignen Tumor ist eine Vielzahl von Genen defekt (. Tab. 1.1). Diese veränderten Gene bzw. deren entsprechende Genprodukte stören die wichtigen Prozesse des Zellstoffwechsels. Das veränderte Expressionsmuster der Gene ist für die morphologischen und funktionellen Eigenschaften der Tumorzellen wie z. B. fehlende/verminderte Differenzierung, gelockerte Zell-zu-Zell-Kontakte, gesteigerte Motilität oder Sekretion von Proteasen und Wachstumsfaktoren verantwortlich (7 Kap. 6). Bei den tumorassoziierten Genen werden generell Onkogene von Tumorsuppressorgenen unterschieden. Onkogene können Zellen über eine gesteigerte Funktion transformieren (Aktivierung; »gain of function«). Tumorsuppressorgenen weisen dagegen eine verminderte oder fehlende Funktion auf (Inaktivierung; »loss of function«).
Cave Tumorzellen können im Abflussgebiet eines Tumors hintereinander geschaltete Lymphknotenstationen überspringen. Dies kommt in ca. 2–5% der Fälle vor und muss bei der Untersuchung des am nächsten gelegenen Lymphknotens (Wächter- oder Sentinel-Lymphknoten) berücksichtigt werden.
Je nach ihrer Lokalisation entstehen hämatogene Fernmetastasen eines Primärtumors bevorzugt in bestimmten Organen. Die im Abflussgebiet der Pfortader liegenden Tumoren des Magen-Darm-Traktes neigen zu einer Metastasierung in die Leber (Pfortadertyp). Andere Tumoren (z. B. aus dem Rektum) erreichen über die Vena cava inferior zunächst die Lunge (Kavatyp). Eine Verschleppung in den großen Kreislunge
In einem Tumor sind gleichzeitig sowohl Onkogene aktiviert als auch Tumorsuppressorgene inaktiviert. Einheitliche Muster genetischer Alterationen für bestimmte Tumortypen existieren nicht (genotypische Heterogenität).
Onkogene Diese in einer normalen Zelle als Protoonkogene bezeichneten Gene werden in Tumoren durch eine vermehrte Expression des normalen oder eine gesteigerte Funktion eines mutierten Gens aktiviert. Sie regeln über Signalerkennung und -transduktion die Proliferation oder Differenzierung der Zellen. Viele Protoonkogene kodieren Proteine, die als Rezeptoren für Wachstumsfaktoren eine Tyrosinkinase-Funktion ausüben. Deren Wirkung wird durch die Onkogenaktivierung
1
11 1.5 · Tumorgenetik
a
b . Abb. 1.4a,b. Aktivierung des Onkogens c-erbB2 durch eine Genamplifikation. a Das mit einem roten Fluorochrom markierte cerbB2-Gen ist in vielen Kopien in den Tumorzellkernen (blau) nachweisbar, erkennbar an den vergrößerten Signalen in der In-situ-Hybridisierung. Die grüne Kontrollsequenz ergibt dagegen nur kleinere
Signale. b In Folge der Onkogenamplifikation wird das c-erbB2Wachstumsfaktorrezeptorprotein auch verstärkt in der Zellmembran exprimiert, was durch eine immunhistochemische Färbung (grünes Fluorochrom) nachweisbar ist
im Tumor verstärkt. Therapeutisch und prognostisch bedeutsame Wachstumsfakorrezeptoren sind c-erbB-2 und der Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor EGF-R. Andere Onkogenprodukte sind Wachstumsfaktoren (z. B. EGF), GTPbindende Proteine in der Zellmembran (z. B. K-RAS) oder DNA-bindende Proteine zur nukleären Expressionskontrolle (z. B. N-MYC, FOS). Die Aktivierung der Onkogene erfolgt über verschiedene Mechanismen. Häufig sind Genamplifikationen (. Abb. 1.4) mit Auftreten multipler Kopien des in normalen Zellen in zwei Ausführungen (Allelen) vorhandenen Gens (z. B. c-erbB-2, N-MYC), Punktmutationen (z. B. K-RAS) oder die für hämatologische Neoplasien charakteristischen chromosomalen Translokationen (z. B. bcl-2). Einige Adenokarzinome des Gastrointestinaltraktes zeigen eine Genamplifikation des Wachstumsfaktorrezeptors c-erbB-2, so dass diese Tumoren prinzipiell mit dem Medikament Herceptin behandelt werden können.
tumsfaktor FGF. Auch Mitglieder der Myc-Onkogenfamilie werden hier häufig vermehrt exprimiert, wobei diesem Gen eine Schlüsselrolle bei wichtigen zellulären Funktionen wie Proliferation, Differenzierung, Transkription und Apoptose zukommt (7 Kap. 8).
Eine therapeutisch entscheidende Genmutation betrifft K-RAS, das in etwa der Hälfte der kolorektalen Karzinome Punktmutationen aufweist. Nur Patienten mit einem normalen K-RAS-Gen sprechen auf eine Therapie gegen EGFR an. K-RAS-mutierte Tumoren umgehen die Blockade dadurch, dass die dem EGF-Rezeptor nachgeschaltete Signaltransduktion durch die Mutation unhemmbar aktiviert ist (7 Kap. 17).
Weitere, häufig aktivierte Onkogene in Tumoren des Gastrointestinaltraktes sind der EGF, TGF-α und Fibroblastenwachs-
Tumorsuppressor-Gene Diese Gengruppe bildet die Gegenspieler der Onkogene. Von Tumorsuppressor-Genen kodierte Proteine sollen einen malignen Phänotyp und eine klonale Expansion verhindern. Bei erhaltener Funktion sichern sie somit die Zelle gegen eine maligne Transformation ab. Ein mutationsbedingter Funktionsverlust dieser Gene schwächt diese Schutzfunktion ab, was eine Transformation begünstigt. Es werden zwei Arten von Tumorsuppressor-Genen unterschieden: 4 »Gate keeper« als klassische Tumorsuppressor-Gene (z. B. p53, APC) 4 »Care taker« als mittelbare Tumorgene (z. B. DNA-Reparaturgene) Tumorsuppressor-Gene sind häufig in Tumoren des MagenDarm-Traktes inaktiviert. Diese Inaktivierung verläuft immer in zwei Schritten. Im ersten Schritt geht zunächst eines der beiden Allele verloren (Deletion; »loss of heterozygosity«). Während bei sporadischen Tumoren der Allel-Verlust im Laufe des Lebens erworben wird, ist er bei den erblichen Tumorsyndromen bereits angeboren. Erst mit der anschließenden Mutation des verbliebenen zweiten Allels wird in beiden Situationen das Tumorsuppressor-Gen inaktiviert. Auch epigenetische Ereignisse können zu einem Funktionsverlust führen (7 Kap. 6).
12 Kapitel 1 · Allgemeine Onkogenese und Tumorpathologie
1
. Tab. 1.1. Auswahl an Genen, die bei verschiedenen Tumoren des Magen-Darm-Traktes häufiger verändert sind
Onkogene
TumorsuppressorGene
Ösophagus
Magen
Kolon, Rektum
Pankreas
Ableitende Gallenwege
Leberzellkarzinom
c-erbB2
+
+
+
c-MYC
+
+
+
+
+
+
EGF-R
+
+
+
K-RAS
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
hMSH2
+
+
hMLH1
+
+
APC DCC
+
DPC4 p53 DNA-Reparaturgene
+
Ein in Tumoren des Magen-Darm-Traktes häufig mutiertes Tumorsuppressor-Gen ist p53 auf Chromosom 17p. In normalen Zellen verhindert p53, dass sich im Genom nicht reparierte Mutationen fixieren. Diese Funktion ist in Tumorzellen gestört. Hat sich in einer Zelle zufällig eine DNA-Mutation irgendeines Genes ereignet, wird sie unter Vermittlung von p53 so lange von der nächsten Zellteilung zurückgehalten, bis der Defekt durch entsprechende Reparaturgene behoben ist. Falls der Schaden so groß ist, dass er nicht repariert werden kann, wird die Zelle in die Apoptose getrieben. Bei einer p53Mutation kommt es zu einem Funktionsverlust von p53, dass diese Kontrollfunktion nicht mehr ausüben kann. In der Folge können sich weitere Mutationen in vielfältigen Genen anhäufen, was eine maligne Transformation stark begünstigt. Mutationen von p53 kommen in etwa der Hälfte aller malignen Tumoren vor. Das APC-Gen (adenomatöse Polyposis coli) auf dem langen Arm von Chromosom 5 ist an Zell-zu-Zell- und Zell-zuMatrix-Kontakten sowie der Regulation der Proliferation beteiligt. Ein mutationbedingter Funktionsverlust von APC führt zu Störungen dieser Funktionen. Die Inaktivierung von APC ist bei der Entstehung vieler kolorektaler Karzinome über Adenome ein wichtiges initiales Ereignis. Keimbahnmutationen von APC (7 Kap. 5) führen zu einer familiären adenomatösen Polyposis coli (FAP). Erworbene Störungen in der Abfolge der Basenpaare der DNA können durch Karzinogene hervorgerufen werden oder sich zufällig während der DNA-Replikation ereignen. Bestimmte Reparaturgene (sog. DNA-Mismatch-Repair-Gene) können diese Fehler korrigieren. Zu den bekannten DNAReparaturgenen zählen hMLH1, hMSH2.
+
+
Keimbahnmutationen von DNA-Reparaturgenen kommen bei Patienten mit hereditärem Non-polyposis kolorektalem Karzinom-Syndrom (»hereditary non polyposis colorectal cancer«, HNPCC) vor und führen zu Fehlern während der DNA-Replikation. Patienten mit HNPCC können außer kolorektalen Karzinomen auch Karzinome anderer Lokalisation (z. B. Magen, Harnblase, Niere, Ovar) entwickeln.
In Zellen mit einem defekten DNA-Reparaturgen können sich im Laufe der Zellteilungen Mutationen in verschiedensten Genen fixieren. Falls hierbei wichtige zelluläre Gene betroffen sind, kann schließlich ein Tumor entstehen.
Literatur Fenoglio-Preiser CM, Noffsinger AE, Stemmermann GN, Lantz PE, Isaacson PG (Hrsg) (2007) Gastrointestinal Pathology. Lippincott Williams & Wilkins, New York Hamilton SR, Aalton LA (Hrsg) (2000) World Health Organisation. Classification of tumours. Pathology and genetics of tumours of the digestive system. IARC, Lyon Riede UU, Werner M, Freudenberg U (Hrsg) (2009) Basiswissen Allgemeine und Spezielle Pathologie, Springer, Berlin Heidelberg New York
2 2 Präkanzerosen und molekulare Marker A. Tannapfel
2.1
Grundlagen
2.2
Klassifikation der intraepithelialen Neoplasien
2.3
Präkanzeröse Bedingungen und Läsionen im Gastrointestinaltrakt – 15
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5
Ösophagus – 15 Magen – 15 Duodenum, Jejunum, Ileum – 15 Pankreas, Gallengänge, Leber – 16 Kolon – 16
2.4
Maligne Transformation
2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4
Genetische Alterationen – 16 Tumorsuppressor-Gene und Onkogene Wachstumsfaktoren/Rezeptoren – 16 Genetische Instabilität – 17 Literatur – 17
– 14
– 16 – 16
– 14
14 Kapitel 2 · Präkanzerosen und molekulare Marker
2
> Maligne Tumoren des Gastrointestinaltrakts entstehen aus histopathologisch definierten Vorläuferläsionen, als Konsequenz einer Akkumulation genetischer und epigenetischer Alterationen.
2.1
Grundlagen
Maligne Tumoren entstehen aus Vorstufen in einem mehrschrittigen Prozess durch die Akkumulation genetischer Veränderungen. Sie stellen damit ein morphologisch fassbares Ergebnis einer sequenziellen Entwicklung dar, die auch auf genetischer bzw. auf molekularer Ebene nachweisbar ist. Diese stufenweise Entwicklung verläuft zunächst über nichtinvasive, später invasive und schließlich auch metastasierte Stadien – wobei sich hier, entsprechend dem Fortschreiten der Erkrankung, differente Genalterationen identifizieren lassen. Statistische Untersuchungen zeigen, dass für bestimmte klinisch oder auch histopathologisch zu definierende Veränderungen oder Zustände ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von malignen Tumoren besteht. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der »Präkanzerose« zunächst 1896 vom Dermatologen Dubreuilh definiert. Im weiteren Verlauf erfolgte eine Unterteilung in obligate und fakultative Präkanzerosen, also in Veränderungen die immer, falls nicht behandelt, in einen invasiven Tumor übergehen (obligate Präkanzerose) oder in Veränderungen, die ein gewisses Risiko aufweisen sich zu einer malignen Erkrankung zu entwickeln. Heute empfiehlt die WHO eine Unterteilung in präkanzeröse Konditionen (Bedingungen) und Läsionen. Eine präkanzeröse Bedingung (Kondition) ist ein klinisch-anamnestisch definierter Zustand, bei dessen Vorhandensein das Risiko für maligne Tumoren gegenüber dem Fehlen dieses Zustandes erhöht ist. Eine präkanzeröse Läsion ist histopathologisch definiert als Veränderung, bei deren Vorliegen ein maligner Tumor häufiger auftritt als im normalen Gewebe. Zu den präkanzerösen Konditionen wird beispielsweise das HNPCC-Syndrom mit einem familiären Auftreten von Karzinomen aufgrund von genetischen Alterationen gezählt oder erworbene Immundefektsyndrome mit konsekutiv höherem Tumorrisiko. Cave Liegt eine präkanzeröse Kondition vor, so ist die regelmäßige Überwachung der Patienten im Sinne von Vorsorgeuntersuchungen auch im Hinblick auf die Entwicklung der nächsthöheren Stufe, einer präkanzerösen Läsion, notwendig.
Zu den präkanzerösen Läsionen, als histologisch definierte Veränderungen, die mit einer erhöhten Inzidenz von malignen Tumoren einhergehen, werden im Gastrointestinaltrakt heute die intraepithelialen Neoplasien (früherer Begriff Dysplasie) gezählt. Dabei definiert die WHO die intraepitheliale Neoplasie als eindeutig neoplastische Epithelproliferation ohne Zeichen der Invasion. Die intraepitheliale Neoplasie kann sich weiter zu invasiven Karzinomen entwickeln, wenn
sie nicht entfernt wird. Im Gegenzug kann durch die Entfernung dieser Vorläuferläsionen das Entstehen eines malignen Tumors verhindert werden. Dies wird als sekundäre Prävention bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit der Progression einer intraepithelialen Neoplasie zu einem Karzinom steigt mit dem Grad der Ausdehnung der Veränderung. Darüber hinaus nimmt man heute an, dass das Progressionsrisiko auch von therapeutischen Interventionen beeinflusst werden kann.
Präkanzeröse Bedingung (»Kondition«): Klinisch(-anamnestisch) oder epidemiologisch-statistisch definierter Zustand, bei dessen Vorhandensein das Risiko für maligne Tumoren im Vergleich zum Fehlen dieses Zustandes erhöht ist. Indikation zur (regelmäßigen) Überwachung. Beispiele: angeborene oder erworbene Immundefektsyndrome, genetisch determinierte Krebsrisikoerkrankungen (wie HNPCC) Präkanzeröse Läsion: Histopathologisch definierte Veränderung, bei der ein maligner Tumor häufiger auftritt als im normalen Gewebe. Im Gastrointestinaltrakt werden präkanzeröse Läsionen im Allgemeinen als »intraepitheliale Neoplasien« (frühere Bezeichnung: Dysplasie) bezeichnet.
2.2
Klassifikation der intraepithelialen Neoplasien
Die intraepitheliale Neoplasie wird nach ihrem makroskopischen Erscheinungsbild, ihrer Ausbreitung, ihrer Histomorphologie sowie der Biologie und dem klinischen Erscheinungsbild klassifiziert. Besonders wichtig zur Prognoseabschätzung ist die histologische Beurteilung der intraepithelialen Neoplasie. Mitunter können diagnostische Schwierigkeiten bei der histologischen Festlegung des Grades der intraepithelialen Neoplasie auftreten, da es sich um einen graduellen, nicht analogen Prozess handelt. Die Diagnose einer intraepithelialen Neoplasie setzt sich aus histologischen und zytologischen Kriterien zusammen. Beurteilt werden neben der Epithelarchitektur auch die Ausreifung und das zelluläre Erscheinungsbild (zelluläre Atypien), wobei niedriggradige und hochgradige intraepitheliale Neoplasien unterschieden werden. Dabei ist insbesondere die histologische Abgrenzung niedriggradiger intraepithelialer Neoplasien von reaktiven, d. h. entzündlich-reparativen Veränderungen bzw. Metaplasien schwierig. Goldstandard in der Diagnostik der intraepithelialen Neoplasien im Gastrointestinaltrakt ist nach wie vor die konventionelle lichtmikroskopische Untersuchung am mit Hämatoxyllin-Eosin-gefärbten Schnittpräparat. Immunhistochemische, histochemische oder molekularbiologische Analysen, z. B. auch die DNA-Photometrie oder Zytometrie können hier keine wesentliche Unterstützung bieten. Generell werden drei unterschiedliche Kategorien der intraepithelialen Neoplasie unterschieden:
15 2.3 · Präkanzeröse Bedingungen und Läsionen im Gastrointestinaltrakt
4 Keine intraepitheliale Neoplasie 4 Fragliche intraepitheliale Neoplasie 4 Intraepitheliale Neoplasie Ist eine intraepitheliale Neoplasie nachzuweisen, so wird diese entsprechend ihrer Ausprägung in zwei Stufen – niedriggradige oder hochgradige intraepitheliale Neoplasie – unterteilt. Eine »fragliche intraepitheliale Neoplasie« sollte äußerst selten diagnostiziert werden, wenn, dann sollte die Endoskopie bzw. das diagnostisch/therapeutische Verfahren wiederholt werden, um eine definitive Diagnose anzustreben.
se der intraepithelialen Neoplasie auf einer Reihe von Kriterien. Epithelarchitektur, -ausreifung und das zytologische Erscheinungsbild müssen, wie oben beschrieben, hinsichtlich der Ausprägung von Veränderungen gesondert gewertet und dann zusammenfassend in die Diagnostik eingebracht werden. Als präkanzeröse Läsion für das Entstehen eines Adenokarzinom gilt die Barrett-Schleimhaut mit dem Nachweis einer intraepithelialen Neoplasie. Das Risiko der Entwicklung eines Adenokarzinoms hängt zudem vom Grading (»low« und »high grade«) der intraepithelialen Neoplasie ab.
2.3.2 Magen Die klinischen Konsequenzen der Diagnose einer intraepithelialen Neoplasie sind vom Organ abhängig (. Tab. 2.1). Die wichtigste Konsequenz sollte eine weitere Diagnostik sein, da je nach betroffenem Organ bereits ein manifestes invasives Karzinom in unmittelbarer Nachbarschaft einer intraepithelialen Neoplasie existent sein kann. Darüber hinaus sollte es ein therapeutisches Ziel sein, zunächst die Ausdehnung der intraepithelialen Neoplasie ggf. durch multiple Biopsien einzugrenzen.
2.3
Präkanzeröse Bedingungen und Läsionen im Gastrointestinaltrakt
2.3.1 Ösophagus Der Ösophagus nimmt bezüglich der präkanzerösen Läsionen eine besondere Stellung ein, da hier einerseits Vorstufen von Plattenepithelkarzinomen, andererseits aber auch von Adenokarzinome auftreten können, die sich in ihrer Morphologie und ihrem biologischen Verhalten unterscheiden.
Präkanzeröse Bedingungen des Ösophagus sind z. B. Divertikel, benigne Strukturen, Laugenverätzungen, Rauchen und Alkoholabusus sowie das Plummer-VinsonSyndrom (chronischer Eisenmangel).
Als präkanzeröse Läsionen des Ösophagus gelten intraepitheliale Neoplasien des Plattenepithels. Auch hier beruht die Diagno-
Die präkanzerösen Bedingungen des Magens sind die chronische atrophische Gastritis, die Typ-B-Gastritis, hyperplastische Polypen und z. B. der Morbus Mènètrier.
Als präkanzeröse Läsionen gelten auch hier intraepitheliale Neoplasien der Magenschleimhaut und die zumindest in unseren Breiten seltenen diagnostizierten Adenome. Gastrointestinale Stromatumoren und MALT-Lymphome des Magens stellen als nicht epitheliale Tumoren besondere Krankheitsentitäten dar. Die Frage, ob im Magen – vergleichbar der Adenom-Karzinom-Sequenz im Kolon – eine Gastritis – Atrophie – intestinale Metaplasie – intraepitheliale Neoplasie/Karzinomsequenz besteht, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Die intestinale Metaplasie der Magenschleimhaut gilt jedoch als Indikatorläsion für bestehende chronisch-entzündliche, regenerative Veränderungen und sollte unabhängig von ihrer biologischen Bedeutung überwacht werden, insbesondere wenn isoliert der Magenkorpus befallen ist.
2.3.3 Duodenum, Jejunum, Ileum Präkanzeröse Bedingungen der Duodenalschleimhaut sind bisher nicht eindeutig etabliert. Ein erhöhtes Risiko für Karzinome des Dünndarms auf dem Boden eines Peutz-JeghersSyndroms wird diskutiert. Als präkanzeröse Läsionen gelten auch hier hoch- und niedriggradige intraepitheliale Neoplasien, entsprechend einem Adenom.
. Tab. 2.1. Diagnose und klinische Konsequenz
Biopsiediagnose
Klinische Konsequenz
Keine intraepitheliale Neoplasie
Keine Maßnahmen notwendig
Fragliche intraepitheliale Neoplasie
Weitere Abklärung (z. B. Wiederholung der Endoskopie)
Intraepitheliale Neoplasie 4 Niedriggradig (»low grade«) 4 Hochgradig (»high grade«)
Weitere Diagnostik (Ausdehnung, Abtragung im Gesunden)
2
16 Kapitel 2 · Präkanzerosen und molekulare Marker
2
2.3.4 Pankreas, Gallengänge, Leber
2.4.1 Genetische Alterationen
Vergleichbar dem Ösophagus können sich im Pankreas verschiedene Karzinomentitäten manifestieren. Für das duktale Adenokarzinom des Pankreas gelten die pankreatischen intraepithelialen Neoplasien als präkanzeröse Läsionen und werden je nach zytologischem und histologischem Ausbreitungsmuster in vier unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Ein gleichartiges Konzept existiert für die Schleimhaut des extrahepatischen Gallengangs. Für die Leber gelten die dysplastischen Knoten in der Zirrhoseleber (frühere Bezeichnung: adenomatöse Hyperplasie) als präkanzeröse Läsionen.
Durch die Anwendung neuer molekularbiologischer Techniken konnte in den letzten Jahren eine Vielzahl von genetischen Veränderungen identifiziert werden, die ein verbessertes Verständnis des sequentiellen Mehrschrittprozesses der Tumorentstehung im Gastrointestinaltrakt ermöglicht. Es existieren allerdings bisher keine spezifischen, für die eine oder andere Tumorentität pathognomonischen, genetischen Alterationen (. Tab. 2.2). Während die molekularpathologischen Befunde zwar unser Verständnis der Tumorbiologie wesentlich erweitert haben, besitzen sie keine oder nur eine sehr geringe Bedeutung in der pathohistologischen Diagnostik oder der klinischen Prognoseabschätzung, von wenigen »Biomarkern« wie EGFR, K-ras oder BRAF abgesehen. Die genetischen und epigenetischen Alterationen der Tumoren des Gastrointestinaltraktes umfassen Tumorsuppressor- und Onkogene, wie Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren, die während der Karzinogenese vermehrt oder vermindert exprimiert werden. Die genetische Diversivität wird durch die in den Tumorzellen vorliegende genetische Instabilität und durch epigenetische Alterationen vergrößert.
2.3.5 Kolon Im Kolorektum gelten die Adenome mit entsprechend zu klassifizierenden niedrig- und hochgradigen intraepithelialen Neoplasien als präkanzeröse Läsionen. Dabei machen polypös wachsende Adenome den überwiegenden Anteil (mehr als 85%) aller Läsion aus, flache Adenome stellen etwa 10% aller präkanzerösen Läsionen des Kolorektums dar. Auch im Kolorektum ist eine Risikoabschätzung, wann und in welchem Umfang mit einer malignen Entartung zu rechnen ist, schwierig. Als etablierte Kriterien gelten Adenomgröße, Adenomtyp, Wachstumsform und natürlich der Grad der intraepithelialen Neoplasie.
2.4
Maligne Transformation
Während früher davon ausgegangen wurde, dass lediglich wenige, allerdings entscheidende Genveränderungen notwendig sind, um eine maligne Transformation auszulösen, wird der Vorgang heute von Tumorbiologen differenzierter betrachtet. Im Rahmen der Karzinogenese laufen die genetischen Veränderungen nicht geordnet oder sequenziell-algorithmisch ab, sondern relativ chaotisch, im Sinne einer stochastischen Prozesses. Die 700–1000 Genalterationen, die innerhalb eines manifesten Karzinoms identifiziert werden können, bilden die »Grundausstattung« für neue Genkombinationen. Diese werden dann durch epigenetische Veränderungen nochmals hinsichtlich der »Kombinatorik« modifiziert. Das »Mikroenvironment« beeinflusst die Entwicklung der Zellen zusätzlich, ebenso die »Wirtsfaktoren« und das Immunsystem. Der Tumor ist als autonomer »Mikrokosmos« zu verstehen, der eine eigene Evolution durchmacht, die letztendlich seine Biologie und damit das Schicksal des Patienten bestimmt. Neben der den Gesetzen der Evolution gehorchenden Tumorprogression kommt es auch zu zielgerichteten Veränderungen innerhalb des Zellpools. Zellen mit z. B. hochproliferativer, invasiver Kapazität entwickeln sich neben sog. Tumorstammzellen, die dem »Regenerationspool« organisierter Zellkompartimente oder Organe vergleichbar sind.
2.4.2 Tumorsuppressor-Gene und Onkogene In Tumoren des Gastrointestinaltrakts wurden zahlreiche Veränderungen von Tumorsuppressor-Genen gefunden. Allerdings existieren auch hier keine spezifischen Alterationen, die diagnostisch verwendbar wären. Im Einzelnen handelt es sich um Mutationen und Gen- bzw. Allelverluste verschiedener Gene, deren reduzierte oder fehlerhafte Expression die Tumorprogression fördert. Bei der gut untersuchten Entstehung kolorektaler Karzinome, wie auch bei der Entstehung anderer GIT-Tumoren sind unter anderem p53, APC und DCC beteiligt. Neben Mutationen von z. B. p53 ist ein »loss of heterozygosity« (LOH) auf Chromosom 17p (Genort von p53) mit unterschiedlichen Prävalenzen innerhalb der Tumoren beschrieben worden. LOH und Mutationen von p53 scheinen bereits in Vorläuferläsionen aufzutreten. Das Mutationsmuster von p53 kann auf eine gewisse »Karzinogenspezifität« hinweisen. Die Prävalenzen der Alteration verschiedener Tumorsuppressor-Gene oder Onkogene sind in den verschiedenen Organtumoren des Gastrointestinaltrakts sehr unterschiedlich. Während Mutationen des Ki-ras-Onkogens in etwa 40% aller kolorektalen Karzinome auftreten, und mit einem schlechten Therapieansprechen auf EGFR-basierter Tumortherapie assoziiert sind, weisen Pankreaskarzinome diese Mutation deutlich häufiger auf (bis zu 90%).
2.4.3 Wachstumsfaktoren/Rezeptoren Eine ganze Reihe von Rezeptor-Tyrosinkinasen, die mitogene Stimuli von an die Zelle koppelnden Wachstumsfaktoren in das Zellinnere vermitteln, kann in GIT-Tumoren alteriert
17 2.4 · Maligne Transformation
. Tab. 2.2. Übersicht wichtiger, an der Entstehung gastrointestinaler Tumoren beteiligter Gene
Name
Lokalisation
Funktion
Organ
APC
5q21
Tumorsuppressor
Kolon, Pankreas
BRCA2
13q12
Zellzykluskontrolle, Reparatur
Pankreas (Mamma, Ovar)
Cadherin1
16q22
Zelladhäsion
Magen (Mamma)
Cyclin-dependent-kinase 4
12q14
Zellzyklus
u. a. GIT, Mamma, Ovar
EGFR
7p12
Rezeptortyrosin-Kinase
u. a. GIT (Kolon)
KIT
4q12
Rezeptortyrosin-Kinase
GIST
PDGFRA
4q11
Wachstumsfaktorrezeptor
GIST
K-RAS
12p12
Onkogen, Signaltransduktion
u. a. Kolon, Pankreas
MLH1
3p21
Mismatch Repair
Kolon (HNPCC)
MSH2
2p22
Mismatch Repair
Kolon (HNPCC)
MSH6
2p16
Mismatch Repair
Kolon (HNPCC)
PMS1
2q31
Mismatch Repair
Kolon (HNPCC)
PMS2
7p22
Mismatch Repair
Kolon (HNPCC)
Myc
8q24
Transkriptionsfaktor
u. a. Magen, Kolon
pTEN
10q23
Phosphatase, Akt-Pathway
u. a. Kolon
p53
17p13
Zellzyklus, Tumorsuppressor
u. a. Kolon
RB1
13q14
Zellzyklus
u. a. Magen, Kolon
STK11
19p13
Kinase
Magen, Pankreas, Kolon (Peutz-Jeghers-Syndrom)
sein. Mutationen und Amplifikationen von bestimmten Rezeptoren auf der Zelloberfläche (c-met, k-sam und c-erbB2) sind beschrieben worden. Gastrointestinale Tumorzellen sezernieren, wie die übrigen Organtumoren ebenfalls, eine große Anzahl von Wachstumsfaktoren und Zytokine, die teilweise eine autokrine, überwiegend jedoch eine parakrine Wirkung besitzen. Dabei werden sowohl mitogene, proliferativ wirksame Wachstumsfaktoren (EGF, TGF-α, HGF/SF) als auch wachstumsinhibierende Faktoren sezerniert. Desweiteren kann es auch zu Alterationen der intrazellulären Signalkaskade kommen und so ein wachstumsinhibierender Stimulus zu einem proliferationsfördernden Signal werden (TGF-β).
2.4.4 Genetische Instabilität Kolorektalen Karzinome besitzen in etwa 15% der Fälle eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI). Eine verminderte Funktion von Mismatch-Repairgenen wird auch in anderen GITTumoren beobachtet, z. B. bei sporadischen Magenkarzinomen in 1074%. MSI-positive Karzinome scheinen in der Regel ein intaktes p53-Gen und K-ras-Proto-Onkogen zu besitzen, darüber hinaus zeigen sie ein dichteres lymphoides entzündliches Infiltrat. MSI-positive Tumoren wurden insbesondere
bei älteren Patienten mit frühen Tumorstadien und damit einer besseren Prognose gefunden. Ein neuer, mit einer MSI assoziierter Mechanismus, die (epigenetische) Inaktivierung des MLH1-Promotors durch Methylierung, scheint bei nahezu allen gastrointestinalen Tumoren eine Rolle zu spielen.
Literatur Hamilton SR, Aaltonen LA; for the WHO (2000) Pathology and genetics. IARC Press, Lyon, pp 173–200 Junginger T, Hermanek P, Klimpfinger M (2002) Klassifikation maligner Tumoren des Gastrointestinaltrakts I. Springer, Berlin Heidelberg New York Klimpfinger M, Hermanek P, Büchler MW (2007) Klassifikation maligner Tumoren des Gastrointestinaltrakts II. Springer, Berlin Heidelberg New York
2
3 3 Tumorklassifikationen C. Wittekind
3.1
Tumorlokalisation
3.2
Histologische Typisierung (Typing) maligner Tumoren
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6
Grundlagen der histologischen Klassifikation – 21 Vorgehensweise bei histologischen Klassifikationen – 22 Verschlüsselung nach Tumorhistologieschlüssel – 22 Andere zusätzliche histologische Klassifikationen – 22 Prä- und postoperatives Typing – 23 Reproduzierbarkeit von Klassifikationen – 23
3.3
Grading maligner Tumoren
3.4
Staging
3.5
Klassifikationen nach vorausgegangener (neoadjuvanter) Therapie – 27
3.6
Residualtumor(R)-Klassifikation
3.7
Prädiktive Pathologie (»Theranostik«)
3.8
Zusammenfassung Literatur
– 20 – 20
– 24
– 24
– 29
– 28
– 27 – 28
20 Kapitel 3 · Tumorklassifikationen
3
> Ziele der Tumorklassifikationen sind, die Individualität eines bestimmten Tumors möglichst genau zu beschreiben und damit die individuelle Situation eines bestimmten Patienten zu berücksichtigen. Als Idealvorstellung kristallisierte sich in den letzten Jahren heraus, eine individuelle molekulare Signatur eines jeweiligen Tumors zu erstellen. Mit solchen Analysen, die nicht nur Veränderungen des Genoms zu beschreiben in der Lage sind, sondern die die therapeutische Beeinflussbarkeit und den Verlauf von Tumoren anzeigen können, ergibt sich die Hoffnung auf eine individualisierte Tumortherapie (personalisierte Medizin). Erste Ansätze in diese Richtung ergaben sich aus der Bestimmung der Rezeptoren beim Mammakarzinom und wurden ergänzt durch die ErbB2-Diagnostik (Rüschoff 2009). Ein weiterer Meilenstein war die Bestimmung von kras-Mutationen im Gewebe von kolorektalen Karzinomen, um die Ansprechbarkeit auf eine bestimmte Chemotherapie besser vorher zu sagen (Amado et al. 2007; Schmidt 2009; Van Krieken et al. 2008). Bezogen auf die Pathologie wurden die Begriffe »prädiktive Pathologie« oder Theranostik geprägt. Solange allerdings eine solche individualisierte Tumorund ggf. Patientencharakterisierung mangels Wissen und Techniken nicht möglich ist, muss mit bisher bekannten Klassifikationen versucht werden, die jeweiligen individuellen Eigenschaften eines Tumors exakt zu beschreiben. Die so erhobenen Daten stellen die Basis für die Auswertung weiterer Diagnoseverfahren dar und können diese fallweise sinnvoll ergänzen. Die Anwender (Kliniker, Pathologen, Grundlagenforscher) müssen sich aber über die Grenzen der heute zur Verfügung stehenden Klassifikationssysteme im Klaren sein. Diese liegen u. a. in der Schwierigkeit begründet, einzelne Tumorentitäten richtig einzuordnen. Dies gilt für histologische Klassifikationen, aber auch für die Festlegung der Malignitätsgrade (Grading). Als Folge kann eine schlechte Reproduzierbarkeit (hohe Interoberserver-Variabilität) resultieren, die der Feind jeder Klassifikation ist. Die Klassifikationen sind keine theoretische Angelegenheit, sondern sie haben vor allem auch klinische Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehören: 4 International vergleichbare Grundlagen für die Planung und Durchführung von Therapie zu schaffen, besonders mit dem Ziel einer histologie- und stadiengerechten Behandlung, 4 wichtige Daten für die Schätzung der individuellen Prognose zu liefern, 4 Voraussetzungen für eine aussagekräftige Beurteilung von Behandlungsergebnissen zu schaffen und 4 Den Vergleich diagnostischer und therapeutischer Leistungen unterschiedlicher Behandlungszentren zu ermöglichen.
3.1
Tumorlokalisation
Für die Einordnung der Tumorlokalisation ist der Topographieteil der ICD-O-3 (International Classification of Diseases for Oncology, 3. Auflage, 2000) maßgebend. Er beschreibt die anatomischen Bezirke und Unterbezirke mit einem 3-, teil-
weise auch 4-stelligem Schlüssel. Als Beispiel sei die DrittelUnterteilung des Rektums angegeben. Die Abgrenzung erfolgt nach der mit dem starren Rektosigmoidoskop gemessenen Entfernung des unteren Tumorrandes von der Anokutanlinie (UICC 2003): 4 C20.93: oberes Rektumdrittel (12–16 cm) 4 C20.92: mittleres Rektumdrittel (6 bis <12 cm) 4 C20.91: unteres Rektumdrittel (<6 cm) Mehrere Lokalisationen werden bei der Diagnose einer einzigen Neubildung häufig dann aufgeführt, wenn der genaue Entstehungsort nicht mehr festgelegt werden kann. Ein Tumor, der sich über seinen Ursprungsort hinaus auf benachbarte Bezirke erstreckt und dessen Ursprung keiner der vierstelligen Unterkategorien exakt zugeordnet werden kann, sollte die Codegruppe »8« erhalten. Zum Beispiel sollte die Diagnose »Karzinom des oberen und mittleren Drittels der Speiseröhre« unter C15.8 verschlüsselt werden. Dieser Verschlüsselungsmodus zeigt an, dass es sich um ein einziges Karzinom handelt, das sich ausgedehnt hat und zwei verschiedene Teile der Speiseröhre involviert. Für gewisse Tumoren, die mehr als einen anatomischen Bezirk befallen haben, sind Lokalisations-umfassende Schlüssel vorgesehen, beispielsweise: 4 C21.8: überlappender Tumor von Rektum, Anus und Analkanal 4 C24.8: überlappender Tumor der Gallengänge 4 C41.8: überlappender Tumor der Knochen und Gelenke
Exakte Angaben zur Tumorlokalisation sind wichtig, um einen Tumor hinsichtlich seines Entstehungsortes und seiner Ausdehnung richtig zuordnen zu können, insbesondere was die Einteilung nach der anatomischen Ausdehnung betrifft. Zudem lassen sich aus den exakten Zuordnungen der Lokalisation auch Empfehlungen für die Art der Therapie ableiten.
Die Lokalisationsangabe bestimmt die TNM-Klassifikation. Beispielsweise werden Tumoren des Ductus cysticus bisher wie Tumoren der extrahepatischen Gallengänge klassifiziert (UICC 2002), ab der 7. Auflage wie Tumoren der Gallenblase (UICC 2009).
3.2
Histologische Typisierung (Typing) maligner Tumoren
Die Grundelemente der Tumorklassifikationen sind in . Abb. 3.1 dargestellt. Als erste in der Abfolge wird die histologische Klassifikation vorgenommen. Durch sie wird festgelegt, ob für einen Tumor ein Grading vorgenommen werden muss (z. B. kein Grading bei Schilddrüsenkarzinomen oder malignen Melanomen der Haut) und ob die TNM-Klassifikation zur Anwendung kommt (z. B. malignes Melanom des Magens → keine TNM-Klassifikation, Karzinom des Magens → TNMKlassifikation).
21 3.2 · Histologische Typisierung (Typing) maligner Tumoren
. Abb. 3.1. Grundelemente der Tumorklassifikationen
Vorbedingung für vergleichende Studien über Krebserkrankungen ist, eine internationale Einigung über die histologischen Kriterien der Klassifikation verschiedener Krebsarten zu erzielen. Diese Kriterien müssen in einer standardisierten Nomenklatur angewendet werden. Solche international angewandten Klassifikationen – gleichermaßen akzeptiert von Internisten, Chirurgen, Radiologen, Pathologen, Statistikern und anderen – würden Krebsärzte in aller Welt in die Lage versetzen, ihre Befunde und Ergebnisse zu vergleichen und würden so zu einer Erleichterung internationaler Zusammenarbeit beitragen. Langjährige Bemühungen der WHO um einheitliche histologische Klassifikationen führten zur Herausgabe einer Serie von Bänden der World Health Organization (WHO) Classification of Tumours, die zum Teil schon in der 2. Auflage publiziert worden sind (World Health Organization 2000 bis 2008) und deren aktuelle Bände in . Tab. 3.1 aufgelistet sind.
In der Anwendung hilfreich sind auch die Bände der Tumorklassifikationen des Armed Forces Institute of Pathology (AFIP), die sich sehr eng an die der WHO anlehnen. Sie wurden in der 3. Auflage von 1991–2002 in zahlreichen Bänden publiziert (Armed Forces Institute of Pathology 2003). Ab 2004 hat die Veröffentlichung der Bände der 4. Auflage begonnen. Bis heute sind acht Bände erschienen (Armed Forces Institute of Pathology 2004).
3.2.1 Grundlagen der histologischen
Klassifikation In den histologischen Klassifikationen werden die Tumoren nach dem Konzept der »Histogenese« oder dem Ausgangsgewebe (nach ihrer Ähnlichkeit mit dem Normalgewebe) gegliedert. Je nach Organ oder Ausgangsgewebe (z. B. Weichge-
. Tab. 3.1. WHO: Internationale histologische Klassifikation von Tumoren, Neuerscheinungen seit 2000
Organ
Jahr
Herausgeber
Verdauungstrakt
2000
Hamilton SR, Aaltonen LA
Weichgewebe und Knochen
2002
Fletcher CDM, Unni KK, Mertens FF
Mamma und weiblicher Genitaltrakt
2003
Tavassoli FA, Devilee P
Harnableitendes System und männliche Genitalorgane
2004
Eble JN, Sauter G, Epstein JI, Sesterhenn IA
Thorax, Mediastinum und Herz
2004
Travis WD, Brambilla E, Müller-Hermelink HK, Harris CC
Endokrine Organe
2004
DeLellis RA, Lloyd RV, Heitz PU, Eng C
Kopf- und Halstumoren
2005
Barnes L, Eveson JW, Reichart P, Sidransky D
Hauttumoren
2006
LeBoit PE, Burg G, Weedon D, Sarasin A
Nervensystem
2007
Louis DN, Ohgaki H, Wistler OD, Cavenee WK
Hämatopoetische und lymphatische Gewebe
2008
Swerdlow et al.
3
22 Kapitel 3 · Tumorklassifikationen
3
webe) werden unterschiedliche Kriterien der Klassifikation angewendet. Histologische Klassifikationen sind organunterschiedlich und organspezifisch. Bei den verschiedenen Klassifikationen gibt es Organe mit vergleichsweise wenigen verschiedenen malignen Tumorarten (z. B. Schilddrüse) und Organe mit sehr vielen verschiedenen malignen Tumorarten (z. B. Haut). In vielen Organen gibt es nur einige wenige histologische Typen, die häufig vorkommen (z. B. machen Adenokarzinome und muzinöse Adenokarzinome 95% aller malignen kolorektalen Tumoren aus).
3.2.2 Vorgehensweise bei histologischen
tes Adenokarzinom klassifiziert wird und die undifferenzierten Tumoranteile gesondert angegeben werden. Bei der heute empfohlenen Form des Gradings mit einer Unterteilung in niedriggradig maligne (»low grade«) und hochgradig maligne (»high grade«) stellt sich das Problem der richtigen Kategorisierung nicht, da die G3- und G4-Tumoren unter »high grade« zusammen gefasst werden.
Eine generelle Regelung, die für alle Organtumoren in gleicher Weise anzuwenden wäre, existiert nicht. Für jeden Organtumor müssen die relevanten Klassifikationsregeln beachtet werden.
Klassifikationen Unter der Berücksichtigung der Richtlinie, nach der ein Tumor anhand seiner Ähnlichkeit mit dem Normalgewebe klassifiziert wird, können Probleme bei der histologischen Klassifikation oft dadurch entstehen, dass ein Tumor unterschiedliche Strukturen aufweisen kann. Grundsätzlich kann in solchen Fällen nach drei verschiedenen Arten vorgegangen werden, wobei diese Prinzipien der histologischen Klassifikation mitunter auch Aspekte des Gradings zu berücksichtigen haben: 4 Klassifikation nach den überwiegenden Strukturen 4 Klassifikation ungeachtet der Quantität nach den am höchsten differenzierten Strukturen 4 Klassifikation ungeachtet der Quantität nach den am wenigsten differenzierten Strukturen Generell gilt bei den verschiedenen Klassifikationen der WHO die Regel, einen Tumor nach seiner überwiegenden Komponente (>50%) zu klassifizieren. Ein kolorektales Adenokarzinom mit 30% Anteilen eines muzinösen Adenokarzinoms wird als Adenokarzinom klassifiziert und dementsprechend verschlüsselt (ICD-O-M 8140/3). Ein mäßig differenziertes (G2) tubuläres Adenokarzinom des Magens mit 30% Anteil Siegelringzellkarzinom wird als tubuläres Adenokarzinom verschlüsselt (ICD-O-M 8211/3), da dieser Anteil überwiegt. Der Malignitätsgrad dieser Karzinomkonstellation wird als schlecht differenziert angegeben, da Siegelringzellkarzinome gemäß der WHO-Definition als schlecht differenziert (G3) eingeordnet werden und das Grading nach dem schlechtesten Differenzierungsgrad durchgeführt wird (WHO-Regel!). Für manche Organtumoren sind bei der Bestimmung des histologischen Typs besondere Regeln zu beachten, z. B. bei der Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome, die vom Follikelepithel ausgehen. Wenn in einem Karzinom auch nur wenige papilläre Strukturen nachweisbar sind, muss ein papilläres Schilddrüsenkarzinom diagnostiziert werden. Ein Problem stellen die schlecht differenzierten Karzinome dar (z. B. G3-Plattenepithelkarzinome oder G3-Adenokarzinome), in denen undifferenzierte Karzinomstrukturen nachweisbar sind. Würde man hier die am wenigsten differenzierte Tumorkomponente als die für die histologische Klassifikation maßgeblichen Tumorteil einordnen, würde man der Gesamtdifferenzierung des Tumors nicht gerecht. Deswegen gilt hier die Vorgabe, dass ein solcher Tumor z. B. als schlecht differenzier-
3.2.3 Verschlüsselung nach Tumorhistologie-
schlüssel Die internationalen Bemühungen um eine Standardisierung der morphologischen Tumordiagnostik erfordern eine einheitliche Tumordokumentation mit international einheitlichen Begriffen und Codierungen. Dasselbe gilt auch für das gesetzlich vorgeschriebene Qualitätsmanagement, um epidemiologische Daten und Endresultate verschiedener Einrichtungen vergleichen zu können. Dabei kommt den Pathologen eine besondere Verantwortung für die exakte Verschlüsselung zu. Diagnosen (als extremes Beispiel: »verkrebster Polyp im Kolon«), die nicht im ICD-O-3-Buch (International Classificatin of Diseases for Oncology 2003) erwähnt sind, können von den Dokumentaren nicht verschlüsselt werden und entfallen somit bei der klinischen Dokumentation. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass in einem ausführlichen Text des pathohistologischen Gutachtens andere Klassifikationen oder andere Bezeichnungen verwendet werden. Letzteres Verfahren ist auch notwendig, um eventuelle neue Tumorentitäten adäquat zu erfassen.
3.2.4 Andere zusätzliche histologische
Klassifikationen Für die meisten Organtumoren gibt es neben den international anerkannten Klassifikationen eine Vielzahl von zusätzlichen Klassifikationen. Als Beispiel seien an dieser Stelle die Laurén-Klassifikation (Laurén 1965) und die Ming-Klassifikation (Ming 1977) beim Magenkarzinom aufgeführt. Die Laurén-Klassifikation wird heute in der WHO-Klassifikation maligner Tumoren des Gastrointestinaltraktes als Unterentität erwähnt (World Health Organization 2000). Es gibt sicherlich viele Ursachen, warum etliche Klassifikationen maligner Tumoren keine Anerkennung gefunden haben (Harris et al. 1994; Schlimok et al. 1991; Veronesi et al. 1991). Dazu gehören mangelnde Reproduzierbarkeit, unklare Definitionen der verwendeten Parameter, fehlende methodische Klarheit bei der Bearbeitung einer neuen Klassifikation und natürlich auch fehlende klinische Relevanz. Eine ganze Reihe von im Ansatz guten Klassifikationen ist daran geschei-
23 3.2 · Histologische Typisierung (Typing) maligner Tumoren
tert, dass von den Autoren versäumt wurde, früh einen internationalen Konsens über die verwendeten Parameter herbeizuführen. Derzeit entwickelt sich eine Tendenz, Klassifikationen, die auf molekularbiologischen Parametern beruhen, für das zukünftige wesentliche Element der Tumorklassifikation zu halten. Abgesehen von den nicht unerheblichen Kosten der Methodik, liefern molekularbiologische Untersuchungen – insbesondere mit Genchips – eine solche Fülle von Daten, dass deren Bedeutung und Zusammenhang derzeit noch nicht in dem notwendigen Ausmaß verstanden werden. Insofern sollen diese neuen Entwicklungen sorgfältig beobachtet werden, aber nicht von der Verpflichtung entbinden, die Parameter der bisherigen Klassifikationen sorgfältig zu erheben.
3.2.5 Prä- und postoperatives Typing Tumoren sind eher selten völlig uniform strukturiert. Es ist vielmehr ein Merkmal bestimmter Tumorentitäten (z. B. hepatozelluläre Karzinome, Magenkarzinome u. a. m.), dass eine gewisse histologische Heterogenität besteht. Nur bei Tumoren, die völlig uniform strukturiert sind, besteht – zumindest theoretisch – die Möglichkeit einer definitiven Diagnose auch an einer kleinen Inzisionsbiopsie. Bei Tumoren, die histologisch heterogen aufgebaut sind, kann das Ergebnis des Typings an einer präoperativen Biopsie durchaus von dem am Tumorresektat abweichen. Aus diesem Grund ist die histologische Klassifikation an Biopsien nur mit gewissen Einschränkungen möglich. Die Erfahrung zeigt aber, dass in der Hand eines erfahrenen Pathologen kaum therapeutisch relevante Diskrepanzen auftreten. Am Beispiel der Laurén-Klassifikation des Magenkarzinoms, die für die Wahl des Abstandes zu den Resektionsrändern durchaus von Relevanz ist, konnten wir zeigen, dass in 10% der Fälle mit einer Diskrepanz zwischen Biopsie und Resektat zu rechnen ist (Biopsie: intestinaler Typ, Resektat: diffuser Typ). Einige weitere Beispiele möglicher Diskrepanzen sind in . Tab. 3.2 dargestellt. Auf die besondere Herausforderung der Klassifikation von undifferenzierten Lungenkarzinomen hat Wallace hingewiesen (Wallace 2009) Die aktuelle histologische WHO-Klassifikation von Lungentumoren (World Health Organization 2004) basiert auf Untersuchungen an Resektaten: Diese Klassifikation erlaubt eine zwar komplexe aber doch gut anwend-
bare Handhabung. Bei den meisten Patienten mit Lungenkarzinomen wird die morphologische Diagnose aber an kleinen Biopsien gestellt, was die Anwendung der WHO-Klassifikation schwierig gestalten kann. Die Unterteilung in nicht-kleinzellige (großzellige) und kleinzellige Karzinome ist wichtig und kann unter Zuhilfenahme verschiedener immunhistochemischer Methoden noch weiter spezifiziert werden (Wallace 2009). Bei histologisch nicht uniform aufgebauten Tumoren wird das Ergebnis der Untersuchung des Resektates auch von der Menge des untersuchten Gewebes abhängen. Bei nur wenigen Gewebeentnahmen kann die Übereinstimmung mit der histologischen Biopsiediagnose vollständig sein, andererseits aber auch eine ganz andere histologische Klassifikation ergeben als an der Biopsie. Grundsätzlich gilt, dass die histologische Klassifikation umso genauer ist, je mehr Gewebe aus dem Tumor untersucht wurde. Für zahlreiche Tumoren sind Standards, wie viel Gewebe aus einem Tumor für die histologische Untersuchung entnommen werden muss, in den Anleitungen des Bundesverbandes Deutscher Pathologen und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie angegeben (ab 2002).
3.2.6 Reproduzierbarkeit von Klassifikationen Die Erfahrung und vergleichende Untersuchungen vor allem der englischsprachigen Literatur zeigen, dass ein bestimmter Tumor bei Beurteilung der gleichen histologischen Schnitte durch verschiedene Pathologen unterschiedlich klassifiziert wird, teilweise durchaus mit therapeutischen Konsequenzen. Als Beispiel seien hier die Lungentumoren (kleinzelliges Lungenkarzinom vs. nichtkleinzelliges Karzinom) [28] oder die Keimzelltumoren des Hodens (Seminom vs. Nicht-Seminom) aufgeführt. Die Hauptursache für derartige Diskrepanzen liegt darin, dass die beteiligten Pathologen die anzuwendenden Klassifikationsprinzipien entweder nicht kennen oder nicht konsequent anwenden. Wenn die international gültigen Klassifikationsprinzipien von kompetenten Pathologen angewendet werden, ist nach eigenen Erfahrungen bei der überwiegenden Mehrheit der organtypischen Tumoren ein gleiches Klassifikationsergebnis zu erwarten und Diskrepanzen sind selten.
. Tab. 3.2. Beispiele für Diskrepanzen zwischen prä- und postoperativem Typing
Organ
Präoperativer Befund
Postoperativer Befund
Klinische Relevanz
Ösophagus
Undifferenziertes Karzinom
Plattenepithelkarzinom
Nein
Magen
Papilläres Adenokarzinom
Tubuläres Adenokarzinom
Nein
Magen
Karzinom: intestinaler Typ
Karzinom: diffuser Typ
Ja
Kolorektum
Adenokarzinom
Muzinöses Adenokarzinom
Nein
Lunge
Großzelliges Karzinom
Plattenepithelkarzinom
Nein
Knochen
Chondroid differenzierter maligner Tumor
Chondrosarkom oder Osteosarkom
Möglich
3
24 Kapitel 3 · Tumorklassifikationen
3
Es muss besonders darauf hingewiesen werden, dass der Kliniker (Chirurg oder andere), der einen Teil des Tumorgewebes entnimmt, um es für wissenschaftliche Untersuchungen zu verwenden, bei heterogenen Tumoren durchaus mit unterschiedlichen Klassifikationsresultaten rechnen muss. Sollte aus einer diskrepanten oder falschen histologischen Klassifikation eine fehlerhafte Therapie resultieren, trifft den für die Entnahme Verantwortlichen eine Mitschuld. Es besteht die Gefahr, dass durch eine solche Gewebeentnahme zu wissenschaftlich Zwecken, die R-Klassifikation nicht mehr durchgeführt werden kann. Bei der Bedeutung der R-Klassifikation als Basis weitere Therapieentscheidungen können in derartig unvollständig klassifizierten Fällen juristische Konsequenzen drohen. H. Höfler (1995) hat in einer Stellungnahme zur Einrichtung von »Tumor/Gewebebanken« festgestellt: Die Entnahme von Normal- und Tumorgewebe aus frischen Operationspräparaten soll nur durch makroskopisch geschulte Pathologen erfolgen, die auch Erfahrungen mit der Erstellung von pathohistologischen Befunden haben, optimalerweise von dem das Präparat befundenden Pathologen selbst.
3.3
Grading maligner Tumoren
Tumoren eines bestimmten histologischen Typs können sich biologisch unterschiedlich verhalten. Sie können unterschiedlich aggressiv sein, sowohl was das lokale Tumorwachstum als auch die Neigung zur Metastasierung betrifft. Mit der Bestimmung des histologischen Malignitätsgrades (histologisches Grading oder Grading) soll versucht werden, diese Unterschiede morphologisch zu erfassen. Bei erfolgreicher Definition der Grading-Kriterien könnten sich weitere Hinweise auf die durchzuführende Therapie und eventuell auf die Prognose ergeben. Bei einem Adenokarzinom des Rektums mit hohem Malignitätsgrad ist das Risiko bestehender Lymphknotenmetastasen relativ hoch und deswegen eine eingeschränkte Therapie im Sinne einer lokalen Resektion in der Regel nicht gerechtfertigt (zu berücksichtigen sind hierbei natürlich auch das Operationsrisiko etc.). Vielmehr sollte eine klassische chirurgische Radikaloperation vorgenommen werden. Auch bei malignen Weichteiltumoren spielt der Malignitätsgrad für die Therapieentscheidung eine Rolle. Eine Chemotherapie oder kombinierte Radio-Chemotherapie wird in der Regel nur bei G3- oder G4-Sarkomen (High-grade-Sarkomen) Aussicht auf Erfolg haben.
. Tab. 3.3. Differenzierungs- und Malignitätsgrade
Differenzierungsgrad
Malignitätsgrad
G1
Gut differenziert
Low grade
G2
Mäßig differenziert
G3
Schlecht differenziert
G4
Undifferenziert
Niedrig Mittel
High grade
Hoch
nitätsgrade. Traditionell werden vier Grade unterschieden. Zunehmend wird heute eine Unterteilung in nur zwei Grade bevorzugt, da diese besser reproduzierbar ist und für klinische Zwecke durchaus ausreicht (. Tab. 3.3). Ebenso wie die histologischen Klassifikationen unterliegt das Grading organspezifischen Regeln. Bei jedem Tumortyp und bei jedem Organ müssen diese Regeln beachtet werden, um eine möglichst hohe Reproduzierbarkeit zu gewährleisten. Ebenso wie bei den histologischen Klassifikationen, sollen bei den Gradingverfahren der einzelnen Tumoren die Empfehlungen der WHO und auch die der UICC, die sich häufig an ersteren orientieren, beachtet werden. Danach gibt es einige Organtumoren, bei denen laut Regeln der UICC-TNM-Klassifikation überhaupt kein Grading vorgesehen ist, z. B. Mesotheliome der Pleura, maligne Melanome der Haut, Schilddrüsenkarzinome, Keimzelltumoren des Hodens u. a. Für einige andere Tumorentitäten gibt es feste Gradingregeln: 4 Siegelringzellkarzinom: G3 4 Kleinzelliges Karzinom: G4* 4 Großzelliges Karzinom: G4 Anmerkung zum Grading von kleinzelligen Lungenkarzinome. In der WHO-Klassifikation wird hierzu ausgeführt:
»Grading is inappropriate since all small cell carcinomas are high grade«. Das Grading nach G4 würde der Einordnung nach high grade entsprechen. Die Beibehaltung von G4 oder »high grade« ist sinnvoll, um auf die hohe maligne Potenz dieses Tumors hinzuweisen.
3.4
Staging Unter Staging versteht man die Bestimmung der anatomischen Ausbreitung eines malignen Tumors in den Kategorien T (Tumor), N (Nodule) und M (Fernmetastasen).
Prinzipien des Gradings. Das Grading stützt sich auf struktu-
relle histologische Parameter und/oder zytologische Veränderungen. Bei der Bewertung histologischer Kriterien spielt die Ähnlichkeit mit dem Ausgangsgewebe eine Rolle. Bei den zytologischen Veränderungen stehen Kernanaplasie, Kernpolymorphie, Kern-Plasma-Relation und Mitosereichtum im Vordergrund. Bei Sarkomen wird die Ausbildung von Zwischensubstanzen berücksichtigt. Diese zu ermittelnden Parameter bestimmen die Einordnung in Differenzierungs- oder Malig-
Nach internationalen Vereinbarungen erfolgt die Beschreibung der anatomischen Tumorausbreitung heute nach dem TNM-System. Für maligne Lymphome und Leukämien sind dabei spezielle Regeln vorgesehen. Das TNM-System, von Denoix zwischen 1942 und 1952 entwickelt, wurde von der UICC allmählich ausgebaut und ist seit der 4. Auflage (1987) von allen nationalen TNM-Kommitees akzeptiert und weltweit
25 3.4 · Staging
gültig. Die einheitlichen Prinzipien des TNM-Systems (UICC 2002) sind in der 7 Übersicht zusammengestellt. 2009 wird die 7. Auflage der TNM-Klassifikation erscheinen und soll ab dem 01.01.2010 angewendet werden (American Joint Committee on Cancer 2009; UICC 2009).
. Tab. 3.4. Beispiel für die Erfordernisse der pTNM-Klassifikation am Beispiel des kolorektalen Karzinoms pT
Histologische Untersuchung des durch limitierte oder radikale Resektion entfernten Primärtumors ohne makroskopisch erkennbaren Tumor an den zirkumferenziellen (lateralen), oralen und aboralen Resektionsrändern 5 oder histologische Untersuchung des durch endoskopische Polypektomie 5 oder lokale Exzision entfernten Primärtumors mit histologisch tumorfreien Resektionsrändern 5 oder mikroskopische Bestätigung einer Perforation der viszeralen Serosa 5 oder mikroskopische Bestätigung der Infiltration benachbarter Organe oder Strukturen
pN0
Regionäre Lymphadenektomie und histologische Untersuchung üblicherweise von 12 oder mehr Lymphknoten
pN1
Histologische Bestätigung von Metastasen in nicht mehr als 3 regionären Lymphknoten
pN2
Histologische Bestätigung von Metastasen in mehr als 3 regionären Lymphknoten
pM1
Mikroskopischer (histologischer oder zytologischer) Nachweis von Fernmetastasen
Einheitliche Prinzipien des TNM-Systems 4 Die Klassifikation soll nur nach histologischer/zytologischer Sicherung des malignen Tumors vorgenommen werden. 4 Beschreibung der Tumorausbreitung durch 3 Parameter (TNM-Formel): – T: Primärtumor/kontinuierliche Ausbreitung im Entstehungsorgan bzw. Übergreifen auf Umgebung – N: Regionäre Lymphknoten/lymphogene Metastasierung – M: Fernmetastasen 4 Dualsystem: – TNM: Klinische Klassifikation (prätherapeutisch) – pTNM: Pathologische Klassifikation (postoperativhistopathologisch) 4 Befunde können nach Sicherheit beschrieben werden (»Certainty«- oder C-Faktor) – C1: Ergebnisse aufgrund von diagnostischen Standardmethoden, z. B. Inspektion, Palpation und Standard-Röntgenaufnahmen, intraluminale Endoskopie bei bestimmten Organen – C2: Ergebnisse aufgrund spezieller diagnostischer Maßnahmen, z.B. bildgebende Verfahren, Röntgenaufnahmen in speziellen Projektionen, Schichtaufnahmen, Computertomographie, Sonographie, Lymphographie, Angiographie, nuklearmedizinische Untersuchungen, Kernspintomographie (NMR), Endoskopie, Biopsie und Zytologie – C3: Ergebnisse aufgrund chirurgischer Exploration einschließlich Biopsie und zytologischer Untersuchung – C4: Ergebnisse über die Ausdehnung der Erkrankung nach definitiver Chirurgie und pathologischer Untersuchung des Tumorresektates – C5: Ergebnisse aufgrund einer Autopsie – Beispiel: Der C-Faktor wird hinter die Kategorien T, N und M gesetzt. Ein Fall kann z. B. beschrieben werden als T3C2, N2C1, M0C2 4 Die Klassifikation kann erfolgen: – TNM/pTNM bei Erstmanifestation – yTNM/ypTNM bei multimodaler Therapie nach Vorbehandlung – rTNM/rpTNM bei Rezidivtumoren
Von besonderer Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen klinischer und pathologischer Klassifikation (cTNM oder TNM versus pTNM). 4 TNM – Klinische Klassifikation: Sie beruht auf prätherapeutisch erhobenen klinischen Befunden wie allgemeiner
klinischer Untersuchung, bildgebenden Verfahren, Endoskopie, Biopsie und chirurgischer Exploration. 4 pTNM – Pathologische Klassifikation: Sie berücksichtigt zusätzlich Befunde, die beim chirurgischen Eingriff und durch die pathologische Untersuchung des Resektates gewonnen wurden. Alternativ ist eine Biopsie ausreichend, die eine Bestimmung der höchsten pT-Kategorie erlaubt. Bei jedem Patienten mit einem malignem Tumor ist grundsätzlich zunächst die klinische Klassifikation vorzunehmen und zwar auch dann, wenn später eine pathologische Klassifikation möglich ist. Für einige Tumorentitäten sind keine Kriterien der T-Klassifikationen definiert, z. B. für das maligne Melanom der Haut und bei Hodentumoren (ausgenommen Tis und T4). Die Voraussetzungen für die Erstellung der pTNM-Klassifikation sind für jedes Organ im TNM Supplement 2003 UICC 2003) definiert (Beispiel: . Tab. 3.4). Die Durchführung einer klinischen TNM-Klassifikation auch bei chirurgischer Therapie ist aus verschiedenen Gründen notwendig. Nur dadurch ist ein Vergleich zwischen Ergebnissen einer chirurgischen und einer nicht-chirurgischen Therapie möglich. Im Vergleich der klinischen Klassifikation mit der pTNM-Klassifikation kann die Aussagekraft klinischer Methoden zur Bestimmung von TNM beurteilt werden. Beide Möglichkeiten dienen dem Qualitätsmanagement. Die pathologische Klassifikation hat die Aufgabe, die klinische Klassifikation zu bestätigen, zu ergänzen oder ggf. zu ändern.
3
26 Kapitel 3 · Tumorklassifikationen
3
. Abb. 3.2. Fallbeispiel »Pathogramm« eines Patienten mit Rektumkarzinom
Dafür ist allerdings eine Information der durch klinische Untersuchung festgestellten Befunde notwendig. Die pathologische Klassifikation ist verlässlicher als die klinische. Sie liefert die zuverlässigen Daten für die Beurteilung der Prognose und für die Analyse chirurgischer Therapieresultate. Die pTNM-Klassifikation ist auch für die Indikation zur postoperativen Radio- und/oder Chemotherapie maßgebend. Die TNM-Klassifikation kann auch zur Beschreibung des Krankheitsverlaufes mit verwendet werden. Im Rahmen der Nachsorge können die zu erhebenden Befunde immer wieder durch eine TNM-Formel charakterisiert werden. Ein Rezidivtumor wird dabei durch das Präfix »r« gekennzeichnet. Ein Fallbeispiel ist in . Abb. 3.2 gezeigt. Durch die präzise Beschreibung und Dokumentation der anatomischen Tumorausbreitung ergibt sich für die einzelnen Organe eine relativ große Zahl von TNM-Kategorien, beim Magenkarzinom z. B. 32 (4 T-Kategorien, 4 N-Kategorien und 2 M-Kategorien). Wenn keine großen Patientenzahlen vorliegen, ist es für die Analyse des Krankengutes notwendig, diese große Zahl von Kategorien in eine kleinere Zahl von »Stadien« zusammenzufassen (UICC 2002, 2009). Dabei soll gewährleistet sein, dass jedes Stadium in Bezug auf die Prognose mehr oder weniger homogen ist und dass sich die verschiedenen Stadien entsprechend unterscheiden. Da die Begriffe »Kategorie« und »Stadium« häufig verwechselt oder synonym gebraucht werden, sollen sie hier noch einmal erläutert werden. 4 Als Kategorie werden die verschiedenen Möglichkeiten von T, N und M sowie deren Kombination bezeichnet. 4 Dagegen ist Stadium die Bezeichnung für eine Gruppe von Patienten mit möglichst gleicher Prognose, definiert durch Tumoren einer oder (meist) mehrerer TNM-Kategorien.
Im Allgemeinen wird zwischen den Stadien I bis IV unterschieden, fallweise kommen noch Substadien, bezeichnet mit großen Buchstaben (z.B. IIIA oder IIIB), hinzu. Für nichtinvasive Karzinome wird die Bezeichnung Stadium 0 angewandt (Hermanek et al. 1997). Nur bei einigen wenigen Organtumoren werden zur Definition der Stadien zusätzliche Parameter berücksichtigt, z. B. bei Tumoren von Knochen, Weichteilen und Prostata der Differenzierungsgrad, bei Tumoren der Schilddrüse der histologische Typ und das Alter, bei trophoblastären Schwangerschaftstumoren und den Keimzelltumoren des Hodens der Serumspiegel der Tumormarker. Die prognostische Bedeutung regionärer Lymphknotenmetastasen ist je nach Tumorlokalisation und -entität unterschiedlich und zum Teil vom Ausmaß der lymphogenen Metastasierung und/oder von der T-Kategorie abhängig. Patienten mit Metastasen in regionären Lymphknoten werden in der Regel dem Stadium III, bei etlichen Lokalisationen aber auch dem Stadium II, bei Magenkarzinomen sogar dem Stadium IB zugeordnet. Bei einigen Tumoren (z. B. Knochen, Weichteile, Prostata, Nierenbecken, Urether, Harnblase und beim Retinoblastom) werden Patienten mit Lymphknotenmetastasen immer dem Stadium IV zugeordnet. Patienten mit Fernmetastasen werden im Allgemeinen dem Stadium IV zugeordnet. Ausnahmen sind die papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinome bei Patienten unter 45 Jahre, die in das Stadium II eingeordnet werden. Bei Hodentumoren werden Patienten mit Fernmetastasen dem Stadium III zugeordnet, bei Trophoblasttumoren der Schwangerschaft werden Lungenmetastasen dem Stadium III, andere Fernmetastasen dem Stadium IV zugeordnet. Allerdings schließt das Stadium IV in einigen Lokalisationen nicht nur Patienten mit Fernmetastasen ein, sondern auch weit fortgeschrittene Tumoren mit dementsprechend schlechter Prognose (z. B. Kopf-Hals-Tumoren eingeschlossen große Speicheldrüsen und Schilddrüse, Pleuramesotheliom, Penis, Prostata, Niere, Nierenbecken und Harnleiter). Bei einigen Tumoren gibt es in der 2002 erschienenen 6. Auflage der TNM-Klassifikation (UICC 2002) Vorschläge, die M-Kategorie zu unterteilen. Beim kolorektalen Karzinom wird (ab 2010) zwischen Metastasen beschränkt auf ein Organ (Leber, Lunge, Ovar, nicht-regionäre Lymphknoten) (M1a) und Metastasen in mehr als einem Organ oder dem Peritoneum unterschieden (M1b) unterschieden. Bei Tumoren der Knochen wird bei der M1-Kategorie zwischen Metastasen in der Lunge (M1a) und anderen Fernmetastasen (M1b) unterschieden. Beim malignen Melanom der Haut wird bei den M-Kategorien zwischen Metastasen in Haut, Subkutis oder Lymphknoten jenseits der regionären Lymphknoten (M1a), Lungenmetastase(n) (M1b) und Fernmetastasen anderer Lokalisation oder Fernmetastasen jeder Lokalisation mit erhöhten Serumwerten der Laktatdehydrogenase (LDH) (M1c) unterschieden. Ein weiteres Beispiel ist das Prostatakarzinom, bei dem zwischen Fernmetastasen in nichtregionären Lymphknoten (M1a), in Knochen (M1b) und in anderen Lokalisationen (M1c) unterteilt wird.
27 3.6 · Residualtumor(R)-Klassifikation
3.5
Klassifikationen nach vorausgegangener (neoadjuvanter) Therapie
In dieser Situation müssen verschiedene Parameter beachtet werden: Nach einer vorausgegangenen neoadjuvanten Therapie (meistens Radio-Chemo-Therapie) muss zunächst das Ausmaß histologischer Veränderungen des Primärtumors und ggf. von Lymphknotenmetastasen bestimmt werden. Für zahlreiche Organtumoren wird dabei ein Verfahren angewandt, das als Regressionsgrading bezeichnet wird. Das Regressionsgrading beschreibt (z. T. semiquantitativ) das Ausmass der Veränderungen eines Tumors, die auf die stattgehabte neoadjuvante Therapie zurückzuführen sind. Auch in der TNM-Klassifikation wird eine vorausgegangene neoadjuvante Therapie berücksichtigt. Unter bestimmten Voraussetzungen wird das Prefix »y« verwendet. Die Anwendung des y-Symbols ist folgendermaßen definiert: Wenn die Klassifikation während oder nach initialer multimodaler Therapie erfolgt, werden die TNM- oder pTNMKategorien durch das Präfix »y« gekennzeichnet (z. B. yT2N1M0 oder ypT2pN2pM0). Das ycTNM oder ypTNM kennzeichnet die Ausdehnung des Tumors, die tatsächlich während des Zeitpunktes der Untersuchung nachweisbar ist. Die Zusatzbezeichnung »y« soll nicht dazu dienen, die mögliche Ausdehnung eines Tumory vor einer multimodalen Therapie abzuschätzen (UICC 2002). Es sei nochmals ausdrücklich betont, dass dieses Prefix »y« nur nach einer neoadjuvanten (meistens Radiochemotherapie) angewendet werden darf und nicht nach einer adjuvanten oder palliativen Therapie im Verlauf einer Tumorerkrankung. Derartige neoadjuvante Therapieansätze kommen bei folgenden Tumorentitäten zur Anwendung: (z. B. Plattenepithelkarzinome Kopf-Hals-Bereich, Karzinome des Ösophagus: Plattenepithel + Adeno, Karzinome des Magens, kolorektale Karzinome, Analkanalkarzinome (kloakogene Karzinome), Mammakarzinome, Lungenkarzinome, Urothelkarzinome, Keimzelltumoren des Hodens u. a.). Das Prefix »y« wird nicht verwendet bei Resektion von Lebermetastasen kolorektaler Karzinome, bei denen zuvor eine lokale oder systemische Chemotherapie durchgeführt wurde.
3.6
Residualtumor(R)-Klassifikation
Bei der großen Mehrzahl der Patienten mit Tumoren ist eine nennenswerte Chance auf Heilung oder längeres Überleben nur gegeben, wenn nach Abschluss der Behandlung kein Hinweis auf zurückbleibenden Residualtumor besteht (Hermanek u. Wittekind 1994a). Mit der R-Klassifikation soll festgelegt werden, ob und in welchem Ausmaß nach der Therapie Tumorgewebe zurückgeblieben ist. Dabei werden sowohl lokoregionär verbleibende Tumorreste als auch Fernmetastasen erfasst. In der R-Klassifikation werden sowohl klinische Befunde als auch histologische Befunde am Resektionsrand (-fläche) des Resektates berücksichtigt (Hermanek u. Wittekind 1994b). Nach internistischer oder Strahlen-Therapie erfolgt die R-Klassifikation in der Regel durch klinische Un-
. Abb. 3.3. Bestimmung der R-Klassifikation nach chirurgischer Behandlung in Zusammenschau klinischer und pathohistologischer Befunde
tersuchungsmethoden einschließlich Biopsie (cTNM oder TNM). Nach chirurgischer Therapie ist die R-Klassifikation das Ergebnis einer Synthese der klinischen Befunde und der Befunde bei der pathohistologischen Untersuchung des Tumorresektates (. Abb. 3.3). Die R-Klassifikation ist aus historischen Gründen nicht obligater Bestandteil der TNM-Klassifikation. Aufgrund ihrer prognostischen Bedeutung ist sie aber, insbesondere nach chirurgischer Therapie, unerlässlich und daher auch im Dokumentationssystem der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) als essenzieller Bestandteil der Tumorklassifikation neben der Erfassung der TNM-Kategorien zur Beschreibung des Tumorstatus nach Therapie zwingend vorgesehen (Dudeck et al. 1994; Grundmann et al. 1997; Wagner u. Hermanek 1995). Die Kategorien der R-Klassifikation zeigt die folgende Übersicht: 4 RX: Vorhandensein von Residualtumor kann nicht beurteilt werden 4 R0: kein Residualtumor (exakter: Residualtumor nicht feststellbar) 4 R1: mikroskopisch Residualtumor 4 R2: makroskopisch Residualtumor
Ein makroskopischer Residualtumor jeglicher Lokalisation sollte im Allgemeinen (z. B. nicht erforderlich bei Hirnmetastasen oder multiplen Lungenmetastasen) mikroskopisch (zytologisch oder histologisch) gesichert werden!
Bei Tumoren des Gastrointestinaltraktes muss die histologische Untersuchung im Rahmen der R-Klassifikation besonders die zirkumferenziellen Resektionsränder (Synonyme: laterale, radiäre, tiefe Resektionsränder) im Bereich des Halteapparates (Mediastinum, Retroperitoneum, kleines Netz,
3
28 Kapitel 3 · Tumorklassifikationen
. Tab. 3.5. Klassifikation des Nachweises isolierter Tumorzellen in der R-Klassifikation und den N- und M-Kategorien der TNM-Klassifikation
Isolierte Tumorzellen
Positive Befunde
Negative Befunde
Regionäre Lymphknoten
3
Morphologische Untersuchung
N0(i+)
R0(i+)
N0(i–)
R0(i–)
Nichtmorphologische Untersuchung
N0(mol+)
R0(mol+)
N0(mol–)
R0(mol–)
Morphologische Untersuchung
M0(i+)
R0(i+)
M0(i–)
R0(i–)
Nichtmorphologische Untersuchung
M0(mol+)
R0(mol+)
M0(mol–)
R0(mol–)
Knochenmark
Lig. hepatoduodenale, Lig. gastrocolicum, Mesokolon, Mesorektum) berücksichtigen, da Tumorresiduen in erster Linie an diesen Resektionsrändern viel seltener an den oralen oder aboralen nachgewiesen werden (Wittekind 1993, 2007, 2009). In der R-Klassifikation besonders berücksichtigt wird der Nachweis isolierter Tumorzellen (Tabelle 6; UICC 2003).
3.7
Prädiktive Pathologie (»Theranostik«)
Molekularpathologische Verfahren sind im Hinblick auf die Identifikation von therapeutischen Zielmolekülen im Sinne einer prädiktiven Pathologie von zunehmender Bedeutung für die Therapieentscheidungen (Fenoglio-Preisser 1992; Hofstädter 2006). Es handelt sich um Parameter, die für die Behandlung von Patientinnen mit Mammakarzinomen eine Rolle spielen, speziell die Hormonrezeptoren (Östrogen, Progesteron) und den »human epidermal growth factor receptor« (Her2neu). Sie sind integraler Bestandteil der Anforderung an die Zertifizierung von Brustzentren [www.senologie.org (2006) Brustzentren – Zertifizierungsrichtlinien – Download Erhebungsbogen. Stand 31.08.2006]. Die molekulare Tumortherapie stellt einen der wesentlichen Fortschritte in der Behandlung maligner Erkrankungen dar. Der Einsatz von Antikörpern gegen spezifische Zielstrukturen soll unter anderem die Prognose von Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen verbessern. Das progressionsfreie Überleben von solchen Patienten konnte mit dem Antikörper Panitumumab signifikant verlängert werden (Cutsem et al. 2007). In einer begleitenden Biomarkerstudie wurde das Onkogen Kirsten-ras (KRAS) als möglicher prädiktiver Marker für ein Ansprechen auf Panitumumab identifiziert (Amado et al. 2007). Durch eine Mutation im Kodon 12 und 13 des KRAS-Onkogens kann es zur Daueraktivierung des sich normalerweise selbst inaktivierenden Ras-Proteins kommen. Diese Mutation kommt bei etwa 40% der kolorektalen Karzinome vor. Es gibt Hinweise, dass bei einer solchen Daueraktivierung des Ras-Proteins der antiproliferative Effekt der Anti-EGFR-Antikörpertherapie verloren gehen kann.
In einem ersten von München aus koordinierten Ringversuch zeigte dieser eine sehr gute Sensitivität und Spezifität. Die beiden angewandten Methoden (Sequenzierung und PCR-Kit) müssen kontinuierlich in Ringversuchen kontrolliert werden, da molekularpathologische Untersuchungen weitaus komplexer sind als die Immunhistochemie oder die In-situ-Hybridisierung. Deswegen wird gefordert, dass Institutionen, die diese Untersuchung auf KRAS-Mutationen anbieten, kontinuierlich an Ringversuchen teilnehmen, um extern die Qualität zu sichern. Man geht davon aus, dass ähnliche Analysen zur Entwicklung von »maßgeschneiderten« Therapieformen in Zukunft mehr und mehr die internistische und gastroenterologische Onkologie mitbestimmen und beeinflussen werden.
3.8
Zusammenfassung
In den letzten Jahren wurden durch immunhistochemische und vor allem molekularbiologische Methoden erhebliche
. Tab. 3.6. Zusammenfassende Tumorklassifikationen in Ergänzung des Pathologiebefundes (eventuell unter Berücksichtigung von Vorbefunden) Tumorlokalisation
C
ICD-O-3
Tumorhistologie (Tumortyping)
M
ICD-O-M
Tumorgrading
G
WHO, UICC 2002
TNM-Klassifikation (2002)
pTNM
UICC 2002 (ab 2010 UICC 2009)
R-Klassifikation
R
UICC 2002 (ab 2010 UICC 2009
Andere Klassifikationen
z. B. Mercury-Klassifikation beim Rektumkarzinom
Ggf. Regressionsgrading
29 3.8 · Zusammenfassung
Fortschritte in der Charakterisierung von Tumoren erzielt. Diese Erfolge haben vereinzelt dazu verführt, die etablierten und ebenfalls in ständiger Weiterentwicklung befindlichen Klassifikationen zu vernachlässigen oder ihre genaue Erstellung für unwichtig zu halten. Vielfache Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass diese Nachlässigkeiten für die Fortschritte der Molekularpathologie gefährlich sein können, da die Bezugsgrößen an denen sich molekularpathologische Erkenntnisse messen müssen wegfallen. Solange noch keine absolut zuverlässige diagnostische und prädiktive Methode in der Beschäftigung mit den Krebserkrankunken zu erkennen ist, wird die sorgfältige Anwendung der etablierten Tumorklassifikationen Standard einer soliden Tumordiagnostik bleiben. Hilfreich ist dabei die Zusammenfassung aller durchgeführten Klassifikationen in Ergänzung zum pathohistologischen Befund . Tab. 3.6).
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3
30 Kapitel 3 · Tumorklassifikationen
3
World Health Organization (WHO) Classification of Tumours (2004) Pathology and Genetics of Tumours of the Urinary System and Male Genital Organs. Eble JN, Sauter G, Epstein JI, Sesterhenn IA (eds) IARCPress, Lyon World Health Organization (WHO) Classification of Tumours (2004) Pathology and Genetics of Tumours of the Endocrine Organs. DeLellis RA, Lloyd RV, Heitz PU, Eng C (eds) IARCPress, Lyon World Health Organization (WHO) Classification of Tumours (2005) Pathology and Genetics of Head and Neck Tumours. Barnes L, Eveson JW, Reichart P, Sidransky D (eds) IARCPress, Lyon World Health Organization (WHO) Classification of Tumours (2006) Pathology and Genetics of Skin Tumours. Leboit PE, Burg G, Weedon D, Sarasin A (eds) IARCPress, Lyon World Health Organization (WHO) Classification of Tumours of the Central Nervous System (2007) Louis DN, Ohgaki H, Wiestler OD, Cavenee WK (eds) IARCPress, Lyon World Health Organization (WHO) Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues (2008) Swerdlow SH, Campo E, Harris NL, Jaffe ES, Pileri SA, Stein H, Thiele J, Vardiman JW, eds., IARCPress, Lyon
4 4 Epidemiologie bösartiger Neubildungen N. Becker
4.1
Einführung
– 32
4.2
Datenquellen und Methoden
– 32
4.2.1 Datenquellen – 32 4.2.2 Methoden – 33
4.3
Ergebnisse der Krebsepidemiologie
4.3.1 Mortalität und Inzidenz in Deutschland 4.3.2 Ursachen der Krebskrankheiten – 39
4.4
Krebsprävention
– 44
4.4.1 Primäre Prävention – 44 4.4.2 Sekundäre Prävention – 44 Literatur
– 46
– 35 – 35
32 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
4
> Im ersten Teil des Beitrages werden Datenquellen (Todesursachenstatistik, Krebsregister), grundlegende Maßgrößen (Inzidenz- und Mortalitätsrate, relatives und attributables Risiko) und Studientypen (Follow-up-Studie, Fall-Kontrollstudie, Interventionsstudie) eingeführt. Im zweiten Teil wird ein Überblick über Ergebnisse der Krebsepidemiologie gegeben: die Entwicklung der Krebssterblichkeit sowie – soweit verfügbar – Zahlen zur Krebsinzidenz in Deutschland; die maßgeblichen Ursachen der Krebskrankheiten; Möglichkeiten zur primären und sekundären Prävention von Krebs.
4.1
Einführung
Lange Latenzzeiten, eine multifaktorielle Verursachung und eine bei den meisten Agenzien vergleichsweise geringe Risikoerhöhung machen es bis auf wenige Ausnahmen unmöglich, auf individueller Ebene die Ursachen von Krebserkrankungen zu identifizieren. Aus diesem Grund ist man darauf angewiesen, gruppentypische Unterschiede in gegenüber bestimmten Agenzien verschieden stark exponierten Bevölkerungsgruppen aufzuspüren und zu quantifizieren. Dies ist die Aufgabe der Epidemiologie, die definiert werden kann als die Wissenschaft vom Auftreten von Krankheiten in menschlichen Bevölkerungen bzw. Bevölkerungsgruppen und seinen Ursachen. Aufgrund der bevölkerungsbezogenen Betrachtungsweise wird also der Blick gewissermaßen aus der Vogelperspektive auf das Krankheitsgeschehen geworfen. Man erhält damit kaum Einblick in die biologischen Abläufe der Karzinogenese. Das Ziel der Epidemiologie ist dementsprechend auch weniger, zu dem mechanistischen Verständnis der Krebsentstehung beizutragen, als vielmehr die Wissensgrundlagen dafür zu schaffen, Prävention zu betreiben und Strategien hierfür zu entwickeln. Die Erfahrung lehrt, dass eine wirksame Prävention häufig bereits eingeleitet werden kann, bevor die Entstehungsmechanismen einer Krankheit biologisch genau verstanden sind. Beispiele hierfür sind bereits aus der Epidemiologie der Infektionskrankheiten bekannt, bei denen es vielfach genügte, die Ausbreitungswege zu erkennen und zu unterbrechen, z. T. lange bevor die bakteriellen oder viralen Erreger identifiziert und bekämpft werden konnten. Beispiele aus der Krebsforschung sind der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs oder beruflichen Expositionen und verschiedenen Krebsarten, bei denen nach Entdeckung jeweils unmittelbar Präventionsmaßnahmen angegeben bzw. durchgeführt werden konnten, ohne zuvor die Pathogenese im einzelnen aufgeklärt zu haben. Die wesentlichen Ziele der Krebsepidemiologie lassen sich somit folgendermaßen zusammenfassen: 4 Quantifizierung von Inzidenz und Sterblichkeit an den verschiedenen Krebskrankheiten sowie Beobachtung regionaler Unterschiede und zeitlicher Veränderungen in Inzidenz und Mortalität 4 Erforschung der Ätiologie der Krebskrankheiten: Identifizierung krebserregender Agenzien und Quantifizierung des Erkrankungsrisikos bei Exposition gegenüber diesen Agenzien
4 Entwicklung von Strategien zur primären Prävention bösartiger Neubildungen sowie zur Früherkennung und Frühbehandlung bereits erkrankter Personen (sekundäre Prävention) und Prüfung deren Wirksamkeit 4 Nachverfolgung des Verlaufsschicksals an Krebs erkrankter Personen bzw. von unter einem erhöhten Krebsrisiko stehenden Personen
4.2
Datenquellen und Methoden
Die Berichterstattung über die Häufigkeit von Krankheiten in menschlichen Bevölkerungen wird als deskriptive Epidemiologie bezeichnet. Sie gibt Auskunft über das Krankheitsgeschehen in verschiedenen Ländern bzw. in verschiedenen Regionen eines Landes hinsichtlich des säkularen zeitlichen Verlaufes sowie in Abhängigkeit vom Lebensalter. Krebsatlanten sind typische Beispiele für Veröffentlichungen aus diesem Bereich (s. unten). Die ätiologische Epidemiologie hat demgegenüber die Erforschung der Ursachen der Krankheiten zum Ziel. Sie bedient sich gänzlich anderer Methoden und unterscheidet sich insbesondere auch darin, welche Daten sie verwendet: ein wesentlicher Unterschied zwischen deskriptiver und ätiologischer Epidemiologie besteht nämlich darin, dass erstere sich zumeist auf aggregierte Daten routinemäßig erhobener Sammelstatistiken (amtliche Todesursachenstatistik, Daten von Krebsregistern) mit wenig bzw. keinen Angaben zu individuellen Merkmalen stützt. Die ätiologische Epidemiologie erhebt demgegenüber ihre Daten stets gezielt fragestellungsbezogen auf individueller Ebene.
4.2.1 Datenquellen
Amtliche Todesursachenstatistik Für die Beantwortung der Frage, wie häufig bestimmte Krankheiten in einem Land zur Todesursache werden, bzw. an welchen Todesursachen die Menschen in einem Land versterben, ist die amtliche Todesursachenstatistik die grundlegende Datenquelle. Da es ohne besonderes Zutun keinerlei Instanz gibt, die einen Überblick darüber gewinnen könnte, wieviele Menschen in einem Land an bestimmten Krankheiten jeweils neu erkranken, ist die Todesursachenstatistik darüber hinaus häufig auch der einzige Anhaltspunkt, um wenigstens bei den Krankheiten mit hoher Letalität einen Ausgangspunkt für Schätzungen auch hinsichtlich der Erkrankungshäufigkeit zu gewinnen. Die amtliche Todesursachenstatistik ist damit historisch gesehen und bis zum heutigen Tag die bedeutendste Datenquelle der Epidemiologie. Diese Schlüsselrolle ist ein Grund dafür, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit große Anstrengungen unternimmt, die Registrierung der Todesfälle nach einheitlichen und vergleichbaren Grundsätzen herbeizuführen bzw. sicherzustellen. Immer wieder wird die Qualität der diagnostischen Angaben auf Totenscheinen in Zweifel gezogen. Hierbei muss man jedoch zwischen den verschiedenen Todesursachen unter-
33 4.2 · Datenquellen und Methoden
scheiden. So verstirbt man an Krebskrankheiten nicht plötzlich. Dem Tod gehen sorgfältige Diagnostik und häufig jahrelange Therapie unter Einbindung etlicher Krankenhäuser und Ärzte einschließlich des Hausarztes voraus, die dadurch über die Art der Krankheit genau Bescheid wissen. Selbst die Angehörigen sind in aller Regel noch recht genau informiert. Wie durch vielfältige Untersuchungen bestätigt, gehören Krebskrankheiten als Todesursachen daher zu den genaueren Angaben auf Totenscheinen (z. B. Müller u. Bocter 1990; Riboli u. Delendi 1991).
Krebsregistrierung in Deutschland Es ist nicht möglich, aus den routinemäßig anfallenden Daten irgendeiner im Gesundheitssystem tätigen Einrichtung (z. B. Krankenhäuser oder Krankenkassen) zuverlässig die Krebsneuerkrankungszahlen, d. h. die Krebsinzidenz, zu ermitteln. Will man sich trotzdem einen regelmäßigen Überblick über das Neuerkrankungsgeschehen bei einer Krankheit verschaffen, muss ein spezielles Krankheitenregister eingerichtet werden. In Westdeutschland existierten zunächst lediglich in Hamburg und im Saarland regionale Register. Die ehemalige DDR führte ebenfalls seit 1961 ein flächendeckendes Register, das sogar weltweit dasjenige mit der größten zugrunde liegenden Population darstellte und die Erstellung eines Krebsatlas auf Inzidenzbasis erlaubte (Möhner et al. 1994). Aufgrund eines Anfang 1995 verabschiedeten Bundeskrebsregistergesetzes wurden mittlerweile in allen Bundesländern Krebsregister eingerichtet, die inzwischen auch in allen Ländern flächendeckend konzipiert sind. Eine Vollzähligkeit der Registrierung (>90% der Neuerkrankungsfälle werden gemeldet) wurde über das Register des Saarlandes hinaus, das schon seit den 1970er-Jahren arbeitet und vollzählig ist, bereits von einigen weiteren Registern erreicht (Katalinic 2004). Ein epidemiologisches Krebsregister hat im Wesentlichen folgende Aufgaben: 4 Es beschreibt durch alljährliche Berichtserstattung 5 die Häufigkeit der verschiedenen Krebskrankheiten, 5 die säkulare Entwicklung, 5 die altersabhängige Verteilung der Inzidenz und 5 eventuell die regionalen Unterschiede innerhalb seines Einzugsbereiches. 4 Es dient als grundlegende Datenquelle für ätiologische epidemiologische Studien mit Krankheitsendpunkt »Erkrankung an einer Krebskrankheit«. Für die Nutzung der deutschen Krebsregister für die Krebsursachenforschung gibt es mittlerweile bereits etliche interessante Beispiele. 4 Als neue Aufgabe hinzugekommen ist außerdem die Unterstützung der Qualitätssicherung bei Screeningprogrammen (Becker 2004). Die Qualität der Registerdaten ist insofern höher als diejenige der Todesursachenstatistik, als für die registrierten Krebsfälle stets angestrebt wird, die genaue histologische Diagnose zu erhalten. Man sollte sich indessen vor dem falschen Eindruck hüten, Krebsregisterdaten seien grundsätzlich »harte« und Daten der Todesursachenstatistik »weiche« Daten. Die Neuerkrankungsdaten der Krebsregister können dann noch viel
»weicher« sein als Daten über den Tod an einer Krebskrankheit, wenn man keine Kriterien zur eindeutigen Beurteilung der Malignität einer Neubildung hat. Mithilfe des Biomarkers PSA (»prostataspezifisches Antigen«) gefundene Prostatakrebsfälle sind ein Beispiel dafür, dass ein Krebs zwar diagnostiziert und an das Register gemeldet werden kann, man aber heute noch keine Möglichkeit hat zu beurteilen, ob der Tumor ohne diese gezielte Suche jemals klinisch manifest, d. h. »inzident« geworden wäre. Der Tod an einer Krebserkrankung ist demgegenüber ein »hartes« Faktum. Ferner sind die Daten der Krebsregister nicht »automatisch« vollzählig. Häufig müssen die Register um die Vollzähligkeit ihrer Datensammlung erst einen manchmal mühseligen Kampf führen. Vollzähligkeit ist aber oberstes Gebot, um die an Register gestellten Erwartungen auch wirklich erfüllen zu können.
4.2.2 Methoden
Deskriptive Epidemiologie Die deskriptive Epidemiologie beschreibt Krankheitshäufigkeiten in der menschlichen Bevölkerung, ihren zeitlichen Verlauf, regionale Unterschiede sowie Unterschiede zwischen durch Alter, Geschlecht, Beruf usw. definierten Bevölkerungsgruppen. Die wesentlichen Größen zu deren Beschreibung sind Inzidenz, Prävalenz und Mortalität. Die Inzidenz ist definiert als die Anzahl der Neuerkrankungsfälle, die in einer bestimmten Population während eines festgelegten Zeitraumes auftreten. Formal identisch ist auch die Mortalität definiert als die Anzahl der Sterbefälle, die in einer bestimmten Bevölkerung während eines festgelegten Zeitraumes auftreten. Üblicherweise wird bei nicht-infektiösen Krankheiten als Beobachtungszeitraum ein Jahr gewählt. Beispiele für derartige Mortalitätsdaten sind . Abb. 4.1 und . Abb. 4.2 sowie für Inzidenzdaten . Tab. 4.1. Im Unterschied zu Inzidenz und Mortalität ist die Prävalenz definiert als die Anzahl der in einer bestimmten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt an der betreffenden Krankheit erkrankten Personen. Zu beachten ist, dass diese drei Begriffe mitunter jeweils synonym gebraucht werden mit den Größen Inzidenzrate, Mortalitätsrate und Prävalenzrate. Als Inzidenzrate bezeichnet man die Anzahl der neu aufgetretenen Erkrankungsfälle dividiert durch das Produkt aus Beobachtungszeit und Größe der Population, aus der die Erkrankungsfälle stammen. Entsprechend ist die Mortalitätsrate definiert als der Quotient aus der Anzahl der Todesfälle und dem Produkt aus Beobachtungszeit und Größe der zugrunde liegenden Bevölkerung. Um allzu kleine Zahlen zu vermeiden, werden Inzidenz- und Mortalitätsraten häufig je 100.000 Einwohner angegeben. (Für die genauen Berechnungsverfahren für diese und die folgenden Größen s. z. B. Becker 1999 oder Breslow u. Day 1987.) Inzidenz- bzw. Mortalitätsraten, die die Gesamtzahl von Erkrankungs- bzw. Sterbefällen auf die gesamte zugrunde liegende Population beziehen, werden häufig als rohe Inzidenzbzw. Mortalitätsraten bezeichnet. Wegen der starken Abhängigkeit vom Altersaufbau der zugrunde liegenden Bevölke-
4
34 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
4
rung wird diese Größe allerdings selten verwendet. Gebräuchlicher sind Inzidenz- und Mortalitätsraten, die entweder alterspezifisch definiert oder »altersstandardisiert« sind. Für die Berechnung altersspezifischer Inzidenz- bzw. Mortalitätsraten wird der Altersbereich in kleine Intervalle aufgeteilt, zumeist 5-Jahres-Altersgruppen 0–4, 5–9,……, 80–84 und 85+. Die während des jeweiligen Kalenderjahres beobachteten inzidenten bzw. verstorbenen Fälle werden der dem Alter bei Diagnose bzw. bei Tod entsprechenden Altersgruppe zugeordnet und auf die Größe der in dieser Altersgruppe zur Jahresmitte des betreffenden Kalenderjahres lebenden Wohnbevölkerung bezogen. Für Vergleiche zwischen verschiedenen Kalenderjahren oder Regionen bzw. Ländern sind eine Vielzahl altersspezifischer Raten zu unhandlich. Hierfür bevorzugt man summarische Größen, die jedoch auf eine Weise konstruiert sein müssen, dass die starke Altersabhängigkeit der Krebsinzidenz bzw. -Sterblichkeit eliminiert ist. Die am häufigsten verwendete Größe ist die altersstandardisierte Inzidenz- bzw. Mortalitätsrate (ASI bzw. ASM), die aus den altersspezifischen Raten dadurch hervorgeht, dass ein gewichteter Mittelwert gebildet wird. Wird für die verschiedenen Zeiträume oder Regionen, für die solche altersbereinigten Raten berechnet werden, stets derselbe Satz von Gewichten verwendet, sind diese gewichteten Mittelwerte direkt miteinander vergleichbar. Auch die ASM werden im Allgemeinen bezogen auf eine zugrunde liegende Bevölkerung von 100.000 Personen und haben die folgende Interpretation: die altersstandardisierte Inzidenz- bzw. Mortalitätsrate gibt diejenige Anzahl von Neuerkrankungs- bzw. Todesfällen an, die in dem betreffenden Zeitraum bzw. in der betreffenden Region auftreten würde, wenn die dort jeweils lebende Bevölkerung den Altersaufbau der gewählten Standardbevölkerung hätte. Beispiele für auf diese Weise bearbeitete Mortalitätsdaten sind . Abb. 4.3 bis . Abb. 4.4b. Häufig möchte man die Mortalität in einer Region gezielt unter dem Gesichtspunkt betrachten, ob diese von »normalen« Werten abweicht. Hierfür wird im allgemeinen das sog. standardisierte Mortalitätsverhältnis (SMR) verwendet. Dabei wird berechnet, wie viele Todesfälle an einer Todesursache oder Todesursachengruppe aufgrund der Größe und der Altersstruktur der Bevölkerung der betrachteten Region unter »normalen« Bedingungen zu erwarten wären. Das SMR setzt dann die beobachtete Zahl der an der Zielkrankheit erkrankten bzw. verstorbenen Personen in Beziehung zu dieser Zahl von Fällen, die in der betreffenden Population zu erwarten wäre, wenn dort die Inzidenz bzw. Mortalität der Referenzpopulation herrschen würde. Stimmt die Sterblichkeit in der jeweils betrachteten Bevölkerungsgruppe mit derjenigen in der Referenzpopulation überein, liegt das SMR bei 100, ist sie höher, liegt das SMR über 100 und umgekehrt. Zur statistischen Beurteilung werden für das SMR häufig Konfidenzintervalle angegeben. Statistisch gesichert ist eine Abweichung eines SMR von dem Wert 100 dann, wenn das gesamte Konfidenzintervall oberhalb oder unterhalb von 100 liegt, d. h. den Wert 100 nicht einschließt.
Ätiologische Epidemiologie Das wissenschaftliche Ziel ätiologischer Studien ist die Identifizierung und Quantifizierung von Risikofaktoren für die jeweils untersuchten Krankheiten. Das letztendliche präventivmedizinische Ziel ist darüber hinaus die Eliminierung dieser Faktoren, soweit dies möglich ist, und damit die Verminderung der Krankheitshäufigkeiten. Das Paradigma für den hierfür erforderlichen Kausalnachweis ist eigentlich das Experiment. Das Charakteristische z. B. eines Tierexperimentes besteht darin, dass dem Tier unter kontrollierten Laborbedingungen eine genau definierte Dosis eines Karzinogens verabreicht, der Verlauf vollständig überwacht, die Langzeitwirkung beobachtet und mit dem entsprechenden Ablauf in einer gegenüber dem Karzinogen nicht exponierten Kontrollgruppe verglichen wird. Die Epidemiologie, die am Menschen natürlich keine Experimente vornehmen kann, hat Beobachtungsverfahren entwickelt, die man als Simulation einer experimentellen Situation auffassen kann. Aus der Vielzahl von Expositionen gegenüber Schadstoffen, denen der Mensch im täglichen Leben ausgesetzt ist, und über deren mögliche Schädlichkeit zum Zeitpunkt der Exposition oft keine hinreichende Kenntnisse vorliegen, werden durch eine geeignete Definition der Studienteilnehmer diejenigen Beobachtungssituationen herauspräpariert, die formal gesehen der kontrollierten Applikation eines möglichen Karzinogens und der Langzeitbeobachtung der eventuell daraus entstehenden Folgewirkungen entsprechen. Diesen Studientyp nennt man Follow-up-Studie. Wenn auch unmittelbar nicht so einsichtig, kann man dennoch mathematisch nachweisen, dass bei Einhaltung bestimmter Regeln auch die umgekehrte Blickrichtung ähnlich strenge Kriterien erfüllt: ausgehend von bereits eingetretenen Krebsfällen und geeignet ausgewählten Kontrollpersonen wird retrospektiv die Expositionsvorgeschichte erhoben und hinsichtlich der zu untersuchenden Risikofaktoren ausgewertet. Dieser Studientyp heißt Fall-Kontrollstudie. In beiden Fällen geht es darum, die mit einer Exposition gegenüber einem bestimmten Agens verbundene Risikoerhöhung relativ zu einem stets vorhandenen »Hintergrundrisiko« zu identifizieren und zu quantifizieren. Der Begriff relatives Risiko nimmt daher einen zentralen Platz in der Epidemiologie ein. Weil in Beobachtungsstudien eine experimentelle Situation eben doch nicht in so idealer Weise nachgebildet werden kann, wie das wünschenswert wäre, muss man in der Praxis Kofaktoren berücksichtigen, die die zu betrachtenden Zusammenhänge verzerren (»Bias«) oder als Störfaktoren (»Confounder«) wirken können. Ihre adäquate Kontrolle im Studiendesign und/oder bei der statistischen Auswertung hat daher in der Epidemiologie einen zentralen Stellenwert. Follow-up-Studien. Als Follow-up-Studie bezeichnet man
eine epidemiologische Studie, in der eine Gruppe von Personen bzw. eine Bevölkerungsgruppe, die über eine Exposition gegenüber einem Risikofaktor oder eine Interventionsmaßnahme (Prävention, Früherkennung, Therapie) definiert sind, langzeit-beobachtet werden, um das Spektrum der auftretenden Krankheiten oder Todesursachen zu ermit-
35 4.3 · Ergebnisse der Krebsepidemiologie
teln. Als Synonym wird der Begriff der Kohortenstudie verwendet. Gelingt es, im Nachhinein die Exposition ausreichend gut zu charakterisieren, kann man eine Follow-up-Studie mit zurückverlegtem Anfangspunkt (Synonym: historische Followup-Studie) durchführen und muss dann nicht Jahre oder Jahrzehnte auf ein Ergebnis warten. Mögliche Risikofaktoren, die erst neu in unsere Umwelt gelangt sind, können allerdings nicht auf diese Weise untersucht werden. Hier muss die Follow-up-Studie zwangläufig prospektiv sein mit Expositionsbeschreibung heute und Beobachtung aufgetretener Krankheits- bzw. Todesfälle in der Zukunft (Beispiele: Mobiltelefone oder neu entwickelte Chemikalien). Die während der Beobachtungszeit der Studiengruppe sowie der Kontrollgruppe identifizierten Krebsfälle bzw. Todesfälle können auf die Anzahl der Studienteilnehmer und die Beobachtungszeit bezogen und damit direkt Inzidenz- bzw. Mortalitätsraten berechnet werden. Aus ihnen lässt sich die oben erwähnte Größe, das relative Risiko bzw. die »Rate Ratio« berechnen. Ein prominentes Beispiel dieser Art ist die derzeit weltweit größte epidemiologische Studie zur Ernährungs- bzw. Lebensstilfaktoren und Krebs European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC) mit über 500.000 Studienteilnehmern und zwei Standorten mit jeweils etwa 25.000 Teilnehmern in Deutschland (Heidelberg und Potsdam; Boeing et al. 1999), aus der mittlerweile eine große Zahl vielbeachteter Resultate hervorgegangen ist (Bingham und Riboli 2004). Fall-Kontroll-Studien. Als Fall-Kontroll-Studie bezeichnet
man eine epidemiologische Studie, deren Ausgangspunkt Erkrankungsfälle an der zu untersuchenden Krankheit sowie geeignet auszuwählende, nicht an dieser Krankheit erkrankte Vergleichspersonen (»Kontrollen«) sind. Ziel ist die Identifizierung von Expositionen in deren Vorgeschichte, die möglicherweise mit dem Erkrankungsrisiko für die betreffende Krankheit assoziiert sind. Eine solche Studie erlaubt dementsprechend lediglich die Schätzung von Unterschieden in den Expositionswahrscheinlichkeiten zwischen Fällen und Vergleichspersonen. Das daraus berechenbare, in Anlehnung an den englischen Begriff »odds ratio« (OR) mit Quotenverhältnis bezeichnete Quotient liefert einen approximativen Schätzer des relativen Risikos, wenn bestimmte Bedingungen an die Studienanlage eingehalten und die Erkrankungswahrscheinlichkeit an der untersuchten Krankheit niedrig ist. Aus der Kontrollgruppe einer Fall-Kontroll-Studie erhält man einen Schätzwert über die Prävalenz der betreffenden Exposition in der Allgemeinbevölkerung. Zusammen mit dem für die betreffende Exposition errechneten relativen Risiko kann das sog. populationsbezogene attributable Risiko bestimmt werden, das den Anteil der an der betreffenden Krebskrankheit erkrankten Personen beschreibt, der der betreffenden Exposition zuzuschreiben ist. Beispiel für diese Größen sind die in . Tab. 4.2 wiedergegebenen anteiligen Zuordnungen der Krebstodesfälle zu bestimmten Risikofaktoren bzw. Risikofaktorgruppen. Diese Größe ist von hoher präventivmedizinischer Bedeutung, weil sie gestattet, prozentual oder in absoluten Zahlen
anzugeben, wie viele Todesfälle pro Jahr durch eine bestimmte Präventionsmaßnahme vermeidbar wären. Eine spezielle Form von Follow-up-Studien sind die sog. »Interventionsstudien«. Sie werden beispielsweise durchgeführt, wenn man sich aufgrund ätiologischer Studien weitgehend sicher ist, dass ein Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber einem Agens und einem nachfolgend auftretenden erhöhten Krebsrisiko kausaler Natur ist, und man den präventiven Effekt einer Unterbindung der Exposition empirisch nachprüfen möchte. Weitere wichtige Beispiele sind randomisierte klinisch-epidemiologische Studien zur Effektivität von Screeningmaßnahmen (s. unten).
4.3
Ergebnisse der Krebsepidemiologie
4.3.1 Mortalität und Inzidenz in Deutschland
Mortalität Säkulare Entwicklung. Von den im Jahr 2007 in Deutschland
verstorbenen 385.940 Männern und 435.687 Frauen starben 113.405 Männer und 98.360 Frauen an Krebs. Hierzulande ist also ungefähr jeder vierte Sterbefall ein Krebstodesfall. Damit sind bösartige Neubildungen nach den Herz-Kreislaufkrankheiten die zweithäufigste Todesursachengruppe (. Abb. 4.1). Während aufgrund einer Zunahme der Bevölkerung, einer steigenden Lebenserwartung und z. T. zunehmender Erkrankungsrisiken die Anzahl der Krebstodesfälle über Jahrzehnte bei beiden Geschlechtern gleichermaßen zunahm, ist in den letzten Jahren eine Auseinanderentwicklung zu beobachten: für Männer steigen die Todesfallzahlen weiter an, für Frauen gehen sie dagegen deutlich zurück (. Abb. 4.2). Betrachtet man dagegen altersstandardisierte Mortalitätsraten, bei denen Veränderungen in der Bevölkerungszahl durch die Ratenbildung und steigende Lebenserwartung durch die Altersstandardisierung herausgerechnet sind, erkennt man nach einem anfänglichen Anstieg bis etwa 1970 und einer stagnierenden Entwicklung der Krebssterblichkeit unter Männern in den 1970er- und 1980er-Jahren seit etwa 1990 einen deutlichen Rückgang. Bei Frauen ist dagegen ein stetiger Rückgang über den gesamten beobachteten Zeitraum zu beobachten (. Abb. 4.3). . Abb. 4.4 zeigt, dass die bei weitem häufigste Krebstodesursache der Lungenkrebs bei Männern ist, gefolgt von Brustkrebs bei Frauen. Während die Lungenkrebsmortalität unter Männern seit den 1990er-Jahren einen deutlichen Rückgang erkennen lässt (nicht bei Frauen), stagniert die Brustkrebssterblichkeit unter Frauen nach einem langjährigen Anstieg, oder lässt sogar einen einsetzenden Rückgang erkennen. Die Magenkrebssterblichkeit zeigt für beide Geschlechter einen deutlichen Rückgang, der weltweit zu beobachten ist und nicht medizinisch herbeigeführt ist. Bei den anderen Krebsarten trat in den letzten Jahren eine Stabilisierung auf hohem Niveau ein, oder es deutet sich ebenfalls ein Rückgang an (z. B. Prostatakrebs). Einen Überblick über die Rangordnung der 20 häufigsten Krebslokalisationen in Deutschland im Jahr 2000 gibt . Abb. 4.5.
4
36 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
4
. Abb. 4.1. Die häufigsten Todesursachengruppen in Deutschland im Jahr 2007 (altersstandardisierte Mortalitätsraten pro 100.000, absolute Fallzahlen und prozentualer Anteil an allen Todesfällen)
. Abb. 4.2. Säkulare Entwicklung der Anzahl der Krebstodesfälle in West- und Ostdeutschland von 1952 bzw. 1968–1990 (untere Kurven: Ostdeutschland) sowie seit 1991 in Deutschland insgesamt
. Abb. 4.3. Säkulare Entwicklung der altersstandardisierten Mortalitätsraten (pro 100 000; Standard Weltbevölkerung) für Krebs Deutschland (1952–1990 nur Westdeutschland)
37 4.3 · Ergebnisse der Krebsepidemiologie
. Abb. 4.4a,b. Säkulare Entwicklung der altersstandardisierten Mortalitätsraten (pro 100.000; Standard Weltbevölkerung) für die
fünf bzw. sechs häufigsten Krebsarten bei Männern (a) und Frauen (b) in Deutschland (1952–1990 nur Westdeutschland)
Der nun bei beiden Geschlechtern zu beobachtende Rückgang der Krebssterblichkeit gibt nicht Anlass dazu, gewissermaßen »Entwarnung« zu geben. Ein Vergleich der Entwicklung bei den beiden häufigsten Todesursachengruppen in Deutschland, Krankheiten des Kreislaufsystems und bösartige Neubildungen, offenbart, dass die Sterblichkeit an der häufigsten Todesursachengruppe, den Krankheiten des Kreislaufsystems, stark, die Sterblichkeit an der zweithäufigsten Todesursachengruppe, den bösartigen Neubildungen, dagegen weniger stark zurückgeht (. Abb. 4.6). Allerdings ist selbst bei einer Fortdauer dieser Trends über die nächsten Jahre nicht damit zu rechnen, dass Krebs innerhalb der nächsten 10–15 Jahren die häufigste Todesursache in Deutschland sein wird (Becker et al. 2007). Eine detaillierte Wiedergabe der Sterblichkeit an den häufigeren Krebsarten hinsichtlich ihres zeitlichen Verlaufes, der Altersabhängigkeit, der regionalen Verteilung sowie der Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland finden sich im Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland (Becker u. Wahrendorf 1997) und dessen Fortschreibung im Internet (www. dkfz.de, »Krebsatlas«).
Inzidenz Die einzige valide Datenquelle für Neuerkrankungszahlen sind epidemiologische Krebsregister. Auf diesem Gebiet hat sich hierzulande in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Mittlerweile haben alle Bundesländer epidemiologische Krebsregister, die nach gesetzlichen Neuregelungen in Baden-Württemberg im Jahr 2006 und Hessen im Jahr 2007 nun auch alle flächendeckend konzipiert sind. Auf dieser Grundlage ist es im Prinzip möglich, künftig ein zuverlässiges Bild der Krebslandschaft in Deutschland zu erhalten. Gegenwärtig haben allerdings noch nicht alle Krebsregister einen vollzähligen Erfassungsgrad, oder der Erfassungsgrad ist nur für ausgewählte Krebsarten hoch. Insbesondere Länder wie z. B. Baden-Württemberg, die ihr Register gerade erst neu aufbauen, werden einen hohen Erfassungsgrad erst in den Jahren 2010–2011 erreichen. Auch stehen dann noch lange nicht vieljährige Zeitreihen zur Verfügung, anhand derer verlässliche Trendaussagen getroffen werden könnten. Die bei weitem längste Zeitreihe kann das Krebsregister Saarland bieten, das auf 40 Jahre vollzählige Erfassung zurückblicken kann und die Daten auch im Internet zur Verfügung stellt (www. krebsregister.saarland.de) sowie z. T. auch das Krebsregister der ehemaligen DDR (Registrierung seit 1961) mit seiner
4
38 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
4
. Abb. 4.5. Die 20 häufigsten Krebsarten bei Männern (a) und Frauen (b) in Deutschland im Jahr 2007 (altersstandardisierte Mortalitätsraten pro 100.000 und prozentualer Anteil an allen Krebstodesfällen)
Fortführung als gemeinsames Krebsregister der fünf neuen Bundesländer mit einem Erfassungsdefizit in den Jahren nach der Wiedervereinigung. Epidemiologische Krebsregister erfassen Neuerkrankungsdaten wohnortbezogen, d. h. für die in dem betreffenden Bundesland wohnhafte Bevölkerung, unabhängig davon, wo die Diagnose gestellt wurde. Das bedeutet, dass trotz des föderalen Aufbaus der Krebsregistrierung in Deutschland hinreichend viel Abstimmung zwischen den Registern bestehen muss, dass eine in Bayern dokumentierte Krebsdiagnose einer Person mit erstem Wohnsitz in Hamburg vom epidemiologischen Krebsregister Bayern an das epidemiologische Krebsregister in Hamburg weitergereicht und bei späterer Behandlung in Hamburg konsistent mit den dort direkt einlaufenden Behandlungsdaten zusammengeführt werden kann. Die Herausforderung an derartige Zusammenführungen ist, dass die Daten zu Neuerkrankungsfällen zwar grundsätzlich immer personenbezogen gemeldet, an der Eingangspforte des Registers (häufig als »Vertrauensstelle« bezeichnet und organisatorisch von der die medizinischen Daten haltenden »Registerstelle« getrennt) aber sofort verschlüsselt und nur mit den aus Namen und anderen personentypischen Informationen gebildeten »Kontrollnummern« an die Register-
stelle weitergeleitet werden. Zusammenführungen von Informationsbruchstücken über die Diagnose von dem einen Melder, Behandlung von einem zweiten Melder – evtl. aus einem anderen Bundesland – und Verlauf von einem dritten setzt also eine konsistente Bildung der Kontrollnummern voraus, die die einzige Möglichkeit einer Verknüpfung der Datenfragmente darstellen. In der Praxis geschieht dies inzwischen mit hoher Zuverlässigkeit und einer sehr geringen Fehlerquote. Für die Bundesstatistik werden die Daten regelmäßig an die »Dachdokumentation Krebs« im Robert-Koch-Institut weitergeleitet, das zusammen mit der »Gesellschaft der Epidemiologischen Krebsregister in Deutschland« (GEKID) den Bericht »Krebs in Deutschland« herausgibt (neueste Auflage: GEKID 2008, s. auch www.rki.de). . Tab. 4.1 gibt die Schätzung der Neuerkrankungszahlen für das Jahr 2004 wieder. Eine Schätzung bzw. Hochrechnung ist erforderlich, weil, wie oben ausgeführt, noch nicht alle Krebsregister vollzählig sind. Demnach stehen den ungefähr 210.000 Todesfällen etwa 436.000 Neuerkrankungsfälle pro Jahr gegenüber. Man muss davon ausgehen, dass ungefähr jeder dritte Deutsche im Laufe seines Lebens an einer Krebskrankheit erkrankt.
39 4.3 · Ergebnisse der Krebsepidemiologie
. Abb. 4.6a,b. Säkulare Entwicklung der altersstandardisierten Mortalitätsraten (pro 100.000; Standard Weltbevölkerung) für die
fünf häufigsten Todesursachengruppen bei Männern (a) und Frauen (b) in Deutschland (1952–1990 nur Westdeutschland)
Bezüglich der Entwicklung der Neuerkrankungsraten wurde kürzlich insofern ein neuer Weg beschritten, als zur Bewertung der Trends statistische Verfahren mit Signifikanztests eingesetzt wurden, was angesichts der Unsicherheit aufgrund der noch begrenzten Datenbasis dringend erforderlich erschien. Demnach steigen auch die Inzidenzraten für Krebs insgesamt nicht weiter an, wobei bei einigen Krebsarten durchaus noch Anstiege zu beobachten sind (z. B. kolorektale Tumoren, Lungenkrebs bei Frauen, Prostatakrebs oder Lymphome), bei anderen dagegen rückläufigen Raten (z. B. bösartige Neubildungen des Magens, der Gallenblase bei Frauen, des Kehlkopfes und der Lunge bei Männern, Becker et al. 2007, 2008) auftreten.
dabei entstehenden Prozentangaben entsprechen den oben eingeführten »populationsbezogenen attributablen Risiken« und sind jeweils so zu verstehen, dass diese Anteile an Krebstodesfällen jeweils durch Eliminierung bzw. Modifikation der betreffenden Faktoren vermieden bzw. verringert werden könnten. Da zumeist Ursachenketten – und nicht Einzelfaktoren – für das Auftreten einer Krebskrankheit verantwortlich sind, kann die Prävention häufig auf verschiedenen Wegen erfolgen. Das bedeutet, dass in derartigen Schätzungen die Summe der vermeidbaren Anteile nicht 100% betragen muss. Den jeweiligen Werten auch der im Jahr 1996 erschienenen Arbeit sind durchaus noch beträchtliche Unsicherheitsbereiche zuzuordnen, und die Prozentangaben sind nicht auf den Punkt genau auf andere Länder übertragbar. Doch kann man sich aufgrund des heute vorliegenden Wissensstandes weitgehend sicher sein, dass die angegebenen Größenordnungen ein zutreffendes Bild des Anteiles der jeweiligen Risikofaktoren am gesamten Krebsgeschehen liefern.
4.3.2 Ursachen der Krebskrankheiten Bereits Ende der 1970er-Jahre wurden die ersten Versuche unternommen, eine summarische Beurteilung der für die Krebssterblichkeit insgesamt maßgeblichen Risikofaktoren vorzunehmen (Wynder u. Gori 1977). Diesen schlossen sich weitere Abschätzungen an (. Tab. 4.2). Die neueste Arbeit dieser Art wurde im Jahr 1996 veröffentlicht (Harvard Report on Cancer Prevention 1996). Die
Rauchen Wie man in . Tab. 4.2 erkennen kann, arbeiteten bereits die ersten Berechnungen klar heraus, dass Rauchen den bei wei-
4
40 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
. Tab. 4.1. Geschätzte Zahl der Krebserkrankungen und Zahl der Todesfälle in Deutschland im Jahr 2004
Lokalisation
4
ICD-10
Männer
Frauen
Inzidenz
Mortalität
Inzidenz
Mortalität
Mundhöhle und Rachen
C00–C14
7620
3.50
2780
994
Speiseröhre
C15
3880
3476
1050
1071
Magen
C16
11.000
6276
7780
5197
Darm
C18–C21
37.250
13.748
36.000
14.034
Bauchspeicheldrüse
C25
6320
6412
6620
6596
Kehlkopf
C32
2990
1327
390
169
Lunge
C33, C34
32.850
28.820
13.190
11.026
Malignes Melanom der Haut
C43
6520
1256
8380
1037
Brustdrüse
C50
–
–
57.230
17592
Gebärmutterhals
C53
–
–
6190
1660
Gebärmutterkörper
C54, C55
–
–
11.700
2553
Eierstöcke
C56
–
–
9660
5479
Prostata
C61
58.570
11.135
–
–
Hoden
C62
4750
190
–
–
Niere
C64–C66, C68
10.750
4140
6500
1987
Harnblase
C67, D09.0, D41.4
21.410
3565
7340
2629
Nervensystem
191-192
3186
2705
3075
2516
Schilddrüse
C73
1520
231
3540
445
Hodgkin-Lymphome
C81
1040
201
940
158
Non-Hodgkin-Lymphome
C82–C85
6780
2658
6070
2697
Leukämien
C91–C95
4810
3738
4300
3327
Bösartige Neubildungen insgesamt ohne nicht-melanotischen Hautkrebs
C00–C97 ohne C44
230.500
110.745
206.000
98.079
tem bedeutendsten Einzelrisikofaktor darstellt. Der Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebskrankheiten vielfältiger Lokalisationen ist durch eine über Jahrzehnte hinweg angesammelte Fülle epidemiologischen Studienmaterials fest etabliert und als kausal nachgewiesen (IARC 1986). Erwiesenermaßen betroffene Krebslokalisationen sind Mundhöhle und Rachen (ungefähr 65% sind rauchbedingt), Speiseröhre (30–50%), Bauchspeicheldrüse (30–50% bei Männern, 15– 20% bei Frauen), Kehlkopf (80%), Lunge (75–90% bei Männern, 30–60% bei Frauen), Harnblase (50% bei Männern, 25% bei Frauen) und Nierenbecken (30%). In einer neuerlichen Sichtung des Datenmaterials fügte das IARC im Jahr 2004 noch hinzu: Nase und Nasennebenhöhlen, Magen, Leber, Niere (Nierenzellkarzinome), Gebärmutterhals und myeloische Leukämien (IARC 2004).
Für Lungenkrebs wies bereits im Jahr 1939 der deutsche Arzt Müller auf eine mögliche Verursachung durch Zigarettenrauchen hin (Müller 1939). Nach dem zweiten Weltkrieg belegten Wynder u. Graham (1950) in den USA und Doll u. Hill (1950) in Großbritannien diesen Zusammenhang durch epidemiologische Untersuchungen. 1951 wurde als erste einer Reihe groß angelegter epidemiologischer Studien die mittlerweile zum Klassiker epidemiologischer Forschung gewordene Langzeitbeobachtungsstudie unter britischen Ärzten begonnen, die auch heute noch fortgeführt wird (Doll et al. 2004). Die in den 1990er-Jahren veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass das Ausmaß der Schädigung der Bevölkerung durch das Rauchen in den vorangegangenen Auswertungen noch unterschätzt wurde (Doll et al. 1994). Die Daten deuten darauf
41 4.3 · Ergebnisse der Krebsepidemiologie
. Tab. 4.2. Geschätzte anteilige Zuordnung der Krebstodesfälle zu den verschiedenen Risikofaktoren bzw. Risikofaktorbereichen in Prozent
Risikofaktor
Wynder u. Gori 1977
Higginson u. Muir 1979
Doll u. Peto 1981*
Harvard Report 1996
Rauchen
20
19
30 (25–40)
30
Ernährung/Übergewicht
50
46**
35 (10–70)
30
Sitzender Lebensstil Berufliche Faktoren
5 3–4
Familiäre Vorgeschichte
4
4 (2–8)
2
5 5
Viren und andere biologische Agenzien
5
Perinatale Faktoren
5
Reproduktionsvorgeschichte Alkohol
3
4
7 (1–13)
3
3 (2–4)
3
Sozioökonomischer Status
3
Schadstoffbelastung der Umwelt Ionisierende/ultraviolette Strahlung
2 (1–5) 9
Medikamente/medizinische Behandlung
11 1
Salz/Nahrungsmittelzusatzstoffe/-verunreinigungen
2 2
1 (2–4) 1 (–5–2)
1
* in Klammern: von den Autoren angenommener Unsicherheitsbereich der Schätzung ** definiert als »Lebensstil«
hin, dass wahrscheinlich jeder zweite Raucher an den Folgen seines Zigarettenkonsums vorzeitig stirbt (an Krebs und anderen Krankheiten). Weltweit sterben jährlich drei Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens mit steigender Tendenz. Neuere Arbeiten liefern schließlich eine Bestätigung für die schon seit langem bestehende Vermutung, dass auch die Exposition von Nichtrauchern gegenüber Tabakrauch (»Passivrauchen«) mit einer Risikoerhöhung verbunden ist. Die Daten belegen ein auf das 1,2- bis 1,4-fache erhöhtes Risiko für Lungenkrebs (Jöckel 2000; IARC 2004).
Die logische Konsequenz aus der wissenschaftlichen Beweislage über den Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Krebs ist das Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Tabak bzw. Tabakprodukten. Weniger weit reichende Forderungen können nur als Kompromisse aufgrund sozialpsychologischer Überlegungen oder Aspekten der Verbrechensbekämpfung (Zigarettenschmuggel, organisierte Kriminalität) verstanden werden.
Die in den Ländern mit den damals höchsten Lungenkrebsraten bzw. Raucheranteilen in der Bevölkerung (Finnland, Großbritannien) bereits in den 1960er- bzw. frühen 1970erJahren begonnenen Kampagnen haben dazu geführt, dass der Pro-Kopf-Verbrauch an Zigaretten mittlerweile unter bzw. auf das deutsche Niveau gefallen ist und auch die Lungenkrebssterblichkeit bereits niedriger liegt als in Deutschland (Finnland) bzw. vergleichbar ist (Großbritannien). Diese Entwicklung beweist, dass wirksame Maßnahmen gegen das Rauchen durchgeführt werden können, und dass solche Länder, die in diesem Sinne tätig wurden, eine Senkung der rauchbedingten Krebssterblichkeit erreichen konnten. Demgegenüber nimmt hierzulande aufgrund einer zögerlichen Gesundheitspolitik die Zahl der rauchbedingten Krebstodesfälle auch heute noch Jahr für Jahr zu (Heuer u. Becker 1999, Deutsches Krebsforschungszentrum 2002).
Ernährung Es wird heute davon ausgegangen, dass Ernährungsfaktoren einen ähnlich hohen Anteil an der Krebssterblichkeit haben wie der Zigarettenkonsum. Allerdings bestehen beträchtliche Unsicherheiten über die Rolle und den quantitativen Anteil
4
42 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
4
bestimmter Einzelfaktoren bzw. Nahrungsinhaltsstoffe. Als wesentliche Risikofaktoren gelten ein hoher Fett- bzw. Fleischkonsum und als protektiver Faktor ein hoher Konsum von Obst und Gemüse. Allerdings erwiesen sich die einschlägigen Ergebnisse der Forschung der letzten Jahre als eher ernüchternd. Während man in den 1990er-Jahren und Anfang dieses Jahrzehnts noch von einer nachgewiesen protektiven Rolle eines reichlichen Obst- und Gemüseverzehrs für viele Krebsarten ausging und dies aufgrund des Vorliegens zahlreicher epidemiologischer Studien als gesichert ansah (z. B. Tomatis 1990; WCRF 1997; IARC 2002), ist nach einigen großen Studien mit einem Nullergebnis die Interpretation vorsichtiger. Die neue Bilanz des WCRF aus dem Jahr 2007 stuft Zusammenhänge zwischen einem reichlichen Obst- und Gemüsekonsum und zahlreichen Krebsarten als »wahrscheinlich« gegeben ein. Genannt werden Mundhöhle und Rachen, Speiseröhre, Magen, Darm, Pankreas, Kehlkopf, Lunge und Prostata, z. T. mit Assoziationen mit nur bestimmten Untergruppen dieser Nahrungsmittel (WCRF 2007). Die in den USA im Jahr 1992 und in anderen Ländern – darunter auch in Deutschland – in den Folgejahren begonnenen »Five-a-day-Programme« (»5-am-Tag« in Deutschland) empfahlen mindestens 5 über den Tag verteilte Portionen bzw. einen täglichen Verzehr von 400–800 g Obst und Gemüse. Sofern sie noch weitergeführt werden, werden sie mit einer starken Betonung des Nutzens auch hinsichtlich anderer Krankheiten versehen. Ungeklärt ist außerdem weiterhin die Rolle einzelner Nahrungsinhaltsstoffe. Einzelne Vitamine, Mineralstoffe oder Spurenelemente wurden bei den verschiedenen Krebsarten in unterschiedlicher Stärke als protektiv gefunden (z. B. Vitamin C bei Magenkrebs, β-Karotin bei Lungenkrebs). Der Versuch, sie und andere Stoffe gezielt zu supplementieren im Hinblick auf eine Verstärkung des protektiven Effektes der entsprechenden Nahrungsmittel wurde wichtiger Teil eines eigenständigen Forschungsgebietes »Chemoprävention« (Zänker 1999). Erste Interventionsstudien, die untersuchen, ob bzw. in welchem Umfang sich damit tatsächlich die Krebsinzidenz senken lässt, wurden bereits durchgeführt bzw. laufen derzeit. Nur in einer Studie zu Magenkrebs in einer Region Chinas mit hoher Speiseröhren- und Magenkrebsinzidenz sowie einer Unterversorgung der Bevölkerung mit Vitaminen und Spurenelementen wurde eine leichte Senkung des Magenkrebsrisikos beobachtet. In den anderen Studien trat entweder kein Effekt oder sogar eine Risikoerhöhung auf (Einzelheiten s. World Cancer Research Fund 1997 und 2007). Cave Es ist im Augenblick auf jeden Fall davon abzuraten, die Wirkung eines regelmäßigen Obst- und Gemüseverzehrs z. B. durch Vitamin- oder Mineralstoffsupplementierung ersetzen zu wollen.
Dagegen gilt ein Zusammenhang zwischen einem hohen Konsum an »rotem« Fleisch (Rind, Schwein, Lamm) sowie »pro-
zessiertem« Fleischprodukten (geräuchert, gesalzen, gepökelt) und kolorekatalen Tumoren inzwischen als gesichert (WCRF 2007). Einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung dieses Befundes hat übrigens die europäische Kohortenstudie EPIC geliefert (Bingham et al. 2006). Eine selbstständige Rolle eines hohen Fettkonsums als Risikofaktor für verschiedenen Krebsarten (Kolon, Rektum, Brust, Prostata) erscheint weiterhin eher fraglich. Faserreiche Kost scheint (»wahrscheinlich«) das Risiko für kolorektale Tumoren zu senken (WCRF 2007; Bingham et al. 2003).
Alkohol Für Deutschland angestellte Rechnungen für den Anteil der dem Alkoholkonsum zuzuschreibenden Krebstodesfälle ergeben mit etwa 3% einen mit den amerikanischen Zahlen vergleichbaren Wert. Betroffene Organe sind Mundhöhle und Rachen (ungefähr 50% der Tumorfälle sind bei Männern und 40% bei Frauen alkoholbedingt), Speiseröhre (etwa 75%), Kehlkopf (50% bei Männern, 40% bei Frauen) und Leber (30%). Dass übermäßiger Alkoholgenuss zu einem erhöhten Krebsrisiko führt, ist in der deutschen Bevölkerung bisher nicht hinreichend bekannt. Insofern wird dieser Bereich zumindest in der Praxis auch heute noch unterschätzt. Untersuchungen aus der Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Krankheiten haben zu dem vielfach zitierten Ergebnis geführt, dass die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie, damit verbunden, die Gesamtsterblichkeit durch einen mäßigen Alkoholkonsum verringert werden kann. Ein solcher Zusammenhang trifft für Krebskrankheiten eindeutig nicht zu. Das auch bei mäßigem Alkoholkonsum zweifelsfrei erhöhte Krebsrisiko wird lediglich wettgemacht durch ein im Vergleich hierzu stärker erniedrigtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken, so dass die Bilanz insgesamt günstig erscheint. Personen, die auf jeden Fall nicht an Krebs erkranken oder sterben wollen, haben davon jedoch nichts.
Die derzeitigen Präventionsempfehlungen besagen, dass Männer täglich nicht mehr als zwei alkoholische Getränke (Gläser Bier oder Wein) und Frauen höchstens ein alkoholisches Getränk zu sich nehmen sollten.
Übergewicht, körperliche Aktivität Die Bedeutung dieser beiden Faktoren wurde möglicherweise in der Vergangenheit erheblich unterschätzt. Hinsichtlich des Risikofaktors Übergewicht ergab eine jüngst für Europa durchgeführte Abschätzung ein Präventionspotenzial von ungefähr 5% (Bergström et al. 2001). Krebsarten, bei denen Übergewicht nachgewiesenermaßen zu einer Risikoerhöhung führt, sind (IARC 2002): Kolon, Brust (postmenopausal), Endometrium, Niere (Nierenzellkarzinome) und Speiseröhre. Bei anderen Krebsarten wird die Evidenz derzeit als nicht schlüssig angesehen. Empfohlen wird die Bewahrung eines Körpergewichtes mit einem Body-Mass-Index (BMI = Gewicht in kg/[Körpergröße in m]2) von 18,5–25 kg/m2. Bei dem Faktor »körperliche Bewegung« geht man derzeit von einem nachgewiesenen protektiven Effekt aus für bösar-
43 4.3 · Ergebnisse der Krebsepidemiologie
tige Tumoren des Kolon und der Brust. Bei Krebs der Prostata und des Endometriums besteht möglicherweise ein protektiver Zusammenhang (IARC 2002). Empfohlen wird mindestens eine Stunde körperliche Bewegung möglichst täglich. Unter körperliche Bewegung ist z. B. Spazierengehen oder Fahrrad fahren oder vergleichbare körperliche Aktivitäten des täglichen Lebens zu verstehen. Natürlich schließt dies auch sportliche Betätigung mit ein, doch ist wichtig festzuhalten, dass Prävention durch Bewegung auch dann möglich ist, wenn man keinen Sport treiben kann oder will. Infektiöse Agenzien
Die Rolle infektiöser Erreger bei der Krebsentstehung wurde in der Vergangenheit ebenfalls unterschätzt. Heute geht man in den Ländern Westeuropas und Nordamerikas von einem Anteil von etwa 5% aus, doch wird weltweit vermutet, dass in der Größenordnung von 15% aller Krebskrankheiten durch infektiöse Agenzien (Bakterien, Viren sowie Parasiten in den Tropen) hervorgerufen und durch Prävention möglicherweise vermeidbar sind. Mit deutschen Daten durchgeführte Berechnungen ergeben einen Wert ähnlicher Größenordnung wie in den USA oder etwas darüber (6–8%; Becker 2001). Erwiesenermaßen betroffene Krebsarten sind Magen (Helicobacter pylori: 35–55%), Leber (HBV, HCV: 50–80%), Gebärmutterhals (HPV: 90–100%), Lymphome (EBV: 15%) und anogenitale Tumoren (HPV: 90%). Neue Arbeiten zeigen auch einen Zusammenhang zwischen Lymphomen und HCV (Nieters et al. 2006) und möglicherweise auch HBV (Becker et al. 2009). Gegen einige der identifizierten Viren wurden bereits Impfstoffe entwickelt und eingesetzt (HBV und HPV). Die seit 1986 von der WHO in verschiedenen Ländern (z. B. Gambia und Taiwan) laufenden Impfprogramme unter Neugeborenen gegen Infektionen mit Hepatitis-B-Viren zeigen mittlerweile erste Erfolge, wie die aus diesen Ländern berichteten Zahlen über eine verminderte Leberkrebsinzidenz belegen.
Genetische Faktoren Auch den Anteil genetischer (erblicher) Faktoren hatte man in der Vergangenheit unterschätzt. Er wird heute mit etwa 5% angegeben (. Tab. 4.2) und könnte eher noch höher liegen. Eine Beteiligung erblicher Faktoren fand man bisher zweifelsfrei bei bösartigen Neubildungen des Darms (FAP, HNPCC), der Brust und der Eierstöcke sowie der Haut (malignes Melanom) und wird vermutet bei Tumoren der Bauchspeicheldrüse, Prostata, des Hodens und der Schilddrüse. Bei FAP und HNPCC ist es durch »chirurgische Prävention« möglich, im Sinne einer rechtzeitigen Entfernung der mit den präneoplastischen Polypen befallenen Darmsegmente, die Inzidenz der zu befürchtenden Darmkrebserkrankung zu senken.
Berufliche Faktoren Der auf berufliche Expositionen gegenüber krebserregenden Stoffen zurückzuführende und durch entsprechende Schutzmaßnahmen vermeidbare Anteil der Gesamtkrebssterblichkeit wurde in der Vergangenheit auf etwa 4–5% geschätzt. Zielorgan ist in erster Linie die Lunge, doch können stoffspe-
zifisch auch eine ganze Reihe anderer Organe, wie z. B. Mundhöhle und Rachen, Kehlkopf, Magen, Darm, Pankreas, Leber, Haut, Prostata, Niere, Blase, Gehirn und das hämatopoetische System betroffen sein. Unter den Lungentumoren wurde der beruflich verursachte Anteil auf 4–8% geschätzt. Eine für Deutschland durchgeführte Schätzung ergab einen Anteil von 7–12% aller Lungenkrebserkrankungen. Zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den genannten Werten um landesweite Durchschnitte handelt. In stark industrialisierten Gebieten mit einem hohen Bevölkerungsanteil der an industriellen Arbeitsplätzen Beschäftigten kann der beruflich bedingte Anteil der Krebserkrankungen durchaus höher liegen. Außerdem ist die berufsbedingte individuelle Risikoerhöhung stark exponierter Personen mitunter beträchtlich. Für die epidemiologische Gesamtbeurteilung muss allerdings beachtet werden, dass die heute ermittelten Risikoerhöhungen aufgrund der langen Latenzzeiten bei den Krebskrankheiten Ergebnis von Expositionen sind, die z. T. mehrere Jahrzehnte zurückliegen. Da bereits in den 1960er-, vor allem aber in den 1970er- und 1980er-Jahren im industriellen Bereich viele Maßnahmen zum Arbeitsschutz ergriffen wurden, sollte sich bereits ein Rückgang der beruflich bedingten Krebserkrankungen eingestellt haben. Für einzelne Expositionen bzw. dadurch verursachte Risikoerhöhungen lassen sich tatsächlich derartige rückläufige Tendenzen erkennen.
Schadstoffbelastung der Umwelt Trotz der Tatsache, dass sich bei einer toxikologischen Analyse der Schadstofffracht der Außenluft Dutzende (bis zu 100) anthropogener Stoffe finden, die als erwiesenermaßen oder wahrscheinlich karzinogen bekannt sind, wird der Anteil der umweltbelastungsbedingten Krebssterblichkeit auf kaum höher als etwa 2% geschätzt. Entscheidend für die Relevanz von in der Umwelt nachgewiesenen Karzinogenen ist nämlich deren Quantität: zwar können mit hochentwickelten Nachweisverfahren eine Vielzahl krebserregender Stoffe in der Umwelt gefunden werden, doch verbleiben sie in der Regel bei Konzentrationen, die (auch in ihrer Summe) nicht zu einem nachweisbar erhöhten Krebsrisiko führen. Die einzige Lokalisation, bei der Zusammenhänge mit der Schadstoffbelastung der Außenluft zweifelsfrei gezeigt und quantifiziert werden konnten, ist der Lungenkrebs. Beispielsweise ergab eine in Krakau durchgeführte Untersuchung nach rechnerischer Eliminierung der Effekte von Rauchen und beruflichen Expositionen eine Risikoerhöhung durch Luftschadstoffbelastung auf das 1,5-fache bei Männern und auf das 1,2-fache bei Frauen. Die Größenordnung einer 50%-igen Risikoerhöhung durch Luftschadstoffbelastung in hochbelasteten Gebieten ergibt sich auch aus ähnlichen anderen Untersuchungen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das Risiko insbesondere Raucher betrifft: bei der Kombination von Schadstoffbelastung der Außenluft und Tabakkonsum ist von einer multiplikativen Wirkung auszugehen. Für erhöhte Krebsrisiken durch elektromagnetische Wellen (elektrische Haushaltsgeräte oder Mobiltelefone) gibt es auch weiterhin keine epidemiologischen Belege. Lediglich eine Studie zu kindlichen Leukämien konnte für eine hohe
4
44 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
4
Belastung, wie sie bei nur einigen wenigen Prozent der Kinder aufgetreten war, einen Effekt erkennen. Der anteilige Wert an der gesamten Krebssterblichkeit von 2% für die Schadstoffbelastung der Umwelt mag geringfügig erscheinen. Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass dies bei jährlich etwa 210.000 Krebstodesfällen in Deutschland mehrere Tausend Todesfälle im Jahr sind, die durch geeignete Präventionsmaßnahmen vermieden werden könnten. Dieser Anteil besagt allerdings auch, dass selbst mit größten Anstrengungen im Umweltbereich eben »nur« einige Tausend Krebstodesfälle vermieden werden können und damit keine substanzielle Verringerung der Gesamtzahl von 210.000 Todesfällen erreicht werden kann.
UV-Strahlung Exzessives Sonnenbaden ist zusammen mit konstitutionellen Faktoren ein Hauptrisikofaktor für Hautkrebs sowie das bösartige Melanom der Haut. Sonnenbrände und wiederholt auftretende starke Rötungen der Haut im frühen kindlichen Alter erhöhen das Risiko erheblich. Ihre Vermeidung durch Kleidung oder Sonnenschutz ist eine wirksame Prävention, die bereits im Kindesalter einzusetzen hat. Besonders prädisponiert sind Personen, die eine hellhäutige Konstitution haben. Die Nutzung von Sonnenbänken bzw. Solarien führt zu den entsprechenden Expositionen und damit verbundenen Krebsrisiken (Einzelheiten s. IARC 2001). Allerdings zeigen neueste Studien konsistent für verschiedene Länder, dass Sonnenexposition protektiv bezüglich des Risikos für eine Lymphomerkrankung wirkt (Kricker et al. 2008). Mögliche biologische Mechanismen werden derzeit im Rahmen großer internationaler Konsortien untersucht. Diese Ergebnisse haben in Australien bereits zu moderateren Empfehlungen hinsichtlich der Vermeidung von Sonnenexposition geführt (Armstrong, persönliche Mitteilung).
4.4
Krebsprävention
Im Allgemeinen versteht man unter »Prävention« die Vorbeugung von Krankheiten, d. h. Maßnahmen, die das Auftreten der betreffenden Krankheiten a priori verhindern. Die Krebsentstehung und -entwicklung muss jedoch als progredienter Prozess mit dem Tod als möglichem Endpunkt aufgefasst werden. Unter dieser Sichtweise ergeben sich drei Ebenen, auf denen Prävention ansetzen kann. Sie können folgendermaßen definiert werden: 4 Primäre Prävention verfolgt das Ziel, das Auftreten der betreffenden Krankheit zu vermeiden, d.h. die Inzidenz zu senken. 4 Sekundäre Prävention hat zum Ziel, die betreffende Krankheit in einer Vorstufe oder einem frühen Stadium zu erkennen und zu behandeln, um die Mortalität (bei der Detektion und Elimination von Vorstufen auch die Inzidenz) zu verringern. 4 Tertiäre Prävention verfolgt das Ziel, bei bereits aufgetretener und therapierter Krankheit deren Wiederkehr oder das Auftreten von Zweittumoren und den dadurch bedingten Tod zu vermeiden.
4.4.1 Primäre Prävention Die in . Tab. 4.2 und im Text zu einzelnen Krebsarten z. T. wiedergegebenen Schätzungen können als die im Prinzip durch entsprechende primäre Präventionsmaßnahmen vermeidbaren Krebstodesfälle (in Prozent) interpretiert werden. Diese theoretisch errechenbaren Werte dürften jedoch wohl kaum auch praktisch realisierbar sein. Der Tabakkonsum wird nicht vollständig vermeidbar sein, und das Ernährungsverhalten der gesamten Bevölkerung wird sich nicht auf den in Studien beobachtbaren günstigsten Wert einstellen lassen. Moderate Annahmen über das praktisch realisierbare Potenzial hinsichtlich der Vermeidung von Risikofaktoren oder -Verhaltensweisen ergeben aber für einen mittelfristigen Zeitraum (10–25 Jahren) immerhin ein Präventionspotenzial von 18– 31% (Becker 2001). Diese Größenordnung stimmt mit den Ergebnissen vergleichbarer Untersuchungen z. B. in den USA überein (z. B. Willett et al. 1996). Dies sind bei hierzulande etwa 210.000 Krebstodesfällen jährlich etwa 38.000–65.000 Krebstote, die allein durch nicht allzu aufwändige Präventionsmaßnahmen vermeidbar sind.
4.4.2 Sekundäre Prävention Früherkennung, die zur sekundären Prävention gerechnet wird, gilt als »zweite Auffanglinie«, wenn Ansatzpunkte für primäre Prävention nicht zur Verfügung stehen oder nicht erfolgreich waren. Definition von Früherkennung. Das Ziel von Früherkennung
ist es, Krankheit in einem frühen, noch vorklinischen Stadium zu erfassen, um sie besser behandeln und dadurch die krankheitsbedingte Mortalität senken zu können (z. B. Morrison 1992). Es geht bei Screening, das das systematische Verfahren ist, um noch unentdeckte Krankheit in einer asymptomatischen Bevölkerung zu detektieren, also um längeres Überleben bei bereits eingetretener Krankheit. Dass aufgrund einer Vorverlagerung des Diagnosezeitpunktes erfolgreicher behandelt und dadurch der Tod durch die Krankheit hinausgezögert oder vermieden werden kann, muss nachgewiesen werden. Früheres Erkennen von Krankheit kann sich auch als immer noch nicht früh genug zur Erreichung des genannten Zieles erweisen (z. B. »Früherkennung« von Brustkrebs durch die Tastuntersuchung). Aus der Definition ergibt sich, dass die Adressaten des Screening nicht Kranke beim ersten Auftreten von Beschwerden sind, sondern beschwerdefreie Personen, von denen die meisten nicht an der betreffenden Krankheit erkrankt sind und darüber hinaus auch nie erkranken werden. Das impliziert, dass, in Screening-Runden gedacht, der Anteil der in einer Runde nicht an der betreffenden Krankheit erkrankten, selbst bei einer so vergleichsweise häufigen Krankheit wie Brustkrebs, bei etwa 99% liegt, und mehr als 90% aller Frauen niemals an der betreffenden Krankheit erkranken.
45 4.4 · Krebsprävention
Spezifität des Screeningverfahrens und falsch-positive Befunde Der screenende Arzt tritt damit aus dem Bereich der Krankenversorgung heraus und hat bei der Anwendung eines diagnostischen Tests auf ein mehrheitlich gesundes Klientel mit qualitativ anderen Problemen zu tun als in der Krankenbehandlung. So spielt im Interesse der überwältigenden Mehrheit der Nicht-Erkrankten die Spezifität des Tests, also die Wahrscheinlichkeit, dass Nicht-Erkrankte zuverlässig als solche identifiziert werden, eine herausragende Rolle. Hierbei auftretende Testfehler bezeichnet man als »falsch-positive« Befunde, die die Betroffenen in unnötige Ängste versetzen und Folgeuntersuchungen nach sich ziehen. Falsch-positive Befunde gehören daher zu den nachteiligen Effekten von Screening. Sie sind aber, da Screeningtests nie perfekt sind, unvermeidbar und können allenfalls, z. B. durch eine hohe Qualität des Programms, quantitativ begrenzt werden.
Sensitivität des Screeningverfahrens und falsch-negative Befunde Umgekehrt ist es im Interesse der Erkrankten, dass die Zielkrankheit des Screening zuverlässig entdeckt wird, d. h. die Sensitivität des Tests (die Wahrscheinlichkeit, die Zielkrankheit zuverlässig zu identifizieren) hoch ist. Bei der Detektion der Zielkrankheit auftretende Fehler bezeichnet man als »falsch-negative« Befunde. Auch sie sind aufgrund der niemals hundertprozentigen Genauigkeit eines diagnostischen Tests unvermeidbar und können ebenfalls nur durch hohe Qualität des Programms quantitativ limitiert werden.
Prädiktiver Wert und empirische Daten Der prädiktive Wert gibt schließlich den Anteil der tatsächlich an der betreffenden Krankheit erkrankten Personen unter den Testpositiven an. Er hängt außer von Sensitivität und Spezifität des Tests auch von der Prävalenz des durch den Test detektierbaren präklinischen Stadiums der betreffenden Krankheit in der Bevölkerung ab. Ist die Krankheit selten oder die detektierbare Phase kurz, ist der prädiktive Wert auch bei hoher Spezifität niedrig. Im Screening – sei es Zervix-, Mammographie- oder kolorektales Screening mit FOBT – liegen die prädiktiven Werte bei unter 20%, d. h. mehr als 80% aller positiven Screeningtests sind falsch-positive Befunde.
Weitere nachteilige Effekte des Screening Strahlenrisiken und Komplikationen. Unglücklicherweise ist
bei den meisten Screeningverfahren ein möglicher Nutzen nicht ohne das Risiko noch weiterer nachteiliger Effekte zu haben. Beim Mammographie-Screening sind es die Risiken der eingesetzten ionisierenden Strahlen. Im Einzelfall der diagnostischen Situation ist es zutreffend, auf die niedrige Strahlendosis und die damit verbundenen geringen Gesundheitsgefahren hinzuweisen. In der Screeningsituation bedeutet aber ein geringes individuelles Risiko von kleinen Promillebruchteilen, angewandt auf eine Zielbevölkerung von 10 Millionen 50- bis 69-jährigen Frauen, mehrere strahlungsbedingte Erkrankungsfälle pro Jahr. Im Koloskopie-Screening bzw. auch bei Screening mit dem Haemoccult-Test, bei dem unklare Befunde ebenfalls eine Ko-
loskopie nach sich ziehen, ist die Situation ähnlich: auch hier ist das Risiko einer Komplikation mit letalem Verlauf im Einzelfall äußerst gering, resultiert jedoch in der Multiplikation mit einer in vielen Millionen zählenden Zielbevölkerung eines Screeningprogramms in einer Anzahl von mehreren zu erwartenden Todesfällen pro Jahr. Im Unterschied zum Mammographie-Screening, bei dem strahlungsbedingte Erkrankungsfälle eine rechnerisch gegebene Größe darstellen und nicht individuell identifizierbar sind, ist beim kolorektalen Screening der Screening-bedingte letale Verlauf ein individuelles Schicksal einzelner Screening-Teilnehmer, die vielleicht niemals an einem kolorektalen Tumor erkrankt oder gestorben wären.
Screening ist ethisch nur vertretbar, wenn den beschriebenen unvermeidlichen Risiken ein Nutzen gegenübersteht, der um Größenordnungen höher ist und die Inkaufnahme nachteiliger Effekte rechtfertigt. Aus ethischen Gründen ist es unabdingbar, dass eine Nutzen-SchadensBilanz vor Einführung eines Screening-Programms ermittelt und die Effektivität des Verfahrens zweifelsfrei belegt wird. Ein laufendes Screening-Programm ist ethisch nur vertretbar, wenn eine kontinuierliche Nutzen-Risiko-Bilanz geführt wird, die zu jedem Zeitpunkt belegt, dass sich diese Bilanz in einem vertretbaren Bereich bewegt.
Überdiagnose und Übertherapie. Der Begriff der Überdiag-
nose beschreibt die Identifizierung von Erkrankungsfällen im Rahmen des Screening, die nur durch das Screening bekannt werden und ansonsten niemals in Erscheinung getreten wären (Morrison 1992). Dabei kann es sich um Erkrankungsfälle handeln, die (a) sich nie bis zu einem symptomatischen Stadium entwickelt bzw. sogar zurückgebildet hätten, oder (b) zwar progedient sind, aber zu Lebzeiten des betreffenden Patienten klinisch nicht in Erscheinung getreten wären. Die Identifizierung der letzteren durch Screening ist bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich. Die Identifizierung der ersteren muss hingegen als eine ernste, die Teilnehmer dauerhaft belastende Nebenwirkung von Screening angesehen werden, da sie die betreffende Person mit einer Krankheitsdiagnose und den damit verbundenen weiteren diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen belastet, ohne ihr wirklich zu helfen. Man betreibt in diesen Fällen Übertherapie. Überdiagnose lässt die klinischen Parameter eines Screeningprogrammes (Detektionsrate, Stadienverteilung, Überlebenszeit) in einem günstigen Licht erscheinen, trägt jedoch zur Senkung der Mortalität nicht bei. Auch dieser Gesichtspunkt unterstreicht die Notwendigkeit, die Senkung der Mortalität als das entscheidende Zielkriterium zur Evaluation von Screeningprogrammen anzusehen (Black 2000; s. unten). Beispiele für das Auftreten von Überdiagnose durch Screening finden sich bei Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Lungenkrebs und Prostatakrebs. Es handelt sich keineswegs um ein marginales Problem. Auch dieses Problem legt eine kontinuierliche Evaluation laufender Screeningprogramme nahe.
4
46 Kapitel 4 · Epidemiologie bösartiger Neubildungen
Effektivitätsnachweis
4
Leider sind die im Screening eindrucksvoll veränderten und vergleichsweise einfach zu erhebenden klinischen Parameter Überlebenszeit und Stadienverteilung für einen Effektivitätsnachweis unbrauchbar. Die Überlebenszeit ist zwangsläufig immer verlängert, weil der Diagnosezeitpunkt nach vorne verlagert und auch bei unverändertem Krankheitsverlauf die als Überlebenszeit wahrgenommene Beobachtungszeit im Vergleich zur Situation ohne Screening verlängert ist. Daher kann der Nachweis einer »echten« Lebenszeitverlängerung nur durch die Betrachtung der Mortalität an der jeweiligen Krankheit erfolgen. Die Stadienverteilung ist zwangsläufig verzerrt, weil langsam wachsende, eventuell weniger letale Tumoren eher im Screening entdeckt werden als rasch wachsende, aggressive Tumoren mit hoher Letalität, die mit höherer Wahrscheinlichkeit zwischen zwei Screeninguntersuchungen symptomatisch werden und dann das schlechtere Stadium und die ungünstigere Prognose aufweisen.
Es ist daher anerkannte Lehrmeinung, dass die Effektivität von Screeningmaßnahmen nur durch randomisierte klinisch-epidemiologische Studien mit Zielereignis Tod nachgewiesen werden kann. Andere epidemiologische Herangehensweisen sind allenfalls in gut begründeten Ausnahmefällen zulässig.
Screeningverfahren mit nachgewiesener Effektivität Einen wissenschaftlichen Effektivitätsnachweis gibt es für Screeningverfahren bezüglich dreier Krebsarten: das Zervixkarzinom, das Mammakarzinom und kolorektale Tumoren. Zervixkarzinom. Beim Zervixkarzinom wird durch die Ab-
strichuntersuchung nach Papanicolao alle 3–5 Jahre im Altersbereich zwischen 25 und 64 Jahren bei hoher Qualität des Programms eine 80- bis 90%-ige Reduktion der Inzidenz und Mortalität des Zervixkarzinoms erzielt (IARC 1986, 2005). Häufigeres Screening wird international und zunehmend auch in Deutschland, wo jährliche Früherkennungsuntersuchungen empfohlen werden, zunehmend kritisch bewertet. Eine alleinige Verlängerung des Intervalls ohne Einführung der in den Ländern mit längeren Screeningintervallen implementierten Qualitätssicherungsmaßnahmen analog zum Mammographie-Screening ist allerdings eindeutig abzulehnen. Mammakarzinom. Für das Mammographie-Screening wurde
bei einer Reevaluation durch das Internationale Krebsforschungszentrum (IARC) in Lyon im Jahr 2002 eine »hinreichende Evidenz« für eine Wirksamkeit im Altersbereich 50– 69 Jahren bestätigt (IARC 2002). Die durch ein Screeningprogramm erzielte Mortalitätsreduktion liegt durchschnittlich bei 25%, unter den Screeningteilnehmerinnen bei 35%. Kolorektale Karzinome. Für kolorektales Screening wurde
anhand dreier randomisierter Studien der Effektivitätsnach-
weis des Tests auf okkultes Blut im Stuhl (FOBT) erbracht (Mandel et al. 1993; Hardcastle et al. 1996; Kronborg et al. 1996). Die Zahl der über einen bestimmten Zeitraum zu untersuchenden Personen, um einen Todesfall an der betreffenden Krebskrankheit zu vermeiden (»number needed to screen«, NNS), wird bei Gebärmutterhalskrebs mit etwa 2560 Frauen angegeben, für Brustkrebs (Mammographie-Screening, 50–69 Jahre) mit etwa 1000 Frauen und bei kolorektalen Tumoren (Okkultbluttest) mit etwa 1250 Personen. Für alle drei Krebsarten wird in Leitlinien der Europäischen Gemeinschaft ein organisiertes, qualitätsgesichertes Screening empfohlen (Perry et al. 2006; Arbyn et al. 2008; für kolorektales Screening in Arbeit).
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4
5 5 Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts M. Kloor, M. von Knebel Doeberitz, J. Gebert
5.1
Einführung
– 50
5.2
Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
5.2.1 Familiäre adenomatöse Polyposis coli (FAP) – 51 5.2.2 Hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom (HNPCC) – 57 5.2.3 Neue Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie von MSI-Tumoren Literatur
– 64
– 51
– 63
50 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
5
Einführung
> Die Aufklärung der molekulargenetischen Grundlagen der Krebsentstehung hat in den letzten Jahren wesentliche neue Erkenntnisse erbracht, durch die es möglich geworden ist, Patienten mit einem erblich bedingten erhöhten Krebsrisiko durch genetische Untersuchungsmethoden zu identifizieren. Insbesondere bei den erblichen gastrointestinalen Tumorprädispositionssyndromen, allen voran der familiären adenomatösen Polyposis (FAP) und dem hereditären nichtpolypösen kolorektalen Karzinom (HNPCC) konnten so neue interdisziplinäre klinische Konzepte entwickelt werden, die zu einer wesentlichen Verbesserung der Krebsvorsorge und -früherkennung beitragen. Durch genetische Untersuchungen können betroffene Risikopersonen eindeutig erkannt werden, invasive klinische Maßnahmen auf diese Personen beschränkt und gegebenenfalls operative Maßnahmen prophylaktisch durchgeführt werden, noch bevor eine Tumorerkrankung sich manifestiert hat. Andererseits können die oft belastenden invasiven Vorsorgemaßnahmen den nicht betroffenen Personen in den belasteten Familien aufgrund der molekulargenetischen Diagnosemöglichkeiten erspart werden. So kann für diese Patienten ein höheres Maß an Sicherheit geschaffen und die klinische Versorgung der Betroffenen kann deutlich verbessert werden.
5.1
. Abb. 5.1. Autosomal-dominanter Erbgang der Tumorprädisposition. Die betroffene Mutter hat zwei normale Allele (nn), während der betroffene Vater ein normales (n) und ein mutiertes (D) Allel des entsprechenden Tumorprädispositionsgens trägt. Vater und Mutter vererben jeweils eines Ihrer Allele auf die Kinder. So ergibt sich eine 50%-ige Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder das mutierte Allel (D)
vom Vater erben. Da das Allel dominant ist, werden diese Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit erkranken. Durch einen Gentest könnten die betroffenen Anlageträger (nD) identifiziert und rechtzeitig behandelt werden, während Nichtbetroffene (nn) von weiteren intensivierten Vorsorgeuntersuchungen ausgenommen werden können
Eine rechtzeitige Diagnose und möglichst frühe operative Entfernung eines Tumors sind die effektivsten Maßnahmen zur Senkung der Mortalität der Krebserkrankungen. Dies gilt insbesondere auch für die Tumoren des Gastrointestinaltraktes. Wirklich effektive Früherkennungsmaßnahmen sind bisher aus technischen Gründen nicht hinreichend realisiert worden. Zwar können durch endoskopische Untersuchungen Tumoren oft schon früh erkannt werden, dennoch können nicht ausreichend viele Personen mit diesen aufwändigen und die Patienten belastenden Verfahren regelmäßig untersucht werden. Ferner wäre ein bevölkerungsweites regelmäßiges Screening durch Endoskopie nicht finanzierbar. Daher besteht ein großer Bedarf an Verfahren, diejenigen Personen, die ein besonders erhöhtes Tumorrisiko haben, zu identifizieren. Gelingt dies, können die aufwändigen klinischen Vorsorgemaßnahmen auf den besonders gefährdeten Personenkreis reduziert werden. Durch detaillierte Familienuntersuchungen ist es in den vergangenen 10 Jahren gelungen, bestimmte Gene zu identifizieren, die für die familiäre Häufung von Krebserkrankungen verantwortlich sind. Es wird geschätzt, dass bis zu 15% aller kolorektalen Karzinome als Folge einer erblichen Veränderung familiär gehäuft auftreten (. Abb. 5.1). Die Penetranz
51 5.2 · Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
. Abb. 5.2. FAP. a Kolon eines Patienten mit attenuierter FAP. b Kolon eines Patienten mit typischer schwerer FAP
dieser erblichen Formen des Kolonkarzinoms ist sehr unterschiedlich und es ist durchaus möglich, dass ein noch höherer Anteil der Kolonkarzinome, die heute noch als sporadische Erkrankung angesehen werden, auf nachweisbare erbliche Faktoren zurückgeführt werden kann. Hieraus ergeben sich erhebliche Konsequenzen für Diagnostik, Vorsorge und Therapieplanung in der viszeralen Chirurgie. Bei den zwei klinisch am besten charakterisierten Formen hereditärer kolorektaler Karzinome, der familiären adenomatösen Polyposis coli (FAP) und dem hereditären nichtpolypösen Kolonkarzinom (HNPCC) oder Lynch-Syndrom, können heute durch molekularbiologische Verfahren eine der Krankheit zugrunde liegende Veränderung bestimmter Gene diagnostiziert werden (de la Chapelle 2004). Genträger können in den Familien eindeutig identifiziert werden, intensivierte klinische Vorsorgemaßnahmen sind dann für die nichtbelasteten Personen (nn, . Abb. 5.1) nicht mehr erforderlich, da diese als Anlageträger mit Sicherheit ausgeschlossen werden können und kein höheres Krebsrisiko aufweisen als der Bevölkerungsdurchschnitt. Dies führt zu einer erheblichen Reduktion von Aufwand auch für die Kostenträger im Gesundheitssystem (Bapat et al. 1999). Den Anlageträgern (nD) hingegen kann ein spezielles Vorsorgeprogramm (z. B. Koloskopie in bestimmten Abständen) empfohlen werden, mit dem das Auftreten der Krebsvorstufen sicher erfasst werden kann. Durch frühzeitige operative Entfernung prämaligner Veränderungen bzw. in einigen Fällen des ganzen Organs (Kolon) kann der Ausbruch der Tumorerkrankung vermieden werden.
5.2
in ihrer typischen Manifestationsform durch die Entwicklung einer ausgeprägten Polyposis (>100 Polypen) gekennzeichnet, die sich über die gesamte Kolonmukosa erstrecken kann und häufig in der Adoleszenz zu ersten Symptomen führt (Petersen 1994; . Abb. 5.2). Neben dieser klassischen Ausprägung gibt es abgeschwächte (attenuierte) Formen, bei denen eine untypische Adenomverteilung, weniger Adenome oder gar endoskopisch nur schwer erkennbare, im Niveau der Kolonmukosa gelegene dysplastische Epithelveränderungen (»flat adenomas«) auftreten (Lynch et al. 1995). Häufig ist die FAP durch extrakolonische Manifestationen gekennzeichnet. Insbesondere Augenhintergrundveränderungen (kongenitale Hypertrophie des Retinapigmentepithels, CHRPE; . Abb. 5.3) sowie Duodenaladenome, Osteome und Desmoide werden bei FAP-Patienten häufig beobachtet. Durch Koloskopie können Patienten mit klassischer Ausprägung einer Polyposis eindeutig diagnostiziert werden. Da die zahlreichen Adenome zur malignen Entartung neigen, ist die Therapie der Wahl bei diesen Patienten die rechtzeitige restaurative Proktokolektomie mit Entfernung der gesamten Kolonund Rektummukosa. Diese Operation sollte in jedem Fall als
Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
5.2.1 Familiäre adenomatöse Polyposis coli
(FAP) Hintergrund Weniger als 1% der kolorektalen Karzinome entstehen im Rahmen einer klassischen FAP. In den westlichen Industrieländern ist einer von 7–10.000 Einwohnern betroffen. In etwa 20–30% der Fälle ist keine eindeutige familiäre Belastung nachzuweisen, dabei ist die FAP in der Regel auf Neumutationen während der Ontogenese zurückzuführen. Die FAP ist
. Abb. 5.3. Kongenitale Hypertrophie des Retinapigmentepithels (CHRPE)
5
52 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
5
. Abb. 5.4. Struktur des APC-Gens, Mutationsverteilung, APC-Proteindomänen und Genotyp-Phänotyp-Korrelation. Somatische wie Keimbahnmutationen sind nahezu über das gesamte Gen verteilt, allerdings gibt es einige Mutations-Hotspots (z. B. 1061, 1309). Die Frequenz der Mutationen wird durch die Höhe der vertikalen Linien angezeigt und basiert auf etwa 2000 beschriebenen Mutationen. Speziell bei den somatischen Mutationen findet man eine starke Häufung im Bereich zwischen Kodon 1286 bis 1513 (»mutation cluster region«, MCR). Mutationen, die mit der klassischen Form der adenomatösen Polyposis assoziiert sind, findet man meist in der zentralen Region, wobei Mutationen zwischen Kodons 1250 und 1464 im Rahmen einer besonders schweren Ausprägung der Polyposis auftreten. Mutationen im 5‘-oder 3‘-Bereich sowie in dem alternativ gespleißten Exon 9 des APC-Gens sind mit deutlich abgeschwächten Verlaufsformen (attenuierte FAP) verbunden. Schwere Desmoide tre-
ten vor allem bei Patienten auf, die Mutationen zwischen Kodons 1444 und 1578 tragen, während das CHRPE-Phänomen vor allem bei Patienten mit Mutationen zwischen dem Exon 9 und dem 5‘ gelegenen Exon 15 aufweisen. Wichtige funktionelle Domänen des APCProteins sind die Dimerisierungsdomäne am N-Terminus sowie drei 15-Aminosäuren-Repeats und sieben 20-Aminosäuren-Repeats, die für die Regulation und Degradation von β-Catenin notwendig sind. Eine weitere wichtige regulatorische Funktion üben die drei SAMPRepeats aus, die für die Axin/Conduktin-Bindung verantwortlich sind. Offenbar besteht in den meisten humanen kolorektalen Adenomen eine Selektion für solche APC-Mutationen, deren trunkierte Proteine nur noch ein oder zwei 20-Aminosäure-Repeats enthalten, aber alle Axin-Bindedomänen (SAMP-Repeats) verloren haben (Albuquerque et al. 2002)
präventive Maßnahme noch vor dem Auftreten des ersten kolorektalen Karzinoms bei FAP-Patienten angestrebt werden (Church et al. 1996).
se Proteinkinasen. Die wichtigste Interaktion des APC-Proteins besteht wohl in seiner Funktion als Regulator der intrazellulären Konzentration an β-Catenin (. Abb. 5.5): Hohe intrazelluläre Konzentrationen führen zu einer sehr raschen Degradation von β-Catenin, sodass die β-Catenin-Konzentrationen im Zytoplasma und im Zellkern betroffener Zellen sinken (Polakis 1999). Eine geringe APC-Aktivität führt zu erhöhten β-Catenin-Konzentrationen. β-Catenin reguliert als Transkriptionsfaktor seinerseits zahlreiche weitere Gene, wie beispielsweise das Protoonkogen c-myc, das cyclin-d1-, das tcf-1-, das lef-1- und das c-jun-Gen (He et al. 1998; Tetsu u. McCormick 1999; Roose et al. 1999; Hovanes et al. 2001; Mann et al. 1999). Diese Gene sind in die Regulation des Zellzyklus und der Zellproliferation eingebun-
Molekulare Pathogenese Ursache der FAP sind Mutationen im Gen APC (adenomatöse Polyposis coli) (. Abb. 5.4) auf Chromosom 5q21 (Petersen 1994). Es besteht aus 15 Exons und wird in eine etwa 8500 Basenpaare lange mRNA überschrieben. Das APC-Genprodukt ist ein multifunktionelles Protein, das nicht nur mit sich selbst (Dimerisierung), sondern auch mit verschiedenen anderen zellulären Proteinen in Wechselwirkung treten kann. Hierzu zählen Strukturproteine der Zelle, Regulatoren der Genexpression und modifizierende Enzyme wie beispielswei-
53 5.2 · Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
a
b
c
. Abb. 5.5a–c. Schematische Darstellung der Funktionsweise des normalen und mutierten APC-Proteins im Wnt-Signaltransduktionsweg (nach Nathke 2004). a In Abwesenheit eines Wnt-Signals phosphoryliert ein Multi-Proteinkomplex, bestehend aus APC, Axin, GSK3ß etc., das β-Catenin-Protein und bewirkt nach Ubiquitinierung dessen Abbau durch das Proteasom. b In Gegenwart eines Wnt-Signals zerfällt dieser Multi-Proteinkomplex in seine einzelnen Komponenten und ist inaktiv. Dadurch akkumuliert β-Catenin im Zytoplasma, wandert schließlich in den Zellkern und reguliert dort zu-
sammen mit anderen Transkriptionsfaktoren die Expression von Zielgenen. c In Tumorzellen verhindert mutiertes APC die Entstehung eines aktives Multi-Proteinkomplexes und somit den Abbau von β-Catenin, wodurch die Transkription von Zielgenen initiert wird. Alternativ zu Mutationen im APC-Gen treten in manchen Tumorzellen Mutationen in β-Catenin auf, die ebenfalls dessen Abbau verhindern und die gleichen Auswirkungen auf die Transkription von Zielgenen haben
den, so dass als Effekt verminderter APC-Wirkung eine erhöhte β-Catenin-Konzentration resultiert, die ihrerseits die Zellzyklusprogression fördert. Bei etwa 15% der Kolonkarzinome finden sich keine Mutationen im APC-Gen, bei etwa der Hälfte dieser Fälle liegen jedoch Mutationen im β-Catenin-Gen vor (Sparks et al. 1998), die zu einer deutlich verstärkten Aktivität des β-Catenins im Zellkern führen und so die nicht vorhandene Mutation im APC-Gen funktionell kompensieren. Hinweise auf weitere Gene, die eine Polyposis auslösen können, beruhen auf neueren Untersuchungen an Patienten mit multiplen kolorektalen Adenomen: Identifiziert wurden biallelische Keimbahnmutationen im MUTYH-Gen (Cheadle u. Sampson 2003; . Tab. 5.1), das an der Reparatur von oxidierten Desoxyguanin-Nukleotiden beteiligt ist. Klinisch betrachtet entspricht der kolorektale Phänotyp einer MYH-Polyposis daher eher einer attenuierten FAP. Allerdings liegt bei der MUTYH-assoziierten Polyposis ein autosomal-rezessives Erbmuster vor. Dies spielt in der humangenetischen Differenzialdiagnostik eine große Rolle. Das Auftreten einer attenuierten Polyposis bei mehreren Geschwistern einer ansonsten nicht betroffenen Familie legt die Verdachtsdiagnose einer MUTYH-assoziierten Polyposis nahe. Weitere Untersuchungen an diesen Patienten sind erforderlich, um das komplette klinische Spektrum dieser Erkrankungsform zu erfas-
sen und um die Frage zu beantworten, ob heterozygote Träger einer MUTYH-Mutation ebenfalls ein erhöhtes Tumorrisiko haben. Immunhistochemische Untersuchungen haben gezeigt, dass unter physiologischen Bedingungen Kolonepithelzellen im Verlauf ihrer Differenzierung bei der Wanderung von der Basis der Krypten in Richtung Lumen des Darms zunehmende Mengen des APC-Proteins akkumulieren (Smith et al. 1993). Offenbar sind höhere Konzentrationen dieses Proteins an der Spitze der Krypten erforderlich, um den programmierten Zelltod (Apoptose) der ausdifferenzierten Zellen einzuleiten und so Platz für nachrückende Epithelien zu schaffen. Wird die Funktion des APC-Genproduktes gestört, scheinen die Kolonepithelien eine geringere Neigung zur Apoptose aufzuweisen und ermöglichen so die Ausbildung eines hyperplastischen Epithels, das bald Falten aufwirft und zu einem Adenom auswachsen kann. Störungen der Funktion des APC-Gens können auftreten, wenn beide Allele des Gens in einer Zelle durch Mutation (Missense-Mutation, Nonsense-Mutation, Insertion, Deletion) inaktiviert worden sind. Die meisten der bis heute bekannten APC-Mutationen führen zur Synthese verkürzter APC-Genprodukte (trunkierende Mutationen), während Mutationen, die zu veränderten Aminosäuresequenzen führen
5
54 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
. Tab. 5.1. Tumorprädispostionssyndrome, die mit Tumoren des Gastrointestinaltrakts einhergehen
5
Familiäre adenomatöse Polyposis coli (FAP), autosomal-dominant
Kolorektale Karzinome
Gastrointestinale Adenome, CHRPE, Osteome, Desmoide, Medulloblastome (Turcot-Syndrom)
5q21
APC
Regulation der β-Catenin-Microtubulin-Bindung, Signaltransduktion
Multiple Adenome/ FAP-ähnlicher Phänotyp, autosomal-rezessiv
Kolorektale Karzinome
Gastrointestinale Adenome, Duodenaladenome, CHRPE?
1p32.1– 1p34.3
MYH
Adeninspezifische DNA Glykosylase/BaseExcision-Reparatur
Hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom (HNPCC), LynchSyndrom
Gastrointestinale Karzinome, Endometriumkarzinome, Ovarialkarzinome
Karzinome der ableitenden Harnwege, Glioblastom (TurcotSyndrom)
2p16
MSH2
DNA-MMR
3p21
MLH1
2p16
MSH6
7p22
PMS2
Hereditäres PeutzJeghers-Syndrom etc.
Hamartome im Gastrointestinaltrakt, Melanin-Spots in mukokutanen Bereichen (Lippen etc.)
Karzinome des Pankreas, Dünndarms, Kolons, Brustdrüse, Testes, Ovarien und Magens gehäuft
19p13
STK 11/LKB-1
Serin/ThreoninProteinkinase
Familiäre juvenile Polyposis
Hamartome im Gastrointestinaltrakt
Karzinome des Kolons, Magens, Pankreas
10q22–23
PTEN
Protein/Tyrosin-Phosphatase
18q21
MADH4
TGF-β Signaltransduktion
10.q22.3
BMPR1A
Serin/ThreoninProteinkinase
Cowden’s disease
Hamartome im Gastrointestinaltrakt, Tricholemmome, Papillome an Lippen, Zahnfleisch, Mundschleimhaut, keratotische Papeln (Hände, Füße)
Hamartomatöse Karzinome (Schilddrüse, Mammagewebe, Magen-Darm-Trakt)
10q22–23
PTEN
Protein/TyrosinPhosphatase
Hereditäres Magenkarzinom
Magenkarzinom
Diffuses Magenkarzinom
16q22.1
CDH1
E-Cadherin, Mediator epithelialer Cell-ZellZell Adhäsion
würden (Missense-Mutation) nur sehr selten im APC-Gen nachweisbar sind (. Tab. 5.2). Dies ist ein Hinweis darauf, dass Mutationen, die zur funktionellen Inaktivierung von APC führen, während der Tumorentstehung selektioniert werden. FAP-Patienten haben ein mutiertes Allel des APC-Gens über die Keimbahn von Vater oder Mutter ererbt (. Abb. 5.1). Somit tragen alle Zellen nur eine intakte Kopie des APC-Gens. Kommt es nun in einzelnen Zellen zu Störungen des verbleibenden intakten Allels, können diese zur Adenombildung führen. Durch experimentelle Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass bestimmte verkürzte Formen des APC-Genprodukts die Wirkung des verbleibenden Wildtyp-APC-Proteins
bezüglich der Degradation des β-Catenin deutlich hemmen können (Friedl et al. 1996; Dihlmann et al. 1999). Diese verkürzten APC-Genprodukte werden durch mutierte APC-Allele kodiert, die mit der typischen klinischen Ausprägung der FAP assoziiert sind (. Abb. 5.2) und im Bereich von Kodon 1309 des APC-Gens liegen. Während die meisten Keimbahnmutationen über das gesamte APC-Gen verteilt vorkommen, findet man bei den sporadischen Kolonadenomen bzw. -karzinomen eine Häufung somatischer Mutationen in der sog. »mutation cluster region« (MCR). So ist zu erklären, dass durch diese Mutationen ein besonders starker onkogener Effekt eintritt und das mutierte Allel also selber als Onkogen wirken kann. Zellen, in denen eine solche Mutation aufgetre-
55 5.2 · Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
. Tab. 5.2. APC-Mutationen in kolorektalen Tumoren: Mutationsart und -verteilung im APC-Gen bei FAP-Patienten (Keimbahn-DNA) und bei Patienten mit sporadischen Adenomen und Karzinomen des Kolons (nach Kinzler u. Vogelstein 1996)
FAP
Sporadisches Adenom
Sporadisches Karzinom
Inzidenz
1/7000
1/2
1/20
Häufigkeit der APC-Mutation (%)
>85
>80
>80
Art der Mutation
Keimbahn
Somatisch
Somatisch
Trunkierend (%)
>96
89
>90
Missense (%)
<4
11
<2
ten ist, neigen daher besonders zur malignen Entartung. Dies erklärt auch, warum FAP-Patienten mit Keimbahnmutationen in diesem Bereich das klassische Bild der FAP mit ausgeprägter Adenomatose und jungem Erkrankungsalter, FAP-Patienten mit Mutationen in anderen Bereichen des Gens dagegen eher abgeschwächte Formen mit späterem Beginn der Erkrankung entwickeln. Analog werden diese Mutationen in den sporadischen Tumoren viel häufiger gefunden werden, da sie eine stärkere onkogene Wirkung und somit einen Selektionsvorteil für die betroffenen Zellen aufweisen. Dieser Effekt wird als transdominant negativer Effekt bezeichnet (Friedl et al. 1996; Dihlmann et al. 1999). Ein weiteres Beispiel für Genotyp-Phänotyp-Korrelationen ist die attenuierte Form der FAP (AFAP): Dabei finden sich trunkierende Mutationen vorwiegend am 5‘- (Exons 3 und 4) und am 3‘-Ende oder an Spleißstellen des APC-Gens. Offensichtlich können Allele mit einer 5‘-Mutation ein alternatives, aber nahezu voll funktionsfähiges APC-Protein synthetisieren, da ein in dieser Region distal zur Mutation liegendes AUG-Startkodon (Kodon 184) zur Re-Initiation der Translation verwendet wird (Heppner Goss et al. 2002). Dieses alternative Protein vermittelt immer noch die Degradation von β-Catenin und die Induktion einer Zellzyklushemmung. Die vollständige Eliminierung der »Restaktivität« dieses bereits mutierten Allels durch eine zweite Mutation und die zusätzlich erforderliche Inaktivierung des zweiten Allels durch eine dritte Mutation sind molekulare Mechanismen, die dem attenuierten Phänotyp bei diesen Patienten zugrunde liegen. Neuere Untersuchungen zeigen aber auch, dass die Inaktivierung beider APC-Allele nicht als völlig unabhängige Mutationsereignisse zu betrachten sind, wie ursprünglich in Knudsons »Zwei-Hit-Hypothese« postuliert, sondern nur in solchen Kombinationen auftreten, dass von den mutierten Allelen in einer Adenomzelle meist nur ein oder zwei der sieben 20-Aminosäure-Repeats (. Abb. 5.4) in den trunkierten APC-Proteinen funktionell erhalten bleiben (Albuquerque et al. 2002). Somit besteht im Rahmen der Kolonadenomentstehung eine Selektion für Genotypen, die nicht eine konstitutive β-Catenin-Aktivierung (Verlust aller 20-Aminosäure-Repeats), sondern eine gerade noch richtige (»just-right«) β-Catenin-Signaltransduktionsaktivität gewährleisten. Korrelationen zwischen bestimmten Mutationen im APC-Gen und dem klinischen Krankheitsbild liegen auch
für die extrakolonischen Manifestationsformen der FAP vor. Bestes Beispiel hierfür sind die mit der Polyposis assoziierten Veränderungen des Retinapigmentepithels (CHRPE), die auf Keimbahnmutationen in einem bestimmten Bereich (Exon 9 bis erstes Drittel Exon 15) des APC-Gens zurückzuführen sind (. Abb. 5.4). Aber auch die Neigung, Desmoide auszubilden, korreliert mit der Lokalisation der Mutation. Mit zunehmender Anwendung einer prophylaktischer Proktokolektomie gewinnen die extrakolonischen Manifestationen der FAP an Bedeutung. Hier spielen Desmoide auf Grund des oft schwer zu beherrschenden Krankheitsbildes eine besondere Rolle. Desmoide sind semimaligne Weichgewebetumoren, die invasiv wachsen können, aber nicht metastasieren. Sie gehen von Fibroblasten aus und können an verschiedenen Stellen im Körper auftreten. Besonders komplikationsreich sind intraabdominelle Desmoide, die typisch für die FAP sind, da bei dieser Lokalisation essenzielle Strukturen wie die großen retroperitonealen Gefäße oder Ureteren von Ummauerung betroffen sein können. Die Therapie versucht, eine lokale Kontrolle der Desmoide zu erreichen, und besteht soweit möglich aus konservativen Maßnahmen, wobei es noch keine allgemein gültigen Empfehlungen gibt (Okuno et al. 2006). Wie oben im Zusammenhang mit der Genotyp-Phänotyp-Korrelation bei FAP erwähnt, treten Desmoide nur bei einem Teil der FAP-Patienten auf. Eine weitere wesentliche Komplikation der FAP stellen Duodenaladenome dar, da diese ebenfalls entarten können. Die Bedeutung dieser Komplikation für den Verlauf einer FAP und die Zahl der chirurgischen Interventionen (Duodenalresektion, ggf. Whipple-Operation) haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
Molekulare Diagnostik der FAP Durch molekularbiologische Verfahren können die Mutationen im APC-Gen betroffener Patienten in Zellen aus dem peripheren Blut nachgewiesen werden (Gebert et al. 1999): Hierzu wird die DNA-Sequenz des APC-Gens in der Keimbahn, d. h. aus DNA, die beispielsweise aus Blutproben isoliert wurde, untersucht (. Abb. 5.5, . Abb. 5.6). Nach der Identifikation einer APC-Mutation bei einem Patienten kann anschließend bei den verwandten Risikopersonen nach genau dieser Genveränderung gesucht werden.
5
56 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
5
. Abb. 5.6. APC-Mutations-Screening und DNA-Sequenzanalyse. Zum Mutationsscreening werden vor allem Heteroduplex-Analyse und Protein Truncation Test (PTT) verwendet. Die ersten 14 Exons des APC-Gens werden meist mittels Heteroduplex-Analyse untersucht, während für Exon 15 der PTT angewendet wird. Zunächst werden alle Exons mittels PCR amplifiziert, das Exon 15 aufgrund seiner Größe in 4 überlappenden Segmenten. Generell gilt, dass Personen, die keine APC-Keimbahnmutation tragen (Nicht-Anlageträger), zwei normale APC-Genkopien besitzen, Anlageträger dagegen eine normale und eine mutierte APC-Genkopie. Bei der Heteroduplex Methode werden von den PCR-Produkten die komplementären DNA-Stränge beider parentaler APC-Genkopien durch Erhitzen aufgeschmolzen und durch Abkühlen wieder zur Hybridisierung gebracht. Bei Nicht-Anlageträgern sind beide Genkopien normal (A.T und A.T) und nach Hybridisierung können nur Homoduplices entstehen. Im Gegensatz dazu weisen Träger einer Keimbahnmutation (Anlageträger) eine normale (A.T) und eine mutierte (G.C) Genkopie auf. In diesem Fall können sich entweder jeweils zwei normale (A.T und A.T) bzw. zwei mutierte (G.C und G.C) DNA-Stränge aneinanderlagern (Homo-
Mit der bisher zur Verfügung stehenden Methodik ist es möglich, bei etwa 80% der FAP-Familien die ursächliche Mutation nachzuweisen (Powell et al. 1993). So können Personen schon in der präsymptomatischen Phase der Erkrankung bzw. vor Auftreten der ersten Adenome eindeutig als Betroffene identifiziert und einem engmaschigen Vorsorgeprogramm bis zur elektiven restaurativen Proktokolektomie zugeführt werden.
duplex-Bildung) oder jeweils ein normaler und ein mutierter Strang miteinander hybridisieren (A.C und G.T; Heteroduplex-Bildung). Mittels »denaturing high pressure liquid chromatography« (DHPLC) lassen sich Homo- und Heteroduplices unter partiell denaturierenden Bedingungen (definiertes Temperaturprofil) als Peaks mit zeitlich unterschiedlichem Laufverhalten auftrennen. Durch PTT können nur APC-Mutationen identifiziert werden, die zu verkürzten APC-Proteinen führen. Bei der PCR-Amplifikation von Exon 15 in vier überlappenden Segmenten enthalten die PCR-Primer spezifische Sequenzen, die eine In-vitro-Transkription und -Translation (IVTT) der PCR-Produkte ermöglichen. Die Analyse der Translationsprodukte erfolgt auf einem SDS-Polyacrylamidgel. Bei Nicht-Anlageträgern ist auf Grund beider normaler Genkopien nur eine Bande erkennbar. Bei FAP-Patienten mit einer trunkierenden APC-Mutation tritt zusätzlich eine weitere verkürzte APC-Proteinbande auf. Die genannten Methoden grenzen die Lokalisation der vorhandenen Mutation auf ein bestimmtes APC-Segment ein. Durch Sequenzierung des entsprechenden Genbereichs lässt sich die Mutation eindeutig identifizieren
Neuere Arbeiten weisen darauf hin, dass die Kenntnis spezifischer Genotyp-Phänotyp-Korrelationen in Zukunft auch dazu genutzt werden könnte, die Indikation zur Operation von der Lokalisation der Mutation im APC-Gen abhängig zu machen (Vasen et al. 1996; Wu et al. 1998). Jedoch sollten zunächst weitere prospektive Studien durchgeführt werden, bevor solche weitreichenden Konsequenzen aus der DNA-Sequenzanalytik als allgemeine Richtlinien empfohlen werden können. Gegenwärtig wird die Indikation zur restaurativen Proktokolektomie in Abhängigkeit des klinischen Befundes und vor allem unter Berücksichtigung der individuellen Situ-
57 5.2 · Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
. Abb. 5.7. Diagnostisches Vorgehen bei FAP-Patienten
ation nach intensiver Rücksprache mit dem Patienten gestellt. Risikopersonen in betroffenen Familien, die die beim betroffenen Indexpatienten nachgewiesene Mutation im APC-Gen nicht aufweisen, können vom intensivierten koloskopischen Vorsorgeprogramm befreit werden. Cave Prädiktive molekulargenetische Analysen, d. h. Genuntersuchungen bei bisher klinisch gesunden Personen, können weitreichende Auswirkungen auf die Psyche eines Individuums, aber auch auf die soziale Struktur einer ganzen Familie haben.
Daher sind eingehende Aufklärung und Beratung der zu testenden Patienten und Familienangehörigen essenziell und bei prädiktiver Testung zwingend vorgeschrieben. Die Aufklärung und Beratung sollte dabei durch einen in onkogenetischen Fragestellungen besonders ausgewiesenen Arzt erfolgen. Es wird empfohlen, dass Ärzte, die eine Genanalyse anfordern, und Personen, die einen solchen Gentest in Erwägung ziehen, sich die Risiken, Vorteile und Grenzen dieser Analyse vergegenwärtigen. Die Zustimmung zur Gendiagnostik muss schriftlich dokumentiert werden, bevor eine entsprechende Probe an das Labor versandt wird. Eine Studie bezüglich Gentests bei FAP-Patienten hat gezeigt, dass bei Ärzten ohne entsprechende Fachkenntnis sehr häufig (ca. 33%) Fehlinterpretationen der Testergebnisse auftraten (Giardiello et al. 1997). Die Überweisung an ein humangenetisches Beratungszentrum und/oder die Überweisung an klinische Zentren, an denen solche Gentests als Routinediagnostik durchgeführt werden, ist daher dringend zu empfehlen. Hier hat es sich bewährt, wenn Humangenetik, Chirurgie, Psychoonkologie und molekulare Diagnostik in einem interdisziplinären Verbund zusammenarbeiten. Die Bundesärztekammer hat zur Diagnostik hereditärer Tumor-
prädispositionen eindeutige Empfehlungen dargelegt, die als Richtlinien für die molekulargenetische Diagnostik erblicher Tumorsyndrome gelten sollten (Bachmann et al. 1998).
5.2.2 Hereditäres nichtpolypöses kolorektales
Karzinom (HNPCC) Der größte Teil der im Rahmen autosomal-dominanter Erbgänge auftretender Kolonkarzinome geht nicht mit einer ausgeprägten Polyposis des Kolons einher und ist nicht mit Mutationen im APC-Gen assoziiert. Zusammengenommen hat man diese Formen als hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom (HNPCC) bezeichnet (Lynch u. Smyrk 1996). Bei HNPCC treten kolorektale Karzinome ebenfalls oft in jungen Jahren auf. In aller Regel entwickeln sich auch bei diesem Syndrom die Tumoren über eine Adenom-Karzinom-Sequenz und häufig lassen sich synchron oder metachron weitere Adenome oder gar Karzinome im Kolon, aber auch in anderen Organen (. Abb. 5.8) nachweisen.
Insbesondere Karzinome des Endometriums bei jungen Frauen sind eine typische Manifestation des HNPCC und sollten immer Anlass zu gezielten molekulargenetischen Untersuchungen geben. Das HNPCC-Syndrom wird auch als Lynch-Syndrom bezeichnet. In letzter Zeit zeichnet sich eine Unterscheidung der beiden Begriffe ab, wobei HNPCC das klinisch definierte Krankheitsbild beschreibt, der Begriff Lynch-Syndrom darüber hinaus eine prädisponierende Keimbahnmutation in DNA-Mismatch-Reparatur-Genen als molekulare Ursache (s. unten) einschließt.
Die typische Konstellation frühzeitig auftretender kolorektaler Karzinome verbunden mit einem autosomal-dominan-
5
58 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
5
. Abb. 5.8. Tumorspektrum des HNPCC- oder Lynch-Syndroms. HNPCC-assoziierte Tumoren treten vor allem im Kolon und Rektum sowie im Endometrium auf, wesentlich seltener dagegen sind Tumoren des Magens, der Ovarien, des Ureters oder Nierenbeckens, des hepatobiliären Systems, der Haut und des Dünndarms (aktuelle Schätzungen des jeweiligen Lebenszeitrisikos in Klammern). Das
gleichzeitige Auftreten von viszeralen Tumoren und Tumoren der Haut (vor allem Talgdrüsentumoren und Keratoakanthome) bezeichnet man als Muir-Torre-Syndrom. Bei Patienten mit Turcot-Syndrom findet man gastrointestinale Tumoren zusammen mit Hirntumoren. Fragliche Assoziationen von Organmanifestationen mit HNPCC/ Lynch-Syndrom sind in Klammern angegeben
ten Erbgang haben dazu geführt, dass 1991 von der International Collaborative Group on HNPCC (ICG-HNPCC) in Amsterdam Kriterien erstellt wurden, um Patienten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem HNPCC betroffen sind, zu identifizieren:
Da auch extrakolonische Tumoren sehr häufig HNPCC-assoziiert sind, wurden später die Amsterdam-I-Kriterien (erfüllt in Familien mit ausschließlich kolorektalen Manifestationen) um diese Manifestationen erweitert (Amsterdam-IIKriterien). In Familien, die diese klinisch-anamnestischen Kriterien erfüllen, haben alle Familienmitglieder a priori ein hohes Risiko, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken, so dass ihnen ab dem 25. Lebensjahr (bzw. 5 Jahre vor dem Erstmanifestationsalter in der Familie) regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen (lebenslang) dringend empfohlen werden. Zusammenfassend werden die in unten stehender Übersicht aufgeführten Untersuchungen empfohlen für 4 Personen mit nachgewiesener MMR-Keimbahnmutation, 4 an einem Karzinom Erkrankte und Risikopersonen aus Amsterdam-I/II-Familien (mit unbekanntem Mutationsstatus) und für 4 MSI-H-Tumorpatienten/Risikopersonen aus Bethesdapositiven Familien.
Amsterdam-I/II-Kriterien 4 Mindestens drei Verwandte mit histologisch gesichertem kolorektalen Karzinom (CRC) oder einem Karzinom des Endometriums, Dünndarms oder Urothels (ableitende Harnwege/Nierenbecken); davon einer ein Verwandter ersten Grades der beiden Anderen 4 Mindestens zwei aufeinanderfolgende Generationen betroffen 4 Mindestens ein Patient zum Diagnosezeitpunkt <50 Jahre 4 Ausschluss einer FAP
59 5.2 · Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
Jährlich durchzuführende klinische Vorsorgeuntersuchungen für Patienten mit Verdacht auf HNPCC 4 Ist bioptisches Material erhältlich, sollte in jedem Fall eine MSI-Typisierung angestrebt werden. 4 Körperliche Untersuchung 4 Abdomensonographie 4 Komplette Koloskopie 4 ggf. gynäkologische Untersuchung auf Endometrium-/Ovarialkarzinom 4 Weitere Screeningmaßnahmen je nach Tumorspektrum der Familie – Ösophago-Gastro-Duodenoskopie – Urinzytologie (optional)
Die Amsterdam-Kriterien definieren klinisch HNPCC. Das bedeutet, dass bei Erfüllung der Amsterdam-Kriterien unabhängig von weiteren molekulargenetischen Untersuchungen die Diagnose HNPCC und somit die Indikation zur intensivierten Vorsorge gestellt werden kann. Die Amsterdam-Kriterien sind jedoch für die Erfassung von HNPCC-Patienten nur begrenzt tauglich, da diese oft bei kleinen Familien gar nicht erfüllt sein können. Ebenso bleiben neu auftretende Keimbahnmutationen bei strikter Anwendung dieser Kriterien unerkannt. Ferner nimmt das Risiko, an einem HNPCC-assoziierten Tumor zu erkranken, mit steigendem Alter zu, sodass viele HNPCC-assoziierte Karzinome bei Patienten auftreten, die aufgrund des Alterskriteriums nicht durch die AmsterdamKriterien erfasst worden wären. Die hereditäre Komponente bei diesem Personenkreis bleibt oft unbeachtet, und verwandte Personen mit hohem Risiko, an einem HNPCC-assoziierten Karzinom zu erkranken, können so nicht erfasst und einem Vorsorgeprogramm zugeführt werden. Hieraus ergibt sich gerade für das HNPCC die Notwendigkeit, mit Hilfe molekularer Methoden bessere Screeningverfahren zu etablieren. Die meisten HNPCC-assoziierten Karzinome weisen sich durch besondere molekulargenetische Veränderungen aus. Im Gegensatz zu vielen der sporadisch auftretenden Tumoren ist die Struktur der Chromosomen in den Tumorzellen oft noch intakt, und die Tumorzellen weisen eine euploide DNA-Verteilung auf. Dennoch sind große Bereiche des Genoms in ihrer Funktion erheblich beeinträchtigt. Während der Verdopplung (Replikation) der DNA in der Synthese(S)-Phase des Zellzyklus können Fehler in den neu synthetisierten DNA-Strängen entstehen. Diese Fehler treten in repetitiven DNA-Sequenzen (Mikrosatelliten) gehäuft auf (. Abb. 5.9, . Abb. 5.10). Dieses Phänomen wird als Mikrosatelliteninstabilität (MSI) oder hochgradige Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) bezeichnet (Kullmann et al. 1996). Ursache ist der Funktionsverlust eines zellulären DNA-Reparatursystems, des »DNA-Mismatch-Reparatur (MMR)-Systems«. Das MMR-System setzt sich aus einem Komplex unterschiedlicher zellulärer Proteine zusammen (. Abb. 5.9). In HNPCC-Familien mit MSI-positiven Tumoren liegt in der Regel ein Allel des MLH1- oder des MSH2-MMR-Gens in mutierter Form in der DNA der Keimzellen vor. Keimbahnmuta-
tionen in diesen beiden Genen sind bei etwa 70% aller HNPCC-Fälle Ursache der Erkrankung (Peltomaki u. Vasen 1997), MSH6-Mutationen bei etwa 10%. Wesentlich seltener treten Keimbahnmutationen in den beiden MMR-Genen PMS1 und PMS2 auf, wobei von den beiden letztgenannten nur PMS2-Mutationen als ursächlich für HNPCC belegt sind. Erst wenn in einzelnen Zellen zusätzlich zu dem in der Keimbahn mutierten Allel durch weitere Mutation auch das zweite Allel eines solchen MMR-Gens inaktiviert wird, kann die entsprechende Zellpopulation die DNA-Reparaturfunktion nicht mehr aufrechterhalten. Als Folge tritt in diesen Zellen MSI in repetitiven Bereichen des gesamten Genoms auf (. Abb. 5.10). Diese molekulare Besonderheit in HNPCC-assoziierten Tumoren werden diagnostisch genutzt. Im Gegensatz zur FAP besteht nämlich somit bei Verdacht auf ein HNPCC-Syndrom die Möglichkeit zur Tumordiagnostik auf MSI, die, wenn möglich, der Keimbahnmutationsanalyse vorgeschaltet wird. Der MSI-Phänotyp ist ein molekulares Charakteristikum von HNPCC-assoziierten Tumoren, doch findet man auch in etwa 15% aller sporadischen kolorektalen Karzinome MSI (Kullmann et al. 1996). Häufig ist dies hier Folge einer biallelischen Methylierung des MLH1-Promotors (Veigl et al. 1998). Durch molekulare Diagnostik ist es möglich, sporadische von hereditären MSI-Tumoren abzugrenzen. Die theoretische Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb einer Familie oder gar innerhalb eines Patienten zwei unabhängige Läsionen (präneoplastisch oder neoplastisch) mit ausgeprägter MSI ohne Vorliegen einer hereditären Prädisposition, also sporadisch auftreten, ist gering. Durch MSI-Typisierung zweier unabhängig entstandener Tumoren kann daher schon effizient die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines HNPCC-assozierten Tumors vorhergesagt werden. Zusätzlich können eine Methylierungsanalyse des MLH1-Promotors und eine Mutationsanalyse der Gene BRAF und KRAS durchgeführt werden. Der Nachweis einer BRAF-Mutation belegt bei MSI-Kolonkarzinomen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine sporadische Genese, während KRAS-Mutationen bei MSI-Karzinomen nahezu ausschließlich bei HNPCC-assoziierter Genese auftreten. Eine MSI-Typisierung (. Abb. 5.10) sollte in jedem Fall angestrebt werden, wenn eines der Bethesda-Kriterien (s. unten) positiv ist. Bethesda Kriterien (revidiert, 2003) 4 Kolorektales Karzinom, Ersterkrankung vor dem 50. Lebensjahr 4 Synchrone oder metachrone kolorektale Karzinome oder andere HNPCC-assoziierte Tumoren unabhängig vom Alter 4 Kolorektales Karzinom mit nachgewiesener Mikrosatelliteninstabilität, Ersterkrankung vor dem 60. Lebensjahr 4 Kolorektales Karzinom (unabhängig vom Erkrankungsalter), und kolorektales Karzinom oder HNPCC-assoziierter Tumor bei Verwandtem 1. Grades (Erkrankung vor dem 50. Lebensjahr)
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60 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
Sind zwei unabhängig voneinander entstandene Tumoren bzw. deren Vorstufen innerhalb eines Individuums oder bei zwei über die gleiche Keimbahn verwandten Personen MSIpositiv, liegt die Wahrscheinlichkeit für ein HNPCC-Syndrom nach theoretischen Voraussagen aufgrund der Frequenz von MSI-positiven sporadischen Karzinomen bei etwa 97%. Bei erfüllten Bethesda-Kriterien und beim Nachweis
zweier unabhängiger MSI-positiver Tumoren bei über die gleiche Keimbahn verwandten Personen, sollte getestet werden, ob durch immunhistochemische Färbungen ein Ausfall eines der am häufigsten betroffenen MMR-Genprodukte (MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) in den Tumorzellen nachgewiesen werden kann (. Abb. 5.10). Ist dies der Fall, lassen sich oft durch weiterführende DNA-Sequenzanalysen des jeweiligen MMR-Gens Mutationen in der Keimbahn des betroffenen Patienten nachweisen. Die Identifizierung dieser Mutationen ermöglicht dann analog zur Situation bei der FAP eine prädiktive Mutationstestung von bisher nicht erkrankten Verwandten. Anlageträger sollten in jedem Fall durch regelmäßige HNPCC-Vorsorgemaßnahmen betreut werden. Kann nachgewie-
. Abb. 5.9. Molekulare Mechanismen der Mikrosatelliteninstabilität. DNA-Polymerase-Fehler entstehen während der DNA-Replikation besonders häufig an repetitiven Sequenzen (Mikrosatelliten) und führen zu Basenfehlpaarungen, die vom DNA-Mismatch-Reparatursystem – einem Komplex verschiedener Protein-Heterodimere
(MLH1-PMS2 and MSH2-MSH3/MSH6) – erkannt und korrigiert werden. Funktionsverlust des MMR-Systems entweder durch Mutation und/oder epigenetische Mechanismen führt beim Verrutschen des parentalen DNA Strangs zu Deletionen, beim Verrutschen des neu synthetisierten Tochterstrangs zu Insertionen (Kloor et al. 2005)
4 Kolorektales Karzinom (unabhängig vom Erkrankungsalter) und mindestens 2 Verwandte 1. oder 2. Grades mit kolorektalem Karzinom oder HNPCC-assoziierten Tumor (unabhängig vom Erkrankungsalter)
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61 5.2 · Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
. Abb. 5.10. MSI-Analyse und immunhistochemische Färbung der MMR-Proteine. Von HE-gefärbten Gewebedünnschnitten werden separate Areale von normalem Kolonepithel (N) und Tumorgewebe (T) mittels Mikrodissektion isoliert und daraus jeweils genomische DNA präpariert. Nach PCR-Amplifikation von 5 Mikrosatelliten-Markern und Auftrennung der PCR-Produkte mittels Kapillarelektrophorese erhält man spezifische Peakprofile für Normal- und TumorgewebeDNA. MSI eines Mikrosatelliten-Markers liegt vor, wenn der höchste Peak des Tumorprofils (Pfeil) gegenüber dem höchsten Peak des Normalprofils (Stern) signifikant verschoben ist (BAT25, BAT26), oder wenn im Tumorprofil im Vergleich zum Normalprofil noch zusätz-
liche Peaks (Pfeile) auftreten (D2S123, D5S346, D17S250). Eine hochgradige Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) eines Tumors liegt vor, wenn mindestens 2 von 5 oder mindestens 30% von 10 untersuchten Markern instabil sind. Immunhistochemische Färbung (linke Seite) der MMR-Proteine MLH1 und MSH2 in nicht-neoplastischen Darmkrypten und in angrenzendem Kolonkarzinomgewebe. Normal- und Tumorgewebe zeigen eine regelrechte Färbung von MLH1 und MSH2 im Zellkern. Dagegen ist das MLH1-Protein im Tumorgewebe nicht nachweisbar, wohl aber im normalen Schleimhautepithel (Kloor et al. 2005)
sen werden, dass Risikopersonen die Anlage nicht tragen, kann man sie aus dem Vorsorgeprogramm entlassen. Die Strategie eines solchen Diagnostikprogramms ist vereinfacht in . Abb. 5.11 zusammengefasst. Die Penetranz des HNPCC-Syndroms ist inkomplett. Das bedeutet, dass nicht alle Träger einer HNPCC-verursachenden Keimbahnmutation im Laufe ihres Lebens an einem Tumor erkranken. Schätzungen der Penetranz sind schwierig, da die
genetische Ursache des Syndroms erst seit wenigen Jahren bekannt ist und die bisherigen Untersuchungen sich im Wesentlichen auf Personen beziehen, die auf Grund einer manifesten Tumorerkrankung auffällig geworden sind (»ascertainment bias«). Während in früheren Schätzungen von einer Penetranz von bis zu etwa 90% bei Männern und 70% bei Frauen ausgegangen wurde (Dunlop et al. 1997), weisen neuere Arbeiten auf ein deutlich niedrigeres Lebenszeitrisiko für die Entwick-
5
62 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
5
. Abb. 5.11. Diagnostikstrategie bei Verdacht auf HNPCC. Die molekulare Diagnostik bei Verdacht auf HNPCC/Lynch-Syndrom (erfüllte Bethesda-Kriterien) beginnt mit der Untersuchung eines Tumors aus der Familie auf MSI und einer immunhistochemischen Analyse der DNA-Mismatch-Reparatur-Proteine MLH1, PMS2, MSH2 und MSH6. Sind die Tumoruntersuchungen unauffällig, ist für die Vorsorgeemp-
fehlung maßgeblich, ob die Amsterdam-Kriterien erfüllt sind. Die weiterführende Keimbahndiagnostik (Sequenzierung der MismatchReparaturgene) hat keine Konsequenz für die Vor- bzw. Nachsorgeempfehlung beim Betroffenen selbst, kann aber bei Mutationsnachweis eine weiterführende prädiktive Diagnostik von Angehörigen ermöglichen
lung eines kolorektalen Karzinoms hin (etwa 25–40%; Quehenberger et al. 2005). Männer, die eine HNPCC-verursachende Keimbahnmutation tragen, haben ein höheres Lebenszeitrisiko für die Entwicklung eines kolorektalen Karzinoms als Frauen. Weibliche Anlageträger haben aber ein Risiko von etwa 30%, bis zum Erreichen des 70. Lebensjahres an einem Endometriumkarzinom zu erkranken. Es ist daher dringend geraten, dem erhöhten Endometriumkarzinomrisiko durch entsprechende klinische Vorsorgeuntersuchungen gerecht zu werden. Im Gegensatz zur FAP besteht bei HNPCC/Lynch-Syndrom keine offensichtliche Genotyp-Phänotyp-Korrelation, die eine Anpassung der Vorsorgeprotokolle an den Mutationstyp oder die Mutationslokalisation erlauben würde. Allerdings gibt es Hinweise, dass MSH6-Mutationen mit einem besonders hohen Risiko für Endometrium-, aber einem geringeren Risiko und späterem Manifestationsalter für Kolonkarzinome einhergehen. Darüber hinaus scheinen extrakolonische Manifestationen bei HNPCC/Lynch-Syndrom
häufiger bei Keimbahnmutationen im MSH2-Gen aufzutreten (Goecke et al. 2006). Diese Ergebnisse geben Anlass zur Überlegung, ob eine prophylaktische, subtotale Kolektomie bei männlichen Anlageträgern bzw. eine prophylaktische Hysterektomie bei weiblichen Anlageträgerinnen nach Abschluss der Reproduktionsphase in Erwägung gezogen werden sollten. Eine rein prophylaktische, restaurative Proktokolektomie ohne pathologische Organmanifestation in Kenntnis der eingeschränkten Erkrankungspenetranz stellt jedoch nach gegenwärtigem Kenntnisstand eine Übertherapie dar.
Entsprechend den Leitlinien der Konsensuskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS 2004, 2008) wird eine prophylak-
6
63 5.2 · Spezielle hereditäre Tumoren des Gastrointestinaltraktes
tische Kolektomie nicht empfohlen. Besteht jedoch bei einem HNPCC-Patienten bereits ein Kolonkarzinom, so ist die subtotale Kolektomie mit Ileorektostomie gegen die onkologische Resektion, wie sie beim sporadischen Karzinom durchgeführt wird, abzuwägen. Eine engmaschige Nachsorge des verbleibenden Kolons ist nach Hemikolektomie in jedem Falle erforderlich.
In Ausnahmefällen, vor allen Dingen bei einem Rektumkarzinom und HNPCC, ist die restaurative Proktektomie bzw. Proktokolektomie angezeigt. Möglichst alle Patienten bzw. ihre Familien sollten jedoch an spezialisierte Zentren überwiesen werden, insbesondere weil die aktuellen Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie kontinuierlich den neuesten Erkenntnissen angepasst werden müssen und allgemein verbindliche Richtlinien, die über die hier dargestellten Ansätze hinaus gehen, derzeit noch nicht gegeben werden können. Die entsprechenden Zentren sind Teil einer von der Deutschen Krebshilfe geförderten nationalen Verbundstudie »Familiärer Darmkrebs« und können über die aktuellen Empfehlungen kompetent Auskunft erteilen (aktuelle Informationen hierzu können unter http://www.hnpcc.de abgerufen werden). Das HNPCC- bzw. Lynch-Syndrom beruht auf heterozygoten Keimbahnmutationen in einem MMR-Gen. Jüngste Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass auch biallelische Mutationen in MMR-Genen auftreten und bei den betroffenen Personen zu einem spezifischen Krankheitsbild führen können (Wimmer u. Etzler 2008). Typische Manifestationen sind Tumoren des hämatopoetischen Systems, des Gehirns sowie des Dünn- und Dickdarms, die in früher Kindheit auftreten und oft mit Cafée-au-lait-Flecken und weiteren Merkmalen der Neurofibromatose Typ 1 assoziiert sind. Sie werden daher auch als »childhood cancer syndromes« (CCS) oder »mismatch repair deficiency (MMR-D) syndromes« bezeichnet. Bisher sind nur wenige solcher Fälle bekannt. Manche der betroffenen Patienten stammen aus Familien mit konsanguinen Eltern. Diese Charakteristika sind hinsichtlich einer Differenzialdiagnose zu berücksichtigen.
5.2.3 Neue Möglichkeiten für Diagnostik
und Therapie von MSI-Tumoren Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass in sporadischen und familiären Tumoren mit MSI-Phänotyp sehr häufig auch Mikrosatelliten in kodierenden Genbereichen – vor allem kodierende Mononukleotid-Repeats (cMNR) – von dieser Instabilität betroffen sind (Duval u. Hamelin 2002, Woerner et al. 2006). MSI in kodierenden Genbereichen führt zu Leserastermutationen (Frameshift-Mutationen) und damit zur Synthese trunkierter Proteine, die meist am C-Terminus eine Frameshift-(Neo-)Peptidsequenz aufweisen. In Kolonkarzinomen findet man cMNR-Instabilitäten besonders häufig im TGFBR2-Gen (A10 cMNR) (Markowitz et al. 1995), im BAX-Gen (G8 cMNR) oder in den MMR-Genen MSH3 (A8 cMNR) und MSH6 (C8 cMNR). Inzwischen geht man
davon aus, dass solche cMNR enthaltenden Gene ursächlich für die MSI-Karzinogenese sind. Mittels bioinformatischer Methoden wurden inzwischen alle humanen cMNR-Kandidatengene identifiziert und für die längsten cMNR-Gensequenzen Frameshift-Mutationsfrequenzen in verschiedenen sporadischen und HNPCC-assoziierten Tumoren bestimmt. Die dabei beobachteten deutlichen Unterschiede in der Frameshift-Mutationsfrequenz zwischen cMNR gleicher Länge und gleichen Nukleotid-Typs sowie Frequenzunterschiede in verschiedenen Tumorentitäten (Kolon, Endometrium, Magen) deuten darauf hin, dass Frameshift-Mutationen in bestimmten cMNR enthaltenden Genen einem Selektionsprozess unterliegen, der auf einen Wachstumsvorteil von MSI-Zellen ausgerichtet ist. Damit eröffnet die Identifizierung und Charakterisierung dieser Zielgene (Woerner et al. 2003) völlig neue diagnostische Möglichkeiten für MSI-Tumoren. Die als Konsequenz der Frameshift-Mutation entstehenden trunkierten Proteine mit Frameshift-Peptid-Schwänzen sind ebenfalls hochspezifisch für MSI-Tumoren und sollten tumorspezifische »Fremdantigene« darstellen. Für einige Frameshift-Peptide konnte tatsächlich gezeigt werden, dass Epitope, die durch MSI-Frameshift-Mutationen entstehen, immunogen sind und in vitro zur Aktivierung und Expansion zytotoxischer T-Zellen führen, die Tumorzellen erfolgreich attackieren können (Linnebacher et al. 2001; Saeterdal et al. 2001). Tatsächlich weisen HNPCC-Patienten und -Anlageträger häufig T-Zellen auf, die Frameshift-Peptide erkennen (Schwitalle et al. 2008). Diese außerordentlich viel versprechenden Ergebnisse eröffnen völlig neue Möglichkeiten einer therapeutischen und prophylaktischen Vakzinierungsstrategie für MSI-Tumoren auf der Basis von Frameshift-Peptiden. Obwohl die molekularen und genetischen Ursachen der FAP sowie des HNPCC- oder Lynch-Syndroms bisher sehr gut untersucht sind, umfassen diese Syndrome jedoch im Falle der FAP nur etwa 0,2% und im Falle des HNPCC etwa 2–3% aller kolorektalen Karzinome. Berücksichtigt man ebenfalls die oben erwähnten anderen genetischen Erkrankungen wie MUTYH-assoziierte Polyposis (~1%), Peutz-Jeghers-Syndrom, juvenile Polyposis und Cowden-Syndrom, so machen diese Syndrome zusammen 3-6% aller kolorektalen Karzinome aus. Man vermutet daher, dass für einen Großteil der auf insgesamt bis zu 25–30% geschätzten familiären Fälle sowie einen erheblichen Anteil der sporadischen Kolonkarzinome Genmutationen bzw. –varianten mit geringer Penetranz verantwortlich sein könnten. Dies bedeutet, dass solche Mutationen meist nur in sehr geringer Frequenz mit einem bestimmten Phänotyp der Erkrankung assoziiert sind. Zu solchen »Low-penetrance«-Varianten zählen beispielsweise Mutationen im APC-Gen (I1307K) und im TGFBR1-Gen (TGFBR1*6A). Träger der APC-Mutation I1307K, die ausschließlich bei Ashkenazi-Juden auftritt, haben ein bis zu 2-fach erhöhtes Risiko an Darmkrebs zu erkranken (Laken et al. 1997), während HNPCC-Patienten, die die Amsterdam-Kriterien erfüllen und keine pathogene Keimbahnmutation in einem der DNAMismatch-Reparaturgene (MMR-negativ) aufweisen, jedoch homozygot für die TGFBR1*6A-Mutation sind, ein 10-fach
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64 Kapitel 5 · Molekulare Pathogenese, Diagnostik und Therapie hereditärer Tumoren des Gastrointestinaltrakts
5
höheres Darmkrebsrisiko haben als MMR-negative Personen ohne diese Mutation (Bian et al. 2005). TGFBR1-Varianten scheinen auch ohne den Hintergrund von HNPCC einen Einfluss auf das Darmkrebsrisiko zu haben. In einer neuen Studie wurde nachgewiesen, dass eine Allel-spezifische Expression von TGFBR1, die zu verminderter Genexpression führen kann, bei ca. 20 % von Patienten mit kolorektalem Karzinom, aber nur selten bei gesunden Kontrollpersonen beobachtet wird (Valle et al. 2008). Diese Untersuchungen legen nahe, dass genetische Faktoren in deutlich mehr Patienten, die an kolorektalen Karzinomen erkranken, eine Rolle spielen könnten als nur bei HNPCC, FAP und den anderen seltenen Tumorprädispositionssyndromen. Ungeklärt sind jedoch sowohl die molekularen Mechanismen als auch die Frage, ob diese Varianten ursächlich zur Erkrankung beitragen oder lediglich als Modulatoren zusammen mit anderen genetischen und exogenen Veränderungen wirken.
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5
6 6 Genetische Aberration, Genexpressionprofile und Epigenetik R. Kemper, B.M. Ghadimi
6.1
Genetische Aberrationen
– 68
6.1.1 Translokation – 68 6.1.2 Deletion, Insertion und Inversion 6.1.3 Amplifikation – 70
6.2
Epigenetik
– 69
– 71
6.2.1 DNA-Methylierung – 71 6.2.2 Genregulation und Chromatinstruktur – 72 6.2.3 Epigenetik und Tumorentstehung – 72
6.3
Genexpressionsprofile Literatur
– 74
– 73
68 Kapitel 6 · Genetische Aberration, Genexpressionprofile und Epigenetik
6
> Die Behandlung von malignen Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren zu einem interdisziplinären Konzept entwickelt. So ist nicht mehr allein die chirurgische Intervention maßgebend, sondern wird zusätzlich durch adjuvante und/ oder neoadjuvante radio-/chemotherapeutische Maßnahmen optimiert. Mit steigendem Verständnis über die Pathobiogenese von Krebserkrankungen werden in Zukunft weitere Therapieoptionen entwickelt werden können. Deshalb ist das grundlagentheoretische Wissen auch in der onkologischen Chirurgie nicht mehr wegzudenken. Im folgenden Kapitel sollen die wesentlichen Grundlagen maligner Tumoren vorgestellt werden. Da menschliche Krebszellen aus einer Vielzahl möglicher chromosomaler Aberrationen und epigenetischer Modifikationen entstehen, fokussierte sich die Erforschung maligner Krebserkrankungen in den letzten Jahren mehr und mehr auf molekularbiologische Analysen von DNA-assoziierten Abnormalitäten. Mit den stetig zunehmenden, technischen und methodischen Neuerungen der Nachweisverfahren wurde eine immense Masse multidimensionaler Datensätze über das Entstehen und Wachstum von Malignomen akquiriert. Um dieses kontinuierlich zunehmende Wissen über reversible und irreversible Veränderungen unterschiedlicher Tumorerkrankungen nutzen zu können, wurde der Versuch gestartet, die gewonnenen, kaum noch überschaubaren Informationen in einer Art Krebsgenomregister zu katalogisieren und kontinuierlich auszubauen. Zu erwähnen sei hier in erster Linie der Cancer Genome Atlas Project, welcher durch das US National Cancer Institute und das National Human Genome Research Institute ins Leben gerufen wurde. Das Ziel dieses Pilotprojektes liegt in der Prävention, der Diagnose und der Behandlung von malignen Krebserkrankungen. Daher soll mit der Entschlüsselung des Krebsgenoms die direkte Verbindung zwischen der genetischen Aberration und den pathogenetischen Mechanismen einer Erkrankung aufgeschlüsselt werden. Der größte Erfolg besteht dann in der Tatsache, diese molekularen Mechanismen für die Therapie oder die Entwicklung von Biomarkern nutzbar zu machen. Schrittweise konnten bereits einige der genomische Entdeckungen in klinische Verfahren konvertiert werden, was die Unabdingbarkeit dieses »theoretischen« Verständnisses für eine zukünftige, routinemäßige klinische Anwendbarkeit verdeutlicht.
6.1
Genetische Aberrationen
Manche Mutationen entstehen spontan, da die DNA ein labiles Makromolekül ist. Andere Mutationen werden durch Einwirkungen aus dem Inneren der Zelle und/oder aus der Umwelt verursacht. Jedenfalls sind Mutationen unvermeidlich aber auch zugleich unabdingbar, da sie einerseits für die genetischen Unterschiede zwischen den Individuen einer Art und für deren Evolution verantwortlich sind. Andererseits können Mutationen aber auch tödliche Erkrankungen verursachen. Unter einer genetischen Aberration versteht man eine drastische Veränderung des Genoms. Hier wird zwischen nu-
merischen Aberrationen im Sinne einer veränderten Chromosomenzahl und strukturellen Aberrationen, also Veränderungen auf chromosomaler Ebene, des Chromatins oder einzelner Nukleotide mit Folge einer gestörten DNA-Sequenz, unterschieden. Hierzu gehören im Wesentlichen: 4 Translokation 4 Deletion/Insertion 4 Inversion 4 Amplifikation Solche Aberrationen entstehen entweder »spontan« oder werden von außen (z. B. Chemikalien oder Strahlen) durch unsere natürliche und zivilisatorische Umwelt »induziert«. Derartige Aberrationen führen dann zur Expression von Onkogenen, welche grundlegende pathophysiologische Aspekte der Tumorigenese, wie z. B. Angiogenese, Metastasierung, Apoptose, Zellwachstum und Metabolismus, steuern (Hanahan u. Weinberg 2000). In diesem Kontext wurde der Begriff der genetischen Instabilität geprägt. Die genetische Instabilität gilt als die zentrale molekularpathologische Eigenschaft der Krebszelle, die nicht nur für die Entstehung, sondern auch für den weiteren Progress des neoplastischen Wachstums verantwortlich gemacht wird. Dabei lassen sich Manifestationen der genetischen Instabilität der Tumorzellen sowohl auf chromosomaler (Aneuploidie, Polyploidie etc. im Sinne einer gestörten Zellteilung) als auch auf DNA-Ebene (Translokation, Inversion, Deletion etc.) nachweisen. Ein Begriff, der im Zusammenhang der genetischen Instabilität fast simultan verwendet wird, ist die sog. Mikrosatelliteninstabilität (MIS). Die Mikrosatelliteninstabilität ist ein bekannter Mechanismus bei der Entstehung gastrointestinaler Tumoren. Dem hereditären, nicht-Polyposis-assoziierten, kolorektalen Karzinom, das sog. HNPCC oder Lynch-Syndrom, dessen enge Assoziation – in ca. 90% der Fälle – mit der MIS in vielen Studien nachgewiesen wurde, kommt hier eine besondere Stellung zu. Da die MIS aber auch in etwa 10–15% sporadischer Tumoren auftritt wird diese Form genetischer Aberration der Vollständigkeit halber hier erwähnt.
6.1.1 Translokation
Unter einer Translokation versteht man im Allgemeinen eine Verlagerung eines Chromosomenstücks von seinem ursprünglichen Ort auf ein anderes Chromosom oder eine andere Stelle des gleichen Chromosoms.
1960 entdeckten Peter Nowell und David Hungerford das sog. Philadelphia-Chromosom (Nowell u. Hungerford 1960; Rudkin et al. 1964). Dieses Chromosom entspricht einem verkürzten Chromosom 22 (t(9;22)(q34;q11)), das aus einem transloziertem Chromosomenabschnitt zwischen Chromosom 9 und 22 hervorgeht und eng mit der chronisch myeloischen Leukämie oder anderen Formen der akuten lymphatischen Leukämie assoziiert ist. Die Bruchstellen beider Chromosomen liegen zum einem im Bereich des c-ABL-Gens (»Abelson mu-
69 6.1 · Genetische Aberrationen
rine leukemia viral oncogene homolog 1«) des Chromosom 9 und zum anderen dem BCR-Gen (»breakpoint cluster region«; benannt aufgrund der häufigen Brüche in diesem Gen) auf dem Chromosom 22. Das Fusionsprodukt BCR-ABL ist in seiner katalytischen Aktivität im Vergleich zur Tyrosinkinase ABL um ein Vielfaches gesteigert und resultiert in einer unkontrollierten Hyperplasie der weißen Blutkörperchen. Auch wenn die meisten der bekannten chromosomalen Translokationen vor allem bei hämatologischen Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen, ist diese Form der Aberration auch mit soliden Tumoren assoziiert. Erst kürzlich konnte beispielsweise die chromosomalen Translokation in den direkten Zusammenhang mit der Entstehung von Prostatakarzinomen gestellt werden. Nachdem das pathophysiologische Prinzip, das auf der genetischen Aberration basiert und für die Entstehung diverser Formen der Leukämie verantwortlich ist, aufgedeckt wurde, konnte mehr als 30 Jahre später mit dem Pharmakon Imatinib, ein ABL-Inhibitor, ein effektiver Therapieansatz entwickelt werden. Unglücklicherweise bilden auch Tumorzellen aufgrund nachträglicher Punktmutationen im Therapieverlauf Resistenzen gegen Imatinib aus. Dennoch konnte auf der Grundlage genomischer Analysen von Imatinib-resistenten Tumorzellen diese Punktmutationen aufgedeckt werden und führte dadurch zur Weiterentwicklung anderer Pharmaka wie Nilotinib und Dasatinib (Schiffer 2007). Diese Tyrosinkinaseinhibitoren finden nicht nur bei hämatologischen Erkrankungen Anwendung, sondern auch in der Behandlung solider Tumore, wie z. B. gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) oder dem malignen Melanom. GIST-Tumoren sind typischerweise mit genetischen Mutationen im c-KIT (Stammzellfaktor-Rezeptor) und PDGFRA (»platalet derived growth factor rezeptor α«) assoziiert. Auch hier kommt es bei dieser Therapie mit Imatinib zunehmend zu Resistenzen. Zwei mögliche Mechanismen der Resistenzbildung sind zum einen der sog. »Kinase-Switch«, d. h. eine andere Rezeptortyrosinkinase AXL wird sekundär überexprimiert, bzw. das Phänomen der Amplifikation (s. u.; Tarn et al. 2006).
Auswirkungen haben, wie z. B. Modifikationen in Introns, in sog. nicht-kodierenden Genabschnitten. 2003 wurde das Human Genome Project vollendet, wobei ca. 25.000 Gene der menschlichen DNA identifiziert und annähernd drei Milliarden Basenpaarsequenzen entschlüsselt wurden. Im Fokus der Krebsforschung standen daraufhin Sequenzanalysen von Genen, Genfamilien oder Genen von zellulären Signaltransduktionswegen, die für die Entstehung von Malignomen grundlegend sind. Solche Gene wurden daraufhin in DNA-Reparaturgene und/oder Tumorsuppressorgene, die eine physiologisch protektive, antikarzinogene Funktion innehaben, und in Protoonkogene, die erst durch Mutation ihre maligne, karzinogene Eigenschaft entfalten, unterschieden. Die sicherlich bekanntesten Tumorsuppressorgene sind das p53 und PTEN (Phosphatase und Tensin Homolog auf Chromosom 10). PTEN ist ein physiologischer Antagonist des Phosphatidylinositol-3-Kinase-Signaltransduktionsweges (PI3K), der maßgebenden Einfluss auf Zellwachstum, Zellzyklus, Zellmigration und Apoptose hat (Cantley 2002). Viele der Mutationen im PTEN-Genlokus finden innerhalb der für die Phosphateseeigenschaft kodierenden Sequenzen statt und resultieren im Verlust der inhibitorischen Funktion von PTEN. Diese Mutation sind mit einer Reihe solider Tumoren, wie z. B. Malignome der Prostata, der Harnblase, der Brust und des Gehirns, assoziiert (Li et al. 1997). Interessanterweise spielen die Expressionslevel von PTEN auch für die bei kolorektalen Karzinomen angewandte Antikörpertherapie mittels Cetuximab (s. u.) eine wichtige Rolle (Jhawer et al. 2008). Protoonkogene kommen in jeder Zelle vor und Mutationen in diesen Genabschnitten führen im Allgemeinen zu einer unkontrollierten Stimulation von Zellzyklus, Zellteilung und Zellwachstum. Zu diesen Protoonkogenen gehören im Wesentlichen: 4 Wachstumsfaktoren (z. B. PDGF) 4 Wachstumsfaktorrezeptoren (z. B. ErbB2-Rezeptoren) 4 Proteinkinasen (z. B. Serin/Threoninkinasen) 4 Transkriptionsfaktoren (z. B. c-Myc) 4 Virale Onkogene (z. B. HTLV I)
6.1.2 Deletion, Insertion und Inversion
Da der genetische Aufbau von Tumoren Einfluss auf die Prognose und den Erfolg der Therapie hat, ist es wichtig herauszufinden, welchen molekularbiologischen Hintergrund die Tumoren haben. Am Beispiel des kolorektalen Karzinoms ist die Strategie molekularbiologisches Grundlagenwissen mit klinisch-therapeutischen Verfahren zu verknüpfen, besonders eindrucksvoll zu veranschaulichen. Ein derzeit anerkanntes Modell der Entstehung des kolorektalen Karzinoms ist die Adenom-Karzinom-Sequenz (Muto et al. 1975). Bei diesem Modell wird von einem kontinuierlichen Übergang einer hyperproliferativen Schleimhaut zum frühen Adenom, intermediären Adenom, späten Adenom bis zum Karzinom ausgegangen. 1990 ordneten Fearon und Vogelstein der histologischen Entwicklung der Neoplasie und deren Progression die jeweilige Mutation eines oder mehrerer Gene zu. Der Mutation des K-ras-Protoonkogens kommt hier eine besondere Rolle zu. Das 21 kDa große Protein K-ras – erstmalig in Ratten beschrieben und sich vom
Während man unter einer Deletion den Verlust von Abschnitten eines Chromosoms versteht, bezeichnet man mit der Insertion den Einbau eines DNA-Stücks in ein Chromosom. Bei einer Inversion kommt es zur Verdrehung eines Chromosomenabschnittes.
Bei den hier beschriebenen Mutationsvarianten kann es sich um Veränderungen eines einzelnen (Punktmutation) oder mehrerer Basenpaare bis hin zur Modifikation eines ganzen Chromosomenabschnittes handeln. Entscheidend ist jedoch, dass das eigentliche Leseraster der jeweiligen Genabschnitte verschoben ist und dadurch die Funktion des Genprodukts verändert ist. Selbstverständlich kann eine Abweichung von der eigentlichen DNA-Sequenz auch keinerlei phänotypischen
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70 Kapitel 6 · Genetische Aberration, Genexpressionprofile und Epigenetik
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Rattensarkom ableitend – und seine Homologe alternieren zwischen der GTP-gebundenen, aktiven und der GDP-gebundenen, inaktiven Form. Tyrosinkinaserezeptoren und G-Protein-gekoppelte Rezeptoren können Ras aktivieren, das seinerseits Signalkaskaden wie z. B. den MAPK-Signaltransduktionsweg (mitogenaktivierte Proteinkinase) stimulieren kann. Viele Effektoren im Signalweg dieser Kaskaden sind ebenfalls Protoonkogene, wie z. B. c-Jun, c-Fos, c-Myc, c-Myb (Mansour et al. 1994). Die meisten Mutationen an den sog »hot spots« im Kodon 12, 13 und 61 des K-ras-Gens führen zu einer veränderten sterischen Konfiguration des Proteins und reduzieren dadurch die eigene GTPase-Aktivität und die Fähigkeit, mit GTPase aktivierendem Protein (GAP) zu interagieren. So wird die Aktivität des Proteins nicht beendet und wachstumsstimulierende Signale wirken ungebremst auf die Zelle ein. Insgesamt wurden in der letzten Dekade neben dem K-ras-Signalweg drei weitere Effektoren diverser Signaltransduktionswege für die Entstehung von kolorektalen Tumoren verantwortlich gemacht: 4 Wnt/Wingless 4 Transformierender Wachstumsfaktor (TGF) 4 p53 Im Rahmen der Erforschung des Kolonkarzinomes konnte ein Biomarker entwickelt werden, der sog K-ras-Status. Mittels PCR-Analysen des jeweils gewonnenen Tumorgewebes wird bei diesem Status zwischen Wildtyp und mutiertem K-ras unterschieden. Gleichzeitig erfolgt eine immunhistochemische Detektion der EGFR-Expression (»epidermal growth factor receptor«) der malignen Zellen. Die EGF-Rezeptoren überführen extrazelluläre Stimuli über GTP-gebundenes Ras-Protein in intrazelluläre Signale. Da in dieser Signalkaskade viele zellbiologische Aspekte der Tumorigenese/Tumorprogression vermittelt werden, kann durch die Inhibition der EGF-Rezeptoren durch Antikörper, wie Cetuximab oder Panitumumab, der Tumorprogress gestoppt werden. Der Einsatz dieser Antikörpertherapie in Kombination mit den üblichen Chemotherapieschemata wurde bereits in vielversprechenden Studien an Patienten mit fortgeschrittenem, metastasiertem kolorektalen Karzinom erprobt und bestätigte ein deutlich reduziertes Progressionsrisiko bzw. ein verlängertes tumorfreies Stadium. Unglücklicherweise profitieren lediglich Patienten mit unverändertem K-ras-Status, also mit wildtypischem, nicht-mutiertem K-ras-Gen, so dass die Therapie mit EGFR-Antikörpern auf diese Patienten beschränkt ist. Das liegt im Wesentlichen an der Tatsache, dass mutiertes Ras-Protein in einer konstitutiv aktiven Form vorliegt und von der übergeordneten, regulativen Funktion des EGF-Rezeptor entkoppelt ist (Lievre et al. 2006; Amado et al. 2008; Van Cutsem et al. 2009). Andere genetische Analysen anderer Tumoren ergaben, dass auch im Adenokarzinom des Pankreas eine der Entstehung des kolorektalen Karzinom ähnliche Adenom-Karzinom-Sequenz aufzufinden ist (Klein et al. 2002). Mit einer etwa 70%-igen Prävalenz fanden sich in duktalen Pankreaskarzinomen aktivierende Mutationen des K-ras-Gens, so dass auch hier der Versuch einer mit EGF-Rezeptorantagonisten kombinierten Chemotherapie initiiert wurde (Laurent-Puig et al. 2009).
6.1.3 Amplifikation Im Rahmen der Zellteilung erfolgt in der Replikationsphase (S-Phase) die Verdoppelung der DNA, so dass in den aus der Zellteilung resultierenden Zellen derselbe diploide Chromosomensatz bzw. dasselbe genetische Erbgut anzufinden ist. Während der S-Phase wird normalerweise jeder Abschnitt des Genoms nur ein einziges Mal repliziert. Das ist alles andere als selbstverständlich, denn zwischen dem Anfang und dem Ende der S-Phase liegen üblicherweise mehrere Stunden, und bereits replizierte und noch nicht replizierte DNA-Abschnitte liegen auf engem Raum nebeneinander in einem Zellkern, der ganz auf Replikation eingestellt ist. Eine Ausnahme dieser Regel ist der Prozess der Amplifikation.
Unter einer Amplifikation versteht man die gerichtete und ungerichtete Vermehrung von DNA-/Genabschnitten. Die amplifizierte DNA kann sich in langen Blöcken, sog. »homogeneously staining regions«, hintereinander anordnen oder aber aus dem Verband des Chromatins entlassen werden und sich als eine Art »Minichromosom« formieren. Dadurch kommt es zu einer Überexpression von Genen dieser Abschnitte, was letztendlich je nach betroffenem Gen früher oder später in einer zellulären Dysbalance enden kann.
Dieser Prozess findet im Allgemeinen in Tumorzellen oder nach chronischer Einwirkung von Zellgiften statt. Beispielsweise hemmt Methotrexat das Enzym Dihydrofolat-Reduktase und tötet dadurch schnell wachsende Zellen. Mit zunehmender Behandlungsdauer überleben jedoch einige Zellen, die sich dadurch auszeichnen, dass der Genabschnitt, der für die Dihydrofolat-Reduktase kodiert, amplifiziert wurde und dadurch den inhibierenden Effekt von Methotrexat zunehmend neutralisiert. Inwieweit die Amplifikation ein Baustein bei der Tumorigenese ist, wird am Beispiel des HER2-Gens (»human epidermal growth factor receptor«) und seiner Rolle in der Entstehung von Brustkrebs klar. Das HER2-Protein ist ein transmembranöser Tyrosinkinaserezeptor der EGFR-Familie (s. o.). Die Aktivierung dieser Tyrosinkinase – durch bisher noch nicht geklärte Faktoren (Liganden) – beeinflusst wesentliche Aspekte der Tumorigenese, wie Apoptose, Proliferation, Migration, Differenzierung etc. In ca. 95% der Fälle resultiert die Überexpression von HER2 aus einer erhöhten Anzahl der Kopien dieses Proteins durch teilweise bis zu 100-facher Genamplifikation (Burstein 2005; Paik et al. 2008). Das Entscheidende dieser Erkenntnis liegt nun in der Tatsache, dass HER2-überexprimierende Brustkrebstypen eine deutlich schlechtere Prognose aufweisen als HER2-negative Brustkrebstypen. HER2-Überexpression und/oder Amplifikation ist ebenfalls in anderen soliden Tumoren zu beobachten (Gravalos u. Jimeno 2008). Besonders eindrucksvoll konnte das Vorliegen dieses Phänomene anhand von Immunhistochemien und FISH-Analysen am Beispiel des Adenokarzinom des Magens
71 6.2 · Epigenetik
nen, Gene Activating. Inwiefern die DNA-Methylierung in Krebserkrankungen maßgebend ist, wurde erst in den letzten zehn Jahren etabliert und birgt ein komplett neues Feld therapeutischer Optionen (Jones u. Baylin 2007). Im Folgenden soll ein kleiner Überblick über die bisher bekannten Wirkmechanismen der Epigenetik und der Zusammenhang mit malignen Erkrankungen gegeben werden.
6.2.1 DNA-Methylierung
. Abb. 6.1. Dargestellt sind Tumorzellen des Magenkarzinoms, in denen mittels FISH-Test Amplifikationen des HER2-Gens detektiert wurden. Die rot fluoreszierenden DNA-Sonden binden spezifisch an den HER2-Genlokus. Die Zellkerne sind hellblau gefärbt. (Mit freundlicher Genehmigung von J. Rüschoff, Kassel)
nachgewiesen werden (. Abb. 6.1; Hofmann et al. 2008). Unglücklicherweise besitzen diese Malignome weltweit die zweithöchste Krebsmortalität, was in erster Linie auf die sehr späte Diagnose dieser Erkrankung in meist irresektablen Tumorstadien zurückzuführen ist. Da derzeit ein global einheitliches Therapieregime nicht etabliert werden konnte, ist die Entwicklung weiterführender therapeutischer Strategien notwendig. Auf der Basis der oben genannten Erkenntnisse erfolgt in vielversprechenden Studien die Kombination von Chemotherapeutika mit einem HER2-Antikörper (Trastuzumab, »Herceptin«), der bereits in der Therapie von Brustkrebs zum Einsatz kommt (Fujimoto-Ouchi et al. 2007; Hudis 2007; Marx et al. 2009). Ob die Therapie des Magenkarzinoms mit Trastuzumab in Zukunft routinemäßige Anwendung finden wird, wird von den Resultaten, die aus der klinischen Erprobung dieses Medikaments hervorgehen werden, abhängig sein. Erste vielversprechende Ergebnisse konnten bereits im Rahmen einer multizentrischen Phase-III-Studie (ToGa-Studie) verzeichnet werden (Van Cutsem 2009; Bang 2009).
6.2
Epigenetik
Die genetische Information eines Organismus wird sowohl zeitlich als auch räumlich unterschiedlich exprimiert. Das Stichwort in diesem Zusammenhang ist Epigenetik. Hierunter versteht man vererbte, genetische Auswirkungen, die nicht durch Nukleotidsequenzen allein, sondern durch übergelagerte Vorgänge bestimmt werden. Entscheidend ist jedoch, dass die Nukleotidsequenz dabei nicht verändert wird. Diese Mechanismen sind vor allem: 4 Konformationsänderung des Chromatins 4 Methylierung/ Demethylierung von DNA Epigenetische Mechanismen führen zur Regulierung der Genexpression, indem bestimmte Genabschnitte stillgelegt, Gene Silencing, und andere Bereiche aktiviert werden kön-
Ein Hepatozyt und eine Neuron desselben Organismus sind zwar einerseits genetisch identisch, sind aber andererseits aufgrund unterschiedlicher Genexpression strukturell und funktionell höchst unterschiedlich. Epigenetische Modifikationen führen während der Morphogenese von Organen zur Blockade von Genen, die in differenzierten Zellen nicht benötigt werden oder sogar schädlich sein können. Inwieweit modulieren nun die Methylierung und Demethylierung von DNA die genetische Expression? Die DNA von Wirbeltieren und Pflanzen enthalten methyliertes Cytosin, 5-Methyl-Cytosin, als »fünfte Base«. Nebenbei bemerkt weisen kleinere Organismen nur sehr wenig methylierte DNA-Sequenzen auf. Daraus kann man schließen, dass im Verlauf der Evolution in komplexeren Genomen die DNA-Methylierung notwendig wurde (Jaenisch u. Bird 2003). Nach der Befruchtung werden nahezu alle 5-MethylCytosin-Reste demethyliert. Anschließend wird nach stattgehabter Implantation die Mehrzahl der CpG-Folgen wiederum unspezifisch methyliert. Erst danach setzt die Feinregulation ein, wobei zu Beginn die CpG-Inseln in den Promotoren der Haushaltgene (z. B. Aktin) demethyliert werden und erst danach die Promotoren anderer Gene, die in den betreffenden Zellen im Zuge der Differenzierung zur Expression kommen werden. Entscheidend ist, dass lediglich die Cytosin-Bausteine in den sog CpG-Inseln methyliert werden. Ein derartig festgelegtes Methylierungsmuster bleibt weitestgehend für die restliche Lebensspanne erhalten und überträgt sich auch auf die späteren Tochterzellen. Das Enzym, das für die Methylierung von Cytosin verantwortlich ist, wird DNA-Methyltransferase 1–3 (kurz: DNMT) bezeichnet. Bei der Replikation folgt DNMT-1 dem Replikationskomplex, erkennt methylierte DNA-Sequenzen des »alten« Stranges und fügt analog dazu an den neu synthetisierten DNA-Strang Methylreste ein. In vielversprechenden Studien konnte belegt werden, dass in der physiologischen Entwicklung DNMT unabdingbar ist und bei komplettem Verlust in der embryonalen Phase Apoptose induziert. Interessanterweise führt der Verlust von DNMT in Krebszellen nicht zum Zelluntergang (Rhee et al. 2002). Die Cytosine in den CpG-Inseln vor aktiven Genen sind nicht methyliert, wohingegen methylierte CpG-Inseln zu einer Blockade der Genexpression führen. Ursache dafür sind Proteine bzw. Proteinkomplexe, die speziell methylierte DNA erkennen. Dazu gehört das Methyl-CpG-Bindeprotein (MeCP), welches wiederum Proteinkomplexanlagerungen ermöglicht (s.u.) und so inhibitorischen Einfluss auf die Genexpression hat.
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72 Kapitel 6 · Genetische Aberration, Genexpressionprofile und Epigenetik
6.2.3 Epigenetik und Tumorentstehung Manche DNA-Regionen sind durch das Auftreten von CGreichen Arealen (bis zu Längen von 1000 Basenpaaren) gekennzeichnet. Diese Abschnitte liegen typischerweise »stromaufwärts« von Genen. Solche Regionen werden als »CpG-Inseln« bezeichnet. Interessanterweise kommen Cytosin-Guanosin-Dinukleotide (CpG) in anderen DNAAbschnitten deutlich seltener vor, als man aus statistischen Gründen erwarten würde.
6.2.2 Genregulation und Chromatinstruktur
6
Mithilfe der Chromatinstruktur lassen sich Aussagen über die Aktivität von Genen treffen. Die Chromatinstruktur wird vor allem durch Histonmodifikationen und Nukleosom-Remodellierung. So liegen aktive Gene meistens in Bereichen des Euchromatins, das die aufgelockerte, nichtkondensierte DNA zusammenfasst. Dagegen finden sich im Hetereochromatin stumme Gene. Unter dem Hetereochromatin sind kondensierte DNA-Abschnitte zu verstehen. Ein klassisches Beispiel inaktivierten Chromatins ist das zusätzliche X-Chromosom in weiblichen Säugetieren und kann in der Lichtmikroskopie als Barr-Körperchen identifiziert werden. Die Hauptursache für das Kondensieren von DNA-Abschnitten zu Heterochromatin liegt in Histonen, um die ähnlich einer Spule in fast zwei Windungen die DNA verschlungen ist. Histone können mittels Methylierung, Acetylierung und Phosporylierung in ihren biochemischen Eigenschaften verändert werden, wodurch wiederum die Transkription beeinflusst wird. So transferieren Histon-Acetylasen Acetyl-Gruppen von Acetyl-CoA auf Lysin-Reste der Histon-Domänen. Dadurch kommt es aufgrund der positiv geladenen AcetylGruppe zu Veränderungen in den Bindungseigenschaften der Histone und der DNA-Strang lockert sich auf. Sogenannte »chromatin remodeling complexes« können dann die Struktur der DNA derart verändern, dass Transkriptionsfaktoren und andere Proteine problemlos binden können. Dadurch wird die Transkription der jeweiligen Chromosomenabschnitte erhöht. Die Phosphorylierung von Histonen ist ein wichtiger Aspekt während der Replikation, der DNA-Duplikation vor der Zellteilung. Abgesehen davon sind die Auswirkungen der Histon-Methylierung derzeit noch weitestgehend unklar. Wie weiter oben bereits erwähnt resultiert die Methylierung von DNA in der Bindung von MeCP2 und einem aus vier Untereinheiten bestehenden Proteinkomplex. Zwei dieser Einheiten sind Histon-Deacetylasen (HDAC). So führt einerseits die Methylierung von DNA-Abschnitten unter anderem durch Deacetylierung von Histonproteinen zur Kondensation und somit zum Verstummen der jeweiligen Genexpression. Andererseits beeinflusst auch vice versa die Chromatinstruktur seinerseits die Methylierung bzw. Demethylierung von DNA-Regionen.
Lediglich die Cytosin-Bausteine in der Folge CpG werden methyliert. Eine Deaminierung von 5-Methyl-Cytosin führt zu Thymin, was unvermeidlich einer Mutation gleichkommt. Karzinogene, wie z. B. Benzopyrene, formen Produkte, welche an methylierten CpG-Inseln von Tumorsuppressorgenen zu solchen Mutationen führen. In der Analyse von Tumorzellen wurde darüber hinaus die Entdeckung gemacht, dass es trotz einer im Vergleich zu normalen Zellen ausgeprägten Hypomethylierung in bestimmten CpG-Abschnitten zu einer Hypermethylierung kommt. Inzwischen ist eine Vielzahl von in Tumorzellen alterierter Genloci identifiziert worden, welche durch DNA-Methylierung und Histonmodifikationen aktiviert und/oder supprimiert sind. Sie sind im Verständnis der Karzinogenese nicht mehr wegzudenken. Häufig sind Chromosomenabschnitte, welche für Tumorsuppressorproteine kodieren, betroffen. Abgesehen davon können viele Transkriptionsfaktoren an ihren typischen DNA-Erkennungssequenzen unter methylierten Konditionen nicht binden. Ein äußerst komplexes Model der Tumorprogression befasst sich mit dem Begriff der »epigenetic- and genetic gatekeepers«. In präinvasiven Stadien kolorektaler Tumore und anderer Malignome sind eine Reihe solcher Gene hypermyelinisiert, jedoch nur selten bereits mutiert. Zu diesen Genen gehören das Tumorsuppressorgen p16 sowie die Transkriptionsfaktoren GATA-4 und -5. In dem Modell verhindert einerseits die normale epigenetische Struktur dieser GatekeepersGene, dass epitheliale Stamm- und Vorläuferzellen sich endlos erneuern und »unsterblich« werden. Andererseits können diese Gene während der physiologischen Zellteilung und Zelldifferenzierung kontrolliert aktiviert werden und sind dadurch für die physiologische Erneuerung oder aber auch für die epitheliale Regeneration nach inflammatorischen Prozessen entscheidend mitverantwortlich. Eine atypische Hypermethylierung dieser Gatekeeper, wie sie in frühen Stadien der kolorektalen Karzinome gefunden wird, führt zur Stilllegung der Gene und resultiert in undifferenzierten Krebsstammzellen, die sich der physiologischen Apoptose entziehen. Im weiteren Tumorprogress erfolgt dann die Mutation von den sog. »genetic gatekeepers«, APC und β-Catenin, zur Aktivierung des Wnt-Signalweges (Kinzler u. Vogelstein 1996; Jones u. Baylin 2007). Die Tatsache, dass epigenetische Veränderungen so häufig in der Karzinogenese anzutreffen sind und eine so wichtige Rolle in der Tumorprogression spielen, führte zur Entwicklung neuer Therapiestrategien. In der Absicht die Hypermethylierung wieder umzukehren, wurden vor bereits 30 Jahren erstmalig Azanukleoside eingesetzt. Diese Substanz wird in Zellen, die sich in der Replikationsphase – also unmittelbar vor der Zellteilung – befinden, anstelle des Cytosin als Substrat eingesetzt. DNMT, das die Cytosine normalerweise methylieren würde, kann an die entstandenen Aza-Desoxyctosine binden wird aber daraufhin im weiteren Methylierungsprogress gestoppt. Stillgelegte Tumorsuppressorgene können so wieder aktiviert werden. Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert bis weitere Methylierungs- und Deacetylierungsinhibi-
73 6.3 · Genexpressionsprofile
toren, wie z. B. DNMT- und Histondeacetylase-Inhibitoren, entwickelt wurden. Einerseits besteht der Vorteil darin, dass Zellen, die sich nicht in der Teilung befinden, nicht involviert werden. Andererseits besteht der Kritikpunkt an dieser Therapie, dass die Inhibitoren unspezifisch wirken. Anscheinend aktivieren diese Pharmaka dennoch vorwiegend Chromosomenabschnitte, die pathologisch inaktiviert wurden, was möglicherweise auf eine höhere Instabilität dieser Regionen im Vergleich zu physiologisch stillgelegten Genabschnitten zurückzuführen ist. Diese Inhibitoren werden derzeit unter Studienbedingungen überprüft. Tumoren sollen auf diese Weise Radiochemotherapien und Immunotherapien besser zugänglich ge-
macht werden. In die Erforschung dieser Medikamente werden jedenfalls große Erwartungen gesteckt. Ein erster Erfolg in diesem Prozess liegt in der Entwicklung von 5-Aza-2’Desoxy-Cytosin (Dacogen oder Decitabine), das in der Behandlung des myelodysplastischen Syndroms seit 2006 eingesetzt wird.
. Abb. 6.2. Die gewonnen Daten einer Microarray Chip-Analyse können in sog. Clustern visualisiert werden. Verschiedene Gewebe-
proben (P Patient, Ordinate) und Gene (Abszisse) werden hier gegeneinander dargestellt
6.3
Genexpressionsprofile
Um globale transkriptionelle Dysregulationen in Tumorzellen zu charakterisieren, wurden in den letzten Jahren zunehmend molekularbiologische Verfahren in der Tumorforschung ein-
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74 Kapitel 6 · Genetische Aberration, Genexpressionprofile und Epigenetik
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gesetzt. Ein Aspekt in diesen Analysen sind die Genexpressionsprofile. Unter einem Genexpressionsprofil versteht man die Messung fast sämtlicher, aktiver Gene einer Zelle zum gleichen Zeitpunkt. Da Zellen im Allgemeinen lediglich einen Bruchteil ihrer genetischen Information aktiv verwenden, um über Transkription und Translation die Proteinsynthese zu aktivieren, kann mit diesem Verfahren ein Eindruck über die zelluläre Aktivität kreiert werden, und z. B. Aussagen über die Genexpression in verschiedenen Phasen des Zellzyklus getroffen werden. Aber welchen Nutzen für die Krebsforschung ergibt sich aus diesem Verfahren? Die Tatsache ist, dass jeder individuelle Tumor eine zellbiologische Heterogenität aufweist. Dadurch ist die Vorhersage des individuellen Krankheitsverlaufes und des Therapieerfolges trotz der zunehmenden Entwicklung prognostischer Faktoren nur schwer zu realisieren. Während auf der einen Seite mit der Detektion von genetischen und epigenetischen Aberrationen (z. B. mittels DNA-Sequenzierung oder In-situHybridisierungsverfahren) vor allem die potenziellen oder annehmbaren zellphysiologischen Veränderungen hergeleitet werden, kann auf der anderen Seite mit der Bestimmung von Genexpressionsprofilen ein detailliertes Bild der alterierten Zellfunktion bestimmt werden. Meistens wird im Rahmen dieser Experimente als Ausdruck der veränderten Genaktivität die relative Menge von synthetisierter mRNA verschiedener Zellen oder Gewebe unter unterschiedlichsten Bedingungen verglichen. Diese fluoreszenzmarkierten RNA-Proben werden dann in sog. Microarray-Analysen untersucht. Hierbei werden Daten mehrerer tausend Gene erfasst. Die Expressionsdaten werden üblicherweise in einer Art Matrix zusammengefasst, in der jede Reihe ein Gen und jede Zeile eine Probe umfasst. Die zueinander unterschiedlichen Expressionsprofile werden durch Farben visualisiert. Ähnlich exprimierte Gene können in sog. »Clustern« zusammengefasst werden, um die Datensätze besser zu beurteilen (. Abb. 6.2; Quackenbush 2006). Die Nutzung dieses Verfahren ist sehr aufwendig und kostspielig. Zudem sind die gewonnen Datensätze immens groß und dadurch auch sehr schwer interpretierbar. Trotzdem findet diese Methode mehr und mehr Anwendung in Studien, um es in Zukunft vielleicht standardmäßig in der Therapiestratefizierung anwendbar zu machen. In den meisten Fällen solider Tumoren steht an erster Stelle die chirurgische Sanierung. Im Falle des Rektumkarzinoms wird in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung die Operation durch eine neoadjuvante Bestrahlung oder kombinierte Radiochemotherapie zur Verhinderung eines Rezidives ergänzt (Sauer et al. 2004). Unglücklicherweise ist das Ansprechen individueller Tumor auf prä- oder postoperative Therapien nicht einheitlich, was das Problem aufwirft, dass eine Exposition von Bestrahlung und/oder Zellgiften, die ja ihrerseits Nebenwirkungen aufweisen können, Patienten mit Radiochemotherapie-resistenten Tumoren eigentlich hätte erspart bleiben und eine sofortige Operation eingeleitet werden können. Um diesem Dilemma zu entgehen, fokussiert sich ein Bereich der Krebsforschung darauf, durch vergleichende Expressionsstudien ausgewählter Gene aus unterschiedlichen Tumorstadien sowie von Tumorgewebe vor und nach einer Chemotherapie signifikante Expressionsmuster zu
identifizieren. Auf dieser Basis soll mit Hilfe der Bioinformatik eine Einteilung und Klassifizierung der Tumore bezüglich Krankheitsverlauf und Therapieansprechen erarbeitet werden. Eindrucksvoll wurde dies in vielversprechenden Studien demonstriert (Ghadimi et al. 2005; Debucquoy et al. 2009; Sotiriou u. Pusztai 2009). So konnte beispielsweise an Patienten, die an einem kolorektalen Karzinom erkrankt waren, der direkte inhibitorische Einfluss von Cetuximab auf proliferative und inflammatorische Gene dargestellt, dadurch potenziell prädiktive Biomarker herausgestellt und ansatzweise erste Vorhersagen bezüglich einem krankheitsfreien Intervall gemacht werden.
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6
7 7 Tumorangiogenese H. Nieß, C. Conrad, H. Seeliger, M.K. Angele, M. Eichhorn, K.-W. Jauch, C.J. Bruns
7.1
Einführung
– 78
7.2
»Tumor dormancy« und »angiogenic switch«
7.3
Proangiogene und antiangiogene Signaltransduktionskaskaden – 79
7.3.1 VEGF/VEGF-Rezeptoren – 79 7.3.2 Angiopoetine und »platelet derived growth factor« 7.3.3 Weitere Signaltransduktionskaskaden – 80
– 78
– 80
7.4
Physiologische Angiogenese versus Tumorangiogenese
– 81
7.5
Die Rolle von Knochenmarkszellen in der Angiogenese
– 81
7.6
Antiangiogene Therapiestrategien
– 82
7.6.1 Inhibitoren proangiogener Faktoren – 82 7.6.2 »Vascular disrupting agents«(VDA) – 83 7.6.3 Medikamente mit dem Ziel der Inhibierung matrixdegradierender Enzyme – 84 7.6.4 Antiangiogene Substanzen mit verschiedenartigen oder unbekannten Wirkmechanismen – 84 7.6.5 Zytostatika und zytotoxische Substanzen – 84
7.7
Antiangiogene Therapie und chirurgische Eingriffe Literatur
– 85
– 85
78 Kapitel 7 · Tumorangiogenese
7
> Solide Tumoren entstehen durch die Anhäufung von genetischen Mutationen oder Verlusten bestimmter Allele in Körper- oder Keimzellen und den dadurch bedingten Ausfall zellinterner Kontrollmechanismen mit konsekutiv ungehemmtem Zellwachstum. Dieser Umstand ist unter anderem in der Adenom-Karzinom-Sequenz von kolorektalen Karzinomen beschrieben und stellt sich meist als schrittweiser Prozess ausgehend von der mutierten Zelle über einen nichtinvasiven Tumor bis hin zum invasiven, metastasierenden Karzinom dar (Hanahan u. Weinberg 2000). Die verschiedenen genetischen Veränderungen bewirken einen Überlebens- und Wachstumsvorteil der mutierten Zellen und begünstigen die Entstehung von Tumoren mikroskopischer und im weiteren Verlauf auch makroskopischer Größe. Um den Prozess des Tumorwachstums und dem Zuwachs seiner Malignität zu verstehen, muss neben den genetischen Veränderungen in der Tumorzelle auch die Interaktion des Tumors mit dem umliegenden Mikromilieu, insbesondere mit dem Gefäßsystem betrachtet werden. Im Initialstadium der Tumorerkrankung erfolgt die Versorgung der Tumorzellen mit Nährstoffen und Sauerstoff per Diffusion aus dem benachbarten Gewebe. In Abhängigkeit ihrer Entität und des Tumorstadiums müssen Tumoren ab einer bestimmten Tumorgröße, die meist bei ca. 1–2 mm3 liegt, für ein weiterführendes Wachstum zu einem makroskopischen Tumor jedoch Anschluss an das Gefäßsystem des Organismus erlangen. Dieser Prozess der Tumorangiogenese wird, abgesehen von wenigen Ausnahmen, von allen soliden Tumoren als wichtiger Schritt ihres Wachstums und ihrer Metastasierung vollzogen. Auch Metastasen benötigen ab einer bestimmten Größe eine adäquate Gefäßversorgung, um wachsen zu können.
7.1
Einführung
Die Erforschung der Tumorangiogenese nahm in den 1930erund 1940er-Jahren ihren Anfang. Zu dieser Zeit beschrieben Gordon Ide und Glenn Algire die Entwicklung von Tumoren und den dazugehörigen Gefäßen in den frühen »Ohrhautkammern« bei Hasen und Mäusen. Die Wissenschaftler bemerkten, dass die exponentielle Tumorwachstumsphase von der Entwicklung von Tumorgefäßen abhängt und dass diese Gefäßentstehung der exponentiellen Wachstumsphase stets vorangeht. Versuche aus den 1960er-Jahren bestätigten erstmals die Existenz von humoralen Faktoren, die vom Tumor ausgeschüttet werden und die Angiogenese antreiben. Judah Folkmann, US-amerikanischer Kinderchirurg, hypothetisierte in den 1970er-Jahren, dass eine spezifische Therapie, die das Tumorgefäßsystem als Angriffspunkt erklärt, zu einer Hemmung des Tumorwachstums bzw. einer Reduktion der Tumormasse und Rezidivrate führen könnte (Folkman 1971). Dies war der Beginn der intensiven Erforschung von Angiogenese mit dem Fokus auf eine gezielt antiangiogene und somit therapeutische Intervention bei Tumorerkrankungen.
7.2
»Tumor dormancy« und »angiogenic switch«
Tumorzellen, die auf zellulärer Ebene zwar über genetische Mutationen verfügen, jedoch nicht zu einem klinisch apparenten Tumor führen, findet man in folgenden Situationen: 4 im Initialstadium jeder Tumorerkrankung, 4 bei residualen Tumorzellen nach unvollständiger Resektion bzw. Therapie 4 und in Mikrometastasen. Dieser avaskuläre Zustand des Tumors kann über Jahre anhalten und wird als »tumor dormancy« bezeichnet. »Tumor dormancy« wird entweder durch Mangel an stimulierenden bzw. wachstumspermissiven Einflüssen oder aber durch aktive Inhibierung des weiteren Wachstums unterhalten. Schafft es ein Tumor nicht, entweder eigenständig Anschluss an das Gefäßsystem des Organismus zu erlangen, oder bereits existierende Blutgefäße zu vereinnahmen (wie z. B. bei Astrozytomen der Fall), so wird er nicht zu einer klinisch apparenten Tumorgröße anwachsen. Zu den Einflüssen, die Tumoren bzw. Metastasen in ihrem »Schlafzustand« halten, gehören das Immunsystem, das ektope Gewebe in dem sich Fernmetastasen absiedeln, Arrest des Zellzyklus, Hormonentzug und Inhibierung der Angiogenese (Naumov et al. 2008). Diese »schlafenden« Tumoren zeichnen sich durch ihre Unfähigkeit aus, angiogene Aktivität zu induzieren. Entweder fehlt die Expression proangiogener Substanzen gänzlich, oder sie exprimieren zu gleichen Anteilen proangiogene und antiangiogene Substanzen bzw. ein höheres Maß an antiangiogenen Substanzen. Sauerstoff kann im Gewebe auf Meeresniveau ungefähr über eine Strecke von 100 μm diffundieren. Im Rahmen des avaskulären Tumorwachstums kommt es daher ab einer kritischen Größe zu hypoxischen Arealen im Tumorgewebe, da diese Bereiche nicht mehr adäquat per Diffusion mit Sauerstoff versorgt werden können. Tumoren verfügen im Vergleich zu den Gewebszellen, aus denen sie entstammen, über einen verminderten Sauerstoffverbrauch und einer damit verbunden erhöhten Hypoxieresistenz. Hingegen führt Hypoxie auch in den Tumorzellen ab einem gewissen Grad, neben weiteren zellulären Stressfaktoren, zur Induktion der »hypoxia-inducible transcription factors« 1α und -2α (HIF-1α/HIF-2α), die als Haupttranskriptionsfaktoren von proangiogenen Faktoren gelten. Neben Hypoxie sind eine Reihe an Zytokinen, Chemokinen, Wachstumsfaktoren und Geschlechtshormonen bekannt, die eine Induktion der HIF bewirken. Allerdings ist auch eine genetische Induktion bzw. ein gehemmter Abbau der HIF mit dadurch bedingt gesteigerter Expression von proangiogenen Substanzen möglich. So z. B. durch Mutationen von p53, VHL, PTEN-Supressorgenen und durch Aktivierung verschiedener Protoonkogene (z. B. src, ras, EGFR, erbB-2/HER2). Die meisten humanen Tumoren sezernieren auf diesem Wege viele dieser Botenstoffe, unter anderem auch »vascular endothelial growth factor « (VEGF), den entscheidenden Wachstumsfaktor der Tumorangiogenese.
79 7.3 · Proangiogene und antiangiogene Signaltransduktionskaskaden
Angiogenese wird neben VEGF von einer Vielzahl von molekularen Mediatoren mit proangiogener und antiangiogener bzw. angiostatischer Wirkung gesteuert. Um Angiogenese einzuleiten bedarf es mehr als der Hochregulation eines proangiogenen Faktors, vielmehr muss die Gesamtheit der Wirkung von proangiogenen Mediatoren der von antiangiogenen bzw. angiostatischen überwiegen.
Im normalen Gewebe überwiegen die antiangiogen wirkenden Einflüsse, die bereits existierenden Gefäße bleiben also stabil und im angiogenetischen Sinne »still«. Kommt es jedoch zu einem Überhang proangiogener Faktoren, so wird der Prozess der Angiogenese eingeleitet: der sog. »angiogenic switch«. Der »angiogenic switch« kann zu verschiedenen Zeitpunkten der Tumorprogression stattfinden und hängt von der Tumorentität und dem tumorumgebenden Gewebe ab. So kann der »angiogenic switch« schon in malignen Läsionen, die sich noch im Ruhezustand befinden oder gar in prämalignen Läsionen aktiviert werden. Nach Aktivierung des »angiogenic switch« ist die Vorraussetzung für ein exponentielles Wachstum der Tumorzellen gegeben. Neben den proangiogenen Substanzen sezernieren manche Tumoren allerdings auch antiangiogene bzw. angiostatische Substanzen wie z. B. Thrombospondin-1 und Angiostatin. Die Gruppe um Folkman konnte so in einem Tiermodell aufzeigen, dass die chirurgische Entfernung des Primarius und der damit verbundenen Aufhebung antiangiogener bzw. angiostatischer Einflüsse in Metastasen, die damit unter einem überwiegenden proangiogenen Stimulus standen, zu einem exponentiellen Wachstum dieser führte (Holmgren et al. 1995).
7.3
Proangiogene und antiangiogene Signaltransduktionskaskaden
Die hier vorgestellten molekularen Mechanismen, welche sowohl die physiologische und als auch die tumorassoziierte Angiogenese und den damit verbundenen »angiogenic switch« steuern, stellen nur eine Auswahl der Vielzahl beteiligter Mediatoren dar (Tabelle 1).
7.3.1 VEGF/VEGF-Rezeptoren »Vascular endothelial growth factor«-A (VEGF-A, auch »vascular permeability factor« [VPF] genannt), das weithin nur noch als VEGF bezeichnet wird, gilt als der am besten charakterisierte und potenteste proangiogene Botenstoff. Es wurde bereits 1979 als ein von hepatozellulären Karzinomen sezerniertes Protein, das die Gefäßpermeabilität erhöht, entdeckt. VEGF-A, -B, -C, -D, -E sowie der »placental growth factor« gehören zur gleichen Familie von Wachstumsfaktoren und haben neben der Angiogenese unter anderem auch in der Lymphangiogenese, hier vor allem VEGF-C, große Bedeutung.
VEGF besitzt die Fähigkeit zwei endotheliale Rezeptoren zu binden, über die es Endothelzellen aktiviert: VEGFR-2 (KDR, Flk-1) und VEGFR-1 (Flt-1). Die Bedeutung von letzterem ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Hingegen gilt VEGFR-2 als der Hauptübermittler der wichtigsten Einflüsse von VEGF: seine mitogene, proangiogene und migratorische Aktivierung von Endothelzellen und Funktion als Überlebensfaktor für diese sowie die permeabilitätsfördernde Wirkung auf Gefäße und viele weitere. VEGFR-2 ist ein Tyrosinkinaserezeptor, der zellintern die genannten Funktionen unter anderem über die MAPK- und PI3K/Akt-Signalwege vermittelt. Die Expression von VEGF-mRNA wird vor allem durch zelluläre Hypoxie über die oben genannten »hypoxia inducable transcription factors« HIF-1 und HIF-2 induziert. Andere Induktionswege für VEGF werden durch Protoonkogene (src, ras) und mutierte Tumorsuppressorgene (p53, p73, vHL) vermittelt. Die Expression von VEGF kann zudem durch die Wirkung der »cytokine epidermal growth factor« (EGF), »transforming growth factor alpha« (TGF-α), TGF-β, FGF-2, »tumor necrosis factor«, Il-1, Il-6, »insulin-like growth factor-1«, »hepatocyte growth factor« und durch die Prostaglandine E1 und E2 gesteigert werden. Viele Tumoren zeigen eine erhöhte Expression von mRNA, die für VEGF kodiert, wobei hier insbesondere Nierenzellkarzinome hervorzuheben sind. Die Tumoren exprimieren VEGF vor allem in der Randzone zwischen nekrotischen und hypoxischen Arealen und hier findet auch der Großteil der Tumorangiogenese statt. Es wird angenommen, dass VEGF vor allem eine parakrine Funktion des Tumors vermittelt, die ihren Hauptwirkort in den Endothelzellen benachbarter Gefäße hat. VEGF wird jedoch auch von Thrombozyten, glatten Muskelzellen und vor allem auch von Zellen des Tumorstromas sezerniert. Die Beobachtung, dass manche Tumorzellen selbst VEGF-Rezeptoren exprimieren, legt jedoch auch die Annahme nahe, dass VEGF neben der parakrinen ebenfalls eine autokrine Funktion besitzen könnte.
In den meisten soliden Tumorsystemen vermittelt der VEGFR-2-Signaltransduktionsweg die wichtigsten Funktionen von VEGF: Proliferation und gerichteten Migration von Endothelzellen, Überleben von proliferierenden Endothelzellen sowie Steigerung der Permeabilität. Hohe VEGF-Expression korreliert mit einer schlechten Prognose bei Mamma-, Ovarial-, Zervix-, Kolon-, Ösophagus-, Schilddrüsen-, Blasen-, Nierenzell- und Prostatakarzinomen sowie bei Hirntumoren und Weichgewebssarkomen. Die schlechtere Prognose war in den durchgeführten Studien auf eine oder mehrere der folgenden Umstände zurückzuführen: größere Primärtumoren, erhöhter Metastasierungsgrad, kürzeres tumorfreies Überleben und Gesamtüberleben (Dvorak 2002).
7
80 Kapitel 7 · Tumorangiogenese
7.3.2 Angiopoetine und »platelet derived
growth factor«
7
Von den bekannten Angiopoetinen Ang-1 bis Ang-4 spielen vor allem Ang-1 und Ang-2 eine wichtige Rolle in der Stabilisierung und Reifung bzw. in der Destabilisierung von Gefäßen und haben einen komplexen, von unterschiedlichen Umgebungsfaktoren abhängigen Effekt. Meist ist ihre Wirkung abhängig von der Anwesenheit oder Abwesenheit des VEGF. Ang-1 gilt als reiner Agonist am Tie-2-Rezeptor, dem Hauptrezeptor der Angiopoetine, und bewirkt auf diesem Wege Umbau, Reifung und Stabilisierung der neu aussprossenden Gefäße unter anderem durch Unterstützung der Bindung bzw. Anziehung der perivaskulären Zellen und der perivaskulären Matrix. Hingegen wirkt Ang-2 meist als Antagonist bzw. als partieller Agonist am Rezeptor Tie-2 und führt zu einer Destabilisierung des Gefäßes. In Abwesenheit von VEGF führt die Antagonisierung von Tie-2 durch Ang-2 zur Regression des entsprechenden Gefäßes. In Anwesenheit von VEGF fördert jedoch die Wirkung von Ang-2 über die Ablösung der endothelzell-umgebenden Perizyten und dadurch verbesserter Wirkung von VEGF auf die freiliegenden Endothelzellen die Aussprossung neuer Gefäße. Dieser unterschiedliche Effekt ist am ehesten auf der Tatsache basierend, dass Endothelzellen die in Assoziation mit Perizyten stehen eine geringere Abhängigkeit von VEGF als Überlebensfaktor haben. PDGF-B und sein Rezeptor PDGFR-β spielen ebenfalls in der Regulation der Endothelzell- Perizytenassoziation und somit in der Gefäßreifung eine wichtige Rolle. Endothelzellen exprimieren PDGF-B in hohem Maße, was eine Rekrutierung von Perizyten, die über eine Signalkaskade des PFGFR-β vermittelt wird, zur Folge hat. Die Injektion eines Antikörpers gegen PDGFR-β zeigte im Tiermodell eine effektive Hermmung der Perizytenrekrutierung und Anhaftung an Endothelzellen.
7.7.3 Weitere Signaltransduktionskaskaden
»Fibroblast growth factors« (FGF) Die beiden verwandten »acidic« und »basic fibroblast growth factors« (aFGF/bFGF) waren die ersten Faktoren, bei denen ein proangiogener Effekt nachgewiesen werden konnte. Dies war bereits der Fall bevor man sich der Existenz von VEGF bewusst war. Die »fibroblast growth factors« gehören nicht zu den klassischen Signalpeptiden, sondern sind in ihrer Reinform eher Zelloberflächen-assoziiert. Allerdings konnte gezeigt werden, dass FGF, hier v. a. bFGF, über eine starke Bindungsfähigkeit zu Heparinen verfügen und so an heparansulfat-enthaltenden Proteoglykanen gebunden in der extrazellulären Matrix vorliegen. Bei lokaler Degradierung der ECM durch Matrixmetalloproteinasen werden sie freigesetzt und wirken als Mitogen aktivierend auf Endothelzellen. Zudem fördern sie die Endothelzelldifferenzierung und wirken als chemoattraktive Substanz für diese Zellen.
Thrombospondin-1 Thrombospondin-1 (TSP-1) ist ein großes, multifunktionales Glykoprotein, das von einer Vielzahl an epithelialen Zellen in die extrazelluläre Matrix ausgeschüttet wird. Es entfaltet antiangiogene Wirkung über Bindung an den Rezeptor CD36, der vor allem auf mikrovaskulären Endothelzellen exprimiert wird. Über eine Reihe an intrazellulären Signalwegen führt die Bindung von TSP-1 an CD36 zu Apoptose der betroffenen Endothelzellen (Jimenez et al. 2000). Außerdem wirkt TSP-1 über seine Interaktion mit der für die Angiogenese wichtigen Matrixmetalloproteinasen MMP2/9 angiostatisch.
Endostatin/Angiostatin Endostatine entstehen durch eine in mehreren Schritten ab-
laufende Spaltung von Kollagen XVIII in der extrazellulären Matrix. Sie entfalten ihre antiangiogene Wirkung zum einen über die Interaktion mit den Heparansulfat-enthaltenden Proteoglykanen und somit möglicherweise über Inhibierung der proangiogenen Wirkung von bFGF. Zum anderen inhibiert Endostatin das proangiogene Adhäsionsmolekül Integrin α1β5 auf Endothelzellen (Sudhakar et al. 2003). Angiostatin ist ein 38 kDa Fragment von Plasminogen, das im Rahmen seiner Aktivierung zu Plasmin entsteht und über verschiedene Mechanismen antiangiogen wirkt. Es inhibiert Integrin αvβ3, das auf aktivierten Endothelzellen exprimiert wird und in seiner Interaktion mit Proteinen der extrazellulären Matrix, wie z. B. Fibronektin und degradiertem Kollagen, ein wichtiges Molekül für die Adhäsion und Migration der Endothelzellen darstellt (Janssen et al. 2002). Zusätzlich wirkt . Tab. 7.1. Übersicht über die Stimulatoren und Inhibitoren der Angiogenese
Stimulatoren der Angiogenese
Inhibitoren der Angiogenese
VEGF mit ihren Rezeptoren VEGFR-1/-2 und Neuropilin-1/-2 Notch-deltalike ligand-4 (Dll4) Ang-1/Tie-2; Ang-2/Tie-2 (kontextabhängig) PDGF-BB/PDGFR-β aFGF/bFGF TGFβ1 Integrine αvβ3, αvβ5, α5β1, α1β5 Hepatocyte growth factor (HGF) Tumornekrosefaktor-α VE-cadherin; PECAM (CD31) Ephrine Plasminogenaktivatoren, MMP PAI-1 NOS; COX-2 AC133 Chemokine Inhibitors of differentiation 1/3 ENA-78 u. v. m.
Ang-2/Tie-2 (kontextabhängig) TSP-1/TSP-2 Angiostatin Endostatin Vasohibin Tumstatin Vasostatin, Calreticulin Platelet factor-4 IFN-α, -β, -γ; IP-10, Il-4, Il-12, Il-18 Tissue inhibitors of MMP (TIMP) Meth-1/Meth-2 Prothrombin kringle-2, ATIII-Fragment Prolaktin Fragment u. v. m.
81 7.5 · Die Rolle von Knochenmarkszellen in der Angiogenese
Angiostatin durch seine hemmende Wirkung auf die ATP-Synthase und auf Angiomotin, einem weiteren promigratorisch wirkenden Rezeptor auf Endothelzellen, antiangiogen.
7.4
Physiologische Angiogenese versus Tumorangiogenese
Physiologischerweise entstehen im Embryonalstadium die ersten Blutgefäße eines Organismus de novo aus den primitiven Kapillarplexus in einem Prozess der als Vaskulogenese bezeichnet wird. Die frühen Kapillarplexus werden von endothelialen Progenitorzellen, den sog. Angioblasten, gebildet. Durch Aussprossung und Verzweigung von neuen Blutgefäßen aus den präexistenten Kapillaren im Rahmen der Angiogenese reift das adulte Gefäßsystem heran. Im Detail wird die Aussprossung durch hohe Konzentrationen von VEGF induziert. Hierbei kommt es zur Vasodilatation und erhöhter Gefäßpermeabilitiät der Kapillaren und postkapillären Venolen, was wiederum den Austritt von Plasmaproteinen aus dem Gefäßlumen zur Folge hat. Vornehmlich durch die Wirkung von Angiopoetin-2 am Rezeptor Tie-2 kommt es zur Lösung der Verbindung zwischen Endothelzellen und den endothelzellumgebenden Perizyten und damit zur Destabilisierung des Gefäßes. Die ausgetretenen Plasmaproteine dienen als provisorische extrazelluläre Matrix in der aktivierte Endothelzellen nach lokaler Degradierung der perivaskulären Basalmembran und extrazellulären Matrix migrieren können. Die aktivierten Endothelzellen teilen sich und migrieren zu Orten mit erhöhten Konzentrationen der proangiogenen Stimuli. Hierbei formen sie im perivaskulären Raum eine Migrationssäule mit Differenzierungszone, in der die Endothelzellen ihre Form ändern und aneinander haften um ein Gefäßlumen zu formen. Die nachfolgende Proliferation der Zellen erhöht den Gefäßdurchmesser. In der physiologischen Angiogenese lagern sich nach Ausformung eines Lumens Perizyten um das neu entstandene Gefäß an und eine neue Basalmembran wird ausgebildet. Die Anlagerung von Perizyten bewirkt eine Reduktion der Proliferationsrate von Endothelzellen und vermindert ihre Abhängigkeit von VEGF als wichtigen Überlebensfaktor aus dem benachbarten Gewebe. In der Tumorangiogenese ist jedoch die Assoziation mit Perizyten stark vermindert. Folglich befinden sich die meisten Tumorgefäße in einem angiogenetisch instabilen Zustand, was wiederum zu einer erleichterten Aussprossung neuer Tumorgefäße führt. Tumorgefäße unterscheiden sich in ihrer Morphologie in einigen Punkten von der von normalen Blutgefäßen. Das von Tumoren gebildete Blutgefäßsystem demonstriert meist Hämorrhagien und erweist sich als weitaus undichter als das physiologische Gefäßsystem. Tumoren, die ein besonders undichtes Tumorgefäßsystem besitzen, zeichnen sich durch hohe Expression von Angiopoetin-2 und geringe Expression von Ang-1 aus. Tumoren mit relativ undurchlässigen Gefäßen hingegen zeigen in der Regel eine hohe Expression von Angipoetin-1. Die Tumorgefäße fallen außerdem durch unregelmäßige Formen mit Dilatation, gewundenem Verlauf, Shuntbil-
dung, stark ausgeprägter Aufzweigung und blinden Enden auf. Eine klassische Einteilung in Arteriolen, Venolen und Kapillaren ist hier nicht eindeutig durchführbar. Diese morphologischen Unterschiede werden auf die Unausgewogenheit der angiogenetischen Mediatoren in Tumoren zurückgeführt. Der Blutfluss in den Tumorgefäßen ist meist deutlich langsamer im Vergleich zu physiologischen Gefäßen von ähnlichem Durchmesser. Ferner offenbaren die meisten Tumoren zwar in ihrem Randbereich hyperplastische Lymphgefäße, allerdings fehlt häufig ein funktionelles Lymphgefäßsystem im Inneren des Tumors mit einem dadurch bedingt deutlich erhöhten interstitiellen Druck. All diese Umstände müssen Beachtung finden, wenn man die Distribution von Chemotherapeutika und antiangiogener Therapeutika im Tumor besser verstehen und optimieren möchte.
7.5
Die Rolle von Knochenmarkszellen in der Angiogenese
Aus dem Knochenmark können verschiedene Zelltypen mobilisiert und zu Orten von Angiogenese, an der sie sich meist fördernd beteiligen, gelangen. Zu ihnen gehören unter anderem Zellpopulationen aus der hämatopoetischen Linie (CD45+), z. B. CD11b+Tie-2+-Monozyten (»Tie-2 expressing monocytes«, TEM), VEGFR-1+CXCR-4+-Progenitorzellen (sog. »Hämangiozyten«) und F4/80+CD11b+-Makrophagen (auch tumorassoziierte Makrophagen genannt). Insbesondere die tumorassoziierten Makrophagen (TAM) scheinen einen entscheidenden Einfluss auf die Tumorangiogenese zu haben, da in verschiedenen Tumorentitäten gezeigt werden konnte, dass eine erhöhte Anzahl der TAM mit einer erhöhten Angiogeneserate einhergeht (Lin et al. 2006). TAM siedeln sich insbesondere in hypoxischen Arealen des Tumors ab und exprimieren dort verschiedene proangiogene Faktoren. Die Sekretion proangiogener Substanzen ist hierbei nicht nur durch die Gewebehypoxie bedingt, sondern wird durch direkte Stimulation des Tumors, beispielsweise über TNF-α im Ovarialkarzinomen, gesteigert (Hagemann et al. 2006). Tie-2 exprimierende Monozyten (TEM) gelangen ebenfalls über die Blutbahn zu wachsenden Tumoren und lassen sich insbesondere in der Nähe von angiogenetisch aktiven Arealen des Tumors nachweisen. In Tierversuchen konnte ein gesteigertes Tumorwachstum und vermehrte Angiogenese durch die systemische Verabreichung von Tie-2+-Monozyten im Vergleich zur Verabreichung von Tie-2--Monozyten gezeigt werden (Venneri et al. 2007). Der zugrunde liegende Mechanismus der proangiogene Wirkung von TEM ist noch unklar, bekannt ist, dass TEM den proangiogenen Faktor bFGF exprimieren. Neben diesen genannten Zellen, die sich am ehesten als perivaskuläre Zellen durch lokale Expression von proangiogenen Faktoren an der Angiogenese beteiligen, existieren auch knochenmarksstämmige Vorläuferzellen von Endothelzellen, sog. endotheliale Progenitorzellen (EPC), die direkt mit der Gefäßwand von neu entstehenden Gefäßen fusionieren. Dieser Zelltyp, der erstmals von Asahara beschrieben wurde, zeichnet sich u. a. durch die Expression von AC133, CD34
7
82 Kapitel 7 · Tumorangiogenese
und VEGFR2 aus (Asahara et al. 1999). Die Inkorporation der EPC in Tumorgefäße konnte in verschiedenen Tiermodellen sowie in menschlichen Tumorgeweben gezeigt werden. Die Menge an zirkulierenden Zellen bzw. die Messung der Oberflächenmarker im peripheren Blut stellt sich in präklinischen Studien mehr und mehr als geeigneter »surrogate marker« zur Prädiktion der Wirksamkeit antiangiogener Therapien heraus (Beaudry et al. 2005).
7.6
7
Antiangiogene Therapiestrategien
Antiangiogene Therapie hat theoretisch betrachtet mehrere Vorteile gegenüber der »konventionellen« Chemotherapie: 4 Im Erwachsenen Organismus findet abgesehen vom Regelzyklus des Endometriums und in der Wundheilung nur sehr wenig Angiogenese statt, sodass eine antiangiogene Therapie nur mit wenig systemischen Nebenwirkungen einhergehen würde. 4 Endothelzellen gehören zu den langlebigsten Zellen des Menschen und akquirieren im Gegensatz zu den Tumorzellen nur wenige bis gar keine Mutationen. Daher wäre mit wenig Resistenzentwicklung gegen eine antiangiogene Therapie, zumindest von Seiten der Endothelzellen zu rechnen. 4 Angiogenese ist ein Prozess, der Tumoren unterschiedlichster Entitäten gemein ist und stets sind es die körpereigenen Endothelzellen, die als »Substrat« der Angiogenese dienen. Eine antiangiogene Therapie hätte daher den Vorteil, bei verschiedenen Tumoren unabhängig ihrer histologischen Entität, Wirkung zu zeigen. 4 Antitangiogene Therapeutika haben ihren Wirkort unter anderem direkt am Endothel der Tumorgefäße. Dies ist bei einer systemischen Applikation des Medikaments leicht zugänglich und das antiangiogene Therapeutikum muss die Endothelzellschicht im Gegensatz zu klassischen Chemotherapeutika nicht passieren.
Die im vorangegangenen Teil dieses Kapitels dargestellten Mechanismen der Angiogenese dienen als potenzielle Angriffspunkte der antiangiogenen Therapie (. Abb. 7.1). Die hierfür entwickelten oder in Entwicklung befindlichen Substanzen lassen sich unter anderem nach folgenden Kriterien klassifizieren: 4 Inhibitoren proangiogener Faktoren (z. B. Bevacizumab, Avastin) 4 »Vascular disrupting agents« (VDA) 4 Medikamente mit dem Ziel der Inhibierung matrixdegradierender Enzyme 4 Antiangiogene Substanzen mit verschiedenartigen oder unbekannten Wirkmechanismen 4 Zytostatika und zytotoxische Substanzen
7.6.1 Inhibitoren proangiogener Faktoren Medikamente, die in der Wirkung der humoralen Faktoren der Angiogenese interferieren, gehören zu den wichtigsten und prominentesten antiangiogenen Substanzen. Bevacizumab (Avastin) ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper gegen VEGF war die erste zugelassene Substanz aus dieser Gruppe überhaupt. Durch die Hemmung von VEGF werden dessen wichtige Einflüsse in der Tumorangiogenese, vermittelt über seine Wirkung auf Endothelzellen und auf Tumorzellen direkt, inhibiert. In der Therapie von metastasierten kolorektalen Karzinomen erreichte die Applikation von Bevacizumab in Kombination mit konventioneller Chemotherapie eine Steigerung des medianen Gesamtüberlebens von 15,6 Monate auf 20,3 Monate gegenüber alleiniger Chemotherapie (Hurwitz et al. 2004). In dieser Studie wurde Bevacizumab (5 mg/kg alle 2 Wochen) oder Placebo zur Standardchemotherapie (Bolusgabe von 5-Fluorouracil 500 mg/m2; Leucovorin 20 mg/m2; Irinotecan 125 mg/m2 alle 4–6 Wochen) hinzugegeben. Neben dem Vorteil im Gesamtüberleben führte die Bevacizumabgabe außerdem zu einem längeren, medianen progressionsfreien Überleben bei einer Ansprechrate von 44,9%. Die Zulassung für Bevacizumab erstreckt sich heute neben der Anwendung als First- und Second-line-Therapeutikum beim kolorektalen Karzinom auch auf die Verwendung beim Her2-negativen, metastasierten Mammakarzinom in Kombination mit Paclitaxel und beim fortgeschrittenen, nicht-resektablen, kleinzelligen Bronchialkarzinom in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel (Sandler et al. 2006). Zu den beobachteten Nebenwirkungen von Bevacizumab gehört neben Bluthochdruck auch das Auftreten von spontanen Perforationen des Gastrointestinaltraktes. Neben Bevacizumab existieren weitere auf Antikörpern basierende Angiogeneseinhibitoren, die den Signalweg von VEGF als Interventionsziel verwenden. Hierzu gehören unter anderem die Antikörper IMC-1C11, gerichtet gegen die extrazelluläre Domäne des VEGFR-2 und VEGF-trap, der sowohl Domänen des VEGFR-1 und -2 beinhaltet und eine hohe Affinität zu VEGF besitzt. Im Gegensatz zur Substanzgruppe der Antikörper intervenieren die Substanzen aus der Klasse der Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitoren (RTKI) auf intrazellulärer Ebene in der VEGF-Signalkaskade. Neben den VEGF-Rezeptoren hemmen die meisten RTKI zusätzlich weitere Tyrosinkinaserezeptoren, was einerseits zur einer verstärkten antiangiogenen Wirkung auf die Tumorendothelzelle, andererseits auch zu einem antiproliferativen Effekt auf die Tumorzelle führt. Damit verfügen diese Stoffe allerdings auch über ein ausgeprägteres Nebenwirkungsprofil, gekennzeichnet unter anderem durch Auftreten von Myelosuppression. Zu den den sog. Multi-RTKI, die bereits in der klinischen Anwendung sind, gehören Sunitinib (Sutent), das für die Therapie von gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) und fortgeschrittene Nierenzellkarzinomen zugelassen wurde, sowie Sorafenib (Nexavar), das bei nicht resektablen hepatozellulären Karzinomen und ebenfalls bei fortgeschrittenen Nierenzellkarzinomen eingesetzt wird. Sunitinib entfaltet
83 7.6 · Antiangiogene Therapiestrategien
. Abb. 7.1. Schematische Darstellung verschiedener antiangiogener Therapiestrategien
seine klinische Wirksamkeit durch Hemmung der Tyrosinkinaseaktivität der Rezeptoren für VEGF und PDGF sowie der Rezeptoren c-kit und Flt-3. Sorafenib inhibiert seinerseits die Tyrosinkinaseaktivität von VEGFR-2 und -3, PDGFR-β und Raf-1. Beider Medikamente stehen in oraler Applikationsform zur Verfügung (Motzer et al. 2006; Escudier et al. 2007). Neben weiteren zahlreichen Angiogeneseinhibitoren seien hier noch die Inhibitoren des »mammalian target of rapamycin« (mTOR-Inhibitoren), einer wichtigen proangiogenen intrazellulären Signalkaskade, die unter anderem zur Transkription von HIF-1α und Cyclin D führt, erwähnt. Über die Inhibierung von mTOR konnte ein starker antiangiogener Effekt des aus der Immunsuppression von Organtransplantierten stammenden Rapamycin (Sirolimus) gezeigt werden (Guba et al. 2002). Dieser Effekt wurde aus den Daten der UNOS-Datenbank von 33.000 Nierentransplantierten deutlich. Hier entwickelten unter Rapamycingabe nur 0,65% der Patienten eine Tumorerkrankung innerhalb von zwei Jahren nach Transplantation im Vergleich zu 1,83% unter Therapie mit Calcineurininhibitoren (p=0,0003). Aus der Gruppe der mTOR-Inhibitoren wird beispielsweise seit 2007 Temsiroli-
mus in der Behandlung von Nierenzellkarzinomen eingesetzt.
7.6.2 »Vascular disrupting agents« (VDA) Es existieren antiangiogene Substanzen, die Endothelzellen direkt angreifen und deren Proliferation, Lumenformierung und Rekrutierung hemmen. Diese werden auch als »vascular disrupting agents (VDA)« bezeichnet und bewirken einen rapiden Untergang der Tumorgefäße mit konsekutiver Tumorhypoxie und -nekrosebildung. Diese Gruppe lässt sich weiter unterteilen in ligandenbezogene und sog. »small molecule VDA«. Letztere fassen Stoffe zusammen, die ihre Wirkung unter anderem über DNA-Strangabbruch mit Endothelzellapoptose und Tubulinbindung mit Änderung der Endothelzellmorphologie in Tumorgefäßen mit konsekutivem Verschluss dieser führen. Die Nachteile dieser überaus potenten Substanzen umfassen, neben ihren ausgeprägten unerwünschten Arzneimittelwirkungen, ihre kurze Wirkdauer mit meist intravenöser Applikationsform und Steigerung der Rekrutierung von zirku-
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84 Kapitel 7 · Tumorangiogenese
lierenden endothelialen Progenitorzellen mit der damit verbundenen Angiogenesesteigerung. Die Vorteile dieser Substanzen liegen in ihrer schnellen und zytotoxischen Wirkung. Beispiele aus dieser Substanzgruppe beinhalten Anti-VCAM-1, Flavonoide, Combretastatin A4 und ZD6126. Keine dieser Substanzen ist aktuell zur klinischen Verwendung zugelassen, es laufen allerdings verschiedene klinische Studien (Patterson u. Rustin 2007).
7.6.3 Medikamente mit dem Ziel der Inhibie-
rung matrixdegradierender Enzyme
7
Die Degradierung der extrazellulären Matrix durch Matrixmetalloproteinasen ist ein notwendiger Schritt für das Tumorwachstum, die Tumorinvasivität, seine Metastasierung und die Angiogenese. Durch die Matrixdegradierung werden viele proangiogene Substanzen, u. a. bFGF und HGF, aus dieser freigesetzt. Theoretisch sollten Inhibitoren von Matrixmetalloproteinasen daher einen breiten hemmenden Effekt auf den Tumor haben. Marimastat, BAY 12-9566 und Prinomastat konnten in klinischen Phase-III-Studien keinen Überlebensvorteil bei Tumorpatienten erwirken. Allerdings existieren neuere Matrixmetalloproteinase-Inhibitoren, wie z. B. MMI166, einem Inhibitor der für die Angiogenese wichtigen MMP2 und MMP-9, die in präklinischen Studien einen ausgeprägten antiangiogenen und antimetastatischen Effekt demonstrieren (Matsushita et al. 2001).
7.6.4 Antiangiogene Substanzen mit ver-
schiedenartigen oder unbekannten Wirkmechanismen Es existieren verschiedene Substanzen, bei denen »zufällig« eine antiangiogene Wirksamkeit mit teils mehreren Wirkmechanismen nachgewiesen werden konnten bzw. deren Wirkmechanismus noch unklar ist. Zu diesen Substanzen gehört beispielsweise Thalidomid, das nach dem Nachweis von antiangiogener Aktivität im Tierexperiment über eine erwiesene antiangiogene Wirkung unter anderem bei Patienten mit multiplem Myelom oder Prostatakarzinom verfügt. Thalidomid bewirkt wahrscheinlich auf zellulärer Ebene eine Verminderung der Expression proangiogener Botenstoffe im Tumorstroma. Thalidomidgabe führte bei Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom zu einer Verminderung der Konzentration von bFGF und PSA in der Blutzirkulation, allerdings nicht zu einem verlängerten Überleben (Figg et al. 2009). Weitere Substanzen mit nachgewiesener antiangiogener Aktivität sind COX-2 Inhibitoren (z. B. Celecoxib), Penicillamine, Retinoide u. v. m.
7.6.5 Zytostatika und zytotoxische
Substanzen Zytotoxische Chemotherapeutika entfalten ihre Wirkung nicht nur in Tumorzellen, sondern ebenfalls in Endothelzellen
und zirkulierenden endothelialen Progenitorzellen. Interessanterweise scheint insbesondere die chronische, niedrig dosierte Applikation von Chemotherapeutika ohne längere Therapiepausen einen besonders ausgeprägten antiangiogenen Effekt zu besitzen. Dieses Applikationsschema wird als »metronomische« Chemotherapie bezeichnet und konnte bei vielen bereits in Verwendung befindlichen Chemotherapeutika demonstriert werden (Kerbel u. Kamen 2004). Zu diesen gehören vor allem Alkylanzien (Cyclophosphamid), Antimetabolite (Fluoropyrimidin) und Mitosehemmer (Vinblastin und Taxane). Neben dem direkten toxischen Effekt auf Endothelzellen und deren Vorläuferzellen erhöhte metronomische Chemotherapie die Expression des antiangiogenen Proteins Thrombospondin-1 (TSP-1). Durch Depletion von regulatorischen T-Zellen und der damit verbundenen Reduktion der tumorinduzierten Immuntoleranz scheint metronomische Chemotherapie neben seinen antiangiogenen Eigenschaften einen weiteren positiven Effekt in der Tumortherapie zu besitzen. Bei Patientinnen mit fortgeschrittenen und vorbehandelten Mammakarzinomen bewirkte die orale Applikation von Cyclophosphamid und Methotrexat in metronomischer Weise eine Reduktion der VEGF-Konzentration in der Blutzirkulation und war von wenigen Nebenwirkungen geprägt (Colleoni et al. 2002). Unterschiedliche Kombinationen aus metronomischer Chemotherapie und anderen antiangiogenen Substanzen werden zurzeit an verschiedenen Tumorentitäten im Rahmen klinischer Studien erprobt. Trotz der oben genannten hypothetischen Vorteile der antiangiogenen Therapie zeigten Ergebnisse aus klinischen Studien, dass antiangiogene Therapie in alleiniger Applikation keine kurative Therapieform darstellt und nur in wenigen Tumorentitäten zu verlängertem Überleben der Patienten führt. Sutent und Nexavar stellen bislang die beiden einzigen zur Monotherapie zugelassenen antiangiogenen Substanzen dar. Obgleich der theoretischen Überlegung, dass antiangiogene Therapie durch ihre gefäßinhibierenden Eigenschaften und dem damit verbundenen »Aushungern« des Tumors die Übermittlung und damit die Wirksamkeit von Chemotherapeutika hemmen würde, wurde überraschenderweise bei Kombination der beiden Therapiekonzepte in vielen Studien eine signifikante Überlebensverlängerung beobachtet. Zur Erklärung dieses Paradoxons der synergistischen Effekte existieren verschiedene Theorien. Zum einen wird den Angiogeneseinhibitoren ein unterstützender Einfluss in der endothelzell-toxischen Wirkung von Chemotherapeutika, insbesondere in ihrer »metronomischen Applikationsform« (s. o.), beigemessen. Darüber hinaus inhibieren antiangiogene Substanzen den raschen Anstieg und die Rekrutierung von knochenmarksstämmigen proangiogenen Zellen, inklusive der endothelialen Progenitorzellen, in den therapiefreien Phasen zwischen den Zyklen der Chemotherapie und damit die potenzielle Revaskularisation des verbleibenden Tumorgewebes. Zum anderen wird durch antiangiogene Therapie eine »Normalisierung« der atypisch geformten Tumorgefäße verursacht. Der damit verbunden niedrige interstitielle Gewebsdruck und verbesserte Blutfluss steigert konsekutiv die intratumorale Konzentration von Chemotherapeutika und somit
85 7.7 · Antiangiogene Therapie und chirurgische Eingriffe
deren Wirkung (Jain 2005). Die »Normalisierung« der Tumorgefäße verbessert außerdem die Oxygenierung des verbleibenden Tumorgewebes, was wiederum eine positive Auswirkung auf das Ansprechen des Tumors auf therapeutische Bestrahlung zur Folge hat (Winkler et al. 2004).
7.7
Antiangiogene Therapie und chirurgische Eingriffe
Bekannterweise spielt Angiogenese nicht nur im Tumorwachstum, sondern auch in der Wundheilung eine wichtige Rolle. Die Verwendung von antiangiogenen Substanzen, beispielsweise bei Patienten, die einer multimodalen onkologischen Therapie bestehend aus medikamentöser und chirurgischer Behandlung unterzogen werden, birgt daher ein theoretisch erhöhtes Risiko für chirurgische Komplikationen. Tatsächlich zeigten präklinische tierexperimentelle Studien die gestörte Ausbildung von Granulationsgewebe nach Gabe eines VEGF-neutralisierenden Antikörpers (Howdieshell et al. 2001). Hinzu kommt, dass Bevacizumab, bedingt durch seine lange Halbwertszeit von ca. 20 Tagen, in seiner Standarddosierung von 5 mg/kg zweimal wöchentlich verabreicht über einen Zeitraum von nahezu 12 Wochen im Körper physiologisch aktiv bleibt. Allerdings lieferte die Analyse der zusammengelegten Daten mehrerer Studien zur Verwendung von Bevacizumab keine signifikant erhöhte Rate an Wundheilungskomplikationen. Von 230 Patienten, die nach chirurgischer Intervention einer Therapie mit Bevacizumab oder Placebo unterzogen wurden, entwickelten drei Patienten (1,3%) eine Wundheilungsstörung im Vergleich zu einem Patienten mit Wundheilungsstörung aus der 194 Patienten umfassenden Kontrollgruppe (entspricht 0,5%). Unter laufender Therapie mit Bevacizumab entwickelten 10 von 75 Patienten (13%) Wundheilungsstörungen nach größeren chirurgischen Eingriffen. In der entsprechenden Kontrollgruppe trat eine Wundheilungskomplikation bei einem Patienten von insgesamt 29 auf (3,4%). Auch diese Daten demonstrierten zwar einen Trend zu höheren Komplikationsraten bezüglich der Wundheilung, allerdings lag auch hier keine statistische Signifikanz vor. Die Autoren folgerten, dass eine Gabe von Bevacizumab nach mindestens 28 Tagen post operationem als sicher und vertretbar zu werten sei (Scappaticci et al. 2005). VEGF gilt als ein wichtiger Faktor der Leberregeneration. Die regenerationsfördernden Eigenschaften werden nicht nur über die proangiogenen Eigenschaften des VEGF sondern auch über einen parakrinen Wirkmechanismus in den Zellen der Lebersinusoide vermittelt (Shimizu et al. 2005). Klinisch relevant ist dies immer häufiger für Patienten, bei denen nach präoperativer Gabe von Kombinationschemotherapien mit Bevacizumab eine kurative Resektion von Lebermetastasen kolorektaler Karzinome ermöglicht werden soll. Bezüglich der Auswirkungen von Bevacizumab in dieser Konstellation existieren jedoch noch nicht genügend klinische Daten, um eine evidenzbasierte Aussage treffen zu können. Expertenmeinungen zufolge sollte jedoch der Abstand zwischen letzter Gabe von Bevacizumab und Leber-
resektion mindestens 8 Wochen betragen (Ellis et al. 2005). Zu den Auswirkungen von Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitoren (RTKI) auf chirurgische Eingriffe existieren noch keine aussagekräftigen Daten.
Unter laufender Therapie mit Bevacizumab entwickelten bis zu 13% der Patienten Wundheilungsstörungen nach größeren chirurgischen Eingriffen. Die Gabe von Bevacizumab wird nach bisheriger Datenlage daher erst mindestens 28 Tagen postoperativ als sicher und vertretbar angesehen.
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86 Kapitel 7 · Tumorangiogenese
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8 8 Wachstumssignale und Apoptose H. Schulze-Bergkamen
8.1
Wachstumssignale
– 88
8.1.1 Zellwachstum und Tumorentstehung – 88 8.1.2 Wachstumsfördernde Rezeptoren – 89
8.2
Apoptose
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5
(Patho-)Physiologische Bedeutung der Apoptose – 91 Morphologische Charakteristika der Apoptose – 91 Induktion und Exekution von Apoptose – 91 Apoptose und Tumorerkrankungen – 94 Überwindung der Apoptoseresistenz in der Tumortherapie Literatur
– 91
– 95
– 95
88 Kapitel 8 · Wachstumssignale und Apoptose
8
> Ungehemmte Teilung von Zellen ist die Grundlage für die Entstehung und das Wachstum von Tumoren. Tumorwachstum ist nur möglich, wenn das Gleichgewicht zwischen Proliferation, Differenzierung und Apoptose in den Zellen dauerhaft aufgehoben ist. Zur Stimulation von Tumorwachstum kommt es durch die Aktivierung von Onkogenen und die Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen. Aktivierte Onkogene können z. B. zu einer Stimulation von Wachstumsfaktorrezeptoren führen. Bei Wachstumsfaktorrezeptoren handelt es sich häufig um Rezeptortyrosinkinasen. Sie sind ein wichtiger Angriffspunkt für zielgerichtete Therapieansätze in der Onkologie, wie beispielsweise die Familie der EGF-Rezeptoren. Gegenspieler der Zellproliferation ist die Apoptose, die die physiologisch bedeutsame Form des programmierten Zelltodes darstellt. Apoptose kann entweder intrinsisch (über eine Aktivierung von Mitochondrien) oder extrinsisch (über eine Aktivierung von Todesrezeptoren) ausgelöst werden. In Tumorzellen finden sich vielfältige Mechanismen für eine Apoptosehemmung. Neuartige onkologische Therapieansätze zielen deshalb auf eine Aktivierung des Apoptoseprogramms in Tumorzellen.
8.1
Wachstumssignale
8.1.1 Zellwachstum und Tumorentstehung Das wichtigste Charakteristikum einer Tumorerkrankung ist die ungehemmte Teilung von Zellen. Unter physiologischen Bedingungen besteht im Gewebe ein Gleichgewicht zwischen Wachstum (Zellproliferation), Zelldifferenzierung und Zelltod. Bei Tumorzellen ist dieses Gleichgewicht aufgehoben, indem bei zu starkem Wachstum Zelldifferenzierung und Zelltod (insbesondere Apoptose) gehemmt sind. Grundlage für verstärkte Zellteilung bzw. das Tumorwachstum ist ein fehlregulierter Zellzyklus (Weinberg 1996). Der Zellzyklus wird durch genetische Programme gesteuert, die durch Wachstumssignale beeinflusst werden. Durch Mutationen
können solche Gene, die den Zellzyklus protrahieren, aktiviert und solche Gene, die den Zellzyklus blockieren, inaktiviert werden. Durch veränderte Genaktivitäten bzw. vermehrte Wachstumssignale können Zellen, die normalerweise im Ruhezustand verharren, wieder zur Teilung angeregt werden, indem sie in den proliferativen Zustand des Zellzyklus überführt werden.
Zur ungehemmten Teilung von Tumorzellen kann es nur kommen, wenn das Zellzyklusprogramm aktiviert ist und wichtige Kontrollmechanismen, wie Apoptose und Differenzierung, außer Kraft gesetzt werden.
In diesem Zusammenhang spielen (Proto-)Onkogene und Tumorsuppressorgene eine wichtige Rolle. Protoonkogene induzieren physiologischerweise Zellzyklus und Zellteilung, indem sie aktivierend auf Wachstumsfaktor-abhängige Signalwege und hemmend auf Apoptosesignalwege wirken. Tumorsuppressorgene wiederum wirken hemmend auf die Zellzyklusprogression und aktivieren Apoptosesignalwege. Durch Mutationen in Protoonkogenen oder Tumorsuppressorgenen können Wachstumssignale in Tumorzellen induziert werden. Zum einen können Mutationen in Protoonkogenen diese verstärkt aktivieren und somit Wachstum fördern, zum anderen können Mutationen von Tumorsuppressorgenen diese inaktivieren, so dass die hemmenden Effekte auf das Tumorwachstum wegfallen (. Tab. 8.1). Bei Tumorzellen ist die Proliferationskontrolle nicht mehr gegeben und wird nicht durch die Induktion von Apoptose ausgeglichen.
Onkogene sind Gene, die Wachstumsprozesse in der Tumorzelle stimulieren. Tumorsuppressorgene sind Gene, die Wachstumsprozesse der Zelle hemmen, deren Inaktivierung also das Tumorwachstum fördert.
. Tab. 8.1. Protoonkogene und Tumorsuppressorgene bei der Wachstumsregulation. Inzwischen ist eine große Zahl von Protoonkogenen und Tumorsupressorgenen bekannt, die das Wachstum von Zellen beeinflussen. Aus Protoonkogenen entstehen durch Mutationen korrespondierende Onkogene, was zur Synthese eines aktivierten Onkoproteins führt. Aktivierte Onkoproteine können die zelluläre Proliferation fördern, indem sie den Zellzyklus aktivieren, die Zelldifferenzierung hemmen und/oder Apoptosesignalwege inhibieren. In einer Tumorzelle lassen sich typischerweise eine oder mehrere aktivierte Onkogene nachweisen. Außerdem finden sich in Tumorzellen durch Mutation inaktivierte Tumorsuppressorgene (Hanahan u. Weinberg 2000)
Onkoproteine (Beispiele)
Tumorsuppressorgene (Beispiele)
Wachstumsfaktoren, z. B. PDGF Wachstumsfaktorrezeptoren, z. B. Her2/Neu Tyrosinkinasen, z. B. Bcr-Abl Phosphatasen, z. B. PTEN Membranassoziierte G-Proteine, z. B. Ras Phospholipidderivate, z. B. PI3K Transkriptionsaktivatoren, z. B. Myc, Jun Zellzyklusaktivatoren, z. B. Cyclin D Anti-Apoptotische Moleküle, z. B. Bcl-2
Transkriptionsfaktoren, z. B. p53, p73 Transkriptionsfaktor-regulierende Gene, z. B. Rb (Retinoblastomprotein) Cyclin- oder CDK-inhibitorische Kinasen, z. B. chk2 Gene mit Hemmung G-Protein-vermittelter Signale, z. B. NF-1 β-Catenin-Regulatoren, z. B. APC Membranadhäsionsproteine, z. B. DCC
89 8.1 · Wachstumssignale
. Abb. 8.1. Wachstumsfaktorrezeptoren. Eine Reihe verschiedener Rezeptortypen wird aufgrund ihrer proliferationsfördernden Effekte als Wachstumsfaktorrezeptoren bezeichnet. Diese Rezeptoren zeigen häufig in Tumoren eine verstärkte Aktivität. EGF Epidermaler Wachstumsfaktor; FGF »fibroblast growth factor«; HER humane epitheliale Wachstumsfaktor-Rezeptoren; IGF »insulin growth factor«; PDGF »platelet derived growth factor«; TGF »transforming growth factor«; VEGF vaskuloendothelialer Wachstumsfaktor (»vascular endothelial growth factor«)
Für den Eintritt in den Zellzyklus sind Zellen von Wachstumssignalen abhängig. Wachstumssignale zur Zellzyklusprogression können extrazellulär an Rezeptoren bindende Wachstumsfaktoren bzw. Liganden oder auch intrazelluläre Signale wie z. B. aktivierte Proteinkinasen sein. Diese Wachstumssignale führen letztendlich zu einer Aktivierung von Genen, die für Zellwachstum und -teilung wichtig sind (z. B. Zellzyklusgene). Unter physiologischen Bedingungen besteht im Gewebe ein Gleichgewicht zwischen wachstumsfördernden und wachstumshemmenden Signalen. Diese physiologische Wachstumskontrolle kann in Tumorzellen u. a. durch folgende Mechanismen gestört sein: 4 Vermehrte Ausschüttung von Wachstumsfaktoren durch Tumorzellen selbst (autokriner Wachstumseffekt) 4 Vermehrte Expression von Wachstumsfaktorrezeptoren auf der Tumorzelloberfläche 4 Mutationen in Wachstums-relevanten Genen mit der Folge einer verstärkten Aktivität, z. B. bei Rezeptortyrosinkinasen (RTK) 4 Vermehrung (Amplifikation) wachstumsrelevanter Gene 4 Chromosomentranslokationen mit Bildung von neuen Fusionsgenen, die ein verstärktes Zellwachstum bedingen Für die Zellteilung im Rahmen der Geweberegeneration und für das Überleben von nicht-transformierten Zellen sind Wachstumsfaktoren physiologischerweise notwendig. Tumorzellen dagegen können häufig nicht nur selbst Wachstumsfaktoren (wie z. B. »platelet derived growth factor«, PDGF, oder »epidermal growth factor, EGF«), produzieren und sezernieren (autokrine Effekte), sondern durch Aktivierung von Onkogenen sowie durch Ausschaltung von Tumor-
suppressorgenen auch weitgehend unabhängig von Wachstumsfaktoren proliferieren. Darüber hinaus finden sich bei vielen Tumorerkrankungen auch eine vermehrte Wachstumsfaktorrezeptorexpression auf der Zelloberfläche . Abb. 8.1). Über Wachstumsfaktoren und ihre Rezeptoren werden in Tumorzellen nicht nur das Zellwachstum, sondern gleichzeitig auch die Zelldifferenzierung und Apoptose gehemmt, sowie die Zellmigration, Metastasierung und Angiogenese gefördert. Einer der ersten beschriebenen Wachstumsfaktoren ist der epidermale Wachstumsfaktor (EGF). Andere für Tumorerkrankungen wichtige Wachstumsfaktoren sind u. a. der vaskuloendotheliale Wachstumsfaktor (»vascular endothelial growth factor«, VEGF), der Fibroblasten- (»fibroblast growth factor«, FGF), der Insulin- (»insulin growth factor«, IGF), oder der Plättchen-Wachstumsfaktor (PDGF).
8.1.2 Wachstumsfördernde Rezeptoren Als wachstumsfördernde Rezeptoren fungieren eine Reihe verschiedener Rezeptortypen. In Tumoren findet sich häufig eine verstärkte Aktivität dieser Rezeptoren. 4 Wachstumsfaktorrezeptoren (insbesondere membranständige Rezeptortyrosinkinasen), z. B. EGF-Rezeptoren 4 Nicht-Tyrosinkinaserezeptoren, z. B. die Notch-RezeptorFamilie 4 G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, z. B. Angiotensinrezeptoren 4 Nukleäre Rezeptoren, z. B. Steroidrezeptoren 4 Rezeptoren für Zell-Zell-Interaktionen, wie z. B. E-Cadherin-Rezeptoren
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90 Kapitel 8 · Wachstumssignale und Apoptose
. Abb. 8.2. EGF-R-abhängige Signalwege. Durch den EGF-Rezeptor wird eine Reihe von Signalwegen aktiviert, die schließlich das Zellwachstum, das Überleben, die Angiogenese und die Metastasierung fördern. Wie auch bei anderen Rezeptortyrosinkinasen (RTK) kommt es nach Bindung spezifischer Liganden zu einer Dimerisierung und anschließend zu einer Autophosphorylierung des Rezeptors. Auf diese Weise entstehen phosphorylierte Tyrosinreste am Rezeptor, an die Signalproteine über ihre sog. SH2-Domäne binden und somit das Signal in das Zellinnere weitergeben können. Zahlreiche moderne Therapieansätze in der Onkologie inhibieren gezielt die Tyrosinkinasefunktion von RTK, z. B. die von EGF-Rezeptoren
8
4 Rezeptoren für die Interaktion von Zellen und extrazellulärer Matrix (z. B. Integrinrezeptoren) 4 Zytokinrezeptoren, wie z. B. hämatopoetische Wachstumsfaktorrezeptoren Bei vielen membranständigen Wachstumsfaktorrezeptoren handelt es sich um Rezeptortyrosinkinasen (RTK; Ulrich u. Schlessinger 1990). RTK zeigen einen ähnlichen Aufbau mit einer extrazellulären, einer transmembranösen und einer intrazellulären Domäne. Nach extrazellulärer Aktivierung (Bindung spezifischer Liganden bzw. Wachstumsfaktoren) geben sie Wachstumsfördernde Signale nach intrazellulär weiter, indem sie mithilfe ihrer Kinasefunktion verschiedene Substrate, wie z. B. andere Kinasen, an Tyrosinresten phosphorylieren . Abb. 8.2). Die dafür verwendeten Phosphatreste stammen aus der Spaltung von Adenosintriphosphat (ATP).
Membranständige Wachstumsfaktorrezeptoren verfügen oft über eine Tyrosinkinaseaktivität im intrazellulären Rezeptorabschnitt, über die das Wachstumssignal in die Zelle weitergeleitet wird. Zahlreiche Tumortherapeutika zielen auf die Tyrosinkinaseaktivität von Wachstumsfaktorrezeptoren.
Bei Tumoren findet sich häufig eine vermehrte Expression von RTK und/oder eine verstärkte Kinaseaktivität. Durch verschiedene Mutationen können RTK derart verändert sein, dass sie auch ohne Bindung eines Liganden kontinuierlich proliferationsfördernde Signalwege im Zellinneren stimulieren. Folgende Klassen von Wachstumsfaktor-RTK werden unterschieden:
4 ERBB-Familie, z. B. EGF-Rezeptor (einkettige Rezeptoren mit cysteinreicher extrazellulärer Domäne) 4 Dimerische Rezeptoren, z. B. Insulinrezeptoren und der HGF-Rezeptor MET (extrazelluläre Rezeptoranteile durch Disulfidbrücken verknüpft) 4 Rezeptoren mit extrazellulär gelegenen, Immunoglobulin (Ig)-ähnlichen Domänen, z. B. KIT- (5 Ig-ähnliche Domänen) und FGF-Rezeptoren (3 Ig-ähnliche Domänen) ERBB-Familie. Die ERBB-Familie ist eine Gruppe eng ver-
wandter Rezeptoren, die auch als Familie der »humanen epithelialen Wachstumsfaktor-Rezeptoren«, HER1-4 zusammengefasst werden. Bei dem Rezeptor HER1 handelt es sich um den EGF-Rezeptor (EGF-R), einem für das Wachstum von Tumorzellen bedeutsamer Rezeptor, gegen den zahlreiche moderne Therapien in der Onkologie gerichtet sind. So sind beispielsweise Antikörper gegen den EGF-Rezeptor (HER1) wie z. B. Cetuximab (Erbitux) und Panitumumab (Vectibix) in der onkologischen Therapie zugelassen. Trastuzumab (Herceptin) wiederum ist ein Antikörper, der spezifisch an den Rezeptor HER2 bindet. Physiologischerweise binden mehrere Liganden an den EGF-R (HER1), einschließlich EGF und TGF-alpha. Nach Ligandenbindung kommt es zu einer Dimerisierung und schließlich zu einer Aktivierung der Tyrosinkinasedomäne intrazellulär. Wie bei vielen anderen Wachstumsfaktorrezeptoren auch, ist der nächste Aktivierungsschritt eine Autophosphorylierung des Rezeptors, durch die eine Signalkaskade in Gang gesetzt wird . Abb. 8.2). EGF-RTyrosinkinaseinhibitoren, wie z. B. Erlotinib (Tarceva) verhindern die Aktivierung der Signalkaskade. In malignen Tumoren ist der EGF-R häufig stark exprimiert (z. B. in über 80% von Kolonkarzinomen oder in KopfHals-Tumoren; Ciardiello u. Tortora 2002). Eine starke EGF-R Expression korreliert mit einer fortgeschritten Erkrankung,
91 8.2 · Apoptose
einer vermehrten Metastasenbildung und einer ungünstigen Prognose. Tumoren mit hoher EGF-R-Expression erweisen sich darüber hinaus nicht selten als resistent gegenüber einer Chemotherapie. Neben einer verstärkten Expression kommt es zudem in Tumoren häufig zu Mutationen im EGF-R, die zu einer stärkeren Aktivierung des Rezeptors führen. So sind z. B. eine Reihe von genetischen Veränderungen in der TK-Domäne des EGF-R identifiziert worden, die eine stärkere TK-Aktivität bedingen. Durch die verstärkte Expression bzw. Aktivität des EGF-R in Tumorzellen werden zahlreiche Signalwege aktiviert . Abb. 8.2). Dazu gehört z. B. der sog. Ras-Signalweg, ein wichtiger Überlebenssignalweg für Tumorzellen. Unter anderem wird durch den Ras-Signalweg die Apoptose von Tumorzellen gehemmt. Weitere wichtige vom EGF-R aktivierte Signalwege sind der PI3K/Akt- und der STAT-Signalweg. Die Stimulation der verschiedenen Signalwege durch eine Aktivierung des EGF-R führt neben einer Apoptosehemmung auch zu einer Stimulation der Zellproliferation, zur Dedifferenzierung, zur Angiogenese sowie zur Förderung der Metastasenbildung. Die genannten Signalwege können von verschiedenen Rezeptoren auch unabhängig von der ERBB-Familie stimuliert werden, so dass ein komplexes Geflecht von Signalwegen in Tumorzellen entsteht. Zu den Wachstumsfaktor-RTK gehören auch dimerische Rezeptoren wie z. B. der Rezeptor für HGF (»hepatocyte growth factor«), der in vielen Tumoren eine starke Aktivität aufweist. Zu den Rezeptoren mit extrazellulär gelegenen, Immunoglobulin (Ig)-ähnlichen Domänen zählt der Rezeptor c-KIT, der z. B. bei gastrointestinalen Stromatumoren eine Schlüsselrolle einnimmt. Neben den RTK gibt es zusätzlich verschiedene Nicht-Tyrosinkinaserezeptoren (wie z. B. die Notch-Rezeptor-Familie), die nach Aktivierung gespalten und über ihre Spaltprodukte Wachstums-beeinflussende Gene aktivieren können. Steroidrezeptoren sind in der Regel nukleäre Rezeptoren, die nach Aktivierung durch Steroide Wachstumssignale induzieren können. Wachstumssignale in Tumorzellen können aber auch von Rezeptoren stammen, die Zell-Zell-Wechselwirkungen (z. B. E-Cadherin) oder die Interaktion mit der extrazellulären Matrix (z. B. Integrine) vermitteln.
8.2
Apoptose
8.2.1 (Patho-)Physiologische Bedeutung
der Apoptose Apoptose ist die häufigste Form von Zelltod im menschlichen Organismus. Unter Apoptose versteht man den energieabhängigen, aktiven Prozess des zellulären Selbstmordes. Dieser Selbstmord wird auch als programmierter Zelltod bezeichnet, da charakteristische, nach einem definierten Programm ablaufende Signalschritte zu beobachten sind. Prinzipiell ist das Apoptoseprogramm in jeder Körperzelle, auch in Tumorzellen, angelegt. Apoptose ist ein wichtiger physiologischer Vorgang im Organismus. Bereits in der Embryonalentwicklung werden
überflüssige Zellen durch Apoptose entsorgt. Auch im adulten Organismus ist die Apoptose ein wichtiger Vorgang: Nutzlose, alte und gefährliche (z. B. Virus-infizierte) Zellen werden auf diese Weise effektiv eliminiert. Unter physiologischen Bedingungen ist die Apoptose charakteristischerweise nicht von entzündlichen Umgebungsreaktionen begleitet. Im Gegensatz dazu ist die Nekrose eine nicht-energieabhängige Form des Zelltodes, die in der Regel mit entzündlichen Reaktionen verbunden ist. In Tumorzellen findet sich eine Blockade des Apoptoseprogramms, die verschiedene Signalschritte betreffen kann. Diese Blockade ist eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Tumoren sowie für die Resistenz gegenüber onkologischen Therapieansätzen.
Apoptose ist ein fundamentaler Vorgang in der Embryonalentwicklung. Im adulten Organismus ist Apoptose wichtig für die Aufrechterhaltung der Gewebshomöostase.
8.2.2 Morphologische Charakteristika
der Apoptose Die Apoptose zeichnet sich durch charakteristische morphologische Veränderungen der betroffenen Zellen aus (Danial u. Korsmeyer 2004). Diese Veränderungen umfassen eine Schrumpfung der Zelle und die Kondensation von Chromatin im Zellkern (Kerr 1972). Die Apoptose ist ein energieabhängiger Prozess, der zu einem Verbrauch von ATP-Molekülen führt. Die DNA der Zelle wird durch Endonukleasen in DNAStücke mit einer Länge von 200 Basenpaaren und ganzzahligen Vielfachen davon gespalten. Die Zellmembranasymmetrie geht verloren, so dass es u. a. zu einer Exposition von Phosphatidylserin an der Zelloberfläche kommt. Der Phosphatidylserinnachweis gilt als frühes morphologisches Zeichen und kann für Forschungswecke zum Apoptosenachweis verwendet werden. Schließlich kommt es zu einem vollständigen Verlust der Zellmembranstabilität. Es bilden sich Ausstülpungen der Membran, und es folgt die Abschnürung Membran-umschlossener Partikel (»blebbing«), der sog. apoptotischen Körperchen. Diese apoptotischen Körperchen werden von Phagozyten aufgenommen und damit beseitigt. Demgegenüber kommt es bei der Nekrose zu einem Anschwellen der Zelle sowie zu Rissen in der Zellmembran, durch die der Inhalt des Zytoplasmas austritt. In den letzten Jahren wurden weitere Formen von Zelltod (wie z. B. Autophagie und mitotische Katastrophe) beschrieben. Zudem gibt es Beobachtungen für Überschneidungen bei den Zelltodprogrammen, z. B. zwischen Apoptose und Nekrose (SchulzeBergkamen et al. 2006).
8.2.3 Induktion und Exekution von Apoptose Die Induktion der Apoptose führt in der Zelle zu einer Aktivierung einer Klasse von Proteasen, den sog. Caspasen
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92 Kapitel 8 · Wachstumssignale und Apoptose
8 . Abb. 8.3. Bcl-2 Proteine. Proteine der Bcl-2-Familie besitzen sog. Bcl-2-Homologie-Domänen (BH1 bis 4). Anti-apoptotische Bcl-2-Proteine (wie z. B. Bcl-2 und Mcl-1) besitzen alle 4 Homologie-Domänen. Pro-apoptotische Bcl-2 Proteine weisen entweder nur die Domänen BH1 bis 3 oder ausschließlich die BH3-Domäne auf (»BH3-only«-Proteine). Anti-apoptotische Bcl-2-Proteine sind in der Lage, durch In-
teraktion mit den pro-apoptotischen Bcl-2-Proteinen Bax und Bak eine Aktivierung von Mitochondrien zu verhindern. Aktivierte »BH3only«-Proteine führen zu einer Aufhebung dieser Interaktion, so dass Bax und Bak eine Mitochondrienaktivierung induzieren können. TM transmembranöse Domäne
(Cysteinyl-Aspartasen), die eine zentrale Rolle bei der Apoptose spielen (Hengartner 2000). Diese Enzyme liegen in einer inaktiven Form im Zytoplasma vor und werden im Rahmen der Apoptose in ihre aktive Form überführt. Sog. InitiatorCaspasen (wie z. B. Caspase-8 und -9) werden in großen Proteinkomplexen (z. B. dem Tod-induzierenden Signalkomplex, siehe unten) gespalten und dadurch aktiviert. Diese Caspasen setzen dann durch Spaltung weiterer Caspasen und Substrate das Apoptoseprogramm in Gang. Im Verlauf werden dann die sog. Exekutions-Caspasen (wie z. B. Caspase-3) aktiviert, die letztlich zu den charakteristischen morphologischen Veränderungen führen (z. B. durch Aktivierung von Endonukleasen). Da die Effektormoleküle der Apoptose (wie Caspasen und Endonukleasen) in latenter Form in allen Zellen vorhanden sind, finden sich in Zellen effiziente Kontrollmechanismen, um eine spontane Apoptoseinduktion zu verhindern. Dazu gehört u. a. die Expression von anti-apoptotischen Proteinen der sog. Bcl-2-Familie (. Abb. 8.3). Ein zentraler Schritt im Apoptoseprogramm ist die Aktivierung von Mitochondrien. Bei verschiedenen Apoptosestimuli kann es nur zur Apoptoseinduktion kommen, wenn Mitochondrien aktiviert werden. Typischerweise geht der Mitochondrienstimulation eine Aktivierung von pro-apoptotischen Proteinen der Bcl-2-Familie, den sog. »BH3-only«Proteinen, voraus. Diese Proteine weisen nur eine von 4 bekannten Bcl-2-Homologie-Domänen auf (und zwar die BH3Domäne). Werden diese Proteine aktiv, so lösen sie anti-apoptotische Proteine der Bcl-2-Familie (wie z. B. Bcl-2 und Mcl-1) aus der Bindung mit den Proteinen Bax und Bak, die ebenfalls zur Bcl-2-Familie gehören. Bax und Bad sind
dann in der Lage, die Konformation der mitochondrialen Membran derart zu verändern, dass es zu einem Abfall des mitochondrialen Transmembranpotenzials kommt und die Mitochondrienmembran durchlässig für pro-apoptotische Moleküle wie Cytochrom c, Smac/DIABLO (»second mitochondria-derived activator of caspases/direct IAP-binding protein with low pI«) und den Apoptose-induzierenden Faktor (AIF) wird. Freigesetztes Cytrochrom c lagert sich mit der Caspase-9 und einem weiteren Protein (Apaf-1, »apoptotic protease-activating factor-1«) zu einem Proteinkomplex zusammen, der als Apoptosom bezeichnet. In diesem Komplex wird Caspase-9 aktiviert. Smac/DIABLO führt zu einer Inaktiverung von Proteinen der sog. IAP-Familie (»inhibitor of apoptosis proteins«) (Du et al. 2000). IAP-Proteine (wie z. B. Survivin) sind in vielen Tumoren stark exprimiert und hemmen u. a. die Aktivierung von Caspasen. Das Apoptoseprogramm kann durch unterschiedliche Stimuli aktiviert werden. Sowohl intrazelluläre Signale (intrinsischer Weg) als auch extrazelluläre Signale (extrinsischer Weg) können Apoptose auslösen (. Abb. 8.4). Intrazelluläre Signale können z. B. Bestrahlung, Chemotherapie, Wachstumsfaktormangel oder andere Arten von zellulärem Stress sein. Beim intrinsischen Weg kommt es zunächst zu einer Aktivierung von »BH3-only«-Proteinen und dadurch von Mitochondrien. Mitochondrien fungieren auf diese Weise als Sensoren für zellulären Stress und setzen die Apoptose in Gang (Huang u. Strasser 2000). Beim extrinsischen Apoptosesignalweg induzieren extrazelluläre Signale das Apoptoseprogramm. Dabei spielen sog. Todesrezeptoren, wie z. B. CD95 (APO-1/Fas) oder
93 8.2 · Apoptose
. Abb. 8.4. Intrinsischer und extrinsischer Apoptosesignalweg. Apoptose kann über zwei alternative Signalwege ausgelöst werden. Der extrinische Signalweg wird durch die Bindung spezifischer Liganden oder agonistischer Antikörper an sog. Todesrezeptoren auf der Zelloberfläche ausgelöst. Der intrinsische Signalweg wird durch
verschiedene Formen von zellulärem Stress (z. B. durch Chemotherapie) an Mitochondrien ausgelöst. Die Signalwege zeigen eine Verbindung: Aktivierte Caspase-8 ist über eine Spaltung des Bcl-2-Proteins Bid in der Lage, ebenfalls Mitochondrien zu aktivieren. (Nach Schulze-Bergkamen et al. 2009)
die »TNF-related apoptosis-inducing ligand« (TRAIL)Rezeptoren eine zentrale Rolle (. Abb. 8.5). Werden diese Rezeptoren an der Zelloberfläche durch spezifische Liganden (oder durch Antikörper im Rahmen einer onkologischen Therapie) aktiviert, so kann in der Zelle Apoptose ausgelöst werden. Todesrezeptoren gehören zur sog. TNF-Rezeptor-Superfamilie (Peter et al. 1999). Charakteristisch für diese Familie sind cysteinreiche extrazelluläre Domänen. Strukturell wichtig für die Aktivierung des Apoptoseprogramms ist eine intrazelluläre Domäne der Todesrezeptoren, die sog. Todesdomäne. Diese Domäne weist eine hohe Homologie bei allen Todesrezeptoren auf. Zur Todesrezeptorfamilie gehören u. a. die TNF-Rezeptoren TNF-R1 und -R2, der CD95-Rezeptor (APO-1/Fas) und die TRAIL-Rezeptoren TRAIL-R1 und -R2. TNF-R1 ist nicht nur ein Todesrezeptor, sondern fördert durch die gleichzeitige Aktivierung anti-apoptotischer Signale (v. a. des Transkriptionsfaktors »nuclear factor-κB«, NF-κB) auch das Überleben von Zellen. CD95 ist auf vielen Geweben, u. a. auch der Leber, exprimiert. Der spezifische Ligand, CD95L, ist allerdings nur in wenigen Körpergeweben exprimiert, so dass es physiologischerweise nicht zu einer Aktivierung CD95-vermittelter Apoptose, z. B. in der Leber, kommt (Schulze-Bergkamen et al. 2006). TRAIL-Rezeptoren
stehen im Fokus neuartiger onkologischer Therapieansätze, da Tumorzellen häufig wesentlich sensitiver gegenüber einer TRAIL-Rezeptorstimulation sind als normale Zellen (s. unten). Nach Aktivierung der Todesrezeptoren durch ihre Liganden kommt es zur Bildung von Rezeptormultimeren, was zur Weiterleitung des Todessignals in das Zellinnere führt (Trauth et al. 1989). Es bildet sich intrazellulär ein sog. Tod-induzierender Signalkomplex (DISC, »death inducing signaling complex«), der beim CD95-Rezeptor und bei den TRAIL-Rezeptoren aus dem Adaptorprotein FADD (»Fas-associated death domain«) und den Caspasen-8 und -10 besteht (Walczak et al. 2001). Durch die Aktivierung der Caspasen kommt es dann zur Auslösung der Apoptose-induzierenden Signalkaskade, die in den meisten Zellen auch eine Aktivierung von Mitochondrien einschließt. Eine Caspasenaktivierung ist nicht per se mit apoptotischem Zelltod gleichzusetzen. Wird die Caspasenkaskade »unterschwellig« aktiviert, so nehmen aktivierte Caspasen vermutlich auch andere Funktionen wahr (z. B. Förderung der Zellproliferation, Lamkanfi et al. 2007).
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94 Kapitel 8 · Wachstumssignale und Apoptose
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. Abb. 8.5. Todesrezeptoren und ihre Liganden. Todesrezeptoren gehören zur sog. TNF-Rezeptor-Superfamilie und sind nach Bindung spezifischer Liganden oder agonistischer Antikörper in der Lage, über intrazelluläre Todesdomänen den extrinsischen Apoptosesignalweg zu aktivieren. Einige Rezeptoren besitzen keine Todesdomäne und werden als Decoy-Rezeptoren bezeichnet. APO-2L, APO-2 Ligand; CD95L, CD95 Ligand; DcR1-3, Decoy-Rezeptor 1-3; DR3-5,
»death receptor« 3-5; LARD, »lymphocyte-associated receptor of death«; LT, Lymphotoxin; TNF, Tumornekrosefaktor; TLIA, »endothelial cell-derived TNF-like factor«; TNF-R1/2, TNF-Rezeptor 1/2, TRAIL, »TNF-related apoptosis inducing ligand«; TRAIL-R1-4, TRAIL-Rezeptor 1-4; TRICK2, »TRAIL receptor inducer of cell killing«; TRID, »TRAIL receptor without an intracellular domain«; TRUNDD, »TRAIL receptor with a truncated death domain«
8.2.4 Apoptose und Tumorerkrankungen
Ein Beispiel für eine häufig nachweisbare genetische Veränderung mit Apoptose-hemmenden Effekten in Tumorzellen, sind Mutationen oder Deletionen im p53-Gen (Harris 1993). p53 ist in der Lage, DNA-Schäden zu erkennen und Apoptose über eine Aktivierung Apoptose-relevanter Gene zu induzieren. Ist p53 mutiert, fehlt ein wichtiger Kontrollmechanismus der Zelle und es wird eine klonale Erhaltung Genom-geschädigter (Tumor-)Zellen möglich. Aber auch viele andere genetische Veränderungen, die die Apoptoseinduktion inhibieren, wurden in Tumoren gefunden. So führen beispielsweise Mutationen im Ras/Raf- oder PI3K/Akt-Signalweg zu einer verstärkten Expression anti-apoptotischer Signalmoleküle, wie z. B. Bcl-2-Proteinen.
Auch in Tumorzellen liegen die entsprechenden Rezeptoren und Signalmoleküle vor, um das Apoptoseprogramm in Gang zu setzen. Allerdings sind Tumorzellen in der Lage, dieses Programm zu unterdrücken. In Tumoren lassen sich zahlreiche Mutationen nachweisen, die zu einer Veränderung von Apoptose-kontrollierenden Genen führen (Johnstone et al. 2002). In normalen Zellen führt die Aktivierung von Onkogenen zur Apoptoseinduktion, so dass Tumorzellen mit aktivierten Onkogenen das Apoptoseprogramm entsprechend blockieren müssen, um überlebensfähig zu sein. Die Ursache von Krebserkrankungen ist somit nicht nur die ungezügelte Vermehrung entarteter Zellen, sondern auch eine beeinträchtigte Apoptose (Schulze-Bergkamen u. Krammer 2004; . Abb. 8.6). Beispiele für Apoptose-unterdrückende Mechanismen in Tumorzellen sind die Herunterregulation von Todesrezeptoren, die Hemmung von Caspasen oder eine verminderte Stimulierbarkeit von Mitochondrien. Grundlage für die Apoptoseinhibition sind sowohl Mutationen in Genen, die relevant für Apoptosesignalwege sind, als auch posttranslationale Mechanismen, die zur Unterdrückung pro-apoptotischer oder Aktivierung antiapoptotischer Signalmoleküle führen.
Defekte in Apoptosesignalwegen sind nicht nur eine Voraussetzung für die Entstehung und das Wachstum von Tumoren, sondern auch eine Ursache für die Resistenz gegenüber verschiedenen onkologischen Therapieansätzen. Therapeutisches Ziel muss es deshalb sein, das in jeder Tumorzelle vorhandene Apoptoseprogramm zu aktivieren.
95 8.2 · Apoptose
. Abb. 8.6. Gestörtes Apoptosegleichgewicht in Tumorzellen. Defekte in Apoptosesignalwegen sind eine Grundlage für die Entstehung und das Wachstum von Tumoren. In Tumorzellen findet sich
einerseits eine Verstärkung anti-apoptotischer (rechte Seite) und andererseits eine Verminderung pro-apoptotischer Signale (linke Seite), so dass im Saldo die Apoptoseinduktion gehemmt ist
8.2.5 Überwindung der Apoptoseresistenz
in der Tumortherapie Die Aktivierung von Apoptosesignalwegen spielt bei praktisch allen Tumortherapien eine Rolle. So wirken herkömmliche Therapieansätze wie Chemo- oder Strahlentherapie wesentlich über die Induktion von Apoptose, da sie sowohl Mitochondrien aktivieren als auch die Expression von Todesrezeptoren auf Tumorzellen triggern (Johnstone et al. 2002). Die Induktion von Apoptose ist somit ein allgemeines onkologisches Therapieprinzip. Einige moderne Therapieansätze greifen spezifisch in das Apoptoseprogramm ein. Dazu gehört die direkte Aktivierung von Todesrezeptoren (Ashkenazi 2008). Eine interessante Entdeckung war, dass Tumorzellen häufig empfindlicher gegenüber einer Aktivierung der Todesrezeptoren TRAIL-R1 und -R2 als normale Körperzellen sind. Aus diesem Grunde werden zahlreiche agonistische Antikörper oder auch Liganden gegen diese Rezeptoren entwickelt (Johnstone 2008). Viele in Entwicklung befindliche onkologische Therapeutika greifen unmittelbar an der Mitochondrienaktivierung an, um Apoptose in Tumorzellen zu induzieren. Dazu zählen Substanzen, die »BH3-only«-Proteinen ähneln (sog. »BH3-only mimetics«) sowie Substanzen, die die Expression anti-apoptotischer Bcl-2-Proteine hemmen (z. B. Anti-sense-Moleküle für Bcl-2) (Vogler et al. 2009). Andere Apoptose-induzierende Therapieansätze sind z. B. die Blockade von IAP-Proteinen (u. a. durch den Einsatz von »Smac-mimetics«), oder auch die Hemmung der Methylierung oder Histondeacetylierung von Apoptose-relevanten Genen (Schulze-Bergkamen 2009). Der erhebliche Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Apoptose hat in den letzten Jahren eine Reihe von neuen Möglichkeiten zur Entwicklung therapeutischer Strategien in der Onkologie eröffnet.
Die Entwicklung von Substanzen, die spezifisch das Apoptoseprogramm aktivieren können, wird in Zukunft die therapeutischen Möglichkeiten bei Krebserkrankungen erweitern.
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96 Kapitel 8 · Wachstumssignale und Apoptose
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9 9 Immunkontrolle D. Jäger, S. Meuer
9.1
Einführung
9.2
Aktive Immuntherapie
9.3
Passive Immuntherapie
9.4
T-Lymphozyten und T-Zell-basierte Immuntherapien
9.5
Zytokine
9.6
Zusammenfassung Literatur
– 98 – 98 – 99
– 100
– 101
– 100
– 100
98 Kapitel 9 · Immunkontrolle
> Prognose und klinischer Verlauf einer malignen Erkrankung werden definitiv auch vom körpereigenen Immunsystem beeinflusst. Aus dem wachsenden Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Tumorgeweben und Immunsystem wurden diagnostische und therapeutische Ansätze entwickelt, die mittlerweile integrale Bestandteile der modernen Onkologie sind. Da die Regulation von Immunantworten komplex ist, existiert auch eine Vielzahl von Ansatzpunkten für therapeutische Interventionen. In diesem Kapitel werden aktuelle tumorimmunologische Konzepte wie Antikörpertherapie, Immunmodulation und zellbasierte Behandlungsansätze dargestellt und diskutiert.
9.1
9
Einführung
Dass das Immunsystem nicht nur zwischen »Selbst«und »Fremd/Nicht-Selbst« unterscheidet – in der Regel ersteres toleriert, letzteres abstößt –, sondern auch »verändertes/transformiertes »Selbst« erkennen und abstoßen kann, ist mittlerweile unbestritten. Das heißt jedoch nicht, dass »fremde« und/oder »transformierte« Gewebe auch immer abgestoßen werden. Während einer Schwangerschaft z. B. tolerieren sich zwei genetisch unterschiedliche, also sich fremde Organismen gegenseitig (Mutter/Fötus). Und das größte immunologische Kompartiment, der Darm, »akzeptiert« multiple fremde Antigene von Mikroflora und Nahrung, weil sie für den Organismus nützlich sind. Die Entscheidung, ob ein gesundes Immunsystem Antigene toleriert oder abstößt, resultiert weitgehend aus dem Zusammenspiel mehrerer spezialisierter Typen immunkompetenter Zellen, deren prominenteste Vertreter T-Lymphozyten, B-Lymphozyten, dendritische Zellen und natürliche Killerzellen sind. Werden deren zelluläre Wechselwirkungen gestört, so kann es zum immunologischen Angriff gegen körpereigene Gewebe kommen, andererseits aber auch zur Ineffizienz bei der Abstoßung transformierter Gewebe. Vor etwa 50 Jahren haben Burnet und Thomas die »Cancer-immunosurveillance«-Hypothese postuliert, die sich mit dem Einfluss des Immunsystems auf Entstehung und Progression maligner Erkrankungen beschäftigt. Eine Weiterentwicklung dieses Konzeptes ist die tumorimmunologische Arbeitshypothese des »immunoeditings« (Bui u. Schnreiber 2007; Dunn et al. 2002, 2004; Koebel et al. 2007). Sie besagt, dass sich Genotyp und Phänotyp von Tumoren bereits während ihrer Entstehung und Progression durch den »Druck« der körpereigenen Abwehr permanent verändern. Er führt zur Selektion solcher Tumorzellen, die sich der Immunkontrolle durch sog. »Escape-Mechanismen« entziehen können, also nicht mehr erkannt und angegriffen werden. Wird andererseits die Immunkontrolle per se ineffizient, etwa durch immunsuppressive Therapien z. B. nach Organtransplantationen oder virale Infektionen wie mit HIV, steigt die Tumorinzidenz signifikant an.
Aus diesen Feststellungen entsteht die Rationale, die Immunkontrolle als eine wesentliche Determinante einer malignen Erkrankung zu berücksichtigen, die man heute diagnostisch beurteilen und therapeutisch beeinflussen kann.
Immuntherapie verfolgt grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansätze: 4 »Aktive Immuntherapie« richtet sich darauf, existierende körpereigene Abwehrmechanismen zu nutzen, um therapeutische Effekte zu erzielen (z. B. Impfung). 4 »Passive Immuntherapie« hat das Ziel, dem erkrankten Organismus Abwehrprinzipien zuzuführen, die man außerhalb des Körpers generiert hat (Antikörper, ex vivo generierte Effektorzellen/adoptiver Zelltransfer).
9.2
Aktive Immuntherapie
Durch Impfung versucht man, antigenspezifische zelluläre und humorale Immunantworten auszulösen bzw. zu verstärken. Für die Impfung gegen Tumoren ist die sorgfältige Auswahl geeigneter Zielantigene für die gewählte Strategie essentiell: Zielantigene sollten möglichst tumorspezifisch vorhanden sein, idealerweise von vielen Tumoren exprimiert werden und eine hohe Immunogenität aufweisen. Eine Vielzahl sog. »tumorassoziierter Antigene« sind identifiziert – einige davon werden mittlerweile in klinischen Impfstudien erprobt (Chen et al. 1998; Jäger et al. 2000, 2001, 2003; Disis u. Schiffman 2001). Tumorassoziierte Antigene 4 Cancer/Testis-Antigene, die in einer Vielzahl von Tumoren nachweisbar sind, jedoch in keinem Normalgewebe (mit Ausnahme von Keimzellgewebe) existieren. 4 Differenzierungsantigene, die sowohl im normalen differenzierten Gewebe als auch dem davon abgeleiteten malignen Gewebe nachweisbar sind (z. B. Melanozyten und Melanom; Brustdrüse und Mammakarzinom). 4 Überexprimierte Antigene (z. B. HER2/neu) 4 Mutierte Antigene (z. B. p53, K-ras) 4 Virale Antigene (z. B. HPV, HCV, HBV, EBV)
Zur Impfung eigenen sind entweder synthetisch hergestellte immunogene Peptide eines Antigens, das gesamte Protein selbst oder die dieses Protein kodierende DNA oder RNA. Durch den zusätzlichen Einsatz von »Immunadjuvanzien« kann die antigenspezifische T-Zell-Antwort verstärkt werden. Bei weit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen sind aktive Immuntherapien/Impfungen nach bisherigen Erfahrungen selten erfolgreich (Ausnahme: Melanom). In der adjuvanten Situation oder bei minimaler Erkrankung sind die Aussichten
99 9.3 · Passive Immuntherapie
aber deutlich besser. Beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom hat die Impfung mit dem Cancer/Testis-Antigen MAGEA3 in einer randomisierten Studie zu einer signifikanten Verlängerung des progressionsfreien Überlebens geführt (Vansteenkiste et al. 2007). Studien mit dem Cancer/Testis-Antigen NY-ESO-1 beim lokal fortgeschrittenen Melanom sehen ebenfalls vielversprechend aus. Weitere Tumorantigene wie etwa NY-BR-1 beim Mammakarzinom oder RAB38 beim Melanom werden in Phase-I-Studien untersucht. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind bei Tumorimpfungen mit Peptiden oder Proteinen kaum zu erwarten. Man beobachtet gelegentlich Hypersensitivitätsreaktionen vom verzögerten Typ an der Injektionsstelle und autoimmune Phänomene, beispielsweise Vitiligo nach Impfung mit Melanozyten-Differenzierungsantigenen. In den meisten Studien konnten durch wiederholte Impfungen anhaltende antigenspezifische T-Zell-Antworten induziert werden. Die Impfung mit »nackter DNA«, die intramuskulär appliziert wird, mit dem Ziel einer »Transfektion in vivo«, leidet derzeit noch unter einer zu geringen transkriptionellen Effizienz. Für die Stärke einer durch Impfung generierten Immunantwort hat die Wahl des verwendeten Zusatzstoffes (Adjuvans) hohe Bedeutung. Auch durch Kombination mit Therapiemodalitäten wie Chemotherapie oder Strahlentherapie kann die Wirksamkeit einer Impfung erhöht werden. Dafür sind wahrscheinlich die durch solche Maßnahmen ausgelösten entzündlichen, immunologische Reaktionen aktivierenden Prozesse verantwortlich (Stewart u. Rosenberg 2000).
Eine detaillierte Analyse des individuellen Status des Immunsystems eines Patienten ist für die Auswahl des für ihn geeigneten Vakzineverfahrens entscheidend. Denn erst ein effizientes Zusammenspiel verschiedener Komponenten der Impfstrategie, wie gezielte Auswahl eines oder mehrerer Antigene, des Adjuvans bzw. weiterer Therapiemodalitäten (s. o.) kann zu immunologischen Effekten führen können, die auch einen klinischen Nutzen haben.
Neben der Induktion zellulärer Immunantworten kann man im Rahmen einer Impfung auch humorale Immunantworten, d. h. die Bildung spezifischer Antikörper hervorrufen. Ob die Existenz tumorspezifischer Antikörper ein günstiges prognostisches Zeichen darstellt, ist noch nicht abschließend zu bewerten. Allerdings hat man in einer großen Studie bei Melanompatienten zeigen können, dass tumorspezifische Autoantikörper mit einer besseren Prognose assoziiert sind (Gogas et al. 2006).
9.3
Passive Immuntherapie
Antikörper, heute fast ausschließlich monoklonale Antikörper oder Antikörperfragmente, die mittlerweile in der Regel gentechnisch hergestellt werden, nutzt man für passive Immuntherapien. Antikörper binden an zelluläre Oberflächenrezeptoren und entfalten ihre funktionellen Wirkungen ent-
weder antagonistisch (Blockade der Bindung natürlicher Liganden wie etwa Wachstumsfaktoren) oder aber agonistisch (z. B. Antikörperkonstrukte, die programmierten Zelltod – Apoptose – auslösen). In der modernen Onkologie sind mittlerweile eine Reihe verschiedener monoklonaler Antikörper fest etabliert (Adams u. Weiner 2005), meist in Kombination mit Chemotherapeutika. Das metastasierende Kolonkarzinom z. B. wird standardmäßig mit monoklonalen Antikörpern gegen EGFR (Cetuximab, Panitumumab) und gegen VEGF (Bevacizumab) in Kombination mit Chemotherapie behandelt (Ciardielle u. Tortora 2001; Cunningham et al. 2004; Giantonio et al. 2007). Cetuximab ist auch für die Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren zugelassen. Bevacicumab führt beim Mammakarzinom in der Erstlinienbehandlung zu einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (Miller et a. 2007). Monoklonale Antikörper gegen HER2/neu (Trastuzumab) sind in der Therapie des HER2/neu-hochexprimierenden Mammakarzinoms in der metastasierten Situation schon lange etabliert, kürzlich auch in der adjuvanten Situation als wirksam erkannt worden. Waren die ersten monoklonalen Antikörper noch Mausproteine, ist es mittlerweile gelungen, durch moderne gentechnische Verfahren komplett humane Antikörper herzustellen. Letztere haben ein deutlich geringeres Risiko, allergische Reaktionen auszulösen, sind weniger immunogen und tragen somit zu höherer Patientensicherheit und Effizienz bei der Daueranwendung bei. Es gibt aber auch noch »Mischproteine«, die sowohl Maus- als auch Humansequenzen enthalten. Der Grad der Mischung drückt sich in der Endung des Eigennamens der einzelnen Antikörper aus: 4 »-ximab« bedeutet einen Anteil von ca. 35% Mausprotein, 4 »-zumab« enthält 10% Maussequenzen, 4 »-umab« bezeichnet komplett humanisierte Antikörper. Weitere Namensbestandteile betreffen Eigenschaften der Zielantigene: 4 »-ci« ist gegen ein zirkulierendes Zielantigen gerichtet; 4 »-xi« richtet sich gegen an ein in der (Tumor-)Zelloberfläche verankertes Antigen. Die Zahl der in klinischen Studien derzeit evaluierten Antikörper hat sich angesichts der großen Erfolge der passiven Immuntherapie in der Behandlung maligner Tumoren, massiv vergrößert. Beispiele für aussichtsreiche neue Antikörper sind der sich in klinischen Studien befindliche MORAb-003 gegen den Folatrezeptor-α, der beim Ovarialkarzinom überexprimiert ist, Oregoromab gegen das Oberflächenantigen CA125, und MORAb-009 (Hassan et al. 2007), gegen das beim Pankreaskarzinom, Mesotheliom und beim Ovarialkarzinom überexprimierte Oberflächenantigen »Mesothelin«. Rituximab (Zielstruktur CD20) wird mit großem Erfolg bei Patienten mit verschiedenen hämatologischen Krankheitsbildern, aber auch bei Autoimmunerkrankungen und mittlerweile in der Transplantationsmedizin, eingesetzt. Zu ersteren gehören B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) und die chronischlymphatische B-Zell-Leukämie (B-CLL). Die Überlebensrate
9
100
9
Kapitel 9 · Immunkontrolle
von Patienten mit follikulären Lymphomen oder aggressiven Non-Hodgkin-Lymphomen wurde durch Rituximab signifikant verbessert (Habermann et al. 2006). Alemtuzumab (Zielantigen CD52) wurde initial für die Behandlung der Fludarabin-refraktären chronisch-lymphatischen Leukämie zugelassen. Da CD52 auch auf nicht-transformierten Lymphozyten und einer Reihe weiterer T- und BZell-Neoplasien vorhanden ist, findet Alemtuzumab nicht nur Anwendung in der Behandlung hämatologischer Neoplasien, sondern auch im Rahmen der Knochenmarktransplantation als Immunsuppressivum. Bei der Erstlinientherapie der CLL zeigt Alemtuzumab bessere Ansprechraten gegenüber den bisherigen Therapien mit Alkylanzien (Hillmen et al. 2007), insbesondere bei Patienten mit einer Deletion des p53-Tumorsuppressorgens. (Diese Patientenuntergruppe hatte bisher nur selten von den bis dato verfügbaren Therapeutika profitiert.) Eine ganz andere Strategie ist die Anwendung von Antikörperkonstrukten, die sich nicht direkt gegen den Tumor richten, sondern mit immunkompetenten Zellen reagieren und dadurch immunmaktivierende Wirkungen entfalten. Ipilimumab und Tremelimumab, gerichtet gegen das zytotoxische T-Lymphozytenantigen 4 (CTLA4), zeigte bereits in ersten klinischen Studien Wirksamkeit (Weber et al. 2008). CTLA4 ist ein negativerer Regulator der T-Zell-Aktivierung. Dessen Blockade durch Antikörper-Konstrukte führt durch Aufhebung von Immuntoleranz und Immunsuppression zu einer Verstärkung der zellulären Immunantwort. Derartig vielversprechende Ansätze werden nun bei einer Reihe von Tumorentitäten in klinischen Studien evaluiert. Am Rande erwähnt sei hier noch, dass die Anti-Tumorwirkung synthetischer Inhibitoren wachstums- und differenzierungssteuernder Enzyme (z. B. Tyrosinkinasen) auch auf einer Beeinflussung von Signalübertragungsvorgängen immunkompetenter Zellen zu beruhen scheint.
9.4
T-Lymphozyten und T-Zell-basierte Immuntherapien
Den CD8+- und CD4+-T-Effektorzellen kommt eine zentrale Bedeutung für die Tumorabwehr zu (Koebel et al. 2007). Die Anwesenheit dieser zellulären Subpopulationen im Tumorgewebe hat beim Kolonkarzinom prognostische Bedeutung (Galon et al. 2006; Pages et al. 2005). Menge und jeweilige Lokalisation dieser Immunzellen im Tumorgewebe haben eine höhere prognostische Aussagekraft als die klassischen UICC-Kritierien (Stadien I–IV). Ähnliche Befunde hat man beim nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (DieuNosjean et al. 2008) erhoben. Daraus wird geschlossen, dass die lokale Immmunantwort einen wichtigen Einfluss auf den klinischen Verlauf und die Prognose maligner Erkrankungen hat. Tumoren wehren sich gegen immunologische Angriffe durch eine Vielzahl von Escape-Mechanismen (Reduktion der Oberflächenexpression von Zielantigenen für einen immunologischen Angriff; Bildung immunsuppressiver Moleküle wie z. B. TGF-β, IL10 usw.), die die Aktivität immunologischer
Effektorzellen blockieren (Bai et al. 2008). Da es bisher nicht möglich ist, diese Situation lokal und gezielt therapeutisch zu beeinflussen, verfolgt man Strategien, tumorreaktive T-Effektorzellen von Patienten ex vivo zu aktivieren, in vitro zu vermehren und anschließend dem Patienten zurückzugeben (adoptive T-Zelltherapie). Objektive Ansprechraten bei diesem Verfahren waren im Falle des malignen Melanoms ca. 50% nach Vorbehandlung mittels lymphozytendepletierender Chemotherapie. In jüngster Zeit wird diskutiert, ob eine neu entdeckte, suppressive Subpopulation, »regulatorische T-Zellen (Treg)«, vom Tumorgewebe aktiviert wird und dadurch die Abwehr gegen Tumoren schwächt. Um den möglichen Verlust hocheffizienter tumorspezifischer T-Zellen zu kompensieren, eine mögliche Konsequenz der biologischen, gegen das Immunsystem gerichteten Escape-Mechanismen von Tumorzellen, hat man Strategien entwickelt, hochaffine tumorspezifische T-Zell-Rezeptoren in Effektorzellen zur Expression zu bringen (retroviraler Transfer). Hierbei gilt es allerdings noch erhebliche technische Probleme zu lösen. Dieses attraktive Konzept, muss seine Umsetzbarkeit in die klinische Realität noch unter Beweis stellen.
9.5
Zytokine
Bis auf wenige Ausnahmen haben sich die großen Hoffnungen, die man in die Anwendung immunstimulierender Zytokine (z. B. Interleukin-2, Tumornekrosefaktor-α) bisher nicht erfüllt. Da aber immer wieder neue Botenstoffe des Immunsystems entdeckt werden, kann man zum jetzigen Zeitpunkt das mögliche Potenzial einzelner – oder Kombinationen von – »Botenstoffe(n)« nicht abschließend beurteilen. Schließlich wird seit vielen Jahren Interferon-α, hochdosiert, als Standardtherapie bei Melanomen im Stadium III verwendet (Gogas et al. 2006). Dies gilt auch für andere solide Tumoren: Die Virginia-Mason-Klinik hat 1995 eine Studie beim Pankreaskarzinom begonnen. Sie konnte zeigen, dass die adjuvante Verwendung von Cisplatin plus Interferon-α2b, zusätzlich zur Standardtherapie mit 5FU, die Überlebensraten der so behandelten Patienten deutlich verbessert. Nach 5 Jahren (nach Operation) waren dort noch 55% der Patienten am Leben (Picozzi et al. 2003). Bemerkenswert war, dass es sich um Patienten mit bereits lokal fortgeschrittenen Tumoren incl. Lymphknotenbefall handelte. Diese Phase-II-Daten werden gegenwärtig in einer prospektiven, randomisierten, multizentrischen Phase-III-Studie zur adjuvanten Therapie beim resezierten Pankreaskarzinom auf ihren Stellenwert überprüft. Bisher zeigen die Begleituntersuchungen einen Interferon-assoziierten immunologischen Effekt (Hoffmann et al. 2008; Schmidt et al. 2007).
9.6
Zusammenfassung
Zu den ständigen Anforderungen an das körpereigene Abwehrsystem gehört es, Tumorentstehung und -wachstum zu kontrollieren. Diese zentrale Aufgabe erfüllt es in den meis-
101 9.6 ·Zusammenfassung
ten Fällen effizient und unbemerkt. Tumorentstehung erklärt sich einerseits durch Schwächung des Immunsystems, andererseits aus der Entwicklung von Immun-Escape-Strategien maligner Gewebe, die das Ziel verfolgen, dem »evolutionären Druck« von Abwehrvorgängen zu entweichen. Diese Aussage misst sich auch an den bahnbrechenden Erfolgen passiver Immuntherapien mit monoklonalen Antikörpern. Mit dem ständig und rasch wachsenden Verständnis der Wechselwirkungen verschiedener Typen immunkompetenter Zellen untereinander sowie ihrer Interaktionen mit normalen und veränderten, malignen körpereigenen Geweben, entsteht eine Fülle zukunftsträchtiger diagnostischer und tumortherapeutischer Ansätze. Insgesamt ist festzustellen, dass die Tumorimmunologie eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung gezielterer, nebenwirkungsärmerer, effizienterer und rationalerer onkologischer Therapieansätze einnimmt. Die hohen Investitionen, die sowohl die akademische Forschung als auch die forschende pharmazeutische Industrie in diesem Gebiet tätigt, führen zu tiefen Einblicken und damit zum profunden Verständnis molekularer Vorgänge zwischen Immunsystem und Tumoren – Grundlagen zur Entwicklung rationalerer Strategien für bessere Therapien maligner Erkrankungen. Literatur Adams GP, Weiner LM (2005) Monoclonal antibody therapy of cancer. Nat Biotechnol 23(9):1147–1157 Bai A, Higham E, Eisen HN, Wittrup KD, Chen J (2008) Rapid tolerization of virus-activated tumor-specific CD8+ T cells in prostate tumors of TRAMP mice. Proc Natl Acad Sci USA 105(35):13003– 13008 Bui JD, Schreiber RD (2007) Cancer immunosurveillance, immunoediting and inflammation: independent or interdependent processes? Curr Opin Immunol 19(2):203–208 Chen YT, Gure AO, Tsang S, Stockert E, Jager E, Knuth A, Old LJ (1998) Identification of multiple cancer/testis antigens by allogeneic antibody screening of a melanoma cell line library. Proc Natl Acad Sci USA 95(12):6919–6923 Ciardiello F, Tortora G (2001) A novel approach in the treatment of cancer: targeting the epidermal growth factor receptor. Clin Cancer Res 7(10):2958–2970 Cunningham D, Humblet Y, Siena S, Khayat D, Bleiberg H, Santoro A, Bets D, Mueser M, Harstrick A, Verslype C, Chau I, Van Cutsem E (2004) Cetuximab monotherapy and cetuximab plus irinotecan in irinotecan-refractory metastatic colorectal cancer. N Engl J Med 351(4):337–345 Dieu-Nosjean MC, Antoine M, Danel C, Heudes D, Wislez M, Poulot V, Rabbe N, Laurans L, Tartour E, de Chaisemartin L, Lebecque S, Fridman WH, Cadranel J (2008) Long-term survival for patients with non-small-cell lung cancer with intratumoral lymphoid structures. J Clin Oncol 26(27):4410–4417 Disis ML, Schiffman K (2001) Cancer vaccines targeting the HER2/neu oncogenic protein. Semin Oncol 28(6 Suppl 18):12–20 Dunn GP, Bruce AT, Ikeda H, Old LJ, Schreiber RD (2002) Cancer immunoediting: from immunosurveillance to tumor escape. Nat Immunol 3(11):991–998 Dunn GP, Old LJ, Schreiber RD (2004) The immunobiology of cancer immunosurveillance and immunoediting. Immunity 21(2):137– 148
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102
Kapitel 9 · Immunkontrolle
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9
II Allgemeine Onkologie: Onkologische Diagnostik 10
Präventionsstrategien bei gastrointestinalen Tumoren
– 105
M. Ebert
11
Diagnostische Endoskopie
– 111
M. Burian, N. Yahagi, P. Sauer
12
Radiologische Diagnostik
– 123
L. Grenacher, C. Rehnitz, H.-U. Kauczor
13
Nuklearmedizinische Diagnostik
– 143
B.J. Krause, K. Herrmann, K. Ott, C. Meyer zum Büschenfelde, M. Schwaiger
14
Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat – 157 H. Bläker, H. Höfler, P. Schirmacher
15
Wächterlymphknotendetektion
– 167
A. Sendler
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Diagnostische Laparoskopie
– 175
H. Feussner
17
Molekulare Diagnostik und Response-Prädiktion T. Winder , H.-J. Lenz
– 187
10 10 Präventionsstrategien bei gastrointestinalen Tumoren M. Ebert
10.1 Ösophaguskarzinom 10.2 Magenkarzinom
– 106
– 107
10.3 Kolorektales Karzinom 10.4 Pankreaskarzinom
– 108
– 109
10.5 Hepatozelluläres Karzinom Literatur
– 110
– 109
106
10
Kapitel 10 · Präventionsstrategien bei gastrointestinalen Tumoren
> In den vergangenen Jahren konnten erhebliche Fortschritte in der Diagnostik und Behandlung gastrointestinaler Tumoren erzielt werden. Viele dieser Innovationen beruhen auf der Kenntnis von der Pathogenese und Progression dieser Tumorerkrankungen. Diese Grundlagen haben zur Entwicklung zielgerichteter Therapien in der gastrointestinalen Onkologie geführt. Dennoch sind die Ergebnisse der neuen Therapieschemata hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens noch verbesserungswürdig und bleiben weitgehend hinter den großen Erwartungen zurück (. Abb. 10.1). Eine deutliche Verbesserung der Prognose gastrointestinaler Tumoren ist daher am ehesten durch die Prävention dieser Erkrankungen zu erzielen. Die Primärprävention basiert dabei auf der Vermeidung der Kanzerogene, der Änderung von Lebens- und Diätgewohnheiten und dem rechtzeitigen Nachweis und der Entfernung präneoplastischer Veränderungen. Die Vermeidung entsprechender Risikofaktoren und das Screening von asymptomatischen Individuen mit erhöhtem Risiko für die Entwicklung von Tumorerkrankungen sind am ehesten geeignet die insgesamt schlechte Prognose dieser Erkrankungen zu verbessern. Auch im Bereich der Prävention haben sich durch die Verbesserung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten neue Optionen ergeben, deren Wertigkeit in der Prävention der Tumorerkrankungen im klinischen Alltag nun überprüft werden muss.
10.1
Ösophaguskarzinom
Bei den Tumoren des Ösophagus sind das Adeno- und das Plattenepithelkarzinom zu unterscheiden. Die Inzidenz des Plattenepithelkarzinoms (3–4 pro 100 000 männlicher Einwohner) ist weitgehend konstant, während die Inzidenz des Adenokarzinoms sich in den vergangenen Jahren mehr als
. Abb. 10.1. Veränderungen in der krankheitsbedingten Letalität in den USA von 1950–2004. Während bei den kardialen, neurologischen und Infektionskrankheiten bedeutende Fortschritte erzielt werden konnten, bleibt die krebsbedingte Letalität weitgehend konstant (nach American Cancer Society 2006)
vervierfacht hat. Wesentliche Risikofaktoren für das Plattenepithelkarzinom sind Alkohol- und Nikotinabusus. Dabei zeigt sich ein erhöhtes Risiko ab etwa 2 alkoholischen Getränken pro Tag, während das Rauchen mit einem ca. 1,6fachen relativen Risiko einhergeht. Weitere wesentliche Risikofaktoren sind das Plummer-Vinson-Syndrom sowie der Genuss heißer Getränke und die Infektion mit PapillomaViren (HPV 16) (. Tab. 10.1). Die pathogenetische Grundlage des Adenokarzinoms ist die Entwicklung einer Barrett-Metaplasie, die Folge der gas-
. Tab. 10.1. Infektionskrankheiten und andere entzündliche Erkrankungen als Risikofaktoren für gastrointestinale Tumorerkrankungen (nach Schottenfeld u. Beebe-Dimmer 2006)
Erkrankung/Erreger
Neoplasie
Intervention/Prävention
Helicobacter pylori und chronische Gastritis
Magenkarzinom, MALT-Lymphom
Antibiotika
Epstein-Barr-Virus
Non-Hodgkin-Lymphom, Hodgkin-Lymphom, HNO-Tumoren
Keine
Humanes Papillomavirus
Urogenitale, oropharyngeale und Ösophaguskarzinome
Vakzine
Hepatitis-B- oder –C-Virus
Hepatozelluläres Karzinom
Vakzine und antivirale Therapie
HIV/AIDS
Non-Hodgkin-Lymphom, Kaposi-Sarkom
Antivirale Therapie
Clonorchis sinensis
Cholangiokarzinom
Antibiotika
Gastroösophagealer Reflux
Adenokarzinom des Ösophagus
Protonenpumpinhibitoren
Colitis ulcerosa
Kolorektales Karzinom
Immunsuppression
10
107 10.2 · Magenkarzinom
. Tab. 10.2. Übersicht über potenzielle Biomarker in verschiedenen Tumoren (nach Kelloff et al. 2006)
Entität
Normal
Risiko
↑RAS, ↑COX-2
Kolon
↓APC ↑BCL-2 ↑c-MYC Hypomethylierung
Moderate IEN
Fortgeschrittene IEN
Karzinom – frühes Stadium
Karzinom – fortgeschritten
↑SMAD 2 ↑SMAD 4 ↑DCC ↑STAT3
↓p53 ↓p16,7q ↑VEGF ↑Cyclin D1
↑SMAD 2 ↑SMAD 4 ↑DCC ↑STAT3
p15, Bub1, 22q, CD44
↓p53 ↓p16,7q ↑VEGF ↑Cyclin
↓p16, ↓p53, ↑DNA-Gehalt ↑EGFR, ↑VEGFR, ↑Cyclin D1, ↓APC, ↑TGFα, ↑VEGF, ↑Cadherin, ↑COX-2
Ösophagus Leber
Frühe IEN
HBV, HCV, Karzinogene/DNA-Addukte
↑TGF, ↑IGF-2, ↑TNF-2, IL6, Genomische Instabilität
Telomerase, c-MYC, ↓p53, ↓Rb, ↑IGF2-R, ↓PTEN, ↑DLCI, ↓p73, ↓E-Cadherin, Cyclin D, Cyclin E, p16, p21, p27, aberrante Methylierung
IEN intraepitheliale Neoplasie
troösophagealen Refluxerkrankung ist und mit einem ca.
30- bis 60-fachen Risiko für das Adenokarzinom einhergeht. Das Risiko eines Adenokarzinoms bei Vorliegen eines BarrettÖsophagus beträgt etwa 0,5% pro Jahr und das Risiko einer intraepitelialen Neoplasie beträgt ca. 1,0% pro Jahr. Des Weiteren ist die Adipositas ein etablierter Risikofaktor für das Adenokarzinom des Ösophagus. Dabei wird von einem erhöhten intraabdominellen Druck mit vermehrtem gastroösophagealen Reflux als wesentlichem Pathomechanismus ausgegangen. Hinsichtlich der Ernährungsfaktoren scheint eine Risikoerhöhung mit dem Totalfettgehalt, dem Anteil an Cholesterin und gesättigten Fettsäuren in der Ernährung einherzugehen. Präventiv werden Obst und Gemüse, sowie Antioxidanzien diskutiert. Eine weitergehende Validierung dieser Nahrungsmittel bzw. von Vitaminen oder Mineralien ist bis jetzt jedoch nicht erfolgt. Aufgrund der Überexpression von Cyclooxygenasen bei diesen Tumoren wird die Chemoprophylaxe mit Azetylsalizylsäure oder Cyclooxygenase-Inhibitoren diskutiert, jedoch auch diese Hypothese ist bis lang nicht bewiesen (. Tab. 10.2). Einzelne Studien befassen sich mit der Frage, ob die effektive Säuresuppression im Rahmen des Barrett-Ösophagus eine chemopräventive Wirkung haben könnte. Dazu ist die bisherige Datenlage jedoch nicht ausreichend, um generell eine Säuresuppression als Chemoprävention für das Adenokarzinom des Ösophagus zu empfehlen. Weitergehende Überlegungen zum Einfluss der chirurgischen Antirefluxoperation hinsichtlich der Prävention des Adenokarzinoms können ebenfalls nicht durch eine ausreichende Datenlage untermauert werden. Somit bleibt die Frage der Chemoprävention des Plattenepithelkarzinoms und des Adenokarzinoms des Ösophagus bei der derzeitigen Datenlage spekulativ und kann nicht generell empfohlen werden. Die Frage der endoskopischen Überwachung bei Patienten mit Barrett-Ösophagus wird ebenfalls kritisch diskutiert, wenngleich im klinischen Alltag die meisten Patienten regelmäßig endoskopiert und biopsiert werden.
Generell kann empfohlen werden, dass bei Nachweis einer geringgradigen bzw. hochgradigen intraepithelialen Neoplasie eine Zweitbeurteilung durch einen Referenzpathologen erfolgen sollte. Bei fehlender intraepithelialer Neoplasie werden endoskopische Kontrollen in 3- bzw. 4-jährlichem Abstand empfohlen.
Bei Nachweis einer geringgradigen intraepithelialen Neoplasie, die durch einen Referenzpathologen bestätigt wird, kann in einem Abstand von 6 Monaten eine erneute Biopsie erfolgen und dann das Intervall auf jährliche Kontrollen ausgedehnt werden, sofern keine höhergradigen intraepithelialen Neoplasien nachgewiesen werden. Prinzipiell würde man in diesem Stadium eine endoskopische Mukosaresektion anstreben. Bei Nachweis einer hochgradigen intraepithelialen Neoplasie ist die endoskopische oder chirurgische Resektion die Therapie der Wahl. Als Alternativen können, in Abhängigkeit von der funktionellen Situation des Patienten, auch die photodynamische Therapie bzw. andere ablative Verfahren zur Anwendung kommen.
10.2
Magenkarzinom
Aus tumorbiologischer und auch klinischer Sicht ist es sinnvoll, beim Magenkarzinom Tumoren des proximalen Magens, d. h. der Kardia, und des distalen Magens von einander zu unterscheiden. Ähnlich wie bei dem Adenokarzinom des Ösophagus zeigt sich nämlich eine stetige Zunahme der Inzidenz der Magenkarzinome des proximalen Magens, während das distale Magenkarzinom eine abnehmende Inzidenz aufweist. Insgesamt werden weltweit ca. 900.000 Magenkarzinome jedes Jahr diagnostiziert und das Magenkarzinom belegt weiterhin den zweiten Platz bei den häufigsten krebsbedingten Todesursachen. In Westeuropa beträgt die altersstan-
108
10
Kapitel 10 · Präventionsstrategien bei gastrointestinalen Tumoren
dardisierte Inzidenz etwa 12,8 (Männer) und 6,6 (Frauen) pro 100.000 Einwohner. Der wichtigste pathogenetische Risikofaktor ist die Helicobacter-pylori-Infektion, die das Risiko für das Magenkarzinom um den Faktor 6 erhöhen kann. Zusätzlich können genetische Polymorphismen in verschiedenen Zytokin-assoziierten Genen bestehen, die die Immunreaktion auf den Helicobacter pylori modulieren und die ihrerseits zu einer weiteren Erhöhung des relativen Risikos für die Entwicklung eines Magenkarzinoms führen können (. Tab. 10.2). Die Helicobacter-pylori-Eradikation im Sinne einer Prävention des Magenkarzinoms ist daher schon frühzeitig als mögliche präventive Maßnahmen diskutiert worden, bislang ist der Wert der Prävention des Magenkarzinoms durch die Eradikation jedoch nicht hinreichend gesichert (. Tab. 10.1). Weitere präkanzeröse Konditionen, die zu einem Magenkarzinom prädisponieren, sind die atrophische Gastritis, die intestinale Metaplasie und die Risikogastritis, d. h. die korpusprädominante Gastritis und der Morbus Ménétrier. Magenkarzinome treten auch häufig bei Patienten nach partieller Resektion des Magens auf. Ein Zusammenhang zwischen Nikotin- und Alkoholabusus wird aus epidemiologischen Untersuchungen abgeleitet, es besteht jedoch nur eine mäßiggradige Korrelation. Von besonderer Bedeutung ist die Aufnahme von gesalzenen Speisen, da man vermutet, dass Nitrosamine das Risiko des Magenkarzinoms deutlich erhöhen können. Unabhängig von der Zubereitung des Fleisches ist die absolute Fleischaufnahme und insbesondere die Aufnahme vom roten Fleisch mit einem erhöhten Risiko für das Magenkarzinom verbunden. Hier gelten aber auch die allgemeinen präventiven Grundsätze, dass Obst, Gemüse, Vitamine und bestimmte Mineralien möglicherweise präventiv wirksam sein könnten. Prospektive Daten zum Wert der Chemoprävention insbesondere durch NSAR oder andere COX-Inhibitoren sind nicht ausreichend verfügbar und nicht validiert und sind daher nicht geeignet im klinischen Alltag als präventive Maßnahme eingesetzt zu werden (. Tab. 10.2).
Auf Grund des engen und eindeutigen Zusammenhanges der Helicobacter-pylori-Infektion und dem erhöhten Risiko für das Magenkarzinom besteht jedoch weitgehend Konsens, dass Patienten nach Magenkarzinomresektion sowie bei Patienten mit positiver Familienanamnese eine Eradikation im Sinne eines präventiven Maßname durchgeführt werden kann.
Unabhängig davon sollten Patienten mit einem hohen Risiko regelmäßig endoskopisch untersucht werden. Dennoch fehlen auch hier evidenzbasierte Daten zum Intervall und auch zur Wertigkeit des endoskopischen Screenings bei Patienten mit hohem Risiko.
10.3
Kolorektales Karzinom
Pro Jahr erkranken etwa 80.000 Personen an einem kolorektalen Karzinom in Deutschland. Somit ist das kolorektale Karzinom die dritthäufigste tumorassoziierte Todesursache für beide Geschlechter in Deutschland. Epidemiologische Untersuchungen zeigen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorliegen von Übergewicht und der körperlichen (In-) Aktivität und dem erhöhten Risiko für das Auftreten des kolorektalen Karzinoms. Patienten mit einem BMI über 30 weisen demnach ein etwa verdoppeltes Risiko auf, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken. Im Gegensatz dazu zeigen weiterführende Untersuchungen, dass erhöhte körperliche Aktivität mit einer Reduktion des Risikos für das kolorektale Karzinom und dessen Vorstufen einhergehen kann. Ernährungsgewohnheiten zeigen ebenfalls einen direkten Einfluss auf das Risiko für das kolorektale Karzinom. Insbesondere die Aufnahme ballaststoff- und faserreicher Nahrung scheint einen protektiven Effekt auf die Karzinogenese des Kolons aufzuweisen, während entsprechende weiterführende epidemiologischen Studien zeigen, dass die Aufnahme ballaststoff- bzw. faserarmer Kost oder ein erhöhter Fleischkonsum mit einem erhöhten Risiko für kolorektale Adenome und Karzinome einhergehen kann. Aktuelle Leitlinien weisen daher auf die Aufnahme einer ballaststoffreichen und faserreichen Kost mit ausreichenden Obst- und Gemüseanteilen als mögliche präventive Intervention hin. Dagegen ist die protektive Wirkung von Mineralien und anderen Mikronährstoffen wie Selen, Vitamin A und Vitamin C bislang nicht hinreichend belegt. Eine Ausnahme scheint für das Kalzium zu gelten. Hier zeigen prospektive Untersuchungen, dass eine hohe Kalziumaufnahme mit einer verminderten Rate an kolorektalen Karzinomen assoziiert sein könnte. Regelmäßiger Alkoholkonsum mit einer Dosis von 30 g oder mehr pro Tag ist dagegen mit einer deutlichen Erhöhung des Risikos für das kolorektale Karzinom verbunden. Entsprechend wird auch bei Nikotinabusus eine erhöhte Inzidenz von kolorektalen Adenomen und Karzinomen beobachtet. Interventionsstudien zur Wertigkeit der Chemoprävention des kolorektalen Karzinoms deuten auf eine mögliche Risikoreduktion für Adenome in Hochrisikogruppen bei Aufnahme von COX-Inhibitoren hin. Die Aufnahme von COX2-Inhibitoren wird jedoch durch das Risiko der Erhöhung kardiovaskulärer Ereignisse kritisch bewertet, so dass generell eine Chemoprävention des kolorektalen Karzinoms bislang nicht erfolgen sollte. Für die Pathogenese des kolorektalen Karzinoms wird unter anderem die Adenom-Karzinom-Sequenz herangezogen, die auch hinsichtlich des Screenings und der Prävention von klinischer Bedeutung ist. Durch eine frühzeitige Entfernung von Adenomen kann eine sinnvolle und effektive Krebsprävention durchgeführt werden. Derzeit werden zum Screening invasive Verfahren wie Koloskopie und die Sigmoidoskopie empfohlen. Des Weiteren ist der Test auf fäkales okkultes Blut (FOBT) als nichtinvasives Verfahren mit jedoch eingeschränkter Sensitivität und Spezifität hinsichtlich seiner Wertigkeit zur Prävention des kolorektalen Karzinoms bei frühzeitiger Detektion ausreichend gesichert. Die einmal jährliche
109 10.5 · Hepatozelluläres Karzinom
Durchführung des FOBT führt zu einer Reduktion der Letalität des kolorektalen Karzinoms um 23%. Die Sigmoidoskopie als Vorsorgemaßnahme führt zur Reduktion der Letalität und Inzidenz vorwiegend distal gelegener kolorektaler Karzinome. Diese Untersuchung sollte alle 5 Jahre durchgeführt werden und kann in Kombination mit einem jährlichen FOBT als adäquate Vorsorgemaßnahme empfohlen werden.
Der Goldstandard für die Frühdiagnostik des kolorektalen Karzinoms ist die jedoch die vollständige Koloskopie, die aufgrund prospektiver Untersuchungen zu einer deutlichen Reduktion der Inzidenz des kolorektalen Karzinoms führen kann.
Der protektive Effekt bei einem unauffälligen Befund in der Koloskopie reicht für 10 Jahre an, so dass eine Kontrollkoloskopie bei unauffälligem Befund im Intervall von 10 Jahren erfolgen sollte. Aufgrund der Zunahme der Häufigkeit kolorektaler Neoplasie nach dem 50. Lebensjahr wird die Screeningkoloskopie daher alle 10 Jahre nach dem 50. Lebensjahr durchgeführt. Seit Oktober 2002 wird dementsprechend in Deutschland die Vorsorgekoloskopie ab dem 56. Lebensjahr von den Krankenkassen erstattet. Radiologische Methoden wie die CT- und MR-Kolonographie sind bislang nicht in die Leitlinien hinsichtlich der Prävention des kolorektalen Karzinoms integriert, werden allerdings derzeit hinsichtlich ihrer Eignung als Screeningverfahren prospektiv evaluiert. Bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für das kolorektale Karzinom sollten die Intervalle und der Zeitpunkt der Vorsorgeuntersuchungen modifiziert werden. Als Risikogruppen gelten Patienten mit Colitis ulcerosa, Patienten mit Neoplasien des Kolons und Rektums, erstgradige Verwandte von Patienten mit einem kolorektalen Karzinom oder Adenom, Patienten mit uretrokolischen Anastomosen und Angehörige von Patienten mit hereditären kolorektalen Karzinomen (. Tab. 10.1). Bei Patienten mit Colitis ulcerosa sollte nach einem Krankheitsverlauf von 8 Jahren bzw. bei linksseitiger Kolitis nach 15 Jahren jährlich eine Koloskopie zur Frühdiagnostik und Prävention mit Stufenbiopsien erfolgen. Erstgradige Angehörige von Patienten mit kolorektalen Karzinomen zeigen ebenfalls ein erhöhtes Risiko und sollten 10 Jahre vor dem Zeitpunkt der Erkrankung des Indexpatienten erstmals koloskopiert werden. Bei Nachweis von Adenomen sollte eine Kontrolle nach 3 Jahren erfolgen. Patienten mit Genmutationen, die zum hereditären nonpolypösen kolorektalen Karzinom prädisponieren, sollten ab dem 25. Lebensjahr jährlich koloskopiert werden. Zusätzlich sollte bei diesen Patienten eine Gastroskopie, eine Sonographie des Abdomens und ggf. eine gynäkologische Vorsorgeuntersuchung durchgeführt werden. Patienten mit einer familiären adenomatösen Polyposis sollten frühzeitig eine prophylaktische Proktokolektomie mit ileoanaler Pouch-Anlage erhalten.
10.4
Pankreaskarzinom
Das Pankreaskarzinom ist der dritthäufigste Tumor des Verdauungstraktes, die Inzidenz liegt bei etwa 9 pro 100.000. Trotz erheblicher Fortschritte in dem Verständnis der Biologie und der Progression der Erkrankung einerseits und der Verbesserung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten andererseits ist die Prognose dennoch weiterhin sehr schlecht. Die 5-Jahres-Überlebensrate beim Pankreaskarzinom beträgt weniger als 1%. Die Früherkennung ist zudem bei dieser Tumorerkrankung im Wesentlichen auf allgemein präventive Maßnahmen beschränkt. Eine spezifische Intervention im Sinne der Prävention des Pankreaskarzinoms ist nicht möglich. Hinsichtlich der Risikofaktoren, die zu einem erhöhten Risiko für das Pankreaskarzinom führen, sind einige seltene genetisch determinierte Erkrankungen anzuführen. Dabei zeigt sich, dass die hereditäre chronische Pankreatitis, die Ataxia teleangiectatica und das Peutz-Jeghers-Syndrom mit einem erhöhten Risiko für das Pankreaskarzinom einhergehen können. Das familiäre Pankreaskarzinom, das bislang hauptsächlich klinisch definiert wird mit dem Auftreten von Pankreaskarzinomen bei mindestens 2 erstgradigen Angehörigen ist aktuell Gegenstand intensiver Forschung. Die genetische Grundlage des familiären Pankreaskarzinoms ist jedoch derzeit nicht weiter geklärt. Ein weiterer Risikofaktor für das Pankreaskarzinom ist der Nikotinabusus. In zahlreichen Kohorten- und Fallkontrollstudien konnte belegt werden, dass aktive Raucher gegenüber Nichtrauchern ein ca. 2-fach erhöhtes Risiko für das Pankreaskarzinom aufweisen. In Analogie zum kolorektalen Karzinom ist auch Übergewicht und der Diabetes mellitus mit einem erhöhten Risiko für das Pankreaskarzinom assoziiert. Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und dem Pankreaskarzinom ist dagegen nicht hinreichend belegt. Dennoch kann erhöhter Alkoholkonsum zur chronischen Pankreatitis führen und die chronische Entzündung des Pankreas ist wiederum ein wissenschaftlich belegter Risikofaktor für das Pankreaskarzinom. Potenzielle Interventionsmöglichkeiten wie Chemoprävention, Ernährungsumstellung oder Screening-Untersuchungen sind hinsichtlich der Prävention des Pankreaskarzinoms wissenschaftlich nicht ausreichend belegt und können daher nicht allgemein empfohlen werden.
10.5
Hepatozelluläres Karzinom
Das hepatozelluläre Karzinom zeigt eine zunehmende Inzidenz und die Letalitätsrate hat sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten mehr als verdreifacht. Inzwischen zählt damit diese Tumorentität zu den 10 häufigsten krebsbedingten Todesursachen. Das hepatozelluläre Karzinom ist eine Komplikation der Leberzirrhose, die unterschiedliche Ursachen haben kann. Neben dem erhöhten Alkoholkonsum und der viralen Genese tritt eine Leberzirrhose auch auf der Basis metabolischer und genetisch determinierter Erkrankungen (Hämochromatose, Morbus Wilson) auf.
10
110
10
Kapitel 10 · Präventionsstrategien bei gastrointestinalen Tumoren
Entsprechend der unterschiedlichen Ätiologien für die Leberzirrhose und dem damit verbundenen erhöhten Risiko für das hepatozelluläre Karzinom bieten sich auch hier unterschiedliche präventive Maßnahmen an. So zeigen Patienten mit unbehandelter hereditärer Hämochromatose ein ca. 20bis 100-fach erhöhtes Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom. Der Einfluss der Aderlasstherapie auf die Prävention des hepatozellulären Karzinoms ist jedoch nicht ausreichend belegt. In Deutschland beträgt der Anteil der Patienten mit hepatozellulärem Karzinom auf der Basis einer chronischen Hepatitis-B- und/oder -C-Virusinfektion ca. 50% (. Tab. 10.2). Entsprechend ist die wirksamste Prophylaxe die Schutzimpfung vor Hepatitis B. In Taiwan wurde die Hepatitis-BImpfung 1984 im Rahmen eines nationalen Impfprogramms eingeführt und die Inzidenz von hepatozellulären Karzinomen konnte in der Folgezeit halbiert werden. Bei Nachweis einer Infektion stellt die antivirale Therapie ebenfalls eine wirksame Maßnahme zur Primärprävention des hepatozellulären Karzinoms dar. Bei chronisch Hepatitis-C-Virus-infizierten Patienten mit Leberzirrhose vermindert die Therapie mit Interferon α das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom um etwa 10% (. Tab. 10.1). Weitere Risikofaktoren für das hepatozelluläre Karzinom sind Nikotinabusus und erhöhter Alkoholkonsum, der über die Triggerung der Leberzirrhose indirekt zu einem erhöhten Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom führen kann. Verschiedene Fall-Kontroll-Studien haben sich mit dem Einfluss bestimmter Nahrungsfaktoren auf das Risiko des hepatozellulären Karzinoms befasst. Dabei zeigt sich eine inverse Assoziation für die orale Linolsäure und in geringerem Maße auch für β-Karotin. Dagegen führt eine erhöhte Eisenaufnahme zu einem 3-fach erhöhten Risiko für das hepatozelluläre Karzinom. Interessanterweise weisen aktuelle Untersuchungen darauf hin, dass die Aufnahme von Koffein einen protektiven Effekt auf die Entwicklung des hepatozellulären Karzinoms haben könnte.
Literatur Jemal A, Siegel R, Ward E, et al. (2007) Cancer Statistics, 2007. CA Cancer J Clin 57:43–66 Kelloff GJ, Lippman SM, Dannenberg AJ, et al. (2006) Progress in chemoprevention drug development : The promise of molecular biomarkers for prevention of intraepithelial neoplasia and cancer – a plan to move forward. Clin Cancer Res 12:3661–3697 Schottenfeld D, Beebe-Dimmer J (2006) Chronic inflammation: A common and important factor in the pathogenesis of neoplasia. CA Cancer J Clin 56:69–83
11 11
Diagnostische Endoskopie1 M. Burian, N. Yahagi, P. Sauer
11.1
Grundlagen
11.1.1 11.1.2 11.1.3
Makroskopische Klassifikation Endosonographie – 112 Chromoendoskopie – 113
11.2
Ösophaguskarzinom
11.3
Magenkarzinom
11.4
Kolon- und Rektumkarzinom Literatur
1
– 112 – 112
– 115
– 117
– 121
Dr. Dittler†, dem Autor der Vorauflage, gewidmet.
– 119
112
Kapitel 11 · Diagnostische Endoskopie
> Die flexible endoskopische Untersuchung ist heute über 50 Jahre alt und nimmt einen zentralen Stellenwert bei der Diagnostik des oberen und unteren Gastrointestinaltrakts ein. Sie steht oft am Anfang einer Untersuchungsreihe gastrointestinaler Tumoren und ist häufig die entscheidende Untersuchung, da sie zur histologischen Sicherung der Diagnose führt. In den letzten Jahren hat sich durch hochauflösende optische Verfahren die Möglichkeit eröffnet, feingewebliche Veränderungen der Schleimhaut zu erkennen, die bislang nur dem Pathologen vorbehalten war. Die verfeinerte CCD-ChipTechnologie und neue Techniken der Chromo- und Zoomendoskopie erlauben somit eine neue Dimension zuverlässiger und komplikationsarmer Diagnostik. Der stetige Fortschritt von endoskopischen Verfahren erweitert die therapeutische Intervention vor allem im Bereich maligner Erkrankungen. Der therapeutisch interventionellen Endoskopie als Grenzgebiet zwischen Gastroenterologen und Viszeralchirurgen wird ein weiteres Kapitel gewidmet. Hier wird zunächst nur auf die rein diagnostischen Möglichkeiten der Endoskopie als endoluminales lokales Staging eingegangen.
11.1
11
Grundlagen
Im Hinblick auf eine therapeutische Entscheidung vor allem der chirurgischen Therapie sind die topographische Zuordnung eines Tumors, seine exakte Lokalisation, die Richtung seiner Wandüberschreitung und die Abstände von Nachbarorganen Kriterien, die der Chirurg selbst beurteilen will. Die Videoendoskopie – heute mit digitaler Datenverarbeitung – lässt die Demonstration des Befundes und eine damit verbundene größere Objektivität zu. Die endoskopische Diagnostik dient der histologischen Sicherung und der anatomischen Lokalisation von Tumoren und sollte als Grundlage für Therapieentscheidungen Angaben zur Größe des Tumors, zur zirkumferenziellen Ausdehnung, zum Abstand zu bekannten anatomischen Strukturen und zu einer möglichen Komplikation wie Blutungen oder Stenose enthalten.
11.1.1 Makroskopische Klassifikation Die makroskopische Beurteilung des Wachstumstyps eines Tumors kann bereits Hinweise auf die T-Kategorie geben. Die japanischen Kollegen haben hier schon früh (1962) eine eigene Klassifikation, insbesondere zur Beurteilung des Ösophagus- und Magenkarzinoms, etabliert. Die Kriterien wurden international im Jahr 2002 akzeptiert und in der Paris-Klassifikation für alle gastrointestinalen Tumoren modifiziert (. Abb. 11.1).
11.1.2 Endosonographie Zusätzlich zur makroskopischen Beurteilung von Tumoren hat der endoskopische Ultraschall im prätherapeutischen lokalen Staging (T-Stadium und N-Stadium), insbesondere
. Abb. 11.1. Paris-Klassifikation
vom Ösophagus-, Magen- und Rektumkarzinom, einen festen Stellenwert erlangt. Aufgrund der hohen Ortsauflösung ist die Endosonographie anderen Bildgebenden Verfahren wie dem CT oder MRT bei Festlegung der Tumorinfiltrationstiefe (T-Kategorie) überlegen. Neben endoluminalen und transmuralen Aspekten können die umgebenden Organe sowie die Lymphknoten zur Beurteilung des Lymphknotenstatus mitbeurteilt werden. Die blinde radiale starre Endosonographiesonde hat sich schon früh entwickelt und ist bis heute in der transvaginalen und transrektalen Endosonographie beibehalten und verfeinert worden. Die flexiblen Echoendoskope haben sich zunächst von mechanischen Radialköpfen über den elektronisch longitudinal angeordneten Konvexschallkopf bis zur Minisonden-Sonographie weiterentwickelt. Meist werden Sonden mit Ultraschallfrequenzen zwischen 5 und 20 MHz verwendet. Die Wand des Gastrointestinaltrakts lässt sich in der Regel in 5 Schichten aufteilen. Auch wenn die Impedanzsprünge der akustischen Signale in der Sonographie nicht mit dem
113 11.1 · Grundlagen
. Abb. 11.2. Sonographische Schichten der normalen Ösophagus-, Magen- und Duodenalwand
histologischen Aufbau der Wandschichten gleichgesetzt werden können, lässt das Schichtenbild eine orientierende Zuordnung zu, die Grundlage der diagnostischen T-Klassifikation ist (. Abb. 11.2). Tumoren stellen sich meist als irreguläre Wandverdickungen dar, die je nach Kategorie nur die oberflächlichen Schichten uT1, die Schichtstruktur der gesamten Wand mit glatter uT2 oder bei irregulärer Begrenzung uT3 betreffen. Bei Infiltration von benachbarten Strukturen oder Organen liegt ein uT4 Karzinom vor. Die Sensitivität der Endosonographie in der Bestimmung der T-Kategorie wird meist zwischen 80 und 95% angegeben. Es gibt jedoch Unterschiede in der Genauigkeit in Abhängigkeit vom T-Stadium. So ist die T3-Kategorie meist am sichersten zu klassifizieren, während die T2-Kategorie häufig am schwierigsten zu beurteilen ist. Das liegt daran, dass einerseits die Mikroinfiltration in der Endosonographie nicht sichtbar ist, so dass eine zu niedrige Eindringtiefe angenommen wird, andererseits die Endosonographie nicht zwischen entzündlicher Begleitreaktion und echter Tumorinfiltration unterscheiden kann und in einem solchen Fall zum Overstaging neigt. Die Darstellung der Lymphknoten gelingt mittels Endosonographie meist problemlos, allerdings ist die zu beurteilende Morphologie von Lymphknoten wie die Größe, Form, das Echomuster nicht ausreichend sensitiv, um eine maligne Infiltration sicher zu identifizieren. Wie auch beim Tumorstaging kann endosonographisch zwischen maligner Infiltration und entzündlich reaktiv veränderten Lymphknoten nicht sicher unterschieden werden. Die Sensitivität der Endosonographie beim Lymphknotenstaging wird in früheren Studien mit 70–80% angegeben. Ob die Elastizität des Lymphknotens mittels der Endosonoelastographie genauere Aussagen zur Malignität machen kann, werden die derzeit durchgeführten Studien zeigen müssen. Die Elastographie ermöglicht eine selektive Feinnadelpunktion von malignitätsverdächtigen Lymphknoten und könnte damit zu einer höheren Treffsicherheit bei der Entdeckung von Lymphknotenmetastasen führen. Ein neuerer Aspekt der Endosonographie findet sich im Restaging nach neoadjuvanter Therapie. Endoluminal lassen
sich meist die deutlichsten Veränderungen nach dem ersten Zyklus neoadjuvanter Radio- bzw. Radiochemotherapie nachweisen. Dabei reicht das Ergebnis bis hin zu einem blanden Tumorbettulkus ehemals makroskopisch exophytischer Tumoranteile. Am schwierigsten ist die Beurteilung des Behandlungserfolgs der intramuralen Tumorausbreitung. In der Endoskopie stellt sie sich nicht dar, und endosonographisch kann man nicht zwischen therapiebedingter Fibrose und vitalem Tumorgewebe oder -residuen unterscheiden. Eine Ausmessung der Tumorausdehnung mittels zweidimensionaler Volumenmessung lässt nur eine Aussage über das Tumorvolumen zu. Häufig bleibt das prätherapeutische Infiltrationsausmaß endosonographisch unverändert. In der Beurteilung eines lokalen Rezidivs bleibt die Unterscheidung zwischen entzündlich bindegewebiger Genese oder maligner Infiltration problematisch. Die endosonographische Feinnadelpunktion kann hier Hilfestellung zur Sicherung der Diagnose sein.
11.1.3 Chromoendoskopie Ein neueres Verfahren zur Erkennung von Frühkarzinomen stellt die Chromoendoskopie in Kombination mit der Zoomendoskopie dar. Intraepitheliale Neoplasien und Frühkarzinome sind in der konventionellen Endoskopie schwierig für das bloße Auge zu erkennen. Die Chromoendoskopie ermöglicht eine bessere Diagnostik von Schleimhautläsionen durch den Einsatz von Farbstoffen (. Abb. 11.3). Die Anfärbung der Schleimhaut beruht dabei entweder auf einer Absorption von Farbstoffen oder einer Kontrastverstärkung des Oberflächenreliefs. Zoomendoskopie findet in Kombination mit Färbetechniken Anwendung und ermöglicht eine detaillierte Analyse der Schleimhautoberflächenstruktur. Neue Zoomendoskope beinhalten die Vergrößerung eines Bildausschnitts um das 1,5- bis 150-fache, so dass eine nahezu mikroskopische Betrachtung der Schleimhautoberfläche möglich wird. Sie ist allerdings für den Einsatz permanenter Endoskopie ungeeignet. Sie findet lokal Anwendung nach Detektion von diskreten Läsionen in der konventionellen Endoskopie. Die Oberflächenstruktur wird mittels der Chromo-Zoom-Endoskopie vergrößert und differenziert. Kudo und Mitarbeiter aus Japan haben in einer Klassifikation verschiedene Oberflächenmuster dem Risiko maligner Entartung zugeordnet. Die Pit-pattern-Klassifikation von Kudo dient dabei der Einteilung der Schleimhautbefunde (. Abb. 11.4). Das Risiko maligner Entartung steigt von Typ 1–Typ 5 an. Parallel entwickelte sich zur Verbesserung der optischen Bildqualität das Narrow-Band-Imaging (NBI). Dabei handelt es sich um eine Technik, die bestimmte Farbspektren aus dem endoskopischen Bild herausfiltern kann. Es entsteht ein plastisches Bild der Schleimhautoberfläche bis hin zu den kapillaren Blutgefäßen. Dies liegt in den unterschiedlichen biologischen Eigenschaften verschiedener Gewebe, die Licht bestimmter Wellenlängen unterschiedlich stark absorbieren und damit Kontraste verstärken. Die optische Qualität wird dadurch entscheidend verbessert. Der Vorteil gegenüber der
11
114
Kapitel 11 · Diagnostische Endoskopie
a
b
11
c
d . Abb. 11.3a–d. Chromoendoskopie von Frühkarzinomen. a Plattenepithelkarzinom des Ösophagus (links konventionell, Mitte NBI, rechts Lugol-Lösung). b Adenokarzinom des Ösophagus (links konventionell, Mitte Essigsäure, rechts Essigsäure und NBI). c Magen-
karzinom (links konventionell, Mitte NBI, rechts Indigocarminblau). d Kolonkarzinom (links Indigocarminblau, Mitte NBI, rechts Cresylviolett)
115 11.2 · Ösophaguskarzinom
und dysplastischen Gewebe zu Nutze. Die Bedeutung der neuen Verfahren für die Diagnose von Präneoplasien und Karzinomen wird derzeit in klinischen Studien evaluiert. Cave Allen neuen optischen Verfahren, Färbetechniken und Vergrößerungstechniken gemein ist der Nachweis lediglich suspekter Areale, die keinesfalls beweisend für das Vorliegen eines Karzinoms sind.
11.2
Ösophaguskarzinom
Ösophaguskarzinome sind überwiegend epithelialer Herkunft; es werden im Wesentlichen zwei Hauptentitäten, das Plattenepithelkarzinom und das Adenokarzinom, unterschieden. Andere Entitäten wie zum Beispiel Melanome, Sarkome oder Lymphome sind sehr selten. Screeninguntersuchungen des Plattenepithelkarzinoms in Japan haben den Anteil der Frühbefunde signifikant auf über 50% der diagnostizierten Ösophaguskarzinome erhöht. Dies erklärt sich unter anderem durch die unterschiedliche Zuordnung des pathologischen Befundes. Auch wenn sich die international akzeptierten Kriterien für die Differenzierung zwischen hochgradiger intraepithelialer Neoplasie und dem Frühkarzinom annähern, ist der Unterschied in der Beurteilung des pathologischen Befundes noch deutlich. Während japanische Pathologen die hochgradige intraepitheliale Neoplasie dem Karzinom zuordnen, tendieren die meisten europäischen Pathologen dazu, in der hochgradigen intraepithelialen Neoplasie noch kein Karzinom zu diagnostizieren, wenn Zeichen einer Invasivität fehlen. Risikofaktoren. Als Risikopatienten für ein Plattenepithelkar-
zinom des Ösophagus zählen Patienten mit einem Karzinom im Mund-Kiefer-Gesichts- bzw. Hals-Nasen-Ohren-Bereich, Alkoholkranke, Raucher, Patienten mit einer Achalasie oder mit Verätzungsstrikturen. Der Barrett-Ösophagus prädisponiert für das Adenokarzinom. Eine regelmäßige Überwachung, verbunden mit Chromoendoskopieverfahren, erhöht die Erkennungsrate von Frühkarzinomen. Symptomatik. Leitsymptom für das Ösophaguskarzinom ist . Abb. 11.4. Pit-pattern-Klassifikation nach Kudo
Chromoendoskopie besteht in der einfachen Anwendung. Während der Untersuchung kann das NBI zugeschaltet und zwischen konventionellem Endoskopiebild und NBI-Modus beliebig gewechselt werden. Autofluoreszenzendoskopie, photodynamische Diagnostik (PDD), Endomikroskopie, konfokale Lasermikroskopie und Zystoskopie sind neue optische Diagnoseverfahren, deren Zielsetzung es ist, eine optische Charakterisierung von Geweben zur Verbesserung der In-vivo-Diagnose von Frühkarzinomen vorzunehmen. Diese innovativen Techniken machen sich die Unterschiede der optischen Eigenschaften von normalen
die progrediente Dysphagie. Diese führt als klinisches Beschwerdebild häufig zu einer endoskopischen Diagnostik, ist jedoch meist Zeichen eines fortgeschrittenen Tumors, da die relevante Dysphagie ein Spätsymptom darstellt. Weitere Symptome für ein Ösophaguskarzinom sind ein Gewichtsverlust oder eine Tumorblutung. Frühbefunde sind häufig Zufallsbefunde im Rahmen von Screeninguntersuchungen, können aber in seltenen Fällen auch als Frühbefund symptomatisch sein. Als Besonderheit fallen Achalasiekarzinome oft nicht auf, da die Patienten aufgrund des ektatischen Ösophagus sehr spät Symptome entwickeln.
Plattenepithelkarzinom Die histologische Sicherung mit Lokalisation der Schleimhautveränderung ist für das therapeutische Vorgehen beim
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11
Kapitel 11 · Diagnostische Endoskopie
Ösophaguskarzinom entscheidend. Bezüglich der Höhenlokalisation des Ösophaguskarzinoms werden beim Plattenepithelkarzinom suprabifurkale Karzinome und infrabifurkale Karzinome unterschieden. Als ein wichtiges Kriterium zur Resektabilität wurde früher der topographische Bezug zur Trachea die Längenausdehnung des Tumors sowie der Stenosegrad im Rahmen eines Ösophagusbreischlucks herangezogen. Heute ersetzt die CT-Untersuchung mit 3D-Rekonstruktion den Ösophagusbreischluck mit dem zusätzlichen Vorteil, gleichzeitig die Staginguntersuchung zur Beurteilung von Fernmetastasen durchführen zu können. Der endoskopische Befund sollte Angaben über die Tumorlokalisation, die Längenausdehnung, den Stenosegrad, die Abstände zum oberen Ösophagussphinkter und zur Kardia enthalten. Ein Hauptproblem für die Gesamtbeurteilung des Ösophaguskarzinoms stellen endoskopisch nicht passierbare Tumorstenosen dar. Nicht passierbare Stenosen können unter Röntgenkontrolle so weit aufbougiert werden, dass die Passage für ein Stenosegerät möglich ist. Zusätzlich zum Ausschluss von weiteren Erkrankungen des Magens und Duodenums besteht die Option eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) anzulegen, die die enterale Ernährung für die weitere Therapie ermöglicht. Im Rahmen der fortschreitenden endoskopischen Resektionstechniken hat der makroskopische Wachstumstyp eines Tumors auch außerhalb Japans zunehmend an Bedeutung erlangt. Nach Einteilung der Japanischen Gesellschaft für Ösophaguserkrankungen bezieht sich der makroskopische Wachstumstyp auf das Plattenepithelkarzinom des Ösophagus und gilt sowohl für Frühkarzinome als auch für lokal fortgeschrittene Karzinome. Anhand der makroskopischen Erscheinungsform kann der erfahrene Endoskopiker sowohl beim Frühkarzinom als auch beim fortgeschrittenen Karzinom in ca. 80% der Fälle die Eindringtiefe zutreffend voraussagen. Wie auch schon bei der Endosonographie bleiben die mittleren Stadien, der Übergang zwischen Früh- und lokal fortgeschrittenem Stadium, die am schwierigsten einzuschätzenden Karzinome. In der Paris-Klassifikation 2002 haben sie eine weltweite Anerkennung und Anwendung gefunden. Um kleine Befunde makroskopisch besser zuordnen zu können, kann die Chromoendoskopie zu Hilfe genommen werden. Im Ösophagus wird für das Plattenepithelkarzinom meist mit Lugol-Lösung, die als Negativfärbung dysplastische oder entzündliche Schleimhautareale nicht anfärbt, verwendet. Beim Barrett-Ösophagus wird heutzutage meist mit Essigsäure in Kombination mit NBI gearbeitet, die den großen Vorteil des Zu- und Abschaltens vom NBI-Modus hat, so dass bei mehreren suspekten Arealen zwischen konventioneller Endoskopie und NBI-Modus frei hin und her geschaltet werden kann. Früher wurden meist Methylenblau oder Toluidinblau verwendet.
eines Barrett-Ösophagus mit intestinaler Metaplasie. In Analogie zum Kolonkarzinom wurde auch für den Barrett-Ösophagus ein Progressionsmodell Adenom-Karzinom-Sequenz vorgeschlagen, welches mittlerweile von vielen Autoren anerkannt ist. Nach langjähriger Refluxerkrankung entsteht nach diesem Modell eine intestinale Metaplasie, die BarrettSchleimhaut, die von niedriggradigen intraepithelialen Neoplasien in eine hochgradige intraepitheliale Neoplasie bis in ein invasives Adenokarzinom übergehen kann. Das relative Risiko scheint mit jeder erreichten Progressionsstufe zu wachsen; offen sind noch allgemeingültige Standards zu daraus resultierenden therapeutischen Konsequenzen. Bei Dysplasien und Frühkarzinomen ist die Diagnose mittels konventioneller Endoskopie schwierig. Im Rahmen von Screeninguntersuchungen sollten anstelle einer ungezielten Stufenbiopsie die Areale, die nach Färbung, Zoomendoskopie oder NBI möglicherweise ein erhöhtes Risiko für eine maligne Entartung aufweisen, gezielt biopsiert werden. Auch hier ist mittels NBI-Technik in Kombination mit Vergrößerungsendoskopie ein »pit-pattern« durch Ridge/Villus erstellt worden (. Tab. 11.1). Inwieweit diese richtungsweisend für frühzeitige Therapien beim Barrett-Ösophagus sein können, bleibt abzuwarten. Gegenstand kontroverser Diskussionen ist derzeit die Nomenklatur und Länge des Barrett-Ösophagus. Während die Japaner und Engländer sich darauf geeinigt haben, makroskopisch erkennbares Zylindereptihel als Barrett-Schleimhaut ohne histologischen Nachweis einer intestinalen Metaplasie zu bezeichnen, wird in anderen europäischen Ländern noch der histologische Nachweis einer intestinalen Metaplasie zur Diagnosestellung des Barrett-Ösophagus gefordert. Auch die Länge des Barrett-Ösophagus, <3 cm als Short-segment-Barrett-Ösophagus bezeichnet, >3 cm als Long-segment-Barrett-Ösophagus, korreliert nicht sicher mit dem Karzinomrisiko. Der Übergang von der hochgradigen intraepithelialen Neoplasie zum Karzinom scheint fließend zu sein. In bis zu 40% der operierten Patienten mit einem Long-segment-Barrett-Ösophagus finden sich im Resektat Karzinome. Eine Standardtherapie für Patienten mit langstreckigem BarrettÖsophagus und hochgradiger intraepithelialer Neoplasie gibt es bislang nicht. Derzeit reicht die Bandbreite von onkologischer Resektion bis hin zur ablativen Therapie. Eine endoskopische Kontrolle im Rahmen einer Surveillance erscheint nach der jetzigen Datenlage nicht mehr ausreichend.
. Tab. 11.1. Ridge/Villus-Pit-pattern-Klassifikation für BarrettMukosa
Typ
Beschreibung
Histopathologie
1
Runde Grübchen (Punkförmig)
Zylinderepithel ohne intestinale Metaplasie
2
Schmal netzförmig (gradlinig)
Zylinderepithel mit wenig intestinaler Metaplasie
3
Gyrierte, verzweigttubuläre Grübchen
Intestinale Metaplasie (IM) (Barrett-Ösophagus)
Adenokarzinom Das Barrett-Karzinom oder Karzinom des gastroösophagealen Übergangs ist in der Inzidenz weiter steigend und hat im Vergleich zum Plattenepithelkarzinom deutlich zugenommen. Das Adenokarzinom wird mit einer langjährigen Refluxerkrankung korreliert und entsteht meist auf dem Boden
117 11.3 · Magenkarzinom
Endosonographie Das intra- und transmurale Wachstum von Ösophaguskarzinomen kann endosonographisch in der Regel gut beurteilt werden. Problematisch in der Beurteilung ist die tumorbedingte Stenose, die die Passage des Echoendoskops verhindert. In einem solchen Fall kann es sowohl zu einer Unterschätzung des Tumors kommen, da man nur die oralen Anteile beurteilen kann, als auch zu einer Überschätzung bei schräger Schallkopfführung, die eine Tumorausdehnung größer erscheinen lässt. Bei höhergradigen malignen Ösophagusstenosen, die mittels eines konventionellen Endosonographiegerätes nicht passiert werden können, kann in der Regel von einer Wanddicke >2 cm ausgegangen werden, und damit liegt meist ein T3- oder T4-Stadium vor. Dünnkalibrige Geräte (über Draht geführt) können eine Kategorisierung ermöglichen, stehen aber oft nur in speziellen Zentren zur Verfügung. Vielfach können mittels konventioneller Endosonographie die T1-Tumoren nicht eindeutig der Mukosa oder Submukosa zugeordnet werden; erste Erfahrungen mit der hochfrequenten Minisondentechnik ergeben eine bessere Auflösung. Hinsichtlich der Erfahrung im Vergleich zur endoskopisch makroskopischen Klassifikation zeigen sich sehr unterschiedliche Ergebnisse. Die makroskopische Einschätzung der Frühkarzinome im oberen Gastrotintestinaltrakt ist in Japan der hochfrequenten Endosonographie (noch) überlegen (Arima et al. 2007), während Hurlstone eine 93%-ige Genauigkeitsrate im Vergleich zur endoskopisch makroskopischen Einschätzung im unteren Gastrointestinaltrakt aufzeigen kann.
Prognostisch ist die Unterscheidung von Mukosa- zu Submukosakarzinomen relevant, da die Frequenz von Lymphknotenmetastasen beim Submukosakarzinom deutlich höher liegt (25%) als bei der Mukosainfiltration (2%).
Eine weitere wichtige Abgrenzung unter prognostischen als auch operativen Gesichtspunkten ist die Abgrenzung des T2vom T3-Stadium. Wie schon öfters beschrieben ist auch hier die Unterscheidung von peritumoralen Ödemen oder entzündlicher Zellinfiltration zur Tumorabgrenzung, die endosonographisch beide echoarm imponieren, schwierig. Für die Therapie entscheidend ist bei der Beurteilung von Ösophaguskarzinomen die Operabilität. Die Sensitivität für die Bestimmung der T-Kategorie liegt bei 80–95%, die der N-Kategorie bei 70–80%. Die in der Literatur angegebene hohe Trefferquote beim Lymphknotenstaging des Ösophaguskarzinoms resultiert aus dem großen Anteil an fortgeschrittenen Karzinomen mit hoher Inzidenz an Lymphknotenmetastasen. Die Wertigkeit des Restagings nach neoadjuvanter Therapie wird kontrovers diskutiert, da zwischen therapiebedingter Narbe und vitalem Tumorgewebe nicht unterschieden werden kann. Häufig lässt sich eine zweidimensionale Volumenreduktion feststellen; die T-Kategorie ändert sich bei gutem Ansprechen nur selten. Die beim Staging nachgewie-
senen Lymphknotenmetastasen bleiben ebenfalls häufig darstellbar. Eine Endosonographie nach Radiotherapie wird heutzutage meist abgelehnt. Nach alleiniger Chemotherapie wird in einigen Zentren ein Ansprechen beurteilt. Goldstandard zur Beurteilung des Ansprechens ist aber noch immer die pathologische Aufarbeitung des Präparates nach Resektion.
Lokalrezidiv Lokalrezidive nach Ösophagektomie sind endosonographisch schwierig nachzuweisen. Entzündliche postoperative Veränderungen können einem Rezidiv täuschend ähnlich sehen. Asymmetrien, isolierte Magenwand oder Ösophaguswandverdickungen können indirekte Hinweise darstellen.
11.3
Magenkarzinom
Magenkarzinome sind maligne Neubildungen der Magenschleimhaut, und in mehr als 90% der Fälle handelt es sich um Adenokarzinome. Non-Hodgkin-Lymphome treten in 2–4% der malignen Magentumoren auf. Eine Besonderheit stellen die gastrointestinalen Stromatumoren dar, die seit 1998 als eigene Entität klassifiziert werden, ca. 3% der gastrointestinalen Tumoren ausmachen und zu 60% im Magen lokalisiert sind. Risikofaktoren. Die Karzinogenese im Magen von der chro-
nischen Helicobacter-pylori-assoziierten Gastritis, Entwicklung einer intestinalen Metaplasie zum Karzinom ist derzeit die am häufigsten akzeptierte Theorie. Weitere Risikofaktoren zur Entwicklung eines Magenkarzinoms sind Magenulzera. Cave Magenulzera sind im Gegensatz zu Duodenalulzera bis zum Beweis des Gegenteils immer malignitätsverdächtig und sollten histologisch kontrolliert werden.
Ist in Biopsien aus Polypen oder Ulzera eine Neoplasie nachgewiesen worden, besteht ein erhöhtes Karzinomrisiko. Auch maligne Ulzera können unter Ulkustherapie reepitheliasieren. Nach Billroth-Operationen, insbesondere der Billroth-IIOperation besteht nach 5–10 Jahren ein 4-fach erhöhtes Risiko für ein Karzinom im Restmagen, hauptsächlich im Bereich der Anastomose. Während Magenschleimhautadenome maligne entarten können, sind hyperplastische Polypen und Drüsenkörperzysten meist gutartig. Bei der Riesenfaltengastritis und bei chronischer Gastritis Typ A assoziiert mit einer perniziösen Anämie besteht ein 10%-iges Karzinomrisiko. Symptomatik. Die meisten Symptome des Magenkarzinoms
sind unspezifisch. Symptome lokaler Tumorkomplikationen wie Blutungen, Anämie, Erbrechen, Dysphagie sind häufig Zeichen der fortgeschrittenen Tumorerkrankung. Endoskopie. Zu 98% elektiv operierte Magenkarzinome wer-
den präoperativ endoskopiert und in ca. 96% der Fälle gelingt die histologische Sicherung der Diagnose. Histologisch wer-
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118
11
Kapitel 11 · Diagnostische Endoskopie
den die Magenkarzinome zwischen dem intestinalen und diffusen Typ nach Lauren klassifiziert. In Zusammenhang mit dem Grading trägt die Klassifikation zur prognostischen Abschätzung bei. Endoskopisch können alle Teile des Magens gut eingesehen werden und sollten gezielt biopsiert werden. In den Leitlinien wurde eine Mehrfachbiopsie (mindestens 5) festgelegt; bei makroskopisch fraglichem Befund oder einer Wiederholungsuntersuchung müssen mindestens 10 Biopsien erfolgen. Das szirrhös wachsende Magenkarzinom wirft endoskopisch diagnostische Schwierigkeiten auf, insbesondere wenn es keinen sichtbaren Epitheldefekt aufweist und sich zirkulär über mehrere Magenabschnitte oder den gesamten Magen (auch als Linitis plastica bezeichnet) erstreckt. Indirekte Hinweise wie ein grobes Faltenrelief, ödematöse Felderung, starre Magenwand – insbesondere bei stärkerer Luftinsufflation – muss beim Magen besonders geachtet werden. Die Magenkarzinome werden weiterhin nach ihrer Lokalisation aufgeteilt. Die Lokalisation bezieht sich auf die Dreiteilung des Magens: proximal, mittleres und distales Drittel, sowie kleine oder große Kurvatur, Vorder- oder Hinterwand. Eine Sonderstellung nimmt die Kardia ein. Hier lokalisierte Karzinome werden als Adenokarzinome des gastroösophagealen Übergangs (AEG) klassifiziert und je nach topographischer Lage als Typ I, II oder III klassifiziert. Die Differenzierung erfolgt anhand des Tumorzentrums, bei fortgeschrittenen Tumoren anhand der Haupttumormasse. Die exakte endoskopische Zuordnung ist manchmal schwierig, insbesondere wenn der Tumor sowohl auf den Magen als auch auf den distalen Ösophagus übergreift und sein Zentrum nicht erkennbar ist. Da es sich meist um fortgeschrittene Karzinome handelt, kann im Restaging nach neoadjuvanter Chemotherapie das ursprüngliche Tumorzentrum zur Darstellung kommen und dann einer Lokalisation zugeordnet werden. Makroskopisch wurde beim Magenkarzinom schon sehr früh eine Korrelation zwischen Erscheinungsbild und Infiltrationstiefe und der damit verbundenen Prognose gefunden. Borrmann hat bereits 1926 den Wachstumstyp fortgeschrittener Karzinome mit der 5-Jahres-Überlebensrate korreliert. Heute von zunehmender Bedeutung ist die Klassifikation der Frühbefunde, die wie auch schon beim Ösophaguskarzinom zunächst durch die Japanische Gesellschaft für Gastroenterologie seit 1962 eingeführt wurde, 1985 als Klassifikation der JRSGC erweitert wurde und in der modifizierten Paris-Klassifikation von 2005 heute weltweit angewendet wird. Standard für die Darstellung für Frühbefunde ist eine zusätzliche Färbung der Magentumoren meist mit Indigokarmin, das durch Kontrastfärbung die intestinale Mukosa plastisch hervorhebt. Die Abgrenzung des Tumors von seiner Umgebung tritt damit meist sehr deutlich hervor. Die für die Mukosaresektion oder endoskopische Submukosadissektion erforderliche Markierung kann hiermit leichter angebracht werden.
dings Bereiche im Magen, die im Gegensatz zum Ösophagus oder Rektum mit der Endosonographiesonde aufgrund ihrer anatomischen Lage bzw. der Luftgehaltes oft schwierig zu beurteilen sind. Dazu gehören die Kardia, Fundus, Anteile der Vorderwand und des Antrums (Angulus und Pylorus). Heute erfährt sie mit der neuen Minisondentechnik eine Bedeutung in der Beurteilung des Frühkarzinoms zur Unterscheidung einer Mukosa- oder Submukosainfiltration. Mit zunehmender endoskopischer Resektion von Frühbefunden ist die Differenzierung von großer Bedeutung, da beim Mukosakarzinom in 5% und beim Submukosakarzinom bereits in 30% der Fälle mit einer Lymphknotenmetastasierung zu rechnen ist. Die Treffsicherheit in der Differenzierung der Mukosaund Submukosakarzinome wird in der Literatur mit 95% angegeben. Kritisches Tumorstadium bleibt wie auch beim Ösophaguskarzinom die T2-Kategorie. Eine anatomische Besonderheit ist hier die subkardiale Hinterwand. Tumoren, die in dieser Region lokalisiert sind und endosonographisch die gesamte Wand erfassen, werden vom Pathologen als pT2-Karzinome klassifiziert, da definitionsgemäß die Serosa nicht nachgewiesen werden kann. Endosonographisch, im Wachstumsverhalten mit frühzeitiger Metastasierung nach retroperitoneal in Richtung Nierenhilus verhalten sie sich prognostisch wie T3-Karzinome. Die Genauigkeit der Tumorbeurteilung im Magen liegt mit 80% etwas niedriger als im Ösophagus, Ausnahmen bilden die Frühkarzinome (. Abb. 11.5). Eine Beurteilung des Lymphknotenstatus ist ebenfalls mög-
. Tab. 11.2. Stadieneinteilung primär gastrointestinaler Lymphome
AnnArborSystem
TNM-System
Ausbreitung des Lymphoms
E I1
T1 N0 M0
Mukosa, Submukosa
E I2
T2 N0 M0
Muscularis propria, Subserosa
E I2
T3 N0 M0
Serosapenetration
E I2
T4 N0 M0
Kontinuierliche Infiltration benachbarter Organe oder Gewebe
E II1
T1–4 N1 M0
Infiltration regionaler Lymphknoten I + II
E II2
T1–4 N2 M0
Infiltration von Lymphknoten jenseits der regionalen Stationen (Kompartiment III), inklusive retroperitonealer, mesenterialer, para-aortaler Lymphknoten
III
T1–4 N3 M0
Infiltration von Lymphknoten an beiden Seiten des Zwerchfells
IV
T1–4 N0–3 M1
Generalisation des Lymphoms
Endosonographie. Die Endosonographie für das Magenkar-
zinom ist aufgrund der hohen Auflösung weiterhin anderen bildgebenden Verfahren im Staging überlegen. Es gibt aller-
119 11.4 · Kolon- und Rektumkarzinom
. Abb. 11.6. Lokal fortgeschrittenes Magenkarzinom
(1977) und dient neben der Histologie und der Immuntypisierung als Grundlage der modernen Therapie. Somit ist die Endosonographie eine wichtige Untersuchung im Staging des Magenlymphoms. . Abb. 11.5. Magenfrühkarzinom
11.4 lich. Das N-Stadium wird als N0 klassifiziert ohne Nachweis von Lymphknoten, als N1-Stadium mit Nachweis von perigastrischen Lymphknoten bis zu 3 cm vom Tumor entfernt, als N2 mit einem Abstand >3 cm zum Tumor. Sie spielt ebenfalls eine Rolle zur Abschätzung für eine mögliche endoskopische Resektion. Magenlymphome. Eine Besonderheit stellen die Magenlym-
phome dar. Der Magen stellt die häufigste extranodale Manifestation maligner Lymphome dar. Dominant sind die B-ZellLymphome (70–90%). Unterschieden werden die niedrigmalignen NHL vom MALT-Typ (»mucosa-associated lymphatic tissue«) von den hochmalignen diffusen, großzelligen NHL. Die Stadieneinteilung (. Tab. 11.2) erfolgt häufig nach der Ann-Arbor-Klassifikation in der Modifikation nach Mushoff
Kolon- und Rektumkarzinom
Die meisten kolorektalen Karzinome entwickeln sich aus kolorektalen Adenomen im Sinne der Adenom-KarzinomSequenz. Nicht-epitheliale Malignome oder Kolonmetastasen eines anderen Tumors machen weniger als 2% der Malignome aus. Das Erlanger Register kolorektaler Polypen konnte die Adenomgröße sowie die Histologie des Polypen als unabhängige Risikofaktoren identifizieren. Die Malignitätsrate steigt mit zunehmender Größe. Ab 2 cm weisen 12% der Adenome hochgradige Dysplasien und 33% der Adenome ein Karzinom auf. Histologisch unterscheidet man zwei Hauptformen des Adenoms – tubulär, villös – sowie die Mischform tubulovillös. Prozentual verteilt sich die Histologie zu 75% auf tubuläre, 15% auf tubulovillöse und zu 10% auf villöse Adenome. Das
11
120
Kapitel 11 · Diagnostische Endoskopie
Lokalisation. Von der Lokalisation verteilen sich die Kolon-
karzinome zu 60% im Kolon und zu 40% im Rektum. Bei den Kolonkarzinomen ist das Sigma in 60% der Fälle betroffen. Zweithäufigste Lokalisation ist das Colon ascendens. Analkanalkarzinom. Tumoren im Analkanal entstehen im
Bereich des Anoderms sowie der Transitionalzone. Analkanalkarzinome reichen somit von der Linea anocutanea nach proximal bis zum anorektalen Übergang. Das Analkanalkarzinom macht insgesamt nur 1% der gastrointestinalen Tumoren aus. Frauen sind auffällig häufiger betroffen. Es handelt sich meist um Plattenepithelkarzinome, seltener um Basalzellkarzinome, infiltrierende Adenokarzinome oder Melanome. Symptomatik. Als Leitsymptom für kolorektale Karzinome
gelten Blut und Schleimauflagerungen, die in der Regel aber erst spät im Verlauf der Erkrankung auftreten. Veränderte Stuhlgewohnheiten, Tenesmen, Wechsel zwischen Diarrhö und Obstipation, Bleistiftstühle können richtungsweisend sein. 10% der Karzinome fallen durch Ileus oder Perforation auf und werden im Rahmen von Notfalloperationen behandelt. Diagnostik. Die komplette Koloskopie ist die zentrale diag-
11
. Abb. 11.7. Yamada-Klassifikation
Entartungsrisiko bei Diagnose steigt von 4,8% bei tubulären Adenomen, 19,0% bei der Mischform auf 38,4% bei villösen Adenomen. Risikofaktoren. Beim Kolonkarzinom sind aus epidemiolo-
gischen Studien die Zusammenhänge zwischen Ernährung und der Tumorhäufigkeit gut untersucht. Eine an tierischen Fetten reiche, schlackenarme Ernährung begünstigt die Entstehung kolorektaler Karzinome. Als weitere Risikofaktoren zählen die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, insbesondere die Colitis ulcerosa meist nach einer Latenz von 15–25 Jahren, eine positive Familienanamnese (20%), sowie genetische Veränderungen (10%), die sich in den bekannten Syndromen der HNPCC und FAP manifestieren.
nostische Maßnahme. Mit zunehmender Verbesserung der Bildauflösung sowie der Chromoendoskopie können bereits sehr flache Adenome, sog. Depressed-type-Läsionen und auch Oberflächen von bereits karzinomatös entarteten Polypen diagnostiziert werden. Zu den charakteristischen Merkmalen gehören Veränderung der Oberfläche im Sinne von Deformierungen, Ulzerationen, granulärer und brüchiger Oberfläche sowie Blutungen. Damit ist die Koloskopie die derzeit die aussagekräftigste Methode in Bezug auf kolorektale Polypen und kann nach Abtragung und Vorliegen des histologischen Ergebnisses die endgültige Therapie darstellen. Die bereits in frühen Stadien erkannten Polypen können meist in toto entfernt werden und dadurch eine Reduktion der Karzinominzidenz erreichen. Beim Karzinom dient die Koloskopie der histologischen Sicherung des Befundes und dem Ausschluss eines synchronen Zweitkarzinoms. Beim Nachweis eines Karzinoms im linken Hemikolon ist in 4–6% der Fälle ein synchrones Karzinom zu erwarten. Durch die häufiger eingesetzte laparoskopische Resektion wird präoperativ häufig die Tuschemarkierung zur Visualisierung des Tumors oder aboralen Tumorrandes eingesetzt.
Beim Rektumkarzinom ist die exakte Lokalisation für die chirurgische Resektion von entscheidender Bedeutung.
Die Höhe des aboralen Tumorrandes wird mit dem starren Rektoskop gemessen und auf die Linea dentata oder die Linea anocutanea bezogen. Die exakte Höhenangabe des Rektumkarzinoms im distalen Rektumdrittels und seine Lage (Vorder- oder Hinterwand) sind besonders wichtig zur Einschätzung einer möglichen kontinenzerhaltenden Operation. Bei
121 11.4 · Kolon- und Rektumkarzinom
dieser Lokalisation ist die digitale Untersuchung durch den Operateur unerlässlich. Neben der Erhebung des Tumortastbefundes kann gleichzeitig die Sphinkterfunktion mit beurteilt werden. Im aboralen Drittel hat Mason eine Korrelation zwischen klinischen Tastbefund, das heißt Verschieblichkeit des Tumors, und der Tiefe der Wandinfiltration in einer Klassifikation festgelegt, die relativ genau mit dem pathologisch-anatomischem Staging übereinstimmt. Die transrektale Endosonographie hat insbesondere für das Frühkarzinom einen hohen Stellenwert. Die Beurteilung der Tiefenausdehnung eines Rektumkarzinoms, also die Lagebeziehung zum Schließmuskel erfolgt sehr zuverlässig durch die Endosonographie. Die rektale Endosonographie wird gemäß der Leitlinie 2000 als obligat angesehen, wenn bei vermuteten T1-Tumoren eine lokale Exzision geplant ist. Die Sensitivität bezüglich des T-Stadiums wird für das Rektumkarzinom mit 80–90% angegeben. Für die Tumornachsorge beim Rektumkarzinom besteht der Vorteil, dass mittels Endosonographie submuköse pararektale Veränderungen detektiert werden können, die aufgrund ihrer extraluminalen Lokalisation der rektal-digitalen Untersuchung und Endoskopie unzulänglich bleiben. Ein weiterer Vorteil besteht darin, gezielt transmural Biopsien entnehmen zu können.
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Kapitel 11 · Diagnostische Endoskopie
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12 12
Radiologische Diagnostik L. Grenacher, C. Rehnitz, H.-U. Kauczor
12.1
Technische Grundlagen und Stellenwert der einzelnen radiologischen Verfahren – 124
12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4
Sonographie – 124 Projektionsradiographie inklusive Kontrastuntersuchungen Computertomographie – 128 MRT – 128
12.2
Bildgebende Diagnostik wichtiger onkologischer Erkrankungen – 132
12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4
Leber und hepatobiliäres System – 132 Pankreas – 135 Gastrointestinale Tumoren – 137 Rektum – 140 Literatur
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– 125
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
> Die moderne radiologische Diagnostik hat in den letzten Jahren eine enorme Weiterentwicklung erfahren. Mit Verbesserung der Gerätetechnologie in der Computertomographie (Multidetektor-Computertomographie (MDCT), aktuell bis 320 Detektorzeilen; Dual-Source-CT) und der Magnetresonanztomographie (höhere Feldstärken bis 3 Tesla sowie optimierte bzw. neuartige Spulen und Sequenzen) werden neue Möglichkeiten in der radiologischen Diagnostik geschaffen. Einerseits dienen diese zur immer genaueren Darstellung auch kleinster fokaler Läsionen, andererseits ist nun die hochauflösende Darstellung auch großer Untersuchungsvolumina möglich, sodass ein komplettes Staging innerhalb einer Untersuchung für bestimmte Erkrankungen realisiert ist (z. B. Ganzkörper-MRT beim multiplen Myelom, Ganzkörper-Diffusions-MRT etc.). Neue Techniken in CT (CT-Perfusion, DualSource und Dual-Energy), MRT (Diffusionswichtung, neue hepatobiliäre Kontrastmittel) und auch Ultraschall (Kontrastmittel-Sonographie) helfen zudem einzelne fokale Läsionen differenzialdiagnostisch immer genauer einzuordnen. Unverzichtbarer Bestandteil der radiologischen Diagnostik sind die »einfachen« radiologischen Basis-Untersuchungsmethoden wie konventionelle Röntgenuntersuchungen des Thorax und Abdomens sowie die breit verfügbare Sonographie. In den folgenden beiden Kapiteln werden daher die Grundlagen der radiologischen Diagnostik beschrieben und der Stellenwert der einzelnen Verfahren diskutiert.
12.1
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Technische Grundlagen und Stellenwert der einzelnen radiologischen Verfahren
12.1.1 Sonographie Die Sonographie bildet weiterhin die Basis der radiologischen Diagnostik der Abdominalorgane. Unbestrittene Vorteile sind die breite Verfügbarkeit, das günstige Kosten-NutzenVerhältnis und die in der Regel kurze Untersuchungszeit. Sie bietet einen raschen Überblick über relevante Pathologien der Abdominalorgane und bietet sich als erste Untersuchung z. B. bei unklaren abdominellen Beschwerden und zur Suche eines entzündlichen Fokus an. Die Sonographie führt zudem zu keinerlei Belastung mit ionisierender Strahlung. Durch die mobile Einsatzmöglichkeit ist eine Untersuchung auch am Krankenbett (z. B. Intensivstation) möglich. Sie bietet zudem die Möglichkeit, dynamische Prozesse darzustellen (z. B. Darmwandbewegungen, Flussquantifizierungen abdomineller Gefäße). Einer der größten Nachteile der Sonographie ist die Untersucherabhängigkeit. Die Treffsicherheit in der Erfassung von Pathologien hängt in hohem Maße von der Erfahrung und dem Können des Untersuchers ab. Zudem sind in der Praxis die Untersuchungsbedingungen, u. a. durch Meteorismus oder Adipositas, häufig eingeschränkt. Die Dokumentation sollte nach standardisierten Schnittebenen erfolgen, die Darstellung eines pathologischen Befunds in zwei Ebenen. In der Praxis ist die Reproduzierbarkeit und die Beurteilung, z. B. des Größenverlaufs fokaler Läsionen, vor allem durch
. Abb. 12.1. Duplexsonographie mit korrigierter Flussrichtung in der Transplantatarterie im Leberhilus. Flussgeschwindigkeit bei 50 cm/sec., zusätzlich portalvenöses Signal im B-Bild
häufigen Wechsel der Untersucher weiterhin als problematisch anzusehen. In der Abdominalsonographie werden in der Regel Konvexschallköpfe mit einer Sendefrequenz von 3,5–5 Megahertz verwendet. Zur Beurteilung oberflächlicher Strukturen eignen sich Scanner mit höheren Sendefrequenzen zwischen 7 und 12 Megahertz. In der klinischen Praxis nehmen die Doppler- und farbkodierten Duplexverfahren einen hohen Stellenwert ein. Mit ihnen ist die dynamische Darstellung und Quantifizierung von Flussverhältnissen in abdominellen Gefäßen möglich. Beispielhaft ist in . Abb. 12.1 die Darstellung der Flussverhältnisse im Leberhilus nach Lebertransplantation gezeigt. Mit der Endosonographie ist eine hervorragende Detaildarstellung möglich, die bei bestimmten Fragestellungen, z. B. Läsionen des Pankreaskopfs und lokales Staging beim Rektumkarzinom, einen hohen Stellenwert einnimmt. Mit Einführung der Kontrastmittelsonographie der zweiten Generation mit transpulmonal passierbaren Ultraschallkontrastmitteln und reproduzierbarer signalverstärkender Wirkung lassen sich bedeutende Verbesserungen der Sensitivität und diagnostischen Treffsicherheit bezüglich Charakterisierung und Detektion vor allem fokaler Leberläsionen erreichen. Insbesondere in der differenzialdiagnostischen Einschätzung unklarer Leberläsionen erweist sich der kontrastunterstützte Ultraschall als wertvolle ergänzende Möglichkeit. In . Abb. 12.2 ist die Charakterisierung einer fokalen Leberläsion mittels Kontrastmittelsonographie gezeigt.
Die Sonographie ist weiterhin die Basis der abdominellen radiologischen Untersuchung. Neue Möglichkeiten, wie die kontrastverstärkte Sonographie, tragen zur Verbesserung der diagnostischen Treffsicherheit, insbesondere von fokalen Leberläsionen bei. Zum Primärstaging und zur Verlaufsbeurteilung, ist die Sonographie jedoch der CT und MRT, insbesondere wegen der Untersucherabhängigkeit, unterlegen.
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b . Abb. 12.2. Hepatozelluläres Karzinom im kontrastverstärkten Ultraschall. a Vor Kontrastmittelgabe: Die Pfeile markieren eine echoarme Raumforderung mit angedeutetem Halo. b Nach Kontrastmit-
telgabe: Die Pfeile markieren in der arteriellen Phase eine echoreiche Läsion (= hepatozelluläres Karzinom)
12.1.2 Projektionsradiographie inklusive
domenaufnahme wird oft bezüglich ihrer Aussagekraft unterschätzt. Bei subtiler Befundung sind freie Luftmengen von 1–2 ml bereits abgrenzbar.
Kontrastuntersuchungen Thoraxaufnahme Die Thoraxaufnahme wird in der Regel p.a. im Stehen und im seitlichen Strahlengang durchgeführt. Beim nicht stehfähigen Patienten erfolgt sie im Liegen a.p. Bei bestimmten Fragestellungen (Pneumothorax) erfolgt sie in Exspiration. Sie dient als radiologische Basisuntersuchung zur orientierenden Erfassung des kardiopulmonalen Status, insbesondere in der präoperativen Risikoeinschätzung und in der postoperativen Erfassung von Komplikationen (z. B. Pneumonie). Pulmonale Rundherde werden in der Regel ab einer Ausdehnung von etwa 1 cm erfasst, zum Staging und zur Erfassung eines Therapieansprechens ist die Thoraxaufnahme jedoch der Computertomographie deutlich unterlegen.
Die Abdomenübersicht ist neben der abdominellen Sonographie die Basisuntersuchung beim subakuten und akuten Abdomen. Aufnahmen a.p. im Liegen haben hinsichtlich freier Luft und Ileusdiagnostik nur eine sehr eingeschränkte Aussagemöglichkeit, auf sie sollte zugunsten der Links-Seitenlage verzichtet werden. Sie kann allerdings im Rahmen einer Magen-Darm-Passage zur Darstellung eines Passagehindernisses indiziert sein. In Abhängigkeit von der klinischen Präsentation sollte jedoch in allen unklaren Fällen im Zweifel eine Computertomographie durchgeführt werden.
Abdomenaufnahme Die Standard-Röntgenaufnahme des Abdomens erfolgt im Stehen, wobei auf die vollständige Darstellung beider Zwerchfellkuppen und kaudal bis zur Symphyse zu beachten ist. Sie dient im Wesentlichen zum Nachweis bzw. zum Ausschluss freier abdomineller Luft als Anhalt für eine Hohlorganperforation, oder Pfortaderluft als Folge einer Ischämie oder Luft in den Gallenwegen. Außerdem dient sie der Ileusdiagnostik mit Nachweis bzw. Verteilungsmuster von Luft-Flüssigkeitsspiegeln. Des Weiteren können Konkremente (z. B. ableitende Harnwege) und inkorporierte Fremdkörper erkannt werden. Beim nicht stehfähigen Patienten werden Aufnahmen in Links-Seitenlage (lateraler Dekubitus) angefertigt, wobei zum Nachweis kleinerer Mengen freier Luft eine mindestens 10minütige Links-Seitenlage erforderlich ist. Die Röntgen-Ab-
Die Analyse der Darmgasverteilung kann zwar Hinweise auf die zugrunde liegende Pathologie liefern, ist jedoch meist unspezifisch. Die Computertomographie kann in diesen Fällen häufig die zugrunde liegende Pathologie nachweisen bzw. klären (. Abb. 12.3).
Kontrastuntersuchung Magen und Duodenum. In der Ära der Endoskopie ist die
Doppelkontrastuntersuchung von Duodenum und Magen weitgehend obsolet. Bei spezifischen Fragestellungen (z. B. Magenlymphom) kann die Doppelkontrastuntersuchung noch indiziert sein. In den meisten Zentren ist sie jedoch durch spezifische Schnittbildverfahren ersetzt (Hydro-CTMagen). . Abb. 12.4 zeigt ein Leiomyom des Magens in der
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
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12 c . Abb. 12.3a–d. Zökalpolkarzinom. a Röntgenübersichtsaufnahme des Abdomens in Links-Seitenlage bei einem Patienten mit akutem Abdomen: mechanischer Ileus mit bis ins terminale Ileum geblähten Dünndarmschlingen mit multiplen Spiegelbildungen. Der
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übrige Kolonrahmen ist luftleer (»Hungerdarm«). b Sonographie: unklare Raumforderung am Zökum. c, d Die Computertomographie zeigt die genaue Lokalisation und Ausdehnung des Karzinoms
b . Abb. 12.4a,b. Leiomyom. a Magen-Darm-Passage. b CT
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. Abb. 12.5a–c. Morbus Crohn. a Konventionelle Dünndarmdoppelkontrastuntersuchung nach Sellink mit Ileitis terminalis. b Hydro-
MRT bei Ileitis terminalis. c Hydro-CT bei Rezidiv-Crohn nach ileozökaler Resektion
Magen-Darm-Passage und vergleichend die Darstellung in einer Hydro-CT des Magens.
. Abb. 12.5 ist eine konventionelle Dünndarmdarstellung nach
Dünndarm. Der Dünndarm entgeht weitgehend der endoskopischen Diagnostik. Hier spielen Kontrastuntersuchungen noch eine bedeutendere Rolle. Mit der Magen-Darm-Passage nach Verabreichung von Bariumsulfat (oral oder via Magensonde), können Stenosen bzw. Passagehindernisse identifiziert werden. Cave Bei Perforationsverdacht oder vor geplanten Operationen ist die Gabe von Barium kontraindiziert (Barium führt zu einer granulomatösen Peritonitis). Hier sollte dann Gastrografin als Kontrastmittel gewählt werden.
Die Gastrografinpassage hat neben der Diagnostik auch einen therapeutischen Stellenwert. Bei verzögerter Darmpassage (klinisches Bild eines »Subileus«), kann eine Passageverbesserung durch den hygroskopischen Effekt des Gastrografins erzielt werden. Bei einem manifesten Ileus besteht allerdings die Gefahr einer Perforation, sodass die Gastrografinpassage hier nur in Operationsbereitschaft erfolgen kann. Als Doppelkontrastuntersuchung war lange Zeit die Untersuchung nach Sellink weit verbreitet, wobei hier die Kontrastmittelapplikation über eine Duodenalsonde erfolgt. Auch dieses Verfahren ist weitgehend durch Schnittbildverfahren abgelöst, die neben der Lokalisation der Passageproblematik und der Wandveränderungen auch extraluminale Pathologien (Abszesse, Lymphknoten, Beziehung zu anderen Organen) aufzeigt. Als herausragende Untersuchungsmodalität hat sich hier die »Hydro«-Sellink-MRT (MR-Enteroklyse) herausgestellt, wobei der Dünndarm üblicherweise nur mit oraler Wasserfüllung dilatiert wird und auf eine transnasale Platzierung einer Sonde jenseits des Treitz-Bandes verzichtet werden kann. Alternativ kann auch eine Hydro-CT durchgeführt werden. In
Sellink im Vergleich mit einer »Hydro-MRT« des Dünndarms und einer Hydro-CT jeweils bei M. Crohn gezeigt. Kolon. Zählte die Kolon-Doppelkontrastuntersuchung bis vor
einigen Jahren zu den radiologischen Standardverfahren, ist sie in der Ära der Endoskopie selten geworden. Bei endoskopisch nicht passierbarer Stenose bietet die Doppelkontrastuntersuchung jedoch weiterhin eine gute Möglichkeit das Ausmaß der Stenose zu visualisieren und Zweittumoren im Kolon auszuschließen. Ähnlich der Diagnostik tumoröser Magenund Dünndarmveränderungen spielen heutzutage Schnittbildverfahren neben der Endoskopie die herausragende Rolle. In der Tumordiagnostik des Kolons ist hierbei die Computertomographie (als sog. Hydro-Kolon-CT) der MRT (mit Ausnahme des Staging des Rektumkarzinoms (7 Kap. 12.1.3) überlegen. Mit der modernen Computertomographie sind hochauflösende Darstellungen des Kolons mit sekundärer multiplanarer Rekonstruktion sowie MIP-Darstellungen der Gefäße und ggf. ergänzender virtueller Kolonoskopie möglich (. Abb. 12.6). Gut geeignet sind Kontrastdarstellungen mit wasserlöslichem Kontrastmittel auch weiterhin für postoperative Kontrollen (z. B. Anastomoseninsuffizienz).
Doppelkontrastuntersuchungen haben ihre vormals herausragende Stellung in der Diagnostik gastrointestinaler Tumoren mit Einführung der Endoskopie sowie der Weiterentwicklung spezialisierter Schnittbildverfahren wie Hydro-CT und Hydro-MRT weitgehend eingebüßt. Bei speziellen Fragestellungen haben sie jedoch weiterhin ihren Stellenwert. Weiterhin Anwendung finden Kontrastuntersuchungen noch bei klinischer Passageverzögerung (Subileus) im Rahmen einer diagnostischen und therapeutischen Gastrografinpassage sowie zur postoperativen Darstellung von Komplikationen (z. B. Anastomoseninsuffizienz).
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
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. Abb. 12.6a–c. Multiplanare Rekonstruktion bei Kolonkarzinom (Flexurenkarzinom). a Axial mit Ileussymptomatik). b Koronar mit
Infiltration in benachbarte Darmschlingen. c Sagittal mit Gefäßinfiltration
12.1.3 Computertomographie
komplexe 3-D-Darstellungen z. B. zur Operationsplanung zu realisieren (. Abb. 12.7). Bis auf wenige Ausnahmen wird die Computertomographie des Abdomens und für onkologische Fragestellungen auch des Thorax nach intravenöser Applikation von jodhaltigem Kontrastmittel durchgeführt. Als Kontraindikation gelten die schwere Kontrastmittelallergie, die Niereninsuffizienz und eine manifeste Hyperthyreose. Für onkologische Fragestellungen im Bereich des Thorax reicht in der Regel eine monophasische venöse Kontrastierung, zum Größenverlauf pulmonaler Metastasen und zur Erfassung entzündlicher Veränderungen in der Regel auch eine Nativuntersuchung. Abdominell sind jedoch meist spezifische Untersuchungsprotokolle, die auf die klinische Fragestellung und die jeweilige Tumorentität abgestimmt sind, notwendig. Hier ist die enge Kooperation mit den zuweisenden Kollegen zwingend erforderlich. Je genauer hier die klinische Angabe und Fragestellung, desto besser lässt sich die Untersuchung optimieren. . Tab. 12.1 zeigt die typischen Untersuchungsparameter am Beispiel des 64-Zeilen-Dual-Source-CT für eine Pankreas CT.
Die Computertomographie ist das »Arbeitspferd« der modernen onkologisch-radiologischen Diagnostik. Es ist gleichermaßen Standardmethode zum lokalen Staging vieler Tumorerkrankungen als auch zur Erfassung von Metastasen (Lymphknoten, Leber, Lunge). Die Technik der Computertomographie erfuhr in den letzten Jahren einen rasanten Wandel. Während zunächst Einzeilen-Computertomographen zur Verfügung standen, wobei hier die Abtastung Schicht für Schicht erfolgte (Inkremental-CT), sind diese heute vollständig durch moderne Multidetektor-CT mit aktuell bis zu 320 Detektorzeilen abgelöst, welche den Untersuchungsbereich spiralförmig abtasten (MDCT). Der technologische Fortschritt ermöglicht einerseits die hochauflösende Darstellung der Organsysteme mit Schichtdicken im Submillimeterbereich mit isotropen Voxeln. Dadurch wird eine sekundäre Bildrekonstruktion in beliebigen Schnittebenen (koronar, sagittal) sowie eine dreidimensionale Darstellung in hoher Qualität ermöglicht. Zudem kann eine sehr kurze Untersuchungszeit realisiert werden. Die Darstellung auch größerer Untersuchungsvolumina (z. B. Thorax und Abdomen) erfolgt innerhalb weniger Sekunden, sodass diagnostische Untersuchungen auch beim nicht kooperationsfähigen Patienten ermöglicht werden. Computertomographen mit mehr als 64 Detektorzeilen bieten derzeit vor allem Vorteile in der Diagnostik des Herzens (Stenosequantifizierung der Koronararterien). Der Wert neuer Möglichkeiten wie z. B. CT-Perfusion, DualSource/Dual-Energy-CT (Messung mit zwei Röntgenröhren unterschiedlicher Spannung) für die Tumordiagnostik ist vielversprechend, aktuell jedoch noch Gegenstand der Forschung und kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Durch diese technischen Verbesserungen mit Auflösungen im Submillimeterbereich ist es nun auch möglich,
12.1.4 MRT Die klinische MR-Bildgebung ist eine der am schnellsten voranschreitenden Bereiche innerhalb der radiologischen Bildgebung der letzten Jahre. Die ersten klinischen MRT-Systeme wurden im Jahre 1983 mit relativ geringen Feldstärken um 0,3 Tesla (T) eingesetzt. Ihnen folgten 1,0-T- und 1,5-T-Scanner, die auch heute noch den Hauptteil der klinisch eingesetzten Systeme ausmachen. In den letzten Jahren haben Scanner mit höheren Feldstärken (vor allem 3,0 Tesla) Einzug insbesondere in die neuroradiologische und muskuloskelettale Bildgebung gefunden. Treibende Kraft hin zur Entwicklung höherer
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. Abb. 12.7a–c. Pankreaskopfkarzinom. a Konventionelles CT. b In der dreidimensionalen Darstellung ist das Pankreaskopfkarzinom grün abgebildet. c Infiltration in die A. und V. mesenterica superior (Pfeil)
Feldstärken ist die Beobachtung, dass sich das Signal-zuRausch-Verhältnis (SNR) ungefähr linear zur Magnetfeldstärke verbessert und sich somit theoretisch eine Verdopplung der Signalausbeute bei 3,0 versus 1,5 Tesla erzielen lässt. Experimentell sind inzwischen Feldstärken von 7–9 Tesla realisiert. Problematisch ist bei diesen Systemen höherer Feldstärke z. B. die Zunahme von Artefakten (Suszeptibilität, »chemical shift«), die derzeit noch den Routineeinsatz etwa in der abdominellen Bildgebung begrenzen. Systeme mit hohen Feldstärken (>3 Tesla) sind daher derzeit auf die Forschung begrenzt,
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werden jedoch möglicherweise in den nächsten Jahren auch zunehmend klinisch eingesetzt. Der prinzipielle Unterschied zur Röntgentechnik besteht darin, dass keine von der Absorption abhängigen Dichteunterschiede ermittelt werden, sondern die Signalintensitäten, die auf dem Protonengehalt eines Gewebes basieren, gemessen werden. Je nach eingestellten Untersuchungsparametern lassen sich daher verschiedene »Wichtungen« wählen. Die prinzipiellen Wichtungen umfassen T1-, T2- und Protonenwichtung (T1w, T2w, PDw), die dann einen für das jeweilige
. Tab. 12.1. Untersuchungsprotokoll: 64-Zeilen-CT des Pankreas (64-Zeilen-MDCT, Siemens Definition, Erlangen, Germany)
Nativ-CT
KM-CT arterielle Phase
KM-CT portalvenöse Phase
Röhrenspannung
120 kV
120 kV
120 kV
Röhrenstrom
140 mAs
170 mAs Dosismodulation
185 mAs Dosismodulation
Detektorkollimation
3×24×1,2
3×64×0,6
3×64×0,6
Tischvorschub
24 mm
24 mm
24 mm
Rek. Schichtdicke
3/2 mm
3/2 mm
3/2 mm
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
. Tab. 12.2. Typisches Untersuchungsprotokoll am MRT, hier am Beispiel des Pankreasprotokolls (»All-in-one-Pankreasuntersuchung inklusive Leber und MRCP)
T2w haste tra
T2 tse tra bh
T1-Flash 2d tra bh
T2 RARE cor bh
T2 haste cor bh
T1 Fl3d tra fs T1 fl3d tra fs bh nativ bh (arteriell, venös, spät)
T1 fl3d cor fs
FOV (mm)
380
400
380
350
350
390
390
460
TR (ms)
801
4050
168
4500
1530
3,68
3,68
3,18
TE (ms)
68
112
4,76
754
119
1,5
1,5
1,15
Schichtdicke (mm)
6
6
6
Cor, RAO, LAO
4
3
3
3
Voxel (mm)
1,3×1×6
2×1,6×6
1,9×1,5×6
1,1×0,9×4
1,1×0,9×4 1,5×1×3
1,5×1×3
1,8×1,2×3
An-merkungen
Nativ
Nativ
Nativ
MRCP
MRCP
KM
KM
Nativ
FOV »field of view«, bh »breathhold«, fs »fat saturated« (fettunterdrückt), cor koronal, tra transversal, RAO »right anterior oblique«, LAO »left anterior oblique«, KM Kontrastmittel
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Gewebe typischen Bildeindruck erzeugen. Vereinfacht lässt sich sagen, dass in T2-gewichteten Bildern Flüssigkeiten hell (hyperintens) und in T1-Wichtungen dunkel, (hypointens) dargestellt werden. Luft und Metall erscheinen in beiden Wichtungen dunkel, während Fett in beiden Wichtungen hell erscheint. Zur besseren Sichtbarkeit wird gerade nach Kontrastmittelgabe eine ergänzende Fettsättigung (fs) durchgeführt, sodass Fett in diesen T1-gewichteten Sequenzen dunkel erscheint und nur noch Kontrastmittel-aufnehmende Strukturen hell (hyperintens) aufleuchten. Auch die parenchymatösen Organe zeigen Unterschiede in T1- und T2-Wichtung, diese sind jedoch geringer ausgeprägt. Bei der sog. Magnetresonanz-Cholangio-Pankreatikographie (MRCP), dem MRT-Analogon zur ERCP, wird in typischer T2-Wichtung, d. h. ohne Kontrastmittel die Flüssigkeit in den Gallenwegen hell dargestellt, was eine »ERCP-artige« Darstellung ergibt. In neueren Studien wird der morphologische Bildeindruck bei der MRCP noch verstärkt durch die zusätzliche funktionelle Beurteilung mit der medikamentösen i.v. Gabe von Sekretin (ein Hormon aus der Schleimhaut von Duodenum und Jejunum, welches den Sphinktertonus erhöht bei gleichzeitiger Stimulation der exokrinen Pankreasfunktion). Mit einer zusätzlichen Gabe von Sekretin wird bei Untersuchungen der Bauchspeicheldrüse im MRT eine kurzfristige, reversible Dilatation der Pankreasgänge um bis zu 100% erreicht. Dies führt zu einer verbesserten Sichtbarkeit des Pankreasganges. Auch ist durch die Sekretingabe eine funktionelle Darstellung im zeitlichen Verlauf möglich (sog. »duodenal filling« nach 10 min). Die meisten MR-Sequenzen werden heutzutage zur Unterdrückung von Bewegungsunschärfen in Atemanhaltetechnik durchgeführt (sog. »breathhold« = bh). Bei dieser Vielzahl an Möglichkeiten in der MRT ist daher noch stärker als bei der Computertomographie ein auf die Fragestellung zentriertes und abgestimmtes Untersuchungsprotokoll erforderlich. Eine gründliche Indikationsstellung und Abstimmung der Untersuchung auf die jeweilige kli-
nische Fragestellung ist somit Basis einer guten MRT-Untersuchung. In . Tab. 12.2 ist exemplarisch ein typisches Untersuchungsprotokoll am Beispiel eines 1,5-Tesla-MRT (Siemens Avanto) für die Pankreas- und Gallenwegsdiagnostik mit MRCP gezeigt. Neben den gezeigten Vorteilen sind allerdings Einschränkungen bzw. Kontraindikationen zu beachten. Als absolute Kontraindikation gelten ein implantierter Herzschrittmacher und bestimmte Nervenstimulationsgeräte. Die meisten der heute implantierten mechanischen Herzklappen sind dagegen für den Einsatz an 1,5-Tesla-Scannern geprüft und zugelassen, hier müssen jedoch die Angaben der jeweiligen Hersteller beachtet werden. Prinzipiell kann es bei Metallteilen aus magnetisierbarem Material zum einen zu einer Erwärmung und zum Funktionsverlust kommen, zum anderen auch zu einer Lageänderung, was z. B. bei Granatsplittern in kritischer Lokalisation zu beachten ist. Cave Ein Herzschrittmacher gilt weiterhin als absolute Kontraindikation für die MRT. Andere elektronische Implantate sind teilweise MR-gängig, hier sind die Herstellerangaben entscheidend. In jedem Fall ist eine genaue Befragung über inkorporierte Metallteile sowie deren Risikoabwägung erforderlich.
Die meisten gängigen Prothesen (z. B. Hüft-TEP) sind bei den üblichen Feldstärken nicht kontraindiziert, führen aber lokal zu teils deutlichen Artefakten. Als weitere relative Kontraindikation wird die Schwangerschaft im ersten Trimenon angesehen. In den letzten Jahren wurden erhebliche Verbesserungen auch bezüglich der Untersuchungszeit erzielt. Da die Messzeit jedoch verglichen mit der Computertomographie noch relativ lang ist, führen auch physiologische Bewegungen, z. B. durch Atmung oder durch die Darmmotilität, zu Arte-
131 12.1 · Technische Grundlagen und Stellenwert der einzelnen radiologischen Verfahren
fakten. Obwohl diese durch neue Techniken mit schnellen und ultraschnellen Sequenzen vermindert werden können, ist bei sehr unruhigen, nicht kooperationsfähigen Patienten teilweise eine diagnostische Untersuchung nicht sinnvoll möglich. Trotz des bereits nativ guten Gewebekontrasts ist für viele Untersuchungen eine zusätzliche intravenöse Kontrastverstärkung unerlässlich. Hier kommen gadoliniumhaltige Kontrastmittel zur Anwendung, am weitesten verbreitet sind GdDTPA-Verbindungen. Sie zeichnen sich insgesamt durch eine gute Verträglichkeit aus, allergische Reaktionen sind extrem selten. Relativ neu ist die Erkenntnis, dass diese Kontrastmittel bei eingeschränkter Nierenfunktion zur Ablagerung von Gadolinium in Haut und Organen führen können, die dann zu einer irreversiblen Fibrosierung und in seltenen Fällen auch zum Tod führt. Diese neue Krankheitsentität wird als nephrogene systemische Fibrose (NSF) bezeichnet. Bisher sind weltweit nur wenige hundert Fälle einer mit der Applikation von gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln assoziierten NSF dokumentiert. Der Umstand, dass die Fälle ausschließlich bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion und der Verwendung bestimmter Kontrastmittel beobachtet wurde, hat dazu geführt, dass zumindest eine relative Kontraindikation für die Kontrastmittelgabe bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion besteht. Obwohl eine abschließende Bewertung noch nicht möglich ist, sollten gadoliniumhaltige Kontrastmittel bei schwerer Niereninsuffizienz (GFR
<30 ml/min/1,73 m2) nicht angewendet werden. In dringlichen Fällen kann bei einer GFR unter 30 ggf. auf makromolekulare Kontrastmittel zurückgegriffen werden, für die bisher noch keine NSF beschrieben ist. Durch die exzellente Gewebekontrastierung ergeben sich im Vergleich zur Computertomographie einige Vorteile. Aus onkologischer Sicht hat das MRT vor allem Vorteile bei folgenden Fragestellungen: 4 Nachweis von Hirnmetastasen 4 Darstellung von Weichteiltumoren 4 Nachweis und Differenzierung fokale Leberläsionen 4 Lokales Staging beim Rektumkarzinom (hoch auflösendes Becken-MRT) 4 Nachweis und Ausdehnung für Dünndarmraumforderungen (Hydro-MRT) Bei manchen Fragestellungen ist auch die Durchführung einer sog. Ganzkörper-MRT sinnvoll, die vor allem eine sensitive Darstellung von Knochenmetastasen erlaubt. Im Staging des multiplen Myeloms hat sich das Ganzkörper-MRT bereits etabliert (. Abb. 12.8). Der ohnehin gute Gewebekontrast ermöglicht in vielen Fällen eine Differenzierung unklarer Läsionen. Inwieweit neue optimierte Sequenzen in bestimmten Organsystemen (z. B. Diffusionswichtung beim Pankreaskarzinom) zu einer noch weiteren Verbesserung der Läsionsdifferenzierung führen, ist derzeit Gegenstand der Forschung.
b
a
. Abb. 12.8a,b. Ganzkörper-MRT bei multiplen Myelom. a Muliple Läsionen (gelbe Pfeile). b Typische Myelomläsion im Becken (weißer Pfeil)
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
12.2
Bildgebende Diagnostik wichtiger onkologischer Erkrankungen
12.2.1 Leber und hepatobiliäres System
Lebereigene Tumoren Zu beachten ist zunächst die hohe Prävalenz gutartiger fokaler Leberläsionen, hier vor allem Hämangiome, fokal nodulare Hyperplasien (FNH), biliäre Hamartome und Leberzysten sowie entzündliche Pseudotumoren. Diese müssen differenziert werden von einerseits sekundären Lebertumoren (Metastasen), andererseits von malignen lebereigenen Tumoren. Klinisch den höchsten Stellenwert nimmt hier das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ein, das zumindest in der westlichen Bevölkerung vor allem in der zirrhotisch veränderten Leber auftritt. Als weitere maligne Läsionen sind das cholangiozelluläre Karzinom (CCC) und das seltene fibrolamelläre Karzinom (FLC) zu nennen. In der Detektion und Differenzierung fokaler Leberläsionen ist die MRT der Computertomographie und auch der Sonographie überlegen, wenn auch die kontrastunterstützte Sonographie hier erhebliche Fortschritte erzielt hat (7 Kap. 12.1.1).
Bereits ohne Kontrastmittelgabe sind in der MRT viele Leberläsionen erkenntlich und z. T. aufgrund des charakteristischen Signalverhaltens (Leberzyste) eindeutig zu identifizieren. Die Differenzierung der meisten Läsionen wird jedoch durch dynamische Kontraststudien erheblich verbessert. Eine weitere Steigerung der Detektionsraten wird durch sog. leberspezifische Kontrastmittel erzielt. Zum einen sind hier eisenoxidhaltige, z. B. ultrakleine supraparamagnetische Eisenoxidpartikel (USPIO, z. B. Resovist, Schering) zu nennen, die durch Phagozytose in das retikuloendotheliale System (RES) der Leber aufgenommen werden. Hiermit lassen sich Detektionsraten von über 90% erzielen. Als weiteres leberspezifisches Kontrastmittel sind neue hepatozytenspezifische Kontrastmittel, z. B. GD-EOBDTPA (Primovist, Schering) zu nennen. Der Vorteil hier besteht darin, dass sie zunächst extrazellulär anfluten und somit eine Aussage über die Perfusion zulassen und in den Spätphasen selektiv von Hepatozyten aufgenommen werden. Dieser Umstand kann dazu genutzt werden, hepatozelluläre Karzinome von Regeneratknoten zu unterscheiden, da zumindest mäßig bis gering differenzierte HCC in der Spätphase (sog. Hepatozytenphase) kein leberspezifisches Kon-
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a
b
c
d . Abb. 12.9a–d. MRT eines hepatozellulären Karzinoms mit leberspezifischem Kontrastmittel. a T2-Wichtung mit flau-hyperintenser Leberläsion. b Typisches früharterielles Kontrastmittel-Enhance-
ment. c Typische Hepatozytenphase, in der die Läsion dunkler als das Leberparenchym dargestellt ist. d Untersuchungsprotokoll für leberspezisches Kontrastmittel
133 12.2 · Bildgebende Diagnostik wichtiger onkologischer Erkrankungen
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b . Abb. 12.10a,b. Hepatozytenphase bei nodulärer Hyperplasie (a) und fibrolamellärem Karzinom (b)
a
b . Abb. 12.11a,b. Primovist-MRT bei cholangiozellulärem Karzinom. a Arterielle Phase eines großen diffus infiltrierenden cholangiozellu-
lären Karzinoms. b Hepatozytenspätphase mit fehlender Kontrastmittelaufnahme der tumortragenden Anteile
trastmittel aufnehmen (. Abb. 12.9). Durch die Gefäßkontrastierung in der extrazellulären Phase ist in gleicher Sitzung auch eine Beurteilung der relevanten Gefäße, z. B. der Nachweis einer Pfortaderthrombose, möglich. Das fibrolamelläre Karzinom (FLC) entspricht einem Subtyp des HCC, es wird gehäuft bei jungen männlichen Erwachsenen ohne zugrunde liegende Lebererkrankung beobachtet. Es ähnelt in der Morphologie der fokal nodulären Hyperplasie (FNH) mit zentraler Narbe. Diese ist beim fibrolamellären Karzinom in der MRT jedoch sowohl in der T1- als auch in der T2-Wichtung hypointens und zeigt im Gegensatz zur FNH ein inhomogenes Kontrastmittelenhancement. Über die Anwendung von leberspezifischen MRT-Kontrastmitteln bestehen beim fibrolamellären Karzinom noch wenige Erfahrungen, allerdings anders als die FNH ist das FLC in der Hepatozytenphase ohne Kontrastmittelaufnahme hypointens (. Abb. 12.10). Das cholangiozelluläre Karzinom (CCC) ist der zweithäufigste primäre maligne Tumor der Leber und entwickelt sich aus Gallengangsepithel. Abhängig vom Ursprung kann der Tumor in das intrahepatische oder periphere CCC und den hilären Typ (Klatskin-Tumor) eingeteilt werden. Da das CCC generell kein leberspezifisches Kontrastmittel aufnimmt,
wird die Detektion durch Verwendung derselben deutlich verbessert (. Abb. 12.11). Mit der MRT kann zusätzlich eine Gallenwegsdarstellung (MRCP) durchgeführt werden, die vor allem beim Klatskin-Tumor zu einer verbesserten Visualisierung und Einteilungsmöglichkeit führt (. Abb. 12.12).
Metastasen Metastatische Absiedlungen bilden die häufigsten malignen Läsionen der Leber. Primärtumoren sind vor allem das Mammakarzinom sowie Karzinome des Magen-Darm-Trakts und des Pankreas. Häufig wird die Sonographie zum Ausschluss bzw. Nachweis von Lebermetastasen durchgeführt. Dies ist u. U. ausreichend, wenn bei guten Untersuchungsbedingungen keine suspekte Läsion detektiert wird. Der kontrastverstärkte Ultraschall hat erheblich zur sichereren Detektion und differenzialdiagnostischen Einordnung von Leberläsionen beigetragen. Insbesondere in therapieentscheidenden Grenzfällen ist sie bezüglich der diagnostischen Sicherheit jedoch der CT und MRT unterlegen. Die Computertomographie ist weiterhin das Standardverfahren zur Detektion von Lebermetastasen. Sie erreicht eine diagnostische Treffsicherheit von etwa 85%. Hängt aller-
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
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. Abb. 12.12a–c. MRT eines Klatskin-Tumors. a Post-Kontrastmittel-Sequenz mit dilatierten Gallenwegen. b T2-Wichtung mit gestauten Gallenwegen. c MRCP mit Amputation der zentralen Gallenwege
c
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b . Abb. 12.13a,b. MRT bei Metastasenleber bei NET. Arterielle (a) und portalvenöse Phase (b) mit typischem Kokardenphänomen.
Nebenbefundlich auch abgebildet der NET des Pankreasschwanzes (b; Pfeil)
dings die Therapieentscheidung von der Differenzierung einzelner Leberläsionen und dem sicheren Ausschluss von kleinsten Metastasen, z. B. in einzelnen Lebersegmenten ab, so ist die moderne kontrastunterstützte MRT mit einer diagnostischen Sicherheit von bis zu 95% der Computertomographie überlegen. Beispielsweise kann bei bestimmten Tumorentitäten auch bei relativ ausgedehnter hepatischer Metastasierung, z. B. im Rahmen neuroendokriner Karzinome (NET;
. Abb. 12.13), noch eine kurative Resektion erfolgen, wenn
sicher ausgeschlossen ist, dass der linke Leberlappen betroffen ist (u. U. nach vorhergehender Pfortaderembolisation). Aufgrund der höheren diagnostischen Sicherheit sollte hier eine MRT durchgeführt werden. Abhängig vom Primärtumor erscheinen Lebermetastasen morphologisch unterschiedlich. Während z. B. Metastasen eines kolorektalen Karzinoms in der Computertomographie und der
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b . Abb. 12.14a,b. Lebermetastasen bei Magenkarzinom. a In der portalvenösen Phase lassen sich diese Metastasen hypointens abgrenzen, allenfalls flaue Kontrastmittelaufnahme im Randbereich.
b In der Hepatozytenphase ubiquitär deutlich fehlendes Kontrastmittel-Enhancement
MRT in der venösen Phase häufig hypodens bzw. hypointens mit peripher verstärkter Kontrastmittelaufnahme zur Darstellung kommen (. Abb. 12.14), sind andere Tumorentitäten, wie das neuroendokrine Karzinom oder das HCC, vor allem in der arteriellen Phase von charakteristischer Morphologie.
noch Tumoren einbezogen werden, die die großen arteriellen Leitgefäße (Truncus coeliacus oder A. mesenterica superior) infiltrieren. Diese Tumoren gelten als irresektabel. Nach einigen Kriterien gilt auch der tumorbedingte Verlust der V. mesenterica superior und der Pfortader gemäß National Comprehensive Cancer Network (NCCN) als irresektabel. In Zentren für Pankreaschirurgie ist jedoch auch hier eine Resektion möglich. Entscheidend ist daher die Beurteilung einer Gefäßinfiltration. Dies ist die zentrale Herausforderung für die optimierte radiologische Diagnostik. Das Pankreas kann am besten beurteilt werden, wenn man die Untersuchung als Hydro-CT durchführt. Dafür sollte der Patient vor der Untersuchung ca. 1–1,5 l stilles Wasser trinken, um so eine Magen-Darm-Distension zu erreichen. Zusätzlich wird durch die Gabe von 40 mg N-Butylscopolaminiumbromid eine medikamentöse Darmspasmolyse hervorgerufen, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Der Patient wird während der Untersuchung in 45°-Rechts-Seitenlage gebracht. Zur Beurteilung von Pankreastumoren sollte eine CT-Untersuchung in der Pankreasparenchymphase durchgeführt werden, da in dieser Phase das Pankreasgewebe maximal kontrastiert ist. Zusätzlich ist auch eine Untersuchung in der portalvenösen Phase notwendig, da in dieser Phase die peripankreatischen Venen besser beurteilt werden können und eine Mitbeurteilung der Leber möglich wird, was für das Staging bedeutend ist. Besteht allerdings der Verdacht auf einen neuroendokrinen Tumor des Pankreas, muss zusätzlich eine arterielle Phase angefertigt werden, da diese meist hypervaskularisiert und nur in einem kurzen Zeitfenster nach i.v. Gabe von Kontrastmittel vom umgebenden Pankreasgewebe abgrenzbar sind. Es ist also eine dynamische MDCT mit insgesamt 3 Phasen (nativ, arteriell, Pankreasparenchym) für die Detektion dieser Tumoren notwendig. Die Nativ-Spiral-CT des Abdomens kann sinnvoll sein zur Beurteilung evtl. vorhandener Verkalkungen im Pankreas oder auch für die Nativbeurteilung von potentiellen Leberläsionen. Bezüglich der Tumordetektion erreichen die Computertomographie und die Magnetresonanztomographie vergleich-
Am weitesten verbreitet zur Detektion und Charakterisierung von malignen Leberläsionen sind weiterhin die Sonographie und die Computertomographie. Hängt allerdings eine Therapieentscheidung von der Differenzierung oder dem Ausschluss einer Leberläsion ab, so sollte die kontrastverstärkte MRT (ggf. mit leberspezifischen Kontrastmitteln) aufgrund ihrer hervorragenden diagnostischen Sicherheit eingesetzt werden.
12.2.2 Pankreas Tumoren des Pankreas leiten sich von epithelialen oder endokrinen Zellen des Pankreas ab. 75–90% der Pankreaskarzinome sind duktale Adenokarzinome. Sie stellen die vierthäufigste Krebstodesursache in Deutschland dar. Sie zeichnen sich durch ein aggressives Wachstum mit frühzeitiger lymphogener und hepatischer Metastasierung aus. Nur etwa 15– 20% der Patienten können einer Resektion unterzogen werden, die bei einer R0-Resektion mit anschließender adjuvanter Chemotherapie die einzige, die Überlebenszeit signifikant verlängernde Behandlungsmethode darstellt. In dieser Subgruppe wurden 5-Jahres-Überlebensraten von bis zu 30% berichtet. Die 5-Jahres-Überlebensrate aller Patienten ist mit maximal 5% jedoch weiterhin sehr schlecht. Entscheidend ist daher die Beurteilung der lokalen Resektabilität und der Ausschluss einer Fernmetastasierung. Pankreaskarzinome werden nach der TNM-Klassifikation eingeteilt, wobei hier zu beachten ist, dass nach neuesten Klassifikationskriterien (UICC 2002 bzw. 2005) als T4-Tumor nur
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
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. Abb. 12.15a–c. Pankreasneoplasien. a Pankreaskorpuskarzinom. b NET des Pankreaskopfes. c Autoimmunpankreatitis mit pseudotumurösem Bild im Pankreasschwanz
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bare Werte, wobei die Treffsicherheiten mit jeweils etwa 95% sehr hoch sind. In einigen Studien wird allerdings über eine etwas höhere Sensitivität und Spezifität für die Computertomographie berichtet. Im Unterschied zum Adenokarzinom des Pankreas, das sich in der Regel hypovaskulär, also hypodens in der arteriellen und venösen Phase der Computertomographie bzw. hypointens in der MRT darstellt, erscheinen die selteneren neuroendokrinen Pankreastumoren klassischerweise in der arteriellen Phase hypervaskulär. Daneben existiert eine Vielzahl seltener benigner und maligner Pankreastumoren, die hier nicht weiter ausgeführt werden können. Wir verweisen hier auf den speziellen Teil und die entsprechende Literatur. Angemerkt sei jedoch die teils schwierige, jedoch wichtige Differenzierung zu pseudotumorartig imponierenden entzündlichen Veränderungen, wie z. B. der Autoimmunpankreatitis, die sehr gut auf eine Cortisontherapie anspricht. In . Abb. 12.15a ist ein typisches Adenokarzinom des Pankreas gezeigt, in . Abb. 12.15b ein hypervaskuläres neuroendokrines Karzinom und als wichtige Differenzialdiagnose in . Abb. 12.15c die fokale Form einer Autoimmunpankreatitis, die oft pseudotumurös imponiert und als Karzinom fehlinterpretiert wird.
Zystische Tumoren des Pankreas Es gibt viele verschiedene histologische Typen von zystischen Pankreastumoren, wie seröse Zystadenome, muzinöse zystische Neoplasien (MCN) und intraduktale papillär muzinöse Neoplasien (IPMN). Diese machen 90% aller primären zystischen Pankreasneoplasien aus. Pankreaszysten können morphologisch in vier Subtypen klassifiziert werden: 4 Unilokuläre Zysten ohne Septen, solide Komponente oder zentrale Zystenwandverkalkung 4 Mikrozystische Läsionen 4 Makrozystische Läsionen 4 Zysten mit einer soliden Komponente Die Pseudozyste ist die häufigste und in dieser Gruppe am häufigsten vorkommende zystische Läsion, die auch diagnostisch die wenigsten Schwierigkeiten bereitet. Andere weniger häufig vorkommende, unilokuläre Zysten umfassen IPMN, unilokuläre seröse Zystadenome und lymphoepitheliale Zysten. Neben typischen Geschlechtsverteilungen und Lokalisationen, wie bei der MCN, ist die genaue Differenzialdiagnose oft schwierig. MCN werden fast ausschließlich bei Frauen mit einem Durchschnittsalter von 40 Jahren gefunden. Muzinöse zysti-
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. Abb. 12.16a–d. Zystische Tumoren des Pankreas. a Mikrozystisches Adenom mit typischer Traubenkonfiguration in der MRT. b Muzinöses Zystadenom. c MRCP eines IPMN. d Seitgang-IPMN
sche Neoplasien werden häufig in Pankreaskörper oder -schwanz gefunden und sind normalerweise solitäre Läsionen mit einer Größe zwischen 3–35 mm, bestehend aus mehreren großen Zysten mit dicker fibrotischer Wand. Sie zeigen keine Verbindung mit dem Pankreasgangsystem. Die Differenzierung zystischer Tumoren des Pankreas ist aufgrund der guten Ortsauflösung auch im CT oft gut möglich. Gerade die Darstellung von evtl. vorhandenen Verkalkungsfiguren kann im Nativ-CT gut beurteilt werden. Generell ist jedoch die Beurteilung zystischer Pankreasprozesse eine Domäne der MRT, wobei insbesondere die Möglichkeit der MRCP (oder Sekretin-MRT) neben den morphologischen Veränderungen die Zuordnung zum Pankreasgang und damit die Differenzierung eines IPMN ermöglicht (. Abb. 12.16). Neueste technische Entwicklungen ermöglichen zudem die diffusionsgewichtete Bildgebung in der MRT des Pankreas (Transfer aus der MRT der Schlaganfalldiagnostik), die am Pankreas eine Option bieten kann, zwischen Tumor (oder Rezidiv), normalem Pankreasgewebe oder einer Pankreatitis zu differenzieren. Dies ist derzeit aktueller Gegenstand der Forschung.
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12.2.3 Gastrointestinale Tumoren Trotz stetiger Weiterentwicklung der Endoskopie haben die radiologischen Verfahren auch heute noch ihren Stellenwert in der Abklärung von Erkrankungen des oberen Gastrointestinaltraktes.
Ösophagus/Magen In der Ösophagusdiagnostik bietet die konventionelle Röntgendiagnostik die Möglichkeit zu Funktionsuntersuchungen und im Vergleich zur Endoskopie besserer Darstellbarkeit von Stenosen. Die MDCT hat ihren festen Platz im Staging von Malignomen des Ösophagus und des Magens. Hauptindikation zur radiologischen Diagnostik des Ösophagus ist die Dysphagie, die durch Funktionsstörungen des oberen oder unteren Sphinkters, Motilitätsstörungen, Entzündungen und Tumoren bedingt sein kann (. Abb. 12.17). Bei Ösophagustumoren ergänzt die Radiologie die endoskopisch-endosonographischen Befunde durch eine exakte Höhenlokalisation und die Vervollständigung des TNM-Stagings (. Abb. 12.18).
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
12 . Abb. 12.17. Ösophagusbreischluck bei Karzinom
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. Abb. 12.18a,b. CT bei Ösophaguskarzinom. Der Pfeil zeigt jeweils die semizirkuläre Wandverdickung bei allerdings nicht wandüberschreitendem Wachstum
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139 12.2 · Bildgebende Diagnostik wichtiger onkologischer Erkrankungen
Das Spektrum der malignen Tumoren des Magens umfasst neben dem häufigsten Tumor, dem Adenokarzinom, Lymphome (überwiegend Non-Hodgkin-Lymphom vom Typ des so genannten Malt-Lymphoms), Stromatumoren (GIST), Karzinoide und andere seltenere Tumoren. 95% der malignen Läsionen des Magens sind dabei Adenokarzinome. Das Magenkarzinom wird nach der TNM-Klassifikation eingeteilt, wobei zur Unterscheidung der einzelnen T-Stadien eine Differenzierung der Wandschichten (Mukosa, Submukosa, Muscularis und Subserosa/Serosa) erfolgen muss. Neben der Endoskopie können zur Diagnostik die Sonographie, konventionelle Kontrastuntersuchungen des Magens, CT und MRT eingesetzt werden. Die Endoskopie kann mit sehr hoher Genauigkeit maligne Tumoren des Magens entdecken, hier werden Genauigkeiten von bis zu 99,8% beschrieben. Ein weiterer Vorteil der Endoskopie besteht in der Möglichkeit der Gewinnung von Gewebeproben. Die Endoskopie mit endoskopischer Biopsie zeigt Sensitivitäten und Spezifitäten zwischen 93 und 99%. Einige Fälle (zwischen 3 und 6%) entgehen jedoch dem endoskopisch-bioptischen Nachweis. Hier sind vor allem Tumoren zu nennen, die tiefe Wandschichten betreffen, wie z. B. das szirrhöse Magenkarzinom und das Magenlymphom. Die perkutane Sonographie ist für die Diagnostik ungeeignet. Die lokale Tumorausbreitung kann jedoch mit der Endosonographie ausreichend differenziert werden. Durch die hohe Ortsauflösung lassen sich Genauigkeiten im lokoregionären Tumorstaging von 60–90% erzielen. Aufgrund der geringen Eindringtiefe ist der endoskopische Ultraschall jedoch nicht zur Umfelddiagnostik, z. B. Lebermetastasen, geeignet. Die konventionelle Magendiagnostik erfolgt nach oraler Gabe von Bariumsulfat und gasbildenden Granulaten. In der Hand des erfahrenen Diagnostikers erzielt die Doppelkontrastdarstellung des Magens bezüglich des Nachweises von Magenkarzinomen zwar eine der Endoskopie vergleichbare Aussagekraft (95% Sensitivität). Mit Einführung der Endoskopie ist jedoch ein massiver Rückgang an Untersuchungszahlen zu verzeichnen, so dass die nötige Erfahrung während der Weiterbildung zum Radiologen kaum mehr vermittelt
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werden kann. Sie ist daher bis auf die postoperative Kontrollen und zur Passageklärung inzwischen eine obsolete Methode und auch in der aktuellen S3-Leitlinie zum Magenkarzinom nicht mehr berücksichtigt (2010). Mit der modernen Computertomographie (MDCT) gelingt die Magendarstellung in hoher Ortsauflösung. Zusätzlich ist es möglich, sekundär aus den axialen Schichten multiplanare Rekonstruktionen und 3-D-Darstellungen zu rekonstruieren. Entscheidend für die Aussagekraft in der Magendiagnostik ist die Magenwanddistension, die durch eine orale Hydrierung und zur Minimierung von Bewegungsartefakten durch eine Spasmolyse erreicht wird, dem sog. Hydro-MagenCT. Die Untersuchung selbst erfolgt dann in Bauchlage. Magenkarzinome können in 89–94% der Fälle mittels Hydro-CT diagnostiziert werden. Typisch ist eine verstärkte Kontrastmittelaufnahme der verdickten Magenwand (. Abb. 12.19). Problematisch in der Hydro-CT ist hinsichtlich der TNMKlassifikation die fehlende Differenzierungsmöglichkeit der Wandschichten, die sich in der Regel mit nahezu identischer Dichte als lediglich eine Schicht darstellen. So ist eine Differenzierung zwischen T1- und T2-Karzinomen nicht möglich, auch eine Serosainfiltration kann nicht sicher differenziert werden. Eindeutig ist hingegen die Genauigkeit der Computertomographie in der Darstellung fortgeschrittener, wandüberschreitender Magenkarzinome und zur Darstellung abdomineller und pulmonaler Metastasen. Problematisch ist weiterhin die Diagnose der lokalen Lymphknotenmetastasierung. Als indirektes Zeichen gelten eine Entrundung und eine Vergrößerung über 10 mm. Da die meisten Lymphknotenmetastasen jedoch nur 2–10 mm groß sind, lässt sich das N-Stadium nicht sicher vorhersagen. Prinzipiell zeigt die MRT des Magens ähnliche Treffsicherheiten bezüglich der Diagnose des Magenkarzinoms verglichen mit der Computertomographie. In vielen Fällen wird die Untersuchungsqualität jedoch in der klinischen Praxis durch Bewegungsartefakte, einerseits durch physiologische Motilität des Magen-Darm-Traktes und andererseits durch die fehlende Compliance der Patienten eingeschränkt. Trotz
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b . Abb. 12.19a,b. Adenokarzinom des Magens. Ausgeprägte Wandverdickung der tumortragenden Magenwand im Hydro-MRT (a) und Hydro-CT (b) mit jeweils exzellenter Distension
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
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. Abb. 12.20a–d. Peritonealkarzinose. a »Omental cake« bei Magenkarzinom. b Muzinöse Peritonealkarzinose bei Siegelringzellkarzinom. c Typische Kontrastmittel-aufnehmende peritoneale Knoten. d Krukenberg-Tumor bei Magenkarzinom
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von einzelnen Autoren beschriebener hoher Sensitivität (93– 97%) und Spezifität (79%) mit der eine Serosainfiltration nachgewiesen werden kann, spielt die MRT aus den genannten Gründen derzeit eine untergeordnete Rolle. Die Peritonealkarzinose ist beim Magenkarzinom häufig und wird bei 25–30% aller Patienten beobachtet (. Abb. 12.20). Beim Vorliegen von Aszites und typischen peritonealen Knoten ist die Diagnose einfach. Laut Elia et al. (2000) ist beim Fehlen von Knoten und Aszites die Diagnose mittels Schnittbildgebung mit einer Sensitivität von 30% praktisch nicht zu stellen.
Beim Magenkarzinom und Ösophaguskarzinom gelten Lymphknotenstationen, die über das lokoregionäre Kompartiment hinausgehen, bereits als Fernmetastasen. Die Detektion solcher tumorferner Lymphknoten kann insbesondere beim Ösophaguskarzinom durch die PET-CT oft zuverlässig erfolgen, wenn auch lokoregionäre Lymphknoten durch den Primärtumor selbst »überstrahlt« werden. Für die Ösophagusdiagnostik ist das PET-CT auch eine gute Option zur Beurteilung der Therapieresponse.
12.2.4 Rektum Die Diagnostik des Ösophagus- und Magenkarzinoms ist eine Domäne der Endoskopie und der endoskopischen Biopsie. Das T-Stadium kann derzeit am besten mit dem endoskopischen Ultraschall beurteilt werden, der jedoch Limitationen bei weit fortgeschrittenen Tumorstadien aufweist und keine Umfelddiagnostik ermöglicht. Die konventionelle Doppelkontrastdarstellung des Magens ist bis auf wenige Indikationen obsolet, im Ösophagus existieren durchaus Indikationen insbesondere aus dem Bereich der Funktionsdiagnostik. Die Hydro-CT ist nach der Endoskopie/Endosonographie als ergänzende Staging-Methode der Wahl anzusehen, wobei im gleichen Untersuchungsgang auch ein Staging bezüglich einer abdominellen und pulmonalen Metastasierung erfolgen kann.
Kolorektale Karzinome stellen die dritthäufigste maligne Tumorentität weltweit dar. Sie entwickeln sich primär aus Adenomen (Adenom-Karzinom-Sequenz). Rektumkarzinome sind diejenigen Tumoren, deren aboraler Tumorrand 16 cm oder weniger von der anokutanen Linie entfernt ist. Sie werden heutzutage vorwiegend nach TNM bzw. UICC eingeteilt, wobei hier eine Unterscheidung der Wandschichten notwendig ist. Während T1-Karzinome auf die Mukosa und Submukosa beschränkt sind, infiltrieren T2-Karzinome die Muscularis propria, T3-Karzinome überschreiten die Muscularis propria. Nicht erfasst in der TNM-Klassifikation ist allerdings eine vor allem chirurgisch wichtige Struktur, die mesorectale Hüll-Faszie (sog. »rectal plane« oder Denonvielle-Hüllfaszie). Diese fungiert als anatomische Landmarke der modernen Rektumchirurgie, der sog. totalen mesorektalen Exzision (TME). Mit Einführung der TME wurde eine signifikante Reduktion der Lokalrezidive erzielt.
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141 12.2 · Bildgebende Diagnostik wichtiger onkologischer Erkrankungen
Abhängig vom Tumorstadium wird zudem eine adjuvante oder neoadjuvante Radio- bzw. Radiochemotherapie durchgeführt. Aus den genannten Gründen ist ein möglichst exaktes lokales Tumorstaging von evidenter Bedeutung, die einzelnen Modalitäten werden im Folgenden diskutiert. Endorektaler Ultraschall (EUS). Der EUS ist die derzeit am
häufigsten angewendete Methode zur lokalen Ausdehnungsbestimmung. Mit ihm lassen sich die einzelnen Wandschichten darstellen. Es wird über Treffsicherheitsraten im T-Staging von 69 bis zu 97% berichtet. Allerdings ist bei ausgedehnten Tumorformen häufig eine Beurteilung der mesorektalen Faszie nicht möglich. Auch das lokoregionäre Lymphknotenstaging ist wie auch in den übrigen Körperregionen problematisch. Computertomographie. In älteren Studien wird von einer im Vergleich zu den übrigen Modalitäten schlechten Treffsicherheit von ca. 52–70% für das T-Staging berichtet. In neueren Studien mit Einsatz der MDCT werden Treffsicherheiten von bis zu 86% berichtet. Die Rolle der Computertomographie ist
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damit im Hinblick auf die neuesten Entwicklungen noch nicht abschließend zu bewerten. Ein Vorteil ist, dass neben dem lokalen Tumorstaging auch eine Abklärung möglicher Fernmetastasen in einer Untersuchung erfolgen kann. MRT. Mit der Entwicklung hochleistungsfähiger Gradienten-
Systeme und hochauflösender Oberflächenspulen, z. B. Endorektalspule, wurde eine detaillierte Beurteilung der lokalen Tumorausdehnung bezüglich der Wandschichten einerseits, aber auch des Perirektums bis zur mesorektalen Faszie andererseits, möglich. In großen Multicenterstudien wurde eine 82%-ige Übereinstimmung zwischen MRT und Histopathologie für die Tumorausdehnung in das mesorektale Fettgewebe gefunden. Die MRT ist sehr genau in der Vorhersage von großen T3- und T4-Tumoren, allerdings ist die Unterscheidung zwischen T2-Tumoren und frühen T3-Tumoren weiterhin schwierig. Ein Overstaging von T2-Tumoren wird in 38– 62%, ein Understaging von T3-Tumoren in 5 bis 18% berichtet. Wie auch in den übrigen Regionen ist das Lymphknotenstaging problematisch, da es sich vorwiegend auf die Lymphknotenvergrößerungen stützt. In jüngster Zeit wird allerdings über den Einsatz von bestimmten Kontrastmitteln
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d c . Abb. 12.21a–f. Rektumkarzinom. a,b Hochaufgelöstes T2-gewichtetes MRT eines wandüberschreitenden Rektumkarzinoms mit positiven Lymphknoten (Pfeil). c,d Ausgeprägte Kontrastmittelauf-
nahme des Tumors und der Lymphknoten im T1-gewichteten MRT mit Fettsättigung. e,f Identischer Patient im CT
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Kapitel 12 · Radiologische Diagnostik
(USPIO) berichtet, die mit hoher Genauigkeit zwischen benignen und tumorös befallenen Lymphknoten unterscheiden können sollen. In . Abb. 12.21 a–d ist eine hochauflösende Becken-MRT und in . Abb. 12.21 e und f eine CT eines Patienten mit einem Rektumkarzinom gezeigt, beachte hier auch die Beziehung zur mesorektalen Faszie.
Das genaue lokale Staging beim Rektumkarzinom ist enorm wichtig. Etablierte Methoden sind der endorektale Ultraschall, die Computertomographie und die MRT. Während der endorektale Ultraschall sehr gut die Infiltration der einzelnen Wandschichten zeigt, hat die MRT bei fortgeschrittenen Tumormanifestationen Vorteile, insbesondere hinsichtlich der chirurgisch wichtigen Beziehung zur mesorektalen Faszie. Nach jüngsten Studienergebnissen ist der Einsatz neuer Kontrastmittel in der MRT (USPIO) vielversprechend in der Vorhersage eines lokoregionären Lymphknotenbefalls.
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13 13
Nuklearmedizinische Diagnostik B.J. Krause, K. Herrmann, K. Ott, C. Meyer zum Büschenfelde, M. Schwaiger
13.1
Technische Grundlagen der nuklearmedizinischen Diagnostik – 144
13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5
γ-Kamera – 144 Emissionstomographie – 144 Positronenemissionstomographie PET/CT und SPECT/PET – 145 Intraoperative Sonden – 147
13.2
Nuklearmedizinische Verfahren zur Charakterisierung und Diagnostik von Tumoren – 147
13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.2.5 13.2.6 13.2.7
Fluordeoxyglukose – 147 Somatostatinrezeptorliganden – 148 Fluorthymidin – 149 Metajodbenzylguanidin – 150 99mTechnetium-Sestamibi – 150 Skelettszintigraphie – 150 Lymphszintigraphie – 151
13.3
FDG-PET und PET/CT zum Therapiemonitoring Literatur
– 155
– 144
– 151
144
13
Kapitel 13 · Nuklearmedizinische Diagnostik
> Nuklearmedizinische Verfahren erlauben es, bei Patienten physiologische und biochemische Prozesse zu messen. Dazu werden verschiedene Testsubstanzen (Marker, Tracer) eingesetzt, deren Verteilung im Organismus durch die Markierung mit einem radioaktiven Nuklid mit Hilfe eines externen Detektorsystems bestimmt wird. Da aufgrund der hohen Empfindlichkeit nur sehr geringe Mengen dieser Marker (Spürdosis) eingesetzt werden, wird der zu untersuchende Prozess nicht beeinflusst und es können keine pharmakologischen oder toxischen Wirkungen auftreten. Nuklearmedizinische Verfahren ermöglichen es, Tumorgewebe spezifisch z. B. durch den Nachweis von Stoffwechselprozessen, Rezeptoren oder Antigenen bildlich darzustellen und zu quantifizieren (molekulare Bildgebung). Bei der molekularen Bildgebung liegt dem gemessenen Bildsignal eine spezifische biologische Eigenschaft des Tumors zugrunde – im Gegensatz zu morphologisch bildgebenden Verfahren, die die Dichte des Gewebes und seine Gefäßpermeabilität darstellen. Die spezifische Anreicherung eines Markers im Tumorgewebe erlaubt es, auch primäre Tumoren oder Metastasen nachzuweisen, die noch keine Änderung der Morphologie oder der Dichte aufweisen und noch nicht zu einer Verdrängung von normalen anatomischen Strukturen geführt haben. Nuklearmedizinische Untersuchungen können zur Charakterisierung unklarer Läsionen sowie zum Staging und Re-Staging von Tumorerkrankungen eingesetzt werden. Zunehmend findet dabei die Positronenemissionstomographie (PET) oder die PET in der Kombination mit der Computertomographie (PET/CT) als Hybridbildgebungsverfahren Anwendung. Der am meisten eingesetzte Marker ist die Fluordeoxyglukose (FDG). Biologisch interessante Verbindungen zur Darstellung von Tumoren können jedoch auch relativ einfach mit positronenemittierenden Nukliden wie Fluor-18, Kohlenstoff-11 und Stickstoff-13 markiert werden. Im Folgenden werden zunächst kurz die technischen Grundlagen von nuklearmedizinischen Untersuchungen dargestellt. Im Anschluss daran wird eine Übersicht über die gegenwärtig zur Tumordiagnostik zur Verfügung stehenden Marker und ihre klinischen Indikationen im Bereich der Viszeralchirurgie gegeben.
13.1
Technische Grundlagen der nuklearmedizinischen Diagnostik
13.1.1 γ-Kamera Die nuklearmedizinische Bildgebung basiert auf dem Nachweis von γ-Strahlung, Röntgenstrahlen oder Vernichtungsquanten. Im Prinzip bestehen fast alle für die Bildgebung in der Nuklearmedizin verwendeten Geräte aus den folgenden Komponenten: Szintillationskristall (in dem die vom γ-Quant deponierte Energie in sichtbares Licht umgewandelt wird), angepasste Lichtsensoren, Auslese-, Elektronik- und Bildverarbeitungsrechner. Szintillatoren sind Kristalle, die Licht emittieren, wenn ein γ-Quant seine gesamte oder einen Teil seiner Energie durch Photoabsorption oder streuendes Material deponiert hat. Die klinisch eingesetzten γ-Kameras oder
Tomographen sind mit anorganischen Szintillatoren ausgestattet; am weitesten verbreitet ist der mit Thallium dotierte Natriumjodid-Kristall für den Einzelphotonennachweis im Energiebereich bis ca. 360 Kiloelektronenvolt (keV). Das vom Szintillationskristall emittierte Licht wird von Photosensoren registriert, die direkt an den Kristall gekoppelt sind. Als Photosensoren werden nach wie vor Photomultiplier am häufigsten eingesetzt und an deren lichtempfindlicher Kathode das auftreffende Licht in Elektronen konvertiert, deren Anzahl vervielfacht wird. Die räumliche Zuordnung von Zerfallsereignissen im Körper des Patienten erfolgt durch ein vor dem Kristall angebrachtes Rastersystem (Kollimator), das nur die nahezu senkrecht auf die Kristalloberfläche treffenden γ-Quanten durchdringen lässt. Eine γ-Kamera nimmt ein Projektionsbild der Aktivitätsverteilung eines radioaktiven Markers im Körper des Patienten auf.
13.1.2 Emissionstomographie Die Szintillationskamera ist das klassische bildgebende System in der nuklearmedizinischen Diagnostik. Neben den Projektionsbildern können mit Hilfe von γ-Kamerasystemen auch Schnittbilder angefertigt werden. Um zu Schnittbildern zu kommen, muss die γ-Kamera um den Patienten rotieren, wobei aus jeder Position Projektionen aufgenommen werden (»single photon emission computed tomographie«, SPECT). Mittels mathematischer Rekonstruktionsverfahren werden aus diesen Projektionen dann Schnittbilder der Aktivitätsverteilung errechnet. Die Vorteile der Emissionstomographie sind ein deutlich höherer Bildkontrast für tiefer liegende Strukturen sowie eine bessere räumliche Zuordnung von Herdbefunden. Die Auflösung moderner SPECT-Tomographen für Untersuchungen des Körperstamms liegt bei etwa 1 cm. Das bedeutet allerdings nicht, dass Läsionen mit einer geringeren Größe nicht dargestellt werden können. Auch Herde, die unter dieser Auflösungsgrenze liegen, können nachgewiesen werden, wenn durch den verwendeten Tracer ein entsprechend hoher Kontrast zum Untergrund erzielt wird.
13.1.3 Positronenemissionstomographie Grundlage der Positronenemissionstomographie (PET) ist die Emission von positiv geladenen Anti-Teilchen des Elektrons (Positronen) beim radioaktiven Zerfall von Atomkernen, die einen Überschuss an positiven Kernbausteinen tragen. Häufig verwendete Positronenstrahler sind 11C, 13N, 15O und insbesondere 18F, deren nicht-radioaktive Isotope im natürlichen Stoffwechsel vorkommen. Die aus den Kernen emittierten Positronen kollidieren nach Applikation innerhalb weniger Millimeter mit einem Elektron des umliegenden Körpergewebes und beide Teilchen zerstrahlen in einer Materie-AntimaterieReaktion (Annihilation). Bei diesem Vorgang wird die Masse der Teilchen in Energie (Gammastrahlung = Photonen) umgewandelt. Unabhängig davon, welcher Positronenstrahler verwendet wird, entsteht ein Photonenpaar mit einer Energie
145 13.1 · Technische Grundlagen der nuklearmedizinischen Diagnostik
. Abb. 13.1. Schematische Darstellung des Positronenzerfalls und der Positronenvernichtung. Das Positron wird vom Kern mit einer bestimmten kinetischen Energie emittiert. Im Gewebe werden ein Elektron und das Positron in zwei unter 180° emittierte Gammaquanten mit jeweils 511 keV Energie umgewandelt
von je 511 keV, die sich in einem Winkel von 180° voneinander entfernen. Bei den meisten PET-Tomographen wird die aus dem Patienten heraustretende Gammastrahlung mittels eines/mehrerer Ringdetektorsysteme(s) aufgezeichnet, in welchem der Patient positioniert wird (. Abb. 13.1). Die Messköpfe enthalten (zumeist) einen Natriumjodid-Kristall, der beim Auftreffen eines Photons über Radiolumineszenz/Szintillation einen Lichtblitz erzeugt und dessen nachgeschaltete elektronische Verstärkung und Messung die Detektion einfallender Gammastrahlung ermöglicht. Dabei wird bei der Registrierung das immer paarweise Auftreffen der Photonen auf der Detektoranordnung genutzt (sog. Koinzidenzmessung). Nach intravenöser Injektion der Positronenstrahler-markierten Substanz (z. B. 18F-Fluordeoxyglukose) werden von jedem Detektor im Ringsystem Photonen aus unterschiedlichen Richtungen registriert. Den so gewonnenen Rohdaten ist der Ursprungsort dieser Photonen im Gewebe noch nicht zu entnehmen. Um eine möglichst hohe Auflösung und räumliche Abtastung zu gewährleisten, wurden Blockdetektoren, die mit einer größeren Anzahl von kleinen Kristallen ausgestattet sind, eingeführt. Die Empfindlichkeit der Kristalle und die Signalabfallzeit ist vom Material abhängig. Häufig in PET-Tomographen eingesetzte Kristalle sind BGO- und in jüngerer Zeit LSO-Kristalle. Die Identifikation der kleinen Kristalle erfolgt über die Verteilung des Szintillationslichts auf mehrere Photomultiplier und eine Schwerpunktsbestimmung der Signale. Die vielen von einem bestimmten Ort im Gewebe in entgegengesetzte Richtungen abgestrahlten Photonen werden von jeweils 2 gegenüberliegenden Detektoren (s. o.) registriert. Verbindet man diese Detektoren jeweils mit einer Geraden, so kreuzen sich die Verbindungslinien mehrerer Detektorenpaare im Ursprungsort der Photonenquelle (Koinzidenzlinie). Die Abschwächung im Gewebe führt zu einer Reduktion der Zählrate entlang der Koinzidenzlinie und zu Artefakten im Bild, die in Form von Verzerrungen und Inhomogenitäten auftreten. Hardware- und Software-Methoden wurde für die PET für die Korrektur der Schwächung entwickelt. Die Schwächungskorrektur ist die wichtigste Korrek-
tur, wenn quantitative Daten gewonnen werden sollen. Im Gegensatz zur SPECT ist für die Schwächung bei PET die gesamte Schwächung entlang der Koinzidenzlinie durch den Körper ausschlaggebend. Deshalb kann die Schwächung individuell kompensiert werden, wenn die Schwächungsfaktoren mit einer Transmissionsmessung bestimmt werden. Dies wird bei der PET mit rotierenden Stab- oder Punktquellen aus 68Ge/68Ga oder 137Cs erreicht. Seit der Verfügbarkeit von kombinierten PET/CT- und SPECT/CT-Tomographen wird die Schwächungskorrektur routinemäßig unter Verwendung von CT-Daten vorgenommen (s. u.). Traditionell wurden PET-Daten in transaxialen Schichten aufgenommen, mit dünnen Lamellen (Septen) zwischen den einzelnen Detektorebenen, um den Anteil von Streustrahlung in den gemessenen Daten zu reduzieren (2D-Modus). In fast allen derzeit eingesetzten Tomographen können die Septen herausgefahren werden oder der Tomograph verfügt über keine Septen mehr. In diesem 3D-Modus werden auch Koinzidenzen mit großem axialem Öffnungswinkel zugelassen, was die Empfindlichkeit steigert, aber auch mit einer Erhöhung der gestreuten und zufälligen Koinzidenzen einhergeht. Die computergestützte Methode zur Bildgewinnung aus den PET-Daten wird als Rekonstruktion der Bilddaten bezeichnet. Häufig eingesetzte Methoden sind iterative Rekonstruktionsverfahren und die gefilterte Rückprojektion. Für jede Detektorringzeile kann so ein Schichtbild (tomographisches Bild) erzeugt werden. Die räumliche Auflösung der PET hängt vom verwendeten Positronenstrahler ab und bewegt sich für PET-Tomographen für Patientenuntersuchungen zwischen 4–8 mm. Für eine quantitative Auswertung der PET-Daten sind zusätzlich noch verschiedene Korrekturen der Daten notwendig (z. B. für Photonen-Schwächung im Gewebe, Totzeit der Detektoren, zufällige oder gestreute Koinzidenzen).
13.1.4 PET/CT und SPECT/PET PET und SPECT liefern funktionelle Informationen in Form der Tracer-Aufnahme, allerdings mit einer im Vergleich zur Computertomographie und Kernspintomographie geringeren räumlichen Auflösung. Aus diesem Grund wurden zunächst Software-basierte Koregistrierungsverfahren etabliert, um molekulare und morphologische Informationen zusammen zu führen. Die PET/CT repräsentiert das erste Hybridbildgebungsverfahren, bei dem anatomische und metabolische Informationen durch eine fast gleichzeitige Datenakquisition erreicht werden können. Der erste kombinierte PET/CT-Tomograph wurde 1998 eingeführt (Beyer et al. 2000; . Abb. 13.2). Neben einer besseren Koregistrierung und der kürzeren Messdauer liegt ein wichtiger Vorteil der Hybridbildgebung in der deutlich vereinfachten Logistik und einem verbesserten Patientenkomfort. Neben dem logistischen Vorteil ermöglicht die Ganzkörper PET/CT eine verbesserte Lokalisierung und Charakterisierung von Befunden. Inzwischen ist die PET/CT klinisch etabliert und kann in der Onkologie als Standardverfahren bei zahlreichen Fragestellungen gelten. Klinische PET/ CT-Tomographen bestehen aus einem CT und einem PETTomographen, der axial versetzt ist.
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Kapitel 13 · Nuklearmedizinische Diagnostik
. Abb. 13.2. Schematische Darstellung eines PET/CT-Tomographen. Der Patient wird zwischen CT- und PET-Aufnahme axial verschoben
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. Abb. 13.3. Wächterlymphknotendarstellung: Freehand-SPECTAufnahme (Linien, oben links) und 3D-Bilder projiziert auf einem Videobild einer Brustkrebspatientin (oben rechts) oder auf einen CT
Datensatz. Das untere radioaktive Gebiet ist die Injektionsstelle. Die Anreicherungen in der Achselhöhle zeigen in diesem Fall 2 Wächterlymphknoten
Da in den meisten PET/CT-Tomographen mit 3D-PET gearbeitet wird, können keine Transmissionsquellen verwendet werden. Deswegen wurden Methoden zur Nutzung des CT-Datensatzes für die PET-Schwächungs-Korrektur entwickelt. Dabei werden die bei niedrigerer Energie gemessenen CT-Daten skaliert, um die Schwächungsfaktoren für GammaQuanten bei 511 keV abzuleiten.
Ganz ähnlich wird diese Methode in den ebenfalls seit kürzerer Zeit verfügbaren SPECT/CT-Tomographen eingesetzt. Zusätzlich kann die CT-Information dabei verwendet werden um die bei der SPECT vom Abstand abhängige Ortsauflösung in den Rekonstruktionsvorgang einzubeziehen. Sowohl bei der PET/CT als auch bei der SPECT/CT können unterschiedliche Atemlagen bei Emissions- und Röntgento-
147 13.2 · Nuklearmedizinische Verfahren zur Charakterisierung und Diagnostik von Tumoren
mographie Artefakte im Bild erzeugen. Da die CT-Aufnahme der Körperregion des Interesses im Vergleich zur PET- oder SPECT-Aufnahme nur eine kurze Messzeit benötigt, kann zur verfeinerten Diagnostik mit definierten Atemprotokollen oder atembewegungskorrelierten Aufnahmetechniken gearbeitet werden, um eine möglichst optimale Übereinstimmung zwischen PET-, SPECT-, und CT-Datensätzen zu erreichen. Der klinische Erfolg der multimodalen Bildgebung mit der PET/CT lässt erwarten, dass er die Kombination von PET und MR in naher Zukunft voranbringen wird.
13.1.5 Intraoperative Sonden Radioaktiv markierte Strukturen lassen sich im Operationssaal mittels nuklearmedizinischer Sonden auffinden. Diese bestehen aus kleinen Detektoren, die unter einer sterilen Folie direkt am Operationssitus eingesetzt werden können. Umschriebene Aktivitätsanreicherungen können durch systematisches Durchmustern des Operationsgebietes anhand vom akustischem Feedback nachgewiesen werden. Intraoperative Sonden lassen sich in Gamma-Sonden und BetaSonden aufteilen, abhängig davon, welche Partikel nachzuweisen sind. 4 Gamma-Sonden erlauben die Detektion von PET- (z. B. 68Ga-, 18F-markiert) und SPECT- (z. B. 131I-markiert) Markern tief im Gewebe. 4 Beta-Sonden detektieren ausschließlich Positronen (PETMarker) auf maximal 2 mm Tiefe mit großer Ortsauflösung und Sensitivität. Bildgebende Sonden in 2D (z. B. »Mini«-Gamma-Kameras) und 3D (z. B. »Freehand-SPECT«-Systeme) sind momentan in Entwicklung für Anwendungen z. B. bei der Wächterlymphknotenbiopsie (. Abb. 13.3).
13.2
Nuklearmedizinische Verfahren zur Charakterisierung und Diagnostik von Tumoren
13.2.1 Fluordeoxyglukose Die PET mit tumorspezifischen Radiopharmazeutika spielt eine zunehmend bedeutende Rolle für das Staging und ReStaging von Tumoren. Die breiteste Erfahrung existiert für das Glukoseanalogon [18F]Fluorodeoxyglukose (FDG). FDG wird für die PET-Bildgebung mit dem Positronenstrahler 18Fluor markiert. Diese Substanz wird mit großem Erfolg in der Diagnostik von malignen Tumoren eingesetzt (Fletcher et al. 2008). Bereits vor Jahrzehnten wurde der erhöhte Glukosemetabolismus maligner Zellen beschrieben (Warburg et al. 1924). FDG wird mit ähnlicher Affinität wie Glukose durch spezifische Glukosetransporter über die Zellmembran transportiert und intrazellulär zu Glukose-6-Phosphat phosphoryliert. Im Gegensatz zu Glukose kann FDG-6-Phosphat jedoch im Rahmen der Glykolyse und Glykogensynthese nicht weiter verstoffwechselt werden.
Als polare Substanz kann FDG-6-Phosphat die Zellmembran nicht mehr penetrieren. Bei den meisten Geweben, außer der Leber, ist zudem die Aktivität der Glukose-6- Phosphatase nur gering ausgeprägt. Das bedeutet, dass im Rahmen klinischer Untersuchungen ein Rücktransport von FDG in das Plasma vernachlässigt werden kann. In diesem Zeitraum kommt es somit zu einer kontinuierlichen Anreicherung von FDG im Tumorgewebe. Die Konzentration von FDG zu einem bestimmten Zeitpunkt kann somit relativ einfach mit der Aktivität des Glukosestoffwechsels korreliert werden. Da FDG und Glukose um die begrenzte Anzahl von Glukosetransportern der Tumorzelle konkurrieren, wird die PET- oder PET/ CT-Untersuchung im nüchternen Zustand durchgeführt, um einen niedrigen Blutglukosespiegel zu gewährleisten. Da FDG nicht spezifisch für Tumorgewebe ist, kann es bei physiologischen Prozessen wie Entzündungen, braunem Fettgewebe, Darmaktivität und Zyklus bedingter FDG-Anreicherung im Ovar zu falsch-positiven Befunden kommen. Die Durchführung von FDG-PET und PET/CT-Untersuchungen erfordert eine Standardisierung der Bildgebung (Krause et al. 2007). Als Marker des Glukosestoffwechsels erscheint FDG zunächst ein recht unspezifischer Ansatz zum Nachweis von Tumorgewebe zu sein. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die meisten malignen Tumoren einen gegenüber den Normalgeweben quantitativ so stark gesteigerten Glukoseumsatz aufweisen, dass sie mit relativ hoher Spezifität nachgewiesen werden können. Entzündliche Veränderungen wie Granulome oder Abszesse haben sich als relevante Differenzialdiagnosen erwiesen. Häufig können diese Erkrankungen durch Anamnese oder klinische Befunde ausgeschlossen werden und führen dann nicht zu einer Beeinträchtigung der diagnostischen Genauigkeit.
Klinische Untersuchungen mit der FDG-PET und PET/CT sind für eine Vielzahl von malignen Tumoren von Bedeutung. Die Mehrzahl der malignen Tumoren zeigt eine intensive FDG-Aufnahme und lässt sich mit hohem Kontrast nachweisen.
Empfehlungen für den Einsatz der FDG-PET und PET/CT für Diagnose, Staging und Re-Staging bei Mammakarzinom, kolorektalem Karzinom, Ösophaguskarzinom, Kopf/Hals-Tumoren, Lungenkarzinom, Pankreaskarzinom, Schilddrüsenkarzinom, Lymphom, Melanom, Sarkom und unbekanntem Primärtumor sind publiziert worden (Fletcher et al. 2008). Andere Karzinome, die in wesentlichen Anteilen nicht FDGspeichernd sind, wie Nierenzell-, Prostata- und hepatozelluläres Karzinom, werden in diesen Empfehlungen nicht berücksichtigt. Ebenso ist z. B. in den USA ein nationales onkologisches PET-Register initiiert worden, in dem Versicherungsträger die Kosten für PET übernehmen, wenn Patienten in eine prospektive Studie eingeschlossen oder im National Oncologic PET Registry (NOPR) aufgenommen werden (Hillner et al. 2007). Hintergrund solch eines Registers ist der Versuch, eine Evidenzerbringung für eine bildgebende Technologie – von Versicherungsträgern finanziert – in der
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Kapitel 13 · Nuklearmedizinische Diagnostik
klinischen Routine unter o. g. Rahmenbedingungen zu realisieren. Für das Ösophaguskarzinom ergibt sich eine Verbesserung des Tumorstagings durch den Einsatz der FDG-PET und PET/CT (Van Westreenen et al. 2004). In der FDG-PET und PET/CT lassen sich allerdings direkt dem Tumor benachbarte Lymphknotenmetastasen häufig nicht vom Primärtumor abgrenzen. Der Wert der FDG-PET und PET/CT beim Ösophaguskarzinom liegt vielmehr im Nachweis oder Ausschluss von Organ- und nichtregionalen Lymphknotenmetastasen bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumorstadien (T3, T4, N+). In mehreren Studien wurde der Einsatz der FDG-PET zur Differenzierung eines Pankreaskarzinoms von einer chronischen Pankreatitis untersucht (Übersicht: Pakzad et al. 2006). Dabei konnte gezeigt werden, dass Pankreaskarzinome in der Regel einen sehr hohen Glukosestoffwechsel aufweisen. Allerdings ist eine chronische Pankreatitis, die auch mit einem erhöhten Glukosestoffwechsel einhergehen kann, nicht immer sicher vom Pankreaskarzinom zu unterscheiden. Zu dem bedingt die bei Patienten mit chronischer Pankreatitis häufig bestehende Hyperglykämie eine Einschränkung der Sensitivität für Pankreaskarzinome. Andererseits können floride entzündliche Veränderungen im Rahmen einer chronischen Pankreatitis zu falsch-positiven Ergebnissen führen. FDGPET wird beim Pankreaskarzinom empfohlen für Fälle, bei denen die Computertomographie unklare Ergebnisse zeigt. In neueren Studien wird die Wertigkeit der FLT-PET und PET/ CT für die Differenzierung zwischen Pankreaskarzinom und Pankreatitis untersucht und zeigt vielversprechende Ergebnisse, die eine vor allem höhere Spezifität für FLT erwarten lassen (Herrmann et al. 2008; 7 Kap. 13.2.3). Bei kolorektalen Karzinomen wird die FDG-PET und PET/CT zum Nachweis und Staging von Tumorrezidiven eingesetzt (Übersicht: de Geus-Oei et al. 2006). Bei der Differenzierung eines präsakralen Rektumkarzinomrezidivs von postoperativem Narbengewebe erzielt die FDG-PET eine hohe Sensitivität und Spezifität. Ein frühzeitiger Einsatz der FDGPET und PET/CT bei einer postoperativen präsakralen Gewebsvermehrung kann zu einer rascheren Diagnostik eines Tumorrezidivs führen und bessere therapeutische Optionen z. B. eine Resektion, Bestrahlung oder systemische Therapie ermöglichen. Die FDG-PET und PET/CT kann auch in der Primärsituation für das Lebermetastasenstaging eingesetzt werden. Neben der Differenzierung von lokalem Rezidiv- und Narbengewebe wird die FDG-PET auch zum Re-Staging bei Verdacht auf Lebermetastasen eingesetzt. Sowohl Fernmetastasen in Leber und Lunge als auch Lymphknotenmetastasen können dabei mit hoher Empfindlichkeit nachgewiesen werden. Nach den Ergebnissen bisher publizierter Studien lassen sich vor geplanter Resektion von Lebermetastasen mit der FDG-PET oder PET/CT bei bis zu einem Drittel der Patienten zusätzliche extrahepatische Metastasen nachweisen. Beim Magenkarzinom kann die FDG-PET oder PET/CT hilfreich sein. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass sich ca. 1/3 der Magenkarzinome, insbesondere siegelringzellhaltige Magenkarzinome, in der FDG-PET und PET/CT nicht darstellen lassen. Ebenfalls lassen sich peritumorale Lymph-
knotenmetastasen häufig nicht vom Primärtumor abgrenzen. Ein gewisser Wert der FDG-PET und PET/CT beim Magenkarzinom liegt wiederum im Nachweis oder Ausschluss von Organ- oder nichtregionalen Lymphknotenmetastasen bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumorstadien, die kurativ behandelt werden sollen. Auch beim Magenkarzinom gelingt mit der FLT-Proliferationsbildgebung mit höherer Sensitivität der Nachweis von Primärtumoren; insbesondere die siegelringzellhaltigen Tumoren ließen sich mit der FLT-PET im Gegensatz zu FDG-PET besser darstellen (Herrmann et al. 2007; 7 Kap. 13.2.3). Neuere zunehmend in der klinischen Diagnostik mit der PET und PET/CT Einsatz findende onkologische Tracer bilden spezifischere Zielstrukturen ab, wie z. B. überexprimierte Rezeptoren für regulatorische Peptide (z. B. Somatostatin-basierte Tracer) und die proliferative Aktivität von Tumoren (18F-3’-fluoro-3’-deoxy-L-Thymidin [FLT]).
13.2.2 Somatostatinrezeptorliganden Regulatorische Peptide repräsentieren eine Klasse von Mole-
külen, die in einer Anzahl von humanen Tumoren überexprimiert werden. In den letzten zwei Dekaden wurden regulatorische Peptide für die spezifische Darstellung von Tumoren entwickelt (Übersicht: Reubi 2009). Peptide haben als radioaktiv markierte Tracer mehrere Vorteile, u. a. eine geringe Größe und geringes Molekulargewicht, die zu einer guten Verteilung im Gewebe und einer guten Erreichbarkeit der Zielstruktur führen, sowie eine relativ einfache Synthese und Markierbarkeit. Chemisch ist ein Peptid eine Kombination von Aminosäuren, die über Peptidbindungen verbunden sind. Unter der großen Anzahl von potenziell interessanten Molekülen haben die regulatorischen Peptide ein besonderes Interesse für die Tumorbildgebung gefunden. Diese Peptide binden an hochaffine spezifische Rezeptoren. Viele dieser Peptidrezeptoren sind in unterschiedlichen Tumorentitäten überexprimiert. Das erste und zugleich am besten untersuchte Beispiel für solch einen Peptidrezeptor wird durch die Somatostatinrezeptoren repräsentiert, die bei einer Anzahl von neuroendokrinen Tumoren überexprimiert gefunden werden, so bei gastrointestnalen und bronchialen neuroendokrinen Tumoren, Hypophysenadenomen, Paragangliomen, Phäochromozytomen und Neuroblastomen. Bei der Somatostatin-basierten PET/CT-Bildgebung von Tumoren wird ein stabiles Somatostatinanalogon mit einem Chelator verbunden, der radioaktive Metalle wie zum Beispiel das Generatornuklid 68Ga bindet. Das am häufigsten in der klinischen Diagnostik eingesetzte, DOTA-gekoppelte, somatostatin-basierte Radiopeptid ist [DOTA0, Tyr3]-octreotide (DOTATOC), das mit 68Ga markiert werden kann. DOTATOC gehört zu einer Gruppe von Analoga, die am stärksten an den Somatostatinrezeptor Typ 2 (sst2) binden, in geringerem Maße auch an sst5. Es werden weitere Somatostatin-basierte Radioliganden mit einem breiteren Rezeptorsubtyp-Affinitätsprofil entwickelt. Diese neuen Peptidtracer zeigen eine hohe Affinität zu sst2, sst3 und sst5.
149 13.2 · Nuklearmedizinische Verfahren zur Charakterisierung und Diagnostik von Tumoren
13.2.3 Fluorthymidin Eine gesteigerte Proliferationsrate ist ein wesentliches Charakteristikum maligne transformierter Zellen und daher für eine spezifische Darstellung bösartiger Tumore potenziell besser geeignet als der Glukosestoffwechsel. Da therapeutische Ansätze in der Onkologie überwiegend auf eine gesteigerte Proliferation zielen, ist die nichtinvasive Bestimmung der proliferativen Aktivität auch zur Beurteilung des Therapieansprechens und frühzeitigen Erkennung einer Therapieresistenz von besonderem Interesse. In klinischen Studien zeigte sich eine spezifische Anreicherung des Radionukleosids 3’-Desoxy-3’-[18F]Fluorthymidin (FLT) in malignen Tumoren (Übersicht: Buck et al. 2009). Es konnte für eine Vielzahl solider Malignome (Lymphome, Lungen-, Ösophagus- und Magenkarzinom) gezeigt werden, dass mit FLT-PET eine nicht-invasive Beurteilung der proliferativen Aktivität möglich ist. Die lineare Regressionsanalyse der tumoralen FLT-Anreicherung und der immunhistochemisch ermittelten Proliferationsfraktion (z. B. MIB- und Ki-67-Index) ergab eine signifikante Korrelation (z. B. Lungenkarzinom, r=0,87, p<0,0001). Im direkten Vergleich mit dem Standardradiopharmakon FDG konnte gezeigt werden, dass FLT die histologisch
bestimmte Proliferationsrate exakter widerspiegelt. Malignome mit geringer proliferativer Aktivität entgehen jedoch der Detektion mit FLT-PET. Bei malignen Lungentumoren wurde z. B. eine reduzierte Sensitivität von 86% beschrieben. Aufgrund der eingeschränkten Sensitivität ergibt sich für das Staging des Lungenkarzinoms oder kolorektaler Karzinome kein Vorteil für die spezifische Bildgebung der proliferativen Aktivität. Auch hinsichtlich der Detektion von lokoregionären Lymphknoten- und Fernmetastasen weist die FLT-PET keine höhere Sensitivität auf (. Abb. 13.4). Eine viel versprechende Anwendung der FLT-PET könnte das Therapiemonitoring sein. Da Chemotherapie und Strahlentherapie eine Schädigung der zum Zeitpunkt der Therapie den Zellzyklus durchlaufenden Zellen verursachen, könnte die FLT-PET eine einfache und frühzeitige Beurteilung des Therapieerfolges ermöglichen. Erste klinische Studien an Lymphomen, Glioblastomen, Sarkomen und Mammakarzinomen konnten eine rasche Reduktion der FLT-Aufnahme nach Einleitung einer zytostatischen Therapie nachweisen. Ob hiermit eine entscheidende Zusatzinformation im Vergleich zu dem Standard-Radiopharmakon FDG erzielt werden kann, muss in weiteren In-vitro-Experimenten und klinischen Studien untersucht werden.
b
a
c
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d . Abb. 13.4a–e. FLT-PET/CT-Proliferationsbildgebung beim Pankreaskarzinom: Eine 62-jährige Patientin stellte sich mit abdominellen Schmerzen vor. Im FLT-PET zeigte sich eine fokale Tracermehrbelegung im Pankreaskopf (a transaxial, b sagittal und c koronal; schwar-
e ze Pfeile). Im FDG-PET/CT zeigte sich ebenfalls ein erhöhter Uptake im Pankreaskopf (d fusionierte Bilder, e venöses transaxiales CT). Postoperativ ergab sich ein pT3 pN1-Adenokarzinom des Pankreaskopfes
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Kapitel 13 · Nuklearmedizinische Diagnostik
13.2.4 Metajodbenzylguanidin Das mit 123I oder 131I markierte Metaiodobenzylguanidin (MIBG) wird zur Darstellung des Nebennierenmarks, Neuroblastoms, Phäochromozytoms und von Paragangliomen eingesetzt und zählt bei diesen Tumoren nach wie vor zu einer wichtigen nichtinvasiven Untersuchungsmodalität (Havekes et al. 2009; Rufini et al 2008). MIBG besteht aus einer Benzylgruppe des Bretylium mit einer Guanidinseitenkette. Strukturell und funktionell ist es ein Analogon zum Neurotransmitter Norepinephrin und wird wie dieser in die chromaffinen Granula von postganglionären Neuronen des sympathischen Nervensystems und des Nebennierenmarks aufgenommen und gespeichert. Man unterscheidet zwei Aufnahmemechanismen: Der Typ-I-Uptake ist ein aktiver energieabhängiger Prozess, der bei niedrigen Plasmakonzentrationen überwiegt. Bei hohen Plasmakonzentrationen erfolgt die Aufnahme des MIBG über passive Diffusion (Typ-II-Uptake). Sowohl das Nebennierenmark als auch Phäochromozytome, Paragangliome und Neuroblastome entwickeln sich aus Zellen der Neuralleiste. Auch bei der Gruppe der Tumoren des APUD-Systems (»amine and precursor uptake and decarboxylation«) wie z. B. der gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren wurde die MIBGSzintigraphie eingesetzt. Es hat sich jedoch mittlerweile gezeigt, dass sich diese Tumoren sensitiver mit Somatostatinrezeptorliganden darstellen lassen (7 Kap. 13.2.2). Beim Nachweis einer guten Aufnahme und Retention von MIBG in Tumorgewebe kann 131I-MIBG auch therapeutisch eingesetzt werden.
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13.2.5 99mTechnetium-Sestamibi 99mTechnetium-Sestamibi
ist ein lipophiler Komplex, der ursprünglich für die Untersuchung der Myokardperfusion entwickelt wurde. Die 99mTechnetium-Sestamibi-Myokardszintigraphie spielt in der Viszeralchirurgie im Rahmen der Vorbereitung des Patienten zur Operation bei mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit eine Rolle. Die Anreicherung von 99mTechnetium-Sestamibi in der Tumorzelle wird durch den Blutfluss, das Membranpotenzial und die Anzahl der Mitochondrien bestimmt. Auch die Expression des Multi-drug-resistance(MDR)-Gens nimmt Einfluss auf die Sestamibi-Speicherung. Für eine Vielzahl von Tumoren wurde gegenüber dem Untergrund eine erhöhte Sestamibi-Aufnahme beschrieben und der Einsatz der Sestamibi-Szintigraphie zum Tumorstaging diskutiert. Umfangreichere klinische Daten liegen bislang nur für die Mammakarzinome vor: Sie lassen sich mit der Sestamibi-Szintigraphie mit einer relativ zu Mammographie und MRT hohen Spezifität von etwa 80–90% nachweisen. Die Sensitivität liegt jedoch, wenn auch kleinere und nicht tastbare Tumore in die Auswertung einbezogen werden, bei nur etwa 70–80%. Damit kann bei suspektem Mammographiebefund und negativem Befund in der Sestamibi-Szintigraphie nicht auf eine histologische Abklärung verzichtet werden. Bei schwer zu beurteilendem, mammographisch dichtem Drü-
senparenchym kann die Szintigraphie jedoch ergänzende Informationen zur Planung des weiteren Vorgehens geben (Übersicht: Hussain et al. 2006).
13.2.6 Skelettszintigraphie Biphosphonate werden an neu gebildetes, mineralisiertes Os-
teoid absorbiert. Die Anreicherung dieser Substanzen ist somit ein Maß für den Knochenumbau. Neben der Mineralisation bestimmt auch der Blutfluss das Ausmaß der Anreicherung von Biphosphonaten. Seit Mitte der 1970er-Jahre werden mit 99mTechnetium-markierte Biphosphonate für die Diagnostik von Skelettmetastasen eingesetzt (Übersicht: Dasgeb et al. 2007). Biphosphonate weisen dabei nicht das metastatische Tumorgewebe nach, sondern sind Folge der durch die Metastasierung ausgelösten Knochenumbauprozesse. Diese sind häufig so intensiv, dass sie sich in der Skelettszintigraphie darstellen lassen, bevor es zu Veränderungen kommt, die in konventionellen Röntgenaufnahmen des Skeletts nachgewiesen werden können. Dennoch können Frühstadien einer Metastasierung, die auf das Knochenmark beschränkt ist, mit diesem Verfahren nicht nachgewiesen werden. Auch rein osteolytische Metastasen sind häufig nur schwer darzustellen. Neben Skelettmetastasen können eine Vielzahl anderer Prozesse zu einer gesteigerten Knochenneubildung führen, so beispielsweise arthrotische und arthritische Veränderungen, aber auch reparative Vorgänge nach einem Trauma. Häufig müssen deshalb positive Befunde in der Skelettszintigraphie mit anderen Verfahren weiter abgeklärt werden. Aufgrund dieser falsch-positiven Befunde muss bei einem Einsatz der Skelettszintigraphie immer die Prävalenz von Skelettmetastasen im jeweiligen Tumorstadium berücksichtigt werden, so beträgt z. B. beim Mammakarzinom im klinischen Stadium 1 der Diagnose der Prozentsatz der Patientinnen mit skelettszintigraphischen nachgewiesenen Metastasen nur 0,3%. Bei einer derart niedrigen Prävalenz ist aufgrund der großen Zahl an weiteren radiologischen Untersuchungen zur Abklärung von positiven szintigraphischen Befunden der Einsatz der Skelettszintigraphie nicht gerechtfertigt. In der Nachsorge von Tumorerkrankungen ermöglicht die Skelettszintigraphie einen früheren Nachweis einer Metastasierung als die konventionelle Röntgendiagnostik in manchen Fällen. Jedoch konnte bislang nicht gezeigt werden, dass sich durch den früheren Nachweis der Metastasen die Prognose der Patienten verbessern lässt.
Dennoch stellt die Skelettszintigraphie ein einfaches und kostengünstiges Verfahren dar, um mit hoher Sensitivität Metastasen im gesamten Skelettsystem nachzuweisen. Insbesondere erlaubt in jüngerer Zeit die SPECT/CT eine Verbesserung der Diagnostik durch eine Reduktion von knochenszintigraphisch nicht sicher zu beurteilenden Läsionen durch eine direkte Korrelation mit der morphologischen Bildgebung.
151 13.3 · FDG-PET und PET/CT zum Therapiemonitoring
13.2.7 Lymphszintigraphie In den letzten Jahren wurde die Lymphszintigraphie in den europäischen Leitlinien zur Behandlung von Brust- und Hautkrebs aufgenommen. Bei der Lymphszintigraphie werden mit 99mTechnetium(99mTc)-markierte Kolloide zur Darstellung des Lymphabflusses von malignen Tumoren eingesetzt. Gegenstand aktueller klinischer Studien ist die Ausweitung der Indikationsstellung auf Ösophagus- und Magenkarzinom. Der Lymphszintigraphie liegt das Konzept des Wächterlymphknotens (»sentinel lymph node«, SLN) zugrunde. Dieses Konzept besagt, dass die ersten Lymphknoten (i. d. R. 1–3 je nach Region) im Abflussgebiet eines malignen Tumors auch die ersten metastatisch befallenen sind. Sind diese Lymphknoten tumorfrei, kann davon ausgegangen werden, dass auch die übrigen regionalen Lymphknoten keinen metastatischen Befall zeigen (daher »Wächter«-Lymphknoten). Das bedeutet, dass durch die Identifikation der Wächterlymphknoten ein Lymphknotenstaging möglich wird, ohne eine radikale Ausräumung der gesamten regionalen Lymphknoten vornehmen zu müssen. Die Wächterlymphknoten können durch peritumorale Injektion des radioaktiven Kolloids dargestellt werden. Im Sonderfall von Brustkrebs hat es sich gezeigt, dass eine periaureoläre Injektion einfacher ist und gleiche Ergebnisse liefert. Ein Teil des Kolloids wird über die Lymphbahnen zu den Wächterlymphknoten transportiert, ohne ins Blut zu diffundieren. Es reichert sich in diesen Lymphknoten an. Durch präoperative szintigraphische Aufnahmen (planare Szintigraphie, SPECT, SPECT/CT) können die Wächterlymphknoten identifiziert und bei Bedarf anatomisch lokalisiert werden. Im Falle von SPECT/CT ist die Lokalisierung mit einer räumlichen Auflösung von 5 mm möglich, was als Information bei der Biopsie ausreichend ist. Nach einer gezielten Inzision können die Lymphknoten intraoperativ durch Sondenmessungen (1D-Signale, oft akustisch) oder neue intraoperative bildgebende Systeme wie Mini-Gamma-Kameras oder FreehandSPECT präzise lokalisiert, selektiv entfernt und histologisch aufgearbeitet werden. Der Vorteil gegenüber der alten Farbstoffmarkierung liegt darin, dass nicht vom Tumor ausgehend entlang der Lymphbahnen präpariert werde muss. Dies reduziert die Invasivität des Eingriffs. Mit Detektionsquoten von 90% beim intraoperativen Einsatz von nicht-bildgebenden Sonden bei Brustkrebs schließt der fehlende Befall der Wächterlymphknoten einen axillären Lymphknotenbefall mit einer Sicherheit bis zu 93% aus (Kim 2006). Die Resektion der Wächterlymphknoten (»sentinel lymph node biopsy«, SLNB) wird auch bei weiteren Fragestellungen derzeit evaluiert. Zu den untersuchten Tumorentitäten gehören Magen-, Ösophagus-, Prostata-, Hoden-, Vulva-, sowie Kopf-Hals-Karzinome (Ho Lee et al. 2009; Vermeeren et al. 2009; Johann et al. 2008). Beim Magenkarzinom wurde ein SLN in 94% aller Patienten gefunden. Allerdings betrug die Sensitivität zur Detektion befallener SLN nur 68%, wobei mangelnde Erfahrung (<30 Untersuchungen) und das männliche Geschlecht mit einer hohen Wahrscheinlichkeit falsch-negativer Befunde assoziiert waren. Weitere Studien werden zeigen, ob die Wächter-Lymph-
knoten-Szintigraphie gerade in spezialisierten Zentren den Weg in die klinische Routine findet.
13.3
FDG-PET und PET/CT zum Therapiemonitoring
Medizinische bildgebende Verfahren sind für die Diagnostik bei Patienten mit bewiesener oder dem Verdacht auf eine Krebserkrankung von großer Bedeutung. Die frühe Erkennung maligner Läsionen und ein akkurates Staging der Erkrankungsausbreitung haben wesentlich zu einem verbesserten Überleben der Patienten beigetragen. Darüber hinaus spielt die Ermittlung des Ansprechens auf eine Therapie durch bildgebende Verfahren eine zunehmende Rolle und ermöglicht die Ableitung wichtiger Informationen für das Patientenmanagement. Zurzeit werden in der Hauptsache morphologische Kriterien herangezogen, um das Ansprechen eines Tumors auf eine Therapie zu charakterisieren. Limitationen morphologischer Kriterien sind, dass eine Größenänderung nicht unbedingt repräsentativ für ein Ansprechen des Tumors auf die Therapie sein muss, weil therapieinduzierte Fibrose, inflammatorische Veränderungen oder ein Ödem residuellen Tumor vortäuschen können und darüber hinaus verkleinerte Tumormassen weiterhin vitale Tumorzellen enthalten können. Mit der Einführung der molekularen Bildgebung können nun funktionelle Parameter der Tumoren visualisiert und das Ansprechen der Tumoren auf eine Therapie spezifischer definiert werden (Herrmann et al. 2009). Die PET und PET/CT in Kombination mit onkologischen Markern spielt zunehmend eine Rolle in der klinischen Beurteilung therapeutischer Interventionen bei Tumorpatienten. Die breiteste Erfahrung existiert mit FDG, das als Marker des Tumorstoffwechsels mit histopathologischem und klinischem Outcome für zahlreiche Tumorentitäten korreliert wurde. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass dieser Marker erfolgreich für das Monitoring des Therapieansprechens von Tumoren auf eine zytotoxische Therapie verwendet werden kann und dass Änderungen des Glukosestoffwechsels während der Therapie verwendet werden können, um das Ansprechen auf die Therapie vorherzusagen und prognostische Informationen abzuleiten. Ein präzises prätherapeutisches Staging ist wichtig für die Wahl der bestmöglichen Therapie für den Patienten. Lokoregionale Erkrankung muss von systemischer Ausbreitung unterschieden werden. Nach dem Ausschluss von Fernmetastasen beruht die Wahl des therapeutischen Verfahrens bei gastrointestinalen Tumoren im Wesentlichen auf der Tumorgröße. Im Fall der gastrointestinalen Tumoren zeigt sich zum Zeitpunkt der Diagnose häufig eine fortgeschrittene lokale Tumorerkrankung, da Symptome häufig erst spät auftreten. Im Fall von lokal fortgeschrittenen Tumoren bleibt das chirurgische Vorgehen weiterhin die Haupttherapie. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass eine präoperative Chemotherapie oder Chemoradiotherapie das Überleben der Patienten verbessern kann. Dies ist bei Patienten mit Ösophaguskarzinom, Magenkarzinom und kolorektalen Karzinomen gezeigt worden.
13
152
Kapitel 13 · Nuklearmedizinische Diagnostik
vor RCTx
vor Operation Δ SUV = –52%
FDG PET/CT a
b
MRT T2 ax c
13
d
. Abb. 13.5. Ermittlung des Therapieansprechens mit FDG-PET/CT beim Rektumkarzinom: FDG-PET/CT mit [18F]-Fluordeoxyglukose (FDG) und MRT vor RCTx. a, b Darstellung des PET-positiven Primärtumors vor Beginn der Therapie. c, d Darstellung des Verlaufs-PET/CT mit [18F]-Fluordeoxyglukose (FDG) und MRT nach Ende der RCTx. Die
metabolische Aktivität hat im Verlauf deutlich abgenommen, so dass eine metabolische Response vorlag. Die Aufarbeitung des postoperativen Präparates zeigte eine Tumorregression Grad I (weniger als 10% vitale Tumorezellen)
Patienten, die eine neoadjuvante Therapie erhalten und ein Ansprechen des Tumors auf diese Therapie zeigen, haben eine bessere Prognose bezogen auf das Überleben als Patienten, die nicht auf diese Therapie ansprechen. Allerdings spricht nur ein Teil der Patienten auf die neoadjuvante Therapie an. Daraus resultiert, dass die Patienten, die nicht auf eine Therapie ansprechen, Nebenwirkungen erleiden und sich eine Verzögerung der Behandlung durch eine ineffektive neoadjuvante Therapie ergibt. Deshalb ist es wünschenswert, über ein diagnostisches Verfahren zu verfügen, dass es erlaubt, nichtinvasiv das Ansprechen eines Tumors auf eine solche Therapie vorherzusagen, so dass Responder von Non-Respondern unterschieden werden können. Wenn dieses auch noch früh im Laufe der Therapie möglich ist, besteht zudem die Möglichkeit, die Therapie zu individualisieren, d. h. bei Patienten, die nicht auf die Therapie ansprechen, die Therapie zu ändern. Die FDG/PET hat vielversprechende Ergebnisse für die Ermittlung des Therapieansprechens, Tumorkontrolle und Prognose gezeigt. Unter diesen hat die frühe Ermittlung des Therapieansprechens besondere Aufmerksamkeit erlangt, da sich daraus wesentliche klinische Konsequenzen im diagnostischen und therapeutischen Management der Patienten ergeben. Mit der Einführung der PET/CT, die die Kombination der morphologischen Information des Spiral-CT mit der mo-
lekularen Bildgebung durch PET erlaubt, ist eine weitgehend simultane Erfassung von Tumormorphologie und Stoffwechsel im Verlauf der Therapie möglich. Dabei können Änderungen des regionalen Tumorstoffwechsels morphologischen Änderungen durchaus vorausgehen. Darüber hinaus ist es möglich, dass mit der PET/CT durch die Kombination mit volumetrischen und metabolischen Messparametern eine noch höhere Genauigkeit für die Vorhersage des Ansprechens auf eine Therapie möglich sein wird. Generell können FDG-PET und PET/CT zum Therapiemonitoring in zwei Weisen eingesetzt werden: Zum einen kann das Ansprechen des Tumors auf die Therapie nach Beendigung der Therapie ermittelt werden. In diesem Fall wird die verbleibende FDG-Aufnahme nach der Therapie oder die Änderung der FDG-Aufnahme zwischen den initialen und einem posttherapeutischen PET/CT-Scan mit dem postoperativen histopathologischen Ansprechen, Patientenüberleben oder beidem korreliert. Die FDG-Aufnahme bei Patienten, die auf die Therapie ansprechen, sollte auf Hintergrundniveau absinken, residuelle FDG-Anreicherung hingegen zeigt vitales Tumorgewebe in den meisten Fällen an (Voraussetzung ist, dass das Ende der Therapie lange genug zurückliegt). Des Weiteren kann das Ansprechen auf eine Therapie früh im Verlauf der Therapie (Chemotherapie oder Chemoradio-
153 13.3 · FDG-PET und PET/CT zum Therapiemonitoring
. Tab. 13.1. Studien zur Evaluierung des frühen Therapieansprechens mit der FDG-PET. (Nach Herrmann et al. 2009)
Tumor
Erstautor
Jahr
Ösophagus
Weber
2001
37
–35%
2 Wochen >48
Wieder
2004
22
–30%
Ott
2006
65
Lordick
2007
Ott
Magen
Kolorektal
GIST
Anzahl Kriterium Patienten
Zeitpunkt
p-Wert
Kommentar
20
0,04
Medianes Überleben in Monaten
2 Wochen >38
18
0,011
Medianes Überleben in Monaten
–35%
2 Wochen >42
18
0,01
Medianes Überleben in Monaten
110
–35%
2 Wochen >36
26
0,015
Medianes Überleben in Monaten
2003
35
–35%
2 Wochen >48
17
0,001
Medianes Überleben in Monaten
Ott
2008
71
–35%
2 Wochen >35
24
0,037
Medianes Überleben in Monaten
Cascini
2006
33
–52%
12 Tage
100%
n.a.
Sensitivität und Spezifität für die Prädiktion der histopathologischen Antwort
Rosenberg
2009
29
–35%
2 Wochen 74%
70%
n.a.
Sensitivität und Spezifität für die Prädiktion der histopathologischen Antwort
Stroobants
2003
17
–25%
8 Tage
92%
12%
0,001
Prozentsatz von Patienten, die ein 1-Jahrprogressionsfreies Überleben zeigen
Goerres
2005
28
Visuell
19 Tage
>48
22
0,001
Medianes Überleben in Monaten
Holdsworth
2007
63
–40%
1 Monat
26
3
0,002
Medianes Überleben in Monaten
Choi
2007
40
–70%
2 Monate
70%
30%
0,01
Prozentsatz von Patienten, die ein 2-Jahre-progressionsfreies Überleben zeigen
therapie) ermittelt werden. Die erste FDG-PET oder PET/CTMessung findet vor der Therapie statt, die zweite Untersuchung erfolgt zwei bis vier Wochen nach der Initiierung des ersten Therapiezyklus (häufig innerhalb des ersten Therapiezyklus). Änderungen der FDG-Aufnahme zwischen der prätherapeutischen Akquisition und der frühen zweiten Messung werden verwendet, um das histopathologische Ansprechen und Patientenüberleben oder beides vorherzusagen. Der standardisierte Aufnahmewert (SUV) ist der am weitesten verbreitete PET-Parameter, der zur Ermittlung des Therapieansprechens verwendet wird. In den meisten Studien werden relative
Responder Nonresponder
100%
Änderungen (%) berechnet, um das metabolische Ansprechen zu quantifizieren. Früh im Verlauf der Therapie wird die metabolische Aktivität im Tumorgewebe bei Patienten, die auf die Therapie ansprechen, absinken, aber zum Zeitpunkt der zweiten FDG-PET oder PET/CT-Untersuchung wird weiterhin eine signifikante Anzahl von vitalen Tumorzellen verbleiben, die zu einer noch relevanten FDG-Aufnahme führen. Studien sind z. B. zur Rolle der FDG-PET und PET/CT zur Ermittlung des Therapieansprechens nach Beendigung der Therapie bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren (Herrmann et al. 2009) durchgeführt worden (. Abb. 13.5).
13
154
Kapitel 13 · Nuklearmedizinische Diagnostik
CT
PET
PET/CT
vor RCTx
Nach 14 Tagen Δ SUV = –44%
vor Operation Δ SUV = –62%
13
. Abb. 13.6. Ermittlung des Therapieansprechens mit FDG-PET/CT beim Ösophaguskarzinom: FDG-PET/CT eines Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom des Ösophagus vor Beginn einer neoadjuvanten Radiochemotherapie (vor RCTx). Zwei Wochen nach Beginn der Radiochemotherapie wurde die FDG-PET/CT wiederholt: Quantitativ ergab sich eine Abnahme des SUV um 44%. Nach Ende der Ra-
diochemotherapie und vor der Operation ergab sich eine SUV-Abnahme von insgesamt 62% im Vergleich zur initialen Untersuchung. Der Patient war ein metabolischer Responder. Histopathologisch zeigte sich ein Regressionsgrad von I, einer histopathologischen Response entsprechend
Allerdings ist die Zusatzinformation bei der späten Ermittlung des Therapieansprechens begrenzt, da sie nicht die Möglichkeit einer frühen Änderung des Therapiekonzepts erlaubt. Deshalb wird zunehmend das Konzept verfolgt, früh das Therapieansprechen mit der FDG-PET zu ermitteln und damit potenziell eine Änderung im frühen Verlauf der Therapie zu erlauben. FDG-PET-Studien zur Ermittlung des Therapieansprechens früh im Verlauf der Therapie sind bei Adeno- und Plattenepithelkarzinom des Ösophagus, Magenkarzinom, kolorektalen Karzinomen und GIST-Tumoren durchgeführt worden (Weber et al. 2001; Wieder et al. 2004; Ott et al. 2006; Lordick et al. 2007; Ott et al. 2003; Ott et al. 2008; Cascini et al. 2006; Rosenberg et al. 2009; Stroobants et al. 2003; Goerres et al. 2005; Holdsworth et al. 2007; Choi et al. 2007; . Tab. 13.1). Die Ergebnisse dieser Unicenterstudien mit FDG-PET sind z. B. vielversprechend bei lokal fortgeschrittenen Ösophaguskarzinomen (Übersicht bei Krause et al. 2009; . Abb. 13.6).
In der Zukunft müssen randomisierte prospektive Multicenter-Studien durchgeführt werden, um die klinische Wertigkeit der FDG-PET und PET/CT für die Ermittlung des frühen Therapieansprechens zu evaluieren. Zurzeit existiert allerdings nur eine begrenzte Erfahrung mit PET-basierten Therapie-Algorithmen (Lordick et al. 2007). PET-basierte Behandlungsalgorithmen sollten aktuell für die Behandlung von Patienten mit gastrointestinalen Tumoren nicht außerhalb klinischer Studien eingesetzt werden. Die Standardisierung der Patientenvorbereitung, der Datenakquisition und -verarbeitung sowie der Dateninterpretation sind wesentliche Voraussetzungen, insbesondere für randomisierte prospektive Multicenter-Studien (Shankar et al. 2006).
155 Literatur
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13
156
Kapitel 13 · Nuklearmedizinische Diagnostik
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13
14 14
Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat H. Bläker, H. Höfler, P. Schirmacher
14.1
Biopsie, Probeexzision
14.1.1 14.1.2 14.1.3
Entnahmetechniken – 158 Probenversand – 158 Aufarbeitung – 159
14.2
Zytologie
14.2.1 14.2.2 14.2.3
Entnahmetechniken – 159 Versand – 160 Aufarbeitung – 160
14.3
Befunderstellung und Interpretation bei Biopsie und Zytologie – 160
14.3.1 14.3.2 14.3.3
Befunderstellung – 160 Befundinterpretation – 161 Sensitivität und Spezifität von Biopsie und Zytologie
14.4
Schnellschnittuntersuchung
14.4.1 14.4.2
Aufarbeitung – 162 Befundübermittlung – 163
14.5
Operationspräparate
14.5.1 14.5.2
Aufarbeitung – 163 Befundung von Operationspräparaten
14.6
Befunddokumentation
14.7
Spezialtechniken
14.7.1 14.7.2 14.7.3
Immunhistologie – 164 Molekularpathologie – 165 Elektronenmikroskopie – 165
14.8
Interdisziplinäre Konferenzen
14.9
Gewebebank Literatur
– 158
– 159
– 166
– 162
– 163 – 163
– 164
– 164
– 165
– 165
– 162
158
Kapitel 14 · Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat
> Die pathologische Untersuchung ist eine wesentliche Grundlage der Beurteilung von Organerkrankungen. Sie erfolgt durch Biopsie, Zytologie oder Untersuchung eines Resektionspräparates. Während bei der Biopsie ein Gewebe pathologisch untersucht wird, werden bei der Zytologie aspirierte oder von einer Oberfläche abgelöste Zellen begutachtet. Zur Abklärung endoskopisch oder transkutan gut erreichbarer Tumoren ist die histologische Untersuchung von Biopsien die Regel. Die Zytologie wird grundsätzlich bei der Untersuchung von Körperflüssigkeiten (Pleuragerguss, Aszites) angewendet. Vorrangiges Ziel beider Verfahren ist die Diagnose einer Tumorerkrankung vor Beginn einer weitergehenden Behandlung. Eine besondere Bedeutung hat die pathohistologische Beurteilung von Operationspräparaten. Hier erfolgt nicht nur die letztendliche Sicherung von Art und Ausmaß der Erkrankung sondern auch die Beurteilung der Vollständigkeit der Resektion, möglicher Therapieerfolge (Regression) oder auch von möglichen therapeutischen Zielstrukturen. Mit Hilfe der Schnellschnittuntersuchung können unter gezielter Indikationsstellung intraoperativ ausgewählte Gewebeproben in kurzer Zeit histologisch begutachtet werden. Dieser Technik ist bei der Abklärung präoperativ nicht zu klärender Herdbefunde sowie bei der Beurteilung der Radikalität einer Operation von Bedeutung. Über die konventionelle Histologie hinaus stehen für die Charakterisierung eines Tumors Spezialfärbungen und molekulare Zusatzuntersuchungen zur Verfügung. Die Bedeutung molekularpathologischer Untersuchungen nimmt aufgrund spezialisierter systemischer Therapien bei Tumorleiden erheblich zu. Die Interpretation der molekularen Befunde erfordert die genaue Kenntnis des Gewebebefundes und erfolgt deshalb im Kontext mit der Histomorphologie.
14
14.1
Biopsie, Probeexzision
Biopsie und Probeexzision dienen in der Regel der Primärbefundung einer Organerkrankung. Bei Tumorerkrankungen ist die Typisierung der Neoplasie und eine Aussage zu Dignität eine wesentliche Voraussetzung für eine zielgerichtete Therapie. Die Art des Tumors (z. B. Lymphom oder Karzinom) entscheidet maßgebend über das weitere therapeutische Vorgehen.
14.1.1 Entnahmetechniken
Bei Tumorverdacht sollten die Biopsien nicht zentral aus einem Tumor(ulkus) entnommen werden, da dieses oft nekrotisch ist. Erfolgversprechender für eine Tumordiagnose sind Biopsien aus dem vitalen Randbereich eines Tumors mit Entnahme von mehreren Partikeln z. B. aus dem Randwall einer Neoplasie. Einige Tumorerkrankungen, wie zum Beispiel das Siegelringzellkarzinom des Magens, können primär diffus wachsen und aufgrund einer Induktion eines narbigen Begleitstromas einen großen Tumorbefund bei nur geringer Tumorzellzahl ausbilden. Aufgrund der disseminierten und bisweilen spärlichen Tumorzellverbände ist z. B. bei Verdacht auf ein diffuses Magenkarzinom eine wesentlich umfangreichere Probenentnahme (8–10) sinnvoll, als bei einem umschriebenen, z. B. exophytisch wachsenden Tumor (. Abb. 14.1).
Endoskopische Schlingenexzision Endoskopisch resezierbare, größere, gestielte Polypen des Gastrointestinaltrakts können mit einer Diathermieschlinge umfasst und durch Hitzeapplikation entfernt werden. Die Verkochung des Gewebes durch die Diathermieschlinge führt zu einer artifiziellen Gewebeschädigung im Abtragungsbereich. Abgetragene Polypen sollten möglichst in einem Stück geborgen werden, um neben histologischer Befundung des Tumortyps und dessen Dignität auch eine Beurteilbarkeit des Abtragungsrandes zu ermöglichen.
Stanzbiopsie Eine Möglichkeit zur Abklärung transkutan erreichbarer Tumorbefunde besteht in der perkutanen Gewebeentnahme eines Stanzzylinders meist unter Kontrolle bildgebender Verfahren (CT, Sonographie). Ein für die histologische Diagnose geeigneter Stanzzylinder sollte eine Länge von mindestens 1 cm, besser 2 cm haben. Durch mehrfache Stanzen aus verschiedenen Tumorbereichen erhöht sich die Chance, neben diagnostisch nicht verwertbarem Gewebe (z. B. Nekrosen oder Narben) auch diagnostisch relevante Tumoranteile zu erfassen. Dies muss unter Abwägung des stanzbioptischen Risikos (z. B. Blutungen, seltene Verschleppung von Tumorzellen) entschieden werden.
14.1.2 Probenversand Zangen-, schlingen- oder stanzbioptisch gewonnene Materialien müssen direkt nach der Entnahme fixiert werden, wobei gepuffertes Formalin als Standardfixans verwendet wird.
Endoskopische Zangenbiopsie Über ein in ein Hohlorgan eingeführtes Endoskop können mit Zangen unter direkter optischer Kontrolle Gewebepartikel aus einem Organ gewonnen werden.
Entnahmeort und Umfang sind maßgebend für die Repräsentativität der Biopsie und damit für die Aussagekraft der histopathologischen Diagnose.
Die unmittelbare Fixierung ist notwendig, um die rasch einsetzende Autolyse aufzuhalten, das Material vor Austrocknung zu schützen und es für die weitere Bearbeitung dauerhaft zu konservieren.
Das Gewebe sollte möglichst wenig gequetscht werden, da dies die histopathologische Beurteilung stark einschränkt oder unmöglich machen kann. Quetschartefakte können be-
159 14.2 · Zytologie
. Abb. 14.1. Typisches bioptisches Bild einer Linitis plastica. Zumeist nur in der Tiefe erfasste minimale Tumorinfiltrate eines Siegelringzellkarzinoms oben links (unten links: Ausschnittvergrößerung)
reits durch die Biopsiezange oder aufnehmende Pinzette, Kauterisationsartefakte bei der Abtragung von Gewebe mit Diathermieschlingen entstehen. Die Kauterisation betrifft eine Zone von etwa 1 mm, die dann histologisch nur sehr eingeschränkt beurteilbar ist; sie bietet allerdings bei der Schlingenabtragung den Vorteil, dass Kauterisationsartefakte die Identifikation des Abtragungsrands erleichtern und kleinste randinfiltrierende Tumorverbände durch sie vernichtet werden können.
Kernveränderungen, weshalb diese Methode in der Tumordiagnostik eingesetzt werden kann. Ein Nachteil der Zytologie ist, dass sich die für Beurteilung des Wachstumsverhaltens wichtigen Kriterien einer Umgebungsreaktion und die Beziehung zwischen Tumorzellen und Stroma nicht darstellen und das Material nur eingeschränkt für weitere Untersuchungen verfügbar ist.
14.2.1 Entnahmetechniken 14.1.3 Aufarbeitung Bioptisch entnommenes Gewebe wird primär mit histologischen Routinefärbungen untersucht, wobei mehrere Anschnitte des Materials begutachtet werden, um das Erfassen auch kleinster Herdbefunde zu gewährleisten. Je nach Fragestellung (z. B. spezifische Tumoreigenschaften, Erreger, Amyloid) können zusätzliche histochemische Färbungen notwendig sein und durchgeführt werden. Die Dauer der Aufarbeitung beträgt unter Routinebedingungen (ohne Sonderfärbungen) 12–24 h. Bei Schnelleinbettungen, die einer aufwendigeren Bearbeitung bedürfen und dringenden klinischen Fragestellungen vorbehalten sind, ist eine Aufarbeitung innerhalb von 4 h möglich.
14.2
Zytologie
Während bei der Biopsie ein Gewebe untersucht wird, werden bei der Zytologie aspirierte oder von einer Oberfläche abgelöste Zellen begutachtet. Die Zellen werden durch Abklatschen, Ausstreichen oder Zentrifugieren auf Objektträger aufgetragen, gefärbt und mikroskopisch begutachtet. Vorteil der Zytologie ist die gute Beurteilbarkeit von Zytoplasma- und
Grundsätzlich wird zwischen Aspirations- und Exfoliativzytologie unterschieden. Bei der Aspiration wird das Material mit einer Feinnadelpunktion gewonnen, bei der Exfoliativzytologie werden abgelöste Zellen eines Hohlorgans, einer Körperhöhle oder der Schleimhaut untersucht.
Aspiration Feinnadeln unterschiedlicher Dicke und Größe können je nach Lokalisation des zu punktierenden Befundes und ja nach Ort der Ein- bzw. Durchstichstelle gewählt werden. Die Punktion bietet sich als schonender Eingriff der Materialentnahme bei zangenbioptisch oder stanzbioptisch nicht erreichbaren Läsionen an. Die Aspirationszytologie kommt hauptsächlich bei der Diagnostik von Raumforderungen z. B. der Schilddrüse, der Lunge, der Leber, des Pankreas und des Retroperitoneums zum Einsatz; des weiteren findet sie Verwendung bei der Abklärung von pathologisch veränderter Lymphknoten unterhalb der tiefen Wandschichten eines endoskopisch erreichbaren Hohlorgans, wie dem Intestinaltrakt und der Lunge (. Abb. 14.2).
Exfoliativzytologie Bei der Exfoliativzytologie werden von der Oberfläche abgelöste Zellen untersucht. Diese Zellen können durch Abstreichen
14
160
Kapitel 14 · Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat
. Abb. 14.2. Aspirationszytologien mit typischen Befunden eines gering differenzierten endokrinen Karzinoms (A) und eines Adenokarzinoms (B)
14
des zu untersuchenden Gewebes mit Hilfe eines Wattestäbchens (Zervixabstriche) oder einer kleinen, endoskopisch eingeführten Bürste gewonnen werden. Die quantitativ größte Bedeutung der Exfoliativzytologie liegt in der Abklärung von Tumorerkrankungen der Portio. Die Exfoliativzytologie kommt darüber hinaus bei der Diagnostik von Lungen- und Harnwegstumoren sowie von Tumoren des Gastrointestinaltrakts zum Einsatz wobei sie im letzteren Fall vorwiegend bei der Untersuchung des Gallenwegssystems angewendet wird. Sofern die Entnahme durch direktes Abstreichen mit Hilfe einer Bürste nicht unter endoskopischer Sicht möglich ist, kommt eine Spülzytologie in Betracht. Nach einer Spülung wird aus der abgesaugten Flüssigkeit eine Zellprobe für die Diagnostik hergestellt. Durch Katheterisierung des tumorverdächtigen Areals kann hierbei eine gewisse Selektivität erzielt werden. Bei der Gewinnung von Ergussflüssigkeit aus der Peritoneal- und der Pleurahöhle wird zusätzlich zu Ausstrichpräparaten ein sogenannter Zytospin angefertigt, der durch Konzentrierung der Zellen die zytologischen Begutachtung erleichtert.
14.2.2 Versand Nach einer Punktion wird das Material auf einen oder mehrere Objektträger aufgetragen und mit einem zweiten flach aufgelegten Objektträger ausgestrichen. Bei der Bürstenzytologie wird die Bürste direkt auf einem Objektträger ausgestrichen. Das Zellmaterial kann dann an der Luft trocknen und ist damit ohne weitere Schritte versandfertig. Um Verwechslungen auszuschließen, sind die Objektträger vorher unbedingt im Mattrandbereich korrekt mit Bleistift zu beschriften. Flüssigmaterialien können nativ oder mit Fixans versetzt verschickt werden. Um Gerinnungsprozesse zu vermeiden, können blutige Materialien mit EDTA versetzt werden. Ist mit längerer Versanddauer zu rechnen, ist ein Versand in einer alkoholischen Lösung angezeigt, z. B. mit einer gleichen Menge eines 50%-igen Alkohols, z. B. Isopropanol.
14.2.3 Aufarbeitung Bereits ausgestrichene Objektträger können direkt gefärbt werden. Bei Eingang von Flüssigkeiten werden Ausstriche angefertigt und zusätzlich durch Zentrifugation der Flüssigkeit sog. Zytospins angefertigt, die sich durch einen höheren Gehalt an Zellen auszeichnen. Zytologische Präparate werden in der Regel standardmäßig nach Papanicolaou und Pappenheim gefärbt, sind grundsätzlich aber auch für andere Sonderfärbungen geeignet. Die Dauer der färberischen Aufarbeitung beträgt bei Ausstrichpräparaten ca. 1 h. Müssen vorab von Flüssigkeiten Zytospins angefertigt werden, so beträgt die Dauer insgesamt ca. 2 h.
14.3
Befunderstellung und Interpretation bei Biopsie und Zytologie
14.3.1 Befunderstellung Klinische Information. Auf dem Untersuchungsantrag müssen von Seiten des Einsenders genaue Angaben über Materialart und Lokalisation der Probenentnahme erfolgen. Zusätzlich sollte eine Fragestellung ebenso wie Angaben zum klinischen, bildgebenden oder endoskopischen Aspekt (Nor-
mal- bzw. Entzündungsbefund; Tumorverdacht) gemacht werden. Relevante Vorerkrankungen, insbesondere anamnestisch bekannte Tumorleiden und Vorbehandlungen müssen vorliegen, um bei Tumornachweis zielgerichtet auf die Fragestellungen eingehen zu können und Fehlinterpretationen zu vermeiden. Die Angabe eines konkreten Ansprechpartners, ist für Rückfragen notwendig. Befundung. Der Pathologe äußert sich in seinem Befund zu
Art, Umfang und Beurteilbarkeit des eingesandten Materials. Bei Tumornachweis erfolgt eine Aussage zum Tumortyp, zur Dignität und bei malignen Tumoren zum Grading für den
161 14.3 · Befunderstellung und Interpretation bei Biopsie und Zytologie
. Tab. 14.1. Wien-Klassifikation (Schlemper et al. 2000) Kategorie 1
Keine Neoplasie
Kategorie 2
Indefinite für Neoplasie
Kategorie 3
Nicht-invasive geringgradige Neoplasie (Low-grade-Adenom, Dysplasie)
Kategorie 4
Nicht-invasive hochgradige Neoplasie
5 4.1
High-grade-Adenom/Dysplasie
5 4.2
Carcinoma in situ
5 4.3
Verdacht auf invasives Karzinom
Kategorie 5
Invasives Karzinom
5 5.1
Intramukosales Karzinom
5 5.2
Submukosales Karzinom
14
. Tab. 14.2. Low-risk/High-risk-Kriterien bei endoskopisch resezierten T1-Kolonkarzinomen (Deinlein et al. 2003)
Low risk (Lymphknoten metastasierung 2%)
High risk (Lymphknotenmetastasierung ca. 15%)
Grading
G1/G2
G3/G4
Lymphgefäßinvasion
Nicht vorhanden
Vorhanden
Resektionsgrenze
Tumorfrei
Tumorinfiltriert
14.3.2 Befundinterpretation untersuchten Anteil des Tumors. Biopsien aus dem Gastrointestinaltrakt einschließlich des Barrett-Ösophagus werden bei Dysplasie/Tumor Fragestellungen gemäß Wien Klassifikation (. Tab. 14.1) Kategorien zugeordnet. Die 5 Kategorien dieser Klassifikation unterscheiden zwischen eindeutig nicht neoplastischen Läsionen, bezüglich Neoplasie nicht interpretierbaren Läsionen, low- und high-grade intraepithelialen Neoplasien und invasiven Karzinomen. Bei endoskopischen Abtragungen von polypösen Neoplasien erfolgt – soweit möglich – eine Aussage zur Radikalität der Tumorentfernung. Bei Nachweis eines submukosal invasiven Karzinoms (pT1) im Kolon erfolgt vom Pathologen darüber hinaus eine Einteilung in Low-risk- und High-risk-Karzinome, die Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit einer Lymphknotenmetastasierung gibt (. Tab. 14.2). Vor diesem Hintergrund kann je nach Allgemeinzustand und Operationsrisiko des Patienten über das weitere Vorgehen entschieden werden.
Die histo- oder zytopathologische Diagnose sollte vom behandelnden Arzt mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen wie Laborbefunden, bildgebender Diagnostik und endoskopischem Befund abgeglichen werden.
Eine Diskrepanz zwischen klinischer Verdachtsdiagnose und pathologischem Befund sollte immer Anlass zu einer weiteren Klärung in enger Kooperation mit dem Pathologen sein. Die histo- und zytopathologischen Befunde spiegeln die Veränderungen des entnommenen Gewebes bzw. der entnommenen Zellen wider, sind in Ausnahmefällen jedoch möglicherweise nicht repräsentativ für die zu Grunde liegende Erkrankung. Bei oberflächlich nekrotischen Tumoren oder von außen sekundär die Oberfläche infiltrierenden Tumoren können die Biopsien z. B. nur Nekrose, Entzündung, bzw. sogar nicht betroffenes Gewebe zeigen (. Abb. 14.3).
a
b . Abb. 14.3a,b. Unterminierung des Rektums durch ein Prostatakarzinom. Oberflächlich entnommene Biosate des Rektums sind tumorfrei (a) mit ischämisch alterierter Rektumschleimhaut. Im Opera-
tionspräparat Nachweis einer Unterminierung des Rektums durch ein Prostatakarzinom (b, Pfeile)
162
Kapitel 14 · Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat
Ähnliches gilt bei der Aspirationszytologie, wenn der fragliche Tumorbefund aufgrund einer peritumorösen Entzündungsreaktion größer erscheint und lediglich die Umgebungsreaktion mit der Feinnadel getroffen wird. Besonders bei Zustand nach Radio- oder Chemotherapie können sekundäre Effekte wie Narbenbildung und Nekroseassoziierte Entzündung auftreten und das histologische bzw. zytologische Bild eines Punktionsmaterials dominieren. In allen Fällen mit diskrepanten Befunden sollte ggf. nach Befunddiskussion zwischen Klinikern und Pathologen die bioptische bzw. zytologische Untersuchung wiederholt und ein umfangreiches Probensampling durchgeführt werden.
14.3.3 Sensitivität und Spezifität von Biopsie
und Zytologie Die Spezifität beider Methoden bezüglich der Diagnose eines malignen Tumors ist grundsätzlich für beide Methoden vergleichbar hoch, wobei das bioptische Material in der Regel detailliertere Aussagen, z. B. durch zusätzliche immunhistologische Analysen ermöglicht. Falsch-positive Tumorbefunde sind selten und im Wesentlichen auf entzündlich reaktive, oder z. B. therapieinduzierte Veränderungen der Zellmorphologie bis hin zu reaktiven Kernatypien zurückzuführen. Die Sensitivitäten von Biopsie und Zytologie sind nur bedingt vergleichbar, da beiden Untersuchungsmethoden in der Regel unterschiedliche Indikationsstellungen und Zugangsmodalitäten zu Grunde liegen. Bei der Untersuchung des Gallenwegssystems, bei der sowohl die Biopsie als auch die Bürstenzytologie zum Einsatz kommen besitzen beide Methoden bei der Abklärung von Gallenwegskarzinomen in vergleichenden Studien eine ähnliche Sensitivität von 40% (Zytologie) bzw. 50% (Biopsie), die Kombination beider Methoden erreicht eine verbesserte Sensitivität von 60% (Weber et al. 2008).
14
14.4
Schnellschnittuntersuchung
Die Schnellschnittdiagnostik hat intraoperativ wegweisende Bedeutung für das weitere chirurgische Vorgehen. Sie erlaubt aufgrund der technischen und zeitlichen Limitationen nur repräsentative Untersuchungen, zum Beispiel eines Tumoranteils oder der Schnittränder. Die Aussagekraft der Schnellschnittuntersuchung ist im Vergleich zur konventionellen Histologie eingeschränkt.
Dies ist zum Einen technisch bedingt und resultiert aus einer größeren Dicke von Gefrierschnitten im Vergleich zu Paraffinschnitten und der Tatsache, dass im Gefrierschnitt grundsätzlich höhere Kernvolumina dargestellt werden, die zu einer Fehleinschätzung von Kernatypien führen können (. Abb. 14.4) sowie der Tatsache, dass in aller Regel nur eine StandardHE-Färbung eingesetzt werden kann. Insbesondere nach präoperativer Radio-Chemotherapie können radiogen induzierte Atypien nicht neoplastischer Zellen (vor allem Endothelien) auftreten. Daher ist die Angabe einer präoperativen Therapie immer erforderlich, um falsch tumor-positive Befunde zu vermeiden. Die Schnellschnittuntersuchung ist stets nur repräsentativ, da aus Zeitgründen nur eine begrenzte Zahl an Stufenschnitten histologisch begutachtet werden kann. In der Hand eines erfahrenen Pathologen ist bei Beachtung der Indikation die Sensitivität und Spezifität der Schnellschnittuntersuchung sehr hoch.
14.4.1 Aufarbeitung Für die Schnellschnittuntersuchung vorgesehenes Material muss nativ geschickt werden, es darf kein Fixans hinzugefügt werden. Schnellschnitte werden mittels Gefrierschnitttechnik untersucht. Die Bearbeitung und histologischen Begutach-
a
b . Abb. 14.4a,b. Typischer Effekt der Schnellschnitttechnik. Die Karzinomverbände zeigen im Schnellschnitt (a) deutliche Kernvolumenschwankungen und suggerieren einen niedrigen Differenzierungs-
grad, nach Paraffineinbettung (b) stellen sich die Tumorzellkerne wesentlich isomorpher und kleiner dar (hoch differenziertes endokrines Pankreaskarzinom)
163 14.5 · Operationspräparate
tung erfordert in der Regel und je nach Aufwand einen Zeitraum von ca. 10–20 min. Nach Durchführung eines Schnellschnitts wird das Restmaterial mittels Paraffinhistologie aufgearbeitet. Dies ermöglicht die Validierung und Präzisierung des Befundes durch die verbesserte Beurteilbarkeit der Paraffinschnitte und die Anwendung von Spezialtechniken.
14.4.2 Befundübermittlung Das Ergebnis der Schnellschnittuntersuchung wird umgehend telefonisch übermittelt. Aufgrund der oben erwähnten methodischen Einschränkungen dieser Untersuchungen kann es in Grenzfällen zu Befundmehrdeutigkeiten kommen. In solchen Fällen wird der Pathologe zurückhaltend diagnostizieren und die Problematik mit dem Operateur gemeinsam besprechen, um ggf. nach Lösungsmöglichkeiten (z. B. erneute Materialeinsendung) zu suchen. Grundsätzlich ist die Interpretation eines Schnellschnitts restriktiv und an der intraoperativen Konsequenz orientiert. Die Primärdiagnose eines Tumors im Schnellschnitt bedarf einer erhöhten Sicherheit. Bei vorab gesichertem Tumorleiden steht die Beurteilung der Absetzungsränder oder fraglicher Absiedlungen im Vordergrund.
14.5
Operationspräparate
Während es bei der Biopsie und Zytologie in erster Linie um die Erstellung einer Art- bzw. Dignitätsdiagnose geht, kommt es bei der Untersuchung von Operationspräparaten von Tumoren vor allem auf die abschließende Tumortypisierung, das Grading, und das Staging eines Tumorleidens, sowie die Beurteilung der Operationsradikalität an.
14.5.1 Aufarbeitung Die ausführliche Untersuchung eines Operationspräparates erfolgt zur Erfassung prognostisch und differenzialtherapeutisch wichtiger Parameter wie Radikalität des Eingriffs, Tumorausbreitung (pTNM-Klassifikation) und ggf. Ausmaß einer Regression nach neoadjuvanter Therapie (Chemotherapie, Radiotherapie). Darüber hinaus dient die postoperative histopathologische Untersuchung der Ergänzung und ggf. Präzisierung der präoperativen Diagnostik. In einer Reihe von Fällen kann die genaue Artdiagnose eines Tumors erst am Resektionspräparat gestellt werden (z. B. bei Mischdifferenzierung oder diagnostisch nicht ausreichender Biopsie). Die Aufarbeitung von Operationspräparaten bedarf daher einer umfangreichen und detaillierten Untersuchung des Tumors, der Lymphknoten und der Resektionsrändern. Das aufwendige und gezielte Zuschneiden des Präparates bedingt neben der Tatsache einer längeren Fixationszeit von Operationspräparaten im Vergleich zu Biopsien eine verlängerte Befundlaufzeit. Die makroskopische Begutachtung und die Interpretation diagnostisch entscheidender und histologisch aufzuarbeitender Präparateanteile sowie die Wahl geeigneter Spezialtech-
niken ist Voraussetzung für eine optimale Befundung. Voraussetzung hierfür ist, dass vor dem Zuschnitt die Topographie des Präparates geklärt ist. Bei der Formalinfixierung kommt es zu einer Schrumpfung, Verfärbung und teilweise auch Verziehung von Organstrukturen. Dies erschwert die anatomische Orientierung insbesondere bei komplexeren Operationspräparaten, bei Zustand nach Voroperation und bei Resektion von nicht zwangsläufig anatomisch orientierbaren Segmentresektaten. Daher sollten in diesen Fällen am frisch gewonnenen Operationspräparat orientierende Markierungen angebracht werden und ein Begleitschein mit den entsprechenden Lokalisationsangaben versehen sein. Bei eingerissenen oder gar fragmentierten Präparaten ist die Beurteilung der Resektionsränder nicht möglich, dies kann vermieden werden, wenn durch entsprechende Markierungen die »wahren« Resektionsränder gekennzeichnet sind. Bezüglich der Anzahl, Orientierung und Entnahmelokalisation der Präparate für die Histologie existieren Empfehlungen für die einzelnen Organsystem (Association of Directors of Anatomic and Surgical Pathology 1996, 1998, 2000; Ibrahim 2000), die sich in der Praxis bewährt haben. Im Einzelfall erfordern jedoch die Besonderheiten eines Präparates eventuell ein von der Norm abweichendes Vorgehen. In der Regel gilt für Tumoren die Entnahme eines Schnittes pro 1 cm Tumordurchmesser, für Lymphknoten sieht die TNM-Klassifikation Mindestzahlen von untersuchten Lymphknoten vor. Da alle makroskopisch fassbaren Lymphknoten präpariert werden, wird diese Mindestzahl in der Regel überschritten. Wird sie unterschritten, so liegt das in erster Linie an den naturgegebenen Variationen der Lymphknotenzahl und der im Alter und insbesondere nach präoperativer Therapie auf minimale Größe atrophierten Lymphknoten.
Beim Zuschnitt großer und komplexer Resektate ist es grundsätzlich wichtig, die Darstellung weiterer pathologischer Befunde, wie z. B. Zweittumoren und kleine Metastasen durch sorgsame Präparation zu gewährleisten.
14.5.2 Befundung von Operationspräparaten Makroskopie. Während bei Biopsie und Zytologie die makro-
skopische Befundung sich in der Regel auf Zahl und Größe der Partikel bzw. Volumen der Flüssigkeit (Zytologie) beschränkt, enthält die makroskopische Beschreibung eines Operationspräparates im Befundbericht die wesentlichen anatomischen und pathologischen Details. Neben der Aussage zur Art des Präparates, gehören hierzu die Längen- und Größenangaben der resezierten Organe oder Organteile. Ein Tumor wird in seiner Form, Größe, Farbe, Konsistenz und Infiltrationstiefe beschrieben, ein Befall von Nachbarorganen dokumentiert. Darüber hinaus erfolgen Angaben zum Abstand des Tumors von den Präparaterändern. Dies gilt zum einen für die chirurgischen Schnittränder in allen Orientierungen, zum anderen für die vorgegebenen Präparateränder, die bei viszeralen Organen dem Peritoneum bzw. der Pleura entsprechen. Da in der
14
164
Kapitel 14 · Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat
Regel auch die regionären Lymphknoten bei einer Operation entfernt werden, muss darüber hinaus auf die Breite des anhängenden Fettgewebes eingegangen werden. Mikroskopie. In der mikroskopischen Beschreibung werden
zunächst Angaben zum Tumortyp und Tumorgrading gemacht. Falls eine Heterogenität des Tumors besteht, sollte auf die Einzelkomponenten eingegangen werden, um bei Metastasen der Minorkomponente nicht von einem zweiten Tumorleiden ausgehen zu müssen. Auch charakteristische oder besondere Befundbilder werden festgehalten; so wird z. B. bei Kolonkarzinomen das klassische Wuchsmuster eines mikrosatelliten-instabilen Tumors beschrieben, da gerade bei jungen Patienten mit diesen Tumoren der Verdacht auf ein hereditäres nicht-polypöses Kolonkarzinom-Syndrom (HNPCC) besteht. Im Weiteren überprüft die Histologie die makroskopisch angegebene Ausbreitung des Tumors und dessen Beziehung zu den Absetzungsrändern und Nachbarorganen. Histologisch sichtbare Lymph- oder Blutgefäßinvasionen werden beschrieben, da sie unter anderem für bestimmte Tumortypen (z. B. hepatozelluläres Karzinom) relevant für das pathologische Staging sind. Wichtig ist die exakte Angabe von Lymphknotenmetastasen bezogen auf die Gesamtzahl der Lymphknoten. Bei Zustand nach präoperativer Therapie ist die Beschreibung des Anteils vitaler Tumorzellen vorzunehmen. So ist z. B. für das Magenkarzinom eine Regressionsgraduierung etabliert (Becker et al. 2003), die in Analogie auch für des Barrett-Karzinom angegeben werden kann. Bei tiefen, neoadjuvant therapierten Rektumkarzinomen und Analkarzinomen sowie bei hepatozellulären Karzinomen sollten die entsprechenden Angaben zum prozentualen Verhältnis vitaler Tumorformation bezogen auf den Gesamttumor erfolgen.
14
Befundbericht. Der Befundbericht enthält sowohl die kli-
nischen Angaben, als auch die makroskopische und mikroskopische Beschreibung, und eine Diagnose, die die relevanten Daten zu Tumortyp, Grading, Staging und Resektionsstatus zusammenfasst und ggf. eine kritische Bewertung der Befundkonstellation enthält. Befundinterpretation. Der Chirurg vergleicht die Beschrei-
bung des Operationspräparates mit seinen prä- und intraoperativ gewonnenen Daten. Wenn signifikante Diskrepanzen zwischen klinischen und pathologischen Befundkonstellationen auftreten, sollten diese z. B. in Tumorboards oder klinisch-pathologischen Konferenzen besprochen werden. Hierbei werden die Ergebnisse der präoperativen Diagnostik mit dem pathomorphologischen Befund mit dem Ziel der weiteren Therapieplanung abgeglichen.
14.6
Befunddokumentation
Gemäß geltender Regularien unterliegen die pathologischen Befundberichte einer Aufbewahrungspflicht von 30 Jahren, die histologischen Schnittpräparate von 10 Jahren. Für Blockpräparate wird eine Aufbewahrung von 2 Jahren empfohlen.
So die Archivkapazitäten es zulassen, ist jedoch eine Archivierung von Block- und Schnittmaterial für einen längeren Zeitraum zu empfehlen. Auch nach über 10 Jahren kann ein Abgleich eines Primärtumors mit einer Spätmetastase notwendig sein und Einfluss auf die Beurteilung bzw. Therapie eines Tumorleidens haben. Darüber hinaus sind mit den rasch zunehmenden Optionen der zielgerichteten, medikamentösen Therapie chirurgisch nicht sanierbarer Tumorleiden die Anforderung an die Bestimmung molekularer Charakteristika auch an alten Tumorproben eines Patienten gewachsen. So kann es aus therapeutischen Zwecken durchaus notwendig sein, an einem zeitlich viele Jahre zurückliegendem Tumorpräparat molekularpathologische Befunde, die nur am Blockmaterial erstellbar sind, zu erheben.
14.7
Spezialtechniken
Das auf konventionellen Färbetechniken beruhende histopathologische Befundbild kann mit Hilfe von Zusatzuntersuchungen sinnvoll ergänzt bzw. weiter abgeklärt werden. Zu den hierfür verwendeten Spezialtechniken zählen vor allem die Immunhistologie und die Molekularpathologie.
14.7.1 Immunhistologie Die Immunhistologie beruht auf dem Prinzip der Bindung von Antikörpern an Proteinepitope, die in der Regel durch die Formalinfixierung und Paraffineinbettung nicht zerstört werden. An die Antikörper ist eine Chromogenreaktion gekoppelt, so dass nach Bindung des Antikörpers an das gesuchte Protein eine positive Färbereaktion im Schnittpräparat entsteht. Die Immunhistologie dauert inklusive Vorbereitungsschritte 1-2 Arbeitstage und wird zum einen differenzialdiagnostisch eingesetzt, zum anderen dient sie der Abklärung der Prognose und weiterer Therapieoptionen. Diagnostisch wird die Immunhistologie dann verwendet, wenn das konventionelle histomorphologische Bild eines Tumors nicht eindeutig ist oder (z. B. bei sehr seltenen Tumoren) einer zusätzlichen Bestätigung bedarf. Eine gezielte Bestimmung der vom Tumor exprimierten Proteine durch die Immunhistologie gibt in der Regel Aufschluss über den Tumortyp. Da aber nur die wenigsten Proteine tumorspezifisch sind und z. B. auch von nichttumorösen Zellen in der Umgebung produziert werden können, ist stets die morphologische Zuordnung von Proteinexpression und Tumorzellen notwendig. Bei mittlerweile weit über 100 in der diagnostischen Praxis eingesetzten Antikörpern ist in der überwiegenden Zahl eine weitere diagnostische Eingrenzung oder auch präzise Tumordiagnose möglich. Der Aufwand der Technik und die rasche, rationelle Diagnosefindung erfordern den gezielten Einsatz der Immunhistologie entlang klarer Algorithmen. Besonders deutlich wird dies anhand des CUP (»carcinoma of unknown primary«)-Problematik. Hier bestimmt die klinische Realität, d. h. die zur Verfügung stehenden Therapie-Optionen und relevanten Differenzialdiagnosen, den Umfang der immunhistologischen Bemühungen.
165 14.9 · Gewebebank
Bei histologisch eindeutiger Diagnose der Tumorentität wird die Immunhistologie zur Prognoseabschätzung und Erarbeitung von Therapieoptionen eingesetzt. Dies gilt beispielsweise für die Bestimmung der Proliferationsrate bei gut differenzierten endokrinen Tumoren des Gastrointestinaltrakts und die Bestimmung zellmembranständiger Rezeptoren bei geplanter Gabe therapeutischer Antikörper.
und Virusinfektionen. Für tumorbezogene Fragestellungen (z. B. endokrine Differenzierung bei undifferenzierten Tumoren) wird sie nur noch selten eingesetzt. Für die optimale Auswertung elektronenmikroskopischer Analysen ist nach Probenentnahme eine rasche Fixierung in Glutaraldehyd Voraussetzung. Die Aussagekraft einer Untersuchung an formalinfixiertem Material ist eingeschränkt.
14.7.2 Molekularpathologie
14.8
Der Einsatz molekularer Analyseverfahren zur Bestimmung von Nukleinsäureveränderungen auf DNA- und RNA-Ebene hat in den letzten Jahren exponentiell zugenommen. Grundsätzlich unterscheidet man bei den molekularen Analyseverfahren In-situ-Techniken, bei denen Nukleinsäuren am Paraffinschnitt bei erhaltener Morphologie (meist fluoreszenzmikrokopisch) untersucht werden, von Polymerase-Ketten-Reaktionen (PCR), die eine Isolierung von DNA oder RNA nach Homogenisierung des Gewebes voraussetzen. Beide Verfahren bedürfen der vorherigen und abschließenden Beurteilung durch einen Pathologen. Bei den PCR-basierenden Verfahren ist die Auswahl eines Schnittpräparates oder eines Schnittpräparatbereichs mit möglichst hohem Tumorgewebsgehalt notwendig, um falsch negative Befunde, erhoben an nicht tumorösen Zellen oder weitgehend nekrotischem Tumormaterial, zu vermeiden. Wie die Immunhistologie kommt die Molekularpathologie zum einen differenzialdiagnostisch zum Einsatz, zum anderen dient sie der Bestimmung gezielter Therapieoptionen. Einige Sarkome besitzen eine für diese Tumoren charakteristische Veränderung der Erbinformation, die in der Regel durch eine chromosomale Translokation, seltener durch Punktmutationen hervorgerufen wird. So ist die histologische oder immunhistologische Unterscheidung eines synovialen Sarkoms von einem malignen peripheren Nervenscheidentumor in Einzelfällen schwierig bis unmöglich. Hier kann die Untersuchung auf eine für synoviale Sarkome pathognomonische Translokation entscheidender Hinweis für die korrekte Diagnose sein. Deutlich zunehmend sind mit Einführung therapeutisch anwendbarer, spezifischer Antikörper-Therapien die molekularen Analysen tumorassoziierter Mutationen. Dies gilt im viszeralen Bereich insbesondere für den Mutationsstatus des k-ras-Onkogens bei Kolonkarzinomen, der über die Anwendung einer Antikörper-gestützten Blockade des EGF-Rezeptors entscheidet, oder die Resistenzprüfung von gastrointestinalen Stromatumoren durch Sequenzanalyse des kit-Gens.
Der pathomorphologische Befund bildet zusammen mit anderen diagnostischen Untersuchungen eine wesentliche Grundlage der rationalen Therapieplanung sowie der Qualitätssicherung. Das geeignete Instrument zur Synthese der Befunde, zur Abklärung schwieriger oder kontroverser Konstellationen oder auch Diskussion neuer Therapieoptionen sind interdisziplinäre Konferenzen, d. h. klinisch-pathologische Konferenzen oder Tumorboards. Wesentlich für den Erfolg dieser Konferenzen sind neben der kompetenten Beteiligung aller Fachrichtungen und einer rechtzeitigen Planung und Information der Beteiligten, eine gezielte Vorbereitung sowie standardisierte Modalitäten der Entscheidungsfindung. Zudem sind interdisziplinäre Konferenzen ein wichtiges Instrument der Aus- und Weiterbildung.
14.7.3 Elektronenmikroskopie Die Elektronenmikroskopie ist speziellen diagnostischen Fragestellungen vorbehalten. Ihr Einsatz ist dann sinnvoll, wenn sich pathologisch relevante Befunde aufgrund ihrer Größe und subzellulären Lokalisation der optischen Auflösung der Lichtmikroskopie entziehen. Dies gilt zum einen für Erkrankungen der Niere, zum anderen für Stoffwechselkrankheiten
14.9
Interdisziplinäre Konferenzen
Gewebebank
In Gewebebanken wird ein für die Diagnostik primär nicht relevanter Anteil eines Tumors oder von Normalgewebe asserviert und steht als qualitativ hochwertiges Gewebematerial für zukünftige Analysen zur Verfügung. Der Pathologe nimmt bei der Asservierung des Gewebes eine wichtige Rolle ein, da er die für das Tumorstaging und die Beurteilung der Resektionsränder entscheidenden Stellen eines Präparates kennt und somit sicherstellt, dass die klinische Diagnostik nicht beeinträchtigt wird. Die Gewebeentnahme ohne Beteiligung eines befassten Pathologen kann daher negative Auswirkungen auf die diagnostische Beurteilbarkeit des Resektates haben und sollte daher vermieden werden.
Gewebebanken stellen heutzutage die wichtigsten Ressourcen- und Technologieplattformen für die biomedizinische Forschung dar.
Die Pathologie spielt hierbei die zentrale Rolle, da sie nicht nur die Koordinierung mit den diagnostischen Abläufen gewährleistet, sondern durch ihre Erfahrung im Umgang mit Geweben (Asservierung, Aufarbeitung) und im gewebebezogenen Qualitätsmanagement [(»standard operating procedures«; SOP), Exit-Kontrolle der Gewebe vor Ausgabe, neuerdings auch Akkreditierung] die Umsetzung der »good scientific practice« gewährleistet. Ein funktionierendes Gewebebanking zählt zu den zentralen Anliegen eines forschungsaktiven
14
166
Kapitel 14 · Grundlagen der diagnostischen Beurteilung von Biopsie, Zytologie und Resektat
Standortes und erfordert eine Vernetzung mit weiteren Plattformstrukturen, wie klinische Dokumentation, Datenmanagement, Studienzentralen, Bildanalytik und Bioinformatik (Herpel et al. 2008).
Literatur
14
Association of Directors of Anatomic and Surgical Pathology (1996) Recommendations for the reporting of resected large intestinal carcinomas. Am J Clin Path 106: 12–15 Association of Directors of Anatomic and Surgical Pathology (1998) Recommendations for the reporting of pancreatic specimens containing malignant tumors. Hum Path 29: 893–895 Association of Directors of Anatomic and Surgical Pathology (2000) Recommendations for the reporting of resected esophageal carcinomas. Virchows Arch 437: 348–350 Becker K, Mueller JD, Schulmacher C et al. (2003) Histomorphology and grading of regression in gastric carcinoma treated with neoadjuvant chemotherapy. Cancer 98: 1521–1530 Deinlein P, Reulbach U, Stolte M, Vieth M (2003) Risk factors for lymphatic metastasis from pT1 colorectal adenocarcinoma. Pathologe 24:387–393 Herpel E, Koleganova N, Schirmacher P (2008) Tissue bank of the National Centre for Tumour Disease. An innovative platform for translational tumour research. Pathologe 29 Suppl 2:204–9 Ibrahim NBN (2000) Guidelines for handling oesophageal biopsies and resection specimens and their reporting. J Clin Path 53: 89–94 Schlemper RJ, Riddell RH, Kato Y, Borchard F, Cooper HS, Dawsey SM, Dixon MF, Fenoglio-Preiser CM, Fléjou JF, Geboes K, Hattori T, Hirota T, Itabashi M, Iwafuchi M, Iwashita A, Kim YI, Kirchner T, Klimpfinger M, Koike M, Lauwers GY, Lewin KJ, Oberhuber G, Offner F, Price AB, Rubio CA, Shimizu M, Shimoda T, Sipponen P, Solcia E, Stolte M, Watanabe H, Yamabe H (2000) The Vienna classification of gastrointestinal epithelial neoplasia. Gut 47: 251–255 Weber A, von Weyhern C, Fend F, Schneider J, Neu B, Meining A, Weidenbach H, Schmid RM, Prinz C (2008) Endoscopic transpapillary brush cytology and forceps biopsy in patients with hilar cholangiocarcinoma. World J Gastroenterol 14:1097–1101
15 15
Wächterlymphknotendetektion A. Sendler
15.1
Grundlagen
15.2
Technik
15.2.1 15.2.2 15.2.3
Farbstoffmarkierung – 168 Radiokolloidmarkierung – 168 Histopathologie – 169
15.3
Ösophaguskarzinom
15.4
Magenkarzinom
15.5
Kolorektale Karzinome Literatur
– 168
– 168
– 172
– 170
– 170 – 171
168
Kapitel 15 · Wächterlymphknotendetektion
> Die klinische Einführung des Sentinel-Lymphknotenkonzepts erfolgte 1992 durch Morton et al. mit der Detektion von Lymphknotenmetastasen beim malignen Melanom. Giuliano et al. wandten das Verfahren ab 1994 auch beim Mammakarzinom an. Mittlerweile wurde die Validität des SentinelLymphknotenkonzepts für das maligne Melanom und das Mammakarzinom in zahlreichen groß angelegten Studien belegt (Morton et al. 2005; Veronesi et al. 2003). Bei diesen Tumoren der Hautoberfläche ist inzwischen das Sentinelnode-Konzept fest in der klinischen Routine etabliert. Bei beiden Tumorentitäten wird bei negativem Sentinel-Lymphknoten eine systematische Lymphadenektomie nicht mehr durchgeführt. Die fokussierte Entnahme des/der Sentinel-Lymphknoten – ggf. auch auf minimal-invasivem Wege – ermöglicht eine exakte Diagnostik der lymphatischen Metastasierung mit deutlich herabgesetzter Morbidität für den Patienten (Schrenk et al. 2000). Eine sichere Aussage über den tatsächlichen Lymphknotenstatus bei gastrointestinalen Tumoren bietet bisher nur die postoperative pathohistologische Aufarbeitung des Präparats. Die systematische Lymphadenektomie geht dabei mit einer Erhöhung der postoperativen Morbidität einher. Auch bei gastrointestinalen Tumoren wird nun versucht, durch sichere Detektion des Sentinel-Lymphknotens die radikale Lymphadenektomie zu vermeiden. Dazu könnte ebenfalls durch genaue Analyse des »lymph node at risk« die Indikation zu adjuvanten Therapie durch ein Up-Staging (z. B. Kolonkarzinom) erweitert werden. Beim Mammakarzinom kam es nach Einführung der Sentinel-Lymphknotenbiopsie zu einem vermehrten Nachweis von Tumoren eines nodalpositiven Stadiums II, welche zuvor dem nodal-negativen Stadium I zugeordnet worden wären (Weaver 2003).
15.1
15
Grundlagen
Wächterlymphknoten oder »Sentinel«-Lymphknoten sind definiert als der erste bzw. die ersten Drainagelymphknoten eines Tumors. Der oder die Sentinel-Lymphknoten sind gleichsam Filterstationen von freigesetzten Tumorzellen zu Beginn der lymphatischen Metastasierung. Damit besitzen sie die höchste Wahrscheinlichkeit, im Rahmen der frühen lymphogenen Metastasierung Mikrometastasen zu beherbergen. Das Sentinel-Lymphknotenkonzept postuliert ein – zumindest bei der beginnenden Metastasierung – sukzessiv geordnetes und gerichtetes Auftreten von Lymphknotenmetastasen. Es setzt voraus, dass diejenigen Lymphknoten, die über afferente Lymphbahnen unmittelbar mit dem Primärtumor verbunden sind, auch diejenigen Lymphknoten sind, die im Rahmen des Metastasierungsprozesses zuerst befallen werden. Die sog. Skip-Metastasierung (Überspringen von Lymphknotenstationen, d. h. primäres Auftreten im Kompartiment II ohne Metastasen im Kompartiment I) tritt demnach kaum oder nicht auf. Im zeitlichen Ablauf der lymphogenen Metastasierung muss es somit einen Zeitpunkt geben, zu welchem die Sentinel-Lymphknoten die einzigen befallenen Lymph-
knoten sind. Ebenso ist zu diesem Zeitpunkt die Tumorlast in diesen Sentinel-Lymphknoten noch geringer als zu einem späteren Zeitpunkt mit klinischem Nachweis einer Metastase. Sentinel-Lymphknoten können somit ein Indikator des Tumorbefalls der nachgeschalteten Lymphknoten sein.
15.2
Technik
Generell werden die Farbstoffmarkierung und die Radiokolloidmarkierung zum Nachweis von Sentinel-Lymphknoten eingesetzt (Kitagawa et al. 2005). Beide Verfahren werden oft kombiniert, um eine höhere Sensitivität der Methodik zu erreichen (Albertini et al. 1996).
15.2.1 Farbstoffmarkierung Bei der Farbstoffmarkierung werden einige Milliliter eines lymphgängigen Blaufarbstoffs (Patentblau V, Lymphazurin) intraoperativ peritumoral injiziert. Nach einem Intervall von 5–10 min lassen sich die angefärbten Lymphbahnen identifizieren. Die markierten Lymphknoten werden entnommen und der histopathologischen Aufarbeitung zugeführt. Es steht hierzu nur ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung, da sich die markierten Lymphknoten bald wieder entfärben. Die Applikation des Farbstoffes kann sowohl in situ subserös als auch endoskopisch submukös erfolgen. Bei der subserösen Applikation besteht die Gefahr der Kontamination des Operationsfeldes mit der Blaulösung, wodurch eine sichere Identifikation der Lymphbahnen erheblich erschwert wird. Die endoskopisch submuköse Injektion macht nur am oberen Gastrointestinaltrakt sowie am Rektum Sinn, am Kolon würde es durch den prozeduralen Zeitaufwand zu einem zu schnellen Auswaschen des Farbstoffs kommen. Am thorakalen Ösophagus sind die regionalen Lymphknoten häufig anthrakotisch verändert und erschweren so den Nachweis der Farbstoffmarkierung. Beim Ösophagus- und Rektumkarzinom ist außerdem die intraoperative Beobachtung der drainierenden Lymphbahnen nicht ohne vorangehende operative Mobilisation des befallenen Organabschnitts möglich, eben diese Mobilisation führt jedoch zu einer Zerstörung der Lymphbahnen. Allergische Reaktionen treten in bis zu 1% der Fälle auf (Leong et al. 2000) auf und finden sich häufiger als bei den Radiokolloidtracern. Vorteilhaft ist der geringe logistische und finanzielle Aufwand. Zur Sentinel-Lymphknotendetektion beim Magenkarzinom wird seit kurzem IndozyaninGrün als Tracer eingesetzt. Hiermit ist intraoperativ ein sog. »fluorescence imaging« möglich (Tajima et al. 2009)
15.2.2 Radiokolloidmarkierung Die Radiokolloidmarkierung erfolgt präoperativ durch endoskopisch submuköse Injektion weniger Milliliter eines Radiokolloids peritumoral. Üblich ist die Verwendung einer Tc99mKolloid-Suspension, die Kolloidpartikel wandern innerhalb weniger Stunden nach Applikation in die Sentinel-Lymph-
169 15.2 · Technik
knoten und verbleiben dort für mehr als 20 h. Intraoperativ erfolgt dann die Detektion der markierten Lymphknoten durch eine handgeführte Gammasonde. Durch die im Vergleich zur Farbstoffmarkierung deutlich längere Speicherung des Radiokolloids in den Sentinel-Lymphknoten kann diese ohne Zeitdruck erfolgen und ist auch noch ex vivo am Präparat möglich. Nach der Resektion kann der Operationssitus auf verbliebene Restaktivität als Hinweis auf eine aberrante lymphatische Drainage abgesucht werden, ebenso kann eine präoperative Lymphknotenszintigraphie sich als nützlich für den Nachweis von Sentinel-Lymphknoten außerhalb des definierten Lymphabflusses erweisen. Im Gegensatz zur Farbstoffmarkierung muss nicht wie oben beschrieben vor der Markierung eine weitgehende Mobilisation des betreffenden Organabschnitts erfolgen, die Detektion gelingt auch durch dickere Gewebsschichten und verringert so das operative Zugangstrauma. Die Radiokolloidmarkierung ist kostenintensiver und erfordert einen erheblich höheren logistischen Aufwand als die Farbstoffmarkierung. Zwingend ist hier die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem Nuklearmediziner, ferner muss meistens für die Operationsräume eine eigene Umgangsgenehmigung mit radioaktiven Stoffen behördlich eingeholt werden. Radioaktiv markierte Lymphknoten bedürfen keiner besonderen Vorsichtsmaßnahmen bezüglich der Strahlenexposition von Chirurgen und Pathologen, vollständige Tumorpräparate, z. B. nach Lumpektomie, führen jedoch zu einer höheren Strahlenexposition und sollten erst nach abklingen der Dosisrate weiter bearbeitet werden (Stratmann et al. 1999). Die organspezifischen Vor- und Nachteile beider Verfahren werden in den jeweiligen Organkapiteln näher beleuchtet, insgesamt hat sich in einigen Abschnitten des Gastrointestinaltrakts die Dual-Tracer-Methode mit Minimierung der technischen Fehler einer einzelnen Methode als Standard für die Sentinel-Lymphknotendetektion etabliert (Kitagawa et al. 2002).
15
15.2.3 Histopathologie Um eine hinreichend genaue Aussage über den Lymphknotenstatus eines Tumors machen zu können ist neben der Anzahl der resezierten Lymphknoten auch die Güte und die Genauigkeit der histopathologischen Aufarbeitung des einzelnen Lymphknotens entscheidend. Die standardmäßige histopathologische Aufarbeitung von Lymphknoten beinhaltet die Zweiteilung der Lymphknoten mit anschließender Hämatoxylin-Eosin(HE)-Färbung. Die Anfertigung von Serienschnitten erlaubt im Gegensatz hierzu eine Untersuchung multipler Level eines einzelnen Lymphknotens und ermöglicht somit die Detektion wesentlich kleinerer Tumordeposits (. Abb. 15.1a). Ebenso erweisen sich immunhistochemische Färbetechniken als wesentlich sensitiver im Nachweis von Tumorzellen als die HE-Färbung. Eine intensivierte histopathologische Aufarbeitung, ein sog. »Ultrastaging«, aller bei einer Lymphadenektomie entnommenen Lymphknoten durch die genannten Verfahren ist aufgrund des erheblichen logistischen und finanziellen Aufwands nicht praktikabel. Die Sentinel-Lymphknotendetektion ermöglicht hier die fokussierte intensivierte Aufarbeitung lediglich einzelner Lymphknoten. Durch verfeinerte Färbetechniken, immunhistochemische und molekularpathologische Verfahren kann so der Nachweis von Mikrometastasen oder isolierten Tumorzellverbänden erbracht werden (. Abb. 15.1b). Die Etablierung standardisierter Aufarbeitungsverfahren für die einzelnen Tumorentitäten wäre hier wünschenswert, ebenso eine genauere Definition der Begriffe Mikrometatasen, isolierte Tumorzellverbände und Microinvolvement. Auch die prognostische Bedeutung dieser Art des metastatischen Lymphknotenbefalls im Vergleich zu makroskopisch nachgewiesenen Metastasen muss noch definiert werden. Im StagingSystem der UICC (2002) werden positive SLND in der N-Kategorie als Metastasen aufgeführt, jedoch mit dem Suffix (sn). Im AJCC-Staging-System werden Mikrometastasen, welche
a
b . Abb. 15.1a,b. Serienschnittaufarbeitung. a Histopathologische Aufarbeitung des Sentinel-Lymphknotens mittels Serienschnitten. b SLND mit einer Mikrometastase
170
Kapitel 15 · Wächterlymphknotendetektion
nur durch immunhistochemische oder molekularbiologische Verfahren nachweisbar sind, weiterhin dem Stadium N0 zugeordnet, ihr Vorhandensein findet jedoch in den Unterklassifikationen pN0(i+/-) oder pN0(mol-/-) Berücksichtigung (Green et al. 2002).
15.3
Fasst man diese Daten zusammen, ist die Detektion von Sentinel-Lymphknoten beim Ösophaguskarzinom derzeit ein experimentelles Verfahren, das nur im Rahmen von klinischen Studien angewendet werden sollte.
Ösophaguskarzinom 15.4
15
Die Sentinel-Lymphknotendetektion gestaltet sich für das Ösophaguskarzinom schwieriger als für andere Tumorlokalisationen. Dies liegt zum einen an den komplexen lymphatischen Drainagewegen des Ösophagus, die ausführlich von Liebermann-Meffert u. Stein 2007 beschrieben wurden. Sentinel-Lymphknoten sind beim Ösophaguskarzinom multipel und weit verstreut vom zervikalen bis zum abdominellen Echelon (Takeuchi et al. 2009). In mehr als 80% der Fälle ist zumindest ein Sentinel-Lymphknoten im zweiten oder dritten Kompartiment der regionalen Lymphknoten lokalisiert (Kitagawa et al. 2000). Beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus findet sich zudem häufig bereits in frühen Tumorstadien eine Lymphangiosis carcinomatosa, wodurch sich der Lymphabfluss nicht mehr sicher durch die Sentinel-Lymphknotentechnik darstellen lässt (Burian et al. 2004). Die Farbstoffmarkierung erscheint beim Ösophaguskarzinom aufgrund des zur Verfügung stehenden kurzen Zeitfensters und der erforderlichen ausgedehnten Mobilisation vor Farbstoffapplikation mit Zerstörung der drainierenden Lymphbahnen nicht geeignet (Kitagawa et al. 2004). Bevorzugt wird hier die Radiokolloidmarkierung, die zudem eine präoperative Lymphknotenszintigraphie ermöglicht. Hierdurch können eventuell tumorferne Lymphknotenmetastasen an unerwarteten Lokalisationen detektiert werden. Dies könnte wiederum nicht nur das chirurgische Resektionsausmaß, sondern auch die Ausdehnung des Bestrahlungsfeldes im Rahmen einer Radiochemotherapie beeinflussen. Die Interpretation der Befunde der Radiokolloidmarkierung wird allerdings durch Überstrahlungseffekte, bedingt durch die enge räumliche Beziehung des Primärtumors zu den SentinelLymphknoten, oft erschwert (Udagawa et al. 2005). Die Inzidenz von Karzinomen des gastroösophagealen Übergangs einschließlich des Barrett-Karzinoms ist in den westlichen Ländern ansteigend (Vizcaino et al. 2002). Untersuchungen von Feith et al. 2003 haben gezeigt, dass bei dieser Tumorentität die Lymphknotenmetastasierung zu einem späteren Zeitpunkt beginnt und somit bei Frühkarzinomen Lymphknotenmetastasen weit seltener vorliegen und meist lokoregional begrenzt sind. Die individualisierte Ausdehnung von Resektion und Lymphadenektomie basierend auf dem Sentinel-Lymphknoten-Mapping könnte hier ein entscheidender Faktor in der Indikationsstellung zur radikalen Lymphadenektomie werden (Stein et al. 2002). Erste Studienergebnisse an einem kleinen Kollektiv (n=20) zeigten eine Detektionsrate von 85% bei Einbeziehung von AEG-I–III-Tumoren, wobei durch Einschluss lokal fortgeschrittener Tumorstadien mit ausgeprägter Lymphangiosis carcinomatosa in 25% falsch-negative Ergebnisse auftraten (Burian et al. 2004).
Magenkarzinom
Bedingt durch die Rotation während der Embryogenese ist die lymphatische Drainage des Magens komplex. Ebenso sind unerwartete Lokalisationen von Metastasen nicht selten und lassen sich durch aberrante Drainagerouten des Primärtumors erklären. Bei bis zu 38% der Magenkarzinome finden sich die ersten Lymphknotenmetastasen außerhalb der perigastralen Lymphknoten (Sano et al. 2000) Bereits bei Frühkarzinomen mit Infiltration der Submukosa liegen in bis zu 23% der Fälle Lymphknotenmetastasen vor. Zurzeit stellt daher die D2-Lymphadenektomie gemäß der Klassifikation der Japanese Gastric Cancer Association 1998, auch bei klinisch nodal-negativen Tumoren, den chirurgischen Standard beim Magenkarzinom dar. Allerdings führt diese erweiterte Lymphadenektomie zu einer nicht unerheblichen Steigerung von Morbidität und Mortalität. Sie ist Gegenstand fortgesetzter Diskussionen, insbesondere da nur Subgruppen von der D2-Lymphadenektomie mit einem signifikanten Überlebensvorteil profitieren (Siewert et al. 1996; Hartgrink et al. 2004). Limitierte Resektionsverfahren ohne formelle Lymphadenektomie wie partielle, auch laparoskopische Magenresektionen oder auch die endoskopische Mukosektomie sind jedoch mit dem Risiko des Vorhandenseins von Lymphknotenmetastasen behaftet. Das Sentinel-Lymphknotenkonzept bietet hier durch Darstellung des funktionellen Lymphabflusses des Primärtumors die Möglichkeit der Identifizierung des individuellen Verteilungsmusters von Lymphknotenmetastasen auch an anatomisch unerwarteten Lokalisationen. Die größten Erfahrungen hierzu wurden bislang in Japan gesammelt, bedingt durch die hohe Detektionsrate von Frühkarzinomen in dieser Region. Bewährt hat sich hier vor allem die Dual-TracerMethode mit endoskopisch submuköser Tracerapplikation, da der Tumor von der Serosaseite nicht sicher palpabel ist. Die laparoskopische Anwendung des Sentinel-Lymphknoten-Mappings steht aufgrund technischer Beschränkungen noch nicht für die routinemäßige klinische Anwendung zur Verfügung. Die intraoperative Gewinnung der SentinelLymphknoten kann auf zwei Arten erfolgen: 4 Die klassische »Pick-up-Methode« hat sich bereits beim Mammakarzinom und dem malignen Melanom bewährt (Hirotsuka et al. 2001). 4 Die von Miwa et al. 2003 propagierte »sentinel-lymphatic basin dissection« beinhaltet die fokussierte Dissektion aller durch Farbstoff- oder Radiokolloidmarkierung erfasster Lymphknoten, inkl. eines sog. »Bassins«, in das der weitere Lymphabstrom erfolgt. Erste Studien zeigen, das damit bei Frühkarzinomen eine limitierte Chirurgie sicher sein könnte (Ichikura et al. 2009). Hierdurch wurden positive Lymphknoten auch bei falsch-negativer Sentinel-Lymphknotenbiopsie gefunden.
171 15.5 · Kolorektale Karzinome
. Tab. 15.2. Ergebnisse der SLND Darstellung bei T2/T3-Magenkarzinomen (n=85), Studie der TU München (Sendler et al. 2006)
. Abb. 15.2. Intraoperative Sicherung des Sentinel-Lymphknotens bei einem pT2-Magenkarzinom an der Angelusfalte
Zahlreiche Studien (. Tab. 15.1) belegen mittlerweile die Sensitivität des Sentinel-Lymphknoten-Mappings beim Magenkarzinom. Hierauf basierend könnte ein individualisiertes, limitiertes funktionserhaltendes chirurgisches Vorgehen beim Magenkarzinom im Stadium T1N0 realisierbar sein (Kitagawa u. Kitajima 2006). Eine im Jahre 2009 publizierte prospektive Multicenterstudie von Kitagawa et al. zeigt die sichere Durchführbarkeit der SLND bei Frühkarzinomen. Bei 397 Patienten wurden 97.5 % der Sentinel-Lymphknoten detektiert, allerdings wurden durchschnittlich auch 5,5 Lymphknoten pro Patient entfernt. Die Genauigkeit (»accuracy«) war bei dieser Studie bei 99,0% die Sensitivität betrug 83% bei einer falsch-negativen Rate von 7,0%.
Das Konzept des Sentinel-Lymphknotens auch beim Magenkarzinom nur bei Frühkarzinomen und mit hoher Expertise des Zentrums anzuwenden ist. Ab der T2-Kategorie sinkt die Sensitivität des Verfahrens deutlich (. Tab. 15.2; Sendler et al. 2006).
15.5
Kolorektale Karzinome
Das Sentinel-Lymphknoten-Mapping hat aufgrund anatomischer und funktioneller Aspekte des Kolons einen relativ
Sensitivität:
81%
Negativer prädiktiver Wert
64%
Genauigkeit
86%
geringen Einfluss auf das operative Vorgehen beim Kolonkarzinom. Allenfalls die intraoperative Detektion aberranter Metastasierungswege, die nicht in das Resektionsausmaß standardisierter Lymphadenektomien fallen, könnte eine erweiterte Resektion denkbar machen. Obwohl einzelne Berichte (Bilchik et al. 2001) einen signifikanten Prozentsatz solcher aberranter Metastasierungswege aufzeigten, konnte dies in der großen deutschen Multicenter Studie von Schlag et al. 2007 nicht bestätigt werden. Die Qualität des Lymphknoten-Stagings ist beim Kolonkarzinom verbunden mit der Anzahl der untersuchten Lymphknoten. Eine gesteigerte Anzahl untersuchter Lymphknoten ist mit einer verbesserten Überlebensrate und Reduktion der Rezidivrate korreliert (LeVoyer et al. 2003). Nodal-positive Patienten werden dadurch einem fortgeschrittenen Tumorstadium zugeordnet (»stage migration«) und profitieren durch dieses Up-Staging somit von einer adjuvanten Systemtherapie, die nodal-negativen Patienten bisher verwehrt bleibt (Benson et al. 2004; Grothey u. Sargent 2005) (. Tab. 15.3). Da das Ausmaß der Lymphadektomie integraler Bestandteil der standardisierten formellen Resektionsverfahren beim Kolonkarzinom ist und zu keiner Steigerung der Morbidität des Eingriffs führt, liegt der Stellenwert des Sentinel-Lymphknoten-Mappings in der Identifikation der Lymphknoten mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von Metastasen, die dann einer intensivierten histopathologischen Aufarbeitung zugeführt werden könnten. Aufgrund des erheblichen Resourcenaufwandes ist es nämlich nicht möglich, sämtliche resezierten Lymphknoten einer Aufarbeitung durch Serienschnitte und Immunhistochemie zum Nachweis von Mikrometastasen oder isolierten Tumorzellverbänden zu unterziehen. Nach endoskopischer Abtragung früher Karzinomstufen könnte durch das Sentinel-Lymph-
. Tab. 15.1. Ergebnisse des Sentinel-Lymphknoten-Mapping beim Magenkarzinom
Autor
Anzahl Patienten (n)
Tracer
Lymphknotenpositiv (%)
Detektionsrate (%)
Sensitivität (%)
Kitagawa et al. 2002
145
Radiokolloid
95
17
100
Ichikura et al. 2002
62
Farbstoff
99
24
97
Hundley et al. 2002
14
Farbstoff
100
71
79
Gretschel et al. 2003
15
Radiokolloid
93
58
86
15
172
Kapitel 15 · Wächterlymphknotendetektion
. Tab. 15.3. Ergebnisse des Sentinel-Lymphknoten-Mapping beim Kolonkarzinom
15
Autor
Anzahl Patienten (n)
Tracer
Lymphknotenpositiv (%)
Detektionsrate (%)
Sensitivität (%)
Up-Staging (%)
Fitzgerald et al. 2002
26
Farbstoff
19
88
60
13
Paramo et al. 2002
55
Farbstoff
33
82
91
17
Kitagawa et al. 2002
56
Radiokolloid
39
91
81
Keine Angabe
Schlag et al. 2007
315
Farbstoff
31
85
54
21
knoten-Mapping mit Nachweis einer fehlenden Lymphknotenbeteiligung ein weiterer chirurgischer Eingriff vermieden werden. Die bevorzugte Markierungsweise beim Kolonkarzinom ist aufgrund der einfachen intraoperativen Zugänglichkeit die Farbstoffmarkierung (. Abb. 15.3). Die Radiokolloidmarkierung hat bedingt durch die enge räumliche Beziehung des Primärtumors zu den regionären Lymphknoten durch Überstrahlungseffekte eine geringe Sensitivität. Die aktuelle deutsche Multicenterstudie von Schlag et al. 2007 konnte lediglich eine Sensitivität von 54% unter Verwendung der Farbstoffmarkierung nachweisen, unter Berücksichtigung dieser Studienergebnisse hat das Sentinel-Lymphknoten-Mapping unter den bisherigen technischen Voraussetzungen keinen Einfluss auf das operationstechnische Vorgehen. Beim Rektumkarzinom wird in verschiedene Studien eine hohe Inzidenz lateraler Lymphknotenmetastasen entlang der Iliakalgefäße beschrieben, in einer Serie von Kitagawa 2002 bei bis zu 10% der tief sitzenden Rektumkarzinome (Moriya et al. 1997; Kitagawa et al. 2002). Ein systematischer Vorteil der erweiterten pelvinen Lymphadenektomie lässt sich nicht konstant nachweisen, wohl aber eine gesteigerte Morbidität mit Beeinflussung der postoperativen Lebensqualität durch Zerstörung autonomen Nervengewebes. Eine selektive und partielle laterale Lymphknotendissektion auf der Basis des Senti-
. Abb. 15.3. Sentinel-Lymphknoten bei einem Colon-transversumKarzinom (Pfeile)
nel-Lymphknoten-Mappings könnte hier also vorteilhaft für ein akkurates Staging sowie eine effektive Lymphadenektomie sein. Unklar ist bisher der Einfluss einer präoperativen neoadjuvanten Radiochemotherapie auf die Sentinel-Lymphknotendetektion. Während in einzelnen Studien eine Sensitivität bis zu 91% beschrieben wird (Saha et al. 2006), fanden Braat et al. 2005 nach neoadjuvanter Therapie lediglich eine Sensitivität von 40%. Technisch erweist sich das Sentinel-LymphknotenMapping am Rektum als schwierig. Die Farbstoffmethode würde zur Applikation des Tracers bereits eine ausgiebige Mobilisation des Rektums mit hierdurch bedingter Zerstörung der Lymphbahnen erfordern. Ebenso verbietet sich intraoperativ eine Dissektion des Mesorektums zum Aufsuchen der Sentinel-Lymphknoten. Die Radiokolloidmarkierung hat den Nachteil einer intraoperativ geringen Sensitivität aufgrund von Überstrahlungseffekten durch die enge räumliche Nähe von Primärtumor und Lymphknoten. Nach Entfernung des Resektates allerdings können dann ohne das Risiko von Überstrahlungsartefakten die lateralen Lymphknoten beurteilt werden. Die Sentinel-Lymphknotendetektion am Präparat kann nach Separierung des Mesorektums vom Präparat erfolgen.
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15
16 16
Diagnostische Laparoskopie H. Feussner
16.1
Definition
– 176
16.1.1
Grundlagen
– 176
16.2
Technische Durchführung
– 176
16.3
Diagnostisches Spektrum
– 178
16.3.1 16.3.2
Staging – 178 Weitere Indikationen
16.4
Komplikationen, Fehler und Gefahren Literatur
– 183
– 182
– 183
176
Kapitel 16 · Diagnostische Laparoskopie
> Die diagnostische Laparoskopie ist heute eine wichtige Ergänzung des prätherapeutischen Stagings vor multimodalen Therapiekonzepten bei gastrointestinalen Tumoren. In der sog. erweiterten diagnostischen (chirurgischen) Laparoskopie (EDL) können alle anatomischen Regionen inspiziert werden. Mit der laparoskopischen Ultraschalldiagnostik, die heute unverzichtbarer Bestandteil der EDL ist, kann auch die dritte Dimension (parenchymatöse Organe, Lymphknoten, Retroperitoneum etc.) eingesehen werden. Der Wert der EDL als komplementäre Maßnahme zur modernen bildgebenden Diagnostik konnte für das Adenokarzinom der Speiseröhre und des Magens nachgewiesen werden. In besonderen Fällen ist auch der Einsatz beim Pankreaskarzinom und bei primären oder sekundären Läsionen der Leber sinnvoll. Die Untersuchung ist aufwändig und invasiv, sodass sie nur bei fortgeschrittenen Tumorstadien, bei denen eine multimodale Therapie in Frage kommt, indiziert ist.
Die EDL sollte stets neben der gezielten chirurgischen Exploration primär nicht einsehbarer Regionen auch die diagnostische Lavage und die Durchführung einer laparoskopischen Ultraschalluntersuchung beinhalten.
16.1.1 Grundlagen Die erweiterte diagnostische Laparoskopie (EDL) ist ein eigenständiger minimal-invasiver chirurgischer Eingriff, der (noch) in Vollnarkose durchgeführt werden muss. Neben dem üblichen laparoskopischen Instrumentarium sowie dem Videoturm (Monitor, Gasinsufflator, Kamerakontrolleinheit, SaugSpül-Gerät, Videorekorder) ist ein laparoskopisches Ultraschallgerät mit der Möglichkeit des Bildsplittings (Darstellen von laparoskopischem und sonographischem Bild auf einem Monitor) erforderlich. Cave
16.1
16
Definition
Unter Laparoskopie in traditionellem (internistischen) Sinn versteht man die endoskopische Inspektion der Bauchhöhle. In der ursprünglichen Durchführungsweise konnten Teile der Oberfläche von Leber, Milz, Gallenblase, Magen, Dünnund Dickdarm sowie das Peritoneum parietale eingesehen werden. Die Methode wurde erstmals 1902 von Kelling erwähnt und der erste klinische Einsatz 1911 von Jacobaeus beschrieben (Jacobaeus 1911). Umfangreiche Untersuchungen u. a. von Kalk (1929) und Wildhirt popularisierten die Methode in der inneren Medizin zu Beginn der 30er-Jahre, bis sie dann infolge der rapiden Fortschritte moderner bildgebender Verfahren (CT, Sonographie) in den 70er-Jahren rasch an Bedeutung verlor. Mit Beginn der laparoskopischen Chirurgie wurde auch die diagnostische Laparoskopie »wiederentdeckt«, wozu nicht nur eine inzwischen nüchternere Beurteilung der Leistungsfähigkeit moderner bildgebender Verfahren beitrug, sondern auch die erhebliche Erweiterung des Untersuchungsverfahrens durch die Verbesserung der Untersuchungstechnik (laparoskopisch-chirurgische Exploration primär nicht einsehbarer Bereiche), sowie die Einbeziehung wertvoller Zusatzuntersuchungen (laparoskopischer Ultraschall, Peritoneallavage). Mit der erweiterten (chirurgischen) diagnostischen Laparoskopie (EDL) können heute pathologische Prozesse im Abdominalraum und das Ausmaß ihrer Ausdehnung mit großer Sicherheit und Zuverlässigkeit diagnostiziert werden. Die Indikation zu diesem invasiven und vergleichsweise aufwändigen diagnostischen Vorgehen hängt von der nötigen Präzision der prätherapeutischen Diagnostik ab. In erster Linie kommt die EDL daher vor geplanten neoadjuvanten Therapiekonzepten oder zur eindeutigen Sicherung einer schon vorab anzunehmenden Irresektabilität (z. B. Pankreaskarzinom) in Frage. Besonders attraktiv ist in letzteren Fällen dann auch die Möglichkeit einer minimal-invasiven Palliation.
Allfällige Komplikationen, die eine rasche Konversion zum offenen Weiterführen der Operation notwendig machen können, lassen das Vorhalten von konventionellem Operationsinstrumentarium ratsam erscheinen.
16.2
Technische Durchführung
Die Positionierung von Operationsteam und Ausrüstung richtet sich nach dem zu erwartenden Hauptbefund. Für die EDL bei Karzinomen im Oberbauch steht der Operateur auf der rechten Seite des Patienten. Der Videoturm ist in Höhe der linken Schulter des Patienten positioniert, damit für die wesentlichen Teile des Eingriffes die korrekte optische Ausrichtung (Operateur-Befund-Monitor) gegeben ist. Es werden mindestens 3 Trokare benötigt, die ggf. durch 2 weitere Trokare ergänzt werden (. Abb. 16.1). Die technische Durchführung sollte stets standardisiert erfolgen (7 Übersicht), um zuverlässige Informationen zu erhalten (Greene 1999; Hülscher et al. 2000). Ablauf der erweiterten diagnostischen Laparoskopie 4 Inspektion des Oberbauchs (Anti-TrendelenburgPosition) 4 Inspektion des Unterbauchs (Trendelenburg Lagerung) 4 Gezielte chirurgische Exploration (u. a. Bursa omentalis, ggf. Hiatus, Kolonflexur etc.) 4 Lavage (Gewinnung von Spülflüssigkeit für die zytologische Diagnostik) 4 Laparoskopische Ultraschalldiagnostik 4 Biopsieentnahme
Zu Beginn der Untersuchung wird der Patient in die sog. AntiTrendelenburg-Lage gebracht. Nach Anlage des Pneumoperitoneums in typischer Weise und unter Berücksichtigung der
177 16.2 · Technische Durchführung
. Abb. 16.1. Trokarinsertionsstellen für die EDL
üblichen Sicherheitskautelen wird der erste 12-mm-Trokar im Bereich des Nabels eingebracht. Bei etwaigen technischen Schwierigkeiten sollte das halboffene Einführen des Trokars (Hasson-Technik) erfolgen. Nach Einführung der 30°-Optik wird zunächst eine orientierende Inspektion des Abdomens (Verwachsungen, eventuelle Läsionen des Intestinums durch die vorausgegangene Punktion) durchgeführt. Danach wird der erste 5-mm-Trokar an der Punktionsstelle T2 eingeführt. Die eigentliche Inspektion beginnt im linken Oberbauch. Dabei wird immer erst das Peritoneum parietale mit nach ventral gerichteter 30°-Optik sorgfältig inspiziert, wobei das Teleskop relativ nahe herangeführt wird, um frühe Manifestationen einer parietalen Peritonealkarzinose nicht zu übersehen. Für die Inspektion des viszeralen Peritoneums sowie des linken Leberlappens, der Magenvorderwand, des Netzes und der Milz wird das Teleskop gedreht. Nach ebenfalls schrittweiser und sorgfältiger Inspektion der genannten Organe wird über den Trokar T2 ein Elevatorium eingeführt, mit dem der linke Leberlappen hochgehoben wird, sodass jetzt die Unterfläche des linken Leberlappens, die Kardia und kleine Kurvatur des Magens einschließlich des Omentum minus für die Betrachtung zugänglich sind. Die Kamera wird nun unter dem Lig. falciforme hindurch nach rechts geschwenkt. Die Untersuchung des rechten Oberbauchs beginnt ebenfalls zunächst mit der Inspektion des parietalen Peritoneums; es folgt die schrittweise Musterung des rechten Leberlappens einschließlich des Lig. falciforme
und der Margo inferior. Mit über dem T2 eingeführten Elevatorium wird der rechte Leberlappen angehoben, sodass auch Leberpforte und Gallenblase eingesehen werden können. Nach Inspektion des Oberbauchs wird der Patient in die Trendelenburg-Position umgelagert. Die Kamera wird über den rechten Mittelbauch in den Unterbauch geschwenkt, wobei Colon ascendens, Zökum, die rechten Iliakalgefäße und das kleine Becken inspiziert werden. Am tiefsten Punkt übernimmt der Operateur die Kamera und schwenkt sie über den Mittelbauch zurück. Über die Inspektion des linken Mittelbauchs erfolgt dann die weitere Inspektion des Unterbauchs und des Douglas-Raums. Beim weiblichen Patienten muss der Uterus mit einer über T2 eingebrachten Fasszange angehoben werden. Die visuelle Exploration des Bauchraums wird bei Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts immer durch die Inspektion des retrogastralen Raums einschließlich des Pankreas ergänzt. Dazu werden im Bereich des linken Mittelbauchs die Trokare T3 (12 mm) und T4 (5 mm) eingesetzt. Die große Kurvatur wird mit einer über T2 eingebrachten Fasszange angehoben, sodass sich das Lig. gastrocolicum anspannt. Mittels einer über T4 und T5 eingebrachten Fasszange und Schere kann ein Fenster im weitgehend avaskulären oder nur von kleineren Gefäßen durchzogenen Areal unterhalb der A. gastroepiploica dextra eröffnet werden (. Abb. 16.2). Die Öffnung muss soweit erweitert werden, dass das Teleskop sowohl von Inzision T1 wie auch T3 aus eingeführt werden kann.
16
178
Kapitel 16 · Diagnostische Laparoskopie
. Abb. 16.2. Exploration der Bursa omentalis
Die dorsale Magenwand im Fundusbereich und das Pankreaskorpus werden über Inzision T1 gespiegelt. Im zwei-
16
ten Schritt wird das Teleskop in den Trokar T3 umgesetzt und befindet sich damit im richtigen Winkel, um auch die dorsale Antrumwand und den Pankreaskopf ausspiegeln zu können. Über T4 kann ein Elevatorium eingesetzt werden, um die Magenhinterwand für eine bessere Übersicht anzuheben. Beim laparoskopischen Staging von distalen Ösophagusbzw. Kardiakarzinomen ist die Inspektion der Zwerchfellschenkel indiziert. Dazu wird zunächst die peritoneale Umschlagsfalte über dem ösophagokardialen Übergang gespalten. Beide Zwerchfellschenkel können dann stumpf/scharf präpariert werden. Danach wird der Ösophagus von rechtslateral angehoben, sodass auch die hintere Kommissur der Crura inspiziert werden kann. Im nächsten Schritt erfolgt die Peritoneallavage zur Gewinnung einer Spülzytologie. Etwa 500 ml physiologischer Kochsalzlösung werden in die Peritonealhöhle instilliert und anschließend mit einem Schlürfsauger wieder aspiriert. Für die nachfolgende Ultraschalldiagnostik (Feussner et al. 1994) verbleibt das Teleskop vorläufig in T3. Die Ultraschallsonde wird über T1 eingeführt (. Abb. 16.3a), sodass der linke Oberbauch untersucht werden kann. Dazu wird der linke Leberlappen in parallelen Segmenten geschnitten, wobei gleichzeitig die dorsal gelegene kleine Kurvatur des Magens eingesehen wird. Nach vollständiger Ultraschalluntersuchung des linken Leberlappens wird der Magen über die liegende Magensonde luftblasenfrei mit etwa 100–200 ml Wasser angefüllt, die Ultraschallsonde wird direkt auf den Magen aufgelegt. Die Untersuchung des Magens sowie gleichzeitig des gut sichtbaren Pankreas erfolgt in mehreren transversalen, paral-
lelen Schnitten. Anschließend erfolgt die Untersuchung des rechten Leberlappens. Nach der Untersuchung in transversalen Schnitten wird die zweite Schnittebene im rechten Winkel (axial zur Körperachse) vorgenommen. Dazu wird das Teleskop wieder auf T1 umgesetzt, die Ultraschallsonde wird von links her eingeführt (. Abb. 16.3b). Damit kann meist auch der rechte Leberlappen geschallt werden, wenn man das Lig. falciforme fenstert. Technisch ist es jedoch einfacher, im rechten Oberbauch einen 12-mm-Trokar (T5) einzubringen und die Ultraschallsonde in diesen Trokar umzusetzen. Damit kann die Optik wieder in T1 gewechselt werden, wodurch eine bessere visuelle Kontrolle der Ultraschallsondenposition im Bereich des rechten Leberlappens möglich ist. Im letzten Schritt der diagnostischen Laparoskopie werden von allen suspekten Arealen ausgiebige Biopsien entnommen. Dazu eignen sich besonders die Punktionsschallköpfe der laparoskopischen Ultraschallsonden (Hassan 2009; Mortensen 2009), die die treffsichere Materialgewinnung sehr erleichtern. Prinzipiell kommt aber auch die transkutane Punktion unter laparoskopischer Sicht in Betracht. Für parenchymatöse Organe eignet sich dazu am besten die Punktionskanüle (Tru-Cut), während Material aus oberflächlichen Läsionen mit der Probeexzisionszange gewonnen wird. Lymphknoten müssen zur Dignitätsbeurteilung entnommen und pathohistologisch untersucht werden. Nach exakter Lokalisation (Ultraschall) wird das bedeckende Peritoneum inzidiert und der Lymphknoten stumpf präpariert. Dazu wird er mit einer weich fassenden Klemme zart gegriffen und angehoben. Die in den Lymphknoten einstrahlenden zarten Gefäßstrukturen werden koaguliert, in Einzelfällen mit Clips versorgt und mit der Schere durchtrennt. Durch Hineinziehen in die Reduktionshülse kann der Lymphknoten dann geborgen werden. Anschließend lohnt es sich, die erhobenen Befunde auf einer Skizze einzutragen und in einem Kurzprotokoll stichwortartig festzuhalten.
16.3
Diagnostisches Spektrum
Prinzipiell können mit der EDL alle Abdominalorgane und -regionen dargestellt und exploriert werden. Der dafür jeweils erforderliche Aufwand muss jedoch in einem vernünftigem Verhältnis zum zu erwartenden Ergebnis und dem für den Patienten letztlich erzielbaren Nutzen stehen. In der chirurgischen Onkologie wird die Laparoskopie eingesetzt zum Staging und zum Ausschluss bzw. zum Nachweis von prognostisch bedeutsamen Zusatzerkrankungen, ggf. auch zur direkten Überprüfung der Dignität unklarer Primärbefunde.
16.3.1 Staging Die Bedeutung des prätherapeutischen Stagings hat mit der Einführung neuerer und effektiverer Formen der neoadjuvanten Behandlung erheblich zugenommen. Das prätherapeutische Staging ist eine Voraussetzung für eine stadiengerechte Therapie und für die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Therapieregimes. Wird das Tumorstadium im Staging über-
179 16.3 · Diagnostisches Spektrum
. Abb. 16.3a, b. Laparoskopische Ultraschalldiagnostik: Es sollte stets angestrebt werden, alle anatomischen Strukturen in mindestens zwei zueinander senkrecht stehenden Ebenen zu schneiden.
a Axialschnitt über die Nabelinzision, b Horizontalschnitt über den (links)lateralen Zugang
schätzt, führt dies entweder zu einer unangemessen aggressiven Behandlung oder, im schlimmeren Fall, sogar zur therapeutischen Resignation. Wird die Tumorausdehnung dagegen unterschätzt, können an sich sinnvolle neoadjuvante Maßnahmen nicht angewendet werden, und es muss eine höhere Rate an frustranen operativen Ansätzen in Kauf genommen werden, da ein eigentlich geplanter kurativer Eingriff im Sinn einer diagnostischen Laparotomie oder palliativen Maßnahme beendet werden muss. Trotz erheblicher Fortschritte in der modernen bildgebenden Diagnostik ist die Präzision in der Erfassung der TNM-Kategorien bei gastrointestinalen Tumoren noch nicht befriedigend. Am günstigsten ist die Situation bei der Erfassung der T-Kategorie, da hier mit der endoluminalen Sonographie eine verhältnismäßig verlässliche Einschätzung der Tumoreindringtiefe möglich ist. Die Erfassung des Lymphknotenstatus ist auch mit der Endosonographie bereits wesentlich problematischer, sodass zu dieser Frage die perkutane Sonographie und die Computertomographie (CT) komplementär eingesetzt werden müssen. Diese Untersuchungstechniken werden auch zum Nachweis bzw. zum Ausschluss von
Fernmetastasen eingesetzt. In einer Reihe von Studien wurde jedoch aufgezeigt, dass auch moderne bildgebende Verfahren in ihrer Treffsicherheit noch eingeschränkt sind (Hünerbein et al. 2003; Wakelin et al. 2002); insbesondere gilt dies für: 4 Kleine Lebermetastasen (=1 cm) 4 Lymphknotenbefall 4 Frühe Peritonealkarzinose 4 Infiltration von Nachbarorganen Die EDL kann bei sachgerechter Durchführung diese diagnostischen Lücken schließen, wobei jedoch Unterschiede bzgl. der einzelnen Organsysteme erkennbar sind.
Magenkarzinom Bezüglich einer eventuellen neoadjuvanten Therapie muss das Staging beim Magenkarzinom folgende Fragen beantworten: 4 Ist eine primäre Operation unter kurativem Ansatz möglich? 4 Sollte in Anbetracht eines bereits fortgeschritteneren Tumorstadiums besser eine neoadjuvante Chemotherapie durchgeführt werden?
16
180
Kapitel 16 · Diagnostische Laparoskopie
4 Ist aufgrund eines zu weit fortgeschrittenen Befundes jede radikale operative Therapie sinnlos?
16
Die Treffsicherheit der bildgebenden Verfahren wie CT, Sonographie und Endosonographie ist bezüglich dieser Fragen nur begrenzt. Bezogen auf alle T-Stadien beträgt die Genauigkeit der Endosonographie beim Magenkarzinom etwa 85% (Habermann et al. 2004; Rösch u. Classen 1992), die der CT liegt noch niedriger. Bezüglich des Lymphknotenstatus wird für die Endosonographie eine Treffsicherheit von 79--90% angegeben (Habermann et al. 2004; Rösch u. Classen 1992); für die CT beträgt sie bei Wertung aller Studien nur etwa 70%. Fernmetastasen können nur mit der transkutanen Sonographie und der CT erfasst werden. Die Sensitivität bei Lebermetastasen liegt jedoch auch nur bei etwa 66%. Die Laparoskopie als komplementäres Verfahren bietet hier entscheidende Vorteile. Da Fragen wie das Vorhandensein einer Peritonealkarzinose und die Infiltration von Nachbarorganen in der Regel bereits allein durch die visuelle Inspektion geklärt werden können, wurden auch in früheren Studien zur Laparoskopie bei Magenkarzinomen, in denen die gezielte Präparation und der laparoskopische Ultraschall noch nicht durchgeführt werden konnten, Treffsicherheiten in der Größenordnung von etwa 90% erzielt (. Tab. 16.1). Unnötige Laparotomien wurden in bis zu 40% der Fälle vermieden. In einer großen Studie (Pearlstone 1999) wurden Sensitivität, Spezifität, sowie der positive und negative prädiktive Wert der Laparoskopie bei 360 Patienten mit Magenkarzinom im Vergleich zu Ultraschall, laborchemischen Befunden und der Leberszintigraphie untersucht. Die Laparoskopie war den anderen Methoden in allen untersuchten Parametern überlegen. Enttäuschend gering war der negative prädiktive Wert jedoch für die Kriterien »Serosainfiltration« und »Lymphknotenbefall«. Von der heutigen »erweiterten« diagnostischen Laparoskopie, die immer auch die laparoskopische Sonographie umfasst, kann auch bezüglich dieser Parameter eine wesentlich höhere Treffsicherheit erwartet werden (. Tab. 16.1). Im eigenen Krankengut wurden 111 Patienten (81 Männer, 72%, und 30 Frauen, 28%)mit fortgeschrittenem Magenkarzinom T3–T4 nach vorheriger endosonographischer, sonographischer und computertomographischer Untersuchung diagnostisch laparoskopiert. Die Tumoren waren zu 42,3% im oberen, zu 46% im mittleren und zu 11% im unteren Magendrittel gelegen. Nach der Laurén-Klassifikation handelte es sich bei 51 Patienten (46%) um intestinale und bei 60 Patienten (54%) um nicht-intestinale Tumoren. Eine Änderung des Tumorstadiums ergab sich in 45 Fällen (40,5%). Bei 28 Patienten wurde ein Up-Staging vorgenommen (26 Fälle von vorher nicht erkannter Peritonealkarzinose, 3 Infiltrationen von Leber bzw. Pankreas, 4 Fälle von Fernmetastasierung). 17 Patienten wiesen ein niedrigeres Tumorstadium auf als die bildgebenden Verfahren annehmen ließen. Eine Lebermetastasierung konnte in 10 Fällen ausgeschlossen werden, ebenso die Infiltration von Nachbarorganen in 8, und eine Peritonealkarzinose in 4 Fällen. Diese verhältnismäßig hohe Anzahl diagnostischer Korrekturen bedeutet, dass die Entscheidung für multimodale
Therapiekonzepte, z. B. im Rahmen therapeutischer Studien, bei Verzicht auf eine Staging-Laparoskopie unter inadäquaten Voraussetzungen gefällt wird. Daher erscheint heute die EDL vor der multimodalen Therapie des fortgeschrittenen Magenkarzinoms aus unserer Sicht unverzichtbar.
Ösophaguskarzinom Obwohl sich das Ösophaguskarzinom in der Regel im Mediastinum manifestiert und somit laparoskopisch nicht erreichbar ist, weisen dennoch zahlreiche Autoren auf den Wert des laparoskopischen Stagings auch bei diesem Tumor hin.
Die Indikation zur Ösophagektomie muss stets kritisch gestellt werden, da die kurative Resektion mit einer ernstzunehmenden Mortalität und Morbidität einhergeht.
Für die rein palliative Therapie stehen zudem sinnvolle nichtchirurgische Ansätze, wie die Lasertherapie oder Stenteinlage zur Verfügung. Intraabdominale Tumormanifestationen bedeuten Inoperabilität. Sie können laparoskopisch gut erfasst werden, ebenso wie die nicht selten vorkommende Leberzirrhose mit oder ohne portale Hypertension. Diese stellt bei schwerer Ausprägung auch bei günstigem Tumorstadium eine Kontraindikation zur Operation dar. Dagnini et al. untersuchten die Bedeutung der Staging-Laparoskopie beim Ösophagus- und Kardiakarzinom an 369 Patienten (Dagnini et al. 1986): Laparoskopisch konnten intraabdominale Tumormanifestationen bei 52 Patienten (14%) gefunden werden, eine lokale Tumormanifestation (Kardiakarzinom) bei 36 (9,7%). Falsch-negativ war die Laparoskopie bei 11 von 369 Patienten (3%). Bemerkenswert bei dieser Untersuchung ist die hohe Inzidenz von Leberparenchymschäden mit portaler Hypertension (6,7% aller Patienten). Watt et al. (1989) verglichen Sensitivität, Spezifität und diagnostische Genauigkeit von Laparoskopie, perkutanem Ultraschall und CT in einer Gruppe von 90 Patienten mit Ösophaguskarzinom: Bei insgesamt relativ hohen Spezifitäten der bildgebenden Verfahren (Ultraschall und CT) übertraf die diagnostische Laparoskopie die diagnostische Genauigkeit beider genannter Verfahren bezüglich des Nachweises von Lebermetastasen, Peritonealkarzinose und Lymphknotenbefall. Diese positive Einschätzung der Laparoskopie für das Staging des Ösophagus-/Kardiakarzinoms bestätigte sich in einer Arbeit von Molloy et al. (1995): 244 Patienten wurden nach vorheriger Sonographie und CT laparoskopiert. Bei 62% der Patienten ergab sich keine Änderung des prälaparoskopischen Stagings, bei 24% fanden sich isolierte Lebermetastasen und bei 14% Infiltrationen intraabdominaler Organe, Lymphknotenmetastasen oder Peritonealkarzinome. In einem Fall wurde ein therapeutisch wichtiger Zusatzbefund (Zökumkarzinom) erhoben. Die Autoren errechneten für die Erfassung intraabdominaler Tumormanifestationen eine Sensitivität der Laparoskopie von 96%, eine Spezifität von 100% und eine diagnostische Genauigkeit von 98%. Bei 103 Patienten (42%) konnte eine nicht indizierte Laparotomie vermieden werden.
181 16.3 · Diagnostisches Spektrum
. Tab. 16.1. Ergebnisse der diagnostischen Laparoskopie im Staging des Magenkarzinoms mit und ohne LUS
Autoren
Jahr
Patienten (n)
Präoperative Bildgebung
Nachweis von M1 (%)
Genauigkeit (%)
Zusatzinformation durch LUS (%)
Possik et al.
1986
360
US/Szinti
34
89 peritoneal 96 hepatisch
–
Kriplani et al.
1991
40
US/CT
13
92
–
Lowy et al.
1996
71
CT
28
94 peritoneal 98 hepatisch
–
Asencio et al.
1997
71
US/CT
40
98,6
–
McCulloch et al.
1998
49
CT
22
?
–
Onate-Ocana et al.
2001
15
CT/EUS
40
Sensitivität 98,5% Spezifität 97,6%
–
Lehnert et al.
2002
15
CT/EUS/MR
40
70
Ozmen et al.
2003
48
US/CT/EUS
37,5
PPV 0,77 NPV 0,85
–
Clements et al.
2004
68
CT/US/EUS
30,4
Sensitivität 84% Spezifität 100%
–
Sotiropoulos et al.
2005
45
CT/EUS
31
–
–
Nakagawa et al.
2007
100
CT/EUS
22,6
84
–
Burke et al.
1996
111
CT
37
94
n.r.
Finch et al.
1997
26
CT
35
89
16
Feussner et al.
1999
111
CT/EUS
25
–
10
Hülscher et al.
2000
48
CT/EUS
23
–
8,3
Hünerbein
2001
227
CT/EUS
25
92
16
Flett et al.
2001
44
CT/EUS
16
–
13,6
Lavonius et al.
2002
37
CT/EUS
16
92
30
Wakelin et al.
2002
36
CT/EUS
–
100 (für M1)
24
Sarela et al.
2006
657
CT/EUS
32
–
?
Muntean et al.
2009
45
CT/EUS
38
95
?
Staging ohne LUS
Staging mit LUS
n.r. nicht referiert. PPV »positive predictive value«, positiver Vorhersagewert; NPV »negative predictive value«, negativer Vorhersagewert EUS Endosonographie; LUS laparoskopischer Ultraschall
Diese positive Bewertung der EDL ist bei kritischer Überprüfung dieser Studien nicht unwesentlich bedingt durch den Nachweis von (bei Plattenepithelkarzinomen naturgemäß häufigen) Leberparenchymschädigungen und durch die Einbeziehung von Adenokarzinomen des ösophagokardialen Übergangs. In einer eigenen Studie (Stein et al. 1997) wird der Wert der EDL beim Plattenepithelkarzinom relativiert. Unter-
sucht wurden 57 Patienten (32 Fälle von Plattenepithelkarzinom, 23 mit Adenokarzinom des distalen Ösophagus und 2 undifferenzierte Karzinome). Bei den Patienten mit Plattenepithelkarzinomen wurde in einem Fall eine vorher nicht bekannte Lebermetastase gefunden (3%), 5 der 32 Patienten wiesen eine Leberzirrhose auf (15%). Dagegen konnte bei keinem dieser Patienten eine Peri-
16
182
Kapitel 16 · Diagnostische Laparoskopie
tonealkarzinose oder freie intraabdominale Tumorzellen nachgewiesen werden. Insgesamt ergaben sich also in 6 von 32 Fällen (18%) Mehrinformationen durch die EDL. Dagegen wurden bis dahin nicht bekannte Lebermetastasen bei immerhin 4 der 25 Patienten (16%) mit Adeno- bzw. undifferenzierten Karzinomen der Speiseröhre gefunden. 3 Patienten hatten bereits eine Peritonealkarzinose, 2 weitere freie intraabdominale Tumorzellen. Fälle von Leberzirrhose gab es in dieser Patientengruppe nicht. Insgesamt wurden 9 Zusatzbefunde bei 5 von 25 Patienten (25%) erhoben. Wenn man von der Diagnostik der Leberzirrhose absieht (die problemlos und wesentlich weniger invasiv durch die Feinnadelpunktion durchgeführt werden kann), lohnt nach unserer Erfahrung die EDL beim Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre im Allgemeinen nicht (Stein et al. 2001). Aufgrund der erheblichen Mehrinformation ist die EDL beim Adenokarzinom der Speiseröhre bei fortgeschrittenen Befunden jedoch zweifellos sinnvoll.
Pankreaskarzinom
16
Das exakte Staging beim Pankreaskarzinom stellt auch heute noch eine Crux in der Diagnostik dar. Die Situation ist gekennzeichnet durch eine relativ hohe Rate an frustranen diagnostischen Laparotomien, während andererseits nichtinvasive Palliativverfahren zur Verfügung stehen. Die laparoskopische Untersuchung kann hier bereits durch den Nachweis bzw. den Ausschluss von sekundären Tumorveränderungen hilfreich sein. Auch wenn die EDL nur eingesetzt wird, um Lebermetastasen oder eine Peritonealkarzinose nachzuweisen, ohne speziell das T-Stadium zu überprüfen, ist die diagnostische Ausbeute außerordentlich hoch. Bei 88 Patienten wurden von Warshaw et al. (1991) die Laparoskopie nach CT, Angiographie, Magnetresonanztomographie (MRT) und Ultraschall durchgeführt. Die Laparoskopie steigerte die Treffsicherheit erheblich und war allen anderen Untersuchungsverfahren überlegen. Durch den Einsatz des laparoskopischen Ultraschalls kann sie auch hier verbessert werden, wie in neuen Studien gezeigt wurde (Conlon et al. 1996; Cuesta et al. 1993): In den Untersuchungen von Minnard et al. (1998) erbrachte der laparoskopische Ulltraschall Mehrinformationen in 25 bzw. 14% der Fälle. Insgesamt konnte die Aussagefähigkeit der diagnostischen Laparoskopie zur Beurteilung der Resektabilität beim Pankreaskarzinom so weit verbessert werden, dass sie für einige Arbeitsgruppen heute integraler Bestandteil der präoperativen Diagnostik sind (Karl et al. 1993; Morak et al. 2009;
Shah et al. 2008). Allerdings mehren sich die Hinweise, dass die EDL nur bei deutlich fortgeschrittenem Stadium in Anbetracht des doch nicht unbeträchtlichen Aufwandes gerechtfertigt ist und in Anbetracht der erheblichen Verbesserung der bildgebenden Diagnostik zurückhaltender als früher eingesetzt wird (Warner 2009).
Maligne Erkrankungen der Leber Ursprünglich war die Laparoskopie das klassische Untersuchungsverfahren bei Erkrankungen der Leber. Mit dem Aufkommen der bildgebenden Verfahren ging ihre Bedeutung verloren. Erst in den letzten Jahren wurde nach einer Phase der Überschätzung der Möglichkeiten von CT und Sonographie deutlich, dass Leberläsionen mit einem Durchmesser <1 cm und diffuse Leberparenchymschädigungen, wie die fortgeschrittene Fettleber oder die Leberzirrhose, nur schwer erkennbar sind, dagegen aber laparoskopisch gut diagnostiziert werden können (. Tab. 16.2). In einer Studie von Brady et al. an 25 Patienten wurden diejenigen mit negativem CTBefund laparoskopiert (Brady et al. 1991): In jeweils 5 Fällen wurden Leberherde erkannt bzw. ein peritonealer Befall diagnostiziert. Insgesamt ergab sich eine Diagnoseänderung in 19 von 25 Fällen (76%). In einer neueren Studie von Cuesta et al. betrug die Rate von therapierelevanten Diagnoseänderungen 84% (16 von 19 Patienten; Cuesta et al. 1993). Bemerkenswert war hier die hohe Rate an Befunden, die durch Einbeziehung des laparoskopischen Ultraschalls erzielt werden konnte: sie macht ungefähr ein Drittel der Zusatzinformation aus. Eine zusätzliche Bedeutung hat die diagnostische Laparoskopie vor der Lebertransplantation bei maligner Grunderkrankung gewonnen. Die früher übliche Staging-Laparotomie ist heute im Allgemeinen durch die laparoskopische Überprüfung des Befundes abgelöst. Ob in Zukunft die verbesserte MRT-Diagnostik eine weniger invasive Alternative darstellt, wird derzeit evaluiert (Kondo et al. 2000).
16.3.2 Weitere Indikationen Abgesehen vom Staging maligner Erkrankungen kann die EDL auch bei einer Vielzahl anderer Indikationen eingesetzt werden. In erster Linie sind hier der unklare Abdominalschmerz, das abdominale Trauma und die Primärtumorsuche bei metastasierenden Erkrankungen zu nennen (Feußner 1995).
. Tab. 16.2. Staging-Laparoskopie bei malignen Leberläsionen
Autoren
Jahr
Patienten (n)
Ergebnisse
Brady et al.
1991
25
Diagnoseänderung in 19 Fällen (76%)
Pilkington et al.
2007
77
Laparoskopisches Staging sinnvoll bei Patienten mit potenziell resektablen Lebermetastasen
Lai et al.
2008
122
Laparoskopisches Staging mit LUS hat einen signifikanten Effekt auf die optimale therapeutische Strategie
16
183 16.4 · Komplikationen, Fehler und Gefahren
. Tab. 16.3. Komplikationen der erweiterten diagnostischen Laparoskopie
Autoren
Jahr Patienten Letalität Konversion Blutung Perforation Pulmonale (n) (%) (%) (%) (%) Komplikationen (%)
Harnwegs- Sonstige Gesamt infekte (%) (%) (%)
Pearlstone 1999 533 et al.
0
15
1
1
3
0
9
14,4
MRIC
0,11
0,8
0,45
0,17
0
1,6
0,57
2,29
2003 875
MRIC eigene Ergebnisse, Chirurgische Klinik der Technischen Universtität München
In onkologischer Hinsicht hat die diagnostische Laparoskopie eine große Bedeutung im Staging des M. Hodgkin (Casaccia 2007; Childers 1993) sowie bei gynäkologischen und urologischen Malignomen gewonnen (Das 1996; Mehler 1996; Scribner 2001).
16.4
Komplikationen, Fehler und Gefahren
Wie alle anderen invasiven Verfahren hat auch die EDL ein Komplikationspotenzial. Im eigenen Krankengut beträgt die Komplikationsrate ca. 3% (. Tab. 16.3) und die Letalität 0,5%. Die Ergebnisse in der Literatur sind vergleichbar. Die Komplikationsrate der EDL ist erwartungsgemäß höher als die der traditionellen internistischen Laparoskopie (Brühl 1966; Henning 1985), aber erheblich geringer als die der diagnostischen Laparotomie, wie auch im direkten Vergleich durch verschiedene Studien belegt ist (Burke et al. 1997; Finch et al. 1997; Hallissey et al. 1988). Unklar ist derzeit noch, inwieweit die diagnostische Laparoskopie die Verschleppung von Tumorzellen fördert. Zahlreiche Einzelberichte zeigen, dass Trokarmetastasen auch nach ausschließlich diagnostischen Eingriffen auftreten können (Cava u. Roman 1990; Childers et al. 994; Cook u. Dehn 1996). Allerdings spielt die EDL in der Diskussion um die Tumorzellverschleppung im Vergleich zu den therapeutischen Eingriffen eine eher untergeordnete Rolle. Dennoch ist diese potenzielle Gefährdung ernst zu nehmen, da an ein diagnostisches Verfahren besonders hohe Anforderungen im Sinne des »primum nil nocere« zu stellen sind. Die erste systematische Untersuchung kommt von Childers, der eine Gruppe von 96 gynäkologischen Patientinnen nachuntersuchte (Childers et al. 1994): In einem Fall trat nach 8 Wochen eine Trokarmetastase auf, sodass eine Wahrscheinlichkeit mit 0,2% pro einzelner Punktionsstelle oder 1% für die gesamte Untersuchung angenommen wurde. Für Patientinnen, die bereits eine makro- oder mikroskopische intraabdominale Tumormanifestation aufwiesen, erhöhte sich das rechnerische Risiko auf 0,3 bzw. 1,1%. Es ist allerdings anzunehmen, dass das Risiko, vitale Tumorzellen in die Bauchinzision zu verbringen erheblich höher ist als die tatsächliche Inzidenz von Trokarmetastasen, wie experimentelle (Bonjer et al. 1998) und klinische Untersuchungen gezeigt haben (Reymond et al. 1997). Ob dies jedoch
bei den meist fortgeschrittenen Tumoren zu einer relevanten Verschlechterung der Prognose führt, ist bisher unklar. Immerhin muss das Problem der Tumorzelldissemination bei der Indikationsstellung berücksichtigt werden und zu einer gründlichen Abwägung von Risiko und Nutzen der geplanten Untersuchung Anlass geben. Die künftige Bedeutung der Laparoskopie im Staging wird davon abhängen, inwieweit moderne bildgebende Untersuchungsverfahren in der Lage sein werden, die noch bestehenden diagnostischen Lücken zu schließen. Aus physikalischen Gründen ist dies in absehbarer Zeit schwer vorstellbar, selbst wenn durch neuere Verfahren (z. B. PET) erhebliche Mehrinformationen gewonnen werden (Gretschel et al. 2004). Daher ist die direkte Inspektion des Situs durch die Laparoskopie weiterhin von Bedeutung. Die EDL jedoch wird ihre klinische Rolle nur dann behalten können, wenn es gelingt, die Untersuchung noch weniger invasiv und deutlich weniger aufwändig zu machen. In erster Linie wird erreicht werden müssen, dass sie auch in Lokalanästhesie durchführbar ist. Dies könnte durch die Verwendung dünnerkalibriger Instrumente (z. B. Optiken) und die Verwendung eines anderen Insufflationsgases (z. B. Helium) möglich werden. Unter Umständen kann in Zukunft auch der Untersuchungsumfang radikal vereinfacht werden. Sollte es sich bestätigen, dass der Nachweis freier Tumorzellen im Abdomen bereits das entscheidende Prognosekriterium ist, würde es völlig ausreichen, die diagnostische Laparoskopie auf eine kurze Inspektion des Peritoneums und die Gewinnung der Spülzytologie zu beschränken.
Literatur Asencio F, Aguiló J, Salvador JL et al. (1997) Video-laparoscopic multicenter comparison with non-invasive techniques. Surg Endosc 11: 1153–1158 Bonjer HJ, Gutt CN, Hubens G et al. (1998) Port site metastases in laparoscopic surgery. Surg Endosc 12: 1102–1103 Brady PD, Peebles M, Goldschmid S (1991) Role of laparoscopy in the evaluation of patients with suspected hepatic or peritoneal malignancy. Gastrointest Endosc 37: 27 Brühl W (1966) Zwischenfälle und Komplikationen bei der Laparoskopie und gezielten Leberpunktion. Dtsch Med Wochenschr 51: 2297
184
16
Kapitel 16 · Diagnostische Laparoskopie
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16
17 17
Molekulare Diagnostik und Response-Prädiktion T. Winder 1, H.-J. Lenz
17.1
Einführung
17.2
Fluoropyrimidine: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion – 188
17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4
Thymidylat-Synthase (TS) – 188 Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) – 190 Thymidin-Phosphorylase (TP) – 190 Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) – 191
17.3
Platinkomplexe: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion – 191
17.3.1 17.3.2
DNA-Reparaturgene – 191 Glutation-S-Transferase (GST)
17.4
Topoisomease-Inhibitoren: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion – 192
17.4.1 17.4.2
Topoisomerasen und Immunhistochemie – 192 Uridindiphosphat-Glucosyltransferase 1A1 (UGT1A1)
17.5
Molekulare Marker in der »targeted therapy«
17.5.1 17.5.2
Blockade des »epidermal growth factor receptor« – 193 Blockade des »vascular endothelial growth factor receptor«
17.6
Molekularbiologische Techniken zur Bestimmung der Response-Prädiktion – 194
17.7
Zusammenfassung Literatur
– 188
– 192
– 193
– 193 – 194
– 195
– 196
1 Unterstützt von einem Stipendium der »Kurt und Senta-Herrmann Stiftung«, Vaduz, Fürstentum Liechtenstein sowie der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, Wien, Österreich
188
Kapitel 17 · Molekulare Diagnostik und Response-Prädiktion
> Individuell auftretende genetische Veränderungen in Schlüsselgenen des Metabolismus eines Chemotherapeutikums oder einer zielgerichteten Therapie nehmen immer bedeutenderen Einfluss auf das klinische Ansprechen und die Ausprägungen von toxischen Nebenwirkungen. Durch genetische Veränderungen können Proteine, des jeweiligen Medikamentenmetabolismus, an Menge und Funktion beeinträchtigt werden. Daher variiert die Wirksamkeit jedes einzelnen Medikamentes. Aufgrund dessen benötigen wir verlässliche genetische Marker, mit deren Hilfe es möglich wird, die Wirksamkeit vorhandener Therapiemöglichkeiten vorherzusagen. Das Resultat wäre, eine individuelle Therapiestrategie mit dem Ziel des maximalen therapeutischen Erfolges unter minimalen Nebenwirkungen.
17.1
17
Einführung
Für den Kliniker ist es unerlässlich zwischen prognostischen und therapeutischen Markern zu unterscheiden. Prognostische Marker beschreiben den natürlichen Krankheitsverlauf unabhängig von einer spezifischen Therapie. Im Gegensatz dazu geben prädiktive Marker die Wahrscheinlichkeit, auf eine spezifische Therapie anzusprechen und Nebenwirkungen zu erfahren, an. DNA- oder RNA-Analysen fördern nicht nur das Identifizieren von prädiktiven und prognostischen Markern, sondern können sowohl Resistenzmechanismen als auch neue Angriffspunkte für eine zielgerichtete Therapie eröffnen. Verbesserte Methoden und weiterentwickelte Protokolle in der PCR ermöglichen eine weitere Unterscheidung der DNA in Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP), chromosomale Aberrationen, Mikrosatelliteninstabilität und in einen unterschiedlichen Methylierungsstatus der DNA-Promotorregion. Um neue molekulare Marker für die klinische Routine empfehlen zu können, wird zumindest ein Evidenzlevel II (prospektive klinische Studien) gefordert. Die derzeit vorhandenen Daten stammen aus teilweise großen retrospektiven Arbeiten und entsprechen damit lediglich einem Evidenzlevel III. Somit sind große, prospektive, klinische Studien notwendig um die Einführung dieser molekularen Marker in die klinische Praxis empfehlen zu können. K-Ras ist der bislang einzige Marker, der retrospektiv an mehreren großen, klinischen Phase-III-Studien getestet wurde. Aufgrund der eindeutigen Ergebnisse wurde die K-Ras-Testung, vor Beginn einer Behandlung mit Anti-EGFR-Antikörpern, bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom (mCRC) von der amerikanischen und europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie empfohlen. Der rasche Fortschritte der molekularen Diagnostik erfordert neue Studiendesigns, um vielversprechende Marker sicher und rasch in die Klinik einzuführen (Sargent et al. 2005). Ziel dieses Kapitels ist klinisch tätigen Ärzten einen Überblick über molekulare Marker und deren Zusammenhang mit Therapieansprechen und Toxizitäten zu bieten. Diese Marker können möglicherweise in Zukunft dazu beitragen eine spezifische Behandlungsstrategie für den individuellen Patienten zu wählen. Die Entwicklung einer individuellen Therapie er-
fordert jedoch ein breites Verständnis um molekulare Vorgänge und um die Wirkmechanismen von Chemotherapeutika und zielgerichteten Therapien.
17.2
Fluoropyrimidine: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion
Das Fluoropyrimidin 5-Fluouracil (5-FU) ist seit der Einführung vor über 50 Jahren (Chaudhuri et al. 1958) eine der wichtigsten Komponenten bei vielen Standarttherapien zur Behandlung gastrointestinaler Tumoren, Brustkrebs und anderer Malignome. Darüber hinaus stellt es die Grundlage zur Kombination mit anderen Chemotherapeutika oder für experimentelle Behandlungskonzepte mit neuen Wirkstoffen dar. 5-FU, ein Analog von Uracil, ist ein Prodrug, das nach der Einnahme intrazellulär in drei Metaboliten umgewandelt wird: 5-Fluoro-2-Deoxyuridin Monophosphat (FdUMP), Fluorodeoxyuridin-Triphosphat (FdUTP) und Fluoridin-Triphosphat (FUTP). Die Wirksamkeit einer 5-FU-basierten Chemotherapie ist von der Expression einiger Schlüsselgene, wie der Thymidylat-Synthase (TS), Thymidin-Phosphorylase (TP) und der Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD), abhängig (. Abb. 17.1). Diese Enzyme spielen eine entscheidende Rolle im 5-FU-Metabolismus und als solche dienen sie als ein potenzieller Angriffspunkt für 5-FU. Die Genexpression, Polymorphismen und die Proteinexpression wird anhand von Tumorgewebe oder Blutproben mittels PCR und Immunhistochemie (IHC) nachgewiesen (Pohl et al. 2008).
17.2.1 Thymidylat-Synthase (TS) Die Thymidylat-Synthase (TS) ist das primäre Zielenzym des aktivierten 5-FU Metaboliten, Fluorodeoxyuridin-Monophosphat (FdUMP). TS katalysiert die Methylierung von Deoxyuridin-Monophosphat (dUMP), um Deoxythymidin-Monophosphat zu erhalten (dTMP). dTMP ist ein wichtiger Vorläufer von Deoxythymidin-Triphosphat (dTTP), das für die DNA-Synthese und Reparatur benötigt wird. Die TS-Reaktion ist somit die einzige intrazelluläre Quelle für die De-novoSynthese von Thymidin (Lurje et al. 2008). Nach Zelleintritt des aktiven Metaboliten von 5-FU, FdUMP, bildet dieser einen stabilen Komplex mit der TS und 5,10-Methylen-Tetrahydrofolat (CH2THF). Dieser Komplex blockiert die Produktion von dTMP und hemmt dadurch die DNA Synthese und Reparatur was zu einem verminderten Zellwachstum bis hin zur Apoptose führen kann. Die Sensitivität von Tumorzellen gegenüber 5-FU beruht auf einer erfolgreichen Hemmung der TS (Spears al. 1988). Mehrere unabhängig voneinander durchgeführte klinische Studien bestätigten, dass eine niedrige intratumorale TS-Genexpression ein starker prognostischer Marker für das Ansprechen einer 5-FU basierten Chemotherapie ist und mit einer längeren mittleren Überlebenszeit einhergeht (Leichman et al. 1997; Zheng et al. 2008). Patienten mit einer hohen intratumorale TS-Genexpression weisen hingegen eine Resistenz gegenüber einer 5-FU-basierten Therapie auf.
189 17.2 · Fluoropyrimidine: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion
. Abb. 17.1. Metabolismus von 5-Fluorouracil. H2FU 5-Fluoro-Dihydrouracil, DPD Dihydropyrimidindehydrogenase, 5-FU 5-Fluorouracil, TP ThymidinPhosphorylase, FUdR 5-Fluoro-2‘-Deoxyuridin, FdUMP 5-Fluoro-2‘-Deoxyuridin5‘-Monophosphat, FUMP 5-Fluorouridin 5‘-Monophosphat, 5-FUR 5-Fluorouridin
Die TS-Genexpression wird durch das Real-time-PCR-Verfahren mittels Bestimmung des tumoralen mRNA-Gehaltes nachgewiesen. Darüber hinaus kann die TS-Proteinexpression mittels IHC nachgewiesen werden und zeigt mit der TS Genexpression, insbesondere bei niedrigen TS Werten, eine gute Korrelation (Salonga et al. 2000). Die mittels IHC erhobene TS-Proteinexpression ist jedoch sehr stark vom Untersucher und den verwendeten Antikörpern abhängig, weshalb die TSGenexpression als Maßstab herangezogen werden sollte. Die TS-Genexpression wird zumindest teilweise durch die TS-»promoter enhancer region« (TSER) bestimmt (Bandres et al. 2007). Zwei genetische Varianten (Polymorphismen) wurden innerhalb der 5′-untranslated region (5UTR) der TSER beschrieben. Der erste und häufigste Polymorphismus besteht aus einer zwei- (2R) oder dreifachen (3R) Wiederholung eines 28 Basenpaar (bp) langen DNA-Abschnittes. Die Frequenz der Polymorphismen variiert stark zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Polymorphismen innerhalb dieser Wiederholungen beeinflussen die Tanskriptionsund/oder Translationsfähigkeit des TS-Gens. Pullarkat et al. (Pullarkat et al. 2001) konnten bei Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom zeigen, dass Patienten mit homozygoter 3R (3R/3R)-Variante, 3,6-fach höhere Werte an TSmRNA hatten als jene mit der homozygoten 2R (2R/2R)-Variante. Darüber hinaus hatten Patienten mit der 3R/3R-Variante ein schlechteres Ansprechen auf eine 5-FU-basierte Chemotherapie im Vergleich zu 2R/2R-homozygoten oder 2R/3R-heterozygoten Patienten. Zusätzlich konnte eine prospektive Studie bei Patienten mit metastasiertem kolorekalem Karzinom, die mit 5-FU-basierter Chemotherapie behandelt wurden, nachweisen, dass der 2R/2R-TS-Genotyp im Vergleich zum 2R/3R- und 3R/3RTS-Genotyp mit einem günstigen medianen Überleben ein-
her geht (19 Monate versus 10,3 Monate versus 14 Monate) (Etienne et al. 2002). Patienten mit 3R/3R-TS-Genotyp haben hingegen im Vergleich zu den 2R/3R- und 2R/2R-Genotypen weniger toxische Nebenwirkungen einer 5-FU-basierten Chemotherapie. Der dargestellte Zusammenhang zwischen TS-Genexpression und verschiedenen TS-Gen-Polymorphismen trifft auf die Mehrheit der Patienten zu. Ungefähr 25% der Patienten zeigen jedoch mit dem 3R/3R-TS-Genotyp niedrige TSExpressionswerte. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass ein zweiter Polymorphismus innerhalb der TSER-5UTR die TS-Expression beeinflusst. Besonders der G>C-Einzelnukleotid-Polymorphismus innerhalb der 3R-Variante des TS-Gens (3RCPolymorphismus) scheint im Vergleich zur 3RG-Variante zu einer signifikant verminderten TS-Expression zu führen (Mandola et al. 2003). Dadurch kann zumindest teilweise geklärt werden, weshalb Patienten mit einem 3R/3R-Polymorphismus niedrige TS-Genexpressionswerte besitzen und deshalb von einer 5-FU-basierten Chemotherapie profitieren würden. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die TSGenotypen-Analyse stark vom Material für die DNA-Isolation (Blut oder Tumorgewebe) abhängig ist. Im Tumorgewebe ist der TS-Lokus am kurzen Arm des Chromosoms 18 meist beschädigt. Durch diese »loss of heterozygosity« (LOH) kann es zu unterschiedlichen Genotypen zwischen Tumorgewebe und Blut kommen. Um das Ansprechen einer 5-FU-haltigen Chemotherapie vorherzusagen, sollte die Beurteilung von TS-Polymorphismen auch immer die Suche nach LOH am kurzen Arm des Chromosoms 18 beinhalten.
17
190
Kapitel 17 · Molekulare Diagnostik und Response-Prädiktion
17.2.2 Dihydropyrimidin-Dehydrogenase
17.2.3 Thymidin-Phosphorylase (TP)
(DPD) Die Dihydropyrimidin Dehydrogenase (DPD) ist ein Schlüsselenzym des 5-FU-Metabolismus. Dieses Enzym inaktiviert in der Leber über 80% des verabreichten 5-FU in 2-Fluoro-βAlanin und vermindert so die Bioverfügbarkeit deutlich. Hingegen speichern Patienten mit einer defizienten DPD-5-FU über eine sehr viel längere Halbwertszeit und scheiden anschließend das meist unveränderte 5-FU über den Urin aus. DPD wird in Tumoren variabel exprimiert und kann somit die Bioverfügbarkeit von 5-FU beeinflussen. Dadurch könnte das unterschiedliche Ansprechen, verschieden ausgeprägte Toxizitäten und eine veränderte Pharmakokinetik teilweise erklärt werden (Salonga et al. 2000). Die DPD-Expression wird durch eine RT-PCR anhand von Biopsieproben bestimmt. Klinische Studien konnten bereits zeigen, dass Patienten mit niedriger intratumoraler DPD-Expression ein signifikant besseres Ansprechen auf eine 5-FU-basierte Therapie haben (Isshi et al. 2002). Die DPD-Expressionswerte bei denen ein Tumor auf eine Behandlung mit 5-FU anspricht liegen in einem engen Rahmen (0,60×10–3 bis 2,5×10–3, 4,2-fach) verglichen mit jenen die nicht ansprechen (0,2×10–3 bis 16×10–3, 80-fach). Eine DPD-Expression <2,5×10–3 bedeutet somit eine Ansprechrate von ungefähr 50% (Salonga et al. 2000). Eine verminderte enzymatische DPD-Aktivität kann auf 17 verschiedene Mutationen innerhalb des DPD-Gens zurückgeführt werden. Die häufigste Variante des DPD Gens ist ein G>A-Einzelnukleotid-Polymorphismus (SNP). Dieser führt zu einer verminderten Translation von DPD-mRNA und reduziert damit die DPD-Aktivität. Das Fehlen der DPDAktivität durch ein oder zwei nicht-funktionelle DPD-Allele, kann von einer schweren 5-FU bedingten Toxizität, bis hin zum Tode reichen (van Kuilenburg et al. 2001).
Thymidin-Phosphorylase, auch als »platelet derived endothelial growth factor« (PDGF) bekannt, katalysiert die Umwandlung von 5-FU zu Fluorodeoxyuridin (FUDR), das dann zu den aktiven Metaboliten 5-Fluorodeoxyuridin-Monophosphat (FdUMP) und 5-Fluorodeoxyuridin-Triphosphat (FdUTP) überführt wird. In-vitro-Studien zeigten, dass eine erhöhte TP-Expression mit einer gesteigerten Sensitivität von Tumorzellen auf 5-FU korrelieren (Schwartz et al. 1995). Im Gegensatz dazu zeigen In-vivo-Studien bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom, dass Tumoren mit hoher TP-mRNA-Expression schlecht auf eine intravenöse 5FU-basierte Chemotherapie ansprechen (Metzger et al. 1998). Diese unterschiedlichen Beobachtungen könnten als Konsequenz der Funktion von TP als angiogenetischer Faktor, der in vivo ein aggressiveres Tumorwachstum ermöglicht, zurückgeführt werden. Die TP-Genexpression ist auch ein Schlüsselenzym für die Umwandlung des oralen Fluoropyrimidins Capecitabine in seine aktive Form 5-FU (Abb. 2). Deshalb können erhöhte TP-Expressionswerte im Tumor eine gesteigerte Wirksamkeit der Therapie vorhersagen. Bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom konnte gezeigt werden, dass die TPExpression (immunhistochemisch) mit dem Ansprechen auf Capecitabine mit der Zeit bis zur Progression und mit dem Gesamtüberleben signifikant assoziiert ist (Meropol et al. 2006). Die Beurteilung der TP-Expression kann somit zu einer besseren Patientenselektion für eine Therapie mit dem oralen Fluoropyrimidin Capecitabine beitragen. Bei Patienten mit kolorektalem Karzinom, die mit einem 5-FU-haltigen Regime behandelt wurden, zeigte eine kombinierte Analyse der Genexpression von TS, DPD und TP eine gute Ansprechrate bei Tumoren mit Expressionswerten aller drei Gene unter dem Non-Responder-Schwellenwert. Eine
Aufgrund des therapeutischen Ansprechens und der Toxizitäten kann ein Screening auf Polymorphismen innerhalb des DPD-Gens maßgeblichen Einfluss auf die Patientenselektion für eine 5-FU-basierte Therapie nehmen.
17
Da jedoch 40–50% der Patienten mit normaler DPD-Enzymaktivität unter schwerwiegenden 5-FU-Toxizitäten leiden, ist davon auszugehen, dass DPD nicht ausschließlich für einen eingeschränkten 5-FU-Metabolismus verantwortlich ist. Bei dieser Patientengruppe wird ein möglicher Mangel zweier, der DPD nachgeordneten Enzyme, vermutet. Bei fehlen eines dieser beiden 5-FU abbauenden Enzyme, Dihydropyrimidinase (DHP) und ß-Ureidopropionase (BUP-1), kann es trotz normaler DPD-Emzymaktivität zu einer schwerwiegenden 5-FU Toxizität kommen (Thomas et al. 2008). Diese Ergebnisse wie auch mögliche andere Einflussfaktoren (z. B. Hypermethylierung) müssen jedoch zuerst an großen Patientenkohorten validiert werden.
. Abb. 17.2. Metabolismus von Capecitabin
191 17.3 · Platinkomplexe: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion
gesamt Ansprechrate von 92% konnte in dieser Gruppe beobachtet werden. Jene Patienten, die nicht auf die Therapie ansprachen, hatten in einem der drei Marker hohe Expressionswerte.
Dies verdeutlicht die Notwendigkeit der Testung auf verschiedene genetische Marker, um eine eindeutige therapeutische Entscheidung für den individuellen Patienten treffen zu können (Salonga et al. 2000). Zusammenfassend ermöglichen molekularen Marker TS, DPD und TP die Vorhersage, welches Fluoropyrimidin – 5-FU oder Capecitabine – für den jeweiligen Patienten wirkungsvoller und weniger toxisch ist.
17.2.4 Methylentetrahydrofolat-Reduktase
. Abb. 17.3. Metabolismus von Platinkomplexen
(MTHFR) Methylentetrahydrofolat Reduktase (MTHFR) wandelt innerhalb des 5-FU Metabolismus 5,10-MTHF in 5-Methyltetrahydrofolat um. Eine reduzierte Enzymaktivität soll mit gesteigerten 5,10-MTHF-Werten zusammenhängen und über die Hemmung der TS in einer gesteigerten 5-FU-Wirkung resultieren. Zwei Einzelnukleotidpolymorphismen (C677T und A1298C) innerhalb des MTHFR-Gens scheinen mit einer veränderten TS-Enzymaktivität in Verbindung zu stehen. Insbesondere der Aminosäureaustausch von Alanin zu Valin (C677T) soll über eine reduzierte Enzymaktivität des T-Allels mit einer erhöhten Ansprechrate gegenüber einer 5-FU-basierten Therapie einhergehen (Jakobsen et al. 2005). Die Studienergebnisse sind jedoch widersprüchlich und müssen an großen, prospektiven Kohorten validiert werden.
17.3
Platinkomplexe: molekulare Faktoren zur Response-Prädiktion
Oxaliplatin ist eines der wichtigsten Platine zur Behandlung des mCRC und hat die Zulassung in Kombination mit 5-FU und Leukovorin 1999 in Europa und 2002 in den USA erhalten. Platinkomplexe entwickeln ihre Zytotoxizität intrazellulär durch die Vernetzung von DNA-Strängen, die die Zellteilung hemmen. Diese vernetzten DNA-Stränge (»crosslinks«) werden hauptsächlich vom Nukleotid-Reparatur-System »nucleotide excision repair« (NER) erkannt, entfernt und durch neue Nukleotide ersetzt (Culy et al. 2000) (Abb. 3). Oxaliplatin ist ein Platinkomplex der zur Behandlung einer Vielzahl solider Tumoren zugelassen ist. Resistenzen gegenüber Oxaliplatin werden verschiedensten Mechanismen zugeordnet. Darunter zählen herabgesetzte Medikamentenkonzentrationen, gesteigerte Medikamenteninaktivierung und ganz besonderes, eine gesteigerte DNA-Reparaturfähigkeit. Eine verminderte DNA-Reparaturfähigkeit führt in malignen Zellen zum gewünschten Ziel einer verbesserten Wirkung von Oxaliplatin gegen Krebs. Die häufigste dosislimitie-
rende Nebenwirkung von Oxaliplatin ist die periphere Neuropathie. Dies betrifft ungefähr 85–95% aller behandelten Patienten und ist jedoch in den meisten Fällen nach Beendigung der Therapie reversibel (Levi et al. 2000).
17.3.1 DNA-Reparaturgene DNA-Reparaturgene sind an der Reparatur geschädigter Nukleotide (durch beispielsweise Platine verursacht) beteiligt und bestehen aus Genen des NER (z. B. ERCC1, XPD und XPA) und des Basen-Reparatur-Systems »base-excision repair« (z. B. XRCC1 und XRCC2). Das NER ist hauptsächlich an der Reparatur von Oxaliplatin-induzierten Schäden beteiligt. Shirota et al. (Shirota et al. 2001) untersuchte erstmal die Genexpression von ERCC1 an einer Patientenkohorte mit mCRC die eine Kombinationstherapie mit 5-FU/Oxaliplatin erhielten. Patienten mit niedriger ERCC1-Genexpression zeigten dabei ein signifikant längeres medianes Überleben (10,2 Monate) als Patienten mit hoher Genexpression (1,9 Monate). In einer Langzeitstudie von Metzger et al. (Metzger et al. 1998) konnte erstmal bei Patienten mit Magenkarzinom der Zusammenhang zwischen niedriger ERCC1-Genexpression und sowohl besserem Ansprechen auf eine platinbasierte Chemotherapie als auch Überleben dargestellt werden. Eine erniedrigte ERCC1-Genexpression scheint somit mit einer längeren Überlebensrate einher zu gehen. Die Genexpression und die Enzymaktivität von ERCC1 wird von Einzelnukleotid-Polymorphismen im Kodon 118 (C>T) des ERCC1-Gens beeinflusst. Diese Punktmutation führt in einer Arbeit von Park et al. (Park et al. 2003), an 106 Patienten mit fortgeschrittenem CRC, zu einer erhöhten ERCC1-Genexpression und zu einem verminderten mittleren Überleben. Eine erhöhte Anzahl von T-Allelen soll zudem mit einer erhöhten ERCC1-Expression als auch mit einer ver-
17
192
Kapitel 17 · Molekulare Diagnostik und Response-Prädiktion
minderten Expression assoziiert sein. In einem aktuellen Review weist Funke et al. (Funke et al. 2008) auf die strittige Datenlage dieses Polymorphismus hin. Das T-Allel soll mit einer signifikant erhöhten Sterberate und Risiko zur Progression der Erkrankung, jedoch mit einer signifikant erhöhten Ansprechrate zusammenhängen. Da die Rolle des T-Allels noch unklar ist, sollten weitere In-vivo- und In-vitro-Untersuchungen durchgeführt werden, um den Zusammenhang zwischen T-Allel und ERCC1-Expression zu klären (Funke et al. 2008). Drei Polymorphismen im XPD-Gen (auch ERCC2 genannt) wurden mit einer unterschiedlichen DNA-Reparaturfähigkeit in Verbindung gebracht. Der Lys751Gln-Polymorphismus (Gln/Gln) im XPD-Gen besitz in mehreren Studien übereinstimmend ein erhöhtes Risiko hinsichtlich Gesamtsterblichkeit und Progression (Park et al. 2001). Dennoch ist nicht bekannt wie die Mutation im XPD-751-Gen die Wirkung einer platinhaltigen Therapie beeinflusst und bedarf deshalb weiterer Studien.
17.3.2 Glutation-S-Transferase (GST)
17
Die Glutatihion-S-Transferase (GST) ist ein metabolisierendes Enzym, das in den zellulären Abbau von Platinen eingebunden ist. GST fördert dadurch die Inaktivierung und Ausscheidung von Platinkomplexen und schützt so die Zellen vor DNA-Schäden. Dies führt jedoch auch zu einer verminderten Wirkung von platinhaltigen Therapien. Verschiedene Polymorphismen in Subklassen der GST (GSTP1, GSTT1 und GSTM1) beeinträchtigen die GSTAktivität und wurden im Zusammenhang mit einer oxaliplatinhaltigen Chemotheapie untersucht. Die durch Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) bedingt verminderte oder aufgehobene Enzymaktivität scheint durch einen verminderten Medikamenten Abbau zu einer gesteigerten Wirkung der Platinkomplexe zu führen. In einer retrospektiven Arbeit von Stoehlmacher et al. (Stoehlmacher et al. 2002) wird bei Patienten mit CRC, die eine Behandlung mit 5-FU und Oxaliplatin erhielten und Träger einer homozygoten GSTP1-105 (Val/Val)-Variante waren, ein verbessertes Überleben beobachtet. Zudem scheint dieser Effekt mit der Anzahl der GSTP1-105-Valin-Allele zusammen zu hängen. Der Überlebensvorteil steigt mit der Anzahl der GSTP1-105Valin-Allele. GSTP1-114-, GSTT1- und GSTM1-Genotypen scheinen jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die Prognose zu besitzen (Funke et al. 2008).
17.4
Topoisomease-Inhibitoren: molekulare Faktoren zur ResponsePrädiktion
17.4.1 Topoisomerasen und Immun-
histochemie Toposiomerase I (TOP1) ist ein entscheidendes Enzym in zellulären Prozessen wie DNA-Replikation, Transkription, Translation, Rekombination und Reparatur. Die TOP1 wickelt die DNA-Doppelhelix durch eine vorübergehende Spaltung auseinander und ermöglicht dadurch ihre Rotation. Anschließend werden die Stränge durch die TOP1 wieder verschlossen. Die Topoisomerase II (TOP2) wirkt in ähnlicher Art mit dem Unterschied, dass sie beide DNA Stränge spaltet. In verschiedenen Studien wurde bereits gezeigt, dass TOP2A-Genveränderungen, die dem HER2-Onkogen benachbart liegen, Auswirkungen auf das Ansprechen einer antrazyklinbasierten Chemotherapie bei Patientinnen mit Brustkrebs haben. TOP2A wird zudem bei Tumoren als verlässlicher Proliferationsmarker verwendet. Die klinische Relevanz von TOP2A hinsichtlich Fortschreiten und Ansprechen des CRC auf verschiedene Behandlungen wurde in aktuellen Arbeiten untersucht. Hierbei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen immunhistochemisch untersuchter TOP2A-Proteinexpression, fortgeschrittenem Tumorstadium sowie schlechter Tumordifferenzierung. Dies deutet darauf hin, dass die Proteinexpression beim Fortschreiten des CRC eine wichtige Funktion zur Beurteilung eines aggressiven Tumorverhaltens besitzt (Coss et al. 2008; Tsavaris et al. 2008). Darüber hinaus wurde die Rolle von TOP2A als potenzielles chemotherapeutisches Ziel untersucht. Eine kürzlich erschienene Arbeit von Bartlett et al. wies jedoch keine Beziehung zwischen TOP2A-Genamplifikation oder Proteinexpression mit dem Ansprechen auf eine Epirubicin-basierte Therapie bei Patientinnen mit Brustkrebs aus (Bartlett et al. 2008). In-vitro-Daten zeigen jedoch eine Korrelation zwischen einer TOP2A-Proteinüberexpression und Resistenz gegenüber einer Behandlung mit Etoposid und Irinotecan (Coss et al. 2008). Diese Daten müssen jedoch erst durch große klinische Studien untersucht werden um einen eindeutigen Zusammenhang darzulegen. Im Vergleich zu TOP2 ist die TOP1 nicht Zellzyklus-spezifisch und bleibt somit während des Zyklus stabil. Deshalb kann TOP1 nicht als Proliferationsmarker verwendet werden. Es gibt jedoch einen direkten Zusammenhang zwischen der Thymidylat-Synthase (TS) und der TOP1-Proteinexpression. Eine hohe Proteinexpression geht somit, ähnlich wie die TS, mit einem biologisch aggressiveren Tumor einher (Tsavaris et al. 2008). Im Rahmen der großen, randomisierten, prospektiven FOCUS-Studie wurden, je nach TOP1-Proteinexpression, Patientensubpopulationen identifiziert, die entweder von einer sequenziellen Therapie (beginnend mit 5-FU allein) oder einer kombinierten Therapie (5-FU plus Irinotecan oder 5-FU plus Oxaliplatin) profitieren. Eine hohe TOP1-Proteinexpression zeigte in dieser Studie mit 1313 CRC-Patienten bei kombinierter Erstlinientherapie mit 5-FU und Irinotecan einen deutlichen Vorteil sowohl im Gesamtüberleben als auch im
193 17.5 · Molekulare Marker in der »targeted therapy«
progressionsfreien Überleben, im Vergleich zur sequenziellen Therapie. Nach Bestätigung dieser Daten durch weitere Studien könnte dies ein weiterer Schritt in Richtung individueller Therapie beim CRC sein (Braun et al. 2008).
17.5
Molekulare Marker in der »targeted therapy«
17.5.1 Blockade des »epidermal growth factor
receptor« 17.4.2 Uridindiphosphat-Glucosyltransferase
1A1 (UGT1A1) Irinotecan (CPT-11) ist ein Topoisomerase-I-Inhibitor und
somit ein essenzielles Enzym der DNA-Replikation. Dieses Chemotherapeutikum wird bei Patienten mit CRC in Kombination mit 5-FU/Leukovorin oder als Monosubstanz eingesetzt. Massive Durchfälle und Neutropenie zählen zu den wichtigsten dosislimitierenden Toxizitäten. Aufgrund dessen wurde 2005 von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) ein pharmakogenetischer Test zugelassen, um Patienten mit erhöhtem Risiko für neutropenisches Fieber zu ermitteln. Dieser Test wird von klinisch tätigen Ärzten jedoch nur eingeschränkt benutzt, da er nicht spezifisch genug ist. Selbst Patienten mit Wildtyp-Status können eine Grad-4-Neutropenie erleiden. Irinotecan ist ein inaktives Prodrug und wird in der Leber durch die Carboxylesterasen in die aktive Form SN-38 überführt. Die UDP-Glukosyltransferase (UGT) 1A1 konjugiert und entgiftet anschließend SN-38 durch Glukuronidierung in das inaktive SN-38 (Abb. 4). Eine hohe Glukuronidierungsrate, die aus einer hohen UDP-Enzymaktivität resultiert, sollte daher mit einer verminderten Toxizität während einer Irinotecan-basierter Therapie einhergehen. Klinische Studien konnten einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem UGT1A1*28-TA-Insertionspolymorphismus, einer eingeschränkten Enzymaktivität und folglich einer gesteigerten Irinotecan-Toxizität zeigen (Toffoli et al. 2006). Bis dato konnte hingegen kein signifikanter Einfluss zwischen dem UGT1A1*28-Polymophismus und Überleben oder Response gezeigt werden. Nichtsdestotrotz sollten die Ergebnisse dazu Anlass geben, vor Therapiebeginn mit Irinotecan ein Screeningverfahren zur Detektion des UGT1A1*28 Polymorphismus zu etablieren.
. Abb. 17.4. Metabolismus von Irinotecan
Beim fortgeschrittenen CRC verfügen die monoklonalen Anti-EGFR-Antikörper Cetuximab und Panitumumab über ein bedeutendes therapeutisches Ansprechen und wurden 2004 bzw. 2006 in der Zweit- und Drittlinientherapie zugelassen. Es konnte jedoch nur bei 10–20% der Patienten mit mCRC ein klinisches Ansprechen beobachtet werden. Aufgrund dessen wurde nach verlässlichen molekularen Markern gesucht, die in der Lage sind vorherzusagen, welche Patienten von einer Anti-EGFR-Therapie profitieren.
Klinische Marker Das Auftreten einer Akne-ähnlichen Hautrötung während einer Therapie mit Anti-EGFR-Antikörpern wurde als erster klinischer Marker für ein Therapieansprechen gewertet. Patienten mit mCRC und ausgeprägter Hauttoxizität hatten die höchsten Ansprechraten auf die Behandlung mit dem AntiEGFR-Antikörper Cetuximab (55% bei Cetuximab plus Irinotecan und 33% bei Cetuximab als Monotherapie) (Cunningham et al. 2004). Diese Reaktion ist auf das Vorhandensein einer hohen Expression von EGFR in den Keratinozyten der Haut zurückzuführen.
K-Ras-Mutationen Das Auftreten von Mutationen innerhalb der drei ras-Isoformen (K-Ras, N-Ras und H-Ras) ist einer der ersten Schritte in der Karzinogenese des CRC. Aktivierende Mutationen im kurzen Arm des Chromosoms 12 (Kodons 12, 13 und 61) treten bei menschlichen Tumoren sehr häufig auf und sind mit Aggressivität und raschem Fortschreiten der Erkrankung verbunden. K-Ras-Mutationen treten in ca. 30–40% der Adenome und Adenokarzinome des Dick- und Dünndarmes auf. Im gastrointestinalen Bereich erreicht das Pankreaskarzinom mit 75–90% die höchste Prävalenz von K-Ras-Mutationen. Aufgrund der Bedeutung von K-Ras innerhalb der EGFR-Signaltransduktionskaskade und der Karzinogenese wurden die K-Ras-Mutationen als potenziell prädiktiver Marker für eine Anti-EGFR-Therapie untersucht. Die ersten Ergebnisse der Untersuchungen waren nicht eindeutig und wurden erst nach der Durchführung von retrospektiven klinischen Studien deutlich. Lievre et al. konnte erstmal bei Patienten mit mCRC einen eindeutigen Zusammenhang zwischen K-Ras-Mutationen und einer Resistenz auf Cetuximab nachweisen. Das Gesamtüberleben war bei Patienten ohne K-Ras-Mutationen deutlich höher als bei Patienten mit Mutationen und es zeigten nur Patienten ohne K-Ras-Mutationen ein Ansprechen (Lievre et al. 2006). Der Zusammenhang mit dem Vorliegen einer K-Ras-Mutation und einer Resistenz gegen Cetuximab oder Panitumumab konnten an mehreren großen Patientenkohorten bestätigt werden (Amado et al. 2008; Karapetis et al. 2008). Zusammengefasst zeigen diese Studien einen starken, prädiktiven Wert von K-Ras-Mutationen und einer Anti-EGFR-
17
194
Kapitel 17 · Molekulare Diagnostik und Response-Prädiktion
Therapie bei Patienten mit mCRC. Die große Mehrheit von Patienten mit K-Ras-Mutation sprechen nicht auf eine AntiEGFR-Therapie an, jedoch sollten Patienten mit bekannter Mutation nicht völlig von der zielgerichteten Therapie ausgeschlossen werden. Eine Subgruppe von Patienten mit K-RasMutation könnte ein Ansprechen auf eine Anti-EGFR-Therapie zeigen. Große prospektive klinische Studien werden zur Klärung dieser Frage erwartet. Gemäß einer vorläufigen Stellungnahme der amerikanische Gesellschaft für klinische Onkologie sollen Patienten mit mCRC und Vorliegen einer KRas-Mutationen in den Kodons 12 oder 13 keine Anti-EGFRAntikörper als Teil ihrer Behandlung erhalten (Allegra et al. 2009). Hingegen scheint der K-Ras-Mutationsstatus beim Ösophaguskarzinom keine große Bedeutung hinsichtlich Resistenz auf eine Anti-EGFR-Therapie zu besitzen. In einer Arbeit von Gold et al. (2008) lag die K-Ras-Mutationsfrequenz bei Patienten mit metastasiertem Ösophaguskarzinom lediglich bei 2%.
Polymorphismen innerhalb des EGFR-Signalweges
17
Der Zusammenhang zwischen Hauttoxizität und besserem therapeutischen Ansprechen auf eine Anti-EGFR-Therapie förderte die Suche nach Polymorphismen, die einen möglichen Einfluss auf den EGFR Signalweg nehmen. Die Cyclooxygenase 2 (COX-2) ist bei verschiedenen Tumorentitäten überexprimiert und scheint an Tumorwachstum, Metastasierung, Angiogenese und Chemotherapie-Resistenz beteiligt zu sein. Mittels COX-2-mRNA-Expression kann beispielsweise beim Ösophagus zwischen maligner- und nicht-maligner Barrett-Erkrankung unterschieden werden (Brabender et al. 2004). Aufgrund dieser Forschungsergebnisse wurde eine sekundäre Chemoprävention des Barrett-Ösphagus mit Celecoxib untersucht. In dieser plazebokontrollierten, multizentrischen, randomisierten Phase-IIb-Studie konnte jedoch unter der Einnahme von 200 mg Celecoxib zweimal täglich das Fortschreiten einer Barrett-Dysplasie zum Ösphaguskarzinom nicht verhindert werden (Heath et al. 2007). Die Rolle von COX-2 in der Regulation des EGFR-Signalweges bleibt jedoch noch unklar. Der häufig auftretende G-765C-Polymorphismus im COX-2-Gen führt in vitro zu einer ungefähr 30%igen Reduktion der Promoteraktivität. Lurje et al. (Lurje et al. 2008) konnte anhand einer retrospektiv aufgearbeiteten Phase-II-Studie erstmal den G-765C-Polymorphismus in der COX-2 als nützlichen unabhängigen molekularen Marker für den klinischen Verlauf von Patienten mit mCRC unter Monotherapie mit Cetuximab nachweisen. Patienten mit homozygotem COX-2765 C/C-Genotyp besitzen in dieser Kohorte ein verbessertes progressionsfreies Überleben (5,9 Monate) im Vergleich zu Patienten mit homozygotem G-Allel (1,3 Monate). Bis heute wurden mehrere vielversprechende Polymorphismen (beispielsweise Cyclin D1, FCGR2A/3A) innerhalb von Genen des EGFR-Signalweges als prädiktive Marker für eine AntiEGFR-Therapie ermittelt. Diese Daten sollten jedoch aufgrund der geringen Patientenanzahl und fehlender prospektiver Studien als vorläufige Daten angesehen und durch große prospektive Studien bestätigt werden.
17.5.2 Blockade des »vascular endothelial
growth factor receptor« Bevacizumab wurde 2004 von der FDA zugelassen und wird
in der Erst- und Zweitlinientherapie des metastasierten kolorektalen Karzinomes (mCRC) eingesetzt. Der primäre Angriffspunkt der antiangiogenetischen Therapie ist die Mikrozirkulation des Tumors. Es gibt nur wenige Studien die einen Einfluss von potenziell prädiktiven molekularen Markern für eine Bevacizumab basierte Therapie untersucht haben. Schultheis et al. (Schultheis et al. 2008) konnten einen Zusammenhang zwischen Polymorphismen von Interleukin 8 (IL-8) und dessen Rezeptor (CXCR-1) mit dem Ansprechen und dem progressionsfreien Überleben auf eine Behandlung mit Bevacizumab in Kombination mit niedrig dosiertem Cyclophosphamid bei Patienten mit refraktärem Ovarialkarzinom nachweisen. Darüber hinaus zeigen erste klinische Studien einen prognostischen Wert von Polymorphismen im Interleukin-1(IL-1) und Interleukin-8 (IL-8)-Rezeptor. Lurje et al. (Lurje et al. 2009) konnten in einer aktuellen Arbeit einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Rezidivs beim Kolonkarzinom im Stadium II und Polymorphismen im IL-1-Rezeptor zeigen. Weiters scheinen hohe Expressionswerte von IL-8 bei Patienten mit Kolon- und Rektumkarzinom mit einem erhöhten Rezidivrisiko einher zu gehen (Lurje et al. 2008). Somit könnten diese molekulare Marker dazu beitragen Patientensubgruppen mit hohem Risiko für ein Rezidiv zu identifizieren. Um den Einfluss der p53, K-Ras- und b-Raf-Mutation auf das therapeutische Ansprechen und das Überleben bei Patienten mit mCRC zu untersuchen, wurde Tumor- und Metastasengewebe analysiert. In dieser retrospektiven Arbeit konnte kein Zusammenhang zwischen dem Mutationsstatus und dem therapeutischen Ansprechen auf Bevacizumab gefunden werden (Ince et al. 2005). Diese Ergebnisse erfordern jedoch weitere Bestätigung durch große prospektive klinische Studien.
17.6
Molekularbiologische Techniken zur Bestimmung der Response-Prädiktion
Eine Vielzahl molekularbiologischer Techniken stehen zur Identifizierung prädiktiver Faktoren in der Behandlung gastrointestinaler Tumoren zur Verfügung. Die Immunhistochemie wird häufig als einfache und breit zugängliche Methode zur Bestimmung des Proteingehaltes in Tumor- und Normalgewebe verwendet. Diese Methodik ist allerdings nur begrenzt nutzbar. Einerseits ist die Verfügbarkeit spezifischer Antikörper eingeschränkt, andererseits wird der Proteingehalt durch subjektive und semiquantitative Messverfahren analysiert. Darüber hinaus scheint die Behandlung des Gewebes (Fixierung, Lagerung, Art und Konzentration der verwendeten Chemikalien) großen Einfluss auf die Beurteilbarkeit zu nehmen. Objektive quantitative Genexpressionswerte können durch das Real-time-PCR-Verfahren (TaqMan) mittels Quantifizierung des mRNA-Gehaltes eines Gens im Tumor be-
195 17.7 · Zusammenfassung
. Tab. 17.1. Parameter zum Nachweis prädiktiver Faktoren; Vorkommen und molekularbiologische Nachweisverfahren
Nachzuweisen anhand
Art der Veränderung
Nachweisverfahren
DNA
Mutationen Polymorphismen Methylierungsstatus Loss of heterocygosity (LOH)
PCR DNA-Sequenzierung
mRNA
Genexpression
qRT-PCR Microarrays
Protein
Proteinexpression Proteinfunktion
Enzym-Assays IHC HPLC
LOH loss of heterocygosity; PCR Polymerase-Kettenreaktion; qRT-PCR quantitative Real-time-PCR; IHC Immunhistochemie; HPLC »high performance liquid chromatography«
stimmt werden. Polymorphismen sind Sequenzvariationen, die am häufigsten als Einzelnukleotidpolymorphismus (SNP) auftreten. Liegt der SNP im kodierenden Bereich einer Gensequenz, kann dies zu einem Aminosäureaustausch im resultierenden Protein führen. Da aber viele Aminosäuren von mehreren Basentripletts kodiert werden, hat nicht jeder Basenaustausch in der DNA zwingend einen Aminosäureaustausch im Protein zur Folge. Polymorphismen determinieren nicht nur das Aussehen und die Persönlichkeit eines Menschen, sondern können auch zur Variabilität der Toxizität und Wirksamkeit einer Chemooder Antikörpertherapie führen. Polymorphismen stehen für genetische Eigenschaften eines Patienten und man kann sie daher sowohl im Tumor als auch im Normalgewebe nachweisen. Da diese Veränderungen jedoch vererbt sind, können sie nicht durch eine Therapie beeinflusst werden. Im Gegensatz dazu sind Protein- und Genexpression tumorspezifisch und können sich durch therapeutische Einflüsse oder Tumorprogress verändern. Früher waren diese Methoden durch den Bedarf an frischem Gewebe in ihrer Anwendbarkeit limitiert. Mittlerweile kann jedoch auch in Paraffin eingebettetes Tumorgewebe mit dieser Methodik untersucht werden. Darüber hinaus ermöglichen Mikrodissektionsverfahren wie die »laser capture microdissection« eine spezifische Isolierung von Zellgruppen und Einzelzellen bis hin zu Chromosomenbruchstücken (. Tab. 17.1).
17.7
Zusammenfassung
Technologische Fortschritte und ein besseres Verständnis der Tumorbiologie haben uns neue Einblicke in die Rolle von molekularen Markern und deren Einfluss auf die Krebsentwick-
lung, Metastasierung und Resistenzen von Tumorzellen auf Chemo- oder Strahlentherapie ermöglicht. Pharmakogenetische Studien zielen darauf ab, einen Zusammenhang zwischen individuellen genetischen Veränderungen mit dem Ansprechen und Überleben nach einer bestimmten Therapie zu untersuchen. Mit dem steigenden Verständnis für die molekularen Signalwege wird zunehmend klar, dass das Tumorwachstum von komplexen molekularen Interaktionen und nicht von einzelnen Markern angetrieben wird. Die genetischen Veränderungen sind meist funktionell relevante Polymorphismen, die den Signalweg oder den Metabolismus eines Medikaments beeinflussen. Durch spezifische molekulare Marker, die in der Lage sind, das Ansprechen und/ oder die Toxizitäten einer Behandlung vorherzusagen, wird das Ziel einer individuellen Therapie für Krebspatienten gefördert. Im Rahmen von retrospektiven Arbeiten wurden vielversprechende molekulare Marker die in den Metabolismus von täglich verwendeten Chemotherapeutika (5-FU, Oxaliplatin, Irinotecan) eingreifen untersucht. Polymorphismen und die Genexpression der Thymidylat-Synthase (TS), Dihydropyrimidin Dehydrogenase (DPD) und Thymidylat-Phosphorylase (TP) wurden weitestgehend untersucht und zeigen einen erheblichen Zusammenhang mit dem Ansprechen auf eine 5-FU basierte Chemotherapie. ERCC1, ein wichtiges Mitglied des Nukleotid-Reparatur-Systems (NER), beeinträchtigt durch eine veränderte DNA-Reparaturfähigkeit die Wirkung von Oxaliplatin. Zuletzt konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem UGT1A1*28-Polymorphismus, einem verminderten Abbau von Irinotecan und folglich einem erhöhten Risiko von schweren Neutropenien gezeigt werden. Mit der Einführung der neuen zielgerichteten Therapien »molecular target therapy« haben sich die therapeutischen Möglichkeiten für Krebspatienten weiter verbessert. Bis jetzt gibt es keine molekularen Marker die das Ansprechen einer VEGF gezielten Therapie mit Bevacizumab eindeutig vorhersagen können. Dagegen gibt es eine Vielzahl von Polymorphismen und Mutationen in Onkogenen die die Wirkung einer gezielten EGFR-Therapie (Cetuximab oder Panitumumab) bei Patienten mit mCRC beeinträchtigen. Das vorliegen eines K-Ras-Wildtyp-Status ist der stärkste Prädiktor für ein Ansprechen einer Anti-EGFR-Therapie (Cetuximab oder Panitumumab). Hingegen bleibt bei Patienten mit mutiertem KRas-Onkogen therapeutisches Ansprechen auf eine AntiEGFR-Therapie aus. Zwischenzeitlich wurden mehrere molekulare Marker im EGFR-Signalweg identifiziert und werden in klinischen Studien geprüft. Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll die Möglichkeiten der Pharmakogenetik zur Verbesserung der Wirkung von Medikamenten durch eine individualisierte Therapie (. Tab. 17.2). Trotz großer wissenschaftlicher Bemühungen hat nur ein Bruchteil dieser vielversprechenden Marker Einzug in die klinische Praxis gehalten (z. B. K-Ras). Aufgrund des meist retrospektiven Studiendesigns können auch keine Empfehlungen für die klinische Anwendung dieser Marker gemacht werden. Deshalb sind dringend große, prospektive Studien notwendig um einen eindeutigen Zusammenhang zu beurteilen.
17
196
Kapitel 17 · Molekulare Diagnostik und Response-Prädiktion
. Tab. 17.2. Genetische Polymorphismen und ihre Signifikanz mit klinischen Parametern unter Chemo- und Antikörpertherapie bei gastrointestinalen Tumoren
Gene
Polymorphismus
Funktion
Klinische Konsequenz
Thymidylat-Synthase (TS)
TSER-28-bp-Wiederholungssequenz (2R)/(3R) TSER 3R G>C SNP
TS-Aktivität ↑ TS-Aktivität ↓
5-FU-Ansprechen ↓ 5-FU-Ansprechen ↑
DihydropyrimidinDehydrogenase (DPD)
G>A-SNP im Exon 14
DPD-Aktivität ↓
5-FU-Toxizität ↑↑ 5-FU-Ansprechen ↑
MethylentetrahydrofolatReduktase (MTHFR)
SNP (C677T und A1298C)
TS-Aktivität ↓
5-FU-Ansprechen ↑
UGT1A1*28 (TA)-Insertionspolymorphismus
Glukuronidierung SN-38 ↓
Irinotecan-Toxizität ↑
ERCC1
SNP-Kodon 118 (C>T)
ERCC1-Genexpression ↓
Oxaliplatin-Ansprechen ↑ Oxaliplatin-Überleben ↑
XPD (ERCC2)
SNP-Lys751Gln (Gln/Gln)
DNA-Reparatur ↓
Mortalität und Progression ↑↑
COX2-Gen
G-765C-Polymorphismus
Promotoraktivität ↓
Cetuximab-PFS ↑
IL-8 VEGF
IL-8 T-251A (A/A) VEGF C+936T (C/C)
VEGF-Expression ↑
Rezidiv ↑
5-FU-Chemotherapie
Irinotecan-Chemotherapie UGT1A1 Oxaliplatin-Chemotherapie
»Targeted therapy«
TSER TS-»enhancer promoter region«; SNP Einzelnukleotidpolymorphismus; PFS progressionsfreies Überleben
Literatur
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17
III Allgemeine Onkologie: Allgemeine Prinzipien in der onkologischen Therapie 18
Multidisziplinarität im Cancer Center
– 201
F. Lordick, A. Beiglböck, D. Jäger, J.R. Siewert
19
Prinzipien der onkologischen Chirurgie
– 213
J. Weitz, H.E. Vogelsang, J.R. Siewert
20
Laparoskopische und roboterassistierte Tumorchirurgie – 225 F. Köckerling, C. Schug-Paß
21
Transplantation und Onkologie
– 233
W. O. Bechstein, C. Mönch
22
Präoperative Risikoabschätzung
– 241
H. Bartel
23
Chemotherapie
– 249
S. Fruehauf, A. Radujkovic, J. Topaly, W.J. Zeller
24
Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie
– 265
F. Lordick
25
Immuntherapie
– 277
C. Peschel
26
Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie – 285 H. Geinitz, B. Röper, M. Molls
27
Partikeltherapie
– 301
A. Jensen, M. Münter, J. Debus
28
Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie – 319 P. Wust, B. Rau, P.M. Schlag
29
Endoradiotherapie mit spezifischen und unspezifischen Verfahren – 333 U. Haberkorn
30
Interventionelle Radiologie
– 341
G. M. Richter
31
Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt – 353 S. Groth, T. Rösch
32
Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie – 371 U. Zech, P.P. Nawroth, T. Schilling
33
Psychoonkologie
– 387
P. Herschbach, P. Henningsen
34
Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie
– 397
M. Bullinger, A. Mehnert, C. Bergelt
35
Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie L. Edler, I. Burkholder
– 409
18 18
Multidisziplinarität im Cancer Center F. Lordick, A. Beiglböck, D. Jäger, J.R. Siewert
18.1
Historische Entwicklung
18.2
Definition eines Cancer Centers
18.3
Etablierung onkologischer Zentren in Deutschland
18.3.1 18.3.2 18.3.3
Onkologische Spitzenzentren – 203 Onkologische Zentren – 203 Organkrebszentren – 204
18.4
Erfahrungen mit Comprehensive Cancer Centers in Deutschland – 204
18.4.1 18.4.2
Entwicklung von Cancer-Center-Strukturen – 204 Nationales Centrum für Tumorerkrankungen – 207
18.5
Ausblick
– 202 – 203
– 210
Internetadressen Literatur
– 202
– 210
– 210
Appendix: Adressliste der von der Deutschen Krebshilfe e.V. geförderten zehn sog. Onkologischen Spitzenzentren in Deutschland – 211
202
Kapitel 18 · Multidisziplinarität im Cancer Center
> Ein nachhaltiger Fortschritt in der chirurgischen Onkologie, die geprägt ist von multimodalen Therapiekonzepten und interdisziplinärer Forschung, ist ohne die Existenz spezialisierter multidisziplinärer Behandlungs- und Forschungszentren heutzutage nicht mehr denkbar.
18.1
18
Historische Entwicklung
Die Gründung der sog. Tumorzentren in Deutschland hatte zum Ziel, die Betreuung von Krebspatienten in einer Region zu koordinieren und dabei für eine dem Stand des medizinischen Wissens entsprechende Diagnostik und Therapie zu sorgen und die wesentlichen Krankheitsdaten zu dokumentieren. Eine Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen an der Behandlung beteiligten Fachdisziplinen erfolgt eher informell zum Beispiel in Form regelmäßiger Fallbesprechungen. Einige Tumorzentren bieten auch Beratungsstellen für Patienten und Angehörige an. Des Weiteren soll über Fortbildungen für eine schnelle Verbreitung neuer Erkenntnisse bei den Mitarbeitern gesorgt werden. Ein typisches Merkmal eines durch die »Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Tumorzentren e.V. (ADT)« anerkannten Tumorzentrums gehört es außerdem, ein klinisches Krebsregister zu führen. Dieses enthält als Minimalanforderung die im Datensatz der ADT zusammengestellten Parameter (ADT 2008). Im klinischen Krebsregister werden Daten von Krebspatienten der entsprechenden Region gesammelt, ausgewertet und Ärzten und Institutionen, sowie ggf. auch der Öffentlichkeit vorgestellt. Dadurch können zum Beispiel besondere Risikofaktoren oder Defizite in Diagnostik, Betreuung und Therapie aufgedeckt und Maßnahmen zur Verbesserung der Situation eingeleitet werden. Diese Art der flächendeckenden Krebsregistrierung war bis vor kurzem in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gewährleistet; das 1995 in Kraft getretene Bundeskrebsregistergesetz führte zu keiner flächendeckenden Umsetzung und galt dann ab 2000 als Landesrecht. Eine neue Gesetzesinitiative soll jetzt zu einer flächendeckenden Umsetzung der klinischen-epidemiologischen Krebserkrankungsdaten beitragen. Neben dem Begriff des Tumorzentrums ist seit etwa 2004 nach US-amerikanischem Vorbild der Begriff des Comprehensive Cancer Centers in Deutschland neu eingeführt worden. Die Definition der Aufgaben ist nicht scharf abgegrenzt zu der des Tumorzentrums. Der Schwerpunkt liegt aber bei einer stärker institutionalisierten Zusammenarbeit in gemeinsamen Einrichtungen (z. B. Ambulanzen) unterschiedlicher medizinischer Fachrichtungen. Außerdem soll verstärkt klinische und sog. translationale Forschung gefördert werden. Damit sollen Ergebnisse aus der Grundlagenforschung und andernorts erarbeitete neue Methoden den Krebspatienten schneller zugute kommen. Im weiteren Sinn gehört auch die Vorbeugung zu den Aufgabengebieten (präventive Onkologie). Wesentlicher Teil jeglicher Prävention ist die Forschung über die Krebsentstehung.
18.2
Definition eines Cancer Centers
Die Definition eines sog. Comprehensive Cancer Centers (CCC) durch das U.S. National Cancer Institute (NCI) stellt die folgenden Aspekte in den Vordergrund (NCI 2009): »NCI-unterstützte Cancer Centers sind durch ihre wissenschaftlichen Spitzenleistungen ausgewiesen und durch ihre Eignung, unterschiedliche Forschungsansätze auf das Problem von Krebserkrankungen zu fokussieren. Sie spielen eine entscheidende Rolle im Bemühen, die krebsbedingte Morbidität und Mortalität zu senken.«
Neben einer typischen klinischen Infrastruktur, die eine Maximalversorgung tumorkranker Patienten ermöglicht, zeichnen Comprehensive Cancer Centers vor allem zwei elementare Strukturmerkmale aus: 4 Forschungsprogramme 4 Gemeinsam genutzte Ressourcen für Tumorforschung Wesentliche Merkmale von CCC-Forschungsprogrammen sind nach NCI-Definition wie folgt: »Ein CCC-Forschungsprogramm umfasst die Aktivitäten einer Gruppe von Forschern mit gemeinsamen wissenschaftlichen Interessen und Zielen, die sich in kompetitiv geförderten Forschungsprojekten zusammenfinden. Die Programme sollten in hohem Maße interaktiv aufgebaut sein und zum Austausch von Information, experimentellen Techniken und Ideen führen und zu gemeinsamer interdisziplinärer Forschungstätigkeit und Publikationen führen.«
Beispiele für interdisziplinär genutzte Ressourcen in der Tumorforschung sind mannigfach und werden an verschiedenen Orten in ganz unterschiedlicher Weise vorgehalten. Hierzu können u. a. zählen: 4 Studienzentrale zur logistischen Unterstützung klinischer Forschung 4 Phase-I-Einheit 4 Bio-Imaging-Abteilung 4 Biostatistik Abteilung und Datenmanagement 4 Medizinische Informatik-Abteilung 4 Epidemiologie- und Krebsregisterabteilung 4 Serum- und Gewebebank 4 Spezifische Laboreinheiten, wie z. B.: 5 Genomics/Proteomics-Einheit 5 Durchflusszytometrie-Einheit 5 Tier-Tumormodell-Einheit Eine scharfe Unterscheidung der Definitionen eines »Comprehensive Cancer Centers« und eines »Cancer Centers« findet sich im amerikanischen Schrifttum nicht. Bei Sicht auf die geförderten Zentren wird allerdings klar, dass die Auszeichnung zum »Comprehensive Cancer Center« bislang vor allem Einrichtungen mit einer profilierten und durchaus auch grundlagenorientierten Forschungsstruktur zuerkannt wurde, während der Status des »Cancer Centers« Einrichtungen mit klinischer Exzellenz
203 18.3 · Etablierung onkologischer Zentren in Deutschland
aber weniger stark betonter Forschungsinfrastruktur zugewiesen wurde. Die aktuelle Zahl der US Cancer Centers beträgt derzeit 63, davon 40 »Comprehensive Cancer Centers« und 23 »Cancer Centers«.
18.3
Etablierung onkologischer Zentren in Deutschland
In Deutschland wird derzeit ein dreistufiges Konzept ausgebaut, das die qualitativ hochwertige Versorgung von Tumorpatienten sicherstellen soll. Zum Teil bestehen allerdings erhebliche regionale Planungsunterschiede beim Ausbau von 4 Onkologischen Spitzenzentren 4 Onkologischen Zentren 4 Organkrebszentren 18.3.1 Onkologische Spitzenzentren Onkologische Spitzenzentren siedeln sich derzeit im Umfeld von Universitätskliniken an. Der von der Deutschen Krebshilfe angestoßene Prozess der Bildung onkologischer Spitzenzentren kann unter den gegebenen Bedingungen des Gesundheitssystems auch nur dort in vollem Umfang umgesetzt werden. Dies ergibt sich bereits alleine aus dem intensiv verankerten Forschungsgedanken. Akademisch positionierte reine Krebsbehandlungszentren ohne die Umgebung einer traditionellen Universitätsklinik existieren in Deutschland, anders als in USA oder auch einigen europäischen Ländern, z. B. Frankreich, nicht. Die in Deutschland aktuell wirksame Initiative zur Förderung onkologischer Spitzenzentren, initiiert durch die Deutsche Krebshilfe, sieht vor allem die folgenden Strukturmerkmale als wesentliche Voraussetzungen an (Deutsche Krebshilfe 2009): 4 Fachübergreifende interdisziplinäre Onkologie für alle Tumorerkrankungen mit zentraler Anlaufstelle für KrebsPatienten 4 Einrichtung von interdisziplinären Konferenzen (»Tumor-Boards«) 4 Entwicklung und/oder Umsetzung von Behandlungspfaden im Sinne von Leitlinien 4 Einbringung von Patienten in klinische Studien 4 Enge Verzahnung von Forschung und Klinik (translationale Forschung) 4 Psychoonkologische und palliative Betreuung 4 Einbindung von Krebs-Selbsthilfeorganisationen 4 Interaktion mit niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern der Umgebung 4 Vorhaltung von spezifisch onkologischen Ausbildungsprogrammen für Ärzte, Wissenschaftler und Pflegepersonal 4 Nachweis eines Qualitätssicherungssystems 4 Dokumentation in klinische Krebsregister 4 Entwicklung von Programmen zur Krebsfrüherkennung und -prävention
Im Jahre 2007 gingen vier deutsche Tumorzentren (Dresden, Freiburg, Köln/Bonn, Tübingen) und im Jahr 2009 6 weitere Zentren (Berlin, Erlangen, Essen, Frankfurt, Hamburg, Ulm) aus einem international besetzten Begutachtungsprozess als Sieger aus dem bundesweiten Wettbewerb »Onkologische Spitzenzentren« der deutschen Krebshilfe hervor und werden in Analogie zum U.S. amerikanischen Comprehensive Cancer Center Gedanken von der Deutschen Krebshilfe finanziell gefördert (Adressen 7 Appendix).
18.3.2 Onkologische Zentren Jetzt und auch in der Zukunft wird allerdings ein großer Anteil tumorkranker Patienten in Deutschland außerhalb akademischer Zentrums behandelt werden. Große Krankenhäuser der Maximalversorgung, an denen alle für die Tumorbehandlung wesentlichen Disziplinen tätig sind (Hämatologie/Internistische Onkologie, Radioonkologie, Chirurgische Onkologie, Radiologie/Nuklearmedizin, Pathologie und die entsprechenden Organdisziplinen) können ein onkologisches Zentrum gründen. Ein wesentlicher Bestandteil des onkologischen Zentrums ist neben den unten stehenden Merkmalen die Verzahnung unterschiedlicher Versorgungssektoren (d. h. stationäre und ambulante Versorgung) und ggf. auch unterschiedlicher Standorte (z. B. Maximalversorgungsklinik und umliegende Fachpraxen). Onkologische Zentren werden derzeit sowohl von der Deutschen Krebsgesellschaft DKG (DKG 2009) als auch von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) begutachtet und zertifiziert. Wesentliche Merkmale des onkologischen Zentrums nach DKG 4 Struktur eines Netzwerkes – ambulanter und stationärer Sektor – Kooperationskliniken, Facharztpraxen, Medizinische Versorgungszentren etc. 4 Definierte Strukturen für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit – Tumorboards / Tumorkonferenzen – fachübergreifende Leitlinien etc. 4 Vereinbarungen für gegenseitige Zuweisung und Verzahnung in der Tumornachsorge 4 Integration von Psychoonkologie 4 Integration von Rehabilitation und Nachsorge 4 Integration von Patientenselbsthilfegruppen 4 Vorhalten klinischer Studien – Anspruch: mindestens 5% der Therapien in klinischen Studien – Studienorganigramm – Studienliste 4 Onkologisches Pflegekonzept 4 Apothekenkonzept, insbesondere zentrale Zytostatikazubereitung
6
18
204
Kapitel 18 · Multidisziplinarität im Cancer Center
18.4 4 Qualitätsmanagement für die organspezifische Diagnostik und Therapie – Radiologie – Nuklearmedizin – Operative Onkologie – Radioonkologie – Internistische Onkologie – Medikamentöse onkologische Therapie 4 Integration von Palliativmedizin und Hospizversorgung 4 Etablierte Tumordokumentation und Darstellung der Ergebnisqualität
Zur Gründung eines onkologischen Zentrums ist das Vorhandensein von mindestens 2 zertifizierten Organkrebszentren erforderlich, ein drittes Organkrebszentrum muss im weiteren Verlauf integriert werden. Der für eine Übergangszeit getrennt gelaufene Prozess der Begutachtung onkologischer Zentren durch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) wird nun erfreulicherweise gemeinsam mit der DKG weiterentwickelt. Die entsprechenden Kernpunkte sind vergleichbar mit denen der DKG (DGHO 2009). Verständlicherweise betont die DGHO stärker die Position der Hämatologie und Internistischen Onkologie im Gesamtkonzept und fordert zusätzlich zu den Anforderungen der DKG eine formalisierte Anbindung an ein Zentrum mit den Möglichkeiten der Grundlagenforschung.
Erfahrungen mit Comprehensive Cancer Centers in Deutschland
Verallgemeinert lässt sich sagen, dass eine einheitliche Organisationsstruktur für ein Comprehensive Cancer Center in Deutschland genauso wenig existiert wie z. B. in den USA. Überall sind die Träger und Vorstände entsprechender Einrichtung aufgefordert, den lokalen Verhältnissen angepasste Modelle zu entwickeln. Diese berücksichtigen die Grundelemente, die sich in erfolgreichen Tumorzentren im Ausland, vor allem USA aber auch in entsprechenden Modellprojekten in Deutschland bewährt haben. Genauso muss man feststellen, dass der »Erfolg« eines Cancer Centers im Vergleich und in Abgrenzung zu traditionell etablierten Strukturen nicht leicht messbar ist. Weder die patientenbezogene Versorgungs- noch die Ergebnisqualität wurde bislang vergleichend zur traditionellen Patientenversorgung ohne Cancer Center Struktur ausgewertet oder dargestellt. Am ehesten lassen sich Elemente der Prozessqualität wie Einschlussrate in Studien, Rate an Fall- und Patientenbesprechungen im Tumorboard oder Einhaltung institutioneller Leitlinien abfragen und darstellen. Ebenfalls werden die Comprehensive Cancer Centers ihre wissenschaftliche Effizienz auf Dauer anhand ihrer Drittmitteleinwerbungen und ihres publikatorischen Outputs messen lassen müssen. Darüber hinaus besteht natürlich ein gewisser Eindruck bei Patienten, Angehörigen, zuweisenden Ärzten etc., dass die Konzentration einer Institution auf das Thema Krebsbehandlung und Tumorforschung sehr wohl zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität in vielen Belangen führt. Dieser Eindruck mag richtig sein, ist aber bislang kaum in Zahlen zu fassen und objektiv darzustellen.
18.3.3 Organkrebszentren
18
Neben den in Onkologischen Zentren integrierten Organkrebszentren gibt es auch eigenständige Organkrebszentren. Organkrebszentren können sich mit ihren organbezogenen Schwerpunkten auch an Einrichtungen und in Netzwerken der Regelversorgung ansiedeln. Die entsprechend notwendigen Fallzahlen werden in der Regel über Kooperationsmodelle mit Praxen sowie eine gemeinsame Tumordokumentation, Besprechung aller Einzelfälle in Tumorkonferenzen, gemeinsame Nachsorge und gemeinsame Studien erreicht. Es gibt aktuell Zertifizierungsprozesse für die Diagnosen: 4 Mammakarzinom 4 Gynäkologische Tumoren 4 Darmkrebs 4 Prostatakarzinom 4 Hauttumoren 4 Lungentumoren Die Zertifizierung wird im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft und in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Senologie und weiteren Fachgesellschaften durchgeführt durch das unabhängige Institut OnkoZert (OnkoZert 2009). Über die OnkoZert-Homepage können die entsprechenden detaillierten Kriterien abgefragt werden.
18.4.1 Entwicklung von Cancer-Center-
Strukturen Bereits 1999 wurde am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München ein interdisziplinäres »Clinical Cancer Center« für die Behandlung viszeraler Tumoren gegründet (Lordick 2004). Aus dem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Modellprojekt heraus wurden die Zentrumsstrukturen entwickelt, die im weiteren Verlauf zum Vorbild für die Gründung des »Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen« in Heidelberg und weiterer Comprehensive Cancer Centers in Deutschland wurden. Die Schwerpunkte der Entwicklung waren:
Institutionalisiertes interdisziplinäres Tumorboard Das Tumorboard tritt täglich zusammen. Ziel ist es, jeden Patient mit neu diagnostiziertem viszeralem Tumor nach Abschluss der Diagnostik und des Stagings zur definitiven Entscheidung über das weitere Therapiekonzept dem Tumorboard vorzustellen und keine Therapie ohne eine Stellungnahme des Tumorboards einzuleiten. Via Telekonsultation erhalten umliegenden Kliniken und Praxen die Möglichkeit, Patienten vorzustellen.
205 18.4 · Erfahrungen mit Comprehensive Cancer Centers in Deutschland
. Abb. 18.1. Fälle des viszeralen Tumorboards der Technischen Universität München 1999–2005
Von 1999–2005 wurden 7974 Fälle diskutiert. Details dieser Fälle werden mittels einer Intranet-basierten Dokumentationsplattform dokumentiert. . Abb. 18.1 illustriert die Verteilung der an der TU München besprochenen Diagnosen. Die komplette Anamnese jedes Patienten einschließlich der histopathologischen Befunde und des psychosozialen Belastungsprofils wird im Tumorboard durch den betreuenden Arzt vorgestellt. Diese Informationen werden in der Tumordatenbank abgespeichert. Alle technischen Untersuchungen (Röntgen, PET, Endoskopie, Operationsbefunde) sind über entsprechend verlinkte Server und Systeme abrufbar und präsentierbar. Die Befunde werden während der Tumorboardsitzung vorgestellt. Die im Tumorboard getroffene Entscheidung wird online dokumentiert und ist dann von jedem Arbeitsplatz des Klinikums über Intranet abrufbar. Eine Querschnittuntersuchung erbrachte, dass 30% der vom vorstellenden Behandlungsteam vorgeschlagenen Behandlungsempfehlungen abgewiesen wurden (12%), relevant verändert (11%) oder infolge unzureichender diagnostischer Aufarbeitung zum Zeitpunkt der Tumorboardpräsentation aufgeschoben wurden (7%). Drei oder mehr Klinikdirektoren waren bei 60% der Tumorboardkonferenzen anwesend. Die Einhaltung der Tumorboardempfehlung durch die weiterbehandelnde Abteilung wurde in 98% der Fälle bei einer Stichprobe von 800 Patienten ermittelt (Lordick 2004). Eine einmal wöchentlich stattfindende interdisziplinäre Tumorkonferenz widmete sich besonders komplexen onkologischen Fällen und weiteren Themen, wie z.B. der Aktualisierung der Behandlungspfade, Besprechung interdisziplinärer Studien oder qualitätssichernder Maßnahmen.
Planungszentrum Ursprünglich war die Schaffung eines sog. Planungszentrums vorgesehen, das die Infrastruktur für das interdisziplinäre
Tumorboard pflegt. Zu den Aufgaben des Planungszentrums sollten gehören: 4 Vorbereitung der Tumorboardsitzungen 4 Koordination oder Durchführung der Anmeldung und Vorstellung der Patienten bzw. Kasuistiken 4 Ausführliche Dokumentation der Tumorboardentscheidungen (incl. Begründung der Entscheidung) 4 EDV-gestützte Zusammenführung aller diagnostischer und therapierelevanter Informationen an einem Ort 4 Bereitstellung gemeinsamer Leitlinien und Studienprotokolle im Intranet 4 Ggf. Organisation der Anfragen nach einer »second opinion« 4 Führen des Sekretariats des Cancer Centers (Bumm 2002) Durch die rasche Entwicklung servergestützter Intranetplattformen konnte die Einrichtung eines realen Planungszentrums mit Sekretariat deutlich vereinfacht werden. Vor allem wurde ein Intranet-Server-basiertes virtuelles Planungszentrum (Oncofile) vorangetrieben, über das von jedem Arbeitsplatz der Klinik aus Patientenanmeldungen in allen Teilaspekten (klinische Befunde, Histopathologie, psychoonkologisches Profil etc.) für das tägliche Tumorboard vorgenommen werden können. Das System erlaubt auch die systematische Abfrage der Patientenhistorie und früherer Tumorboardbeschlüsse. Darüber hinaus können über dieses System Abfragen und Statistiken zu besprochenen Erkrankungsentitäten und -merkmalen getätigt werden. Das System Oncofile wurde von mehreren Universitätskliniken und Comprehensive Cancer Centers übernommen und findet sich in Weiterentwicklung.
18
206
Kapitel 18 · Multidisziplinarität im Cancer Center
Interdisziplinäres klinisches Koordinierungszentrums Mit Inbetriebnahme 2001 wurde eine gemeinsame interdisziplinäre Anlaufstelle, das sog. Tumortherapiezentrum (TTZ) eröffnet. In dieser Anlaufstelle sind die onkologischen Ambulanzen der Kliniken für Chirurgie, Strahlentherapie und Hämatologie-Onkologie untergebracht. In das Tumortherapiezentrum integriert wurden ab 2001 Spezialsprechstunden für Psychoonkologie und ab 2004 für Ernährungsberatung und andere komplementäre Therapieansätze. Ab 2005 wurde eine gemeinsame Sprechstunde Chirurgische Onkologie und Gastroenterologie eingerichtet. Ab 2001 wurde im Tumortherapiezentrum zudem eine komplett in alle Klinik- und Studienabläufe integrierte hämatologisch-onkologische Facharztpraxis integriert. Das Tumortherapiezentrum dient somit als erste ambulante Anlaufstelle und Portal für alle von auswärts zugewiesenen Patienten mit soliden viszeralen Tumorerkrankungen und als Ambulanz für die Tumornachsorge.
Das Tumortherapiezentrum nimmt auch die Rolle der Koordinierungsstelle für die Vorbereitung von multimodalen Therapiekonzepten und für die Durchführung des Stagings wahr. Nach Tumorboardbeschluss gehen die Patienten in der Regel in die entsprechenden Spezialkliniken zur Durchführung der jeweiligen Therapie.
Disease Management Teams und Behandlungsleitlinien
18
Die sog. »Disease Management Teams« sind kleine interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppen bestehend aus Fachund Oberärzten aus den verschiedenen Kliniken. Ihre Aufgabe ist die inhaltliche Ausgestaltung der interdisziplinären Studienangebote, die Erarbeitung gemeinsamer Leitlinien für diagnostische und therapeutische Vorgehensweisen, die Festlegung des Follow-up und die Erarbeitung qualitätssichernder Maßnahmen im Bereich definierter Krankheitsentitäten. Ziel der Erstellung gemeinsamer Leitlinien ist es, die klinische Entscheidungsfindung in Diagnostik und Therapie zu unterstützen, die angemessenen diagnostischen und therapeutischen Behandlungspfade darzustellen, nicht begründete Abweichungen von einer »Standardtherapie« und unangemessene diagnostische und therapeutische Eingriffe zu vermindern, ein anwendbares Evaluationswerkzeug zur Verfügung zu haben und hiermit letztlich zu einer Verbesserung der Behandlungsergebnisse beizutragen. Die Erstellung der Leitlinien erfolgte krankheitsspezifisch durch die Disease Management Teams. Nach Auswahl der Guideline Methodologie wurde anhand vorbereiteter Flow Sheets und kurz gefasster Texte ein erster Entwurf einer Leitlinie erstellt. Im anschließenden Review der Disease Management Teams wurden Revisionen und Modifikationen vorgenommen und damit eine Feedback Schleife eingeleitet bis in der Gruppe Konsens über die Leitlinie erzielt wurde. Die Leitlinie wurde anschließend dem Tumorboard vorgelegt. Nach Annahme der Leitlinie wurde sie im Intranet online zur Verfügung gestellt.
Die Arbeitsweise der Disease Management Teams findet sich in entsprechenden Publikationen (Siess 2002; Bumm 2007).
Fachübergreifende Qualitätssicherung und Dokumentation Ein zentraler Bestandteil des Clinical Cancer Centers ist die fachübergreifende Dokumentation und die Möglichkeit, auf gemeinsame Patientendaten zugreifen zu können. Dies wird durch eine Online-Bereitstellung von Bildern und Befunden der Patienten (»elektronische Patientenakte«) über das Planungszentrum des Tumorboards ermöglicht aber auch durch die klinikweit installierten Klinikinformationssysteme wie ISH-Med und PACS ermöglicht. Die zum Teil bereits vor 1999 vorhandenen fachspezifischen Datenbanken zu bestimmten Tumorentitäten (z. B. chirurgische Therapie kolorektaler Tumoren, chirurgische Therapie Ösophaguskarzinom, chirurgische Therapie Magenkarzinom) wurden interdisziplinär zugänglich gemacht. Daten werden über eine Schnittstelle an das Tumorregister gemeldet und stehen dort zu Zwecken des Benchmarkings zum Vergleich mit anderen Kliniken der Region und überregional zur Verfügung (Engel 2005a, Engel 2005b)]. Mannigfach werden die interdisziplinären klinischen Datenbanken außerdem genutzt für korrelative Untersuchungen im Bereich translationaler wissenschaftlicher Projekte. Dies erfolgt vor allem in Kooperation mit der Tumorbank und den Labors für molekulare Tumordiagnostik sowie in Kooperation mit den Instituten für bildgebende Diagnostik. Die Pflege der Datenbanken trägt damit wesentlich zum wissenschaftlichen Erfolg des Clinical Cancer Centers bei.
Organisatorische Integration von Schmerztherapie, Psychoonkologie und palliativmedizinischen Einrichtungen Die Zusammenarbeit mit Schmerztherapeuten und Psychoonkologen wurde im Konzept des Clinical Cancer Centers weiter ausgebaut und institutionalisiert. Ansatzpunkte hierfür waren u. a. die Integration beider Fächer in das Qualitätsmanagement, vor allem durch die kontinuierliche Erhebung und Auswertung der Lebensqualität und Zufriedenheit der Patienten mit validierten Messinstrumenten. In der späteren Phase des geförderten Cancer Center Projektes gelang eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit externen palliativmedizinischen Einrichtungen in umliegenden Kliniken, die vertraglich festgeschrieben wurde. An Ergebnissen aus diesen Maßnahmen sind vorzuweisen: 4 Die systematische Erfassung der psychoonkologischen Basisbelastung bei jedem neu diagnostizierten oder neu vorgestellten Patienten mit viszeraler Tumorerkrankung. Das Basis-Screening erfolgt nach entsprechender Schulung durch jeden betreuenden Stations- oder Ambulanzarzt und wird im Tumorboard-Dokument erfasst und archiviert. Beim Vorliegen psychoonkologischer Belastungen erfolgt die Kontaktaufnahme durch das Psychoonkologie-Team entweder im Rahmen des stationären Aufenthaltes der Patienten in Form täglicher Konsiliarbe-
207 18.4 · Erfahrungen mit Comprehensive Cancer Centers in Deutschland
suche auf den Stationen oder ambulant im Rahmen der Psychoonkologie-Sprechstunde im Tumortherapiezentrum. Daraus ergeben sich im Bedarfsfall weitere Gesprächstermine und/oder spezifische psychoonkologische Interventionen (Herrschbach 2004, 2008; Knight 2008). 4 Die Einführung einer psychoedukativen Schulungsmaßnahme für Krebspatienten in offenen Gruppen. 4 Kurse/Jahr mit einer Dauer von jeweils 6–8 Wochen (Lordick 2002; Gündel 2003, 2007).
Kooperationen mit anderen onkologischen Zentren und Behandlern (»second opinion«, Telekonsultation) Die Expertise des Clinical Cancer Centers und seines Tumorboards wurde nicht nur den im Zentrum behandelten Patienten geöffnet, sondern auch ärztlichen Kollegen, Kliniken und extern therapierten Patienten zugänglich gemacht. Dies wurde erstens durch den Einsatz der Telemedizin während der Tumorboards, der Möglichkeit der Telekonsultation und der Einholung einer Second Opinion auf herkömmlichem Wege realisiert. Im Gegenzug konnte das Tumorboard externes Wissen für besondere Probleme von anderen Krebszentren im Rahmen von Telekonferenzen heranziehen. Über die Homepage des Cancer Centers erhielten Patienten und Ärzte therapierelevante Informationen im Internet. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass nur 4,5% der in den Konferenzen des viszeralen Tumorboards vorgestellten Patienten eine echte Zweitmeinung suchten, während der Großteil der besprochenen Patienten eine Behandlung am Cancer Center selbst anstrebte. Die technischen Voraussetzungen zur Implementierung der Telekonsultation und die Erfolge und Problemen der »second opinion« werden in Publikationen dargestellt (Feussner 2000, Schuhmacher 2007).
Klinische Studien Mit der Errichtung eines interdisziplinär ausgerichteten onkologischen Studienzentrums wurde eine Koordinierungs- und Betreuungsstruktur für klinische und translationale Forschung am Clinical Cancer Center geschaffen. Die Durchführung monozentrischer, oligozentrischer und multizentrischer klinischer Studien sowie korrelativer Untersuchungen aus Gewebeproben und Blut-/Plasmaproben unter Berücksichtigung von GCP Richtlinien ist angesichts des steigenden administrativen Aufwandes im Bereich klinischer Forschung ohne ein professionell geführtes Studienzentrum nicht mehr denkbar. In der Folge wurde ein zunehmender Anteil der im Tumortherapiezentrum und Tumorboard vorgestellten Patienten im Rahmen klinischer Studien therapiert. Der Anteil der in Interventionsstudien behandelten Patienten lag bei deutlich >10%, in einzelnen Entitäten (z. B. Ösophaguskarzinom und Magenkarzinom) bei >50%. Der beträchtliche Beitrag der Gründung des Münchner Studienzentrums zum Erfolg des interdisziplinären Zentrums für viszerale Tumoren zeigt sich u. a. in der Zahl der auf den Förderzeitraum des Cancer Centers bezogenen Investigator-initiierten interdisziplinären klinischen Studien mit entsprechendem publikatorischen Abschluss.
18.4.2 Nationales Centrum für Tumor-
erkrankungen Die die in München entwickelten Strukturen haben weiterhin Gültigkeit und beeinflussen weitere Comprehensive Cancer Centers in Deutschland wie das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg. Aus den Erfahrungen der Technischen Universität München mit seinem vergleichsweise kleinen biomedizinischen Forschungscampus wurde jedoch auch klar, dass für eine weitere Entwicklung zum Comprehensive Cancer Center, vor allem mit Blick auf die Stärkung der translationalen Tumorforschung, große biomedizinische Forschungseinrichtungen in räumlicher Nähe von Vorteil sind. Für den Standort Heidelberg sprechen die dort bereits ansässigen Großforschungseinrichtungen, insbesondere das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), das gemeinsam mit der Universitätsklinik Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe Gründer und Träger des NCT ist. Weitere Standortvorteile sind die vorhandenen Forschungs- und Behandlungsstrukturen, insbesondere hinsichtlich Pankreaskarzinom (Europäisches Pankreaszentrum), multiples Myelom (größte europäische Studienkohorte), Schwerionentherapie (weltweit innovativste Bestrahlungseinheit), Mammakarzinom, Lungenkarzinom und Stammzelltransplantation (größtes deutsches Zentrum). In Erweiterung zu den in München geschaffenen Strukturen will das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen vor allem 4 die translationale Forschung in den Vordergrund aller Anstrengungen stellen und 4 die präventive Tumorforschung und Krebspräventionsprogramme stärken. Für diese Zwecke werden in Heidelberg folgende bauliche und strukturelle Maßnahmen eingeleitet: 4 Errichtung eines Neubau, in welchem Laborgruppen, die Krankheitsmechanismen erforschen und neue Tumormedikamente entwickeln gemeinsam unter einem Dach mit der Patientenberatung und ambulanten Infusionstherapie beheimatet sind 4 Gründung von Abteilungen für Medizinische Onkologie, Translationale Onkologie und Präventive Onkologie mit jeweils eigenständigen Direktoren und spezialisierten Teams (. Abb. 18.2) 4 Etablierung einer kooperativen Direktion bestehend aus den Leitern der genannten Bereiche. 4 Etablierung interdisziplinärer Therapiebereiche (. Abb. 18.3) 4 Etablierung vernetzender Serviceplattformen (. Abb. 18.4) 4 Kooperationsvertrag mit 15 onkologischen Praxen der Rhein-Neckar-Region sowie mit umliegenden Kliniken und Einrichtungen für Palliativmedizin Die bisherige Leistungsbilanz des NCT zeichnet sich aus durch Forschungsdrittmittel von mehr als 4 Mio. €, Studiendrittmittel von mehr als 6 Mio. €, 53 aktive Therapiestudien und einer ansteigenden Zahl an Besuchen (. Abb. 18.5).
18
208
Kapitel 18 · Multidisziplinarität im Cancer Center
. Abb. 18.2. Struktur und Ziele am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg
18
. Abb. 18.3. Geplante interdisziplinäre Bereiche für die Patientenversorgung am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
in Heidelberg. CTX Chemotherapie; NCT Nationales Centrum für Tumorerkrankungen; OMZ Otto-Meyerhof-Zentrum
209 18.4 · Erfahrungen mit Comprehensive Cancer Centers in Deutschland
. Abb. 18.4. Unterstützungsplattformen für eine integrierte patientenbezogene Forschung am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
. Abb. 18.5. Entwicklung der Beratungszahlen am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg
18
210
Kapitel 18 · Multidisziplinarität im Cancer Center
18.5
Ausblick
Mit der Entwicklung interdisziplinärer Comprehensive Cancer Centers in Deutschland wurde eine Entwicklung angestoßen, die langfristig zu einer Verbesserung der Krebsprävention, der Erforschung von Erkrankungsmechanismen, zur schnelleren Umsetzung von Forschungsergebnissen in die angewandte Therapie und letztlich auch zur Verbesserung der Versorgungsqualität führen kann. Kritisch zu sehen sind aktuell vor allem die folgenden Punkte: 4 Auch wenn eine allgemeine Überzeugung besteht, dass die Strukturen des Comprehensive Cancer Centers zu einer Verbesserung der Ergebnisse beitragen, sind mit den verfügbaren Instrumenten Erfolge nur schwer zu messen und in Zahlen darzustellen. 4 Die Strukturen des Comprehensive Cancer Centers werden in Deutschland aktuell mehr oder weniger den bestehenden und universitären Klinikstrukturen oben aufgesetzt. Dies ruft mancherorts Widerstände hervor und schafft eine gewisse Abhängigkeit von traditionellen Strukturen, die im positiven Fall zu einer Stärkung, im negativen Fall zu einer Lähmung der Cancer Center Entwicklung führt, wie an einigen Standorten erlebt. 4 Die Abteilungen der Comprehensive Cancer Centers sind für jüngere Mitarbeiter und heranwachsende klinische Forscher schwer einschätzbar in ihrem Karrierewert. Insbesondere Kernbereiche wie »Medizinische Onkologie« und »Translationale Onkologie« stehen für unzureichend definierte und abgegrenzte Tätigkeitsfelder ohne anerkannten Ausbildungsweg oder gar -abschluss. Sie haben damit eine unbestimmte Attraktivität für die weitere Laufbahn. Dies macht die Akquise hochwertiger Mitarbeiter schwierig. 4 Karrierepositionen für ambitionierte klinische Wissenschaftler sind derzeit an den Comprehensive Cancer Centers rar. Eine langfristige Anbindung klinischer Forschergruppen wird aber für das Erreichung der höchsten Versorgungsqualität und für den Erfolg translationaler Forschung unabdingbar sein. Dies gilt auch für den Bereich der chirurgischen Onkologie. Der Typus des forschenden akademischen Chirurgen mit Schwerpunkt Tumorchirurgie findet sich derzeit als integraler Bestandteil eines deutschen Comprehensive Cancer Centers noch selten.
18
Bei aller möglichen Kritik darf nicht vergessen werden, dass die Entwicklung von Comprehensive Cancer Centers in Deutschland eine Entwicklung der jüngsten Zeit ist, die maximal 10 Jahre zurückreicht. Der Prozess ist als nicht abgeschlossen aufzufassen. Abgesehen von gewissen Modellen, die aus Nachbarländern und Nordamerika übernommen werden können, müssen die Strukturen unter den spezifischen Bedingungen des deutschen Gesundheitssystems erst etabliert werden. Es ist zu wünschen, dass in der Zukunft genügend Raum und finanzielle Mittel für echte Innovation und exzellente klinische Forscher zur Verfügung stehen wird. Außerdem bedarf es einer wachsenden Überzeugung, dass eine gelebte Multidisziplinarität zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse führen kann.
Internetadressen Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Tumorzentren e.V., Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe (2008) Gemeinsamer Onkologischer Basisdatensatz zur Tumordokumentation; http:// www.tumorzentren.de/pdf/adt_basis.pdf National Cancer Institute, National Institutes of Health (2009) Cancer Centers Program; http://cancercenters.cancer.gov/cancer_centers/index.html Deutsche Krebshilfe (2009) Förderprogramm zur Verbesserung der Versorgung krebskranker Menschen; http://www.krebshilfe.de/ aktuelle-themen.html?&tx_ttnews[tt_news]=2699&tx_ttnews[b ackPid]=158&cHash=4490058dec Deutsche Krebsgesellschaft (2009) Zertifizierte Zentren. http://www. k rebsgesellschaft.de/wub_zer tifizier te_zentren_uebersicht,77511.html Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Internistische Onkologie (2009) Onkologische Zentren – eine Initiative der DGHO, BNHO und ADHOK http://www.onkologische-zentren.de/ OnkoZert (2009) www.onkozert.de
Literatur Lordick F, Siess M, Molls M, Peschel C, Siewert JR (2004) Comprehensive Cancer Center. The Munich Concept. J Canc Res Clin Oncol 130 (Suppl 1): S22 (abstract IS107) Bumm R, Siess M, Lange M, Siewert JR (2002) Necessary prerequisites for the function of an oncological competence center. Information technology, documentation of findings and telecommunication. Dtsch Med Wochenschr 127: 907–912 Bumm R, Feith M, Lordick F, et al. (2007) Impact of multidisciplinary tumor boards on diagnosis and treatment of esophageal cancer. Eur Surg 39/3: 136–140 Siess M, Bumm R, Molls M, et al. (2002) Quality management and experiences with the »cancer center«. Dtsch Med Wochenschr. 127: 896–900 Engel J, Kerr J, Eckel R, et al. (2005) Influence of hospital volume on local recurrence and survival in a population sample of rectal cancer patients. Eur J Surg Oncol 31: 512–520 Engel J, Kerr J, Eckel R, et al. (2005) Quality of treatment in routine care in a population sample of rectal cancer patient. Acta Oncol 44: 65–74 Herschbach P, Keller M, Knight L, et al. (2004) Psychological problems of cancer patients – a cancer distress screening with a cancerspecific questionnaire. British Journal of Cancer 91: 504–511 Herschbach P, Book K, Brandl T, et al. (2008) Psychological distress in cancer patients assessed with an expert rating scale. Br J Cancer 99: 37–43 Knight L, Mussell M, Brandl T, et al. (2008) Development and psychometric evaluation of the Basic Documentation for Psycho-Oncology, a tool for standardized assessment of cancer patients. J Psychosom Res 64: 373–381 Lordick F, Gündel H, von Schilling C, et al. (2002) Structured patient education in oncology. A prospective study for implementing and effectiveness of interdisciplinary psycho-educational group intervention at a German university clinic. Med Klin (Munich) 97: 449–54 Gündel H, Lordick F, Brandl T, et al. (2003) [Interdisciplinary psychoeducational intervention by oncologists proved helpful for cancer patients] Z Psychosom Med Psychother 49: 246–261 Gündel H, Hümmeler V, Lordick F. (2007) Which tumor patients profit from interdisciplinary psychoeducation in the framework of a tumor therapy? Z Psychosom Med Psychother 53: 324–338
211 Appendix
Feussner H, Wilhelm D, Etter M, Siewert JR. (2000) Second opinion in tumor surgery. Valuable but needing improvement. MMW Fortschr Med 142: 22–25
Schuhmacher C, Lordick F, Bumm R, et al. (2007) »Good advice is precious.« The second opinion from the point of view of an interdisciplinary cancer therapy center. Dtsch Med Wochenschr 132: 921–926
Appendix: Adressliste der von der Deutschen Krebshilfe e.V. geförderten elf sog. Onkologischen Spitzenzentren in Deutschland
Berlin
Charité Comprehensive Cancer Center, Campus Charité Mitte, Charité Universitätsmedizin Berlin; Tel: 030/45 05 64 622
Dresden
Universitäts KrebsCentrum Dresden (UCC), Universitätsklinikum Carl Gustav Carus; Tel: 0351/458-18370
Erlangen
Universitäts-Krebszentrum (UCC), Universitätsklinikum Erlangen; Tel: 091 31/85 34 085
Essen
Westdeutsches Tumorzentrum (WTZ), Universitätsklinikum Essen; Tel: 0201/72 31 614
Frankfurt am Main
Universitäres Zentrum für Tumorerkrankungen (UCT), Universitätsklinikum Frankfurt; Tel: 069/63 01 87 333
Freiburg
Tumorzentrum Ludwig Heilmeyer, Comprehensive Cancer Center Freiburg (CCCF), Universitätsklinikum Freiburg
Hamburg
Universitäres Cancer Center Hamburg (UCCH), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf; Tel: 040/74 10 55 692
Heidelberg
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Im Neuenheimer Feld 350, 69120 Heidelberg; Tel 06221/56-6990
Köln/Bonn
Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) der Universitätskliniken Köln/Bonn; Tel: 0221/4784820
Tübingen
Südwestdeutsches Tumorzentrum Comprehensive Cancer Center (CCC), Universitätsklinikum Tübingen; Tel: 07071/2984018
Ulm
Integratives Tumorzentrum des Universitätsklinikums und der Medizinischen Fakultät/Comprehensive Cancer Center Ulm (CCCU); Tel: 0731/50 04 55 00
18
19 19
Prinzipien der onkologischen Chirurgie J. Weitz, H.E. Vogelsang, J.R. Siewert
19.1
Rahmenbedingungen der chirurgischen Therapie
19.2
Präoperatives Vorgehen
19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4
Staging – 215 Risikoabschätzung – 216 Planung – 216 Chirurgie vorbehandelter Patienten
19.3
Operatives Vorgehen
19.3.1 19.3.2 19.3.3 19.3.4 19.3.5 19.3.6 19.3.7
Operation in diagnostischer Intention – 217 Operation in potenziell kurativer Intention – 217 Operation in palliativer Intention – 218 Operation in prophylaktischer Intention – 219 Stellenwert der minimal-invasiven Chirurgie – 219 Perioperatives Management – 219 Operationsbericht – 219
19.4
Pathologisch-anatomische Präparatebefundung
19.5
Postoperative Phase
19.5.1 19.5.2 19.5.3 19.5.4 19.5.5
Beurteilung des postoperativen Verlaufes – 220 Erweiterte postoperative Diagnostik – 221 Adjuvante Therapiemaßnahmen – 221 Postoperative Aufklärung – 221 Tumornachsorge – Tumorvorsorge – Tumorfrüherkennung
19.6
Behandlung von Rezidiven und Metastasen
19.7
Onkologische Chirurgie: Stellenwert und Ausblick Literatur
– 223
– 214
– 215
– 216
– 217
– 220
– 220
– 222
– 222 – 222
214
Kapitel 19 · Prinzipien der onkologischen Chirurgie
> Grundlage einer potentiell kurativen Therapie von soliden malignen Erkrankungen ist die chirurgische Resektion im Kontext einer multimodalen Therapie. Zusammen mit anderen diagnostischen und therapeutischen Fachdisziplinen wird im interdisziplinären Tumorboard über die individualisierte Tumortherapie entschieden. Alle therapierelevanten Prognosefaktoren unter Berücksichtigung der Risikoanalyse des Patienten und der verfügbaren Behandlungskompetenz müssen in die Therapieentscheidung einbezogen werden. Oberste chirurgische Zielsetzung ist das Erreichen einer kompletten Tumorresektion durch En-bloc-Resektion des Tumors mit regionärer Lymphadenektomie. Dabei gilt es einen adäquaten Sicherheitsabstand in allen Ebenen und eine hinsichtlich Lokalisation und Anzahl adäquate Lymphknotendissektion zu erreichen. Eine standardisierte histopathologische Aufarbeitung ermöglicht die Bestimmung relevanter Prognoseparameter und dient der Qualitätssicherung. Die chirurgische Rekonstruktion nach Tumorresektion muss in erster Linie komplikationsarm und an der Lebensqualität orientiert sein. Um das multimodale Konzept der Tumortherapie durchführen zu können, sollte jede Therapiephase – insbesondere die perioperative Phase – möglichst komplikationsarm ablaufen. Möglicherweise kann durch die zunehmende Anwendung molekularer Verfahren eine Individualisierung der Therapie onkologischer Erkrankungen erreicht werden.
19.1
19
. Abb. 19.1. Rahmenbedingungen der onkologischen Chirurgie
Rahmenbedingungen der chirurgischen Therapie
Die chirurgische Therapie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Gegebenheiten der Tumorerkrankung, der notwendigen Radikalität ihrer Behandlung und dem individuellen Risiko des Patienten. Die Tumorerkrankung ist gekennzeichnet durch den Tumortyp, das Tumorstadium, die biologische Wachstumspotenz sowie das Risiko einer metachronen Zweittumorerkrankung. Das perioperative Risiko ist von patienten- und operationsspezifischen Faktoren abhängig. Letztere werden durch das betroffene Organ und das Ausmaß der notwendigen oder gewählten Radikalität bestimmt, die wiederum durch die Tumorerkrankung selbst beeinflusst wird. Das patientenspezifische Risiko ist von den Organfunktionen und von vorexistierenden Begleiterkrankungen geprägt (. Abb. 19.1). Vor der Durchführung einer chirurgischen Maßnahme muss das Therapieziel klar definiert und mit dem Patienten besprochen worden sein. Bei allen Maßnahmen gilt es eine bestmögliche Lebensqualität zu erreichen. Diese gewinnt eine umso größere Bedeutung, je geringer der Einfluss der onkologischen Chirurgie auf die Prognoseverbesserung des Patienten ist. Die Chirurgie lebt im Umfeld der anderen onkologischen Disziplinen (. Abb. 19.2), das interdisziplinäre Tumorboard ist ein unverzichtbarer Bestandteil der multimodalen Therapieplanung. Während allgemeine Therapieleitlinien von Fachgesellschaften oder Tumorzentren die Rahmenbedingungen der Therapie einer bestimmten Tumorentität darstellen, wird
. Abb. 19.2. Interdisziplinäres Tumorboard
im Tumorboard anhand konkreter Befunde eines Patienten eine individualisierte Tumortherapie festgelegt. Im Konzert der onkologischen Disziplinen spielt die Chirurgie unverändert die wichtigste Rolle. Sie beinhaltet zwei verschiedene Aspekte, die onkologische Chirurgie und die chirurgische Onkologie (s. unten, Konsens der onkologischen Gesellschaften und Arbeitsgemeinschaften, DGVC 2000). Aufgaben der chirurgischen Onkologie 4 Kontinuierliche Beteiligung an interdisziplinären onkologischen Arbeitskreisen 4 Teilnahme an prä-, intra- und postoperativen interdisziplinären Therapiekonzepten und deren Weiterentwicklung
6
215 19.2 · Präoperatives Vorgehen
4 Kooperativer Einsatz medikamentöser und lokaler Behandlungsverfahren im Rahmen multimodaler perioperativer Therapieprotokolle in Zusammenarbeit mit den anderen onkologischen Fachvertretern 4 Kooperativer Einsatz von Hyperthermie, Kryotherapie, und intraoperativer Strahlentherapie sowie regionalen Organ- bzw. Extremitätenperfusionen als spezielle chirurgisch-onkologische Techniken in Zusammenarbeit mit den Fachvertretern der verschiedenen Fachrichtungen 4 Tumordiagnostik mit operativen Verfahren, insbesondere die operative Laparoskopie sowie die Weiterentwicklung von Strategien und Techniken für ein verbessertes Staging von Tumorerkrankungen 4 Fachgebietsbezogene palliative Maßnahmen, z. B. zur Symptomkontrolle einschließlich der Schmerztherapie und dem palliativ endoskopischen Eingriff 4 Organisation und Durchführung von Tumornachsorge und wissenschaftlicher Auswertung und Dokumentation chirurgisch-onkologischer Konzepte 4 Mitwirkung bei der Rehabilitation und der psychosozialen Betreuung von Tumorpatienten sowie Unterstützung von Selbsthilfegruppen und Onkologieleitstellen 4 Beteiligung an der Erarbeitung von epidemiologischen und klinischen Krebsregistern und von Tumorpräventionsprogrammen 4 Mitwirkung bei der Identifikation und Beratung von Patienten mit hereditären Tumorerkrankungen und deren Angehörigen einschließlich der Erarbeitung tragfähiger Vorsorge- und Behandlungskonzepte 4 Initiierung oder Mitarbeit in interdisziplinären Forschungsschwerpunkten 4 Initiierung, Durchführung und Beteiligung an Konzepten und klinischen Studien und anwendungsbezogener grundlagenorientierter Forschungsprojekte 4 Organisation onkologiebezogener Fort- und Weiterbildung sowie wissenschaftlicher Kongresse
Die onkologische Chirurgie stützt sich in ihren Prinzipien auf belegte Fakten und ist rational begründet. Sie ist dank der wesentlich verbesserten präoperativen Diagnostik planbar geworden und an den individuellen Patienten adaptierbar. Ihre Grundprinzipien sind in den letzten Jahren entwickelt, überprüft und festgeschrieben worden. Onkologische Chirurgie – chirurgische Technik 4 »No-touch-isolation-Technik«, En-bloc-Resektion, R0-Resektion 4 Lymphadenektomie 4 Bergung des Tumorpräparats ohne Traumatisierung und ohne Kontamination des Operationsfeldes bzw. der Bauchdecken
6
4 Additive Therapie des Tumorbettes, z. B. durch intraoperative Bestrahlung oder lokoregionäre Chemotherapie 4 Vermeiden postoperativer Komplikationen 4 Rekonstruktion
Um erfolgreich zu sein, bedarf die onkologische Chirurgie heute der Vernetzung mit anderen onkologischen Fächern. Diese enge Kooperation findet ihren Ausdruck in multimodalen Therapieprinzipien. Der Bereich der Onkologie, der sich in erster Linie diesen perioperativen onkologischen Therapieprinzipien widmet, wird als chirurgische Onkologie bezeichnet. Aus dem Gesagten ergeben sich zwei Definitionen: 4 Onkologische Chirurgie: Hierunter versteht man den Teil der Chirurgie, der sich mit der Indikation, Verfahrenswahl und Technik der operativen Behandlung von Tumoren befasst. 4 Chirurgische Onkologie: Hierunter versteht man den Teil der Onkologie, der sich mit Indikation und Art multimodaler Therapieprinzipien am chirurgischen Patienten befasst. Im Zentrum dieser Therapieprotokolle steht ebenfalls die Operation. Eine genaue Kenntnis der Tumorerkrankung, der Optionen der multimodalen Therapie und ein breites chirurgisches Wissen sind dabei für den chirurgischen Onkologen erforderlich (Pollock 2007).
19.2
Präoperatives Vorgehen
19.2.1 Staging Die moderne onkologische Chirurgie strebt ein individuelles Therapiekonzept für den einzelnen Patienten an und benötigt daher präoperativ möglichst viele Informationen über die Tumorsituation und den Patienten. Entscheidendes Operationsziel in der onkologischen Chirurgie ist die lokale Tumorentfernung im Gesunden. Umfang und Qualität des präoperativen Stagings sind darauf ausgerichtet, folgende Fragen beantworten zu können: 4 Ist eine R0-Resektion möglich? 4 Liegen Fernmetastasen vor? 4 Wie groß ist das Risiko der Resektion unter Berücksichtigung des Risikoprofils des Patienten und der anatomischen Lokalisation des Tumors? 4 Müssen prä-, intra- oder postoperative nichtchirurgische Behandlungsmaßnahmen im Gesamttherapiekonzept berücksichtigt werden? 4 Zusätzlich ist es gerade bei onkologisch komplexen Situationen (z. B. Lokalrezidiven, Metastasen) sinnvoll einen Eindruck über die Biologie bzw. die Dynamik der Tumorerkrankung zu gewinnen. Auch im Hinblick auf die steigende Bedeutung neoadjuvanter Therapieprinzipien wird ein exaktes präoperatives Tumorstaging immer wichtiger. Während die T-Kategorie von luminal
19
216
Kapitel 19 · Prinzipien der onkologischen Chirurgie
her relativ zuverlässig bestimmbar ist (endoluminale Ultraschalluntersuchung, soweit das Organ endoskopisch erreichbar ist), ist die Diagnostik der N-Kategorie nach wie vor unzuverlässig. Die Einschätzung der M-Kategorie ist Domäne der Diagnostik mit CT, MRT und ggf. PET. Die diagnostische Laparoskopie ist Goldstandard für die Diagnostik einer Peritonealkarzinose.
Grundsätzlich gilt, dass eine präoperative Diagnostik nur in dem Maße durchgeführt werden soll, in dem aus den Ergebnissen auch therapeutische Konsequenzen gezogen werden.
19.2.2 Risikoabschätzung Die Risikoabschätzung dient der präoperativen Identifizierung gestörter Organfunktionen, die ggf. durch gezielte Maßnahmen verbessert werden können, nimmt Einfluss auf die Verfahrenswahl (z. B. limitierte Chirurgie beim Hochrisikopatienten) und ermöglicht eine problemorientierte postoperative Therapie (z. B. Nachbeatmung, Therapie einer Gerinnungsstörung). Als notwendige Voraussetzung dafür müssen Vorerkrankungen identifiziert, relevante Organfunktionen mit möglichem Einfluss auf den postoperativen Verlauf erfasst und diese Funktionen in Korrelation zum geplanten Eingriff bewertet werden. Hierzu zählen auch der Allgemeinzustand und die Kooperationsfähigkeit des Patienten. Der Umfang der Risikoanalyse orientiert sich an der objektiven Beeinträchtigung von Organfunktionen, der Dringlichkeit einer Operation sowie der Größe des geplanten Eingriffs. Eine enge Kooperation insbesondere mit den Kollegen der Anästhesie ist hierbei von großer Bedeutung.
19.2.3 Planung
19
Die Abschätzung des Umfanges der Operation ist wesentlich für die Planung des Operationszeitpunktes. Ein für diesen Eingriff erfahrener Operateur muss verfügbar sein. Die voraussichtliche Operationsdauer muss realistisch geplant sein und darf keinen Zeitdruck aufkommen lassen. Mögliche Operationserweiterungen sind präoperativ funktionell abzuklären und bei der Patientenaufklärung zu berücksichtigen (z. B. seitengetrennte Clearance bei möglicher Nephrektomie). Vorbereitende Maßnahmen wie eine orthograde Darmspülung oder die Platzierung von Ureterschienen bei Rezidiveingriffen müssen berücksichtigt werden. Der mögliche Operationsumfang sollte mit dem Operationspersonal und auch dem Anästhesisten abgesprochen sein. Die richtige Lagerung des Patienten ist von der Wahl des Zuganges abhängig. Bestimmte Eingriffe machen die Anwesenheit von Operateuren anderer Fachdisziplinen erforderlich. Additive intraoperative Therapiemaßnahmen wie eine intraoperative Radiatio oder Chemotherapie (Hyperthermie) bedürfen der Vorbereitung. Die sorgfältige Planung eines
onkologischen Eingriffs trägt wesentlich zu seinem Gelingen bei. Checkliste zur Planung eines onkologischchirurgischen Eingriffs 4 Patientenbezogen – Präoperative Darmspülung erforderlich? – Schienung der Harnleiter sinnvoll? – Frühzeitige präoperative Vorstellung in der Anästhesie notwendig? – Zugangswahl zum Operationsgebiet – Mögliche Operationserweiterungen einplanen 4 Operationsbezogen – Lagerung des Patienten – Voraussichtliche Operationsdauer – Erfahrener Operateur evtl. auch anderer Fachdisziplinen anwesend? – Technische Zusatzgeräte erforderlich? – Spezielle intraoperative Medikamente notwendig? 4 Tumorbezogen – Schnellschnittuntersuchung in der Pathologie notwendig? – Intraoperative Strahlen- oder Chemotherapie angezeigt? – Implantation von Spezialkathetern (intravenöser/ intraperitonealer Port) notwendig? – Gefäßrekonstruktionen zu erwarten?
Von besonderer Bedeutung ist die präoperative Aufklärung des Patienten. Diese sollte schrittweise erfolgen und nicht erst kurz vor dem Operationstag den vollen Umfang der Operation darlegen. Bei vielen Primärtumoroperationen, zu denen keine therapeutischen Alternativen bestehen, zeigt der Patient selten eine kritische Distanz zur Operation. Der Wunsch einer raschen Tumorentfernung ist beim Patienten häufig übermächtig und verschließt den Blick auf die Zeit danach. Die Aufgabe des Chirurgen ist auch die Darstellung möglicher funktioneller postoperativer Einschränkungen sowie evtl. notwendiger adjuvanter bzw. additiver Therapiemaßnahmen. Ganz individuell müssen dabei auch Aspekte der möglichen Prognose besprochen werden. Hierzu ist die Einbeziehung naher Angehöriger oder Vertrauenspersonen unbedingt erforderlich. Entsprechende Aufklärungsbögen erleichtern die Arbeit sehr. »Nur ein aufgeklärter Patient ist ein kooperativer Patient!«
19.2.4 Chirurgie vorbehandelter Patienten Eine neoadjuvante (präoperative) Therapie wird aus verschiedenen Gründen zunehmend in das multimodale Therapiekonzept integriert. Einerseits wird sie mit dem Ziel eines Downstagings bzw. Downsizings bei nicht oder nicht optimal resektablen Tumoren eingesetzt, andererseits auch als Alternative oder Ergänzung zu einer adjuvanten Therapie. Für einige Tumoren (z. B. Rektumkarzinom) konnte eine ver-
217 19.3 · Operatives Vorgehen
besserte Wirksamkeit gegenüber einer adjuvanten Therapie nachgewiesen werden, zudem erhalten durchschnittlich ein höherer Prozentsatz der Patienten eine geplante neoadjuvante als eine adjuvante Therapie. Ist eine Radiatio geplant, lässt sich das Zielvolumen präoperativ oft besser definieren (z. B. retroperitoneales Sarkom). Von großer Bedeutung ist, dass das Ansprechen auf eine neoadjuvante Therapie besser bestimmt werden und möglicherweise die Therapie entsprechend adaptiert werden kann. Die Überprüfung eines Ansprechens auf eine Vorbehandlung durch konventionelle bildgebende Diagnostik ist dabei eher unzuverlässig. Einen neuen Ansatz stellt die PET dar, ein Ansprechen des Tumors ist durch einen reduzierten Glukosestoffwechsel darstellbar. Die Möglichkeit einer solchen Evaluation könnte therapeutische Konsequenzen mit Verlängerung, Umstellung oder Abbruch der neoadjuvanten Therapie haben (Lordick et al. 2007). Insgesamt ist aber das Ansprechen auf eine Vorbehandlung derzeit nur bedingt überprüfbar, deshalb ist bei fehlender Progression nach Vorbehandlung in primär neoadjuvanter Intention im Allgemeinen großzügig eine Operationsindikation zu stellen. Das Therapieansprechen kann dann am Operationspräparat zuverlässiger erfasst werden. Grundsätzlich ist nach Vorbehandlung ein geeignetes Zeitintervall abzuwarten, um ein Re-Staging durchzuführen. Hierbei ist im Wesentlichen eine Progression der Tumorerkrankung und insbesondere eine neu aufgetretene Fernmetastasierung auszuschließen. Wenn ein adäquates Zeitintervall von 3–4 Wochen nach Polychemotherapie eingehalten wird, zeigen bisherige Erfahrungen kein erhöhtes postoperatives Risiko (Siewert et al. 2007). Im Gegensatz dazu wird nach kombinierter Radiochemotherapie bei bestimmten Tumorentitäten ein deutlich erhöhtes postoperatives Risiko mit auch erhöhter Letalität beobachtet, auch wenn dies nicht für alle Tumorentitäten gezeigt werden konnte (Heidecke et al. 2002; Ulrich et al. 2009). Die Chirurgie neoadjuvant vortherapierter Patienten muss sich diesen Gegebenheiten anpassen.
19.3
Operatives Vorgehen
Das operative Vorgehen ist entscheidend von dem Operationsziel abhängig, wobei ein Eingriff in diagnostischer, in potenziell kurativer, in palliativer oder in prophylaktischer Intention durchgeführt werden kann.
19.3.1 Operation in diagnostischer Intention Ziel der Operation in diagnostischer Intention ist typischerweise die histologische Sicherung eines malignen Geschehens, das nicht perkutan oder endoskopisch möglich ist. Auf den Stellenwert der Staginglaparoskopie wurde bereits eingegangen (7 Kap. 16) Grundsätzlich darf durch eine Biopsie nicht der spätere Eingriff in potentiell kurativer Intention erschwert werden.
19.3.2 Operation in potenziell kurativer
Intention Ziel der potenziell kurativen Operation ist die Entfernung des Tumors im Gesunden in allen Ebenen. Hierunter ist bei Hohlorganabschnitten nicht nur die luminale Resektionsfläche sondern auch das Tumorbett selbst zu verstehen. Der zu fordernde Sicherheitsabstand vom Primärtumor ist vom Wachstumstyp und anatomischen Gegebenheiten abhängig, er beträgt bei Hohlorganen in der Regel zwischen 2 und 10 cm. Bei Einbeziehung von Nachbarorganen durch die Infiltration des Primärtumors sollte in Abhängigkeit von der zu erwartenden Prognose, von der Lebensnotwendigkeit beteiligter Organe und von der zu erwartenden Einschränkung der Lebensqualität eine multiviszerale En-bloc-Resektion durchgeführt werden.
Lymphadenektomie Die Lymphadenektomie hat einen diagnostischen und einen therapeutischen Aspekt: Nur eine ausreichende Lymphadenektomie gewährleistet die korrekte Zuordnung zu einem Tumorstadium. Die N-Kategorie ist ein wichtiger Prognosefaktor und entscheidet bei einzelnen Tumorentitäten über die Indikation zu einer adjuvanten Nachbehandlung. Nur eine exakte Stadienzuordnung erlaubt eine Vergleichbarkeit von Behandlungsergebnissen. Der therapeutische Aspekt der Lymphadenektomie beinhaltet eine mögliche Prognoseverbesserung: Dabei muss der an der Embryogenese orientierte, dem erkrankten Organ zugehörige lokoregionäre Lymphabfluss möglichst en bloc mit dem Primärtumor entfernt werden (qualitativer Aspekt). Die jeweilig vom Primärtumor am weitesten distanziert gelegenen Lymphknoten, die sich überwiegend an großen Gefäßverläufen orientieren, werden dabei als Grenzlymphknoten bezeichnet und für den Pathologen ggf. gesondert markiert. Eine wirkliche Prognoseverbesserung durch die Lymphadenektomie erscheint nur dann möglich, wenn die Anzahl der zu entfernenden Lymphknoten deutlich die Anzahl befallener Lymphknoten übersteigt (quantitativer Aspekt). Hierzu ist eine subtile Aufarbeitung der Lymphknoten mit entsprechender Zählung durch den Pathologen erforderlich. Dabei wird der Quotient aus der Anzahl befallener Lymphknoten zur Anzahl entfernter Lymphknoten als Lymphknotenquotient (LK-Ratio) bezeichnet, mit einem Wert <0,2, wenn also über 80% der entfernten Lymphknoten in der Routinehistologie tumorfrei sind, zeigt er eher eine bessere Prognose an (Roder et al. 1994). Hierdurch wird das Prinzip des ausreichenden Sicherheitsabstandes auf die Lymphadenektomie übertragen (Siewert et al. 1998; . Abb. 19.3). Der häufige Nachweis eines Mikroinvolvements in konventionell-lichtmikroskopisch tumorfreien Lymphknoten ist möglicherweise Grundlage dieser Zusammenhänge. Nur bei wenigen Tumoren sind so umfangreiche Datenbanken zum Lymphknotenbefall in Abhängigkeit vom Tumorstadium, dem Tumortyp und der Tumorlokalisation wie beim Magenkarzinom angelegt. Diese Datenbanken könnten zukünftig eine individualisierte Lymphadenektomie beim Magenkarzinom erlauben (Bollschweiler et al. 1992).
19
218
Kapitel 19 · Prinzipien der onkologischen Chirurgie
. Abb. 19.3. Deutsche MagenkarzinomStudie (GGCS 1992): Überleben R0-resezierter Patienten in Abhängigkeit von der Lymphknotenratio. (Nach Siewert et al. 1998)
Bezüglich der Wächterlymphknotendetektion sei auf 7 Kap. 15 verwiesen.
Sicherung der intraoperativen Tumorfreiheit Am Beginn jeder Operation steht die intraoperative Exploration der zugänglichen anatomischen Regionen zur Einschätzung der lokoregionären Tumorausdehnung und einer eventuellen Fernmetastasierung. Zur Exploration der Leber hat sich der intraoperative Ultraschall bewährt.
Eine Schnellschnittdiagnostik im Bereich der Absetzungsgrenzen des Primärtumors erscheint nur dann sinnvoll, wenn aus dem positiven Tumornachweis Konsequenzen im Sinne einer Resektionserweiterung gezogen werden können.
19
Schnellschnittuntersuchungen im Rahmen der Lymphadenektomie sind im Allgemeinen nicht sinnvoll, da das Ausmaß der Lymphadenektomie durch die Topographie vorgegeben ist und eine Erweiterung der Lymphadenektomie in der Regel nicht möglich ist bzw. keinen therapeutischen Einfluss hat (s. oben, LK-Ratio). Ggf. können einzelne repräsentative Lymphknoten distanzierter Kompartimente entfernt werden, um eine Fernmetastasierung in Lymphknoten sichern zu können.
Rekonstruktion in der onkologischen Chirurgie Im Vordergrund der Operation steht die radikale Tumorentfernung im Gesunden. Die Rekonstruktion ist diesem Ziel nachgeordnet und sollte möglichst einfach und komplikationsarm sein, da postoperative Komplikationen bei onkologischen Eingriffen einen eigenständigen Prognosefaktor für das langfristige Überleben darstellen (Roder et al. 1993). Aufwändigere Rekonstruktionsverfahren können bei Patienten
mit geringem Risikoprofil und guter onkologischer Prognose indiziert sein. Berücksichtigt werden muss auch, dass bestimmte Rekonstruktionsverfahren (z. B. Pouchbildung nach Gastrektomie) erst im mittelfristigen Verlauf für den Patienten Vorteile zeigen, also für Patienten mit nur kurzfristiger Prognose keinen subjektiven Vorteil bringen (Roder et al. 1996). Die Wahl der Rekonstruktion ist auch vom Lokalrezidivrisiko abhängig. So sollte bei einem lokal fortgeschrittenen Ösophaguskarzinom eine Rekonstruktion im vorderen Mediastinum einer im hinteren Mediastinum (»Tumorbett«) vorgezogen werden. Die Rekonstruktion außerhalb des Tumorbettes erleichtert außerdem die Durchführung einer postoperativen Strahlentherapie.
19.3.3 Operation in palliativer Intention Wenn keine R0-Resektion erreichbar ist, besteht grundsätzlich eine palliative Behandlungssituation. Eine fehlende R0Resektabilität sollte jedoch zunächst immer Anlass sein, die Indikation zu einem multimodalen Therapiekonzept zu prüfen. Beim Ösophagus-, Magen- und Rektumkarzinom haben sich für die Wirksamkeit dieses Therapieprinzips gute Hinweise ergeben (Ott et al. 2003; Rodel et al. 1998). Lokal primär inoperable Pankreaskarzinome sollten ebenfalls einem neoadjuvanten Therapieversuch zugeführt werden (Reissfelder et al. 2007), gleiches gilt für Lebermetastasen kolorektaler Karzinome. Die Entscheidung zur palliativen Chirurgie stellt immer eine Individualentscheidung dar und ist von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig. Zum einen sind alle nichtoperativen Behandlungsverfahren alternativ in ihrer Wirksamkeit zu berücksichtigen, zum anderen bestimmt die nur durch eine Operation zu beeinflussende Symptomatik des Patienten (u. a. Blutung, Stenose) und das operative Risiko die Therapieentscheidung. Je geringer die Symptomatik und je größer das operative Risiko einzuschätzen sind, um so eher sollte von
219 19.3 · Operatives Vorgehen
einer operativen Maßnahme Abstand genommen werden. Der Einsatz operativer Maßnahmen sollte sich auf komplikationsarme Verfahren beschränken, die eine rasche subjektive Beschwerdebesserung mit frühzeitiger stationärer Entlassung ermöglichen. Im Einzelfall stellt sich ggf. die Frage, ob durch ein operatives Tumordebulking eine Lebensverlängerung erreicht werden kann. Für die meisten Tumorentitäten ist dieser Ansatz nicht erfolgversprechend. Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Auffassung erscheinen nur gerechtfertigt, wenn für die Tumorerkrankung ein effektives additives Therapiekonzept besteht oder spezielle tumorbiologische Faktoren vorliegen. Typische Beispiele sind hierfür das Ovarialkarzinom, hochdifferenzierte neuroendokrine Karzinome, Low-grade-Sarkome sowie das Vorliegen eines Pseudomyxoma peritonei (Bristow et al. 2002).
4 Die beste Indikation sind Präkanzerosen, Frühkarzinome und kleine Tumoren in gut mobilen Organen mit übersichtlichen Metastastasierungswegen. 4 Eine Lymphadenektomie ist möglich. 4 Eine En-bloc-Resektion erscheint bei der Größe mancher Resektate schwierig, eine eventuelle Zerlegung der Präparate kann eine notwendige Präparatebeurteilung gefährden und beinhaltet die Gefahr der Tumorzellverschleppung. 4 Eine sinnvolle Präparatebergung kann derzeit nur über eine Minilaparotomie (ggf. auch transvaginal) erfolgen. 4 Die anfänglich jeweils langen Operationszeiten verkürzen sich im Laufe einer Lernphase. 4 Einen besonderen Augenmerk gilt es auf die Patienten zu legen bei denen zum offenen Vorgehen konvertiert werden musste, da das Outcome dieser Patienten möglicherweise verschlechtert wird.
19.3.4 Operation in prophylaktischer Intention
Während die minimal-invasive Chirurgie bisher am geringeren Operationstrauma und kürzeren Aufenthaltszeiten gemessen wurde, muss sie sich im Bereich der onkologischen Chirurgie den Zielkriterien »Verbesserung der Prognose« und »Sicherstellung einer längerfristigen Lebensqualität« stellen und die gleichen Standards wie die konventionelle Chirurgie erfüllen. Hierzu bedarf es noch zahlreicher Studien mit vergleichenden Zahlenangaben zur Qualität und zum Überleben (Feussner u. Siewert 1998).
Mit dem zunehmenden Wissen über präkanzeröse Veränderungen und deren potenziellem Übergang in ein invasives Karzinom sowie der Definition hereditärer molekularbiologischer Tumordispositionen gewinnt die prophylaktische Chirurgie zunehmend Bedeutung (Knaebel et al. 2005). Eine prophylaktische Operationsindikation ist abhängig von der Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen malignen Entartung, dem Umfang der operativen Therapie und der daraus resultierenden funktionellen Einschränkung. Eine prädiktive Diagnostik setzt immer ein interdisziplinäres Beratungskonzept einschließlich einer angemessenen Darstellung des genetischen Sachverhaltes voraus. Das Paradebeispiel für die prophylaktische Chirurgie bei hereditären Krebsprädispositionssyndrom stellt die familiäre adenomatöse Polyposis coli (FAP) dar, weitere wichtige Entitäten sind das HNPCC sowie das hereditäre Brust-, Magen- und Schilddrüsenkarzinom (Dralle et al. 2008; Hebbard et al. 2009; Möslein 2008; Schlehe u. Schmutzler 2008) Beispiele für eine prophylaktische Chirurgie bei nicht-hereditären Erkrankungen sind schwere Dysplasien im BarrettÖsophagus, das Adenom der Papilla Vateri oder die Colitis ulcerosa.
19.3.6 Perioperatives Management Naturgemäß nimmt die perioperative Phase eine Schlüsselstellung in der chirurgischen Onkologie ein. Stets gilt es zu berücksichtigen, dass perioperative Maßnahmen direkt das Kurz- und Langzeitoutcome der Patienten beeinflussen können (Rahbari et al. 2009; Weitz et al. 2006). Die perioperative Phase sollte außerdem möglichst zuverlässig und komplikationsarm ablaufen, da Komplikationen nicht nur die Prognose der Patienten verschlechtern sondern auch eine geplante Nachbehandlung der Patienten verzögern können. Eine enge Kooperation mit allen beteiligten Disziplinen, insbesondere der Anästhesie, ist daher für das optimale Management von onkologischen Patienten anzustreben.
19.3.5 Stellenwert der minimal-invasiven
Chirurgie Der Einsatz minimal-invasiver Techniken innerhalb der onkologischen Chirurgie mit kurativer Behandlungsintention muss die gleichen Standards wie die offene Chirurgie erfüllen. Der Nachweis einer solchen Gleichwertigkeit in kontrolliert randomisierten Studien ist zu fordern, wenn auch in der klinischen Realität diesem Grundsatz nicht immer gefolgt wird. Für das Kolonkarzinom scheint eine Gleichwertigkeit mittlerweile relativ gut belegt zu sein, für die meisten anderen Tumorentitäten ist die Datenlage unzureichend. Grundsätzlich können die Rahmenbedingungen der minimal-invasiven Tumorchirurgie z. Z. wie folgt skizziert werden:
19.3.7 Operationsbericht Der Operationsbericht dient in erster Linie als onkologisches Dokumentationsprotokoll. Er soll die lokoregionäre Tumorausdehnung sowie die Exploration der Umgebung beschreiben. Resektionsausmaß, Umfang der Lymphadenektomie und ggf. die Markierung des Tumorbettes müssen Erwähnung finden. Eventuelle additive intraoperative Maßnahmen werden geschildert. Von besonderer Bedeutung ist die Festlegung der vorläufigen Residualtumorkategorie durch den Operateur. Dieser muss lokoregionäres Resttumorgewebe oder verbliebene Fernmetastasen nachvollziehbar beschreiben.
19
19
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Kapitel 19 · Prinzipien der onkologischen Chirurgie
19.4
Pathologisch-anatomische Präparatebefundung
Eine engste Kooperation zwischen onkologischem Chirurg und Pathologen ist unerlässlich. Ein Präparatedienst, der das Resektat intraoperativ mit ausreichender Information durch den Chirurgen bearbeitet, erleichtert die weitere Befundung. Die frühe makroskopische Aufarbeitung des Resektates ermöglicht eine erste Beschreibung des Resektionsabstandes aber auch die unmittelbare Asservierung von Frischtumorgewebe für wissenschaftliche Fragestellungen oder Spezialfärbungen im Rahmen der Routine, ohne für den Pathologen nicht mehr nachvollziehbare Veränderungen am Präparat vorzunehmen. Das Präparat kann so bereits im Operationssaal ggf. orientierend aufgespannt und formalinfixiert werden. Die Außenbegrenzung des Präparates im Tumorbett kann mit Tuschepartikeln markiert werden, um mikroskopisch auch nach Schneideartefakten die äußere Begrenzungsschicht sicher identifizieren zu können. Bei eventueller Indikation zur Erweiterung der Radikalität können Schnellschnitte veranlasst werden. Eine Bilddokumentation des frischen Resektates ermöglicht eine spätere fallorientierte Besprechung im interdisziplinären Tumorboard. Der Pathologe stellt auch eine qualitätssichernde Instanz in der onkologischen Chirurgie dar (z. B. Qualitätskontrolle der TME beim Rektumkarzinom). Bei der endgültigen Präparatebefundung ist zunächst ist der Sicherheitsabstand luminal und im Bereich des Tumorbettes zu vermessen. Weitere Basisinformationen sind der histologische Tumortypus, das Grading, die pTNM-Kategorie sowie die Residualtumorkategorie ggf. unter Einbeziehung klinischer Informationen über verbliebene Tumoranteile bzw. Fernmetastasen. Für die korrekte pN-Kategorie wird als Qualitätsmaßstab eine Mindestanzahl präparierbarer Lymphknoten gefordert (Wittekind et al. 2002; 7 Kap. 3), wie bereits dargestellt ist die Lymphknoten-Ratio prognostisch relevant. Die exakte M-Kategorie ist von einer umfassenden Information durch den Chirurgen abhängig. Irresektable Fernmetastasen sollten zum Zweck der diagnostischen Sicherung biopsiert werden. In seltenen Fällen wird hierbei eine Fernmetastasierung bisher unbekannter anderweitiger Primärtumoren oder vorausgegangener Tumorerkrankungen diagnostiziert. Erst nach adäquatem Staging, chirurgischem Eingriff und sorgfältiger histopathologischer Aufarbeitung ist eine zuverlässige Festlegung der Residualtumorkategorie (R-Kategorie), dem wichtigsten eigenständigen therapieabhängigen Prognosefaktor onkologischer Chirurgie, möglich. Nur eine R0-Resektion kann als kurative Resektion bezeichnet werden. Bei mikroskopischem (R1-Resektion) oder makroskopischem Tumorrest (R2-Resektion) ist im Regelfall von einer palliativen Resektion auszugehen (Hermanek u. Wittekind 1994a, 1994b). Dabei bezieht sich die Residualtumorkategorie auf den gesamten Patienten. Die Feststellung einer R0-Resektion kann somit nur vom Chirurgen und Pathologen gemeinsam vorgenommen werden. Der Chirurg muss am Ende der Operation eine lokoregionäre makroskopische Tumorfreiheit feststellen, der Pathologe die mikroskopische Tumorfreiheit der Resektionsränder.
Da sich die Residualtumorkategorie im Regelfall auf die Primärtumorsituation bezieht, entsteht häufiger die Konstellation einer lokalen R0-Resektion des Primärtumors bei bekannten Fernmetastasen, die einer operativen Therapie nicht zugeführt werden können. Hierfür hat sich bezogen auf die Primärtumorsituation im klinischen Alltag der Terminus »lokal R0« und bezogen auf die Gesamttumorlast des Patienten die Bezeichnung »R2-Situation« eingebürgert.
19.5
Postoperative Phase
19.5.1 Beurteilung des postoperativen
Verlaufes Eine objektive Einschätzung des postoperativen Verlaufes setzt eine Definition des Zielkriteriums voraus. Bezüglich der perioperativen Morbidität ist nicht nur eine genaue Definition sondern auch eine Graduierung des Schweregrades der Komplikation sinnvoll (Martin et al. 2002). Bezüglich der postoperativen Sterblichkeit werden die 30-Tage-Letalität und die Hospitalletalität verwandt. Bezüglich des Langzeitoutcomes ist das Gesamtüberleben der wichtigste und zuverlässigste Parameter. Weitere wichtige Zielkriterien sind das krankheitsspezifische Überleben sowie das krankheitsfreie Überleben. Auch die Lokalrezidivrate kann ein wichtiges Zielkriterium sein, ist sie doch ein wesentlicher Qualitätsfaktor für die lokoregionäre Radikalität der chirurgischen Behandlung. In Abhängigkeit vom Tumortyp kann die Ermittlung der Lokalrezidivrate jedoch außerordentlich unzuverlässig sein. Bezüglich der Prognosefaktoren unterteilt man in patienten-, therapie- und tumorbezogene Parameter (Hermanek et al. 1995; Weitz et al. 2001). Für den Chirurgen besonders relevant, da teilweise direkt beeinflussbar, sind die therapiebezogenen Faktoren (Böttcher et al. 1994; Hermanek et al. 1994), insbesondere: 4 R-Kategorie 4 Lymphknotenquotient 4 Erfahrung des Operateurs/Zentrums 4 Postoperative Komplikationen Unzweifelhaft ist die Residualtumorkategorie der relevanteste Prognosefaktor. Operative Eingriffe, die keine R0-Resektion erreichen, können die Prognose des Patienten nur in seltenen Fällen verbessern (Siewert et al. 1998). In der Untergruppe der Patienten mit beginnender Lymphknotenmetastasierung stellt auch das Ausmaß der Lymphknotendissektion, das in die LK-Ratio eingeht, einen eigenständigen Prognosefaktor dar. Die Häufigkeit einer R0-Resektion und auch das Ausmaß der Lymphadenektomie sind u. a. von der Erfahrung einer chirurgischen Institution und des Operateurs selbst mitbestimmt. Diese kann insbesondere an der Anzahl durchgeführter Eingriffe pro Zeiteinheit gemessen werden. Selbstverständlich beeinflusst diese Erfahrung besonders die postoperative Komplikationsrate und die Hospitalletalität; Studien konnten aber auch einen deutlichen Einfluss auf die Lokalrezidivrate
221 19.5 · Postoperative Phase
. Tab. 19.1. 30-Tage-Letalität nach verschiedenen operativen Eingriffen in Abhängigkeit von der Eingriffshäufigkeit. (Begg et al. 1998)
Eingriffe pro Jahr
1–5
6–10
≥11
Pankreatektomie
12,9
7,7
5,8
Ösophagektomie
17,3
3,9
3,4
Pneumonektomie
13,8
14,1
10,7
Leberresektion
5,4
3,5
1,7
Pelvine Exenteration
3,7
3,2
1,5
Primärtumors, können angiographische Stimulationsverfahren eine annähernde Lokalisation mit anschließender »blinder« Organresektion ermöglichen. Anamnestische und auch tumorspezifische Hinweise für eine hereditäre Tumordispositionserkrankung sollten nach Aufklärung und Zustimmung des Patienten zu einer eventuellen molekularbiologischen Diagnostik Anlass geben. Bei Tumorentitäten mit einem hohen Lokalrezidivrisiko mit einer entsprechenden Therapieoption empfiehlt sich die frühe postoperative Anfertigung einer CT oder MRT zur Dokumentation des Ausgangsbefundes im Hinblick auf weitere Kontrolluntersuchungen.
19.5.3 Adjuvante Therapiemaßnahmen und das langfristige Überleben der Patienten nachweisen (. Tab. 19.1; Böttcher et al. 1994; Hermanek et al. 1994; Hermanek 1995; Weitz et al. 2004). Darüber hinaus stellen postoperative Komplikationen allein einen eigenständigen Prognosefaktor dar. Neben dem erwarteten Einfluss auf die Hospitalletalität haben postoperative Komplikationen beispielsweise auch einen Einfluss auf die Häufigkeit von Lokalrezidiven sowie auf das langfristige Überleben (Böttcher et al. 1994).
Die Bewertung der dargestellten Prognosefaktoren lässt den Schluss zu, dass der Einsatz komplikationsarmer Operationsverfahren in der Hand trainierter Chirurgen innerhalb eines onkologischen Zentrums die beste prognostische Voraussetzung für den Patienten darstellt.
Das Wissen um eine adjuvante Therapieoption darf das Bemühen um eine R0-Resektion nicht beeinträchtigen. Der Anstoß zu einer postoperativen Therapie muss vom onkologischen Chirurgen ausgehen, die Indikation sollte durch das interdisziplinäre Tumorboard gestellt werden. Eine möglichst komplikationsarme postoperative Phase erlaubt den Einschluss in die geplanten Therapiekonzepte. Intraoperativ gilt es in Einzelfällen die postoperative Therapie bereits vorzubereiten (z. B. intraoperative Clipmarkierung bei geplanter Nachbestrahlung). Die intrakavitäre Chemotherapie geht mit einer bereits intraoperativen Chemotherapie einher oder der Vorbereitung durch intraperitoneale Katheterplatzierung. Die Prüfung innovativer Therapiemaßnahmen gelingt nur, wenn der Chirurg zur Patientenrekrutierung beiträgt und über den Zugang zu entsprechenden Studien verfügt.
19.5.4 Postoperative Aufklärung 19.5.2 Erweiterte postoperative Diagnostik Spezielle histopathologische Befunde oder auch anamnestische Daten können Anlass für eine erweiterte postoperative Diagnostik sein. Die Diagnose eines differenzierten neuroendokrinen Karzinoms beispielsweise ist mit der Frage nach dessen hormoneller Aktivität verbunden. Diese stellt einen möglichen Tumormarker dar. Cave Bei präoperativem Verdacht auf einen neuroendokrinen Tumor sollte bei fehlender klinischer Symptomatik Serum für eine eventuelle postoperative Diagnostik asserviert werden.
Geeignete nuklearmedizinische Untersuchungstechniken bieten die Möglichkeit einer differenzierteren Metastasensuche. Insbesondere kleine neuroendokrine Tumoren (z. B. Gastrinome) können bei unbekannter Primärtumorlokalisation mit einer schon ausgedehnten Lymphknoten- oder Fermetastasierung einhergehen. Gelingt auch nach diagnostischer Laparotomie mit intraoperativer Sonographie keine Lokalisation des
Die postoperative Aufklärung betrifft erneut gleichermaßen den Patienten als auch sein familiäres Umfeld. Zunächst bedarf es einer Information über den tatsächlichen Umfang der Operation und eventueller funktioneller Konsequenzen sowie auch über das intraoperativ festgestellte Ausmaß der Tumorerkrankung. Eine abschließende Information kann erst nach Vorliegen der definitiven pathohistologischen Befundung erfolgen. In der postoperativen Situation ist es immer vorteilhaft, an die bereits präoperativ durchgeführte stufenweise Aufklärung anknüpfen zu können. Hierdurch können krisenhafte emotionale Einbrüche bei einer Vielzahl von Patienten verhindert werden. Ganz wesentlich ist die Erläuterung der Sinnhaftigkeit adjuvanter Therapiemaßnahmen durch den Chirurgen selbst, da dieser als unmittelbare Vertrauensperson des Patienten ein wesentlicher Motor für die Motivationsbildung ist. Er bereitet das anschließende Gespräch mit dem Onkologen bzw. Strahlentherapeuten entscheidend vor. Eine vorherige Entscheidungsfindung im Tumorboard erleichtert eine gemeinsame Sprachregelung und trägt wesentlich zur Vertrauensbildung bei. Auch eine Einbeziehung des Hausarztes im Vorfeld dieser Entscheidungen erscheint wünschenswert, da dieser häufig von Patienten oder Angehörigen in die Entschei-
19
222
Kapitel 19 · Prinzipien der onkologischen Chirurgie
dungsfindung eingebunden wird. Abschließend gehört die Erläuterung von Nachsorge- bzw. Vorsorgemaßnahmen in den Aufgabenbereich des onkologischen Chirurgen.
19.5.5 Tumornachsorge – Tumorvorsorge –
Tumorfrüherkennung Die Erfassung von Nachsorgedaten ist für die Evaluierung der Therapieergebnisse unerlässlich. Nachsorge aber heißt nicht allein die Erfassung von ausschließlich onkologischen Daten, sondern auch die Betreuung des Patienten bezogen auf seine Lebensqualität mit Blick auf potenzielle operations- oder komplikationsbedingte Funktionseinbußen bzw. Funktionsanpassungen. Eine Rezidivtumorfrüherkennung hat nur dann eine Relevanz, wenn sie zu therapeutischen Konsequenzen führt, entsprechend sollten Nachsorgeuntersuchungsprotokolle angepasst werden. Bei der Planung einer postoperativen Patientenbetreuung sollte in Abhängigkeit vom Tumorstadium auch immer an eine erneute Tumorvorsorge bzw. Tumorfrüherkennung gedacht werden. Das Auftreten metachroner Zweitkarzinome ist z. B. nach kolorektaler Tumorchirurgie gegenüber der Normalbevölkerung deutlich erhöht. Daher stellt eine regelmäßige Koloskopie beim kolorektalen Karzinom eine sinnvolle Maßnahme dar. Hereditäre Tumordispositionserkrankungen, ganz besonders die FAP und das HNPCC (hereditäres nichtpolyposisassoziierte kolorektales Karzinom), gewinnen eine zunehmende Bedeutung. Auch extrakolonische Organe, für die ein erhöhtes Tumorrisiko besteht, sollten durch geeignete Früherkennungsuntersuchungen bei Genträgern überwacht werden (Koornstra et al. 2009).
19.6
19
Behandlung von Rezidiven und Metastasen
Beim Auftreten von Rezidiven und Metastasen besteht – wie auch beim Primärtumor – nur durch eine vollständige Resektion eine Option auf Heilung. Zur Planung eines solchen operativen Eingriffes bedarf es, neben einer Beurteilung der Tumorbiologie und des Patientenzustandes, immer eines exakten Stagings zum Ausschluss bzw. Nachweis weiterer Tumormanifestationen. In der Abwägung operativer und nichtoperativer Therapieoptionen müssen bei dem jeweiligen Patienten zuvor eingesetzte multimodale Therapieverfahren berücksichtigt werden. Ausschließlich intraluminale Lokalrezidive sind selten aber häufig einer Nachresektion zugänglich. Die häufigste Lokalrezidivlokalisation bei soliden gastrointestinalen Tumoren ist das extraluminale Rezidiv, welches ggf. nur durch eine multiviszerale Resektion R0-resektabel ist. Erscheint eine onkologisch-chirurgische Behandlung grundsätzlich möglich, ist die Anwendung multimodaler Therapieprinzipien prüfen, wobei es sich hierbei meist um individuelle Entscheidungen im Tumorboard handelt.
Auch die Behandlung von Metastasen ist überwiegend eine Individualentscheidung und bezieht Kriterien wie den Tumortyp und seine spezifische Prognose, das tumorfreie Intervall, postoperative Behandlungsoptionen, die Funktionsreserve des betroffenen Organs und das perioperative Risiko ein. Auch in der Metastasenchirurgie ist eine R0-Resektion anzustreben. Der Nachweis von Fernmetastasen macht auch immer eine Klärung der lokoregionären Tumorsituation notwendig. Die Anwendung multimodaler Therapiekonzepte sollte für jeden Einzelfall geprüft werden.
19.7
Onkologische Chirurgie: Stellenwert und Ausblick
Die onkologische Chirurgie hat sich von älteren mechanistischen Vorstellungen gelöst und tumorbiologische Erkenntnisse in operative Strategien umgesetzt. Sie ist ein primär interdisziplinär agierendes Fach mit der Erkenntnis, dass die onkologisch-chirurgische Behandlung des Patienten mit der Tumorresektion weder beginnt noch aufhört. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass meist nur eine R0-Resektion für den Patienten von prognostischem Vorteil ist mit einer entsprechenden Erweiterung der Radikalität. Der Nachweis freier Tumorzellen in Körperhöhlen, im Blut und im Knochenmark wird zu einer weiteren Präzisierung des Begriffes der R0-Resektion führen, sobald die biologische Wertigkeit dieser Tumorzellen evaluiert worden ist. In der Folge werden neue Therapiestrategien diese Resttumorlast nach chirurgischer Therapie zum Ziel haben. Durch die zunehmende Anwendung molekularer Verfahren kann möglicherweise eine zunehmende Individualisierung der onkologischen Therapie erreicht werden. Durch molekularbiologische Strategien der Erkennung von prämalignen und frühen malignen Veränderungen könnte zukünftig möglicherweise das Radikalitätsausmaß beeinflusst und vermehrt prophylaktische chirurgische Maßnahmen zur Anwendung kommen. Im Rahmen einer solchen Chirurgie mit deutlich verbesserter Prognose gewinnt die Lebensqualität bestimmter rekonstruktiver Maßnahmen einen neuen wissenschaftlichen und klinischen Stellenwert. Der besondere Reiz der onkologischen Chirurgie bzw. der chirurgischen Onkologie liegt einerseits in der Möglichkeit der Kombination der chirurgisch technischen Expertise mit Erkenntnissen über die Tumorbiologie und andererseits in der Tatsache begründet, dass nur durch eine vollständige Resektion eine Heilung der meisten soliden Tumoren möglich ist.
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19
20 20
Laparoskopische und roboterassistierte Tumorchirurgie F. Köckerling, C. Schug-Paß
20.1
Limitierungen der laparoskopischen Tumorchirurgie
20.1.1 20.1.2 20.1.3
Port-site-Rezidive – 226 Tumorgröße – 226 Fehlende manuelle Kontrolle und Tumorhandling
20.2
Präparatebergung
20.3
Laparoskopische Tumoroperationen
20.3.1
Plattenepithelkarzinom des Ösophagus und Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (Empfehlungsgrad B–C der EbM-Kriterien) – 227 Magenkarzinom (Empfehlungsgrad B der EbM-Kriterien) – 229 Pankreaskarzinom (Empfehlungsgrad B–C der EbM-Kriterien) – 230 Lebertumoren (Empfehlungsgrad B–C der EbM-Kriterien) – 230 Kolonkarzinom (Empfehlungsgrad A der EbM-Kriterien) – 231 Rektumkarzinom (Empfehlungsgrad B der EbM-Kriterien) – 231 Roboterassistierte kolorektale Chirurgie beim Karzinom (Empfehlungsgrad C der EbM-Kriterien) – 231
20.3.2 20.3.3 20.3.4 20.3.5 20.3.6 20.3.7
Literatur
– 232
– 226
– 227
– 227 – 227
226
Kapitel 20 · Laparoskopische und roboterassistierte Tumorchirurgie
> Ziel der onkologischen Chirurgie in kurativer Intention ist die Heilung bzw. Prognoseverbesserung des Patienten. Dies gelingt nur durch einen radikalen chirurgischen Eingriff, dessen Ausmaß lediglich in ausgewählten frühen Tumorstadien eingeschränkt werden darf. Oberste chirurgische Zielsetzung ist eine postoperative Residualtumorfreiheit (R0-Resektion) durch En-bloc-Resektion, das heißt Tumorresektion in allen drei Dimensionen des Tumorwachstums und der Lymphabflusswege (vierte Dimension) im Zusammenhang, bei adäquatem Sicherheitsabstand auch im Tumorbett und durch eine hinsichtlich Lokalisation und Anzahl adäquate Lymphknotendissektion (Siewert et al. 2006). Die Wertigkeit tumorchirurgischer Operationen zur Erreichung dieser Zielsetzung ist für viele gastrointestinale Malignome auf dem höchsten Evidenzgrad belegt und stellt somit den Standard dar. Die spezifischen Vorteile der minimalinvasiven Chirurgie, wie geringerer postoperativer Schmerz, verbesserter Patientenkomfort, kürzere Krankenhausverweildauer, frühere Rückkehr zur Arbeit und zur normalen Aktivität, bessere Kosmetik, sind inzwischen bei gutartigen Erkrankungen in der Hand des erfahrenen laparoskopischen Chirurgen belegt und haben zu entsprechender Verbreitung der minimalinvasiven Chirurgie geführt. Obwohl bereits sehr früh nach der Einführung der laparoskopischen Chirurgie auch die ersten minimalinvasiven Eingriffe in kurativer Intention bei Tumoren des Gastrointestinaltraktes durchgeführt wurden, konnte sich die laparoskopische onkologische Chirurgie bis heute nicht durchsetzen und wird lediglich in wenigen Zentren, und auch dort nur in selektionierten Fällen vorgenommen. Gründe dafür liegen in dem Konflikt zwischen dem Primärziel eines maximal radikalen tumorchirurgischen Eingriffes und dem möglichst schonenden Vorgehen mit geringstmöglicher Belastung des Patienten (Feussner et al. 1998). Bei minimalinvasiven Eingriffen zur Behandlung von gastrointestinalen Malignomen bestehen Limitierungen in der Technik, die die Ergebnisqualität eines radikalen chirurgischen Eingriffes verschlechtern können.
20.1
20
Das Port-site-Rezidiv wird als lokales, umschriebenes Tumorwachstum an der Stelle einer oder mehrerer Trokareinstichstellen oder in der Bergeinzision nach laparoskopischer oder thorakoskopischer Operation definiert. Port-site-Rezidive sind lokalisiert im Narbengewebe der Abdominal- oder Thoraxwand, betreffen zunächst die Dermis und die Subkutis, in der Regel jedoch nicht die Muskulatur. Die Entwicklung von Port-site-Rezidiven ist nicht stadienabhängig, tritt aber dennoch häufiger bei fortgeschrittenen Tumoren auf. Jedes Port-site-Rezidiv stellt eine deutliche Prognoseverschlechterung für den Patienten dar. In den ersten Publikationen zur laparoskopischen kolorektalen Chirurgie beim Karzinom wurden Raten von 4–20% Portsite-Rezidiven angegeben. Dagegen liegen die Raten von Rezidiven in der Laparotomienarbe nach konventioneller kolorektaler Chirurgie beim Karzinom bei unter 1%. Mit zunehmender Erfahrung in der laparoskopischen kolorektalen Chirurgie näherten sich die Raten dann zunehmend an und stellen für den erfahrenen laparoskopischen Chirurgen heute kein Problem mehr dar, wenn die nachfolgend dargestellten Vorsichtsmaßnahmen und Operationsstrategien eingehalten werden. Das ist deshalb so wichtig, da sich gezeigt hat, dass die Port-site-Rezidive in der Regel nach 3–6 Monaten auftreten, was sich nur dadurch erklären lässt, dass massive Tumorzellverbände während der Operation in die Trokareinstichstellen bzw. in die Bergeinzision eingebracht worden sind.
20.1.2 Tumorgröße Große Tumoren lassen sich laparoskopisch in der Bauchhöhle nur schwer manipulieren. Deshalb ist das Risiko einer iatrogenen Traumatisierung des Tumors durch die laparoskopischen Instrumente deutlich erhöht. Das gilt natürlich auch für Tumoren, die die Organgrenzen überschritten und Nachbarorgane infiltriert haben. In diesen Fällen ist das Risiko eines Tumoreinrisses gegeben.
Limitierungen der laparoskopischen Tumorchirurgie
Limitierungen in der laparoskopischen Tumorchirurgie 4 4 4 4
20.1.1 Port-site-Rezidive
Gefahr von Port-site-Rezidiven Tumorgröße Präparatebergung Fehlende manuelle Kontrolle der Tumorausdehnung (Sicherheitsabstände) 4 Ungünstige Tumorlokalisation 4 Technisch aufwendige Rekonstruktion 4 Gefahr von Tumoreinrissen
Ergibt die präoperative Diagnostik das Vorliegen eines fortgeschrittenen, großen, organüberschreitenden Tumors, sollte auf die Durchführung eines laparoskopischen Eingriffes verzichtet werden.
Zeigt die explorative Laparoskopie bei einer geplanten minimalinvasiven Tumoroperation ein fortgeschritteneres Stadium als in der präoperativen Diagnostik, sollte ebenfalls ohne weitere Manipulation an dem Tumor auf ein offenes Vorgehen umgestiegen werden. Dieser Hinweis ist besonders wichtig, da in zahlreichen Studien gezeigt werden konnte, dass die Umsteiger eine deutlich schlechtere Prognose aufweisen, was zeigt, dass der Umstieg offensichtlich zu spät erfolgte. Im Einzelnen wird darauf auch in den einzelnen Organkapiteln eingegangen.
227 20.3 · Laparoskopische Tumoroperationen
20.1.3 Fehlende manuelle Kontrolle
und Tumorhandling Kleinere Karzinome und Karzinome mit ungünstiger Lokalisation lassen sich mit den laparoskopischen Instrumenten nicht immer sicher ertasten. Dann droht das Risiko einer inkorrekten Tumorlokalisierung bzw. des Fehlens von ausreichenden Sicherheitsabständen. Dies lässt sich durch eine präoperative Markierung mit Farbstoff bzw. Clips bzw. durch eine intraoperative Endoskopie in der Regel lösen. Dennoch fehlt in den kritischen Bereichen, z. B. beim sehr tiefsitzenden Rektumkarzinom bei der kontinenzerhaltenden Resektion, die manuelle Kontrolle, um die dann sehr knappen Sicherheitsabstände auch adäquat beurteilen zu können. Je näher die chirurgische Resektionsebene an die Tumorgrenzen heranreicht, um so weniger ist die minimalinvasive Chirurgie zur kurativen Tumorentfernung geeignet, da die bereits durch die Tumorgröße und die anatomische Lokalisation sich ergebenden knappen Sicherheitsabstände sich unter Umständen weiter verringern, oder es zu einem Schnitt durch den Tumor kommt. Beides führt zu einer Verschlechterung der Prognose.
20.2
Präparatebergung
Mit der Ausnahme der abdominoperinealen Rektumexstirpation muss für alle kurativen laparoskopischen Tumoroperationen zur Bergung des mehr oder weniger großen Tumorpräparates eine Minilaparotomie angelegt werden. Die Minilaparotomie sollte so lang sein, dass das Tumorpräparat ohne übermäßige mechanische Manipulation geborgen werden kann. Wird das Tumorpräparat mit Gewalt durch die Minilaparotomie gezogen, drohen Tumorzellverbände in die Wunde abgeschert zu werden und ein Rezidiv auszulösen. Neben einer nicht zu kleinen Bergeinzision sollte zusätzlich immer eine Schutzfolie verwendet werden oder das Präparat in einen Bergebeutel eingebracht werden. Dabei sollten nur Bergebeutel mit einer hohen Reißfestigkeit eingesetzt werden. Durch eine inadäquate Bergung kann der Erfolg einer kurativen laparoskopischen Tumoroperation in Frage gestellt und ein Rezidiv in der Bergeinzision ausgelöst werden.
20.3
Laparoskopische Tumoroperationen
Beurteilung von Studien zur laparoskopischen Tumorchirurgie. Die rasante Entwicklung der minimalinvasiven Chirur-
gie, auch in der Behandlung von gastrointestinalen Malignomen, hat zu einer Flut von Veröffentlichungen geführt. Um den Nutzen und die Risiken von kurativen laparoskopischen Tumoroperationen richtig einschätzen zu können, müssen die veröffentlichten Daten natürlich auch unter dem Aspekt des Evidenzgrades betrachtet werden (. Tab. 20.1). Deshalb werden aus den vorliegenden Studien nur dann Empfehlungen für die Praxis abgeleitet, wenn Aussagen auf dem Empfehlungsgrad A der EbM-Kriterien möglich sind. In allen anderen Fällen sind die in den Studien gewonnenen Erkenntnisse mit
. Tab. 20.1. EbM-Kriterien von Studien/Veröffentlichungen. Sie ermöglichen Aussagen über die Evaluierung und den Evidenzgrad (Gibis et al. 2001)
Empfehlungsgrad
Evidenzstufe
Evidenzgewinn bei Therapie oder Intervention
A
Ia
Systematische Übersicht von RCT mit Homogenität der Ergebnisse
Ib
Einzelner RCT mit engem Konfidenzintervall
IIa
Systematische Übersicht von Kohortenstudien mit Homogenität der Ergebnisse
IIb
Einzelne Kohortenstudie oder RCT mit deutlichen Qualitätsmängeln (z. B. <80% Nachbeobachtung)
IIIa
Ergebnisse aus Outcome-Forschung
IIIb
Einzelne Fall-Kontroll-Studie
C
IV
Fallserien oder Fall-Kontroll- und Kohortenstudien mit deutlichen Qualitätsmängeln
D
V
Expertenmeinung ohne Beleg durch kritisch bewertete Literatur, auf der Grundlage von physiologischen Beobachtungen oder Laborforschung
B
Vorsicht zu genießen und weisen einen experimentellen Charakter auf, dessen Ergebnisse in weiteren Untersuchungen überprüft werden müssen und die keinen Empfehlungscharakter darstellen.
20.3.1 Plattenepithelkarzinom des Ösophagus
und Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (Empfehlungsgrad B–C der EbM-Kriterien) Operationstechnisch kann der Ösophagus und der gastroösophageale Übergang transhiatal-zervikal, abdomino-thorakal als auch abdomino-thorakal-zervikal reseziert werden. Vorteil des abdomino-thorakalen Vorgehens ist die exaktere und ausgedehntere Lymphknotendissektion, die ein besseres Staging ermöglicht. Allerdings ist dieses Vorgehen mit einer signifikant höheren Morbidität und Mortalität belastet (Böttger et al. 2006). Dennoch wird sie wegen der frühen Metastasierung des Plattenepithelkarzinoms empfohlen. Beim Adenokarzinom konnte in einer prospektiv randomisierten Studie von Hulscher et al. (2002) kein Unterschied in der Prognose in Abhängigkeit vom operativen Vorgehen (transhiatal-zervikal versus abdomino-thorakal-zervikal) gesehen werden.
20
228
20
Kapitel 20 · Laparoskopische und roboterassistierte Tumorchirurgie
Im Anbetracht der frühen Lymphknotenmetastasierung ist die klassische En-bloc-Ösophagektomie mit mediastinaler und abdomineller Lymphadenektomie auch beim frühen Plattenepithelkarzinom indiziert (Siewert et al. 2006). Nur bei dieser Operationsausdehnung kann Heilung erhofft werden. Als Standardtechnik empfehlen Siewert et al (2006) die abdomino-rechts-thorakale En-bloc-Ösophagektomie mit zervikaler Anastomose. Die En-bloc-Ösophagektomie umfasst neben der Speiseröhre die Resektion des Ductus thoracicus, des gesamten mediastinalen Fettgewebes mit Lymphabflussgebieten und fakultativ die Vena azygos. Dabei erfolgt die En-bloc-Ösophagektomie über eine posterolaterale Thorakotomie im 4. bis 6. Interkostalraum, die abdominelle Lymphknotendissektion, Magenfundusresektion und Schlauchmagenbildung über eine Oberbauchlaparotomie und die Ösophagogastrostomie über eine zervikale Inzision. Diese Technik kann auch beim Adenokarzinom im distalen Drittel der Speiseröhre zum Einsatz kommen. Die größte Serie an minimalinvasiven Ösophagektomien beschreiben Luketich et al. (2003). Sie haben bei 214 Patienten eine komplett thoraskopisch und laparoskopisch durchgeführte abdomino-rechts-thorakale En-bloc-Ösophagektomie mit zervikaler Anastomose vorgenommen. Dabei erfolgte zunächst die thoraskopische Ösophagusmobilisation in Linksseitenlage, bei seitengetrennter Intubation über 4 Trokare von 5–10 mm. Dabei werden alle mediastinalen Lymphknoten und das periösophagele Fett- und Bindegewebe mit entfernt und en bloc am Ösophaguspräparat belassen. Anschließend wird der Patient auf den Rücken umgelagert. Der abdominelle Teil der Operation erfolgt über 5 Trokare von 5–10 mm. Komplett laparoskopisch erfolgt die abdominelle Lymphknotendissektion, die Schlauchmagenbildung, die Pylorosplastik und die Einlage einer Katheter-Jejunostomie zur früh-postoperativen Ernährung. Der Schlauchmagen wird mit einigen Nähten an das distale Ende des ÖsophagusMagen-Resektates zum zervikalen Durchzug fixiert. Die Präparatebergung, die proximale Resektion und die zervikale Anastomosierung erfolgt abschließend über eine 4 cm lange Inzision im Jugulum. In dieser Serie betrug die Konversionsrate 7,2%. Die mittlere Verweildauer auf der Intensivstation betrug 1 Tag, die mittlere Krankenhausverweildauer 7 Tage. Die 30-Tage-Letalität betrug 1,4%, die Rate an Anastomoseninsuffizienzen 11,7%. Das stadienbezogene Überleben wurde als vergleichbar mit den Ergebnissen der offenen Chirurgie angegeben. Die Autoren fordern jedoch für eine endgültige Beurteilung eine entsprechende prospektiv randomisierte Multicenterstudie. In einer weiteren Studie von Nguyen et al. (2008) wird über 104 minimalinvasive Ösophagektomien berichtet. Dabei wird die minimalinvasiv durchgeführte abdomino-rechtsthorakale En-bloc-Ösophagektomie mit zervikaler Anastomose mit der minimalinvasiv durchgeführten abdominorechts-thorakalen Ösophagektomie und Fundektomie mit intrathorakaler Anastomose verglichen. In dieser Studie entsprach die Technik der thoraskopisch und laparoskopisch durchgeführten abdomino-rechts-thorakalen En-bloc-Öso-
phagektomie mit zervikaler Anastomose der von Luketich et al. (2003) beschriebenen Technik. Bei der abdomino-rechtsthorakalen Ösophagektomie und Fundektomie mit intrathorakaler Anastomose wird zunächst in Rückenlage über 5 Trokare laparoskopisch der Magen und der unterer Ösophagus mobilisiert, die intraabdominelle Lymphknotendissektion und Schlauchmagenbildung vorgenommen und der Magenschlauch mit einigen Nähten an das Ösophagus-Fundus-Resektat für das spätere Hochziehen fixiert. Anschließend wird der Patient in Linksseitenlage gebracht und thorakoskopisch über 4 Trokare die Ösophagusmobilisation unter Mitnahme der Lymphknoten und des mediastinalen Binde- und Fettgewebes komplettiert. Nach Resektion erfolgt die Bergung des Präparates im Bergebeutel über eine Minithorakotomie. Die Anastomosierung erfolgt thorakoskopisch intrathorakal unter Verwendung von Klammernahtgeräten. Die Autoren fanden günstigere Ergebnisse in Form einer kürzeren Operationszeit, eines geringeren Blutverlustes, einer kürzeren Intensiv- und Krankenhausverweildauer und einer niedrigeren Komplikationsrate für die abdomino-rechts-thorakale Ösophagektomie und Fundektomie mit intrathorakaler Anastomose. Deshalb empfehlen die Autoren, diese Methode aufgrund einer spannungsfreien intrathorakalen Anastomose zu bevorzugen. Nach einem mittleren Follow-up von 54 Monaten betrugen die Überlebensraten im Stadium I 96%, im Stadium II 69%, im Stadium III 10% und im Stadium IV 0%. Kernstine et al. (2007) berichten über eine Serie von 8 mit dem DaVinci-Roboter durchgeführten abdomino-rechts-thorakalen En-bloc-Ösophagektomie mit zervikaler Anastomose. Die Operationszeit betrug im Mittel 11,1 h. Der Blutverlust lag im Mittel bei 400 ml, die Verweildauer auf der Intensivstation bei 0–72 Tagen und im Krankenhaus bei 8–72 Tagen. Die Autoren sahen den Vorteil der Roboter-Technik vor allem in der besseren dreidimensionalen Darstellbarkeit der Anatomie, was zu einer Optimierung der Lymphknotendissektion beitragen kann. Ein routinemäßiger Einsatz erfordert jedoch ein umfängliches Training an hohen Fallzahlen, weitere technische Optimierungen und eine Standardisierung der Technik. Beim transhiatalen Vorgehen erfolgt die intraabdominelle Lymphknotendissektion und Schlauchmagenbildung laparoskopisch wie bei der abdominothorakalen Technik. Nach Böttger et al. (2006) kann der Ösophagus laparoskopisch transhiatal sehr gut eingesehen werden. Die transhiatale Ösophagektomie mit Lymphknotendissektion kann mit einem Koagulationsinstrument bzw. mit der Ultraschallschere vorgenommen werden. Anatomische Landmarken sind dorsal die Aorta sowie rechts und links das Zwerchfell und ventral der Vorhof und der Truncus pulmonalis. Die transhiatale Lymphknotendissektion kann routinemäßig bis zur Trachealbifurkation vorgenommen werden. Beim transhiatalen Vorgehen wurden im Median 14 Lymphknoten entfernt, bei der transthorakal-laparoskopischen Resektion 24,5.
229 20.3 · Laparoskopische Tumoroperationen
20.3.2 Magenkarzinom
Magenfrühkarzinom (Empfehlungsgrad B der EbM-Kriterien) Nach der Japanese Gastric Cancer Association ist ein Magenfrühkarzinom auf Mukosa und Submukosa beschränkt. Diese Zuordnung ist unabhängig vom Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen. Nach japanischen Untersuchungen können Lymphknotenmetastasen beim Mukosakarzinom in 1,9–4,0%, und beim Submukosakarzinom in bis zu 20,9% gefunden werden. Der Nachweis von Lymphknotenmetastasen jenseits der perigastrischen Lymphknoten liegt bei 0,4–0,9% beim Mukosakarzinom und bei 4,5% beim Submukosakarzinom (Shehzad et al. 2007). Auf dieser pathologischen Grundlage wurden bereits seit 1991 in Japan limitierte Resektionen beim Magenfrühkarzinom laparoskopisch durchgeführt. Bis 2003 wurden in Japan 7800 Patienten mit einem Magenkarzinom laparoskopisch operiert. Dabei haben sich folgende Ausschlusskriterien zur laparoskopischen limitierten Resektion beim Magenfrühkarzinom erwiesen: 4 Nachweis einer Submukosainfiltration in der Biopsie 4 Tumorgröße ≥3 cm 4 Undifferenziertes Karzinom 4 Ulkus im Tumor 4 Nachweis von Lymph- und/oder Gefäßinvasionen Als limitierte Techniken zur laparoskopischen Resektion von Magenfrühkarzinomen werden die laparoskopische WedgeResektion und die intragastrische Mukosaresektion eingesetzt. Die laparoskopische Wedge-Resektion eines Magenfrühkarzinoms kann im Bereich der Magenvorderwand, der kleinen Kurvatur und der großen Kurvatur mit genügendem Abstand zur Kardia und zum Pylorus eingesetzt werden. Dabei können durchaus die tumornahen perigastrischen Lymphknoten mit entfernt werden. Zur sicheren Resektion des Magenwandanteils mit dem linearen Klammernahtgerät wird neben dem Karzinom ein Faden mit einem Anker eingestochen, an dem die Magenwand mit dem Faden hochgezogen werden kann. Liegt die Läsion im Bereich der Magenhinterwand oder in der Nähe der Kardia bzw. des Pylorus kann eine intragastrische Mukosaresektion vorgenommen werden. Dabei werden drei Ballon-Trokare in den Magen eingestochen, die die Magenwand durch den Ballon an die vordere Bauchwand fixieren. Ein Trokar steht für die Optik und zwei Trokare für die Arbeitsinstrumente zur Verfügung. Nach Durchführung der Mukosaresektion und Bergung des Präparates über einen Trokar werden die Defekte in der Magenwand laparoskopisch verschlossen. Die Rate an postoperativen Komplikationen, hauptsächlich Blutung und Magenparese, liegt bei 4,6% für die laparoskopische Wedge-Resektion und bei 6,5% für die transgastrische Mukosaresektion. Trotz der guten klinischen Erfolge mit der laparoskopischen Wedge-Resektion und der laparoskopischen transgastrischen Mukosaresektion hat sich nach Kitagawa et al. (2005) ein Wandel vollzogen hin zur laparoskopisch assistierten Gastrektomie und Lymphknotendissektion, und zwar bedingt durch die Fortschritte in der
endoskopischen Mukosaresektion und durch die technische und instrumentelle Weiterentwicklung der minimalinvasiven Chirurgie, die auch komplexere laparoskopische Operationen möglich macht. Bei den Magenfrühkarzinomen mit höherem Risiko für Lymphknotenmetastasen können die laparoskopische WedgeResektion und die laparoskopische transgastrische Mukosaresektion nicht eingesetzt werden. Für diese Fälle wurden die verschiedenen Techniken der laparoskopischen distalen Magenresektion bzw. Gastrektomie entwickelt. Nach Kitagawa (2005) empfiehlt die Japanese Gastric Cancer Association die laparoskopisch assistierte distale Magenresektion beim Mukosakarzinom ohne präoperativen Nachweis von Lymphknotenmetastasen und beim Submukosakarzinom ohne präoperativen Nachweis von Lymphknotenmetastasen. Die perigastrischen Lymphknoten und die Lymphknoten entlang der Arteria hepatica communis können dabei mit entfernt werden. Bei Bedarf kann die Lymphknotendissektion auch noch ausgeweitet werden. Die erste prospektive Analyse von 43 laparoskopischen distalen Magenresektionen mit Lymphknotendissektion beim Magenfrühkarzinom wurde 2003 von Fujiwara et al. (2003) veröffentlicht. In einem Fall musste umgestiegen werden. Die mittlere Operationszeit betrug 225 min und der mittlere Blutverlust 239 ml. Die mittlere Zahl der entfernten Lymphknoten lag bei 20,2. Intraoperativ trat eine Verletzung der Arteria hepatica communis auf, postoperativ fand sich bei 6 Patienten (14%) eine Anastomoseninsuffizienz. Es verstarb kein Patient. Nach Aussage der Autoren entsprachen die Ergebnisse im Vergleich denen der offenen Chirurgie. Ein Patient verstarb nach 2 Jahren an einem Tumorprogress. Alle anderen Patienten lebten nach einer mittleren Follow-up-Zeit von 37,3 Monaten und waren tumorfrei. Kitano et al. (2002), Lee et al. (2005) und Hayashi et al. (2005) haben die Ergebnisse von prospektiv randomisierten, kontrollierten Studien von laparoskopischen distalen Magenresektionen im Vergleich zur offenen distalen Magenresektion beim Magenfrühkarzinom publiziert, jedoch jeweils bei relativ kleinen Fallzahlen (n=28, 47 und 28). Sie fanden keine Beeinträchtigung der onkologischen Qualität durch das laparoskopische Vorgehen. Als Vorteile konnten sie weniger Schmerzen, eine schnellere Erholung und eine geringere Beeinträchtigung der Lungenfunktion feststellen.
Distales Magenkarzinom (Empfehlungsgrad B der EbM-Kriterien) Huscher et al. (2005) haben die 5-Jahres-Überlebensraten von 59 in eine prospektiv randomisierte, kontrollierte Studie eingeschlossene Patienten mit einem distalen Magenkarzinom publiziert. Ausschlusskriterien waren Metastasen und/oder Tumorwachstum über den distalen Magen hinaus. Die Autoren fanden für die laparoskopische distale Magenresektion eine längere Operationszeit, einen geringeren Blutverlust, eine kürzere Zeit bis zur Wiederaufnahme der oralen Nahrung und kürzere Krankenhausverweildauern. Die Zahl der mit entfernten Lymphknoten lag in der konventionellen Gruppe bei 33,4±17,4, in der laparoskopischen Gruppe bei 30,0±14,9. Die Operationsletalität betrug in der offenen Gruppe 6,7%, in der
20
230
Kapitel 20 · Laparoskopische und roboterassistierte Tumorchirurgie
laparoskopischen 3,3%. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug 55,7% in der offenen und 58,9% in der laparoskopischen Gruppe. Es fand sich kein statistischer Unterschied zwischen beiden Gruppen.
Zusammenfassend lässt sich für die minimalinvasive Chirurgie des Magenkarzinoms feststellen, dass in ausgesuchten Fällen durch einen erfahrenen laparoskopischen Chirurgen durch die verschiedenen minimalinvasiven Resektionstechniken vergleichbare perioperative und onkologische Ergebnisse wie mit der konventionellen Chirurgie erreicht werden können. Die möglichen kurzfristigen Vorteile (weniger Schmerzen, kürzere Erholungsphase, kürzere Krankenhausverweildauer) müssen sehr sorgfältig mit den potenziellen onkologischen Risiken abgewogen werden.
rationszeit betrug im Mittel 229 Minuten. Der mittlere Blutverlust wurde mit 311 ml gemessen. Die Patienten blieben im Mittel 7,5 Tage im Krankenhaus. Die mittlere Zahl mitentfernter Lymphknoten betrug 13. In 4,1% der Fälle fand sich ein positiver Resektionsrand. Auch für die Pankreslinksresektionen wurden keine onkologischen Langzeitergebnisse mitgeteilt. Bisher führen nur wenige laparoskopische Chirurgen weltweit minimalinvasive Eingriffe am Pankreas durch. Das sollte auch sehr erfahrenen laparoskopischen Chirugen vorbehalten bleiben und die Fälle sollten gut ausgesucht werden. Bisher liegen keine größere Beobachtungsstudie und keine randomisierte Studie vor, die einen Einsatz in der Routine rechtfertigen könnte (Takaori et al 2007).
20.3.4 Lebertumoren (Empfehlungsgrad B–C
der EbM-Kriterien) Roboterassistierte Chirurgie (Empfehlungsgrad C der EbM-Kriterien) Andersen et al. (2007) berichten über 7 roboterassistierte distale subtotale Magenresektionen mit Omentektomie und erweiterter Lymphknotendissektion mit dem DaVinci-System. Indikation für diesen Eingriff waren distale Magenfrühkarzinome. Die mediane Operationszeit betrug 420 min. Eine schwere intraoperative Komplikation erforderte eine Kolonresektion. Die mediane Zahl der mit entfernten Lymphknoten betrug 24. Die proximale und distale Resektionsebene war in allen Fällen tumorfrei. Die mediane Krankenhausverweildauer lag bei 4 Tagen. Die 30-Tage-Mortalität betrug 0%. Nach einem medianen Follow-up von 9 Monaten fand sich kein Tumorrezidiv.
20.3.3 Pankreaskarzinom (Empfehlungsgrad
B–C der EbM-Kriterien)
20
Zum Thema der laparoskopischen Pankreasresektion beim Karzinom gibt es bisher keine randomisierte Studie. Es wurden lediglich zwei fallkontrollierte Studien, 10 prospektive Erhebungsstudien und etwa 27 retrospektive Studien veröffentlicht. In den Studien wurde über mehr als 800 Patienten berichtet, wobei die einzelnen Studien zwischen 5 und 127 Fälle einschlossen. In den Studien wird über 85 Duodenopankreatektomien, 130 Enukleaktionen, 7 zentrale Pankreasresektionen, 349 Pankreaslinksresektionen mit Milzerhaltung und 229 Pankreaslinksresektionen mit Splenektomie berichtet (Briggs et al. 2009). Die Letalität bei den 85 Duodenopankreatektomien lag bei 3,5%, die Morbidität bei 30,7%. Die Konversionsrate betrug 8,75%. Die Operationszeiten lagen zwischen 243–640 min. Der Blutverlust betrug zwischen 35 ml und 770 ml. Die mittlere Krankenhausverweildauer lag bei 13,6 Tagen. Die Zahl der mitentfernten Lymphknoten betrug 8–24. Langzeitergebnisse wurden nicht mitgeteilt. Bei den Pankreaslinksresektionen mit und ohne Milzerhalt lag die Mortalität bei 0,4% und die Morbidität bei 34,1%. Die Ope-
Es gibt eine prospektiv randomisierte Studie zu den Kurzzeitergebnissen der laparoskopischen vs offenen links lateralen Leberresektion bei Lebertumoren. In die Studie sind 44 Patienten mit kolorektalen Lebermetastasen (n=29), primären Leberzellkarzinomen (n=3), FNH (n=5) und andere (n=7) eingegangen. Die mediane Operationszeit in der laparoskopischen Gruppe lag bei 180 Minuten und bei der offenen Gruppe bei 155 Minuten (p=0,885). Der mittlere Blutverlust war in der offenen Gruppe mit 470 ml signifikant höher als in der laparoskopischen mit 80 ml (p=0,002). Die mittlere Krankenhausverweildauer betrug für die laparoskopische Gruppe 3,5 Tage und für die offene 7 Tage (p=0,001). Der Resektionsrand war in beiden Gruppen nicht unterschiedlich (11 mm laparoskopisch versus12 mm offen; p=1). Die postoperative Komplikationsrate war nach dem offenen Vorgehen mit 25% zwar höher als nach den minimalinvasiven mit 13%, es fand sich aber kein statistisch signifikanter Unterschied (p=0,541). In einem systematischen Review haben Simillis et al. (2006) die publizierten Daten aus nicht randomisierten Studien zusammengetragen. Sie konnten 409 Leberresektionen auswerten, von denen 165 (40,3%) laparoskopisch und 244 (59,7%) offen durchgeführt wurden. Auch sie fanden einen geringeren Blutverlust von im Mittel 123 ml für die laparoskopische Leberresektion im Vergleich zur offenen. Ebenso war die Krankenhausverweildauer im Mittel um 2,6 Tage kürzer nach laparoskopischer Leberresektion. Onkologische Langzeitergebnisse liegen für die laparoskopische Leberresektion bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.
Auch für Lebertumoren gilt, dass nur sehr erfahrene laparoskopische Chirurgen mit guten Ergebnissen periphere Lebersegmente minimalinvasiv entfernen können. Allerdings fehlen Langzeitergebnisse, größere Beobachtungsstudien und prospektiv randomisierte Studien. Deshalb sollte die Indikation zur laparoskopischen Leberresektion sehr restriktiv gestellt werden.
231 20.3 · Laparoskopische Tumoroperationen
20.3.5 Kolonkarzinom (Empfehlungsgrad A
der EbM-Kriterien) Nur für das Kolonkarzinom liegt eine Metaanalyse von 12 randomisierten Studien mit 3346 Patienten vor, so dass eine Aussage auf dem höchsten Niveau der Kriterien für eine evidenzbasierte Medizin möglich ist (Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 1, 2009). Dabei analysiert die Metaanalyse die Langzeitergebnisse nach kurativer Resektion von Kolonkarzinomen. Es fand sich eine Lokalrezidivrate von 5,6% für die offene Vorgehensweise und 5,2% für die laparoskopische (p=0,57). Es zeigte sich kein Unterschied im Auftreten von Port-site-Rezidiven bzw. Wundrezidiven (p=0,16). Ebenso fand sich kein Unterschied in der tumorbezogenen Mortalität (16,4% offen versus 14,6% laparoskopisch; p=0,16). Die Autoren der Metaanalyse ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass sich die Langzeitergebnisse der laparoskopischen Kolonresektion beim Karzinom nicht von denen nach offener Vorgehensweise unterscheiden.
Damit ist das Kolonkarzinom die einzige Indikation, für die nach den Kriterien für evidenzbasierte Medizin auf höchstem wissenschaftlichen Niveau belegt ist, dass bei korrekt durchgeführter laparoskopischer Resektion vergleichbare onkologische Langzeitergebnisse zu erzielen sind wie bei offenem Vorgehen.
Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die in die Metaanalyse eingegangenen Einzelstudien nachweislich eine ausgesprochene Selektion der Patienten vorgenommen haben, besonders in Bezug auf die Tumorlokalisation. Tumorlokalisationen im Sigma und im Colon ascendens sind naturgemäß häufiger in die randomisierten Studien eingegangen als die im Colon transversum bzw. den Flexuren. Weiterhin muss erwähnt werden, dass die an den Studien beteiligten Operateure häufig ausgewiesene kolorektale bzw. laparoskopische Operateure waren. Damit wird klar, dass diese gleichwertigen Ergebnisse nur mit einer entsprechenden Erfahrung zu erzielen sind.
20.3.6 Rektumkarzinom (Empfehlungsgrad B
der EbM-Kriterien) Für das Rektumkarzinom im unteren, mittleren und oberen Drittel gibt es nur eine prospektiv randomisierte Studie mit bereits publizierten 3-Jahres-Follow-up-Daten, und zwar die CLASICC-Studie aus England (Guillou et al. 2005). In diese Studie wurden 246 Rektumkarzinome eingebracht. Auf der Intention-to-treat-Basis wurden 79 Operationen offen und 167 laparoskopisch begonnen. Die Konversionsrate bei den laparoskopischen Rektumoperationen betrug n=82, das entspricht einer Umsteigerate von 32%. Die Exstirpationsrate betrug bei den primär offen durchgeführten Rektumoperationen 27%, bei den primär laparoskopisch begonnenen 26% und bei den Umsteigern 24%.
Die 30-Tage-postoperative Komplikationsrate betrug bei den primär offenen Rektumoperationen 51%, bei den tatsächlich laparoskopisch zu Ende geführten Rektumoperationen 44% und bei den Umsteigern 93%. Die hohe Rate an postoperativen Komplikationen setzte sich aus einer Wundinfektionsrate von 20%, einer Pneumonierate von 15%, einer Anastomoseninsuffizienzrate von 15% und anderen Komplikationen von 44% zusammen. Die Letalität in der Konversionsgruppe war mit 9% höher als in der primär offenen Gruppe mit 5% und der laparoskopisch beendeten Gruppe mit 1%. Die onkologischen Langzeitergebnisse nach 3 Jahren zeigten dann keine Unterschiede für die Lokalrezidivrate und Fernmetastasenrate (Jayne et al. 2007). Die Lokalrezidivrate nach laparoskopischen Rektumoperationen lag bei 9,7% und bei den konventionellen Rektumoperationen bei 10,1% (p=0,96). Auch die Fernmetastasenrate von 18,6% für die laparoskopischen und 16,4% für die konventionellen Rektumoperationen unterschieden sich nicht signifikant (p=0,68). Die Ergebnisse zeigen, dass die laparoskopische Rektumoperation beim Karzinom technisch sehr anspruchsvoll ist, eine hohe Komplikationsrate mit sich bringt und eine hohe Umsteigerate, eine hohe postoperative Komplikationsrate sowie eine erhebliche Letalität aufweist. Dementsprechend sollte sie nur von ausgewiesenen Experten mit entsprechender Erfahrung durchgeführt werden.
Bei der hohen Komplikations- und Umsteigerrate kann die laparoskopische Rektumoperation beim Karzinom zum jetzigen Zeitpunkt nicht als Routineeingriff empfohlen werden (Breukink et al. 2007).
20.3.7 Roboterassistierte kolorektale Chirur-
gie beim Karzinom (Empfehlungsgrad C der EbM-Kriterien) Spinoglio et al. (2008) berichten über 50 roboterassistierte kolorektale Resektionen, wovon 44 beim Karzinom durchgeführt wurden. Die Konversionsrate lag bei 4%. Die mittlere Operationszeit betrug 338,8 Minuten. Die onkologischen Frühergebnisse wurden verglichen mit einem Kollektiv von 161 Patienten, die in dem gleichen Zeitraum standardmäßig laparoskopisch operiert wurden. Die Zahl der mitentfernten Lymphknoten betrug in der roboterassistierten Gruppe 22,03, in der laparoskopischen Gruppe 22,85 (p=0,73). Die Zahl der metastasierten Lymphknoten betrug in der roboterassistierten Gruppe 1,93, in der laparoskopischen Gruppe 2,42 (p=0,854). Der distale Sicherheitsabstand lag bei 7,3 cm in der Roboter-Gruppe und bei 7,8 cm in der Laparoskopie-Gruppe (p=0,886). Die Autoren schlussfolgerten, dass die roboterassistierte kolorektale Karzinomchirurgie sicher sei, aber deutlich länger dauert und kostenintensiver ist.
20
232
Kapitel 20 · Laparoskopische und roboterassistierte Tumorchirurgie
Literatur
20
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21 21 Transplantation und Onkologie W. O. Bechstein, C. Mönch
21.1 Inzidenz von Krebserkrankungen bei Organtransplantierten 21.2 Übertragung von Krebs durch das transplantierte Organ 21.3 Chronische Immunsuppression und De-novo-Malignomentwicklung
– 235
21.4 Risikogruppen für die Malignomentwicklung nach Organtransplantation – 235 21.5 Prävention und Früherkennung primärer Malignome nach Organtransplantation – 236 21.6 Behandlung von De-novo-Malignomen nach Organtransplantation – 237 21.7 Organtransplantation nach anamnestisch bekannter Krebserkrankung – 237 Literatur
– 238
– 234
– 234
234
Kapitel 21 · Transplantation und Onkologie
> Die Inzidenz von Krebserkrankung bei Organtransplantierten ist erhöht im Vergleich zur Normalbevölkerung (Vajdic et al. 2009). Ursächlich hierfür sind eine Reihe von Faktoren. Die Übertragung einer Krebserkrankungen durch die Organtransplantation ist selten. Chronische Immunsuppression kann zur De-novo-Malignomentwicklung führen. Bestimmte Risikogruppen für eine Malignomentwicklung nach Organtransplantation können identifiziert werden je nach Grunderkrankung, Indikation und transplantiertem Organ. Screeningprogramme nach Organtransplantation ermöglichen eine effektive Früherkennung. Eine häufige klinische Frage betrifft die Möglichkeit einer Organtransplantation nach potenziell kurativ behandelter Krebserkrankung und das damit einhergehende Risiko für ein Tumorrezidiv unter Immunsuppression. Bezüglich des weiten Feldes der allogenen und autologen Knochenmarkstransplantation im Zusammenhang mit der Behandlung von Krebserkrankungen wird auf die entsprechenden Lehrbücher der Inneren Medizin und speziell Hämato-Onkologie verwiesen.
Risikofaktoren für die Entwicklung von Krebs nach Organtransplantation 4 4 4 4
Tumorübertragung durch das Transplantat Virusübertragung durch das Transplantat Chronisch medikamentöse Immunsuppression Präkanzerosen und präexistente, okkulte Tumor im Organempfänger 4 Gesteigerte Suszeptibilität für exogene Noxen (UV-Licht)
21.1
21
Inzidenz von Krebserkrankungen bei Organtransplantierten
In einer großen Kohorten-Studie von 2008 bei 890 Patienten nach Nierentransplantation aus Finnland konnte nachgewiesen werden, dass der Standardized Incidence Ratio (SIR) für die Entwicklung eines malignen Tumors im Vergleich zur Normalbevölkerung 3,33 betrug. An erster Stelle standen bösartige Tumoren der Haut (SIR 39,22), der Lippen (SIR 22,98) und des Dünndarms (SIR 11,78). Mit 3- bis 8-fach erhöhter Inzidenz folgten dann Malignome der Pleura, der Schilddrüse, der Niere, des Lymphsystems, des Colons sowie des Urogenitalsystems (Kylönnen et al. 2000). Daten aus einer wesentlich größeren Population von 11.155 Patienten nach Nierentransplantation in Kanada bestätigen diese Beobachtungen. Das Gesamtrisiko für Malignomentwicklung nach Nierentransplantation war 2½-fach erhöht im Vergleich zur Normalbevölkerung (SIR 2,5). Besonders hohe Risiken lagen vor für die Entwicklung von Krebserkrankungen der Lippe (SIR 31,3), Non-Hodgkin-Lymphom (SIR 8,8) und Nierenkrebs (SIR 7,3) (Villeneuve et al. 2007). Auch bei Patienten nach Lebertransplantation konnte in einer epidemiologischen Studie aus den Niederlanden nachgewiesen werden, dass die Inzidenz von De-novo-Malignomen 21 von 174 Patienten (12%) nach Lebertransplantationen
betraf. Mehr als die Hälfte aller Malignome waren hierbei Malignome der Haut und der Lippen. Das relative Risiko für eine Malignomentwicklung im Vergleich zur Normalbevölkerung war besonders erhöht für Hauttumoren (»risk ration« [RR] 70) sowie für Nierenzellkarzinome (RR 30). Es folgten das kolorektale Karzinom (RR 12,5) sowie andere solide Tumoren (RR 2,7). Wesentliche Risikofaktoren in der multivariaten Analyse waren ein Alter über 40 Jahre und eine bereits vor der Lebertransplantation erhaltene immunsuppressive Medikation (Haagsma et al. 2001). In einer Analyse von Langzeitkomplikationen mehr als 5 Jahre nach Lebertransplantation in den USA konnte gezeigt werden, das die häufigsten Langzeitkomplikationen bestanden aus Entwicklung eines Non-HodgkinLymphoms (SIR 28,56) De-novo-Malignoms (SIR 3,94) oder Hauttumoren (ohne Melanom) (SIR 3,16) Diese Komplikationen wurden in jenem Kollektiv häufiger beobachtet als die Entwicklung einer arteriellen Hypertension oder die Entwicklung von Frakturen (Sheiner et al. 2000).
Die Entstehung von De-novo-Malignomen ist eine der häufigsten Todesursachen im Langzeitverlauf nach Lebertransplantation (Fung et al. 2001).
Selbst bei Kindern konnte gezeigt werden, dass nach Nierenersatztherapie inklusive Nierentransplantation ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Malignoms besteht. 25 Jahre nach Beginn der Nierenersatztherapie betrug die Wahrscheinlichkeit einer Malignomentwicklung 17% (Coutinho et al. 2001). In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werde, dass das Risiko einer Malignomentstehung nach nicht-renaler Organtransplantation (also z. B. Leber-, Herz, oder Lungentransplantation) erhöht ist im Vergleich zum Risiko nach alleiniger Nierentransplantation. Stellvertretend sei hier die Untersuchung von 5931 Patienten nach Organtransplantation in Schweden von Adami und Mitarbeitern genannt (Adami et al. 2003). Die Ätiologie primärer Malignome nach Organtransplantationen hängt ab von: 4 Art, Intensität und Dauer der Immunsuppression 4 Präoperativ okkulte Malignome oder Präkanzerosen im Empfänger 4 Übertragung des Tumors direkt/indirekt durch das transplantierte Organ und 4 Umweltfaktoren
21.2
Übertragung von Krebs durch das transplantierte Organ
Die Übertragung eines Tumors durch das transplantierte Organ kann direkt oder indirekt erfolgen. Vor mehr als 10 Jahren beschrieben wir erstmals die Transplantation von Lebermetastasen eines Glioblastoma multiforme, die zum Zeitpunkt der Organentnahme „okkult« vorhanden waren. Innerhalb kurzer Zeit nach erfolgter Organtransplantation und Immunsuppression wurden diese dann jedoch klinisch apparent und
235 21.4 · Risikogruppen für die Malignomentwicklung nach Organtransplantation
führten rasch progredient schließlich zum Tod der Empfängerin (Jonas et al. 1996). Die direkte Übertragung eines (okkulten) Nierenzellkarzinoms in einer transplantierten Niere (Carver et al. 1999) oder die Transmission eines malignen Tumors durch Entwicklung von Metastasen eines malignen Melanoms im Empfänger ist beschrieben (Kim et al. 2009). Auch indirekt ist die Übertragung eines Tumors durch Transmission einer spenderassoziierten Virusinfektion, die dann eine virale Onkogenese unter Immunsuppression begünstigt. Beispiele hiervon sind der Zusammenhang zwischen Epstein-Barr-Virus-Infektionen, die mit dem Spenderorgan übertragen werden, und der Entwicklung einer posttransplantationslymphoproliferativen Erkrankung (PTLD) vornehmlich, jedoch nicht ausschließlich bei Kindern (Swinnen et al. 2000). Auch kann sich unter Immunsuppression eine PTLD im lymphatischen Gewebe des transplantierten Spenderorgans entwickeln (Cheung et al. 1998; Ng et al. 2000), dies ist heute mit modernen molekularbiologischen Methoden zweifelsfrei nachweisbar. Die Übertragung von HHV-8 schließlich kann unter dann folgender Immunsuppression die Entwicklung eines Kaposi-Sarkoms im Empfänger begünstigen (Luppi et al. 2000).
21.3
Chronische Immunsuppression und De-novo-Malignomentwicklung
Chronische Immunsuppression begünstigt die Entwicklung von Malignomen nach Organtransplantation. Hier spielt vermutlich mehr die Gesamtintensität und Dauer der Immunsuppression eine Rolle, als die jeweilig verwendete immunsuppressive Substanz. Daneben spielen Risikofaktoren des Organempfängers (Alter, Grundkrankheit, vorbestehende Virusinfektionen) eine nicht zu vernachlässigende Rolle (s. u.). Dantal et al. konnten in einer prospektiv-randomisierten Studie zweifelsfrei nachweisen, dass das Risiko einer Malignomentwicklung nach Nierentransplantation von der Intensität der Immunsuppression abhängt. 231 nierentransplantierte Patienten mit bis zu einer Abstoßungsepisode im ersten Jahr nach Nierentransplantation wurden 1/1 randomisiert in eine Gruppe mit niedrigem Ciclosporin-Spiegel (angestrebter Spiegel 75–125 ng/ml) gegenüber einer Gruppe mit »normalem« Ciclosporin-Talspiegel (150–250 ng/ml). Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 66 Monate. In der »Normaldosisgruppe« zeigte sich eine signifikant häufigere Tumorentstehung (37 von 115 Patienten) im Vergleich zu der Gruppe mit niedrigerer Immunsuppression (23 von 116 Patienten, p<0,034; Dantal et al. 1998). Wie sehr das Risiko der Malignomentwicklung auch von der Intensität der Immunsuppression abhängt, konnte von Swinnen und Mitarbeitern gezeigt werden. Bei der Untersuchung von 154 Patienten nach Herztransplantation aus der Loyola-Universität. Eine posttransplantationslymphoproliferative Erkrankung trat lediglich bei einem von 75 Patienten auf, bei denen kein Anti-CD3-Antikörper (OKT3) gegeben wurde (1,3%). Dagegen trat bei neun von 79 Patienten (11,4%) eine PTLD auf, die mit Anti-CD3-Antikörper behandelt worden waren. Je höher die OKT3-Dosis war, desto größer das
Risiko einer PTLD. Wurden weniger als 75 mg OKT3 gegeben, so trat bei 4 von 65 Patienten eine PTLD auf (6,2%). Wurden jedoch mehr als 75 mg kumulativ von OKT3 verabreicht, so traten bei 5 von 14 Patienten (35,7%) eine PTLD auf (Swinnen et al. 1990). Ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung einer PTLD ist eine das erstmalige Auftreten oder die Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-Infektion (EBV). PTLD tritt meist innerhalb des ersten Jahres nach Transplantation auf und kann in Einzelfällen bereits in den ersten Wochen nach Transplantation auftreten (Khedmat et al. 2009), Hauptlokalisationen sind neben dem Transplantat selbst vor allem die verschiedenen Abschnitte des Gastrointestinaltrakts (Bakker et al. 2007). Dass das Risiko einer Immunsuppression nach Organtransplantation mehr von der Gesamtintensität der Immunsuppression abhängt als von den jeweilig verwendeten Substanzen, konnte auch durch die Erfahrung der Berliner Gruppe gezeigt werden. Eine Reihe von durchgeführten randomisierten Studien wurde noch einmal analysiert im Hinblick auf die De-novo-Malignomentwicklung. Hierbei konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den einzelnen Therapiegruppen gezeigt werden (Jonas et al. 1997). Allerdings konnte die Berliner Gruppe auch zeigen, dass die kumulative Inzidenz von De-novo-Malignomen nach Lebertransplantationen mit der Zeit steigt und diese betrug 14% nach 5 Jahren. Bezüglich der beiden Calcineurin-Inhibitoren Ciclosporin und Tacrolimus konnte durch eine Meta-Analyse der Cochrane-Gruppe gezeigt werden, dass es für beide Substanzen keine Unterschiede gibt im Hinblick auch die Entwicklung einer PTLD nach Lebertransplantation (Haddad et al. 2006). Neuere Daten weisen daraufhin, dass unter einer Calcineurin-Inhibitor-freien, mTOR-Inbitor-basierten Immunsuppression eine Tendenz zur verminderten Inzidenz von Denovo-Malignomentstehung besteht (Wimmer et al. 2007).
21.4
Risikogruppen für die Malignomentwicklung nach Organtransplantation
Eine der wesentlichen Risikofaktoren für frühzeitige Malignomentwicklung nach Organtransplantation ist das Bestehen von okkulten Malignomen zum Zeitpunkt der Transplantation. Torbenson und Mitarbeiter arbeiteten retrospektiv für den Zeitraum von 1981–1997die Autopsien aller Organempfänger auf, die innerhalb von 100 Tagen nach der Transplantation gestorben waren. Es handelte sich um 375 Verstorbene (nach Lebertransplantation n=231, nach Herztransplantation n=52, nach Herz-Lungen-Transplantation n=26, nach Lungentransplantation n=32, nach Nierentransplantation n=34). Bei 11 von 375 Verstorbenen wurden (2,9%) wurden zuvor unbekannte Karzinome bei der Sektion entdeckt. Am häufigsten handelte es sich hier um Schilddrüsenkarzinome (n=3), sowie neuroendokrine Karzinome des Dünndarms (n=3), aber auch um Lungenkrebs (n=2), Kehlkopfkrebs (n=1), Nierenzellkarzinom (n=1) sowie ein Fall eines Seminoms (Torbenson et al. 2001). Je nach Grundkrankheit des Organempfängers und transplantiertem Organs gibt es Risikogruppen, die besonders be-
21
236
Kapitel 21 · Transplantation und Onkologie
achtet werden müssen. So ist bekannt, dass bei Dialysepatienten und vor allem bei Patienten mit einer adulten polyzystischen Degeneration der Nieren eine erhöhte Inzidenz von Nierenzellkarzinom nach Nierentransplantation besteht (Maisonneuve et al. 1999). Diese Nierenzellkarzinome können sich in den eigenen Nieren des Empfängers entwickeln, die im Regelfall ja belassen werden (Kliem et al. 1997). Desgleichen gilt es zu beachten, dass bei Patienten mit Analgetikanephropathie ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Urothelkarzinomen besteht. Dies ist sehr schwierig im Screening zu erfassen, da die Urinzytologie in diesen stummen Nieren nicht verlässlich ist, sodass eine großzügige Indikation zur Ureteronephrektomie bei diesen Patienten gesehen wird (Kliem et al. 1996). In einer Untersuchung des UK-Transplant-Registers entwickelten immerhin 1,9% aller Patienten nach Nierentransplantation im weiteren Verlauf einen bösartigen Tumor des Urogenitaltrakts. Am häufigsten traten Nierenzellkarzinome gefolgt von Blasenkarzinomen auf, während das Prostatakarzinom (im Gegensatz zur Normalbevölkerung) erst an dritter Stelle auftauchte (Besarani et al. 2007). Daten des Australia and New Zealand Transplant Registry (ANZDATA) mit einer Kohorte von 28.855 Patienten zeigen jedoch, dass das größte Risiko für Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz für eine Malignomentwicklung erst nach der Transplantation mit der dann erforderlichen medikamentösen Immunsuppression entsteht. Die Karzinominzidenz vor Beginn der Nierenersatztherapie war nur gering im Vergleich zur Normalbevölkerung gesteigert ist (SIR 1,16) und dieses Risiko stieg auch unter Dialysebehandlung nur gering an (SIR 1,35), nach Transplantation war das Risiko der Entwicklung einer Krebserkrankung dann mehr als dreifach erhöht (SIR 3,27) (Vajdic et al. 2006). Transplantatempfänger mit einem erhöhten Risiko für Malignomentwicklung 4 Nierentransplantation – Zystennieren – Nierenzellkarzinom in den Eigennieren – Analgetikanephropathie – Urothelkarzinome in den ableitenden Harnwegen 4 Lebertransplantation – Alkolotoxische Leberzirrhose: Plattenepithelkarzinome des oberen Aerodigestivtrakts, Lungenkrebs – Primär sklerosierende Cholangitis: kolorektale Karzinome (bei assoziierter Colitis ulcerosa)
21
Bei lebertransplantierten Patienten stellt insbesondere die Subgruppe der Patienten mit alkoholtoxischer Zirrhose eine besondere Risikogruppe dar. Bereits 1999 konnten Duvoux und Mitarbeiter zeigen, dass eine erhöhte Inzidenz oropharyngealer Plattenepithelkarzinome nach Lebertransplantation besteht (Duvoux et al. 1999). Diese Beobachtungen wurden bestätigt durch eine Reihe von weiteren Arbeiten. Saigal und Mitarbeiter konnten in ihrem Kollektiv von 1140 Patienten mit insgesamt 1271 Lebertransplantationen zeigen, dass bei 30 dieser 1140 Patienten (2,6%) eine Malignomentwicklung auf-
trat (ausgenommen Lymphome und PTLD). Ein signifikant erhöhtes Risiko bestand bei Patienten mit alkoholtoxischer Zirrhose (Saigal et al. 2002). Bei 18 von 123 Patienten (15%), die aufgrund einer alkoholtoxischen Zirrhose in Pittsburgh/ USA transplantiert wurden, entwickelten sich nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 7 Jahren 21 De-novoMalignome (Hauttumoren ausgeschlossen). Hier waren insbesondere Plattenephithelkarzinome der oberen Atemwege überrepräsentiert (Bellamy et al. 2001). Basierend auf einer Kohorte von 185 Patienten, die aufgrund alkoholtoxischer Leberzirrhose transplantiert wurden (mittlere Nachbeobachtungszeit 7,8 Jahre) war die Inzidenz de-novo-orophangyealer Karzinome 25,5-fach und die für Lungenkrebs 3,7-fach erhöht gegenüber der Normalbevölkerung (Jain et al. 2000). Auf das Risiko einer Malignomentwicklung bei bestehender oder akquirierter Virusinfektion wurde bereits hingewiesen im Zusammenhang mit EBV-Infektion und PTLD-Entwicklung. In einer Meta-Analyse von 444,172 Patienten mit HIV/AIDS und 31.977 Patienten nach Organtransplantation konnte nachgewiesen werden, dass in beiden Gruppen die infektionsassoziierten Malignome am relativ häufigsten auftraten: 4 EBV-assoziierte Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome 4 HHV-8-assoziertes Kaposi-Sarkom 4 HBV/HCV-assoziiertes hepatozelluläres Karzinom 4 Helicobacter-pylori-assoziiertes Magenkarzinom 4 Eine Reihe von Humanen-Papilloma-Virus (HPV)-assoziierten Krebserkrankungen wie Zervix-, Vulva- und Vaginal-, Penis-, Anal- und schließlich Mundhöhlen- sowie Pharynxkarzinom Dies ist ein Hinweis darauf, dass der Zustand der chronischen Immunsuppression (sei es durch HIV/AIDS oder chronisch medikamentöse Immunsuppression) im Zusammenhang mit chronischen Infektionen für die Krebsentstehung verantwortlich ist und andere Faktoren wie Risikoverhalten und/oder »Lifestyle« eher eine nachgeordnete Rolle spielen (Grulich et al. 2007). Daneben spielen Umweltfaktoren eine Rolle für die Malignomentwicklung, insbesondere für die Prävalenz bösartiger Hauttumoren. Während in den Niederlanden nach Nierentransplantation die Prävalenz bösartiger Hauttumoren (vor allen Dingen Plattenepithelkarzinome) nach 10 Jahren 10% und nach 20 Jahren 40% beträgt (Harteveld et al. 1990), ist die Inzidenz im sonnigen Australien deutlich höher: Dort entwickeln bereits 20% aller Nierentransplantierten bösartige Hauttumoren, nach 10 Jahren dann 45% und nach 20 Jahren 75% aller nierentransplantierten Patienten (Bouwes Bavnick et al. 1996a).
21.5
Prävention und Früherkennung primärer Malignome nach Organtransplantation
In der Langzeitbetreuung des organtransplantierten Patienten darf nicht vergessen werden, dass neben den Risi-
237 21.7 · Organtransplantation nach anamnestisch bekannter Krebserkrankung
ken der chronischen Abstoßung und den bekannten Folgen der chronischen Immunsuppression wie z. B. Hypertonusentwicklung, Posttransplantations-Diabetes mellitus und anderes nicht nur ein Risiko für eine erhöhte Malignomentwicklung besteht, sondern wie bei anderen Patienten auch sporadische Karzinome auftreten können. Die Risikostrategien sind entsprechend zu adaptieren und einen guten Anhalt hierfür bieten die European Best Practice Guidelines in Renal Transplantation (EBPG). Diese empfehlen zur Vermeidung einer posttransplantationslymphoproliferativen Erkrankung bei der Risikokonstellation eines Epstein-Barr-Virus-positiven Spenders auf einen EpsteinBarr-Virus-negativen Empfängers eine antivirale Prophylaxe für 3 Monate mit Aciclovir, Valaciclovir oder Ganciclovir (EBPG 2002a).
Patienten nach Organtransplantationen sollten generell einen Expositionschutz gegen UV-Strahlung durch die Verwendung einer Sonnenschutzcreme mit einem Schutzfaktor von mehr als 15 verwenden und regelmäßige dermatologische Kontrollen mindestens einmal pro Jahr durchführen lassen (EBPG 2002b).
Diesbezüglich gibt es inzwischen weitaus differenziertere Screeningprogramme, die dann differenzieren nach Hauttyp, Alter des Patienten und vorbestehenden Läsionen (Bouwes Bavnick et al. 1996b; Bouwes Bavnik et al. 2007; Hofbauer et al. 2009). Bezüglich der Entwicklung solider Karzinome sollte auch bei diesen Patienten die üblichen empfohlenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nicht vergessen werden. Die European Best Practice Guidelines empfehlen bei Männern über 50 Jahre jährlich eine PSA-Bestimmung, und bei Frauen jährlich einen Zervixabstrich sowie eine Mammographie nach nationalen Richtlinien. Bezüglich der Entwicklung einer sporadischen kolorektalen Karzinoms wurde seinerzeit noch die Haemoccult-Testung empfohlen bzw. auf nationale Richtlinien verwiesen (EBPG 2002c). Dies bedeutet heute in Deutschland die Durchführung einer Vorsorgekoloskopie. Es gibt keine verlässlichen Daten, die die Durchführung einer Vorsorgekoloskopie zu einem früheren Zeitpunkt bei organtransplantierten Patienten empfehlen würden. Allerdings muss besonders bei Patienten mit primärer sklerosierender Cholangitis der Leber, bei denen eine Lebertransplantation durchgeführt wurde, auf die Malignomentwicklung im Kolon geachtet werden, da diese Erkrankung häufig mit einer Colitis ulcerosa, einer Präkanzerose für kolorektale Karzinome, einhergeht.
21.6
Behandlung von De-novo-Malignomen nach Organtransplantation
Für die Behandlung von der posttransplantationslymphoproliferative Erkrankung steht seit einigen Jahren ein Anti-CD20monoklonaler Antikörper zur Verfügung ( Rituximab), die
Ansprechrate beträgt mehr als 60% (Oertel et al. 2000; Mielpied et al. 2000). Bezüglich anderer solider Tumoren kann nur eine individuelle Entscheidung erfolgen. Bei PTLD im lymphatischen Gewebe des Spenderorgans kann die Organexplantation eine Heilung herbeiführen (Rehbinder et al. 2006). Bei lebenswichtigen Organen (Herz, Lunge, Leber) ist dies nicht möglich. Hier kann nur eine individuell an Leitlinien adaptierte Behandlung erfolgen. Eine Reduktion der Immunsuppression wird häufig empfohlen, birgt in sich jedoch das Risiko einer Organabstoßung. Eine der interessanten Entwicklung der immunsuppressiven Therapie ist durch mTOR-Inhibitoren gegeben, die als antiproliferative Substanzen in den letzten Jahren auch vermehrt in der Krebstherapie eingesetzt werden. Eine dieser Substanzen, Rapamycin, inhibiert metastatisches Tumorwachstum und Angiogenese durch reduzierte Produktion von VEGF und Hemmung der Endothelantwort auf VEGF (Guba et al. 2002). Experimentell konnte gezeigt werden, dass Rapamycin immunsuppressiv wirkt und gleichzeitig zu einer Rückbildung etablierter Tumoren führt. Die Rolle von Rapamycin zur Vermeidung von Posttransplantationsmalignomen ist jedoch nach wie vor nicht gesichert. Die Ergebnisse einer großen internationalen randomisierten Studie zum Vergleich zu beurteilen und der Wirksamkeit von Rapamycin zur Vermeidung eines Tumorrezidivs nach Lebertransplantation wegen hepatozellulärem Karzinom stehen derzeit noch aus. Gesichert ist jedoch, dass eine erfolgreiche Behandlung von Kaposi-Sarkomen und Nicht-Melanom-Hauttumoren nach Umstellung der Immunsuppression auf mTORInhibitoren wie Rapamycin möglich ist (Stallone et al. 2005; Monaco et al. 2009).
21.7
Organtransplantation nach anamnestisch bekannter Krebserkrankung
Ein Tumorrezidiv nach Organtransplantation hängt ab von der Art des Tumors, dem Stadium des Tumors und dem Zeitintervall seit kompletter Remission. Hierzu gibt es eine Reihe von Daten, die gut zusammengefasst sind in den European Best Practice Guidelines for Renal Transplantation (European Expert Group on Renal Transplantation 2000). Eine niedrige Inzidenz (0–10%) für ein Tumorrezidiv besteht bei inzidentellen Nierenzellkarzinomen, Lymphomen, Hodentumoren, Zervix- und Uteruskarzinomen sowie Schilddrüsenkarzinomen. Ein mittelhohes Risiko für ein Tumorrezidiv (11–25%) besteht für Karzinomerkrankung des Corpus uteri, Wilms-Tumor, Kolonkarzinom, Prostatakrebs und Brustkrebs.
Ein hohes Risiko des Tumorrezidivs nach Nierentransplantation (<26%) ist gegeben bei Harnblasenkarzinom, Sarkom, Hauttumoren (Melanom und Nicht-Melanom, symptomatischen Nierenzellkarzinom und ein multiples Myelom).
21
238
Kapitel 21 · Transplantation und Onkologie
Hieraus reduzieren unterschiedliche empfohlene Mindestwartezeiten zwischen Vollremission eines malignen Tumors und einer Nierentransplantation. Diese betreffen a) Weniger als 2 Jahre Wartezeit erforderlich: inzidentelle Nierenzellkarzinom, In-situ-Karzinome, kleine fokale Neoplasien, gut differenzierte Harnblasentumoren, Basalzellkarzinome b) Mindestens 2 Jahre Wartezeit vor Nierentransplantation: die meisten Tumoren außer a) und c) und c) Länger als 2 Jahre Wartezeit: malignes Melanom, Brustkrebs, Dickdarmkrebs, Uteruskarzinom (mit Ausnahme von In-situ-Tumoren) Eine vollständige Sicherheit der Vermeidung eines verspäteten Tumorrezidivs unter Immunsuppression gibt es jedoch nicht. So berichteten Weithofer et al über zwei Patienten mit potenziell kurativ behandeltem Nierenzellkarzinom, bei denn 14 bzw. 23 Jahre nach Nierentransplantation Spätmetastasen auftraten (Weithofer et al. 2009). Da die heutige Wartezeit für eine Nierentransplantation bei hirntoten Spendern je nach Blutgruppe 5–7 Jahre beträgt, spielen diese Zeiten mittlerweile im Wesentlichen eine Rolle für Patienten, bei denen eine Lebendspendetransplantation vorgesehen ist. Für andere Organtransplantationen gibt es weniger klare Empfehlungen, prinzipiell scheinen jedoch die in der Nierentransplantation gemachten Erfahrungen auf andere Organtransplantationen übertragbar.
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21
22 22
Präoperative Risikoabschätzung H. Bartels
22.1
Methoden der präoperativen Risikoabschätzung
22.2
Operationsbezogenes Risiko
22.2.1 22.2.2
Limitierte Chirurgie – 243 Sicherheitschirurgie – 243
22.3
Patientenbezogenes Risiko
22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4
Pulmonale Funktion – 243 Kardiovaskuläre Funktion – 243 Hepatorenale Funktion – 244 Allgemeinzustand und Kooperation
22.4
Umfang und Spektrum obligater Voruntersuchungen
22.4.1 22.4.2
Basisuntersuchungen Erweiterte Diagnostik
22.5
Funktionelle Vorbehandlung
22.5.1 22.5.2
Vorbehandlung bei pulmonalen Erkrankungen – 246 Vorbehandlung bei kardiovaskulären Erkrankungen – 246
22.6
Risikoanalyse
22.7
Zusammenfassung Literatur
– 247
– 242
– 242
– 243
– 244
– 245 – 245
– 247 – 247
– 246
– 244
242
Kapitel 22 · Präoperative Risikoabschätzung
> Die präoperative Risikoabschätzung gewinnt heute bei immer umfangreicheren Operationen in der Onkologischen Chirurgie zunehmend an Bedeutung. Ihre Zielsetzung dabei ist, die Patienten zu selektionieren, bei denen große und größte Eingriffe noch mit vertretbarem Risiko durchgeführt werden können, und einen Operationszeitpunkt mit dem geringsten Risiko für den Patienten und der niedrigsten Komplikationswahrscheinlichkeit zu wählen (Grube 2002). Damit dient die präoperative Risikoabschätzung als Entscheidungshilfe bei der Therapieplanung (z. B. Vorbehandlung), nimmt Einfluss auf die Verfahrenswahl (z. B. Sicherheitschirurgie) und ermöglicht ein problemorientiertes postoperatives Management (z. B. Antikoagulation). Bei Notfalleingriffen müssen die Rahmenbedingungen, die der Patient mitbringt, akzeptiert werden. Diktiert durch den Zeitdruck ist eine sorgfältige Evaluation der Risikosituation in der Regel nicht möglich. Es gelingt bestenfalls, grob orientierend Organfunktionsstörungen abzuklären und nur in Ausnahmefällen, sie auch zu beeinflussen (Bartels et al. 2000). Unter Elektivbedingungen muss aber die Chance einer gezielten Operationsvorbereitung genutzt werden. Notwendige Voraussetzung aber dafür ist, relevante Begleiterkrankungen mit möglichem Einfluss auf den postoperativen Verlauf zu identifizieren und ggf. durch funktionelle Vorbehandlung zu bessern oder sogar auszuschalten (Rolf u. van Aken 2001).
Ziele der präoperativen Risikoabschätzung 4 Patientenselektion (Eingriff noch mit vertretbarem Risiko durchführbar?) 4 Therapieplanung (Vorbehandlung bei funktionellen Störungen) 4 Einfluss auf die Verfahrenswahl (limitierte Chirurgie, Sicherheitschirurgie) 4 Problemorientiertes postoperatives Management (z. B. Nachbeatmung, Antikoagulation)
. Tab. 22.1. Risikoklassifikation nach ASA
Klasse
Zustand des Patienten
I
Normaler, gesunder Patient
II
Patient mit leichter Allgemeinerkrankung
III
Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung und Leistungsminderung
IV
Patient mit inaktivierender Allgemeinerkrankung, die eine ständige Lebensbedrohung darstellt
V
Moribunder Patient, von dem nicht erwartet wird, dass er die nächsten 24 h überlebt
gruppen zuordnet. Die ASA-Klassifikation fasst den objektiven Befund, den subjektiven Eindruck und das abschließende klinische Urteil zusammen. Ihre Zielsetzung ist die Anwendbarkeit unter anästhesiologischen Gesichtspunkten für ein großes Eingriffsspektrum. Bezogen auf das individuelle Risiko z. B. eines Patienten mit Ösophaguskarzinom ist die ASA-Klassifikation aber wenig hilfreich, zumal Art und Größe des geplanten Eingriffes als wesentliches Kriterium keine Berücksichtigung finden. Andere Versuche, z. B. anhand des Patientenalters, des Ernährungszustandes (anthropometrische Messung), des Alkoholkonsums oder eines aus mehreren dieser Faktoren zusammengesetzten Klassifikationssystems Risikogruppen zu definieren, haben sich im klinischen Alltag nicht durchgesetzt (Bartels et al. 1997). Es bleibt somit festzuhalten, dass derzeit das präoperative Risiko für ein breites Spektrum chirurgischer Eingriffe nicht allgemein verbindlich erfasst werden kann. Daher sind bei der Risikoevaluation und zur Erstellung effektiver Präventionsstrategien in gleichem Maße das operationsbezogene Risiko und das patientenbezogene Risiko zu berücksichtigen (Prasad u. Smith 2001).
22.2 22.1
22
Methoden der präoperativen Risikoabschätzung
Der traditionelle Weg einer präoperativen Risikoabschätzung ist die subjektive Beurteilung des Patientenzustandes durch den Operateur, ggf. unterstützt durch konsiliarärztliche Stellungnahmen von Spezialisten für die einzelnen Organfunktionen. Dieser »klinische Eindruck« des Operateurs, der in jedem Fall eine große Erfahrung voraussetzt, kann aber in der Regel eine objektive Evaluation nicht ersetzen. So hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Chirurgen präoperativ den Zustand ihrer Patienten zu positiv beurteilen. Dies gilt in besonderem Maße für die Einschätzung von Risikopatienten (Troidl 2000). Am weitesten verbreitet ist heute eine präoperative Risikoabschätzung anhand der ASA-Klassifikation (. Tab. 22.1), die Patienten entsprechend ihres klinischen Status 5 Risiko-
Operationsbezogenes Risiko
Richtlinien zur perioperativen Evaluation von Patienten für kardiochirurgische Eingriffe sind heute klar definiert (Eagle et al. 2002). Ein operationsbezogenes hohes Risiko (perioperative Mortalität >5%) liegt vor bei Notfalloperationen v. a. bei älteren Menschen, bei chirurgischen Eingriffen an der Aorta und den großen Gefäßen und bei allen ausgedehnten und lang andauernden Operationen mit hohen Flüssigkeitsverschiebungen, Blutverlust und damit verbundener systemischer Entzündungsreaktion. Zu dieser Kategorie gehören zweifelsfrei auch alle großen Eingriffe am oberen und unteren Gastrointestinaltrakt. In der Ösophaguschirurgie kommt es darüber hinaus – bedingt durch die Obstruktion des rechten Ventrikels durch das Interpositionsorgan – postoperativ zum Abfall des Cardiac-Output und in ca. 90% der Fälle zu hartnäckigen supraventrikulären Rhythmusstörungen (Bartels et al. 2000). Damit
243 22.3 · Patientenbezogenes Risiko
sind v. a. Patienten mit eingeschränkten kardialen und koronaren Reserven besonders gefährdet. Um aber auch diesen Patienten einen potenziell kurativen Eingriff mit vertretbarem Risiko zu ermöglichen, bieten sich die Konzepte der limitierten Chirurgie und Sicherheitschirurgie an.
22.2.1 Limitierte Chirurgie Limitierte Chirurgie bedeutet – wenn onkologisch vertretbar – bei Risikopatienten mit Adenokarzinom des Ösophagus eine transhiatale Resektion anstelle der transthorakalen Ösophagektomie (Hulscher 2004) oder bei Patienten mit frühem Adenokarzinom im Barrett-Ösophagus eine Resektion des distalen Ösophagus mit Jejunuminterposition anstelle der radikalen Ösophagektomie (Stein et al. 2000). Mit diesen attraktiven chirurgischen Alternativen konnte bei spezieller Indikationsstellung die postoperative Morbidität deutlich gesenkt werden.
22.2.2 Sicherheitschirurgie Sicherheitschirurgie trägt v. a. der besonderen Gefährdung von Patienten nach neoadjuvanter Radio-/Chemotherapie Rechnung (Lordick et al. 2004). Immunologische Daten zeigen, dass die T-Lymphozyten – von entscheidender Bedeutung für die körpereigene Infektabwehr – durch die Vorbehandlung supprimiert werden (Heidecke et al. 2002). Diese exogene Immunsuppression bietet eine hinreichende Erklärung für den schlechter Verlauf und die hohe Mortalität bei Eintreten von postoperativen septischen Komplikationen. Vergleichbares gilt für Patienten mit bereits präoperativ reduzierter IL-12 Synthese-Kapazität der mononuklearen Phagozyten (Bartels 2006). Etabliert ist Sicherheitschirurgie heute beim tief sitzenden Rektumkarzinom nach neoadjuvanter Radio-/Chemotherapie. Das Vorschalten eines protektiven Ileostomas minimiert die negativen Folgen einer potentiellen Anastomosenkomplikation. In der Ösophaguschirurgie bietet sich als Sicherheitskonzept das zweitzeitige Vorgehen mit »Splitting« der Resektionsphase von der Rekonstruktionsphase an (Stein et al. 2001). Nach Resektion des Ösophagus und Anlage einer endständigen zervikalen Speichelfistel ist das Risiko einer Kontamination des Mediastinums durch Speichel und Gastrointestinalinhalt ausgeschaltet. Das Ösophagusbett im hinteren Mediastinum kann innerhalb der nächsten Tage verkleben, so dass bei Durchführung einer retrosternalen Rekonstruktion zum späteren Zeitpunkt selbst bei Auftreten einer zervikalen Anastomoseninsuffizienz eine Mediastinitis unwahrscheinlich wird (Siewert et al. 2004). Damit können die häufig delitären Folgen einer Anastomoseninsuffizienz gerade beim Hochrisikopatienten verhindert werden.
22.3
Patientenbezogenes Risiko
Das patientenbezogene Risiko erwächst aus der allgemeinen Leistungsfähigkeit sowie Anzahl und Schwere vorhandener Begleiterkrankungen (Linguan u. Strohmeyer 2002). Bei der Abklärung dieser Risikofaktoren ist die quantitative Erfassung der Organfunktionen, die unmittelbar Einfluss auf den postoperativen Verlauf nehmen, von vorrangiger Bedeutung.
22.3.1 Pulmonale Funktion Chirurgischer Eingriff und Allgemeinanästhesie führen zu charakteristischen Veränderungen der respiratorischen Funktion. Ursache dafür sind Störungen des Atemantriebs, der Lungenmechanik, des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses und des pulmonalen Gasaustausches. Oberbauch- und Zweihöhleneingriffe bedeuten darüber hinaus ein zusätzliches Risiko. Es kommt zu einer drastischen Reduktion sämtlicher Lungenvolumina und zur Abnahme der pulmonalen Compliance. Vitalkapazität und funktionelle Residualkapazität (FRC) sind um bis zu 70% reduziert und erreichen erst nach 10–12 Tagen ihr Ausgangsniveau (Linguan u. Strohmeyer 2002). Diese auch beim Lungengesunden zwangsläufig auftretenden Veränderungen sind aber bei Patienten mit pulmonaler Vorerkrankung umso stärker ausgeprägt und von ungleich höherer klinischer Bedeutung. Der pulmonale Risikopatient ist postoperativ sehr viel schlechter in der Lage, ausreichend tief einzuatmen und damit auch effektiv abzuhusten. Folge dieser Veränderungen können dann Hypoxämie, Sekretretention und Pneumonie sein. Damit ergeben sich bei der präoperativen Abklärung durch Anamnese (Nikotinabusus, COPD, Asthma bronchiale) körperliche Untersuchung (Adipositas, Kyphoskoliose, Muskelerkrankungen), dem Auskultationsbefund der Lunge und Ruhe- oder Belastungsdyspnoe jeweils Indikationen für eine schrittweise Evaluation der Lungenfunktion (Rolf u. van Aken 2001).
22.3.2 Kardiovaskuläre Funktion Perioperativ treten eine Reihe von Veränderungen mit negativer Rückwirkung auf die kardiovaskuläre Funktion auf. Kältezittern (Erhöhung des Sauerstoffverbrauchs), Restwirkung von Anästhetika (negativ inotrope Wirkung), Angst, Schmerz, Hypoxämie, erhöhte Atemarbeit und Blutdruckabfall sind Faktoren, die eine kardiale Dekompensation auslösen können (Bartels et al. 1997). Dabei stellt die kardiale Komplikation eine der schwersten Belastungen des postoperativen Verlaufs dar. Die Gefährdung ist aber ungleich größer bei Patienten mit spezifischen Vorerkrankungen und eingeschränkter kardialer und koronarer Leistungsreserve. Hauptprädikatoren für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko sind entsprechend heute gültigen Richtlinien der American Heart Association (Eagle et al. 2002) instabile Koronar-
22
244
Kapitel 22 · Präoperative Risikoabschätzung
syndrome, dekompensierte Herzinsuffizienz, signifikante Rhythmusstörungen und schwere Herzklappenfehler. Diese Patienten und auch Patienten mit stabiler Angina pectoris, stattgehabtem Herzinfarkt und Diabetes mellitus benötigen präoperativ Spezialuntersuchungen und daraus resultierend eine Optimierung ihrer funktionellen Leistungsfähigkeit bis hin zur koronaren Revaskularisation.
Ein erfolgreiches perioperatives Management des kardialen Risikopatienten erfordert schon im Vorfeld eine sorgfältige Kommunikation zwischen Chirurgen, Anästhesisten und Kardiologen hinsichtlich eingriffsspezifischer Besonderheiten (z. B. Ösophaguschirurgie), Dringlichkeit des geplanten Eingriffes und Notwendigkeit einer spezifischen Vorbehandlung.
22.3.3 Hepatorenale Funktion
22
Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen ist im Vergleich zu »lebergesunden« Kontrollkollektiven die postoperative Morbidität und Mortalität deutlich erhöht. Die zugrunde liegenden Pathomechanismen sind neben einer Prädisposition für septische Komplikationen durch Immunsuppression und verminderter Infektabwehr kardiale Probleme (Rhythmusstörungen, toxische Kardiomyopathie), zirrhosebedingte Störungen (Aszites, Enzephalopathie) und erhöhte Blutungsneigung auf dem Boden eingeschränkter Thrombozyten- und Gerinnungsfunktion (Olmo et al. 2003). Als häufigste Ursache für eine Leberschädigung muss heute der Alkoholabusus gelten. Dabei ist der postoperative Verlauf auch dahingehend beeinflusst, dass bei Entzugssymptomatik und zwangsläufig eingeschränkter Kooperation (Abhusten) die Inzidenz postoperativer Pneumonien steigt (Schröder et al. 1998). Präexistente Leberfunktionsstörungen können sich einer laborchemischen Routinediagnostik entziehen. Der hepatische Metabolismus ist charakterisiert durch seine hohe Funktionsreserve. Erst durch Vorliegen einer Zirrhose werden spezifische Muster einer fortgeschrittenen Insuffizienz apparent. Die Leberzirrhose reflektiert damit das Endstadium einer hepatischen Funktionsstörung und gilt heute allgemein als Kontraindikation für große elektive Eingriffe (Ziser et al. 1999). Im Vergleich dazu ist der Einfluss einer eingeschränkten Nierenfunktion auf den postoperativen Verlauf eher gering. Unter der Voraussetzung, dass prärenale Störungen (z. B. Hypovolämie, Nachblutung) adäquat behoben werden, gelingt es in der Regel, eine präexistente Niereninsuffizienz im Stadium der Kompensation zu halten. Ein isoliertes akutes Nierenversagen tritt postoperativ heute nur noch in Ausnahmefällen auf und ist therapeutisch sehr viel besser beeinflussbar als die akute kardiale oder hepatische Dekompensation (Bartels et al. 1997).
Cave Beim dialysepflichtigen Patienten muss der Zeitpunkt eines elektiven Eingriffes die gegeben Dialyseintervalle berücksichtigen, um eine Überwässerung des Patienten am Operationstag oder postoperative Blutungen auf dem Boden einer dialyseinduzierten Koagulopathie zu verhindern.
22.3.4 Allgemeinzustand und Kooperation Nach großen chirurgischen Eingriffen wird den Patienten ein Höchstmaß an Disziplin und Mitarbeit abverlangt. Zur Prophylaxe von pulmonalen und thromboembolischen Komplikationen müssen Therapiemaßnahmen mit Atemtraining, Abhusten, Frühmobilisation u.a. immer wieder durchgeführt werden. Grundvoraussetzung dafür sind somatische Belastbarkeit und mentale Kooperationsfähigkeit des Patienten. Derzeit stehen noch keine Methoden zur Verfügung, die präoperativ die Mitarbeit des Patienten nach dem Eingriff vorhersagen lassen. Ganz sicher ist diese Kooperation aber eingeschränkt beim alten Patienten, bei Demenz/Alzheimer, bei Vorerkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis (z. B. Depression) und Medikamenten-, Drogen- und Alkoholabusus (Prasad u. Smith 2001). Damit bleibt die Bemessungsgrundlage für die Einschätzung des Allgemeinzustandes des Patienten und seiner Kooperationsfähigkeit weiterhin der »klinische Eindruck« des erfahrenen Operateurs, der entscheiden muss, ob dem Patienten der entsprechende Eingriff zugemutet werden kann.
22.4
Umfang und Spektrum obligater Voruntersuchungen
Grundvoraussetzung für jede präoperative Risikoabschätzung ist die ausführliche Anamnese und gewissenhafte körperliche Untersuchung. Nur durch die genaue Erhebung der Anamnese lassen sich bisherige Medikation, Unverträglichkeiten, Allergien und Konsumgewohnheiten (z. B. Nikotin, Alkohol, Drogen) erfassen. Diese Informationen liefern auch entsprechende Hinweise für ein problemorientiertes postoperatives Management. Die körperliche Untersuchung kann bisher nicht bekannte Störungen aufdecken, aus denen sich durchaus Konsequenzen für den geplanten Eingriff ergeben mögen. So ist eine periphere arterielle Verschlusskrankheit nicht nur ein lokales, auf die Extremitäten beschränktes Problem, sondern signalisiert auch erhöhtes kardiales Risiko. Viele Risikofaktoren der arteriellen Verschlusskrankheit (z. B. Nikotin, Diabetes, Hyperlipidämie) sind auch Risikofaktoren für die koronare Herzerkrankung. Die Angina pectoris als Leitsymptom für koronare Herzerkrankung kann nur deswegen klinisch verschleiert sein, weil der Patient z. B. wegen hohen Lebensalters oder intermittierender Claudicatio bisher nicht grenzwertig belastbar war (Mosher et al. 2002).
245 22.4 · Umfang und Spektrum obligater Voruntersuchungen
Somit kann streng genommen erst nach Vorlegen der aus Anamnese und körperlichen Untersuchung erhobenen Befunde Umfang und Spektrum obligater Voruntersuchungen bestimmt werden. Aus organisatorischen Gründen empfiehlt es sich aber, routinemäßig eine Basisdiagnostik durchzuführen, die heute ohnehin vor chirurgischen Eingriffen gefordert wird und deren Ergebnisse dann in Ergänzung zur Anamnese und Untersuchungsbefund zur Verfügung stehen.
22.4.1 Basisuntersuchungen Ziel der Basisuntersuchungen ist es Erkrankungen aufzudecken, die dem Patienten über das eingriffsspezifische Risiko hinaus gefährden können. Dies gilt in gleichem Maße für kardiopulmonale Störungen, Leberschädigung, Niereninsuffizienz, Diabetes, Elektrolyt-Imbalancen oder latente Infektionen. Nur wenn sich aus Anamnese, Untersuchungsbefunden und der Basislabordiagnostik Hinweise auf spezifische Organerkrankungen ergeben, werden nach Rücksprache mit den Spezialisten der entsprechenden Fachgebiete Zusatzuntersuchungen erforderlich. Basisuntersuchungen 4 Anamnese, körperliche Untersuchung 4 EKG, Röntgen-Thorax 4 Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Blutzucker, Leukozyten, Thrombozyten) 4 Gerinnung (Quick, PTT, Fibrinogen) 4 Serumelektrolyte (Natrium, Kalium) 4 Bilirubin, GPT, alkalische Phosphatase 4 Harnstoff, Kreatinin
. Tab. 22.2. Erweiterte Diagnostik
Bereich
Untersuchung (Beispiele)
Lungenfunktion
BGA, Spirometrie, Volumen, Diffusion, Atemmuskelkraft
Kardiale Funktion
Langzeit-EKG, Herzechographie, Spiroergometrie, Herzszintigraphie, Koronarangiographie, BNP
Hepatische Funktion
Aminopyrin-Atemtest (APT), Leberstanzbiopsie
Allgemeinzustand
Karnofsky-Index, Carbohydrat-DeficientTransferase (CDT)
steigt, wenn 4 MET unter Belastung nicht mehr möglich sind. In grober Annäherung bedeuten 4 MET eine symptomfreie Leistungsfähigkeit von mind. 2 Stockwerken Treppensteigen oder zügigem Gehen in der Ebene (Eagle et al. 2002). Ist diese funktionelle Mindestkapazität nicht gegeben, sind BNP (»brain natriuretic peptide«) als neue kardiale Marker zur Risikostratifizierung bei der Herzinsuffizienz erhöht (Maisel et al. 2002), oder finden sich andere Hinweise auf ein erhöhtes kardiales Risiko, muss ein Kardiologe konsiliarisch hinzugezogen werden. Seine Aufgabe ist es dann, Spezialuntersuchungen zu veranlassen und Therapieempfehlungen auszusprechen bis hin zur koronaren Revaskularisation, auch wenn dies den Zeitpunkt der geplanten Operation hinausschiebt (European Society of Cardiology 2001). Und er muss aus seiner Sicht das kardiale Gesamtrisiko des Patienten beurteilen, jeweils in Kenntnis über Art des Eingriffes, voraussichtliche Eingriffsdauer und eingriffsspezifische Besonderheiten (z. B. Ösophaguschirurgie).
22.4.2 Erweiterte Diagnostik Leberfunktion. Ein hepatisches Äquivalent zum Harnstoff-
Die Maßnahmen der erweiterten Diagnostik richten sich nach den Erfordernissen des Einzelfalles, insbesondere in Abhängigkeit vom Alter und Allgemeinzustand des Patienten und Art und Größe des geplanten Eingriffes (. Tab. 22.2). Aber auch hier gilt es, unnötige Zusatzuntersuchungen möglichst zu vermeiden. Lungenfunktion. So ist die Spirometrie als Routinemaßnah-
me zur präoperativen Abklärung der Lungenfunktion nicht erforderlich. Nur bei begründetem Verdacht auf Vorliegen einer pulmonalen Störung und vor thoraxchirurgischen Eingriffen werden spezifische Lungenfunktionstest benötigt. Dann muss der Pulmonologe auch Stellung nehmen, ob ggf. eine funktionelle Vorbehandlung präoperativ die pulmonale Leistungsfähigkeit steigern kann (Linguan u. Strohmeyer 2002).
und Kreatininanstieg bei Nierenerkrankungen ist laborchemisch leider nicht verfügbar. Die konventionelle Leberdiagnostik ist nur aussagekräftig bei bereits fortgeschrittenen Störungen. Die Child-Pugh-Klassifikation mit zusätzlichen Parametern (z. B. CHE, NH3, Albumin) ist ein speziell auf Lebertransplantationen zugeschnittener Score (Ziser et al. 1999). Zur quantitativen Erfassung der Leistungsreserve bietet sich der Aminopyrin-Atemtest (APT) an, mit dem die hepatische Zytochrom-p450-Funktion gemessen wird (Bartels et al. 1998). Dieser Test erlaubt es in der Regel, präoperative Risikopatienten zu identifizieren. Als ultima ratio bleibt bei begründetem Verdacht auf Leberzirrhose, die anders diagnostisch nicht verifiziert oder ausgeschlossen werden kann, die histologische Sicherung durch Leberstanzbiopsie. Allgemeinzustand. Die Beurteilung des Allgemeinzustandes
Herzfunktion. Die kardiale Leistungsfähigkeit wird heute in
metabolischen Äquivalenzstufen (MET) angegeben. Das perioperative Risiko, eine kardiale Komplikation zu erleiden,
des Patienten, seiner Kooperation und Leistungsfähigkeit ist weiterhin der schwierigste Teilaspekt der präoperativen Risikoabschätzung, da objektive Parameter nicht verfügbar sind.
22
246
Kapitel 22 · Präoperative Risikoabschätzung
Hilfestellung bei der Beurteilung bietet der Karnofsky-Index (Karnofsky 1984), der bereits in früheren Untersuchungen der relevante Faktor für die Abschätzung des postoperativen Verlaufes war (Böttcher et al. 1994). Entscheidende Bedeutung kommt auch der Beurteilung des Alkoholabusus zu. Anamnestische Angaben von Patienten hinsichtlich ihrer Trinkgewohnheiten sind z. T. unzuverlässig, Bestimmungen der Blutbzw. Urin-Alkoholkonzentrationen als Screeningmethode wertlos. Alternativ bietet sich die Bestimmung des Carbohydrat-Deficient-Transferrins (CDT) an, die bisher v. a. bei forensischen Fragestellungen zur Anwendung gekommen ist (Schröder et al. 1998).
Verbesserung erzielt werden. Ziel einer antiobstruktiven, mukolytischen und antiinflammatorischen Therapie ist es, Sekrete zu lösen, Superinfektionen zu beherrschen und Atemwiderstand, Lungenvolumina sowie Gasaustausch zu bessern. Die Therapiedauer beträgt in der Regel 1–2 Wochen. Anhand der Lungenfunktionskontrolle entscheidet dann der Pulmonologe, ob der Patient ausreichend rekompensiert ist oder ob eine weitere Vorbehandlung angezeigt erscheint.
22.5.2 Vorbehandlung bei kardiovaskulären
Erkrankungen Cave
22.5
Funktionelle Vorbehandlung
Ein wichtiger Teilaspekt der Risikoabschätzung ist die sich daraus ergebende Möglichkeit, durch funktionelle Vorbehandlung präexistente Erkrankungen in ihrem Schweregrad zu beeinflussen oder sogar auszuschalten (. Abb. 22.1). Das gilt in besonderem Maße für pulmonale und kardiale Störungen.
22.5.1 Vorbehandlung bei pulmonalen
Erkrankungen Die Möglichkeiten, Patienten mit restriktiven Ventilationsstörungen (z. B. Lungenfibrose) durch Vorbehandlung funktionell zu bessern, sind gering. Eine medikamentöse Therapie ist in der Regel nicht wirksam, nur in Ausnahmefällen profitieren diese Patienten von Steroiden. Durch gezielte Atemgymnastik kann aber die Kooperation des Patienten verbessert, die Muskelfunktion gestärkt und seine »emotionale« Dyspnoe gesenkt werden (Linguan u. Strohmeyer 2002). Damit erlernt der Patient bereits präoperativ Techniken, die postoperativ zur Prophylaxe pulmonaler Komplikationen notwendig werden. Dies erhöht auch seine Bereitschaft, postoperativ Atemtraining selbstständig durchzuführen, unabhängig von der Anwesenheit eines Physiotherapeuten. Im Gegensatz dazu kann bei obstruktiven Lungenerkrankungen (z. B. Asthma, COPD) häufig eine funktionelle . Abb. 22.1. Risikomanagement in der onkologischen Chirurgie
22
Ein elektiver, nicht-kardiochirurgischer Eingriff kann bei Vorliegen von instabiler Angina, dekompensierter Herzinsuffizienz, symptomatischen Rhythmusstörungen und schweren Herzklappenfehlern so lange nicht durchgeführt werden, bis eine klinische Besserung – ggf. erst nach herzchirurgischer Intervention – herbeigeführt ist (Eagle et al. 2002).
Eine präoperative koronare Revaskularisation ist grundsätzlich bei allen Patienten mit koronarer Ischämie angezeigt. Die zur Anwendung kommenden Verfahren (z. B. PTCA, koronare Stents oder primäre Bypass-Chirurgie) richten sich nach angiographisch gesicherten anatomischen und funktionellen Kritieren (Grube et al. 2002). Es kann heute davon ausgegangen werden, dass nach erfolgreicher koronarer Revaskularisation das kardiale Risiko nicht mehr höher ist als bei Patienten ohne koronare Herzerkrankung. Allerdings müssen eine Zeitverzögerung für den geplanten Elektiveingriff bis zu 6 Wochen und dann spezielle Probleme durch konventionelle Antikoagulation bzw. Thrombozytenaggregation in Kauf genommen werden. Tachykarde Rhythmusstörungen erfordern präoperativ eine elektrische oder pharmakologische Kardioversion. Die Indikation für eine Schrittmacherimplantation ist gegeben bei hochgradigen AV-Blockierungen und symptomatischen Arrhythmien (Synkopen). Bei korrekturbedürftigen Karotisste-
247 22.6 · Risikoanalyse
nosen beträgt das erforderliche Zeitintervall zwischen Karotischirurgie und geplantem viszeralchirurgischen Eingriff heute nur noch einige Tage (Bartels et al. 1997). Bei Patienten mit korrekturbedürftigen Klappenvitien sollte der kardiochirurgische Eingriff – wenn immer vertretbar – vor der Elektivoperation erfolgen. Postoperativ sind dann allerdings Endokarditisprophylaxe und ggf. eine dauerhafte Antikoagulation zu berücksichtigen. Bezüglich der medikamentösen Therapie bei koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen und arterieller Hypertonie sei auf spezielle Lehrbücher der Kardiologie und Pharmakologie verwiesen. Grundsätzlich muss aber gelten, dass eine spezifische Medikation konsequent bis zum Zeitpunkt der Operation weitergeführt und auch postoperativ fortgesetzt werden muss. Das gilt heute in besonderem Maße für die Medikation mit ß-Blockern als »Koronarprophylaxe« (European Society of Cardiology 2001).
22.6
Risikoanalyse
Auf dem Boden der dargestellten Basisuntersuchung und erweiterten Diagnostik wird eine präoperative Risikoerfassung möglich. Durch die Messung einzelner Parameter, orientiert an »cut-off-points«, die normale und eingeschränkte Organfunktionen differenzieren und unterstützt durch Stellungnahmen der jeweiligen Fachspezialisten können einzelne Organfunktionen beurteilt werden. Eine quantitative Aussage über die präoperative Risikosituation des Patienten gelingt dann, wenn die Einzelorganfunktionen ihrer klinischen Bedeutung entsprechend in Regressionsanalysen bewertet werden. Damit sind die Voraussetzungen für einen organbezogenen Risiko-Score erfüllt. Am Modell der Ösophaguskarzinomchirurgie wurde gezeigt, dass das Risiko anhand präoperativ verfügbarer Daten objektiviert und mit einem Summations-Score auch quantifiziert werden kann. Dieses Scoring-System ermöglicht die Klassifikation von Patienten mit Ösophaguskarzinom in verschiedene Risikogruppen und erlaubt eine Vorhersage der postoperativen Mortalität. Das Einbeziehen dieses Risiko-Scores in Entscheidungsprozesse bei der Indikationsstellung zur Resektion und auch zur Verfahrenswahl hat an der eigenen Klinik zu einer Senkung der postoperativen Mortalität von Patienten mit Ösophaguskarzinom auf Werte unter 2% geführt (Bartels et al. 1998).
22.7
Zusammenfassung
Bei der präoperativen Risikoabschätzung muss heute in gleichem Maße das operationsbezogene Risiko und das patientenbezogene Risiko, dass aus dem Allgemeinzustand des Patienten und der Anzahl und Schwere vorhandener Begleiterkrankungen erwächst, berücksichtigt werden. Grundlage dafür ist eine sorgfältige Evaluation des Patienten durch Anamnese, körperliche Untersuchung und Basisdiagnostik, ggf. ergänzt durch weitere Spezialuntersuchungen. Das sind
die Voraussetzungen dafür, dass die präoperative Risikoabschätzung Einfluss nehmen kann auf die Patientenselektion, Argumente liefert für eine funktionelle Vorbehandlung, als Entscheidungshilfe dient bei der Verfahrenswahl und überhaupt ein problemorientiertes postoperatives Management ermöglicht. Literatur American Society of Anesthesiology (2002) Task force on preanesthesia evaluation. Anesthsiology 96: 485–496 American Society of Anesthesiology (1963) New classification on physical status. Anesthesiology 24: 111–118 Bartels H., Stein HJ, Siewert JR (1998) Preoperative risk-analysis and postoperative mortality of oesophagectomy for respectable oesophageal cancer. Br J Surg 85: 840–847 Bartels H., Stein HJ, Siewert JR (1997) Risikoerfassung. Chirurg 68: 654–661 Bartels H., Stein HJ, Siewert JR (2000) Risk analysis in esophageal surgery. Cancer Res 155: 89–96 Bartels H., (2006) Identifizierung von Hochrisiko-Patienten mit abdomineller Sepsis. Viszeralchirurgie 41: 18–23 Böttcher K., Siewert JR, Roder JR (1994) Risiko der chirurgischen Therapie des Magenkarzinoms in Deutschland. Chirurg 65: 298–308 Eagle KA, Berger PB, Calkins HH et al. (2002) American College of Cardiology (ACC)/American Heart Association (AHA) Guideline update for perioperative cardiovascular evaluation for non cardiac surgery – executive summary. Circulation 105: 1257–1267 European Society of Cardiology (2001) Task force for the diagnosis and therapy of chronic heart failure. Eur Heart J 22: 1527–1560 Grube C, Schaper N, Grad BM (2002) Man at risk. Anaesthesist 51: 234–247 Heidecke CD, Weighardt H, Feith M et al. (2002) Neoadjuvant treatment of esophaegal cancer, immunsuppression following combined radiochemotherapy. Surgery 132 (3): 495–501 Hulscher JBF, von Sandick JW, Angela GEM et al. (2004) Extended transthoracic resection compared with limited transhiatal resection for adenocarcima of the esophagus. N. Engl J Med 347 (21): 1662– 1664 Karnofsky D (1984) Reporting results of cancer treatment. Cancer 1: 634–639 Linguan W, Strohmeyer HU (2002) Die Verantwortung des Anästhesisten in der präoperativen Risikoabklärung. Anaesthesist 51: 704–715 Lordick F, Stein HJ, Peschel C et al. (2004) Neoadjuvant therapy for oesophagogastric cancer Br J Surg 91: 540–541 Maisel A, Krishnaswami P, Nowak R et al. (2002) Rapid measurement of B-Type natriuretic peptide in the emergency diagnosis of heart failure N Engl J Med 347: 161–167 Mosher RE, Showen AM, Longnecker DE (2002) Anesthesiologist board certification and patient outcomes. Anesthesiology 96: 1044– 1052 Olmo del JA, Flor-Lovente B, Flor-Civera B et al. (2003) Risk factors for non-hepatic surgery in patient with cirrhosis. World J Surg 27: 647–652 Prasad V, Smith A (2001) Preoperative assessment: from tribalism to cooperation. Lancet 358: 1747–1748 Rolf N, van Aken H (2001) Präoperative Evaluierung und Risikoabschätzung Intensiv 9: 213–217 Schröder W, Vogelsang H, Bartels H (1998) Carbohydrate-DeficienteTransferrin (CDT) als präoperativer Risiko-Marker bei chirurgischem Risikopatienten. Chirurg 69: 72–76
22
248
Kapitel 22 · Präoperative Risikoabschätzung
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22
23 23
Chemotherapie S. Fruehauf, A. Radujkovic, J. Topaly, W.J. Zeller
23.1
Historische Entwicklung
23.2
Chemotherapie und Apoptose
23.3
Wachstumskinetik von Tumoren
23.3.1 23.3.2 23.3.3 23.3.4
Wachstumsfraktion und Gompertz-Kinetik »Log-cell-kill-Hypothese« – 252 Goldie-Coldman-Hypothese – 253 Norton-Simon-Hypothese – 253
23.4
Resistenz
23.5
Kombinationschemotherapie, Interaktionen in der Chemotherapie, chemotherapeutische Begriffe – 255
23.6
Nebenwirkungen der Chemotherapie
23.7
Grundlagen der Hormontherapie maligner Tumoren
23.8
Neue Therapiestrategien
23.8.1 23.8.2
Tyrosinkinase-Inhibitoren – 258 Beeinflussung der Tumorzell-Stroma-Adhäsion; PARP-Inhibitoren
23.9
Praktische Durchführung der Chemotherapie
23.9.1 23.9.2
Voraussetzungen für die Durchführung einer Chemotherapie Dokumentation der systemischen Tumortherapie – 259
23.10
Aktuelle Chemotherapie- und Hormontherapiestrategien viszeraler Tumoren – 260 Literatur
– 250 – 251 – 252 – 252
– 253
– 263
– 255 – 257
– 258 – 258
– 258 – 258
250
23
Kapitel 23 · Chemotherapie
> Neben ausgewählten Grundlagen über die Chemotherapie und Hormontherapie maligner Tumoren werden neue Therapiestrategien dargestellt. Darüber hinaus werden praxisorientierte Themen und aktuelle Therapieschemata behandelt.
23.1
Historische Entwicklung
Die Krebschemotherapie nahm ihren Anfang mit der Beobachtung, dass das im Ersten Weltkrieg eingesetzte Kampfgas Schwefellost zu Leukopenie, Knochenmarkaplasie und Ulzerationen im Magen-Darm-Trakt führte, Symptome, die auf einen antiproliferativen Effekt auf die sog. Wechselgewebe hindeuteten. Schwefellost erwies sich beim Einsatz am Patienten als hochtoxisch und seine therapeutische Verwendung wurde nach ersten Versuchen eingestellt. In der Folgezeit wurden weitere Lostderivate synthetisiert, von denen StickstoffLost, das ebenfalls zur Gruppe der Alkylanzien gehört, im Jahre 1942 erfolgreich bei einem Patienten mit Lymphosarkom eingesetzt wurde. Die erste Substanz aus der Gruppe der Antimetabolite, die klinisch zum Einsatz kam, war der Folsäureantagonist Aminopterin, der erfolgreich zur Behandlung akuter Leukämien eingesetzt wurde (Farber et al. 1948). Kurz darauf wurde Methotrexat (Amethopterin) entwickelt, das bis heute klinisch erfolgreich eingesetzt wird. Purinanaloga, die ebenfalls in die Gruppe der Antimetabolite gehören, gehen auf die Pionierarbeit von George Hitchings und Gertrude Elion zurück. Aus einer größeren Zahl zunächst an Bakterienkulturen und später an experimentellen Tumoren getesteten Analoga hoben sich 6-Mecaptopurin und 6-Thioguanin in ihrer Aktivität hervor. Im Jahr 1953 wurde 6-Mercaptopurin erfolgreich bei menschlichen Leukämien eingesetzt. Die Pyrimidinanaloga basieren auf der Pionierarbeit von Heidelberger et al., die die erste klinisch wirksame Substanz aus dieser Klasse, das 5-Fluorouracil (5-FU), entwickelten. In der Folge wurden weitere Pyrimidinanaloga synthetisiert, von denen das in den 1960er-Jahren entwickelte Cytosin-Arabinosid als ebenfalls bis heute erfolgreiches Zytostatikum zu nennen ist. Während die Alkylanzien ihren Ausgang aus der genauen Beobachtung toxischer Nebenwirkungen von Kampfstoffen nahmen und die Antimetabolite vornehmlich ein Ergebnis rationaler Planung waren, gibt es Beispiele für Substanzentwicklungen, die eher dem Zufall zu verdanken waren. So untersuchten Rosenberg et al. den Einfluss von elektrischem Strom auf die Zellteilung von Escherichia coli und beobachteten eine Proliferationshemmung der Mikroorganismen, die auftrat, wenn Platinelektroden verwendet wurden. Sie folgerten, dass eine Interaktion von im Medium enthaltenem Chlor mit Elektrolyseprodukten aus den Platinelektroden stattgefunden haben musste. Schließlich wurden Platinkomplexe als wirksame Verbindungen identifiziert; nach Prüfung verschiedener Komplexe wurde cis-Diamminedichloroplatinum(II), Cisplatin, als hochwirksame Verbindung identifiziert. Seit der klinischen Einführung des ersten alkylierend wirkenden Zytostatikums vor ca. 65 Jahren hat sich in der Chemo-
therapie von Krebserkrankungen eine erfreuliche Entwicklung zugetragen. Trotz dieser relativ kurzen Zeitspanne sind bei etwa einem Dutzend Krebserkrankungen selbst im fortgeschrittenen Stadium durch die Chemotherapie Heilungen zu erzielen. Bei der Beschreibung des Wirkungsmechanismus von Zytostatika wurden bisher vornehmlich die primären »Angriffspunkte« (z. B. DNA, RNA, Tubulin, DNA-Topoisomerasen, Enzyme der Purin- und Pyrimidin-Biosynthese) aufgeführt (Zeller 1995; 7 Übersicht). Diese stellen aber nur die erste Phase der Zytostatikawirkung dar (. Abb. 23.1). Nach dem primären Angriffspunkt läuft ein komplexer Mechanismus ab, der schließlich zur Apoptose (programmierter Zelltod) führt. Der zunehmende Einblick in Stoffwechselwege und Signalkaskaden von Tumorzellen führte zur Entwicklung einer zielgerichteten Therapie (targeted therapy), die im wesentlichen auf monoklonalen Antikörpern und kleinmolekularen Tyrosinkinase-Inhibitoren beruht. Jüngste Erkenntnisse auf dem Gebiet der Tumorzell-Stroma-Adhäsion und Entwicklungen auf dem Gebiet der Stammzellmobilisierung (sowohl von normalen hämatopoetischen Stammzellen als auch von Tumorstammzellen) eröffnen schließlich ein weiteres spannendes Kapitel in der Therapie von Tumorerkrankungen. Hauptwirkungsmechanismen »klassischer« Zytostatika * 4 Alkylanzien: Alkylierung der DNA; monofunktionell, bifunktionell (DNA-Quervernetzung) – Stickstoff-Lost-Derivate: Mechlorethamin, Chlorambucil, Melphalan, Cyclophosphamid, Ifosfamid, Trofosfamid, Bendamustin – Nitrosoharnstoffe: Carmustin, Lomustin, Nimustin – Procarbazin – Dacarbazin,Temozolomid – Busulfan, Treosulfan – Thiotepa – Mitomycin C 4 Platinkomplexe: DNA-Addukte, DNA-Quervernetzung – Cisplatin, Carboplatin, Oxaliplatin 4 Antimetabolite: wirken hemmend bzw. als falsche Bausteine bei der DNA- und RNA- Synthese – Folsäureantagonisten: Methotrexat, Pemetrexed – Pyrimidinanaloga: 5-Fluorouracil, Capecitabin, Cytosinarabinosid, Gemcitabin – Purinanaloga: 6-Mercaptopurin, 6-Thioguanin, Pentostatin, Fludarabin, Cladribin 4 Mitosehemmstoffe: hemmen die Zellteilung, indem sie den Aufbau des Spindelapparats oder seinen Abbau blockieren (Interaktion mit Tubulin) – Vinca-Alkaloide: Vincristin, Vinblastin, Vindesin, Vinorelbin (Hemmung der Mikrotubulusbildung) – Taxane: Paclitaxel, Docetaxel (Stabilisierung der Mikrotubuli gegenüber Depolymerisation) – Estramustin (Hemmung der Mikrotubulusfunktion) 6
251 23.2 · Chemotherapie und Apoptose
4 Topoisomerase-Inhibitoren: hemmen die DNATopoisomerasen I (Top I) und II (Top II), so dass diese die von ihnen selbst gespaltenen DNA-Einzelbzw. -Doppelstränge nicht wiedervereinigen können und DNA-Strangbrüche persistieren – Topoisomerase-I-Inhibitoren: Topotecan, Irinotecan – Topoisomerase-II-Inhibitoren: – Epipodophyllotoxine: Etoposid, Teniposid – Mehrzahl der Interkalantien 4 Interkalantien: Interkalation in die DNA – Anthrazykline: Top II-Hemmung, Bildung freier Sauerstoffradikale – Doxorubicin, Daunorubicin, Epirubicin, Idarubicin – Anthracendionderivat: Mitoxantron (Top II-Hemmung) – Acridinderivat: Amsacrin (Top II-Hemmung) – Weitere Antibiotika: – Dactinomycin (Actinomycin D) (Hemmung der RNA- und Proteinsynthese, Top II-Hemmung) – Bleomycin (Bildung freier Radikale, DNA- Einzelund -Doppelstrangbrüche) * Tyrosinkinase-Inhibitoren siehe Kap. 24.
23.2
Chemotherapie und Apoptose
In den letzten Jahren ist eine Reihe von Tumorerkrankungen durch Chemotherapie heilbar geworden. Insbesondere Leukämien und Lymphome, aber auch einige solide – insbesondere schnell proliferierende – Tumoren wie z. B. Hodentumoren sprechen so gut auf eine Chemotherapie an, dass bei einzelnen Tumorentitäten auch im fortgeschrittenen Stadium Heilungen in bis zu 90% der Fälle möglich geworden sind. Bei der Behandlung der großen Mehrzahl fortgeschrittener solider Tumoren, z. B. gastrointestinale Tumoren, Bronchialkarzinome oder Mammakarzinome, um nur einige der langsamer proliferierenden »Problemtumoren« zu nennen, ist die klassische Chemotherapie – nicht zuletzt aus wachstumskinetischen Gründen – bisher an Grenzen gestoßen. Ein weiteres Hindernis für die vollständige Eradikation des gesamten Tumorklons stellen die ruhenden Tumorstammzellen dar, die aufgrund diverser Resistenzmechanismen einer Chemotherapie nicht zugänglich sind. Verschiedene Resistenzmechanismen wurden identifiziert, denen gemeinsam ist, dass sie die Wirkung des Zytostatikums entweder vor dem primären Target oder auf der Ebene des primären Targets beeinflussen (z. B. erhöhter Efflux aus der Zelle oder DNA-Reparatur). Klinische Ansätze, durch Modulation dieser Resistenzmechanismen (z. B. Hemmung des P-Glykoproteins, Beeinflussung der Reparatur) kurative Therapieprotokolle zu entwickeln, haben bislang nicht die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllt. Die Krebschemotherapie hat erkennen müssen, dass bei der Modulation dieser Resistenzmechanismen das therapeutische Fenster so zu öffnen ist, dass gezielt die Tumorzellen und nicht im gleichen Maße auch die gesunden Zellen von der durch die Modulation erhöhten Zytostatikatoxizität betroffen werden.
. Abb. 23.1. Schematische Darstellung der einzelnen Phasen von der primären Zellschädigung durch Zytostatika oder Bestrahlung bis zum Eintritt der Apoptose. Akkumulation von Wild-Typ-p53 wird bewirkt durch: DNA-schädigende Agenzien (Cyclophosphamid, Ifosfamid, Melphalan, Chlorambucil, Busulfan, Nitrosoharnstoffe, Cisplatin, Carboplatin, Doxorubicin, Daunorubicin, Actinomycin D, Mitomycin C, Bleomycin, Etoposid, Topotecan), γ-Strahlung und UV-Licht, Antimetaboliten (5-Fluorouracil, Cytosinarabinosid, Methotrexat, Hydroxyharnstoff ), Substanzen, die mit Mikrotubuli interagieren (Vinca-Alkaloide, Taxane) sowie durch Proteasominhibitoren. (Nach Blagosklonny 2002, aus Zeller 2005)
Die Entwicklung einer zielgerichteten Therapie (»targeted therapy«), die in Stoffwechselwege/Signalkaskaden von Tumorzellen eingreift, ist ein neuer Ansatz, um bisher weniger chemosensible bzw. chemoresistente Tumoren zu behandeln. Letztendlich läuft das Absterben von Krebszellen nach erfolgreicher Chemotherapie über zwei unterschiedliche Mechanismen ab: 4 Entweder über eine Nekrose, bei der es sich nicht um einen aktiven metabolischen Prozess handelt, sondern die durch einen Verlust der osmotischen Regulation charakterisiert ist, was zur Schwellung und Lyse der Zelle führt und in der Regel von einer entzündlichen Reaktion durch Freisetzung von Zellinhaltsstoffen im Extrazellulärraum gefolgt ist. 4 Oder das Absterben der Zelle kann über den programmierten Zelltod, die sog. Apoptose erfolgen.
23
252
Kapitel 23 · Chemotherapie
therapie zu identifizieren (Los u. Gibson 2005; Sluyser 2005). In vitro konnte gezeigt werden, dass nahezu alle Zytostatika in der Lage sind, unter bestimmten Bedingungen Apoptose zu induzieren. In vivo wurde nach Tumortherapie neben Zelltod durch Apoptose auch Zelltod durch Nekrose beobachtet. Möglicherweise ist das Verhältnis Apoptose/Nekrose auch abhängig vom Zytostatikatyp sowie von der Höhe der Dosierung. Neben Zytostatika sind auch bestimmte endokrine Therapeutika (Steroidhormone), ionisierende Strahlen, Hyperthermie und zahlreiche weitere Einflüsse, die zellulären Stress auslösen in der Lage, Apoptose zu induzieren. In . Abb. 23.1 ist schematisch der Ablauf der zur Apoptose führenden Phasen nach Einwirkung einer Chemotherapie oder Strahlentherapie dargestellt. In der ersten Phase reagiert jedes Zytostatikum mit einem spezifischen Target (z. B. DNA, RNA, Mikrotubuli usw.). In der zweiten Phase analysiert die Zelle die Schädigung und die hierdurch entstandenen Funktionsstörungen durch molekulare Sensoren (Signaltransduktion, »signaling«). In der dritten Phase schließlich entscheidet sich die Zelle in Abhängigkeit von der Schwere der Schädigung dafür, ob über eine Aktivierung von Caspasen die Apoptose eingeleitet wird oder ob sie z. B. in die G0-Phase eintritt, in der der Schaden repariert werden kann.
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23.3
Wachstumskinetik von Tumoren
23.3.1 Wachstumsfraktion und
Gompertz-Kinetik . Abb. 23.2. Schematische Darstellung (vereinfacht) von zur Apoptose führenden Mechanismen nach einer Therapie. Die durch Zytostatika und Bestrahlung induzierte Apoptose läuft im Wesentlichen über den mitochondrialen Signalweg, wobei Komponenten des Todesrezeptor-Signalweges amplifizierend einbezogen werden. (Nach Wesselborg u. Lauber 2005). CD95, cluster of differention antigen 95; TNF-R1, tumor necrosis factor-rezeptor 1; TRAIL-R1, -R2, TNF related apoptosis inducing ligand-receptor 1 bzw. 2; FADD, fas receptor associated death domain; Apaf-1, apoptotic protease activating factor-1
Bei der Apoptose werden – im wesentlichen über den mitochondrialen Signalweg, aber auch über den TodesrezeptorSignalweg – Caspasen aktiviert, die intrazelluläre Proteine einschließlich der Strukturelemente des Zytoskeletts und des Nukleus sowie der Proteine, die bei der DNA-Replikation und -Reparatur involviert sind, spalten, was letztlich zum Tod der Zelle führt (. Abb. 23.2; Zeller 2005; weiterführende Literatur: Wesselborg u. Lauber 2005; Fulda u. Debatin 2005). Die Zelle zerfällt in mehrere von einer Membran umschlossene »Apoptosekörper«, die häufig Kernfragmente enthalten und durch benachbarte Zellen phagozytiert werden, wodurch in der Regel eine entzündliche Reaktion unterbleibt. Mit der Erkenntnis, dass es sich bei der Apoptose um einen physiologischen, biochemisch regulierten Prozess handelt, ergeben sich Möglichkeiten, »jenseits« der primären Schädigung durch das Zytostatikum (Phase I in . Abb. 23.1) neue Resistenzmechanismen aufzudecken und neue Targets für eine Chemo-
Der Begriff der Wachstumsfraktion eines Tumors (»growth fraction«) charakterisiert das Verhältnis der proliferierenden Zellen zur Gesamtzahl der Zellen.
Wenn alle Zellen eines Tumors in Teilung sind, so ist die Wachstumsfraktion = 1. Bei gleichbleibender Wachstumsfraktion während des Tumorwachstums kann dieses in einem semilogarithmischen Koordinatensystem durch eine Gerade dargestellt werden (exponentielles Wachstum), wie es beispielsweise bei schnell proliferierenden (experimentellen) Impftumoren beobachtet wird. Humane Tumoren zeigen in der Regel kein exponentielles Wachstum, ihr Wachstum kann am besten mit einer sog. Gompertz-Kurve beschrieben werden. Beim »Gompertz-Wachstum« ist die Wachstumsfraktion nicht konstant, sondern nimmt mit zunehmender Tumorgröße ab. Beide Wachstumstypen weisen Gemeinsamkeiten auf. Sowohl beim exponentiellen Wachstum als auch beim Gompertz-Wachstum nimmt die absolute Zellzahl zu Beginn des Tumorwachstums nur langsam zu (Zeller 2005).
23.3.2 »Log-cell-kill-Hypothese« Mithilfe von schnell wachsenden experimentellen (in vivo) Tumormodellen wurde die »Log-cell-kill-Hypothese« entwickelt. Sie besagt, dass in einem solchen Tumor – relativ unab-
253 23.4 · Resistenz
hängig von der absoluten Zellzahl – durch eine gegebene Zytostatikadosis der gleiche Prozentsatz, nicht aber die gleiche absolute Zellzahl, abgetötet wird. Wenn beispielsweise eine Zytostatikadosis eine Reduktion der Tumorzellzahl von 109 auf 107 bewirkt, so bewirkt die gleiche Therapie eine Reduktion der Tumorzellzahl von 107 auf 105 Zellen, also in beiden Fällen 2 Log-Schritte bzw. 99%. Im ersten Fall ist die abgetötete Zellzahl jedoch 100-mal größer als im letzteren. Mit fortschreitender Therapie der gleichen Intensität ist der Prozentsatz der abgetöteten Tumorzellen konstant, d. h. die Zellabtötung erfolgt nach einer Kinetik erster Ordnung, während die abgetötete (absolute) Zellzahl immer kleiner wird.
Es hat sich gezeigt, dass die Log-cell-kill-Hypothese partiell insbesondere auf schnell proliferierende humane Tumoren übertragen werden kann, was zum Erfolg bei der Therapie dieser Tumoren beigetragen hat.
Die Log-cell-kill-Hypothese lieferte die theoretische Grundlage dafür, warum nach Erreichen einer kompletten Remission intensiv weiterbehandelt werden muss, um z. B. 109 Zellen auf 106 Zellen usw. zu reduzieren.
23.3.3 Goldie-Coldman-Hypothese Das Auftreten mutierter Zellklone während des Tumorwachstums wurde von Goldie u. Coldman mit einem mathematischen Modell beschrieben und hieraus Rückschlüsse für die Therapiestrategie gezogen. Die Goldie-Coldman-Hypothese besagt, dass in einem wachsenden Tumor eine ständige Zunahme der Zahl genetisch resistenter Tumorzellklone erfolgt. Die Schlussfolgerung aus der Goldie-Coldman-Hypothese ist, die chemotherapeutische Behandlung so früh wie möglich und mit so viel wie möglich wirksamen Zytostatika im Rahmen einer Kombinationschemotherapie durchzuführen, denn sowohl in noch nicht mutierten als auch in bereits resistenten Klonen können weitere Resistenzmechanismen auftreten (Doppel- oder Mehrfachresistenz; Zeller 2005).
23.3.4 Norton-Simon-Hypothese Für das in der Regel schlechte chemotherapeutische Ansprechen residualer Tumoren wurde von Norton und Simon ebenfalls der Begriff »kinetische Resistenz« geprägt, wobei sie folgende Überlegungen zugrunde legten: Fast spiegelbildlich zum langsamen Anstieg der absoluten Wachstumsrate bei kleinen Tumoren flacht auch die Kurve der absoluten Größenabnahme eines Tumors unter der Chemotherapie zunehmend ab. Auch bei gleichbleibendem »log cell kill« wird die abgetötete (absolute) Zellzahl zunehmend geringer. Dies wird bei linearer Darstellung besonders deutlich (Norton 1987). Norton u. Simon haben hieraus die Hypothese entwickelt, dass kleine Tumoren aufgrund dieser sich zunehmend verlangsamenden Größenabnahme während der Chemotherapie
eine Art »kinetische Resistenz« aufweisen (Zeller 2005; Übersicht: Gilewski u. Norton 2001).
Insgesamt kann man davon ausgehen, dass die spontane Entstehung resistenter Tumorzellen sowie ihre Selektion und eine zusätzliche Resistenzinduktion durch eine Chemotherapie dazu beitragen, dass es so schwierig ist, nach massiver Reduktion eines Tumors durch eine Chemotherapie auch die verbleibenden (residualen) Tumorzellen zu eliminieren.
23.4
Resistenz
Die Bestimmung der Expression von Chemotherapieresistenzgenen in Tumoren gewinnt für die Therapiesteuerung in den letzten Jahren an Bedeutung. Das Multidrug-Resistenzgen (MDR1) bewirkt eine Resistenz gegenüber Vinca-Alkaloiden Anthrazyklinen, Taxanen, Epipodophyllotoxinen und einer Reihe weiterer Substanzen. Es ist in seiner Bedeutung für die Therapieresistenz von Leukämien vielfach in die klinische Routinediagnostik eingegangen. Ebenso Teil der Routinediagnostik ist die Bestimmung der O6-Alkylguanin-DNAAlkyltransferase (O6-AGT, MGMT) beim Glioblastom, die eine Resistenz gegenüber Alkylanzien wie Nitrosoharnstoffen oder Temozolomid bewirkt. Beim Bronchialkarzinom von Bedeutung ist die Expression des humanen ERCC1-Gens im Tumorgewebe, das die DNA-Exzisionsreparatur und eine Resistenz gegenüber Cisplatin vermittelt. Teilweise wird die Therapieentscheidung für oder gegen eine adjuvante Therapie bereits von der ERCC1Expression abhängig gemacht. Beim Bronchialkarzinom korreliert eine hohe Expression des RibonukleotidreduktaseM1-Gens (RRM1) mit einer Gemcitabin-Resistenz. Die hohe Thymidylatsynthase-Aktivität in PlattenepithelkarzinomZellen der Lunge führt zur Resistenz gegenüber Pemetrexed. Beim Mammakarzinom wurden die Überexpression des antiapoptotischen Gens YWHAZ und des lysosomalen Gens LAPTM4B als verantwortlich für eine primäre Anthrazyklinresistenz charakterisiert (Li et al. 2010). Ein Polymorphismus der Cytochrom-P450-Reduktase CYP2D6*4 führt bei homozytogen Trägerinnen zu einer ungenügenden Aktivierung von Tamoxifen und damit zu einer ungenügenden Hormonblockade. Eine erhöhte Rezidivrate ist die Folge und eine Umstellung auf Aromatasehemmer die therapeutische Konsequenz. Diese Resistenzfaktoren werden derzeit noch in klinischen Studien bestimmt. Die routinemäßige Erfassung wird helfen, Patienten unwirksame und dabei toxische Therapien zu ersparen bzw. die Forschung nach Resistenzmodulatoren befördern. Das Tumorsuppressor-Protein p53 spielt eine wesentliche Rolle bei der Resistenz von Zellen und Tumorzellen gegenüber Zytostatika und Bestrahlung. Es kann den Zellzyklus in G1 und G2 arretieren, wenn Zellen DNA-schädigenden Agenzien oder Bestrahlung ausgesetzt werden. Andererseits induziert p53 die Apoptose, wenn eine entsprechende DNA-Schä-
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23
Kapitel 23 · Chemotherapie
digung eingetreten ist. Bei mindestens 50% aller humanen Tumoren – so die Schätzung – liegen Mutationen im p53-Gen vor. Verlust der p53-Funktion ist bei Knock-out-Mäusen mit Chemoradioresistenz assoziiert. Bei malignen Tumoren mit mutiertem oder deletiertem p53 wurde Chemoresistenz gefunden; allerdings kann eine beeinträchtigte p53-Funktion auch mit einer Sensibilisierung der Zellen gegenüber Zytostatika assoziiert sein, was die Abhängigkeit der p53-Funktion von weiteren Faktoren unterstreicht (Übersicht bei Chu u. DeVita 2001; Korsmeyer u. Zinkel 2001). Weiterhin spielen die Proteine der Bcl-2-Familie eine wichtige Rolle für die Chemo- oder Radioresistenz von Tumoren. Bcl-2 wirkt antiapoptotisch. Behandlung von Tumorzellen mit einer gegen Bcl-2 gerichteten Antisense-Strategie führte zur Abnahme der Chemoresistenz. Ein weiterer Faktor, der eine Rolle für die Chemo- oder Radioresistenz von Tumorzellen spielt, ist der Transkriptionsfaktor NF-κB, der durch eine Vielzahl von Stimuli – darunter TNF, Zytostatika, Bestrahlung – aktiviert wird. Seine Aktivierung führt zur Herabsetzung des Apoptose-induzierenden Potenzials dieser Stimuli und induziert Chemoresistenz und Radioresistenz. Eine Hemmung von NF-κB führt zu gesteigerter Apoptose nach unterschiedlichen Stimuli und damit zu einer Chemosensibilisierung. Die Aktivierung der NF-κB-Expression nach einer Chemotherapie ist ein wichtiger Mechanismus für eine induzierte Chemoresistenz von Tumoren. Die Entwicklung spezifischer Inhibitoren der NF-κB-Aktivierung könnte die Krebstherapie wesentlich verbessern (Chu u. DeVita 2001; Garg u. Aggarwal 2005). Die Übersicht fasst ausgewählte Resistenzmechanismen zusammen: Einteilung der Resistenzen 4 Kinetische Resistenz – G0-Zellen im nichtproliferierenden Kompartiment solider Tumoren (Plateauphase der GompertzWachstumskurve) – Ruhende Tumorzellen (»dormant cancer cells«) – Tumorstammzellen – Beschränkung der Wirkung zellzyklusphasenspezifischer Zytostatika auf eine bestimmte Phase des Zellzyklus (z. B. Methotrexat → S-Phase), – »Kinetische« Resistenz kleiner Tumoren im Sinne der Norton-Simon-Hypothese 4 Genetische/biochemische Resistenz verursacht durch Mutationen (spontan, während des Tumorwachstums; induziert, während einer Chemotherapie) – Beispiele für involvierte Gene: MDR1, O6-AGT, ERCC1, RRM1, YWHAZ, LAPTM4B, CYP2D6*4 – Veränderung der zur Apoptose führenden Signaltransduktion: – Inaktivierung proapoptotischer Faktoren wie p53, Bax, Apaf-1, Caspasen oder XAF1 durch Mutation oder Hypermethylierung entsprechender regulatorischer Gensequenzen 6
– Überexpression antiapoptotischer Proteine wie Bcl-2, Bcl-XL, IAPs – Aktivierung einer NF-kB-Expression – Resistenz von Tumorstammzellen (Expression von Resistenzgenen, Resistenzsignale durch umliegendes Stroma) – Verminderter Zytostatikatransport in die Zelle: Stickstofflost, Melphalan, Methotrexat, Cytosinarabinosid – Erhöhter Zytostatikatransport aus der Zelle vermittelt durch das P-170-Glykoprotein (s. o. MDR1): Antitumorantibiotika, Vinca-Alkaloide, Epipodophyllotoxine (Etoposid, Teniposid) – Erhöhte Inaktivierung des Zytostatikums oder aktiver Metaboliten: Alkylanzien, Cisplatin (Glutathion, Metallothionein); Cytosinarabinosid (Cytidindesaminase); 6-Mercaptopurin, 6-Thioguanin – Erhöhte DNA-Reparatur: Alkylanzien (s. o. O6-AGT), Cisplatin, Antitumorantibiotika, Topoisomerase-IIInhibitoren – Eröffnung alternativer Stoffwechselwege zur Bereitstellung von Metaboliten: Methotrexat, 5-Fluorouracil (Thymidinbereitstellung) über »salvage (reutilization) pathway« – Erhöhte Targetproduktion infolge Genamplifikation: Methotrexat (Dihydrofolatreduktase), 5-Fluorouracil (Thymidylatsynthase), Hydroxyharnstoff (Ribonukleotidreduktase) – Veränderung des Targets führt zu reduzierter Zytostatikabindung: Methotrexat (Dihydrofolatreduktase); 5-Fluorouracil (Thymidylatsynthase); Anthrazykline, Epipodophyllotoxine (Topoisomerase II); Vinca-Alkaloide (Tubulin) 4 Pharmakologische Resistenz – Tumorzellen in Gehirn, Liquor (Blut-Hirn-Schranke, Blut-Liquor-Schranke) – Tumorzellen im Hoden
Unter kinetischer Resistenz im engeren Sinne ist zu verstehen, dass eine Zelle dann nicht mehr auf Zytostatika anspricht, wenn sie das proliferierende P-Kompartiment (d. h. den Zellzyklus) verlassen hat und sich als G0-Zelle im nichtproliferierenden Q-Kompartiment befindet.
255 23.6 · Nebenwirkungen der Chemotherapie
23.5
Kombinationschemotherapie, Interaktionen in der Chemotherapie, chemotherapeutische Begriffe
Kriterien für ein Kombinationschemotherapieschema: 4 Nachgewiesene Antitumorwirksamkeit der Einzelkomponenten 4 Unterschiedlicher biochemischer Wirkungsmechanismus der Einzelkomponenten 4 Angriff der einzelnen Zytostatika in unterschiedlichen Phasen des Zellzyklus 4 Unterschiedliche Toxizität der Einzelkomponenten auf gesunde Organsysteme (»non-overlapping toxicity«) 4 Berücksichtigung möglicher Kreuzresistenzen
Beispiele für Interaktionen in der Chemotherapie 4 Steigerung der Zytostatikaaktivität – Kalziumkanalblocker hemmen den Efflux von Antitumorantibiotika aus der Zelle. – Vorbehandlung mit MTX erhöht 5-FU-Aktivierung. – Vorbehandlung mit MTX erhöht Ara-C-Aktivierung. – Leucovorin (Folinsäure) verstärkt 5-FU-Wirkung. 4 Hemmung der Zytostatikaaktivität: – Vorbehandlung mit 5-FU hemmt MTX-Wirkung. – Vorbehandlung mit L-Asparaginase hemmt MTXWirkung. 4 Aufhebung der Zytostatikatoxizität (»rescue«) – Leucovorin (Folinsäure) hebt MTX-Toxizität auf.
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Terminologie in der Chemotherapie 4 Induktionstherapie (»induction«): Intensive Chemotherapie, in der Regel als Kombination gegeben, mit der Zielsetzung, eine komplette Remission zu erzielen 4 Konsolidierungstherapie (»consolidation«): Wiederholung des Induktionstherapieschemas oder Durchführung eines von der Induktionstherapie abweichenden Chemotherapieschemas nach Erreichen einer kompletten Remission. Zielsetzung: Verlängerung der Remissionsdauer oder eine Erhöhung der Heilungsrate 4 Intensivierungstherapie (»intensification«): Nach Erreichen einer kompletten Remission Erhöhung der Dosis der Induktionstherapie oder hochdosierte Kombinationschemotherapie mit anderen Substanzen mit der Zielsetzung, die Remissionsdauer zu verlängern oder die Heilungsrate zu erhöhen 4 Erhaltungstherapie (»maintenance«): Nach Erreichen einer kompletten Remission Langzeittherapie mit 6
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23.6
niedrigdosierter Mono- oder Kombinationschemotherapie (in der Regel mit Antimetaboliten). Zielsetzung: Verhinderung der erneuten Vermehrung residualer Tumorzellen und damit Vermeidung eines Rezidivs Adjunktive Chemotherapie: von einigen Autoren verwendeter Begriff für eine perioperative Chemotherapie (entweder neoadjuvante, adjuvante oder additive Therapie) Adjuvante Chemotherapie: Chemotherapie, in der Regel als Kombination gegeben, nach vollständiger (R0-)Tumorresektion. Zielsetzung: Abtötung weniger noch im Körper verbliebener, mit konventionellen bildgebenden Verfahren nicht identifizierbarer, residualer Tumorzellen Neoadjuvante (oder primäre, »primary«) Chemotherapie: Chemotherapie vor Operation und/oder Bestrahlung Additive Chemotherapie: Chemotherapie nach einer unvollständigen Tumorresektion, bei R1 oder R2-Resektion Palliative Chemotherapie: Symptomatische Chemotherapie; Zielsetzung: Behandlung von Tumorsymptomen oder Lebensverlängerung ohne signifikante Chance der Heilung. Ziel der palliativen Chemotherapie ist der Zugewinn an lebenswerter Zeit mit Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität. Durch den gleichzeitigen Einsatz von Supportivmaßnahmen wie Analgetika, Antiemetika, Sedativa, eine Ernährungstherapie sowie die Vorbeugung von Knochenfrakturen durch die Gabe von Bisphosphonaten lässt sich der Krankheitszustand oft über lange Zeit stabilisieren. Die Psychoonkologie, die onkologische Rehabilitation, die Verfügbarkeit ambulanter Pflegedienste sowie von Hospizdiensten leisten hier einen wesentlichen Beitrag für die Patientenbetreuung. Salvage-Chemotherapie: Hochdosierte Chemotherapie, in der Regel als Kombination gegeben, die mit kurativer Absicht bei solchen Patienten eingesetzt wird, die schon auf ein anderes in kurativer Absicht eingesetztes Therapieschema entweder nicht angesprochen haben oder danach einen Rückfall erlitten haben. Dosisintensität: Menge eines Zytostatikums, die pro Zeiteinheit (in der Regel pro Woche) gegeben wird (Dosis in mg/m2 pro Woche).
Nebenwirkungen der Chemotherapie
Da eine systemische Tumortherapie nicht selektiv auf maligne Zellen wirkt, hat nahezu jede effektive Chemotherapie Nebenwirkungen auf das Normalgewebe. Dabei hängen die Nebenwirkungen einer Chemotherapie von den eingesetzten Zytostatika, ihrer Dosis sowie der zeitlichen Abfolge ab. Außerdem spielen Patientenparameter (Allgemeinzustand, Be-
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23
Kapitel 23 · Chemotherapie
gleiterkrankungen, vorausgegangene Tumortherapien) eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen der Chemotherapie betreffen praktisch alle Organsysteme. 4 Übelkeit und Erbrechen: Diese Nebenwirkungen beeinträchtigen Patienten subjektiv mit am meisten. Zu den klinischen Folgen gehören akut das Risiko eines MalloryWeiss-Syndroms, bei längerem Fortbestehen das der Exsikkose und Elektrolytimbalance und des Gewichtsverlustes; außerdem kann sich ein schwer therapierbares antizipatorisches Erbrechen entwickeln. Übelkeit und Erbrechen stellen die häufigste Ursache für einen Therapieabbruch durch den Patienten dar. Übelkeit und Erbrechen werden durch Antiemetika gemildert, die adaptiert an das emetogene Potenzial der Chemotherapie eingesetzt werden, z. B. Metoclopramid bei wenig emetogenen, 5-HT3-Antagonisten und Steroide bei mäßig und Ergänzung mit Neurokinin1-Rezeptor-Antagonisten (Aprepitant) bei hoch emetogenen Chemotherapien. 4 Myelosuppression: Viele Zytostatika wirken myelosuppressiv. Im Gegensatz zu malignen Zellen entwickeln hämatopoetische Stammzellen jedoch offenbar keine Resistenz gegen die myelosuppressiven Effekte der Chemotherapie; vielmehr kommt es in vielen Fällen zu einer kumulativen Knochenmarkschädigung nach wiederholter Chemotherapie. Die akute Myelosuppression kann durch die Gabe hämatopoetischer Wachstumsfaktoren verkürzt und gemildert werden. 4 Immunsuppression: Die meisten Zytostatika wirken auf das Immunsystem, und zwar sowohl auf das zelluläre (spezifische und unspezifische) als auch auf das humorale Immunsystem. Allerdings dauert der über die quantitativen Wirkungen (Myelosuppression) hinausgehende immunsuppressive Effekt einer Chemotherapie nur wenige Tage an; die klinische Auswirkung der Immunsuppression wird also weitgehend von der Myelosuppression bestimmt, auch wenn In-vitro-Parameter (Lymphozytensubpopulationen, Mitogenstimulation von Lymphozyten) oft noch lange nach Absetzen der Chemotherapie keine Normalwerte erreichen. 4 Alopezie: Sie ist für viele Patienten ein großes emotionales Problem. Prophylaktische Maßnahmen wie Kühlhauben haben sich nicht bewährt. Bei Anthrazyklinen bewirkt eine liposomale Verkapselung eine Verringerung der Alopezierate. Bei der Wahl des Zytostatikums sollte bei gleicher Effektivität die Substanz mit der geringeren Alopezierate gewählt werden, z. B. Bendamustin im Vergleich zu Anthrazyklin-haltigen Regimen für die Behandlung niedrig-maligner Lymphome. 4 Paravasate: Zu unterscheiden sind Vesikanzien (Doxorubicin, Vincristin, Vinblastin, Actinomycin D), die zu Nekrosen führen, und Irritanzien, die lediglich Phlebitiden und Entzündungen der Weichteilgewebe hervorrufen. 4 Photosensibilisierung und Hautexantheme: Eine Photosensibilisierung wird insbesondere bei Dacarbazin beobachtet, seltener bei 5-Fluorouracil, Methotrexat, Procarbazin und Vinblastin. Multikinaseinhibitoren wie Sunitib und Sorafenib bewirken ebenfalls eine Photosensibilisie-
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rung. Hautexantheme finden sich als häufige Nebenwirkungen bei kleinmolekularen Tyrosinkinase-Inhibitoren wie z. B. den EGFR-Inhibitoren Erlotinib und Gefitinib sowie den EGFR-Antikörpern Cetuximab und Vectibix. Die Entwicklung eines Exanthems korreliert oft mit dem therapeutischen Ansprechen (z. B. bei Erlotinib). Überempfindlichkeitsreaktionen: Sie kommen am häufigsten bei Asparaginase, Procarbazin und Etoposid sowie bei Paclitaxel vor und können bis zum anaphylaktischen Schock führen. Medikamentenfieber: Bleomycin ist der häufigste Auslöser, seltener Cytarabin. Hepatotoxizität: Passagere Erhöhungen der Transaminasen können durch Cytarabin und Nitrosoharnstoffe verursacht werden; zur Entwicklung einer Zirrhose kann es nach langdauernder Methotrexatgabe kommen, während Cholestase und hepatische Nekrosen am ehesten nach 6-Mercaptopurin und Mithramycin, Cholezystitis und Cholangitis insbesondere nach intraarterieller Infusion von 5-Fluorouracil und FUDR beobachtet werden. Die venöse Verschlußkrankheit der Leber (VOD; »venoocclusive disease«) ist eine gefürchtete Komplikation nach hochdosierter Gabe von Busulfan, Nitrosoharnstoffen und Mitomycin C. Fast alle Zytostatika können zum sonographischen Bild einer Fettleber führen. Pulmonale Toxizität: Ein Risiko für eine Zytostatikapneumonitis mit nachfolgendem Übergang in eine Fibrose besteht v.a. nach Bleomycingesamtdosen >400 mg. Daneben werden pulmonale Toxizitäten insbesondere nach vorausgehender Bestrahlung und Gemcitabin sowie nach Methotrexat, Cytarabin, Mitomycin, Procarbazin und alkylierenden Substanzen (Chlorambucil) beobachtet. Pankreatikotoxizität: Sie ist beschrieben für Asparaginase, Kortikosteroide und Cytosin-Arabinosid. Kardiotoxizität: Eine Kardiomyopathie wird v.a. nach Überschreitung kumulativer Gesamtdosen von Anthrazyklinen (Doxorubicin 450 mg/m2 KOF, Daunorubicin 450–550 mg/m2 KOF) beobachtet. Diese Dosen gelten für Erwachsene, für Kinder sind die kumulativen Gesamtdosen niedriger. (Auch Chemotherapeutika anderer Substanzklassen, z. B. Mitoxantron, können kardiotoxisch sein!) Bei vorangegangener oder gleichzeitiger Bestrahlung und/oder Verabreichung anderer potenziell kardiotoxischer Arzneimittel müssen die kumulativen Gesamtdosen reduziert werden. Die Gabe von Herceptin in Kombination mit Anthrazyklinen erhöht die Kardiotoxizität und ist zu vermeiden. Die kardiotoxische Wirkung von Anthrazyklinen kann durch liposomale Verkapselung und/oder den gleichzeitigen Einsatz von kardioprotektiven Medikamenten (Dexrazoxan) reduziert werden. Nephrotoxizität: Sie ist dosislimitierend für Cisplatin und Streptozotocin, ist aber auch bei Mithramycin, Mitomycin C und L-Asparaginase zu beachten. Nach hochdosiertem Methotrexat kann es zur Ausfällung von Methotrexatkristallen mit Verstopfung der Nierentubuli und zu einer im Mechanismus der Uratschädigung ähnlichen Nephropathie kommen.
257 23.7 · Grundlagen der Hormontherapie maligner Tumoren
4 Blasentoxizität: Die Metaboliten von Cyclophosphamid
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und Ifosfamid können eine hämorrhagische Zystitis induzieren, die ihrerseits zu sekundären Blasenkarzinomen führen kann. Mit Mesna steht ein wirksames Prophylaktikum zur Verfügung. Neurotoxizität: Periphere Polyneuropathien werden besonders durch Vincristin, weniger durch andere Vincaalkaloide verursacht, ebenso Paresen einzelner Hirnnerven. Auch bei der Therapie mit Oxaliplatin können Polyneuropathien dosislimitierend sein. Dies spielt insbesondere für die adjuvante und palliative Chemotherapie kolorektaler Tumoren eine wichtige Rolle. Eine periphere Neuropathie wird ebenfalls bei der immunmodulatorischen Substanz Thalidomid sowie bei dem Proteasominhibitor Bortezomib beobachtet, die in der Therapie des multiplen Myeloms eingesetzt werden. Die intrathekale Applikation von Methotrexat und Cytarabin kann zu einer Enzephalomyelopathie führen, ebenso die systemische Gabe von hochdosiertem Methotrexat, Ifosfamid und Cytarabin. Gonadotoxizität: Vor allem die Alkylanzien und Procarbazin führen zu einer Azoospermie und Ovarialinsuffizienz. Junge Patienten mit Kinderwunsch sollten daher auf die Möglichkeit einer prätherapeutischen Kryopräservation von Sperma aufmerksam gemacht werden. Teratogenität: Diese besteht vor allem, wenn Zytostatika im 1. Trimenon einer Schwangerschaft gegeben werden, während eine Chemotherapie im 2. und 3. Trimenon nicht mit einer erhöhten Fehlbildungsrate assoziiert ist. Zweitneoplasien: Häufigste Zweitneoplasie ist eine sekundäre akute myeloische Leukämie. Durch Alkylanzien und Strahlentherapien induzierte akute myeloische Leukämien haben eine Latenzzeit von ca. 3–7 Jahren und weisen häufig eine prodromale zytopene Phase mit myelodysplastischen Veränderungen im Knochenmark auf. Leukämogen sind außerdem Topoisomerase-Inhibitoren wie Etoposid und Anthrazykline, in diesem Fall ist die Latenzzeit in der Regel mit ca. 1–3 Jahren kürzer und es werden keine vorausgehenden myelodysplastischen Knochenmarkveränderungen beobachtet. Diese Leukämien weisen häufig zytogenetische Veränderungen des Chromosoms 11 auf und können in einigen Fällen lymphatisch sein. Auffallend ist, dass Zweitneoplasien bei bestimmten Primärdiagnosen gehäuft auftreten; hierzu zählen insbesondere der M. Hodgkin und das multiple Myelom, was allerdings mit der Art und der Intensität der für diese Erkrankungen typischen Therapien assoziiert sein kann.
Modulation von Nebenwirkungen. Durch eine effiziente
Prophylaxe von Nebenwirkungen können die Toxizität von Polychemotherapieschemata verringert und ihre Dosierungen erhöht werden. Die ultimative Rescuemaßnahme stellt der Ersatz hämatopoetischer Stammzellen im Rahmen einer autologen Knochenmark- oder peripheren Blutstammzelltransplantation dar. Auch die biochemische Rescue durch Gabe von Folinsäure nach hochdosierter Methotrexatgabe ist ein
Beispiel für eine Rescuemaßnahme, mit der die Dosisintensität erhöht werden kann. Ähnliches gilt für die Prophylaxe der
hämorrhagischen Zystitis nach Cyclophosphamid und Ifosfamid durch die Gabe von Mesna. Andere medikamentöse Modulationen von Nebenwirkungen, die derzeit in Studien geprüft werden, sind die tageszeitspezifische Applikation von Zytostatika (Chronotherapie), die Reduktion der Nephrotoxizität von Cisplatin durch Thiosulfate u. v. m.
23.7
Grundlagen der Hormontherapie maligner Tumoren
Da Östrogene, Gestagene und Androgene das Wachstum hormonsensitiver Tumoren stimulieren, ist ihre möglichst weitgehende Ausschaltung das Ziel einer hormonalen Therapie. Durch den im Hypothalamus produzierten Releasing-Faktor LHRH wird in der Hypophyse die Sekretion von LH und FSH stimuliert. Durch LH wird im Hoden die Produktion von Androgenen und in den Ovarien die Produktion von Östrogenen und Gestagenen angeregt. Ein geringer Teil der Sexualhormone (Östrogene, Gestagene, Androgene) wird in den Nebennieren, vermittelt durch ACTH, produziert. Bei der postmenopausalen Frau sinkt die ovarielle Östrogenproduktion, während die Sexualhormonproduktion in den Nebennieren leicht ansteigt. Es besteht eine Rückkopplung (»feedback«) zwischen der Sexualhormonkonzentration im Serum und der durch den Hypothalamus initiierten LH- und FSH-Sekretion.
Voraussetzung für eine hormonale Therapie ist die Anwesenheit funktionsfähiger Steroidhormonrezeptoren im Tumorgewebe.
Zwei der häufigsten Tumorarten, nämlich das Prostatakarzinom und das Mammakarzinom, erfüllen in einem hohen Prozentsatz diese Voraussetzungen. Die Mehrzahl der Prostatakarzinome verfügt über Androgenrezeptoren und ist in ihrem Wachstum von der Anwesenheit von Androgenen abhängig. Beim Mammakarzinom sind ca. 60% der prämenopausalen und ca. 75% der postmenopausalen Fälle östrogenrezeptorpositiv. Beim Mammakarzinom spielen neben Östrogen- auch Progesteronrezeptoren eine wesentliche Rolle für die hormonale Sensitivität. Neben dem Mamma- und dem Prostatakarzinom wurden bei weiteren Tumoren Hormonrezeptoren nachgewiesen. Abschließend kann gesagt werden, dass beim Mammakarzinom und beim Prostatakarzinom eine endokrine Behandlung erheblich weniger Nebenwirkungen hat als eine Zytostatikabehandlung und erstere bei Hormonsensitivität in der Regel vorzuziehen ist (Übersicht und weiterführende Literatur: Hoffmann et al. 2004).
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258
Kapitel 23 · Chemotherapie
23.8
Neue Therapiestrategien
23.8.2 Beeinflussung der Tumorzell-Stroma-
Adhäsion; PARP-Inhibitoren 23.8.1 Tyrosinkinase-Inhibitoren (Umfangreiche Darstellung in Kap. 24 sowie in Radujkovic u. Topaly 2008)
Oben wurde die jahrzehntelange Entwicklung der »klassischen« Chemotherapie mit ihren primären Zielstrukturen (DNA, RNA, Mikrotubuli usw.) dargestellt. Einblicke in Stoffwechselwege, die entscheidend dafür sind, ob die Tumorzelle als Folge der Chemotherapie – in der Regel über eine Apoptose – abstirbt oder ob die Zelle den primären Schaden überlebt (Resistenz), führten zu einem wachsenden Verständnis der molekularen Mechanismen, die Proliferation, Wachstum oder Absterben steuern. So konnte die Kinase-vermittelte Phosphorylierung von Proteinen als einer der entscheidenden Faktoren bei der Steuerung dieser Prozesse charakterisiert werden. Die direkte Hemmung der Kinaseaktivität und nachgeschalteter Signalkaskaden rückte somit in den Fokus bei der Entwicklung neuer zielgerichteter Therapien von hämatologischen und onkologischen Erkrankungen. Eine Hemmung der Signalübertragung ist entweder durch spezifische Antikörper möglich, welche an die Ligandenbindungsstelle der extrazellulären Domäne von Rezeptortyrosinkinasen binden und somit eine Rezeptoraktivierung verhindern, indem sie die nachfolgende Autophosphorylierung unterbinden (z. B. Cetuximab im Falle von EGFR) oder durch spezifische Inhibitoren, die die Kinasedomäne unmittelbar blockieren. Aufgrund des im Vergleich zu den Antikörpern geringen Molekulargewichts werden die kleinmolekularen synthetischen Inhibitoren auch als »small molecules« bezeichnet. Im Gegensatz zu den Antikörpern sind Letztere in der Lage, die Zellmembran zu passieren und somit die Aktivität unterschiedlicher sowohl RTKs als auch NRTKs durch kompetitive Bindung an die ATP-Bindungsstelle der Kinasedomäne zu hemmen (Arora u. Scholar 2005). Die »small molecules« arbeiten im nanobis pikomolaren Bereich, werden nach oraler Einnahme überwiegend sehr gut resorbiert und blockieren meist hoch selektiv ihre entsprechenden molekularen Ziele. Nach langer und erfolgreicher präklinischer Prüfung konnten einige Substanzen inzwischen bei einer Vielzahl unterschiedlicher sowohl hämatologischer als auch solider Neoplasien effektiv eingesetzt werden. Kombinationstherapiekonzepte der CML mit Tyrosinkinase-Inhibitoren und anderen Therapiemodalitäten (klassische Chemotherapie, Bestrahlung) stellen einen Weg dar, die Ansprechraten zu erhöhen und bei bereits vorhandener Imatinibresistenz diese zu überwinden. Dabei können auch Substanzen, die nicht Teil der klassischen CML-Chemotherapie sind, als Kombinationspartner in Frage kommen (z. B. Farnesyltransferaseinhibitoren, 17-AAG u. a.) und zu einer verbesserten antileukämischen Effizienz führen (Topaly et al. 2001, 2002a, 2002b, Radujkovic et al. 2005, 2006, Fruehauf et al. 2007). Auch bei der Behandlung solider Tumoren werden synergistische Effekte durch Kombination von targeted therapy mit anderen Therapiemodalitäten erreicht (7 Kap. 24).
In Ergänzung zur klassischen Chemotherapie und zur molekularen Blockade pathogenetisch bedeutsamer Kinasen werden die Beeinflussung des Tumormicroenvironments sowie die therapeutische Nutzung spezifischer Tumoreigenschaften in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Tumoren werden in Analogie zum Normalgewebe zunehmend als heterogene Zellpopulationen angesehen, die ein Tumorstammzellkompartment enthalten, aus dem sich die reiferen Tumorzellen regenerieren. Diese Tumorstammzellen gelten als weitgehend resistent gegenüber der klassischen Chemotherapie. Sie schützen sich durch die verstärkte Expression von Resistenzgenen und bekommen durch das umliegende Stroma Resistenzsignale vermittelt. Die Tumorzell-StromaAdhäsion wird unter anderem durch den Chemokinrezeptor CXCR4 vermittelt. Eine stärkere Expression von CXCR4 im Tumorgewebe geht beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus (Wang et al. 2009), beim Kolonkarzinom (Ingold et al. 2009), beim Pankreaskarzinom (Maréchal et al. 2009) und beim Mammakarzinom (Mizell et al. 2009) mit einer schlechteren Prognose einher. Ein für die Stammzellmobilisierung in der Hämatologie bereits zugelassener CXCR4-Antagonist (Fruehauf et al. 2010) wird derzeit in klinischen Studien bei soliden Tumoren eingesetzt. Besonders interessant ist die Frage einer Chemosensibilisierung der Tumorzellen durch die Unterbrechung des CXCR4-vermittelten Stromakontaktes, wie es experimentell bereits für akute Leukämien gezeigt wurde (Dillmann et al. 2009; Zeng et al. 2009). Weiterhin werden für die Tumorpathogenese bedeutsame Genmutationen, wie die gestörte DNA-Doppelstrangreparatur bei Patientinnen mit Mammakarzinom und BRCA-1/2Mutation therapeutisch nutzbar gemacht. So werden in klinischen Studien bei diesem prognostisch ungünstigen Mammakarzinom erfolgreich PARP-Inhibitoren eingesetzt. PARP steht für Poly(ADP-Ribose)Polymerase. Das ist ein Enzym in der Zelle zur Reparatur von DNA-Einzelstrangbrüchen, die z. B. durch eine Chemotherapie ausgelöst werden. Bei Inhibition von PARP werden diese Einzelstrangbrüche nicht repariert, sodass bei der nächsten Zellteilung Doppelstrangbrüche entstehen, die bei gestörter DNA-Doppelstrangreparatur zum Zelltod führen. Eine gute Wirksamkeit von PARPInhibitoren wird experimentell auch bei Lymphomen mit einer Mutation des ATM-Gens, sowie beim hepatozellulären Karzinom (Quiles-Perez et al. 2010) beobachtet.
23.9
Praktische Durchführung der Chemotherapie
23.9.1 Voraussetzungen für die Durchführung
einer Chemotherapie Eine systemische Tumortherapie sollte nur von einem in der Onkologie speziell ausgebildeten Arzt durchgeführt werden. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Institution (Klinik, Praxis) über die für die Durchführung der jeweiligen Chemo-
259 23.9 · Aktuelle Chemotherapie- und Hormontherapiestrategien viszeraler Tumoren
therapie notwendige Infrastruktur verfügt. In einer niedergelassenen Praxis gehört hierzu entsprechendes Fachpersonal, das ausreichende Erfahrungen mit der systemischen Therapie maligner Erkrankungen besitzt. Je nach Intensität der Chemotherapie, der dazu notwendigen supportiven Maßnahmen und der zu erwartenden Komplikationen, die das gesamte Spektrum der Medizin betreffen können, sollten bestimmte Formen der intensiven Chemotherapie (vor allem unter Einbeziehung der Stammzelltransplantationsverfahren) nur in großen Zentren durchgeführt werden, die über sämtliche medizinischen Fachabteilungen verfügen. Neben diesen logistischen Voraussetzungen sollte der Beginn einer Chemotherapie von der Erfüllung folgender Bedingungen abhängig gemacht werden: 4 Eine Chemotherapie solider Tumoren darf erst nach histologischer Sicherung der Diagnose und der genauen Kenntnis des differenzialtherapeutisch wichtigen Ausbreitungsstadiums der Erkrankung begonnen werden. 4 Eine Chemotherapie darf erst nach einer ausführlichen Aufklärung des Patienten über die Natur seiner Erkrankung, über Ziele, Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapie durchgeführt werden. Die Aufklärung und die Zustimmung des Patienten sollten schriftlich dokumentiert werden. Von einer Therapie ist aber auch abzusehen, wenn der Patient trotz seiner schriftlichen Zustimmung nicht kooperativ ist. 4 Eine Chemotherapie sollte nur dann durchgeführt werden, wenn ein Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie erwartet werden kann und unter kritischer Abwägung aller Faktoren zu erwarten ist, dass der Patient auch in Anbetracht zu erwartender Nebenwirkungen von der Therapie profitiert. 4 Das Ansprechen der malignen Erkrankung auf die Chemotherapie ist regelmäßig anhand messbarer Parameter zu kontrollieren und zu dokumentieren. Kommt es zu weiterem Tumorwachstum unter Chemotherapie, ist die Chemotherapie abzubrechen.
23.9.2 Dokumentation der systemischen
Tumortherapie Sowohl für die Beurteilung des individuellen Therapieerfolges als auch zur Bewertung eines Therapieschemas ist eine Basisdokumentation der wichtigsten Daten nötig. Hierzu gehören die genaue Tumorausbreitung vor und nach Abschluss der Therapie sowie die Dokumentation von Zeitpunkt, Art und Dosierung der Therapie sowie der Nebenwirkungen.
Dokumentation vor Therapiebeginn
4 Messbarer Tumor: Die Tumorausdehnung wird in mm angegeben. Die Tumorläsion muss in mindestens einer Dimension akkurat gemessen werden – hierzu ist der größte Längsdurchmesser zu verwenden. Dieser soll eine minimale Größe von 10 mm im CT oder MRT, von 10 mm in der klinischen Untersuchung oder von 20 mm in der Röntgen-Thorax-Untersuchung betragen. Osteolysen mit einer Weichteilkomponente, die im CT oder MRT bestimmt werden kann, sind ebenfalls messbare Läsionen, osteoplastische Metastasen dagegen nicht. Es sollen maximal 5 Zielläsionen identifiziert werden (maximal 2 pro Organ) die für die Verlaufskontrolle dienen. 4 Nicht messbarer evaluierbarer Tumor: Hierzu gehören z. B. leptomeningealer Befall, Aszites, Pleura- oder Perikarderguss, inflammatorisches Mammakarzinom, Lymphangiosis der Haut oder Lunge 4 Nicht messbare und nicht evaluierbare Tumorzeichen z. B. Schmerzen, Lebensqualität Labordiagnostik: großes Blutbild, Leberwerte, Retentionswerte, evtl. Tumormarker Spezialuntersuchungen: Röntgen, Sonogramm, CT, Szintigramm
Dokumentation der Chemotherapie Beschreibung des Chemotherapieprotokolls einschließlich Beschreibung der Zytostatika (Name, Dosis, Applikationsart, Zeitplan und Dauer), Zahl der geplanten Kurse, Gründe für Verzögerung oder Dosismodifizierung; Komplikationen.
Dokumentation der Nebenwirkungen Die Nebenwirkungen sollten entsprechend den Empfehlungen der WHO graduiert dokumentiert werden. Ihre Skala reicht von 0 für keine bis 5 für letale Toxizität (Grad 0: keine Nebenwirkungen; Grad 1: geringe Nebenwirkungen; Grad 2: Allgemeinbefinden verschlechtert, Chemotherapeutika müssen vermindert werden; Grad 3: Unterbrechung der Chemotherapie notwendig; Grad 4: stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich; Grad 5: Tod durch Chemotherapie). Vor allem im Rahmen klinischer Studien kommen des Öfteren die ausführlich definierten Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE) und Common Toxicity Criteria (CTC) des US-Amerikanischen National Cancer Institute zur Anwendung, die inzwischen in der Version 4.0 vom 01.10.2009 vorliegen. Im Bezug auf die Konsistenz dokumentierter Nebenwirkungen ist auf die genauen Definitionen der für die jeweiligen Studien gültigen CTCAE- und CTC-Versionen zu achten.
Patient. Name, Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht, Anamnese
Beurteilung des Therapieerfolgs
(insbes. Tumoranamnese und Therapie), Allgemeinzustand (Karnofsky-Index, ECOG-Status).
Zur Beurteilung des Therapieerfolgs erfolgt nach Abschluss einer Therapie eine Kontrolle der Tumorausdehnung mit allen Untersuchungsmethoden, mit denen vor der Therapie eine Tumorausdehnung nachweisbar war. Der erste Versuch, diese zu standardisieren, wurde im Jahre 1979 von der WHO unternommen. Im Jahre 2000 wurden die WHO-Kriterien durch RECIST-Kriterien (Response Evaluation Criteria In Solid
Tumor. Lokalisation, Tumorausdehnung (eindimensional
messbar/nicht messbar; Angabe in mm); Histologie/Stadium. Von besonderer Bedeutung ist eine möglichst objektive Beschreibung der Tumorgröße. Hierbei unterscheidet man:
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23
Kapitel 23 · Chemotherapie
Tumors) abgelöst (Therasse et al. 2000), die inzwischen in der Version 1.1 vorliegen (Eisenhauer et al. 2009): Bei messbaren Tumoren unterscheidet man: 4 Komplette Remission (CR): komplettes Verschwinden aller Läsionen, bei vergrößerten Lymphknoten Reduktion des kleinsten Durchmessers auf eine Größe unter 10 mm sowie Normalisierung der Tumormarker. Eine sog. NonCR/Non-PD bei nicht messbarem Tumor ist definiert als Persistenz von einer oder mehr Läsionen und/oder anhaltend über den Normbereich erhöhtem Tumormarkerspiegel. 4 Partielle Remission (PR): RECIST-Kriterien fordern eine 30% Verminderung der Summe der größten Durchmesser aller Zielläsionen (bis zu 5 insgesamt und bis zu 2 Läsionen pro Organ). 4 Progress (»progressive disease« = PD): Erscheinen neuer Tumormanifestationen oder Zunahme der Summe bestehender Zielläsionen relativ um mehr als 20% und absolut um >5 mm. 4 »Stable disease« (SD), »no change« (NC): weder PR noch PD Es kann sinnvoll sein eine FDG-PET-Untersuchung zusätzlich zur Beurteilung eines Progress heranzuziehen, wenn die PET zu Therapiebeginn negativ war und im Verlauf eine positive Läsion zeigt oder wenn zu Therapiebeginn keine PET durchgeführt wurde und in der Verlaufskontrolle eine neue Läsion auffällt, die PET-positiv ist.
Dauer des Therapieerfolges 4 Remissionsdauer, rezidivfreies Überleben: Die Dauer
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einer Remission wird vom Tag des Nachweises der kompletten Remission (CR) bis zum Nachweis eines Rezidivs angegeben. Die mittlere Remissionsdauer einer Patientenpopulation wird als rezidivfreies Überleben bezeichnet. Berücksichtigt werden dabei nur solche Patienten, die eine Remission erreicht haben. Patienten, die aus anderen Ursachen in Remission versterben, werden meist zum Zeitpunkt des nicht tumorbedingten Todes zensiert. Krankheitsfreies Überleben: Es wird meist ähnlich definiert wie das rezidivfreie Überleben. Progressionsfreies Überleben: Hiermit wird das Zeitintervall von Therapiebeginn bis zum Auftreten eines Progresses bzw. eines Rezidivs nach zwischenzeitlich eingetretener Remission bezeichnet. Ereignisfreies Überleben: Intervall vom Beginn der Therapie bis zum Auftreten eines definierten Ereignisses bzw. definierter Arten von Therapieversagen (z. B. Auftreten einer neuen Tumormanifestation). Gesamtüberleben: Intervall von Beginn der Therapie bis zum Eintritt des Todes, unabhängig von dessen Ursache.
Bewertung des subjektiven Therapieerfolges Die Bewertung des subjektiven Therapieerfolges ist schwierig. Hierfür sollten der Allgemeinzustand (Karnofsky-Index, ECOG-Status) und das Gewicht des Patienten dokumentiert werden. Daneben können Angaben über die tägliche Arbeitsfähigkeit in Stunden, die Zeit ohne Therapie und Symptome
(TWIST) sowie vom Patienten selbst zu führende Analogskalen hilfreich bei der Beurteilung des subjektiven Therapieerfolges sein. Zur Beurteilung des Allgemeinzustandes werden häufig Skalen eingesetzt; der Karnofsky-Index unterscheidet einen Leistungszustand von 0–100%, während nach der ECOGSkala die Leistungszustände von 0–5 unterschieden werden.
Nachweis eines Rezidivs Zum Nachweis eines Rezidivs müssen eine oder mehrere der folgenden Bedingungen erfüllt sein: 4 Histologischer und zytologischer Nachweis 4 Auftreten alter und neuer Läsionen 4 Autoptischer Nachweis eines Tumorrezidivs
23.10
Aktuelle Chemotherapieund Hormontherapiestrategien viszeraler Tumoren
Die dargestellten Therapieschemata sind eine zusammenfassende Ergänzung zu den entsprechenden Kapiteln im speziellen Teil dieses Buches. Die Indikationsstellung für eine Chemotherapie/Hormontherapie soll interdisziplinär unter Beteiligung eines Onkologen erfolgen. Anmerkungen: Die angegebenen Dosierungen in mg/m2 beziehen sich auf die Körperoberfläche (KOF). Dosierungen mit Angaben wie Tag 1–5 geben die Dosis pro Tag von Tag 1–5 an.
Analkarzinom 4 Radiochemotherapie: 5-Fluorouracil + Mitomycin + Radiotherapie
Cholangiozelluläres Karzinom und Gallenblasenkarzinom 4 Gemcitabin 1000 mg/m2 Tag 1, 8, 15, Wiederholung Tag 29 4 Capecitabin 2000 mg/m2 Tag 1–14, Wiederholung Tag 22 4 Gemcitabin 1000 mg/m2 Tag 1, Oxaliplatin 130 mg/m2 Tag 2, Wiederholung Tag 15 4 Gemcitabin 1000 mg/m2 Tag 1, Tag 8, Cisplatin 70 mg/m2 Tag 1, Wiederholung Tag 22
CUP-Syndrom (Adenokarzinom oder undifferenziertes Karzinom) 4 6× Carboplatin AUC5 Tag 1, Paclitaxel 175 mg/m2 Tag 1, Wiederholung Tag 22
Gastrointestinale Stromatumoren (GIST) 4 Imatinib 400 mg pro Tag 4 Bei KIT-Exon-9-Mutation und Progression 800 mg pro Tag 4 Bei Progression unter Imatinib 800 mg pro Tag oder bei Imatinibunverträglichkeit Sunitinib
261 23.10 · Aktuelle Chemotherapie- und Hormontherapiestrategien viszeraler Tumoren
Harnblasentumoren
Magenkarzinom
4 Oberflächliches Urothelkarzinom 5 TUR-Blase + intravesikale Mitomycin-Frühinstillation (40 mg in 50 ml); Re-TUR-Blase (2–6 Wochen) + intravesikale Mitomycin-Frühinstillation bei Tumor (40 mg in 50 ml) 5 pTa/pT1 G2 und pTa G3 unilokulär: intravesikale Induktionstherapie mit Mitomycin C 8× wöchentlich, dann Erhaltungstherapie Mitomycin C 1× monatlich (bis 3 Jahre) 5 pCis, pT1 G3 unilokulär, pTa G3 multilokulär: intravesikale Induktionstherapie mit BCG 6× wöchentlich, dann Erhaltungstherapie mit BCG 3× wöchentlich (3., 6., 12., 18., 24., 30. und 36. Monat) 4 Blasenkarzinom (≥T2, M-) 5 First-line: Gemcitabin 1000 mg/m2 Tag 1, 8, 15,Cisplatin 70 mg/m2 Tag 1 oder 2, Wiederholung Tag 29 oder MVAC (Methotrexat 30 mg/m2 Tag 1, 15, 22, Vinblastin 3 mg/m2 Tag 2, 15, 22, Doxorubicin 30 mg/m2 Tag 2, Cisplatin 70 mg/m2 Tag 2, Wiederholung Tag 29) 5 Second-line: Vinflunin 320 mg/m2 Tag 1, Wiederholung Tag 22 oder MVAC; bei MVAC in der Erstlinientherapie Paclitaxel 200 mg/m2 Tag 1, Gemcitabine 1000 mg/m2 Tag 1, 8, 15, Wiederholung Tag 29
4 Perioperative Chemotherapie: je 3 Zyklen (9 Wochen) neoadjuvant und 3 Zyklen adjuvant EOX (Epirubicin 50 mg/m2 Tag 1, Oxaliplatin 130 mg/m2 Tag 1, Xeloda 1250 mg/m2 Tag 1–21, Wiederholung Tag 22) 4 Postoperative Radiochemotherapie 5 3 Zyklen (6 Wochen) FLO (5-FU 2600 mg/m2 24 h Tag 1, Leucovorin 200 mg/m2 Tag 1, Oxaliplatin 85 mg/m2 Tag 1, Wiederholung Tag 15 5 Gefolgt von kombinierter Radiochemotherapie, Radiotherapie konventionell fraktioniert (1,8 Gy/Tag) bis 45 Gy, 5-Fluorouracil 225 mg/m2 kontinuierlich i.v. 5 Gefolgt von 3 Zyklen (6 Wochen) FLO 4 Chemotherapie bei fortgeschrittener Erkrankung 5 Reduzierter Allgemeinzustand und/oder Alter >65 Jahre: FLO (s. oben) 5 Guter Allgemeinzustand und/oder Alter <65 Jahre: GastroTax1: Docetaxel 40 mg/m2 Tag 1, Cisplatin 40 mg/m2 Tag 1, 5-FU 2000 mg/m2 24 h Tag 1, Leucovorin 200 mg/m2 Tag 1, Wiederholung Tag 15
Hepatozelluläres Karzinom 4 Sorafenib
Hodentumoren 4 Seminom CS1: adjuvant Carboplatin AUC7 einmalig oder Bestrahlung 4 PEB (Cisplatin 20 mg/m2 Tag 1–5, Etoposid 100 mg/m2 Tag 1–5, Bleomycin 30 mg absolut Tag 1, 8, 15, Wiederholung Tag 22) – höhere pulmonale Toxizität 4 PE (Cisplatin 20 mg/m2 Tag 1–5, Etoposid 100 mg/m2 Tag 1–5, Wiederholung Tag 22) – bei Kontraindikationen gegen Bleomycin möglich (4 Zyklen sind äquieffektiv zu 3 Zyklen PEB) 4 PEI (Cisplatin 20 mg/m2 Tag 1–5, Etoposid 75 mg/m2 Tag 1–5, Ifosfamid 1200 mg/m2 Tag 1–5, Wiederholung Tag 22) – höhere Myelotoxizität
Kolonkarzinom 4 Perioperative Chemotherapie: Je 6 Zyklen neoadjuvant und 6 Zyklen adjuvant FOLFOX-4 (Oxaliplatin 85 mg/m2 (2 h) Tag 1, Folinsäure 200 mg/m2 (2 h) Tag 1, 2, Fluorouracil 400 mg/m2 Bolus Tag 1, 2, Fluorouracil 600 mg/m2 Infusion (22 h) Tag 1, 2), Wiederholung Tag 15 4 Adjuvante Chemotherapie: 12 Zyklen FOLFOX-4, alternativ 8 Zyklen Capecitabin 4 Chemotherapie bei fortgeschrittener, inoperabler Erkrankung: FOLFOX (alternativ FOLFIRI) + Cetuximab bei unmutiertem K-Ras-Status (alternativ Avastin) 4 Lebertransplantation bei Patienten mit nicht resektablen Lebermetastasen mit über 12 Monate dokumentierter, auf die Leber beschränkter Metastasierung, mindestens 4 Monate Antikörpertherapie
Malignes Melanom 4 Immuntherapieschemata: Adjuvante Therapie (Low-doseInterferontherapie) mit IFN-alpha: 3× 3 Mio. I.E./Woche s.c. über 18 Monate 4 Chemotherapieschemata/adjuvante Immuntherapie 5 Adjuvante Immuntherapie mit IFN-alpha und IL-2: Woche 1–4 IFN-alpha (9 Mio. I.E. s.c.) 5×/Woche und IL-2 (6 Mio. I.E. s.c.) 3×/Woche; anschließend über 11 Monate IFN-alpha (9 Mio. I.E. s.c.) 3×/Woche und IL-2 (6 Mio. I.E. s.c.) 3×/Woche 5 DTIC: 850 mg/m2 Tag 1 oder low-dose DTIC: 250 mg/m2 Tag 1–5 5 Carboplatin + Paclitaxel: Carboplatin AUC6 1× alle 3 Wochen über 4 Zyklen und Paclitaxel 225 mg/m2 1× alle 3 Wochen über 4 Zyklen 5 Gemcitabin: 1000 mg/m2 i.v. 1×/Woche über 3 Wochen; 2. Zyklus nach 2 Wochen Pause 5 Muphoran: 100 mg/m2 i.v. Induktionsphase: 1×/Woche über 3 Wochen; Erhaltungstherapie nach 4 Wochen Pause: alle 3 Wochen 5 Liposomal verkapseltes Doxorubicin: 35 mg/m2 i.v. Tag 1, Wiederholung alle 3 Wochen 5 Polychemoimmuntherapie nach Legha: DTIC (800 mg/m2 i.v.) Tag 1, Vinblastin (1,5 mg/m2 i.v.) Tag 1–4, Cisplatin (20 mg/m2 i.v.) Tag 1–4, IL-2 (9 Mio. I.E./m2 i.v.) Tag 1–4, IFN-alpha (9 Mio. I.E. s.c.) Tag 1–5, IFN-alpha (9 Mio. I.E. s.c.) Tag 7, 9, 11, 13
Neuroendokrine Tumoren – gastrointestinal 4 Gut differenziert Ki 67 <20% 5 Octreotid (Einschleichen über 2–3 Wochen): Octreotid 30 mg i.m., Wiederholung Tag 29, Somatoline Autogel 90 mg s.c., Wiederholung Tag 29 5 Interferon 5 Mio. I.E. s.c. 3×/Woche 5 First-line: Streptozotocin 500 mg/m2 Tag 1–5, Doxorubicin 50 mg/m2 Tag 1, Wiederholung Tag 43 5 Second-line: Streptozotocin 500 mg/m2 Tag 1–5, 5-FU 400 mg/m2 Tag 1–5, Wiederholung Tag 43
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Kapitel 23 · Chemotherapie
4 Schlecht differenziert Ki 67 >20% 5 First-line: Cisplatin 80 mg/m2 Tag 1, Etoposid 120 mg/m2 Tag 1–3, Wiederholung Tag 22 5 Second-line: Topotecan 1,25 mg/m2 Tag 1–5, Wiederholung Tag 22 5 ACO (Doxorubicin 60 mg/m2 Tag 1, Cyclophosphamid 750 mg/m2 Tag 1, 2, Vincristin 1,5 mg Tag 1, 8, 15, Wiederholung Tag 22
Keimzelltumor des Ovars, Granulosazelltumor, Sertoli-Leydig-Zelltumor
Nierenzellkarzinom
Pankreas-Adenokarzinom
4 First-line: Bevacizumab + Interferon oder Sunitinib oder Temsirolimus 4 Second-line: Everolimus oder Sorafenib 4 Marginalzonen-B-Zell-Lymphom, indolente Lymphome 5 Chlorambucil (bei schlechtem ECOG-Status) Fludarabin + Cyclophosphamid + Rituximab CD20+ 5 Bendamustin + Rituximab (CD20+) 5 Zevalin 4 Diffus-großzelliges Lymphom 5 CHOP (Cyclophosphamid 750 mg/m2 Tag 1, Adriamycin 50 mg/m2 Tag 1, Vincristin 1,4 mg/m2 bis 2 mg absolut Tag 1, Prednison 100 mg Tag 1–5) + Rituximab 375 mg/m2 Tag 1 5 DHAP (Dexamethason, Cytarabin, Cisplatin) oder andere Platinkomplex-haltige Schemata + Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation
4 Präoperative Radiochemotherapie 5 Radiotherapie konventionell fraktioniert (1,8 Gy/Tag), Gesamtdosis 45–50,4 Gy, simultan Gemcitabin 300 mg/m2 1× wöchentlich 4 Chemotherapie adjuvant 5 Folinsäure 20 mg/m2 (Bolus) Tag 1–5 plus 5-Fluorouracil 425 mg/m2 (Bolus) Tag 1–5, alle 4 Wochen; 6 Zyklen 5 Gemcitabin 1000 mg/m2 (30 min) Tag 1, 8, 15, alle 4 Wochen; 6 Zyklen 4 Chemotherapie bei fortgeschrittener Erkrankung 5 Gemcitabin 1000 mg/m2 (30 min) Tag 1, 8, 15, alle 4 Wochen bis zur Progression 5 Bei gutem Allgemeinzustand (ECOG-PS 0 oder 1) zu erwägen: Gemcitabin 1000 mg/m2 (30 min) Tag 1, 8, 15, Capecitabin 1660 mg/m2 Tag 1–21, alle 4 Wochen 5 Bei reduziertem Allgemeinzustand und metastasierter Erkrankung: Gemcitabin 1000 mg/m2 (30 min) Tag 1, 8, 15, Erlotinib 100 mg Tag 1–21, alle 4 Wochen
Ösophagus-Plattenepithelkarzinom
Peritonealkarzinose
4 First-line 5 Neoadjuvante Radiochemotherapie + Resektion 5 Platinkomplex + Fluoropyrimidin + »best supportive care« 4 Second-line 5 Taxan- oder Vinorelbin-Monotherapie 5 Taxan + Cetuximab (»off-label«)
4 Cisplatin, Hypertherme IntraPEritoneale Chemoperfusion (HIPEC) 4 Catumaxomab intraperitoneal (bei EpCAM+ Tumoren)
Non-Hodgkin-Lymphome
Ösophagus-Adenokarzinom 4 3 Zyklen präoperativ EOX (Epirubicin 50 mg/m2 Tag 1, Oxaliplatin 130 mg/m2 Tag 1, Capecitabin 1250 mg/m2 Tag 1–21, Wiederholung Tag 22) 4 3 Zyklen postoperativ EOX
Epitheliales Karzinom des Ovars 4 First-line 5 6 Zyklen, Paclitaxel 175 mg/m2 Tag 1, Carboplatin AUC 5 Tag 1, Wiederholung Tag 22 5 Bei reduziertem Allgemeinzustand: Carboplatin AUC 6 Tag 1, Wiederholung Tag 22 4 Second-line 5 Rezidivfreies Intervall (RFI) <6 Monate: Topotecan oder pegyliertes liposomales Doxorubicin 5 RFI >6 Monate: Reinduktion mit Carboplatin/Paclitaxel oder Carboplatin/Gemcitabin
4 First-line 5 PEB (Bleomycin 30 mg Tag 1, 8, 15, Etoposid 100 mg/m2 Tag 1–5, Cisplatin 20 mg/m2 Tag 1–5, Wiederholung Tag 22) 4 Second-line 5 Paclitaxel + Ifosfamid + Cisplatin
Prostatakarzinom 4 Hormonsensibel N+/M+ 5 LHRH-Analoga (initial 2 Wochen antiandrogene Therapie); bei PSA-Progress komplette Androgenblockade + antiandrogene Therapie; »withdrawal« 5 Antiandrogene Monotherapie, zum Potenzerhalt; bei PSA-Progress komplette Androgenblockade + LHRHAnaloga; »withdrawal« 5 Subkapsuläre Orchiektomie; bei PSA-Progress komplette Androgenblockade + Antiandrogene; »withdrawal« 4 Hormonrefraktär 5 First-line: Docetaxel + Prednison 5 Second-line: Mitoxantron + Prednison
Rektumkarzinom 4 Neoadjuvant/adjuvant: Radiochemotherapie (konventionell fraktioniert), Resektion (TME), adjuvante Chemotherapie für 4 Monate 4 Metastasiert: wie Kolonkarzinom
263 23.10 · Aktuelle Chemotherapie- und Hormontherapiestrategien viszeraler Tumoren
Thoraxtumoren: 4 Kleinzelliges Bronchialkarzinom 5 First-line: Cisplatin plus Etoposid 5 Second-line: Topotecan oder ACO 4 Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom 5 First-line: Cisplatin + Drittgenerationszytostatikum. Bei Kontraindikation für Cisplatin (Nephrotoxizität, Ototoxizität): Carboplatin statt Cisplatin; alternativ Kombination aus zwei Drittgenerationszytostatika. Bei Nicht-Plattenepithelhistologie im Stadium IV Pemetrexed + Cisplatin. Bei EGFR-Mutation Gefitinib 5 Second-line: Docetaxel bzw. Pemetrexed (außer überwiegende Plattenepithelhistologie) oder Behandlung mit Erlotinib (bei Adenokarzinom) 4 Malignes Pleura-Mesotheliom 5 First-line: Pemetrexed 500 mg/m2 Tag 1, Cisplatin 75 mg/m2 Tag 1, Wiederholung Tag 22 5 Second-line: Vinorelbin oder Gemcitabin (bei sarkomatösem Anteil)
Weichgewebssarkom 4 Metastasiert 5 First-line: z. B. Doxorubicin + Ifosfamid 5 Second-line: Trabectidin oder Gemcitabin plus Docetaxel
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23
264
23
Kapitel 23 · Chemotherapie
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24 24
Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie F. Lordick
24.1
Wachstumsfaktor-Rezeptoren
24.1.1 24.1.2 24.1.3
Tumorbiologische Bedeutung – 266 EGFR als therapeutische Zielstruktur – 266 Weitere Wachstumsfaktor-Rezeptoren – 267
24.2
Tumorangiogenese
24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4
Tumorbiologische Bedeutung – 268 VEGF als therapeutische Zielstruktur – 269 Anti-VEGF-gerichtete Therapie und Chirurgie – 270 Weitere antiangiogene Wirkprinzipien – 271
24.3
Spezifische biologisch zielgerichtete Wirkstoffe
24.3.1 24.3.2 24.3.3 24.3.4 24.3.5 24.3.6 24.3.7 24.3.8 24.3.9
Cetuximab (Erbitux) – 271 Panitumumab (Vectibix) – 271 Trastuzumab (Herceptin) – 272 Erlotinib (Tarceva) – 272 Lapatinib (Tyverb) – 272 Imatinib (Glivec) – 272 Bevacizumab (Avastin) – 272 Sorafenib (Nexavar) – 272 Sunitinib (Sutent) – 273
24.4
Zusammenfassung Literatur
– 273
– 266
– 268
– 273
– 271
266
24
Kapitel 24 · Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie
> Neben den klassischen Zytostatika haben sich sog. biologisch zielgerichtete Wirkstoffe in der Systemtherapie viszeraler Tumorerkrankungen etabliert. Entsprechend des typischen Entwicklungszyklus pharmazeutischer Produkte ist deren Wirksamkeit bislang vor allem für die Therapie fortgeschrittener Tumorstadien belegt. Der Stellenwert biologisch zielgerichteter Therapien in der adjuvanten Indikation ist noch ganz überwiegend in klinischer Überprüfung. Die beiden wichtigsten Wirkprinzipien, die in der Behandlung viszeraler Tumorerkrankungen aktuell eine Rolle spielen sind: 4 Hemmung von Wachstumsfaktor-Rezeptoren 4 Antiangiogene Therapie, vor allem die Blockade von vaskulärem endothelialem Wachstumsfaktor (VEGF) Hinsichtlich beider Wirkprinzipien stehen derzeit zwei Wirkstoffgruppen zur Verfügung: 4 Monoklonale Antikörper 4 Kleinmolekulare Kinase-Inhibitoren Im Folgenden wird eine Einführung in die genannten Wirkprinzipien gegeben werden. Es folgt eine Übersicht über den aktuellen Kenntnisstand zu den wichtigsten biologisch zielgerichteten Wirkstoffen.
24.1
Wachstumsfaktor-Rezeptoren
24.1.1 Tumorbiologische Bedeutung Krebszellen erwerben die Fähigkeit zur autonomen und dysregulierten Proliferation zumindest teilweise durch die unkontrollierte Produktion spezifischer Signalstoffe (der Wachstumsfaktoren) und durch abnorme Expression spezifischer Proteine (Wachstumsfaktor-Rezeptoren) auf der Zellmembran. Die Bindung von Wachstumsfaktoren an die entsprechenden Rezeptoren setzen eine Reihe intrazellulärer Signale in Gang, die letztendlich zur Proliferation von Tumorzellen, Induktion von Angiogenese und Metastasierung führen (Ciardiello 2008). Bei der Mehrheit epithelialer Tumorerkrankungen finden sich Faktoren und Rezeptoren der epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor(EGFR)-Familie hochreguliert und aktiviert. Die epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptoren Her-1 und Her-2 sind transmembranäre Rezeptoren, die zur EGFRFamilie gehören (. Abb. 24.1). Unterschiedliche Liganden können selektiv an EGFR binden. Nachdem ein Ligand an EGFR bindet, formt der Rezeptor ein Dimer mit einem weiteren Protein innerhalb der EGFR-Familie. Dieses Dimer durchläuft eine Autophosphorylierung an der intrazellulär gelegenen Tyrosinkinase-Domäne und löst damit Aktivierungs-Signale innerhalb der Zelle über unterschiedliche Signalwege und -kaskaden aus. Dies kann letztendlich die Proliferation der Tumorzelle fördern, Apoptose-Signale blockieren, Invasion und Metastasierung sowie die Tumor-abhängige Neovaskularisation stimulieren.
In den verschiedensten Tumorentitäten konnte gezeigt werden, dass die Überexpression von WachstumsfaktorRezeptoren der EGFR-Familie, aber auch anderer Wachstumsfaktor-Rezeptor-Familien in lokalisierten Tumorstadien mit einer höheren Rezidivwahrscheinlichkeit nach kompletter Tumorresektion und in den fortgeschrittenen Stadien mit einer erhöhten Chemotherapie- und Strahlenresistenz assoziiert sind (Salomon et al. 1995).
24.1.2 EGFR als therapeutische Zielstruktur Die EGFR-Familie wurde frühzeitig als potenzielle therapeutische Zielstruktur erkannt. Dementsprechend sind mittlerweile drei monoklonale Antikörper (Trastuzumab, Cetuximab, Panitumumab) und drei Tyrosinkinase-Inhibitoren (Gefitinib, Erlotinib, Lapatinib) zur Behandlung epithelialer Tumorerkrankungen verfügbar. Anti-EGFR-gerichtete monoklonale Antikörper binden an die extrazelluläre Domäne des Rezeptors, wenn er in seiner inaktiven Konfiguration ist, belegen die Liganden-Bindungsregion und blockieren damit die Liganden-induzierte Aktivierung des Rezeptors und seiner Tyrosinkinase-Aktivität. Die Bindung der Antikörper an EGFR führt außerdem zur Internalisierung und damit zum Abbau des entsprechenden Rezeptors. Zudem können antitumorale Effekte durch Induktion antikörperabhängige Zytotoxizität (ADCC) ausgelöst werden (Kang et al. 2007). Zumindest für das kolorektale Karzinom gilt heutzutage als gesichert, dass bei Vorliegen aktivierender Mutationen stromabwärts (»downstream«) des EGF-Rezeptors eine weitgehende Resistenz gegen eine Therapie mit EGFR-Antikörpern vorliegt. Dies wurde vor allem für aktivierende Mutationen des k-Ras-Gens sichergestellt; eine ähnliche Bedeutung haben nach aktuellem und sich sehr dynamisch entwickelndem Kenntnisstand auch Mutationen des b-Raf-Gens und möglicherweise weiterer Kinasen (Amado et al. 2008; Karapetis et al. 2008; Linardou et al. 2008; Lievre et al. 2008; Di Nicolantonio et al. 2008). Während für Trastuzumab belegt ist, dass nur bei immunhistochemisch und oder auf Zellkernebene mittels Fluororeszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) nachweisbarer Überexpression von Her-2 ein Ansprechen auf eine Anti-Her-2-Therapie erwartet werden kann (Baselga 1996), ist für die AntiEGFR (Her-1)-Antikörper Cetuximab und Panitumumab mittlerweile klar, dass die Immunhistochemie für die Selektion responsiver Tumoren ungeeignet ist (Manegold et al. 2008); der Stellenwert der EGFR-FISH-Analyse ist noch strittig (Moroni et al. 2008). Kleinmolekulare Tyrosinkinase-Inhibitoren wie Gefitinib, Erlotinib und Lapatinib, verdrängen ATP reversibel aus der katalytischen Domäne der EGF-Rezeptoren und verhindern damit die EGFR Autophosphorylierung und die Aktivierung EGFR-abhängiger Signalkaskaden (. Abb. 24.2). Mutationen des k-Ras-Gens bedingen eine Resistenz der Tumorzellen gegen anti-EGFR-gerichtete Tyrosinkinasen. Dies wurde
267 24.1 · Wachstumsfaktor-Rezeptoren
. Abb. 24.1. Die epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor-Familie und ihre abhängigen Signalwege. (Nach Ciardiello et al. 2008)
zumindest für das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom belegt (Linardou et al. 2008). Hingegen wurden aktivierende Mutationen der Exone 19 und 21 des EGFR-Gens als positiver Prädiktor für das Ansprechen auf eine Therapie mit Gefitinib oder Erlotinib identifiziert (Han et al. 2005; Riely et al. 2006). Die Hauptnebenwirkung der gegen EGFR gerichteten Wirkstoffe sind diverse Hauterscheinungen, insbesondere ein oftmals 1–3 Wochen nach Therapiebeginn auftretendes akneartig imponierendes follikulitisches Exanthem. Neben den oben genannten molekularen Biomarkern, denen eine Bedeutung für die Therapieselektion zukommt, ist das Auftreten eines follikulitischen Exanthems ein starker Hinweis für einen möglichen klinischen Benefit einer anti-EGFR-gerichteten Therapie (Lacouture 2006; Manegold et al. 2008).
24.1.3 Weitere Wachstumsfaktor-Rezeptoren EGFR ist nicht die einzige Wachstumsfaktor-Rezeptor-Familie mit Eignung als therapeutische Zielstruktur. Weitere Wachstumsfaktoren und deren Signalwege sind in Ihrer biologischen Bedeutung gut untersucht und therapeutische Moleküle zu deren Hemmung in klinischer Entwicklung. Dazu zählen unter anderem der »insulin-like growth factor receptor« (IGFR), der »hepatocyte growth factor receptor« (HGF-R oder c-Met-Rezeptor) und die »vascular endothelial growth factor receptors« (VEGFR), die in 7 Kap. 24.2 angesprochen werden. Bereits jetzt nimmt der sog. »stem cell factor« (SCF)-Rezeptor c-KIT eine zentrale Bedeutung in der Behandlung gastrointestinaler Stromatumoren (GIST) ein. c-KIT findet sich bei GIST exprimiert und vor allem durch entsprechende Mutationen konstitutionell aktiviert. Imatinib und Sunitinib sind Inhibitoren der Autophosphorylierung an der TyrosinkinaseDomäne des c-KIT-Rezeptors und können damit das Wachstum von GIST in signifikanter Weise unterdrücken (Sleijfer et al. 2008).
24
268
Kapitel 24 · Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie
. Abb. 24.2. Wirkmechanismus anti-EGFRgerichteter Wirkstoffe. (Nach Ciardiello et al. 2008)
24
24.2
Tumorangiogenese
24.2.1 Tumorbiologische Bedeutung Die Bildung neuer Blutgefäße ist ein grundlegendes Ereignis im Prozess des Tumorwachstums und der Metastasierung (Folkman 1971, 1990). Der vaskuläre endotheliale Wachs-
. Abb. 24.3. Die Rolle von vaskulären Wachstumsfaktoren (VEGF) und VEGF-Rezeptoren (VEGFR) in der Tumorangiogenese. VEGF-Liganden werden von Tumorzellen oder Stromazellen freigesetzt und stimulieren VEGFR-1, -2 oder -3, die auf endothelialen oder hämatopoetischen Zellen exprimiert werden. VEGF stimuliert VEGFR-1- und -2-positive Endothelien und aktiviert deren Proliferation, Migration,
tumsfaktor (VEGF)-Signalweg ist einer der Hauptregulatoren in diesem Prozess. Die VEGF/VEGF-Rezeptor-Achse ist aus verschiedenen Liganden und Rezeptoren zusammengesetzt. Die Aktivierung des VEGF-Rezeptor-Signalwegs führt zu einer Stimulation des endothelialen Zellwachstums, der Zellmigration und des Überlebens vorbestehender Gefäße. Zudem vermittelt VEGF eine erhöhte Gefäßpermeabilität; es
Überleben, und vaskuläre Permeabilität. VEGF könnte darüber hinaus die Mobilisierung endothelialer Progenitorzellen (EPC) and VEGFR-1-positiver myeloischer Zellen an Orte der Neovaskularisation stimulieren. VEGF-C and VEGF-D aktivieren VEGFR-3-positive lymphatische Endothelzellen. (Nach Hicklin et al. 2005)
269 24.2 · Tumorangiogenese
. Abb. 24.4. Die VEGF-Familie besteht aus sieben Liganden (vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren VEGF-A, -B, -C, -D und -E, und plazentare Wachstumsfaktoren [PlGF]-1 und -2). Einige Liganden, wie VEGF-A, liegen in unterschiedlichen Isoformen vor. Es bestehen spezifische Bindungsaffinitäten zu den unterschiedlichen VEGF-
Rezeptoren VEGFR-1, VEGFR-2 und VEGFR-3. Neuropilin (NRP)-1 und NRP-2 sind Korezeptoren für bestimmte VEGF-Isoformen. Sie erhöhen die Bindungsaffinität der Liganden zu ihren entsprechenden Rezeptoren. (Nach Hicklin et al. 2005)
ändert damit das homöostatische Milieu in Tumoren und wurde mit der Entstehung maligner Ergüsse in Zusammenhang gebracht. Neuere Untersuchungen sprechen darüber hinaus VEGF eine Bedeutung in der Mobilisierung endothelialer Progenitorzellen aus dem Knochenmark zu (. Abb. 24.3 und . Abb. 24.4; Duda et al. 2006; Hicklin et al. 2005).
nalweg spezifisch hemmen. Unterschiedliche Inhibitoren von VEGF und VEGF-Rezeptoren zeigten in präklinischen Modellen eine starke Verminderung von Tumorangiogenese und Tumorwachstum. Der gegen VEGF-A gerichtete monoklonale Antikörper Bevacizumab zeigte in Kombination mit Chemobzw. Zytokintherapie eine Verbesserung des Tumoransprechens und der Gesamt- bzw. progressionsfreien Überlebensrate bei verschiedenen Tumorentitäten; aktuelle Ergebnisse beziehen sich auf die Therapie des fortgeschrittenen Kolorektalkarzinoms, Lungenkarzinoms, Mammakarzinoms und Nierenzellkarzinoms. Adjuvante Therapieansätze und weitere Tumorentitäten befinden sich in klinischer Untersuchung.
24.2.2 VEGF als therapeutische Zielstruktur Die gut beschriebene Rolle von VEGF in der Tumorangiogenese führte zur Entwicklung von Substanzen, die diesen Sig-
24
270
24
Kapitel 24 · Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie
In einer pathophysiologisch ausgerichteten klinischen Studie konnte dargestellt werden, welchen Effekt die Hemmung von VEGF auf Tumoren in vivo hat. Patienten mit lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen erhielten eine einmalige Bevacizumab-Infusion vor Einleitung einer konventionellen Radiochemotherapie. Die Infusion von Bevacizumab führte zu einem raschen Absinken der Tumorperfusion, der Mikrogefäßdichte, des interstitiellen Flüssigkeitsdrucks und der Anzahl zirkulierender endothelialer Progenitorzellen (Willett et al. 2004). Die genannten klinischen sowie präklinische Untersuchungen werfen ein neues Licht auf das Therapiekonzept der Antiangiogenese. Demnach führt eine antiVEGF-gerichtete Therapie zu einer »Normalisierung« der pathologisch veränderten Tumorgefäßarchitektur (Jain et al. 2005). Dies impliziert einen effektiveren Transport von Chemotherapeutika über die Blutbahn in den Tumor und ein günstigeres Wirkmilieu für die zytotoxische Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie.
24.2.3 Anti-VEGF-gerichtete Therapie
und Chirurgie Neben den typischen internistischen Nebenwirkungen einer antiangiogenen Therapie, vor allem der Auslösung arterieller Hypertonie, thromboembolischer Ereignisse, Blutungen und einer Proteinurie bis hin zum nephrotischen Syndrom kann eine gegen VEGF gerichtete Therapie signifikante Auswirkungen auf chirurgische Maßnahmen haben und spezifische chirurgische Komplikationen hervorrufen (Lordick et al. 2008).
Wundheilungsstörungen Präklinische Studien zeigten, dass antiangiogen wirksame Substanzen wie Bevacizumab die Wundheilung beeinträchtigen (Howdieshell et al. 2001; Roman et al. 2002). Ein wichtiger Faktor ist die relativ lange Halbwertszeit von Bevacizumab, die zwischen 11 und 50 Tagen, im Mittel bei 20 Tagen liegt. Da selbst sehr niedrige Dosen von Bevacizumab (0,3 mg/kg) alles detektierbare VEGF-A binden und neutralisieren können und die zugelassene Dosierung bei 5–10 mg/kg alle 2 Wochen liegt, geht man derzeit von einer physiologischen Aktivität von Bevacizumab über eine Zeitdauer von mehr als vier Halbwertszeiten aus, also ungefähr für die Dauer von 12 Wochen (Gordon et al. 2001). In einer Analyse gepoolter Daten ging man der Frage nach, ob Patienten, die 28–60 Tage vor Beginn einer Therapie mit Bevacizumab operiert worden waren oder Patienten, die während einer Therapie mit Bevacizumab operiert werden, ein erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen aufweisen. Die Gabe von Bevacizumab später als 28 Tage nach primärer Tumorchirurgie schien sicher durchführbar. Von 75 Patienten, die sich größeren chirurgischen Eingriffen während einer Behandlung mit Bevacizumab unterzogen, erlitten hingegen zehn (13%) Wundheilungskomplikationen verglichen mit einem von 29 Kontrollpatienten (Scappatici et al. 2005). Es scheint ein eindeutig und klinisch relevant erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen vorzuliegen, wenn während einer Therapie mit Bevacizumab ein chirurgischer Eingriff notwendig wird.
Cave Eine besondere Situation besteht bei Gabe von Bevacizumab vor geplanter Leberresektion, da VEGF bei der Leberregeneration eine Schlüsselrolle zukommt. Aufgrund der aktuellen Erfahrungen wird empirisch derzeit ein Zeitintervall von mindestens 6–8 Wochen zwischen der letzten Gabe von Bevacizumab und Leberresektion empfohlen (Ellis et al. 2005).
Gastrointestinale Perforationen Gastrointestinale Perforationen stellen eine relativ seltene aber oft schwerwiegende Komplikation einer Therapie mit Bevacizumab dar. Bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom liegt die Häufigkeit bei 1,5–1,7% (Hurwitz et al. 2004; Sugrue et al. 2006). Das Ereignis einer gastrointestinalen Perforation nimmt bei jedem 5. bis 6. Patienten einen letalen Verlauf. Laut univariaten Analysen liegt bei den meisten Patienten mit gastrointestinaler Perforationen mindestens einer der folgenden Begleitumstände vor: akute Divertikulitis, intrabdomineller Abszess, gastrointestinale Obstruktion, in situ belassener Primärtumor, Peritonealkarzinomatose, vorherige abdominelle oder pelvine Radiatio oder Chemotherapie-induzierte Kolitis (Sugrue 2006). Bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom war in einer vorzeitig beendeten Studie die Rate an gastrointestinalen Perforationen außergewöhnlich hoch (11,4%; Cannistra et al. 2006) Viele vorausgegangene Chemotherapien sowie multiple und ausgedehnte Voroperationen begünstigten das Auftreten von gastrointestinalen Perforationen unter Bevacizumab. Gastrointestinale Perforationen können nach eigenen Beobachtungen im Bereich von Anastomosen oder anderweitig veränderten Darmabschnitten entstehen (Abbrederis 2008). Eine Rolle kann dabei im Einzelfall auch eine Vorbestrahlung im Bereich des Abdomens oder Beckens spielen (Lordick et al. 2006). Bei den von uns kürzlich publizierten Fällen betrafen die intestinalen Perforationen strukturell nicht mehr intakte Darmabschnitte. Histologisch war eine ischämische Genese der Darmperforationen zu diskutieren. Man kann spekulieren, dass VEGF, das Zielmolekül des monoklonalen Antikörpers Bevacizumab, im Rahmen der Regeneration bzw. des strukturellen Erhalts eines vorgeschädigten Darmabschnittes eine wichtige Rolle spielt und damit die Neutralisierung von VEGF zum segmentalen Gewebeuntergang führen kann. Alternativ ließe sich die Vermutung anstellen, dass die Mikrostrombahn in voroperierten oder vorbestrahlten und entzündeten Darmabschnitten besonders vulnerabel für die thrombogene Wirkung des Antikörpers Bevacizumab ist, der damit zu einer ischämisch bedingten Nekrose der Darmwand führen kann.
In der chirurgischen Praxis ist eine Darmperforationen unter einer Therapie mit Bevacizumab differenzialdiagnostisch immer in Erwägung zu ziehen, wenn anderweitig nicht eindeutig zu klärende abdominelle Beschwerden vorliegen.
271 24.3 · Spezifische biologisch zielgerichtete Wirkstoffe
Die Indikation zur entsprechenden Diagnostik (Abdomenübersichtsaufnahme zum Nachweis freier Luft, Kontrastmittelverstärkte Computertomographie zum Nachweis einer gedeckten Perforation oder eines Entzündungskonglomerats, im Einzelfall endoskopische Diagnostik) ist großzügig zu stellen. Im Falle einer Bevacizumab-induzierten gastrointestinalen Perforation ist nach entsprechender Resektion des geschädigten Darmabschnittes zu berücksichtigen, dass eine primäre Wiederherstellung der normalen Darmpassage mittels intestinaler Anastomose selbst bei augenscheinlich guten Durchblutungsverhältnissen wegen eines areaktiven Heilungsprozesses mit einem hohen Risiko der Anastomoseninsuffizienz verbunden ist. Bei Perforationen im Bereich des Kolons oder distalen Dünndarms ist daher zunächst der Anlage eines proximal gelegenen Stomas der Vorzug zu geben. Eine Stomarückverlagerung und Wiederherstellung der intestinalen Passage sollte dann erst mit einem ausreichenden zeitlichen Abstand zur letzten Gabe von Bevacizumab von mindestens 12 Wochen (4 Halbwertszeiten) vorgenommen werden (Lordick et al. 2008). Wertung. Trotz der nachweislich schwerwiegenden chirur-
gischen Komplikationen, die mit einer anti-VEGF-gerichteten Therapie einhergehen können, ist mit einer zunehmenden Verschreibung entsprechender Wirkstoffe zu rechnen, da in vielen Fällen die individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung zugunsten des in Studien belegten klinischen Benefits ausfällt.
24.2.4 Weitere antiangiogene Wirkprinzipien Neben dem gegen VEGF gerichteten und bereits klinischer verfügbaren monoklonalen Antikörper Bevacizumab sind weitere VEGF-Ligandenhemmstoffe in klinischer Erprobung (z. B. VEGF-trap, sanofi-aventis, Frankreich) die zum Teil eine höhere Ligandenbindungs-Affinität und eine breitere Spezifität (gegen VEGF-A, VEGF-B, plazentarer Wachstumsfaktor) aufweisen. Neben der Bindung des Liganden VEGF spielt auch eine Hemmung der entsprechenden Rezeptor-Tyrosinkinase VEGFR mittels Tyrosinkinase-Inhibitoren eine zunehmende Rolle. In klinischer Anwendung befinden sich Sorafenib und Sunitinib. Beide Moleküle sind nicht allein gegen VEGFR sondern mit unterschiedlicher Bindungsaffinität gegen weitere membranständige bzw. intrazellulär gelegene Kinasen gerichtet. Neben den VEGF/VEGFR-vermittelten Signalwegen spielen weitere Mechanismen eine wichtige Rolle in der Tumorangiogenese. Dazu zählen u. a. der Angiopoetin-Tie-2-Signalweg (Oliner et al. 2004; Bach et al. 2007; Makinde et al. 2008), die Protein-C-Kinase-vermittelten Signalwege (Graff et al. 2005; Teicher 2006) und vaskuläre αvβ3-Integrin-vermittelte Prozesse (Brooks et al. 1994; Beekmann et al. 2006). Entsprechende Inhibitoren der jeweiligen Zielstrukturen befinden sich in klinischer Entwicklung.
24.3
Spezifische biologisch zielgerichtete Wirkstoffe
Die Liste verfügbarer biologisch zielgerichteter Krebsmedikamente ist bereits jetzt lang und wird durch Ergebnisse aktueller Zulassungsstudien jährlich länger. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wird in den folgenden Abschnitten eine sehr knapp gehaltene Übersicht der Medikamente mit der größten Relevanz für den Bereich des onkologisch tätigen Viszeralchirurgen gegeben.
24.3.1 Cetuximab (Erbitux) Cetuximab ist ein gegen die extrazelluläre Domäne von EGFR (Her-1) gerichteter chimärer monoklonaler Antikörper der Immunglobulinklasse IgG-1. Cetuximab erwies sich als wirksam in der Therapie chemotherapierefraktärer kolorektaler Karzinome, entweder in Kombination mit dem Zytostatikum Irinotecan oder auch als Monotherapie (Cunningham et al. 2004; Jonker et al. 2007). Jüngere Untersuchungen belegen, dass Cetuximab auch in früheren Therapiephasen die Ansprechraten und Wirksamkeit von Chemotherapie verstärken kann. Die Vorteile sind jeweils auf nicht k-Ras-mutierte Tumoren beschränkt. Die Tumoransprechraten in der k-RasWildtyp-Population beträgt für Chemotherapie plus Cetuximab bis zu 60% (Bokemeyer et al. 2009; Van Cutsem et al. 2009). Diese hohe Wirksamkeitsrate könnte bei hepatisch metastasierten kolorektalen Karzinomen relevante Vorteile für die Induktion von Tumorremissionen zur Vorbereitung sekundärer Leberresektionen aufweisen. Ob Cetuximab zu einem Überlebensvorteil in der adjuvanten Therapie k-Ras unmutierter Kolonkarzinome im Stadium III führt, ist Gegenstand klinischer Studien. Cetuximab erwies sich außer in der Therapie fortgeschrittener Kolonkarzinome auch in der Therapie fortgeschrittener Plattenepithelkarzinome der Kopf-Hals-Region in Kombination mit Chemotherapie beziehungsweise Strahlentherapie als effektiv (Bonner et al. 2006; Vermorken et al. 2008). Der Stellenwert für die Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms ist noch nicht endgültig geklärt (Bunn et al. 2008).
24.3.2 Panitumumab (Vectibix) Panitumumab ist wie Cetuximab ein gegen EGFR gerichteter monoklonaler Antikörper. Unterschiede zu Cetuximab sind seine voll humane Proteinstruktur, seine Zugehörigkeit zur Immunglobulinklasse IgG-2 und seine stärkere Bindungsaffinität zum EGF-Rezeptor (Yang et al. 2001). Panitumumab löst im Vergleich zu Cetuximab seltener infusionsassoziierte Hypersensitivitäsreaktionen aus (Kang et al. 2007). Panitumumab ist klinisch weniger weit entwickelt als Cetuximab; für die Therapie fortgeschrittener chemotherapierefraktärer Kolorektalkarzinome ohne k-Ras-Mutation ist aber ebenfalls eine Wirksamkeit in der Monotherapie sichergestellt (Van Cutsem et al. 2007; Amado et al. 2008). Erste Ergebnisse zur Kombination mit Chemotherapie bei kolorek-
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272
Kapitel 24 · Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie
talen Karzinomen und anderen Tumoren werden in Kürze erwartet.
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24.3.3 Trastuzumab (Herceptin) Trastuzumab ist ein gegen die extrazelluläre Domäne von Her2 gerichteter humanisierter monoklonaler Antikörper. Trastuzumab erwies sich als effektiv in der systemischen Therapie metastasierter Her-2 überexprimierender Mammakarzinome (Slamon 2001). Jüngere Ergebnisse belegen auch einen Effekt in der adjuvanten Therapie früher Mammakarzinome (Romond 2005; Piccart-Gebhardt et al. 2005). Magenkarzinome, insbesondere solche vom intestinalen Typ nach Lauren, weisen in >20% eine Überexpression von Her-2 auf (Lordick et al. 2007). Jüngste Ergebnisse belegen eine Wirksamkeit von Trastuzumab in der Therapie Her-2überexprimierender fortgeschrittener Magenkarzinome (Van Cutsem 2009).
24.3.4 Erlotinib (Tarceva) Erlotinib ist ein oral verfügbarer kleinmolekularer Inhibitor der intrazellulär gelegenen Tyrosinkinasedomäne des EGFRezeptors. Erlotinib mono erwies sich als effektiv in der Zweit- und Drittlinientherapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (Shepherd 2005). Patienten mit aktivierenden Mutationen des EGFR (Exon 19 und 21) haben eine bessere Chance, von einer Therapie mit Erlotinib zu profitieren. Klinische Prädiktoren des Ansprechens sind eine negative Nicotinanamnese, weibliches Geschlecht, asiatische Herkunft und das Vorliegen eines Adenokarzinoms (Han et al. 2005; Riely et al. 2006; Bunn et al. 2008; Perez-Soler et al. 2004). Ein mutierter k-Ras-Status zeigt Resistenz gegen Erlotinib an (Linardou et al. 2008). In der Therapie des fortgeschrittenen Adenokarzinoms des Pankreas erwies sich eine Kombinationstherapie bestehend aus Erlotinib und Gemcitabin einer Therapie mit Gemcitabin mono als überlegen in der Tumoransprechrate und dem Gesamtüberleben (Moore et al. 2007). Die Unterschiede sind nicht sehr groß und die klinische Relevanz wird mancherorts angezweifelt. Dennoch wurde Erlotinib für die Therapie des fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms zugelassen und ist in den deutschsprachigen Ländern Europas verfügbar. Der gezeigte Vorteil überrascht angesichts der bei Pankreaskarzinom nachgewiesenen hohen Mutationsrate von k-Ras (Maitra et al. 2008), die bei anderen Tumorentitäten ein Resistenzmerkmal darstellt. Molekulare Prädiktoren eines Ansprechens auf Erlotinib sind aktuell für das Pankreaskarzinom nicht definiert. Das Auftreten von Haustausschlägen unter Therapie ist ein klinisch fassbarer positiver Prädiktor für ein Therapieansprechen (Moore et al. 2007). Studien zur adjuvanten Therapie des Pankreaskarzinoms mit Erlotinib sind derzeit in Vorbereitung.
24.3.5 Lapatinib (Tyverb) Lapatinib ist ein oral verfügbarer dualer Inhibitor der intrazellulär gelegenen Tyrosinkinasedomänen von Her-1 und Her-2. Lapatinib erwies sich als effektiv in der Therapie des Trastuzumab-vorbehandelten, Her-2 überexprimierenden fortgeschrittenen Mammakarzinoms (Geyer et al. 2006) und ist für diese Indikation in Kombination mit Chemotherapie (Capecitabin) zugelassen. Studien zu weiteren viszeralen Tumoren, insbesondere zum Magenkarzinom, laufen bzw. sind in Vorbereitung.
24.3.6 Imatinib (Glivec) Imatinib ist ein oral verfügbarer Inhibitor der intrazellulär gelegenen Tyrosinkinasedomänen von c-Kit und bcr/abl. Imatinib hat eine hohe Wirksamkeit in der Behandlung fortgeschrittener GIST. Eine komplette Tumoreradikation ist in fortgeschrittenen Stadien allerdings trotz der hohen Wirksamkeit nicht möglich. Die mittlere Zeit bis zur Tumorprogression beträgt 2 Jahre (Sleijfer et al. 2008). Ob Imatinib als adjuvante Therapie die Prognose resezierter GIST verbessert, ist Gegenstand laufender Studien (Heger et al. 2008).
24.3.7 Bevacizumab (Avastin) Bevacizumab ist ein gegen VEGF-A gerichteter rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper und der klinisch am weitesten entwickelte antiangiogene Wirkstoff. Bevacizumab erwies sich als effektiv in der Erst- und Zweitlinientherapie fortgeschrittener kolorektaler Karzinome (Hurwitz et al. 2004; Giantonio et al. 2007). Der Nachweis einer Verbesserung des Gesamtüberlebens in der adjuvanten Therapie von Kolonkarzinomen der Stadien 2 und 3 steht noch aus. Bevacizumab erhöht in Kombination mit Chemotherapie die Rate an histologischen Komplettremissionen kolorektaler Lebermetastasen (Blazer 2008) und könnte so zur Verbesserung der Prognose in der perioperativen Therapie beitragen. Entsprechende Studien sind in Vorbereitung. Weitere Indikationen für den Einsatz von Bevacizumab sind das fortgeschrittene nicht-kleinzellige, nicht-plattenepitheliale Lungenkarzinom in Kombination mit Chemotherapie (Sandler et al. 2006), das fortgeschrittene klarzellige Nierenzellkarzinom in Kombination mit Interferon-α (Escudier et al. 2007) und das fortgeschrittene Mammakarzinom in Kombination mit Chemotherapie (Miller et al. 2005). Die Nebenwirkungen von Bevacizumab und deren Implikationen für die chirurgische Therapie sind in 7 Kap. 24.2.3 dargestellt.
24.3.8 Sorafenib (Nexavar) Sorafenib ist ein oral verfügbarer Multikinaseinhibitor mit antiproliferativem und antiangiogenem Wirkprofil, der gegen die Serin-Threonin-Kinasen Raf-1 und b-Raf und gegen die
273 24.4 · Zusammenfassung
Rezeptor-Tyrosinkinaseaktivität der VEGF-Rezeptoren 1, 2, und 3 und »Platelet-derived-growth-factor«-Rezeptor β (PDGFR-β) gerichtet ist. Sorafenib ist das erste Medikament mit nachgewiesener Wirksamkeit gegen das fortgeschrittene hepatozelluläre Karzinom (Llovet et al. 2008). Sorafenib erwies sich außerdem als wirksam in der Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms (Escudier et al. 2007). Die Wirksamkeit von Sorafenib bei zahlreichen weiteren Tumorentitäten ist in klinischer Prüfung.
24.3.9 Sunitinib (Sutent) Sunitinib ist ein weiterer oral verfügbarer Multikinaseinhibitor mit antiproliferativem und antiangiogenem Wirkprofil, der gegen die Rezeptor-Tyrosinkinaseaktivität der VEGF Rezeptoren 1, 2, und 3, PDGFR-β und c-Kit gerichtet ist. Sunitinib erwies sich als wirksam in der Therapie fortgeschrittener Nierenzellkarzinome (Motzer et al. 2006, 2007). Sunitinib zeigt außerdem Wirksamkeit bei Imatinib-vorbehandelten GIST (Demetri et al. 2006). Die Wirksamkeit von Sunitinib bei zahlreichen weiteren Tumorentitäten ist in klinischer Prüfung.
24.4
Zusammenfassung
Die dargestellten Ergebnisse zeigen, dass biologisch zielgerichtete Therapien heutzutage aus der Behandlung viszeraler Tumoren nicht mehr wegzudenken sind. Dabei sind die Wege in verschiedenste Indikationsgebiete noch lange nicht alle beschritten. Neue und hier noch nicht genannte Wirkstoffe befinden sich zum Teil in fortgeschrittenen Stadien der klinischen Entwicklung. Kombinationen von biologisch zielgerichteten Wirkstoffen und klassischen Zytostatika aber auch unterschiedlichen biologisch zielgerichteten Wirkstoffen haben zum Teil eine gut begründete präklinische Rationale und werden ebenfalls klinischen Untersuchungen unterzogen. Dies wird eine weitere Fülle neuer Therapieoptionen nach sich ziehen. Dabei wird man nicht aus dem Auge verlieren dürfen, dass alle neuen Wirkstoffe und Kombinationen neben möglicherweise beeindruckenden Verbesserungen der therapeutischen Effizienz auch eine Fülle neuer Nebenwirkungen und damit verbundenen Belastungen für die Patienten nach sich ziehen können. Auch eröffnet der Einsatz der meist sehr teuren Wirkstoffe eine neue Dimension ökonomischer Belastungen im onkologischen Versorgungssektor. Dem müssen sich verantwortungsvoll handelnde onkologisch tätige Ärzte stellen. In jeder Hinsicht wünschenswert und bereits jetzt Gegenstand zahlreicher Studien ist die Etablierung klinischer, molekularer und bildmorphologischer Faktoren, die den Benefit spezifischer medikamentöser Interventionen so frühzeitig wie möglich abschätzen lassen. Nur unter Einbeziehung validierter prädiktiver und prognostischer Faktoren wird man auch in Zukunft der wachsenden Zahl an medikamentösen Behandlungsoptionen gerecht werden können und optimale individuell maßgeschneiderte Therapien sinnvoll anbieten können.
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Kapitel 24 · Biologisch zielgerichtete medikamentöse Therapie
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24
25 25
Immuntherapie C. Peschel
25.1
Prinzipien der Tumorimmunlogie
25.1.1 25.1.2 25.1.3
Zielstrukturen einer Immuntherapie – 278 Tumorantigene – 278 Beeinflussung einer Immunantwort durch Tumore
25.2
Immuntherapie von Tumoren
25.2.1 25.2.2 25.2.3
Antigenunabhängige Therapie mit Zytokinen – 280 Strategien zur Überwindung von tumorinduzierter Immunsuppression – 280 Antigenspezifische Immuntherapie – 280
25.3
Monoklonale Antikörper
25.4
Ausblick Literatur
– 282 – 283
– 278
– 279
– 280
– 282
278
25
Kapitel 25 · Immuntherapie
> Es bestehen zahlreiche klinische Hinweise, dass die Entstehung und Ausbreitung von Tumoren durch das adaptive Immunsystem beeinflusst werden kann (Finn 2008). Das vereinzelte Auftreten einer spontanen Regression, insbesondere bei Patienten mit malignem Melanom und Nierenkarzinom, wird durch die Induktion einer Immunantwort gegen Tumorzellen erklärt. Bei Patienten mit dauerhafter iatrogener oder krankheitsbedingter Suppression von T-Lymphozyten besteht eine erhöhte Inzidenz von Tumorerkrankungen. Die Heterogenität im klinischen Verlauf bei Patienten mit vergleichbarer Tumorhistologie wird nicht nur den variablen molekularen Eigenschaften der Tumorzellen, sondern auch einer unterschiedlichen Immunreaktion gegen tumorassoziierte Antigene zugeschrieben. Das Potenzial einer gegen Tumore gerichteten Immuntherapie wurde erstmals durch William Coley am Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt, der mit bakteriellen Produkten in einzelnen Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren eine deutliche Tumorregression erzielen konnte. Deshalb stellt die Immuntherapie von Tumorerkrankungen seit vielen Jahren ein interessantes und für den Patienten hoch attraktives Behandlungskonzept dar und repräsentiert das Idealbild einer individualisierten Tumortherapie. Trotz überzeugender präklinischer Tiermodelle, objektiver Erfolge bei einzelnen Patienten und dem Nachweis einer tumorspezifischen Immunreaktion bei Studienpatienten blieb den meisten tumorimmunologischen Konzepten ein Durchbruch bisher versagt. Fortschritte im Verständnis aktivierender und inhibitorischer Komponenten der Immunregulation und innovative technologische Entwicklungen ermöglichen nun differenziertere Therapieansätze, sodass zumindest in bestimmten Indikationen eine erfolgreiche Translation von rationalen präklinischen Modellen in die klinische Anwendung zu erwarten ist.
25.1
Prinzipien der Tumorimmunlogie
25.1.1 Zielstrukturen einer Immuntherapie Voraussetzung für die Erkennung eines Antigens durch T-Lymphozyten ist dessen Präsentation durch ein HLA-Molekül durch Antigen-präsentierende Zellen (APC) wie dendritische Zellen, Monozyten oder B-Lymphozyten. Proteine werden durch das Proteasom in Fragmente von 7–15 Aminosäuren zerstückelt, über einen Peptidtransporter (TAP1, TAP2) ins endoplasmatische Retikulum gebracht, intrazellulär an das HLA-Molekül gebunden und schließlich an der Zelloberfläche der APC präsentiert. Ein T-Lymphozyt mit einem zu diesem spezifischen Antigen »passenden« T-Zellrezeptor bindet an das HLA-Molekül und wird in Gegenwart von kostimulatorischen Signalen (CD80, CD86) aktiviert. Endogene zytoplasmatische Proteine werden über HLA-I-Moleküle den CD8positiven zytotoxischen T-Lymphozyten präsentiert, während CD4-positive T-Helferzellen überwiegend exogene Antigene über HLA-II-Moleküle erkennen. Für eine optimale Stimulation einer zytotoxischen T-Zellantwort ist die Präsentation eines möglichst hochaffinen Antigens, eine Kostimulation durch akzessorische Moleküle an
APC und eine Unterstützung durch T-Helferzellen vom TH1-Typ erforderlich. Damit kann ein T-Lymphozyt prinzipiell sämtliche, auch intrazelluläre Antigene von Tumorzellen erkennen, die vom Immunsystem als fremd eingestuft werden. Eine durch professionelle APC bereits aktivierte T-Zelle kann entsprechende Antigene auch an HLA-Molekülen von Tumorzellen erkennen und diese im direkten Kontakt durch zytotoxische Mechanismen (Granzym B) töten. Zum Schutz von körpereigenem Gewebe vor einer Autoaggression durch zytotoxische T-Zellen wird das Immunsystem zentral im Thymus »geschult« (zentrale Toleranz), indem T-Zellen mit Spezifität gegen Selbst eliminiert werden. Auch nach Verlassen des Thymus werden reife T-Zellen durch antigenspezifische Hemmmechanismen (periphere Toleranz), Antagonisten von kostimulatorischen Molekülen (CTLA4) und inhibitorische Zytokine an der Zerstörung von eigenem Gewebe gehindert. Diese zur Verhinderung von Autoimmunität sinnvollen Mechanismen sind eine wesentliche Ursache für eine geringe Effektivität einer gegen Tumorzellen gerichteten zytotoxischen T-Zellanwort bei vielen spontan entstandenen Tumorerkrankungen. Eine tumorspezifische Immuntherapie kann nur gegen Tumorzellen erfolgversprechend sein, die ein neu erworbenes oder mutiertes Antigen präsentieren, gegen das keine immunologische Toleranz besteht.
25.1.2 Tumorantigene Antigene an Tumorzellen, die als Zielstrukturen für eine spezifische Immuntherapie in Frage kommen, können 4 spezifisch für Tumorzellen sein (tumorspezifische Antigene, TSA) 4 überwiegend an Tumorzellen exprimiert sein (tumorassoziierte Antigene, TAA) oder 4 ubiquitär vorhanden, aber an Tumorzellen überexprimiert sein. Cancer/Testis-Antigene. Cancer/Testis (CT)-Antigene stellen
eine große Familie von TAA dar, die normal nur im Hoden und der Plazenta bzw. in embryonalen Zellen exprimiert werden. Diese Gewebe exprimieren keine HLA-Moleküle und können deshalb nicht mit T-Zellen reagieren. Als erstes Gen dieser Familie wurde an einer Melanomzelllinie MAGE-1 identifiziert. Antigene der MAGE-Genfamilie können in Melanomen, Mamma-, Prostata- und Ösophaguskarzinomen nachgewiesen werden. Durch demethylierende Substanzen, wie 5-Azacytidine, kann die Expression dieser TAA hochreguliert werden. NY-ESO-1 stellt ein weiteres, breit exprimiertes CT-Antigen dar, das in etwa einem Drittel der Mammakarzinome, Prostatakarzinome und malignen Melanome, aber auch beim mulitplen Myelom gefunden wird (Jäger et al. 1998). Aufgrund der geringen Toleranzentwicklung gegen CT-Antigene und der breiten Expression an großen Tumorentitäten stellen diese Moleküle ein attraktives Ziel für eine T-Zell-vermittelte Immuntherapie dar. Melanozytendifferenzierungsantigene. Melanozytendiffe-
renzierungsantigene (MDA) sind an Melanomzellen und an
279 25.1 · Prinzipien der Tumorimmunlogie
normalen Melanozyten der Haut und der Retina exprimiert. Auch an Gliazellen und an normalem Hirngewebe können MDA auf einem niedrigen Niveau nachgewiesen werden. Gegen die Vertreter dieser Gruppe MART-1/Melan-A, Tyrosinase und gp100 können bei Melanompatienten vermehrt reaktive T-Zellen gefunden werden. Antigene, die in Tumorzellen überexprimiert werden. Auch
Genprodukte, die in Normalgewebe nur in geringem Maße, aber in Tumorzellen überexprimiert werden, können Epitope für zytotoxische T-Zellen mit relativer Tumorspezifität bilden. FGF-5 wurde zunächst an Nierenkarzinomzellen, PRAME an Melanomzellen nachgewiesen. Beide Proteine werden aber auch im Mammakarzinom und Prostatakarzinom exprimiert. Auch gegen den EGF-Rezeptor HER2, der an Subpopulationen von Mammakarzinomen, aber auch von Magen- und Bronchialkarzinomen detektierbar ist, können reaktive zytotoxische T-Zellen generiert werden (Conrad et al. 2008). Mutierte Genprodukte von Tumorzellen. Häufig sind er-
worbene genetische Veränderungen für maligne biologische Eigenschaften von Tumorzellen verantwortlich. Durch Mutationen oder Translokationen veränderte Genprodukte stellen deshalb auch potenzielle TSA als Zielstruktur für eine Immuntherapie dar, sofern die entsprechenden Peptide über HLA präsentiert werden können. Als in der Tumorentstehung neu formierte Proteine besteht gegen mutierte Genprodukte keine immunologische Toleranz, sodass effektive zytotoxische T-Zellen generiert werden können. Dabei kann es sich um seltene individuelle Mutationen handeln, wie für eine Mutation von CDK4 bei einem Melanompatienten beschrieben. Prinzipiell können aber auch rekurrente, tumorspezifische Genveränderungen, wie das CML-spezifische Fusionsgenprodukt bcr-abl, als Ziel einer Immuntherapie dienen. Virale Antigene. Die Integration von viralen Onkogenen
spielt als direkter oder indirekter kanzerogener Faktor nur in wenigen Tumorerkrankungen eine Rolle. Beispiele für eine virusinduzierte Onkogenese sind das Epstein-Barr-Virus bei Hodgkin-Lymphomen und nasopharyngealen Karzinomen, Human-Papilloma-Virus (HPV 16 und 18) bei genitalen Karzinomen und Hepatitis-Virus B und C beim hepatozellulären Karzinom. Da das menschliche Immunsystem gegen Virusinfektionen eine effektive und robuste Immunantwort zu induzieren vermag, sind virale Antigene in diesen Tumorerkrankungen attraktive Zielstrukturen für eine tumorspezifische Immuntherapie.
25.1.3 Beeinflussung einer Immunantwort
durch Tumore Immunogenität und Immunüberwachung Zahlreiche Argumente sprechen für eine Rolle des Immunsystems in der natürlichen Kontrolle von Tumorerkrankungen. Mikrobielle Pathogene lösen zunächst eine durch das angeborene Immunsystem vermittelte inflammatorische Reaktion
aus, die eine unspezifische T-Zellaktivierung zur Folge hat. Dieses »Gefahrensignal« ist von essenzieller Bedeutung, um eine effektive antigenspezifische Immunantwort zu induzieren. Es wurde zunächst argumentiert, dass diese inflammatorische Komponente bei einer Immunantwort gegen Tumorzellen fehlt und dadurch anstatt einer Aktivierung eine Anergie gegenüber dem Tumorantigen ausgelöst werden kann. Tatsächlich scheinen aber vor allem sterbende Tumorzellen proinflammatorische Signale wie Hitzschockproteine freizusetzen oder, wie für die Tumorantigene CEA, MUC1 und NY-ESO-1 gezeigt, das angeborene Immunsystem zu stimulieren und damit ein immunaktivierendes Gefahrensignal auszulösen (Russell et al. 2004). Eine wichtige Erklärung für eine wenig effiziente Immunantwort gegen Tumorzellen ist das Tumorantigen-Epitop selbst. Es handelt sich häufig um Selbstantigene, die an HLAMoleküle mit geringer Affinität binden und deshalb periphere T-Lymphozyten ungenügend aktivieren. Tumorzellen können dem Immunsystem auch durch einen Defekt in der Präsentation des entsprechenden Antigens verborgen bleiben oder entkommen (»Tumor-escape«-Mechanismen). Mutationen von HLA-I-Genen, der invariablen Kette von HLA-I-β2-Mikroglobulin oder der Transportermoleküle TAP2/LMP7 wurden in primären und metastasierten Tumorzellen nachgewiesen, was zu einem Verlust einer adäquaten Antigenpräsentation führte (Garrido u. Algarra 2001). Auch der Verlust eines Tumorantigens in Subklonen des Tumors stellt einen relativ häufigen Mechanismus eines Tumor-Escape dar. Andererseits findet sich sowohl in Tiermodellen als auch aus klinischen Beobachtungen überzeugende Evidenz für eine wirksame Kontrolle von Tumorwachstum durch das Immunsystem (Immunosurveillance). In einer retrospektiven Analyse einer großen Kohorte von Patienten nach Herz- und/oder Lungentransplantation fand man unter dem Einfluss der Immunsuppression eine 7,1-fach erhöhte Inzidenz von Tumorerkrankungen. Am häufigsten traten Leukämien und Lymphome (gegenüber Normalbevölkerung 26,2-fach erhöht), Kopf-Hals-Tumoren (21-fach erhöht) und Lungenkrebs (9,3-fach erhöht) auf (Roithmaier et al. 2007). Bei nichtimmunsupprimierten Patienten wurde in mehreren Tumorentitäten eine Korrelation zwischen dem Ausmaß der lymphatischen Infiltration im primären Tumorgewebe und einem günstigen klinischen Verlauf gezeigt (Galon et al. 2006; Sharma et al. 2007; Zhang et al. 2003).
Mechanismen der Immunsuppression durch Tumoren Tumoren können durch systemische Wirkung oder durch Beeinflussung des Mikromilieus eine Immunantwort unterdrücken. Immunsupprimierende Faktoren, die von Tumorzellen produziert werden, umfassen »transforming growth factor β« (TGF-β), Interleukin 10 (IL-10), solublen Fas-Ligand und das Enzym Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) (Houston et al. 2003; Uyttenhove et al. 2003). Im Tumormikromilieu spielt die Infiltration von inhibitorischen regulatorischen T-Zellen (Treg) mit dem Phänotyp CD4+, CD25+, Fox-P3+ eine wichtige Rolle für eine Modulation der T-Zellantwort (Zou 2006). Treg unterdrücken die natürliche T-Zellimmunität und be-
25
280
Kapitel 25 · Immuntherapie
hindern eine T-Zell-vermittelte Immuntherapie durch Vakzinierung oder adoptiven T-Zelltransfer.
25.2
25
Immuntherapie von Tumoren
25.2.1 Antigenunabhängige Therapie
mit Zytokinen Unter zahlreichen immunstimulierenden Zytokinen erreichten nur Interferon-α (IFN-α) und Interleukin 2 (IL-2) die Zulassung für die Behandlung von Tumorerkrankungen.
Das äußerst pleiotrope IFN-α besitzt immunmodulatorische, antiproliferative, apoptotische, antiangiogenetische und differenzierende Eigenschaften in unterschiedlichen Tumoren. Beim metastasierten malignen Melanom wurden in kleineren Studien Ansprechraten um 20% beschrieben. Im klinischen Alltag liegen die Erfolgsraten in unselektionierten Patienten jedoch wohl deutlich niedriger. Eine Kombination mit IL-2 führte in manchen Studien zu einer höheren Remissionsrate, allerdings ohne signifikante Auswirkung auf die Überlebenszeit der Patienten. Hochdosiertes IFN-α wird bei Patienten mit Melanom mit hohem Rezidivrisiko in der adjuvanten Therapie eingesetzt. Beim Nierenzellkarzinom verlor nach Einführung der Kinaseinhibitoren Sunitinib und Sorafenib die IFN-Monotherapie ihren Stellenwert. Bevacizumab ist in Kombination mit Interferon für die Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms zugelassen. IL-2 spielt eine zentrale Rolle in der T-Zellproliferation. Eine durch ausgeprägte systemische Nebenwirkungen belastete Therapie mit hochdosiertem IL-2 führt bei metastasiertem Melanom und Nierenzellkarzinom bei einer Subpopulation von Patienten zu objektiver Tumorrückbildung. In einer retrospektiven Analyse lag die objektive Remissionsrate bei metastasierten Melanompatienten bei 16%. Interessanterweise waren 59% der Patienten, die eine komplette Remission erreichten, nach 7 Jahren noch progressionsfrei (Atkins et al. 1999). Auch bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom wird vereinzelt Langzeitüberleben nach Erreichen einer kompletten Remission beschrieben. Diese Beobachtungen werden als Argumente für das therapeutische Potenzial einer Immuntherapie angeführt, das bis zur Heilung von fortgeschrittenen Tumorerkrankungen reichen kann.
25.2.2 Strategien zur Überwindung von
tumorinduzierter Immunsuppression Die Induktion von Autoimmunphänomenen, wie Vitiligo oder die Entwicklung von antithyreoidalen Autoantikörpern stellen bekannte günstige Prognosefaktoren bei Melanompatienten unter Zytokintherapie dar (Boasberg et al. 2006; Gogas et al. 2006). Deshalb erscheinen Strategien zur Überwindung von immunologischer Toleranz für die Entwicklung einer effek-
tiven Immuntherapie gegen Tumoren von Bedeutung. Eine verbesserte Präsentation von TAA und die Induktion von kostimulatorischen Molekülen können durch Aktivierung von dendritischen Zellen über Agonisten von CD40 oder des Tolllike-Rezeptor 9 (TLR9) erreicht werden (Krieg 2006). Eine andere vielversprechende Möglichkeit ist die Antagonisierung des immunsuppressiven Moleküls »cytotoxic T-lymphocyte-associated antigen-4« (CTLA-4) durch monoklonale Antikörper. Mit den Anti-CTLA-4-Antikörpern Tremelimumab und Ipilimumab wurden bereits in frühen klinischen Studien klinisch relevante Effekte bei Patienten mit malignem Melanom und Nierenzellkarzinom beobachtet, die mit der Induktion von Autoimmunphänomenen, wie Enterokolitis, Hypophysitis und Dermatitis assoziiert waren (Ribas et al. 2005). Unter einer Monotherapie mit Ipilimumab wurden bei Melanom- und Nierenzellkarzinompatienten objektive Ansprechraten von 14% berichtet, Patienten mit Enterokolitis sprachen signifikant häufiger an als Patienten ohne diese Nebenwirkung (36% versus 11%; Beck et al. 2006). Die Substanzen werden derzeit in Phase-III-Studien in Kombination mit Peptidvakzinen oder Zytostatika in unterschiedlichen Tumoren, wie Melanom, Nierenzellkarzinom und Bronchialkarzinom geprüft.
25.2.3 Antigenspezifische Immuntherapie
Vakzinierung gegen Tumorantigene Ziel einer aktiven Immuntherapie ist die Generierung von tumorspezifischen, zytotoxischen T-Zellen im Patienten. Voraussetzung ist eine Präsentation von TAA durch professionelle APC über HLA-Moleküle, wodurch eine effektive und nachhaltige T-Zellantwort hervorgerufen und eine dauerhafte Tumorkontrolle erreicht werden soll. Unterschiedliche Vorgehensweisen wurden aufgrund von immunologischen Erkenntnissen entwickelt und in klinischen Studien geprüft: Peptid- oder proteinbasierte Vakzinen. Peptidsequenzen
von Tumorantigenen mit Spezifität für bestimmte HLA-Subtypen werden gemeinsam mit einem Adjuvans meist intrakutan injiziert. Aufgrund der Häufigkeit von HLA-A2 in der Bevölkerung von ca. 50% werden Peptide präferenziell mit Spezifität für diesen HLA-Typ ausgewählt. Die Peptide sollen in vivo durch dendritische Zellen aufgenommen und in Lymphknoten transportiert werden, wo dann eine T-Zellantwort ausgelöst werden soll. Peptide gegen verschiedene Epitope eines Antigens oder gegen mehrere Antigene können gemeinsam verabreicht werden, um eine breitere Immunreaktion auszulösen und Tumor-Escape zu verhindern. Vorteil dieser Methode ist eine relativ breite Anwendbarkeit ohne individuelle Aufbereitung von Tumorgewebe. Die Effektivität einer durch Tumorvakzinen ausgelösten Immunantwort kann durch den Nachweis einer Expansion von peptidspezifischen T-Lymphozyten mittels ELISPOT oder Tetramer-Technologie im peripheren Blut geprüft werden. Der Vorteil von peptidbasierten Vakzinen liegt in der klaren Definition eines oder mehrerer Zielantigene. Nachteile sind die Restriktion auf bestimmte HLA-Typen des Patienten und die Beschränkung auf
281 25.2 · Immuntherapie von Tumoren
relativ wenige immunogene Zielstrukturen. Eine Alternative zur Peptidvakzine ist die Vakzinierung mit cDNA, die für die gesamte Länge des Tumorantigens kodiert. Das aus der cDNA umgeschriebene Protein kann in Antigen-präsentierenden Zellen des Patienten geschnitten und ohne HLA-Restriktion individuell präsentiert werden. Tumorzellvakzinen. Die Verwendung von Tumorzelllysaten
als Vakzine bietet potenzielle Vorteile gegenüber Peptiden. Das Immunsystem kann gegen multiple, auch nicht näher definierte Antigene aktiviert werden. Die Impfung mit lysierten allogene Tumorzelllinien als Zelltherapeutikum erlaubt eine breitere und unkomplizierte Anwendung in unselektionierten Patienten. Autologe Tumorzellpräparationen bieten den zumindest theoretischen Vorteil einer hoch individualisierten Immuntherapie, die die Aktivierung des Immunsystems gegen seltene, patientenspezifische immunogene Mutationen ermöglicht. Dendritische Zellvakzinen. Ziel einer Vakzinierung mit den-
dritischen Zellen (DZ) ist eine bessere Standardisierung einer tumorspezifischen Immunantwort. Aus peripheren mononukleären Zellen können in vitro durch Inkubation mit Zytokinen zunächst unreife DZ in großer Zahl gewonnen werden, die dann in funktionelle DZ ausgereift werden. Nach Beladung der reifen DZ mit HLA- I und II restringierten tumorspezifischen Peptiden oder auch Zelllysaten in vitro erfolgt die subkutane Applikation der dendritischen Zellvakzine in definierter Dosierung. Der höhere technische und regulatorische Aufwand für die Herstellung von dendritischen Zellvakzinen wird durch die erhoffte höhere Effektivität und Reproduzierbarkeit einer spezifischen Immunantwort gerechtfertigt. Rekombinante Vakzinen. Mittels viraler Genvektoren kön-
nen Gene, die für ein gesamtes Tumorantigen oder immunologisch relevante T-Zellepitope kodieren, in Antigen-präsentierenden Zellen exprimiert werden. Diese Methode bietet den Vorteil fehlender HLA-Restriktion. Allerdings kompetiert das durch Gentransfer exprimierte Tumorantigen mit den deutlich stärker immunogenen viralen Epitopen des Vektors, was offenbar zu einer Dominanz der Immunantwort gegen den Genvektor führt. Durch Transfer von Tumorzell-RNA kann wie bei Tumorzelllysaten eine Patienten-individuelle Expression von Antigenen erreicht werden, gegen die potenziell keine immunologische Toleranz besteht. Die Gentechnologie kann auch dazu verwendet werden, die Immunantwort gegen Tumorantigene durch den Gentransfer von kostimulatorischen Molekülen oder von proinflammatorischen Zytokinen in Tumorzellen zu verstärken (Kaufman et al. 2006). Klinische Wirksamkeit von Tumorvakzinen. Die bisherigen
Ergebnisse von therapeutischer Immunisierung waren enttäuschend. In den meisten klinischen Studien konnte eine Expansion von T-Lymphozyten mit Reaktivität gegen das entsprechende Tumorpeptid nachgewiesen werden, was als Hinweis für eine erfolgreiche Immuntherapie gewertet wurde. Allerdings war dieser immunologische Biomarker nicht prädiktiv für ein objektives klinisches Ansprechen. Es konnte bei
vereinzelten Patienten die Regression von individuellen Metastasen beobachtet werden, während Tumorherde an anderen Lokalisationen progredient waren. Initiale Erfolge konnten in größeren randomisierten Studien nicht bestätigt werden. In einer am amerikanischen National Cancer Institute (NCI) durchgeführten Zusammenfassung der Ergebnisse von 1306 Vakzinetherapien wurde eine objektive Ansprechrate von nur 3,3% beobachtet (Rosenberg et al. 2004), die von der Art der Vakzinetherapie unabhängig war. Weder Kombinationen von über 20 Tumorantigenen noch die Verwendung von allogenen Tumorlysaten zeigten in randomisierten Studien eine Verbesserung der Ansprechraten oder des Überlebens gegenüber einer Kontrollgruppe (Kirkwood et al. 2008; Mitchell 1998; Smith et al. 2008). Auch die Therapie von metastasierten Melanompatienten mit peptidbeladenen DZ zeigte im randomisierten Vergleich keinen Vorteil gegenüber einer DTIC-behandelten Kontrollgruppe, mit Remissionsraten von jeweils 3,8% und 5,5% (Schadendorf et al. 2006). Die meisten Studien wurden in Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung durchgeführt, sodass eine tumor- oder therapiebedingte Immunsuppression als Argument für diese Misserfolge diskutiert wurde. Aber auch bei adjuvant behandelten, immunkompetenten Patienten brachte die Vakzinierung gegenüber dem Kontrollarm keine Verbesserung, im Gegenteil wurde in manchen Studien sogar eine Verschlechterung der Überlebensraten berichtet (Eggermont 2009; Sosman et al. 2008). Interessanterweise wurde in einer Zusammenfassung von zwei identischen Immuntherapiestudien bei fortgeschrittenem Prostatakarzinom eine um 33% reduzierte Todesrate für Patienten berichtet, die mit Sipuleucel-T behandelt wurden. In diesem Produkt werden autologe APC mit einem Fusionsprotein, bestehend aus Prostata-spezifischer saurer Phosphatase und Granulozyten-Makrophagen-Kolonien-stimulierendem Faktor (GM-CSF) beladen (Higano et al. 2009).
Adoptiver Transfer von tumorspezifischen T-Zellen Bei einer zellbasierten Immuntherapie werden zunächst Immunzellen in vitro stimuliert und expandiert. Anschließend werden große Mengen von autologen, tumorreaktiven T-Lymphozyten meist in Kombination mit Zytokinen zurück in den Patienten transferiert. Tumorreaktive T-Zellen aus dem peripheren Blut müssen aufgrund ihrer geringen Frequenz mit Tumorantigen in vitro stimuliert werden (Meyer zum Buschenfelde et al. 2000). In tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL), gewonnen aus autologem Tumormaterial, findet in vivo eine Anreicherung von tumorreaktiven T-Zellen statt, sodass bei Verwendung von TIL eine unspezifische T-Zellstimulation eine effektive und raschere Expansion des Zelltherapeutikums ermöglicht. Frühe klinische Studien zeigten eine gewisse klinische Effektivität, allerdings war die Persistenz der transferierten T-Zellen limitiert (Rosenberg et al. 1994). Die Effizienz einer Therapie mit autologen tumorspezifischen T-Lymphozyten kann durch eine vorangehende Lymphozyten-depletierende, nicht myeloablative Chemotherapie mit Fludarabin und Cyclophosphamid dramatisch verbessert werden. Durch diese Konditionierung können offenbar inhi-
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282
25
Kapitel 25 · Immuntherapie
bitorische Zellpopulationen wie regulatorische T-Zellen eliminiert werden und »Raum« für die transferierten TIL geschaffen werden. Unter diesem proliferativen Selektionsdruck können bis zu 80% der zirkulierenden Lymphozyten durch TIL gebildet werden. Die klinische Wirksamkeit wurde mit einer eindrucksvollen objektiven Remissionsrate von 51% (3/35 CR, 15/35 PR) dokumentiert (Dudley et al. 2005).
25.3
Monoklonale Antikörper
Monoklonale Antikörper (mAK) als Wirkstoff in der Tumortherapie müssen dem humanen Immunglobulinmolekül weitestgehend entsprechen, um die Bildung von neutralisierenden Anti-Maus-Antikörpern bei mehrmaligen Therapiezyklen zu verhindern. Dies kann durch »Humanisierung« eines in der Maus generierten Antikörpers erfolgen, d. h. bei humanisierten Antikörpern werden außer der das spezifische Epitop bindenden Region in der variablen Kette alle murinen Bestandteile durch ein humanes Immunglobulingerüst ersetzt. Humane Antikörper werden durch rekombinante Technologien vollständig synthetisch hergestellt. Zur Verbesserung von Funktion und Pharmakokinetik werden derzeit diverse Varianten von Antikörpermolekülen konstruiert und in klinischen Studien geprüft. Durch Reduktion auf die spezifische, variable Region (z. B. Fab-Fragment) des Antikörpermoleküls kann durch die geringere Molekülgröße eine verbesserte Penetranz in das Gewebe erreicht werden. Bispezifische Antikörper kombinieren die (Tumor-)Antigen-bindende Kette mit einer ein T-Zellepitop bindenden Kette der variablen Region. Dadurch kann nach spezifischer Bindung des Antikörpers an die Tumorzelle in deren direktem Umfeld eine unspezifische T-Zellaktivierung induziert werden, die eine zytotoxische Immunantwort verstärken soll (Baeuerle u.Reinhardt 2009). Antikörper können als molekular spezifisches Therapeutikum direkt durch Bindung an ein pathophysiologisch relevantes Molekül dessen Aktivität neutralisieren. Beispiele für in der Klinik etablierte funktionell inhibitorische Antikörper sind Bevacizumab (Anti-VEGF), Trastuzumab (Anti-HER2) sowie Cetuximab und Panitumumab (Anti-EGFR). Als Immuntherapeutikum im engeren Sinne kann ein mAK durch Bindung an ein Epitop an Tumorzellen durch Auslösung einer immunologischen Reaktion zum Zelltod führen.
Monoklonale Antikörper als Immuntherapeutikum Mehrere monoklonale Antikörper sind in der Onkologie im Sinne einer passiven Immuntherapie etabliert (Weiner et al. 2009). Im Gegensatz zur zellulären Immuntherapie ist eine Massenproduktion von mAK und somit eine Anwendung an großen Patientenpopulationen möglich. Voraussetzung ist lediglich die Expression des Antigens an der Zelloberfläche der Tumorzellen. Idealerweise sollte das Antigen auf die Tumorpopulation beschränkt sein, um eine Schädigung von normalem Gewebe durch den mAK zu vermeiden. Meist ist das Zielantigen von therapeutisch genutzten Antikörpern jedoch an Tumorzellen lediglich überexprimiert oder es ist ein Marker einer Zelllinie, der auch die Tumorzellpopulation
angehört, sodass lediglich eine relative Tumorselektivität besteht. EPCAM (»epithelial cell adhesion molecule«, CD 326) ist an normalem Epithelzellen der unterschiedlichsten Gewebstypen nachweisbar, wird jedoch in zahlreichen Tumoren überexprimiert. Während der mAK Edrecolomab in der adjuvanten Therapie des Kolonkarzinoms keine reproduzierbare Effektivität zeigte (Fields et al. 2009), wurde der bispezifische Antikörper Catumaxomab (Anti-EPCAM + Anti-CD3) vor kurzem für die intraperitoneale Therapie von malignem Aszites zugelassen(Strohlein et al. 2009). Der gegen das pan-B-Zell-Antigen CD20 gerichtete mAK Rituximab stellt, obwohl nicht Lymphom-spezifisch, in Kombination mit zytotoxischer Chemotherapie mittlerweile den modernen Standard in der Therapie sämtlicher reifzelliger B-Zelllymphome dar (Winter u.Hancock 2009). Während normale B-Lymphozyten nach Therapie mit Rituximab aus der CD20-negativen Prä-B-Zellpopulation regenerieren, haben aus reifen B Zellen transformierte Lymphome diese Möglichkeit der Repopulation nicht, sodass eine relative Tumorspezifität gegen B-Zelllymphome besteht. Der zytotoxische Wirkmechanismus einer Antikörpertherapie ist heterogen: 4 Durch Bindung des mAK an das Antigen kann in der Zielzelle direkt Apoptose induziert werden. 4 Der Fc-Anteil der konstanten Region des Antikörpermoleküls kann über Aktivierung des Komplement-Systems (»complement-dependent cytotoxicity«, CDC) Zelltod induzieren. 4 Ein wesentlicher zytotoxischer Mechanismus erfolgt durch Aktivierung von Immunzellen, wie Monozyten, Granulozyten und natürliche Killerzellen, deren Fc-Rezeptor an die FC-Region des mAK bindet (»antibodydependent cellular cytotoxicity«, ADCC). Durch Konjugation des mAK mit einem Radionuklid oder einem Toxin kann die zytotoxische Wirkung des Antikörpers weiter verstärkt werden. Ob die hier geschilderten Immunmechanismen die Wirksamkeit von inhibitorischen mAK verstärken können, ist unklar. So kann beispielsweise nach Versagen eines EGFR-Kinase-Inhibitors (Gefitinib, Erlotinib) mit dem Anti-EGFR-Antikörper Cetuximab vereinzelt eine therapeutische Wirkung erzielt werden, was für EGFR-unabhängige Mechanismen sprechen kann. Andererseits ist Cetuximab bei K-RAS mutiertem Kolonkarzinom völlig unwirksam, obwohl der Antikörper an die Tumorzellen gebunden wird. Dies wiederum spricht gegen eine wesentliche immuntherapeutische Wirkung von Cetuximab bzw. Panitumumab (Capdevila et al. 2009).
25.4
Ausblick
Die geringe Effektivität von Tumorvakzinen dürfte nicht wesentlich durch weitere Modifikationen der immunogenen Zielstrukturen verbessert werden können. Die größten Hoffnungen liegen in der Antagonisierung von inhibitorischen Molekülen (CTLA-4) sowie in der Kombination mit unspezifischen Immunstimulatoren (TLR-Agonisten) zur Durchbre-
283 25.4 · Ausblick
chung er Immuntoleranz. Der adoptive Transfer von tumorspezifischen T-Zellen (TIL) kann durch die Expression eines rekombinanten T-Zellrezeptors und durch ein effektives und sicheres immunablatives Regime signifikant verbessert werden. Für eine breite therapeutische Nutzung werden Optimierungsprozesse im Herstellungsprozess von Zelltherapeutika unabdingbar sein. Die Therapie mit monoklonalen Antikörpern hat sich in den letzten Jahren auf breiter Ebene in der Tumortherapie etabliert. Modifikationen des Antikörpermoleküls zur Verbesserung pharmakologischer und immunologischer Eigenschaften, bispezifische Antikörper und Konjugation mit zytotoxischen Substanzen wie Radionukliden oder Toxinen werden das therapeutische Spektrum weiter optimieren. Literatur Atkins MB, Lotze MT, Dutcher JP, Fisher RI, Weiss G, Margolin K, Abrams J, Sznol M, Parkinson D, Hawkins M, Paradise C, Kunkel L, Rosenberg SA (1999) High-dose recombinant interleukin 2 therapy for patients with metastatic melanoma: analysis of 270 patients treated between 1985 and 1993. J Clin Oncol 17: 2105–2116 Baeuerle PA, Reinhardt C (2009) Bispecific T-cell engaging antibodies for cancer therapy. Cancer Res 69: 4941–4944 Beck KE, Blansfield JA, Tran KQ, Feldman AL, Hughes MS, Royal RE, Kammula US, Topalian SL, Sherry RM, Kleiner D, Quezado M, Lowy I, Yellin M, Rosenberg SA, Yang JC (2006) Enterocolitis in patients with cancer after antibody blockade of cytotoxic T-lymphocyteassociated antigen 4. J Clin Oncol 24: 2283–2289 Boasberg PD, Hoon DS, Piro LD, Martin MA, Fujimoto A, Kristedja TS, Bhachu S, Ye X, Deck RR, O‘Day SJ (2006) Enhanced survival associated with vitiligo expression during maintenance biotherapy for metastatic melanoma. J Invest Dermatol 126: 2658–2663 Capdevila J, Elez E, Macarulla T, Ramos FJ, Ruiz-Echarri M, Tabernero J (2009) Anti-epidermal growth factor receptor monoclonal antibodies in cancer treatment. Cancer Treat Rev 35: 354–363 Conrad H, Gebhard K, Kronig H, Neudorfer J, Busch DH, Peschel C, Bernhard H (2008) CTLs directed against HER2 specifically crossreact with HER3 and HER4. J Immunol 180: 8135–8145 Dudley ME, Wunderlich JR, Yang JC, Sherry RM, Topalian SL, Restifo NP, Royal RE, Kammula U, White DE, Mavroukakis SA, Rogers LJ, Gracia GJ, Jones SA, Mangiameli DP, Pelletier MM, Gea-Banacloche J, Robinson MR, Berman DM, Filie AC, Abati A, Rosenberg SA (2005) Adoptive cell transfer therapy following non-myeloablative but lymphodepleting chemotherapy for the treatment of patients with refractory metastatic melanoma. J Clin Oncol 23: 2346–2357 Eggermont AM (2009) Immunotherapy: Vaccine trials in melanoma – time for reflection. Nat Rev Clin Oncol 6: 256–258 Fields AL, Keller A, Schwartzberg L, Bernard S, Kardinal C, Cohen A, Schulz J, Eisenberg P, Forster J, Wissel P (2009) Adjuvant therapy with the monoclonal antibody Edrecolomab plus fluorouracilbased therapy does not improve overall survival of patients with stage III colon cancer. J Clin Oncol 27: 1941–1947 Finn OJ (2008) Cancer immunology. N Engl J Med 358: 2704–2715 Galon J, Costes A, Sanchez-Cabo F, Kirilovsky A, Mlecnik B, LagorcePages C, Tosolini M, Camus M, Berger A, Wind P, Zinzindohoue F, Bruneval P, Cugnenc PH, Trajanoski Z, Fridman WH, Pages F (2006) Type, density, and location of immune cells within human colorectal tumors predict clinical outcome. Science 313: 1960–1964 Garrido F, Algarra I (2001) MHC antigens and tumor escape from immune surveillance. Adv Cancer Res 83: 117–158
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25
284
25
Kapitel 25 · Immuntherapie
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26 26
Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie H. Geinitz, B. Röper, M. Molls
26.1
Einführung
– 286
26.2
Physikalische, technische und biologische Grundlagen der Strahlentherapie – 287
26.2.1 26.2.2 26.2.3
Strahlenarten – 287 Tele- und Brachytherapie – 288 Biologische Wirkung und Einfluss-größen
26.3
Grundlagen der Kombination von Strahlenund Chemotherapie – 289
26.3.1
Interaktion von Strahlen- und Chemotherapie
26.4
Strahlentherapie und biologisch zielgerichtete Therapeutika
26.5
Ablauf der Strahlentherapie
26.5.1 26.5.2 26.5.3
Indikationsstellung – 291 Zielvolumendefinition und Bestrahlungsplanung – 291 Durchführung einer fraktionierten Strahlentherapie – 293
– 288
– 289
– 291
26.6
Strahlentherapie in kurativer Intention – 294
26.6.1 26.6.2 26.6.3 26.6.4
Primäre Strahlentherapie – 294 Primäre Radio-/Chemotherapie – 294 Neoadjuvante und adjuvante Strahlen- oder Radio-/Chemotherapie Intraoperative Strahlentherapie – 296
26.7
Strahlentherapie in palliativer Intention
26.7.1 26.7.2 26.7.3
Hirnmetastasen – 296 Leber- und Lungenmetastasen Knochenmetastasen – 297
26.8
Akute Nebenwirkungen und Spätreaktionen
26.8.1 26.8.2
Akute Nebenwirkungen der Strahlentherapie Spätfolgen der Strahlentherapie – 297
26.9
Nachsorge
26.10
Ausblick Literatur
– 298 – 298
– 298
– 290
– 296
– 297
– 297
– 297
– 294
286
26
Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
> Eine kurative oder palliative Strahlenbehandlung erhalten 60–70% aller Krebskranken. In der Abtötung von Tumorzellen ist die Strahlentherapie hoch effizient (. Abb. 26.1 und . Abb. 26.2). Sie kann als alleinige Therapieform oder in Kombination mit der Chemotherapie, solide Tumoren definitiv vernichten und damit heilen. Bei den gastrointestinalen Tumoren sind hier insbesondere das Ösophaguskarzinom und das Analkarzinom zu nennen. Der wesentliche Beitrag der Strahlentherapie im Rahmen kurativer und multimodaler Behandlungskonzepte besteht in der Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle. Mehrere hochrangige Publikationen zeigen, dass höhere lokoregionale Kontrollen zu einer Steigerung der Überlebensraten führen (Ragaz et al. 1997; Overgaard et al. 1997; Pahlman et al. 1997; Baumann et al. 2009). Unter Anwendung moderner hochkonformaler Strahlentherapietechniken ist die Radiotherapie bzw. Radio-/Chemotherapie gut tolerabel. Neueste Techniken im Bereich der Hochpräzisionsstrahlentherapie (intensitätsmodulierte Strahlentherapie, stereotaktische Strahlentherapie, bildgeführte Strahlentherapie) haben zu einer Ausweitung der Indikation für die Strahlentherapie geführt, insbesondere bei der Behandlung inoperabler nicht-kleinzelliger Bronchialkarzinome im Stadium I + II sowie einzelner Lungen- und Lebermetastasen. Hier kann nach Anwendung der stereotaktischen hochdosierten Strahlentherapie eine lange lokale Kontrollrate und – insbesondere beim Bronchialkarzinom – eine Heilung des Patienten erreicht werden.
26.1
Einführung
Die Strahlentherapie findet Anwendung bei so gut wie allen malignen Erkrankungen des Erwachsenen und Kindesalters. Dieses gilt vor allen Dingen für die häufigen soliden Tumoren, aber auch für die selteneren Systemerkrankungen der lympha. Abb. 26.2. Die Abbildung erklärt den Unterschied in der Wirksamkeit der Zellvernichtung zwischen Strahlen- und Chemotherapie (. Abb. 26.1). Dargestellt ist ein histologischer Schnitt durch ein Plattenepithelkarzinom (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. W. Müller-Klieser, Mainz). Die unterschiedlichen Färbungen repräsentieren die biologische Heterogenität des soliden Tumors
. Abb. 26.1. Der Unterschied in der quantitativen Zellabtötung zwischen Strahlentherapie und Chemotherapie. Verglichen mit der Operation oder einer fraktionierten Strahlenbehandlung bewirken 6 Zyklen einer Chemotherapie (Pfeile) eine deutlich geringere Zellvernichtung. Während ein mikroskopischer Tumor durch Chemotherapie (ChT) erfolgreich behandelt werden kann (untere Chemotherapiekurve), zeigt die klinische Beobachtung, dass die makroskopischen soliden Tumoren (Ausnahme: Hodentumoren) bei Medikamententherapie nur vorübergehend auf mikroskopische Größe verkleinert werden. Die gestrichelte Linie unterscheidet zwischen makroskopischen Tumoren (mehr als ca. 5–10 mm Durchmesser: ≥1–10 Millionen Zellen) und mikroskopischen Tumoren. Wie im Insert schematisch dargestellt, liegt der Vorteil der Chemotherapie in simultaner Kombination mit der Radiotherapie (RT) in der Verstärkung der Zellvernichtung im Vergleich zur Strahlentherapie allein
tischen und blutbildenden Gewebe. Gemessen an den Heilungsziffern rangiert die Strahlentherapie hinter der Chirurgie, aber deutlich vor der Chemotherapie. Etwa 50% aller Krebspatienten werden geheilt, nahezu die Hälfte davon durch Strahlentherapie alleine oder in Kombinationsbehandlungen, an denen die Strahlentherapie beteiligt ist (NIH 1992; SBU 1996; Tannock 1998).
287 26.2 · Physikalische, technische und biologische Grundlagen der Strahlentherapie
Die radioonkologische Behandlung erfolgt überwiegend ambulant. Die stationären Behandlungsplätze radioonkologischer Kliniken dienen der Vorbereitung und Einleitung aufwändiger und komplexer Therapieformen, der Begleitbehandlung von polymorbiden Patienten, der gezielten supportiven Behandlung bei intensiven strahlentherapeutischen oder multimodalen Therapiekonzepten, der Durchführung der Radio-/Chemotherapie, der Strahlenbehandlung mit unkonventionellen Fraktionierungsschemata und der Anwendung spezieller Therapietechniken wie der Brachytherapie. Eine fraktionierte Standard-Strahlenbehandlung mit ihren täglichen Applikationen erstreckt sich im Allgemeinen über mehrere Wochen.
26.2
Physikalische, technische und biologische Grundlagen der Strahlentherapie
26.2.1 Strahlenarten In der onkologisch ausgerichteten Strahlentherapie werden am häufigsten Linearbeschleuniger mit Photonenstrahlen hoher Energien (hochenergetische Röntgenstrahlen, 4–20 MeV) verwendet (. Abb. 26.3). Diese Strahlung vermag in den Körper einzudringen. Durch Wechselwirkung mit dem Gewebe schwächt sie sich zur Tiefe hin ab, nur der absorbierte Anteil trägt zur biologischen Wirkung der Strahlentherapie bei und wird als Dosis in Gray (1 Gy=1 J/kg) angegeben. Im Gegensatz zu den genannten locker ionisierenden Photonenstrahlen weisen Neutronen oder Schwerionen viele, dicht benachbarte Wechselwirkungen mit den molekularen Strukturen des Gewebes auf. Sie werden wegen dieses hohen linearen Energietransfers (LET, ein Maß für die Energieabgabe an das Gewebe pro zurückgelegter Wegstrecke) als dicht ionisierende Strahlen bezeichnet. Ihre Erzeugung ist sehr aufwändig und deshalb weltweit nur an wenigen Zentren verfügbar. Der Vorteil am Tumor im Vergleich zu Photonenstrahlen besteht darin, dass Schwerionen und Neutronen bezogen . Abb. 26.3. Moderner Linearbeschleuniger mit Conebeam-CT zur Durchführung der bildgestützten Strahlentherapie (IGRT)
auf die gleiche Dosis bei der Zellabtötung um ein Mehrfaches effizienter sind. Eine physikalische Besonderheit bezüglich ihrer Tiefendosisverteilung zeigen Protonen und Schwerionen. Sie geben auf ihrem Weg durch das Gewebe zunächst nur wenig Energie ab und deponieren dann die gesamte Restenergie in einer bestimmten Tiefe, wodurch – wenn aus einer Richtung bestrahlt wird – das dahinter gelegene Gewebe komplett geschont werden kann. Dieses kann bei enger Lagebeziehung von Tumor und schützenswerten Normalgewebsstrukturen (d. h. NichtTumorgewebe) vorteilhaft sein, z. B. in der Behandlung von Augentumoren. Zu beachten ist, dass dieser Vorteil der Protonen und Schwerionen bei sehr komplexen Lagebeziehungen zwischen zu bestrahlendem Zielvolumen (Tumorgewebe) und gesunden Strukturen nicht immer nutzbar ist. Beispielsweise wird in der Behandlung des Prostatakarzinoms die Pars prostatica der Harnröhre notwendigerweise auch von Protonen oder Schwerionen getroffen. Ähnliches kann für manche Hirntumore – unter anderem Meningeome – gelten, wenn sie gesunde nervale Strukturen umwachsen. Gemessen an der Effizienz der Zellabtötung besteht zwischen Protonen und Photonen kein wesentlicher Unterschied. Die definierte Reichweite der Protonen bzw. Schwerinonen birgt jedoch auch Risiken: so ist die Präzision der Applikation dieser Strahlen im Vergleich zu Photonen sehr viel anfälliger für Lagerungsungenauigkeiten des Patienten und für Dichteunterschiede im bestrahlten Gewebe. Nur geringe Abweichungen in der täglichen Patientenlagerung bzw. in der Lage des zu bestrahlenden Volumens können dazu führen, dass der zu bestrahlende Bereich unzureichend oder gar nicht behandelt wird. Verändert sich während der Behandlung die Dichte des durchstrahlten Gewebes im Vergleich zur Planungssituation (z. B. durch Darmgas, das anstelle des Weichteilgewebes tritt) so kann dieses ebenfalls dazu führen, dass ein großer Teil der Dosis vor dem Tumor (Gewebe mit höherer Dichte als geplant) oder dahinter (Gewebe mit niedrigerer Dichte als geplant) deponiert wird.
26
288
Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
26.2.2 Tele- und Brachytherapie
26
Die perkutane Strahlentherapie eines Patienten am Linearbeschleuniger wird aufgrund der Entfernung zwischen Strahlenquelle und Gewebe als Teletherapie bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird unter Brachytherapie eine Behandlung verstanden, bei der die Strahlenquelle dem zu behandelnden Gewebe unmittelbar anliegt. Verwendet werden radioaktive Quellen bzw. γ-Strahler mit vergleichsweise geringer Energie. So werden hohe Kontaktdosen erzielt mit steilem Dosisabfall in den gesunden Strukturen außerhalb des zu behandelnden Volumens (Zamboglu et al. 2009). Die Brachytherapie wird zumeist unter Anwendung der Afterloading-Technik durchgeführt. Hierzu wird zunächst ein Applikator in das zu behandelnde Hohlraumorgan (Vagina, Uterus, Bronchus, Ösophagus) gebracht und erst dann im »Nachladeverfahren« mit einer radioaktiven Quelle bestückt. Die Bewegung der Quelle aus einem Tresor über Verbindungsstücke in den Applikator und die dortige Verweildauer an bestimmten Haltepositionen wird im Hinblick auf die gewünschte räumliche Dosisverteilung vorausgeplant und vom Computer gesteuert. Analog ist eine interstitielle Tumortherapie durch Spickung mit Hohlnadeln möglich. Bei der Seed-Behandlung mit radioaktiven Isotopen verbleibt die Strahlenquelle dauerhaft im Patienten, die zeitliche Abschwächung der Strahlung erfolgt entsprechend dem Zerfall des verwendeten Isotops (Halbwertszeit).
26.2.3 Biologische Wirkung und Einfluss-
größen Die biologische Wirkung der Strahlung auf das Gewebe wird über Ionisationsvorgänge vermittelt. Freigesetzte Elektronen oder Radikale induzieren Läsionen an molekularen Strukturen. Im Hinblick auf das Zellüberleben sind v. a. DNA-Schäden von entscheidender Bedeutung. Den Zellen stehen jedoch auch effektive Reparaturmechanismen zur Verfügung. Von den 4–5.000 DNA-Schäden pro Zelle, die 1 Gy Photonenstrahlung verursacht, werden mehr als 99% repariert. Grundsätzlich kann sich zwischen den Fraktionen (Strahlen; Medikament) die Zahl der Zellen durch Zellteilung wieder vermehren. Im Tumor ist dieses von Nachteil, im gesunden Gewebe ist es vorteilhaft. Bezogen auf den Tumor muss die zeitliche Abfolge der Strahlenfraktionen so erfolgen, dass die intrafraktionäre Zellvermehrung bzw. Repopulierung den Behandlungserfolg (Vernichtung aller Tumorzellen oder Vernichtung möglichst vieler Tumorzellen) nicht gefährdet. Der Umfang der Zelltötung nach Bestrahlung, im Übrigen auch bei Anwendung zytotoxischer Medikamente, gehorcht mathematischen Regeln (McBride u. Withers 2004). So wird mit jeder Dosisapplikation jeweils ein gleich großer Prozentsatz der bis dahin noch lebenden Zellen vernichtet. Beispielsweise reduziert sich die Zellzahl von 100 Mio. Zellen auf 10 Mio. (1. Dosis), von 10 Mio. auf 1 Mio. (2. Dosis), von 1 Mio. auf 100.000 (3. Dosis), usw. Mit jeweils gleich großer
Fraktionsdosis nimmt die Zahl lebender Zellen auf jeweils 10% ab. Ziel ist eine vollständige Vernichtung aller Tumorzellen. Grundsätzlich kann sich zwischen den Fraktionen (Strahlen; Medikament) die Zahl der Zellen durch Zellteilung wieder vermehren. Im Tumor ist dieses von Nachteil, im gesunden Gewebe ist es vorteilhaft.
Bezogen auf den Tumor muss die zeitliche Abfolge der Strahlenfraktionen so erfolgen, dass die interfraktionäre Zellvermehrung bzw. Repopulierung den Behandlungserfolg (Vernichtung aller Tumorzellen oder Vernichtung möglichst vieler Tumorzellen) nicht gefährdet.
Mit konventioneller Fraktionierung, d. h. 1,8-2 Gy an 5 Tagen pro Woche, können solide makroskopische Tumoren von Gehirn, Kopf-Hals-Bereich, Ösophagus, Lunge, Prostata, Cervix uteri, Anus, Haut etc. mit 60–70 Gy Gesamtdosis bei akzeptablen Nebenwirkungen des Normalgewebes allein durch Strahlentherapie in kurativer Intention behandelt werden. Bei Lymphomen und Seminomen lassen sich Heilungen bereits mit niedrigeren Dosen erreichen. Die Erhöhung der Einzeldosis (>2,0 Gy, Hypofraktionierung) kann das Risiko insbesondere für Spätkomplikationen erhöhen, sodass im Allgemeinen die Gesamtdosis entsprechend reduziert wird. Hypofraktionierte Therapieschemata wurden in der Vergangenheit v. a. zur palliativen Therapie von Metastasen oder als Brachytherapie eingesetzt. Mit der Einführung von Hochpräzisionstechniken in der Strahlentherapie (stereotaktische Strahlentherapie, intensitätsmodulierte Strahlentherapie, Tomotherapie, bildgeführte Strahlentherapie) werden hypofraktionierte Bestrahlungsschemata zunehmend auch in der kurativen Strahlentherapie eingesetzt. Das umgekehrte Prinzip einer Hyperfraktionierung (Einzeldosis <1,8 Gy) mit gleichzeitiger Akzelerierung (d. h. Einstrahlung von mehr als 10 Gy pro Woche, z. B. durch 2- bis 3-mal tägliche Strahlentherapie im Abstand von >6 h) eignet sich zur Behandlung besonders rasch proliferierender Tumoren (Baumann u. Krause 2009). Eine Akzelerierung der Strahlentherapie kann auch durch eine hypofraktionierte Strahlentherapie erreicht werden, dieses ist insbesondere bei der stereotaktischen Strahlentherapie im Kopf oder Körperstammbereich der Fall, bei der u. a. Schemata von 1×20 Gy, 3×12,5 oder 5×7 Gy pro Woche verwandt werden. Zunehmend wird die Hypofraktionierung mit gleichzeitiger Akzelerierung im Rahmen des sog. simultanen integrierten Boostschemas (SIB) angewendet (. Abb. 26.4). Hierbei wird ein größeres Körpervolumen, die Region mit makroskopischer und mikroskopischer Tumorausbreitung, mit einer konventionellen Einzeldosis von 1,8–2 Gy pro Tag bestrahlt. Ein kleineres Volumen, das im Allgemeinen nur den makroskopischen Tumor umfasst, erhält zeitgleich eine Einzeldosis von mehr als 2 Gy pro Tag (simultaner Boost).
289 26.3 · Grundlagen der Kombination von Strahlen- und Chemotherapie
. Abb. 26.4. Bestrahlungspan: CT mit Isodosen bei intensitätsmodulierter Strahlentherapie (IMRT) des Beckens mit simultanem integrierten boost (SIB) auf den befallenen Lymphknoten. Dargestellt sind 4 übereinander angeordnete Planungs-CT-Schnitte des Beckens in einem Abstand von 5 mm. Der größere Anteil der Lymphbahnen (iliakal interne und externe sowie obturatorische Lymphbahnen: Planungsvolumen 1 mit mikroskopischem Tumorbefall) wird mit einer Gesamtdosis von 50,4 Gy à 1,8 Gy Einzeldosis bestrahlt, der rechts im
26.3
Grundlagen der Kombination von Strahlen- und Chemotherapie
Grundsätzlich werden Kombinationen von Strahlen- und Chemotherapie eingesetzt, um die Wahrscheinlichkeit einer Tumorheilung zu erhöhen. Entscheidende Unterschiede im Zeitablauf und im Potenzial der verschiedenen Therapiemodalitäten zur Behandlung eines soliden Tumors makroskopischer Größenordnung (>1 g Tumorgewebe; mehr als ca. 10 Mio. Tumorzellen) sind in . Abb. 26.1 dargestellt (Molls et al. 2009a). In der Kombination von Radio- und Chemotherapie erhöht die zusätzliche medikamentöse Behandlung die Wahrscheinlichkeit, alle Zellen des Tumors zu vernichten. Die Chance der lokalen Tumorkontrolle und damit der Heilung verbessert sich. Dabei wird in Bezug auf den zeitlichen Ablauf zwischen einer simultanen (. Abb. 26.1, Insert) und einer sequenziellen Therapie unterschieden.
26.3.1 Interaktion von Strahlen- und Chemo-
therapie Die kombinierte Radiochemotherapie hat in der Erwachsenund Kinderonkologie große Bedeutung erlangt. Bei hoher Zytotoxizität bietet die Radiochemotherapie als primäre, d. h.
Iliaca-externa-Stromgebiet gelegene in der Bildgebung auffällige Lymphknoten (Planungsvolumen 2 mit makroskopischem Tumorbefall) erhält zeitgleich eine Gesamtdosis von 58,8 Gy in 2,1 Gy Einzeldosis. Die Isodosen (farbige Linien und korrespondierend eingefärbte Flächen) geben die Linien gleicher Dosis an. Das Gewebe innerhalb der gelben Isodose (gelbe Fläche) erhält mindestens 50,4 Gy, das innerhalb der roten Isodose (rote Fläche) mindestens 58,8 Gy. Der ventral gelegene Dünndarm wird mit weniger als 50 Gy belastet
alleinige Therapiemodalität die Chance der Heilung und Bewahrung der jeweiligen Körperfunktion (z. B. Sprechfähigkeit beim Larynxkarzinom, Schluckakt beim Ösophaguskarzinom, Sphinktertätigkeit beim Analkarzinom etc.). Beim Rektumkarzinom eröffnet die präoperative Radiochemotherapie die Option weniger radikal unter Erhalt der Kontinenz zu operieren.
Bei kombinierter Therapie ist eine Verstärkung der akuten Nebenwirkungen aufgrund einer Interaktion beider Therapiemodalitäten möglich. Während der Radio-/Chemotherapie ist somit der Frage der Supportivbehandlung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das Risiko von akuten, aber auch dauerhaften (chronischen) Nebenwirkungen darf insgesamt ein akzeptables Maß nicht überschreiten.
Die alleinige Strahlenbehandlung ist als lokale Behandlung aufzufassen, die ausschließlich in dem von Strahlung durchdrungenen Gewebe ihre Wirkung entfaltet. Eine zusätzliche Chemotherapie bietet die Möglichkeit, einerseits den tumorzellvernichtenden Effekt im Zielvolumen der Strahlentherapie zu verstärken, andererseits aber auch über eine systemische Wirkung Mikrometastasen außerhalb des strahlentherapeu-
26
290
26
Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
tischen Zielvolumens zu erreichen (Molls u. Andratschke 2009). Beispiele für die Interaktion von Strahlen- und Chemotherapie in einem gemeinsamen Zielvolumen sind primäre simultane Behandlungskonzepte bei soliden Tumoren wie Kopf-Hals-Tumoren, Ösophaguskarzinom, NSCLC, Zervixkarzinom oder Analkarzinom. Diesen Tumorentitäten ist gemeinsam, dass die frühere konservative Standardbehandlung (bestehend aus einer alleinigen Strahlentherapie des Primärtumors und der regionären Lymphabflusswege) heutzutage abgelöst ist von einer kombinierten Radio-/Chemotherapie, da die Hinzunahme simultaner Chemotherapie nachweislich eine Verstärkung des tumorzellvernichtenden Effekts mit Verbesserung der dauerhaften Heilungsraten erbringt (Budach 2001; Green et al. 2001; Bamberg et al. 2009). Als Beispiel für eine Interaktion an unterschiedlichen Zielorten sei die postoperative Behandlung der Mammakarzinome genannt: Die Strahlentherapie richtet sich auf den Operationssitus und die Umgebung zur Vernichtung mikroskopischer verbliebener Tumorreste, die Chemotherapie soll mit ihrer systemischen Wirkung evtl. vorhandene Mikrometastasen inaktivieren. Die Verstärkung des Strahleneffektes durch zytostatische Substanzen ergibt sich zum einen durch direkte chemotherapeutische Vernichtung von Tumorzellen. Aber auch indirekte Mechanismen sind im Spiel (Fu 1992; Molls u. Andratschke 2009, Molls et al. 2009a). Bestimmte Zytostatika inhibieren die Erholung vom subletalen und/oder potenziell letalen Strahlenschaden, d. h. die für die Zelle lebenswichtige Reparatur von DNA-Schäden wird verhindert. Eine Zunahme nicht reparierter DNA-Läsionen bedeutet letztlich eine Zunahme an getöteten Tumorzellen. Bestimmte Zytostatika (z. B. Mitomycin C) und neue bioreduktive Substanzen (z. B. Tirapazamin) wirken v. a. unter Hypoxie bzw. bei Sauerstoffmangel des Tumors. Strahlenbiologisch bedeutet die Hypoxie eine ausgeprägte Minderung der Empfindlichkeit von Zellen gegenüber ionisierenden Strahlen (Molls u. Vaupel 1998). An Plattenepithelkarzinomen der Kopf-Hals-Region wurde gezeigt, dass die Hypoxie bei radioonkologisch behandelten Patienten mit einem schlechten Überleben korreliert (Stadler et al. 1999; Vaupel 2009). Die zusätzliche Vernichtung der hypoxischen und strahlenunempfindlichen Zellen durch eine entsprechend wirkende Substanz führt in der Bilanz zu einer Vermehrung getöteter Tumorzellen und damit zu einer verbesserten Chance der Tumorkontrolle (Molls u. Vaupel 1998). Die klinische Kombination von Strahlenbehandlung und Chemotherapie erfordert detailliertes Grundlagenwissen und umfangreiche Erfahrung. Die Durchführung einer simultanen Radiochemotherapie inkl. der Verantwortlichkeit für die Gesamtbehandlung gehört in die Hand des Radioonkologen. Es kommt bei dieser Behandlung darauf an, zwischen Tumorkontrolle bzw. Tumorheilung einerseits und dem Risiko von akuten und Spätnebenwirkungen andererseits eine ausgewogene Balance zu halten. Ziel ist es, eine möglichst hohe komplikationsfreie Heilungsrate zu erreichen.
26.4
Strahlentherapie und biologisch zielgerichtete Therapeutika
Mit Hilfe biologisch zielgerichteter Substanzen (»targeted therapy«) wird gezielt in pathologisch veränderte Regulationswege der Proliferation von Tumorzellen, in die Neoangiogenese und in das Mikromilieu von Tumorzellen eingegriffen. Die Effekte dieser Substanzen werden durch eine Modifikation der Abläufe der Signaltransduktion in Tumorzellen erreicht. Das Ziel in Kombination mit der Strahlentherapie ist es, eine selektive Strahlensensibilisierung der Tumorzellen zu erreichen. Dabei können verschiedene grundlegende Therapiestrategien zur Anwendung kommen: vor allen Dingen monoklonale Antikörper, Protein-/Enzym-Inhibitoren, Antisense-Oligonukleotide oder auch Immuntoxine (Übersicht bei Molls et al. 2009b). Als »Proof-of-Principle-Studie«, dass die Kombination einer Strahlentherapie mit einer simultanen biologisch zielgerichteten Therapie auch klinisch zu besseren Ergebnissen führt, fanden Bonner et al. ein besseres Gesamtüberleben und eine bessere lokale Kontrolle bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren, die eine Strahlentherapie zusammen mit einem Antikörper gegen den epidermalen Wachstumsrezeptor (EGFR, Cetuximab) erhielten (Bonner et al. 2006). Als Vergleichsarm wurde allerdings die alleinige Strahlentherapie gewählt, die heutzutage für diese Patienten kein Standard mehr ist. Eine Nachfolgestudie, die die Kombination Radiochemotherapie plus Cetuximab versus alleinige Radiochemotherapie untersucht rekrutiert derzeit Patienten. In mehreren Phase-I- bis -II-Studien wurde die Kombination von Cetuximab mit einer Radiochemotherapie im Rahmen der neoadjuvanten Behandlung lokal fortgeschrittener Rektumkarzinome untersucht. Die kombinierte Therapie war gut verträglich, allerdings zeigten sich enttäuschend niedrige Raten in der pathologisch kompletten Remission von 5–17% (Übersicht bei Marquardt et al. 2009). Als mögliche Mechanismen, die zu dieser offensichtlich subadditiven Interaktion zwischen Radiochemotherapie und Cetuximab hinsichtlich der pathologischen Tumorregression führen, werden diskutiert: die Hochregulation von p27- und G1-Zellzyklusarrest, die Redundanz des EGFR-Signaltransduktionswegs, der Kras-Mutationsstatus und Abhängigkeiten von der Sequenz der verabreichten Medikamente im Verhältnis zur Radiochemotherapie. Eine weitere Möglichkeit der biologisch zielgerichteten Therapie ist der Einsatz antiangiogen wirkender Substanzen, die u. a. gegen proangiogenene Wachstumsfaktoren wie »vascular endothelial growth factor« (VEGF), »fibroblast growth factor« (FGF) oder »platelet derived growth factor« (PDGF) wirken (Chau et al. 2008). In Xenograft-Tumormodellen konnte sowohl ein strahlenverstärkender Effekt für die Kombination mit einem VEGF-Antikörper gefunden werden (Kozin et al. 2001) als auch ein negativer Effekt bei der Kombination von Strahlentherapie mit einem VEGF-Tyrosinkinaseinhibitor (Zips et al. 2005). Da auch die Strahlentherapie langfristig zu Veränderungen im Gefäßsystem führen kann, muss hier eine Interaktion mit dem Einsatz von antiangiogenen Substanzen im Hinblick auf Normalgewebsschäden beachtet
291 26.5 · Ablauf der Strahlentherapie
werden: Lordick und Kollegen berichten über 3 Rektumkarzinompatienten mit vorausgegangener Beckenbestrahlung, die nach Gabe eines VFGF-Antikörpers (Bevacizumab) ischämische Darmkomplikationen entwickelten (Lordick et al. 2006). 30 weiteren Patienten, die keine entsprechende Strahlentherapie erhalten hatten, konnte Bevacizumab ohne Komplikation verabreicht werden. Insgesamt kann die Addition von biologisch zielgerichteten Substanzen zur Strahlen- oder Strahlenchemotherapie derzeit nicht als Standard angesehen werden. Weitere klinische Studien erscheinen notwendig, um u. a. auch die optimale Sequenz der verschiedenen Therapiemodalitäten zu untersuchen und die langfristige Sicherheit hinsichtlich der Normalgewebsreaktion zu analysieren. Eine unkritische Übertragung der Ergebnisse der biologisch zielgerichteten Therapie in Kombination mit der alleinigen Chemotherapie auf die Situation Strahlentherapie plus biologisch zielgerichtete Therapie ± Chemotherapie ist sicherlich nicht möglich. Bei einer Kombinationstherapie sollte vor allen Dingen sichergestellt sein, dass das Ausmaß der Dosierung der Strahlentherapie nicht kompromittiert wird, da diese im Hinblick auf den Umfang der Zellabtötung bzw. der Zellinaktivierung sowohl der Chemotherapie als auch den biologischen Substanzen deutlich überlegen ist.
26.5
Ablauf der Strahlentherapie
des Therapiekonzeptes kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bei der Absprache des Therapiekonzeptes sind grundsätzliche Fragen zu klären. Zu entscheiden ist, ob kurativ oder palliativ, ob primär operativ oder konservativ, ob ausschließlich strahlentherapeutisch oder kombiniert behandelt wird, ob die Strahlenbehandlung vor oder nach Operation erfolgt, ob zusätzlich zur Strahlentherapie eine Chemotherapie zu geben ist und in welcher zeitlichen Abfolge etc. Cave Vor Beginn der Therapie ist zu analysieren, ob der Patient ein erhöhtes Risiko an Nebenwirkungen trägt.
Beispielsweise kann beim insulinpflichtigen Diabetiker aufgrund von Gefäßschäden ein erhöhtes Risiko von radiogenen Spätveränderungen gegeben sein. Bei Strahlenbehandlungen des Beckens und Abdomens ist nach Voroperationen und eventuellen konsekutiven Adhäsionen mit vermehrten Komplikationen am Darm (z. B. Ileus) zu rechnen. Für ältere Patienten ist das Risiko von Nebenwirkungen der Strahlentherapie nicht grundsätzlich erhöht. Bestehen ein guter Allgemeinzustand, keine komplizierenden weiteren Erkrankungen und eine Lebenserwartung von mehreren Jahren, sollten an einer kurativen radioonkologischen Therapie keine wesentlichen »Abstriche« vorgenommen werden (Geinitz et al. 1999, 2005).
26.5.1 Indikationsstellung Wie die Chirurgie stellt die Strahlentherapie eine lokale oder lokoregionale Behandlung dar. Sie zielt darauf, die Tumorzellen im Primärtumor und ggf. in den zugehörigen Lymphbahnen zu vernichten.
Für eine Heilung ist die Kontrolle des lokalen bzw. lokoregionalen Tumors, d. h. die Verhinderung des Lokalrezidivs die entscheidende Voraussetzung.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass ca. ein Drittel aller nicht geheilten Tumorpatienten in Folge der lokoregionalen Progression des Tumors verstirbt (Bamberg et al. 2009). Eine Tumorbehandlung sollte heutzutage grundsätzlich interdisziplinär abgestimmt werden. Dazu wird im Rahmen eines interdisziplinären »Tumorboard«, ausgehend von der individuellen Krankheitssituation des Patienten und vom TNM-Stadium sowie auf der Basis von Studienprotokollen, klinikeigenen Therapiekonzepten, Leitlinien etc., die beste Behandlungsstrategie abgesprochen und festgelegt. Ein schlecht konzipiertes und durchgeführtes Therapiekonzept bedeutet ein erhöhtes Rezidivrisiko. Im Rezidivfall reduziert sich die Heilungschance erheblich, d. h. die Qualität der primären onkologischen Therapie ist für das Schicksal des Patienten entscheidend. Der Vorteil der täglichen Kooperation in hochspezialisierten interdisziplinären Zentren und ihr Einfluss auf die Qualität bei der Definition und Umsetzung
26.5.2 Zielvolumendefinition und
Bestrahlungsplanung Nach interdisziplinärer Absprache des Behandlungskonzeptes und ausführlichem Aufklärungs- und Beratungsgespräch mit dem Patienten erfolgt die Bestrahlungsplanung. In diesem häufig sehr langen Arbeitsprozess, an dem neben dem Arzt und den MTRA auch Physiker beteiligt sind, wird die für den Patienten individuell beste Bestrahlungstechnik erarbeitet. Vor Beginn der Bestrahlungsplanung ist eine Information über die exakte Tumorausdehnung für den Radioonkologen unerlässlich. Das heißt vor Einleitung der Therapie sollte eine Bildgebung vorliegen, die den Tumor in seiner ganzen Ausdehnung darstellt (CT, MR, Ultraschall, Endoskopie und Endosonographie, Positronenemissionstomographie), zudem sollten alle Regionen abgebildet sein, die ein erhöhtes Risiko für Lymphknoten und/oder Fernmetastasen haben. Bei einer postoperativen Bestrahlung ist die enge Kooperation mit dem Operateur sinnvoll, um an den Bildern der postoperativen Computertomographie die Regionen zu definieren, die ein erhöhtes Risiko für ein Lokalrezidiv tragen. Heutzutage steht dem Radioonkologen eine Reihe von Techniken zur Verfügung, die unter dem Aspekt der optimalen Erfassung des Zielvolumens und gleichzeitig bestmöglichen Schonung von gesunden Strukturen für jeden Patienten individuell eingesetzt werden können. In den meisten Fällen einer kurativen Therapie wird eine Mehrfeldertechnik verwendet (Kneschaurek u. Nüsslin
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292
26
Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
2009). Durch diese wird auf der Basis von Computertomographie und geeigneter Planungssoftware und durch freie Wahl der Felder und des Einstrahlwinkels ein irregulär geformtes Planungsvolumen dreidimensional konformal erfasst. In der Vorbereitung wird der Patient in der späteren Behandlungsposition gelagert und ein Planungs-Computertomogramm durchgeführt, das die relevante Region einschließlich benachbarter Organe großzügig erfasst. Der CT-Datensatz wird auf den Planungsrechner überspielt. Hier führt der Radioonkologe die Zielvolumendefinition durch, indem er in jeder einzelnen CT-Schicht die behandlungsbedürftige Region, die neben dem makroskopischen Tumor auch Regionen potentieller mikroskopischer Aussaat sowie einen Sicherheitssaum für Lagerungsungenauigkeiten und interner Organbeweglichkeit umfasst, konturiert. Hier sei erwähnt, dass diese fundamentalen Prinzipien bei der Strahlentherapieplanung für alle physikalischen Arten der Strahlentherapie (Photonen, Protonen, Schwerionen etc.) gelten. Auch bei der Therapie mit Protonen muss ggf. unter dem Aspekt der Mitbehandlung von mikroskopischem Tumor und unter Einbeziehung von Sicherheitsrändern wegen Lagerungsungenauigkeiten, Beweglichkeit des Zielvolumens etc. ein kleineres Volumen eines nahe gelegenen gesunden Organs hoch dosiert mitbestrahlt werden (z. B. vorderes Rektumdrittel bei der Strahlentherapie des Prostatakarzinoms).
In der postoperativen Situation sind im Rahmen der Strahlentherapieplanung der histopathologische Befund und der detaillierte Operationsbericht unverzichtbar.
Eine Clip-Markierung des Tumorbettes, vom Operateur gefertigte Skizzen etc. sind im Hinblick auf eine schonende, adjuvante Strahlentherapie vorteilhaft. Die enge Kooperation zwischen Strahlentherapeut und Chirurg, einschließlich mündlicher Rücksprache zu Details über Operationssitus und möglicherweise problematische Resektionsränder, sichert die bestmögliche lokale bzw. lokoregionäre Tumorkontrolle unter Minimierung des Risikos von unerwünschten Effekten. Anhand dreidimensionaler Rekonstruktionen kann der Radioonkologe die Lage der Bestrahlungsfelder und die resultierende Dosisverteilung in Bezug zu den anatomischen Strukturen (Tumor, gesunde Organe) aus allen Raumrichtungen betrachten und entscheiden, welcher Plan für den individuellen Patienten der geeignetste ist. Die Information über die Dosisverteilung wird auch für jedes konturierte Normalgewebe getrennt graphisch aufgearbeitet. Aus den »Dosisvolumenhistogrammen« lässt sich ablesen, wie viele Volumenprozente des jeweiligen Organs mit wie viel Prozent der Dosis belastet werden. Moderne Bestrahlungsprogramme ermöglichen es, für jedes Voxel der Planungscomputertomographie die dazugehörige absorbierte Dosis anzugeben. Der ausgewählte Behandlungsplan wird im Rahmen der »Simulation«, d. h. Projektion der Felder unter Durchleuchtungsbedingungen, auf den Patienten übertragen. Die Be-
strahlungsplanung kann auch komplett virtuell erfolgen, wenn entsprechende Voraussetzungen bei der Durchführung des Planungs-CT erfüllt werden (Zimmermann u. Molls 1998; Kneschaurek u. Nüsslin 2009). Insgesamt ist die Bestrahlungsplanung in den letzten Jahren zunehmend komplexer und qualitativ hochwertiger geworden. Je nach Anforderung an die Patientenlagerung, Größe und Komplexität des zu bestrahlenden Zielvolumen und Ausmaß der für die exakte Festlegung des Zielvolumens durchzuführenden bildgebenden Untersuchungen kann sich die Dauer der Bestrahlungsplanung über mehrere Tage bis zu 2 Wochen erstrecken. Bei extrem rasch wachsenden makroskopischen Tumoren wird man jedoch bestrebt sein, die zeitliche Dauer dieses Arbeitsprozesses auf ein Minimum zu beschränken. Intensitätsmodulierte Strahlentherapie. Technische Weiter-
entwicklungen haben zur intensitätsmodulierten Strahlentherapie (IMRT) geführt, bei der die Dosisintensität innerhalb der einzelnen Bestrahlungsfelder variiert werden kann (. Abb. 26.4). Hierdurch können komplex geformte Zielvolumina besser erfasst werden. Mit zunehmender Fortentwicklung der biologischen Bildgebung und Individualisierung der Therapie wird auch eine der Tumorzelllast und heterogenen Tumorbiologie angepasste räumliche Dosisverteilung innerhalb des Zielvolumens (»dose painting«) wünschenswert. Die technische Umsetzung ist mit der invers geplanten IMRT möglich geworden (Kneschaurek u. Nüsslin 2009; Alber et al. 2009). Tomotherapie. Ein Strahlentherapie Gesamtsystem (Be-
schleuniger, Planungssoftware etc.), das speziell für die Applikation der IMRT entwickelt wurde, ist die sog. Tomotherapie (. Abb. 26.5). Während der Behandlung kreist ein hochkompakter Linearbeschleuniger um den Patienten. Gleichzeitig wird der Patient auf der Couch kontinuierlich kranialwärts verschoben, sodass das Zielvolumen spiralförmig bestrahlt wird. Während der Bestrahlung werden 64 Bleilamellen mit Druckluft innerhalb von Millisekunden in oder aus dem Strahlengang bewegt. Auf diese Weise lassen sich mehrere 1000 Teilstrahlen erzeugen, die in ihrer Kombination dazu führen, dass die räumliche Dosisverteilung optimal auch an sehr komplex geformte Zielvolumina angepasst werden kann. Ein weiterer Vorteil der Tomotherapie ist, dass in einer Sitzung sehr große Regionen bis zu 1,60 m Länge bestrahlt werden können (Kneschaurek et al. 2009). Stereotaktische Strahlentherapie. Die stereotaktische Strah-
lentherapie zeichnet sich durch ein Höchstmaß an geometrischer Genauigkeit aus, die seitens der Lagerung durch eine aufwändige Patientenfixation und seitens der Bestrahlung durch eine Vielzahl von Feldern und Einstrahlwinkeln gewährleistet ist. Für die Stereotaxie im Bereich des Gehirns gelingt eine millimetergenaue Präzision. Die Behandlung erfolgt mit dem »γ-Knife« (201Cobaltstrahler aus allen Raumrichtungen, angeordnet auf einer Kugelschale) oder mit speziell ausgestatteten Linearbeschleunigern inklusive dem sog. »Cyberknife« (Schlegel u. Grosu 2009). Auch im Bereich des
293 26.5 · Ablauf der Strahlentherapie
. Abb. 26.5. Tomotherapie-Beschleuniger. Durch kontinuierliche Rotation eines hochkompakten Linearbeschleunigers wird bei gleichzeitigem Tischvorschub eine spiralförmige Bestrahlung des Zielvolumens erreicht
Körperstammes hat sich die stereotaktische Strahlentherapie zur Behandlung inoperabler Leber- und Lungentumoren fest etabliert. Sie zeichnet sich durch eine sehr gute Verträglichkeit und hohe lokale Kontrollrate aus (Zimmermann et al. 2005, 2006). Atemverschieblichkeiten stellen bei der stereotaktischen Bestrahlung im Körperstammbereich eine besonders hohe Anforderung an die Patientenfixation und Bestrahlungsplanung. Betont sei hier, dass auch im Bereich der Hochpräzisionsstrahlentherapie bzw. Körperstereotaxie die Ergebnis-Qualität der Behandlung nicht nur von moderner Technologie abhängig ist sondern in besonderem Maße auch vom »Knowhow« und der Erfahrung des behandelnden Arztes. Dieses inkludiert das Wissen des Facharztes für Strahlentherapie zur allgemeinen und speziellen Onkologie, zu Technologie und Strahlenphysik wie auch zur Strahlenbiologie bösartiger und gesunder Gewebe. Nur unter Beherrschung dieser Fähigkeiten und dieses Wissens ist es möglich für den individuellen Patienten das beste Fraktionierungsschema (Gesamtdosis, Einzeldosis, Wochendosis), die richtige Kombination mit systemisch wirksamen Substanzen sowie die optimale Festlegung der Zielvolumina und der Risikogewebe zu gewährleisten.
26.5.3 Durchführung einer fraktionierten
Strahlentherapie Eine Strahlentherapie wird in der Regel als fraktionierte Behandlung durchgeführt. Sie erstreckt sich im Allgemeinen über einen Zeitraum von mehreren Wochen mit Bestrahlungen an jedem Werktag (konventionelle Fraktionierung: 5×1,8–2,0 Gy pro Woche). Vor allem die Bestrahlungspause am Wochenende erlaubt dem gesunden, mitbestrahlten Gewebe eine gewisse Erholung durch Regeneration bzw. Zellvermehrung und andere Mechanismen. Vorteilhaft ist auch die Gelegenheit zur Reoxygenierung hypoxischer Tumorareale. Die heute üblichen Dosiskonzepte beruhen auf langjährigen
Erfahrungen mit dem konventionellen Fraktionierungsschema von 5×2 Gy pro Woche. Cave Eine Änderung dieses etablierten Fraktionierungsrhythmus kann die Raten der unerwünschten Wirkungen und der lokalen Tumorkontrollen deutlich beeinflussen und damit den therapeutischen Quotienten (Verhältnis von Tumorkontrolle zu Komplikationen) verschieben.
Bei der Durchführung der Strahlentherapie wird bei jeder einzelnen Fraktion die ursprüngliche Lagerung des Patienten genau reproduziert. Neben Hautmarkierungen, die mit einem Laserlichtsystem im Bestrahlungsraum zur Deckung zu bringen sind, werden auch Hilfsmittel wie Maskensysteme eingesetzt. Die anatomisch korrekte Projektion der Bestrahlungsfelder lässt sich durch Bildgebung am Beschleuniger »verifizieren«. Die Anpassung des Strahlenbündels an die erforderliche irreguläre Feldkontur erfolgt von gerätetechnischer Seite mit individuell angepassten Abschirmungen. Diese bestehen heutzutage im Allgemeinen aus einem sog. Multileaf-Kollimator, der in den Strahlerkopf integriert ist und aus vielen schmalen aneinander grenzenden Schwermetalllamellen besteht, die individuell computergesteuert millimetergenau positionierbar sind. Diese Lamellen werden entsprechend den Vorgaben der Bestrahlungsplanung für jeden Patienten und für jedes Bestrahlungsfeld im Strahlengang positioniert und ermöglichen so die Bestrahlung der irregulären Feldkonturen. Moderne Bestrahlungsgeräte verfügen über mehrfache interne Sicherungs- und Kontrollsysteme, die das geringe Risiko einer technisch falschen Bestrahlung zusätzlich minimieren. Vor Beginn einer Strahlenbehandlung werden im Rechner des Linearbeschleunigers wesentliche individuelle Daten des Patienten, der geplante Zeitablauf der Bestrahlungsserie
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Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
und alle erforderlichen Parameter der Bestrahlungstechnik wie Feldgrößen, Einstellwinkel etc. gespeichert. Bildgeführte Strahlentherapie (»image guided radiotherapy«, IGRT). Um die Reproduzierbarkeit der täglichen Lage-
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rung des Patienten und damit die Präzision der Strahlenbehandlung weiter zu erhöhen, besteht die Möglichkeit, den Tumor oder das tumortragende Gewebe (Zielvolumen) vor jeder Bestrahlungsfraktion am Beschleuniger zu visualisieren. Dieses erscheint insbesondere in solchen Fällen sinnvoll, in denen eine sehr hohe Gesamtdosis und/oder eine stark erhöhte Einzeldosis gegeben werden. Die Position des Patienten kann – auf Basis der Bildgebung – entsprechend der aktuellen Konfiguration und Lage des Tumors vor jeder Bestrahlungsfraktion neu angepasst werden. Neben stereotaktischen Röntgenanlagen, die jedoch den Nachteil haben, dass zur direkten Lagebestimmung des Tumors röntgendichte Marker in diesen eingebracht werden müssen, werden heutzutage computertomographische Techniken bevorzugt, die direkt in den Beschleuniger integriert sind (»Cone-Beam CT«, »MV-CT«).
Rückbildung eines makroskopischen Tumors führen. In kurativer Intention wird die primäre Strahlentherapie u. a. bei Basaliomen oder Plattenepithelkarzinomen der Haut, bei KopfHals-Tumoren, beim frühen Analkarzinom, beim Prostatakarzinom und in Frühstadien anderer Malignomerkrankungen wie Zervixkarzinom., Ösophaguskarzinom und Bronchialkarzinom erfolgreich als Therapiealternative zur Operation eingesetzt. Ferner ist in Frühstadien bestimmter Non-Hodgkin-Lymphome die kurative Strahlentherapie der Chemotherapie überlegen (Bamberg et al. 2009; siehe auch Textbücher der Onkologie z. B. DeVita et al. 2008). Beim inoperablen, nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom wird die stereotaktische Strahlentherapie mit einigen wenigen hochdosierten Einzeldosen in kurativer Intention angewandt und führt zu einer hohen lokalen Kontrollrate vergleichbar den operativen Verfahren (Zimmermann et al. 2006). Bei inoperablen Oligometastasen in der Leber kann die stereotaktische Strahlentherapie zu lang anhaltenden lokalen Kontrollraten und, bei fehlender weiterer Absiedlung, u. U. zur Heilung des Patienten führen (Herfarth et al. 2001; Wulf et al. 2006; Rusthofen et al. 2009)
Betreuung des Patienten. Während der mehrwöchigen
Strahlenbehandlung wird der Patient kontinuierlich vom Strahlentherapeuten ambulant oder stationär betreut. Es ist Aufgabe des Strahlentherapeuten, bei nicht resezierten Tumoren (z. B. Analkarzinom, Rektumkarzinom, Ösophaguskarzinom, Tumoren des HNO-Bereiches etc.) deren Reaktion, ggf. in Kooperation mit den entsprechenden Fachdisziplinen, zu überprüfen. Ebenso muss sich der Strahlentherapeut durch regelmäßige Untersuchungen vergewissern, dass die akuten Nebenwirkungen unter der Behandlung einen bestimmten Schweregrad nicht überschreiten. Er steht dem Patienten zur Seite bezüglich Prophylaxe bzw. Therapie von Nebenwirkungen und leitet bei deren Manifestation die adäquaten Behandlungsmaßnahmen ein.
Vor allem bei stationären Patienten ist die Mitbehandlung internistischer Erkrankungen (z. B. Diabetes, Hypertonus, Herzinsuffizienz, Thrombosen, chronische Atemwegserkrankungen etc.) Teil der strahlentherapeutischen Betreuung.
26.6.2 Primäre Radio-/Chemotherapie Wird die primäre Strahlentherapie mit einer simultanen Zytostatikabehandlung kombiniert, spricht man von primärer Radio-/Chemotherapie. Auch hier handelt es sich um eine rein konservative Therapie, eine Operation ist nicht vorgesehen. Die heute üblichen Indikationen sind zumeist Karzinomerkrankungen, bei denen die Wirksamkeit alleiniger Strahlentherapie seit Jahren bekannt ist und deren Behandlungsergebnisse durch die Hinzunahme der Chemotherapie noch verbessert werden konnten. So wird diese organerhaltende Therapie eingesetzt bei Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches inklusive Larynxkarzinom (Erhalt der Stimmfunktion!), Bronchialkarzinom, Zervixkarzinom, Analkarzinom (Erhalt der Sphinkterfunktion!), und anderen Entitäten insbesondere auch bei Plattenepithel- und Adenokarzinomen des Ösophagus (Stahl et al. 2005; Chiu et al. 2005; Bedenne et al. 2007, zur Übersicht: Bamberg et al. 2009).
26.6.3 Neoadjuvante und adjuvante StrahlenGanz wesentlich ist, dass den Tumorpatienten die ärztlichsolidarische Haltung des Strahlentherapeuten kontinuierlich begleitet. Die längere, über Wochen dauernde Betreuung führt normalerweise zu einem engen und vertrauensvollen Kontakt zwischen Patient und Strahlentherapeut.
26.6
Strahlentherapie in kurativer Intention
26.6.1 Primäre Strahlentherapie Unter primärer Strahlentherapie versteht man die ausschließliche Strahlenbehandlung mit kurativer oder palliativer Zielsetzung. Hier soll die alleinige Anwendung von Strahlen zur
oder Radio-/Chemotherapie Wird im Rahmen eines kurativen Therapiekonzeptes die Strahlenbehandlung zusätzlich zur Operation nach makroskopisch kompletter Tumorresektion (R0-Resektion) eingesetzt, spricht man von adjuvanter Strahlentherapie. Wird die Behandlung vor der Operation durchgeführt, spricht man von neoadjuvanter Strahlentherapie. Am Beispiel gastrointestinaler Tumoren sollen im Folgenden grundsätzliche aktuelle Fragestellungen zur adjuvanten Therapie erörtert werden: 4 Ist die neoadjuvante der adjuvanten Therapie überlegen? 4 Hypofraktionierte Kurzzeit- oder konventionell fraktionierte neoadjuvante Strahlentherapie?
295 26.6 · Strahlentherapie in kurativer Intention
4 Zeitpunkt der Operation nach neoadjuvanter Therapie? 4 Verzicht auf adjuvante Strahlentherapie bei verbesserter Operationstechnik oder radikalerer Operation? 4 Verzicht auf Operation bei gutem Ansprechen auf neoadjuvante Radio-/Chemotherapie?
Ist die neoadjuvante der adjuvanten Therapie überlegen? Vorteile der präoperativen Strahlentherapie. Folgende Vor-
teile einer der Operation vorausgehenden neoadjuvanten Strahlen- oder Strahlenchemotherapie gegenüber einer postoperativen Behandlung werden derzeit gesehen: 4 Durch die neoadjuvante Strahlentherapie kann eine Tumorverkleinerung resultieren und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine R0-Resektion und u. U. auch eine verbesserte Chance für eine funktionserhaltende Operation (z. B. bei tiefliegenden Rektumkarzinomen). 4 Das Risiko einer intraoperativen Tumorzellaussaat kann durch eine präoperative Inaktivierung der Tumorzellen vermindert werden. 4 Die Durchblutung und Oxygenierung der Tumorregion ist noch nicht durch Vernarbungsprozesse beeinträchtigt, damit können sowohl die Chemotherapie als auch die Strahlentherapie (Sauerstoffverstärkungsfaktor) besser ihre Wirkung entfalten. 4 Darmschlingen sind noch nicht durch postoperative Adhäsionsbildung fixiert und liegen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit bei der Behandlung von Rektumkarzinomen nicht im Zielvolumen. Hieraus resultiert eine Minimierung des Risikos von Spätkomplikationen (Molls u. Fink 1994). 4 Bei Ösophagus- oder Rektumkarzinomen wird ein Großteil des strahlenbehandelten Abschnitts der Speiseröhre bzw. den Enddarms reseziert und kann damit keine Spätreaktionen ausbilden. 4 Aufgrund postoperativer Komplikationen erhält ein Teil der Patienten nicht die für notwendige adjuvante Strahlen- oder Strahlenchemotherapie (Sauer et al 2004). Nachteile der präoperativen Strahlentherapie. Ein mög-
licher Nachteil ist die höhere Rate an komplizierteren postoperativen Verläufen mit Wundheilungsstörung, Blutung oder Anastomoseninsuffizienz, auf die von Chirurgen hingewiesen wird. In Studien mit großen Patientenkollektiven und direktem Vergleich prä- und postoperativer adjuvanter Therapie des Rektumkarzinoms wurden diese Aussagen jedoch nicht bestätigt (Sauer et al. 2004). Ein weiterer potenzieller Nachteil der neoadjuvanten Therapie ist darin zu sehen, dass das Tumorstadium in der bildgebenden Diagnostik überschätzt wurde oder eine bereits bestehende, ausgedehnte Fernmetastasierung nicht erkannt wurde. Diese Patienten hätten nach gängigen Kriterien weder einer adjuvanten noch einer neoadjuvante Therapie bedurft (Übertherapie). Die Überlegenheit der neoadjuvanten Radiochemotherapie gegenüber der adjuvanten Radio-/Chemotherapie beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom konnte in einer randomisierten deutschen Studie bestätigt werden: Patienten im
neoadjuvanten Behandlungsarm wiesen eine verbesserte lokale Kontrollrate auf als diejenigen im adjuvanten Arm. Die Rate an Nebenwirkungen und Komplikationen war in beiden Behandlungsarmen gleich (Sauer et al. 2004). Denkbar ist, dass das Konzept der präoperativen adjuvanten Strahlenbehandlung oder Radio-/Chemotherapie auch bei anderen Tumoren des Gastrointestinaltraktes (Magenkarzinom, Pankreaskarzinom, primäre und sekundäre Tumoren der Leber) eine größere Bedeutung erlangen kann. Beim Magenkarzinom scheint die postoperative Radio-/Chemotherapie die lokale Kontrolle und das Überleben zu verbessern (Smalley et al. 2002).
Hypofraktionierte Kurzzeit- oder konventionell fraktionierte neoadjuvante Strahlentherapie? Im Gegensatz zur konventionell fraktionierten, 5-wöchigen Therapie bis zu einer Gesamtdosis von 45–50,4 Gy liegen für das Rektumkarzinom auch Erfahrungen aus Skandinavien und den Niederlanden mit 5×5 Gy innerhalb einer Woche vor Operation vor (Pahlman et al. 1997; Kapiteijn et al. 2001). Mit dieser, auf den ersten Blick bestechend zeit- und kostensparenden Behandlungsvariante konnte im Vergleich zur alleinigen Operation ebenfalls eine signifikante Reduktion der Lokalrezidivrate und ein verbessertes Gesamtüberleben nach 5 Jahren erzielt werden (Pahlman et al. 1997). Hauptkritikpunkt an der Kurzzeit-Strahlentherapie ist die Limitierung von Gesamtdosis und Zeit bis zur Operation, sodass ein relevanter Tumorregress nicht stattfinden kann und damit die Chance einer verbesserten Rate an Sphinktererhalt ungenutzt bleibt. Auch der verstärkende Effekt einer zusätzlichen Chemotherapie kann nicht eingesetzt werden. Zudem muss aus strahlenbiologischer Sicht die Verbesserung des therapeutischen Quotienten bezweifelt werden, da hohe Einzeldosen theoretisch mit einer erhöhten Toxizität verknüpft sind.
Zeitpunkt der Operation nach neoadjuvanter Therapie? Nach konventionell fraktionierter neoadjuvanter Behandlungsserie über 5 Wochen erfolgt die Operation im Allgemeinen ca. 4 Wochen nach Abschluss der Strahlentherapie. Für das Rektumkarzinom war im randomisierten Vergleich ein therapiefreies Intervall von 6 Wochen günstiger in Bezug auf Tumorregression und Sphinktererhalt als eine Frühoperation innerhalb von 2 Wochen (Francois et al. 1999). Theoretisch ist der beste Zeitpunkt dann gegeben, wenn im Tumor nur noch ein Minimum an teilungsfähigen Tumorzellen vorhanden ist, eine stärkere Repopulierung noch nicht eingesetzt hat und sich die akuten radiogenen Entzündungsreaktionen der Normalgewebe im Abklingen befinden. Da die Zellkinetik von Tumoren individuell variiert (Begg et al. 1990), dürfte – in Grenzen – der optimale Zeitpunkt der Operation von Patient zu Patient unterschiedlich sein. Bislang fehlen praktikable, am Patienten einsetzbare Methoden, die die Tumorzell-Kinetik (Zellneubildung, Zellvernichtung) mit ausreichender Präzision erfassen.
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Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
Verzicht auf adjuvante Strahlentherapie bei verbesserter Operationstechnik oder radikalerer Operation?
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Speziell beim Rektumkarzinom ist der Operateur und die von ihm verwendete Technik als wichtiger Prognosefaktor für den weiteren Krankheitsverlauf bekannt. Studien zur adjuvanten Therapie zeigen jedoch, dass mit zusätzlicher Strahlenbehandlung auf jedem Niveau chirurgischer Qualität ein bestimmter Anteil an Lokalrezidiven verhindert werden kann. Dieses gilt auch für chirurgische Weiterentwicklungen wie die totale mesorektale Exzision (Kapiteijn et al. 2001). Grundsätzlich entwickelt sich die interdisziplinäre onkologische Therapie eher in Richtung Organ- und Extremitätenerhalt, sodass statt radikalen operativen Verfahren zunehmend schonendere Eingriffe in Verbindung mit adjuvanter konservativer Therapie eingesetzt werden.
Verzicht auf Operation bei gutem Ansprechen auf neoadjuvante Radio-/Chemotherapie? Die im Allgemeinen niedrig bis moderat dosierte präoperative Strahlentherapie oder Radio-/Chemotherapie führt beim Ösophagus- und Rektumkarzinom bei einen beträchtlichen Teil der Patienten zur makroskopisch sichtbaren Tumorrückbildung (Siewert et al. 2002). Auf die Operation darf dennoch nicht verzichtet werden, da die Wahrscheinlichkeit des Rezidivs ohne Operation als hoch eingestuft werden muss. Bei der Kombination einer präoperativen adjuvanten Therapie mit nachfolgender Operation muss das gesamte Therapiekonzept vor Beginn der Behandlung eindeutig festgelegt werden. Unbedingt zu vermeiden ist eine Situation, beispielsweise bei Ösophagus- oder Bronchialkarzinom, in der eine Radio-/Chemotherapie in neoadjuvanter Intention mit entsprechend moderater Dosis durchgeführt wurde und dann nach behandlungsfreiem Zeitintervall die initial abgesprochene Operation doch nicht erfolgt. Wird nach neoadjuvanter Therapie und behandlungsfreiem Intervall die Operation nicht durchgeführt, ist u. U. die kurative Chance verspielt, die eine alleinige höherdosierte Strahlentherapie oder Radio/Chemotherapie geboten hätte.
26.6.4 Intraoperative Strahlentherapie In der Behandlung von gastrointestinalen Tumoren wird die intraoperative Strahlentherapie (IORT) bei Magenkarzinomen, Pankreaskarzinomen und Rektumkarzinomen bevorzugt unter kurativer Zielsetzung eingesetzt. Sie erfolgt mit Elektronen am Linearbeschleuniger oder im Rahmen eines Afterloading-Verfahrens, seltener mit niederenergetischen Röntgenstrahlen am Röntgenbestrahlungsgerät (Kneschaurek et al. 1995). Der Vorteil der intraoperativen Strahlentherapie besteht darin, dass in der Operation gesunde Strukturen aus dem Bestrahlungsfeld heraus gehalten werden können und damit ohne größeres Risiko mit einer einmaligen Bestrahlung eine hohe Dosis (einzeitige Dosis von 12–18 Gy) appliziert werden darf. Im kurativen Konzept wird in dieser Weise unmittelbar nach Resektion des Tumors die Region des vermuteten mikroskopischen Tumorrestes bestrahlt. Die
hohe Strahlendosis hat das Potenzial, relativ viele Tumorzellen zu vernichten. Zumeist wird die intraoperative Strahlentherapie durch eine prä- oder postoperative Strahlentherapie ergänzt. Dieses gilt speziell für lokal fortgeschrittene (T4-Kategorie) oder rezidivierte Rektumkarzinome (Nuyttens et al. 2004). Nach intraoperativen Dosen von ca. 20 Gy und mehr scheint das Risiko von Anastomosenkomplikationen, Blutungen, Nervenläsionen etc. zuzunehmen (Perez et al. 2004). Bei intraoperativen Dosen von nicht mehr als 15 Gy, kombiniert mit einer moderat dosierten prä- oder postoperativen Strahlenbehandlung, scheint die Rate an gravierenden unerwünschten Therapiefolgen gering zu sein. Die intraoperative Strahlentherapie ist eine interessante Ergänzung im Spektrum der onkologischen Therapien. Ihr Stellenwert lässt sich derzeit jedoch nicht präzise definieren. Es fehlen Daten, die eindeutig belegen, dass eine intraoperative Strahlentherapie einen zusätzlichen Gewinn an Überleben erzielt. Entsprechende Studien sind erforderlich. Als Vorteil ist zu werten, dass gute lokale Tumorkontrollen beobachtet wurden (Huber et al. 1996; Feldmann et al. 1998; Nuyttens et al. 2004).
26.7
Strahlentherapie in palliativer Intention
Auch die palliative Strahlentherapie führt zu einer Vernichtung von Tumorzellen im Rezidivtumor oder in der Metastase. Die Reduktion der Zahl vitaler und teilungsfähiger Tumorzellen soll das Volumen des Tumors verkleinern und sein neuerliches Wachsen möglichst lange verzögern. Aus der reduzierten Zellzahl und der Stagnation des Tumorwachstums ergibt sich der palliative Effekt im Sinne der Minderung von Beschwerden (vor allem Rückbildung von Schmerzen) und/ oder der geringeren Bedrohung durch absehbare Ereignisse wie Stenosen (von Bronchien, Trachea, Ösophagus), Blutungen, obere Einflussstauung, neurologische Ausfälle etc. Die Gesamtdosis bei palliativer Therapie ist in der Regel deutlich geringer als in kurativen Behandlungsstrategien, um Nebenwirkungen zu minimieren. Häufig wird mit erhöhten Einzeldosen (>2,0 Gy) behandelt, so dass der Behandlungszeitraum sich nur über einige Tage bis wenige Wochen erstreckt.
26.7.1 Hirnmetastasen Bei multiplen Hirnmetastasen ist die Strahlentherapie des gesamten Neurokraniums Therapie der Wahl. Wenn die Hirnmetastasen in Anzahl und Größe begrenzt und extrazerebrale Tumormanifestationen kontrolliert sind, führt eine stereotaktische Strahlenbehandlung oder Radiochirurgie mit einer einmaligen, sehr hohen Einzeldosis (z. B. 20 Gy) zu außerordentlich guten Erfolgen (Grosu et al. 2001; Schlegel u. Grosu 2009). Die verwendeten Technologien bei der Fokussierung auf den Krankheitsherd sind von millimetergenauer Präzision (7 Kap. 26.5.2).
297 26.8 · Akute Nebenwirkungen und Spätreaktionen
26.7.2 Leber- und Lungenmetastasen Das Prinzip der stereotaktisch geführten Strahlenbehandlung wird zunehmend auch an der Leber und der Lunge eingesetzt (Herfarth et al. 2001; Wulf et al. 2001, 2006; Zimmermann 2005, 2006; Rusthofen et al. 2009). Bei nicht resektablen Metastasen oder funktioneller Inoperabilität besteht somit durch gezielte Applikation einer hohen Dosis (z. B. 3×12,5 Gy innerhalb einer Woche) eine interessante und effiziente Behandlungsmöglichkeit. Dieses Verfahren, evtl. kombiniert mit Chemotherapie, wird die Palliativtherapie von Patienten mit gastrointestinalen Tumoren weiter verbessern.
26.7.3 Knochenmetastasen Ziel der palliativen Strahlentherapie von Knochenmetastasen ist die Schmerzlinderung und Stabilisierung. Etabliert haben sich hypofraktionierte Behandlungskonzepte. Im Zusammenhang mit der analgetischen Wirkung bei der Strahlenbehandlung von Knochenmetastasen kommen neben der Verminderung der Zahl der Tumorzellen, der Metastasenverkleinerung und der Druckentlastung weitere Effekte wie die radiogene Inhibition der Freisetzung von Schmerzmediatoren ins Spiel (Kretzler u. Molls 1997). Die im Regelfall 1–2 Wochen andauernde Strahlenbehandlung ossärer Metastasen hat so gut wie kein Risiko stärkerer Nebenwirkungen und ist meistens ambulant durchführbar.
26.8
Akute Nebenwirkungen und Spätreaktionen
Die Radioonkologie unterscheidet zwischen akuten, während der Behandlung auftretenden Nebenwirkungen einerseits und dauerhaften Veränderungen bzw. Spätschäden nach Monaten oder Jahren andererseits. Formal werden alle Nebenwirkungen innerhalb der ersten 90 Tage nach Strahlentherapiebeginn als akute Nebenwirkungen, alle später auftretenden als Spätfolgen bezeichnet. Die Strahlenbehandlung ist eine lokale Therapie. Nebenwirkungen treten so gut wie ausschließlich in der behandelten Region und organbezogen auf. Durch die Weiterentwicklung der Bestrahlungstechniken mit maximaler Normalgewebsschonung sind einige hochdosierte Therapiekonzepte erst ermöglicht worden. Schwere Spätfolgen sind heutzutage selten.
26.8.1 Akute Nebenwirkungen der Strahlen-
therapie Akute Nebenwirkungen der Strahlentherapie bilden sich vorwiegend an schnell proliferierenden Geweben wie Haut, Mukosa und Knochenmark aus und sind im Wesentlichen zurückführen auf Entzündungseffekte und strahleninduzierte Störungen der Zellneubildung bzw. Repopulierung. Für die Haut bedeutet dieses dosisabhängig die Entwicklung eines Erythems und ggf. von Epitheliolysen. Wegen gestörter Proli-
feration der Haarwurzelzellen kommt es lokal zum Haarausfall, der nur bei hohen kumulativen Hautdosen nicht reversibel ist. Bei der strahleninduzierten Mukositis ähnelt die Symptomatik einer abakteriellen Entzündung der betroffenen Organe (Pharyngitis, Ösophagitis, Enteritis, Zystitis etc.). Die proliferationshemmende Wirkung auf das von der Strahlentherapie erfasste Knochenmark wird in der Regel komplett durch das übrige Knochenmark kompensiert, so dass stärkere akute Blutbildveränderungen die Ausnahme sind. Unter Strahlentherapie und eine gewisse Zeit darüber hinaus wird bei relativ vielen Patienten eine körperliche Abgeschlagenheit und Müdigkeit beobachtet. Möglicherweise spielt hierbei die Freisetzung von Mediatoren bzw. Zytokinen aus dem radiogen entzündeten Areal eine Rolle (Geinitz et al. 2001).
26.8.2 Spätfolgen der Strahlentherapie Als »spät reagierend« werden die Gewebe bezeichnet, an denen die Folgen einer Strahlenbehandlung erst nach Monaten oder Jahren manifest werden. Dies sind Strukturen mit langsamer Zellneubildung. Speziell das Gehirn und Rückenmark zählen hierzu, aber auch die parenchymatösen Organe wie Lunge, Niere und Leber. Letztlich kann jedoch jedes Gewebe bei Überschreiten der organspezifischen Toleranzdosis späte Reaktionen auf eine Strahlentherapie ausbilden. Die Ursachen liegen u. a. in einer irreversiblen Schädigung der Mikrovaskulatur mit chronischer Hypoxämie des Gewebes und einer vorzeitigen Ausreifung von Fibroblasten mit verstärkter Bildung von Kollagen. Durch die resultierende Fibrose wird das Organ funktionell eingeschränkt. Für die Ausbildung von Spätfolgen nach Strahlentherapie ist neben der Gesamtdosis die Höhe der Einzeldosis pro Fraktion entscheidend: Bei gleicher nomineller Gesamtdosis ist eine Behandlung mit höherer Dosis als 2 Gy pro Fraktion mit einem höheren Risiko für das Auftreten von Spätfolgen verbunden.
Die Verringerung der täglichen Einzeldosis auf <1,8 Gy ist eine wesentliche Möglichkeit, das Risiko von Spätkomplikationen zu reduzieren.
Ob eine strahleninduzierte Veränderung des Gewebes symptomatisch wird oder nicht, hängt entscheidend vom strahlentherapeutisch erfassten Volumen ab und davon, welche Kompensationsmechanismen den nicht bestrahlten Organanteilen zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen steigt das Risiko von Spätfolgen bei Überschreiten der organspezifischen, kritischen Dosisschwellen schon mit einem relativ kleinen weiteren Dosiszuwachs steil an. Bei konventionell fraktionierter Strahlentherapie (1,8 bzw. 2,0 Gy Einzeldosis) liegt die kritische Dosisschwelle für den Dünndarm und das Kolon bei 40 bzw. 45 Gy. Dieses gilt
26
298
26
Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
für eine Bestrahlung relativ großer Darmabschnitte. Werden die genannten Gesamtdosen überschritten, nimmt bei kleinen weiteren Dosiszunahmen das Risiko von Stenosen, Perforationen, Fisteln und Ulzerationen deutlich zu (von ca. 5% Schadensereignissen in den ersten 5 Jahren nach Strahlentherapie auf höhere Inzidenzen; Nieder u. Rodemann 2009). Für das Rektum und das Risiko einer schwereren Proktitis, Stenosierung, Nekrose oder Fistel liegt die Dosisschwelle bei ca. 60 Gy (Svoboda et al. 1999). Kleinere Abschnitte des Rektums können mit einer deutlich höheren Dosis belastet werden (Geinitz et al. 2006). Bestimmte Zytostatika weisen ebenfalls organspezifische Langzeittoxizitäten auf, die bei Kombination mit Strahlentherapie unbedingt berücksichtigt werden müssen. Die Spätfolge einer radiogen induzierten Zweittumorerkrankung ist selten. Es bestehen komplexe Abhängigkeiten von der verwendeten Strahlendosis, dem behandelten Volumen, dem Alter des Patienten und der zusätzlichen Einwirkung von Zytostatika. Die Latenzzeit bis zur klinischen Manifestation des radiogenen soliden Tumors liegt in der Größenordnung von 1–3 Jahrzehnten. Bei der Induktion von Leukämien oder Lymphomen sind kürzere Latenzzeiten bekannt. Histologisch unterscheiden sich der radiogene und spontan entstandene Tumor nicht.
26.9
Nachsorge
Die obigen Ausführungen speziell zu den Spät-Nebenwirkungen unterstreichen die Bedeutung der strahlentherapeutischen Nachsorge. Nur so ist eine Rückkopplung der Ergebnisse in zukünftige Therapieplanungen möglich. Da bei geheilten Patienten vielfach eine Kombinationsbehandlung von Chirurgie und Strahlentherapie bzw. auch Chirurgie, Strahlentherapie und Chemotherapie erfolgte, kann es im Einzelfall schwierig sein, die Kausalzusammenhänge bei Entstehung von unerwünschten Spätveränderungen zu präzisieren. Grundsätzlich muss eine vermutete radiogene Spätveränderung vor dem Hintergrund der lokalen Dosisverteilung, der Höhe der Einzeldosis, der zeitlichen Abfolge der Bestrahlungen und einer Reihe weiterer strahlenbiologischer Einflussfaktoren beurteilt werden. Dieses ist einer der Gründe, warum von Seiten des Gesetzgebers die Beteiligung des strahlentherapeutischen Experten an der Nachsorge festgeschrieben ist. Ziel der Nachsorge insbesondere auch bei auf Patienten mit guter Langzeitprognose wird in Zukunft auch die posttherapeutische Verbesserung der Organfunktionen (Sprech- und Schluckfunktion, Extremitätenbeweglichkeit, Sphinkterfunktion etc.) sowie das Erlernen von Kompensationsmechanismen unter kontinuierlicher logopädischer, physiotherapeutischer und psychosozialer Anleitung sein.
26.10
Ausblick
Mit zunehmenden Verbesserungen in der Diagnostik werden zukünftig Tumoren in immer früheren Stadien erkannt wer-
den und damit das Problem der Metastasierung stärker in den Hintergrund treten. In der Heilung dieser frühen Tumorstadien werden die lokal ablativen Verfahren von herausragender Bedeutung sein. Hier werden neben schonender Chirurgie insbesondere die strahlentherapeutischen Hochpräzisionstechniken einen Beitrag zur Verbesserung der Prognose bei guter Langzeitverträglichkeit leisten. Wissenschaftlich bearbeitet der Münchner DFG-Exzellenzcluster »Munich-Center for Advanced Photonics« (www.munich-photonics.de/) diese Thematik der Verknüpfung von Früh-Erkennung mit der hochpräzisen Strahlentherapie. Literatur Alber M, Thorwarth D, Ganswindt U, Belka C (2009) Fluenzmodulierte Strahlentherapie (IMRT). In: Bamberg M, Molls M, Sack H (Hrsg.) Radioonkologie, Bd. 1 – Grundlagen. Zuckschwerdt, München Bamberg M, Molls M, Sack H (2009) Radioonkologie. Bd. 2 – Klinik. Zuckschwerdt, München Baumann M, Krause M (2009) Linear-quadratisches Modell und Fraktionierung. In: Bamberg M, Molls M, Sack H (Hrsg.) Radioonkologie, Bd. 1 – Grundlagen. Zuckschwerdt, München Baumann M, Kraus M (2009) Tumor biology‘s impact on clinical cure rates. In: Molls M, Vaupel P, Nieder C, Anscher M (eds) The impact of tumor biology on cancer treatment and multidisciplinary strategies. Springer, Berlin Heidelberg New York Bedenne L, Michel P, Bouche O, Milan Ch, Mariett Ch, Conroy T, Pezet D, Roullet B, Seitz JF, Herr JP, Paillot B, Arveux P, Bonnetain F, Binquet C (2007) Chemoradiation followed by surgery compared with chemoradiation alone in squamous cancer of the esophagus: FFCD 9102. J Clin Oncol 25:1160–1168 Begg AC, Hofland I, Moonen L, Bartelink H, Schraub S, Bontemps P et al. (1990) The predictive value of cell kinetic measurements in a european trial of accelerated fractionation in advanced head and neck tumors: an interim report. Int J Radiat Oncol Biol Phys 19: 1449–1453 Bonner JA, Harari PM, Giralt J, Azarnia N, Shin DM, Cohen RB, Jones CU, Sur R, Raben D, Jassem J, Ove R, Kies MS, Baselga J, Youssoufian H, Amellal N, Rowinsky EK, Ang KK (2006) Radiotherapy plus Cetuximab for squamous-cell carcinoma of the head and neck. N Engl J Med 354: 567–578 Budach V, Budach W (2001) Zum Thema: Sequenzielle und simultane Radio-/Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren. Onkologe 7: 533–549 Chau HC, Figg WD (2008) Pharmacology of Cancer Biotherapies: antioangiogenesis agents. In: DeVita VT, Lawrence TS, Rosenberg SA (eds) Cancer principles & practice of oncology, 6th ed. Lippincott, Philadelphia, pp 527–536 Chiu PW, Chan AC, Leung SF, Leong HT, Kwong KH, Li MK, Au-Yeung AC, Chung SC, Ng EK (2005) Multicenter prospective randomized trial comparing standard esophagectomy with chemotherapy for treatment of squamous esophageal cancer: early results from the Chinese University Research Group for Esophageal Cancer (CURE). J Gastrointest Surg 9:794–802 Chuba PJ, Moughan J, Forman JD, Owen J, Hanks G (2001) The 1989 patterns of care study for prostate cancer: five-year outcomes. Int J Radiat Oncol Biol Phys 50: 325–334 DeVita VT, Lawrence TS, Rosenberg SA (2008) Cancer: Principles & practice of oncology, 6th ed. Lippincott, Philadelphia Fein DA, Lee WR, Amos WR et al. (1996) Oropharyngeal carcinoma treated with radiotherapy: a 30-year experience. Int J Radiat Oncol Biol Phys 34: 289–296
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Kapitel 26 · Prinzipien der Strahlentherapie und der kombinierten Radio-/Chemotherapie
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27 27
Partikeltherapie A. Jensen, M. Münter, J. Debus
27.1
Grundlagen
27.1.1 27.1.2 27.1.3 27.1.4
Schwerionen und Protonen – 302 Linearer Energietransfer und relative biologische Wirksamkeit Strahlapplikation – 303 Verfügbarkeit – 304
27.2
Klinische Anwendungen
27.2.1 27.2.2 27.2.3 27.2.4 27.2.5 27.2.6 27.2.7 27.2.8 27.2.9 27.2.10
Uveamelanome – 307 Tumoren der Schädelbasis: Chordome und Chondrosarkome – 308 Maligne Speicheldrüsentumoren: adenoidzystische Karzinome – 309 NSCLC – 309 Ösophaguskarzinom – 311 Hepatozelluläres Karzinom – 313 Pankreaskarzinom – 314 Zervixkarzinom – 314 Sarkome/Chondrosarkome – 315 Prostatakarzinom – 315 Literatur
– 302
– 317
– 303
– 307
302
27
Kapitel 27 · Partikeltherapie
> Die Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen bietet sicher viele Vorteile hinsichtlich der physikalischen Dosisverteilung und, im Falle der Schwerionen auch hinsichtlich der biologischen Wirksamkeit. Mittlerweile wurde eine Vielzahl von Studien darunter einige prospektive Studien zur Partikeltherapie publiziert. Diese Therapieform konnte aufgrund der oben dargestellten Datenlage für die Behandlung von Uveamelanomen, Chordomen/Chondrosarkomen, adenoidzystischen Karzinomen, Lungentumoren, HCC und Prostatakarzinomen etabliert werden. Allerdings fehlen oft größere vergleichende Studien diesen Therapiemodalitäten. Zum einen waren und sind diese Therapien komplex und kostenintensiv und somit nicht einfach verfügbar. Zum anderen sind die behandelten Tumoren, wie z. B. Sarkome und maligne Speicheldrüsentumoren vergleichsweise selten, so dass schon aus diesem Grund ein systematischer, randomisierter Vergleich aufgrund der niedrigen Inzidenz schwer fällt. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit der Partikeltherapie – allein in der Bundesrepublik werden 2012 voraussichtlich 6 Partikeltherapiezentren in klinischem Betrieb sein – wird sich diese Situation auf lange Sicht höchstwahrscheinlich ändern. Zum einem gibt es durchaus häufigere Tumoren, die eine Indikation zur Partikeltherapie darstellen könnten und mit der zunehmenden Kapazität auch Zugang zu dieser Therapieform erhalten, zum anderen sollten systematische, randomisierte Studien zur Protonen- versus Schwerionentherapie zeigen, welcher Modalität in welcher Situation der Vorzug zu geben ist.
27.1
eine durch ihre kinetische Energie definierte Reichweite im Gewebe. Sie werden durch Interaktionen mit Atomen oder Atomkernen im Gewebe abgebremst. Am Ende ihrer Reichweite geben sie ihre Energie vollständig ab (sog. Bragg-Peak) und kommen zum Stillstand, damit ist der Punkt der maximalen Energiedeposition (Dosismaximum) durch die ursprüngliche, kinetische Energie des geladenen Teilchens bestimmt und anhand dieser entsprechend wählbar (. Abb. 27.1), residuale Dosis hinter dem Bragg-Peak bei Bestrahlung mit Schwerionen wie z. B. Kohlenstoffionen wird als »fragmentation tail« bezeichnet. Dieser entsteht durch Kernreaktionen mit 12C und Produktion von Kernfragmenten höherer Reichweite. Normalerweise beträgt dieser Anteil im klinischen Fall weniger als 10%, so dass dadurch keine wesentliche Einschränkung des Bestrahlungsplans entsteht. Durch geschickte Bestrahlungsplanung ist damit eine optimale Schonung umliegender Normalgewebe möglich.
Grundlagen
Bereits 1946, also knapp 27 Jahre nach Entdeckung der Protonen durch Ernest Rutherford, schlug der Physiker Robert Wilson als erster den Einsatz von Protonen und Schwerionen zur Tumorbehandlung in der Medizin vor. 1954 wurden erstmals Patienten mit Protonen am Berkeley Radiation Laboratory behandelt. Mehr als 2500 Patienten haben bis zum Abschluss des klinischen Projektes 1992 dort eine Behandlung mit Protonen und schwereren Ionen erhalten. Mittlerweile befinden sich 29 Zentren weltweit und 2 Anlagen in Deutschland in klinischem Betrieb, die Zentren in Heidelberg und Essen werden im Lauf des Jahres 2009 in Betrieb gehen. 20 weitere Anlagen sind weltweit geplant, davon 3 in Deutschland. Die Partikelbestrahlung wurde zunächst aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften für die Behandlung tief im Körper des Patienten gelegener Tumoren für die Radioonkologie interessant. Unter dem Überbegriff Partikeltherapie wird die Behandlung mit Neutronen, Protonen und schwereren Teilchen wie z. B. Heliumkernen, Kohlenstoff- oder Neonionen zusammengefasst.
. Abb. 27.1. Tiefendosisverteilung verschiedener Strahlqualitäten in Wasser. Blau: 21 MeV Photonen; grün: 148-MeV-Protonen; rot: 270MeV-12C
27.1.1 Schwerionen und Protonen Anders als die in der klassischen Strahlentherapie verwendeten ultraharten Röntgenstrahlen besitzen geladene Teilchen
. Abb. 27.2. Schematischer Tiefendosisverlauf verschiedener Strahlqualitäten. Rot: Photonen, gelb: SOBP-Protonen, grün: SOBP-12C
303 27.1 · Grundlagen
Da sich die Breite eines Bragg-Peaks im Millimeter-Bereich bewegt und daher ein klinisches Zielvolumen nicht abzudecken vermag, werden mehrere Bragg-Peaks zu einem sog. SOBP (Spread-out-Bragg-Peak) überlagert (. Abb. 27.2). So wird die adäquate Dosierung des zu behandelnden Tumors ermöglicht.
Die Bestrahlung mit schweren Ionen hat damit den Vorteil einer, im Vergleich zur Photonen und Protonenbestrahlung erhöhten Konformität auf das Zielvolumen.
27.1.2 Linearer Energietransfer und relative
biologische Wirksamkeit Die Zahl der Ionisationen stellte ein Maß für die zu erwartende biologische Wirksamkeit der eingesetzten Strahlung dar. Charakterisiert wird diese Eigenschaft durch die sog. Ionisationsdichte, also die Anzahl an Ionisationsereignissen entlang des Weges der Strahlung. Leider lässt sich diese Größe schwer messen, in der Praxis wird daher die Strahlung durch den LET (linearen Energietransfer), d. h. durch den mittleren Energieverlust entlang eines Weges charakterisiert. Man unterscheidet locker ionisierender Strahlung (Low-LET; <10 keV/μm) von dicht ionisierende Strahlung (High-LET; ≥10 keV/μm). Bei High-LET-Strahlen wie z. B. Kohlenstoffionen ist die Wahrscheinlichkeit letaler Strahlenschäden in der Zelle wesentlich höher, daher hat liegt ein wesentlicher Vorteil der Bestrahlung mit Neutronen oder schweren Ionen in ihrer höheren relativen Effektivität. Scholz et al. konnten diese Tatsache in vitro sehr eindrucksvoll zeigen (Scholz et al. 2001). Im Gegensatz zu Neutronenstrahlen, bei denen der LET unabhängig von der Eindringtiefe gleichmäßig hoch bleibt, steigt der LET von Schwerionen wie 12C mit zunehmender Eindringtiefe bis zum Maximum im Bragg-Peak. Die biologische Wirkung einer Strahlenart steigt mit deren LET, zum Vergleich dient γ60Cobalt. Die relative biologische Wirkung (»relative biological effectiveness«, RBE) be-
. Abb. 27.3. Prinzip des Raster-ScanVerfahrens (Schlegel u. Mahr 2007)
zeichnet das Verhältnis der Energiedosis von γ60Cobalt zur Energiedosis der untersuchten Strahlung, die denselben biologischen Effekt erzeugt (Isoeffektivität). Der im Allgemeinen verwendeten ultraharten Röntgenstrahlung des Linearbeschleunigers wurde der RBE von 1 zugeordnet. Der RBE nimmt mit zunehmendem LET bis zur optimalen Ionisationsdichte zu. Für höhere LET treten Sättigungseffekte auf, eine weitere Wirkungssteigerung ist nicht mehr möglich. Gewebe reagieren allerdings nicht gleich auf Hoch-LETStrahlung, die relative biologische Wirksamkeit scheint gerade für langsam wachsende Tumoren mit ausgeprägter Resistenz gegenüber konventioneller Strahlentherapie erhöht zu sein. Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte für den ersten Einsatz der Schwerionen in der Klinik z. B. bei Chordomen und Chondrosarkomen, malignen Speicheldrüsentumoren, Weichteilund Knochensarkome sowie Prostatakarzinome. Analog zu den historischen Neutronenserien erwartet man sich höhere Tumorkontrollraten bei ähnlicher Toxizität.
27.1.3 Strahlapplikation Da der Partikelstrahl nach Möglichkeit klein gehalten werden sollte, um den Transport von Beschleunigerring zur Therapiestation kostensparend zu ermöglichen, muß dieser entweder schrittweise die »Breite« des Zielvolumens abtasten (aktive Strahlapplikation) oder auf die entsprechende Breite aufgeweitet werden (passive Strahlapplikation). Bei der aktiven Strahlapplikation wird die Eindringtiefe durch die Wahl der jeweiligen Energie der Teilchen im Beschleuniger, die Feldgröße durch den jeweiligen Scanbereich bestimmt. So wird das Tumorvolumen in verschiedene, sog. isoenergetische Schichten unterteilt, die nach und nach abbestrahlt werden (Raster-Scan-Verfahren; . Abb. 27.3 und . Abb. 27.4). Dieses Verfahren stellt somit eine elegante, aber technisch aufwändige Lösung dar. Im Gegensatz hierzu erfolgt die Reichweitenmodulation bei der passiven Strahlapplikation durch Vorschalten von Modulatoren entsprechender Dicke, wobei sich in einem Nebeneffekt ebenfalls die Eintrittsdosis im Gewebe erhöht
27
304
Kapitel 27 · Partikeltherapie
. Abb. 27.4. Beispiel: Scan-Vorgang verschiedener isoenergetischer Schichten. Grün: abbestrahlte Rasterpunkte, weiß: ausstehende, zu bestrahlende Raster-Punkte (Schlegel u. Mahr 2007)
27
(. Abb. 27.5). Zusätzlich wird hierfür zur lateralen Feldbegrenzung patientenspezifische Hardware benötigt.
27.1.4 Verfügbarkeit
. Abb. 27.5. Kompensator schematisch (Urie et al. 1984)
Bisher ist die Verfügbarkeit von Partikeltherapiezentren eher begrenzt, systematische und vergleichende Untersuchungen mit größeren Patientenzahlen waren bisher nicht möglich. Nach der Erfolgen erster Pilotprojekte werden nun jedoch mehr und mehr Zentren gebaut und in Betrieb gehen. Schwerionen zur Therapie von Patienten sind derzeit nur in 2 klinikbasierte Zentren in Japan (HIMAC, Chiba und PATRO, Hyogo) verfügbar. Bis Sommer 2008 konnten durch die Universitätsklinik Heidelberg in Kooperation mit der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt dreimal jährlich Patienten mit Kohlenstoffionen behandelt werden. Diese Therapie wird mit der Inbetriebnahme des HIT in Heidelberg erneut verfügbar. Eine Übersicht über aktive und geplante Therapiezentren findet sich in den . Tab. 27.1 und . Tab. 27.2.
305 27.1 · Grundlagen
. Tab. 27.1. Bisherige Therapieeinrichtungen (Stand März 2009, nach ptcog.web.psi.ch/ptcentres.html)
Einrichtung
Land
Partikel
Maximale klinische Energie
Einstrahlrichtung
Therapiebeginn
Bisher behandelte Patienten
ITEP, Moskau
Russia
p
250
Horizontal
1969
4024
St. Petersburg
Russia
p
1000
Horizontal
1975
1327
PSI, Villigen
Schweiz
p
72
Horizontal
1984
5076
Dubna
Russland
p
200
Horizontal
1999
489
Uppsala
Schweden
p
200
Horizontal
1989
929
Clatterbridge
England
p
62
Horizontal
1989
1803
Loma Linda
USA
p
250
Gantry, horizontal
1990
13.500
Nice
Frankreich
p
65
Horizontal
1991
3690
Orsay
Frankreich
p
200
Horizontal
1991
4497
iThemba Labs
Südafrika
p
200
Horizontal
1993
503
MPRI(2)
USA
p
200
Horizontal
2004
632
UCSF, Kalifornien
USA
P
60
Horizontal
1994
1113
HIMAC, Chiba
Japan
Ion
800/u
Horizontal, vertikal
1994
4504
TRIUMF, Vancouver
Kanada
P
72
Horizontal
1995
137
PSI, Villigen
Schweiz
P
250
Gantry
1996
426
G.S.I., Darmstadt
Deutschland
Ion
430/u
Horizontal
1997
384
HZB (HMI), Berlin
Deutschland
P
72
Horizontal
1998
1227
NCC, Kashiwa
Japan
P
235
Gantry
1998
607
HIBMC, Hyogo
Japan
P
230
Gantry
2001
2033
HIBMC, Hyogo
Japan
Ion
320
Horizontal, vertikal
2002
454
PMRC(2), Tsukuba
Japan
P
250
Gantry
2001
1367
NPTC, MGH Boston
USA
P
235
Gantry, horizontal
2001
3515
INFN-LNS, Catania
Italien
P
60
Horizontal
2002
174
Shizuoka
Japan
P
235
Gantry, horizontal
2003
692
WERC, Tsuruga
Japan
P
200
Horizontal, vertikal
2002
56
WPTC, Zibo
China
P
230
Gantry, horizontal
2004
767
MD Anderson Cancer Center, Houston
USA
P
250
Gantry, horizontal
2006
1000
FPTI, Jacksonville
USA
P
230
Gantry, horizontal
2006
988
NCC, IIsan
Südkorea
P
230
gantry, Horizontal
2007
330
RPTC, München
Deutschland
P
250
Gantry, horizontal
2009
Behandlung gestartet
27
306
Kapitel 27 · Partikeltherapie
. Tab. 27.2. Geplante weitere Partikeltherapiezentren (Stand März 2009, nach ptcog.web.psi.ch/newptcentres.html)
Einrichtung
Land
Partikel
Maximale klinische Energie
Einstrahlrichtung
Behandlungs- Therapieräume beginn
PSI, Villigen
Schweiz
P
250 SC Cyclotron
Zusätzlicher Gantry, with zweidimensionalem parallel Scanning 1 Horizontal fixed beam
1+2
2009
UPenn, Philadelphia
USA
P
230 Cyclotron
4 Gantries 1 Horizontal fixed beam
5
2010
Med-AUSTRON, Wien
Österreich
P, C-ion
400/u Synchrotron
1 Gantry (Protonen) 1 fixed 90° 1 fixed 90°+45°
3
2013
Trento
Italien
P
230 Cyclotron
1 Gantry 1 Horizontal fixed beam
2
2011?
CNAO, Pavia
Italien
P, C-Ion
430/u Synchrotron
1 Gantry? 3 Horizontal, 1 vertikal
3–4
2010?
HIT, Heidelberg
Deutschland
P, C-Ion
430/u Synchrotron
1 Gantry (C-Ions) mit Rasterscanning 2 fixed beams
3
2009
iThemba Labs
Südafrika
P
230 Cyclotron
1 Gantry 2 Horizontal
3
?
RPTC, Köln
Deutschland
P
250 SC Cyclotron
4 Gantries 1 Horizontal
5
?
WPE, Essen
Deutschland
P
230 Cyclotron
3 Gantries 1 Horizontal
4
2009
CPO, Orsay
Frankreich
P
230 Cyclotron
1 Gantry 4 fixed beams
3
2010
PTC, Marburg
Deutschland
P, C-Ion
430/u Synchrotron
3 Horizontal fixed beams 1 45° fixed beam
4
2010
Northern Illinois PT Res. Institute, W. Chicago
USA
P
250 SC Cyclotron
2 Gantries 2 fixed beams
4
2010
NRoCK, Kiel
Deutschland
P, C-Ion
430/u Synchrotron
1 90° fixed beam 1 90°+45° fixed beam 1 90°+0° fixed beam
3
2012
Chang Gung Memorial Hospital, Taipei
Taiwan
P
235 cyclotron
4 Gantries 1 Experimentierraum
4
2011
Gunma University, Maebashi*
Japan
C-Ion
400/u Synchrotron
1 90° fixed beam 1 0° fixed beam 1 0°+90° fixed beam
3
2010
Oklahoma City*
USA
P
230 Cyclotron
1 Gantry 1 Horizontal, 2 dual fixed beams
4
2009
HUPBTC, Hampton
USA
P
230 Cyclotron
4 Gantries 1 Horizontal
5
2010
PMHPTC, Protvino*
Russland
P
250 Synchrotron
1 Horizontal
1
2010
CCSR, Bratislava
Slowakei
P
72 Cyclotron
1 Horizontal
1
2010?
CMHPTC, Ruzomberok* Slowakei
P
250 Synchrotron
1 Horizontal
1
2010
SJFH, Beijing
China
P
230 Cyclotron
1 Gantry 1 Horizontal
2
2010
Skandion Clinic, Uppsala
Schweden
P
250 Cyclotron
2 Gantries
2
2012?
27
307 27.2 · Klinische Anwendungen
27.2
Klinische Anwendungen
Protonen. Vorteil der Protonentherapie gegenüber der Hoch-
präzisionsstrahlentherapie mit Photonen z. B. als IMRT (intensitätsmodulierte Strahlentherapie) liegt in der niedrigeren integralen Dosis. Obwohl die IMRT ähnliche Dosisverteilungen und hinsichtlich der Coverage und Konformität über das Zielvolumen erreicht, ist der Niedrigdosisanteil außerhalb des Zielvolumens beträchtlich höher. Daher eignet sich die Partikeltherapie auch und gerade für pädiatrische Tumoren, die Wahrscheinlichkeit strahlentherapieassoziierter Sekundärmalignome könnte somit reduziert werden. Wann immer möglich bzw. verfügbar, wird aus diesem Grund eine Protonentherapie für Kinder oder Jugendliche bevorzugt, obwohl es dahingehend bisher keine randomisierten Phase-III-Studien gibt. Die Therapie mit Protonen wurde außerdem für die Behandlung von Uveamelanomen, Chordomen und Chondrosarkomen, NSCLC und Prostatakarzinomen an größeren Patientenzahlen erfolgreich eingesetzt. Schwerionen. Wie bereits erklärt, zeigen Schwerionen ähn-
liche physikalische Eigenschaften wie Protonen und bieten darüber hinaus eine, im Vergleich zur Protonentherapie erhöhte biologische Wirksamkeit. Aufgrund strahlenbiologischer Überlegungen wird der maximale Effekt der Schwerionentherapie in langsam wachsenden, bisher als radioresistent geltenden Tumoren erwartet. Aufgrund der geringen Verfügbarkeit in weltweit nur 3 Zentren existieren daher vor allem Erfahrungen mit Chordomen, Chondrosarkomen und adenoidzystischen Karzinomen mit dieser Therapieform.
Im Folgenden sollen einige Indikationen dargestellt werden, bei denen die Partikeltherapie bereits erfolgreich eingesetzt wird, die Aufstellung erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
27.2.1 Uveamelanome Zu den etablierten Therapiemodalitäten des Aderhautmelanoms zählen sowohl chirurgische Enukleation als auch die Brachytherapie mit 106Ru-Applikatoren oder, wo verfügbar, die Protonentherapie, mit der lokale Kontrollraten von über 90% nach 5 Jahren erreicht werden können (. Tab. 27.3). Der Augenerhalt liegt bei den berichteten Serien zwischen 75 und 92% (Egger et al. 2003; Courd et al. 1999; Char et al. 1993; Fuss et al. 2001; Dendale et al. 2006; Gragoudas et al. 2000; Desjardins et al. 2003, Castro et al. 1994; Damato et al. 2005; Hocht et al. 2004). Gewöhnlich wurde eine Dosis von etwa 60 Gy E in 4 Fraktionen verabreicht. In einer Phase-III-Studie von Gragoudas et al. (2000) wurde die Dosis von 50 Gy E gegenüber der etablierten Dosierung getestet. Hinsichtlich der lokalen Kontrolle zeigte sich kein Unterschied, wohl aber in Bezug auf den resultierenden Gesichtsfeldverlustes, so dass man mittlerweile zur Applikation der niedrigeren Gesamtdosis von 50 Gy E im Sinne einer reduzierten Nebenwirkungsrate und höheren Gesichtsfelderhaltes übergangen ist. Eine neuere Studie zur Behandlung von großen Aderhautmelanomen mit Schwerionen aus Japan konnte ebenfalls eine hohe lokale Kontrolle und konsekutiven Augenerhalt zeigen (Tsuji et al. 2007). Eine Übersicht aktueller, größerer
. Tab. 27.3. Therapieergebnisse größerer Patientenserien mit Uveamelanom
Autor/Jahr
Patientenzahl
Art der Strahlentherapie
Lokale Kontrolle
Augenerhalt
Char et al. 1993
184
He vs. 125I
He: lokale Kontrolle ↑, Komplikationsrate ↑
Keine Angabe
Castro et al. 1997
347
He
96% (5 Jahre)
81%/5a
Courdi et al. 1999
538
Protonen
89,0% (5 Jahre)
88%/5a
Gragoudas et al. 2000
188
Protonen 70 GyE
97% (5 Jahre)
96%/5a
Protonen 70 GyE
98% (5 Jahre)
95%/5a
78
Protonen
90,5% (5 Jahre)
75,2%/5a
Dendale et al. 2006
1406
Protonen
96% (5 Jahre)
92,3%/5a
Desjardins et al. 2003
1272
125I
96,25% (5 Jahre)
92,8%/5a
Protonen
96% (5 Jahre)
88,8%/5a
245
Protonen
95,5% (3 Jahre)
87,5%/3a
Damato et al. 2005
88
Protonen
96,7% (4 Jahre)
90,6%/4a
Dendale et al. 2006
1406
Protonen
96% (5 Jahre)
92,3%/5a
12C
97,4% (3 Jahre)
91,1%/3a
Fuss et al. 2001
Hocht et al. 2004
Tsuji et al. 2007
57
vs.
27
308
Kapitel 27 · Partikeltherapie
Studien wurde von Schulz-Ertner et al. (2007) zusammengefasst (. Tab. 27.3).
Insbesondere die Behandlung mit schweren Ionen erscheint für diese Entitäten vorteilhaft, wie bereits frühe Daten aus Bestrahlung mit Helium- und Neonionen am Lawrence Berkeley Laboratory (LBL) mit 5-Jahres-Kontrollraten von 78% für Chondrosarkome und 63% für Chordome zeigten (Castro et al. 1994). Terahara et al. (1999) konnten in einer retrospektiven Analyse von 115 mit Photonen und Protonen (mediane Dosis 68,9 Gy E) behandelten Patienten eine lokale Kontrolle von 59% und 44% nach 5 und 10 Jahren nachweisen, wobei diese Untersuchung Patienten zwischen 1978 und 1993, also größtenteils in der Prä-3D-Ära behandelte Patienten einschließt. Eine Auswertung des Paul-Scherrer-Institutes (PSI Villigen) von 18 Patienten mit Chordom und 11 Patienten mit Chondrosarkom, die mit Protonen mit Gesamtdosen von 74 Gy E bzw. 68 Gy E behandelt wurden, ergaben 3-Jahres-Kontrollraten von 87,5% für Chordome und 100% für Chondrosarkome (Weber et al. 2005). Diese Ergebnisse konnten durch den Einsatz von Kohlenstoffionen weiter verbessert werden: In einem Kollektiv von 54 Patienten mit Chondrosarkom, die mit Kohlenstoffionen (median 60 Gy E) an der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) bestrahlt wurden, konnte eine lokale Kontrolle von 96,2% und 89,8% nach 3 und 4 Jahren erzielt werden. Die Behandlung war von sehr geringen Spättoxizitäten begleitet (≥3:1,9%). Im selben Zeitraum wurden 96 Patienten mit makroskopischem Resttumor bei Chordom, ebenfalls mit Kohlenstoffionen (median 60 Gy E) am selben Zentrum behandelt. Hier wurden lokale Kontrollraten von 80,6% und 70% nach 3 und 5 Jahren erreicht (Schulz-Ertner et al. 2007). In dieser Serie zeigten sich lediglich zwei Fälle einer Grad-3-
27.2.2 Tumoren der Schädelbasis:
Chordome und Chondrosarkome
27
Diese Tumoren sind aus strahlentherapeutischer Sicht bisher eine große Herausforderung. Die primäre Therapie erfolgt in aller Regel chirurgisch, jedoch ist eine komplette Resektion im Bereich der Schädelbasis oft nicht möglich. Leider handelt es sich bei diesen Tumoren außerdem um gegenüber der konventionellen Röntgenstrahlung eher unsensible Tumoren, die sich außerdem in unmittelbarer Nachbarschaft zu kritischen und sehr strahlenempfindlichen Strukturen der Schädelbasis befinden. Die lokalen Kontrollraten, die mittels konventioneller Bestrahlung erreicht werden können, sind daher zumindest für Chordome der Schädelbasis eher enttäuschend und werden in der Literatur zwischen 17 und 50% angegeben. Die besten Ergebnisse konnten durch den Einsatz der fraktionierten, stereotaktischen Bestrahlung erzielt werden (Debus et al. 2000). Entsprechend ergibt sich gerade für diese Tumorarten alleine aufgrund der überlegenen Dosisverteilung die Indikation zur Teilchentherapie. Mit dieser Therapieform sind lokale Kontrollraten zwischen 46 und 74% nach 5 Jahren für Chordome und zwischen 78 und 98% für Chondrosarkome erreicht worden. Eine tabellarische Zusammenfassung der einzelnen Studienergebnisse findet sich in . Tab. 27.4 und . Tab. 27.5.
. Tab. 27.4. Ergebnisse Partikeltherapie: Chordome
Autor/Jahr
Patientenzahl
Art der Strahlentherapie
Lokale Kontrolle
Romero et al. 1999
18
Konventionelle Radiotherapie
17%
Debus et al. 2000
45
Fraktionierte stereotaktische Radiotherapie
50% (5 Jahre)
Munzenrider et al. 1999
519
p+/Photonen
73% (5 Jahre)
Castro et al. 1994
223
He
63% (5 Jahre)
Noel et al. 2001
67
p+/Photonen
71% (3 Jahre)
Schulz-Ertner 2007
67
12C
70% (5 Jahre)
. Tab. 27.5. Ergebnisse Partikeltherapie: Chondrosarkome
Autor/Jahr
Patientenzahl
Art der Strahlentherapie
Lokale Kontrolle
Munzenrider et al. 1999
519
p+/Photonen
98% (5 Jahre)
Castro et al. 1994
223
He
78% (5 Jahre)
67
p+/Photonen
85% (3 Jahre)
67
12C
89,8% (4 Jahre)
Noel et al. 2001 Schulz-Ertner 2007
309 27.2 · Klinische Anwendungen
Spättoxizität (4,1%; Optikus-Neuropathie, Nekrose einer Fettplombe).
Vergleicht man die Kontrollraten der Chordome dieser Serie mit der anderer Arbeitsgruppen, so zeigt sich die lokale Kontrolle abhängig von der erreichten Dosis im Zielvolumen. Daher ergibt sich ein klarer Vorteil der Teilchentherapie.
27.2.3 Maligne Speicheldrüsentumoren:
adenoidzystische Karzinome Speicheldrüsentumoren sind seltene Tumoren mit einem Anteil von etwa 3–5% aller Kopf-Hals-Tumoren. Unter dem Überbegriff der malignen Speicheldrüsentumoren werden sehr heterogene Entitäten zusammengefasst, die sich deutlich hinsichtlich ihrer Histologie unterscheiden. Man unterscheidet High-grade- und Low-grade-Tumoren. Zu den Highgrade-Tumoren gehören Mukoepidermiodkarzinome (»high grade«), Adenokarzinome, adenoidzystische Karzinome, Plattenepithelkarzinome, Karzinome ex pleomorphem Adenom und anaplastische bzw. undifferenzierte Karzinome. Mukoepidermoidkarzinome und adenoidzystische Karzinome gehören mit 35% und 25% zu den häufigsten histologischen Subtypen (Spiro 1986), diese sind charakterisiert durch ein eher langsames Wachstumsmuster mit Ausbreitung entlang der Neuralscheiden sowie hohem Potenzial hämatogener Metastasierung. Die derzeitige Standardtherapie der High-grade-Tumoren besteht aus einer möglichst vollständigen, chirurgischen Resektion gefolgt von einer adjuvanten Bestrahlung im Falle von inkompletten/knappen Absetzungsrändern, perineuraler Invasion oder Infiltration von größeren Nerven sowie größeren (T3/T4) und Lymphknoten-positiven Tumoren (Chen et al. 2007; Gurney et al. 2005; Mendenhall et al. 2004). Um eine lokale Kontrolle zu erreichen, wird derzeit eine Bestrahlungsdosis von > 60 Gy empfohlen (Chen et al. 2006; Garden et al. 1994), wobei alle Tumorstadien in Bezug auf die lokale Kontrolle, jedoch insbesondere T3/T4-Tumoren von einer postoperativen Strahlentherapie profitieren (Bittner et al. 2008; Chen et al. 2007; Terhaard et al. 2004). Hinsichtlich der Strahlentherapie konnte eine Verbesserung der lokalen Kontrolle durch Einsatz von Präzisionsstrahlentherapietechniken, Dosiseskalation und die Verwendung von Hoch-LET-Strahlung gezeigt werden (Bittner et al. 2008; Douglas et al. 2003; Huber et al. 2001; Mizoe et al. 2004; Schulz-Ertner et al. 2005). Der Einsatz der intensitätsmodulierten Bestrahlungstechnik (IMRT) sowie weiterer Hochpräzisionsstrahlentherapietechniken konnte bereits eine Verbesserung der lokalen Kontrolle im Vergleich zur konventionellen RT mit einem 3-Jahres-PFS von 38% erzielen (Münter et al. 2006). Die Verwendung von Neutronen zur strahlentherapeutischen Behandlung der adenoidzystischen Karziinome zeigte allerdings bisher die höchste lokale Kontrollrate mit 75–100% bei 5 Jahren, war jedoch teilweise mit beträchtlicher
Spättoxizität verbunden (Douglas et al. 2003; Huber et al. 2001). Mit der Neutronenbehandlung vergleichbare Ergebnisse ohne höhergradige Nebenwirkungen lassen sich derzeit durch die Kombination von IMRT mit Schwerionenboost erzielen. Untersuchungen zur Dosiseskalation der Schwerionenbestrahlung von Mizoe et al. (2004), obwohl in einem kleinen Patientenkollektiv, propagieren eine reine Schwerionentherapie und Gesamtdosen von 70,2 Gy E in Einzeldosen von 3×3,9 Gy/ Woche bzw. 64 Gy E in Einzeldosen von 4×4 Gy E/Woche. Trotz der hohen Einzeldosen wurden keine CTC-Grad-3Spätreaktionen und nur wenige Grad-3-Akutreaktionen beobachtet. Die lokale Kontrolle nach 5 Jahren lag bei 100%, wobei verschiedene histologische Subtypen der Speicheldrüsentumoren in die Studie eingeschlossen wurden. Pommier et al. (2006) untersuchten 23 Patienten mit adenoidzystischem Karzinom. Diese erhielten eine Strahlentherapie mit Protonen bis zu einer Gesamtdosis von 75,9 Gy E (median) allerdings in unterschiedlichen Fraktionierungsschemata. Hier konnte eine lokale Kontrolle von 93% nach 5 Jahren erreicht werden, wobei nicht unwesentliche Grad-3-Spättoxizitäten bzw. eine °5 Toxizität (Temporallappennekrose) auftrat. Douglas et al. (2000) publizierten ebenfalls eine retrospektive Evaluation von 159 mit Neutronen behandelten Patienten mit adenoidzystischem Karzinom (Gesamtdosis 19,2 Gy) und konnten eine lokale Kontrolle von 57% nach 5 Jahren nachweisen. Allerdings berichteten auch diese Autoren über eine Spättoxizität > Grad 3 von etwa 14%. Jüngste Kontrollraten von Schulz-Ertner et al. (2005) bei adenoidzystischen Karziinomen zeigen eine lokale Kontrolle von fast 78% innerhalb von 4 Jahren; hierbei wurden 54 Gy über die Photonen-IMRT und 18 Gy mittels Schwerionentherapie mit Kohlenstoff-Ionen appliziert. Das beobachtete Toxizitätsprofil war dabei im Gegensatz zu den oben genannten Serien sehr milde (Spättoxizität Grad 3 bei nur einem Patienten). Eine tabellarische Zusammenfassung der einzelnen Studienergebnisse findet sich in . Tab. 27.6.
In Anbetracht der Kontrollrate bzw. der niedrigen Toxizität ist die Kombination aus Photonen-IMRT und Schwerionenboost mittlerweile als Standardtherapie in Deutschland zugelassen und stellt die Therapie der Wahl bei adenoidzystischen Karzinomen nach Operation dar.
27.2.4 NSCLC Bei der Strahlentherapie im Bereich des Thorax müssen Lunge, Ösophagus, Rückenmark und ggf. Herz als sensibelste Strukturen betrachtet werden. Die Dosisabhängigkeit der lokalen Kontrolle bei Lungentumoren ist seit langem bekannt, daher ist gerade bei diesen Tumoren eine Dosiseskalation notwendig und aufgrund der bereits beschriebenen physikalischen Eigenschaften der Partikelbestrahlung gerade in diesem Zusammenhang sinnvoll.
27
310
Kapitel 27 · Partikeltherapie
. Tab. 27.6. Zusammenstellung der größeren Behandlungsserien zu adenoidzystischen Karzinomen
27
Autor/Jahr
Patientenzahl
Art der Strahlentherapie
Lokoregionäre Kontrolle (5 Jahre)
Chen et al. 2007
207
Keine RT
86%
Chen et al. 2006
140
Keine RT vs.
80%
0%
Photonen, 64 Gy
92%
37%
Douglas et al. 2000
159
Mendenhall et al. 2004
101
Garden et al. 1994
160
Gurney et al. 2005
T4 (10 Jahre)
5-JahresGesamtüberleben
Grad-3/4Spättoxizität
83%
(Keine RT)
85%
Keine Angabe
n, 19,2 Gy
9,40%
R2
57%
R1–2
100%
RT (50–72,4 Gy) vs.
56%
30%
75%
RT + Sx
94%
62%
90%
Photonen, 60 Gy
96%
Photonen, 60 Gy
94%
81%
12,9%
33% Keine Angabe
Münter et al. 2006
25 (große Tumoren)
IMRT, 66 Gy
38%
Huber et al. 2001
75
n, 16 Gy
75%
19%
Photonen, 64 Gy
32%
4%
Gemischt (n: 8 Gy, Photonen 32 Gy)
32%
10%
12C
50%
0%
Mizoe et al. 2004
36
72% (3 Jahre)
0%
48,6 Gy 52,8 Gy Schulz-Ertner et al. 2005
Pommier et al. 2006
29
Photonen + 12C, 72 Gy E
77,5%/4a
75,8% (4 Jahre)
3,40%
34
Photonen, 66 Gy
24,6%/4a
77,9% (4 Jahre)
5,90%
23
Protonen; 75,9 Gy
93%
In der konventionellen, fraktionierten Strahlentherapie werden in den internationalen Leitlinien Dosen von 60–70 Gy mit klinisch vertretbarem Nebenwirkungsspektrum empfohlen. In der täglichen klinischen Routine sind jedoch die o. g. Dosen in der fraktionierten Strahlentherapie häufig aufgrund der bereits schon stark eingeschränkten Lungenfunktion der Patienten oder der notwendigen, ausgedehnten Zielvolumina selten erreichbar. Eine Dosisapplikation über diese biologisch effektive Dosis hinaus ist mit Photonen derzeit nur als Einzeittherapie bei kleinen Tumoren möglich, maximal werden
17%
37 Gy pro Fraktion verabreicht, klinische Ergebnisse erreichen bei kleinen Tumoren (T1/T2) in etwa vergleichbare Ergebnisse wie die chirurgische Resektion. Verbesserungen in Bezug auf die lokale Kontrolle bei Lungentumoren konnten in den 1990er-Jahren durch konformalere Bestrahlungstechniken und den Einsatz der intensitätsmodulierten Strahlentherapie (IMRT) erreicht werden, die eine Dosissteigerung im Vergleich zur konventionellen Technik zuließen. Die physikalischen Eigenschaften der Protonenund Schwerionenstrahlen (SOBP) erlauben jedoch sehr
311 27.2 · Klinische Anwendungen
scharfe Gradienten und damit eine weitere Dosiseskalation. Zusätzlich verspricht die höhere RBE der Kohlenstoffionen eine erhöhte Wirksamkeit gerade in nekrotischen und hypoxischen Tumorarealen. Die größte Erfahrung bei der Ionenstrahltherapie von Lungentumoren besteht in der Behandlung der Anfangsstadien (T1/T2) sowohl mit Protonen (Bush et al. 1994, 2004; Nihei et al. 2006) als auch mit Kohlenstoffionen (Miyamoto et al. 2003; Koto 2004; Miyamoto et al. 2007; Nishimura et al. 2003). Hinsichtlich der Behandlung wurden verschiedene Therapieregime unterschiedlicher Fraktionierungen getestet. Ergebnisse aus Chiba zur Bestrahlung von T1/T2-Tumoren mit Dosen zwischen 79,2 Gy E (8,8 Gy/Fx) und 95,4 Gy E (5,3 Gy E/Fx) hinsichtlich der Kontrollraten, Toxizität und Einfluss auf die Lungenfunktion wurden in verschiedenen Arbeiten publiziert (Koto et al. 2004; Nishimura et al. 2003; Kadono et al. 2002; Miyamoto et al. 2003). Die lokale Kontrolle nach 5 Jahren (»in field«) im eingeschlossenen Patientenkollektiv lag damit bei 79%, wobei sich die applizierte Gesamtdosis als einziger signifikanter Faktor bezüglich der lokalen Kontrolle in der Multivarianzanalyse erkennen ließ. Es kam insgesamt zu 19 Lokalrezidiven (23,3%), 13 davon lagen direkt im Zentrum des ehemaligen Zielvolumens, so dass davon auszugehen ist, dass eine weitere Dosissteigerung zur zusätzlichen Verbesserung der Lokalkontrolle notwendig ist. Trotzdem liegt die lokale Kontrolle nach Ionenstrahltherapie in dieser Serie deutlich über den derzeit durch konventionelle fraktionierte Bestrahlung erreichbaren Ergebnissen so dass die Ergebnisse der Ionenstrahltherapie als überlegen anzusehen sind. Bei Bestrahlungsdosen von über 86,4 Gy E (18 Fx) oder 72 Gy E in 9 Fraktionen konnte eine lokale Kontrolle mittels Partikelbestrahlung von über 90% in 5 Jahren mit sehr niedriger Toxizität erreicht werden und bewegt sich damit im Bereich der chirurgischen Ergebnisse (Miyamoto et al. 2003). Auch in Bezug auf das Gesamtüberleben sind die Ergebnisse der Ionenstrahltherapie erfreulich. Zwar zeigten alle Patienten pulmonale Veränderungen im Kontroll-CT nach erfolgter Kohlenstoffionentherapie, nur die wenigsten waren jedoch symptomatisch oder gar behandlungsbedürftig. Bei 9,8% der Patienten (8/81) kam es zu akuten pulmonalen Reaktionen (RTOG) von Grad 2 oder 3, die sich laut Autoren vollständig erholten. Im Vergleich zur derzeit üblichen perkutanen Photonenbestrahlung ist die Pneumonitis-Rate in der hier untersuchten Patientengruppe deutlich niedriger. In konventionellen Serien werden ≥Grad-2-Nebenwirkungen mindestens in 15% der Fälle und nach 12 bzw. 24 Monaten mindestens in 17–20% der Fälle berichtet. Eine Phase-I-Studie, durchgeführt im Zeitraum zwischen 1999 und 2003, untersuchte Protonenbestrahlung bei Patienten mit NSCLC im Stadium I in 20 Einzeldosen über 4–5 Wochen mit Dosissteigerung beginnend mit 70 Gy E bis zu 98 Gy E (Nihei et al. 2006). Das Auftreten eines Falles einer symptomatischen Strahlenpneumonitis (CTC Grad 3) führte zu einer vorzeitigen Beendigung der Dosiseskalation und damit des Studienprotokolls bei 94 Gy E bei ansonsten mildem Nebenwirkungsspektrum. Lokoregionär kam es zu 2 Rezidiven, was sich in einem 2-Jahres-progressionsfreien Überleben von 80% und einem 2-Jahres-Gesamtüberleben von 82% widerspiegelt.
Aufgrund der aufwändigen Lagerung der Patienten inkl. Applikation moderner Gating-Techniken werden zunehmend Hypofraktionierungsschemata untersucht. Eine weitere Arbeit aus Chiba zeigte weiterhin vielversprechende Ergebnisse nach Kohlenstoffionentherapie (Gesamtdosis 72 Gy E à 8 Gy E). Hier konnte eine lokale Kontrolle von 94,7% in 5 Jahren erzielt werden, das krankheitsspezifische Überleben lag bei 50% (T1: 55,2% und T2: 42,9%). Nur 2 von 20 Patienten entwickelten ein Lokalrezidiv (Miyamoto et al. 2007). Die Einzeldosen wurden im Folgenden weiter gesteigert (Miyamoto et al. 2007; 52,8 Gy E in 4 Fx bzw. 60 Gy E in 4Fx), wobei die ausgezeichnete Lokalkontrolle ohne Steigerung der Toxizität erhalten werden konnte. Die Reduktion der Lungenfunktionsparameter war nur minimal (Veränderung der FeV1 –8%, Veränderung der FVC –7%). Dies ist ein substanzieller Vorteil gegenüber den operativen Verfahren, bei denen es typischerweise zu Reduktionen von 20% bis über 50% dieser Werte kommen kann. Die Ergebnisse der Hypofraktionierung konnten von Hata et al. (2007) für Protonen bestätigt werden. Eine weitere Arbeit aus Tsukuba, Japan, beschäftigte sich mit der Protonenbestrahlung bei 51 Patienten mit NSCLC aller Stadien (1983–2000), wobei die Patienten im Stadium II/ III sowohl eine Photonenbehandlung der regionären Lymphknotenstationen als auch eine Dosisaufsättigung im Primärtumorbereich/der befallenen Lymphknoten bis zu einer letztendlichen Gesamtdosis von 76 Gy E (ED 3 Gy E) erhielten. Im Stadium I/II konnten Überlebensraten bei 2 und 5 Jahren von 55% respektive 23% erreicht werden, erwartungsgemäß schneiden Patienten im Stadium III/IV mit einem Gesamtüberleben von 62% und 0% schlechter ab. Es traten keine RTOG/EORTC-Grad-2- oder –Grad-3-Spättoxizitäten auf, wie in den vorherigen Serien konnten bei fast allen Patienten (92%) akute, radiogene Veränderungen der Lunge nachgewiesen werden (RTOG Grad 1), diese waren jedoch nur bei 3 Patienten symptomatisch (Grad 2) und bei einem von insgesamt 51 Patienten behandlungsbedürftig (Grad 3; Shioyama et al. 2003). Die Behandlungsergebnisse von Bush et al. (2004) aus Loma Linda lieferten bei 68 Patienten (n=22 Patienten mit 51 Gy E und 46 Patienten mit 60 Gy E, jeweils in 10 Fraktionen, mit 87% (T1) und 49% (T2) nach 3 Jahren relativ hohe lokale Kontrollraten. Darüber hinaus zeigt sich eine signifikante Dosisabhängigkeit des Gesamtüberlebens (51 Gy E: 27%; 60 Gy E: 55%). Längeres Überleben war außerdem korreliert mit dem initialen Allgemeinzustand und der Tumorgröße. . Tab. 27.7 fasst die Details der o. g. Studien zusammen.
27.2.5 Ösophaguskarzinom Bei der strahlentherapeutischen Behandlung des Ösophaguskarzinoms muss, ähnlich wie bei der Strahlentherapie des NSCLC, auf eine adäquate Schonung der Lungen geachtet werden. Die kombinierte Radiochemotherapie wird derzeit meist bei nicht-resektablen oder aus internistischen Gründen nicht operablen Patienten mit Ösophaguskarzinom eingesetzt. Standardtherapie ist dabei die Kombination aus Strahlentherapie und platinhaltiger Chemotherapie.
27
312
Kapitel 27 · Partikeltherapie
. Tab. 27.7. Zusammenfassung der verfügbaren Studien zur Partikeltherapie bei NSCLC
Autor/Jahr
27
Patientenzahl
Stadium
Art der Strahlentherapie
Koto et al. 2004
T1
12C
T1: 64,4% (5 Jahre)
Nishimura et al. 2003
T2
95,4 GyE à 5,3 GyE
T2: 22% (5 Jahre)
Grad 3: 14,8%, Grad 4/5: keine
Kadono et al. 2002
81
Nihei et al. 2006
37
T1/T2
Lokale Kontrolle
Gesamtüberleben
Grad-3/4-Spättoxizität
79,2 GyE à 8,8 GyE
79% (5 Jahre)
Protonen
80% (2 Jahre)
82% (2 Jahre)
>Grad 2: 16,2%
94,7% (5 Jahre)
T1: 89,4% (5 Jahre)
Grad 3: 2%
70 GyE à 3,5 GyE bis 98 GyE à 4,9 GyE Miyamoto et al. 2007
50
T1/T2
12C
72 GyE à 8 GyE
Miyamoto et al.2007
Hata et al. 2007
80
21
T1/T2
T1/T2
T2: 55,1% (5 Jahre)
T1: 52,8 GyE à 13,2 GyE
97% (5 Jahre)
62% (5 Jahre)
T2: 60 GyE à 15 GyE
80% (5 Jahre)
25% (5 Jahre)
Protonen
T1: 100% (5 Jahre) T1: 100% (2 Jahre)
50–60 GyE in 10 Fx
T2: 90% (2 Jahre)
T2: 47% (2 Jahre)
Protonen bzw. Protonen + Photonen (III/IV)
I/II: 55% (2 Jahre), 23% (5 Jahre) III/IV: 62% (2 Jahre), 0% (5 Jahre)
Shioyama et al. 2003
51
I–IV
70–78GyE
Bush et al. 2004
68
T1/T2
51–60 GyE in 10 Fx
Vor dem Hintergrund der Normalgewebsschonung wurde in Tsukuba ein Protokoll zur Behandlung von Patienten mit Ösophaguskarzinom etabliert (Sugahara et al. 2005). Dabei sieht die Strahlentherapie eine Kombination aus Photonen (48 Gy) mit Protonenboost (median: 31,7 Gy E) vor. 40 Patienten erhielten eine mediane Dosis von 76 Gy, 6 Patienten erhielten eine alleinige Protonenbehandlung. Eingeschlossen wurden alle Tumorstadien, allerdings sind unter den behandelten Patienten 50% T1-Tumoren und 85% der Patienten im Staging nodal negativ. In diesem Kollektiv konnte bei den T1-Tumo-
T1: 87% (3 Jahre)
60GyE: 55% (3 Jahre)
T2: 49% (3 Jahre)
51 GyE: 27% (3 Jahre) Gesamt: 74% (3 Jahre)
Grad 3 oder höher: keine
Grad 3 oder höher: keine
Grad 2/3 oder höher: keine
Grad 2/3 oder höher: keine
ren eine lokale Kontrolle nach von 83% nach 5 Jahren, bei den T2- bis T4-Tumoren von 29% erreicht werden. Dieser Unterschied war signifikant und bestätigt damit die Ergebnisse der Photonentherapie. Außerdem zeigte sich zumindest im Unterschied zum Intergroup-Trial INT 0123 (Minsky et al. 2002) eine klare Dosisabhängigkeit der lokalen Kontrolle. Patienten, die eine höhere biologisch äquivalente Dosis erhalten hatten, zeigten höhere lokale Kontrollraten. Die beobachteten Lokalrezidive traten vorwiegend am kraniokaudalen Feldrand oder außer-
313 27.2 · Klinische Anwendungen
halb des ehemaligen Zielvolumens auf. Bei fast 48% der behandelten Patienten traten auch therapieassoziierte Ulzerationen des Ösophagus auf, wobei diese in 33% folgenlos abheilten. Ansonsten wird über keine schwerwiegenden therapieassoziierten Nebenwirkungen berichtet. Die Rate an radiogenen Ulzerationen des Ösophagus wird auf die doch hohe Einzeldosis von 3 Gy E im Median (2,5–3,7 Gy E( zurückgeführt (Sugahara et al. 2005). Im Vergleich hierzu werden in der Photonentherapie Fraktionierungen von 1,8–2,0 Gy appliziert. Mittlerweile wurde sowohl das Zielvolumenkonzept als auch die Dosierung entsprechend der Studienergebnisse angepasst und sind in dieser Form durchaus eine Option für das o. g. Patientenkollektiv.
27.2.6 Hepatozelluläres Karzinom Eine sehr häufig mit der Teilchentherapie behandelte Tumorform stellt das hepatozelluläre Karzinom (HCC) da. Das HCC ist ein strahlenresistenter Tumor, zugleich ist das umgebende, gesunde Lebergewebe relativ strahlensensibel, so dass mit konventioneller Radiotherapie nur bei relativ kleinen Tumoren eine für die Tumorkontrolle ausreichend hohe Dosis erzielt werden kann. In der Studie von Bush et al. (2004) wurden 34 Patienten mit Protonen bis zu einer Gesamtdosis von 63 Gy E in 15 Fraktionen behandelt. Die durchschnittliche Tumorgröße betrug in dieser Studie 5,7 cm. Im Rahmen der Therapie wurden nur 3 Darmblutungen als höhergradige Nebenwirkungen beschrieben. Bei allen Komplikationen lag der Darm dabei direkt dem Tumor an. Die aktuarische lokale Kontrolle nach 2 Jahren betrug 75%, das Gesamtüberleben im selben Zeitraum wurde mit 55% angegeben. In der japanischen Phase-II-Studie wurden die Patienten mit 76 Gy E in 20 Fraktionen über 5 Wochen mittels Protonen behandelt. Bei allen Patienten war eine Leberzirrhose Child A (20 Patienten) und Child B (10 Patienten) bekannt. Der maximale Tumordurchmesser variierte zwischen 25 und 82 mm (Median: 45 mm). Auch diese Studie konnte exzellente Ergebnisse erzielen. So betrug das aktuarische 2-Jahres progressionsfreie Überleben in den von Kawashima et al. (2005) publizierten Daten 96%. Das aktuarische Gesamtüberleben nach 2 Jahren war 66%. Lediglich 1 Patient entwickelte ein lokales Rezidiv. In einer prospektiven Phase-I/II-Studie wurde der Stellenwert der Kohlenstoffionentherapie insbesondere bei Patienten mit einer Leberzirrhose (> Grad II) untersucht. Erfreulicherweise führte die Kohlenstoffionentherapie nur zu einer sehr geringen Verschlechterung der prätherapeutischen Einteilung gemäß der Child-Plugh-Kriterien. Eine Verschlechterung um >2 Punkte in der Child-Pugh-Einteilung wurde weder als akute Nebenwirkung noch als Spätnebenwirkung gesehen. Nach 5 Jahren betrug die lokale Kontrolle 81% und das Gesamtüberleben 25% (Kato et al. 2004). Eine retrospektive Studie befasste sich mit der Toleranzdosis nach Protonentherapie bei Patienten mit Leberzirrhose und HCC in Relation und Abhängigkeit zu der erhaltenen Leberfunktion. Ähnlich wie bei einem chirurgischen Ansatz
konnte posttherapeutisch eine deutliche Hypertrophie des gesunden Lebergewebes nachgewiesen werden. Das Ausmaß der Hypertrophie variierte zwischen 19% und 51%. Es bestand eine signifikante Korrelation bezüglich der Organhyperthropie, dem behandelten Lebervolumen und dem Lebervolumen mit Funktion (Ohara 1997). Zwei weitere Studien widmen sich thematisch weiteren Aspekten der Nebenwirkungen nach Teilchentherapie. Mizumoto et al. (2007) untersuchte mögliche Nebenwirkungen von bestrahlten hepatozellulären Karzinomen im Bereich der Leberpforte mittels Protonen. Erfreulicherweise konnte bei einer applizierten Gesamtdosis von 72,6 Gy E in 22 Fraktionen keine Spättoxizität größer Grad II festgestellt werden. Die klinischen Ergebnisse mit einem aktuarischen 3-Jahres-Gesamtüberleben von 45,1% und einer lokalen Kontrolle von 86,0% konnten klar die guten Ergebnisse der Teilchentherapie in dieser komplexen anatomischen Region unterstreichen, ohne eine erhöhte Toxizität zu verursachen. Hata et al. (2007) evaluierten der Stellenwert der Protonentherapie insbesondere bei älteren Patienten (insgesamt 21 Patienten im Alter über 80 Jahren). Die bestätigen die bereits o.g. guten klinische Ergebnissen der Teilchentherapie und zeigen, dass die Teilchentherapie damit die Therapie der Wahl beim HCC des älteren Patienten ist. Dies wird zudem durch das sehr gute Nebenwirkungsprofil untermauert. Ebenso liegt bereits eine Studie mit der Frage nach ReBestrahlung mit Teilchentherapie nach bereits erfolgter Protonentherapie vor. Nach einer bereits erfolgten Protonentherapie mit einer medianen Dosis von 72 Gy E erfolgte bei 27 Patienten eine Re-Bestrahlung mit einer medianen Dosis von 66 Gy E im Rezidivfall. Das mediane Intervall zwischen den beiden Therapien betrug 24,5 Monate. Die Autoren dieser Studie schlussfolgern entsprechend der präsentierten Ergebnisse, dass eine erneute Teilchentherapie bei HCC mit guten Ergebnissen durchführbar ist und die Leberzirrhose bei einer Rebestrahlung das Stadium Child-Pugh A nicht übersteigen sollte (Hashimoto et al. 2006). In der von Chiba et al. (2005) vorgestellten retrospektiven Analyse der Protonendaten aus Tsukuba wurde der klinische Verlauf von 162 Patienten präsentiert. Auch hier muß die Teilchentherapie, soweit verfügbar, als radioonkologische Standardbehandlung angesehen werden. Die 5-Jahres-Kontrollrate lag bei knapp 90%, das Gesamtüberleben bei 23,5%. Sowohl die akuten Nebenwirkungen als auch die Spättoxizität war vernachlässigbar und hatte keinen Einfluss auf die Prognose des Patienten.
Im Vergleich mit der Photonentherapie zeigt die Teilchentherapie damit bessere therapeutische Resultate und nur modernste Photonentechniken, wie stereotaktische Verfahren, erzielen vergleichbar gute Ergebnisse (Robertson et al. 1993; Blomgren et al. 1995). Ingesamt ist die Datenlage bezüglich der Teilchentherapie das HCC betreffend wesentlich umfassender als bezüglich der Photonentherapie.
27
314
Kapitel 27 · Partikeltherapie
27.2.7 Pankreaskarzinom
27
Das Pankreaskarzinom zählt wie das HCC zu den eher strahlenresistenten Tumoren. Aktuell befinden sich einige Studien aus Japan in Auswertung, deren Daten bisher noch nicht komplett publiziert vorliegen. Aktuell gibt es mittlerweile Daten zur Kohlenstoffionentherapie aus Chiba zum Pankreaskarzinom. Ingesamt sind dort bisher drei Phase-I/II-Studien geplant und begonnen worden. In dieser ersten Studie kam die Kohlenstoffionentherapie bei operablen Karzinomen als neoadjuvante Therapie zum Einsatz. Es wurde eine vorsichtige Dosiseskalation beginnend mit einer Gesamtdosis von 44,8 Gy E bis zu einer Gesamtdosis von 48,0 Gy E durchgeführt. Die Radiotherapie erfolgte in 16 Fraktionen (4×/Woche). Die beobachteten Nebenwirkungen waren moderat, es traten keine höhergradigen (>3) Akuttoxizitäten auf. Unter den Patienten, die mit 48,0 Gy E behandelt wurden, konnten lediglich zwei Grad 3 Spätnebenwirkungen festgestellt werden. Dabei handelte es sich um 2 Fälle postoperativ aufgetretener Pfortaderstenose, daher können diese Nebenwirkungen der Strahlentherapie nicht eindeutig zugeordnet werden. Die lokalen Kontrollraten nach ein und zwei Jahren lagen bei jeweils 100%, das Gesamtüberleben betrug nach 1 Jahr 62%. Nach Schwerionentherapie konnten 68% der Patienten reseziert werden, das aktuarische Gesamtüberleben dieser Untergruppe betrug 90,1% (Yamada et al. 2005). Nachfolgend wurde eine weitere Phase-I/II-Studie von den japanischen Kollegen zum gleichen Patientenkollektiv definiert. Dabei wurde die präoperative Radiotherapie auf 8 Fraktionen in 2 Wochen reduziert. Da diese Studie momentan noch Patienten rekrutiert, liegen aktuell noch keine Daten zum Nebenwirkungsprofil sowie zu den klinischen Ergebnissen vor. Ein weiteres Protokoll der Gruppe aus Chiba untersuchte den Stellenwert der Kohlenstoffionentherapie in der Behandlung des lokal fortgeschrittenen inoperablen Pankreaskarzinoms. Anfang 2007 konnte diese Phase-I/II-Studie mit 47 Patienten abgeschlossen werden und befindet sich momentan in der Auswertung. Die Dosis wurde von 38,4 Gy E bis zu einer Dosis von 52,8 Gy E eskaliert. Es erfolgten 12 Fraktionen in 3 Wochen. Die höchste Zahl an Grad-3-Akuttoxizitäten konnte bei 2/3 der Patienten, die mit 52,8 Gy E behandelt wurden, gesehen werden. Ingesamt wurden 7 Grad-3-Akutnebenwirkungen und eine Grad-3-Spättoxizität in diesem Kollektiv festgestellt. Sechs der sieben Grad-3-Akutnebenwirkungen bestand in einer Anorexie des Patienten und 1 Patient mit Cholangitis wurde als Grad-3-Toxizität eingestuft. Da diese Studie erst abgeschlossen wurde, liegen die klinischen Ergebnisse nur mit einer relativ kurzen Nachbeobachtungszeit vor. Aktuell beträgt das Gesamtüberleben nach einem Jahr 43%. Die lokale Kontrolle der Patienten, die mit einer Dosis von mehr als 45,6 Gy E behandelt wurden, wurde nach einem Jahr mit 95% angegeben (Yamada et al. 2008). Daten zur Heliumbestrahlung bei primär inoperablem Pankreaskarzinom aus Berkeley konnte bei 49 Patienten eine etwas höhere lokale Kontrolle als bei der Photonenbestrahlung nachweisen, dies hatte jedoch keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben der Patienten (Linstadt et al. 1988). Dabei
sei jedoch angemerkt, dass das damals eingesetzte Behandlungsprotokoll zwar als kombinierte Radiochemotherapie durchgeführt wurde, jedoch als Split-Course-Strahlentherapie nicht mehr dem heutigen Standard entspricht, so dass diese Daten zur Bewertung der Partikeltherapie bei der Behandlung des Pankreaskarzinom letztendlich nicht anwendbar sind. Eine abschließende Bewertung über den Stellenwert der Teilchentherapie des Pankreaskarzinoms ist aufgrund der vorliegenden Datenlage daher noch nicht möglich. Dennoch konnte mittels der sehr systematisch durchgeführten japanischen Studien die Machbarkeit der Teilchentherapie beim Pankreaskarzinom klar dargelegt werden. Die klinischen Ergebnisse der hier präsentierten Studien zur Kohlenstoffionentherapie zeigen bessere Ergebnisse als vergleichbare Photonen-Studien. Zudem erscheint sich auch ein günstigeres Nebenwirkungsprofil der Teilchentherapie im Vergleich zu einer Photonentherapie zu ergeben.
27.2.8 Zervixkarzinom Die Strahlentherapie, meist in Kombination mit Chemotherapie gehört seit langem zur etablierten Therapie des Zervixkarzinoms. Durch eine weitere Dosiseskalation mit Hilfe der Teilchentherapie sollte deren Einfluss auf die lokale Kontrolle untersucht werden. Kato und seine Gruppe (Kato et al. 2006; Matsushita et al. 2006; Kagei et al. 2003) publizierten 2 Phase-I/II-Studien mit insgesamt 44 Patientinnen, die mit Kohlenstoffionen behandelt wurden. Bei allen Patienten wurde ein lokal fortgeschrittenes Zervixkarzinom mit einer medianen Tumorgröße von 6,5 cm diagnostiziert. Die Behandlung bestand jeweils aus 16 Fraktionen einer Ionentherapie auf das gesamte Becken und einem Boost bestehend aus 8 Fraktionen auf die Primärtumorregion. In der ersten Studie variierte die Gesamtdosis zwischen 52,0 Gy E und 72,0 Gy E. In der zweiten Studie wurde die Dosis der Beckenbestrahlung auf 44,8 Gy E festgelegt und mittels Boostbestrahlung auf 24,0 Gy E oder 28,0 Gy E eskaliert. Nach 5 Jahren betrug die lokale Kontrollrate in der ersten Studie 45% und in der weiten Studie 79%. Patientinnen, auch mit einer Stadium-IVA-Erkrankung, zeigten bei Dosen über 62,4 Gy E eine hervorragende lokale Kontrollrate nach 5 Jahren von 69%. Schwere Akutnebenwirkungen größer Grad 2 konnten von den Autoren nicht beobachtet werden. Bei 8 Patientinnen traten allerdings gastrointestinale Komplikationen auf, die operativ behandelt werden mussten. Diese Spätnebenwirkung wurde bei denjenigen Patientinnen beobachtet, die eine Dosis von mehr als 60 Gy E im Bereich des Darmes erhielten.
Um schwere Nebenwirkungen zu vermeiden, sollte daher die Dosis im Bereich des Darmes auf weniger als 60 Gy E limitiert werden.
Das Überleben nach 10 Jahren wurde im Stadium IIB mit 89% und im Stadium IIIB/IVA mit 40% angegeben. Die lokale Kon-
315 27.2 · Klinische Anwendungen
trolle nach 5 Jahren betrug im Stadium IIB 100% und im Stadium IIIB/IVA 61%. Die Frage, inwieweit der therapeutische Erfolg der Strahlentherapie bei Zervixkarzinomen von einer ausreichenden Oxygenierung des Tumors abhängig ist, konnte in der konventionellen Therapie deutlich mit ja beantwortet werden (Dunst et al. 2003). Eine Vielzahl präklinischer Untersuchungen konnte jedoch bereits nachweisen, dass bei einer Hoch-LET-Bestrahlung die Tumorhypoxie keine therapierelevante Bedeutung besitzt. Diese Hypothese konnte nun eindrücklich in der Publikation von Kato et al. (2006) beim fortgeschrittenen Zervixkarzinom bestätigt werden. Mittels einer Messsonde wurde in dieser Untersuchung der Sauerstoffpartialdruck während Therapie gemessen. Dabei zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass es keinen Unterschied zwischen hypoxischen und gut oxygenierten Tumoren bezüglich der klinischen Ergebnisse nach einer Therapie mit Kohlenstoffionen gibt. Auch für diese Indikation fehlen größere Studien, um die Partikeltherapie fest in der Behandlung zu etablieren, erste Ergebnisse sind jedoch vielversprechend.
27.2.9 Sarkome/Chondrosarkome Sarkome und Chordome sind eine weitere wichtige Indikation der Teilchentherapie im Beckenbereich. Diese sehr seltene und inhomogene Tumorgruppe zeichnet sich durch eine geringe Strahlensensibilität aus, die den Einsatz der Teilchentherapie notwendig und sinnvoll macht. Bei der vergleichsweise geringen Inzidenz dieser Tumoren, liegen prospektive Untersuchungen zur Teilchentherapie nicht vor. In einer retrospektiven Analyse, in der die Patienten mit einer Kombination von Photonen und Protonen behandelt wurden, konnte hohe Kontrollraten insbesondere in der Primärtherapie erzielt werden. Von diesem Therapieansatz profitierten vorwiegend Patienten, die mit einer Kombination aus Operation und Bestrahlung behandelt wurden. Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 8,8 Jahren waren 12 der 14 kombiniert behandelten Patienten kontrolliert. Bei 3 von 4 Patienten, die mit einer Dosis von 73 Gy E und mehr behandelt wurden, bestand eine lokale Kontrolle bei Veröffentlichung der Ergebnisse. Patienten, die wegen eines Rezidivs behandelt wurden, hatten eine wesentlich schlechtere Prognose. Lediglich 1 von 7, mit der Kombination aus Operation und Bestrahlung, behandelten Patienten war zum Zeitpunkt der Auswertung lokal kontrolliert (Park et al. 2006). Weitere Ergebnisse zu extrakraniellen Chordomen liegen zur Protonentherapie mittels aktiver Strahlführung vor (Rutz et al. 2007). Von den 26 untersuchten Patienten war bei 15 Patienten der Tumor im Beckenbereich lokalisiert. Die mediane Gesamtdosis betrug in dieser Studie 72,0 Gy E. Bei allen Patienten wurde die Teilchentherapie postoperativ durchgeführt. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 35 Monaten betrug das aktuarische Gesamtüberleben nach 3 Jahren 84%, das progressionsfreie Überleben im selben Zeitraum wird mit 77% angegeben. Die begleitenden Spätnebenwirkungen waren minimal.
Weitere 30 Patienten mit nicht resektablen, sakralen Chordomen wurde von der japanischen Arbeitsgruppe aus Chiba veröffentlicht (Imai et al. 2004). Diese mit Kohlenstoffionen behandelten Patienten erhielten Dosen zwischen 52,8 Gy E und 73,6 Gy E (Median: 70,4 Gy E). Das Gesamtüberleben nach 5 Jahren betrug 52% und die lokale Kontrolle nach 5 Jahren lag bei 96%. Zwei Patienten entwickelten Hautnekrosen, die mittels einer Hauttransplantation behandelt werden mussten. Über weitere höhergradige Nebenwirkungen wurde nicht berichtet.
27.2.10
Prostatakarzinom
Zum Prostatakarzinom liegt eine Vielzahl klinischer Studien vor. Dabei soll insbesondere auf die randomisierten Phase-IIIStudie der Arbeitsgruppe aus Boston eingegangen werden. In der Studie von Zietman et al. (2005 bzw. 2008) wurden 393 Patienten mit einem Prostatakarzinom und einem PSAWert kleiner 5 ng/ml in die Studie eingeschlossen. Nachfolgend erfolgte die Randomisierung in zwei Therapiearme. In einem Arm erhielten die Patienten eine Dosis von 70,2 Gy und im höher dosierten Arm eine Dosis von 79,2 Gy. Der Hochdosisarm bestand aus der Kombination eines konformalen Photonenplans (50,4 Gy) und einem Protonenboost (28,8 Gy E). Dabei konnte die Studie einen statistisch signifikanten Unterschied für das rezidivfreie biochemische Überleben für den Hochdosisarm im Vergleich zu einer konventionellen Radiotherapie mit Photonen aufzeigen. Dieser signifikante Unterschied bestand auch noch nach Aufteilung der Patienten in Subgruppen mit einem hohen und niedrigen Risiko. Einen statisch signifikanten Unterschied bezüglich des Gesamtüberlebens zwischen den beiden Armen gab es nicht. Auch die Akuttoxizität war in beiden Armen sehr gering und statistisch ebenfalls nicht signifikant; die Spättoxizität größer Grad 3 betrug im intensivierten Arm lediglich 1%, im konventionellen 2%. Eine weitere Phase-III-Studie zum Prostatakarzinom aus Boston (Shipley et al. 1995) untersuchte den Stellenwert einer Photonentherapie mit Protonenboost bei Patienten mit fortgeschrittenen Prostatakarzinomen (T3–T4; N0–2). Ähnlich wie in der von Zietman et al. präsentierten Studie erhielten die Patienten eine konventionelle Radiotherapie bis 50,4 Gy und wurden dann in den Protonenarm (Boost mit 25,2 Gy E) oder in den Photonenarm (Boost 16,8 Gy) randomisiert. Ingesamt wurden 202 Patienten eingeschlossen. Lediglich bei dem Subkollektiv der Patienten mit schlecht differenzierten Tumoren konnte hier ein signifikanter Unterschied bezüglich der lokalen Kontrolle gefunden werden. Diese betrug nach 8 Jahren 84% im Arm mit Protonenboost und nur 19% in dem Therapiearm mit der konventionellen Therapie. Bezüglich der akuten Nebenwirkungen konnten signifikant mehr rektale Blutungen nach der Protonentherapie festgestellt werden. Ebenfalls war die Anzahl der urethralen Verengungen höher bei der Protonentherapie, dieser Unterschied war aber statistisch nicht signifikant. In einer weiteren japanischen Studie (Mayahara et al. 2007) wurden speziell die Nebenwirkungen nach Protonen-
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Kapitel 27 · Partikeltherapie
therapie analysiert. Es wurden 287 Patienten bis zu einer Gesamtdosis von 74 Gy E behandelt. Erfreulicherweise konnte keine Akutnebenwirkung größer Grad 1 am Darm festgestellt werden. Bezüglich der Akutnebenwirkungen an den ableitenden Harnwegen wurde in 39% der Fälle eine Grad-2-Toxizität und in 4% eine Grad-3-Toxizität beschrieben. Im Rahmen der multivariaten Analyse zeigte sich, sowohl die Größe des Bestrahlungsfeldes als auch die Verwendung einer antihormonellen Therapie als signifikanter Risikofaktor für das Auftreten von Nebenwirkungen der ableitenden Harnwege. Ähnliche Ergebnisse wurden von Ishikawa et al. (2008) für die Therapie mit Kohlenstoffionen beschrieben. Die Ergebnisse dieser Studie lassen die Schlussfolgerung zu, dass eine antihormonelle Therapie über 24 Monaten zu signifikant mehr Spätnebenwirkungen der ableitenden Harnwege führt, als eine antihormonelle Therapie für weniger als 24 Monate. Vergleicht man die Rate der Spätnebenwirkungen zwischen einer antihormonellen Therapie für weniger als 24 Monate und einer nicht durchgeführten antihormonellen Therapie bei Schwerionenbestrahlung, so gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. In einer weiteren japanischen Phase-II-Studie (Nihei et al. 2005) wurde ein ähnliches Therapiekonzept, wie in der PhaseIII-Studie von Zietman et al. durchgeführt. Dabei unterstützen diese Phase-II-Daten die Resultate aus Boston bezüglich des Nebenwirkungsprofils und der klinischen Ergebnisse. Des Weiteren werden in mehreren Publikationen die Ergebnisse aus Loma Linda vorgestellt (Yonemoto et al. 1997; Rossi et al. 2004; Slater et al. 2004). Yonemoto et al. stellt in einer prospektiven Studie eine sehr attraktives Konzept für die Behandlung des lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms mit einem hohen Rezidivrisiko vor. Dabei erhielten die Patienten eine Photonendosis von 45 Gy auf den Primärtumor und die Lymphabflusswege des Beckens gefolgt von einem Protonenboost mit 30 Gy E. Die mediane Nachbeobachtung betrug 20,2 Monate bei 106 eingeschlossenen Patienten. Die Spättoxizität betrug 12% (Grad 1 und 2). Grad-3- und -4-Spättoxizitäten wurden nicht berichtet. Ingesamt ist es nach 2 Jahren durch dieses Therapiekonzept nur bei drei Patienten zu einem lokalen Rezidiv gekommen. Bei zwei weiteren Patienten stieg der PSA-Wert, ohne Nachweis eines Rezidivs. Zusätzlich wurden 2004 die Daten von 1255 in Loma Linda behandelte Patienten publiziert (Slater et al. 2004). Das Behandlungskonzept dieser retrospektiven Studie, ist entsprechend der Studie von Yonemoto et al. In der aktuarischen Auswertung nach 5 und 10 Jahren konnte nur in jeweils 1% der Patienten eine Grad-3- und -4-Toxizität der ableitenden Harnwege sowie des Darms berichtet werden. Das biochemische krankheitsfreie Überleben für das Gesamtkollektiv lag bei 73%. Bei Patienten, deren PSA-Wert sich vor Therapie unter 4 ng/dl befand, lag es bei 90%. Die Gruppe um Rossi et al. (2004) konnte darstellen, dass Patienten, die jünger als 60 Jahre waren, die gleiche Prognose haben wie Patienten, die älter als 60 Jahre sind. Eine Therapieempfehlung beim Prostatakarzinom sollte entsprechend nicht in Abhängigkeit des Alters des Patienten erfolgen. Eine Phase-I/II-Studie von Akakura et al. (2004) etablierte die Kohlenstoffionentherapie beim Prostatakarzinom. Ingesamt wurden 96 Patienten mit einem lokal fortgeschrittene
Prostatakarzinom mit Dosen von 54–72 Gy E behandelt. Die lokale Kontrolle konnte nach Aussage der Publikation lediglich bei einem Patienten, der mit 54 Gy E behandelt wurde, nicht erreicht werden. Eine Grad-3-Toxizität ist bei einem Patienten, der mit 66 Gy E und bei fünf Patienten, die mit 72 Gy E behandelt wurden, aufgetreten. Nach diesem Anstieg der Toxizität wurde dis Gesamtdosis auf 66 Gy E begrenzt. Die Arbeit von Shimazaki et al. (2006) stellt nochmals ein Subkollektiv der in Chiba behandelten Patienten vor. Hier wurden Patienten (n=37), die eine Gesamtdosis von 60–66 Gy E erhielten, ausgewertet. Patienten mit einem Karzinom der Prostata mit niedrigem Risiko, konnten dabei mit hervorragenden Ergebnissen behandelt werden (PSA-rezidivfreies Überleben 96% nach 5-Jahren). Die Arbeit von Tsuji et al. (2005) untermauert nochmals die sehr guten Ergebnisse aus Chiba durch Betrachtung eines größeren Patientenkollektives (201 Patienten). Die Studie bestätigt die bereits veröffentlichen geringen Raten für die Toxizität und unterstreicht durch die guten klinischen Daten den Stellenwert der Teilchentherapie für das Prostatakarzinom.
Vergleicht man die Ergebnisse zur Teilchentherapie mit Ergebnissen aus der Strahlentherapie mit Photonen, so sind diese gleichwertig und unter Berücksichtigung der vorliegenden Phase-III-Studien teilweise besser als die alleinige Photonentherapie. Auch das Nebenwirkungsprofil erscheint günstiger als das der Photonentherapie. Es liegt somit ein Evidenzlevel 1b für die Teilchentherapie des Prostatakarzinoms vor.
Die Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen bietet sicher viele Vorteile hinsichtlich der physikalischen Dosisverteilung und, im Falle der Schwerionen auch hinsichtlich der biologischen Wirksamkeit. Mittlerweile wurde eine Vielzahl von Studien darunter einige prospektive Studien zur Partikeltherapie publiziert. Diese Therapieform konnte aufgrund der oben dargestellten Datenlage für die Behandlung von Uveamelanomen, Chordomen/Chondrosarkomen, adenoidzystischen Karzinomen, Lungentumoren, HCC und Prostatakarzinomen etabliert werden. Allerdings fehlen oft größere vergleichende Studien diesen Therapiemodalitäten. Zum einen waren und sind diese Therapien komplex und kostenintensiv und somit nicht einfach verfügbar. Zum anderen sind die behandelten Tumore, wie z. B. Sarkome und maligne Speicheldrüsentumore vergleichsweise selten, so dass schon aus diesem Grund ein systematischer, randomisierter Vergleich aufgrund der niedrigen Inzidenz schwer fällt. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit der Partikeltherapie – allein in der Bundesrepublik werden 2012 voraussichtlich 6 Partikeltherapiezentren in klinischem Betrieb sein – wird sich diese Situation auf lange Sicht höchstwahrscheinlich ändern. Zum einem gibt es durchaus häufigere Tumoren, die eine Indikation zur Partikeltherapie darstellen könnten und mit der zunehmenden Kapazität auch Zugang zu dieser Therapieform erhalten, zum anderen sollten systematische, randomisierte Studien zur Protonen- versus Schwerionentherapie zeigen, welcher Modalität in welcher Situation der Vorzug zu geben ist.
317 Literatur
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28 28
Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie P. Wust, B. Rau, P. M. Schlag
28.1
Grundlagen
28.1.1 28.1.2 28.1.3
Konzept der präoperativen Therapie – 320 Wirkungen von Temperaturerhöhungen (Hyperthermie) Nebenwirkungen – 322
28.2
Methoden der Hyperthermie
28.2.1 28.2.2 28.2.3 28.2.4 28.2.5 28.2.6 28.2.7 28.2.8
Ganzkörperhyperthermie – 322 Regionale Hyperthermie – 322 Teilkörperhyperthermie – 324 MR-Überwachung im Hybridsystem – 324 Lokale Hyperthermie – 325 Interstitielle Hyperthermie – 326 Magnetflüssigkeitshyperthermie – 326 Thermometrie und technologischer Ausblick
28.3
Klinische Ergebnisse
28.3.1 28.3.2 28.3.3 28.3.4
Phase-III-Studien zur Radiotherapie (± Hyperthermie) – 328 Präoperative Therapiekonzepte unter Einbindung der Hyperthermie Klinische Ergebnisse der Ganzkörperhyperthermie – 329 Neue Phase-I/II-Studien – 329
28.4
Indikationsspektrum und Ausblick Literatur
– 320
– 331
– 321
– 322
– 326
– 327
– 330
– 329
320
28
Kapitel 28 · Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie
> Überwärmungstherapie (Hyperthermie) von Tumoren auf 40–44°C kann nicht nur die Wirksamkeit von Radiotherapie und/oder Chemotherapie verstärken, sondern hat noch weitere physiologische, immunstimulierende und molekularbiologische Effekte. Es wurden kommerzielle Therapiesysteme für die lokale, interstitielle, regionale und systemische (Ganzkörper-)Hyperthermie entwickelt und klinisch eingesetzt. In Phase-III-Studien konnte eine Erhöhung der lokalen Kontrolle bei malignen Melanomen (Rezidiven), Mammakarzinomen (Rezidiven) und Kopf-Hals-Karzinomen (Lymphknotenmetastasen) gezeigt werden, bei Glioblastomen und Zervixkarzinomen sogar ein verbessertes Überleben. In präoperativen Konzepten ist die Hyperthermie interessant, da sie weder die akute noch die perioperative Toxizität erhöht. Für eine routinemäßige Anwendung muss die Gerätetechnik weiterentwickelt werden, um Dosierbarkeit, Effektivität, Praktikabilität und Kosten/Nutzen-Relation zu verbessern und den Indikationsbereich zu erweitern.
28.1
Grundlagen
28.1.1 Konzept der präoperativen Therapie Der Vorteil einer präoperativen Radio-/Chemotherapie könnte für den Chirurgen in einer besseren Resektabilität (durch Tumorverkleinerung) und/oder in einer höheren lokalen Kontrolle liegen. Im Idealfall könnte der Chirurg durch eine Tumorverkleinerung und Tumorzellsterilisation im Randbereich die Sicherheitsabstände verringern. Mindestvoraussetzung dafür ist eine vollständige Vernichtung subklinischer Tumorzellnester in der Umgebung des makroskopischen Tumors, welche theoretisch einen Absetzrand innerhalb des sanierten (aber ehemals von Tumorzellen infiltrierten) Gebietes zulassen würde (. Abb. 28.1). Dies könnte erlauben, Abstriche am Sicherheitsabstand vorzunehmen und damit eine funktions- oder organerhaltende Operation ermöglichen. Vergleiche von prä- und postoperativen Regimes zeigen (Erlanger Studie, Sauer et al. 2003), dass z. B. die Rate an sphinktererhaltenden Rektumresektionen erhöht werden kann. Dabei muss jedoch sichergestellt sein, dass die vorangegangene präoperative Therapie gegenüber subklinischen Manifestationen ausreichend effektiv ist. Eine alleinige Chemotherapie ist dafür nicht ausreichend, sodass (selbst wenn eine deutliche Tumorverkleinerung besteht) Abstriche beim Sicherheitsabstand nicht zulässig sind. Strahlendosen von 45–50 Gy (appliziert in konventioneller Fraktionierung von 5-mal 2 Gy pro Woche) sind hingegen grundsätzlich geeignet für eine Sterilisation subklinischer Tumorzellnester, da sie zu einer Zellzahlreduktion um den Faktor 105–107 führen (je nach individueller Empfindlichkeit). Die Chemotherapie und/oder Hyperthermie könnte dabei als wirkungsverstärkende ergänzende Therapie eingesetzt werden, um eine vollständige Zurückdrängung der subklinischen mikroskopischen Invasion auf die ursprünglichen Organgrenzen zu erreichen (Down-Staging) bis hin zu einer kompletten Remission.
. Abb. 28.1. Schematische Darstellung des Konzentrationsgefälles der Tumorzellen in der Umgebung des makroskopischen Tumors. Die Grenze für eine In-sano-Resektion verschiebt sich, wenn eine zuverlässige Sterilisation bis zu einer Grenzkonzentration durch eine Vortherapie gelingt. Eine Strahlendosis von 40–50 Gy ist typischerweise für Zellzahlen von 104–106/cm3 ausreichend
. Abb. 28.2 zeigt an Beispielen des lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinoms (uT3/4, d. h. prätherapeutisch endosonographisch gesichert) bzw. Weichteilsarkoms, dass eine Remission nach präoperativer Therapie ein günstiger prognostischer Faktor ist. Die Überlebenskurven im Rahmen von Phase-IIStudien weisen aus, dass die Patienten nach erfolgreicher Vorbehandlung mit einem Down-Staging bzw. einer Zurückdrängung der Tumorerkrankung auf die Organgrenzen (ypT0–2) quoad vitam eine ähnliche Prognose haben als ob sie initial ein so niedriges Tumorstadium gehabt hätten. Die Radiotherapie kann über die oben angegebenen Dosierungen hinaus nicht weiter gesteigert werden und hat bereits bei 45–50 Gy unerwünschte Nebeneffekte. So löst die Strahlung Entzündungsvorgänge aus, die zwar ca. 4 Wochen nach Abschluss der Bestrahlung abgeklungen sind, deren Residuen jedoch weiterhin (zumindest für den Ungeübten) die Abgrenzbarkeit von Schichten und Strukturen erschweren können. Mindestens hemmt jedoch eine Radiotherapie in dieser Dosis auch noch nach 4 Wochen die Regeneration, sodass mit einer verzögerten Wundheilung und daraus resultierenden Störungen gerechnet werden muss. Radioinduzierte Fibrosierungsvorgänge treten erst später (frühestens nach 6 Wochen) auf. Daher ist die Hyperthermie zur Wirkungsverstärkung von Interesse.
321 28.1 · Grundlagen
Sensibilisierender Effekt. Die Hyperthermie hat auch schon
in den unteren Temperaturbereichen um 40–42°C einen sensibilisierenden Effekt im Hinblick auf zeitnah applizierte Radiotherapie und/oder bestimmte Zytostatika. Auch dieser Effekt ist in Laborexperimenten belegt, welche Rolle er jedoch tatsächlich in der klinischen Praxis spielen kann, ist unklar, da zu viele Variable auftreten. Die meisten Anwender sind bemüht, diesen sensibilisierenden Effekt durch entsprechende logistische Maßnahmen (z. B. die zeitliche Abfolge der Therapie) so hoch wie möglich zu halten. Experimentell ist der sensibilisierende Effekt etwas länger andauernd, wenn zuerst die Hyperthermie und dann erst die Radiotherapie durchgeführt werden. Neue Verfahren wie die Magnetflüssigkeitshyperthermie nutzen gezielt beide Effekte (ablativ, sensibilisierend) aus, sodass man den gesamten Temperaturbereich betrachten muss (40–80°C).
a
Weitere temperaturabhängige Effekte. In den letzten Jahren
b . Abb. 28.2a,b. Abhängigkeit des Gesamtüberlebens vom Ansprechen auf eine präoperative Therapie. a Lokal fortgeschrittenes Rektumkarzinom, b Weichteilsarkom
28.1.2 Wirkungen von Temperaturerhöhungen
(Hyperthermie) Die Hyperthermie hat, wie aus umfangreichen präklinischen Studien an Zellkulturen und Experimentaltumoren bekannt ist, mehrere Wirkungsweisen: Zytotoxischer Effekt. Hyperthermie hat einen eigenständi-
gen zytotoxischen Effekt, der möglicherweise bei Tumorzellen etwas höher ist als am Normalgewebe (jedoch nicht durchgehend). In den Laborexperimenten sind außerdem Zellen bei niedrigem pH-Wert und anderen Milieufaktoren, durch die gerade Tumoren charakterisiert sind, gegenüber Temperaturerhöhung empfindlicher. Andererseits werden zur Ausnutzung dieses (zytotoxischen) Effektes in der Regel Temperaturen von 43°C und höher für Zeiträume von 30 min und länger benötigt. Diese Werte werden in der Hyperthermie im engeren Sinne oft nicht erreicht. Bei der Thermoablation werden diese Wirkungen gezielt eingesetzt (ab 45°C).
wurden zahlreiche weitere Temperatureffekte gefunden, die in einer längerfristigen Perspektive in der onkologischen Therapie Bedeutung erlangen könnten. Dazu gehören spezifische Stimulationen von Immunvorgängen wie Aktivierung von NK-Zellen (Multhoff 2002) oder Verstärkungen der Antigenpräsentation, die von HSP (Hitzeschockproteinen) abhängt (Milani et al. 2002). Es gibt auch unspezifische Wirkungen wie die verstärkte Bildung oder Ausschüttung bestimmter Zytokine (Shah et al. 2002). Die Vielfalt der Effekte ist einem Sonderheft des International Journal of Hyperthermia zu entnehmen (Repasky u. Issels 2002). Es wird diskutiert, dass die Antigenität eines Tumors durch Hyperthermie verstärkt werden könnte. Das physikalisch gesteuerte »Drug-Targeting« ist ein weiteres zukünftiges Anwendungsgebiet. Dafür sind erstens thermosensitive Liposome geeignet (Lindner et al. 2003), deren Membran aus der üblichen Doppelschicht von Lipiden besteht, deren Fluidität durch geeignete Beimischungen temperaturabhängig ist und die durch einen Phasenübergang oberhalb einer definierten Temperatur (z. B. 40°C) die eingeschlossenen Substanzen (z. B. Doxorubicin oder ein MR-Kontrastmittel) freisetzt. Auch Nanoteilchen können durch geeignete Überschichtung (»zweite Hülle«) als sog. Nano-Carrier eingesetzt werden, die in einem äußeren Magnetfeld durch Leistungsaufnahme von Eisenoxidkristallen (Jordan et al. 2001) die Wirkstoffe freisetzen. Die auf dem Einsatz von Nanoteilchen basierende Hyperthermie wird in Abschn. 28.12 dargestellt. Die temperaturabhängige Regulation der Stressproteine (HSP) liefert die Grundlage für eine temperaturgesteuerte Genexpression, wenn das zu verstärkende Gen mit einem HSP-Promotor gekoppelt wird. Auf diese Weise sind mehrtausendfache Verstärkungen möglich geworden (Li u. Dewhirst 2002). Es gibt weitere Temperaturabhängigkeiten im Zellstoffwechsel, so z. B. die Hochregelung apoptosefördernder Gene, deren Untersuchung in der Molekularbiologie sinnvoll wäre. Die Temperatur verändert auch das Tumormilieu in komplexer Weise. Während die physiologischen Veränderungen in den Normalgeweben (z. B. Muskel) unter Hyperthermie in
28
322
28
Kapitel 28 · Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie
weiten Temperaturbereichen durch eine Perfusionserhöhung charakterisiert sind, werden die Tumorperfusion und -oxygenierung in Abhängigkeit von Höhe der Temperatur und Zeitdauer der Einwirkung unterschiedlich verändert. Tendenziell kommt es bei moderaten Temperaturen (≤42°C) eher zu einem Perfusionsanstieg, bei Temperatur- und/oder Zeitüberschreitungen allerdings leichter zu einem Zusammenbruch der Perfusion. Diese Reaktionen sind stark tumorabhängig und könnten (prognostisch relevante) Informationen über die Biologie (Prognose) des Tumors liefern. Das inzwischen weiter entwickelte (nichtinvasive) MRMonitoring (s. unten) und insbesondere die MR-Spektroskopie könnten hier die Verlaufskontrolle bzw. die Beurteilung des Ansprechens verbessern helfen. Grundsätzlich sind temperaturabhängige Effekte nicht auszuschließen, die einen Negativeffekt bei einer onkologischen Therapie haben, z. B. durch die Induktion von Resistenzgenen wie beim mdr(»multiple drug resistance«)-Gen. Klinische Tests konnten dies jedoch nicht bestätigen (Stein et al. 1999). Nachteilige Effekte werden am ehesten bei schlechter Qualität der Hyperthermie befürchtet, d. h. bei zu geringer minimaler oder mittlerer thermischer Dosis (also in unterdosierten Bereichen).
28.1.3 Nebenwirkungen Bisher sind keine Gewebealterationen durch Hyperthermie bekannt geworden sind, die über die radiogenen Veränderungen hinaus eine Operation beeinträchtigen könnten. Im Gegenteil – kasuistische Beobachtungen legen nahe, dass die Hyperthermie bestimmte (unerwünschte) radiogene Veränderungen, die im Zusammenhang mit bindegewebigen Reaktionen stehen (induziert durch Wachstumsfaktoren), eher vermindert. Die bisherigen Studien zeigen, dass weder die perioperative Morbidität noch die für die Radio- und/oder Chemotherapie spezifische Toxizität durch Hyperthermie erhöht wird. Insofern scheint die Hyperthermie eine interessante Modalität für präoperative Behandlungsschemata zu sein.
28.2
Methoden der Hyperthermie
Die eingesetzten Techniken für die Temperaturerhöhung im Gewebe, die angestrebten und erreichten Temperaturen stehen in einem engen Zusammenhang zu Volumen und Topographie der zu behandelnden Region. Eine Übersicht über die eingesetzten Techniken der Hyperthermie gibt . Abb. 28.3 (s. auch Wust et al. 2002).
28.2.1 Ganzkörperhyperthermie Der Organismus toleriert eine (systemische) Temperatur von ca. 42°C, die in der Ganzkörperhyperthermie erreicht wird, über einen Zeitraum von einer Stunde. Der Energieeintrag erfolgt bei Systemen zur Ganzkörperhyperthermie über die Körperoberfläche her. Beim IRATHERM-2000 (entwickelt am
Von-Ardenne-Institut für Angewandte Medizinische Forschung, Dresden) werden Infrarotstrahler im lichtnahen Bereich 800–1000 nm eingesetzt (. Abb. 28.3a). Die eingestrahlte Leistung ist relativ hoch (über >1 kW), da gleichzeitig eine nicht vernachlässigbare Energieabgabe über Evaporation erfolgen kann, welche den Nettoenergieeintrag drastisch reduziert. Durch die hohe Leistungsdichte an der Körperoberfläche kann es beim IRATHERM zu thermischen Nebenwirkungen kommen. Beim AQUATHERM (. Abb. 28.3b) wird die Ganzkörperhyperthermie bei 60°C Wandtemperatur (wasserdurchströmte Röhren) mit einem deutlich geringeren Leistungseintrag durchgeführt, da die Energieabgabe über Evaporation oder Schweißbildung wegen einer Wasserdampfübersättigung der Therapiekammer nahezu vollständig gehemmt wird. Dieses Therapiesystem wurde von einer US-amerikanischen Arbeitsgruppe (Robins et al. 1985) entwickelt und wird unter der oben genannten Bezeichnung kommerziell angeboten (Enthermics Medical Systems, Menomonee Falls, USA).
28.2.2 Regionale Hyperthermie Mit der regionalen Hyperthermie werden größere Körperregionen, wie das Becken oder ein Teil der Extremitäten, auf höhere Temperaturen gebracht. Die hier vom Normalgewebe tolerierten Temperaturen sind höher als bei der Ganzkörperhyperthermie mit einer Toleranzgrenze über 43 C, punktuell auch 44°C und im Fettgewebe sogar darüber. Damit werden mit der regionalen Hyperthermie im Prinzip auch höhere Temperaturen im Tumor erreicht (idealerweise 43°C), was entscheidend die Wirksamkeit steigert. Technisch realisiert wird die regionale Hyperthermie mit sog. »Annular-phased-array«-Applikatoren. Dabei handelt es sich um gruppierte (in der Regel ringförmig angeordnete) Antennen im Radiowellenbereich (abgestimmt auf ca. 100 MHz), die unter Ausnutzung aller Richtungen ein phasengesteuertes elektromagnetisches Feld erzeugen. Durch gezielte Phasenund Leistungswahl der einzelnen Antennen versuchte man mit der ersten Generation (. Abb. 28.3c), die Leistungsverteilung im Patienten zu steuern. Die Steuerbarkeit des elektrischen Feldes erwies sich aufgrund der elektrischen Inhomogenitäten speziell im Becken als deutlich geringer als von einem homogenen Phantom her erwartet. Dennoch wurde der erste kommerzielle Applikator dieser Art, SIGMA-60 (BSD-2000, BSD Medical Corporation, Salt Lake City, USA) nach 1986 klinisch recht erfolgreich eingesetzt. In einem hohen Prozentsatz wurden brauchbare Temperaturen in den (pelvinen) Tumoren erreicht (60–80%), in einigen Fällen müssen jedoch Abstriche vorgenommen werden. Häufig waren leistungsabhängige Missempfindungen limitierend, sodass die Gesamtleistung begrenzt war und dadurch die angestrebte Temperatur im Tumor nicht erreicht wurde. Das zugrunde liegende Problem wurde mit numerischen Verfahren analysiert. Die Modellrechnungen zeigten, dass durch eine Erhöhung und dreidimensionale Anordnung der Antennenzahl die Steuerbarkeit der Leistungsverteilung spürbar verbessert werden kann. So ermöglicht die Anordnung
323 28.2 · Methoden der Hyperthermie
. Abb. 28.3a–j. Schematische Darstellung der gebräuchlichsten Therapiesysteme für die Ganzkörperhyperthermie (a,b), regionale (c–e) und lokale Hyperthermie (f–j). a IRATHERM-2000, b AQUATHERM, c BSD-2000 mit SIGMA-60-Applikator, d Hybridsystem mit offenem MR-Tomographen (0,2 T Open MR, Siemens), e Hybridsystem im Mittelfeld-MR (1,5 T MR Symphony, Siemens), f Kapazitives System
(Bruker) von extern, g kapazitives System mit Endoelektrode (Endoradiotherm 100, Olympus), h Lokalapplikatoren (von links nach rechts: Wellenleiter-, Strombelegungs-, Spiralapplikator). i Interstitielle Hyperthermie (Dual Electrode Applicator, Odelft). j Magnetflüssigkeitshyperthermie
von drei longitudinal (in Richtung der Patientenachse) angeordneten Antennenringen (. Abb. 28.3d,e) eine Einflussnahme auf die Phasen in Richtung der Längsachse der Patienten, um ungünstige Feldmaxima an elektrischen Grenzflächen (Knochen-Muskel-Grenzen) zu reduzieren. Klinisch sollte eine solche E-Feld-Verteilung verträglicher sein und somit eine Erhöhung der Gesamtleistung zulassen, um auf diese Weise höhere Temperaturen im Tumor zu erreichen. Ein solcher Applikator wurde unter der Bezeichnung SIGMA-Eye-Applikator in den letzten Jahren entwickelt. Vorteile gegenüber dem Vorgängermodell SIGMA-60 weist ein solcher Applikator nur auf, wenn er in subtiler Weise ange-
steuert wird. Die Ermittlung solcher (geeigneter) Steuergrößen erfolgt in einem Hyperthermieplanungssystem, in dem Rechenmodule für E-Feld-Berechnung, Temperaturberechnung und Optimierung implementiert sind (Sreenivasa et al. 2003). Die Umsetzung der theoretisch postulierten Vorteile des SIGMA-Eye-Applikators setzt ein spezielles Design voraus, an dem immer noch gearbeitet wird. Der SIGMA-EyeApplikator wird inzwischen an einigen Zentren routinemäßig bei Patienten eingesetzt (München, Berlin, Erlangen, Rotterdam, Bergen, Durham). Fortschritte in numerischen Verfahren, Messtechniken und der Entwicklung von Netzwerken lassen eine erfolgreiche Anwendungsoptimierung erhoffen.
28
324
28
Kapitel 28 · Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie
Es sind noch einige andere APA-Applikatoren in Gebrauch, die dem SIGMA-60-Applikator ähneln. Dazu gehören Prototypen, die in Utrecht (TEM-Applikator; DeLeeuw u. Lagendijk 1987) und Amsterdam (4-Wellen-Leiter-Applikator) entwickelt wurden. Grundsätzlich kann eine regionale Hyperthermie auch mit einem kapazitiven System durchgeführt werden (. Abb. 28.3f). Bei einem solchen System wird das elektrische Wechselfeld zwischen 2 Elektroden aufgebaut. Die Eindringtiefe ist höher, da bei niedrigeren Frequenzen gearbeitet wird (typischerweise 13,6 MHz). Die Homogenität des Feldes hängt von der Größe der Plattenelektroden ab. Richtung und Dichte des elektrischen Feldes sind jedoch kaum beeinflussbar (es läuft senkrecht zu den Plattenelektroden), sodass die typischen Überhitzungen im Fettgewebe und an knöchernen Strukturen kaum beeinflussbar sind. Klinische Phase-I/II-Studien mit kapazitiven Therapiesystemen deuteten auf eine Unterlegenheit gegenüber dem »Annular-phased-array«-Prinzip hin. Dies wird durch theoretische Überlegungen und Modellrechnungen bestätigt (Kroeze et al. 2003). Lediglich in Japan findet dieses Therapieprinzip eine gewisse Verbreitung. Auf dem Prinzip der kapazitiven Methode basiert auch eine endoskopische Hyperthermie, die mit dem System Endoradiotherm (Olympus Optical, Japan) bei der Behandlung von lokal fortgeschrittenen Ösophaguskarzinomen eingesetzt wird. Hier wird eine endokavitäre Elektrode im/am Tumor platziert, die Gegenelektrode auf der Brustwand des Patienten. Die elektrischen Feldlinien sind zwangsläufig in der Umgebung der Endoelektrode konzentriert, d. h. im Tumor und peritumoral (. Abb. 28.3g). Im Thorax ist eine Erwärmung sonst sehr schwierig.
28.2.3 Teilkörperhyperthermie Klinisch wurde die Methode aus der Ganzkörperhyperthermie entwickelt, die aufgrund der systemischen Temperaturverteilung (≤42°C) mit hohem Aufwand (u. a. Notwendigkeit einer tiefen Analgosedation mit intensivmedizinischer Versorgung) und entsprechender Belastung und Komplikationsmöglichkeit einhergeht. Physikalisch und medizintechnisch soll dabei ein Teilbereich des Körpers wie das Abdomen (einschließlich der Leber) auf Temperaturen >42°C gebracht werden, ohne dass dabei die systemische Temperatur wesentlich ansteigt. Das Abdomen hat eine moderate Perfusion von 10 ml/ 100 g/min, welche unter sympathikotonen Bedingungen eher noch abnimmt. Die Leber wird durch den Portalkreislauf zu zwei Dritteln mit vorgewärmtem Blut aus dem Abdomen versorgt. Auf diese Weise sollen Abdomen und Leber gleichzeitig auf >42°C erwärmt werden. Die Applikatoren, die eine geeignete Leistungsdichtverteilung im Abdomen erzeugen können, sind die gleichen wie für die regionale Hyperthermie. Die Anforderungen an die Steuerbarkeit sind dabei mindestens genauso hoch, da es um die möglichst homogene Ausleuchtung eines größeren Volumens von 10–20 l geht. Dafür sind Multiantennen-Applikatoren wie der SIGMA-Eye-Applikator geeignet, aber eine allgemeine Lösung des Problems und die
Suche nach einem verbesserten Applikatordesign ist Gegenstand der Forschung (z. B. Nadobny et al. 2004).
Entscheidende Kenngrößen eines Applikators sind Steuerbarkeit (d. h. Konformalität, Formung der Feldbelegung) und Wirkungsgrad (d. h. ausreichend hohe Leistungsdichte), wobei diese Qualitätsmerkmale invers miteinander korreliert sind.
28.2.4 MR-Überwachung im Hybridsystem Die hohen eingestrahlten Leistungen von 500–1000 W erfordern ein engmaschiges Basismonitoring der Vitalparameter (SiO2, Pulsrate, Blutdruck, evtl. EKG) und möglichst eine (nichtinvasive) Darstellung der Temperaturverteilung, zumindest zur Detektion von Überdosierungen (sog. »hot spots«). Im sog. Hybridsystem wird ein Radiowellen-Applikator mechanisch und hochfrequenztechnisch in einen MR-Tomographen integriert, sodass simultan zur Hyperthermie MRDatensätze akquiriert werden können. Unter experimentellen Bedingungen gelang dies erstmals für einen (kleineren) Extremitäten-Applikator in einer Arbeitsgruppe an der Duke University (Durham; Carter et al. 1998). Unter klinischen Bedingungen wurden zwei Systeme für den Körperstamm in Deutschland entwickelt: In der Münchner Arbeitsgruppe (Klinikum Großhadern) wurde ein elliptischer Applikator vom Typ SIGMA-Eye in einen offenen MR-Tomographen 0,2 Tesla (Open Viva, Siemens, Erlangen; . Abb. 28.3d) integriert (Peller et al. 1999). In der Berliner Arbeitsgruppe (Charité) wurde ein ähnlicher Applikator in ein Tunnelsystem mit 1,5 Tesla integriert (Symphony, Siemens, Erlangen; . Abb. 28.3e). Dafür müssen das mit hohen Leistungen Radiowellen (von z. B. 100 MHz) abstrahlende Therapiesystem und der bei der MR-Resonanzfrequenz von 64 MHz empfindliche MR-Empfänger (er verarbeitet Nutzsignale im μW-Bereich) durch geeignete Filter voneinander getrennt werden (Wust et al. 2004). Die MR-Überwachung von Hochtemperaturanwendungen (hochfokussierter Ultraschall, Laser, Radiofrequenz) gelingt aufgrund der hohen Temperaturdifferenz von >40°C (von 37,5 bis >80°C). Viele MR-Sequenzen erfahren bei einem solchen Temperatursprung eine in der Bildgebung sichtbare Signaländerung, die mit der Temperatur korreliert ist. Ungleich schwieriger ist die Darstellung der Temperaturverteilung in einem Bereich von 5–10°C (37,5–45 C) mit der gewünschten Genauigkeit von deutlich unter 1°C (besser 0,5°C). Mit modernen MR-Scannern (wie z. B. dem Symphony) ist ein technologisches Niveau erreicht (Stabilität, Empfindlichkeit, Homogenität, Signalverarbeitung), welches am anthropomorphen Phantom unter sonst klinischen Bedingungen eine dreidimensionale MR-Thermographie über eine Therapiezeit von >1 h mit Genauigkeiten <0,5°C erlaubt (Gellermann et al. 2004). Um dieses Ziel zu erreichen, liefert die PR F(Protonenresonanzfrequenz)-Methode das höchste Signalzu-Rausch-Verhältnis. Die (temperaturabhängige) Verschie-
325 28.2 · Methoden der Hyperthermie
. Abb. 28.4. Hybridsystem zur simultanen Teilkörperhyperthermie (SIGMA-Eye-Applikator) und MR-Thermographie (Siemens Symphony). Für die Planung wird ein Patientenmodell erzeugt (rechts oben). Die MR-Temperatur wird mittels Phasendifferenzen in beliebigen
Schichten (hier 1 und 2) bestimmt und graphisch in Falschfarben dargestellt (rechts unten). Der Tumor (ein präsakrales Sarkom) ist deutlich überwärmt (rot)
bung der PRF (ca. 0,7 Hz/1°C bei 1,5 Tesla) wird dabei über eine Phasenverschiebung des Echosignals einer Gradientenechosequenz bestimmt. Die Phasenverteilungen des MR müssen allerdings noch einem Korrekturverfahren unterzogen werden. Auch im klinischen Einsatz gelingt die Generierung von temperaturkorrelierten Signalintensitätsverteilungen (. Abb. 28.4) bei Tumoren der Extremitäten (Weichteilsarkome, maligne Melanome) oder des Beckens (Rektumkarzinomrezidive, Prostata, mit Einschränkung Zervixkarzinome). Die Signaländerungen enthalten neben der Temperaturinformation auch Hinweise auf physiologische Veränderungen (Perfusion, Oxygenierung). Neben der PRF-Methode können T1- und diffusionsgewichtete Signale ausgewertet werden, deren Signal-zu-RauschVerhältnis jedoch geringer ist. Die PRF-Methode ist dagegen besonders empfindlich für Heterogenitäten (Suszeptibilitätsschwankungen). Auch Fluss- und Perfusionsmessungen (kontrastmittelunterstützt) kommen zum Einsatz. Der neueste Stand der (nichtinvasiven) Thermographie wird in einem Sonderheft des International Journal of Hyperthermia 2005 beschrieben (Bd. 21, Herausgeber G. van Rhoon u. P. Wust). Inzwischen konnte die MR-Thermographie im Hybridsystem bei Rektumkarzinomrezidiven (Gellermann et al 2005) und Weichteilsarkomen (Gellermann et al 2006) validiert werden. Mit Hilfe der MR-Thermographie konnte bei Phantomen eine Online-Kontrolle implementiert werden, die zu einer Übereinstimmung von Planungsrechnungen und Messungen
führt und damit den Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Optimierung bildet (Weihrauch et al 2007). Diese Methode ist inzwischen auch bei Patienten eingesetzt worden.
28.2.5 Lokale Hyperthermie Bei oberflächlichen Läsionen gibt es eine Reihe von Verfahren mit Mikrowellen, Radiowellen und Ultraschall zur Erwärmung. Mit diesen Hyperthermietechniken liegen die meisten klinischen Erfahrungen vor, v. a. aus den 1980er-Jahren. Andererseits ist der onkologische Stellenwert der technisch unkomplizierten lokalen Hyperthermie eher gering zu veranschlagen, da die Prognose onkologischer Patienten nur selten von der lokalen Kontrolle einer umschriebenen oberflächlichen Läsion abhängt. Sehr ausgedehnte oberflächliche Tumormanifestationen, die anderen therapeutischen Verfahren, insbesondere einer chirurgischen Sanierung, nicht mehr zugänglich sind, können auch mit den in . Abb. 28.3h gezeigten Applikatoren nicht mehr auf sinnvolle Weise erwärmt werden. Bei der lokalen Hyperthermie werden im Vergleich zu regionalen oder globalen Hyperthermieverfahren noch höhere Temperaturen toleriert, in den Tumoren bis 50°C. Beschwerden beginnen normalerweise ab 44°C im Normalgewebe, erst dann ist auch mit thermischen Nebenwirkungen zu rechnen.
28
326
Kapitel 28 · Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie
28.2.6 Interstitielle Hyperthermie
28
Es handelt sich um eine hochwirksame Form der Lokaltherapie, die jedoch einen invasiven Zugang zum Zielgebiet voraussetzt. Dabei kommt in Abhängigkeit vom Volumen ein weiter Temperaturbereich zur Anwendung. Oberhalb von 45°C beginnt schon die Thermoablation, bei der es (auch ohne Begleittherapie) zur Gewebe-/Tumordestruktion kommt. Für die Thermoablation werden Laser- und Radiofrequenz-Applikatoren eingesetzt, aber nur in begrenzten Volumina (<4 cm). Diese Methoden sind weit verbreitet und werden v. a. in der interventionellen Radiologie eingesetzt, bei Lebermetastasen (Vogl et al. 2004; Pereira et al. 2004) und neuerdings bei Lungen- (Hoffmann et al. 2004), Nieren- und Knochenmetastasen (Tacke u. Mahnken 2004; Jakobs et al. 2004) eingesetzt. Für die interstitielle Hyperthermie im engeren Sinne müssen Mikrowellen- oder Radiowellen-Antennen (. Abb. 28.3i) im Zielvolumen in in Abständen von 1–2 cm platziert werden (Sneed et al. 1998; van Vulpen et al. 2002), mit ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie in der Afterloading-Therapie mit 192Iridium-Strahlern. Problematisch sind Invasivität und Aufwand für diese Vorgehensweise bei nur einmaliger Anwendung. Die interstitielle Hyperthermie muss im Anschluss an die Implantation durchgeführt werden (unter Umständen in Narkose). Bei vergleichbarer oder geringerer Traumatisierung und einfacherer Logistik ist da die interstitielle Brachytherapie (mit 125I-Seeds oder 192Ir-Strahlern) so effektiv und gut steuerbar, dass kaum noch Raum für die interstitielle Hyperthermie bleibt. Aufgrund der günstigeren physikalischen Voraussetzungen (Planbarkeit, Konformalität) beginnen die Radiotherapie-Verfahren schon mit den oben beschriebenen Thermotherapie-Verfahren zu konkurrieren (Ricke et al. 2004a,b).
28.2.7 Magnetflüssigkeitshyperthermie Die Magnetflüssigkeitshyperthermie (. Abb. 28.3j) ist ein neues interstitielles Verfahren, bei welchem eine Lösung von Nanoteilchen (Eisenoxidkern mit makromolekularer Hülle) im Zielgebiet relativ atraumatisch (d. h. mit dünnen Injektionsnadeln von <1 mm Durchmesser) verteilt wird (Jordan et al. 2001). In einem externen Magnetfeld von 5–15 kA/m (bei 100 kHz) nehmen diese Teilchen eine hohe Leistung, 10-19 W/(kA/m)2Teilchen) auf (Gneveckow et al. 2004). Die Methode erscheint aufgrund ihrer hervorragenden Planbarkeit, Steuerbarkeit, Verfizierbarkeit und nahezu beliebigen Wiederholbarkeit anderen interstitiellen Verfahren überlegen. Erste klinische Studien mit dieser Therapie wurden beim Prostatakarzinom, bei verschiedenen Rezidivtumoren und beim Glioblastoma multiforme mit Erfolg durchgeführt (Johannsen et al. 2005, 2007; Maier et al. 2006; Wust et al. 2006). Derzeit dominiert noch die Intensivierung des lokalen Effektes z. B. von Radio- und /oder Chemotherapie durch die Magnetflüssigkeitshyperthermie, d. h. die für eine Thermoablation erforderlichen Temperaturen werden nicht immer erreicht. Die Kombination von Magnetflüssigkeitshyperthermie und Radio- bzw. Chemotherapie wurde außerdem beim Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsenkarzinom eingesetzt.
Die Ergebnisse sind vielversprechend und werden demnächst publiziert.
28.2.8 Thermometrie und technologischer
Ausblick Bei der Evaluation und qualitätsgerechten Durchführung der Hyperthermie kommt der Temperaturmessung (Thermometrie) eine wichtige Rolle zu. In den klinischen Anfängen wurde eine möglichst vollständige Vermessung der intratumoralen Temperatur gefordert. Dies war nur durch die invasive Implantation von mindestens einem, präferenziell mehreren Kathetern (möglichst in 2 oder 3 Ebenen) zu erreichen, in denen Temperatursensoren verschoben werden können. Aus den in regelmäßigen Zeitabständen registrierten Temperatur-OrtsKurven (Scans längs der Katheter) konnten spezielle Kenngrößen extrahiert werden, die die Qualität der Temperaturverteilung im und um den Tumor beschreiben. Dazu gehören die sog. mittleren Indextemperaturen T, die den Temperaturen entsprechen, die von einem bestimmten Prozentsatz der intratumoralen Messpunkte erreicht oder überschritten werden. Eine häufig benutzte Temperaturkenngröße ist T90 , die mit der minimalen Temperatur im Tumor korrespondiert. Die aufsummierte Zeit, für die T« oberhalb einer Referenztemperatur liegt (z. B. 40,5°C) wird als »kumulative Minuten« (»cum min«) bezeichnet. Eine Umrechnung der Temperatur-ZeitKurve für eine bestimmte Indextemperatur (üblicherweise T90) auf Äquivalentminuten zu 43°C wird ebenfalls als Parameter für die thermische Dosis eingesetzt. In zahlreichen Phase-II-Studien konnte eine Korrelation von solchen thermischen Parametern mit dem Ansprechen gezeigt werden. Unter Ansprechen wird hier eine Volumenverkleinerung im Sinne der WHO oder (bei einer präoperativen Therapie) ein Down-Staging in der T-Kategorie angesehen. Solche Dosis-Wirkungs-Relationen wurden für Weichteilsarkome (Issels et al. 1990; Leopold et al. 1989), Lymphknotenmetastasen von Kopf-Hals-Karzinomen (Wust et al. 1996) und Rektumkarzinome (Rau et al. 1998) gezeigt. Interessanterweise konnte die Korrelation bei den Rektumkarzinomen durch eine endoluminale (also minimal-invasive) Kathetereinlage ermittelt werden. Mit anderen Worten:
Bereits mit einer endoluminalen Temperaturmessung kann ein aussagekräftiger, die Effektivität der Hyperthermie charakterisierender Parameter extrahiert werden. Das rechtfertigt, auf die invasive Temperaturmessung zu verzichten, was die Hyperthermie erheblich verträglicher und einfacher für die Patienten gestaltet.
Die jüngsten Ergebnisse des MR-Monitoring bei der regionalen Hyperthermie des Beckens zeigen eine beträchtliche Heterogenität der Signaländerungen innerhalb der Tumoren und von Patient zu Patient. So finden wir typischerweise in den Tumoren in der Regel Bereiche mit MR-Temperaturerhöhungen von 6 MR-Graden und darüber, während in den
327 28.3 · Klinische Ergebnisse
Normalgeweben (Beckenmuskulatur) die Erhöhungen nur 3–5 MR-Grade betragen (bei geringerer Streuung). Das demonstriert die fundamentalen Unterschiede zur Ganzkörperhyperthermie, bei der eine konstante Temperatur von 42°C erreicht werden kann (aber keine höheren Temperaturen). Daher wird mit einstrahlenden Verfahren (nach dem phasengesteuerten Gruppenstrahlerprinzip) in Teilen eines Tumors meist eine deutlich höhere Effektivität erreicht als mit der Ganzkörperhyperthermie. Allerdings besteht auch die Gefahr einer Unterdosierung, wenn nennenswerte Anteile eines Tumors unter einer Erhöhung von 4–5 MR-Graden bleiben. Im Bereich des Beckens und der Extremitäten werden durch das MR-Monitoring Daten akquiriert, die Einblicke in die Tumorbiologie und die Prognose geben können und vermutlich die Indikationsstellung für eine Hyperthermie beeinflussen werden. Die klinische Bedeutung der beobachteten Veränderungen, MR-Grade oder Perfusionen bzw. Flüsse, ist noch nicht geklärt. Für das Abdomen muss die MR-Thermographie noch entwickelt werden, da hier die Atembeweglichkeit in besonderem Maße hinderlich ist. Durch Navigation sollen die detektierten Daten ortskorreliert werden.
Ziel des MR-Monitoring ist die Entwicklung von Qualitätsparametern, die eine Steuerung und Optimierung der Wärmetherapie über die eingesetzten Applikatoren (Ansteuerung der Antennen) erlauben. Eine Weiterentwicklung der Trias Planung, Monitoring (über MR-Akquisition) und Steuerung (des Applikators) lässt noch Verbesserungen erwarten.
28.3
Klinische Ergebnisse
Seit Mitte der 1980er-Jahre wurden Phase-II- und -III-Studien zur Evaluation verschiedener Hyperthermietechniken in unterschiedlichen Behandlungsschemata initiiert. 4 Inzwischen abgeschlossene randomisierte Studien zur lokoregionalen Hyperthermie zeigen, dass eine lokale Wirkungsverstärkung der Radiotherapie durch Hyperthermie nicht nur unter Laborbedingungen, sondern
auch in der klinischen Anwendung nachweisbar ist (. Tab. 28.1).
. Tab. 28.1. Wichtigste Phase-III-Studien zur Hyperthermie
Tumorentität
Endpunkt
RT
RT + HT
Technik
Referenz
Melanomrezidive
Lokale Kontrolle (2 Jahre)
28%
46%
Lokal
Overgaard et al. 1995
Mammakarzinomrezidive
Komplette Remission
40%
60%
Lokal
Vernon et al. 1996
Kopf-Hals-Tumoren, Lymphknotenmetastasen (N2/3)
Überleben (5 Jahre)
0%
50%
Lokal
Valdagni u. Amichetti 1993
Oberflächliche Tumoren
Komplette Remission
30%
33%
Lokal
Perez et al. 1989
Läsionen >3 cm
33%
54%
Kopf-Hals-Karzinome II/IV
Überleben (3 Jahre)
8%
25%
Lokal
Datta et al. 1990
Glioblastom 5 cm
Mittlere Überlebenszeit
19 Mon.
22 Mon.
Interstitiell
Sneed et al. 1998
Überleben (3 Jahre)
0%
15%
Rektumkarzinom (lokal fortgeschritten)a
Resektabilität
27,1%
55,4%
Endokavitär
Überleben (5 Jahre)
6,6%
35,6%
Berdov u. Menteshashvili 1990
Pelvine Tumoren
Response
37%
58%
Regional
Van der Zee et al. 2000
Zervixkarzinom
Response
56%
78%
Regional
Überleben (3 Jahre)
27%
51%
Regional
Response
41%
79%
Regional
Response
13%
19%
Regional
Blasenkarzinom Rektumkarzinom
(Rezidiv)b
Zervixkarzinom
Lokale Kontrolle (3 Jahre)
48,5%
79,7%
Kapazitiv
Harima et al. 2001
Ösophaguskarzinom
Überleben (3 Jahre)
27,5%
56,5%
Kapazitiv
Sugimachi et al. 1994
ChT
ChT + HT
Response
12,7%
28,8%
Regional
Issels et al. 2007
Lokale Kontrolle (4 Jahre)
55%
65%
Regional
Weichteilsarkome
a
Eingeschränkte Mobilität. b Es handelte sich ganz überwiegend um Rezidive.
28
328
Kapitel 28 · Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie
4 Für den Chirurgen sind natürlich präoperative Therapiekonzepte unter Einbindung der Hyperthermie von besonderem Interesse. 4 Die Studienergebnisse der Ganzkörperhyperthermie bei metastasierenden Erkrankungen wurden mit besonderem Interesse erwartet, da sie eine Option für systemische onkologische Erkrankungen eröffnen. 4 Aktuelle Phase-I/II-Studien zeigen weitere Indikationen für verschiedene Anwendungsformen der Hyperthermie auf.
28.3.1 Phase-III-Studien zur Radiotherapie
28
(± Hyperthermie) Erste Wirksamkeitsnachweise waren schon bei den früheren klinischen Anwendungen erfolgt anhand von oberflächlich gelegenen korrespondierenden Tumoren, indem eine Läsion mit Hyperthermie, die andere ohne bestrahlt wurde (Overgaard 1989). Inzwischen sind zahlreiche randomisierte Studien abgeschlossen worden, die belegen, dass Hyperthermie die Wirkung alleiniger Radiotherapie erhöht (. Tab. 28.1). Die Wirksamkeitsnachweise erfolgten für die lokale, regionale und interstitielle Hyperthermie. Dabei ist klar, dass ein erhöhtes Ansprechen nicht unbedingt eine Verbesserung der lokalen Kontrolle bewirkt und wiederum diese nicht unbedingt ein verbessertes tumorfreies Überleben oder Gesamtüberleben nach sich zieht. Diese Zusammenhänge stellen jedoch nicht unbedingt die prinzipielle Wirksamkeit in Frage, sondern hängen vielmehr von den onkologischen Verläufen der zu behandelnden Erkrankungen ab. Auch für andere Therapieverfahren, wie z. B. die Radiotherapie, wird der Stellenwert bei verschiedenen Tumorerkrankungen immer wieder neu definiert. Dennoch wird an der prinzipiellen Wirksamkeit der Radiotherapie kaum jemand zweifeln. Bei der Hyperthermie kommt hinzu, dass neben dem (biologischen) Wirksamkeitsnachweis zusätzlich ein Beleg für die effektive Durchführung vorliegen muss. Eine adäquate Durchführung der Hyperthermie hängt von der Hyperthermietechnik in Relation zu Lage und Ausdehnung der Läsion ab und wird durch die erreichte Temperaturverteilung bestimmt. Die publizierten Berichte lassen erahnen, dass unbefriedigende klinische Resultate auch durch unzulängliche Qualität der Durchführung bedingt sein können. Besonders drastisch zeigt sich dies im Falle der RTOG 81-04 Studie (Perez et al. 1989), die für die größeren Läsionen ein negatives Ergebnis für die lokale Hyperthermie erbrachte (. Tab. 28.1). Dies wurde durch die Anwendung zu kleiner Lokalapplikatoren erklärt. Für Läsionen <3 cm fielen die Ergebnisse dagegen positiv zugunsten des kombinierten Therapiearms aus (. Tab. 28.1). Eine – invasive oder nichtinvasive – Temperaturdokumentation muss also unbedingt erfolgen. Nicht in allen randomisierten Studien zur Hyperthermie, selbst wenn sie einen positiven Wirkungsnachweis erbrachten, wurde eine Korrelation des klinischen Effektes mit thermischen Parametern nachgewiesen, teilweise aufgrund inkompletter Thermometrie, teilweise weil keine gezielte Auswertung im Hinblick auf diese Parameter erfolgte (. Tab. 28.1). Dass ein solcher Zu-
sammenhang wohl besteht, wird auch unterstützt durch Korrelationen zwischen thermischen Parametern und Response aus Phase-II-Studien (7 Kap. 28.2). . Tab. 28.1 zeigt, dass eine Wirkungsverstärkung einer Standardradiotherapie durch zusätzliche Hyperthermie bei einer Reihe von oberflächlichen Läsionen (Rezidive/Metastasen des Mammakarzinoms und malignen Melanoms, Lymphknotenmetastasen bei Kopf-Hals-Tumoren) gezeigt werden konnte. Das verbesserte Ansprechen bzw. die höhere Kontrolle führte aus onkologischen Gründen nicht zu einer Verbesserung des Überlebens. Beim Lokalrezidiv des Mammakarzinoms besteht ein klinischer Bedarf, die Hyperthermie einzusetzen (Hehr et al. 2001). Auch für die regionale Hyperthermie, durchgeführt mit dem derzeitigen Standardsystem (BSD-2000; SIGMA-60-Applikator, . Abb. 28.3c), wurde die Wirkungsverstärkung bei lokal fortgeschrittenen pelvinen Tumoren zunächst in Bezug auf das Ansprechen gezeigt. Beim Zervixkarzinom im Stadium IIb/III konnte nach 3 Jahren ein Vorteil im tumorfreien Überleben und Gesamtüberleben im Kombinationsarm nachgewiesen werden (van der Zee et al. 2000). Die Ergebnisse für das fortgeschrittene Zervixkarzinom wurden inzwischen von einer japanischen Arbeitsgruppe mit einer kapazitiven Technik bestätigt (Harima et al. 2001; . Tab. 28.1). Dies führte dazu, dass die Radiothermotherapie beim Zervixkarzinom IIb/III in den Niederlanden als Standard akzeptiert wird. Das relativ schlechte Abschneiden des Arms mit alleiniger Radiotherapie wurde als Kritikpunkt geäußert. Dies erklärt sich aus der Negativselektion der Patientinnen bei der Durchführung der Studie. In der Tat ergab eine Auswertung der Tumorvolumina, dass hier außerordentlich fortgeschrittene Tumoren mit Volumina oberhalb der Norm behandelt wurden. Das Tumorvolumen ist beim Zervixkarzinom ein hochsignifikanter prognostischer Indikator (Perez et al. 1992; Dinges et al. 1998). Diese Ergebnisse sind insofern besonders interessant als die endoluminal (und z. T. intratumoral) erhobenen Temperaturmessungen niedrige Werte (z. B. um 40°C) ergaben und damit die Grenzen dieser Hyperthermietechnik aufzeigen. Der gleichwohl nachgewiesene Effekt weist auf die enormen Potenziale hin, die mit einer technischen Verbesserung einhergingen (wie schon im vorigen Abschnitt beschrieben, SIGMA-Eye-Applikator). Fast zeitgleich wurden in den USA mehrere Studien abgeschlossen, die eine Verbesserung der Radiotherapie beim Zervixkarzinom auch durch (platinhaltige) Chemotherapie zeigen (so z. B. Morris et al. 1999). Die Radio-/Chemotherapie (RCT) gilt daher als Standard beim fortgeschrittenen Zervixkarzinom. Jüngste Studienkonzepte beschäftigen sich mit der Fragestellung, ob die hypertherme Radiotherapie der RCT gleichwertig (oder sogar überlegen) ist bzw. ob die zusätzliche Hyperthermie eine RCT weiter verbessern kann (van der Zee u. Gonzalez 2002; Prosnitz 2002). Es gibt weitere Studien, die beim Rektumkarzinom (Berdov u. Menteshashvili 1990) bzw. Ösophaguskarzinom (Kitamura et al. 1995; Sugimachi et al. 1994) einen Überlebensvorteil durch lokoregionale Hyperthermie mit einer endokavitären Technik erzielten (. Abb. 28.3h). Die Publikationen
329 28.3 · Klinische Ergebnisse
weisen leider Defizite auf in Bezug auf die Dokumentation der eingesetzten Hyperthermieverfahren und der damit erzielten Temperaturen. Die erzielten positiven Resultate sind interessant, erstaunen ein wenig, sie könnten einen weiteren Hinweis auf Wirksamkeit und Einsatzgebiete der Hyperthermie darstellen. Allerdings konnte eine in Deutschland initiierte Studie zum Ösophaguskarzinom (Schlag et al. 1999) die in Japan erzielten positiven Ergebnisse nicht reproduzieren (Kitamura et al. 1995).
bidität noch die chemo- oder radiotherapieassoziierten Nebenwirkungen durch Hyperthermie verstärkt werden. Die zeigen auch die Analysen von Phase-II-Studien (Prosnitz et al. 1999; Rau et al. 2000). Ein attraktives Merkmal der lokoregionalen Hyperthermie ist daher die Möglichkeit der Wirksamkeitssteigerung ohne bisher nachweisbare Toxizitätserhöhung.
28.3.3 Klinische Ergebnisse der Ganzkörper-
hyperthermie 28.3.2 Präoperative Therapiekonzepte unter
Einbindung der Hyperthermie Diese Fragestellung wurde besonders von deutschen Arbeitsgruppen aus Berlin und München untersucht, von denen randomisierte Studien initiiert wurden. In vorangegangenen Phase-II-Studien konnte gezeigt werden, dass sowohl beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom uT3/4 Nx (Rau et al. 1998) als auch beim Hochrisiko-Weichteilsarkom (Wendtner et al. 2001) das Überleben vom Ansprechen des Tumors auf die präoperative Therapie abhängt (. Abb. 28.2). Für beide Tumorentitäten konnte auch eine Korrelation zwischen Ansprechen (Down-Staging) und den erreichten Temperaturen nachgewiesen werden (Rau et al. 2000; Issels et al. 1990). Die randomisierten Studien stehen inzwischen kurz vor ihrem Abschluss und die Ergebnisse von Interimsanalysen lassen eine Einschätzung zu. So konnte in einer präoperativen Radio-/Chemotherapie (45 Gy, 5-FU, Folsäure als Bolus) durch regionale Hyperthermie in der Charité-Arbeitsgruppe das Ansprechen erhöht (von 49 auf 66%) und gleichzeitig die Progression vermindert werden (von 6 auf 0%). Auf die lokale Kontrolle (insgesamt >90% nach R0-Resektion nach 3 Jahren) und das Überleben (>80% nach 3 Jahren) hatte dies aber keinen Einfluss. Da in anderen Studien selbst die Radiotherapie in einem multimodalen Therapiekonzept beim Rektumkarzinom keinen Einfluss auf das Überleben hatte und die lokale Kontrolle nur um wenige Prozent verbessern konnte (Wolmark et al. 2000), wundert dieses Ergebnis nicht. Da beim Rektumkarzinom offenbar die optimale Chirurgie und die Chemotherapie die für das langfristige Überleben entscheidenden Module darstellen, ist der Einsatz der Hyperthermie bei dieser Indikation vielleicht nicht unverzichtbar. Das unterstützen eigene Auswertungen. Es ist sicherlich schwieriger, eine Radio-/Chemotherapie durch Hyperthermie zu verbessern als eine alleinige Radiotherapie (. Tab. 28.1). Anders ist die Fragestellung beim Hochrisiko-Weichteilsarkom, bei dem in einem präoperativen Therapiekonzept die alleinige Chemotherapie (EIA, Etoposid, Ifosfamid, Adriamycin) durch die regionale Hyperthermie intensiviert werden soll (Issels et al. 2001). Die von der Münchner Arbeitsgruppe (Klinikum Großhadern) etablierte Phase-III-Studie (EORTC 62961), in die auch die Charité-Arbeitsgruppe Patienten einbringt, zeigte eine eindeutige Bevorzugung des Arms mit Hyperthermie im Hinblick auf Ansprechen und lokale Kontrolle (Issels et al. 2007). Die randomisierten Studien zum präoperativen Einsatz einer Hyperthermie zeigen, dass weder die perioperative Mor-
Da die systemische Temperatur eine strenge Regelgröße im Organismus darstellt, kann die globale Hyperthermie bis 42°C nur in Allgemeinanästhesie oder zumindest unter Analgosedierung durchgeführt werden (Hildebrandt et al. 2004; Kerner et al. 2003). Aufgrund der physiologischen und physikalischen Voraussetzungen für die Energieeinbringung (Wust et al. 2000) stellt die Ganzkörperhyperthermie eine erhebliche Belastung für Kreislauf und Gesamtorganismus dar und hat auch einige Risiken. Die klinischen Erfahrungen mit der Ganzkörperhyperthermie bei metastasierenden kolorektalen Karzinomen deuten darauf hin, dass eine Chemotherapie in der Wirksamkeit zwar ein wenig verstärkt werden kann. Daraus resultiert aber kein nennenswerter Vorteil für das Gesamtüberleben in einem solchen palliativen Konzept, insbesondere wenn man die hohe Belastung und nicht vernachlässigbare Toxizität für die Patienten dagegen aufrechnet (Hildebrandt et al. 2004; Hegewisch-Becker et al. 2002). So verbesserte sich z. B. bei 6-maliger zusätzlicher Ganzkörperhyperthermie die mittlere Überlebenszeit beim metastasierenden kolorektalen Karzinom um 6 Wochen (Hegewisch-Becker, persönliche Mitteilung) – ein zu geringer Effekt. Die insgesamt doch etwas enttäuschenden Ergebnisse führten zu einem nachlassenden Interesse. Temperaturen von 42°C, die bei der Ganzkörperhyperthermie nicht überschritten werden können, sind offenbar für eine klinisch relevante Wirksamkeitssteigerung nicht ausreichend. Vielmehr scheint die bei den lokoregionalen (einstrahlenden) Hyperthermieverfahren in der MR-Thermographie beobachetete Heterogenität, die fast immer in Teilen (vielleicht den entscheidenden Anteilen) eines Tumors >4–5 MR-Grade ausweist, eine wichtige Voraussetzung für die höhere Wirksamkeit zu sein.
28.3.4 Neue Phase-I/II-Studien . Tab. 28.2 zeigt eine Auflistung von jüngsten Phase-I/II-Stu-
dien, aus denen möglicherweise neue Therapiekonzepte entwickelt werden, die in Phase-III-Studien geprüft werden sollten. Eine trimodale Therapie beim Zervixkarzinom IIb/III ergab gute Verträglichkeit, sodass eine randomisierte Studie eingeleitet wurde, die Radio-/Chemotherapie mit/ohne regionale Hyperthermie vergleicht (Jones et al. 2003). Die regionale Hyperthermie zusätzlich zu einer StandardRadiotherapie beim lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom
28
330
28
Kapitel 28 · Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie
ergibt ermutigende Langzeitergebnisse, sodass eine weitere Evaluation wünschenswert ist (Tilly et al. 2004). Beim vorbestrahlten Rektumkarzinomrezidiv konnten exzellente palliative Resultate mit einer hyperthermen Chemotherapie (Oxaliplatin, Capecitabin) erzielt werden (Hildebrandt et al. 2004), sodass eine Phase-III-Studie begonnen wurde. Die Magnetflüssigkeitshyperthermie wird z. Z. bei vorbestrahlten Rezidivtumoren verschiedener Histologie und Lokalisation eingesetzt. Ein Vorteil der Methode (wie oben beschrieben) ist ihre vielseitige Einsetzbarkeit. Eine spezifische Indikation sind Glioblastomrezidive. Die Teilkörperhyperthermie ist eine neue von der Berliner und Münchner Arbeitsgruppe entwickelte Anwendungsform einer MR-überwachten Hyperthermie (s. oben), die in Studien bei abdominell disseminierten gastrointestinalen Karzinomen Anwendung findet. Speziell beim fortgeschrittenen Pankreaskarzinom sollte sie mit einer Zweitlinien-Chemotherapie eingesetzt werden.
Aufgrund ihrer deutlich besseren Verträglichkeit sollte die Teilkörperhyperthermie bei den abdominellen onkologischen Erkrankungen die Ganzkörperhyperthermie ablösen. Trotzdem soll eine höhere Effektivität von >42°C im Zielgebiet erreicht werden.
28.4
Indikationsspektrum und Ausblick
Die vorliegenden klinischen Daten belegen, dass eine lokale Wirkungsverstärkung einer Radiotherapie durch Hyperthermie schon jetzt unter den praktischen Gegebenheiten bei humanen Tumoren am Patienten erreicht wird. Durch technische Weiterentwicklung soll die Effektivität erhöht und das Indikationsspektrum vergrößert werden. Bei pelvinen Tumoren und Extremitätentumoren (Zervix, Prostata, Rektum, Blase, Sarkome) gibt es schon umfangreiche klinische Erfahrungen mit der regionalen Hyperthermie (. Tab. 28.1 und . Tab. 28.2). Diese Tumoren sind einem
nichtinvasiven MR-Monitoring zugänglich. Mit geeigneten Multiantennen-Applikatoren soll unter MR-Überwachung die Temperaturverteilung online optimiert werden. Inwieweit mit dieser Strategie die Standardverteilungen tatsächlich in relevanter Weise verbessert werden können, muss noch evaluiert werden. Der Einsatz der Teilkörperhyperthermie im Abdomen hat bei Peritonealkarzinose und/oder Lebermetastasen gerade erst begonnen. Im Vergleich zur Ganzkörperhyperthermie ist sie deutlich verträglicher und könnte dennoch im Abdomen eine höhere Effektivität (>42°C) erreichen. Damit werden metastasierende Erkrankungen von gastrointestinalen/urogenitalen Tumoren, die sich auf den Bauchraum (einschließlich Leber) beschränken, einer regionalen, die Chemotherapie verstärkenden Therapieoption zugänglich. Dafür gibt es kaum konkurrierende Verfahren. Als geeignete Zytostatika werden platinhaltige Substanzen, Alkylanzien (Ifosfamid) und Doxorubicin (evtl. liposomal verkapselt) eingesetzt. Für die Teilkörperhyperthermie werden Verfahren für eine MR-Überwachung entwickelt (Navigatoren, Perfusionsbestimmung). Ziel muss die Konzeption einer randomisierten Studie nach Abschluss der derzeitigen Phase-II-Studien sein. Die Ganzkörperhyperthermie konnte hingegen in den zurückliegenden Jahren die Erwartungen nicht erfüllen, sodass sich die zukünftige Entwicklung auf die lokoregionalen Hyperthermieverfahren konzentrieren wird. Bei Wertung der bisherigen Studienergebnisse und Erfahrungen liegt ein präoperatives Einsatzgebiet der lokoregionalen Hyperthermie v. a. in der Kombination mit einer (neoadjuvanten) Chemotherapie. Hier ist das Ergebnis der EORTC-Studie zu den Weichteilsarkomen abzuwarten. Weitere Konzepte für gastrointestinale Tumoren (auch solitäre Lebermetastasen) sind dazu denkbar. Die Magnetflüssigkeitshyperthermie ist ein neu eingeführtes lokales Thermotherapieverfahren, das für räumlich begrenzte Zielvolumina (<5 cm Ausdehnung) besonders geeignet und bisherigen interstitiellen Verfahren überlegen scheint. Phase-II-Studien sind bereits in Gang. Eine intraoperative Anwendung dieser Methode (Infiltration mit magnetischer Flüssigkeit bei R1- oder R2-Situationen) ist interessant.
. Tab. 28.2. Aktuelle Phase-II-Studien zur Hyperthermie
Indikation
Therapiekonzept
Klinisches Resultat
Referenz
Zervixkarzinom IIb/III
Externe Radiotherapie + Cisplatin + RHT (wöchentlich)
CR 100%
Jones et al. 2003
Prostatakarzinom T3
Externe RT (72 Gy) + RHT (wöchentlich) (± neoadjuvant Hormone)
60% 5-Jahres-PSA-Kontrolle
Tilly et al. 2004
Vorbestrahltes Rektumkarzinomrezidiv
Oxaliplatin + Capecitabin + RHT (wöchentlich)
80% symptomatischer Effekt
Hildebrandt et al. 2004
331 Literatur
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332
28
Kapitel 28 · Prinzipien der Hyperthermie in Kombination mit Strahlentherapie und Chemotherapie
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29 29
Endoradiotherapie mit spezifischen und unspezifischen Verfahren U. Haberkorn
29.1
Unspezifische Therapie – selektive interne Radiotherapie (SIRT) – 334
29.2
Spezifische Verfahren
29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4 29.2.5 29.2.6 29.2.7
Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie (PRRT) – 335 Somatostatinrezeptoren – 335 Cholezystokininrezeptoren – 337 Vasoactive-intestinal-peptide(VIP)-Rezeptoren – 338 Bombesin(BN)-Rezeptoren – 338 Glucagon-like-leptide-1(GLP1)-Rezeptoren – 338 Neurotensin(NT)-Rezeptoren – 338 Literatur
– 339
– 335
334
Kapitel 29 · Endoradiotherapie mit spezifischen und unspezifischen Verfahren
> Unter Endoradiotherapie von Tumoren versteht man eine lokalisierte Einbringung radioaktiv markierter Teilchen oder Moleküle mit therapeutisch nutzbarer Strahlung. Dies kann entweder durch invasive Verfahren geschehen, bei denen radioaktiv markierte nicht tumoraffine Partikel direkt an das zu behandelnde Gewebe gebracht werden (unspezifische Verfahren) oder aber durch die Gabe von tumoraffinen Molekülen, die sich nach intravenöser Applikation im Tumor selektiv anreichern (spezifische Verfahren).
29.1
29
Unspezifische Therapie – selektive interne Radiotherapie (SIRT)
Bei der SIRT werden Radionuklide nach Kopplung an Glasoder Kunstharz-Kügelchen (Mikrosphären) über die arteriellen Gefäße in den Tumor oder die Metastasen eingebracht. Die bei der SIRT eingesetzten Isotope sind 90Y, 131I und 188Re, wobei derzeit der Schwerpunkt auf den kommerziell erhältlichen 90Y-Mikrosphären liegt. Theraspheres sind nicht abbaubare Glas-Mikrosphären, in die 89Y eingearbeitet ist, das durch Neutronenbeschuss in einem Reaktor zu 90Y umgewandelt wird. Die SIR-Spheres sind Kunstharzpartikel, an deren Oberfläche das Radionuklid gebunden wird. Therasphere weist eine wesentlich höhere Aktivität pro Partikel als die SIRSpheres auf. Daher werden mit SIR-Spheres deutlich mehr Partikel benötigt als mit Theraspheres. Die höhere Anzahl der Partikel sowie der größere Durchmesser der SIR-Spheres führen gewöhnlich zu einer Embolisation des Tumors und seiner zuführenden Gefäße. 90Y emittiert β-Partikel mit einer Energie von 2,24 MeV und weist eine Halbwertszeit von 64 h auf. Die β-Teilchen haben im Gewebe eine mittlere Reichweite von 2,5–3,5 mm.
Die SIRT-Therapie wird entweder zur Therapie von Lebermetastasen oder des hepatozellulären Karzinoms (HCC) eingesetzt.
Die Therapie des HCC mit 90Y-Mikrosphären basiert auf der starken arteriellen Hypervaskularisation dieser Tumoren. Da die arteriell injizierten Mikrosphären proportional zur Perfusion deponiert werden, ergibt sich im stark durchbluteten Tumor eine höhere Anreicherung als in der Leber und damit eine höhere Strahlendosis. Wichtige Vorraussetzungen neben dem Nachweis der Hypervaskularisierung sind verifizierte Tumordiagnose, adäquate Leberfunktion, fehlende extrahepatische Metastasen, kein oder ein korrigierbarer viszeraler Shunt, eine Shunt-bedingte Lungendosis unter 30 Gy, keine sonstigen gefäßanatomischen Kontraindikationen und eine fehlende Pfortaderthrombose (gilt nur SIR-Spheres; Hilgard et al. 2009).
Kontraindikationen für die SIRT (Hilgard 2009) 4 Absolute Kontraindikationen – Nicht korrigierbarer gastrointestinaler Shunt – Lungendosis >30 Gy – Kontraindikationen gegen Angiographie der Leberarterie – Schwere Leber- oder Lungenfunktionsstörung 4 Relative Kontraindikationen – Pfortaderthrombose (nur SIR-Spheres) – Bilirubin >2 mg/dl – Infiltratives Tumorwachstum – Tumorvolumen >70% des Zielvolumens – Transaminasen >5 ULN (»upper limit of normal«) – Extrahepatische Metastasen – Zustand nach Papillotomie der Papilla vateri und/ oder biliäre Stenteinlage
Bisher liegen für das HCC und bei Lebermetastasen lediglich nicht-randomisierte Studien vor. Dennoch belegen viele offene Phase-2-Studien trotz deren Heterogenität bezüglich der Patientenpopulationen sowie des Tumorstadiums einen positiven Effekt auf Überleben und Lebensqualität. Ebenso belegen diese Studien, dass die Toxizität der Therapie bei optimaler Vorbereitung des Patienten auf ein geringes Maß reduziert werden kann (Dancey et al. 2000; Goin et al. 2005; Salem et al. 2002). Eine multivariate Analyse der Prognosefaktoren ergab, dass eine Dosis von >104 Gy, ein Tumor im Okuda-Stadium I und, im Hinblick auf die Verteilung der Mikrosphären, eine Tumor-zu-Leber-Ratio von >2 signifikant mit einem verbesserten Überleben korrelierten (Dancey et al. 2000). Die mediane Überlebenszeit wird in verschiedenen größeren Studien für Okuda-I-Patienten mit 628–649 Tagen und Okuda-II-Patienten mit 302–324 Tagen angegeben, und ist damit gegenüber der historischen Kontrolle mit 244 und 64 Tagen deutlich besser. Ein Vergleich mit der Chemoembolisation bezüglich des Postembolisationssysndroms (PES) mit Fieber, Übelkeit und abdominellen Schmerzen zeigte bei besserem radiologischen Tumoransprechen, dass das PES nach Therapie mit 90Y-Mikrosphären ca. 4-mal seltener auftrat als nach Chemoembolisation (Carr 2004; Geschwind et al. 2004]. Mehrere Studien beschäftigten sich mit der Therapie von Lebermetastasen mit ebenfalls positiven Ergebnissen (Herba et al. 2002; Lewandowski et al. 2005). In einer großen aktuellen Studie führten Sato et al. 225 therapeutische Gaben bei 137 Patienten durch. Die Primärtumoren bei diesen Patienten waren im Kolon, Brust, neuroendokrine Tumoren, Pankreas, Lunge, Cholangiokarzinom, Melanom, Niere, Ösophagus, Ovar, Adenokarzinom unbekannten Ursprungs, Lymphom, Magen, Duodenum, Blase, Angiosarkom, Schilddrüse, Nebenniere und Parotis. Die mittlere Anzahl der Therapien betrug 1,6, die mittlere Aktivität und die Dosis lagen bei 1,83 GBq und 112,8 Gy. An Nebenwirkungen traten Müdigkeit (56%), abdominelle Schmerzen (26%) und Übelkeit (23%) auf. Die weitere Verlaufsbeobachtung zeigte ein Ansprechen bei 42,8% (2,1% komplett, 40,7% partiell). Das mediane Über-
335 29.2 · Spezifische Verfahren
leben bei allen Patienten lag bei 300 Tagen (1-Jahres-Überleben 47,8%, 2-Jahres-Überleben 30,9%). Bei Patienten mit kolorektalen Tumoren lag das mediane Überleben bei 457 Tagen, bei Patienten mit neuroendokrinen Tumoren sogar bei 776 Tagen (Sato et al. 2008).
29.2
Spezifische Verfahren
Spezifische Verfahren nutzen Transportmoleküle, die spezifisch an Zielstrukturen binden. Diese Transportmoleküle können dann mit Chemotherapeutika oder radioaktiven Isotopen gekoppelt werden. In den meisten Fällen werden dafür Antikörper gegen Tumorantigene oder Peptide, die an überexprimierte Rezeptoren binden, eingesetzt. Dieser Abschnitt wird sich auf die Verwendung von tumoraffinen Peptide bzw. deren Modifikationen konzentrieren.
29.2.1 Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie
(PRRT) Peptide sind nützliche Moleküle für den zielgerichteten Transport von Radionukliden an den gewünschten Ort in einem Organismus. Wenn der entsprechende Rezeptor in einem Tumor überexprimiert ist, können dort therapeutisch relevante Dosen bei reduzierten Nebenwirkungen erreicht werden. Abhängig von den verwendeten Isotopen erlauben radioaktiv markierte Peptide zusätzlich noch eine Bildgebung. Das attraktive Merkmal besteht hier darin, dass zunächst das Peptid mit einem γ- oder Positronenemitter markiert und dieses dann dazu eingesetzt werden kann, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die von einer PRRT profitieren können. Kriterium ist hier eine hohe Anreicherung im Tumor. Dann kann dasselbe Molekül mit einem α- oder β-Emitter markiert und zur Therapie eingesetzt werden. . Abb. 29.1 zeigt dies beispielhaft an Tumoren mit Somatostatinrezeptorexpression. Die
a
b
. Abb. 29.1a,b. (koronare Schnitte) eines Patienten mit metastasiertem Karzinoid vor (a) und nach (b) dem ersten Zyklus einer 90Y-DOTATOC-Therapie (4 GBq) 68Ga-DOTATOC-PET
Intensität der Metastasen nimmt ab und zentrale Nekrosen sind bei einigen der Leberläsionen zu sehen. Ein weiterer Vorteil der Endoradiotherapie gegenüber traditionellen Therapien oder Immuntherapie liegt im Kreuzfeuereffekt, der durch die β-Partikel induziert wird, die von der Bindungsstelle ausgehen. Diese Partikel führen zu einer Zerstörung multipler Zellen in der näheren Umgebung der rezeptorpositiven Zelle und können daher eine heretogene Expression der Zielstruktur im Tumor teilweise kompensieren. Dies kann mit nicht-radioaktiven Verfahren nicht erreicht werden, da hier gewöhnlich nur die Zellen zerstört werden, die das therapeutisch eingesetzte Molekül binden. Eine weitere Steigerung des Therapieeffekts erfolgt durch den »radiation-induced bystander effect« (RIBE). RIBE beschreibt die Situation bei der Zellen, die nicht direkt ionisierender Strahlung ausgesetzt sind, sich so verhalten wie exponierte Zellen: diese Zellen sterben ab oder zeigen chromosomale Instabilitäten. Obwohl der genaue Mechanismus der RIBE derzeit noch nicht vollständig aufgeklärt ist, gibt es Evidenz dafür, dass chemische Signalwege deletäre Informationen von strahlenexponierten Zellen an benachbarte Zellen weiter leiten.
29.2.2 Somatostatinrezeptoren Die Bildgebung und Therapie mit Somatostatinrezeptorliganden kann als Paradigma für eine ganze Reihe von möglichen Verfahren angesehen werden, die auf der Verwendung von Peptiden beruhen. Die hohe Affinität der Peptide für den Rezeptor sowie die Internalisierung des Rezeptor-Peptid-Komplexes erleichtert die Retention der Strahlenquelle in rezeptorpositiven Tumoren, während die relativ geringe Größe eine schnelle Clearance aus dem Blut ermöglicht. Somatostatinrezeptoren werden von einer Vielzahl von Tumoren exprimiert wie neuroendokrine Tumoren von Pankreas und Intestinum, Hypophysenadenom, Phäochromozytom, Paragangliom, kleinzelligem Lungenkarzinom, Neuroblastom, medullärem Schilddrüsenkarzinom und Meningeom (. Tab. 29.1). Aufgrund ihrer hohen Rezeptordichte stellen gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumoren, Phäochromozytome, Paragangliome und bronchiale Karzinoide vielversprechende Kandidaten für die PRRT dar. In einzelnen Fällen können auch kleinzellige Lungenkarzinome und medulläre Schilddrüsenkarzinome oder eine geringer Anteil von nicht-operablen Meningeomen, Neuroblastomen, Schilddrüsenkarzinomen, Nierenzellkarzinomen oder Mammakarzinome behandelt werden. Verschiedene Peptide wurden bereits für therapeutische Zwecke markiert mit folgenden Radionukliden: 111In, 90Y und 177Lu. Die physikalischen Eigenschaften von Isotopen, die möglicherweise für eine Endoradiotherapie eingesetzt werden können, sind in . Tab. 29.2 dargestellt. Aufgrund seiner hohen Partikelenergie und relativ kurzen Halbwertszeit (HWZ) führen 90Y-markierte Moleküle zu einer höheren Tumorzelldosis pro Peptid und zu einem besseren Kreuzfeuereffekt. Dieses Merkmal wird besonders bei der Behandlung größerer Tumoren und bei Tumoren mit heterogener Rezeptorexpression benötigt. Im Gegensatz dazu führen
29
336
Kapitel 29 · Endoradiotherapie mit spezifischen und unspezifischen Verfahren
. Tab. 29.1. Peptidrezeptor-Expression in verschiedenen Tumoren. (Nach Haberkorn et al. 2008)
29
Tumor
Rezeptoren
Karzinoid (Darm)
SSTR2>SSTR1, SSTR5, VIP, GRP/Bombesin (NMB-R), CCK (CCK1)
Gastrinom
SSTR2, VIP, GRP-R
Insulinom
SSTR, VIP, CCK (CCK2)
Paragangliom
. Tab.29.2. Physikalische Eigenschaften von Isotopen mit möglicher Anwendung für die Radionuklidtherapie (modifiziert nach Haberkorn et al. 2008)
Isotop
Emission
HWZ
Maximale β-Energie (keV)
90Y
β–
2,7 Tage
2270
12
SSTR2, VIP (PAC1), CRF1
177Lu
γ, β–
6,7 Tage
497
2,1
Phäochromozytom
SSTR2, VIP(PAC1)
131I
γ, β–
8 Tage
606
2,4
C-Zellkarzinom
SSTR, NTR1, CCK (CCK2), NK1
64Cu
β-, β+
0,5 Tage
570
2,5
SCLC
SSTR2, VIP, GRP/Bombesin (BB3), CCK (CCK2), NK1
67Cu
γ, β–
2,5 Tage
40; 480; 580
0,4
NSCLC
VIP (VPAC1)
166Ho
β–
1,1 Tage
711; 1850
8,7
Meningeom
SSTR2, VIP, NTR1, CCK (CCK1)
188Re
β–
0,7 Tage
1960; 2120
11
Neuroblastom
SSTR2, VIP (PAC1), CCK (CCK1)
211At
α
7,2 h
5867; 7450
<0,1
Medulloblastom
SSTR2, VIP, NTR1
213Wi
α
45 min
8380
<0,1
Astrocytom
SSTR, VIP (PAC1), NTR1, CCK (CCK2), NK1
Glioblastom
VIP (PAC1), NK1
Exokrines Pankreaskarzinom
VIP (VPAC1), NTR1
Kolorektales Karzinom
VIP (VPAC1)
Magenkarzinom
SSTR, VIP (VPAC1)
Hepatozelluläres Karzinom
SSTR, VIP (VPAC1)
Ösophaguskarzinom
VIP (VPAC1)
Nierenzellkarzinom
SSTR, VIP (VPAC1), GRP/Bombesin
Prostatakarzinom
SSTR1, VIP (VPAC1), GRP/Bombesin
Blasenkarzinom
VIP (VPAC1)
Mammakarzinom
SSTR, VIP (VPAC1), GRP/Bombesin (GRP-R), NK1, NPY-R (Y1)
Ovarialkarzinom
SSTR, VIP (VPAC1)
Lymphom
SSTR, VIP
Ewingsarkom
NTR1
Leiomyom
SSTR, VIP (VPAC2)
GIST
BB2, CCK2, VIP2
BB2 und BB3: Bombesinrezeptor Subtyp 2 und 3 CCK1 und CCK2: Cholezystokininrezeptor Subtyp 1 und 2 CRF1 und CRF2: »corticotropin-releasíng factor« 1 und 2 GRP: »gastrin releasing peptide« NK1: Neurokininrezeptor Subtyp 1 NPY: Neuropeptid Y NTR1: Neurotensinrezeptor Subtyp 1 PAC1: PACAP-Rezeptor Subtyp 1 sstr1, sstr2 und sstr5: Somatostatinrezeptor Subtyp 1, 2 und 5 VIP: »vasoactive intestinal peptide« VPAC1 und VPAC2: VIP-Rezeptor Subtyp 1 und 2 Y1: NPY-Rezeptor Subtyp 1
Maximale Strecke (mm)
die niedrigere Energie und die geringere Partikelreichweite von 177Lu zu einer besseren Absorption in kleineren Tumoren. Weiterhin kann die γ-Strahlung von 177Lu zusätzlich zur Bildgebung und Dosimetrie genutzt werden. Präklinische Studien an tumortragenden Tieren bestätigten diese Eigenschaften anhand exzellenter Anti-Tumoreffekte und des erwarteten Einflusses der Tumorgröße. Daher wurde bereits eine Kombination beider Radionuklide zur Behandlung von Tumoren mit unterschiedlichen Größen und inhomogener Verteilung der Rezeptorexpression vorgeschlagen (DeJong et al. 2005)]. Die bisher verfügbaren klinischen Studien leiden etwas unter der Heterogenität der Patientenpopulationen und der Verwendung unterschiedlicher Isotope, Peptide und nichtstandardisierten Dosen. Im Unterschied zu Antikörpern bei Radioimmuntherapien wurden keine Hinweise auf eine Immunogenität der Peptide gefunden. Erste Studien mit hohen Dosen (kumulative Dosen zwischen 20 und >100 GBq) des Auger-Elektronen emittierenden [111In-DTPA0]octreotide bei Patienten mit metastasierten neuroendokrinen Tumors und in schlechtem klinischen Zustand ergaben positive Effekte bezüglich der Symptome, jedoch nur wenige partielle Remissionen (Valkema et al. 2002]. Toxizität wurde hauptsächlich in Form einer Knochenmarksuppression beobachtet. [90Y-DOTA0,Tyr3]octreotide (DOTATOC) bindet an den Somatostatinrezeptor Subtyp 2 mit einer etwa 10-fach höheren Affinität als [111In-DTPA0]octreotide. Daher wurden einige Phase-1- und Phase-2-PRRT-Studien mit diesem Molekül durchgeführt. Erste Versuche mit Dosen von 6 und 7.4 GBq gegeben über 4 Zyklen zeigten eine generelle Ansprechrate von 24% oder 33% bei Gabe von 7,4 GBq in 2 Zyklen (Waldherr et al. 2001). Eine Dosiseskalation bis zu 5,6 GBq/ Zyklus ergab keine schwerwiegenden akuten Reaktionen und eine reversible hämatologische Toxizität Grad 3 in 43% der
337 29.2 · Spezifische Verfahren
Patienten nach Gabe von 5,2 GBq. Diese Dosis wurde dann als maximal tolerierte Dosis pro Zyklus definiert. Der Anteil der partiellen (PR) und kompletten Remissionen (CR) war 28% bei 87 Patienten (Chinol et al. 2002). Andere Studien berichten über ähnliche Ergebnisse mit einer medianen Intervall bis zur klinischen Progression von 33 Monaten (Bodei et al. 2003). Zusammengefasst lagen die CR und PR trotz der Unterschiede in den Protokollen bei den meisten dieser Studien mit [90YDOTA0,Tyr3]octreotide bei 10–30%, also höher als die mit [111In-DTPA0]octreotide erreichten Daten. Ersatz des C-terminalen Threoninols durch Threonin am C-Terminus von DOTATOC resultiert in [DOTA0,Tyr3]octreotate (DOTATATE), das eine weitere Steigerung (9-fach) der Affinität gegenüber DOTATOC ergibt (Reubi et al. 2000). Die 177Lu DOTATATE-Komplexe zeigten dabei eine höhere Affinität als die 90Y-Komplexe. Präklinische Studien mit tumortragenden Ratten ergaben eine verbesserte Tumorregression und Überleben der Tiere mit der 177Lu-Verbindung. 177Lu-DOTATATE war vergleichbar zu [111In-DTPA0]octreotide bezüglich seiner Anreicherung in Niere, Milz und Leber, zeigte jedoch eine 3- bis 4-fach höhere Anreicherung in Tumoren (Kwekkeboom 2001). [177Lu-DOTA0,Tyr3]octreotate stellt eine interessante Entwicklung dar, da es zu höheren absorbierten Tumordosen bei vergleichbaren Dosen für möglicherweise dosislimitierenden Organen führt. Therapie von Patienten mit gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren mit [177Lu-DOTA0,Tyr3]octreotate führte zu kompletten oder partiellen Remissionen bei 30%, metabolischem Ansprechen bei 12%, »stable disease« bei 40% und Progression bei 18% von 76 Patienten. Die Tumorregression war dabei positiv korreliert zur Höhe des OctreoScan Uptakes, einer limitierten hepatischen Tumormasse und einem hohen Karnofsky-Index. Nebenwirkungen traten bei der Therapie mit [177Lu-DOTA0,Tyr3]octreotate nur selten und transient auf, hauptsächlich als geringe Kochenmarksuppression. Zusammenfassend konnten Besserungen bezüglich der Symptome nach Therapie mit Somatostatinanaloga beobachtet werden mit besseren Ergebnissen für die Tumorregression durch die Verwendung von [90Y-DOTA0,Tyr3]octreotide und [177Lu-DOTA0,Tyr3]octreotate. Die Nierentoxizität konnte durch die simultane Infusion von Lysin und Arginin reduziert werden. Weitere Nebenwirkungen dieser Therapie traten nur gelegentlich und in milder Ausprägung auf. Die Dauer des Therapieansprechens war für beide Radiopharmazeutika mehr als 2 Jahre. Unterschiede in der therapeutischen Effizienz sind höchstwahrscheinlich durch die bereits erwähnten Variationen der Dosen, Therapieschemata (dosiseskalierend versus fixierte Dosis) und Patientenpopulationen verursacht. Ein kritischer Punkt ist hier die angemessene Selektion der Patienten, die von einer Behandlung profitieren können. Kriterien für eine erfolgreiche Anwendung sind die Höhe des Uptakes bei der prätherapeutischen Bildgebung (d. h. die Rezeptordichte), gesamte Tumorlast, und das Ausmaß der Leberund Nieren-Anreicherung. Daher werden weiterhin randomisierte Studien zur Etablierung des optimalen Ablaufs und der verwendeten Tracer benötigt. Eine andere interessante Gruppe von radioaktiv markierten Peptiden sind Somatostatinrezeptor-Antagonisten.
DOTA gekoppelt an [NH2-CO-c(DCys-Phe-Tyr-DAgl8(Me,2naphthoyl)-Lys-Thr-Phe-Cys)-OH] (DOTA-sst3-ODN-8) und [4-NO2-Phe-c(DCys-Tyr-DTrp-Lys-Thr-Cys)-DTyrNH2] (DOTA-sst2-ANT) zeigte nach Komplexierung mit 111In hohe sst3- und sst2-Bindungsaffinität (Ginj 2006). Der Uptake und die Persistenz beider Peptide in HEK293-Zellen, die stabil mit dem sst3- oder sst2-Rezeptor transfiziert wurden, war überraschend hoch. Dieser Effekt wurde mit der mehr als 10-fach höheren Anzahl der Bindungsstellen am Rezeptor, verglichen mit dem Agonisten, erklärt. Ob diese vielversprechenden Eigenschaften auch auf humane Tumoren und im Rahmen einer PRRT genutzt werden können, bleibt noch zu klären. Zusätzlich zu Kombinationen von Peptidanalogen, die mit unterschiedlichen Radionukliden markiert sind, könnten zukünftige Aktivitäten mehrere Strategien anwenden: 4 Hochregulation der Somatostatinrezeptor-Expression von Tumoren 4 Frühe Diagnose mit PET-Tracern, die Patienten mit einer niedrigen Tumorlast und höherer Chance auf ein Ansprechen identifizieren können. 4 Peptide mit Bindung an mehrere Rezeptoren oder Rezeptorsubtypen 4 Kombination mit Radiosensitizern, Operation, Chemotherapie, Immuntherapie und Strahlentherapie
29.2.3 Cholezystokininrezeptoren Diese Rezeptoren zeigen eine erhöhte Expression bei medullären Schilddrüsenkarzinomen, gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren, SCLC, Ovarialkarzinomen und auch bei gastrointestinalen Stromatumoren. Daher wurden verschiedene Cholezystokinin (CCK)-A- und CCK-B/gastrin-related-Peptide entwickelt und in präklinischen Studien evaluiert (deJong et al. 1999). Dabei zeigten das humane Heptadekapeptid Gastrin-I und 111In-DOTA/DTPA-CCK-BAnaloga (Reubi et al. 1998) biologische Halbwertszeiten von mehreren Stunden, eine vorwiegend renale Exkretion und einen spezifischen Uptake sowohl in CCK-B-exprimierenden Organen als auch in medullären Schilddrüsenkarzinomen mit Werten bis zu 9% ID/g eine Stunde nach Gabe des Tracers. Da medulläre Schilddrüsenkarzinome CCK2-Rezeptoren in fast allen Fällen exprimieren, wurde eine erste klinische Studie bei Patienten mit diesen Tumoren durchgeführt. Eingesetzt wurde ein DTPA-D-Glu-modifizietes Minigastrin, markiert mit 90Y. Leider musste dieser erste Versuch aufgrund von Nieren- und Hämatotoxizität eingestellt werden (Behr et al. 2002). Die Situation änderte sich mit der Entwicklung neuer CCK-Analoga mit geringerem Nieren-Uptake und verbesserter Affinität zur Zielstruktur. Diese neuen Liganden wurden durch Entfernen von 4 Glutaminsäureresten aus einem Minigastrinanalogon erhalten und zeigten eine 5-fach höhere Bindungsaffinität für den CCK2-Rezeptor (0,2 nM) sowie ein um den Faktor 25 niedrigeres Nieren-Uptake (Behr et al. 2002).
29
338
Kapitel 29 · Endoradiotherapie mit spezifischen und unspezifischen Verfahren
29.2.4 Vasoactive-intestinal-peptide(VIP)-
Rezeptoren
29
Da VIP-Rezeptoren in einer Vielzahl von Tumoren einschließlich gastrointestinaler Adenokarzinome und Karzinoide überexprimiert sind, wurden zunächst Studien zur Entwicklung diagnostischer Tracer durchgeführt durch Markierung von VIP mit 123I (Raderer et al. 2000) oder dessen TP-3654-Analogon mit 99mTc (Thakur et al. 2000). Leider zeigten diese Verbindungen einen schnellen Abbau im Blut. Weiterhin ist VIP pharmakologisch hochpotent mit der Möglichkeit von toxischen Effekten bei Dosierungen im Submikrogramm-Bereich, was Präparationen mit hoher spezifischer Aktivität erfordert. Diese Nachteile limitierten die klinische Anwendung von VIP-abgeleiteten Tracern auf einige wenige Studien, die über Bildgebung bei selektierten Patienten berichten (Hessenius et al. 2000; Virgolini et al. 1996). Bei diesen Untersuchungen wurde 123I-VIP eher als unspezifisches Molekül für die Rezeptorsubtypen »VIP-pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide« 1 und 2 (VPAC1 and 2) eingesetzt. Ein »targeting« von Subtyp 1 erscheint trotz dessen Expression in vielen Tumoren nicht erfolgversprechend, da der Rezeptor ubiquitär exprimiert ist. Dagegen zeigt VPAC2 eine niedrige Expression in Normalgeweben und könnte als Zielstruktur bei Patienten mit VPAC2-exprimierenden Tumoren wie GIST eingesetzt werden.
29.2.5 Bombesin(BN)-Rezeptoren Bombesinrezeptoren gehören zur Gruppe der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und sind bei häufigen Tumoren wie Prostata- und Mammakarzinomen überexprimiert (Maecke et al. 2005). Daher werden derzeit einige auf Bombesin basierende Radioliganden entwickelt und in präklinischen und klinischen Studien evaluiert (Breeman et al. 2002; Scopinaro et al. 2003). Eines der ersten Moleküle, 99mTc-BN(7–14), zeigte eine hohe spezifische Bindung an Rattenkortexmembranen im nanomolaren Bereich (IC50 0,8 nM; Baidoo et al. 1998). Vorläufige klinische Ergebnisse ergaben eine gute Tumorabgrenzung bei Prostatakarzinompatienten. Einige dieser neuen Bombesin-basierten Radiopeptide wurden an DOTA konjugiert und mit 68Ga markiert. So zeigte 67Ga oder 68Ga-DOTAPEG2-[D-Tyr6,β-Ala11,Thi13,Nle14]bombesin (6-14) in einem Pankreaskarzinommodell (AR42J) eine hohe Affinität und schnelle Internalisierung in vitro mit >85% internalisierter Aktivität nach einer Stunde. Das Tumor-Uptake in vivo lag zwischen 5,5% und 11% ID/g (abhängig von der injizierten Peptidmenge) 1 h nach Tracergabe mit einer biologischen Halbwertszeit von 15 h. Szintigraphische Bilder nach 1 h p.i. zeigten eine hohe spezifische Anreicherung im Tumor, in Nieren, Darm und Pankreas (Schuhmacher et al. 2005), was mittels Bioverteilungs- und Kompetitionsstudien bestätigt werden konnte. Da für die DTPA-gekoppelten BN-Agonisten eine Internalisierung beschrieben wurde, sind diese Moleküle nicht nur für diagnostische, sondern auch für PRRT von Interesse, da
der DTPA- oder DOTA-Chelator auch die Markierung mit 90Y oder 177Lu erlaubt. Dennoch könnte die pharmakologische Aktivität der BN-Derivate eine therapeutische Anwendung dieser Peptide limitieren. Der »Gastrin-releasing-peptide«(GRP)-Rezeptor wird in einer Vielzahl von Tumoren, wie Tumoren der Lunge, Brust, Prostata und Pankreas, überexprimiert. GRP-Rezeptorheterogenität wird oft bei Mammakarzinomen beobachtet und könnte hier ein Problem für eine GRP-Rezeptorradiotherapie darstellen. GIST erscheinen dagegen aufgrund ihrer extrem hohen GRP-Rezeptordichte für eine PRRT außerordentlich gut geeignet (Reubi et al. 2004). Prostatakarzinome stellen ein weiteres interessantes Anwendungsgebiet dar, es da vor allem bei invasiven oder fortgeschrittenen Tumoren zu einer Überexpression der GRP-Rezeptoren kommt. Obwohl das 14-Aminosäure-Neuropeptid Bombesin (BN) eine hohe Bindungsaffinität für GRP-Rezeptoren aufweist, zeigten verschiedene Derivate dieses Moleküls eine suboptimale hepatobiliäre Clearance mit einer entsprechend schwierigen Interpretation des Abdomens aufgrund hoher Hintergrundaktivität. Kürzlich wurde jedoch ein BNDerivat mit geringem Leber- und Darm-Uptake synthetisiert (Lin et al. 2005).
29.2.6 Glucagon-like-leptide-1(GLP1)-
Rezeptoren Eine hohe Dichte an GLP1-Rezeptoren wurde bei Insulinomen und Gastrinomen berichtet, was einen Einsatz von GLP1Analogen für die PRRT dieser Tumoren nahe legt (Haberkorn et al. 2008). Kürzlich wurde ein neues GLP1-Analogon, [Lys40(Ahx-DTPA-111In)NH2]exendin-4, vorgestellt (Wild et al. 2006). Das Molekül weist eine hohe Bindungsaffinität (IC50 = 2,1 nM) und ein spezifisches Tumortargeting in Bioverteilungsexperimenten auf (bis zu 290% ID/g). Weiterhin wurden eine ausschließlich renale Verstoffwechselung und eine kurze Plasmahalbwertszeit beobachtet, bei einer gleichzeitig langen Retention in transgenen Rip1Tag2-Mäusen, die von pankreatischen β-Zellen ausgehende Tumoren entwickeln. Das hohe Uptake und die lange Tumorretention stellen hier gute Voraussetzungen für eine PRRT dar.
29.2.7 Neurotensin(NT)-Rezeptoren Eine Untergruppe der duktalen Pankreastumoren wird als ein guter Kandidat für eine PRRT angesehen, da diese eine hohe Dichte an NT-Rezeptoren aufweisen. Verschiedene 99mTcund 111In-DTPA/DOTA-markierte Neurotensinderivate wurden daher in präklinischen und klinischen Studien evaluiert, leider mit dem Ergebnis eines schnellen Abbaus in vivo (Haberkorn et al. 2008). Dennoch konnten einige 111In-markierte NT-Analoge mit besserer Serumstabilität und schneller Internalisierung nach Bindung an den NT-Rezeptor gefunden werden. Bioverteilungsexperimente ergaben Evidenz für ein hohes Potenzial bezüglich eines effizienten Tumortargetings (de Visser et al. 2003). Andere Tumoren mit NT-Rezeptorexpression sind Meningiome und Ewing-Sarkome.
339 29.2 · Spezifische Verfahren
Weitere mögliche Zielstrukturen sind an den Membranen endothelialer Zellen lokalisiert wie z. B. αv-Integrine (αvβ3, αvβ5), »Vascular-endothelial-growth-factor«(VEGF)-Rezeptoren und »Fibroblast-growth-factor«(FGF)-Rezeptoren. 123Imarkiertes VEGF165 und VEGF121 wurden bisher in Tierexperimenten sowie in ersten klinischen Studien eingesetzt und zeigten Bindung an eine Vielzahl von humanen Tumorzellen oder Geweben sowie eine 58% Detektionsrate in einer Studie mit 40 Patienten mit gastrointestinalen Tumoren (Li et al. 2003). Weiterhin kommen einige andere Peptide in Frage wie z. B. CXCR4, Endoglin (CD105), »epidermal growth factor« (EGF), oder αvβ6-Liganden (Nothelfer et al. 2009). Zukünftige Entwicklungen der PRRT sind der Transfer dieses therapeutischen Ansatzes von den Somatostatinrezeptoren auf andere Zielstrukturen, da viele Tumoren, einschließlich Mamma-, Prostata-, Darm-, Pankreas- und Hirntumoren, verschiedene andere Peptidrezeptoren überexprimieren (s. oben und . Tab. 29.2). Da Tumoren gleichzeitig mehrere Peptidrezeptoren exprimieren können, stellen Kombinationen aus zwei oder mehr Peptiden eine erfolgversprechende Weiterentwicklung dar. Dieses Vorgehen sollte in einer höheren Tumordosis resultieren sowie die heterogene Verteilung verschiedener Rezeptoren in den Tumoren ausgleichen. Tumoren, die gute Ziele für ein Multirezeptortargeting darstellen sind Mammakarzinome (GRP- und NPY-Rezeptoren) und GIST (GRP-, CCK2- und VPAC2-Rezeptoren; Reubi et al. 2002, 2004). Weitere Fortschritte sind von der Anwendung biotechnologischer Methoden für die Entwicklung neuer tumorspezifischer Moleküle zu erwarten (Haberkorn et al. 2008). Literatur Baidoo KE, Lin KS, Zhan Y, Finley P, Sheffel U, Wagner HN Jr. (1998) Design, synthesis, and initial evaluation of high-affinity technetium bombesin analogues. Bioconjug Chem 9: 218–225 Behr TM, Béhé M (2002) Cholecystokinin-B/Gastrin receptor-targeting peptides for staging and therapy of medullary thyroid cancer and other cholecystokinin-B receptor-expressing malignancies. Semin Nucl Med 32: 97–107 Bodei L, Cremonesi M, Zoboli S, Grana C, Mazzetta C, Rocca P, Caracciolo M, Mäcke HR, Chinol M, Paganelli G (2003) Receptor-mediated radionuclide therapy with 90Y-DOTATOC in association with amino acid infusion: a phase I study. Eur J Nucl Med Mol Imaging 30: 207–216 Breeman WA, de Jong M, Erion JL, Bugaj JE, Srinivasan A, Bernard BF, Kwekkeboom DJ, Visser TJ, Krenning E (2002) Preclinical comparison of (111)In-labeled DTPA- or DOTA-bombesin analogs for receptor-targeted scintigraphy and radionuclide therapy. J Nucl Med 43: 1650–1656 Carr BI (2004) Hepatic arterial 90Yttrium glass microspheres (Therasphere) for unresectable hepatocellular carcinoma: interim safety and survival data on 65 patients. Liver Transpl 10:S107–S110 Chinol M, Bodei L, Cremonesi M, Paganelli G (2002) Receptor-mediated radiotherapy with Y-DOTA-DPhe-Tyr-octreotide: the experience of the European Institute of Oncology Group- Semin Nucl Med 32: 141–147 Dancey JE, Shepherd FA, Paul K, Sniderman KW, Houle S, Gabrys J, et al (2000) Treatment of nonresectable hepatocellular carcinoma with intrahepatic 90Y-microspheres. J Nucl Med 41:1673–1681
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29
340
29
Kapitel 29 · Endoradiotherapie mit spezifischen und unspezifischen Verfahren
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30 30
Interventionelle Radiologie G. M. Richter
30.1
Leber – 342
30.1.1 30.1.2 30.1.3 30.1.4 30.1.5
Primäre Lebertumoren und lokal ablative Verfahren – 342 Primäre Lebertumoren und Embolisationsverfahren – 342 Sekundäre Lebertumoren und lokal ablative Verfahren – 347 Sekundäre Lebertumoren und präoperative Pfortaderembolisation Sekundäre Lebertumoren und Embolisationsverfahren – 348
30.2
Lunge
30.2.1 30.2.2
Lokal ablative Verfahren – 349 Embolisationsverfahren – 350
30.3
Niere
30.3.1 30.3.2
Lokal ablative Verfahren – 350 Embolisationsverfahren – 351
30.4
Spezialindikationen
30.4.1 30.4.2
Knochentumoren Tumorblutungen Literatur
– 349
– 350
– 352
– 351 – 351
– 351
– 348
342
Kapitel 30 · Interventionelle Radiologie
> Die interventionelle Radiologie hat von den vielfältigen Innovationen in der Medizintechnologie und den minimal-invasiven Techniken im Schwerpunkt Katheter- und Sondentechnologie vor allem im letzten Jahrzehnt entscheidende Impulse erhalten und sich dadurch als integraler Bestandteil in der onkologischen Therapie fest etabliert. Dazu hat vor allem die Entwicklung lokal ablativer und transvaskulär tumordestruktiver Verfahren beigetragen. Im Folgenden werden diese geordnet nach Organen dargestellt.
30.1
Leber
30.1.1 Primäre Lebertumoren
und lokal ablative Verfahren
30
Auf der Basis der in den letzten Jahren immer wieder fortgeschriebenen Empfehlungen der AASLD (American Association for the Study of Liver Diseases) nehmen die lokal ablativen Verfahren – die Radiofrequenzablation (RFA) oder Mikrowellenablation (MWA) – in der Therapie des hepatozellulären Karzinoms (HCC) bei einer Tumorgröße bis zu 3 cm und damit für Stadium A (Frühstadium) einen kurativen Stellenwert ein (Bruix u. Sherman 2005). Unter dem Blickwinkel jeweils gleicher Raten an »disease free survival«, »local tumor control« und »time to progression« sind diese als echte Alternative zur chirurgischen Resektion zu sehen. In der Praxis kommen lokal ablative Verfahren dann zur Anwendung, wenn Kontraindikationen zur chirurgischen Resektion bestehen. Diese ergeben sich allerdings bei der Mehrzahl der betroffenen Patienten (Sherman 2005). Da die Tumorzerstörung auf fokussierter lokaler Hitzeapplikation beruht, leiten sich Limitationen und Kontraindikationen aus dem Wirkungsprinzip und der dreidimensionalen Treffsicherheit ab. Tumoren, die eine direkte Lagebeziehung zu größeren Blutgefäßen (Lebervenen, Pfortader, C. cava) haben, können dadurch während der Hitzeapplikation eine lokale »Kühlung« und ungenügende Zerstörung erfahren. Sehr peripher bzw. subkapsulär gelegene Herde können andererseits durch ihre Hitzeentwicklung oder Anteile des eingebrachten Sondenmaterials (z. B. beim »Schirmchentyp«) Umgebungsstrukturen schädigen. Dies gilt beispielsweise für alle zwerchfellnahen Herde, vor allem in S2, wo die Nähe zum Herz eine große Bedeutung hat. Auch im eigenen Krankengut sind hierbei Todesfälle aufgetreten. Bei exzentrischen Herden in S3 (Magen) oder S5 (rechte Flexur) sind durch lokale Flüssigkeitsinstillation zumeist befriedigende Sicherheitsabstände zu den kritischen Nachbarorganen zu erzielen. Aus diesen Gegebenheiten ist ersichtlich, dass es zur erfolgreichen und sicheren Anwendung dieser Technik einer ausgefeilten bildgebenden Steuerung bedarf. Hier haben sich vor allem die neuen CT-Techniken der dreidimensionalen Steuerung bzw. der direkten CT-Durchleuchtung nutzbringend anwenden lassen. Neue Entwicklungen in der Sonden- und Generatortechnologie sowohl für die RFA als auch die MWA erlauben mittlerweile meistens auch die effektive Behandlung von Tumoren bis zu einem Durchmesser von 5 cm. Dafür kommen dann
zumeist Kombinationen aus mehreren Sonden bzw. Sondentypen zur Anwendung, die zur schnelleren Durchführung an mehrere Generatoren angeschlossen werden können. Durch Gewebekoagulation unter Sondenrückzug lässt sich sowohl das Blutungsrisiko durch die Punktion mit den etwa 2,5–3 mm dicken Sonden (Goto et al. 2009) als auch das Risiko einer Tumorzellverschleppung mit der Folge einer Implantationsmetastase reduzieren (Llovet et al. 2001; Snoeren et al. 2009). Das Mortalitätsrisiko der RFA bzw. MWA wird in der Literatur zwischen 0 und 2% angegeben und wird dabei von septischen und hämorrhagischen Komplikationen determiniert (Cha et al. 2009). Damit gelten als Kontraindikationen eine septische Konstellation, unentlasteter Gallestau, signifikante Störungen der Homöostase (Thrombopenie, -pathie, reduzierte Gerinnungsfaktoren im Serum), Tumorlage in Herznähe oder in direkter Lagebeziehung zur Gallengangsbifurkation. Bei direkter Lagebeziehung von Tumorknoten zu größeren Gefäßen kann versucht werden, durch interventionelle Blockaden der Durchblutung dieser Gefäßstrukturen eine Verbesserung der lokalen Ablationseffizienz zu erzielen (. Abb. 30.1). In jüngster Zeit wird die lokale Ablation auch deshalb zunehmend mit transvaskulärer Destruktion (s. unten) kombiniert. Dies betrifft vor allem Patienten mit multiplen HCC-Herden und solche mit einer Kombination aus großen und kleinen Herden. In Prinzip gelten die gleichen Fakten auch für das cholangiozelluläre Karzinom (CCC), das auf Grund seiner viel geringeren Inzidenz allerdings in der Literatur kaum in Erscheinung tritt. In unserem eigenen Krankengut der letzten 10 Jahre betrug der Anteil nur 7% in der lokalen Ablation von primären Lebertumoren. Die lokale Effizienz war dabei weitgehend identisch im Vergleich zum HCC.
30.1.2 Primäre Lebertumoren
und Embolisationsverfahren Bereits in den 1970er Jahren konnte bewiesen werden, dass Lebertumoren nahezu ausschließlich arterielle und nahezu keine portale Blutversorgung entwickeln (6). Darauf basiert das Konzept der transvaskulär-transarteriellen Destruktion.
Grundlagen der transarteriellen Chemoembolisation Nach den Empfehlungen der AASLD (American Association for the Study of Liver Diseases) wird die TACE (transarterielle Chemoembolisation) in der HCC-Therapie für das Stadium B (Intermediärstadium) bei einer Tumorgröße über 5 cm und bei multiplen Herden mit mindestens 3 cm Größe empfohlen und gilt dabei einerseits als lebensverlängernd, andererseits aber bislang als palliativ (Bruix u. Sherman 2005). Seit einer Metaanalyse der TACE-Literaturergebnisse von Llovet im Jahr 2003 (Llovet u. Bruix 2003) mit der Darstellung eines positiven Effektes auf das Überleben von Patienten mit HCC im Stadium B und C hat das Verfahren eine sehr rasche Verbreitung in der interventionellen Radiologie erfahren. Die transvaskuläre Destruktion wird allerdings viel weniger einheitlich
30
343 30.1 · Leber
a
b
d
c . Abb. 30.1. Rezidiv einer hepatischen Metastase eines kolorektalen Karzinoms am Absetzungsrand 2 Jahre nach Resektion mit enger Lagebeziehung zur rechten Lebervene. Transjuguläre Ballonblockade der Lebervene zur Reduktion des Kühlungseffektes während Mikrowellenablation. a CT-Darstellung einer hypodensen Läsion von etwa 2 cm Durchmesser nahe der rechten Lebervene (PET-positiv).
b CT-Darstellung ca. 1 cm kaudaler mit Darstellung der rechten Lebervene in unmittelbarer Nachbarschaft. c CT-Darstellung nach transjugulärer Einbringung eines Ballonkatheters in die rechte Lebervene und perkutane Punktion mit Vorschieben einer Mikrowellenablationssonde in den Herd
durchgeführt als die viel besser standardisierte RFA oder MWA.
nen oder auch die Verwendung von sequenziellen Instillationstechniken. Letztere hat zumindest den Vorteil einer Standardisierbarkeit von Menge und Dosis. In den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die einmalige Anwendung einer TACE nicht ausreichend ist für eine adäquate lokale Kontrolle. Ebenso hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die transvaskuläre Tumorzerstörung so selektiv wie möglich, d. h. mit direkter Sondierung der tumortragenden Gefäße durchzuführen ist. Hierzu hat die Entwicklung von Mikrokathetern beigetragen, mit denen praktisch alle intrahepatischen Gefäße bis hinunter zu einem Minimaldurchmesser von 1 mm erreichbar sind. Bei bilobärer Tumorverteilung können dann bis zu 6 Einzelsitzungen erforderlich werden. Es sind große technische und konzeptionelle Anstrengungen unternommen worden, die lokale Tumorkontrolle durch
Als wesentliches Prinzip gilt bei der TACE die Kombination von jodiertem Mohnöl (= Lipiodol) mit einem Chemotherapeutikum, das zelltötend wirkt und keine vorherige Aktivierung im Zellstoffwechsel benötigt.
Die für die TACE gebräuchlichsten Chemotherapeutika sind Carboplatin und Doxorubicin. Deren Dosierung wird aber sehr uneinheitlich angewandt. Auch das Mischen der wässrigen Zytostatikalösung mit dem öligen Kontrastmittel wird sehr variabel umgesetzt: Es gibt Empfehlungen zum Herstellen von Emulsionen unter Verwendung von Drei-Wege-Häh-
344
Kapitel 30 · Interventionelle Radiologie
eine TACE zu verbessern. Da die transvaskuläre Tumorzerstörung die Tatsache der hauptsächlichen HCC-Blutversorgung aus dem arteriellen System sich zu Nutzen macht, wurden technische Bedingungen für die erfolgreiche Tumorzerstörung formuliert. Dazu gehört vor allem die adäquate Auffüllung des Tumorgefäßsystems mit Embolisat. Unsere Arbeitsgruppe konnte nachweisen, dass nach arterieller Embolisation mit verschiedenen mikropartikulären Embolisaten an gesunden Schweinelebern keinerlei Gewebeuntergang im normalen Lebergewebe resultiert (Stampfl et al. 2007, 2009). Damit ergibt sich eine relative therapeutische Breite des Verfahrens auch bei Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose.
SE-TACE-Konzept
30
Aus diesen konzeptionellen Überlegungen und experimentellen Erkenntnissen haben wir im interdisziplinären Behandlungskonzept des HCC an der Universitätsklinik Heidelberg das sog. »Sandwich«-Konzept bzw. das SE-TACE-Konzept (»sphere enhanced«) entwickelt und in den letzten 7 Jahren klinisch eingesetzt. In diesem interdisziplinären Kontext folgt die Indikationsstellung zu einer TACE im Grundsatz den bereits mehrfach geschilderten »practice guidelines« der AASLD: 4 Ergänzend wird das SE-TACE-Verfahren indiziert bei allen Patienten mit Aufnahme auf die Warteliste auf eine Lebertransplantation bei Leberzirrhose und HCC (entsprechend den Milano-Kriterien; Mazzaferro et al. 1996) zur Vermeidung eines tumorassoziierten Versterbens während der Wartephase 4 Weiterhin wird es indiziert im Sinne eines DownstagingKonzeptes für Patienten mit Leberzirrhose und mehreren HCC-Knoten und Tumorbefall außerhalb der MilanoKriterien. 4 Unter kurativer Zielsetzung erfolgt eine SE-TACE bei allen Patienten mit einer lokal kurativen Situation, aber Kontraindikationen gegen eine chirurgische Resektion (schlechte Leberfunktion oder sonstige klinische prohibitive Kriterien). 4 Bei Patienten mit bereits metastasiertem HCC wird die Indikation zu einer SE-TACE dann gestellt, wenn durch tumorassoziierte arterioportale Fisteln eine portale Hypertension resultiert oder wenn beispielsweise bei isolierten Knochenmetastasen eine Kontrolle durch Strahlentherapie gegeben ist und die Embolisation dann zu einer tatsächlichen Lebensverlängerung eingesetzt werden kann. Aus diesen Indikationen leiten sich dann im Umkehrschluss die Kontraindikationen ab: 4 T4-Stadien mit iuxtaregionärer Infiltration (Zwerchfell, rechte Kolonflexur, V. cava) 4 Zentrale Pfortaderthrombose 4 Tumorlast >50% des Lebervolumens 4 Child-Pugh-Stadium >9 Punkten 4 Klinisch instabile Patienten (kardiale Dekompensation, Cor pulmonale) Die interventionell radiologische Technik (. Abb. 30.2) beinhaltet folgende Elemente:
4 Präinterventionelle Charakterisierung der Tumormorphologie 4 Durchführung des Eingriffs in Analgosedierung 4 Viszerale Angiographie zur Charakterisierung der Leberund Tumorgefäßversorgung mit Zöliako- und Mesenterikographie einschließlich indirekter Portographie mit für die Lebergefäßanatomie adäquaten F4 (1 F=0,33 mm) Selektivkathetern 4 Dann die selektive Sondierung der jeweils betroffenen Leber mittels Mikrokatheter und Positionierung dieses Mikrokatheters so selektiv wie möglich, d. h. maximales Erfassen der zuführenden segmentalen Tumorarterien und minimales Erreichen von nicht betroffenem Lebergewebe Das Sandwich-Prinzip der SE-TACE wird dann folgendermaßen umgesetzt: Injektion von Lipiodol bis zu einer gerade erkennbaren Flussreduktion zur Identifikation des Tumorgefäßbettes und gleichzeitigem Ausschluss von Shunts zur Pfortader oder Lebervene. Dann erfolgt die Instillation von 40 μm oder 100 μm großen Mikroembolisationspartikel (Embozene) bis zu einer signifikanten Flussreduktion, die gerade noch einen Kontrastmitteltransport erkennen lässt (»Leerlaufen« der segmentalen Versorgung über 5 s). Danach wird die Perfusor-gesteuerte Chemoperfusion mit Carboplatin entsprechend 50% der maximalen i.v. Einzeldosis (ca. 300–500 mg) über 10–20 min durchgeführt. Da dies meist zu einer intraarteriellen und intratumoralen Kompaktierung von Öl und Mikropartikel führt, erfolgt solange eine fraktionierte Nachinjektion der Mikropartikel bis wieder die Flusssituation wie vor der Chemoperfusion hergestellt ist. Mit einer geringen Menge an Lipiodol wird abschließend langsam und vorsichtig ein Perfusionsstop im behandelten Segment erzeugt (. Abb. 30.2). Damit soll ein potenzieller Reflux der Mikropartikel so gut wie möglich verhindert werden.
Auf Grund der hohen Variabilität der arteriellen Leberversorgung sind häufig komplexe Sondierungsmanöver erforderlich, um eine adäquate Embolisationsbehandlung nach den geschilderten Prinzipien durchführen zu können. Größtes Augenmerk gilt dabei kollateralen Versorgungen zum Pankreas, zum Magen und zur Gallenblase, da diese durch jedes der drei zur SE-TACE gehörenden Elemente geschädigt werden können. Gelegentlich können präemptiv-protektive Embolisationen von solcher Kollateralversorgung erforderlich werden. Dies wird am häufigsten bei der A. gastrica dextra und A. gastroduodenalis durchgeführt, wenn diese durch ungünstige gefäßanatomische Lagebeziehungen gefährdet erscheinen. In den 7 Jahren unserer klinischen Anwendung des Konzeptes (Stand 4/2009) betrug die Mortalität 4/281 Patienten. Bei 2 waren nekrotisierende Pankreatitiden ursächlich. Ein Patient
30
345 30.1 · Leber
a
b
d c
e
. Abb. 30.2. SE-TACE mit vollständiger lokaler Tumorkontrolle bei HCC im Stadium 3. a CT eines ca. 8 cm großen histologisch gesicherten HCC in S5/6 bei einem 73-jährigen Patient mit alkoholischer Leberzirrhose in arterieller Phase. b Angiographische Darstellung über Mikrokatheter (2,7 F) mit peripherer Position im Ramus dexter. Neben der hyperarterialisierten Tumordarstellung auch Nachweis einer wahrscheinlich durch Punktion bedingten peripheren portalen Fistel. c Angiographische Abschlusskontrolle mit Perfusionsstop im embolisierten Segment. d MRT 3 Wochen später mit noch randförmiger Kontrastmittelaufnahme. e MRT 9 Monate nach Abschluss des TACEZyklus mit insgesamt 3 Einzelsitzungen. Nachweis einer kompletten Devaskularisation und Schrumpfung auf etwa 50% des Ausgangsvolumens
346
Kapitel 30 · Interventionelle Radiologie
verstarb an einem Cholesterinembolie-Syndrom bei verkalkter Aorta und der Vierte an einem Leberversagen nach Embolisation. Die unmittelbare postinterventionelle Nachsorge muss das nahezu obligate Postembolisationssyndrom berücksichtigen, das charakterisiert ist durch Übelkeit bis zum Erbrechen, diffuse oder stechende abdominelle Schmerzzustände, Fieber und Müdigkeit. Nahezu immer sind für mehrere Tage eine deutliche Erhöhung der Transaminasen, des CRP und eine Leukozytose feststellbar. Bei unilobärem Befallsmuster ist es nach unserem Konzept erforderlich, 3 Sitzungen und bei bilobärem Befall dann 6 Sitzungen in einem Abstand von 4–5 Wochen durchzuführen. Diese Intervalle sind rein empirisch festgelegt und folgen der Vorstellung, dass die negativen klinischen Sequelae dann abgeklungen sind, aber gleichzeitig noch keine heftige Hypoxie-induzierte Neoangiogenese eingesetzt hat, die den Embolisationserfolg wieder zunichte machen kann.
30
Ergebnisse. Morphologisch wird jeweils der Therapieerfolg
mittels MRT kontrolliert (. Abb. 30.2), da damit sowohl potenzielle lokale Komplikationen als auch inadäquate Tumorausschaltung detektiert werden kann. Wenn bei bilobärem Befall aber Tumorknoten ≤3 cm in einem der Leberlappen vorliegen, wird eine SE-TACE mit einer lokalen Ablationstherapie kombiniert. Die lokale 1-Jahres-Tumorkontrolle beträgt in unserem Krankengut derzeit 81%. Die globale 1-JahresÜberlebensrate liegt bei 79%. Bei Patienten im Stadium B liegt sie bei 85%, bei Patienten im Stadium C bei 52% und bei Patienten im Stadium D 41%. Bei 21% unserer Patienten erfolgte eine Lebertransplantation durchschnittlich ca. 6 Monate nach Beginn der Embolisationsbehandlung. Bei diesen 57 Patienten fand sich dann in der pathologisch-anatomischen Aufarbeitung der explantierten Leber nur noch bei 9 vitales Tumorgewebe. Für den Langzeiterfolg der SE-TACE gelten allerdings die gleichen Limitationen wie für die chirurgische Resektion. Bei bis zu 80% der Patienten muss trotz kompletter lokaler Tumorkontrolle auf Grund der unveränderten Tumorrisikofaktoren innerhalb eines 5-Jahres-Intervall mit neuen Tumoren gerechnet werden (Bruix u. Sherman 2005). Alternativ und auch ergänzend zum TACE-Konzept werden in jüngster Zeit im wesentlichen drei verschiedene Verfahren angeboten, die teilweise in größeren Studien bereits klare Trends der Effektivität und Indikationsstellung erkennen lassen: 4 Selektive interne (interstitielle) Radiotherapie (SIRT) 4 Alleinige Partikelembolisation (HAE; »hepatic artery embolization«) 4 Embolisation mit Chemotherapeutika freisetzenden Mikropartikel (vermarktet unter dem Kunstnamen »Precision-TACE«)
Selektive interne Radiotherapie Die SIRT basiert auf einer mikropartikulären Leberembolisation mit Yttrium90 beladenen Harz- (SIR-Microspheres, SIRTEX, Australien) oder Glaspartikel (Terasphere, MDS Nordion Canada) (Kennedy et al. 2007). Yttrium90 ist ein reines Beta-Strahlen emittierendes Isotop und entsteht durch
Neutronenbeschuss von Yttrium89 und hat damit bei hoher lokaler Aktivität bzw. Energie (durchschnittlich 0,89 MeV) eine sehr kurze Reichweite (durchschnittlich 2,5 mm und maximal 11 mm). Es zerfällt rasch zur inaktivem Zirkonium90 (Halbwertszeit 64 h). Die mit Yttrium90 beladenen Harzpartikel haben eine Größe zwischen 20 und 60 μm und die Glaspartikel von 10–30 μm. Bei den Harzpartikel beträgt die Dosis pro Mikropartikel 50 Bq und bei den Glaspartikel 2500 Bq. Die Partikelanzahl pro 3 GBq Aktivität ist ebenfalls sehr unterschiedlich: 40–80×106 bei den Harz- versus 1,2×106 bei den Glaspartikel. Kurz gefasst ist der Embolisationseffekt bei den Harzpartikel größer, während bei den Glaspartikeln die Energiedosis höher liegt. Entsprechend einer multidiszipliniären Konsensuskonferenz (Kennedy et al. 2007) werden für eine SIRT beim HCC folgende Empfehlungen gemacht: 4 Hauptsächlich auf die Leber beschränkte Tumorlast 4 Lebenserwartung >3 Monate 4 Ausschluss eines hepatopulmonalen Shuntvolumens mit >30 Gy Lungendosis 4 Irreversibel signifikant erhöhte Bilirubin-Serumwerte (>3 mg%) 4 Erhaltener prograder portaler Fluss (Ausschluss einer zentralen Pfortaderthrombose) 4 Adäquate Dosimetrie abhängig vom verwandten Embolisationsmaterial (differierend für Glas- versus Harzpartikel) 4 Interdisziplinäre Indikationsstellung und technische Durchführung 4 Komplette hepatische und hepatisch-vaskuläre Bildgebung In der Praxis wird die SIRT beim HCC eher bei diffusem und sehr multifokal betontem Befall und gleichzeitig noch guter Leberfunktion im Vergleich zur TACE indiziert. Dies ist auch gängige Praxis in vielen deutschen Zentren. Die technische Durchführung beinhaltet folgende Elemente Zuerst wird eine präinterventionelle Charakterisierung der Tumormorphologie (MRT) durchgeführt. Beim Ersteingriff wird zweizeitig jeweils in Analgosedierung eine viszerale Angiographie zur Charakterisierung der Leber- und Tumorgefäßversorgung mit Zöliako- und Mesenterikographie einschließlich indirekter Portographie und subtiler Identifikation von hepatisch-arteriell entspringenden Gefäßen mit Versorgung von Magen, Pankreas, Duodenum und Gallenblase durchgeführt. Alle diese Kollateralen werden embolisch verschlossen. Abschließend erfolgt beim Ersteingriff dann die arterielle Instillation von makroaggregiertem Albumin (Technetium99-MAA) zur perfusionsszintigraphischen Bestimmung des hepatopulmonalen Shuntvolumens. Beim Zweiteingriff ca. 3–4 Wochen zeitversetzt wird dann eine nochmalige subtile angiographische Darstellung der hepatisch-gastrointestinalen Gefäßversorgung durchgeführt. Eventuelle intestinale Kollateralen müssen ausgeschlossen bzw. embolisiert werden.
6
347 30.1 · Leber
Dann werden bei lappengetrennt erfolgter Dosimetrie jeweils rechts- und linkshepatisch getrennt Mikrokatheter zur Partikelinstillation platziert, angeschlossen an die jeweils von den Herstellern strahlensicher vorgehaltenen Injektionssysteme unter adäquater Kontrolle eventuellen Partikelrefluxes. Abschließend erfolgt ein Bremsstrahlenscan zur Darstellung der Aktivitätsverteilung.
Ergebnisse. Aus diesen technischen Bedingungen wird klar,
dass Planung, Durchführung und klinische Betreuung nur in engster Kooperation von (umgangsberechtigten!) Nuklearmedizinern, adäquat in der Lebergefäßanatomie und transarterieller Embolisation versierten interventionellen Radiologen und chirurgischen oder internistischen Onkologen stattfinden kann. Unter den geschilderten Selektionskriterien lassen sich lokale Tumorkontrollraten nach RECIST-Kriterien von bis über 90% erzielen (Sangro et al. 2006). Bei Beachtung dieser Selektionskriterien und Einhaltung der vorgebenen Dosimetrieschemata tritt in den Anfängen beschriebene RILD (»radiation induced liver disease«) auch nicht auf (Sangro et al. 2008). Diese ist vor allem bei Patienten mit vorangegangener Mehrlinien-Chemotherapie zu erwarten (s. unten). Trotz der relativ hohen lokalen Tumorkontrollrate ist allerdings – und anders als bei der SE-TACE – mit einer höheren Rezidivrate zu rechnen, da in vielen Publikationen das krankheitsfreie Intervall meistens nicht länger als für 3–6 Monate beschrieben ist. Einer der Hauptgründe liegt dafür sicher in den differenten Selektionskriterien.
Alleinige Partikelembolisation Die HAE oder alleinige Mikropartikelembolisation beim HCC, im amerikanischen Sprachgebrauch auch als »blunt embolization« bezeichnet, basiert auf der Vorstellung, durch maximale Anoxie in den von alleiniger arterieller Versorgung abhängigen Tumoren, zudem charakterisiert durch eine um Vielfaches höhere Gefäßdichte (3- bis 200-fach), ohne komplexe Sandwich-Techniken eine adäquate lokale Tumorkontrolle zu erreichen (Miller 2007; Brown et al. 1998). In verschiedenen kontrollierten Studien konnten mit dieser Technik den der bereits mehrfach dargestellten Metaanalyse von Bruix vergleichbare Ergebnisse erzielt werden. Das große Manko allerdings ist das Fehlen von randomisierten Studien und die noch schlechter standardisierte Technik im Vergleich zum TACEKonzept. Während die oben beschriebene SE-TACE-Technik darauf beruht, durch die Kombination aus Öl und kleinstmöglichen Mikropartikel eine maximale Anoxie zu erzielen, die dann unterstützt durch hohe lokale Chemotherapiedosis eine bestmögliche Tumorkontrolle erreicht, herrscht bei den verschiedenen Protagonisten des HAE-Verfahrens keine Einigkeit über Größe der Mikropartikel und Zahl der notwendigen Behandlungssitzungen.
Precision-TACE Die als Precision-TACE von der Fa. Biocompatibles (England) eingeführte Kombination aus Partikelembolisation mit Doxorubicin-Freisetzung versucht gewissermaßen einen Mittel-
weg zwischen klassischer TACE – allerding ohne Lipiodol – und lokaler Chemotherapie. Die 300–500 μm großen Mikropartikel aus sphärischem PVA (Polyvinylalkohol) werden dafür für 24 h mit bis 50 mg Doxorubicin inkubiert und beim HCC dann in gleicher technischer Durchführung wie bei der klassischen TACE und auch mit nahezu gleichen Selektionskriterien durchgeführt. Bislang liegen 5 multiinstitutionale Vergleichsstudien Precision-TACE versus alleinige HAE mit den PVA-Mikropartikel vor, die in Abstractform bei mehreren Kongressen vorgestellt und vor kurzem als »Single-CenterStudie« auch publiziert wurden (Malagari et al. 2009). Danach ergaben sich Vorteile der Medikamentenfreisetzung im »disease-free survival« gegenüber der alleinigen Mikropartikelembolisation . Bei allen drei geschilderten potenziellen Alternativen zur TACE bzw. SE-TACE bleibt abzuwarten, wie größere kontrollierte Vergleichsstudien einen tatsächlichen oder auch fehlenden klinischen Erfolg dokumentieren können.
30.1.3 Sekundäre Lebertumoren
und lokal ablative Verfahren Das Prinzip der lokalen Tumorablation durch Hitze (oder Kälte) kann unmittelbar auch auf die Therapie von Lebermetastasen übertragen werden. Dies gilt für die Anwendung bei nicht-resektablen Patienten ebenso wie für die Äquivalenz zur chirurgischen Resektion bei Läsionen ≤3 cm im Durchmesser und für Prinzipien der bildgebenden Steuerung und Art der Hitzeapplikation. Die Gewebedestruktionsgrundlagen sowohl der RFA, der MWA oder auch der laserassistierten Technik wirken auf metastatisches Gewebe vergleichbar. Indikationsstellung. Die Interventionstechnik und ihre bild-
gebende Steuerung ist analog zu den vorher für die primären Lebertumoren geschilderten Fakten, nicht aber die Grundlagen der Patientenselektion. Patienten mit Lebermetastasen haben in der Regel keine zugrunde liegende Lebererkrankung, die grundsätzlich eine Einschränkung der Resektabilität beinhaltet. Dies wurde kürzlich in einem »clinical evidence review« der ASCO (American Society of Clinical Oncology) folgendermaßen zusammengefasst (Wong et al. 2009): Durch das Fehlen von randomisierten Vergleichsstudien zwischen Resektion und Ablation bei primär resektablen Patienten ist der primär kurative Ansatz einer lokalen Ablation nicht von einem maximalen Evidenzlevel abgesichert, wenngleich in vielen Single-Arm-Studien mit adäquater klinischer Kontrolle der Leberresektion vergleichbare Resultate im Sinne eines krankheitsfreien Überlebens dokumentiert wurden. Weiterhin ist in der Indikationsstellung zu einem lokalen Ablationsverfahren die deutlich verbesserte Überlebenschance von Patienten mit hepatischen Metastasen kolorektaler Karzinome durch moderne Chemotherapiekombinationen (systemische und biologische Chemotherapie) zu beachten. In der Praxis ist ein patientenadaptierter Algorithmus der Therapieentscheidung sinnvoll, der auch die erweiterten Möglichkeiten der Leberchirurgie unter Integration der präoperativen Pfortaderembolisation (s. unten), des »Down-
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Kapitel 30 · Interventionelle Radiologie
stagings« bei sehr großen Tumoren durch systemische Chemotherapie und Erweiterung einer lokalen Kurabilität durch prä-, intra- oder postoperative Kombinationen aus Resektion und lokaler Ablation berücksichtigt und dies durchaus auch in mehrzeitigen Ansätzen. Ergebnisse. Nach der geschilderten Literaturanalyse des
30
ASCO-Panels wird die 5-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit hepatischen Metastasen kolorektaler Karzinome nach lokaler Ablation mit einer Schwankungsbreite von 14–55% und die der lokalen Rezidivrate von 3,6–60% angegeben. Damit wird deutlich, welche Unterschiede in der Qualität der Interventionstechnik und in der Sorgfalt der Indikationsstellung bestehen müssen. Unklar ist bislang auch die Kombinierbarkeit der lokalen Ablation an verschiedenen Organen (Leber und Lunge, s. unten), da bei diesen Patienten eine vielfache schlechtere Gesamtprognose besteht. Zahlreiche Studien mit kleinen Fallzahlen oder Kasuistiken belegen jedoch im Einzelfall im wieder die Möglichkeiten eines kurativen Ansatzes wenn beispielsweise eine an Zahl und Ausdehnung begrenzte Leber- und Lungenmetastasierung vorliegt.
30.1.4 Sekundäre Lebertumoren
und präoperative Pfortaderembolisation Die vollständige Resektion von primären und sekundären Lebertumoren (>3 cm) gilt unverändert und wie oben geschildert als das einzige potenziell kurative Therapieverfahren. Obwohl die Inzidenz von primären Lebertumoren weltweit zunimmt, ist die Hauptindikation zur Leberresektion weiterhin die synoder metachrone hepatische Metastasierung, meist kolorektalen Ursprungs. Zum Zeitpunkt der Diagnose sind nur 15– 30% dieser Patienten primär durch eine Leberresektion kurativ behandelbar. Im Gegensatz zu den guten 5-Jahres-Überlebensraten bei resektablen Lebermetastasen nach primärer, aber auch bei wiederholter Metastasenresektion von jeweils 25–40%, liegt die 5-Jahres-Überlebensrate ohne Resektion bei unter 5% (Wong et al. 2009). Fortschritte in der hepatobiliären Chirurgie und intensivmedizinischer Betreuung haben zu einer Reduktion der Mortalitätsraten auf 3–7% nach erweiterten Leberresektionen geführt, obwohl bei bis zu 45% der Patienten ausgedehnte hepatische Resektionen notwendig sind, um tumorfreie Absetzungsränder zu erreichen. Ein Grund für die initiale Nichtresektabilität ist oftmals ein funktionell potenziell nicht ausreichendes Restlebervolumen postoperativ. Patienten mit gesundem Leberparenchym haben bei einem Resektionsvolumen von mehr als 75% und Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion bei einem Resektionsvolumen von mehr als 60% ein deutlich erhöhtes Risiko für postoperative Komplikationen bis hin zum Leberversagen (Abdalla et al. 2002). Die interventionell radiologische Pfortaderembolisation wird durchgeführt, um die Sicherheit erweiterter hepatischer Resektionen bei Patienten mit voraussichtlich zu kleinem Restlebervolumen zu erhöhen. Hierbei wird, wie erstmals von Makuuchi et al. 1990 beschrieben (Makuuchi et al. 1990), durch eine perkutan transhepatische Embolisation des porta-
len Stromgebietes des Leberanteils mit der höchsten Tumorlast und geplanten Resektion eine Hypertrophie des potenziellen Restlebervolumens induziert und somit das Risiko eines postoperativen Organversagens durch eine dann gesteigerte metabolische Reserve reduziert. Das Verfahren ist seit gut 15 Jahren weitgehend standardisiert und erreicht in der großen Mehrzahl der Patienten die gewünschte Hypertrophie des ursprünglich als zu klein eingeschätzten Leberrestes im Rahmen einer erweiterten Hemihepatektomie (de Baere et al. 1996). Bei der Materialwahl für die Embolisation existieren verschiedene Konzepte von diversen partikulären zu flüssigen Embolisationsmaterialen. Moderne kathetertechnische Entwicklungen erlauben heute die Verwendung von sehr kleinvolumigen Zugängen, z. B. F4-Schleusen (1 F=0,33 mm). Unter Verwendung adäquater bildgebender Steuerung, geeigneter Mikro- und Selektivkatheter und Gewebekleberembolisation kann mit geringem zeitlichem Aufwand eine komplette Blockade der portalen Strombettes erreicht werden (. Abb. 30.3). Dies wurde vor kurzem von unserer Arbeitsgruppe zusammengefasst dargestellt (Radeleff et al. 2008). Innerhalb von 3–4 Wochen ergibt sich danach bei rechthepatischer Pfortaderembolisation eine linkhepatischer Hypertrophie um etwa 25% (. Abb. 30.3c). Ein längeres Intervall bis zur Resektion erscheint dabei nicht sinnvoll. Wesentliches Weiterwachsen des zu erhaltenden Lebergewebes tritt dann nicht mehr auf. Andererseits verhindert eine portale Embolisation auf der »Tumorseite« nicht das Weiterwachsen.
30.1.5 Sekundäre Lebertumoren
und Embolisationsverfahren Hier »konkurrieren« neuerdings die bereits im 7 Abschn. 30.1.2 geschilderten Verfahren SIRT, Partikel- und Embolisation mit medikamenten freisetzenden Partikel. Die Verfahren werden in Einzelstudien nach neuerer Literatur vor allem bei hypervaskulären bzw. stark arterialisierten metastatischen Läsionen eingesetzt (Murthy et al. 2008). Es existieren keine kontrollierten Vergleichsstudien, sodass eine Therapieempfehlung derzeit auf individuellen und patientenbezogenen Entscheidungskriterien bezogen sein muss. Verfahrensabhängige Morbidität und Komplexität sind in Bezug zu Lebenserwartung und -qualität zu setzen. Alle drei Verfahren werden dann im interdisziplinären Kontext als Palliativmaßnahme empfohlen, wenn chirurgische oder chemotherapeutische Behandlungen entweder nicht mehr in Frage kommen oder mit einer Tumorprogression verbunden waren. In folgenden Szenarien ist mit einer hohen lokalen therapeutischen Effizienz zu rechnen: hyperarterialisierte Metastasen (neuroendokrine Tumoren, Mammakarzinom, Melanom), die nicht als mikronoduläre diffuse Muster auftreten, sondern so mit lokal begrenzter Ausbreitung, dass auf Grund der Selektivität der Tumorarterialisation ein wesentlicher präferentieller Transportmechanismus zur Tumorgewebe im Vergleich zum normalen Lebergewebe erwartet werden kann. Bei allen drei Verfahren bleibt abzuwarten, wie größere kontrollierte Vergleichsstudien einen tatsächlichen klinischen
349 30.2 · Lunge
30
b a
. Abb. 30.3. Präoperative Pfortaderembolisation bei sehr kleinem S3 und geplanter erweiterter Hemihepatektomie rechts. a CT-Darstellung des sehr kleinen S3-Segmentes auf Höhe der Pfortader. b Angiographisches Bild nach selektiver Embolisation der rechten Pfortader über einen perkutanen Zugang zur linken Pfortader. Embolisat: 3 ml Gemisch aus Histoacryl und Lipiodol im Verhältnis 1:3. c CT-Darstellung 3 Wochen später mit deutlicher Hypertrophie des sehr kleinen S3-Segmentes auf gleicher Höhe wie bei a
c
Erfolg bezüglich lokal tumorfreiem Überleben und Gesamtüberleben erzielen können. Beispielsweise konnte sogar in einer größeren prospektiven Studie zur Irinotecan-Freisetzung aus Embolisationspartikel bei hepatischen Metastasen von kolorektalen Karzinomen nach Scheitern auch einer Second-line-Chemotherapie ein tumorfreies Überleben im Durchschnitt von 250 Tagen erreicht werden (Martin et al. 2009).
30.2
Lunge
30.2.1 Lokal ablative Verfahren Vergleichbar den allgemeinen onkologischen Therapieprinzipien an der Leber gelten chirurgische Resektionsverfahren bei primären und sekundären Lungentumoren unverändert als die einzige kurative Therapieoption. Allerdings ist die Patientenzahl, die vor allem in der Metastasenchirurgie mit kurativem Ansatz behandelt werden können, im Vergleich zur Leber nochmals deutlich geringer, da bei vielen Tumorentitäten pulmonaler Befalls mit systemischem Befall gleichzusetzen ist (Steinke 2008).
Indikationsstellung. Die klinischen und morphologischen
Grundprinzipien der Patientenselektion für ablative Verfahren an der Lunge sind im Prinzip ähnlich im Vergleich zu den Lebertumoren. Sowohl für primäre Lungentumoren (vor allem NSCLC) als auch für Metastasen gilt in der Indikationsstellung zu einer lokalen Ablation die Kombination aus nichtoperationswürdigem klinischem Zustand und Begrenzung der lokalen Tumorausbreitung. Grundsätzlich bedarf es dabei einer interdisziplinären Betrachtung und Festlegung des Procedere unter subtiler Analyse von Remission und Progression des jeweiligen Patienten unter tumorgerechter systemischer Chemotherapie und gleichzeitig adäquater Verlaufsbildgebung, zumeist mittels CT. Bei Metastasen gelten allgemein als Zahlengrenze pro Hemithorax 5 Läsionen bei einer maximalen Einzelgröße von 3,5 cm. Bei Größen über 2,5–3 cm werden unabhängig vom gewählten Ablationsverfahren überlappende Sitzungen praktiziert. Eine bilaterale Intervention wird in der Regel nicht durchgeführt. Ergebnisse. Relativ neue experimentelle Daten deuten darauf
hin, dass anders als an der Leber die Art des Ablationsverfahrens eine größere Bedeutung erlangt. An der Lunge spielen Kühlungseffekte im Gegensatz zur Leber praktisch keine Rol-
350
30
Kapitel 30 · Interventionelle Radiologie
le, wohl aber die Thermoisolation des umgebenden lufthaltigen Gewebe, sodass die Impedanz-kontrollierte RFA im Vergleich zur reinen Steuerung über Energie und Zeit bei der MWA möglicherweise geringere lokale Effektivität erzeugen kann (Brace et al. 2009). Seit 2 Jahren führen wir deshalb pulmonale Ablationen nur noch mit diesem Verfahren durch, zumal der Zeitaufwand im Vergleich zur RFA geringer ist und auch gleichzeitig überlappende Behandlungen durch die Kombinationen mehrerer Nadeln mit mehreren Generatoren realisiert werden können. Neuere Studien belegen, dass der therapeutische Effekt hinsichtlich Überleben bei Metastasen im Vergleich zu den mit Ablation behandelten inoperablen Tumoren im allgemeinen deutlich höher liegt (24). In einem hochselektioniertem Krankengut mit klinisch inoperablen Patienten aber einem Stadium I NSCLC konnte Simon kürzlich zeigen, dass die Ablation der Strahlentherapie auch in Kombination mit Chemotherapie hinsichtlich Überleben überlegen ist mit 1-JahresÜberlebensraten von 78% und 5-Jahres-Überlebensraten von 27% (Simon et al. 2007). Nach einer Metaanalyse von Zhu et al. beträgt die Mortalität 0–5,6%, die Pneumothoraxrate 4,5– 61% (Drainagerate durchschnittlich 11%) und die Rate inkompletter Ablation mit Re-Progress durchschnittlich 11,2% (3–38%). Unabhängig vom potenziell lokal kurativen Effekt kann bei Patienten mit pleuralen Schmerzsyndromen durch Tumorinfiltation eine Ablation auch zur Schmerzlinderung mit gutem Erfolg durchgeführt werden. Der Effekt tritt relativ rasch im Gefolge nach pleuropulmonaler bzw. mediastinaler Ablation ein.
30.2.2 Embolisationsverfahren Im Unterschied zur Leber haben transvaskuläre bzw. transarterielle Behandlungsverfahren bei primären oder sekundären Lungentumoren keine wesentliche Bedeutung bislang erlangen können. Eine gewisse Rolle spielt die Embolisation bei tumorassoziierter Hämoptyse im Sinne einer Notfallbehandlung und Palliation (Park et al. 2007). In unserer Arbeitsgruppe an der Uniklinik Heidelberg ergab sich eine solche Indikation in den letzten 10 Jahren bei insgesamt 81 Bronchialarterienembolisationen bei 14 Patienten. Technisch betrachtet ist das Verfahren sehr anspruchsvoll, da genaue Kenntnisse der häufigen und komplexen Variationen der Bronchialarterien im Zusammenspiel mit den Interkostalarterien und insbesondere der spinalen Versorgung erforderlich sind. Oft sind endobronchial lebensbedrohlich blutende Tumoren sowohl von den Bronchialarterien als auch den Interkostalarterien versorgt. Ein rein proximaler Verschluss der Bronchial- oder Interkostalarterien oder auch eines nicht selten vorkommenden gemeinsamen Trunkus z. B. mit Embolisationsspiralen genügt zur definitiven Therapie einer tumorassoziierten Hämoptyse nicht. Deshalb sind auch subtile Sondiertechniken mit modernen Mikrokathetern erforderlich, mit denen die Komplexität der jeweils zugrunde liegenden Gefäßversorgung identifiziert werden muss. Wenn nur Bronchialarterien in der Versorgung beteiligt sind, kann mit flüssigen Embolisaten ein schnelles und zuver-
lässiges Ergebnis erzielt werden. Alternativ können auch Mikropartikel in Größe um 250–500 μm eingesetzt werden. Deren potenziell gefährlicher Reflux ist jedoch schwerer kontrollierbar. Bei Beteiligung von Interkostalarterien ist es dagegen meist erforderlich, zuerst deren Peripherie zu sondieren und mittels Mikrospiralen diese im Sinne einer »Hintertür«-Embolisation zu verschließen. Damit wird eine spätere retrograde Rekanalisation und eine Rezidivblutung verhindert und außerdem eine prograde Embolisatverschleppunng in Richtung Interkostalmuskulatur. Bei den 14 genannten Patienten konnte bei 9 mit einer einmaligen und bei den anderen 5 mit einer doppelten Behandlung ein definitiver Stop der Hämoptyse erzielt werden.
30.3
Niere
30.3.1 Lokal ablative Verfahren Auch für die interventionelle Ablation von Nierentumoren gilt, dass die chirurgische Resektion (radikale Nephrektomie oder »Nephron-sparing«-Enukleation) den primären kurativen Ansatz darstellt (Frank et al. 2005).
Nur bei primärer Inoperabilität wird die Ablation zur Alternative.
Perkutane Ablationsverfahren an der Niere werden seit etwa 10 Jahren zunehmend angewandt. Vier verschiedene Verfahren sind bislang beschrieben worden: 4 Kryoverfahren 4 Laserablation 4 Radiofrequenzablation 4 Mikrowellenablation Derzeit ist die RFA das am meisten eingesetzte Verfahren (Mahnken et al. 2004). Die technischen Grundlagen der zugrunde liegenden Sondentechnik erlauben bei Radiofrequenz und Mikrowelle deutlich kaliberschwächere Zugänge und sind daher erheblich einfacher in der Anwendung. In der Praxis kommt eine Ablation bei Rezidivtumoren nach Enukleation und bevorzugt bei Einzelnieren zur Anwendung. In einer kürzlich publizierten Vergleichsstudie an über 1000 Patienten mit minimal-invasiver Nierentumorbehandlung (laparoskopische Teilnephrektomie, Kryo- und RFA) wurden nahezu identische Ergebnisse vorgelegt mit einer 1-Jahres-Tumorfreiheitsrate von nahe 100% (Turna et al. 2009). Damit besteht einerseits ein potenziell lokaler kurativer Ansatz, solange die zu behandelnden Tumoren eine Grenzgröße von 5 cm nicht überschreiten, andererseits aber eine im Vergleich zum operativen Kollektiv sehr negative Selektionsbasis (Turna et al. 2009). Obwohl Bildsteuerung und Sondentechnik im Vergleich zur Ablation von Lebertumoren prinzipiell gleichartig angewandt werden können, sind bei Nierentumoren folgende Besonderheiten zu beachten. Die Parenchymabdeckung ist deutlich geringer, die Atemverschieblichkeit deutlich größer, es
351 30.4 · Spezialindikationen
besteht ein signifikantes Schädigungsrisiko des Hohlsystems, der Kühlungseffekt durch die starke Nierendurchblutung ist deutlich unberechenbarer. Daher werden bei Tumoren mit einer Größe von über 2 cm superselektive präoperative Embolisationen empfohlen, um den lokalen Ablationseffekt später zu verbessern. Im eigenen Krankengut von 12 Patienten in den letzten 4 Jahren betrug die durchschnittlich Tumorgröße 3,5 cm. Bei 9 Patienten wurden deshalb präoperative superselektive Tumorembolisationen mit Mikropartikel (250– 500 μm) durchgeführt.
eine adäquate Tumorkontrolle auf. Mit Ausnahme eines Patienten, bei dem eine passagäre Größenreduktion von Lungenmetastasen zu beobachten gewesen war, bestand jedoch bei den anderen eine Progression der Fernmetastasen. Diese Progression erfasste Organ- und Lymphknotenmetastasen in gleicher Weise. Ein echter lebensverlängernder Effekt ist demnach nur bei metastasenfreien Patienten zu beobachten.
30.4
Spezialindikationen
30.4.1 Knochentumoren 30.3.2 Embolisationsverfahren In einer kürzlich erschienen Arbeit hat Rassweiler das Potenzial der Nierentumorembolisaton von den experimentellen Grundlagen bis zur klinischen Einbettung im Rahmen der Nierentumorchirurgie umfassend dargestellt (Rassweiler et al. 2008). Nierentumoren können bei präoperativer und palliativer Indikation embolisiert werden. Die präoperative Embolisation beschränkt sich im Wesentlichen auf große Tumoren mit großflächigem Einbruch in das peritoneale Fettgewebe oder die Nierenvene. Bei Patienten mit Tumorzapfen in der Nierenvene bis zum Vorhof, bei denen Kavotomie mit HerzLungen-Maschine erforderlich ist, wird in Heidelberg als Standard eine präoperative Embolisation durchgeführt, um bei der Präparation der venösen Kollateralen in der Umgebung des Tumors den Blutverlust gering zu halten und so das Prinzip der No-touch-Chirurgie zu verfolgen. In unserem eigenen Kollektiv konnten wir zeigen, dass der durchschnittliche Blutverlust der präoperativ embolisierten Patienten (n=33) bei 1400 ml lag, wobei der Blutverlust bei Tumoren mit Cavazapfen bei 5400 ml dann lag. Die palliative Tumorembolisation ist bei blutenden Nierenzellkarzinomen, tumorbedingten starken Flankenschmerzen, intermittierend inoperablen Patienten oder paraneoplastischer Hyperkalzämie (Stauffer-Syndrom) indiziert. Die Embolisation unter dieser Prämisse hat den größten lokalen und klinischen Erfolg, wenn sie nach dem Prinzip der kapillären Embolisation mit totaler Blockade des arteriellen Tumorkompartiments mittels flüssigen Embolisation und Verwendung eines Ballonkatheters im Hauptstamm der Nierenarterie durchgeführt wird. Damit wird einerseits zuverlässig Embolisatreflux vermieden und anderseits genügend Druck aufgebaut, dass flüssige Embolisat (Ethibloc, Gewebekleber) tief ins arterielle System des Tumor vordringen können. Damit ist eine komplette transarterielle intrakorporale Nephrektomie realisierbar (31). Ähnlich wie beim bereits im . Abschn. 30.1.2 geschildert, ist bei therapeutisch effektiver Nierentumorembolisation auch mit einem ausgeprägten Postembolisationssyndrom zu rechnen, was eine mehrtägige klinische Betreuung erforderlich macht. Bei 9 Patienten, die in den zwischen 1995 und 2005 Jahren palliativ embolisiert wurden, konnten wir zeigen, dass bei 6 Patienten, die zum Zeitpunkt der Embolisation metastasenfrei waren, die Effektivität der kapillären Embolisation gleichbedeutend mit einer Nephrektomie war. Drei Patienten, die mit Fernmetastasen embolisiert wurden, wiesen zwar ebenfalls
In ähnlicher Weise wie bei der Nierentumorembolisation, wenngleich zahlenmäßig in viel geringerem Umfang, kommen Embolisationsverfahren bei primären und sekundären Knochentumoren zum Einsatz. Dies betrifft in überwiegender Mehrzahl hyperarterialisierte Läsionen, die präoperativ zur Reduktion von Blutverlust vor allem im Becken- und Wirbelsäulenbereich und sehr selten an den großen Röhrenknochen embolisiert werden (Radeleff et al. 2006). Damit überwiegen zahlenmäßig Nierenzellkarzinome. In sehr seltenen Fällen kommt eine Embolisation zur palliativen Tumorvolumenreduktion bei schweren infiltrationsbedingten Schmerzen zum Einsatz. Die Wahl der Embolisate und der Interventionstechnik hängt entscheidend von Lokalisation und Vaskularisation ab und umfasst sowohl flüssige als auch partikuläre Embolisate in ganz unterschiedlicher Größe. Insbesondere bei Wirbelkörpermetastasen von Nierenzellkarzinome gelten wieder die bereits für die Bronchialarterienembolisation ausführlich beschriebenen komplexen Probleme in der Erfassung der gesamten Tumorversorgung unter Berücksichtigung der spinalen Durchblutung. Auch hier sind fast immer periphere Verschlüsse der Intervertebral- oder Interkostalarterien erforderlich um eine Rückblutung von peripher nach zentral zu vermeiden.
30.4.2 Tumorblutungen Interventionelle Verfahren kommen hier außer bei den bereits geschilderten tumorassoziierten Hämoptysen vor allem bei rupturierten Lebertumoren oder transvaginal nach extern blutende Tumoren bzw. Rezidivtumoren des weiblichen inneren Genitale zum Einsatz und sind in aller Regel höchst palliative Einzelindikationen. In der Leber genügen meist superselektive Mikrospiralembolisationen der betroffenen Segmentgefäße. Im Becken ist die Situation ungleich komplexer und auch davon abhängig ob es sich um Rezidivtumoren oder primäre Tumoren, z. B. auch nach Strahlentherapie handelt. Cave Besonderes Augenmerk ist hier auf Vermeidung von Embolisatverschleppung in die Harnblase oder das Rektum zu achten. Deshalb wird bei Tumorblutungen im Becken auch zunächst nur eine unilaterale Embolisation durchgeführt und abgewartet, ob damit bereits ein ausreichender Effekt in der Blutstillung resultiert.
30
352
Kapitel 30 · Interventionelle Radiologie
Literatur
30
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31 31
Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt S. Groth, T. Rösch
31.1
Dilatation und Bougierung
– 354
31.2
Endoskopische Hämostase
– 355
31.2.1 31.2.2
Varizenblutung – 355 Ulkusblutung – 356
31.3
Kurative endoskopische Tumortherapie
31.3.1 31.3.2 31.3.3 31.3.4 31.3.5 31.3.6
Allgemeine Betrachtungen – 357 Prinzipien und Techniken der Mukosektomie im Gastrointestinaltrakt Erfolgsraten und Definitionsprobleme – 359 Endoskopische Resektion von submukösen Tumoren – 359 Endoskopische Papillektomie – 360 Lokale thermische Ablationsmethoden – 361
31.4
Endoskopische Tumorpalliation im oberen Gastrointestinaltrakt – 362
31.5
Verschiedene Verfahren
31.5.1 31.5.2 31.5.3
Perkutane endoskopische Gastrostomie – 363 Endotherapie von Zenker-Divertikeln – 364 Endoskopische Therapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit Literatur
– 365
– 357 – 358
– 363
– 365
354
Kapitel 31 · Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt
> Das Spektrum der endoskopischen Diagnostik und Therapie im oberen Gastrointestinaltrakt hat sich in den letzten Jahren stark erweitert. Es beinhaltet nicht nur das Screening nach Läsionen mit immer hochwertigerer und besser auflösender Bildgebung und die Bestätigung durch die Biopsie, sondern auch zahlreiche minimal-invasive Therapiemodalitäten, die die Behandlung einzelner Erkrankungen revolutioniert haben. Bei einigen Erkrankungen haben endoskopische Methoden schon vor längerer Zeit chirurgische Verfahren ersetzt, andere sind als Alternative zur minimal-invasiven Chirurgie entwickelt worden, andere scheinen weniger erfolgreich zu sein. Dieses Kapitel stellt den derzeitigen Wissensstand und relevante Aspekte der endoskopischen Verfahren und deren klinische Anwendungen vor.
31.1
31
Dilatation und Bougierung
Gutartige Ösophagusstrikturen, die auf eine schwere Refluxerkrankung, Folgezustände nach Verätzungen, postoperative Anastomosenstenosen, radiogene Stenosen und andere gutartige Erkrankungen zurückgehen, können zumindest kurzfristig endoskopisch erfolgreich behandelt werden. Zunächst muss allerdings ein Tumor mittels genauer endoskopischer Inspektion und multipler Biopsien ausgeschlossen werden. Wenn möglich wird die Stenose mit dem Endoskop primär passiert, wobei oft dünne (pädiatrische) Endoskope nötig sind. Ist die Passage einer Stenose mit dem Endoskop nicht möglich, so kann diese radiologisch mit einem Führungsdraht passiert werden. Anschließend wird die Striktur graduell über den endoskopisch oder radiologisch gelegten Führungsdraht aufgedehnt und, wenn nicht zuvor erfolgt, im Anschluss endoskopisch passiert. Dies ist nötig, um sich einen Überblick über den Status der Entzündung zu verschaffen, da akut-entzündliche Strikturen zusätzlich medikamentös behandelt werden müssen. In Einzelfällen, z. B. bei komplexen Strikturen und/oder Verdacht auf assoziierte Fisteln ist eine vorherige radiologische Kontrastmitteldarstellung anzuraten.
Auch bei den – seltener werdenden – Strikturen von Magen und Duodenum, bei denen es sich meist um Magenausgangsstrikturen aufgrund von Ulzera (Pylorusund Bulbusstrikturen) handelt, sind Endoskopie, Biopsie und nötigenfalls Radiologie obligate Bestandteile der Diagnostik, da Karzinome (Antrumkarzinome oder infiltrierende Pankreaskopfkarzinome) gutartige Stenosen vortäuschen können.
Nach etablierter Diagnose einer benignen Striktur haben sich zwei verschiedene Techniken der Lumenerweiterung etabliert: Die Bougierung (. Abb. 31.1) mit Bougies zunehmenden Durchmessers über einen Führungsdraht (nur für den Ösophagus) und die Ballondilatation (Ösophagus und Magen) (Siersema 2008). In jüngster Zeit wurden Ballons entwickelt, die abhängig vom Druck einen zunehmenden Ballondurchmesser über drei Stufen generieren (Chiu et al. 2004).
. Abb. 31.1. Oberflächlicher Schleimhauteinriss nach Bougierung einer peptischen Ösophagusstenose
Cave In schwierigen Fällen, bei Nicht-Passierbarkeit und/oder bei Erstanwendung sollten Bougierungs- und Dilatationstechniken unter radiologischer Kontrolle durchgeführt werden.
Generell, insbesondere bei wiederholter Bougierung, bei der die Stenose primär mit dem Endoskop passierbar ist und hierüber ein Führungsdraht gelegt werden kann, ist eine radiologische Kontrolle der Bougierung nicht zwingend vonnöten. Auch die meisten Dilatationen können sicher ohne radiologisches Monitoring durchgeführt werden (Wang et al. 2002; Kozarek et al. 1995), so z. B. die Ballondilatation im Ösophagus, bei der allerdings zusätzlich ein radiologisches Monitoring empfehlenswert ist. Bei der Ballondilatation von Magenausgangsstenosen sollte dagegen grundsätzlich ein radiologisches Monitoring durchgeführt werden. In randomisierten Studien, die die Bougierung und die Ballondilatation in der Behandlung von Ösophagusstrikturen verglichen, stellten sich beide Verfahren in Bezug auf Effektivität und Komplikationen als gleichwertig heraus (Scolapio et al. 1999; Saeed et al. 1995). Da die Bougierung aufgrund der Wiederaufbereitbarkeit der Bougies kostengünstiger ist, wird sie in vielen Zentren primär angewandt, während die Ballondilatation nur als Reserveverfahren zum Einsatz kommt. Zwecks Symptomkontrolle müssen bei den meisten Patienten Dilatation oder Bougierung wiederholt und regelmäßig zur Anwendung kommen. Die Definition einer »refraktären Striktur« ist deshalb nicht einheitlich und hängt von der Patientenakzeptanz wie auch der Bereitschaft des Endoskopikers ab, Behandlungen wiederholt durchzuführen. Im Ösophagus ist zudem der klinische Erfolg besser zu quantifizieren (Dysphagie) als im Falle einer Magenausgangsobstruktion. Ein Wechsel von der Bougierung zur Ballondilatation und umgekehrt kann im Ösophagus in Einzelfällen hilfreich sein. Ob eine lokale Kortisoninjektion in schwierigen Fällen zielführend ist oder generell die Ergebnisse der Dilata-
355 31.2 · Endoskopische Hämostase
klinischen Blutungssymptome leichtgradig ausgeprägt sind, muss – abhängig vom klinischen Zustand – eine Notfallendoskopie nicht sofort durchgeführt werden. In verschiedenen Studien wurde eine Triage durch Aspiration mittels nasogastrischer Sonde vorgeschlagen (Aljebreen et al. 2004; Witting et al. 2004). Patienten mit frischem oder gestocktem Blut werden sofort endoskopiert, während solche mit kaffeesatzartigem Mageninhalt elektiv endoskopiert werden können. Klinische Einteilungen des Schweregrades gibt es einige (Das u. Wong 2004), der unmittelbare klinische Nutzen im Einzelfall ist jedoch nicht immer evident.
31.2.1 Varizenblutung
. Abb. 31.2. Resorbierbarer selbstexpandierbarer Stent bei benigner Ösophagusstenose nach Einlage
tion verbessert – das mag in einzelnen Fällen so sein –, muss durch randomisierte Studien noch überprüft werden (Altintas et al. 2004; Kochhar u. Makharia 2002). Ein temporäres Stenting wird in Einzelfällen bei refraktären Ösophagusstrikturen eingesetzt (Petruzziello u. Costamagna 2002); in solchen Fällen muss jedoch immer bedacht werden, dass die langfristige Effizienz dieses Verfahrens nicht geklärt ist, seine Komplikationsrate möglicherweise erhöht ist und es eventuell zu Schwierigkeiten bei der Stent-Entfernung kommen kann (Low et al. 2003). Das letztgenannte Problem scheint durch neue, voll ummantelte und offenbar einfacher zu entfernende StentTypen zumindest teilweise gelöst zu sein (Siersema 2009). Über selbstexpandierende und sich innerhalb von 6–8 Wochen selbstauflösende Stents (. Abb. 31.2) gibt es noch zu wenige Erfahrungen (Saito et al. 2008).
31.2
Die akute Varizenblutung wird heutzutage entweder mittels Sklerotherapie (bei aktiv anhaltender Blutung und schnellem Blutstillungsbedarf) oder durch die akute Ligatur behandelt (im Falle einer ausreichenden Übersicht). In Studien wurde herausgefunden, dass beide Vorgehensweisen in der Notfallsituation gleich effizient sind (Ferguson et al. 2003; Banares et al. 2002; Gross et al. 2001). Bei der Fundusvarizenblutung hat sich die Injektion von Histoacryl als Standardverfahren durchgesetzt (Dhiman et al. 2002; Sarin et al. 2002; Lo et al. 2001). Sollte die endoskopische Therapie versagen, bleibt noch die Platzierung einer Sengstaken- oder Linton-Sonde, im Ösophagus die Injektion von Histoacryl oder der transjuguläre Shunt (TIPS). In jüngster Zeit wurde als Alternative zur Sondenkompression ein selbstexpandierender Kompressions-Stent mit guten Ergebnissen vorgestellt (Hubmann et al. 2006). Nach der initialen Blutstillung ist das Standardverfahren zur sekundären Prävention die Fortsetzung der Varizeneradi-
Endoskopische Hämostase
Bei der oberen gastrointestinalen Blutung wird die variköse von der nichtvarikösen Blutung unterschieden, wobei letztere u. a. aus Ulzera, Reflux, Magenerosionen, Mallory-Weiss-Läsionen resultiert. In beiden Fällen kann der klinische Schweregrad hoch sein, die variköse Blutung tendiert jedoch zu einem dramatischeren Verlauf mit schwerwiegenderen Komplikationen. Deswegen ist – wenn möglich – vor der Durchführung einer Notfallendoskopie die klinische Beurteilung des Patienten und die Erhebung der Anamnese von entscheidender Bedeutung.
Eine Notfallendoskopie sollte nur nach Erreichen eines klinisch stabilen Zustands durchgeführt werden.
Im Zweifelsfall ist eine Schutzintubation zu erwägen. Wenn Varizen als Ursache der Blutung unwahrscheinlich und die
. Abb. 31.3. Ligierte Ösophagusvarize
31
356
Kapitel 31 · Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt
kation. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die wiederholte Ligatur (. Abb. 31.3) der Sklerotherapie überlegen ist, vorwiegend aufgrund der geringeren Komplikationsrate (Laine u. Cook 1995); die Kombination beider Verfahren bringt langfristig keinen Vorteil gegenüber einer alleinigen Ligatur zur Sekundärprävention (Karsan et al. 2005). Der zusätzliche Einsatz der Sklerotherapie zum Banding-Verfahren bringt keine weiteren Vorteile (Singh et al. 2002). Für die primäre Varizenprophylaxe wird die Ligatur für Risikovarizen (>5 mm, »red signs«) oder die β-Blocker-Therapie empfohlen. Randomisierte Studien haben gezeigt, dass die Ligaturtherapie der Observation überlegen, den β-Blockern in der Reduktion der Mortalität gleichwertig und in der Vermeidung der Erstblutung überlegen ist (Imperiale u. Chalasani 2001; Thuluvath u. Krishnan 2003). Im Einzelfall wird sicherlich bei der Entscheidung zwischen beiden Therapieformen auch die individuelle Compliance des Patienten eine Rolle spielen.
31.2.2 Ulkusblutung
31
Die endoskopische Therapie der akuten Ulkusblutung wurde in den letzten Dekaden in zahlreichen Studien untersucht. Vorrangig wird zur Stratifizierung des Rezidivblutungsrisikos die Forrest-Klassifikation verwendet. Sie unterscheidet zwischen aktiver Blutung (IA spritzend, IB sickernd), Zeichen der stattgehabten Blutung (IIA sichtbarer Gefäßstumpf, IIB anhaftendes Koagel, IIC schwarzer flacher Fleck) und der Abwesenheit solcher Blutungszeichen (III klarer Ulkusgrund; . Abb. 31.4). Diese Klassifikation korreliert mit dem Risiko der Rezidivblutung und bestimmt daher die Notwendigkeit der endoskopischen Therapie; Studien haben allerdings gezeigt, dass die Interobserver-Variabilität der Klassifikation gering ist. Zusätzlich zur Endotherapie ist bei der Ulkusblutung die Gabe von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) indiziert (Leontiadis et al. 2004). Was die einzelnen endoskopischen Therapieverfahren betrifft, so sind Injektionsmethoden (vorwiegend verdünntes
. Abb. 31.4. Spritzende Blutung aus einem Ulcus ventriculi (Forrest IA)
Adrenalin und Kleber, Sklerosierungssubstanzen werden heutzutage weniger verwendet), thermische Methoden (Laser, Heater-Probe, Argon-Beamer) und mechanische Techniken wie Clipping (oder gelegentlich Banding bei der Nicht-UlkusBlutung) extensiv in Studien behandelt worden, mit zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen. Jüngere Übersichtsarbeiten und Metaanalysen (Cook et al. 1992; Rollhauser u. Fleischer 2000; Rollhauser u. Fleischer 2004; Pais u. Yang 2003) kommen zu folgenden Resultaten: 4 Im Vergleich von Einzelmethoden scheinen Injektionsverfahren und thermische Methoden gleich effizient. 4 Eine Kombinationsbehandlung (z. B. Injektion und HeaterProbe) scheint Einzelverfahren überlegen zu sein (Calvet et al. 2004). 4 Mechanische Verfahren wie der Einsatz von Clips (. Abb. 31.5) können nicht generell als überlegene Blutstillungsmethoden betrachtet werden, haben aber ihre Rolle bei zugänglichen Läsionen mit akuter (Forrest IA) und lokalisierter Blutungsquelle (Forrest IIA). In einer kürzlich erschienenen Metaanlyse waren sie generell Injektions-, nicht aber thermischen Verfahren überlegen (Sung 2007) 4 Kleber (Fibrin) sind nicht generell effizienter, auch nicht in großen Studien, und sollten Sonderfällen vorbehalten bleiben (Lin et al. 2002; Pescatore et al. 2002; Rutgeerts et al. 1997). 4 Die Argon-Beamer-Behandlung wird hauptsächlich bei diffuser Blutung multipler Läsionen, wie z. B. bei Angiodysplasien und dem sog. Wassermelonen-Magen angewandt (Canard u. Vedrenne 2001; Grund et al. 1999); eine generelle Überlegenheit gegenüber anderen Techniken existiert nicht (Havanond 2005). Wie eine randomisierte Studie (Lau et al. 1999) zeigte, kann es nach primär erfolgreicher Endotherapie in 5–20% der Fälle zu Rezidivblutungen kommen, die meist durch erneute endoskopische Therapie zum Stehen gebracht werden können. Sollte die primäre oder sekundäre Hämostase versagen, werden andere Verfahren angewandt, wie z. B. die Angiographie mit
. Abb. 31.5. Blutstillung mit Clip bei präpylorischem Ulkus mit Gefäßstumpf
357 31.3 · Kurative endoskopische Tumortherapie
Coiling (Ripoll et al. 2004) oder die Operation (Paimela et al. 2004; Lundell 2003). Über den Wert einer Second-look-Endoskopie nach primär erfolgreicher endoskopischer Hämostase ohne klinische Zeichen einer Rezidivblutung wird kontrovers diskutiert, eine größere Studie aus 2003 zeigte jedoch einen Vorteil (Chiu et al. 2003). Bereits ohne diese Studie konnte eine gleichzeitig erschienene Metaanalysen einen leichten Vorteil dieses Vorgehens zeigen (Marmo et al. 2003). Bevor aber eine individuelle Risikostratifikation durchgeführt werden kann, ist eine bessere Patientenselektion und eine genauere Definition des klinischen Verdachts auf Rezidivblutung nötig. Andere seltene Blutungsquellen wie z. B. Mallory-WeissRisse (in der Regel gutartig, kein Therapiebedarf) oder das Dieulafoy-Ulkus sind individuell zu handhaben. Beim Dieulafoy-Ulkus wurden mechanische Methoden wie z. B. Clipping oder Banding vorgeschlagen, die fast alle Patienten vor einer Operation bewahrten (Schmulewitz u. Baillie 2001; Park et al. 2003; Nikolaidis et al. 2001).
31.3
Kurative endoskopische Tumortherapie
31.3.1 Allgemeine Betrachtungen Einer lokalen endoskopischen Resektion im Sinne einer Kuration zugänglich sind Adenome und andere gutartige Polypen, eventuelle submuköse Tumoren und – unter bestimmten Bedingungen – Mukosakarzinome. Bei diesen Tumoren sind resezierende Techniken wie Polypektomie und Mukosektomie lokal ablativen thermischen Verfahren (Laser, Beamer u. a.) generell vorzuziehen, da sie ein histopathologisches Präparat liefern. Für Magenadenome gilt die Adenom-Karzinom-Sequenz wie im Kolon; Ösophagusadenome im distalen Teil sind extrem selten. Methode der Wahl für die Therapie von Adenomen ist die Polypektomie, allerdings sind bei flachen Läsionen Mukosektomietechniken (s. unten) vorzuziehen. Was Magenpolypen insgesamt betrifft, so haben jüngere Daten gezeigt, dass auch bei primär benignen Läsionen wie z. B. hyperplastischen Polypen eine Entfernung angestrebt werden sollte, v. a. wenn sie einzeln auftreten und größer sind, da hier selten (3–5%) fokale Karzinome auftreten können (Muehldorfer et al. 2002). Die Kriterien für eine lokale endoskopische Therapie von Frühkarzinomen kommen hauptsächlich aus operativen und endoskopischen Studien zu Magenfrühkarzinomen aus Japan (Gotoda 2007; Gotoda et al. 2000); erst langsam wächst die westliche Literatur zum frühen Neoplasien. Zwar ist es wahrscheinlich, dass japanische Erfahrungen auf westliche Länder übertragbar sind, hier fehlen aber auch weiterhin große Serien mit Langzeit-Follow-up (z. B. 5 Jahre). Erfahrungen mit fokalen neoplastischen Läsionen (hochgradige intraepitheliale Neoplasie, Mukosakarzinom) beim Barrett-Ösophagus (Ell et al. 2000; May et al. 2002a; Seewald et al. 2008; Pouw u. Bergman 2008) legen nahe, dass die genannten Kriterien auch hierfür zutreffen. Bei Plattenepithelkarzinomen im Ösophagus
gibt es einige Studien aus Japan wie auch westlichen Ländern. Sie zeigen allerdings eine hohe Rate von Submukosainfiltrationen bereits bei Frühkarzinomen mit assoziiertem hohem Risiko für Lymphknotenmetastasierung bereits ab tiefem Mukosabefall (Vieth u. Rösch 2006). Das Hauptziel der endoskopischen Resektion ist die lokale Kuration. Der Primärtumor selbst kann zwar in den meisten Fällen vertikal reseziert werden (R0 basal), auch wenn er bis in die Submukosa reicht, eventuelle Lymphknotenmetastasen können aber auf endoskopischem Weg natürlich nicht angegangen werden. Das Risiko von Lymphknotenmetastasen beträgt im Allgemeinen deutlich weniger als 5% bei Mukosaläsionen, steigt aber deutlich an, wenn der Tumor die Submukosa infiltriert, am meisten bei Plattenepithelkarzinomen (bis zu 30–40%; Ishikawa et al. 2007; Conio et al. 2005). Da endoskopisch keine Lymphadenektomie durchgeführt wird, kann eine endoskopische Resektion daher nur dann kurativ sein, wenn das Risiko einer Lymphknotenmetastasierung sehr gering ist. Diese rein auf die Tumoronkologie bezogene Betrachtungsweise muss in Korrelation zur Patientenbelastung durch eine große Operation gesetzt werden. Indikationsparameter für eine kurative endoskopische Resektion 4 Mukosakarzinome (d. h. keine Submukosainfiltration) 4 Erhabene, flache und leicht eingesenkte TumorWuchsformen, aber kein Tumorulkus 4 Tumorgröße bis 2 cm 4 Histologisch gut (G1) oder mäßig differenzierte (G2) Karzinome 4 Keine Invasion vaskulärer Strukturen (Lymphgefäße L0, Venen V0)
Unter diesen Voraussetzungen liegt das Risiko von Lymphknotenmetastasen unter 3–5% (Tani et al. 2003; Adachi et al. 2002; Pech et al. 2003; Gotoda 2007). Selbstverständlich ist eine Voraussetzung für eine endoskopisch-kurative Therapie die vollständige Resektion (R0-Resektion) des Tumors, und zwar sowohl in der Tiefe wie auch an den seitlichen Resektionsrändern. Über diese klassischen Kriterien hinaus gibt es Versuche, die genannten Parameter weiter zu spezifizieren, z. B. Tumoren >2 cm oder eine minimale Submukosainfiltration (sm1) (Vieth u. Rösch 2006). Es gibt auch größere Daten aus operativen Serien, v. a. von japanischen Magenfrühkarzinomen, die eine solche Vorgehensweise gerechtfertigt erscheinen lassen, doch sind Langzeiterfahrungen insgesamt begrenzt. Beim BarrettÖsophagus ist die niedrige Lymphknoten-Rate bei sm1 umstritten (Manner et al 2008; Ancona et al. 2008; Bollschweiler et al. 2006; Eguchi et al. 2006). Deswegen müssen diese Grenzindikationen wie auch die klassischen oben genannten Indikationen bei jüngeren und gut operablen Patienten interdisziplinär und mit dem Patienten diskutiert werden. Dies ist umso wichtiger, als für Frühkarzinome bestimmter Lokalisationen inzwischen auch limitierte Resektionsverfahren zur Verfügung stehen (Furukawa et al. 2002; Stein et al. 2001).
31
358
Kapitel 31 · Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt
31.3.2 Prinzipien und Techniken der Muko-
sektomie im Gastrointestinaltrakt
31
Für die Mukosektomie existieren mehrere Varianten: 4 Die einfache Schlingenpolypektomie unter Zuhilfenahme der endoskopischen Saugung (um das Lumen zu deflatieren und die Läsion besser in die Schlinge zu bekommen) wird im Kolon angewandt, im oberen Gastrointestinaltrakt wird sie generell als nicht adäquat empfunden. Sie sollte eher Polypektomie als Mukosektomie genannt werden. 4 Die Schlingenresektion nach Submukosainjektion (NaCl-Lösung o. a.) wird hauptsächlich bei der Mukosektomie im suprarektalen Kolon angewandt, weniger im oberen Gastrointestinaltrakt. Sie wird oft Mukosektomie genannt, besser ist allerdings die englische Bezeichnung »saline-assisted polypectomy«. 4 Die Kappenmethode nach Inoue (Tani et al. 2003) ist derzeit die bevorzugte und am weitesten verbreitete Methode (. Abb. 31.6). Hierbei wird nach submuköser Injektion die Läsion in eine durchsichtige Kappe eingesaugt, die sich an der Spitze des Endoskops befindet. In einer Rille an der Spitze dieser Kappe befindet sich eine vorher eingelegte Schlinge, die dann um die eingesaugte Läsion zugezogen wird. So wird ein künstlicher Polyp geschaffen, der mit Diathermiestrom abgetragen wird. 4 Ein ähnlicher Effekt kann mittels Ligatur wie bei der Varizenbehandlung erzielt werden, wobei der durch den Gummiring erzeugte Polyp anschließend mit der Schlinge abgetragen wird. Diese Technik ist weniger weit verbreitet, wurde aber in Studien als eine der Kappenmethode gleichwertige befunden (May et al. 2002b; Abrams et al. 2008). Andere Lösungen zur submukösen Injektion, wie Methylzellulose (Feitoza et al. 2003), Hyaluronsäure (Yamamoto et al. 2002, 2003) oder gelartige Substanzen (Ishizuka et al. 2009), führen zu länger dauernden Flüssigkeitskissen (Fujishiro et al. 2004a, 2004b), sind aber nicht generell im Einsatz, teilweise aus Kostengründen, teilweise wegen Sicherheitsbefürchtungen (Matsui et al. 2004). Mit den oben beschriebenen Methoden können zuverlässig kleinere Läsionen (<1–2 cm) en bloc mit ausreichendem Sicherheitsabstand abgetragen werden. Bei größeren Läsionen hat in der Regel eine Piecemeal-Resektion zu erfolgen, die allerdings eine genaue histologische Beurteilung der Resektionsränder schwierig oder unmöglich macht.
Nach der Mukosektomie müssen die Resektate auf einer Korkplatte mit Nadeln aufgespannt und dann in Formalin fixiert werden. Eine ausreichende gastroenterologische histopathologische Erfahrung ist unabdingbare Voraussetzung zur Beurteilung des Erfolgs der Mukosektomie.
Diagnostische Voraussetzungen. Die Vorhersage der lokalen
Resektabilität ist primär endoskopisch zu treffen, eine entsprechende Erfahrung vorausgesetzt. Beurteilt werden:
a
b . Abb. 31.6a,b. a Magenfrühkarzinom präpylorisch. b Abtragungsfläche mit Sicht auf die Muscularis
4 Lokalisation und technische Erreichbarkeit (schwierige Positionen sind z. B. solche oberhalb der Angulusfalte, an der kleinen Kurvatur oder an der Kardia in Inversion) 4 Größe (teilweise besser zu ermitteln mit Färbeverfahren, v. a. bei Läsionen mit unklaren Außengrenzen) 4 Form (s. oben, Kontraindikation bei Ulzera) 4 Histologie (v. a. Grading, Ermitteln durch endoskopische Biopsie) 4 Infiltrationstiefe Das letzte Kriterium ist schwer alleine endoskopisch zu beurteilen und ein gewisser Prozentsatz von Submukosainfiltrationen kann endoskopisch nicht richtig eingeschätzt werden. Da mit der genauen Bestimmung der Infiltrationstiefe vor der Mukosektomie aber weitere Prozeduren überflüssig würden, ist für diese Fragestellung die Bedeutung des endoskopischen Ultraschalls mit hochfrequenten Minisonden vielfach evaluiert worden. Leider hat sich aber gezeigt, dass eine zuverlässige Differentialdiagnose zwischen mukösen und submukösen Karzinomen nicht möglich ist, und er des-
359 31.3 · Kurative endoskopische Tumortherapie
halb klinisch nicht sinnvoll eingesetzt werden kann (Akahoshi et al. 1998; Kida et al. 1998; Ohashi et al. 1999; Hünerbein et al. 2004; May et al. 2004; Chemaly et al. 2008). Auch die seltenen Mukosakarzinome mit Lymphknotenmetastasen sind bislang endosonographisch nicht eindeutig zu erkennen. So wird es immer wieder vorkommen, dass eine Mukosektomie als »diagnostische Mukosektomie« begonnen wird und die Frage, ob die Mukosektomie kurativ war oder ob eine Operation angeschlossen werden muss, erst nach histopathologischer Begutachtung des Resektats beantwortet werden kann. Im Bestreben, die grundsätzlichen Nachteile einer stückweisen Abtragung eines größeren Tumors zu beheben, wurde ebenfalls aus Japan und vorwiegend für den Magen die endoskopische Submukosa-Dissektion (ESD) eingeführt. Hier wird mit verschieden geformten Messern mit und ohne Isolierspitze die durch Unterspritzung angehobene Läsion umschnitten und dann anschließend von der Unterlage (d. h. von der Muscularis) abpräpariert. Diese technische aufwändigere Prozedur ist mit deutlich längeren Eingriffzeiten und auch einem höheren Blutungs- und Perforationsrisiko (Fujishiro et al. 2006) verbunden, die Erfolgsrate (En-blocund R0-Resektion) ist aber höher als bei der Mukosektomie, vermutlich geht dies mit einer niedrigeren lokalen Rezidivrate einher (Nakamoto et al. 2009; Goto et al. 2009). In dieser Richtung gehen auch erste Studien zu Ösophagusund kolorektalen Neoplasien (Ono et al. 2009; Ishihara et al. 2007; Isomoto et al. 2009; Tamegai et al. 2007; Onozato et al. 2007).
31.3.3 Erfolgsraten und Definitionsprobleme Bei der Definition einer erfolgreichen Mukosektomie sollten mehrere Aspekte in Betracht gezogen werden: 4 Unterschiedliche Relevanz einer vollständigen Resektion bei gutartigen (Adenome) versus bösartigen (Frühkarzinom) Neoplasien 4 Definition des Frühkarzinoms und die der hochgradigen Dysplasie (hier gibt es immer noch Unterschiede zwischen japanischen und westlichen Pathologen, vor kurzem stattgefundene Konsensuskonferenzen werden dazu beitragen, diese zu minimieren) 4 Unmittelbarer technischer Erfolg (gemessen an onkologischen Kriterien wie R0-Resektion mit freien Rändern an der Seite und in der Tiefe, En-bloc-Resektion. Eine komplette Tumorentfernung kann auch in mehreren Stücken (Piecemeal-Resektion) und sogar in mehreren Sitzungen erfolgen, aber die histologische Beurteilung ist dann bei weitem nicht so zuverlässig und die Definition des Kurationserfolgs beruht auf mehreren – vorgeschlagen werden im Allgemeinen zwei – Follow-up-Endoskopien mit jeweils negativen Biopsien; s. o.). 4 Zahl der für die komplette Entfernung des Tumors notwendigen Sitzungen und evtl. zusätzlich eingesetzte Methoden (Laser, Beamer, photodynamische Therapie) 4 Klinischer Langzeiterfolg (tumorfreie Zeit, keine Rezidive, keine Metastasen)
Leider sind die bislang publizierten Studien nicht immer vergleichbar, da nicht alle genannten Parameter in allen Studien zu finden sind. Trotzdem finden sich auch in japanischen Serien Unterschiede in den Erfolgsraten: Eine Übersicht über 1832 japanische Magenkarzinom-Fälle, die bis 1998 veröffentlicht waren, zeigte eine primäre R0-Rate von nur 74%, und nur in 75% konnte eine En-bloc-Resektion erzielt werden. In wieweit beide Kriterien erfüllt waren, ist in dieser Arbeit nicht beschrieben (Kojima et al. 1998). Aber auch in jüngeren japanischen Veröffentlichungen war die R0-Resektionsrate nicht durchgehend höher: In einer Studie an 106 Patienten mit Magenfrühkarzinom wurde eine En-bloc-Resektion nur in 64% der Fälle erreicht. Die R0-Resektion war naturgemäß höher beim En-bloc-Verfahren als bei der Piecemeal-Methode (93 versus 55%; Tanabe et al. 2002). Die erste publizierte Serie aus Wiesbaden mit 64 Barrett-Patienten berichtete über eine hohe klinische Erfolgsrate, aber die R0-Rate wurde nicht erwähnt (Ell et al. 2000), doch schien die primäre R0-Resektionsrate deutlich niedriger zu sein (Vieth et al. 2004). Dass die Raten der En-bloc- und R0-Resektion mit der Rezidivrate korrelieren, zeigte eine japanische Studie anhand des Magenfrühkarzinoms: Hier waren die Rezidivraten bei der inkompletten Resektion höher als bei der kompletten (16 versus 3%) und bei der Piecemeal-Resektion niedriger als bei der En-bloc-Resektion (17 versus 4%; Miyamoto et al. 2002). Die klinischen Erfolgsraten der Mukosektomie (einschließlich wiederholter Sitzungen und zusätzlich angewandter Methoden) scheinen allerdings deutlich höher zu sein und liegen etwa zwischen 90 und 100% (Ell et al. 2000; Tanabe et al. 2002; Pohl et al. 2008; Pouw u. Bergan 2008). Ob dies reelle Erfolgsraten sind oder auch ihnen unterschiedliche Definitionen (hochgradige Dysplasie vs. Adenokarzinom etc.; s. oben) zugrunde liegen, muss noch gezeigt werden. Wie bereits erwähnt, scheinen die Erfolgsparameter bei der ESD deutlich höher zu liegen. Für die weiteren Anwendungen der MukosaresektionsTechniken wird es allerdings wichtig sein herauszufinden, ob die strikte Einhaltung onkologischer Prinzipien (R0/en bloc) bei der endoskopischen Resektion von Magenfrühkarzinomen ebenso gelten wie bei der Chirurgie oder ob diese Prinzipien durch wiederholte Anwendung der Endoskopie und gleichzeitige Anwendung mehrerer endoskopischer Verfahren an Bedeutung verlieren.
31.3.4 Endoskopische Resektion
von submukösen Tumoren Submuköse Tumoren können unterschiedlichen Ursprungs und von unterschiedlicher histologischer Beschaffenheit sein. Ihre histologische Klassifikation hat sich durch die Einführung der gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) geändert (Reichardt et al. 2009). GIST treten im oberen Gastrointestinaltrakt v. a. im Magen auf und haben ein unterschiedliches malignes Potential. Der Langzeitverlauf kleinerer submuköser Tumoren, wenn sie belassen und nachverfolgt werden, ist nur unzureichend bekannt, weshalb kein evidenzbasierter Managementplan vorgegeben werden kann. In der
31
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Kapitel 31 · Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt
Speiseröhre sind kleinere Läsionen (<2 cm) meist gutartig (Leiomyome oder Granularzelltumoren). GIST-Tumoren sind in der Speiseröhre selten, im Magen dagegen häufiger. Als Alternative zu wiederholten endoskopischen oder endosonographischen Langzeitkontrollen könnte deshalb bei kleineren Tumoren (<3 oder <4 cm?), die nicht von der äußeren Muskelschicht ausgehen, eine endoskopische Entfernung erwogen werden. Über die endoskopische Resektion submuköser Tumoren des Magens wie auch des Ösophagus berichten mehrere Fallserien. Hierbei kamen verschiedene Techniken zur Anwendung: die einfache Schlingenresektion, die Abtragung der oberflächlichen Mukosa (Inzision, Kappenmukosektomie) und die Dissektion der Tumoren von der darunter liegenden Muskularis (Waterman et al. 2008; Ponsaing u. Hansen 2007; Rösch et al. 2004; Wehrmann et al. 2004; Higashino et al. 2004; Park et al. 2004; Sun et al. 2004; Hyun et al. 1997; . Abb. 31.7). Die meisten Autoren empfehlen eine vorausgehende Endosonographie (Sun et al. 2002; Takada et al. 1999), um Tumoren, die von der Muscularis ausgehen, von einer endoskopischen Resektion auszuschließen, während andere Autoren sich darum nicht zu kümmern scheinen. Insgesamt werden die Komplikationsraten der endoskopischen Verfahren als niedrig angegeben, Angaben über die komplette (R0-)Resektion und ein wirkliches Langzeit-Follow-up finden sich in den Studien jedoch nicht. Eine neuere Studie berichtete über moderate R0-Resektionsraten, deren Relevanz allerdings nicht vollständig bekannt ist (Rösch et al. 2004). Angesichts des malignen Potentials von GIST-Tumoren sollte jedoch unbedingt eine vollständige Resektion angestrebt werden. Hier sollten vermutlich eher etablierte alternative minimal-invasive Verfahren, die eine zuverlässige Tumorentfernung durch transmurale Resektion gewährleisten, in Betracht gezogen werden (Walsh et al. 2003; Shimizu et al. 2002; Ludwig et al. 2002). Deswegen sollte das Management dieser Tumoren auf Zentren begrenzt sein, die sowohl eine endoskopische wie auch minimal-invasiv chirurgische Expertise vorhalten.
a
31
b
31.3.5 Endoskopische Papillektomie
c . Abb. 31.7a–c. Endoskopische Abtragung eines submukösen benignen GIST aus dem Magen: Endoskopische Darstellung eines flachen submukösen Tumors (a), der endosonographisch in der Submukosa liegt (b). Zustand nach Ausschälung mit Clip auf einem Gefäß, das geblutet hat (c)
Über die endoskopische Schlingenabtragung von Papillenadenomen gibt es zahlreiche, meist kleinere Studien (Schember et al. 2009; Kim et al. 2009; Hernandez u. Catalano 2008; Cheng et al. 2004; Catalano et al. 2004; Norton et al. 2002; Binmoeller et al. 1993; Saurin et al. 2003; Heidecke et al. 2002; Yang et al. 1994; Oguro et al. 1994; Lambert et al. 1988; Eisen 2003; Wang et al. 1999; . Abb. 31.8). In fast allen Studien wurde initial und zumeist auch im Langzeit-Follow-up von guten Erfolgsraten bei niedriger Komplikationsrate berichtet. Nach der Papillektomie sollte die Offenheit des Pankreasgangs sichergestellt sein; viele Autoren empfehlen die temporäre Platzierung eines dünnkalibrigen Stents für einige Tage. Jüngere Publikationen zeigen allerdings eine höhere Rezidivrate (Catalano et al. 2004) sowie eine hohe Rezidiv- und Malignomrate bei Adenomen mit hochgradiger Dysplasie (Heidecke et al. 2002; Kim et al. 2009). Deswegen hat der initiale Enthusiasmus etwas nachgelassen und Papillektomien sollten auf kleinere Läsionen und solche mit nur niedrig-
361 31.3 · Kurative endoskopische Tumortherapie
31
b
a
. Abb. 31.8a–c. Papillektomie bei 2 cm großem Papillenadenom (a), das mit der Schlinge gefasst (b) und abgetragen wird. c Abtragungsfläche
c
gradiger Dysplasie beschränkt bleiben. Eine exakte Grenzgröße kann jedoch nicht angegeben werden. Es erscheint aber wahrscheinlich, dass auch größere Adenome ohne hochgradige Dysplasie sicher endoskopisch entfernt werden können. Bei Risikopatienten können auch vollständig abgetragene Adenome mit hochgradiger Dysplasie nachbeobachtet werden.
Im Falle eines Frühkarzinoms gilt die Papillektomie nicht mehr als kurative Methode. Hier muss eine Whipple-Resektion durchgeführt werden.
Wie auch in anderen Gebieten ist ein interdisziplinäres Vorgehen von großer Bedeutung.
31.3.6 Lokale thermische Ablationsmethoden Als Behandlungsinstrumentarien für frühe Neoplasien, v. a. bei inkomplett resezierten Adenomen, Mukosakarzinomen in Ösophagus und Magen sowie Papillenadenomen wurden auch Laser und Argon-Beamer vorgeschlagen (die deutlich teurere Alternative der photodynamischen Therapie wurde außerhalb des Barrett-Ösophagus bislang noch nicht angewandt). Einige Studien berichteten über die erfolgreiche primäre Anwendung dieser Techniken anstelle von resezierenden Verfahren (Yang et al. 1994; Oguro 1994; Lambert et al. 1988). Nach unserer Meinung sollte aus den bereits erwähnten Gründen (histopathologisches Präparat) resezierenden Verfahren der Vorzug vor thermoablativen Methoden gegeben werden. Auch als Zusatztherapien zur Resektion bei inkomplett abgetragenen
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Kapitel 31 · Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt
Läsionen sollten die Methoden diskutiert werden, vorwiegend für nichtoperable Patienten. Ein anderes Problem allerdings stellt der Barrett-Ösophagus dar, bei dem fokale Läsionen mukosektomiert wurden. Hier ist die fokale Läsion entweder die einzige gewesen – man kann allerdings davon ausgehen, dass der restliche BarrettÖsophagus auch ein erhöhtes Entartungspotenzial in Zukunft darstellt –, oder es liegen ohnehin mehrere Läsionen vor, die eine großflächige oder totale Barrett-Ablation nötig machen. Noch schwieriger ist die Situation bei multiplen fokalen Läsionen, wie z. B. bei Dysplasien oder Frühkarzinomen. Als valide Alternative zur Chirurgie müsste sich auch endoskopisch die vollständige Entfernung des Barrett-Ösophagus anbieten. Einige Studien zeigten, dass die totale endoskopische Barrett-Ablation mittels thermischer Methoden nur begrenzt erfolgreich ist: In 10–50% der Fälle wurde zurückgelassenes Barrett-Gewebe gefunden (Eisen 2003; Wang 1999). Zur totalen endoskopischen Mukosektomie des Barrett-Ösophagus, die hier das Verfahren der Wahl wäre, gibt es nur kleine Studien (Pouw et al. 2008; Seewald et al. 2008; Seewald et al. 2003; Giovannini et al. 2004), und es scheint, als ob die hohen Erfolgs- und niedrigen Komplikationsraten dieser initialen Serien reproduzierbar sind (Pouw u. Bergman 2008). Die Endotherapie des Barrett-Ösophagus und seiner Komplikationen sollte in Zentren mit Expertise sowohl endoskopischer wie auch chirurgischer Techniken durchgeführt werden. In den letzten Jahren hat sich die Radiofrequenzablation einen Platz im Management des neoplastischen Barrett-Ösophagus erobert, was durch mehrere jüngst veröffentlichte Studien untermauert wird (Shaheen et al. 2009; Fleischer et al. 2008; Ganz et al. 2008); die Grenzen liegen aufgrund der begrenzten Eindringtiefe bei sichtbaren fokalen Neoplasien und Frühkarzinomen. Das Konzept einer kombinierten fokalen Resektion mit anschließender Radiofrequenzablation des verbliebenen Barrett-Ösophagus erscheint vielversprechend (Pouw et al. 2009; Gondrie et al. 2008a; Gondrie et al. 2008b). Die genaue Zahl der Sitzungen wie auch die offenbar sehr niedrige Rate an Akutkomplikationen wie auch verbliebenen (auch subepithelialen) Barrett-Inseln (Pouw et al. 2009) muss sich allerdings erst in Langzeitstudien beweisen.
31.4
Endoskopische Tumorpalliation im oberen Gastrointestinaltrakt
Das häufigste Problem bei Malignomen des oberen Gastrointestinaltrakts ist die maligne Dysphagie. Für diese Indikation gilt allgemein die endoskopische Stent-Einlage mit selbstexpandierenden Metall-Stents (. Abb. 31.9) als die Methode der Wahl. Mehrere randomisierte Studien haben klar gezeigt, dass Metall-Stents mit geringerer Komplikationsrate zu legen sind als Plastiktuben, bei deutlicher Reduktion der initialen Komplikationsrate (Knyrim et al. 1993; De Palma et al. 1996; Roseveare et al. 1998; O‘Donnell et al. 2002). Aus diesem Grund haben heutzutage Metall-Stents die Plastiktuben in der klinischen Praxis weitgehend ersetzt. Im Langzeitverlauf scheinen beide Stent-Typen ähnliche Dysfunktionsraten aufzuweisen.
a
b . Abb. 31.9a,b. Metall-Stents in situ. a Nitinol-Stent (UltraflexStent) partiell ummantelt mit Zugfaden. b Komplett ummantelter Metall-Stent mit Zugfaden (Choo-Stent)
Bei Malignomen ist der Einsatz ummantelter Stents die bevorzugte Methode (Mougey u. Adler 2008; Nathwani u. Kowalski 2007; Vakil et al. 2001). Allerdings ist der optimale Stent-Typus, der in allen Lokalisationen und Situationen mit gleicher Effizienz eingesetzt werden kann, noch nicht gefunden. Vergleichsstudien über die verschiedenen kommerziell erhältlichen Stents konnten bislang keine wesentlichen Unterschiede zeigen, vermutlich hauptsächlich aufgrund der begrenzten Patientenzahl (Siersema et al. 2001). Langzeitkomplikationen wie Tumoreinwachsen (bei einigen Stent-Typen z. B. in die proximalen und distalen, nicht ummantelten Teile), Tumorüberwachsen, Stent-Migration, Bildung von Fisteln und Bolusobstruktion sind die hauptsächlichen Komplikationen und treten, abhängig von der Le-
363 31.5 · Verschiedene Verfahren
benserwartung der Patienten, in 20–50% der Fälle auf. Diesen Komplikationen kann in der Regel endoskopisch begegnet werden. Blutung und Stent-Perforation sind allerdings schwerwiegende Komplikationen, die wesentlich schwieriger zu handhaben sind und in ein chirurgisches Eingreifen erfordern können; die Mortalitätsrate ist hier deutlich höher (Kozarek 2003; Homs et al. 2004a). Einige spezielle Situationen, bei denen die Stent-Einlage zum Einsatz kommt, sollen im Folgenden separat diskutiert werden: 4 Proximale Tumorlokalisation (Macdonald et al. 2000): Eine Minimaldistanz von 1–2 cm zwischen proximalem Tumorrand und oberem Ösophagussphinkter gilt generell als Grenze für eine mögliche Stent-Einlage. Die Miteinbeziehung des oberen Ösophagussphinkters bei sehr weit proximalen Tumoren in den Stent ist in der Regel klinisch nicht oder weniger effektiv. 4 Distale Tumoren, die über die Kardia wachsen: Eine Stent-Einlage ist bei diesen häufigen Tumoren nur sinnvoll, wenn diese nicht zu weit distal in den Magen reichen, also v. a. bei Kardiakarzinomen vom Typ I und II. Bei proximalen Magenkarzinomen, die den distalen Ösophagus involvieren, besteht die Gefahr, dass der Stent distal im Tumor endet und die Passage nicht gewährleistet ist. Auch in Fällen, wo der Befall des distalen Ösophagus sehr kurz ist, ist die Stent-Einlage nicht so günstig, da hier eine erhöhte Migrationsgefahr besteht. 4 Reflux bei distalen Tumoren: Die Komplikation eines gelegentlich unangenehmen Refluxes ist in der Regel durch mehrere kleine Mahlzeiten und die Einnahme von PPI unter Kontrolle zu halten. Stents mit einer Antirefluxklappe wurden zwar entwickelt, haben sich bislang aber nicht als ausreichend effektiv erwiesen (Homs et al. 2004b). 4 Atemwegskompression bei Tumoren der proximalen Ösophagushälfte: Bei weit fortgeschrittenen Tumoren, die außerhalb des Ösophagus in Richtung Trachea wachsen, könnte eine Dilatation oder Stent-Einlage zu einer Tumorverschiebung und zu erhöhtem Druck auf die Trachea führen, was im Extremfall zu akuter Atemnot mit der Notwendigkeit einer Notfallintubation führen kann. Um eine solche Komplikation einschätzen zu können, sollten Endosonographie und/oder CT die Ausdehnung des Tumors in Richtung Trachea und die Einbeziehung der Trachea festlegen. Im Zweifelsfall sollte vor Einlage des Ösophagus-Stents eine Bronchoskopie und ggf. eine TrachealStent-Implantation erfolgen. 4 Fisteln: Fisteln, die entweder spontan oder nach (Radio-/ Chemo-)Therapie im oder oberhalb des Karzinoms auftreten, können in der Regel durch ummantelte selbstexpandierende Stents effizient behandelt werden. Wichtig ist es, eine ausreichende Weite des proximalen Stent-Endes zu erreichen und den Stent ausreichend weit proximal zu platzieren, um die Fistel suffizient abzudichten (Ross et al. 2007; Messman et al. 2004; Kozarek 2003). 4 Stent-Einlage nach Radio-/Chemo-Therapie: Die meisten Studien (es gibt in der Tat Ausnahmen) berichten über eine erhöhte Komplikationsrate bei Stent-Einlage nach Radio-/Chemotherapie (Wong et al. 2008; Siddiqui et al.
2007; Iraha et al. 2006; Kinsman et al. 1996; Kaneko et al. 2002; Raijman et al. 1997). Deswegen ist hier erhöhte Vorsicht angebracht. Eine Stent-Entfernung ist bei Malignomen selten erforderlich, ist aber ein Thema bei der Mehrzahl von Stent-Platzierungen bei benignen Strikturen, wobei die Stent-Einlage hier nur eine Reservemethode darstellt (Yoon et al. 2004; Wadhwa et al. 2003; Low u. Kozarek 2003). Die Laserpalliation wird in einigen Zentren immer noch als Alternative zur Einlage von Metall-Stents angewandt und hat sicherlich noch ihre Berechtigung bei kurzen Tumorstrikturen und ggf. an der Kardia. Das Verfahren hat eine niedrige Komplikationsrate, muss jedoch in regelmäßigen Abständen, meist alle 4–6 Wochen wiederholt werden (Aly u. Burgess 2002; Bourke et al. 1996). In randomisierten Studien, in denen die Laserpalliation mit (Konigsrainer et al. 2000) und ohne begleitende Radiotherapie untersucht wurden (Dallal et al. 2001), erwiesen sich Stents der Laserpalliation als überlegen. Andere Therapieinstrumentarien wie der Argon-Beamer können ebenfalls eingesetzt werden (van Laethem 1999), wobei hier die Erfahrungen noch begrenzt sind. Die photodynamische Therapie hat sich als generell nicht überlegen erwiesen (Luketich et al. 2000; Lightdale et al. 1995). Eine randomisierte Studie zeigte, dass die Brachytherapie (interne Bestrahlung) im Vergleich zu den Stents zwar nicht effektiver, aber billiger und mit weniger Komplikationen verbunden ist (Homs et al. 2004c). Stents können auch bei Magenausgangsstrikturen aufgrund eines distalen Magenkarzinoms, eines Duodenal- oder Pankreaskarzinoms oder bei Anastomosenrezidiv nach Operationen platziert werden. Bei der malignen Magenausgangsstenose wurden technische und klinische Erfolgsraten von etwa 90% und 80–85% berichtet, wobei die Komplikationsraten <5% lagen (Larssen et al. 2009; Phillips et al. 2008; Dormann et al. 2004). Die Mehrzahl der Stents ist nicht ummantelt, u. a. um bei längerer Ausdehnung Probleme mit der Papille zu vermeiden. Das Tumoreinwachsen bleibt also ein Problem, zumindest bei längerem klinischem Verlauf. Retrospektive nicht randomisierte Studien, die Stent und chirurgische Gastroenterostomie verglichen, haben gezeigt, dass beide Methoden in etwa gleichwertig sind (Jeurnink et al. 2007; Nuzzo et al. 2004). Eine prospektiv randomisierte Studie gibt es bislang noch nicht.
31.5
Verschiedene Verfahren
31.5.1 Perkutane endoskopische Gastrostomie Eine enterale Ernährung kann durch nasogastrische Ernährungssonden, eine chirurgische Gastrostomie bzw. Enterostomie oder durch die perkutan endoskopische Platzierung von Ernährungssonden im Magen (PEG), oder gelegentlich im Dünndarm (perkutane endoskopische Jejunostomie, PEJ) erfolgen. Die PEG als weitaus häufigstes Verfahren ist indiziert bei Patienten mit hochgradigen laryngoösophagealen Strikturen (gut- oder bösartig) und bei Schluckstörungen meist
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Kapitel 31 · Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt
neurologischen Ursprungs. Weil die Erfolgsraten mit 95% hoch und die Komplikationsraten (hauptsächlich lokale Infektion der PEG-Eintrittsstelle) mit 5–10% niedrig sind, hat die PEG die oben genannten Alternativen in der Langzeiternährung weitgehend ersetzt (Galaski et al. 2009; Schroder et al. 2004). Aufgrund der lokalen Infektion wird gemeinhin eine Antibiotikaprophylaxe empfohlen: Eine Metaanalyse von 7 randomisierten kontrollierten Studien zeigte, dass die Antibiotikaprophylaxe das relative und absolute Risiko der Wundinfektion um 73% und 17,5% erniedrigt. Die notwendige Fallzahl an Behandlungen zur Vermeidung einer Wundinfektion war 5,7 (Evrard et al. 2003). Auch nach dieser Metaanalyse publizierte randomisierte Studien bestätigten diese Resultate (Ishioka et al. 1995; Mulder et al. 2001; Lipp u. Kusardi 2009). Die häufigste PEG-Technik ist die Pull-Technik, bei der das Magenlumen unter endoskopischer Kontrolle (einschließlich Transillumination) punktiert wird und ein perkutan eingeführter Faden mit dem Endoskop beim Mund herausgezogen wird. Ein an diesem Faden festgemachter PEG-Katheter wird anschließend perkutan herausgezogen, und der Katheter wird von einer inneren Halteplatte am Magen fixiert. Als Alternative wird gelegentlich die sog. Push-Technik verwendet, die allerdings in der Primäranlage schwieriger ist und ihr Haupteinsatzgebiet beim PEG-Wechsel hat. Neuere Techniken haben durch eine temporäre Fixierung des Magens an der Bauchwand diese Technik erheblich leichter gemacht (Campoli et al. 2009; Shastri et al. 2008). Hier ist nur noch eine endoskopische Kontrolle mit einem sehr dünnen Endoskop ausreichend. Vorsicht ist bei der Anwendung der PEG ist bei proximalen Ösophagus- oder laryngopharyngealen Karzinomen angeraten, v. a. bei fortgeschrittenem Tumorwachstum und vorheriger Radio-/Chemo-Therapie. In diesen Fällen können Manipulationen wie Endoskoppassage und PEG-Durchzug zu einer Atemwegskompression mit fatalen Folgen führen, zumal hier auch die Intubation äußerst schwierig sein kann. Über eine Tumorzellverschleppung in den Stichkanal wurde vereinzelt berichtet (Tsai u. Schattner 2008; Cappell et al. 2008; Siddiqui et al. 2008), sodass bei präoperativer PEG-Anlage in potentiell kurativen Fällen wie auch bei den oben erwähnten fortgeschrittenen Tumorstadien tatsächlich die modifizierte Push-Technik erwogen werden sollte. Kontraindikationen zur PEG-Anlage 4 4 4 4 4 4 4 4
Peritonealkarzinose Aszites Fehlende Diaphanoskopie durch die Endoskopie Schwerwiegende Gerinnungsstörungen Peritonitis Magenausgangsstenose Anorexia nervosa Deutlich eingeschränkte Lebenserwartung (<4 Wochen)
a
b . Abb. 31.10a,b. Endoskopische Stegspaltung bei Zenker-Divertikel durch Argon-Beamer-Koagulation (a) oder Nadelmesser (b)
31.5.2 Endotherapie von Zenker-Divertikeln Die endoskopische Behandlung der proximalen Dysphagie bei Patienten mit Zenker-Divertikel besteht in der Durchtrennung des Septums zwischen Divertikel und Ösophaguslumen. In dem Septum findet sich unter der Mukosa der M. cricopharyngeus. Durch die Spaltung des Septums ergibt sich ein erweitertes Lumen vom Divertikel zum Ösophagus (. Abb. 31.10). Speisen können hierdurch leichter in das Ösophaguslumen rutschen. Sowohl Schneidetechniken mit einem Nadelmesser als auch Argon-Beamer-Koagulation haben sich, einzeln oder in Kombination eingesetzt, als erfolgreich erwiesen, wobei erstere sich durch eine niedrigere Eingriffszahl auszuzeichnen scheinen (Ferreira et al. 2008; Christiaens et al. 2007; Costamagna et al. 2007; Rabestein et al. 2007; Vogelsang et al. 2007; Evrard et al. 2003; Ishioka et al. 1995; Mulder et al. 2001; Hashiba et al. 1999). Berichte über Rezidivraten und Langzeitergebnisse sind noch selten. Nicht zuletzt deswegen ist ein Vergleich mit den chirurgischen Techniken schwierig.
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31.5.3 Endoskopische Therapie der gastro-
ösophagealen Refluxkrankheit Ein initial großer Enthusiasmus in Richtung Endotherapie der Refluxkrankheit hat zur Entwicklung verschiedener Techniken geführt, die alle auf dem Prinzip basieren, den unteren Ösophagussphinkter artifiziell zu verstärken. Die Techniken der ersten Anwendungsrunde bestanden aus Nähverfahren (Endocinch) sowie der Anwendung von Radiofrequenzenergie-(Stretta-), Injektions-(Enteryx-) und Implantations(Gatekeeper-)Verfahren. Initiale, in der Regel unkontrollierte Serien berichteten über ein gutes klinisches Ansprechen mit unterschiedlichen objektiven Daten (pH-Metrie oder Manometrie; Jafri et al. 2009). Diese Diskrepanz zwischen möglichem klinischen und fehlendem objektiven Ansprechen wurde in einigen randomisierten Studien bestätigt (Corley et al. 2003; Deviére et al. 2005; Rothstein et al. 2004). Dies und einzelne schwere Komplikationen führten zum fast vollständigen Verschwinden dieser Techniken. Verfahren der nächsten Runde versuchten dagegen, durch endoluminale Nahttechniken eine Fundoplikatio zumindest teilweise nachzuahmen. Mit dem sog. NDO-Plikator konnte in einer großen randomisierten Sham-kontrollierten Studie neben einem verbesserten klinischen Ansprechen auch ein objektiver Effekt nachgewiesen werden (Deviere et al. 2006), doch konnte sich die Firma nicht halten. Ergebnisse der sog. endoluminale Fundoplikatio (ELF) oder transorale inzisionslose Fundoplicatio (TIF) gibt es bislang nur aus unkontrollierten Serien (Cadiere et al. 2008; Deviere et al. 2008), von denen die bislang größte zwei proximale Ösophagusperforationen enthielt (Deviere et al. 2008), eine randomisierte Studie ist nicht in Sicht. Deswegen kann bislang keine dieser Techniken für den klinischen Routineeinsatz empfohlen werden. Literatur Abrams JA, Fedi P, Vakiani E, Hatefi D, Remotti HE, Lightdale CJ (2008) Depth of resection using two different endoscopic mucosal resection techniques. Endoscopy 40(5): 395–9 Adachi Y, Shiraishi N, Kitano S (2002) Modern treatment of early gastric cancer: review of the Japanese experience. Dig Surg 19: 333–339 Akahoshi K, Chijiwa Y, Hamada S, Sasaki I, Nawata H, Kabemura T, Yasuda D, Okabe H (1998) Pretreatment staging of endoscopically early gastric cancer with a 15 MHz ultrasound catheter probe. Gastrointest Endosc 48 (5): 470–476 Aljebreen AM, Fallone CA, Barkun AN (2004) Nasogastric aspirate predicts high-risk endoscopic lesions in patients with acute upper-GI bleeding. Gastrointest Endosc (2): 172–178 Altintas E, Kacar S, Tunc B, Sezgin O, Parlak E, Altiparmak E, Saritas U et al. (2004) Intralesional steroid injection in benign esophageal strictures resistant to bougie dilation. J Gastroenterol Hepatol 19 (12): 1388–1391 Aly EA, Burgess P (2002) Use of laser in the relief of malignant dysphagia: a district hospital experience. Dig Surg 19 (1): 3–8 Ancona E, Rampado S, Cassaro M, Battaglia G, Ruol A, Castoro C, Portale G, Cavallin F, Rugge M (2008) Prediction of lymph node status in superficial esophageal carcinoma. Ann Surg Oncol 15(11): 3278–88
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Kapitel 31 · Endoskopische Therapieverfahren im oberen Gastrointestinaltrakt
Shaheen NJ, Sharma P, Overholt BF, Wolfsen HC, Sampliner RE, Wang KK, Galanko JA, Bronner MP, Goldblum JR, Bennett AE, Jobe BA, Eisen GM, Fennerty MB, Hunter JG, Fleischer DE, Sharma VK, Hawes RH, Hoffman BJ, Rothstein RI, Gordon SR, Mashimo H, Chang KJ, Muthusamy VR, Edmundowicz SA, Spechler SJ, Siddiqui AA, Souza RF, Infantolino A, Falk GW, Kimmey MB, Madanick RD, Chak A, Lightdale CJ (2009) Radiofrequency ablation in Barrett’s esophagus with dysplasia. N Engl J Med 28;360(22): 2277–88 Shastri YM, Hoepffner N, Tessmer A, Ackermann H, Schroeder O, Stein J (2008) New introducer PEG gastropexy does not require prophylactic antibiotics: multicenter prospective randomized double-blind placebo-controlled study. Gastrointest Endosc 67(4): 620–8 Shimizu S, Noshiro H, Nagai E, Uchiyama A, Mizumoto K, Tanaka M (2002) Laparoscopic wedge resection of gastric submucosal tumors. Dig Surg 19 (3): 169–173 Siddiqui AA, Loren D, Dudnick R, Kowalski T (2007) Expandable polyester silicon-covered stent for malignant esophageal strictures before neoadjuvant chemoradiation: a pilot study. Dig Dis Sci 52(3): 823–9 Siddiqi AM, Hamilton RD, Minocha A (2008) Malignant seeding of percutaneous endoscopic gastrostomy tract in patient with head and neck cancer. Am J Med Sci 336(3): 291–2 Siersema PD, Hop WC, van Blankenstein M, van Tilburg AJ, Bac DJ, Homs MY, Kuipers EJ (2001) A comparison of 3 types of covered metal stents for the palliation of patients with dysphagia caused by esophagogastric carcinoma: a prospective, randomized study. Gastrointest Endosc 54 (2): 145–153 Siersema PD (2008) Treatment options for esophageal strictures.Nat Clin Pract Gastroenterol Hepatol 5(3): 142–52 Siersema PD (2009) Stenting for benign esophageal strictures. Endoscopy 41(4): 363–73 Singh P, Pooran N, Indaram A, Bank S (2002) Combined ligation and sclerotherapy versus ligation alone for secondary prophylaxis of esophageal variceal bleeding: a meta-analysis. Am J Gastroenterol 97 (3): 623–629 Stein HJ, Feith M, Siewert JR (2001) Distale Ösophagusresektion und Jejunuminterposition beim Barrett-Frühkarzinom. Zentralbl Chir 126 [Suppl 1]: 9–13 Sun S, Wang M, Sun S (2002) Use of endoscopic ultrasound-guided injection in endoscopic resection of solid submucosal tumors. Endoscopy 34 (1): 82–85 Sun S, Jin Y, Chang G, Wang C, Li X, Wang Z (2004) Endoscopic band ligation without electrosurgery: a new technique for excision of small upper-GI leiomyoma. Gastrointest Endosc 60 (2): 218– 222 Sung JJ, Tsoi KK, Lai LH, Wu JC, Lau JY (2007) Endoscopic clipping versus injection and thermo-coagulation in the treatment of non-variceal upper gastrointestinal bleeding: a meta-analysis. Gut 56(10): 1364–73 Takada N, Higashino M, Osugi H, Tokuhara T, Kinoshita H (1999) Utility of endoscopic ultrasonography in assessing the indications for endoscopic surgery of submucosal esophageal tumors. Surg Endosc 13 (3): 228–230 Tamegai Y, Saito Y, Masaki N, Hinohara C, Oshima T, Kogure E, Liu Y, Uemura N, Saito K (2007) Endoscopic submucosal dissection: a safe technique for colorectal tumors. Endoscopy 39(5): 418–22 Tanabe S, Koizumi W, Mitomi H, Nakai H, Murakami S, Nagaba S, Kida M et al. (2002) Clinical outcome of endoscopic aspiration mucosectomy for early stage gastric cancer. Gastrointest Endosc 56 (5): 708–713
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32 32
Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie U. Zech, P.P. Nawroth, T. Schilling
32.1
Einführung
32.2
Genese der Mangelernährung bei Tumorpatienten
32.2.1 32.2.2
Anorexie – 372 Stoffwechselveränderungen bei Tumorerkrankungen
32.3
Erfassung des Ernährungszustandes
32.3.1 32.3.2 32.3.3
Screening – 373 Laborparameter zur Bestimmung der Mangelernährung Weitere Diagnostik der Mangelernährung – 374
32.4
Postaggressionssyndrom/Postaggressionsstoffwechsel
32.5
Immunonutrition
32.5.1 32.5.2 32.5.3 32.5.4
Glutamin – 377 Arginin – 377 ω-3-Fettsäuren: – 377 Vitamine und Spurenelemente
32.6
Praxis der perioperativen Ernährung
32.6.1 32.6.2
Präoperative Ernährung – 378 Postoperative Ernährungstherapie
32.7
Klinische und laborchemische Überwachung der künstlichen Ernährung – 383 Literatur
– 372
– 384
– 372
– 372
– 373 – 373
– 375
– 376
– 378
– 378
– 381
372
Kapitel 32 · Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie
> Der aktuelle Ernährungsstatus und die perioperative Ernährungstherapie sind von hoher prognostischer Bedeutung für den Erfolg chirurgischer Eingriffe, auch und gerade bei Patienten mit Tumorerkrankungen. Trotzdem wird die Relevanz der perioperativen ernährungsmedizinischen Betreuung immer noch unterschätzt. In den meisten Fällen ist die Mangelernährung Folge einer Grunderkrankung. Der ungewollte Gewichtsverlust ist bei malignen Erkrankungen oft das erste Symptom, bei bis zu 75% der Tumorpatienten liegt präoperativ eine Mangelernährung vor (Stratton et al. 2003). In der klinischen Praxis wird eine vorbestehende Mangelernährung oft übersehen, da für die Diagnose der Mangelernährung nicht der aktuelle Body-Mass-Index ausschlaggebend ist, sondern der Gewichtsverlauf in einem definierten Zeitraum, d. h. dass auch normal- und übergewichtige Patienten mangelernährt sein können. Aufgabe der Ernährungsmedizin ist die Diagnose und Behandlung der präoperativ bestehenden Mangelernährung und die Aufrechterhaltung der postoperativen Nährstoffzufuhr. Eine optimale perioperative Ernährungstherapie erfordert die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von Chirurgie, Anästhesie, Intensiv- und Ernährungsmedizin.
32
32.1
Einführung
Das Ergebnis chirurgischer Eingriffe wird von dem Auftreten postoperativer Komplikationen, wie nosokomialen Infektionen, Wundheilungsstörungen, respiratorischer Insuffizienz und letztlich der Mortalitätsrate entscheidend mitbestimmt. In zahlreichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens derartiger Komplikationen in hohem Maße mit dem präoperativen Ernährungszustand korreliert (Messner et al. 1991; Reilly, Jr. et al. 1988).
Folgen einer Mangelernährung bei Tumorpatienten 4 Verkürzung der Überlebenszeit 4 Erhöhte Mortalität perioperativ 4 Verstärkte Nebenwirkung von Therapien 4 Eingeschränkte Therapieoptionen 4 Verminderte Lebensqualität
Durch perioperative enterale und/oder parenterale Ernährung kann grundsätzlich ein bestehende Nährstoffmangel weitgehend ausgeglichen werden. Voraussetzung für die Behandlung der Mangelernährung ist ihre zuverlässige Diagnose. Mangelernährung ist ein sehr häufiges Symptom bei Tumorerkrankungen (. Tab. 32.1). In einer Multicenterstudie, in der 1886 Patienten konsekutiv bei stationärer Aufnahme gescreent wurden, wurde bei 38% der Patienten mit Tumorerkrankung eine Mangelernährung nachgewiesen (Pirlich et al. 2006). Dewys et al. konnten zeigen, dass bei 31–87% der Tumorpatienten bereits bei Diagnosestellung ein Gewichtsverlust vorlag, 16% der Patienten sind bereits bei Diagnosestellung schwer mangelernährt (Dewys et al. 1980).
. Tab. 32.1. Häufigkeit der Mangelernährung bei Tumorpatienten (Stratton et al. 2003)
Tumorentität
Mangelernährung
Pankreas
Bis zu 85%
Gastrointestinal
Bis zu 80%
Kopf-Hals
Bis zu 67%
Magen
Bis zu 65%
Ösophagus
Bis zu 57%
Lunge
Bis zu 46%
Kolorektal
Bis zu 33%
Gynäkologisch
Bis zu 15%
Urologisch
9%
32.2
Genese der Mangelernährung bei Tumorpatienten
Die Mangelernährung bei Tumorpatienten ist einerseits Folge einer verminderten Nahrungszufuhr (Anorexie), andererseits das Resultat von paraneoplastischen Stoffwechselveränderungen, die durch die Tumorerkrankung entstehen (. Abb. 32.1).
32.2.1 Anorexie Eine Anorexie liegt vor, wenn die aktuelle Nahrungszufuhr unter 80% des eigentlichen Energiebedarfes liegt. Subjektiv klagen die Patienten über Völlegefühl, Inappetenz, vorzeitiges Sättigungsgefühl und Widerwillen gegen verschiedene Speisen, insbesondere gegen Fleisch. Die Ursachen für die Anorexie bei Tumorpatienten sind vielfältig: Stenosen im Gastrointestinaltrakt machen rein mechanisch eine suffiziente Nahrungszufuhr unmöglich, häufig liegen Geschmacksstörungen vor. Angst, Schmerzen und Depression führen ebenso wie diagnostische (z. B. Nüchternphasen vor endoskopischen Untersuchungen) und therapeutische Maßnahmen (Übelkeit, Diarrhö, Erbrechen bei Chemotherapie, Mukositis bei Radiatio) zu verringerter Nahrungsaufnahme.
32.2.2 Stoffwechselveränderungen
bei Tumorerkrankungen Wie nach akuten Traumata, Operationen oder bei entzündlichen Erkrankungen (Sepsis, SIRS) kommt es im Verlauf von Tumorerkrankungen zu Stoffwechselveränderungen (Aggressionsstoffwechsel), die im Wesentlichen durch einen erhöhten Abbau des Muskelproteins mit gesteigerter Glukoneogenese, durch eine gesteigerte Lipolyse und durch eine Insulinresistenz gekennzeichnet sind. Grundsätzlich entsprechen
373 32.3 · Erfassung des Ernährungszustandes
. Abb. 32.1. Pathophysiologie der Mangelernährung. (Nach Nitenberg u. Raynard 2000)
diese Stoffwechselveränderungen der katabolen Flowphase im Aggressionsstoffwechsel (s. unten). Der Schweregrad der Veränderungen ist sowohl interindividuell als auch intraindividuell in verschiedenen Erkrankungsstadien sehr unterschiedlich. Zusätzlich kommt es mit dem Abbau von Muskelprotein zu einer Zunahme der Extrazellulärflüssigkeit bei gleichzeitiger Verminderung der Intrazellulärflüssigkeit. Auslöser dieser Stoffwechselveränderungen sind u. a. hormonelle Veränderung und die Ausschüttung verschiedener Zytokine (7 Kap. 32.4). Vom Tumor sezernierte Substanzen, wie der »proteolysis-inducing factor« (PIF) und der »lipidmobilizing factor« (LMF) tragen ebenfalls zu den genannten katabolen Stoffwechselveränderungen bei.
32.3
Erfassung des Ernährungszustandes
32.3.1 Screening
hand des SGA (»Subjective Global Assessment«; Detsky et al. 1987) bzw. des durch die ESPEN (European Society of Parenteral and Enteral Nutrition) etablierten NRS (»Nutrition Risk Score« 2002) bewährt (Kondrup et al. 2002). Die jeweiligen Screening-Bögen können über die Homepage der DGEM (www.DGEM.de) oder der »Arbeitsgemeinschaft der klinischen Ernährung AKE (www.ake-nutrition.at) bezogen werden. SGA. Der SGA erfasst den Gewichtsverlust, die aktuelle Nah-
rungszufuhr im Vergleich zur üblichen Nahrungszufuhr, das Vorhandensein von gastrointestinalen Symptomen, die Leistungsfähigkeit und den durch die Grunderkrankung bedingten geschätzten Bedarf. Die Zuordnung in die Gruppe A (keine Zeichen einer Mangelernährung), B (mäßig mangelernährt bzw. mit Verdacht auf Mangelernährung) oder C (schwere Mangelernährung) erfolgt durch die subjektive Bewertung des Untersuchers.
Cave
NRS. Der NRS ist in ein Vor- und Hauptscreening unterteilt.
Ein häufiger Fehler ist, dass die Mangelernährung nur mit starkem Untergewicht, d. h. einem BMI <18,5 kg/m² (nach WHO-Definition der Kachexie) gleichgesetzt wird. Viel wichtiger als der aktuelle BMI ist aber die Dynamik der Gewichtsabnahme. Eine Mangelernährung ist bereits durch einen relevanten, unbeabsichtigten Gewichtsverlust infolge einer Erkrankung definiert. Daher können auch Normaloder sogar Übergewichtige mangelernährt sein.
Wird eine Frage des Vorscreenings (Gewichtsverlust? Aktuell verminderte Nahrungszufuhr? Schwere Erkrankung?) mit »ja« beantwortet, folgt das Hauptscreening, in dem Gewichtsverlust und Krankheitsschwere genauer quantifiziert und in einem Punktesystem abgebildet werden.
32.3.2 Laborparameter zur Bestimmung
der Mangelernährung Um die Mangelernährung zu diagnostizieren, ist ein Screening der Patienten spätestens bei stationärer Aufnahme unverzichtbar. Dieses Screening sollte möglichst zuverlässig, einfach und schnell durchführbar sein. Für den praktischen Gebrauch hat sich in den letzen Jahren die Einschätzung des aktuellen Ernährungszustandes an-
Die Bestimmung einiger Laborparameter kann Hinweise auf das Vorliegen einer Mangelernährung geben (. Tab. 32.2). Grundsätzlich gilt, dass Normalwerte eine Mangelernährung aber keineswegs ausschließen, da der viszerale Proteinstatus zunächst auf Kosten der Muskelmasse aufrechterhalten wird.
32
374
Kapitel 32 · Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie
. Tab. 32.2. Laborparameter zur Bestimmung der Mangelernährung. (Nach Leuenberger et al. 2007)
Parameter
HWZ
Diagnostik
Verlauf
Bemerkung
Albumin
20 Tage
+
+
Cave Leber-Nierenerkrankung
Transthyretin (Präalbumin)
1,9 Tage
+++
+++
Qualitativer Eiweißmangel
Cholinesterase
10 h
++
+++
Bei Lebererkrankung nicht aussagekräftig
Transferrin
8–10 Tage
+
+
Interpretation immer zusammen mit Eisen und Ferritin
Retinol-bindendes Protein
12 h
+++
+++
↑ Niereninsuffizienz, Alkoholismus ↓ Malabsorption, Hyperthyreose, schwere Lebererkrankung, Überwässerung
IGF-1
2–4 h
++
+++ (spezifischer als RBP, TTR)
↑ Niereninsuffizienz ↓ Lebererkrankung
+
–
Mortalität 4-fach erhöht bei Werten <1500/ml
Lymphozytenzahl + – +++: gut bis sehr gut
32 Die Konzentrationen von Plasmaproteinen (z. B. Albumin, Präalbumin, Transferrin) sind nicht von ernährungsbedingten Faktoren, sondern in erster Linie von Inflammationsreaktionen beeinflusst und daher nur beschränkt als diagnostische Parameter verwendbar. Als Verlaufsparameter können sie aber gute Hinweise für einen Therapieerfolg geben.
Viszeraler Proteinstatus Albumin wird in der Literatur häufig als Parameter zur Erfas-
sung der Mangelernährung genannt. Bei Ausschluss einer Leber- oder Nierenerkrankung ist ein erniedrigter Albuminwert ein zuverlässiges Zeichen einer Mangelernährung. Allerdings kann – trotz dramatischem Verlust von Muskelmasse – der Albuminwert immer noch im Normbereich liegen. Gleiches gilt für die Cholinesterase: Ein bei Ausschluss einer Lebererkrankung erniedrigter Wert spricht für das Vorliegen einer Mangelernährung, ein im Normbereich liegender Wert schließt diese jedoch nicht aus. Weitere Laborparameter zur möglichen Erfassung der Mangelernährung bzw. zur Verlaufskontrolle unter ernährungsmedizinischer Therapie sind in Tabelle 3 zusammengefasst.
32.3.3 Weitere Diagnostik
der Mangelernährung Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA). Die bioelektrische
Impedanzanalyse (BIA) ist eine einfache Methode zur Erfassung der Körperzusammensetzung. Über je zwei Hautelektroden an Hand und Fuß wird ein schwaches, homogenes elektrisches Wechselstromfeld erzeugt und der Spannungsabfall
im Gewebe gemessen. Der Spannungsabfall ist in flüssigkeitsreichen Geweben gering, im Fettgewebe und im Knochen hoch. Unter Verwendung der gemessenen Parameter (Impedanz und Phasenwinkel) und den Patientendaten Gewicht, Größe, Alter und Geschlecht erlaubt die BIA-Messung eine Aussage über die Zusammensetzung und Verteilungsräume des Körpers. Die meisten zur Berechnung verwendeten Gleichungen wurden bei Gesunden unter der Annahme normaler Flüssigkeits- bzw. Elektrolytverhältnisse entwickelt. Daher ist die Aussagekraft der BIA-Messung bei Kranken mit häufig gestörtem Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt eingeschränkt, als ergänzender Verlaufsparameter unter Einhaltung immer gleicher Mess- und Berechnungsbedingungen aber u. E. durchaus sinnvoll. Bestimmung der Muskelkraft (»hand-grip«). Unter Verwen-
dung eines einfachen Gerätes kann die Muskelkraft der Handund der Unterarmmuskulatur gemessen und mit geschlechtsund altersentsprechenden Normkurven verglichen werden. Die gemessene Kraft korreliert in hohem Maße mit der fettfreien Körpermasse und dem SGA (s. oben) und stellt daher eine sehr einfache, schnelle und preiswerte Methode zur ergänzenden Diagnostik und Verlaufskontrolle der Mangelernährung dar (Norman et al. 2005).
375 32.4 · Postaggressionssyndrom/Postaggressionsstoffwechsel
32.4
Postaggressionssyndrom/ Postaggressionsstoffwechsel
Nach einem operativen Eingriff kommt es (nicht nur bei Tumorpatienten) neben den lokalen Entzündungsvorgängen zu generalisierten Reaktionen des Körpers, die in ihrer Gesamtheit als Postaggressionssyndrom bezeichnet werden. Kennzeichen dieses Syndroms sind folgende Faktoren: 4 Sympathikotone Reaktionslage 4 Änderungen der hormonalen Konstellationen 4 Wirkung von Zytokinen und Entzündungsmediatoren 4 Änderungen der Hämodynamik, der gastrointestinalen Funktion, der Nierenfunktion, des Immunsystems und tiefgreifende Umstellung des Substratstoffwechsels im Sinne eines Postaggressionsstoffwechsels Im Gegensatz zum Hungerstoffwechsel, in dem die Verwertung angebotener Nährstoffe ungestört bleibt und die Katabolie durch adäquate Nährstoffzufuhr unmittelbar reversibel ist, besteht im Aggressionsstoffwechsel eine hormon- und mediatorinduzierte Verwertungsstörung von Nährstoffen, die, stadienabhängig, durch exogene Zufuhr von Nährstoffen kaum oder gar nicht beeinflussbar ist.
Der Postaggressionsstoffwechsel ist durch gesteigerten Muskelproteinabbau, eine gesteigerte Glukoneogenese (v. a. aus glukogenen Aminosäuren), eine Insulinresistenz und eine gesteigerte Lipolyse gekennzeichnet.
Mediatoren dieser Stoffwechselveränderungen sind katabole Hormone (Glukagon, Glukokortikoide, Katecholamine) und Zytokine (TNF-α, Il1, Il6, IL 8, Interferon-γ, »ciliary neurotrophic factor«, »macrophage inhibitory cytokine-1«). Bei der Betreuung von Tumorpatienten ist zu berücksichtigen, dass der Patient sich bereits durch die maligne Erkrankung in einer mehr oder weniger inflammatorisch veränderten Stoffwechsellage befinden kann. Von entscheidender pathophysiologischer Bedeutung ist der phasenhafte Verlauf dieser Stoffwechselveränderungen, dem auch die Ernährungstherapie Rechnung tragen muss (. Abb. 32.2). Nach der direkt postoperativen Ebbphase (1–12 h postoperativ), die sich v. a. durch einen reduzierten Stoffwechsel mit Glykogenolyse auszeichnet, folgt die katabole Flowphase, die durch Einschmelzen körpereigener Depots (Muskel- und Leberglykogen, Muskelprotein, Fettdepots) also durch eine hohe »Eigensubstratbereitstellung« gekennzeichnet ist. Durch den gesteigerten Abbau von Muskelproteinen werden einerseits Aminosäuren für die Wundheilung, die Synthese von verschiedenen Funktionsproteinen (z. B. Akut-Phase-Proteine der Leber, Funktionsproteine in immunkompetenten Zellen, gesteigerte Proteinsynthese in Darmmukosa, Milz und Lunge) bereitgestellt, andererseits wird Glukose aus den glukogenen Aminosäuren (v. a. Alanin) gewonnen. Diese Veränderungen werden heute als teleologisch sinnvolle Adaptation des Organismus angesehen: nach Traumatisierung sollen die zur Aufrechterhal-
. Abb. 32.2. Stadien der metabolischen Adaptation bei kritisch Kranken auf der Intensivstation und der Bedarf an Energiezufuhr durch Ernährung (Kreyman et al. 2007)
tung des Stoffwechsels und zur Wundheilung nötigen Substrate auch ohne exogene Zufuhr bereitgestellt werden. Die aus dem Muskeleiweiß stammende Glukose steht in erster Linie für die Organe und Zellen zur Verfügung, die insulinunabhängig Glukose verstoffwechseln können (Erythrozyten, Nierenzellen, Nervenzellen, Darmschleimhaut, Lymphozyten). Zellsysteme, die Fettsäuren zur Energiegewinnung oxidieren können (z. B. Muskelgewebe) werden durch Insulinresistenz von der Glukoseverwertung ausgenommen. Das Ausmaß des Muskelproteinabbaus, hängt von der Ausschüttung der Zytokine und Hormone ab und kann durch die externe Zugabe von Substraten (Glukose, Aminosäuren, Fette) u. U. vermindert, jedoch nicht verhindert werden. Die Stickstoffbilanz bleibt in dieser Phase negativ. Ein Überangebot an Nährsubstraten ist in dieser Phase nicht nur sinnlos, sondern schädlich.
Ziel der Ernährungstherapie ist es also, durch phasenangepasstes Regime die nicht vermeidbare Katabolie zu gering wie möglich zu halten und in der anabolen Phase alle nötigen Nährstoffe in optimaler Menge zuzuführen (. Tab. 32.3).
Wenn sich der Patient erholt und die Inflammation zurückgeht, kann wieder vermehrt exogenes Substrat verstoffwechselt werden. Jetzt ist es sinnvoll und notwendig für eine ausreichende Nährstoffzufuhr zu sorgen. Oft ist der Patient in diesem Stadium bereits auf Intermediär- oder Normalstation. Wenn jetzt eine ausreichende Nahrungszufuhr oral noch nicht gewährleistet ist, muss die künstliche Ernährung oral (Trinknahrung), enteral (Ernährung über Sonde) und/oder parenteral fortgesetzt werden (. Tab. 32.4). Eine Überwachung der Nahrungszufuhr und Gewichts- und Laborkontrollen ist im weiteren Verlauf der Erkrankung unverzichtbar. Die Energiezufuhr im Verlauf des Postaggressionsstoffwechsels kann also nicht konstant sein, sondern muss an den Verlauf der Erkrankung angepasst werden (. Abb. 32.2).
32
376
Kapitel 32 · Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie
. Tab. 32.3. Phasen des Postaggressionsstoffwechsels nach operativen Eingriffen und phasengerechte Therapieempfehlungen
Phase
Ebbphase
Katabole Flowphase
Anabole Flowphase
Dauer
1–12 h postoperativ
2.–4. postoperativer Tag, bei protrahiertem Verlauf länger
Tage bis Wochen
Beschreibung
Max. Stress, Katecholamine erhöht, Insulinresistenz , Energiesparmechanismen, Glykogenolyse, Lipolyse, Proteolyse, Glukoneogenese aus Aminosäuren
Noch hohe »Eigensubstratbereitstellung«, Proteolyse, Lipolyse, Insulinresistenz, Steigerung der eigenen Syntheseleistung durch exogene Substrate möglich
Exogene Substratzufuhr wird zunehmend toleriert, Anabolie
Ernährungsempfehlung
Keine Ernährung
Hypokalorische Ernährung nach Stoffwechselkapazität, (z. B. 10–15 kcal/kg KG/Tag, Aminosäuren: 0,8–1,5 g/kg KG/Tag, Relation der Nicht-Eiweißkalorien:Glukose: 60%, Fett 40% Cave: Hyperalimentation
Exogene Zufuhr > Grundumsatz, bei unzureichender oraler Zufuhr weiterhin künstliche Ernährung enteral und/oder parenteral Cave: Hypoalimentation
. Tab. 32.4. Grenzwerte der metabolischen Toleranz bei der Ernährungstherapie
32
Parameter
Grenzwert
Kontrollintervall
Blutglukose
<145 mg/dl? (keine eindeutige Datenlage, s. unten)
Mindestens 4-stündlich, u. U. kürzere Intervalle notwendig
Insulinzufuhr
Bis 6 IE/h, dann Reduktion der Glukosezufuhr Maximal 20 IE/h
Bei erhöhten Glukosewerten ohne externe Glukosezufuhr: Steigerung der Insulingabe
Triglyzeride
Ab 400 mg/dl Reduktion der Fettzufuhr
2× wöchentlich
Harnstoff
Anstieg >30 mg/dl/Tag: Reduktion der Aminosäurezufuhr
Täglich
Ziel ist eine Zufuhr von 25 kcal/kg KG, was in etwa dem Grundumsatz entspricht. Bei hoher »Eigensubstratbereitstellung« in der katabolen Flowphase kann diese externe Zufuhr aber oft nicht zugeführt werden, ohne dass die Grenzwerte der metabolischen Toleranz (. Tab. 32.4) überschritten werden. Diese Grenzwerte der metabolischen Toleranz wurden von der Expertenkommission der DGEM in den Leitlinien »Parenterale Ernährung 2007« festgelegt (Evidenzgrad C; Koletzko et al. 2007). Bei Nierenschädigung bzw. Dialysepflichtigkeit ist die Aussagefähigkeit des Serum-Harnstoffs nicht gegeben. Die Studienlage bezüglich der Blutzuckereinstellung ist nicht eindeutig. Die positiven Effekte durch Einstellung des Blutzuckers auf Werte zwischen 80 und 110 mg/dl (kürzere Beatmungszeit, kürzerer Aufenthalt auf der Intensivstation, kürzere Dauer der Nierenersatzverfahren, weniger Hyperbilirubinämien, weniger Bakteriämien, weniger Polyneuropathien und eine Reduktion der Mortalität um 32%), die van den Berghe (van den Berghe et al. 2001) bei herzchirurgischen Patienten sah, konnten in neueren Studien nicht bestätigt werden: Brunkhorst et al. (Brunkhorst et al. 2008) brachen die Studie wegen erhöhter Hypoglykämieraten in der inten-
sivierten Insulintherapie-Gruppe ab, in der Nice-Sugar-Studie (Finfer et al. 2009; 6104 internistische und chirurgische Intensivpatienten) waren die Hypoglykämieraten bei den Patienten in der intensivierten Insulintherapie (Zielbereich 81–108 mg/dl) ebenfalls erhöht, die Sterbewahrscheinlichkeit in dieser Gruppe war sogar um 2,6% höher als in der Gruppe mit konventioneller Insulintherapie (BlutzuckerZielbereich <180 mg/dl). Die Frage der optimalen Blutzuckerwerte bzw. der optimalen Glukose- und Insulinzufuhr bei Intensivpatienten in den verschiedenen Stadien des Postaggressionssyndroms ist also aufgrund der derzeitigen Datenlage nicht eindeutig zu beantworten.
32.5
Immunonutrition
Eine bereits präoperativ bestehende Mangelernährung führt zu einer Beeinträchtigung der Immunfunktion und damit zu erhöhten postoperativen Komplikations-, Morbiditäts- und Mortalitätsraten. Es gibt mittlerweile Hinweise, dass durch die Gabe verschiedener immunmodulierender Substanzen die
377 32.5 · Immunonutrition
Komplikationsrate (und damit die stationäre Aufenthaltsdauer und die Behandlungskosten) bei mangelernährten und kritisch kranken Patienten gesenkt werden kann (Novak et al. 2002). Die industriell als »Immunonutrition« angebotenen Trink- und Sondennahrungsprodukte enthalten mindestens eine immunmodulierende Substanz (Arginin, Glutamin, Ribonukleinsäure, ω-3-Fettsäuren, Selen) in einer höheren als der üblichen Konzentration. Für die parenterale Ernährung gibt es mittlerweile Fettemulsionen mit Zugabe von ω-3-Fettsäuren, und ein Aminosäurengemisch, das Glutamin als Dipeptid enthält. Die verschiedenen Substanzen können für die parenterale Ernährung auch einzeln zugemischt werden.
32.5.1 Glutamin Glutamin stellt mit einem Mengenanteil von 20% den Hauptanteil des Pools an freien Aminosäuren im Blutplasma dar. Unter physiologischen Bedingungen wird Glutamin in praktisch allen Geweben abgebaut (Mitochondrien) bzw. synthetisiert (Zytosol). Alle sich schnell vermehrenden Zellen (z. B. Immunsystem, Zellen des Gastrointestinaltraktes) sind auf die Verfügbarkeit von Glutamin angewiesen. Glutamin verbessert die Barrierefunktion der Darmmukosa und dient als Vorläufer für die Synthese des Radikalenfängers Glutathion. Hyperkatabole und hypermetabole Krankheitszustände, wie beispielsweise Operationen führen zu einer ausgeprägten Glutaminverarmung: In diesen Situationen kann der erhöhte Glutaminbedarf nicht durch endogene Synthese gedeckt werden. Glutamin gilt daher als bedingt essenzielle Aminosäure in der Katabolie, zusammen mit Arginin und Cystein. Da Glutamin als freie Aminosäure nicht stabil ist, kann es als Dipeptid der Aminosäurelösung zugesetzt werden. In einer Dosierung von bis zu 0,5 g/kg KG/Tag führt der Zusatz von Glutamindipeptid zu einer Reduktion infektiöser Komplikationen und einer Verkürzung der Krankenhausverweildauer (Novak et al. 2002).
Nach den Leitlinien der DGEM sollten »kritisch Kranke, die ohne erhebliche enterale Nahrungszufuhr voraussichtlich länger als 5 Tage parenteral ernährt werden, zusätzlich zur parenteralen Aminosäurenzufuhr Glutamindipeptide in einer Dosis von 0,3–0,4 g/kg KG/Tag erhalten (entsprechend 0,2–0,26 Glutamin/kg KG/Tag) (Evidenzgrad A)« (Kreymann et al. 2009).
32.5.2 Arginin Arginin wird in der Niere aus über den Darm aufgenommenen Aminosäuren gebildet. Arginin bewirkt eine Verbesserung der zellulären Immunität über eine Thymusvergrößerung und steigert die Proliferation von T-Lymphozyten. Man nimmt an, dass Arginin die unterdrückte Immunantwort bei
schweren Verletzungen, Mangelernährung, Sepsis und nach Operationen positiv beeinflussen kann. Aminosäurelösungen zur parenteralen Ernährung enthalten aus galenischen Gründen große Mengen an Arginin, eine weitere Supplementierung ist also aus heutiger Sicht nicht nötig. Für die enterale Ernährung stehen mit Arginin angereicherte Produkte für die perioperative Ernährung mangelernährter Patienten zur Verfügung. Allerdings wurden für schwer kritisch Kranke mit einem Apache-Score >15 negative Effekte beobachtet (Heyland et al. 2001; Ochoa et al. 2004).
32.5.3 ω-3-Fettsäuren: Neben ihrer Bedeutung als Energiequelle und als Carrier für fettlösliche Vitamine spielen Fettsäuren eine große Rolle als Mediatoren der spezifischen und nicht-spezifischen Immunabwehr. Die Fettsäurenzusammensetzung der Zellmembran definiert deren Fluidität: durch einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren wird eine Zellmembran starrer, der erhöhte Einbau von mehrfach ungesättigten FS erhöht deren Flexibilität. Je nach Verhältnis der Aufnahme von ω-3- zu ω-6-mehrfach ungesättigten Fettsäuren, kommt es in der Zelle zu unterschiedlicher Zytokin- bzw. Mediatorsynthese. Durch einen vermehrten Einbau von ω-3 Fettsäuren in die Zellmembran werden weniger Cyclooxygenaseprodukte der 2-er Reihe (z. B. TXA 2) und Lipooxygenaseprodukte der 4er-Reihe (z. B. LTB 4, LT4) mit proinflammatorischen Effekten gebildet, gleichzeitig wird die Synthese von Prostaglandinen und Leukotrienen der 3er- und 5er-Reihe mit immunmodulierender und antiinflammatorischer Wirkung erhöht. Durch erhöhte Zufuhr von ω-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren werden neben der Entzündungs- und Immunreaktion auch die Funktion von glatten Muskelzellen, Endothelien, Monocyten und Thrombozyten beeinflusst, die Bildung von Sauerstoffradikalen wird reduziert. Gadek et al. konnten zeigen, dass durch die enterale Gabe von ω-3 Fettsäuren die Beatmungs- und Intensivliegedauer verkürzt werden konnte (Gadek et al. 1999). Beale et al. konnten eine Senkung der Inzidenz infektiöser Komplikationen nachweisen (Beale et al. 1999). Pontes-Arruda et al. sahen bei septischen Patienten eine Verbesserung der respiratorischen Parameter, eine Verkürzung der Intensivliegedauer und eine signifikant höhere Überlebensrate durch die Gabe von ω-3 Fettsäuren, und Antioxidanzien (Pontes-Arruda et al. 2006). Die derzeit industriell angebotenen Fettsäureemulsionen zur parenteralen Ernährung enthalten unterschiedliche Mischungen verschiedener Fettsäuren. Gemische mit einem sehr hohen Anteil an ω-6 Fettsäuren (reine Sojaölprodukte) sollten nicht mehr verwendet werden. Durch Verwendung von mittelkettigen Triglyceriden (MCT-Fetten), Olivenöl und/oder Fischöl wird der Anteil an ω-6 Fettsäuren mit ihren proinflammatorischen Eigenschaften reduziert, und bei entsprechender Zumischung der ω-3 Fettsäuren deren Anteil erhöht. Eindeutige Empfehlungen zum gezielten Einsatz von ω-3-
32
378
32
Kapitel 32 · Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie
Fettsäuren können aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht gegeben werden. Mit einer speziellen mit Arginin, ω-3 Fettsäuren und Ribonukleotiden angereicherten Trink- bzw. Sondennahrung wurden zahlreiche Studien durchgeführt. Die ESPEN-Leitlinien empfehlen basierend auf dieser Studienlage den perioperativen Einsatz eines solchen Produktes für Patienten mit großen Tumoreingriffen an Hals und Abdomen (Ösophagusresektion, Gastrektomie, partielle Duodenopankreatektomie [Empfehlungsstufe A]), für präoperativ mangelernährte Patienten und für Patienten nach schwerem Trauma. Die Supplementierung sollte vor der Operation begonnen und 5–7 Tage postoperativ fortgesetzt werden (Weimann et al. 2006). Obwohl das angereicherte Sondennahrungsprodukt primär teurer ist, konnte in 2 Studien durch eine geringere Komplikationsrate eine absolute Kostenersparnis nachgewiesen werden (Braga et al. 2005; Strickland et al. 2005).
zeitige enterale Ernährung wurden nicht beobachtet (HanGeurts et al. 2007). Nicht eindeutig sind derzeit die Daten zur perioperativen Flüssigkeitszufuhr. Eine zu großzügige Gabe von Kristalloidlösungen sollte vermieden werden (Holte et al. 2007).
32.5.4 Vitamine und Spurenelemente
32.6.1 Präoperative Ernährung
Wie für Elektrolyte richten sich die Empfehlungen für die Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen nach den allgemeinen Empfehlungen der Fachgesellschaften zur oralen Ernährung. Da es bisher nicht möglich ist, im Einzelfall den individuellen Bedarf an diesen Mikronährstoffen zu ermitteln, erfolgt die Gabe im Allgemeinen standardisiert. Für die parenterale Applikation stehen Mischpräparate zur Verfügung, die den Infusionslösungen täglich zugespritzt werden müssen, bei den Trink- und Sondennahrungen wird bei Zufuhr einer bestimmten Menge (meist 1500 ml) der durchschnittliche Tagesbedarf an Vitaminen und Spurenelementen gedeckt.
32.6
Kontraindikationen einer Ernährungstherapie. Bei fol-
genden Gegebenheiten ist eine enterale oder parenterale Ernährungstherapie kontraindiziert: 4 Schock jeder Genese 4 Laktat >3–4 mmol 4 Hypoxie: pO2 <50 mmHg 4 Hyperkapnie: pCO2 >80 mmHg 4 Schwere Azidose: pH <7,2 4 Überwässerung 4 Ebbphase des Postaggressionsstoffwechsels 4 Ethische Aspekte
Nicht-mangelernährte Patienten Bei gutem Ernährungszustand (z. B. im NRS-Präscreening wurden alle Fragen mit »nein« beantwortet) ist keine präoperative Ernährungstherapie notwendig. Längere präoperative Nüchternheitsphasen sollten aber grundsätzlich vermieden werden. Sofern keine Motilitätsstörungen vorliegen, ist bis 6 h vor dem operativen Eingriff feste Nahrung, bis 2 h vor Operation eine klare (also fettfreie) Flüssigkeitszufuhr erlaubt. Präoperatives Glukoseloading führt zu geringerer postoperativer Insulinresistenz, Reduktion von Komplikationen, reduzierter Liegezeit und schnellerer Rehabilitation (Rittler u. Jauch 2007).
Praxis der perioperativen Ernährung
Ziel der perioperativen Ernährungstherapie ist es, den Funktionszustand der Organe zu erhalten, die Wundheilung und das Immunsystem zu unterstützen und mangelbedingte Komplikationen zu vermeiden. Allgemeine Maßnahmen. Eine unnötige Traumatisierung
des Kolons sollte vermieden werden, da das Trauma zu Endotoxinausschüttung des Dünndarms und damit zu Entzündungsreaktionen und Darmatonie führen kann (Turler et al. 2007). Nach Periduralanästhesie kommt im Vergleich zur Vollnarkose die Darmpassage signifikant schneller in Gang und die morphinassoziierte Übelkeit und Erbrechen sind vermindert (Kuo et al. 2006). Ein frühzeitiger postoperativer enteraler Kostaufbau verringert das Infektionsrisiko und wirkt sich günstig auf die Krankenhausverweildauer aus (Weimann et al. 2006), vermindert die Dauer der postoperativen Darmatonie und beschleunigt die Toleranz gegenüber fester Kost, die Katabolie wird verringert und die Stickstoffverluste sind geringer (Soop et al. 2004). Eine höhere Komplikationsrate oder eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Patienten durch eine früh-
Wenn (z. B. aufgrund geplanter Nahrungskarenz wegen diagnostischer Maßnahmen oder Operationsvorbereitung) die Nahrungszufuhr bei nicht mangelernährten Patienten für mindestens 5 Tage voraussichtlich unter 500 kcal/Tag, oder die orale Nahrungszufuhr für mindestens 10 Tage unter 60% des errechneten Bedarfs liegt, ist auch bei primär nicht-mangelernährten Patienten eine Ernährungstherapie zum Ausgleich des Defizits indiziert.
Falls irgend möglich sollte diese Ernährungstherapie auf enteralem Weg erfolgen (deutlich weniger infektiöse Komplikationen, geringere Kosten als bei der parenteralen Ernährung), wenn aber die Nährstoffzufuhr z. B. aufgrund verringerter gastrointestinaler Toleranz (z. B. Reflux, Diarrhö) nicht ausreichend möglich sein, muss das noch bestehende Nährstoffdefizit parenteral ausgeglichen werden.
Ernährung bei Fast-track-Konzept Ziel des Fast-track-Konzeptes (. Tab. 32.5), ist ein frühestmöglicher postoperativer oraler Kostaufbau mit Vollmobilisierung (Raue et al. 2005). Nach dem »Enhanced-recovery-
379 32.6 · Praxis der perioperativen Ernährung
. Tab. 32.5. Fast-track-Konzept: Ernährungskonzept für elektiv operierten Patienten. LVK1 leichte Vollkost
Ernährungsform
Tag
Tag
–1
0 (Operationstag)
Kohlenhydrat-Drink (oder KohlenhydratProtein-Drink)
400 ml abends
200 ml morgens (bis 2 h vor Operation)
Leichte Vollkost
LVK1
–
4 Opiatsparende Analgesie (opiatbedingte Beeinträchtigung der Darmmotilität) 4 Fortsetzung der thorakalen epiduralen Analgesie für 2 Tage 4 Zweimal täglich Magnesiumoxid als Laxans 4 Postoperativer Kostaufbau vom Tag der Operation an unter Einsatz von Trinklösungen mit Fortsetzung ambulant im Falle einer Mangelernährung 4 Postoperativer Einsatz von Antiemetika
Mangelernährte Patienten after-surgery«( ERAS)-Konzept (Fearon et al. 2005; s. unten) ist neben adäquater Schmerztherapie mittels epiduraler Anästhesie unter Minimierung der Opioidgabe, Einsatz von Antiemetika und Peristaltika und sparsamer Volumengabe, die Reduktion der präoperativen Nüchternheitsphase mit gezielter Optimierung des präoperativen Ernährungsstatus und der rasche postoperative Kostaufbau von entscheidender Bedeutung (7 Kap. 32.6.1). Das Ernährungskonzept kann bei allen elektiv operierten Patienten angewendet werden, mit wenigen Kontraindikation bei nicht elektiven Patienten (Breuer et al. 2006). Kontraindikationen des Fast-track-Konzeptes 4 Notfalloperation 4 Gastrointestinale. Obstruktion 4 Tumoren im oberen Gastrointestinaltrakt plus Subileus- oder Ileussymptomatik
Vor allem vor elektiven Eingriffen wird für mangelernährte Patienten (NRS >3 Punkte) eine 5- bis 7-tägige Ernährungstherapie mit sog. immunmodulierender Trink- bzw. Sondennahrung empfohlen (. Tab. 32.6). Diese Formuladiäten sind im Vergleich zu Standartprodukten mit Glutamin, Arginin, ω-3 Fettsäuren und Nukleotiden angereichert (7 Kap. 32.5). In mehreren Studien wurde gezeigt, dass so die perioperative Morbidität und Mortalität gesenkt werden kann (Braga et al. 2002; Gianotti et al. 2002; Tsekos et al. 2004). Wenn diese Formuladiäten nicht vertragen werden, kann alternativ eine iso- (1 kcal/ml) oder hochkalorische (z. B. 1,5 kcal/ml) eiweißreiche Trink- oder Sondennahrung verabreicht werden. Bei sehr hohem ernährungsmedizinischen Risiko (Vorliegen mindestes eines der Kriterien der Übersicht) sollte präoperativ eine längere, 10- bis 14-tägige, gezielte Ernährungstherapie erfolgen. Zur Senkung des nosokomialen Infektionsrisikos sollte diese Therapie möglichst prästationär durchgeführt werden.
Individuelle Abwägung des Fast-track-Konzeptes 4 4 4 4 4 4 4
Gastroösophageale Refluxkrankheit Hiatushernien Adipositas Diabetes mellitus Schwieriges Atemwegsmanagement Enterale Magensondenernährung Tumoren im oberen Gastrointestinaltrakt ohne Subileus-oder Ileussymptomatik
ERAS-Konsensus-Protokoll zur Optimierung der perioperativen Ernährung 4 Keine Darmspülung zur Darmvorbereitung vor Koloneingriffen 4 Präoperative Flüssigkeitsgabe (Glukosedrink) bis 2 h vor Operationsbeginn 4 Keine Magensonde 4 Intraoperativ Vermeidung exzessiver Flüssigkeitsgabe, Bei Blutdruckschwankungen Vasopressorengabe, Beendigung der intravenösen Flüssigkeitszufuhr am 1. postoperativen Tag
6
Kriterien für ein hohes ernährungsmedizinisches Risiko 4 Gewichtsverlust >10% in 6 Monaten 4 BMI <18,5 kg/m² 4 Serumalbumin <30 g/l (keine Nieren- oder Lebererkrankung) Vorliegen bereits eines Kriteriums genügt!
Kann die Zufuhr nicht in ausreichendem Maße auf oralem bzw. enteralem Weg erfolgen, ist die parenterale Zufuhr indiziert.
Präoperativer Energie- und Nährstoffbedarf Präoperativ liegt der Energiebedarf, je nach Alter und körperlicher Aktivität bei etwa 30–35 kcal/kg KG. Für die Kalorienberechnung werden alle Makrosubstrate (Aminosäuren, Glukose, Fette) herangezogen. Bei Übergewichtigen erfolgt die Berechnung nach Sollgewicht, bei Untergewichtigen nach Istgewicht. Der Nahrungsaufbau erfolgt über 2–3 Tage (Tag 1: 50% des Bedarfes, Tag 2: 75%, Tag 3: 100%). Dies ist bei extremem Untergewicht (BMI <17 kg/m2) und bei länger vorbestehender Nahrungskarenz wegen der Gefahr des Refeedingsyndroms (s. unten) von besonderer Bedeutung.
32
380
Kapitel 32 · Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie
. Tab. 32.6. Präoperative Ernährungsempfehlung bei mangelernährten Patienten. (Nach Rittler u. Jauch). LVK leichte Vollkost
Tag
–7
–6
–5
–4
–3
–2
–1
750 ml
750 ml
750 ml
0
Präoperative orale Ernährung bei mangelernährten Patienten (Beispiel, Patient mit 70 kg) Immunonutrition
750 ml
750 ml
750 ml
750 ml
200 ml Bis 2 h vor Operation
Protein-Kohlenhydrat-Drink fettfrei
Leichte Vollkost
LVK
LVK
LVK
LVK
LVK
LVK
LVK
750 ml
750 ml
Präoperative enterale Ernährung bei mangelernährten Patienten über gastrointestinale Sonden Immunonutrition
750 ml
750 ml
750 ml
750 ml
750 ml
Weitere Kost
Standartsondenkost zur Deckung des restlichen Kaloriebdedarfes (ca. 30–35 kcal/kg KG/Tag)
Cave
Cave
Bei Ödemen und Aszites muss das geschätzte Ödemgewicht abgezogen werden, um den Bedarf realistisch berechnen zu können.
Werden die Makrosubstrate Glukose, Aminosäuren und Fett einzeln verabreicht, ist unbedingt auf die adäquate Elektrolytzufuhr zu achten, da in diesen Lösungen meist keine Elektrolyte enthalten sind. Vitamine und Spurenelemente müssen bei allen parenteralen Ernährungsregimen täglich zugespritzt werden.
32 Je nach Möglichkeit sollten mangelernährte Patienten, die diesen Energiebedarf nicht auf oralem Weg decken können, zusätzlich enteral (Trink- und Sondennahrung) oder parenteral ernährt werden. Wegen der Stoffwechselveränderungen durch die Tumorerkrankung verschiebt sich die Relation der Nährstoffe bei relativer Reduktion der Kohlenhydratzufuhr (etwa 3 g/kg KG/Tag) zugunsten der Fettzufuhr (bis zu 2 g/kg KG/ Tag). Hier kann das kalorische Verhältnis Fett : Kohlenhydrate bei 1:1 liegen. Die Eiweißzufuhr sollte gegenüber der normalen Zufuhr von 0,8–1,0 g/kg KG/Tag auf 1,2–1,5 g/kg KG/Tag erhöht werden, um die durch die beschriebenen Stoffwechselveränderungen bedingten erhöhten Muskelproteinverluste zu verringern. Es gibt zahlreiche Trink- und Sondennahrungsprodukte die diesen Anforderungen weitgehend entsprechend. Eine Anreicherung der normalen Nahrung, z. B. Maltodextrinpulver, hochwertige Fette (Rapsöl) und Eiweißpulver ist bei nur mäßigen Ernährungsdefiziten möglich. Von großer Bedeutung ist die Zufuhr von Vitaminen, Spurenelementen und Elektrolyten bei mangelernährten Patienten. Bei dieser Patientengruppe ist davon auszugehen, dass auch in diesen Bereichen relevante Defizite vorliegen. Die von der Industrie angebotenen Trink- und Sondennahrungen enthalten bei mengenmäßig ausreichender Zufuhr (ca. 1500 ml) zumindest den Grundbedarf an diesen Nährstoffen. Die applikationsfertigen Zwei- (Glukose und Aminosäuren) und Drei-Kammerbeutel (Glukose, Aminosäuren, Fette) zur parenteralen Ernährung decken einen Basisbedarf von Elektrolyten (Natrium, Kalium, Kalzium. Magnesium, Phosphat und Zink) ab.
Bei schwer mangelernährten und u. U. zusätzlich noch exsikkierten Patienten kann es bei Beginn der enteralen oder parenteralen Ernährungstherapie zu dem sog. Refeedingsyndrom (. Tab. 32.7), einer akut lebensbedrohlichen Komplikation, kommen: Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö treten vor allem bei Beginn der enteralen Ernährung auf, Symptome wie akuter Vitamin B1-Mangel (Beri-Beri), Volumenüberladung
. Tab. 32.7. Refeedingsyndrom, das bei Beginn einer Ernährung auftreten kann (besonders gefährdet: Patienten mit Mangelernährung, Leberzirrhose, diabetischer Ketoazidose, parenteraler Ernährung)
Ursache
Folge
Flüssigkeits- und Natriumretention
Überwässerung
Hypophosphatämie
Respiratorische Insuffizienz, Hämolyse, Enzephalopathie mit Krampanfällen, Ileus
Hypokaliämie
Herzrhythmusstörungen
Hypomagnesiämie
Krämpfe, gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber Adrenalin und Noradrenalin (Rhythmusstörungen, Stenokardien)
Thiaminmangel
Laktatazidose
381 32.6 · Praxis der perioperativen Ernährung
mit Ödembildung, Herzinsuffizienz und Lungenödem, schwere Elektrolytstörungen (Hypophosphatämie, Hypokaliämie, und Hypomagnesiämie) und Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel bis hin zum hyperosmolaren Koma können sowohl bei Beginn der enteralen, wie auch bei Beginn der parenteralen Ernährung auftreten. Vor Beginn der eigentlichen Ernährungstherapie sollte bei stark mangelernährten Patienten nach Bestimmung der entsprechenden Laborparameter (Na, K, Ca, Mg, Phosphat) deshalb zunächst eine Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution erfolgen. Nach Beginn der Ernährungstherapie ist eine engmaschige Überwachung der Laborwerte und ggf. weitere Substitution der jeweiligen Elektrolyte unverzichtbar. Die in den industriell angebotenen Zwei- und Drei-Kammerbeuteln enthaltenen Mengen an Elektrolyten orientieren sich am unteren Durchschnittsbedarf und sind für schwer mangelernährte Patienten meist zu niedrig.
32.6.2 Postoperative Ernährungstherapie Wenn irgend möglich sollte die Ernährung enteral, also über intestinale Sonden erfolgen. Allerdings konnten Binnekade et al. zeigen, dass die erforderliche Kalorienzufuhr nur in ca. 50% der Fälle enteral appliziert werden kann (Binnekade et al. 2005). Ist also eine ausreichende enterale Zufuhr wegen gastrointestinaler Intoleranz (Reflux >200 ml, Obstipation, Diarrhö, Obstruktion, Distension) nicht möglich, muss der verbleibende Nährstoffbedarf parenteral unter Berücksichtigung der metabolischen Toleranz (. Tab. 32.4) zugeführt werden. »Soviel enterale Ernährung wie möglich, soviel parenterale wie nötig« ist eine allgemein anerkannte Grundregel (Hartig u. Weimann 2004). Ist bereits bei der Operation abzusehen, dass die postoperative Ernährung zumindest für einen gewissen Zeitraum über intestinale Sonde erfolgen muss, bietet es sich an, bereits intraoperativ eine Ernährungssonde zu platzieren. Bei Anlage einer Feinnadel-Katheterjejunostomie (FKJ) kann durch das gegenüber der gastralen Sondenlage verringerte Refluxrisiko das Pneumonierisiko signifikant gesenkt werden. Auch eine nasogastrale oder nasojejunale Sonde kann intraoperativ manuell kontrolliert distal der jeweiligen Anastomose platziert werden. Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. 2007 liegen folgende Evidenzgrade für die enterale postoperative Ernährung vor (Koletzko et al. 2007): 4 Generell sollte postoperativ die Nahrungszufuhr nicht unterbrochen werden (A). 4 Der orale Kostaufbau sollte sich vor allem nach der Toleranz des Patienten richten (C). 4 Ein oraler bzw. enteraler Kostaufbau binnen 24 h nach Operation wird empfohlen (A). 4 Auch nach Anastomosen an Kolon und Rektum kann ab dem ersten postoperativen Tag mit der oralen Nahrungszufuhr begonnen werden (A). 4 Für Anastomosen am oberen Gastrointestinaltrakt ist für die ersten Tage die enterale Zufuhr über eine distal der Anastomose liegende Sonde zu empfehlen (A).
Wenn irgend möglich sollte eine minimale enterale Ernährung (10 ml/h) immer aufrechterhalten werden, da die Darmzottenernährung zum großen Teil über den luminalen Nahrungsdurchfluss erfolgt. Eine absolute Kontraindikation der enteralen Ernährung besteht jedoch bei: 4 Akutem Abdomen 4 Akuter gastrointestinaler Blutung 4 Mechanischem Ileus 4 Intestinalen Leckagen 4 Kurzdarm während der Phase der Hypersekretion 4 Persistierender Diarrhö 4 Unstillbarem Erbrechen Relative Kontraindikationen der enteralen Ernährung (mit
Möglichkeit der minimalen enteralen Ernährung): 4 Akute Pankreatitis (außer jejunale Sonde) 4 Paralytischer Ileus 4 Hohe Refluxrate 4 Schwere Diarrhö 4 Enterokutane Fistel mit hoher Sekretion 4 Multiorgandysfunktionssyndrome (MODS) mit intestinalem Versagen 4 Intraabdominelle Hypertension >15 mmHg Üblicherweise wird innerhalb von 12–24 h mit dem enteralen Kostaufbau mit einer Geschwindigkeit von 10–20 ml/h begonnen. Bei stabilen Patienten und gastraler Sondenlage wird die kontinuierliche Nahrungszufuhr in 24 h mindestens 2× für mindestens eine halbe Stunde unterbrochen um durch suffiziente Ansäuerung des Magens eine mikrobielle Besiedelung zu verhindern, bei Intensivpatienten sind 4–6 Pausen von je einer halben Stunde nötig um einen eventuellen Reflux zu quantifizieren und das Aspirationsrisiko zu verringern. Bei beatmeten Patienten wird das Aspirationsrisiko unter enteraler Ernährung durch Oberkörperhochlagerung (30– 45°) verringert. Bei guter Verträglichkeit wird die Zufuhrrate alle 12 h um 10 ml/h gesteigert, bis die Zielzufuhr erreicht ist. Die Applikation erfolgt am besten pumpengesteuert (obligat bei jejunaler Sondenlage) bis zu einer Geschwindigkeit von 200 (–250) ml/h bei gastraler und 120 (–150) ml/h bei jejunaler Sondenlage. Der Flüssigkeitsbedarf liegt bei etwa 40 ml/ kg KG/Tag und wird auch bei kompletter enteraler Ernährung nicht durch die Sondennahrung abgedeckt. Auf Intensivstation wird der verbleibende Flüssigkeitsbedarf meist parenteral substituiert. Über die Magensonde können stilles Mineralwasser oder frisch zubereiteter (nicht mehr heißer) Kräutertee verabreicht werden. Bei immunsupprimierten Patienten und Sondenlage im Dünndarm sollten isotone NaCl-Lösung oder Ringer-Laktat-Infusionslösung, die auch zum Spülen der Sonden verwendet werden können, verabreicht werden. Nicht geeignet für eine sondengestützte Flüssigkeitszufuhr sind: 4 Früchtetees, schwarzer Tee 4 Obstsäfte 4 Kohlensäurehaltiges Mineralwasser 4 Alle heißen Flüssigkeiten
32
382
Kapitel 32 · Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie
. Tab. 32.8. Parenterale Ernährung: Berechnung und Zusammensetzung des Energie- und Nährstoffbedarfes im Postaggressionssyndrom. (Nach der Arbeitsgemeinschaft Klinische Ernährung (AKE), Version 2004; Druml et al. 2004)
Art der Ernährung
Mengenangabe
Bemerkung
Kalorienmenge
10–30 kcal/kg Kg/Tag (phasischer Verlauf, . Tab. 32.3!)
Gesamt: enteral + parenteral
Nährstoffgemisch
Komplettes Nährstoffgemisch inkl. Elektrolyte (Na, K, Ca, Mg, P, Zn),Vitamine, Spurenelemente: bei Zufuhr von 1500 ml Sondennahrung ist der durchschnittliche Vitaminund Spurenelementebedarf gedeckt
Flüssigkeits- und Elektrolytbilanzierung zusätzlich zur Ernährungstherapie Meist nicht standardisierbar, daher Substitution nach Labormonitoring
Glukose
Ca. 1–4 g/kg KG/Tag (. Tab. 32.4, metabolische Toleranz)
Cave: Blutzucker, Insulinbedarf
Fett Reduzierter Gehalt an ω-6-Fettsäuren LCT/MCT-Gemisch oder LCT-Olivenölgemisch oder LCT/MCT/ω-3-Fettsäuren-Gemisch
0,7–1,5 g/kg KG/Tag (. Tab. 32.4, metabolische Toleranz)
LCT/MCT-Gemisch, LCT-Olivenöl-Gemisch Immunmodulation durch erhöhten Anteil von ω-3-Fettsäuren (Fischöl) Keine Verwendung von reinen Sojaölprodukten
Aminosäuren
0,8–1,5 g/kg KG/Tag (A) (. Tab. 32.4, metabolische Toleranz)
Bei mangelernährten Patienten nach großen abdominellen Eingriffen: Zugabe von Dipeptamin (0,3–0,4 g/kg KG/Tag) Bei erhöhtem Ammoniak: leberadaptierte Lösungen mit vermehrt verzweigtkettigen Aminosäuren
Glutamindipeptide
0,3–0,4 g/kg KG/Tag (A)
Vitamine/Spurenelement
Durchschnittlicher Tagesbedarf
32
Einen Überblick über die Zusammensetzung der parenteralen Ernährung gibt . Tab. 32.8. Die parenterale Ernährung kann entweder über industriell vorgefertigte Zwei- (Glukose und Aminosäuren) oder Drei-Kammerbeutel (Glukose, Aminosäuren und Fett), die es in unterschiedlichen Größen für periphere oder zentralvenöse Applikation gibt, verabreicht werden, oder als Einzelinfusionen der Makrosubstrate. Für unkomplizierte Verläufe und auf Normalstation sind die Mehrkammerbeutel meist ausreichend, für kritisch Kranke auf der Intensivstation bietet das Einzelkomponentensystem den Vorteil, die Substrate einzeln nach der jeweiligen Stoffwechselkapazität anpassen zu können. Für die Standardzufuhr an Vitaminen und Spurenelementen gibt es Mischpräparate, die in jedem Fall täglich zugespritzt werden müssen, da diese Substanzen in der Ernährungslösung nicht länger stabil sind. Der individuelle Elektrolytbedarf ist direkt postoperativ meist nicht standardisierbar, daher erfolgt die Substitution anhand eines engmaschigen Labormonitoring (. Tab. 32.12). Oft ist eine erhöhte Zufuhr von Zink und Selen sinnvoll.
Postoperativer Energie- und Nährstoffbedarf Im Postaggressionsstoffwechsel liegt das Ziel der Kalorienzufuhr phasenabhängig (s. Abb.2) bei ca. 10–25 kcal/kg KG/
Erhöhte Zufuhr von Selen und Zink
Tag. Für übergewichtige Patienten gilt auch hier das Sollgewicht als Referenzgröße, für untergewichtige Patienten das aktuelle Istgewicht. Wenn die enteral zugeführte Menge der Sondenkost durch Symptome der gastrointestinalen Toleranz begrenzt wird, ist zusätzlich eine parenterale Ernährung indiziert. Da die gesamte Nährstoffzufuhr die Verwertungs- bzw. Oxidationsmöglichkeit nicht überschreiten soll (7 Kap. 32.6.1) wird die berechnete Zielzufuhr auch bei ergänzender parenteralen Ernährung nicht immer erreicht, die tatsächliche Nährstoffzufuhr liegt in diesen Fällen unter dem rechnerisch ermittelten Bedarf. Die in . Tab. 32.9 genannten Berechnungsgrundlagen und der zeitliche Verlauf sind Schätzwerte des postoperativen Energiebedarfs und müssen nach den Kriterien der metabolischen Toleranz individuell und phasengerecht angepasst werden.
Postoperative Ernährungskonzepte Nicht-mangelernährte Patienten. Bei gutem präoperativem
Ernährungszustand und unkompliziertem Eingriff ist eine künstliche Ernährung nicht notwendig, sofern innerhalb von 5 Tagen eine ausreichende orale Nahrungszufuhr möglich ist, eine basale Glukosezufuhr (2–3 g/kg KG/Tag sollte aber in-
32
383 32.7 · Klinische und laborchemische Überwachung der künstlichen Ernährung
. Tab. 32.9. Geschätzter postoperativer Energiebedarf
Tag nach Operation
1
2
3
4
5
6
7
Ruheenergie-Umsatz (ca. 25 kcal/kg KG/Tag)
×0,6
×0,6
×0,6
×0,75
×0,75
×0,75
×1
. Tab. 32.10. Postoperatives Ernährungskonzept bei nicht-mangelernährten Patienten, modifiziert nach (Rittler u. Jauch 2007). LVK leichte Vollkost mit >2000 ml Wasser oder Tee
Tag post operationem
1
2
3
4
5
6
1/3 LVK
1/3 LVK
½ LVK
½ LVK
1 LVK
1 LVK
. Tab. 32.11. Postoperatives Ernährungskonzept bei mangelernährten Patienten. (Nach Rittler u. Jauch 2007). LVK leichte Vollkost mit 2000 ml Wasser oder Tee
Operation
1
2
3
4
5
Immunonutrition (oral oder enteral)
500 ml
500 ml
500 ml
500 ml
500 ml
+ orale/enterale Ernährung
1/3 LVK oder Sondenkost
1/3 LVK oder Sondenkost
½ LVK oder Sondenkost
½ LVK oder Sondenkost
1 LVK oder Sondenkost
Parenterale Ernährung
Sofern orale/enterale Ernährung nicht ausreichend möglich
nerhalb dieses Zeitraumes gewährleistet sein). Ein postoperatives Ernährungskonzept bei gutem Ernährungszustand und unkompliziertem Eingriff mit funktionierendem Gastrointestinaltrakt gibt . Tab. 32.10 wieder (Rittler u. Jauch 2007). Wenn präoperativ keine Mangelernährung vorliegt und die Indikation für eine künstliche Ernährungstherapie bestehen, werden eiweißreiche Standartsondenkostprodukte und/oder parenterale Ernährung, in Abhängigkeit von der gastrointestinalen und metabolischen Toleranz eingesetzt (Zusammensetzung der parenteralen Ernährung . Tab. 32.8). Mangelernährte Patienten. Bei präoperativer Mangelernäh-
rung sollte die Immunonutrition für weitere 5 Tage fortgesetzt werden (. Tab. 32.11).
32.7
Klinische und laborchemische Überwachung der künstlichen Ernährung
Eine künstliche Ernährung bedarf einer regelmäßigen Kontrolle. Bei der klinischen Untersuchung ist dabei auf vor allem auf die Dosis, die Verdauung und auf Nebenwirkungen zu achten (Druml et al. 2004).
6
1 LVK oder Sondenkost
Empfohlene, mindestens tägliche Überwachung bei künstlicher Ernährung 4 Zufuhrgeschwindigkeit der Nährlösung parenteral/ enteral 4 Nährlösung/Energiezufuhr, tatsächlich verabreichte Menge 4 Soll/Ist-Vergleich (wie viel von der geplanten Zufuhr wurde tatsächlich verabreicht, Ursachen der Pausen) 4 Zusätzliche orale, enterale, und/oder parenterale Ernährung 4 Zusätzliche Flüssigkeitsmenge/Flüssigkeitsbilanz bzw. Elektrolytmenge/Elektrolytbilanz 4 Gewichtskontrolle, wenn möglich 4 Hautturgor/Ödeme 4 Bewusstseinslage 4 Refluxmenge (bei gastraler Sondenlage) 4 Stuhlfrequenz 4 Stuhlkonsistenz
Die laborchemische Überwachung der künstlichen Ernährung sollte phasengerecht vorgenommen werden. Sie umfasst eine Reihe von Parametern, die z. T. auch bei stabiler Ernährungssituation, kontrolliert werden müssen (. Tab. 32.12).
384
Kapitel 32 · Enterale und parenterale Ernährung in der Viszeralchirurgie
. Tab. 32.12. Laborchemische Kontrollen bei künstlicher Ernährung. A Akutphase, S stabile Phase, L Langzeiternährung
Parameter
Mehrmals täglich
1× täglich
Blutglukose
A
S
L
K, PO4
A
S
L
BGA, Laktat
A
S
L
A
S
L
Ca2+, Mg2+
A
S
L
Triglyzeride
A
S
L
Kreatinin
A
S
L
Na+,
Cl-
1× wöchentlich
1× monatlich
Blutbild
A
L
Gerinnung
A
L
S
L
Harn (Glukose, Protein, Azeton, Histamin, Kreatinin, Osmolarität, Na, K, Cl)
32
2× wöchentlich
A
Leberenzyme (GOT, GPT, LDH, γ-GT, alkalische Phosphatase)
A
S
L
NH3, Bilirubin, Cholinesterasee
A
S
L
Lipase, Amylase
A
S
L
A
S, L
Protein, Albumin (Transferrin, Präalbumin) Evtl. Spurenelement (Fe, Zn, Cu, Se)
L
Evtl. Vitamine
L
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32
33 33
Psychoonkologie P. Herschbach, P. Henningsen
33.1
Das Fach Psychoonkologie und seine Anwendung
33.2
Belastung und psychische Komorbidität von Krebspatienten – 388
33.3
Indikation für Psychoonkologie
33.3.1 33.3.2
Das psychoonkologische Erstgespräch Belastungsscreening – 390
– 390
33.4
Psychoonkologische Behandlung
– 392
33.4.1 33.4.2 33.4.3 33.4.4 33.4.5
Psychoedukationsprogramme – 392 Kognitiv-behaviorale Therapien – 393 Die supportiv-expressive Gruppentherapie – 393 Die Progredienzangsttherapie PaThe – 393 Ergebnisse onkologischer Psychotherapieforschung Literatur
– 394
– 388
– 390
– 394
388
Kapitel 33 · Psychoonkologie
> »Psychoonkologie« bezeichnet ein sich rasch entwickelndes Teilgebiet, das institutionell häufig der Psychosomatik zugeordnet wird und sich in enger Kooperation mit der Onkologie mit Zusammenhängen zwischen Krebserkrankungen, deren Behandlung und psychosozialen Faktoren beschäftigt. Das Gebiet entstand in den 1950er-Jahren in den USA und Europa, ausgehend vom Wunsch, Krebspatienten, die durch die Erkrankung und Behandlung sehr belastet waren, psychologische Unterstützung bereitzustellen (Holland 2004). Zu den ersten richtungweisenden empirischen Berichten zählen entsprechende Kooperationen zwischen Chirurgen und Psychoanalytikern in den USA (Sutherland et al. 1952). Inzwischen gibt es nationale (DAPO und PSO) und internationale Fachverbände (IPOS), Fachzeitschriften (Psycho-Oncology) und Lehrbücher (Holland 1998; Herschbach u. Heussner 2008; Schwartz u. Singer 2008; Dorfmüller u. Dietzfelbinger 2009; Tschuschke 2006) und regelmäßige Jahrestagungen der Fachgesellschaften.
33.1
33
Das Fach Psychoonkologie und seine Anwendung
Heute ist die psychoonkologische Mitbehandlung von Krebspatienten als integraler Bestandteil einer umfassenden onkologischen Versorgung anzusehen. Die zunehmende strukturelle Verankerung manifestiert sich u. a. in onkologischen Leitlinien und Zertifizierungskriterien von onkologischen Behandlungseinrichtungen. Die zentralen Forschungsthemen der Psychoonkologie waren bzw. sind: 4 Einflüsse der Psyche auf Verlauf und Verursachung von Krebserkrankungen (z. B. »Coping«, »Krebspersönlichkeit«) 4 Psychodiagnostik und Belastungsuntersuchungen bei Krebspatienten (inkl. »Lebensqualität«)
4 Entwicklung und Evaluation psychologischer Therapieformen (inkl. der Frage, ob Psychotherapie das Leben verlängert). 4 Arzt-Patient-Kommunikation und das Aufklärungsgespräch. Im klinischen Behandlungskontext findet psychoonkologische Unterstützung statt im Akutkrankenhaus (z. B. als psychosomatischer Konsiliar- und Liaisondienst), in onkologischen Organzentren, in onkologischen Spitzenzentren, in Krebsberatungsstellen, Rehabilitationskliniken, im Rahmen des Disease-Management-Programms »Mammakarzinom« und in psychotherapeutischen Praxen. Der Titel »Psychoonkologe« ist nicht geschützt. Gemeint sind im engeren Sinne ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten, die eine spezielle Zusatzqualifikation erworben haben. Darüber hinaus werden hier aber auch Sozialarbeiter, Kunst- und Musiktherapeuten und Seelsorger subsumiert. Je nach Behandlungssetting, Krankheits- und Behandlungsstatus sehen sich die Psychoonkologen mit sehr unterschiedlichen Patienten (und Angehörigen) und Therapieanforderungen konfrontiert. Entscheidend ist, dass sie bereit und in der Lage sind, ihr Behandlungsangebot diesen Anforderungen flexibel anzupassen und mit einer großen Zahl unterschiedlicher Professionen zusammenzuarbeiten. 33.2
Belastung und psychische Komorbidität von Krebspatienten
Ein bedeutender Teil aller Krebspatienten entwickelt zu irgendeinem Zeitpunkt im Erkrankungs- bzw. Behandlungsverlauf eine psychische Störung. Die häufigste Störung gemäß ICD10Kriterien (Dilling et al. 2000) ist die Anpassungsstörung (F43.2), gefolgt von Angststörungen und Depressionen. In . Tab. 33.1 ist der Stand der Literatur zur psychischen Komorbidität wiedergegeben.
. Tab. 33.1. Psychische Komorbidität bei Krebspatienten (Prävalenzraten in %)
Depression Mc Daniel et al. 1995
9–20
Sellick et al. 1999
6–15
Van`t Spiker et a. 1997
0–46
Angst
Anpassungsstörung
Gesamt 1,5–50
0,9–49
Zabora et al. 2001
35,1
Derogatis et al. 1983
6
2
Härter et al. 2001
9,5
13
Keller et al. 2004
32
47 23,5
21,9
Kauschke et al. 2004
28,1 36
Mehnert u. Koch 2008
11,3
20,1
Singer et al. 2007
11,6
15,6
26,4 14
32,2
389 33.2 · Belastung und psychische Komorbidität von Krebspatienten
Die methodische Qualität der Studien wurde in Laufe der Jahre zunehmend verbessert. Während früher oft kleine Stichproben mit Fragebogen untersucht wurden, basieren die jüngeren Studien häufig auf aufwendigen standardisierten psychiatrischen Interviews. Heute gehen die meisten Experten von einer mittleren Prävalenzrate irgendeiner psychischen Störung von ca. 25–30% aus. Die Rate ist höher bei fortgeschrittenen Krankheitsstadien (Kauschke et al. 2004). Diese Zahlen werden aussagekräftiger, wenn sie an Vergleichspopulationen relativiert werden. Am Beispiel von Depression ergibt sich folgendes Bild. Für Deutschland rechnen wir mit einer Prävalenz von 5.6% (Jacobi et al. 2004). Stellen wir den Krebskranken (6–15%) eine andere Patientenvergleichsgruppe gegenüber, z. B. gemischte internistische Krankenhauspatienten, so finden wir hier eine Bandbreite von 7,5–15% (Möller 2003). Insgesamt schlussfolgern wir, dass die Häufigkeit von Depressionen unter Krebskranken im Durchschnitt im Vergleich zur Normalbevölkerung etwas erhöht ist, nicht aber im Vergleich zu anderen stationär behandelten Patienten. Dies bedeutet nicht, dass eine Krebserkrankung nicht mit spezifischen und z. T. erheblichen psychischen und sozialen Belastungen verbunden sein kann. Diese Belastungen entsprechen dabei nicht unbedingt den diagnostischen Kriterien, die
für psychische Störungen (nach ICD oder DSM) zugrunde gelegt werden. Ein spezielles Zusatzproblem besteht darin, dass einige der Diagnosenkriterien, z. B. für Depressionen, nicht von den körperlichen Symptomen der Krebserkrankung (oder -behandlung) zu unterscheiden sind (z. B. Schmerzen, Erschöpfung). Auf diese Weise können sie nicht den differenziellen Effekt der Diagnosezuordnung erfüllen. Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten wurden alternative Verfahren und Kriterien entwickelt, die psychosoziale Situation von Krebspatienten zu erfassen. Ein solches Verfahren beispielsweise basiert auf dem Konzept, konkrete potenzielle Alltagsbelastungen, wie sie typisch für Krebspatienten sind, von den Patienten einordnen zu lassen. Eine entsprechende Umsetzung ist der Fragebogen zur Belastung von Krebskranken (FBK-R23, . Abb. 33.1; Herschbach et al. 2003). Der FBK-R23 setzt sich aus 23 krebstypischen Belastungsspekten zusammen. Jedes Item wird vom Patient zweifach beantwortet: »Trifft es auf mich zu?« und (wenn ja) »Wie stark belastet es mich momentan? (Bandbreite 0–5)«. Umfangreiche Untersuchungen mit diesem Fragebogen (n=3389) an einer Vielzahl von Krebspatienten unterschiedlicher Diagnosen und Stadien erbrachten die in . Tab. 33.2 zusammengestellten Befunde (Herschbach et al. 2004).
. Tab. 33.2. Belastungen von Tumorpatienten (gemessen mit dem FBK-R23)
Mittelwert
Standardabweichung
% stark belastet
Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung
2,65
1,80
36,9
Sich schlapp und kraftlos fühlen
2,25
1,70
26,1
Angst vor nochmaligem Krankenhausaufenthalt
2,09
1,83
27,0
Unter Schlafstörungen leiden
2,02
1,80
25,8
Sich oft angespannt fühlen
1,96
1,66
21,4
Hobbies weniger nachgehen können
1,88
1,79
23,2
Angst vor Schmerzen
1,83
1,75
21,4
Angst vor Arbeitsunfähigkeit
1,64
1,83
21,3
Weniger sexuellen Verkehr haben
1,61
1,82
20,5
Weniger unternehmungslustig sein
1,41
1,71
16,9
Sich körperlich unvollkommen fühlen
1,37
1,69
15,9
Schmerzen ungeklärter Genese haben
1,29
1,65
13,7
Unter Wund-/Narbenschmerzen leiden
1,28
1,54
11,4
Nicht gut über soziale Unterstützungsmöglichkeiten informiert sein
1,08
1,57
11,9
Keine Möglichkeit über seelische Belastungen zu sprechen
0,89
1,47
9,5
Partner ist wenig einfühlsam
0,88
1,45
9,0
Nicht gut über Behandlungsmöglichkeiten informiert sein
0,86
1,39
7,7
Sich unsicherer im Umgang mit Menschen fühlen
0,78
1,28
5,9
Unterschiedliche Meinungen verschiedener Ärzte
0,73
1,36
7,4
Die Körperpflege fällt mir schwerer
0,69
1,27
6,1
Verständnislosigkeit anderer
0,68
1,24
5,5
Mangelnde Offenheit in der familiären Kommunikation
0,67
1,34
7,1
Sich weniger wertvoll fühlen
0,64
1,26
6,1
33
390
Kapitel 33 · Psychoonkologie
Es zeigt sich, dass die Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung zu den häufigsten und stärksten emotionalen Belastungen von Krebspatienten gehören. 37% der befragten Patienten gaben an, dass diese Angst sie »stark« oder »sehr stark« belaste. Auch im weiteren Ranking finden sich immer wieder Ängste (vor Schmerzen, weiteren Klinikaufenthalten und vor Arbeitsunfähigkeit), daneben aber auch somatoforme bzw. psychovegetative Symptome (Erschöpfung/Fatigue, Anspannung, Schlafstörungen). Soziale Problem oder solche, die sich auf den Umgang mit Ärzten beziehen sind insgesamt weniger häufig. Selbstverständlich finden sich unterschiedliche Belastungsprofile, wenn wir die Befunde nach Krebsdiagnosen differenzieren (Herschbach et al. 2004). In der Summe erwiesen sich Patienten mit Weichteilsarkomen, Brustkrebs und Lungenkrebs als besonders stark belastet. Die Erfassung von Art und Ausprägung psychosozialer Belastungen ist nicht nur im wissenschaftlichen Bereich und für die Planung psychoonkologischer Versorgung von Bedeutung sondern auch im klinischen Einzelfall, wenn es um die Frage geht, welcher Patient ist so stark belastet, dass er psychoonkologischer Unterstützung bedarf (s. u.).
33.3
33
Indikation für Psychoonkologie
Wie in jedem anderen Bereich der Medizin ist Psychodiagnostik auch in der Psychoonkologie integraler Bestandteil und Voraussetzung der klinischen Tätigkeit. Dem psychoonkologischen Erstgespräch kommt hier eine zentrale Bedeutung zu.
mentan die hilfreichsten Bezugspersonen? Sind offene Gespräche in der Familie möglich? Hat der Patient einen Hausarzt/Onkologen? 4 Aktueller sozialer Hintergrund: Mit wem lebt der Patient zusammen? Berufliche, finanzielle Situation? Kinder, in welchem Alter? Bei kleineren Kindern: Wie sind diese über die Erkrankung des Vaters/der Mutter informiert? Wer kann zu Hause helfen? 4 Vereinbarungen, neue Kontakte, Therapieindikation: Klärung psychoonkologischen Unterstützungsbedarfs, Terminvereinbarungen etc.
Bei der Gesprächsführung ist es entscheidend, eine respektvolle, empathische, wertneutrale und unbefangene Grundhaltung einzunehmen und die nonverbale Patientenkommunikation genau zu beachten.
Das psychoonkologische Erstgespräch wird in der Regel ergänzt durch somatische Befundberichte und den zusätzlichen Einsatz standardisierter psychologischer Test- bzw. Screeningverfahren (7 Kap. 33.3.2). In Einzelfällen können neuropsychologische oder andere Spezialuntersuchungen oder auch fremdanamnestische Informationen erforderlich sein. Das Ergebnis des Gesprächs sollte eine Entscheidung darüber erlauben, ob der Patient eine professionelle psychoonkologische Unterstützung benötigt und wo der Schwerpunkt der Therapie liegen sollte.
33.3.2 Belastungsscreening 33.3.1 Das psychoonkologische Erstgespräch Das Hauptziel des psychoonkologischen Erstgesprächs ist es, Art und Umfang aktueller psychischer, somatischer und sozialen Belastungen festzustellen, diese in den Kontext der aktuellen sozialen Lebensumstände und der medizinischen Behandlung zu stellen und vor dem Hintergrund der biographischen Entwicklung des Patienten nachzuvollziehen. Von Bedeutung ist es auch, den Patienten nach den bisherigen Bewältigungsbemühungen zu befragen. Das folgende Gesprächsschema dient der Orientierung: 4 Setting (Praxis, Krankenhauszimmer): Ist das räumliche Setting geeignet für ein Erstgespräch? Scheint der Patient körperlich und seelisch bereit und in der Lage zum Gespräch zu sein? 4 Aktueller diagnostischer und therapeutischer Kontext: Seit wann auf der Station? Seit wann Diagnose bekannt? Was wird gerade untersucht, wie wird behandelt? Was ist geplant? 4 Aktuelles körperliches Befinden: Schlaf, Energie, Schmerzen, körperliche Beeinträchtigungen 4 Aktuelles seelisches Befinden: Stimmung, Sorgen, soziale Aspekte 4 Bisherige Krankheitsbewältigung, Ressourcen: Was hat bisher dabei geholfen, mit der Krankheit zurechtzukommen (Information, Ablenkung, Glaube)? Wer sind mo-
Der Begriff »Screening« bedeutet hier Selektion oder Auswahl. Es geht auch hier um die Indikationsstellung für die psychoonkologischer Betreuung. Im Einzelfall ist die Identifikation der betreuungsbedürftigen Patienten eine schwierige Aufgabenstellung. Eine ganze Reihe spezifischer Studien weisen daraufhin, dass die »Trefferquote« seitens der Onkologen nur bei 6–37% (Söllner et al. 2001; Fallowfield et al. 2001) bzw. 77% (Keller et al. 2004) liegt. Eine ganze Reihe von Gründen ist verantwortlich. In Kliniken teilt der Patient (insbesondere der männliche) sein Befinden in der Regel nicht von sich aus mit (u. a. weil er den Arzt nicht belästigen will oder weil er stark sein will). Objektive Krankheitsparameter und Befunde sind nicht eng mit der subjektiven Reaktion darauf verknüpft. Man kann also aus der Aktenlage nicht auf den Betreuungsbedarf schließen. Nicht wenige Patienten verleugnen ihre Krankheitsbelastungen, was die Einschätzung natürlich deutlich erschwert. Die Folge ist, dass ein unakzeptabel großer Anteil der Tumorpatienten nicht die Betreuung erhält, die er benötigt (Carlson et al. 2004; Carlson u. Bultz 2003; Mehnert et al. 2006). Aus den genannten Gründen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Belastungsscreening aller Krebspatienten der einzige zuverlässige Weg ist, die betreuungsbedürf-
391 33.3 · Indikation für Psychoonkologie
. Abb. 33.1. Fragebogen zur Belastung von Krebskranken-Kurzversion (FBK-R10)
tigen Individuen zu identifizieren (Turner et al. 2005). Diese Tatsache spiegelt sich heute in internationalen und deutschen Leitlinien wieder (Mehnert et al. 2003; Weis et al. 2003; National Comprehensive Cancer Network 2003): 4 »Psychosocial service needs of patients and families are assessed systematically using appropriate tools« (Canadian Cancer Society 1999) 4 »All patients should be screened for distress at their initial visit, at appropriate intervals, and as clinically indicated« (National Comprehensive Cancer Network 2003) 4 »Der Bedarf psycho-onkologischer Betreuung von Patienten und Angehörigen wird systematisch mit angemessenen Instrumenten erhoben« (Empfehlungen zur psychoonkologischen Betreuung im Akutkrankenhaus, Mehnert et al. 2003) Es gibt eine ganze Reihe von psychologischen Testverfahren, die prinzipiell hier in Frage kämen (Mehnert et al. 2006, Herschbach 2006). Die psychosoziale Arbeitsgemeinschaft in der deutschen Krebsgesellschaft (PSO) hat eine Broschüre herausgegeben, in der fünf Screeningverfahren ausgewählt und empfohlen werden (Herschbach u. Weis 2008; http:// www.krebsgesellschaft.de/download/pso_broschuere.pdf). Auswahlkriterien waren: die bisherige Praxisbewährung, die Ökonomie (Kürze der Verfahren), die psychometrische Absicherung (u. a. Validität, Reliabilität), die Auswertbarkeit und Akzeptanz beim Patienten. Alle Verfahren lassen sich in kurzer Zeit in die Alltagsroutine einbauen, liefern Entscheidungshilfen und werden von den Patienten aller Erfahrung nach gut akzeptiert. Es handelt sich um:
4 Das Hornheider Screening-Instrument (HSI; Strittmatter 2006): Das HSI besteht aus 7 krebsspezifischen Belastungsitems, die sowohl als Interview durch den Arzt als auch als Fragebogen durch den Patienten beantwortet werden kann. 4 Das Distress-Thermometer (Mehnert et al. 2006): Dieses Selbstbeurteilungsinstrument besteht aus einer visuellen Analogskala in Form eines Thermometers, die von 0 (»gar nicht belastet«) bis 10 (»extrem belastet«) reicht, und einer Problemliste. 4 Fragebogen zur Belastung von Krebskranken (FBKR23, FBK-R10; Herschbach et al. 2003; Book et al. 2009). Der FBK-R23 bzw. R10 besteht aus 23 bzw. (in der Kurzversion) 10 krebsspezifischen Belastungsaspekten, die jeweils nach Relevanz und Belastungsstärke beantwortet werden müssen (. Abb. 33.1). 4 Psychoonkologische Basisdokumentation (PO-Bado; Herschbach et al. 2008): Die PO-Bado ist kein Patientenfragebogen, sondern eine Fremdeinschätzungsskala für Ärzte und Psychoonkologen. Auf der Basis eines kurzen gezielten Gesprächs (Interviewleitfaden und Manual liegen vor; http://www.po-bado.med.tu-muenchen.de) wird die aktuelle subjektive Krebsbelastung des Patienten eingeschätzt. Die PO-Bado liegt in einer Standardversion (15 Items), einer Brustkrebsversion (19 Items) und einer Kurzversion (6 Items) vor. 4 Die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS; Herrmann et al. 1995): Die HADS erfasst generalisierte Angst und Depressivität bei körperlich Kranken (nicht krebsspezifisch!). Die beiden Skalen bestehen aus jeweils 7 Items.
33
392
Kapitel 33 · Psychoonkologie
Alle Verfahren können in relativ kurzer Zeit angewandt werden. Sie beinhalten Schwellenwerte für »Überlastung«, die eine Zuweisung zu psychoonkologischer Unterstützung erleichtern.
33.4
33
Psychoonkologische Behandlung
Die psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen, die in der Onkologie angewandt werden, hängen sehr stark vom Behandlungssetting, von der Krebsdiagnose und der Krankheitsphase ab. Sie können als Einzeltherapie, Gruppentherapie, Paartherapie oder Familientherapie angewandt werden. Letztlich ist das konkrete Therapieziel im Einzelfall entscheidend. Es ist inzwischen eine Vielzahl von Einzelinterventionen entwickelt und evaluiert worden, die sich auf die Behandlung onkologischer Symptome beziehen, beispielsweise dem antizipatorischen Erbrechen, Fatigue, Schmerzen oder »Chemobrain«, aber auch von Angst, Depression, Körperbildstörungen, Selbstwertdefiziten, Partnerproblemem und Sexualität (Herschbach u. Heussner 2008). Insgesamt geht es um Unterstützung bei der Bewältigung der Erkrankungs- und Behandlungsfolgen, um die Verbesserung der Behandlungscompliance, letztlich also um die Verbesserung der Lebensqualität oder – wie die Patienten es häufig ausdrücken – um die Frage: »Wie kann ich lernen, ein normales Leben unter dem Damoklesschwert zu führen?« In der stationären Akutmedizin wird die psychoonkologische Versorgung häufig über den psychosomatischen Konsiliar- oder Liaisondienst organisiert. Mehr oder weniger stark integriert in die Stationsabläufe wird der Psychoonkologe mit »auffälligen« Patienten in Kontakt kommen. Insgesamt ist es günstiger, wenn er im Rahmen eines Liaisonmodells regelmäßig auf der Station präsent ist (bei den Übergabegesprächen oder Visiten). Die Hauptanlässe für die Kontaktaufnahme sind Probleme mit der Akzeptanz der Erkrankung (»Warum gerade ich?«), Kommunikationsprobleme (mit Partner, Kindern, den Ärzten etc.), aufkommende psychosomatische Belastungssymptome (Schlafstörungen, Fatigue, Angstzustände, depressives »Aufgeben«), emotionale Krisen, ComplianceProbleme (z. B. Verleugnung, Abbruch der Chemotherapie), Akzeptieren der palliativen Phase (Nutzen der verbleibenden Zeit) und Abschied nehmen (»der gute Tod«). Der Psychoonkologe greift im Anschluss an eine psychoonkologische Erstdiagnostik die Probleme des Patienten auf und behandelt ihn in der Regel mindestens solange der Krankenhausaufenthalt andauert. Er setzt dabei gesprächstherapeutische Techniken ein, verhaltenstherapeutische Interventionen (z. B. Entspannungs- und Imaginationsübungen) oder auch psychopharmakologische Behandlung. Er bezieht bei Bedarf die Familie mit ein, aber auch den Sozialdienst der Klinik. Während der gesamten Behandlung bleibt er im Kontakt mit den behandelnden Ärzten und dem Krankenpflegepersonal. Unter Umständen vermittelt er eine ambulante Weiterbehandlung nach der Entlassung. Im Folgenden werden beispielhaft einige zentrale psychotherapeutische Interventionen dargestellt, die eher im ambu-
lanten Setting oder der medizinischen Rehabilitation zu Anwendung kommen können: Psychoedukationsprogramme, die supportiv-expressive Gruppentherapie, kognitiv-behaviorale Therapien und die Progredienzangstherapie. Vorab soll jedoch auf einen Bereich eingegangen werden, der sehr spektakulär und umstritten ist, nämlich der Verlängerung des Überlebens durch Psychotherapie. Psychotherapie und Überlebenslänge David Spiegel, ein amerikanischer Psychiater, veröffentlichte 1989 Ergebnisse einer Psychotherapiestudie mit Brustkrebspatientinnen in Lancet (Spiegel et al. 1989). Im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Studie verglich er zwei Gruppen von Frauen mit metastasiertem Brustkrebs. 50 Frauen erhielten ein Jahr lang wöchentlich eine sog. supportiv-expressive Gruppentherapie; die 36 Kontrollpatientinnen wurden wie üblich behandelt. Es stellte sich später heraus, dass die Therapiegruppe im Mittel 36,6 Monate überlebt hatte, die Kontrollgruppe hingegen lediglich 18,9 Monate – ein hochsignifikanter Unterschied.
Seit dieser spektakulären Publikation entwickelt sich dieser Forschungsbereich weiter. Es gibt heute 14 randomisiertkontrollierte Studien zu dieser Fragestellung. Von diesen Studien konnten sechs einen Zusammenhang zwischen Psychotherapie und Überlebensgewinn nachweisen, acht Studien nicht (Coyne et al. 2007; Herschbach u. Heussner 2008; Faller 2009). Die Gründe für diese unklare Befundlage sind vielfältig und überwiegend methodischer Art. Letztlich müssen wir heute davon ausgehen, dass eine endgültige Klärung noch aussteht. So lange dies so ist, sollten wir den Patienten aus ethischen Gründen weder explizit noch implizit suggerieren, dass sie eine Chance auf Lebensverlängerung haben, wenn sie Psychotherapie in Anspruch nehmen.
33.4.1 Psychoedukationsprogramme Psychoedukationsprogramme spielen eine große Rolle im Spektrum psychoonkologischer Therapieangebote. Es handelt sich um eine Mischung aus Information und Psychotherapie. Sie werden in der Regel mit ca. 10 Patienten und ein oder zwei Therapeuten durchgeführt. Sie sind häufig stark strukturiert und werden durch Medien unterstützt (Broschüren, Videos, Fragebogen, Tagebücher etc). Globales Ziel ist es, den Patienten zu einem aktiven, informierten und selbstbewussten Partner seines therapeutischen Teams zu machen. Durch den Kontakt mit Gleichbetroffenen kann Entfremdung und Verunsicherung reduziert werden, Fehlwahrnehmungen können korrigiert werden. Ein aktuelles Beispiel eines solches Programms wurde von Weis et al. (2006) beschrieben. Es besteht aus den folgenden 10 Therapiesitzungen von jeweils 120 min Dauer. Die folgenden Inhalte werden bearbeitet: 4 Sitzung 1: Gesundheitsförderung bei Krebs (Salutogenese) 4 Sitzung 2: Krankheit und Stress (Stressoren und Stressreaktionen) 4 Sitzung 3: Krankheitsverarbeitung als Weg (Copingstrategien)
393 33.4 · Psychoonkologische Behandlung
4 Sitzung 4: Subjektive Bedürfnisse und personale Ressourcen 4 Sitzung 5: Umgang mit belastenden Gefühlen (Selbstwahrnehmung und Entlastungsstrategien) 4 Sitzung 6: Kontakt zu nahe stehenden Personen (soziale Unterstützung und Kommunikation) 4 Sitzung 7: Erfahrungen mit professionellen Helfern (ArztPatient-Kommunikation, Shared Decision Making) 4 Sitzung 8: Belastungen und deren Bewältigung (u. a. Berufsbelastungen und Fatigue) 4 Sitzung 9: Förderung der Patientenkompetenz: Möglichkeiten und Grenzen der Selbsthilfe (Strategien der Informationssuche) 4 Sitzung 10: Abschlusssitzung (Bilanzierung der Gruppenerfahrung). Jede Sitzung enthält neben den thematischen Schwerpunkten übende Elemente aus verschiedenen Therapieansätzen. Hauptbestandteile des Programms sind: Informationen zu psychosozialen Fragen, themenzentrierte Gesprächsangebote, emotionale Unterstützung (Ausdruck von Emotionen, emotionale Entlastung), Entspannungstechniken und gelenkte Imaginationen, kognitive Umstrukturierung und Neuorientierung, Erlernen von Selbstkontrollstrategien und Erarbeitung praktischer Alltagsproblemlösungen.
33.4.2 Kognitiv-behaviorale Therapien Die kognitiv-behavioralen Psychotherapieansätze (meist basierend auf Becks kognitiver Therapie) gehen davon aus, dass es nicht die realen Ereignisse sind, die unsere emotionalen Reaktionen hervorrufen, sondern deren subjektive Einordnung und Bewertung. Diese Bewertungen und Bedeutungszuschreibungen können unlogisch und auch schädlich sein (»irrational beliefs«). Es ist also hier nicht die Krebserkrankung oder deren Symptome, die den Patienten belasten, sondern die Bedeutung, die er ihr zuweist. Die Bewältigung der Krebserkrankung setzt somit an der Wahrnehmung, Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur unangemessener Bewertungen und Einstellungen an. Eine der ersten und elaboriertesten psychoonkologischen Therapien, die auf diesen Grundannahmen aufbauen, ist die Adjuvant Psychological Therapy (APT) von Stirling Moorey u. Steven Greer (2007). Grundsätzlich können kognitive Therapien in der Gruppe, als Einzel- oder als Paartherapie durchführt werden.
der supportiv-expressiven Gruppentherapie das ehrliche Ansprechen und Ausdrücken aktueller Gedanken und Gefühle, die Ermutigung der aktiven Exploration durch die anderen Gruppenmitglieder, Modelllernen, anderen helfen, Lernen, sich zu verändern, Selbstwirksamkeit (Bandura) und den Gruppenprozess fördern. Die Therapieinhalte werden, anders als bei den Psychoedukationsprogrammen, nicht vorgegeben, sondern kommen aus der Gruppe. Es besteht eine große Akzeptanz für alle geäußerten Gefühle und Ideen. Der Therapeut reflektiert und fasst zusammen, wertet nicht. Jeder Patient soll seine eigenen Problemlösungen finden können. Die supportiv-expressiven Gruppen dauern deutlich länger als Psychoedukationsprogramme (bis zu einem Jahr). Der Kontakt der Gruppenmitglieder zwischen den therapeutischen Sitzungen wird gewünscht, sodass intensive personale Bindungen entstehen können.
33.4.4 Die Progredienzangsttherapie PaThe Progredienzangst (die Angst vor der Wiederkehr oder der Ausbreitung der Erkrankung) ist eine zentrale emotionale Belastung von Krebskranken. In hohen Ausprägungen schränkt sie die Lebensqualität der Patienten erheblich ein (ständiges Grübeln über den möglichen Krankheitsverlauf). Zur Behandlung dieser sog. dysfunktionalen Progredienzangst wurde eine spezifische kurze Psychotherapie entwickelt, die Progredienzangsttherapie PaThe (Herschbach u. Berg 2009).
Ziel der Therapie ist nicht Angstfreiheit, sondern die Nutzung der Angst als Signal und Handlungsmotivation zur Selbstfürsorge. Die Patienten sollen lernen, dass sie der Angst etwas entgegenzusetzen haben, ihr nicht ausgeliefert sind. Durch die Reflexion und Umbewertung von Lebenszielen und -bereichen sollen sie zudem an Lebensqualität gewinnen. Der Patient soll »Werkzeuge« an die Seite gestellt bekommen, die ihm im Alltag helfen, mit der Angst umzugehen, sich nicht passiv überfluten zulassen und die Kontrolle zu behalten.
Das Therapieprogramm selbst umfasst vier Gruppensitzungen zu je eineinhalb Stunden Dauer. Das Konzept stützt sich auf die kognitive Verhaltenstherapie, ist halbstandardisiert und direktiv auf Progredienzangst ausgerichtet. Die therapeutischen Kernelemente sind:
33.4.3 Die supportiv-expressive Gruppen-
therapie Die supportiv-expressive Gruppentherapie wurde von Spiegel u. Classen (2000) speziell für Brustkrebspatientinnen in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium entwickelt. Ziel ist es, Frauen zu unterstützen, die mit dem Trauma Krebs konfrontiert sind, das deren gesamtes bio-psycho-soziales Leben betrifft. In Anlehnung an Irvin Yalom sind allgemeine Prinzipien
Selbstbeobachtung und Diagnostik. Die Wahrnehmung
und Beschreibung der Angst ist die zentrale Voraussetzung für die Behandlung. Sie wird zunächst in Patienten-Zweiergruppen ausgetauscht (Auslöser, Hinweise, Formen, Inhalte, bisherige Bewältigungsversuche der Progredienzangst). Es geht insgesamt um die Wahrnehmung der Ängste und deren Differenzierung in körperliche »Signale«, gedanklichen Befürchtungen und Handlung.
33
394
Kapitel 33 · Psychoonkologie
Angstkonfrontation und Neubewertung. Die Konfrontation
der Patienten mit ihrer Progredienzangst steht im Zentrum der Behandlung. Sie wird »Zu-Ende-Denken« genannt. Den Patienten wird zunächst das Rationale der Angstkonfrontation erklärt. Sie werden angeleitet, sich ihrer Angst zu stellen und diese zu durchleben. Ein Beispiel wäre die Aussage einer Krebspatientin »Ich habe Angst, die Haare zu verlieren, wenn ich Chemotherapie bekomme«. Das Zu-Ende-Denken würde hier beispielsweise die Konfrontation der Patientin mit den folgenden Fragen beinhalten: 4 Wie wahrscheinlich ist es, dass ich die Haare verlieren werde? Wann wird das möglicherweise eintreten? 4 Woran werde ich zuerst merken, dass die Haare ausfallen werden? 4 Welche Abstufungen des Haarausfalls kann es geben? 4 Was passiert im schlimmsten Fall? 4 Welche Konsequenzen könnte dies für mich haben? 4 Wie möchte und wie kann ich darauf reagieren? 4 Wie kann ich mich vorbereiten?
33
Durch diese harten Konfrontationen mit dem häufig Tabuisierten wird eine Entmystifizierung erreicht; das Diffus-Bedrohliche wird in aussprechbare, benennbare und vielleicht beeinflussbare Teilprobleme aufgegliedert. Diese Teilprobleme lassen sich häufig durch konkrete Maßnahmen lösen oder kontrollieren. Die Patienten machen die Erfahrung, dass sie die körperlichen Begleiterscheinungen der Angst aushalten, dass sie Kontrolle gewinnen können und dass es Strategien gibt, Angstüberflutungen im Alltag etwas entgegenzusetzen.
über einen Ein-Jahres-Beobachtungszeitraum hinweg signifikant reduzieren. Analoge Verbesserungen zeigten sich auch für Depressivität und Lebensqualität, ein Befund, der in der Kontrollgruppe nicht beobachtet werden konnte.
33.4.5 Ergebnisse onkologischer
Psychotherapieforschung Es gibt heute eine Vielzahl von Studien und Metaanalysen, die die Wirksamkeit von psychoonkologischer Therapie (im Hinblick auf die Reduktion psychischer und somatischer Beschwerden und die Steigerung der Lebensqualität) überprüft haben (u. a. Coyne et al. 2006; Söllner u. Keller 2007). Im Hinblick auf die Reduktion körperlicher Beschwerden (wie Schmerzen, Therapienebenwirkungen und Fatigue) können vor allem verhaltenstherapeutische Interventionen (wie Entspannungstherapie, Hypnose, Imagination) als recht erfolgreich angesehen werden. Was psychische Belastungen (wie Angst, Depression, Distress) betrifft, so haben sich Gruppenverfahren (psychoedukativer und supportiv-expressiver Art) bewährt – in höherem Maße bei Angst und Lebensqualitätseinschränkungen als bei Depression.
Insgesamt können wir davon ausgehen, dass Psychotherapie den Krebspatienten hilft, mit ihrer Erkrankung zurechtzukommen, ihre körperlichen und psychischen Belastungen zu reduzieren und psychischen Störungen vorzubeugen.
Verhaltensänderung und Lösungen. Da sich die Therapie
auf belastende Themen konzentriert, ist es notwendig, Leichtigkeit und Lebensfreude als Ausgleich zu vermitteln. Eine zentrale Technik ist das »Selbstlob«. Die Teilnehmer werden aufgefordert, Eigenschaften, Leistungen oder Fähigkeiten zu nennen, die sie an sich mögen. Eine weitere ressourcenorientierte Übung ist der »Lebenskreis«. Ziel ist es, den Patienten dazu anzuhalten, seine Wertmaßstäbe zu reflektieren bzw. im Angesicht der Krebserkrankung zu relativieren. Er benutzt zwei Arbeitsblätter, auf denen Kreise aufgezeichnet sind, um einzelnen Segmente nach Größe zu differenzieren (»Was ist mir jetzt wichtig im Leben«? bzw. »Wie soll es in Zukunft aussehen?«). Über den gesamten Therapiezeitraum hinweg werden alle Sitzungen begleitet durch die Rahmeninterventionen Hausaufgaben, Tagebuch, »Lösungskoffer« und Entspannungsübungen. Ein zentrales konzeptionelles Ziel von PaThe ist es, dem Patienten therapeutische Werkzeuge an die Hand zu geben, die ihm später im Alltag gegen eventuelle Angstüberflutung helfen können. In diesem Zusammenhang wird mit jedem Patienten spätestens in der letzten Therapiestunde ein »Aktionsplan« erarbeitet. Im Aktionsplan legen die Patienten konkret fest, welche Schritte sie in den nächsten vier Wochen nach Therapieende in ihrem Alltag umsetzen möchten. Die Progredienzangsttherapie PaThe hat sich im Rahmen eines kontrollierten, teilrandomisierten Untersuchungsplans mit Krebspatienten in der Rehabilitation bewährt (Herschbach et al. 2009). Das Ausmaß der Progredienzangst ließ sich
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395 Literatur
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33
34 34
Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie M. Bullinger, A. Mehnert, C. Bergelt
34.1
Einführung
34.2
Kriterien zur Beurteilung von Lebensqualitätsinstrumenten
34.3
Verfügbare Messinstrumente
34.3.1 34.3.2 34.3.3
Krankheitsübergreifende Skalen – 400 Krebsspezifische Instrumente – 401 Anwendung von Lebensqualitätsinstrumenten
34.4
Schlussbetrachtung Literatur
– 398
– 405
– 404
– 400
– 403
– 399
398
Kapitel 34 · Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie
> Mit der zunehmenden Anerkennung psychosozialer Aspekte von Krebserkrankungen und ihrer Behandlung hat sich in den letzten 20 Jahren der Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität als Zielkriterium auch in onkologisch-chirurgischen Studien etabliert. Es liegen eine Reihe sowohl krankheitsübergreifender als auch krankheitsspezifischer Verfahren zur Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie vor, die auf der Grundlage methodischer Richtlinien entwickelt wurden. Die meisten dieser Instrumente genügen psychometrischen Gütekriterien und sind damit zum Einsatz bei Krebspatienten geeignet. Obwohl die Anwendung von Lebensqualitätsmessinstrumenten in onkologischen Studien zunimmt, gibt es für den deutschen Sprachraum nach wie vor Entwicklungsbedarf in der Anwendung der Lebensqualitätsforschung im Bereich der Krebserkrankungen.
34.1
34
Einführung
Krebserkrankungen zählen zu den häufigsten chronischen Erkrankungen in den westlichen Industrieländern. Die Zunahme der Krebsinzidenzen mit steigendem Lebensalter und die hoffnungsvoll stimmenden Verbesserungen in der Überlebenszeit durch Fortschritte bei Früherkennungs- und Behandlungsmaßnahmen haben in den letzten Jahren auch zu einer Zunahme von chronisch kranken Patientinnen und Patienten geführt, die mit der Erkrankung und den körperlichen wie psychosozialen Folgen der Krebserkrankung lange Zeit leben (Brenner et al. 2002; Kamangar et al. 2006). Die mittelwie längerfristigen Folgen dieser Entwicklung betreffen nicht nur Aspekte der körperlichen Gesundheit und des körperlichen Funktionsstatus, sondern auch das psychosoziale Befinden und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten (Hewitt et al. 2004; Ganz 2005; Knobf 2007). Der in den letzten Jahren häufiger verwendete Begriff des »Überlebens« der Krebserkrankung – im englischen häufig als »cancer survivorship« bezeichnet – wird nach dem National Cancer Institute (2006) in den USA ab dem Zeitpunkt der Diagnose verwendet. Andere Definitionen haben eine Einteilung in verschiedene zeitliche Stadien vorgeschlagen (Mullan 1985; Bloom 2002): 4 Die akute Überlebenszeit (»acute survival«) umfasst das erste Jahr nach Diagnose und Primärtherapie. 4 Die mittlere Überlebenszeit (»extended survival«) umfasst das erste bis dritte Jahr nach Diagnose und Primärtherapie. . Abb. 34.1. Dimensionen der ICF (WHO 2001)
4 Die längerfristige Überlebenszeit (»permanent survival«) reicht vom dritten Jahr nach Primärtherapie bis zum Lebensende. Die Lebensqualität der Patienten kann in den verschiedenen Überlebensstadien durch unterschiedliche Belastungsfaktoren beeinträchtigt werden. Trotz zahlreicher Verbesserungen in Therapie und Nachsorge ist die Erkrankung für die überwiegende Mehrheit der Patienten noch immer mit z. T. gravierenden Einschränkungen, Belastungen und Folgeproblemen verbunden, die sich auch in längerfristiger Perspektive in besonderem Maße auf die Lebensqualität auswirken (Holland 2002). Die Diskussion über die Auswirkungen von Erkrankungen und deren Behandlung auf die Lebensqualität von Patienten ist daher besonders intensiv in der Onkologie geführt worden (Najman u. Levine 1981; Aaronson u. Beckmann 1987; Patrick u. Erikson 1992). Die Hinwendung zur Lebensqualität in der Onkologie reflektiert nicht nur eine Sensibilisierung für die psychosoziale Dimension von Krankheit und Behandlung, sondern entspringt auch einer zunehmenden Skepsis gegenüber der Aussagekraft von etablierten Indikatoren in klinischen Studien wie Veränderungen in der Überlebenszeit oder der Symptomatik (Barofsky 1996). Die Berücksichtigung der Lebensqualität in der Onkologie entspricht konzeptionell der Gesundheitsdefinition und dem Modell der funktionalen Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wie es in der aktuellen Fassung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (International Classification of
Functioning, Disability and Health, ICF) formuliert wird. Das Modell der funktionalen Gesundheit der ICF (WHO 2001; DIMDI 2004) berücksichtigt den Gesundheitszustand, Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten, Partizipation, Umweltfaktoren und persönliche Faktoren, die sich jeweils wechselseitig aufeinander auswirken können (. Abb. 34.1). Es ergänzt die Einteilung der Erkrankungen nach der internationalen Klassifikation von Erkrankungen (ICD-10), anhand derer sich Gesundheitszustände nosologisch klassifizieren lassen. Die ICF bildet ein in sich schlüssiges Konzept, das sowohl die biologische als auch die individuelle und soziale Perspektive von Gesundheit berücksichtigt und damit für die Klassifikation (und Quantifizierung) von Problemen und Potenzialen von Patienten geeignet ist. Die derzeit gängigen multidimensionalen Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität berücksichtigten auch zentrale Bereiche des WHO-Modells
399 34.2 · Kriterien zur Beurteilung von Lebensqualitätsinstrumenten
der funktionalen Gesundheit, die Dimensionen der Lebensqualität können somit auf die Dimensionen der funktionalen Gesundheit bezogen werden (nach sog. »linking rules«; Cieza u. Stucki 2005; Cieza et al. 2005). Gesundheitliche Beeinträchtigungen und Krankheitsfolgen können nicht mit klassischen medizinischen Indikatoren allein abgebildet werden. Insbesondere »patientennahe« Messverfahren wie die Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität spielen daher in Forschung und Therapieevaluation zunehmend eine wichtige Rolle, da nur aufgrund der Selbsteinschätzung der Patienten reliable Informationen zu subjektiver Gesundheit, Leistungsvermögen und Motivation gewonnen werden können. In neueren Studien werden Ergebnisse zur Lebensqualität und zum subjektiven Gesundheitszustand der Patienten auch häufig als »patient reported outcome« (PRO) bezeichnet. Standardisierte Selbsteinschätzungen sind erwiesenermaßen sog. »objektiven Erhebungen« medizinischer Befunde und darauf basierenden ärztlichen oder therapeutischen Einschätzungen in Bezug auf ihre Zuverlässigkeit mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen (Zwingmann et al. 2005).
Ziel der Lebensqualitätsforschung in der Onkologie ist es, die aktuelle Verfassung von Patientengruppen zu beschreiben, einzelne Behandlungsstrategien und Therapiealternativen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Lebensqualität zu bewerten und die Versorgung der Patienten durch gezielte Angebote psychosozialer Hilfen zu verbessern (Bernhard et al. 1996). Die Betonung der subjektiven Sichtweise soll dabei aber nicht andere Datenquellen ersetzen, sondern bedeutet vielmehr, die Patienten als Experten für die eigene gesundheitsbezogene Lebensqualität zu betrachten und diese Beurteilung reliabel und valide zu erfassen.
Auch auf der Ebene des Gesundheitsversorgungssystems ist die Lebensqualität ein zunehmend bedeutsames Zielkriterium. Hier geht es einerseits um die Planung von Gesundheitsversorgung, andererseits darum, Nutzen und Kosten einer Therapie auch im Hinblick auf die Lebensqualität zu bewerten. Die Erfassung der Lebensqualität ist somit sowohl deskriptiv im Bereich der Epidemiologie, als auch evaluativ im Bereich der Therapieforschung und gesundheitsökonomisch im Bereich der Kosten-Nutzen-Bewertung von Gesundheitsleistungen von Bedeutung (Bullinger 1996; Berzon et al. 1996). Die Lebensqualität der Patienten stellt in psychologischer Terminologie ein multidimensionales Konstrukt dar, das die körperliche Verfassung, das psychische Befinden und die sozialen Beziehungen umfasst (Bullinger 1991). Eine vierte Komponente, die die Funktionsfähigkeit im Alltag berührt, ist in den meisten Lebensqualitätsdefinitionen ebenfalls enthalten. Darüber hinaus werden zunehmend auch die kognitivmentale und die spirituell-religiöse Komponente verstärkt berücksichtigt (Spilker 1996).
34.2
Kriterien zur Beurteilung von Lebensqualitätsinstrumenten
Unter der Vielzahl der Lebensqualitätsinstrumente finden sich sowohl ältere Verfahren, die der Gesundheitsforschung im amerikanischen Sprachraum entstammen, als auch jüngere Neuentwicklungen für spezifische Patientengruppen. Generell lassen sich die Verfahren nach folgenden Gesichtspunkten klassifizieren: 4 Übergreifende (»generic«) versus spezifische (»targeted«) Verfahren, d. h. Instrumente, die die Lebensqualität der Patienten über verschiedene Erkrankungen, Funktionszustände oder Therapien hinweg (»generic«) oder spezifisch für eine bestimmte Erkrankung oder Behandlungssituation erfassen (»targeted«). 4 Einzelne versus multiple Komponenten der Lebensqualität, d. h. Verfahren, die die Lebensqualität auf einer einzelnen Skala abbilden (Index), gegenüber der Berücksichtigung von verschiedenen Lebensqualitätsdimensionen (Profile). 4 Selbst- versus Fremdbeurteilungsverfahren, d. h. Verfahren, bei denen die Patienten ihre Lebensqualität selbst beurteilen, z. B. durch Fragebögen oder Interviews, gegenüber Fremdeinschätzungen durch Andere, z. B. Ärzte, Pfleger oder Familienangehörige. 4 Verhaltensnahe versus bewertungsbezogene Instrumente, d. h. Verfahren, die die Verhaltensweisen abbilden gegenüber Verfahren, die eine eigene Beurteilung der Patienten über die eigene Verfassung, d. h. ein Werturteil erfordern. Um als Lebensqualitätsmessinstrument ausgewiesen zu sein, sollte ein Instrument multidimensional sein und die subjektive Erfahrung des Patienten reflektieren (Anderson et al. 1996). Darüber hinaus sollte es folgende Merkmale besitzen (Ware 1987): 4 Es sollte konzeptuell fundiert sein, d. h. den Gegenstandsbereich Lebensqualität durch einen empirisch oder theoretisch nachvollziehbaren Zugang adäquat abdecken. 4 Es sollte testtheoretischen Gütekriterien genügen, d. h. reliabel (zuverlässig), valide (gültig) und sensitiv (therapieinduzierte Veränderungen abbildend) sein. 4 Es sollte patientenfreundlich sein, d. h. kurz, einfach, verständlich, akzeptabel und praktikabel. 4 Es sollte leicht auswertbar und in seinen Messwerten klinisch interpretierbar sein. Mit Hilfe von Referenzgruppen und einem entsprechenden Manual sollte zu entscheiden sein, welche Bedeutung die mit dem Messinstrument erhobenen Werte für die untersuchte Population haben. Bezüglich der konzeptuellen Fundierung ist zu fordern, dass in der Beschreibung eines Verfahrens dessen theoretische Fundierung und das zugrunde liegende Messmodell angegeben wird. Nur aufgrund der konzeptuellen Basis und intendierten Zielrichtung eines Verfahrens ist seine Eignung für einen bestimmten Verwendungszweck auch beurteilbar (Schipper et al. 1996). Die testtheoretischen Gütekriterien sind in einer Reihe von Arbeiten diskutiert worden (Nunally 1978; Ware 1987).
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400
34
Kapitel 34 · Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie
Zu ihrer Beurteilung sollten zumindest Ergebnisse von Reliabilitätsuntersuchungen vorliegen, insbesondere zur internen Konsistenz (Cronbach‘s α sollte über dem kritischen Wert von α=0,70 liegen) und zur Test-Retest-Reliabilität (Korrelationskoeffizient sollte über dem kritischen Wert von r=0,70 liegen). Bei den Validitätsprüfungen sind sowohl Angaben zur inhaltlichen Validität als auch zur Kriteriums- bzw. Konstruktvalidität erforderlich. Bei der Kriteriumsvalidität wird die konvergente Validierung des Verfahrens mit einem anderen Fragebogen oder einem Außenkriterium, z. B. dem Schweregrad der Erkrankung, zugrunde gelegt. Bei der diskriminanten Validierung wird die Fähigkeit des Instrumentes betrachtet, verschiedene Subgruppen von Patienten, z. B. nach klinischem Symptombild, zu differenzieren. Die Konstruktvalidität von Fragebögen kann zunehmend durch die konfirmatorische Prüfung der Skalenstruktur mit Hilfe von Multitrait-Ansätzen durchgeführt werden. Die Sensitivität eines Messinstrumentes kann im Vergleich der Werte vor und nach einer Behandlung als Effektstärke bzw. als relative Effektstärke im Vergleich mit einem anderen Maß angegeben werden. Diese testtheoretischen Gütekriterien sollten auch im interkulturellen Vergleich geprüft werden, wenn ein Instrument in verschiedenen Sprachen entwickelt und psychometrisch geprüft wird (Bullinger et al. 1996). Die Praktikabilität der Verfahren ist sowohl aus der Anzahl fehlender Werte beim Einsatz des Verfahrens in verschiedenen Untersuchungsgruppen als auch aus dem Zeitaufwand der Beantwortung in Relation zur Fragenanzahl ersichtlich. Darüber hinaus findet eine direkte Einschätzung durch den Patienten bezüglich der Klarheit, Verständlichkeit und Intimität der Fragen als Erhebungsmethode der Praktikabilität zunehmend Verwendung (Bullinger 1996). Die klinische Interpretierbarkeit der Scores stellt das vielleicht am schwierigsten erfüllbare Kriterium dar. Oft ist das Ausmaß einer Veränderung im Vergleich zu einem Ausgangswert nur statistisch, nicht aber inhaltlich zu interpretieren. Hier geben beispielsweise Ankerwerte (wie Arzt- oder Patientenurteil, klinische Daten) als Äquivalent der Fragen im Fragebogen eine Interpretationshilfe (Ware u. Keller 1996; Lydick u. Epstein 1996). Neuere Forschungsarbeiten widmen sich verstärkt der Thematik, Messergebnisse in Bezug auf die Lebensqualität des Patienten für Kliniker verständlicher und leichter interpretierbar zu machen (Sloan et al. 2002). Dabei bezieht sich der Begriff der »klinischen Bedeutsamkeit« (»clinical significance«) darauf, ob statistisch signifikante Unterschiede groß genug sind, um aus den Ergebnissen auch Schlussfolgerungen für die klinische Versorgung ziehen zu können. Eine weitere Möglichkeit zur Abschätzung der klinischen Relevanz stellt die oben bereits genannte Effektstärke dar.
34.3
Verfügbare Messinstrumente
34.3.1 Krankheitsübergreifende Skalen
Der SF-36 Health Survey Der SF-36 Health Survey wurde aus dem Instrumentarium der amerikanischen Medical Outcome Study nach empirischen Gesichtspunkten konstruiert (Stewart u. Ware 1992; Ware 1996). Der SF-36 Health Survey ist nach einem Messmodell konzipiert, das sowohl die psychische als auch die körperliche Dimension von Wohlbefinden und Funktionsfähigkeit erfasst. Zudem wird derzeit eine leicht revidierte Form des SF-36 (Version 2) für Deutschland entwickelt. Der Fragebogen bildet mit 36 Items acht Dimensionen der subjektiven Gesundheit ab (körperliche Funktion, Rollenfunktion in körperlicher Hinsicht, soziale Funktion, Vitalität, Schmerz, Rollenfunktion in emotionaler Hinsicht, geistige Gesundheit und allgemeine Gesundheitswahrnehmung). Die acht Skalen können zu zwei Summenskalen zusammengefasst werden, eine für die körperliche und eine für die geistige Gesundheit. Es existieren zwei Kurzformen, der SF-12 und der SF-8. Im deutschen Sprachraum liegt ein Manual zum SF-36 vor, das die Übersetzung, die psychometrische Prüfung an über 1000 erkrankten Personengruppen aus verschiedenen klinischen Studien und die Normierung an einer repräsentativen Bevölkerungsgruppe (n=3000) darstellt (Bullinger et al. 1995; Bullinger u. Kirchberger 1998). Da der SF-36 in seiner ersten Fassung (Version 1) auch im Gesundheitssurvey des Robert-Koch-Institutes an einer bevölkerungsrepräsentativen Studie eingesetzt wurde, existieren neuere deutsche Normen (Kurth u. Ellert 2002; Kurth et al. 2009). Auch für den SF-8 wurden 2005 Normwerte für die Deutsche Allgemeinbevölkerung veröffentlicht (Ellert et al. 2005).
Der WHO Quality of Life-Fragebogen Ein weiteres Verfahren innerhalb der krankheitsübergreifenden Messinstrumente ist der WHOQOL-Fragebogens der Weltgesundheitsorganisation (Orley et al. 1994; Szabo et al. 1996). Es handelt sich hierbei um den Versuch, Items zur Lebensqualität nicht aus einem kulturgebundenen Modell von Wohlbefinden und Funktionsfähigkeit abzuleiten, sondern in jeder Kultur eine Möglichkeit zu schaffen, spezifische Items zu formulieren (Orley et al. 1994). Einzigartig am WHOQOL sind sowohl seine Entwicklungsgeschichte als auch der empirische Hintergrund. In der ersten Stufe der Entwicklung des WHOQOL einigten sich Experten aus verschiedenen Ländern auf relevante Domänen der Lebensqualität: 4 Körperliche Verfassung 4 Psychische Befinden 4 Grad der Unabhängigkeit 4 Soziale Beziehungen 4 Umwelt 4 Spirituelle, religiöse und persönliche Überzeugungen In der zweiten Stufe definierten jeweils nationale Fokusgruppen Fragen (Items) zu diesen Domänen.
401 34.3 · Verfügbare Messinstrumente
Aus dem in der ersten Stufe vorliegenden Datensatz von über 4500 Personen wurde eine psychometrisch geprüfte erste Version des WHOQOL-Fragebogens mit über 100 Items entwickelt, der dann in einer Reihe nationaler Studien mit unterschiedlichen Populationen im Längsschnitt eingesetzt wurde (The WHOQOL Group 1998a). Die psychometrischen Eigenschaften der WHOQOL-Domänen und ihrer Facetten sind zufriedenstellend, wobei der Bogen in allen befragten Kulturen einsetzbar ist. Bisherige Analysen legen nahe, dass sich der WHOQOL gerade aufgrund der interkulturellen Grundlagen seiner Entwicklung weit verbreiten wird. Weiterhin liegt eine Kurzform (WHOQOL-BREF, 26 Items) vor, die inzwischen in über 30 Sprachen validiert wurde (The WHOQOL Group 1998b; Angermeyer et al. 2000).
Das Nottingham Health Profile Das Nottingham Health Profile (Hunt et al. 1981; McEwen u. McKenna 1996) ist ein im englischen Sprachraum entwickeltes Instrument zur Erfassung der subjektiven Gesundheit. Es besteht aus 38 Items, die sechs Dimensionen zugeordnet werden: körperliche Mobilität, Schmerz, Schlafstörungen, soziale Isolation, emotionale Beeinträchtigungen und Energieverlust. Als vollstandardisiertes Verfahren zur Selbstbeurteilung ist es ebenso geeignet wie zur Interviewdurchführung. Die Antwortkategorisierung mit »ja« oder »nein« ist einfach. Die Auswertung bezieht sich auf den prozentualen Anteil der mit »ja« beantworteten Items. In einer Reihe von Validierungsstudien des englischen Originals wurden die Reliabilität und Validität des Nottingham Health Profiles bestätigt (McEwen u. McKenna 1996). In der deutschen Übersetzung und Prüfung bei über 1000 Personen zeigten sich akzeptable psychometrische Werte (Kohlmann et al. 1997).
Sickness Impact Profile Einige Verfahren aus der Gesundheitsforschung beziehen sich auf die integrative Erhebung der Komponenten der Lebensqualität in Form von Profilen oder Indizes. Dazu gehört das im anglo-amerikanischen Sprachraum verbreitete Sickness Impact Profile (Bergner et al. 1981; Damiano 1996; deutsche Version Hütter u. Gilsbach 2001), ein Instrument, das mit 136 Items in Interviewform oder im Selbstbericht den Einfluss der Krankheit auf verschiedenen Ebenen des Erlebens reflektiert. Die Bearbeitungszeit im Interview beträgt für das Sickness Impact Profile etwa 20–30 min, wobei ältere oder multimorbide Patienten mehr Zeit benötigen. Eine Selbstbeurteilung in Fragebogenform ist ebenfalls vorhanden. Geeignet ist das Sickness Impact Profile für Erwachsene, für heterogene Patientenpopulationen und die Allgemeinbevölkerung; es wird allerdings häufiger im anglo-amerikanischen Sprachraum als wie im deutschen Sprachraum verwendet.
Weitere Verfahren In internationalen Textbüchern über Messinstrumente zur Erfassung der Lebensqualität lassen sich eine Reihe weiterer Instrumente zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität finden (Naughton et al. 1996). Dazu gehören im internationalen Sprachraum gebräuchliche Instrumente wie der McMaster Health Index (Chambers 1996) bzw. funktions-
bezogene Instrumente wie die Dartmouth COOP Charts (Nelson et al. 1996) oder der Health Assessment Questionnaire (Ramey et al. 1996) sowie Messinstrumente, die nur eine oder wenige Dimensionen der Lebensqualität erfassen, wie z. B. der PGWB – Psychological General Wellbeing Index – oder auch Befindlichkeitsskalen wie das POMS – Profile of Mood States (Bullinger 1991). Zu den ursprünglich im deutschen Sprachraum entwickelten Verfahren gehören die Erlangener Selbstbeurteilungslisten SELT (Averbeck et al. 1989) sowie das Kieler Interview zur subjektiven Situation KISS (Hasenbring et al. 1989), der Fragebogen Alltagsleben (Bullinger et al. 1993), die Münchner Lebensereignis-Dimensionsliste MLDL (Bullinger 1996) und Zufriedenheitslisten wie der FELZ (Henrich et al. 1992). Eine weitere Gruppe von Instrumenten bezieht sich auf gesundheitsökonomische Verfahren zur Erfassung der sog. »utilities«, d. h. des in einem Zahlenwert oder Index ausgedrückten Nutzens eines Behandlungsergebnisses für die Patienten (Revicki 1996). Hier existieren speziell in der Gesundheitsökonomie entwickelte direkte Präferenzmaße wie z. B. Standard Gamble (Beurteilung der Patienten-Präferenz von Szenarien zunehmenden Risikos) bzw. Time Trade Off (vom Patienten hypothetisch gegebene Lebenszeit für einen Behandlungserfolg). Darüber hinaus gibt es weitere Instrumente wie den Health Utilities Index (Feeny et al. 1996) oder die Quality of Wellbeing Scale QWB (Kaplan et al. 1976), die mit 151 Items Fragen zu sieben Dimensionen der subjektiven Gesundheit im Interview stellt und diese zu einem Skalenwert zwischen 0 und 1 aggregiert. Ein relevantes gesundheitsökonomisches Verfahren ist der EQ-5D (früher EuroQol) Fragebogen (Kind 1996), der zu sechs Dimensionen der Gesundheit mit sechs inhaltlich definierten Gesundheitszuständen und unterschiedlichen Schweregraden innerhalb dieser Gesundheitszustände ein System von 216 Szenarien zur Beurteilung des Gesundheitszustandes (mit Gewichten) vorgibt.
34.3.2 Krebsspezifische Instrumente Die älteste und weitgebräuchlichste Skala zur Fremdbeurteilung von Behandlungseffekten in der Onkologie ist der Karnofsky-Index (Karnofsky Performance Status), der in elf Kategorien den Grad der Funktionseinschränkung von Patienten auf einer Skala von 0-100 abbildet. Obwohl weit verbreitet und früher auch als Lebensqualitätsmessinstrument benutzt, bildet der Karnofsky-Index primär den Funktionszustand des Patienten aus ärztlicher Sicht ab. Im klinischen Alltag findet der ECOG-Index (ECOG Performance Status; Oken et al. 1982), der ähnlich dem Karnofsky-Index die Funktionsfähigkeit der Patienten auf einer sechsstufigen Skala von 0–5 abbildet, aufgrund seiner Kürze breite Akzeptanz. Ähnlich ist der Spitzer-Index (Spitzer et al. 1981) zwar ein kurzes und gebräuchliches Fremdbeurteilungsinstrument, das in drei Beurteilungskategorien auf fünf Komponenten der Lebensqualität eingeht, letztendlich aber liegt eine Schwäche
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Kapitel 34 · Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie
des Verfahrens in dem Interpretationsspielraum der Klassifizierungen und in der vergröbernden Formulierung der Kategorien. Während beim Karnofsky-Index die Reliabilitätskoeffizienten, vor allem die Interraterreliabilitäten, ausgesprochen gering sind, sind diese beim Spitzer-Index besser. Als nächster Schritt vollzog sich die Erfassung der Lebensqualität von Patienten mit Hilfe von sog. »linear analog self assessment scales« (LASA), d. h. Visualanalog-Skalen. Die bekannteste Skala ist die von Selby und Kollegen (1984), die in einer Therapieverlaufstudie mit 231 Brustkrebspatientinnen eingesetzt wurde. Obwohl sich die Adaptation dieser Skalen im deutschen Sprachraum relativ schnell entwickelte, liegen nur wenige Publikationen zu psychometrischen Eigenschaften dieser Verfahren vor. LASA-Skalen werden in der aktuellen Lebensqualitätsforschung eher als krankheitsspezifische Zusatzinstrumente eingesetzt. Im Folgenden werden die wichtigsten, d. h. psychometrisch geprüften, häufig eingesetzten und in deutscher Sprache verfügbaren spezifischen Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität bei Krebspatienten vorgestellt.
Der EORTC-QLQ-C-30-Fragebogen
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Die EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) hat im Jahre 1980 eine Arbeitsgruppe gegründet mit dem Auftrag, ein Instrument zur Erfassung der Lebensqualität von Krebspatienten in onkologisch-klinischen Studien zu entwickeln. Die Grundidee dieser Instrumententwicklung war ein modulares Prinzip: es sollten sowohl in einem Kerninstrument (»core-questionnaire«) eine Reihe von für alle Krebspatienten wesentlichen Dimensionen abgedeckt werden, als auch in verschiedenen Zusatzmodulen die jeweils spezifischen Probleme von Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen reflektiert werden (z. B. Lungenkarzinom, Mammakarzinom etc.). Aaronson et al. (1993) prüften das Verfahren an 537 Lungenkrebspatienten und modifizierten das Verfahren. Der aktuelle Fragebogen QLQ-C-30 beinhaltet neben einer Skala »Globale Lebensqualität« fünf funktionale Skalen (körperliche, emotionale, soziale und kognitive Funktion sowie Rollenfunktion), drei Symptomskalen (Fatigue, Schmerz, Übelkeit/Erbrechen) sowie Einzelitem-Skalen zu Atemnot, Schlafstörungen, Appetitverlust, Verstopfung, Durchfall und finanziellen Schwierigkeiten (Aaronson et al. 1996). Die Version 3 des QLQ-C-30 ist die derzeit verwendete Standardversion (Fayers et al. 2001). Wie auch die Vorläuferversion wurde der QLQ-C-30 in einem internationalen Feldtest in einer Population von Lungenkrebspatienten aus zwölf Ländern mit guten psychometrischen Ergebnissen geprüft (Aaronson et al. 1996).
Der EORTC-Fragebogen ist das derzeit international akzeptierte Verfahren zur Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie (de Haes et al. 2000). Neben dem Kerninstrument ist auch die Kurzform des QLQ für palliativ behandelte Patienten (QLQ-PAL_C15) und ein Patientenzufriedenheitsmodul (EORTC IN-PATSAT32) bereits validiert.
Eine wichtige Erweiterung stellt die Entwicklung von weiteren diagnosespezifischen Modulen dar, die zusätzlich zum CoreInstrument eingesetzt werden können (de Haes et al. 2000). Bereits validierte Module liegen vor für die Diagnosen Brustkrebs (BR23), Eierstockkrebs (OV28), Gebärmutterhalskrebs (CX24), Lungenkrebs (LC13), Prostatakrebs (PR25), Multiples Myelom (MY20), Kopf- und Halstumoren (H&N35), Speiseröhrenkrebs (OES18) und Magenkrebs (STO22). Darüber hinaus sind weitere Module (z. B. für Gehirntumore, kolorektale Tumore oder Leukämie bis hin zu Modulen für bestimmte Therapien wie Radio- oder Hochdosischemotherapie) in der Entwicklung bereits weit fortgeschritten. Weitere Informationen sind über die Internetseite der EORTC-Gruppe abrufbar (www.eortc.be).
Functional-Assessment-of-Chronic-IllnessTherapy-Fragebögen FACIT Vor allem im amerikanischen Sprachraum verbreitet sind die FACIT-Skalen, die für Krebspatienten, aber auch für andere chronische Erkrankungen entwickelt wurden (Cella et al. 1993; Cella u. Bonomi 1996). Die Entwicklung und erste Validierung des Kerninstruments FACT-G (Functional Assessment of Cancer Therapy General) erfolgte in den vier Phasen der Item-Erstellung, Item-Reduktion, Skalenkonstruktion und psychometrischen Evaluation. Aus dieser Information resultierte dann die Konstruktion des FACT-G, der als übergreifende Form für alle Patienten mit Krebserkrankungen anwendbar ist und mit 29 Items das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden, die Beziehung zum Arzt, das emotionale und funktionale Wohlbefinden und einen Gesamtwert erfasst. Der FACT-G wurde in einer Gruppe von 630 Patienten unterschiedlicher Krebsdiagnosen psychometrisch geprüft und zeigt im Gesamtwert akzeptable Reliabilität, Validität und Sensitivität. Bisher auch in der internationalen Anwendung aus verschiedenen Ländern vorliegende psychometrische Daten zum FACT legen nahe, dass die psychometrischen Eigenschaften des FACT mit Ausnahme der sozialen und der emotionalen Skala akzeptabel sind. Die Struktur des FACT erlaubt, ähnlich wie beim EORTC-Fragebogen, den Einsatz in verschiedenen Gruppen von Krebspatienten in übergreifender und spezifischer Weise. Aktuell gibt es unter den FACIT-Skalen 19 krebsspezifische Module (z. B. FACT-B für Patientinnen mit Brustkrebs, FACT-L für Patienten mit Lungenkrebs, FACT-Leu für Patienten mit Leukämie), 12 krebsspezifische Symptom-Indizes als Subsets der krebsspezifischen Module (z. B. FBSI für Patienten mit Brustkrebs als Subset des FACT-B), 4 behandlungsspezifische Module (z. B. FACT-BMT für Knochenmarkstransplantationspatienten) und 14 symptomspezifische Module (z. B. FAACT für Patienten mit Anorexie und Kachexie, FACIT-D für Patienten mit Durchfall), 9 nicht-krebsspezifische Module (z. B. FACIT-Pal für palliativ behandelte Patienten, FAHI für HIV-infizierte Patienten, FAMS für Patienten mit Multipler Sklerose). Weitere Module werden derzeit entwickelt, Informationen sind über die Internetseite www.facit. org abrufbar.
403 34.3 · Verfügbare Messinstrumente
Weitere krankheitsspezifische Verfahren Der Functional Living Index Cancer FLIC (Schipper et al. 1984; Clinch 1996) wurde ursprünglich Ende der 70er Jahre im Rahmen eines amerikanischen Forschungsprojektes zur Wirkung von Chemotherapie entwickelt und wird später erstmals an 350 Patienten in weiteren Studien erfolgreich auf psychometrische Eigenschaften geprüft. In seiner aktuellen Version erfasst der FLIC mit 22 Fragen in fünf Subskalen die Dimensionen körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden, Krebs als Lebensproblem und Übelkeit. Der Fragebogen kann auch in Interviewform vorgegeben werden. Die Quality of Life Cancer Scale QOLCA (Padilla et al. 1996) entwickelte sich aus dem Quality of Life Index und kann bei Patienten mit unterschiedlichen Krebsarten eingesetzt werden, da sowohl eine krebsübergreifende, sog. »generic version«, als auch populationsspezifische Versionen, z. B. für Personen mit Magen-Darm-Erkrankungen, gynäkologischen Krebsformen oder Knochenmarktransplantation, vorliegen. Das Instrument QOLCA hat 30 Items und arbeitet mit Visualanalog-Skalen. Studien zur Reliabilität und Validität des QOLCA bei Krebspatienten unterschiedlicher Diagnosen zeigen durchgehend eine hohe interne Konsistenz für die Subskalen und die Gesamt-Skala. Das Cancer Inventory of Problem Situations CIPS (Heinrich et al. 1984) war ein ursprünglich für die Rehabilitation von Krebspatienten entwickelter Fragebogen (über 150 Items), der in einer Kurzversion (40 Items) in verschiedene Sprachen, darunter auch ins Deutsche, übersetzt wurde (Bernhard et al. 1986). Auch die Q-TWiST-Methode (Time Without Symptoms of disease or Toxity of treatment) (Gelber et al. 1996) zählt zu den spezifischen Verfahren, hier wird die Zeit ohne beeinträchtigende Symptome als Indikator der Lebensqualität gewertet. Im deutschen Sprachraum sind mit Ausnahme spezifischer Modulentwicklungen im Rahmen des EORTC-Fragebogens nur wenige spezifisch für Krebspatienten entwickelte Instrumente vorhanden, die entsprechend psychometrisch getestet oder auch publiziert sind. Besonders hervorzuheben ist die Arbeit von Eypasch et al. (1990), der einen gastrointestinalen Lebensqualitätsindex entwickelt hat. Ein neues Verfahren zur Erfassung der Lebensqualität bei Patienten unter Strahlentherapie liegt mit dem Stress Index Radio Onkologie SIRO vor (Sehlen et al. 2003). Neuere Entwicklungen betreffen auch in der Erfassung des Unterstützungsbedarfs (»needs«) von Patienten in verschiedenen Dimensionen, die eine gute Ergänzung zu den Lebensqualitätsfragebogen für spezifische onkologische Patientengruppen darstellen können. Genannt sei exemplarisch der Supportive Care Needs Survey (SCNS) der australischen Arbeitsgruppe um Bonevski et al. (2000) und Sanson-Fisher et al. (2000). Der Fragebogen wird derzeit für den deutschsprachigen Raum validiert.
34.3.3 Anwendung von Lebensqualitäts-
instrumenten Die Zunahme der Artikel zum Thema »Lebensqualität in der Onkologie« im Medline-Suchsystem ist beeindruckend: Aktuell mit Zugriff vom 30. April 2009 beläuft sich die Gesamt-
zahl der in PubMed aufgeführten Arbeiten zur Lebensqualität mit Suchwort »quality of life« auf ca. 129.255 Artikel, mit dem zusätzlichen Suchbegriff »Cancer« ergeben sich 29449 Artikel, zusammen mit dem Suchbegriff »Surgery« werden 11.731 Arbeiten angezeigt und mit dem Begriff »visceral« dann letztendlich 90 Artikel. Verknüpft man »quality of life« mit »surgery« sind es 31.872 Artikel. In ihrem Überblick über Lebensqualitätserforschung in onkologischen klinischen Studien nennen Goodyear und Fraumeni (1996) in Bezug auf Lebensqualitätsmessverfahren zehn Instrumente, die ausreichende psychometrische Eigenschaften besitzen. Darunter befinden sich die bereits dargestellten Verfahren: der EORTC QLQ-C-30-Fragebogen (Aaronson et al. 1996), der FACT Fragebogen (Cella u. Bonomi 1996), der FLIC (Clinch 1996), der QOLCA (Padilla et al. 1996), der SF-36 Health Survey (Ware 1996) sowie der SpitzerIndex (Spitzer et al. 1981). Die Verfügbarkeit von Messinstrumenten zur Erfassung der Lebensqualität hat sich zumindest international in den letzten Jahren deutlich verbessert. Auf der einen Seite existieren eine Vielzahl von Instrumenten, vor allem populationsübergreifende, aber auch zunehmend krebsspezifische, die zum Einsatz kommen können. Zudem ist die internationale Adaptation von Messinstrumenten in einigen Fällen soweit vorangeschritten, dass der Einsatz der Verfahren im deutschen Sprachraum empfohlen werden kann (Bullinger et al. 1996). Darüber hinaus liegen inzwischen einige Studien zum relativen Vergleich der psychometrischen Güte verschiedener Messinstrumente vor. So z. B. eine Studie zum Vergleich zwischen FACT und FLIC (Cella et al. 1993), wobei hier eine hohe Korrelation zwischen FLIC und FACT von r=0,79 festgestellt wurde. Trotz der zunehmenden Berücksichtigung von Lebensqualität als wichtiges Zielkriterium in der Onkologie gibt es bisher wenige Übersichtsarbeiten und Metaanalysen, die den Stand der Forschung mit einer Vielzahl heterogener Ergebnisse aus empirischen Studien der letzten Jahre wiedergeben. Viele Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf Fragestellungen zur Lebensqualität bei Brustkrebs (Hewitt et al. 2004; Ganz 2005; Knobf 2007). In Abhängigkeit vom Krankheitsstadium und dem Zeitpunkt im Krankheitsverlauf können eine Reihe unterschiedlicher Problemstellungen und Einflüsse auf die Lebensqualität auftreten. Während ein hohes Ausmaß an Belastungen und Einschränkungen der Lebensqualität im ersten Jahr nach Diagnose gefunden wurde, zeigt eine Reihe von Studien eine Verringerung von Symptombelastungen durch Ängste und Depressivität und eine Verbesserung des psychischen Wohlbefindens und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität im Behandlungsverlauf (Ganz et al. 2002; Knobf 2007; Helgeson u. Tomich 2005). Dennoch besteht Evidenz, dass sich insbesondere bei älteren Brustkrebspatientinnen der Gesundheitszustand und die Lebensqualität im Behandlungsverlauf nicht verbessern (Mehnert u. Koch 2008) und bei einem Teil der Patientinnen sogar verschlechtern (Silliman et al. 1998; Knobf 2007). Obwohl jüngere Patientinnen ein durchschnittlich höheres Ausmaß an Belastungen und häufiger Unterstützungsbedürfnisse haben, zeigen Untersuchungen auch, dass sie besser über psychosoziale Unterstüt-
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Kapitel 34 · Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie
zungsangebote informiert sind und diese häufiger in Anspruch nehmen als ältere Patientinnen (Newschaffer et al. 1996; Silliman et al. 1997; Thewes et al. 2004). Insgesamt ist die Tendenz, Lebensqualität als Kriterium in randomisierte klinische Brustkrebsstudien mit einzubeziehen, steigend. Mosconi et al. (2001) beschreiben die Komplexität der Lebensqualitätserfassung in Brustkrebsstudien anhand von drei Beispielen: Chirurgie, adjuvante Behandlung und Behandlung von Metastasen. In Bezug auf die Fragen der Auswirkungen einer brusterhaltenden Operation versus Mastektomie auf die Lebensqualität können aufgrund von methodischen Defiziten der Studien keine endgültigen Schlussfolgerungen gezogen werden (Kiebert et al. 1991; Poulsen et al. 1997; Curran et al. 1998). Derzeit werden brusterhaltende Operationen gegenüber der Mastektomie bevorzugt bei der Mehrheit von Patientinnen mit Tumorstadium I und II durchgeführt, wobei sich keine Unterschiede zwischen den Therapieverfahren in Bezug auf die Überlebensdauer, aber bezogen auf die Lebensqualität zeigen (National Institutes of Health Consensus Development Panel 1992). Neuere Studien unterstützen tendenziell allerdings nicht den Vorteil der brusterhaltenden Methode (De Haes et al. 2003). Die Autoren verweisen darauf, dass Lebensqualität hier zusätzliche Informationen über die Wirkung der Toxizität einer Behandlung bereit stellen kann. So können Lebensqualitätsdaten den Kliniker bei der Entscheidung über die Therapieart bei Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs unterstützen, da sich gezeigt hat, dass insbesondere kritische Ereignisse im Krankheitsverlauf wie das Auftreten von Rezidiven oder Metastasen einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben (Dorval et al. 1998). Insgesamt kann die Frage, ob Lebensqualität auch tatsächlich als Zielkriterium z. B. in klinischen Studien herangezogen werden sollte, derzeit nicht zufriedenstellend beantwortet werden. So werden auf die subjektive Bewertung des Patienten ausgerichtete Messverfahren bislang nur als ergänzende Outcome-Maße betrachtet, die nur einen geringen Einfluss auf die Studienaussage ausüben. Dies gilt auch für psychosoziale Interventionsprogramme. Auch wenn die Wirksamkeit psychosozialer Interventionen auf unterschiedliche Dimensionen der Lebensqualität bei verschiedenen Patientengruppen zumindest in Teilbereichen gut belegt ist (Schulz et al. 2001), werden Lebensqualitätsdaten auch für die Gestaltung von Interventionsprogrammen nur ungenügend genutzt.
34.4
Schlussbetrachtung
Die Lebensqualitätsforschung in der Onkologie hat sich historisch auf die methodisch adäquate Entwicklung von Messinstrumenten konzentriert, die prinzipiell in epidemiologischen, klinischen und gesundheitsökonomischen Studien einsetzbar sind und die auch im Rahmen der Routinediagnostik und Dokumentation, besonders auch im individuellen Patientenkontakt, verwendet werden können. Die Entwicklung von krebsspezifischen Verfahren zur Erfassung der Lebensqualität ist dann aber schnell vorangeschritten und inzwischen liegen sowohl internationale Messinstrumente und deren deutsche
Übersetzung, als auch im deutschen Sprachraum entwickelte krebsspezifische Verfahren vor (Bullinger 1997). Eine neuere Literaturanalyse zum Thema Lebensqualität in der Viszeralchirurgie ergab Arbeiten aus sehr unterschiedlichen Gebieten, von den Effekten der Darmspiegelung als Screeninguntersuchung (Taupin et al. 2006), randomisierte klinische Studien über Resektionstechniken bei rektalen Adenomen (van den Broek 2009) und Stents in der Darmchirurgie (van Hooft et al. 2007; Xinoupoulos et al. 2008) bis hin zu den Lebensqualitätseffekten der Pankreatectomie (Pezzilli et al. 2007). Diese Arbeiten haben generische Lebensqualitätsmessinstrumente eingesetzt wie z. B. den SF-36. Im Bereich der onkologischen Chirurgie überwiegt der Einsatz der EORTC QlQ C 30, so z. B. bei der Behandlung des Ösophaguskrebs (Verschuur et al. 2009) oder bei der Lebertransplantation (de Kroon et al. 2007). In klinischen Studien wird Lebensqualität meist zur Bewertung von neuen Zytostatika, Operationstechniken, Immun- oder Strahlentherapien erfasst. Die meisten Informationen finden sich in deskriptiven Studien zur Lebensqualität spezieller Patientengruppen (im Querschnitt oder längsschnittlichen Verlauf). Allerdings ist der Einsatz von psychometrisch geprüften Lebensqualitätsinstrumenten in der deutschen Onkologie trotz entsprechender Empfehlungen in Leitlinien noch immer etwas zögerlich. International ist dies nicht der Fall, hier wird von den sogenannten Clinical Trials Groups (z. B. in den USA) das Zielkriterium Lebensqualität routinemäßig in klinischen Studien erhoben. Interessanterweise berichten einige Studien auch von Ergebnissen, die auf den ersten Blick der Intuition widersprechen. Zum Beispiel weisen Patienten, die an Krebs erkrankt sind, im Behandlungsverlauf wiederholt eine höhere Lebensqualität im Vergleich zu gesunden Probanden auf (Eiser et al. 2000). Solche Ergebnisse können auf Veränderungen eines internen Vergleichsmaßstabes oder der Bedeutung des Konstruktes »Lebensqualität« zurückgeführt werden und werden in der Literatur unter dem Begriff »response shift« diskutiert (Sprangers 2002). Wie mit solchen Veränderungen interner Standards auch aus messtheoretischer Perspektive umzugehen ist, gehört zu den zukünftig wichtigen Themen der onkologischen Lebensqualitätsforschung (z. B. Schwartz u. Sprangers 1999). Einhergehend mit internationalen Entwicklungen gibt es in Deutschland seit Anfang der 1990er-Jahre Initiativen, wissenschaftlich begründete Leitlinien für Diagnostik und Therapie in verschiedenen Bereichen der Medizin zu entwickeln und zu etablieren. Die Verbesserung oder Aufrechterhaltung der Lebensqualität von Krebspatienten ist ein häufig genanntes Kriterium in vorhanden Leitlinien zu Versorgungsstandards in der Psychoonkologie (Mehnert et al. 2003). Auch im Bereich der Entwicklung und Etablierung von Leitlinien in der Onkologie ist eine zunehmende Einbeziehung von Lebensqualität als wichtigem Zielkriterium für medizinische Therapien und Handlungsstrategien zu verzeichnen: Beispielhaft seien die interdisziplinären Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Arbeitsgemeinschaften und indikationsspezifischen Fachgesellschaften genannt, in denen die gesundheitsbezogene Lebens-
405 34.4 · Schlussbetrachtung
qualität der Patienten Berücksichtigung findet (siehe www. AWMF.de). Zukünftige Forschungsfragen im Bereich der Lebensqualität resultieren auch aus dem Gebiet der prädiktiven genetischen Diagnostik (Sprangers 2002). Die humangenetische Forschung hat in den letzten Jahren zu neuen Erkenntnissen geführt, die zu einem besseren Verständnis der Entstehung von Erkrankungen, zur Verbesserung der Diagnostik und zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden beitragen. Das Wissen über genetische Aspekte von Krankheiten und die zunehmende Verfügbarkeit genetischer Testverfahren in vielen Bereichen der Medizin führt im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen mit einer genetischen Krankheitsdisposition zu einem hohen Forschungsbedarf (z. B. in der Früherkennung von Brustkrebs). Ein wichtiger Anwendungsbereich krebsspezifischer Lebensqualitätsinstrumente ist die psychoonkologische Versorgung. Es ist zu hoffen, dass der Schwung, der die Lebensqualitätsforschung in der Onkologie bisher auszeichnete, sowohl in den klinischen Studien als auch in der psychosozialen Onkologie aufrecht erhalten bleibt, damit von Krebs betroffene neue Patienten zu Wort kommen. Die Lebensqualität kann so ein Zielkriterium des Behandlungsergebnisses und als Indikationskriterium für die Behandlung werden (Levine 1996). Mit der Präzisierung der Erfassung patientenberichteter subjektiver Gesundheitsindikatoren kann auch ein Beitrag zu partizipativer Entscheidungsfindung und patientenbasierter Behandlungsevaluation geleistet werden.
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Kapitel 34 · Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie
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Kapitel 34 · Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie
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34
35 35
Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie L. Edler, I. Burkholder
35.1
Prinzipien der Statistik
35.1.1 35.1.2 35.1.3 35.1.4 35.1.5 35.1.6 35.1.7
Zur Notwendigkeit statistischer Beurteilung – 410 Eigenschaften von Merkmalen – 410 Statistisches Testen – 410 Statistische Schätzverfahren – 411 Beurteilung von qualitativen Ergebnissen – 412 Beurteilung von quantitativen Ergebnissen – 412 Beurteilung von Eintrittszeiten – 413
35.2
Studienplanung
35.2.1 35.2.2 35.2.3 35.2.4 35.2.5 35.2.6
Grundlagen – 415 Studientypen – 416 Zielgrößen und mehrfache Endpunkte – 417 Hypothesenbildung – 418 Randomisation und Stratifikation – 419 Fallzahlplanung – 420
35.3
Studienauswertung und Bericht
35.3.1 35.3.2
Auswerteverfahren – 420 Bericht von Ergebnissen – 421 Literatur
– 422
– 410
– 414
– 420
410
Kapitel 35 · Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
> Methodisch gesicherte und verallgemeinerbare medizinische Erkenntnisse über Therapien von Erkrankungen werden mittels klinischer Studien an möglichst umfangreichen Patientenpopulationen erworben. Diese systematischen Untersuchungen der Therapieforschung liefern qualitative und quantitative patientenbezogene klinische Daten, die mittels statistischer Verfahren darzustellen und aus denen mittels Methoden des statistischen Schließens Folgerungen über die Güte der Therapien in einer allgemeinen Zielpopulation abzuleiten sind. Dieses Kapitel führt in die grundlegenden biometrischen Konzepte und Verfahren in Planung, Durchführung, Auswertung und Berichterstattung ein, die maßgeblich für den Erfolg einer klinischen Studie sind.
35.1
Prinzipien der Statistik
oder Störfaktoren (»confounder«) bereinigte Schätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit.
Mithilfe statistischer Methoden können die wahren, aber unbekannten (Behandlungs-)Effekte in der Zielpopulation durch die beobachteten Effekte in der Stichprobe geschätzt werden. Genauigkeit wird dabei durch Standardfehler und Vertrauensbereiche quantifiziert.
35.1.2 Eigenschaften von Merkmalen Die Eigenschaften der Zielgrößen sind entscheidend für die Planung, die Auswertung, die Darstellung und die Interpretation der Ergebnisse und sind deshalb bereits in der Planungsphase einer Studie eindeutig zu spezifizieren.
35.1.1 Zur Notwendigkeit statistischer
Beurteilung
35
Qualitative Merkmale. Hierzu zählen Zielgrößen, die durch
Medizinischer Erkenntnisgewinn ist dadurch erschwert, dass zum einen nur eine Stichprobe aus einer allgemeinen Zielpopulation untersucht werden kann und zum anderen das Ergebnis einer therapeutischen Handlung am einzelnen Patienten nicht mit Sicherheit sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintritt.
eine graduelle Einteilung (ordinale Merkmale – z. B. Differenzierungsgrad, Tumorstadium) oder durch die Angabe möglicher Ausprägungen (nominale Merkmale – z. B. Rezeptorstatus) beschrieben werden können. Einen Sonderfall bilden dichotome oder binäre Merkmale, die nur zwei alternative Ausprägungen besitzen (z. B. Geschlecht, Therapieerfolg: ja/ nein).
Statistischer Inferenzschluss. Mithilfe statistischer Inferenz
Quantitative Merkmale. Bei ihnen sind die einzelnen Ausprä-
ist es möglich, Aussagen über die Güte von Therapien in einer größeren Zielpopulation aus den Ergebnissen der untersuchten Studienpopulation abzuleiten. Dabei hängt die Gültigkeit eines statistischen Inferenzschlusses entscheidend von der Beschreibung der Zusammensetzung der Studienpopulation anhand der Patientencharakteristika bei Einschluss in die Studie ab. Je besser die Übereinstimmung, desto höher ist die Reproduzierbarkeit der Therapieergebnisse und die Gültigkeit einer Therapieempfehlung für künftige Patienten.
gungen Ergebnis eines Zähl- (diskrete Merkmale, z. B. Anzahl an vorangegangenen Operationen) oder eines Messvorganges (stetige Merkmale – z. B. Cholesterin in mg/dl).
Das Ziel einer klinischen Studie liegt nicht nur in der Überprüfung einer medizinischen Fragestellung in der untersuchten Patientenpopulation (Stichprobe), sondern in der Übertragung der Ergebnisse auf eine größere Zielpopulation mit ähnlichen Merkmalen (Grundgesamtheit).
Die Eigenschaften der Zielgröße bestimmen die Planung der Studie (Fallzahlberechnung), die Wahl der Auswerteverfahren, die Darstellungsmethoden und die Interpretierbarkeit der Ergebnisse.
Eintrittszeiten. Hierbei handelt es sich um individuelle Inter-
vallzeiten bis zum Eintritt einer klinischen Antwort gemessen ab einem Startereignis (z. B. Randomisation, operativer Eingriff) bis zu einem eindeutig definierten Zielereignis (z. B. Tod, Remission).
Variabilität in biologischen Prozessen. Das Ergebnis einer
35.1.3 Statistisches Testen
therapeutischen Handlung tritt am Patienten nicht mit Sicherheit sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ein. Aus der Behandlung weniger Patienten kann die wahre, aber unbekannte Erfolgswahrscheinlichkeit der Therapie wegen dieser statistischen Variabilität nur ungenau bestimmt werden. Die Größe dieser Ungenauigkeit wird durch Standardfehler und Vertrauensbereiche quantifiziert. Darüber hinaus gestatten eine statistische Modellbildung die Bestimmung des Einflusses prognostischer Faktoren auf das Behandlungsergebnis und eine bezüglich prognostischer Faktoren
Wissenschaftliche Therapieforschung erfordert eine medizinische Fragestellung mit entsprechender Hypothesenbildung zum therapeutischen Nutzen, die auf messbaren und im Allgemeinen quantifizierbaren klinischen Parametern beruht. Im Hintergrund steht oft eine medizinische Modellbildung der Krankheit. Daraus werden statistische Hypothesen abgeleitet und mittels einer Inferenzstatistik geprüft. Die Hypothesen müssen sachgerecht gestellt und mit vorhandenem Instrumentarium an den untersuchten Patienten schlüssig beant-
411 35.1 · Prinzipien der Statistik
wortbar sein. Zu Grundlagen der statistischen Methodik für klinische Studien sei auf Pocock (1983) und Schumacher und Schulgen (2007) verwiesen. Durchführung eines statistischen Tests. Während sich die
Wahl eines geeigneten statistischen Test am Datentyp, der Art der Fragestellung, der Anzahl von Vergleichsgruppen und der Abhängigkeitsstruktur der Daten innerhalb der Gruppe orientiert, erfolgt die Durchführung eines statistischen Tests einem weitgehend einheitlichen Ablauf: 4 Präzisierung der Fragestellung. Grundsätzlich wird die wissenschaftliche Fragestellung in eine statistische Entscheidungssituation zwischen einer Nullhypothese H0 und einer Alternative H1 übersetzt. Dabei entspricht H0 im Allgemeinen dem Status quo (z. B. Gleichheit der Effekte) und H1 der zu prüfenden wissenschaftlichen Aussage. 4 Berechnung der Testgröße. Mittels der beobachteten Daten berechnet man im Rahmen des Hypothesentests eine Testgröße, um Aussagen über den wahren aber unbekannten Parameter θ der Zielpopulation zu erhalten. 4 Fehlerwahrscheinlichkeiten. Die Entscheidung zwischen H0 und H1 ist mit statistischer Unsicherheit behaftet. Somit sind der Fehler einer falsch positiven Entscheidung (fälschliche Ablehnung von H0, Fehler 1. Art mit Auftretenswahrscheinlichkeit α) und einer falsch-negativen Entscheidung (fälschliche Annahme von H0, Fehler 2. Art mit Auftretenswahrscheinlichkeit β) zu kontrollieren. Die maximale Irrtumswahrscheinlichkeit α muss vor Durchführung des statistischen Tests festgelegt werden und wird üblicherweise bei 0,05 oder 0,01 gehalten: Die Fehlerwahrscheinlichkeit β wird durch eine steigende Fallzahl reduziert (bzw. als Macht 1–β maximiert). 4 Testentscheidung – p-Wert. Der p-Wert gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass der berechnete Wert der Testgröße oder ein noch extremerer Wert vorliegt, wenn H0 wahr ist. Die Testentscheidung erfolgt dann mithilfe des Vergleichs des Signifikanzniveaus α mit dem p-Wert: Ist der p-Wert kleiner als α, so wird H0 abgelehnt. Zur Darstellung von p-Werten in wissenschaftlichen Publikationen sei auf Iverson et al. (2007) verwiesen. Einschränkungen statistischer Hypothesentests. Jede Aus-
sage wird mit Fehlerwahrscheinlichkeiten getroffen. Bei einer Signifikanz auf dem Niveau 5% oder 1% bleibt ein »Restrisiko« in dieser Höhe dafür, dass die neue Therapie nicht besser ist. Eine Macht von 90% (β=0,10) besagt, dass bessere Therapien zu 10% nicht erkannt werden. Da Studien aus Gründen der Machbarkeit oft lediglich mit einer Macht zwischen 80 und 90% geplant werden, bedeutet dies, dass jede 5. bis 10. Studie eine tatsächlich vorhandene Wirksamkeit nicht nachweisen kann. Diese Grenze ist dem statistischen Vorgehen immanent und auch durch neuere statistische Verfahren wie z. B. Bayes-Verfahren nicht grundsätzlich zu beheben. Sie zeigt lediglich die Grenzen des Schließens bei Variabilität der Beobachtung und weist darauf hin, bei nicht signifikanten Studienergebnissen die Macht der Studie zu hinterfragen.
Da die Signifikanz eines Tests direkt von der Fallzahl abhängt, können auch kleine und klinisch nicht mehr relevante Unterschiede signifikant werden, wenn die Fallzahl nur hinreichend hoch ist. Dieses Problem ist teilweise zu beheben durch die Berechnung von Vertrauensbereichen und Konfidenzschranken. Der Vertrauensbereich ist ein faires Maß für die in einer Studie erlangte Sicherheit bzw. Unsicherheit eines Therapieergebnisses.
Ein statistischer Test ist so zu wählen, dass der Datentyp, die Art der Fragestellung, die Anzahl von Vergleichsgruppen und die Abhängigkeitsstruktur innerhalb der Gruppe berücksichtigt werden. Die Durchführung eines statistischen Tests erfolgt in einem weitgehend einheitlichen Ablauf von der Formulierung des Testproblems in Nullhypothese und Alternative bis hin zur Testentscheidung anhand des p-Wertes.
35.1.4 Statistische Schätzverfahren Zur Bestimmung der Größe von Behandlungsergebnissen und zur Schätzung von Behandlungsunterschieden im Wirksamkeitsvergleich bedient man sich statistischer Schätzverfahren, komplettiert durch Fehlergrenzen (Standardfehler, »standard error«, s.e.) und Vertrauensintervalle (CI). Standardfehler (s.e.). Hierbei handelt es sich um ein statisti-
sches Maß, um die Genauigkeit eines Schätzers in Abhängigkeit von der Stichprobengröße zu quantifizieren. Der Standardfehler verringert sich, wenn die Stichprobengröße erhöht wird. Vertrauensintervalle (CI). Im Falle der Schätzung einer Rate
gibt der 95%-Vertrauensbereich (CI95) den Bereich an, in dem die unbekannte Rate der gesamten Patientenpopulation – aus der die Studienpopulation als Stichprobe rekrutiert wurde – mit 95% Sicherheit liegt. Eine andere Interpretation ist, dass eine weitere Studie an einem Patientenkollektiv, das genauso repräsentativ für die Patientenpopulation ist wie das in der Studie untersuchte, eine Rate ausweisen wird, die zu 95% in diesem Vertrauensbereich CI95 liegt. Selbst eine zu 100% sicher kurative Therapie zeigt bei Untersuchung eines Kollektivs eine statistische Unsicherheit in Abhängigkeit von der Anzahl untersuchter Patienten. Bei 10/10 beobachteten Erfolgen ist die Remissionsrate mit 95% Sicherheit lediglich größer als 69%; bei 100/100 beobachteten Erfolgen jedoch größer als 96%. Zusammenhang Vertrauensintervall – statistischer Test. Im
Fall von Raten und auch vielen anderen Statistiken ist der 95%-Vertrauensbereich direkt umsetzbar in einen statistischen Test auf dem Signifikanzniveau von 0,05: Ist die Nulldifferenz nicht in dem 95%-Vertrauensbereich enthalten, so ist der entsprechende zweiseitige statistische Test signifikant mit p<0.05. Die Nulldifferenz entspricht dabei im Fall von Raten (z. B. Odds Ratio, Relatives Risiko) der Zahl 1 und bei Differenzen von Erwartungswerten der Zahl 0.
35
412
Kapitel 35 · Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
Vertrauensbereiche geben einen Bereich um einen aus der Stichprobe geschätzten Wert an, der mit einer vorher festgelegten Wahrscheinlichkeit den wahren, unbekannten Parameter der Zielpopulation überdeckt. Ein Vertrauensbereich zum Niveau (1–α) kann oft direkt in einen statistischen Test auf dem Signifikanzniveau α übertragen werden.
tischen Faktoren eignet sich die logistische Regression in welcher die individuelle unbekannte Erfolgswahrscheinlichkeit p eines Patienten in Beziehung gesetzt wird zur Therapie und weiteren möglichen Prognosefaktoren. Das logistische Regressionsmodell lautet (mit der Exponentialfunktion exp): p = exp (c0 + c1 z1 + … +cm zm). 1–p Durch Übergang zu Logarithmen ergibt sich ein lineares Modell für den sog. log-Odds:
35.1.5 Beurteilung von qualitativen
Ergebnissen
ln
Wirksamkeitsraten bzw. Erfolgswahrscheinlichkeiten treten in der Therapieforschung mannigfaltig auf z. B. als Heilungs-, Rezidiv- und Überlebensrate, oder als pathologische und nicht-pathologische Bereiche. Statistische Kenngrößen. Kann die Wirkung einer Therapie
qualitativ als Erfolg oder Misserfolg beurteilt werden, so berechnet sich bei n Patienten: 4 die geschätzte Erfolgsrate als Anzahl der Erfolge geteilt durch die Gesamtanzahl aller Fälle, 4 der Standardfehler der Rate zu ,
35
4 der approximative 95%-Vertrauensbereich zu (Der Faktor 2 approximiert im Sinne der Normalverteilungstheorie von Gauß den exakten Wert 1,96). Bezüglich exakter 95%-Vertrauensgrenzen für Fallzahlen bis n=100 sei auf das Standardwerk der Ciba-Tabelle (Diem 1980) oder einschlägige Statistik Software StatXact (Cytel Software Corporation 2005) verwiesen. Vergleicht man zwei Therapien A und B und sei nA die Anzahl an Patienten mit Therapie A und nB die Anzahl mit Therapie B, so hat die Differenz der Raten D = A – B 4 den approximativen Standardfehler wenn
und
4 den approximativen 95% – Vertrauensbereich von . Andere Maßzahlen zum Vergleich von Raten sind: 4 das relative Risiko RR in prospektiven Studien, das durch den Quotienten von A und B geschätzt wird oder 4 der Chancenquotient der Raten (Odds-Ratio, OR)
. Statistische Tests. Die Nullhypothesen »D=0«, »RR=1« und
»OR=1« sind äquivalent. Für einen statistischen Test auf Gleichheit der Raten sei auf (Fleiss et al. 2003) verwiesen. Bei kleineren Fallzahlen verwendet man den exakten Test von Fisher (Rasch et al. 2008).
p
1 – p = c + c z + … +c 0
1 1
m zm.
Hierbei bezeichnen z1 die Therapie, z2 , … zm Prognosefaktoren und c0 , … , cm die unbekannten zu schätzenden Regressionskoeffizienten, die den Einfluss von Therapie und Prognosefaktoren auf die Zielgröße beurteilbar machen. Zur Schätzung der Regressionskoeffizienten und ihrer Standardfehler aus den Patientendaten wird die Maximum-LikelihoodMethode verwendet. Bei einer Standardtherapie (z1=0) und einer experimentellen Therapie (z1=1) beschreibt der Wert von exp(c1) die Änderung des Odds, während alle anderen Prognosefaktoren fixiert sind. Mit einem statistisch signifikant positiven Regressionsparameter c1 ist ein Behandlungserfolg nachgewiesen. Diagnosestudien. Diese werden zur Entwicklung neuer oder
zur Verbesserung bestehender diagnostischer Methoden durchgeführt. In der Regel erfolgt eine dichotome Klassifizierung sowohl des Krankheitsstatus in erkrankt/nichterkrankt als auch des Ergebnisses des diagnostischen Verfahrens in positiv/negativ. Zur Beurteilung des Diagnoseinstrumentes werden folgende statistischen Kenngrößen herangezogen: 4 Die Sensitivität beschreibt dabei die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Patienten mit einer Erkrankung ein bestimmtes diagnostisches Verfahren ein positives Ergebnis hat und berechnet sich als Quotient der Anzahl richtig positiver Ergebnisse dividiert durch die Gesamtanzahl an erkrankten Patienten. 4 Die Spezifität beschreibt die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass bei einem nicht-erkrankten Probanden ein bestimmtes diagnostisches Verfahren ein negatives Ergebnis hat und berechnet sich als Quotient der Anzahl richtig negativer Ergebnisse dividiert durch die Gesamtanzahl an nicht-erkrankten Probanden.
35.1.6 Beurteilung von quantitativen
Ergebnissen Bei quantitativen Zielgrößen handelt es sich zumeist um Laborparameter oder sonstige klinische Messergebnisse (z. B. Blutdruck).
Prognosestudien – logistische Regression. Für die Analyse
einer qualitativen Zielgröße wie Erfolg oder Misserfolg einer therapeutischen Maßnahme in Abhängigkeit von prognos-
Statistische Kenngrößen. Bezeichnen xi (i = 1, …n) die indi-
viduellen Daten der n Patienten der Stichprobe so kann man
413 35.1 · Prinzipien der Statistik
unter Annahme einer Normalverteilung die Wirkung in der Gruppe beschreiben mittels 4 arithmetischem Mittelwert 4 Standardfehler
4 und 95%-Vertrauensbereich des Mittelwerts der Patientenpopulation, aus welcher die Studienpopulation rekrutiert wurde: .
. Tab. 35.1. Auswerteschema für die Kaplan-MeierÜberlebenskurve
Sterbezeiten
Anzahl »unter Risiko«
Anzahl Todesfälle
t1
n1
d1
t2
n2
d2
…
…
…
tk
nk
dk
Beurteilt man einen mittleren quantitativen Behandlungsunterschied in 2 Gruppen A und B so ist dessen Standardfehler gleich
Die Überlebensfunktion für t = t1 gibt dann die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Patient den Zeitpunkt t1 überlebt und wird geschätzt durch:
, wenn sA und sB die Standardabweichungen der individuellen Patientendaten in den beiden Gruppen bezeichnen. Der 95%-Vertrauensbereich des Behandlungsunterschieds zwischen den beiden Gruppen A und B ist . Statistische Tests. Als Hypothesentest für H0: Gleichheit der
Mittelwerte vs. der Alternative der Ungleichheit wird der Student-t-Test (bei Vorliegen einer normalverteilten Zielgröße) oder der Wilcoxon-Rangsummentest (wenn nicht von einer normalverteilten Zielgrößen ausgegangen wird) herangezogen (Rasch et al. 2008).
Ŝ (t1) =
n1 – d1 n1
Die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient, der den Zeitpunkt t1 überlebt hat, zum Zeitpunkt t2 stirbt ist gegeben durch d2/n2. Hieraus ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, den zweiten Zeitpunkt zu überleben: Ŝ (t2) =
Ŝ (t) =
Zensierung. Wird die Überlebenszeit nicht vollständig bis
zum Eintritt des terminalen Ereignisses beobachtet, spricht man von einer zensierten Überlebenszeit, z. B. wenn ein Patient bei Auswertung noch am Leben ist oder aus der Studie vor protokollgemäßen Ende (»lost to follow up«) ausscheidet. Somit ist von einigen Patienten nur bekannt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt das interessierende Ereignis noch nicht eingetreten ist, nicht aber der genaue Zeitpunkt. Statistische Kenngrößen. Für zensierte Überlebenszeiten ist der Kaplan-Meier-Schätzer die Methode der Wahl zur statisti-
schen Beschreibung. Hierbei werden in einem ersten Schritt die verschiedenen Sterbezeiten tj (insgesamt k) nach Größe geordnet. Wie in . Tab. 35.1 dargestellt, wird dj die Anzahl der Todesfälle zum Zeitpunkt tj und nj die Anzahl an Patienten unter Sterberisiko unmittelbar vor dem Zeitpunkt tj bestimmt.
n1
n2 – d2 n2
So berechnet sich der Kaplan-Meier-Schätzer der Überlebensfunktion für alle Zeitpunkte t zwischen ti und ti + 1 als:
35.1.7 Beurteilung von Eintrittszeiten Die Überlebenszeit nach Eintritt einer Erkrankung ist eine objektive und in der Regel einfach zu bestimmende Maßzahl. Je nach Fragestellung startet sie mit 4 dem Auftreten erster Symptome, 4 der Diagnosestellung 4 der Randomisation oder 4 dem Beginn einer Therapie.
n1 – d1
n1 – d1 n1
n2 – d2 n2
…
ni – di ni
Eine geeignete Maßzahl für den »Mittelwert« der Überlebenszeit ist wegen der Unsymmetrie der Verteilung der Median M der Verteilung, definiert als diejenige Zeit, zu der genau 50% der Individuen verstorben sind: S(M) =0,5. Man schätzt den Median bei zensierten Überlebenszeiten direkt aus der Überlebenskurve, in dem man die Kurve mit der Parallelen zur Zeitachse (Abszisse) schneidet, die durch den 50% Wert der Überlebenswahrscheinlichkeit (auf der Ordinate) geht (. Abb. 35.1). Für Überlebensraten zu festen Zeitpunkten (1 Jahr, 5 Jahre usw.) können Standardfehler nach der Greenwood-Formel (Collet 2003) berechnet werden. Statistische Tests. Ein Test mit guten statistischen Eigen-
schaften für den Vergleich von Überlebenskurven ist der LogRank-Test (Kalbfleisch und Prentice 2002). Unter der Nullhypothese erwartet man gleiche Sterberaten in beiden Gruppen. Abweichungen der beobachteten Sterberaten von den erwarteten Raten werden zur Erstellung der Log-Rank-Teststatistik herangezogen. Man kann die Anzahl O der beobachteten und die Anzahl E der erwarteten Todesfälle in den beiden Therapiegruppen A und B einander gegenüberstellen (OA und EA in Gruppe A, OB und EB in Gruppe B).
35
414
35
Kapitel 35 · Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
. Abb. 35.1. Kaplan-Meier-Schätzer für Überlebenskurven. Dargestellt sind die Überlebenskurven für das krankheitsfreie Intervall von Operation bis Rekurrenz (lokale Rezidivierung oder Metastasierung) nach R0-Resektion von Patienten im Tumorstadium II oder III zur adjuvanten Chemotherapie des Rektumkarzinoms (Queisser et al. 2000). Die fallenden Treppenkurven geben die Wahrscheinlichkeit des krankheitsfreien Überlebens für die Zeitdauer nach Operation für diese beiden Strata an. An der unteren Kurve des prognostisch ungünstigeren Stadiums III ist die 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit von 62% eingezeichnet (gestrichelte Linie bis 24 Monate). Gleichzeitig ist das mediane krankheitsfreie Intervall von 35 Monaten bestimmt
(punktierte Linie bei Wahrscheinlichkeit 0,5). Ein medianes krankheitsfreies Intervall ist im prognostisch günstigeren Stadium II noch nicht erreicht. In Stadium II ist die längste bisher beobachtete Zeitdauer bis zur Rekurrenz eine unzensierte Zeit (nach 51 Monaten senkrechtes Abfallen der Kurve am Ende). Im Stadium III ist die längste Dauer eine zensierte Zeit (Niveau von 41% nach 55 Monaten). Vertikale Striche auf den Kurven zeigen das Eintreten zensierter Beobachtungen. Die unzensierten tatsächlich beobachteten Rekurrenzen treten zu den Zeitpunkten der Stufen dieser Treppenkurve auf. Im zweiseitigen Log-Rank-Test ist der Unterschied zwischen Stadium II und Stadium III mit p=0,0007 statistisch signifikant
Hieraus berechnet sich der Hazardquotient HR:
zung und Standardfehler der Regressionskoeffizienten c1, ..., cm ohne notwendigerweise λ0(t) zu bestimmen (Kalbfleisch und Prentice 2002).
HR =
OA
OB
EA
EB
=
OA * EB EA * OB
HR =1 bedeutet gleiches, HR <1 erniedrigtes und HR >1 erhöhtes relatives Risiko der Behandlungsgruppe A bezogen auf die Kontrollgruppe B. Proportionale Hazard-Regression (Cox-Regression). Für die
Analyse von Überlebenszeiten wird ein in dieser Form von Cox erstmals vorgeschlagenes Regressionsmodell benutzt, in welchem die zeitabhängige Sterberate (Hazardfunktion) λ(t) eines Patienten in Abhängigkeit von Behandlung und Prognosefaktoren verwendet wird (Cox 1972). Bezeichnet z1 die Therapie und z2 , ... zm die Prognosefaktoren, so hat die Hazardfunktion die Form λ(t, c) = λ0(t) exp (c1 z1 + ... + cm zm). Dabei bezeichnen λ0(t) die Baseline-Hazard und c1,…, cm die unbekannten und zu schätzenden Regressionskoeffizienten, die den Einfluss von Therapie und Prognosefaktoren auf die Überlebenszeit repräsentieren. Sind die beiden Therapien als Standard (z1=0) und experimentelle Therapie (z1=1) definiert, so ist exp(c1) das »relative Risiko« der experimentellen Therapie. Ohne Prognosefaktoren beschreibt exp(c1) den Faktor, um welchen sich die Sterberate ändert, wenn man von der Standardtherapie zur experimentellen Therapie übergeht. Die Methode der partiellen Likelihood-Schätzung liefert Schät-
35.2
Studienplanung
Zweifelsohne ist die Planung einer Untersuchung der wichtigste Schritt einer systematischen medizinischen Forschung. Der rechtzeitige Einbezug der Studienbiometrie in die Planung optimiert Formulierungen von Zielsetzung und Fragestellung(en) und ihre Umsetzung in Prüfhypothesen, welche mittels statistischer Methoden untersucht und einer Lösung zugeführt werden. Zentrale Begriffe und Stationen der biometrische Studienplanung sind die Untersuchungseinheit »Patient«, Zielgrößen und ihre Messmethoden, Charakteristiken des zeitlichen Ablaufs, Methoden gegen Ergebnisverzerrung (Bias), Fallzahlplanung und Einschätzung des zu erzielenden Erkenntnisgewinns. GCP und Biometrie. Die Studienplanung ist in Folge von na-
tionaler Gesetzgebung (siehe das bundesdeutsche Arzneimittelgesetz und seine anhaltende Novellierung), internationaler Vereinheitlichung (im Rahmen der ICH-GCP und den Richtlinien der Zulassungsbehörden), und –nicht zuletzt – in Folge deutlich erhöhter Anforderungen der Mittelgeber (Bundesministerien, DFG, Krebshilfe etc.) sehr aufwändig geworden. Die
415 35.2 · Studienplanung
Studienbiometrie richtet sich deswegen nicht mehr nur nach statistischen Prinzipien, sondern auch nach Grundsätzen der ICH-GCP (z. B. Spriet et al. 2004) und ihren einschlägigen Richtlinien. Good Clinical Practice (GCP) reguliert auch biometrische Begriffe und die Anwendung biometrischer Verfahren, siehe z. B. die ICH-E5-Richtlinie (http://www.emea. europa.eu/pdfs/human/ich/036396en.pdf). Für eine Studie anzuwendende Standards sollten in Studienzentren praktisch in Standardarbeitsanweisungen (»standard operating procedures«, SOP; siehe z. B. Gastl et al. 2003) umgesetzt werden, welche neben der Durchführung einer Therapiestudie vom Design bis zur Publikation auch administrative Angelegenheiten, wie z. B. die Rekrutierung von Zentren und Finanzierungsfragen regeln.
Studienplanung und Erstellung eines Studienprotokolls folgen grundsätzlich den Richtlinien der ICH-GCP zur Sicherung der Korrektheit der Studiendaten und ihrer biometrischen Auswertung. Standardarbeitsanweisungen (SOP) regeln auch Grundsätze der biometrischen Planung und Auswertung.
EBM und Validität einer Studie. Aussagekraft und Verallge-
meinerungsfähigkeit eines Therapieergebnisses können mittels interner und externer Validität einer Studie beurteilt werden (. Tab. 35.2). Die interne Validität beschreibt die Gültigkeit der Aussage einer Studie und wird in der Studienplanung gesichert durch: 4 Strukturgleichheit 4 Beobachtungsgleichheit 4 Behandlungsgleichheit der Therapiegruppen Eine hohe externe Validität erlaubt die Verallgemeinerung der Studienergebnisse auf eine Patientenpopulation wie im Studienprotokoll in Ein- und Ausschlusskriterien festgelegt (7 Kap. 35.1.1 bezüglich Grundgesamtheit und Stichprobe). Die Gültigkeit einer statistischen Aussage (Inferenzschluss) auf eine weiter gefasste und größere Patientenpopulation hängt dann entscheidend davon ab, wie Studienpopulation und diese Zielpopulation in ihrer Zusammensetzung übereinstimmen, vgl. dazu Hinweise zur Patientencharakteristik in 7 Kap. 35.2.3. Je höher diese Übereinstimmung, desto überzeugender ist die Reproduzierbarkeit der Therapieergebnisse und desto gültiger (valider) ist eine Therapieempfehlung. Die Prinzipen der Evidenz-basierten Medizin (EBM) beziehen sich auf die interne Validität einer Studie und haben dazu ein Klassifikationssystem nach formalen Evidenzkriterien entwickelt, das sich ganz entscheidend an dem bei der Planung der Studie gewählten Typus orientiert. Evidenzbasierte klinische Richtlinien wurden z. B. vom Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN) erarbeitet und veröffentlicht (http://www.sign.ac.uk/guidelines/index.html).
. Tab. 35.2. Kriterien zur Validierung von Therapieergebnissen
Interne Validität
Externe Validität
Randomisation und Balance
Patientencharakteristika
Zwischenauswertungen
Ein-/Ausschlusskriterien
Stoppkriterien
Zielgrößen
Fallzahl
Beurteilung der Variabilität
Compliance
Behandlungsmodalitäten
Multivariate Auswertung
Toxizität, unerwünschte Ereignisse
Nachsorge
Präsentation der Ergebnisse
35.2.1 Grundlagen Klinische Studie. Der Begriff »klinische Studie« wird meist
unscharf benutzt und – abhängig von Typus der Erkrankung, Fragestellung, Verfügbarkeit von Behandlungen und Tradition der Therapeuten – bezeichnet er unterschiedliche Untersuchungen: 4 Prospektive Studien mit hochwertigem prospektiven Studienprotokoll 4 Retrospektive Studien, Beobachtungsstudien bzw. sog. Beobachtungsanwendungen (Haye et al. 2000) 4 Auswertungen von Patientenregistern und Datenbanken 4 Fall-Kontroll-Studien bzw. Studien mit historischen Kontrollen 4 Heilversuche, Einzelfallstudien Im Folgenden soll im Wesentlichen die Kategorie der prospektiven Studie besprochen werden, die hoher Evidenz im Sinn der EBM entspricht und auch weitgehend bei chirurgischen Fragestellungen Anwendung findet.
Man spricht von einer klinischen Studie im strengen Sinn, wenn für eine medizinische Fragestellung eine Gruppe von Patienten prospektiv nach einem Studienprotokoll systematisch untersucht, behandelt und beobachtet wird.
Wirkung – Wirksamkeit. Es erweist sich als vorteilhaft in der
Therapieforschung zwischen Wirkung (»effect«) von Wirksamkeit (»efficacy«) zu unterscheiden.
Unter Wirkung versteht man eine klinisch relevante Beeinflussung eines biologischen oder klinischen Parameters des Patienten. Von Wirksamkeit spricht man, wenn die positive Wirkung einer Behandlung auch einen spürbaren Nutzen (Wiederherstellung der Gesundheit, Heilung) erbringt.
35
416
Kapitel 35 · Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
Da man den Nutzen einer Maßnahme im Allgemeinen nur im Vergleich mit Bekanntem beurteilen kann, sind Studien zum Wirksamkeitsnachweis vor allem Vergleichsstudien. Typische Beurteilungskriterien für Wirksamkeit in Therapiestudien sind Ansprechraten und -zeiten, Überlebensraten und -zeiten und die Lebensqualität, alle meist ermittelt über einen bestimmten Zeitraum 7 Kap. 35.2.3. Ziele. Die Entwicklung neuer Arznei- und Heilmittel, neuer
Therapieverfahren, Therapieoptimierung und Qualitätssicherung und -verbesserung sind die vorherrschenden Felder der Therapieforschung. Für die Entwicklung einer neuen Therapie hat sich ein mehrstufiges Verfahren gegliedert in präklinische Abschnitte und maximal vier klinische Phasen (7 Kap. 35.2.2) für den Nachweis der Wirksamkeit einer Therapie bewährt. Dieses Vorgehen wurde durch die Arzneimittelforschung der Onkologie geprägt, kann aber grundsätzlich für fast alle Gebiete der Medizin angewendet werden einschließlich chirurgischer Studien (Sauerland et al. 2008). Darunter fallen auch Therapieoptimierungs- und Qualitätssicherungsstudien, selbst wenn sie weniger streng als Arzneimittelstudien reglementiert sind.
ein günstiges Risiko/Nutzen-Verhältnis zwischen erwünschter Wirkung und unerwünschter Wirkung aufweisen. Die Therapien sollen erfolgversprechend für den Vergleich mit Standardtherapien sein. Hauptzielkriterium ist meist eine Erfolgsrate, bei onkologischen Phase-II-Studien die Ansprechrate/ Responserate. Krankheitsfreies Intervall oder Überlebenszeit werden beurteilt, jedoch meist in zweiter Linie, da für solche Zielparameter die verfügbare Fallzahl im Allgemeinen zu klein ist. Wichtig ist eine systematische Beschreibung der Sicherheit der neuen Behandlung an einer nach strikt einzuhaltenden Ein-/Ausschlusskriterien ausgewählten Patientengruppe. Biometrische Stufendesigns erlauben zwischen Ablehnung und der Annahme einer neuen Therapie zu entscheiden, auf der Grundlage eines Hypothesentests zwischen einer klinisch uninteressanten und einer klinisch interessanten Erfolgsrate. Die Studie wird frühzeitig gestoppt, wenn sich herausstellt, dass die Behandlung mit ausreichender statistischer Sicherheit keinen Mindesterfolg erreichen wird. Eine besondere Form von Phase-II-Studien sind Dosisfindungsstudien oder Substanzfindungsstudien, die unter mehreren Studienarmen solche mit bester Wirkung suchen, wobei der Fehler 1. Art (α-Fehler) kontrolliert wird (Simon et al. 1985). Phase-III-Studie. Die randomisierte klinische Studie der Pha-
35.2.2 Studientypen Das Vier-Phasen-Prinzip prospektiver onkologischer klinischer Studien erleichtert grundsätzlich die Planung von Therapiestudien. Arzneimittelprüfung: Studientypen
35
4 Phase I: Dosisfindung und Beschreibung der dosislimitierenden Toxizität, Definition einer maximal tolerablen Dosis (MTD), Machbarkeit 4 Phase II: Prüfung auf Wirkung und Toxizität, Wirksamkeit in definierten Zielbereichen (Organen) objektiv messbare Parameter (z. B. Ansprechen) 4 Phase III: Wirksamkeitsnachweis und therapeutischer Vergleich, Vergleich mit Standardtherapie, Ziel sind klinische relevante Parameter (z. B. Gesamtüberleben) 4 Phase IV: Wirksamkeitsbeurteilung, Indikationserweiterung und Sicherheit nach Zulassung, Markteröffnungs- und Markterweiterungsstudien
se-III-Prüfung ist die Methode der Wahl zum Wirksamkeitsnachweis. Sie ist in der wissenschaftlich medizinischen Forschung auf breiter Basis anerkannt und Voraussetzung für den Nachweis eines Kausalzusammenhangs. Die Randomisation verhindert dabei eine Verzerrung des Ergebnisses durch eine zu günstige oder zu ungünstige Patientenauswahl in die Behandlungsgruppen und sie kontrolliert bekannte und unbekannte Prognosefaktoren (7 Kap. 35.2.5). Man spricht von einer kontrollierten klinischen Studie, wenn die zu untersuchende Therapieform mit einer Standardtherapie (Kontrollgruppe) verglichen wird. Randomisierte Phase-III-Studien sind für die Zulassung von neuen Arznei- oder Heilverfahren unerlässlich und finden auch beim Vergleich von radiologischen bzw. radio-chemotherapeutischen Behandlungen alleine oder zusätzlich zu chirurgischen Maßnahmen Anwendung. In der Beurteilung chirurgischer Verfahren stößt die randomisierte Studie dann auf Schwierigkeiten, wenn zu vergleichenden Verfahren sich sehr unterscheiden und wenn in einzelnen Armen spezielle Fertigkeiten des Operateurs vorausgesetzt werden. In solchen Fällen ist zu überlegen, ob nicht die einzelnen Patienten, sondern alle Patienten eines Zentrums randomisiert werden (7 Kap. 35.2.5, Clusterrandomisation).
Phase-I-Studie. Das Ziel der Phase-I-Studie liegt darin, eine
Behandlung grundsätzlich in einer für künftige Patienten anwendbaren Form festzulegen. Sie liefern allenfalls sekundär Information zum Therapieerfolg. Als Arzneimittel-Phase-IStudie wird nach Festlegung von Startdosis, Dosiseskalationsschema, Anzahl der Patienten pro Dosisstufe und Kriterien zur dosislimitierenden Toxizität primär die maximal tolerablen Dosis (MTD) bestimmt.
Phase-IV-Studie. Diese Studienform ist angelegt auf eine län-
gere Beobachtung von Therapieergebnissen und auf den Gewinn von Langzeiterfahrungen. Es können bei größeren Stichproben als in der Phase III auch seltene unerwünschte Ereignissen erfasst werden. Sie sind in Durchführung und Begrenztheit der Aussage vergleichbar mit Beobachtungsstudien. Beobachtungsstudien (-anwendungen). Diese Studien sind
Phase-II-Studie. Ziele der Phase-II-Studie sind der Nachweis
einer Wirkung an kleinen Studienpopulationen und die Bestimmung von Therapien, die einen ausreichenden Erfolg und
grundsätzlich von minderer Qualität für den Nachweis von Therapieverbesserungen. Das Prinzip der Strukturgleichheit der Vergleichsgruppen ist dabei ebenso verletzt, wie das Prin-
417 35.2 · Studienplanung
zip der Beobachtungsgleichheit. Deswegen ist es schwierig bis unmöglich, die Wirkung der Behandlung von der Wirkung von Prognosefaktoren zu unterscheiden und es besteht die Gefahr von Zufallsergebnissen. Schon bei der Planung müssen sich Studienleiter und Prüfärzte im Klaren sein, dass dieser Studientyp nur eine begrenzte Aussagekraft für den Wirksamkeitsvergleich hat. Alle Faktoren, die das Ergebnis neben der Therapie beeinflussen könnten, sind zu erheben und bei der Auswertung zu berücksichtigen. Unbedingt sollte die Studie prospektiv nach einem Studienprotokoll durchgeführt werden und es sollte an zentraler Stelle zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um eine Studie mit deskriptiver Fragestellung, oftmals mit dem Ziel der Hypothesengenerierung, handelt.
Überlebenszeit?« systematisch, quantitativ zusammengefasst werden. Eine Metaanalyse kombiniert statistische Prinzipien der Zusammenfassung von Ergebnissen mit den etablierten Verfahren der medizinischen Literaturübersicht mit dem Ziel genauerer und möglicherweise allgemeinerer Aussagen zu einer wichtigen medizinischen Fragestellung. Metaanalysen bilden somit die methodische Grundlage systematischer Reviews (siehe dazu »Die Cochrane Collaboration« [http://www. cochrane.de], die wiederum Voraussetzung Evidenz-basierter medizinischer Therapieempfehlungen sind). Zur Vorgehensweise bei Metaanalysen siehe Rasch et al. 2008.
Historische Kontrollen – klinische Fall-Kontroll-Studie. Die
Die Beurteilung eines Therapieerfolgs erfordert die Festlegung von eindeutigen und reproduzierbaren Zielgrößen. Ihre Auswahl hängt ab von: 4 Relevanz für die Erkrankung 4 Mechanismen der Therapie 4 Genauigkeit ihrer Bestimmung 4 Variabilität in der Studienpopulation 4 Verfügbarkeit effizienter und unverfälschter statistischer Auswerteverfahren 4 Verallgemeinerungsfähigkeit 4 Akzeptanz der Fachwelt
Verwendung historischer Kontrollen und die Benutzung von Datensammlungen zur Beurteilung von Behandlungsergebnissen weisen allseits bekannte Mängel auf (Auswahlverzerrung der Patientenpopulation, verzerrte Therapiezuweisung, fehlende Daten, fehlende Standardisierung der Beurteilungskriterien in Diagnose und Staging, Unterschiede in den Prognosefaktoren usw. (siehe bereits (Byar et al. 1976)). Dies gilt auch für den Fall-Kontroll-Ansatz, bei welchem einem Patienten – prospektiv oder retrospektiv – eine Kontrollgruppe von Patienten mit ähnlichen Werten seiner Prognosefaktoren zugeordnet wird, um die Therapieergebnisse zu vergleichen. Dieser Studientyp ist für den Wirksamkeitsnachweis ungeeignet, kann aber für die Hypothesengenerierung und die Sammlung von Vorinformationen zur Planung einer Phase III Studie hilfreich sein. Prognosestudie/Biomarkerstudie. Prognosestudien, in der
Vergangenheit meist nur als Beobachtungsstudien konzipiert, haben sich zu einem eigenständigen prospektivem Studientyp entwickelt, bei dem es vorrangig um den Einfluss der Patientencharakteristika (Prognosefaktoren) auf die Prognose geht. Therapie ist dabei zunächst ein Prognosefaktor unter anderen. Grundsätzlich werden diese Fragestellungen in statistischen Regressionsmodellen behandelt (George 1988; Simon et al. 1994; 7 Kap. 35.1.5 bis 35.1.7). Die Methodik der Prognosestudien kann dazu verwendet werden, Patientenpopulationen zu bestimmen, die von einer Behandlung einen Nutzen haben, um so eine auf einzelne Patienten zugeschnittene Behandlung zu definieren (»personalized medicine«). Dazu bestimmt man im Regressionsmodell den Einfluss einer statistischen Interaktion zwischen Therapie und relevanten und statistisch signifikanten Prognosefaktoren. Prospektiv geplant hat die Prognosestudie die Funktion einer prädiktiven Studie, mit der z. B. die prädiktive Macht eines Biomarkers quantifiziert und mit der eines klinischen Prognosefaktors verglichen werden kann (Pepe et al. 2001). Metaanalysen. Hierbei handelt es sich um eine besondere
Studienform bei der Einzelergebnisse aus Studien von einem der beschriebenen Typ, (meist Phase-III-Studien) zu einer bestimmten Fragestellung, z. B. » Haben Patienten von einer Radiotherapie zusätzlich zur Resektion einen Gewinn an
35.2.3 Zielgrößen und mehrfache Endpunkte
Klinisch relevanter Unterschied. Therapieergebnisse müssen
klinisch relevante Unterschiede (minimaler therapeutischer Nutzen) darstellen. Man spricht beim Vergleich von zwei Verfahren A und B – A stehe für die neue experimentelle Therapie und B für eine Standardtherapie oder Kontrollgruppe – von dem klinisch relevanten Unterschied (Δ) als einer Differenz oder einen Quotient zwischen den Werten der Zielgröße in Gruppe A und B. Im Fall qualitativer Zielgrößen wird die Verschiebung von Häufigkeiten zugunsten besserer Kategorien betrachtet. Im Fall quantitativer Zielgrößen kann eine Verschiebung des Mittelwerts oder der gesamten Verteilung untersucht werden. Heilung. Chirurgische Maßnahmen haben Heilung als pri-
märes Ziel, quantifizierbar als Heilungsrate. In der Onkologie ist Heilung als endgültiges Verschwinden der Krankheit wegen schlechter Prognose vieler Tumorerkrankungen jedoch oft keine geeignete Zielgröße. Realistischer ist es, die Erkrankung über einen größeren Zeitraum zurückzudrängen oder so zu kontrollieren, dass ein Patient oder eine Patientin eine mit der Normalbevölkerung vergleichbare Lebensqualität erreichen (s. unten). Eine Heilungsrate wird meist operationell über Überlebenswahrscheinlichkeiten definiert, wenn die Überlebensfunktion (Sterbekurve) ein Plateau erreicht. Oftmals reduziert sich die Bestimmung von Heilung auch auf bestimmte Zeitpunkte, wie z. B. die 5- oder 10-Jahres-Überlebensrate (Edler 2002). Ansprechen. Eine häufig benutzte Zielgröße erhält man durch
die Kategorisierung eines klinischen Ergebnisses in Erfolg oder Misserfolg. Auf diese Weise wird z. B. die Wirkung einer
35
418
Kapitel 35 · Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
Therapie auf die Größe des Tumors und seine Ausbreitung als Tumorremission beurteilt und die Ansprechrate eines Behandlungsarms in einer Studie untersucht. Wichtig ist eine genaue, zuverlässige und reproduzierbare Definition solcher Kategorien. Für onkologischen Studien gibt es für Remission, Stabile Erkrankung und Progression die RECIST (Response Evaluation Criteria in Solid Tumors) Kriterien 1.1 (Eisenhauer et al. 2009).
35.2.4 Hypothesenbildung
Krankheitsfreie Überlebenszeit. Eine bedeutsame Zielgröße
Die sachgerechte Formulierung statistischer Hypothesen bezogen auf die klinische Fragestellung ist unter drei Gesichtspunkten zu sehen: 4 Nur die Studienergebnisse können als gültig angesehen und interpretiert werden, die sich aus den statistischen Hypothesen ableiten lassen 4 Durch die statistischen Hypothesen werden die richtigen Auswerteverfahren definiert 4 Die Berechnung der minimal erforderlichen Fallzahl – und damit die Kosten der Studie – ist durch die statistischen Hypothesen festgelegt.
zur Beurteilung einer Therapiemaßnahme, z. B. einer kurativer Operation, ist die Zeit bis zum Wiederauftreten einer Erkrankung, z. B. einer Tumorprogression. Die krankheitsfreie Überlebenszeit (krankheitsfreies Intervall, progressionsfreie Zeit oder »progression free survival«, PFS) wird gemessen ab Beginn der Therapie bzw. ab Randomisation bis zum Wiederauftreten der Krankheit oder Tod, je nachdem was früher eintrifft. Beobachtet man keines dieser beiden Ereignisse, sondern lediglich den Zeitpunkt der letzten Visite oder Nachsorge, so sind diese Daten zensiert.
Diese Art der Hypothesenbildung soll hier an drei häufig vorkommenden Fragestellungen demonstriert werden. Dazu bezeichne θ den zu bestimmenden Parameter der klinisch relevanten Zielgröße (s. oben) zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Therapie. Der Parameter θ kann z. B. die Ansprechrate, die 1-Jahres-Überlebensrate oder die mediane Überlebenszeit eines Studienarms bezeichnen: θA für Therapiearm A und θB für Arm B, wenn es um den Vergleich einer neuen Therapie A mit einer Standardbehandlung B geht.
Überlebenszeit. Die Überlebenszeit eines Patienten wird ge-
messen ab Beginn der Therapie bzw. ab Randomisation bis zum Tod bzw. bis zum Zeitpunkt der letzten Visite oder Nachsorge, falls das Ereignis ‚Tod‘ innerhalb der Studie nicht beobachtet wurde (zensierte Ereigniszeit). Diese Zeit wird auch als Gesamtüberlebenszeit (»overall survival«) bezeichnet und mit statistischen Verfahren für Ausfallzeiten bzw. Überlebenszeiten ausgewertet (Kalbfleisch et al. 2002; 7 Kap. 35.1.7).
Lebensqualität. Die Lebensqualität von Patienten wird durch
35
ßen konfirmativ unter Nutzung eines multiplen Testverfahrens testen, wenn man zuerst die primäre Zielgröße auf dem Signifikanzniveau, z. B. α=0,05 testet und nur dann die sekundäre, wenn der erste Test signifikant war.
standardisierte und validierte Erhebungsbögen erhoben. Bei Tumorpatienten haben sich die Instrumente der EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) bewährt. In der Auswertung werden individuelle Veränderungen bezogen auf den Ausgangszustand beurteilt. In der Regel werden die Änderungen im Verlauf zwischen den Therapieramen verglichen. Komplexere Zielgrößen erhält man bei einer Kombination von Überlebenszeit und Lebensqualität, z. B. eine nach Lebensqualität gewichtete Überlebenszeit oder eine symptom- und toxizitätsfreie Zeit (TWIST, »time without symptoms and toxicity«; Atherton et al. 2006).
Ist die neue Therapie A einer Standardtherapie B überlegen? Die Nullhypothese der Gleichheit der beiden Therapien
H0: θA=θB wird getestet gegen die Alternative der Überlegenheit H1: θA>θB. Hier kann auch nach Vorliegen eines relevanten Unterschieds Δ gefragt und die Alternative zu H1: θA>θB + Δ gewählt werden, Δ>0. Eine einseitige Fragestellung ist zu wählen, wenn nur die Überlegenheit interessiert. Welche der beiden Therapien A oder B ist die bessere? Will
man wissen, ob A oder der Standard B besser ist oder will man zwei neue Therapien miteinander vergleichen, so testet man die Nullhypothese der Gleichheit H0:θA=θB gegen die Alternative der Ungleichheit H1:θA≠θB.
Mehrfache Endpunkte. Ein Therapieerfolg kann durch meh-
Ist die neue Therapie A äquivalent der Standardtherapie B?
rere verschiedene Zielgrößen beschrieben werden. Zunächst sind für jede Zielgröße die adäquate Null- und Alternativhypothese zu formulieren. Es ist zu beachten, dass sich wegen Multiplizität (7 Kap. 35.3.1) der statistische Gesamtfehler für ein falsch positives Ergebnis erhöht, da man nicht mit zwei Tests gleichzeitig das Signifikanzniveau einhalten kann. Es gibt jedoch Möglichkeiten biometrisch valider Aussagen. Dazu werden z. B. die Zielgrößen in primäre und sekundäre (Hierarchisierung) untergliedert. Im einfachsten Fall kann man für die primäre Zielgröße konfirmativ (d. h. mit dem Ziel eines statistischen Kausalschlusses) und für die sekundären Zielgrößen explorativ Testen ohne das statistische Signifikanzniveau zu adjustieren. Man kann aber auch beide Zielgrö-
Oft plant man eine Studie für eine neue Substanz A in einer Situation, in der es bereits eine wirksame Standardtherapie B gibt, aber A Vorteile hat, z. B. in der Applikationsweise (oral statt i.v.) oder im Nebenwirkungsprofil. Ein Test auf Äquivalenz soll dann zeigen, dass A »genauso gut« wie B ist. Da ein Nachweis einer exakten Übereinstimmung der Wirksamkeit zweier Therapien mit einer begrenzten Zahl von Patienten unmöglich ist, muss man einen relevante Unterschied Δ als Äquivalenzschranke vorgeben. Geprüft wird die Nullhypothese der Unterschiedlichkeit/Nicht-Äquivalenz H0: |θA–θB| >Δ (d. h. entweder ist Therapie A deutlich (um Δ!) besser als Therapie B: θA>θB + Δ oder sie ist deutlich schlechter θA<θB–Δ. Die Nullhypothese H0 wird somit getestet gegen
419 35.2 · Studienplanung
. Abb. 35.2. Schematische Darstellung von Nullhypothese und Alternative beim Äquivalenztest
die Alternative der Äquivalenz H1: |θA–θB| ≤Δ, die besagt, dass sich die beiden Therapien um höchstens Δ unterscheiden. Erreicht die »sanftere« Therapie A das Ergebnis der Standardtherapie? Anstelle der Äquivalenzfrage kann man auch
die Nichtunterlegenheitsfrage prüfen, wenn es um den Vergleich einer aggressiven und nebenwirkungsreichen Therapie B mit einer weniger aggressiven und nebenwirkungsärmeren Behandlung A geht. Dann testet man einseitig die Nullhypothese der nicht ausreichenden Wirksamkeit H0:θA<θB–Δ gegen die Alternative der noch ausreichend nahe beim Standard B liegenden Wirkung H1:θA≥θB–Δ (. Abb. 35.2). 35.2.5 Randomisation und Stratifikation Bei der Planung einer Studie sind Maßnahmen zur Vermeidung von verzerrten (»biased«) Ergebnissen zu implementieren. In der prospektiven Phase III Studie sind dies in erster Linie Randomisation und die Stratifkation. Randomisation. Grundsätzlich ist die Beurteilung von The-
rapieergebnissen und ein Therapievergleich dadurch eingeschränkt, dass an einem Patienten nicht gleichzeitig die Wirkung von mehr als einer Behandlung beurteilt werden kann. Somit ist ein strenger Kausalitätsschluss mittels individuellen Therapieeffekts unmöglich. Einen Ausweg aus diesem »counterfactual dilemma« (Senn 2008) bietet die Randomisation, bei der ein Teil der Patientenpopulation die Therapie erhält und ein anderer nicht. Kausalität wird durch die Hilfskonstruktion der Randomisation statistisch wieder hergestellt. Sie erzeugt mittels streng zufälliger Zuteilung der Therapieverfahren auf die Patienten Strukturgleichheit der zu vergleichenden Therapiegruppen. Einflussfaktoren wie z. B. Alter, Geschlecht, Körpergewicht, frühere Erkrankungen werden dadurch statistisch gleichmäßig so auf die Therapiegruppen verteilt, dass ein Unterschied zwischen den Therapie nicht durch eine ungleiche Anhäufung von Störgrößen in einer der beiden Patientengruppen vorgetäuscht wird (Weber 1982). Randomisierte klinische Studien sind bei chirurgischen Therapieformen schwieriger als bei Arzneimitteln. Nach Le-
fering und Neugebauer (1998) sind vorherrschende Hinderungsgründe: 4 der Patientenwunsch (Wahl für oder gegen eine Operation), 4 die Vorliebe und Fertigkeit des Chirurgen in einer Operationsform (Begg et al. 1983), 4 die Schwierigkeit einer Verblindung und 4 das Vorliegen eines möglicherweise stark ausgeprägten Placebo-Effekts einer Operation. Als weitere Gründe wurden eine Beeinträchtigung des ArztPatienten-Verhältnisses (Benson et al. 1991) und der Verlust der individuellen Entscheidungsmöglichkeit (Taylor et al. 1984) angegeben. Spielen Fertigkeiten von Chirurgen eine wichtige Rolle in der Weigerung der Teilnahme an einer Studie, kann eine Clusterrandomisation von Zentren vorgenommen werden (Campbell 2000). Stratifikation. Oft sind bei der Planung einer Studie Progno-
sefaktoren bekannt, die Untergruppen von Patienten mit sehr unterschiedlichen Therapieergebnissen identifizieren. Mit einer Stratifikation (Schichtung) und einer getrennten Randomisation in jedem Stratum kann die Effizienz einer Studie erhöht werden und man kann (i) eine möglicherweise vorhandene Wechselwirkung zwischen Therapie und Prognosefaktor entdecken und (ii) die Wirkung der Prüftherapie getrennt von Effekten dieser Prognosefaktoren (Störeffekte) beurteilen. Es sollte aber beachtet werden, dass man oft nur nach den allerwichtigsten Faktoren stratifizieren kann, da die Anzahl der Strata (d. h. alle durch die Stratifikation erzeugbaren Untergruppen) in einem angemessenen Verhältnis zur Patientenzahl der Studie stehen muss. Eine weitere Maßnahme gegen Bias ist die Verblindung gegen die Behandlung, wenn Patient, behandelnder Arzt oder Beurteiler des primären Zielparameters die Behandlung nicht kennen. Verblindung darf jedoch nicht zu einer zusätzlichen Störgröße werden. Ist die Beurteilung durch Kenntnis der Behandlung und durch Erwartungshaltungen beeinflusst, wie z. B. die Lebensqualität, sollten primäre Zielgrößen verblindet werden.
35
420
35
Kapitel 35 · Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
Studienauswertung und Bericht
35.2.6 Fallzahlplanung
35.3
Kernstück einer biometrischen Studienplanung und Realisierung einer Studie ist die Berechnung der minimal für den erfolgreichen Abschluss einer Studie ausreichenden Fallzahl. Aus statistischer Sicht muss der Stichprobenumfang so bestimmt werden, dass die Fragestellung mit ausreichender Genauigkeit beantwortet werden kann. Hier kann nur ein Einblick in die Fallzahlberechnung gegeben werden und es muß zwecks weiterem auf die Literatur und die Fallzahlprogramme verwiesen werden, siehe z. B. Bock (1997). Zwei kommerziell angebotene Programme sind PASS2005 und NQuery, deren Anwendung aber nicht ohne die die Unterstützung durch einen Biometriker erfolgen sollte. Führt man eine klinische Studie mit nur einer Therapiegruppe durch, z. B. eine einarmige Phase-II-Studie und hat man eine quantitativen Endpunkt, z. B. die Erhöhung eines Laborwerts ab Therapiebeginn, so kann man sich überlegen, wie viele Fälle nötig sind, um einen mittleren Anstieg mit ausreichender Genauigkeit zu bestimmen. Dazu reichen Annahmen über die Variabilität in Form der Standardabweichung der Daten, z. B. aus Vorversuchen, und die Vorgabe der gewünschten Genauigkeit. Für einarmige Studien gibt es auch die Möglichkeit, die Fallzahl mittels eines Ein-Stichprobentests zu bestimmen. Dazu testet man die Nullhypothese H0:θA=θ0 gegen die Alternative H1:θA≠θ0, wobei θ0 ein fester Wert ist. Die Fallzahl berechnet sich dann aus einer Formel, die von einer statistischen Verteilung abgeleitet wird; aus der Normalverteilung beim tTest wenn θ ein Mittelwert ist und aus der Binomialverteilung wenn θ eine Rate ist. Zur Berechnung der Fallzahl N benötigt man die Festlegung 4 des Signifikanzniveaus, d. h. des α-Fehlers, 4 der Macht (1–β) des Tests, d. h. des β-Fehlers, 4 des zu entdeckenden klinisch relevanten Unterschieds
Wie die klinische Durchführung der Studie nach einem Studienprotokoll erfolgt, so sollte auch die Auswertung der Studiendaten nach einem Auswerteplan erfolgen. Dazu ist spätestens vor dem Schließen der Studiendatenbank besser jedoch nach Verabschiedung des endgültigen Studienprotokolls und nach Festlegung der Studiendokumentation (Edler et al. 2008) ein statistischer Analyseplan zu erstellen. Darin kann bereits die Struktur der Ergebnisdarstellung in Form von noch nicht ausgefüllten Tabellen und Abbildungen vorgegeben werden. Dies unterstreicht auch den prospektiven Charakter einer klinischen Studie und beschleunigt die spätere Auswertung.
und im Fall des Tests eines Mittelwerts noch 4 der (zu erwartenden) Streuung, d. h. der Standardabweichung. Bei zweiarmigen Studien muss auf Grundlage der Fragestellung, der statistischen Hypothesen und des adäquaten Auswerteverfahrens die Teststatistik vorliegen, die eine Funktion der Fallzahl N ist. Daraus kann man die Fallzahl berechnen, wenn alle freien Parameter festgelegt sind. Beim Vergleich von zwei Überlebenszeiten sind dies das Signifikanzniveau, die Macht (1–β) und der zu entdeckende klinisch relevante Unterschied zwischen den Armen A und B, z. B. in Form der Differenz der beiden medianen Überlebenszeiten θA und θB. Diesen Unterschied kann man auch als Hazard-Quotient ausdrücken, d. h. bei exponentialverteilter Zeiten der Quotient θA/θB oder θB/θA, je nachdem wie die beiden Arme aufeinander bezogen werden.
35.3.1 Auswerteverfahren Die Wahl der Auswerteverfahren ist durch die Studienhypothesen und die statistische Qualität der Zielgrößen bestimmt. Dichotome Zielgrößen, deren Ergebnisse in den Behandlungsgruppen sich als Erfolgs- oder Misserfolgsraten darstellen, vergleicht man mit dem Binomialtest, bei kleinen Fallzahlen unter n=100 mit einer »exakten« Version; für ordinale Zielgrößen ist ein Chi-Quadrattest angezeigt; Quantitative Größen, z. B. aus dem Laborbereich vergleicht man bevorzugt mit einem nicht-parametrischen Test, es sei denn es kann eine Normalverteilung der Daten angenommen werden. Für Eintrittszeiten (Überlebenszeiten, PFS-Zeiten usw.) wendet man als Standardverfahren den Log-rank-Test an; 7 Kap. 35.1.5 bis 7 Kap. 35.1.7. Software. Die beschriebenen Verfahren sind in statistischen
Programmpaketen wie SAS (http://www.sas.com) oder SPSS (http://www.spss.com) bequem aufrufbar, auch als Funktionen in dem frei verfügbaren R (http://cran.r-project.org). Von Auswertungen mit Tabellenkalkulationsprogrammen oder Programmen, die für beschreibende Statistik und Grafik konzipiert wurden, ist ebenso abzuraten wie von Programmen unklarer Autorenschaft aus dem Internet. Mit den oben genannten Testverfahren lassen sich Parallelgruppenvergleiche zwischen zwei Therapien leicht realisieren. Vergleicht man mehrere Gruppen gleichzeitig sollte nicht nur der Globalvergleich zwischen allen Vergleichsgruppen festgelegt sein, sondern auch ein Verfahren zur Durchführungen von Mehrfachvergleichen (siehe unten). Folgen die Vergleichstherapien einem gewissen Ordnungsprinzip, z. B. eine aufsteigende Folge von Dosierungen, so kann auch ein Test auf Trend angewendet werden. Oft sind bereits für die konfirmatorischen Auswertung der primären Zielgröße Einflussfaktoren definiert, die für eine effiziente Auswertung herangezogen werden sollen. In diesem Fall sind statistische Verfahren aus der Familie der Varianz- oder Regressionsanalysen anzuwenden, bei denen zusätzlich zur Therapievariablen diese Faktoren (‚multivariable Analyse‘) berücksichtigt werden. Dichotome Zielgröße in Form von Raten oder Eintrittszeiten werden mittels logistischer Regression (7 Kap. 35.1.5) oder proportionaler Hazard-Regression 7 Kap. 35.1.7) ausgewertet.
421 35.3 · Studienauswertung und Bericht
Multiplizität. Klinische Studien sind ethisch und ökonomisch
zu kostspielig, um nur für eine einzige Aussage »Therapie A ist besser als Therapie B« durchgeführt zu werden. Deswegen werden in einer Studie meist verschiedene Fragestellungen behandelt und diese Multiplizität von Aussagen stellt ein grundsätzliches Problem klinischer Untersuchungen dar. Im Fall von mehrfachen statistischen Hypothesentests erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von falschpositiven Aussagen. Wendet man einen Test auf dem Signifikanzniveau α=0,05 z. B. 5-mal an, so steigt die Chance, dass unter diesen fünf Tests mindestens ein falsch-positives Ergebnis ist, von 0,05 auf 0,23 im ungünstigsten Fall von unabhängigen Tests. Hängen die Testergebnisse statistisch voneinander ab, liegt diese Rate zwischen 0,23 und 0,05 (Koch et al. 1996). Multiplizität tritt in verschiedenen Formen auf: 4 Mehrfache Endpunkte (7 Kap. 35.2.3) 4 Mehrfache Behandlungen (mehr als zwei) 4 Mehrfache Zwischenauswertungen 4 Follow-up-Auswertungen 4 Untergruppenanalysen Werden mehr als zwei Behandlungen miteinander verglichen, so ist ähnlich wie bei mehrfachen Endpunkten ein sequenzielles und im Studiendesign eingeplantes Vorgehen in Form von Hypothesen- und Testhierarchien oder der Einsatz einer Bonferroni- bzw. Bonferroni-Holm-Adjustierung des Signifikanzniveaus angezeigt. Dieses Vorgehen kann in Form von Abschlusstests kombiniert und optimiert werden (Bauer 1991). Anders ist die Situation bei Zwischenauswertungen. Die statistische Sicherheit von Behandlungsergebnissen aus wiederholten Auswertungen ist zu adjustieren, um eine erhöhte Rate von falsch-positiven Ergebnissen zu vermeiden. In Überlebenszeitstudien können mit den Verfahren von Fleming et al. (1984) und Pocock (1977) nominale Niveaus für Zwischenauswertungsergebnisse berechnet werden. . Tab. 35.3 zeigt für zwei und fünf Auswertungen gültige Signifikanzniveaus (i) für ein konservatives Vorgehen zu Beginn und eine möglichst ausschöpfende Auswertung am Schluss der Studie und (ii) für ein gleichmäßiges Vorgehen (Green et al. 1988). Oft wird übersehen, dass Follow-up-Auswertungen nach Endauswertung mit ihrem Ergebnis die Gültigkeit der pri-
. Tab. 35.3. Nominales Signifikanzniveau in einem gleichmäßigen (Pocock 1977) und einem zu Beginn konservativen (Fleming et al. 1984) Schema der Verteilung des Signifikanzniveaus für 2 und 5 Zwischenauswertungen im Parallelgruppenvergleich
Auswertungen
Gleichmäßig
Konservativ
1
2
3
4
5
0,029 0,029
0,029 0,016
0,016
0,016
0,016
0,005 0,001
0,048 0,001
0,002
0,002
0,048
mären Auswertung beeinträchtigen wenn sie nicht eingeplant wurden. Sind ihre Ergebnisse inkonsistent mit dem Ergebnis der Endauswertung, wird zudem die Interpretation schwierig. Ist die Endauswertung nicht signifikant und die Follow-upAuswertung signifikant, sollte eine Post-hoc-Anpassung des Signifikanzniveaus vorgenommen werden z. B. von Signifikanzniveau 0,05 auf 0,02–0,01. Ist die Endauswertung signifikant und die Follow-up Auswertung nicht, muss auf Vorliegen von zeitlichen Effekten geprüft werden. Eine weitere gefährliche Quelle für Multiplizität sind Untergruppenanalysen. Bei statistisch signifikanten Unterschieden wird wegen der multiplen Vergleiche das ursprüngliche Signifikanzniveau ungültig. Dies ist statistisch durch multiple Testprozeduren und eine schärfere Kontrolle der Signifikanz jedoch hebbar. Bei statistisch nichtsignifikanten Unterschieden kann grundsätzlich nicht auf Nicht-Effekt geschlossen werden. Selbst mit einem korrekterweise durchgeführten Äquivalenztest ist die statistische Macht, auf Äquivalenz zu schließen, meist sehr gering.
35.3.2
Bericht von Ergebnissen
Klinische Studien werden, gemessen an der Gesamtzahl behandlungsbedürftiger Patienten, an kleinen Patientenpopulationen zum Zwecke des Erkenntnisgewinns durchgeführt. Sie erfüllen diesen Zweck nur, wenn ihre Ergebnisse verbreitet und akzeptiert werden. Dies erfolgt in Form von Veröffentlichungen in medizinischen Fachzeitschriften, die inzwischen überwiegend in elektronischer Form gelesen werden. Gelegentlich findet man Therapieergebnisse auch vergröbert in allgemeinbildenden Zeitschriften und der Laienpresse bis hin zu Tageszeitungen. Therapieergebnisse findet man auch im Internet, wobei Relevanz, Aktualität und Vergleichbarkeit nicht gewährleistet sind, da die Sichtbarkeit durch Aufrufstatistiken gesteuert wird. In Zukunft dürfte die Vermittlung über elektronische Medien und die Verbreitung von Behandlungsergebnissen im Internet zunehmen. Umso mehr sind Richtlinien zur Struktur der Darstellung von Therapieergebnissen und Regeln der Berichterstattung erforderlich. Zuverlässige Quellen sind pubmed des US National Institute of Health (www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/) und die Cochrane Reviews (www.cochrane.org). Empfehlungen und Richtlinien zur Abfassung von Ergebnisberichten und Publikationen zu Behandlungsergebnissen sind im CONSORT-Statement zusammengefasst (Altman et al. 2001). Es enthält wichtige Details zur statistischen Auswertung und zur biometrischen Qualität, sodass Studien vergleichbar und beurteilbar und Ergebnisse aus mehreren Studien zusammenfassbar werden. Insbesondere wird dort die Patientenpopulation in auswählbare (»eligible«), aufgenommene (registriert), randomisierte, behandelte/protokollgerecht behandelte und auswertbare Patienten gegliedert. Eine numerische und graphische Darstellung des Patientenflusses getrennt für jeden Therapiearm gibt ein Gesamtbild der Studie, an dem man auch Unregelmäßigkeiten ablesen kann.
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422
Kapitel 35 · Prinzipien der Statistik und Studienbiometrie
Literatur
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IV Spezieller Teil: Therapieentscheidungen und therapeutisches Vorgehen 36
Maligne Lungentumoren
– 425
L. Sunder-Plassmann, C. Schumann
37
Lungenmetastasen
– 457
H. Dienemann, J. Pfannschmidt
38
Ösophaguskarzinom
– 473
J.R. Siewert, H.J. Stein, F. Lordick
39
Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom – 509 J.R. Siewert, H.J. Stein
40
Magenkarzinom
– 521
K. Ott, A. Sendler, A. Tannapfel, F. Lordick, J.R. Siewert
41
Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
– 563
J. Werner, M.W. Büchler
42
Neuroendokrines Pankreaskarzinom
– 587
V. Fendrich, D. Bartsch
43
Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren – 595 A. Thelen, C. Benckert, S. Jonas
44
Lebermetastasen
– 639
C.T. Germer, U. Steger
45
Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege – 655 R.S. Croner, T. Meyer, W. Hohenberger
46
Maligne Dünndarmtumoren B.L.D.M. Brücher
47
Kolonkarzinom J.-P. Ritz, H.J. Buhr
– 693
– 681
48
Rektumkarzinom
– 713
S. Willis, V. Schumpelick
49
Analkarzinom
– 735
F. Zimmermann, Ch. Tympner
50
Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen) – 753 C. Garbe, J. Göhl
51
Weichgewebssarkome
– 773
C. Kettelhack, S. Burock, P.M. Schlag
52
Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
– 799
C. Peschel
53
Maligne viszerale Tumoren des Kindes
– 813
D. von Schweinitz, H. Till
54
Urogenitale Tumoren
– 841
M. Fröhner, M. Wirth
55
Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
– 863
A. Kühnl, H.-H. Eckstein
56
Ovarialkarzinom
– 887
M. Pölcher, B. Schmalfeldt, G. Florack, J. Kalff, W. Kuhn
57
Peritonealkarzinose
– 903
G. Glockzin, H.J. Schlitt, P. Piso
36 36
Maligne Lungentumoren L. Sunder-Plassmann, C. Schumann
36.1
Grundlagen
36.1.1 36.1.2 36.1.3 36.1.4
Epidemiologie – 426 Klassifikation und Staging – 426 Histologie – 426 Biologie des Lungenkarzinoms – 428
36.2
Diagnostik
36.2.1
Bildgebung und Endoskopie
36.3
Chirurgische Strategie
36.3.1 36.3.2 36.3.3
Nicht-operative Therapiestrategie – 431 Multimodale Therapiestrategie – 431 Operative Therapiestrategien – 431
36.4
Operationstechnik
36.4.1 36.4.2 36.4.3
Anatomische Resektionen der rechten Lunge – 433 Anatomische Resektionen der linken Lunge – 445 En-bloc-Prinzip bei Ausbrechertumoren – 446
36.5
Postoperative chirurgische Komplikationen
36.6
Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose
36.6.1
Adjuvante und neoadjuvante, interdisziplinäre Therapieansätze
36.7
Operation und Operabilität beim kleinzelligen Bronchialkarzinom – 449
36.8
Empfehlungen zur Nachsorge
36.9
Mediastinaltumoren
36.9.1 36.9.2
Tumoren im oberen vorderen Mediastinum Tumoren im hinteren Mediastinum – 453 Literatur
– 426
– 428
– 454
– 428
– 430
– 432
– 450
– 450 – 451
– 446 – 448 – 448
426
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
> Mit annähernd 500.000 Sterbefällen pro Jahr in den Industrienationen der Nordhalbkugel ist und bleibt der Lungenkrebs die häufigste Krebstodesursache – zu 90% durch Zigarettenrauchen bedingt. Die Biologie der Tumoren ist äußerst variabel, histologisch sind Mischtypen mit kleinzelligen Anteilen besonders häufig. Nur 30% aller Erkrankten werden mit kurativer Zielsetzung operiert. Trotz enormer chirurgischer Fortschritte (Letalität der Lobektomie 1–4%) konnte die Langzeitprognose aller Operierten mit ca. 35% 5-Jahres-Überleben nicht relevant verbessert werden. Auch sog. Frühstadien scheinen bereits zellulär zu streuen, sodass die neoadjuvante/adjuvante Chemotherapiestrategie auch in diesen frühen Stadien eine Bedeutung erlangt hat. Unabhängig davon wird auch in Zukunft in weit fortgeschrittenen Stadien die Operation mit palliativer Zielsetzung ihren festen Stellenwert haben.
36.1
Grundlagen
36.1.1 Epidemiologie
36
Lungenkrebs ist der zweithäufigste solide Tumor bei Mann (nach den Prostata-Karzinom) und bei der Frau (nach dem Mammakarzinom) in der Gesamtheit beider Geschlechter der dritthäufigste Krebs. Die Inzidenz beträgt 1,2 Mio. Neuerkrankungen oder 12,3% und die Mortalität ist bei 1,1 Mio. Todesfälle oder 17,8% weltweit (Parkin 2001). Damit ist das Bronchialkarzinom unter den Malignomen die häufigste Todesursache. In Deutschland erkranken jedes Jahr 30.000 Menschen am nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom. Der wichtigste mit dem Bronchialkarzinom assoziierte Faktor ist das Zigarettenrauchen. Während das Bronchialkarzinom früher eine Erkrankung vorwiegend des älteren war, ist weltweit ein Trend hin zur Erstmanifestation immer jüngerer Patienten zu erkennen. Dabei spielt ein früher Beginn des Rauchens, insbesondere bei Frauen eine wesentliche Rolle, auch die Inzidenz beim weiblichen Geschlecht ist zunehmend. Die meisten Fälle werden im fortgeschrittenen Tumorstadium diagnostiziert, dadurch ist die Prognose limitiert. Da die meisten Patienten, die Lungenkrebs entwickeln, auch Raucher oder Ex-Raucher sind, und Raucher-assoziierte Herz- und Lungenerkrankungen aufweisen, sind die Möglichkeiten radikaler Therapiekonzepte oft eingeschränkt.
36.1.2 Klassifikation und Staging Die Berücksichtigung der stadienbedingten Mortalität von Patienten mit Erstdiagnose eines NSCLC von 1990–2000 (amerikanisches SEER-Archiv) machte eine Überarbeitung der bisherigen 6. Revision der TNM-Klassifikation erforderlich. . Tab. 36.1 zeigt die derzeit gültige 7. Ausgabe der TNMKlassifikation (Goldstraw et al. 2007). Abgeleitet aus dieser TNM-Klassifikation ergibt sich die Stadieneinteilung (nach UICC; . Tab. 36.2). . Abb. 36.1 gibt einen Überblick über die Lymphknotenstationen. Nach dieser neuen TNM-Klassifikation wird der prognostischen Bedeutung der Größe des Primärtumors (T-Des-
. Abb. 38.1. Benennung der Lymphknoten im Mediastinum. Bei intraoperativer Entnahme zu Stagingzwecken kann für die betreffende Lymphknotenstation – anstelle der ausführlichen anatomischen Bezeichnung – die entsprechende Zahl verwendet werden. Mediastinale Lymphknotenstationen: 1 hoch prätracheal, 2 hoch-paratracheal, 3 prätrachel, 4 tracheobronchial, 5 aortopulmonal, 6 präaortal, 7 Bifurkationsbereich, 8 paraösophageal, 9 ligamentär. Pulmonale Lymphknotenstationen 10 Hiluslymphknoten, 11 interlobäre Lymphknoten, 12 lobäreLymphknoten, 13 intersegmentale Lymphknoten. (American Joint Committee 1979)
kriptor) mit weiterer Unterteilung (jeweils in T1–2a bzw. b) als auch der des pleuralen Tumorbefalles (als M1 gewertet) Rechnung getragen. . Tab. 36.3 zeigt die sich daraus resultierenden 5-Jahres-Überlebensrate, aufgetrennt nach klinischer (präoperativ) und pathologischer (postoperativ) Klassifikation.
36.1.3 Histologie Im Jahre 1999 wurde die bisher gültige histologische Klassifikation der WHO maligner Lungen- und Pleuratumoren aus dem Jahre 1982 überarbeitet. Danach sind über 100 mögliche bronchopulmonale Neoplasien beschrieben (Travis et al. 2004). Einen Überblick gibt . Tab. 36.4.
36
427 36.1 · Grundlagen
. Tab. 36.1. TNM-Klassifikation, 7. Auflage. (Nach Goldstraw et al. 2007)
. Tab. 36.2. Tumorstadien (nach International Union against Cancer; UICC) beim Bronchialkarzinom
Tx
Primärtumor nicht messbar, bei Malignomnachweis
T0
Primärtumor nicht vorhanden
Stadium (nach UICC)
Primärtumor
Regionäre Lymphknoten
Fernmetastasen
Tis
Carcinoma in situ
Okkultes Karzinom
Tx
N0
M0
T1
Tumor ≤3 cm, bronchoskopisch auf den Lappenbronchus begrenzt
Stadium 0
Tis
N0
M0
T1a
Tumor ≤2 cm
Stadium IA
T1a, T1b
N0
M0
T1b
Tumor >2 cm aber ≤3 cm
Stadium IB
T2a
N0
M0
T2
Tumor >3 cm aber <7 cm oder Tumor infiltriert Hauptbronchus und reicht bis ≥2 cm an die Hauptkarina heran oder Tumor infiltriert Pleura viszeralis Tumor verursacht Atelektase oder Retentionspneumonie (nicht der gesamte Lunge)
Stadium IIA
T1a, T1b T2a T2b
N1 N1 N0
M0 M0 M0
Stadium IIB
T2b T3
N1 N0
M0 M0
Stadium IIIA
T1, T2 T3 T4
N2 N1, N2 N0, N1
M0 M0 M0
Stadium IIIB
T4 Jedes T
N2 N3
M0 M0
Stadium IV
Jedes T
Jedes N
M1
T2a
Tumor >3 cm aber ≤5 cm
T2b
Tumor >5 cm aber ≤7 cm
T3
Tumor >7 cm oder Tumor infiltriert: Thoraxwand (einschließlich Sulcus superior), Zwerchfell, N. phrenicus, Pleura mediastinalis, Perikard oder Tumor infiltriert Hauptbronchus und reicht bis <2 cm an die Hauptkarina heran oder Tumor verursacht Atelektase oder Retentionspneumonie (der gesamte Lunge) oder Tumor mit Metastase im gleichen Lungenlappen
T4
Tumor jeder Größe mit Infiltration von: Mediastinum, Herz, große Gefäße, Trachea, Ösophagus, Wirbelkörper, N. laryngeus recurrens, Hauptcarina Tumor mit Metastase in einem anderen Lungenlappen (aber ipsilateral)
. Tab. 36.3. Prognose in Abhängigkeit vom Tumorstadium (nach UICC) beim Bronchialkarzinom, basierend auf der 7. Ausgabe der TNM-Klassifikation
Tumorstadium (UICC)
5-JahresÜberlebensrate (nach klinisches Stadium)
5-JahresÜberlebensrate (nach pathologisches Stadium)
Nx
Regionale Lymphknoten nicht messbar
N0
Keine regionalen Lymphknoten vorhanden
N1
Befall ipsilateraler peribronchialer, hilärer und intrapulmonaler Lymphknoten, einschließlich durch Invasion per contiunuitatem
IA
50%
73%
IB
43%
58%
N2
Befall ipsilateraler mediastinaler und/oder subkarinaler Lymphknoten
IIA
36%
46%
IIB
25%
36%
N3
Befall kontralateraler mediastinaler, hilärer Lymphknoten Befall ipsi- oder kontralateraler Skalenus- oder supraklavikulärer Lymphknoten
IIIA
19%
24%
IIIB
7%
9%
IV
2%
13%
Mx
Fernmetastasen sind nicht messbar
M0
Keine Fernmetastasen vorhanden
M1
Fernmetastasen vorhanden
M1a
Tumor mit Metastasen in der kontralateralen Lunge oder Pleurale Tumorabsiedlungen oder Maligner Pleuraerguss oder Maligner Perikarderguss
M1b
Fernmetastasen
428
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
36.1.4 Biologie des Lungenkarzinoms . Tab. 36.4. Histologische Klassifikation maligner Lungenund Pleuratumoren (nach WHO)
Gruppe
Varianten
Plattenepithelkarzinom
Papillär Klarzellig Kleinzellig Basaloid
Untersuchungsmethoden der molekularen Genetik haben unterschiedliche genetische Alterationen in Lungentumoren nachweisen können. Mit Hilfe der komparativen genomischen Hybridisierung (CGH) konnten beim kleinzelligen Bronchialkarzinom Deletionen (3p, 10q, 4q, 5q, 13q, 17p) und Amplifikationen (3q, 5p) (Petersen et al. 1997). Beim NSCLC finden sich molekularbiologisch Deletionen und Amplifikationen häufig im Bereich der Chromosomen 1q, 3q, 4q, 5q, 10q, 11q, 13q [5].
Kleinzelliges Karzinom Adenokarzinom
Onkogene und Tumorsuppressorgene
Azinär Papillär Bronchoalveolär Muzinös Gemischtzellig
Großzelliges Karzinom
Chromosomale Aberrationen, Mutationen oder Amplifikationen für zur Aktivierung oder Inaktivierung von Onkogenen oder Suppressorgenen und somit zur malignen Transformation der Zellen. Die wichtigsten Gene beim Bronchialkarzinom sind in . Tab. 36.5 dargestellt.
Großzellig neuroendokrin Basaloides Karzinom Lymphoepithelial Klarzellig
36.2
Adenosquamöses Karzinom
36.2.1 Bildgebung und Endoskopie
Karzinome mit pleomorpher, sarkomatoider oder sarkomatöser Differenzierung
Spindelzellig oder großzellig Karzinosarkom Pulmonale Blastom
Karzinoide
Typisches Karzinoid Atypisches Karzinoid
Karzinome der Speicheldrüsenart
Mukoepidermoides Karzinom Adenoidzystisches Karzinom
Ziel der laborchemischen, bildgebenden und invasiven Diagnostik ist primär die exakte präoperative Festlegung des Erkrankungsstadiums, sodass cTNM und postoperatives pTNM möglichst übereinstimmen.
Die histologische Typisierung ist zwar ebenfalls wünschenswert, aber insbesondere bei peripheren Tumoren jedoch häu-
Unklassifizierte Karzinome
36
Diagnostik
. Tab. 36.5. Onkogene und Tumorsuppressorgene beim Bronchialkarzinom. (Nach Wiethege et al. 1994)
Gen
Bezeichnung
Chromosom
Tumortyp
Prognose
1p13 11p15.5 12p12.1
Adenokarzinom
Negativ
Onkogene ras-Familie N-ras H-ras K-ras
rat sarcoma virus
erbB-1 (EGFR)
Erythroblastosis virus (epidermal growth factor receptor)
7p13-p12
Plattenepithelkarzinom
Negativ
erbB-2 (HER2)
erythroblastosis virus
17q21-q22
Adenokarzinom
Negativ
myc-Familie c-myc N-myc L-myc
Myelocytomatosis virus
Kleinzelliges Karzinom
Negativ
raf-1
ras activated fragment
3p25
NSCLC SCLC
fos
Finkelosteosarcoma virus
14q24.3
NSCLC SCLC
6
8q24 2p24.1 1p32
Negativ PE-Ca
429 36.2 · Diagnostik
. Tab. 36.5 (Fortsetzung)
Gen
Bezeichnung
Chromosom
Tumortyp
Prognose
jun
avian sarcoma virus 17
1p32-p31
NSCLC SCLC
Negativ (AC und PE-Ca)
bcl-2
B cell leukaemia/lymphoma
18q21
SCLC (NSCLC)
Positiv
myb
avian myeloblastosis virus
6q22-q23
SCLC (NSCLC)
mdm2
murine double minute 2
12q13-q14
SCLC, NSCLC
kit
protein kinase thyrosine specific
4q11-q21
SCLC
met
N-methyl-N’-nitroso-guanidin treat. Human osteosarcoma cell line
7q31
SCLC
13q14.2
SCLC
9p21 9p21
SCLC NSCLC
17p31.1
NSCLC
Tumorsuppressorgene rb
Retinoblastoma
mts-Familie mts1 mts2
Mulitple Tumor Supressor
p53
Protein 53.000 Dalton
Negativ
Negativ
AC Adenokarzinom, PE-Ca Plattenepithelkarzinom
. Tab. 36.6. Diagnostisches Vorgehen beim Vorliegen eines malignen Lungentumors
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Anamneseerhebung unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Symptome
Tumor, Ausdehnung, Inoperabilität
Körperliche Untersuchung (Lymphknotenpalpation) Standardröntgenaufnahme des Thorax CT mit Kontrastmittel (einschließlich Leber, Nebennieren, unterer Nierenpol) CT des Schädels (Kleinzeller, symptombezogen)
Metastasierung
Skelettszintigraphie (Kleinzeller, erhöhte alkalische Phosphatase, entsprechende Schmerzanamnese)
Ossäre Metastasierung
Bronchoskopie
Histologische Typisierung Tumorinfiltration an Bronchusabgängen (T-Staging)
EKG, Echokardiographie, Spirometrie, Bodyplethysmographie
Präoperative Beurteilung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit
PET
Präoperativ Abklärung des Mediastinums: Lymphknotenstatus, Operabilität, neoadjuvante Therapie
36
430
36
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
fig nicht möglich bzw. auch entbehrlich, da die Operationsindikation nach exaktem Staging unabhängig vom histologischen Tumortyp ohnehin gegeben ist. Sinnvoll ist ein schrittweises Vorgehen (»diagnostisches Crescendo«; . Tab. 36.6): 4 Der 1. Schritt beinhaltet Anamnese und spezifische Symptome (Gewichtsverlust, Leistungsindex, Auswurf, Thoraxschmerz, paraneoplastische Symptome, Heiserkeit) sowie die körperliche Untersuchung mit Lymphknotenpalpation zervikal, supraklavikulär, axillär sowie Labordiagnostik und erste Bildgebung im Sinne der Standard-Thoraxübersichtsaufnahme. 4 Fehlt bis hierher der Beweis für Inoperabilität so folgt der 2. Schritt: Computertomographie (CT) mit Kontrastmittel der Thoraxorgane mit Einschluss der Leber, Nebennieren bis zum unteren Nierenpol, ein Skelettszintigramm bei entsprechendem Risikoprofil bzw. Symptomatik (Kleinzeller, erhöhte alkalische Phosphatase, entsprechende Schmerzangaben) sowie SchädelCT ebenfalls beim Kleinzeller bzw. symptombezogen. Die Bronchoskopie erfolgt erstens zum Nachweis der Tumorhistologie bzw. Zytologie, zweitens zum Ausschluss zentraler Tumorinfiltration an Bronchusabgängen (TStaging). Zeitlich zugeordnet erfolgt die Untersuchung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit durch EKG, Echokardiographie, Spirometrie und Bodyplethysmographie. 4 3. und letzter Schritt vor der Operation ist die Abklärung des Mediastinums (T3, T4 sowie N-Staging). Beim Kleinzeller oder bei entsprechender Lymphknotenvergrößerung im CT (>1 cm) ist die Mediastinoskopie zur Abklärung der präparatrachealen bzw. tracheobronchialer Lymphknoten erforderlich, insbesondere der Ausschluss kontralateraler Lymphknoteninfiltration (N3). Eine Infiltration der kranialen mediastinalen Lymphknoten ist im Allgemeinen Indikation für neoadjuvante interdisziplinäre Therapieprotokolle. Der Stellenwert der Mediastinoskopie als Goldstandard zur Beurteilung mediastinaler Lymphknoten hat sich in letzter Zeit relativiert: Naturgemäß ist die Spezifität 100%, weil falsch-positive Befunde histologisch ausgeschlossen sind. Die Sensitivität der Mediastinoskopie jedoch, gemessen am Goldstandard der chirurgisch intraoperativen mediastinalen Lymphknotenausräumung, ist extrem untersucherabhängig und erreicht selbst in »centers of excellence« nicht mehr als 80%. Die aus chirurgischer Sicht relevante negative Vorhersagewahrscheinlichkeit (»Mediastinum frei von Lymphknoteninfiltration«) liegt bei der PET untersucherunabhängig mit 96–98% deutlich höher als bei der invasiven Mediastinoskopie. Daraus folgt: Infiltrierte Lymphknoten werden bei der PET seltener übersehen als bei der invasiven Mediastinoskopie. Eine Mediastinoskopie ist lediglich dann noch erforderlich, wenn schwache Aktivitätsanreicherung im PET keine ausreichende Differenzierung zwischen entzündlicher und maligner Genese ergibt, wobei in diesem Fall gezielt die Aktivität speichernden Lymphknoten biopsiert werden können (. Abb. 36.2).
a
b . Abb. 36.2a,b. PET/CT-Fusionsbild. a Primäres Bronchialkarzinom im rechten Unterlappen. Die nach Intensität malignomtypische Tracer-Anreicherung findet sich exakt im Mittelpunkt der im CT dargestellten Raumforderung. Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom, bei Operation bestätigt. b Isolierter Lymphknotenbefall des Mediastinums (N2). Die nach Intensität malignomtypische Tracer-Anreicherung findet sich im Zentrum einer Lymphknoten-typischen Raumforderung im CT bei peripherem Bronchialkarzinom. Malignität durch Mediastinoskopie bestätigt, weiteres Mediastinum tumorfrei
36.3
Chirurgische Strategie
Grundlage für die Formulierung einer Behandlungsstrategie ist nach Abschluss der erforderlichen Staginguntersuchungen das sich ergebende Tumorstadium. Festlegungen auf ein bestimmtes Therapiekonzept sollten im Rahmen interdisziplinärer Tumorboards oder Tumorkonferenzen getroffen wer-
431 36.3 · Chirurgische Strategie
den. Dabei fließen neben der exakten Festlegung auf die vorliegende Histologie und des Tumorstadiums auch funktionelle Kriterien des Patienten sowie individuelle Aspekte in die Therapieentscheidung mit ein.
36.3.1 Nicht-operative Therapiestrategie
Im primär metastasierten Tumorstadien (Stadium IV) wird eine primäre systemische Chemotherapie im Rahmen eines palliativen Therapiekonzeptes angestrebt. Je nach Allgemeinzustand und bestehenden Komorbiditäten und teils nach histologischen Kriterien wird eine entsprechende Medikamentenauswahl getroffen.
Standardtherapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms im Stadium IV ist die platinhaltige 2-fach (doublet) Chemotherapie im 3-wöchentlichen Zyklusintervall. Eine Reevaluierung zum Ansprechen der Therapie wird alle üblicherweise 6 Wochen mittels Bildgebung durchgeführt. Als Kombinationspartner zum Cisplatin oder Carboplatin kommen vorzugsweise Zytostatika der dritten Generation zum Einsatz. Damit werden mediane Überlebenszeiten von 8–10 Monaten erreicht (Le Chevalier et al. 2005). Nach der Histologie sind im Falle von überwiegend (>50%) nicht-plattenepitelialer Differenzierung des Tumors weitere Medikamente zugelassen. Darunter das multitarget Antifolat Pemetrexed oder auch Bevacizumab, ein monoklonaler Antikörper gegen VEGF (»vascular endothelial growth factor«) sowie Cetuximab, ein monoklonaler Antikörper gegen EGFR (»epithelial growth factor receptor«), dessen Zulassung für Ende 2009 erwartet wird. Diese neueren Substanzen ermöglichen in entsprechenden Kombination (z. B. Cisplatin und Pemtetrexed oder platinhaltiges doublet plus Bevacizumab oder Cetuximab) ein medianes Überleben teils von >12 Monaten zu erreichen (Lilenbaum 2008).
36.3.2 Multimodale Therapiestrategie
Beim lokal fortgeschrittenen Tumor (Stadium III) wird, je nach Allgemeinzustand und Komorbiditäten ein multimodales Behandlungskonzept (Strahlentherapie und zytostatische Systemtherapie) favorisiert. Dabei sind zwischen potenziell operablen (N1) und nicht-operablen (multi-level N2, N3) Situationen zu differenzieren. Zur Erreichung einer bestmöglichen Prognose ist die Radiochemotherapie hier Standard.
Therapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms im Stadium III. Bei Patienten mit N1-Situation sollte nach Möglichkeit ein primär operatives Vorgehen immer abgeklärt werden. Bei lokal weit fortgeschrittenem Tumor (T4) oder bei multiplen
Lymphknotenbefall sowohl ipsilateral, als auch von mehreren Lymphknotenstationen (multilevel N2) oder bei N3-Situation wird ein primär operatives Vorgehen nicht favorisiert. Standard in diesen Situationen ist die simultane Radiochemotherapie. Das gilt auch für funktionell inoperable Patienten. Die Radiochemotherapie wird auf Basis einer Cisplatinhaltigen Systemtherapie in Kombination entweder mit Etoposid oder Vinorelbine oder auch Taxanen wie Paclitaxel durchgeführt. Neben einer Induktionschemotherapie gefolgt von der simultanen Radiochemotherapie wird vorwiegend das Konzept der initialen Radiochemotherapie verfolgt. Derzeit wird in Studien der Stellenwert einer konsolidierenden Chemotherapie geprüft. Bei der Strahlentherapie wird eine Gesamtdosis von mindestens 66 Gy angestrebt, in Einzelfällen bis maximal 74 Gy. Mit dieser definitiven Radiochemotherapie können 5-Jahres Überlebensraten von ca. 15% erreicht werden (Auperin et al. 2006).
36.3.3 Operative Therapiestrategien
Onkologische Operabilität Ziel der sog. radikalen Operation ist die vollständige Entfernung des tumortragenden Gewebes mit Sicherheitsabstand sowie der abführenden Lymphbahnen und Lymphknoten inklusive der Station N2 (ipsilaterale mediastinale Lymphknoten). Dies entspricht in der Regel der Resektion einer anatomischen Lungeneinheit nicht kleiner als ein Lungenlappen (s. unten) mit En-bloc-Exstirpation, evtl. per continuitatem infiltrierter Strukturen wie Thoraxwand und Perikard (T3-Kategorie). Direkte Infiltrationen des Mediastinums, des Herzvorhofs, der V. cava, der Aorta, der Wirbelkörper oder des Ösophagus und der Trachealbifurkation (T4-Kategorie) sind zwar technisch durchaus operabel, onkologisch aber nur in Einzelfällen plausibel und im Sinne eines realistischen Radikalitätsanspruchs gerechtfertigt. Nur additive adjuvante oder neoadjuvante interdisziplinäre Therapiekonzepte können hier im Studienprotokoll Operationen noch sinnvoll machen. Definitiv vom Krebsleiden geheilt werden durch die Operation ohnehin nur ca. 15%.
Sogar die sog. Frühstadien Ia, Ib zeigen spätere Fernmetastasierungen und Lokalrezidive, ohne dass bisher eine sichere Identifizierung einer Risikosubgruppe möglich wäre.
Neben den schon diskutierten Onko- und Suppressorgenen spielt möglicherweise die frühe Einzelzelldisseminierung im Knochenmark und Lymphknoten sowie der Pleuralavage eine Rolle (Müller u. Fesseler-Eckhoff 1997). Es sind Studien in Vorbereitung, Onko- bzw. Supressorgene selektiv mit entsprechendem monoklonalen Antikörpern zu beeinflussen und durch Einzelzellmetastasierung identifizierte Patienten entweder neoadjuvanter oder adjuvanter Chemotherapie zuzuführen, wobei der Nachweis bisher fehlt, dass derartig ver-
36
432
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
sprengte Tumoreinzelzellen (»dormant cells«) einer Chemotherapie überhaupt zugänglich sind. Anders liegen die Verhältnisse in fortgeschrittenen Stadien der N2-Infiltration: Hier kann als bewiesen gelten, dass neoadjuvante Chemotherapie bei den Respondern die Überlebenszeit nach Operation verbessert (Schalhorn u. SunderPlassmann 2000). Bei Responderraten von 50–70% bleibt der Überlebensgewinn jedoch nur für entsprechend selektierte Patienten relevant. Fest steht allerdings, dass möglichst alle Patienten im Stadium N2 einer neoadjuvanten Chemotherapie im Studienprotokoll zugeführt werden sollten; die alleinige Operation im Stadium N2 entspricht nicht mehr dem Behandlungsstandard.
Funktionelle Operabilität Da jede Lungenresektion neben dem Tumor selbst auch funktionsfähiges Lungenparenchym entfernt, ist die Funktion der Lunge postoperativ in der Regel schlechter als zuvor, mit Ausnahme der Resektionen bei sog. »destroyed lung« (s. unten). Ein gewisses Minimum an pulmonaler Leistungsfähigkeit muss daher präoperativ, und zwar in Abhängigkeit von der geplanten Größe des Eingriffs, dokumentiert sein. Hilfreich dabei ist der in . Abb. 36.3 angegebene Algorithmus des funktionellen Untersuchungsganges. Eine FEV1 <800–1000 ml präoperativ bedeutet, dass eine anatomische Lungenresektion, zumindest wenn in der zu resezierenden Lunge präoperativ die Perfusion erhalten war, funktionell nicht mehr toleriert wird. Für die Pneumonektomie liegt dieser Wert entsprechend bei ca. 1500–1800 ml. Anders liegen die Verhältnisse bei destruierter Lunge: In Ausnahmefällen ist
der gesamte zu resezierende Lungenanteil durch den Tumor selbst oder durch sekundäre poststenotische Lungeneinschmelzung zerstört; dann können die funktionellen Grenzen weiter gezogen werden. Patienten, die eine Pneumonektomie aufgrund präoperativer Leistungseinschränkung nicht mehr tolerieren würden, sind u. U. für sog. bronchoplastische parenchymsparende Resektionen noch geeignet.
36.4
Operationstechnik
Die Umsetzung stadienadaptierter Standards ist für die Erzielung der unten genannten Ergebnisse – Morbidität, Letalität und Langzeitprognose betreffend – conditio sine qua non. Oberstes onkologisches Prinzip ist die vollständige Entfernung des gesamten tumortragenden Gewebes innerhalb eines Sicherheitsgewebemantels mitsamt dem regionalen Lymphabflussgebiet (. Tab. 36.7). Cave Bei organüberschreitenden Tumorstadien ist die En-blocTechnik anzuwenden, Tumordurchtrennungen sind unbedingt zu unterlassen.
Oben genannte Standards fordern prinzipiell die anatomische Lungenresektion im Ausmaß eines ganzen Lungenlappens, situativ u. U. die sog. Bilobektomie oder Pneumonektomie in ihren möglichen Varianten (Sunder-Plassmann et al. 1991b).
36
. Abb. 36.3. Kriterien der Operabilität bei Bronchialkarzinom. (Nach Loddenkemper 1983, mod. nach dem Schema der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Tuberkulose). Bei Verwendung der Formel für die späte (a) und frühe (b) postoperative Funktion.
c »Inoperabel« bedeutet, dass bei Lobektomie/Pneumonektomie mit einer Letalität von deutlich >10% bei FEV1 zwischen 0,8 und 1 l/s gerechnet werden muss. Im Einzelfall kann in diesem Grenzbereich eine Keil- bzw. Segmentresektion vertretbar sein
433 36.4 · Operationstechnik
. Tab. 36.7. Maligner nichtkleinzelliger Lungentumor: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Klinische Situation
Empfohlenes Vorgehen
Stadium IA (T1 N0 M0) und IB (T2 N0 M0)
Bei funktioneller Operabilität: 4 Auf einen Lungenlappen beschränkt: Lobektomie mit Sicherheitsabstand, mind. 10 mm (Schnellschnittkontrolle der Absetzungsränder!) 4 Obere bzw. untere Bilobektomie bei lappenübergreifenden Tumoren und bei Ostiumtumoren mit Annäherung/Übergreifen auf den distalen Bronchus intermedius 4 Manschettenresektion bei Ostiumtumoren (OL, Segment 6) 4 Segmentresektion, nur im Ausnahmefall bei stark eingeschränkter Lungenfunktion und peripherer Tumorlage 4 Bei kurativer Intention möglichst vollständige Dissektion der regionären LK (Station 2 beidseits, 3, 4 beidseits, 5 links, 6 links, 7, 8 beidseits, 9, 10 beidseits, 11 und 12) 4 Im Stadium Ib evtl. adjuvante Chemotherapie im Studiendesign.
Stadium IIA (T1 N1 MO) und IIB (T2 N1 M0, T3 N0 M0)
4 Bei Hinweis auf Infiltration der Pleura parietalis und angrenzender Strukturen der Brustwand: En-bloc-Resektion, Sicherheitsabstand zur vermuteten Invasionszone 2--3 cm 4 Bei T3 durch Hauptbronchusbefall mehr als 2 cm an der Karina: entweder Manschettenresektion des rechten OL, Pneumonektomie mit plastischem Stumpfverschluss oder Manschettenpneumonektomie unter Resektion der Bifurkation 4 Im Studiendesign adjuvante CT empfohlen
Stadium IIIA (T3 N1 M0, T3 N2 M0)
4 Operation im onkologisch/interdisziplinären Konzept entweder nach neoadjuvanter CT/RT oder mit adjuvanter CT/RT. Restriktive Operationsindikation bei eingeschränkter Lungenfunktion (O2-Aufnahme <16 ml/kg/min bzw. 50% des Normwertes: bei Lobektomie erhöhtes Risiko; <10 ml/kg/min bzw. 40%: Inoperabilität), . Abb. 36.3 4 Bei LK-Metastasen mit Kapseldurchbruch im oberen Mediastinum (Mediastinoskopie):ungünstige Prognose, eingeschränkte Operationsindikation 4 Bei T3 durch Brustwand-, Zwerchfell-, Perikard- oder mediastinale Pleurainvasion: En-bloc-Resektion 4 Bei T3 durch Hauptbronchusbefall bis weniger als 2 cm von der Karina: OL-Manschettenresektion, Pneumonektomie mit plastischem Stumpfverschluss, Manschettenpneumonektomie
Stadium IIIB (jedes T N3 M0, T4 jedes N M0)
4 Mediastinale N3-Situation und/oder technisch resektable T4-Ausbreitung: neoadjuvante Chemooder Chemoradiotherapie mit anschließender Operation bei Patienten mit guten funktionellen Reserven, hoher Motivation, biologisch jüngerer Altersstufe und gutem Leistungsindex (ECOG 0–1) 4 Weit fortgeschrittene nicht-resektable Tumorausbreitung oder funktionelle Inoperabilität: kombinierte Chemoradiotherapie oder alleinige Radiotherapie
Stadium IV (jedes T jedes N, M1)
4 Chemotherapie in Einzelfällen, bei ECOG 0–1; bei reduziertem Allgemeinzustand nur supportive Behandlung 4 Singuläre Metastasen: gelegentlich Indikation zur Resektion
Die Lobektomie ist die adäquate Technik bei Vorliegen peripherer T1/T2-Tumoren. Als Zugangswege haben sich die laterale und posterolaterale Thorakotomie bewährt. Bei der Technik mit der geringsten Muskeldurchtrennung verläuft die Schnittführung vom Unterrand des M. pectoralis bis zum lateralen Rand des M. latissimus. Neben der Interkostalmuskulatur wird lediglich der M. serratus anterior von der betreffenden Rippe abgetrennt; alle andere Muskelgruppen, insbesondere der M. latissimus dorsi bleiben bei dieser Form der Thorakotomie vollständig intakt. Nach Palpation der Lunge in Teilatelektase beginnt die Resektion mit Absetzen der Lungenvene, um eine hämatogene Streuung von Tumorzellen (perioperativer Tumorzellschauer) möglichst zu vermeiden. Danach werden die Segmentäste der Pulmonalarterie versorgt und – soweit bei vollständiger Lappenspaltentwicklung erforderlich – interlobäre Parenchymbrücken durchtrennt. 6
Der Lappen »hängt« dann nur noch am Bronchus, der unmittelbar an seinem Abgang nach Entfernen peribronchialer Lymphknoten abgesetzt wird. Die Lymphadenektomie ist der abschließende Schritt – sie könnte jedoch bei definitiver histologischer Abklärung als erster Schritt erfolgen.
36.4.1 Anatomische Resektionen der rechten
Lunge Resektion des rechten Oberlappens Die Resektion des rechten Oberlappens (OL; . Abb. 36.4) erfolgt in 5 Einzelschritten: 4 Vordere Hilusumschneidung, Absetzen der OL-Vene 4 Absetzen der Segmentäste A1 und A3 4 Parenchymdurchtrennung zwischen OL und Mittellappen, Absetzen von A2 4 Versorgung des OL-Bronchus 4 Mediastinale Lymphadenektomie
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Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
Die Präparation der oberen Lungenvene erfolgt von ventral vom Hilus aus, der Lappen selbst wird mit Lungenspatel nach laterodorsal weggehalten, sodass die zentral liegende obere Vene sich anspannt (. Abb. 36.4a). Nach Abpräparation der hier häufig vorhandenen hilären Lymphknoten wird die darüber liegende Pleura gespalten und die Pars superior (Oberlappenvene)und Pars inferior (Mittellappenvene) der oberen Lungenvene identifiziert. Mit der Rummel-Klemme lässt sich die Oberlappenvene leicht umfahren, wobei die Vorderwand der direkt dahinter liegenden Pulmonalarterie geschont wird, und zwischen RummelKlemmen mit kleinem Skalpell durchtrennen. Zentraler und peripherer Venenstumpf werden entweder durch Umstechung hinter der Klemme oder durch Übernähung davor versorgt, ebensogut ist selbstverständlich eine Durchtrennung der Vene zwischen den Nahtreihen eines vaskulären Klammernahtgerätes möglich. Nach Durchtrennung der Vene liegt die Vorderfläche der A. pulmonalis dextra frei, die hier schon den Truncus pulmonalis superior abgegeben hat, der sich alsbald in die kranial liegende Segmentarterie A1 sowie die zum anterioren Oberlappensegment ziehende A3 aufteilt. Dieser Truncus pulmonalis wird ebenfalls zwischen Rummel-Klemmen abgesetzt, wobei peripher die genannten Segmentarterien getrennt ligiert werden können (. Abb. 36.4b). Stören kann hier ein von dorsal vorwachsender vergrößerter Lymphknoten (N1) der am Abgang des Oberlappenbronchus nach ventral vorwächst und den Abgang des Truncus pulmonalis nach kranial verdrängen kann. Anschließend folgt die Durchtrennung der verbleibenden Parenchymbrücke zwischen Ober- und Mittellappen in Verlängerung der horizontalen Fissur, welche beide genannten Lappen nur unvollständig voneinander trennt. Klammernahtgeräte bieten sich hier an. Das Parenchym wird bis auf die Vorderfläche der Pars interlobaris der Pulmonalarterie durchtrennt. Dorsal und am Oberrand der Pars interlobaris findet sich etwas versteckt die A2, die Segmentarterie zum posterioren Oberlappensegment, die vor ihrer Versorgung sorgfältig von der zu erhaltenden A6 zum apikalen Unterlappensegment zu differenzieren ist (. Abb. 36.4c). Die Versorgung des Oberlappenbronchus geschieht danach unmittelbar am Abgang in der Regel mit geeignetem Klammernahtgerät nachdem zuvor hiläre und bronchiale Lymphknoten abpräpariert wurden (. Abb. 36.4d). Anschließend folgt die rechtsseitige mediastinale Lymphadenektomie (s. unten). Unterwasserprobe der Bronchusnaht sowie die Einlage von zwei Thoraxdrainagen und schichtweiser Verschluss der Thoraxwand vervollständigen den Eingriff.
Resektion des Mittellappens Auch die Mittellappenresektion erfolgt in 5 Einzelschritten: 4 Vordere Hilusumschneidung, Absetzen der Mittellappenvene (V4 + V5) 4 Interlobärdurchtrennung zwischen Mittel-/Oberlappen 4 Absetzen der arteriellen Segmentäste (A4 + A5)
4 Durchtrennung der Interlobärebene Mittel-/Unterlappen 4 Absetzen des Bronchus, Versorgung des Bronchusstumpfes Die Resektion des Mittellappens beginnt ebenfalls mit Identifizierung und Absetzen der Mittellappenvene sowie anschließender Parenchymdurchtrennung zum Oberlappen mit geeignetem Klammernahtgerät (s. oben). Falls hier nicht der erforderliche Parenchymsicherheitsabstand von ca. 2 cm zum Tumor eingehalten werden kann, ist die Indikation zur oberen Bilobektomie zu stellen (s. unten). Die Segmentarterien A4 und A5 werden vom Interlob aus zwischen Ligaturen abgesetzt. Dorsal davon erfolgt die Versorgung des Mittellappenbronchus mit Klammernahtgerät. Die isolierte Mittellappenresektion ist nur für frühe Tumorstadien geeignet, häufiger wird der Mittellappen en bloc mit Unter- oder Oberlappen entfernt (s. unten).
Die mediastinale Lymphadenektomie ist auch bei der Mittellappenresektion ebenso obligat wie bei allen anderen anatomischen Lungenresektionen.
Obere und untere Bilobektomie Die obere bzw. untere Bilobektomie entfernt lappenüberschreitende bzw. zentral sitzende Tumoren. Ein exaktes präoperatives Staging mit bronchoskopischer Stufenbiopsie ist erforderlich, um langwierige intraoperative Entscheidungsprozesse und Wartezeiten auf Schnittranduntersuchungen zu vermeiden. Obere Bilobektomie. Sie beginnt mit Absetzen der gesamten
oberen Lungenvene (s. oben) und Freipräparation der rechten A. pulmonalis sowie des Truncus pulmonalis superior. Zwischen Ligaturen bzw. Umstechungen wird der Truncus abgesetzt. Falls vom Hilus, also von vorn aus erreichbar, wird am dorsal kranialen Rand der Pars interlobalis die zum posterioren Oberlappensegment ziehende A2 ebenfalls zu diesem Zeitpunkt bereits abgesetzt. Meist ist allerdings gerade hier durch den Tumor der direkte Zugang zum Oberrand der Pulmonalarterie verwehrt, sodass man zunächst vom kaudalen Unterrand des Mittellappens aus die Operation fortführt. Hier liegen zumeist normale anatomische Verhältnisse vor, sodass es vorteilhaft sein kann, zu diesem Zeitpunkt ausnahmsweise den Mittellappenbronchus vom Hilus aus aufzusuchen und mit üblicher Klammernahttechnik zu versorgen. Der distale Bronchusstumpf wird mit Péan gefasst. Unter leichtem Zug nach unten lassen sich alsdann die Segmentäste A4 und A5 von vorne oben kommend freipräparieren. Ist dies nicht möglich, zieht man den Bronchusstumpf nach kranial und medianwärts, sodass man nach Präparation der Schrägfissur zwischen S7/S5 die Abgänge der Mittellappenarterie von distal kommend aufsuchen kann. 6
435 36.4 · Operationstechnik
. Abb. 36.4a–d. Resektion des rechten Oberlappens. a Situs nach vorderer Hilusumschlingung und Freilegen der V. pulmonalis superior, des Truncus pulmonalis und vergrößerter Hiluslymphknoten. b Durchtrennung des Truncus pulmonalis: zentral wird der gemeinsame Stamm von A1 und A3 durch Overholt-Klemme verschlossen, peripher erfolgt die getrennte Ligatur der Segmentäste. Versorgung des Arterienstammes zentral durch Umstechung. c Nach Abtren-
Danach »hängt« das gesamte Präparat nur noch am Oberlappenbronchus, den man entweder von dorsal oder, was mit dem Stapler einfacher ist, von ventral aus versorgt, da die darüber liegenden Venen- und Arterienäste bereits durchtrennt sind. Zuvor sollte man bei unvollständig ausgebildeter Schrägfissur die Parenchymbrücke zwischen S6 und S2 ebenfalls mit Stapler luftdicht zum Unterlappen hin durchtrennen. Man kann den recht kurzen Oberlappenbronchus nach Abpräparation der peribronchialen Lymphknoten durch 6
nung des Mittellappenparenchyms vom Oberlappen liegt die Pars interlobaris der Pulmonalarterie frei, sodass der Ast zum posterioren Oberlappensegment (A2) hinter einer Overholt-Klemme ligiert werden kann. d Verschluss des Oberlappenbronchus mit Klammernahtgerät (RL-30, Ethicon). Nach Auslösen der Klammernahtreihe wird der Bronchus peripher mit Overholt-Klemme gefasst und am Magazinrand mit dem Skalpell abgetrennt
Zug nach dorsolateral gut darstellen und dann mit dem Staplergerät umfahren und unmittelbar am lateralen Rand des Bronchus intermedius bzw. rechten Hauptbronchus mit Klammernahtreihe verschließen und abtrennen. Das gesamte Präparat lässt sich so dann en bloc entfernen. Um ein Aufsteigen des Unterlappens zu ermöglichen wird jetzt das Lig. pulmonale unter Koagulation kleiner Arterienäste aus dem Mediastinum freipräpariert und durchtrennt. Der letzte Schritt ist auch hier die mediastinale Lymphadenektomie (s. unten).
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Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
. Abb. 36.5a,b. Resektion des rechten Unter- und Mittellappens (untere Bilobektomie). a Umfahren der Pars interlobaris der Pulmonalarterie zentral der Segmentäste A5 und A6, aber peripher der apikoposterioren Arterie A2. b Absetzen des Bronchus intermedius zwischen zentraler Klammernahtreihe und peripherer Overholt-Klemme. Die Durchtrennung erfolgt ca. 2 Knorpelringe distal des Oberlappenabgangs. Das Präparat (Mittel- und Unterlappen) kann mittels Overholt-Klemme en bloc entfernt werden
36 Untere Bilobektomie. Die En-bloc-Resektion von Mittel- und
Unterlappen setzt exaktes endobronchiales Staging durch Stufenbiopsie voraus. Die Indikation stellt sich häufiger bei zentral sitzenden Tumoren, die aus dem Unterlappenbronchus heraus nach proximal vorwachsen, als bei Übergreifen peripherer Tumoren im Bereich des Lungenparenchyms. Im Hinblick auf onkologische Radikalität und Sicherheitsabstand am bronchialen Schnittrand ist bedeutsam, dass prinzipiell die vollständige Resektion des Bronchus intermedius mit Absetzen hart am Unterrand des Oberlappenbronchus durchgeführt wird und nicht etwa eine getrennte Versorgung von Mittellappen- und Unterlappenbronchus unter Belassung des Bronchus intermedius (. Abb. 36.5). Die operative Strategie besteht aus 4 Einzelschritten: 4 Absetzen der Unterlappen- und Mittellappenvene 4 Durchtrennen der Horizontalfissur zwischen Mittellappen und Oberlappen 4 Absetzen der Pars interlobaris der Pulmonalarterie distal des Segmentabgangs zum posterioren Oberlappensegment A2 4 Absetzen des Bronchus intermedius unmittelbar am Unterrand des Oberlappenbronchusabgangs
Die Versorgung der Unterlappenvene von vorne (und ebenso von dorsal) kann bei tief sitzendem Tumor eine intraperikardiale Freilegung erforderlich machen. Dazu wird proximal der Umschlagsfalte das Perikard über ca. 4 cm inzidiert – nach Lösen des Lig. pulmonale und Entnahme der hier nicht selten vorhandenen vergrößerten Lymphknoten. Die kurze Strecke des intraperikardialen Venenverlaufs genügt in der Regel, um entweder eine Klammernahtreihe unmittelbar an der Vorhofgrenze zu platzieren oder aber eine Rummel-Klemme, und zwar derart, dass die Oberlappenvene nicht mit eingeengt wird. Distal wird das verbleibende kurze Venenstück mit Péan gefasst und nach Abtragen der Vene mit relativ kräftigem Material (3/0 Ethibond, Prolene o. ä.) übernäht. Die Versorgung der Mittellappenvene zwischen Rummel-Klemmen bereitet erfahrungsgemäß wenig Probleme, da sie sehr selten in den Tumor selbst mit einbezogen ist). Die Horizontalfissur bzw. deren Parenchymbrücke wird regelmäßig mit Stapler oder GIA-Gerät durchtrennt, weil sonst zum Oberlappen hin postoperativ lästige Parenchymfisteln entstehen können. 6
437 36.4 · Operationstechnik
Der u. U. technisch delikate Abschnitt der Operation ist die vollständige, verletzungsfreie Freilegung der Pars interlobaris der oftmals tumorinfiltrierten Pulmonalarterie. Günstig ist, wenn unmittelbar distal des Abgangs der A2 eine Umfahrung mit Rummel-Klemme möglich ist, sodass die Arterie nach zentral verschlossen werden kann. Sie lässt sich dann durch eine zentral der Klemme platzierte Ligatur oder Umstechung versorgen (. Abb. 36.5a). Erscheint eine Umfahrung wegen Adhäsionen der Arterienhinterwand z. B. mit der Vorderwand des Bronchus intermedius ausnahmsweise nicht möglich, so kann die Pulmonalarterie mit gerader Gefäßklemme weiter proximal abgeklemmt und dann distal des A2-Abgangs offen abgesetzt und mit 4/0-Prolene fortlaufend übernäht werden. Die A2 wird während dieser Zeit ebenfalls mit Gefäßklemme oder aber durch atraumatische Pinzette des Assistenten kurzfristig abgeklemmt – der Rückstrom ist meist schwach. Die anschließende Freipräparation des Bronchus intermedius kann man sich erleichtern, wenn zuvor die Schrägfissur zwischen S6/S2 mit Stapler vollständig abgesetzt wird. Das gesamte Präparat hängt dann nur noch am Bronchus, sodass dieser durch Zug nach unten besser dargestellt werden kann. Wenn der zentral übernähte oder ligierte Stumpf der Pulmonalarterie vorsichtig mit kleinem Stiltupfer nach kranial-ventral weggehalten wird, lässt sich die Vorderwand des Bronchus intermedius bis zum Abgang des Oberlappenbronchus freilegen. Sowohl lateral – im Winkel zwischen Oberlappenbronchus und Bronchus intermedius – wie medialseits Richtung Trachealbifurkation sind häufig vergrößerte, u. U. auch tumorinfiltrierte Lymphknoten vorhanden, die sorgfältigst abpräpariert werden. Wenn die Lymphknoten die Wand des Bronchus an dieser kritischen Stelle – dem prospektiven Absetzungsrand – von außen eindeutig infiltrieren und im Schnittrandschnellschnitt infiltrierte Lymphknoten mit erfasst sind, ist u. U. zu diesem Zeitpunkt noch ein Wechsel des Operationsverfahrens zugunsten eine Pneumonektomie erforderlich. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass auch bei der Pneumonektomie der Gewinn an Radikalität unmittelbar am Bronchus nur ca. 2 cm beträgt. Der Bronchusverschluss geschieht routinemäßig mit 30-mmStaplergerät unmittelbar am Unterrand des Oberlappenbronchusabgangs, um größtmöglichen Sicherheitsabstand zu erreichen und Blindsackbildung zu vermeiden (. Abb. 36.5b). Im eigenen Krankengut hatte dieser Bronchusverschluss eine wesentlich höhere Insuffizienzrate als die einfache Lobektomie (4,2 vs. <0,5%), weshalb eine Stumpfdeckung mit mediastinaler Pleura empfohlen wird. Letzter Schritt ist die standardmäßig durchgeführte mediastinale Lymphadenektomie.
Pneumonektomie rechts Diese radikalste Form der anatomischen Lungenparenchymresektion ist adäquat bei zentralem Tumorsitz im Hauptbronchusbereich oder bei voluminösen Tumoren des Lungenparenchyms, die lappenübergreifend alle 3 Lungenlappen betreffen (. Abb. 36.6). Technisch gesehen ist sie das Verfahren mit dem geringsten präparatorischen Aufwand, aber auch
dem größten Funktionsverlust postoperativ, sodass die Indikation stets sehr sorgfältig unter Prüfung aller anderen Alternativen zu stellen ist. Der Eingriff besteht aus 5 Einzelschritten: 4 Absetzen der Unterlappenvene 4 Absetzen der Oberlappenvene 4 Absetzen der rechten A. pulmonalis 4 Absetzen des Hauptbronchus 4 Mediastinale Lymphadenektomie In Atelektase des rechten Lungenflügels wird zunächst das Lig. pulmonale durchtrennt, bzw. die Lymphknoten in diesem Bereich werden entfernt. Dabei kommt der Unterrand der unteren Lungenvene meist schon ins Blickfeld, wenn der Unterlappen nach kraniodorsal weggehalten wird (. Abb. 36.6a). Die Freilegung bzw. Absetzung der Venen kann sowohl von dorsal wie ventral erfolgen. Ist der frei zugängige Venenstamm durch Lymphknoten, Tumor oder entzündliche Lungenparenchymveränderungen schwer zugänglich, empfiehlt sich die Eröffnung des Perikards. Man gewinnt zwar nur 15 mm, doch ist der Venenstamm hier bis zur Einmündung der Vorhofgrenze leicht zu präparieren und ggf. – falls Rummel-Klemmen nicht platzierbar sind – mit vaskulärem Klammernahtgerät einfach zu verschließen. Die anschließende Versorgung der oberen Lungenvene ist nach Abpräparation der hier oftmals vorhandenen Lymphknoten und des Pleuraüberzugs problemlos. Beim Umfahren mit stumpfer Rummel-Klemme sollte die dahinter liegende Vorderwand der Pulmonalarterie geschont werden, besonders wenn an dieser Stelle Verklebungen oder Verhärtungen vorliegen. Die Versorgung kann zentral durch Übernähen und/oder Umstechung erfolgen. Dahinter wird dorsal die A. pulmonalis sichtbar, die wenige Millimeter kranial der Überkreuzung durch die Vene den Truncus pulmonalis superior abgibt, der sich wiederum in die Segmentarterie zum apikalen und anterioren Oberlappensegment (A1, A3) aufzweigt. Bei dessen Freilegung kann man zunächst den unmittelbar kaudal davon liegenden Hiluslymphknoten exstirpieren, der am Oberrand des Oberlappenbronchus nicht selten bis an die Arterie heranwächst. Anschließend kann man sowohl zentral den Hauptstamm der rechten Pulmonalarterie umfahren und mit RummelKlemme verschließen als auch peripher den Truncus superior und die Pars interlobaris getrennt abklemmen. Dazwischen erfolgt die Absetzung nahe an der peripheren Klemme. Wir bevorzugen für die Durchtrennung ein langes 15er-Skalpell. Der zentrale Stumpf lässt sich distal der Klemme leicht übernähen (4/0 Prolene) oder proximal umstechen (3/0 Ethibond) oder aber schließlich 2-mal im Abstand von 8–10 mm ligieren, falls ausreichend Platz vorhanden ist (. Abb. 36.6b).
Cave Ein Abrutschen der Ligatur postoperativ ist in der Regel allerdings tödlich.
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Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
Selbstverständlich ist eine Versorgung der Pulmonalarterie auch mit einem vaskulären Klammernahtgerät möglich. Den rechten Hauptbronchus kann man prinzipiell von dorsal wie auch von ventral aus versorgen. Da wir den extrem muskelsparenden lateralen Zugang bevorzugen, versorgen wir auch den Bronchus von vorn. Zunächst präpariert man sämtliche tracheobronchialen und Bifurkationslymphknoten, sodass der Bronchus bis zur Bifurkation freiliegt. Er wird dann vorsichtig mit RummelKlemme umfahren – vorsichtig wegen des dahinter liegenden Ösophagus – und anschließend mit einem 30 mm langen Klammernahtgerät (TA30, grünes Magazin) verschlossen (. Abb. 36.6c). Nach Auslösen der Klammernaht wird der Bronchus nach peripher durch Klemme ebenfalls verschlossen und dann mit dem Skalpell entlang dem Magazinschlitten abgetrennt, sodass das Präparat entfernt werden kann. Der Verlauf der Bronchialarterien ist sehr variabel, doch sind jetzt nicht selten zwei Arterienstümpfe am medialen und lateralen Bronchusrand zu sehen, die man penibel umsticht. Selbstverständlich kann man den Bronchusstumpf auch offen mit Einzelknopfnähten (4/0 bzw. 3/0 Maxon je nach Stärke des Knorpelrings) verschließen. Die Sicherheit und Schnelligkeit der Klammernaht ist jedoch bemerkenswert. Andererseits ist gerade beim Verschluss des rechten Hauptbronchus die Gefahr der späteren Stumpfinsuffizienz im Gegensatz zur Lappenresektion relativ groß – die Angaben variieren hier zwischen 3 und 10%. Deshalb ist es ratsam, den rechtsseitigen Stumpf immer zu decken, sei es mit gestieltem Perikard, paravertebraler Pleura oder – unser Standardverfahren – mit der als Patch benutzten V. azygos. Die mediastinale Lymphadenektomie ist nach Pneumonektomie besonders einfach, weil Trachealbifurkation und paraprätrachealer Raum besonders leicht zugänglich sind.
36 Intraperikardiale Pneumonektomie Während die »klassische« extraperikardiale Pneumonektomie anteilsmäßig auf <10% zugunsten bronchoplastischer Verfahren zurückgegangen ist, hat der Stellenwert der intraperikardialen Pneumonektomie nicht zuletzt durch neoadjuvante Chemotherapieverfahren im Stadium IIIa und IIIb in den letzten 10 Jahren deutlich zugenommen. Sie ist das Verfahren der Wahl nicht nur bei Tumoren mit Perikardinfiltration, sondern v. a. bei diffuser Hiluslymphknoteninfiltration, die ein sicheres extraperikardiales Absetzen der Gefäße nicht mehr gestattet. Alle Überlegungen zur Indikationsstellung und Vermeidung einer Pneumonektomie treffen im Prinzip auch hier zu, doch sind Ausmaß und Ausdehnung der Tumorinfiltration derart fortgeschritten, dass nicht selten die Grenzen des technisch Machbaren zentral an der Aufzweigung des Truncus pulmonalis bzw. an der Vorhofgrenze erreicht werden (. Abb. 36.7). Grundsätzlich ist das Verfahren präparativ sehr einfach und schnell durchführbar – delikat ist allenfalls die Präparation – durch Tumorinfiltration z. B. der rechten Pulmonalarterie an der Überkreuzung durch die V. cava superior oder durch zirkuläre tumoröse Ummauerung der unteren Lungenvene etc.
Diese Tumorinfiltrationen sind in der Praxis sehr variabel, lassen sich in den Abbildungen (. Abb. 36.7) nicht schematisieren und in ihrer tatsächlichen Ausdehnung auch kaum darstellen. In den Abbildungen sind daher nur die präparativen Grundschritte skizziert, die der individuell vorliegenden Situation (Tumorinfiltration) angepasst werden müssen. Die Inzision des Perikards wählt man in der Regel dorsal und in etwa parallel zum Verlauf des N. phrenicus, der u. U. zuvor nach ventral verlagert wird. Häufig ist die Tumorinfiltration kranial des Hilus besonders stark ausgeprägt, betrifft also die rechte Pulmonalarterie häufig in größerem Ausmaß als die obere Lungenvene, die genauso wie bei der extraperikardialen Pneumonektomie zuerst abgesetzt wird. Nach Inzision des Perikards lässt sich der Stamm der oberen Lungenvene bis zur Einmündung in den Vorhof leicht darstellen und entweder mit Klammernahtgerät oder zwischen Rummel-Klemmen durchtrennen und zentral übernähen und peripher umstechen. Durch türflügelartige Zusatzinzision über der Umschlagsfalte der A. pulmonalis lässt sich diese anschließend bis zur Überkreuzung durch die V. cava superior gut freilegen. Häufig entspringt hier jedoch bereits der Truncus pulmonalis superior, sodass die Arterie durch Anheben der V. cava superior nach ventral noch weiter nach proximal freigelegt werden muss, evtl. auch medial der V. cava superior und lateral der Aorta ascendens. Bei dieser medialen Freilegung empfiehlt es sich, die A. pulmonalis mit Bändchen anzuschlingen, weil man sonst beim späteren Abklemmen mit Rummel-Klemme bzw. gerader Gefäßklemme u. U. die Hinterwand lädiert bzw. inkomplett erfasst. Auch in dieser Position lässt sich die Arterie prinzipiell durch doppelte Ligatur im Abstand von 8–10 mm sicher ligieren. Je näher die Tumorinfiltration an die Aufzweigung des Truncus pulmonalis heranreicht, desto schwieriger wird die proximale Versorgung der rechten Pulmonalarterie zwischen V. cava superior und Aorta descendens. In einigen Fällen lässt sich gerade hier jedoch ein zentraler Verschluss mit einem »Vascular-Stapler« erzielen. Die andere Möglichkeit ist die fortlaufende Naht (4/0 Prolene, SH-Nadel) vor einer geraden Gefäßklemme.
Bronchoplastische Operationen Unter genau definierten Voraussetzungen lässt sich die oben genannte Pneumonektomie durch eine sog. parenchymsparende, bronchoplastische Resektion ersetzen, ohne dass für den Patienten ein onkologischer Nachteil im Sinne eingeschränkter Radikalität resultiert. Strengere Radikalitätsstandards sind allerdings bisher nicht allgemein gültig formuliert (z. B. Sicherheitsabstände am bronchialen Schnittrand, Nachweis der vollständigen Lymphadenektomie etc.), sodass besonders engmaschige endoskopische Nachkontrollen erforderlich sind. Cave Ohne intraoperative Schnittranduntersuchung im Schnellschnittverfahren dürfen bronchoplastische Resektionen nicht angewandt werden.
439 36.4 · Operationstechnik
. Abb. 36.6a–c. Pneumonektomie rechts. a Der rechte Lungenhilus nach Durchtrennung der Pleura mediastinalis: Freilegen der V. pulmonalis superior mit Oberlappen- und Mittellappenvene, Präparation evtl. vorhandener Hiluslymphknoten. b Versorgung der A. pulmonalis dextra: Truncus pulmonalis und Pars interlobaris sind peripher ligiert, der zentrale Stamm ist mit Overholt-Klemme abgeklemmt, peripher durchtrennt und wird mit zentraler Umstechung versorgt. c Der rechte Hauptbronchus ist an der Trachealbifurkation zentral mit T. A. 30-Klammernaht (RL-30, Ethicon) verschlossen und peripher mit Overholt-Klemme gefasst; die Durchtrennung mit dem Skalpell erfolgt am Rand des Klammernahtmagazins
Endoskopische Grenzziehung der endobronchialen Tumorausbreitung ist Voraussetzung, aber natürlich nicht Beweis für die Durchführbarkeit dieser Methoden. Lediglich die Spitze des Tumors ist bekanntlich endobronchial sichtbar, die im CT abschätzbare Parenchymausbreitung kann dennoch eine Pneumonektomie erforderlich machen, auch wenn sich endobronchial eine Manschettenresektion anbietet (. Abb. 36.8).
Manschettenresektion des rechten Oberlappens. Ein Tu-
mor, der vom Bronchus des rechten Oberlappens in das Lumen des Hauptbronchus vorwächst, ist nicht durch Standardlobektomien, sondern nur unter Mitresektion einer tumortragenden Bronchusmanschette unter Vermeidung einer Pneumonektomie entfernbar. Selbstverständlich gilt auch hier, wie bei allen Ausbrechertumoren (s. unten) das En-
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Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
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c . Abb. 36.7a–c. Intraperikardiale Pneumonektomie rechts. a Intraperikardiales Freilegen der rechten Lungenarterie (Zugang lateral der V. cava superior). Falls die Tumorausbreitung es zulässt, wird die rechte Lungenarterie lateral der V. cava superior freigelegt und umfahren. Nicht selten zweigt der Truncus anterior bereits intraperikardial ab. b Umfahren der rechten Lungenarterie (medialer Zugang). Bei zentraler Ausdehnung des Tumors ist die Freipräparation der
Lungenarterie medial der V. cava superior und lateral der Aorta ascendens vorteilhaft. Der Stamm der A. pulmonalis dextra kann an dieser Stelle umfahren und mit kräftiger Ligatur mit nichtresorbierbarem Faden der Stärke 1 unterbunden werden. c Intraperikardiales Versorgen der V. pulmonalis superior durch zentrale Umstechung. Die rechte Lungenarterie ist durch doppelte Ligatur zentral versorgt
441 36.4 · Operationstechnik
a
b
. Abb. 36.8a,b. Endobronchiale Tumorausbreitung. a Der Tumor wächst aus dem Oberlappenostium heraus, der Hauptbronchus ist frei: Oberlappenmanschettenresektion. b Der Tumor wächst aus
dem Oberlappenostium hervor, der Hauptbronchus ist infiltriert. Bei Thorakotomie ist der Hilus vom Tumor ummauert: Pneumonektomie, Hauptbronchusresektionsrand im Schnellschnitt tumorfrei
a
b
. Abb. 36.9a,b. Manschettenlobektomie rechter Oberlappen. a Nach Versorgung der Gefäße und Durchtrennung der Parenchymbrücke zwischen Ober- und Mittellappen wird eine Bronchusmanschette entsprechend der Tumorinfiltration, bestehend aus Hauptbronchusanteil und Bronchus intermedius mit dem Skalpell reseziert. b Nach Lobektomie und Resektion der Bronchusmanschette wird die Bronchuskontinuität durch Anastomose des Bronchus intermedius
mit der Trachealbifurkation durch Einzelkopfnähte wiederhergestellt (resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 4/0). Bei isoliertem Befall des Oberlappenbronchus kann eine keilförmige Exzision aus dem distalen Hauptbronchus bzw. proximalen Anteil des Bronchus intermedius ausreichen. Entscheidend ist die Schnellschnittuntersuchung der Schnittränder. Der Bronchusverschluss erfolgt mit Einzelkopfnähten (3/0 bzw. 4/0)
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Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
. Abb. 36.10. En-bloc-Prinzip bei bronchoplastischen Resektionen: Die Bronchusmanschette wird »am Stück« mit dem Lungenlappen exzidiert
bloc-Prinzip: Oberlappen und Bronchusmanschette werden en bloc reseziert und nicht etwa sequenziell (. Abb. 36.9 und . Abb. 36.10).
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Die Versorgung der Oberlappenvene sowie der Segmentarterienäste ist wie oben beschrieben (. Abb. 36.4). Im Anschluss daran wird der rechte Hauptbronchus bis zur Karina freigelegt und der Bronchus intermedius bis zum Abgang des Mittellappenbronchus. Sind hier wandinfiltrierende Lymphknoten vorhanden, so darf keine Abpräparation erzwungen werden, die mikroskopisch nicht radikal wäre, sondern nur eine komplette Resektion des gesamten Bronchusabschnittes. Die praktische Erfahrung lehrt nämlich, dass möglicherweise im Absetzungsbereich der Bronchialmukosa zwar kein Tumor zu finden ist, weiter proximal auf dem Hauptbronchus jedoch mikroskopische Lymphknoteninfiltration vorhanden sein kann, ohne dass diese von innen her sichtbar wäre. Ohne Mitresektion des gesamten Bronchus wäre trotz freier Schnittrandmukosa hier ein Lokalrezidiv programmiert. Andererseits muss nicht prinzipiell immer der gesamte Hauptbronchus mit reseziert werden, denn auf diese Weise entsteht zum distalen Bronchus intermedius eine erhebliche Lumeninkongruenz, etwa im Verhältnis 2:1. So genannte proportionierte, ausgleichende Stichabstände können dieses Problem zwar beherrschen, führen aber am distalen Bronchus u. U. zu sehr engem Stichabstand mit Störungen der Trophik. Die Anastomosierung nach Lösen des Lig. pulmonale beginnt mit fortlaufender Naht der Paries membranacea mit 4/0-Maxon und wird mit geklöppelten Einzelnähten, die mindestens eine Knorpelspange zirkulär miterfassen, ventral fortgesetzt. Aufgrund der unterschiedlichen Lumina ergibt sich beim Knoten automatisch keine Stoß-auf-StoßAnastomose, sondern eine gewisse Überlappung des kleineren durch den größeren Bronchus, die nicht nachteilig ist. 6
. Abb. 36.11. Bronchusstumpfdeckung mit einem gestielten V.-azygos-Lappen (hier nach Oberlappenektomie rechts mit Bronchusmanschette). Dazu wird die Vene zentral und peripher ligiert. Nach zentraler Durchtrennung wird der Stumpf um die Anastomose gelegt, sodass diese von der A. pulmonalis getrennt ist
Auf jeden Fall lässt sich immer eine spannungsfreie Anastomose erzielen, ohne dass nach unserer Erfahrung je eine Durchtrennung und obere Reanastomose der Unterlappenvene erforderlich gewesen wäre. Auch bei der oberen Manschettenbilobekomie ist der Unterlappen leicht mobilisierbar. Es wird lediglich der Mittellappen en bloc mit reseziert, sodass die Bronchusresektionslinie um ca. 5–8 mm nach distal verschoben werden kann. Ein letzter Raumgewinn nach distal, allerdings wiederum nur um wenige Millimeter ist durch zusätzliche Resektion des apikalen Unterlappensegments erzielbar, dessen Bronchus B6 auf annähernd gleicher Höhe mit dem Mittellappenbronchus abzweigt. Die Anastomosierung der Pars basalis des Unterlappenbronchus mit dem viel größeren Durchmesser des rechten Hauptbronchus in Karinanähe folgt derselben Technik der Stichproportionierung wie oben beschrieben.
Cave Von einer Längsinzision des kleinen Bronchus oder Anschrägen der Schnittfläche wie bei arteriellen Anastomosen üblich, wird dringend abgeraten.
Natürlich kann die Tumorausdehnung auch sog. Doppelmanschettenresektionen (Arterie und Bronchus) erforderlich machen, die beispielhaft für den linken Oberlappen (s. unten) beschrieben werden und situativ, wenn auch seltener, rechts ebenso durchführbar sind. Jede Anastomose wird durch Pleura, Perikard oder V. azygos gedeckt. Unser Verfahren ist in . Abb. 36.11 dargestellt. Manschetten-Pneumektomie. Voraussetzungen für dieses
Verfahren (. Abb. 36.12) sind
443 36.4 · Operationstechnik
4 T4-Tumor, der von Ausdehnung (Stufenbiopsie) und histologischem Typ (kein G3-Tumor) für eine onkologische Resektion geeignet ist 4 N1-Status, allenfalls okkulter N2-Status, M0 4 Funktionelle Entfernung des rechten Lungenflügels tolerabel 4 Nach Aufklärung über operatives Risiko ausdrücklicher Wunsch des Patienten Selten sind alle oben genannten Voraussetzungen real erfüllt, weshalb dieser Eingriff thoraxchirurgischen Zentren mit entsprechender operativer Erfahrung vorbehalten seien sollte. Delikat kann aufgrund des zentralen Tumorsitzes schon die zumeist intraperikardiale Versorgung der Gefäße sein. Für den postoperativen Verlauf entscheidend ist allerdings speziell die Heilung der tracheobronchialen Anastomose, die trotz aller Mobilisationsmaßnahmen selten ohne örtliche Spannung zu bewerkstelligen ist. Nach Freilegung der distalen Trachea, der Bifurkationsregion des linken Hauptbronchus, wird der zunächst links liegende Doppellumentubus in die Trachea zurückgezogen. 6
. Abb. 36.12. Transsternale, transperikardiale Manschettenpneumonektomie rechts. Extraperikardiale transpleurale Absetzung der rechtsseitigen Lungenvenen. Insert: Rekonstruktion durch End-zu-End-Anastomose der distalen Trachea mit dem linken Hauptbronchus
Die Trachea wird dann im Gesunden quer abgesetzt, ebenso der linke Hauptbronchus. Unter zeitweiliger Beatmung der linken Lunge über einen sterilen Tubus, der über das Operationsfeld eingelegt wird, lässt sich die Anastomosierung zwischen Trachea und linkem Hauptbronchus mit Einzelnähten durchführen.
Die hohe Insuffizienzrate (ca. 10%) an dieser Nahtreihe, veranlasst manche Autoren, ähnlich wie früher bei der Lungentransplantation, zur primären Deckung mit Omentum majus. Unsere eigenen Erfahrungen lassen auch hier die von der V. cava superior aus gestielte V. azygos als Deckung ausreichend erscheinen.
Rechtsseitige mediastinale Lymphadenektomie Die vollständige mediastinale Lymphadenektomie (. Abb. 36.13) gehört zum Standard der onkologischen Lungenresektion beim Bronchialkarzinom. Einen tatsächlichen »Radikalitätsbeitrag« leistet sie allerdings wohl nur in Fällen sog. okkulter mediastinaler Infiltration, wenn bei makroskopisch und möglicherweise mediastinoskopisch unauffälligem Me-
36
444
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
36
. Abb. 36.13a,b. Mediastinale Lymphadenektomie rechts. a Die rechtsseitige mediastinale Lymphadenektomie umfasst von kaudal nach kranial folgende Lymphknotengruppen: paraösophageale (Position 9 und 8), Bifurkationslymphknoten (Position 7), tracheale Lymphknoten (Position 3 und 4). Situs nach intraperikardialer Pneu-
diastinum später vom Pathologen lokale, nicht vermutete intranodale Tumorabsiedlungen gefunden werden. Bei mediastinoskopisch gesicherter Lymphknoteninfiltration oder »bulky disease« ist durch eine noch so radikale Lymphadenektomie sicher kein Radikalitätsanspruch zu erfüllen. Ebenso ist es möglicherweise berechtigt, bei Infiltration der hochparaund prätrachealen Lymphknoten de facto bereits eine N3-Situation zu unterstellen.
monektomie. b Exstirpation der hohen trachealen Lymphknotengruppen (Position 1–4). Die mediastinale Pleura ist in ganzer Länge eröffnet, die V. azygos zur besseren Übersicht durchtrennt. Situs nach intraperikardialer Pneumonektomie
Die Lymphadenektomie beginnt mit Lymphknotenexstirpation im Bereich des Lig. pulmonale und setzt sich paraösophageal medial des Bronchus intermedius nach kranial in die Trachealbifurkation hinein fort. Diese lässt sich grundsätzlich, von links wie rechts, vollständig ausräumen. Der zweite Schritt beginnt oberhalb der V. azygos mit Inzision der mediastinalen Pleura laterokaudal der V. cava supe6
445 36.4 · Operationstechnik
rior. Vom Unterrand der A. subclavia beginnend erfolgt die komplette Abpräparation des gesamten mediastinalen Fettbindegewebes mit Lymphknoten. Ausgeräumt wird alles Gewebe zwischen Tracheavorderwand sowie der V.-cava-Hinterwand, die mit Venenhaken nach ventral zurückgehalten wird. Auf diese Weise ist die Ausdehnung der Lymphadenektomie nach links paratracheal leicht möglich.
36.4.2 Anatomische Resektionen
der linken Lunge Die anatomischen Resektionen an der linken Lunge folgen den gleichen Prinzipien wie rechts: Nach Thorakotomie zunächst das chirurgisch-manuelle Staging, die Festlegung der operativen Strategie (Verfahrenswahl) und bei Infiltrationen oder auch Verklebungen des Tumors mit der Thoraxwand grundsätzlich Beachtung des En-bloc-Prinzips und Entscheidung, ob eine extrapleurale Auslösung allein ausreicht oder die Thoraxwandresektion samt Rippen und Interkostalmuskulatur erforderlich ist. Die Lappenresektion beginnt auch hier stets mit der Unterbindung der venösen Drainage, gefolgt von der selektiven Versorgung der Segmentarterien und wird komplettiert durch die Versorgung des Bronchus.
a
Resektion des linken Oberlappens Die Oberlappenresektion links (. Abb. 36.14) entfernt 5 Segmente – die apikale Segmentgruppe 1–3 sowie die Lingula. Entsprechend lassen sich nach der Versorgung der oberen Lungenvene 4 bis 5 Segmentäste am Oberrand der A. pulmonalis abzusetzen. Die Länge des Oberlappenbronchus proximal der Aufzweigung in Lingulabronchus und Pars apicalis beträgt nur wenige Millimeter, gerade lang genug, um ein Klammernahtgerät zu platzieren. Die Abtrennung des Bronchus nimmt man exakt am Magazinschlitten vor. Die mediastinale Lymphadenektomie (s. unten) wird im Anschluss daran durchgeführt. Auch die Unterlappenresektion (. Abb. 36.15) beginnt mit der Versorgung der Lungenvene, anschließend wird die Pars interlobaris der Pulmonalarterie nach vollständiger Präparation des Lappenspalts freigelegt. Zunächst wird die A6, die Segmentarterie zum apikalen Unterlappensegment abgesetzt, anschließend die Pars basalis der Unterlappenarterie, wobei die Absetzung peripher des Abgangs der Lingulaarterien erfolgt. Dorsal der Arterie lässt sich der Unterlappenbronchus, der mit dem Klammernahtgerät abgesetzt wird, frei präparieren.
Bronchoplastische Eingriffe Gegenüber der rechten Seite ist die linksseitige Manschettenlobektomie aufgrund anatomischer Gegebenheiten wesentlich seltener, weil bei Tumorsitz im Oberlappenostium der Abstand zum Unterlappenbronchus wesentlich geringer ist als rechts. Auch infiltrieren zentrale Oberlappentumoren links
b
c . Abb. 36.14a–c. Resektion des linken Oberlappens. a Situs nach Inzision der mediastinalen Pleura und Präparation von V. pulmonalis superior und linker Pneumonalarterie. Die V. pulmonalis superior ist angeschlungen. b Versorgung des Oberlappenbronchus mit 30-mmKlammernahtmagazin. Nach Auslösen der Klammernaht lassen sich der apikale und der Lingulabronchus peripher gemeinsam mit einer Overholt-Klemme fassen. Der Bronchus wird geschlossen abgesetzt. c Situs nach Oberlappenresektion und Klammernaht des Oberlappenbronchus. Eine Deckung des Bronchusstumpfes kann entfallen
36
446
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
die A. pulmonalis wesentlich häufiger als rechts, sodass nicht selten, wenn schon eine Manschettenresektion infrage kommt, auch ein Segment der A. pulmonalis mit zu resezieren ist (. Abb. 33.16).
Linksseitige mediastinale Lymphadenektomie
a
Die linksseitige mediastinale Lymphadenektomie beginnt ebenfalls mit der Exstirpation der paraösophagealen Lymphknoten von kaudal aus und setzt sich in die Bifurkation hinein fort. Anders als rechts sind die tracheobronchialen Lymphknoten links schwierig, und die paratrachealen Lymphknoten so gut wie gar nicht erreichbar. Dafür lässt sich der Raum zwischen Pulmonalarterie und Aortenbogen, das »aortopulmonale Fenster« unter sorgfältiger Schonung des N. recurrens und N. phrenicus vollständig ausräumen, ebenso wie der mediastinale Raum ventral des Aortenbogens.
Prinzipiell gilt: Bereits eine onkologisch radikale Lymphadenektomie rechts stößt in der Praxis an ihre Grenzen, linksseitig ist diese jedoch ohne Mobilisation des Aortenbogens schon rein theoretisch unmöglich.
36.4.3 En-bloc-Prinzip bei Ausbrechertumoren
b
Lungenüberschreitende Tumoren (T3/T4-Stadien) werden, wann immer möglich, nach dem En-bloc-Prinzip operiert, d. h. lokale Infiltrationen werden mit Sicherheitszonen zusammen mit dem darunter liegenden Lungenparenchym entfernt (. Abb. 36.17). Tumordurchtrennungen sind dagegen obsolet. De facto wird zunächst außerhalb des Infiltrationsbereichs thorakotomiert und durch Gegenpalpation von innen die Resektionsgrenze auf der knöchernen Thoraxwand von außen festgelegt. Von außen werden dann auch Rippen und Interkostalmuskulatur durchtrennt und an der Thoraxwand zirkulär so herausgelöst, dass dieser Teil der Wand auf der Lungenoberfläche liegend mit dem Lungenlappen zusammen entfernt wird. Betrifft der resezierte Abschnitt der ventralen und/oder lateralen Thoraxwand mehr als 4 Rippen, ist eine alloplastische Deckung (z. B. Goretex) unumgänglich.
36
c . Abb. 36.15a–c. Resektion des linken Unterlappens. a Absetzen der V. pulmonalis inferior: Nach Durchtrennung des Lig. pulmonale wird die Unterlappenvene zwischen apikaler Segmentvene (V6) und Pars basalis communis und zentraler Overholt-Klemme durchtrennt. Die zentrale Versorgung erfolgt mittels Umstechung bzw. Umstechung und Ligatur. b Versorgung des Unterlappenbronchus: Der gemeinsame Stamm der Pars basalis und des apikalen Segmentbronchus B6 ist mit Klammernahtrreihe (T. A. 30 mm) verschlossen und zwischen Klammernaht und peripherer Klemme geschlossen abgesetzt. c Situs nach Resektion des linken Unterlappens. Eine spezielle Deckung des Bronchusstumpfes kann entfallen
36.5
Postoperative chirurgische Komplikationen
Die spezifischen Komplikationen nach onkologischen Lungenresektionen sind neben Atelektase und Pneumonie der Restlunge insbesondere Parenchymfisteln sowie Bronchusstumpfinsuffizienz mit nachfolgendem Empyem. Die Inzidenz der Stumpfinsuffizienz nach Lappenresektion beträgt 0,5–3%, nach (insbesondere rechtsseitiger) Pneu-
447 36.5 · Postoperative chirurgische Komplikationen
a
c b . Abb. 36.16a–c. Manschettenlobektomie des linken Oberlappens mit Manschettenresektion der Pars interlobaris der Lungenarterie. a Nach Versorgung der Oberlappenvene und Abklemmen der linken Lungenarterie zentral am Perikard und peripher oberhalb des Abgangs der A6 wird die Lobektomie unter Mitnahme einer Bronchusmanschette durchgeführt. b Die Anastomose des linken Hauptbron-
chus mit linkem Unterlappenbronchus wird mit Einzelkopfnähten der Fadenstärke 4/0 durchgeführt. Beginn an der Pars membranacea. Lumeninkongruenz wird durch proportionierte Stichabstände ausgeglichen. c End-zu-End-Anastomose der linken Lungenarterie mit der Pars interlobaris kranial des Abgangs der A6 durch fortlaufende Naht mit Prolene (5/0)
monektomie bis zu 10%. Jede endoskopisch gesicherte Insuffizienz ist eine Indikation zu sofortiger Revision mit Stumpfdeckung durch Muskellappen (M. latissimus dorsi, Interkostalbündel, gestielter Zwerchfelllappen) oder aber Omentum majus. Nach Lobektomie ist bei entsprechender Reserve die Restpneumonektomie ein sicheres Verfahren. Beim Empyem und breiter Stumpfinsuffizienz nach Pneumonektomie sollten alle Verfahren kombiniert werden, d. h. die Muskelrotation
zur direkten Aufnaht auf den Defekt, die zusätzliche Abdeckung mit Netz und die komplette Verkleinerung des Thoraxraums durch Thorakoplastik mit Rippenresektion von C2–C9. Nur so lässt sich die Letalität dieses Krankheitsbildes auf ca. 10% verringern.
36
448
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
. Tab. 36.8. 5-Jahres-Überleben beim kleinzelligen Bronchialkarzinom im Stadium I nach primärer Resektion und postoperativer Radio-/Chemotherapie. (Aus Sunder-Plassmann 1998)
Autor
Stadium (UICC 89)
5-JahresÜberlebensrate (%)
Shields et al. 1982
pT1 pN0
59,5
pT2 pN0
27,9
Shepherd et al. 1983
»peripheral lesion«
58
Shepherd et al. 1989
pT1 pN0
70
. Abb. 36.17. En-bloc-Prinzip bei »Ausbrechertumoren«
36.6
36
Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose
Primäre Prognosefaktoren sind nach wie vor der T- und N-Deskriptor innerhalb des angegebenen Stagingsystems. Dabei ist die Langzeitprognose allerdings zusätzlich abhängig vom biologischen Tumorverhalten innerhalb dieses Stagingsystems. Weil schon im Stadium I unterschiedliche Tumorvolumina (T1 und T2) erhebliche prognostische Unterschiede bedingen, wurden sowohl das Stadium I wie auch II weiter unterteilt. Die 5-Jahres-Überlebensrate der in kurativen Absicht operierten Patienten im Stadium pT1 pN0 variiert von 68–85% (Mountain 1986; Naruke et al. 1998; Schalhorn u. Sunder-Plassmann 2000), bei T2 N0 zwischen 50 und 60%, pT1 pN1 50–60%, pT2 N1 40%. Relativ günstig ist die Prognose bei vollständig reseziertem pT3 pN0-Stadium (35–40%), wobei zwischen Pleurainfiltration und Durchsatz der gesamten Thoraxwand Unterschiede bestehen. Die Diagnose pN0 ist im Übrigen an die Untersuchung von >10 Lymphknoten hilär und mediastinal gebunden, da ansonsten fälschlich N1-Stadien mit einbezogen werden. Früher als bisher angenommen lassen sich Tumoreinzelzelldisseminationen in Lymphknoten im Stadium pN0 sowie im Knochenmark nachweisen, ebenso bereits Einzelzellen innerhalb der Pleuralavage zum Zeitpunkt der Thorakotomie. Ob dieses letzt genannte Verhalten Ausdruck besonders ungünstigen biologischen Verhaltens ist (Onkogene, Zelloberflächenproteine etc.) oder ein davon unabhängiger zusätzlicher Parameter, ist bisher nicht gesichert.
36.6.1 Adjuvante und neoadjuvante,
interdisziplinäre Therapieansätze
pT2 pN0 Wada et al. 1995
pT1–2 pN0–1
Schirren et al. 1991
pT1 N0 pT2 N0
42
43 (3 Jahre)
pT1 N1 pT1–2 N1 Eigene Zusammenstellung mit H. Dienemann, Klinikum Großhadern, München 1989
32 (3 Jahre)
pT1 N0 pT2 N0
56
pT1–2 N1
16
Patienten im guten Allgemeinzustand (PS 0–1) (Arriagada et al. 2004; Alam et al. 2005. Eine Metaanalyse konnte einen Überlebensvorteil von 5,4% nach 5 Jahren zeigen (Pignon et al. 2008). Für die sehr frühen Tumorstadien IA und IB hat sich der Wert einer adjuvanten Chemotherapie bislang nicht bestätigen können. Somit ist zur Behandlung okkulter Metastasen daher die adjuvante Chemotherapie ab dem Tumorstadium IIA etabliert (Pisters et al. 2007). Insgesamt zeigen retrospektiv, mittels PCR analysierte Tumorproben, dass vorwiegend Patienten mit ERCC1-negativen Befunden von einer Cisplatin-haltigen adjuvanten Chemotherapie profitierten (Breen u. Barlese 2008). Konzepte der adjuvanten Chemotherapie. Standard ist eine
Cisplatin-basierte »doublet«, meist in Kombination mit Vinorelbin, über insgesamt 4 Zyklen. Neben einer 21 Tage dauernden Zykluslänge ist auch ein Splitting der Cisplatingabe (jeweils 50%) auf Tag 1 und 8 eines jeden Zyklus mit Verlängerung der Zykluslänge auf 28 Tage möglich.
Adjuvante Chemotherapie
Tumornachsorge
Die 5-Jahres-Überlebensrate ist abhängig vom initialen Tumorstadium (IA bis IIIA) zwischen 73% und 24% (. Tab. 36.8). Nach primär kurativer Operation sind Fernmetastasen der häufigste Grund für eine eingeschränkte Prognose. Studien zur adjuvanten Chemotherapie zeigen einen Überlebensvorteil für
Ziele der Tumornachsorge ist die neben der Rehabilitation (ggf. mit psychosozialer Begleitung) die Früherkennung und Behandlung von Lokalrezidiven und Metastasen sowie von therapieassoziierten Toxizitäten. Eine Übersicht zur erforderlichen Nachsorgeuntersuchungen ist in . Tab. 36.9 gezeigt. Zu
36
449 36.7 · Operation und Operabilität beim kleinzelligen Bronchialkarzinom
. Tab. 36.9. Nachsorgeschema für maligne Thoraxtumoren. (Nach Deutsche Krebsgesellschaft und SOP »Bronchialkarzinom« des Ulmer Tumorzentrums (CCCU der Medizinischen Fakultät Ulm)
Monate nach kurativer Therapie (Operation oder Radiochemotherapie)
>5 Jahre
3
6
9
12
15
18
21
24
30
36
42
48
54
60
Jährlich
Anamnese
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Körperliche Untersuchung
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Labor: BB, BKS, LDH, AP, γ-GT
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Opt
Röntgen-Thorax in 2 Ebenen
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
CT-Thorax
–
x
–
x
–
x
–
x
Opt
Opt
Opt
Opt
Opt
Opt
–
Abdomen-Sonographie oder CT-Abdomen
–
x
–
x
–
x
–
x
Opt
Opt
Opt
Opt
Opt
Opt
–
Bronchoskopie
–
x
–
x
–
x
–
x
Opt
Opt
Opt
Opt
Opt
Opt
–
Opt optional; BB Blutbild, BKS Blutkörperchensenkung, LDH Laktatdehydrogenase, AP alkalische Phosphatase, γ-GT γ-Glutamyl-Transferase
beachten ist, dass in Abhängigkeit der Symptomatik evtl. weitere Untersuchungen erforderlich sein können: z. B. bei neu aufgetretener neurologischen Beschwerden eine SchädelBildgebung oder bei Rückenschmerzen ein Röntgenbild bzw. CT-Untersuchung der Wirbelsäule. Die Rolle der Bestimmung von Tumormarkern (NSE, CEA, CYFRA-21) ist umstritten.
36.7
Operation und Operabilität beim kleinzelligen Bronchialkarzinom
. Tab. 36.10. Kleinzelliges Bronchialkarzinom: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Klinische Situation
Alleinige Operation aufgrund der frühen Metastasierung kontraindiziert, operative Therapie nach Chemo-/ Radiotherapie Stadium I und II
Andererseits folgt auf eine alleinige, primäre Radiatio bzw. Chemotherapie ein rasches intrathorakales Rezidiv. Die Operation nach Chemo- bzw. Radiotherapie erbrachte dagegen 5-Jahres-Überlebensraten von 60% im Stadium N0 (Shepherd et al. 1989; Shields et al. 1994). Weitere Studienansätze, die den additiven Wert der Operation unter Beweis stellen wollten, schlugen fehl, weil kein ausreichend invasives Staging erfolgte und sehr wahrscheinlich zahlreiche N2-Stadien unter dem Oberbegriff »very limited disease« miterfasst wurden. Ex post analysierte Operationsergebnisse mit definitiver Stadieneinteilung durch den Pathologen lassen folgende Schlussfolgerungen zu:
Operation vor/nach Chemotherapie, konsolidierende Radiotherapie Innerhalb von Studien primäre Resektion mit mediastinaler Lymphadenektomie + Chemo-/Radiotherapie
Cave Die alleinige Operation ist – ebenso wie die alleinige Radiotherapie – beim Kleinzeller aufgrund der frühen Metastasierung kontraindiziert (British Medical Research Council 1966; . Tab. 36.10).
Empfohlenes Vorgehen
Stadium IIIA und IIIB
Keine operative Therapie, Chemotherapie + Radiotherapie, bei Remission prophylaktische Hirnbestrahlung
T1 N0, T2 N0
Operation nach oder vor kombinierter Radio-/Chemo-Therapie
Stadien N0, N1
Möglicher additiver Effekt einer operativen Therapie
N2-Situation
Keine primäre operative Therapie; kombinierte Radio-/Chemotherapie in Studienprotokollen, evtl. Salvageoperation
450
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
4 Für die Beurteilung von Operationserfolgen ist das kleinzellige Karzinom genauso nach TNM zu klassifizieren wie das nichtkleinzellige. Validierung nach »limited« und »very limited disease« ist zu unpräzise. 4 Im Stadium T1 N0 und T2 N0 sind die Ergebnisse von Operation nach oder vor kombinierter Radio-/ChemoTherapie mit fast 60% so gut wie nach alleiniger Operation beim Nicht-Kleinzeller (. Tab. 36.8). 4 Der Anteil der früh erfassten Kleinzellerstadien (Stadium I und II) beträgt nicht mehr als 15% und liegt bei der oben genannten Indikationsstellung zur Operation nur bei 5% aller resezierten Patienten wegen Bronchialkarzinoms. 4 Im Stadium N2 ist ein additiver Effekt der Operation nicht nachweisbar.
36
Daraus folgt, dass ein möglicherweise vorhandener Operationseffekt nur dann gefunden werden kann, wenn er im Stadium N0 bzw. N1 untersucht wird. Mithin wird ein solcher Effekt unauffindbar, wenn weiterhin große Studien ohne präzises, invasives Staging einschließlich Mediastinoskopie aufgelegt werden, denn nur so lassen sich die N2-Stadien identifizieren und eliminieren. Zusammengefasst ergibt sich, dass die geringe Patientenanzahl mit klinischem N0/N1-Kleinzellerstadium sofort einem invasiven Staging einschließlich Mediastinoskopie zugeführt werden sollte. Liegt ein dermaßen bewiesenes Stadium I oder II vor, ist die primäre Resektion mit mediastinaler Lymphadenektomie und anschließender Chemo-/RadioTherapie im Studienprotokoll (mit oder ohne Hochdosis bzw. auch Stammzellseparation) indiziert (Karrer u. Shields 1991). Für die Praxis sind zwei unterschiedliche Ausgangssituationen relevant: 4 Bei einem peripheren pulmonalen Rundherd, der präoperativ zytologisch nicht abgeklärt werden konnte, zeigt die intraoperative Schnellschnittuntersuchung bei Thorakotomie das Vorliegen eines Kleinzellers an. Noch vor wenigen Jahren hätte dies das Ende der Operation als Probethorakotomie bedeutet. Stattdessen erfolgt jetzt die anatomische Lungenresektion mit mediastinaler Lymphadenektomie exakt so wie beim Nicht-Kleinzeller. Absolut obligatorisch ist natürlich postoperativ die Radio-/Chemo-Therapie. Entscheidend ist die vollständige (R0-)Resektion mit kompletter Lymphadenektomie. Wegen der anschließenden Chemotherapie und Radiatio ist eine Pneumonektomie möglichst zu vermeiden. 4 Bei dieser Variante ist die zumeist zytologische Diagnose des kleinzelligen Bronchialskarzinoms bioptisch gesichert, sodass zunächst ein sehr genaues Staging zum Ausschluss von Fernmetastasen folgt, beim Kleinzeller insbesondere mit routinemäßiger kranialer CT (CCT). Auch bei unauffälliger thorakaler CT wird die Mediastinoskopie angeschlossen, um N2-Tumoren sicher zu identifizieren und von der primären Thorakotomie auszuschließen. Im Stadium I und II ist nach initialer Chemotherapie die Operation in kurativer Intention, d. h. mit denselben Radikalitätsansprüchen durchzuführen wie beim Nicht-Kleinzeller, d. h. Entfernung des Primärtumors mit seinem Lymph-
abflussgebiet durch anatomische Lungenresektion unter Ausreizung bronchoplastischer Verfahren zur Vermeidung der Pneumonektomie. Postoperativ wird die Chemotherapie komplettiert und durch mediastinale Bestrahlung ergänzt. Verschiedene Polychemotherapieansätze, die im Wesentlichen auf Cisplatin, Etoposid und Vincristin basieren, befinden sich z. Z. in Studienevaluation. Nicht durchgeführt wird die primäre Operation, wenn durch Mediastinoskopie eine N2-Situation identifiziert ist. Diese Patienten erhalten, wenn möglich, ebenfalls im Studiendesign, eine kombinierte Radio-/Chemo-Therapie evtl. im Hochdosisschema mit Stammzellseparation. Wenn danach beim Restaging aufgrund einer kompletten oder partiellen Response ein endothorakal operabler Befund resultiert, ist die Indikation zur Salvageoperation berechtigt, da ein Drittel dieser Patienten nach initialer Chemotherapieresponse ein intrathorakales Rezidiv entwickelt. Nicht selten wird erst anlässlich einer solchen Salvageoperation eine umfassende histologische Aufarbeitung des Tumorgewebes möglich, und nicht selten ergibt sich, dass in Wirklichkeit ein Mischtumor mit kleinzelligen Anteilen vorliegt, der bei der Probebiopsie als repräsentativ kleinzellig gewertet wurde. Auch dies ist ein Argument für die Salvageintervention, auch wenn der additiv lebensverlängernde Effekt statistisch gesehen nicht abgesichert ist.
36.8
Empfehlungen zur Nachsorge
Die hohe Inzidenz von Lokalrezidiven und Fernmetastasen lässt eine Nachsorge in definierten Zeitintervallen sinnvoll erscheinen. Der lebensverlängernde Effekt der Frühentdeckung eines Lokalrezidivs, eines Zweittumors oder einer Metastase bei nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom ist jedoch bisher nicht gesichert, da eine Zweitintervention mit kurativem Ansatz in weniger als 30% möglich ist. Eine Radio-/ Chemo-Therapie wird in der Regel nicht bei radiologischem Nachweis von Metastasen, sondern erst bei Einsetzen klinischer Beschwerden in palliativer Intention initiiert. Neue Untersuchungen scheinen zu belegen, dass eine Nachsorge durch den Hausarzt ebenso effektiv ist wie durch eine thoraxchirurgische Abteilung (Gilbert et al. 2000).
36.9
Mediastinaltumoren
Die beeindruckende Vielfalt (>90) unterschiedlicher tumoröser Raumforderungen im Mediastinum (im engeren Sinne nicht autochtoner Mediastinaltumoren) macht eine Schematisierung aufgrund der Lokalisation im Mediastinum zweckmäßig. Diese trägt nämlich jeweils der operativen Vorgehensweise sowie onkologischen Besonderheiten Rechnung. Bewährt hat sich insbesondere die Abhandlung nach 4 anatomischen mediastinalen Kompartimenten, einem oberen, vorderen, unteren und hinteren mediastinalen Anteil, wobei die Übergänge naturgemäß fließend sind (. Abb. 36.18).
451 36.9 · Mediastinaltumoren
36
a
. Abb. 36.18. Lokalisation und Histologie der häufigsten Tumoren im oberen, vorderen, hinteren und unteren Mediastinum
36.9.1 Tumoren im oberen vorderen
Mediastinum Hier liegen alle Tumoren mit Beziehung zum Thymus (Thymome, Thymuskarzinome, neuroendokrine Thymustumore), Teratome, Teratokarzinome, Chorionkarzinome, Seminome, überhaupt alle extragonadalen Keimzelltumoren sowie die große Gruppe der Lymphome. Entscheidend ist hier aus chirurgischer Sicht allein die Strategie, die Gruppe der Lymphome histologisch eindeutig von allen anderen Tumorentitäten zu unterscheiden, da sie nicht zu operieren, sondern der Chemostrahlentherapie zuzuführen sind.
b . Abb. 36.19a,b. Leiomyosarkom. a Leiomyosarkom mit diffuser Lungen- und V.-cava-superior-Infiltration. b Zustand nach intraperikardialer Pneumonektomie und Ersatz der kranialen V. cava superior durch Ringprothese
Diagnostik Die Bildgebung gehört heute eindeutig dem Kontrastmittel-CT, da die Tumorausdehnung am besten erfasst wird (. Abb. 36.19a); bei unklarer Grenzflächenstruktur kann auch eine EKG-getriggerte MRT-Untersuchung hilfreich sein, die zwischen Infiltration des Perikards und Epikards, der Aortenwand und der Vorhofwand u. U. unterscheiden kann (. Abb. 36.20). Unter CT-Kontrolle erfolgt auch der wichtigste Diagnoseschritt, die Gewinnung einer Gewebestanze, die Gewebsschnitte und immunhistologische Typisierung gestattet. Nur noch selten ist die parasternale Mediastinotomie mit Exzision eines Gewebekeils unter Sicht erforderlich, die Mediastinoskopie häufig nutzlos, da der Tumor retrosternal und nicht prätracheal liegt.
. Abb. 36.20. Teratokarzinom mit Lungen- und Perikardinfiltration, Vorhofwand mit Perikard verklebt, nicht infiltriert
452
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
Nach immunhistologischem Lymphomausschluss gilt die vollständige, radikale Tumorexstirpation unter Anwendung des En-bloc-Prinzips benachbart infiltrierter Gewebe als Standard, wobei 2 Strukturen – wenn immer möglich – freipräpariert und geschont werden sollten: der N. phrenicus und der N. recurrens speziell linksseitig.
Auch Mediastinaltumoren sind präoperativ grundsätzlich der Beschlussfassung eines Tumorboards zuzuführen; bei allen nicht Lymphomtumoren ist die Resektion u. U. ein Teilschritt zwischen neoadjuvanter Radiochemotherapie (z. B. kapselüberschreitende Thymuskarzinome) und eventuell postoperativer Bestrahlung (Thymome Stadium II). Bei Tumoren mit schlechtem Chemotherapie-Ansprechen hat auch im Stadium der Organinfiltration ein beherztes Tumordebulking bis heute festen Stellenwert.
Prothetischer Ersatz des linken Cavazuflusses ist nach Möglichkeit anzustreben, die V. cava selbst lässt sich problemlos durch beringte ePTFE-Prothese ersetzen (. Abb. 36.19b).
Eine direkte Infiltration des Aortenbogens bedeutet in der Regel zumindest onkologische Inoperabilität; sie ist – im Gegensatz zur Infiltration der V. cava superior – extrem selten und zuvor durch Bildgebung identifizierbar. Rechtsseitige Tumoren infiltrieren nicht selten die V. cava superior, die kranial am Zusammenfluss und am Übergang zum Vorhof freipräpariert wird. Nicht immer ist ein kompletter Ersatz durch Rohrprothese erforderlich, auch Wandexzisionen mit Patchdeckung sind durchaus möglich. Eine alloplastische Deckung des Perikarddefektes ist nach querer Perikardexzision, die nur
Operationstechnik
36
Als Zugang ist die komplette Sternotomie nur bei ausgedehnten bilateralen Befunden erforderlich, eine anterolaterale Thorakotomie ansonsten vorteilhaft, die bei Bedarf durch Quersternotomie zur Gegenseite erweitert werden kann. Große, infiltrative Prozesse werden en bloc mit dem kranial quer inzidierten Perikard angehoben und bis zur perikardialen Umschlagsfalte an der Aorta ascendens bzw. der V. cava superior abgelöst (. Abb. 36.21). Situativ wird sodann in Anlehnung an die präoperative Bildgebung eine mögliche Infiltration der linken V. anonyma analysiert, die links lateral u. U. zur Blutungskontrolle angeschlungen, im Infiltrationsfall en bloc mit reseziert und ggf. durch Interponat einer beringten ePTFE-Prothese ersetzt wird. Die komplette Abklemmung der V. cava superior wird unterschiedlich toleriert, eine tangentiale Ausklemmung ist – wenn möglich – zu bevorzugen. 6
a
b
. Abb. 36.21. hymuskarzinom rechtsseitig (T3) mit Perikard-, Lungen- und V.-anonyma-Infiltration. Intraperikardiale Pneumonektomie mit Perikard-Teilresektion und Ersatz der V. anonyma durch Ringprothese
. Abb. 36.22a,b. Kavanöses Hämangiom. a Linksseitiges kavanöses Hämangiom mit persistierender linker oberer Hohlvene ohne Verbindung zur rechten Hohlvene (V. anonyma nicht angelegt). b Operativ ist der Erhalt der linken oberen Hohlvene obligatorisch wegen fehlender Verbindung zur rechten Seite. Nach Spaltung des Tumors konnte dieser lediglich von der linken zartwandigen V. cava nach Umstechung multipler Verbindungen abgeschält werden. Die linke Hohlvene drainiert weiterhin in den Sinus coronarius
453 36.9 · Mediastinaltumoren
b . Abb. 36.23a,b. Schwannom. a Paravertebraler Tumor der Nervenscheide (Schwannom) im hinteren Mediastinum mit Vorwachsen Richtung Foramen intervertebrale (sog. Sanduhrtumor). b TumorKomplettexstirpation transpleural, Spinalanteil durch Pfeil markiert. Bei ausgedehntem Spinalanteil empfiehlt sich neuro-/thoraxchirurgisches Kombinationsvorgehen mit Umlagerung des Patienten
die Herzbasis betrifft, in der Regel nicht erforderlich, da eine Luxationsgefahr nicht besteht. Im Bedarfsfall ist als Material eine 0,2 mm starke ePTFE-Membran (»surgical membrane«, Gore Putzbrunn) zu bevorzugen.
Da zumeist beide Pleurahöhlen eröffnet werden, sind beidseitige Thoraxdrainagen obligat.
36.9.2 Tumoren im hinteren Mediastinum Im hinteren Mediastinum dominieren mit ca. 70% neurogene Tumoren, in 10% malignen Ursprungs, von den dort vorhandenen Nervenscheiden (Schwannome), autonomen Ganglien (Ganglioneurome) sowie Paraganglien (sympathisch, vagal).
Diagnostik Auch hier ist diagnostisch die Kontrastmittel-CT immer indiziert. Das Hauptaugenmerk bei diesen Tumoren gilt einem möglichen Vorwachsen in Richtung Zwischenwirbelloch in Form sog. Sanduhr- bzw. Hanteltumoren (Dumpbell) mit möglicher Druckauswirkung aufs Myelon (. Abb. 36.22). Neurologische Ausfälle sind allerdings extrem selten (<5% im eigenen Krankengut), aber stets ein Hinweis auf dringliche Indikation.
Operationstechnik
a
Im Gegensatz zu den substernalen Tumoren ist hier die präoperative histologische Abklärung – außer bei inoperablen Befunden – keine conditio sine qua non für die komplette Exstirpation. Auch für diese Tumoren ist in aller Regel die laterale Thorakotomie ausreichend; bei Sanduhrtumoren erfolgt je nach Ausdehnung die Exstirpation des Intervertebralanteils über dorsalen Zugang interdisziplinär neurochirurgisch. Bei
36
454
Kapitel 36 · Maligne Lungentumoren
entsprechender Expertise gelingt dieses Manöver allerdings auch transpleural durch vorsichtiges Hervorluxieren des spinalen Anteils en bloc aus dem geweiteten Intervertebralloch (. Abb. 36.23). Neurogene Mischtumoren (z. B. Neurofibrome) können bizarre Ausmaße annehmen, sind aber gleichwohl bei angepasstem Zugangsweg problemlos entfernbar.
Literatur
36
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36
37 37
Lungenmetastasen H. Dienemann, J. Pfannschmidt
37.1
Grundlagen
37.1.1 37.1.2 37.1.3
Chirurgische Epidemiologie – 458 Pathogenese der Erkrankung, Kanzero- bzw. Onkogenese Pathologie, Klassifikation, Prognosefaktoren – 459
37.2
Klinische Symptomatologie
37.3
Notwendige Diagnostik und Staging
37.3.1 37.3.2
Funktionelle Voraussetzungen für die Operation – 462 Onkologische Aspekte der Patientenauswahl – 463
37.4
Operative Therapie, Strategie
37.4.1 37.4.2 37.4.3 37.4.4
Kurative Strategie – 464 »Staging« begleitend zur Chemotherapie – 464 Biopsie zur histologischen Abklärung – 464 Palliativer Eingriff – 465
37.5
Operationstechnik
37.5.1 37.5.2
Zugangswege – 465 Spezielle Aspekte verschiedener Primärtumoren (Dienemann et al. 1995; Downey 2006) – 466
37.6
Postoperative KompIikationsmöglichkeiten
37.6.1
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
37.7
Neoadjuvante, additive bzw. adjuvante Therapieprinzipien
37.8
Empfehlungen zur Nachsorge
37.9
Ausblick Literatur
– 458
– 471 – 472
– 458
– 459 – 459
– 464
– 465
– 468
– 468
– 471
– 470
458
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
> Die Lunge ist der häufigste Sitz von Metastasen. Diese finden sich meist in Verbindung mit einem fortgeschrittenen Tumorleiden. Ist die Metastasierung auf die Lunge beschränkt, so haben chirurgische Verfahren ihre Berechtigung im onkologischen Konzept. Resektionen in kurativer Absicht setzen jedoch einen günstigen Lokalbefund (limitierte Anzahl kleinerer Herde im Lungenmantel) und extrathorakale Tumorfreiheit voraus. Der Standardeingriff ist die parenchymsparende atypische Resektion. Wichtigste prognostische Faktoren sind die Herkunft des Primartumors und die Vollständigkeit der Resektion. Chemotherapiesensible Metastasen werden nur nach unvollständiger Remission der Operation zugeführt. Selten erfolgen Operationen in diagnostischer oder palliativer Absicht.
37.1
Grundlagen
37.1.1 Chirurgische Epidemiologie
37
Malignome metastasieren am häufigsten in die Lunge, mit Ausnahme jener, bei denen dies überwiegend über die portalvenöse Drainage geschieht. Pulmonale Metastasen finden sich gehäuft in Verbindung mit einem fortgeschrittenen Tumorleiden. Autopsieberichte von Patienten, die an Lungenmetastasen verstorben waren, konnten in 20% die Lunge als isolierte und einzige Lokalisation der Metastasierung maligner Erkrankungen nachweisen (Weiss u. Gilbert 1978). Die Inzidenz isolierter pulmonaler Herdsetzungen variiert jedoch erheblich mit der Art des Primärtumors. Aus diesen Erfahrungen leitet sich der Ansatz einer pulmonalen Metastasektomie unter kurativem Anspruch für ein selektioniertes Patientenkollektiv ab. Am häufigsten finden sich Lungenmetastasen in Verbindung mit Primärtumoren der Mamma, des Kolon, der Niere, des Uterus, der Prostata und des oropharyngealen Bereiches. Andere Malignome prädisponieren besonders zur ausschließlichen Metastasierung in die Lungen, so das Chorionkarzinom, das Osteosarkom, Hodentumoren, das EwingSarkom und das Schilddrüsenkarzinom.
37.1.2 Pathogenese der Erkrankung,
Kanzero- bzw. Onkogenese Das Haupthindernis für die Heilung einer Krebserkrankung ist die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, die Entstehung von Metastasen zu verhindern und Metastasen wirksam zu behandeln. Die Metastasierung ist das augenfällige Zeichen einer Dissemination der Erkrankung und die Haupttodesursache bei Krebspatienten. Die Forschungsbemühungen sind daher intensiv auf die Mechanismen der Metastasenentstehung gerichtet mit dem Ziel, therapeutische Ansätze im Sinne einer systemischen Behandlung zu entwickeln. Metastasen entstehen als Ergebnis einer Interaktion zwischen Tumorzellen und Wirtsorganismus. Die »metastatische Kaskade« beinhaltet einen komplexen Vorgang mit einer Serie unterschiedlicher Interaktionen zwischen Tumorzelle und Wirtsgewebe. Beginnend mit der Loslösung/Dissoziation ein-
zelner Tumorverbände aus ihrem Zellverband, der Invasion, Angiogenese und Intravasation gelingt es, Tumorzellen hämatogen im Blut- und Lymphstrom zu disseminieren. Tumorzellarrest mit Extravasation ist zur sekundären Invasion des Zielorgans bei der Metastasierung notwendig (Fidler 2003). Eine Tumorzelle kann mittels ProIiferation einen Primartumor entstehen lassen, der sich bis zu einem Durchmesser von 1–2 mm ausschließlich durch Diffusion ernährt. Die Ernährung größerer Tumoren setzt eine Neovaskularisation in Gang, die über von der Tumorzelle freigesetzte angiogene Faktoren vermittelt wird. Dabei wird die Tendenz verschiedener Tumorarten, zu metastasieren, zumindest zu einem gewissen Grad reflektiert vom Ausmaß der Angiogenese. Letzteres wird durch die Balance zwischen stimulierenden und inhibierenden Faktoren bestimmt. Unter den inhibierenden Faktoren sind u. a. Angiostatin, lnterferone und Metalloproteasen zu nennen, die zukünftig Bedeutung für die Therapie erlangen könnten. Ein weiteres Tumorwachstum setzt schließlich die Destruktion umgebenden Gewebes (Basalmembran, interstitielles Bindegewebe) voraus, welches durch proteolytische Enzyme aus den Tumorzellen, durch infiltrierende Leukozyten u. a. vermittelt wird. Andere Faktoren, die für die Invasion eine Rolle spielen, sind gewebsspezifischer, chemotaktischer und motilitätssteigernder Art. Mitogene Zytokine beeinflussen gerichtete Bewegungen der Tumorzelle, nachdem diese sich vom Primartumor abgelöst hat. Damit ist der Prozess der Metastasierung eingeleitet, und das weitere Schicksal hängt ab von der Interaktion zwischen degradativen Enzymen, mechanischen Faktoren, Motilität und Chemotaxis der Tumorzellen. Das Erreichen der Zirkulation wird als Intravasation bezeichnet. Sowohl Karzinom- als auch Sarkomzellen gelangen über Lymphgefäße oder die tumorinduzierte Neovaskulatur in die allgemeine Zirkulation. Auf diesem Weg werden auch regionäre oder ferne Lymphknotenstationen mit einbezogen. Die weit überwiegende Anzahl hämatogen zirkulierender Tumorzellen wird von Lymphozyten, Makrophagen und Thrombozyten zerstört; so sind nur weniger als 0,1% der zirkulierenden Tumorzellen in der Lage, die Metastasierung einzuleiten. Stickstoffoxid (NO) ist dabei ein wichtiger zytotoxischer Mediator, der für die Destruktion von Tumorzellen verantwortlich ist (Lala u. Chakraborty 2001). Nach Passage der Zirkulation können sich die Tumorzellen in einem kapillaren Netzwerk festsetzen, was bevorzugt in den Kapillaren der Lungen geschieht. Die Extravasation wird über eine Retraktion normaler Endothelzellen und eine Desintegration der Basalmembran vermittelt. Die Motilität der Tumorzellen wiederum fördert die Extravasation und Proliferation im Zielorgan. Das Zusammenspiel von negativen Regulatoren der Angiogenese und wachstumsfördernden Zytokinen bestimmt schließlich das weitere Schicksal der Tumorzellen. Wichtig für die Indikationsstellung bleibt die Frage, inwieweit Metastasen selbst in der Lage sind, eine weitergehende Metastasierung auszulösen oder ob das Metastasierungsmuster von ruhenden Tumoreinzelzellen und Mikrometastasen, ausgehend vom Primärtumor, bestimmt wird (Tait et al. 2004). Sind Metastasen selbst in der Lage zu metastasieren, so impli-
459 37.3 · Notwendige Diagnostik und Staging
ziert dies für die Indikationsstellung und Therapie ein aktives Vorgehen. Die initiale Metastasierung in die Lungen ist beschrieben für Melanome und Sarkome, Tumoren im Kopf- und Halsbereich, für Nieren-, Hoden- und endokrine Karzinome. Andere Malignome wie Uterus-, Zervix-, Blasen-, Mammaund Ösophaguskarzinome metastasieren sowohl in die Lunge als auch in die Leber. Das Kolonkarzinom metastasiert über die Vena portae zunächst in die Leber und sekundär in die Lunge. Metastasen entstehen somit nach einer Sequenz von Einzelschritten, wobei der Prozess tumor- und organspezifisch ist und die überlebenden Tumorzellen sehr heterogene biologische Eigenschaften haben können. Das Schicksal der Metastasen schließlich wird bestimmt von der Interaktion zwischen Tumorzellen und Wirtsgewebe.
37.1.3 Pathologie, Klassifikation,
Prognosefaktoren Da eine allgemein verbindliche Klassifikation der Lungenmetastasen nicht existiert, wäre es wünschenswert, Prognosefaktoren zu definieren, die die Entscheidung zulassen, ob ein Patient einer Operation zugeführt werden sollte. Der Nutzen einer Metastasektomie wird von Vertretern nichtchirurgischer Fächer oftmals angezweifelt, da die Entscheidung für eine Operation zumeist individuell getroffen wird und eine Prognose ohne Operation weder gestellt, noch jemals in einer randomisierten Studie ermittelt werden kann. Der Beweis, dass mittels vollständiger Entfernung aller nachweisbarer Metastasen tatsächlich eine Lebensverlängerung zu erzielen ist, kann letztlich nicht erbracht werden. Daher ist der Chirurg umso mehr zu einer strikten Patientenselektion auf der Basis gesicherter und noch zu definierender Prognosefaktoren verpflichtet. Tendenziell scheinen Tumorcharakteristika wie das krankheitsfreie Intervall, Anzahl und Wachstumsgeschwindigkeit der Metastasen, der Befall thorakaler Lymphknotenstationen sowie die Resektabilität innerhalb aller Tumorentitäten als klinisch relevante Prognosefaktoren zu fungieren. In der Absicht, die Rationale der Lungenmetastasenchirurgie zu untermauern, wurde 1991 das International Registry of Lung Metastastasis etabliert (Pastorino et al. 1997). Von 5206 Patienten hatten sich 4572 (88%) einer vollständigen Resektion unterzogen. Die günstigste Prognose hatten Patienten nach kompletter Resektion eines Solitärherdes nach krankheitsfreiem Intervall von über 3 Jahren. Die multivariate Analyse identifizierte darüber hinaus den Primärtumortyp »Keimzelltumor« als die Entität mit der günstigsten, den Primärtumortyp »malignes Melanom« als jene mit der schlechtesten Prognose. Eine zu erstellende Klassifikation aller Lungenmetastasen müsste somit für jede Primärtumorart v. a. die Kriterien Resektabilität bzw. Radikalität der Operation, krankheitsfreies Intervall und Anzahl der Metastasen einbeziehen.
37.2
Klinische Symptomatologie
Die meisten Patienten mit pulmonalen Metastasen bleiben relativ lange symptomlos. Typischerweise finden sich Metastasen im Lungenmantel und hier besonders in subpleuraler Lage. Wegen der seltenen Beteiligung zentraler Bronchusabschnitte sind Symptome wie bronchiale Obstruktion, Hustenreiz und Hämoptysen eher als Spätsymptome zu werten. Häufiger deuten ein pleuritischer Schmerz oder ein Pleuraerguss auf eine Infiltration der Pleurablätter hin; ein Pneumothorax oder ein Hämopneumothorax findet sich in Begleitung ulzerierender Metastasen, die in die Pleurahöhle durchbrechen. Damit ist zu rechnen, wenn relativ große Metastasen an der Lungenoberfläche ein gutes Ansprechen auf Chemotherapie zeigen. Rezidivierende Temperaturerhöhung und Hämoptyse weisen auf einen endobronchialen Befall hin. Eine spezifische Organüberfunktion kann bei endokrin aktiven Primärtumoren den Verdacht auf eine Lungenmetastasierung lenken. Bei den meisten Patienten jedoch kommt es zur Diagnosestellung im Rahmen der Tumornachsorge mittels Röntgenthoraxbild und Computertomographie.
37.3
Notwendige Diagnostik und Staging
Umfang und Aufwand der Diagnostik müssen sich am Behandlungsziel ausrichten. Daher muss zunächst beantwortet werden, ob angesichts eines Lungenrundherdes oder mehrerer Läsionen ein metastasierendes Geschehen wahrscheinlich ist. Grundsätzlich sollte bei Verdacht auf ein metastatisches Geschehen eine Absiedlung in Leber, Gehirn und Skelettsystem ausgeschlossen werden. Viele Patienten mit Hodentumoren weisen synchrone Lungenmetastasen auf, das tumorfreie Intervall nach Nierenzell- oder Mammakarzinom kann jedoch bis zu 30 Jahren betragen. Da Sarkome die Eigenschaft haben, fast ausschließlich in die Lungen und multipel zu metastasieren, kann bei ansonsten symptomfreien Patienten auf einen radiologischen Ausschluss extrathorakaler Metastasen verzichtet werden. Cave Bei Vorliegen metastasierender Karzinome und maligner Malignome muss jedoch stets eine Metastasierung in Leber, Gehirn und Skelettsystem ausgeschlossen werden.
Karzinommetastasen der Lunge, insbesondere ausgehend vom malignen Melanom, aber auch vom Mammakarzinom, Nierenzellkarzinom und Schilddrüsenkarzinom, treten oft vergesellschaftet mit regionalen Lymphknotenmetastasen auf. Weniger häufig findet sich eine Beteiligung regionärer Lymphknoten beim metastasierenden Liposarkom oder Synovialsarkom, ausgesprochen selten bei metastasierendem Osteosarkom. Eine Standardröntgenaufnahme des Thorax ist normalerweise die erste Untersuchung zur Darstellung pulmonaler Metastasen eines bekannten extrathorakalen Neoplasmas. Die Metastasierung stellt sich in Gestalt eines einzelnen Herdes oder multipler pulmonaler Herde dar, u. U. in Form retikulo-
37
460
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
. Abb. 37.1a, b. Lungenmetastasen eines Nierenzellkarzinoms. a Das Röntgenübersichtsbild des Thorax zeigt großvolumige Herde in Mittel- und Unterfeld beidseits. Weder die technische noch die funktionelle Resektabilität (in Kenntnis der Spirometrie) können sicher beurteilt werden. b Die CT zeigt insgesamt 3 Herde. In sequenziellem Verfahren konnte durch Segment-6-Resektion rechts und Lingularesektion links eine R0-Situation erreicht werden. Die interlobären, hilären und mediastinalen Lymphknoten waren tumorfrei, die Pleura visceralis der entfernten Lungensegmente war nicht überschritten
a
37 b
nodulärer interstitieller Veränderungen, mediastinaler oder hilärer Lymphknotenvergrößerung oder in Form von Ergüssen der Pleurahöhlen und des Perikards. Auch Zeichen wie Retentionspneumonie, postobstruktive Atelektasen oder infektiöse Komplikationen einer antineoplastischen Therapie sind mitunter als Hinweis auf eine Metastasierung zu werten. Voraussetzung für die Therapieplanung ist die Computertomographie (Spiral-CT, Schichtdicke: 3–5 mm, Inkrement 2,5 mm, Tischvorschub 10 mm), die die genannten Veränderungen sensitiver darstellt (Pfannschmidt et al. 2008). Die Magnetresonanztomographie (MRT) hat die Diagnostik im Vergleich zum konventionellen CT nicht verbessert, davon ausgenommen ist der Nachweis eines Tumoreinbruchs in große Gefäße, Herzhöhlen, Thoraxwand und Wirbelsäule, insbesondere bei Verdacht auf eine Beteiligung des Spinal-
kanals. Im Einzelfall müssen endobronchialer und transösophagealer Ultraschall oder die Pulmonalisangiographie die Diagnostik ergänzen. Die FDG-PET (Positronenemissionstomographie mittels F18-Fluordesoxyglukose) erweist sich als hilfreich zum Ausschluss bzw. Nachweis von Metastasen und Rezidivmanifestationen der Primärtumoren (Aquino 2005; Pastorino et al. 2003). Die flexible Bronchoskopie ist fester Bestandteil der präoperativen Diagnostik. Kleinere endobronchiale Prozesse können sowohl asymptomatisch sein als auch der CT entgehen, zumal sich Metastasen des Nierenzell- und des Mammakarzinoms auch submukös ausbreiten können. Der Nachweis endobronchialen Tumorwachstums pulmonaler Metastasen extrapulmonaler Primärtumoren liegt in Abhängigkeit von der Definition zwischen 2% und 50%. Da-
461 37.3 · Notwendige Diagnostik und Staging
. Abb. 37.2. Isolierter Rundherd im rechten Unterlappen 12 Monate nach osteogenem Sarkom des rechten Femurs. Wegen der hohen Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von Tumorgewebe primäre Chemotherapie, anschließend Entfernen der Metastase durch atypische Resektion
bei dominieren die Tumorentitäten Mammakarzinom, kolorektales Karzinom und Nierenzellkarzinom. Die transbronchiale Biopsie im Rahmen der diagnostischen Bronchoskopie ist mit einer methodischen Genauigkeit von 10–60% belegt. Zentrale Tumoren können mit der Bronchoskopie gut, kleinere Lungenrundherde in der Peripherie jedoch nur mit einer geringen Genauigkeit erreicht werden (Poe et al. 1985). Die Sensitivität der transthorakalen CT-gesteuerten Feinnadelpunktion beträgt 70–90%, wobei auch hier, neben Fehlpunktionen, die geringe Materialmenge nicht immer eine sichere Aussage zulässt (Gasparini et al. 1995). Ist als erste oder einzige therapeutische Maßnahme die chirurgische Entfernung aller intrathorakaler Herde geplant – dies gilt v. a. bei Vorliegen nicht chemotherapiesensibler Metastasen des Nierenzellkarzinoms, des Schilddrüsenkarzinoms, des Kolon-/Rektumkarzinoms, der Karzinome im HNO-Bereich, des Uterus- und Zervixkarzinoms, des malignen Melanoms –, so muss die radiologische Diagnostik extrathorakale Manifestationen besonders zuverlässig ausschließen, Tumorfreiheit im Primärtumorbereich belegen und die Anzahl und Lokalisation der Metastasen einschließlich ihrer Beziehung zu Nachbarorganen so präzise wie möglich beschreiben. Liegen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit Metastasen eines Hodentumors, eines Mammakarzinoms oder eines Osteosarkoms vor, so wird zwar zunächst eine Chemotherapie vorgenommen, dennoch sollte ein präzises Staging der Lungenmetastasen mittels CT bezüglich Anzahl und Lagebeziehung durchgeführt werden, damit ein möglicher Therapieeffekt durch erneute CT zuverlässig beurteilt werden kann. Das typische Bild der pulmonalen Metastasierung entspricht solitären oder multiplen, gut abgegrenzten peripheren Rundherden (. Abb. 37.1, . Abb. 37.2, . Abb. 37.3).
In Gegenwart eines bekannten malignen Primärtumors entsprechen multiple pulmonale Herde meistens einem metastasierenden Geschehen. Auch in Abwesenheit eines extrathorakalen Malignoms deuten multiple pulmonale Läsionen auf einen metastasierenden Prozess hin. Differenzialdiagnostisch ist an infektiöse und nichtinfektiöse granulomatöse Prozesse, an Pneumokoniosen, intrapulmonalen Lymphknoten, Kollagenosen, septische Embolie u.a. zu denken. Derzeit kann noch kein radiologisches Verfahren sicher zwischen Metastasen und benignen Läsionen differenzieren. Die Mehrheit aller Metastasen ist kleiner als 1 cm im Durchmesser. Mit zunehmendem Durchmesser wird die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine Metastase handelt, größer. Die meisten Metastasen treten multipel auf und sind umso wahrscheinlicher, je größer die Zahl der Herde ist. In Abwesenheit eines bekannten Primärtumors entsprechen weniger als 4% aller solitären Rundherde einer Metastase. Eine ausschließliche metastatische Beteiligung mediastinaler und hilärer Lymphknoten (im Sinne einer radiologisch dokumentierbaren Vergrößerung) ist weitaus seltener als eine Beteiligung des Lungenparenchyms. Sie findet sich in weniger als 3% der Fälle und ist relativ am häufigsten im Rahmen von malignen Tumoren im HNO-Gebiet, gefolgt von Hodentumoren, Nierenzell- und Mammakarzinomen. Endobronchiale Metastasen sind computertomographisch indirekt darstellbar und imponieren häufig als Lappen- und Segmentatelektasen. Der Tumornachweis wird durch die obligate Bronchoskopie erbracht (. Abb. 37.4). Die Proliferation des Tumors entlang intrapulmonaler Lymphknoten (metastatische Lymphangiosis) lässt die Lymphgefäße in Umgebung der bronchovaskulären Bündel prominent erscheinen und ist in 80% der Fälle mit einem Adenokarzinom in Verbindung zu bringen. Damit geht in der Regel eine respi-
37
462
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
. Abb. 37.3. CT-Darstellung jeweils einer peripheren Metastase eines Nebennierenkarzinoms. Die Lokalisation erlaubt eine problemlose Entfernung über einen transsternalen Zugang
ratorische lnsuffizienz einher, weil Diffusionskapazität, Residualvolumen und Compliance erniedrigt sind. Das Röntgenübersichtsbild zeigt typischerweise CurIey-A- und Curley-B-Linien, häufig sind diese mit Vergrößerungen der hilären Lymphknoten und einem Pleuraerguss vergesellschaftet. In der HighresoIution-CT stellen sich die unregelmäßigen Verbreiterungen des Interstitiums besonders deutlich dar. Eine metastatische Beteiligung der Pleurablätter wird am häufigsten bei Adenokarzinom, insbesondere bei Mamma-, Bronchial- und Ovarialkarzinomen beobachtet. In gleicher Weise kann das Perikard beteiligt sein, was sich in der CT oder mittels Ultraschall in Form eines Pleuraergusses darstellen lässt.
Nach Chemotherapie können die Läsionen als sog. sterilisierte Metastasen zurückbleiben. Histologisch enthalten diese Formationen im günstigsten Fall Fibrose und Nekrose in Abwesenheit vitaler Tumorzellen. Cave Metastasen des Hodenkarzinoms werden unter erfolgreicher Chemotherapie mitunter zu zystischen Formationen umgewandelt, dennoch muss der Nachweis bzw. Ausschluss vitaler Tumorzellen stets histologisch erfolgen (. Abb. 37.5).
37.3.1 Funktionelle Voraussetzungen
für die Operation
37
Die CT gibt Aufschluss über den zu erwartenden Parenchymverlust und damit annäherungsweise über das Ausmaß der postoperativen Einschränkung der Lungenfunktion. Bereits als Folge einer Standardthorakotomie ist mit einer vorübergehenden Abnahme der Vitalkapazität und der exspiratorischen Einsekundenkapazität (FEV1) von 30–40% zu rechnen, was allein dem Thoraxwandtrauma zuzuschreiben ist. Noch höher ist die Funktionseinschränkung durch die Operation anzusetzen, wenn multiple Keilresektionen, eine Lobektomie oder eine Pneumonektomie anstehen. Bei einer präoperativen Vitalkapazität <2 l sollte daher ein Perfusionsszintigramm der Lungen über die zu erwartende Funktionseinschränkung Aufschluss geben (Bolliger u. Perruchoud 1998). Cave . Abb. 37.4. Überwiegend endobronchial wachsende Metastase eines Nierenzellkarzinoms (Teilverlegung des linken Oberlappenostiums). In Abwesenheit weiterer Tumormanifestationen Sanierung durch Oberlappenmanschettenresektion links
Patienten mit einer voraussichtlichen postoperativen FEV1 von <1 I (bzw. 30–35% des Solls) kann ein operativer Eingriff im Allgemeinen nicht zugemutet werden.
463 37.3 · Notwendige Diagnostik und Staging
. Abb. 37.5. Metastasen eines malignen Keimzelltumors. Zentrale Einschmelzung und angedeutet zystische Umwandlung als Hinweis auf ein Ansprechen der Chemotherapie. Histologisch Nachweis von Nekrose neben vitalen Tumoranteilen in sämtlichen Herden
37.3.2 Onkologische Aspekte
der Patientenauswahl Bei kurativer Zielsetzung ist eine Operation nur dann erfolgversprechend, wenn eine vollständige Entfernung aller in der CT und letztlich intraoperativ anzutreffenden Herde gelingen kann. Über die Resektabilität von Lungenmetastasen ent. Abb. 37.6. Linkszentrale Lungenmetastase eines Leiomyosarkoms der Harnblase. Beginnende Stenosierung des zentralen Bronchialsystems, keine sichere Abgrenzung von der leicht deformierten Aorta thoracica descendens. Wegen Nichtansprechens auf Chemotherapie bei bereits aufgehobener Perfusion der linken Lunge palliative Pneumonektomie links; die Aortenwand war nicht infiltriert
scheidet weniger die Gesamtzahl aller vorhandenen Herde als in erster Linie deren Größe und Verteilung innerhalb beider Lungen. So ist die Resektion mehrerer, an den Lungenkanten lokalisierter Herde vergleichsweise einfach und ohne nennenswerten Parenchymverlust durchführbar, während eine große, die Hilusstrukturen infiltrierende Solitärmetastase u. U. nur durch Pneumonektomie entfernt werden kann. Sind
37
464
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
. Abb. 37.7. Multiple periphere und zentrale Rundherde beidseits bei metastasierendem Synovialsarkom. Patient aufgrund der Zahl und Lokalisation der Metastasen funktionell inoperabel, daher Versuch mit Chemotherapie
37
Metastasen jeglicher Größe gleichmäßig verteilt in Peripherie und zentralen Abschnitten beider Lungen anzutreffen, so ist eine vollständige Resektion ausgeschlossen (. Abb. 37.6 und . Abb. 37.7). Das gleichzeitige Vorhandensein extrathorakaler solitärer Organ- oder Lymphknotenmetastasen stellt nach heutiger Auffassung keine absolute Kontraindikation zum lungenresezierenden Eingriff dar, sofern alle Manifestationen unter vertretbarem Aufwand und Risiko vollständig operabel erscheinen.
Grundsätzlich ist die Operation als einzige Behandlungsmodalität und in kurativer Absicht nur gerechtfertigt, wenn keine wirksamere Therapie zur Verfügung steht.
37.4
Operative Therapie, Strategie
37.4.1 Kurative Strategie Resektionen mit kurativem Anspruch sind unter Berücksichtigung funktioneller Reserven indiziert, wenn die Metastasen anhand der CT resektabel erscheinen. Am häufigsten handelt es sich um Metastasen des Nierenzellkarzinoms, von Karzinomen im HNO-Bereich und von Schilddrüsen-, Uterus-, Ovarial- sowie kolorektalen Karzinomen.
37.4.2 »Staging« begleitend
zur Chemotherapie Für verschiedene maligne Tumoren, die bevorzugt oder fast ausschließlich in die Lunge metastasieren, ist eine hochwirksame Chemotherapie verfügbar. Hierzu zählen u. a. die gonadalen und extragonadalen nichtseminomatösen Keimzelltumoren und das Osteosarkom. In diesen Fällen ist die Operation indiziert, um den Effekt der Chemotherapie in radiologisch verbliebenen Herden zu kontrollieren (diagnostischer Eingriff) oder bei ausbleibendem Ansprechen eine lokale Sanierung herbeizuführen (therapeutischer Eingriff). Für Patientinnen mit Solitärmetastase nach Mammakarzinom hat der Eingriff sowohl diagnostischen als auch therapeutischen Charakter. Das Ergebnis der histologischen und immunhistochemischen Aufarbeitung liefert die Grundlage für eine Chemotherapie oder antihormonelle Therapie.
37.4.3 Biopsie zur histologischen Abklärung Treten nach stattgehabter Tumorerkrankung Lungenrundherde auf, so handelt es sich mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 70% um ein metastatisches Geschehen, in fast 15% um einen Zweittumor, in weniger als 15% um einen benignen Befund. Da nach Nierenzell- und Mammakarzinom tumorfreie Intervalle von mehreren Jahren bis Jahrzehnten keine Ausnahme sind, haben derartige differentialdiagnostische Überlegungen praktische Bedeutung.
465 37.5 · Operationstechnik
Cave Prinzipiell ist die Gewinnung einer Histologie einer Verlaufsbeobachtung vorzuziehen, sofern die diagnostische Maßnahme dem Patienten zumutbar ist und im Falle eines Malignitätsnachweises auch therapeutische Konsequenzen hätte.
Da das Operationstrauma von erheblichem Ausmaß ist, falls multiple Keilresektionen auf beiden Seiten erforderlich sind, ist der Eingriff nur Patienten in gutem Allgemeinzustand zuzumuten.
Videoassistierte thorakoskopische Chirurgie. Inwieweit
37.4.4 Palliativer Eingriff Zur Verbesserung der Lebensqualität können – jeweils unter Berücksichtigung der Funktionsreserve und der allgemeinen Belastbarkeit – auch palliative Eingriffe gerechtfertigt sein, so z. B. bei wiederholten Blutungen, bei Retentionspneumonie, bei poststenotischen Einschmelzungsprozessen, ausgedehnten Tumorzerfallshöhlen und schmerzhafter Thoraxwandinfiltration.
37.5
Operationstechnik
37.5.1 Zugangswege Je nach Behandlungsziel stehen vier verschiedene Zugangswege zur Entfernung pulmonaler Metastasen zur Verfügung: laterale Thorakotomie, mediane Sternotomie, Clamshell-Inzision und die videoassistierte thorakoskopische Chirurgie (VATS). Laterale Thorakotomie. Die laterale lnzision im 4. oder 5. In-
terkostalraum mit posteriorer oder anteriorer Verlängerung hat sich zum Standardzugang entwickelt. Er ermöglicht einen optimalen Zugang zum Hemithorax bzw. zu den Lungenlappen, Mediastinum, Zwerchfell und Thoraxwand. Der Nachteil dieser Inzision ist die Schmerzauslösung durch Spreizung der kostovertebralen Gelenke und die Notwendigkeit eines zweiten Eingriffs im Falle einer ausgedehnten bilateralen Metastasierung.
minimalinvasive Techniken in der Resektionsbehandlung pulmonaler Metastasen unter kurativer Zielsetzung eingesetzt werden sollten, ist in der Diskussion. Vorteile eines minimalinvasiven Vorgehens liegen in der geringen Traumatisierung durch den operativen Zugangsweg, da dadurch, besonders im Falle von Rezidiveingriffen, die Morbidität und Letalität gesenkt werden könnten (Yim et al. 1998). Nachteile der VATS beziehen sich auf die Gefahren der Portkanalmetastasierung und des nicht adäquaten Sicherheitsabstandes nach Klammernahtresektion (Downey et al. 1996). Ein wesentliches Argument gegen den Einsatz der VATS in der Metastasenchirurgie liegt in der technisch eingeschränkten Möglichkeit zur systematischen mediastinalen und hilären Lymphknotendissektion begründet. Der Nachweis einer in den Lymphknoten fortschreitenden Erkrankung mit den sich daraus ableitenden prognostischen und therapeutischen Konsequenzen erscheint mittels der VATS ebenso wie das Durchpalpieren und somit die Entdeckung tiefer gelegener Herde nicht ausreichend möglich. Damit ist die Radikalität, Diagnose- und Prognosebeurteilung, die dem Anspruch der kurativen Metastasektomie genügen muss, im Vergleich zur offenen Thorakotomie, deutlich unterlegen. Die videoassistierte Chirurgie hat ihren Stellenwert daher v. a. in der Diagnostik. Pleurale Prozesse und subpleurale Herde können unter nur geringer Traumatisierung der Brustwand abgeklärt werden, ein begleitender Perikarderguss durch Perikardfensterung aufgehoben werden. Cave Bedacht werden muss die Möglichkeit einer Tumorzellimplantation in den Stichkanal mit konsekutivem Tumorwachstum.
Mediane Sternotomie. Demgegenüber erlaubt die mediane
Sternotomie den gleichzeitigen Zugang zu beiden Lungen und den Nachweis okkulter, d. h. im CT nicht dargestellter Metastasen. Darüber hinaus wird der transsternale Zugang besser toleriert als die laterale Thorakotomie. Der Nachteil ist der erschwerte Zugang zu posterioren und zentralen Abschnitten, v. a. aber zum linken Lungenunterlappen. Clamshell-Inzision. Die Clamshell-lnzision (transversaler Zugang zu beiden Pleurahöhlen mit querer Sternotomie) erlaubt eine ausgezeichnete Übersicht über beide Lungen, sie wird vom Patienten besser toleriert als zwei sequenzielle laterale Thorakotomien und ist auch kosmetisch vorteilhaft. Ein Nachteil dieses Zugangsweges ist die unvermeidliche Durchtrennung beider Mammariagefäßbündel.
In den meisten Fällen erfüllt eine muskelschonende anterolaterale Thorakotomie im 4. oder 5. Interkostalraum alle Anforderungen bei unilateralem Befall. Voraussetzung für eine komplette Entfernung aller Metastasen ist – in Kenntnis des CT-Befundes – eine zuverlässige Beurteilung des Parenchyms durch sorgfaltige Palpation. Dafür wiederum ist die Atelektase der betreffenden Lunge unerlässlich, die durch seitengetrennte Beatmung über einen Doppellumentubus erreicht wird. Erst nach Identifikation aller zu entfernenden Herde über lnspektion von Mediastinum und Pleura wird das Ausmaß der Resektion festgelegt. Mittels extraanatomischer (atypischer) Resektion lassen sich die meisten Herde parenchymsparend und zuverlässig entfernen. Die Herde müssen allseits von gesundem Gewebe umschlossen sein, um Nahtlinienrezidive zu vermeiden. In etwa 20% der Fälle ist die Resektion anato-
37
466
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
mischer Einheiten, wie Segmente oder Lappen, erforderlich, Eingriffe am zentralen Bronchialsystem oder die Pneumonektomie sind die Ausnahme.
37.5.2 Spezielle Aspekte verschiedener
Primärtumoren (Dienemann et al. 1995; Downey 2006) Malignes Melanom
Die Enukleation von Metastasen ist mit den Prinzipien der Radikalität nicht vereinbar.
37
Falls die funktionellen Reserven des Patienten eine anatomische Resektion nicht erlauben, kann mittels Elektrokauter, Ultraschalldissektor (»harmonic scalpel«) oder NeodymYAG-Laser eine atypische Resektion aus zentralen Lungenabschnitten versucht werden. Es kann sich dabei jedoch als außerordentlich schwierig herausstellen, Kompromisse im Hinblick auf die Radikalität und die Zuverlässigkeit der Parenchymabdichtung zu vermeiden. Eine systematische ipsilaterale mediastinale, hiläre und interlobäre Lymphknotendissektion vervollständigt den Eingriff, wobei ein therapeutischer Effekt von der Dissektion nicht erwartet werden kann. Derzeit kann noch nicht beantwortet werden, ob die transsternale bilaterale Exploration gegenüber dem einseitigen Zugang Vorteile hat, wenn die CT einen nur einseitigen Befund darlegt. Für die transsternale Revision sprechen die rasche Wiederherstellung der Lungenfunktion und das vergleichsweise gering Operationstrauma. Die Gefahr einer Unterschätzung der Anzahl pulmonaler Herdbefunde, besonders bei kleinen Metastasen in der thorakalen CT gegenüber der intraoperativen Palpation scheint dennoch realistisch (Pfannschmidt et al. 2008; Diederich 2004). Für Metastasen von Weichgewebssarkomen wird der Anteil nicht CT-detektierter (okkulter) Lungenmetastasen mit 15% geschätzt, so dass bei unilateraler Thorakotomie gegebenenfalls eine Thorakotomie der Gegenseite erforderlich ist. Inwieweit dies jedoch einen Einfluss auf das Langzeitüberleben hat, wird angezweifelt (Dienemann et al. 1995; Younes et al. 2002). Nur eine engmaschige Verlaufskontrolle mittels Computertomographie kann gegebenenfalls die Entwicklung auf der nicht operativ inspizierten Seite zeitnah beurteilen.
Wenn zahlreiche Herde zu entfernen sind, die u. U. auch eine Lappenresektion erfordern könnten, ist das zweizeitige Vorgehen auf jeden Fall das sicherere und einfachere Verfahren, während die Vorteile der einzeitigen bilateralen Resektion in der raschen Wiederherstellung der Lungenfunktion und das vergleichsweise gering Operationstrauma liegen.
Mehr als 70% aller Patienten mit metastasierendem Melanom entwickeln Lungenmetastasen, aber nur etwa 10% von ihnen weisen ausschließlich Lungenmetastasen auf. Solitärmetastasen kommen in etwa 20% der Fälle vor. Die Operation ist das Verfahren der Wahl bei solitären Herden und die Prognose ist signifikant besser als bei Vorliegen multipler Metastasen. Weitere Faktoren mit Bedeutung für eine günstige Prognose scheinen ein möglichst langes krankheitsfreies Intervall bis zum Auftreten einer Lungenmetastasierung und der Ausschluss extrathorakaler Metastasierungen zu sein. Aufgrund der ausgedehnten Metastasierung in andere Organsysteme scheint die PET-Untersuchung im präoperativen Staging von besonderer Relevanz (Dalrymple-Hay et al. 2002).
Keimzelltumoren Unter den testikularen Tumoren weisen die seminomatösen Malignome eher eine späte, die nichtseminomatösen – die Elemente von Chorionkarzinomen, embryonalen Karzinomen, Teratokarzinomen und reifen Teratomen enthalten können – eine frühe Metastasierung auf. Bei Frauen leiten sich die Keimzelltumoren vom Chorionepithel ab. Seminome metastasieren bevorzugt über das Lymphsystem, Chorionkarzinome v. a. hämatogen und die übrigen nichtseminomatösen Tumoren auf beiden Wegen. Radiologisch imponiert das Bild von »Kanonenkugeln«. Die Chemotherapie (Cisplatin-haltige Kombinationen) erreicht bei über 70% eine Heilung, bei den übrigen Patienten werden nach Möglichkeit alle verbliebenen Herde sekundär operativ beseitigt und eine Lymphknotendissektion angeschlossen. Ein Ansprechen auf die Chemotherapie ist oft von einem drastischen Abfall der Tumormarker (α-Fetoprotein, ß-HCG) begleitet, wohingegen »Normalwerte« das Vorliegen von Resttumor nicht ausschließen. Die Entfernung der Residualtumoren der Lunge weist in der histologischen Aufarbeitung, neben Nekrosen und Narbengewebe, reifes oder malignes Gewebe, auch nebeneinander, auf. Hieran orientiert sich die Entscheidung über eine Fortsetzung der Chemotherapie. Als Indikationen zur Resektion von pulmonalen Herdbefunden gelten: 4 Fehlendes Ansprechen auf Chemotherapie 4 Partielles Ansprechen auf Chemotherapie mit Rezidiventwicklung unter Chemotherapie 4 Rezidiv nach Chemotherapie Als klinische Prognosefaktoren hat sich neben der Radikalität des Eingriffes der Nachweis vitaler Tumorzellen im Residualgewebe erwiesen. Die komplette Remission unter Chemotherapie bei Solitär- und einseitigen Metastasen, bei negativem retroperitonealen Lymphknotenstatus, gilt als günstiger Parameter. Hinsichtlich des Vorgehens bei pulmonalen Restbefunden eines seminomatösen Hodentumors wird neben einem abwartenden Verhalten auch eine gezielte Strahlentherapie größerer Residualbefunde diskutiert (Puc et al. 1996).
467 37.5 · Operationstechnik
Nierenzellkarzinom Nierenzellkarzinome metastasieren bevorzugt in die Lunge, wobei dies sowohl hämatogen als auch lymphogen geschehen kann. Die häufigsten Manifestationen sind Solitärmetastasen, auch ein- oder beidseitiger mediastinaler Lymphknotenbefall kommt vor. Günstige Voraussetzungen für die Operation sind der solitäre Herd oder wenige periphere Läsionen, jedoch ist nur bei tumorfreien intrathorakalen Lymphknoten die Prognose relativ gut.
Weisen beide Lungen Metastasen in hoher Zahl und ungünstiger Verteilung auf, so ist im Einzelfall ein Zuwarten über 4–6 Wochen gerechtfertigt, damit ein Eingriff in einer Phase rascher Tumorprogression vermieden wird.
Behandlungsalternativen sind die lmmuntherapie (Interleukin, Interferon) sowie die systemische Therapie mit an molekularen Zielstrukturen abgeleitete, sog. »targeted therapy«. Dabei sollten nicht-chirurgische Behandlungsalternativen ausschließlich Patienten vorbehalten bleiben, die aus allgemeinen, funktionellen oder technischen Gründen einer kurativen Metastasektomie nicht zugänglich sind.
KoIon-Rektum-Karzinom Etwa 15% aller Patienten entwickeln Lungenmetastasen im Anschluss an die Primartumor-Therapie, darunter häufiger bei Rektum- als bei Kolonkarzinomen und häufiger im Gefolge linksseitiger Kolonkarzinome als bei rechtsseitigem Befund. Neben der hämatogenen Route kommt auch eine direkte lymphogene Ausbreitung vor. Daher sollte die Operation neben der Metastasenentfernung auch die Exploration der mediastinalen Lymphknoten beinhalten. Als ungünstige Prognosefaktoren gelten ein Befall thorakaler Lymphknotenstationen, ein kurzes krankheitsfreies Intervall sowie eine multiple Metastasierung. Bei gleichzeitigem Vorhandensein von Lebermetastasen ist ein thorakaler Eingriff nur noch in Ausnahmefällen indiziert, etwa bei jungen Patienten in gutem Allgemeinzustand und angesichts einer Metastasenlokalisation in beiden Organen, die eine geringe operationsbezogene Morbidität erwarten lässt (Pfannschmidt et al. 2007).
Schilddrüsenkarzinom Anaplastische und follikuläre Karzinome setzen in einem frühen Stadium hämatogene pulmonale Metastasen, während papilläre Karzinome zunächst in zervikale Lymphknoten und erst später in die Lungen metastasieren. Eine 131J-Speicherung findet sich in etwa 50% der Metastasen der differenzierten Karzinome und scheint mit einer besseren Prognose korreliert zu sein. Eine hiläre und mediastinale Lymphknotenbeteiligung wird bei der Hälfte aller Patienten mit pulmonalen Metastasen gefunden.
Bei 131J-Speicherung ist die lsotopenbehandlung das Verfahren der Wahl, eine Operation kommt nur als additives Verfahren oder bei nichtspeichernden Herden in Frage.
Ovarialkarzinom, Zervix- und Endometriumkarzinom Unter allen gynäkologischen Tumoren setzt das Ovarialkarzinom am häufigsten intrathorakale Absiedlungen. Oft ist der pulmonale Befall mit einem malignen Pleuraerguss vergesellschaftet und somit eine lokale Kuration operativ nicht zu erreichen. Für alle gynäkologischen Tumoren gilt, dass sie vorwiegend nach lokaler Ausbreitung im kleinen Becken zunächst die regionären Lymphknotenstationen befallen und dann sekundär hämatogen in die Lunge metastasieren. Dies erklärt die häufige pelvine und peritoneale Metastasierung, so dass ein isolierter pulmonaler Befall nur selten nachgewiesen wird.
Mammakarzinom Das Mammakarzinom bezieht in vielen Fällen Lunge und Pleura durch direkte Invasion, lymphogene oder hämatogene Aussaat mit ein. In etwa 15% der Fälle ist ausschließlich die Lunge von Metastasen befallen, dabei jedoch in Form einer lokalen oder diffusen Lymphangiose in Begleitung von Rundherden, was eine Heilung durch Operation ausschließt. Solitäre Herde stellen daher oft ein diagnostisches Problem dar. Sie sollten bei extrathorakaler Tumorfreiheit und ausreichend gutem Allgemeinzustand dennoch einer operativen Entfernung zugeführt werden, da sich in der Mehrzahl dieser Fälle ein primäres Bronchialkarzinom als Zweittumor herausstellt, seltener eine Mammakarzinom-Metastase oder ein benigner Befund. Wegen der Prävalenz von lymphangitischer Ausbreitung und Lymphknotenbefall hat die Entfernung eines metastatischen Rundherdes eher diagnostischen als kurativen Charakter und muss die Exploration lokoregionärer Lymphknoten mit einbeziehen.
Karzinome im HNO-Bereich Die Lunge ist häufiger als andere Organe metastatisch befallen, dabei zum Teil in Abwesenheit einer Infiltration regionärer zervikaler und supraklavikulärer Lymphknoten.
Aufgrund der hohen Koinzidenz von Karzinomen im HNO-Bereich und Bronchialkarzinomen sollten solitäre pulmonale Läsionen bei lokaIer Tumorfreiheit im HNOAreal unbedingt abgeklärt werden.
Multiple metastatische Prozesse der Lungen gehen mitunter mit einem Befall der Pleurablätter einher, weshalb es zweckmäßig ist, der beabsichtigten Resektion eine orientierende Videothorakoskopie vorzuschalten.
Weichgewebssarkome Nahezu 20% aller Patienten präsentieren Lungenmetastasen, weit überwiegend während der Nachsorge der primären Tumorerkrankung als metachrone Metastasen. Am häufigsten finden sich Metastasen bei malignem fibrösen Histiozytom, Synovial- und Leiomyosarkomen. Aufgrund der hämatogenen Entstehung pulmonaler Metastasen sind die intrathorakalen Lymphknoten nur in fortgeschrittenen Stadien einbezogen,
37
468
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
was in der Regel eine prognostisch ungünstige Situation kennzeichnet. Weichgewebssarkome einschließlich deren Metastasen müssen wegen der geringen Chemosensitivität operativ saniert werden, wobei das Grading, die Histologie, die Anzahl und das krankheitsfreie Intervall bis zum Auftreten der Lungenmetastasen prognosewirksam sind (Pfannschmidt et al. 2009).
Osteosarkome Wenngleich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei ca. 80% der Patienten noch keine Metastasierung nachweisbar ist, muss von einer hohen Rate früher subklinischer Metastasierung ausgegangen werden (Campanacci 1999). Die Behandlung des metastasierenden Osteosarkoms ist heute studiengebunden und erfolgt multidisziplinär unter Berücksichtigung der systemischen und lokalen Manifestationen. Das bisherige Studienprotokoll COSS (Cooperative Osteosarcoma Study Group) ist 2005 von der Nachfolgestudie EURAMOS-1 bzw. EURO-B.O.S.S. (European-American Osteosarcoma Study Group) abgelöst (Smeland et al. 2004). Die neoadjuvante Chemotherapie beinhaltet dabei die Substanzen Methotrexat, Doxorubicin und Cisplatin. Für das synchron pulmonal metastasierende Osteosarkom bedeutet dies, dass nach radikaler Operation des Primärtumors, die komplette Resektion der Lungenmetastasen angestrebt wird. Postoperativ wird die Therapie in Abhängigkeit des histologisch verifizierten Tumoransprechens stratifiziert. Findet sich eine metachrone Metastasierung, so sollte neben der radikalen Resektion der Metastasen eine Chemotherapie mit Carboplatin/VP16 (im EURAMOS-Protokoll wird Ifosfamid/ Etoposid empfohlen) durchgeführt werden. Für Patienten mit primär metastasiertem Osteosarkom muss von einer deutlich schlechteren Prognose ausgegangen werden als bei Patienten mit metachronem Befall (Diemel et al. 2009).
Sonstige Tumoren
37
Für Lungenmetastasen anderer Primärtumoren hat der allgemeine Indikationskatalog Gültigkeit, d. h. bei lokaler Resektabilität in funktioneller und technischer Hinsicht ist die Operation vorzunehmen, sofern der Ort des Primartumors saniert ist und keine wirksamere lokale oder systemische Behandlung verfügbar ist.
37.6
Postoperative KompIikationsmöglichkeiten
Für Patienten nach vorangegangener Chemotherapie oder Radiotherapie ist die Möglichkeit der pulmonalen Toxizität zu bedenken, womit besonders nach kombinierter Radio-/Chemotherapie zu rechnen ist. Gefährdet sind Patienten nach Behandlung mit Vinca-Alkaloiden in Kombination mit anderen Substanzen, nach Bleomycin und Mitomycin C sowie nach Doxorubicin in Verbindung mit Radiotherapie. Unter diesen Umständen können Chirurgie und Allgemeinanästhesie lebensbedrohliche Zustände im Sinne eines fulminanten ARDS (»acute respiratory distress syndrome«) auslösen. Bei entsprechendem Verdacht kann die Diagnose eines therapieinduzierten Lungen-
schadens präoperativ durch transbronchiale Lungenbiopsie erhärtet werden. Eine entsprechend ausgerichtete postoperative Intensivüberwachung mit Flüssigkeitsrestriktion und Gabe von Kortikosteroiden lässt einen günstigeren Verlauf erwarten. Der Blutverlust unter Metastasenentfernung, zumal bei Ersteingriffen, ist als sehr gering zu veranschlagen, sodass nur ausnahmsweise Transfusionen im postoperativen Verlauf notwendig werden. Ganz im Vordergrund postoperativer Probleme stehen Störungen der Bronchialreinigung mit konsekutiver Sekretretention, Atelektase und Pneumonie. Diese Komplikationen lassen sich am ehesten vermeiden durch schonende Operationstechnik, konsequente Schmerzausschaltung und Eingliederung des Patienten in präoperative krankengymnastische Trainingsprogramme. Durch liberalen Einsatz der flexiblen Bronchoskopie, Inhalation von Mukolytika und Substanzen, die einer Schwellung der Bronchialschleimhaut entgegenwirken, kann die Bronchialtoilette wirkungsvoll unterstützt werden. Bei ausgeprägter respiratorischer Insuffizienz und prolongiertem Verlauf erleichtert die Tracheotomie die konsequente Freihaltung der Atemwege. Eine eingriffstypische Komplikation ist die bronchopleurale Fistel, die zumeist auf einem operationstechnischen Fehler beruht und zur Revision Anlass geben sollte, wenn nicht innerhalb weniger Tage eine deutliche Rückbildungstendenz erkennbar wird. Ein Belassen der Fistel führt unweigerlich zum Pleuraempyem. Als Ursache kommen v. a. primäre oder sekundäre Defekte der Pleura visceralis in Frage, die meistens entlang von Klammernahtreihen zu lokalisieren sind. Seltener sind Bronchusstumpffisteln nach anatomischen Resektionen. Zur Vermeidung bzw. Behandlung derartiger Komplikationen wird auf 7 Kap. 36 und die spezielle Literatur verwiesen.
37.6.1 Ergebnisse der chirurgischen Therapie Das Überleben nach kompletter Resektion der Lungenmetastasen ist abhängig von der Art des Primärtumors und im Fall der chemotherapiesensiblen Tumoren nur eingeschränkt der Chirurgie zuzuschreiben. Stellvertretend für Tumorentitäten, deren Lungenmetastasen der chirurgischen Therapie zugeführt werden, sind in . Tab. 37.1 die Überlebensraten und Prognosefaktoren nach Resektion von Metastasen der häufigsten Tumorhistologien dargestellt. Da die individuellen Auswahlkriterien zur Operation ausschlaggebend sind, erscheint ein Vergleich der Überlebensraten in den verschiedenen Publikationen problematisch. Dennoch lassen sich, bei Betrachtung der aktuellen Publikationen, deutliche Unterschiede hinsichtlich der ermittelten Prognoseparameter und der Überlebensraten für die einzelnen Tumorgruppen erkennen. So sind für die Keimzelltumoren besonders die Vitalität der Tumorzellen in den Metastasen und die Höhe der Tumormarker im Serum prognosebestimmend; 5-Jahres-Überlebensraten von über 80% sind in den meisten Serien berichtet. Die Länge des krankheitsfreien Intervalls bis zum Auftreten einer Lungenmetastasierung, Anzahl der Lungenmetasta-
469 37.6 · Postoperative KompIikationsmöglichkeiten
. Tab. 37.1. 5-Jahres-Überleben und Prognosefaktoren nach operativer Therapie von Lungenmetastasen
Primärtumor
Zeitraum (Jahre)
Gesamtanzahl (Anzahl Patienten R0)
5-JahresÜberleben (R0) in %
Prognosefaktor
Liu et al. 1998
1967–1995
157 (155)
82 (nach 1985)
Vitale Tumorzellen, extrapulmonale Metastasierung
McGuire et al. 2003
1988–1998
105
k.A.
Vitale Nicht-Teratom-Metastasen (Thorax oder Retroperitoneum)
Pfannschmidt et al. 2006
1996–2001
52 (40)
75,8(82,8)
Radikalität, Tumormarker im Serum: AFP, hCG ↑
Friedel et al. 2002
1945–1995
467 (392)
(38)
Radikalität, krankheitsfreies Intervall
Planchard et al. 2004
1972–1998
125 (96)
45
Krankheitsfreies Intervall, Größe
Chen et al. 2008
1991–2007
41
51
Krankheitsfreies Intervall, Anzahl
Piltz et al. 2002
1980–2000
122 (105)
(40)
Radikalität, Lymphknotenbefall, Größe
Pfannschmidt et al. 2002
1985–1999
191 (149)
(41,5)
Radikalität, Lymphknotenbefall, krankheitsfreies Intervall, Anzahl
Murthy et al. 2005
1986–2001
92 (63)
(45)
Radikalität, FEV1
Pfannschmidt et al. 2003
1985–2000
(167)
(32.4)
Anzahl, Lymphknotenbefall, Serum-CEA
Melloni et al. 2006
1991–2004
80(74)
(44)
Radikalität, Tumorstadium
Welter et al. 2007
1993–2003
(169)
(39.1)
Anzahl, Lymphknotenbefall, krankheitsfreies Intervall
Billingsley et al. 1999
1982–1997
213 (161)
(37)
Radikalität, krankheitsfreies Intervall, Histologie, Grading, Alter
Pfannschmidt et al. 2006
1996–2002
50
37.6
Radikalität
Canter et al. 2007
1990–2005
138
29
Radikalität, krankheitsfreies Intervall, kein Ansprechen auf Chemotherapie
Kager et al. 2003
1980–1998
202 (124)
29 (33)
Radikalität, Anzahl
Briccoli et al. 2005
1980–2001
94
38
krankheitsfreies Intervall, Anzahl
Harting et al. 2006
1980–1993
93
29
krankheitsfreies Intervall
Leo et al. 2000
1945–1995
328 (282)
(22)
Radikalität, Anzahl, krankheitsfreies Intervall
Andrews et al. 2006
1988–2005
(86)
(33)
Anzahl
Liu et al. 1999
1966–1995
36 (31)
34
Radikalität, Alter, krankheitsfreies Intervall
Winter et al. 2008
1984–2006
67 (40)
20,9 (27,7)
Radikalität, perioperative Komplikationen, neoadjuvante Therapie der Metastasen
Chen et al. 2008
1991–2007
(20)
(59.4)
Geschlecht, krankheitsfreies Intervall, Histiologie
Keimzelltumoren
Mammakarzinom
Nierenzellkarzinom
Kolon-Rektum-Karzinom
Weichteilsarkome
Knochensarkome
Malignes Melanom
Kopf-Hals-Tumoren
37
470
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
sen und Histologie stellen wichtige Parameter für Osteo- und Weichteilsarkome dar. Die zu erzielenden 5-Jahres-Überlebensraten liegen für diese Entitäten zwischen 30% und 40%. Das krankheitsfreie Intervall stellt den wesentlichen Prognoseparameter für das Mammakarzinom dar, im Konzept mit den aktuell verfügbaren Chemotherapiekonzepten und Metastasenchirurgie lassen sich 5-Jahres-Überlebensraten von 40– 50% erzielen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass hier nur ein hochselektioniertes Patientenkollektiv mit häufig nur solitärer Metastasierung zur Operation zugelassen wird. Für Patienten mit Karzinommetastasen kolorektaler Primärtumoren und Nierenzellkarzinomen sind in umfangreichen Untersuchungen 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 35% und 45% beschrieben, hier ist neben der Anzahl pulmonaler Metastasen die Metastasierung innerhalb der pulmonalen, hilären und mediastinalen Lymphknotenstationen von wesentlicher prognostischer Bedeutung. Mathematische Modelle sind entwickelt worden, um dem Ziel einer einheitlichen Patientenklassifikation näher zu kommen, und um Selektionskriterien für die Patientenauswahl anhand präoperativer klinischer Kriterien zu entwickeln. So sind für Patienten mit kolorektalen Karzinommetastasen unterschiedliche prognosebildende Gruppen definiert worden, die sich an den Parametern: »Anzahl der Lungenmetastasen«, »Histologie des Primärtumors« und »Präthorakotomie-Serum-CEA-Spiegel« orientieren (Kanemitsu et al. 2004). Ebenso finden sich unterschiedliche Kaplan-Meier Überlebenskurven für die verschiedenen Prognosegruppen beim Nierenzellkarzinom (. Abb. 37.8; Pfannschmidt et al. 2002).
37
. Abb. 37.8. Kumulatives Überleben nach kompletter Resektion (R0) von Lungenmetastasen eines metastasierenden Nierenzellkarzinoms in Abhängigkeit von der Anzahl ungünstiger Prognoseparameter (Risikofaktoren); 01/1985–01/2000. Als unabhängige Risikofaktoren wurden dabei in multivariater Analyse identifiziert: Anzahl der Lungenmetastasen >7, krankheitsfreies Intervall (KFI) ≤23 Monate und intrathorakale Lymphknotenmetastasierung. Der Nullpunkt der Abszisse repräsentiert den Zeitpunkt der Operation zur Lungenmetastasenresektion
In der Differenzialdiagnose zum primären Lungenkarzinom stellen die Lungenmetastasen von Kopf-Hals-Tumoren häufig ein differenzialdiagnostisches Problem zum primären Lungenkarzinom dar. Die wenigen publizierten Arbeiten dazu sind aufgrund der geringen Fallzahl wenig konklusiv. Obwohl sich nur selten Patienten mit einer isolierten Lungenmetastasierung bei malignem Melanom zur Metastasenchirurgie vorstellen, finden sich 5-Jahres-Langzeitüberlebensraten in den Behandlungskonzepten, bestehend aus Systemtherapie und Chirurgie, von bis zu 33%. Hier muss jedoch eine besonders kritische Patientenauswahl, unter Berücksichtigung der Prognoseparameter: »Anzahl der Metastasen« und »KFI« unterstellt werden. Aufschlussreicher als die alleinige Angabe der LangzeitÜberlebensraten nach Lungenmetastasektomie wäre ein Vergleich von Patientenkohorten, d. h. die Einbeziehung auch jener Patienten, die sich nicht der Operation unterziehen.
37.7
Neoadjuvante, additive bzw. adjuvante Therapieprinzipien
Die Entwicklung einer Cisplatin-haltigen Chemotherapie hat das Überleben der Patienten mit metastasierendem nichtseminomatösem Keimzelltumor deutlich verbessert. Für diese Patienten hat die Entfernung der Restherde nach Chemotherapie lediglich additiven Charakter. Histologisch können die Herde benignen Teratomen, Narben oder unreifen, d. h. potenziell malignen Elementen entsprechen, unabhängig vom Tumormarkerstatus. Im Falle des Nachweises von unreifen Zellen wird im Allgemeinen eine Chemotherapie an den chirurgischen Eingriff angeschlossen. Nach Mammakarzinom auftretende solitäre Rundherde werden, besonders nach mehrjährigem lntervall, bevorzugt der Resektion zugeführt, um den Herd eindeutig klassifizieren und ggf. der Rezeptoranalyse zuführen zu können. Lässt sich ein Zusammenhang zum Mammakarzinom herstellen, so wird je nach Alter der Patientin eine Chemotherapie oder eine antihormonelle Therapie eingeleitet, auch wenn makroskopisch kein Tumorgewebe zurückgeblieben ist. Eine gegen das Osteosarkom gerichtete Chemotherapie hat die Inzidenz von Pulmonalmetastasen deutlich abgesenkt. Demgegenüber hat sich der Anteil von Patienten, die sich einer Resektion der Lungenmetastasen unterziehen können, von 17% in der Prä-Chemotherapie-Ära auf über 80% erhöht. Synchrone Lungenmetastasen werden vorteilhaft erst im Anschluss an eine Chemotherapie und die Primärtumoroperation der Resektion zugeführt, wiederum gefolgt von einer Chemotherapie. Treten metachrone Metastasen innerhalb eines Jahres nach Primartumoroperation auf, so geht der Operation gleichfalls eine Chemotherapie voraus.
Je größer das tumorfreie Intervall zwischen Primärtumor und Lungenmetastasen, umso weniger wahrscheinlich ist das Ansprechen auf eine Chemotherapie.
471 37.9 · Ausblick
Lungenmetastasen von Weichgewebssarkomen zeigen ein Ansprechen auf Chemotherapie in weniger als 30% der Fälle, sodass die lndikation zur Operation gegeben ist, solange eine Entfernung aller Herde technisch erreichbar ist.
Wegen ihrer hohen Chemo- und Radiosensibilität werden Metastasen des Ewing-Sarkoms erst nach Ausschöpfung aller nicht-chirurgischen Maßnahmen der Resektion zugeführt.
Grundsätzlich sollten alle Therapieentscheidungen nur im interdisziplinären Gespräch getroffen werden. So wird man sich im Einzelfall evtl. gegen einen operativen Eingriff entscheiden, auch wenn formal die Kriterien für die Chirurgie erfüllt sind. Dies gilt beispielsweise für Patienten mit synchronen Metastasen eines Nierenzellkarzinoms, deren Entfernung aufgrund ihrer Zahl und Verteilung einen erheblichen Verlust an Lungenparenchym bedeuten würde. In diesem Fall ist es vorzuziehen, nach 4–6 Wochen eine Kontroll-CT anzufertigen und bei Tumorprogression eine Systemtherapie zu versuchen. Untersuchungen am von-Hippel-Lindau-Gen (vHL-Gen), einem klassischen Tumorsuppressor-Gen, und den Untersuchungen zur Angiogenese des Nierenzellkarzinoms ermöglichte die Entwicklung neuer an den molekularen Zielstrukturen und Pathways gebundene Therapieverfahren (»targeted therapies«). Für die sog. »small molecules« wie Sunitinib, Temsirolimus, Sorafenib und dem molekularen Antikörper Bevacizumab konnten in Phase-II- und -III-Studien antitumorale Aktivität nachgewiesen werden (Motzer u. Bukowski 2006). Dabei waren die Ergebnisse für eine Behandlung mit Sunitinib und Temsirolimus gegenüber einer alleinigen Zytokinen Therapie günstiger. Die Multi-Tyrosinkinase-Inhibitoren Sunitinib (Sutent) und Sorafenib (Nexavar) sind seit 2007 bzw. 2006 zur Therapie des metastasierenden Nierenzellkarzinoms innerhalb der EU zugelassen. Da sich jedoch der Erfolg der Systembehandlungen anhand des progressionsfreien Überlebens misst, kann auch weiterhin nur die Chirurgie eine erfolgversprechende Therapie mit kurativen Behandlungsanspruch darstellen.
37.8
Empfehlungen zur Nachsorge
Entsprechend den Überlegungen zur Nachsorge von Patienten mit verschiedensten Tumorentitäten muss sich diese am Zustand und Alter des Patienten, am Wachstums- und Metastasierungsverhalten des Primärtumors und an der Zumutbarkeit weiterer therapeutischer Maßnahmen ausrichten. Generell haben sich Nachsorgeinhalte von der programmierten, apparativ dominierten Diagnostik zur ärztlich-klinischen und v. a. auch psychologischen Betreuung hin verschoben. So gilt als wichtiger Grundsatz, dass diagnostische Maßnahmen nur dann zu rechtfertigen sind, wenn sich aus dem Ergebnis für den Patienten auch ein Gewinn an Lebensqualität und Überlebenszeit ableiten lässt.
Nach palliativ ausgerichteter Primärbehandlung muss die Nachsorge daher ausschließlich beschwerde- und symptomadaptiert gestaltet werden.
Ist dem Patienten funktionell eine erneute Thorakotomie zuzumuten, ist eine vierteljährliche Kontrolle mittels Standardröntgenaufnahme des Thorax und eine halbjährliche durch Spiral-CT zu empfehlen. Darüber hinaus sind die Primärtumorregion, andere wahrscheinliche Metastasierungsorte und das aktuelle Beschwerdebild zu berücksichtigen. Osteosarkome haben die Eigenschaft, in über 80% der Fälle innerhalb der ersten zwei Jahre in die Lunge zu metastasieren. Insofern lässt sich eine enge radiologische Kontrolle mittels Spiral-CT in dreimonatigen Abständen über die ersten zwei Jahre rechtfertigen. Generell nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Metastasierung mit zunehmendem Abstand zur Behandlung des Primärtumoren ab, jedoch kann, solange eine Therapieoption vorausgesetzt werden darf, eine endgültige Entlassung aus der Tumornachsorge nicht empfohlen werden.
37.9
Ausblick
Die Berechtigung zu einem operativen Eingriff mit kurativer Zielsetzung leitet sich im Einzelfall aus der Tatsache ab, dass ein Ansatz für eine systemische Therapie nicht existiert oder bei geringen Erfolgsaussichten mit einer hohen Rate an Nebenwirkungen belastet ist. Insofern ist der Einwand, dass mit der Metastasenchirurgie ein lokales Verfahren für eine disseminierte Erkrankung zum Einsatz kommt, hinnehmbar. Letztlich muss die Chirurgie den Beweis dafür schuldig bleiben, dass mittels vollständiger Entfernung aller nachweisbaren Tumormanifestationen tatsächlich eine Lebensverlängerung zu erzielen ist (Treasure 2007). Eine Randomisation von Patienten mit technisch resektablen Metastasen wäre ethisch nicht zu rechtfertigen, andererseits liefern die Erkenntnisse aus der Chirurgie von Lungenmetastasen nach Osteosarkom klare lndizien dafür, dass Metastasenchirurgie Heilung bewirken kann. Der Chirurg sollte daher stets darauf bedacht sein, die Patientenselektion im interdisziplinären Konsens und auf der Basis gesicherter klinischer und noch zu definierender molekularer Prognosefaktoren vorzunehmen (Treasure et al. 2007). Eine operationsbedingte Letalität von unter 1% (nach Ausschluss palliativer Eingriffe) muss in der betreffenden Institution gewährleistet sein. Das Konzept der isolierten Organperfusion wird bereits im Rahmen von Phase-I-Studien erfolgreich an der Lunge zur Behandlung unterschiedlicher Tumoren eingesetzt (Hendriks et al. 2006). Mit zunehmender Erfahrung mit dieser Technik und Weiterentwicklung der Chemotherapeutika könnte sich dieses Modell zu einer Therapieoption weiterentwickeln, die bei technischer oder funktioneller lnoperabilität Berechtigung hat (Van Schil et al. 2008). Die Thermoablation (laserinduzierte Thermotherapie, LITT) an der Lunge, bisher mehrheitlich eingesetzt zur Behandlung nicht-resektabler Lebermetas-
37
472
Kapitel 37 · Lungenmetastasen
tasen, ist derzeit noch in der klinischen Erprobung. Die Indikationsstellung zu einem nichtoperativen Verfahren darf jedoch nur in Abstimmung und Konsens mit einem erfahrenen Chirurgen gestellt werden (Fernando 2008).
Literatur
37
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38 38
Ösophaguskarzinom J.R. Siewert, H.J. Stein, F. Lordick
38.1
Grundlagen
38.1.1 38.1.2 38.1.3
Chirurgische Epidemiologie – 474 Pathologie, Klassifikation – 475 Prognostische Faktoren – 478
38.2
Klinische Symptomatologie
38.3
Diagnostik und Staging
38.3.1
38.3.6
Histologische Sicherung und topographisch-anatomische Lokalisation des Primärtumors – 481 Ausschluss von Fernmetastasen – 482 T/N-Kategorie des Primärtumors – 482 Ausschluss eines synchronen Zweitkarzinoms der oberen Luftwege – 483 Responseprädiktoren und Responseevaluation bei neoadjuvanten Therapiekonzepten – 483 Risikoanalyse – 483
38.4
Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre
38.4.1 38.4.2 38.4.3 38.4.4 38.4.5
Pathogenese und Präkanzerosen – 484 Diagnostik – 484 Therapieziele und Indikationsstellung – 484 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 485 Operationstechnik – 488
38.5
Adenokarzinom der Speiseröhre (»Barrett-Karzinom«)
38.5.1 38.5.2 38.5.3 38.5.4 38.5.5
Pathogenese und Präkanzerosen – 491 Barrett-Frühkarzinom – 492 Therapieziele und Indikationsstellung – 492 Chirurgische Strategie – 493 Operationstechnik – 494
38.6
Postoperative Behandlung
38.7
Intra- und postoperative Komplikationen
38.8
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
38.9
Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie
38.9.1 38.9.2
Adjuvante und additive Therapie – 502 Neoadjuvante präoperative Therapie – 502
38.10
Palliation
38.11
Empfehlungen zur Nachsorge
38.3.2 38.3.3 38.3.4 38.3.5
Literatur
– 474
– 480
– 481
– 497
– 504
– 505
– 484
– 505
– 497
– 499 – 502
– 491
474
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
> Aus epidemiologischer und tumorbiologischer Sicht muss zwischen Plattenepithel- und Adenokarzinomen der Speiseröhre unterschieden werden. Die grundsätzlichen chirurgischen Therapieprinzipien sind allerdings für beide Tumoren ähnlich. Bei beiden gilt die R0-Resektion als wesentliches chirurgisches Therapieziel. Dieses kann bei T1- und T2-Tumoren sicher erreicht werden. Bei lokal fortgeschrittenen Tumoren (T3 und T4) werden derzeitig neoadjuvante Therapieprinzipien erprobt. Von dieser Therapie profitieren Patienten, die auf die Vorbehandlung mit einer Tumorreduktion (»Downsizing« oder gar »Down-Staging«) ansprechen. So genannte »Non-Responder« haben eine schlechte Prognose. Ihnen steht nur eine palliative Therapie zur Verfügung. Nach chirurgischer R0-Resektion oder bei Patienten, die auf eine neoadjuvante Therapie ansprechen, ist die Prognose nicht schlechter als bei anderen vergleichbaren gastrointestinalen Tumoren, sodass eine aggressive Therapie sinnvoll ist.
38.1
Grundlagen
38.1.1 Chirurgische Epidemiologie Das Ösophaguskarzinom rangiert in Deutschland derzeit an 11. Stelle der Krebstodesfälle mit einer Inzidenz von 4–5 Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Einwohner. Histologisch handelt es sich überwiegend um Plattenepithelkarzinome und Adenokarzinome.
Epidemiologie, Ätiologie, bevorzugte Lokalisation und Tumorbiologie zeigen deutliche Unterschiede zwischen dem Plattenepithel- und dem Adenokarzinom des Ösophagus, sodass sie als separate Entitäten zu betrachten sind (Stein et al. 2000e).
Im Gegensatz zum Plattenepithelkarzinom, für das eine deutliche geographische Häufung in einzelnen Regionen Asiens
38 . Abb. 38.1. Häufigkeitsverteilung der verschiedenen histologischen Typen resezierter Ösophaguskarzinome im Patientengut der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar, TU München, n=1591
und des Nahen Ostens besteht, ist das Adenokarzinom des distalen Ösophagus eine Erkrankung der westlichen Welt. Hier nimmt die Inzidenz des Adenokarzinoms im distalen Ösophagus derzeit nahezu exponentiell zu (Devesa et al. 1998; Bollschweiler u. Hölscher 2000). Die Zunahmerate übertrifft die aller anderen epithelialen Tumorentitäten. Im Gegensatz dazu zeigt die Inzidenz des Plattenepithelkarzinoms in der westlichen Welt keine wesentlich Zu- oder Abnahmetendenz. Im eigenen Gesamtpatientengut von mehr als 1300 resezierten malignen Ösophagustumoren handelte es sich bei 4 Bei 57% um Plattenepithelkarzinome 4 Bei 39% um Adenokarzinome 4 Bei 4% um andere, seltene Entitäten (. Abb. 38.1) Während der Anteil der Adenokarzinome zwischen 1987 und 1991 ca. 30% betrug, liegt er seit 2000 bei über 50% (. Abb. 38.2). Sowohl beim Plattenepithelkarzinom als auch beim Adenokarzinom sind Männer deutlich häufiger betroffen als Frauen. Patienten mit einem Adenokarzinom sind durchschnittlich 10 Jahre älter als Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom und gehören häufig einer höheren sozialen Schicht an. Bei Patienten mit einem Adenokarzinom besteht in der Regel eine langjährige Refluxanamnese, während beim Plattenepithelkarzinom eine jahrelange Alkoholanamnese im Vordergrund steht. An Begleiterkrankungen liegt beim Patienten mit Adenokarzinom häufig eine koronare Herzerkrankung vor, die Patienten sind häufig übergewichtig. Im Gegensatz dazu besteht bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom zum Diagnosezeitpunkt in der Regel häufig neben einer obstruktiven Lungenfunktionsstörung bei chronischem Nikotinabusus auch eine Malnutrition und Leberfunktionsstörung bis hin zur Zirrhose (. Tab. 38.1). Damit ist auch das operative Risiko bei diesen beiden Patiententypen unterschiedlich zu beurteilen.
Patienten mit Plattenepithelkarzinom sind durch die Operation mehr gefährdet als Patienten mit Adenokarzinom.
475 38.1 · Grundlagen
. Abb. 38.2. Relative Zunahme der Prävalenz von Adenokarzinomen im Patientengut der resezierten Ösophaguskarzinome der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar, TU München 1987–2007
. Tab. 38.1. Chirurgische Epidemiologie von Patienten mit Plattenepithelkarzinom und Adenokarzinom des Ösophagus (Patienten der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der TU München) (n=1285)
Plattenepithelkarzinom
Adenokarzinom
p
Medianes Alter
53,4 Jahre
62,2 Jahre
p<0,001
Männlich : weiblich
7:1
8:1
n.s.
p<0,01
Beruf (Prävalenz) 5
Akademiker
20,8%
52,9%
5
»White collar«
27,2%
27,7%
5
»Blue collar«
52,2%
20,2%
Alkoholabusus (Prävalenz)
69,7%
42,3%
p<0,001
Nikotinabusus (Prävalenz)
69,3%
51,9%
p<0,05
Malnutrition (Prävalenz)
24,1%
1,9%
p<0,001
Lungenfunktion (mittlerer FEV1 in % von normal)
82,5%
93,7%
p<0,05
Kardiovaskuläre Risikofaktoren (Prävalenz)
19,5%
34,8%
p<0,01
Eingeschränkte Leberfunktion (Prävalenz)
35,3%
24,9%
p<0,05
n.s. nicht signifikant
38.1.2 Pathologie, Klassifikation Die pathologische Einteilung der malignen Tumoren des Ösophagus erfolgt nach der WHO in: 4 Epitheliale Tumoren (Plattenepithelkarzinome, Adenokarzinome) 4 Mesenchymale Tumoren (Leiomyosarkome) 4 Seltene Entitäten Entsprechend der normalen Wandauskleidung treten Plattenepithelkarzinome entlang der gesamten Speiseröhre auf. Adenokarzinome finden sich nahezu ausschließlich im dista-
len Ösophagus. Auch im Wachstumsverhalten bestehen Unterschiede zwischen Adenokarzinom und Plattenepithelkarzinom. Während Plattenepithelkarzinome exulzerierend und submukös infiltrativ wachsen, liegt beim Adenokarzinom häufig ein exophytisches Tumorwachstum vor (. Abb. 38.3); in Anlehnung an die Laurén-Klassifikation beim Magenkarzinom könnte man das Plattenepithelkarzinom als diffus wachsendes Karzinom bezeichnen, während das Adenokarzinom eher einem intestinalen Wachstumstyp entspricht. Ein multizentrisches Tumorwachstum entlang der gesamten Speiseröhre liegt beim Plattenepithelkarzinom bei bis zu 15% der Patienten vor, beim Adenokarzinom dagegen praktisch nie
38
476
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Abb. 38.3a,b. Exophytisches Tumorwachstums. a Endoskopischer und endosonographischer Aspekt eines typisch exulzerierend und submukös-infiltrativ wachsenden Plattenepithelkarzinoms des Ösophagus. b Exophytische Wachstumsform eines Adenokarzinoms im distalen Ösophagus auf dem Boden einer langstreckigen Barrett-Mukosa
38
(mit Ausnahme multizentrischer, schwerer Dysplasien im Bereich der intestinalen Metaplasie). Die Klassifikation der Eindringtiefe des Primärtumors, der Lymphknotenmetastasierung und Fernmetastasierung sowie die Stadiengruppierung der Ösophaguskarzinome erfolgt anhand der Richtlinien der UICC (International Union against Cancer, Wittekind 2009; . Tab. 38.2 und . Tab. 38.3). Im Gegensatz zum Plattenepithelkarzinom des Ösophagus treten Lymphknotenmikrometastasen beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus erst verzögert auf. So liegen bereits bei bis zu 50% der pT1-Plattenepithelkarzinome Lymphknotenmetastasen oder Mikrometastasen vor, während Lymphknotenmetastasen oder Mikrometastasen beim auf die Mukosa begrenzten (pT1a-)Adenokarzinom praktisch nie und beim Submukosa(pT1b-)-Adenokarzinom bei weniger als 20% der Patienten nachweisbar sind (Natsugoe et al. 1998; Feith et al. 2000; Mueller 2000). Eine hypothetische Erklärung hierfür ist, dass es aufgrund der langjährigen Refluxkrankheit mit rezidivierenden Ösophagitiden bei Patienten mit Adenokarzinom zu einer Okklusion der submukösen Lymphabflusswege kommen könnte. Die Richtung der Lymphknotenmetastasierung erfolgt entsprechend der embryologischen Entwicklung des Ösopha-
gus bei Tumoren oberhalb der Trachealbifurkation überwiegend kranialwärts, bei Tumoren unterhalb der Trachealbifurkation überwiegend kaudalwärts (Liebermann-Meffert et al. 2001). Bei Tumoren auf Höhe der Trachealbifurkation erfolgt der Lymphabfluss bidirektional nach kranial und kaudal (. Abb. 38.4). Typisch für das Plattenepithelkarzinom des Ösophagus ist weiterhin eine longitudinale lymphogene Schleimhautmetastasierung und eine intramurale, submuköse Ausdehnung v. a. nach oral wie aboral (Liebermann-Meffert et al. 2001). Fernmetastasen treten entsprechend dem venösen Abfluss der Speiseröhre bei Tumoren des proximalen Ösophagus v. a. in der Lunge, bei Tumoren der unteren Ösophagushälfte und des ösophagogastralen Übergangs v. a. in der Leber auf. Erst in fortgeschrittenen Stadien werden Skelettmetastasen und Metastasen in anderen Organen beobachtet.
Neben der histopathologischen Klassifikation ist eine topographisch-anatomische Einteilung der Ösophaguskarzinome von wesentlicher therapeutischer Relevanz.
38
477 38.1 · Grundlagen
. Tab. 38.2. TNM/pTNM-Klassifikation der Ösophaguskarzinome (UICC 2009)
. Tab. 38.3. Stadieneinteilung der Karzinome des Ösophagus und des ösophagogastralen Übergangs (Nach UICC 2009)
T – Primärtumor
Stadium
Primärtumor
Regionäre Lymphknoten
Fernmetastasen
Stadium 0
Tis
N0
M0
Stadium IA
T1
N0
M0
Stadium IB
T2
N0
M0
Stadium IIA
T3
N0
M0
Stadium IIB
T1, T2
N1
M0
Stadium IIIA
T4
N0
M0
T3
N1
M0
T1, T2
N2
M0
Stadium IIIB
T3
N2
M0
Stadium IIIC
T4a
N1, N2
M0
T4b
Jedes N
M0
Jedes T
N3
M0
Jedes T
Jedes N
M1
TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
Tis
Carcinoma in situ
T1
Tumor infiltriert Lamina propria, Muscularis mucosae oder SubmukosT1a Tumor infiltriert Lamina propria oder Muscularis mucosaeT1b Tumor infiltriert Submukosa
T2
Tumor infiltriert Muscularis propria
T3
Tumor infiltriert Adventitia
T4
Tumor infiltriert Nachbarstrukturen T4a Tumor infiltriert Pleura, Perikard oder Zwerchfell T4b Tumor infiltriert andere Nachbarstrukturen wie Aorta, Wirbelkörper oder Trachea
N – regionäre Lymphknoten Unabhängig vom Sitz des Primärtumors sind die regionären Lymphknoten diejenigen, die in dem lymphatischen Abflussgebiet des Ösophagus lokalisiert sind, eingeschlossen die zoeliakalen Lymphknoten und paraösophagealen Lymphknoten des Halses, aber nicht die supraklavikulären Lymphknoten. N
Regionäre Lymphknoten
NX
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
N1
Metastasen in 1 bis 2 regionären Lymphknoten
N2
Metastasen in 3 bis 6 regionären Lymphknoten
N3
Metastasen in 7 oder mehr regionären Lymphknoten
M – Fernmetastasen MX
Fernmetastasen können nicht beurteilt werden
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
International akzeptiert ist für das Plattenepithelkarzinom die Einteilung anhand des Bezuges zum Tracheobronchialsystem (Siewert et al. 1992; Liebermann-Meffert et al. 2001). Es werden unterschieden (. Abb. 38.4): 4 Tumoren unterhalb der Trachealbifurkation (»infrabifurkale Karzinome«) 4 Karzinome oberhalb des Tracheobronchialsystem (»suprabifurkale Karzinome«) 4 Rein auf den zervikalen Ösophagus beschränkte Karzinome
Stadium IV
Besser ist noch eine Festlegung in Hinblick auf den Bezug des Primärtumors zum Tracheobronchialsystem, d. h. die Differenzierung von Tumoren »mit Bezug zum Tracheobronchialsystem« und »ohne Bezug zum Tracheobronchialsystem«.
Die beiden Klassifikationsmöglichkeiten sind nicht ganz deckungsgleich, weil auch ein unterhalb der Trachealbifurkation gelegener Tumor durchaus Bezug zum Tracheobronchialsystem haben kann. Der entscheidende Kontaktpunkt ist immer der linke Hauptbronchus. Aufgrund der Embryogenese besteht hier eine bindegewebige Brücke zwischen Ösophagus und linkem Hauptbronchus. Diese bindegewebige Brücke stellt eine Leitschiene für ein organübergreifendes Tumorwachstum dar. Deshalb erfolgt hier meist die erste Kontaktaufnahme des Tumors zum Tracheobronchialsystem (Liebermann-Meffert et al. 2001).
Beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus ist die Abgrenzung zu anderen Adenokarzinomen des ösophagogastralen Übergangs (AEG) wichtig.
Hierbei ist es in erster Linie erforderlich, das Barrett-Karzinom oder Adenokarzinom des distalen Ösophagus (AEG Typ 1) vom eigentlichen Kardiakarzinom (AEG Typ 2) und dem die Kardia infiltrierenden subkardialen Magenkarzinom
478
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
a
38
. Abb. 38.4a–c. a Schematische Darstellung des Lymphabflusses des Ösophagus. b,c Lymphknotenkompartments beim Ösophagus-
karzinom. Lokalisation des Primärtumors »infrabifurkal« (b) und »suprabifurkal« (c)
(AEG Typ 3) zu differenzieren (Siewert et al. 2000). Dies erfolgt am besten entsprechend der im 7 Kap. 39 angeführten Kriterien.
multivariaten Analysen bislang nicht als unabhängige Prognosefaktoren gesichert werden (Stein et al. 2001). In mehreren Studien zeigte sich jedoch ein unabhängiger prognostischer Effekt der postoperativen Komplikationsrate, der Anzahl der peri- und postoperativ erforderlichen Bluttransfusionen und der Erfahrung des Behandlungszentrums.
38.1.3 Prognostische Faktoren Eine komplette makroskopische und mikroskopische Tumorresektion (R0-Resektion) stellt sowohl beim Adenokarzinom als auch beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus den wesentlichen unabhängigen prognostischen Faktor dar (Stein et al. 2001; . Tab. 38.4). In der Subgruppe der Patienten mit R0Resektion sind der Lymphknotenstatus und die T-Kategorie unabhängige Prädiktoren für ein Langzeitüberleben (Roder et al. 1994). Auch der histologische Tumortyp ist multivariat ein unabhängiger Prognosefaktor. Tumorlokalisation, Tumorlänge, Ausmaß der Lymphadenektomie, Alter, Geschlecht, Ernährungszustand und tumorbiologische Faktoren konnten in
Die Behandlung von Patienten mit Ösophaguskarzinom sollte deshalb an spezialisierten Zentren mit hohem Patientenaufkommen erfolgen (Birkenmaier 2002).
479 38.1 · Grundlagen
. Abb. 38.4b, c
38
480
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Tab. 38.4. Unabhängige Prognosefaktoren nach Resektion eines Ösophaguskarzinoms. (Multivariate Analyse von 1285 resezierten Patienten)
B
SE
Wald
df
Signifikanz
Exp(B)
0,696
0,132
27,641
1
0,000
2,005
–0,269
0,147
3,324
1
0,068
0,764
Alter
0,011
0,045
4,374
1
0,036
1,011
Lymphknoten positiv
0,036
0,007
1
0,000
1,037
–0,011
0,004
7,741
1
0,005
0,989
N (Lymphknoten)
0,573
0,102
31,791
1
0,000
1,773
M (Fernmetastasen)
0,284
0,144
3,908
1
0,048
1,329
R (Residualtumor)
0,56
0,094
35,817
1
0,000
1,752
G (Grading)
0,071
0,078
0,824
1
0,364
1,073
T (Tumor)
0,309
0,06
26,39
1
0,000
1,863
Postoperative Komplikationen
0,569
0,101
34,747
1
0,000
1,814
Barrett-/Plattenepithel-Ca Geschlecht
Lymphknoten insgesamt
38.2
Klinische Symptomatologie
Ösophaguskarzinome bleiben in der Regel lange symptomlos und machen sich erst bei Obstruktion von mehr als zwei Dritteln des Ösophaguslumens durch eine Dysphagie bemerkbar. Schmerzen, Heiserkeit und Gewichtsverlust zeigen ebenfalls ein fortgeschrittenes Tumorstadium an. Die Häufigkeit verschiedener Symptome zum Diagnosezeitpunkt ist in . Tab. 38.5 dargestellt (Daly et al. 2000).
38
24,07
. Tab. 38.5. Häufigkeit verschiedener Symptome zum Diagnosezeitpunkt eines Ösophaguskarzinoms (n=3466). (Nach Daly et al. 2000; JACS 2000)
Symptom
Prävalenz (%)
Dysphagie
74
Gewichtsverlust
57,3
Sodbrennen
20,5
Odynophagie
16,6
Atemnot
12,1
Chronischer Husten
10,8
Heiserkeit
6,1
Hämatemesis
6,6
Zervikale Lymphknotenschwellung
5,5
Spezifische Frühsymptome eines Ösophaguskarzinoms existieren nicht. Die Diagnose früher Tumorstadien erfolgt deshalb in der Regel nur im Rahmen endoskopischer Überwachungsprogramme oder als Zufallsbefund.
Der Nutzen engmaschiger endoskopischer Überwachungsprogramme ist für Risikogruppen gesichert (Stein et al. 1996). In der westlichen Welt gehören hierzu v. a. Patienten mit bekanntem langstreckigem Barrett-Ösophagus. Im eigenen Patientengut führte die endoskopische Überwachung dieser Patienten in den letzten Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Prävalenz früher Tumorstadien beim Adenokarzinom des Ösophagus (. Abb. 38.5). Anhand epidemiologischer Daten
. Abb. 38.5. Zunahme der Prävalenz früher Tumorstadien beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus im einigen Patientengut
481 38.3 · Diagnostik und Staging
. Tab. 38.6. Diagnostisches Vorgehen bei Vorliegen eines Ösophaguskarzinoms
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Obligate Diagnostik Endoskopie und Biopsie
Tumorausbreitung und histologische Sicherung
Hochauflösende CT des Mediastinums; evtl. Röntgenbreischluck
Abklärung der Lagebeziehung zum Tracheobronchialsystem
CT Thorax und Abdomen
Ausschluss von Fernmetastasen
Zusätzliche Diagnostik in bestimmten Situationen Endoskopischer Ultraschall
Festlegung der T-Kategorie des Tumors
Tracheobronchoskopie und Biopsien des Tracheobronchialsystems
Bei enger Lagebeziehung von Ösophaguskarzinom und Tracheobronchialsystem: Ausschluss einer Infiltration des Tracheobronchialsystems
Diagnostische Laparoskopie
Beim lokal fortgeschrittenen Adenokarzinom des distalen Ösophagus: Ausschluss einer Lebermetastasierung oder Peritonealkarzinose
Stützlaryngoskopie
Bei Vorliegen eines Plattenepithelkarzinoms: Ausschluss eines Zweitkarzinoms der oberen Luftwege
PET/CT
Ausschluss von Fernmetastasen, Therapieansprechen (Response)
erscheint die endoskopische Überwachung auch sinnvoll für Patienten mit langjähriger Achalasie, langjährigen Verätzungsstrikturen und Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom im oberen aerodigestiven Trakt (Mund, Oropharynx, Hypopharynx, Larynx).
38.3
Diagnostik und Staging
Vorrangiges Ziel aller Diagnostik ist es, die R0-resektablen, d. h. tumorfrei zu resezierenden Patienten zu identifizieren und diese der chirurgischen Therapie zuzuführen (Siewert et al. 1997). Folgende diagnostische Informationen sind für eine individualisierte Therapieentscheidung notwendig (Stein et al. 2001; . Tab. 38.6).
38.3.1 Histologische Sicherung und topo-
graphisch-anatomische Lokalisation des Primärtumors Die erste Maßnahme in der Diagnostik eines Ösophaguskarzinoms ist die Endoskopie mit Biopsie. Durch endoskopische Färbemethoden (z. B. mit Lugol-Lösung oder Methylenblau) lassen sich makroskopisch nicht sichtbare Frühbefunde und eine häufig bestehende Multizentrizität nachweisen. Die Biopsie ist zur histologischen Sicherung und Differenzierung, Beurteilung des Gradings und Bestimmung eventueller molekularer Prognosefaktoren unerlässlich.
Entscheidendes Kriterium v. a. bei der Beurteilung der Resektabilität eines Plattenepithelkarzinoms des Ösophagus ist sein Bezug zum Tracheobronchialsystem.
Bei Kontakt des Primärtumors zum Tracheobronchialsystem oder Nachweis einer Fistel sind die Grenzen einer sinnvollen Resezierbarkeit erreicht (Siewert et al. 1992). Die Mitresektion von Teilen des Tracheobronchialsystems bis hin zur Pneumonektomie ist zwar technisch möglich, aber prognostisch belegt ineffektiv, sodass derartige Kombinationseingriffe heute keinen Platz in der Therapie des Ösophaguskarzinoms haben. Besonders problematisch sind Tumoren mit Lokalisation in Höhe der Trachea. Hier gibt es praktisch keine Gewebeschicht zwischen Ösophagus und Trachea (. Abb. 38.6a). Eine R0-Resektion ist deshalb nur bei frühen Tumorstadien (T1/ T2) möglich. Zur Abklärung der Lagebeziehung zwischen Ösophaguskarzinom und Tracheobronchialsystem ist eine hochauflösende Computertomographie (CT) des Mediastinums am meisten weiterführend (. Abb. 38.6b). Auch ein Röntgenbreischluck unter Darstellung des gesamten Thorax ermöglicht eine indirekte Zuordnung von Primärtumor und Trachealbifurkation, mit diesem Verfahren können auch zuverlässig bereits bestehende Fisteln ins Tracheobronchialsystem oder Mediastinum nachgewiesen werden. Unbefriedigend ist dagegen der endoskopische Ultraschall (EUS), da hiermit eine Darstellung des Tracheobronchialsystems derzeit nicht möglich ist.
Bei Nachweis einer engen Lagebeziehung zwischen Tracheobronchialsystem und Ösophaguskarzinom muss eine Infiltration mittels Tracheobronchoskopie und ausgiebigen Biopsien ausgeschlossen werden (Riedel et al. 2001).
38
482
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Abb. 38.6a,b. a Darstellung der engen Beziehung zwischen Pars membranacea der Trachea und dem Ösophagus im anatomischen Schnittpräparat (mit freundlicher Genehmigung von Frau Prof. D. Liebermann-Meffert). b Die hochauflösende CT zeigt eine deutliche Impression der Pars membranacea der Trachea durch ein lokal fortgeschrittenes suprabifurkales Plattenepithelkarzinom des Ösophagus
38.3.2 Ausschluss von Fernmetastasen
38
Beim Nachweis von Fernmetastasen ist eine chirurgische Resektion, auch unter palliativen Gesichtspunkten, nicht mehr sinnvoll. In der Praxis beschränken wir uns auf den Ausschluss von Leber- und Lungenmetastasen mittels CT. Der Positronenemissionstomographie (PET) kommt eine zunehmende Rolle beim Ausschluss von Fernmetastasen zu, um so mehr als die PET für die Responseevaluation im Rahmen einer neoadjuvanten Vorbehandlung zunehmend größere Bedeutung erlangt und hierzu eine Ausgangs-PET-Untersuchung ohnehin benötigt wird. Das Knochenszintigramm gehört nach unserer Erfahrung nicht zur Routinediagnostik. Eine Knochenmarksbiopsie zum Nachweis von isolierten Tumorzellen ist derzeit nur im Rahmen wissenschaftlicher Protokolle indiziert. Beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus erbringt eine diagnostische Laparoskopie, abgesehen vom eventuellen Nachweis einer Leberzirrhose, keinen onkologisch-diagnostischen Gewinn. Im Gegensatz dazu lässt sich beim lokal fortgeschrittenen Adenokarzinom des distalen Ösophagus mittels diagnostischer Laparoskopie bei bis zu 30% der Patienten eine bislang okkulte Lebermetastasierung oder Peritonealkarzinose nachweisen (. Tab. 38.7). Die diagnostische Laparosko-
pie gehört hier zum Standard v. a. bei geplantem multimodalem Vorgehen (Stein et al. 1997).
38.3.3 T/N-Kategorie des Primärtumors Nach Ausschluss von Fernmetastasen fällt die Therapieentscheidung beim Ösophaguskarzinom ausschließlich orientiert an der T-Kategorie. Die N-Kategorie ist nur unsicher evaluierbar und deshalb kein verlässliches Kriterium. Aussagen zur Dignität eines Lymphknotens sind mittels Bildgebung nur indirekt über seine Größe möglich. Der sicherste Weg, die T-Kategorie des Ösophaguskarzinoms zu evaluieren, ist der EUS. Der Vorhersagewert der TKategorie mittels EUS liegt in erfahrenen Händen bei deutlich über 80% (Dittler u. Siewert 1993). Kann die Tumorstenose mit dem Ultraschallendoskop nicht passiert werden, muss von einem lokal fortgeschrittenen Tumorstadium ausgegangen werden. Zusätzlich ergibt der EUS auch Informationen zur topographischen Anatomie des Tumors, d. h. zur Art und Richtung des extraösophagealen Wachstums und seiner Umgebungsbeziehung. Zudem kann von der T-Kategorie recht zuverlässig auf die N-Kategorie und R0-Resektabilität geschlossen werden (. Tab. 38.8 und . Tab. 38.9). Auch mit den
. Tab. 38.7. Informationsgewinn durch diagnostische Laparoskopie beim Plattenepithelkarzinom und Adenokarzinom des Ösophagus. (Nach Stein et al. 1997)
Lebermetastasen
Peritonealkarzinome
Tumorzellen in der Lavage
Leberzirrhose
Plattenepithelkarzinom des Ösophagus T1/T2-Tumor
0/19 (0%)
0/19 (0%)
0/19 (0%)
2/19 (10,5%)
T3/T4-Tumor
3/36 (8,3%)
0/36 (0%)
0/36 (0%)
5/36 (13,9%)
Adenokarzinom des distalen Ösophagus T1/T2-Tumor
1/9 (11,1%)
0/9 (0%)
0/9 (0%)
0/9 (0%)
T3/T4-Tumor
4/16 (25%)
3/16 (18,6%)
4/16 (25%)
0/16 (0%)
483 38.3 · Diagnostik und Staging
38.3.5 Responseprädiktoren und Response. Tab. 38.8. Rate an kompletten makroskopischen und mikroskopischen Tumorresektionen (R0-Resektion entsprechend der UICC/AJCC-Definition) beim Plattenepithel- und Adenokarzinom des Ösophagus in Abhängigkeit von der pT-Kategorie (Daten der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar, TU München 1982–2000)
Plattenepithelkarzinom des Ösophagus (%)
Adenokarzinom des distalen Ösophagus (%)
100
100
5 Submukosa (pT1b)
91
100
pT2
84
84
pT3
70
68
pT4
48
59
pT1 5 Mukosa (pT1a)
. Tab. 38.9. Prävalenz von Lymphknotenmetastasen beim Plattenepithel- und Adenokarzinom des Ösophagus in Abhängigkeit von der pT-Kategorie (Daten der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar, TU München)
Plattenepithelkarzinom des Ösophagus (%)
Adenokarzinom des distalen Ösophagus (%)
pT1 5 Mukosa (pT1a)
22
0
5 Submukosa (pT1b)
22
18
pT2
50
67
pT3
74
85
pT4
79
89
evaluation bei neoadjuvanten Therapiekonzepten Da nur Patienten mit einem objektiven Ansprechen auf eine neoadjuvante Radio-/Chemotherapie oder alleinige Chemotherapie von multimodalen Therapieprotokollen profitieren, ist eine Erfassung möglicher Responseprädiktoren sowie eine frühzeitige Responseevaluation sinvoll. Derzeit steht hier als wichtigster Prädiktor nur das Grading zur Verfügung. Ein G4Grading oder der Nachweis kleinzelliger Tumorkomponenten in der prätherapeutischen Biopsie gelten als günstige Hinweise für den Erfolg einer Chemotherapie. Thymidilat-Synthase und ERCC-1-Gen-Expressionslevel zeigten in ersten Untersuchungen ebenfalls vielversprechende Ergebnisse als Responseprädiktoren bei neoadjuvanter Polychemotherapie. Responseevaluation mittels klinischer oder konventionell bildgebender Verfahren ist derzeit nicht zuverlässig möglich. In neueren Studien konnte jedoch eine gute Korrelation zwischen dem Abfall der Glukoseaufnahme im Primärtumor in der FDG-PET-Untersuchung und dem Ansprechen auf eine Vorbehandlung aufgezeigt werden.
38.3.6 Risikoanalyse Nur die Analyse der für die Ösophaguschirurgie als wichtig erkannten Organfunktionen hilft weiter. In der Literatur angegebene Globalscores haben zur Abschätzung des operativen Risikos einer Ösophagektomie enttäuscht (Bartels et al.1997). Beim Plattenepithelkarzinom ist diese Risikoanalyse von ganz besonderer Bedeutung. Aufgrund der epidemiologischen Daten und der regelmäßig vorhandenen Alkoholanamnese steht beim Plattenepithelkarzinom die Analyse der Leberfunktion ganz im Vordergrund. Cave Da eine manifeste Leberzirrhose (Child B und C) eine Kontraindikation für eine Ösophagektomie darstellt, muss ihr Ausschluss mit allen Mitteln erfolgen: sowohl mit Funktionstests (Albumin, Gerinnungswerte, Aminopyrinatemtest etc.) als auch durch die morphologische Beurteilung (Ultraschall oder CT und, in Zweifelsfällen, die Leberbiopsie).
neuen hochauflösenden Spiral-CT ist eine verbesserte Aussage zur T-Kategorie möglich geworden.
38.3.4 Ausschluss eines synchronen Zweit-
karzinoms der oberen Luftwege Zweitkarzinome in den oberen Luftwegen finden sich bei bis zu 10% der Patienten mit Plattenepithelkarzinom des Ösophagus. Deshalb ist zu ihrem Ausschluss eine Tracheobronchoskopie sowie Stützlaryngoskopie erforderlich.
Eine Evaluation der pulmonalen Funktion ist für die beim Plattenepithelkarzinom stets notwendige Thorakotomie wichtig, aber nur selten limitierend, da postoperative Atemhilfen als Therapie zur Verfügung stehen. Die Abklärung der kardiovaskulären Funktion ist obligat, allerdings spielt die koronare Herzkrankheit beim Plattenepithelkarzinom anders als beim Adenokarzinom nur eine geringe Rolle. Wichtig ist auch die Erhebung des peripheren Gefäßstatus durch Doppler und Ultraschall, insbesondere im Bereich der Karotiden. In allen Zweifelsfällen mit arterieller Verschlusskrankheit muss auch die Durchblutungssituation im Bereich des Truncus coeliacus überprüft werden.
38
484
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Tab. 38.10. Risiko-Score-System. (Nach Bartels et al. 1998b)
Parameter
Präoperative Einschätzunga (Scorepunkte)
Wichtungsfaktor
Allgemeinzustand
1–2–3
4
4
12
Kardiale Funktion
1–2–3
3
3
9
Leberfunktion
1–2–3
2
2
6
Lungenfunktion
1–2–3
2
2
6
11
33
Composite Score (Summe) a
38
Maximum (Scorepunkte)
Präoperative Einschätzung: 1 normal, 2 leichte Einschränkung, 3 schwere Einschränkung.
Ein Hauptproblem der Risikoanalyse v. a. bei Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom ist die Erfassung und Objektivierung der Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit des Patienten (Bartels et al. 1997). Diese ist oft durch jahrelangen Alkoholkonsum deutlich reduziert. Darüber hinaus ist die Erfassung der akuten Alkoholabhängigkeit zum Zeitpunkt der Operation erforderlich, da ein postoperatives Entzugssyndrom die Letalität des Eingriffs um mindestens 50% erhöht. Derzeit ist eine objektive Evaluation dieser Funktionen außerordentlich schwierig. Insgesamt sollte ein Patient mit einem Plattenepithelkarzinom in die derzeit zur Verfügung stehenden relativ aggressiven Therapieprotokolle nur dann einbezogen werden, wenn seine Risikoanalyse eine ausreichende Belastbarkeit ausweist. In der eigenen Klinik werden die einzelnen Organfunktionen mittels eines Scoresystems gewichtet und zusammengefasst (. Tab. 38.10). Die Erfahrungen mit diesem Scoresystem zeigen, dass Patienten mit einem Gesamtscore von bis zu 21 Punkten mit einem vertretbaren Risiko ösophagektomiert werden können, bei einem Gesamt-Score über 21 Punkten steigt das Operationsrisiko deutlich. Circa 30% unserer Patienten werden, trotz eines bereits vorselektionierten Krankengutes, alleine aufgrund dieser Risikoanalyse von einer chirurgischen oder multimodalen Therapie ausgeschlossen (Bartels et al. 1998).
38.4
Minimum (Scorepunkte)
Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre
38.4.1 Pathogenese und Präkanzerosen Für die Ätiologie des Plattenepithelkarzinoms werden exogene Noxen verantwortlich gemacht. Als gesichert gilt ein dosisabhängiger Zusammenhang mit Alkoholkonsum, Rauchen sowie dem Verzehr von nitrosaminhaltigen Nahrungsmitteln. Als Präkanzerosen gelten Verätzungsstrikturen und die Achalasie. Bei bis zu 50% der Patienten mit einer autosomal-dominant vererbten Tylose entwickelt sich vor dem 50. Lebensjahr ein Plattenepithelkarzinom des Ösophagus
(Stein u. Siewert 1994). Bei bis zu 10% der Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom der oberen Luftwege wird synchron oder metachron ein Plattenepithelkarzinom des Ösophagus diagnostiziert (Stein et al. 1996).
38.4.2 Diagnostik Das diagnostische Vorgehen bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom ist in . Abb. 38.7 zusammengefasst.
38.4.3 Therapieziele und Indikationsstellung Eine komplette Tumorresektion mit ausreichendem Sicherheitsabstand (R0-Resektion) ohne Gefährdung des Patienten durch den operativen Eingriff ist das Hauptziel jedes chirurgischen Therapieansatzes. Alle Informationen, die im Rahmen des Tumorstagings (insbesondere in Hinblick auf die R0-Resezierbarkeit) und der Risikoanalyse gewonnen werden, müssen gemeinsam bewertet werden. Für das Plattenepithelkarzinom des Ösophagus ergeben sich folgende Therapieentscheidungen (Siewert et al. 1992; . Tab. 38.11, . Abb. 38.7): 4 Ist der Tumor mit hoher Wahrscheinlichkeit R0-resezierbar (T1/T2 oberhalb der Trachealbifurkation, T1/T2/T3 unterhalb der Trachealbifurkation) und erscheint eine Resektion anhand des Risikoscores vertretbar, ergibt sich eine Indikation für eine primäre Ösophagektomie. 4 Erscheint der Tumor nicht R0-resezierbar (v. a. bei Bezug des Tumors zum Tracheobronchialsystem), ist der Patient aber sonst belastbar und weist keine Fernmetastasen auf, wird er in ein neoadjuvantes Therapieprotokoll aufgenommen. Spricht der Tumor auf die Vorbehandlung an (Evaluation mittels PET) erfolgt eine »Second-line-Resektion« (7 Kap. 38.3). 4 Alle Patienten mit ungünstiger Risikoanalyse oder fortgeschrittenem Tumorstadium – insbesondere beim Nachweis von Fernmetastasen – werden in nichtchirurgische
485 38.4 · Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre
. Abb. 38.7. Algorithmus zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus
Therapieprotokolle eingeschlossen. Dazu gehören auch Patienten mit existenter oder beginnender Fistelbildung zum Tracheobronchialsystem.
38.4.4 Chirurgische Strategie
und Verfahrenswahl Eine Standardisierung der chirurgischen Therapie ist sehr empfehlenswert. Training und Erfahrung können in aller Regel auch in größeren Zentren mit nur 3–4 Operationsverfahren, insbesondere auch hinsichtlich der Erkennung und Therapie von postoperativen Komplikationsmöglichkeiten, gesammelt werden. Die Standardisierung und die Konzentration auf wenige Eingriffe ist ein wesentlicher Beitrag zur Sicherheit in der Ösophaguschirurgie. Andererseits machen es unvorhergesehene Situationen (z. B. geplantes Rekonstruktionsorgan steht nicht wie erwartet zur Verfügung; es stellen sich vorher nicht diagnostizierte Tumorkomplikation dar) notwendig, dass der Operateur das ganze Spektrum der Ösopha-
guschirurgie einschließlich der verschiedenen Rekonstruktionsmöglichkeiten im Notfall beherrscht. Empfehlungen für die wichtigsten klinischen Situationen sind in . Tab. 38.12 zusammengefasst. Stellenwert und optimales Ausmaß der Lymphadenektomie werden in der Literatur sowohl beim Adenokarzinom als auch beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus nach wie vor kontrovers diskutiert, da ein überzeugender Nachweis einer Prognoseverbesserung durch ausgedehnte Lymphadenektomie in randomisierten Studien bislang nicht belegt ist (Siewert 1999; Nishihira et al. 1998; Stein et al. 2003; Hulscher et al. 2002). Der indirekte Vergleich von Ergebnissen verschiedener Zentren mit unterschiedlicher Strategie bezüglich der Lymphadenektomie weist aber darauf hin, dass, wie beim Magenkarzinom, bei Patienten mit gerade beginnender Lymphknotenmetastasierung ein Prognosegewinn erreichbar sein könnte (Prinzip der sog. D2-Lymphadenektomie). Die regionale D2-Lymphadenektomie stellt deshalb im eigenen Vorgehen einen unverzichtbaren Bestandteil der chirurgischen Therapie des Ösophaguskarzinoms dar. Das Ausmaß der Lymph-
. Tab. 38.11. Selektion des Therapieprinzips basierend auf prätherapeutischer Einschätzung der Resektabilität des Tumors und funktioneller Operabilität
R0-Resektion möglich (lokoregionaler Tumor)
R0-Resektabilität fraglich (lokal fortgeschrittener Tumor)
Tracheobronchiale Fistel, Fernmetastasen
Guter Allgemeinzustand
Primäre Resektion
Multimodale Therapie
Palliation
Eingeschränkter Allgemeinzustand
Primäre Resektion
Multimodale Therapie oder oder definitive Radio-/Chemotherapie
Palliation
Schlechter Allgemeinzustand
Definitive Radio-/Chemotherapie, ggf. lokale Maßnahmen
Definitive Radio-/Chemotherapie, ggf. lokale Maßnahmen
Palliation
38
486
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Tab. 38.12. Plattenepithelkarzinom des Ösophagus: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Klinische Situation
Empfohlenes Vorgehen
Patienten ohne neoadjuvante Vorbehandlung oder mit neoadjuvanter Chemotherapie
Subtotale Ösophagektomie mit Mediastinektomie und Lymphadenektomie (einzeitig)
Patienten mit vorangehender Radio- oder Radiochemotherapie
Zweizeitiges Vorgehen (»Sicherheitschirurgie«)
Zervikales Ösophaguskarzinom
Segmentale Resektion des zervikalen Ösophagus nach Vorbehandlung mit kombinierter Radio-/Chemotherapie, Jejunuminterposition
adenektomie richtet sich dabei nach dem histologischen Tumortyp, der Tumorlokalisation und dem Tumorstadium (Fujita et al. 1995; Siewert u. Stein 1999).
Beim Plattenepithelkarzinom ist in Anbetracht der häufigen longitudinalen submukösen Lymphangiosis carcinomatosa immer die subtotale Ösophagektomie indiziert.
38
Die subtotale Ösophagektomie und Rekonstruktion kann am besten von rechts-thorakal und abdominal ausgeführt werden. Für einen übersichtlichen Operationssitus während des thorakalen Aktes ist die einseitige Lungenventilation notwendige Voraussetzung. Auch für die übersichtliche Ausführung der mediastinalen Lymphadenektomie ist die transthorakale Ösophagektomie von rechts die beste Therapieoption. Die Ösophagektomie selbst sollte immer en bloc, d. h. im Zusammenhang mit einer Mediastinektomie (Entfernung des umgebenden Fett- und Lymphgewebes einschließlich der Pleura mediastinalis und fakultativ der V. azygos und des Ductus thoracicus) durchgeführt werden (Fumagalli et al. 1996). Die Lymphadenektomie ist integraler Bestandteil der En-blocÖsophagektomie und beinhaltet: 4 Periösophageale Lymphknoten oberhalb des Zwerchfells und entlang der V. cava inferior bis hin zu ihrem Eintritt in das Perikard 4 Lymphknoten im Bereich der Trachealbifurkation 4 Lymphknoten entlang des linken N. recurrens und paratracheal 4 Abdominelle suprapankreatische Lymphabflusskompartment um den Truncus coeliacus Dies entspricht einer D2-Lymhadenektomie entsprechend der japanischen Klassifikation (Fujita et al. 1994; . Abb. 38.4a,b). Eine weiter ausgedehnte Lymphadenektomie (sog. Drei-FeldLymphadenektomie) erhöht deutlich die Morbidität des Eingriffs, ohne dass ihre Effektivität im Hinblick auf eine Prognoseverbesserung gesichert ist (Siewert u. Stein 1999; Baba et al. 1994; Fujita et al. 1995). In Anbetracht der frühen Lymphknotenmetastasierung ist die klassische En-bloc-Ösophagektomie mit mediastinaler und abdomineller Lymphadenektomie auch bei frühen Plattenepithelkarzinomen indiziert (Hölscher et al. 1996). Nur bei
dieser Operationsausdehnung kann Heilung erhofft werden. Aus unserer Sicht gibt es beim Plattenepithelkarzinom keinen Platz für limitierte Eingriffe in frühen Tumorstadien. Limitierte Eingriffe, wie sie in Japan propagiert werden, sind nur indiziert bei schweren Dysplasien oder bei reinen Mukosakarzinomen (Carcinoma in situ, pT1a). In der westlichen Hemisphäre kommen derartige Befunde beim Plattenepithelkarzinom praktisch nicht zur Beobachtung. Nicht zuletzt aus diesem Grund bestehen in der westlichen Hemisphäre auch keine Erfahrungen mit derart limitierten Eingriffen. Frühe Plattenepithelkarzinome in der westlichen Hemisphäre sind in der Regel bereits Submukosakarzinome (pT1b) mit einer hohen Rate an Lymphknotenmetastasen. Die Rekonstruktion nach transthorakaler En-bloc-Ösophagektomie erfolgt in der Regel durch Hochzug eines Magenschlauches mit zervikaler Ösophagogastrostomie (Siewert et al. 1995). Eine wichtige Entscheidung betrifft die Interponatslage. Hier kann zwischen dem ehemaligen Ösophagusbett im hinteren Mediastinum und dem substernalen Weg gewählt werden. Bei kleinen Tumoren (T1/2), d. h. sicherer R0-Resektion, ist die Rekonstruktion im hinteren Mediastinum (ehemaliges Ösophagusbett) empfehlenswert. Die Interponatslage im hinteren Mediastinum führt zu einer besseren Schluckfunktion. Bei Tumoren, welche die Ösophaguswand überschreiten (T3/4), und im Rahmen neoadjuvanter Therapieprotokolle, d. h. bei Tumoren mit Bezug zum Tracheobronchialsystem oder bei Tumoren, bei denen ggf. eine postoperative Nachbestrahlung notwendig werden könnte, führen wir die Rekonstruktion im vorderen Mediastinum, d. h. retrosternal aus. Ein weiterer Vorteil der retrosternalen Rekonstruktion ist, dass bei notwendig werdender operativer Revision der zervikalen Anastomose diese leichter zugänglich ist. Hinsichtlich der Ösophagogastrostomie ist die zervikale Anastomose bei retrosternaler Interponatlage obligat. Bei Interponatlage im hinteren Mediastinum kann zwischen eine zervikale und eine hoch-intrathorakale Anastomose gewählt werden. Grundsätzliche Vorteile der hoch-intrathorakalen Anastomose sind: 4 Bessere Durchblutung 4 Geringere Insuffizienzrate 4 Bessere Protektion des Nervus recurrens 4 Bessere Schluckfunktion 4 Bei Insuffizienz leichtere Abdeckung der Anastomose durch endoskopische Stentplatzierung
487 38.4 · Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre
International wird heute weitgehend die intrathorakale Anastomose bevorzug. Onkologische Unterschiede hinsichtlich des zervikalen Ösopahgusstumpfes sind nicht belegt. Immer muss die hohe intrathorakale Anastomose gewählt werden, wenn im Halsbereich bereits Voroperationen mit unübersichtlicher Narbenbildung bestehen.
. Tab. 38.13. Vergleich der Morbidität und Letalität der Ösophagektomie nach neoadjuvanter kombinierter Radio-/Chemotherapie: einzeitige Rekonstruktion der Speisepassage vs. zweizeitiges Vorgehen (Patientengut der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der TU München, 1982– 2000)
Chirurgische Strategie nach neoadjuvanter Therapie beim Plattenepithelkarzinom
Rekonstruktion
Morbidität (%)
Postoperative Mortalität (%)
Die eigene Erfahrung zeigt, dass sich operationstechnisch nach vorangegangener Bestrahlung, kombinierter Radio-/ Chemotherapie oder Chemotherapie keine besonderen Gesichtspunkte ergeben. Von Bedeutung ist allerdings, dass es auch intraoperativ nur sehr schwer möglich ist, zwischen Narbe und Residualtumor zu unterscheiden. Immer besteht eine gewisse Fibrosierung im Bereich des Strahlenfelds, d. h. des Mediastinums. Das Resektionsausmaß nach neoadjuvanter Therapie ist identisch mit dem bei nicht vorbehandelten Patienten, d. h. Kompromisse hinsichtlich der Radikalität erscheinen auch nach neoadjuvanter Behandlung nicht angezeigt. Bezüglich der postoperativen Verläufe ist deutlich zwischen Patienten zu unterscheiden, die eine kombinierte Bestrahlung oder Radio-/Chemotherapie erhalten und solchen, die eine alleinige Chemotherapie erhalten haben (Heidecke et al. 2002). Patienten mit Chemotherapie – unabhängig vom jeweils gewählten Therapieprotokoll – bereiten in unserer Erfahrung sowohl intraoperativ wie postoperativ keinerlei Probleme, die von den üblichen Verläufen bei nicht vorbehandelten Patienten abweichen würden.
Einzeitig (n=66)
51,5
13,6
Zweizeitig (n=61)
31,1
3,3
Die Gefährdung eines Patienten nach Chemotherapie ist identisch mit der eines Patienten ohne Vorbehandlung.
Ganz anders stellt sich die Situation allerdings bei Patienten mit präoperativer Bestrahlung oder kombinierter Radio-/ Chemotherapie dar. Diese Patienten erfahren zwar postoperativ nicht prinzipiell andere Komplikationen; die Verläufe sind allerdings außerordentlich schlecht. In der eigenen Erfahrung – zunehmend gestützt durch mehr und mehr Literaturdaten – ist die Gefährdung dieser Patienten deutlich höher. Durch eigene Untersuchungen konnte inzwischen bewiesen werden, dass Patienten mit einer Radio-/Chemotherapie in der Tat eine erheblich stärkere Immunsuppression erfahren als Patienten nach Chemotherapie. Diese immunologischen Befunde erklären die schlechten Verläufe bei septischen Komplikationen (Heidecke et al. 2002). Die größte Gefährdung entsteht durch eine Anastomoseninsuffizienz mit konsekutiver Ausbildung einer lokoregionalen Infektion oder gar einer Mediastinitis, diese Patienten haben eine extrem hohe Letalität. Aus diesem Grunde sind wir dazu übergegangen, bei vorbestrahlten Patienten eine sog. Sicherheitschirurgie auszuführen. Diese Strategie wird von uns auch z. B. bei vorbestrahlten Rektumkarzinomen verfolgt. Leider ist – anders als beim Rektumkarzinom – eine Ausschaltung einer zervikalen oder intrathorakalen Anastomose nicht möglich. Seit einigen Jahren verfolgen wir daher nach voran-
gegangener Bestrahlung oder Radio-/Chemotherapie folgendes Sicherheitskonzept (Stein 2002): 4 Patienten werden frühestens 3–4 Wochen nach abgeschlossener Radio-/Chemotherapie operiert. 4 Die Operation erfolgt zweizeitig. Bei der ersten Operation erfolgt die rechts-thorakale Ösophagektomie mit mediastinaler Lymphadenektomie. Vor der Operation wird eine endoskopische PEG angelegt. 4 Die Rekonstruktion wird frühestens nach einer Woche durchgeführt. Innerhalb dieser ersten Woche kann davon ausgegangen werden, dass das hintere Mediastinum ausreichend verklebt ist. Auch bei Auftreten einer Anastomoseninsuffizienz ist die Entwicklung einer Mediastinitis dann nicht mehr zu befürchten. Die Rekonstruktion erfolgt durch Laparotomie und Zervikotomie. Die abdominelle Lymphadenektomie wird zu diesem Zeitpunkt nachgeholt. Die Intestinalpassage wird durch Interposition eines schmalen Magenschlauchs ausgeführt. Der Magenschlauch wird retrosternal zum Hals empor geführt. 4 Die zervikale Anastomose wird mit Standardtechnik angelegt. In all den Fällen, in denen die Anastomose nicht komplikationslos anzulegen ist, erfolgt die primäre Einlage einer T-Drainage zur Schaffung einer externen Speichelfistel. Dieses zweizeitige Vorgehen im Sinne einer Sicherheitschirurgie hat dazu geführt, dass die Letalität nach neoadjuvanter Radio-/Chemotherapie deutlich zurückgegangen ist, von 13,6% auf unter 4% (. Tab. 38.13). Die Patienten akzeptieren dieses Protokoll ohne Probleme, da sie ohnehin durch die Vorbehandlung an eine längere Therapiephase gewöhnt sind.
Chirurgische Strategie beim zervikalen Ösophaguskarzinom Definitionsgemäß handelt sich beim zervikalen Ösophaguskarzinom um ein Karzinom im Bereich des anatomischen zervikalen Ösophagus. Aus chirurgischer Sicht ist die Voraussetzung für diese Definition, dass der Tumor alleine vom Hals aus ggf. mit oberer Sternotomie, komplett resektabel sein muss.
Diese zervikalen Ösophaguskarzinome sind in unserer Erfahrung ein besonders gutes Beispiel für die Effektivität der multimodalen Therapie.
38
488
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
tionsorgan zur Verfügung stehen muss. Darüber hinaus kann die Spülung des Kolons für die Endoskopie bereits als Operationsvorbereitung genutzt werden. Der Wert der selektiven Darmsterilisation ist umstritten, sie wird aber in der eigenen Klinik grundsätzlich durchgeführt. Ebenso erforderlich ist die komplette endoskopische Untersuchung des Magens und Duodenums, insbesondere zum Ausschluss peptischer Ulzera. Besteht eine tumorbedingte Stase im Ösophagus, muss der Ösophagus präoperativ ausgiebig gespült werden und ein nicht resorbierbares Antibiotikum und Antimykotikum installiert werden. Immer beginnen präoperativ die parenterale Flüssigkeitssubstitution und der Ausgleich aller pathologischen Elektrolytwerte. Ebenso zur Routine gehört die perioperative Antibiotika- und Thromboembolieprophylaxe.
Abdomino-rechts-thorakale En-blocÖsophagektomie
. Abb. 38.8. Limitierte segmentale Resektion des zervikalen Ösophagus beim zervikalen Ösophaguskarzinom (in der Regel nach kombinierter neoadjuvanter Radio-/Chemotherapie), Rekonstruktion durch Interposition eines freien Dünndarmsegments mit mikrovaskulärem Gefäßanschluss
38
Bei diesem Tumortyp ist bei multimodaler Therapie sogar die Möglichkeit einer limitierten Chirurgie gegeben, welche unter Vermeidung von resektiven Eingriffen am Kehlkopf zu einer guten Lebensqualität des Patienten führt (larynxerhaltende »zervikale Ösophagektomie«). Alle Patienten mit T2-, T3- oder T4-zervikalem Ösophaguskarzinom werden deshalb mittels kombinierter Radio-/ Chemotherapie vorbehandelt. Nach Abschluss der Vorbehandlung erfolgt eine segmentale Resektion des zervikalen Ösophagus über einen zervikalen Zugang, ggf. kombiniert mit partieller proximaler Sternotomie. Die Rekonstruktion der Speisepassage erfolgt durch freie Dünndarminterposition (. Abb. 38.8). Die Schluckfunktion und Lebensqualität nach Jejunuminterposition sind ausgezeichnet. Ein dem interponierten Dünndarmsegment zugehöriger »Monitor« wird dabei nach außen vorgelagert und erlaubt so die permanente Kontrolle der Durchblutungssituation des Interponates.
38.4.5 Operationstechnik
Vorbereitung für die chirurgische Therapie Zur Operationsvorbereitung gehört immer die endoskopische Diagnostik des Kolons einschließlich der Entfernung evtl. vorhandener Polypen, da das Kolon als Ersatzrekonstruk-
In Linkseitenlage erfolgt zunächst bei seitengetrennter Intubation eine posterolaterale Thorakotomie im 4. bis 6. Interkostalraum, je nach Höhe der Tumorlokalisation. Die rechtsseitige Pleura mediastinalis wird bei der Enbloc-Ösophagektomie mitreseziert. Zu diesem Zweck wird sie lateral oder medial der V. azygos und im Bereich des Herzbeutels bzw. des rechten Hauptbronchus inzidiert. Die En-bloc-Ösophagektomie umfasst neben der Speiseröhre die Resektion des Ductus thoracicus, des gesamten mediastinalen Fettgewebes mit Lymphabflussgebieten und, fakultativ, die V. azygos (. Abb. 38.9). Das mediastinale Fettgewebe wird im unteren hinteren Mediastinum von der Aortenadventitia abgehoben. Die Präparation erfolgt außerhalb und hinter dem Ductus thoracicus, der oberhalb des Hiatus oesophageus geklemmt und sicher umstochen werden muss. Nachdem die Aortenadventitia von lateral erreicht ist, erfolgt die weitere Präparation von medial her. Zu diesem Zweck wird direkt auf dem Herzbeutel präpariert. Es empfiehlt sich, in dieser Schicht im untersten Drittel der Speiseröhre bis auf die Aorta vorzupräparieren und dann das gesamte mediastinale Gewebe vor der Aorta stumpf zu umfahren und anzuschlingen. Um die Präparation übersichtlich auf der Aortenadventitia durchführen zu können, sollte die Speiseröhre unmittelbar epidiaphragmal mit einem Klammernahtapparat durchtrennt werden. Die Speiseröhre kann dann mit dem mediastinalen Gewebe angehoben werden und die Präparation direkt auf der Aortenadventitia erfolgen. Auf diese Weise können die direkten Äste der Aorta in Höhe der Trachealbifurkation übersichtlich dargestellt und versorgt werden. In der Trachealbifurkation findet sich meist ein größeres Lymphknotenpaket, welches en bloc mit dem Ösophaguspräparat aus der Trachealbifurkation herauspräpariert wird. Die Präparation setzt sich dann auf dem linken Stammbronchus fort. Häufig hat der Tumor hier Kontakt zum linken Stammbronchus aufgenommen. Die Kurabilität der Resektion entscheidet sich dann in diesem Bereich.
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489 38.4 · Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre
Die weitere Präparation erfolgt entlang der Trachealhinterwand nach zervikal. Auch von lateral muss die Speiseröhre in diesem Bereich scharf freipräpariert werden. Es erfolgt die Darstellung des linken N. recurrens an der abgewandten Seite der Trachea mit Entfernung von Lymphknoten entlang des Nerven. Im oberen Mediastinum kann die Resektion der Speiseröhre nicht mit gleicher Radikalität wie im unteren Mediastinum erfolgen, sodass hier das Mediastinum palpatorisch auf die Existenz weiterer Lymphknoten hin überprüft werden muss. Etwaige tastbare Lymphknoten werden zusätzlich entfernt. Die Durchtrennung des Ösophagus erfolgt etwa 1–2 Querfinger unter der Pleurakuppe, um einen ausreichend langen zervikalen Ösophagusstumpf für die Anastomose zu belassen. Natürlich wird die Länge des Ösophagusrestes vom Tumorsitz bestimmt. Abschließend findet sich im hinteren Mediastinum eine an der vorderen und medialen Seite vollständig freipräparierte Aorta, die Pleura mediastinalis links, die rechte laterale Perikardwand und eine vollständige freipräparierte Trachea mitsamt Bifurkation (. Abb. 38.9). Nach Einlage einer dicken Pleuradrainage in den Bereich der Pleurakuppel und Verschluss der Thorakotomie erfolgt die Umlagerung des Patienten in Rückenlage und Umintubation (Aufgabe der einseitigen Ventilation). Die Laparotomie sollte einen großzügigeren Zugang zum Oberbauch gewährleisten. Wir bevorzugen einen Oberbauchquerschnitt mit Verlängerung in der Medianen bis zum Xiphoid in Form eines umgekehrten T. Zur Vorbereitung des Magens für die Rekonstruktion der Speisepassage erfolgt die Skelettierung der großen Kurvatur außerhalb der gastroepiploischen Gefäße.
Cave Besondere Aufmerksamkeit ist dem Abgang der V. gastroepiploica dextra aus der V. mesenterica superior zu widmen, weil eine Läsion in diesem Bereich die Mageninterposition definitiv verhindert.
Wichtig ist es auch, die anatomischen Varianten des Verlaufs der gastroepiploischen Gefäße genau zu kontrollieren, um eine möglichst optimale Durchblutung über diese Gefäße auch des Magenfundus für die Magenschlauchbildung zu erhalten. In Anbetracht der Sorgfalt, die die Skelettierung der großen Kurvatur erfordert, empfiehlt es sich, das gesamte große Netz vom Kolon abzulösen und mit dem Magen zusammen vor die Bauchhöhle zu verlagern. Auf diese Weise kann man, mit oder ohne Diaphanoskopie, eine sichere Präparation und damit Schonung der gastroepiploischen Gefäße erreichen. An der kleinen Kurvatur erhalten wir die A. gastrica dextra; die A. gastrica sinistra wird stammnahe ligiert. Dies erfolgt im Rahmen der zöliakalen Lymphadenektomie.
. Abb. 38.9. Resektionsausmaß bei der transthorakalen En-blocÖsophagektomie
Nach Präparation des Netzes vom Kolon und Hochschlagen des Magens ist die Bursa omentalis weit offen. Die Lymphadenektomie erfolgt suprapankreatisch und um den Truncus coeliacus herum. Sie beginnt medial des Abgangs der A. gastrica dextra mit Freipräparation der A. hepatica communis. Nach der stammnahen Ligatur der A. gastrica sinistra wird auch die A. lienalis bis in den Milzhilus hinein freipräpariert. Der Magen ist dann mobil, da der Ösophagus ja bereits von thorakal her abgesetzt ist. Er kann jetzt insgesamt aus dem Bauchraum hervorgezogen werden. Dies erleichtert die Magenschlauchbildung.
Unsere Erfahrung spricht eindeutig für die Rekonstruktion mit einem schlanken Magenschlauch. Nur ein schlanker Magenschlauch hat eine sichere Durchblutung über die gastroepiploischen Gefäße. Darüber hinaus ist ein schlanker Magenschlauch von besonders guter Transportfunktion und erreicht praktisch immer eine ausreichende Länge, um die Anastomose sowohl hoch intrathorakal als auch am Hals ausführen zu können. Er entspricht zudem dem zur Verfügung stehendem retrosternalem Raum (keine Kompression).
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Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Abb. 38.10a,b. Magenschlauchbildung
38
. Abb. 38.11a,b. Zervikale Ösophagogastrostomie End-zu-End, einreihige Nahttechnik
Im Bereich der kleinen Kurvatur des Magens beginnt die Lymphadenektomie in Höhe des »Krähenfußes« (in Zeiten der Vagotomie gut bekannter Eintrittspunkt des N. Latarjet und damit der Antrumgrenze). Von hier aus wird die Skelettierung der kleinen Kurvatur nach oral schrittweise ausgeführt. Der Magen wird dabei am obersten Punkt (meist deutlich links der Kardia im Bereich des Magenfundus) gefasst und in die Länge gezogen. Nach Präparation von etwa 5 cm oberhalb des Krä-
henfußes erfolgt dann die Bildung eines schlanken Magenschlauchs mit dem Stapler (. Abb. 38.10). Das so gewonnene Präparat enthält die orale kleine Kurvatur oberhalb des Krähenfußes inklusive Magenfundus und die zöliakalen Lymphknoten (entsprechend dem Kompartment 2 beim Magenkarzinom) in einem Stück (»en bloc«). Als Standardvorgehen wählen wir die zervikale Anastomose. Dafür wird der zervikale Ösophagusstumpf von
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491 38.5 · Adenokarzinom der Speiseröhre (»Barrett-Karzinom«)
links-zervikal her freigelegt (Cave: Läsion des linken N. recurrens!). Wir führen immer eine End-zu-End-Anastomose mit einreihiger allsichtiger Nahttechnik durch (. Abb. 38.11). Speichelfisteln entwickeln sich zwar häufig, sind aber, solange sie sich nach außen drainieren, ohne klinische Relevanz. Probleme entstehen nur bei mediastinaler Drainage der Insuffizienz, d. h. Insuffizienzen im Bereich der Hinterwand ohne äußere Drainage. In allen Zweifelsfällen sollte so rasch wie möglich ein T-Drain zur Drainage des Speichels nach außen in die zervikale Anastomose eingelegt werden. Der Magenschlauch wird entsprechend der gewünschten Lage retrosternal (immer bei zweizeitigem Vorgehen) oder im hinteren Mediastinum zum Hals hochgezogen. Für diesen Durchzugsvorgang wird er durch eine Plastiktüte geschützt.
Unter den oben geschilderten Voraussetzungen kann auch beim Plattenepithelkarzinom eine hoch-intrathorakale Anastomosierung erfolgen. Die Operationstechnik ist unter 7 Kap. 38.5 beschrieben.
38.5
Adenokarzinom der Speiseröhre (»Barrett-Karzinom«)
38.5.1 Pathogenese und Präkanzerosen Adenokarzinome im Bereich der Speiseröhre können sich aus persistierenden Zylinderepithelinseln (embryonal ist der Ösophagus zuerst mit Zylinderepithel, erst später mit Plattenepithel ausgekleidet), aber auch aus dem Epithel von Schleimdrüsen entwickeln. Mit Abstand am häufigsten jedoch entstehen sie auf dem Boden einer spezialisierten intestinalen Metaplasie im distalen Ösophagus. Diese Veränderung wird in der Literatur als Endobrachyösophagus oder Barrett-Ösophagus (nach dem britischen Chirurgen Norman Barrett) bezeichnet (Spechler u. Goyal 1996; Stein u. Siewert 1993). Cave Bei Patienten mit bekanntem Barrett-Ösophagus besteht im Vergleich zur Normalbevölkerung ein ca. 100-mal höheres Risiko für die Entwicklung eines Adenokarzinoms des Ösophagus (Spechler u. Goyal 1996; Stein u. Siewert 1993).
Eine intestinale Metaplasie lässt sich bei mehr als 80% der Patienten mit Adenokarzinom im Ösophagus nachweisen, der Tumor wird deshalb auch häufig als Barrett-Karzinom bezeichnet. Der Barrett-Ösophagus selbst ist Folge eines langjährigen Refluxes von Säure und Duodenalinhalt in den distalen Ösophagus. In eigenen Untersuchungen konnte bei 85% der Patienten mit Barrett-Ösophagus oder frühem Barrett-Karzinom ein vermehrter Reflux von Säure und Galle in den distalen Ösophagus nachgewiesen werden (Stein et al. 1998).
Anhand epidemiologischer Untersuchungen besteht für Patienten mit rezidivierenden Refluxbeschwerden ein 7,7fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Adenokarzinoms im distalen Ösophagus. Bei lang dauernder schwerer Refluxkrankheit ist das Risiko für die Entwicklung eines Adenokarzinoms im distalen Ösophagus sogar 43,5-fach erhöht (Lagergren et al. 1999b). Damit besteht ein direkter und vermutlich kausaler Zusammenhang zwischen der häufigsten gutartigen Erkrankung des oberen Gastrointestinaltrakts, der gastroösophagealen Refluxkrankheit, und dem Adenokarzinom im distalen Ösophagus (Stein et al. 2000a). Rauchen und Übergewicht, aber nicht Alkoholabusus, stellen weitere Risikofaktoren für ein Adenokarzinoms des Ösophagus dar (Lagergren et al. 1999a, Gammon et al. 1997). Im Gegensatz zum Magenkarzinom, scheint eine Helicobacter-pylori-Infektion einen gewissen Schutz vor der Entstehung eines Barrett-Karzinoms zu bieten (Chow et al. 1998). Der Mechanismus dieses protektiven Effekts ist bislang unklar. Gemeinsam mit der zunehmenden Häufigkeit des Adenokarzinoms im distalen Ösophagus gibt ihm der Zusammenhang mit der Refluxkrankheit eine besonders hohe klinische Relevanz. Der Übergang von der refluxinduzierten intestinalen Metaplasie des Ösophagus zum invasiven Karzinom gilt heute als besonders wichtiges Beispiel der Onkogenese, da aufgrund der leichten Zugänglichkeit des distalen Ösophagus endoskopische und bioptische Verlaufsuntersuchungen möglich werden. Derartige tumorbiologische Untersuchungen zeigen, dass die maligne Transformation beim Adenokarzinom des Ösophagus schrittweise über verschiedene Stufen von der intestinalen Metaplasie über eine geringgradige Dysplasie zur hochgradigen Dysplasie hin zum invasiven Karzinom verläuft (Werner et al. 1999; . Abb. 38.12). Im Verlauf dieser Metaplasie-Dysplasie-Karzinom-Sequenz konnten folgende Beobachtungen aufgezeigt werden: 4 Zunehmende genomische Instabilität mit Abnormalitäten im Zellzyklus 4 Auftreten von aneuploiden Zellfraktionen 4 Mutationen in einer Reihe von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen 4 Verminderte Expression von Zelladhäsionsmolekülen Die klinische Bedeutung dieser Einzelbeobachtungen ist jedoch derzeit noch unklar. Entscheidend beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus (Barrett-Karzinom oder AEG Typ 1) ist die topographisch-anatomische Differenzierung vom eigentlichen Kardiakarzinom (AEG Typ 2) und dem die Kardia infiltrierenden subkardialen Magenkarzinom (AEG Typ 3; Siewert et al. 2000; 7 Kap. 39). Am sichersten ist die Diagnose des Barrett-Karzinoms, wenn es gelingt, endoskopisch oder histologisch einen Endobrachyösophagus, d. h. eine spezialisierte intestinale Metaplasie neben dem eigentlichen Tumor aufzuzeigen. Ein weiterer indirekter Hinweis ist der intestinale Wachstumstyp. Subzelluläre Marker können ebenfalls weiterhelfen (z. B. p53Mutationen sind beim Barrett-Karzinom deutlich seltener als beim AEG Typ 2 und 3). Bei lokal fortgeschrittenen Tumoren muss die Diagnose anhand der Lokalisation der Tumormasse erfolgen. Eine Loka-
38
492
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Abb. 38.12. Metaplasie-Dysplasie-Karzinom-Sequenz beim Adenokarzinom des Ösophagus als Folge einer chronischen Refluxkrankheit und vermutete Abfolge molekularer Veränderungen
lisation von mehr als 50% der Tumormasse im tubulären Ösophagus gilt hier als Beweis für das Vorliegen eines AEG Typ 1 (Siewert u. Stein. 1999). Die Abgrenzung des Barrett-Karzinoms zu den AEG Typ 2 und 3 hat therapeutische Relevanz, weil die letztgenannten Tumortypen als Magenkarzinome verstanden und entsprechend behandelt werden (7 Kap. 39).
38.5.2 Barrett-Frühkarzinom Beim frühen Adenokarzinom des distalen Ösophagus ist eine Bestimmung der endoskopischen Länge des Endobrachyösophagus erforderlich.
Diese Längenbestimmung ist wichtig, da die komplette Entfernung des gesamten Endobrachyösophagus mit seinem potenziellen Entartungsrisiko unabdingbares Therapieziel sein muss (Stein et al. 2000c; Spechler u. Goyal 1996).
38 Von akademischem Interesse sind zusätzliche Biopsien aus dem Endobrachyösophagus zum Nachweis multizentrischer Herde mit Dysplasie.
38.5.3 Therapieziele und Indikationsstellung Auch beim Adenokarzinom des Ösophagus wird die Therapieentscheidung orientiert an den Prognosefaktoren und an der Möglichkeit einer R0-Resektion getroffen (Siewert et al. 1994, 1997). Dabei ist die T-Kategorie entscheidend, an der N-Kategorie kann die Entscheidung nicht festgemacht werden. Keineswegs dürfen vergrößerte Lymphknoten, z. B. an der kleinen Kurvatur oder entlang der A. gastrica sinistra, als Fernmetastasierung gewertet werden; vielmehr stellen diese Lymphknoten die erste Metastasenstation des Barrett-Karzinoms dar.
Eine komplette Tumorresektion ist beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus bis zur T3-Kategorie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit möglich. Erst bei einer T4-Kategorie kann mit großer Wahrscheinlichkeit mittels primärer Resektion keine R0-Situation mehr erreicht werden. Eine neoadjuvante Vorbehandlung ist damit v. a. bei Patienten mit T4-Kategorie sinnvoll. Eigene in Phase-II-Studien erhobene Daten deuten darauf hin, dass auch Patienten mit T3-Tumoren von einer neoadjuvanten Therapie profitieren können (7 Kap. 38.9.2, Multimodale Therapie).
Aufgrund dieser Daten stellen wir derzeit die Indikation zur primären Resektion nur bei T1/T2-Tumorkategorien. Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumoren T3/4 werden in multimodale Therapieprotokolle eingebracht (. Abb. 38.13).
Kontrovers diskutiert wird das Vorgehen beim Nachweis von hochgradigen Dysplasien im Endobrachyösophagus. Da bei bis zu 50% dieser Patienten im Resektat ein invasives Karzinom nachgewiesen werden kann, empfehlen wir, bei Bestätigung der hochgradigen Dysplasie durch zwei erfahrene Pathologen, auch bei fehlendem makroskopischen Tumorkorrelat die (limitierte) Resektion (Stein et al. 2000c). Eine endoskopische Mukosaresektion kommt vor allem für funktionell inoperable Patienten infrage (Ell et al. 2000). Die Splenektomie gehört beim Adenokarzinom des Ösophagus nicht zum Standardvorgehen. Die belassene Milz ist geeignet, postoperative septische Komplikationen zu verhindern. Die Analyse der Lymphabflusswege und der Lymphknotenmetastasierung hat darüber hinaus gezeigt, dass beim Barrett-Karzinom, im Gegensatz zum Adenokarzinom der Kardia oder subkardialen Magenkarzinom, nur selten Lymphknotenmetastasen im Bereich des Milzhilus zu finden sind (Aikou u. Shimazu 1989).
493 38.5 · Adenokarzinom der Speiseröhre (»Barrett-Karzinom«)
. Abb. 38.13. Algorithmus zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus
38.5.4 Chirurgische Strategie Empfehlungen für die wichtigsten klinischen Situationen sind in . Tab. 38.14 zusammengefasst. Das Barrett-Karzinom weist nur selten eine Lymphangiosis carcinomatosa auf, sodass – wie beim intestinalen Typ des Magenkarzinoms – Resektionsabstände individuell gewählt werden können. Immer muss aber der gesamte Endobrachyösophagus, d. h. das gesamte Segment mit intestinaler Metaplasie, entfernt werden. Dafür ist die präoperative Festlegung der Länge des Endobrachyösophagus wichtig, weil diese Situation intraoperativ nicht diagnostizierbar ist. Der Sicherheitsabstand nach aboral ist ebenfalls wichtig.
Grundsätzlich erfolgt die proximale Magenresektion mit Lymphadenektomie entlang der kleinen Kurvatur bis hin zum Krähenfuß.
Dies führt immer zur Bildung eines schlanken Magenschlauchs, um ein adäquates Resektionsausmaß im Bereich des Magens sicherzustellen. Zu entscheiden ist, ob dieses Resektionsausmaß durch radikale transmediastinale Ösophagektomie und Fundektomie erreicht werden kann oder ob eine abdomino-rechts-thorakale Resektion erforderlich ist. Eine weitere Alternative ist die von der »Belsey-Schule« propagierte abdomino-links-thorakale Resektion: Sie hat aber den Nachteil der eingeschränkten Übersichtlichkeit nach oral (Ösophagusresektion hinter dem Aortenbogen) und nach aboral für die Lymphadenektomie in den Lymphknotenpositionen 12 und 13. Im eigenen Vorgehen bevorzugen wir beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus daher die radikale transmediastinale Ösophagektomie und Fundektomie oder ein abdomino-rechts-thorakales Vorgehen. Die radikale transmediastinale Ösophago-Fundektomie beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus bezieht ihre Berechtigung aus der Tatsache, dass Lymphknotenmetastasen oberhalb der Trachealbifurkation beim Barrett-Karzi-
. Tab. 38.14. Adenokarzinom des Ösophagus: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Klinische Situation
Empfohlenes Vorgehen
Adenokarzinom im distalen Drittel der Speiseröhre mit oder ohne vorangehende neoadjuvante Therapie
Abdomino-rechts-thorakale Resektion oder radikale transmediastinale Ösophagektomie und Fundektomie
T1-Barrett-Karzinom oder hochgradige Dysplasie im BarrettÖsophagus
Möglichkeit der limitierten Resektion des distalen Ösophagus und proximalen Magens, Jejunuminterposition
Adenokarzinom im mittleren oder oberen Speiseröhrendrittel
Transthorakale, subtotale Ösophagektomie mit Mediastinektomie und Lymphadenektomie
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Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
nom nur bei sehr fortgeschrittenen Tumorstadien oder einer bereits ausgedehnten Lymphknotenmestasierung abdominal und im unteren Mediastinum auftreten (Siewert et al. 1994). Ein prognostischer Gewinn kann bei derartigen Situationen durch eine ausgedehnte Lymphadenektomie vermutlich nicht mehr erzielt werden. Argumente für die Entscheidung zu Gunsten einer radikalen transmediastinalen Ösophago-Fundektomie bei Patienten mit Adenokarzinom des distalen Ösophagus können sein: 4 Ältere Patienten (Risikoreduktion durch Unterlassung der Thorakotomie) 4 Patienten nach neoadjuvanter Therapie (in der Regel lokal fortgeschrittene Tumoren) mit unzureichender Response Indikationen für die rechts-thorakale Ösophagektomie und abdominelle Fundektomie beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus 4 Intrathorakal lokalisierter Primärtumor 4 Hinweise auf Lymphknotenmetastasierung in Höhe der Trachealbifurkation oder höher in der präoperativen CT oder PET 4 Voroperationen am Hals (Hypopharynxkarzinom, Strumaresektion etc.) 4 Belastbarer junger Patient mit guter Prognose 4 Patienten nach neoadjuvanter Therapie mit guter Response
38
Als Sondersituation können das T1-Barrett-Karzinom und die hochgradige Dysplasie im Barrett-Ösophagus gelten. Da bei diesen frühen Tumorstadien Lymphknotenmetastasen und auch ein Lymphknotenmikroinvolvement extrem selten sind, eröffnet sich hier die Chance einer limitierten Chirurgie (Stein et al. 2000c). Diese beinhaltet die lokoregionale Resektion des distalen Ösophagus (immer unter Entfernung des gesamten Endobrachyösophagus!) und des proximalen Magens. Eine adäquate Lymphadenektomie ist bei dieser Operation leicht möglich. Nach Absetzen des distalen Ösophagus und proximalen Magens besteht ein freier Zugang zum Truncus coeliacus. Die Rekonstruktion erfolgt am besten mit Interposition eines gestielten Dünndarmsegments (analog der von Merendino empfohlenen Operation bei der Refluxkrankheit; . Abb. 38.14) oder durch Interposition eines Kolonsegments (Colon transversum bzw. linke Kolonflexur gestielt am aufsteigenden Ast der A. colica sinistra). Diese limitierte Chirurgie geht mit einer guten Schluckfunktion einher und gewährt dem Patienten eine ausgezeichnete postoperative Lebensqualität. Eine endoskopische Mukosektomie steht als Alternative zur Verfügung. Voraussetzung ist auch hier die Möglichkeit einer histologisch zu belegenden R0-Resektion, zumindest in der Tiefe. Ob eine R1-Situation am mukosalen lateralen Resektionsrand akzeptiert werden kann, ist noch in Diskussion. Da immmer Barrett-Mukosa belassen wird, ist eine enge endoskopische Überwachung notwendig. Eine T1-Situation
muss histologisch belegt sein, da bei T2-Tumoren mit einer Lymphknotenmetastasierung zu rechnen ist. In seltenen Fällen ist ein Adenokarzinom im mittleren oder oberen Drittel der Speiseröhre lokalisiert. Hier gilt dann die gleich Verfahrenswahl wie beim Plattenepithelkarzinom.
38.5.5 Operationstechnik
Abdomino-rechts-thorakale Ösophagektomie und Fundektomie (mit intrathorakaler Anastomose) Der Eingriff beginnt mit der Laparotomie (Patient in Rückenlage) und mit der Vorbereitung des Magens für die spätere Interposition. Ebenfalls integrierter Bestandteil dieser Operation ist die abdominelle Lymphadenektomie supraprankreatisch und perizöliakal. Die Magenschlauchbildung muss von abdominal her bei nicht mobilisiertem intraabdominellen Magen erfolgen. Bei adipösen Patienten oder bei fehlender Übersicht kann der Magen präliminär in Höhe der Kardia mit einem Klammernahtgerät (GIA) durchtrennt werden. Dann lässt sich der Magen hervorluxieren, und die Magenschlauchbildung kann übersichtlich am mobilisierten Magen wie oben beschrieben erfolgen. Unter normalen Umständen wird der Magen, in etwa beginnend am Krähenfuß der kleinen Kurvatur hin zum höchsten Punkt des Fundus, mit dem GIA durchtrennt, so dass beide Seiten verschlossen sind und eine Kontamination des Operationsgebietes vermieden wird. Nach vollständiger Bildung des Magenschlauchs werden die beiden Magenhälften erneut durch zwei oder drei Situationsnähte wieder miteinander vereint, damit sie von thorakal her leicht gemeinsam in den Thorax gezogen werden können. Der Hiatus muss nicht ganz so weit wie bei der radikalen transmediastinalen Ösophagektomie eröffnet werden. Die Resektion einer Zwerchfellmanschette im Bereich des Tumors herum gilt jedoch als Standard. Es empfiehlt sich bereits in dieser Phase, die rechte Pleura mediastinalis zu eröffnen. Auf diese Weise kann man den abgesetzten proximalen Magen und den vorbereiteten Magenschlauch in die rechte Pleurahöhle schieben. Danach erfolgt der Verschluss des Abdomens. Nach der abdominellen Präparation wird der Patient auf die linke Seite umgelagert und von rechts thorakotomiert. Die En-bloc-Ösophagektomie erfolgt wie bereits beim Plattenepithelkarzinom beschrieben, d. h. einschließlich der Lymphadenektomie im Mediastinum. Der Eingriff wird mit einer intrathorakalen Anastomose beendet. Wichtig ist dabei, dass diese Anastomose immer hoch, d. h. deutlich oberhalb V. azygos angelegt wird.
Auch bei diesem Vorgehen erfolgt die Rekonstruktion mit einem schlanken Magenschlauch. Ein komplett oder größtenteils in den Thorax verlagerter Ganzmagen führt zu schlechten funktionellen Ergebnissen.
495 38.5 · Adenokarzinom der Speiseröhre (»Barrett-Karzinom«)
. Abb. 38.14a,b. Limitierte Resektion des distalen Ösophagus, ösophagogastralen Übergangs und proximalen Magens und Rekonstruktion durch Interposition eines isoperistaltischen, gestielten Jejunumsegments. a Schemazeichnung. b Postoperative Röntgenkontrastdarstellung
Als Folge der Denervierung des Magens resultiert bei in den Thorax verlagertem Ganzmagen meist eine Stase mit sekundärem gastroösophagealem Reflux und entsprechend schlechter Lebensqualität.
Radikale transmediastinale ÖsophagoFundektomie Der Eingriff erfolgt in Rückenlage des Patienten. Eine seitengetrennte Intubation ist nicht erforderlich. Wichtig ist ein großzügiger Zugang zum Oberbauch (umgekehrter T-Schnitt), eine weite Spaltung des Hiatus und der Einsatz spezieller mechanischer Retraktoren (. Abb. 38.15a). Auf diese Weise hat der Operateur einen guten Zugang zum hinteren Mediastinum. Das folgende Resektionsausmaß ist notwendig: 4 Resektion einer Zwerchfellmanschette im Bereich des Tumors, (. Abb. 38.15b)
6
4 Mediastinektomie entlang des Perikards mit Resektion der Pleura mediastinalis beidseits, 4 Freilegung der Aortenvorderwand und Lymphadenektomie bis zur unteren Lungenvene (. Abb. 38.15d). Alle den Ösophagus umgebenden Strukturen im unteren hinteren Mediastinum werden damit en bloc mit dem Ösophagus entfernt (. Abb. 38.15c). Der zervikale Ösophagus wird über einen Zugang am Vorderrand des linken M. sternocleidomastoideus freigelegt, angeschlungen und mittels Stapler abgesetzt (Cave: N. recurrens links!). Die Mobilisierung der Speiseröhre zwischen Trachealbifurkation und oberer Thoraxapertur erfolgt durch stumpfe Dissektion von abdominal und zervikal (. Abb. 38.15d).
38
496
38
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Abb. 38.15a–d. a Darstellung des hinteren unteren Mediastinums von transabdominell und d stumpfe Dissektion des Ösophagus von abdominal und zervikal. b,c Resektionsausmaß in hinteren unteren Mediastinum
Fakultativ kann dieser Schritt durch eine mediastinoskopische Endodissektion ergänzt werden. Zu diesem Zweck wird von der zervikalen Inzision ein modifiziertes Mediastinoskop direkt entlang der Ösophaguswand in das Mediastinum eingeführt. Auf diese Weise kann eine komplette Dissektion der oralen Hälfte der Speiseröhre unter Sicht erfolgen. Als Vorteile für diese Endodissektion können angeführt werden: 4 Möglichkeit der Lymphknotenexstirpation bzw. Biopsie im oberen Mediastinum 4 Sichere Schonung des N. recurrens 4 Deutliche Zeitersparnis
Zur Vorbereitung des Magens für die Interposition ist die Skelettierung der großen Kurvatur unter peinlicher Schonung der gastroepiploischen Gefäße notwendig. Diese Skelettierung lässt sich am besten ausführen, wenn man das gesamte Netz vom Querkolon löst und dieses gemeinsam mit dem Magen aus dem Abdomen hervorzieht (s. oben). Die abdominelle Lymphadenektomie beginnt medial der A. gastrica dextra, entlang der A. hepatica communis, und wird bis hin zum Truncus coeliacus fortgesetzt. Hier erfolgt die abgangsnahe Ligatur und Durchtrennung der A. gastrica sinistra.
6
497 38.7 · Intra- und postoperative Komplikationen
. Abb. 38.16. Postoperative Mortalität nach Ösophagektomie im Verlauf der letzten 18 Jahre (Patientengut der TU München)
Die Lymphadenektomie wird entlang der A. lienalis bis in den Milzhilus fortgeführt. Bei dieser Operationstechnik befinden sich am Ende der Operation alle Lymphknoten am Präparat und können durch den Pathologen qualitativ und quantitativ exakt analysiert werden. Der Ösophagus und der gesamte Magen sind nun frei. Der Ösophagus kann nach stumpfer Dissektion aus dem Mediastinum hervor gezogen werden. Nach Vorverlagerung von Ösophagus und Magen kann nunmehr das endgültige Resektionsausmaß festgelegt werden. Am Magen beginnt die Präparation in Höhe des sog. Krähenfußes (Bezugspunkt bei der Vagotomie!) und setzt sich unter Skelettierung der kleinen Kurvatur nach oral hin fort. Durch dieses Resektionsausmaß kommt man automatisch zu einem schmalen Magenschlauch, da aus onkologischen Gründen (Lymphadenektomie und Sicherheitsabstand zum Primärtumor!) eine Fundektomie notwendig wird. Am Ende befinden sich alle Lymphknoten der kleinen Kurvatur und des perizöliakalen Raums am Resektat. Die Rekonstruktion erfolgt durch den gebildeten Magenschlauch im hinteren oder vorderen Mediastinum. Die Entscheidung über den Rekonstruktionsweg orientiert sich an der T-Kategorie. Nur bei sicherer R0-Resektion sollte die Rekonstruktion im Tumorbett, d. h. im hinteren Mediastinum, erfolgen, anderenfalls retrosternal. Die Operation endet mit der zervikalen Anastomose.
rantiert so eine schmerzfreie Atmung. Die Periduralanästhesie hat die Ergebnisse der Ösophaguschirurgie in den letzten Jahren deutlich verbessert (. Abb. 38.16, . Abb. 38.17a). Die postoperative Behandlung sollte, wie der operative Eingriff, ebenfalls standardisiert erfolgen. Sie findet initial auf der Intensivpflegestation statt und beinhaltet als wichtigstes Kriterium die Frühextubation (Bartels et al. 1998a). Weitere wesentliche Maßnahmen zur Vermeidung pulmonaler Komplikationen sind: 4 Gute postoperative Analgesierung (z. B. mittels Periduralkatheter) 4 Frühzeitige Mobilisierung 4 Apparative Maßnahmen zur Atemvertiefung (»incentive spirometer«) 4 Regelmäßige bronchoskopische Bronchialtoillette, 4 Rasche Drainage eines nicht selten auftretenden postoperativen Pneumothorax oder Pleuraergusses 4 Entlastung eines im Mediastinum geblähten Interponatorgans durch korrekte Positionierung der Magensonde 4 Sicherstellung einer ausgeglichenen oder negativen Flüssigkeitsbilanz Die orale Flüssigkeitszufuhr beginnt am 4. bis 6. Tag, wobei zu Beginn häufig Anschluckstörungen bestehen, sodass eine sorgfältige Überwachung zur Vermeidung einer Aspiration notwendig ist.
38.7 38.6
Intra- und postoperative Komplikationen
Postoperative Behandlung
Alle Patienten sollten, wenn immer möglich, für die Ösophagektomie eine Periduralanästhesie erhalten. Diese regionale Anästhesie ist nicht nur intraoperativ von Vorteil, sondern ermöglicht postoperativ eine rasche Intubation des wachen Patienten. Der belassene Periduralkatheter ermöglicht zusätzlich eine Analgesie für die erste postoperative Phase und ga-
Durch Standardisierung der Resektions- und Rekonstruktionstechniken, Fortschritte im postoperativen Management und sorgfältige Patientenselektion lässt sich eine Ösophagusresektion mit systematischer Lymphknotendissektion und Rekonstruktion der Speisepassage an erfahrenen Zentren mit einer Mortalität von weniger als 5% durchführen. Im eigenen Patientengut liegt die postoperative Mortalität durch konse-
38
498
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
quenten Einsatz des eingriffsspezifischen Risikoscores und entsprechende Patientenselektion seit 1994 unter 2% (. Abb. 38.16). Das Alter des Patienten, der chirurgische Zugangsweg (transthorakal vs. transmediastinal) und das Tumorstadium haben dabei keinen Einfluss auf die Mortalität. Wenn die Versorgung des Ductus thoracicus sicher erfolgt, ist die Entwicklung eines Chylothorax sehr selten. In der postoperativen Phase manifestiert sich ein Chylothorax durch Ausfluss größerer Mengen von Lymphe über die Thoraxdrains. Diese Lymphe nimmt einen milchig-trüben Aspekt an, sobald die enterale Ernährung gestartet wird. Bei geringgradiger Lymphorrhö kann ein Chylothorax spontan ausheilen. Sehr häufig ist jedoch eine operative Revision mit dem Ziel des definitiven Verschlusses der Lymphfistel erforderlich. Cave Eine besonders schwerwiegende Komplikation ist die Entwicklung einer tracheobronchialen Fistel.
38
Nach eigener Erfahrung entstehen derartige Trachealläsionen entweder auf dem Boden einer lokalen Ischämie oder als Folge intraoperativer Läsionen v. a. bei Tumoren mit Bezug zum Tracheobronchialsystem nach neoadjuvanter Radio-/ Chemotherapie (Bartels et al. 1998c). Werden diese Läsionen noch intraoperativ bemerkt, können sie direkt versorgt werden (Naht, Fibrinkleber, Pleuralappendeckung). Im weiteren postoperativen Verlauf stellen sie eine schwerwiegende Komplikation dar, insbesondere dann, wenn noch eine mechanische Ventilation notwendig ist. Wünschenswert ist, dass der Patient so rasch wie möglich zur Spontanatmung zurückkehrt, um pathologische Druckverhältnisse im Tracheobronchialsystem zu vermeiden. Ist eine rasche Abdichtung derartiger Läsionen mittels bronchoskopischer Fibrinklebung oder Stentimplantation nicht möglich, beträgt die Letalität dieser Komplikation etwa 50%. Die Todesursache ist eine septische Mediastinitis, die häufig zu Arrosionsblutungen führt. Rekurrensparesen spielen sich meist auf der linken Seite ab. Der linke N. recurrens ist sowohl bei der zervikalen Präparation als auch bei der Lymphadenektomie im Mediastinum gefährdet. Die radikale zervikale und obere mediastinale Lymphadenektomie ist selbst in japanischen Serien mit Rekurrenspareseraten von bis zu 60% behaftet. Im eigenen Vorgehen liegt die Rate an permanenten Rekurrensparesen bei Standardlymphadenektomie im Bereich des oberen Mediastinums unter 10%. Bezüglich der Sprachfunktion ist die einseitige Rekurrensparese meist kein größeres Problem, zudem ist sie meist reversibel. Für den frühpostoperativen Verlauf stellt sie dagegen eine Belastung dar, weil Aspirationen häufiger sind. Sowohl nach transthorakaler als auch nach transmediastinaler Ösophagektomie zählt die Anastomoseninsuffizienz zu den häufigsten postoperativen Komplikationen. Eine Anastomoseninsuffizienz ist bei zervikaler Anastomisierung deutlich häufiger als bei intrathorakalen Anastomosen. Die Folgen einer zervikalen Anastomoseninsuffienz sind jedoch eher ge-
ring; es entwickelt sich eine Speichelfistel, die von hoher Spontanheilungstendenz ist. Voraussetzung für einen solchen blanden Verlauf ist eine ausreichende Drainage der Anastomose. Sollte dies nicht der Fall sein, muss die zervikale Wunde so rasch wie möglich eröffnet und das gesamte Operationsgebiet freigelegt werden. Wichtig ist in jedem Fall die endoskopische Kontrolle der Durchblutungssituation des interponierten Organs. Die früher sehr gefürchtete Insuffizienz einer intrathorakalen Anastomose hat deutlich an Schrecken verloren. Bei Verdacht auf eine Insuffizienz sollte unmittelbar die endoskopische Untersuchung erfolgen, die vor allen Dingen Auskunft über die Vitalität des interponierten Magenschlauches geben soll. Große Insuffizienzen bei gestörter Durchblutung des Magenschlauches bedürfen der Rethorakotomie. Besteht eine kleine Insuffizienz und ist der Magenschlauch ansonsten gut durchblutet, kann diese in gleicher Sitzung temporär mit einem endoskopisch plazierten Stent überbrückt werden. Durch diese Therapiemöglichkeit sind die Konsequenzen der Insuffizienz nur noch gering und die früher hohe Mortalität ist auf nahezu Null gesunken. Die zervikale Wunde hat eine gute Granulationstendenz und heilt unter Verschluss der Fistel innerhalb von 2–3 Wochen spontan ab. Bei größeren Fisteln kann auch ein T-Drain in die Insuffizienz eingelegt werden. Häufigstes Ergebnis derartiger Insuffizienzen ist die Entwicklung einer Anastomosenstriktur im weiteren Verlauf. Diese Strikturen sind einer Bougierungsbehandlung gut zugänglich. Schlecht oder nicht nach außen drainierte zervikale Anastomoseninsuffizienzen können wie eine intrathorakale Anastomoseninsuffizienz aber auch zu einer Mediastinitis und zum Pleurempyem führen. Die schwerwiegendste Komplikation nach Speiseröhrenersatz stellt die Interponatsnekrose dar. Diese tritt trotz optimaler anatomischer Voraussetzungen bei bis zu 2% der Patienten ein. Bei gestörtem, insbesondere septischem postoperativen Verlauf muss immer an diese Komplikation gedacht werden. Der sicherste Weg, eine Interponatnekrose zu beweisen oder auszuschließen, ist die frühe postoperative endoskopische Untersuchung des Interponats. Gegebenenfalls muss diese Untersuchung kurzfristig wiederholt werden. Bestätigt sich die Diagnose einer Interponatsnekrose, muss das Interponat so rasch wie möglich entfernt werden. Eine erneute Speisewegsrekonstruktion bleibt einem sekundären Eingriff vorbehalten. Überraschenderweise sind pulmonale Komplikationen nach transthorakaler Ösophagektomie genauso häufig wie nach transmediastinaler Ösophagektomie.
Sowohl die transthorakale als auch die transmediastinale Ösophagektomie verändern die Lungenfunktion des Patienten nachhaltig.
Die postoperative Einschränkung des Gasaustausches wird im Wesentlichen durch mechanische Faktoren hervorgerufen.
499 38.8 · Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Bei der transthorakalen Ösophagusresektion wird die Lunge aus dem Operationsfeld abgedrängt. Bei endobronchialer linksseitiger Beatmung mit kollabierter rechter Lunge ist das Ausmaß der Kompressionsatelektasen rechts geringer, in der abhängigen linken Lunge lässt sich aber intraoperativ nur sehr schwer eine ausreichende Bronchialtoilette aufrecht erhalten; es kommt hier vermehrt zu Sekretretentionen. Bei der transmediastinalen Resektion unterbleibt zwar eine willkürliche Kompression der Lunge von außen, die retrokardiale Manipulation und die Eröffnung der Pleurahöhle führen aber dennoch zur Traumatisierung des Lungenparenchyms mit Ausbildung funktionell wirksamer Mikroatelektasen. Entscheidend ist die Verhinderung der pulmonalen Komplikationen durch oben angeführte Maßnahmen. Flüssigkeitsansammlungen im Bereich des Lymphadenektomiebettes im Abdomen, insbesondere peripankreatisch, sind nicht selten. Nur ausnahmsweise bedürfen sie einer CTgezielten Punktion, noch seltener einer Drainage.
. Abb. 38.17a,b. Deutliche Verbesserung der Langzeit-Überlebensrate nach Resektion eines Ösophaguskarzinoms im Verlauf der letzten 25 Jahre. a Verbesserung der Prognose beim Barrett-Karzinom (TU München 1982–2006; n=666). b Verbesserung der Prognose beim Plattenepithelkarzinom (TU München 1982–2006)
a
b
38.8
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Die Gesamtprognose aller Patienten mit reseziertem Ösophaguskarzinom hat sich in den letzten Jahren durch Patientenselektion, systematische Lypmphadenektomie, standardisiertes prä- und postoperatives Vorgehen und den Einsatz multimodaler Therapieverfahren deutlich verbessert (. Abb. 38.17). Der Residualtumorstatus nach Resektion ist der dominierende prognostische Faktor für das Langzeitüberleben sowohl beim Plattenepithelkarzinom (. Abb. 38.19a) als auch beim Adenokarzinom (. Abb. 38.19b) des Ösophagus. Die Prognose des Barrettt-Karzinoms ist deutlich besser als die des Plattenepithelkarzinoms (. Abb. 38.18). In der Subgruppe der Patienten mit R0-Resektion stellen in der multivariaten Analyse der Lymphknotenstatus (N-Kategorie) und die Tumorpenetrationstiefe (T-Kategorie) die wesentlichen prognostischen Faktoren bei beiden Tumorenti-
38
500
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
. Abb. 38.18. Prognose beim Adenokarzinom bzw. beim Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre: Barrett-Karzinome haben eine bessere Prognose als Plattenepithelkarzinome (TU München 1982–2006; n=1591)
a
b
. Abb. 38.19a,b. 10-Jahresüberlebensraten nach Resektion eines Ösophaguskarzinoms: Effekt der R-Kategorie. a 10-Jahres-Überlebensrate nach Resektion eines Plattenepithelkarzinoms des Ösophagus (Patienten der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum
rechts der Isar, TU München 1982–2000). b 10-Jahres-Überlebensrate nach Resektion eines Adenokarzinoms des Ösophagus (Patienten der Chirurgischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar, TU München 1982–2000)
a
b
. Abb. 38.20a,b. 10-Jahresüberlebensraten nach Resektion eines Ösophaguskarzinoms: Effekt der N-Kategorie. a 10-Jahres-Überlebensrate nach R0-Resektion eines Plattenepithelkarzinoms des Öso-
phagus. b 10-Jahres-Überlebensrate nach R0-Resektion eines Adenokarzinoms des Ösophagus
38
501 38.8 · Ergebnisse der chirurgischen Therapie
a
b
. Abb. 38.21a,b. 10-Jahresüberlebensraten nach Resektion eines Ösophaguskarzinoms: Effekt der T-Kategorie a 10-Jahres-Überlebensrate nach R0-Resektion eines Plattenepithelkarzinoms des Ösopha-
gus. b 10-Jahres-Überlebensrate nach R0-Resektion eines Adenokarzinoms des Ösophagus
. Abb. 38.22. 10-Jahres-Überlebensrate nach Resektion eines pT1Ösophaguskarzinoms: Plattenepithelkarzinom vs. Adenokarzinom
. Abb. 38.23. Überlebensrate nach Resektion eines pT1-Adenokarzinoms des Ösophagus: Ösophagektomie vs. limitierte Resektion
. Abb. 38.24. Überlebensrate nach neoadjuvanter Radio/-Chemotherapie und limitierter Resektion eines zervikalen Ösophaguskarzinoms: R0- vs. R1-Resektion
täten dar (. Abb. 38.20 und . Abb. 38.21). Von Bedeutung ist, dass auch bei Patienten mit wenigen befallenen lokoregionalen Lymphknoten ein Langzeitüberleben möglich ist, vorausgesetzt es wurde eine genügend große Anzahl von Lymphknoten entfernt, d. h. die sog. Lymphknotenratio aus Anzahl befallener und entfernter Lymphknoten liegt unter 0,2 (Roder et al. 1994; Hölscher et al. 1995a). Der immunhistochemische Nachweis von Mikrometastasen in Lymphknoten, die in der Routineuntersuchung als tumorfrei bewertet wurden, ist dabei zumindest beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus aus prognostischer Sicht einer manifesten Lymphknotenmetastasierung gleichzusetzen (Itzbicki et al. 1997; Natusgoe et al. 1998). Die Prognose von Patienten mit einem pT1-Plattenepithelkarzinom des Ösophagus ist deutlich schlechter als die von Patienten mit einem pT1-Adenokarzinom des Ösophagus (. Abb. 38.22). Dieser Unterschied ist auf die höhere Prävalenz von Lymphknotenmetastasen und Mikrometastasen beim pT1-Plattenepithelkarzinom zurückzuführen (Hölscher et al. 1995a; Natsugoe et al. 1998). Auch beim T1-Barrett-Karzinom stellt der Lymphknotenstatus den wesentli-
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502
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
chen prognostischen Faktor dar (Stein et al. 2000c). Das luminale Resektionsausmaß hat keinen Einfluss auf die Prognose (. Abb. 38.23). Die Prognose des zervikalen Plattenepithelkarzinoms nach neoadjuvanter Radio-/Chemotherapie und limitierter Resektion des zervikalen Ösophagus scheint besser zu sein als die Prognose des lokal fortgeschrittenen intrathorakalen Plattenepithelkarzinoms (. Abb. 38.24). Dies wird auf Unterschiede in der Biologie der Metastasierung zurückgeführt.
38.9
Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie
Trotz Standardisierung der operativen Technik, Fortschritten im präoperativen Staging, sorgfältiger Patientenauswahl und postoperativem Management ist das Langzeitüberleben von Patienten mit Plattenepithel- oder Adenokarzinom des Ösophagus nach alleiniger chirurgischer Resektion nach wie vor unbefriedigend. Konsequenterweise wurden multimodale Strategien untersucht mit dem Ziel, das rezidivfreie und Gesamtüberleben zu verlängern und die Rate an R0-Resektionen zu erhöhen. Es wurde adjuvant (postoperativ nach kompletter Resektion), neoadjuvant (präoperativ) und additiv (postoperativ nach R1/2-Resektion) innerhalb von Studien und Fallserien therapiert. Zum Einsatz kamen die Strahlentherapie, Chemotherapie und die Radio-/Chemotherapie. Die Mehrzahl der Studien weisen deutliche Probleme im Studiendesign auf (Lordick 2004). Diese sind: 4 Unterschiede in der Terminologie 4 Die Termini lokoregional vs. lokal fortgeschritten, potenziell resektabel vs. unresektabel werden unterschiedlich definiert und vermischt) 4 Inadäquates prätherapeutisches Staging 4 Unterschiedliche Qualität und Ausmaß der chirurgischen Resektion und Lymphadenektomie 4 Fehlende Trennung von Plattenepithel- und Adenokarzinomen
38
Jeder dieser Faktoren kann bereits alleine die Prognose eines Patienten mit Ösophaguskarzinom weit stärker beeinflussen als jeder Einfluss einer kombinierten Therapie. Dennoch ergibt sich aus Metaanalysen mittlerweile ein Bild, welche adjuvanten und vor allem neoadjuvanten Verfahren empfohlen werden können.
38.9.1 Adjuvante und additive Therapie Beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus konnte in prospektiv randomisierten Studien kein Prognosegewinn durch eine postoperative Radiatio gezeigt werden (Lordick et al. 2004). Dies gilt für die adjuvante Situation nach kompletter Tumorresektion. Der einzige belegte Vorteil der postoperativen Bestrahlung liegt in einer Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle im Mediastinum nach inkompletter Tumorresektion. In zwei randomisierten Studien der Japanese Oncology Group erbrachte auch die postoperative Chemotherapie in
adjuvanter Indikation keinen einen signifikanten Überlebensvorteil (Ando et al. 1997, 2003). Beim Adenokarzinom des distalen Ösophagus konnte in Phase-II-Studien bislang lediglich die klinische Durchführbarkeit und Sicherheit einer postoperativen Chemotherapie gezeigt werden. Randomisierte Studien liegen weder zur adjuvanten noch zur additiven Chemotherapie, Radiatio oder kombinierten Radio-/Chemotherapie vor.
Somit besteht derzeit weder beim Plattenepithel- noch beim Adenokarzinom des Ösophagus außerhalb kontrollierter prospektiver Studien eine gesicherte Indikation zur adjuvanten postoperativen Bestrahlung oder Chemotherapie.
38.9.2 Neoadjuvante präoperative Therapie Aufgrund der unbefriedigenden Ergebnisse adjuvanter Therapiemaßnahmen und anderer theoretischer Vorteile wurden vermehrt neoadjuvante präoperative Therapiekonzepte eingesetzt. Grundsätzlich kamen dabei Strahlentherapie, Chemotherapie und kombinierte Radio-/Chemotherapie präoperativ zum Einsatz (Lordick et al. 2004; Lordick 2009).
Präoperative Strahlentherapie Dem präoperativen Einsatz der Strahlentherapie liegt die Vorstellung zugrunde, den Tumor schon vor der Operation zu devitalisieren und zu verkleinern. In einer Reihe prospektiv randomisierter Studien führte die präoperative Strahlentherapie jedoch zu nicht zu einer Steigerung der Resektions- und Überlebensraten.
Präoperative Chemotherapie Der Stellenwert einer alleinigen präoperativen Chemotherapie konnte im Rahmen mehrerer biometrisch unzureichender Studien bei Plattenepithelkarzinom nicht geklärt werden. Aus jüngerer Zeit stammen zwei adäquat große Studien, in die jeweils Patienten mit Plattenepithelkarzinom und mit Adenokarzinom des Ösophagus eingeschlossen wurden (. Tab. 38.15). Die Ergebnisse der beiden Studien widersprechen sich nur auf den ersten Blick. In der amerikanischen Intergroup-Studie war die Toxizität der präoperativen Therapie hoch und letztlich konnten nur 80% der neoadjuvant therapierten Patienten einer Tumorresektion zugeführt werden (Kelsen 1998, 2007). In der britischen Studie hingegen, in der anteilsmäßig mehr Patienten als in der amerikanischen Studie ein Adenokarzinom (66%) hatten, wurden zwei präoperative Zyklen mit Cisplatin/5-FU gut toleriert und 92% der vorbehandelten Patienten konnten reseziert werden. Es ergab sich ein signifikant verlängertes Überleben der neoadjuvant therapierten Patienten von 17 Monaten gegenüber 13 Monaten bei allein chirurgisch behandelten Patienten (Allum et al. 2009; MRC 2002). Zusammenfassend und in Metanalysen konnte in einer randomisierten Studie der Stellenwert einer neoadjuvanten
38
503 38.9 · Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie
. Tab. 38.15. Phase-III-Studien zum Stellenwert neoadjuvanter Chemotherapie bei potenziell resektablem Ösophaguskarzinom
Studie
Protokoll
Histologie
n
R0 (%)
Kelsen 1998
Resektion
PEC + AC
227
59
213
CDDP/5FU 3 Zyklen MRC 2002
Letalität (%)
Median survival (Monate)
Überleben (%)
p-Wert
6
16,1
2 Jahre: 37
n.s.
62
6
14,9
35
Resektion
PEC + AC
400
54
10
13
2 Jahre: 34
CDDP/5FU 2 Zyklen
PEC + AC
402
60
10
3
43
0,004
AC Adenokarzinom; CDDP Cisplatin; 5FU 5-Fluorouracil; MRC Medical Research Council Oesophageal Cancer Working Party; n.s. nicht signifikant, PEC Plattenepithelkarzinom, R0 mikroskopisch komplette Resektion
Chemotherapie positiv belegt werden (Gebski et al. 2007). Metaanalysen zeigen, dass neoadjuvante Chemotherapie bei Patienten mit Adenokarzinom des Ösophagus zu einer signifikanten Verbesserung der Prognose führt, bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom hingegen nur marginale Auswirkungen auf die Überlebenswahrscheinlichkeit hat. Aufgrund noch zahlreicher offener Fragen empfiehlt sich derzeit der routinemäßige Einsatz präoperativer Chemotherapie daher nicht für alle Patienten mit Ösophaguskarzinom. Am Besten begründet ist die Indikation zur neoadjuvanten Chemotherapie beim lokal fortgeschrittenen (cT3) Adenokarzinom.
Präoperative Radio-/Chemotherapie Der Stellenwert einer kombinierten präoperativen Radio-/ Chemotherapie ist ebenfalls in mehreren Phase-III-Studien überwiegend bei Patienten mit potenziell resektablem Plattenepithelkarzinom evaluiert (Lordick et al. 2005; Gebski et al. 2007; . Tab. 38.16). Die größten Erfahrungen liegen mit der Kombination von Cisplatin/5-Fluorouracil mit einer simulta-
nen Radiotherapie (Herddosen bis 45 Gy) vor. Die zusätzliche Anwendung einer Strahlentherapie zur Chemotherapie führt im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie zu einer eindeutigen Zunahme an pathologisch-histologischen kompletten Remissionen. Der gesteigerten lokalen Kontrolle steht eine Zunahme der Morbidität und postoperativen Letalität gegenüber (Fiorica et al. 2004). Ein Prognosevorteil durch neoadjuvante Radiochemotherapie wurde in aktuellen Metanalysen sowohl für Plattenepithelkarzinome als auch für Adenokarzinome dargestellt (Gebski et al. 2007), wobei erneut auf die methodischen Schwierigkeiten und Mängel der in die Metaanalyse eingehenden Einzelstudien hingewiesen werden muss. Die Frage, ob bei Adenokarzinomen des Ösophagus einer päoperativen Chemotherapie oder Radiochemotherapie der Vorzug gegeben werden sollte, konnte in einer randomisierten Studie aus Deutschland, nicht beantwortet werden (Stahl et al. 2009). Weitere vergleichende Studien zu dieser Thematik sind erforderlich.
. Tab. 38.16. Phase-III-Studien zum Stellenwert neoadjuvanter Radio-/Chemotherapie bei potenziell resektablem Ösophaguskarzinom
Studie
Protokoll
Histologie
Walsh 1996
Resektion
AC
CDDP/5FU + 40 Gy Bosset 1997
Resektion
PEC
CDDP + 37 Gy Urba 2001
Resektion
PEC + AC
CDDP/VBL/5FU + 45 Gy Burmeister 2005
Resektion CDDP/5FU + 35 Gy
PEC + AC
n
R0 (%)
Letalität (%)
Median survival (Monate)
Überlebensrate (%)
p-Wert
0,01
55
n.a.
8
11
3 Jahre: 6
58
n.a.
4
16
32
139
n.a.
4
18,6
5 Jahre: 25
143
n.a.
12,3
18,9
25
50
n.a.
2
17,6
3 Jahre: 16
50
n.a.
7
16,9
30
128
n.a.
4,6
18,5
n.a
128
n.a.
21,7
n.a.
n.s.
n.s.
n.s.
AC Adenokarzinom; BLM Bleomycin; CDDP Cisplatin; 5FU 5-Fluorouracil; n.a. nicht angegeben; n.s. nicht signifikant, PEC Plattenepithelkarzinom, R0 komplette Resektion, VBL Vinblastin
504
Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
Somit besteht bei Patienten mit Ösophaguskarzinom derzeit eine belegte Indikation zur präoperativen Therapie. Bei lokal fortgeschrittenem (uT3) Plattenepithelkarzinom ist, die R1-Resektionsrate bei primärer Resektion besonders hoch und die lokale Kontrollrate besonders kritisch. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine topographische Beziehung zum Tracheobronchialsystem besteht. Hier kann eine neoadjuvante Radio-/Chemotherapie durch Verkleinerung des Tumors die Rate an kompletten Resektionen erhöhen und damit die lokale Tumorkontrolle und das Überleben verbessern. Dies gilt allerdings nur für Therapieansprecher (Bollschweiler 2009). Bei lokal fortgeschrittenem Plattenepithelkarzinom mit Bezug zum Tracheobronchialsystem ist daher eine neoadjuvante Radio-/Chemotherapie sinnvoll. Das bestmögliche Behandlungsprotokoll ist allerdings noch nicht bekannt. Eine Therapie sollte daher bevorzugt im Rahmen prospektiver Therapiestudien erfolgen (Lordick et al. 2009).
Maßgeschneiderte multimodale Therapiestrategien anhand von Responseprädiktoren und Responseevaluation
38
Alle publizierten multimodalen Therapiestudien zeigen, dass ein Überlebensvorteil nach neoadjuvanter Chemotherapie oder Radio-/Chemotherapie nur bei objektivem, d. h. histopathologischem, Ansprechen erreichbar ist. Da ein Ansprechen der Response auf eine neoadjuvante Therapie je nach angewendetem Schema nur bei 20–70% der Patienten zu erwarten ist, kommt der prätherapeutischen Identifizierung von Patienten mit hoher Responsewahrscheinlichkeit (Responseprädiktion) und der frühzeitigen Responseevaluation eine wesentliche Bedeutung in der klinischen Forschung zu. Konventionelle bildgebende Parameter lassen derzeit allerdings weder eine Responseprädiktion noch eine verlässliche objektive Responseevaluation zu. Neuere Untersuchungen deuten an, dass eine Vorhersage des Ansprechens auf eine neoadjuvante Chemotherapie mittels molekularer Marker in der Tumorbiopsie in Zukunft möglich sein könnte (z. B. Thymidilat-Synthase, ERCC 1, Glutathiontransferase, p53). Ein deutlicher Abfall der Glukoseaufnahme des Tumors in der PET scheint ebenfalls bereits frühzeitig eine Responseevaluation zu erlauben. Diese vorläufigen Daten bedürfen der Bestätigung durch multizentrische kontrollierte Studien, zeigen aber den Weg für zukünftige maßgeschneiderte multimodale Therapiestrategien auf (Lordick et al. 2007; Siewert 2006).
38.10
Palliation
Bei Vorliegen von Fernmetastasen oder Einbruch des Tumors ins Tracheobronchialsystem ist eine kurative Therapie nicht mehr möglich. Die Überlebenszeit dieser Patienten beträgt oft weniger als 6 Monate. Im Vordergrund steht bei diesen Patienten die Palliation von Tumorstenosen oder Fisteln ins Tracheobronchialsystem. Die möglichen palliativen Therapiemaßnahmen beinhalten (Stein et al. 2000e): 4 Endoskopische Bougierung der Tumorstenose 4 Tumorvaporisierung
4 4 4 4
Perkutane oder intraluminale palliative Bestrahlung Palliative kombinierte Radio-/Chemotherapie Palliative Chemotherapie Tubusimplantation
Die rascheste palliative Maßnahme ist die endoskopische Bougierung einer Tumorstenose. Die Bougierung dient im eigenen Therapiekonzept nur als Vorbereitung für eine endoskopische palliative Lasertherapie. Engmaschige endoskopische Kontrollen sind bei diesem Vorgehen erforderlich, da es bereits nach 4 Wochen zu einer Restenosierung kommen kann. Durch die Kombination mit endokavitärer Bestrahlung nach dem Afterloadingverfahren kann die Tumorneubildung verlangsamt und damit das behandlungsfreie Intervall verlängert werden. Die mit alleiniger Radiotherapie, Chemotherapie oder kombinierter Radio-/Chemotherapie erzielten Remissionen sind häufig nur von kurzer Dauer; allerdings wird nach kombinierter Radiochemotherapie ein Langzeitüberleben bei bis zu 20% der Patienten beobachtet (Stahl et al. 2005, Bedenne et al. 2007). Cave Bestehende oder drohende ösophagobronchiale oder ösophagotracheale Fisteln stellen in der Regel eine Kontraindikation für eine palliative Lasertherapie, Bestrahlung oder kombinierte Radio-/Chemotherapie dar.
Hier ist die Einlage eines Tubus die Therapie der Wahl. Eine Tubuseinlage ist auch bei Patienten mit Tumorstenose und Patienten mit nur noch kurzer Lebenserwartung eine Option, um die Nahrungspassage wieder herzustellen. Selbstexpandierende Maschendrahttuben sind Plastiktuben überlegen. Nebeneffekte sind Bolusimpaktation, Prothesenperforation und Reflux. Bei Tumoren im Bereich des ösophagogastralen Übergangs und im proximalen Ösophagus ist die Verankerung eines Tubus häufig nicht möglich. Für diese Patienten verbleibt als Alternative die endoskopische oder laparoskopische Anlage einer Ernährungsfistel. Als operative Maßnahmen stehen die palliative Resektion und der palliative Magen- und Kolonbypass zur Verfügung. Aufgrund der außerordentlich hohen Morbidität und Mortalität dieser Eingriffe und der Verfügbarkeit endoskopischer Maßnahmen bleiben diese Eingriffe heute jedoch Ausnahmesituationen vorbehalten. Die Selektion der palliativen Therapiemethode bleibt den verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten der behandelnden Institution unter Einbeziehung der persönlichen Lebensumstände des Patienten vorbehalten. Ziel ist es, dem Patienten möglichst lange ein sozial verträgliches Leben in seiner häuslichen Umgebung zu ermöglichen.
505 38.11 · Empfehlungen zur Nachsorge
38.11
Empfehlungen zur Nachsorge
Bei meist fehlenden Konsequenzen im Rezidivfall erfolgt die Nachsorge unter Reduktion technischer Maßnahmen im Hinblick auf die Bewältigung von Therapiefolgen, berufliche Rehabilitation und psychosoziale Betreuung.
Nach kompletter Tumorresektion wird außerhalb von Studien bis 12 Monate postoperativ alle 3 Monate, bis zum 3. postoperativen Jahr halbjährlich, dann bis zum 5. Jahr jährlich die Erhebung der Anamnese, klinische Untersuchung, Bestimmung von Blutbild und Serumwerten sowie eine Oberbauchsonographie empfohlen.
Bei Auftreten eines Rezidivs bestehen in der Regel keine kurativen Therapieansätze, sodass symptomorientiert auf die oben angeführten palliativen Maßnahmen zurückgegriffen werden muss.
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506
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Kapitel 38 · Ösophaguskarzinom
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38
39 39 Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom J.R. Siewert, H.J. Stein
39.1 Definitionen 39.2 Klassifikation
– 510 – 510
39.3 Epidemiologie und Tumorbiologie 39.4 UICC-Klassifikation
– 513
39.5 Therapeutische Konsequenzen 39.6 Prognose Literatur
– 516 – 518
– 511
– 514
510
Kapitel 39 · Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom
> Gemäß internationaler Übereinkunft werden die Adenokarzinome des gastroösophagealen Übergangs, in Kurzform auch als AEG bezeichnet, als eigene Entität verstanden (Stein et al. 2000). Diese allgemein akzeptierte Auffassung wird durch epidemiologische Untersuchungen gestützt, die einheitlich eine kontinuierliche Zunahme der Inzidenz der AEG zeigen (Cameron et al. 1995; DeMeester u. DeMeester 2000; Devesa et al. 1998; . Abb. 39.1), es scheinen also Gemeinsamkeiten in der Onkogenese dieses Tumortyps zu bestehen (DeMeester u. DeMeester 2000; Wijnhoven et al. 1999). Klar ist auch, dass die AEG nicht mit dem Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre oder mit dem typischen Magenkarzinom des mittleren und distalen Drittels verglichen werden können (Siewert et al. 1987; Siewert u. Stein 1996). Dennoch umfasst der Begriff AEG bei allen Gemeinsamkeiten verschiedene Tumorsubgruppen, die tumorbiologisch und damit auch prognostisch unterschiedlich zu sehen sind. Unter diesen Gesichtspunkten, aber auch, um Literaturergebnisse miteinander besser vergleichen zu können und adäquate therapeutische Konsequenzen ziehen zu können, ist eine Klassifikation der AEG wünschenswert (Fein et al. 1998; Husemann 1989; Kodera et al. 1999; Siewert et al. 1987; Siewert u. Stein 1996, 1998).
39.1
Definitionen
Alle Adenokarzinome im Bereich des gastroösophagealen Übergangs, d. h. 5 cm oral und aboral der anatomischen Kardia werden unter dem Begriff AEG zusammengefasst (Siewert u. Stein 1996, 1998). Der Begriff »Kardia« ist in der Anatomie eindeutig beschrieben, er bezeichnet den Übergang der zweischichtigen Ösophagusmuskelwand zur dreischichtigen Muskulatur der Magenwand (Siewert et al. 1987; Siewert u. Stein 1996). Intraoperativ kann das orale Ende des serosabedeckten Magens bzw. der Beginn der tubulären, nicht serosabedeckten Speiseröhre aus chirurgischer Sicht als Kardia definiert werden. Wünschenswert wäre aber natürlich eine zuverlässige präoperative endoskopische Lokalisation. Hier ist man übereingekommen, dem Vorschlag Spechlers zu folgen und das orale Ende der typischen längsgestellten Magenschleimhautfalten
39
. Abb. 39.2. Klassifikation der AEG anhand der anatomischen Lokalisation
. Abb. 39.1. Trends der Inzidenz für das Adenokarzinom des Magens bei US-amerikanischen männlichen Patienten, differenziert nach ethnischer Zugehörigkeit und anatomischer Lokalisation, 1974–1976 und 1992–1994. (Nach Devesa et al. 1998)
als Kardia zu definieren (Stein et al. 2000). Gänzlich ungeeignet ist die sog. Z-Linie, die lediglich die Grenze zwischen Platten- und Zylinderepithel wiedergibt. Diese Z-Linie ist aber unstet und wandert im Laufe des Lebens nach oral, insbesondere im Zusammenhang mit einer Refluxkrankheit (Siewert et al. 1987; Siewert u. Stein 1996). Auf dem Boden dieser endoskopischen Definition der Kardia können die AEG klassifiziert werden.
39.2
Klassifikation
Eine derartige Klassifikation wurde von uns bereits 1987 (Siewert et al. 1987) vorgeschlagen und ist 1998 auf einer Konsensuskonferenz allgemein anerkannt worden (Siewert u. Stein 1998; Stein et al. 2000). Sie ist heute Grundlage der meisten Publikationen und trägt sehr zum Verständnis und zur Vergleichbarkeit von in Literatur beschriebenen Ergebnisse bei (Fein et al. 1998; Kodera et al. 1999; Siewert u. Stein 1996; Siewert et al. 2000). Die Klassifikation erfolgt unter topographisch-anatomischen Gesichtspunkten, orientiert an dem meist zu identi-
39
511 39.3 · Epidemiologie und Tumorbiologie
. Tab. 39.1. Demographische und morphologische Unterschiede bei 1451 konsekutiven resezierten AEG. Patienten der TU München
AEG I (n=549)
AEG II (n=443)
AEG III (n=459)
60,6±11,4
62,6±12,1
10,4:1
5,2:1
2,1:1
78
5,8
1,9
Grading G3/G4 (%) (Prävalenz)
53,5
60
72,5
Intestinaler Typ (%) nach Laurén (Prävalenz)
81,3
56,4
33,4
Alter bei Diagnose
(Jahre) 60,1±10,4
Verteilung m:w Spezialisierte intestinale Metaplasie (Prävalenz) . Abb. 39.3. DeMeester-Klassifikation 2007. Der gastroösophageale Übergang ist durch die histologische Bestimmung der proximalen Grenze der magentypischen Mukosa definiert (Chandrasoma et al. 2007)
fizierenden Tumorzentrum (. Abb. 39.2; Siewert et al. 1987, 2000; Siewert u. Stein 1996, 1998; Stein et al. 2000): 4 Ist das Zentrum oral der endoskopischen Kardia (s. oben) lokalisiert, wird der Tumor als Typ I klassifiziert 4 Tumoren, deren Zentrum direkt in Höhe der anatomischen Kardia gelegen ist, entsprechen dem Typ II. 4 Ist das Tumorzentrum eindeutig unterhalb des oralen Endes der typischen Magenschleimhautfalten lokalisiert, entspricht der Tumor dem Typ III. Gelingt es bei fortgeschrittenen Tumoren nicht mehr, das Tumorzentrum zu identifizieren, erfolgt die Klassifikation entsprechend der Lokalisation der Haupttumormasse: Sind mehr als 50% des Tumors im Bereich des tubulären Ösophagus lokalisiert, entspricht er definitionsgemäß dem Typ I, dies gilt entsprechend für den Typ III (Siewert u. Stein 1996, 1998). DeMeester definiert den gaströsophagealen Übergang als orales Ende der histologisch nachweisbaren magentypischen Schleimzellen (. Abb. 39.3). Diese Grenze liegt etwa 2 cm aboral der anatomischen Kardia. Sie ist zudem immer erst am Resektionspräparat, d. h. postoperativ zu identifizieren. Damit kommt dieser Klassifikation bei der therapeutischen Entscheidungsfindung keine klinische Relevanz zu.
(%)
. Tab. 39.2. Vergleich der pT-, pN- und pM-Kategorien bei 1451 konsekutiven resezierten AEG-Patienten der TU München
AEG I (n=549)
AEG II (n=443)
AEG III (n=459)
T-Kategorie pT1
182 (33,2%)
71 (16,0%)
37 (8,1%)
pT2
138 (25,1%)
246 (55,5%)
151 (32,9%)
pT3
199 (36,2%)
97 (21,9%)
196 (42,7%)
pT4
30 (5,5%)
29 (6,6%)
75 (16,3%)
pN0
253 (46,1%)
155 (34,9%)
98 (21,4%)
pN+
296 (53,9%)
288 (65,1%)
361 (78,6%)
69 (12,6%)
74 (16,7%)
118 (25,7%)
453 (82,5%)
361 (81,5%)
312 (67,9%)
96 (17,5%)
82 (18,5%)
147 (32,1%)
N-Kategorie
M-Kategorie pM1 R-Kategorie
39.3
Epidemiologie und Tumorbiologie
Eine wichtige Frage in Hinblick auf therapeutische Konsequenzen ist, ob diese 3 Tumorentitäten Unterschiede in ihrer Biologie aufweisen oder nicht. Die Analyse eines großen Krankengutes (Siewert u. Stein 1996; Siewert et al. 2000) zeigt in der Tat Unterschiede sowohl in der Epidemiologie als auch in der Tumorbiologie (. Tab. 39.1 und . Tab. 39.2), die in der Literatur bestätigt werden (Fein et al. 1998; Goldfaden et al. 1986; Kodera et al. 1999; Papachristou u. Fortner 1980; Stark et al. 1996; Tachimori et al. 1996). Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
R0 R1/R2
4 Die intestinale Metaplasie (im Englischen als »specialized intestinal epithelium« bezeichnet) findet sich praktisch ausschließlich im Zusammenhang mit dem Tumortyp I und nur ausnahmsweise (ca. 10% der Fälle) beim Tumortyp II (DeMeester u. DeMeester 2000; Siewert et al. 1997; Siewert u. Stein 1996).
512
Kapitel 39 · Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom
. Tab. 39.3. Häufigkeit und Dauer von Refluxbeschwerden vor der Karzinomdiagnose bei Patienten mit Adenokarzinom des distalen Ösophagus (AEG I), Kardiakarzinom (AEG II) und Plattenepithelkarzinom des Ösophagus (SCC). (Nach Lagergren et al. 1999)
Variable
AEG I (n=549)
AEG II (n=443)
AEG III (n=459)
Odds-Ratio Häufigkeit von Refluxbeschwerden . Abb. 39.4. Prävalenz von Lymphknotenmikrometastasen bei nach Standardhistologie als pN0-klassifizierten Patienten mit einem AEG
4 Das Grading ist beim Typ I günstiger als bei den Typen II und III (Siewert u. Stein 1996; Siewert et al. 2000). 4 Der Tumorwachstumstyp (definiert nach Laurén 1965) ist beim Typ I in ca. 80% der Fälle intestinal. Dies unterscheidet sich eindeutig vom Wachstumstyp der Typen II und III (Siewert u. Stein 1996; Siewert et al. 2000). 4 Der p53-Mutationsstatus weist beim Typ I besonders häufig Deletionen auf (Flejou et al. 1994; Ireland et al. 2000; Sarbia et al. 1993; Schneider et al. 1997). 4 Das Phänomen des Lymphknotenmikroinvolvements und der Lymphknotenmikrometastasierung erscheint beim Typ I verzögert aufzutreten und unterscheidet sich damit eindeutig vom Metastasierungverhalten der Tumortypen II und III (Mueller et al. 2000; . Abb. 39.4). 4 Der Tumormetabolismus aufgezeigt in der Positronenemissionstomographie (PET) ist beim Typ I deutlich aktiver als bei den Typen II und III (Ott et al. 2003; . Abb. 39.5).
. Abb. 39.5. Illustration der deutlich höheren Glukoseaufnahme des Primärtumors in der FDG-PET-Untersuchung beim AEG I im Vergleich zum AEG III
39
(Keine Symptome)
1
1
1
1-mal pro Woche
5,1
2
0,9
2- bis 3-mal pro Woche
6,3
1,9
1,2
16,7
2,3
1,4
>3-mal pro Woche
Dauer der Refluxsymptome (Keine Symptome)
1
1
1
<12 Jahre
7,5
1,6
1,6
12–20 Jahre
5,2
1,8
0,9
16,4
3,3
1,2
>20 Jahre
4 Dem pathologischen gastroösophagealen Reflux kommt nur beim Typ I patho- bzw. onkogenetische Bedeutung zu (Lagergren et al. 1999; . Tab. 39.3). Man kann diese Befunde dahingehend interpretieren, dass v. a. dem Typ I, d. h. dem Barrett-Karzinom, eine Sonderstel-
513 39.4 · UICC-Klassifikation
lung unter den AEG-Karzinomen zukommt. Der Typ II weist dagegen eher Gemeinsamkeiten mit dem Typ III auf, d. h. er verhält sich tumorbiologisch eher wie ein Magenkarzinom. Diese Erkenntnisse sind wichtig, weil sie therapeutische Konsequenzen haben (Cameron et al. 1995; Fein et al. 1998; Siewert et al. 2000; Tachimori et al. 1996; Stein 2003).
39.4
UICC-Klassifikation
Nach der neuen UICC-Klassifikation (2009) gilt für die Adenokarzinome des gastroösophagealen Überganges die TNMKlassifikation des Ösophaguskarzinoms: 4 Ein Tumor, dessen Zentrum in einem Abstand von 5 cm vom ösophagusgastalen Übergang liegt und in den ösophagusgastralen Übergang hinein reicht, wird nach dem Schema der Ösophaguskarzinome klassifiziert. 4 Alle anderen Tumoren mit einem Zentrum im Magen und mehr als 5 cm vom ösohagusgastralen Übergang entfernt oder Tumoren deren Zentren innerhalb eines Abstandes von ca. 5 cm liegt aber nicht in den ösophagusgastralen Übergang hineinreicht, werden nach diesem Schema als Magenkarzinome klassifiziert.
lymphatischen Abflussgebiet des Ösohagus bzw. der Kardia lokalisiert sind, eingeschlossen die zoeliakalen und paraösophagealen Lymphknoten. 4 Diese neue UICC-Vorgabe vereinfacht die TNM-Klassifikation zwar, wird aber den Besonderheiten der Adenokarzinome des gastroösophagealen Übergangs nicht gerecht, sodass es für den klinischen Alltag und vor allem im Hinblick auf die chirurgischen Konsequenzen sinnvoll erscheint, die AEG-Klassifikation prätherapeutisch einzusetzen, während die TNM-Klassifikation im Hinblick auf die prognostische Einschätzung eines Tumors postoperativ als histologische Klassifikation genutzt werden sollte. Die Interpretation der Überlebenskurven gemäß dieser unterschiedlichen TNM-Klassifikation zeigt eine treffendere prognostische Voraussage für die Klassifikation des Magenkarzinoms (. Abb. 39.6 und . Abb. 39.7).
Es erscheint empfehlenswert, die Kardiakarzinome vom Typ II entsprechend der UICC/AJCC(American Joint Committee on Cancer)-Kriterien für das Magenkarzinom zu klassifizieren.
Bezüglich der regionalen Lymphknoten ist Folgendes festgelegt: 4 Unabhängig vom Sitz des primären Tumors sind die regionären Lymphknoten diejenigen Lymphknoten, die in dem
Auch die Lymphabflusswege bedürfen für das eigentliche Kardiakarzinom (Typ II) einer neuen Klassifikation (Aikou u. Shimazu 1989; Hsu et al. 1997; Mueller et al. 2000; Yonemura
. Abb. 39.6. Stadienabhängige 5-Jahres-Überlebensraten nach Kaplan-Meyer der Kardiakarzinome (AEG II) klassifiziert nach den
UICC/AJCC-Kriterien für Ösophaguskarzinome (n=443). Patienten der TU München
39
514
Kapitel 39 · Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom
. Abb. 39.7. Stadienabhängige 5-Jahres-Überlebensraten nach Kaplan-Meyer der Kardiakarzinome (AEG II) klassifiziert nach den
UICC/AJCC-Kriterien für Magenkarzinome (n=443). Patienten der TU München
et al. 1995). Die Topographie des Lymphknotenbefalls zeigt . Abb. 36.7. Klassifizierte man die Lymphknotenmetastasen gemäß denen beim Ösophaguskarzinom, entsprächen positive Lymphknoten im unteren hinteren Mediastinum und parakardial der N1-Kategorie, positive Lymphknoten am Truncus coeliacus und entlang der großen und kleinen Kurvatur der M1-Kategorie. Bei einer Klassifikation des Lymphknotenbefalls analog der beim Magenkarzinom wäre die Anzahl der befallenen Lymphknoten entscheidend.
Auch unter dem Aspekt der lymphatischen Metastasierung erscheinen die UICC/AJCC-Kriterien des Magenkarzinoms für die Kardiakarzinome geeigneter als die des Ösophaguskarzinoms.
39
39.5
. Abb. 39.8. Topographisch anatomische Verteilung der Lymphknotenmetastasen beim resezierten Kardiakarzinom (AEG II; Daten der TU München)
Therapeutische Konsequenzen
In den operativen Zentren, die mit der Behandlung der AEG größere Erfahrung haben, bestehen durchaus unterschiedliche Therapiekonzepte für diesen Tumortyp. Die BelseySchule (DeMeester/LosAngeles, Lerut/Leuven etc.) versteht die AEG als eine Tumoreinheit ohne wesentliche Unterschiede, v. a. zählt sie den Typ II eher zum Ösophaguskarzinom (Cameron et al. 1995; Clark et al. 1994; DeMeester u. DeMeester 2000; Ellis et al. 1998; Stark et al. 1996; Steup et al.
515 39.5 · Therapeutische Konsequenzen
. Tab. 39.4. AEG-Klassifikation als Voraussetzung für klinische Studien – Chirurgische Ergebnisse
. Tab. 39.5. AEG-Typ-I-Karzinom (Barrett-Karzinom): Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
AEG-Typ
Chirurgisches Verfahren
Typ I
Transthorakale Ösophagektomie besser als transhiatale Ösophagektomie
Frühkarzinom (HGD/uT1-Kategorie)
Typ II
Transhiatale Ösophagektomie oder transhiatale erweiterte totale Gastrektomie besser als Ösophagektomie Transhiatale erweiterte Gastrektomie besser als links-thorakale Resektion
Limitierte Resektion des distalen Ösophagus und gastroösophagealen Übergangs mit Jejunuminterposition Regionale Lymphadenektomie (ggf. Sentinel-Lymphadenektomie)
Lokoregionales Karzinom (uT2-Kategorie)
Abdominothorakale subtotale Ösophagektomie mit hoch intrathorakaler Anastomose Zweifeld-Lymphadenektomie
Totale Gastrektomie besser als links-thorakale Gastrektomie Totale Gastrektomie besser als externe totale Gastrektomie
Lokal fortgeschrittenes Karzinom (uT3/T4-Kategorie)
Zunächst neoadjuvante Chemotherapie (in Studien), Zeitpunkt der Karzinomresektion je nach Response Abdominothorakale subtotale Ösophagektomie mit hoch intrathorakaler Anastomose Zweifeld-Lymphadenektomie
Typ III
1996). Damit kommt auch nur ein einheitliches Therapiekonzept zur Anwendung (links abdominothorakaler Zugang mit Resektion von proximalem Magen und distalem Ösophagus). Trotz unterschiedlicher Vorgehensweisen ist die Notwendigkeit der regionalen Lymphadenektomie unumstritten (Ellis et al. 1998; Kajiyama et al. 1997; Steup et al. 1996; Yonemura et al. 1995). Beim Betrachten der beiden Konzepte muss man erkennen, dass das erste Therapiekonzept in allen Fällen eine linksthorakale Thorakotomie mit Durchtrennung des linken Rippenbogens notwendig macht (sog. uniformes Therapiekonzept; Goldfaden et al. 1986; Stark et al. 1996), wäh-
rend bei dem individualisierten Therapiekonzept in Zweifelsfällen dem Patienten eine Thorakotomie erspart werden kann zugunsten einer transhiatal erweiterten distalen Ösophagusresektion (Harrison et al. 1997; Papachristou u. Fortner 1980; Siewert et al. 1999; Waymann et al. 1996). Insbesondere in Hinblick auf die postoperative Lebensqualität erscheint das zweite individualisierte Therapiekonzept als das Empfehlenswerte (niedrigere Operationsletalität, geringere Morbidität, bessere Lebensqualität) bei vergleichbaren Langzeitergebnis-
. Tab. 39.6. Übersicht über die verwendeten chirurgischen Resektionstechniken und die postoperative Mortalität bei 1451 konsekutiven resezierten Adenokarzinomen des ösophagogastralen Übergangs (AEG) der TU München
AEG I (n=549) Ösophagektomie
AEG II (n=443)
AEG III (n=459)
Summe
474 (86,3%)
77 (17,4%)
9 (1,9%)
560 (38,6%)
Transhiatal erweiterte Gastrektomie
23 (4,2%)
346 (78,1%)
446 (97,2%)
815 (56,2%)
Limitierte Resektion
52 (9,5%)
20 (4,5%)
4 (0,9%)
76 (5,2%)
30-Tage-Mortalität
21 (3,8%)
16 (3,6%)
13 (2,8%)
50 (3,4%)
. Tab. 39.7. AEG-Karzinom Typ II und Typ III: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie Frühkarzinom (uT1-Kategorie)
Proximale Gastrektomie mit transhiataler Resektion des distalen Ösophagus und Jejunuminterposition Modifizierte D2-Lymphadenektomie (ggf. Sentinel-Lymphadenektomie) Alternativ: transhiatal erweiterte totale Gastrektomie, D2-Lymphadenektomie
Lokoregionales Karzinom (uT2-Kategorie)
Transhiatal erweiterte totale Gastrektomie D2-Lymphadenektomie
Lokal fortgeschrittenes Karzinom (uT3/T4-Kategorie)
Zunächst neoadjuvante Chemotherapie (in Studien) Transhiatal erweiterte totale Gastrektomie D2-Lymphadenektomie; ggf. Erweiterungen
39
516
Kapitel 39 · Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom
. Abb. 39.9. 5-Jahres-Überlebensrate der R0-resezierten Kardiakarzinome (AEG II, n=443) nach Operationstechnik unterschieden. Gastrektomie (n=366) vs. Ösophagektomie (n=77)
sen (. Abb. 39.9; Goldfaden et al. 1986; Parshad et al. 1999; Siewert et al. 2000; Stark et al. 1996).In den letzten Jahren sind auf dem Boden der jetzt allgemein anerkannten AEG-Klassifikation mehrere prospektiv randomisierte Studien zur Verfahrenswahl durchgeführt worden. In diesen Studien ist die hier beschriebene Verfahrenswahl bestätigt worden: 4 AEG-Typ I: Transthorakale Ösophagektomie mit hoher intrathorakaler Anastomose (sog. Ivor-Lewis-Verfahren) 4 AEG-Typ II/III: Transhiatal erweiterte totale Gastrektomie
39
Als weiteres Argument für diese differenzierte Verfahrenswahl kann die bessere postoperative Lebensqualität nach Gastrektomie gesehen werden. Ein Argument mehr, die totale, ggf. transhiatal erweiterte Gastrektomie, wann immer technisch möglich, bei den AEG-Typ II und III einzusetzen. In einigen Zentren wird derzeit auch die Notwendigkeit der totalen Gastrektomie bei diesem Tumortyp (III) wieder zur Diskussion gestellt und aus onkologischer Sicht die proximale Gastrektomie und distale Ösophagektomie überlegt. Dieses Operationsverfahren war über Jahre aus der Mode gekommen, weil die direkte Rekonstruktion durch Ösophagogastrostomie zu einer schweren alkalischen Refluxösophagitis und damit zu einer schlechten Lebensqualität des Patienten geführt hatte (Ellis et al. 1998; Graham et al. 1998; Parshad et al. 1999; Siewert et al. 1997). Aktuell wird deswegen die Jejunum- oder Kolonsegmentinterposition zwischen Ösophagusstumpf und distalem Magenrest als bessere Rekonstruktionsalternative diskutiert. Eine als ausreichend angesehene proximale Gastrektomie mit einer guten funktionellen Rekonstruktion wird damit wieder zunehmend akzeptiert, insbesondere bei Frühbefunden (Stein et al. 2000).
39.6
Prognose
Aus chirurgischer Sicht ist die Prognose der AEG nur durch eine R0-Resektion günstig zu beeinflussen (. Abb. 39.10). Deswegen ist die R0-Resektion auch entscheidendes Therapieziel. Im Übrigen ist die Prognose stadienabhängig, wobei insbesondere der Lymphknotenstatus prognostisch entscheidend ist (Ellis et al. 1998; Kajiyama et al. 1997; Siewert u. Stein 1996; Siewert et al. 2000; Steup et al. 1996). Bei separater Betrachtung der 3 AEG-Subtypen (. Abb. 39.11) wird klar, dass die Typen I und II bei adäquater Therapie mit einer signifikant besseren Prognose einhergehen im Vergleich zum Typ III (Siewert u. Stein 1996; Siewert et al. 2000). Dies ist auf die deutlich ungünstigere Stadienverteilung beim AEG III zurückzuführen (. Tab. 39.2). Die holländische prospektiv randomisierte Studie (Omloo 2007) hat zudem gezeigt, dass eine signifikante Prognoseverbesserung beim Typ-I-Karzinom nur durch transthorakale Resektion und adäquate mediastinale Lymphadenektomie erreichbar ist. Die Prognoseverbesserung gilt allerdings nur für ein frühes Metastasierungsstadium (1–8 befallene Lymphknoten; . Tab. 39.8 und . Tab. 39.9), wobei die Anzahl der befallenen Lymphknoten, bei der eine Lymphadenektomie zu einer Prognoseverbesserung führt, sehr unterschiedlich angegeben wird. Die in der holländischen Studie genannte obere Grenze von 8 Lymphknoten erscheint eher hoch. In der übrigen Literatur wird der Prognosesprung eher bei 2–3 Lymphknoten gesehen. Aus diesem Grunde macht die TNM-Klassifikation im Hinblick auf die regionären Lymphknoten bereits jenseits von 2 befallenen regionären Lymphknoten den Sprung von N1 zu N2.
517 39.6 · Prognose
. Abb. 39.10. 10-Jahres-Überlebensrate bei 1451 resezierten Adenokarzinomen des ösophagogastralen Übergangs (AEG) der TU München, Einfluss der R-Kategorie
. Abb. 39.11. 10-Jahres-Überlebensrate bei R0-resezierten AEG-Karzinomen der TU München, unterschieden nach Tumorlokalisation
39
518
Kapitel 39 · Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom), sog. Kardiakarzinom
Literatur . Tab. 39.8. Evidenzbasierte Indikation zur Lymphadenektomie (5-Jahres-Ergebnisse, n=220) (nach Omloo u. Lanschot 2007
TT Oes
TH Oes
36%
34% n.s.
5-Jahres-Überleben Alle resezierten Patienten
51%
37%
Nur AEG I
93%
89% n.s.
Lymphknotenmetastasierung N0
75%
58%
N1–8
67%
55% n.s.
N>8
. Tab. 39.9. Quality of Life Score – Vergleich Gastrektomie/ Ösophagektomie (Barbour et al. 2008). TG = totale Gastroektomie; TTO = transthorakale Ösophagektomie Gesamt-Überlebensqualität TG
54 (35, 72)
54 (37, 68)
0
TTO
80 (71, 88)
61 (50, 71)
–19
TG
71 (54, 84)
83 (65, 91)
12
TTO
76 (68, 82)
81 (74, 87)
5
TG
73 (56, 85)
77 (58, 88)
4
TTO
87 (80, 92)
83 (75, 90)
–4
TG
60 (46, 73)
61 (51, 68)
1
TTO
74 (69, 79)
66 (58, 73)
–8
TG
40 (26, 56)
44 (35, 60)
4
TTO
26 (20, 35)
40 (31, 49)
14
Emotional
Kognitiv
Sozial
Fatigue
39
Health-related Quality of life TG
60 (44, 74)
59 (40, 73)
–1
TTO
80 (71, 87)
68 (56, 78)
–12
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39
40 40
Magenkarzinom K. Ott, A. Sendler, A. Tannapfel, F. Lordick, J.R. Siewert
40.1
Grundlagen
– 522
40.1.1 40.1.2 40.1.3 40.1.4
Chirurgische Epidemiologie – 522 Onkogenese – 523 Pathologie und Klassifikationen – 527 Prognostische Faktoren – 532
40.2
Klinische Symptomatologie
40.3
Diagnostik und Staging
40.3.1
Staging
– 534
– 534
– 535
40.4
Operative Therapie
40.4.1 40.4.2
Therapieziele – 537 Indikationsstellung – 538
40.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
40.5.1 40.5.2
Limitierte Chirurgie im Tumorstadium IA – 538 Chirurgie des fortgeschrittenen Magenkarzinoms (Stadium IB, II, IIA)
40.6
Operationstechnik
40.6.1 40.6.2 40.6.3 40.6.4 40.6.5
Lymphadenektomie – 542 Pankreaslinksresektion und Splenektomie Subtotale Gastrektomie – 546 Totale Gastrektomie – 548 Erweiterte Gastrektomie – 549
40.7
Morbidität und Mortalität
40.7.1 40.7.2
Frühkomplikationen – 550 Spätkomplikationen – 550
40.8
Ergebnisse der Chirurgie
40.9
Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative Therapieprinzipien – 551
40.9.1 40.9.2 40.9.3 40.9.4 40.9.5
Präoperative bzw. perioperative Chemotherapie – 551 Postoperative adjuvante Therapieverfahren – 553 Additive Therapie – 554 Intraperitoneale Chemotherapie – 554 Palliative Chemotherapie – 554
40.10
Rezidive
40.11
Empfehlungen zur Nachsorge
40.12
Ausblick Literatur
– 537
– 542
– 557
– 546
– 550
– 551
– 555
– 557
– 538
– 556
– 540
522
Kapitel 40 · Magenkarzinom
> Die Zeiten, in denen die Diagnose »Magenkarzinom« gleichbedeutend mit einer Operation war, sind vorbei. Heutzutage ermöglicht die moderne Diagnostik eine genaue Erfassung der individuellen Tumorsituation jedes Patienten. Dies ermöglicht eine maßgeschneiderte Therapie. Nur dadurch ist es möglich, für Subgruppen von Patienten die Prognose nachhaltig zu verbessern. Der Chirurgie kommt aber unverändert eine Schlüsselrolle bei der Therapie des Magenkarzinoms zu: Der Chirurg ist häufig der erste Ansprechpartner nach Diagnosestellung. Nur durch genaue Kenntnis der sich wandelnden Epidemiologie – die auch die Resektion operativ anspruchsvoller macht –, der Onkogenese, der operativen und therapeutischen Grundlagen kann eine sinnvolle, stadienabhängige Indikation verantwortlich gestellt werden. Die operative Bandbreite reicht von endoskopisch-laparoskopisch kombinierten Eingriffen bis hin zu multiviszeralen Resektionen. Bei den lokal fortgeschrittenen Stadien kommen zunehmend multimodale Strategien zum Einsatz; gerade beim Einsatz neoadjuvanter Therapien ist dazu die Vorstellung der Patienten in einem Tumorboard erforderlich. Die moderne Onkologie verlangt vom Chirurgen, neue Wege in der interdisziplinären Therapie zu begehen. Das Magenkarzinom ist ein schon klassisches Beispiel, wie durch fortgesetzte Innovation und interdisziplinäre Therapie die Prognose der Patienten nachhaltig verbessert werden kann.
40.1
Grundlagen
40.1.1 Chirurgische Epidemiologie
40
Trotz sinkender Prävalenz hat das Adenokarzinom des Magens nach wie vor eine große klinische Bedeutung. In Deutschland erkrankten im Jahre 2002 insgesamt fast 20.000 Personen (11.200 Männer, 8250 Frauen (Robert Koch-Institut 2007) an einem Magenkarzinom. Es ist bei Frauen die fünfthäufigste und bei Männern die sechshäufigste Tumorerkrankung und gehört mit zu den häufigsten tumorbedingten Todesursachen (Frauen 4., Männer 5. Stelle). Das mittlere Erkrankungsalter liegt für Männer bei 71, für Frauen bei 75 Jahren, bei beiden Geschlechtern steigt die Inzidenz deutlich mit fortschreitendem Alter. Seit 1930 sinkt die Inzidenz des Magenkarzinoms, zwischen 1980 und 1999 in der EU um 45%. Seit den 1990er-Jahren ist in Deutschland die Neuerkrankungsrate jedoch unverändert. Das altersadaptierte relative 5-Jahres-Überleben für den Zeitraum 2000–2002 liegt in Europa bei 25% (Verdecchia et al. 2007). Die Inzidenz des Magenkarzinoms ist am höchsten in Japan, Südamerika, Osteuropa und Teilen des Mittleren Osten. In den meisten Ländern erreicht die Mortalität die Inzidenz. Die einzige Ausnahme hiervon bildet Japan, das trotz des epidemischen Auftretens der Erkrankung ein Sinken der Mortalitätsrate während der vergangenen 25 Jahre verzeichnen konnte. Hauptgrund dafür ist die Durchführung von Massenuntersuchungen seit Mitte der 1960er-Jahre, durch die hohe Inzidenz sind diese »Screeninguntersuchungen« in Japan kosteneffektiv. Die Analyse von Migrationsbewegungen von Gebieten mit hoher zu Gebieten mit niedriger Inzidenz hat Umwelteinflüsse für die Entstehung des Magenkarzinoms wahrscheinlich ge-
macht. Bei japanischen Emigranten, die von Präfekturen mit höchstem Risiko nach Hawaii umsiedelten, persisierte das Risiko des Magenkarzinoms, wenn später eine westliche Diät angenommen wurde. Dieses hohe Risiko wurde ebenfalls in der zweiten Generation dieser Emigranten beobachtet, wenn sie sich weiterhin traditionell japanisch ernährten. Falls jedoch westliche Ernährungsgewohnheiten in der 2. Generation angenommen wurden, sank die Inzidenz deutlich. Diese Studie belegt, dass einerseits Umwelteinflüsse im frühen Leben essenziell zur Erhöhung des Risikos sind, dass aber andererseits auch kontinuierliche Umwelteinflüsse die Prädisposition zum Magenkarzinom erhöhen (Boeing 1991; Correa 1985). Gleichzeitig zum Rückgang des Magenkarzinoms hat sich die Lokalisation der Tumoren geändert. War das Magenkarzinom in früheren Jahren vor allen im distalen Magen zu finden, findet es sich nun mehr und mehr im proximalen Magen und am gastroösophagealen Übergang (Siewert et al. 1995a; Siewert und Stein 1998). Diese Zunahme ist von klinischer Bedeutung, da diese Tumoren meist in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden. Der Anteil der proximalen Magenkarzinome und von Adenokarzinomen der Kardia stieg von 1984–1993 von 29,1% auf 52,2% (Hohenberger u. Gretschel 2003). Aktuelle epidemiologische Studien stellen das vermehrte Auftreten von proximalen Magenkarzinomen allerdings in Frage, Grund der Zunahme sei eine verbesserte Klassifikation aller Magenkarzinome (Corley u. Kubo 2004). Diese Tumoren müssen von den Adenokarzinomen des distalen Ösophagus in Genese und histologischem Subtyp unterschieden werden. Nur keine kleine Gruppe von ihnen wird anscheinend durch die Refluxkrankheit ausgelöst, eine Fundoplikatio stellt somit keinen Schutz dar (Ye et al. 2001). Über die Gründe dieser Zunahme kann bis heute nur spekuliert werden. Studien belegen, dass die H.-pylori-Kolonisation nur selten mit dem Adenokarzinom der Kardia vergesellschaftet ist, sie wird vermehrt beim Adenokarzinom des distalen Magens gefunden (Kamangar et al. 2006). Ferner existiert eine Korrelation zwischen der Lokalisation eines Tumors und der Klassifikation nach Laurén. Während ungefähr 50% aller Antrum- oder Korpuskarzinome intestinale Typen nach der Laurén-Klassifikation sind, repräsentiert dieser Typ des Magenkarzinoms nur 36% der proximalen Magenkarzinome, aber bis zu 68% der Kardiakarzinome und fast 80% der Adenokarzinome des distalen Ösophagus. Diese deutliche Zunahme der intestinalen Karzinome könnte bedeuten, dass vor allen Dingen Umweltfaktoren für die Entwicklung der proximalen Magenkarzinome verantwortlich sind. Die Therapie des Magenkarzinoms hat sich in den letzten Jahren immer mehr differenziert und spezialisiert. Der alleinige operative Ansatz ist beim lokal fortgeschrittenen Tumor multimodalen Therapiekonzepten gewichen. Es ist heutzutage anzustreben, für jeden Patienten abhängig von der initialen Tumorkategorie und Lokalisation ein individuelles therapeutisches Konzept zu entwerfen. Prätherapeutische interdisziplinäre Tumorboards bestehend aus Chirurgen, Endoskopikern, Onkologen und Sttrahlentherapeuten stellen das optimale Diskussionsforum dar. Die wichtigsten Fortschritte sind in den letzten Jahren auf den Gebieten des prätherapeutischen Stagings, der Identifika-
523 40.1 · Grundlagen
tion von relevanten prognostischen Faktoren und neuen multimodalen Techniken mit Responseevaluation erzielt worden. Dadurch ist die individualiserte Therapie bereits z. T. Realität geworden. Randomisierte Phase-III-Studien haben in Europa belegt, dass durch perioperative Chemotherapie das Überleben im Vergleich zu alleiniger Chirurgie signifikant verbessert werden kann. Exzellente Daten aus Japan zeigen einen signifikanten Überlebensvorteil von adjuvant mit S-1-therapierten Patienten. In den USA ist entsprechend der SWOGStudie noch immer die adjuvante Radio-/Chemotherapie Standard. Somit ist heute ein interdisziplinäres Management für das Magenkarzinom mit dem Wissen um verschiedenen Behandlungsoptionen, ihre Ergebnisse, Vorteile, Nachteile und Komplikationen sowie die Ergebnisse neuerer Studien über neoadjuvante und adjuvante Therapieverfahren bei der Behandlung des Magenkarzinoms essenziell.
40.1.2 Onkogenese Zum besseren Verständnis der Ätiologie des Magenkarzinoms ist die Kenntnis der Klassifikation nach Laurén wichtig: 1965 beschrieb Laurén zwei verschiedene histologische Typen des Magenkarzinoms, den intestinalen und den diffusen Typ (Laurén 1965). Diese beiden Typen bieten ein plausibles Modell zum besseren Verständnis der Ätiologie und Epidemiologie dieser Krankheit. Der intestinale Typ des Magenkarzinoms entsteht vor allen Dingen aus präkanzerösen Arealen wie aus der Magenatrophie oder der intestinalen Metaplasie innerhalb des Magens. Er ist öfter bei Männern und in der älteren Generation anzutreffen. Der intestinale Typ repräsentiert den vorherrschenden histologischen Typ in Gebieten, in denen das Magenkarzinom epidemisch ist. Der intestinale Typ tritt auch bei Magenkarzinomen im Rahmen des HNPCC-Syndroms gehäuft auf. Der diffuse Typ entsteht typischer Weise nicht auf dem Boden von präkanzerösen Läsionen. Er präsentiert den vorherrschenden histologischen Typ in Endemiegebieten, er tritt etwas häufiger bei Frauen und bei jungen Patienten auf. Das familiäre Magenkarzinomsyndrom mit einer E-CadherinKeimbahnmutation ist mit dem diffusen Typ nach Laurén assoziiert. Dieses legt eine genetische Ätiologie nahe.
Bei beiden Typen der Gastritis regeneriert sich das Epithel, die Mukosa aber unterliegt einer fortlaufenden Atrophie und wird teilweise durch intestinalartiges Epithel ersetzt; dieses kann über den Weg der Dysplasie zur Malignität entarten. Das Risiko der Entwicklung eines Magenkarzinoms bei Vorhandensein einer chronischen Gastritis liegt bei 10% über 10 Jahre (Albert 1995). Verschiedene Langzeitanalysen bei Patienten mit perniziöser Anämie haben eine 1- bis 10%-ige Inzidenz des Magenkarzinoms bei dieser Erkrankung gezeigt (Fuchs u. Mayer 1995; Ye u. Nyren 2003). Das Risiko der Karzinomentstehung ist direkt proportional zur Schwere der Gastritis und betrifft praktisch nur die Form des intestinalen Karzinoms. Die diskutierten Mechanismen sind einerseits bakterielle Überwachsungen im achlorhydrischen Magen, interne pH-Verschiebungen (Hypergastrinämie als Folge der Atrophie) und das neoplastische Potenzial proliferierender Zellen in der Nähe einer chronischen Entzündung (gesteigerte DNA-Syntheserate). Das Risiko der Malignomentstehung bei Patienten mit Perniziosa ist ungefähr 4- bis 6-fach höher als das der Normalpopulation. Das Risiko ist am höchsten in jüngeren Altersgruppen, in der Altersgruppe über 70 Jahre gleicht es dem Risiko der Allgemeinbevölkerung. Diese Patienten haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko der Entwicklung von neuroendokrinen Tumoren des Magens. Diese könnten sekundär bei verlängerter Säuresuppression, Hypergastrinämie und darauf folgender neuroendokriner Hyperplasie entstehen (Antonioli 1990). Nach diesen Befunden ist die Frage aufgeworfen worden, ob die endokrine Achlorhydrie des Magens, indiziert durch HistaminrezeptorAntagonisten (H2-Blocker) und Protonenpumpeninihibitoren ebenfalls zu einem erhöhten Risiko führt. Bis heute hat jedoch keine Studie ein erhöhtes Tumorrisiko, nach Langzeiteinnahme oben genannter Medikamente, beweisen können (Elder 1995).
Intestinale Metaplasie und Dysplasie
Atrophische Gastritis und perniziöse Anämie
Die intestinale Metaplasie wird pathohistologisch in drei Gruppen, abhängig von der Morphologie und der Muzinhistochemie, klassifiziert. 4 Typ 1 zeigt reife absorptive Zellen und neutrale Muzine. 4 Typ 2 zeigt keine reifen absorptiven Zellen, jedoch Muzine und neutrale Muzine 4 Bei Typ 3 ist die Morphologie ähnlich zum Typ 2, die Muzine sind jedoch sulphiert.
Die atrophische Gastritis wird in zwei Hauptgruppen eingeordnet: Der autoimmune Typ A, der mit der Perniziosa assoziiert ist, und der Typ B, der durch Umwelteinflüsse bedingt ist. 4 Die Veränderungen der Typ-A-Gastritis spielen sich im Fundus und Magenkorpus ab und werden auch bei Patienten gefunden, die an einer okkulten Perniziosa leiden. Die Karzinome, die sich in Verbindung mit dem Typ A entwickeln, werden ebenfalls im Korpus und Fundus angetroffen (Correa 1988). 4 Die Typ-B-Gastritis, die am häufigsten in Gebieten mit hoher Inzidenz des Magenkarzinoms diagnostiziert wird, ist eine multifokale Erkrankung. Sie beginnt meistens an der Incisura und befällt Antrum und Korpus.
Ausgehend von retrospektiven Daten scheint der Typ 3 der Metaplasie das höchste Risiko zur malignen Transformation zu beinhalten. Das relative Risiko der Karzinomentstehung innerhalb der drei Gruppen der intestinalen Metaplasie ist noch nicht evaluiert. Die intestinale Metaplasie (IM) zeigt sich zumeist als kleiner Fokus in der foveolären Region der Antrumdrüsen, insbesondere in der Drüsenhalsregion, wo man das Stammzellkompartiment vermutet (Walker 2003). Das Ausmaß der IM nimmt mit der Zeitdauer der Entzündung zu und kann schließlich das gesamte Antrum und die kleine Kurvatur einnehmen. Das Ausmaß korreliert positiv mit der Virulenz von
40
524
Kapitel 40 · Magenkarzinom
Helicobacter pylori (CagA führt schneller zu IM) und der
genetischen Ausstattung des infizierten Individuums (Patienten mit IL-1β-, TNF-α-Gen-Polymorphismus entwickeln häufiger eine IM). Neben Helicobacter pylori wird eine IM durch einen Mangel an Vitamin C, Zigarettenrauch und Gallereflux ausgelöst. Gemeinsam ist allen ätiopathogenetisch relevanten Faktoren eine Inflammation, Atrophie, Hypochlorhydrie, bakterielles Wachstum, Nitratproduktion und DNA-Schädigung. In IM-Arealen konnten kürzlich sogar epigenetische Alterationen (Hypermethylierung des hMLH1-Mismatchrepairgenes) nachgewiesen werden (Zhang et al. 2005). Neuere Studien zeigen eine Expression von Homebox-Genen in IM-Arealen (CDX-1, -2), was auf einen Re- oder Transdifferenzierungsprozess in diesen Zellen hindeutet. Ektop exprimiertes CDX-2 gilt als der wahrscheinliche Induktor einer IM, wobei die genauen Mechanismen bisher noch nicht bekannt sind. CDX-2 aktiviert die Transkription von intestinalen Muzinen (z. B. Muc-2), Zellzyklusregulatoren (WAF-1 [p21]) oder auch E-Cadherin (Hinoi et al. 2002). Arbeiten vor allem aus Japan zeigen, dass die intestinale Metaplasie eher ein parakanzeröses Phänomen denn eine präkanzeröse Kondition ist.
Intraepitheliale Neoplasie, Magenadenome Die intraepitheliale Neoplasie (frühere Bezeichnung: Epitheldysplasie), wird als nicht invasive, aber zweifelsfrei neoplastische Epithelveränderung definiert. Sie findet sich mit einer Prävalenz von bis zu 3,75% in Gebieten mit niedriger Inzidenz und bis zu 20% in Hochrisikoregionen des Magenkarzinoms. Endoskopisch präsentieren sich intraepitheliale Neoplasien als flache, polypoide oder eingesunkene Areale. Die Magenpolypen sind in zwei Hauptgruppen eingeteilt: 4 Hyperplastische, hyper-regenerative Polypen 4 Adenome
40
75–90% der Magenpolypen sind hyperplastisch. Sie entstehen nach einer exzessiven Regeneration des foveolaren Epithels mit keiner klaren Grenze zwischen dem Polyp und der normalen Magenmukosa, eine maligne Transformation ist äußerst selten (Goldstein u. Lewin 1997). Trotz der seltenen Transformation wurde ein unabhängiges Magenkarzinom in 6–25% der Fälle gesichert (Dijkhuizen et al. 1997). 8–25% der Magenpolypen sind Adenome. Diese haben einen klar abgrenzbaren Rand zu der umgebenen Mukosa, die Adenome sind oft assoziiert mit einer intestinalen Metaplasie und verstärkten Mitoseraten (Stolte 1995). Sie zeigen oft ein kontinuierliches Wachstum. Das Auftreten kann flach, papillär oder villös sein. Eine maligne Transformation geschieht in 6–75% der Fälle mit einer geringeren Inzidenz für das kleine, flache Adenom und einem weitaus höherem Risiko für Adenome, welche über 2 cm Durchmesser haben (Takenawa et al. 2004).
Magenstumpfkarzinom 1922 wurde durch den Chirurgen Balfour die Beobachtung gemacht, dass es einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung eines Magenkarzinoms und einer vorangegangenen
distalen Gastrektomie wegen einer benignen Erkrankung gibt (Balfour 1922). Ein sog. Magenstumpfkarzinom entsteht im zurückbelassenen Magen nicht früher als 5 Jahre nach der partiellen Gastrektomie. In einer Studie wurde über die Nachbeobachtung von 4466 Patienten berichtet, die 20 Jahre zuvor wegen Ulcera ventriculi oder duodeni distal reseziert wurden (Caygill et al. 1986). Es ergab sich ein 3,7-fach erhöhtes Risiko nach Magenresektion und ein 8% erhöhtes Risiko nach gleichzeitiger Vagotomie. Das Risiko ist höher für die Billroth-II-Operation (8,6-fach erhöht), als für die Billroth-I-Operation (4,0% erhöht). Das erhöhte Risiko scheint das Ergebnis sich einer schnell ausbreitenden intestinalen Metaplasie von der gastrointestinalen Anastomose in den Magenstumpf zu sein. Nach Restgastrektomie und adäquater Lymphadenektomie (regionale Lymphknoten u. a. im Mesenterium der zuführenden Schlinge!) ist die Prognose dieser Patienten denen mit primärer Magenresektion identisch (Thorban et al. 2000).
Morbus Ménétrier Der Morbus Ménétrier ist eine seltene Krankheit, bei der Magenfaltenhypertrophie, Hyperchlorhydrie und ein Proteinverlust mit einer Hyperplasie der oberflächlichen Becherzellen des Magens assoziiert sind (Albert 1995). Ein Magenkarzinom wurde in 15% der bis heute ca. 200 beschriebenen Fälle gefunden (Elder 1995). Dieses legt nahe, dass der Morbus Ménétrier eine Präkanzerose ist, jedoch sind die Studien schwer zu interpretieren, da sie retrospektiv sind und viele Einzelfälle darstellen. Es gibt jedoch verschiedene sehr gut dokumentierte Fälle von Dysplasie, Adenom und Karzinomentwicklung bei Patienten mit Morbus Ménétrier innerhalb von 13 Jahren.
Bei Vorliegen der Erkrankung ist die jährliche endoskopische Kontrolle empfohlen.
Helicobacter pylori Obwohl die Hälfte der Weltbevölkerung mit Helicobacter pylori (H. pylori) infiziert ist, wurde erst 1983 durch Warren und Marshall diese Urease produzierende Spirochäte im menschlichen Magen entdeckt (Warren u. Marshall 1983). Die Helicobacter-pylori-Infektion wird in der Regel bereits im Kindesalter erworben und persistiert lebenslang. Ein Teil der infizierten Patienten entwickelt nach Jahrzehnten der Infektion eine multifokale Gastritis im gesamten Magen mit konsekutiver Atrophie und Hypochlorhydrie. Die Ursachen für die Entwicklung in diesem besonderen Patientenkollektiv sind unter anderem durch bakterielle Subtypen und genetische Polymorphismen im Interleukin-1-Promoter bedingt (Starzynska et al. 2006). Insbesondere die schwere Korpusgastritis mit der begleitenden Schleimhautatrophie hat ein hohes Risiko für die Entstehung distaler Adenokarzinome. Distale Adenokarzinome im Magen sind daher meist mit einer multifokalen Pangastritis und der H.-pylori-Infektion assoziiert; H.-pylori-negative Patienten zeigen keine solchen Veränderungen (Uemura et al. 2001).
525 40.1 · Grundlagen
Die WHO hat H. pylori als ein Typ-1-Karzinogen eingestuft.
Ein wesentlicher Faktor für die Kanzerogenese dieser Karzinome ist die lange Entwicklungsdauer. Auch in den westlichen Ländern zeigt sich ein eindeutiger epidemiologischer Zusammenhang zwischen der H.-pylori-Infektion und der Entstehung distaler Magenkarzinome sowie von Magenfrühkarzinomen. Dabei ist das Risiko bei dem Vorliegen von CagAStämmen auf bis zu 28-fach erhöht (Hatakeyama 2004). Durch mehre epidemiologische Studien ist eine Beziehung zwischen der Besiedelung des Magens mit H. pylori und der Entwicklung eines Magenkarzinoms demonstriert worden. Eine Studie mit mehr als 3000 Patienten aus 13 Ländern zeigte ein 6fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Magenkarzinoms in Populationen mit einer hohen Infektionsrate (Goldstone et al. 1996). Diese Populationsstudien deuten ferner darauf hin, dass eine in der Kindheit akquirierte H.-pylori-Infektion zu einer chronischen Gastritis führt. Diese persistiert für Jahrzehnte und führt in einigen Fällen zur atrophischen Gastritis, zur intestinalen Metaplasie und zur Dysplasie. In den Ländern der Dritten Welt sind bis zu 50% der Kinder im Alter von 10 Jahren bereits mit H. pylori infiziert. In den westlichen Industrienationen sind die Infektionsraten der Adoleszenten weit geringer, jedoch sind ebenfalls bis zu 50% der Erwachsenen im Alter von 60 Jahren infiziert (Peek u. Crabtree 2006). Nach Resektionen beim Magenkarzinom fand sich eine Besiedelung mit H. pylori beim intestinalen Typ in 90% der Fälle, verglichen mit nur 32% der Patienten mit dem diffusen Karzinomtyp (Forman 1996). Das Risiko der Karzinomentstehung korreliert mit steigenden H.-pyloriIgG-Antikörpertitern und ist größer, wenn der Zeitabschnitt zwischen der Diagnose der Infektion und der Karzinomdiagnose länger als 10 Jahre ist. Die Inzidenz der H.-pylori-Infektion bei den Kontrollgruppen der zitierten Studien lag zwischen 61 und 76%. Dieses zeigt, dass die meisten Personen, die an einer Infektion leiden, kein Magenkarzinom entwickeln. Bei der Pathogenese der Karzinomentwicklung durch eine H.pylori-Infektion müssen andere wichtige Kofaktoren vorhanden sein. Im Tiermodell an mongolischen Wüstenmäusen konnte gezeigt werden, dass H. pylori eine chronisch-aktive Gastritis, ein Ulkus, eine intestinale Metaplasie und schließlich in etwa einem Drittel der Fälle ein intestinales Adenokarzinom auslöst. H. pylori induziert eine Proliferation und gleichzeitige Apoptose der Mukosazellen, ferner induziert es die Expression von Interleukinen, Interferonen und TNF-α, Lipopolysacchariden, Monochloramiden und Nitritoxyd (El-Omar et al. 2003). Neben einer akuten und chronischen Entzündung sind derartige Mediatoren für die konsekutive Schleimhautatrophie verantwortlich. Interessanterweise scheint das Bakterium lediglich Inflammation, Proliferation und Apoptose zu induzieren und keine direkten genetischen Alterationen auszulösen. Die inflammatorischen Zellen werden dagegen oft in der direkten Nachbarschaft der proliferierenden Zellen gefunden und exprimieren mutierte p53-Produkte (Falk 1996).
Es scheint bewiesen, dass ein Interleukin-1-Polymorphismus in Verbindung mit einer H.-pylori-Infektion zur Karzinomentstehung prädisponieren kann (Lochhead u. El Omar 2007).
Genetische Prädisposition Eine genetische Prädisposition wird für 4–8% aller Magenkarzinome angenommen. Bisher ist nur die Mutation des E-Cadherin-Gens (cdh-1) als prädisponierender Faktor für die Ausbildung des diffusen Magenkarzinoms identifiziert worden. Dabei sind 18 verschiedene Keimbahnmutationen des cdh-1 Gens beschrieben (Park et al. 2000). Die Keimbahnmutation des cdh-1-Gens definiert damit ein autosomaldominantes Karzinomsyndrom, das als »hereditäres diffuses Magenkarzinom« bezeichnet wird. Typisch für dieses Syndrom ist ein junges Manifestationsalter. Das »International Gastric Cancer Linkage Consortium« verfügt zurzeit über eine Dokumentation von 9 Familien mit 70 Magenkarzinomerkrankungen im Alter zwischen 14 und 69 Jahren (mittleres Manifestationsalter 37,9 Jahre). Erste Schätzungen zeigen eine Penetranz von 70–80% über 80 Lebensjahre (Guilford et al. 1999; Keller et al. 1999).
Identifizierte Träger der Mutation des E-Cadherin-Gens sollten halbjährlich endoskopisch überwacht werden, eine eventuelle H.-pylori-Infektion muss eradiziert werden.
Falls ein Karzinom gesichert wird, ist die totale Gastrektomie indiziert. Die Indikation zur prophylaktischen Gastrektomie wird derzeit noch kontrovers diskutiert und ist noch kein Standard. Allerdings wurden in extrem vielen Fällen einer prophylaktischen Gastrektomie bei nachgewiesener E-Cadherin-Keimbahnmutation bereits invasive Karzinome nachgewiesen. Die ersten beiden prophlaktischen totalen Gastrektomien bei asymtomatischen Patienten mit einer E-cadherin Keimbahnmutation, jeweils mit dem Nachweis eines Siegelringzellkarzinoms wurden 2001 publiziert (Huntsman 2001). Die größte Serie mit prophylaktischen totalen Gastrektomien bei Patienten mit Keimbahnmutation konnte nur bei 2/23 präoperativ endoskopisch ein Siegelringzellkarzinom sichern. Die endgültige Histologie zeigte jedoch bereits bei 22/23 ein Siegelringzellkarzinom (Hebbart 2009). Aufgrund der geringen Mortalität und Komplikationsrate und der schlechten Screeningmöglichkeiten sollte eine prophylaktische totale Gastrektomie für Keimbahnmutationsträger diskutiert werden. Aus chirurgischen Gesichtspunkten ist darauf zu achten, dass die Magenschleimhaut komplett entfernt wird, da auch für residuelle Schleinhaut Rezidive beschrieben sind und dass bei der Rekonstruktion auf eine Optimierung der Lebensqualität z. B. durch Pouch-Rekontruktion geachtet werden sollte. Für die intestinale Form des Magenkarzinoms sind entsprechende prädisponierende Keimbahnmutationen bisher nicht identifiziert worden. Das HNPCC-Syndrom (hereditäres nicht-polypöses kolorektales Karzinom) prädisponiert nicht nur zum Kolon-, son-
40
526
Kapitel 40 · Magenkarzinom
dern auch vereinzelt zum Magenkarzinom. Das mittlere Manifestationsalter beträgt ca. 55 Jahre beim Magenkarzinom, das Kolonkarzinom tritt im Mittel ca. 10 Jahre früher auf. Das Risiko ein Magenkarzinom zu entwickeln, in HNPCC-Familien bis zu 11-fach im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöht. Histologisch handelt es sich meistens um Magenkarzinome vom intestinalen Typ. Die Magenkarzinome zeigen gleichermaßen wie die Kolonkarzinome eine Mikrosatelliteninstabilität, auf der Grundlage einer Keimbahnmutation in den DNA-Reparaturgenen mlh1 oder msh2 (Ponz de Leon 1994). Patientinnen mit BRCA-1- und -2-Mutationen, Familien mit familiärer Polyposis, RET- und LKB1-SKT-11-Mutationsträger und Li-Fraumeni-Syndrom tragen ebenfalls ein erhöhtes Magenkarzinomrisiko (Caldas et al. 1999; Oliveira et al. 2006). Ein historisches Beispiel der genetischen Prädisposition zum Magenkarzinom ist die Familie von Napoleon Bonaparte: Napoleon, sein Vater, sein Großvater und mehrere Geschwister starben an Magenkrebs.
Molekularbiologische Veränderungen beim Magenkarzinom In Analogie zu den Karzinomen des übrigen Verdauungstrakts entwickelt sich das Magenkarzinom sequenziell als mehrstufiger Prozess über präkanzeröse Bedingungen und Läsionen zum manifesten Karzinom (Tannapfel 2001). Für die zwei Haupttypen – den intestinalen Typ und den diffusen Typ nach Laurén – ist der Stufenprozess bislang lediglich für den intestinalen Typ gut charakterisiert (Correa 2003). Die klinische Beobachtung, dass Magenkarzinome in bis zu 30% heterogen sind, d. h. sowohl intestinale als auch diffuse Anteile
40
. Abb. 40.1. Genese des Magenkarzinoms
besitzen, unterstreicht die Bedeutung lokaler Faktoren des zellulären »environments« und spricht nicht gegen die pathogenetischen Konzepte. Eine dritte Differenzierungsart stellt das gastral differenzierte Karzinom dar, welches oft im proximalen Magendrittel gefunden wird. Über 60% der intestinalen Magenkarzinome enthalten zumindest gastral differenzierte Anteile, die vermutlich auf dem Boden von sog. »Pyloricgland«-Adenomen als Vorstufen entstehen. Als allgemein akzeptierte, histologisch fassbare Bestandteile der sequenziellen Entstehung des Magenkarzinoms gelten: Helicobacter pylori-Infektion, (atrophische) Gastritis, intestinale Metaplasie, intraepitheliale Neoplasie (»low grade« und »high grade«) und das (in der westlichen Hemisphäre seltene) Magenadenom. Maligne Tumoren entstehen schrittweise durch Akkumulation verschiedener genetischer Veränderungen. Diese betreffen gezielt Gene, die Schlüsselrollen in wichtigen Prozessen wie Zellzyklus und -differenzierung besetzen. Deren verändertes Zusammenspiel erklärt den malignen Charakter einer Tumorzelle. Einen weiteren Mechanismus der malignen Entartung stellt die genomische Instabilität dar, die durch Mutationen in Reparaturgenen verursacht wird. Nachweisbare Zeichen solcher Defekte sind Längenalterationen in kurzen, sich wiederholenden Sequenzen, den sog. Mikrosatelliten. Durch die Anwendung neuerer, molekularbiologischer Techniken konnten in den letzten Jahren eine Vielzahl von genetischen Veränderungen identifiziert worden, die ein verbessertes Verständnis des sequenziellen Mehrschrittprozesses der Magenkarzinomentstehung ermöglichen (. Abb. 40.1). Es existieren allerdings keine spezifischen, für das Magenkarzinom pathognomonischen genetischen Alterationen (Hofler
527 40.1 · Grundlagen
u. Becker 2003). Während die molekularpathologischen Befunde zwar unser Verständnis der Tumorbiologie des Magenkarzinoms wesentlich erweitert haben, besitzen sie keine oder nur eine sehr geringe Bedeutung in der pathohistologischen Diagnostik oder klinischen Prognoseabschätzung (Nardone 2003).
Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die teilweise eine autokrine, überwiegend jedoch eine parakrine Wirkung besitzen. Dabei werden sowohl mitogene, proliferativ wirksame Wachstumsfaktoren (EGF, TGF-α, HGF/SF) als auch wachstumsinhibierende Faktoren sezerniert (TGF-ß).
Tumorsuppressorgene und Onkogene
In Magenkarzinomzellen wurde im Vergleich zur nicht-neoplastischen Mukosa eine Telomerverkürzung beschrieben, parallel hierzu eine erhöhte Telomerase-Aktivität nachgewiesen. Eine erhöhte Telomerase-Aktivität wurde darüber hinaus in Zellen einer intestinalen Metaplasie und in der Hälfte aller untersuchten Magenadenome gefunden. Die Aktivität einer kürzlich identifizierten katalytischen Untereinheit der Telomerase korrelierte mit dem Ausmaß der Helicobacter pylori assoziierten Gastritis und wurde ebenfalls in Tumor-Vorläuferstadien gefunden. Die Immortalisierung einer präneoplastischen Zelle durch erhöhte Telomerase-Aktivität könnte daher ein sehr früher Schritt in der Karzinogenese des Magens sein.
In Magenkarzinomen wurden zahlreiche Veränderungen von Tumorsupressorgenen gefunden. Allerdings existieren auch hier keine spezifischen Alterationen, die diagnostisch verwendbar wären. Im Einzelnen handelt es sich um Mutationen und Gen- bzw. Allelverluste von Tumorsuppressorgenen die z. B. auch bei der Entstehung kolorektaler Karzinome eine Rolle spielen. So sind p53, APC und DCC an der Entstehung von Magenkarzinomen beteiligt. Die Häufigkeitsangaben schwanken in der Literatur, so ist ein »loss of heterozygosity« (LOH) auf Chromosom 17p (Genort von p53) mit unterschiedlichen Prävalenzen beschrieben, die Häufigkeitsangaben reichen bis zu 60% (Ott et al. 2003). LOH und Mutation von p53 scheinen bereits in Vorläuferläsionen aufzutreten, so in 14% aller intestinalen Metaplasien und etwa in einem Drittel aller untersuchten Adenome. Da Mutationen des p53-Gens relativ häufig auch in anderen Organtumoren beschrieben werden, könnte ein spezifisches Mutationsspektrum Aussage über mögliche relevante Karzinogene erlauben (Fenoglio-Preiser et al. 2003). So weiß man, dass Nitrosamine eine Mutation im Sinne eines GC → AT-Austausches verursachen. Derartige Transitionen sind in schlecht differenzierten Karzinomen vom diffusen Typ beschrieben worden, was allerdings noch an größeren Serien innerhalb von Fall-Kontrollstudien bestätigt werden müsste. Mutationen weiterer Mitglieder der p53-Genfamilie (p73, p63) scheinen keine Rolle in der Magentumorentstehung zu besitzen (Tannapfel et al. 2001). Mutationen des APC-Tumorsuppressorgens wurden in etwa 50% aller intestinalen Karzinome gefunden. Diffuse, schlecht differenzierte Tumoren scheinen keine Mutationen innerhalb dieses Genortes zu besitzen. Während Mutationen des Ki-ras-Onkogens in etwa 40% aller kolorektalen Karzinome auftreten, ist die Prävalenz dieser Mutationen in Magenkarzinomen etwa um den Faktor 10 geringer (Brennetot et al. 2003).
Wachstumsfaktoren/Rezeptoren Eine ganze Reihe von Rezeptor-Tyrosinkinasen, die mitogene Stimuli von an die Zelle koppelnden Wachstumsfaktoren in das Zellinnere vermitteln, ist in Magenkarzinomen alteriert. Mutationen und Amplifikationen von bestimmten Rezeptoren auf der Zelloberfläche (c-met, k-sam und c-erbB2) sind beschrieben worden (Tannapfel et al. 1996). Amplifikation von c-met und k-sam werden insbesondere in fortgeschrittenen und schlecht differenzierten Magenkarzinomen gefunden. c-erbB2, der trunkierte Rezeptor von EGF, ist im Gegensatz hierzu am häufigsten in gut differenzierten, intestinalen Tumoren amplifiziert. Tumorzellen von Magenkarzinomen sezernieren, wie die übriger Organtumoren ebenfalls, eine große Anzahl von
Telomere/Telomerase
Genetische Instabilität Im Gegensatz zum kolorektalen Karzinom, bei dem in etwa 15% aller Fälle eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI) nachgewiesen werden kann, schwanken die Angaben über Mikrosatelliteninstabilität bei sporadischen Magenkarzinomen zwischen 10 und 74% (Ishiguro et al. 2003, Ott et al. 2003). MSI-positive Karzinome scheinen in der Regel ein intaktes p53-Gen und Ki-ras-Proto-Onkogen zu besitzen, darüber hinaus zeigen sie ein dichteres lymphoides entzündliches Infiltrat. MSI-positive Tumoren wurden insbesondere bei älteren Patienten mit frühen Tumorstadien und damit einer besseren Prognose gefunden. Diese Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass möglicherweise zwei unterschiedliche »Genotypen« von Magenkarzinomen existent sind, die ein unterschiedliches histologisches Erscheinungsbild (»Phänotyp«) besitzen. Ein neuer, mit MSI assoziierter Mechanismus, die (epigenetische) Inaktivierung des MLH1-Promotors durch Methylierung, scheint nur bei einer Minderheit der Magenkarzinome eine Rolle zu spielen.
40.1.3 Pathologie und Klassifikationen Bei den Magenkarzinomen sind die Tumoren des ösphagogastralen Übergangs separat zu klassifizieren (Siewert u. Stein 1998). Das frühere Kardiakarzinom wird als AEG II bezeichnet, das subkardiale Magenkarzinom als AEG III. Distal davon gelegene Magenkarzinome werden als Karzinome des oberen Magendrittels klassifiziert, Korpuskarzinome als Karzinome des mittleren Drittels und Antrumkarzinome als Karzinome des distalen Drittels. Bei einem Totalkarzinom handelt es sich häufig um ein diffuses Magenkarzinome mit einer Linitis plastica. Etwa 50% der Magenkarzinome finden sich im Magenantrum und ca. 20% an der kleinen Kurvatur des Magenkorpus. In etwa 6% ist der gesamte Magen diffus betroffen. 10% der Fälle sind multipel (Wittekind et al. 1997). Wie bei den Früh-
40
528
Kapitel 40 · Magenkarzinom
karzinomen kann vom makroskopischen Wachstumstyp teilweise auf die histologische Differenzierung geschlossen werden. So erweisen sich exophytische, intramurale, ulzerierte Tumoren zumeist als gut oder mäßig differenzierte Tumoren des intestinalen Typs. Diffus-infiltrierende Tumoren zeigen überwiegend eine schlechte Tumordifferenzierung mit Siegelringzellen (Yuasa et al. 2003). Der am häufigsten auftretende histologische Typ des Magenkarzinoms ist das Adenokarzinom. Beim Adenokarzinom des Magens muss zwischen dem Magenfrühkarzinom (»early gastric cancer«, EGC) und dem fortgeschrittenen Magenkarzinom unterschieden werden. In Japan werden nach Einführung des Massen-Screening Ende der 1990er-Jahre ungefähr 70% der Karzinome als Frühkarzinome diagnostiziert (in der westlichen Hemisphäre maximal nur 10%).
Makroskopische Klassifikation des Magenfrühkarzinoms Karzinome werden als Magenfrühkarzinom definiert, wenn die Invasion nur auf die Mukosa oder Submukosa beschränkt ist, unabhängig der Lymphknotenmetastasierung.
40
Abweichend von der Borrmann-Klassifikation (Borrmann 1928), die sich auf die verschiedenen Formen der Invasion bezieht und die beim fortgeschrittenen Magenkarzinom benutzt wird, beziehen sich die Klassifikationsregeln beim Magenfrühkarzinom auf das Wachstum des Karzinoms auf der Mukosa. Das Magenfrühkarzinom wird in drei Haupttypen unterteilt (. Abb. 40.2): 4 Typ 1: hervortretende Läsion: Der Tumor ist eine große noduläre oder polyploide Läsion, die oft eine irreguläre Oberfläche aufzeigt. 4 Typ 2: (Oberflächliche) Karzinome werden in drei Subtypen aufgeteilt. 5 Typ 2a: Oberflächliche und gering erhabenen Läsion: Hauptkennzeichen dieser Gruppe ist eine geringe Erhabenheit von ungefähr 5 mm. 5 Typ 2b: Oberflächliche und flache Läsion: Diese Läsionen liegen ungefähr in der gleichen Ebene mit der umgebenen Mukosa. 5 Typ 2c: Oberflächliche und gering eingezogene Läsion: Die Einziehung dieser Läsion ist erosiv oder ulkusähnlich. Es findet sich generell eine abgeflachte Mukosaschicht an der Basis. 4 Typ 3: Exkavation: Es handelt sich um eine tief erosive Ulzeration von unterschiedlicher Tiefe. Die makroskopische Typenklassifikation des Frühkarzinoms bestimmt vor allem die Entnahme von Biopsien. So werden diese beim Typ IIc vom Tumorgrund, vom Typ III vor allen Dingen vom Tumorrand entnommen. Es sollten jeweils mehrere Biopsien (7–12) entnommen werden. Aus Langzeitverlaufsstudien ist bekannt, dass ein Progress in fortgeschrittene Magenkarzinome in einer Zeitspanne von 6–88 Monaten zu erwarten ist. Frühkarzinome sind bevorzugt
. Abb. 40.2. Endoskopische Klassifikation des Magenfrühkarzinoms. Typ I: vorgewölbte Form, Typ II: oberflächliche Form, IIa erhaben, IIb eben, IIc eingesenkt, Typ III: exkavierte Form
an der kleinen Kurvatur und im Angulus lokalisiert, 2–5 cm groß und in 10–13% der Fälle multipel. Selbst bei 15% der kleinen, 0,3–0,5 cm im Durchmesser großen Frühkarzinome wird eine Submukosainfiltration im Resektat gefunden. Lymphknotenmetastasen werden in <5% der Fälle beim Mukosakarzinom und über 20% beim Submukosakarzinom angegeben. Die 5-Jahres-Überlebensraten liegen bei Mukosakarzinomen bei 95–100%, bei Submukosakarzinomen bei 80–90%.
Makroskopische Klassifikation des fortgeschrittenen Magenkarzinoms Das lokal fortgeschrittene Magenkarzinom wird makroskopisch nach Bormann in 4 Hauptgruppen eingeteilt (. Abb. 40.3). In einer Übersicht von Inokuchi et al. wurden für diese Gruppen unterschiedliche 5-Jahres-Überlebensraten von jeweils 45%, 45%, 20% und 6% für die Typen I–IV beschrieben (Inokuchi et al. 1983).
Histologische Klassifikation Eine histologische Diagnose muss, wenn immer möglich, vor jeder Therapie stehen, beim Magenkarzinom sind häufig mehrere Biopsien (8–10) erforderlich.
WHO-Klassifikation. Die histologische Klassifikation des
Magenkarzinoms folgt den Empfehlungen der WHO. Die histologische Klassifikation der Magenkarzinome nach WHO (World Health Organization Classification of Tumours 2000) berücksichtigt zunächst die Architektur (Drüsenbildung, papilläres oder tubuläres Wachstum) und das Ausmaß der Schleimbildung (extrazellulär, intrazellulär). Die LaurénKlassifikation ist Bestandteil der WHO-Klassifikation. Daher
529 40.1 · Grundlagen
. Abb. 40.3. Klassifikation der makroskopischen Form des Magenkarzinoms nach Bormann
werden nach den im Vordergrund stehenden Tumoranteilen vier unterschiedliche Wachstumsformen voneinander abgegrenzt: die tubulären, papillären, muzinösen und die Siegelringkarzinome. Davon sind die sehr seltenen Plattenepithel-, adenosquamösen, kleinzelligen und undifferenzierten Karzinome zu trennen. Wie bereits angeführt, sind die Magenkarzinome in bis zu 80% heterogen aufgebaut, so dass eine einheitliche Klassifikation zwar angestrebt werden sollte, jedoch schwierig zu erreichen ist. Generell gilt der Grundsatz der Einordnung nach dem überwiegend vorliegenden histologischen Typ. WHO-Klassifikation 4 Tubuläres Adenokarzinom: Besteht überwiegend aus sich verzweigenden Tubuli, die unterschiedliche Durchmesser besitzen können. Die Tumorzellen sind zylindrisch, kuboid oder können flach sein mit intraluminärem Muzin. Klarzellen kommen ebenfalls vor. Das Ausmaß der zytologischen Atypien variiert von niedrig- zu hochgradig (Unterteilung in »low grade« and »high grade«). 4 Papilläres Adenokarzinom: Dieses zumeist gut differenzierte exophytisch wachsenden Karzinom bestehen aus zarten, zum Teil jedoch auch plumpen Papillen mit fibrovaskulärem Grundgerüst. 4 Muzinöses Adenokarzinom: Definitionsgemäß besteht ein muzinöses Adenokarzinom in mehr als 50% der Fläche aus extrazellulärem Schleim. 4 Siegelringzellkarzinom: Besteht zu mehr als 50% aus einzelnen oder in kleinen Gruppen liegenden Zellen mit intrazytoplasmatischem Muzin und an den Rand gedrängten Kernen. Makroskopisch zeigen Siegelringzellkarzinome häufig ein diffus-infiltrierendes Wachstumsmuster und sind dann dem Borrmann Typ IV zuzuordnen. Die früheren Bezeichnungen »szirrhöses Karzinom« oder »Linitis plastica« resultieren aus dieser Wachstumsform, wenn das Karzinom die gesamte Magenwand infiltriert. Das gastral differenzierte Karzinom ist nicht als eigene Entität aufgeführt. Alle Wachstumsformen können in einem Tumor zusammen vorkommen.
Grading. Das Grading von Adenokarzinomen des Magens
kann vier- oder zweistufig erfolgen. Das traditionelle vierstu-
fige Grading von G1 (gut differenziert), G2 (mäßig differenziert), G3 (schlecht differenziert), G4 (undifferenziert) steht einem zweistufigen Grading gegenüber, bei dem lediglich zwischen »low grade« (G1 und G2) und »high grade« (G3 und G4) unterschieden wird. Das zweistufige Grading hat sich als reproduzierbarer und daher für klinische Zwecke adäquater erwiesen. Generell sollten, wie bei anderen Tumoren auch, die Anteile direkt unterhalb der Ulzeration und am tiefsten Tumorrand bei der Festlegung des Gradings nicht berücksichtigt werden. Bei Vorhandensein unterschiedlicher Differenzierungsgrade erfolgt die Klassifikation nach dem ungünstigsten Grad. Generell gilt, dass Adenokarzinome vom diffusen Typ nach Laurén sowie Siegelringzellkarzinome als »high grade« bzw. G3-Karzinome einzuordnen sind. Das Grading zeigt in manchen Studien einen prognostischen Einfluss, wobei in der Regel, die gut differenzierten Tumoren (G1/2), auch nach neoadjuvanter Therapie, eine verbesserte Prognose haben. Laurén-Klassifikation. Nach Laurén werden Magenkarzi-
nome in zwei große Subtypen eingeteilt, der intestinale vom diffusen Typ unterschieden. Finden sich etwa gleichviel intestinale und diffuse Tumorkomponenten, wird der (sehr seltene) Fall eines gemischten Karzinoms diagnostiziert. Bei undifferenzierten Karzinomen, die weder der einen, noch der anderen Kategorie zugeordnet werden können, wird eine dritte Kategorie, »undeterminiertes Karzinom«, gewählt. Intestinale Karzinome sind umschriebene Tumoren von zusammenhängenden kohäsiven Zellgruppen mit überwiegend drüsiger Anordnung und verdrängendem Rand (sog. »pushing margins«). Intestinale Karzinome entstehen zumeist auf dem Boden einer chronisch-atrophischen Gastritis mit intestinaler Metaplasie. Diffuse Karzinome nach Laurén sind definiert als unscharf begrenzte Tumoren mit diskohäsiven Zellen, die diffus die Magenwand infiltrieren. Eine Drüsenformation fehlt. Die Zellen sind zumeist klein und rund, vereinzelt im Gewebe gelegen oder kleine Cluster bildend. Es handelt sich um schlecht differenzierte Karzinome. Siegelringzellkarzinome sind per definitionem als diffuse Karzinome einzuordnen. Es findet sich in unterschiedlichem Ausmaß eine desmoplastische Stromareaktion, die das makroskopische Erscheinungsbild der früher sog. Linitis plastica mitbegründet. Generell gilt, dass die Mitoserate diffuser Magenkarzinome geringer ist als die des intestinalen Typs. Seltene Varianten des Magenkarzinoms sind das adenosquamöse Karzinom, das Plattenepithelkarzinom, das kleinzel-
40
530
Kapitel 40 · Magenkarzinom
. Tab. 40.1. TNM/R-Staging des Magenkarzinoms T – Primärtumor T1a
Limitiert auf die Mukosa (Invasion der Lamina propria)
T1b
Invasion der Submukosa
T2
Tumor infiltriert die Muscularis propria oder die Subserosa T2a: Tumor infiltriert die Muscularis propria T2b: Tumor infiltriert die Subserosa
T3
T4
Penetration der Serosa ohne Invasion benachbarter Strukturen
. Tab. 40.2. Stadiengruppierung des Magenkarzinoms (UICC 2000)
Stadium
Primärtumor
Regionäre Lymphknoten
Fernmetastasen
0
Tis
N0
M0
1A
T1
N0
M0
1B
T1
N1
M0
T2a/b
N0
M0
T1
N2
M0
T2a/b
M1
M0
T3
N0
M0
T2a/b
N0
M0
T3
N0
M0
T4
N0
M0
IIIB
T3
N2
M0
IV
T1, T2, T3
N3
M0
Jedes T
Jedes N
M1
II
Tumor infiltriert benachbarte Strukturen und/oder Organe
N – Regionäre Lymphknoten N0
Keine Lymphknotenmetastasen
N1
1–6 Lymphknoten betroffen
N2
7–15 Lymphknoten betroffen
N3
>15 Lymphknoten betroffen
IIIA
M – Fernmetastasen M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen (LYM, PER, HEP, PUL etc.)
R – Residualtumor
Ausmaß des Primärtumors (T-Kategorie) T1/pT1. Das Stadium T1/pT1 bezeichnet Karzinome, die
R0
Kein Residualtumor nachweisbar
R1
Mikrokopisch Residualtumor nachweisbar
R2
Makroskopisch Residualtumor nachweisbar
lige Karzinom und das sog. undifferenzierte Magenkarzinom. Raritäten sind weiterhin das hepatoide Adenokarzinom und das Chorionkarzinom des Magens sowie das Parietalzellkarzinom.
UICC/TNM-Klassifikation
40
Der Standard der von der WHO zur Evaluation des Resektionspräparates gefordert wird umfasst folgende: Lokalisation und Größe des Primärtumors, seine mikround makroskopische Beschaffenheit, seine anatomische Ausdehnung, das Ausmaß der Lymphknotenmetastasierung. Ganz entscheidend ist das Verhältnis des Primärtumors zu den Resektionsrändern. Die pTNM-Klassifikation nach der UICC (. Tab. 40.1 und . Tab. 40.2) beruht auf der Basis des Tumorresektates und bietet wichtige prognostische Informationen (UICC 2002). Bei Analyse von Studien aus Japan und aus Europa und Amerika ist zu beachten, dass in den Ländern verschiedene Stagingmodalitäten herrschen. Das japanische System ist mit dem westlichen nicht direkt vergleichbar. Im Folgenden findet sich eine Beschreibung einiger spezieller Aspekte der TNM-Klassifikation.
die Lamina propria mucosa oder die Submukosa infiltrieren. Diese Kategorie entspricht dem Magenfrühkarzinom. Die Diagnose eines Magenfrühkarzinoms benötigt die komplette histologische Beurteilung der resezierten Läsion. Die unterschiedliche Prognose für Mukosa- und Submukosakarzinome, basierend auf ihrer unterschiedlichen Lymphknotenmetastasierung, bedingt eine Differenzierung der pT1-Tumoren in pT1a (der Tumor infiltriert die Lamina propria) und pT1b (der Tumor infiltriert die Submukosa). T2/pT2. Tumoren, die die Muscularis mucosa und oder die
Subserosa infiltrieren, werden als T2-Karzinome bezeichnet. Die Tumoren in dieser Kategorie können sich hinter der Muscularis propria in die gastrokolischen und gastrohepatischen Ligamente oder in das Fettgewebe der großen oder kleinen Kurvatur ohne Perforation des viszeralen Peritoneums ausbreiten. Seit 2002 wird in der UICC zwischen pT2a- und pT2b-Tumoren unterschieden. Da der Magen ist nicht vollständig von Serosa bedeckt, deshalb können T2-Karzinome der großen und kleinen Kurvatur (proximalen Drittels des Magens und der Hinterwand des Fundus) weit über die Magenwand hinaus infiltrieren, ohne jemals die Serosa zu perforieren (T3-Kategorie). Die Aufteilung in T2a/b versucht dabei die unterschiedlich Prognose der T2-Karzinome zu verdeutlichen: 4 T2a: Der Tumor infiltriert die muscularis propria. 4 pT2b: der Tumor infiltriert die Subserosa und/oder nicht peritionialisiertes, perigastrisches Fettgewebe.
531 40.1 · Grundlagen
T3/pT3. Tumoren, die die Serosa (Peritoneum viscerale) ohne
Infiltration des benachbarten Gewebes infiltrieren, werden als pT3 klassifiziert. T4/pT4. pT4-Karzinome infiltrieren die benachbarten Struk-
turen des Magens. Dazu gehören: Milz, Querkolon, Leber, Zwerchfell, Pankreas, Nebennieren, Nieren, Dünndarm und Retroperitoneum. Die intramurale Ausdehnung eines Tumors in den Ösophagus oder das Duodenum wird nach der tiefsten Ausdehnung des Tumors klassifiziert und nicht als eine Infiltration benachbarter Strukturen betrachtet.
N Kategorie Die regionalen und nicht-regionalen abdominalen Lymphknoten sind nach den Empfehlungen der »Japanese Research Society for Gastric Cancer« in anatomische Gruppen aufgeteilt und stationsweise nummeriert (Japanese Research Society for Gastric Cancer 1995). Die regionalen Lymphknoten des Magens sind aufgeteilt in zwei Kompartimente (1 = perigastral und 2 = perizöliakal). Nicht-regionale Lymphknoten (jenseits des Truncus coeliacus) werden als Kompartiment 3 bezeichnet. In der TNM-Klassifikation wird die Lymphknotenmetastasierung nach der Anzahl der involvierten Lymphknoten bewertet: 4 pN1: 1–6 metastatische Lymphknoten 4 pN2: 7–15 metastatische Lymphknoten 4 pN3: >15 metastatische Lymphknoten Im Gegensatz dazu wird nach der japanischen Klassifikation die Lymphknotenmetastasierung innerhalb der Stationen 1–6, abhängig von der genauen anatomischen Lage des Tumors, als pN1 klassifiziert. Der metastatische Befall wenigstens eines Lymphknotens der Gruppe 7–11 wird als pN2 bezeichnet, der metastatische Befall der Lymphknoten Nummer 12 (Lig. hepatoduodenale) wird bereits als eine Fernmetastasierung (M1Lym) betrachtet. Dies muss beim Vergleich von Studien immer beachtet werden.
Die Diagnose pN0 beim Magenkarzinom benötigt die Entfernung und histologische Begutachtung von mindestens 15 resezierten Lymphknoten.
R-Klassifikation Die Residualtumor-Klassifikation (R) ist von entscheidender Bedeutung für die Prognose des Patienten und für weitere therapeutische Überlegungen nach der Operation. Die Einteilung ist in . Tabelle 40.1 dargestellt.
Regressionsbeurteilung nach Chemotherapie In Europa gewinnt die perioperative Chemotherapie durch zwei randomisierte Phase-III-Studien zunehmend an Bedeutung. Nach präoperativer Chemotherapie kann das Ansprechen des Primärtumors nach Chemotherapie histopathologisch beurteilt werden und gilt als wesentlicher prognostischer Faktor. Momentan werden regressive Veränderungen weder national noch international einheitlich bewertet und darüber
hinaus unterschiedlich klassifiziert. In der TNM-Klassifikation der 6. Auflage (2002) und im TNM-Supplement ist ein allgemein verbindlicher Klassifikationsvorschlag eingeführt worden, der ausschließlich vitale Tumorzellen berücksichtigt und daher wahrscheinlich gut reproduzierbar sein wird. Aus Praktikabilitätsgründen wird empfohlen, die möglichen Therapie-induzierten Effekte als solche zu werten, da im Einzelfall die zweifelsfreie Unterscheidung zwischen spontanen regressiven Tumoreffekten und therapeutisch induzierten schwierig sein kann. Generell gilt, dass Magenkarzinome in vergleichbarer Weise wie beispielsweise kolorektale Karzinome auf die Applikation ionisierender Strahlen und Chemotherapeutika reagieren (Wittekind u. Tannapfel 2003). Die betroffenen zellulären Kompartimente sind Zellkern, Zytoplasma und Gefäße, wobei es zu einer Chromatin-Kondensation, nukleären Schwellungen und Pyknose bzw. Karyorrhexis kommen kann. Multinukleäre Riesenzellen sind das Resultat gestörter Zellteilungsprozesse. Das Zytoplasma der geschädigten Zellen reagiert mit einem Ödem, kleine Vakuolen als Ausdruck subletaler Organellenschädigung werden ebenfalls beobachtet. Die vaskulären Schäden bestimmen nicht nur die akute Toxizität der Radiochemotherapie, sondern sind wesentlich für Spätschäden (Ulkus, Atrophie, Fibrose) verantwortlich. Als früher Schaden gilt zumeist eine Gefäßdilatation in der Submukosa, es folgen Endothelzellschädigungen, fokale Gefäßwandnekrosen, Hämorrhagien, mitunter Gefäßrupturen. Als relativ späte Schäden treten degenerative Gefäßwandveränderungen mit Fibrose der subintimalen Region und der Media, Myoepithel- und Endothelzellproliferate auf, die bis hin zu einer subtotalen Stenosierung der Gefäße führen können. Die histologischen Gewebeveränderungen sind daher Nekrose, Granulationsgewebe, Fibrose, Narben und Schleimseen. Die Schleimseen entstehen nach Apoptose von Tumorzellen und können von einer Fremdkörperreaktion umgeben sein. Generell gelten Ödem, Nekrose, Schaumzellen, Fibrose in oberflächlichen Teilen des Tumorbettes, vaskuläre Veränderungen (besonders in der Tumorperipherie), noduläre Fibrose und Hyalinose in den Lymphknoten und azelluläre Schleimablagerung als sehr wahrscheinlich therapeutisch induziert. Generell kann ein Regressionsgrading für alle gastrointestinalen Tumoren angewandt werden, dass lediglich den prozentualen Anteil noch vitaler Tumorzellen angibt. Das primär für das Magenkarzinom entwickelte fünfstufige System (Anteil vitaler Tumorzellen 0%, <10%, 10–50%, >50%, keine Regression), kann auch für alle übrigen gastrointestinalen Tumoren angewandt werden. Die Beurteilung kann hier nach dem System der Japanischen Gesellschaft für Magenkarzinome (JRSGC) oder nach dem System der Chirurgischen Klinik der Technischen Universität München, das im deutsprachigem Raum allgemein bevorzugt wird, erfolgen (Becker et al. 2003).
40
532
Kapitel 40 · Magenkarzinom
Regressionsgrading der Japanischen Gesellschaft für Magenkarzinome 4 Grad 0 (keine Regression): Keine Veränderungen; weder Nekrosen noch zelluläre oder strukturelle Veränderungen (als zelluläre Veränderungen gelten Ballonierung oder Vakuolisierung der Zellen und Kernpyknosen, als strukturelle Veränderung Verminderung und Desorganisation der drüsigen Strukturen) 4 Grad 1 (geringe Regression): Nekrose oder Verschwinden des Tumors und/oder zelluläre oder strukturelle Veränderungen – in weniger als 1/3 des Tumors: Grad 1a, in 1/3 des Tumors oder mehr, aber in nicht mehr als 2/3 des Tumors: Grad 1b 4 Grad 2 (mäßiggradige Regression): Nekrose oder Verschwinden des Tumors in mehr als 2/3 des Tumors; aber noch vitale Tumorzellen erkennbar 4 Grad 3 (ausgeprägte Regression): Tumor komplett nekrotisch und/oder komplett durch Fibrose (mit oder ohne granulomatöse Veränderungen) ersetzt; keine vitalen Tumorzellen nachweisbar
. Abb. 40.4. Prognose in Abhängigkeit vom Ansprechen auf die neoadjuvante Therapie. Blau: Regressionsgrad 1a (n=17), rot: Regressionsgrad 1b (n=73), beige: Regressionsgrad 2 (n=107), lila: Regressionsgrad 3 (n=177) (p<0,001)
Regressionsgrading der TU München 4 Kompletter Response (CR): keine Tumorzellen erkennbar 4 Subtotaler Response (SR): in <10% des Tumorbettes morphologisch intakte neoplastische Zellen 4 Partieller Response (PR): in 10–50% des Tumorbettes morphologisch intakte neoplastische Zellen 4 Geringer Response (MR): In >50% des Tumorbettes morphologisch intakte neoplastische Zellen 4 Kein Response (NR): keine histologischen Regressionszeichen
Die histopathologische Regressionsgraduierung besitzt auch prognostische Relevanz und könnte in Zukunft adjuvante Therapiekonzepte beeinflussen. Patienten mit CR und SR (<10%) residuellem Tumor haben in Vergleich zu den Patienten mit PR, MR und NR eine signifikant verbesserte Prognose (. Abb. 40.4).
40.1.4 Prognostische Faktoren
40
Unter einem Prognosefaktor versteht man einen klinischen oder tumorbiologischen Parameter, der für sich allein die Prognose eines Patienten messbar beeinflussen kann. Bei der Evaluierung dieser Faktoren muss nach einem strengen und reproduzierbaren Schema vorgegangen werden. Daten für Faktoren mit klinischer Relevanz sollten nur prospektiv nach kompletter Tumorresektion (R0-Resektion) erhoben werden. Dafür ist vor allem eine aufwändige histopathologische Aufarbeitung des Resektates erforderlich. Die Patienten sollten ferner nach standardisierten Therapieprotokollen behandelt worden sein. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss die Unabhängigkeit eines Prognosefaktors durch eine multivariate Analyse bewiesen werden. Nur durch diese Analyseform kann
der Einfluss eines individuellen Faktors auf das Gesamtüberleben einer Population statistisch abgesichert werden. Die univariate Analyse reicht hierzu nicht aus. Erst bei Einhaltung dieser Standards kann ein Prognosefaktor als eigenständig gesichert werden (Siewert u. Sendler 1995). Die teilweise widersprüchlichen Ergebnisse in der Literatur zu Prognosefaktoren beim Magenkarzinom liegen zum Teil darin begründet, dass für die Auswertung sowohl Daten von Patienten nach inkompletter Resektion, als auch retrospektiv asserviertes Paraffinmaterial herangezogen wurde (Sendler et al. 1997). Keiner der evaluierten molekularbiologischen Faktoren beim Magenkarzinom hat im Gegensatz zum Kolonkarzinom, wo der k-ras-Mutationsstatus die Therapie beeinflusst, therapeutische Relevanz erlangt. Das Schicksal eines Patienten mit Magenkarzinom wird durch die Möglichkeit der kompletten Resektion bestimmt. Konsequenterweise ist die R0-Resektion auch der stärkste prognostische Faktor in multivariat analysierten Studien (Bonenkamp et al. 1993; Siewert et al. 1998). Das mediane Überleben beträgt nach explorativer Laparotomie nur 3–5 Monate, nach R1- oder R2-Resektion zwischen 7 und 11 Monaten (Siewert u. Fink 1995).
Tumorbezogene Prognosefaktoren Histopathologische Faktoren. Nach der R0-Resektion ist
die anatomische Ausbreitung des Primärtumors inkl. seiner Metastasen der zweitwichtigste Prognosefaktor. Multivariate Analysen belegen den großen Einfluss des Ausmaßes der Magenwandinfiltration, der regionalen Lymphknotenmetastasierung und des Vorhandenseins von Fernmetastasen auf die Prognose. Durch die Infiltrationstiefe des Primärtumors wird das Ausmaß der Lymphknotenbeteiligung prädisponiert. So haben 70% der Patienten der pT3-Kategorie bereits Lymphknotenmetastasen.
533 40.1 · Grundlagen
In zahlreichen multivariaten Analysen zeigt sich, dass der Lymphknotenstatus des R0-resezierten Patienten der wichtigste, unabhängige Prognosefaktor ist. Nach neuen Studien hat bereits das sog. »microinvolvement« der Lymphknoten (nur immunhistochemisch detektierbar, isolierte oder kleine Gruppen von Tumorzellen in Lymphknoten, die in der Routinehistologie als unauffällig befundet wurden) eigenständige prognostische Bedeutung (Siewert et al. 1996). Die Lokalisation des Primärtumors, der Differenzierungsgrad und der histopathologische Subtyp hat in eingen Studien ebenfalls prognostische Bedeutung (Johnson et al. 1995; Kajiyama et al. 1997) Freie Tumorzellen im Abdomen. Falls das Magenkarzinom
das Mesothel der Serosa penetriert, können freie Tumorzellen in der Bauchhöhle nachgewiesen werden. Patienten, bei denen eine Invasion der Serosa und freie intraperitoneale Tumorzellen vorliegen, haben eine signifikant schlechtere Prognose (Bonenkamp et al. 1996; Burke et al. 1998). Auch in frühen Tumorstadien wie dem Stadium IB beeinflussen freie peritoneale Tumorzellen das Überleben signifikant (Rosenberg et al 2006). Dabei spielte sogar das Ergebnis der Operation (palliativ oder kurativ) eine untergeordnete Rolle. Molekulare Faktoren. Der Einfluss der verschiedenen tumor-
biologischen Faktoren auf die Prognose des Magenkarzinoms ist in der Sektion »molekularbiologische Veränderungen« in diesem Kapitel beschrieben. Generell ist zu bemerken, dass sich die Studien für viele Faktoren oft diametral widersprechen, die Kollektive oft sehr klein sind, und die Faktoren retrospektiv untersucht wurden. Für die Zukunft ist durch den Einsatz den Micro-Array-Technik, mit der simultanen Untersuchung der Expression von bis zu jetzt 50.000 Genen – die jedoch oft nicht definiert sind – eine exponentielle Zunahme der sog. Prognosemarker zu erwarten (Tay et al. 2003). Bis heute gibt es jedoch kein verlässliches »Markerpanell« um die Prognose eines Patienten entsprechend der Gen-Expression festzulegen, ebenfalls hat noch kein tumorbiologischer Prognosefaktor den in Weg in die klinische Anwendung gefunden. In der Zukunft ist zu erwarten, dass mit Hilfe der Array-Technologie prätherapeutisch relativ verlässliche Daten zur Chemosensitivität der Tumoren erhalten werden können.
. Abb. 40.5. Überleben nach kurativer Resektion eines Magenkarzinome in Abhängigkeit von der ethnischen Herkunft (p=0,0025; Gill et al. 2003). Gestrichelte Linie: medianes Überleben von Asiaten: 40,9 Monate, durchgehende Linie: medianes Überleben von Nicht-Asiaten 23,5 Monate
Patientenbezogene Prognosefaktoren Unbestritten ist der Einfluss der Herkunft der Patienten bezüglich der Prognose. Asiatische Patienten haben verglichen mit westlichen Patienten unabhängig von der Therapie eine signifikant verbesserte Prognose (. Abb. 40.5; Gill et al. 2003). Der Einfluss von Alter, Geschlecht und BMI der Patienten auf die Überlebenswahrscheinlichkeit bleibt trotz großer multivariater Analysen widersprüchlich. Die deutsche Magenkarzinomstudie hat aufgezeigt, da die Komorbidität und der Allgemeinzustand des Patienten, gemessen nach dem Karnofsky-Index, die einzigen unabhängigen Prognosefaktoren für die Morbidität bzw. Überleben nach Gastrektomie sind (Böttcher et al. 1992). Alle anderen patientenbezogenen Faktoren, die aufgrund univariater Analysen veröffentlicht worden sind (z. B. Gewichtsverlust, Hämoglobinwert bei Aufnahme, epigastrischer Schmerz) sind in multivariaten Analysen nicht bestätigt worden.
Therapiebezogene Prognosefaktoren Wie schon erwähnt, ist die R0-Resektion der entscheidende prognostische Faktor in der Behandlung des Magenkarzinoms. Die Häufigkeit der R0-Resektion korreliert direkt mit der Erfahrung des Behandlungszentrums und des operierenden Chirurgen. In multivariaten Analysen wurde beides, sowohl die Erfahrung des Behandlungszentrums als auch die individuelle Erfahrung des operierenden Chirurgen, als unabhängiger Einflussfaktor auf Morbidität und das Langzeitüberleben dargestellt (Fujita u. Yamazaki 2002; Wainess et al. 2003). Das Ausmaß der Resektion (entweder totale Gastrektomie oder subtotale Gastrektomie) beeinflusst – bestätigt in zwei randomisierten Studien – bei adäquaten Sicherheitsabständen die Prognose der Patienten nicht (Gouzi et al. 1989; Bozetti et al. 1999) Der Einfluss der erweiterten (D2-)Lymphadenektomie auf das Überleben ist in den letzten Jahren letztendlich belegt worden, nicht zuletzt durch die niederländische Magenkarzinomstudie und die amerikanische Studie zur adjuvanten Therapie (Bonenkamp et al. 1999; Hundahl et al. 2002). Nach wie vor wird die D2-Lymphandenektomie ob der erhöhten Morbidität kontrovers diskutiert, obwohl für Subgruppen wie den pN2-Patienten und Frauen ein prognostischer Vorteil auch in der eigentlich negativen niederländischen Studie belegt ist. Als
40
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Kapitel 40 · Magenkarzinom
sicher anzunehmen ist, dass eine D3-Lymphadenektomie (u. a. paraaortale Lymphadnektomie) den Patienten keinen Überlebensvorteil bietet (Wu et al. 2006; Sasako et al. 2008). Ein weiterer therapieabhängiger prognostischer Faktor ist der sog. Lymphknotenquotient. Dabei handelt es sich um das Verhältnis zwischen der Anzahl der chirurgisch entfernten und histologisch untersuchten Lymphknoten sowie der Anzahl der tumorbefallenen Lymphknoten. Die Prognose der Patienten kann durch die Lymphadenektomie immer dann nachhaltig verbessert werden, wenn der Lymphknotenquotient kleiner als 0,2 ist. Das bedeutet für den klinischen Alltag, dass etwa 5mal mehr Lymphknoten entfernt werden müssen, als in der Routinehistologie befallen sind (Siewert et al. 1996). Heute ist auch generell akzeptiert, dass das Ansprechen auf die neoadjuvante Therapie ein unabhängiger Prognosefaktor ist. Wie vorher beschrieben ist leider werder die klinische, metabolische oder histopathologiosche Beurteilung des Ansprechens exakt standardisiert und damit international vergleichbar. Dennoch ist allen Klassifikationssystemen gemeinsam, dass Ansprecher nach präoperativer Therapie eine signifikant verbesserte Prognose im Vergleich zu Nichtansprechern haben (Lowy 1999; Ott 2003a, 2003b, 2008). Die Standards zur perioperativen Therapie sind derzeit weltweit unterschiedlich. In Europa ist die perioperative Chemotherapie Standard, in Japan die adjuvante Therapie mit S-1 und in den USA die postoperative Radiochemotherapie.
40.2
einem dauernden Schmerz. Anorexie und Nausea kommen ebenfalls oft vor. Die Dysphagie indiziert einen Tumor des gastroösophagealen Übergangs. Erbrechen findet sich mehr bei distalen Karzinomen die den Pylorus obstruieren. Patienten mit einem szirrhösen Karzinom (Linitis plastica) können ein Gefühl schneller Sättigung entwickeln. Obwohl eine Tumorblutung ungefähr bei 20% der Patienten auftritt, ist eine massive Blutung aus Magenkarzinomen selten zu beobachten. Die Blutung ist eher ein Symptom für einen gastrointestinalen Stromatumor (GIST). Die körperliche Untersuchung kann das Magenkarzinom allenfalls im Spätstadium entdecken. Eine Gewebsvermehrung im Epigastrium, eine vergrößerte Leber, Aszites, Gelbsucht oder schon tastbare supraklavikuläre Lymphknoten (Virchow) deuten auf eine weit fortgeschrittene und inkurable Erkrankung. Nach wie vor ist die Identifizierung von asymptomatischen Patienten, die ein hohes Risiko der Tumorentstehung aufweisen, von klinischer Bedeutung. Massen-Screeningprogramme, wie in Japan, sind jedoch in den westlichen Ländern nicht kosteneffektiv. In einer Arbeit von Hallisey et al. wurden die Vorteile der sog. »open access endoscopy« für Patienten älter als 40 Jahre mit unspezifischen Magenbeschwerden dargestellt (Hallissey et al. 1990). In dieser Arbeit wurde eine maligne Erkrankung bei jedem 25. Patienten und ein Magenkarzinom bei jeder 50. Endoskopie gesichert. 30% der 57 Patienten, bei denen ein Magenkarzinom bioptisch gesichert wurde, hatten ein Frühkarzinom.
Klinische Symptomatologie 40.3
40
Typisch für die Entwicklung des Magenkarzinoms ist, dass die Symptome bis zu dem Spätstadien der Erkrankung nur minimal sind. Es gibt keine spezifischen Zeichen oder Symptome, die eindeutig auf die Erkrankung hinweisen. Die Initialsymptome sind indolent, unspezifisch und werden meistens durch den Patienten sehr gut toleriert – was zu einer Verzögerung der Diagnose führt. Alle Symptome können miteinander kombiniert sein, keines ist jedoch für die Diagnose des Magenkarzinoms spezifisch (. Tab. 40.3; Wanebo et al. 1993). Gewichtsverlust und unspezifische Abdominalbeschwerden sind die häufigsten Initialsymptome. Gewichtsverlust weist jedoch oft schon auf eine fortgeschrittene Erkrankung hin und Patienten mit einem Gewichtsverlust über 5 kg haben ein kürzeres Überleben. Die abdominellen Beschwerden beginnen als ein kaum merkbarer Schmerz im oberen Abdomen; dieser variiert von einer unbestimmten Magenfülle bis zu
. Tab. 40.3. Klinische Symptome des Magenkarzinoms
Symptom
Inzidenz [%]
Gewichtsverlust
61,6
Bauchschmerzen
51,6
Nausea
34,3
Meläna
20,2
Diagnostik und Staging
Am Beginn der Diagnosestellung und auch bereits des Stagings des Magenkarzinoms steht die Endoskopie. Durch die moderne Video-Fiberendoskopie und durch die histologische Diagnostik nach Biopsien ist die Ösophagogastroduodenoskopie heutzutage die initiale Untersuchung bei unspezifischen Oberbauchbeschwerden. In der »patient care study« des American College of Surgeons wurde die Diagnose des Magenkarzinoms zu 94% durch die Endoskopie mit Biopsie gestellt (Wanebo et al. 1993). Es gibt für das Magenkarzinom keine spezifischen Serumtumormarker. Das CEA (karzinoembryonales Antigen) ist vor allem bei Patienten mit bereits fortgeschrittener Erkrankung deutlich erhöht, es kann unter Umständen als Marker zum Monitoring des Therapieerfolges dienen; gleiches gilt für das CA 72-4. Nach der initialen Diagnose spielt das Tumorstaging die entscheidende Rolle. Wie bereits ausgeführt, kann die Prognose des Patienten nur verbessert werden, wenn eine R0-Resektion erreicht werden kann. Patienten mit Fernmetastasen sollten nur innerhalb von Individualkonzepten reseziert werden.
Da beim Magenkarzinom bereits individualisierte Therapie abhängig von Lokalisation und klinischen Primärtumorkategorie existieren, ist ein gutes prätherapeutisches Staging essenziell.
535 40.3 · Diagnostik und Staging
40.3.1 Staging Nach den Regeln der UICC und der American Joint Commission on Cancer (AJC) wird das Staging des Magenkarzinoms nach dem TNM-System durchgeführt (. Tab. 40.1). Das Staging ist die genaue Evaluation des Tumorstadiums, das beim Magenkarzinom die Tiefe der Tumorinfiltration in die Magenwand (T-Kategorie), den Lymphknotenstatus (N-Kategorie) und das Vorhandensein von Fernmetastasen (M-Kategorie) bedeutet. Das moderne Staging des Magenkarzinoms geht über eine körperliche Untersuchung, eine genaue Anamnese und Basisuntersuchungen wie Endoskopie, Biopsie oder Oberbauchsonographie hinaus. Heutzutage sollte es in Tumorzentren den endoluminalen Ultraschall (EUS) und bei lokal fortgeschrittenen Befunden ein CT Thorax/Abdomen/ Becken bei proximalen Tumoren bzw. CT Abdomen/Becken bei den übrigen Tumorlokalisation sowie die chirurgische Laparoskopie einschließen, die bis zu 20% Zusatzinformationen bietet (Feussner u. Hartl 2006).
Primärtumor Bei der ersten Endoskopie sollte die Lokalisation des Tumors und seine makroskopische Beschaffenheit nach Borrmann klassifiziert werden. Die Lokalisation des Tumors ist entscheidend, da sie unterschiedliche operative Strategien impliziert. Nach unserer Erfahrung können diese 3 Tumorentitäten am besten nach der Lokalisation des Zentrums des Tumors unterschieden werden (Siewert u. Stein 1998). Die Diagnose des Barrett-Karzinoms (AEG Typ I) ist meistens einfach, da in 75–80% der Fälle das begleitende spezialisierte Zylinderepithel gefunden wird (= Endobrachyösophagus). Beim Fehlen eines Endobrachyösophagus müssen mindestens 2/3 der Tumormasse im tubulären Ösophagus liegen, um einen Tumor als Barrett-Karzinom zu klassifizieren. Bei proximalen Magenkarzinomen (AEG Typ III) muss das Zentrum des Tumors aboral der anatomischen Kardia liegen. Tu-
. Abb. 40.6. Klassifikation des Adenokarzinome des gastroösophagealen Übergangs (AEG)
. Tab. 40.4. Genauigkeit der EUS im Staging des Magenkarzinoms (TNM, UICC 1983). (Rösch 1995)
Stadium
n
EUS-Genauigkeit [%]
T1
483
86
T2
301
64
T3
500
91
T4
143
80
N0
282
85
moren, deren Zentrum innerhalb 2 cm oral oder aboral der anatomischen Kardia gelegen ist, werden danach konsequenterweise als reine Kardiakarzinome klassifiziert (AEG Typ II; . Abb. 40.6). Bei der ersten Biopsie wird der histologische Typ des Tumors bestimmt. Magenkarzinome sind meistens Adenokarzinome. Magenlymphome (MALT) müssen vor Behandlungsbeginn definitiv ausgeschlossen werden, da diese Tumorentität unterschiedlich therapiert wird. Ferner wird bei den ersten Biopsien die histopathologische Klassifikation nach Laurén durchgeführt. Auch der Grad der Differenzierung wird durch diese ersten Biopsien festgelegt. Ob der endoluminale Ultraschall (EUS) der nächste Schritt in der weiteren Diagnostik sein muss, ist derzeit in der Diskussion. Nach den ersten publizierten Daten, die eine hohe Genauigkeit zeigten, wird vermehrt über die Limitationen der Methodik diskutiert, aktuelle Studien berichten eine Sensitivität im T-Staging zwischen 54 und 60% (Bentrem et al. 2007; Bösing et al. 2003; Meining et al. 2002). (. Tab. 40.4). Probleme treten zum einen in der Differenzierung zwischen T1a- (Mukosa) und T1b-Tumoren (Submukosa) auf. Auch mit modernen Methoden wie der »High-resolution«EUS gelingt die prätherapeutisch wichtige Unterscheidung nur in ca. 60% der Fälle (Yasuda 2002). Zum anderen ist auch die Unterscheidung zwischen der T2- (Infiltration der Subserosa) und der T3-Kategorie schwierig. Speziell beim ulzerierten Magenkarzinom ist es kaum möglich, zwischen Karzinom, entzündetem Gewebe oder Fibrose zu unterscheiden. Auch nach neoadjuvanter Therapie ist es schwierig Residualtumor von Narbengewebe zu unterscheiden. Auch mit der Spiral-CT lässt sich nur eine Genauigkeit von ca. 65%, korreliert zur pTNM-Kategorie, erzielen. Dabei scheint die MRT noch etwas besser abzuschneiden (18% vs. 73% Genauigkeit) (Sohn et al. 2000). Die Ergebnisse mit der modernen Mehrzeilen-Spiral-CT (MS-CT) liegen im T-Staging bei optimalen Untersuchungsbedingungen im Bereich der EUS (Polkowski et al. 2004). Sie bietet zudem den Vorteil der Visualisierung der Befund zeitgleich in koronaren Schichten und in der 3D-Rekonstruktion. Da eine CT-Untersuchung des Abdomens beim fortgeschrittenen Magenkarzinom immer erforderlich ist, ist dies sicher die Methode der Zukunft.
40
536
Kapitel 40 · Magenkarzinom
Lymphknotenmetastasierung
M-Kategorie – Fernmetastasen
Die Erfassung des Lymphknotenbefalls ist nach wie vor schwierig. Beim endoluminalen Ultraschall wird eine diagnostische Genauigkeit von nur 65–87% berichtet (. Tab. 40.4; Rösch 1995). Diese Ergebnisse bewerten den Nodalstatus nach der alten TNM-Klassifikation (1987); nach der neuen Klassifikation ist eher eine noch geringere Sensitivität zu erwarten, da nicht die Nähe zum Tumor, sondern die Anzahl der befallenen Lymphknoten entscheidend ist. Durch den EUS können nur Lymphknoten in der Nähe der Magenwand erfasst werden. Wie bei anderen bildgebenden Verfahren auch können nur vergrößerte Lymphknoten als maligne befundet werden. Knoten, die nicht vergrößert, aber metastatisch befallen sind, werden nicht detektiert (Monig et al. 2002). Es besteht eine Korrelation von T-Kategorie und Anzahl und Lokalisation der infiltrierten Lymphknoten. T3-Tumoren haben bereits eine Wahrscheinlichkeit von 70% positiver Lymphknoten (. Abb. 40.7; Siewert et al. 1997). Durch ein Computerprogramm, das von Maruyama (National Cancer Center Tokyo) entwickelt wurde, lässt sich das Problem, metastatisch befallene Lymphknoten zu erfassen, relativ sicher (94%) überwinden. Zusätzlich ist es möglich, die Lokalisation der zu erwartenden Lymphknotenmetastasen vorherzusagen (Maruyama et al. 1989). . Abb. 40.8 zeigt ein Beispiel des Programms für ein proximal gelegenes T3-Karzinom. Grundlage der angezeigten Lymphknotenstationen ist die Klassifikation gemäß der Japanese Gastric Cancer Association.
Durch die embryonale Rotation des Magens metastasiert das Magenkarzinom nicht nur in die Lymphknoten des großen und kleinen Netzes, sondern auch in die Lymphknoten um den Truncus coeliacus und damit in den Retroperitonealraum (Sarrazin et al. 1980). Der Tumor selbst kann per continuitatem die Leber, das Pankreas, die Milz und das Colon transversum infiltrieren. Selten, ungefähr in 3% der Fälle, metastasiert der Tumor primär in das Knochenmark. Bei Frauen sind sog. Abtropfmetastasen auf den Ovarien (Kruckenberg-Tumoren) ein möglicher weiterer Befund. Die verschiedenen Untergruppen der Laurén-Klassifikation haben ebenfalls unterschiedliche Wege der Metastasierung. Während der intestinale Typ vor allen Dingen in die Leber und die Lymphknoten metastasiert, metastasiert der diffuse Typ sehr rasch in das Peritoneum (Weiss et al. 1993). Zieht man diese Metastasierungswege in Betracht, ist die CTUntersuchung des Abdomens und Beckens beim Staging des Magenkarzinoms unabdingbar. Ein Problem dabei ist, dass die Metastasierung in das Peritoneum durch das CT nur dann vermutet werden kann, wenn schon Ascites vorliegt oder Knoten im CT sichtbar sind. Die Sonographie, das Spiral CT, und die Kernspintomographie (MRT) sind die Methoden zur Erfassung der abdominellen Metastasierung. In der Leber bereiten die kleinen Metastasen (<1 cm im Durchmesser) ein Problem, da sie durch die etablierten diagnostischen Methoden oft nicht visualisierbar sind. Die Sensitivität des Ultraschalls und des Spiral-CT
. Abb. 40.7. Korrelation von pT-Kategorie mit der Wahrscheinlichkeit der lymphogenen Metastasierung
40
. Abb. 40.8. Voraussage der Lymphknotenmetastasierung für ein lokal fortgeschrittenes proximales Magenkarzinom durch das Maruyama-Computerprogramm
537 40.4 · Operative Therapie
für die Erfassung von Lebermetastasen liegt ungefähr bei 85% (Saini 1997). Die derzeit wohl beste Methodik zur Erfassung der Lebermetastasen ist das MRT mit Gadolinium als Kontrast, es werden Sensitivitäten bis zu 90% berichtet (Rode et al. 2001). Momentan besteht für den Einsatz der Positronenemissionstomographie im Staging des Magenkarzinoms keine Indikation. Über die Sensitivität des Lymphknotenstaging werden divergierende Ergebnisse publiziert (Sensitivität zwischen 23% vs. 91). Sicher scheint zu sein, dass Karzinome vom diffusen Typ, aufgrund der oft ausgeprägten Desmoplasie, schlecht in FDG-PET abgebildet werden (Mochiki et al. 2004; Yoshioka et al. 2003, Ott et al. 2003, 2008). Das FDG-PET könnte zukünftig in der frühen Beurteilung des Ansprechens auf eine neoadjuvante Chemotherapie Bedeutung erlangen (s. Kap. »neoadjuvante Chemotherapie), obwohl sich die Responsebeurteilung beim Magenkarzinom deutlich komplizierter als beim Adenokarzinom des Ösophagus erweist.
Die dargestellten Probleme des Stagings der Abdominalhöhle können durch die Laparoskopie überwunden werden. Bei lokal fortgeschrittenen Magenkarzinomen werden bei ca. 20% der Patienten zusätzliche Befunde erhoben, die Einfluss auf die Therapie haben (Feussner u. Hartl 2006).
Durch den laparoskopischen Ultraschall wird die Erfassung von kleinen Lebermetastasen möglich. Weiterhin kann während der Laparoskopie eine Lavage gewonnen werden, um freie Tumorzellen in der Bauchhöhle zu detektieren. Freie Tumorzellen indizieren auch nach kompletter Resektion eine schlechte Prognose (Bentrem et al. 2005). Die Durchführung einer chirurgischen Laparoskopie beim lokal fortgeschritte-
. Abb. 40.9. Staging beim Magenkarzinom und therapeutische Konsequenzen. CT Computertomographie, CTx Chemotherapie, ECOGPS Performance-Status nach Eastern Cooperative Group,
nen Magenkarzinom gehört in Zentren zur diagnostischen Routine (Blackshaw et al. 2003; Sendler u. Siewert 2003). Das Staging für Fernmetastasen wird abgeschlossen ein konventionelles Thoraxbild. . Abb. 40.9 zeigt einen diagnostischen Algorithmus für das präoperative Staging des Magenkarzinoms. Dadurch wird die Identifizierung von Gruppen von Patienten möglich, die von einer individualisierten Therapie profitieren.
40.4
Operative Therapie
40.4.1 Therapieziele Bis heute ist die Behandlung unter »kurativer« Intention nur durch die Resektion des Magenkarzinoms und seines Lymphabflussgebietes möglich. Im Folgenden wird auf die Möglichkeiten der modernen Magenchirurgie, die Komplikationen und die Ergebnisse eingegangen. Weitere Behandlungsoptionen beim Magenkarzinom bieten die Chemotherapie, als neoadjuvante (präoperative oder perioperative), adjuvante oder additive (palliative) Form und, in seltenen Fällen, die Strahlentherapie. Das Ziel jeder Resektion eines Magenkarzinoms sollte die komplette Tumorentfernung sein. Dieses entspricht einer R0-Resektion gemäß der UICC. Die vollständige Resektion bezieht sich einerseits auf den Primärtumor (kein Residualtumor an den oralen und aboralen Resektionsrändern und im Tumorbett, sog. »dritte Dimension«), andererseits auf die Lymphabflussgebiete. Das Minimalziel ist, keinen Residualtumor in den Grenzlymphknoten zurückzulassen. Um die Prognose eines Patienten durch die Operation zu verbessern, muss der Tumor mit adäquaten Sicherheitsabständen entfernt werden. Dieser Sicherheitsabstand sollte
EMR endoskopische Mukosaresektion, H. p. Helicobacter pylori, LK Lymphknoten
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538
Kapitel 40 · Magenkarzinom
ebenfalls im Gebiet des Lymphabflusses beibehalten werden. Dies bedeutet, dass die Anzahl der entfernten Lymphknoten größer sein muss als die Anzahl der augenscheinlich schon metastatisch befallenen (Lymphknotenquotient <0,2). Die Notwendigkeit dieses Ausmaßes der Lymphadenektomie wird durch das »microinvolvement« von in der Routinehistologie nodal negativen Lymphknoten erklärt. Die Mortalität der totalen Gastrektomie liegt in Zentren unter 4%, sie korreliert direkt mit dem Ausmaß der Resektion. Das Ausmaß der Abstände wird durch den Wachstumstyp des Tumors (LaurénKlassifikation), das histologische Grading und die T-Kategorie bedingt. Magenkarzinome des diffusen Typs nach Laurén benötigen einen weiteren Sicherheitsabstand als die Tumoren des intestinalen Typs, dies gilt auch für das Tumorbett. In Untersuchungen findet sich eine signifikante Korrelation zwischen der T-Kategorie und der R0-Resektionsrate. Die N-Kategorie und die R0-Resektionsrate korrelieren ebenfalls miteinander. (Siewert et al. 1996).
Operationen, die nicht mit einer kompletten Entfernung der Tumors und seines Drainagegebietes beendet werden, verbessern die Prognose des Patienten in keiner Hinsicht und sind rein palliative Maßnahmen.
40.4.2 Indikationsstellung Mit Hilfe der bereits beschriebenen Stagingmodalitäten kann heutzutage die Ausbreitung eines Tumors mit einer Genauigkeit von 80–85% vorhergesagt werden. Es sind 3 unterschiedliche Situationen mit verschiedenen therapeutischen Strategien zu unterscheiden: Stadium IA. Patienten mit Mukosakarzinom können durch
40
lokale Exzision therapiert werden. Die Wahrscheinlichkeit der Lymphknotenmetastasierung in diesem Krankheitsstadium liegt unter 4%. Die limitierte Chirurgie kann laparoskopisch oder endoskopisch durchgeführt werden. Das Problem liegt hier immer noch beim EUS, der nicht mit der nötigen Sicherheit zwischen Befall der Mukosa und Submukosa unterscheiden kann. Deshalb sollte zum optimalen Staging die Exzision in toto abgestrebt werden, um nach der lokalen Resektion die Tiefeninfiltration (pT-Kategorie) und R-Kategorie histologisch verifizieren zu können.
mie wurde in der randomisierten holländischen Studie für die Subgruppe der pN2-Patienten gezeigt (Hartgrink et al. 2004). In diesen Stadien ist es möglich, eine R0-Resektion sowohl des Primärtumors als auch seines Lymphabflussgebietes mit ausreichenden Sicherheitsabständen zu erreichen In diesen Stadien ist die perioperative Chemotherapie nach den positiven Ergebnissen der englischen und französischen Studien Standard und sollte dem Patienten zu Prognoseverbesserung angeboten werden (. Abb. 40.10). Stadium IV. Die dritte Behandlungsgruppe umfasst die lokal
weit fortgeschrittenen Magenkarzinome, mit Fernmetastasen. In dieser Situation kann eine komplette Entfernung des Tumors durch eine chirurgische Resektion in der Regel nicht mehr erreicht werden. Diese Patienten sollten primär palliativ chemotherapiert werden und nur in selektierten Fällen sekundär reseziert werden. Nach einer Induktionschemotherapie scheinen auch metastasierte Patienten, die auf die Chemotherapie angesprochen haben und konsekutiv R0-reseziert werden von einem multimodalen Konzept zu profitieren. Eine Resektion bei metastasierten Patienten ist derzeit eine reine Individualentscheidung.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die primäre Resektion und D2-Lymphadenektomie beim Magenkarzinom der Tumorkategorie cT1/2a die Therapie der Wahl ist. Neoadjuvante Therapiekonzepte sollten bei Tumoren ab cT2b/3 angewandt werden. Dem prätherapeutischen Lymphknotenstaging kommt jedoch aufgrund der relativ geringen Genauigkeit bei der Therapiestratifizierung eine untergeordnete Bedeutung zu. Bei Verdacht auf Lymphknotenmetastasen sollte ebenfalls ein neoadjuvantes Konzept erfolgen. Bei fernmetastasierten Tumoren bleibt die Resektion Individualentscheidungen vorbehalten. Es kann ein palliatives operatives Verfahren, eine Induktionschemotherapie mit nachfolgender Resektion bei Ansprechen oder eine definitive palliative Chemotherapie erwogen werden.
40.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
40.5.1 Limitierte Chirurgie
im Tumorstadium IA Stadium IB, II und Stadium IIIA/B. Die Lymphknotenmetasta-
sierung wird in diesen Tumorstadien bereits zu einem hohen Prozentsatz erwartet. Diese Gruppe profitiert am meisten von der radikalen Chirurgie, vor allen Dingen von der erweiterten D2-Lymphadenektomie. Eine Sonderstellung innerhalb der oben genannte Stadien nehmen Patienten mit dem klinischen Staging cT2 cN0 cM0 ein, die nach momentaner Datenlage primär ohne Chemotherapie reseziert werden. Alle anderen Stadien sind nodal-positiv oder zumindest T3-kategorisiert, so dass sie für multimodale Konzepte qualifizieren. Ein signifikanter Überlebensvorteil durch eine D2-Lymphadenekto-
Der entscheidende Punkt im Entscheidungsprozess für oder gegen die limitierte Chirurgie ist die präoperative Differenzierung zwischen dem Mukosa- und dem Submukosakarzinom. Diese Information ist nur durch den endoluminalen Ultraschall zu erreichen. Die endosonographische Entscheidung zwischen Mukosa- und Submukosakarzinom ist jedoch schwierig. In einer Studie von Yanai et al. (Yanai et al. 1997) wurde von einer Genauigkeit von 72% für die Endoskopie und nur 65% für den EUS berichtet. Yasuda berichtete über eine Genauigkeit von 79,5% bzw. 72,7% (pT1a vs. pT1b) in über
539 40.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
. Abb. 40.10. Perioperative Therapie beim lokal fortgeschrittenen Magenkarzinom. a MAGIC-Studie: ECF (Epirubicin, Cisplatin, Fluorouracil) perioperativ versus Chirurgie allein (p=0,009; 5-JahresÜberlebensraten 36% versus 23%) (Cunningham et al. 2006). b FFCD-9703Studie: 5-Fluorouracil/Cisplatin perioperativ versus Chirurgie allein (p=0,021, 5-Jahres-Überlebensraten 38% versus 24%) (Boige et al. 2007)
a
b
600 untersuchten Fällen (Yasuda 1995). Die Inzidenz der Lymphknotenmetastasen beim Magenfrühkarzinom ist abhängig von der Tiefe der Infiltration, dem Grading, dem makroskopischen Erscheinungsbild und dem Durchmesser des Tumors. In einer japanischen Studie mit mehr als 5000 Patienten mit Magenfrühkarzinom und totaler Gastrektomie mit erweiterter Lymphadenektomie fand sich bei gut differenzierten Mukosakarzinomen unter 30 mm Durchmesser keine Lymphknotenmetastasierung (n=1230). Bei keiner der 929 Läsionen ohne Ulzeration fand sich eine Lymphknotenmetastasierung, unabhängig von der Tumorgröße (Gotoda et al. 2000). Bei Karzinomen vom hervorstehenden Typ (Typ I, IIA) mit einem Durchmesser kleiner als 20 mm und bei den exkavierten Typen (Typ IIC), ebenfalls mit einem Durchmesser <20 mm finden Lymphknotenmetastasen unter 2%.
Es gibt 3 Möglichkeiten der limitierten Behandlung des Magenfrühkarzinoms. 4 Lasertherapie 4 So genannte endoskopische Mukosa- oder Submukosaresektion 4 Kombinierte endoskopisch-laparoskopische Magenwandresektion Lasertherapie. Der Nachteil der Lasertherapie ist, dass nach der
Ablation der Mukosa kein entsprechendes Resektat zur pathohistologischen Aufarbeitung zur Verfügung steht. Aus diesem Grund sollte diese Therapieform nur bei Hochrisikopatienten oder in der palliativen Situation Anwendung finden. Endoskopische Mukosa- oder Submukosaresektion. Im
Kontrast dazu ist die histologische Beurteilung des Resektat
40
540
Kapitel 40 · Magenkarzinom
nach der endoskopischen Mukosa- oder Submukosaresektion möglich. Diese Technik ist jedoch nicht in allen anatomischen Regionen des Magens anwendbar (Tani et al. 2001). In einer Studie aus dem Jahre 1993 wird eine Serie von 82 Patienten mit 97 Tumoren berichtet, die endoskopisch reseziert worden waren. Diese Gruppe wurde mit einer Gruppe von 27 Patienten nach offener Resektion verglichen. In den 5-Jahres-Überlebenskurven fanden sich keine Unterschiede (Tada et al. 1993). Die endoskopische Mukosa- bzw. Submukosaresektion bietet eine gute Stagingmöglichkeit der pT-Kategorie. Bei einer Submukosainfiltration sollte eine adäquate Lymphadenektomie erfolgen. Wenn die Therapie der endoskopischen Mukosaresektion oder Lasertherapie in Betracht gezogen werden sollte, sollten folgende Kriterien erfüllt sein: 4 Mukosakarzinom 4 < 2 cm Durchmesser 4 Wachstumstyp I/IIA oder IIC 4 Intestinale Laurenklassifikation Kombinierte endoskopisch-laparoskopische Magenwandresektion. Ein weiteres Prinzip der lokalen Behandlung der
Magenfrühkarzinome ist diese auch als »laparoscopic wedge resection« bezeichnete Technik (Ohgami et al. 1993). Bei dieser Operation wird nach endoskopischer Einstellung des Tumors und »lifting« des Bezirkes mit einem Metallhaken Teil der Magenwand in toto reseziert, es kann dadurch eine genaue histopathologische Aufarbeitung erfolgen. Nach 5-jähriger Nachbeobachtungszeit berichtet Ohgami et al. von nur einer zusätzlichen Gastrektomie und 2 intragastrischen Rezidiven nahe der Stapler-Linie (Ohgami et al. 1999).
40.5.2 Chirurgie des fortgeschrittenen
Magenkarzinoms (Stadium IB, II, IIA) Verfahrenswahl
40
Die Auswahl des Operationsverfahrens bei Patienten mit Magenkarzinom richtet sich vor allem nach der anatomischen Lokalisation des Tumors. Basierend auf den Empfehlungen der UICC und der Japanese Research Society for Gastric Cancer wird der Magen gedrittelt. Obwohl die Grenzen zwischen diesen Dritteln nicht exakt definiert sind, hat sich diese Unterscheidung als äußerst hilfreich zur Festlegung der Resektionsgrenzen gezeigt (. Abb. 40.11). Wie bereits erwähnt, bestimmt auch der Wachstumstyp der Tumoren das Ausmaß der Resektion. Die unterschiedlichen Wachstumstypen nach Laurén definieren den minimal nötigen Sicherheitsabstand. Bei der Planung des extraluminalen Ausmaßes der Resektion sind die eventuell befallenden Lymphknoten ein weiterer zu bedenkender Parameter. Die Wahrscheinlichkeit der Lymphknotenmetastasierung ist abhängig vom T-Stadium. . Abb. 40.12 zeigt die Definition der Lymphknotenstationen gemäß der Japanese Gastric Cancer Association. Magenkarzinome des distalen Drittels. Nach den Ergebnis-
sen einer Studie der Italian Gastrointestinal Tumor Study
. Abb. 40.11. Einteilung des Magens in Drittels und chirurgische Strategie
Group ist bei Tumoren des distalen Drittels – unabhängig von der Laurén-Klassifikation – die subtotale Gastrektomie die Methode der Wahl. In dieser Studie wurden 315 Patienten in die Gruppe »subtotale Gastrektomie« und 303 Patienten in die Gruppe »totale Gastrektomie« randomisiert. Einschlusskriterien waren Tumoren mit einem proximalen Ende wenigstens 6 cm von der Kardia und keine Fernmetastasierung. Bei beiden Operationsverfahren wurde eine D2-Lymphadenektomie durchgeführt. Das 5-Jahres-Überleben war 65,3% für die Gruppe »subtotal« und 62,4% für die Gruppe nach totaler Gastrektomie (Bozzetti et al. 1999). Wie bei den Magenkarzinomen anderer Lokalisation ist die D2-Lymphknotendissektion die Methode der Wahl. Bei Patienten mit pylorusnahen Tumoren muss die Lymphknotendissektion die Lymphknotenstationen 12 (Lymphknoten des Ligamentum hepatoduodenale), 13 (retroduodenale Lymphknoten) und 16 (paraaortale Lymphknoten rechts) mit umfassen. Karzinome des mittleren Magendrittels. Bei diesen Tumoren
sollte eine totale Gastrektomie und die D2-Lymphadenektomie durchgeführt werden. Die D2-Resektion umfasst die Lymphknotenstationen 1–6 (Kompartment 1) und 7–11 (Kompartment 2). Magenkarzinom des proximalen Drittels. Die proximalen
Magentumoren sind die Tumorentität bei denen die chirurgischen Strategie derzeit am kontroversesten diskutiert wird. Bei den lokal fortgeschrittenen Tumoren ist derzeit das Standardvorgehen eine transhiatal erweiterte Gastrektomie. Eine japanische randomisierte Phase-III-Studie hat einen linksabdominothorakalen Zugang an 167 Patienten im Vergleich zu einer transhiatal erweiterten Gastrektomie untersucht. Alle Endpunkte dieser Studie sprechen für eine transhiatal erweiterte Gastrektomie (TG) und nicht für einen links abdominothorakalen Zugang (LTA). Das 5-Jahres-Überleben beträgt für
541 40.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
. Abb. 40.12. Klasifikation und Nummerierung der Lymphknotenstationen gemäß der japanischen Klassifikation
die TG 52,3%, für den LTA 37,9%, die Komplikationsrate für die TG 34% versus 49% für den LTA (p=0,06), die Letalität 0% für the TG versus 4% für den LTA (. Abb. 40.13; Sasako et al. 2006). Eine randomisierte Studie, die eine transhiatal erweiterte Gastrektomie mit einem rechts abdominothorakalen Zugang mit intrathorakaler Anastomose (Ivor-Lewis-Operation) vergleicht existiert derzeit nicht. Eine retrospektive Analyse an 505 AEG-Patienten aus dem Sloan Kettering Cancer Center zeigt, dass bei nicht neoadjuvant therapierten Patienten ein oraler Sicherheitsabstand von 5 cm in situ (3,8 cm ex situ) erforderlich ist und mindestens 15 Lymphknoten reseziert werden sollten (Barbour et al. 2007). Somit ist für AEG-II- und -III-Tumoren mit Tumorausläufern in den distalen Ösophagus eine rechts abdominothorakale Ösophagektomie mit intrathorakaler Anastomose (Ivor-Lewis-Operation) und intraabdomineller D2-Lymphadenektomie zu diskutieren (Ott et al. 2009).
Um einen tumorfreien oralen Resektionsrand mit größter Sicherheit festzulegen, ist bei der transhiatal erweiterten Gastrektomie eine intraoperative Schnellschnittdiagnos6
tik zu empfehlen. Die operative Strategie sollte mit der Eröffnung des Zwerchfells und dem oralen Absetzen beginnen, um alternativ noch eine abdominothorakaler Resektion mit Schlauchmagen und intrathorakaler Anastomose (Ivor-Lewis) durchführen zu können.
Für die Karzinome des proximalen Drittels ist die D2-Lymphknotendissektion ebenfalls Standard. Weiterhin wird empfohlen, die Lymphadenektomie auf die Lymphknotenstationen 11 und 12 auszudehnen. Die retroperitoneale, paraaortale Lymphadenektomie links bis zur Nierenvene (Lymphknotenstation 16) ist erforderlich, um den retroperitonealen Lymphabflussweg von der Hinterrand des Fundus und der Kardia mit zu erfassen. Dieser Lymphabfluss läuft entlang der großen retroperitonealen Gefäße zu der linken Nebenniere und zum linken Nierenhilus (. Abb. 40.14). Für pT1sm/ pT2a-Tumoren kann eine limitierte Kardiaresektion mit Interposition eines gestielten Dünndarminterponates mit adäquater Lymphadenektomie erfolgen (. Abb. 40.15). Für diese individualisierte Therapiestrategie für AEG-II- und -IIII-Tumoren ist ein exaktes prätherapeutisches Staging unabdingbar.
40
542
Kapitel 40 · Magenkarzinom
. Abb. 40.13. Gesamtüberleben nach transhiatal erweiterter Gastrektomie und links-abdominothorakalem Zugang (Sasako et al. 2006)
zu verbessern (z. B. die Therapie der Magenausgangsstenose durch eine Gastroenterostomie, die Therapie der Dysphagie durch einen Tubus oder die Therapie der akuten Tumorblutung durch die Gastrektomie)
. Abb. 40.14. Retroperitonealer Lymphabfluss der Kardia
40
Chirurgie in der palliativen Situation Wenn man die epidemiologischen Faktoren der Patienten mit Magenkarzinom in Deutschland und Nordamerika, die in chirurgischen Zentren eingewiesen werden, analysiert, haben mehr als 60% der Patienten einen lokal fortgeschrittenen Tumor zur Zeit der Diagnosestellung (Siewert et al. 1997). In diesem Fall sind folgende therapeutischen Optionen vorhanden: 4 Präoperative Chemotherapie mit nachfolgender Resektion im Falle eines Ansprechen des Tumors auf die Therapie als Individualentscheidung 4 Die alleinige palliative Therapie der Tumorkomplikationen, um die Lebensqualität des Patienten vorübergehend
Das Ziel dieser palliativen Maßnahmen ist generell die Intervention mit dem geringsten Risiko für den Patienten ohne zu versuchen, eine Tumormassenreduktion zu erreichen. Bei Patienten mit Blutungskomplikationen können die Laserkoagulation oder die endoskopische Unterspritzung versucht werden. Bei Patienten mit einer Tumorobstruktion in der Höhe der Kardia oder bei subkardialem Magenkarzinom kann eine Passageöffnung durch Laservaporisation oder eine Überbrückung mittels Stent erfolgen, dabei haben sich die modernen Stents zunehmend bewährt, auch im Fall eines Rezidivs (Jeong et al. 2004). Eine chirurgische Intervention, um die proximale Obstruktion zu beseitigen, sollte unter allen Umständen vermieden werden, sie ist sehr risikoreich und von unbestimmten Wert (Siewert et al. 1995b). Bei Patienten, die eine distale Magenobstruktion aufweisen, wird generell eine Gastroenterostomie angelegt. Ein sehr schwieriges Problem ist bei Patienten vorhanden, die aufgrund einer Peritonealkarzinose einen Dünndarmoder Dickdarmileus entwickeln. In diesen prognostisch hoffnungslosen Situationen ist ein chirurgischer Ansatz mit einem akzeptablen Risiko nicht möglich, außer bei Patienten, die eine isolierte Stenose aufweisen. Die Behandlung dieser Patienten sollte rein konservativ durch die parenterale Ernährung erfolgen.
40.6
Operationstechnik
40.6.1 Lymphadenektomie Die D1-Lymphadenektomie wird definiert durch die Entfernung der Lymphknotenstationen 1–6 an der großen und kleinen Kurvatur. In Japan und in den Zentren der westlichen Welt
543 40.6 · Operationstechnik
a
b
c
. Abb. 40.15a–c. Limitierte Kardiaresektion mit gestieltem isoperistaltischem Jejunuminterponat. a Schematische Darstellung: proximale Magenresektion und gestielte Jejunalschlinge mit End-zuSeit-Ösophagojejunostomie und End-zu-Seit-Jejunugastrostomie. Die hochgezogene Jejunalschlinge darf nicht zu lang gewählt wer-
den, um ein Kinking zu vermeiden. b Postoperative Darstellung des Operationsergebnisses mit regelrechter Gastrografinpassage durch die Jejunalschlinge in den Magen. c Makroskopisches Operationspräparat einer limitierten Kardiaresektion: Frühkarzinom am gastroösophagealen Übergang
wird jedoch die D2-Lymphadenektomie als Standard-Therapie angesehen (Lymphknotenstation 7–11 und 1–6). Für Tumoren des mittleren Magendrittels gilt diese Regel ohne Ausnahme. Für Tumoren des proximalen oder distalen Drittels wird die D2-Lymphadenektomie um die bereits erwähnten Lymphknotenstationen erweitert, je nach der Lokalisation des Tumors (D2- plus bzw. D3- oder D4-Lymphknotendissektion). In westlichen Ländern wird die Lymphadenektomie in der sog. »En-bloc«-Technik durchgeführt. Dabei wird das lymphatische Gewebe en bloc von der Peripherie zum Zentrum des Tumors entfernt (zentripetal). Die Lymphknoten sind damit sämtlich am Resektionspräparat vorhanden. Der Pathologe ist dadurch in der Lage, die anatomische Lokalisation der Lymphknoten zu identifizieren, sie zu dissezieren und zu zählen. Auf dieser aufwändigen Aufarbeitung des Resektionspräparates beruht dann die pathohistologische Evaluation. Nur durch diese En-bloc-Technik können alle wichtigen Prognosefaktoren, die das Resektat bietet, evaluiert werden. In den japanischen Zentren werden die Lymphknoten durch den operierenden Chirurgen selbst disseziert und entsprechend ihrer Lokalisation klassifiziert und erst dann dem Pathologen zur Befundung zugesandt.
die D2-Lymphadenektomie als Standard (Bonenkamp et al. 1999; Brennan 1999; Cuschieri et al. 1999; . Abb. 40.16a). Die koreanische Studie an 221 randomisierten Patienten, die eine D1- mit einer D3-Lymphadenektomie vergleicht, zeigt ein besseres Gesamtüberleben, aber kein verbessertes rezidivfreies Überleben (Wu et al. 2006; . Abb. 40.16b). Die große randomisierte japanische Studie, die eine D2Lymphadenektomie mit einer zusätzlichen D2-Lymphadenektomie mit Entfernung der paraaortalen Lymphknoten an 523 Patienten, ergibt keinen Vorteil für die zusätzliche paraaortale Lymphadenektomie (PAND). Sowohl die Letalität in beiden Gruppe mit 0,8% als auch die Komplikationswahrscheinlichkeit (20,9% D2 versus 28,1% D2 + PAND) sind exzellent und von westlichen Multicenterstudien schwer zu reproduzieren (Sasako et al. 2008). Dasselbe gibt für die exzellenten 5-Jahres-Überlebensraten von 69,2% für die Patienten mit D2-Lymphadenektomie und 70,3% für die Patienten mit D2-Lymphadenktomie + PAND (. Abb. 40.16c). Nicht-randomisierten Studien ergaben keine Unterschiede in Mortalität und Morbidität zwischen der D1- und der D2-Lymphadenektomie. Demgegenüber zeigt sich eine signifikant erhöhte Morbidität und Mortalität für die D2-Lymphadenektomie in beiden prospektiv randomisierten Studien aus den Niederlanden und aus Großbritannien; dies bei fehlendem Vorteil im Überleben für das Gesamtkollektiv. Die Mortalität in der D2-Lymphadenektomie-Gruppe betrug in der niederländischen Studie 10% (32/390) und in der MRC Studie 13% (26/200). Allein durch diese hohe postoperative Mortalität können eventuelle Vorteile im Langzeitüberleben verschleiert werden.
Zur Frage des Ausmaßes der Lymphadenektomie Das Ausmaß der Lymphadenektomie wird international weiterhin kontrovers diskutiert. Auch nach beiden randomisierten Studien (D1- versus D2-Lymphadenektomie), die keinen Überlebensvorteil der Gesamtkollektive berichten konnten, gilt jedoch in Japan und in den westlichen Zentren
40
544
Kapitel 40 · Magenkarzinom
. Abb. 40.16a–c. Ergebnisse der drei relevanten randomisierten Studien zur Lymphadenektomie. a Holländische Studie (Hartgrink et al. 2004): D1-Lymphadenektomie versus D2-Lymphadenektomie: kein Überlebensvorteil für die D2-Lymphadenktomie bezüglich des Gesamtüberlebens. b Koreanische Studie (Wu et al. 2006): D1-Lymphadenektomie versus D3-Lymphadenektomie: signifikanter Überlebensvorteil für die D3-Lymphadenektomie bezüglich des Gesamtüberlebens. c Japanische Studie (Sasako et al. 2008): D2-Lymphadenktomie versus D2-Lymphadenektomie mit paraaortalen Lymphknoten: kein Überlebensvorteil für D2-Lymphadenektomie mit paraaortaler Lymphadenktomie
a
b
c
40
545 40.6 · Operationstechnik
. Tab. 40.5. Daten zu den relevanten randomisierten Studien bezüglich Lymphadenektomie
Studie
Typ
n
Morbidität
Letalität
5-Jahres-Überleben
Holland (Hartgrink et al. 2004)
D1
380
25%
4%
45%
D2
331
43%
10%
47%
D1
110
7%
0%
54%
D3
111
17%
0%
60%
D2
263
21%
1%
69%
D2 + PAND
259
28%
1%
70%
Korea (Wu et al. 2006) Japan (Sasako et al. 2008)
Die hohen Komplikationsraten der D2-Lymphadenektomie in beiden Studien können vor allem durch die größere Anzahl von Splenektomien und Pankreaslinksresektionen in dieser Gruppe erklärt werden (DGCT: 32% versus 3% (D1), MRC: 56,5% versus 4%). Dadurch kam es häufig zu Pankreasfisteln mit septischen Komplikationen, die ursächlich für die hohe postoperative Morbidität und Mortalität waren. Wie bereits erwähnt, sollten deshalb die linksseitige Pankreasresektion und/oder die Splenektomie nach Möglichkeit vermieden werden. Die Daten aus Japan und Korea zeigen, dass auch eine D2-Lymphadenektomie ohne signifikante Morbidität und Mortalität durchgeführt werden kann (. Tab. 40.5). Die Daten aus Korea bestätigen jedoch die erhöhte Komplikationsrate nach Splenektomie und Pankreaslinksresektion (Wu et al. 2006). Ferner scheint der Trainingsstand der operierenden Chirurgen für dieses Operationsverfahren zu gering gewesen zu sein. In der britischen Studie wurden 200 D2-Lymphadenektomien in 31 Zentren durchgeführt, dies sind durchschnittlich 6 D2-Lymphadenektomien pro Zentrum in 7 Jahren, d. h. nicht einmal eine pro Jahr. In der niederländischen Studie wurden 331 D2-Lymphadenektomien von 82 Chirurgen in 51 Zentren durchgeführt. Dies sind 4 Operationen/Chirurg in 4 Jahren. In der japanischen Multicenterstudie wurden die Operationen entweder durch Chirurgen durchgeführt, die mehr als 100 Gastrektomien mit D2-Lymphadenektomie durchgeführt hatten bzw. an Zentren mit mehr als 80 Gastrektomien pro Jahr (Sasako et al. 2008). In der koreanischen Studie mussten die Operateure mehr als 35 Gastrektomien mit D3-Lymphadenektomie durchgeführt haben (Wu et al. 2006). Die Qualität der Lymphadenektomie lässt sich an der Zahl der entfernten Lymphknoten ablesen. Entsprechend den Vorgaben der Japanese Gastric Cancer Association (1981 und 1998) und aufgrund der Erfahrungen der deutschen Studie sollten mindestens 25 Lymphknoten entfernt werden, um das Ziel der D2-Dissektion zu sichern; dies entspricht auch anatomischen Überlegungen (Japanese Gastric Cancer Association 1998; Japanese Research Society for Gastric Cancer 1981; Siewert et al. 1998). Die mediane Anzahl der entfernten Lymphknoten betrug im MRC Trial nach D1-Resektion aber nur 13 Lymphknoten, nach D2-Resektion auch nur 17 Lymphknoten. Von den 375 Patienten (von 400 Studien-
patienten), bei denen Informationen zur Lymphadenektomie erhältlich waren, waren bei 310 (165 nach D1 und 145 nach D2) weniger als 26 Lymphknoten entfernt worden. Nur bei 65 Patienten wurden mehr als 26 Lymphknoten entfernt (19 Patienten D1 und 46 Patienten D2). Damit wurde nur bei 23% der Patienten das eigentliche Studienziel der D2-Lymphadenektomie erreicht (Cuschieri et al. 1999). In der niederländischen Studie wird dieses Problem mit »Noncompliance« (inadäquate Dissektion) und mit »contamination« (Entfernung von offensichtlich befallen Lymphknoten außerhalb des vorgegebenen LA Levels) erklärt. Wenn man die Daten zusammenfasst zeigt sich, dass nur bei 49% der niederländischen Patienten das Ziel der D2-Lymphadenektomie erreicht wurde (Bonenkamp et al. 1998). Entscheidend ist die Frage, ob durch die radikalere D2Lymphadenektomie eine Prognoseverbesserung für den einzelnen Patienten erreicht werden kann, oder ob durch die erweiterte Resektion unnötigerweise die postoperative Morbidität und Mortalität erhöht wird. Nach D2-Lymphadenktomie findet sich in der deutschen Magenkarzinomstudie ein signifikanter Überlebensvorteil für Patienten in den Tumorstadien II und IIIA. Diese Vorteile zeigen sich nicht, wenn das Gesamtkollektiv nach kompletter Resektion analysiert wird (Siewert et al. 1998). Ein Hauptargument gegen diese Ergebnisse war, neben dem Argument der nicht gerechtfertigten Subgruppenanalyse, dass es sich um das rein statistische Phänomen der »stage migration« (Will-Rogers-Phänomen) handeln könnte (Feinstein et al. 1985). In einer weiteren Analyse des Kollektivs der deutschen Magenkarzinomstudie zeigt sich jedoch, dass sich ab 25 entfernten Lymphknoten die Zahl der metastatisch befallenen Lymphknoten und damit das Tumorstadium nicht mehr ändert. Damit sollten bei einer suffizienten D2-Resektion mindestens 25 Lymphknoten entfernt werden um eine »stage migration« ausschließen zu können; dies entspricht auch den japanischen Regeln und wird zudem durch anatomische Studien unterstützt (Wagner et al. 1991). Die UICC legt die Mindestzahl zu entfernender Lymphknoten bei 15 fest, um ein zuverlässiges Staging zu erreichen. Die 7-Jahres-Daten der niederländischen und britischen Studie belegen ebenfalls keinen Überlebensvorteil für das Gesamtkollektiv. In der niederländischen Studie haben die pN2-
40
546
Kapitel 40 · Magenkarzinom
Patienten einen signifikanten Überlebensvorteil bezüglich des rezidivfreien Überlebens, der sich jedoch nicht im Überleben für die Patienten des Gesamtkollektives niederschlägt (Hartgrink et al. 2004). In der MRC-Studie ist die Partiengruppe, die ausreichend lymphadenektomiert wurde zu klein, um eine aussagekräftige Subgruppenanalyse durchführen zu können.
Es ist demnach belegt, dass es eine Gruppe von europäischen Patienten gibt, die von der erweiterten D2-Lymphadenektomie mit einem signifikanten Überlebensvorteil profitieren.
Dies sind vor allem die Patienten mit einer noch nicht in der Routinepathologie erkennbaren oder gerade begonnenen Lymphknotenmetastasierung. Da der Lymphknotenbefall weder im klinischen Staging noch intraoperativ voraussehbar ist, sollte jeder Patient von einen routinierten Chirurg suffizient D2-lymphadenektomiert werden, um die Prognoseverbesserung für die einzelnen Subgruppen ermöglichen zu können. Grund für den Erfolg der erweiterten D2-Lymphadenktomie ist die inzwischen gut belegte Mikrometastasierung in Lymphknoten. Ferner wurde in Studien der wichtige Einfluss des Lymphknotenquotienten erneut bestätigt. Danach ist es möglich, auch im Bereich des Lymphabflusses quasi einen »Sicherheitsabstand« zu schaffen (Marchet et al. 2007; Siewert et al. 1993). Die Detektion des »sentinel lymph nodes« ist sinnvoll bei Frühkarzinomen, die Methodik versagt bei lokal fortgeschrittenen Stadien und ist auch beim Frühkarzinom in Deutschland kein Standard (Sendler et al. 2006).
40.6.2 Pankreaslinksresektion
und Splenektomie
40
Ausgehend von der Empfehlungen der Japanese Research Society for the Study of Gastric Cancer (JRSGC) von 1962 wurde lange Zeit im Rahmen der D2-Lymphadenektomie eine Pankreaslinksresektion mit Splenektomie »en principe« propagiert. Die Resektion von Pankreasschwanz und/oder Milz ist jedoch die wichtigste Ursache für eine erhöhte postoperative Morbidität und Mortalität (Kitamura et al. 1999; Kodera et al. 1997; Wu et al. 2006). Auch die Ergebnisse der randomisierten Studien haben eindeutig aufgezeigt, dass die Pankreaslinksresektion und auch die alleinige Splenektomie ein eigenständiger, negativer Prognosefaktoren sind (Cuschieri et al. 1999; Sasako 1997; Wu et al. 2006).
Splenektomie ist die Inzidenz von Lymphknotenmetastasen
entlang der peripheren A. lienalis und im Milzhilus. In der MRC Studie waren bei 25% der Patienten mit im mittleren und proximalen Magendrittel lokalisierten Karzinomen diese Lymphknoten befallen (Lymphknotenstationen 10 [Milzhilus] und 11 [A. lienalis]). Außer in den randomisierten Studien wurde auch in mehreren retrospektiven Analysen belegt, dass die Splenektomie die Prognose der Patienten nicht verbessert (Lee et al. 2001; Maehara et al. 1991). In einer britischen und einer amerikanischen Analyse fand sich wie im MRC-Trial ein negativer Einfluss der Splenektomie auf das Überleben (Griffith et al. 1995; Wanebo et al. 1997). Erklärt wird dieser negative Effekt durch die erhöhte postoperative Morbidität (die Splenektomie ist ein unabhängiger negativer Prognosefaktor; Wu et al. 2006) und Letalität sowie durch unspezifische Effekte auf die humorale Immunantwort; so ist die T-Zell-Funktion nach Splenektomie signifikant vermindert (Okuno et al. 1999). Andererseits können die Lymphknoten an der A. lienalis unter Erhalt von Pankreas und Milz mit entsprechender Erfahrung disseziert werden, bei Lymphknoten im Milzhilus ist dies allerdings schwierig. Mönig et al. untersuchten bei 112 Patienten mit proximalen Magenkarzinomen die Inzidenz der Lymphknotenmetastasen im Milzhilus (Mönig et al. 2001). Die Inzidenz betrug 9,8%; diese fanden sich jedoch nur bei lokal fortgeschrittenen Tumoren (Stadium IIIb/IV) lokalisiert an der großen Kurvatur.
Aus den genannten Fakten ergibt sich, dass die Splenektomie »en principe« bei der Gastrektomie mit D2-Lymphadenktomie nicht empfehlenswert ist.
Es scheint, dass durch die erhöhte Morbidität und durch die verminderte humorale Immunität mögliche Vorteile im Überleben der Patienten, durch die verbesserte Lymphadenektomie, konterkariert werden. Die Splenektomie sollte nur »de necessitate« durchgeführt werden, d. h. bei direkter Ausdehnung des Tumors auf Milz bzw. Pankreas oder bei eindeutig befallenen Lymphknoten im Milzhilus. Dabei sollte die Technik der »pancreas preserving splenectomy« angewandt werden (Furukawa et al. 2000; Maruyama et al. 1995). Die Lymphadenektomie der Lymphknotenstation 11 ist unter Erhalt von Pankreas bei gleichzeitiger Resektion der Milzgefäße durchzuführen. Diese Situation ist am ehesten bei Tumoren des proximalen Magendrittels gegeben.
40.6.3 Subtotale Gastrektomie Aus den Ergebnissen der zitierten Studien geht eindeutig hervor, dass zumindest eine Pankreaslinksresektion bei der Gastrektomie – außer bei direkter Infiltration des Tumors – zu vermeiden ist.
Es bleibt die Frage, ob im Rahmen der D2-Lymphadenektomie die Milz mit entfernt werden sollte. Das Argument für die
Das Ausmaß der Resektion bei der subtotalen Gastrektomie umfasst ungefähr 80% des gesamten Magens. Die Resektion an der kleinen Kurvatur sollte mindestens bis 2 cm unterhalb der anatomischen Kardia reichen. Die Resektion an der großen Kurvatur muss über die rechten und linken gastroepiploischen Arterien hinaus ausgeführt werden. Der verbleibende kleine Fundus wird durch die A. gastricae brevis des Milzhilus versorgt.
547 40.6 · Operationstechnik
. Abb. 40.17. Einstieg in die Lymphadenektomie beim Magenkarzinom
Da die subtotale Magenresektion nur bei Tumoren des distalen Magendrittels durchgeführt wird, muss die Resektion so weit als möglich über den Pylorus hinaus ausgeführt werden. Auf jeden Fall sollte die Dissektion des Duodenums bis hinter die Grenze der A. gastroduodenalis, d. h. bis in das extraperitoneale Duodenum hin durchgeführt werden. Der Duodenalstumpf wird mit einem Stapler verschlossen. Der Verschluss des verbleibenden proximalen Magens kann während der Operation ebenfalls durch einen Stapler (oder eine gerade Klemme) erfolgen. Dieses verhindert eine Kontamination des Operationssitus. Die extraluminale Resektion und die Lymphadenektomie müssen genau so radikal sein wie bei der totalen Gastrektomie. Die D2-Lymphadenektomie wird mit Ausnahme der Lymphknotenstation 2 (links der Kardia) vollständig durchgeführt. An der kleinen Kurvatur muss die Lymphknotenstation 1 ebenfalls mit disseziert werden. Um die Lymphadenektomie in der korrekten Schicht (d. h. Adventitia der Arterien) durchführen zu können, sollte die Dissektion entlang der A. gastroduodenalis begonnen werden (. Abb. 40.17). Diese wurde bereits vor dem Verschluss des Duodenalstumpfes aufgesucht und markiert. Von dieser Position aus ist es einfach, die korrekte Dissektionsschicht auf der A. hepatica communis zu finden. Dies ist der Beginn der Lymphadenektomie. Hin zur Peripherie 6
sollte die Lymphadenektomie bis zur Bifurkation der A. hepatica durchgeführt werden. Die A. gastrica dextra wird an ihrem Ursprung ligiert. Zusätzlich zu der Lymphadenektomie der Kompartimente 1 und 2 wird beim distalen Magenkarzinom die Lymphadenektomie der Lymphknotenstation 13 und der rechten paraaortalen und parakavalen Lymphknoten (Lymphknotenstation 16) durchgeführt. Dies erfordert eine suffiziente Mobilisation des Duodenums nach Kocher. Bei distalen Magenkarzinomen repräsentiert die Lymphknotenstation 13 den Grenzlymphknoten. Dieser Lymphknoten wird aufgesucht, disseziert, markiert und durch das Foramen Winslowi hinter dem Ligamentum hepatoduodenale durchgeschoben. Der linke Zeigefinger des Chirurgen wird in das Foramen Winslowi eingeführt, um die V. portae kopfwärts und anterior zum Operateur zu exponieren. Daraufhin kann die weitere Lymphadenektomie auf der Adventitia der V. portae und der A. hepatica communis durchgeführt werden. Am medianen Resektionsrand wird die V. gastrica sinistra (V. coronaria ventriculi) ligiert. Gleiches geschieht mit der A. gastrica sinistra, die an ihrem Ursprung radikulär abgesetzt wird. Die Dissektion im Retroperitonealraum wird weiterhin bis zu den Crura diaphragmaticae durchgeführt. Dabei werden die linken und die rechten Aa. phrenicae ligiert. 6
40
548
Kapitel 40 · Magenkarzinom
Nach Durchtrennung des N. vagus kann das gesamte Lymph- und Fettgewebe nach aboral gehoben werden. Die weitere Dissektion entlang der kleinen Kurvatur wird entsprechend der Vagotomie durchgeführt: Die anterioren und posterioren Blätter des Ligamentum hepatogastricum werden Schritt für Schritt geteilt. Dies erlaubt die komplette Resektion der Lymphknoten entlang der kleinen Kurvatur. Die Operationsschritte bei der Lymphadenektomie sind in . Abb. 40.18 schematisch dargestellt. Die Resektion der Lymphknotenstation 11 wird am Oberrand des Pankreas hin zum Milzhilus durchgeführt. Diese Resektion muss mit großer Vorsicht durchgeführt werden, da eine akzidentielle Splenektomie die Blutversorgung des Magenstumpfes kompromittieren würde. Die Resektion des großen Netzes ist obligatorisch. Vor der Rekonstruktion der Intestinalpassage werden die kleine Kurvatur des Magenstumpfes und die Resektionslinie übernäht. Nur ein kleiner Abschnitt der Resektionslinie hin zur großen Kurvatur wird für die Anastomose benötigt. Die Rekonstruktion kann mit einer retrokolischen oder antekolischen Jejunalschlinge geschehen. Die Gastroenterostomie sollte in der isoperistaltischen Richtung ausgeführt werden. Die Analysen der Lebensqualität und der Zufriedenheit nach totaler und subtotaler Gastrektomie haben gezeigt, dass ein alkalischer Reflux eine häufige Folge der End-zuSeit-Gastro-Jejunotomie ist (trotz Braunscher Enteroanastomose!; Roder et al. 1996). Es ist deshalb die Rekonstruktion nach Roux-Y zu empfehlen.
40.6.4 Totale Gastrektomie
40
Die totale Gastrektomie wird generell mit der systematischen Lymphadenektomie der Kompartimente 1 und 2 durchgeführt. Je nach Lage des Tumors kann eine Ausweitung der Lymphadenektomie indiziert sein. Nach Analyse der Lebensqualität nach totaler Gastrektomie empfehlen wir die Rekonstruktion mit einem Pouch. Da die deutlichen Vorteile der Pouch-Rekonstruktion nur bei Langzeitüberlebern signifikant sind, muss die Prognose des Patienten bei der Rekonstruktion mit in Betracht gezogen werden. Wenn die Prognose gut ist, empfehlen wir den Pouch, bei schlechter Prognose sollte die einfachste Rekonstruktion (Ösophagojejunostomie Roux-Y) durchgeführt werden. Zum Bilden eines Pouches ist die Seit-zu-Seit-Anastomose über eine Strecke von ca. 10–15 cm zwischen dem aufsteigenden und absteigenden Schenkel der ersten Jejunalschlinge gewöhnlich ausreichend (Hunt-RodinoPouch). Zum Pouch kann eine Jejunoplicatio hinzugefügt werden (Siewert et al. 1973; Siewert u. Schattenmann 1979). Es ist empfehlenswert, eine Roux-Y-Rekonstruktion zum Pouch vorzunehmen, um einen alkalischen Reflux in den Pouch 6
. Abb. 40.18a–g. Schritte der Lymphadenektomie beim Magenkarzinom
und den distalen Ösophagus zu vermeiden (Chin u. Espat 2003) (. Abb. 40.19). Die ösophago-intestinale Anastomose wird mit einem Zirkularstapler (CEA) durchgeführt. In kontrollierten Studien hat sich dieser Typ der Rekonstruktion der manuellen Anastomose als überlegen gezeigt (Siewert u. Böttcher 1992).
549 40.6 · Operationstechnik
Die weite Öffnung des Hiatus erlaubt die übersichtliche Resektion des Ösophagus fast bis zur Ebene der V. azygos. Nach Festlegung der Resektionsränder, wenn nötig mit Hilfe von Schnellschnitten, wird der Ösophagus (evtl. nach Anlage einer Tabaksbeutel-Klemme) abgesetzt. Vor jeder weiteren Manipulation wird der Kopf des CEA in den oralen Teil des Ösophagus eingebracht und mit Hilfe der Tabaksbeutelnaht befestigt. Vom technischen und funktionellen Gesichtspunkt aus ist in dieser Situation (intramediastinale Anastomose) die Rekonstruktion mit einem Pouch nicht sinnvoll. Die Rekonstruktion geschieht durch eine End-zu-Seit-Ösophagojejunostomie und eine distale End-zu-Seit Einpflanzung der zuführenden Schlinge in der Roux-Y-Technik. Der Abstand zwischen der ösophagointestinalen Anastomose und der End-zu-Seit-Anastomose sollte mindestens 40–50 cm betragen. Die Anastomose zum Ösophagus wird in der sog. »Krückstock«-Technik durchgeführt. Der CEA wird durch den eröffneten Jejunum-Schenkel eingeführt, der Dorn wird durch die Darmwand durchgeführt und dann mit dem Kopf des Staplers verbunden. Eine ausreichende Blutversorgung der Jejunalschlinge ist essenziell für eine sichere Anastomose. Um die Blutversorgung sicherzustellen, ist es notwendig, die Gefäßversorgung des Jejunums mit Hilfe der Diaphanoskopie zu beurteilen, und danach eine geeignete Schlinge auszusuchen. Unter diesen Umständen ist die Anastomoseninsuffizienz eine sehr seltene Komplikation. Der noch offene Teil der interponierten Jejunumschlinge wird mit einem Linear-Stapler verschlossen und übernäht.
Links erweiterte Gastrektomie . Abb. 40.19. Rekonstruktion der Intestinalpassage mittels Pouch: Ösophagojejunoplicatio mit Roux-Y-Ableitung
40.6.5 Erweiterte Gastrektomie Die Gastrektomie kann folgendermaßen erweitert werden: 4 Oralwärts zum distalen Ösophagus 4 Hin zur Splenektomie, was eine komplette Dissektion der Lymphknotenstationen 10 und 11 (»pancreas preserving splenectomy«) mit einschließt 4 Zur rechten Seite mit einer Resektion des Pankreaskopfes
Oral erweiterte totale Gastrektomie Das Ausmaß der Resektion des distalen Ösophagus hängt von der individuellen Lage des Tumors ab. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Resektion des distalen Ösophagus ist eine weite Öffnung des Hiatus oesophageus, die den Weg in das hintere Mediastinum freigibt. Dieser Zugang erlaubt eine ungehinderte Dissektion des distalen Ösophagus inkl. des umgebenden Lymph- und Fettgewebes und der periösophagealen Lymphknoten (sog. transhiatale, partielle Ösophagektomie).
Die einzige Indikation zur Resektion des Pankreasschwanzes ist der direkte Einbruch eines Tumors der hinteren Magenwand in das Pankreas. In allen anderen Situationen sollte die »pancreas preserving splenectomy« und Lymphadenektomie durchgeführt werden.
Bei diesem Vorgehen wird die A. lienalis 2–3 cm peripher des Truncus coeliacus und die V. lienalis im Milzhilus isoliert ligiert. Das gesamte vaskuläre und lymphatische Bündel kann dann vom Oberrand des Pankreas disseziert werden. Die Blutversorgung des Pankreasschwanzes wird durch retropankreatische und intrapankreatische Gefäße sichergestellt. Die Dissektion wird bis zum Milzhilus fortgeführt und mit der Splenektomie abgeschlossen. Die Lymphgefäße und die Milz werden en bloc mit dem Magenresektat entfernt. Am Ende dieser Dissektion kann der Schwanz des Pankreas mobilisiert und nach rechts rotiert werden. Dies erlaubt die Entfernung der links paraaortal gelegenen Lymphknoten im retroperitonealen Dreieck zwischen Aorta, linken Nierenhilus, linke Nebeniere und Zwerchfell. 6
40
550
Kapitel 40 · Magenkarzinom
In diesem Zusammenhang kann ebenfalls die linke Nebenniere mit entfernt werden. Die Rekonstruktion nach dieser Resektion entspricht der der totalen Gastrektomie.
Left upper abdominal evisceration Diese Operation entspricht der links erweiterten Gastrektomie und schließt eine linksseitige Pankreatektomie und manchmal die Resektion der linken Kolonflexur mit ein. Auf jeden Fall muss eine linksseitige Adrenalektomie durchgeführt werden. Diese Operation ist nur vertretbar, wenn dadurch eine absolute R0-Resektion erreicht werden kann.
Rechts erweiterte Gastrektomie Die Pankreaskopfresektion als eine Erweiterung der totalen und subtotalen Gastrektomie ist selten indiziert. Falls sich in diesem Gebiet Lymphknotenmetastasen entwickelt haben oder der Tumor direkt in den Pankreaskopf eingebrochen ist, wird die Prognose des Patienten durch diese Operation kaum verbessert. Diese Operation ist ebenfalls nur dann indiziert, wenn eine absolute R0-Resektion erreicht werden kann (Saka et al. 2005; Wang et al. 2008). Für ein palliatives Vorgehen bietet diese Operation zu viele Risiken. Die Technik entspricht weitestgehend der Operation nach KauschWhipple.
40.7
Morbidität und Mortalität
40.7.1 Frühkomplikationen
40
Eine typische frühe Komplikation ist die Anastomoseninsuffizienz. Dabei ist eine Leckage der ösophagointestinalen Anastomose gefährlicher als die der Gastroenterostomie. Insuffizienzen des Duodenalstumpfes sind in der Magentumorchirurgie eher selten. Die Lymphadenektomie kann zu lymphatischen Fisteln und Lymphozelen führen oder zu einer Pankreasfistel, wenn die Kapsel des Pankreas verletzt worden ist. Alle diese Komplikationen können zu einer Infektion des Operationssitus führen und müssen als septische Komplikationen angesehen werden. Revisionsoperationen sind trotzdem selten notwendig. Um die Komplikation zu beherrschen ist meistens ist die adäquate Drainage ausreichend. Flüssigkeitsansammlungen können sicher und einfach durch die Computertomographie lokalisiert und drainiert werden. Anastomoseninsuffizienzen werden immer häufiger endoskopisch mit gecoverten Stents versorgt, die nach ca. 6 Wochen wieder entfernt werden können (Kauer et al. 2008). Bei einer Stentversorgung sollte allerdings auf eine adäquate intraabdominelle Drainge geachtet werden. Allerdings ist eine suffiziente Stentversorgung bei der Ösophgojejunostomie schwieriger als bei der Ösophagogastrostomie mit schmalem Magenschlauch und es kommt häufiger zu Stentdislokationen. In seltenen Fällen kann jedoch ein septischer Fokus zu einer Arrosion der großen Gefäße und zu einer Blutung führen. Dies führt zu einer sofortigen Revision. Die Mortalität der
beschriebenen Operationen beim Magenkarzinom ist in spezialisierten Zentren weit unter 5% und korreliert mit dem Ausmaß der Resektion. Für die D2-Lymphadenektomie bedarf es einer besonderen chirurgischen Expertise. Sie sollte deshalb nur in erfahrenen Kliniken (sog. »high volume hospital«) durchgeführt werden. Der Allgemeinzustand des Patienten und das Ausmaß der Erfahrung des Krankenhauses (nicht nur allein des Chirurgen, sondern auch seines Umfeldes, wie z. B. interventionelle Radiologie oder intensivmedizinische Kapazitäten) sind ganz entscheidende Faktoren im postoperativen Verlauf.
40.7.2 Spätkomplikationen Seit der Einführung der Roux-Y-Rekonstruktionstechnik mit Ableitung des Duodenalinhaltes ist die alkalische Refluxösophagitis als Spätkomplikation der Gastrektomie verschwunden. Das Dumping-Syndrom scheint nach totaler Gastrektomie seltener zu sein als nach subtotaler. Das Dumping kann für den Patienten sehr belastend sein, die Symptome lassen sich doch fast immer durch eine konservative Therapie beherrschen. Die Rolle der Nahrungspassage durch das Duodenum ist nach wie vor kontrovers diskutiert. Nach Labordaten hat die Duodenalpassage der Nahrung theoretische Vorteile (verbesserte Glukoseresorption, Eisenresorption und Kalziumresorption). Diese Vorteile führen jedoch nicht unbedingt zu einer verbesserten Lebensqualität und haben deshalb eine nur umstrittene klinische Relevanz. Evidenzbasierte Studien, die die verschiedenen Verfahren der Rekonstruktion miteinander an genügend großen Kollektiven vergleichen, finden sich nicht (Chin u. Espat 2003). Die Notwendigkeit der kleinen Mahlzeiten nach Gastrektomie kann deutlich durch die Konstruktion eines Pouches verringert werden. Dieses führt meistens dazu, dass der Patient eine normale Mahlzeitenfolge einnehmen kann. Die Gastrektomie wird immer von einer pankreato-intestinalen Asynchronie gefolgt sein. Dieses kann zu einer Störung der Nahrungsresorption führen. Deshalb empfehlen wir die Substitution von Pankreasenzymen und Fermenten nach Gastrektomie. Die Vitamin-B12-Substitutionsbehandlung ist nach Gastrektomie selbstverständlich. Die Analyse der Lebensqualität nach Gastrektomie hat gezeigt, dass sich die meisten Patienten sehr gut an die veränderte Situation anpassen. Das Körpergewicht der Patienten bleibt jedoch gewöhnlich immer 10–15% unter dem Idealgewicht. Unter den Patienten nach Gastrektomie haben die mit einer Pouch-Rekonstruktion die beste Lebensqualität. Diese werden von den Patienten mit einer subtotalen Gastrektomie gefolgt. Die Lebensqualität der Patienten mit einer einfachen Ösophagojejunostomie und einer Roux-Y-Situation ist am schlechtesten, vor allen Dingen, wenn die Anastomose im Thorax liegt. Da die proximalen Magenkarzinome in der westlichen Welt weiterhin zunehmen, wird dieser Typ der Rekonstruktion mehr und mehr erforderlich werden. Die Ösophagoduodenostomie oder die einfache Jejunostomie ohne eine Roux-Y-Anastomose ist aufgegeben worden, ihr Gebrauch kann nicht länger empfohlen werden.
551 40.9 · Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative Therapieprinzipien
Postoperative Komplikationen haben ebenfalls prognostische Wirkung. Multivariate Analysen haben gezeigt, dass postoperative Komplikationen einen direkten, unabhängigen, negativen Einfluss auf das Langzeitüberleben der Patienten mit Magenkarzinom haben (Siewert et al. 1998). Dieses kann nicht nur durch die höhere postoperative Mortalität erklärt werden, sondern scheint eine Modulation des Immunsystems darzustellen. Der Karnofsky-Index des Patienten, d. h. das Allgemeinbefinden, Zweiterkrankungen und die Erfahrung des Chirurgen und seiner Klinik sind in multivariaten Analyse als unabhängige Risikofaktoren für die postoperative Morbidität und Mortalität identifiziert worden (Siewert u. Sendler 1999).
40.8
Ergebnisse der Chirurgie
Die 5-Jahres-Überlebenskurven zeigen deutliche Unterschiede zwischen Japan und der westlichen Hemisphäre, vor allen Dingen für Patienten im Stadium II und IIIA (. Abb. 40.5 und . Abb. 40.16b, c). Während die 5-Jahres-Überlebensraten für Patienten mit Stadium II oder IIIA in den Vereinigten Staaten zwischen 30 und 15% liegen, liegen sie in Deutschland bei 45 und 33% und in Japan bei 75 und 60%. Durch eine unterschiedliche Epidemiologie allein können diese Unterschiede nicht erklärt werden. Deshalb werden die längeren Überlebenszeiten in Deutschland im Vergleich zu den Vereinigenten Staaten durch den radikaleren chirurgischen Ansatz und vor allem durch die adäquate Lymphadenektomie, die routinemäßig in den meisten deutschen Zentren durchgeführt wird, erklärt. Die Differenzen zwischen den japanischen Ergebnissen und denen aus Nordamerika und Deutschland resultieren möglicherweise im noch radikaleren chirurgischen Ansatz in der Magenkarzinomchirurgie in Fernost mit standardisierter D2-Lymphadenektomie (Nishi et al. 1993; Roder et al. 1993; Wanebo et al. 1993; Gill et al. 2003). In diesem Fall müssen jedoch auch epidemiologische und andere Faktoren in Betracht gezogen werden. Die Verteilung der Tumorlokalisation, das Alter der Patienten und die Wachstumsform der Tumoren differieren deutlich in den japanischen und westlichen Untersuchungen. Weiterhin ist die postoperative Chemotherapie mit S-1 ein Standardverfahren in Japan bei Patienten im Stadium II und III. Die Effizienz einer adjuvanten Therapie mit oralem 5-FU konnte in der FLAGS-Studie für die westliche Welt nicht reproduziert werden (Ajani et al. 2009). Auch zeigen die Überlebenskurven von japanischen Zentren üblicherweise nur tumorbezogen Verstorbene, die postoperative Mortalität oder das Versterben aus anderen Gründen wird nicht eingeschlossen. Dies ist im deutlichen Kontrast zu Überlebenskurven aus westlichen Zentren, die alle Verstorbenen in der Follow-upPeriode registrieren. Die genannten Faktoren verbieten einen generellen Vergleich zwischen den verschiedenen Ländern. Insgesamt stellen die japanische Erfahrung und die japanischen Resultate heutzutage den Standard bei der Behandlung des Magenkarzinoms dar.
40.9
Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative Therapieprinzipien
40.9.1 Präoperative bzw. perioperative
Chemotherapie Für eine primäre Chemotherapie ergeben sich verschiedene theoretische und klinische Vorteile. Dazu gehören: 4 Die noch intakten Blut- und Lymphwege, die die Zufuhr der Zytostatika in zytotoxischen Konzentrationen in die Problemareale ermöglichen 4 Ein, verglichen zur postoperativen Therapie, besserer Allgemeinzustand, der die Anwendung aggressiver, insbesondere cisplatinhaltiger Kombinationen erlaubt 4 Bei ansprechenden Patienten infolge der Verkleinerung des Primärtumors (sog. »down sizing«) eine Zunahme des Anteils an R0-Resektionen 4 Eine Verminderung der Verschleppung vitaler Tumorzellen in der Bauchhöhle während der Operation 4 Eine frühzeitige systemische Wirkung auf klinisch okkulte Mikrometastasen Eine zusammenfassende Beurteilung der ca. 20 Phase-II-Studien ergibt keine potenzielle Gefährdung der Patienten durch die neoadjuvante Therapie. Die primäre Chemotherapie führte weder zu einer Zunahme an therapiebedingten Todesfällen noch zu einem Verlust der Resektabilität. Im Gegensatz zur kombinierten Radiochemotherapie (z. B. beim Ösophaguskarzinom) wurde trotz ausgedehnten Resektionen keine gesteigerte postoperative Morbidität und Mortalität beobachtet. Entscheidend für eine präoperative Chemotherapie ist ein Staging mit Endoskopie und CT evtl. incl. EUS und Laparoskopie. Die Patienten sollten zur Therapieentscheidung gemeinsam (Tumorboard) von dem behandelnden Chirurgen, Onkologen und Radiologen beurteilt werden. Grundvoraussetzung der Therapie ist ein Karnofsky-Index von >70 und eine ausreichende »Compliance« des Patienten für die aufwändigen und lange andauernden Therapien. In beiden eigenen Studien war nach der Vorbehandlung von lokal fortgeschrittenen Primärtumoren (T3 und T4) bei 80% bzw. 76% eine komplette Resektion möglich, wobei trotz radikaler Chirurgie kein postoperativer Todesfall auftrat. Die alleinige Chemotherapie führte zu keiner pathohistologisch kompletten Tumorrückbildung. Häufig bestand noch immer eine Lymphangiosis carcinomatosa. Rezidive traten vorzugsweise extraluminal im Bereich des ehemaligen Tumorbetts, im Peritoneum und bei primär ausgedehnter Lymphknotenmetastasierung im Bereich nicht resezierter retroperitoneal gelegener Lymphknoten (M1) auf (Fink et al. 1995; Ott et al. 2003b). Die aktuellen Behandlungsempfehlungen werden durch die Ergebnisse zweier randomisierter Studien zur perioperativen Chemotherapie geprägt (Cunningham et al. 2006; Boige et al. 2007; . Abb. 40.10). In der britischen MAGIC-Studie erhielten 253 Patienten eine alleinige Resektion. 250 Patienten wurden mit 3 Zyklen prä- und 3 Zyklen postoperativer Chemotherapie (ECF:
40
552
Kapitel 40 · Magenkarzinom
Epirubicin, Cisplatin, Fluorouracil; Dauer eines Zyklus:
3 Wochen) behandelt. Postoperative Komplikationen waren in beiden Gruppen gleich häufig (46%). Die postoperative Letalität war ebenfalls in den beiden Gruppen gleich hoch (6% innerhalb 30 Tage nach Resektion). Die Tumoren waren nach Chemotherapie signifikant kleiner (3 cm versus 5 cm, p<0,001) und wiesen signifikant niedrigere T- und N-Kategorien als Tumoren der chirurgischen Vergleichsgruppe auf. Nach 4 Jahren Nachbeobachtung waren in der Chemotherapie-Gruppe 149 Patienten, in der alleinigen ChirurgieGruppe 170 Patienten verstorben. Perioperative Chemotherapie verglichen mit alleiniger Chirurgie führte somit zu einer signifikanten Verbesserung des Gesamtüberlebens (Hazard ratio [HR] 0,75; 95% Konfidenzintervall [KI] 0,60–0,93; p=0,009; 5-Jahres-Überlebensrate 36% versus 23%) und zu einem signifikant besseren progressionsfreien Überleben (HR 0,66; 95% KI 0,53–0,81; p<0,001). Kritiker der MAGIC-Studie weisen auf methodische Schwächen hin. Dazu zählen ein langer Rekrutierungszeitraum von 8 Jahren, weit gefasste Einschlusskriterien, ungenaue Diagnostik vor Studieneinschluss, unpräzise Vorgaben betreffend der chirurgischen Radikalität, eine fehlende chirurgische Qualitätskontrolle und eine insgesamt hohe postoperative Komplikations- und Sterblichkeitsrate.
Trotz dieser berechtigten Einwände bleibt ein nicht nur statistisch signifikanter, sondern auch klinisch relevanter Überlebensunterschied zugunsten der perioperativen Chemotherapie (. Abb. 40.10a). Die Ergebnisse der britischen MAGIC-Studie wurden mittlerweile durch eine in Frankreich durchgeführte Multicenterstudie bestätigt (Boige et al. 2007). Zwei Drittel der Patienten hatten ein Kardiakarzinom. Die R0-Resektionsrate war nach neoadjuvanter Chemotherapie bestehend aus 2 Zyklen Cisplatin und 5-Fluorouracil (CF) signifikant höher als nach primärer chirurgischer Resektion (84% versus 73%, p=0,04). Das rezidivfreie Überleben und das Gesamtüberleben waren nach perioperativer Chemotherapie signifikant verbessert (. Tab. 40.6).
In Zusammenschau der Ergebnisse der britischen und der französischen Multicenterstudie besteht somit eine überzeugende Evidenz für die Einleitung einer bereits präoperativ zu beginnenden Chemotherapie auf der Basis von Platin und 5-Fluorouracil bei Magenkarzinomen der klinischen Stadien II und III (. Tab. 40.6).
. Tab. 40.6. Ergebnisse der britischen und französischen Studie zur perioperativen Chemotherapie beim Magenkarzinom
Parameter
MAGIC
p-Wert
FFCD 9703
p-Wert
+ CTx
S
+ CTx
S
Patienten
250
253
113
111
Reseziert
212
232
n.s.
109
110
n.s.
84%
73%
0,04
Komplette Resektion nach Einschätzung des Chirurgen Alle Patienten
69%
66&
n.s.
Radikale Chirurgie
79%
70%
0,018
R-Kategorie histopathologisch
40
pT012
52%
37%
0,002
42%
32%
0,16
pN0
31%
27%
n.s.
33%
20%
0,054
Präoperative CTx
86%
87%
Komplette CTx
42%
50%
Letalität
6%
4%
n.s.
6%
n.s.
5%
Gesamtüberleben (log rank)
0,009
0,021
Progressionsfreies Überleben (log rank)
<0,001
0,0033
5-Jahres-Überleben
36%
23%
38%
24%
CTx Chemotherapie, S alleinige Chirurgie, p p-Wert, n.s. nicht statistisch signifikant, pT pT-Kategorie, pN pN-Kategorie
40
553 40.9 · Neoadjuvante Therapie bzw. adjuvante und palliative Therapieprinzipien
Aktuelle Phase-II-Studienergebnisse deuten auf eine hohe antitumorale Wirksamkeit einer präoperativen Chemotherapie mit Docetaxel plus Cisplatin und 5-Fluorouracil hin (Lorenzen et al. 2007) so dass die Wahl der präoperativen Chemotherapie möglicherweise mit der Zeit Änderungen unterworfen sein wird. Unter Leitung der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) in Kooperation mit der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Onkologie (CAO) wird derzeit eine randomisierte Studie zum Stellenwert einer perioperativen Gabe des monoklonalen Anti-EGFR-Antikörpers Panitumumab in Kombination mit Chemotherapie initiiert (www.aio-portal. de). Zeitgleich führt der britische Medical Research Council eine kontrollierte Phase-III-Studie zum Stellenwert der perioperativen Therapie mit dem monoklonalen Anti-VEGF-Antikörper Bevacizumab in Kombination mit Chemotherapie durch (sog. MAGIC-B-Studie). Der nächste Schritt in der perioperativen Therapie sollte eine Individualisierung der Therapie unter Berücksichtigung des Ansprechens sein. Eine molekulare Responseprädiktion durch prospektive evaluierte Marker ist im klinischen Alltag für das Magenkarzinom derzeit nicht möglich. In Gegensatz zum Adenokarzinom des Ösophagus und dem AEG II, wo entsprechend der metabolischer Response bereits nach 2 Wochen eine Therapiestratifizierung erfolgt und die Non-Responder im MUNICON Protokoll bereits nach 2 Wochen reseziert wurden, hat das FDG-PET beim Magenkarzinom eine untergeordnete Bedeutung (Lordick et al. 2007; Siewert et al. 2007). Ca 50% der diffusen Magenkarzinomen haben einen ungenügenden FDG-Uptake für eine Quantifizierung. Eine Assoziation von metabolischer Response, klinischer, histopathologischer Response und Prognose konnte auch für das Magenkarzinom prospektiv gezeigt werden. Die drei Gruppen metabolischer Responder, metabolische Non-Responder und Tumoren mit ungenügendem FGD-Uptake unterscheiden sich bezüglich Tumorbiologie, Responseraten und Prognose, jedoch ist die Datenlage für Durchführung einer klinischen
Studie beim Magenkarzinom nicht ausreichend (Ott et al. 2003a; 2008).
40.9.2 Postoperative adjuvante
Therapieverfahren Adjuvante Chemotherapie Mittlerweile liegen eine Vielzahl von Einzelstudien und mehrere Metaanalysen zur adjuvanten Chemotherapie des Magenkarzinoms vor. In jüngst publizierten Metaanalysen über 15 bzw. 21 Studien zeigte sich ein grenzwertig signifikanter Überlebensvorteil für postoperativ adjuvant chemotherapierte Patienten (Zhao et al. 2008; Janunger et al. 2002). Der Vorteil zugunsten der adjuvanten Chemotherapie scheint allerdings weitgehend beschränkt auf Studien aus dem ostasiatischen Raum. Die Autoren folgern deshalb, dass in der westlichen Hemisphäre eine adjuvante Chemotherapie nicht als Standard außerhalb klinischer Studien anzusehen ist. Der Effekt einer adjuvanten Chemotherapie scheint für nodal metastasierte Tumoren etwas stärker. Ob die Ergebnisse einer adjuvanten 5-Fluorouracil-Monotherapie durch zusätzliche Gabe eines Platinanalogons oder Anthrazyklins verbessert werden können, ist einer kürzlich publizierten italienischen Studie zufolge sehr fraglich: Cisplatin, Epirubicin und 5-Fluorouracil führte zu keinem verbessertes Gesamtüberleben gegenüber 5-Fluorouracil adjuvant für jeweils 6 Monate (Cascinu et al. 2007). Kürzlich wurde die bislang größte randomisierte Studie zur adjuvanten Therapie des Magenkarzinoms in den Stadien II und III publiziert (Sakuramoto et al. 2007) (. Tab. 40.7). Im Rahmen dieser in Japan durchgeführten Studie erhielten 529 Patienten eine adjuvante Chemotherapie mit dem oral verfügbaren Fluoropyrimidin S-1 (Hauptinhaltsstoff: Tegafur), eingenommen über ein Jahr; 530 Patienten erhielten eine alleinige chirurgische Resektion. In beiden Gruppen erfolgte eine Magenresektion mit D2-Lymphadenektomie. Das 3-Jahres-
. Tab. 40.7. Nationale Behandlungsstandards für das Magenkarzinom (Macdonald et al. 2001; Cunningham et al. 2006; Sakuramoto et al. 2007). Die 3- bzw. 5-Jahres-Überlebensraten unterscheiden sich jeweils hochsignifikant
Region
Protokoll
Einschluss
Therapie
n
USA 2001
SWOG Adjuvant RCTx (45 Gy/5-FU/LV)
R0 IB–IV
Chir
275
Chir + RCTx
281
MAGIC Perioperativ ECF
II–IV
Chir
253
Chir + CTx
250
Adjuvant S-1
R0 II–IV
Chir
530
Chir + S-1
529
Europa 2006
Japan 2007
Therapie komplett
D2
3-JÜL
5-JÜL
10%
41%
–
10%
50%
–
40%
–
23%
Präoperativ: 86% Postoperativ: 42%
43%
–
36%
12 Monate: 66% 6 Monate: 78%
99,8%
70%
–
100%
80%
–
64%
Chir Chirurgie allein, RCTx Radiochemotherapie, CTx Chemotherapie, D2: erfolgte D2-Lymphadenektomie, 3-JÜL 3-Jahres-Überlebensrate, 5-JÜL 5-Jahres-Überlebensrate
554
Kapitel 40 · Magenkarzinom
Überleben war signifikant zugunsten der adjuvanten 5-Fluorouracil-Therapie verbessert (p=0,003). S-1 senkte vor allem das Risiko lymphonodaler und peritonealer Rezidive. Hervorzuheben ist die hohe Qualität der chirurgischen Therapie und die insgesamt ausgezeichneten Ergebnisse im Gesamtüberleben. Ob die Ergebnisse der adjuvanten oralen Fluoropyrimdin-Therapie auf ein nicht-japanisches Patientenkollektiv übertragen werden können, bleibt unklar. Die Ergebnisse der FLAGS-Studie konnten die Daten für die westliche Hemisphäre nicht bestätigen (Ajani et al. 2009). Aufgrund der aktuellen Datenlage kann keine eindeutige Empfehlung zur adjuvanten Chemotherapie ausgesprochen werden. Eine adjuvante Chemotherapie kann als individuelles Angebot bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko diskutiert werden. Dieses ist vor allem durch einen positiven Nodalstatus definiert. In unserem klinischen Alltag besprechen wir am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) die Option einer adjuvanten Chemotherapie für Patienten mit >6 betroffenen Lymphknoten (N2-Situation) und empfehlen auf individueller Basis die Einnahme eines oralen Fluoropyrimidins (z. B. UFT) oder einer Therapie mit Oxaliplatin/5-Fluorouracil (FOLFOX) für einen Dauer von 6 Monaten.
Adjuvante Radio-/Chemotherapie
40
Patienten der SWOG/Intergroup-Studie 0116, die eine adjuvante Radio-/Chemotherapie erhielten, hatten ein signifikant besseres Gesamtüberleben als Patienten nach alleiniger Resektion (McDonald et al. 2001; Tabelle 7). Es stellt sich daher die Frage, wie diese Ergebnisse in Relation zu den positiven Ergebnissen der MAGIG-Studie (alleinige perioperative Chemothetapie) zu bewerten sind. In Abwägung der beiden Optionen ist zu beachten, dass eine präoperative Chemotherapie praktisch allen Patienten ohne wesentliche Einschränkung in Dosis und Zeitplan gegeben werden kann. Einzige Ausnahme stellt die endoskopisch nicht stillbare Magenblutung oder die symptomatische Magenausgangsstenose mit rezidivierendem Erbrechen dar. Eine postoperative Radio-/Chemotherapie hingegen geht in mehr als der Hälfte der Patienten mit schwerer hämatologischer und bei jedem dritten Patienten mit schwerer gastrointestinaler Toxizität einher (McDonald et al. 2001). Darüber hinaus kann eine adjuvante Therapie aufgrund postoperativer Komplikationen, Verminderung des Allgemeinbefindens oder intestinaler Anpassungsstörungen mit ausgeprägtem Gewichtsverlust bei etwa der Hälfte der Patienten nicht plangemäß oder überhaupt nicht gegeben werden. In einer jüngst vorgelegten Metaanalyse erwiesen sich die Verbesserung des Gesamtüberlebens nach einer adjuvanten Radio-/Chemotherapie zwar als statistisch signifikant, insgesamt jedoch als dennoch gering ausgeprägt (Fioricia et al. 2007). Eine Übertragung der Ergebnisse aus der SWOG/ INT0116-Studie auf die Situation im deutschsprachigen Raum ist auch deshalb nicht angemessen, da die Studienpatienten nach heutigem Kenntnisstand unzureichend chirurgisch therapiert worden waren: 54% erhielten weniger als eine standardisierte D1-Lymphadenektomie. Die deutlich unter Standard erfolgte chirurgische Therapie der Patienten aus der SWOG/
INT0116-Studie könnte leicht zu einer Überbewertung der Effekte einer Strahlentherapie als weitere lokale Therapiemodalität führen.
40.9.3 Additive Therapie Die Frage der besten Vorgehensweise nach R1-Resektion ist in Ermangelung systematisch erhobener Daten nicht klar zu beantworten (Lordick et al. 2007). Im Alltag wird die Entscheidung zur additiven Radiochemotherapie deshalb vom postoperativen Allgemein- und Ernährungszustand des Patienten, der Lokalisation des Residualtumors und weiterer begleitender Risikofaktoren für systemische und lokale Tumorprogression abhängig gemacht. Harte Entscheidungskriterien können derzeit auf der Basis der bestehenden Daten nicht formuliert werden.
40.9.4 Intraperitoneale Chemotherapie Das Problem eines peritonealen Tumorrezidivs betrifft 15–25% der Patienten mit reseziertem Magenkarzinom (D’Angelica et al. 2004; . Abb. 40.20). Intraperitoneale adjuvante Chemotherapie erwies sich in randomisierten Studien der westlichen Hemisphäre als weitgehend unwirksam (Rosen et al. 1998). Eine chirurgische Therapie der Peritonealkarzinose kombiniert mit hyperthermer intraperitonealer Chemotherapie wird vereinzelt im Rahmen individueller Heilversuche durchgeführt (Glockzin et al. 2007). In einer jüngst publizierten Metaanalyse zeigt sich ein positiver Effekt auf das Gesamtüberleben bei hyperthermer intra- und früh postoperativer intraperitonealer Chemotherapie (HIPEC; Yan et al. 2007). Die positiven Ergebnisse stammen allerdings fast ausnahmslos aus dem ostasiatischen Raum. Zudem führt HIPEC zu einer Erhöhung postoperativer Komplikationen, insbesondere intrabdominaler Abszesse. Insofern besteht außerhalb klinischer Studien derzeit keine Indikation zur adjuvanten HIPEC. Ein neuer Ansatz besteht in Form des intraperitoneal gegebenen bispezifischen Antikörpers Catumaxomab, der gegen das epitheliale Adhäsionsmolekül EpCAM und gegen das T-Zell Oberflächenprotein CD3 gerichtet ist. Eine Therapie mit Catumaxomab verlängert bei Aszites infolge EpCAM-exprimierender Tumoren das Zeitintervall bis zur nächsten Parazentese (Lordick et al. 2008). Derzeit erfolgt im Rahmen von Phase-II-Studien eine Prüfung der adjuvanten intraperitonealen Catumaxomab-Therapie bei lokal fortgeschrittenem Magenkarzinom.
40.9.5 Palliative Chemotherapie In den letzten Jahren ist hinsichtlich der Indikation einer Chemotherapie beim fortgeschrittenen Magenkarzinom ein Wandel eingetreten. Da in den metastasierten Stadien die Möglichkeiten einer antineoplastischen Therapie grundsätzlich palliativ bleiben müssen, stehen außerhalb von Studien
555 40.10 · Rezidive
bensqualität gemessen wurde, zeigte sich eine signifikante Besserung der Lebensqualität trotz chemotherapiebedingter Nebenwirkungen.
40.10
Rezidive
Zur Planung einer patienten- und kostengerechten Nachsorge müssen die Metastasierungsmuster nach R0-Resektion bekannt sein. Nur in diesem Fall ist von einem Rezidiv zu sprechen, nach R1- oder R2-Resektion findet sich dagegen ein fortgesetztes Tumorwachstum. Lokoregionäre Rezidive sind nach dieser Definition an drei Stellen möglich: 4 Intraluminal im Bereich der Anastomose, meist als Folge eines unzureichenden luminalen Resektionsausmaßes im Hinblick auf den oralen und aboralen Resektionsrand 4 Extraluminale Rezidive bei unzureichender Tumorfreiheit im Bereich des Tumorbettes (sog. dritte Dimension). Unzureichende Radikalität ist hier oft anatomisch bedingt, z. B. im Bereich des Truncus coeliacus oder des Lig. hepatoduodenale 4 Rezidive im Bereich des Lymphabflussgebietes. Die Verminderung dieser Rezidive ist eine wichtige Indikation für eine adäquate Lymphknotendissektion (sog. vierte Dimension)
. Abb. 40.20. Rezidivmuster des Magenkarzinom. a Ohne neoadjuvante Therapie (Sloan Kettering, D’Angelica et al. 2004). b Nach neoadjuvanter Therapie (Technische Universität München, Siewert et al. 2006)
nicht mehr Ansprechraten und Remissionsdauer, sondern vor allem eine Verbesserung der Lebensqualität in Anbetracht der eingeschränkten Lebenserwartung als Ziel einer patientengerechten Palliation im Vordergrund aller therapeutischen Bemühungen. Allerdings konnte erst jüngst gezeigt werden, dass eine Erhöhung der Ansprechrate und eine Verlängerung der Zeit bis zur Progression mit einem besseren Erhalt an Lebensqualität bei besserer Tumorkontrolle einhergeht (Ajani et al. 2007). In 4 randomisierten Studien in denen der Einfluss verschiedener Zytostatikakombinationen auf die progressionsfreie Zeit und die Gesamtüberlebenszeit im Vergleich zur »besten supportiven Therapie« geprüft wurden, ergaben sich signifikante Vorteile für die Chemotherapie. Das betraf sowohl die Zeit bis zur Progression als auch die Gesamtüberlebenszeit. In 2 Untersuchungen, in denen zusätzlich die Le-
Weitere typische Rezidivmuster sind beim Magenkarzinom Fernmetastasen und insbesondere beim diffusen Magenkarzinom eine Peritonealkarzinose. Eine Analyse zum Thema lokoregionaler Rezidive nach R0-resezierten Magenkarzinomen ist aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center vorgelegt worden (D’Angelica et al. 2004). Interessant ist das Rezidivmuster (. Abb. 40.20a), das 25,9% lokoregionale und in 28,1% Fernmetastasen aufweist. Auffällig ist die relative Seltenheit einer Peritonealkarzinose (13,6%). Wichtig ist aber zu realisieren, dass die lokoregionalen Rezidive unterschiedlicher Lokalisation in einem weiten Bereich mit anderen Manifestationen parallel gehen. Eine ganz ähnliche Aussage kann bei der Analyse des eigenen Krankengutes (. Abb. 40.20b) gemacht werden (Siewert et al. 2006). Hier ist allerdings die Rate der Fernmetastasen ebenso wie die Rate der Peritonealkarzinose deutlich höher als im New Yorker Krankengut. Inwieweit hier eine unterschiedliche Selektion der Patienten bei der Erstoperation eine Rolle spielt, muss offen bleiben. Eine Erklärung könnte sein, dass im eigenen Krankengut nur lokal fortgeschrittene Tumoren, die in neoadjuvanten Therapiestudien behandelt wurden, berücksichtigt sind. Im New Yorker Kollektiv von 382 Patienten mit einem lokoregionalen Rezidiv eines Magenkarzinoms, das zuvor R0-reseziert worden war, wurde die Frage untersucht, welche Prognosefaktoren für ein Postrezidiv-Überleben entscheidend sind. 74% dieser Patienten hatten ein symptomatisches Rezidiv, 26% ein asymptomatisches Rezidiv. Als Prognosefaktoren konnten in eine Reihe von Parameter identifiziert werden. Aus diesen in multivarianter Analyse als unabhängig identifizierten Prognosefaktoren hat die Gruppe um Murray Brennan einen Risiko-
40
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Kapitel 40 · Magenkarzinom
score für das weitere Überleben bei lokalen Rezidiven zu entwickelt, der folgende Kriterien einschließt: 4 Initial fortgeschrittenes Tumorstadium (UICC III/IV) 4 G3/4 4 Multifokales Rezidiv 4 Kurzes rezidivfreies Intervall 4 Symptomatisches Rezidiv Die Daten geben darüber hinaus auch Hinweise darauf, dass mittels systematischer Nachsorge asymptomatische Rezidive nicht signifikant früher erkannt werden als symptomatische Rezidive (10,8 Monate ab Resektion versus 12,4 Monate ab Resektion). Patienten, bei denen Symptome Anlass zu Diagnostik geben und bei denen dann ein Magenkarzinomrezidiv nachgewiesen werden kann, haben eine deutlich schlechtere Prognose. Die anderen als unabhängig identifizierten Prognosefaktoren sind ärztlich nicht beeinflussbar. Die Nutzung des vorgeschlagenen Risikoscores kann helfen, die Prognose des Einzelpatienten realistisch einzuschätzen und diese Information auch zur Grundlage von weiteren Therapieentscheidungen zu machen. Aus klinischer Sicht kann geschlossen werden, dass ein symptomatisches Rezidiv als Ausdruck einer aggressiven Tumorbiologie gewertet werden kann, und damit mit einer schlechteren Prognose einhergeht. Eine ähnliche Aussage kann auch aus der Analyse des eigenen Krankengutes der Rezidive nach R0-resezierten und neoadjuvant vorbehandelten Magenkarzinomen gemacht werden. Beim Auftreten eines alleinigen Lokalrezidivs ist die Prognose besser als bei multilokalen Rezidiven oder beim Auftreten von Fernmetastasen. Es lässt sich aus den hier aufgeführten Daten ableiten, dass früh entdeckte Rezidive, die asymptomatisch sind, eine insgesamt bessere Prognose aufweisen als symptomatische Rezidive, die oftmals Ausdruck eines aggressiven biologischen Verlaufs und einer bereits fortgeschrittenen Erkrankungssituation sind. Ob man daraus folgern kann, dass eine aufwändige Nachsorgediagnostik bei allen gastrointestinalen Tumorerkrankung angezeigt ist, mit dem Ziel, asymptomatische Rezidiv früh zu entdecken und zeitig einer entsprechenden Sekundärtherapie zuzuführen, bleibt letztlich unklar.
Im Rezidivfall ist die aussichtsreichste Situation die eines intraluminalen Lokalrezidivs. Dieses ist in vielen Fällen Ausdruck einer unzureichenden und nicht mit ausreichenden Sicherheitsabständen durchgeführten Primärresektion. Wenn die Lokalisation dies erlaubt, ist die Nachresektion mit ausreichenden Sicherheitsabständen die Therapie der Wahl. Das Auftreten eines Rezidivs im Tumorbett hingegen ist Ausdruck einer bereits primär lokal fortgeschrittenen Erkrankung. Die Indikation zur Nachresektion ist hier sehr kritisch abzuwägen. Aussicht auf längerfristige Tumorkontrolle besteht nur, wenn die Zweitresektion residualtumorfrei durchgeführt werden kann und wenn sie sinnvoll in ein multimodales Behandlungskonzept eingebettet ist. Leider sind zu wenige Daten verfügbar, die klare Folgerungen zulassen, wann in dieser Situation ein aggressiver therapeutischer Ansatz für den Patienten lohnend ist und eine kurative Chance besteht. Die Entscheidung über die Therapie muss also von Fall zu Fall im interdisziplinären Tumorboard getroffen werden. Zu berücksichtigen sind dabei die Größe, Lokalisation und das Stadium des Primärtumors, die Radikalität und der Erfolg der primären Operation, die Response im Falle neoadjuvanter Therapie sowie Bestrahlungsreserven im Falle neoadjuvanter oder adjuvanter Strahlentherapie. Für Rezidive im Bereich der Lymphabstrombahn, der sog. vierten Dimension, besteht in der Regel keine zweite kurative Behandlungsoption und es muss über den bestmöglichen Zeitpunkt zur Einleitung einer palliativen Therapie entschieden werden.
40.11
Empfehlungen zur Nachsorge
Aus dem Vorangegangenen wird deutlich, dass sich die Nachsorge von Magenkarzinompatienten primär an deren klinischen Beschwerdebild orientieren muss. Regelmäßige, technische aufwändige und belastende Untersuchungen sind nur bei konkretem Rezidivverdacht zu rechtfertigen, zumal die therapeutischen Möglichkeiten eingeschränkt sind. Die Kontrolle der Tumormarker (CEA, CA 72-4) sollte nur bei positiven Werten zum Zeitpunkt der Diagnose durchgeführt werden. Erfahrungsgemäß geht der Wiederanstieg eines Tumormarkers der Diagnose des Rezidivs ca. 3 Monate voraus.
40
. Abb. 40.21. Nachsorgeempfehlungen Magenkarzinom (Bayerische Landesärztekammer)
557 40.12 · Ausblick
. Abb. 40.21 gibt zur Nachsorge die Empfehlungen der Baye-
rischen Landesärztekammer (Stand November 2003) wieder. Aufwändigere Nachsorgeuntersuchungen mit regelmäßiger Endoskopie und CT (Thorax)/Abdomen/(Becken) bleiben Studienpatienten nach 3, 6, 9, 12, 18, 24, 36, 48 und 60 Monaten vorbehalten bzw. werden entsprechend des Studienprotokolls durchgeführt.
40.12
Ausblick
Wenn man die Therapieforschung der letzten Jahre analysiert, dann sind folgende Fortschritte zu nennen: 4 Ein wesentlich verbessertes Staging durch Einführung neuer diagnostischer Verfahren (endoluminaler Ultraschall, diagnostische Laparoskopie, verbesserte CT-Techniken, Nachweis von freien Tumorzellen in der Abdominallavage) hat eine sehr viel individuellere, in Einzelfällen geradezu maßgeschneiderte Therapie der verschiedenen Stadien des Magenkarzinoms ermöglicht (. Abb. 40.9). Das FDG-PET ist beim Staging des Magenkarzinoms von untergeordneter Bedeutung, da ca. 50% der diffusen Magenkarzinome eine ungenügende FDG-Aufnahme zeigen. 4 Die Analyse neuer unabhängiger Prognosefaktoren hat die Bedeutung der chirurgischen Radikalität bei der Operation des Magenkarzinoms aufgezeigt. Es ist eindeutig belegt, dass die Residualtumorfreiheit der entscheidende, unabhängige Prognosefaktor in der chirurgischen Therapie ist. Diese lokale Tumorfreiheit hat sich nicht nur auf den oralen und aboralen Resektionsrand, sondern vor allen Dingen auch auf das Tumorbett zu erstrecken. Diese Aussage der Notwendigkeit der lokalen Tumorfreiheit bezieht sich auch auf die Lymphabflusswege. Es ist deutlich geworden, dass wie beim Primärtumor die tumorbefallenen Lymphknoten einschließlich eines großen Sicherheitsabstandes entfernt werden müssen. Die derzeit beste Erklärung für die Notwendigkeit dieses weiten Sicherheitsabstandes bei der Lymphadenektomie ist das häufige Vorliegen eines »microinvolvements« in routinehistologisch negativen Lymphknoten. Es sollten mindestens 25 Lymphknoten entsprechend einer D2-Lymphadenektomie im Resektat sein. 4 Die D2-Lymphadenektomie ist in Europa in Zentren bei tolerabler Morbidität und Mortalität Standard, eine Erweiterung der Lymphadenektomie auf die paraaortalen Lymphknoten bringt keinen Überlebensvorteil für die Patienten. 4 Eine perioperative Chemotherapie ist nach zwei randomiserten Studien in Europa für das lokal fortgeschrittenen Magenkarzinom Standard, eine adjuvante Radio-/Chemotherapie hat bei erfolgter D2-Lymphadenektomie in Europa eine untergeordnete Bedeutung, ebenso wie die alleinige adjuvante Therapie mit einem oralen 5-FU-Derivat. In USA bleibt die adjuvante Radio-/Chemotherapie, in Japan ist die adjuvante orale S-1-Therapie Standard (. Tab. 40.7). 4 Ein Ansprechen auf die präoperative Chemotherapie ist hochsignifikant mit der Prognose der Patienten assoziiert, aber derzeit existieren keine molekularen Parameter für eine Prädiktion von Response und/oder Prognose.
Aus dem Gesagten ergeben sich die in der klinischen Therapieforschung zu lösenden Aufgaben der nächsten Jahre: 4 Die Gesamtprognose des Magenkarzinoms kann nur durch eine Intensivierung der Frühdiagnostik verbessert werden. Hier sind die japanischen Zahlen unverändert Vorbild. Screening-Untersuchungen werden in der westlichen Hemisphäre unter dem Gesichtspunkt des Kostenbenefits auch in Zukunft nicht indiziert sein. 4 Die bislang vorliegenden Daten zur neoadjuvanten Chemotherapie zeigen, dass nur etwa 30–50% der behandelten Patienten auf diese Therapie ansprechen. Es wird eine Aufgabe der nahen Zukunft sein, Prädiktoren zu erarbeiten, die das Response-Verhalten des Patienten vorhersagen helfen und eine weitere Individualisierung der Therapie ermöglichen. Ferner muss es Ziel sein, präoperative Therapien zu etablieren, die die Responseraten deutlich erhöhen. 4 Das Problem der Responsefrühevaluation durch FDGPET während der präoperativen Chemotherapie ist für das Magenkarzinom komplexer als für das Adenokarzinom des Ösophagus, da drei biologisch unterschiedliche Gruppen existieren. Die Responsefrühevaluation durch FDG-PET ist zwar für das Magenkarzinom prospektiv evaluiert und durchführbar, aber die Daten sind nicht so valide, dass ein Transfer in eine klinische Studie sinnvoll erscheint. 4 Die immer häufiger werdenden Untersuchungsbefunde in Hinblick auf die Existenz sog. freier Tumorzellen (Knochenmark, Abdominallavage, Lymphknoten etc.) legen Überlegungen in Hinblick auf eine neoadjuvante Therapie bereits in frühen Stadien des Magenkarzinoms nahe. Diese theoretischen Überlegungen sollten in klinischen Studien überprüft werden.
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Kapitel 40 · Magenkarzinom
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Kapitel 40 · Magenkarzinom
Wu CW, Hsiung CA, Lo SS, Hsieh MC, Chen JH, Li AF, Lui WY, WhangPeng J (2006) Nodal dissection for patients with gastric cancer: a randomised controlled trial. Lancet Oncol 7: 309–15 Wu CW, Chang IS, Lo SS, Hsieh MC, Chen JH, Lui WY, Whang-Peng J (2006) Complications ollowing D3 gastrectomy: post hoc analysis of a randomized trial. World J Surg 30: 12–6 Yan TD, Black D, Sugarbaker PH, Zhu J, Yonemura Y, Petrou G, Morris DL (2007) A systematic review and meta-analysis of the randomized controlled trials on adjuvant intraperitoneal chemotherapy for resectable gastric cancer. Ann Surg Oncol 14: 2702–2713 Yanai H, Matsumoto Y, Harada T et al. (1997) Endoscopic ultrasonography and endoscopy for staging depth of invasion in early gastric cancer: a pilot study. Gastrointest Endosc 46: 212–216 Yasuda K (1995) EUS probes and mucosectomy for early gastric carcinoma, in Sivak M.V. (ed): 10th international Symposium on Endoscopic Ultrasonography. Gastrointest Endosc 43: 29–31 Ye W, Nyren O (2003) Risk of cancers of the oesophagus and stomach by histology or subsite in patients hospitalised for pernicious anaemia. Gut 52: 938–941 Yoshioka T, Yamaguchi K, Kubota K et al. (2003) Evaluation of (18)FFDG PET in patients with advanced, metastatic, or recurrent gastric cancer. J Nucl Med 44: 690–699 Yuasa Y (2003) Control of gut differentiation and intestinal-type gastric carcinogenesis. Nat Rev Cancer 3: 592–600 Zhang C, Yamada N, Wu YL, Wen M, Matsuhisa T, Matsukura N (2005) Comparison of Helicobacter pylori infection and gastric mucosal histological features of gastric ulcer patients with chronic gastritis patients. World J Gastroenterol 11: 976–981 Zhao SL, Fang JY (2008) The role of postoperative adjuvant chemotherapy following curative resection for gastric cancer: a metaanalysis. Cancer Invest 26: 317–325
40
41 41
Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome J. Werner, M.W. Büchler
41.1
Grundlagen
41.1.1 41.1.2 41.1.3 41.1.4 41.1.5 41.1.6
Chirurgische Epidemiologie – 564 Einteilung – 564 Ätiologie und Risikofaktoren – 564 Pathologie und Klassifikation – 566 Karzinogenese – 567 Prognostische Faktoren – 568
41.2
Klinisches Symptomatologie
41.3
Diagnostik und Staging
41.3.1 41.3.2 41.3.3 41.3.4 41.3.5 41.3.6 41.3.7 41.3.8 41.3.9 41.3.10
Laboruntersuchungen – 569 Bildgebende Verfahren zur Primärdiagnostik – 570 Sonographie – 570 Schnittbildgebung: Computertomographie, MRT/MRCP Thorax-Röntgenaufnahme – 570 Endoskopie – 570 Biopsie – 571 Zytologische Diagnostik – 572 Staginglaparoskopie – 572 Zielgerichtete Diagnostik – 572
41.4
Therapieziele und Indikationsstellung
41.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
41.6
Operationstechnik
41.6.1 41.6.2 41.6.3
Explorationsphase – 574 Standardresektionen – 574 Erweiterte Resektionsstrategien
41.7
Postoperative Komplikationen
41.8
Adjuvante Therapie und neoadjuvante Therapie des Pankreaskarzinoms – 583
41.8.1 41.8.2 41.8.3
Adjuvante Therapie – 583 Neoadjuvante Therapie – 583 Additive Chemotherapie – 584
41.9
Palliation
– 584
41.10
Prognose
– 584
41.11
Nachsorge Literatur
– 564
– 585
– 585
– 569
– 569
– 572 – 573
– 573
– 578
– 582
– 570
564
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
> Das Pankreaskarzinom ist ein häufiger Tumor des Gastrointestinaltraktes mit einer aufgrund seines aggressiven Wachstums schlechten Prognose. Die 5-Jahres-Überlebensrate aller Patienten liegt unter 5%, kann aber nach kurativer Resektion deutlich verbessert werden (medianes Überleben ca. 24 Monate). Aufgrund unspezifischer Symptome und fehlender spezifischer Marker wird die Diagnose auch heute noch häufig spät gestellt, so dass radikalere chirurgische Resektionen die entscheidende Möglichkeit sind, Patienten kurativ zu behandeln. Aufgrund der Fortschritte im operativen und perioperativen Management können auch erweiterte Resektionen sicher mit einer geringen Morbidität und Mortalität in spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Die perioperative Morbidität und Mortalität bei der Resektion von Pankreastumoren sollte durch die Behandlung betroffener Patienten in erfahrenen Zentren gering gehalten werden können (Mortalität <5%). Die standardgemäß durchgeführte adjuvante Chemotherapie hat zusätzlich zu einem signifikant verlängerten Langzeitüberleben geführt. Eine wesentliche Prognoseverbesserung ist in Zukunft insbesondere durch eine bessere Kontrolle der systemischen Tumorzellaussaat durch neue Therapiekonzepte zu erwarten. Die Prognose des periampullären Karzinoms ist deutlich besser als die des Pankreaskarzinoms mit einem 5-JahresÜberleben von 20–40%. Ursache hierfür ist die frühe Symptomatik und damit Diagnose dieser Tumoren. In diesem Buchkapitel werden die Pathogenese, die Diagnostik und Therapie des Pankreaskarzinoms und der periampullären Karzinome im Detail dargestellt.
41.1
Grundlagen
41.1.1 Chirurgische Epidemiologie
41
Das duktale Adenokarzinom des Pankreas hat in vielen Ländern in den letzten 50–60 Jahren kontinuierlich zugenommen. Zurzeit ist das Pankreaskarzinom weltweit die zehnthäufigste Krebserkrankung, steht bei den durch Krebserkrankung bedingten Todesfällen an vierter Stelle. Seit 1930 steigt die Inzidenz des Pankreaskarzinoms in der westlichen Welt an, was vor allen Dingen darauf zurückzuführen ist, dass das Pankreaskarzinom eine Erkrankung des höheren Lebensalters ist. Vor dem 45. Lebensjahr gibt es nur selten Erkrankungsfälle. Männer scheinen häufiger an einem Pankreaskarzinom zu erkranken als Frauen (1,5- bis 2-fach erhöhte Inzidenz). In der westlichen Welt erkranken etwa 10 von 100.000 Einwohnern. In Deutschland erkranken somit ca. 12.000 Menschen pro Jahr, in den USA über 30.000 pro Jahr. Aufgrund der schlechten Prognose entspricht die Letalitätsrate in etwa der Inzidenz (Jemal et al. 2006). Epidemiologischen Studien zufolge überleben ca. 1% aller am Pankreaskarzinom diagnostizierten Patienten 5 Jahre (Gudjonsson 1995). Dennoch ist bei der Gruppe der Patienten mit resektablen Tumoren eine potenzielle Heilung mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von ca. 25% erzielbar (Yeo et al. 1995; Wagner et al. 2004; Cameron et al. 2006). Primär ampulläre Tumoren sind selten (Inzidenz 0,6 pro 100.000 Einwohner), jedoch für ca. 20% aller tumorassozi-
ierten Obstruktionen des distalen D. choledochus verantwortlich. Bei Vorliegen einer erblichen Polyposis coli, wie z. B. der familiären adenomatösen Polyposis (FAP), steigt die Inzidenz periampullärer Tumoren um den Faktor 200–300. Bis zu 90% der Patienten mit einer FAP entwickeln Adenome im oberen Gastrointestinaltrakt. Das mittlere Erkrankungsalter von sporadischen periampullären Tumoren liegt zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Bei den erblich assoziierten Tumoren ist der Zeitpunkt deutlich jünger. Im Gegensatz zum duktalen Pankreaskarzinom zeichnen sich die Tumoren der periampullären Region durch eine bessere Langzeitprognose aus, welches vor allem durch die frühere Diagnosestellung der klinisch frühsymptomatischen Tumoren bedingt ist.
41.1.2 Einteilung Das Pankreaskarzinom wird entsprechend der anatomischen Zugehörigkeit als Tumor des Pankreaskopfes (65% der Tumoren), des Pankreaskörpers (Korpus, 15% der Tumoren) oder des Pankreasschwanzes (Kauda, 10% der Tumoren) eingeteilt. Die anatomische Grenze von Pankreaskopf zu Pankreaskorpus ist der linke Rand der V. mesenterica superior und vom Pankreaskorpus zu Pankreasschwanz der linke Rand der Aorta. Periampulläre Karzinome entstehen im Bereich der Ampulla vateri, die einer Erhebung der medialen Duodenalwand entspricht. Die Papilla duodeni major stellt die gemeinsame duodenale Mündung beider Gangstrukturen dar. Entsprechend dieser anatomischen Gegebenheit kann eine Einteilung der periampullären Tumoren in folgende Typen vorgenommen werden: 4 Papillenadenome/-karzinome: ausgehend von der Duodenalschleimhaut im Papillenbereich 4 Adenome/Karzinome des terminalen D. choledochus und D. pancreaticus: ausgehend vom Gangepithel vor Vereinigung beider Gangstrukturen 4 Ampulläre Adenome/Karzinome: ausgehend vom Gangepithel nach Vereinigung von D. choledochus und D. pancreaticus
41.1.3 Ätiologie und Risikofaktoren Obwohl das Pankreaskarzinom im Allgemeinen als eine Erkrankung der westlichen industrialisierten Länder angesehen wird, bestehen geographische und ethnisch abhängige Inzidenzunterschiede. Dieses legt die Vermutung einer genetischen Abhängigkeit nahe. Unbestritten ist außerdem der Einfluss sozioökonomischer Faktoren (Adler et al. 2007). Der wichtigste prädisponierende Faktor allerdings ist das Lebensalter. Das Pankreaskarzinom tritt selten vor dem 45. Lebensjahr auf und etwa 80% der Fälle mit Pankreaskarzinom werden zwischen dem 60. und dem 80. Lebensjahr diagnostiziert. Das Risiko, in der der 8. Lebensdekade an einem Pankreaskarzinom zu erkranken ist etwa 40-fach höher als in der 4. Lebensdekade (Adler et al. 2007).
565 41.1 · Grundlagen
Lebensgewohnheiten
Pankreaskarzinoms wurde bei Patienten mit hereditärem Mamma- und Ovarialkarzinom, FAMMM-Syndrom (familiäres Pankreaskarzinom-Melanom-Syndrom), HNPCC, Peutz-Jegher-Syndrom, FAP, Li-Fraumeni-Syndrom, Fanconi-Anämie und Hippel-Lindau-Syndrom gefunden (Adler et al. 2007).
Rauchen. Neben dem Lebensalter ist der wichtigste Risiko-
faktor das Rauchen. Das relative Risiko für Raucher ist mindestens 1,5-fach erhöht. Bei Patienten mit einer hereditären Pankreatitis verdoppelt sich bei gleichzeitiger Raucheranamnese das kumulative Risiko, an einem Pankreaskarzinom zu erkranken und es manifestiert sich 20 Jahre früher.
Familiäre Häufung. Ein familiäres Pankreaskarzinom wird
von den Pankreaskarzinomen, die mit hereditären Tumorsyndromen assoziiert sind, abgegrenzt. Ein familiäres Pankreaskarzinom wird immer dann angenommen, wenn in einer Familie mindestens zwei erstgradig Verwandte (unabhängig vom Alter der Erkrankten) an einem Pankreaskarzinom erkrankt sind, ohne dass die Familie die klinischen bzw. familienanamnestischen Kriterien eines anderen erblichen Syndroms erfüllt. Eine prospektive Studie aus Deutschland konnte zeigen, dass zwischen 1–3% aller Pankreaskarzinompatienten die familiären Pankreaskarzinomkriterien erfüllen (Bartsch et al. 2002). Das familiäre Pankreaskarzinom ist damit ähnlich häufig wie andere erbliche Tumorerkrankungen. Das mittlere Erkrankungsalter unterscheidet sich nicht signifikant vom Alter der sporadischen Fälle. Allerdings scheint es, dass Kinder von Patienten mit familiärem Pankreaskarzinom bis zu 10 Jahren früher am Pankreaskarzinom erkranken können. Somit sollte wie bei allen erblichen Erkrankungen auch Angehörige von familiären Pankreaskarzinomfamilien eine genetische Beratung empfohlen werden. Da bisher nur bei einer Subgruppe der Patienten ein Gendefekt nachgewiesen werden konnte, besteht derzeit keine Empfehlung für eine prädiktive Gendiagnostik. Das Risiko eines erstgradig Verwandten, an einem Pankreaskarzinom zu erkranken, ist bei zwei Erkrankten in der Familie 18-fach bis und bei drei und mehr erkrankten Familienmitgliedern bis 57-fach erhöht (McFaul et al. 2006)
Adipositas und Diabetes. Weitere Risikofaktoren sind die
Adipositas und Diabetes mellitus Typ II, sodass der Hyperinsulinismus oder möglicherweise die Energiebilanz eine Rolle in der Pathogenese des Pankreaskarzinoms spielen. Alkoholabusus. Die Assoziation des chronischen Alkoholis-
mus mit dem Pankreaskarzinom ist schwach. Während einige Studien ein erhöhtes Risiko für ein Pankreaskarzinom bei Alkoholkrankheit nachweisen konnten, zeigen die meisten Studien keine Assoziation. Das erhöhte Risiko bei chronischem Alkoholkonsum ist möglicherweise auf gleichzeitigen Nikotinkonsum zurückzuführen. Ernährung. Seit vielen Jahren wird die Ernährung als mög-
licher Risikofaktor bei der Entstehen des exokrinen Pankreaskarzinoms diskutiert. Allerdings gibt es keine in der klinischen Praxis etablierten Empfehlungen darüber, da Ernährungsmaßnahmen zur Prävention des Pankreaskarzinoms nicht nachweisbar sinnvoll sind.
Hereditäre Faktoren Hereditäre Faktoren werden für weniger als 10% der Fälle mit Pankreaskarzinom verantwortlich gemacht. Dabei müssen Pankreaskarzinome, die im Rahmen eines hereditären Tumorsyndroms auftreten, von denen mit familiärer Häufung und bei hereditärer Pankreatitis abgegrenzt werden.
Hereditäre Pankreatitis. Patienten mit hereditärer Pankrea-
titis haben ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Pankreaskarzinom. Das kumulative Risiko, ein Pankreaskarzinom bis zum 70. Lebensjahr zu entwickeln, liegt in dieser Gruppe zwischen 40 und 44%. Die hereditäre Pankreatitis beginnt bereits im Kindesalter und wird autosomal dominant vererbt. Häufig liegt eine positive Familienanamnese vor (Brentnall et al. 2005). Es fehlen in der Regel bekannte Dispositionsfaktoren für eine chronische Pankreatitis wie z. B. Alkoholabusus. Im
Hereditäre Tumorsyndrome. Hereditäre Tumorsyndrome, bei
denen Pankreaskarzinome auftreten, sind in . Tab. 41.1 aufgeführt. Das Auftreten eines Pankreaskarzinoms im Rahmen eines hereditären Tumorsyndroms ist nicht einfach zu diagnostizieren, da sich das Pankreaskarzinom im Rahmen eines Tumorsyndroms nicht vom sporadisch auftretenden Pankreaskarzinom unterscheiden lässt. Eine gesteigerte Inzidenz des
. Tab. 41.1. Hereditäre Syndrome mit Pankreaskarzinomrisiko
Syndrom
Gene
Lebensrisiko für Pankreaskarzinom
Hereditäre Pankreatitis
PSSR 1
ca. 30%
FAMMM (Pankreaskarzinom-Melanom-Syndrom)
CDKN 2 (p16)
ca. 15%
Familiärer Brustkrebs
BRCA2
5–10%
Peutz-Jeghers-Syndrom
STK 11/LKB 1
35–40%
FAP (familiäre adenomatöse Polyposis)
APC
?
HNPCC (hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom)
MSH 2, MLH 1
?
Familiäres Pankreaskarzinom
–
5–10%
41
566
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
Gegensatz zur hereditären Pankreatitis besteht bei der chronischen alkoholbedingten Pankreatitis ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Pankreaskarzinoms von lediglich 4% nach 20 Jahren Krankheitsdauer.
41.1.4 Pathologie und Klassifikation Tumoren im Pankreas werden an Hand der Differenzierung in duktale, azinäre und endokrine Tumoren unterteilt. Am häufigsten sind Adenokarzinome vom duktalen Typ, während adenosquamöse, undifferenzierte, intraduktal-muzinöse, muzinös-zystische, serös-zystische Tumoren seltener auftreten. Tumoren endokrinen Ursprungs kommen weniger häufig vor und werden in einem separaten Kapitel dieser Buchreihe im Detail beschrieben. Tumoren mit azinärer Differenzierung, das Azinuszellkarzinom, das Pankreatoplastom und das gemischt azinär-endokrine Karzinom sind Raritäten. Die histopathologische Typisierung der epithelialen Tumoren des exokrinen Pankreas erfolgt nach der WHO-Klassifikation. Histologische Klassifikation der WHO von Tumoren des exokrinen Pankreas 4 Epitheliale Tumoren 4 Benigne Tumoren – Seröses Zystadenom – Muzinöses Zystadenom – Intraduktales papilläres muzinöses Adenom – Reife Teratome 4 Borderline-Tumoren – Muzinöse zystische Neoplasie mit moderater Dysplasie – Intraduktale papilläre muzinöse Neoplasie mit moderater Dysplasie – Solid-pseudopapilläre Neoplasie 6
4 Maligne Tumoren – Duktales Adenokarzinom – Muzinös nichtzystische Karzinom – Siegelringzellkarzinom – Adenosquamöses Karzinom – Undifferenziertes (anaplastisches)Karzinom – Undifferenziertes Karzinom mit osteoklastischen Riesenzellen – Gemischt duktal-endokrines Karzinom – Seröses Zystadenokarzinom – Muzinöses Zystadenokarzinom – Intraduktales papillär-muzinöses Karzinom – Pankreatoblastom – Solid-pseudopapilläres Karzinom
Die Mehrzahl der Neoplasien im Pankreas ist maligne. In mehr als 80% der Fälle handelt es sich hierbei um das duktale Adenokarzinom des Pankreas, selten sind Zystadenokarzinome und Azinuszellkarzinome. 80% der Pankreaskarzinome entstehen im Pankreaskopf, der Rest im Pankreaskorpus und -schwanz. In etwa 80% der Pankreaskarzinome sind bereits bei Diagnosestellung metastasiert. Es finden sich frühe lymphogene Metastasierung sowie eine Metastasierung entlang der retroperitonealen Nerven. Fernmetastasen treten am häufigsten in der Leber auf, weniger häufig in den Lungen und im Peritoneum. Selten metastasieren Pankreaskarzinome in die Knochen und die Nebennieren (. Tab. 41.2). Die Stadieneinteilung des Pankreaskarzinoms sowie der periampullären Karzinome erfolgt nach der TNM-Klassifikation der UICC, aus der sich auch die Prognose der Patienten einschätzen lässt. Die Klassifikation wird für das Pankreaskarzinom und die periampullären Tumoren getrennt vorgenommen (. Tab. 41.2). Basierend auf der TNM-Klassifikation kann eine Stadiengruppierung (. Tab. 41.2) vorgenommen werden. Das Grading und die Beschreibung des Residualtumorstadiums erfolgen nach den üblichen Konventionen (. Tab. 41.3 und . Tab. 41.4).
. Tab. 41.2. Stadiengruppierung des Pankreaskarzinoms und periampullären Karzinoms gemäß der UICC-Klassifikation (6. Aufl. 2003)
41
Stadium
Pankreaskarzinom
Periampulläres Karzinom
0
Tis
N0
M0
Tis
N0
M0
IA
T1
N0
M0
T1
N0
M0
IB
T2
N0
M0
T2
N0
M0
IIA
T3
N0
M0
T3
N0
M0
IIB
T1–3
N1
M0
T1–3
N1
M0
III
T4
N0–1
M0
T4
N0–1
M0
IV
Jedes T
Jedes N
M1
Jedes T
Jedes N
M1
567 41.1 · Grundlagen
. Tab. 41.3. Grading der Tumorzellen
Einteilung
Definition
Gx
Differenzierungsgrad nicht beurteilbar
G1
Gut differenziert
G2
Mäßiggradig differenziert
G3
Schlecht differenziert
G4
Undifferenziert
4 Lokal primär nicht resektabler Tumor (mit Verdacht auf Infiltration des Truncus coeliacus oder der A. mesenterica superior) 4 Systemerkrankung bei Peritonealkarzinose oder Fernmetastasen Diese Unterteilung ist für die Entscheidung bezüglich des therapeutischen Vorgehens wesentlich, da neben der primären Operation und adjuvanten Therapie und Palliativtherapie auch neoadjuvante radiochemotherapeutische Konzepte zunehmend angewendet werden. Allerdings besteht nur bei vollständiger Tumorresektion eine potenzielle Chance auf Heilung.
Periampulläre Karzinome . Tab. 41.4. Residualtumor(R-)Klassifikation
Einteilung
Definition
Rx
Residualtumor nicht beurteilbar
R0
Kein Residualtumor an den Resektionsrändern
R1
Mikroskopisch nachweisbarer Residualtumor
R2
Makroskopisch nachweisbarer Residualtumor
Pankreaskarzinom Häufig kommt es zu einer Invasion des Tumors in das peripankreatische Fettgewebe. Aufgrund der besonderen anatomischen Situation des Pankreas mit der räumlichen Nähe zu der Mesenterialwurzel, der Pfortader und zur V. mesenterica superior sowie der aggressiven Tumorbiologie sind diese Strukturen nicht selten infiltriert. Eine Infiltration des Truncus coeliacus und der A. mesenterica superior werden heutzutage als Kontraindikation für eine chirurgische Maßnahme gesehen und in der 6. Auflage der TNM-Klassifikation als T4-Tumor definiert. Zusätzlich liegt dann oft schon früh eine prognostisch ungünstige perineurale Infiltration des Tumors zum Retroperitoneum und der Aorta vor. In diesen Fällen ist meistens lediglich eine R1-Resektion möglich. Häufig zeigt sich bei der chirurgischen Exploration bereits auch eine Peritonealkarzinose, die bei der präoperativen Umfelddiagnostik noch nicht ersichtlich war. Bei über 70% der Patienten bestehen zum Zeitpunkt der Operation Lymphknotenmetastasen, typischerweise in den Lymphknotenstationen entlang der A. mesenterica superior, der A. gastroduodenalis, der A. hepatica communis sowie der A. lienalis und des Truncus coeliacus. Paraaortale und parakavale Lymphknotenstationen können ebenfalls tumorbefallen sein. Diese werden bereits als M-Status definiert. Fernmetastasen treten meistens in der Leber und seltener in der Lunge auf. Für das klinische Vorgehen bei Pankreaskarzinom ist prinzipiell die Unterteilung der Patienten in drei Einheiten hilfreich: 4 Resektabler Tumor 5 ohne oder mit Infiltration der venösen Gefäße
Periampulläre Karzinome unterscheiden sich von duktalen Adenokarzinomen des Pankreas hinsichtlich ihrer Wachstumskinetik und ihres Metastasierungsverhaltens. In etwa 80% der Fälle ist der Tumor resektabel. Lediglich 30% der Patienten weisen bereits eine Lymphknotenmetastasierung auf. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei ca. 30–50%, selbst wenn bei diesen Patienten bereits eine Lymphknotenmetastasierung vorliegt.
41.1.5 Karzinogenese Etwa 90% der Pankreaskarzinome weisen eine duktale Differenzierung auf, daher wurde früher angenommen, das Pankreaskarzinome durch maligne Transformation von Pankreasgangzellen entstehen. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Ursprungszellen des Pankreaskarzinoms wahrscheinlich keine normalen, terminal differenzierten Gangzellen sind, sondern wahrscheinlich aus Stammzellen »im Pankreas«, die bislang morphologisch nicht von differenzierten Gangzellen zu unterscheiden sind, entstehen. Wie andere epitheliale Tumoren entwickeln sich duktale Adenokarzinome des Pankreas über verschiedene Vorläuferstadien. So finden sich in normalen Pankreata in Organen mit chronischer Pankreatitis sowie auch in der Umgebung von Pankreaskarzinomen nicht selten hyperplastische Veränderungen des Gangepithels, die vom flach muzinösen bis zum papillär muzinösen Typ reichen. Diesen Läsionen liegen genetische Defekte zugrunde. Zusätzlich können in den Gangläsionen Kennzeichen der Zellatypie auftreten (z. B. Hyperchromasie), die fast ausschließlich in der Umgebung von Karzinomen gefunden werden. Um die Diagnosekriterien solcher duktalen Läsionen zu standardisieren, wurde auf einer Konsensuskonferenz die Bezeichnung »pankreatische intraepitheliale Neoplasie« (PanIN) als verbindliche Nomenklatur empfohlen (Hruban et al. 2001). Diese PanIN-Klassifikation unterscheidet drei Läsionstypen, die unterschiedlichen Progressionsstadien entsprechen und von einer benignen Neoplasie (PanI N1) über flache, meist papilläre Läsionen mit geringgradigen (PanIN 2G) oder mittelgradigen (PanIN 2M) Dysplasien bis hin zum nichtinvasiven Karzinom (PanIN 3) reichen (. Abb. 41.1). Die genetischen Veränderungen beim Pankreaskarzinom sind ebenfalls gut charakterisiert: K-ras-Mutationen liegen bei
41
568
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
. Abb. 41.1. Tumorprogressionsmodell: Adenom-Karzinom-Sequenz. Darunter die PanIN-Klasifikation mit den entsprechenden genetischen Veränderungen
nahezu allen Pankreaskarzinomen vor. K-ras zählt zu den kleinen G-Proteinen. Durch eine Mutation im Kodon 12 von Glycin zu Valin oder Arginin verharrt K-ras im aktivierten Zustand. K-ras-Mutation in den Kodons 13 und 64 sind Raritäten. Experimentelle Studien belegen, dass eine K-ras-Mutation als initiales Ereignis der Karzinogenese im Pankreas angesehen werden muss. Ein weiteres wichtiges genetisches Ereignis beim Pankreaskarzinom ist die Inaktivierung des Tumorsuppressor-Gens CDKN2, das in über 80% der Karzinome vorliegt. CDKN2 kodiert für das INK-Protein p16. P16 kontrolliert im Zellzyklus die Aktivität der zyklinabhängigen Kinasen 4 und 6 mit Cyklin D und damit die frühe G1-Phase. CDKN2 wird inaktiviert durch biallelische Deletion, Verlust der Heterozygotie sowie durch Promotormethylierung. Die Inaktivierung des Tumorsuppressors p53 ist ebenfalls ein sehr häufig bei Pankreaskarzinom vorliegendes Ereignis. p53 ist wichtig für die Einleitung von DNA-Reparaturvorgängen nach DNA-Schäden und die Einleitung von Apoptose, falls das genetische Material nicht mehr repariert werden kann. Ist p53 mutiert oder inaktiviert und damit dessen Funktion kompromittiert, kommt es zur Anhäufung weiterer DNASchäden durch die dann eintretende chromosomale Instabilität. Weitere Mutationen an Tumorsuppressor-Genen wie Smad4/DPC4 und viele andere sind ebenfalls bekannt.
41
Aufgrund der Kenntnisse dieser genetischen Alterationen lässt sich ein Tumorprogressionsmodell des Pankreas entwickeln. Danach scheinen Alterationen von p16 und KRas eher früh aufzutreten, während die Inaktivierung der Tumorsuppressor-Gene p53 und DPC4 spät beobachtet wird.
Die Karzinogenese und Tumorbiologie periampullärer Karzinome unterscheidet sich von der des duktalen Adenokarzinoms des Pankreas. Echte ampulläre Karzinome entstehen im Rahmen einer Adenom-Karzinom-Sequenz auf dem Boden eines ampullären Adenoms, ähnlich wie beim kolorek-
talen Karzinom. Dabei wird das normale Epithel durch eine chromosomale (5q-)-Mutation oder Verlust des Chromosomenabschnittes zum hypertrophen Epithel verändert. Methylierungsstörungen der DNA induzieren das frühe und der Verlust des 18q-Allels das späte Adenom. Kommt es nun zum Verlust des Tumorsuppressor-Gens p53 entsteht das Karzinom. Es könnten dabei einzelne Stufen in der AdenomKarzinom-Sequenz auch übersprungen werden. K-ras-Mutationen werden bei 37% der ampullären Tumoren nachgewiesen.
41.1.6 Prognostische Faktoren
Resektabilität (Zentrumseffekt) Die Prognose eines Patienten mit einem duktalen Pankreaskarzinom wird in erster Linie von der Resektabilität des Tumors bestimmt, da hierdurch eine potenzielle Kuration erzielt werden kann (Yeo et al. 1995; Wagner et al. 2004; Cameron et al. 2006). Die Prognose resezierter Patienten ist signifikant als von nicht-resezierten Patienten. Für eine potenziell kurative Resektion kommen ca. 25–30% aller Patienten mit einem diagnostizierten Pankreaskarzinom in Frage. Dieses ist jedoch abhängig von der Erfahrung des Operateurs und des Zentrums. Es ist mittlerweile bekannt und durch zahlreiche Studien belegt, dass ein Zentrum mit hohen Fallzahlen im Bereich der Pankreaschirurgie nicht nur eine niedrigere perioperative Mortalität, sondern auch langfristig ein verbessertes Langzeitüberleben der Patienten mit Pankreaskarzinom erzielt (Birkmeyer et al. 2002; Van Heyk et al. 2005; Vong et al. 2005). Die in Zentren beobachtete niedrige Morbidität und Mortalität ist Folge der Erfahrung des einzelnen Operateurs und des Teams im Umgang mit der primären Operation, aber vor allem im Umgang mit den postoperativen Komplikationen. Neben diesem hauptprognostischen Faktor ist die Durchführung einer kurativen Resektion (R0) der wichtigste Faktor für das Langzeitüberlegen der Patienten (Wagner et al. 2004). Neben diesen operateur- und zentrumsabhängigen Faktoren
569 41.3 · Diagnostik und Staging
sind tumorspezifische Faktoren ebenfalls wichtige Faktoren, die das Langzeitüberleben beeinflussen. Zu diesen gehören neben der Lokalisation des Pankreaskarzinoms das Krankheitsstadium zum Zeitpunkt der Diagnose bzw. Operation sowie das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen (5-JahresÜberlebensrate 40% bei N0-Stadium; Cameron et al. 2006) sowie perineuraler Tumorinfiltration, Gefäßinvasion und Differenzierung.
Tumorentität Die Tumorentität (periampulläre Karzinome versus Adenokarzinome des Pankreas) ist ein wichtiger prognostischer Faktor, welcher sich in der signifikant schlechteren 5-Jahres-Überlebensraten des duktalen Pankreaskarzinoms nach Resektion (40 versus 20%) darstellt. Karzinome des Pankreaskorpus und des Pankreasschwanzes sind aufgrund ihrer späten Symptomatik weniger häufig (<10%) zu resezieren, so dass Pankreaskopfkarzinome aufgrund der häufiger bestehenden Resektabilität eine insgesamt bessere Prognose haben. Nach einer durchgeführten R0-Resektion besteht jedoch kein Unterschied zwischen den Tumoren unterschiedlicher Lokalisationen.
Patientenabhängige Faktoren Für Patienten mit resektablen Tumoren sind keine patientenabhängigen prognostischen Faktoren bekannt. Weder Alter, Geschlecht noch Leitsymptome konnten die Prognose unabhängig beeinflussen (Lillemoe 1995; Wagner et al. 2004)
41.2
Generell sollte auch in Abhängigkeit vom Alter des Patienten bei neu aufgetretenen Oberbauch- und Rückenschmerzen bzw. Pankreatitisschüben ggf. eine weitergehende Diagnostik zum Ausschluss eines Pankreaskarzinoms erfolgen. Ein neu aufgetretener schmerzloser Ikterus sollte jedoch auf jeden Fall zu weitergehenden diagnostischen Untersuchungen zum Ausschluss eines Pankreaskarzinoms führen, da Pankreas- und Gallengangskarzinome mit 20% die häufigste Ursache für einen neu aufgetretenden Ikterus bei Patienten in der zweiten Lebenshälfte darstellen (Reisman et al. 1996; Bjornsson et al. 2003).
Weitere unspezifische Symptome des Pankreaskarzinoms sind Übelkeit und Erbrechen, welche oft durch die vorliegende Duodenalobstruktion verursacht werden. Symptome fortgeschrittener Tumorerkrankungen sind paraneoplastische Symptome inklusive der Thrombophlebitis migrans. Auch ein palpabler fixierter epigastrischer Tumor sowie Aszites sind eindeutige Zeichen der lokalen Irresektabilität und ggf. Peritonealkarzinose. Die Lokalisation der periampullären Karzinome (Papillen- und Duodenaltumoren) führt zum frühen Auftreten von Symptomen. Die klinische Symptomatik kann von Ikterus (90%), biliären Kolikschmerzen und einer Begleitpankreatitis (15%) geprägt sein. Dieses führt zu einer relativ häufigeren Diagnose von Frühstadien der periampullären Tumoren im Vergleich zum Pankreaskarzinom, das die bessere Prognose erklärt.
Klinisches Symptomatologie
Die Diagnose des Pankreaskarzinoms aufgrund der Symptome erfolgt meistens erst zu einem späten Zeitpunkt. In Abhängigkeit von der Lokalisation des Tumors im Pankreas kommt es im Pankreaskopf zu Kompression oder Infiltration des Gallengangs und damit zum schmerzlosen Ikterus. Der Ikterus geht einher mit einer Stuhlentfärbung, der Ausscheidung eines bierbraunen Urins und Pruritus. Der Ikterus wird in ca. 82% der diagnostizierten Patienten mit Pankreaskarzinom beobachtet. Ein weiteres häufiges Symptom ist die bei noch gutem Appetit bestehende Gewichtsabnahme, die mit Schwäche und beim Pankreaskarzinom oft mit einer Kachexie einhergeht (85% der Patienten). Ebenfalls häufig sind uncharakteristische Oberbauchund Rückenschmerzen (75% der Patienten). Dies ist häufig bei Infiltration von peripankreatischen neuralen Strukturen und damit bei weit fortgeschrittenen Tumoren zu sehen. Im Korpus und Schwanz gelegene Pankreaskarzinome werden aus diesem Grund oft zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert als Pankreaskopfkarzinome. Ein neu aufgetretener Diabetes mellitus kann das initiale Symptom eines Pankreaskarzinoms sein. Insgesamt gibt es jedoch wenige systematische Untersuchungen zu dieser Thematik, so dass eindeutige Empfehlungen wie beim Auftreten von einem Diabetes mellitus, unklaren Oberbauchschmerzen bzw. einer akuten Pankreatitis vorzugehen ist, nicht vorliegen.
41.3
Diagnostik und Staging
Bei Verdacht auf das Vorliegen eines Pankreas- oder periampullären Karzinoms erfolgt eine stufenweise diagnostische Abklärung. Zu Beginn der diagnostischen Maßnahmen stehen eine ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung sowie Maßnahmen der Basisdiagnostik inklusive einer Sonographie des Abdomens und Laboruntersuchungen an. Weitere diagnostische Maßnahmen erfolgen in Abhängigkeit der Ergebnisse dieser Untersuchungen.
41.3.1 Laboruntersuchungen Die klassischen Laborparameter, die bei Pankreaserkrankungen bestimmt werden, sind Lipase, Amylase, alkalische Phosphatase, γ-GT, Bilirubin sowie die Transaminasen. Diese Parameter können bei Cholestase bzw. einer Begleitpankreatitis erhöhte Werte anzeigen und somit Hinweise auf eine Obstruktion im Bereich des Pankreas bzw. Gallenganges geben. Das Blutbild kann eine Anämie aufzeigen die bei Karzinomen generell im Sinne einer Tumoranämie vor allem in fortgeschrittenen Stadien häufig diagnostiziert wird. Die typischerweise erhobenen Tumormarker CEA und CA 19-9 gehören nicht zur Diagnostik, sondern sind primär für den weiteren Therapieverlauf zu erheben. Keiner dieser Parameter
41
570
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
beweist das Vorliegen eines Pankreaskarzinoms oder eignet sich als Screeningmarker.
41.3.2 Bildgebende Verfahren
zur Primärdiagnostik Zur Klärung eines Tumorverdachts sind unterschiedliche Verfahren inklusive Sonographie, Endosonographie, Multidetektor-CT, MRT mit MRCP oder ERCP geeignet. Die oben genannten Verfahren sind unterschiedlich verfügbar und damit nicht in einen für jede Situation definierten Algorhythmus einsetzbar. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass prinzipiell zunächst eine Oberbauchsonographie erfolgen sollte, die bereits die Verdachtsdiagnose eines Pankreaskarzinoms und ggf. auch die Metastasendiagnose ermöglicht. Alle weiteren Verfahren ermöglichen ebenfalls den Nachweis eines Pankreaskarzinoms, wobei die ERCP allein zur Diagnose eines duktalen Pankreaskarzinoms nicht geeignet ist, da sie lediglich Gangveränderungen nachweist und nicht die Raumforderung selbst zur Darstellung bringt (Adamek et al. 2000). Letztlich ist vor jeder chirurgischen Therapie eine Schnittbildgebung notwendig (CT oder MRT; Adler et al. 2007).
lokale Resektabilität (Vorliegen einer arteriellen Gefäßinfiltration) beurteilt (. Abb. 41.2). Am besten eignet sich hierfür das sog. Hydro-CT des Abdomens. Der Magen und das Duodenum werden bei diesen Untersuchungen mit Wasser gefüllt, sodass sich diese gut von den umgebenden Strukturen abgrenzen lassen. Auf eine orale Kontrastmittelgabe sollte dabei verzichtet werden, da es sonst zu einer Verstrahlung kommt und somit die Beurteilung der angrenzenden Organe erschwert ist. Wenn immer möglich, sollte die Schnittbildgebung vor einer indizierten Einlage einer Gallengangsendoprothese erfolgen, da nach Einlage einer solchen Endoprothese die lokale Situation aufgrund der induzierten Entzündung und Artefaktüberlagerung oft nur unzureichend radiologisch beurteilt werden kann.
Prinzipiell sollte jenes Verfahren eingesetzt werden, mit dem in einer gegebenen Einrichtung die größte Expertise besteht. Gegebenenfalls müssen die genannten Verfahren auch komplementär eingesetzt werden.
41.3.5 Thorax-Röntgenaufnahme 41.3.3 Sonographie Die Sonographie kann erste Hinweise über das Vorliegen und das lokale Ausmaß des Tumors und über eine eventuelle Cholestase und Lebermetastasierung anzeigen. Des Weiteren kann bei Vorliegen von Aszites auf eine Peritonealkarzinose geschlossen werden. Bei erfahrenen Untersuchern kann die Endosonographie eine der sensitivsten Untersuchungsverfahren für den Nachweis eines Tumors vor allen Dingen im Bereich der periampullären Tumoren sein. Besonders die lokale Infiltrationstiefe des Tumors ist mit dieser Untersuchung gut zu beurteilen. Allerdings ist diese Untersuchungstechnik extrem Untersucherabhängig. Sie kann somit bei fehlendem Nachweis eines Tumors in der Schnittbildgebung eine ergänzende Massnahme im diagnostischen Algorithmus sein.
41.3.4 Schnittbildgebung:
Computertomographie, MRT/MRCP
41
Die Computertomographie sollte als Multidetektor-Computertomographie mit einem zumindest biphasischen Kontrastmittelprotokoll durchgeführt werden (Pankreasparenchymphase und portalvenöse Phase). Die Schichtdicke sollte ≤3 mm betragen. Die MRT/MRCP sollte mit einer Feldstärke von mindestens 1,5 T und Standardwichtungen (T1 und T2 inklusive MRCP) durchgeführt werden. Die Schichtdicke sollte 5 mm betragen. Bei einem begründeten Verdacht auf das Vorliegen eines Pankreaskarzinoms stellt die Durchführung einer Schnittbildgebung den wesentlichen diagnostischen Schritt dar. Mit dieser Bildgebung wird der Tumor im Pankreas objektiv dargestellt, eine Fernmetastasierung ausgeschlossen und die
Diese dient zum Ausschluss von Lungenmetastasen. Zeigt sich in den bisher aufgeführten Untersuchungsverfahren ein eindeutiger malignitätsverdächtiger Befund des Pankreas und sind weitere Untersuchungen in Bezug auf die lokale Situation nicht notwendig, so wird der Patient entsprechend des in . Abb. 41.3 skizzierten Algorithmus diagnostiziert. Beim Vorliegen eines periampullären Tumors und einer diagnostischen Unsicherheit erbringt eine zusätzliche Endoskopie oft eine zusätzliche diagnostische Information und kann gegebenenfalls zur Therapie eingesetzt werden.
41.3.6 Endoskopie Beim Vorliegen eines periampullären Tumors erlaubt eine Endoskopie meist eine direkte Visualisierung des Befundes. Probeentnahmen aus einem ampullären Tumor sind für die Dignitätsbestimmung häufig nicht ausreichend, da das ampulläre Karzinom der Adenom-Karzinom-Sequenz folgt. Es empfiehlt sich somit in diesen Situationen die Durchführung eines endoskopischen Ultraschalls zur Diagnose der T-Klassifikation. Auch wenn das entnommene Biopsiematerial benigne erscheint, können im verbliebenen Tumorgewebe karzinomatöse Anteile verbleiben, sodass eine vollständige Exzision und histopathologische Aufarbeitung des Papillentumors bei Verdacht auf ein Papillenadenom erfolgen muss. Bei Vorliegen eines malignen Befundes ist die chirurgische Resektion zur Komplettierung und Durchführung der Lymphadenektomie notwendig. Bei der ERCP stellt sich wie auch bei der MRCP das Gallengang- und das Pankreasgangsystem sehr gut dar. Als pathognomonisch für das Vorliegen eines Pankreaskarzinoms gilt
571 41.3 · Diagnostik und Staging
41
a
b
c
d . Abb. 41.2a–d. Bildgebende Diagnostik des Pankreaskarzinoms. a Computertomographie: Pankreaskopfkarzinom mit Infiltration der Pfortader. b Computertomographie: Pankreasschwanzkarzinom mit
Infiltration der A. und V. lienalis. c MRCP: Pankreaskopfkarzinom mit Cholestase und »Double-duct«-Zeichen. d ERCP: Pankreaskopfkarzinom mit »Double-duct«-Zeichen
das Double-Duct-Zeichen (gleichzeitige Stenose bzw. Abbruch des D. pancreaticus und des D. choledochus). Ein weiterer Vorteil der Endoskopie liegt in der Möglichkeit bei Vorliegen eines Verschlussikterus in einer Sitzung neben der Diagnostik auch eine Endoprotheseneinlage zur therapeutischen symptomatischen Gallengangsdrainage einzulegen. Eine Indikation zur Endoprotheseneinlage besteht beispielsweise bei Vorliegen eines Ikterus und primärer Inoperabilität des Tumors, bei geplanter neoadjuvanter Therapie und bei Cholangitis. Präsentiert sich der Patient mit einem manifesten Ikterus und einem resektablen Tumor, sollte hingegen auf eine endoskopische Stenteinlage verzichtet werden, da hierdurch eine Superinfektion der Gallengangssysteme erfolgt und zu postoperativen Komplikationen führt. Hier sollte der Patient rasch einer operativen Resektion zugeführt werden.
41.3.7 Biopsie Eine Biopsie ist bei hochgradigem Verdacht auf das Vorliegen eines operablen Pankreaskarzinoms nicht indiziert. Auf eine Feinnadelpunktion des Tumors sollte in dieser Situation verzichtet werden. Die Sensitivität dieser Untersuchung liegt bei lediglich 65% und wird durch eine gute Schnittbildgebung übertroffen (Hartwig et al. 2009). Vor Beginn einer neoadjuvanten bzw. palliativen Strahlen- und/oder Chemotherapie hat jedoch eine Tumorbiopsie zu erfolgen, da ansonsten diese onkologischen Therapien nicht durchgeführt werden sollten. Bei periampullären Tumoren gelingt meist durch die Endoskopie eine Tumorbiopsie. Beim Vorliegen von mehreren tumorverdächtigen Läsionen sollte vorzugsweise die Raumforderung biopsiert werden, deren Punktion mit dem geringsten Komplikationsrisiko behaftet ist. Somit sollte bei metastasier-
572
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
. Abb. 41.3. Heidelberger diagnostischer Algorithmus: Pankreaskarzinom
tem Pankreaskarzinom in der Regel die Lebermetastase und nicht der Primärtumor biopsiert werden.
41.3.8 Zytologische Diagnostik Eine Bürstenzytologie aus dem Gallengang hat bei Verdacht auf ein Pankreaskarzinom eine zu niedrige Sensibilität und wird deshalb nicht empfohlen. Auch aus dem Pankreasgang erfolgte Bürstenzytologien zum Nachweis eines Pankreaskarzinoms sind nicht zu empfehlen. Deswegen ist eine ERCP zur Gewinnung einer Gewebediagnostik des Pankreaskarzinoms nicht indiziert.
der lokalen Tumorausbreitung dar. Sie sichern die Diagnose und sind bei fehlendem Tumornachweis gegebenenfalls durch eine Endosonographie zu ergänzen. Die endoskopische Diagnostik dient hauptsächlich der Probegewinnung bei periampullären Karziinomen und der Darstellung des pankreatikobiliären Gangsystems, das in der palliativen Situation gegebenenfalls mit einer Papillotomie und Stenteinlage kombiniert werden kann. Eine Probengewinnung sollte in der Regel bei lokal bestehender Resektabilität nicht durchgeführt werden (. Abb. 41.3). Die Diagnostik bei einem Patienten mit einem Pankreaskarzinom bzw. einem Karzinom der periampullären Region verfolgt somit zwei Ziele: 4 Ausschluss von Fernmetastasen 4 Klärung der Resektabilität
41.3.9 Staginglaparoskopie
41
Eine Staginglaparoskopie ist lediglich fakultativ einzusetzen. Sie ist insbesondere dann interessant, wenn sich z. B. auf Grund exzessiv erhöhter CA-19-9-Werte oder bei Aszites der Verdacht auf eine peritoneale Aussaat ergibt, ohne dass in der Bildgebung diese nachweisbar wäre. Bei bis zu einem Drittel der Patienten werden Befunde erhoben, die eine kurative Resektion ausschließen (Schachter et al. 2000; Vollmer et al. 2002). Dieses ist vor allen Dingen bei den im Pankreaskorpus und -schwanz gelegenen Tumoren der Fall.
41.3.10
Zielgerichtete Diagnostik
Nach der Anamnese und der klinischen Untersuchung sind der transabdominelle Ultraschall sowie die Bestimmung von Laborparametern zur ersten Diagnosestellung bzw. zur Metastasensuche geeignet. Die Schnittbildgebung (CT oder MRT) stellt das Standardverfahren zur Beurteilung der Größe des Primärtumors und
41.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Ziel des kurativen Therapieansatzes beim Pankreaskarzinom und beim periampullären Karzinom ist die radikale Resektion (R0-Resektion).
Nur wenn eine Resektion nicht möglich ist, werden eine neoadjuvante Radiochemotherapie mit dem Ziel des Downstagings und ggf. Durchführung der sekundären Resektion oder aber eine palliative Therapie durchgeführt. Chirurgische Zentren operieren das Pankreaskarzinom und periampulläre Tumoren mit einer niedrigen perioperativen Morbidität und Mortalität. Der Zentrumseffekt beruht nicht nur auf der routinierteren Operationstechnik, sondern auch auf einem standardisierten und spezialisierten peri- und postoperativen Management. Die perioperative Mortalität senkt sich in sog. High-Volume-Zentren von 10% auf unter 3%.
573 41.6 · Operationstechnik
Kriterium der Irresektabilität von Seiten des Patienten ist nicht das fortgeschrittene Alter, da die operativen Ergebnisse von Eingriffen am Pankreas bei älteren Patienten mit denen von jüngeren Patientengruppen vergleichbar sind (Lillemoe et al. 1999; Wagner et al. 2004). Im Gegensatz zum chronologischen Alter kann aber aufgrund bestehender Komorbiditäten eine Kontraindikation für einen großen viszeralchirurgischen Eingriff bestehen (Adler et al. 2007). Hierbei sind einzelne Erkrankungsbilder an Hand der Literatur nicht zu spezifizieren. Prinzipiell ist eine sorgfältige präoperative Evaluation des Patienten in Bezug auf kardiale, respiratorische und hepatische Vorerkrankungen durchzuführen, sodass eine Entscheidung, ob eine Pankreasoperation sinnvoll und sicher durchgeführt werden kann, interdisziplinär und mit dem Patienten besprochen werden kann. Eine Irresektabilität von Seiten des Tumors besteht bei Peritonealkarzinose und Vorhandensein von Fernmetastasen auf Grund der fortgeschrittenen systemischen Erkrankung. Eine lokale Inoperabilität besteht heute bei Infiltration der arteriellen Viszeralgefäße (Truncus coeliacus, A. mesenterica superior). Diese Tumorausdehnung wird nach der neuesten WHO-Klassifikation als T4-Stadium eingeteilt. Aufgrund der heute verfügbaren sehr guten bildgebenden Diagnostik ist die Entscheidung zur Laparotomie primär dann gegeben, wenn diese Gefäßstrukturen nicht in den Tumor eingebunden sind. Dennoch ist die endgültige Entscheidung über die Resektabilität des Tumors oft erst intraoperativ nach Laparotomie zu fällen.
41.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Das Operationsverfahren bei einem Pankreaskarzinom oder einem periampullären Karzinom ist von der Lokalisation abhängig. So werden das periampulläre Karzinom und das Pankreaskopfkarzinom mit einer pyloruserhaltenden Pankreaskopfresektion (partielle Pankreatikoduodenektomie, pp-WhippleOperation) oder, falls aus onkologischer Sicht eine Resektion des Pylorus erfolgen muss, ggf. durch eine klassische WhippleOperation mit zusätzlicher distaler Magenresektion therapiert. Ein Korpus- und Kaudakarzinom wird durch eine Pankreasschwanzresektion (Linksresektion) behandelt, wobei die Karzinome im Bereich des Pankreaskorpus im Sinne einer erweiterten Pankreaslinksresektion (Resektionsrand rechts der V. mesenterica superior) reseziert werden. Für eine kurative Therapie ist ein tumorfreier Resektionsrand ausschlaggebend. Dieser kann letztlich nur histologisch geklärt werden. Intraoperativ gilt, dass die angestrebten Resektionsgrenzen makroskopisch ca. 1 cm im Bereich des Pankreasgewebes, im Bereich des Gallenganges sowie des Magens und Pylorus vom Karzinom entfernt sein sollten. Der intraoperative Schnellschnitt sollte dann die Tumorfreiheit der Resektionsränder nachweisen (Adler et al. 2007). Ist ein Resektionsrand tumorbefallen, wird intraoperativ eine Erweiterung der Resektion im Sinne einer Nachresektion beim Pankreaskopftumor nach links bis hin zur totalen Pankreatektomie durchgeführt (Müller et al. 2007).
Beim sicheren Vorliegen eines präampullären Adenoms kann eine Papillenresektion durchgeführt werden. Auch hier sollte eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung zum Ausschluss eines Karzinoms durchgeführt werden. Ziel der Resektion ist eine kurative Resektion. Aufgrund der Veränderung der histologischen Aufarbeitung der Pankreaspräparate ist heutzutage jedoch in ca. 60% der Fälle mit einer R1-Resektion zu rechnenen (Esposito et al. 2008). Während die Absetzungsränder des Pankreas und der Gallengänge in der Regel tumorfrei sind, besteht häufig eine Ausbreitung des Tumors bis <1 mm an den Resektionsrand im dorsalen und vor allem im Bereich des medialen Absetzungsrandes. Durch eine systematische pathologische Aufarbeitung und Tuschemarkierung wird heute dieses häufige Vorkommen von R1-Resektionen diagnostiziert. Prognostisch ist jedoch nach den bisherigen Studien die Prognose der Patienten mit einer R1-Resektion nach neuer Klassifikation identisch zu der nach R0-Resektion nach der alten Klassifikation. Eine palliative Pankreatikoduodenektomie hat in zwei amerikanischen Fallserien einen Überlebensvorteil im Vergleich zur Bypasschirurgie gezeigt. Diese älteren Daten konnten jedoch in einer randomisierten Studie nicht bestätigt werden (Schniewind et al. 2006). Im Rahmen der randomisierten Studie zeigte sich, dass bei einer palliativen Resektion nicht nur die perioperative Morbidität und Mortalität signifikant erhöht war, sondern dass auch die Lebensqualität postoperativ durch die palliative Resektion vermindert war. Gleichzeitig war das mediane Überleben in den beiden Gruppen nicht unterschiedlich, sodass bei vorauszusehender R2-Resektion eine explorative Laparotomie vermieden werden sollte bzw. lediglich eine Bypass-Operation bei Erkennen dieser fortgeschrittenen lokalen Situation angebracht ist.
Somit sollte von einer schon präoperativ absehbaren R2-Resektion aufgrund des schlechten Langzeitverlaufes abgesehen werden, nicht aber von einer potenziellen R1-Resektion.
41.6
Operationstechnik
Die häufigste Pankreasresektion ist die partielle Pankreatikoduodenektomie nach Walter Kausch und Ellen O. Whipple, welche die Therapie der Wahl bei Karzinomen des Pankreaskopfes und der periampullären Region ist. Unabhängig von der Lokalisation wird primär bei der Operation die Operabilität geklärt. Somit ergeben sich für die Pankreastumoren je nach Lokalisation und Ausmaß 1-3 Operationsschritte: 4 Explorationsphase 4 Resektionsphase 4 Rekonstruktionsphase
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574
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
41.6.1 Explorationsphase Zu Beginn der Operation wird nach Laparotomie eine umfassende Exploration des Abdomens durchgeführt. Neben der ausführlichen Inspektion und Palpation der Leber wird vor allem auf das Vorhandensein von einer Peritonealkarzinose geachtet. Eine intraoperative Ultraschalluntersuchung der Leber ist prinzipiell nicht notwendig, wenn präoperativ eine qualitativ hochwertige Schnittbildgebung vorliegt. Allerdings sollte bei suspekten Leberbefunden dennoch eine intraoperative Diagnostik durchgeführt werden. Bei Vorliegen einer Metastasierung in die Leber bzw. einer Peritonealkarzinose (. Abb. 41.4), die durch eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung gesichert werden sollte, ist eine palliative chirurgische Maßnahme im Sinne einer Doppelbypass-Anlage (Hepatikojejunostomie und Gastrojejunostomie) indiziert, wenn eine Cholestase vorliegt bzw. aufgrund der Tumorlokalisation eine Cholestase oder eine Magenausgangsstenose bzw. Duodenalstenose in naher Zukunft zu erwarten ist. Prinzipiell werden bei 30% der Patienten bei lokal inoperablen Tumoren im Verlaufe der verbleibenden Lebenszeit die Ausbildung von Ikterus und Magenausgangsstenose beobachtet, sodass diese Palliation unter diesen Umständen indiziert ist (Lillemoe et al. 1999). Die lokale Resektabilität wird nach dem intraoperativen Ausschluss von Fernmetastasen im Rahmen der Exploration beurteilt: Ausschluss einer Infiltration der A. mesenterica und des Truncus coeliacus. Oft erweist sich erst im Laufe der Resektion, ob der Tumor in sano resektabel ist. Der erste präparatorische Schritt im Rahmen der Exploration ist die Mobilisation des Duodenums und des Pankreaskopfes vom Retroperitoneum (Kocher-Manöver). Hierzu wird zuerst die rechte Kolonflexur mobilisiert. Anschließend wird die Bursa omentalis durch das gastrokolische Ligament eröffnet, so dass durch zum einen eine Tumorinfiltration des Retroperitoneums sowie die Infiltra6
41
. Abb. 41.4. Peritonealkarzinose als Zeichen der Irresektabilität beim Pankreaskarzinom bei diagnostischer Laparoskopie
tion der V. mesenterica superior und der Pfortader erkannt werden kann. Bei im Processus uncinatus vorliegenden größeren Pankreastumoren sollte zum Ausschluss einer Infiltration der A. mesenterica superior ggf. der sog. »Artery-first«Approach durchgeführt werden. Hierzu wird die A. mesenterica superior langstreckig von der Mesenterialwurzel aus bis zur Aorta dargestellt und eine Infiltration der rechtsseitigen Zirkumferenz ausgeschlossen. Abschließend wird die Resektabilität in Bezug auf die Gefäßsituation durch die Darstellung und Präparation der A. hepatica propria bzw. communis bis zum Truncus coeliacus geklärt. Sind zu diesem Zeitpunkt des Eingriffs keine Inoperabilitätskriterien (lokal, systemisch) gefunden, folgt die Resektionsphase.
Bei Tumoren des Pankreaskorpus und -schwanzes wird ebenfalls nach Laparotomie eine Peritonealkarziinose und Fernmetastasierung ausgeschlossen, bevor durch Darstellung des Truncus coeliacus und der A. mes. sup. die lokale Operabilität beurteilt wird. Dieser Schritt der Exploration ist bei allen Pankreaskarzinomen und Karzinomen der periampullären Region notwendig und ist unabhängig von der Lokalisation. Je nach Lokalisation werden dann Standardresektionstechniken durchgeführt.
41.6.2 Standardresektionen
Partielle Pankreatikoduodenektomie (Kausch-Whipple-Operation) Die partielle Pankreatikoduodenektomie nach Kausch/ Whipple ist die Therapie der Wahl bei Karzinomen des Pankreaskopfes und der periampullären Region (. Abb. 41.5).
Primär erfolgt die Präparation des Ligamentum hepatoduodenale mit systematischer Lymphadenektomie der Lymphknoten (Lymphknotengruppe 12). Hierbei wird en bloc die Cholezystektomie durchgeführt und der Gallengang oberhalb der Einmündung des D. cysticus im Bereich des D. hepaticus durchtrennt. Die Tumorfreiheit des Absetzungsrandes des Gallenganges sollte im Schnellschnitt nachgewiesen werden. Die frühe Durchtrennung des Duodenums bzw. bei weit zum Pylorus heranreichenden Karzinom des distalen Magens mit einem Klammernahtgerät erleichtert diese präparatorischen Schritte. Im Bereich des Ligamentum hepatoduodenale bestehen auf Grund der hepatischen Gefäßversorgung häufig akzessorische und apparente Leberarterien, welche erkannt werden müssen. Eine Kompromittierung der Leberper6
575 41.6 · Operationstechnik
fusion im Rahmen einer Whipple-Operation führt zu in der Regel fatalen postoperativen Komplikationen. Die Präparation des Ligaments mit regionaler Lymphknotendissektion wird entlang der A. hepatica propria bis zum Abgang der A. gastroduodenalis und A. gastrica dextra weitergeführt. Es erfolgt dann ein Probeklemmen der A. gastroduodenalis zum Ausschluss einer hämodynamisch relevanten Stenose des Truncus coeliacus. Fortsetzung der Lymphadenektomie entlang der A. hepatica und der rechtsseitigen Hemizirkumferenz des Truncus coeliacus bis zur Aorta. Darstellung der suprapankreatischen Pfortader und wenn onkologisch vertretbar, Erhalt der V. coronaria ventriculi, die den distalen Magen venös drainiert. Die Untertunnelung des Pankreas auf der V. portae bzw. der V. mesenterica superior von supra- und infrapankreatisch erlaubt anschließend die Durchtrennung des Pankreaskorpus linksseitig der Pfortader mit einem Skalpell. Die Tumorfreiheit des Pankreasabsetzungsrandes wird durch eine Schnellschnittuntersuchung nachgewiesen. Die Standardlymphadenektomie bei der Whipple-Operation beinhaltet die Lymphknotendissektion peripankreatisch und die Lymphknotendes Lig. hepatoduodenale, der A. hepatica, und der rechtsseitigen Zirkumferenz des Truncus coeliacus sowie entlang der Pfortader, der V. mesenterica superior und der rechtsseitigen Zirkumferenz der A, mesenterica superior (. Abb. 41.6; Adler et al. 2007). Der abschließende Schritt der Resektionsphase ist die Präparation und Resektion des Pankreaskopfes bzw. des Processus uncinatus von der V. portae sowie der A. und V. mesenterica superior. Dieses führen wir zur Verringerung der R1-Resektionsrate nicht mittels Klemmen oder Staplern durch, sondern mittels Bipolar und Clips, sodass die A. mesenterica superior im gesamten Bereich der rechtsseitigen Hemizirkumferenz bis zur Aorta freipräpariert und dargestellt werden kann. Abschließend wird das proximale Jejunum mittels Stapler durchtrennt und die proximalen 15 cm Jejunum reseziert. Das Operationspräparat wird en- bloc zur histopathologischen Aufarbeitung eingesendet (. Abb. 41.5).
Die Standardresektion des Pankreaskopfes mittels klassischer Kausch-Whipple-Operation oder der pyloruserhaltenden Whipple-Operation zeigt im Rahmen einer Metaanalyse keinen Unterschied in Bezug auf die intra- und postoperative Komplikationsrate sowie die postoperative Lebensqualität. Das wichtigste Resultat dieser Metaanalyse ist jedoch, dass beide Verfahren onkologisch gleichwertig sind und somit je nach Präferenz des Operateurs angewendet werden können (Diener et al. 2006). Aufgrund der kürzeren Operationszeit und des Magenerhaltes wird die pyloruserhaltende Pankreatikoduodenektomie von der Mehrzahl der Chirurgen heute als Standardverfahren bei der Therapie von Tumoren des Pankreaskopfes verwendet. Aus onkologischen Gründen ist selten zum Erreichen einer vollständigen Tumorresektion eine distale Magenteilresektion notwendig.
41
Rekonstruktionsphase. Bei der Rekonstruktion sind ver-
schiedene Verfahren möglich, die von der individuellen Erfahrung und Präferenz des Chirurgen bezüglich der Technik abhängen. Hierbei ist vor allen Dingen die Pankreasanastomose, die den anspruchsvollsten und komplikationsreichsten Teil der Operation darstellt, Gegenstand vieler Untersuchungen. Insuffizienzen der Pankreasanastomose sind die Hauptursache der postoperativen Morbidität und Mortalität und somit von höchster Bedeutung für das perioperative Out-
a
b
c . Abb. 41.5a–c. Operationsschritte der Operation nach KauschWhipple. a Kocher-Manöver: Mobilisation des Pankreaskopfes vom Retroperitoneum. b Darstellung der V. mesenterica superior (SMV) und Pfortader (PV). c Untertunnelung des Pankreas in der Pfortaderebene
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Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
d
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g . Abb. 41.5d–g. d Operationssitus nach Resektion des Pankreaskopfes und Lymphadenektomie: Pankreasresektionsrand (*), V. mesenterica superior, Milzvene (MV) und Pfortader (PV) sowie die V. coronaria ventriculi (kleiner Pfeil), A. hepatica communis (großer Pfeil). e Pankreatikojejunostomie (Seit-zu-End) mit zweireihiger Ein-
zelknopfnahttechnik. f biliodigestive Anastomose (Hepatikojejunostomie; * mit einreihiger Einzelknopf-Nahttechnik, Pankreatikojejunostomie (Pfeil). g antekolische End-zu-Seit Duodenojejunostomie mit zweireihiger fortlaufender Nahttechnik
577 41.6 · Operationstechnik
rungsstörungen im Vergleich zur retrokolischen Rekonstruktion (Hartel et al. 2007).
Distale Pankreatektomie (Pankreaslinksresektion) Die Pankreaslinksresektion ist das Standardverfahren zur Therapie von Tumoren des Korpus- und Kaudabereiches des Pankreas. Bei malignen Tumoren ist zur Durchführung der systematischen Lymphadenektomie die Splenektomie mit zentraler Gefäßabsetzung indiziert.
. Abb. 41.6. Lymphknotenstationen des Pankreas
come der Patienten. Die Grundprinzipien der Spannungsfreiheit und der guten Perfusion gelten auch für die Pankreasanastomose. Cave Unbedingt vermieden werden muss eine Obstruktion des Pankreasganges, da hierdurch eine postoperative Pankreatitis induziert wird.
Zahlreiche Anastomosentechniken wurden in der Vergangenheit beschrieben. Eine Metaanalyse, die die Pankreatikogastrostomie und Pankreatikojejunostomie in Bezug auf das Überleben, die postoperative Komplikationsrate und die Lebensqualität verglich, zeigte keinen Vorteil für das eine oder das andere Verfahren (Wente et al. 2007). Eine Beobachtung ist jedoch, dass durch Manipulation des Magens im Rahmen der Pankreatikogastrostomie gehäuft ein »delayed gastric emptying syndrome« postoperativ auftritt. In Heidelberg führen wir eine zweireihige End-zu-Seit-Pankreatikojejunostomie durch. Hierbei ist wesentlich, dass die innere Nahtreihe den Pankreasgang durch separate Nähte offen hält so dass eine Obstruktion des Pankreasganges vermieden wird. Wesentlich ist auch eine weite Mobilisation des linksseitigen Restpankreas, so dass eine ausreichende dorsale Deckung der Pankreashinterwand mit dem Jejunum gewährleistet ist (. Abb. 41.5). Im Anschluss erfolgt die Gallengangsanastomose (. Abb. 41.5), die mit der gleichen Jejunalschlinge im Allgemeinen durchgeführt wird. Wir führen eine End-zu-Hepatiko-Jejunostomie mit Einzelknopfnähten durch. Abschließend führen wir mit der gleichen Schlinge nach Fixation der hochgezogenen Jejunalschlinge im Mesokolon eine antekolische Duodeno- bzw. Gastrojejunostomie durch (. Abb. 41.5). Der Vorteil der antekolischen Anlage ist eine deutlich niedrigere Rate an postoperativen Magenentlee-
Nach Exploration des Abdomens wird das Pankreas durch das Eröffnen der Bursa omentalis dargestellt. Zusätzlich erfolgt die Durchtrennung des Ligamentum gastrolienale und die Mobilisation der linken Kolonflexur. Primär erfolgt die Darstellung der zentralen Gefäße im Bereich des Truncus coeliacus sowie die Darstellung der A. gastrica sinistra und A. lienalis sowie A. hepatica communis. Ebenfalls sollten die V. mesenterica superior und die V. portae am Pankreasober- und -unterrand dargestellt und das Pankreas auf der Ebene der V. mesenterica superior durchtrennt werden. Nach Durchtrennung der Milzgefäße im Bereich des Konfluens und am Abgang aus dem Truncus coeliacus kann dann der Pankreasschwanz zusammen mit der Milz in toto inklusive der peripankreatischen und zentralen Lymphknoten reseziert werden. Bei dorsaler Tumorlage wird in diesen Fällen die Nebenniere zum sicheren Erhalt einer R0-Resektion ebenfalls mitreseziert.
Alternativ zu diesem zentral beginnenden Resektionsverfahren kann auch primär die Mobilisation der Milz und des Pankreasschwanzes aus dem Retroperitoneum erfolgen. Hierbei ist jedoch die Übersicht im Bereich der zentralen Gefäße vor allem bei korpusnahen Tumoren nicht so gut gegeben. Die Hauptkomplikation nach Pankreaslinksresektion ist die Pankreasfistel. Multiple Transsektionstechniken wurden beschrieben. Die vorhandene Datenlage von systematischen Übersichtsarbeiten zeigen jedoch, dass der Verschluss des Pankreas nach Linksresektion durch Handnaht oder Stapler gleich gut zu sein scheint. Allerdings liegt die Fistelrate bei den unterschiedlichen eingeschlossenen Studien zwischen 0 und 40%. Ob das Pankreas mittels Handnaht oder Stapler verschlossen werden sollte, wird zurzeit eine Multicenterstudie (DISPACT-Studie) durchgeführt (. Abb. 41.7). Der Abschluss der Studienallokation steht unmittelbar bevor.
Totale Pankreatektomie Dieser Eingriff ist mit einem kompletten Verlust der endound exokrinen Pankreasfunktion und mit einem entsprechend gestörten metabolischen Gleichgewicht verbunden. Obwohl in älteren Publikationen eine verminderte Überlebenszeit im Vergleich zur Pankreatikoduodenektomie oder zur Pankreaslinksresektion berichtet wurde, gilt heute, dass eine vollständige R0-Resektion der entscheidende prognostische Faktor für das langfristige Überleben nach einer Pankreasresektion bei einem Karzinom ist.
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Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
. Abb. 41.7. Pankreaslinksresektion: Verschluss des Resektionsrandes. a Handnaht. b Stapler. SMV V. mesenterica superior, SV Milzvene
Somit sollte eine totale Pankreatektomie immer dann durchgeführt werden, wenn durch eine partielle Pankreasresektion (Pankreaskopfresektion oder Pankreaslinksresektion) eine kurative Resektion nicht möglich ist.
Dieses Vorgehen wird durch die Daten aus dem eigenen Patientengut unterstützt (Müller et al. 2007). Es zeigt sich bei diesem Vergleich von pyloruserhaltender Pankreaskopfresektion und Patienten nach totaler Pankreatektomie kein Unterschied in Bezug auf die perioperative Komplikationsrate und Letalität und kein Unterschied in Bezug auf die postoperative Lebensqualität. Die moderne Insulintherapie postoperativ auf der Intensivstation und langfristig ambulant führt somit zu einer weiteren Option bei fortgeschrittenem Pankreaskarzinom.
Ampullektomie/Papillektomie
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Die onkologische Radikalität bei periampullären Karzinomen sollte identisch sein zu der Operation bei Pankreaskarzinom. Somit ist die partielle Pankreatikoduodenektomie, vorzugsweise die pyloruserhaltende Operation durchzuführen. Bei benignem Papillenadenom ist die lokale Ampullektomie das Verfahren der Wahl, welches ggf. auch endoskopisch durchgeführt werden kann. Auf jeden Fall muss nach endoskopischer oder operativer lokaler Resektion periinterventionell die Diagnose eines Karzinoms ausgeschlossen werden. Bei der operativ durchgeführten Ampullektomie/Papillektomie wird nach explorativer Laparotomie und Mobilisation der rechten Kolonflexur primär das Kocher-Manöver durchgeführt. Im Anschluss wird das Duodenum im Bereich der Ampulle in vertikaler Richtung eröffnet (. Abb. 41.8). 6
Danach wird die Papille nach Setzen von Haltefäden im Bereich der Mukosa herauspräpariert und der D. choledochus werden dargestellt. Nach Durchtrennung der beiden Gänge werden diese reinseriert und das Duodenum im Anschluss mit einer fortlaufenden Naht verschlossen.
41.6.3 Erweiterte Resektionsstrategien Neben den bisher aufgeführten Standardresektionen sollte bei lokal fortgeschrittenen Tumoren eine erweiterte Resektion durchgeführt werden (Werner et al. 2008). In der Folge werden die einzelnen technischen Möglichkeiten aufgeführt:
Venöse Resektion Aufgrund der anatomischen Gegebenheiten findet sich intraoperativ häufig die Situation einer nachgewiesenen bzw. hochgradig verdächtigen Infiltration des Tumors in die V. mesenterica superior oder die Pfortader. Die Resektion der V. mesenterica superior und der Pfortader im Rahmen der Pankreaskopfresektion oder erweiterten Pankreaslinksresektion ist in den publizierten Studien nicht durch eine erhöhte R1-Resektionsrate und durch eine mit den Standardresektionen vergleichbare perioperative Morbidität und Langzeitprognose verbunden. Eine Infiltration der Pfortader und der V. mesenterica superior wird deshalb heute nicht als Kontraindikation für eine Tumorresektion angesehen (Müller et al. 2009; Adler et al. 2007). Die Pfortader wird nach Resektion im Allgemeinen im Sinne einer End-zu-End-Anastomose reanastomosiert, lediglich bei langstreckigen Resektionen muss ein Venen-Graft oder eine Prothese, z. B. ringverstärkte Goretex-Prothese, zur Rekonstruktion der Pfortader verwendet werden (. Abb. 41.9). Im Rahmen der venösen Resektion zeigte sich in den verschiedenen klinischen Serien eine histologische Bestätigung der
579 41.6 · Operationstechnik
a
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a
b
b
c
c . Abb. 41.8a–c. Papillektomie. a Nach Durchführung des Kochermanövers und Duodenotomie erfolgt die Darstellung und Präparation des Papillenadenoms. Hierzu setzen von Haltefäden und Sondierung des Gallenganges. b Nach erfolgter Resektion, Sondierung des Pankreas und Gallenganges und Refixation. c Ergebnis nach Rekonstruktion und Einnaht des Ductus choledochus und Ductus pancreaticus. Im Abschluss erfolgt der Verschluss der Duodenotomie
Infiltration in 30–80% der Fälle, welches aufgrund der jeweils im Zentrum durchgeführten angestrebten Radikalität zu begründen ist. Da in den meisten Studien die notwendige venöse Resektion im Vergleich zu Tumoren, die keine Infiltration der Vene aufwiesen, als sinnvolle Erweiterung des operativen Eingriffes angesehen wird, ist die venöse Infiltration eher Konsequenz der Tumorlokalisation als der Tumorbiologie.
. Abb. 41.9a–c. Pankreaskopfresektion mit Pfortader/Mesenterialvenenresektion. a Pankreakarzinom mit Infiltration der Pfortader, der V. mesenterica superior und der Milzvene (letztere ist bereits links durchtrennt). Resektion entlang der A. hepatica communis, Truncus coeliacus und der A. mesenterica superior. Letztlich ist der Pankreaskopftumor (Pfeil) lediglich noch im Bereich der V. mesenterica superior und der Pfortader adhärent. b Rekonstruktion der Pfortader nach Resektion des Pankreaskopftumors (. Abb. 41.9a) mit einer End-zu-End-Anastomose (Pfeil). c Interposition einer Goretex-Prothese (Pfeil) bei langstreckiger Resektion der Pfortader
Arterielle Resektion Im Gegensatz zur venösen Resektion ist der Stellenwert einer arteriellen Resektion im Rahmen der Pankreaschirurgie sehr umstritten. Insgesamt existieren nur einige kleinere Fallserien. Eine solche Eingriffserweiterung ist nicht nur mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden, sondern es ist insbesondere der Nachweis der onkologischen Sinnhaftigkeit
580
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
noch nicht geführt. Aufgrund der Infiltration des neuralen Plexus bei arterieller Invasion, liegen in der Regel R1-Resektionen vor, sodass zumindest bei Truncus-coeliacus-Infiltration und A.-mesenterica-superior-Infiltration eine arterielle Resektion nur als individuelle Einzelfallentscheidung durchgeführt werden sollte. Bei Infiltration der peripheren A. hepatica ist die Resektion onkologisch eher vertretbar, da bei einer kurzstreckige Resektion der A. hepatica keine zentrale Infiltration des Truncus coeliacus und des Retroperitoneums vorliegen muss. Allerdings ist auch hierzu die Datenlage ohne große Evidenz. Bei fortgeschrittenem Pankreasschwanz und -korpuskarzinomen kann bei Infiltration des Truncus coeliacus eine Erweiterung der Operation im Sinne einer Appleby-Operation mit Pankreaslinksresektion und En-bloc-Resektion des Truncus coeliacus und des Magens notwendig sein. In der Tat haben kleinere Fallserien hierbei sehr gute R0-Resektionsraten und ein medianes Überleben von 22 Monaten zeigen können. Voraussetzung für diese radikale Erweiterung der Pankreaslinksresektion ist eine aufgrund der Trunkusstenose bereits vorhandene Perfusion der Leber über die A. mesenterica superior via A. gastroduodenalis.
Prinzipiell ist aber die Infiltration der zentralen Viszeralarterien (Truncus coeliacus, A. mesenterica superior) eine Kontraindikation für eine primäre Pankreasresektion (Adler et al. 2007).
Langzeitprognose nach Multiviszeralresektionen getroffen werden. Unsere eigenen Daten zeigen, dass eine Multiviszeralresektion eine längere Operationszeit und einen höheren Blutverlust perioperativ sowie einen längeren Krankenhausaufenthalt postoperativ zur Folge hat. Durch Multiviszeralresektionen kam es in unserem Patientengut zu einer Erhöhung der perioperativen Morbidität bei gleicher Letalität. Wichtig ist jedoch, dass das Langzeitüberleben der Patienten nach Standardoperationen im Vergleich zu dem nach Multiviszeralresektionen bei lokal fortgeschrittenen Karzinomen identisch war. In unserem Patientengut war die 5-Jahres-Überlebensrate bei Multiviszeralresektion nicht signifikant schlechter als nach Standardresektion eines nicht die Nachbarorgane infiltrierenden Tumors (Hartwig et al. 2009). Somit ist bei Patienten, bei denen eine Multiviszeralresektion wegen eines Adenokarzinoms des Pankreas notwendig ist, das Langzeitüberleben identisch zu kleineren Karzinomen. Das Hauptziel, eine kurative Resektion zu erzielen, wird durch die Multiviszeralresektion bei fortgeschrittenen Tumoren somit onkologisch sinnvoll erzielt. Daher sollte im Falle einer Infiltration von Nachbarorganen (Kolon, Dünndarm, Nebenniere, Leber, Magen etc.) eine En-bloc-Multiviszeralresektion durchgeführt werden (. Abb. 41.10).
Erweiterte Lymphadenektomie
In der Vergangenheit haben Fallserien über die Resektion von benachbarten Organen im Rahmen von Pankreasresektionen berichtet. Da 35% aller Patienten mit lokal fortgeschrittenem Pankreaskarzinomen operiert werden, ist eine Infiltration von Nachbarorganen häufig zu beobachten. Während Studien in der Vergangenheit gezeigt haben, dass die Morbidität bei erweiterten Multiviszeralresektionen erhöht ist, konnte bisher keine Aussage zur onkologischen Sinnhaftigkeit und der
Der Stellenwert einer erweiterten Lymphadenektomie im Rahmen der Chirurgischen Therapie des Pankreaskarzinoms ist in der Literatur eindeutig widerlegt worden. Ziel einer erweiterten Lymphadenektomie ist, die auch bei frühen Krankheitsstadien des Pankreaskarzinoms bereits bestehende perineurale Infiltration und Lymphknotenmetastasierung durch eine auch das Retroperitoneum mit einbeziehende erweiterte Lymphadenektomie zu kontrollieren (. Abb. 41.11). Tatsächlich zeigten aber vier randomisierte kontrollierte Studien (Pedrazoli et al. 1998; Yeo et al. 2002; Nimura et al. 2005, Farnell et al. 2005), dass bei vergleichbarem Überleben in der Stadard- versus erweiterten Lymphadenektomiegruppe die perioperative Morbidität signifikant in der erweiterten Lymphadenektomiegruppe erhöht war. Dieses wurde durch
. Abb. 41.10a,b. Multiviszeralresektion bei Pankreaskarzinom. a Präoperatives CT: Pankreaskarzinom mit Infiltration des Magens
und der Pfortader. b Resektionspräparat: Pankreaslinksresektion mit En-bloc-Resektion des Magens, der Pfortader (Pfeil) und der Milz
Multiviszeralresektion
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a
b
581 41.6 · Operationstechnik
a
41
b . Abb. 41.11. Erweiterte Lymphadenektomie. a CT eines Pankreaskopfkarz mit Infiltration des Retroperitoneums. IVC Vena cava inferior, LRV linke Nierenvene
eine Metaanalyse (Michalski et al. 2006) ebenfalls gezeigt. Die postoperative Morbidität bei erweiterter Lymphadenektomie war vor allem durch Magenentleerungsstörungen und Diarrhoen bedingt. Somit ist eine routinemäßig erweiterte Lymphadenektomie im Rahmen der operativen Therapie des Pankreaskarzinoms nicht zu empfehlen. In der klinischen Praxis findet sich selten ein isoliertes Lokalrezidiv, das durch eine verbesserte operative lokale Kontrolle hätte verhindert werden können. Erst durch eine verbesserte Kontrolle der systemischen Tumoraussaat kann vermutlich das Überleben der Pankreaskarzinompatienten verlängert werden.
Metastasen Bei Vorliegen von Fernmetastasen besteht eine generelle Kontraindikation für eine chirurgische Resektion (Adler et al. 2007). Wird jedoch eine limitierte Fernmetastasierung im Rahmen der explorativen Laparotomie intraoperativ festgestellt, kann das Pankreaskarzinom und die Resektion der Fernmetastase technisch durchgeführt werden. Dieses ist auch ohne Erhöhung der perioperativen Morbidität möglich (Shrikande et al. 2006). Während das mediane Überleben in unserem Patientengut bei Metastasen im Bereich der interaortokavalen Lymphknoten in etwa dem Langzeitüberleben nach Standard-Whipple-Operation (27 Monate) entsprach, war das Überleben der Patienten mit lokaler Peritonealkarzinose und Lebermetastasen limitiert (12,9 Monate median). Somit erscheint eine Resektion von Metastasen nur bei hochselektiven Patienten sinnvoll. Das gute Überleben bei positiven interaortokavalen Lymphknoten rechtfertigt die erweiterte Lymphadenektomie bei Befall dieser Lymphknoten, während das Vorhandensein von Lebermetastasen nur bei
gleichzeitig komplikationsfrei durchzuführenden Pankreasresektionen im Einzelfall erwogen werden sollte. Algorithmus: Therapie des periampullären Karzinoms und des Pankreaskarzinoms 4 Lokal resektable Tumoren werden primär exploriert und auch bei Vorliegen einer venösen Infiltration oder der Infiltration von Nachbarorganen primär reseziert. Im Anschluss daran erfolgt eine adjuvante Chemotherapie. 4 Bei lokal primär nicht-resektablen Tumoren mit fraglicher Infiltration des Truncus coeliacus und der A. mesenterica superior wird primär eine neoadjuvante Radiochemotherapie mit Versuch eines Downstagings durchgeführt. Im Anschluss erfolgt die explorative Laparotomie und bei Vorliegen einer sekundären Resektabilität die Resektion mit postoperativer adjuvanter Chemotherapie. 4 Bei Persistenz der Irresektabilität wird ggf. eine biliodigestiven Anastomose und Gastroenterostomie angelegt und mit postoperativer palliativer Chemotherapie kombiniert. 4 Im Falle von Fernmetastasen und dem Verdacht auf Peritonealkarzinose wird eine Tumorbiopsie zur Diagnosesicherung durchgeführt, um im Anschluss eine palliative Chemotherapie zu applizieren (. Abb. 41.12).
582
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
. Abb. 41.12. Heidelberger therapeutischer Algorithmus beim Pankreaskarzinom
41.7
Postoperative Komplikationen
Die wichtigsten Komplikationen der Pankreaschirurgie 4 Anastomoseninsuffizienz/Pankreasfisteln 4 Verzögerte Magenentleerung (DGE, »delayed gastric emptying«) 4 Blutungen 4 Intraabdominelle Abszesse
Die International Study Group of Pancreatic Surgery hat in den letzten Jahren die typischen Komplikationen in der Pankreaschirurgie eindeutig definiert. Dies wird in der nahen Zukunft u. a. für eine verbesserte Vergleichsmöglichkeit von Studienergebnissen unterschiedlicher Institutionen sorgen und macht ein optimiertes Komplikationsmanagement möglich. Anastomoseninsuffizienz/Pankreasfistel. Die Pankreasfistel
41
ist als eine abnorme Kommunikation zwischen dem Pankreasgang und einer anderen epithelialen Oberfläche definiert (. Tab. 41.5; Büchler et al. 2000; Bassi et al. 2005). Eine Arrosionsblutung, welche bei bekannter Pankreasfistel bzw. Anastomoseninsuffizienz auftritt, ist lebensbedrohlich und führt bei zu später oder inkonsequenter Behandlung zu einer fatalen, weder interventionell noch operativ beherrschbaren Situation. Bei postoperativ auftretender Pankreasfistel oder Anastomoseninsuffizienz wird bei Zeichen einer Infektion und Nachweis eines intraabdominellen Verhaltes (Differenzialdiagnose: Hämatom, Abszess), in der Regel eine interventionelle Drainage notwendig. Bei guter Drainage der Pankreasfistel kann diese postoperativ ohne weitere Maßnahmen ausheilen. Diese Art der Fistel (Typ-B-Fistel) ist interventionell thera-
pierbar, während bei der Typ-C-Fistel aufgrund der klinischen Instabilität des Patienten oft ein prolongierter intensivmedizinischer Aufenthalt sowie eine potenzielle lebensbedrohliche Komplikation wie Arrosionsblutung auftreten kann. Blutungen. Blutungen nach Pankreasresektion werden nach
verschiedenen Kriterien eingeteilt bzw. beurteilt. Wichtig ist der Zeitpunkt der Blutung (früh vs. spät). Häufig kommt es zu selbstlimitierenden Blutungsepisoden, die jedoch unbedingt
. Tab. 41.5. Klassifikation der postoperativen Pankreasfistel (POPF; ISGPS-Definition)
Schweregrad
A
B
C
Spezifisches Therapie*
Nein
Ja/Nein
Ja
CT (wenn durchgeführt)
Negativ
Negativ/ Positiv
Positiv
Persistierende Drainage (>3 Wochen)**
Nein
Meistens Ja
Ja
Reoperation
Nein
Nein
Ja
POPF-bedingte Letalität
Nein
Nein
Ggf. Ja
Infektion
Nein
Ja
Ja
Sepsis
Nein
Nein
Ja
Wiederaufnahme
Nein
Nein/Ja
Ja/Nein
* partielle oder totale parenterale Ernährung, Antibiose, enterale Ernährung, Somatostatin oder Analogon, Interventionelle Drainage # mit oder ohne Drainage intraabdominell]
583 41.8 · Adjuvante Therapie und neoadjuvante Therapie des Pankreaskarzinoms
konsequent diagnostisch abgeklärt werden müssen. Bei initialer Blutungsepisode ist deswegen immer eine angiographische Darstellung der Viszeralarterien notwendig, um eine fulminante Blutung oder ein Pseudoaneurysma auszuschließen. Bei fulminanter Blutung ist dann eine radiologische Emoblisation des blutenden Gefäßes oder bei kardiorespiratorisch instabilem Patienten eine chirurgische Blutstillung notwendig. Aufgrund der insgesamt besseren Ergebnisse werden die radiologischen interventionellen Techniken den operativen Interventionen bei Blutungen vorgezogen. Allerdings ist ggf. nach einer Initialblutung und primärer Embolisation eines Gefäßes bei persistierender Pankreasanastomoseninsuffizienz und septischem Krankheitsbild eine Restpankreatektomie notwendig (Büchler et al. 2003). Magenentleerungsstörung. Eine der häufigsten Komplika-
tionen nach Pankreasresektion stellt die postoperative Magenentleerungsstörung dar (»delayed gastric emptying«; DGE). Diese tritt mit einer Inzidenz von 5–30% auf und wird vor allen Dingen nach retrokolischer Rekonstruktion der Gastroenterostomie beobachtet. Eine einheitliche Definition der Magenentleerungsstörung wurde nun auch von der ISGPS durchgeführt (Wente et al. 2007). Eine Magenentleerungsstörung wird als die Unmöglichkeit der Nahrungsaufnahme die für länger als eine Woche postoperativ anhält, definiert (. Tab. 41.6). Bei Vorliegen einer Magenentleerungsstörung ist eine Fokussuche nach einer potenziell therapierbaren Ursache notwendig. Dieses kann an einer Anastomosenproblematik oder an einem intraabdominellen Verhalt wie Abszess oder Hämatom liegen. Die weiteren therapeutischen Maßnahmen erfolgen dann entsprechend kausal oder bei funktioneller Problematik symptomatisch.
41.8
Adjuvante Therapie und neoadjuvante Therapie des Pankreaskarzinoms
41.8.1 Adjuvante Therapie Die chirurgische Therapie ist die einzige potenziell kurative Therapieoption beim Pankreaskarzinom. Allerdings liegt das Langzeitüberleben nach Resektion lediglich bei ca. 20%. Sowohl Lokalrezidive wie auch Fernmetastasen spielen bei den Tumorrezidiven eine Rolle. Voraussetzung für eine adjuvante Therapie des Pankreaskarzinoms ist die kurativ inten-
dierte Pankreasresektion (R0/R1). Unabhängig von der RKlasse-Situation sollte deshalb innerhalb von 6 Wochen nach Operation mit einer adjuvanten Chemotherapie begonnen werden. Dies ist aus zwei randomisiert kontrollierten Multicenterstudien sowie einer Metaanalyse bestätigt (Neoptolemos et al. 2004; Stocken et al. 2005, Oettle et al. 2007; Neoptolemos et al. 2009). Zurzeit wird eine Chemotherapie mit Gemcitabin oder FU-Folinsäure empfohlen. Die Frage bezüglich des wirksamsten adjuvanten Schemas ist allerdings noch nicht geklärt. Die ESPAC-1-Studie zeigte erstmals, dass die adjuvante Chemotherapie mit 5-FU das Leben verbessert, während eine adjuvante Radiochemotherapie dieses eher verschlechtert. Die CONCO-001-Studie zeigte, dass Gemcitabin signifikant das Überleben im Vergleich zur reinen postoperativen Überwachung verlängert. Die neuesten Daten der ESPAC-3-Studie zeigen, dass die beiden Chemotherapeutika 5-FU-Folinsäure sowie Gemcitabin in Bezug auf das Überleben gleichwertig sind. In Bezug auf die Toxizität zeigte sich ein leichter Vorteil mit Gemcitabin. Aufgrund dieser aktuellen Studien ist zurzeit die adjuvante Chemotherapie mit Gemcitabin oder 5-FU-Folinsäure Standard. Viele Kombinationschemotherapien und Radioimmuntherapien werden derzeit evaluiert und mit diesen Standardtherapie-Regimen verglichen und evaluiert. Eine abschließende Beurteilung zu diesen Kombinationstherapien besteht zurzeit jedoch nicht. Auch ein Vorteil einer adjuvanten Radiochemotherapie konnte nicht gezeigt werden. Auch im Falle einer R1-Resektion sollte grundsätzlich eine postoperative Chemotherapie durchgeführt werden, auch wenn von einigen Autoren eine Durchführung einer additiven Radiochemotherapie empfohlen wird (Adler et al. 2007). Für das periampulläre Karzinom ist der Stellenwert einer adjuvanten Chemotherapie nach R0-Resektion bisher noch nicht in gleicher Weise wie für das Pankreaskarzinom belegt. Nach R1-Resektion sollte individuell über die Durchführung einer additiven Chemo- oder Radiotherapie entschieden werden. Prinzipiell wird jedoch eine Chemotherapie analog zum Pankreaskarzinom durchgeführt.
41.8.2 Neoadjuvante Therapie Eine neoadjuvante Therapie des Pankreaskarzinoms (neoadjuvante Chemotherapie oder Radiochemotherapie) ist nur
. Tab. 41.6. Klassifikation der verzögerten Magenentleerung nach Pankreaschirurgie (»delayed gastric emptying«; ISGPS-Definition)
Schweregrad
Magensonde
Kein Essen bis zum
Erbrechen/ Magendilatation
Prokinetika
A
4–7 Tage oder neu ab 3. Tag
7. Tag
+/–
+/–
B
8–14 Tage oder neu ab 7. Tag
14. Tag
+
+
C
>14 Tage oder neu ab 14.Tag
21. Tag
+
+
Zum Ausschluss eines mechanischen Hindernisses des Magenausganges muss die Gastrojejunostomie bzw. die Duodenojejunostomie endoskopisch oder mittels Gastrographinschluck evaluiert werden
41
584
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
bei lokal inoperablem Patienten indiziert und sollte nach Möglichkeit nur im Rahmen klinischer Studien erfolgen. Aufgrund des Mangels prospektiv randomisierter Daten kann keine generelle Empfehlung für eine intraoperative Radiotherapie gegeben werden, so dass diese nur in Studien oder als individuelle Therapieentscheidung durchgeführt werden sollte (Adler et al. 2007). In Heidelberg führen wir bei lokal primär nicht-resektablem Pankreaskarzinom eine neoadjuvante Radiochemotherapie durch, um ein Downsizing zu erreichen. Die Patienten werden nach erfolgter Radiochemotherapie exploriert und in ca. 20–30% der Fälle ist eine sekundäre Resektion möglich.
41.8.3 Additive Chemotherapie Zum jetzigen Zeitpunkt kann der Stellenwert einer additiven Chemotherapie nach R0-Resektion von Metastasen nicht abschließend beurteilt werden. Wie der Stellenwert der Metastasenresektion kann auch der Stellenwert einer additiven Chemotherapie nach einer R0-Metastasenresektion aufgrund der Datenlage derzeit nicht beurteilt werden. Wie bereits zuvor ausgeführt, sollte deswegen bei nachweisbaren Fernmetastasen eine Resektion eines Pankreaskarzinoms trotz gegebener technischer Resektabilität im Regelfall unterbleiben.
41.9
41
Palliation
Zu den Leitsymptomen eines fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms zählen der Ikterus, die symptomatische Duodenalstenose und Schmerzen. Ist ein kurativer Therapieansatz nicht mehr möglich, sollte symptomatisch behandelt werden. Endoskopische, interventionelle und chirurgische Maßnahmen können in dieser Situation angewendet werden. Besteht beispielsweise bei dem Patienten eine symptomatische Duodenalstenose, kann diese durch eine Stenteinlage oder durch einen chirurgischen Bypass (Gastroenterostomie) behandelt werden. Bei einer Cholestase durch Gallengangsstenose ist eine endoskopische Stenteinlage, eine interventionelle perkutan eingebrachte Drainage oder Stenteinlage sowie eine chirurgisch durchgeführte biliodigestive Anastomose möglich (Isayama et al. 2004; Moss et al. 2006; Müller et al. 2008). Aufgrund fehlender evidenzbasierter Daten wird aktuell ein individualisiertes Vorgehen praktiziert. So wird in der Regel bei lokaler Inoperabilität bei explorativer Laparotomie ein Doppelbypass (biliodigestive Anastomose und Gastroenterostomie) angelegt, während bei metastasierten Tumorstadien, die primär nicht exploriert werden, primär ein interventionelles endoskopisches Vorgehen favorisiert wird (Müller et al. 2008). Seit den Studien von Mallinson (1980), Palmer (1994) und Glimelius (1996) hat sich die Chemotherapie in der Palliativsituation gegenüber der besten supportiven Therapie sowohl hinsichtlich des Überlebens der Patienten als auch hinsichtlich der Lebensqualität als überlegen erwiesen. Dies wird in einer aktuellen Cochrane-Analyse bestätigt (Yip et al. 2006). Gemcitabin wird als Standard in der palliativen Chemothera-
pie des Pankreaskarzinoms etabliert. Der Stellenwert neuer Kombinationschemotherapien wurde in zahlreichen Phase 3-Studien untersucht. Die Bedeutung von molekularen Therapien (»targeted therapies«) wurde und wird in Phase 3-Studien ebenfalls zurzeit untersucht. Die Mehrzahl der abgeschlossenen Studien steht noch nicht als Vollpublikation zur Verfügung, so dass eine abschließende Bewertung dieser Substanzen noch nicht möglich ist. Kombinationstherapien von Gemcitabin mit Cisplatin oder Oxaliplatin wurden in randomisierten Studien evaluiert. Obwohl beide einen Vorteil zugunsten der Kombinationstherapie bezüglich des Tumoransprechens zeigten, gab es kein signifikant verlängertes Überleben, so dass bei erhöhter Rate von Nebenwirkungen die Monotherapie mit Gemcitabin heute als Standard der palliativen Therapie anzusehen ist. Somit ist eine primäre palliative Chemotherapie mit Gemcitabin zu beginnen. Eine Kombination mit Gemcitabin und Erlotinib und beim lokal fortgeschrittenen inoperablen Tumor bei Patienten mit sehr gutem Performance-Status auch die Kombination von Gemcitabin mit einem Platin analog oder Capecitabin kann ggf. sekundär erwogen werden (Adler et al. 2007). Eine palliative Strahlentherapie ist beim Pankreaskarzinom nicht indiziert. Für Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom gibt es keine spezifischen Ernährungsempfehlungen. Im Allgemeinen sollten bei Patienten mit malignen Tumoren aufgrund des progredienten Gewichtsverlustes auf energetisch ausreichende Nährstoffzufuhr geachtet werden. Bei unzureichender spontaner Nahrungsaufnahme kann einer ergänzende oder totale enterale Ernährung zur Minimierung des Gewichtsverlustes beitragen.
41.10
Prognose
Aufgrund der unspezifischen Symptomatik des Pankreaskarzinoms erfolgt die Diagnose häufig erst im späten Stadium, so dass die Inzidenzrate weitgehend der Mortalitätsrate entspricht. In Deutschland liegt das Pankreaskarzinom an vierter Stelle der tumorbedingten Todesfälle. Trotz aller Fortschritte im Bereich der operativen und postoperativen Therapie bleibt die Prognose von Patienten mit einem Pankreaskarzinom weiterhin schlecht. Die 5-Jahres-Überlebensrate für alle an einem Pankreaskarzinom erkrankten Patienten liegt bei unter 5%. Dieses steigt nur bei einer kurativen Resektion auf ca. 25% an und erreicht bei einer Untergruppe von Patienten mit negativen Lymphknoten und freiem Resektionsrand sogar 40%. Somit ist der wesentliche prognostische Faktor bezüglich des Langzeitüberlebens die kurative Resektion und damit die Erfahrung des Chirurgen bzw. des Zentrums. Zusätzlich, aber weniger Bedeutung kommen den tumorbedingten prognostischen Faktoren wie Gefäßinvasion, Lymphangiosis und Grading zu. Eine im Vergleich zum Pankreas deutlich bessere Prognose besteht bei Patienten mit einem primär periampullären Karzinom. Hier ist die 5-Jahres-Überlebensrate 64–80% sofern keine Lymphknoten befallen sind, und 20–40% bei lymphknotenpositiven Tumoren.
585 41.11 · Nachsorge
41.11
Nachsorge
Eine strukturierte Nachsorge kann beim Pankreaskarzinom stadienunabhängig nur bedingt empfohlen werden (Adler et al. 2007). In unserer Institution wird jedoch in drei- bis viermonatlichen Abständen regelmäßig eine Nachsorge in unserer Ambulanz durchgeführt, wo neben einer körperlichen Untersuchung die Abnahme der Tumormarker und eine Bildgebung erfolgen. Bei isolierten Lokalrezidiven kann nach unserer Erfahrung eine potenzielle kurative Resektion auch sekundär noch erzielt werden. So ist bei den Patienten, die ein mindestens neunmonatiges rezidivfreies Intervall nach primärer Resektion hatten, das mediane Überleben nach Sekundärresektion des Lokalrezidives in unserem Hause 23 Monate. Aufgrund dieser Daten halten wir eine engmaschige Nachsorge auch für Patienten mit einem Pankreaskarzinom für sinnvoll. Literatur Adamek HE, Albert J, Breer H et al. (2000) Pancreatic cancer determination with magnetic resonance cholangiopancreatography and endoscopic retrograde cholangiography: a prospective controlled study. Lancet 356: 190–193 Adler G, Seufferlein T, Bischoff SC et al. (2007) S-3 Leitlinie Exokrines Pankreaskarzinom. Z Gastroenterol 45: 487–523 Bartsch DK, Sina-Frey M, Lang S et al. (2002) CDKN2A germline mutations in familial pancreatic cancer. Ann Surg 236: 730–737 Bassi C, Dervenis C, Butturini G, et al. (2005) POstoperative pancreatic fistula: an international study group (ISGPF) definition. Surgery 138: 8–13 Birkmeyer JD, Siewers AE, Finlayson EV, Stukel TA, Lucas FL, Batista I, Welch HG, Wennberg DE (2002) Hospital volume and surgical mortality in the US. N Engl J Med 346: 1128–1137 Bjornsson E, Ismael S, Nedjet S, et al. (2003) Severe jaundice in Sweden in the new millenium: causes, investigations, treatment and prognosis. Scand J Gastroenterol 38: 86–94 Brentnall TA (2005) Management strategies for patients with hereditary pancreatic cancer. Curr Treat Options Oncol 6: 437–445 Büchler MW, Friess H, Wagner M, et al. (2000) Pancreatic fistula after pancreatic head resection. Br J Surg 87: 883–889 Büchler MW, Wagner M, Schmied BM, et al. (2003) Changes in mortality after pancreatic resection: towards the end of completion pancreatectomy. Arch Surg 138: 1310–1314 Cameron J, Riall TS, Coleman J, Belcher KA (2006) One thousand consecutive pancreaticoduodenectomies. Ann Surg 244: 10–15 Diener M, Knaebel HP, Heukaufer C, et al. (2007) A systematic review and meta-analysis of pylorus-preserving versus classical pancreaticoduodenectomy. Ann Surg 245: 187–200 DISPACT Trial Group (2008) DISPACT trial: a randomized controlled trial to compare two different surgical techniques of DIStal PAnCreaTectomy - study rationale and design.: Clin Trials. 5(5):534–45 Esposito I, Kleeff J, Bergmann F, et al. (2008) Most pancreatic cancer resections are R1 resections. Ann Surg Oncol 15: 1651–1660 Farnell MB, Pearson RK, Sarr MG, et al. (2005) A prospective randomized trial comparing standard pancreatoduodenectomy with pancreatoduodenectomy with extended lymphadenectomy in resectable pancreatic head adenocarcinoma. Surgery 138:618–628 Fong Y, Gonen M, Rubin D, Radzyner M, Brennan MF (2005) Long-term survival is superior after resection for cancer in high-volume centers. Ann Surg 242: 540–544
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41
586
41
Kapitel 41 · Pankreaskarzinom und periampulläre Karzinome
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42 42
Neuroendokrines Pankreaskarzinom V. Fendrich, D. Bartsch
42.1
Einleitung
42.2
Maligne funktionelle NPT
42.2.1 42.2.2 42.2.3
Maligne Insulinome – 589 Maligne Gastrinome – 589 Maligne Glukagonome, VIPome und Somatostatinome
42.3
Nichtfunktionelle maligne NPT
42.4
Behandlungsalternativen bei metastasierten NPT
42.5
Zusammenfassung Literatur
– 588
– 593
– 593
– 589
– 590
– 590 – 592
588
Kapitel 42 · Neuroendokrines Pankreaskarzinom
> In diesem Kapitel werden die seltenen neuroendokrine Pankreaskarzinome besprochen. Es handelt sich hierbei um maligne funktionelle neuroendokrine Pankreastumoren (NPT) wie Insulinome, Gastrinome, Glukagonome, VIPome und Somatostatinome, sowie um die immer häufiger diagnostizierten malignen nicht-funktionellen NPT. Ihre Abgrenzung gegenüber exokrinen Karzinomen, insbesondere dem duktalen Adenokarzinom oder dem Zystadenokarzinom, ist gelegentlich schwierig, aber klinisch wichtig, da sich ihre Therapie und ihre Prognose von denen exokriner Tumoren unterscheidet. Maligne NPT haben ein langsameres Wachstum, eine höhere Resektabilitätsrate und sprechen besser auf eine medikamentöse Therapie an als z. B. duktale Adenokarzinome des Pankreas. Somit ist ein aggressiver operativer Therapieansatz selbst bei metastasierten NPT meist gerechtfertigt.
42.1
Einleitung
Neuroendokrine Pankreastumoren (NPT) entstehen meist aus Zellen der Langerhans-Inseln (z. B. Insulinome, Glukagonome). Die meisten NPT synthetisieren und sezernieren ein
Hormon oder auch mehrere Hormone und induzieren ein Syndrom, das fast immer typisch ist und zur Diagnose führt. Die bekanntesten Syndrome durch funktionelle NPT sind der organische Hyperinsulinismus beim Insulinom, das Zollinger-Ellison-Syndrom beim Gastrinom und das WDHA (wässrige Diarrhöen, Hypokaliämie, Achlorhydrie)-Syndrom beim VIPom. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von NPT, deren Hormonsekretion klinisch stumm bleibt (z. B. PPome) oder die kein Hormon synthetisieren oder sezernieren (sog. nichtfunktionelle NPT). Die Inzidenz dieser Tumoren liegt bei 1–2 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr. Die Charakteristika der unterschiedlichen NPT sind in . Tab. 42.1 zusammengefasst. Maligne NPT, früher auch als Inselzellkarzinome bezeichnet, bedrohen das Leben der Betroffenen zum einen durch ihr aggressives Wachstum (lokale Ausbreitung und/oder Metastasen), zum anderen zusätzlich durch ihre exzessive Hormonproduktion, wenn sie denn vorhanden ist. Maligne NPT sind durch eine lokale Infiltration des angrenzenden Gewebes oder benachbarter Gefäße bzw. durch das Auftreten von Metastasen, meist in regionären Lymphknoten und/oder der Leber, gekennzeichnet.
. Tab. 42.1. Neuroendokrine Tumoren des Pankreas. (Aus Jensen 1999)
42
Tumor
Hormon/Peptid
Inzidenz*
Lokalisation
Malignität (%)
MEN-I-assoziiert (%)
Häufigkeit bei MEN-IPatienten (%)
Insulinom
Insulin
0,5–1,5
Pankreas 99%
<10
4–5
21
Gastrinom (ZollingerEllison-Syndrom)
Gastrin
1–2
Duodenum 70% Pankreas 25% Andere 5%
60–90
20–25
54
VIPom (VernerMorrison-Syndrom)
Vasoaktives intestinales Peptid
0,05–0,2
Pankreas 90% Andere 10%
40–70
6
17
Glukagonom
Glukagon
0,01–0,1
Pankreas
50–80
1–20
3
Somatostatinom
Somatostatin
Selten
Pankreas 55%
>70
?
?
GRFom
GRF
Unbekannt
Pankreas 30% Lunge 54% Jejunum 7% Andere 13%
>60
16
?
ACTHom
ACTH
Selten
Pankreas 4–16% (ektoper Cushing)
>95
Selten
Selten
NET mit Karzinoidsyndrom oder Hyperkalzämie
Serotonin ?
Selten
Pankreas
60–80
Selten
Selten
NET mit Kalzitoninsekretion
Kalzitonin
Selten
Pankreas
>80
16
?
Nichtfunktionelle Tumoren (z. B. PPom)
Z. B. PP
1–2
Pankreas
60
18–44
80–100
* Pro 100.000
589 42.2 · Maligne funktionelle NPT
Die Therapie erster Wahl für maligne NPT ohne diffuse Metastasierung ist die chirurgische Resektion des Primärtumors im Sinne einer formalen Pankreasresektion mit Lymphadenektomie ggf. mit Resektion einzelner Metastasen. Therapeutische Optionen für diffus metastasierte NPT sind eine Behandlung mit Somatostatin alleine oder in Kombination mit α-Interferon (α-IFN), eine Chemotherapie, eine Embolisation oder Chemoembolisation von Ästen der A. hepatica, eine Behandlung der Metastasen durch Kryochirurgie, Radiofrequenzablation, operatives Debulking oder Lebertransplantation. In den letzten Jahren wird bei Patienten mit metastasiertem Tumorleiden zunehmend die SomatostatinrezeptorRadiotherapie mit z. B. mit 90Y-DOTA-D-Phe1, Tyr3-Octreotid eingesetzt. Die Wirksamkeit aller dieser Therapien ist nicht durch kontrollierte Studien belegt. Die Seltenheit und der lange natürliche Verlauf auch metastasierender NPT machen prospektive Vergleichsstudien schwer. In den letzten Jahren gibt es jedoch nationale und internationale Anstrengungen, sowohl nichtoperative als auch operative Verfahren auf ihre Wirksamkeit im Vergleich zu evaluieren.
42.2
Maligne funktionelle NPT
42.2.1 Maligne Insulinome Um das maligne Insulinom onkologisch radikal zu resezieren, werden die gleichen Resektionsverfahren wie beim duktalen Adenokarzinom des Pankreas angewandt. Dies bedeutet die klassische Pankreaslinksresektion mit Splenektomie (. Abb. 42.1) oder die partielle Pankreatikoduodenektomie, die, wenn technisch möglich, pyloruserhaltend durchgeführt werden sollte. Selbst sehr große Tumormassen sind häufig resektabel, so dass in bis zu 60% der Fälle eine R0-Resektion mit kurativer Intention durchgeführt werden kann (Lo et al. 1996).
Insbesondere bei malignen Insulinomen sollten alle Anstrengungen unternommen werden, die Tumormasse zu entfernen oder zumindest zu reduzieren (zytoreduktive Chirurgie), da eine konservative Behandlung, sei es durch eine Chemotherapie (z. B. Streptozotocin und 5-Fluoruracil), eine antihormonelle Therapie oder interventionelle Verfahren (RFA, TACE) im Hinblick auf die Behandlung des Hyperinsulinismus unbefriedigend sind.
Thompson et al. konnten zeigen, dass 50% der Insulinom-Patienten mit nicht-resektablen Lebermetastasen, bei denen ein Tumordebulking durchgeführt wurde, über eine signifikante Besserung ihrer Symptome für eine Dauer von 39 Monaten berichteten (Thompson et al. 1988). Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist die Resektabilität des Primärtumors und die Möglichkeit der Entfernung der größten Masse der Lebermetastasen. Ist der Primärtumor nicht-resektabel oder liegen diffuse Lebermetastasen vor, müssen die vorgenannten konservativen Therapieoptionen eingesetzt werden.
. Abb. 42.1. Patient mit großem malignen Insulinom im Pankreasschwanz (Stern). Operationspräparat nach Pankreaslinksresektion mit Lymphadenektomie und Splenektomie
42.2.2 Maligne Gastrinome Maligne Gastrinome können sporadisch oder im Rahmen der multiplen endokrinen Neoplasie Typ I (MEN I) auftreten und verursachen das Zollinger-Ellison-Syndrom (ZES). In beiden Fällen liegen die Primärtumoren häufiger im Duodenum als im Pankreas und sind bei MEN-I-Patienten häufig multipel. Duodenale Gastrinome sind klein, meist zwischen 1–10 mm im Durchmesser (Mikrogastrinome), während pankreatische Gastrinome, wenn sie diagnostiziert werden, meistens schon mehrere Zentimeter groß sind. Auch Mikrogastrinome haben ein erhebliches malignes Potential, sodass bei Diagnosestellung schon häufig regionale Lymphknotenmetastasen bestehen. Jedoch kommt es bei duodenalen Gastrinomen nur in 9% zu einer Metastasierung in die Leber, während dies bei 57% bei Patienten mit pankreatischen Gastrinome geschieht, was die deutlich bessere Prognose der duodenalen Gastrinome erklärt (Yu et al. 1999). Die Diagnose wird durch Anamnese und den Nachweis eines erhöhten Serumgastrins, welches sich bei vorhandener Säure im Magen durch Sekretin stimulieren lässt, gestellt. Das Staging geschieht mit Schnittbildverfahren wie Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) des Oberbauches zum Nachweis des Primärtumors und/oder der Metastasen sowie durch die Somatostatinrezeptor-Szintigraphie (SRS). Diese hat sich als das beste Verfahren zum Staging bei Gastrinomen herausgestellt, da sie Metastasen in allen Körperregionen und in allen Organsystemen in einem Untersuchungsgang nachweisen kann. Eine operative Behandlung von sporadischen Gastrinomen ist immer angezeigt, auch bei negativem Nachweis der bildgebenden Verfahren, wenn keine diffusen Lebermetastasen vorliegen. In einer Studie an fast 200 Patienten mit Gastrinomen konnte gezeigt werden, dass nach einer Nachbeobachtungszeit von 12 Jahren 41% der operierten Patienten dauerhaft geheilt waren. Zudem entwickelten 29% der konservativ behandelten Patienten Lebermetastasen, während dies bei nur 5% der primär operierten Patienten zu beobachten war (p<0,001; Norton et al. 2006). Standardvorgehen beim sporadischen Gastrinom ist die komplette Freilegung des Pankreas mit bidigitaler Palpation und intraoperativer Sonographie (IOUS). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich mehr als 90% der Gastrinome im sog.
42
590
Kapitel 42 · Neuroendokrines Pankreaskarzinom
Gastrinomdreieck (resultierend aus Verbindungslinien zwischen Pankreaskopf, Pars descendens duodeni und Lig. hepatoduodenale) befinden. Standardtherapie ist die Duodenotomie und Resektion von Duodenalwandgastrinomen sowie die Enukleation von pankreatischen Gastrinomen im Kopf oder die Linksresektion bei Tumoren im Korpus-Schwanz-Bereich (Norton 2006; Fendrich 2007a). Abgesehen von der Resektion des Primärtumors ist eine ausgedehnte Lymphknotendissektion um den Pankreaskopf herum notwendig, auch wenn kein Primärtumor nachgewiesen wurde, da es primäre Gastrinome in Lymphknoten geben soll (Arnold et al. 1994) bzw. makroskopisch nicht detektierbare duodenale Mikrogastrinome mit Lymphknotenmetastasen (Anlauf et al. 2008). Bei Gastrinomen im Rahmen des MEN-I-Syndroms ist eine Duodenotomie mit Exzision von häufig multiplen Duodenalwandgastrinomen und Enukleation von Tumoren aus dem Pankreaskopf sowie eine Pankreaslinksresektion bis auf Höhe der Pfortader mit peripankreatischer Lymphknotendissektion das derzeit noch am häufigsten angewandte Operationsverfahren (. Abb. 42.2), wobei biochemische Heilungsraten von maximal 40% beschrieben sind (Thompson et al. 1998). Einige Autoren proklamieren daher inzwischen bei durch SASI (selektive arterielle Sekretininjektionen)-Angiographie präoperativ nachgewiesener Gastrinquelle im Bereich des Pankreaskopfes eine pyloruserhaltende partielle Pankreaticoduodenektomie (PPPD), da die biochemische Heilungsrate höher zu sein scheint (Delcore 1995; Bartsch et al. 2000a; Bartsch et al. 2005). Tonelli et al. konnten kürzlich zeigen, dass 10 von 13 Patienten mit einem MEN-I-assoziierten ZES nach PPPD und einer mittleren Nachbeobachtungszeit von drei Jahren ohne Nachweis eines Rezidives waren (Tonelli et al. 2007). Alternativ kommt auch eine pankreaserhaltende Duodenektomie in Frage, die von Imamura (2005) bei dieser Indikation durchgeführt wurde. Aufgrund der spärlichen Daten-
lage ist derzeit keine abschließende Beurteilung der einzelnen Operationsverfahren möglich. Hepatische Gastrinommetastasen sind meistens klein und diffus. Gelegentlich gibt es jedoch Patienten, die größere, auf eine Region der Leber beschränkte Metastasen aufweisen. Hier ist ein aggressives chirurgisches Vorgehen sinnvoll (Norton et al. 2003). Allerdings ist die konservative Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren ggf. unter Zugabe von Somatostatin so effizient, dass Komplikationen von Seiten der Hypergastrinämie und Hyperazidität nur noch selten auftreten.
42.2.3 Maligne Glukagonome, VIPome
und Somatostatinome Maligne VIPome, Glukagonome und Somatostatinome sollten ebenfalls einem aggressiven chirurgischen Vorgehen unterzogen werden, wenn dies nach einem entsprechenden Staging möglich erscheint. Bei VIPomen ist die perioperative Gabe von Somatostatin ratsam, um die erheblichen wässrigen Diarrhöen zu beeinflussen. Bei Glukagonomen ist wegen der enormen Thrombosegefahr eine »therapeutische« Heparinisierung notwendig. Im Gegensatz zu Gastrinomen und benignen Insulinomen sind diese Tumoren meistens groß (mehrere Zentimeter im Durchmesser) und können in allen Abschnitten der Drüse liegen. Zu einer adäquaten Behandlung sind formale Pankreasresektionen notwendig, ebenso wie Leberresektionen bei Metastasen, wenn dies denn möglich ist. In Ausnahmefällen können diese Tumoren bzw. ihre Lebermetastasen durch Resektion des Primärtumors und Lebertransplantation oder auch durch Exenteration und Clustertransplantation behandelt werden (Alessiani et al. 1995; Fernandez et al. 2003; El Rassi et al. 2002). Diese Therapieoptionen sind jedoch als experimentell anzusehen und die mittelfristigen Ergebnisse sind relativ ernüchternd, wobei es sich um Eingriffe mit hoher Morbidität und Mortalität handelt.
42.3
42 . Abb. 42.2. Am häufigsten angewandte Operationen bei MEN-IGastrinom: 1. Milzerhaltende Pankreaslinksresektion bis auf Höhe der Pfortader; 2. Enukleation von neuroendokrinen Tumoren im Kopf; 3. Duodenotomie und Exzision von Mikrogastrinomen im Duodenum; 4. regionale Lymphknotendissektion. (Nach Thompson 1997)
Nichtfunktionelle maligne NPT
Maligne nichtfunktionelle NPT sind das eigentliche Abgrenzungsproblem gegenüber exokrinen Pankreastumoren, da sie außer ihrem lokalen Tumorwachstum und den daraus resultierenden Symptomen kein endokrines Syndrom nach sich ziehen und morphologisch ähnlich aussehen können. Etwa 50% aller NPT sind nichtfunktionell, wobei der Begriff »nichtfunktionell« unterschiedlich gesehen wird. Manche Autoren klassifizieren einen Tumor als nichtfunktionell, wenn keine klinischen Symptome eines Hormonexzesses vorhanden sind, auch wenn im Serum radioimmunologisch erhöhte Hormonspiegel nachgewiesen werden (Evans et al. 1993; Lo et al. 1996). Andere Autoren definieren Tumoren als nichtfunktionell, wenn weder Symptome noch erhöhte Hormonspiegel nachweisbar sind. Bis zu 92% der nichtfunktionellen NPT sind maligne und haben häufig die gleichen klinischen Zeichen wie exokrine Pankreastumoren (Broughan et al. 1986; Solorzano et al. 2001; Thompson et al. 1988). Im eigenen Krankengut hatten fast
591 42.3 · Nichtfunktionelle maligne NPT
80% von 49 Patienten mit sporadischen nichtfunktionellen NPT Lymphknoten- und/oder Lebermetastasen, Zahlen, die auch von anderen Arbeitsgruppen publiziert wurden (Bartsch et al. 2000b; Broughan et al. 1986; Lo et al. 1996; Solorzano et al. 2001). Die Mehrzahl der Tumoren ist groß (>3 cm im Durchmesser), solide und vorwiegend im Pankreaskopf lokalisiert (Bartsch et al. 2000b; Fendrich et al. 2007b, Broughan et al. 1986; Lo et al. 1996). Sollte bei einem Patienten aufgrund unspezifischer Oberbauchschmerzen in der Sonographie des Abdomens ein Pankreastumor diagnostiziert worden sein, sind zur Differenzialdiagnose weitere bildgebende Verfahren wie die DünnschichtSpiral-CT oder eine »One-stop-shop-MRT« indiziert. Zusätzlich sollte man immer dann eine SRS anfordern, wenn es sich um einen Pankreastumor handelt, der groß ist und nicht die typischen bildmorphologischen Kriterien eines exokrinen Tumors aufweist. Die SRS ist nicht nur der Abgrenzung gegenüber exokrinen Tumoren die wesentliche Untersuchung, sondern auch allen anderen Untersuchungen im Staging der Erkrankung überlegen. Exokrine Pankreastumoren exprimieren keine Somatostatinrezeptoren, insbesondere nicht den für die Szintigraphie entscheidenden Rezeptorsubtyp II. Es muss allerdings gesagt werden, dass nicht alle NPT Somatostatinrezeptoren exprimieren. Zudem ist die Methode auch von der Tumorgröße und der Rezeptordichte abhängig, sodass es meist nicht möglich ist, Primärtumoren oder Metastasen mit einem Durchmesser <1 cm oder weniger zu visualisieren. Die meisten Autoren empfehlen heute ein aggressives chirurgisches Verfahren, auch bei regionalen Metastasen. Das wesentliche Ziel ist die potenziell kurative Resektion ohne Zurücklassen von Tumor (R0-Resektion) oder eine zytoreduktive Chirurgie (Debulking), wobei durch die Resektion etwa 90% der Tumormasse entfernbar sein sollte (Fendrich et al. 2006). Üblicherweise bedeutet dies eine partielle Duodenopankreatektomie (. Abb. 42.3) oder Linksresektion, ggf. mit Resektion oder Rekonstruktion der V. portae und/oder die Resektion von synchronen Lebermetastasen. Kurative Resektionen sind in bis zu 80% der Fälle möglich mit 5-/10-JahresÜberlebensraten von etwa 65 bzw. 50% (. Tab. 42.2).
42
. Tab. 42.2. Ergebnisse verschiedener Serien nichtfunktioneller neuroendokriner Pankreaskarzinome
Studie
n
Metastasen bei Operation (%)
5-JahresÜberlebensrate (%)
Lo 1996
34
–
49
Solorzano 2001
163
101 (62)
43 Reseziert 77% Nicht reseziert 16%
Gullo 2003
184
69 (38)
Reseziert 76% Nicht reseziert 28%
Marburg 2008
49
38 (78)
78 Reseziert 88% Nicht reseziert 14%
* Beinhaltet kurative und palliative Resektion
Auch wiederholte Resektionen wegen Lokalrezidivs und/ oder Metastasen sind indiziert, um die Überlebenszeit zu verlängern (Lo et al. 1996; Norton et al. 2003; Kouvaraki et al. 2005; Fendrich et al. 2006). Auch unsere eigenen Daten unterstützen diese These, nachdem durch bis zu 4 weitere Operationen nach der Primäroperation Überlebenszeiten von bis zu 247 Monaten nach der initialen Resektion resultierten. Allerdings blieben nur 13 der 49 resezierten Patienten frei von Rezidiv oder Metastasen. Diese Ergebnisse sind mit denen anderer Arbeitsgruppen vergleichbar (Bartsch et al. 2000b; Cheslyn-Curtis et al. 1993; Lo et al. 1996; Thompson et al. 1988; Kouvaraki et al. 2005).
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine aggressive Resektion der Primärtumoren und eine zytoreduktive Metastasenchirurgie bei Patienten mit niedrigem Risikoprofil durchgeführt werden sollte.
a
b . Abb. 42.3. Nicht-funktioneller neuroendokriner Pankreaskopftumor. a Operationspräparat nach partieller Duodenopankreatek-
tomie. b Aufgeschnittenes Präparat mit gut zu erkennendem Tumor (Stern)
42
592
Kapitel 42 · Neuroendokrines Pankreaskarzinom
42.4
Behandlungsalternativen bei metastasierten NPT
Bei Patienten mit malignen NPT treten im Verlauf der zumeist langsam fortschreitenden Erkrankung häufig Lebermetastasen auf. Das Auftreten von Lebermetastasen bei diesen Patienten führt häufig aufgrund der Hormonüberproduktion zu ernsten Beschwerden. Auch bei Lebermetastasen kann oft kurativ reseziert werden. Bei langer Nachbeobachtung lässt sich für diese Fälle jedoch ein häufiges Wiederauftreten der Tumoren nachweisen (Chamberlain et al. 2000; Sarmiento et al. 2003). Bei Patienten, die nicht für eine kurative Resektion der Lebermetastasen in Frage kommen, kann eine chirurgische Tumorreduktion in Betracht gezogen werden, wenn die Haupttumorlast sicher entfernt werden kann (Sarmiento u. Que 2003). Das Ziel dieser Behandlung ist die Palliation hormonaler Symptome sowie die Verhinderung lokaler Komplikationen wie z. B. intestinale Obstruktion oder Blutungen. Leberchirurgische Eingriffe werden in spezialisierten Zentren heutzutage mit niedriger Mortalität und Morbidität durchgeführt (Norton et al. 2003). Die Metastasierung der malignen NPT kann auf Grund ihres langsamen Wachstums für lange Zeit auf die Leber begrenzt sein. Aus diesem Grund kann eine Lebertransplantation, nach Ausschöpfen sämtlicher anderer Behandlungsmaßnahmen, für junge Patienten im Ausnahmefall in Betracht gezogen werden. Derzeit ist jedoch sehr fraglich, ob Patienten von einer Lebertransplantation gegenüber lokalen Ablationsverfahren wie Chemoembolisation und Radiofrequenzablation im Hinblick auf Symptomfreiheit und Überlebenszeit profitieren. Lehnert et al. veröffentlichten 1998 eine Metaanalyse über 103 Patienten mit Lebertransplantation bei metastasierten neuroendokrinen Karzinomen. Die 5-Jahres-Überlebensrate lag bei 47%. Allerdings waren Tumorrezidive häufig, nur 39 (38%) Patienten lebten nach einer Nachbeobachtungszeit von 23 Monaten ohne Nachweis eines Rezidivs bzw. Metastasen (Lehnert et al. 1998). Lang et al. berichteten über ähnliche Ergebnisse bei 10 Patienten mit hepatisch metastasiertem NPT (4 nicht-funktionelle, 3 Gastrinome, 2 VIPome, 1 Glukagonom). Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 33 Monaten lebten zwar noch 9 Patienten, allerdings hatten 7 (70%) ein Rezidiv bzw. neue Metastasen 6 Wochen bis 48 Monate nach der Transplantation entwickelt (Lang et al. 1999). Inzwischen kristallisiert sich trotz sehr limitierter Daten heraus, dass eine Exenteration des Oberbauches mit Clustertransplantation von Leber, Dünndarm und Pankreas keine gute Therapieoption beim metastasierten NPT zu sein scheint. In einer multizentrischen Studie aus Frankreich an 31 Patienten betrug die Mortalität der Clusteroperation 100% (Le Treut 1997). Diese enttäuschenden Zahlen wurden durch eine Studie an 12 Patienten von Ahlmann und Kollegen bestätigt. Keiner der 8 Patienten, darunter zwei mit malignem Insulinom, bei denen nur eine orthotope Lebertransplantation durchgeführt wurde verstarb, während 2 der 4 Patienten nach Cluster-Transplantation innerhalb der ersten 4 Monate postoperativ verstarben (Ahlman et al. 2004).
Bei Vorliegen von diffusen Lebermetastasen ohne Möglichkeit einer Resektion oder bei Patienten, bei denen auf Grund ihres schlechten Allgemeinzustandes eine Operation nicht mehr durchführbar ist, stehen im Hinblick auf die Palliation der Symptome zahlreiche andere Therapieverfahren zur Auswahl: Bei Patienten mit symptomatischen Lebermetastasen kann eine Embolisation der A. hepatica alleine oder eine Chemoembolisation (Kress et al. 2003) die Symptome kontrollieren und die Tumormasse reduzieren sowie die Überlebenszeit verlängern. Die Mortalität dieser interventionellen Maßnahmen liegt allerdings um 7%. Kontraindikationen dieses Verfahrens ist ein Bilirubin >2 mg/dl, eine GOT >100 U/l, eine Pfortaderthrombose oder wenn der Tumor mehr als 50% des Lebervolumens einnimmt (Mansour et al. 2004). Dies in vielen Zentren favorisierte Verfahren kombiniert die Infusion von vaso-okklusivem Material (z. B. Lipiodol) in die tumorversorgenden Leberarterienäste mit lokal applizierten Chemotherapeutika wie Doxorubicin, Cisplatin, Streptozocin, oder 5-FU. Die erfolgreiche Chemoembolisation setzt voraus, dass der Primärtumor entfernt und die Metastasen hypervaskulär sind. In verschiedenen Studien zeigten 55–100% der behandelten Patienten eine Linderung der Symptome und bei 20–80% kam es zu einem Ansprechen des Tumors (Übersicht in Metz und Jensen 2008). Die Radiofrequenzablation (RFA) ist derzeit die mit am häufigsten angewandte Prozedur zur lokalen Ablation von Lebertumoren. Sie kann parallel zur Tumorresektion, laparoskopisch oder perkutan durchgeführt werden. Die Zahl (mehr als 5 Läsionen) und Größe (>3,5 cm) der Metastasen sind limitierende Faktoren dieser Anwendung. Die Morbidität der RFA ist unter 15% und umfasst im Wesentlichen Nachblutungen oder Abszesse. Ansprechraten der Tumoren liegen bei 80-90% und halten meist bis zu drei Jahren an (Elvin et al. 2005). Obwohl bisher keine Studie nachweisen konnte, dass die RFA bei Patienten mit Lebermetastasen die Lebenserwartung verlängert, wird sie auf Grund der niedrigen Komplikationsrate, der einfachen Anwendung und der effektiven Kontrolle der Metastasen zunehmend angewendet (Übersicht in Metz u. Jensen 2008). Neben all diesen invasiven Behandlungsmöglichkeiten ist eine Arzneimitteltherapie, insbesondere eine Chemotherapie v. a. in den Augen vieler Internisten die erste Alternative zur Behandlung von nicht-resektablen, metastasierenden neuroendokrinen Pankreaskarzinomen. Die Behandlung mit dem Somatostatinanalogon Sandostatin resultiert – abgesehen von der eindeutigen Wirkung auf die Symptome – bei mindestens 20% der Patienten mit diesen Tumoren in einem Wachstumsstillstand durch seinen antiproliferativen Effekt (Arnold et al. 2005). Der antiproliferative Effekt konnte durch eine Kombination von Sandostatin mit IFN-α gesteigert werden, die bei 67% der Patienten zu einer vorübergehenden Hemmung des Tumorwachstums führte (Frank et al. 1999). Antiproliferative Strategien mit Chemotherapie, meist Streptozotocin in Kombination mit Dacarbazin, Etoposid und Cisplatin haben ebenfalls gute Ergebnisse bezüglich des Tumorwachstums bei Patienten mit fortgeschrittenen malignen NPT gezeigt, obwohl die Erfahrung hier limitiert ist (Moertel et al. 1992; von Schrenck et al. 1988).
593 42.5 · Zusammenfassung
NPT exprimieren multiple Wachstumsfaktoren sog. »growth factors«. Dazu gehören »vascular endothelial growth factor« (VEGF), »platelet-derived growth factor« (PDGF), insulin-like growth factor« (IGF), »transforming growth factor« (TGF) und ihre entsprechenden Rezeptoren. In den letzten Jahren wurden sog. monoklonale Antikörper gegen diese Wachstumsfaktoren entwickelt und erfolgreich bei verschiedenen Tumorerkrankungen eingesetzt. Einige dieser »targeted drugs« werden bereits in der Klinik eingesetzt. Dazu gehört Bevacizumab, das an VEGF bindet und zur FirstLine-Therapie gegen metastasierte kolorektale Karzinome bereits zugelassen ist. Weiter Beispiele sind die Tyrosinkinaseninhibitoren wie Sunitinib, Sorafenib, Imatinib oder Gefitinib. Erste Ergebnisse aus Phase-II-Studien liegen auch für die Behandlung metastasierter NPT vor (Übersicht in Metz u. Jensen 2008). So kam es in Studien mit Sunitinib und Gefitinib zu Tumoransprechraten von 6–13%. Trotz dieser niedrigen Ansprechraten ist davon auszugehen, dass diese neuen Medikamente in der Kombination mit etablierten medikamentösen Therapien auch bei NPT in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. In den letzten Jahren wird zunehmend auch die Radionuklid-Radiopeptid-Therapie angewandt. Diese nutzt die Präsenz von Somatostatinrezeptoren, die von vielen NPT exprimiert werden und schon lange zur Lokalisationsdiagnostik angewendet werden. Hierbei werden nutzbare Emitter von radioaktiver Beta-Strahlung – wie 90Yttrium, 111Indium, 177Lutetium – über chemische Konjugatoren, Chelatoren (DOTA) an Somatostatinanaloge vom Typ des Octreotids gekoppelt, wodurch die direkte Aufnahme des Radionuklids in die Tumorzelle erreicht wird. Die bisher veröffentlichten Studien an über 300 Patienten mit metastasierten neuroendokrinen Karzinomen des Pankreas und Dünndarms zeigten in 0–5% ein komplettes Verschwinden des Tumors, in 0–37% der Fälle eine Verkleinerung des Tumors um mindestens 50 Prozent und ein Wachstumsstopp der Tumoren konnte in 44–88% der Patienten nachgewiesen werden (Übersicht in Metz u. Jensen 2008). Noch gibt es keine kontrollierte Studie, die zeigen konnte, dass die Radiopeptidtherapie zu einer Überlebensverlängerung führt. Jedoch werden die bisher vielversprechenden Ergebnisse wahrscheinlich zu einer Zunahme der Anwendung beitragen. Eine weitere innovative Therapie nicht-resektabler Lebermetastasen ist die selektive interne Radiotherapie (SIRT). Die SIRT wird zu den nuklearmedizinischen Therapieverfahren gerechnet und beruht auf dem Einbringen sog. 90YttriumMikrosphären in das Tumorgewebe. Hierfür werden mehrere Millionen Mikrosphären über einen Katheter verabreicht, der ähnlich wie bei der Chemoembolisation in die Leber eingebracht wird. In einer kürzlich publizierten Studie mit neun Patienten lag die 1-, 2- und 3-Jahres-Überlebensrate bei 100 und jeweils 57%. Ein partielles Ansprechen der Tumoren konnte bei sechs Patienten beobachtet werden. 11 Monate nach Behandlungsbeginn kam es zu einer Tumorprogression (Kalinowski et al. 2009). Erwähnenswert ist die Tatsache, dass keine schwerwiegenden Komplikationen auftraten und mit SIRT somit eine weitere Therapieoption für nicht-resektable Lebermetastasen zu Verfügung steht.
42.5
Zusammenfassung
Zusammengefasst ist die Behandlung der ersten Wahl bei malignen NPT ein radikales chirurgisches Vorgehen auch bei denjenigen Patienten mit metastasierenden Tumorleiden, die ein niedriges Risiko haben und bei denen der Primärtumor und die Hauptmasse (etwa 90%) der Metastasen entfernt werden können. Obwohl die Tumoren durch ein solches Vorgehen oft nicht definitiv geheilt werden können, sind lange Überlebenszeiten zu erzielen. Wenn nach der zytoreduktiven Chirurgie Rezidive auftreten und für alle Patienten, bei denen ein solches Vorgehen nicht möglich ist, ist eine konservative Therapie mit Somatostatin und/oder IFN-α angezeigt, fallabhängig auch eine Chemotherapie, eine (Chemo-) Embolisation der A. hepatica und ihrer Äste, eine Radiofrequenzablation, eine Radionuklid-Radiopeptid-Therapie oder eine SIRT, um Symptome zu reduzieren und das Überleben zu verlängern. Basierend auf der derzeitigen Datenlage kann eine Lebertransplantation oder gar eine abdominelle Exenteration mit Clustertransplantation zur Behandlung von Metastasen nur im Ausnahmefall empfohlen werden. Enorm wichtig wäre der Vergleich all dieser Verfahren in kontrollierten Studien, um Empfehlungen hohen Evidenzgrades aussprechen zu können. Literatur Alessiani M, Tzakis A, Todo S et al. (1995) Assessment of five-year experience with abdominal organ cluster transplantation. J Am Coll Surg 180: 1–6 Ahlman H, Friman S, Cahlin C, et al. Liver transplantation of metastatic neuroendocrine tumors. Ann NY Acad Sci 2004; 1014:265– 269 Anlauf M, Enosawa T, Henopp T, Schmitt A, Gimm O, Brauckhoff M, Dralle H, Musil A, Hauptmann S, Perren A, Klöppel G (2008) Primary lymph node gastrinoma or occult duodenal microgastrinoma with lymph node metastases in a MEN1 patient: the need for a systematic search for the primary tumor. Am J Surg Pathol 32:1101–1105 Arnold R, Rinke A, Schmidt C et al. (2005) Chemotherapy. Best Pract Res Clin Gastroenterol 19:649–656 Bartsch DK, Langer P, Wild A et al. (2000a) Pancreaticoduodenal endocrine tumors in multiple endocrine neoplasia type 1: surgery or surveillance? Surgery 128: 958–966 Bartsch D, Schilling T, Ramaswamy A et al. (2000b) Management of non-functioning islet cell carcinomas. World J Surg 24: 1418– 1424 Bartsch DK, Fendrich V, Langer P, Celik I, Kann PH, Rothmund M (2005) Outcome of duodenopancreatic resections in patients with multiple endocrine neoplasia type 1. Ann Surg 242: 757–764, discussion 764–766 Chamberlain RS et al. (2000) Hepatic neuroendocrine metastases: does intervention alter outcomes? J Am Coll Surg 190: 432–435 Delcore R, Friesen SR (1995) Role of pancreaticoduodenectomy in the management of primary duodenal wall gastrinomas in patients with Zollinger-Ellison syndrome. Surgery 112: 1016–1023 El Rassi ZS, Ferdinand L, Mohsine RM, et al. (2002) Primary and second endocrine liver tumors: clinical presentation, surgical approach and outcome. Hepatogastroenterology 49: 1340–1346 Elvin A, Skogseid B, Hellman P (2005) Radiofrequency ablation of neuroendocrine liver metastases. Abdom Imaging 30: 427–434
42
594
42
Kapitel 42 · Neuroendokrines Pankreaskarzinom
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43 43
Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren A. Thelen, C. Benckert, S. Jonas
43.1
Grundlagenwissen
43.1.1 43.1.2 43.1.3 43.1.4 43.1.5
Nomenklatur – 596 Chirurgische Epidemiologie – 596 Pathogenese – 596 Pathologie – 600 Prognostische Faktoren – 603
– 596
43.2
Klinische Symptomatologie
– 607
43.3
Diagnostik und Staging
43.3.1 43.3.2 43.3.3 43.3.4 43.3.5 43.3.6 43.3.7 43.3.8
Tumormarker – 608 Ultraschalldiagnostik – 608 Computertomographie – 608 Magnetresonanztomographie – 610 Mikroskopische Diagnostik – 611 Angiographie – 611 Positronenemissionstomographie – 612 Staging-Laparoskopie – 612
43.4
Therapieziele und Indikationsstellung
43.4.1 43.4.2 43.4.3
HCC in Zirrhose – 614 HCC in nicht-zirrhotischer Leber – 618 Cholangiozelluläres Karzinom – 620
43.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
43.5.1 43.5.2 43.5.3 43.5.4
In-situ-Ablation – 622 Resektion – 623 Lebertransplantation – 624 Lymphadenektomie – 625
43.6
Operationstechnik
43.6.1 43.6.2 43.6.3
Nomenklatur und Segmentanatomie – 626 Praktisches Vorgehen bei der Identifikation der Segmentgrenzen Operatives Vorgehen – 628
43.7
Postoperative Behandlung
43.8
Neoadjuvante und adjuvante Therapierinzipien
43.8.1 43.8.2 43.8.3 43.8.4
Vorbehandlung: transarterielle Chemoembolisation Vorbehandlung: Pfortaderembolisation – 633 Zweizeitige Resektionen – 634 Adjuvante Therapie – 634
43.9
Empfehlungen zur Nachsorge
43.10
Ausblick Literatur
– 635 – 635
– 607
– 612
– 622
– 626
– 631
– 634
– 633
– 633
– 627
596
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
> Die Entwicklung der hepatobiliären Chirurgie als eigenes Spezialgebiet reflektiert die zunehmende Weiterentwicklung in der operativen Therapie der Lebermalignome. Die Zunahme der Chirurgie der Lebertumoren beruht zum einen auf einem Anstieg der Inzidenz sowie einer verbesserten Diagnostik, zum anderen auf anhaltendem Enthusiasmus über den Erfolg chirurgischen Vorgehens als Teil multimodaler Therapie, um auch in scheinbar inkurablen Situationen eine Tumorreduktion zu erreichen. Des Weiteren sind in den letzten 30 Jahren einige neue Tumorkategorien erkannt und neue ätiologische Faktoren für die Malignomentstehung identifiziert worden
43.1
Grundlagenwissen
Tumor klassifiziert (Klatskin 1965). Diagnostik und Therapie der hilären Cholangiokarzinome unterscheiden sich ebenfalls deutlich vom Vorgehen bei intrahepatischen Cholangiokarzinomen, so dass sie gesondert im 7 Kap. 47 behandelt werden.
43.1.2 Chirurgische Epidemiologie Weltweit ist das HCC mit über 1 Million Neuerkrankungen und ebenfalls über 1 Million Todesfällen jährlich der häufigste maligne solide Tumor.
Die Inzidenz des HCC unter allen primären malignen Lebertumoren wird mit etwa 85% angegeben, die des CCC mit etwa 15%.
43.1.1 Nomenklatur Die Einteilung der primären malignen Lebertumoren nach pathologisch anatomischen Gesichtspunkten wurde erstmalig im Jahre 1911 von Yamagiwa vorgenommen, der die Unterscheidung von Hepatomen und Cholangiomen entsprechend dem Ursprung der Malignome beschrieb (Yamagiwa 1911). Im gleichen Jahr führten Goldzieher und von Bokay entsprechend für die epithelialen Malignome das hepatozelluläre Karzinom (HCC) und das cholangiozelluläre Karzinom (CCC) in die Terminologie ein (Goldzieher u. von Bokay 1911).
Während der Begriff HCC unverändert weltweit einheitlich Anwendung findet, fehlt bis in die heutige Zeit eine international einheitliche Nomenklatur für die intra- und extrahepatischen von den Gallengängen ausgehenden Karzinome.
43
In der 1976 von der IASL (International Association for the Study of the Liver) herausgegebenen »Standardization of Nomenclature of Liver Diseases« wurde zur Beschreibung dieser Karzinome die Verwendung des Begriffs Cholangiokarzinom empfohlen (Levy et al. 1976). Entsprechend ihrer topographischen Lage erfolgte die weitere Einteilung einerseits in intrahepatische oder periphere Cholangiokarzinome und andererseits in extrahepatische Cholangiokarzinome. In einer Vielzahl von Publikationen wird allerdings weiterhin der Terminus cholangiozelluläres Karzinom für die intrahepatischen Cholangiokarzinome verwendet. Die topographische Grenze zwischen intra- und extrahepatischen Cholangiokarzinomen ist ebenfalls nicht exakt festgelegt. In der Regel gelten Gallengänge der zweiten Ordnung proximal ihres Zusammenflusses als intrahepatisch gelegen, weil der peritoneale Überzug der Leber an dieser Stelle angeheftet ist und damit als Capsula fibrosa perivascularis oder als sog: Glisson-Gewebe in das Innere des Organs hineinreicht. Daher wird das hiläre Cholangiokarzinom, das im Bereich der Gallengangsbifurkation entsteht und von Klatskin 1965 erstmals als eigene Entität beschrieben wurde, als extrahepatischer
Allerdings schwanken diese Raten je nach geographischer Region erheblich. Die relative Häufigkeit des CCC beträgt in der weißen Bevölkerung der westlichen Hemisphäre etwa 20– 25%, liegt aber in Gebieten wie Südchina und Südafrika, in denen das HCC endemisch ist deutlich niedriger (Okuda et al. 1993). Das Verhältnis von HCC zu CCC beträgt z. B. 38:1 in Südafrika und 56:1 auf Java (Steiner 1960; Flawell 1981). Umgekehrt sind in einigen wenigen Subpopulationen CCC sogar häufiger als HCC, so z. B. bei Frauen in Dänemark (Parkin et al. 1992). Eine Reihe von Malignomen hat in den letzen Jahrzehnten an Häufigkeit zugenommen. Dieser Trend gilt sowohl für das HCC als auch für das CCC, wobei die Zunahme beim HCC deutlich rascher verläuft. Andere primäre Lebertumoren sind dem gegenüber nahezu bedeutungslos. Erwähnenswert sind lediglich Mischtypen von HCC und CCC, das fibrolamiläre HCC als histopathologisch wichtige Variante vor allem bei jüngeren Patienten sowie das Hepatoblastom, das in der Regel vor dem 4. Lebensjahr diagnostiziert wird. Nicht-epitheliale Tumoren wie z. B. das Angiosarkom oder das epitheloide Hämangioendotheliom sind sehr selten und werden im Folgenden nicht gesondert behandelt. Hinsichtlich Diagnostik und Therapie der epithelialen primären Lebertumoren sind die Unterschiede allerdings nur gering.
43.1.3 Pathogenese Die pathogenetischen Faktoren für das HCC und das CCC sind grundsätzlich unterschiedlich und abhängig von geographischen Besonderheiten, mit denen eine unterschiedliche Inzidenz einhergeht. Beide Krankheitsbilder weisen allerdings auch Gemeinsamkeiten auf, die erst in den vergangenen Jahren deutlich geworden sind. So ist sowohl die Entwicklung des HCC als auch des CCC ein in mehreren Schritten ablaufender Prozess, der der bekannten Adenom- Karzinom-Sequenz des kolorektalen Karzinoms nicht unähnlich ist. Chronische Hepatitis und Leberzirrhose stellen nicht nur Risikofaktoren für ein HCC dar, sondern insbesondere auf dem Boden einer Hepatitis C Infektion auch für das CCC.
597 43.1 · Grundlagenwissen
Hepatozelluläres Karzinom Weltweit spiegelt die lokale Inzidenz des HCC die geographische Häufigkeit von viralen Hepatitiden wieder. Hierbei müssen allerdings die Latenzzeiten berücksichtigt werden, die zwischen Virusinfektion und Diagnose eines HCC liegen.
Die Latenzzeiten zwischen Virusinfektion und Diagnose eines HCC betragen etwa 30–60 Jahre für die chronische Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) und etwa 20– 30 Jahre für die chronische Infektion mit dem Hepatitis-CVirus (HCV).
Die Rate der jährlichen Neuerkrankungen an einem HCC in Taiwan, wo HBV-Infektionen endemisch sind, liegt bei 150 auf 100.000 Einwohner. Die entsprechende Rate liegt in Gegenden mit einer niedrigen Inzidenz wie Europa, Nordamerika und auch Australien bei etwa 1–3 pro 100.000 Einwohner. Grundsätzlich stellen alle chronischen Lebererkrankungen mit hoher Aktivität und langer Dauer und somit alle chronisch aktiven Hepatitiden und die Leberzirrhose Risikofaktoren für die Entstehung eines HCC dar. Das Risiko wird zusätzlich durch das Vorliegen von Kofaktoren, wie z. B. einer viralen Hepatitis mit einem zusätzlichen Alkoholabusus oder einer zusätzlichen Karzinogenexposition begünstigt. Ebenso scheinen metabolische Faktoren Einfluss auf die Entstehung eines HCC zu besitzen. Übergewicht und erhöhte Glukosespiegel sind mit vermehrtem Auftreten von hepatozellulären Karzinomen assoziiert, wobei der Einfluss metabolischer Faktoren sowohl bei Vorliegen einer HCV-Infektion als auch bei Patienten ohne virale Hepatitis beobachtet werden kann (Inoue 2008). In etwa 70–80% der Fälle tritt ein HCC in einer Leberzirrhose auf, so dass die Leberzirrhose als Präkanzerose angesehen wird. Die Bedeutung für die Entstehung eines HCC ist offenbar abhängig von der jeweiligen Ätiologie einer Zirrhose. Die jährliche Rate von Neuerkrankungen an einem HCC bei Patienten mit einer Leberzirrhose wird auf etwa 5% bei Patienten mit einer HCV-Infektion gegenüber 0,5% bei Patienten mit einer HBV-Infektion geschätzt (Di Bisceglie 1995). Im Gegensatz zu Patienten mit HBV-Infektion kommt es zudem bei einer HCV-Infektion nur selten vor der Entwicklung einer Leberzirrhose zum Auftreten eines HCC. Die molekulare Pathogenese bleibt für die meisten HCC aufgrund ihrer genetischen Heterogenität mit einer Vielzahl verschiedener chromosomaler Veränderungen unklar (Ozturk 1999). Es gibt aber experimentelle Hinweise, dass das Hepatitis-B-Virus und auch das Hepatitis-C-Virus über direkte Mechanismen an der Tumorgenese beteiligt sein könnten. Unterschiedliche Interaktionen des Hepatitis-B-Virus mit zellulären Strukturen wurden beobachtet, die vermutlich eine Rolle bei der malignen Transformation der Hepatozyten spielen (Cougot 2005). Dabei können sowohl die Integration von HBVSequenzen in das Genom als auch Genprodukte des HBV als Wachstumspromoter fungieren. Eine bedeutende Rolle in der Hepatokarzinogenese durch HBV scheint dem X-Gen (HBx) zu zukommen, da das X-Protein, als Genprodukt des X-Gens,
die Protoonkogene c-myc und c-fos transaktiviert, die eine bedeutende Rolle in der Hepatokarzinogenese spielen. Des Weiteren führt die Integration von HBV-Sequenzen zur genetischen Instabilität und der immunologisch bedingte permanente Zelltod zu kontinuierlicher Regeneration mit erhöhtem Mutationsrisiko, wodurch die maligne Transformation begünstigt wird. Der Zusammenhang zwischen einer HCV-Infektion und der späteren Entstehung eines HCC ist ebenfalls epidemiologisch gut belegt, während die Pathogenese der malignen Transformation auch hier unklar bleibt. Die Anti-HCV-Seroprävalenz-Rate wurde für Patienten mit einem HCC in Japan, Italien und Spanien mit 76% sowie in den USA mit 36% angegeben (Hasan et al. 1990). In Westeuropa und in den USA beträgt diese Rate in der Gesamtbevölkerung 0,2–2,5%. Ein HCC entsteht bei anti-HCV-seropositiven Patienten nahezu ausschließlich bei gleichzeitigem Vorliegen einer Leberzirrhose, so dass unklar bleibt, ob es unabhängig von der chronischen Leberzellschädigung mit vermehrter Geweberegeneration und konsekutiven genetischen Alterationen noch einen direkten Einfluss des Hepatitis-C-Virus auf die maligne Transformation gibt, zumal das Wachstum des humanen HCC nicht von einzelnen viralen Onkogenen abhängig ist und die Mehrheit der virusassoziierten hepatozellulären Karzinome keine viralen Gene exprimieren. Hinweise auf ein malignes Transformationspotenzial des Core-Proteins sowie trunkierter Formen nicht struktureller Proteine (NS3, NS4B) stammen entweder aus In-vitro-Modellen oder transgenen Tiermodellen und sind hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Verlauf der HCV-Infektion beim Menschen ungeklärt. Es wurde vermutet, dass die Onkogenaktivierung kein essenzieller früher Schritt sondern ein Ereignis in der Spätphase der humanen Hepatokarzinogenese darstellt. Dagegen scheint die Verkürzung der Telomere, die sich in Hepatozyten bei chronischen Lebererkrankungen beobachten lässt und chromosomale Instabilität induziert, an der Karzinogenese des HCC beteiligt zu sein. Die Telomere sind in humanen hepatozellulären Karzinomen sehr kurz (Plentz 2007) und die Verkürzung der Telomere korreliert mit einer zunehmenden Aneuplodie der HCC (Plentz 2005).
Die Rate chronischer Verläufe einer Hepatitis C ist mit 80% um ein vielfaches höher als bei der Hepatitis B mit 5% der Fälle.
Trotz einer Monotherapie mit pegyliertem Interferon-α oder einer Kombinationstherapie mit Ribarivin und Interferon-α kommt es nur bei 40% der Patienten zu einer dauerhaften Viruselimination, während bei 20% der Patienten eine Progression mit Entwicklung einer Leberzirrhose beobachtet wird. Allerdings konnte in mehreren Studien trotz der fehlenden Viruselimination bei Patienten mit chronischer Hepatitis C unter einer Interferon-α-Therapie geringere Raten für Fibroseprogression und HCC-Entwicklung gezeigt werden. Diese Beobachtung beruht unter Umständen auf einer direkten antifibrotischen und anti-proliferativen Wirkung von Interferon-α.
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Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
Interesse in Bezug auf eine Verhinderung eines späteren HCC verdient auch die in hohem Maß erfolgreiche Therapie der akuten HCV-Infektion, die aufgrund ihres in 2/3 der Fälle asymptomatischen Verlaufs zumeist unerkannt bleibt. In einer Studie zur Therapie der akuten Hepatitis C, die bei 44 Patienten hauptsächlich im Rahmen eines intravenösen Drogenabusus oder Nadelstichverletzungen nachgewiesen wurden. Hier war die Therapie mit Interferon-α in 98% der Fälle erfolgreich (Jaeckel et al. 2002). Angesichts des aufgrund der hohen genetischen Variabilität der Hüllproteine ausbleibenden Erfolges bei der Entwicklung eines rekombinanten Impfstoffes liegt in der Therapie der akuten Hepatitis C und ihrer Erkennung das größte Potenzial für die Prävention ihrer Spätkomplikationen wie Zirrhose und HCC.
Eine ganze Reihe chemischer Karzinogene ist für die Hepatokarzinogenese von Bedeutung. Dieser Zusammenhang konnte für Aflatoxin B1, dem Mykotoxin der Schimmelpilze Aspergillus flavus und Aspergillus parasiticus sowohl epidemiologisch als auch molekularbiologisch am deutlichsten belegt werden.
43
Eine Korrelation zwischen der Aufnahme kontaminierter Nahrungsmittel und dem Auftreten eines HCC wurde insbesondere in den tropischen Regionen Westafrikas und Südostasiens gezeigt, insbesondere in Kenia, Mozambique und Uganda bzw. in Thailand, auf den Philippinen und in den südchinesischen Küstenregionen, wo bis zu 50% der untersuchten Nahrungsmittelproben mit Aflatoxinen kontaminiert waren (Bechtel et al. 1998). Die Kontamination wird durch die Feuchtigkeit in den Monsunmonaten begünstigt, in denen sich ein Schimmelpilzschleier über die Reisernte legt. Ebenso werden aber auch Erdnüsse und Getreide befallen so wie die aus Getreide gebrauten Getränke und auch Milchprodukte von Tieren nach Einnahme von Aflatoxin-kontaminiertem Futter. In den Hepatozyten wird Aflatoxin B1 in die aktive Form AFB1-8,9-Epoxid metabolisiert, das als eines der potentesten Mutagene gilt. Erstaunlich ist dabei die Uniformität der hervorgerufenen Genalterationen, eine G→T-Transversion auf Kodon 249 des p53 Tumorsuppressor-Gens, die unabhängig voneinander sowohl in Südafrika also auch in Südchina beschrieben wurde. Ein solches Muster des Basenaustausches bei einer Punktmutation wird als Transversion bezeichnet und gilt auch in verschiedenen anderen Tumortypen als Hinweis auf einen Einfluss von Mutagenen, während der Basenaustausch bei Spontanmutationen häufig eine Transition an CpG-Stellen darstellt (Harris u. Hollstein 1993). Die Kanzerogenität von Aflatoxin B1 wird beim Vorliegen von Kofaktoren zusätzlich verstärkt. In Regionen mit Aflatoxin-B1-Exposition hat die HBsAg-positive gegenüber der HBsAg-negativen Bevölkerung ein 30-fach höheres HCC-Risiko (Henry et al. 1999).
In der westlichen Welt ist die äthyltoxische Leberzirrhose eine der häufigsten Ursachen eines HCC.
Im selektierten Patientengut von Transplantationszentren beträgt der Anteil von HCC in einer äthyltoxischen Leberzirrhose an allen HCC in Zirrhose etwa 20%. Da eine Lebertransplantation für viele Patienten mit Zirrhose aufgrund eines fortbestehenden Alkoholismus nicht in Betracht kommt, ist diese Rate bei den übrigen Patienten mit einem HCC in Zirrhose vermutlich deutlich höher. In einer älteren französischen Studie von 1976–1983 lag bei 92% der Patienten mit einem HCC in Zirrhose ein exzessiver Alkoholkonsum vor (Boutron et al. 1988). Ein regelmäßiger Alkoholkonsum steht nicht nur im Zusammenhang mit der Entwicklung eines HCC, sondern wurde auch mit einer erhöhten Inzidenz von Oropharynx- und Ösophaguskarzinomen in Zusammenhang gebracht. Trotzdem gilt ein direkter karzinogener Einfluss auf Hepatozyten derzeit als unwahrscheinlich, während die Bedeutung von Alkohol als Kokarzinogen vor allem mit dem Hepatitis-B-Virus und dem Hepatitis-C-Virus, aber auch mit anderen Hepatotoxinen und Nikotinabusus gut belegt ist. Wesentlicher Risikofaktor ist auch hier die Leberzirrhose als Präkanzerose, indem beispielsweise der chronische Alkoholabusus bei HBsAg-positiven Patienten sowohl die Entwicklung einer Zirrhose beschleunigt als auch das Risiko eines HCC erhöht.
Cholangiozelluläres Karzinom (CCC) Das CCC ist ein seltener Tumor, dessen Häufigkeit allerdings deutlich zunimmt. In einer Analyse der Japanese Pathological Society, in die etwa 750.000 Autopsien eingingen, wurde in den vergangen 25 Jahren ein Anstieg der Inzidenz des CCC von 0,3% auf 0,6% ermittelt. Noch deutlicher war allerdings der Anstieg des Verhältnisses der Inzidenzen von HCC zu CCC, das im gleichen Beobachtungszeitraum von 9:1 auf 27:1 zunahm. Auch in Europa und Nordamerika zeigt das CCC eine zunehmende Inzidenz. So stieg zwischen 1973 und 1997 die Inzidenz- und Letalitätsrate vom CCC in den Vereinigten Staaten um etwa 9% (Patel 2001). In einer Analyse aus England und Wales konnte ebenso eine stetig steigende Letalitätsrate vom intrahepatischen Cholangiokarzinom zwischen 1968 und 1998 nachgewiesen werden, wohingegen die Letalität vom HCC keine Veränderung aufwies (Taylor-Robinson 2001). Jedoch ist die Aufklärung der Pathogenese des CCC auch aufgrund seiner niedrigeren Inzidenz bislang in noch geringerem Maße gelungen als beim HCC. Fundierte Erkenntnisse zur Pathogenese des CCC liegen nur für zwei prädisponierende Krankheitsbilder vor, die zu lokal hohen Inzidenzen des CCC führen, die Hepatolithiasis in Taiwan, China, Hongkong und Korea einerseits und die Infektion mit den Leberegeln Opisthorchis viverrini oder Clonorchis sinensis in Thailand, Laos und Westmalaysia bzw. in Südchina andererseits. Die höchsten Raten einer Hepatolithiasis wurden aus Taiwan berichtet, wo bei 50% aller Patienten mit einem Gallensteinleiden die intrahepatischen Gallengänge betroffen sind. In Japan sank diese Rate im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts von 10% auf 3,6%, wobei Veränderungen in der Nahrungsmittelzusammensetzung als eine wesentliche Ursache angesehen werden. In Mitteleuropa beträgt der Anteil der Patienten mit einer Choledocholithiasis an allen Patienten mit
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einem Gallensteinleiden etwa 10%. Angaben zum Vorliegen einer Hepatolithiasis gibt es jedoch kaum. Im Jahr 1903 beschrieb Courvoisier in Frankreich nur einen solchen Fall in einer Serie von über 16 000 Autopsien einschließlich 1700 Fällen mit einer Cholezystolithiasis und wurde im Jahre 1936 in einer Studie aus Russland hinsichtlich dieser extrem niedrigen Raten bestätigt (Rafanov et al. 1936). Umgekehrt liegt die Rate der Hepatolithiasis beim CCC in der Hochinzidenzregion Taiwan bei bis zu 70% (Chen 1999). Diese Studien aus Taiwan und Japan beschrieben bei Patienten mit Hepatolithiasis und CCC eine Sequenz von biliärer Stase, bakterieller Infektionen, chronisch proliferativer Cholangitis, atypischer Hyperplasie des Gangepithels und Karzinomentstehung entlang der luminalen Oberfläche der steintragenden Gallengänge (Nakanuma et al. 1985). Der Prozess der Nekroinflammation, d. h. einer Entzündung mit epithelialem Zelluntergang und konsekutiv gesteigerter Epithelproliferation gilt als prokarzinogen und als Prototyp der Karzinogenese nicht nur bei Hepatolithiasis, sondern auch bei anderen Erkrankungen mit biliärer Stase und Gangalteration wie z. B. bei Infektion mit Leberegeln, der primär sklerosierenden Cholangitis, Choledochuszysten oder dem Caroli-Syndrom. Das Risiko von Patienten mit einer primär sklerosierenden Cholangitis (PSC), im Verlauf von 5 Jahren ein CCC zu entwickeln, wurde mit 8% beziffert, das kumulative Risiko einer Karzinomentwicklung bei erwachsenen Patienten mit nicht-resezierten Choledochuszysten mit 20% (Broome et al. 1996). Am Beispiel der durch Leberegel bedingten biliären Karzinogenese kann die zusätzliche Bedeutung von chemischen Karzinogenen als Kofaktor verdeutlicht werden. In der Provinz Khon Kaen im Nordosten Thailands hat der Durchseuchungsgrad der Bevölkerung mit Opisthorchis viverrini eine Rate von bis zu 95% erreicht. Die Häufigkeit eines CCC, bezogen auf 100.000 Einwohner, liegt im Nordosten bei 79, verglichen mit 7 in Chiang Mai im Nordwesten Thailands. Gleichzeitig ist für den Nordosten Thailands der Verzehr von gesalzenem Fisch sowie von fermentierten Fischprodukten typisch. Hierdurch wird der Gehalt von Dimethylnitrosamin, Nitraten und Nitriten in der Nahrung erhöht. Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass weder die alleinige Infektion mit Opisthorchis viverrini noch die alleinige Gabe von Dimethylnitrosamin zur Entwicklung eines Cholangiokarzinoms führte. Erst das gemeinsame Auftreten von Infekt und Karzinogen führte zur malignen Transformation, wobei die Induktion der Stickoxidsynthase aufgrund der inflammatorischen Zellreaktion das Zusammenspiel beider Faktoren erklären könnte (Satarug et al. 1996). In den vergangenen Jahren ist als ein offenbar bedeutender pathogenetischer Faktor für die Entwicklung eines CCC die Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus deutlich geworden. Die Rate von Patienten, die seropositiv für Anti-HCV-Antikörper sind, wird beim CCC mit bis zu 30% angegeben. Die vergleichbare Rate für die Gesamtbevölkerung liegt in Japan beispielsweise bei 1%.
Aufgrund der Tumorvorsorge bei Patienten mit chronischer Hepatitis oder Leberzirrhose werden gelegentlich auch sehr kleine CCC diagnostiziert, die bei diesen Patienten häufig mit dem Nachweis von Anti-HCV-Antikörpern einhergehen (Yamamoto et al. 1998). Insgesamt beträgt beim CCC der Anteil der Patienten mit einer Zirrhose 10% und mit einer chronischen Hepatitis etwa 17%. Dabei ist die Hälfte der Fälle einer Leberzirrhose auf eine nicht-biliäre Genese zurückzuführen und diese wiederum zum größeren Teil durch die Zunahme der HCV-bedingten chronischen Lebererkrankungen erklärbar. Ein möglicher pathogenetischer Mechanismus wurde nicht beschrieben, allerdings wurde ein Zusammenhang aufgrund des Nachweises des HCV-Core-Antigens ausschließlich in proliferierendem, jedoch nicht in normalem Gallengangsepithel vermutet (Uchida et al. 1994). Ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Alkohol oder organischen Lösungsmitteln und der Entstehung eines CCC konnte in einer älteren schwedischen Fallkontrollstudie nicht nachgewiesen werden. Ebenso fiel in mehreren Studien kein erhöhtes Risiko durch die Einnahme oraler Kontrazeptiva auf. Jedoch stellen chronische Entzündungsreaktionen und die daraus resultierenden Schädigungen der Gallengangszellen in Verbindung mit einer Störung des Galleabflusses unabhängig von prädisponierenden Erkrankungen fundamentale Ursachen in der malignen Transformation von Cholangiozyten dar.
Die im Rahmen von Inflammationsprozessen freigesetzten Zytokine scheinen bei der malignen Transformation der Cholangiozyten eine zentrale Rolle einzunehmen.
In den molekularen Mechanismen der Cholangiokarzinogenese wird Zytokinen, beispielsweise Interleukin-6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), die im Rahmen entzündlicher Prozesse freigesetzt werden, eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Die Zytokine werden dabei im Rahmen der Inflammation sowohl von den Cholangiozyten selbst als auch von anderen Zellen der Leber, wie Hepatozyten, sinusoidale Endothelzellen und von Kupffer-Sternzellen, freigesetzt und induzieren über auto- und parakrine Mechanismen eine autonome Signaltransduktion, die zur Stimulation der Proliferation beiträgt (Fava 2007). Des Weiteren induzieren Zytokine die Stickoxidsynthase in Cholangiozyten, wodurch über die Freisetzung von Stickoxid die DNS-Reparaturmechanismen gehemmt und somit die Mutagenese begünstigt wird. Andere Faktoren, wie die Cyclooxigenase-2 (COX-2), Gallensäuren oder Proto-Onkogene, scheinen ebenso an der malignen Transformation der Cholangiozyten beteiligt zu sein, die Bedeutung dieser Faktoren für die Cholangiokarzinogenese ist jedoch nicht abschließend geklärt.
43
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Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
43.1.4 Pathologie
Hepatozelluläres Karzinom Die makroskopische Einteilung des HCC erfolgt aufgrund seiner Wachstumsform in 4 Typen: 4 Infiltrierender/diffuser Typ 4 Verdrängend wachsender Typ 4 Multifokaler Typ 4 Pendikulärer Typ Der infiltrierende Typ, der auch als diffuses HCC bezeichnet wird, ist gegenüber dem Leberparenchym häufig unscharf abgegrenzt, kommt in der Regel bei Zirrhose vor und macht etwa die Hälfte der Fälle in Europa und Nordamerika aus (. Abb. 43.1a). Therapeutisch bedeutsam sind die größere Rate einer vaskulären Infiltration auch bei kleinen Tumoren sowie die makroskopisch oft nur unzureichend beurteilbare Radikalität aufgrund einer mikroskopischen Schnittrandinfiltration nach Resektion.
Der verdrängend wachsende Typ wird auch als expansives HCC bezeichnet und ist insbesondere in Japan und Südafrika mit einer Rate von 40% der HCC häufig. Während im Lauf der Tumorprogression auch Satellitenknoten beobachtet werden können, zeigt sich zunächst eine eher günstige Abgrenzung gegenüber dem umliegenden Gewebe, häufig auch mit einer fibrösen Kapsel, wobei Gefäße in der Regel nur verdrängt und nicht infiltriert werden (. Abb. 43.1b). Das multifokale HCC tritt in Europa und in Nordamerika in etwa 20% der Fälle auf, während es in den übrigen Regionen selten ist. Diese multiplen Tumoren können hinsichtlich primärer und sekundärer Genese nicht unterschieden werden und besitzen keine Kapsel (. Abb. 43.1c). Der schlechten Prognose dieses Typs stehen die günstigen Ergebnisse nach der einfachen Resektion des pendikulären HCC gegenüber. Dieser pendikuläre Typ, der auch als gestieltes HCC bezeichnet wird, ist mit der Leber auch bei fortgeschrittener Größe nur durch eine schmale Parenchymbrücke und häufig sogar nur durch eine Gefäßbrücke verbunden
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b
c
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d . Abb. 43.1a–d. Makroskopische Wachstumsformen des HCC. a Infiltrierender oder diffuser Typ mit unscharfer Abgegrenzung gegenüber dem Leberparenchym. b Verdrängend wachsender oder expansiver Typ mit eher günstiger Abgrenzung gegenüber dem umliegenden Gewebe, hier mit einer fibrösen Kapsel, wobei Gefäße in der Regel nur verdrängt und nicht infiltriert werden. c Multifokales HCC,
dessen multiple Tumoren hinsichtlich primärer und sekundärer Genese häufig nicht unterschieden werden können und keine Kapsel besitzen. d Pendikuläres oder gestieltes HCC, das mit der Leber auch bei fortgeschrittener Größe nur durch eine schmale Parenchymbrücke, hier am linken Leberrand, und häufig sogar nur durch eine Gefäßbrücke verbunden ist
601 43.1 · Grundlagenwissen
a
43
b . Abb. 43.2a,b. Aufschnittpräparate. a HCC. b CCC. Ein typisches Merkmal am makroskopischen Aufschnitt des HCC ist eine gelegentlich gelb-grüne Färbung der Tumorknoten, die für das HCC pathognomonisch ist, da die Tumorzellen zwar Galle bilden, aber nicht ab-
leiten können. Umgekehrt kommt es beim CCC nicht zur Bildung von Galle, sondern von Muzinen. Die Schnittfläche ist blass und schleimig
(. Abb. 43.1d). Der pendikuläre Typ ist daher ohne Parenchymverlust resektabel. In etwa 25% der Fälle bestehen Mischtypen oder Wachstumsformen, die keinem Muster zugeordnet werden können. Zusätzlich ist die Relevanz der makroskopischen Klassifikationsansätze auch durch Sekundärphänomene in Form von Blutungen, Nekrosen und vaskuläre Tumorausbreitungen erschwert und umstritten. Ein typisches Merkmal am makroskopischen Aufschnitt des HCC ist eine gelegentlich gelb-grüne Färbung der Tumorknoten. Falls vorhanden, ist sie für das HCC pathognomonisch, da die Tumorzellen zwar Galle bilden, aber nicht ableiten können (. Abb. 43.2a). Umgekehrt kommt es beim CCC nicht zur Bildung von Galle, sondern von Muzinen. Es weist in der Regel eine blasse, schleimige Schnittfläche mit reichlich fibrösem Stroma auf (. Abb. 43.2b). Der häufigste histologische Wachstumstyp ist das trabekuläre HCC, das ein sinusoidales Muster aufweist mit einer Endothelschicht an der sinusoidalen Oberfläche sowie mehrschichtigen Zellplatten. Kupffer-Zellen fehlen in der Regel immer und auch Retikulin, das, falls überhaupt, nur spärlich vorhanden ist (Kimura et al. 1998). Spärliches Retikulin ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen hochdifferenzierten HCC einerseits und Regeneratknoten andererseits, in denen das Retikulinmuster normal ist. In einigen Tumoren oder auch nur in Anteilen von HCC liegt ein azinäres Wachstumsmuster vor, das durch die pseudoglanduläre Anordnung von Zellen um kleine bililäre Canaliculi herum zustande kommt. Diese Lichtungen ähneln den Acini der Schilddrüse und sind mit gallig gefärbtem Fibrin, hyalinem Material und Makrophagen gefüllt. Zusätzlich können runde Hyalinkörper bei etwa 15% der Patienten im Zytoplasma der Tumorzelle oder auch extrazellulär nachgewiesen werden. Diese Hyalinkörper bestehen zumeist aus den Proteinen α-Fetoprotein (AFP), α1-Antitrypsin oder Albumin. Je nach Grunderkrankung können weitere mikroskopische Be-
sonderheiten vorliegen. Insbesondere das Zytoplasma von Patienten mit Alkoholabusus weist häufig Mallory-Körperchen auf. Eine Hämochromatose zeigt typischerweise keine Hämosiderineinlagerung in den Tumorzellen. Die Einteilung der histopathologischen Differenzierung in die Grade I–IV erfolgte 1954 durch Edmondson und Steiner und hat heute noch Gültigkeit. Während ein Grad-I-HCC, das also hochdifferenziert ist, dem normalen Leberparenchym gleicht, weist ein schlecht differenziertes Grad-IV-HCC häufig einen sarkomähnlichen Aspekt auf, indem die neoplastischen Hepatozyten eine spindelförmige Gestalt annehmen und der trabekuläre Aufbau verlorengeht. Die größte Zahl der HCC wird als Grad-II-Tumor klassifiziert, wobei allerdings ein Tumor Regionen unterschiedlicher histopathologischer Differenzierungsgrade enthalten kann.
Fibrolamelläres Karzinom Das fibrolamelläre Karzinom stellt eine Sonderform des HCC dar, das histologisch durch säulenartig angeordnete polygonale Tumorzellen, die durch Kollagenlamellen gebildet werden, gekennzeichnet ist. Die Differenzierung der einzelnen Zellen mit eosinophilem und granulärem Zytoplasma wird als onkozytär bezeichnet. Eosinophiler Aspekt und Granulierung kommen durch die hohe Zahl von Mitochondrien zustande.
Fibrolamelläre Karzinome stellen einen geringen Anteil von allen HCC dar und sind nur in seltenen Fällen mit einer Leberzirrhose, einem Hepatitis-B-seropositivem Befund und erhöhtem AFP-Spiegel assoziiert.
In einer großen bevölkerungsbasierten Studie aus den Vereinigten Staaten wurden in einem Zeitraum von 15 Jahren lediglich 71 fibrolamelläre Karzinome gegenüber 9870 hepatozellulären Karzinomen diagnostiziert, so dass der Anteil der
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43
b . Abb. 43.3a,b. Fibrolamelläres Karzinom. a Resektat nach Trisektorektomie rechts bei ausgedehnetem fibrolamellärem Karzinom. b Operationssitus nach Hemihepatektomie links und partieller Pankreatoduodenktomie (Operation nach Kausch-Whipple) bei fibrola-
mellärem Karzinom mit extrahepatischer Beteiligung und Infiltration von Duodenum und Pankreaskopf; der Ductus hepaticus dexter ist mit einer Sonde intubiert (grüner Pfeil: Restmagen; schwarzer Pfeil: Pankreasschwanz)
fibrolamellären Karzinome an allen primären Leberkarzinomen weniger als 1% betrug (El-Sarag 2004). Dabei zeigten sich erhebliche epidemiologische Unterschiede zwischen dem HCC und dem fibrolamellären Karzinom. So betrug das mediane Alter bei der Diagnose eines fibrolamellären Karzinoms 33 Jahre, wohingegen Patienten mit einem HCC ein medianes Alter von 66 Jahren aufwiesen. Zudem trat die Mehrheit der fibrolamellären Karzinome vor dem vierzigsten Lebensjahr auf, jedoch nur 4% der HCC wurden in dieser Altersgruppe diagnostiziert. Des Weiteren fand sich beim fibrolamellären Karzinom eine gleichmäßige Geschlechterverteilung, demgegenüber waren beim HCC etwa drei Viertel der betroffenen Patienten männlich. Ebenso konnten Unterschiede in Bezug auf die ethnische Herkunft der Patienten beobachtet werden. So waren über 85% der Patienten mit fibrolamellärem Karzinom europäischer Abstammung. Demgegenüber betrug der Anteil der Weißen an Patienten mit einem HCC lediglich gut 50%. Das fibrolamelläre Karzinom erreicht oft eine erhebliche Größe mit einem Durchmesser über 10 cm, ist aber wegen seiner guten Abgrenzung gegenüber dem übrigen Leberparenchym und der fehlenden Assoziation mit einer Leberzirrhose trotzdem gut resektabel (. Abb. 43.3). In der bereits erwähnten bevölkerungsbasierten Studie aus den USA wurde in über 40% der Patienten mit fibrolamellärem Karzinom der Tumor als lokal begrenzt eingestuft, wohingegen lediglich gut 30% der Patienten mit HCC eine lokalisierte Erkrankung aufwiesen. Noch deutlicher waren die Unterschiede zwischen beiden Tumorentitäten in Bezug auf die Therapie. Erhielten knapp 50% der Patienten mit einem fibrolamellärem Karzinom eine Resektion oder Lebertransplantation mit kurativer Intention, betrug dieser Anteil in der Gruppe der hepatozellulären Karzinome lediglich 13%. Die Langzeitprognose für Patienten mit fibrolamellärem Karzinom war mit einem 5-Jahres-Überleben von 31,8% signifikant günstiger als beim HCC mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von lediglich 6,8%.
Allerdings ist unklar, ob die günstigere Prognose des fibrolamellären Karzinoms nur durch die Begleitumstände wie Resektabilität, fehlende Begleiterkrankungen und junges Alter der Patienten oder auch durch Eigenschaften des Tumors selbst bedingt ist, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass nach Transplantation und Resektion auch beim HCC häufig 5-Jahres-Überlebensraten von über 50% beschrieben werden.
Cholangiozelluläres Karzinom Verglichen mit dem HCC wirkt der makroskopische Aufschnitt des CCC fest und hell als Ausdruck eines hohen Bindegewebsgehaltes, des vergleichsweise avaskulären Wachstums und der fehlenden galligen Färbung. Nur in sehr seltenen Fällen kann eine Gallebildung nachgewiesen werden, die dann allerdings Ausdruck von Gallethromben in den duktulären Tumorproliferaten ist, aber nicht innerhalb der Tumorzellen stattfindet. Ebenfalls im Gegensatz zum HCC besteht eine geringere Invasivität in Leber- und Portalvenen. Das mikroskopische Bild des CCC wird durch kuboidal bis zylinderartig erscheinende Zellen, die drüsenähnliche Strukturen bilden und an das normale Gallengangsepithel erinnern, charakterisiert. Es können aber auch hypozelluläre Tumoren mit ausgeprägten desmoplastischen Reaktionen vorliegen, die die bei häufig gleichzeitigem Nachweis einer Cholangitis mit Fibrose ohnehin schwierige Abgrenzung gegenüber benignen Raumforderungen zusätzlich erschweren.
Typisch für das CCC ist der intrazelluläre und intraluminale Nachweis von Muzinen, der nicht nur die Abgrenzung gegenüber einem HCC, sondern auch gegenüber chronisch inflammatorischen Prozessen wie bei der Hepatolithiasis ermöglicht.
603 43.1 · Grundlagenwissen
Muzine sind hochmolekulare Glykoproteine, die den Haupt-
bestandteil des Mucus in verschiedenen Geweben darstellen. Derzeit sind 8 verschiedene Muzine (MUC 1–7 und MUC 5B) identifiziert worden, für die offenbar ein zell- und gewebetypisches Expressionsmuster besteht. MUC 3 und MUC 5B werden zu 100% in normalem Gallengangsepithel sowie auch bei Hepatolithiasis exprimiert (Lee u. Liu 2001). Beide Muzine wirken auf das Gallengangsepithel protektiv gegenüber den detergenten Eigenschaften der Gallensalze. MUC 4 und MUC 5AC sind beim CCC in 67% bzw. 100% der Fälle exprimiert sowie auch bei dysplastischen Formen im Verlauf einer Hepatolithiasis. Die Expressionsrate in normalem Gallengangsepithel liegt nur bei jeweils 10%, so dass die maligne Transformation des Gallengangsepithels offenbar mit einer Alteration der Muzin-Genexpression einhergeht, die für diagnostische Zwecke genutzt werden kann. Die immunhistochemische Differenzialdiagnose von CCC, HCC sowie metastatischen Kolon- und Pankreaskarzinomen ist seit längerem beschrieben (Ganjei et al. 1988; Balaton et al. 1988). Besondere Bedeutung kommt dabei den Zytokeratinen zu, deren Unterform CK-19 auf dem CCC, jedoch nicht auf dem HCC exprimiert wird. Umgekehrt wird das Erythropoese-assoziierte Antigen-1 (ERY-1) auf 90% der HCC exprimiert, jedoch nicht auf CCC. Geringere Bedeutung hat der immunhistochemische Nachweis von AFP, dessen Expression beim CCC zwar überhaupt nicht, aber auch beim HCC nur in 17% der Fälle beobachtet wird. Größere Bedeutung kommt noch dem karzinoembryonalen Antigen (CEA) zu, das bei 75% der CCC sowie bei 24% der HCC – und dort auch nur auf kanalikulären Membranen – nachgewiesen werden kann. Schwieriger oder sogar unmöglich ist gelegentlich die Abgrenzung eines CCC gegenüber der Metastasen von Kolonoder Pankreaskarzinomen, da sie ein sehr ähnliches Expressionsmuster besitzen; eine CEA-Expression kann zwar bei 10% bzw. 90% dieser Lebermetastasen gefunden werden, ist aber keineswegs pathognomonisch. Kürzlich wurde gezeigt, dass die Expression von CK-20, das bei mittelgradig und schlecht differenzierten CCC nur selten und wenn, dann fokal zur Darstellung kommt, zur Differenzialdiagnose beitragen kann (Rullier et al. 2000).
43.1.5 Prognostische Faktoren Frühere retrospektive Analysen zu prognostischen Faktoren sind häufig nicht mehr repräsentativ für die HCC und CCC, die mit den heutigen diagnostischen Methoden nachgewiesen und mit dem derzeitigen therapeutischen Standard behandelt werden. Zudem werden heutzutage häufig kleine HCC und selten auch kleinere CCC im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen nachgewiesen. Erkenntnisse aus der Therapie dieser Karzinome sind in neuere Klassifikationen eingegangen. Die 6. Auflage der TNM-Klassifikation maligner Tumoren hat sich insbesondere für das T-Stadium der primären Lebertumoren grundlegend geändert (Wittekind et al. 2003). Insbesondere findet eine Gefäßinfiltration als wesentlicher prognostischer Parameter auf eine neue Weise Berücksichti-
. Tab. 43.1. TNM-Einteilung primärer Lebertumoren T – Primärtumor TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
T1
Solitärer Tumor ohne Gefäßinvasion
T2
Solitärer Tumor mit Gefäßinvasion oder multiple Tumoren, keiner mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
T3
Multiple Tumoren mehr als 5 cm in größter Ausdehnung oder Tumoren mit Befall eines größeren Astes der V. porta oder der Vv. hepaticae
T4
Tumor(en) mit direkter Invasion von Nachbarorganen ausgenommen Gallenblase oder Tumor(en) mit Perforation des viszeralen Peritoneums
N – Regionäre Lymphknoten NX
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
N1
Regionäre Lymphknotenmetastasen
M – Fernmetastasen MX
Fernmetastasen können nicht beurteilt werden
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
gung: Solitärtumoren werden nicht mehr nach ihrer Größe unterschieden, sondern nur nach Fehlen oder Vorliegen einer Gefäßinvasion und dann als T1- bzw. T2-Tumoren klassifiziert (. Tab. 43.1 und . Tab. 43.2). Diese Dichotomie ist sicher sinnvoll, kann in der Regel aber erst während der histopathologischen Aufarbeitung nach Resektion beurteilt werden, da gerade bei kleineren Tumoren häufig nur eine mikroskopische Infiltration vorliegt. Der Nachweis eines Befalls eines größeren Astes der V. portae oder der Vv. hepaticae führt zur Klassifikation als T3-Tumor. Allerdings lässt sich die interessante Fragestellung, ob eine Tumorinfiltration im Bereich des Abstroms aus der Leber in den Körperkreislauf, d. h. eine Infiltration der Vv. hepaticae, in der Tat keine ungünstigere prognostische Relevanz habe als eine Infiltration im Bereich des Zustroms in den hepatischen Kapillarkreislauf, d. h. eine Infiltration der Vv. portae, derzeit nicht mit klinischen Daten belegen. Ähnliches gilt für Tumoren mit direkter Invasion von Nachbarorganen, ausgenommen der Gallenblase, oder Tumoren mit Perforation des viszeralen Peritoneums, die als T4Tumoren klassifiziert werden. Hier ist beispielsweise fraglich, ob eine resektable Infiltration des Zwerchfells durch ein HCC in der Tat prognostisch ungünstiger sein sollte als eine Infiltration einer Lebervene. Dieser empirischen Unsicherheit wird durch die resultierende Stadiengruppierung in IIIa bis T3- und IIIb bis T4-Tumoren Rechnung getragen.
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Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
. Tab. 43.2. Stadiengruppierung primärer Lebertumoren
Stadium
T-Kategorie
N-Kategorie
M-Kategorie
I
T1
N0
M0
II
T2
N0
M0
IIIA
T3
N0
M0
IIIB
T4
N0
M0
IIIC
Jedes T
N1
M0
IV
Jedes T
Jedes N
M1
Die TNM-Klassifikation ist primär für das HCC vorgesehen, kann aber auch für das CCC verwendet werden.
43
Insbesondere beim HCC wurden Tumorgröße und Multizentrizität ebenfalls als prognostische Parameter beschrieben. Multiple Tumoren mit einem maximalen Einzeldurchmesser von bis zu 5 cm werden als T2-Tumoren klassifiziert, multiple Tumoren mit einem maximalen Einzeldurchmesser von über 5 cm als T3-Tumoren. Ein maximaler Knotendurchmesser von 5 cm sowie eine Anzahl von bis zu 3 Tumorknoten werden beim HCC von vielen Transplantationszentren als Grenzbereiche für ein noch zu akzeptierendes Tumorausmaß angesehen, da sie als Surrogatmarker für die vor einer histopathologischen Begutachtung prätherapeutisch nicht erfaßbare mikroskopische Gefäßinfiltration gelten. Da der prädiktive Wert dieser Surrogatmarker nicht bei 100% liegt, es also auch große und multiple Tumoren ohne eine Gefäßinfiltration gibt und umgekehrt bei kleinen HCC, ist der derzeitige Stand der Diagnostik und damit auch der prätherapeutischen Selektion unbefriedigend. Innerhalb der TNM-Klassifikation ist die jeweils weitergehende Einteilung von solitären bzw. multiplen Tumoren damit methodologisch nicht einheitlich. Die Dichotomie erfolgt bei Solitärtumoren, wie oben angegeben, durch einen nur histopathologisch, jedoch nicht in der prätherapeutischen Diagnostik erfassbaren Parameter in T1- bzw. T2-Tumoren, bei multiplen Tumoren hingegen aufgrund der Tumorgröße, also einem prätherapeutisch erfaßbaren, aber hinsichtlich seiner prognostischen Relevanz ungenaueren Parameter, in T2- bzw. T3-Tumoren. Grundsätzlich gilt, dass prognostische Kriterien sehr differenziert betrachtet werden müssen und daher nur unzureichend in einem einheitlichen Schema formuliert werden können. So unterscheiden sich die prognostischen Kriterien für das HCC und das CCC. Weiterhin muss beim HCC berücksichtigt werden, ob zusätzlich eine Leberzirrhose vorliegt und welches therapeutische Verfahren gewählt wird. So besitzt die Gefäßinfiltration in multivariaten Analysen offenbar nur nach Lebertransplantation eine signifikante Bedeutung, nicht jedoch nach Leberteilresektion (Jonas et al. 2001; Fong et al.
1999). Andere prognostische Parameter nach Resektion bei Patienten mit HCC sind die Diagnose im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen und als ungünstige Faktoren das Vorliegen einer Leberzirrhose, ein erhöhter AFP-Spiegel, wobei die Zäsuren zwischen 400 mg/ml und 2000 mg/ml schwanken, Satellitenknoten, das Fehlen einer Kapsel, ein erhöhtes KernZytoplasma-Verhältnis, DNA-Aneuploidie, fortgeschrittenes Alter und das männliche Geschlecht. Frühe HCC werden nahezu ausschließlich auf dem Boden einer Leberzirrhose, die Anlass zur Vorsorgeuntersuchungen gegeben hat, diagnostiziert, während ein HCC ohne eine assoziierte Zirrhose in der Regel erst aufgrund seiner Größe oder durch Komplikationen wie beispielsweise Tumornekrose und -blutung, Gallengangsobstruktion oder Pfortaderverschluss, erst symptomatisch und dann nachgewiesen wird. Die Zirrhose ist eine ungünstige prognostische Variable. Hierfür sind 3 Faktoren bedeutsam: 4 Eine Leberzirrhose gilt als Präkanzerose, so dass nach erfolgter Resektion oder lokal ablativer Therapie weiterhin das Risiko eines De-novo-HCC besteht. In einer multivariaten Analyse zur Identifikation von Risikofaktoren für ein intrahepatisches Rezidiv nach kurativer Resektion eines HCC, die an 244 Patienten in Hongkong durchgeführt wurde, waren das Child-Pugh-Stadium der Zirrhose und als Einzelparameter auch der Serum-Albuminspiegel unabhängige signifikante Variablen (Poon et al. 1999). Eine ältere Studie hatte 47 Resektionen eines HCC in Zirrhose mit einem tumorfreien Resektionsrand von mehr als 1 cm untersucht (Belghiti et al. 1991). Intrahepatische Rezidive traten bei 28 Patienten auf, davon jedoch nur 4 mit einem Abstand zum Resektionsrand von unter 2 cm, bei denen unter Umständen auch eine doch nicht ausreichende chirurgische Radikalität als Ursache nicht ausgeschlossen werden konnte. Die übrigen Rezidive wurden als Denovo-HCC auf dem Boden der vorbestehenden Zirrhose gewertet. 4 Im Krankheitsverlauf eines HCC in Zirrhose verstirbt nur etwa die Hälfte der Patienten am HCC oder an tumorassoziierten Komplikationen. Die übrigen Todesfälle treten im Rahmen einer Progression der Leberzirrhose oder einer akuten Dekompensation auf. Dieses Risiko ist ab-
. Tab. 43.3. Child-Pugh-Klassifikation der Leberzirrhose
Punkte
1
2
3
Albumin (g/l)
>3,5
2,8–3,5
<2,8
Bilirubin (mg/dl)
<2,0
2,0–3,0
>3,0
Quick (%)
>70
40–70
>40
Aszites
Nein
Mäßig
Viel
Enzephalopatie
Nein
Grad I–II
Grad III–IV
Child-Pugh A: 5–6 Punkte Child-Pugh B: 7–9 Punkte Child-Pugh C: 10–15 Punkte
43
605 43.1 · Grundlagenwissen
. Tab. 43.4. BCLC-Klassifikation (Barcelona Clinic Liver Cancer) des hepatozellulären Karzinoms
HCC-Stadium
PerformanceStatus (ECOG)
Tumormorphologie
Okuda-Stadium
Leberfunktion
A1
0
Solitär
I
Keine portale Hypertension, Bilirubin normal
A2
0
Solitär
I
Portale Hypertension, Bilirubin normal
A3
0
Solitär
I
Portale Hypertension, Bilirubin erhöht
A4
0
3 Tumoren <3 cm
I–II
Child-Pugh-Stadium A–B
B: intermediär
0
Groß, multilokulär
I–II
Child-Pugh-Stadium A–B
C: fortgeschritten
1–2*
Gefäßinfiltration, Fernmetastasen*
I–II
Child-Pugh-Stadium A–B
D: final
3–4*
Alle
III*
Child-Pugh-Stadium C*
A: früh
Performance-Status (ECOG): 0 normale Aktivität, 1 symptomatische Erkrnakung mit ambulanter Betreuung, 2 <50% der Tageszeit im Bett, 3 >50% der Tageszeit im Bett, 4 Unfähigkeit, das Bett zu verlassen. In den HCC-Stadien A/B sollten alle Kriterien erfüllt sein, in den HCC-Stadien C/D mindestens eines der mit * bezeichneten Kriterien
hängig vom Stadium der Zirrhose und bedeutsam sowohl für die Beurteilung des Spontanverlaufes eines HCC in Zirrhose als auch bei allen Therapieformen außer der Lebertransplantation, mit der simultan auch eine Therapie der Leberzirrhose und häufig auch der primären Grunderkrankung durchgeführt wird. 4 Die Möglichkeiten einer Therapie sind vor allem in Hinsicht auf den zu erwartenden Parenchymverlust bei einer Leberteilresektion, aber auch bei lokal ablativen Verfahren gegenüber Patienten mit nicht-zirrhotischem Parenchym deutlich eingeschränkt. Letalitäts- und Morbiditätsraten liegen bei Leberzirrhose höher und sind vor allem durch eine strenge Selektion der Patienten, d. h. durch den Ausschluss von Patienten, günstig zu beeinflussen. Daher sind auch Faktoren bedeutsam, die nicht in die ChildPugh-Klassifikation der Leberzirrhose (. Tab. 43.3) eingehen wie z. B. eine portale Hypertension ohne Aszitesbildung und solche, die das Ausmaß eines Parenchymverlustes mitbestimmen wie die Lage eines HCC-Knotens, unabhängig von seiner Größe. Ansätze, sowohl das Tumorstadium eines HCC als auch Leberfunktionsparameter in neuen prognostischen Stadieneinteilungen zusammenzufassen, wurden mit der BCLC-Klassifikation (Barcelona Clinic Liver Cancer; . Tab. 43.4) und der CLIP-Stadieneinteilung (Cancer of the Liver Italian Program; . Tab. 43.5 und . Tab. 43.6) unternommen (Llovet et al. 1999, CLIP Investigators 2000). Eine solche Einteilung hatte bereits früher Okuda vorgeschlagen, erwies sich jedoch nur für die prognostische Bewertung fortgeschrittener HCC-Stadien tauglich, da die Tumorausdehnung nur hinsichtlich eines mehr oder weniger als
. Tab. 43.5. CLIP-Scoring-System (Cancer of the Liver Italian Program) des hepatozellulären Karzinoms
Punkte
0
1
2
Child-PughStadium
A
B
C
Morphologie/ Ausdehnung (1 gemeinsame Kategorie)
Solitär, Ausdehnung ≤50%
Multilokulär, Ausdehnung ≤50%
Infiltrativ, Ausdehnung >50%
AFP (ng/ml)
<400
>400
Pfortaderthrombose
Nein
Ja
. Tab. 43.6. CLIP-Score und Überleben von 196 Patienten mit hepatozellulärem Karzinom. (Nach: CLIP Investigators 2000)
CLIP-Score
Mittlere Überlebenszeit
1-JahresÜberleben
2-JahresÜberleben
0
36 Monate
84%
65%
1
22 Monate
66%
45%
2
9 Monate
45%
17%
3
7 Monate
36%
12%
4–6
3 Monate
9%
0
606
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
. Tab. 43.7. Okuda-Stadieneinteilung des hepatozellulären Karzinoms
Punkte
0
1
Tumorausdehnung
<50% der Leber
>50% der Leber
Albumin (g/dl)
>3,0
≤3.0
Bilirubin (mg/dl)
<3,0
≥3,0
Aszites
Nein
Ja
Stadium I: 0 Punkte Stadium II: 1–2 Punkte Stadium III: 3–4 Punkte
50%-igen Befalls der Leber differenziert wurde (Okuda et al. 1985; . Tab. 43.7). Die CLIP-Stadieneinteilung unterscheidet zusätzlich das solitäre vom multilokulären HCC, berücksichtigt den Serum-AFP-Spiegel sowie die Entwicklung einer Pfortaderthrombose. Mehrere Studien konnten nicht nur die prognostische Relevanz der CLIP-Stadieneinteilung belegen, sondern auch ihre Überlegenheit gegenüber einer Einteilung nach Okuda-Stadien sowie der TNM-Klassifikation früherer Auflagen. Die BCLC-Klassifikation beschreibt die 4 Stadien A, B, C und D als frühes HCC, intermediäres HCC, fortgeschrittenes HCC bzw. als Endstadium (. Tab. 43.4). Berücksichtigung finden Tumorkriterien, der Allgemeinzustand des Patienten entsprechend dem sog. Performance Status der Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG; . Tab. 43.4), das Okuda-Stadium und Angaben zur Leberfunktion, die im Wesentlichen dem Child-Pugh-Stadium entsprechen. Hieraus leitete die Gruppe aus Barcelona Therapieempfehlungen ab: 4 Frühstadium A: radikales Vorgehen (Lebertransplantation, Leberteilresektion) und Verfahren zur In-situ-Ablation (Radiofrequenztherapie, Äthanolinjektion) 4 Intermediärstadium B: transarterielle Chemoembolisation 4 Fortgeschrittenes Stadium C: kontrollierte Studien zu neuen Substanzen oder Therapieformen 4 Endstadium D: alleinige symptomatische Therapie
43
Der Wert der CLIP-Stadieneinteilung scheint vor allem in der Eignung einer Gruppierung von Patienten in klinische Studien zu bestehen. Nur die Stadieneinteilung nach der 6. Auflage des AJCC/UICC-Staging-Systems besitzt prognostische Wertigkeit für Patienten mit HCC in Zirrhose. Eine multizentrische Analyse an 490 Patienten, die aufgrund eines hepatozellulären Karzinoms in Zirrhose eine Lebertransplantation erhielten, offenbarte erhebliche Defizite bei den meisten Systemen zur Stadieneinteilung hinsichtlich ihrer prognostischen Wertigkeit (Vauthey 2007). So konnte die stadienabhängige Überlebensanalyse keine Unterschiede für die einzelnen Stadien der CLIP-Einteilung belegen und Patienten mit einem Tumorstadium D nach der BCLC-Klassifikation wiesen sogar ein signifikant günstigeres Überleben als Patienten im Stadium C auf.
Ähnliche Defizite ergaben sich für weitere Klassifikationssysteme wie das UNOS-modifizierte TNM-System oder den Japan Integrated Staging Score (JIS-Score). Lediglich für die Stadieneinteilung nach der 6. Auflage des AJCC/UICC-Staging-Systems konnten signifikante Überlebensunterschiede für die einzelnen Tumorstadien nachgewiesen werden. Daraus folgerten die Autoren der Studie, dass das AJCC/UICC-Staging-System als generelles System zur Stadieneinteilung des HCC genutzt werden sollte, was durch gleichartige Ergebnisse aus Studien an resezierten Patienten Unterstützung erhält. Durch die Etablierung neuer biologischer Marker könnten in den kommenden Jahren sowohl die Vorsorge als auch die prognostische Beurteilung verbessert werden und neue Kriterien zur weiteren Diversifizierung der Therapie des HCC entstehen.
Die Isoform AFP-L3 ist spezifisch für das HCC und erlaubt die frühe Detektion eines HCC bei Patienten mit Leberzirrhose.
Lens-culinaris-Agglutinin(LCA)-reaktives AFP, auch als AFPL3 bezeichnet, stellt eine Isoform des AFP dar, die eine hohe Spezifität für das hepatozelluläre Karzinom aufweist (Taketa 1993). Des Weiteren zeigte sich AFP-L3 als prognostischer Marker dem Gesamt-AFP überlegen (Hayashi 1999). Allerdings steht zurzeit noch kein in der Routinediagnostik anwendbarer Analysetest für das AFP-L3 zur Verfügung, wodurch eine breitere Anwendung dieses Tumormarkers zurzeit noch nicht möglich ist. Ein weiterer, in den zurückliegenden Jahren ausführlich untersuchter Marker für das HCC ist das Heparansulfatproteoglykan Glypican-3 (GPC3). GPC3 ist bei etwa 50% der Patienten mit HCC im Serum nachweisbar und führt in der Kombination mit AFP zu einer Steigerung der Sensitivität ohne die Spezifität zu beeinflussen (Capurro 2003). Allerdings konnte in den verfügbaren Studien zu GPC3 bisher keine abschließende Beurteilung der klinischen Verwendbarkeit dieses Markers erbracht werden. Aufgrund des Organmangels und der daraus resultierenden Notwendigkeit die vorhanden Organe auf die Patienten mit der günstigsten Prognose zu verteilen, ist insbesondere bei Transplantation die Selektion der geeignetsten Patienten von zentraler Bedeutung. Zurzeit finden bei der Selektion von Patienten mit einem HCC in Zirrhose in den meisten Transplantationszentren die Mailand-Kriterien Anwendung, wodurch in dieser Patientengruppe sehr geringe Rezidivraten und günstige Langzeitergebnisse erzielt werden. Allerdings führen die sehr eng gefassten Vorgaben der Mailand-Kriterien umgekehrt auch zu einer hohen Anzahl an Patienten, die trotz günstiger Langzeitergebnisse von einer Transplantation ausgeschlossen werden. Somit werden die Mailand-Kriterien dem Ziel, bei einer geringen Rezidivrate möglichst vielen Patienten eine Transplantation zu ermöglichen, nur unzureichend gerecht. Der DNA-Index, der sich aus dem Verhältnis des DNAGehaltes der Tumorzellen zu dem DNA-Gehalt einer nicht
607 43.3 · Diagnostik und Staging
maligne transformierten Zellpopulation errechnet, konnte als unabhängige prognostische Variable neben einer Gefäßinfiltration nach Transplantation aufgrund eines HCC in Zirrhose identifiziert werden (Jonas 2009). Dabei hatten die MailandKriterien sowohl bei Tumoren mit niedrigem als auch bei HCC mit hohem DNA-Index keinen Einfluss auf die Langzeitprognose nach Transplantation. Somit könnte der DNA-Index besser geeignet sein die Prognose nach Transplantation bei Patienten mit HCC in Zirrhose zu bestimmen und somit ein günstigeres Selektionskriterium in dieser Patientengruppe darstellen.
Der DNA-Index besitzt hohe prognostische Sicherheit nach Transplantation beim HCC in Zirrhose und könnte zukünftig ein bedeutendes Selektionskriterium bei diesen Patienten darstellen. UICC-Stadium, histologische Differenzierung und Lymphknotenmetastasierung stellen wichtige prognostische Parameter für das CCC dar.
In einer Analyse von 195 resezierten Patienten mit intrahepatischem Cholangiokarzinom zeigten Patienten in einem Tumorstadium I oder II nach der 6. Auflage der TNM-Klassifikation maligner Tumoren ein signifikant günstigeres Überleben als Patienten mit Tumoren in fortgeschritteneren Stadien (Jonas 2009). Dies deutet daraufhin, dass beim CCC neben dem lokalen Tumorwachstum und der intrahepatischen Disseminierung die Lymphknotenmetastasierung eine zentrale Bedeutung in der Tumorprogression darstellt. Unterstrichen wird die prognostische Bedeutung der Lymphknotenmetastasierung beim CCC zusätzlich durch die signifikant günstigeren Langzeitergebnisse von Patienten mit nodal negativen Tumoren. Auf die hohe prognostische Wertigkeit einer nodalen Disseminierung beim CCC war auch bereits in älteren Studien hingewiesen und in manchen Publikationen gar als Kontraindikation zur Resektion angesehen worden, da kein Langzeitüberleben in dieser Subpopulation von Patienten bei dieser Tumorentität nachgewiesen werden konnte. In diesem Zusammenhang konnten in den zurückliegenden Jahren jedoch mehrere Studien belegen, dass Patienten mit nodal positiven CCC eine ungünstigere Langzeitprognose nach Resektion aufweisen, jedoch auch in dieser Patientengruppe Langzeitüberleben durch Resektion erreicht werden kann (Jonas 2009; Uneshi 2008). Neben dem Tumorstadium und der Lymphknotenmetastasierung werden in zahlreichen Studien die histologische Differenzierung, Tumorgröße und -anzahl sowie eine kurative Resektion als prognostische Variablen beschrieben.
43.2
. Tab. 43.8. Symptome bei primären Lebertumoren, die nicht als Zufallsbefund entdeckt wurden Druckgefühl, Oberbauchbeschwerden
50–70%
Gewichtsverlust
40–70%
Inappetenz, Leistungsknick
25–50%
Appetitlosigkeit, Anorexie
25–40%
Ikterus
20–60%
Hepatomegalie
15–40%
Fieber
10–30%
Ödeme
5–20%
Aszites
2–10%
von Screening-Untersuchungen auch in frühen Stadien in nennenswertem Umfang nachgewiesen wird. Ein HCC ohne eine assoziierte Lebererkrankung wird ebenso wie die meisten Fälle eines CCC erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert. Als Symptome stehen dann Druckgefühl im Oberbauch, Gewichtsverlust und Appetitlosigkeit sowie ein Leistungsknick im Vordergrund (. Tab. 43.8). Kleine und zunächst asymptomatische Tumoren in einer vorbestehenden Lebererkrankung können auch durch eine Dekompensation dieser Lebererkrankung auffällig werden. Cave Dekompensationszeichen, die Anlass zur weiteren Abklärung geben sollten, sind Aszites, Blutungen aus Ösophagusvarizen oder hepatische Enzephalopathie sowie gelegentlich auch ein Fieber unklarer Genese.
Vornehmlich beim HCC können auch paraneoplastische Syndrome wie Hyperkalzämie, Pubertas praecox, Gynäkomastie, Hypertriglyzeridämie, Hypercholesterinämie und Hypoglykämie auftreten. Die Hypoglykämie ist dabei einerseits durch den erhöhten Umsatz und Energieverbrauch des Tumors bedingt, zum andern aber auch durch die Sekretion von »insulin-like growth factor« II. Andere paraneoplastische Syndrome können durch die Bildung von gastrointestinalen Peptiden (vasoaktives intestinales Peptid) ausgelöste wässrige Durchfälle sein, eine Erythrozytose aufgrund einer vermehrten Sekretion von Erythropoetin oder auch ein arterieller Hypertonus infolge einer vermehrten Bildung von Angiotensinogen.
Klinische Symptomatologie 43.3
HCC und CCC bleiben in der Regel lange Zeit asymptomatisch, wenn nicht gleichzeitig eine chronische Lebererkrankung vorliegt, die zur weiteren Diagnostik Anlass gibt. Eine Assoziation mit einer chronischen Lebererkrankung ist beim HCC häufig, so dass vor allem das HCC in Zirrhose aufgrund
Diagnostik und Staging
Neben Anamnese und klinischer Untersuchung sowie der Feststellung des Child-Pugh-Status gehören zur obligaten Diagnostik die Sonographie des Abdomens, eine RöntgenThorax-Untersuchung in 2 Ebenen, die Bestimmung des Tu-
43
608
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
mormarkers AFP sowie eine Hepatitis-Serologie. Neben der Artdiagnostik sind für den Chirurgen vor allem auch die Lage und die Ausdehnung eines Tumors in der Leber von entscheidender Bedeutung. Hier erfolgt die Diagnostik mittels Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT). Aufgrund der größeren Qualitätskonstanz und Erfahrungen ist die biphasische Spiral-Computertomographie gegenüber der Magnetresonanztomographie bis vor kurzem das bedeutendere Screening-Verfahren bei in der Ultraschalldiagnostik vorbestehendem Tumorverdacht gewesen. Hier scheint sich aber ein Wandel zugunsten der MRT zu vollziehen.
etwa 30–50%. Unterschiede hinsichtlich tumorbiologischer Eigenschaften, klinischer Parameter oder der Überlebenszeit wurden beim Vergleich AFP-negativer und AFP-positiver HCC nicht nachgewiesen. Allerdings weisen kleine asymptomatische HCC deutlich geringere AFP-Spiegel auf als symptomatische Tumoren. Erhöhte AFP-Spiegel treten beim CCC nur gelegentlich auf. Sowohl das karzinoembryonale Antigen (CEA) als auch der Tumormarker CA-19-9 sind bei etwa der Hälfte der Patienten mit einem CCC erhöht. Beide Parameter sind gegenüber der Abgrenzung von metastatischen Lebertumoren oder auch benignen cholestatischen Erkrankungen nicht spezifisch, können aber differenzialdiagnostisch bei der Unterscheidung zwischen CCC und HCC hilfreich sein.
43.3.1 Tumormarker Das α1-Fetoprotein ist der klinisch bedeutendste Tumormarker in der Diagnostik des HCC. Die Serumkonzentrationen dieses Onkofetoproteins sowie auch die Rate der Patienten, die überhaupt eine erhöhte Serumkonzentration aufweisen, sind von der geographischen Region abhängig. In Populationen mit einer hohen Inzidenz des HCC liegt die Sensitivität der AFP-Bestimmung bei 80–90% gegenüber einer Sensitivität von 50–70% in Populationen mit einer niedrigen HCC-Inzidenz. Zusätzlich ist die AFP-Produktion eines HCC abhängig vom Alter der Patienten, wobei die Serumkonzentrationen bei jüngeren Patienten höhere Werte erreichen. In Regionen mit hoher HCC-Inzidenz wurden bei jüngeren Patienten mittlere AFP-Serumspiegel von 60.000-80.000 ng/ml beschrieben gebenüber mittleren Serumspiegeln um 3.000 ng/ml in Regionen mit einer niedrigen HCC-Inzidenz.
43.3.2 Ultraschalldiagnostik Verfügbarkeit, Sicherheit und Kosteneffektivität als wesentliche Vorteile der Ultraschalldiagnostik haben zur weiten Verbreitung dieses Verfahrens als regelmäßige Screening-Untersu-chung zur HCC-Früherkennung beigetragen. Allgemeine Nachteile sind die fehlende Standardisierung der Ultraschalldiagnostik sowie die untersucherabhängige Sensitivität und Spezifität. Auch wenn kleine Herde normalerweise gut erkannt werden können, hat die Methodik spezielle Nachteile bei der Diagnostik im Bereich des subdiaphragmalen linken Leberlappens und des herznahen rechten Leberlappens sowie beim Nachweis kleiner HCC in einer vorbestehenden Leberzirrhose. Cave Jede solide fokale Läsion in einer Leberzirrhose muss bis zum Beweis des Gegenteils als HCC angesehen werden.
AFP-Serumkonzentrationen von >20 ng/ml gelten als erhöht und Konzentrationen von >500 ng/ml als diagnostisch. Niedrigere Serumspiegel als 500 ng/ml können auch durch eine Reihe benigner Lebererkrankungen hervorgerufen werden wie z. B. einer akuten oder chronischen Hepatitis sowie einer Leberzirrhose.
43
Falsch-positive Ergebnisse in Hinsicht auf die Diagnose eines HCC können bei Patienten mit Tumoren endodermalen Ursprungs, undifferenzierten Teratokarzinomen oder embryonalzelligen Hoden- bzw. Ovarialkarzinomen auftreten. Zudem muss bedacht werden, dass erhöhte AFP-Werte auch in der Schwangerschaft auftreten können. Insgesamt wird die Spezifität des AFP als Serummarker mit 90% angegeben, wenn gleichzeitig der Grenzwert für eine Erhöhung bei 20 ng/ml festgesetzt wird (Trojan et al. 1998). Die Spezifität kann durch Anheben dieses Grenzwertes auf Kosten der Sensitivität beliebig gesteigert werden. Eine Steigerung der Spezifität ohne gleichzeitige Absenkung der Sensitivität wird durch die Identifizierung und den Nachweis unterschiedlicher AFP-Isoformen angestrebt (Johnson et al. 2000). Die Rate AFP-negativer Befunde liegt bei Patienten mit einem HCC in Regionen mit einer niedrigen Inzidenz bei
Die Sensitivität der Ultraschalldiagnostik wird beim HCC mit etwa 80% angegeben und kann durch eine ggf. intraoperative Ultraschalldiagnostik um 10%-Punkte angehoben werden. Andere Autoren geben Spezifität und Sensitivität bei HCC mit einem Durchmesser von <3 cm mit jeweils über 90% an (Bruix 1997). Die Farbdoppler-Sonographie erlaubt zusätzlich die Beurteilung der Pfortader, der Lebervenen und der V. cava inferior sowie auch von Anteilen des Gallengangsbaumes. Die dynamische kontrastverstärkte Dopplersonographie mit intraarterieller Infusion von CO2-Mikrobläschen und die intravenös verstärkte Farbdoppler-Sonographie sind Entwicklungen, die den arteriellen und portalvenösen Blutfluss in Tumorknoten darstellen und die Abgrenzung zwischen HCC- und benignen Knoten erleichtern können (Kudo 1999).
43.3.3 Computertomographie Die Spezifität der computertomographischen Abklärung eines Malignoms der Leber liegt bei etwa 70–90%. Die Spiral-Computertomographie (Spiral-CT) mit ultraschnellen Sequenzen
609 43.3 · Diagnostik und Staging
führt zu einer Sensitivität von etwa 90% auch in der Darstellung kleiner HCC. Auch wenn diese Sensitivitäts- und Spezifitätsraten nicht höher liegen als die, die für eine Ultraschalldiagnostik durch einen Untersucher mit großer Expertise angegeben werden, ist der Vorteil für den Chirurgen groß. Die Befunde sind jederzeit reproduzierbar und nachvollziehbar. Größe, Anzahl und Lokalisation der Raumforderungen können zur individuellen Leberanatomie ins Verhältnis gesetzt werden. Aussagen zu Erkrankungen des Leberparenchyms im Sinne einer Fettleber oder einer Zirrhose sind möglich. Extrahepatische Tumormanifestationen können zusätzlich erfasst werden. Wesentlich für die Reproduzierbarkeit sind gerade in der biphasischen Spiral-CT Injektionsprotokolle für die intravenöse Kontrastmittelapplikation, in der die arterielle klar von einer portalen Perfusionsphase abgegrenzt wird. Zuvor erfolgt eine Nativaufnahme bzw. im Anschluss an die Injektionsphase eine späte Akquisiton zur Darstellung spät perfundierter Areale. Aufgrund der pathologischen arteriellen Vaskularisierung des HCC kommt es in der frühen arteriellen Perfusionsphase zu einer umschriebenen Kontrastmittelaufnahme in etwa 80% der Fälle. Die portale Perfusionsphase zeigt dann die Auswaschung des Kontrastmittels. Regeneratknoten in der zirrhotischen Leber werden hauptsächlich portal-venös perfundiert, so dass sie in der frühen arteriellen Perfusionsphase eher hypodens erscheinen. Kleine HCC mit einem Durchmesser von <1 cm weisen ein ähnliches Perfusionsmuster wie Regeneratknoten auf und können daher ebenfalls in der frühen arteriellen Phase hypodens erscheinen. Die diagnostische Sicherheit ist bei diesen Herden also deutlich geringer als bei größeren HCC. Die typische Perfusion eines HCC in der frühen arteriellen Phase fehlt beim CCC. Insgesamt ist für das CCC eher eine Hypovaskularisierung typisch. Mit der Einführung der Mehrzeilen-Computertomographie (MSCT) steht ein Verfahren zur Verfügung, das im Vergleich zur konventionellen Spiral-CT eine mehrfach schnellere und dünnschichtigere Volumenabtastung ermöglicht (. Abb. 43.4a-c). Die MSCT führte in Protokollen, die erstmals auch eine doppelte arterielle Untersuchungsphase zur Diagnostik des HCC empfahlen, zu einer höheren Sensitivität bei gleichzeitig weniger falsch-positiven Befunden (Murakami et al. 2001). Andere Studien konnten eine Verbesserung der Diagnostik des HCC durch Verwendung einer früh- und spätarteriellen Phase nicht bestätigen (Kim et al. 2002). In mehrphasischen MSCT-Protokollen zeigt das CCC im Unterschied zum HCC typischerweise randständige Kontrastmittel-Anreicherungen mit zentral hypodens imponierenden Anteilen in der portalvenösen Phase (Lim et al. 2003). Die Bedeutung der CT in der Umfelddiagnostik wird auch in der Abklärung thorakaler Raumforderungen deutlich; die CT-Thorax erfolgt in der Regel bei unklarem Röntgenbefund. Parallel wird aber auch die Ansicht vertreten (DGVS), dass die CT-Untersuchung des Thorax obligat zur Abklärung primärer Leberkarzinome zählt.
a
b
c . Abb. 43.4a–c. Mehrzeilen-Computertomographie (MSCT) mit Darstellung der frühen arteriellen Perfusion der HCC-Knoten (a), der portalen Phase (b) und der koronaren Bildrekonstruktion (c); die MSCT ermöglicht im Vergleich zur konventionellen Spiral-CT eine mehrfach schnellere und dünnschichtigere Volumenabtastung
43
610
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
43.3.4 Magnetresonanztomographie
Die Diagnose eines HCC kann gestellt werden, wenn ein Tumorknoten in zwei bildgebenden Verfahren dargestellt und insbesondere in einer Leberzirrhose eine Kontrastmittelverstärkung mittels Spiral-CT oder dynamischer Kontrastmittel-unterstützter MRT nachgewiesen wird (Bruix et al. 2001).
43
Ein AFP-Serumspiegel von über 400 ng/ml sowie der Tumornachweis in zwei bildgebenden Verfahren bedeutet ebenfalls eine sehr hohe diagnostische Wahrscheinlichkeit. Die Anwendung dieser Kriterien führt zu einer diagnostischen Sicherheit von 99,6% ohne Biopsie (Torzilli et al. 1999). Sensitivität und Spezifität betrugen in dieser Studie 100% bzw. 98,9%, positiver und negativer prädiktiver Wert 99,3% bzw. 100%. Die besonderen Vorteile der MRT liegen in der Bildgebung ohne Strahlenexposition sowie dem Einsatz von Kontrastmitteln ohne Nephrotoxizität. Ganz allgemein ist die Signalintensität in der T1-Gewichtung niedriger und in der T2-Gewichtung höher. Neben T1- und T2-gewichteten Sequenzen werden heute auch Turbo-Spinecho- und Gradientenecho-Sequenzen mit und ohne Fettsättigung routinemäßig in der Leberdiagnostik angewendet (. Abb. 43.5). Ähnlich wie bei der CT ist eine dynamische Bildgebung mit arterieller, portal-venöser und später venöser Phase in der T1-gewichteten MRT mit schnellen Gradientenechosequenzen und Bolusgabe von Kontrastmitteln möglich (Tang et al. 1999). Tumorbiologische Grundlage ist wiederum die ausgeprägte arterielle Hypervaskularisierung der HCC-Knoten. Hierfür werden extrazelluläre Kontrastmittel verwendet, die im Tumor vermehrt austreten, ohne in das Leberparenchym aufgenommen zu werden, und in der T1-Gewichtung den Kontrast verstärken. Ein Beispiel aus der Gruppe der extrazellulären Kontrastmittel ist das Gadolinium-DTPA (Magnevist), ein hochstabiles Chelat mit Gadolinium als Zentralatom. Die dynamische Bildgebung in der T1-Gewichtung ist auch unter Verwendung hepatobiliärer Kontrastmittel wie Gadolinium-Ethoxy-Benzyl-DTPA (Primovist) möglich mit Darstellung der Kontrastmittel-Akkumulation in den Hepatozyten in der Spätaufnahme. Superparamagnetische Eisenoxide (Endorem, Resovist) sind Kontrastmittel, die vom retikuloendothelialen System (RES) durch Phagozytose aufgenommen werden und zu einem verminderten Signal in der T2-gewichteten Bildgebung führen. Eine solche Akkumulation erfolgt in der Leber in von Kupffer-Sternzellen, aber auch durch das RES anderer Organe und Gewebe wie z. B. in Knochenmark, Lymphknoten und Milz. RES-spezifische Kontrastmittel kommen vor allem in der Diagnostik von Lebermetastasen zum Einsatz, während hepatobiliäre Kontrastmittel zusätzlich in der Differenzialdiagnose des HCC gegenüber benignen Lebertumoren hilfreich sind. In der Literatur zeigt sich eine zum Teil kontroverse Diskussion hinsichtlich der Kontrastmittelauswahl in der Diagnostik des HCC. Einige Autoren favorisieren den Einsatz extrazellulärer Kontrastmittel, andere hingegen RES-spezi-
a
b . Abb. 43.5a,b. Magnetresonanztomographie beim HCC mit Darstellung der T2-gewichteten Turbospinechosequenzen (nach Gabe des Kontrastmittels Resovist. a Ohne Fettsättigung. b Mit Fettsättigung)
fische Kontrastmittel, weil diese eine bessere Abgrenzung des HCC gegenüber benignen nodulären Läsionen bei begleitender Leberzirrhose ermöglichen. In der Diagnostik des kleinen HCC in Zirrhose liegt die Sensitivität der dynamischen MRT höher als die der Spiral-CT (Yamashita et al. 1996). Trotzdem ist auch die MRT kein Verfahren, das ein tumorbeweisendes Signalverhalten akquiriert. Die typische arterielle Hypervaskularisierung fehlt bei frühen HCC häufig. Gerade die sichere Differenzierung zwischen kleinen, hochdifferenzierten HCC und dysplastischen oder Regeneratknoten sowie Adenomen ist schwierig und bislang nicht in größeren Studien mit histologischer Evaluierung bewiesen worden. Besonders schwierig ist die diagnostische Abklärung suspekter intrahepatischer Raumforderungen mit einem Durchmesser von <1 cm. Studien zur Pathologie haben gezeigt, dass hier eine maligne Transformation in etwa 50% der Fälle vorliegt. Im praktischen Vorgehen ist es dann ratsam, den Tumornachweis durch eine Biopsie zu führen oder zum Tumorausschluss zusätzlich die Größenkonstanz der Raumforderung im Intervall zu dokumentieren. Hierfür werden
611 43.3 · Diagnostik und Staging
unterschiedliche Zeiträume angegeben, die in der Regel zwischen 6 Wochen und 3 Monaten liegen. Die Bildgebung mittels MRT hat sich in der Diagnostik des CCC als hilfreich erwiesen. Das CCC zeigt in der dynamischen Bildgebung ein charakteristisches Signalverhalten. Dabei kommt es zu einer verhältnismäßig geringen Kontrastmittelaufnahme in der arteriellen und in der portal-venösen Phase gegenüber einer verstärkten Aufnahme in den späten Phasen (Soyer et al. 1995; Murakami et al. 1995).
43.3.5 Mikroskopische Diagnostik In der Regel können zur Dignität eines intrahepatischen Tumors hinreichend sichere Aussagen aufgrund bildmorphologischer Kriterien gemacht werden, so dass die histologische Sicherung des Verdachts eines HCC oder CCC vor geplanter Operation generell nicht erforderlich ist. In Fällen sehr fortgeschrittener und inoperabler Lebertumoren ist es häufig notwendig, nicht nur die Dignität, sondern auch die Tumorentität zur Einleitung spezifischer Therapiemaßnahmen oder zum Einschluss in Studien festzulegen. Hierfür erfolgt die Materialgewinnung vorzugsweise mit einer Nadelbiopsie oder bei entsprechender Erfahrung des Untersuchers mit histologischer oder zytologischer Auswertung durch eine Feinnadel-Biopsie. Cave Das Risiko einer mikroskopischen Tumorzellaussaat über den Stichkanal wird mit 3–5% angegeben, so dass eine Biopsie nur in für therapeutische Entscheidungen relevanten Fällen entnommen werden soll (Tim et al. 2000; Takamori et al. 2000).
Dieses Risiko muss auch im umgekehrten Fall, d. h. bei sehr kleinen intrahepatischen Raumforderungen von bis zu 1 cm Durchmesser bedacht werden. Ein solcher Tumorverdacht besteht in der Regel in der Ultraschalldiagnostik mit Nachweis kleiner echoarmer oder echoreicher Knoten. Echoarme Knoten können ohnehin Hinweise für eine maligne Raumforderung sein, während echoreiche Knoten möglicherweise eher für eine Steatotis sprechen. Gerade kleine HCC können steatotische Anteile enthalten, die im weiteren Verlauf der Tumorprogression wieder verloren gehen. Daher müssen beide Läsionen in der zirrhotischen Leber bis zum Beweis des Gegenteils als HCC angesehen werden. Studien zur Pathologie haben allerdings gezeigt, dass die Dignität dieser Raumforderungen nur in der Hälfte der Fälle als maligne bestätigt wird. Fehlpunktionen sind aufgrund der Größe dieser Raumforderungen nicht selten. Zudem besteht gelegentlich die Schwierigkeit, zwischen einer Dysplasie und einem frühen hochdifferenzierten HCC histologisch zu unterscheiden. Grundsätzlich stehen bei diesen sehr kleinen Raumforderungen also 4 Optionen zur Verfügung: 4 Versuch der histologischen Sicherung durch Tumorpunktion 4 Durchführung der ohnehin geplanten Therapie ohne histologische Sicherung (z. B. Transplantation bei Zirrhose)
4 In-situ-Ablation ohne histologische Sicherung 4 Bildmorphologische Kontrolluntersuchung in einem Intervall von 6 Wochen bis 3 Monaten zur Beurteilung des Wachstumsverhaltens Im eigenen Vorgehen favorisieren wir bei sehr kleinen Raumforderungen die Kontrolle nach 6 Wochen. Besteht weiterhin Unklarheit hinsichtlich der Dignität und verbleibt diese auch nach einer Punktionsbiopsie, würden wir in Abhängigkeit vom operativen Risiko die Exzision der Raumforderung oder sogar eine Leberteilresektion durchführen. Ein hohes operatives Risiko aufgrund einer portalen Hypertension, einer fortgeschrittenen Zirrhose oder einer zentralen Tumorlokalisation kann in Ausnahmefällen eine In-situ-Ablation ohne vorherige Diagnosesicherung rechtfertigen, um so mehr als die akzidentelle Ablation einer Dysplasie nicht unbedingt als verkehrt angesehen werden muss. Im Grundsatz gilt aber, dass eine histologische Diagnosesicherung notwendig ist.
43.3.6 Angiographie Aufgrund der technischen Fortschritte bei den Schnittbildverfahren wird eine Angiographie heute nur noch selten indiziert und gehört nicht zur obligaten Diagnostik. Wesentlicher Nachteil des Verfahrens ist die Invasivität und die damit verbundene Morbidität. Die hervorragende Raumauflösung der Viszeralarterien insbesondere mit der Gefäßdarstellung der Leber wird zunehmend auch in Gefäß- und 3D-Rekonstruktionen aus mittels CT oder MRT gewonnenen Datensätzen erreicht. Funktionelle Stenosen beispielsweise des T. coeliacus oder Steal-Syndrome, z. B. über die Milzarterie, werden im Rahmen der Evaluation vor Lebertransplantation häufig mittels Angiographie nachgewiesen oder ausgeschlossen, so dass bei diesen Patienten ohnehin ein invasives Vorgehen in Kauf genommen wird. Kleine periphere Tumorläsionen, die im hypervaskulären HCC zunächst als Schimmer erscheinen, können mittels intraarterieller digitaler Subtraktionsangiographie gut dargestellt werden. Zusätzlich kann intraarteriell Lipiodol appliziert werden, eine ölige Substanz, die im HCC konzentriert und retiniert wird. Dieses Vorgehen kann mit einer Lipiodol-Computertomographie kombiniert werden und geht mit einer Erhöhung von Sensitivität und Spezifität der CT-Untersuchung einher. Die Computertomographie wird frühestens nach Ablauf von 10 Tagen durchgeführt, da die Auswaschung des Kontrastmittels aus dem normalen Leberparenchym mehrere Tage benötigt. Dieses Verfahren wird vor allem im Rahmen einer transarteriellen Chemoembolisation durchgeführt, das derzeit wieder eher an Bedeutung gewinnt (Llovet et al. 2002). Die Angiographie führt beim CCC zwar zu einem charakteristischen Bild, gehört aber ebenfalls nicht zur obligaten Diagnostik und wird nur noch in ausgewählten Sonderfällen von hoher diagnostischer Schwierigkeit angewendet. Die desmoplastische Gewebereaktion führt zu einer charakteristischen Veränderung der Äste der Leberarterie, die rarefiziert, gestreckt und abgeschwächt erscheinen. In der Praxis ist die Angiographie mit Lipiodol-Applikation auch von Bedeutung,
43
612
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
wenn in Spiral-CT und dynamischer MRT keine Tumorknoten nachgewiesen werden, obwohl ein sehr hoher AFP-Spiegel besteht.
43.3.7 Positronenemissionstomographie Die Positronenemissionstomographie (PET) wird in der Diagnostik einer Reihe maligner Tumoren evaluiert und beruht auf dem Nachweis der In-vivo-Metabolisierung von Positronen-emittierenden Substanzen wie (18F) Fluoro-2-Deoxy-DGlukose (18F-FDG), einem Glukoseanalogon, das in einer Reihe maligner Tumoren aufgrund der hohen Metabolisierungsraten akkumuliert. Dabei gilt für alle Tumorentitäten, dass die FDG-PET keine anatomischen Details darstellt. Die Sensitivität der PET in der Erkennung des HCC liegt derzeit deutlich unter der der Computertomographie. Die Bedeutung der FDG-PET beim Gallengangskarzinom wurde bei Patienten mit PSC (primär sklerosierender Cholangitis) beschrieben, in der kleine hiläre und auch intrahepatische Gallengangskarzinome nachgewiesen wurden. In einer anderen Studie mit 26 Patienten, die an einem Gallengangskarzinom in verschiedenen Höhen des Gallengangsbaumes erkrankt waren, wurde das Karzinom in 24 Fällen korrekt nachgewiesen (Sensitivität 92%). Korrekt negative Befunde wurden bei 8 Patienten mit benignen Gallengangserkrankungen wie sklerosierender Cholangitis, Adenom oder Caroli-Syndrom erhoben (Kluge et al. 2001). Fernmetastasen wurden allerdings nur bei 7 von 10 Patienten mit histologisch bewiesenen Metastasen korrekt beschrieben und positive regionale Lymphknoten nur bei 2 von 15 Patienten (13,3%).
43.3.8 Staging-Laparoskopie
43
Die Staging-Laparoskopie gehört weder beim HCC noch beim CCC zur obligaten Diagnostik. Die Resektabilität oder auch eine Transplantationsindikation entscheiden sich beim HCC in der Regel anhand von Anzahl und Größe der Tumorknoten sowie ihrer Lokalisation innerhalb der Leber. In dieser Hinsicht gehen die bei einer Laparoskopie oder auch bei einer Laparotomie gewonnenen Informationen abgesehen von sehr kleinen intrahepatischen Metastasen nicht über die in der Schnittbilddiagnostik erhobenen Befunde hinaus. Ein ausgedehnter Lymphknotenbefall oder eine generalisierte Peritonealkarzinose sind beim HCC ohnehin deutlich seltener als bei anderen Tumoren, können aber bei konkretem Verdacht in der vorangegangenen Diagnostik Anlass zu einer Laparoskopie geben. Gelegentlich kann eine präoperative Laparoskopie beim HCC auch zur Beurteilung des Restparenchyms der Leber und dem Vorliegen einer bildmorphologisch nicht sicher nachgewiesenen Zirrhose mit gezielter Entnahme von Biopsien notwendig werden. Die klinische Bedeutung der Staging-Laparoskopie bei Gallengangskarzinomen unterschiedlichen Ursprungs wird derzeit in verschiedenen Studien evaluiert. Die Rate therapierelevanter Neubefunde beträgt beim zentralen Gallengangskarzinom im Leberhilus nur 25% und liegt damit deut-
lich niedriger als z. B. beim Gallenblasenkarzinom mit 56%. Die Diskussion darüber, ob eine Rate therapierelevanter Neubefunde von nur 25% für oder gegen eine generelle Empfehlung zur Staging-Laparoskopie spreche, ist nicht abgeschlossen. Im besonderen Fall des zentralen Gallengangskarzinoms in der Hilusregion spricht gegen eine generelle Empfehlung, dass die Resektabilität im Bereich der Leber und des Lig. hepatoduodenale häufig ohnehin nur im Rahmen der Dissektion und auch noch nicht zu Beginn einer Laparotomie entschieden werden kann. Vergleichbare Daten liegen für das intrahepatische Gallengangskarzinom nicht vor. Eine Staging-Laparoskopie führen wir daher auch nur bei direkten oder indirekten Anzeichen einer Peritonealkarzinose durch, z. B. bei Aszites. Darüber hinaus wird von einigen Autoren eine laparoskopische Peritoneallavage zum mikroskopischen Nachweis disseminierter Tumorzellen in der Bauchhöhle beschrieben. Hierzu sei aber angemerkt, dass beim Gallengangskarzinom nicht nur die Bedeutung einer laparoskopischen Peritoneallavage, sondern auch die eines Tumorzellnachweises bei einer offenen Lavage unklar ist und bislang keinesfalls eine Kontraindikation für ein chirurgisches Vorgehen mit im Übrigen formal kurativem Ansatz darstellt.
43.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Das Ziel der chirurgischen Therapie ist die formal kurative Resektion. Eine solche R0-Resektion eines HCC oder CCC erfordert in der Regel deren Resektion im Gesunden mit einem Mindestabstand zwischen Resektions- und Tumorrand von 1 cm. Die Berechtigung dieser lange Zeit geltenden Richtlinie kann derzeit allerdings angezweifelt werden. In einer Analyse aus Hongkong zeigten sich im Langzeitverlauf nach Resektion eines HCC keine unterschiedlichen Überlebensraten bei Patienten mit einem tumorfreien Resektionsrand von weniger oder mehr als 1 cm Breite (Poon et al. 1999). Darüber hinaus ist unseres Erachtens die Beurteilung der Breite eines tumorfreien Resektionsrandes nicht ohne weiteres möglich, da die Leberteilresektion nicht mit einem scharfen Messer und einer Schnittbreite im Mikrometerbereich durchgeführt wird. Stattdessen erfolgt die Resektion mit einem Ultraschalldissektor (CUSA), der zu einer Schnittbreite von etwa 2–4 mm führt (. Abb. 43.19). Anschließend wird häufig eine Versiegelung der verbliebenen Schnittfläche mittels Infrarotlicht-Kontaktkoagulation vorgenommen, die zu einer ebenfalls einige Millimeter breiten Nekrosezone führt (. Abb. 43.20). Beide Verfahren führen zu einer Verbreiterung des tumorfreien Schnittrandes, die am Resektat nicht beurteilbar ist und daher in der Literatur auch nicht erscheint. Die Kriterien einer formal kurativen Resektion könnten daher vermutlich weitergefasst werden als bislang angenommen. Die Datenlage bei anderen soliden Lebertumoren wie beispielsweise Lebermetastasen kolorektaler Karzinome unterstützt diese Annahme. Wesentlich ist in erster Linie, dass keine Präparation im Tumorgewebe mit der Gefahr eines Resttumors oder einer Tumorzelldissemination erfolgt.
613 43.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
Die Behandlung der Leberzirrhose als zugrunde liegendem und ggf. auch künftigem Risikofaktor für die Entstehung eines HCC in Zirrhose ist ein weiteres Therapieziel, das derzeit nur mit der Lebertransplantation umgesetzt werden kann. Die Indikationsstellung zur Transplantation bei maligner Grunderkrankung ist momentan ausschließlich beim HCC in Zirrhose gegeben.
Entscheidungskriterien für die Indikationsstellung zur Lebertransplantation stellen sowohl das Tumorausmaß als auch der Schweregrad der Zirrhose dar (. Tab. 43.9). Das Vorliegen einer Child-B- oder einer Child-C-Leberzirrhose begründet per se bereits die Indikation zur Lebertransplantation. Hier besteht nur noch die Frage, ob Kontraindikationen, die ein ungünstiges Ergebnis nach Transplantation erwarten lassen könnten, bestehen. Derartige Kontraindikationen können allgemeiner Art sein wie z. B. ein sehr hohes Alter des Patienten oder schwerwiegende kardiopulmonale Risikofaktoren. Sie können sich aber auch auf ein hohes Rezidivrisiko der Grunderkrankung wie beispielsweise beim aktiven Alkoholismus oder nur kurzer Karenzzeit von weniger als 6 Monaten bis zur Transplantation beziehen sowie im Fall des HCC in Zirrhose natürlich auf das Rezidivrisiko des Tumors. Daher wird die Indikationsstellung auf das frühe HCC in Zirrhose begrenzt. Als frühes HCC in Zirrhose gelten dabei Tumoren ohne extrahepatische Ausdehnung mit einem maximalen Knotendurchmesser von bis zu 5 cm und einer maximalen Anzahl der Tumorknoten von 3, die sog. Milan-Kriterien (Mazzaferro et al. 1996). Hier werden Langzeitergebnisse wie bei Lebertransplantation aufgrund einer benignen Indikation erreicht. Zunehmend werden die formal strengen Milan-Kriterien hinterfragt. In einigen Studien konnte auch für Patienten, deren Tumoren zum Zeitpunkt der Transplantation die Milan-Kri-
terien überschritten hatten, 5-Jahres-Überlebenraten von über 70% nachgewiesen werden (Duffy et al. 2007). Hierbei scheint der Durchmesser des größten HCC-Knotens prognostisch eine höhere Relevanz zu haben als die absolute Menge kleinerer Herde, welche bisher auf 3 Tumoren beschränkt ist (Mazzaferro et al. 2009). Es zeichnet sich ab, dass die MilanKriterien zur Indikationszustellung für eine Lebertransplantation in Zukunft erweitert werden, ohne dass ein schlechteres 5-Jahres-Überleben dafür in Kauf genommen werden muss. Alle genannten Kriterien gelten in erster Linie für den Fall der postmortalen Organspende. Seit Jahren besteht ein eklatantes und weiter zunehmendes Ungleichgewicht zwischen der Zahl der Patienten auf Wartelisten in den einzelnen Translantationszentren sowie den zur Verfügung stehenden Spenderorganen. Daher muss bei der Indikationsstellung im Einzelfall bereits abgewogen werden, ob ein Spenderorgan mit dem größtmöglichen Nutzen, d. h. mit der günstigsten Langzeitprognose transplantiert wird. Diese Situation unterscheidet sich grundlegend von der der Verwandten-Lebertransplantation. Die mit dem 1997 verabschiedeten Transplantationsgesetz eröffnete Möglichkeit der Verwandten-Lebertransplantation bietet neue Perspektiven für die Transplantation bei maligner Grunderkrankung. Dabei ist wesentlich, dass ein Transplantat nur für einen Empfänger zur Verfügung steht. Die Abwägung der prognostisch günstigsten Verwendung eines Transplantates, wie sie im Fall der Organspende nach dissoziiertem Hirntod gehandhabt wird, entfällt also. Die Prognose von Patienten mit einem HCC, das fortgeschrittener ist und den strengen Selektionskriterien für eine Transplantation also nicht mehr entspricht, muss nun also nicht mehr zur Prognose anderer potenzieller Transplantatempfänger, die beispielsweise bei benigner Grunderkrankung immer günstiger wäre, ins Verhältnis gesetzt werden. Stattdessen kann der Vergleich der Prognose dieses Patienten nach Transplantation mit der Prognose nach anderen Therapieoptionen beim fortgeschrittenen HCC erfolgen.
. Tab. 43.9. Behandlungsschema beim HCC in Abhängigkeit von einer vorbestehenden Leberschädigung und vom Ausmaß des Tumors (TACE: transarterielle Chemoembolisation)
Leberschädigung
Tumorcharakteristika
Therapie
Child-Pugh-B/C-Zirrhose
Frühes HCC (solitär <5 cm, 3 Knoten bis zu 3 cm)
Transplantation; alternativ: In-situ-Ablation
Fortgeschritteneres HCC
Transplantation bei erweiterter Indikation; alternativ: TACE
Frühes HCC
Transplantation, Resektion, In-situ-Ablation
Fortgeschritteneres HCC
Transplantation bei erweiterter Indikation oder primäre Resektion mit sog. Rescue-Transplantation; alternativ: TACE
Fortgeschritteneres HCC
Resektion, palliative oder symptomatische Therapie
Child-Pugh-A-Zirrhose
Keine Leberzirrhose
Das Konzept der Rescue-Transplantation beinhaltet zunächst die Leberteilresektion beim HCC in Child A-Zirrhose. Eine Lebertransplantation wird anschließend nur bei den Patienten durchgeführt, bei denen ein Rezidiv auftritt oder sich die Leberfunktion verschlechtert. Die In-situ-Ablation von Tumoren kann mit einer Vielzahl von Methoden, die i. d. R. auf einer thermischen Tumorablation oder einer Injektion zytozider Substanzen beruhen (7 Kap. 43.5.1), durchgeführt werden. Diese Verfahren wurden nur zum Teil in Studien und kaum untereinander evaluiert.
43
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Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
Mangels einer wirksamen therapeutischen Alternative wären beim fortgeschrittenen HCC die gegenüber frühen HCC nach Transplantation zu erwartenden niedrigeren Raten des Langzeitüberlebens anders als durch eine Transplantation nicht erreichbar. Zudem bestehen grundsätzliche Vorteile der VerwandtenLebertransplantation, vor allem die erheblich verkürzte Wartezeit des elektiven Eingriffes, die gerade bei maligner Grunderkrankung und fehlender validierter neoadjuvanter Therapie ein wichtiger Parameter ist. Das Risiko des Spenders bei der Verwandten-Lebertransplantation ist der wesentliche Nachteil dieser Methode und damit der limitierende Faktor. Im Folgenden wird auf die Therapieoptionen beim HCC in Zirrhose, beim HCC in nicht-zirrhotischer Leber und beim CCC eingegangen.
43.4.1 HCC in Zirrhose
Resektion Die Lebertransplantation stellt, aufgrund des allgemeinen Organmangels und oft langer Wartezeiten mit konsekutiver Tumorprogression, nicht für jeden Patienten die ideale Therapieoption dar. Bislang galt dann die Leberresektion in den meisten europäischen Zentren als Therapie der Wahl, falls keine portale Hypertension vorliegt, die das perioperative Risiko deutlich erhöht. Allerdings konnten Livraghi et al. (Livraghi et al. 2008) in einer multizentrischen Studie, die mehr als 200 Patienten einschloss, für HCC-Knoten ≤2 cm, die Gleichwertigkeit von Radiofrequenzablation und Leberresektion hinsichtlich des Überlebens, bei geringerer Komplikationrate, demonstrieren und bestätigen damit die Ergebnisse einer großen prospektiv, randomisierten Studie aus dem asiatischen Raum (Chen et al. 2006). Auch wenn die asiatischen Daten für Patienten mit solitären, bis zu 5 cm großen HCCKnoten, vielversprechend sind, bleibt die Übertragbarkeit auf ein europäisches Patientengut fraglich. Patienten mit Tumorknoten zwischen 3 und 5 cm sollten daher, wenn eine Radiofrequenzablation erwogen wird, in Studien eingebracht werden. Zusammenfassend besteht aus unserer Sicht die Indikation zur Resektion für: 4 Patienten mit HCC in nicht-zirrhotischer Leber 4 Patienten mit HCC Knoten >2 cm in Zirrhose ohne Zeichen portaler Hypertension, wenn keine Transplantation möglich ist, soweit kein Einschluss in eine Studie erfolgen kann
43
Besteht eine portale Hypertension, so kommen zunächst ablative Verfahren, falls diese technisch nicht mehr durchführbar sind, adjuvante Therapien, z. B. mit Sorafenib, in Betracht. In Studien mit umfangreicheren Patientenzahlen werden beim HCC in Zirrhose nach Leberteilresektion 5-JahresÜberlebensraten von 15–50% erreicht. Selektionseffekte hinsichtlich Schwere des Parenchymschadens und Ausmaß des Primärtumors sowie unterschiedliche, zum Teil mehrere Jahrzehnte zurückreichende Beobachtungszeiträume, können für
die relative Breite der angegebenen Überlebensraten ursächlich sein. Die Resektion gilt zwar als Therapie der Wahl, erscheint aber derzeit nur für etwa 20% dieser Patienten möglich. Eine Selektion von Patienten mit bis zu 3 Tumorknoten sowie einem maximalen Durchmesser von 5 cm führt in einigen Studien zu 5-Jahres-Überlebensraten von 60%. Allerdings wird hier nicht immer zwischen einem HCC in Zirrhose und dem Fehlen einer Leberzirrhose differenziert. Eine Analyse von Prognosefaktoren führt in der Regel zur Identifikation der Zirrhose als einer Variable mit ungünstiger Prognose. Die höchsten 5-Jahres-Überlebensraten werden in japanischen Serien beschrieben und betragen nach Selektion von Patienten mit kleinen Solitärtumoren, fehlender Gefäßinfiltration sowie guter Leberfunktion bis zu 88%. Auch hier ist die Bedeutung einer unter Umständen zu Grunde liegenden Leberzirrhose nicht immer deutlich. Das Vorliegen einer Leberzirrhose kann also in verschiedenen Studien hinsichtlich der Prognose sehr unterschiedliche Bedeutungen haben, deren Vergleichbarkeit allein durch eine Kategorisierung beispielsweise nach der Child-Klassifikation nicht ausreichend gewährleistet ist. In Untersuchungen zur Resektion und auch zur Lokaltherapie beim HCC in Zirrhose wird häufig über Patienten im Stadium Child A und zum Teil auch B berichtet, die dann nach erfolgreicher antitumoraler Therapie mehrjährige Überlebensraten von bis zu 100% aufweisen. Hier sei einerseits darauf hingewiesen, dass eine Leberzirrhose natürlich auch ohne HCC eine irreversible, potenziell tödliche Erkrankung ist, und sich andererseits auch Patienten mit einer Leberfibrose rechnerisch in einem Stadium A befinden. Daher ist die pathologische Definition der Leberzirrhose von großer Bedeutung und zwar umso mehr, als vor allem in Japan und Indien auch Formen der Fibrose mit klinischen Symptomen einer Zirrhose wie beispielsweise portaler Hypertension einhergehen können. Pathologische Definition der Leberzirrhose 4 Die gesamte Leber ist betroffen. 4 Die von Bindegewebe umgebenen Regeneratknoten führen zu einer Zerstörung der Leberarchitektur. 4 Innerhalb der Regeneratknoten ist der normale Aufbau der Portalfelder und ihre Beziehung zur Zentralvene aufgehoben.
Wenn die Gefäßarchitektur nicht vollständig aufgehoben ist, sollte der Begriff Fibrose an Stelle von Zirrhose Verwendung finden; denn die Leber besitzt bei erhaltener Gefäßarchitektur eine ausgeprägte Resorptionskapazität für Bindegewebe bis zur Wiederherstellung eines mikroskopischen Normalbefundes. Die beiden einzigen Ausnahmen von einer laut Definition notwendigerweise vollständigen Aufhebung der Gefäßarchitektur bilden biliäre Zirrhosen und Cirrhose cardiaque, für die beide allerdings keine charakteristische Assoziation mit einem HCC besteht. Biliäre Zirrhosen gehen von einer Fibrose der Portalfelder aus, die sich auf die Acini ausdehnt, wobei jedoch die Zentralvenen in den Regeneratknoten erhal-
615 43.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
ten sein können; bei der Cirrhose cardiaque ist es genau umgekehrt.
Liegt in der Tat ein HCC in Zirrhose vor, ist bei 30–50% der im Langzeitverlauf nach Leberteilresektion Verstorbenen die Todesursache eine Folge der Leberzirrhose und nicht etwa in jedem Fall eines Tumorrezidivs.
Die Rezidivhäufigkeit selbst ist nach Leberteilreketion und nach Lokaltherapie mit der Art der Grunderkrankung assoziiert und ebenfalls abhängig vom Vorliegen einer Leberzirrhose und ggf. vom Ausmaß. Kürzlich wurden die Rezidivraten 5 Jahre nach Leberteilresektion oder Lokaltherapie eines HCC bei 263 japanischen Patienten in Abhängigkeit von Leberparenchymalterationen im Sinne einer Zirhose sowie einer schweren, mittelgradigen oder milden Fibrose mit 82%, 50%, 41% bzw. 0% angegeben (Koike et al. 2000). Die 5-Jahres-Tumorrezidivraten für Patienten mit Hepatitis B oder Hepatitis C betrugen in dieser Arbeit 100% bzw. 63% gegenüber 28% bei Patienten, deren Grunderkrankung weder Hepatitis-B- noch Hepatitis-C-assoziiert war. Der Begriff Rezidivtumor darf beim HCC in Zirrhose nicht mit einem erneuten Auftreten des behandelten Tumors missverstanden werden, sondern wäre besser als De-novoKarzinom beschrieben, das wiederum aufgrund des fortbestehenden Risikofaktors Leberzirrhose entstanden ist. In einer Analyse aus Frankreich, in der 47 Patienten nach Leberteilresektion eines HCC in Zirrhose mit einem tumorfreien Sicherheitsabstand zum Resektionsrand von mindestens 10 mm beschrieben wurden, lag die Rate intrahepatischer Rezidive bei 60% (Belghiti et al. 1991). Die meisten Rezidivtumoren hatten einen Abstand zum ehemaligen Resektionsrand von mindestens 20 mm, waren also neu entstandene, d. h. Denovo-Karzinome und nicht etwa Ausdruck einer unzureichenden chirurgischen Radikalität. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug in dieser Studie 17%. DNA-Analysen von Tumorknoten zur Bestimmung ihrer Klonalität deuten ebenfalls auf eine De-novo-Entstehung von Rezidiven hin.
Zwei Formen des Rezidivs müssen also beim HCC in Zirrhose unterschieden werden: Einmal ein Rezidiv, das aufgrund einer nicht ausreichend radikalen Resektion oder einer Tumorzelldissemination entsteht, zum anderen ein Rezidiv, das de novo auf dem Boden der auch nach einer kurativen Resektion natürlich weiterbestehenden Leberzirrhose auftritt.
Eine Studie aus Japan, in der 249 Patienten nach Leberteilresektion wegen eines HCC beobachtet wurden, von denen 157 Patienten auch an einer Leberzirrhose litten, konnte zwei Häufigkeitsgipfel für das Auftreten von Rezidiven beschreiben (Imamura et al. 2003). Der erste Gipfel trat im 1. postoperativen Jahr auf, der zweite Gipfel im 5. postoperativen Jahr. Die Autoren konnten für das frühe und das späte Rezidiv unter-
. Abb. 43.6. Makroskopische Gefäßinflitration: Tumoreinbruch eines HCC in die Pfortader (schwarzer Pfeil); Resektat nach erweiterter Rechtsresektion einschließlich Lobus caudatus (grüner Pfeil)
schiedliche Risikofaktoren identifizieren. Risikofaktoren für ein frühes Rezidiv waren nicht-anatomische Resektionen und eine mikro- oder makroskopische Gefäßinfiltration, d. h. also Parameter für eine vermutlich unzureichende Radikalität bzw. eine Tumorzelldissemination. Risikofaktoren für ein spätes Rezidiv bestanden zwar auch im Vorliegen multipler Tumoren, vor allem aber im höheren Aktivitätsgrad einer Hepatitis, d. h. einem Risikofaktor für die Entstehung von De-novo-Tumoren.
Transplantation Die Lebertransplantation erreicht bei kleinen HCC in Zirrhose 5- und 10-Jahres-Überlebensraten von über 70% bzw. 60%. Die postoperative Letälität liegt heutzutage unter 3%. Die Hälfte der Todesfälle tritt aufgrund von Tumorrezidiven auf, während die Grunderkrankung der Leber im Gegensatz zu allen anderen therapeutischen Verfahren quoad vitam keine prognostische Bedeutung mehr hat. Hinsichtlich möglicher Tumorrezidive ist der Hauptrisikofaktor eine mikroskopische oder makroskopische Gefäßinflitration (. Abb. 43.6; Jonas et al. 2001).
Eine mikroskopische Gefäßinfiltration kann mit den heute zur Verfügung stehenden diagnostischen Mitteln nicht nachgewiesen werden. Daher werden Anzahl und Größe der Tumorknoten eines HCC als Surrogatmarker einer Gefäßinfiltration zur Patientenselektion verwendet.
Die Grenzwerte vieler Zentren sind ein maximaler Durchmesser des HCC bis 5 cm sowie höchstens 3 Tumorknoten (Mazzaferro et al. 1996). Bestünde allerdings bei einem solitären HCC in Zirrhose mit einem Tumordurchmesser von beispielsweise 8 cm die diagnostische Möglichkeit, mit Sicherheit eine makroskopische oder mikroskopische Gefäßinfiltration
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Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
auszuschließen, würde es vermutlich als Transplantationsindikation angesehen werden. Davon abgesehen gilt ein extrahepatisches Tumorwachstum als Ausschlusskriterium für eine Lebertransplantation. Hinsichtlich eines Befalls der Lymphknoten muss angemerkt werden, dass eine Infiltration beim HCC überhaupt und insbesondere beim HCC in Zirrhose ein seltenes Ereignis darstellt. Der Anteil von Patienten mit positiven Lymphknoten beträgt beim HCC in Zirrhose weniger als 5% und selbst beim HCC in nicht-zirrhotischer Leber trotz des dann häufig fortgeschrittenen T-Stadiums nur etwa 10%. Die chirurgische Verfahrenswahl beim hepatozellulären Karzinom in Zirrhose folgte mit totaler Hepatektomie und Lebertransplantation anfänglich, d. h. in den 1980er-Jahren einer nachvollziehbaren Fehleinschätzung, indem fortgeschrittene, nicht-resektable Tumoren als Transplantationsindikation angesehen wurden. Höhere Resektionsraten gingen aufgrund der fortgeschrittenen Tumorstadien jedoch nicht mit einem dauerhaften Therapieerfolg einher (Pichelmayr et al. 1995). Auch wenn die ursprüngliche Annahme eines erheblichen Überlebensvorteils in zuvor keiner Therapie zugänglichen Stadien nicht bestätigt werden konnte, bietet die Lebertransplantation eine Reihe potenzieller und erwiesener Vorteile: 4 Gleichzeitig mit der Lebertransplantation wird eine Therapie der Grunderkrankung durchgeführt. Etwa 80% aller hepatozellulären Karzinome entstehen in einer zirrhotisch vorerkrankten Leber, wobei die Zirrhose als ein Risikofaktor für eine maligne Transformation angesehen wird. 4 Die totale Hepatektomie gilt immer als formal kurativ, vorausgesetzt ein primäres Leberkarzinom ist auf die Leber begrenzt. Gerade bei atypischen Resektionen aufgrund einer deutlich eingeschränkten funktionellen Parenchymreserve kann die Radikalität fraglich sein. 4 Die postoperative Letalität kann nach Transplantation nahezu vernachlässigt werden, während sie nach Leberteilresektion bei assoziierter Zirrhose etwa 5–15% beträgt. Im eigenen Patientengut beträgt die postoperative Letalität nach Lebertransplantation beim HCC in Zirrhose 1,7%. 4 Höhere Radikalität und Behandlung der Grunderkrankung führen zu einer Prävention sowohl von Rezidiven als auch von de novo entstandenen hepatozellulären Karzinomen. 4 Eine Verringerung von postoperativer Letalität sowie von Zirrhose- und Tumor-assoziierter Mortalität geht mit höheren Langzeitüberlebensraten einher. 4 Ein histopathologisches Staging zum Nachweis von Multizentrizität oder kleinen Satellitenknoten ist nur an der Explantatleber nach totaler Hepatektomie möglich. Im Gegensatz dazu stellt die bildmorphologisch begründete Stadieneinteilung nach Leberteilresektion eine potenzielle Fehlerquelle mit häufig falsch negativen Befunden, d. h. übersehenen Satelliten im verbliebenen Leberrest, dar. Umgekehrt gibt es eine Anzahl nicht unerheblicher Argumente gegen eine totale Hepatektomie und Lebertransplantation in der Therapie des hepatozellulären Karzinoms in Zir-
rhose. Transplantatmangel und Kosten stellen dabei eher allgemeine Probleme dar, die vor allem auf die engen Grenzen hinweisen, die selbst bei gerechtfertigter Indikationsstellung gesetzt werden. Demgegenüber wird die Tumorprogression während der Wartezeit auf ein geeignetes Transplantat bereits als ein spezifisches Hindernis angesehen, das im Rahmen einer bislang nicht zur Verfügung stehenden neoadjuvanten Therapie jedoch noch an Bedeutung verlieren könnte. Als wesentlicher Risikofaktor gilt eine insgesamt noch unklare Langzeitprognose und zwar aufgrund einer vielfältigen transplantationsassoziiierten Morbidität und mehr noch einer kaum kalkulierbaren, erhöhten Rezidivrate unter Immunsuppression. Ein Wachstumsvorteil potenzieller residualer Tumorzellen muss nach totaler Hepatektomie wegen eines hepatozellulären Karzinoms in Zirrhose als bedeutendste Ursache eines langfristigen Therapieversagens angesehen werden (Yokoyama et al. 1991). Studien zur mikroskopischen Tumorzelldissemination sowie zur Tumorzellkinetik unter Immunsuppression wurden für das hepatozelluläre Karzinom noch nicht in ausreichendem Maße durchgeführt, unterstreichen aber bislang die Bedeutung einer intakten Immunitätslage für die Rezidivfreiheit auch nach formal kurativen Eingriffen.
Verwandten-Lebertransplantation Die Lebertransplantation nach Lebendspende stellt angesichts der in der Bevölkerung abnehmenden Bereitschaft zur postmortalen Organspende und dem damit verbundenen deutlichen Anstieg der Wartezeiten auf ein Transplantat häufig die einzige therapeutische Option für Patienten mit einer fortgeschrittenen Grunderkrankung dar (. Abb. 43.7). Verlängerte Wartezeiten auf ein Transplantat bedeuten vor allem für Patienten mit maligner Grunderkrankung ein erhöhtes Risiko einer Tumorprogression. Eine solche Tumorprogression tritt allerdings nicht immer auf, so dass auch nach mehrmonatiger Wartezeit Verläufe eines HCC in Zirrhose ohne jegliche Tumorprogression beobachtet werden können. Ein progressiver oder ein stabiler Verlauf sind im Einzelfall jedoch nicht vorhersehbar und damit auch nicht das Risiko, dass eine Lebertransplantation nicht mehr oder nur mit deutlich geringeren Erfolgsaussichten möglich ist. Die o. a. 5-Jahres-Überlebensrate von etwa 70% nach Lebertransplantation bei strenger Indikationsstellung schließt in verschiedenen Zentren erstaunlich gleichmäßig einen Anteil von etwa 20% der Patienten mit ein, bei denen die selbstauferlegten strengen Kriterien nicht eingehalten wurden. Hierfür stehen zwei Ursachen im Vordergrund: 4 Erstens besteht eine diagnostische Unsicherheit hinsichtlich der Multiplizität kleiner Tumorknoten, so dass erst nach Hepatektomie während der histopathologischen Aufarbeitung oder der Lamellierung der Leber das wahre Tumorausmaß festgestellt werden kann. 4 Zweitens wird im Fall eines präoperativ bekannten Überschreitens der Tumorkriterien bei Patienten, die sich bereits auf der Warteliste befinden, gerade im Grenzbereich nicht mit aller Konsequenz die Indikation zur Lebertransplantation widerrufen. Diese Patienten hätten nämlich ohne Transplantation keine Überlebenschance gegenüber einer zu erwartenden 5-Jahres-Überlebensrate von 50–
617 43.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
a
43
b . Abb. 43.7a,b. Lebendspende des rechten Leberlappens nach vollständiger Parenchymdissektion und erhaltener Perfusion der getrennten Leberhälften. a Spendersitus. b Rekonstruktion der mittleren Lebervene mit einem aus dem linken Pfortaderast der explantierten Leber des Empfängers gebildeten Interponat (grüner Pfeil; schwarzer Pfeil: Anastomose zwischen rechter Lebervene und subdiaphragmaler Vena cava inferior)
70% bei erweiterter Indikationsstellung. Diese Erfahrungen, die z. T. aus therapeutischer Inkonsequenz entstanden sind, liegen mittlerweise aus mehreren Zentren vor. Eine Studie aus San Francisco hat gezeigt, dass eine erweiterte Akzeptanz von solitären HCC bis zu einem maximalen Durchmesser von 6,5 cm oder einer maximalen Anzahl von 3 Tumorknoten mit einem Durchmesser des größten Tumorknotens von höchstens 4,5 cm zu einer 5Jahres-Überlebensrate von 72,4% führte (Yao et al. 2001). Die größte Erfahrung auf diesem Gebiet stammt aus Pittsburgh mit einer retrospektiven Untersuchung von 344 Patienten (Iwatsuki et al. 2000). Die Ausschlusskriterien waren in der Studie aus Pittsburgh lediglich eine makroskopische Gefäßinfiltration, positive Lymphknoten oder ein anderer extrahepatischer Tumorbefall. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug in dieser Serie trotzdem 49,4%. 5-Jahres-Überlebensraten von 50% mögen angesichts des exzellenten Langzeitüberlebens nach Lebertransplantation bei benigner Indikation zwar als deutlich geringer und im Rahmen eines sich verschärfenden Mangels an Spenderorganen auch nicht akzeptabel erscheinen, stellen aber ein hervorragendes Ergebnis angesichts einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung dar, für die zudem keine therapeutische Alternative besteht. Da bei der Verwandten-Lebertransplantation eine Teilleber als Transplantat nur für einen Empfänger zur Verfügung steht und gemäß Transplantationsgesetz auch gar nicht anders verwendet werden darf als für diesen einen Empfänger, entfällt die Abwägung der prognostisch günstigsten Verwendung des Transplantats, wie sie bei Transplantaten aus einem gemeinschaftlichen Pool nach postmortaler Spende gehandhabt wird. Im Fall der Verwandten-Lebertransplantation stehen also Vergleichsresultate der onkologischen Chirurgie oder sonstigen Therapie und vor allem anderen das Spenderrisiko im Vordergrund.
Im Zuge von weltweit 800 durchgeführten Spenderoperationen im Rahmen der Verwandten-Lebertransplantation unter Erwachsenen sind 7 postoperative Todesfälle bekannt geworden. Die Spenderletalität beträgt also etwa 1% und nicht etwa 0. Bedeutende Komplikationen treten bei etwa 30% der Spender auf. Im Vordergrund stehen Gallengangskomplikationen, deren Inzidenz in amerikanischen, europäischen und japanischen Studien mit 10%, 15% bzw. 19% angegeben wurde. Allerdings betrifft die Mehrzahl dieser Komplikationen wie auch im eigenen Krankengut Gallengangsleckagen, die unter einer temporären Drainageneinlage in der Regel gut ausheilen. Mögliche Spenderrisiken sind von immenser Bedeutung, da es sich nicht um Patienten, sondern um gesunde Individuen handelt. Daher hat bislang auch nur eine vorsichtige Erweiterung der Akzeptanzkriterien zur Lebertransplantation stattgefunden, während kritische Indikationen wie beispielsweise monströse HCC mit makroskopischer Gefäßinfiltration die Ausnahme geblieben sind. Eine vorsichtige Erweiterung der Akzeptanzkriterien spiegelt sich auch im Anteil der Patienten mit einem HCC in Zirrhose an der Gesamtheit aller Patienten nach Transplantation wider. Im eigenen Patientengut wurden von 1988 bis 2003 nach postmortaler Organspende 159 Lebertransplantationen bei Patienten mit einem HCC in Zirrhose durchgeführt. Dies entspricht bei einer Gesamtzahl von 1619 Lebertransplantationen nach postmortaler Organspende in diesem Zeitraum einem Anteil von etwa 10%. Nach LebendspendeLebertransplantation betrug dieser Anteil bis Ende 2003 25% (16 von 68 Patienten). In einem Nachbeobachtungszeitraum zwischen 1 Monat und 48 Monaten sind bislang 4 dieser 16 Patienten verstorben, davon 2 Patienten mit einem Rezidiv. In der Gruppe der übrigen Patienten ist ein Patient mit einem Rezidiv, das 33 Monate nach Transplantation aufgetreten ist, am Leben.
618
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
43.4.2 HCC in nicht-zirrhotischer Leber
Resektion
43
In einer nicht zirrhotischen Leber können unkomplizierte postoperative Heilungsverläufe auch nach erweiterten Leberteilresektionen erwartet werden. Die hohe regenerative Kapazität gesunden Leberparenchyms einerseits sowie die beim HCC ohne Zirrhose typischerweise hohe Tumorlast und der damit verbundene relativ geringere Anteil funktionellen Lebergewebes im Resektat führen in der Tat häufig zu Eingriffen, die über das Ausmaß einer Hemihepatektomie hinausgehen (. Abb. 43.8). HCC in nicht zirrhotischer Leber kommen seltener vor als das HCC in Zirrhose. In den USA wird der Anteil der Patienten mit einem HCC, die nicht an einer Leberzirrhose leiden, mit etwa 50% angegeben. In Westeuropa und im eigenen Krankengut liegt dieser Anteil etwa bei 30%. Der niedrigste Anteil wird in japanischen Serien beschrieben, wobei in japanischen Klassifikationen allerdings auch einige Formen der Leberfibrose als Zirrhose gelten. In einer japanischen Autopsieserie mit 618 Fällen betrug diese Rate nur 11%. Aufgrund einer fehlenden Grunderkrankung werden HCC in nicht-zirrhotischer Leber nahezu nie als subklinischer Tumorknoten, sondern nur in fortgeschrittenen, symptomatischen Stadien gefunden. Mögliche Symptome sind vor allem Schmerz, Fieber im Rahmen einer Tumornekrose und deutlich seltener auch eine Tumorruptur. Die 5-Jahres-Überlebensraten nach Leberteilresektion dieser fortgeschrittenen Lebertumoren liegen in den Zentren mit der größten Erfahrung wie in Paris, Pittsburgh und Berlin um 40%. Das gesamte Spektrum der resezierenden Leberchirurgie steht beim HCC in nicht-zirrhotischer Leber zur Verfügung, da die Parenchymreserve nicht eingeschränkt ist. Daher handelt es sich bei mehr als der Hälfte der Resektionen um Hemihepatektomien und bei über 20% um weiter ausgedehnte Leberteilresektionen, während beim HCC in Zirrhose Segment- und Keilresektionen im Vordergrund stehen (. Abb. 43.9). Die postoperative Letalität liegt trotz der ausgedehnten Resektionen nur bei 3% gegenüber 5% bis 15% beim HCC in Zirrhose. Im Langzeitverlauf stellen Tumorrezidive die Haupttodesursache dar. In der Leberchirurgie stellt der postoperative Bezugszeitraum einen wesentlichen Parameter für die Beurteilung der postoperativen Letalität dar. Literaturangaben beziehen sich häufig auf einen postoperativen Zeitraum von 90 Tagen, der für diese Beurteilung aber unzureichend ist. Die häufigste Todesursache nach ausgedehnten Leberresektionen oder auch nach kleineren Resektionen bei einem HCC in Zirrhose ist die Leberinsuffizienz. Diese kann sich zwar in den ersten 30 Tagen nach der Operation manifestieren, führt im Falle eines letalen Verlaufes in der Regel aber erst später zum Tod. Daher sind in der Leberchirurgie nur die Angaben zur 60-Tage- oder besser zur 90-Tage-Letalität aussagekräftig. Die größte Erfahrung zur Resektion eines HCC ohne Zirrhose liegt mit 168 Patienten, die im Zeitraum von 1988–2003 behandelt wurden, in unserem Zentrum in Berlin vor. Diese 168 Patienten mit einem HCC ohne Zirrhose bildeten einen
. Abb. 43.8. Operationspräparat nach Trisektorektomie rechts (Pfeil: partiell erhaltenes Ligamentum falciforme im Grenzbereich zu den erhaltenen Segmenten 2 und 3) wegen eines großen HCC ohne Zirrhose. Die hohe Tumorlast und der damit verbundene relativ geringere Anteil funktionellen Lebergewebes im Resektat ermöglichen zusätzlich das erweiterte Resektionsausmaß
. Abb. 43.9. Atypische Keilresektion zur Minimierung des Parenchymverlusts beim HCC in Zirrhose
Anteil von 34% an allen Patienten mit einem HCC (n=489) sowie einen Anteil von 7% an allen Leberteilresektionen (n=2360). Atypische Keilresektionen oder Segmentresektionen kamen nur bei 12% der Patienten zur Anwendung, Hemihepatektomien rechts oder links bei 45% der Patienten und erweiterte Leberteilresektionen bis hin zur Trisektorektomie bei 43% der Patienten. Die postoperative Letalität betrug nach 30 Tagen, 60 Tagen und 90 Tagen 3%, 5% bzw. 7%. Die 5-Jahres- und 10-Jahres-Überlebensraten aller Patienten nach Resektion lagen bei 44% bzw. 40% (. Abb. 43.10). In einer multivariaten Analyse waren die Anzahl der Tumorknoten und das histopathologische Grading signifikante Prognosefaktoren. Insbesondere Patienten mit Solitärknoten zeigten günstigere Ergebnisse mit 5-Jahres- und 10-Jahres-
619 43.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
Transplantation
a
b . Abb. 43.10a,b. Langzeitüberlebensraten bei 168 Patienten nach Resektion eines HCC in nicht-zirrhotischer Leber von 1988–2003 im Virchow-Klinikum Berlin. a 5-Jahres-Überlebensrate: 44%. b In einer multivariaten Analyse waren die Anzahl der Tumorknoten und das histopathologische Grading signifikante Prognosefaktoren. Insbesondere Patienten mit Solitärknoten zeigten günstigere Ergebnisse mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 58%
Überlebensraten von jeweils 58%. Der maximale Knotendurchmesser variierte von 0–33 cm und lag im Median bei 9,5 cm. Ein Tumordurchmesser von 0 cm kam bei 2 Patienten nach erfolgreicher transarterieller Chemoembolisation zustande. In der univariaten Analyse ergab sich erst ein ungünstigeres Langzeitüberleben bei einem maximalen Tumordurchmesser von >12 cm. Am ungünstigsten war der postoperative Langzeitverlauf interessanterweise bei 6 Patienten mit einem ungewöhnlichen Knotendurchmesser von unter 2 cm. Diese Ergebnisse sind aus einer früheren Analyse von Bismuth et al. aus dem Jahre 1993 bekannt. Dort wurde dieser Befund so diskutiert, dass gerade bei einem geringen Tumorknotendurchmesser das Risiko von unerkannten Satellitenknoten oder multiplen Tumoren in der Leber besonders groß sei. Insgesamt zeigt unsere Analyse, dass erweiterte Resektionen auch bei sehr großen HCC eine sinnvolle Langzeittherapie darstellen und mit einem vertretbaren postoperativen Risiko einhergehen.
Versuche, die Langzeitergebnisse auch beim HCC ohne assoziierte Leberzirrhose durch die Lebertransplantation zu verbessern, sind gescheitert. Diese fortgeschrittenen Tumoren haben eine ohnehin hohe systemische Disseminationswahrscheinlichkeit, deren metastatisches Potenzial durch die postoperative Immunsuppression zusätzlich erhöht wird. Die in der Literatur angegebenen 5-Jahres-Überlebensraten nach Transplantation liegen bei 25%. Die grundsätzliche Haltung zu der Frage, ob ein HCC ohne Zirrhose eine Indikation zur Lebertransplantation darstellt, wird seit den 1990er-Jahren mit Nein beantwortet. In den 1980er-Jahren wurde demgegenüber in der Lebertransplantation zunächst ein willkommenes Verfahren zur Behandlung von Patienten mit nicht-resektablen Lebertumoren gesehen, das aber angesichts der enttäuschenden Langzeitergebnisse gegenüber anderen Transplantationsindikationen wieder verlassen wurde. Heutzutage wird die Frage, ob eine Transplantationsindikation beim HCC ohne Zirrhose bestehe, im Grundsatz immer noch mit Nein beantwortet. Allerdings hat auch hier die vorsichtige Erweiterung der Indikationsstellung nach Verbreitung der Lebendspende des rechten Leberlappens zwischen Erwachsenen zu Ausnahmen geführt. Vermutlich wird diese Indikation aus zwei Gründen aber auch nach einer weiteren Verbreitung der Leberlebendspende die Ausnahme bleiben: 4 Resektables HCC ohne Zirrhose: Eine Verbesserung der nach Resektion erreichten Ergebnisse durch die Lebertransplantation ist angesichts der lokal fortgeschrittenen Tumoren grundsätzlich fraglich. 4 Irresektables HCC ohne Zirrhose: Die Lebertransplantation nach Lebendspende würde beim nicht-resektablen HCC ohne Zirrhose, von Ausnahmen abgesehen, keine vorsichtige, sondern eher eine erhebliche Erweiterung der Indikationsstellung bedeuten, die heutzutage von den meisten Zentren nicht akzeptiert wird.
Sonderform des HCC: fibrolamelläres Karzinom Das fibrolamelläre Karzinom ist eine seltene Variante des HCC, beinahe nie mit einer Zirrhose assoziiert und in der Regel histopathologisch besser differenziert. Die Patienten sind häufig jünger als die übrigen Patienten mit HCC, und die Prognose ist besser. Es ist unklar, ob diese bessere Prognose mit Eigenschaften des fibrolamellären Karzinoms oder mit dem Fehlen einer Zirrhose sowie dem geringeren der Alter der Patienten zu erklären ist. Da fibrolamelläre Karzinome nur sehr selten in einer Zirrhose auftreten, haben sie bei Diagnose meist ein fortgeschrittenes Stadium erreicht und weisen in 5–20% der Fälle positive Lymphknoten auf. Die mit 41 Patienten größte Zentrumserfahrung stammt aus Pittsburgh (Pinna et al. 1997). Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 30 Jahre. Nahezu alle fibrolamellären Karzinome befanden sich gemäß der 5. Auflage der TNM-Klassifikation im UICC-Stadium IVa oder IVb mit 5-Jahres-Überlebensraten von 66% bzw. 50%. Der Vergleich von Patienten nach Resektion oder Transplantation zeigte mit 82% bzw. 38% einen signifikanten Vorteil der Resektion.
43
620
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
Diese Daten weisen auf eine deutlich unterschiedliche Prognose nach Resektion von fibrolamellären und nicht-fibrolamellären Karzinomen hin. Erweiterte und sogar multiviszerale Resektionen sind, wie in der Erfahrung aus Pittsburgh berichtet, gerechtfertigt. Das Problem von Rezidiven unter Immunsuppression nach Transplantation besteht allerdings auch beim fibrolamellären Karzinom, so dass die Lebertransplantation kein geeignetes Verfahren darstellt.
43.4.3 Cholangiozelluläres Karzinom
10 mm Breite. Im eigenen Patientengut ergab sich beim Vergleich dieser drei Kategorien von R0-Resektionen kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des postoperativen Überlebens. In der Literatur schwanken die 5-Jahres-Überlebensraten nach R0-Resektion eines CCC zwischen 22% und 71% (Chu et al. 1999; Uenishi et al. 2001).
Als überragender prognostischer Faktor wird beim CCC in multivariaten Analysen verschiedener Zentrumserfahrungen immer wieder der Lymphknotenbefall identifiziert.
Resektion Das CCC geht seltener als das HCC mit einer Leberzirrhose einher, so dass diese Tumoren in der Regel in einem lokal fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden ( . Abb. 43.11). Wie in den Fällen eines HCC ohne assoziierte Leberzirrhose kommen auch beim CCC häufig erweiterte Leberresektionen zur Anwendung, da die Parenchymreserve nicht eingeschränkt ist und eine hohe regeneratorische Kapazität in der postoperativen Phase besteht. Die therapeutischen Parallelen zwischen CCC und HCC ohne Leberzirrhose umfassen das Ziel einer formal kurativen Leberresektion bei gleichzeitigem Fehlen etablierter neoadjuvanter oder adjuvanter Therapieoptionen. Im Gegensatz zum HCC ohne Leberzirrhose liegt die postoperative Letalität beim CCC häufig höher, die 5-JahresÜberlebensraten nach Resektion zumeist niedriger. Die postoperative Letalität nach Resektion eines CCC schwankt zwischen 3 und 17%, die 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 0 und 44%. Die Rate von R0-Resektionen wird in der Literatur oftmals mit 40–60% angegeben und liegt damit etwa 20%Punkte niedriger als beim HCC ohne Leberzirrhose. Die Kriterien einer R0-Resektion werden dabei in den einzelnen Studien vielfach unterschiedlich definiert. Gelegentlich wird nur ein tumorfreier Resektionsrand gefordert ohne Angabe einer bestimmten Breite, häufig auch ein Resektionsrand von 5 oder
Dieser Faktor ist so bedeutsam, dass 5 Jahre nach der Resektion eines CCC mit positiven Lymphknoten kaum noch Patienten am Leben sind. Dieses Ergebnis hat zu der Überlegung geführt, extrahepatische Lymphknoten im Sinne einer Fernmetastasierung zu behandeln und eine kurative Resektabilität auszuschließen. Dieser Betrachtungsweise stehen allerdings mehrere Argumente entgegen: 4 Nur sehr wenige Studien weisen größere Patientenzahlen auf und gestatten eine statistische Analyse. 4 Einige Studien konnten ein Langzeitüberleben von >5 Jahren auch bei Patienten mit einem CCC und Lymphknotenmetastasen beobachten (Isa et al. 2001; Izumi et al. 1995; Tsuji et al. 2001).
Angesichts der häufig ausgeprägten Tumorlast eines CCC kann eine erweiterte Leberteilresektion auch eine sinnvolle Palliation darstellen.
Die Patienten werden von z. T. erheblichen Oberbauchbeschwerden befreit und gelegentlich auch von Fieber oder Kompressionssyndromen wie z. B. Ikterus (. Abb. 43.12). Mehrere Studien konnten zeigen, dass die Überlebenszeit auch bei fortgeschrittenen Stadien und positiven Lymphknoten signifikant länger war als bei rein konservativ supportiver Therapie. Allerdings muss zu diesen Studien kritisch angemerkt werden, dass es sich ausnahmslos um retrospektive Analysen handelte und die Patienten zum größten Teil zunächst in kurativer Intention operiert wurden. Häufig kam der palliative Charakter des Eingriffes erst während der Präparation oder postoperativ in der histopathologischen Aufarbeitung zur Darstellung, so dass gegenüber Patienten, die von vornherein konservativ supportiv behandelt wurden, eine Selektion bestand.
Transplantation
43 . Abb. 43.11. Ungewöhnliche Manifestation eines CCC in einer zirrhotischen Leber. Hier kam es nach einer Granatsplitterverletzung aus dem 2. Weltkrieg mit rezidivierenden Cholangitiden zur Ausbildung einer sekundär biliären Zirrhose und eines CCC
Nicht-resektable CCC, gelegentlich doch vorhandene Einschränkungen der regenerativen Kapazität der Restleber und auch die Annahme, dass ein größeres Resektionsausmaß mit besseren Langzeitergebnissen einhergehen würde, führte in den 1980er-Jahren auch beim CCC zu dem radikalen chirurgischen Konzept von Hepatektomie und Lebertransplantation. Besondere Vorteile wurden zudem in der gleichzeitigen Therapie einer evtl. vorliegenden PSC sowie von simul-
621 43.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
. Abb. 43.12. Zentrales CCC mit obstruierendem Tumorzapfen im Ductus choledochus (Pfeil). Angesichts der häufig ausgeprägten Tumorlast eines CCC kann eine erweiterte Leberteilresektion auch eine sinnvolle Palliation darstellen. Die Patienten werden von z. T. erheblichen Oberbauchbeschwerden befreit und gelegentlich auch von Fieber (z. B. im Rahmen einer Cholangitis) oder Kompressionssyndromen (z. B. Ikterus)
tanen Tumoren, deren Inzidenz mit 10% angegeben wird, gesehen. In einer Übersichtsarbeit, die die Erfahrung von 13 Zentren mit 34 Patienten, bei denen eine Lebertransplantation wegen eines CCC durchgeführt worden war, zusammenfasste, konnte nur über eine sehr enttäuschende 5-Jahres-Überlebensrate von 6% berichtet werden (Curley et al. 1995). Tumorrezidive standen mit 90% aller Todesursachen bei Patienten, die die ersten 90 Tage postoperativ überlebt hatten, im Vordergrund. Die postoperative Letalität betrug 29% und zeigt, dass diese Daten von Patienten, die überwiegend in den 80er Jahren operiert worden waren, nicht ohne weiteres auf heutige Verhältnisse übertragen werden können. Die postoperative Letalität müsste zumindest theoretisch deutlich niedriger liegen, da diese Patienten nur selten an einer Leberzirrhose leiden und die Komplikationen, die mit einer portalen Hypertension in Zusammenhang stehen, nur selten zu erwarten sind. So beträgt beispielsweise im eigenen Krankengut die postoperative Letalität nach Lebertransplantation wegen eines HCC in Zirrhose seit 1988 1,7%. Trotzdem wurde die Lebertransplantation als Therapieoption beim CCC aufgrund dieser schlechten Ergebnisse verlassen.
Ein wesentliches Hindernis für einen Langzeiterfolg der Lebertransplantation beim CCC wird immer noch in dem hohen Rezidivrisiko nach Transplantation gesehen, das zu einem großen Teil auf einer veränderten Tumorzellkinetik unter immunsuppressiver Medikation beruht.
Ausnahmen scheinen dort zu bestehen, wo kleine, auf die Leber begrenzte CCC aufgrund einer ungünstigen Lokalisation
oder einer gleichzeitig bestehenden Zirrhose nicht resektabel sind. So berichtete das European Liver Transplant Registry (ELTR) im Jahr 2000 von einer 5-Jahres-Überlebensrate für das CCC von 29% bei einer Gesamtzahl von 186 Patienten. Dieses Langzeitüberleben war identisch mit dem für das beim zentralen Gallengangskarzinom im Leberhilus beobachtete, das in Studien sonst eher zu günstigeren Ergebnissen als bei der intrahepatischen Variante führt. Allen Einzelstudien zur Lebertransplantation beim CCC ist gemeinsam, dass die Patientenzahlen noch kleiner sind als bei den Studien zur Resektion. Die größten Einzelserien zur Transplantation stammen aus Hannover und Pittsburgh mit 24 bzw. 20 Patienten. Die 5-Jahres-Überlebensraten betrugen dort 0 bzw. 18% (Weimann et al. 2000; Casavilla et al. 1997). Eine zusätzliche Problematik, die unverändert in der Diskussion ist, wird durch die Frage nach dem idealen Vorgehen bei Patienten mit einer PSC aufgeworfen. Nach unserer eigenen Erfahrung beträgt das Risiko eines okkulten CCC oder eines zentralen Gallengangskarzinoms als Komplikation einer PSC zur Zeit der Lebertransplantation 10%. Dieser Anteil liegt im Rahmen der häufigsten Literaturangaben, die zwischen 9% und 15% schwanken. Die mit 36% bislang höchste Rate wurde in Brisbane von Miros et al. beobachtet (1991). Allerdings handelte es sich um eine sehr kleine Serie, in der bei 4 von 11 Patienten mit PSC ein Gallengangskarzinom aufgetreten war. Einige Autoren haben die Schlussfolgerung gezogen, den idealen Zeitpunkt für eine Lebertransplantation bei PSC nicht nur aufgrund des Stadiums der chronischen Entzündung und der konsekutiven Leberschädigung festzulegen, sondern zur Vorbeugung von Gallengangskarzinomen zeitlich vorzuziehen. Die Rationale hierfür sind die o.a. unzureichenden Langzeitergebnisse auch bei Patienten mit relativ frühen Karzinomen. Demgegenüber steht die Argumentation, dass eine PSC in der Regel nur sehr langsam progredient ist und ohne weiteres über Zeiträume von 15 Jahren oder sogar länger konservativ und endoskopisch gut behandelt werden kann. Daher würden womöglich bei vielen Patienten unnötigerweise Lebertransplantationen früh in ihrem Leben durchgeführt und die mit der Transplantation sowie der postoperativen Immunsuppression verbundene Morbidität in Kauf genommen werden. Im eigenen Vorgehen führen wir daher zur Vermeidung eines späteren Auftretens von Gallengangskarzinomen keine vorgezogene Lebertransplantation bei PSC durch und versuchen gleichzeitig, die Rate okkulter Gallengangskarzinome möglichst niedrig zu halten. Wichtig sind in diesem Zusammenhang beispielsweise eine exzellente Bildgebung mittels ERC sowie eine große Expertise in der zytopathologischen Befundung. Interessant erscheint außerdem die kürzlich von der Mayo-Klinik berichtete Erfahrung, dass ein Gallengangskarzinom offenbar nur in der klassischen PSC, nicht aber in der mit einem normalen ERC-Befund einhergehenden sog. Smallduct-PSC vorkommt. Die Inzidenz eines Gallengangskarzinoms beträgt bei klassischer PSC 11% und bei Small-ductPSC 0. Allerdings liegt der Anteil von Patienten mit einer Small-duct-PSC an allen Patienten mit einer PSC nur bei 6%, so dass dieses Unterscheidungsmerkmal nur eine geringe klinische Bedeutung hat.
43
622
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
43.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
43.5.1 In-situ-Ablation
43
Hinsichtlich der Verfahrenswahl müssen bei primären und sekundären Lebertumoren neben Resektion und Transplantation auch Verfahren der In-situ-Ablation erwähnt werden. Die In-situ-Ablation von Tumoren kann mit einer Vielzahl von Methoden, die in der Regel auf einer thermischen Tumorablation (Kryotherapie, laserinduzierte Thermotherapie, Radiofrequenztherapie) oder einer Injektion zytozider Substanzen (Alkohohl, Essigsäure, Chemotherapeutika) beruhen, durchgeführt werden. Die geringere Invasivität dieser Verfahren und die damit verbundene vermeintlich auch geringere Morbidität und Mortalität als bei Resektionen begründen die Attraktivität dieser therapeutischen Alternative. Liegen Kontraindikationen für eine Lebertransplantation vor, galt bislang die Leberresektion in den meisten europäischen Zentren als Therapie der Wahl, falls keine portale Hypertension vorliegt, die das perioperative Risiko deutlich erhöht. Eine große europäische multizentrische Studie, die mehr als 200 Patienten einschloss, zeigt für HCC-Knoten ≤2 cm, die Gleichwertigkeit von Radiofrequenzablation und Leberresektion hinsichtlich des Überlebens, bei weniger Komplikationen (Livraghi et al. 2006) und bestätigt asiatische Daten für Patienten mit solitären, bis zu 5 cm großen HCC-Knoten. Die Radiofrequenzablation kann daher als Therapie der Wahl bei Knoten ≤2 cm gelten. Patienten mit Tumorknoten zwischen 3 und 5 cm sollten, wenn eine Radiofrequenzablation erwogen wird, in Studien eingebracht werden. Ab einer Tumorknotengröße von 5 cm stoßen Verfahren der In-situ-Ablation jedoch auf methodische Schwierigkeiten, eine Totalnekrose zu erreichen. Daher kommen diese Verfahren bei fortgeschrittenen Tumoren wie dem HCC in nichtzirrhotischer Leber sowie dem CCC in der Regel nicht in Betracht. Wird ein HCC in einer fortgeschrittenen Zirrhose, d. h. also im Child-Stadium B oder C, entdeckt und ist der Tumor nicht fortgeschritten, wird hier die Indikation zur Lebertransplantation allein schon durch die Zirrhose begründet. Zudem muss die Lebertransplantation auch als Rezidivprophylaxe für De-novo-HCC angesehen werden, da die Leberzirrhose als Risikofaktor im Sinne einer Präkanzerose nach Transplantation entfällt. Eine Leberzirrhose bedarf allerdings nicht in jedem Fall einer simultanen Therapie, so z. B. nicht immer in frühen Zirrhosestadien. Gelegentlich stehen auch andere Möglichkeiten wie beispielsweise antivirale Therapieverfahren bei Virushepatitis je nach Grunderkrankung zur Verfügung. Hier ist beim frühen HCC in Zirrhose die Indikationsstellung hinsichtlich Leberteilresektion oder In-situAblation derzeit unklar. Der Resektion als einzig gesichertem formal-kurativen Ansatz steht die attraktive geringe Invasivität der In-situ-Ablationsverfahren mit einer potenziell geringeren Komplikationsrate gegenüber. Größere kontrollierte oder sogar randomisierte Vergleichsstudien, die eine ent-
sprechende Analyse von Daten gestatten würden, liegen nicht vor. Zudem finden diese Verfahren oft nicht als Monotherapie, sondern zumindest sequenziell als Kombinationstherapie Anwendung, so z. B. als Rezidivbehandlung nach Resektion. In einer großen retrospektiven Studie aus Japan, die die Verläufe von über 12.000 Patienten nach Resektion (n=8010), perkutaner Äthanolinjektion (PEI; n=4037) oder transarterieller Chemoembolisation (TACE; n=841) überblickt, wurde versucht, die Patienten gemäß Anzahl und Größe der Tumorknoten sowie dem Zirrhosestadium zu kategorisieren (Arii et al. 2000). Die Autoren beschrieben günstigere Langzeitergebnisse für die Leberteilresektion bei Solitärtumoren und bei nur gering eingeschränkter Leberfunktion. Dieser Vorteil der Resektion zeigte sich nicht bei Patienten mit mehreren Tumorknoten. In dieser Analyse hatten ein fortgeschrittenerer Tumor häufiger zur Resektion und eine ausgeprägte Funktionsstörung bei der Leber eher zur perkutanen Äthanolinjektion geführt. Definitive Folgerungen für standadisierte Leitlinien sind jedoch trotz des Umfangs dieser Studie wegen des retrospektiven Charakters nicht zulässig. Es muss zu den Verfahren der In-situ-Ablation auch kritisch angemerkt werden, dass in der Regel keine histologische Validierung des Therapieerfolges nach In-situ-Ablation vorgenommen wird. Verbliebene vitale Tumoranteile sollen meist mittels CT- oder MRT-Kontrollen detektiert werden. Selbst eine Tumornekrose von 99,99%, die mit den derzeitigen diagnostischen Möglichkeiten nicht nachweisbar ist, würde bei einem Tumorvolumen von beispielsweise 10 ml oder entsprechend 1010 Tumorzellen zu einem Überleben von 106 vitalen Tumorzellen führen. Dort, wo gelegentlich eine histologische Validierung nach In-situ-Ablation durchgeführt wurde, sind die Ergebnisse nicht eindeutig. In einer Multicenter-Studie wurden 62 HCCPatienten mit Radiofrequenz-Thermoablation während Ballonblockade oder Embolisation der arteriellen Tumorversorgung behandelt (Rossi et al. 2000). Diese zusätzliche Ballonblockade oder Embolisation dient zur Verminderung der Energieabfuhr aus dem Ablationsareal über den Blutstrom und damit der Erhöhung des Wirkungsgrades der Radiofrequenztherapie. Während einer Nachbeobachtungsphase von 3–23 Monaten entwickelten 18% der Patienten ein Lokalrezidiv, 20% neue Tumorherde und 10% einen multilokulären Progress. Eine histologische Aufarbeitung wurde in nur 3 Fällen, einmal nach Autopsie und zweimal nach Resektion, vorgenommen und führte zum Nachweis zweier Totalnekrosen und einer nur 90%-igen Nekrose. Dieses Ergebnis zeigt einerseits eine hohe Effektivität, andererseits aber auch die Schwierigkeit, einen vorhersagbaren formalen Therapieerfolg zu erreichen. Indikationen bestehen dabei vor allem bei Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose, falls sie als Transplantatempfänger nicht in Betracht kommen sollten. In einer Child-AZirrhose gelegene HCC müssen hinsichtlich ihrer Lokalisation sowie zusätzlicher Risikofaktoren, die die Child-Klassifikation nicht erfasst, wie z. B. eine portale Hypertension, beurteilt werden.
623 43.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Insbesondere eine zentrale Lage mit einem antizipierten ausgeprägten Parenchymverlust bei Resektion oder eine ausgeprägte portale Hypertension geben unseres Erachtens Anlass zur In-situ-Ablation. Alle übrigen HCC in einer Child-A-Zirrhose würden wir als Indikation zur Resektion oder unter Umständen auch zur Transplantation (7 Kap. 43.5.3) ansehen, da nur so für den einzelnen Patienten eine sicher 100%-ige Tumorablation vorhersagbar ist.
43.5.2 Resektion Im Gegensatz zu einer ganzen Reihe gastrointestinaler Primärtumoren bestehen für die Resektion hepatozellulärer und cholangiozellulärer Karzinome keine einheitlichen operationstechnischen Leitlinien. Es gilt im Wesentlichen, dass vollständig, d. h. formal kurativ resektable hepatozelluläre Karzinome auch reseziert werden sollten, sofern sie die einzige Tumormanifestation darstellen. Hinsichtlich des anzustrebenden Umfanges einer Leberteilresektion gibt es keine gesicherten Daten. Formal kurative Resektionen können je nach Anzahl, Größe und Lokalisation der Tumorknoten durch eine Vielzahl von chirurgischen Verfahren mit zum Teil erheblichen Unterschieden im Ausmaß der Resektion durchgeführt werden.
Die intersegmentalen Grenzebenen werden nicht von größeren Gefäß- oder Gallengangsästen gekreuzt und stellen damit risikoarme Bereiche für eine Parenchymdissektion dar (. Abb. 43.13a).
Am häufigsten kommen in der Leberchirurgie als standardisierte, anatomiegerechte Resektionsverfahren die Hemihepatoktomie rechts oder links sowie die Resektion der linkslateralen Segmente 2 und 3 zur Anwendung (. Abb. 43.13b,c,g). Resektionen, die über den Umfang einer Hemihepatektomie hinausgehen, gelten als erweiterte Resektionen. Anatomiegerechte erweiterte Resektionen sind die Trisektorektomie rechts oder links. Resektionen des Lobus caudatus (Segment 1) fließen nicht in die Nomenklatur ein und werden gesondert angegeben.
Im Einzelnen umfassen diese Resektionsverfahren die in . Tab. 43.10 angegebenen Segmente (in Klammern wird die englischsprachige Nomenklatur dieser Resektionen angegeben): Unisegment- und Bisegmentresektionen wie beispielsweise die der Segmente 2 und 3 bei der sog. links-lateralen Resektion gelten als kleine Resektionen. Prinzipiell ist die Resektion einzelner Segmente in beliebiger Kombination durchführbar. Der operativ-technische Aufwand kann gerade bei rechtsseitigen Unisegmentresektionen aufgrund der nicht immer klar abgrenzbaren quer verlaufenden Segmentgrenzen sowie einer winkelförmigen und dadurch auch größeren Resektionsfläche erheblich höher sein als bei einer Hemihepatektomie. Das größere verbleibende Restparenchym bei Unisegmentresektion muss wegen der im Vergleich zur Hemihepatektomie größeren Resektionsfläche gelegentlich einer längeren Dauer der mittels Hilusokklusion angelegten intraoperativen Ischämie gegenüberstellt werden. Dieses Argument hat aber in den vergangenen Jahren durch die regelmäßige Anwendung des Ultraschall-Dissektors (CUSA) zur Parenchymdissektion und der dadurch immer seltener vorgenommenen Hilusokklusion an Bedeutung verloren. Formale Resektionen, die mindestens das Ausmaß einer Hemihepatektomie haben, bieten zudem den Vorteil, dass sie mit einer Präparation und Unterbindung der ipsilateralen Leberarterie, Pfortader und Lebervene einhergehen, so dass sowohl eine Einfluss- als auch eine Abflusskontrolle des Blutstroms und dadurch eine Verminderung des Blutungsrisikos besteht. Vor allem für Lebermetastasen wurde zudem eine segmental gehäufte Distribution von Tumorknoten beschrieben, die einen grundsätzlichen Vorteil formaler Resektionen entlang der Segmentgrenzen zwar theoretisch begründet, aber nie belegt wurde. Atypische Resektionen meinen zumeist Keil- oder Wedgeresektionen, die Segmentgrenzen nicht beachten. Sie werden in der Absicht, eine möglichst große Parenchymmenge zu erhalten, durchgeführt. Ein solches extraanatomisches Vorgehen, das sich nicht an gefäßarmen Segmentgrenzen orientiert, kann mit einer erhöhten Blutungsgefahr einhergehen. Daher ist auch hier häufig eine vorübergehende oder intermittierende Hilusokklusion notwendig. Diese atypischen Resektionsverfahren kommen insbesondere bei Patienten mit Leberzirrhose zur Anwendung, so dass besonders aufmerksam
. Tab. 43.10. Resektionsverfahren und die betroffenen Segmente
Resektionsverfahren
Englischsprachige Nomenklatur
Segmente
Schematische Darstellung
Links-laterale Resektion
Left sectionectomy
Segmente 2 und 3
. Abb. 43.13g
Hemihepatoktomie rechts
Right hemihepatectomy
Segmente 5, 6, 7 und 8
. Abb. 43.13b
Hemihepatoktomie links
Left hemihepatectomy
Segmente 2, 3 und 4
. Abb. 43.13c
Trisektorektomie rechts
Right trisectionectomy
Segmente 4, 5, 6, 7 und 8
. Abb. 43.13j
Trisektorektomie links
Left trisectionectomy
Segmente 2, 3, 4, 5 und 8
. Abb. 43.13k
43
624
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
zwischen dem Komplikationsrisiko eines zu großen Parenchymverlustes einerseits und einer Leberzellschädigung durch die intraoperative Ischämie bei parenchymsparenden Eingriffen andererseits abgewogen werden muss. Eine grobe Orientierung gibt die Kategorisierung des Parenchymschadens anhand der Child-Klassifikation. 4 Child Stadium A: Hemihepatektomie bei kurzer Ischämie möglich 4 Child Stadium B: atypische und Segmentresektionen bei kurzer Ischämie und peripherer Tumorlokalisation möglich 4 Child Stadium C: keine chirurgische Intervention sinnvoll Die Messung des Lebervenenverschlussdrucks wird von einzelnen Autoren als ein geeignetes Verfahren zur Unterscheidung der perioperativen Prognose von Patienten mit einer Leberzirrhose im Child-Pugh-Stadium B angesehen. Im praktischen Vorgehen gibt eine Druckmessung über einen via Vena cava in die Lebervenen vorgeschobenen Katheter indirekt Auskunft über den Pfortaderdruck. Der Verschluss der Lebervenen wird dabei durch eine Ballonokklusion des Katheters erreicht. Cave Ein Druckgradient von 10 mmHg wird als Kontraindikation zur Operation angesehen und liegt noch unter dem Gradienten von 12 mmHg, der bereits mit Ösophagusvarizen einhergeht.
Eine direkte Quantifizierung der funktionellen Metabolisierungskapazität der Leber erfolgt mit der Messung der Retention von Indozyaningrün (ICG). Die publizierten Daten zur prädiktiven Bedeutung dieses dynamischen Testverfahrens sind allerdings widersprüchlich, so dass er keine weite Verbreitung im klinischen Alltag gefunden hat. Nur in Japan findet eine Kategorisierung mit dem ICG-Test (ICG-Retentionsrate 15 min nach Injektion) häufiger Anwendung: 4 Retention nach 15 min <10%): erweiterte Resektionen möglich (ICG-Test normal) 4 Retention nach 15 min 10–19%: Hemihepatektomie möglich 4 Retention nach 15 min 20–29%: Segmentresektion möglich 4 Retention nach 15 min 30–39%: atypische Resektion möglich 4 Retention nach 15 min >40%: keine chirurgische Intervention
43.5.3 Lebertransplantation
43
Die Indikation zur Lebertransplantation besteht bei einer Leberzirrhose im Child-Stadium B oder C. Die grundsätzlichen Vorteile, die die Lebertransplantation insbesondere in der Therapie des HCC in Zirrhose bietet, bestehen allerdings auch bei Patienten mit einer Leberzirrhose im Child-Stadium A.
Der Mangel an Spenderorganen hat eine liberale Ausweitung der Transplantationsindikation auf diese Gruppe von Patienten aber verhindert. Zusätzlich stellt die im Child-Stadium A bestehende Alternative der Leberteilresektion einen weiteren wichtigen Grund für die fehlende Ausweitung der Transplantationsindikation dar, da die Patienten nicht zwingend einem therapeutischen Nihilismus anheimfallen. Wie bereits oben im Abschnitt zur In-situ-Ablation (7 Kap. 43.5.1) aufgeführt, kann die Irresektabilität eines frühen HCC in einer Child-A-Zirrhose auch aufgrund der Erwartung eines ausgeprägten Parenchymverlustes nach Resektion bei zentraler Lage des Tumors oder aufgrund einer ausgeprägten portalen Hypertension bestehen. In diesen Fällen ist die Lebertransplantation wie bei Child-B- oder -C-Zirrhose als Therapie der Wahl anzusehen, wenn keine allgemeinen Kontraindikationen vorliegen. Die Erfolge der Lebertransplantation beim HCC in Zirrhose einerseits und die zurückhaltende andererseits haben zum Konzept der sog. Rescue-Transplantation geführt, das derzeit kontrovers diskutiert und von einigen wenigen Zentren bereits als Routineverfahren angewendet wird. Das Konzept beinhaltet zunächst die Leberteilresektion beim HCC in Child-A-Zirrhose. Eine Lebertransplantation wird anschließend nur bei den Patienten durchgeführt, bei denen ein Rezidiv auftritt oder sich die Leberfunktion verschlechtert. Die Leberteilresektion stellt also für die Patienten, die sich später dann doch noch einer Transplantation unterziehen, ein Überbrückungsverfahren (»bridging«) dar, erspart den Patienten, bei denen keine Transplantation notwendig wird, die transplantationsassoziierte Morbidität und belastet schließlich den stark limitierten Pool von Spenderorganen nicht mit einer vermeintlich unnötigen Transplantation. Das Verfahren der Rescue-Transplantation wurde bislang nicht in Studien validiert, so dass die genannten Vorteile auf theoretischen Überlegungen beruhen. Umgekehrt gibt es eine Reihe theoretischer Gegenargumente: 4 Eine Lebertransplantation nach vorangegangener Leberteilresektion führt zu einer immensen Erhöhung des intraoperativen präparatorischen Aufwandes und gerade auch bei einer dann unter Umständen bestehenden portalen Hypertension auch zu einer Steigerung von Morbidität und Mortalität. 4 Die Risiken von zwei chirurgischen Eingriffen addieren sich für den Patienten, wobei der Eingriff mit der höheren Mortalität, d. h. die Leberteilresektion bei Zirrhose, in den Fällen, wo eine Lebertransplantation schließlich doch notwendig wird, für den einzelnen Patienten unnötigerweise erfolgt. 4 Eine Leberteilresektion beim HCC in Zirrhose geht zumindest theoretisch mit dem Risiko einer Tumorzelldissemination einher. Dieses Risiko kann durch Manipulation am Tumor oder durch die Wirkung von Regenerations- und Wachstumsfaktoren nach der Resektion auf potenziell residuale Tumorzellen begründet werden und sollte nicht unnötig, d. h. also nicht beim Fehlen von klaren Kontraindikationen zur Transplantation in Kauf genommen werden.
625 43.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
4 Der Vorteil einer Verkürzung der Wartezeit auf ein Spenderorgan durch die ja sofort mögliche Leberteilresektion bestünde nur bei ebenfalls sofortiger Anmeldung dieser Patienten bei Eurotransplant als Organempfänger. Da das Ziel der Rescue-Transplantation aber auch die Einsparung von Organen ist, würde die grundsätzliche Anmeldung von Patienten also nur auf Verdacht erfolgen. Eine Anmeldung bei Eurotransplant auf den Verdacht hin, dass eine Transplantation notwendig werden könnte, entspricht nicht den Allokationsregeln. Eine dahingehende Änderung erscheint auch nicht wünschenswert, da man eine Anmeldung auf Verdacht bei vielen, auch benignen Indikationen durchführen könnte und die Kapazität der Wartelisten endgültig sprengen würde. Würde die Meldung nach Rescue-Transplantation erst beim Tumorrezidiv oder bei Verschlechterung der Leberfunktion erfolgen, entfiele das Argument der verkürzten Wartezeit, weil diese nicht von den vorangegangenen Maßnahmen abhängig ist. Die umfangreichste Studie zu diesem Thema umfasst in einer retrospektiven Analyse 18 Patienten mit einem HCC in Zirrhose, auf das die Selektionskriterien zur Transplantation, d. h. ein Solitärtumor bis zu 5 cm Durchmesser oder bis zu 3 Tumorknoten bis zu einem maximalen Durchmesser von 3 cm, zutrafen (Belghiti et al. 2003). Die Lebertransplantation erfolgte bei diesen 18 Patienten nach einem Intervall von im Median 20 Monaten auf die Leberteilresektion. Die Indikation zur sog. sekundären Lebertransplantation waren Rezidive (n=11), eine Abnahme der Leberfunktion (n= 4) oder ein hohes Rezidivrisiko (n=3). Das hohe Risiko eines Rezidivs wurde bei diesen 3 Patienten mit einem positiven Resektionsrand oder Satellitenknoten im Resektat begründet. Die postoperative Morbidität und die 30-Tage-Letalität nur der Lebertransplantation ohne Einbeziehung der vorherigen Leberteilresektion betrugen 56% bzw. 5,6% und unterschieden sich nicht von den jeweiligen Raten bei 70 anderen Patienten, bei denen primär eine Lebertransplantation wegen eines frühen HCC in Zirrhose durchgeführt worden war. Hierzu muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass die 30-Tage-Letalität das postoperative Risiko auch nach Lebertransplantation in der Regel nicht so vollständig abbildet wie 60-Tage- oder 90-Tage-Letalität. Zudem entspricht die rechnerisch ermittelte Rate von 5,6% für die 30-Tage-Letalität als absolute Zahl einem Patienten und ist daher zusätzlich nur von eingeschränkter Aussagekraft. Das Risiko der Leberteilresektion erscheint in dieser Studie nicht, weil nur von den Patienten berichtet wird, bei denen auch in der Tat eine sekundäre Lebertransplantation durchgeführt wurde, nicht aber von den zuvor verstorbenen Patienten. Der operative Aufwand der sekundären Lebertransplantation war angesichts einer mittleren Operationsdauer von etwa 9 h offenbar sehr hoch, unterschied sich aber ebenfalls nicht signifikant von der Vergleichsgruppe mit primärer Lebertransplantation. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Gruppen mit primärer oder sekundärer Lebertransplantation sei allerdings angemerkt, dass es sich um eine retrospektive Analyse des Zeitraums von 1991–2001 handelt und das Konzept der se-
kundären Lebertransplantation während der primären Leberteilresektion häufig noch gar nicht bestand. Daher stellt die Gruppe mit primärer Resektion und sekundärer Transplantation vermutlich ein selektiertes Patientengut dar, bei dem initial eine Resektion möglich war. Demgegenüber war bei Patienten mit primärer Lebertransplantation wahrscheinlich die Leberzirrhose fortgeschritten oder das HCC ungünstiger gelegen. Zum Zeitpunkt der Transplantation unterschieden sich beide Gruppen nicht signifikant, abgesehen von einer größeren Zahl substituierter Thrombozyten in der Gruppe der primären Lebertransplantation. Dies könnte zumindest Ausdruck einer ausgeprägteren portalen Hypertension als in der Gruppe der Patienten mit sekundärer Lebertransplantation sein. Trotzdem lag das Blutungsrisiko in der Gruppe der sekundären Lebertransplantationen mit 22% gegenüber 3% in der Vergleichsgruppe mit primärer Lebertransplantation ebenfalls signifikant höher und ist vermutlich Ausdruck des höheren präparatorischen Aufwandes nach vorangegangener Leberteilresektion. Die 5-Jahres-Überlebensraten beider Gruppen betrugen jeweils 60% und zeigen die Bedeutung der sekundären Lebertransplantation als onkologisches Verfahren, zu dem allerdings noch keine endgültigen Schlussfolgerungen gezogen werden können.
43.5.4 Lymphadenektomie Ebenso wie operationstechnische Leitlinien fehlen für das HCC und das CCC Vorgaben für das Vorgehen bei der Lymphadenektomie. Der Wert einer systemischen Lymphadenektomie ist über ein verbessertes Staging hinaus nicht belegt. Ein Lymphknotenbefall im Bereich des Leberhilus oder des Ligamentum hepatoduodenale stellt beim HCC ohnehin eher eine Ausnahme dar. Nach einer Analyse von über 295 Patienten unseres Krankenguts nach chirurgischer Resektion oder Transplantation betrug die Rate Lymphknoten-positiver HCC nur 4% (n=12). Unterschiede ergaben sich bei der Betrachtung des HCC in Zirrhose mit einer Rate von 1% gegenüber 13% beim HCC in nicht-zirrhotischer Leber. Inwieweit sich diese Beobachtung, die in ähnlicher Weise auch von anderen Gruppen gemacht wurde, auf das in der Regel fortgeschrittenere Stadium von HCC in nicht-zirrhotischer Leber zurückführen lässt, ist noch unklar. Beide Formen des HCC führen aber erheblich seltener zu Lymphknotenmetastasen als andere Karzinome. Eine therapeutische Rolle der Lymphadenektomie über das Staging hinaus oder eine Ausdehnung der Dissektion auf weitere Lymphknotenstation müssen noch untersucht werden. Demgegenüber liegt die Rate positiver Lymphknoten beim CCC mit 30–60% deutlich höher. Positive Lymphknoten stellen einen bedeutenden Prognosefaktor dar, der in nahezu allen multivariaten Analysen größerer Zentren beschrieben wurde. Hinsichtlich Ausmaß oder therapeutischer Bedeutung der Lymphadenektomie liegen keine gesicherten oder systematisch prospektiv erhobenen Daten vor. Eine radikale paraaortale Lymphadenektomie beim zentralen Gallengangskarzinom führte zu identischen Überlebensraten, wenn die Lymphknoten entweder negativ oder makroskopisch nicht
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626
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
. Abb. 43.13a–m. Schematische Darstellung der Segmentanatomie (a) der Leber sowie der anatomiegerechten Standardresektion. Die intersegmentalen Grenzebenen werden nicht von größeren Gefäßoder Gallengangsästen gekreuzt und stellen damit risikoarme Bereiche für eine Parenchymdissektion dar. b Hemihepatoktomie rechts. c Hemihepatektomie links. d Rechts-posteriore Sektorektomie. e Rechts-anteriore Sektorektomie. f Links-mediale Sektorektomie (left-medial sectionectomy). g Linkslaterale Sektorektomie (left-lateral sectionectomy). h left-medial sectorectomy (ungebräuchliche Form der Resektion, für die sich Deutschen keine Entsprechung gebildet hat). i Left-lateral sectorectomy (ungebräuchliche Form der Resektion, für die sich Deutschen keine Entsprechung gebildet hat). j Trisektorektomie rechts. k Trisektorektomie links. l Unisegmentresektion. m Bisegmentresektion
erkennbar infiltriert waren. Das langfristige Überleben bei erkennbar infiltrierten Lymphknoten war signifikant ungünstiger. Die Autoren folgerten, dass eine radikale Lymphadenektomie gerade bei Patienten mit makroskopisch unauffälligen paraaortalen Lymphknoten sinnvoll sein könnte. Inwieweit diese Aussage einer systematischen Überprüfung standhalten würde und diese für das zentrale Gallengangskarzinom erhobenen Daten überhaupt auf das CCC übertragbar sind, muss derzeit als offen gelten.
43.6
Operationstechnik
43.6.1 Nomenklatur und Segmentanatomie
43
Im Jahr 2000 wurde auf der Jahrestagung der International Hepatopancreatobiliary Association (IHPBA) in Brisbane eine einheitliche Nomenklatur der Leberresektionen vorgelegt, um die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende missverständliche Vielfalt der Terminologie zu beenden. Grundlage dieser neuen Nomenklatur sind die durch die Anatomie der 8 Lebersegmente vorgegebenen Grenzebenen (. Abb. 43.13a). Das Segment 1 wird auch als Lobus caudatus bezeichnet, hypertrophiert häufig bei Zirrhose, liegt an der Dorsalfläche der
Leber und ist keinem Sektor und keiner Seite zugehörig. Resektionen des Lobus caudatus fließen nicht in die Nomenklatur ein und werden gesondert angegeben. Die Aufteilung der Segmente folgt den gleichsinnigen intrahepatischen Aufzweigungen der portalen Trias aus Pfortader-, Arterien- und Gallengangsast. Dabei werden Aufzweigungen der 1., 2. und 3. Ordnung unterschieden. Die entstehenden Grenzebenen verlaufen sagittal oder koronar. Die Aufteilung der ersten Ordnung bezeichnet die Ramifikation der Hauptstämme, d. h. die Aufteilung in rechte und linke Leberarterie, rechten und linken Pfortaderhauptast sowie in rechten und linken Gallengang. Die aus diesen Versorgungsgebieten resultierende Grenzfläche entspricht der Mittelebene der Leber und reicht vom Gallenblasenbett bis zur retrohepatischen Fossa der Vena cava inferior. Die Leberteilresektionen die sich aus der Orientierung an der Aufzweigung der ersten Ordnung ergeben, sind die Hemihepatektomie rechts mit Resektion der Segmente V bis VIII (. Abb. 43.13b) sowie die Hemihepatektomie links mit Resektion der Segmente II bis IV (. Abb. 43.13c). Entsprechend den intrahepatischen Gefäß- und Gallengangsaufteilungen der zweiten Ordnung wird die Leber in 4 Sektoren, in der englischen Terminologie »sections«, eingeteilt.
627 43.6 · Operationstechnik
Der rechts-posteriore Sektor entspricht den Segmenten VI und VII, der rechts-anteriore Sektor den Segmenten V und VIII, der links-mediale Sektor dem Segment IV und der linkslaterale Sektor den Segmenten II und III (. Abb. 43.13d–g). Die entsprechenden Resektionen werden im deutschen als Sektorektomien und im englischen Sprachgebrauch als »sectionectomies« bezeichnet. Die Brisbane-2000-Nomenklatur unterscheidet bei den intrahepatischen Ramifikationen der zweiten Ordnung eine Nomenklatur, die sich am gemeinsamen Verlauf von Gallengangs- und Arterienästen einerseits, oder am Verlauf der Pfortaderäste andererseits orientiert. Diese Verläufe sind in der rechten Leberhälfte identisch, so dass sich rechts-anteriorer Sektor und rechts-posteriorer Sektor in dieser Hinsicht nicht unterscheiden. In der linken Leberhälfte teilen sich aber nur Arterie und Gallengang so auf, dass das Segment IV den links-medialen Sektor und die Segmente II/III den links-lateralen Sektor bilden. Diese Art der Aufteilung resultiert im englischen Sprachgebrauch in der »left-medial section« bzw. der »left-lateral section« (. Abb. 43.13f,g). Demgegenüber ergeben sich aus der Pfortaderaufteilung der zweiten Ordnung ein links-medialer Sektor, der von den Segmenten III und IV gebildet wird, und ein links-lateraler Sektor, der nur aus dem Segment II besteht. Diese Sektoren werden im englischen Sprachgebrauch nicht mehr mit »section« bezeichnet, sondern als »left-medial sector« (Segmente III/IV; . Abb. 43.13h) und »left-lateral sector« (Segment II; . Abb. 43.13i). Im deutschen Sprachgebrauch ist die feinsinnige Unterscheidung nicht von großer Bedeutung, da die Resektion der Segmente II und III häufig als links-laterale Resektion bezeichnet und auch verstanden wird. Die Resektion des Segmentes IV wird stattdessen in der Regel als Segment IV-Resektion bezeichnet. Die kombinierte Resektion der Segmente III und IV, die der »left-medial sectorectomy« im Englischen entspräche, stellt eine Rarität dar, die im eigenen Krankengut bei über 2500 Leberresektionen nicht einmal durchgeführt wurde. Die kombinierte Resektion mehrerer Sektoren der Leber findet am häufigsten als Trisektorektomie rechts Anwendung, d. h. als Resektion der Segmente IV bis VIII (. Abb. 43.13j). Auch hier ist es wieder wichtig zu wissen, dass dieser Eingriff im englischen Sprachgebrauch als »right trisectionectomy« und nicht etwa als »right trisecorectomy« bezeichnet wird. Umgekehrt kann die linksseitige Resektion der Segmente II bis V und VIII im Deutschen als Trisektorektomie links und im englischen als »left trisectorectomy« bezeichnet werden (. Abb. 43.13k). Allerdings lautet auch hier im englischen Sprachgebrauch der bevorzugte Terminus »left trisectionectomy«.
lautet im englischen Sprachgebrauch entsprechend »segmentectomy« oder »bisegmentectomy«.
43.6.2 Praktisches Vorgehen bei der
Identifikation der Segmentgrenzen Die Grenzen der einzelnen Sektoren bilden sich im Gegensatz zu einer Vielzahl von Spezies nicht an der Oberfläche der Leber ab, können aber mit Hilfe verschiedener anatomischer Strukturen identifiziert werden: 4 Die Hauptstämme der drei Lebervenen verlaufen jeweils in den intersektoralen Grenzebenen und können dort intraoperativ sonographisch dargestellt und an der Oberfläche beispielsweise mittels Diathermienadel markiert werden (. Abb. 43.14). 4 Die Mittelebene verläuft in der Längsachse des Gallenblasenbettes auf den Leberhilus zu. Zudem führt ein Abklemmen der rechts- oder linksseitigen Gefäßversorgung der Leber zu einer ischämischen Demarkation genau bis an die Mittelebene. 4 Die Grenzebene zwischen links-lateralem (Segmente 2 und 3) und links-medialem Sektor (Segment 4) wird an der Vorderfläche der Leber durch das Ligamentum falciforme und an der Unterfläche durch das Ligamentum teres hepatis markiert. 4 Die Grenzebene zwischen rechts-lateralem und rechtsmedialem Sektor ist am schwierigsten darstellbar. Gelegentlich besteht am Unterrand der Leber eine Furche zwischen den rechtsseitigen Sektoren. 4 An der Vorderfläche der Leber verlaufen die intersektoralen Grenzebenen eher senkrecht, am kaudalen Aspekt hingegen sternförmig auf den Leberhilus zu. Die in der Koronarebene verlaufenden Grenzen der oben angegebenen Segmente sind nur mit hohem Aufwand darstellbar, beispielsweise durch Dissektion der intraparenchymatösen Aufzweigungen der portalen Trias mit Abklemmen der Segmentpedikel und anschliessender ischämischer Demarkation des Segmentes. Selten können diese Aufzweigungen auch
Die intrahepatischen Aufzweigungen der dritten Ordnung beziehen sich auf die Versorgung der einzelnen Lebersegmente.
Die Eingriffe werden bei einzelnen Segmenten als Unisegment- und bei 2 Segmenten als Bisegmentresektionen bezeichnet (. Abb. 43.13l,m). Die Terminologie dieser Verfahren
. Abb. 43.14. Die Hauptstämme der drei Lebervenen verlaufen jeweils in den intersektoralen Grenzebenen und können dort intraoperativ sonographisch dargestellt und an der Oberfläche beispielsweise mittels Diathermienadel markiert werden
43
628
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
. Abb. 43.15. Die in der Koronarebene verlaufenden Grenzen der rechtsseitigen Lebersegmente sind nur mit hohem Aufwand darstellbar, beispielsweise durch Dissektion der intraparenchymatösen Aufzweigungen der portalen Trias mit Abklemmen der Segmentpedikel und anschließender ischämischer. Selten können diese Aufzweigungen wie hier im Bild auch einmal extrahepatisch dargestellt werden (schwarzer Pfeil: arterielle Aufzweigung zu den rechts-anterioren Segmenten 5 bzw. 8; grüner Pfeil: arterielle Aufzweigung zu den rechts-posterioren Segmenten 6 bzw. 7; roter Pfeil: intersektorale Furche zwischen dem rechts-anterioren und dem rechts-posterioren Sektor; gelber Pfeil: Gallenblasenbett nach Cholezystektomie; die rechtsseitigen Pfortaderäste zu den rechts-anterioren bzw. den rechts-posterioren Sektoren sind blau angeschlungen)
einmal extrahepatisch dargestellt werden (. Abb. 43.15). Alternativ kann die sonographisch gesteuerte Punktion der Pedikel mit Farbstoffinjektion (Methylenblau) zur Oberflächenvisualisierung erfolgen.
wird die Erweiterung der queren Oberbauchlaparptomie nach links notwendig. Der Einsatz selbsthaltender subkostaler Retraktoren ist für eine ausgezeichnete Exposition nahezu unabdingbar. Ein in der japanischen Literatur gelegentlich beschriebener thorako-abdomineller Zugang ist unseres Erachtens für eine Leberteilresektion fast nie erforderlich. Der nächste Schritt erfasst die orientierende Untersuchung des Abdomens zum Ausschluss oder Nachweis extrahepatischer Tumormanifestationen. Gerade bei großen Lebertumoren, die die Leberoberfläche erreichen und die Kapsel infiltrieren, bestehen häufig Netzadhäsionen, die zur Erlangung einer besseren Übersicht gelöst werden müssen. Dabei ist die scharfe Durchtrennung dieser Adhäsionen mittels Diathermie oder zwischen Dissektionsligaturen einer oft auch möglichen weitgehend stumpfen Ablösung vom Tumor vorzuziehen, um Kapselläsionen des Tumors mit Perforation oder Blutung vorzubeugen. Eine intraoperative Sonographie wird von vielen Autoren als notwendig angesehen, liefert aber angesichts des hohen Standards der präoperativen Schnittbildgebung häufig keine neuen diagnostischen Hinweise. Sie kann aber gerade bei Lokalisation von Lebertumoren im Bereich der Segmentgrenzen wichtig für die Festlegung der Resektionsebene in einem tumorfreien Areal sowie auch für die Orientierung über den Gefäßverlauf gerade bei atypisch verlaufenden Resektionsebenen sein (. Abb. 43.16). Vor der intraoperativen Sonographie sollte die vollständige Mobilisierung der Leber stehen, die neben einer sorgfältigen Exploration auch ein übersichtliches Arbeiten und eine bessere Beherrschung von eventuellen Blutungskomplikationen ermöglicht.
43.6.3 Operatives Vorgehen Das Monitoring bei Leberteilresektionen erfordert einen arteriellen und einen zentral-venösen Zugang zur Blutdruckmessung. Insbesondere während der Phase der Parenchymdissektion sollte der zentral-venöse Druck nicht oberhalb von 3 cmH2O liegen, um retrograde Blutungen aus den Lebervenen oder ihren Ästen zu vermeiden. Umgekehrt steigt dann allerdings auch das Risiko einer Luftembolie im Fall einer akzidentellen Eröffnung einer größeren Lebervene. Zusätzlich zu den beiden genannten Kathetern muss ein großlumiger periphervenöser Zugang für eine ggf. rasche Volumensubstitution vorhanden sein.
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Der Standardzugang in das Abdomen erfolgt über eine quere Oberbauchlaparotomie mit medianer Erweiterung bis auf das Xyphoid. Häufig kann bereits mit einer allein rechtsseitigen queren Oberbauchlaparotomie und medianer Erweiterung eine gute Übersicht erreicht werden. Gerade bei adipösen Patienten, spitzem Winkel der beiden Rippenbögen oder einem ungewöhnlich tiefen Situs
6
. Abb. 43.16. Zentrales CCC vor Resektion. Die intraparenchymatöse Ausdehnung des Tumors wurde intraoperativ sonographisch dargestellt und an der Oberfläche der Leber mittels Diathermienadel zur besseren Übersicht markiert
629 43.6 · Operationstechnik
Abweichungen vom Vorgehen einer vollständigen Mobilisation der Leber sollten mit zunehmendem chirurgischen Risiko vor allem bei fortgeschrittenerer Zirrhose oder portaler Hypertension erwogen werden, jedoch nicht, wenn dies eine Tumorresektion mit unzureichender Übersicht z. B. in den rechts-posterioren Anteilen der Leber bedeuten würde. Eine günstige Lage eines Tumors beispielsweise in den Segmenten II oder III ermöglicht einen kleinen Zugang über eine mediane Oberbauchlaparotomie und eine nur minimale Mobilisation der linken Leberanteile. Dieses Vorgehen wird gerade beim HCC in Zirrhose häufig gewählt. Wird eine Hemihepatektomie geplant oder eine erweiterte Leberteilresektion, folgt auf die im Rahmen der Mobilisation vorgenommene Durchtrennung der Ligamenta triangularia sowie des Ligamentums teres hepatis und des Ligamentum falciforme, die retrohepatische Abhebung der Leber von der Vena cava inferior. Hier bestehen eine Reihe venöser Abflüsse vom Lobus caudatus in die Vena cava inferior. Kleinere Äste können dabei ohne weiteres mittels bipolarer Diathermie verschlossen und dann durchtrennt werden, etwas größere Äste zwischen Titanclips und noch größere zwischen Dissektionsligaturen, wobei auf der Seite der Vena cava inferior eine Gefäßklemme gesetzt und der Verschluss mit fortlaufender Naht erfolgen sollte.
Cave Die Lebervene der zu resezierenden Leberseite wird zunächst nur angeschlungen, aber noch nicht durchtrennt oder verschlossen, um einer Kongestion dieser Lebersegmente, die ja noch perfundiert werden, vorzubeugen.
Die vollständige Mobilisation des Lobus caudatus erleichtert Darstellung und Anschlingen von linker und mittlerer Lebervene. Dabei ist gelegentlich die Präparation des Anteils des Lobus caudatus etwas aufwendiger, der von links die Vena cava inferior unterhalb des Venensterns bedeckt. Dessen Mobilisation und Ablösung von der Vena cava inferior kann sowohl von links als auch nach retrohepatischer Ablösung der Leber von der Vena cava inferior von rechts erfolgen. Die anschließend gewonnene Übersicht im Bereich der Lebervenen erlaubt in Notfallsituationen eine rasche Kontrolle des venösen Abstroms und damit eine Verhinderung größerer Blutverluste über die Lebervenen oder in umgekehrter Richtung einer Luftembolie nach zentral. Alternativ kann auch die gesamte Vena cava sowohl oberhalb, als auch unterhalb des Venensterns dargestellt und angeschlungen werden. Dieses Verfahren lässt sich gerade in unerwarteten Notfallsituationen zügiger umsetzen als die Mobilisation des Lobus caudatus, führt aber zu einer vollständigen Unterbindung des Blutstroms in der Vena cava inferior.
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Eine Präparation im Ligamentum hepatoduodenale oder im Leberhilus ist bei Resektionen, die keine Unterbindung der Hauptstämme einer Seite von Leberarterie oder Pfortader erfordern, nicht unbedingt notwendig. Gerade beim HCC in Zirrhose wird zudem wegen der bekannten niedrigen Inzidenz von Lymphknotenmetastasen und einem erhöhten präparatorischen Aufwand auch bei beginnender portaler Hypertension auf eine Lymphadenektomie verzichtet. Umgekehrt erlaubt eine Dissektion der linksseitigen Lymphknoten des Ligamentum hepatoduodenale sowie des Pankreasoberrandes eine gute Übersicht über den Verlauf von Arteria hepatica communis und Arteria hepatica propria. Die Dissektion der Lymphknoten des Ligamentum hepatoduodenale und des Pankreasoberrandes rechts verbessern hingegen die Übersicht im Verlauf des Ductus choledochus sowie einer in etwa 5–20% der Fälle vorhandenen akzessorischen rechten Leberarterie, die aus der Arteria mesenterica superior entspringt und hinter dem Ductus choledochus verläuft. Die rechte oder linke Leberarterie kann direkt hinter der Bifurkation oder am Eintritt in das Parenchym durchtrennt werden. Gerade rechtsseitig ist mitunter auch die selektive Darstellung und Durchtrennung der Leberarterien zum rechts-anterioren oder rechts-posterioren Sektor möglich (. Abb. 43.15). Nach Durchtrennung der rechten Leberarterie kann der rechte Pfortaderhauptast dargestellt und unterbunden werden, so dass im Fall einer Rechtsresektion der Einstrom nun vollständig unterbunden ist (. Abb. 43.17). Nunmehr könnte auch die rechte Lebervene zur vollständigen Devaskularisation der rechten Leberhälfte abgesetzt werden.
. Abb. 43.17. Operationssitus nach erweiterter Rechtsresektion einschließlich Segment 1 (blauer Pfeil: Absetzungsstumpf des rechten Pfortaderhauptastes nach Unterbindung; schwarzer Pfeil: Einmündung der linken Lebervene in die Vena cava inferior; gelber Pfeil: Kehrsch-T-Drain im Ductus choledochus)
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Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
Der linke Pfortaderhauptast kann ähnlich wie der rechte Pfortaderhauptast kurz hinter der Bifurkation dargestellt und unterbunden werden. Er ist aber auch im Verlauf des Ligamentum teres hepatis auf den Leberhilus zu leicht aufzufinden und darzustellen. Allerdings müssen in diesem etwas peripherer gelegenen Anteil des linken Hauptastes häufiger kleinere venöse Verbindungen zum Segment IV und zum Lobus caudatus unterbunden werden. Die Durchtrennung des Ductus hepaticus dexter oder sinister kann in der Phase der Parenchymdissektion erfolgen oder wie bei den vaskulären Strukturen während der Präparation im Leberhilus. Die hohe Variabilität der biliären Ramifikation in der rechten Leberhälfte sowie die kurze Distanz der Aufzweigungen zweiter Ordnung zum Leberhilus sprechen in der Regel für eine Absetzung des Gallenganges im Rahmen der Parenchymdissektion. Hierbei kann die Absetzungslinie im Bereich des Ductus hepaticus dexter in größerer Distanz zum Leberhilus verlaufen und eine höhere Selektivität bei der Darstellung und Unterbindung einzelner Segmentgallengänge erreicht werden, ohne dass eine aufwendige und mitunter trotzdem unübersichtliche Dissektion vom Hilus aus erfolgen muss. Demgegenüber weist der Ductus hepaticus sinister einen längeren Verlauf zwischen Leberhilus und erster Segmentramifikation auf, die bis zu 5 cm betragen kann. Diese erste Ramifikation wird fast immer vom Gallengang des Segmentes IV gebildet, wobei die Variabilität der Gallengangsanatomie in der linken Leberhälfte nur gering ist. Daher kann bei einer Hemihepatektomie links die Absetzung des Ductus hepaticus sinister auch ohne weiteres im Rahmen der Präparation des Leberhilus vorgenommen werden. Allerdings ergeben sich aus diesem Vorgehen keine wesentlichen Vorteile. Stattdessen besteht auch hier bei der Durchtrennung des Gallenganges im Rahmen der Parenchymdissektion der Vorteil, dass ein die rechts-anterioren Lebersegmente drainierender Gallengang, der als anatomische Variante in den Ductus hepaticus sinister mündet, sicherer erkannt und geschont werden könnte.
Unsicherheiten über den Verlauf der Segmentgallengänge oder auch kleinere Gallengänge an der Dissektionsfläche des Parenchyms zur Einlage einer T-Drainage genutzt.
Die Dissektion des Parenchyms wird heutzutage an vielen Zentren mit einem Ultraschalldissektor durchgeführt, der gegenüber der stumpfen Dissektionstechnik mit der Metzenbaum-Schere zu einer deutlich verbesserten Übersicht und einem geringeren Blutverlust geführt hat (. Abb. 43.19). Die-
. Abb. 43.18. Trisektorektomie rechts mit Gefäßersatz bei Infiltration der Vena cava inferior durch ein CCC. Zum Ausschluss von Gallengangsleckagen und zur Darstellung der Gallengangsanatomie erfolgte eine Sondierung via Choledochotomie (gelber Pfeil). Die Choledochotomie wird anschließend übernäht oder, wozu wir im eigenen Vorgehen eher neigen, gerade bei Unsicherheiten über den Verlauf der Segmentgallengänge oder auch kleinere Gallengänge an der Dissektionsfläche des Parenchyms zur Einlage einer T-Drainage genutzt
Grundsätzlich ist bei einer verbleibenden Unsicherheit hinsichtlich der Gallengangsanatomie zur Sondierung des Gallengangssystems oder zur intraoperativen Cholangiographie zu raten.
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Die intraoperative Cholangiographie oder auch die Sondierung können häufig über den im Rahmen der meist ohnehin meist notwendigen Cholezystektomie eröffneten Ductus cysticus erfolgen. Gelingt dieses Vorgehen nicht, kann der Zugang auch direkt über eine Choledochotomie vorgenommen werden (. Abb. 43.18). Die Choledochotomie wird anschließend übernäht oder, wozu wir im eigenen Vorgehen eher neigen, gerade bei
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. Abb. 43.19. Parenchymdissektion im Rahmen einer Trisektorektomie rechts mit einem Ultraschalldissektor (CUSA), der zu einer Schnittbreite von etwa 2–4 mm führt. Die Dissektion des Parenchyms wird heutzutage an vielen Zentren mit einem Ultraschalldissektor durchgeführt, der gegenüber der stumpfen Dissektionstechnik mit der Metzenbaum-Schere zu einer deutlich verbesserten Übersicht und einem geringeren Blutverlust geführt hat
631 43.7 · Postoperative Behandlung
ses Verfahren hat dadurch einen Teil der großen Fortschritte bei der Leber-Lebendspende des rechten Leberlappens zwischen Erwachsenen begründet, einem Verfahren, bei dem die Dissektionstechnik so gewählt werden muss, dass beide Leberhälften funktionell erhalten bleiben, und keine Unterbindung des arteriellen sowie portalen Einstroms oder des venösen Abstroms aus der Leber erfolgt. Eine temporäre Okklusion des Ligamentum hepatoduodenale (Pringle-Manöver) während der Resektionsphase ist daher auch bei den meisten Leberteilresektionen wegen eines HCC oder CCC heutzutage nicht mehr notwendig. Dies ist gerade beim HCC ein bedeutender Vorteil, weil hier die Toleranzzeit einer warmen Ischämie, die bei normalem Leberparenchym ohne weiteres 45–60 min beträgt, aufgrund einer Hepatitis, Fibrose oder Zirrhose erniedrigt sein kann. Die Toleranz für eine temporäre Hilusokklusion kann neben der Bolusgabe von Methylprednison auch durch eine ischämische Präkonditionierung verbessert werden (Clavien et al. 2000). Im praktischen Vorgehen bedeutet dies eine kurze Hilusokklusion von 10 min mit 10-minütiger Reperfusion gefolgt von der eigentlichen Okklusionsphase. Der Reperfusionsschaden wird durch eine verminderte Leukozyten-EndothelInteraktion deutlich reduziert. Trotzdem sollte gerade bei einer Leberzirrhose eine Okklusion nicht prophylaktisch, sondern nur bei sonst nicht zu beherrschenden Blutungskomplikationen und nach Möglichkeit nicht länger als 20 min vorgenommen werden. Die Parenchymdissektion ohne Hilusokklusion wird auch durch den Einsatz der bipolaren Pinzette mit Kochsalzirrigation sowie der Kontaktkoagulation mit Infrarotlicht erleichtert. Beide Verfahren dienen neben der Reduktion eines Blutverlusts auch der Wiederherstellung einer guten Übersicht im Präparationsareal im Falle kleinerer Blutungen. Die bipolare Koagulation mit Kochsalz-Irrigation kann durch speziell konstruierte Pinzetten mit Irrigationskanal umgesetzt werden, für deren Einsatz eine Reduktion von Blutverlust und postoperativer Morbidität beschrieben wurde (Yamamoto et al. 1999). Die Handhabung dieser Methode gelingt aber auch leicht mit dem Einsatz einer normalen anatomischen Pinzette und Irrigation aus einer Spritze mit Knopfkanüle, die zudem die Möglichkeit einer feineren Dosierung und gezielteren Applikation bietet. Der Einsatz der Kontaktkoagulation mit Infrarotlicht bietet zusätzlich zur Blutstillung gerade in der onkologischen Leberchirurgie den Vorteil eines zusätzlichen Nekrosesaums von etwa 2–4 mm Breite am verbleibenden Leberrest, der zum tumorfreien Resektionsrand addiert werden kann (. Abb. 43.20). Nach Abschluss der Parenchymdissektion und Entfernung des Resektates aus dem Situs ist aufgrund der oben angegebenen Maßnahmen meistens keine wesentliche Blutstillung mehr notwendig. Es ist daher auch angesichts des zunehmenden Kostendrucks fraglich, ob verschiedene Verfahren zur Parenchymversiegelung, wie beispielsweise die Fibrinklebung oder Einsatz von Kollagenvliesen in der täglichen Routine noch zur Anwendung kommen sollten. Beide Verfahren bieten Vorteile im Fall einer problematischen Blutstillung, benötigen aber im Moment der Applikation eine vorübergehend
. Abb. 43.20. Versiegelung der verbleibenden Schnittfläche mittels Infrarotlicht-Kontaktkoagulation, die neben der Blutstillung zur Bildung eines wenige Millimeter breiten Nekrosesaums führt. Dieses Verfahren bietet dadurch den Vorteil einer Verbreiterung des tumorfreien Schnittrandes
bluttrockene Resektionsfläche, die ggf. durch ein Pringle-Manöver erreicht werden kann. Eine Verfestigung des Fibrinklebers tritt innerhalb einer Minute ein, während mit Fibrinogen- oder mit Thrombin-beschichteten Kollagenvliesen eine Andruckzeit von 5 min notwendig ist.
43.7
Postoperative Behandlung
Direkt postoperativ ist die Extubation des Patienten anzustreben, die in unserem Vorgehen regelhaft noch im Operationssaal erfolgt. Die Spontanatmung erleichtert den Abstrom des Bluts aus der Leber sowohl durch den im Atemrhythmus geringeren venösen Widerstand als auch durch ein Auspressen des Organs mit den Kontraktionen des Zwerchfells. Es muss eine frühzeitige Mobilisation mit forcierter Physiotherapie zur Prophylaxe pulmonaler Infektionen bereits am ersten Tag nach der Operation einsetzen. Grundsätzlich besteht das Risiko einer Nachblutung, so dass jeder Patient bis zum Folgetag auf der Intensivstation überwacht wird. In der 7 Übersicht sind verschiedene perioperative Strategien zur Vermeidung von Blutungskomplikationen zusammengefasst. Der Beginn der postoperativen Thromboseprophylaxe wird in den verschiedenen Zentren nicht einheitlich gehandhabt. Häufig wird direkt postoperativ auf der Wachstation mit einer Heparin-Dauerinfusionstherapie (5000 IE/24 h) begonnen. Im eigenen Vorgehen führen wir eine Thromboseprophylaxe zur Vermeidung Heparin-bedingter Nachblutungen erst ab dem 1. postoperativen Tag durch.
43
632
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
Perioperative Strategien zur Vermeidung von Blutungskomplikationen in der Leberchirurgie 4 Ausgleich von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten (insbesondere bei Patienten mit einer Leberzirrhose) 4 Zentral-venöser Druck während der Resektion nicht höher als 3 cmH2O 4 Intraoperative Bolusgabe (2 Mio. IE) und Dauerinfusion (500.000 IE/h) des Antifibrinolytikums Aprotinin bis zum 1. postoperativen Tag 4 Intraoperatives Anschlingen des Ligamentum hepatoduodenale und Präparation der Lebervenen zur ggf. raschen Kontrolle und Unterbindung von arteriellem/portalem Zustrom sowie venösem Abstrom 4 Blutstillung im parenchymatösen Dissektionsareal durch Einsatz von bipolarer Pinzette mit Kochsalzirrigation und Infrarotlicht-Koagulation 4 Parenchymversiegelung durch Applikation von Fribrinkleber und Kollagenvlies ( zunehmend nur noch zur Behandlung und nicht zur Vermeidung von Blutungskomplikationen) 4 Verzögerter Beginn der postoperativen Thromboseprophylaxe, d. h. nicht vor dem 1. postoperativen Tag
43
Der Kostaufbau kann direkt postoperativ beginnen. Schwere Darmatonien stellen nach Leberteilresektion die Ausnahme dar. Aus der chirurgischen Behandlung von Lebermetastasen kolorektaler Karzinome ist bekannt, dass Patienten die Leberteilresektion zumeist als deutlich weniger belastend empfinden, als die vorangegangene Darmresektion. Postoperative Komplikationen, die vor allem im weiteren Verlauf nach den ersten beiden postoperativen Tagen besonderer Aufmerksamkeit verlangen, sind die Entwicklung einer Leberinsuffizienz sowie das Auftreten eines Gallelecks. Ebenso treten infektiöse Komplikationen meist erst nach 3–5 Tagen auf, gelegentlich in Kombination mit einer Leberinsuffizienz oder einem Galleleck. Anzeichen einer Leberinsuffizienz sollten zuerst Anlass zu einer Abklärung der freien Leberperfusion mittels Dopplersonographie geben. Zweifelsfälle müssen sofort zur Diagnosesicherung (Angiographie, MRTAngiographie, CT) oder direkt zur Relaparotomie mit Rekanalisation führen. Häufig ist nur eine Torsion der Lebergefäße aufgrund einer Lageveränderung insbesondere der linken Restleber für ein Flussproblem verantwortlich. Während nach linksseitiger Leberteilresektion die rechtsseitige Restleber wieder orthotop in ihre Position zurückfällt, kann nach rechtsseitiger Leberteilresektion die verbliebene linksseitige Leber in den rechten Oberbauch luxieren. Zur Vermeidung einer solchen Komplikation führen wir regelhaft eine partielle Refixation des Ligamentum falciforme durch. Gallengangskomplikationen können sowohl in Form einer Leckage als auch seltener eines Gangverschlusses oder einer Striktur auftreten. Zur Diagnosesicherung und auch zur genauen Lokalisationsdiagnostik empfiehlt sich frühzeitig eine selektive ERC. Die dadurch gegebene endoskopische Interventionsmöglichkeit kann zur Therapie einer Gallengangs-
komplikation häufig schon ausreichend sein, so dass sich eine Relaparotomie erübrigt. Dies ist z. B. bei sehr kleinen Leckagen, die durch eine Gallengangsdekompression mittels StentÜberbrückung behoben werden können, oder auch einer Druckerhöhung im Gallengangssystem aufgrund einer benignen Papillenstenose, die zur endoskopischen Papillotomiie führt, der Fall. Größere Gallengangsverletzungen geben Anlass zur operativen Revision, die mit zunehmender Dauer eines Gallelecks und ggf. auch einer galligen Peritonitis zunehmend aufwendiger wird. Gerade im Leberhilus können dann insuffiziente Absetzungsränder eines Gallengangs oder ein akzidenteller Verschluss der Bifurkation häufig nur mit einer Hepatikojejunostomie und einer Langzeitschienung mit internen Drainagen versorgt werden. Unklare Temperaturen können in der postoperativen Phase auch von einem sympatischen Pleuraerguss mit Atelektasenbildung herrühren. Die Rate von Pleuraergüssen nach Leberteilresektion wird mit etwa 20% angegeben, wobei in etwa der Hälfte der Fälle die Notwendigkeit einer Drainage besteht. Ein subphrenischer Abszess kann im längerfristigen Verlauf nach Leberteilresektion auch noch nach Wochen auftreten und wird ebenfalls häufig durch unklare Temperaturen auffällig. Die CT-gesteuerte Punktion mit Drainageneinlage und Spülung ist als Therapie häufig ausreichend.
Die häufigste Todesursache nach Leberteilresektion ist die Leberinsuffizienz. Ihre Inzidenz ist vor allem vom Ausmaß des Parenchymverlustes sowie von einer vorbestehenden Schädigung des Leberparenchyms, beispielsweise durch eine Zirrhose, eine Hepatitis oder einer Cholestase, abhängig.
Nahezu alle Zentren haben im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts von deutlich gesunkenenen Letalitätsraten nach Leberteilresektion berichtet, obwohl der Anteil erweiterter Leberteilresektionen eher noch zugenommen hatte. Die Ursachen dieses gegensinnig erscheinenden Verlaufs liegen in einer strengeren und auch besseren Patientenselektion sowie einem verbesserten perioperativen Management. Eine zunehmend strengere Indikationsstellung ist beispielsweise vor Resektionen eines HCC in Zirrhose zu beobachten und eine verbesserte Indikationsstellung durch die regelhafte Anwendung präoperativer volumetrischer Leberuntersuchungen bei einem zu erwartenden kritischen Resektionsausmaß. Fortschritte im perioperativen Management betreffen vor allem auch die Vermeidung einer intraoperativen Leberischämie, blutsparende und komplikationsarme Präparationstechniken sowie ein operationsadaptiertes anästhesiologisches Mangement. Typische Zeichen der postoperativen Leberinsuffizienz sind eine Hyperbilirubinämie, Aszites, hepatische Enzephalopathie, Störungen der Blutgerinnung, Thrombozytopenie sowie als Begleiterscheinungen Hypoglykämie, Laktatazidose sowie auch ein Multiorganversagen. Die Behandlung ist symptomatisch. Trotz aller Fortschritte liegt auch heute nach erweiterten Leberteilresektionen bei primären Lebertumoren die 90-Tage-Letalität zwischen 5 und 15%.
633 43.8 · Neoadjuvante und adjuvante Therapierinzipien
43.8
Neoadjuvante und adjuvante Therapierinzipien
Die Wirksamkeit neoadjuvanter oder adjuvanter Maßnahmen ist weder für das HCC noch für das CCC und weder in Verbindung mit einer Leberteilresektion noch mit einer Lebertransplantation belegt. Konzepte bestehen vor allem für das HCC und hier insbesondere vor Lebertransplantationen, während beim CCC auch aufgrund der geringen Fallzahlen kaum Studienansätze vorliegen. Vor Leberteilresektionen müssen nicht nur beim HCC oder CCC, sondern bei Lebertumoren überhaupt, zwei verschiedene konzeptionelle Ansätze der Vorbehandlung unterschieden werden: 4 Konzepte, die ein Downstaging des Tumors zur Überführung irresektabler in resektable Stadien, zur Minimierung des Risikos einer Tumorzelldissemination oder zur Verbesserung der postoperativen Ergebnisse zum Inhalt haben. 4 Operationstechnische Strategien, wie die präoperative unilaterale Pfortaderembolisation, die durch Induktion einer kontralateralen Lappenhypertrophie technischfunktionell irresektable in resektable Befunde überführen sollen, indem eine Zunahme eines zunächst als zu gering antizipierten Restvolumens der Leber herbeigeführt wird.
43.8.1 Vorbehandlung: transarterielle Chemo-
embolisation Einige kleinere retrospektive und auch oft nur einarmige Studien konnten gelegentlich vermeintliche Therapieerfolge beim HCC für eine systemische Chemotherapie, eine Immuntherapie oder verschiedene Verfahren der In-situ-Ablation von Tumoren berichten. Derartige Berichte liegen für das CCC nicht vor.
Das größte Potenzial zur Lösung des therapeutischen Hauptproblems, dass nur bei etwa 25% aller Patienten mit einem HCC eine Resektion oder Transplantation möglich ist, kommt derzeit der transarteriellen Chemoembolisation zu.
Die Bedeutung einer neoadjuvanten transarteriellen Chemoembolisation (TACE) beim HCC ist derzeit durch Studien nicht belegt. Am deutlichsten wird das Potenzial einer transarteriellen Chemoembolisation im Grenzbereich der Resektabilität. Allerdings zeigte in einer japanischen Studie der Vergleich von alleiniger Resektion und Resektion mit präoperativer Chemoembolisation neben einer signifikanten Reduktion des Tumorvolumens bei der Hälfte der behandelten Patienten insgesamt keine Verlängerung der Überlebenszeit (Harada et al. 1996). Angesichts einer hohen Rate (53%) schwerwiegender Komplikationen im Therapiearm ist ein möglicher Vorteil dieses Verfahren auf wenige selektionierte Patienten begrenzt.
Die Pariser Arbeitsgruppe um Bismuth untersuchte Patienten nach Resektion oder Transplantation und berichtete über ein erfolgreiches Downstaging nach TACE bei 62% der behandelten Patienten (Majno et al. 1997). Hinsichtlich der postoperativen Überlebenszeit konnte jedoch auch in dieser Studie kein Vorteil für eine TACE nachgewiesen werden. Lediglich die Subgruppenanalyse von Patienten mit einer Tumornekrose nach TACE zeigte ein günstigeres Langzeitüberleben. Gleichzeitig war aber auch der Langzeitverlauf nach Transplantation ungünstiger als bei der unbehandelten Patientengruppe, wenn die TACE nicht erfolgreich war. Hierdurch wird allerdings die mögliche Bedeutung der TACE als präoperativer Selektionsfaktor belegt. Umgekehrt wurde eine neoadjuvante TACE in einer multivariaten Analyse von Parametern mit Einfluss auf das postoperative Überleben von Patienten mit primären Leberkarzinomen in Zirrhose der Child-Stadien B und C als Faktor mit signifikant ungünstigem Einfluss identifiziert (Nagasue et al. 1999). In dieser Studie wurde nicht zwischen Zirrhose-assoziierten Komplikationen und Tumorrezidiven als Todesursache unterschieden. Eine potenzielle Dissemination von Tumorzellen aufgrund eines nekrotischen Zerfalls nach TACE wurde aber diskutiert. Von besonderer Bedeutung ist bei der TACE also die Selektion der Patienten. Weder dürfen die Zirrhose noch das HCC zu fortgeschritten sein. Eine randomisierte Studie mit einer Selektion intermediärer HCC-Stadien wurde kürzlich für die palliative Situation beim unresektablen HCC in Zirrhose publiziert (Llovet et al. 2002). Der maximale Durchmesser des jeweils größten HCCKnotens lag in dieser Studie zwischen 4 und 6 m. Die Leberzirrhose wurde bei 70% der Patienten als Child-Pugh A klassifiziert und in keinem Fall als Child-Pugh C. Die 2-JahresÜberlebensraten in dieser randomisierten Studie betrugen nach Chemoembolisation, alleiniger Embolisation oder symptomatischer Behandlung 63%, 50% bzw. 27%. Dabei war der Unterschied zwischen der Gruppe mit Chemoembolisation gegenüber der symptomatischen Behandlung hochsignifikant. Diese Studie bezieht sich zwar auf die palliative Situation, ist aber insofern interessant, als das selektierte Patientengut gerade außerhalb der Selektionskriterien vor Lebertransplantation entsprach. In den meisten Transplantationszentren hat in der Folge eine Anwendung dieser Methode entsprechend der Selektion von Patienten mit intermediärem Tumorstadium und nicht sehr fortgeschrittener Leberzirrhose eingesetzt. Studienergebnisse hierzu müssen allerdings noch abgewartet werden.
43.8.2 Vorbehandlung: Pfortaderembolisation Im Gegensatz zum »ownstaging«des Tumors wird bei der unilateralen Pfortaderembolisation versucht, eine zunächst aufgrund der als unzureichend antizipierten postoperativen Parenchymreserve nicht bestehende Resektabilität durch eine selektive Erhöhung des Anteils funktionellen Restparenchyms zu erreichen. Hierdurch werden ausgedehnte Resektionen bis hin zur Trisektorektomie ermöglicht. Diese unilaterale Embo-
43
634
Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
lisation der Pfortader zur Induktion einer Hypertrophie der kontralateralen Segmente nach etwa 3–5 Wochen wurde 1990 als ein Verfahren zur Vorbeugung eines postoperativen Leberversagens vor erweiterten Resektionen bei zentralem Gallengangskarzinom, d. h. also bei Patienten ohne eine Leberzirrhose, beschrieben. Die Anwendung dieser Methode auch bei vorgeschädigtem Leberparenchym wurde kürzlich bei 10 Patienten mit nicht-resektablem HCC in einer Fibrose oder Zirrhose beschrieben (Azoulay et al. 2000). Eine Leberresektion mit einem Umfang von mindestens drei Segmenten war anschließend bei 9 von 10 Patienten möglich. Die Durchführung der perkutanen unilateralen Pfortaderembolisation führte nicht zu letalen Komplikationen. Die Resektionen wurden ohne postoperative Letalität vorgenommen. Die 5-Jahres-Überlebensrate lag bei 44% und unterschied sich damit nicht von der anderer Patienten nach primärer Resektion.
43.8.3 Zweizeitige Resektionen Die zweizeitige Leberteilresektion beruht auf einem ähnlichen Prinzip und kommt für Patienten mit multiplen, nicht in einem operativen Eingriff resektablen Tumorknoten in Betracht. Dabei wird bei einer ersten, nicht formal-kurativen Operation eine möglichst hohe Tumorlast entfernt. Die verbleibenden Tumorknoten werden nach einer Phase der Leberregeneration in einem zweiten Schritt reseziert. Diese Methode wurde bislang noch nicht für das HCC beschrieben. Adam et al. berichteten von 16 Patienten (4%) aus einer Gruppe von 398 mit nicht-resektablen kolorektalen Lebermetastasen (Adam et al. 2000). Eine zweizeitige Resektion konnte bei 13 dieser 16 Patienten durchgeführt werden. Die postoperative Letalität betrug 15% nach dem zweiten Eingriff und lag damit deutlich höher als bei einzeitigen Resektionen. Die 3-JahresÜberlebensrate betrug 35% und das mediane Überleben 31 Monate nach Resektion bzw. 44 Monate nach Diagnose. Daten zum HCC liegen noch nicht vor. Diese Methoden bedürfen noch einer genaueren Evaluierung in Studien und stellen derzeit noch keinen therapeutischen Standard dar. Aufgrund der bislang vorliegenden Daten wird davon ausgegangen, dass eine Zunahme der Resektionsrate um etwa die Hälfte, das heisst auf etwa 30%, möglich ist.
43.8.4 Adjuvante Therapie
43
Zur postoperativen Chemotherapie nach Resektion primärer Leberkarzinome liegen wenige randomisierte Studien vor, die alle keinen Vorteil oder sogar ungünstigere Verläufe nach zusätzlicher Behandlung beobachteten. Höhere Überlebensraten durch eine adjuvante Kombinationschemotherapie (5-FU, Doxorubicin, Cisplatin) nach Lebertransplantation wurden bislang nur für wenige Patienten im Vergleich mit historischen Kontrollen berichtet und müssen in prospektiv randomisierten Studien bestätigt werden.
43.9
Empfehlungen zur Nachsorge
Der Wert einer strukturierten Tumornachsorge zur Rezidivfrüherkennung und Prognoseverbesserung ist beim HCC und beim CCC bisher nicht belegt. Gerade beim CCC ist das Rezidiv häufig gleichbedeutend mit einem generalisierten Befund, der keiner Therapie mehr zugänglich ist. Resektable Befunde stellen hier die Ausnahme dar, so dass bei diesen Patienten gelegentlich eine minimale Nachsorge mit AbdomenSonographie und Röntgen-Thorax in sechsmonatigen Intervallen oder aber auch einer allein symptomorientierte Nachsorge ohne feste Intervalle stattfindet. Umgekehrt tritt das Rezidiv beim HCC nicht selten lokalisiert auf. Die Langzeitprognose nach kurativer Resektion hepatozellulärer Karzinome wird im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer solider Tumoren nur zum Teil durch das Rezidiv bestimmt. Die Rezidivrate hepatozellulärer Karzinome in Zirrhose nach Behandlung ist hoch und beträgt beispielsweise nach Resektion etwa 50%. Am häufigsten sind intrahepatische Rezidive, deren relativer Anteil mit 75% angegeben wird. Lungen- und Knochenmetastasen sind die Primärlokalisationen extrahepatischer Rezidive. Trotz des hohen Anteils von Patienten, bei denen das Rezidiv auf die Leber begrenzt ist, liegen die Reresektionsraten nur bei etwa 10–30%. Ursache dieser niedrigen Rate ist neben der Tumorprogression häufig auch eine Aggravation der Leberzirrhose. Ebenso wie die erneute Resektion kolorektaler Lebermetastasen kann die Resektion eines Rezidiv-HCC kurativ sein. Auch der nicht geheilte Patient kann bezüglich Lebensqualität und Überlebensdauer von einem weiteren chirurgischen Eingriff profitieren.
Die Überlebensraten sind nach Reresektion grundsätzlich mit denen nach Primärresektion vergleichbar und dies, obwohl die im ICG-Test gemessene Leberfunktion in der Regel schlechter als beim Ersteingriff ist. Eine erneute Leberteilresektion sollte also bei resektablem Rezidiv grundsätzlich unter kurativem Aspekt erwogen werden. Die Lebertransplantation wird beim Rezidiv nur in Ausnahmefällen erwogen.
Nach Selektion entsprechend der für einen Primäreingriff geltenden Kriterien wurden an verschiedenen Zentren mehrjährige Überlebenszeiten beobachtet (Jonas et al. 2001). Das Ausmaß des Rezidivs zusammen mit dem Zirrhosestadium sind häufig jedoch für die Anwendung nicht-chirurgischer Therapieoptionen bestimmend, bei großen Tumoren vor allem der transarteriellen Chemoembolisation, bei multilokulären kleinen HCC auch die übrigen Methoden der In-situAblation.
635 43.10 · Ausblick
43.10
Ausblick
In Zukunft werden beim HCC die Primär- und Sekundärprävention durch Hepatitis-B-Impfprogramme sowie die Hepatitis-B-Therapie mit Lamivudine weltweit an Bedeutung gewinnen. Vermutlich wird der Einfluss dieser Maßnahmen auf die Inzidenz des HCC in unseren Regionen wegen des geringeren Anteils HBV-assoziierter Tumoren nur gering bleiben. Langfristig könnte zudem die kürzlich beschriebene, erfolgreiche Therapie der akuten Hepatitis C mit Interferon-α zu einer Reduktion hepatitisassoziierter HCC und möglicherweise auch CCC führen. Aufgrund der langen Latenz zwischen Hepatitis-C-Infektion und einer späteren Leberzirrhose sowie der nochmaligen Latenz bis zum Auftreten eines HCC ist für die Manifestation eines Präventionserfolges ein zeitlicher Horizont von mehreren Jahrzehnten nötig. Wegen der unklaren Assoziation des CCC mit viralen Lebererkrankungen sind die Erwartungen an Präventionserfolge deutlich geringer als beim HCC. Die zunehmenden Kenntnisse zur Tumorprogression beispielsweise durch Angiogenese und Lymphangiogenese beziehen sich auch auf das CCC und könnten einen Ansatz für neue therapeutische Strategien bieten (Benckert et al. 2003). Solche Ansätze beinhalten erstens die Interferenz mit angiogenen Faktoren, deren Rezeptoren und der entsprechenden Signaltransduktion, zweitens die Hochregulation, Expression oder direkte Verabreichung endogener anti-angiogener Faktoren sowie, drittens, die direkte Schädigung der Tumor-Endothelzelle, die gegenüber der eigentlichen Tumorzelle den Vorteil einer höheren genetischen Stabilität bietet. In diesem Zusammenhang ist die bislang nur unzureichend geklärte Interaktion einer immunsuppressiven Medikation nach Organtransplantation und eines höheren Rezidivrisiko von malignen Tumoren oder der Entwicklung von Denovo-Malignomen von besonderem Interesse. Die kürzlich beschriebene antiangiogene Wirkung des Immunsuppressivums Rapamycin führte zu einer Reduktion von Tumoren im Tiermodell und veranschaulicht so eine mögliche Richtung, die die Forschung auf diesem Gebiet einschlagen wird (Guba et al. 2002). Literatur Adam R, Laurent A, Azoulay D, Castaing D, Bismuth H (2000) Two-stage hepatectomy: a planned strategy to treat irresectable liver tumors. Ann Surg 232: 777 Arii S, Yamaoka Y, Futagawa S et al. (2000) Results of surgical and nonsurgical treatment for small-sized hepatocellular carcinomas: a retrospective and nationwide survey in Japan. Hepatology 32: 1224 Azoulay D, Castaing D, Krissat J et al. (2000) Percutaneous portal vein embolization increases the feasibility and safety of major liver resection for hepatocellular carcinoma in injured liver. Ann Surg 232: 665 Balaton AJ, Nehama-Sibony M, Gotheil C et al. (1988) Distinction between hepatocellular carcinoma, cholangiocarcinoma, and metastatic carcinoma based on immunohistochemical staining for carcinoembryonic antigen and cytokeratin 19 on paraffin sections. J Pathol 156: 305–310
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Kapitel 43 · Chirurgische Therapie primärer maligner Lebertumoren
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43
44 44
Lebermetastasen C.T. Germer, U. Steger
44.1
Grundlagen
44.1.1 44.1.2 44.1.3 44.1.4
Epidemiologie – 640 Pathogenese – 641 Pathologie und Klassifikation – 641 Prognostische Faktoren – 641
44.2
Klinische Symptomatik, Diagnostik und Staging
44.3
Therapieziele und Indikationsstellung
44.4
Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl und Prognose
44.4.1 44.4.2 44.4.3 44.4.4 44.4.5 44.4.6 44.4.7 44.4.8 44.4.9 44.4.10
Primäre Leberresektion – 646 Reihenfolge der Primarius- und Metastasenresektion – 646 Präkonditionierung durch portale Embolisation – 646 Zweizeitige Leberresektion – 647 Kombinierte Therapieverfahren – 647 Rezidivresektion – 647 Vorliegen von Lungenmetastasen – 648 Lymphadenektomie – 648 Laparoskopische Leberresektion – 649 Ablative Verfahren – 649
44.5
Operationstechnik, Komplikationen und postoperative Behandlung – 649
44.6
Neoadjuvante und adjuvante Therapie
44.7
Alternative Behandlungsverfahren
44.7.1 44.7.2 44.7.3 44.7.4
Ablation – 650 Transarterielle Chemoembolisation – 651 Bestrahlung – 651 Selektive interne Radiotherapie – 651
44.8
Palliation
44.9
Empfehlung zur Nachsorge Literatur
– 640
– 651
– 652
– 651
– 642
– 644
– 650
– 650
– 644
640
Kapitel 44 · Lebermetastasen
> Eine kurative Zielsetzung bei der Behandlung von Lebermetastasen solider Tumoren lässt sich aufgrund der in den letzten Jahren weiterentwickelten Diagnostika, multimodalen Therapiekonzepten und optimierter Resektionsverfahren in zunehmendem Maße erreichen. Die größte Erfahrung liegt dabei aufgrund der Häufigkeit und Therapieerfolge mit Metastasen kolorektalen Ursprungs vor. Aktuell werden nach Resektion kolorektaler Lebermetastasen 5-Jahres-Überlebenszeiten von bis zu 60% erzielt. Das Zusammenspiel von Chemotherapie und Resektion, aber auch zweizeitige oder kombinierte Operations- bzw. Ablationsverfahren an der Leber haben die kurativen Therapieoptionen und Indikationsgrenzen erweitert, erfordern allerdings eine komplexe und zumeist interdisziplinäre Planung und Durchführung. Durch effektivere Therapiestrategien bei nicht-kolorektalen Primärtumoren wird der Chirurg zunehmend mit der Behandlung von hepatischen Absiedelungen auch anderer Tumorentitäten konfrontiert. Während gute operative Behandlungsaussichten für Lebermetastasen gastrointestinaler Stromatumoren (GIST) und neuroendokriner Tumoren (NET) bestehen, gehen Metastasen anderen Ursprungs wie Magen, Pankreas, Mamma oder Lunge in der Regel mit einer schlechten Langzeitprognose einher. Die Metastasenresektion ist bei Vorliegen dieser Tumorentitäten nur in Einzelfällen sinnvoll und empfehlenswert.
. Tab. 44.1. Wahrscheinlichkeit der metachronen Leberfilialisierung in Abhängigkeit des Tumorstadiums beim kolorektalen Karzinom (Manfredi et al. 2006)
Kolorektales Karzinom – UICC-Stadium
Metachrone Leberfiliae
I
3,7%
II
13,3%
III
30,4%
Anhand von Autopsieauswertungen zu malignen Tumoren in der Leber kann die Verteilung von Lebermetastasen zu primären Leberkarzinomen auf 9:1 geschätzt werden. Mit der steigenden Inzidenz des Zirrhose-bedingten Leberzellkarzinoms und des intrahepatischen Cholangiokarzinoms muss in den nächsten Jahren allerdings mit einer Verschiebung zugunsten der primären Leberkarzinome gerechnet werden. Die Häufigkeitsverteilung von Lebermetastasen in Bezug auf den
Sitz des metastasierenden Primariustumors ist in . Abb. 44.1 graphisch dargestellt. Die höchsten intrahepatischen Metastasierungsraten finden sich in absteigender Häufigkeit bei Pankreas-, Mamma-, kolorektalen, bronchopulmonalen und Magenkarzinomen. Während die Häufigkeit kolorektaler Lebermetastasen in Autopsieauswertungen metastasendurchsetzter Lebern nur ca. 15% betrug, ist das Dickdarm- und Rektumkarzinom bei unter kurativen Gesichtspunkten durchgeführten Leberresektionen mit 79% die dominierende Entität (. Abb. 44.1; Bläker et al. 2001). Dies ist durch die gut therapierbare primäre und isolierte Karzinomabsiedelung vom Darm über den Portalkreislauf in die Leber zu erklären. Circa 70.000 Menschen in Deutschland erkranken pro Jahr an Darmkrebs, bei ca. 30–40% dieser Patienten treten im Laufe dieser Erkrankung Lebermetastasen auf. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose haben bereits 15–25% der Patienten hepatische Tumorabsiedelungen, ca. 15% entwickeln diese in Abhängigkeit des Tumorstadiums metachron, d. h. im Abstand von mindestens 6 Monaten seit Tumorerstdiagnose (. Tab. 44.1; Manfredi et al. 2006). Auch bei den neuroendokrinen Tumoren (NET) und gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) ist eine isolierte Filialisierung in die Leber häufig zu beobachten, in ca. 60 bzw. 25% der Fälle, und prädestiniert diese Metastasen ebenfalls für eine operative Entfernung (DeMatteo et al. 2000; Gomez et al. 2007).
. Abb. 44.1. Häufigkeitsverteilung der Lebermetastasen in Bezug auf den Sitz des metastasierenden Primärtumors. (Nach Bläker et al.
2001). KRK kolorektales Karzinom; NET neuroendokriner Tumor; GIST gastrointestinaler Stromatumor
44.1
Grundlagen
44.1.1 Epidemiologie
44
44
641 44.1 · Grundlagen
44.1.2 Pathogenese Die hämatogene Metastasierung erfolgt einerseits über die Pfortader v. a. bei gastrointestinalen Karzinomen, andererseits über die Arteria hepatica z. B. bei Tumoren der Lunge, Mamma, Niere und Melanomen. Durch die funktionelle Besonderheit der Leber als Filter des Portalkreislaufes ist sie als Ort gehäufter Tumorabsiedelungen im Organismus prädestiniert. Hinzu kommt ein Mikromilieu, welches die Absiedelung bzw. das Anwachsen mit dem Blutkreislauf einströmender Tumorzellen begünstigt (Berman et al. 2001). Die Verteilung der Filiae in beiden Leberlappen erfolgt zufällig und entspricht ca. 2:1 zwischen rechtem und linkem Leberlappen in Abhängigkeit der Volumina.
. Tab. 44.2. Vorschlag zur M-Klassifikation der Lebermetastasen kolorektaler Karzinome (UICC 2003) Pathologische Klassifikation pM2a
4 Kein lokoregionärer Tumor zum Zeitpunkt der Lebermetastasendiagnose 4 Lebermetastase ≤5 cm
pM2b
4 Kein lokoregionärer Tumor zum Zeitpunkt der Lebermetastasendiagnose + Lebermetastase >5 cm oder 4 Lokoregionärer Tumor zum Zeitpunkt der Metastasendiagnose
Klinische Klassifikation
44.1.3 Pathologie und Klassifikation Häufig ist erst durch das histologische Differenzierungsmuster in Biopsien und Resektaten die endgültige Tumorentität zu klären. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Adenokarzinome kolorektalen, pankreatischen, gastralen aber auch gynäkologischen Ursprungs, gefolgt von neuroendokrinen Karzinomen, Sarkomen und kleinzelligen oder hellzelligkribriformen Karzinomen der Lunge bzw. Prostata. Bei der Identifizierung unklarer Primariustumoren können immunhistochemische Zusatzuntersuchungen zur Immunprofilbestimmung von verschiedenen Oberflächenmarkern beitragen (Bläker et al. 2001). Molekularbiologische Untersuchungen haben in den letzten Jahren wesentlich an Bedeutung gewonnen, und besitzen z. B. für den gastrointestinalen Stromatumor mit der Bestimmung der Lokalisation einer Mutation innerhalb des c-kitGens einen therapeutischen Prognosewert (Heinrich et al. 2003). Ähnliches gilt für das kolorektale Karzinom. Mit der Bestimmung des K-RAS-Status – Wildtyp oder Mutation des membranständigen Signaltransduktors – gelingt es die tumorinhibierende Wirkung von Antikörpern gegen Wachstumsrezeptoren an der Tumorzelloberfläche zu prädiktieren (Karapetis et al. 2008). Bei der pathologischen Beurteilung der Metastase sind Größe des Tumors, Gefäßinfiltration und tumorfreie Resektionsränder die wichtigsten Prognosefaktoren. Bisher konnte sich allerdings keine Einteilung für Lebermetastasen in Anlehnung an die TNM-Klassifikation durchsetzen. Für das kolorektale Karzinom existiert seit einigen Jahren bereits ein Vorschlag zur klinischen als auch pathologischen M-Unterteilung (. Tab. 44.2; UICC 2003).
44.1.4 Prognostische Faktoren Für die Prognosebeurteilung bei kolorektalen Lebermetastasen existieren verschiedene Scoring-Systeme, die präoperative klinische Parameter berücksichtigen. Durchgesetzt haben sich hier v. a. der Nordlinger-Score (Nordlinger et al. 1996), der auf einer Auswertung von 1568 Patienten mit nur kurzer Nachbeobachtungszeit beruht, und der Clinical Risk Score
M2a
4 Kein lokoregionärer Tumor zum Zeitpunkt der Lebermetastasendiagnose 4 Nur ein Leberlappen befallen 4 Maximal 5 Lebermetastasen 4 Nur Kolon: Stadium I und II bei Diagnose des Primärtumors
M2b
4 Weder M2a noch M2c
M2c
4 Lokoregionärer Tumor zum Zeitpunkt der LM-Diagnose oder 4 >5 Lebermetastasen oder 4 Metastasen in beiden Leberlappen
(CRS) nach Fong (Fong et al. 1999), mit 1001 Patienten und einem längeren Follow-up. Letzterer ist am weitesten verbreitet und ist auch in den S3-Leitlinien des kolorektalen Karzinoms berücksichtigt (Schmiegel et al. 2008). Es werden verschiedene Risikofaktoren mit je 1 Punkt versehen und addiert. Bei einem Score zwischen 0 und 2 werden gute 5-Jahres-Überleben prognostiziert. Steigt der Score allerdings über 2, sinkt die Lebenserwartung deutlich (. Tab. 44.3). Trotzdem ist aufgrund deutlicher Effizienzsteigerung der in den letzten Jahren weiterentwickelten perioperativen Chemotherapien und ope-
. Tab. 44.3. Präoperativer Prognosescore für kolorektale Lebermetastasen nach Fong (1999)
Je 1 Punkt (Summe = Score)
Score
5-JahresÜberlebensrate
4 Nodal positiver Primärtumor 4 Krankheitsfreies Intervall <12 Monate 4 Metastasengröße >5 cm 4 Anzahl der Metastasen >1 4 CEA präoperativ >200 ng/dl
0
57%
1
57%
2
47%
3
16%
4
8%
5
0%
642
Kapitel 44 · Lebermetastasen
rativen Behandlungsstrategien im Einzelfall ein hoher FongScore (≥4 Punkte) kein Ausschlusskriterium für eine Leberresektion mit kurativer Intention. Der Basingstoke Predictive Index (BPI), von Rees et al. 2008 beschrieben, unterteilt sich in einen präoperativen als auch postoperativen Score (Rees et al. 2008). Der präoperative Score unterscheidet sich außer einer erhöhten Komplexität der Risikofaktoren nur unwesentlich vom Fong-Score. In der postoperativen Beurteilung geht der tumorfreie bzw. tumorpositive Resektionsrand als wesentlicher Prognosefaktor mit ein.
44.2
Klinische Symptomatik, Diagnostik und Staging
Rechtsseitige Oberbauchschmerzen im Sinne eines Leberkapselschmerzes oder ein Ikterus treten als spezifische Symptome eher selten und meistens im fortgeschrittenen Metastasierungsstadium auf. Häufiger sind Abgeschlagenheit, Leistungsknick, Appetit- oder Gewichtsverlust als allgemeine tumorspezifische Beschwerden anzutreffen. Meistens bleiben die Lebermetastasen allerdings klinisch stumm und werden im Frühstadium nur im Rahmen regelmäßiger Tumornachsorgeuntersuchungen entdeckt. Dabei spielen Tumormarkerkontrollen (CEA) sowie die Sonographie des Abdomens unter besonderer Berücksichtigung der Leber die Basis einer rechtzeitigen Lebermetastasendetektion beim kolorektalen Karzinom. Für Patienten, die vor der Erstdiagnose keinen Tumormarkeranstieg zeigten oder andere Tumoren für die keine typischen Verlaufstumormarker vorliegen, wie z. B. das Melanom oder der gastrointestinale Stromatumor, sind bildgebende Untersuchungsverfahren im Verlauf nach primärer kurativer Tumortherapie essenziell.
Eine frühzeitige Detektion von Lebermetastasen ist in der Regel nur durch ein konsequent festgelegtes und durchgeführtes Nachsorgeschema möglich.
44
Liegt der Verdacht auf das Vorliegen einer Lebermetastase vor, müssen weiterführende Schnittbildverfahren zusätzliche extrahepatische Absiedelungen des Tumors ausschließen und das Ausmaß der hepatischen Filialisierung exakt eingrenzen. Neben der reinen B-Bild-Sonographie, die sich wegen der einfachen Durchführbarkeit und Verfügbarkeit als gute Screeningmethode etabliert hat, gewinnt die Kontrastmittel-Sonographie mit vergleichbarer Sensitivität und Spezifität zur Computertomographie bei der Detektion von Leberläsionen zunehmend an Bedeutung (Konopke et al. 2007). Aufgrund ihrer leichteren Reproduzierbarkeit und Rekonstruierbarkeit gilt für den Chirurgen die Computertomographie (CT) der Leber nach wie vor als Goldstandard der präoperativen Diagnostik vor Leberresektion. Zur differenzialdiagnostischen Eingrenzung der Raumforderung als auch Beurteilung der Lebergefäßversorgung und Anatomie ist dabei eine dynamische kontrastmittel-
verstärkte Spiral-CT essenziell. Als weitere Erleichterung der präoperativen Leberresektionsplanung, insbesondere bei komplexen Eingriffen, können die aus der CT gewonnenen Daten computergestützt dreidimensional aufgearbeitet werden. Dadurch wird eine auf die individuellen anatomischen Gegebenheiten angepasste virtuelle Resektionsplanung und eine exakte präoperative Bestimmung des verbleibenden gesunden Restlebergewebes möglich (Lang et al. 2005). Die Ausweitung der CT-Untersuchung auf den Thorax ist bei Verdacht auf eine extrahepatische Tumorabsiedelung Mittel der Wahl, um pulmonale Metastasen auszuschließen, ist aber generell vor Leberresektion kolorektaler Metastasen nicht zwingend erforderlich. Eine konventionelle Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen ist hingegen obligat. Mit Blick auf Sensitivität und Spezifität ist die Kernspintomographie (MRT) mit i.v. Kontrastmittelapplikation der Computertomographie überlegen (Bipat et al. 2005). In . Abb. 44.2 ist ein Fallbeispiel einer Sensitivitätsverbesserung durch MRT und FDG-PET gegenüber der CT bei multifokaler bilobärer kolorektaler Lebermetastasierung aufgezeigt. Insbesondere bei der Charakterisierung von Leberläsionen und der simultanen Durchführbarkeit einer Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) bietet die MRT Vorteile gegenüber der CT. Nach den S3-Leitlinien zum kolorektalen Karzinom wird im Rahmen der präoperativen Prognoseabschätzung nach dem Fong-Score ab einem Wert von 3 eine Fluorodeoxyglucose-Positronenemissionstomographie (FDG-PET), heute meist in Kombination mit CT, gefordert, um das erhöhte Risiko einer extrahepatischen Tumormanifestation mit der höchsten Sensitivität ausschließen zu können (Selzner et al. 2004). Insbesondere ist diese Untersuchung vor Leberresektion nichtkolorektaler Tumoren, deren Wahrscheinlichkeit einer simultanen extrahepatischen Manifestation wesentlich erhöht ist, zu fordern. Bei neuroendokrinen Lebermetastasen kommt zusätzlich der Einsatz von markierten Somatostatin-Analoga bei der PET-Untersuchung in Betracht. Eine laparoskopische Staginguntersuchung ist in Einzelfällen mit hohem Risiko oder Verdacht auf eine peritoneale Tumoraussaat vorbehalten. Eine perkutane Punktion der metastasensuspekten Leberraumforderung sollte aufgrund der Gefahr der Tumorzellverschleppung, Zeitverzögerung und Invasivität der Untersuchung nur bei absolut unklaren Läsionen oder unbekanntem Primariustumor durchgeführt werden. Bei unklarem Zirrhosestatus ist ggf. eine Punktion des tumorfreien Restlebergewebes in Erwägung zu ziehen, um die funktionelle Leberkapazität nach Resektion abschätzen zu können. Der intraoperative Ultraschall ist weiterhin integraler Bestandteil leberresezierender Eingriffe. Neben der anatomischen Orientierungshilfe ist ein zusätzlicher Sensitivitätsgewinn auch bei vorliegendem FDG-PET und ein damit nicht selten verbundener Strategiewechsel durch den Ultraschall direkt auf der Leberkapsel gegeben (Wildi et al. 2008). Ein Vorschlag zum Diagnosealgorithmus bei Verdacht auf Lebermetastasierung ist in . Abb. 44.3 skizziert.
643 44.2 · Klinische Symptomatik, Diagnostik und Staging
. Abb. 44.2. Vergleich bildgebender Verfahren bei der Detektion von kolorektalen Lebermetastasen. In einer Computertomographie (CT) waren in diesem Fall zwei metastasenverdächtige Raumforderungen nachzuweisen. Bei Erweiterung der Diagnostik um ein
FDG-CT-PET und Kernspintomographie (MRT) der Leber ließen sich insgesamt vier Metastasen detektieren. (gestrichelter Kreis: Metastase Segment 5 zwei MRT-Schichten tiefer detektierbar)
. Abb. 44.3. Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf Lebermetastasen. CT Computertomographie, MRT Kernspintomographie,
KM Kontrastmittel, FDG-PET Fluorodeoxyglucose-Positronenemissionstomographie
44
644
Kapitel 44 · Lebermetastasen
Lebermetastasen besitzen eine irreguläre arterielle und kaum portalvenöse Gefäßversorgung. Somit ist bei kontrastmittelverstärkten Schnittbildverfahren in der früharteriellen Phase eine kräftige peritumorale Kontrastanreicherung innerhalb des noch echoarmen Leberparenchyms in Form eines Ringes zu beobachten. In der späten portalvenösen Phase kehrt sich das Kontrastmuster um. Das gesunde Leberparenchym ist gut perfundiert bzw. echoreich, die Metastase verblasst.
44.3
Therapieziele und Indikationsstellung
Abgesehen vom Tumordebulking beim symptomatischen NET oder fokal therapie-refraktärem GIST sollte das primäre Ziel jeder Lebermetastasenresektion die kurative Behandlung der metastasierten Tumorerkrankung sein. Dabei sind die Resektabilität der Lebermetastasierung, der Ausschluss einer extrahepatischen Tumormanifestation und die allgemeine Operabilität des Patienten ausschlaggebend. Die Resektabilität kolorektaler Lebermetastasen kann nach den S3-Leitlinien zum kolorektalen Karzinom von 2008 folgendermaßen eingeschätzt werden: Primär resektable Lebermetastasen liegen vor, wenn 4 eine nichtresektable extrahepatische Tumormanifestation ausgeschlossen ist, 4 weniger als 70% des Leberparenchyms befallen sind, 4 weniger als 3 Lebervenen und weniger als 7 Segmente betroffen sind, 4 keine Leberinsuffizienz oder Child-B- oder -C-Zirrhose vorhanden ist, 4 keine schwerwiegenden Begleiterkrankungen vorliegen.
44 . Abb. 44.4. Therapiealgorithmus bei Lebermetastasen
Die Anzahl der Metastasen und ein bilobärer Befall der Leber spielen für die Resektabilität somit keine Rolle. Wird eine zweizeitige Resektionsstrategie gewählt, könnten bis zu 7 Segmente reseziert werden (unter Erhalt des Segmentes 4). Für nicht-kolorektale Lebermetastasen kann man die gleichen Einschränkungen übernehmen. Bei diesen Tumoren ist allerdings das Vorliegen nicht-resektabler extrahepatischer Tumormanifestationen am häufigsten der limitierende Faktor. Bei der Abklärung der allgemeinen Operabilität wird auf das Alter des Patienten, kardiale Vorerkrankungen, chronische Lungenerkrankungen und Lebererkrankungen, wie z. B. Zirrhose oder Steatosis hepatis, geachtet und neben der Prognoseabschätzung in die Indikationsfindung mit einbezogen.
44.4
Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl und Prognose
Den Standard der kurativen Behandlung von Lebermetastasen stellt die komplette chirurgische Entfernung des Tumors dar.
Die therapeutische Strategiewahl wird in der Lebermetastasenchirurgie v. a. vom Vorliegen extrahepatischer Tumormanifestationen und der Resektabilität beeinflusst. Ein für alle Entitäten gültiger Therapiealgorithmus ist in . Abb. 44.4 dargestellt. Speziell für das kolorektale Karzinom und den GIST ergibt sich durch die Entwicklung effektiverer Chemotherapien die Möglichkeit, eine primäre Irresektabilität durch eine neoadjuvante Behandlung in eine sekundäre Resektabilität umzuwandeln (. Abb. 44.4 und 44.5).
645 44.4 · Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl und Prognose
. Abb. 44.5. Therapiealgorithmus bei GIST-Lebermetastasen
Aufgrund des hohen Rezidivrisikos, einer hohen Rate an diffuser Leberfilialisierung und therapierefraktärer Symptomatik gestaltet sich die Strategiewahl bei Lebermetastasen neuroendokriner Tumoren (NET) wesentlich komplexer. Das Europäische Netzwerk für Neuroendokrine Tumoren (ENETS) versucht durch eine strukturierte Therapieempfehlung für NET mit Lebermetastasen diesen Anforderungen gerecht zu werden (. Abb. 44.6; Steinmüller et al. 2008). Insbe-
sondere haben alternative Behandlungsformen wie Biotherapie mit Somatostatinanaloga, transarterielle Embolisation (TAE) oder Chemoembolisation (TACE) bei diffuser Leberfilialisierung oder inoperabler extrahepatischer Manifestation ihren festen Stellenwert. Die Lebertransplantation ist aufgrund hoher Rezidivraten bei NET nur in Ausnahmefällen indiziert. Die 5-Jahres-Überlebensrate ist nach Resektion von NET-Lebermetastasen hoch, trotz einer Rezidivrate von über 50%.
. Abb. 44.6. Therapieempfehlung des Europäischen Netzwerkes für Neuroendokrine Tumoren (ENETS) für neuroendokrine Tumoren (NET) mit Lebermetastasen. (Nach Steinmüller et al. 2007)
44
646
Kapitel 44 · Lebermetastasen
. Tab. 44.4. Prognose nach primärer Resektion von nichtkolorektalen Lebermetastasen
Primarius
n
5-Jahres-Überlebensrate
Magenkarzinom
75
19–33%
Pankreaskarzinom
56
0–10%
Mammakarzinom
195
20%
Nierenkarzinom
26
20%
NET
157
39–65%
Sarkome
45
0–17%
GIST
61
91%
44.4.2 Reihenfolge der Primarius-
und Metastasenresektion
Auch die primäre Resektion anderer nicht-kolorektaler Lebermetastasen erreicht in einem teilweise hochselektioniertem Patientengut 5-Jahres-Überlebensraten beim Mammakarzinom von ca. 20%, beim Magenkarzinom 25%, Nierenzellkarzinom 20% und GIST sogar bis zu 91% (. Tab. 44.4; Lehnert u. Golling 2001; Gomez et al. 2007). Resektionen von Lebermetastasen eines Pankreaskarzinoms haben die schlechteste Prognose mit 5-Jahres-Überlebensraten von 0–10%. Unter den hepatischen Melanommetastasen scheint das Aderhautmelanom prognostisch am günstigsten zu sein. Nach R0-Resektion werden Überlebenszeiten von 25 Monaten erreicht (Rivoire et al. 2005).
44.4.1 Primäre Leberresektion Liegen keine extrahepatischen Tumorabsiedelungen vor und ist Resektabilität der Lebermetastasen gegeben, sollte bei metachronen Lebermetastasen immer eine primäre Leberresektion angestrebt werden. Nach Resektion kolorektaler Lebermetastasen werden in den letzten Jahren ermutigende Langzeitüberlebensraten erzielt mit 5-Jahres-Überlebensraten von um die 50% und
. Tab. 44.5. Prognose nach Leberresektion kolorektaler Metastasen
44
10-Jahres-Überlebenraten von bis zu 22% (. Tab. 44.5; Abdalla et al. 2004; Jonas et al. 2007). Unbehandelt liegt das 5-JahresÜberleben bei kolorektaler Leberfilialisierung bei 0–3% mit einer mittleren Überlebenszeit von 6–12 Monaten. Durch aktuelle Chemotherapiekombinationen mit z. B. 5-FU und Oxaliplatin kann bei nicht-chirurgischer Behandlung von Lebermetastasen die mittlere Überlebenszeit zumindest auf 19 Monate gesteigert werden (Bentrem et al. 2005).
Autor
Jahr
n
Mortalität
5-JahresÜberlebensrate
Nordlinger
1996
1568
2,9%
28%
Fong
1999
1001
2,8%
37%
Abdalla
2004
190
–
58%
Jonas
2007
660
1,5%
42%
Rees
2008
929
1,5%
36%
Bei synchroner kolorektaler Lebermetastasierung richtet sich die Operationsstrategie nach Symptomatik und Lage des Primärtumors sowie Ausmaß der Leberresektion. Liegt eine signifikante Stenosierung oder Blutung des Darmtumors vor, ist eine Primärversorgung desselbigen mittels Darmresektion oder bei Vorliegen irresektabler Metastasen und Darmpassagestörung in Form einer Stomaanlage unumgänglich. Bei einem rechtslateralen Kolontumor mit resektablen Lebermetastasen kann die simultane Resektion von Primärtumor und Lebermetastasen unabhängig von der Anzahl der betroffenen Lebersegmente in Erwägung gezogen werden. Bei allen anderen Kolon- und Rektumkarzinomen sollte eine simultane Resektion nur erfolgen, wenn das Ausmass der Leberresektion 2 Segmente nicht überschreitet. Bei ausgedehnter Leberfilialisierung (≥3 Segmente) kann die Lebermetastasenresektion als erster Therapieschritt noch vor Entfernung eines asymptomatischen Primärtumors durchgeführt werden. Sind die Lebermetastasen primär irresektabel ist bei nicht-symptomatischem Primärtumor (ohne Stenose oder Blutung) zunächst eine intensivierte Chemotherapie angezeigt. Wird darunter Resektabilität der Lebermetastasen erreicht, sollte der Leberresektion vor der Primärtumorentfernung der Vorzug gegeben werden. (Grundmann et al. 2008)
44.4.3 Präkonditionierung durch portale
Embolisation Überschreitet das zur kurativen Resektion geplante Ausmaß der Leberoperation die Funktionskapazität des Restlebergewebes, z. B. bei kleinem linken Leberlappen (<20% des Gesamtlebervolumens) und notwendiger erweiterter Hemihepatektomie rechts, kann eine Präkonditionierung des verbleibenden Leberrestgewebes im Sinne einer Hypertrophieinduktion in Erwägung gezogen werden. Dazu stehen sowohl die offene rechts- oder linksseitige Pfortaderhauptastligatur wie auch die radiologisch-interventionelle und damit minimalinvasive perkutane Pfortaderembolisation (PVE) zur Verfügung. Letztere hat eine niedrige Komplikationsrate <10% und zeigt eine deutliche Hypertrophiereaktion bereits ab dem 22. postinterventionellem Tag mit einer durchschnittlichen Zunahme des zu verbleibenden Restlebergewebes von 17 auf 26% (Ribero et al. 2007).
647 44.4 · Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl und Prognose
. Abb. 44.7. Zweizeitige Lebermetastasenresektion bei bilobärer Filialisierung mit initial atypischer Resektion von Metastasen im linken Leberlappen und Pfortaderligatur des rechten Pfortaderhaupt-
astes zur Hypertrophieinduktion der verbliebenen gesunden Parenchymanteile links (I.). Im Intervall von ca. 4–6 Wochen erfolgt der Zweiteingriff in Form einer Hemihepatektomie rechts (II.)
44.4.4 Zweizeitige Leberresektion
diesem Kollektiv in 95% der Fälle durchgeführt (Wicherts et al. 2008).
Bei ausgedehnter bilobärer Filialisierung kann ein zweizeitiges Resektionverfahren ggf. Anwendung finden. Dies hängt von der Verteilung zentral und peripher liegender Metastasenherde ab. Sind die Metastasen im Bereich des Zentralvenensternes auf alle Lebersektoren verteilt, kann dieses Verfahren nicht kurativ durchgeführt werden. Sind allerdings zwei Zentralvenen betroffen und die dritte Vene nur in der Peripherie in Metastasenkontakt, kann eine Kombination aus atypischen Resektionen oder Segmentresektionen auf der Seite der peripher beteiligten Zentralvene, in Verbindung mit einer Pfortaderhauptastligatur auf der Gegenseite als Präkonditionierung des endgültigen Restlebergewebes durchgeführt werden. Im Abstand von ca. 4–6 Wochen folgt die Hemihepatektomie der Gegenseite (. Abb. 44.7). Die Langzeitergebnisse dieser Therapiestrategie können mit denen primärer Resektionen durchaus verglichen werden. So konnte in einer Studie mit 59 Patienten in 69% der Fälle, in denen das zweizeitige Verfahren komplett abgeschlossen werden konnte, ein 5-Jahres-Überleben von 42% nachgewiesen werden. Allerdings war ein deutlicher Anstieg der perioperativen Morbidität beim Zweiteingriff zu verzeichnen. Eine neo- und/oder adjuvante Chemotherapie wurde in
. Abb. 44.8. Kombiniertes Therapieverfahren bei bilobärer Metastasenverteilung (Segment 2+3+5+7+8 [zentral Nähe mittlere Zentralvene]): Lobektomie links (blaue Markierung rechts im CT), Segment-
44.4.5 Kombinierte Therapieverfahren Eine Kombination aus Leberresektion und simultaner offener Thermoablation ist nur selten erforderlich, ermöglicht es aber gerade bei jungen oder vitalen Patienten die Grenzen der Kuration nochmals auszuweiten (. Abb. 44.8). Erfahrungen liegen bei der kombinierten Therapie kolorektaler Metastasen vor. Kornprat et al. berichten über 39 von insgesamt 665 Patienten mit resezierten kolorektalen Metastasen, bei denen eine Kombinationstherapie durchgeführt wurde. Die lokale Rezidivrate an der Stelle der Ablation betrug 14%, bei einem 3-Jahres-Überleben von 47%, allerdings einem krankheitsfreiem 3Jahres-Überleben von nur 8% (Kornprat et al. 2007). Diese Therapiestrategie sollte deshalb Einzelfällen vorbehalten sein.
44.4.6 Rezidivresektion Bei bereits vorausgegangener Lebermetastasenresektion ist eine zweite oder sogar dritte Resektion eines intrahepatischen
resektion 5, atypische Keilresektion Segment 7 (blauer Keil links im CT) und offene Thermoablation Segment 8 simultan (bipolare Radiofrequenzablation/roter Kreis im CT)
44
648
Kapitel 44 · Lebermetastasen
. Tab. 44.6. Prognose nach Leber-Reresektion (hepatisches kolorektales Metastasenrezidiv)
Autor
Jahr
n
Mortalität
5-JahresÜberlebensrate
Yamamoto
1999
75
0%
31%
Petrowsky
2002
126
1,6%
34%
Adam
2003
139
2,5%
35%
Shaw
2006
66
0%
44%
Metastasenrezidivs durchaus gerechtfertigt. Dies beweisen die Langzeitprognosen mehrerer Studien, die sich mit der Reresektion bei kolorektalen Lebermetastasen auseinandergesetzt haben (. Tab. 44.6). Es werden 5-Jahres-Überlebensraten für dieses Kollektiv von 31–44% angegeben, was der Prognose einer Lebererstresektion entspricht. Die Mortalität dieser Rezidivoperationen ist ebenfalls vergleichbar, weshalb ein eventuell nicht zu akzeptierendes Operationsrisiko für den Patienten beim Zweiteingriff ausgeschlossen werden kann (Adam et al. 2003; Petrowsky et al. 2002; Shaw et al. 2006; Yamamoto et al. 1999).
44.4.7 Vorliegen von Lungenmetastasen
deutig profitieren. Insbesondere bei solitärer Lungenfilialisierung wird über ein 5-Jahres-Überleben von 40% berichtet (. Tab. 44.7). Multiple Lungenmetastasen haben eine schlechtere Prognose (Kobayashi et al. 1999).
Das Vorliegen von Lungenmetastasen ist keine Kontraindikation gegen die Lebermetastasenresektion.
44.4.8 Lymphadenektomie Eine Tumorinfiltration in den Lymphknoten am Lig. hepatoduodenale wurde viele Jahre als prognostisch infaustes Stadium der Lebermetastasierung angesehen. Erst durch die Arbeiten von Jaeck et al. konnte gezeigt werden, dass eine tumoröse Lymphknotenabsiedelung, die in 10% aller Leberresektionen bei kolorektaler Metastasenchirurgie auftraten, entlang der Lymphknotenstation 12, also direkt am Ligament mit einem 5-Jahres-Überleben von 38% einhergingen. In insgesamt 5% der Fälle waren Lymphknoten entlang der Art. hep. com. oder dem Truncus coeliacus tumorös infiltriert. In diesen Fällen sank das 5-Jahres-Überleben auf 0% trotz ausgedehnter Lymphadenektomie (Jaeck et al. 2002). Verdächtige Lymphknoten entlang der Art. hep. com. und dem Truncus coeliacus bedürfen deshalb der histologischen Klärung mittels Schnellschnitt. Bei Tumorinfiltration dieser Lymphknotenstationen (8+9) ist eine weiterführende Therapie mittels Leberresektion onkologisch nicht sinnvoll (. Abb. 44.9).
Sind sowohl die Lungen- als auch Lebermetastasen resektabel und extrapulmohepatische Metastasen ausgeschlossen, sollte ein zweizeitiges Vorgehen geplant werden. Zunächst wird die Leberresektion, dann die Lungenoperation durchgeführt. Für dieses chirurgische Vorgehen spricht die Langzeitprognose der so therapierten Patienten, die von diesem Vorgehen ein-
. Tab. 44.7. Prognose nach Lungen- und Lebermetastasenresektion beim kolorektalen Karzinom (Kobayashi et al. 1999)
n
5-Jahres-Überlebensrate ab Zeitpunkt der letzten Metastasenresektion
Gesamt
47
31%
Solitäre Lungenmetastasen
21
40%
Multiple Lungenmetastasen
26
22%
5-Jahres-Überlebensrate ab Zeitpunkt der initialen Metastasenresektion
44
Synchron
21
22%
Zuerst Leber-, dann Lungenmetastase
25
50%
. Abb. 44.9. Tumorinfiltration leberdrainierender Lymphknoten bei Lebermetastasen: prognostisch noch günstig = grünes Feld (Lymphknotenstationen: 12 – Lig.hepatoduodenale + 13a – retropankreatische Lymphknoten kranial); prognostisch schlecht = rotes Feld (Lymphknotenstation 8 – Art.hep.com. + 9 – Truncus coeliacus + 7 – Art. gastr. sin.)
649 44.5 · Operationstechnik, Komplikationen und postoperative Behandlung
44.4.10 Eine Lymphknoteninfiltration durch den in die Leber metastasierten Tumor am Ligamentum hepatoduodenale ist prognostisch keineswegs infaust. Voraussetzung ist eine radikale Lymphadenektomie der Station 12+13a.
Die Thermoablation kann unter bestimmten Voraussetzungen zunehmend als alternatives kuratives Therapieverfahren zur Leberresektion angesehen werden (7 Kap. 44.7.1).
44.5 44.4.9
Laparoskopische Leberresektion
Ungeeignet für laparoskopische Leberresektionen erscheinen große Tumoren, bei denen die Resektion über zwei Segmente hinausgehen. Es liegen allerdings Einzelfallberichte über laparoskopische Hemihepatektomien vor, die die Durchführbarkeit auch ausgedehnterer Leberresektionen auf laparoskopischem Wege beweisen. In geübten Händen finden v. a. laparoskopische Keilresektionen, Mono- und Bisegmentresektionen (z. B. Lobektomie links) Anwendung. Dabei zeigt sich ein Vorteil für die Laparoskopie im Vergleich zur offenen Leberresektion in Hinblick auf Blutverlust, kürzere Operationszeit und Rekonvaleszenz bei gleicher Sicherheit (Simillis et al. 2007). Die onkologischen Prinzipien müssen allerdings unbedingt gewahrt bleiben. Dazu ist eine hohe Expertise sowohl in der offenen Leberchirurgie als auch in laparoskopischen Techniken erforderlich.
Ablative Verfahren
Operationstechnik, Komplikationen und postoperative Behandlung
Die Vielzahl der unterschiedlichen atypischen und anatomischen Resektionsverfahren an der Leber, angefangen bei einer einfachen Keilresektion bis hin zur erweiterten Hemihepatektomie rechts oder links, können alle im Rahmen der Metastasenchirurgie eingesetzt werden. Zwischen atypischer und anatomischer Leberresektion besteht in der onkologischen Wertigkeit kein Unterschied. In den vergangenen Jahren wurde ein Sicherheitsabstand zwischen Tumor und Resektionsrand von mindestens 1cm gefordert, um eine onkologisch kurative Therapie nachweisen zu können. Neuere Studien zeigen, dass die Rezidivraten bei Patienten mit negativem Resektionsrand gleich sind, unabhängig von der Größe des Sicherheitsabstandes (Pawlik et al. 2005).
Entscheidend ist der tumorfreie Resektionsrand (R0), nicht das Ausmaß des Sicherheitsabstandes! Die laparoskopische Leberresektion stellt derzeit noch kein Standardbehandlungsverfahren in der Metastasenchirurgie dar.
. Abb. 44.10a–d. Lebermetastase eines Bronchialkarzinoms: a Präoperative CT-Leber: Darstellung einer Lebermetastase Seg 7/8 und nebenbefundlich Leberzyste Seg 5. b Präoperativer Ausschluss weiterer extrahepatischer Tumormanifestationen mittels FDG-PET. c Bisegmentresektion 7+8. d Leberresektat mit typischer kapsulärer Tumornarbe
a
Exemplarisch ist in . Abb. 44.10 der Fall einer solitären Lebermetastase eines Bronchialkarzinoms im Segment 7/8 der Leb
c
d
44
650
Kapitel 44 · Lebermetastasen
ber mit nachfolgender kurativer Bisegmentresektion aufgezeigt. Anders als beim hepatozellulären Karzinom liegt in der Lebermetastasenchirurgie meistens keine Leberzirrhose vor. Somit kann die funktionelle Kapazitätsgrenze der Leber, die bei ca. 20–25% des Leberrestgewebes liegt, bei der Resektionsplanung in der Regel voll ausgeschöpft werden. Spezielle intra- und postoperative Komplikationen (Blutung, Luftembolie, Galleleckage, Gallengangsstenosierung und Leberinsuffizienz), die dazugehörigen präventiven Maßnahmen (Leberdissektionsverfahren, Okklusion der Pfortader, niedriger zentralvenöser Druck, Ein- und Ausflusskontrolle) und die direkte postoperative Nachbehandlung sind für die Leberchirurgie von primären und sekundären Lebertumoren nahezu identisch. Eine perioperative Mortalität von <3% weist auf den hohen Standard und Sicherheit der Lebermetastasenchirurgie hin (. Tab. 44.5). Eine detaillierte Beschreibung über operative Techniken der Leberresektion, Komplikationen und Nachbehandlung findet sich in 7 Kap. 43.
44.6
Neoadjuvante und adjuvante Therapie
Die neoadjuvante Chemotherapie eröffnet die Möglichkeit primär nicht-resektable Patienten mit kolorektalen Lebermetastasen, aber auch mit Metastasen eines GIST in das Stadium der Resektabilität durch »Down-Sizing« zu überführen. Beim kolorektalen Karzinom gelingt dies bei ca. 20% aller primär irresektablen Patienten mit einer intensivierten Chemotherapie (Adam et al. 2004). Diese besteht zumeist aus einer Kombination von 5-FU, Oxaliplatin oder Irinotecan, und ggf. einem Antikörper gegen Wachstumsrezeptoren (z. B. Cetuximab für EGFR oder Bevacizumab für VEGFR), die die Responserate nochmals steigern. Dabei muss bei der präoperativen Anwendung auf das mit der Anzahl der Chemotherapiezyklen steigende Risiko der Hepatotoxizität geachtet werden. Karoui et al. konnten zeigen, dass die perioperative Morbidität ab dem 6. Zyklus der Therapie sprunghaft auf 45% ansteigt (Karoui et al. 2006). Während Oxaliplatin v. a für ein sinusoidales Obstruktionssyndrom verantwortlich ist, das zum makroskopischen Bild der »blue liver« führt, kann 5-FU und Irinotecan eine CASH (Chemotherapie-assoziierte Steatosis hepatis) hervorrufen. Bevacizumab hemmt die Leberregeneration und sollte aufgrund der induzierten erhöhten Blutungsneigung ca. 6 Wochen vor Leberresektion pausiert werden. Cave Eine neoadjuvante Chemotherapie vor Leberresektion kann aufgrund ihrer Lebertoxizität das Resektionsausmaß und die perioperative Morbidität wesentlich beeinflussen.
44
Der Einfluss einer neoadjuvanten Chemotherapie mit 5-FU und Oxaliplatin bei primär resektablen kolorektalen Lebermetastasen wurde von Nordlinger et al. in einer großen Multicenter Studie mit 364 Patienten untersucht. Dabei konnte
gezeigt werden, dass durch eine präoperativ begonnene Chemotherapie das krankheitsfreie Überleben um 7,3% gesteigert werden konnte. Dieser Unterschied war allerdings nicht signifikant zur Kontrollgruppe. In der Therapiegruppe wurde zusätzlich eine erhöhte postoperative Komplikationsrate beobachtet (Nordlinger et al. 2008). Die Bedeutung der adjuvanten Chemotherapie nach kolorektaler Lebermetastasenentfernung ist ebenso unklar wie die der neoadjuvanten Therapie. Viele Studien mussten wegen mangelnder Rekrutierung abgebrochen werden. In einer Registerstudie von Parks et al. konnte eine Verbesserung des Überlebens für die adjuvante 5-FU-basierte Chemotherapie gezeigt werden (Parks et al. 2007). Auf dem Gebiet der Adjuvans sind prospektiv randomisierte Studien mit aktuellen Chemotherapeutika erforderlich und derzeit in Planung. Nach den S3-Leitlinien des kolorektalen Karzinoms von 2008 kann derzeit nach R0-Resektion von Lebermetastasen eine adjuvante Chemotherapie erwogen werden, die neoadjuvante Therapie aufgrund ihrer Toxizität nur in begründeten Ausnahmefällen. Die Ergebnisse einer lokoregionären Chemotherapie HAI (Arteria-hepatica-Infusion) sind nicht schlüssig. Deshalb kann diese Applikationsform außerhalb von Studien nicht empfohlen werden.
44.7
Alternative Behandlungsverfahren
44.7.1 Ablation Lokal destruierende Therapieverfahren wie die Thermoablation mittels Radiofrequenzstrom (RFA) oder Laser (LITT) haben bei der Therapie von Lebermetastasen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies hängt zum einen an der Weiterentwickelung und Verbesserung der Applikationssysteme, aber auch an den gewonnenen Erfahrungen und guten Ergebnissen mit diesen Verfahren. Aufgrund des Handlings haben sich weltweit die Radiofrequenzverfahren gegen die Laser- und Kälteapplikation durchgesetzt. Bei der RFA werden hochfrequente Stromfelder entweder über ein monopolares System mit Applikationssonde und Neutralelektrode, oder ein bipolares System (. Abb. 44.8) mit mehreren Applikationsnadeln perkutan oder offen (nach Laparotomie) am Tumorknoten angelegt. Dieser Strom erzeugt Hitze und führt zum Absterben der Tumorzellen. Größere Gefäße im Bereich des Tumors können zu einem blutflussbedingten Kühleffekt führen, weshalb bei der Applikation in Gefäßnähe ein Pringle-Manöver propagiert wird. Mulier et al. konnten in einer Metaanalyse zeigen, dass die lokale Rezidivrate bei Metastasen kleiner 3 cm nur 3,6% beträgt, allerdings nur dann, wenn die Applikation unter den Bedingungen einer Laparoskopie oder Laparotomie durchgeführt wurde. Bei der perkutanen Applikation stieg die Rezidivrate auf 16%, was im direkten Vergleich mit einer Resektion unter kurativer Intention nicht akzeptabel erscheint. Ist der Tumorherd größer als 5 cm, verliert die Thermoablation weiter an Wirkung. Die Rezidivraten steigen auf 50–60% (. Tab. 44.8; Mulier et al. 2005). Insbesondere bei kleinen kurativ behandelbaren Metastasen wird die Thermoablation in den nächsten Jahren den
651 44.9 · Empfehlung zur Nachsorge
. Tab. 44.8. Rezidivraten nach thermischer Radiofrequenzablation kolorektaler Lebermetastasen in Abhängigkeit der Tumorgröße. Metaanalyse mit n=5224. (Mullier et al. 2005)
Metastasengröße
Perkutan
Chirurgisch assistiert, laparoskopisch oder offen
<3cm
16%
3,6%
3–5cm
25,9%
21,7%
>5 cm
60%
50%
direkten Vergleich mit der Resektion in Form randomisierter Studien suchen müssen. Die Verwendung von ablativen Mikrowellenapplikatoren ist derzeit noch in klinischer Erprobung.
44.7.2 Transarterielle Chemoembolisation Die transarterielle Chemoembolisation (TACE) gilt bei der Behandlung des hepatozellulären Karzinoms als fest etabliert. Daten zur Behandlung von neuroendokrinen und kolorektalen Metastasen mit dieser Methode liegen nur spärlich vor. Ein gesteigertes Ansprechen bzw. Tumorkontrolle wird v. a. bei neuroendokrinen Lebermetastasen beobachtet. Bei der Frage nach dem zu verwendenden Chemotherapeutikum gibt es keinen Konsens.
44.7.3 Bestrahlung Die perkutane Strahlentherapie ist bei der Behandlung von Lebermetastasen aufgrund der Strahlenintoleranz des gesunden Lebergewebes und der schlechten Repositionierungsgenauigkeit nur eingeschränkt anwendbar. Sie bleibt im Einzelfall irresektablen Metastasen oder der palliativen Ganzleberbestrahlung bei Leberkapselschmerz vorbehalten. Fortschritte in der Applikation durch stereotaktische Bestrahlung, Atemtriggerung und simultane CT-Kontrolle könnten in Zukunft die Genauigkeit der Bestrahlung wesentlich verbessern und damit den Leberkollateralschaden deutlich reduzieren.
44.7.4 Selektive interne Radiotherapie Die selektive interne Radiotherapie (SIRT) ist eine Kombination aus lokaler Strahlentherapie und TAE (transarterieller Embolisation). Dabei kommen 90Yttrium (Betastrahler)-markierte Mikrosphären anstelle der Chemotherapie (TACE) zum Einsatz. Eine Indikation bei kolorektalen Lebermetastasen könnte sich ergeben, wenn eine Resektion oder Thermoablation nicht durchführbar ist. Jakobs et al. beschreiben die erfolgreiche Anwendung dieser Therapieform beim hepatisch metastasierten kolorektalen Karzinom als auch bei Mamma-
karzinom und neuroendokrinen Tumoren. Gezeigt werden konnte bislang, dass die SIRT einen eindeutigen antitumoralen Effekt bei akzeptabler Toxizität besitzt (Jakobs et al. 2008). Der Zeitpunkt des optimalen Einsatzes und die Integration in multimodale Therapiekonzepte sind allerdings noch unklar, und müssen in weiteren Studien evaluiert werden.
44.8
Palliation
In der palliativen Behandlung von Lebermetastasen spielen chirurgische Behandlungsmassnahmen, abgesehen vom Debulking zur Symptomkontrolle beim neuroendokrinen Tumor, keine Rolle. Bei zentralem Gallengangsaufstau durch Tumorkompression kommt die Entlastung mittels endoskopisch retrograder Stentimplantation oder perkutaner transhepatischer Cholangiodrainage in Betracht. Infizierte intrahepatische Tumornekrosen können mittels CT-Drainageneinlage behandelt werden. Palliative Chemotherapien stehen für das kolorektale Karzinom in den verschiedensten Kombinationen zur Verfügung (7 Kap. 44.6), und sind in den meisten Fällen für die Erstund Folgelinientherapie zugelassen.
44.9
Empfehlung zur Nachsorge
Kolorektales Karzinom. Gerade im Hinblick auf die guten
Langzeitergebnisse nach wiederholter Resektion von kolorektalen Lebermetatasen erscheint eine engmaschige Nachsorge mit initialer CT- oder MRT-Kontrolle 3 Monate nach Resektion, gefolgt von weiteren 3-monatigen Tumormarkerkontrollen ggf. in Kombination mit Sonographie und Röntgen-Thorax sinnvoll. In den aktualisierten S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen finden sich allerdings keine programmierten Nachsorgeempfehlungen bei kurativer Lebermetastasenresektion. GIST und NET. Nach Resektion von GIST-Metastasen sollte,
wie für High-risk-GIS-Tumoren gefordert, halbjährliche CT-Untersuchungen des Abdomens fortgeführt werden. Für NET-Tumoren gibt es keine Nachsorgeempfehlungen. Nach erfolgreichem Debulking symptomatischer Tumoren erscheint eine symptomorientierte individualisierte Nachsorge sinnvoll. Für Metastasen anderer Entitäten richten sich die Untersuchungen ggf. nach dem Nachsorgeschema des Primarius. Halbjährliche Sonographien der Leber erscheinen empfehlenswert.
44
652
Kapitel 44 · Lebermetastasen
Literatur
44
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44
45 45
Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege R.S. Croner, T. Meyer, W. Hohenberger
45.1
Histologische Anatomie
– 657
45.1.1 45.1.2 45.1.3
Gallenblase – 657 Gallenwege – 657 Lymphabstrom – 657
45.2
Chirurgische Anatomie der Gallenwege
45.2.1 45.2.2 45.2.3
Anatomie des linksseitigen Gallenwegssystems – 657 Anatomie des rechtsseitigen Gallenwegssystems – 657 Lebersegment I – 658
45.3
Pathologie
45.3.1 45.3.2 45.3.3
Makroskopische Wachstums-formen – 658 Histologische Tumortypen – 659 Tumorausbreitung und Metastasierung – 659
45.4
Differenzialdiagnosen
45.5
Klassifikation der Tumorlokalisation
45.5.1 45.5.2
Anatomische Hauptlokalisationen und Terminologie Extrahepatische Lokalisationsklassifikation – 660
45.6
Pathologisches Staging und Grading
45.7
Epidemiologie
45.8
Pathogenese
45.8.1 45.8.2
Ätiologie – 662 Prädispositionsfaktoren
45.9
Klinik
45.10
Präoperative Diagnostik
45.10.1 45.10.2 45.10.3 45.10.4 45.10.5 45.10.6 45.10.7
Zielsetzung – 664 Ultraschall – 664 Computertomographie – 665 Kernspintomographie – 665 Endoskopisch-retrograde Cholangiographie – 666 Positronenemissionstomographie (PET) – 666 Präoperative Diagnosesicherung – 668
– 657
– 658
– 660 – 660
– 662
– 662 – 662 – 663
– 664 – 664
– 660
45.11
Laparoskopie und Exploration
45.12
Präoperative Maßnahmen
45.13
Chirurgische Therapie des Gallenblasenkarzinoms
45.13.1
Carcinoma in situ (Tis), Karzinom mit Infiltration der Mukosa (T1a) oder der Muskularis (T1b) – 669 Fortgeschrittene Karzinome (T2 und höher) – 669 Palliative Cholezystektomie – 670
45.13.2 45.13.3
– 668
– 668 – 669
45.14
Chirurgische Therapie des extrahepatischen Gallenwegskarzinoms – 670
45.14.1
Karzinome des distalen und mittleren Drittels des Ductus choledochus (unterhalb der Einmündung des Ductus cysticus) – 671 Karzinome des Ductus hepaticus und der Hepatikusgabel (Bismuth I-IV) – 671 Erweitert-radikale (»ultraradikale«) Resektionsverfahren bei Typ-III- und -IV-Tumoren – 672
45.14.2 45.14.3
45.15
Operationstechnische Aspekte der Chirurgie extrahepatischer Gallenwegskarzinome – 673
45.15.1 45.15.2 45.15.3
Zugang, Exploration und Tumorsicherung – 673 Extrahepatische Resektion des Ductus hepatocholedochus Rekonstruktion und Drainage – 673
45.16
Palliative Verfahren zur Gallenwegsdrainage
45.16.1 45.16.2
Interventionelle Gallengangsschienung Chirurgische Palliativdrainageverfahren
45.17
Prognose
45.17.1 45.17.2
Prognose beim Gallenblasenkarzinom – 675 Prognose beim extrahepatischen cholangiozellulären Karzinom
45.18
Stellenwert der systemischen Chemotherapie
45.19
Stellenwert der Strahlentherapie
45.20
Stellenwert der photodynamischen Therapie
– 674
– 674 – 674
– 675
Internetadressen Literatur
– 673
– 677
– 677
– 676
– 676 – 677
– 675
657 45.2 · Chirurgische Anatomie der Gallenwege
> Die chirurgische Behandlung von Karzinomen der Gallenblase und der Gallenwege ist komplex und anspruchsvoll. Diagnostik und Therapieentscheidung erfordern eine intensive, interdisziplinäre Kooperation. Lediglich eine kurative Resektion der Tumoren bietet eine Aussicht auf ein Langzeitüberleben und ist oftmals nur durch ausgedehnte operative Eingriffe am hepatobiliären(-pankreatischen) System realisierbar. (Neo-)adjuvante Therapieansätze bedürfen weiterer Evaluation. Bei der Mehrzahl der Patienten liegt allerdings zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ein fortgeschrittenes Tumorleiden vor, so dass eine Resektion nicht mehr in Frage kommt. Damit gewinnen endoskopische und radiologischinterventionelle Maßnahmen an Stellenwert.
45.1
Histologische Anatomie
45.1.1 Gallenblase Die Gallenblasenwand ist histologisch aus drei Schichten aufgebaut: der Schleimhaut (Mukosa), einer geflechtartigen Muskelschicht (Muskularis) und einer lockermaschigen Adventitia. Eine Submukosa ist allenfalls rudimentär ausgebildet. Die sichtbare Oberfläche ist vollständig von Serosa bedeckt.
45.1.2 Gallenwege Intra- und extrahepatische Gallenwege verfügen über eine identische histologische Wandstruktur. Die innere Lage bildet ein hochprismatisches Epithel, das der Lamina propria, einer Bindegewebsschicht mit einem Netz aus elastischen und kollagenen Fasern, aufsitzt. Glattmuskuläre Zellen finden sich in größerem Umfang nur im Mündungsbereich des Ductus choledochus präpapillär. Die äußere Hüllschicht der Gallengänge besteht aus fibromuskulärem Bindegewebe (Adkins et al. 2000).
individuellen Anatomie vor allem durch die intraoperative Präparation und bei zentralen Gallengangstumoren durch adäquate präoperative Diagnostik.
45.2.1 Anatomie des linksseitigen
Gallenwegssystems Der Konfluens von linkem und rechtem Hauptgallengang (Ductus hepaticus sinister und dexter) ist rechts an der hilären Fissur der Leber anterior der Pfortaderbifurkation lokalisiert und liegt dem Ursprung des rechten Pfortaderastes auf. Der Ductus hepaticus sinister weist einen wesentlich längeren extrahepatischen Verlauf als der kürzere rechte Ductus hepaticus auf. Er verläuft dann intrahepatisch quer durch den inferioren Anteil des Lebersegmentes IV (Lobus quadratus) und entsteht durch den Zusammenfluss der Segmentgänge II und III relativ oberflächennah in der Region der Fissura umbilicalis. In etwa zwei Drittel der Fälle drainiert der Gallengang des Segmentes IV singulär in den linken Hauptgallengang knapp rechtsseitig des Segment-II/III-Konfluens. Die klinisch am meisten relevante Variation mit einer Häufigkeit von 25% ist eine aberrante Einmündung des Gallenganges aus Segment IV direkt am Zusammenfluss des Segment-II- und -III-Ganges. Diese Konstellation kann bei einer Bisegmentektomie links zu einer akzidentellen Kompromittierung des Gallenabflusses aus dem Segment IV führen. Weitere Variationen des Segment-IV-Ganges, der auch paarig angelegt sein kann, sind in . Abb. 45.1 dargestellt (Couinaud 1957; Healey u. Schroy 1953; Blumgart u. Hann 2000). Im Falle einer Einmündung im Bereich der Bifurkation des Hauptgallenganges kann bei einem zentral sitzenden Gallenwegskarzinom die Drainage aus Segment IV direkt okkludiert werden. In dieser Situation ist durch eine chirurgische oder interventionelle linkslaterale Drainage (Segment II und III sowie retrograd Segment IV und rechter Leberlappen) keine suffiziente Behandlung eines cholestatischen Ikterus zu erwarten.
45.1.3 Lymphabstrom 45.2.2 Anatomie des rechtsseitigen Der Lymphabstrom der Gallenblase wird im sog. Zystikuslymphknoten gesammelt, der ventral im Winkel zwischen Leberparenchym, Infundibulum und Ductus cysticus liegt. Der weitere Lymphabstrom erfolgt entlang der Gefäße im Ligamentum hepatoduodenale. Hier werden als nächstes die hinteren pankreatikoduodenalen Lymphknoten erreicht. Entlang der A. hepatica communis zieht der Lymphabstrom zum Truncus coeliacus. Den Verlauf der A. mesenterica superior folgend werden die paraaortalen Lymphknoten erreicht.
45.2
Chirurgische Anatomie der Gallenwege
Zahlreiche anatomische Variationsmöglichkeiten bergen die Gefahr intraoperativer Verletzungen des Gallenwegssystem und unterstreichen die Notwendigkeit der Erarbeitung der
Gallenwegssystems Bei etwa 60% der Fälle teilt sich der rechte Ductus hepaticus nach einem kurzem Verlauf von knapp 1 cm in einen rechtsposterioren Ast zur Drainage des posterioren Sektors des rechten Leberlappens mit den Segment VI und VII und in einen rechtsanterioren Ast für den anterioren Sektor des rechten Leberlappens mit den Segmenten V und VIII. Auch hier existieren zahlreiche anatomische Varianten (. Abb. 45.2), wie z. B. die distale Einmündung des posterioren Astes in den Ductus cysticus (2%) oder den Hauptgallengang (6%) oder Einmündungen des posterioren und anterioren Astes in den linken Ductus hepaticus nach querem Verlauf (7%). Solche atypischen Verläufe müssen bei Leberlappenresektionen, aber auch bei der Cholezystektomie bedacht werden, um akzidentelle Galleabflussstörungen aus den rechten Lebersegmenten zu vermeiden (Couinaud 1957; Healey u. Schroy 1953; Blumgart u. Hann 2000).
45
658
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
a
a
b b
c c
d
d e
e f
g
f
. Abb. 45.2a–g. Anatomische Varianten des linksseitigen Gallengangsystems
. Abb. 45.1a–f. Anatomische Varianten des rechtsseitigen Gallengangsystems
Gallengang (Couinaud 1957; Healey u. Schroy 1953; Blumgart u. Hann 2000).
Im Falle einer Leberlappenresektion muss nicht grundsätzlich der Hauptgallengang im Hilusbereich freipräpariert und abgesetzt werden. In vielen Fällen erscheint es sicherer, falls onkologisch ausreichend, die Gallengänge erst während der Parenchymdissektionsphase knapp parahilär zu durchtrennen.
45.3
45.2.3 Lebersegment I Der Lobus caudatus wird von verschiedenen Autoren als ein anatomisch eigenständiger Leberlappen gesehen. Der Galleabfluss erfolgt sowohl in den linken als auch den rechten
Pathologie
45.3.1 Makroskopische Wachstums-
formen Zwei makroskopische Wachstumsformen werden unterschieden, die sich allerdings in fortgeschrittenen Stadien nicht mehr sicher abgrenzen lassen: das häufigere diffus infiltrierende Karzinom und das polypoid wachsende Karzinom mit knotiger oder papillärer Oberfläche, bei dem es im Allgemeinen früher zur Lumenokklusion oder Einengung kommt. Bei etwa 80% der Gallenblasenkarzinome findet sich die Haupttumormasse im Fundus-Korpusbereich. Extrahepatische Gal-
659 45.3 · Pathologie
a . Abb. 45.4. Leberresektat mit Gallenblasenkarzinom und solitärem Gallenstein
45.3.2 Histologische Tumortypen Histologisch können Gallenblasen- und Gallenwegskarzinome nicht differenziert werden. Auch existieren keine gallengangspezifischen Proteinmarker, die eine sichere Zuordnung einer unklaren diagnostischen Gewebsprobe zum Gallenwegssystem erlauben würden. Der immunhistochemische Nachweis von Zytokeratin, karzinoembryonalem Antigen und Muzinen weist auf die Diagnose eines cholangiozellulären Karzinoms hin (de Groen et al. 1999) Die weit überwiegende Zahl der Cholangiokarzinome erweist sich histologisch als meist gut bis mäßig differenzierte, Muzin-produzierende Adenokarzinome (80–90%). Seltene Tumorentitäten sind papilläre Adenokarzinome, das Zystadenokarzinom, muzinöse Karzinome, pleomorphe RiesenzellAdenokarzinome, adenosquamöse Plattenepithelkarzinome und niedrig differenzierte Adenokarzinome vom kleinzelligen Typ (. Abb. 45.3; Henson et al. 1992; Wittekind u. Tannapfel, 1999).
b
45.3.3 Tumorausbreitung und Metastasierung Gallenblasenkarzinome wachsen per continuitatem in die Le-
c . Abb. 45.3a–c. Hämatoxylin/Eosin-Färbung eines adenosquamösen Gallenblasenkarzinoms (a), Neuralscheideninfiltration (b), Lymphgefäßinfiltration (c) des Tumors
lenwegskarzinome imponieren als umschriebene, knotig-derb tastbar Raumforderungen oder auch nur als angedeutete Verdickung des entsprechenden Gallengangssegmentes, wobei die Abgrenzung durch die begleitende Entzündung des Gallenwegssystems erschwert sein kann (Sumiyoshi et al. 1991; Albores-Saavedra et al. 1991)
ber ein und gewinnen damit frühzeitig Anschluss an lymphatische und vaskuläre Gangstrukturen (. Abb. 45.4). Der Anschluss an Portalvenenäste führt zu hämatogenen intrahepatischen Metastasen vor allem der Segmente IV, V und VIII (34%). Die lymphogene Metastasierung befällt zunächst die Lymphknoten entlang des Lig. hepatoduodenale. Lymphknoten hoch im Leberhilus oberhalb der Zystikuseinmündung werden durch retrograden Lymphabfluss (bei Okklusion der ersten regionären Lymphknoten) oder sekundär durch direkte Tumorinfiltration befallen. Das neben der Leber nächsthäufig hämatogen-metastatisch befallene Organ ist die Lunge (20%). Lungenmetastasen in Abwesenheit einer fortgeschrittenen lokoregionären Tumorerkrankung sind jedoch selten (Boerma 1994).
45
660
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
Gallenwegskarzinome breiten sich bevorzugt intra- und periduktal sowie entlang der Perineuralscheiden und zwar sowohl nach proximal-zentral (Richtung Leberhilus) als auch nach peripher-distal (Richtung Papilla Vateri) ohne Kapselbildung aus. Möglich ist zudem ein diskontinuierliches oder multifokales Wachstum. Trotz tumorfreier Resektionsränder ist damit nicht zwangsläufig von einer Tumorfreiheit auszugehen. Die perineurale Dissemination kann zu einer frühen Ausdehnung bis hin zum paraaortalen Nervenplexus führen (Wittekind u. Tannapfel 1999). Klinisch fassbare peritoneale Metastasen werden bei Diagnosestellung bei weniger als 10% der Patienten gefunden. Hinweise auf eine Häufung nach interventionellen Maßnahmen oder intraoperativer Eröffnung tumorbefallener Gallenwege wurden berichtet (Tanaka et al. 1997).
45.4
Differenzialdiagnosen
Patienten mit einer hilären Gallengangsstriktur und Ikterus haben in aller Regel ein cholangioläres Karzinom. Alternative Diagnosen liegen in 10–15% der Fälle vor und umfassen ein Gallenblasenkarzinom, das Mirizzi-Syndrom und idiopathische gutartige fokale Stenosen (Jarnagin 2000; Knoefel et al. 2003).
Bei intrahepatischen Raumforderungen müssen grundsätzlich sowohl primäre als auch sekundäre Lebertumoren in die differenzialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen werden, deren Abgrenzung aber sowohl in der Bildgebung als auch intraoperativ schwierig sein kann.
Gelegentlich kann eine ausgeprägte, chronisch-abszedierende Cholezystitis das Bild eines Gallenblasenkarzinoms imitieren. Polypoide Läsionen der Gallenblase können maligne entarten.
aufgrund ihrer pathogenetischen Verwandtschaft den extrahepatischen Gallenwegskarzinomen zugeordnet werden.
45.5.2 Extrahepatische Lokalisations-
klassifikation Innerhalb der extrahepatischen Lokalisation erscheint es sinnvoll, wegen der unterschiedlichen Behandlungsproblematik und -strategie weitere lokalisatorische Subgruppen zu differenzieren. Dies betrifft insbesondere die proximalen, im Leberhilus gelegenen Gallengangskarzinome. Drei Klassifikationssysteme haben Verbreitung gefunden. Klassifikation nach Longmire (Tompkins 1988). Das extra-
hepatische Gallenwegssystem wird in drei Abschnitte untergliedert: 4 Oberes (zentral-hiläres, partiell intrahepatisches) Drittel: Ductus hepaticus oberhalb der Zysticuseinmündung einschließlich der Ductus hepatici dexter et sinister 4 Mittleres Drittel: Zystikuseinmündung und supraduodenaler Abschnitt des Ductus hepatocholedochus 4 Unteres (proximales) Drittel: retroduodenaler Abschnitt des Ductus hepatocholedochus einschließlich der Papillenregion Bei Infiltration des Duodenum wird der Ausbreitungstyp als »diffus« bezeichnet. Cape-Town-Klassifikation (Terblanche et al. 1988). Typ 3
(distale Gallenwege retroduodenal-ampullär) und diffuser Typ entsprechen der Longmire-Klassifikation. Typ 2 (mittlere Gallenwege) umfasst den Abschnitt des Gallenganges vom Konfluens bis zur supraduodenalen Grenze. Typ 1 (obenhilär) bezeichnet den im Hilus partiell bereits intrahepatischen Verlauf des rechten und linken Hauptgallenganges. Klassifikation nach Bismuth-Corlette (Bismuth et al. 1992).
45.5
Klassifikation der Tumorlokalisation
45.5.1 Anatomische Hauptlokalisationen
Sie stellt die am häufigsten verwendete Klassifikation dar (. Abb. 45.5, . Tab. 45.1). Die Typen III und IV nach Bismuth, also die zentralen, proximalen Karzinome im Bereich der Hepatikusgabel bezeichnen die sog. Klatskin-Tumoren.
und Terminologie Zwei Gruppen von Cholangiokarzinomen sollten nach ihrer Lokalisation getrennt werden: 4 Intrahepatische (periphere) cholangiozelluläre Karzinome, die in den kleinen, portalen und intralobären Gallengängen entstehen. 4 Extrahepatische cholangiozelluläre Karzinome der großen und hilusnahen Gallengänge (rechter bzw. linker Ductus hepaticus, Hepatikusgabel, Ductus cysticus, Ductus hepatocholedochus, Gallenblase), die sich wiederum unterteilen lassen in zentrale (proximale) und distale (supraampulläre) Tumoren. Beiden Gruppen sollten nicht im Rahmen von Therapiestudien zusammengefasst werden. Gallenblasenkarzinome können
. Tab. 45.1. Klassifikation extrahepatischer Cholangiokarzinome nach Bismuth-Corlette Typ I
Proximale Stenose des Ductus choledochus ohne Befall der Hepatikusgabel
Typ II
Obstruktion des rechten und linken Ductus hepaticus ohne Einbeziehung von Segmentgallengängen
Typ III
Obstruktion des rechten und linken Ductus hepaticus mit Beteiligung von Segmentgallengängen in einem Leberlappen
Typ IV
Obstruktion des rechten und linken Ductus hepaticus mit Einbeziehung von Segmentgallengängen beider Leberlappen
661 45.5 · Klassifikation der Tumorlokalisation
. Abb. 45.5. Klassifikation der extrahepatischen Cholangiokarzinome nach Bismuth-Corlette
. Tab. 45.2. UICC-TNM-Klassifikation der Karzinome der Gallenblase (Wittekind et al. 2009)
. Tab. 45.3. UICC-TNM-Klassifikation der Karzinome der proximalen perihilären Gallenwege (Wittekind et al. 2009)
TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
Tis
Carcinoma in situ
Tis
Carcinoma in situ
T1
Tumor infiltriert Lamina propria oder Muskulatur
T1
4 T1a
Tumor infiltriert Lamina propria
Tumor auf Gallengang beschränkt (subepitheliales Bindegewebe und fibromuskuläre Schicht)
4 T1b
Tumor infiltriert Muskulatur
4 T2a
T2
Tumor infiltriert perimuskuläres Bindegewebe, aber keine Ausbreitung jenseits der Serosa oder in die Leber
Tumor infiltriert perifibromuskuläre Bindegewebe
4 T2b
Tumor infiltriert benachbartes Leberparenchym
T3
Tumor infiltriert unilaterale Äste der V. porta oder A. hepatica
T4
Tumor infiltriert den Hauptast oder bilaterale Äste der V. porta; oder die A. hepatica communis; oder die Gallengänge zweiter Ordnung; oder unilaterale Gallengänge zweiter Ordnung mit kontralateraler Infiltration der V. porta oder A. hepatica
NX
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteil werden
N1
Regionäre Lymphknotenmetastasen in Lymphknoten des D. cysticus, des D. hepaticus communis, der A. hepatica, der V. porta
N2
Lymphknotenmetastasen in paraaortalen, perikavalen, A. mes. sup. und/oder zöliakalen Lymphknoten
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
T3
Tumor perforiert die Serosa (viszerales Peritoneum) und/oder infiltriert direkt die Leber und/oder eine(e) Nachbarorgan/-struktur, z. B. Magen, Duodenum, Kolon, Pankreas, Omentum, extrahepatische Gallengänge
T4
Tumor infiltriert Stamm der V. portae oder A. hepatica oder infiltriert zwei oder mehr extrahepatische Nachbarorgane/-strukturen
NX
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
N1
Regionäre Lymphknotenmetastasen, Ductus cysticus, Ductus hepatocholedochus, A. hepatica, Pfortader
N2
Lymphknotenmetastasen paraaortal, perikaval, A. mesenterica superior und/oder Truncus coeliacus
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
Stadiengruppierung
Stadiengruppierung 0
Tis N0 M0
I
T1 N0 M0
II
T2a, T2b N0 M0
IIIA
T3 N0 M0
IIIB
T1-3 N1 M0
T4 Jedes N M0
IVA
T4 N0–1 M0
Jedes T N2 Jedes M Jedes T Jedes N M1
IVB
Jedes T N2 Jedes M Jedes T Jedes N M1
0
Tis N0 M0
I
T1 N0 M0
II
T2 N0 M0
IIIA
T3 N0 M0
IIIB
T1–3 N1 M0
IVA IVB
45
662
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
45.6 . Tab. 45.4. UICC-TNM-Klassifikation der Karzinome der distalen extrahepatischen Gallenwege (Wittekind et al. 2009) TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
Tis
Carcinoma in situ
T1
Tumor histologisch auf den Gallengang beschränkt (subepitheliales Bindegewebe und fibromuskuläre Schicht)
T2
Tumor infiltriert jenseits des Gallengangs (perifibromuskuläres Bindegewebe)
T3
Tumor infiltriert die Gallenblase, Pankreas, Duodenum oder andere benachbarte Organe ohne Infiltration des Truncus coeliacus oder der A. mesenterica superior
T4
Tumor infiltriert den Truncus coeliacus oder die A. mesenterica superior
NX
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteil werden
N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
N1
Regionäre Lymphknotenmetastasen
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
Stadiengruppierung 0
Tis N0 M0
IA
T1 N0 M0
IB
T2 N0 M0
IIA
T3 N0 M0
IIB
T1–3 N1 M0
III
T4 Jedes N M0
IVB
Jedes T Jedes N M1
. Tab. 45.5. Histopathologisches Grading für Cholangiokarzinome
Pathologisches Staging und Grading
Die Tumorausdehnung zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nach der TNM-Klassifikation gehört zu den wesentlichen Prognosefaktoren, beeinflusst die Resektabilität und konsekutiv auch das Überleben der Patienten (Henson et al. 2000). Mittlerweile liegt die 7. Auflage der UICC-TNM-Klassifikation maligner Tumore vor (Wittekind et al. 2009), die eine modifizierte Stadieneinteilung der Tumoren der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege beinhaltet. Dezidiert wird zwischen proximalen, perihilären und distalen Gallengangskarzinomen unterschieden (. Tab. 45.2 bis . Tab. 45.5). Als regionäre Lymphknoten gelten weiterhin die Lymphknoten am Ductus cysticus, die pericholedochalen, hilären, peripankreatischen (nur Kopf), periduodenalen, periportalen, zöliakalen Lymphknoten sowie jene an der A. mesenterica superior.
45.7
Epidemiologie
Das Gallenblasenkarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung des Gallenwegssystems. Die Inzidenz steigt mit zunehmendem Alter, insbesondere ab dem 55. Lebensjahr an, Frauen sind etwa 3- bis 4-mal häufiger betroffen. Nach Angaben des Krebsregisters Saarland betrug die kumulative Inzidenz der Jahre 1990–2000 geschlechtsspezifisch für Männer 4,7, für Frauen 13,3 (. Tab. 45.6). Damit errechnet sich eine jährliche Inzidenz von 1,6 (Männer 0,4, Frauen 1,2). Demgegenüber stehen Zahlen des Krebsregisters Bayern von 2004. Hier betrug die Inzidenz für Männer 4,0 und Frauen 3,8. In Israel, Chile, Bolivien, Mexiko, Nordjapan und im Südwesten der Vereinigten Staaten (Natives) werden deutlich höhere Inzidenzen im Vergleich zu Europäern beobachtet (Orth u. Beger 2000). Gallenwegskarzinome sind selten. Eine eindeutige geschlechtsspezifische Häufung ist nicht erkennbar. Das Krebsregister Saarland verzeichnet eine kumulative Inzidenz der Jahre 1990–2000 von 5,2 für Männer und von 5,3 für Frauen, damit beträgt die jährliche Inzidenz um 0,5 (. Tab. 45.6). Auch bei den extrahepatischen Gallenwegskarzinomen ist eine zunehmende Inzidenz ab dem 55. Lebensjahr erkennbar, jedoch erkranken Patienten mit einer primär sklerosierenden Cholangitis durchaus bereits vor dem 40. Lebensjahr (Bergquist et al. 1998). Juden, Indianer und Japaner erkranken häufiger (Strom et al. 1985).
GX
Differenzierungsgrad kann nicht bestimmt werden
G1
Gut differenziert
45.8
G2
Mäßig differenziert
45.8.1 Ätiologie
G3
Schlecht differenziert
G4
Undifferenziert
Pathogenese
Die Ätiologie maligner Gallenblasen- und Gallenwegskarzinome ist weiterhin ungeklärt. Ein hypothetisches Konzept sieht eine stadienhafte Entwicklung der biliären Karzinogenese vor (Holzinger et al. 1999): 4 Stadium I: Prädisposition und Risikofaktoren für ein Cholangiokarzinom
45
663 45.8 · Pathogenese
. Tab. 45.6. Inzidenz der Cholangiokarzinome (Krebsregister Saarland)
Kumulative Inzidenz 1990–2000
Absolute Fallzahlen kumuliert 1990–2000
Männlich
Männlich
Weiblich
Gesamt
Weiblich
. Tab. 45.7. Prädisposition zur biliären Karzinogenese und relatives Risiko für die Entwicklung eines Cholangiokarzinoms verglichen mit der Normalbevölkerung (Holzinger at al. 1999)
Anatomische Anomalien
Prädisposition
Relatives Risiko
Kongenitale Choledochuszysten
86
Caroli-Syndrom
k.A.
Pankreatikobiliäre Maljunction
32
Primär biliäre Sklerose
30
Typhusträger Gallenblase
6
Porzellangallenblase
25
Parasiten
k.A.
Opisthorchis viverrini
5
Clonorchis sinensis
5
Cholezystolithiasis
k.A.
Hepatolithiasis
k.A.
Nitrosamine
k.A.
Thorotrast
303
Betelnuss
k.A.
Primär sklerosierende Cholangitis
30
Primär biliäre Zirrhose
30
Chronische Colitis ulcerosa
75
Gallenblasenkarzinome 45–49
0,5
1,1
2
4
6
50–54
1,1
1,1
4
4
8
55–59
2,2
4,9
9
20
29
60–64
3,9
10,5
14
41
55
65–69
5,2
15,3
15
56
71
70–74
12,5
21
25
68
93
75–79
14,1
24,3
17
60
77
80–84
12,9
31,8
9
57
66
>85
26,2
44,1
11
64
75
45–>85
4,7
13,3
109
374
480
Chronische Entzündung
Gallensteine
Karzinogene
Gallenwegkarzinome 45–49
0,3
1,4
1
5
6
50–54
1,3
1,6
5
6
11
55–59
3,7
1,5
15
6
21
60–64
5
2,3
18
9
27
65–69
7
5,2
20
19
39
70–74
9,5
8,7
19
28
47
75–79
14,1
10,9
17
27
44
80–84
20,1
11,7
14
21
35
>85
16,7
20
7
29
36
45->85
5,2
5,3
116
150
266
4 Stadium II: genotoxische Ereignisse und Veränderungen mit spezifischem DNA-Schaden und Mutationsmustern 4 Stadium III: Dysregulation von DNA Reparationsmechanismen und Apoptose, die eine Überleben mutierter Zellen erlauben 4 Stadium IV: morphologische Entwicklung prämaligner Wandveränderungen hin zum cholangiozellulären Karzinom Im letzten Schritt wird die Transformation eines präkanzerösen Adenoms zum Adenokarzinom über histomorphologisch erkennbare Epitheldysplasien analog der Adenom-Karzinomsequenz kolorektaler Karzinome vollzogen (Holzinger et al. 1999).
Autoimmunerkrankungen
45.8.2 Prädispositionsfaktoren Zahlreiche Prädispositionsfaktoren gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines cholangiozellulären Karzinoms einher (. Tab. 45.7). Ein ursächlicher Zusammenhang zur Karzinogenese konnte bisher für keinen Faktor eindeutig belegt werden, lediglich statistische Assoziationen konnten bewiesen werden. Gallensteine werden bei etwa 80–90% der Patienten mit Gallenblasenkarzinom vorgefunden, bei Gallenwegskarzinomen wesentlich seltener. Das Risiko ist höher bei einem großen Solitärstein als bei multiplen kleinen Steinen (Levin 1999; Nagorney u. McPherson 1998). Aufgrund der hohen Prävalenz des Gallensteinleidens einerseits und der relativen Seltenheit maligner Gallenblasentumoren andererseits erscheint aber eine prophylaktische Cholezystektomie bei asymptomatischen Steinträgern nicht gerechtfertigt. Gallenblasenpolypen (Adenome) bergen das Risiko einer Entartung, v. a. dann, wenn sie solitär wachsen und größer als 10 mm durchmessen (Mainprize et al. 2000). Einzelne Untersuchungen beschreiben bereits maligne Entartungen bei einer
664
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
Größe von kleiner 5 mm in 6% der Fälle und plädieren für eine Cholezystektomie bei weniger als 3 Polypen (Shinkai et al. 1998). Beim Gallenblasenkarzinom konnte verschiedene molekulare Marker wie HFM1, HLA-DQA2, COL3A1, HLA-A, S100P, KRT17, IF16, ANXA2, TAGLN2, CTGF und B2M als überexprimiert im Vergleich zu gesunden Normalgewebe identifiziert werden. Eine Überexpression von CTGF (»connective tissue growth factor«) in Gallenblasenkarzinomen korreliert hierbei mit einem längeren Überleben der Patienten (Alvarez et al. 2008). Die Expression anderer molekularer Marker wie ras p21, c-erb-2 und p53 zeigt keine Korrelation mit dem Überleben der Patienten (Suzuki et al. 1995; Ajiki et al. 1996; Shrestha et al. 1998). Eine Überexpression von Cyclin E korrelierte nicht mit dem Tumorstadium (Eguchi et al. 1999). Beim Gallenwegskarzinom ergab sich für molekulare Marker wie z. B. PCNA (»proliferating cell nuclear antigen«) und K-ras-Kodon-12-Mutation ein prognostischer Aussagewert, der jedoch dem der anatomischen Tumorausdehnung unterlegen war (Nishida et al. 1997; Rijken et al. 1998). Eine hohe Expression von MUC1 (»mucin core protein-1«) korrelierte mit Lebermetastasen und kurzem Überleben (Takao et al. 1999).
45.9
Klinik
Die Früherkennung von Cholangiokarzinomen stellt weiterhin ein nicht gelöstes Problem dar.
Gallenblasenkarzinome verursachen in der Regel uncharak-
teristische Beschwerden wie rechtsseitige Oberbauchbeschwerden (ca. 50%), Ikterus (ca. 50%), Übelkeit und Erbrechen (ca. 20%) und Gewichtsabnahme (30%) (Deutsche Krebsgesellschaft 2002). Treten tumorspezifische Symptome wie tastbare Masse im rechten oberen Quadranten oder Ikterus auf, liegt häufig ein fortgeschrittenes, inkurables Tumorleiden vor. 10–20% der Gallenblasenkarzinome sind Zufallsbefunde bei der histologischen Aufarbeitung der Gallenblase nach Cholezystektomie wegen symptomatischer Cholezystolithiasis (Iida et al. 1995). Leitsymptom der Gallenwegskarziome ist der schmerzlose, cholestatische Ikterus und Pruritus, in dessen Folge sich Fieber und Schüttelfrost als Ausdruck einer Cholangitis einstellen können (selten Primärmanifestation). Daneben findet man unspezifische Zeichen der Tumorerkrankung wie Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit und Leistungsknick (Pitt et al. 1995). In Fällen mit inkompletter (Ductus hepaticus rechts oder links) oder segmentaler biliärer Obstruktion kann der Ikterus initial fehlen, so dass nur eine laborchemische Erhöhung der alkalische Phosphatase und der γ-Glutamyltransferase auffällig ist (Jarnagin 2000). Die klinische Untersuchung des Abdomen ist meist unergiebig, eine palpable Gallenblase ist eher selten und weist auf einen Verschluss des Ductus hepatocholedochus unterhalb der Zystikuseinmündung hin.
Die Tumormarker CA19-9 und CEA spielen vor allem in der Diagnostik eines Rezidivs nach R0-Resektion eine Rolle. Es ist zu berücksichtigen, dass eine Erhöhung des CA19-9 allein durch eine Cholestase induziert werden kann. Ein progredient steigender CA19-9-Wert von >500 U/ml in der Verlaufskontrolle kann auf ein cholangiozelluläres Karzinom hindeuten (Kubicka u. Manns 2000; Patel et al. 2000).
45.10
Präoperative Diagnostik
Bei der Diagnostik und auch der Therapieplanung ist die enge interdisziplinäre Kooperation von besonderer Bedeutung.
45.10.1
Zielsetzung
Die diagnostischen Maßnahmen sollten folgende Ziele anstreben: 4 Sicherung der Malignomdiagnose 4 Exakte Lokalisation des Tumor bzw. der (tumorösen) Stenose innerhalb des Gallenwegssystems insbesondere in Relation zur Hepatikusgabel bzw. zum Leberhilus 4 Beschreibung der extraluminalen Tumorausdehnung in Bezug auf die Nachbarstrukturen/-organe, insbesondere die Gefäßstrukturen (Leberarterie, Pfortader) 4 Prätherapeutisches Tumorstaging in Hinblick auf das Vorliegen von regionären Lymphknoten- und Fernmetastasen 4 Beurteilung der (R0-)Resektablität Grundsätzlich kann zwischen notwendigen Untersuchungen und im Einzelfall nützlichen Untersuchungen unterschieden werden. Nach den Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie fallen unter die notwendigen prätherapeutisch-diagnostischen Maßnahmen neben dem Basislabor Anamnese und klinische Untersuchung, die Sonographie des Abdomens, eine Röntgenuntersuchung des Thorax in 2 Ebenen, die endoskopisch-retrograde Cholangiographie (ERC) mit Stenteinlage bei Ikterus, ggf. eine perkutane transhepatische Cholangiographie und Drainage (PTCD), eine Magnetresonanz-Cholangio-Pankreatikographie (MRCP), eine Endosonographie, besonders bei distalen Gallenwegstumoren, und eine weiterführende Diagnostik des Magens, des Duodenums oder Kolons bei Verdacht auf Tumorbefall. Für die Therapieplanung ist eine Spiralcomputertomographie des Abdomens und/oder eine Kernspintomographie unabdingbar.
45.10.2
Ultraschall
Die abdominelle Sonographie wird wegen der generellen Verfügbarkeit und der fehlenden Strahlenbelastung in vielen Fällen als erste apparativ-diagnostische Untersuchung angewandt. Nachteilig sind die Abhängigkeit von Untersucher und Gerätequalität. Gallenblasenkarzinome werden in etwa 50% und hiläre Cholangiokarzinome in 83–89% korrekt diagnos-
665 45.10 · Präoperative Diagnostik
tiziert, häufig nur indirekt durch die Dilatation der Gallenwege. Die proximale intraluminale Tumorausdehnung kann in bis zu 80%, die Tumorinfiltration der Leber in bis zu 55% korrekt erkannt werden. Die Detektion von Lymphknotenmetastasen ist sonographisch unzuverlässig. Mit Hilfe der farbkodierten Dopplersonographie wurde eine Gefäßinfiltration insbesondere der Pfortader in 85–91% der Fälle korrekt detektiert und war damit ähnlich aussagekräftig wie eine Angiographie (Bach et al. 1998; Smits u. Reeders 1999; Szklaruk et al. 2002). Beim Gallenblasenkarzinom ließen sich Kriterien definieren, nach denen sich mittels endoskopischen Ultraschalls (EUS) Tis-Tumoren zu 100%, T1-Tumoren zu 75%, T2-Tumoren zu 85% und T3- bis T4-Tumoren zu 93% korrekt diagnostizieren ließen (Sadamoto et al. 2003). Mittels EUS wurde die T-Kategorie bei 72% die N-Kategorie in 61% bei extrahepatischen Gallenwegskarzinomen richtig abgebildet (Zhang et al. 1996). Die intraduktale Sonographie (IDUS) erscheint vielversprechend hinsichtlich der Beurteilung einer Infiltration der Pfortader oder der Leberarterie sowie des Pankreas (Fujita et al. 1998; Tamada et al. 1999). Sowohl die CT- als auch die MR-Technologie unterliegen einem raschen Fortschritt, so dass eine Überlegenheit eines der beiden bildgebenden Verfahrens von der jeweils verfügbaren Gerätegeneration abhängt. Moderne Geräte beider Technologien mit digitaler Bildverarbeitung erlauben eine Darstellung in nahezu beliebigen Ebenen, dreidimensionale Rekonstruktionen und Rekonstruktionen der Viszeralgefäße, so dass auf invasive angiographische Darstellungen weitgehend verzichtet werden kann. Beide können im individuellen Fall nützliche Informationen im Hinblick auf Tumorlokalisation, -ausdehnung und Beurteilung der Resektabilität liefern und sich gegenseitig ergänzen. In der Frage der Resektabilität wird die Auswahl des einen oder anderen Verfahren auch davon abhängen, inwieweit der Operateur mit der bildlichen Darstellung der beiden Methoden »vertraut« ist.
45.10.3
45
a
b
Computertomographie
Ein mehrphasiges Dünnschicht-Spiral-CT mit einer Schichtdicke von 2–3 mm und intravenöser Kontrastmittelgabe kann bei Gallenblasen- und Gallenwegskarzinomen verlässliche Ergebnisse liefern (. Abb. 45.6). Damit konnte die Lokalisation einer biliären Obstruktion in allen Fällen (100%), die Ätiologie der Obstruktion in 78% korrekt diagnostiziert werden (Wyatt u. Fishman 1997). Die diagnostische Genauigkeit beim Staging hilärer Cholangiokarzinome wurde mit 60% angegeben (Tillich et al. 1998). c
45.10.4
Kernspintomographie
Die Magnetresonanztomographie kann bei biliären Malignomen als konventionelle MR-Tomographie, als MR-Angiographie oder als MR-Cholangio-Pankreaticographie (MRCP) zur Anwendung kommen (. Abb. 45.7). Letztere erlaubt eine Darstellung des Verlaufs zumindest der extrahepatischen Gallenwege, der Hepatikusgabel und der intrahepatischen Segment-
. Abb. 45.6a–c. Computertomographie eines Gallenblasenkarzinoms mit beginnender (a) und fortgeschrittener Leberinfiltration (b), intrahepatisch und peritoneal metastasiertes Gallenblasenkarzinom (c)
666
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
lokale Ausdehnung von Gallengangstumoren kann durch das MR in 71–96% der Fälle richtig ermittelt werden (Choi et al. 2008).
45
45.10.5
Endoskopisch-retrograde Cholangiographie
Die ERC stellt gegenwärtig noch immer das Standardverfahren zur optimalen Darstellung der extra- und intrahepatischen Gallenwege bei der Beurteilung tumoröser Erkrankungen dar (Georgopoulos et al. 1999). Bei endoskopisch nicht passierbaren Stenosen im oberen Gastrointestinaltrakt oder nach Roux-Y-Rekonstruktionen ist sie technisch nicht durchführbar. Eine Cholangiographie ist dann auf perkutan-transhepatischem Weg möglich (perkutan-transhepatische Cholangiographie, PTC; Hintze et al. 1997). ERC und PTC können durch eine Cholangioskopie erweitert werden, im Rahmen der Sondierung der Gallenwege kann eine Gewinnung von Gewebe (z. B. Bürstenzytologie) versucht werden. Wesentliche Bedeutung kommt der ERC/PTC im Rahmen interventioneller Maßnahmen zur Wiederherstellung oder Sicherstellung des Gallenabflusses durch Stenteinlage präoperativ oder in der Palliativsituation zu (. Abb. 45.8).
a
45.10.6
b . Abb. 45.7a,b. Klatskin-Tumor (Bismuth IV), nicht-resektabel. a MR-Tomographie. b MRCP. Geplantes Vorgehen: neoadjuvante Radiochemotherapie, Lebertransplantation
äste 1. Ordnung (Adam et al. 1999). Mit dieser nichtinvasiven Methode ohne Strahlenbelastung kann das Risiko einer Kontrastmittel-induzierten Cholangitis einer endoskopisch-retrograden Cholangiographie (ERC), die in der Literatur mit bis zu 20% angegeben wird (Liu et al. 1998), vermieden werden. Darüber hinaus können rein diagnostisch die Gallenwege nichtinvasiv auch dann abgebildet werden, falls eine ERC aus technischen Gründen nicht möglich ist (z. B. Zustand nach Billroth-II-Resektion). Nach Daten von Kim et al. (2002) ergeben sich bei Ausschöpfung aller drei Darstellungsmöglichkeiten beim Gallenblasenkarzinom eine Sensitivität und Spezifität für eine Gallengangsinvasion von jeweils 100 und 89%, für die Gefäßinvasion von 100 und 87%, für eine Leberinvasion von 67 und 89% und für Lymphknotenmetastasen von 56 und 89%. Die
Positronenemissionstomographie (PET)
Die PET-Untersuchung ermöglicht eine Visualisierung von stoffwechselaktivem (Tumor-)Gewebe, so auch von Cholangiokarzinomen, durch eine selektive Anreicherung des radiomarkierten Glukoseanalogon 18F-Fluoro-2-deoxy-D-Glukose. Falsch-positive Resultate wurden bei benignen biliären Stenosen beschrieben, bei der Detektion regionärer Lymphknotenmetastasen erwies sie sich nicht als hilfreich. Andererseits wurden bei 20% zunächst nicht diagnostizierte Fernmetastasen erkannt (Fritscher-Ravens et al. 2001; Kluge et al. 2001). Ebenso war die Methode zuverlässig bei der Diagnose kleiner cholangiozellulärer Karzinome von Patienten mit primär sklerosierender Cholangitis (Keiding et al. 1998). In Kombination des PET mit einer simultanen Computertomographie (PET-CT) können hier Informationen über die Stoffwechselaktivität der Tumore und morphologische Daten gleichzeitig gewonnen werden. Die Sensitivität des PET-CT ist für intrahepatische Tumore höher (90%) als für extrahepatische Cholangiokarzinome (60%). Fernmetastasen werden zuverlässig erkannt, allerdings ist die Sensitivität bei der Detektion von Lymphknotenmetastasen schlecht (12%; Breitenstein et al. 2008). Dennoch besteht Konsens, dass durch Einbeziehung des PET-CT in der prätherapeutischen Diagnostik das onkologische Management deutlich optimiert werden kann. Daher wird es als ergänzende Methode zur Komplettierung der präoperativen Diagnostik empfohlen (Breitenstein et al. 2008).
667 45.10 · Präoperative Diagnostik
45
a
b
c
. Abb. 45.8a–c. Klatskin-Tumor (bürstenzytologisch gesichert) auf dem Boden einer primär sklerosierenden Cholangitis. a Linksseitig aufgestaute Gallenwege bei komplettem Verschluss des rechtsseitigen Gallenwegssystems. b Perkutan-transhepatische Drainage von rechts bis ins Duodenum. c Versorgung mit bilateralen Stents, der linke Stent wurde transpapillär eingelegt
668
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
45.10.7
Präoperative Diagnosesicherung
Die präoperativen Möglichkeiten zur diagnostischen Sicherung eines Gallenblasenkarzinoms sind begrenzt. Eine CT-geführte Punktion zur Histologiegewinnung kann präoperativ erfolgen. Allerdings sollte man hierbei aufgrund der potenziellen Stichkanalmetastasen bei potenziell resektablen Tumoren zurückhaltend sein. Bei resektablen Tumoren mit negativem Punktionsergebnis ist bei hinreichendem Tumorverdacht trotz fehlender histologischer Sicherung die Resektion legitim. Eine mikroskopische Sicherung der Diagnose eines Karzinoms der extrahepatischen Gallenwege ist aus endoskopisch gewonnenen Gallengangsbiopsien oder durch zytologische Untersuchung von Abstrichen (sog. Bürstenzytologie) möglich. Bürstenzytologisch lassen sich Cholangiokarzinome (im Gegensatz zu Pankreaskarzinomen) mit einer Sensitivität von 80% bei einer Spezifität von über 90% sichern (Glasbrenner et al. 1999). Eine negative Zytologie schließt aber ein Malignom im Einzelfall nicht aus (Mansfield et al. 1997). Zudem setzt die Beurteilung solcher zytologischer Abstriche eine besondere Expertise von Seiten des begutachtenden Pathologen voraus. Vor allem bei diffus-infiltrativ wachsenden Tumoren mit vorwiegend intramuralem Wachstum kann eine Diagnosesicherung schwierig oder auch unmöglich sein, so dass in einem Teil der Fälle ohne präoperative mikroskopische Diagnose reseziert werden muss.
45.11
Laparoskopie und Exploration
Eine Staging-Laparoskopie kann Patienten mit irresektablen Gallenblasen- und hilären Cholangiokarzinomen vor allem mit kleinen Satellitenmetastasen der Leber oder Peritonealkarzinose identifizieren und diesen Patienten eine unnötige Laparotomie ersparen (Weber et al. 2002). Eine Genauigkeit von 51% in der Beurteilung der Irresektabiliät wurde in gleicher Weise für Gallenblasen- und hiläre Cholangiokarzinome berichtet. Der zusätzliche Anwendung des laparoskopischen Ultraschalls half bei der Resektabilitätsentscheidung der laparoskopisch als falsch resektabel eingestuften Patienten nicht weiter (Corvera et al. 2002). Aus diesen Ergebnissen wurde die Empfehlung abgeleitet, alle Patienten mit einem potenziell resektablen Gallenblasenkarzinom sowie alle hilären T2/T3-Cholangiokarzinome vor der offenen Exploration zu laparoskopieren. Mag durch die Laparoskopie einigen Patienten eine invasivere offene Exploration erspart bleiben, so bleibt das Problem bestehen, dass gerade bei den hilären Cholangiokarzinomen die Resektabilität häufig erst in einer fortgeschrittenen, präparatorischen Phase der Operation, nämlich nach Durchtrennung der Gallenwege, wenn nicht gar erst am Resektat, endgültig beurteilt werden kann. Zwar bestehen nach proximal und distal gewisse Erweiterungsmöglichkeiten, um dennoch eine kurative Resektion zu erreichen (erweiterte Hemihepatektomie, partielle Duodenopankreatektomie). Bei Bismuth-IV-Tumoren besteht allerdings meist Irresektabilität.
45.12
Präoperative Maßnahmen
Es gelten die allgemeinen Richtlinien der präoperativen Vorbereitung für große viszeralchirurgische Eingriffe. Ein besonderes Augenmerk gilt der aufgrund der Cholestase gestörten Leberfunktion, insbesondere der plasmatischen Gerinnung, die durch parenterale Vitamin-K-Substitution verbessert werden kann. Ein weiterer Gesichtpunkt ist die Vermeidung bzw. Behandlung einer bakteriellen Cholangitis, die kausal nur durch eine Wiederherstellung des Galleabflusses therapierbar ist. Es wird kontrovers diskutiert, ob und wann eine präoperative Dekompression der Gallenwege durchgeführt werden soll, da eine Erhöhung infektiöser postoperativer Komplikationen nach Stenteinlage beschrieben wurde (Hochwald et al. 1999; Cherqui et al. 2000). Die perioperative Mortalität scheint dadurch nicht erhöht zu sein. Häufig wird der Patient allerdings von vornherein erst nach der vom internistischen Gastroenterologen vorgenommen Gallengangsschienung dem Chirurgen vorgestellt. Indiziert erscheint eine präoperative Stenteinlage v. a. bei zentral im Hilusbreich befindlichen, hochgradigen Stenosen mit ausgeprägter bereits länger bestehender Cholestase oder Cholangitis und bei schwerer Beeinträchtigung der Leberfunktion, beurteilt anhand der Laborparameter. Ikterus, Pruritus und Inappetenz bessern sich in der Regel ebenso wie die präoperative Leberfunktion, so dass mit einer Verringerung der perioperativen Morbidität gerechnet werden kann. Des Weiteren ist bei neoadjuvanten Therapiekonzepten die Platzierung eines Stents in der Regel unverzichtbar. Aus operationstechnischen Gründen kann auch bei Abwesenheit einer ausgeprägten Cholestase die Gallenwegsschienung vorteilhaft sein. Bei liegenden Stents können u. U. die Hauptgallengänge bei der Präparation leichter identifiziert werden, die Stents bedarfsweise auch als innere Anastomosenschienung verwendet werden. Ergibt die Exploration einen inoperablen Befund, ist eine palliative Drainage ohnehin notwendig. Cave Es ist zu bedenken, dass jegliche präoperative Manipulationen am Gallenwegssystem durch entzündliche Reaktionen, Gewebsödem und Artefaktbildung die diagnostische Abklärung und das präoperative Staging erheblich erschweren können, so dass interventionelle Maßnahmen nach Möglichkeit erst nach Abschluss der bildgebenden Diagnostik und nach interdisziplinärer Festlegung des Therapieplanes stattfinden sollten.
Von einigen Chirurgen werden bei hilären Cholangiokarzinomen perkutan-transhepatische Drainageverfahren im Rahmen kurativ ausgerichteter Therapiekonzepte den endoskopischretrograden Drainagen vorgezogen, die häufig technisch aufwändiger und schwieriger bei dieser Tumorlokalisation zu platzieren sind (Lygidakis et al. 2001). Bei Inoperabilität können solche externen Ableitungen später in eine günstigere interne transpapilläre Drainage umgewandelt werden.
669 45.13 · Chirurgische Therapie des Gallenblasenkarzinoms
Zur perioperativen endoskopisch-retrograden Drainageeinlage bei Tumorstenosen des unteren extrahepatischen Gallenwegssystems sollten nur leicht extrahier- und austauschbare Kunststoffstents verwendet werden. Selbst expandierbare Metallstents bleiben der definitiven Dekompression in der Palliativsituation vorbehalten.
45.13
Chirurgische Therapie des Gallenblasenkarzinoms
Bei weniger als 30% der Patienten wird die Diagnose eines Gallenblasenkarzinoms präoperativ gestellt, dann allerdings meist in einem bereits fortgeschrittenen Erkrankungsstadium. Andererseits wird bei 0,2 bis 5% der Cholezystektomien ein inzidentielles, präoperativ nicht vermutetes Gallenblasenkarzinom entdeckt, mit steigender Häufigkeit im Alter. Nach laparoskopischer Cholezystektomie liegt die Häufigkeit in den meisten Serien < 1% (Haribhakti et al. 1997; Braghetto et al. 1999; Orth u. Beger 2000; Silecchia et al 2002; Kraas et al. 2002; Antonakis et al. 2003). Ziel einer chirurgischen Therapie in kurativer Intention ist eine R0-Resektion. Das Ausmaß der Resektion richtet sich primär nach der Tumorausdehnung, unabhängig davon, ob die Diagnose präoperativ bereits gesichert ist bzw. vermutet wird oder ob es sich um ein intraoperativ oder postoperativ histologisch diagnostiziertes Karzinom handelt.
45.13.1
Carcinoma in situ (Tis), Karzinom mit Infiltration der Mukosa (T1a) oder der Muskularis (T1b)
Häufig werden diese auch als Frühkarzinome der Gallenblase bezeichneten Tumoren (Ouchi et al. 1999) als Inzidentalome entdeckt. Nach der mehrheitlichen wissenschaftlichen Datenlage (Bartlett u. Fong 2000; Wakai et al. 2001; Donohue 2001), an der sich auch die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft/ Deutschen Gesellschaft für Chirurgie orientieren, ist eine Entfernung der Gallenblase, allerdings ohne jegliche Verletzung der Wand, für Karzinome dieser Kategorien ausreichend. Die vollständige Entfernung mit karzinomfreien Resektionsrändern muss zwingend histologisch bestätigt werden. Eine intraoperative Schnellschnittdiagnostik sollte immer bei Verdacht auf das Vorliegen eines Karzinoms durchgeführt werden. Diesen Empfehlungen wird z. T. widersprochen, v. a. unter dem Aspekt, dass bereits in 15% der Fälle der pT1b-Tumoren Lymphknotenmetastasen vorhanden sein können, die im weiteren zu lokoregionären Tumorrezidiven führen (De Aretxabala et al. 1997). In diesen Fällen handelt es sich allerdings bereits um ein fortgeschrittenes Stadium (Stadium III UICC 1997; Stadium IIB UICC 2002) mit limitierter Prognose (5-Jahres-Überlebensrate 5–15%). Es liegen Daten vor, dass durch eine Nachresektion des Leberbettes und eine Lymphknotendissektion des Lig. hepatoduodenale (»extended cholecystectomy«) ein- oder zweizeitig bei pT1b-Tumoren Überlebensvorteile erzielt werden (Ouchi et al. 1999; Cubertafond et al. 1999; Whagolikar et al. 2002). Diese beruhen jedoch auf
insgesamt nur kleinen Patientenzahlen, so dass eine klare Evidenz in dieser Frage nicht existiert. Im Einzelfall (jüngeres Alter, guter Allgemeinzustand, histologisch Lymphgefäßeinbruch) wird man sich bei pT1b-Tumoren u. U. zu einer Erweiterung der Operation bzw. zur Relaparotomie und Nachoperation innerhalb der ersten Woche entschließen. Vor einer Relaparotomie sollte ein Schnittbildverfahren (CT, MR) zur Frage einer hepatischen Infiltration ergänzend veranlasst werden. Cave Nach laparoskopischer Cholezystektomie, die im übrigen das Überleben dieser Patienten im Vergleich zur offenen Cholezystektomie nicht negativ beeinflusst (Paolucci et al. 2003), sollte, sofern kein Bergebeutel verwendet wurde, die Trokareintrittsstelle der Gallenblasenextraktion nachexzidiert werden, um Port-site-Metastasen (Häufigkeit von 7–14%) vorzubeugen (Paolucci 2001; Paolucci et al. 2003).
45.13.2
Fortgeschrittene Karzinome (T2 und höher)
Bei primärem Verdacht auf ein Gallenblasenkarzinom sollte eine offenes Vorgehen von vornherein geplant werden, dem jedoch eine diagnostische Laparoskopie vorangestellt werden kann (s. oben). Der Standardzugang für die offene Operation ist ein Rippenbogenrandschnitt rechts, der nach links und median in Richtung Xiphoid verlängert werden kann. Bei kurativem Ansatz muss zusammen mit der Gallenblase ein etwa 3 cm Saum des an das Gallenblasenbett angrenzenden Leberparenchyms mitentfernt oder alternativ eine anatomische Resektion der Lebersegmente IVb und V durchgeführt werden (. Abb. 45.9) (Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft/Deutschen Gesellschaft für Chirurgie). In Einzelfällen kann eine Operationserweiterung mit Hemihepatektomie oder erweiterter Hemihepatektomie rechts sinnvoll sein, wenn dadurch bei kalkulierbarem Operationsrisiko und Ausschluss einer lymphogenen Metastasierung eine kurative Resektion erreicht werden kann. Obligatorisch werden auch die Lymphknoten entlang des Lig. hepatoduodenale (N1 nach UICC 1997) disseziert. Der Ductus cysticus wird möglichst nahe an der Einmündung in den Ductus hepatocholedochus abgesetzt und in der intraoperativen Schnellschnittuntersuchung auf eine tumorfreien Schnittrand hin befundet. Bei Infiltration muss ggf. der Ductus hepatocholedochus mitreseziert werden mit anschließender biliodigestiver Anastomose. Eine Gallengangsinfiltration geht jedoch mit einer erhöhten Mortalität und deutlich herabgesetzten Überlebenschancen einher (Miyazaki et al. 1996). Der Überlebensvorteil durch die erweiterte Cholezystektomie im Vergleich zur einfachen Cholezystektomie ist für die Tumoren (T2 N0 M0) im Stadium IB (UICC 2002) bzw. II (UICC 1997) besonders deutlich: 80–100% versus 24–41% (Bartlett 2000). Über das Ausmaß der Lymphknotendissektion besteht kein Konsens. Bei T2-Tumoren werden regionäre Lymphkno-
45
670
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
infektiösen Komplikationen wie Empyem oder Cholangitis und sollte insgesamt aufgrund der begrenzten Lebenserwartung dieser Patienten zurückhaltend gestellt werden. Bei einer Cholangitis auf dem Boden einer Gallenwegsobstruktion sollten interventionelle Drainageverfahren bevorzugt zum Einsatz kommen.
45
45.14
a
b . Abb. 45.9a,b. Gallenblasenkarzinom. a Intraoperativer Situs. b R0-Resektion durch Lebersegmentresektion IVb und V
Chirurgische Therapie des extrahepatischen Gallenwegskarzinoms
Die Operation ist bislang die einzige Behandlungsmodalität mit potenzieller Aussicht auf Heilung. Voraussetzung ist eine komplette Tumorentfernung im Sinne einer R0-Resektion. Die Wahrscheinlichkeit einer R0-Situation nimmt um so mehr ab, je zentraler (hilusnäher) der Tumor im Verlauf der Gallenwege gelegen ist, da die Einhaltung entsprechender Sicherheitsabstände – 15–20 mm nach proximal-intrahepatisch werden als ausreichend angesehen – aufgrund der anatomischen Verhältnisse zunehmend erschwert wird. Prognostische Vorteile sind nur durch tumornegative Schnittränder erreichbar (5-Jahres-Überlebenrate 56% versus 0%; Burke 1998). Allerdings zeigt sich gerade bei Klatskin-Tumoren die definitive Ausdehnung häufig erst intraoperativ, so dass eine R1-Hilusresektion mit intrahepatisch angelegter biliodigestiver Anastomose vorgenommen werden muss, womit in Einzelfällen durchaus eine gute und länger anhaltende Palliation zu erzielen ist (Leitlinien Deutschen Krebsgesellschaft/Deutschen Gesellschaft für Chirurgie). Cave
tenmetastasen in 46–62% angetroffen, bei T3/T4-Tumoren in über 80% der Fälle (Bartlett et al. 1996; Tsukada et al. 1997; Shimada et al. 2000). Diese Tumorkategorie profitiert am meisten von einer ausgiebigen Lymphknotendissektion, die die Lymphknoten entlang der A. hepatica communis, der Pfortader und die hinteren pankreatikoduodenalen Lymphknoten miteinschließt (Shimada et al. 2000). Bei einem Befall der zöliakalen Lymphknoten, der Lymphknoten an der A. mesenterica sup. oder der aortokavalen Lymphknoten ist von einem fortgeschrittenen Tumorleiden auszugehen, verbunden mit einer nicht möglichen kurativen Resektion und einer geringen 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit (Shimada et al. 2000). Die Bedeutung eines aggressiven Vorgehens bei T3/T4Tumoren bleibt kontrovers. Eine Aussicht auf Heilung kann durch radikale Chirurgie bei einer Infiltration des Lig. hepatoduodenale und bei T3/T4-Tumoren nicht erwartet werden. Selbst ausgedehnte, mit einer hohen Morbiditat und Mortalität verbundene Resektionen führen nur in Ausnahmefällen zu einem längerfristigen Überleben, in einzelnen Fällen bis zu 5 Jahren (Ouchi et al. 1999; Shimada et al. 200; Chijiiwa et al. 2000).
45.13.3
Palliative Cholezystektomie
Die Indikation zu einer palliativen Cholezystektomie bei fortgeschrittenen Gallenblasenkarzinomen ergibt sich nur bei
Eine offene Durchtrennung der Gallengänge sollte vermieden werden, da es Hinweise gibt, dass die hierdurch mögliche Kontamination des Operationsfeldes mit tumorzellhaltiger Galle zu einer Erhöhung der Rate peritonealer Implantationsmetastasen führt (Tanaka et al 1997). Deshalb sollte die Absetzung zwischen Klemmen mit nachfolgender Übernähung erfolgen.
Die Frage nach Ausdehnung und onkologischem Stellenwert der Lymphadenektomie bleibt unbeantwortet. Ob eine ausgedehnte Lymphknotendissektion einschließlich der paraaortalen Lymphknoten prognostische Vorteile bietet, bleibt Gegenstand weiterer Studien. Selektierte Patienten könnten davon profitieren (Kitagawa et al. 2001). Mehrheitlich wird ein regionärer Lymphknotenbefall als prognostisch ungünstiges Zeichen betrachtet. Als Standard gilt eine möglichst vollständige En-bloc-Dissektion der Lymphkoten des Ligamentum hepatoduodenale schon alleine aus Gründen eines exakten Tumorstagings. Bestätigt sich in der obligatorischen Schnellschittuntersuchung die lymphogene Metastasierung, sollte von ausgedehnten, multiviszeralen Resektionen Abstand genommen werden. Bei einem Befall der nächstgelegenen Lymphknotenstation (Häufigkeit 10–25%), d. h. der supra- und retropankreatischen, der zöliakalen Lymphknoten und der Lymphknoten an der A. mesenterica sup. (N2 nach UICC 1997) und insbesondere der interaortokavalen Lymphknoten (M1Lym) kann
671 45.14 · Chirurgische Therapie des extrahepatischen Gallenwegskarzinoms
45
von einem disseminierten Tumorleiden ausgegangen werden. Ausgedehnte Resektionen erscheinen in dieser Situation nicht mehr sinnvoll. Operationstaktisch können diese relativ einfach (nach Kocherschem Manöver) zugänglichen Lymphknoten bereits zu Beginn der Exploration aufgesucht und biopsiert werden.
45.14.1
Karzinome des distalen und mittleren Drittels des Ductus choledochus (unterhalb der Einmündung des Ductus cysticus) a
Diese Tumoren werden durch eine Resektion des Gallenganges und der Gallenblase mit zentraler Absetzung knapp unterhalb der Hepatikusgabel in Kombination mit einer partiellen (Magen erhaltenden) Duodenopankreatektomie nach Kausch-Whipple angegangen. Der proximale Absetzungsrand am Ductus hepaticus ist in der Schnellschnittuntersuchung auf Tumorfreiheit zu überprüfen.
45.14.2
Karzinome des Ductus hepaticus und der Hepatikusgabel (Bismuth I-IV)
Karzinome vom Typ Bismuth I Diese Tumoren (Häufigkeit 10%) erfordern eine komplette infrahiläre Resektion des Ductus hepatocholedochus einschließlich der Gallenblase unter gleichzeitiger En-bloc-Dissektion des angrenzenden pericholedochalen Weich- und Lymphgewebes. Distal wird der Ductus choledochus retroduodenal vor Eintritt in den Pankreaskopf abgesetzt, die proximale Durchtrennung erfolgt so zentral wie technisch möglich. Die proximale und distale Absetzung ist intraoperativ histologisch auf Tumorinfiltrate zu untersuchen. Bei distal tumorbefallenen Schnitträndern kann eine R0-Resektion durch eine Erweiterung des Eingriffs im Sinne einer partiellen Duodenopankreatektomie noch realisiert werden, was bei positivem zentralen Resektionsrand wesentlich problematischer ist. Die biliodigestive Rekonstruktion erfolgt über eine nach Roux-Y ausgeschaltete Jejunumschlinge als Hepatikojejunostomie.
Karzinome vom Typ Bismuth II, III und IV Die Resektion des extrahepatischen Gallengangs muss hier auf Teile der Leber ausgedehnt werden, um eine komplette Entfernung zu erreichen. Bei den Typ-II-Tumoren (Häufigkeit 10%) sollte wegen der Beteiligung der zum Lobus caudatus ziehenden Äste mindestens das Lebersegment I entfernt werden, sofern man sich nicht von vornherein zu einer größeren Leberresektion (Hemihepatektomie, ggf. erweitert) entschließt, da u. U. tatsächlich ein Typ III (Häufigkeit 65%) vorliegt. Typ-III-Tumoren sind technisch über eine Resektion des extrahepatischen Gallenganges in Kombination mit einer
b . Abb. 45.10a,b. Hemihepatektomie rechts und Resektion des Ductus hepatocholedochus. a Intraoperativer Situs. b Resektat eines Klatskin-Tumors (R0)
Hemihepatektomie rechts (Typ IIIA) bzw. links (Typ IIIB) unter Mitnahme des Lobus caudatus entfernbar (. Abb. 45.10). Ggf. können Gefäßresektionen notwendig werden, um eine R0-Situation zu erreichen. Aus topographischen Gründen sind Infiltrationen der Leberarterie und der Pfortader bei Klatskin-Tumoren nicht selten. Bei umschriebener Gefäßinfiltration kann eine segmentale Resektion der A. hepatica oder der Pfortader mit nach folgender Rekonstruktion z. B. durch ein Veneninterponat überlegt werden, falls dadurch eine R0-Resektion ermöglicht wird. Die Datenlage lässt eine abschließende Einschätzung einer Prognoseverbesserung für eine solche Konstellation derzeit nicht zu. 5-Jahres-Überlebensraten von 65% nach erweiterter Hemihepatektomie rechts mit Pfortaderresektion (vs. 28% ohne Pfortaderresektion) wurden berichtet (Neuhaus et al. 1999; Jonas et al. 2001). Bei Atrophien eines Leberlappens ist ein zugrunde liegender hilusnaher Gefäßverschluss zu vermuten, der die Heilungschancen erheblich verringert und u. U. Irresektabilität bedingt. Typ-IV-Tumoren sind einer kurativen Resektion nicht zugänglich (zur Frage der totalen Hepatektomie und Lebertransplantation siehe unten). Eine Verbesserung der Situation muss im Rahmen multimodaler Therapiekonzepte zukünftig untersucht werden. Kriterien der Irresektabilität sind in der . Tab. 45.8 zusammengefasst.
672
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
. Tab. 45.8. Kriterien der Irresektabilität bei hilären Cholangiokarzinomen (Jarnagin 2000) Patientenassoziierte Faktoren
4 Inoperabel aus medizinischen Gründen 4 Leberzirrhose, portale Hypertension
Lokale Faktoren
4 Bilateraler Gallengangsbefall bis zu den Ästen II. Ordnung 4 Encasement oder Verschluss der Pfortader proximal der Bifurkation (Hauptstamm) 4 Atrophie eines Leberlappens mit Encasement des kontralateralen Pfortaderastes 4 Atrophie eines Lappens mit kontralateraler Einbeziehung von Gallengangsäste II. Ordnung
Fernmetastasen
45.14.3
4 Histologisch bestätigte Metastasen in N2-Lymphknoten (UICC 1997) 4 Leber-, Lungen- oder Peritonealmetastasen
Erweitert-radikale (»ultraradikale«) Resektionsverfahren bei Typ-IIIund -IV-Tumoren
Mit dem Ziel, ausreichende Sicherheitsabstände bei den fortgeschrittenen Typ-III- und –IV-Tumoren zu gewährleisten und auch für diese Tumoren eine Prognoseverbesserung nach formal-kurativer R0-Resektion zu erreichen, wurde von in der hepatobiliären und Transplantationschirurgie erfahrenen Zentren verschiedene Formen erweiterter Resektionsverfahren angewendet.
Erweiterte Hemihepatektomie rechts (Trisegmentektomie) mit Lobus caudatus Resektion ± präoperative portalvenöse/ arterielle Embolisation Da die Distanz zwischen Hepatikusgabel und erster Segmentaufzweigung links in der Regel länger ist (1–5 cm) als am rechten Gallengangsast (maximal 1 cm), wird von manchen Chirurgen aus prinzipiellen Erwägungen eine erweiterte Hemihepatektomie rechts (Trisegmentektomie rechts, Segment IV–VIII) propagiert (Neuhaus et al. 1999). Im Vergleich zu Hilusresektion und Hemihepatektomie (rechts/links) konnte damit die höchste R0-Resektionsrate erzielt werden (65% versus 29% bzw. 55–59%) mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 57%. Solche ausgedehnten Resektionen sind mit einer nicht unerheblichen Morbidität und Mortalität von bis zu 15% assoziiert, die u. a. auf der eingeschränkten funktionellen Reserve des verbleibenden Leberrestes beruht. Eine interventionelle selektive Embolisation des Pfortaderastes des tumortragenden Leberlappens führt zu einer Atrophie des später zu resezierenden und zu einer Parenchymhypertrophie des zu erhaltenden Leberlappens. Eine interne oder externe Drainage des zu präservierenden Leberanteils wird vorangestellt. Das Intervall
bis zur Resektion nach zwischenzeitlich eingetretener reaktiver Hypertrophie beträgt 6–12 Wochen (Nagino et al. 2000; Jonas et al. 2001; Abdalla et al. 2002). Alternativ kann auch die unilaterale Okklusion der A. hepatica mittels Coils angewendet werden (Vogl et al. 1998), die möglicherweise weniger effektiv als die Pfortaderembolisation ist.
Totale Hepatektomie ± partielle Duodenopankreatektomie und orthotope Lebertransplantation Auch nach ausgedehnteren Resektionen von Klatskin-Tumoren findet sich in bis zu 40% in der endgültigen histopathologischen Aufarbeitung des Resektates ein positiver Schnittrand (Iwatsuki et al. 1998). Vor diesem Hintergrund ist das Konzept zu sehen, durch eine Resektion des extrahepatischen Gallengangs in Kombination mit einer totaler Hepatektomie, evtl. erweitert noch um eine partielle Duodenopankreatektomie, mit anschließender orthotoper Lebertransplantation eine kurativen Ansatz zu finden. Tatsächlich konnte hiermit eine Rate kurativer Resektionen von bis zu 93% erreicht werden (Iwatsuki et al. 1998; Jonas et al. 2001). Die globale 5-Jahres-Überlebensrate war bisher mit etwa 5% enttäuschend (Curley et al. 1995), in einzelnen Zentren wurden jedoch auch Raten von 17–36% berichtet (Pichelmayr et al. 1996; Iwatsuki et al. 1998; Meyer et al. 2000). Das Problem liegt neben der nicht unerheblichen perioperativen Mortalität in einer hohen Neigung zu Tumorrezidiven unter immunsuppressiver Behandlung, die die Proliferation okkulter Tumorzellen unterstützt. Derzeit findet die Lebertransplantation auch unter Berücksichtigung der Organknappheit für die Behandlung hilärer Cholangiokarzinome keine Anerkennung als Standardverfahren. Unter modifizierten immunsuppressiven Regimen und in Kombination multimodaler Therapieverfahren, wie etwa einer neoadjuvanten Radiochemotherapie könnte sich allerdings in Zukunft ein neuer Stellenwert ergeben. Erste Erfahrungen an wenigen Patienten mit einem tumorfreien Überleben bis zu 83 Monaten liegen hierzu bereits vor (De Vreede et al. 2000). In einer Serie von 71 Patienten mit nichtresektablen hilären Cholangiokarzinomen (Stadium I und II), die vor einer Lebertransplantation neoadjuvant mit 4,5 Gy (Boost 2–3 Gy) und 5-FU therapiert wurden lag das 1-, 3- und 5-Jahres-Überleben bei 92%, 82% und 82% (Rea et al. 2005). Auch die Transplantation von Splitlebern nach Leberlebendspende, u. U. unter Verzicht auf eine immunsuppressive Behandlung, eröffnet neue Perspektiven (Varotti et al. 2003; Kadry et al. 2003).
Oberbauchexenteration/ Clustertransplantation Nur an vereinzelten Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumoren (positive Lymphknoten oder direkte Tumorinfiltration von Pankreas/Duodenum) kam bisher ein noch radikalerer Ansatz mit erweiterter Gallengangsresektion, Oberbauchexenteration und anschließender Clustertransplantation von Pankreas, Leber, Duodenum und Jejunumsegmenten zur Anwendung. Zwar lag der Anteil der Resektate mit tumorfreien Resektionsrändern bei 91%, die Langzeitergebnisse mit einem 5-Jahres-Überleben von 9% waren enttäuschend (Starzl et al.
673 45.15 · Operationstechnische Aspekte der Chirurgie extrahepatischer Gallenwegskarzinome
1989; Iwatsuki et al. 1998). Das Verfahren ist als experimentell anzusehen.
45.15
Operationstechnische Aspekte der Chirurgie extrahepatischer Gallenwegskarzinome
45.15.1
Zugang, Exploration und Tumorsicherung
Standardzugang ist die quere Oberbauchlaparotomie mit Schnitterweiterungsmöglichkeit in der Medianlinie zum Xiphoid (L-Förmig), nach links (T-förmig). Auch auch eine mediane Oberbauchlaparotomie ist möglich. Beidseitige Rippenretraktoren sind für eine gute Exposition essenziell. Falls nicht bereits durch eine vorangegangene diagnostische Laparoskopie erfolgt, wird die Leber und das Peritoneum auf metastatische Absiedelungen hin exploriert. Dann wird die Tumorlokalisation und -ausdehnung im Gallengang durch Palpation des Lig. hepatoduodenale festgelegt. Eine intraoperative Ultraschalluntersuchung kann dabei hilfreich sein. In dieser Phase können suspekte oberflächliche Lymphknoten biopsiert werden. Nach Kocherschem Manöver lassen sich die nachgeordneten Lymphknoten explorieren und exzidieren. Auf diesem Weg kann eine Sicherung der Tumordiagnose gelingen, ggf. eine Irresektabilität festgestellt werden. Nach distaler Eröffnung des peritonealen Überzuges des Lig. hepatoduodenale wird die A. hepatica comm. freipräpariert, angeschlungen und bis in den Bereich der Aufteilung nach rechts und links verfolgt. Auf arterielle Gefäßvarianten ist zu achten. Will man die Karzinomdiagnose erzwingen, kann kontrolliert unter lokaler Abdeckung der distale Choledochus nach Vorlegen von Haltefäden eröffnet werden. Durch eine manuell oder cholangioskopisch kontrollierte Biopsie oder Kürettage wird Material zu intraoperativen Schnellschnittuntersuchung gewonnen. Dieses Vorgehen ist wie erwähnt unter dem Aspekt der Tumorzellverschleppung nicht unbedenklich.
Bei dringendem Verdacht, unter Berücksichtigung der klinischen und radiologischen Befunde, ist angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit der Malignität einer Stenose die Indikation zur Resektion auch ohne histologische Sicherung gegeben, falls die Exploration nicht einen lokal inoperablen Befund ergibt.
45.15.2
Extrahepatische Resektion des Ductus hepatocholedochus
Der Ductus choledochus wird anschließend soweit wie möglich distal vor Eintritt in den Pankreaskopf durchtrennt, der distale Stumpf verschlossen. Nach Anheben des proximalen Endes kann nun aszendierend eine En-bloc-Dissektion des ligamentären Lymphund Bindegewebes mit Skelettierung des Hauptstammes der A. hepatica und der Pfortader erfolgen. Die Gallenblase wird retrograd ausgelöst und kann aus Gründen der Übersichtlichkeit abgesetzt werden. Onkologische Gründe sprechen eher für einen Erhalt der Kontinuität. Nachfolgend muss nun palpatorisch und durch Präparation versucht werden, den zentralen, leberseitigen Tumorrand abzugrenzen. Durch Eröffnung des Bindegewebes am Leberhilus (hilar plate) lassen sich die Hauptgallengänge häufig ohne Leberparenchymdurchtrennung bis zu 2 cm weit in den Leberhilus hineinverfolgen. Gelingt keine leberseitige Tumorabgrenzung nach rechts bzw. links oder findet sich eine einseitige Tumorinfiltration eines Pfortader- oder Arterienhauptastes, muss über die Indikation zur simultanen Hemihepatektomie rechts bzw. links entschieden werden. Eine arterielle oder portale Gefäßinfiltration proximal der Bifurkation kann bei kurativem Ansatz tangentiale oder segmentale Resektionen mit anschließender Gefäßrekonstruktion (Nahtrekonstruktion, Venenpatch, Veneninterponat) erfordern. Ist eine Leberresektion nicht notwendig, wird das Präparat extrahepatisch abgesetzt und die Resektionsränder, insbesondere die Gallengangsabsetzungen, im Schnellschnitt untersucht.
45.15.3
Rekonstruktion und Drainage
Die Rekonstruktion des Gallenabflusses wird über eine nach Roux-Y ausgeschaltete, 40–50 cm lange, retrokolisch hochgeführte Jejunumschlinge als Hepatikojejunostomie hergestellt. Als Nahtmaterial verwenden wir vorzugsweise resorbierbare monofile Nähte der Stärke 5×0. Je nach Anzahl der nach Resektion vorhandenen proximal-zentralen Gallengangsostien können mehrere Implantationen in die Jejunalschlinge erforderlich sein. Enger benachbarte Gallengangslumina 2. Ordnung können aneinander adaptiert werden, um sie dann als Ostium commune zu reimplantieren. Eine schienende innere Drainage der Anastomose(n) ist bei lumenweiten Anastomosen mit gutem Nahtlager nicht zwingend erforderlich. Die Schienung kann transhepatisch-perkutan oder nach submuköser Untertunnelung in der Art einer Witzelfistel auch transmural-perkutan ausgeleitet werden. Bereits präoperativ perkutantranshepatisch eingebrachte Drainagen können als Leitschienen hilfreich sein (Cameron 1993). 6
45
674
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
Die Drainagen – vorzugsweise werden aufgrund der längeren Haltbarkeit Silastikdrainagen den Gummidrainagen vorgezogen – sollten 4–6 Wochen postoperativ belassen werden. Um künftige Interventionen (z. B. Dilatationen) an der biliodigestive Anastomose, z. B. im Falle einer Stenose wegen narbigen Schrumpfung zu erleichtern, wurde vorgeschlagen, einen afferenten Schenkel der hochgezogenen Schlinge subfaszial an der Bauchwand zu fixieren oder subkutan zu verlagern (Hutson et al. 1998), um über eine sonographische Punktion und einen Führungsdraht Zugang zu gewinnen. Alternativ bietet sich die Ausleitung der Jejunumschlinge als sog. Permanent-access-Stoma mit direkter endoskopischer Inspektions- und Interventionsoption an, das im eigenen Vorgehen bevorzugt wird.
45.16
Palliative Verfahren zur Gallenwegsdrainage
Eine bewusst palliative chirurgische Tumorreduktion ist aufgrund des fehlenden Überlebensvorteils und der höheren Morbidität und Mortalität gegenüber einer palliativen Gallenableitung nicht indiziert. Palliativen Drainageverfahren kommt jedoch in der Behandlung der mechanischen, biliären Obstruktion bei Cholangiokarzinomen eine große Bedeutung zu, um 4 die Cholestase zu reduzieren, 4 sekundären Komplikationen wie Cholangitis, Abszess, Sepsis, Leberversagen vorzubeugen und 4 die Lebensqualität (Pruritus) zu verbessern. Nicht drainierte Lebersegmente atrophieren innerhalb von Wochen.
45.16.1
Interventionelle Gallengangsschienung
Grundsätzlich sollte der weniger invasiven interventionellen Gallenwegsdrainage vor den chirurgischen Verfahren der Vorzug gegeben werden.
Eine suffiziente Drainage gelingt bei Cholangiokarzinomen in über 90% der Fälle. Der Innendurchmesser sollte mindestens 10 Fr. betragen. Aus Gründen des Patientenkomforts ist eine transpapilläre Drainage am günstigsten, die nicht selten erst über ein Rendevouzverfahren über einen zusätzlichen perkutan-transhepatischen Punktionskanal platziert werden kann. Dies ist bei fortgeschrittenen Tumoren mit proximaler Lokalisation häufiger als bei distal lokalisierten Tumoren der Fall. Bei hochgradigen therapierefraktären Gerinnungsstörungen sind die transhepatischen Verfahren kontraindiziert. In weniger als 10% der Fälle muss eine permanente externe perkutan-
transhepatische Drainage mit nicht zu unterschätzendem Verlust von Elektrolyten, Bikarbonat und Gallensäuren angelegt werden. Ob ein unilateraler Stent einer bilateralen Dekompression gleichwertig ist, wird unterschiedlich beurteilt (Chang et al. 1998; DaPalma et al. 2001). Als definitive Versorgung empfehlen sich innerhalb von 12–24 h selbst expandierende Metallstents, die eine signifikant längere Durchgängigkeit (im Mittel 6–9 Monate) als Kunstoffprothesen (im Mittel 3–4 Monate) besitzen (Jarnagin 2000; Cowling u. Adam 2001; Freeman u. Overby 2003). Der deutlich höhere Preis rechnet sich im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen bei einer Tumorgröße von bis zu 30 mm mit einer medianen Überlebenszeit von 6,6 Monaten (Tumorgröße >30 mm: 3,2 Monate; Prat et al. 1998). Eine Dysfunktion von Metallstents in der Regel durch Tumorüberwucherung wird in 22–33% beobachtet (Shim et al. 1998). In dieser Situation bleiben als Optionen die Platzierung eines zweiten Stents durch den ersten hindurch (koaxiale Stentimplantation), die Insertion einer Kunststoffprothese durch den vorhandenen Stent oder eine mechanische Rekanalisation (Rumalla u. Baron 1999).
45.16.2
Chirurgische Palliativdrainageverfahren
Proximale Cholangiokarzinome (einschließlich hilär) Prospektive Daten zu einem direkten Vergleich einer palliativen chirurgischen Drainageoperation und interventioneller Drainageverfahren bei hilusnahen Gallenwegskarzinomen liegen nicht vor. Angesicht einer Komplikationsrate von 7–31%, einer periinterventionellen Mortalität von 12–15% und einer Reinterventionsrate von 20–30% bei der Stenteinlage vor allem bei hilären Tumorstenosen (Jarnagin 2000; Cowling u. Adam 2001; Dinkel u. Triller 2001) wird eine chirurgische Drainageoperation von manchen Chirurgen durchaus unter bestimmten Umständen als Alternative angesehen. Favorisiert wird dabei der erstmals 1957 von Soupault und Couinaud beschriebene Segment-III-Bypass als Roux-Y-Anastomose auf den dilatierten, oberflächlich-quer verlaufenden Segmentgallengang zum Segment III (Jarnagin 2000). In der Regel muss hier eine kleine Parenchymbrücke im Bereich der Fissura umbilicalis durchtrennt werden, die Anastomose wird meist zweireihig (Serosa zu Leberkapsel/-parenchym; Gallengang zu Mukosa) ausgeführt. Eine Rückbildung des Ikterus wird erreicht, wenn mindestens ein Drittel funktionellen Leberparenchyms ausreichend drainiert wird. Ein Kommunikation zwischen rechtem und linkem Leberlappen ist nicht notwendig, vorausgesetzt, dass der nicht drainierte Lappen nicht perkutan drainiert oder anderweitig kontaminiert wurde, da sonst dass Risiko einer persistierenden Gallefistel und einer Cholangitis besteht. Die Offenheitsrate wurde mit 80% bei fehlender perioperativer Mortalität angegeben (Jarnagin 2000).
675 45.17 · Prognose
Cave Rechtsseitige Drainageoperationen (z. B. zum Segment V) und breitflächliche Anastomosen zu peripheren Leberresektionflächen rechts oder links sind wegen der hohen Morbidität und der unbefriedigenden Drainageergebnisse als obsolet anzusehen.
Für chirurgische Drainageoperationen bei Klatskin-Tumoren wurde in der Literatur über eine perioperative Mortalität um 11%, eine Komplikationsrate bis zu 45%, eine Ineffektivitätsund Okklusionsrate von 18% berichtet. Das mediane postoperative Überleben betrug 53 Wochen. Häufigste Komplikation (20%) sind Gallelecks der Anastomosen, die zwar meist ohne weitere Maßnahmen im Verlauf sistieren, aber häufig in narbigen Stenosen mit einer Verkürzung der Überlebenszeit ausheilen (Confalonieri u. Ballerini 1998; Jarnagin et al. 1998; Saeger et al. 1999).
Distale Cholangiokarzinome Obwohl in dieser Lokalisation prinzipiell ein chirurgischer Bypass einfacher anzulegen ist, stehen auch hier endoskopische Bypassverfahren im Vordergrund. Anders stellt sich die Situation dar, wenn sich im Rahmen einer explorativen Laparotomie ein irresektabler Befund ergibt. Bei gutem Allgemeinzustand und einer anzunehmenden Lebenserwartung von mehr als 4–6 Monaten sollte eine biliodigestive Anastomose (Hepatikojejunostomie mit Cholezystektomie) angelegt werden. Von der technisch einfacheren Cholezystojejunostomie ist wegen der deutlich höheren Verschlussrate mit Rezidivikterus abzuraten. Nach prospektiv erhobenen Daten und einer Metaanalyse bestehender Studien waren die chirurgischen Drainageverfahren mit einer höheren perioperativen Morbidität und Mortalität assoziiert, wobei eine längere Offenheit und geringere Rezidivikterusrate für den chirurgischen Bypass registriert wurde (Taylor et al. 2000).
Gallenblasenkarzinome Patienten mit nicht-resektablen Tumoren haben ein medianes Überleben von 2–4 Monaten (Bartlett 2000). Obwohl auch hier mit einem Segment-III-Bypass positive Erfahrungen mit-
geteilt wurden (Erfolgsrate 87%, 12% 30 Tage Mortalität) (Kapoor et al. 1996), sollten palliative Maßnahmen so einfach und wenig invasiv wie nur möglich gestaltet werden.
45.17
Prognose
45.17.1
Prognose beim Gallenblasenkarzinom
Die 5-Jahres-Überlebensrate beim Gallenblasenkarzinom liegt zwischen 5–15% (medianes Überleben 3–6 Monate), bedingt dadurch, dass die Diagnose meist erst in einem fortgeschrittenen Erkrankungsstadium gestellt wird. In großen Serien beträgt der Anteil der T3/T4-Karzinome etwa 85%. Das Überleben zeigt eine deutliche Stadienabhängigkeit (UICC 1997): Für Tis/T1-Tumoren werden 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 75 und 100%, für T2-Tumoren zwischen 35 und 69%, für T3-Tumoren zwischen 0 und 50% und für T4-Tumoren zwischen 0 und 11% angegeben. Die operative Morbidität reicht von 7–61%, die Mortalität von 0–24% (Shimada et al 1997; Nakamura et al 1999; Cubertafond et al 1999; Todoroki et al 1999; Muratore et al. 2000; Kondo et al. 2000; Orth u. Beger 2000; Bartlett 2000). Langzeitüberlebende Patienten mit T4-Tumoren wurden nur nach kurativer Resektion und fehlenden Lymphknotenmetastasen (N0) beobachtet. In ähnlicher Weise konnte für Patienten mit N2-Lymphknotenmetastasen (UICC 1997) bislang kein langfristiges Überleben erreicht werden (Bartlett 2000; Fong et al. 2000). In multivariaten Analysen errechnete Prognosefaktoren für das Gallenblasenkarzinom sind der . Tab. 45.9 zu entnehmen (Henson et al. 2000).
45.17.2
Prognose beim extrahepatischen cholangiozellulären Karzinom
Ein längerfristiges Überleben setzt eine kurative (R0) Resektion voraus und gilt als bedeutendster prognostischer Faktor. Die inhomogene Zusammensetzung des Patientengutes und unterschiedliche Therapiestrategien in den einzelnen Zentren
. Tab. 45.9. Prognosefaktoren beim Gallenblasenkarzinom (Henson et al. 2001) Tumorassoziierte Faktoren
4 Ausdehnung des Tumors (TNM-Klassifikation) 4 Residualtumor 4 Histologischer Typ: papillär versus nicht-papillär (Adenokarzinom, kleinzelliges Karzinom, undifferenziertes Spindel- oder Riesenzellkarzinom) 4 Grading: nicht integriert in TNM 4 Gefäßinvasion 4 (Molekulare Faktoren: ras p21, c-erb-2, p53, DNA-Ploidie, VEGF, Neovaskularisation, Cyclin E)
Patientenassoziierte Faktoren (»host factors«)
4 Alter 4 Allgemeinzustand (»performance status«)
Umweltassoziierte Faktoren (»environmental factors«)
4 Gezielte chirurgisch-onkologische Behandlung (»cancer-directed surgery«)
45
676
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
. Tab. 45.10. Prognosefaktoren beim extrahepatischen cholangiozellulären Karzinom (Henson et al. 2001) Tumorassoziierte Faktoren
4 4 4 4 4 4
Patientenassoziierte Faktoren (»host factors«)
4 Alter 4 Komorbidität 4 Prädisponierende Erkrankungen wie primär sklerosierende Cholangitis
Umweltassoziierte Faktoren (»environmental factors«)
4 Gezielte chirurgisch-onkologische Behandlung (»cancer-directed surgery«)
Tumorlokalisation (distal versus proximal) Ausdehnung des Tumors (Tumorstadien), Wandinfiltrationstiefe, perineurale Invasion Residualtumor Histologischer Typ: papillär versus Adenokarzinom Grading (Molekulare Faktoren: PCNA, MUC-1)
lassen einen Vergleich der Daten kaum zu. Dementsprechend schwankt die Resektionsrate zwischen 15 und 50%, die R0-Resektionsrate zwischen 15 und 83%. Die Rate kurativer Resektionen steigt mit dem Anteil der Leberresektionen in den einzelnen Serien (Burke et al. 1998; Bartlett 2000; Saldinger u. Blumgart 2000). Parenchymsparende Leberresektionen gehen mit einer geringeren Morbidität einher als ausgedehntere Resektionen, die Krankenhausmortalität reicht von 0–30% (Gerhards et al. 2000). Die 5-Jahres-Überlebensrate nach R0-Resektion proximaler, hilärer Cholangiokarzinome variiert in Abhängigkeit von Tumorlokalisation, Stadium und Zentrum zwischen 5 und 51%, global liegt sie unter 20%. Bei der Betrachtung von Subgruppen (R0-Resektion, Tumorstadium 0–II UICC 1997) ergeben sich 5-Jahres-Überlebensraten von teilweise über 50% (Neuhaus et al. 1999; Chamberlain u. Blumgart 2000). In multivariaten Analysen errechnete Prognosefaktoren für das extrahepatische cholangiozelluläre Karzinom sind der . Tab. 45.10 zu entnehmen (Henson et al. 2000).
45.18
Stellenwert der systemischen Chemotherapie
Cholangiokarzinome gehören zu den wenig chemosensiblen Malignomen. Dementsprechend niedrig fallen die Ansprechraten mit den bisher eingesetzten Chemotherapeutika aus. Fast ausnahmslos handelt es sich um partielle Remissionen. Bei der häufig vorliegenden Cholestase ist der Einsatz vieler Substanzen kontraindiziert. Unter Monotherapien mit 5-FU, Mitomycin C, Cisplatin, Paclitaxel, Gemcitabine und 5-FU-basierten Kombinationstherapien mit Streptozocin, CCNU, Adriamycin, Mitomycin C, Epirubicin, Cisplatin und Interferon-α wurden objektivierbare Ansprechraten zwischen 0 und 47% beobachtet. Obwohl in einer kürzlich publizierten Metaanalyse eine größere Chemotherapiesensitivität für Gallenblasenkarzinome gezeigt werden konnte, ist das mittlere Überleben von Patienten mit Gallengangskarzinomen länger als das von Patienten mit Gallenblasenkarzinomen (Eckel et al. 2007). Neueste Ergebnisse einer großen randomisierten Phase III Studie zeigen erstmalig einen Überlebensvorteil für Patienten mit Gallenblasen- und Cholangiokarzinomen durch eine Kombinationschemotherapie im Vergleich zu einer Monochemothe-
rapie (Valle et al. 2009). Im Vergleich zu einer Monochemotherapie mit Gemcitabine führte die Kombinationschemotherapie mit Gemcitabine und Cisplatin zu einem signifikant längerem Gesamtüberleben der Patienten (8,2 Monate vs. 11,7 Monate; p = 0,002). Daher sollte die Therapie mit Gemcitabine + Cisplatin ab jetzt die Standard-Erstlinientherapie für Gallenblasenund Cholangiokarzinome außerhalb von Studien sein. Für eine zielgerichtete Therapie lagen bisher nur kleinere Phase I/II Studien vor. Aufgrund der Ergebnisse einer größeren Phase II Studie (BINGO) kann nun erstmalig durch die Hemmung von EGFR durch Cetuximab ein besseres Therapieergebnis vermutet werden (Malka et al. 2009). Verglichen mit einer reinen Chemotherapie mit Gemcitabine/Oxaliplatin führte die Kombination von GEMOX mit Cetuximab zu einer Verbesserung der viermonatigen progressionsfreien Überlebensrate von 50% vs. 61% und zu einem verbesserten medianen progressionsfreien Überleben von 5 vs. 7 Monaten. Diese Ergebnisse müssen allerdings in zukünftigen Phase III Studien weiter überprüft werden. In einer prospektiv-randomisierten Multizenterstudie (Takada et al. 2002) wurde der Effekt einer additiven Chemotherapie nach nicht-kurativer Resektion (Chirurgie + Mitomycin C + 5-FU vs. Chirurgie alleine) bei pankreatobiliären Karzinomen. Beim Gallenblasenkarzinom zeigte sich ein Vorteil der adjuvanten Therapie sowohl hinsichtlich der krankheitsfreien (DFS) als auch Gesamtüberlebensrate (OS) nach 5 Jahren (DFS 20,3 versus 11,6%, p=0,02; OS 26,6 versus 14,4%, p=0,036). Eine lokoregionäre Chemotherapie über einen A.-hepatica-Katheter wurde versucht. Trotz teilweise verbesserter Ansprechraten im Vergleich zu einer systemischen Chemotherapie fand das Verfahren insbesondere wegen einer nicht unerheblichen katheterassoziierten Komplikationsrate keine größere Verbreitung. Gegenwärtig besitzt die lokoregionäre Chemotherapie außerhalb klinischer Studien keinen Stellenwert (van Groeningen 1999).
45.19
Stellenwert der Strahlentherapie
Als Bestrahlungsmodalitäten kommen die externe Bestrahlung (EBRT), die intraoperative (Elektroneneinzeit-)Bestrahlung (IORT) und die Brachytherapie (Afterloading), ggf. auch kombiniert in Frage. Die Brachytherapie kann transhepatisch, sel-
677 45.20 · Stellenwert der photodynamischen Therapie
tener transpapillär am tumortragenden Gallengangsabschnitt appliziert werden. Eine Anwendung ist in neoadjuvanter, adjuvanter und palliativer Intention denkbar. Gesicherte Erkenntnisse als Grundlage für eine Therapieempfehlung existieren bislang nicht, da Daten aus größeren prospektiv-randomisierten Studien fehlen. Eine tendenzielle Verbesserung des Überlebens könnte somit auf einer Patientenselektion beruhen.
Eine alleinige Radiotherapie unter kurativer Intention wird derzeit nach allgemeiner Auffassung wegen der limitierten Strahlensensibilität der Tumoren und der geringen Strahlentoleranz der angrenzenden Strukturen für nicht sinnvoll erachtet.
In einer Sammelstatistik von Houry et al. (2001) wurde ein geringer Überlebensvorteil bei Gallenblasenkarzinomen nach adjuvanter oder palliativer Radiotherapie festgestellt. Die Ergebnisse waren bei nur mikroskopischem Resttumor nach Tumorresektion mit einer Kombination aus IORT (15 Gy) und postoperativer EBRT (45–50 Gy) am günstigsten. Todoroki et al. (1999) sahen positive Effekte einer adjuvanten/additiven Radiotherapie (EBRT ± IORT) und konnten im Stadium IV sowohl bei Gallengangs- (2-Jahres-Überlebensrate: 74 vs. 40%, 5-Jahres-Überlebensrate: 37 vs. 23%, p=0,017) als auch bei Gallenblasenkarzinomen (IVA; 2-Jahres-Überlebensrate: 22 vs. 4%, 5-Jahres-Überlebensrate: 13 vs. 4%, p=0,0098) im Vergleich zur nur resezierten Gruppe signifikante Überlebensvorteile erkennen. Gerhards et al. (2003) berichteten über ähnliche Erfahrungen bei hilären Cholangiokarzinomen (medianes Überleben 24 Monate versus 8 Monate), wiesen aber auch auf eine deutlich erhöhte Komplikationsrate einer EBRT + Brachytherapie im Vergleich zur alleinigen EBRT hin. In Pittsburgh wurden 9 Patienten nach Lebertransplantation radiotherapiert (± 5-FU) mit einer medianen Überlebenszeit von 12 Monaten. 2 Patienten waren nach 4 Jahren tumorfrei am Leben (Gunderson et al. 1999). Sowohl bei irresektablen als auch bei nicht-kurativ resezierten Befunden wurde über eine Verlängerung der Überlebenszeit berichtet. In Patientenserien mit nicht-resezierten Gallengangskarzinomen aus der Mayo-Klinik lagen die medianen Überlebenszeiten nach EBRT + Brachytherapie (Ir-192) ± 5-FU bei 12–13 Monaten, nach EBRT ± 5-FU + IORT sogar bei 18,5 Monaten. Die Patientenzahlen waren klein (n=9–14), jedoch wurden auch vereinzelt Langzeitüberleber beobachtet (Übersicht bei Gunderson et al. 1999). Ein großes Potenzial wird heute der präoperativen neoadjuvanten, kombinierten Radiochemotherapie zugebilligt mit dem Ziel einer sekundären Resektabilität primär nicht oder nur fraglich resektabler Tumoren. In einer Serie von proximalen Cholangiokarzinomen aus Pittsburg von 61 Patienten konnten 23 nach EBRT + 5-FU ± Brachytherapie komplett reseziert werden, 17 davon wurden lebertransplantiert. Die mediane Überlebenszeit der Resezierten wurde mit 60 Monaten angegeben, die 5-Jahres-Überlebensrate betrug 53,5% (Urego et al. 1999). Auch die Mayo-Klinik berichtete über 9 (von 16) Patienten nach EBRT + 5-FU + Brachytherapie und
anschließender Lebertransplantation. Alle waren nach einem medianen Follow-up von 24 Monaten am Leben ohne Hinweis auf ein Tumorrezidiv (Gunderson et al. 1999).
45.20
Stellenwert der photodynamischen Therapie
Bei nicht resektablen Tumoren ist die photodynamischen Therapie (PDT) als aussichtsreicher neuer Therapieansatz zu sehen. Nach Injektion eines Photosensitizers (Photofrin) wird intraluminal durch eine im Tumorbereich platzierte Sonde eine Photoaktivierung mittels Laserlicht vorgenommen, die zur Tumordestruktion führt. In einer ersten Pilotstudie an nicht-resektablen und nicht drainierbaren Klatskin-Tumoren (III/IV) wurde eine 1-Jahres-Überlebensrate von 78% einhergehend mit einer signifikanten Verbesserung des Ikterus beobachtet (Ortner 2001). In einer Phase-II-Studie wurden 7 Patienten mit fortgeschrittenen proximalen Gallengangskarzinomen mit PDT und anschließender Resektion (darunter 1 Lebertransplantation mit partieller Pankreatikoduodenektomie) behandelt. Bei allen war eine R0-Resektion möglich, die 1 Jahres-rezidivfreie Überlebensrate lag bei 83% (Wiedmann et al. 2003). In randomisierten Multicenterstudien muss die Rolle der PDT hinsichtlich Überleben, Ikterus und Lebensqualität weiter evaluiert werden. Gegenwärtig wird die PDT für Tumoren mit einem Durchmesser ≤3 cm und bei Patienten ohne Fernmetastasen empfohlen. Eine erhöhte Rate an Cholangitiden und Leberabszessen wurde bei dieser Therapie beschrieben (Zoepf 2008). In einer Serie von 10 Patienten mit nicht-resektablen Tumoren bei denen die PDT mit einer Radiochemotherapie kombiniert wurde konnte ein medianes Überleben von 13 Monaten erreicht werden (Baisden et al. 2008). Internetadressen www.krebsregister.saarland.de/datenbank/datenbank.html www.krebsregister-bayern.de
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Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
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45
680
45
Kapitel 45 · Chirurgische Therapie von Karzinomen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallenwege
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46 46
Maligne Dünndarmtumoren B.L.D.M. Brücher
46.1
Grundlagen
– 682
46.1.1 46.1.2 46.1.3 46.1.4 46.1.5
Chirurgische Epidemiologie – 682 Pathogenese, Kanzero- bzw. Onkogenese – 682 Verteilung, Lokalisation und Häufigkeit – 682 Pathologie und Klassifikation – 683 Prognostische Faktoren – 685
46.2
Klinische Symptomatologie
46.3
Diagnostik und Staging
46.4
Therapieziele und Indikationsstellung
46.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
46.6
Operationstechnik
46.7
Postoperative Behandlung
46.8
Intra- und postoperative Komplikationen
46.9
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
46.10
Neoadjuvante, additive und adjuvante Therapieprinzipien
46.10.1 46.10.2
Strahlentherapie – 689 Chemotherapie – 689
46.11
Empfehlungen zur Nachsorge
46.12
Ausblick
Literatur
– 690
– 686 – 687 – 687
– 688
– 690
Internetadressen
– 685
– 690
– 688
– 690
– 688
– 688 – 689
682
46
Kapitel 46 · Maligne Dünndarmtumoren
> Maligne Dünndarmtumoren sind sehr selten und machen nur 1–3% aller malignen Tumoren des Gastrointestinaltrakts aus. Die Schwierigkeit der rechtzeitigen Diagnosestellung spiegelt sich in der erheblichen zeitlichen Latenz bis zur Diagnosestellung wider, welche konsekutiv in einer hohen Anzahl von lokal fortgeschrittenen Tumorstadien resultiert. Therapie der Wahl ist beim Adenokarzinom des Dünndarms die radikale chirurgische Resektion. Lymphome des Dünndarms mit monolokulärem Befall (30% der Fälle) werden ebenfalls chirurgisch behandelt. Die Mehrzahl der Lymphome (70% der Fälle) präsentiert sich allerdings multilokulär oder mit positiven retroperitonealen Lymphknoten, diese sollten daher primär chemotherapeutisch behandelt werden. Maligne Dünndarmtumoren stellen bezüglich Diagnosefindung und Therapie eine Herausforderung an jeden ärztlich tätigen Kollegen dar. Im Falle unklarer abdomineller Beschwerden mit schon vorhandener Abklärung anderer wichtiger und häufiger vorkommender Erkrankungen ohne adäquate Diagnosestellung muss ein maligner Dünndarmtumor ins Kalkül gezogen werden.
46.1
Grundlagen
46.1.1 Chirurgische Epidemiologie Maligne Dünndarmtumoren sind selten und machen nur 1–3% aller malignen gastrointestinalen Tumoren aus, obgleich der Dünndarm ungefähr 75% der Länge und mehr als 90% der Mukosaoberfläche des Gastrointestinaltrakts bildet (Ashley u. Wells 1988; Barclay u. Schapira 1983; Cicarelli et al. 1987; Darling u. Welch 1959; Goel et al. 1976; Martin 1986; Rochlin u. Longmire 1961). Für Deutschland scheint die Sterbeziffer an malignen Dünndarmtumoren von 320/Jahr (Statistisches Bundesamt 1996) auf knapp 400/Jahr zuzunehmen (Statistisches Bundesamt 2007). Erhöhte Inzidenzen findet man in Finnland, Großbritannien, Deutschland, Kanada und USA, niedrige in Ländern wie Nigeria, Japan und Indien. Das männliche Geschlecht hat eine geringe Prädominanz (Goel et al. 1976; Brücher et al. 1998), und der Altersgipfel liegt zwischen 60 und 70 Jahren (Martin 1986; Naef et al. 1999; Croom u. Newsome 1993; Miles et al. 1978; Mittal u. Bodzin 1980; Ouriel u. Adams).
46.1.2 Pathogenese, Kanzero-
bzw. Onkogenese Protektive Faktoren sind:
4 Flüssige Konsistenz des Dünndarmchymus (Verminderung der Expositionsintensität mit oralen Kanzerogenen) 4 Schnelle Chymustransitzeit (Verminderung der Kontaktzeit eines potentiellen Kanzerogens) 4 Relative Sterilität des Dünndarms im Vergleich zum Kolon (durch verminderte Bakterienbesiedlung Annahme der verminderten Freisetzung kanzerogener Substanzen) 4 Vorwiegend alkalisches Milieu 4 Hohe IgA-Konzentration (Neutralisation von Kanzerogenen und/oder Viren)
4 Höchste Aktivität an Benzpyrenhydroxylase im menschlichen Organismus (ingestiertes kanzerogenes Benzpyren wird in weniger toxische Metaboliten umgewandelt) 4 Hoher »cell turnover« (Regenerationsrate) der Dünndarmmukosa (Ashley u. Wells 1988; Martin 1986; Aldini et al. 1986; Gupta 1982; Lowenfels 1973; Manier 1985; Ross et al. 1991; Zollinger et al. 1986) Der Grund für das Auftreten von Adenokarzinomen vorwiegend im Duodenum liegt vermutlich darin, dass der aktive und passive Gallensäuretransport fast nur im Ileum stattfindet und so ein verlängerter Gallensäurekontakt im proximalen Dünndarm vorhanden ist. Die erhöhte Inzidenz maligner Dünndarmtumoren in Ländern mit erhöhtem Konsum fettreicher Nahrung wie Finnland, Großbritannien, Deutschland, Kanada und USA deutet darauf hin, dass fettreiche Nahrung ein Risikofaktor ist (Lowenfels 1973). Rezidive nach Gastrojejunostomien oder Koloileostomien nehmen ungleich seltener vom Dünndarm ihren Ausgang als vom verbleibenden Restmagen oder alleinigem Kolon. Für die Entstehung maligner Dünndarmtumoren scheint die Immunologie entscheidend zu sein. Patienten unter Immunsuppression, wie nach Nierentransplantation oder Mammakarzinom unter Steroidtherapie, weisen ein wesentlich höheres Dünndarmkarzinomrisiko auf. Neuere Untersuchungen geben Hinweise, dass Prominin-1-positive Zellen der sog. Dünndarm-Stammzelle entsprechen (Prom-1, CD-133), die wiederum für die Entstehung von Dünndarmtumoren relevant sein könnte (Zhu et al. 2009). Risikoerkrankungen für die Entwicklung eines malignen Dünndarmtumors sind (Coit 1993): 4 Peutz-Jeghers-Syndrom 4 M. Crohn 4 Familiäre Polyposis coli 4 Gardner-Syndrom 4 Neurofibromatose 46.1.3 Verteilung, Lokalisation und Häufigkeit Das Verhältnis von benignen zu malignen Dünndarmtumoren liegt zwischen 1:1 und 1:3 (Brücher et al. 1998). Bei Letzteren finden sich in abnehmender Häufigkeit Adenokarzinome (45%), neuroendokrine Tumoren (29%), Non-Hodgkin-Lymphome (NHL, 15%) und gastrointestinale Stromatumoren (GIST), wobei auf die Gesamtheit bezogen die Lokalisationsverteilung annähernd gleich ist (. Abb. 46.1; Martin 1986; Brücher et al. 1998; Zollinger et al. 1986; Coit 1993; Likely et al. 1948). Die National Cancer Data Base des American College of Surgeons wertete aktuell 67.843 Patienten mit malignen Dünndarmtumoren aus (Bilimoria et al. 2009). Hier zeigt sich eine 4-fache Zunahme an neuroendokrinen Tumoren in einem 30-Jahres-Zeitraum zwischen 1973 und 2004. Weitere Änderungen beinhalten die Zunahme chirurgischer wie auch adjuvanter Therapieverfahren. Epidemiologisch zeigt sich allerdings bei Weichteiltumoren und Lymphomen des Dünndarms keine Änderung in Therapie und/oder Prognose (Bilimoria et al. 2009).
683 46.1 · Grundlagen
schen epithelialen und mesenchymalen Tumoren unterschieden wird. Die Gruppe der epithelialen Tumoren wird durch das Adenokarzinom dominiert (>90%). Aufgrund der Inhomogenität der malignen Dünndarmtumoren bezüglich der verschiedenen histologischen Entitäten wird nachfolgend gesondert auf die wichtigsten eingegangen. Dünndarmtumoren: WHO-Klassifikation 4 Epitheliale Tumoren – Adenokarzinom – Muzinöses Adenokarzinom – Siegelringzellkarzinom – Undifferenziertes Karzinom 4 Endokrine Tumoren – Neuroendokriner Tumor 4 Mesenchymale Tumoren – GIST, wie Leiomyosarkom – Kaposi-Sarkom 4 Andere
Adenokarzinom . Abb. 46.1. Verteilung maligner Dünndarmtumoren (Brücher et al. 1998)
Berichte über das Auftreten von Lymphomen in Israel und Indien vorwiegend im Dünndarm scheinen geographisch selektiv bedingt zu sein (Gupta 1982; Freund et al. 1978). In der Regel sind gastrointestinale Lymphome im Magen lokalisiert (Dragosics et al. 1985). Bezüglich der einzelnen Entitäten sind Adenokarzinome vorwiegend duodenal (ca. 60%; These: verlängerter Gallensäurekontakt im proximalen Dünndarm), neuroendokrine Tumoren ileal (ca. 90%) und die anderen in allen Dünndarmabschnitten anzutreffen (Martin 1986; Brücher et al. 1998; Coit 1993). Eine Untersuchung fand allerdings Adenokarzinome des Dünndarms mit einer Häufigkeit von 22% im Ileum auf (Coit 1993). Alle Berichte über das vorwiegende Auftreten von neuroendokrinen Tumoren im Dünndarm sind bei genauerer Betrachtung Sammelstatistiken eines oder mehrerer Zentren (Barclay u. Schapira 1983; Cicarelli et al. 1987; Miles et al. 1978; Kelm et al. 1994), wohingegen Daten, die sich ausschließlich auf diese im Dünndarm lokalisierte Entität beziehen, eher verlässlichere Informationen bezüglich seiner bevorzugten Lokalisation oder Häufigkeit versprechen (Peck et al. 1983).
46.1.4 Pathologie und Klassifikation Per definitionem handelt es sich bei Dünndarmtumoren nur um Tumoren des Duodenums, des Jejunums und des Ileums. Abzugrenzen sind Papillenkarzinome und solche der Ileozökalklappe. Die pathologische Einteilung der malignen Dünndarmtumoren erfolgt – ohne Berücksichtigung von Lymphomen – nach der WHO-Klassifikation (WHO 1989), der zufolge zwi-
Das Adenokarzinom des Dünndarms findet sich am häufigsten im Duodenum und ist dort wiederum gehäuft in der periampullären Region anzutreffen. Diese Tumoren sind oft ulzeriert und können über eine okkulte gastrointestinale Blutung zur chronischen Anämie führen. 70–80% der Adenokarzinome des Dünndarms sind zum Zeitpunkt der Diagnose resektabel (Brücher et al. 2001). Dagegen liegt die R0-Resektionsrate einer großen angloamerikanischen Serie bei nur ca. 45% (Bilimoria et al. 2009). 35% der Patienten weisen bei Diagnosestellung Metastasen auf, entweder in Form von regionalen Lymphknotenmetastasen (37%) oder von Fernmetastasen (32%) (Bilimoria et al. 2009). Adenokarzinome des Dünndarms werden nach der aktuellen TNM-Klassifikation und UICC-Stadieneinteilung (UICC 2002) klassifiziert (. Tab. 46.1 und . Tab. 46.2).
Neuroendokrine Karzinome Bisher verwendete Begriffe wie »Karzinoid«, »APUDom« oder »endokrine Tumoren« sind nicht präzise genug, um diese Gruppe von Tumoren adäquat klassifizieren zu können. Da die in fast allen Organen beschriebenen »hellen Zellen« (Feyrter 1938; APUD-Zellen) heutzutage übereinstimmend als neuroendokrine Zellen bezeichnet werden, ist der gültige Terminus für die entsprechenden differenzierten malignen Tumoren »neuroendokrine Tumoren« (NET). Genauer spezifiziert werden sie durch Einsatz spezieller immunhistochemischer Marker. Lediglich eine nachgewiesene Metastasierung und eine Invasion des Primärtumors zeigen die maligne Potenz des Tumors an. Andere Parameter (Lokalisation, Tumorgröße) können zur Beurteilung des biologischen Verhaltens herangezogen werden. Bei mehr als 50% der Patienten auch mit einem hochdifferenzierten neuroendokrinen Tumor muss ab einer Tumorgröße von >2 cm mit dem Vorhandensein von Metastasen gerechnet werden. Eine Ausnahme hinsichtlich Primär-
46
684
46
Kapitel 46 · Maligne Dünndarmtumoren
. Tab. 46.1. TNM-Klassifikation der Adenokarzinome des Dünndarms
. Tab. 46.2. UICC-Stadieneinteilung der Adenokarzinome des Dünndarms
Klassifikation
UICCStadium
T-Kategorie
N-Kategorie
M-Kategorie
T – Primärtumor
o
Tis
N0
M0
TX
Primärtumor nicht beurteilbar
I
T1/2
N0
M0
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
II
T3/4
N0
M0
Tis
Carcinoma in situ
III
T1–4
N1
M0
T1
Infiltration Lamina propria oder Submukosa
IV
T1–4
Jedes N
M1
T2
Infiltration der Muscularis propria
T3
Infiltration durch die Muscularis propria in die Subserosa oder in das nichtperitonealisierte perimuskuläre Gewebe (Mesenterium oder Retroperitoneum) mit Ausdehnung von 2 cm
T4
Beschreibung
Durchbruch des Peritoneum viscerale oder direkte Infiltration anderer Organe oder Strukturen (einschl. anderer Dünndarmschlingen, Mesenterium oder Retroperitoneum tiefer als 2 cm und die Bauchwand über die Subserosa. Bei Duodenum: Invasion des Pankreas)
N – Regionäre Lymphknoten 4 Duodenale regionäre Lymphknoten: Nn. ll. pancreaticoduodenales, Nn. ll. pylori, Nn. ll. hepatici, Nn. ll. arteriae mesentericae superiores 4 Jejunale und ileale regionäre Lymphknoten: Nn. ll. arteriae mesentericae superiores, Nn. ll. ileocolica NX
Regionäre Lymphknoten nicht beurteilbar
N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen (hierbei sollen mindestens 6 Lymphknoten untersucht werden)
N1
Regionäre Lymphknotenmetastasen
. Tab. 46.3. TNM-Klassifikation der neuroendokrinen Tumoren des unteren Jejunums und Ileums
Klassifikation
Beschreibung
T – Primärtumor TX
Primärtumor nicht beurteilbar
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
T1
Infiltration der Mukosa oder der Submukosa und eine Tumorgröße ≤1 cm
T2
Infiltration Muscularis propria oder eine Tumorgröße von ≥1 cm
T3
Infiltration Subserosa
T4
Durchbruch des Peritoneum viszerale oder direkte Infiltration anderer Organe oder Strukturen
N – Regionäre Lymphknoten NX
Regionäre Lymphknoten nicht beurteilbar
N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
N1
Regionäre Lymphknotenmetastasen
M – Fernmetastasen MX
Fernmetastasen nicht beurteilbar
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
M – Fernmetastasen
tumorgröße und maligner Potenz zur Aussaat ist das gastrointestinale Gastrinom: Bei einer Primärtumorgröße <3 mm kann hier schon eine lymphogene oder hepatogene Metastasierung vorhanden sein. NET des Dünndarms finden sich am häufigsten in den terminalen 60 cm des Ileums. Cave Bei 30% der Patienten sind die Tumoren multizentrisch synchron im gesamten Dünndarm anzutreffen, was eine sorgfältige Untersuchung des gesamten Darms erforderlich macht.
MX
Fernmetastasen nicht beurteilbar
M0
Keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
NET ulzerieren selten und führen, sofern hormonell nicht aktiv, erst spät zu klinischen Symptomen. Die Metastasierungswahrscheinlichkeit (90% der symptomatischen Patienten haben Metastasen) korreliert nicht nur mit der Eindringtiefe des Primärtumors, sondern auch mit dessen Größe (Durchmesser <1 cm: 15–18%, >2 cm: 86–95% Lymphknotenmetastasen). Angewandt wird die allgemein anerkannte Klassifikation von Capello (Capello et al. 1994).
685 46.2 · Klinische Symptomatologie
. Tab. 46.4. UICC-Stadieneinteilung der neuroendokrinen Tumoren des unteren Jejunums und Ileums
UICCStadium
T-Kategorie
N-Kategorie
M-Kategorie
I
T1
N0
M0
IIA
T2
N0
M0
IIB
T3
N0
M0
IIIA
T4
N0
M0
IIIB
T1–4
N1
M0
IV
T1–4
Jedes N
M1
Aktuelle Daten zeigen, dass eine ca. 4-fache Zunahme der Inzidenz dieser Tumoren in einem 30-Jahres-Zeitraum zu beobachten ist (Bilimoria et al. 2009). Nach einem Vorschlag der »Consensus Conference on the ENETS Guidelines for the Diagnosis and Treatment of Neuroendocrine Gastrointestinal Tumors« 2006 in Parma soll zukünftig die TNM-Klassifikation für neuroendokrine Tumoren des unteren Jejunums und Ileums entsprechend nachfolgender . Tab. 46.3 und . Tab. 46.4 erfolgen (Rindi et al. 2007).
Gastrointestinale Stromatumoren Gastrointestinale Stromatumoren (GIST) des Dünndarms sind langsam wachsende Tumoren, die häufiger im Jejunum und Ileum als im Duodenum angetroffen werden. Die Metastasierung erfolgt überwiegend hämatogen (Leber, Lunge, Knochen). 75% der Tumoren sind zum Zeitpunkt der Diagnose größer als 5 cm. Die Ausbreitung erfolgt lokal verdrängend und infiltrativ. 75% der Sarkome des Dünndarms sind den Leiomyosarkomen und somit den gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) zuzuordnen. Auch die Überlebensraten von Stromatumoren haben sich innerhalb der letzten 30 Jahre nicht verbessert (Bilimoria et al. 2009).
Lymphome Lymphome des Gastrointestinaltrakts werden immunhistochemisch unverbindlich in B-/T-Zell-Lymphome und in Low-/ High-grade-Lymphome unterteilt (Isaacson u. Norton 1994; 7 Kap. 51). Der überwiegende Teil der Lymphome des Verdauungstrakts ist dem MALT (»mucosa-associated lymphoid tissue«)-Typ zuzuordnen. Die Stadieneinteilung der NHL erfolgt ganz allgemein nach der Ann-Arbor-Klassifikation, wobei unterschieden wird zwischen einem primär nodalen und einem primär extranodalen Befall (Carbone et al. 1971). Die Verteilung der Lymphome im Dünndarm folgt der Verteilung der Lymphfollikel und hat somit im Ileum ihre höchste Inzidenz. Die Lymphome entstehen in den lymphatischen Aggregaten in der Submukosa. Die Infiltration der Mukosa kann zu Ulzeration und Blutung führen. Bei 25% der Patienten werden Perforationen beobachtet.
Wichtig ist die Abgrenzung eines primären, im Dünndarm entstandenen Lymphoms von einem systemischen Lymphom mit gastrointestinaler Beteiligung.
Als charakteristisches Kennzeichen der gastrointestinalen Lymphome findet man bei 70% der Patienten Tumoren mit einem Durchmesser von mehr als 5 cm (»bulky disease«). Die Überlebensraten von primären Lymphomen des Dünndarms scheinen sich die letzten 30 Jahre nicht verbessert zu haben (Bilimoria et al. 2009).
46.1.5 Prognostische Faktoren Wichtigste Prognosefaktoren sind Radikalität der Operation (R0-Resektion) und Metastasenfreiheit (M-Kategorie). TNMKlassifikation mit lokal fortgeschrittenem Tumorstadium und positivem Lymphknotenstatus sowie der Nachweis einer Lymphangiosis carcinomatosa oder einer karzinomatösen Gefäßinvasion haben jeweils einen ungünstigen prognostischen Einfluss. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt für Patienten mit neuroendokrinen Tumoren 60%, mit Adenokarzinomen 50%, mit NHL 33% und mit Leiomyosarkomen 20% (Brücher et al. 1998). Zunehmendes Alter (>75 Jahre) nimmt bei neuroendokrinen Tumoren einen negativen prognostischen Platz ein. Dies ist zwar bei anderen Dünndarmtumoren ebenfalls nachweislich aber um den Faktor 3 geringer (Bilimoria et al. 2009).
46.2
Klinische Symptomatologie
Da die Symptome der Dünndarmtumoren, wenn überhaupt nachweisbar, relativ unspezifisch sind, wird die Diagnose häufig erheblich verspätet gestellt. Im Mittel liegt die Zeit bis zur Diagnosestellung bei einem Jahr, wobei hier eine extreme Variabilität von 0–6,6 Jahren möglich ist (Brücher et al. 1998). 75% der Patienten mit malignen und nur 50% der Patienten mit benignen Dünndarmtumoren entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung gastrointestinale Symptome. 75% der Patienten werden durch Übelkeit und 65% durch intermittierende abdominelle Schmerzen klinisch auffällig, 50% mit Gewichtsverlust und 25% mit Ileussymptomatik. Bei nur 10% der Patienten mit Dünndarmtumoren werden Perforationen beobachtet, am häufigsten bei Patienten mit Lymphomen oder Sarkomen. Die Klinik bei neuroendokrinen Tumoren hängt von der Tumorlokalisation und der bei 10% dieser Tumoren vorhandenen Produktion hormonell aktiver Substanzen ab. Die meisten neuroendokrinen Tumoren sind klein und bleiben häufig asymptomatisch. Bei nur 10% der Patienten werden klinische Symptome im Sinne eines mehr oder weniger ausgeprägten Karzinoidsyndroms im Sinne eines Flushs, gerade nach Genuss von Alkohol (Rotwein), beobachtet (Brücher et al. 1998; Godwin 1975). Diese Symptomatik wird immer dann beobachtet, wenn Hormone oder Hormonmetaboliten unter
46
686
46
Kapitel 46 · Maligne Dünndarmtumoren
Umgehung der Leber in den Kreislauf gelangen. Diese Situation ist theoretisch denkbar beim Nachweis von Lebermetastasen, ausgedehnter retroperitonealer Tumorausbreitung und der Lokalisation des Primärtumors außerhalb des Gastrointestinaltrakts (Brücher et al. 1998; Godwin 1975).
. Tab. 46.5. Diagnostisches Vorgehen bei Vorliegen eines Dünndarmtumors
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Obligate Diagnostik
46.3
Diagnostik und Staging
Anamnese und körperliche Untersuchung
Bei jeglicher gastrointestinaler Erkrankung
Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl
Bei jeglicher gastrointestinaler Erkrankung
Komplettes Blutbild, Serumelektrolyte, Leberfunktionstests
Anämie
HIES im Urin
Bei Verdacht auf neuroendokrinen Tumor; Verlaufskontrolle, Response
Endoskopie mit Biopsie
Diagnosesicherung, Operationsplanung bei duodenaler und proximal jejunaler Lokalisation
Sonographie des Abdomen
Ausschluss von Fernmetastasen
Sellink-Passage
Lokalisation, Ausdehnung
Klinik und Labor. Bei unspezifischen abdominellen Beschwer-
CT des Abdomen
Lokalisation, Ausdehnung
den ist immer ein Dünndarmtumor anzunehmen, selbstverständlich nach vorherigem Ausschluss anderer Ursachen und häufiger vorkommender gastrointestinaler Tumoren. Neben Anamnese, körperlicher Untersuchung und dem Ausschluss okkulten Blutes im Stuhl ist ein komplettes Blutbild, die Serumelektrolyte und Leberfunktionstests obligat (. Tab. 46.5); bei Verdacht auf einen neuroendokrinen Tumor muss die Bestimmung von 5-Hydroxyindolessigsäure (HIES) im Urin vorgenommen werden, da eine Korrelation zwischen Tumorgröße und sezernierender Hormonmenge besteht.
Radiologische und nuklearmedizinische Verfahren
Suche nach Zweittumoren (obligat!)
Aufgrund der unspezifischen Symptome ist die frühe Diagnose und Therapie bei malignen Dünndarmtumoren eine Seltenheit. Bisher wird präoperativ nur bei 50% der Patienten die richtige Diagnose gestellt. In einer eigenen Analyse wurde bei 41% der an Adenokarzinomen operierten Patienten die Diagnose präoperativ bewiesen, bei weiteren 42% bestand die dringende Verdachtsdiagnose und bei 18% blieb die Diagnose präoperativ unklar (Brücher et al. 2001). Die diagnostische Laparotomie und definitive chirurgische Therapie bzw. die diagnostische Laparoskopie, die v. a. bei Verdacht auf ein disseminiertes Lymphom indiziert ist, sichert bei der Hälfte der Patienten die Diagnose. Allerdings ist anzunehmen, dass die genannte Prozentzahl durch den Einsatz neuerer Diagnostika, wie die Kapselendoskopie, die Push-Endoskopie und/oder die MR-Enteroclysis in der Zukunft deutlich steigen wird.
Konsiliarische Untersuchungen Zusätzliche Diagnostik in bestimmten Situationen Endosonographie
Adenokarzinom im Duodenum: Abschätzung der T-Kategorie und der Resektabilität, Operationsplanung (allerdings nur bei duodenaler Lokalisation möglich)
Diagnostische Laparoskopie
Bei Verdacht auf disseminiertes Lymphom
MRT
Bei GIST der CT überlegen
Kapselendoskopie
Bei okkultem Blutverlust, Lokalisation
Szintigraphie
NET, Lokalisation und Metastasensuche
PET
Suche nach Fernmetastasen
Endoskopie und Endosonographie. Die Endoskopie spielt in
der Diagnostik maligner Tumoren mit duodenaler und proximaler jejunaler Lokalisation eine Rolle. Mit ihrer Hilfe können die Primärdiagnose und die histologische Sicherung eines malignen Tumors erfolgen. Wenn die vorwiegend im Duodenum lokalisierten Adenokarzinome einer Endosonographie zugänglich sind, können sowohl T-Kategorie wie auch lokale R0-Resektabilität mit hoher Sicherheit vorhergesagt werden. Dies ist gerade für die Operationsplanung von Relevanz. Zunehmend nimmt die sog. Push-Endoskopie (Push-und-PullEnteroskopie, Doppelballon-Enteroskopie, PPE) einen Platz in der Diagnostik von Tumoren und pathologischen Befunden des Dünndarms ein (Sunada et al. 2009). Diese ist sowohl von proximal als auch von distal einsetzbar. Zudem scheint diese der Kapselendoskopie überlegen zu sein. Radiologische Bildgebung. 50–60% der Dünndarmtumoren
werden durch konventionelle radiologische Techniken lokalisiert (Sellink-Passage). Während die Sonographie überwiegend dem Ausschluss von Fernmetastasen dient, können nach
neuesten Literaturangaben mit der Computertomographie (CT) pathologische Befunde bei 97% der Patienten mit Dünndarmtumoren diagnostiziert werden. Die Angiographie ist in der initialen Diagnostik von Dünndarmtumoren selten gefordert. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) kann gerade bei GIST die Aussagekraft des CT übertreffen. Zunehmende
687 46.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
klinische Bedeutung erlangen neuere Verfahren wie die Kapselendoskopie (Hara et al. 2004; De Mascarenhas-Saraiva et al. 2003) oder die MR-Kontrastdarstellung (MR-Enteroclysis).
rektalen Tumoren. Ein wichtiger Gesichtspunkt scheint zukünftig die Entwicklung einer Therapie gegen das KIT-Protein mittels Glivec (Imatinib) bei GIST zu sein (Singer et al. 2002; Demetri et al. 2002).
Nuklearmedizinische spezielle Bildgebung. Die Diagnostik
neuroendokriner Karzinome wird durch Kombination biochemischer Tests und bildgebender Verfahren bestimmt. Die Lokalisationsdiagnostik auch kleiner neuroendokriner Tumoren ist durch die 111In-Octreotid- (bei vorhandenen Octreotid-Rezeptoren) und die 131Jod-MIBG (Meta-Iodo-Benzyl-Guanidin)-Szintigraphie erweiterbar (van de Flierdt et al. 1998). In mehr als 60% der Fälle können so Primärtumor wie Metastasen durch eine γ- oder SPECT-Kamera dargestellt werden. Zwar besteht keine Korrelation zwischen dem Speicherverhalten der 123I/131I-MIBG-Szintigraphie und der Tumormasse neuroendokriner Tumoren, allerdings erlaubt die MIBG-Szintigraphie bei positiver Speicherung als therapeutischen Ansatz sowohl die Verabreichung von MIBG als auch die von Octreotid. Zudem hat die MIBG-Szintigraphie bei bewiesener Speicherpotenz einen festen Stellenwert in der Langzeitnachsorge und im Therapiemonitoring. Die Positronenemissionstomographie (PET) kommt bei malignen Dünndarmtumoren in der Abklärung von Fernmetastasen, z. B. bei Adenokarzinomen, zur Anwendung. Einzelheiten hierzu sind 7 Kap. 13 zu entnehmen. Zweittumorensuche und Metastasendiagnostik. Zweit-
tumoren sollten endoskopisch wie auch radiomorphologisch ausgeschlossen werden, da sie bei malignen Dünndarmtumoren und gerade bei Weichteiltumoren immer wieder beobachtet werden. Ergänzend sollten auch andere Fachdisziplinen zwecks Tumorausschluss zu Rate gezogen werden. Da ca. 40% der Patienten mit malignen Dünndarmtumoren schon bei Diagnosestellung Metastasen aufweisen, ist die intensive Suche nach ihnen obligat (Brücher et al. 1998, 2001; Bilimoria et al. 2009). Bei Vorhandensein von Metastasen wurde bisher die operative Intervention zurückhaltender gestellt. Allerdings scheint bei lokalem Dünndarmbefall und Nachweis einer Peritonealkarzinose die Durchführung einer zytoreduktiven Chirurgie mit intraperitonealer hyperthermer Chemotherapie (HIPEC) bei fehlendem Nachweis sonstiger Metastasen einen Stellenwert einzunehmen (Bijelic et al. 2008). Vorwiegend finden sich Metastasen der Leber, der Lunge und des Skeletts (7 Kap. 19).
46.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Therapie der Wahl ist die ausgedehnte operative Resektion entsprechend den Kriterien der onkologischen Chirurgie, da nur diese die Kuration ermöglicht. Grundlegendes Ziel ist die komplette Tumorfreiheit im Sinne einer R0-Resektion. In Ausnahmefällen können palliative Resektionen indiziert sein. Sie verkleinern die Tumormasse, beugen Komplikationen oder weiterer Symptomatik (NET) vor. Adjuvante Therapien sind bisher nur beim malignen Lymphom gesichert. Bei Adenokarzinomen erfolgt eine adjuvante Therapie in Anlehnung an die Ergebnisse derselben bei kolo-
46.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Ziel der chirurgischen Strategie beim malignen Dünndarmtumor ist die komplette Tumorexstirpation des Primarius, wobei besonders die Lymphabflusswege zu berücksichtigen sind. Aufgrund der Inhomogenität der malignen Dünndarmtumoren muss die chirurgische Strategie und Verfahrenswahl bezüglich der einzelnen Entitäten differenziert erläutert werden (. Tabelle 43.6). Adenokarzinome. Bei malignen Tumoren des Duodenums
gilt die radikale Duodenopankreatektomie nach Whipple/ Kausch bzw. modifiziert nach Traverso-Longmire als das Standardverfahren zur Resektion von Primärtumoren und regionalen Lymphknotenmetastasen. In Ausnahmefällen (kleine antimesenterial gelegene Tumoren) kann eine Duodenumsegmentresektion indiziert sein. Die Therapie der Wahl zur Erzielung einer R0-Resektion für Dünndarmtumoren im Bereich des Jejunums und proximalen Ileums ist die Resektion des den Primärtumor tragenden Darmabschnittes ggf. unter Mitnahme infiltrierter Nachbarstrukturen mit keilförmiger, bis an die Mesenterialwurzel reichender Resektion des Lymphabflussgebietes. Aufgrund von Blutversorgung und Lymphabfluss erfolgt die Hemikolektomie bei Tumoren des distalen Ileums. Neuroendokrine Tumoren. Weil die endgültige histologische
Diagnose häufig erst am Operationspräparat gestellt werden kann, gelten für die neuroendokrinen Karzinome die gleichen Regeln wie für die Adenokarzinome. Cave Neuroendokrine Karzinome des Dünndarms weisen bereits bei einem Durchmesser von weniger als 1 cm eine hohe Rate an Lymphknotenmetastasen auf und bedürfen somit einer weiten En-bloc-Resektion unter Mitnahme des Lymphabflussgebietes.
Lymphome. Bei primären Lymphomen des Dünndarms hängt
das operative Vorgehen von der Tumorausdehnung ab. Grundsätzlich ist die Resektion bei singulären Stenosen (Stadien EI1–EII1) entsprechend dem Vorgehen beim Adenokarzinom indiziert. In enger Kooperation mit dem behandlungsführenden Onkologen muss im Einzelfall entschieden werden, ob auch große, fortgeschrittene Tumoren zur Vorbeugung eines möglichen Ileus und/oder Perforation unter laufender Chemotherapie der Resektion zugeführt werden sollen. Gastrointestinale Stromatumoren. GIST metastasieren sel-
ten in die regionalen mesenterialen Lymphknoten, sodass
46
688
Kapitel 46 · Maligne Dünndarmtumoren
. Tab. 46.6. Maligne Dünndarmtumoren: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
46
Klinische Situation
Empfohlenes Vorgehen
Adenokarzinome
Partielle Duodenopankreatektomie nach Kausch/Whipple bzw. modifiziert nach Traverso-Longmire
Duodenale Lokalisation
Duodenumsegmentresektion (bei kleinen antimesenterial gelegenen Tumoren)
NET
Lokalisation im Bereich des Jejunums und proximalen Ileums
Resektion des den Primärtumor tragenden Darmabschnittes (ggf. mit infiltrierten Nachbarstrukturen), keilförmige, bis an die Mesenterialwurzel reichende Resektion des Lymphabflussgebietes (onkologisch radikal)
Tumoren des distalen Ileums
Hemikolektomie
Neuroendokrine Karzinome des Dünndarms <1 cm
Resektion entsprechend dem Vorgehen bei Adenokarzinomen
Lymphome
Weite En-bloc-Resektion unter Mitnahme des Lymphabflussgebietes Resektion entsprechend dem Vorgehen bei Adenokarzinomen Bei singulären Stenosen (Stadien EI1–EII1) grundsätzlich Resektion; im Einzelfall auch Resektion großer, fortgeschrittener Tumoren unter laufender Chemotherapie (Prävention Ileus, Perforation)
GIST
Resektion des Primärtumors ggf. unter Mitnahme infiltrierter Strukturen (multiviszerale Resektion), extensive mesenteriale Lymphadenektomie nicht zwingend
eine extensive mesenteriale Lymphadenektomie nicht zwingend notwendig ist. Die Therapie beschränkt sich auf die Resektion des Primärtumors ggf. unter Mitnahme infiltrierter Strukturen (multiviszerale Resektion). In Kooperation mit dem Onkologen muss entschieden werden, ob die chirurgische Therapie primär oder erst nach Therapie mit Glivec erfolgt.
46.6
Operationstechnik
Maligne Tumoren des Duodenums können je nach Ausdehnung mittels Duodenopankreatektomie nach Whipple/Kausch, bzw. modifiziert nach Traverso-Longmire, reseziert werden. Mitbestimmend für die Indikation sind der Allgemeinzustand und die potenzielle Kuration. Tiefer liegende Tumoren resultieren in einer Segmentresektion und keilförmiger En-bloc-Resektion des Mesenteriums, entsprechend dem Lymphabflussgebiet bis zum Stamm der A. mesenterica superior. In Anlehnung an die Kriterien der radikalen onkologischen Chirurgie werden Lymphknoten separat reseziert und zur histopathologischen Begutachtung eingesandt. Bei Tumoren des Ileums kommen Hemikolektomien zur Anwendung. Je nach Tumorausdehnung erfolgt die Erweiterung der Operation und je nach Tumorentität können multiviszerale Resektionen durch Tumormassenreduktion prognostisch sinnvoll sein (NET, GIST).
operativ sollten intraoperativ eingelegte Blutungsdrainagen zügig entfernt werden. Weitere Säulen der postoperativen Behandlung sind die zügige Mobilisation unter adäquater Analgesie wie auch die Pneumonieprophylaxe mittels Coach und IPBB. Nach abführenden Maßnahmen kann die parenterale Ernährung (7 Kap. 32) durch einen jeweils standardisierten Kostaufbau abgelöst werden. Relevant gerade bei partiellen Pankreatektomien ist die medikamentöse Unterstützung durch Enzyme, da sie postoperativ auftretenden Diarrhöen meist entgegentreten.
46.8
Bei duodenaler Lokalisation und entsprechender chirurgischer Therapie können Pankreasfisteln mit/ohne Abszessbildung auftreten. Andere typische Komplikationen sind solche jeglicher Darmresektion: Anastomoseninsuffizienzen. Diese allerdings treten vorwiegend nach Resektionen bei Tumoren auf, die duodenal gelegen sind (Brücher et al. 2001), was in der durch die Primärtumorlokalisation anspruchsvolleren chirurgischen Technik begründet ist. Mittlerweile stellt die CT-gezielte Punktion solcher Verhalte durch einen erfahrenen Radiologen kein Problem mehr dar.
46.9 46.7
Intra- und postoperative Komplikationen
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Postoperative Behandlung
Standard jeglicher postoperativer Behandlung zur Vermeidung von Thrombosen ist die Antikoagulation. Direkt post-
Im eigenen Patientengut wurden 17% mittels einer NotfallLaparotomie und 83% elektiv chirurgisch versorgt (Brücher et al. 1998) und zwischen 1985 und 1998 bei 94 Patienten mit
689 46.10 · Neoadjuvante, additive und adjuvante Therapieprinzipien
einem primären Dünndarmtumor eine Resektion vorgenommen. 62 Patienten (65,9%) hatten einen malignen Primärtumor im Dünndarm und 32 (34,1%) einen benignen. In der Gruppe der malignen Tumoren hatten 22 Patienten (35,5%) ein Adenokarzinom, 22 (35,5%) einen neuroendokrinen Tumor, 8 (12,9%) einen GIST, 7 (11,3%) ein Lymphom und 3 Patienten (4,8%) seltenere histologische Entitäten. Trotz zunehmender Anwendung der Chemotherapie hat sich bislang die Prognose maligner Dünndarmtumoren in einer großen Serie über einen fast 30-jährigen Zeitraum nicht entscheidend verbessert (Bilimoria et al. 2009).
Hinsichtlich der GIST bleibt abzuwarten, ob sich die Primärtherapie mit Glivec durchsetzen kann. Insgesamt ist eine deutliche Zunahme der Anwendung einer adjuvanten bzw. additiven Chemotherapie von ca. 8,5% im Jahre 1985 auf ca. 23,8% im Jahre 2005 zu beobachten, allerdings hat sich die für alle histologischen Entitäten vorhandene 5-Jahres-Überlebensrate unter Adjustierung der Demographie und Tumorcharakteristika nicht verbessert (Bilimoria et al. 2009).
Adenokarzinome. 54,5% der Adenokarzinome des oben ge-
Für eine neoadjuvante und/oder adjuvante alleinige oder mit Chemotherapie kombinierte Strahlentherapie gibt es keine Richtlinien und keine Standards. Dies gilt unabhängig von der histologischen Entität. Indikationen zum additiven Einsatz werden wie beim lokal fortgeschrittenen Kolonkarzinom individuell gestellt (entweder alleinige lokoregionäre oder mit Chemotherapie kombinierte Strahlentherapie). Ggf. können auch Nachresektionen, gefolgt von alleiniger und/oder mit Chemotherapie kombinierter Radiotherapie zum Einsatz kommen. Bei kombinierten additiven Radio-Chemo-Therapien werden bei Adenokarzinomen des Dünndarms als bewährte Agenzien vorwiegend Folinsäure und 5-Fluoruracil angewendet. Bei Lymphomen mit intraabdominellem Lymphknotenbefall und Low-grade-Histologie ist die additive Strahlentherapie in Form des abdominellen Bades (»extended field«) etabliert (7 Kap. 26, 52).
nannten Patientenkollektivs waren im Duodenum und 45,5% im Jejunum lokalisiert. Die R0-Resektionsrate betrug 81,8%. Eine regionäre Lymphknotenmetastasierung war bei 36,4% und eine Fernmetastasierung bei 31,8% aufzuzeigen. Wie in der Literatur beschrieben, waren auch bei uns die R0-Resektionsrate (p<0,004) und der Lymphknotenstatus (p<0,007) die wichtigsten Prognosefaktoren. Eine separate Analyse alleiniger Adenokarzinome des Dünndarms wies einen Überlebensvorteil früher UICC-Stadien im Vergleich zu den lokal fortgeschrittenen Stadien III und IV nach (Brücher et al. 2001). Im Gegensatz zu 5-Jahres-Überlebensraten zwischen 9 und 30% (Cunningham et al. 1997; Miles et al. 1978; Zollinger et al. 1986) betrug diese in unserem Kollektiv 45%. Neuroendokrine Karzinome. Mehr als 90% der neuroendo-
krinen Tumoren befinden sich im Ileum (5-Jahres-Überlebensrate 60%). Hinsichtlich ihrer Biologie verhalten sich diese Tumorentitäten jedoch aggressiver als Primärtumoren anderer Lokalisation. Bei einem Tumordurchmesser <1 cm weist ein Drittel bereits Lymphknotenmetastasen auf, und bei einer Tumorgröße von >2 cm findet man schon bei 80% einen Lymphknotenbefall und gar in 50% der Fälle einen Leberbefall. Lymphogen metastasierte neuroendokrine Dünndarmtumoren weisen eine 5-Jahres-Überlebensrate von 69% auf, wohingegen diese bei Lebermetastasen nur 22% beträgt. Lymphome. Fast 70% der Lymphome des Dünndarms sind im
Jejunum lokalisiert. Davon befinden sich 70% im Stadium IV, was die niedrige 5-Jahres-Überlebensrate von ungefähr 30% erklärt.
46.10.1
46.10.2
Strahlentherapie
Chemotherapie
Auch für eine neoadjuvante oder adjuvante Chemotherapie gibt es keine Therapierichtlinien. Additive Therapien richten sich nach dem jeweiligen histologischen Befund (7 Kap. 23, 26). Adenokarzinome. Lokal fortgeschrittene Adenokarzinome
des Dünndarms werden mittels alleiniger Chemotherapeutika oder kombinierter Radio-/Chemo-Therapie behandelt. Schemata hierzu beinhalten 5-Fluoruracil und/oder Folinsäure. Zukünftig werden wahrscheinlich Irinotecan und Oxilaplatin einen zusätzlichen Platz einnehmen. Neuroendokrine Tumoren. Ausführliche Informationen hier-
Gastrointestinale Stromatumoren. 80% dieser Tumoren sind
im Duodenum und Jejunum lokalisiert. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt 20%.
46.10
Neoadjuvante, additive und adjuvante Therapieprinzipien
Bezüglich neoadjuvanter multimodaler Therapiestrategien gibt es für Adenokarzinome wie auch für NET des Dünndarms keine Richtlinien oder gar Standardtherapien. Aufgrund ihrer Seltenheit muss jeweils individuell entschieden werden, ob ein multimodal neoadjuvantes Therapiekonzept durchgeführt wird.
zu sind den 7 Kap. 45, 54 zu entnehmen. Inoperable Leberfiliae können in Einzelfällen chemoembolisiert oder gar regional immun- und/oder chemotherapiert werden. Hierbei kommen α-Interferon und/oder das Somatostatin-Analogon Octreotid SMS 201.995 zur Anwendung, wobei die Responserate bezüglich der Tumorregression (3%) deutlich unter dem symptomatischen und biochemischen Response (>70%) liegt. Gerade α-Interferon kommt beim neuroendokrinen Karzinom vom Low-grade-Typ zum Einsatz. Ziel ist es, einen Tumorwachstumsstillstand und einen Response der klinischen Symptomatik zu erreichen. Ein Therapieversuch bei MIBG-speichernden neuroendokrinen Tumoren mit 131Jod-markiertem MIBG erscheint sinnvoll. Bei Non-Respondern kann auch ein Therapieversuch mit Substanzen wie 5-FU, Doxorubicin, Streptomycin
46
690
46
Kapitel 46 · Maligne Dünndarmtumoren
und DTIC alleine oder in Kombination in Betracht gezogen werden. Auch wenn das Gesamtüberleben bei malignen neuroendokrinen Tumoren des Dünndarms im Vergleich zu anderen Entitäten besser ist (Zeitels et al. 1982), was wohl am ehesten auf besser greifenden adjuvanten Therapiemaßnahmen beruht, verhalten sich NET des Dünndarms hinsichtlich ihrer Tumorbiologie aggressiver als solche Primärtumoren anderer Lokalisation. Bei einem Tumordurchmesser <1 cm weist ein Drittel bereits Lymphknotenmetastasen auf, und bei einer Tumorgröße von >2 cm findet man schon in 80% einen Lymphknotenbefall und in 50% einen Leberbefall. Lymphome (7 Kap. 20, 25). Wichtige Entitäten sind das malig-
ne Low-grade-Lymphom vom MALT-Typ, das Mantelzelllymphom und das maligne High-grade-T-Zell-Lymphom, die mit glutensensitiver Enteropathie einhergehen können. Therapie der Wahl bei monolokulärem Befall ist die operative Intervention. Bei sorgfältigem Staging handelt es sich aber in über 70% der Fälle entweder um einen multilokulären Befall, oder es finden sich befallene Lymphknoten bis in das Retroperitoneum, sodass die primäre Chemotherapie zu wählen ist. Diese richtet sich nach dem Malignitätsgrad. Häufig kommt das CHOP-Schema zum Einsatz. Gastrointestinale Stromatumoren. Die Chemotherapie bei
GIST erfolgt entsprechend der anderer Lokalisationen. In seltenen Fällen ist immer noch die CYVADIC-Therapie indiziert. Die Beurteilung neuerer Agenzien wie Taxol bleibt Langzeitergebnissen kontrollierter klinischer Studien vorbehalten. Ein neuer Ansatz ist die intrazellulare Induktionshemmung mittels Imatinib (Glivec). Es handelt sich hierbei um eine »molecular target therapy« mit dosisabhängigen hohen Responseraten (Singer et al. 2002; Demetri et al. 2002).
46.12
Ausblick
Fortschritte in der Diagnose maligner Dünndarmtumoren sind unter Anwendung der Kapselendoskopie, der Push-Endoskopie und der MR-Enteroclysis, wie auch der hochauflösenden CT oder der Kombination von CT und PET zu erhoffen. Trotz zunehmender Anwendung der Chemotherapie hat sich bislang die Prognose maligner Dünndarmtumoren nicht verbessert (Bilimoria et al. 2009). Molekularbiologische Daten halfen in der Entwicklung der sog. »molecular target therapy« gerade bei GIST (Singer et al. 2002; Demetri et al. 2002). Die molekularbiologische Diagnostik bei Adenokarzinomen des Dünndarms zeigte signifikante Unterschiede in der Hypermethylierung von hMLH1, HPP1, p16 und APC im Vergleich zu Magenkarzinomen, was auf wesentliche epigenetische Unterschiede dieser Tumorentitäten hinweist (Brücher et al. 2006). Hoffnung liegt auf weitere mögliche zukünftige klinische Daten, wie angewandte Chemotherapieprotokolle etc. um evtl. diese auch auf Dünndarmtumoren übertragen zu können, da es aufgrund der geringen Inzidenz klinische Studien an Dünndarmtumoren höchstwahrscheinlich nicht geben wird. Internetadressen http://www.merck.com/mrkshared/mmanual/section3/chapter34/ 34c.jsp http://gastroresource.com/GITextbook/En/Chapter7/7-24.htm http://www.krebsinfo.de/ki/empfehlung/gastro/760-19-Gross.pdf http://www.krebsgesellschaft.de/duenndarmkrebs_duenndarmtumor, 30352.html
Literatur 46.11
Empfehlungen zur Nachsorge
Bei Patienten mit kurativ operierten malignen Dünndarmtumoren sollte in den ersten 2 Jahren eine halb-, in den folgenden 2 Jahren eine jährliche und dann zweijährliche klinische, sonographische und laborchemische Kontrolle durchgeführt werden.
Klinisch relevant ist es, auf mögliche Malabsorptionssyndrome zu achten und diese, wenn nötig, auszugleichen.
Die Nachsorge beinhaltet auch die Bestimmung der Tumormarker bei Adenokarzinomen (CEA, CA 19-9) und neuroendokrinen Tumoren (HIES) zur Verlaufskontrolle. Bei Verdacht kann die Nachsorge mit CT, MRT, Endoskopie, Dünndarmpassage nach Sellink etc. erweitert werden. Da Weichteiltumoren zu lokoregionären Rezidiven neigen, erscheint uns die erste CT-Kontrolle 6–12 Monate postoperativ sinnvoll.
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691 Literatur
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46
47 47
Kolonkarzinom J.-P. Ritz, H.J. Buhr
47.1
Grundlagenwissen
47.1.1 47.1.2 47.1.3 47.1.4
Anatomie – 694 Epidemiologie – 695 Pathogenese und Risikofaktoren – 696 Pathologie und Klassifikation – 697
47.2
Klinische Symptomatologie
47.3
Diagnostik
47.3.1 47.3.2
Screeninguntersuchungen – 699 Präoperative Diagnostik – 700
47.4
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
47.4.1
Operationsvorbereitung
47.5
Operationstechnik
47.5.1 47.5.2 47.5.3
Allgemeines – 702 Prinzipien der Kolonresektion Resektionstypen – 705
47.6
Postoperativer Verlauf
47.6.1 47.6.2 47.6.3
Regelfall – 708 Fast-track-Chirurgie – 708 Komplizierter Verlauf – 709
47.7
Prognose
47.8
Adjuvante Therapie
47.9
Nachsorge
47.10
Kolonkarzinomrezidiv
– 698
– 699
– 701
– 702 – 703
– 708
– 710 – 710
– 710
Internetadressen Literatur
– 694
– 711
– 711
– 711
– 701
694
47
Kapitel 47 · Kolonkarzinom
> Das Kolonkarzinom gehört zu den häufigsten Malignomen in industrialisierten Ländern und tritt in der Regel sporadisch auf. Nur 5–10% der Fälle sind erbliche Risikoerkrankungen (familiäre adenomatöse Polyposis/FAP, hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom/HNPCC). Die Diagnosestellung erfolgt durch Kolonoskopie und Biopsie. Abdomensonographie (Leber) und Thorax-Röntgenuntersuchung gehören im präoperativen Screening zur Metastasensuche. Die perioperative Antibiotikaprophylaxe stellt eine Maßnahme zur Reduktion septischer Komplikationen dar. Auf eine orthograde Darmlavage und den Einsatz von Drainagen kann häufig verzichtet werden. Die radikale Entfernung des Kolonkarzinoms erfolgt durch En-bloc-Resektion des tumortragenden Kolonabschnitts mit radikulärer Gefäßligatur und Mitnahme des regionären Lymphabflussgebiet ggf. unter Mitresektion infiltrierter umgebender Organe (multiviszerale Resektion). Die Wiederherstellung der Darmkontinuität wird in der Regel durch End-zu-End-Anastomosierung realisiert. Die Prognose des Kolonkarzinoms wird durch das Tumorstadium und die Möglichkeit einer vollständigen R0-Resektion beeinflusst. Die 5-Jahres-Überlebensraten nach R0-Resektion betragen 70% oder mehr, diejenigen bei R1/R2-Resektion weniger als 10%. Voraussetzungen für eine adjuvante Chemotherapie ist eine R0-Resektion. Generell wird bei Tumoren mit positivem Lymphknotenbefall (UICC-Stadium III) eine Chemotherapie empfohlen. Im Rahmen der Tumornachsorge sollen Tumorrezidive oder Adenome frühzeitig erfasst, postoperative Folgezustände behandelt und eine interne chirurgische Qualitätskontrolle durchgeführt werden.
. Abb. 47.1. Anatomische Übersicht über die Gefäßversorgung der Kolonabschnitte 1 Aorta abdominalis 2 A. mesenterica sup. 3 A. Ileocolica 4 A. colica dextra 5 Riolansche Randarkade 6 A. mesenterica inferior 7 A. rectalis sup.
47.1
Grundlagenwissen
47.1.1 Anatomie Das Kolon gliedert sich in fünf Abschnitte (. Abb. 47.1): Es beginnt an der Ileozökalklappe. Das Zökum mit der Appendix vermiformis geht nach der Einmündung des Ileums in das Colon ascendens über. An der Flexura coli dextra beginnt das Colon transversum, welches an der Flexura coli sinistra in das Colon descendens mündet. Das Colon sigmoideum bildet den letzten Abschnitt des Kolons, der im kleinen Becken in das Rektum übergeht. Dieser Übergang befindet sich auf Höhe des Promontoriums (16 cm ab Anokutanlinie) und ist gekennzeichnet durch einen Übergang der Tänien in die zirkuläre Muskelschicht des Rektums. Colon transversum und Colon sigmoideum besitzen ein beidseitig mit Peritoneum überzogenes Mesenterium (Mesokolon) und stellen die einzigen intraperitonealen Abschnitte des Kolonrahmens dar. Zökum, Colon ascendens und descendens sowie beide Flexuren liegen auf dem Retroperitoneum fixiert und haben entsprechend engen Kontakt zu den benachbarten Organen im Retroperitoneum wie z. B. Psoasmuskel, Ureter oder Nierenkapsel. Voraussetzung für die Chirurgie des Kolons ist die Kenntnis der typischen Gefäßversorgung. Das rechtsseitige Kolon und das Querkolon erhalten ihre arterielle Durchblutung aus Ästen der A. mesenterica superior, namentlich der häufig gemeinsam entspringenden A. ileocolica und A. colica dextra sowie der das Colon transversum versorgenden A. colica media. Das linksseitige Kolon aboral der Flexura lienalis bezieht seine Durchblutung aus der A. mesenterica inferior. Zwei Arkaden anastomosieren im Bereich der linken Flexur diese beiden Hauptstromgebiete. Darmnah verläuft die Marginalarterie, auch Arkade von Drummond genannt. Zwischen
695 47.1 · Grundlagenwissen
dem linken Ast der A. colica media und dem aszendierenden Ast der A. colica sinistra befindet sich eine darmferne Anastomose, die sog. Riolan-Arkade. Wird die Blutzufuhr aus der A. mesenterica inferior durch Arteriosklerose oder z. B. durch Aortenersatzchirurgie unterbrochen, stellen die beiden genannten Arkaden die arterielle Durchblutung von Colon descendens und Sigma sicher. Sie erlauben ferner die zentrale, aortennahe Ligatur der A. mesenterica inferior zum Zwecke der Lymphadenektomie bei Neoplasien im Bereich des Descendens, Sigmas oder Rektums. Die venöse Drainage des rechten Hemikolons und Transversum folgt prinzipiell den arteriellen Gefäßen. Der Blutrückstrom aus dem linken Hemikolon hingegen sammelt sich in einer relativ kräftigen V. mesenterica inferior, die sich via V. lienalis in die Pfortader ergießt. Der lymphatische Abfluss erfolgt entlang den Arterien. Vier Lymphknotenstationen werden dabei unterschieden: 4 Epikolische Lymphknoten (Kolonwand anliegend) 4 Parakolische Lymphknoten im Bereich der Marginalarterie 4 Intermediäre Lymphknoten entlang der großen Äste der Kolonarterien
4 Zentrale Lymphknoten im Bereich der Ursprungsorte der A. mesenterica superior und inferior aortennah
47.1.2 Epidemiologie
Allgemein Karzinome des Kolons und des Rektums stellen die zweithäufigste Krebserkrankung sowie die zweithäufigste Krebstodesursache dar. Im Jahr 2002 sind in Deutschland 35.600 Männer und 35.800 Frauen an einem Karzinom im Kolon und Rektum erkrankt. Einer Erkrankungsrate von 72,9/100.000 Einwohner bei Männern und 50,1/100.000 Einwohner bei Frauen stehen dabei 29 bzw. 18,3 Todesfälle/100.000 Einwohner gegenüber (Statistisches Bundesamt 2006). Im Bereich des Gastrointestinaltraktes sind sie weltweit die häufigste Karzinommanifestation mit 376.000 jährlichen Erkrankungsfällen in Europa und über 1 Million Erkrankungsfälle weltweit pro Jahr (Ferlay 2007). Die Rate an Erkrankungsfällen zeigt zwischen den einzelnen Ländern große Unterschiede (. Tab. 47.1). Sie ist besonders hoch in den westlichen Industrienationen mit
. Tab. 47.1. Inzidenz- und Mortalitätsraten des kolorektalen Karzinoms im internationalen Vergleich (nach WHO Mortality Database)
Region/Land
Fälle
Fälle/100.000
Todesfälle
Todesfälle/100.000
Weltweit
944.717
15,6
492.411
8,13
Industrienationen
610.591
51,72
301.648
26,34
Entwicklungsländer
334.123
7,29
190.761
4,34
Nordeuropa
51.362
54,47
28.561
30,27
Westeuropa
119.383
65,18
62.046
33,84
Südeuropa
71.492
49,71
37.872
26,32
Ägypten
2093
3,05
1340
1,95
Argentinien
10.316
27,91
5501
14,87
Australien
14.297
63,25
6142
26,94
Brasilien
19.554
10,91
9065
5,32
China
143.227
11,18
77.508
6,05
Deutschland
60.813
73,99
32.271
39,2
Finnland
2060
39,76
1040
20,08
Frankreich
34.515
58,54
17.136
29,05
Griechenland
3298
31,01
1719
16,17
Großbritannien
33.173
56,42
18.388
31,37
Indien
31.567
3,1
20.274
1,99
Japan
83.208
65,9
36.385
28,78
Kanada
16.635
54,43
6857
21,55
Mexico
6469
6,54
3195
3,22
Südafrika
2706
6,69
1759
4,36
USA
147.971
53,16
59.596
21,41
47
696
47
Kapitel 47 · Kolonkarzinom
51,72/100.000 Einwohner (WHO Mortality Database 2009); in Asien, Südamerika und Afrika zum großen Teil deutlich niedriger mit 7,29/100.000. Weltweit liegt sie bei 15,6/100.000 Einwohner. Die Karzinominzidenz hat in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 25 Jahren zugenommen. Die niedrigsten Inzidenzraten finden sich in afrikanischen Gebieten (z. B. Ägypten 3,05/100.000 Einwohner). Dabei gibt es auch innerhalb der einzelnen Länder erheblich geographische Unterschiede. Die Inzidenz des Kolonkarzinoms ist in Schottland höher als in England, in Norditalien und im Norden der USA höher als in den jeweiligen südlichen Landesteilen (Kolonel 2004).
Geschlechts- und Altersverteilung Während das Risiko an einem Rektumkarzinom zu erkranken für Männer etwa 1,5-mal größer ist als für Frauen, ist das Risiko einer Kolonkarzinomerkrankung bei Männern und Frauen etwa gleich groß. In Deutschland erkranken aufgrund der unterschiedlichen Altersstrukturen von Männern und Frauen etwa 13.900 Männer und 19.300 Frauen jährlich neu an einem Kolonkarzinom. 8% aller Krebserkrankungen der Männer und 11% aller Krebskrankheiten bei Frauen entstammen dem Kolon. (WHO mortality database 2009). Etwa 90% aller Patienten mit kolorektalem Karzinom sind 50 Jahre oder älter. Der Häufigkeitsgipfel liegt im 6. und 7. Dezennium. Adenomatöse Polypen als Vorläuferläsionen von Kolonkarzinomen zeigen ebenfalls eine erhöhte Inzidenz mit steigendem Alter. Das Risiko einen Polypen mit hochgradigen Dysplasien zu haben, ist bei Patienten über 60 Jahre um 80% höher im Vergleich zu jüngeren Patienten (Kolonel 2004).
Lokalisation Hinsichtlich der Lokalisation des Kolonkarzinoms in den einzelnen Teilabschnitten des Dickdarmes haben sich in den letzten Jahrzehnten ebenfalls Veränderungen ergeben. 1898 fand Nothnagel in seinem 110 Fälle umfassenden Krankengut 70% aller Karzinome im Rektum lokalisiert. Seither wird vor allem in den letzten vier Jahrzehnten eine relative Abnahme der linksseitigen Karzinome zugunsten der rechtsseitigen Karzinome beschrieben (sog. »shift to the right«). Die schnellste Inzidenzzunahme wurde im Zökum und Colon ascendens beobachtet; die rechtsseitigen Karzinome machen heute etwa ein Viertel aller kolorektalen Karzinome aus. Etwa 50% der Karzinome finden sich im Sigmoid und die restlichen 25% verteilen sich auf das Colon transversum und die Flexuren (Mostafa 2004).
47.1.3 Pathogenese und Risikofaktoren Bei der Erörterung der Pathogenese und Risikofaktoren ist zu berücksichtigen, dass zwischen den ersten Schleimhautveränderungen aufgrund schädigender Faktoren und dem Auftreten einer karzinomatös entarteten Zelle ein Zeitraum von 10–20 Jahren liegen kann. Zwischen dem Auftreten der ersten Karzinomzelle und der klinischen Manifestation oder Entdeckung eines Karzinoms vergeht wiederum lange Zeit. Dies muss bei der Beurteilung und Diskussion von Studien zu
epidemiologisch fassbaren Einflussfaktoren berücksichtigt werden.
Umweltfaktoren und Ernährung Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Ernährung, Lebensstil und dem Risiko an einem Kolonkarzinom zu erkranken legen nahe, dass die Ernährung ein wichtiger Risikofaktor für die Karzinomentstehung ist.
Eine Ernährung mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, rotem Fleisch und niedrigem Anteil an Ballaststoffen (30 g/d) scheint das Erkrankungsrisiko zu erhöhen (Bingham 2003; Kolonel 2004). Eine höhere Zufuhr von Obst und Gemüse ist mit einer reduzierten Häufigkeit von Kolonadenomen und Karzinomen assoziiert (Terry 2001).
Unklar ist, welcher genaue Mechanismus und welche Bestandteile (Flavonoide, Anthozyanine, Ballaststoffe) zu diesem Effekt führen. Das Karzinomrisiko korreliert weiterhin positiv mit der Menge an Alkohol- und Nikotinkonsum. Es gibt wahrscheinlich keine Möglichkeit, durch eine Veränderung von Umweltfaktoren, Lebensstil oder Ernährung das Risiko einer Karzinomentwicklung zu eliminieren. Allerdings sollten anhand epidemiologischer Studien Empfehlungen ausgesprochen werden, die zumindest einen protektiven Effekt haben (Evans 2002; Satia 2004). Aufgrund epidemiologischer Untersuchungen gilt es als gesichert, dass körperliche Inaktivität und Adipositas einen wichtigen Einfluss auf die Entstehung von Tumorerkrankungen haben. Dieser Zusammenhang ist signifikant nachweisbar für das Kolonkarzinom (relative Risikoreduktion um bis zu 40%), jedoch nicht für das Rektumkarzinom. Diese Bedeutung wird erklärt mit einer Adipositasinduzierten Insulinresistenz, die mit erhöhten Plasmaspiegeln an Insulin, Glukose und Fettsäuren einhergeht. Insulin scheint einen mitogenen Effekt auf die Kolonschleimhaut zu haben (Halle 2009). Lebensstil- und Ernährungsmodifikationen, die eine protektive Wirkung auf die Entwicklung kolorektaler Karzinome haben 4 Einnahme einer ballaststoffreichen faserreichen (30–35 g/d) Diät, die mindestens 5 Stück Obst oder Gemüse enthält 4 Vermeidung von Nahrung mit gesättigten Fettsäuren 4 Vermeidung von fleischreicher Ernährung (vor allem rotes Fleisch oder gegrilltes Fleisch) 4 Regelmäßige Bewegung 4 Verhinderung von Übergewicht 4 Alkoholzufuhr in gemäßigten Grenzen halten 4 Nikotinkarenz
Familienanamnese Das Risiko einer Kolonkarzinomerkrankung ist 2- bis 3-fach erhöht, wenn ein Angehöriger ersten Grades (Eltern, Ge-
697 47.1 · Grundlagenwissen
schwister, Kinder) bereits an einem Kolonkarzinom erkrankt war oder ist und steigt weiter an (3- bis 4-fach), wenn diese Erkrankung vor dem 60. Lebensjahr auftrat oder mehrere Verwandte betraf (siehe auch Amsterdam und Bethetsda-Kriterien). Zusätzlich weisen Patienten mit einer positiven Karzinomanamnese ein erhöhtes Risiko für ein Zweitkarzinom im Kolon auf (Triantafillidis 2009; Satia 2004).
Entzündliche Darmkrankheiten Für die Colitis ulcerosa ist ein erhöhtes Kolonkarzinomrisiko bekannt. Ein Kolitis-assoziiertes Karzinom tritt bei 2–2,5% aller Colitis-ulcerosa-Patienten auf. Im Vergleich zur Normalbevölkerung besteht ein 2- bis 8-fach erhöhtes Karzinomrisiko (Collins 2006; Ahmadi 2009). Zur Abschätzung des Karzinomrisikos spielen drei Faktoren eine wichtige Rolle für das höhere Risiko: 4 Erkrankungsdauer von mehr als 8–10 Jahren 4 Früher Erkrankungsbeginn im Jugendalter 4 Ausgedehnter Befall des gesamten Kolons (Panklitis) Kolitis-assoziierte Karzinome weisen einige Besonderheiten auf. Sie sind in ihrer Häufigkeit homogen über den gesamten Dickdarm verteilt und wachsen selten polypoid oder exophytisch, sondern eher flach infiltrierend, was die endoskopische Diagnose zusätzlich erschwert. Ein weiteres Merkmal ist die Neigung zu multizentrischem Wachstum. Beim Morbus Crohn wird ebenfalls ein gering erhöhtes Karzinomrisiko im befallenen Darmsegment diskutiert. Dieses Risiko ist deutlich geringer als bei der Colitis ulcerosa und zumeist mit einem langjährigem schweren Crohn-Befall assoziiert (Munkholm 2003; Triantafillidis 2009).
Genetische Faktoren Die überwiegende Mehrzahl aller Kolonkarzinome entwickelt sich aus Adenomen im Rahmen der 1951 erstmals beschriebenen sog. »Adenom-Dysplasie-Karzinom-Sequenz«. Diese Karzinogenese kann dabei in zwei Grundmechanismen (»gatekeeper pathway«, »caretaker pathway«) eingeteilt werden, bei denen es jeweils hereditäre und sporadische Formen gibt (Weitz et al. 2005). Der »gatekeeper pathway« entspricht einer Akkumulation von Mutationen von Protoonkogenen und Tumorsuppressorgenen. Ein Schlüsselmechanismus dieses Pathways stellt die Mutation des APC-Gens (Adenomatöses-Polyposiscoli-Gen), einem Tumorsuppressorgen auf dem langen Arm des Chromosoms 5 dar. Etwa 35–80% der sporadischen kolorektalen Karzinome und 29-63% der sporadischen Adenome weisen diese Mutation auf. Prototyp der erblichen Variante dieses Modell ist die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), der eine autosomal-dominant vererbte Keimbahnmutation des APC-Gens zugrunde liegt. Das Gardner-Syndrom stellt ein weiteres Krankheitsbild mit APC-Gen-Defekt dar. Hierbei entwickeln sich gleichzeitig zu Polypen des Kolon verschiedene gutartige Tumoren an anderen Orten (Lipome, Fibrome, Talgzysten, Osteome insbesondere am Kiefer- und am Schädelknochen). Die Kolonpolypen entstehen gewöhnlich in einem höheren Alter als bei der FAP, aber das Malignitätspotenzial ist dasselbe.
Neben dem APC-Gen sind das MCC-Gen (»mutated in colorectal cancer«), das DCC-Gen »(deleted in colorectal cancer«), das p53-Gen und das nm32-Gen in die Entstehung eines Karzinoms involviert. Unter den Protoonkogenen, die an der Karzinogenese des Kolonkarzinoms beteiligt sind, ist das k-ras-Gen besonders gut untersucht. Dieses Gen ist mitverantwortlich für Signaltransduktion, Zellwachstum und -differenzierung. Mutationen des k-ras-Gens finden sich in etwa 10% der Adenome <1 cm, in 40–58% der Adenome >1 cm und in 47–60% der kolorektalen Karzinome (Kinzler et al. 1997). Von besonderer klinischer Bedeutung für eine mögliche Chemoprävention des kolorektalen Karzinoms ist weiterhin die Überexpression der Cyclooxygenase-(COX)-2. Diese findet sich in bis zu 90% aller kolorektalen Karzinome (Jass 2006). In prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass das relative Risiko ein kolorektales Karzinom zu entwickeln oder daran zu versterben, bei regelmäßiger Einnahme von COX-2-Inhibitoren gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe bei etwa 0,6–0,8 liegt. Ebenso kann bei FAP-Patienten eine temporäre Reduktion von Adenomanzahl und -größe erreicht werden. Der »caretaker pathway« basiert auf einer Mutation der sog. Mismatch-repair-Gene (MMR-Gene, hMLH1, hMSH2, hPMS1, hPMS2, hMSH3, hMSH6) deren Aufgabe es ist, während der Replikation entstandene DNA-Fehler zu beheben (Peltomäki et al. 2003). Durch diese Replikationsfehler kommt es zu Veränderungen in den repetitiven DNA-Sequenzen (sog. Mikrosatelliteninstabilität, MSI). Mutationen der MMR-Gene gelten als Ursache der HNPCC-Erkrankung, kommen aber auch in 10-15% der sporadischen kolorektalen Karzinome vor. Die Latenzzeit zwischen der Adenom- und Karzinomentstehung ist bei einer MMR-Mutation vermutlich wesentlich verkürzt, was die aggressive Natur der Adenome bei dieser Patientengruppe erklärt (Lynch et al. 2003). Individuen mit Defekten im Bereich der MMR-Gene entwickeln neben dem Kolonkarzinom auch extrakolonische Tumormanifestationen (Endometrium, Ovar, Pyelon und Ureter, Dünndarm, Magen, hepatobiliäres System, Haut, Hirn). Im Rahmen von HNPCC erkranken oft jüngere Patienten mit bevorzugt proximaler Lokalisation der Kolonkarzinome. Diese sind häufig schleimbildende, undifferenzierte oder medulläre Karzinome mit z. T. auffälligem entzündlichen Infiltrat (»Crohn´s like lesion«). In manchen Familien treten überwiegend kolorektale Tumoren, in anderen dagegen auch die verschiedenen oben erwähnten HNPCCassoziierten Tumoren auf.
47.1.4 Pathologie und Klassifikation
Makroskopie Die Kolonkarzinome lassen sich makroskopisch in vier verschiedene Wachstumsformen unterscheiden: 4 Ulzerierendes Karzinom. Diese Form entspricht dem sog. malignen Geschwür mit einem Geschwürkrater in der Mitte und einem erhabenen Ulkusrand. Dieser Wachstumstyp infiltriert die Darmwand in der Regel tief und ist so mit einer frühen lymphatischen Aussaat sowie dem
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698
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Kapitel 47 · Kolonkarzinom
Risiko der tumorbedingten Wandperforation vergesellschaftet. 4 Polypoides Karzinom. Hier ist das Tumorwachstum eher proliferativ und zeigt eine blumenkohlartige vielfach gelappte Oberfläche. Bei dieser Wachstumsform sind tiefe Darmwandinfiltrationen eher selten. 4 Ringförmig stenosierendes Karzinom. Typisch für diese Form ist das zirkuläre und exulzerierte Wachstum unter Einbeziehung der gesamten Darmzirkumferenz mit konsekutiver Ausbildung von Stenosen. Tritt dieser Wachstumstyp im linksseitigen Kolon oder im Rektum auf, manifestiert er sich häufig mit einem mechanischen Dickdarmileus. 4 Diffus infiltrierendes Karzinom. Hierbei tritt ein langstreckiges Wachstum auf, das ähnlich eines szirrhösem Magenkarzinoms eher flach infiltrierend verläuft. Kolonkarzinome können sich per continuitatem intramural, intraluminär und transmural ausbreiten, wobei eine intramurale Ausbreitung von mehr als 2 cm nur bei <3% der Patienten auftritt. Die lymphogene Aussaat erfolgt typischerweise zentripedal von den parakolischen zu den zentralen paraaortalen Lymphknoten, wobei bis zu 35% aller Tumoren eine Station überspringen können (Merrie et al. 2001). Etwa ein Drittel der Patienten weist synchrone Lymphknotenmetastasen und etwa 15–25% der Patienten Fernmetastasen auf. Letztere treten am häufigsten in der Leber auf, gefolgt von Lunge und Peritoneum. Metastatische Herde im Skelett und im Gehirn finden sich selten (Meyerhardt 2005).
Mikroskopie Histologisch sind Adenokarzinome mit 85–90% am häufigsten zu finden, die nach ihrem Differenzierungsgrad in gut (G1), mäßig (G2) und schlecht (G3) differenzierte Karzinome unterteilt werden. Weitere histologische Typen sind die muzinösen Adenokarzinome (5–10%), Siegelringzellkarzinome, anaplastische Karzinome und andere seltene Formen (unter 1%). Siegelringzellkarzinome metastasieren zu einem hohen Prozentsatz peritoneal, seltener hepatisch und besitzen eine schlechte Prognose (Nasir et al. 2004; Jass 2006).
Tumorklassifikation Nach radikaler Tumorresektion sind für die Einschätzung der Prognose und für die Therapieplanung eine Klassifikation des Tumors anhand der TNM-Klassifikation und eine Einschätzung der Resektion anhand der R-Klassifikation erforderlich. Statt der in der angloamerikanischen Literatur manchmal noch verwendeten Dukes-Klassifikation sollte besser die TNM-Klassifikation der UICC verwendet werden (. Tab. 47.2), die Tiefenpenetration der Tumoren, lymphatische Aussaat, Fernmetastasen und die makroskopische bzw. mikroskopische Vollständigkeit der chirurgischen Resektion beinhaltet (UICC-Atlas 2003). Für die Festlegung der Lymphknotenkategorie gilt, dass die Zahl der untersuchten und die Zahl der befallenen Lymphknoten angegeben werden soll. Nach UICC soll ein N0-Stadium nur dann diagnostiziert werden, wenn mindestens 12 Lymphknoten untersucht und als tumorfrei befundet wurden. Bei weniger als 12 tumorfreien
. Tab. 47.2. TNM-Klassifikation des Kolonkarzinoms T-Kategorien: Primärtumor T0
Kein Anhalt für Primärtumor
Tis
Carcinoma in situ
TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T1
Tumor infiltriert Submukosa
T2
Tumor infiltriert Muscularis propria
T3
Tumor infiltriert durch die Muscularis propria in die Subserosa oder in nicht peritonealisiertes perikolisches Gewebe
T4
Tumor perforiert das viszerale Peritoneum oder infiltriert direkt in andere Organe oder Strukturen oder andere Teile des Kolons
N-Kategorien: Regionäre Lymphknoten N0
Kein Anhalt für Befall regionärer Lymphknoten
N1
Metastasen in 1–3 regionären Lymphknoten
N2
Metastasen in 4 oder mehr regionären Lymphknoten
NX
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
M-Kategorien: Fernmetastasen M0
Kein Anhalt für Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen vorhanden
MX
Das Vorliegen von Fernmetastasen kann nicht beurteilt werden
. Tab. 47.3. Stadieneinteilung nach UICC
Stadium
T-Kategorie
N-Kategorie
M-Kategorie
0
Tis
N0
M0
I
T1–2
N0
M0
II
T3–4
N0
M0
III
Jedes T
N1–2
M0
IV
Jedes T
Jedes N
M1
Lymphknoten, die untersucht wurden, muss die N-Kategorie mit »NX« angegeben werden (. Tab. 47.3) (Jass 2006; Wittekind 2006).
47.2
Klinische Symptomatologie
Das Kolonkarzinom weist eine vielfältige und häufig schleichende Symptomatik auf, die zumeist Zeichen einer fort-
699 47.3 · Diagnostik
geschritteneren Erkrankung sind. Abhängig sind diese Symptome von der Lokalisation und dem Ausmaß des Tumors (7 Übersicht). Das häufigste Symptom des Kolonkarzinoms stellt die Veränderung der Stuhlgangsgewohnheiten dar. Cave Bei jeder neu aufgetretenen Veränderung der Stuhlgewohnheiten sollte daher ein Kolonkarzinom in die differenzialdiagnostischen Erwägungen mit einbezogen werden und großzügig eine endoskopische Abklärung erfolgen.
Typischerweise klagen die Patienten über einen langsamen schleichenden Beginn der Erkrankung mit paradoxer Diarrhö (Wechsel zwischen Diarrhö und Obstipation), Meteorismus, häufigeren Stuhlgängen, Blutbeimengungen (Tumoren im Sigma oder Rektum produzieren in der Regel hellrote Blutbeimengungen im Stuhl), Schleimbeimengungen, bleistiftdünnen Stühlen und unspezifischen abdominellen Schmerzen. Solche Symptome werden vor allem bei einer Tumorlokalisation im linken Hemikolon angegeben. Während der Schmerz zumeist unspezifisch verläuft, kann ein kolikartiger Schmerzcharakter für eine drohende Obstruktion richtungsweisend sein, während der konstante Schmerz eine lokale Tumorausbreitung mit Infiltration der Bauchwand oder umgebender Organe aufzeigen kann. Gelegentlich findet sich eine Schmerzausstrahlung in den Rücken bei retroperitonealem Einwachsen, wie dies gelegentlich bei Tumoren des Colon ascendens vorkommt. Der peranale Blutabgang kann okkult oder manifest auftreten. Je proximaler die tumoröse Läsion im Kolon liegt, desto veränderter und okkulter wird das Blut ausgeschieden und entgeht damit dem Auge des Patienten.
Typische Klinische Symptome beim Kolonkarzinom in Abhängigkeit von der Tumorlokalisation 4 Rechtsseitiges Kolon – Anämie, Müdigkeit, mangelnde Belastbarkeit – Diarrhö – Tastbare Resistenz – Schmerzen rechter Mittel-/Unterbauch – Appendizitis-artige Beschwerden – Postprandiale kolikartige Beschwerden – Gewichtsverlust 4 Linksseitiges Kolon – Wechsel Diarrhö/Obstipation – Schleim-/Blutbeimengungen im Stuhl – Bleistiftdünne Stühle – Schmerzen linker Mittel-/Unterbauch – Gewichtsverlust
47.3
Diagnostik
47.3.1 Screeninguntersuchungen Das Langzeitüberleben nach einem Kolonkarzinom hängt wesentlich vom Stadium der Erkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose ab. Die 5-Jahres-Überlebensrate im UICC-Stadium I und II liegt bei 90–100%. Leider werden nur etwa ein Drittel der Patienten in diesem frühen Erkrankungsstadium diagnostiziert (Liebermann et al. 2008). Untersuchungen im Rahmen eines Screeningprogramms zielen darauf ab, die Karzinomdiagnose präsymptomatisch in einem frühen Stadium zu erfassen, um so die Heilungschancen zu erhöhen.
Besonders bei Tumoren im Zökum und proximalen Colon ascendens kann daher der chronische Blutverlust mit einer hypochromen Anämie der richtungsweisende Hinweis für das Karzinom darstellen.
Mit einer Darmkrebsvorsorge für die asymptomatische Bevölkerung ohne Risikofaktoren sollte ab dem 50. Lebensjahr begonnen werden, da die Karzinominzidenz in dieser Altersgruppe deutlich ansteigt.
Gewichtsverlust ist ein unspezifisches Tumorsymptom, das bei Kolontumoren relativ selten vorkommt. Bei ausgeprägter Gewichtsabnahme ist an eine Tumoraussaat mit Fernmetastasen zu denken. Bei schlanken Patienten ist gelegentlich der Kolontumor tastbar, besonders wenn er in den intraperitonealen Darmabschnitten liegt und u. U. die Bauchdecke infiltriert. Das Kolonkarzinom präsentiert sich selten als notfallmäßig behandlungspflichtige Erkrankung mit einer Ileussymptomatik bei kompletter Lumenobstruktion (klinische und radiologische Zeichen des Dickdarmileus mit typischerweise leerer Rektumampulle), Darmperforation oder kreislaufrelevanter Hämorrhagie.
Eine obere Altersbegrenzung kann bei zunehmendem Altersdurchschnitt der Bevölkerung nicht generell gegeben werden. Wichtig ist es, Risikogruppen mit erhöhtem Karzinomrisiko zu erkennen (z. B. Verwandte 1. Grades, Colitis ulcerosa, hereditäre Karzinome), für die ein früheres Screeningprogramm etabliert werden sollte. Als Faustregel für Verwandte ersten Grades gilt, die erste Vorsorgekolonoskopie mindestens 10 Jahre vor dem Alter der Erkrankungsmanifestation des betroffenen Verwandten durchführen zu lassen. Bei HNPCC-Patienten sollte das Screening vorgenommen werden, sobald die sog. Amsterdam-Kriterien (s. unten) erfüllt sind bzw. eine Genmutation nachgewiesen wurde (Schmiegel et al. 2005, 2008). Generell stehen folgende Screeningmethoden zur Verfügung: Stuhluntersuchung auf okkultes Blut (FOBT). Die wiederholt
eingesetzte (mindestens 3-mal) Screeningmethode besitzt
47
700
47
Kapitel 47 · Kolonkarzinom
eine Sensitivität von 30–90% und eine Spezifität von 90–99%. Kolonadenome können aber nur zu 19% erfasst werden. Alle Patienten mit positivem Test sollten eine komplette Kolonoskopie erhalten. In mehreren randomisierten Studien wurde gezeigt, dass mit diesem Test die Detektion asymptomatischer Kolonkarzinome gesteigert und die karzinombedingte Sterblichkeit um 15–33% gesenkt werden kann (Mandel et al. 1993; Hardcastle et al. 1996; Kronborg et al. 1996; Jorgensen et al. 2002). Dieser Test sollte ab dem 50. Lebensjahr einmal jährlich erfolgen, wenn von dem Patienten keine Kolonoskopie gewünscht wird. Flexible Rektosigmoidoskopie. Sie weist eine Sensitivität von
bis zu 92% und eine Spezifität von 85% für linksseitige Karzinome auf und kann Patienten angeboten werde, die eine komplette Kolonoskopie ablehnen. Mit der flexiblen Sigmoidoskopie kann die Tumormortalität um 45% gesenkt werden (Liebermann et al. 2009; Mandel et al. 2008). Bei negativer Erstuntersuchung und bei fehlenden Risikofaktoren empfiehlt sich die Wiederholung der Untersuchung alle 5 Jahre. Es existieren allerdings keine randomisierten kontrollierten Studien, welche die Wertigkeit dieses Verfahrens belegen. Diese Untersuchung wird vor allem in angloamerikanischen Studien ab dem 50. Lebensjahr alle 5 Jahre propagiert. Zur möglichen Detektion proximaler Karzinome sollte zusätzlich zur Rektosigmoidoskopie eine jährliche Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl durchgeführt werden. Komplette Kolonoskopie. Die Kolonoskopie ist das effek-
tivste Screeningverfahren mit der höchsten Sensitivität (>95%) und Spezifität (bis 97%) und sollte daher als Standardverfahren empfohlen werden. Sie erlaubt gleichzeitig die Diagnostik und Entfernung präneoplastischer Läsionen. Falls bei Patienten zufällig entdeckte Adenome bzw. Polypen gesehen und entfernt worden sind, reduziert sich das Risiko, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln, um 60–90% (Liebermann et al. 2009). Diese Untersuchung sollte bei unauffälligem Befund ab dem 50. Lebensjahr alle 10 Jahre erfolgen. Radiologische Verfahren (Doppelkontrast, CT-Kolonoskopie, MRT-Kolonographie). Diese Doppelkontrastuntersuchung des
Kolons ist heute weitgehend zugunsten endoskopischer oder schnittbildtechnischer Röntgenverfahren verlassen worden. Sie hat eine eindeutig schlechtere Trefferquote als die Kolonoskopie. Die virtuelle Kolonoskopie mit Hilfe von CT oder MRT erlaubt durch eine dreidimensionale Rekonstruktion von Datensätzen neben der Darstellung des Darmes und des Darmlumens die Beurteilung der umgebenden Strukturen. Allerdings ist der Nachweis kleiner Adenome unter 10 mm eingeschränkt und eine Biopsie oder Polypektomie zur Dignitätsüberprüfung nicht möglich. Wegen der Kosten und der zeitaufwendigen Rekonstruktion ist dieses Verfahren als Screeninguntersuchung nur eingeschränkt indiziert und sollte nur bei Patienten eingesetzt werden, bei denen eine konventionelle Kolonoskopie nicht möglich ist (Schmiegel et al. 2005). Immunologische und molekulare Screeningverfahren.
Diese Methoden können aufgrund der bisher nicht ausrei-
chenden Studienlage nicht als Routineverfahren zum Screening empfohlen werden. Amsterdam-Kriterien für das HNPCC1 4 Mindestens drei Angehörige der Familie haben oder hatten ein histologisch gesichertes Kolonkarzinom2. 4 Mindestens einer davon ist Verwandter ersten Grades der beiden anderen. 4 Mindestens zwei konsekutive Generationen sind oder waren von Darmkrebs betroffen. 4 Mindestens einer der Erkrankten ist oder war bei Diagnose des kolorektalen Karzinoms <50 Jahre. 4 Eine familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) ist ausgeschlossen. 1
2
Alle Kriterien müssen für die Diagnose einer HNPCC erfüllt sein. Amsterdam-II-Kriterien: Einbeziehung extrakolonischer HNPCC-assoziierter Malignome, die dem kolorekatlen Karzinom gleichwertig gestellt werden (Endometriumkarzinom, Dünndarmkarzinom, hepatobiliäres Karzinom bei fehlender Virusgenese, Übergangsepithelkarzinome der ableitenden Harnwege)
Bethesda-Kriterien für das HNPCC1 4 Zwei Verwandte ersten Grades mit kolorektalem Karzinom und/oder HNPCC-assoziiertem Karzinom vor dem 45. Lebensjahr 4 Zwei Verwandte ersten Grades mit kolorektalem Karzinom und/oder kolorektalen Adenomen vor dem 40. Lebensjahr 4 Nachweis eines Kolonkarzinoms oder Endometriumkarzinoms vor dem 45. Lebensjahr 4 Auftreten eines »entdifferenzierten« Kolonkarzinoms im rechten Hemikolon vor dem 45. Lebensjahr 4 Muzinöses/siegelringzelliges Kolonkarzinom vor dem 45. Lebensjahr 4 Nachweis von zwei eines synchronen/metachronen Kolonkarzinomen oder anderer HNPCC-assoziierter Karzinome 4 Positive Amsterdam-Kriterien 1
Wenn eines oder mehrere der oben genannten Kriterien zutreffen, gilt ein HNPCC als sehr wahrscheinlich und sollte eine weitere molekulargenetische Analyse erfolgen.
47.3.2 Präoperative Diagnostik Die Anamnese steht an erster Stelle der präoperativen Diagnostik. Mit ihr kann bereits ein Hinweis auf das Ausmaß der Erkrankung (B-Symptomatik, Gewichtsverlust, Stuhlgangsveränderungen), die Lokalisation, des Tumors (chronische
701 47.4 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Anämie, bleistiftdünne Stühle) oder der Befall von Nachbarorganen (Rückenschmerzen, Hämaturie) gewonnen werden und ggf. entsprechende diagnostische Maßnahmen eingeleitet werden. Zusätzlich dient sie der Erhebung der Amsterdambzw. Bethesda-Kriterien (s. oben) zur Erfassung eines etwaigen HNPCC. Zur klinischen Untersuchung gehören neben der digitalen Rektumuntersuchung die Inspektion, Palpation und Auskultation des Abdomens. Ziel der Diagnostik sind neben der Diagnosesicherung das Staging der Erkrankung und die Abklärung der Operabilität. Durch den Einsatz eines zentralen ambulanten Patientenmanagements kann der Patient chirurgisch und anästhesiologisch komplett abgeklärt und ambulant zur Operation vorbereitet werden. Zur präoperativen Diagnostik zählt die Abschätzung des kardiopulmonalen Risikos mit Hilfe der anamnestischen Belastungsfähigkeit und einem aktuellen EKG. Vor einen operativen Eingriff ist im Normalfall lediglich die Bestimmung von Routinelaborparametern erforderlich (Blutbild, Blutgruppe, Elektrolyte, Gerinnung, Kreatinin, Blutzucker). Zusätzlich sollten die Tumormarker CEA und CA 19-9 vor einer Resektion bestimmt werden. Die komplette Kolonoskopie mit bioptischer Sicherung des Tumors gilt immer noch als Standarduntersuchung zum Nachweis eines Kolonkarzinoms (. Tab. 47.4). Die Häufigkeit von weiteren Adenomen oder Zweitkarzinomen im Restdarm bei Karzinompatienten ist signifikant erhöht, weshalb stets eine komplette Abklärung des Kolons erfolgen sollte. Ist dies aufgrund stenosierender Prozesse im Kolon unmöglich, steht alternativ die virtuelle Kolonoskopie zur Verfügung. Die alleinige intraoperative Palpation des Restdarmes ist zum Ausschluss von Zweitbefunden nicht ausreichend, besser ist es dann, eine Kontrollkolonoskopie des Restdarms etwa 3 Monate nach erfolgreicher Operation zu veranlassen. Weitere bildgebende Verfahren: Zum Ausschluss hämatogener Metastasen in Leber und Lunge reicht eine abdominelle Sonographie und Röntgenuntersuchung des Thorax. Eine weitergehende Diagnostik ist routinemäßig nicht erforderlich und sollte sich nach den erhobenen oder vermuteten pathologischen Befunden richten. Eine Computertomographie oder MRT-Untersuchung des Abdomens sollte bei Verdacht auf hepatische Metastasierung, ausgedehnte lymphogene Metastasierung, Rezidivtumoren oder organüberschreitendem Tumorwachstum durchgeführt werden. Ebenso sollten unklare Befunde in der Abdomensonographie hiermit abgeklärt werden. Eine konsiliarische urologische oder gynäkologische Untersuchung sollte zusätzlich erfolgen, wenn der Verdacht auf Befall der ableitenden Harnwege oder des inneren Genitales besteht. Besonders bei großen Tumoren mit Einbruch ins Retroperitoneum oder Rezidivtumoren empfiehlt sich die präoperative Darstellung und Schienung des Ureters auf der betroffenen Seite zur besseren intraoperativen Lokalisation. Die Durchführung einer Positronenemissionstomographie (PET) hat gegenwärtig in der primären Ausbreitungsdiagnostik des Kolonkarzinoms noch keinen routinemäßigen Stellenwert (Schmiegel et al. 2008).
. Tab. 47.4. Diagnostische Maßnahmen bei Vorliegen eines Kolonkarzinoms
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Obligate Diagnostik Komplette Kolonoskopie
Tumorsitz, Zweitkarzinom, Histologie
Abdomonensonographie
Lebermetastasen
Röntgen-Thorax
Lungenmetastasen
Tumormarker
Basiswert für Verlauf
Fakultative Diagnostik CT-Abdomen
Befall von Nachbarorganen, Ausmaß einer Metastasierung zur Überprüfung der Operabilität
Ureterdarstellung/ -Schienung
Bei Verdacht auch Infiltration/ Nachweis Tumorrezidiv zur Identifizierung
Skelettszintigraphie
Bei Verdacht auf ossäre Metastasen zur Lokalisation
Schädel-CT
Bei Verdacht auf Hirnmetastasen zur Lokalisation
47.4
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
47.4.1 Operationsvorbereitung
Patienteninformation Bei Vorliegen eines mikroskopisch-bioptisch gesicherten oder makroskopisch hochgradig verdächtigem Kolonkarzinom muss der Patient und gegebenenfalls seine Angehörigen bzw. sein Vormund über die erhobenen Befunde, die Bedeutung dieser Erkrankung und die notwendigen therapeutischen Maßnahmen aufgeklärt werden. Ist ein operativer Eingriff erforderlich, sollte bei Elektivoperationen mindestens 24 h vor der geplanten Operation die schriftlich fixierte Aufklärung und Einverständniserklärung des Patienten erfolgen. Im Notfall ist eine schriftliche Aufklärung des Patienten und seiner Angehörigen ebenfalls empfehlenswert. Wenn kein spezieller Vordruck zur Aufklärung vorhanden ist, sollte eine umfangreiche schriftliche Dokumentation erfolgen. Gleichzeitig ist es hilfreich, dem Patienten mit anatomischen Zeichnungen die Situation und Vorgehensweise zu erläutern. Das präoperative Aufklärungsgespräch sollte den Patienten über das Ausmaß seiner bösartigen Erkrankung informieren, ihm die erforderliche chirurgische Therapie entsprechend der onkologischen Prinzipien darstellen und die Bedeutung dieses Eingriffes für seine persönliche Zukunft aufzeigen. Die Aufklärung über die chirurgischen Prinzipien beinhaltet die Entfernung des tumortragenden Darmabschnittes einschließ-
47
702
Kapitel 47 · Kolonkarzinom
lich eines Sicherheitsabstandes unter Mitnahme des jeweiligen Lymphabflussgebietes.
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Der Patient muss zusätzlich über eine gegebenenfalls erforderliche Erweiterung des Eingriffes informiert werden, bei dem u. U. Nachbarorgane mit entfernt oder ein Anus praeter angelegt werden muss.
Wichtig ist die Aufklärung über mögliche postoperative Komplikationen. Hierzu zählen neben allgemeinen Komplikationen (z. B. Nachblutung, Infektionen) das Risiko einer Anastomoseninsuffizienz oder die Verletzung von Nachbarorganen (z. B. Ureter, Milz). Wichtig ist es weiterhin, sowohl den Patienten als auch seine Angehörigen bereits präoperativ über den geplanten postoperativen stationären Ablauf zu informieren (Kostaufbau, Mobilisation, Wundheilung, Entlassung), um dadurch eine größtmögliche Kooperation zu erzielen.
Risikoabschätzung Der Allgemeinzustand und die Komorbidität des Patienten sind bei der Indikationsstellung zu berücksichtigen, da diese für den ungestörten postoperativen Heilungsverlauf eine wesentliche Bedeutung haben. Die Durchführung einer Operation unter onkologisch-radikalen Prinzipien ist in den meisten Fällen auch bei erhöhter Komorbidität und im Notfall mit einer erhöhten postoperativen Morbidität und Mortalität aber gleicher Langzeitergebnissen durchführbar (Tentes et al. 2009). Sinnvoll ist es, präoperativ den kardiopulmonalen Zustand des Patienten zu optimieren, eine Blutungsanämie zu verbessern und eine bestehende Mangelernährung durch eine präoperative parenterale Infusionstherapie auszugleichen.
Elektive Operationsvorbereitung Die Einhaltung einer mindestens 6-stündigen präoperativen Nüchternheit und die Durchführung einer orthograden Darmlavage wurden bis vor einigen Jahren in vielen Kliniken noch als Standardvorgehen angesehen. Die Einführung der sog. Fast-track-Chirurgie hat dazu geführt, eine Vielzahl dieser perioperativen Behandlungskonzepte zu überprüfen. Dabei zeigt sich, dass die Wertigkeit einer orthograden Darmlavage nicht belegt ist. Sie beeinflusst weder die postoperative Wundheilung noch die Anastomosenheilung (Wille-Jorgensen et al. 2005). Ähnliches gilt für die präoperative Nüchternheit. Der Patient kann bis zu 2 h vor dem operativen Eingriff klare gesüßte Flüssigkeit zu sich nehmen, ohne dass die Narkoseeinleitung und Operation beeinträchtigt wird (Brady et al. 2004). Bei rechtsseitigen Darmresektionen verzichten wir auf eine Darmlavage und geben den Patienten nur vor linksseitigen Resektionen 3–4 l einer osmotisch inaktiven Lösung. Im Rahmen der Fast-track-Chirurgie wird eine Darmlavage nur noch bei Eingriffen am Rektum durchgeführt.
Notfallmäßige Operationsvorbereitung Das Vorbereiten der Operation unter Notfallbedingungen unterscheidet sich wesentlich von der Elektivsituation.
Cave Besteht ein manifester Ileus oder eine Perforation, liegt eine Notfallsituation vor, die unverzüglich einer operativen Therapie zugeführt werden sollte.
Eine orthograde Darmlavage ist hierbei kontraindiziert und führt nur zur Zeitverzögerung. Allenfalls kann bei subtotal stenosierenden Prozessen eine endoskopisch eingebrachte Dekompressionssonde oder ein Stent helfen, den prästenotischen Darmabschnitt zu entlasten und die Laparotomie auf einen früh-elektiven Zeitpunkt hin zu verschieben (Dekovich et al. 2009). Die notfallmäßige Anlage eines Entlastungskolostomas mit zweizeitiger Resektion des Tumors sollte vermieden werden. Unabhängig von der Dringlichkeit der Situation sollte auch im Notfall eine primäre Resektion des Kolonkarzinoms unter onkologischen Kriterien vorgenommen werden. Die Resektion im Ileus mit radikulärer Ligatur und Lymphadenektomie ist mit denselben onkologischen Ergebnissen durchführbar wie der Elektiveingriff (Zorcolo et al. 2003; Tentes et al. 2009). Die direkte Wiederherstellung der Darmkontinuität ist allerdings im Ileus aufgrund der Lumeninkongruenz häufig erschwert, sollte aber angestrebt werden. Sicherer ist besonders bei Resektion von linksseitigen Karzinomen eine Diskontinuitätsresektion mit Blindverschluss des aboralen Schenkels und endständiger Ausleitung des oralen Schenkels als Stoma. Eine Wiederherstellung der Darmkontinuität sollte dann frühestens 6 Monate nach diesem Eingriff geplant werden.
Antibiotikaprophylaxe Kolonresektionen gelten als kontaminierte Eingriffe und profitieren von einer perioperativen antibiotischen Single-shotProphylaxe. Hierzu eignen sich Präparatkombinationen, die das anaerobe Keimspektrum des Darmes abdecken (z. B. Ampicillin plus Sulbactam oder Mezlozillin und Metronidazol). Besonders wichtig ist der Zeitpunkt der Antibiotikagabe. Tierexperimentell und klinisch konnte gezeigt werden, dass der Effekt einer Antibiotikaprophylaxe am besten ist, wenn sie bereits vor dem Hautschnitt verabreicht worden ist (Gul et al. 2002; Nelson et al. 2009). Es ist daher empfehlenswert, das Antibiotikum während der Narkoseeinleitung zu applizieren. Aufgrund der Halbwertszeiten der gängigen Antibiotika ist es sinnvoll, bei länger dauernden Eingriffen die Dosis nach 4 h noch einmal zu wiederholen.
47.5
Operationstechnik
47.5.1 Allgemeines Für die Kolonresektion bei Tumorlokalisation oral des linken Kolons werden die Patienten in normaler Rückenlage positioniert. Für Resektionen im Bereich von Descendens, Sigma, rektosigmoidalem Übergang und Rektum verwenden wir eine Steinschnittlagerung. Die Lagerungskontrolle des Patienten erfolgt durch den Operateur 6
703 47.5 · Operationstechnik
selbst, der diese Kontrolle im Operationsbericht ebenso dokumentieren sollte wie die Indikation zum operativen Vorgehen. Vor dem Hautschnitt erfolgt gemeinsam mit dem Anästhesisten und der Operationspflege ein kurzes »Time-out« zur Überprüfung der Sicherheits-Checkliste (zu finden unter: http://www.dgav.de/fileadmin/media/texte_pdf/ dgav_sicherheits-checkliste.pdf ). Diese einfache Maßnahme dient der Verbesserung der Patientensicherheit und führt zu einer signifikanten Reduktion von Morbidität und Letalität (Haynes et al. 2009). Die Einlage eines suprapubischen Katheters zur Drainage der Harnblase erfolgt nicht routinemäßig und sollte von der Dauer des Eingriffs oder der Notwendigkeit einer Überwachung der Nierenfunktion abhängig gemacht werden. Der klassische Zugang für alle Koloneingriffe ist die mediane Laparotomie. Vorteile dieser Inzision sind der rasche Zugang, die einfache Möglichkeit zur Schnitterweiterung und die fehlende Interferenz mit einem eventuellen Kolostoma. Alternativ kommt eine Querlaparotomie in Betracht, die mit geringeren postoperativen Schmerzen aber einer gleichen Rate an Komplikationen und Liegedauer vergesellschaftet ist (Grantcharov u. Rosenberg 2001; Brown u. Goodfellow 2005). Mittels Bauchsperrer und selbsthaltenden Wundhaken (z. B. Zenker-Rahmen) wird der Situs übersichtlich eingestellt. Zunächst erfolgt die Exploration und intraoperative Befunderhebung, wobei primär die lokale Resektabilität des Tumors zu klären ist. Das gesamte Abdomen wird auf weitere Tumormanifestationen im Lymphabflussgebiet und an der Leber sorgfältig untersucht. Die bimanuelle Palpation beider Leberlappen ist dabei obligatorisch. Nicht tastbare kleine Lebermetastasen können durch intraoperative Sonographie entdeckt werden. Die palpatorische Revision der einsehbaren Abdominalorgane sollte etwaige synchron bestehende Tumoren (z. B. Dünndarmkarzinoide) und andere pathologische Befunde nicht übersehen. Zum Verschluss der Inzision ist die fortlaufende Fasziennaht geeignet und sinnvoll, da diese bei gleichem Risiko 6
von Narbenhernien deutlich rascher durchzuführen ist (Milbourn et al. 2004). Hierbei ist auf ein ausreichendes Faden-Wund-Verhältnis von mindestens 3:1 zu achten. Der Abstand vom Faszienrand sollte mindestens 2 cm, der Abstand zum vorherigen Stich mindestens 1 cm betragen (Milbourn u. Israelsson 2004). In Betracht kommen hierbei langsam resorbierbare Nahtmaterialien (z. B. PDS, Vicryl), bei nicht resorbierbaren Fäden ist die Gefahr von Fadenfisteln deutlich erhöht (Kingsnorth u. LeBlanc 2003).
47.5.2 Prinzipien der Kolonresektion
Resektionsausmaß am Darm Das Resektionsausmaß richtet sich an der Durchblutung des Darmes nach erfolgter radikulärer Gefäßligatur und nicht am intestinalen Sicherheitsabstand.
Der intestinale Sicherheitsabstand beträgt lediglich 5 cm zum Tumor. Allerdings geht das regionäre Lymphabflussgebiet weit über diesen Bereich hinaus. Da die Entfernung des regionären Lymphabflussgebietes zu den onkologischen Prinzipien der Tumorchirurgie am Kolon gehört, muss die Resektion am Kolon entsprechend großzügiger vorgenommen werden (. Tab. 47.5).
Ausmaß der Lymphadenektomie Da sich der lymphatische Abfluss am Verlauf der arteriellen Gefäße richtet, wird eine zentrale Ligatur und Durchtrennung der arteriellen Versorgung angestrebt. Das inzwischen allgemein anerkannte Konzept einer Resektion in anatomischen Hüllschichten wie bei der mesorektalen Exzision lässt sich vollständig auch auf die Kolonresektion im Sinne einer sog. kompletten mesokolischen Exzision (CME) übertragen. Diese sieht vor, dass eine Resektion unter Wahrung der Integrität des Mesokolons erfolgt. Die genaue Kenntnis der sich während der Embryonalzeit entwickelnden Faszienverhältnisse ist daher unabdingbar, um sie während der Präparation ohne Verletzungen lösen zu können. Die hierdurch mögliche radikale Lymphknotendissektion erhöht postope-
. Tab. 47.5. Therapeutisches Vorgehen in Abhängigkeit vom Tumorsitz eines Kolonkarzinoms
Tumorsitz
Empfohlene Therapie
Postoperative Situation
Zökalpol
Hemikolektomie rechts
Ileotransversostomie
Colon ascendens
Hemikolektomie rechts
Ileotransversostomie
Karzinom an der rechten Flexur
Erweiterte Hemikolektomie rechts
Ileotransversostomie nahe linker Flexur
Rechtsseitiges Colon transversum
Erweiterte Hemikolektomie rechts
Ileotransversostomie nahe linker Flexur
Linksseitges Colon transversum
Erweiterte Hemikolektomie links
Transversorektostomie oder Ascendorektostomie
Karzinom an der linken Flexur
Erweiterte Hemikolektomie links
Transversorektostomie oder Ascendorektostomie
Colon descendens
Hemikolektomie links
Transversorektostomie
Colon sigmoideum
Hemikolektomie links
Transversorektostomie
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704
47
Kapitel 47 · Kolonkarzinom
rativ Morbidität und Mortalität nicht (Hohenberger et al. 2009). Die Orte der zentralen Gefäßligatur sind für Tumoren im Zökum und Colon ascendens (Aa. und Vv. colica dextra und ileocolica), für das mittlere Colon transversum (A. colica media) und für das linksseitige Kolon (A. mesenterica inferior) klar definiert. Im Bereich der Flexuren und der flexurennahen Transversumkarzinome kommt es zu einer Überschneidung der Lymphabflussgebiete, weshalb hier eine erweiterte Lymphadenektomie von zwei Abstromgebieten (rechts: A. ileocolica, A. colica dextra, A. colica media; links: A. mesenterica inferior, A. colica media) erforderlich ist.
Maßnahmen zur Reduktion des Lokalrezidivrisikos Der Tumor sollte nach der initialen Exploration möglichst wenig mobilisiert und ein direkter Kontakt vermieden werden. Dazu empfiehlt es sich, den Tumor mit einem Bauchtuch während der gesamten Operation sicher abzudecken. Zur Verhinderung intraluminaler Tumoraussaat dient die Ligatur des Lumens oral und aboral des Tumors. Zur zytotoxischen Reinigung des Darmlumens vor der Anastomosierung verwenden wir Polyvidonjodlösung. Nach Beendigung der schmutzigen Operationsphase mit Abschluss der Anastomose sollten die Operationshandschuhe gewechselt werden. Turnbull beschrieb bereits 1967 das Prinzip der »No-touch-isolation«-Technik zur Reduktion der Tumorzellverschleppung und des dadurch potenziellen Metastasierungsrisikos. Dieses Prinzip sollte als onkologisches Ziel bei allen kolorektalen Karzinomoperationen unter kurativem Ansatz eingesetzt werden. Dabei werden vor der Tumormobilisation die ab- und zurührenden Gefäße in 3 Schritten ligiert: 4 Radikuläre Ligatur der Arterie 4 Radikuläre Ligatur der Vene 4 Ligatur der Marginalarterien zusammen mit dem Darmlumen Obwohl diese Maßnahmen die intraoperative Aussaat maligner Zellen theoretisch vermindern, konnte bislang auch in randomisierten Studien kein eindeutiger Vorteil mit der Notouch-isolation-Technik aufgezeigt werden.
Anastomosentechnik Es steht eine Vielzahl unterschiedlichster Techniken für die Anlage einer Darmanastomose zur Verfügung. Hierzu zählen ein- und zweireihige Darmnähte, fortlaufende Nähte, invertierend, evertierend oder auf Stoß sowie mechanische Nähapparate. Vielerorts wird eine fortlaufende einreihige Naht durchgeführt, die zeitsparend angelegt werden kann und eine gleichmäßige Verteilung der Nahtspannung erlaubt. Einzelknopftechniken ermöglichen eine individuell adaptierte Verteilung der Nahtspannung und Abstände und erfordern eine exakte Stichtechnik für jeden einzelnen Stich. Die hier gezeigte Stichtechnik entspricht der im Operationskurs Warnemünde eingesetzten Technik. Die Nahttechnik ist allerdings für eine ungestörte Anastomosenheilung weniger entscheidend als das Vorhandensein gut vaskularisierter Darmenden, die nach ausreichen-
der Mobilisation völlig spannungsfrei aneinander gelegt werden können. Die ausreichende Durchblutung ist an der rosa Farbe der Mukosa bis an den Resektionsrand und an den sichtbaren Pulsationen der darmnahen Mesenterialgefäße zu erkennen. Als günstigstes Nahtmaterial werden derzeit resorbierbare Fäden betrachtet. Monofile Fäden sind aufgrund ihrer Gleitfähigkeit besonders für fortlaufende Nahttechniken geeignet; bei Einzelknopftechnik sind multifilamente Nähte aufgrund ihrer Knüpfeigenschaften angenehmer. Wir verwenden einen Faden aus Polyglactin (Vicryl) der Stärke 4/0. Untenstehend sind die einzelnen Schritte unserer Naht beschrieben. Nach Umlage des Darmes mit feuchten Bauchtüchern und Anlage von weichen Darmklemmen zum verbleibenden Darm und harten Darmklemmen zum Resektat erfolgt die Resektion mit einer Darmschere. Die offenen Darmlumina werden mit polyvidonjodgetränkten Stieltupfern gereinigt. Bei ausgeprägter Lumeninkongruenz (Ileotransversotomie, Ileusoperation) sollte durch eine antimesenteriale Längsinzision eine Lumenanpassung erreicht werden oder eine Seit-zu-End-Anastomose angelegt werden. Die Darmenden werden so aneinander adaptiert, dass sie spannungsfrei und die beiden Mesenterien aneinander zu liegen kommen. Es erfolgt dann zunächst die Einzelknopfnaht der Hinterwand beginnend mit 2 Haltefäden an der mesenterialen und antimesenterialen Seite. Diese Haltefäden werden als Vorderwandnähte gestochen; man beginnt am aboralen Darmende mit einem Vollwandstich, nach Drehen der Nadel erfolgt dann auf der gleichen Seite das Fassen der Mukosa, anschließend wird der orale Darmabschnitt gestochen, wobei hier zunächst wieder eine Mukosanaht und dann nach Drehen der Nadel ein erneuter Vollwandstich erfolgt. Die Naht der Hinterwand beginnt auf der vom Operateur fernen Seite mit dem Erfassen der Mukosa, gefolgt von einem transmuralen Vollwandstich beider Darmenden und einem abschließenden mukosalen Stich auf der Gegenseite (. Abb. 47.2). Die Abstände der Stiche sollte knapp unter 1 cm liegen. Auf eine ausgleichende Stichtechnik ist besonders bei Inkongruenz der Darmlumina zu achten. Nach erfolgter Naht der Hinterwand werden die Fäden verknotet. Es empfiehlt sich, dass der erste Assistent die einzelnen Fäden an jeweils einer Pean-Klemme anklemmt und diese auf einem Overholt sammelt, damit Verwirrungen bei der Naht vermieden werden. Anschließend erfolgt die Einzelknopfnaht der Vorderwand wie oben bei den Haltefäden beschrieben. Beim Knoten der Vorderwand sollte der Assistent die überschüssige Mukosa mit einer Pinzette nach endoluminal einstülpen. Hier liegen die Knoten auf der Serosa, an der Rückwand liegen sie mukcosaseitig (. Abb. 47.3). Nach Abschluss der Anastomose erfolgt die Entfernung der umgelegten Bauchtücher und ein Handschuhwechsel der Operateure und Operationspflegekraft. Abschließend muss ein vorliegender Mesenteriumschlitz verschlossen werden.
705 47.5 · Operationstechnik
. Abb. 47.2. Schematische Darstellung der Anastomosentechnik (hier Hinterwandnaht) mit schichtgerechter adaptierender Naht und mukosalseitig liegenden Knoten
. Abb. 47.4. Resektionsausmaß bei einem Tumor des Zökums oder Colon ascendens mit radikulärer Ligatur der A. ileocolica und A. colica dextra (Hemikolektomie rechts)
Taktik zwar die Darstellung der Gefäßwurzeln erleichtert, aber nicht den Prinzipien der »No-touch-isolation«-Technik entspricht. . Abb. 47.3. Schematische Darstellung der Anastomosentechnik (hier Vorderwandnaht) mit schichtgerechter adaptierender Naht und serosalseitig liegenden Knoten
Drainagen Intraperitoneal gelegene ileokolische oder kolokolische Anastomosen müssen nicht routinemäßig drainiert werden. Mehrere randomisierte kontrollierte Studien konnten keine Vorteile zugunsten der Drainageneinlage aufzeigen (Urbach et al. 1999). Entstand hingegen durch die Kolonresektion eine größere retroperitoneale Ablösefläche, so ist die Einlage eines Blutungsdrains während 24 h postoperativ gerechtfertigt. Das Belassen einer Magensonde ist nach elektiver Kolonresektion unnötig, allerdings kann es besonders nach rechtsseitigen Resektionen mit Mobilisation am Duodenum häufiger zu einer Atonie kommen, welche die Ableitung über eine Magensonde notwendig macht.
47.5.3 Resektionstypen
Hemikolektomie rechts Die Hemikolektomie rechts ist die Standardoperation für Karzinome des Zökums und Colon ascendens. Hierbei wird das Lymphabflussgebiet entlang der A. colica dextra und A. ileocolica radikulär entfernt (. Abb. 47.4). Die Präparation erfolgt von medial nach lateral und nicht umgekehrt, weil letztere
Als erster Schritt wird der Dünndarm nach links verlagert und das Colon transversum mit seinem Mesokolon nach kranioventral ausgespannt. So liegt die Mesenterialwurzel tastbar im Operationsfeld. Zwischen dieser und dem unteren Duodenalknie zeigt sich nun ein gefäßfreies, meist dünnes Retroperitoneum, ein sog. »Fenster«. Durch dieses gelingt nach medial der Einstieg zur A. und V. mesenterica superior mit ihren Abgängen A. und V. ileocolica und A. und V. colica dextra. Diese Gefäße werden zentral an der A. mesenterica superior abgesetzt, wobei der zum Resektat hin gelegene Faden lang belassen werden sollte, um dem Pathologen das Aufsuchen des Grenzlymphknotens zu erleichtern. Oral und aboral des Tumors erfolgt dann eine Unterbindung des Darmlumens und die Einwicklung des Tumors in ein Bauchtuch bis zur Resektion. Das Mesocolon transversum wird von der Mesenterialwurzel aus bis in Transversummitte unter Schonung des Stamms der A. colica media inzidiert und alle nach rechts abgehenden Äste skelettiert. Erst nach kompletter medialer Dissektion erfolgt die Mobilisation des Ileozökums und Colon ascendens von lateral und kaudal durch Inzision des lateralen Peitoneums. Bei der Mobilisation des rechten Hemikolons von lateral wird der rechtsseitige Ureter dargestellt. Die retroperitoneale Aufhängung der rechten Flexur ist ligamentartig verdickt und weist gelegentlich im Peritoneum verlaufende Gefäße auf, die ligiert werden müssen. Das 6
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706
Kapitel 47 · Kolonkarzinom
47
. Abb. 47.5. Resektionsausmaß bei einem Tumor im Bereich der rechten Kolonflexur oder des rechtsseitigen Colon transversum mit radikulärer Ligatur der A. ileocolica, A. colica dextra und A. colica media (erweiterte Hemikolektomie rechts)
Lig. gastrocolicum wird unter Schonung der A. gastroepiploica dextra disseziert. Im Bereich der geplanten Resektionslinie am Colon transversum wird das Omentum majus auf einer Länge von ca. 5 cm in einer avaskulären Schicht abgelöst und man gelangt so auch von hier in die Bursa omentalis. Anschließend wird der rechtsseitige Anteil des großen Netzes zwischen Ligaturen durchtrennt und verbleibt en bloc am Resektat. Nach Durchtrennung der Darmlumina im terminalen Ileum ca. 5 cm oral der Bauhin-Klappe und im Colon transversum wird das Präparat entfernt und eine ileokolische Anastomose End-zu-End hergestellt (Ileotransversostomie). Die häufig bestehende Lumendifferenz zwischen Ileum und Colon transversum wird durch antimesenteriale Inzision an der Wand des Ileums ausgeglichen. Zuletzt wird der Mesenterialschlitz wieder verschlossen.
Erweiterte Hemikolektomie rechts Die erweiterte Hemikolektomie rechts ist der Standradeingriff für Karzinome der rechten Flexur und des proximalen Colon transversum (. Abb. 47.5). Hierbei wird zusätzlich die A. colica media radikulär an der A. mesenterica superior ligiert und die distale Resektionsgrenze zur linken Flexur hin verschoben. Die A. colica media wird entweder von kaudal aufgesucht oder nach Durchtrennung des Lig. gastrocolicum von kranial präpariert. Das Omentum majus mit Lig. gastrocolicum und A. gastroepiploica wird mitreseziert.
. Abb. 47.6. Resektionsausmaß bei einem Tumor in Mitte des Colon transversums mit radikulärer Ligatur der A. colica media (Transversumresektion)
Transversumresektion Die reine Transversumresektion mit radikaler Ausräumung der Lymphbahnen entlang der A. colica media ist nur für die wenigen Tumoren mit Sitz in der Mitte des Colon transversum onkologisch ausreichend, während bei flexurennaher Lokalisation die erweiterte Hemikolektomie rechts oder links Standard ist (. Abb. 47.6). Nach Unterbindung des Darmlumens oral und aboral des Tumors wird das Lig. gastrocolicum an der großen Kurvatur in ganzer Länge gespalten. Beide Flexuren werden mobilisiert. Durch Retraktion des Querkolons nach kaudal und des Magens nach kranial wird das Mesokolon transversum angespannt. Die A. colica media lässt sich so leicht am Abgang aus der A. mesenterica superior darstellen und ligieren. Das Colon transversum wird flexurennahe durchtrennt und End-zu-End anastomosiert. Der Verschluss des Mesoschlitzes beendet die Operation.
Hemikolektomie links Die Hemikolektomie links mit radikulärer Unterbindung des A. mesenterica inferior ist der Standardeingriff für Karzinome von Colon descendens und Sigma (. Abb. 47.7). Zunächst wird das Dünndarmkonvolut in den rechten Oberbauch verlagert, um das Duodenum mit dem TreitzBand darstellen zu können. 6
707 47.5 · Operationstechnik
Die präaortale Präparation der A. mesenterica inferior beginnt direkt unterhalb des Duodenums in kaudaler Richtung. Die zentrale Arterienligatur der A. mesenterica inferior wird nach ihrem Abgang aus der Aorta angelegt. Die Durchtrennung der links lateral davon verlaufenden V. mesenterica inferior erfolgt am Pankreasunterrand. Anschließend wird das Darmlumen oral und aboral des Tumors unterbunden und der Tumor in ein Bauchtuch eingeschlagen. Danach erfolgt das Lösen der fötalen Verwachsungen von Sigma und Descendens an der lateralen Bauchwand und die Mobilisation streng auf der Gerota-Faszie zur durchtrennten A. mesenterica inferior. So gelingt eine vollständige En-bloc-Lymphadenektomie des Lymphabflussgebietes. Dabei muss darauf geachtet werden, die GerotaFaszie intakt zu lassen, um so die retroperitonealen Organe (Ureter) nicht zu verletzen. Nach kranial erfolgt die Mobilisation der Flexura lienalis, um eine spannungsfreie Anastomose zu ermöglichen. Anschließend wird am Punkte der geplanten Resektionslinie das Omentum majus vom Colon transversum abgelöst und sagittal durchtrennt. Nach vollständiger Mobilisation wird das mesenteriale Peritoneum über der Aorta nach kaudal inzidiert und die Lymphadenektomie unter Schonung des präaortalen Nervengeflechtes bis in Bifurkationshöhe vervollständigt. Nach distal erfolgt die Präparation bis in das obere Rektumdrittel. Die abschließende Anastomose zwischen Colon transversum und oberem Rektumdrittel muss absolut spannungsfrei sein.
. Abb. 47.7. Resektionsausmaß bei einem Tumor des linksseitigen Kolons (Sigma, Descendens) mit radikulärer Ligatur der A. mesenterica inferior (Hemikolektomie links)
Erweiterte Hemikolektomie links Bei Tumoren im Bereich der Flexura lienalis oder im distalen Colon transversum gilt die erweiterte Hemikolektomie links als Standardoperation (. Abb. 47.8). Sie umfasst zusätzlich zur einfachen Hemikolektomie links die radikale Lymphadenektomie im Abflussgebiet der A. colica media. Die proximale Resektionsebene liegt im Colon transversum nahe der rechten Flexur. Für die Kontinuitätswiederherstellung ist die komplette Mobilisation des rechtsseitigen Kolons und die Ablösung des Mesocolon ascendens vom Retroperitoneum erforderlich. Für eine spannungsfreie Anastomose ist unter Umständen eine Drehung des rechten Kolons um 180° entgegen dem Uhrzigersinn erforderlich, um eine Ascendo-Rektostomie anlegen zu können.
Laparoskopische Resektion beim Kolonkarzinom Es ist unbestritten, dass onkologische Radikalitätsprinzipien auch bei laparoskopischen Kolonresektionen eingehalten werden können. Allerdings werden in Deutschland gegenwärtig nur etwa 10% der onkologischen Eingriffe am Kolon laparoskopisch durchgeführt. Gründe hierfür sind vielmals technische Schwierigkeiten, die vor allem bei wandüberschreitenden Tumoren und Karzinomen des Colon transversum auftreten (Kuhry et al. 2008). Als Maß für die onkologische Radikalität wird von vielen Autoren die Gesamtzahl der resezierten Lymphknoten bei laparoskopischen Eingriffen angegeben. Das Ausmaß der Lymphadenektomie beim laparoskopischen Vorgehen ist demjenigen bei konventionellen Resektionen vergleichbar (Kuhry et al. 2008). Die Lernkurve zur laparoskopischen Kolonresektion ist jedoch hoch und eine Steady-state wird erst
. Abb. 47.8. Resektionsausmaß bei einem Tumor im Bereich der linken Flexur oder des linksseitigen Colon transversums mit radikulärer Ligatur der A. mesenterica inferior und A. colica media (erweiterte Hemikolektomie links)
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nach mindestens 40–50 Resektionen erreicht (Wexner et al. 2003; Aly 2009). Wundinfektionsrate, Blutverlust, postoperativer Schmerzmittelbedarf, postoperative Darmatonie sowie Hospitalisationszeit sind beim laparoskopischen Vorgehen reduziert. Die vorliegenden Langzeitergebnisse aus randomisierten Studien zeigen, dass sich die onkologischen Resultate nach laparoskopischer Resektion nicht von denen der offenen Resektion unterschieden. Das Risiko der Trokarmetastasen ist nicht signifikant erhöht, Lokalrezidivraten und Langzeitüberleben sind ebenfalls nicht unterschiedlich (Leung et al. 2004; Kuhry et al. 2008).
Die laparoskopische Resektion für Kolonkarzinome ist aus unserer Sicht für kleine Tumoren bis zum Stadium T2, unvollständig abtragbare Adenome oder inkomplett abgetragene Karzinome besonders geeignet.
47.6
Postoperativer Verlauf
47.6.1 Regelfall Heutzutage wird in der Mehrzahl der Kliniken ein dem Fasttrack-Regime angepasstes postoperatives multimodulares Management durchgeführt. In Abhängigkeit vom klinischen Untersuchungsbefund wird dabei mit dem oralen Kostaufbau des Patienten relativ früh begonnen, und sobald die Darmtätigkeit in Gang kommt und Darmgeräusche auskultierbar sind fortgeführt. Eine perioperativ eingelegte Magensonde wird entfernt, sobald die Darmperistaltik begonnen hat und die Magenrückflüsse unter 300 ml liegen. Besonders bei rechtsseitigen Resektionen kann es zu einer verlängerten Atonie kommen. Der Kostaufbau kann in diesen Fällen innerhalb von 3–4 Tagen mit leicht verdaulichen Speisen abgeschlossen werden, blähende oder scharfe Speisen und kohlesäure- bzw. fruchtsäurehaltige Getränke sollten vermieden werden. Nach vollständiger Mobilisation kann der Patient bei einem durch unauffällige Wundheilung, Infektfreiheit und regelmäßigen Wind- und Stuhlabgang gekennzeichneten unkomplizierten Verlauf entlassen werden.
sulinresistenz, Abgeschlagenheit und Darmatonie, iatrogen und nicht physiologisch bedingt sind und daher auch positiv beeinflusst werden können. Diese positive Beeinflussung wird möglich durch Modifikationen im Bereich der perioperativen Nüchternheit, der parenteralen Flüssigkeitszufuhr, der prä- und postoperativen Mobilisierung sowie der Auswahl des geeigneten operativen Zugangweges und Wundverschlusses. Die bisher geltenden Regeln zur Einhaltung einer perioperativen Nüchternheit sind einer aus physiologischen Gründen nicht erforderlich und einer raschen Erholung des Patienten abträglich. Die präoperative in vielen Kliniken immer noch übliche Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz ab dem Vorabend der Operation führt zu einem progredienten Volumendefizit und sollte auf maximal 2–4 h begrenzt werden (Lobo et al. 2002). Gleiches gilt für den postoperativen Kostaufbau. Eine intestinale Anastomose ist primär luft- und wasserdicht genäht und bedarf keiner »Ruhigstellung« zur sicheren Heilung. Bereits wenige Stunden postoperativ transportiert der Darm intestinales Sekret über die Anastomose. Die enterale Ernährung der Patienten kann daher ohne erhöhte Gefahr einer Anastomoseninsuffizienz postoperativ frühzeitig begonnen werden. In randomisierten Studien konnte gezeigt werden, dass sich die Magenentleerung und Darmfunktion durch die Vermeidung einer parenteralen Flüssigkeitszufuhr schneller erholt und der Krankenhausaufenthalt verkürzt wird (Schwenk et al. 2009). Durch eine frühe und forcierte Mobilisierung des Patienten bereits ab dem Operationstag wird typischen Komplikationen wie Thrombose, Pneumonie, Atonie entgegengewirkt. Diese wird unterstützt durch eine geringere Invasivität bezüglich des operativen Zugangsweges und eine Vermeidung von Zugängen zur Überwachung der sekretorischen und Ausscheidungsfunktionen des Patienten (Magensonde, Dauerkatheter, Drainagen) (Urbach et al. 1999). Die Voraussetzungen für die Erzielung der frühen Mobilisation werden wesentlich durch eine thorakale epidurale Schmerztherapie geschaffen.
Die bislang publizierten Ergebnisse des Fast-track-Konzeptes belegen eine deutliche Verkürzung der postoperativen Liegedauer bei signifikant geringeren Komplikationsraten ohne wesentliche Erhöhung der stationären Wiederaufnahmerate. Dieses Konzept führen wir mittlerweile bei der Mehrzahl der elektiven Kolonresektionen in unserer Klinik durch.
47.6.2 Fast-track-Chirurgie Anders als in dem oben aufgeführten konventionellen postoperativen Vorgehen wird in den letzten Jahren vermehrt das sog. Fast-track-Konzept zur perioperativen Betreuung der Patienten eingesetzt (Kehlet et al. 2002; Holte et al. 2000; Schwenk et al. 2009). Dieses Konzept einer multimodalen Rehabilitation – auch ERAS (»enhanced recovery after surgery«) genannt – zielt auf die positive Beeinflussung zahlreicher pathophysiologischer Veränderungen im Rahmen des operativen Traumas ab. Grundsätzlich geht man dabei davon aus, dass die pathophysiologischen Veränderungen nach einer Operation, wie z. B. die In-
Prinzipien der Fast-track-Chirurgie 4 Präoperativ – Präoperativ 14 Tage Karenz von Nikotin und Alkohol anstreben – Aufklärung von Patient/Angehörigen – Feste Nahrung bis 6 h präoperativ – Gesüßter Tee bis 2 h präoperativ – Keine routinemäßige Darmlavage 6
709 47.6 · Postoperativer Verlauf
4 Intraoperativ – Anlage eines thorakalen Periduralkatheters – Keine Hypothermie (Wärmedecken)! – Zugang: Querlaparotomie oder Laparoskopie – Faszienverschluss: fortlaufende Naht – Drainagen und Zugänge minimieren 4 Operationstag – Auf periphere Station verlegen – 500–1000 ml Tee/1 Becher Naturjoghurt p.o. ab 6 h postoperativ – Mobilisation an Bettkante – Geringe i.v. Flüssigkeit (maximal 2000 ml) – 1 Ampulle Prostigmi s.c. 4 1. und 2. postoperativer Tag – Analgesie über Periduralkatheter plus ggf. periphere Analgetika – Entfernung vorhandener Drainagen/Blasenkatheter – Ziel 2 l Tee oder Wasser, 3×200 ml energiereiche Flüssigkeit, Joghurt – 1000 ml Flüssigkeit i.v. – Täglich 1–3 Ampullen Prostigmin s.c. – Mobilisation 4 3. postoperativer Tag – Entfernung Periduralkatheter, Analgesie mit peripheren Analgetika – Freie Flüssigkeit und leichte Vollkost, 3×200 ml energiereiche Nahrung – Vollständige Mobilisation – Besprechung über geplante Entlassung – Entlassung nach Abschlussgespräch und Information über Kontaktadresse – Ggf. Wiedervorstellungstermin vereinbaren (Nahtmaterial, Histologie)
47.6.3 Komplizierter Verlauf Nach einer Kolonresektion können sowohl chirurgische als auch nichtchirurgische Komplikationen auftreten. Die nichtchirurgische Morbidität umfasst vor allem kardiovaskuläre (Myokardischämie, Arrhythmie, Hypertonie, Thrombose, Apoplex), renale (Niereninsuffizienz, Elektrolytentgleisung, Harnwegsinfekte) und pulmonale Komplikationen (Pneumonie, Lungenembolie, respiratorische Insuffizienz). Nichtchirurgische Komplikationen sind bei Notfalleingriffen häufiger und treten in 15–45% der Patienten auf (Killingback et al. 2002). Zur eingriffspezifischen Morbidität zählen postoperative Darmatonie, Nachblutung, Wundinfekt, Bauchwanddehiszenz, Anastomoseninsuffizienz, Peritonitis und intraabdominale Abszesse. Diese Komplikationen sind bei intraperitonealen Anastomosen seltener zu beobachten als bei extraperitonealen Anastomosen. Die Mortalität nach Kolonresektionen hängt ebenfalls von der Art der Anastomosenlage ab und wird weiterhin durch die Komorbidität und das Alter des Patienten und durch den Chirurgen selbst beeinflusst.
McArdle zeigte, dass die postoperative Morbidität und Mortilität auch operateurbedingt sein können. In ihrer Analyse wurden 645 Patienten mit kolorektalem Karzinom in eine Klinik von 13 verschiedenen Chirurgen operiert. Es fand sich ein Mortalitätsunterschied zwischen 8 und 36%, eine Anastomoseninsuffizienzrate zwischen 0 und 25% und ein Patientenüberleben nach 10 Jahren zwischen 20 und 66% (McArdle et al. 1991).
Wundinfekt Durch den routinemäßigen Einsatz einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe und dank atraumatischer Operationstechniken ist die Rate an perioperativen Wundinfektionen in den letzten Jahren gesunken. Risikofaktoren für einen Wundinfekt sind Adipositas, Immunsuppression, Diabetes mellitus und Notfalleringriffe. Durch frühzeitige offene Behandlung des Infektes kann dieser rasch stabilisiert werden, es ist jedoch stets darauf zu achten, dass keine Fasziendehiszenz im Sinne eines Platzbauches vorliegt, der operativ versorgt werden sollte, da diesem häufig ein intraabdominelle Ursache zugrunde liegt. Die sekundäre Wundheilung sollte bei guter Granulation des Wundgrundes bei großen Wunddehiszenzen durch eine Sekundärnaht versorgt werden.
Anastomoseninsuffizienz Die schwerste postoperative Komplikation stellt eine Undichtigkeit der Darmnaht dar, die für die Mehrzahl aller postoperativen Peritonitiden verantwortlich ist und potenziell tödlich enden kann. Zusätzlich zu den akuten Problemen stellt diese Komplikation einen unabhängigen Risikofaktor für das Auftreten eines Lokalrezidivs und eine verringerte Überlebenszeit dar (Marra et al. 2009). Ursachen einer Anastomoseninsuffizienz können lokale und systemische Faktoren sein. Zu den lokalen Faktoren zählen die Durchführung der Naht, die lokale Gewebeischämie, eine nicht spannungsfrei angelegte Anastomose, die Ausbildung eines Anastomosenhämatoms oder thermische Nekrosen. Als systemische Faktoren gelten sein schlechter Ernährungszustand, hohes Alter, Arteriosklerose, Diabetes mellitus und die Einnahme von Immunsuppressiva (Killingback et al. 2002; Stumpf et al. 2009). Die Häufigkeit ist weiterhin abhängig von der Lage der Anastomose. Nach einer Hemikolektomie rechts tritt sie in ca. 0,5–1% der Fälle, nach einer Hemikolektomie links in ca. 1–3% der Fälle auf, bei anterioren Rektumresektionen liegt sie zwischen 4,7 und 14%.
Bei einer frühen Anastomoseninsuffizienz mit ausgeprägter Peritonitis und septischem Krankheitsbild, sollte eine rasche Relaparotomie erfolgen, um den septischen Herd zu sanieren.
Wenn möglich kann bei gering ausgeprägter Peritonitis und guter Durchblutung der Darmenden eine Übernähung oder Nachresektion der Anastomose erfolgen. Die Vorschaltung eines protektiven Stomas sollte großzügig erfolgen. Bei einer ausgeprägten lokalen Entzündungssituation stellt die Schaffung einer Hartmann-Situation (endständiger Anus praeter
47
710
Kapitel 47 · Kolonkarzinom
mit Blindverschluss des distalen Darmendes) oder die Anlage eines Splitstomas (getrennte Ausleitung des oralen und aboralen Darmendes als Stoma) das Verfahren mit dem geringsten Risiko dar.
47
47.7
Prognose
Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind etwa 40% der Kolonkarzinome noch auf die Darmwand beschränkt (UICCStadium I: 13%, Stadium II: 27%). Etwa ein Drittel der Patienten hat bereits Lymphknotenmetastasen (Stadium III: 32%) und bei 28% liegen Fernmetastasen vor (Stadium IV). Ca. 70% der Kolonkarzinome sind somit zur Diagnosestellung noch kurativ resezierbar, aber nur etwa 45% der Patienten überleben 5 Jahre. Die Prognose hängt wesentlich von der Tumorausdehnung bei Erstdiagnose ab. Die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit im Stadium I beträgt 80–100%, im Stadium II 60–80%, bei Lymphknotenbefall im Stadium II nur noch 30–60% und bei Vorliegen von Fernmetastasen unter 30%. Neben der Tumorausdehnung kommt der vollständigen Tumorentfernung (R-Status) entscheidende prognostische Bedeutung zu. Nach R0-Resektion überleben mehr als 70% aller Patienten 5 Jahre oder mehr. Nach R1/2 Resektionen liegt dieser Anteil deutlich unter 10%. Der Chirurg selbst stellt einen weiteren wichtigen Prognosefaktor dar, wie in den Arbeiten der Studiengruppe kolorektales Karzinom (SGKRK) gezeigt werden konnte (Hermanek et al. 2000). Das Überleben der Patienten 5 Jahre nach kurativer Resektion schwankt zwischen 30 und 60% in den einzelnen Kliniken, das Lokalrezidivrisiko variiert zwischen 9 und 35%.
47.8
Adjuvante Therapie
Eine adjuvante Therapie nach chirurgischer Resektion eines Kolonkarzinoms setzt eine R0-Resektion des Primärtumors und eine histopathologische Stadienbestimmung voraus.
Aufgrund der guten Überlebenszeiten nach alleiniger chirurgischer Therapie gibt es im UICC-Stadium I zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Empfehlungen für eine adjuvante Therapie. Für Patienten im Stadium II sollte eine adjuvante Chemotherapie erwogen werden, wenn Risikofaktoren für ein Tumorrezidiv bestehen (T4-Tumor, intraoperativer Tumoreinriss, Tumorperforation, Operation unter Notfallbedingungen, Anzahl untersuchter Lymphknoten zu gering) (Schmiegel et al. 2005). Für das UICC-Stadium III dagegen konnte bereits 1989 gezeigt werden, dass Patienten nach einer adjuvanten systemischen Kombinationschemotherapie aus 5-FU und Levamisol einen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber unbehandelten Patienten haben und das Rezidivrisiko nach einer Beobachtungszeit um 40% gesenkt wird (Moertel et al. 1995; Gill et al. 2007). In den Leitlinien der chirurgischen und onkologischen Arbeitsgemeinschaften wird entsprechend empfohlen, den Patienten im UICC-Stadium III in ein Therapieprotokoll einzuschleusen, das eine Kombinationstherapie mit 5-FU, Folinsäure und Oxaliplatin vorsieht (S3-Leitlinien).
Gegenwärtig gibt es für den immunzytologischen Nachweis von isolierten Tumorzellen in Lymphknoten keine Indikation zur adjuvanten Therapie außerhalb von Studien.
47.9
Nachsorge
Die Nachsorge nach operativer Therapie eines Kolonkarzinoms verfolgt mehrere Ziele. Zum einen soll ein Tumorrezidiv so frühzeitig erkannt werden, um es nochmals einer potenziell kurativen Therapie zuzuführen. Zum anderen sollen Folgen der Ersttherapie erkannt und behandelt werden, um die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Nicht zuletzt dient die Nachsorge einer Beurteilung des eigenen Therapieerfolges im Sinne der Qualitätskontrolle. Entsprechend der gegenwärtigen Leitlinien wird heutzutage ein stadien- und risikoadaptiertes Nachsorgeschema empfohlen (. Tab. 47.6). Im UICC-Stadium I ist nach R0-Re-
. Tab. 47.6. Nachsorgeempfehlung gemäß S3-Leitlinien bei Patienten mit Kolonkarzinom UICC-Stadium II–III (Kolonoskopie nach 6 Monaten nur, wenn präoperativ keine vollständige Darstellung erfolgt; bei unauffälligem Befund Wiederholung nach 5 Jahren)
Untersuchung/Zeitraum (Monate nach Operation)
6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche Untersuchung, CEA
+
+
+
+
+
+
+
Abdomen-Sonographie
+
+
+
+
+
+
+
Röntgen-Thorax (kein Konsens)
Kolonoskopie
(+)
+
711 47.10 · PKolonkarzinomrezidiv
sektion in Anbetracht der günstigen Prognose kein prognostischer Gewinn zu erwarten. Die Anwendung eines Nachsorgeschemas ist sinnvoll bei Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko, also im Tumorstadium II und III. In der postoperativen Situation einer palliativen Tumorresektion wird die Nachbetreuung des Patienten individualisiert, und der Einsatz der Untersuchungen erfolgt symptomorientiert.
Patienten mit HNPCC bedürfen einer lebenslänglichen Nachsorge sowohl zur Entdeckung metachroner Kolonkarzinome als auch extrakolischer Tumoren.
47.10
Kolonkarzinomrezidiv
Von einem Karzinomrezidiv kann nur dann gesprochen werden, wenn beim Primäreingriff eine komplette R0-Resektion erreicht wurde. Anderenfalls handelt es sich um einen Progress des Residualtumors. Ein Rezidiv kann als lokoregionäres Rezidiv intraluminal und extraluminal auftreten oder sich als systemisches Rezidiv durch Fernmetastasen in anderen Organen (Leber, Lunge, Knochen etc.) manifestieren. Lokoregionäre Rezidive treten in 5–19% der Patienten nach Kolonkarzinom auf (Read et al. 2002). Risikofaktoren für ein lokoregionäres Rezidiv sind fortgeschrittene Tumorstadien, Lymphknotenmetastasen und inadäquate chirurgische Technik beim Primärkarzinom (Harris et al. 2002). Zwischen 7 und 20% der Rezidive können unter kurativer Intention erneut reseziert und dadurch bei 30–50% der Patienten ein Langzeitüberleben erreicht werden. Die Diagnostik erfolgt zumeist im Rahmen der Nachsorgeuntersuchung, häufig durch einen Anstieg des CEA-Wertes. Ein Anstieg dieses Wertes in der Tumornachsorge sollte zu einer umfassenden diagnostischen Abklärung Anlass geben. Findet sich durch die Routineuntersuchungen (Kolonoskopie, Röntgen-Thorax, Sonographie, Computertomographie) kein Hinweis auf ein Rezidiv, sollte die Bildgebung mittels einer Positronenemissionstomographie (PET) in Betracht gezogen werden.
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Kapitel 47 · Kolonkarzinom
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48 48
Rektumkarzinom S. Willis, V. Schumpelick
48.1
Grundlagen
48.1.1 48.1.2 48.1.3 48.1.4
Chirurgische Anatomie – 714 Histologie – 715 Tumorausbreitung – 715 Tumorklassifikation – 716
– 714
48.2
Klinische Symptomatologie
48.3
Diagnostik und Staging
48.4
Therapieziele und Indikationsstellung
48.5
Resektionsstrategien
48.5.1 48.5.2 48.5.3 48.5.4 48.5.5 48.5.6 48.5.7 48.5.8 48.5.9 48.5.10
Totale mesorektale Exzision – 719 Distaler Sicherheitsabstand – 720 Lymphadenektomie – 720 Vermeidung von Implantationsmetastasen – 720 Kontinenzerhalt oder abdominoperineale Rektumexstirpation Rekonstruktionsformen – 722 Anastomosentechnik – 723 Proktektives Stoma, Drainagen – 724 Lokale Resektion – 724 Laparoskopische Resektion – 725
– 716
– 716 – 717
– 719
48.6
Operationstechnik
48.6.1 48.6.2 48.6.3 48.6.4 48.6.5
Perioperatives Management – 725 Tiefe anteriore Resektion und TME – 725 Rekonstruktion – 726 Abdominoperineale Rektumexstirpation – 727 Transanale lokale Exzision (»disc excision«) – 728
48.7
Postoperative Behandlung
48.8
Intra- und postoperative Komplikationen
48.9
Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose
48.10
Adjuvante und neoadjuvante Therapie
48.11
Nachsorge
48.12
Ausblick
Literatur
– 725
– 731 – 732
Internetadressen – 732
– 721
– 732
– 728 – 728
– 730
– 729
714
48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
> Das Rektumkarzinom verhält sich aufgrund seiner lymphatischen Ausbreitungswege anders als das Kolonkarzinom und hat insbesondere ein höheres lokoregionäres Rezidivrisiko. Trotz vieler technischer Variationen ist die En-bloc-Resektion des Tumors einschließlich der regionalen Gefäßversorgung unverändert der zentrale Eckpfeiler der chirurgischen Therapie. Systematische pathoanatomische Erkenntnisse zur perirektalen Tumorausbreitung, ein besseres Verständnis der Kontinenzmechanismen und ein optimiertes Instrumentarium führten dazu, dass ca. 85% der Rektumkarzinome kontinenzerhaltend operiert werden können. Bei Tumoren des oberen Rektumdrittels stellt das kein Problem dar, die Rekonstruktion erfolgt durch eine End-zu-End-Deszendorektostomie. Bei Tumoren des mittleren und distalen Rektumdrittels ist die totale mesorektale Exzision obligat. Hier stellt die Kolonpouch-anale Anastomose mit vorgeschaltetem Kolon-J-Reservoir die derzeitige Standardrekonstruktion dar. Die lokale Exzision (endoskopisch oder chirurgisch transanal) beschränkt sich auf uT1-Low-risk-Tumoren. Neoadjuvante Therapieansätze haben einen festen Stellenwert bei extraperitoneal gelegenen wandüberschreitenden oder nodalpositiven Tumoren.
48.1
. Abb. 48.1. Grenzlamellen im kleinen Becken (1 Fascia diaphragmatis pelvis superior, 2 posteriore Fascia propria recti, WaldeyerFaszie 3 vordere Grenzlamelle des Urogenitalsystems, 4 anteriore Fascia propria recti, 5 Denonvillier-Faszie, 6 Spatium praerectale, 7 Spatium praesacrale). (Stelzner 2003)
Grundlagen
48.1.1 Chirurgische Anatomie Als Rektumkarzinome gelten epitheliale Tumoren, deren aboraler Rand bei der Messung mit dem starren Rektoskop 16 cm oder weniger von der Anokutanlinie entfernt ist. Das Rektum wird eingeteilt in ein unteres Drittel (Linea dentata bis 7 cm), ein mittleres (7–11 cm) und ein oberes (11–16 cm). Das obere Rektumdrittel liegt intraperitoneal, sodass größere Tumoren in diesem Bereich noch eine direkte Beziehung zur freien Bauchhöhle haben. Im Gegensatz dazu neigen Tumoren des unteren und mittleren Drittels eher zur Infiltration der Nachbarorgane. Im kleinen Becken wird das Rektum zirkulär von einem Blut- und Lymphgefäße führenden Fettkörper umgeben, vom Mesorektum. Das untere Viertel des Mastdarms besitzt kein Mesorektum. Dort verlaufen die Blutgefäße intramural und versorgen den rektalen Schwellkörper.
Endopelvine Faszien Das Mesorektum ist gegen das Becken durch feine embryonale Bindegewebsschichten abgegrenzt. Diese Grenzlamellen bilden über lange Zeit eine natürliche Tumorbarriere, die erst spät bei ausgedehnten Tumorstadien durchbrochen wird. Die parietale pelvine Faszie (präsakrale Faszie, Fascia diaphragmatica pelvis superior) bedeckt die Beckenhinter- und -seitenwand mit den darin enthaltenen Gefäßen und vegetativen Nerven. Sie ist eine dünne Bindegewebsschicht und erstreckt sich vom Sakrum bis 3–5 cm oberhalb des anorektalen Übergangs, wo sie in die viszerale Rektalfaszie (Fascia propria recti, Waldeyer-Faszie) umschlägt. Der dazwischen liegende gefäßfreie retrorektale Raum stellt die Präparationsschicht bei der dorsalen mesorektalen Mobilisierung dar. Die vordere Grenzlamelle ist beim Mann die DenonvillierFaszie, eine Bindegewebsschicht zwischen Prostata, Samen-
blasen und Rektum. Bei der Frau entspricht dieser Faszie das Septum rectovaginale, das unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Die anteriore Fascia propria recti und die davorgelegene Denonvillier-Faszie begrenzen das Spatium praerectale, das ebenso wie das dorsale Spatium retrorectale eine interfasziale Präparation des tumortragenden Rektums mitsamt Mesorektum erlaubt. Allerdings begrenzen die beiden Grenzlamellen das Mesorektum nicht zirkulär (. Abb. 48.1). Anterolateral bestehen beidseits Verankerungspunkte der Fascia propria recti an die Beckenwand, die lateralen Ligamente, nach deren Durchtrennung das Rektum meist um einige Zentimeter nach kranial gestreckt werden kann. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um »Ligamente« im eigentlichen Sinne, sondern um den Abgangsbereich von feinen Gefäßen und Nerven zur Versorgung der anterolateralen Rektumwand aus einer gemeinsamen embryonalen Anlage von Blasenhinterwand, Samenbläschen und Prostata bzw. Scheide. Eine relevante A. rectalis media findet sich nur in 20% aller Fälle (Höer et al. 2000).
Vegetative Nerven Von den lateral der Aorta verlaufenden Trunci sympathici ziehen sympathische Nervenfasern nach medial zur Vorderfläche der Aorta abdominalis, um sich in Höhe des Abgangs der A. mesenterica inferior zum Plexus mesentericus inferior zu vereinigen. Cave Die stammnahe Ligatur der A. mesenterica inferior führt deshalb zwangsweise zu einer Schädigung dieses Plexus, weshalb die Arterie etwa 2 cm vom Abgang aus der Aorta freigelegt und abgesetzt werden sollte.
715 48.1 · Grundlagen
. Abb. 48.2. Nerven im kleinen Becken (1 A. iliaca communis, 2 Rektumstumpf, 3 Plexus hypogastricus superior, 4 N. hypogastricus dexter, 5 Plexus pelvicus). (Höer et al. 2000)
Unterhalb der Aortenbifurkation sammeln sich präsakral in Höhe des Promontoriums sympathische Nervenfasern zum Plexus hypogastricus superior. Er teilt sich in den rechten und linken N. hypogastricus auf, welche dorsal des Mesorektum entlang der präsakralen Faszie verlaufen. Eine versehentliche Durchtrennung dieser Nerven führt beim Mann häufig zu retrograder Ejakulation. Zusammen mit den parasympathischen N. pelvici bilden die N. hypogastrici dorsolateral der Samenbläschen den Plexus hypogastricus inferior (Plexus pelvicus; . Abb. 48.2). Von dort verlaufen Nervenfasern für die urogenitalen Organe am Unterrand der Samenbläschen entlang des lateralen Randes der Prostata (neurovaskuläre Bündel nach Walsh). Eine Durchtrennung der Nervenbündel auf dieser Höhe kann den Patienten impotent machen, da von ihnen die Endäste der erektilen Nerven zu den Corpora cavernosa entspringen. Es ziehen jedoch nur feine Nervenfasern und kleine Gefäße aus den »lateralen Ligamenten« zur Rektumvorderwand, sodass unter praktischen Gesichtspunkten bei sorgfältiger fasziennaher Präparation entlang der Fascia propria recti die vegetativen Nervenfasern des Beckens weitgehend geschont werden können. Es ist allerdings nicht klar, welches Ausmaß der Zerstörung vegetativer Nervenfasern postoperativ eine Beeinträchtigung von Kontinenz und Potenz nach sich zieht. Einige Autoren gehen davon aus, dass man aufgrund der paarigen Anlage und der ausgedehnten Kollateralisierung viele Fasern zerstören muss, um postoperative Ausfälle beobachten zu können (Stelzner 2003).
48.1.2 Histologie Um ein Rektumkarzinom handelt es sich definitionsgemäß, wenn atypische epitheliale Formationen die Submukosa infiltrieren. Nicht einbezogen sind ausschließlich auf die Schleimhaut begrenzte Malignome ohne Invasion durch die Muscularis mucosae, die sog. Mukosakarzinome oder intraepithelialen Karzinome (pTis). Diese tragen kein nennenswertes Metastasierungsrisiko. Daher ist der Begriff einer hochgradigen intraepithelialen Neoplasie geeigneter als der Begriff des »Carcinoma in situ«.
Rektumkarzinome können exophytisch mit hauptsächlich intraluminalem Wachstumsmuster, endophytisch mit Ulzeration und hauptsächlich intramuralem Wachstum und auch diffus infiltrierend im Sinne einer Linnitis plastica mit nur minimalem endophytischen Wachstum auftreten. In der Regel handelt es sich um Adenokarzinome mit glandulären Strukturen in erheblicher Form- und Größenvariabilität. Werden mehr als 50% der Schnittfläche von Schleim eingenommen, so spricht man von muzinösen Adenokarzinomen. Bei Siegelringzellkarzinomen haben mehr als 50% der Tumorzellen gut erkennbare intrazytoplasmatische Muzineinschlüsse mit randständigem Zellkern. Wie beim Magenkarzinom kann auch im Rektum ein diffuses, von Fibrose und Wandstarre begleitetes Wachstum mit nur minimaler extrazellulärer Muzinablagerung auftreten. Die seltenen adenosquamösen Karzinome zeigen Merkmale sowohl von plattenepithelialen als auch von Adenokarzinomen entweder als gemischte Tumoren oder in getrennten Arealen innerhalb des Tumors. Reine Plattenepithelkarzinome, Spindelzellkarzinome und undifferenzierte Karzinome sind im Rektum eine Rarität. Histologisch wird differenziert zwischen Low-grade- und High-grade-Karzinomen: Als High-grade-Karzinome werden schlecht differenzierte muzinöse und nichtmuzinöse Adenokarzinome, Siegelringzellkarzinome, kleinzellige und undifferenzierte Karzinome klassifiziert (G3). Cave Die intratumorale Heterogenität insbesondere größerer Karzinome kann dazu führen, dass die »High-grade-Qualität« eines Tumors in einer Biopsie nicht erfasst wird.
48.1.3 Tumorausbreitung
Direkte Ausbreitung Das Wachstum des Rektumkarzinoms erfolgt initial auf die Darmwand begrenzt und hat infolge der ringförmig verlaufenden intramuralen Lymphwege eine radiäre Wachstumstendenz. Dies führt dazu, dass die longitudinale Ausbreitung eher begrenzt und gleichzeitig eine Penetration möglich ist. Diese örtliche organüberschreitende Ausbreitung ist beim Rektumkarzinom nicht mit einer systemischen Erkrankung gleichzusetzen. Etwa 5–15% der Patienten weisen bei der Erstdiagnose ein lokal fortgeschrittenes Stadium ohne Fernmetastasen auf. Generell zeigen mehr als 50% der lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinome keine lymphatische Ausbreitung, bei der histologischen Aufarbeitung zeigen sich ca. 50% der Adhäsionen zu Nachbarorganen als rein entzündlich.
Es ist nicht sinnvoll, die Differenzierung zwischen entzündlichen und tumorösen Adhäsionen intraoperativ zu erzwingen, denn eine eindeutige, drastische Verringerung der 5-Jahres-Überlebensrate nach intraoperativer Tumoreröffnung ist klar nachgewiesen.
48
716
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Ob ergänzende Maßnahmen wie zytotoxische Spülungen oder eine postoperative Radio-/Chemotherapie diesen Überlebensnachteil nach intraoperativer Tumoreröffnung wettmachen können, kann zum jetzigen Zeitpunkt weder bestätigt noch ausgeschlossen werden (Kasperk et al. 2001).
Diskontinuierliche Ausbreitung
48
Ein für das chirurgische Vorgehen wichtigeres Problem stellt die diskontinuierliche Tumorausbreitung dar. Dabei handelt es sich um sog. Satelliten, nur mikroskopisch sichtbare, isolierte Tumorknoten außerhalb von Lymphknoten. Solche Satelliten entwickeln sich aus Tumorabsiedlungen innerhalb von Lymphbahnen, kleinen Venen oder Perineuralräumen und können in histologischen Serienschnitten gefunden werden, manchmal in der Submukosa, selten in der Muscularis propria und am häufigsten im Mesorektum. Sie sind meist lateral, in vielen Fällen jedoch auch distal des Tumorunterrandes zu finden. Obwohl bis heute Häufigkeit und Lokalisation der distalen Satelliten des Mesorektums nicht systematisch an einem größeren Patientenkollektiv untersucht wurden, gibt es genügend Belege dafür, dass sie häufiger bei High-grade-Tumoren und ausgedehnter Lymphknotenmetastasierung auftreten. Während die direkte intramurale Ausbreitung am histologischen Präparat lediglich wenige Millimeter über den makroskopischen Tumorrand hinaus beträgt, können extramurale Satelliten bis zu 4 cm unterhalb des Tumorunterrands (gemessen am histologischen Präparat) auftreten (Scott et al. 1995).
Lymphatische Ausbreitung Die lymphatische Drainage des Rektums erfolgt in Anlehnung an die arterielle Versorgung im oberen und mittleren Abschnitt praktisch ausschließlich entlang der A. rectalis superior bzw. A. mesenterica inferior. Lediglich im unteren Rektumdrittel gibt es auch eine lymphatische Drainage entlang der A. rectalis inferior. Klinische Daten zeigen, dass eine lymphatische Ausbreitung nach distal, die insgesamt nur in einer Häufigkeit von ca. 6–8% zu beobachten ist, nur bei fortgeschrittenem bzw. schlecht differenzierten Tumoren oder blockiertem proximalem Lymphabfluss zu beobachten ist.
Hämatogene Ausbreitung Ein weiterer Metastasierungsweg liegt in der direkten, venösen Ausbreitung. Die Inzidenz korreliert mit der Penetrationstiefe und dem Differenzierungsgrad des Tumors. Hämatogen metastasiert das Rektumkarzinom über die Pfortader in die Leber, in seltenen Fällen bei sehr tiefen Tumoren auch direkt über die V. cava in die Lungen. Dieser Ausbreitungsweg erklärt frühe Fernmetastasen trotz R0-Resektion nodal-negativer Primärtumoren. Mit abnehmender Häufigkeit sind bei der Erstdiagnose eines Rektumkarzinoms folgende Fernmetastasen zu finden: Leber >Lunge >Knochen >Hirn.
48.1.4 Tumorklassifikation Die Stadieneinteilung des Rektumkarzinoms erfolgt entsprechend dem Kolonkarzinom anhand der TNM-Klassifikation
der UICC, gelegentlich findet man auch noch die von Astler und Coller modifizierte Dukes-Klassifikation (7 Kap. 47). In der jüngsten Version wurden die Bedingungen für die Angabe des Nodalstadiums pN0 dahingehend präzisiert, dass hierfür die Untersuchung von mindestens 12 Lymphknoten gefordert wird, die sich alle als tumorfrei erweisen müssen. Dabei gelten perikolische Tumorknötchen von über 3 mm Durchmesser als Lymphknotenmetastasen im Sinne des pN-Stadiums, während Knötchen unter 3 mm als Ausdruck perirektaler Ausbreitung definiert und dem Stadium pT3 zugeordnet werden. Bei einem bis 3 befallenen Lymphknoten handelt es sich definitionsgemäß um das Stadium pN1, bei mehr als 3 um pN2 (Wittekind u. Meyer 2010).
48.2
Klinische Symptomatologie
Peranaler Blutabgang ist das häufigste und meist erste Symptom eines Rektumkarzinoms. Er kann irrtümlicherweise einem Hämorrhoidalleiden zugeschrieben werden, was zu einer wesentlichen Verzögerung der Diagnosestellung führen kann. Weitere typische Symptome sind Stuhlunregelmäßigkeiten, Bleistiftstühle, fragmentierte oder schmerzhafte Stuhlentleerung, Inkontinenz bei Sphinkterinfiltration und Gesäßschmerzen beim Sitzen. Luft- und Stuhlentleerung über Scheide und Blase (rektovaginale/rektovesikale Fisteln) oder Ileus bei kompletter Tumorobstruktion sind häufig schon Ausdruck eines lokal fortgeschrittenen Tumorstadiums.
48.3
Diagnostik und Staging
Die Verdachtsdiagnose Rektumkarzinom wird mittels digitaler Palpation und/oder Rektoskopie gestellt. Beides erlaubt zudem die Beurteilung von Tumorgröße und -wachstumsform. Mittels klinischem Staging nach Mason kann ein erfahrener Untersucher die Penetrationstiefe eines Tumors abschätzen. Bei Fixierung des Tumors auf seiner Unterlage ist von einem wandüberschreitenden Wachstum (mindestens T3) auszugehen. Die exakte Höhenlokalisation wird rektoskopisch als Abstand des Tumors von der Anokutanlinie gemessen. Die histologische Sicherung der Karzinomdiagnose ist obligat. Dazu sollten aus verdächtigen Schleimhautläsionen möglichst mehrere Probeexzisionen aus den Randgebieten entnommen werden. Von entscheidender Bedeutung ist die ausführliche Familienanamnese. Anhand der Amsterdam- und Bethesda-Kriterien kann der Verdacht auf ein hereditäres Karzinom (HNPCC) erhoben werden (7 Kap. 47). Bei entsprechendem Verdacht sollte den Patienten und ihren Angehörigen eine humangenetische Beratung empfohlen werden. Zum Ausschluss synchroner Kolonkarzinome (2–8% der Patienten) oder synchroner Polypen (12–62%) sollte, wenn technisch durchführbar, präoperativ eine totale Koloskopie durchgeführt werden. Bei hochgradig stenosierendem Tumor ist die intraoperative palpatorische Untersuchung ausreichend. Es empfiehlt sich, das Restkolon dann koloskopisch
717 48.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
innerhalb von 3 Monaten postoperativ abzuklären (Deutsche Krebsgesellschaft 2002).
Nach Diagnosesicherung muss der CEA-Wert bestimmt werden, um einen Ausgangswert für die weitere postoperative Verlaufskontrolle zu haben. Er sollte sich innerhalb von 4 Wochen postoperativ normalisieren und besitzt einen hohen Stellenwert bezüglich Tumorrezidiv und Prognose.
Die Sonographie des Abdomens, die Spiralcomputertomographie des Oberbauchs und eine Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen dienen der präoperativen Metastasensuche. Eine Spiralcomputertomographie des Thorax ist indiziert bei nativradiologischem Verdacht auf Lungenmetastasen. Die rektale Endosonographie ist Standard beim präoperativen Staging rektaler Karzinome. Die Bestimmung der Infiltrationstiefe (uT) und des Lymphknotenstatus (uN) beeinflusst vor allem bei frühen Tumorstadien zusammen mit der Histologie das weitere therapeutische Regime maßgeblich. In der Beurteilung der Infiltrationstiefe oder Sphinkterinfiltration ist die Endosonographie in erfahrenen Händen der Multislice-CT oder der hochauflösenden Dünnschicht-MRT überlegen, während der Lymphknotenstatus in der CT häufiger korrekt eingeschätzt wird als in der Endosonographie (Langer et al. 2001). Die Vorteile der MRT liegen vor allem
in der korrekten Beurteilung der Infiltration benachbarter Organe und der präoperativen Bestimmung des freien zirkumferenziellen Resektionsrandes (Beets-Tan et al. 2001; Mercury Study Group 2007). Dadurch können evtl. Patienten identifiziert werden, die von einer neoadjuvanten Therapie profitieren (7 Kap. 48.10). PET-Untersuchungen mit 18F-Fluordeoxyglucose (18FDGPET) haben sich als wertvoll erwiesen sowohl bei der Beurteilung des Ansprechens auf eine neoadjuvante Therapie als auch in der Rezidivdiagnostik. In der primären Diagnostik beim Rektumkarzinom haben PET-Untersuchungen bislang keinen festen Platz. Geht es bei tiefsitzenden Tumoren um die Frage des Sphinktererhalts, gibt die digitale Untersuchung des Sphinkters durch einen erfahrenen Arzt zusammen mit der funktionellen Anamnese in der Regel genügend Auskunft über die Sphinkterreserve. Bei früher stattgehabten Sphinktereingriffen, Geburtstraumata oder Inkontinenzbeschwerden ist zusätzlich eine Sphinktermanometrie erforderlich (. Tab. 48.1).
48.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Seit Dukes stellt die Entfernung des tumortragenden Darmabschnitts mitsamt seiner lokalen und regionalen Lymphknoten das Grundprinzip der Karzinomchirurgie am Rektum dar. Entsprechend der potenziellen Ausbreitungswege erfordert dies eine Anpassung der Operationsstrategie und -tech-
. Tab. 48.1. Rektumkarzinom: diagnostisches Vorgehen
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Obligate Diagnostik Starre Rektoskopie mit Biopsie
Tumorausbreitung, Höhenlokalisation, histologische Sicherung
Präoperativ wenn möglich totale Koloskopie (bei Stenosierung 3 Monate postoperativ)
Ausschluss synchroner Karzinome oder Polypen
CEA-Konzentration
Ausgangswert für postoperative Kontrollen, Rezidiv, Prognose
Sonographie des Abdomens, Spiral-CT des Oberbauchs, Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen
Metastasensuche
Rektale Endosonographie, CT oder MRT
Staging (Infiltrationstiefe, Lymphknoten), Resektionsgrenzen; neoadjuvante Therapie
Digitale Untersuchung des Sphinkters und funktionelle Anamnese (evtl. Sphinktermanometrie, s. unten)
Sphinkterreserve, Erhalt des Sphinkters
Zusätzliche Diagnostik in bestimmten Situationen Spiral-CT des Oberbauchs/des Thorax
Abklärung unklarer Röntgen-Thoraxbefunde
18FDG-PET
Ansprechen auf neoadjuvante Therapie, Rezidivdiagnostik
Sphinktermanometrie
Bei tiefsitzenden Tumoren und Inkontinenzsymptomen und/oder Zustand nach Geburtstrauma, früheren Sphinktereingriffen: Sphinktererhalt möglich?
Zystoskopie/Ausscheidungsurographie
Bei Verdacht auf Blaseninfiltration
48
718
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
. Tab. 48.2. Therapeutisches Vorgehen beim Rektumkarzinom
Klinische Situation (TNM)
Empfohlene Therapie
Intraperitonealer Tumor
48
uT1 N0 M0
TEM
Alle anderen Stadien
AR ± adjuvante Chemotherapie
Extraperitonealer Tumor uT1 N0 M0
Lokale transanale Exzision, TEM, endoskopische Submukosadissektion
Ohne Sphinkterinfiltration
. Abb. 48.3. Multiviszerale Resektion beim Rektumkarzinom, Operationspräparat
nik in Abhängigkeit der Tumorklassifikation und -lokalisation (. Tab. 48.2). Derzeit gilt für Karzinome des oberen Rektumdrittels und des rektosigmoidalen Übergangs die anteriore Resektion mit proximaler mesorektaler Exzision und kolorektaler Anastomose als chirurgischer Standard. Bei Karzinomen des mittleren und unteren Drittels erfolgt eine tiefe oder ultratiefe Resektion mit kompletter Entfernung des Mesorektums und tiefer kolorektaler oder koloanaler Anastomose. Eine abdominoperineale Rektumexstirpation ist bei sehr tiefsitzenden Karzinomen mit Sphinkterinfiltration oder nicht ausreichendem Sicherheitsabstand indiziert. Erweiterte Resektionen bei organüberschreitendem Wachstum eines Rektumkarzinoms im Sinne einer multiviszeralen Resektion sind dann durchaus berechtigt, wenn es gelingt, eine R0-Situation zu erzielen (. Abb. 48.3). Eine Metastasierung im Bereich des Ovars tritt bei 3–25% der Frauen mit Rektumkarzinom auf, dennoch gibt es bislang keinen gesicherten Nutzen einer prophylaktischen Ovarektomie. Eine pelvine Exenteration stellt einen großen Eingriff mit beträchtlicher Morbidität und nicht zu vernachlässigender Morbidität dar, der nur an großen Zentren mit der Möglichkeit eines interdisziplinären operativen Vorgehens durchgeführt werden sollte. Beim synchron metastasierten Rektumkarzinom gibt es keine Standardempfehlung zum therapeutischen Vorgehen. Die Prognose der Erkrankung wird im Regelfall durch die systemische Metastasierung bestimmt. Daher kann bei asymptomatischen Tumoren mit irresektablen Metastasen primär eine
uT2 N? M0
TAR
uT3 N0/u T1–3 N1–2
Neoadjuvante Radio(chemo)therapie + TAR
uT4 Nx
Neoadjuvante (Langzeit-)Radio-/ Chemotherapie + TAR
uTx Nx M1
TAR ± Metastasenresektion ± palliative Chemotherapie, ggf. palliative Chemotherapie ± Stent
Mit Sphinkterinfiltration
Neoadjuvante (Langzeit-)Radiochemotherapie + APR
TEM transanale endoskopische Mikrochirurgie, AR anteriore Rektum-/Sigmaresektion mit partieller Mesorektumexzision, TAR tiefe anteriore Rektumresektion mit totaler Mesorektumresektion, APR abdominoperineale Rektumexstirpation
systemische Kombinationschemotherapie eingesetzt werden. Auf der anderen Seite kann durch die kombinierte Resektion des Rektumkarzinoms und seiner Metastasen, ggf. konsekutiv nach systemischer Therapie, eine deutliche Prognoseverbesserung und in einzelnen Fällen sogar eine definitive Heilung erzielt werden (7 Kap. 44). Bei Belassen des Tumors drohen dagegen lokale Komplikationen (z. B. Ileus, Blutung, Kloakenbildung, Verjauchung), die Lebensqualität und Überlebenszeit wesentlich verschlechtern. Die palliative Anlage eines Deviationsstomas, Kryotherapie, Stenteinlage oder Gefäßembolisation können diese Komplikationen nur zum Teil verhindern. Mit einer Häufigkeit von 4–6% kommt es beim Rektumkarzinom zur Notfallsituation einer Obstruktion bzw. eines Ileus. Hier ist in den meisten Fällen die Notfallsituation durch Anlage eines doppelläufigen Stomas zu beherrschen. Die Resektion erfolgt bei den meist fortgeschrittenen Tumorstadien sekundär nach neoadjuvanter Vorbehandlung (7 Kap. 48.10). Die lokale Resektion ist lediglich bei pT1-Low-risk-Karzinomen in kurativer Zielsetzung vertretbar. Palliativ können lokaltherapeutische Verfahren jedoch eingesetzt werden, um eine lokale Kontrolle bei disseminiertem Tumorleiden zu erreichen.
719 48.5 · Resektionsstrategien
. Abb. 48.4. Totale Mesorektumexzision, Präparationsebenen
48.5
Resektionsstrategien
48.5.1 Totale mesorektale Exzision Die totale mesorektale Exzision (TME) stellt eine entscheidende Bereicherung in der chirurgisch-onkologischen Behandlung des Rektumkarzinoms dar. Das Konzept der TME beruht auf der scharfen Präparation des Mesorektum in der
avaskulären Schicht zwischen viszeraler und parietaler Schicht der Beckenfaszien, auf die Stelzner bereits vor über 40 Jahren hingewiesen hat (. Abb. 48.4). Es ist jedoch das Verdienst von Heald, dieses Konzept in die chirurgische Praxis übertragen und ihm weltweit zum Durchbruch verholfen zu haben. Die Existenz mesorektaler Satellitenmetastasen auch distal des Tumors lässt die totale Entfernung des Mesorektums bei Tumoren des mittleren und unteren Rektumdrittels als zwingend notwendig erscheinen. Die Ergebnisse der TME sind zwar nicht in einer prospektiv randomisierten Studie überprüft worden, doch zeigen zahlreiche Studien aus Europa, USA und Japan eine deutliche Überlegenheit gegenüber einem konventionellen chirurgischen Vorgehen: die Lokalrezidivrate mit TME beträgt ca. 3–11% gegenüber 14–30% ohne TME. Außerdem scheint die Anwendung der TME auch zu einer Verbesserung der 5-Jahres-Überlebensrate zu führen: 71% gegenüber 32% ohne TME (. Tab. 48.3). Es besteht eine hochsignifikante Korrelation zwischen Lokalrezidivrate nach TME und Tumorbefall des lateralen Resektionsrandes. Die chirurgische Technik der TME beeinflusst damit unmittelbar die Prognose des Patienten. Vom Pathologen zu fordern ist folglich auch die komplette histopathologische Untersuchung des lateralen Resektionsrandes, einerseits als Qualitätskontrolle und andererseits als Prognosefaktor (Wiggers u. van de Velde 2002). Überraschend ist dann aber doch, dass in einer aktuellen prospektiven Studie die Qualität der TME nicht signifikant mit der Lokalrezidivrate korrelierte (Jeyarajah et al. 2007). Bei vergleichbarer perioperativer Letalität ist die Morbidität nach TME höher im Vergleich zur partiellen Mesorektumexzision bei proximalen Tumoren. Anastomosen nach TME weisen insgesamt eine höhere Insuffizienzrate als bei anterioren Resektionen ohne TME auf. Da mesorektale Satellitenmetastasen meist nur bis zu 2 cm, maximal jedoch nur bis zu 4 cm distal des Tumorunterrands auftreten, scheint die TME beim proximalen Rektumkarzinom die Radikalität im Vergleich zur partiellen Mesorektumexzision nicht zu erhöhen (Lopez-Kostner et al. 1998). Ein Karzinom im proximalen
. Tab. 48.3. Onkologische Ergebnisse nach totaler mesorektaler Exzision (TME) im Vergleich zur konventionellen Technik (Konv.) der anterioren Rektumresektion (p<0,05 bei Überlebens- und Lokalrezidivraten in allen aufgeführten Studien)
Autoren
Anzahl der Operationen
Lokalrezidivrate
Kumulative Überlebensrate
TME
Konv.
TME
Konv.
TME
Konv.
Arbmann 1996
120
134
8%
23%
68% (4 Jahre)
59% (4 Jahre)
Martling 2000
318
1332
6%
14%
–
–
Bolognese 2000
71
80
13%
41%
71% (5 Jahre)
32% (5 Jahre)
Machando 2000
165
62
3%
18%
–
–
Nesbakken 2002
161
217
11%
27%
–
–
Bülow 2003
311
246
11%
30%
77% (3 Jahre)
62% (3 Jahre)
48
720
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Rektumdrittel kann deshalb onkologisch adäquat durch eine anteriore Resektion mit Entfernung von 5 cm Mesorektum kaudal des Tumors behandelt werden. Damit verbleiben ca. 5–10 cm Restrektum, dies erlaubt eine gute Defäkationskontrolle.
48
Rektumkarzinome des mittleren und unteren Drittels immer mit TME!
48.5.2 Distaler Sicherheitsabstand Die direkte intramurale Ausbreitung erfordert die Einhaltung eines gewissen Resektionsabstands, um den Tumor vollständig zu entfernen. Dies ist oralwärts unproblematisch, distalwärts wegen der Nähe zum Sphinkterapparat oft limitierend. Etwa 1,4% der Rektumkarzinome weisen eine distale intramurale Ausbreitung von mehr als 1 cm auf, eine distale Ausbreitung von über 1 cm ist assoziiert mit einem fortgeschrittenen Tumorstadium oder einer besonders aggressiven Tumorcharakteristik. Dementsprechend ist bei tiefsitzenden Karzinomen ein distaler Sicherheitsabstand von 1–2 cm an der nativ gestreckten Rektumwand onkologisch ausreichend, ohne eine höhere Lokalrezidiv- oder Überlebensrate in Kauf nehmen zu müssen. Zurzeit wird ein distaler Sicherheitsabstand vom Tumorunterrand von 1 cm für T1- bis T2-Tumoren und 2 cm für T3- bis T4-Tumoren und ulzerierende Tumoren gefordert. Dies eröffnet die Möglichkeit, in etwa 85% der Fälle kontinenzerhaltend zu operieren (Willis u. Schumpelick 2004).
48.5.3 Lymphadenektomie Hinsichtlich des Ausmaßes der Entfernung des Lymphabflussgebiets beim Rektumkarzinom ist die Notwendigkeit der TME unumstritten. Folgende Punkte werden noch teilweise kontrovers diskutiert: 4 Entfernung lateraler Lymphknoten entlang der Iliakalgefäße, 4 Entfernung der Lymphknoten am Ursprung der A. mesenterica inferior und 4 Bedeutung der Sentinel-Lymphadenektomie. Laterale Lymphknotenmetastasen entlang der Iliakalgefäße finden sich beim Rektumkarzinom insgesamt in 9–18%. Unterteilt man noch einmal in Tumoren oberhalb und unterhalb der peritonealen Umschlagfalte, so finden sich solche bei den ersten nur in 0–9%, bei den letzteren in 16–28%. Während dies, wie insbesondere von japanischen Autoren immer wieder betont wird, die Mitentfernung dieser lateralen Lymphknoten notwendig erscheinen lässt, ließ sich in anderen Studien ein systematischer Vorteil der erweiterten pelvinen Lymphknotendissektion nicht konstant nachweisen, wohl aber eine erhöhte Morbidität bezüglich Störungen der Blasenund Sexualfunktion. So beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten mit Rektumkarzinom im Stadium UICC III
nach TME ohne zusätzliche laterale Lymphadenektomie 64% und mit zusätzlicher lateraler Lymphadenektomie 67%. Eine erweiterte Lymphadenektomie kann also derzeit beim Rektumkarzinom nicht routinemäßig empfohlen werden (Kasperk et al. 2001).
Keine Vorteile der erweiterten Lymphadenektomie bei korrekt durchgeführter TME!
Die Lymphknoten am Abgang der A. mesenterica inferior sind in bis zu 10% der Fälle befallen. Allerdings bietet die radikuläre Absetzung dieses Gefäßes (»high tie«) keine gesicherte Verbesserung der Ergebnisse bezüglich Rezidivraten und Überleben. Lymphknotenmetastasen unmittelbar am Abgang der A. mesenterica inferior sind damit prognostisch mit einer Fernmetastasierung gleichzusetzen (Uehara et al. 2007).
Während die sog. »High-tie-Ligatur« onkologisch nicht zwingend erforderlich ist, ist sie ggf. zur Mobilisation des linken Hemikolons für die spätere Rekonstruktion technisch notwendig.
Von den Ergebnissen erster Studien zur Sentinel-Lymphadenektomie (selektive Biopsie des Wächterlymphknotens nach szintigraphischer Markierung) beim malignen Melanom ermutigt, fand dieses Konzept auch beim kolorektalen Karzinom Anwendung. Hierbei ließ sich bei bis zu 18% nodär negativer Fälle eine Mikrometastasierung aufzeigen (Kelder et al. 2007). Ob diese Patienten eventuell von adjuvanten Therapiemaßnahmen profitieren, ist derzeit noch ungeklärt. Außerdem ist die Sensitivität der Sentinel-Node-Technik beim Dickdarm deutlich besser als beim Rektum (75% versus 36%; Bilchik et al. 2007).
48.5.4 Vermeidung von Implantations-
metastasen Bereits 1951 gab Goligher an, dass es nach Rektumexstirpation in 0,15% der Fälle im Bereich des Kolostomas zur Implantation von luminal abgeschilferten Tumorzellen und damit zur Tumorbildung kam. Basierend auf einer retrospektiven Analyse beschrieb Turnbull dann 1967 die Vorteile der sog. »No-touch-isolation-Technik«. Erst 10 Jahre später wurde eine randomisierte Studie zu dieser Fragestellung publiziert. Diese belegte zwar eine tendenzielle Überlegenheit der No-touch-Technik, jedoch keine signifikanten Vorteile in der Überlebenszeit.
Die No-touch-Technik ist nicht zwingend erforderlich, sollte jedoch angewendet werden, wenn es technisch problemlos möglich erscheint.
721 48.5 · Resektionsstrategien
. Abb. 48.5a,b. Onkologische Ergebnisse nach tiefer anteriorer Resektion (TAR) und abdominoperinealer Resektion (APR) beim tiefsitzenden Rektumkarzinom. a Gesamtüberleben (Kaplan-Meier-Kalkulation RWTH Aachen), b Lokalrezidive
a
b
Nach den zurzeit verfügbaren Daten lässt sich die Tumorzellimplantation auch bei Anwendung der No-touch-isolation-Technik nicht ganz ausschließen. Diese Gefahr kann möglicherweise durch eine intraoperative Spülung des Rektums mit zytotoxischen Substanzen (z. B. Polyvidon-Jod-Lösung) weiter verringert werden. Gerade bei Einsatz von Klammernahtgeräten könnten ohne Lavage des Rektum nach oralseitiger Tumorexklusion Karzinomzellen direkt in die Klammernaht eingebracht werden und ein Anastomosenrezidiv induzieren.
zugunsten der Kontinenzresektion. Die Indikation zur Rektumexstirpation ist daher nur bei Tumorinfiltration des Sphinkters oder des Beckenbodens und bei einem Sicherheitsabstand von <1,5–2 cm von der Linea dentata zu stellen.
48.5.5 Kontinenzerhalt oder abdomino-
Bei nicht ulzerierten, endosonographisch nicht wandüberschreitenden Tumoren kann im Einzelfall und nach Absprache mit dem Patienten die Kontinenzresektion bis zu einem Sicherheitsabstand von 1 cm ab Linea dentata durchgeführt werden. Im Rahmen der Entscheidung ist neben dem korrekten Staging sowie der exakten Bestimmung der Tumorhöhe und -ausdehnung eine präoperative Beurteilung der Sphinkterfunktion unerlässlich. Bei manifester Stuhlinkontinenz ist eine Kontinenzresektion kontraindiziert. Bei ausreichendem Sicherheitsabstand kann hier die Morbidität der perinealen
perineale Rektumexstirpation Grundsätzlich ist bei allen Patienten mit Tumoren des mittleren und unteren Rektumdrittels die kontinenzerhaltende Operation anzustreben. Sowohl Lokalrezidive als auch das Langzeitüberleben sind nach kontinenzerhaltender Resektion mit der Rektumexstirpation vergleichbar (. Abb. 48.5). Bezüglich der postoperativen sexuellen Funktion und der Lebensqualität sind die Ergebnisse uneinheitlich mit Vorteilen
Cave Die endgültige Entscheidung für oder gegen die Rektumexstirpation fällt intraoperativ, wobei die onkologische Radikalität niemals zugunsten der Kontinenz geopfert werden darf!
48
722
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Wunde evtl. durch eine sehr tiefe Hartmann-Resektion vermieden werden.
imperativen Stuhldrangs im Vergleich zur geraden Anastomose. Wird der Kolonpouch allerdings zu groß gewählt, so ist mit einer deutlich erschwerten Stuhlentleerung zu rechnen, die den funktionellen Vorteil wieder zunichte machen würde. Szintigraphisch konnte bei großen Pouches (8 cm) eine unvollständige Entleerung mit erhöhter Entleerungshalbwertszeit nachgewiesen werden, was sich klinisch in fragmentierter und verzögerter Entleerung äußert (»stooling sessions«). Bei Pouches, die 8 cm und größer waren, müssen deshalb zwischen 25 und 60% der Patienten Klysmen oder Suppositorien anwenden. Demgegenüber hatten Patienten mit End-zu-SeitAnastomose (als Extremvariante eines sehr kleinen Pouches) eine höhere Stuhlfrequenz und ein niedrigeres Schwellen- und Maximalvolumen als Patienten mit einem 6-cm-Pouch. Heute werden deshalb kleine J-Pouches mit 5–6 cm Schenkellänge favorisiert. Nach einer Literaturrecherche erreichten 61% der Patienten mit Pouch und 55% der Patienten mit gerader Anastomose eine akzeptable Kontinenz ohne signifikante Unterschiede bezüglich des Rekonstruktionsverfahrens. Auch nach Resektion der proximalen Anteile des inneren Schließmuskels bei der intersphinktären Anastomose resultiert in der Regel eine ausreichende postoperative Kontinenz (Willis u. Schumpelick 2004). Ein Jahr nach Ileostomieverschluss waren 79% unserer Patienten mit Kolon-J-Pouch und 78% mit gerader koloanaler Anastomose vollständig kontinent. In manometrischen Untersuchungen konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen gerader und pouch-analer Anastomose hinsichtlich Sphinkterruhe- und Maximaldruck nachgewiesen werden (Willis et al. 2001). Das Kontinenzverhalten stand hierbei in direkter Korrelation zur lokalen Komplikationsrate. Langstreckige Strikturen als Folge pelviner septischer Komplikationen schränken die Kontinenz nach tiefer anteriorer Rektumresektion erheblich ein.
48.5.6 Rekonstruktionsformen
48
Der Erhalt der Kontinenz mit störungsfreier Stuhlentleerung ist das Ziel einer optimalen Rekonstruktionstechnik. Nach tiefer anteriorer Resektion mit TME muss das Kolon descendens unmittelbar oberhalb oder innerhalb des Analkanals anastomosiert werden (intersphinktäre Resektion mit koloanaler Anastomose). Viele Patienten mit dieser Rekonstruktion leiden an hoher Stuhlfrequenz, imperativem Stuhldrang und Stuhlschmieren (»anterior resection syndrome«). Während das Stuhlschmieren auf die direkte Sphinkterschädigung zurückgeführt wird, stehen die mittlere Stuhlfrequenz und der imperative Stuhldrang in umgekehrter Korrelation zur Reservoirkapazität des belassenen Rektumstumpfes und der Höhe der Anastomose (Rasmussen et al. 2003). Unter der Vorstellung, durch die Schaffung eines künstlichen Stuhlreservoirs die funktionellen Ergebnisse nach tiefer Rektumresektion zu verbessern, ergänzten Lazorthes und Parc 1986 die koloanale Rekonstruktion mit einem vorgeschalteten Kolon-J-Reservoir, dem Kolonpouch (. Abb. 48.6).
Funktionelle Ergebnisse Die Pouchrekonstruktion führt im Vergleich zur geraden koloanalen Anastomose zu einer signifikanten Reduktion der täglichen und nächtlichen Stuhlgänge. Dieser positive Effekt ist während der ersten postoperativen Monate maximal und nimmt im weiteren Verlauf aufgrund der Adaptation nach koloanaler Anastomose vergleichsweise ab, ist jedoch in mehreren Studien auch noch bis zu 9 Jahre nachweisbar (Willis u. Schumpelick 2004; Fazio et al. 2007). Ein weiterer Vorteil der Pouchrekonstruktion ist die teilweise Verminderung des
a
b
. Abb. 48.6a–d. Rekonstruktionsformen nach tiefer anteriorer Resektion und totaler mesorektaler Exzision. a koloanale End-zu-End-
c
d Anastomose, b Kolon-J-Pouch, c transverser Koloplastik-Pouch, d Zökumreservoir
723 48.5 · Resektionsstrategien
Es ist bislang ungeklärt, ob die Verbesserung der funktionellen Ergebnisse nach Pouchrekonstruktion auch zu einer Verbesserung der Lebensqualität führt. Obwohl Kontinenz und Stuhlentleerung bei Pouchrekonstruktion signifikant besser sind als bei anderen Rekonstruktionsformen, ergibt sich bei der Lebensqualitätsanalyse kein signifikanter Unterschied (Fazio et al. 2007). Möglicherweise wird dies aber auch durch die verwendeten Fragebögen nicht adäquat abgebildet. Bei tiefsitzenden Rektumkarzinomen kann auch das Colon sigmoideum zur Pouchbildung herangezogen werden, ohne die onkologischen Ergebnisse zu beeinträchtigen. Die Befürchtung, dass Pouches, die aus dem dickwandigeren und spastischeren Colon sigmoideum gebildet werden, eine schlechtere Compliance und Entleerungsfunktion besitzen als Descendens-Pouches konnte in einer prospektiv randomisierten Studie widerlegt werden (Heah et al. 2002).
Aufgrund der schlechteren Durchblutung nach stammnaher A.-mesenterica-inferior-Ligatur und der hohen Prävalenz der Sigmadivertikulose ist jedoch weiterhin die Rekonstruktion mit Colon-descendens-Pouches zu empfehlen.
Neben Art und Größe des Pouches wird die Entleerung wesentlich von der Lokalisation der Anastomose bestimmt. In einer retrospektiven Studie zeigten Hida et al., dass die Pouchrekonstruktion der geraden Anastomosierung bei einer Anastomosenhöhe bis zu 4 cm ab ano signifikant überlegen ist. Bei einer Anastomosierung zwischen 4 und 8 cm waren beide Verfahren gleichwertig, während oberhalb von 8 cm die gerade der pouch-analen Anastomose vorzuziehen ist (Hida et al. 1998). Durch die Präparation und Durchtrennung intrinsischer Nervenbahnen ist der belassene Rektumstumpf durch eine eingeschränkte propulsive Motilität charakterisiert: Kleine Stuhlmengen verbleiben im atonischen Rektumstumpf und lösen dadurch quälenden Stuhldrang aus. Abhilfe können nur Klysmen bringen.
Alternative Verfahren Beim Zökumreservoir wird das resezierte Rektum ersetzt durch ein ileozökales Segment, das an seinem mesenterialen Gefäßstiel verbleibt und um 180° gegen den Uhrzeigersinn gedreht wird (. Abb. 48.6). Der prinzipielle Vorteil gegenüber den anderen Rekonstruktionsformen soll der Erhalt der extrinsischen und intrinsischen Innervation sein. Maximal tolerables Volumen, Compliance und Dickdarmtransitzeit waren vergleichbar mit den Ergebnissen bei gesunden Probanden. Aufgrund der Komplexität des Eingriffs und fehlender Vorteile gegenüber der Pouchrekonstruktion konnte sich dieses Verfahren nicht allgemein durchsetzen. Beim Koloplastik-Pouch wird 4–6 cm proximal des abgesetzten Kolonendes eine 8–10 cm lange Kolotomie zwischen den Tänien angelegt, die dann wie bei der Pyloroplastik oder der Strikturoplastik quer verschlossen wird. Die Darmkontinuität wird mittels koloanaler End-zu-End-Anastomose wiederhergestellt (. Abb. 48.6). Der Koloplastik-Pouch be-
nötigt weniger Darmstrecke und ist technisch einfacher als andere Pouchformen. Das Pouchvolumen ist geringer als beim J-Pouch, gegenüber der geraden Anastomose jedoch um 40% vergrößert. Funktionsstörungen, die nach gerader koloanaler Anastomose auftreten, sollen dadurch verbessert und gleichzeitig die Entleerungsprobleme großer J-Pouches vermieden werden. Bei gleicher Komplikationsrate wiesen Koloplastikund J-Pouch-Rekonstruktionen signifikant bessere Ergebnisse als die geraden Anastomosen hinsichtlich Stuhlfrequenz, Compliance und Kapazität des Neorektums auf. Die mittlere Stuhlfrequenz betrug 2,6/Tag und 3,1/Tag für J-Pouch und Koloplastik im Vergleich zu 4,1/Tag bei der geraden koloanalen Anastomose (Mantyh et al. 2001; Ho et al. 2002). In einer prospektiv-randomisierten Multicenterstudie wurden unterschiedliche Rekonstruktionsformen hinsichtlich Komplikationen, Stuhlentleerungsfunktion und Blasenund Sexualfunktion verglichen. In der Gruppe, in der eine Pouchbildung möglich war, waren Stuhl- und Sexualfunktion in der J-Pouch-Gruppe signifikant besser als in der Koloplastie-Gruppe. War keine Pouchbildung möglich, bestand kein Unterschied zwischen Koloplastie und End-zu-EndAnastomosierung. Hinsichtlich der Komplikationen konnten in Bezug auf die vier Rekonstruktionsformen keine signifikanten Unterschiede nachgewiesen werden (Fazio et al. 2007). Daher sollte auf der Basis der vorliegenden Daten die J-Pouch-anale Rekonstruktion die Standardrekonstruktion nach tiefer anteriorer Resektion bleiben. Bei bis zu 30% der Patienten ist dies wegen fehlender Darmlänge, verdicktem, adipösem Mesenterium oder engem Becken nicht möglich, in diesen Fällen ist der Koloplastik-Pouch eine gute Alternative.
48.5.7 Anastomosentechnik Die koloanale Anastomosierung kann unabhängig vom Rekonstruktionsverfahren von Hand oder mit zirkulären Klammernahtgeräten durchgeführt werden. Die Handnaht kann transanal als »Sleeve-Anastomose« oder von abdominell her in Liftnahttechnik durchgeführt werden. Die Stapleranastomosen werden am proximalen Analkanal (»high anal«) oder nach intersphinktärer Resektion unmittelbar an der Linea dentata angelegt (»low anal«). Die für die transanale Handnaht erforderliche Dilatation des Analkanals führt zu einer stärkeren Schließmuskelschädigung als die, die bei den technisch einfacheren Klammernahtanastomosen entsteht, weshalb letztere deutlich häufiger zur Anwendung kommen (Takase et al. 2002). Randomisierte Daten zu Handnaht versus Klammernaht bei transanalen bzw. intersphinktären Anastomosen sind nicht verfügbar. Für die extraperitonealen kolorektalen Anastomosen hingegen gibt es randomisierte Vergleiche. Eine umfassende Metaanalyse zeigte zwei Probleme der Maschinennaht, nämlich ein signifikant höheres Auftreten von intraoperativen technischen Problemen und von Strikturen bei Stapleranastomosen. Diese Strikturen waren jedoch in der Regel asymptomatisch oder durch eine einmalige Dilatation therapierbar. Bezüglich Mortalität, Insuffizienz- und Lokal-
48
724
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
rezidivrate waren keine signifikanten Unterschiede erkennbar (MacRae u. McLeod 1998).
48.5.8 Proktektives Stoma, Drainagen
48
Unabhängig vom Rekonstruktions- und Anastomosierungsverfahren sind Leckagen nach TME mit koloanaler Anastomosierung signifikant häufiger als nach anterioren Resektionen mit kolorektalen Anastomosen (Kasperk et al. 2001; Willis u. Schumpelick 2004). In vielen Fällen wird deshalb die Anlage eines protektiven Ileo- oder Transversostomas propagiert. Die Anlage eines Deviationsstomas führt zwar nicht zu einer Verhinderung der Anastomoseninsuffizienz per se, allerdings aber zu einer Verringerung von symptomatischen Leckagen, die der operativen Revision bedürfen (Marusch et al. 2002). Dies konnte in einer großen monozentrischen prospektiv-randomisierten Studie aus Schweden belegt werden. Die symptomatische Insuffizienzrate war in der Ileostomagruppe mit 10% signifikant niedriger als in der Nicht-Ileostomagruppe mit 28% (Matthiesen et al. 2007). Die Frage der Wertigkeit der protektiven Ileostomie bei tiefer anteriorer Rektumresektion war auch Gegenstand einer aktuellen Metaanalyse. Auf der Basis retrospektiver und prospektiver Studien, veröffentlicht zwischen 1966 und 2007, bestätigt diese den Nutzen der Stuhlableitung. Die Wahrscheinlichkeiot einer Reoperation wegen einer Anastomoseninsuffizienz lag mit einer Odds-Ratio von 0,27 bei signifikant weniger Revisionen bei Patienten mit protektivem Ileostoma (Hüser et al. 2008). Auch in Anbetracht der Verschlechterung der funktionellen und onkologischen Ergebnisse nach septischen pelvinen Komplikationen (Kressner et al. 2002) wird die routinemäßige Anlage eines protektives Stomas empfohlen, das nach 6 bis 8 Wochen wieder verschlossen werden kann. Die protektiven Ileostomien scheinen beim späteren Verschluss weniger komplikationsträchtig zu sein als protektive Kolostomien (Guenaga et al. 2007). Immer wieder diskutiert wird die Anwendung von Drainagen. Da es zahlreiche Studien mit exzellenten Ergebnissen unter Drainage gibt und da die Rektumresektion zu einer großen, nicht peritonealisierten, sezernierenden und nicht kollapsfähigen Wundhöhle führt, scheint eine Drainage bei allen Resektionen, die die peritoneale Umschlagfalte eröffnen, empfehlenswert. Sie kann zudem als früher Indikator für eine Anastomoseninsuffizienz dienen und möglicherweise Reoperationen vermeiden (Kasperk et al. 2001). Diese weitverbreitete Meinung konnte jedoch bislang durch prospektive, randomisierte Studien nicht belegt werden (Jesus et al. 2004).
Ultratiefe anteriore Rektumresektionen mit TME am besten mit protektivem Ileostoma!
48.5.9 Lokale Resektion Hinsichtlich der Indikationsstellung zur lokalen Therapie des Rektumkarzinoms sind drei Situationen zu differenzieren: 4 Kurativer Ansatz bei frühinvasiven Malignomen 4 Palliativer Ansatz bei disseminiertem Tumorleiden 4 Kompromisslösung (z. B. bei allgemeinmedizinisch bedingten Kontraindikationen gegen einen größeren operativen Eingriff oder bei fehlender Einwilligung für eine ausgedehnte Resektion) Grundsätzlich muss zwischen lokaler Exzision und Ablation unterschieden werden. Unter kurativer Intention sind die ablativen Verfahren (z. B. Elektrokauter, Kryotherapie, Laserkoagulation, endokavitäre Bestrahlung) obsolet, da sie keine histologische Aufarbeitung des Präparats ermöglichen. Die lokale Exzision kann als transanale Vollwandexzision, als endoskopische Mukosektomie oder – bei weiter proximal liegenden Tumoren – als TEM (transanale endoskopische Mikrochirurgie) über ein Operationsrektoskop durchgeführt werden. Wegen des relativ hohen Schwierigkeitsgrades und des eher schmalen Indikationsspektrums sollte die TEM nur von denjenigen angewendet werden, die sie häufig praktizieren. Posteriore Zugänge wie den transsakralen oder transsphinktären Zugang hat man praktisch vollständig verlassen. Diese Verfahren haben eine hohe Komplikationsrate und zeigen eine schlechte postoperative Funktion. Bei allen lokalen Verfahren besteht das Risiko, potenziell befallene Lymphknoten in situ zu belassen. Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen liegt bei einem T1-Tumor zwischen 3 und 20%, bei einem T2-Tumor zwischen 12 und 38% und bei einem T3-Tumor zwischen 36 und 61%. Ein höheres Risiko besteht außerdem bei einer G3- oder G4-Differenzierung, bei einer Tumorgröße >3 cm, bei histologisch gesicherter Schleimbildung und bei Invasion von Blut- oder Lymphgefäßen (Hassan et al. 2005, Okabe et al. 2004, Yamamoto et al. 2004). Die derzeit akzeptierten Selektionskriterien zur lokalen Exzision betreffen deshalb ausschließlich sog. Low-risk-Karzinome (G1,2, kein Lymphgefäßeinbruch). Die Überlebensrate nach lokaler Vollwandexzision solcher T1-Tumoren liegt bei 98% im Gegensatz zu 89% bei T2-Tumoren nach 54 Monaten. In einer Metaanalyse von 41 Studien ergab sich eine durchschnittliche Lokalrezidivrate nach lokaler Exzision von 9,7% bei T1-Karzinomen, 25% bei T2- und 38% bei T3-Karzinomen. Diese Daten belegen, dass die lokale Exzision im Stadium T1 eine befriedigende lokale Kontrolle des Tumors liefert (Sengupta u. Tjandra 2001). Es gibt jedoch Studien, die deutlich höhere Rezidivraten aufweisen. So beschrieben Garcia-Aguilar et al. eine Lokalrezidivrate von 18% bei Patienten mit T1-Tumoren und 37% bei Patienten mit T2-Tumoren (Garcia-Aguilar et al. 2000). Im direkten Vergleich ermittelten Bentrem et al. eine 5-Jahres-Lokalrezidivrate von 15% und eine 5-Jahres-Überlebensrate con 93% nach lokaler Exzision verglichen mit 3% und 97% nach tiefer anteriorer Resektion (Bentrem et al. 2005). In letzter Zeit wurde deshalb dazu übergegangen, die Submukosaschicht in drei Drittel aufzuteilen. Die sog. frühinvasiven Formen (sm1, sm2 bzw. Submukosainvasion <1000 μm)
725 48.6 · Operationstechnik
haben mit 0–6% ein geringeres N+-Risiko. Bei sm3 beträgt das Lymphknotenmetastasierungsrisiko dagegen fast 20% (Seitz et al. 2004). Ergibt die histologische Untersuchung eines endoskopische R0-entfernten Polypen ein pT1-Karzinom, soll auf eine onkologische Nachresektion verzichtet werden, wenn es sich um eine Low-risk-Situation bei histologisch karzinomfreier Polypenbasis handelt. In der High-risk-Situation ist die radikale Operation angezeigt, auch wenn die Läsion komplett entfernt wurde (Schmiegel et al. 2008). Ungeklärt ist derzeit noch die Rolle einer adjuvanten Therapie nach lokaler Exzision. In einer Metaanalyse ergab die lokale Exzision mit anschließender adjuvanter Radio-/Chemotherapie eine Rezidivrate von 9,5% bei T1-, 13,6% bei T2- und 13,8% bei T3-Karzinomen (Sengupta u. Tjandra 2001). Randomisierte, kontrollierte Studien zum Vergleich der onkologischen Resektion mit der lokalen Exzision und adjuvanter Therapie sind deshalb zu fordern. Die sog. Salvage-Resektion bei einem aufgetretenen Lokalrezidiv kann nicht als eine der konventionellen radikalen Resektion gleichwertige Alternative angesehen werden. Insofern ist die strikte Einhaltung der oben aufgeführten Selektionskriterien obligat (Kim et al. 2008).
Lokale Exzision nur bei T1-Low-risk-Karzinomen!
48.5.10
Laparoskopische Resektion
Die Vorteile der laparoskopischen Operationstechnik wurden in früheren Studien auch beim Rektumkarzinom festgestellt, das Zugangstrauma ist vermindert und die Genesung verläuft schneller. Unabhängig voneinander konnte von verschiedenen Studiengruppen die Beobachtung gemacht werden, dass bei der laparoskopischen Rektumresektion in kurativer Intention keine ungünstigeren Ergebnisse als bei der konventionellen Operation zu verzeichnen waren. Onkologische Langzeitergebnisse sind derzeit jedoch noch rar. Eine separate Auswertung der Patienten mit Rektumkarzinom im Rahmen der CLASSICC-Studie zeigte, dass in der Gruppe der laparoskopisch operierten Patienten signifikant häufiger der zirkumferenzielle Resektionsrand tumorbefallen war. Dennoch waren bislang keine Unterschiede in der Lymphknotenausbeute, der Lokalrezidivrate oder der 3-Jahresüberlebensrate nachweisbar (Jayne et al. 2007). In einer aktuellen Metaanalyse finden die Autoren auf der Basis der bisher veröffentlichten Studien keine Unterschiede zwischen laparoskopischer und offener Rektumresektion. Sie kamen jedoch zu dem Schluss, dass aufgrund der quantitativ und qualitativ limitierten Studien- und Patientenanzahl eine Gleichwertigkeit des laparoskopischen Vorgehens derzeit noch nicht belegt werden kann (Kuhry et al. 2008).
Laparoskopische tiefe anteriore Rektumresektionen sollten deshalb in kurativer Absicht möglichst im Rahmen kontrollierter Studien durchgeführt werden.
Die bisherigen Ergebnisse nach laparoskopisch assistierter Rektumexstirpation sind mit denen nach offenem Verfahren vergleichbar (Anthuber et al. 2003; Scheidbach et al. 2002), aber auch hier fehlen kontrollierte Studien bezüglich der onkologischen Langzeitergebnisse.
48.6
Operationstechnik
48.6.1 Perioperatives Management Eine orthograde Reinigung des Darms durch Trinken von 3–4 Litern einer Darmspüllösung (z. B. Cleanprep) ist, obwohl noch häufig durchgeführt, nicht erforderlich (Guenaga et al. 2009). Die Thromboembolieprophylaxe erfolgt durch subkutane Applikation eines niedermolekularen Heparins beginnend am Vorabend der Operation. Eine perioperative Antibiotikaprophylaxe bestehend aus einer CephalosporinMetronidazol-Kombination wird präoperativ bei Narkoseeinleitung appliziert und ggf. intraoperativ einmalig nach 4 Stunden wiederholt. Die Anlage eines Blasenkatheters ist obligat, dieser wird intraoperativ meist durch einen suprapubischen Katheter ersetzt. Gerade bei Männern hat dies zu einer Reduktion der postoperativen Komplikationen von Seiten der ableitenden Harnwege (Harnwegsinfekte, Restharn, Überlaufblase) geführt. Die präoperative Schienung der Ureteren ist in der Regel nicht erforderlich. Die Patienten werden in modifizierter TrendelenburgSteinschnitt-Position gelagert, die Beine werden dabei in Lloyd-Davies-Halterungen fixiert. Diese Lagerung erlaubt den gleichzeitigen abdominellen und perinealen Zugang.
48.6.2 Tiefe anteriore Resektion und TME Der abdominelle Zugang erfolgt über eine mediane Unterbauchlaparotomie mit Linksumschneidung des Nabels. Von hier aus kann der Schnitt in den Oberbauch oder schräg nach links bis unter den Rippenbogen erweitert werden, falls die intraoperative Situation dies erfordert. Nach der Exploration des Abdomens wird das Peritoneum lateral des Sigmas inzidiert, entlang der »white line of Toldt«, die den fetalen Verklebungen des Sigmas mit der lateralen Bauchwand entspricht. Bei der weiteren Dissektion gelangt man so in das lockere, weitgehend avaskuläre Bindegewebe zwischen Mesosigma und GerotaFaszie ventral der Niere. Der linke Ureter wird identifiziert und das gesamte Sigma und Kolon descendens nach medial hin bis zur Aorta freipräpariert. Im Regelfall muss die linke Kolonflexur vollständig mobilisiert werden, damit das proximale Kolon zur spannungsfreien Anastomosierung ins kleine Becken verlagert werden kann. Dies erfolgt am besten scharf und darmwandnah unter Zug des Colon transversum und descendens nach medial und kaudal. Eine spannungsfreie Anastomose ist zu erwarten, wenn sich das distale 6
48
726
48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Kolonende mindestens 4–5 cm distal der unteren Symphysenbegrenzung verlagern lässt. Zur Präparation des lymphovaskulären Stiels wird das proximale Rektum in Höhe des Promontoriums von der präsakralen Faszie abgelöst. Der Zugang hierzu erfolgt durch eine Peritonealinzision pararektal rechts. Durch Zug des Rektums nach ventral und links eröffnet sich das avaskuläre, spinngewebige Spatium retrorectale fast von selbst. In dieser Schicht erfolgt die Präparation nach proximal bis zum Abgang der A. mesenterica inferior, die etwa 2 cm nach ihrem Abgang aus der Aorta freigelegt und abgesetzt wird. Anschließend wird das Mesosigma in Richtung der geplanten Absetzungsstelle durchtrennt, wobei die V. mesenterica inferior gesondert am Pankreasunterrand dargestellt und ligiert wird. Dies hat zur Folge, dass bei späterer Manipulation am Rektum der Einstrom von Tumorzellen in die Blutbahn vermindert wird. Am gewählten Transsektionspunkt in Höhe des descendosigmoidalen Übergangs wird das Kolon kurzstreckig skelettiert und mit einem GIA-Klammernahtapparat durchtrennt. Für die pelvine Dissektion wird die peritoneale Inzision des Mesosigmas beidseits des Rektums nach kaudal hin verlängert. Das Douglas-Peritoneum und das subperitoneale Fettgewebe werden knapp oberhalb des peritonealen Umschlags umschnitten. Danach erfolgt die dorsale und laterale Präparation unter Mitnahme des gesamten Mesorektums im Spatium fibrosum retrorectale, bevorzugt mit Elektrokoagulation. Durch subtile Präparation werden die Nn. hypogastrici geschont und bleiben von einer feinen Bindegewegsschicht bedeckt. Kaudal der Steißbeinspitze sind die Faszienblätter miteinander verlötet und müssen quer zur Organachse durchtrennt werden. Hier endet auch das Mesorektum und das Rektum taucht nach anterokaudal in den Levatorentrichter ein. Danach erfolgt die schwierigere anteriore Dissektion des Rektums. Die Präparation erfolgt hier entlang der Denovillier-Faszie, wodurch Samenbläschen, die dorsale Prostata und der Plexus prostaticus geschont werden. Bei ventraler Tumorlokalisation können diese Strukturen aus Radikalitätsgründen nicht immer erhalten werden. Bei der Frau ist das Mesorektum oft sehr dünn, sodass häufig ein unmittelbarer Kontakt der Rektumvorderwand mit der Scheidenhinterwand besteht. Nach vollständiger Mobilisierung auch des mesorektumfreien Anteil des Rektums kann das Präparat abgesetzt werden. Nach makroskopischer Kontrolle auf Intaktheit des Mesorektum (. Abb. 48.7) wird das Präparat im Saal aufgeschnitten und auf einen ausreichenden distalen Sicherheitsabstand kontrolliert (. Abb. 48.8).
. Abb. 48.7. Totale Mesorektumresektion, Operationspräparat
. Abb. 48.8. Tiefe anteriore Resektion, Operationspräparat
48.6.3 Rekonstruktion Bei ausreichendem Sicherheitsabstand wird die Anastomose am Oberrand des Analkanals gefertigt. Dazu wird das Rektum in Höhe der Levatoren über eine Tabaksbeutelklemme abgesetzt. Zur Pouchbildung wird das verschlossene distale Ende des Colon descendens in Form eines J gelegt und mit einem linearen Schneideklammergerät (GIA 60) werden beide Schenkel zu einem gemeinsamen Lumen vereinigt. Die Wiederherstellung der Kontinuität erfolgt durch Seitzu-End-Kolonpouch anale Anastomose mit einem zirkulären Klammernahtgerät (CEEA 31) wenige Millimeter oberhalb der Linea dentata. Hierfür wird das zirkuläre Klammernahtgerät von transanal her in das kleine Becken vorgeschoben und der Pouch mit der Andruckplatte armiert. Nach Verschluss des Gerätes unter digitaler Kontrolle lässt sich die Anastomose mühelos und sicher durchführen.
Cave Bei Frauen ist immer transvaginal zu kontrollieren, dass die Scheidenhinterwand nicht mitgefasst ist. Ansonsten drohen schwer therapierbare rektovaginale Fisteln.
727 48.6 · Operationstechnik
. Abb. 48.9a–c. Techniken der koloanalen Anastomosierung: a transanale Handnaht, b intersphinktäre StaplerAnastomose, c Double-stapling-Anastomose
a
Zwei intakte Anastomosenringe belegen die technisch einwandfreie Durchführung der Anastomosierung. Zusätzlich erfolgt eine Kontrolle auf Dichtigkeit durch transanale Luftinsufflation oder rektoskopische Kontrolle der Anastomose. Die Kreuzbeinhöhle wird anschließend mit zwei parakolisch gelegenen Easy-flow-Drainagen drainiert. Eine technische Alternative ist die Anastomosierung in der Double-stapling-Technik: Dabei wird das Rektum in Höhe des Beckenbodens mit einem linearen Stapler verschlossen und abgesetzt. Zur Anastomosenbildung wird der Dorn des transanal eingeführten Anastomosengeräts in der Mitte durch den mittels Klammernahtreihe verschlossenen Rektumstumpf oder unmittelbar daneben durchstoßen und sodann mit dem im Scheitelpunkt des Pouches eingeknoteten Kopfteil konnektiert. Die Anastomose kommt so ebenfalls am Oberrand des Analkanals wenige Millimeter oberhalb der Linea dentata zu liegen. Bei der intersphinktären Resektion wird das Rektum vom Abdomen her bis in den intersphinktären Raum zwischen Sphincter ani externus und internus mobilisiert. Danach wird es unter digitaler Kontrolle eines Assistenten in Höhe des anorektalen Übergangs offen abgesetzt. Der abgesetzte Rektumstumpf ist von abdominal nicht mehr anastomosierungsfähig. Er wird vorsichtig transanal evertiert, und eine allschichtige Tabaksbeutelnaht wird in Höhe der Linea dentata angelegt. Das zirkuläre Klammernahtgerät wird dann von transanal her eingeführt, die anale Tabaksbeutelnaht von perineal her geknotet, anschließend von abdominell mit dem mit der Andruckplatte armierten Pouch konnektiert und unter digitaler Kontrolle ausgelöst. Die vom Abdomen aus nicht mehr sichtbare Klammernahtreihe kommt dadurch in Höhe der Linea dentata (»low anal«) zu liegen. Die intersphinktäre Resektion erlaubt somit ausgedehntere Resek6
b
c
tionen als das Double-stapling (Willis u. Schumpelick 2004; . Abb. 48.9). Alternativ kann die Anastomose auch von transanal genäht werden. Hierfür wird der Anus mit einem Lonestar-Retraktor aufgespannt und das offen abgesetzte Kolon in Höhe der Linea dentata mit allschichtigen Einzelknopfnähten an den Rand des Analkanals anastomosiert.
48.6.4 Abdominoperineale Rektumexstirpation Der abdominelle Teil der Operation entspricht dem Vorgehen bei der tiefen anterioren Resektion mit TME, wobei eine Mobilisierung der linken Kolonflexur nicht erforderlich ist. Das blind verschlossene proximale Kolonende wird nach kreuzförmiger Inzision des vorderen und hinteren Rektusscheidenblattes an einer bereits präoperativ markierten Stelle im linken Unterbauch als endständiges Descendostoma ausgeleitet. Der präsakrale Raum kann fakultativ mit einer gestielten Omentum-majus-Plombe ausgefüllt werden. Bei Operation durch ein Team wird das Abdomen vor der perinealen Operationsphase verschlossen. Der perineale Akt kann auch parallel durch ein zweites Team begonnen werden. Der Anus wird mit einer kräftigen Tabaksbeutelnaht verschlossen und spindelförmig in einem Abstand von etwa 3 cm umschnitten. Die Subkutis wird mit Diathermie zirkulär bis auf das Levatorendiaphragma durchtrennt. Danach wird das anokokzygeale Ligament identifiziert und mit dem Elektrokauter quer durchtrennt. Man gelangt so in den präsakralen Raum und kann unter digitaler Kontrolle von dorsal nach lateral die Levatoren und die Puborektalisschlinge auf beiden Seiten durchtrennen.
48
728
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Cave Bei der anschließenden anterioren Dissektion ist beim Mann auf die Gefahr einer Urethraverletzung zu achten.
Nach Entfernung des Präparats wird der präsakrale Raum durch zwei dicke Redons drainiert und das posteriore Levatorendiaphragma soweit möglich rekonstruiert.
sigkeit. Je nach Ausprägung der postoperativen Atonie kann der Nahrungsaufbau unter Schutz des Kolostomas entsprechend eines adaptierten Fast-Track-Schemas zügig gesteigert werden (Kehlet 2008). Falls vorhanden werden die Drainagen im kleinen Becken in der Regel am 7. postoperativen Tag gezogen. Eine postoperative adjuvante Chemotherapie kann ab dem 12. postoperativen Tag beginnen, eine adjuvante Radiatio in der Regel 4–6 Wochen postoperativ.
48 Alternativ wurde von Holm et al. eine radikalere posteriore zylindrische Exstirpation mit plastischer Deckung durch einen M.-gluteus-maximus-Lappen beschrieben. Bei diesem Verfahren erfolgt die abdominelle Präparation nur bis an die laterale Beckenwand, danach wird der Patient in Bauchlage umgelagert und der gesamte muskuläre Beckenboden inklusive des ischiorektalen Fetts reseziert. Durch die Vermeidung der Taillierung des Präparats im Bereich des Beckenbodens scheint die Lokalrezidivrate im Vergleich zur konventionellen Exstripation vermindert zu sein (Holm et al. 2007). Eine Bestätigung dieser erfolgversprechenden Ergebnisse durch prospektiv-randomisierte Studien steht derzeit noch aus.
48.6.5 Transanale lokale Exzision
(»disc excision«) Analkanal und distales Rektum werden mittels eines Retraktors exponiert. Mehrere Haltefäden werden zirkulär peritumoral tief in der gesunden Darmwand verankert. Dadurch können höhergelegene Tumoren nach kaudal in Richtung Analkanal verzogen werden. Die Dissektion erfolgt als Vollwandexzision in einem Abstand von 1 cm vom Tumor mit dem Elektrokauter. Die vorherige Infiltration mit verdünnter Adrenalin-Lösung erleichtern Resektion und Hämostase. Das Präparat wird auf einer Korkplatte fixiert, um dem Pathologen die Beurteilung der Resektionsränder zu erleichtern. Anschließend wird der Defekt quer mit allschichtigen 3/0-PDS-Einzelknopfnähten verschlossen.
48.7
Postoperative Behandlung
Die meisten Patienten können im Operationssaal extubiert werden. Bei zusätzlicher Komorbidität erfolgt während der ersten Nacht meistens eine Überwachung auf der chirurgischen Intensiv- oder Wachstation. Zur Schmerztherapie bekommen bei fehlenden Kontraindikationen alle Patienten einen präoperativ gelegten Periduralkatheter (PDK). Dieser kann frühzeitig auf Normalstation entfernt werden, um nicht die zügige Mobilisation der Patienten zu behindern. Als zusätzliche Schmerzmittel eignen sich Nicht-Opiat-Analgetika oder eine Kombination von Opiaten und Nicht-Opiat-Analgetika. Der Kostaufbau beginnt bei Wunsch des Patienten bereits am Tag der Operation mit schluckweise aufgenommener Flüs-
48.8
Intra- und postoperative Komplikationen
Bei hochsitzenden Rektumkarzinomen kann es intraoperativ zu einer akzidentellen Verletzung des linksseitigen Ureters kommen. Diese kann durch direkte Ureterennaht über einer Doppel-J-Schiene behandelt werden. Eine akzidentelle Blaseneröffnung wird durch zweireihige Naht mit resorbierbarem Fadenmaterial verschlossen. Postoperativ sollte der Blasenkatheter dann 10 Tage belassen werden. Venöse Blutungen aus dem Plexus sacralis können in der Regel allein durch Kompression gestillt werden. Eine gezielte Umstechung der Blutungsquelle ist meist nicht möglich. Akzidentelle Verletzungen der A. und V. iliaca interna oder ihrer Äste bedürfen keiner Gefäßrekonstruktion und können durch Umstechungsligaturen einfach gestillt werden. Die Anastomoseninsuffizienz als relevanteste postoperative Komplikation ist unter Stomaschutz häufig nicht symptomatisch und wird meist erst im Rahmen der radiologischen Diagnostik vor Ileostomieverschluss evident. Eine frühe Insuffizienz bei noch liegenden pelvinen Drainagen manifestiert sich durch trübes und übelriechendes Sekret. Ein Einlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel kann die Leckage röntgenologisch darstellen. Extraperitoneal gelegene, tiefe Rektumanastomosen können auch endoskopisch beurteilt werden. Kleine, gut drainierte Insuffizienzen der tiefen Rektumanastomose können bei fehlenden Entzündungszeichen unter sorgfältiger Überwachung konservativ mit i.v. Antibiose ausbehandelt werden. Auch größere Insuffizienzen im kleinen Becken heilen sekundär, sofern der Anastomosenbereich aus der Darmpassage ausgeschaltet ist (Willis u. Stumpf 2004). Als neue Option steht die Behandlung größerer extraperitonealer Insuffizienzhöhlen mittels endoluminaler Vakuumtherapie zur Verfügung. Bisherige Ergebnisse sprechen für einen deutlich beschleunigten Heilungsverlauf im Vergleich zur alleinigen rektoskopischen Spülung (Weidenhagen et al. 2008) Cave Sollte initial kein Stoma angelegt worden sein, so muss dies bei größeren Insuffizienzen und Peritonitis umgehend erfolgen.
Bei bereits bestehender Peritonitis und einer Anastomose im mittleren Rektum ist die Herstellung einer Hartmann-Situation das Verfahren mit dem geringsten Risiko. Bei sehr tief im kleinen Becken gelegenen Anastomosen erfolgt in der Regel eine komplette Abklebung gegenüber der Umgebung, sodass
729 48.9 · Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose
. Tab. 48.4. Letalität und Morbidität nach Rektumresektionen (Kasperk et al. 2001)
(%)
protektiven Stomas behandelt werden. Restenosierungen unter anschließender Stuhlpassage sind eher selten.
48.9
Tiefe anteriore Resektion und abdominoperineale Rektumexstirpation Letalität
5
Intraoperative Blutung
4
Blasenentleerungsstörung
20
Sexualfunktionsstörung
10–60
Harnwegsinfekt
6–16
Tiefe anteriore Resektion Anastomoseninsuffizienz
5–20
Anastomosenstenose
6–10
Geringgradige Inkontinenz
44–64
Abdominoperineale Rektumexstirpation Perineale Wundheilungsstörung
14–23
Stomakomplikationen
21–70
lokale Abszesse häufiger als eine diffuse Peritonitis sind. Sie können durch endosonographisch oder CT-gezielte Einlage einer Drainage zur definitiven Ausheilung gebracht werden. Anastomosenstenosen können durch einmalige digitale oder endoskopische Dilatation vor Zurückverlagerung des
Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose
Zusammenfassend stellt sich die Prognose der Patienten mit Rektumkarzinom heute so dar, dass eine 5-Jahres-Überlebensrate von 50–80% für das Gesamtkollektiv erreicht werden kann. Bei 24–40% der Patienten ist keine kurative Resektion möglich, da entweder der Tumor lokal fortgeschritten ist, Fernmetastasen vorhanden sind oder allgemeine Kontraindikationen bestehen. Die chirurgische Letalität der elektiven Rektumkarzinomresektion liegt heute bei oder unter 5%. Die Eingriffe sind mit einer gewissen Morbidität verbunden, die in . Tab. 48.4 differenziert dargestellt ist. Die Prognose eines einzelnen Patienten mit Rektumkarzinom ist abhängig von: 4 tumorspezifische Faktoren, 4 Qualität der chirurgischen Resektion und 4 adjuvanten Therapiemaßnahmen. Die Penetrationstiefe des Tumors und das Ausmaß der extrarektalen Ausbreitung beeinflussen direkt die Rezidiv- und Überlebensraten. Allein anhand des TN-Stadiums lassen sich vier unterschiedliche prognostische Risikogruppen definieren (Gunderson et al. 2002; . Tab. 48.5). Die Anzahl betroffener Lymphknoten ist unabhängig von der Invasionstiefe des Primärtumors prognostisch relevant. Bei Vorliegen von Lebermetastasen liegt die 5-Jahres-Überlebensrate ohne Behandlung unter 2%, nach kurativer Metastasenresektion bei 20–40%
. Tab. 48.5. Einfluss von T- und N-Stadium auf die Prognose beim Rektumkarzinom (gepoolte Analyse, 2551 Patienten; Gunderson et al. 2002)
Rezidivrisiko
Niedrig
Mäßig
Erhöht
Hoch
a b
TNM-Stadium
5-Jahres-Überlebensrate
Lokalrezidivrate
Fernmetastasen
(%)a
(%)b
(%)b
T1 N0
>90
<5
10
IA
T2 N0
>90
<5
10
IB
T1–2 N1
81
6
15
IIIA
T3 N0
74
8
19
IIA
T1–2 N2
69
8
26
IIIC
T4 N0
65
15
28
IIB
T3 N1
61
11
34
IIIB
T3 N2
48
15
45
IIIC
T4 N1
33
22
39
IIIB
T4 N2
38
19
50
IIIC
Kaplan-Meier-Kalkulation Kumulative Inzidenzrate
UICC-Stadium
48
730
48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
(7 Kap. 44). Auch der Differenzierungsgrad eines Tumors ist für das Behandlungsresultat von entscheidender Bedeutung. Auch wenn die tumorspezifischen Faktoren durch den Chirurgen nicht beeinflussbar sind, so spielt der Operateur doch eine eminent wichtige Rolle als eigenständiger prognostischer Faktor bei der Resektion kolorektaler Karzinome. Es existieren mehrere Studien, die belegen, dass bei spezieller Ausbildung des Operateurs in kolorektaler Chirurgie die Lokalrezidivrate um mehr als die Hälfte niedriger liegt als die nicht speziell ausgebildeter Chirurgen. Neben der Ausbildung ist auch die Eingriffshäufigkeit von Bedeutung: Je mehr Rektumkarzinome ein Chirurg pro Jahr operiert und je länger er chirurgisch tätig ist, umso niedriger liegt die Lokalrezidivrate. Eine geringere Rezidivrate wurde auch berichtet, wenn die Patienten in speziellen Zentren operiert wurden (Renzulli u. Laffer 2005; Iversen et al. 2007).
48.10
Adjuvante und neoadjuvante Therapie
Rektumkarzinome im UICC Stadium I (pT1/2 N0) haben bei radikaler Operation niedrige Lokalrezidiv- und Fernmetastasierungsraten und bedürfen keiner adjuvanten oder neoadjuvanten Therapie (Peeters et al. 2007). Im UICC-Stadium II und III ist die neoadjuvante Radio- oder Radiochemotherapie indiziert (Schmiegel et al. 2008). Die Nachteile der bis vor kurzem noch empfohlenen adjuvanten Radiochemotherapie können durch eine neoadjuvante Radiochemotherapie vermieden werden, da präoperativ weniger Dünndarmschlingen im kleinen Becken lokalisiert sind und auch keine Bestrahlung des Neorektums erfolgt. Die onkologischen Ergebnisse sind dabei genauso gut oder sogar besser als nach adjuvanter Bestrahlung (Camma et al. 2000). Die neoadjuvante Radiatio kann grundsätzlich mit niedriger (bis 25 Gy) oder mit moderater Gesamtdosis (25–50 Gy) durchgeführt werden. Die Kurzzeitbestrahlung mit hohen Einzeldosen (5×5 Gy) zielt auf die Devitalisierung von Tumorzellen in peripheren Tumoranteilen, sodass während der Operation, die direkt im Anschluss stattfinden muss, eine Tumorzellverschleppung verhindert wird. In einer niederländischen Multicenterstudie konnte durch dieses Regime eine signifikante Reduktion der Lokalrezidivrate von 8,2 auf 2,4% nach zwei Jahren mit nur minimaler Zunahme der Morbidität erzielt werden. Die Überlebensrate in beiden Gruppen unterschied sich jedoch nicht, was die Autoren mit der noch kurzen Nachbeobachtungszeit und der insgesamt niedrigen Rezidivrate begründeten (Kapiteijn et al. 2001; Peeters et al. 2007). Kritisch anzumerken ist, dass aufgrund des kurzen Zeitintervalls zwischen Radiatio und Operation keine Tumorverkleinerung erzielt wird und damit die Zahl sphinktererhaltender Resektionen nicht gesteigert werden kann. Weiterhin ist aus strahlenbiologischer Sicht eine hohe Spättoxizität zu befürchten. Alternativ wird deswegen zunehmend die neoadjuvante Langzeitbestrahlung mit 45—50,4 Gy in Kombination mit Chemotherapie durchgeführt (fraktioniert 1,8 Gy über 5–6 Wochen, kombiniert mit 2 Zyklen 5-Fluorouracil während der
1. und 5. Bestrahlungswoche). Die Operation wird dann nach weiteren 4–6 Wochen durchgeführt, da erst dann ein Downstaging des Tumors zu erwarten ist. Fast 90% aller primär nicht-resektabel erscheinenden Tumoren können so reseziert werden. Postoperativ werden weitere 4 Zyklen Monochemotherapie mit 5-Fluorouracil mit oder ohne Folinsäure durchgeführt. Die deutsche CAO/ARO/AIO-94-Studie verglich prospektiv randomisiert die präoperative Langzeit- mit der postoperativen Radio-/Chemotherapie mit jeweils 50,4 Gy Gesamtdosis. Bei gleicher postoperativer Morbidität war die Lokalrezidivrate nach 5 Jahren unter dem neoadjuvanten Ansatz vermindert (6 versus 12%). Die Fernmetastasierungsrate war mit 32% nach 5 Jahren in beiden Gruppen gleich. Der wesentliche Nachteil des neoadjuvanten Regimes war die Übertherapie bei 18% der Patienten, bei denen die präoperative Diagnostik zu einem Overstaging geführt hatte (Sauer et al. 2003). Bujko et al. verglichen in einer prospektiv randomisierten Studie Kurzzeit- und Langzeitradiatio miteinander und konnten keine signifikanten Verbesserungen durch die zusätzliche Chemotherapie nachweisen (Bujko et al. 2006). Durch das fehlende Down-Staging eignet sich die Kurzzeitradiatio allerdings weniger für Tumoren des distalen Rektumdrittels (Kapiteijn et al. 2001; Schmiegel et al. 2008). Der Stellenwert der Strahlentherapie im oberen Rektumdrittel wird kontrovers diskutiert. Es kann eine adjuvante Chemotherapie analog zum Kolonkarzinom oder eine Radio(chemo)therapie wie beim tiefsitzenden Rektumkarzinom durchgeführt werden. Für die Behandlung wie ein Kolonkarzinom sprechen die Daten der amerikanischen Adjuvanzstudien, die sich ausschließlich auf Rektumtumoren unterhalb 12 cm ab ano bezogen (Wolmark et al. 2000) und die Tatsache, dass in der holländischen TME-Studie keine signifikante Verbesserung der Lokalrezidivrate im proximalen Rektumdrittel durch die zusätzliche Radiotherapie nachgewiesen werden konnte (Peeters et al. 2007). Im Gegensatz dazu wurden in der deutschen CAO/ARO/AIO-Studie in einer Subgruppenanalyse keine signifikanten Unterschiede der Lokalrezidivraten zwischen Tumoren des mittleren und oberen Drittels nachgewiesen. Daher ist das gegenwärtig verbreitete Vorgehen, Tumoren des proximalen Rektumdrittels wie Kolonkarzinome zu behandeln gerechtfertigt. Eine Sondersituation besteht bei cT1/2-Karzinomen mit fraglichem Lymphknotenbefall . Da die Sensitivität und Spezifität der Beurteilung des Lymphknotenbefalls in der MRT wie auch der Endosonographie eingeschränkt ist, ist die primäre Operation (mit ggf. adjuvanter Radiochemotherapie bei pN+) eine ebenfalls mögliche Behandlungsoption. Im Gegensatz dazu kann die MRT präoperativ eine sichere Aussage über die Tumorinfiltration und den zu erwartenden zirkumferentiellen Resektionsrand machen. Dementsprechend wurde von einigen Zentren im Hinblick auf die mit der Radiotherapie assoziierten Nebenwirkungen ausschließlich die lokale Tumorinfiltration in der MRT als Selektionskriterium für eine neoadjuvante Therapie definiert: Bei T3-Tumoren mit einer Infiltration ins mesorektale Fettgewebe von unter 5 mm oder mit einem Abstand zur mesorektalen Resektionslinie von mehr als 1 mm wurde auf eine neoadjuvante Vorbehandlung
48
731 48.11 · Nachsorge
verzichtet und in 99% der Fälle eine R0-Resektion erreicht (Strassburg et al. 2008). Dieses Vorgehen muss in Studien weiter geprüft werden und kann derzeit (noch) nicht empfohlen werden. Eine heftige Diskussion wird derzeit über das Resektionsausmaß nach neoadjuvanter Therapie geführt. Unklar ist zum einen, ob es nicht eine Patientengruppe gibt, bei der nach kompletter pathologischer Remission nach Radiochemotherapie gänzlich auf die Resektion verzichtet werden kann (Habr-Gama u. Perez 2009) oder ob eine lokale Resektion nach Downsizing ausreichend ist (Bujko et al. 2007). Entsprechend der derzeit gültigen Leitlinien ist unabhängig vom postoperativen Stadium, also auch bei kompletter Remission, nach neoadjuvanter Radiochemotherapie die radikale Resektion und Komplettierung der adjuvanten Chemotherapie erforderlich (Schmiegel et al. 2008).
Für intraperitoneal gelegene Tumoren, die radikal mit einer anterioren Resektion operiert werden können, ist primär die Operation anzustreben. Bei allen extraperitoneal gelegenen T3,4-Tumoren ist die neoadjuvante Radio(chemo)therapie indiziert.
Sollte die histopathologische Aufarbeitung entgegen der präoperativen Diagnostik ein UICC-Stadium II/III ergeben, ist eine adjuvante Strahlentherapie in Kombination mit einer 5-FU-Montherapie indiziert. Diese sollte 4—6 Wochen nach der Operation beginnen. Aufgrund des hohen Lokalrezidivrisikos sollte auch bei R1-Resektionen oder intraoperativem Tumoreinriss eine postoperative Radiochemotherapie erfolgen (Schmiegel et al. 2008).
Cave Auf keinen Fall kann eine unsachgemäß durchgeführte Operation durch die postoperative Radiochemotherapie kompensiert werden. Bei nachgewiesenen positiven lateralen Resektionsrändern kann auch durch die postoperative Bestrahlung das erhöhte Rezidivrisiko nicht mehr gesenkt werden (Sebag-Montefiori et al. 2006).
48.11
Nachsorge
Lokoregionäre Rezidive sind beim Rektumkarzinom häufiger als beim Kolonkarzinom, bei dem eher die Fernmetastasierung im Vordergrund steht. Regelmäßige Nachkontrollen zur präsymptomatischen Früherfassung von Rezidiven sind deshalb nachgewiesenermaßen sinnvoll in Hinblick auf das Gesamtüberleben (Jeffery et al. 2003). Bei frühem Tumorstadium (UICC I) ist nach radikaler R0-Resektion in Anbetracht des geringen Rezidivrisikos und der günstigen Prognose von regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen kein Gewinn zu erwarten. Die rektal-digitale Untersuchung und eine Koloskopie nach 2 und 5 Jahren und anschließend alle 3 Jahre dienen der Früherkennung von Zweittumoren. Nach lokaler Exzision sollten wegen des möglicherweise höheren lokoregionären Lokalrezidivrisikos zusätzlich rektoskopische Untersuchungen evtl. mit rektaler Endosonographie in 6-monatigen Abständen bis zum zweiten Jahr erfolgen. Bei Patienten mit Rektumkarzinomen im Stadium UICC II und III sollten zusätzlich CT, Abdomen-Sonographie und Röntgen-Thorax durchgeführt werden (. Tab. 48.6). Die zusätzliche Bestimmung des karzinoembryonalen Antigens (CEA) hat eine hohe Sensitivität bezüglich Lokalrezidive und Leber-
. Tab. 48.6. Nachsorgeempfehlungen beim Rektumkarzinoma: UICC-Stadium I + II + III (Schmiegel et al. 2008)
Untersuchung
Monate 6
12
18
24
36
48
60
Anamnese, körperliche Untersuchung, CEAb
+
+
+
+
+
+
+
Abdomen-Sonographie
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Röntgen-Thorax (in 2 Ebenen) Nach Rektumresektion: Rektoskopie oder Sigmoidoskopiec Koloskopied CT-Becken (Axialverfahren) a
b
c d
+ 3 Monate nach Abschluss der tumorspezifischen Therapie
Tumoren, die nicht eindeutig dem Rektum oder Sigma zuzuordnen sind (Rektosigmoidkarzinome) werden in der Tumornachsorge wie Rektumkarzinome behandelt Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat 1996 die CEA-Bestimmung bei kolorektalen Karzinomen des Stadiums II und III alle 2–3 Monate für 2 Jahre empfohlen, allerdings nur für Patienten, die willens und in der Lage sind, sich bei Auftreten von Metastasen einer Leberresektion zu unterziehen Nur beim Rektumkarzinom ohne neoadjuvante oder adjuvante Radiochemotherapie 6 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons nicht möglich. Nach dem 3. Jahr alle 5 Jahre Koloskopie
732
48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
metastasen. Nach palliativer Resektion von Rektumkarzinomen sollte die Nachbetreuung symptomorientiert erfolgen (Deutsche Krebsgesellschaft 2002). 85% der Lokalrezidive treten innerhalb der ersten 30 postoperativen Monate auf. Während Anastomosenrezidive durch die endoskopische Diagnostik leicht entdeckt und durch Biopsie gesichert werden können, erfordern extraluminäre Rezidive einen erheblich größeren diagnostischen Aufwand. Trotz hoher Spezifität und Sensibilität von CT und MRT ist die Differenzierung von einer postoperativen Narbe häufig schwierig. Die FDG-PET als funktionell bildgebendes Verfahren kann hier wertvolle Hilfe geben. Gerade weil operative Eingriffe zur radikalen Entfernung eines Lokalrezidivs eine hohe Morbidität und oft auch erhebliche funktionelle Einbußen mit sich bringen, ist die histologische Sicherung des Lokalrezidivs wichtig. Aus diesem Grund sollte die histologische Untersuchung z. B. durch CT-gesteuerte Punktion angestrebt werden. Doch auch bei negativer Biopsie und sicherer Befundkonstellation (Nachweis einer extraluminären Raumforderung im kleinen Becken, positives PET und CEA-Anstieg) sollte unseres Erachtens die chirurgische Exploration erfolgen. Auch das lokale Rezidiv eines Rektumkarzinoms hat eine Aussicht auf definitive Heilung, sofern es komplett entfernt werden kann. Reine Anastomosenrezidive können prinzipiell nach den gleichen Kriterien behandelt werden wie primäre Tumoren. Bei den extraluminären Rezidiven bringt ein multimodales Therapiekonzept mit Induktionsradio- und Chemotherapie und evtl. auch intraoperativer Bestrahlung bislang die besten Ergebnisse. Bei R0-Resektionen können 5-JahresÜberlebensraten von etwa 25% erreicht werden, die perioperative Letalität ist mit ca. 3% akzeptabel. Die radikale pelvine Exenteration mit Sakrumteilresektion kommt nur in wenigen ausgewählten Fällen mit Tumorlokalisation unterhalb S2 und gutem Allgemeinzustand des Patienten infrage. In der Palliativsituation besteht die Möglichkeit der Radiotherapie zur Tumor- und vor allem Schmerzreduktion.
48.12
Ausblick
Die Prognose von Patienten mit einem Rektumkarzinom konnte in den letzten Jahren durch die Verbesserung der chirurgischen Technik und neoadjuvante Therapieansätze verbessert werden. Verschiedene Bestrahlungsmodalitäten und -dosen werden derzeit ebenso intensiv untersucht wie eine Optimierung der Chemotherapie durch neue Substanzen oder Substanzkombinationen. Es wird in Zukunft aber auch wesentlich darauf ankommen, neben immer aggressiveren Therapiemaßnahmen weitere tumorbezogene Risiko- und Prognoseparameter zu identifizieren, um die verfügbaren adjuvanten Maßnahmen gezielter einsetzen zu können und den davon nicht profitierenden Patienten deren Nebenwirkungen ersparen zu können. Trotz aller Fortschritte der (neo-)adjuvanten Therapie ist die chirurgische Resektion unverzichtbarer und zentraler Anker aller multimodalen Therapiekonzepte. Deshalb muss vor der Forderung nach multimodalen Therapien als verbindlichem Standard die hohe Qualität der Operation flächen-
deckend sichergestellt sein. Davon ist aufgrund der bislang vorliegenden Ergebnisse noch nicht auszugehen (Hermanek et al. 2000; Jeyarajah et al. 2007). Ob dies durch die geplante Einführung von Mindestoperationen pro Operateur und Zentrum im Rahmen der Zertifizierung für Darmkrebszentren verbessert wird bleibt abzuwarten. Tatsache ist, dass die Operation umso erfolgreicher und die Prognose von Patienten umso günstiger ist, je früher der Tumor diagnostiziert wird. Es muss daher in Zukunft gesteigerter Wert auf die frühzeitige Diagnose kolorektaler Karzinome gelegt werden. Dies beinhaltet nicht nur die Weiterentwicklung der technisch-apparativen Diagnostik, sondern auch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zur Wahrnehmung der kostenlosen Vorsorgeuntersuchung. Die hohe Rate prognostisch ungünstiger Tumorstadien und damit auch die Notwendigkeit für aufwändige, belastende und kostenintensive Behandlungen könnte dadurch nachhaltig gesenkt werden.
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Kapitel 48 · Rektumkarzinom
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49 49
Analkarzinom F. Zimmermann, Ch. Tympner
49.1
Grundlagen
49.1.1 49.1.2 49.1.3 49.1.4 49.1.5
Chirurgische Epidemiologie – 736 Pathogenese – 736 Pathologie und Klassifikation – 736 Prognostische Faktoren – 736 Bedeutung der Anatomie – 739
49.2
Klinische Symptomatologie
49.3
Diagnostik und Staging
49.4
Therapiestrategie
49.4.1 49.4.2 49.4.3
Analkanalkarzinom – 741 Analrandkarzinom – 742 Analkarzinome seltener Histologie
49.5
Radio- und Radiochemotherapie
49.5.1 49.5.2 49.5.3 49.5.4 49.5.5 49.5.6
Alleinige Radiotherapie – 742 Simultane Radiochemotherapie – 742 Technik der Strahlentherapie – 744 Neoadjuvante und adjuvante Chemotherapie – 744 Nebenwirkungen der Radio- und Radiochemotherapie Radiochemotherapie bei HIV-Infektion – 745
49.6
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
49.7
Operationstechnik
49.8
Postoperative Behandlung
49.9
Intra- und postoperative Komplikationen
49.10
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
49.11
Palliation
49.12
Empfehlungen zur Nachsorge Literatur
– 736
– 739
– 739
– 741
– 742
– 742
– 749
– 745
– 745 – 745
– 747 – 748
– 744
– 746
– 746
736
Kapitel 49 · Analkarzinom
49.1
Grundlagen
49.1.1 Chirurgische Epidemiologie
49
Etwa 2–3% der Karzinome des unteren Gastrointestinaltraktes sind Analkarzinome. Diese seltenen Tumoren zeigen eine jährliche Neuerkrankungsrate von 0,3–1 Erkrankung pro 100.000 Einwohner. Es liegen regionale Schwankungen der Inzidenzrate vor, mit z. B. hohen Erkrankungsraten bei Afroamerikanern. Frauen sind von einem Analkarzinom etwa 1,5-fach häufiger betroffen als Männer. Der Erkrankungsgipfel für das Analkarzinom findet sich typischerweise in der 6. bis 7. Lebensdekade.
49.1.2 Pathogenese Wie beim Zervixkarzinom stehen Viruserkrankungen als auslösender Faktor an erster Stelle. Mit Hilfe neuer Techniken wie der Polymerasekettenreaktion und In-situ-Hybridisierung konnten bei einem Großteil von Patienten mit Analkarzinom Humanes-Papilloma-Virus, hauptsächlich vom Typ 16, aber auch Herpes-simplex-Virus nachgewiesen werden. Dies hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei therapeutische Relevanz. Impfungen sind bislang nicht hinsichtlich eines prophylaktischen Effektes gegenüber der Entstehung eines Analkarzinoms untersucht worden. Die virale Genese erklärt allerdings einen Teil der führenden Risikofaktoren zur Entwicklung eines Analkarzinoms: Promiskuität, Analverkehr, früher erster Sexualverkehr und durchgemachte Geschlechtskrankheiten. In der Praxis lassen sich weitere eindeutige Risikogruppen für die Entstehung eines Analkarzinoms definieren. Hierzu zählen immunsupprimierte Patienten, z. B. nach Nierentransplantation, homosexuelle Menschen und Patienten mit HIV-Infektion. In über 80% der Analkarzinome sind Hochrisiko-HPVTypen (HPV16, 18, 33, 45) nachweisbar. Das HPV-Genom mit Kodierungen für regulatorische Proteine (z. B. E1-7) und virale Kapsidproteine (z. B.L1, L2) nimmt Einfluss auf den Zellzyklus der Wirtszelle – den Keratozyt. Dabei sind HPV E6 und E7 Onkogene, die körpereigene Tumorsuppressorgene wie p53 und pRb (Retinoblastomprotein) inaktivieren können. Dadurch wird die Zellproliferation angeregt und die Apoptose infizierter Zellen verhindert. Unabhängig vom HPV-Status spielt für die molekulare Karzinogenese das p53-Tumorsuppressorgen bei Plattenepithelkarzinomen wohl eine wesentliche Rolle. Punktmutationen im Genlokus für p53 oder selten auch Deletionen von Chromosom 17p führen zu funktionellen Inaktivierungen auf Proteinebene mit Beeinträchtigung des Zellzyklusarrests oder der Apoptose nach DNS-Schädigung.
49.1.3 Pathologie und Klassifikation Da der Analkanal aus zwei Keimblättern entsteht, findet sich eine histologische Vielfalt an Karzinomen in diesem Organ. Führend ist das Plattenepithelkarzinom mit einer Fülle an
Untergruppen. Insbesondere entsprechend der Lokalisation unterscheidet man zwischen Analkanal- und Analrandkarzinomen (perianale Karzinome). Analkanalkarzinome sind in etwa 75–80% Plattenepithelkarzinome. In 15–20% der Fälle finden sich Adenokarzinome, dabei überwiegend im oberen Drittel des Analkanals ausgehend von der kolorektalen Zone, den Analdrüsen oder anorektalen Fisteln. Etwa 4% maligne Melanome und maximal 1% andere maligne Tumoren diagnostiziert man im Analkanal. Die Plattenepithelkarzinome sind meist mit einer chronischen HPV-Infektion (>80% HPV-DNA Nachweis des »Hochrisiko«-HPV-Typs) assoziiert. Man unterscheidet drei Differenzierungsmuster (plattenepithelial, basaloid und/oder duktal). Subtypen mit ungünstiger Prognose sind Plattenepithelkarzinome mit muzinösen Mikrozysten (alte Bezeichnung: Mukoepidermoidkarzinom) und das kleinzellige, nicht verhornende Plattenepithelkarzinom (auch kleinzelliges (anaplastisches) Karzinom). Die regionären Lymphknoten des Analkanalkarzinoms sind die perirektalen Lymphknoten, die Lymphknoten an den Aa. iliacae internae und die Leistenlymphknoten. Jede Metastase in anderen als den oben aufgeführten regionären Lymphknoten wird als Fernmetastase klassifiziert. Hämatogene Fernmetastasen entstehen sowohl über das Pfortadersystem (primär in die Leber) als auch über die V. cava inferior (primär in die Lunge und andere Organe des großen Kreislaufs (z. B. Gehirn, Skelettsystem). Analrandkarzinome sind in ca. 90% Plattenepithelkarzinome; selten sind Basalzellkarzinome und verruköse Karzinome. Intraepitheliale Neoplasien des Analrandes sind der Morbus Bowen (intraepitheliales Plattenepithelkarzinom) und der extramammäre Morbus Paget (intraepitheliales Adenokarzinom). Als regionäre Lymphknoten der Karzinome des Analrandes und der perianalen Haut sind die ipsilateralen inguinalen Lymphknoten zu nennen. Der Befall aller anderen Lymphknotenstationen zählt bereits als Fernmetastase. . Tab. 49.1 bis . Tab. 49.5 geben einen Überblick über TNM-Klassifikation und Stadiengruppierung des Analkarzinoms. Seltenere Tumoren sind das verruköse Karzinom, das Adenokarzinom, das anorektale Melanom, Basaliome der Perianalregion und der M. Paget (. Tab. 49.6)
49.1.4 Prognostische Faktoren Das Verhältnis von Mortalität zu Inzidenz beim Analkarzinom beträgt ca. 14%, was eine im Grunde gute Prognose des Analkarzinoms belegt. Hintergrund sind die hohe Erfolgsrate der simultanen Radiochemotherapie und die guten Heilungschancen der chirurgischen Salvagetherapie sowie die in der Regel erfolgreiche Resektion der Tumoren des Analrandes. Leider werden vor allem Karzinome des Analkanals gerade bei älteren Menschen immer noch häufig in lokal sehr fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert, so dass eine Verbesserung der Ergebnisse der onkologischen Behandlung durch
49
737 49.1 · Grundlagen
. Tab. 49.1. TNM/pTNM-Klassifikation des Analkanalkarzinoms
. Tab. 49.2. Stadiengruppierung des Analkanalkarzinoms Stadium 0
0
Tis
M0
Stadium I
T1
N0
M0
Stadium II
T2, T3
N0
M0
Stadium IIIA
T1, T2, T3
N1
M0
T4
N0
M0
T4
N1
M0
Jedes T
N2, N3
M0
Jedes T
Jedes N
M1
T/pT-Klassifikation (p)T0
Kein Anhalt für Primärtumor
(p)Tis
Carcinoma in situ
(p)T1
2 cm oder weniger in größter Ausdehnung
(p)T2
Mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
(p)T3
Mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
(p)T4
Jede Größe, mit Infiltration benachbarter Organe
Stadium IIIB
Stadium IV
N/pN-Klassifikation (p)N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
(p)N1
Metastase(n) in perirektalen Lymphknoten
(p)N2
Metastase(n) in inguinalen Lymphknoten einer Seite und/oder in Lymphknoten an der A. iliaca interna einer Seite
(p)N3
Metastasen in perirektalen und inguinalen Lymphknoten und/oder in Lymphknoten an der A. iliaca interna beidseits und/oder in bilateralen Leistenlymphknoten
M/pM-Klassifikation (p)M0
Keine Fernmetastasen
(p)M1
Fernmetastasen
4 (p)M1a
Fernmetastasen in nicht-regionären Lymphknoten
4 (p)M1b
Fernmetastasen an anderen Lokalisationen, ausgenommen Peritoneum und Pleura
4 (p)M1c
Peritoneal-oder Pleurametastasen
Anmerkung zur T-Kategorie 4 Für die Einordnung in die T-Kategorie ist die Größe des invasiven Tumors maßgebend, eine begleitende In-situKomponente wird nicht einbezogen. 4 Als benachbarte Organe gelten Vagina, Vulva, Urethra, Harnblase, Prostata. Direkte Invasion von Rektumwand (auch Sphinktermuskulatur), perianale Haut oder Subkutis gilt nicht als (p)T4, wird aber in der Klassifikation nach Größe berücksichtigt. Anmerkung zur N-Kategorie 4 Definition regionärer Lymphknoten: perirektale Lymphknoten, Lymphknoten an der A. iliaca interna beidseits, inguinale Lymphknoten beidseits. Bei Infiltration von benachbarten Organen gelten auch jene Lymphknoten als regionär, die für das befallene benachbarte Organ als regionär zu klassifizieren sind. 4 Bei regionärer perirektal-pelviner Lymphadenektomie werden üblicherweise 12 oder mehr Lymphknoten, bei inguinaler Lymphadenektomie 6 oder mehr Lymphknoten histologisch untersucht. Wenn die untersuchten Lymphknoten tumorfrei sind, aber die Zahl der üblicherweise untersuchten Lymphknoten nicht erreicht wird, soll pN0 klassifiziert werden, aber in Klammern die Zahl der untersuchten Lymphknoten zugefügt werden, z. B. pN0(0/4).
. Tab. 49.3. TNM/pTNM-Klassifikation des Analrandkarzinoms (perianales Karzinom)
T/pT-Klassifikation (p)T0
Kein Anhalt für Primärtumor
(p)Tis
Carcinoma in situ
(p)T1
2 cm oder weniger in größter Ausdehnung
(p)T2
Mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
(p)T3
Mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
(p)T4
Jede Größe, mit Infiltration tiefer extradermaler Strukturen wie Knorpel, Skelettmuskulatur oder Knochen
N/pN-Klassifikation (p)N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
(p)N1
Regionäre Lymphknotenmetastase(n)
M/pM-Klassifikation (p)M0
Keine Fernmetastasen
(p)M1
Fernmetastasen
Anmerkung zur T-Kategorie 4 Direkte Invasion der Mukosa oder Submukosa des Analkanals gilt nicht als (p)T4, wird aber in der Klassifikation nach Größe mitberücksichtigt. Anmerkung zur N-Kategorie 4 Definition regionärer Lymphknoten: ipsilaterale inguinale Lymphknoten. 4 Bei Tumoren in der Mittellinie bzw. bilaterale Tumoren gelten die bilateralen Lymphknoten als regionär. 4 Bei inguinaler Lymphadenektomie werden üblicherweise 6 oder mehr Lymphknoten histologisch untersucht. Wenn die untersuchten Lymphknoten tumorfrei sind, aber die Zahl der üblicherweise untersuchten Lymphknoten nicht erreicht wird, soll pN0 klassifiziert werden, aber in Klammern die Zahl der untersuchten Lymphknoten zugefügt werden, z. B.pN0(0/4).
738
Kapitel 49 · Analkarzinom
. Tab. 49.4. Stadiengruppierung des Analrandkarzinoms Stadium 0
Tis
N0
M0
Stadium I
T1
N0
M0
Stadium II
T2, T3
N0
M0
Stadium III
T4
N0
M0
Jedes T
N1
M0
Jedes T
Jedes N
M1
Stadium IV
eine Optimierung der Aufklärung, Früherkennung und Therapie gleichermaßen angestrebt werden sollte.
Die wichtigsten unabhängigen prognostischen Faktoren in zahlreichen, vor allem den randomisierten klinischen Studien bezüglich der lokalen Tumorkontrolle, des kolostomiefreien Überlebens, des rezidivfreien und teilweise auch des Gesamtüberlebens sind die Ausdehnung des Primärtumors (das T-Stadium) und der Tumorbefall regionaler Lymphknoten.
49 . Tab. 49.5. Endosonographische Klassifikation des Tumorstadiums
uT-Klassifikation uT0
Kein Anhalt für Primärtumor
uT1
Infiltration von Mukosa und Submukosa
uT2
Infiltration des Sphincter internus
uT3
Infiltration des Sphincter externus
uT4
Infiltration eines Beckenorgans
uN-Klassifikation uN0
Keine verdächtigen perirektalen Lymphknotenmetastasen
uN1
Malignitätsverdacht in perirektalen Lymphknoten
M/pM-Klassifikation (p)M0
Keine Fernmetastasen
(p)M1
Fernmetastasen
Anmerkung zur T-Kategorie 4 Als benachbarte Organe gelten Vagina, Vulva, Urethra, Harnblase, Prostata. Direkte Invasion von Rektumwand (auch Sphinktermuskulatur), perianaler Haut oder Subkutis gilt nicht als (p)T4, wird aber in der Klassifikation nach Größe berücksichtigt. Anmerkung zur N-Kategorie 4 Endosonographisch sind nur die perirektalen Lymphknoten beurteilbar. Es kann keine Aussage über die inguinalen Lymphknoten gemacht werden.
. Tab. 49.6. Relative Häufigkeit der Histopathologien des Analkanalkarzinoms
Tumortyp
Häufigkeit
Plattenepithelkarzinome
75%
Adenokarzinome
20%
Melanome
4%
Sonstige
1%
In univariaten Analysen steigt die Gefahr der Lokalrezidivrate mit Zunahme des T-Stadiums und erreicht bei Patienten mit T3/T4-Tumoren trotz optimaler multimodaler Therapie bis zu 50%. Für das Stadium N3 kann die 3-Jahres-Überlebensrate auf unter 60% sinken. Die Kolostomierate steigt von knapp über 10% bei tumorfreien auf fast 30% bei tumorbefallenen Lymphknoten an. Galt lange Zeit schon der Befall der inguinalen Lymphknoten alleine als ungünstig, so hat der Einsatz der kombinierten multimodalen Therapie die frühere schlechte Prognose von Patienten mit positiven inguinalen Lymphknoten in den letzten Jahren verbessert (Das et al. 2008). Auch die Lage des Karzinoms am Analrand scheint die onkologische Prognose nachteilig zu beeinflussen, eine größere kraniokaudale Ausdehnung der Erkrankung die Verträglichkeit der Therapie (Allal et al. 1997; Grabenbauer et al. 2005). In univariaten Analysen waren auch Patientenalter (<64 Jahre), männliches Geschlecht, geringer sozioökonomischer Status und ein niedriger Hämoglobinwert bei Therapiebeginn negative prognostische Faktoren für die Entstehung eines lokalen Tumorrezidivs. Eine Überexpression des p53 und des Cyclin A und eine geringe Expression des zellzyklusregulierenden p21 führen zu erhöhten lokoregionären Rezidivraten und einem geringeren Überleben (Das et al. 2008; Bilimoria et al. 2009). Auch die Art der Therapie hat einen relevanten Einfluss auf die Prognose. Hierzu zählen die simultane Radiochemotherapie, die sich gegenüber einer alleinigen Radiotherapie deutlich überlegen zeigt, ebenso wie die Höhe der Strahlendosis (mindestens 50 Gy zu fordern) und die Gesamtbehandlungszeit einer Radio- bzw. Radiochemotherapie. Die in den früheren randomisierten Studien eingeplante Therapiepause, die eine Erholung der Patienten von der teilweise beträchtlichen Proktitis und perianalen Dermatitis erlaubte, scheint hinsichtlich der lokalen Tumorkontrolle und des Überlebens von deutlichem Nachteil zu sein. Unterschiede von bis zu 20% bei der lokalen Tumorkontrolle und sogar beim Überleben werden aus retrospektiven Untersuchungen berichtet. Wenn seitens der akuten Toxizität der Therapie vertretbar sollte von daher auf fest eingeplante Therapieunterbrechungen verzichtet werden. Das Ziel muss es sein, in Zukunft noch besser verträgliche Therapien zu entwickeln, um diesen prognostischen Faktor günstig zu beeinflussen ohne die lokale Tumorkontrolle oder das Überleben zu verschlechtern (Allal et al. 1997; Graf et al. 2003; Das et al. 2008; Roohipour et al. 2008).
739 49.3 · Diagnostik und Staging
49.1.5 Bedeutung der Anatomie Die Analregion wird in den Analkanal und den Analrand unterteilt. Die Grenze zwischen diesen beiden Regionen ist die Linea anocutanea, an der das Anoderm, ein festes, mit der Unterlage verwachsenes, unverhorntes Plattenepithel, in die äußere perianale Haut mit verhorntem Plattenepithel, Talg-, Schweiß- und Duftdrüsen übergeht. Der Analkanal grenzt anatomisch mit dem kranialen Ende der Columnae anales (Zona haemorrhoidalis) an das Rektum. Als chirurgischer Analkanal wird die Ausdehnung zwischen Linea anocutanea und Linea anorectalis (Anorektalring: bezeichnet den Darmdurchtritt durch das Diaphragma pelvis (Muskelanteile: M. sphincter ani internus und externus, M. levator ani) bezeichnet. Der Analrand umfasst nach der Definition der UICC den Bereich von der Linea anocutanea bis 5 cm distal davon. Die Karzinome des Analrandes entsprechen prinzipiell denen der Haut, wie z. B. Plattenepithelkarzinome und Basalzellkarzinome (Basaliome). Die Tumoren des Analrandes (ICD-0 C44.5) werden wie Hauttumoren klassifiziert.
49.2
Klinische Symptomatologie
Als Leitsymptome des Analkarzinoms werden von betroffenen Patienten mit ca. 50% bzw. 35% Häufigkeit anale Blutungen und Schmerzen bei der Defäkation angegeben. Weitere typische Krankheitszeichen sind Fremdkörpergefühl, Obstipation und perianaler Pruritus. In 10% der Fälle werden die Tumoren im asymptomatischen Stadium entdeckt, z. B. im Rahmen einer rektalen Untersuchung als Früherkennung anderer Tumoren (beispielsweise beim Zervix- oder Prostatakarzinom).
Besondere Aufmerksamkeit sollte chronischen perianalen Infektionen, Hämorrhoiden, Fisteln, Fissuren, Condylomata, Herpes-Affektion oder Psoriasis gelten, um ein gleichzeitig, möglicherweise verborgen vorliegendes Analkarzinom nicht zu übersehen. Im Zweifelsfall und bei persistierenden Symptomen sollte die Biopsie bei initial fehlendem Nachweis eines malignen Geschehens sicherheitshalber nach wenigen Wochen wiederholt werden.
49.3
Diagnostik und Staging
Bei entsprechenden Symptomen oder Befunden anlässlich einer Routineuntersuchung sollten auffällige Befunde einer sorgfältigen Inspektion, Palpation und Proktorektoskopie mit Probeexzision zugeführt werden. Alle im Bereich des Analkanals und des Analrandes entnommenen Biopsien gelten als onkologisch verdächtigt und müssen daher gründlich histopathologisch untersucht werden. Dies gilt auch für die häufigen primär benignen Veränderungen wie Hämorrhoiden, Fissuren und Fisteln. Nur hierdurch kann es gelingen, die heu-
te immer noch lange mittlere Zeitspanne von 5–11 Monaten von Symptombeginn bis zur Diagnosestellung zu verkürzen. Die klinische Untersuchung erfordert auch die Untersuchung der inguinalen Lymphknoten und bei schmerzhaften lokalen Befunden gegebenenfalls eine Narkoseuntersuchung mit bimanueller Palpation und Probeexzision. Kleinere, oberflächliche und gut verschiebliche Raumforderungen können bereits im Rahmen des diagnostischen Eingriffes komplett entfernt werden, wenn hierdurch keine Einbußen der Sphinkterfunktion zu erwarten sind. Ein tiefer diagnostischer Eingriff sollte jedoch vermieden werden. Der Eingriff kann die Verträglichkeit der Therapie nachteilig beeinflussen (Allal et al. 1997). Neben einer sorgfältigen klinischen Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt sollte die Ausdehnung des Primärtumors durch die Endosonographie bestimmt werden. Diese zeigt sich auch im Vergleich mit einer guten Kernspintomographie als zuverlässiges und sicher nicht unterlegenes Verfahren. Kleine Tumoren werden zuverlässiger mit der Endosonogaphie diagnostiziert (Otto et al. 2009). Aber vor allem im Hinblick auf die Prognose hat die Klassifikation des Primärtumors und der peritumoralen Lymphknoten nach endosonographischen Kriterien (T1–2 vs. T3–4) (. Tab. 49.5) ihre bessere Vorhersage belegen können. Sie kann deutlich zwischen den frühen und fortgeschrittenen Stadien differenzieren, so dass zukünftige Studien vor allem in den frühen Stadien auf einem Staging mittels Endosonographie basieren sollten (. Tab. 49.7). Ein Befall der regionalen Lymphknoten wird mittels Computer- oder Kernspintomographie geklärt (Otto et al. 2009). Bei ausgedehnteren Befunden (ab T2-Tumoren) bzw. Übergang oder Lage des Primärtumors im Bereich des Anal-
. Tab. 49.7. Vergleich der prognostischen Bedeutung der endosonographischen TNM-Klassifikation des plattenepithelialen Karzinoms mit der Einteilung nach UICC 2002 (Ergebnisse einer französischen Multicenterstudie) und Vergleich der Tumordetektion mittels MRT versus Endosonographie: signifikante Überlegenheit der Endosonographie bei der prognostischen Einschätzung mittels endosonographischem Staging und zuverlässigere Detektion früher Karzinome (Giovannini et al. 2001; Otto et al. 2009) Vorhersage für
UICC-Stadium
Endosonographisches Stadium
4 Komplette Remission
T1–2: 80%
T1–2: 94,5%
4 Lokalrezidiv
T-Stadium: p=0,4
T-Stadium: p=0,001
N-Stadium: p=0,5
N-Stadium: p=0,03
T-Stadium: p=0,019
T-Stadium: p=0,0001
N-Stadium: p=0,47
N-Stadium: p=0,06
MRT: 88,9%
Endosonographie: 100%
4 Überleben
Tumordetektion (Sensitivität)
49
740
Kapitel 49 · Analkarzinom
49 a
a
b . Abb. 49.1a,b. MRT des Beckens vor Radiochemotherapie. a T1 nativ. b Nach Gadolinium
randes oder des Perineums sind eine Kernspintomographie (. Abb. 49.1) des Primärtumors und der peritumoralen Lymphknoten sowie eine Computertomographie des Beckens und Abdomen zu fordern (Saranovic et al. 2007; Otto et al. 2009). Ist ein lokal deutlich fortgeschrittenes Tumorwachstum (ab u/cT3) gesichert, sind auch eine gynäkologische und ggf. urologische Untersuchung (Zystoskopie) sinnvoll, um eine Infiltration benachbarter Organe klären zu können. Zum Ausschluss weiterer pathologischer Befunde wie beispielsweise entzündlicher Darmerkrankungen des Kolon wird eine totale Koloskopie empfohlen. Dies hat auch für die spätere Therapieplanung beträchtliche Konsequenzen, da akut inflammatorische Kolitiden die Verträglichkeit der Radiochemotherapie beträchtlich beeinflussen können (Hermanek et al. 1999). Ferner umfasst das prätherapeutische Staging die Bestimmung der Tumormarker (CEA, SCC) und sowie eine Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen. Bei unklaren pulmonalen oder hepatischen Befunden erfolgen eine Computertomographie der Lunge und eine Sonographie der Leber. Die FDG-PET-CT wurde in den letzten Jahren im Rahmen des primären Staging, als Verlaufskontrolle und zur Detektion inkompletter Remissionen nach primärer Radiochemothera-
b . Abb. 49.2a,b. FDG-PET-CT des kleinen Beckens: Lokal fortgeschrittenes und lymphonodulär metastasiertes Analkarzinom: 3 Monate (a) und 7 Monate (b) nach sequenzieller systemischer Chemotherapie und Radiochemotherapie
pie eingesetzt (. Abb. 49.2). In nahezu 100% der Fälle kommt es zu einer pathologischen Aufnahme des Tracers im Primärtumor. Verglichen mit den Ergebnissen der üblichen Stagingverfahren im Rahmen retro- und zuletzt auch prospektiver Studien (Endosonographie, CT-Becken, Röntgenthorax) kam es in ca. 20% zu einer Änderung des klinischen Tumorstadiums (überwiegend Erhöhung des Stadiums durch Darstellung regionaler Lymphknotenfiliae), so dass in ca. 5% eine Änderung der Therapie erfolgte. Die Sicherheit dieser Entscheidung wurde jedoch nie in größeren oder gar randomisierten Studien bzw. durch konsequente histopathologische Abklärungen geprüft. Es wurden lediglich die weiteren Krank-
741 49.4 · Therapiestrategie
. Tab. 49.8. Prätherapeutische Untersuchungen bzw. Stagingverfahren (bei persistierenden Symptomen bzw. unklarem histopathologischen Befund Untersuchungen wiederholen, vor allem des vermeintlichen Primärtumors bzw. vergrößerter regionaler Lymphknoten)
Untersuchung
Klärung der Ausdehnung von Primärtumor
Regionale Lymphknoten
Fernmetastasen
Inspektion
+
+
–
Rektale und inguinale Palpation
+
+
–
Rektoskopie/ Proktoskopie
+
–
–
Transanale Endosonographie
+
+
–
Sonographie der Leisten
–
+
–
CT des Beckens
(+)
+
+ (Lymphknoten)
MRT des Beckens
+
+
+ (Lymphknoten)
Sonographie/ CT der Leber
–
-
+
Röntgen-Thorax
–
–
+
FDG-PET-CT
(+)
+
+
Sentinel-Lymphknotenbiopsie
–
+
–
Koloskopie
Zum Ausschluss weiterer Darmerkrankungen
heitsverläufe kontrolliert und die initiale Stadienangabe mit dem Rezidivmuster verglichen. In der Regel wurde das Behandlungskonzept (z. B. die Größe des Bestrahlungsvolumens der Radiotherapie) dem Befund der FDG-PET-CT angepasst und damit möglicherweise das Rezidivmuster beeinflusst. Aus diesem Grund ist der Stellenwert der FDG-PET-Untersuchung nicht zweifelsfrei belegt. Da sie bei fraglichen Befunden aus anderen diagnostischen Verfahren aber im Einzelfall hilfreich ist (z. B. bei endoskopisch schwer zugänglichen Lungenrundherden oder vergrößerten retroperitonealen Lymphknoten) und in ca. 10% eine wenig belastende Modifikation der Strahlentherapie erfolgt, wird die FDG-PET-CT als Stagingverfahren in den USA empfohlen und erscheint vermutlich im Rahmen der Bestrahlungsplanung sinnvoll (Nguyen et al. 2008; Winton et al. 2009; National Comprehensive Cancer Network 2007). In bis zu 25% der Fälle liegt initial ein Befall der inguinalen Lymphknoten vor. Bei kleinen Tumoren (T1–2) ist jedoch nur ein Befall in 5–10% zu erwarten, so dass ein Einschluss dieser Region in das Bestrahlungsgebiet bei mehr als 90% der Patienten zu einer unnötigen Belastung führt. Zur Klärung des Befalls kann neben oder anstelle der FDG-PETCT eine Sentinel-Darstellung mittels Lymphoszintigraphie erfolgen. Es ist von einer über 90%-igen Detektionsrate auszugehen. Ob diese Diagnostik auch bei gut differenzierten frühen Karzinomen vor allem des oberen Analkanals sinnvoll ist, und wie zuverlässig das Verfahren in der klinischen Routine ist, muss noch geklärt werden (Perera et al. 2003; Mistrangelo et al. 2009). . Tab. 49.8 gibt einen Überblick über die prätherapeutische Untersuchungen bzw. Stagingverfahren.
49.4
Therapiestrategie
49.4.1 Analkanalkarzinom Die Ergebnisse prospektiv randomisierter Studien aus Europa und den USA zur kombinierten Radiochemotherapie mit 5-FU und Mitomycin im Vergleich zur alleinigen Radio- oder
. Abb. 49.3. MRT-Aufnahmen vor und nach Radiochemotherapie eines c/uT2 cN1-Analkarzinoms
49
742
Kapitel 49 · Analkarzinom
einer nur mit 5-FU kombinierten Radiochemotherapie zeigten auch für die aggressivere Radiochemotherapie ein akzeptables Toxizitätsprofil und ein gutes krankheitsfreies und Gesamtüberleben. Stadienabhängig können 5-Jahres-Überlebensraten bis zu 90% erzielt werden bei gleichzeitigem Erhalt eines funktionstüchtigen Sphinkterapparates. Zurzeit gilt die kombinierte Radiochemotherapie mit 5-FU und Mitomycin C als Standardtherapie des Analkanalkarzinoms ab dem Stadium u/cT2 bzw. u/cN+.
49
49.4.2 Analrandkarzinom Analrandkarzinome werden im Stadium T1 und T2 wie Hauttumoren durch lokale Exzision behandelt, wenn dadurch eine R0-Resektion erzielt werden kann. Wenn der Tumor den Sphinkterapparat oder Nachbarorgane infiltriert oder weit in den Analkanal hineinreicht, sollte eine primäre Radiotherapie, in den fortgeschritteneren Stadien eine primäre Radiochemotherapie erwogen werden, die wie beim Analkanalkarzinom durchgeführt wird.
49.4.3 Analkarzinome seltener Histologie Zu den selten Tumoren des Analkanals und Analrandes zählen das verruköse Karzinom, das Adenokarzinom, das anorektale Melanom, Basaliome der Perianalregion und der M. Paget. Diese Tumoren werden in der Regel chirurgisch mittels abdominoperinealer Resektion behandelt. Bei Adenokarzinomen sind multimodale Konzept vergleichbar der Behandlung der lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinome denkbar. Hierbei ist das Ziel allerdings nicht der Erhalt des Sphinkterapparates sondern ausschließlich die sichere, vollständige Resektion des Primärtumors und der regionalen Lymphknotenstationen mit dem Ziel einer dauerhaften lokalen Tumorkontrolle und eines besseren Überlebens.
49.5
Radio- und Radiochemotherapie
49.5.1 Alleinige Radiotherapie In frühen Tumorstadien, bei denen der Primärtumor durch eine Exzision vollständig abgetragen ist, kann im Hinblick auf eventuelle späte Toxizitäten auch eine alleinige perkutane Radiotherapie erwogen werden. Dieses Vorgehen kann jedoch nicht prinzipiell empfohlen werden: von einer weitgehenden Tumorresektion im Rahmen der Primärdiagnostik wird abgeraten, da dies die mögliche Toxizität der späteren kurativen Radio- oder Radiochemotherapie erhöhen kann. Eine alleinige Strahlentherapie ist bei frühen Tumorstadien (cT1 und cN0) bzw. kleine, durch Biopsie bereits weitgehend entfernte Tumoren erlaubt. Auch bei Patienten, bei denen keine systemische Therapie durchgeführt werden kann, sollte aufgrund der guten lokalen Tumorkontrolle mit der alleinigen Radiotherapie (ca. 55% 5-Jahres-Überleben; lokale Tumorkontrolle 50%) nicht auf den Versuch einer konser-
vativen Therapie mit perkutaner und ggf. interstitieller oder endokavitärer Strahlentherapie verzichtet werden, zumal eine spätere Salvage-Operation bei Versagen der konservativen Therapie immer noch möglich bleibt.
49.5.2 Simultane Radiochemotherapie Das am weitesten verbreitete Behandlungsschema mit 5-FU, Mitomycin C und simultaner Radiotherapie wurde 1974 durch Nigro als präoperatives Konzept eingeführt und im Rahmen mehrerer klinischer, auch randomisierter Studien unter Einsatz hoher kumulativer Strahlendosen (50–60 Gy) optimiert. In den 90er-Jahren wurden 3 randomisierte Phase-III- und mehrere Phase-II-Studien durchgeführt, die den Wert von 5-FU und Mitomycin C, die Bedeutung der kumulativen Strahlendosis und vor allem die der Therapiepause bei zumeist lokal fortgeschrittenen Tumoren (>80% Stadium III in den Studien) untersuchten. Zwei europäische Studien verglichen die Radiotherapie alleine mit einer Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie mit 5-FU und Mitomycin C, eine amerikanische Studie die Radiochemotherapie mit 5-FU mit der aus 5-FU und Mitomycin C (. Tab. 49.9). Durch die kombinierte Radiochemotherapie mit 1- bzw. 2 Zyklen 5-FU und Mitomycin C konnte eine signifikante Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle erreicht werden (Zunahme um ca. 30% gegenüber der alleinigen Radiotherapie bzw. um ca. 10% gegenüber einer Radiochemotherapie nur mit 5-FU). Gleichzeitig konnte eine signifikante Zunahme des Sphinktererhaltes und des rezidivfreien Überlebens erzielt werden. Aufgrund der Option der operativen Salvagetherapie in beiden Therapiearmen resultierte allerdings kein signifikanter Vorteil der Radiochemotherapie hinsichtlich des Gesamtüberlebens. Obwohl die Rate der akuten Nebenwirkungen erhöht war waren die späten Nebenwirkungen in beiden Therapiearmen gleich. Ein Salvage-Protokoll mit 5-FU und Cisplatin konnte bei 1/3 der Patienten mit residualem Tumor eine komplette Remission erzielen. Mit der kombinierten simultanen Radiochemotherapie (Gesamtdosis mindestens 50 Gy, 2 Zyklen 5-FU/Mitomycin C; . Tab. 49.10) werden auch bei lokal fortgeschrittenen Tumoren hohe, biopsiegeprüfte komplette Remissionsraten von ca. 85 (73–96)%, eine niedrige lokale Rezidivrate von lediglich 19 (11–39)% sowie ein 4 Jahre kolostomiefreies Überleben von ca. 75% bei einem 5-Jahres-Gesamtüberleben um 75 (56–92)% erreicht. Dabei ist die Resektion des Analkanals und distalen Rektums zumeist durch lokoregionäre Tumorrezidive und nicht durch schwere Toxizitäten bedingt. In den letzten Jahren wurde der etablierte Standard einer simultanen Radiochemotherapie mit 5-FU und Mitomycin mit cisplatinhaltigen Radiochemotherapien verglichen (Ajani et al. 2008; James et al.2009). Obwohl nicht zu allen Studien abschließende Ergebnisse vorliegen sprechen doch alle bisherigen Daten für eine Überlegenheit der Standardtherapie im Hinblick auf die lokale Tumorkontrolle. Dieser Vorteil wird mit einer erhöhten Rate an Hämatotoxizität erkauft, die jedoch nicht zu gravierenden Problemen, vor allem zu keiner erhöh-
49
743 49.5 · Radio- und Radiochemotherapie
. Tab. 49.9. Randomisierte Studien zur Radiochemotherapie des Analkarzinoms
Autor, Jahr
n
Chemotherapie
Radiotherapie (Gy)
5-JahresÜberleben (%)
5-Jahres-krankheitsfreies Überleben (%)
Lokale Tumorkontrolle (%)
5-JahresKolostomierate (%)
Flam et al. 1996
291
5-FU
39,6-59,4
67 (4 Jahre)
51 (4 Jahre)
66 (4 Jahre)
22 (4 Jahre)
76 (4 Jahre)
73 (4 Jahre)*
84 (4 Jahre)*
9 (4 Jahre)*
58 (3 Jahre)
61 (3 Jahre; Krankheitsspezifisch)
39 (3 Jahre)
65 (3 Jahre)
72 (3 Jahre; krankheitsspezifisch)*
61 (3 Jahre)*
54
n.a.
50 (5 Jahre)
60
58
n.a.
68 (5 Jahre)*
28*
75
60
75
10*
70
54
67
19
73
67 (3 Jahre)
90 (3 Jahre)
n.a.
73
70 (3 Jahre)
80 (3 Jahre)
n.a.
n.a.
73 (3 Jahre)
n.a.
4,4 (3 Jahre)
5-FU, Mitomycin C UKCCCR, 1996
577
Keine
60–70
5-FU, Mitomycin C
Bartelink et al. 1997
110
Keine
60–65
5-FU, Mitomycin C Ajani et al.2008
644
5-FU, Mitomycin C
45–59 Gy
5-FU, Cisplatin** Conroy et al. 2009
306
5-FU, Cis
60 Gy
5-FU, Cisplatin** James et al.2009
940
5-FU, Mitomycin C
50,4 Gy
5-FU, Cisplatin
n.a.
n.a.
* signifikanter Vorteil für den markierten Endpunkt, ** auch neoadjuvante alleinige Chemotherapie
. Tab. 49.10. Empfohlene Radiochemotherapie beim lokal fortgeschrittenen Analkarzinom (cT2–4 bzw. cN1–3; Therapiepause zwischen beiden Zyklen maximal 2 Wochen)
Zyklus 1
Zyklus 2
Radiotherapie*
1,8 Gy (Tag 1–26)
1,8 Gy (Tag 1–17)
Mitomycin C
10 mg/m2 Kurzinfusion (Tag 1)
10 mg/m2 Kurzinfusion (Tag 1)
5-Fluorouracil
200 mg/m2 kontinuierliche Infusion (Tag 1–26) oder 1000 mg/m2 kontinuierliche Infusion (Tag 1–4)
200 mg/m2 oder 1000 mg/m2 kontinuierliche Infusion (Tag 1–17)
* Empfohlene Gesamtdosis der Strahlentherapie im Rahmen einer simultanen Radiochemotherapie: bei T1-Tumoren 50,4 Gy, ab T3Tumoren 59,4 Gy. Bei kumulativ applizierten Strahlendosen von maximal 50,4 Gy ggf. Salvagetherapie mit 9–14 Gy mit 1 Zyklus 5-FU/ Cisplatin
ten therapiebedingten Mortalität der Radiochemotherapie mit 5-FU und Mitomycin C führte (Ajani et al. 2008; James et al. 2009). Ob der Einsatz systemischer Chemotherapien, die sich beim Rektumkarzinom bewährt haben, irgendeinen Vorteil beim Analkarzinom bewirkt ist noch völlig offen. Bislang liegen lediglich Ergebnisse aus kleinen Phase-I/II-Studien vor, die diesbezüglich keine Änderung des Vorgehens erlauben (Eng et al. 2009). Auch die Kombination von Cisplatin und Mitomycin wurde bislang ausschließlich in kleinen Serien untersucht, so dass diese Kombination nicht empfohlen werden kann (Crehange et al. 2006; Martenson et al. 1996). Lediglich
bei Kontraindikationen gegen Mitomycin C sollte heute noch Cisplatin eingesetzt werden. Im Gegensatz zu den fehlenden Erfolgen beim Einsatz neuer Chemotherapeutika hat sich die Verkürzung oder gar der Verzicht auf eine Therapiepause in den modernen Protokollen ausgezahlt (Graf et al. 2003; James et al. 2009; Bosset et al. 2003). Auch beim Analkarzinom spricht vieles für eine relevanten Einfluss der Gesamtbehandlungszeit, weshalb eine optimale supportive Therapie der Proktitis und der perianalen Dermatitis zu fordern ist anstelle einer fest eingeplanten Therapiepause.
744
Kapitel 49 · Analkarzinom
Obwohl also keine der randomisierten Studien einen signifikanten Vorteil beim Gesamtüberleben fand, geben dennoch die Vorteile der lokalen Tumorkontrolle und des kolostomiefreien Überlebens genug Grund, die kombinierte Radiochemotherapie als Standardtherapie des Plattenepithelkarzinoms des Analkanals einzusetzen, zumindest ab den Stadien c/uT2 bzw. c/uN1.
49
49.5.3 Technik der Strahlentherapie Die perkutane Strahlentherapie erfolgt typischerweise auf der Basis einer 3-dimensionalen Bestrahlungsplanung perkutan mit ultraharten Röntgenstrahlen eines Linearbeschleunigers, häufig als intensitätsmodulierte Strahlentherapie mit einem Einsatz von bis zu 100 segmentierten Bestrahlungsfeldern (Vuong et al. 2003; Milano et al. 2005). Insbesondere in Frankreich erfolgt häufig eine Kombination mit einer interstitiellen oder endokavitären Strahlentherapie (Belliere et al. 2003; Hwang et al.2004). Diese interstitielle Boostbestrahlung sollte nur an Zentren mit eingehender Erfahrung mit dieser speziellen Methode durchgeführt werden, da aufgrund der großen Dosisgradienten das Risiko lokaler Nekrosen und damit verbundenen dauerhaften schwerwiegenden Nebenwirkungen höher einzustufen ist. Bei der perkutanen Bestrahlung umfasst das Zielvolumen den Primärtumor sowie die beidseitigen iliakalen und präsakralen Lymphabflussbahnen. Bei lokal fortgeschrittenen (ab T2) oder entdifferenzierten Tumoren (G3) und Tumoren des Analrandes werden in der Regel auch die inguinalen Lymphknotenstationen therapiert, selbst wenn diese klinisch oder radiologisch tumorfrei erscheinen. Bei Tumoren von weniger als 2 cm Größe im Analkanal kann auf eine elektive Bestrahlung der Leistenregion möglicherweise verzichtet werden, vor allem wenn eine Sentineldarstellung oder FDG-PET-CT keinen Befall gezeigt hat. Die Strahlentherapie erfolgt auf der Basis von CT-Querschnitten rechnergestützt über 3- oder 4-Felder-Box-Techniken oder individuell berechnete Mehrfeldertechniken, entweder als intensitätsmodulierte Strahlentherapie oder in einer Kombination aus Photonen- und Elektronenbestrahlen. Primärtumor und lokoregionaler, klinisch und radiologisch tumorfreier Lymphabfluss werden, fraktioniert zu 5×1,8 Gy/Woche, bis zu einer Zielvolumendosis von 45,0– 50,4 Gy bestrahlt, wobei eine elektive Bestrahlung der Leisten häufig nur bis zu Gesamtdosen von ca. 40 Gy durchgeführt wird. Im Bereich des Primärtumors erfolgt eine Dosiserhöhung auf 50,4–54 Gy bei cT1–2-Tumoren. Für T3- und T4-Tumoren ist eine Dosiserhöhung auf kumulativ 55,8– 59,4 Gy empfehlenswert. Eine weitere Dosiseskalation ist den Nachweis eines Vorteils schuldig geblieben, auch im Rahmen einer randomisierten Studie (Conroy et al. 2009). Gesamtdosen über 60 Gy sind im Hinblick auf den Erhalt einer normalen Sphinkterfunktion kritisch zu sehen, da dann die Nebenwirkungsrate deutlich ansteigen kann. Die Dosis im Bereich befallener Lymphknotenstationen sollte kumulativ
50,4–59,4 Gy je nach Lage und Größe der Lymphknoten betragen. Eine weitere Möglichkeit, die Strahlendosis lokal zu erhöhen, stellt die Brachytherapie dar. Mit ihr gelingt im Rahmen einer konformalen Strahlentherapie eine Schonung normaler Strukturen wie Darm und Blase besser, bei allerdings steilem und damit kritischem Dosisabfall im Sphinkterapparat. Mittels Afterloading-Therapie mit 192Iridium, entweder als High-dose-rate-Therapie (HDR) oder als Pulsed-dose-rate (PDR, LDR) werden 15–25 Gy als lokaler Dosisboost neben 30–55 Gy einer perkutanen Strahlentherapie des Beckens mit oder ohne 5-FU, Mitomycin C bzw. Cisplatin appliziert. Diese Technik sollte aufgrund der möglichen Sphinkterbelastung nur von sehr erfahrenen Therapeuten eingesetzt werden. Bei guter Patientenauswahl und optimaler Technik können lokale Tumorkontrollen von über 90% und eine kolostomiefreie Rate von bis zu 80% erzielt werden (Dubois et al. 2003).
49.5.4 Neoadjuvante und adjuvante
Chemotherapie In einigen der aktuellen Studien wurde mit einer alleinigen Chemotherapie begonnen oder es wurden bis zu zwei weitere Zyklen Chemotherapie nach abgeschlossener Radiochemotherapie appliziert (Meropol et al. 2008). Dies führte in keiner der bisher publizierten randomisierten Studien zu einer Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle, des rezidivfreien oder des Gesamtüberlebens (Conroy et al. 2009; Ajani et al. 2008; James et al. 2009). Das Analkarzinom zeichnet sich durch ein lange Zeit rein lokales Wachstum mit geringer Tendenz zur hämatogenen Metastasierung aus, weshalb der Versuch einer lokal deutlich unterlegenen alleinigen systemischen Therapie nicht gerechtfertigt ist. Nur noch für bestimmte Untergruppen von Patienten mit hohem Rezidiv- oder Fernmetastasierungsrisiko mag eine primäre alleinige Chemotherapie erwogen werden, oder bei sehr ausgedehnten Tumoren, bei denen eine primäre Radiotherapie zu riskant erscheint (Infiltration des Tumors in die Harnblase mit Gefahr der Fistelbildung) könnte ein vorsichtigeres Vorgehen mit einer anfänglich alleinigen Chemotherapie gerechtfertigt sein.
49.5.5 Nebenwirkungen der Radio-
und Radiochemotherapie Die Rate schwerer akuter Toxizitäten (CTC >Grad III) während und unmittelbar nach einer simultanen Radiochemotherapie liegt bei ca. 20%. Dabei sind die rektale und anale Mukositis sowie die perianale Dermatitis symptomatisch führend und bedürfen einer supportiven Therapie mit regelmäßigen Sitzbädern und Wundpflege, ggf. auch Schmerzmitteln. Durch regelmäßige Blutbildkontrollen können die für Mitomycin typische Thrombopenie frühzeitig erkannt und der 2. Zyklus ggf. in reduzierter Dosis gegeben werden. Die Häufigkeit schwerwiegender später Komplikationen (WHO-Grad >III) wird zwischen 5 und 12% angegeben. Lo-
745 49.8 · Postoperative Behandlung
kale Gewebsnekrosen mit Verlust des Analsphinkters treten in 2–20% auf. Die Rate in den modernen Studien lag unter 8%. Die durchschnittlichen Kolostomieraten (passageres Kolostoma oder definitive abdominoperineale Resektion) aufgrund der Nebenwirkungen werden mit ca. 8 (5–30)% angegeben, wobei ein Anstieg bei sehr hohen kumulativen Strahlendosen (>60 Gy) zu erwarten ist.
49.5.6 Radiochemotherapie bei HIV-Infektion Die Behandlung von Patienten, die HIV-positiv sind, ist sehr komplex und bedarf einer exakten Berücksichtigung der medizinischen Vorgeschichte dieser Patienten. Patienten, bei denen die Zahl der CD4-positiven Lymphozyten >250/μl liegt, die keine Zeichen einer opportunistischen Infektion oder einer AIDS-definierten Komplikation aufweisen, können einer kombinierten Radiochemotherapie zugeführt werden. Sie bedürfen jedoch einer intensiven klinischen Beobachtung und gelegentlich einer Modifikation während der laufenden Therapie. Neben einer optimalen Schmerztherapie sollten vor allem weitere Infektionen und Malignome ausgeschlossen werden, der Immunstatus erhoben und gegebenenfalls verbessert werden. Die Viruslast sollte gesenkt und, falls notwendig, die Zahl von CD4 positiven Lymphozyten angehoben werden. Denn bei Patienten mit guter Immunfunktion sind Komplikationen seltener, sowohl nach chirurgischen Operationen als auch nach Radiochemotherapie. Wenn nötig, muss vor der Operation bzw. vor der Radiochemotherapie mit HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie) begonnen werden (Wexler et al. 2008; Kreuter u. Wieland 2009).
49.6
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Aufgrund der guten Ergebnisse primär konservativer Therapien stellt sich die Indikation zu einem primär operativen Vorgehen bei Tumoren des Analkanals nur selten. Sinnvoll scheint eine radikale Resektion bei lokal weit fortgeschrittenen Tumoren mit Infiltration des Sphinkters oder von Nachbarorganen mit hierdurch verursachter Stuhlinkontinenz oder bereits bestehenden tumorbedingten Fisteln. Auch in diesem Fall könnte jedoch eine primäre Entlastung des Analkanals durch eine vorgeschaltete Kolostomie sinnvoll sein, um mit einer anschließenden, möglicherweise präoperativen Radiochemotherapie eine bessere Resektabilität zu erhalten. In jedem Fall handelt es sich um ein interdisziplinär abzustimmendes, individuelles Vorgehen für das es keine nennenswerte Evidenz gibt (Longo et al. 1994). Eine, wenn auch nur in klinischen Studien mit kleinen Fallserien belegte Indikation zur abdominoperinealen Resektion besteht heute bei Resttumoren (positive Histologie nach Radiotherapie bzw. Radiochemotherapie, s. o.) und bei lokoregionären Tumorrezidiven nach erfolgloser Radiotherapie bzw. Radiochemotherapie. Im Vordergrund steht dabei die vollständige Entfernung des persistierenden oder rezidivierten Karzinoms. In zahlreichen Studien mit ausreichender Patientenzahl,
in denen eine statistische Untersuchung von Risikofaktoren vorgenommen werden konnte, war die vollständige Entfernung des Tumors (R0-Resektion) statistisch signifikant mit einem besseren Überleben und einer geringeren lokalen Rezidivrate verbunden. Da auch ein vor Beginn der Operation größerer Tumor mit einer erhöhten Rezidivrate verbunden sein kann, sollte der optimale Zeitpunkt einer chirurgischen Intervention bei zögerlicher Remission des Primärtumors nach konservativer Therapie nicht verpasst werden. Engmaschige endoskopische und bei Bedarf auch bildgebende Verlaufskontrollen sind in diesen Fällen besonders wichtig (7 Kap. 49.12). Bei schweren Komplikationen der Radiotherapie bzw. Radiochemotherapie mit Ulzeration, Nekrosen bzw. Inkontinenz kommt ebenfalls eine Resektion des Analkanals bzw. Anus in Frage. Klinisch oder sonographisch verdächtige Befunde im Bereich der Leistenlymphknoten können vor Beginn der konservativen Therapie mittels einer chirurgischen Lymphknotenbiopsie abgeklärt werden. Bestätigt sich der Verdacht, sollte die befallene Region mit 45–50 Gy behandelt werden. Eine systematische inguinale Lymphknotendissektion sollte jedoch nur als Salvage-Therapie bei isoliertem inguinalem Tumorrezidiv bzw. persistierenden Lymphknoten nach Radiochemotherapie durchgeführt werden, um das Risiko eines ausgeprägten Lymphödems der Beine zu reduzieren. Die Technik der Sentinel-lymph-node-Biopsie, die beim malignen Melanom und beim Mammakarzinom inzwischen akzeptiert ist, wird beim Analkarzinom derzeit nur experimentell eingesetzt.
49.7
Operationstechnik
In der Regel, vor allem bei größeren oder nahe am Sphinkter liegenden Tumoren, kommt als operatives Verfahren lediglich die abdominoperineale Resektion in Frage. Die Auswahl des weiteren operativen Verfahrens hängt ganz wesentlich von der Größe der Defektdeckung und der Notwendigkeit von Organrekonstruktion ab (z. B. Vaginalplastik). Zur Deckung des Defektes stehen prinzipiell muskuläre oder muskulokutane Lappen (bei großen Defekten: Musculus rectus abdominis; bei kleinen Defekten: Musculus gracilis), Rekonstruktionen aus dem Omentum majus (mit der höheren Gefahr einer perinealen Hernie) und unterstützende nicht-resorbierbare Kunststoffe (»mesh«) zur Verfügung. In Einzelfällen kann es auch gerechtfertigt sein, die Rekonstruktion des Beckenbodens erst sekundär vorzunehmen. Dabei ist eine zunehmende Fibrosierung zu beachten, die die Wundheilung deutlich verzögern kann (Mariani et al. 2008; Ghouti et al. 2005).
49.8
Postoperative Behandlung
In Einzelfällen wurden während oder nach einer primären oder sekundären Operation noch intraoperative oder postoperative Strahlenbehandlungen oder Radiochemotherapien vorgenommen. Der Stellenwert dieser zusätzlichen Therapien ist völlig ungeklärt. Bei einer primären Resektion eines weit fortgeschrittenen, bislang nicht mittels Radiochemotherapie
49
746
Kapitel 49 · Analkarzinom
behandelten Tumors kann – vor allem bei unvollständiger Tumorentfernung – eine additive Strahlen- oder Radiochemotherapie durchgeführt werden. Dies könnte im Einzelfall zu einer Verbesserung der lokalen Kontrolle und des Überlebens führen. Aufgrund der geringen Datenlage ist dies jedoch kein primär empfohlenes Vorgehen (Longo et al. 1994).
49.9
49
Intra- und postoperative Komplikationen
Trotz einer teilweise beträchtlichen Morbidität des operativen Eingriffes (bis zu 60% deutlich verzögerte Wundheilung bis zu 12 Monaten) ist die Mortalität mit unter 5% gering. Nur bei sehr kleinen Tumoren (
Unabhängig von der Wahl der Rekonstruktion sollte bereits vor der abdominoperinealen Resektion eine Entlastung des Analkanals durch ein vorgeschaltetes Kolostoma erwogen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn nicht nur ein lokales Tumorrezidiv sondern auch eine radiogen induzierte Proktitis vorliegt. Die Ausschaltung des Analkanals kann bereits zu einer Besserung der entzündlichen Reaktion im Bereich des Analkanals führen und so möglicherweise die oft deutlich verzögerte Wundheilung begünstigen. Nicht selten vergehen mehr als 9 Monate, bis die lokale Wundheilung weitgehend abgeschlossen ist (Ghouti et al. 2005; Longo et al. 1994; Mariani et al. 2008; van der Wal et al. 2001; You et al. 2009).
49.10
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Die Ergebnisse der kleinen, retrospektiven Untersuchungen sind aufgrund der Unterschiede in der initialen Ausdehnung der Erkrankung, im Resektionsstatus (R0 vs. R1-2) und den Möglichkeiten einer nochmaligen multimodalen Therapie sehr verschieden. Mit einer radikalen, abdominoperinealen Resektion sind Überlebensraten von 25-45% nach 5 Jahren und ein krankheitsfreies 5-Jahresüberleben von bis zu 40%
. Tab. 49.11. Ergebnisse des operativen Vorgehens bei Tumorpersistenz oder -rezidiv
Autor
Patientenzahl
Medianes Überleben (Monate)
3-Jahres-Überleben (%)
5-Jahres-Überleben (%)
Longo
17
Ca. 18
n.a.
n.a.
Ghouti
36
30 rezidivfrei
n.a.
69,4
Pocard
Mariani
21
83
Persistenz
15
Rezidiv
21
Persistenz
11
Rezidiv
10
Persistenz
41
Rezidiv
42
71,5 35
58
32
62,8
56,5
n.a.
n.a.
33
56
47
Ellenhorn
38
n.a.
n.a.
41
n.a.
44
Zelnick
9
n.a.
n.a.
20
n.a.
24
Rouquie
95
Persistenz
55
R0: >120
n.a.
n.a.
Rezidiv
40
R1–2: 12
Persistenz
39
n.a.
n.a.
69
Rezidiv
10
Persistenz
10
20
n.a.
30
Persistenz
10
Persistenz
9
Rezidiv
13
n.a.
n.a.
You
Stewart
Schiller
20
22
41
52,3 60,9
17
49
60 0
Van der Wal
Vorob´eV
60,7
50 10
18
37
29
44 17
n.a.
53
39
747 49.11 · Palliation
erzielbar (. Tab. 49.11). In Einzelfällen, vor allem bei vollständiger Resektion des Tumors können sogar 5 Jahresüberlebensraten von über 50% erzielt werden (Schiller et al. 2007; Stewart et al. 2007; You et al. 2009; Vorob’ev et al. 2008; Rouquie et al. 2008; Bart et al. 2000; Mariani et al. 2007; Pocard et al. 1998; Ghouti et al. 2005).
49.11
Palliation
Bei alleinigem lokoregionären Rezidiv bzw. Tumorpersistenz sollten die Möglichkeiten einer erneuten Radiochemotherapie (perkutan bzw. brachytherapeutisch) unter genauer Berücksichtigung der Vorbehandlung und des zeitlichen Intervalls zur Erstbehandlung abgeklärt werden, um einen möglichen Sphinktererhalt nicht vorzeitig aufzugeben, vor allem wenn eine Heilung nicht mehr aussichtsreich erscheint. Lokoregionäre Lymphknotenmetastasen außerhalb des initialen Zielvolumens der vorangegangenen Radiotherapie können einer erneuten Strahlen- oder Radiochemotherapie, bei Bedarf auch einer Resektion zugeführt werden. In den meisten Fällen ist jedoch im Bereich des progredienten oder rezidivierten Primärtumors nur die Applikation einer niedrigen Gesamtdosis möglich mit entsprechend bescheidenen Behandlungsaussichten, so dass eine chirurgische Intervention angestrebt wird, meist eine abdominoperineale Rektumexstirpation. Dadurch ist eine Heilung in bis zu 50% dieser Patienten erzielbar. Bei einem lokalem Tumorrezidiv und allgemeiner Inoperabilität kann eine Stenose des Analkanals durch Laserbehandlung oder durch Kryochirurgie verhindert bzw. behandelt werden. Häufig ist jedoch zur Verhinderung einer Ileussymptomatik bzw. wegen gleichzeitiger Stuhlinkontinenz die Anlage eines protektiven Stomas unumgänglich, manchmal auch vor Durchführung einer kombinierten Radiochemotherapie in palliativer Indikation. Ergebnisse der palliativen Radiochemotherapie. Bei feh-
lender Remission des Tumors nach der iniitalen Radio- oder Radiochemotherapie kann eine frühzeitige Salvagetherapie entsprechend der Intergroup-Studie erfolgen, wenn die vorangegangene Behandlung mit einer kumulativen Dosis von weniger als 54 Gy beendet oder pausiert wurde. In der multizentrischen Studie wurde bei 55% der Patienten, die einen zweiten Zyklus einer Salvage-Radiochemotherapie mit 9 Gy und 5-FU/Cisplatin erhielten, eine komplette Remission 6 Wochen nach Abschluss dieser Salvage-Therapie erreicht. Es ist allerdings unklar, ob die komplette Remission das Ergebnis der Salvage-Therapie oder Folge einer weiteren, allmählichen Regression des Tumors nach dem ersten Zyklus der konservativen Therapie war. Kumulative Strahlendosen von mehr als 60 Gy (unter Einbeziehung der Salvage-Radiochemotherapie) sollten allerdings vermieden werden, da dann das Risiko einer therapiebedingten Schädigung des Sphinkterapparates deutlich ansteigt. Bei deutlichem Abstand zur ersten Radio- oder Radiochemotherapie und einem Einsatz von maximal 50 Gy kann auch später noch eine erneute, ggf. kombinierte perkutane und in-
terstitielle Strahlentherapie durchgeführt werden. Allerdings liegen nur wenige klinische Daten zu solch einem Vorgehen vor, und schon gar keine schlüssigen Ergebnisse. Ergebnisse der palliativen systemischen Chemotherapie des lokoregionär rezidivierten oder metastasierten Analkarzinoms. Der Krankheitsverlauf der typischen Analkarzi-
nome ist durch ein über lange Zeit rein lokal und regionär beschränktes Tumorwachstum gekennzeichnet, das in der Regel überwiegend lokal therapiert wird. In den meisten Fällen stehen lange Zeit die Symptome des Lokalrezidivs und damit auch die lokalen Behandlungsmaßnahmen im Vordergrund (chirurgische Maßnahmen, erneute Radio- oder Radiochemotherapie). Hinzu kommt, dass es sich oft um ältere Patienten handelt, bei denen internistische Begleiterkrankungen eine effiziente Chemotherapie erschweren. Aus diesem Grund finden sich nur wenige Daten zur Behandlung mit alleiniger systemischer Chemotherapie, die sowohl im primär oder sekundär metastasierten als auch bei einem nicht mehr chirurgisch oder radioonkologisch behandelbaren lokalen Tumorgeschehen eingesetzt werden kann. Randomisierte Studien fehlen völlig. Es existieren ganz überwiegend Berichte über die Behandlung von Einzelfällen oder Daten aus retrospektiven Erhebungen klinischer Verläufe weniger Patienten, die über einen großen Zeitraum behandelt wurden (. Tab. 49.12 und . Tab. 49.13; Eng u. Pathak 2009; Longo et al. 1994). Müssen jedoch progrediente bzw. symptomatische Fernmetastasen behandelt werden, so wird man in Analogie zu den Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich vorgehen. Therapie der ersten Wahl sind Kombinationen aus Cisplatin und 5-Fluorouracil oder aus Carboplatin, Paclitaxel und 5-Fluorouracil. Zu diesen beiden Kombinationen liegen noch die meisten Daten vor. Grundvoraussetzungen für die Durchführung der systemischen Chemotherapie sind die gute Nierenfunktion und die forcierte Diurese bei Einsatz von Cisplatin sowie eine ausreichende Knochenmarksreserve beim myelotoxischeren Carboplatin. Kommt keines der Platinsalze in Betracht, kann eine Monotherapie mit Paclitaxel durchgeführt oder Mitomycin C anstelle der Platinsalze eingesetzt werden, sofern Mitomycin C früher noch nicht gegeben wurde oder eine frühere Mitomycin C-Therapie bereits längere Zeit (>1 Jahr) zurück liegt. In allen Fällen müssen vor Einleitung einer palliativen Chemotherapie deren Nutzen und die möglichen toxischen Nebenwirkungen abgewogen und mit dem Patienten besprochen werden. Einen Sonderfall stellt die alleinige hepatische Metastasierung dar, vor allem beim Vorliegen einer solitären Metastase. Es liegen erste Berichte vor, nach denen sich auch beim Analkarzinom, vergleichbar dem Rektumkarzinom, im Einzelfall eine Resektion einzelner Leberfiliae für den Patienten auszahlen kann. Fanden sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts Einzelberichte mit guten Ergebnissen nach systemischer oder regionaler Chemotherapie und zusätzlicher Metastasenresektion so belegte eine erste multizentrische Auswertung von 27 Patienten mit hepatisch metastasiertem Analkarzinom ein gutes Ergebnis des multimodalen Vorgehens. Bei einem medianen Überleben von 22,3 Monaten scheint das operative
49
748
Kapitel 49 · Analkarzinom
. Tab. 49.12. Ergebnisse systemischer Chemotherapien und Lebermetastasenresektionen beim metastasierten Analkarzinom (Eng u. Pathak 2009; Hainsworth et al. 2001; Ajani et al. 1989; Pathak et al. 2008; Pawlik et al. 2007)
Konzept
49
n
Studientyp
Ergebnisse PR für Monate
Weitere
Carboplatin, Paclitaxel, 5-FU
7
Phase II
26
48% Grad-III/IV-Myelotoxizität
Cisplatin, 5-FU
18
Retrospektive Studie
(70% Remission)
34,5 Monate medianes Überleben
Cisplatin/Carboplatin/Oxaliplatin und 5-FU
23
Retrospektive Studie
4,5
38 Monate medianes Überleben
5-FU ± Cisplatin oder Mitomycin
9
Retrospektive Studie
7,2
10,5 Monate medianes Überleben
Paclitaxel
5
Fallbericht
5
4–20 Monate Überleben
Carboplatin
1
Fallbericht
9
Irinotecan, Cetuximab
1
Fallbericht
8
Leberteilresektion ± Chemotherapie
27
Retrospektive Studie
9,6
18,6% 5-Jahres-Überleben
. Tab. 49.13. Empfohlene Schemata und Dosierungen der systemischen palliativen Chemotherapie des metastasierten Analkarzinoms
Kombination
Substanz
Dosierung
Rhythmus/Tag
Carboplatin, Paclitaxel, 5-FU alle 6 Wochen
Carboplatin
AUC 6
Tag 1 und 22
Paclitaxel
200 mg/m2, 1-h-Infusion
Tag 1 und 22
5-FU
225 mg/m2, 24-h-Infusion
Tag 1–36
Cisplatin
100 mg/m2, 1-h-Infusion
Tag 1
5-FU
1000 mg/m2, 24-h-Infusion
Tag 1–5
Cisplatin, 5-FU alle 3–4 Wochen
Vorgehen gerechtfertigt (Pawlik et al. 2007). Ziel muss allerdings die vollständige Resektion sein. Sicher werden erst prospektive Studien die Sinnhaftigkeit der Resektion zweifelsfrei klären und Risikofaktoren für oder gegen ein operatives Vorgehen generieren können. So ist vor allem noch unklar, ob sich die Resektion sehr großer oder multipler Filiae lohnt.
49.12
Empfehlungen zur Nachsorge
Die Patienten verbleiben nach abgeschlossener Radiochemotherapie in klinischer Kontrolle. Zusätzlich zu einer sorgfältigen klinischen Untersuchung wird im Rahmen der Nachsorge eine endoskopische und endosonographische Verlaufsbeobachtung empfohlen. Mit einer dauerhaften Persistenz eines Tumors nach konservativer Therapie (Radio- oder Radiochemotherapie) ist bei 10 - 25% der Patienten zu rechnen, wobei sich die Plattenepithelkarzinome des Analkanals häufig sehr langsam rückbilden. Die erste Kontrolle sollte zwischen 4–8 Wochen nach Abschluss der Radiochemotherapie vor-
genommen werden. Im Zweifel sollten die Untersuchung des Anorektums und eine Entnahme von Biopsien unter Narkose erfolgen. Da eine Zangenbiopsie die Differenzierung zwischen Resttumor und Narbe nicht immer mit Sicherheit klären kann, ist ggf. eine lokale Exzision der gesamten Narbe mit anschließender sorgfältiger histopathologischer Aufbereitung erforderlich. Anhand dieses Befundes wird dann über das weitere Vorgehen entschieden – lokale Exzision, abdominoperineale Resektion bzw. perkutane oder interstitielle Dosiserhöhung der Strahlentherapie. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Analkarzinome bildet sich ausgesprochen langsam zurück. Deswegen kann mit der Salvage-Operation auch länger als 3 Monate nach Abschluss der konservativen Therapie bzw. bis zur Progression abgewartet werden. Im Anschluss an die erste Kontrolle sollten bei primär kurativer, sphinktererhaltender Therapie in den ersten beiden Jahren nach Radio- oder Radiochemotherapie vierteljährliche Kontrollen erfolgen, vor allem mittels proktologischer Untersuchungen (. Tab. 49.14). Initial geht es überwiegend um
749 49.12 · Empfehlungen zur Nachsorge
. Tab. 49.14. Nachsorge des Analkarzinoms
Untersuchung
1. Untersuchung
1.–2. Jahr
3.–4. Jahr
Ab 5. Jahr
Digital-rektale Untersuchung, inguinaler Lymphknotenstatus
4-6 Wochen nach RCT
Alle 3 Monate
Alle 6 Monate
1× pro Jahr
Rektoskopie
4–6 Wochen nach RCT
Alle 3 Monate
Alle 6 Monate
1× pro Jahr
CT-/MRT-Becken
Bei fehlender Remission
Alle 3 Monate
Alle 6 Monate
1× pro Jahr
Röntgen-Thorax
–
Vor geplanten operativen Eingriffen am Primärtumor
Sonographie/CT-Leber
–
Vor geplanten operativen Eingriffen am Primärtumor
Spezifische klinische Untersuchungen (gynäkologisch, urologisch)
Bei initial ausgedehntem Befund, Progression oder geplantem operativem Eingriff
die Beurteilung der Remission, um den richtigen Zeitpunkt für eine Resektion bei persistierendem Tumor vor Einsetzen eine Tumorprogression nicht zu verpassen. Daher sind die Untersuchungen in engen zeitlichen Abfolgen vorzunehmen (anfänglich ggf. bis zu 6-wöchentlich). Die typische verzögerte Remission beim Analkarzinom ist dabei zu berücksichtigen. Ein nach mehreren Wochen bestehender Tumor sollte nicht zu früh zur Indikation weiterer, vor allem resezierender Therapien verleiten, solange eine gute Remission zu verzeichnen ist. Im weiteren Verlauf sollten ein Lokalrezidiv und regionäre Lymphknotenmetastasen ausgeschlossen bzw. frühzeitig entdeckt werden, um beim Auftreten eines Tumorrezidives eine rechtzeitige Salvage-Therapie mit kurativer Intention einzuleiten. Bis zu 45% der Patienten kann damit eine zweite kurative Chance eröffnet werden (. Tab. 49.11). Eine Fernmetastasierung kann durch Röntgen-Thoraxaufnahmen und Sonographien von Leisten und Leber evtl. frühzeitig erkannt und behandelt werden. Die klinische und prognostische Relevanz dieser Untersuchungen ist jedoch derzeit nicht abschließend beurteilbar. In Einzelfällen kommen chirurgische Verfahren in Betracht. Zumeist wird man jedoch eine palliative systemische Chemotherapie einleiten, deren lebensverlängernder Einfluss bei frühem Einsatz nicht belegt ist. Bei einer palpatorisch und dann auch endoskopisch wie histopathologisch belegten Tumorpersistenz oder einem Tumorrezidiv nach primärer Radiochemotherapie sollte die Ausdehnung des Tumors zunächst mittels Rektoskopie incl. rektalem Ultraschall und gynäkologischer bzw. urologischer Untersuchung sowie Kernspin- oder Comuptertomographie genau bestimmt werden. Das dann vorliegende Tumorstadium hat beträchtliche Relevanz für das weitere therapeutische Vorgehen.
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49
750
49
Kapitel 49 · Analkarzinom
vanced anal carciomas. Results of a phase II study of the European Organization for Research and Treatment of Cancer. Radiotherapy and Gastrointestinal Cooperative Groups. Eur J Cancer 39: 45-51 Conroy T, Ducreux M, Lernanski C, Francois E, Giovannini M, Cvitkovic F, Mirabel X, Bouché O, Montoto-Grillot C, Peiffert D (2009) Treatment intensification by induction chemotherapy (ICT) and radiation dose escalation in locally advanced squamous cell anal canal carcinoma (LAAC) : Definitive analysis of the intergroup ACCORD 03 trial. J Clin Oncol 27: Abstr 4033 Crehange G, Bosset M, Lorchel F, Dumas JL, Buffet-Miny J, Buyraveau M, Mercier M, Bosset JF (2006) Combining cisplatin and mitomycin with radiotherapy in anal carcinoma. Dis Colon Rectum 50: 43–49 Cummings BJ (1997) Anal Canal. In: Perez CA, Brady LW (eds): Principles and Practice of Radiation Oncology. Lippincott Raven, Philadelphia Daling JR, Madeleine MM, Johnson LG, Schwartz SM, Shera KA, Wurscher MA, carter JJ, Porter Pl, Galloway DA, McDougall JK (2004) Human papillomavirus, smoking, and sexual practices in the etiology of anal cancer. Cancer 101: 270–280. Das P, Crane CH, Ajani JA (2007) Current treatment for localized anal carcinoma. Curr Opin Oncol 19: 396–400 Das C, Crane CH, Eng, C, Ajani JA (2008) Prognostic factors for squamous cell cancer of the anal canal. Gastrointest Cancer Res 2: 10–14 Dubois JB, Azria D, Ychou M (2003) External beam radiation therapy and interstitial brachytherapy in the treatment of anal canal carcinomas: a series of 70 patients. Bull Cancer 90: 1107–1110 Eng C, Pathak P (2009) Treatment options in metastatic squamous cell carcinoma of the anal canal. Curr Treat Opt Oncol, epub 29 May 2009 Eng C, Chang GJ, Das P, Rodriguez-Bigas M, Skibber M, Qiao W, Rosner GL, Ukegbu LT, Wolff RA, Crane CH (2009) Phase II study of capecitabine and oxaliplatin with concurrent radiation therapy (XELOX-XRT) for squamous cell carcinoma of the anal canal. J Clin Oncol 27S: Abstr. 4116 Flam M, John M, Pajak TF, Petrelli N, Myerson R, Doggett S (1996) Role of Mitomycin in combination with fluorouracil and radiotherapy and of salvage chemoradiation in the definitive non chirurgical treatment of epidermoid carcinoma of the anal cancal: results of a phase III randomised intergroup study. J Clin Oncol 14: 2527– 2539 Ghouti L, Houvernaeghel G, Moutardier V, Giovannini M, Magnin V, Lelong B, Bardou VJ, Delpero JR (2005) Salvage abdominoperineal resection after failure of convervative treatment in anal epidermoid cancer. Dis Colon Rectum 48: 16–22 Giovannini M, Bardou VJ, Barclay R, Palazzo L, Roseau G, Helbert T, Burtin P, Bouché O, Pujol B, Favre O (2001) Anal carcinoma: prognostic value of endorectal ultrasound (ERUS). Results of a prospective multicenter study. Endoscopy 33: 231–236 Goldie SJ, Kuntz KM, Weinstein MC; Freedberg KA, Welton ML, Palefsky JM (1999) The clinical effectiveness and cost-effectiveness of screening for anal squamous intraepithelial lesions in homosexual and bisexual HIV-positive men. JAMA 281: 1822–1829 Grabenbauer GG, Kessler H, Matzel KE, Sauer R, Hohenberger W, Schneider IHF (2005) Tumor site predicts outcome after radiochemotherapy in squamous-cell carcinoma of the anal region: longterm results of 101 patients. Dis Colon Rectum 48: 1742–1751 Graf R, Wust P, Hildebrandt B, Gögler H, Ullrich R, Herrmann R, Riess H, Felix R (2003) Impact of Overall Treatment Time on Local Control of Anal cancer Treated with Radiochemotherapy. Oncology 65: 14–22
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49
50 50
Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen) C. Garbe, J. Göhl
50.1
Allgemeines
50.2
Behandlung von primären Melanomen in extrakutanen und viszeralen Lokalisationen – 756
50.2.1 50.2.2 50.2.3 50.2.4 50.2.5
Primäres Melanom der Mundhöhle, der Nase und Nasennebenhöhlen – 756 Primäres Melanom der Vulva und Vagina – 756 Primäres Melanom des Anus – 756 Primäres Melanom des Ösophagus – 756 Primäres Melanom der Meningen und Dura – 757
50.3
Behandlung lokoregionärer Metastasierung
50.3.1 50.3.2 50.3.3
Elektive Lymphknotendissektion und Wächterlymphknotenbiopsie – 757 Indikation zur Wächterlymphknotenbiopsie – 758 Technik der Lymphabstromszintigraphie bei der Wächterlymphknotenbiopsie – 758 Technik der Wächterlymphknotenbiopsie – 758 Aufarbeitung der Wächterlymphknoten und Indikationsstellung für therapeutische Lymphadenektomie – 759 Behandlung von Lokalrezidiven und/oder Satellitenmetastasen – 759 Behandlung von Intransitmetastasen – 760 Hypertherme Perfusionstherapie – 761 Behandlung regionärer Lymphknotenmetastasierung – 761
50.3.4 50.3.5 50.3.6 50.3.7 50.3.8 50.3.9
– 754
– 757
50.4
Indikationsstellungen in der Behandlung des viszeral metastasierten Melanoms (Stadium IV) – 763
50.4.1 50.4.2 50.4.3
Indikationsstellung für operative Therapie – 763 Indikation zur Strahlentherapie – 764 Indikation zur systemischen Chemo- oder Chemoimmuntherapie
50.5
Behandlung von Patienten mit verschiedenen Metastasenlokalisationen – 766
50.5.1 50.5.2 50.5.3
Lungenmetastasen – 766 Lebermetastasierung – 766 Lebermetastasierung und andere Organmetastasierung bei primär okulären Melanomen – 767 Hautfernmetastasen in kutaner/subkutaner Lokalisation – 767 Lymphknotenfernmetastasierung – 768 Knochenfernmetastasen – 768 ZNS-Fernmetastasen – 768 Meningiosis melanomatosa – 768 Metastatischer Befall von Körperhöhlen – 768
50.5.4 50.5.5 50.5.6 50.5.7 50.5.8 50.5.9
Literatur
– 769
– 764
754
50
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
> Bei primären malignen Melanomen der Schleimhäute, insbesondere im Bereich der Nasenschleimhaut, der Vagina, des Anus und des Rektums wird eine vollständige Resektion des Melanoms angestrebt. Sehr ausgedehnte und mutilierende operative Eingriffe sind aber nicht indiziert, da bei Schleimhautmelanomen die Rezidivrate auch bei sehr radikalem Vorgehen hoch ist. Bei kutanem malignem Melanom wird ab einer Tumordicke von 1,0 mm heute die Wächterlymphknotenbiopsie empfohlen, um bei Positivität eine elektive Lymphadenektomie vorzunehmen. Bei klinischem Lymphknotenbefall ist immer eine radikale Lymphadenektomie der Lymphabflussregionen erforderlich. Bei Satelliten- oder Intransitmetastasen kommen in erster Linie die operativen Resektionen, bei ausgedehntem Befall auch eine hypertherme Perfusionstherapie an den Extremitäten in Frage. Lokale intraläsionale Behandlungen mit IL-2 haben sich ebenfalls bewährt. Bei viszeraler Metastasierung muss jeweils die Indikation für eine operative Therapie geprüft werden. Diese liegt dann vor, wenn bei singulärem Organbefall durch die operative Therapie die Möglichkeit zur vollständigen Metastasenresektion gegeben ist. Dies ist insbesondere bei Vorhandensein weniger Metastasen an Lunge, Leber und Hirn der Fall. Andere lokale Therapiemöglichkeiten, wie die selektive Chemoperfusionstherapie der Leber oder die Strahlentherapie bei Knochen- und Hirnmetastasen sollten bei begrenztem Organbefall ebenfalls erwogen werden. Die Ansprechraten einer systemischen Chemo- oder Chemoimmuntherapie sind mit 10–30% nicht sehr hoch, bei Erreichen einer Remission kann allerdings im Einzelfall eine Verlängerung des Überlebens erzielt werden. Angesichts des palliativen Charakters dieser Behandlung sollten die Lebensqualität der Patienten und die Vermeidung unnötiger Toxizität einen wichtigen Stellenwert für die therapeutischen Entscheidungen haben.
50.1
Allgemeines
Das maligne Melanom ist ein invasiver maligner Tumor, der von den Melanozyten ausgeht. Mehr als 90% der Tumoren entwickeln sich primär an der Haut; entsprechend dem Vorkommen von Melanozyten können maligne Melanome auch an der Uvea des Auges, an Schleimhäuten (z. B. Nasen- und Mundschleimhaut, Vagina, Rektum, Anus, Ösophagus), am Innenohr, an den Meningen etc. entstehen.
nächst zur Ausbildung von Satellitenmetastasen bis zu etwa 2 cm vom Tumorrand entfernt führen, weiterhin können im Verlauf der Lymphwege vor den regionären Lymphknoten Intransitmetastasen entstehen. Als nächstes werden die regionären Lymphknoten befallen. Fernmetastasen können auf dem Wege der hämatogenen und lymphogenen Metastasierung entstehen und betreffen bevorzugt folgende Organsysteme mit abnehmender Häufigkeit: Haut, Lunge, Lymphknoten, Leber, Hirn, Knochen, Nebennieren, Intestinum, Milz. Die wichtigsten prognostischen Faktoren beim primären malignen Melanom ohne Metastasen sind nach neueren Studien folgende (Garbe et al. 1995a; Balch et al. 2001b; Garbe et al. 2002): 4 Vertikale Tumordicke nach Breslow am histologischen Präparat (tumorspezifische 10-Jahres-Überlebensraten: <1,0 mm: ca. 88–95%; 1,01–2,0 mm: ca. 79–84%; 2,01– 4,0 mm ca. 64–73%; >4,0 mm: ca. 52–54%; die Werte gelten für Tumoren ohne Ulzeration) 4 Vorhandensein einer histologisch erkennbaren Ulzeration (führt in der AJCC-Klassifikation zur Höhergruppierung in das nächsthöhere Stadium, s. unten) 4 Invasionslevel nach Clark (insbesondere die Unterscheidung zwischen Level II/III und IV/V), 4 Nachweis von Mikrometastasierung in den regionären Lymphknoten durch Wächterlymphknotenbiopsie 4 Geschlecht (signifikant schlechtere Prognose für Männer) (Garbe et al. 1995a) 4 Tumorlokalisation (ungünstige Prognose für oberen Stamm, Oberarme, Hals und behaarten Kopf) (Garbe et al. 1995b)
. Tab. 50.1. T-Klassifikation des Primärtumors beim malignen Melanom nach AJCC/UICC 2001, Aktualisierung 2010 (Balch et al. 2001b)
T-Klassifikation
Tumordicke
Tis
Melanoma in situ, keine Tumorinvasion
Tx
Keine Angabe
Stadium nicht bestimmbar*
T1
≤1,0 mm
a: ohne Ulzeration, Mitoseindex ≤1 b: mit Ulzeration oder Mitoseindex >1
Prognose. Ca. 90% aller malignen Melanome kommen derzeit
als Primärtumor ohne erkennbare Metastasierung zur ersten Diagnose. Die durchschnittlichen 10-Jahres-Überlebensraten von Patienten mit malignem Melanom variieren derzeit in weißen Bevölkerungen in Mitteleuropa, in den USA und in Australien zwischen 75 und 85% (Garbe et al. 1995; Garbe u. Leiter 2009). In Ländern mit niedriger Melanominzidenz werden die Tumoren häufig erst später erkannt und die Prognose dürfte im Allgemeinen als ungünstiger bewertet werden. Der wichtigste Parameter für die Einordnung der Prognose ist die Ausbreitung des Tumors. Die Metastasierung erfolgt zu ca. 70% primär lymphogen, in den restlichen 30% primär hämatogen (Meier et al. 2002). Die lymphogene Metastasierung kann zu-
Weitere prognostische Parameter
T2
1,01–2,0 mm
a: ohne Ulzeration b: mit Ulzeration
T3
2,01–4,0 mm
a: ohne Ulzeration
T4
>4,0 mm
a: ohne Ulzeration
b: mit Ulzeration
b: mit Ulzeration * Fehlen einer Bestimmung der Tumordicke und/oder Ulzeration oder unbekannter Primärtumor
50
755 50.1 · Allgemeines
. Tab. 50.2. N-Klassifikation der regionären Lymphknoten beim malignen Melanom nach AJCC/UICC 2001, Aktualisierung 2010 (Balch et al. 2001b)
. Tab. 50.3. M-Klassifikation der Fernmetastasen beim malignen Melanom nach AJCC/UICC 2001, Aktualisierung 2010 (Balch et al. 2001b)
N-Klassifikation
M-Klassifikation
Art der Fernmetastasierung
LDH
M1a
Haut, Subkutan oder Lymphknoten
Normal
M1b
Lunge
Normal
M1c
Alle anderen Organmetastasen Jede Art von Fernmetastasierung
Normal Erhöht
N1
Zahl metastatisch befallener Lymphknoten
Ausmaß der Lymphknotenmetastasierung
1 Lymphknoten
a: Mikrometastasierung b: Makrometastasierung
N2
2–3 Lymphknoten
a: Mikrometastasierung b: Makrometastasierung c: Satelliten oder Intransitmetastasen
N3
≥4 Lymphknoten, Satelliten oder Intransitmetastasen
Die 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit beträgt bei Patienten mit Satelliten- und Intransitmetastasen ca. 30–50% und bei Patienten mit klinisch manifesten regionären Lymphknotenmetastasen ca. 20–40% (Lasithiotakis et al. 2007). Bei Fernmetastasierung ist die Prognose zumeist infaust, die mediane Überlebenszeit ohne Behandlung beträgt nur ca. 6–9 Monate, wobei je nach Organbefall eine erhebliche Variationsbreite vorliegt. Für das maligne Melanom wurden von AJCC/UICC 2002 und 2010 neue TNM-Klassifikationen vorgeschlagen (. Tab. 50.1 bis . Tab. 50.4; Balch et al. 2000; Balch et al. 2001a).
. Tab. 50.4. Stadieneinteilung des malignen Melanoms nach AJCC/UICC 2001, Aktualisierung 2010 (Balch et al. 2001b)
Stadium
Primärtumor (pT)
Regionäre Lymphknotenmetastasen (N)
Fernmetastasen (M)
0
In-situ-Tumoren
Keine
Keine
IA
≤1,0 mm, keine Ulzeration
Keine
Keine
IB
≤1,0 mm mit Ulzeration oder Clark-Level IV oder V
Keine
Keine
1,01–2,0 mm, keine Ulzeration
Keine
Keine
1,01–2,0 mm mit Ulzeration
Keine
Keine
2,01–4,0 mm, keine Ulzeration
Keine
Keine
2,01–4,0 mm mit Ulzeration
Keine
Keine
> 4,0 mm, keine Ulzeration
Keine
Keine
IIC
> 4,0 mm mit Ulzeration
Keine
Keine
IIIA
Jede Tumordicke, keine Ulzeration
Mikrometastasen
Keine
IIIB
Jede Tumordicke mit Ulzeration
Mikrometastasen
Keine
Jede Tumordicke, keine Ulzeration
Bis zu 3 Makrometastasen
Keine
Jede Tumordicke ± Ulzeration
Keine, aber Satelliten- und/oder Intransitmetastasen
Keine
Jede Tumordicke mit Ulzeration
Bis zu 3 Makrometastasen
Keine
Jede Tumordicke ± Ulzeration
4 oder mehr Makrometastasen oder kapselüberschreitender Lymphknotenbefall oder Satelliten und/ oder Intransitmetastasen mit Lymphknotenbefall
Keine
IIA
IIB
IIIC
IV
Fernmetastasen
756
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
50.2
Behandlung von primären Melanomen in extrakutanen und viszeralen Lokalisationen
Bei operativen Eingriffen mit kleinem Sicherheitsabstand kann eine zusätzliche lokale Bestrahlung der Region erwogen werden (Irvin et al. 1998; Petru et al. 1998).
50.2.1 Primäres Melanom der Mundhöhle,
der Nase und Nasennebenhöhlen
50
Die Behandlung von Melanomen der Mundhöhle, der Nase und Nasennebenhöhlen erfolgt primär chirurgisch, wenn die vollständige chirurgische Entfernung möglich erscheint (R0Option gegeben). Bei inkompletter Resezierbarkeit oder Inoperabilität wird primär eine Strahlentherapie empfohlen (Pandey et al. 1999; van-der-Waal et al. 1994; Guzzo et al. 1993; Nandapalan et al. 1998). Eine adjuvante Strahlentherapie nach Operation kann die lokale Tumorkontrolle verbessern (Wu et al. 2009). Cave Aufgrund des ausgedehnten Lymphabflusses im Kopfund Halsbereich besteht eine erhöhte Gefahr einer früheren lymphonodulären Metastasierung.
Ausgehend von den Erfahrungen mit Plattenepithelkarzinomen im Kopf-/Halsbereich kann daher eine Bestrahlung des regionären Lymphabstromgebietes auch beim malignen Melanom im Einzelfall in Erwägung gezogen werden. Eine alleinige Strahlentherapie des Lymphabflusses ist mit den modernen strahlentherapeutischen Techniken mit relativ geringen Spätnebenwirkungen verbunden. Bei fehlender Operabilität kann auch primär eine Behandlung mit Chemo- oder Chemoimmuntherapie in Erwägung gezogen werden. Diese kann im Sinne einer neoadjuvanten Therapie gezielt vor einem nachfolgenden chirurgischen Eingriff durchgeführt werden mit dem Ziel, Tumoroperabilität zu erreichen.
50.2.2 Primäres Melanom der Vulva
und Vagina Die Behandlung von Melanomen der Vulva und Vagina erfolgt primär operativ, wenn eine vollständige Tumorexzision möglich erscheint (R0-Option gegeben). Bei inkompletter Resezierbarkeit oder bei Inoperabilität wird eine Strahlentherapie empfohlen (Piura et al. 2008; Raber et al. 1996). Bei Melanomen der Vulva sollte eine mikroskopische Randschnittkontrolle (mikrographische Chirurgie) vorgenommen werden, da marginale In-situ-Anteile häufiger vorkommen.
50.2.3 Primäres Melanom des Anus Es ist eine primäre lokale Exzision unter Funktionserhalt des Anus anzustreben, wenn die komplette Resezierbarkeit erreichbar erscheint (R0-Option gegeben) (Brady et al. 1995; Weinstock 1993; Thibault et al. 1997). Die Radikalität der Operation beeinflusst das Überleben nicht (Podnos 2006). Bei inkompletter lokaler Resezierbarkeit ist unter Berücksichtigung endosonographischer Kriterien (Tumor auf Mukosa, Submukosa und Muskularis beschränkt – uT1/uT2) ohne Hinweise auf Infiltration des Sphinkterapparates bzw. des Musculus puborectalis die sphinktererhaltende abdominoperanale Rektumresektion mit koloanaler Durchzugsanastomose zu diskutieren. Liegt endosonographisch der Hinweis auf ein rektumwand- oder organüberschreitendes Wachstum mit Infiltration von Nachbarorganen vor, so wird primär eine neoadjuvante Strahlentherapie empfohlen. Eine primäre Rektumamputation bzw. ein multiviszerales operatives Vorgehen wird primär nicht empfohlen, da Melanome des Anus zumeist relativ spät diagnostiziert werden und nachfolgende Rezidive sowie Metastasierungen sehr häufig sind. Nach den in der Literatur ausgewerteten Erfahrungen wird diese Situation durch eine Rektumamputation nicht verbessert (Slingluff u. Seigler 1992; Roumen 1996). Lokale palliative Therapien mit Laser und Kryotherapie können ebenfalls durchgeführt werden. Sollte nach der primären Operation mikroskopisch ein Tumorrest (R1-Situation) oder ein makroskopischer Tumor zurückbleiben (R2-Situation) und eine operative Nachresektion nicht funktionserhaltend möglich sein, ist eine Strahlenbehandlung zur lokalen Kontrolle mit kurativer Intention indiziert. Die Bestrahlung sollte nach Abschluss der Wundheilung, aber wenn möglich nicht später als 6 Wochen nach der Operation angeschlossen werden. Zur optimalen Dosisverteilung im Tumorgebiet und zur Schonung des gesunden Gewebes ist der Einsatz von schnellen Elektronen oder bei tiefer Tumorausdehnung die Bestrahlung mit Photonen indiziert. In konventioneller Fraktionierung mit Einzeldosen von 2 Gy 5-mal pro Woche wird der adjuvante Bereich bis 50 Gy, mikroskopischer Befall bis 60 Gy und makroskopischer Resttumor bis 70 Gy bestrahlt, wobei die Dosisaufsättigung oft mittels Brachytherapie schonender möglich ist als mittels perkutaner Bestrahlung.
50.2.4 Primäres Melanom des Ösophagus Sehr radikale Eingriffe werden nicht empfohlen, da insbesondere bei vaginalen Melanomen auch im Falle radikaler Operationen eine hohe Rezidivquote und Metastasierungsrate zu erwarten ist (Ragnarsson et al. 1999; Dunton et al. 1995).
Wenn eine vollständige Resektion des Tumors erreichbar erscheint, soll eine Ösophagusresektion durchgeführt werden (R0-Option gegeben) (Mukaiya et al. 1999; Sabanathan et al. 1989; Stremmel u. Schlag 1996; Volpin et al. 2002). Das präoperativ durchzuführende Staging sollte dem Vorgehen bei Plattenepithel- bzw. Adenokarzinomen des Ösophagus ent-
757 50.3 · Behandlung lokoregionärer Metastasierung
sprechen. Entscheidende Aussagen über die Operabilität liefern die präoperative Endosonographie sowie die Computertomographie von Thorax, Mediastinum und Abdomen. Kriterien der Inoperabilität sind lokal der Kontakt zu Nachbarorganen (linker Hauptbronchus, Aorta, thorakaler mediastinaler und abdomineller Lymphknotenbefall) sowie generell das Vorliegen von Fernmetastasen. Bei Vorliegen dieser Kriterien wird eine neoadjuvante Strahlentherapie empfohlen. Im Rahmen des Restagings muss entschieden werden, ob eine radikale Operation im Sinne einer R0-Resektion erreichbar erscheint oder ob eine Fortführung der Radiochemotherapie in therapeutischer Intention bei fehlendem kurativem chirurgischem Ansatz erwogen werden sollte. Möglicherweise ist auch die Positronenemissionstomographie hinsichtlich der Operation hilfreich. Bei symptomatischen lokalen Tumorrezidiven bzw. bei Tumorprogression kann zum Funktionserhalt und zur Aufrechterhaltung der Nahrungspassage eine lokale Tumorbehandlung (Laserbehandlung, Stentimplantation) für den Patienten als Palliativmaßnahme sinnvoll sein (Woolery et al. 1990; Mohandas et al. 1993).
50.2.5 Primäres Melanom der Meningen
und Dura Primäre Melanome der Meningen und der Dura sind sehr selten. Sie werden in der Regel erst bei Verursachung neurologischer Symptome auffällig und nach Darstellung mittels bildgebender Verfahren allenfalls in die differenzialdiagnostische Erörterung einer Raumforderung einbezogen. Leptomeningeale Melanome treten insbesondere als seltene, aggressive Tumoren in der Kindheit auf (Makin et al. 1999; Allcutt et al. 1993). Sie können auch mit einem Naevus Ota oder anderen Pigmentnävi assoziiert auftreten (Theunissen et al. 1993; Chang et al. 1997). Das therapeutische Vorgehen folgt den lokoregionalen Erfordernissen einer neurochirurgischen Entfernung meningeal oder dural lokalisierter Tumoren (Macfarlane et al. 1989; Barut 1995). Die endgültige Diagnosestellung erfolgt erst postoperativ durch die feingewebliche Untersuchung. Hierbei sind die ebenfalls sehr seltenen benignen meningialen Melanozytome von malignen Melanomen abzugrenzen (keine Metastasierung, hohe Rezidivquote). Interessant sind kasuistische Berichte in der Literatur, die ein Ansprechen auf intrathekale Therapie mit Interleukin-2 berichten (Samlowski et al. 1993; Fathallah et al. 1996) Bei Inoperabilität ist eine Diagnosestellung nur nach bioptischer Sicherung möglich und eine Strahlentherapie wird als palliative Therapieoption empfohlen. In der palliativen Situation werden nur die befallenen bzw. symptomatischen Anteile der Meningen mit entsprechendem Sicherheitsabstand strahlentherapeutisch erfasst. Als Einzeldosen werden 2 Gy empfohlen, die Gesamtdosis entsprechend der Lokalisation im Bereich des Myelons mit 40 Gy, bei großen Weichteiltumoren bis 45 Gy bzw. in individuellen Ausnahmenfällen mit kurativer Intention mit 50 Gy empfohlen.
50.3
Behandlung lokoregionärer Metastasierung
50.3.1 Elektive Lymphknotendissektion
und Wächterlymphknotenbiopsie Als elektive Lymphknotendissektion wird die radikale Entfernung der regionären Lymphknoten in der Lymphabflussregion eines primären Melanoms verstanden, wenn klinisch noch kein Anhalt für eine Lymphknotenmetastasierung besteht.
Das Ziel der elektiven Lymphknotendissektion besteht in der Entfernung von Mikrometastasen in den Lymphknoten, bevor ein Tumorwachstum und eine weitere Ausbreitung der Metastasierung einsetzen. Dieses Vorgehen wurde bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren aufgrund retrospektiver Untersuchungen von verschiedenen Chirurgen vorgeschlagen (Reintgen et al. 1983; Balch et al. 1982; Drepper et al. 1993). Dabei wurde herausgestellt, dass Patienten mit einer mittleren Tumordicke zwischen 1,5 und 4 mm von der elektiven Lymphadenektomie am ehesten profitierten. Bei dickeren Tumoren war auch in retrospektiven Untersuchungen kein Überlebensvorteil mehr erkennbar. Die aus retrospektiven Untersuchungen vorgeschlagenen Überlebensvorteile konnten in prospektiven Studien nicht gesichert werden und aus neueren Studien ergibt sich eine zunehmende Evidenz, dass ein Überlebensvorteil durch dieses Vorgehen nicht zu erwarten ist (Sim et al. 1978; Veronesi et al. 1977; Cascinelli et al. 1998; Balch et al. 1996). Bei Durchführung der elektiven Lymphadenektomie ist dagegen gesichert, dass für diejenigen Patienten, die eine Mikrometastasierung haben, eine Verlängerung des rezidivfreien Intervalls durch die Lymphadenektomie erreicht wird (Rompel et al. 1995). Auf der anderen Seite wird bei genereller Durchführung der elektiven Lymphadenektomie eine größere Zahl von Patienten behandelt, bei denen eine Metastasierung nicht zu erwarten ist. Aus diesem Grunde hat sich in den letzten Jahren ein selektives Vorgehen durchgesetzt, bei dem die Indikationsstellung zur therapeutischen Lymphknotendissektion von der Wächterlymphknotenbiopsie abhängig gemacht wird.
Unter Wächterlymphknotenbiopsie (WLKB, auch: »sentinel lymph node biopsy«, SLNB) wird die selektive Biopsie des/der ersten drainierenden Lymphknoten/s des jeweiligen Lymphabflussgebietes verstanden (Abbildung 1).
Zu diesem Zweck wird der erste drainierende Lymphknoten mittels Lymphabflussszintigraphie dargestellt und an der Hautoberfläche markiert (Ross et al. 1993; Morton et al. 1992). Zur intraoperativen Darstellung der ersten drainierenden Lymphknoten wird empfohlen, eine Anfärbung mit Patentblau durchzuführen, das an der Stelle des Primärtumors inji-
50
758
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
Das Injektionsgebiet wird mit einer Bleiplatte abgedeckt und der Lymphabstrom wird mittels einer Gammakamera dynamisch dokumentiert. Die Schildwächterlymphknoten werden auf der Haut in 2 Ebenen markiert.
Die Lymphabstromszintigraphie sollte mindestens 4 h vor der Durchführung der WLKB erfolgen. Günstiger ist ein zeitlicher Abstand zwischen der Injektion von Technetium-99 und der Operation von 20–24 h.
50.3.4 Technik der Wächterlymphknoten-
50 . Abb. 50.1. Schematische Darstellung des Pförtnerlymphknotens (»sentinel node«), anatomische Möglichkeiten und Varianten des Lymphabflusses und des korrespondierenden Pförtnerlymphknotens
ziert wird. Gleichzeitig soll eine Darstellung der Lymphknoten mittels einer Gammasonde vorgenommen werden, die auf das verwendete Technetium-99 anspricht (van der Veen et al. 1994; Alex u. Krag 1993). Der/die Wächterlymphknoten werden anschließend histologisch und immunhistologisch aufgearbeitet. Bei Nachweis einer Mikrometastasierung wird die Indikation für eine therapeutische Lymphadenektomie gestellt.
50.3.2 Indikation zur Wächterlymphknoten-
biopsie Die Indikationsstellung für die Durchführung der Wächterlymphknotenbiopsie wird in erster Linie von der Tumordicke abhängig gemacht. In der Regel wird die Wächterlymphknotenbiopsie ab 1 mm Tumordicke durchgeführt. Die WLKB kann in Zusammenhang mit der Erstoperation wie auch bei bereits exzidiertem Primärtumor durchgeführt werden. Optimal ist die Durchführung der WLKB bei noch vorhandenem Primärtumor, da zu diesem Zeitpunkt die Lymphabstromverhältnisse ungestört sind. Nach einer weiträumigen Tumorexzision kann der Lymphabstrom variieren und das Auffinden der primär drainierenden Lymphknoten unsicherer werden (Krag et al. 1995; Godellas et al. 1995). Die WLKB führt zu einer Verbesserung des rezidivfreien Überlebens und zu einer Verbesserung der Prognose bei Patienten, die primär Metastasierung in den regionären Lymphknoten entwickeln (Morton et al. 2006; Amersi u. Morton 2007).
biopsie Die Wahl der Anästhesie ist von der Erfahrung der durchführenden Zentren abhängig. Der Eingriff kann in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden, aber auch in geeigneter Lokalanästhesie. Zumeist reicht eine Infiltrationsanästhesie aus, alternativ kommt die Tumeneszenzanästhesie in Frage. Zur Darstellung der Lymphknoten sollte parallel eine Farbstoffmethode und intraoperativ eine Gammasonde verwendet werden. Als Farbstoff wird Patentblau verwendet und 0,5–2,0 ml der Farbstofflösung werden in 6–8 streng intrakutanen Depots im Abstand von ca. 1 cm vom Tumorrand bzw. vom Zentrum der Operationsnarbe injiziert (. Abb. 50.2). Die Anfärbung der Lymphgefäße und des Wächterlymphknotens ist in einem Zeitintervall von 10–15 min zu erwarten, je nach Distanz des Primärtumors zur Lymphknotenstation (. Abb. 50.3). Intraoperativ kann der WLK mittels einer Gammasonde detektiert werden. Es werden Aktivitätsmessungen des/der exstirpierten Lymphknoten/s und des Operationsgebietes vorgenommen (. Abb. 50.4) (van der Veen et al. 1994; Alex u. Krag 1993). Handelt es sich um mehrere WLK in einer regionären Lymphknotenstation, so sollte die Rangfolge der Lymphknoten nach dem Grad der radioaktiven Speicherkapazität bestimmt werden (. Abb. 50.5). Bei Lymphabstrom von
50.3.3 Technik der Lymphabstromszintigraphie
bei der Wächterlymphknotenbiopsie Für die Lymphabstromszintigraphie wird als Radiopharmakon Technetium-99m-Nanokolloid verwendet. Als Dosis sollen mindestens 40 MBq zur Anwendung kommen. Diese werden in 6–8 streng intrakutanen Depots im Abstand ca. 1 cm vom Tumorrand bzw. vom Zentrum der Operationsnarbe injiziert.
. Abb. 50.2. Intrakutane Injektion von Patentblau V (4×0,5 ml) in unmittelbarer Umgebung des Primärtumors (Zustand nach knapper lokaler Exzision) vor geplanter Sentinel-node-Biopsie und lokaler weiter Nachexzision mit adäquatem Sicherheitsabstand
759 50.3 · Behandlung lokoregionärer Metastasierung
bleibt die beste Chance zum Auffinden der korrekten WLK erhalten.
50.3.5 Aufarbeitung der Wächterlymphknoten
und Indikationsstellung für therapeutische Lymphadenektomie
. Abb. 50.3. Intraoperativer Situs der lokalen Exstirpation des Pförtnerlymphknotens (blau gefärbt) mit korrespondierender Lymphbahn
Die histopathologische Beurteilung der WLK wird anhand von Stufenschnitten vorgenommen, die mit Hämatoxilin/ Eosin sowie immunhistologisch mit den Markern HMB-45 und Protein S100 angefärbt werden. Bei der Beurteilung muss berücksichtigt werden, dass in 5–10% der Lymphknoten bei Melanompatienten melanozytäre Nävi gefunden werden. Die Beurteilung muss deshalb in der Zusammenschau des immunhistologischen Befundes mit dem morphologischen Befund in der HE-Färbung oder in der Immunhistologie erfolgen. Bei Diagnose einer Mikrometastasierung im WLK wird die radikale Lymphadenektomie des betroffenen regionären Lymphknotengebietes empfohlen. Dadurch wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verlängerung des krankheitsfreien Intervalls erreicht. Ob eine Verlängerung des Gesamtüberlebens resultiert, wird zurzeit in Studien abgeklärt.
50.3.6 Behandlung von Lokalrezidiven
und/oder Satellitenmetastasen
. Abb. 50.4. Intraoperative Verwendung der Gammasonde zur Detektion des Lymphknotens und zur Kontrolle nach Exstirpation (Hintergrundrauschen)
. Abb. 50.5. Makroskopisches Präparat einer selektiven Lymphknotenbiopsie mit Darstellung der drainierenden Lymphbahn und Blaufärbung des Pförtnerlymphknotens, der nicht der anatomisch nächstgelegene Lymphknoten zum Primärtumor ist (vorbei ziehende blau gefärbte Lymphbahn zwischen 3 und 5 cm Linealmarkierung)
einem Primärtumor in mehrere regionäre Lymphknotenstationen werden die entsprechenden WLK in den beiden Regionen mit der größten Aktivitätsrate exstirpiert. Bei Verwendung der Farbstoffmarkierung wird zunächst die Exstirpation des/der WLK vorgenommen und erst anschließend soll die Tumorexzision oder Nachexzision mit dem erforderlichen Sicherheitsabstand durchgeführt werden. So
Lokalrezidive und Satellitenmetastasen sind beim adäquat operierten Melanom nicht mehr sicher zu unterscheiden. Satellitenmetastasen werden so definiert, dass sie in einem Umkreis von 2 cm um den Primärtumor herum auftreten. Da die Primärtumoren mit Sicherheitsabstand entfernt werden, kann ein Rezidiv in der Exzisionsnarbe ursprünglich einer Satellitenmetastase entsprechen. Lokalrezidive/Satellitenmetastasen entwickeln sich bei ca. 3–5% der Primärmelanome. Sie treten bevorzugt bei dickeren und ulzerierten Primärtumoren, ferner im Kopfbereich und an den Akren auf. Bei Auftreten von Lokalrezidiven und Satellitenmetastasen kommt es zu einer deutlichen Verschlechterung der Prognose im Vergleich zum Vorliegen des Primärtumors allein. Soweit nur umschriebene, chirurgisch komplett entfernbare Lokalrezidive bzw. Satellitenmetastasen vorliegen, ist die chirurgische Exzision im Gesunden das Verfahren der Wahl. Die Exzision im Gesunden ist histologisch am Exzisionspräparat zu kontrollieren. Auch bei wiederholter Manifestation ist der chirurgischen Exzision der Vorzug zu geben. Bei nicht mehr lokal operablen Lokalrezidiven und Satellitenmetastasen wird eine Radiatio empfohlen. Die Entscheidung über das Zielvolumen muss von dem Lokalbefund abhängig gemacht werden. Auch die Wahl der Bestrahlungstechnik ist von der Tiefenausdehnung abhängig. Bei oberflächlichen Tumoren ist der Einsatz von schnellen Elektronen zu empfehlen, die Telekobalt-Bestrahlung wird dagegen heute als obsolet angesehen, außer in der palliativen Situation. Bei makroskopischem Tumor sollten unter Einhaltung eines Sicherheitssaums von allseits ca. 3 cm lokal bis maximal
50
760
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
70 Gy bei einer Fraktionierung von 5-mal 2 Gy/Woche angestrebt werden. Liegen lokal chirurgisch nicht mehr beherrschbare Satelliten- bzw. Intransitmmetastasen an einer Extremität vor, so ist die Indikation zur therapeutischen hyperthermen Zytostatikaperfusion der Extremität zu prüfen (siehe Punkt 3.9).
50.3.7 Behandlung von Intransitmetastasen
50
Als Intransitmetastasen werden Metastasierungen im Lymphabflussbereich vor dem regionären Lymphknotengebiet bezeichnet (. Abb. 50.6).
Intransitmetastasen treten ebenfalls bei ca. 5% der Patienten auf. Nicht selten treten Intransitmetastasen in Kombination mit regionärer Lymphknotenmetastasierung auf. Die Prognose der kombinierten Intransitmetastasierung mit regionärer Lymphknotenmetastasierung ist deutlich ungünstiger als bei alleiniger Lymphknotenmetastasierung bzw. isolierten Intransitmetastasen. Nur in seltenen Fällen findet sich ein langsames Wachstum vereinzelter Intransitmetastasen. In diesen Fällen ist die
. Abb. 50.6. Diffuse Intransitmetastasen rechts. Bein bei lokoregionär metastasiertem malignem Melanom
Exzision der Tumoren im Gesunden die Behandlung der Wahl. Die Exzisionsränder sind dabei histologisch zu kontrollieren, ob die Exzision im Gesunden erfolgte (Mohs 1986). Häufiger entsteht die Situation, dass multiple Intransitmetastasen gleichzeitig auftreten, die mit normalen Exzisionen nicht mehr kontrolliert werden können. In diesen Fällen kommen verschiedene weitere Therapieverfahren in Betracht: 4 Lasertherapie 4 Kryotherapie 4 Intraläsionale Therapie mit Interleukin-2 4 Radiatio 4 Hypertherme Extremitätenperfusion 4 Systemische Chemo-/Immuntherapie Für eine Lasertherapie kommt eine Behandlung mit CO2-Laser und mit Neodym-YAG-Laser in Frage. Mittels des CO2-Lasers wird eine oberflächliche Vaporisation der Metastasen mit nur einem geringen Koagulationsrandsaum erreicht (Hill u. Thomas 1993). Dieses Verfahren eignet sich in der Regel nur für kleine Metastasen. Für etwas größere und subkutane Metastasen ist der Neodym-YAG-Laser besser geeignet. Mit diesem wird eine Koagulation der Metastasen erreicht, wobei der Koagulationskegel ca. 10–12 mm Durchmesser haben kann. Im Laufe des Heilungsprozesses wird das nekrotische Material ausgeschleust. Der Heilungsprozess kann nach Anwendung dieses Verfahrens recht langwierig sein, ist aber für den Patienten weitgehend beschwerdefrei. Die Kryotherapie kommt ebenfalls nur für kleinere Hautmetastasen in Frage (Greenstein u. Rogers 1995). In der Regel ist eine Gefrierzeit von 2-mal 10–20 s notwendig. Danach kommt es zur Blasenbildung und sekundären Wundheilung. Bei größeren Melanommetastasen mit einem Durchmesser >1 cm wird eine Kontrolle der Gewebetemperatur mit intraläsionalen Sonden empfohlen, um eine möglichst effiziente Tumorbehandlung zu gewährleisten. Die intraläsionale Behandlung mit Interleukin-2 ist ebenfalls gut wirksam (Gutwald et al. 1994; Radny et al. 2003). Die Rate der Rückbildungen liegt hier bei ca. 80–90%. Appliziert werden intraläsional 1–3 Mio. I.E. Interleukin-2 (Proleukin), bei größeren Tumoren kann die Dosis auf 6–9 Mio. I.E. gesteigert werden. Bei der Behandlung mehrere Knoten sollte eine Dosis von 9–18 Mio. I.E. pro Behandlungssitzung nicht überstiegen werden, da sonst schwere systemische Nebenwirkungen auftreten können. Die systemischen Nebenwirkungen entsprechen denen bei i.v. und s.c. Gabe. Die Behandlung wird 3-mal wöchentlich über 2–3 Wochen durchgeführt. An der Injektionsstelle bildet sich in der Regel eine Nekrose aus. Für den Patienten ist die Nekrose in der Regel schmerzfrei. Die Nekrose entsteht offenbar in Folge eines massiven entzündlichen Infiltrates, das in die Tumorregion eindringt. Die Verläufe sind in der Regel unkompliziert. Bei rezidivierenden Satelliten- und Intransitmetastasen kann eine systemische Chemotherapie wirksam sein und zur partiellen sowie kompletten Remission führen. Dieses wurde sowohl unter einer Behandlung mit DTIC als auch unter Vindesin beschrieben. Die Möglichkeit des Ansprechens scheint aber größer als bei einer disseminierten Fernmetastasierung zu sein. Vor der Durchführung einer systemischen
761 50.3 · Behandlung lokoregionärer Metastasierung
Therapie sollte geprüft werden, ob eine hypertherme Extremitätenperfusion in Frage kommt (Eggermont 1996). Die Ansprechraten der hyperthermen Extremitätenperfusion liegen deutlich höher als bei der systemischen Therapie. Die kombinierte Behandlung mit Melphalan und TNF-α erhöht die Wirksamkeit (Noorda et al. 2006). Bei Rezidiven nach einer hyperthermen Extremitätenperfusion sind allerdings die Chancen eines Ansprechens unter einer systemischen Chemotherapie gering. Die Strahlentherapie sollte bei Intransitmetastasen nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn alle anderen Methoden ausgeschöpft sind. Bei Rezidiven in vorbestrahlten Arealen sind die chirurgischen und anderen Verfahren nur noch begrenzt einsetzbar und die Wundheilung ist gestört. Da die Verläufe bei Intransitmetastasierungen langwierig sein können, werden nicht selten mehrere der angegebenen Behandlungsmöglichkeiten nacheinander angewendet werden.
Entscheidend bleibt in jedem Fall, dass darauf geachtet wird, dass die Metastasen nicht zu groß werden. Alle Behandlungen sind am besten durchzuführen, wenn der Durchmesser der Metastasen 1 cm nicht übersteigt. Darin besteht die entscheidende Orientierung für den behandelnden Arzt.
50.3.8 Hypertherme Perfusionstherapie Die hypertherme Perfusionstherapie wird zur Behandlung von Intransitmetastasen und auch multiplen Satellitenmetastasen an den Extremitäten angewandt. Bei Auftreten multipler Metastasen stellt sie zurzeit das best wirksame Verfahren dar (Göhl u. Hohenberger 1992; Hohenberger et al. 1994; Schlag u. Kettelhack 1995; Kettelhack et al. 1997). Die Behandlung sollte nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden, die über langjährige Erfahrungen mit diesem Verfahren verfügen. Das Prinzip der hyperthermen Perfusionstherapie besteht darin, eine isolierte Perfusion der tumorbefallenen Extremität unter Zuhilfenahme eines extrakorporalen Kreislaufes mit hohen Dosen eines Zytostatikums oder eines kombinierten Schemas durchzuführen (Abbildung 7). Um die Stoffwechselaktivität der Zellen zu erhöhen und die nachgewiesene selektive Hitzeempfindlichkeit der Melanomzellen auszunützen, wird eine Erwärmung der Extremität auf eine Temperatur von 40–41,5°C vorgenommen. Für die Herstellung des extrakorporalen Kreislaufes müssen operativ die Hauptarterie und Hauptvene der Extremität mit einer Herz-Lungen-Maschine verbunden werden. Da bei Herstellung des extrakorporalen Kreislaufes nur geringe Mengen der in diesem System verwendeten Medikamente in den übrigen Körper gelangen, können deutlich höhere Konzentrationen der Zytostatika als bei einer systemischen Therapie verwendet werden. Standardmäßig wird für die hypertherme Extremitätenperfusion das Zytostatikum Melphalan verwendet. Die Kombination mit Tumornekrosefaktor-α erhöht offenbar die Wirksamkeit der Behandlung (Noorda et al. 2006).
. Abb. 50.7. Flussschema einer isolierten hyperthermen Zytostatikaperfusion der Extremitäten
Die Indikationsstellung für die hypertherme Perfusionstherapie setzt voraus, dass die Metastasierung auf den Intransitbereich einer Extremität beschränkt ist und dass keine Fernmetastasen vorliegen. In Ausnahmefällen kann sie in palliativer Intention als Alternative zur Amputation erfolgen. Eventuell gleichzeitig bestehende Lymphknotenmetastasen müssen durch radikale Lymphadenektomie entfernt werden. Nach einmaliger oder wiederholter hyperthermer Extremitätenperfusion wird über die Erreichung vollständiger Remission in 60–80% der Fälle berichtet. In der Regel wird diese Behandlung nicht mehr als einmal wiederholt. Die Komplikationsraten nach regionaler Perfusion sind gering. Neben lokalen Wundheilungsstörungen muss mit permanenten Schwellneigungen in etwa 10% im mittelfristigen postoperativen Verlauf gerechnet werden. Diese Art der Komplikation ist jedoch mehr durch die in Kombination durchgeführte Lymphknotendissektion als durch die Perfusion verursacht. Gravierende Komplikationen, die zum Verlust der Extremität führen sowie die Mortalitätsrate der Operation liegt um 1%.
50.3.9 Behandlung regionärer Lymphknoten-
metastasierung Eine regionäre Lymphknotenmetastasierung ist beim Melanom häufig und tritt primär oder im Verlauf bei ca. 20–25% aller Melanome auf. 70% aller Metastasierungen beim Melanom erfolgen primär in die regionären Lymphknoten. Die Definition der regionären Lymphknoten ist abhängig von der Lokalisation des Primärtumors. Die Regionen, die für verschiedene Körperlokalisationen als regionärer Lymphknotenbefall gewertet werden, sind in . Tab. 50.5 zusammengefasst. Sobald die genannten Lymphabflussregionen überschritten werden, ist die Lymphknotenmetastasierung nicht mehr als regionär einzustufen. Dies gilt im Bereich der unteren Lymphabflusswege für iliakalen, Obturatoria- und paraaortalen Lymphknotenbefall, der als Fernmetastasierung einzuord-
50
762
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
. Tab. 50.5. Definition der regionären Lymphknoten für verschiedene Körperlokalisationen
50
Lokalisation
Definition
Kopf und Hals
Ipsilaterale präaurikuläre, submandibuläre, zervikale, nuchale und supraklavikuläre Lymphknoten
Thorax
Ipsilaterale axillare Lymphknoten
Arme
Ipsilaterale epitrochleäre und axilläre Lymphknoten
Abdomen u. Gesäß
Ipsilaterale inguinale Lymphknoten
Beine
Ipsilaterale popliteale und inguinale Lymphknoten
Analgrenze und Perianalhaut
Ipsilaterale inguinale Lymphknoten
Mittellinienbereich am Stamm
Axilläre oder inguinale Lymphknoten auf beiden Seiten
nen ist. Im Bereich der oberen Abflusswege werden z. B. infraklavikuläre Manifestationen nach Überschreiten der Axilla ebenfalls als Fernmetastasierung eingeordnet. Die Therapie der Wahl bei regionärem Lymphknotenbefall ist die radikale Lymphadenektomie unter kompletter Ausräumung des betroffenen Lymphabstromgebietes (Cascinelli et al. 1984; Bowsher et al. 1986; Cascinelli et al. 1998). Je nach Lymphabflussregion sollte dabei eine Mindestzahl von Lymphknoten entfernt werden. Der Stellenwert der adjuvanten Strahlentherapie nach kurativ erfolgter Lymphknotendissektion ist bisher nicht gesichert. Es sollte jedoch bei Kriterien der ausgedehnten Lymphknotenmetastasierung wie perinoduläres Wachstum, Lymphangiosis und Kapseldurchbruch der Lymphknotenmetastasen eine Nachbestrahlung der Lymphknotenstation sowie weitere adjuvante systemische Maßnahmen diskutiert werden. Bei Nachweis einer Mikrometastasierung mittels der Wächterlymphknotenbiopsie (s. oben) wird ebenfalls eine radikale Lymphadenektomie mit kompletter Ausräumung des betroffenen Lymphabstromgebietes empfohlen.
Besonderheiten in der Halsregion Die radikale Lymphadenektomie in der Halsregion besteht in einer modifizierten Neck-Dissektion, bei der das gesamte zervikale, mediale und laterale Lymphknotenkompartiment der Halsregion ausgeräumt wird. Abhängig von der Primärtumorregion ist die präaurikuläre Gruppe mit Parotisresektion bis zum Nervus facialis bzw. die retroaurikuläre und okzipitale Gruppe mit zu entfernen. Die Vena jugularis interna und der Musculus sternocleidomastoideus können geschont werden, wenn sie nicht direkt infiltriert sind.
Besonderheiten in der Axillarregion Bei Befall der axillären Lymphknoten wird die Ausräumung der Lymphknoten von Level I, II und III empfohlen; es sollten
mindestens 10–15 Lymphknoten entfernt werden. Im Gegensatz zur axillären Lymphadenktomie beim Mammakarzinom werden auch die Dissektion der Level-III-Lymphknoten medial des Musculus pectoralis minor und eine Präparation auch oberhalb der Vena axillaris empfohlen. Um die Dissektion des Level III zu erleichtern, kann der Musculus pectoralis minor mit einem kräftigen Gummizügel angeschlungen werden. Ein Ablösen des Muskels von seinem Ursprung und anschließende Reinsertion ist in der Regel nicht notwendig.
Besonderheiten in der Leistenregion Die Lymphadenektomie der Leiste erfordert ein differenziertes Vorgehen, je nach Befallsmuster der regionären Lymphknoten. Zunächst erfolgt die Ausräumung des Trigonum femorale. Unter Schonung der Fascia scarpae wird das gesamte Lymphknotenfettpaket unter Resektion der Vena saphena magna disseziert. Der Eingriff beinhaltet die Ausräumung sowohl der vertikalen Gruppe entlang der Gefäße als auch der horizontalen Gruppe entlang des Leistenbandes. Dabei sollen mindestens 5–10 Lymphknoten erfasst werden. Bei der iliakalen Lymphadenektomie wird kranial das gesamte Fett- und Lymphgewebe über dem unteren Anteil der Externusaponeurose entfernt, medial begrenzt durch das Tuberculum pubicum und das laterale Blasenfett und lateral durch die Spina iliaca anterior superior. Nach eigenen Ergebnissen und Berichten aus der Literatur ist bei einem nachgewiesenen Befall des Trigonums in bis zu 30% mit Lymphknotenmetastasen parailiakal zu rechnen. Deshalb beschränken sich viele Operateure auf die isolierte Ausräumung des Trigonum scarpae bei okkultem Lymphknotenbefall und positiver Sentinel-node-Biopsie. Finden sich bei der Ausräumung im Trigonum weitere Metastasen, so wird radikal-iliakal disseziert. Finden wir bei der Dissektion des Trigonum scarpae nach positiver Sentinel-node-Biopsie keine weitere Metastasen, so wird die Operation bei der isolierten Trigonumausräumung belassen. Bei der iliakalen Lymphadenektomie wird unter retroperitonealem Freilegen der Iliakalgefäße die Lymphknotengruppe um die Arteria und Vena iliaca bis etwa 5 cm über den Abgang der Iliaca-interna-Gefäße hinaus disseziert. Die mediale Begrenzung ist durch das laterale Blasenfett, die laterale Begrenzung durch die Beckenschaufel vorgegeben. Ferner ist bei therapeutisch radikalem Vorgehen eine Ausräumung der Lymphknotengruppe des Foramen obturatorium unter Schonung des Nervus obturatorius vorzunehmen. Insbesondere bei dorsaler Lokalisation von Melanomen ist mit einer direkten Metastasierung über den Glutealbereich in das tiefe Beckenkompartiment zu rechnen.
Bei Indikation zur therapeutischen Leistendissektion empfehlen wir zur Abschätzung des Ausmaßes der Metastasierung oberhalb des Leistenbandes die Durchführung eines abdominellen Computertomogramms, insbesondere mit der Fragestellung der ausgedehnten Metastasierung parailiakal und interaortokaval.
763 50.4 · Indikationsstellungen in der Behandlung des viszeral metastasierten Melanoms (Stadium IV)
Besonderheiten bei Lymphknotenmetastasen bei unbekanntem Primärtumor (okkultes Melanom) Wenn Lymphknotenmetastasen eines Melanoms diagnostiziert werden, ohne dass eine weitergehende Fernmetastasierung festgestellt wird und ohne dass ein Primärtumor gefunden wird, so ist die Wertigkeit wie eine regionäre Lymphknotenmetastasierung einzuordnen. Größere Untersuchungen zur Prognose haben gezeigt, dass diese sogar etwas günstiger als bei regionärer Metastasierung nach bekanntem Primärtumor sein kann (Schlagenhauff et al. 1997). Deshalb ist in jedem Fall eine radikale Lymphadenektomie in Analogie zum regionären Lymphknotenbefall durchzuführen. Inadäquat ist es, diesen Befund als Fernmetastasierung einzuordnen, auf eine radikale chirurgische Behandlung zu verzichten und lediglich eine systemische Therapie zu verabreichen.
50.4
Indikationsstellungen in der Behandlung des viszeral metastasierten Melanoms (Stadium IV)
Im Stadium der Fernmetastasierung ist bis heute die Behandlung in der Regel palliativ; unmittelbares Ziel ist die Einleitung einer möglichst lang andauernden Remission, wenn auch eine Heilung nur selten zu erwarten ist. Kasuistisch wird über Patienten mit Überlebenszeiten von mehr als 5 Jahren nach fernmetastasierten Melanomen berichtet. Bei Patienten, die auf eine systemische Behandlung ansprechen, werden häufiger Überlebenszeiten von >2–3 Jahren beobachtet (Brand et al. 1997). Demgegenüber beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit im Stadium IV ohne Behandlung nach Diagnosestellung 6–8 Monate. Bei der Behandlung des fernmetastasierten Melanoms wird versucht, je nach Ausdehnung der Krankheit vor allem zwei Ziele zu erreichen: 4 In einer frühen Phase der Fernmetastasierung wird versucht, durch operative, radiologische und chemotherapeutische Maßnahmen das Tumorleiden zu einer Remission zu bringen und das Fortschreiten der Krankheit zeitlich aufzuhalten. 4 In einer späteren Phase der Fernmetastasierung steht die Linderung von Beschwerden im Vordergrund. Auch zu diesem Zweck können operative, radiologische und chemotherapeutische Maßnahmen zur Anwendung kommen.
dar. Bei Patienten mit singulärem Organbefall und der Möglichkeit zur vollständigen Metastasenresektion sollte diese Therapie primär Anwendung finden. Dieses ist insbesondere bei wenigen Lungenmetastasen oder Hirnmetastasen, aber auch bei operablen Lebermetastasen sowie beim Befall anderer Organe wie der Milz (Abbildung 8) der Nebenniere etc. zu berücksichtigen. Die Indikationsstellung für einen operativen Eingriff im Stadium der Fernmetastasierung setzt voraus (Göhl et al. 1996): 4 Befall nur eines Organsystems 4 Operabilität der Organlokalisation 4 Anzahl und Größe der Metastasen lassen eine vollständige Entfernung zu 4 Rezidivfreies Intervall bzw. Befundkonstanz >3 Monate An einem Organsystem können nacheinander bei erneuter Manifestation auch mehrere Operationen durchgeführt werden. Dieses ist nur dann sinnvoll, wenn ein längerer zeitlicher Abstand zwischen den Metastasenmanifestationen liegt. Bei einem Abstand von 3 Monaten oder weniger sollte eine andere therapeutische Option gewählt werden. Ein operatives Vorgehen ist nicht indiziert, wenn die Metastasierung in mehrere Organe erfolgte. Bei einer disseminierten Metastasierung kann durch operative Metastasenentfernung die Krankheitsprogredienz in der Regel nicht aufgehalten werden, selbst wenn eine vollständige Metastasenresektion an mehreren Organen möglich sein sollte. Zu diesem Ergebnis kommen alle einschlägigen Auswertungen in der Literatur (Coit 1993; Ollila u. Morton 1998; Sampson et al. 1998). Neben der Operationsindikation mit potenziell kurativer Intention gibt es auch eine palliative Operationsindikation. Diese muss im Einzelfall geprüft werden und kann zur Linderung von Beschwerden, zum Funktionserhalt etc. erwogen werden. Insbesondere bei intestinaler Manifestation in Lymphknoten des Retroperitoneums oder des Mesenteriums kann bei zunehmenden Obstruktionsbeschwerden mit Behinderung der Passage die Indikation zur Laparotomie und palliativer Resektion ohne kurativen Ansatz gegeben sein. Auch bei
50.4.1 Indikationsstellung für operative
Therapie Die operative Therapie hat beim fernmetastasierten Melanom einen begrenzten Stellenwert. Da das Melanom ein hämatogen metastasierender Tumor ist, kann in den meisten Fällen davon ausgegangen werden, dass allein durch eine operative Therapie keine Heilung erzielt wird. Dennoch sollte immer überprüft werden, ob durch operative Maßnahmen eine vollständige Resektion (R0-Option) zu erreichen ist. Bei singulärem Organbefall stellt die operative Therapie die Maßnahme mit dem größten Einfluss auf die Prognose
. Abb. 50.8. Makroskopisches Präparat bei isolierter Milzmetastasierung (multiple Melanommetastasen innerhalb des Organs
50
764
50
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
Tumorperforation oder Blutung sollte die Indikation zum operativen Vorgehen überprüft werden. Auch organüberschreitendes intraabdominelles Metastasenwachstum mit der Möglichkeit der R0-Resektion sollte unter Berücksichtigung individueller Gesichtspunkte zur Prüfung einer Operationsindikation Berücksichtigung finden. Nach eigenen Erfahrungen ist nach multiviszeraler kurativer R0-Resektion in Einzelfällen ein Langzeitüberleben über 10 Jahre möglich. Zur palliativen Operationsindikation gehört in der Regel auch die Operation von Hautmetastasen bei gleichzeitig bestehender disseminierter Metastasierung. Die Entfernung von Hautmetastasen kann auch zur Verbesserung der psychischen Befindlichkeit der Patienten erwogen werden. Hier können auch andere chirurgische Verfahren wie die Kryotherapie oder die Lasertherapie eingesetzt werden.
4 Eine palliative Bestrahlung kann zur Linderung von Beschwerden erwogen werden, wenn eine inoperable, ausgedehnte Lebermetastasierung mit Kapselspannungsschmerzen oder eine Lungenmetastasierung mit Funktionseinschränkung z. B. durch Kompression eines Bronchus etc. vorliegt. Die Dosis ist von den Strahlentherapeuten in Abhängigkeit von der Ausdehnung der Metastasierung, der Organlokalisation und der Art der Indikation zu wählen. Im Allgemeinen wird beim Melanom fraktioniert 4- bis 5-mal wöchentlich mit 2 Gy Einzeldosen bestrahlt. Vor einigen Jahren beschriebene höhere Dosierungen von Fraktionen 5–9 Gy pro Bestrahlung wurden inzwischen weitestgehend verlassen, da ein deutlich höheres Nebenwirkungsrisiko besteht (Fenig et al. 1999).
50.4.3 Indikation zur systemischen Chemo50.4.2 Indikation zur Strahlentherapie Das Melanom gilt als ein Tumor, der insgesamt eher schlecht auf eine Strahlentherapie anspricht. Neuere Berichte zeigen, dass durchaus ein Ansprechen auf Strahlentherapie des metastatischen Melanoms beobachtet wird (Fenig et al. 1999; Jenrette 1996). Eine Verbesserung der Wirkung wird bei zusätzlicher Anwendung von Hyperthermie beobachtet (Overgaard et al. 1995; Schmidt u. Johnson 1996; Overgaard et al. 1996). Eine Strahlenbehandlung ist insbesondere in folgenden Situationen indiziert: 4 Bei Knochenmetastasierung des Melanoms führt eine Strahlenbehandlung in der Regel zu einer Stabilisierung (Rate et al. 1988; Cooper 1985). 4 Eine stereotaktische Bestrahlung sollte bei einzelnen oder wenigen Hirnmetastasen in Erwägung gezogen werden. Dieses gilt insbesondere wenn der operative Zugang schwierig ist. Die Ergebnisse der stereotaktischen Bestrahlung von Hirnmetastasen sind denen der Operation weitgehend gleichwertig (Somaza et al. 1993, Gieger et al. 1997). 4 Bei inoperablen Lymphknotenmetastasen bzw. Rezidiven axillär, inguinal und iliakal kann eine Bestrahlung als Alternative zu einer Resektion erwogen werden.
oder Chemoimmuntherapie Die Indikation für eine systemische Chemotherapie oder Chemoimmuntherapie wird in folgenden Situationen gestellt (Garbe 1993): 4 Befall eines Organs, wenn eine operative vollständige Resektion nicht möglich erscheint 4 Metastasierung in mehrere Organsysteme Leider spricht nur ein Teil der Melanome auf eine zytostatische Behandlung an. Objektive Remission, d. h. eine Rückbildung der Tumormassen um mehr als 50% werden nur bei einem Teil von ca. 10–20% der Patienten nach einer Monotherapie beobachtet (. Tab. 50.6; Garbe u. Eigentler 2004). Es gibt keine Standardempfehlung für die medikamentöse Therapie des fernmetastasierten malignen Melanoms. Als Standard wird am ehesten die Monochemotherapie mit Dacarbazin angesehen. In randomisierten Studien zur Therapieoptimierung wurde als Vergleichsarm am häufigsten die Monotherapie mit Dacarbazin gewählt. Empfehlungen für die Durchführung wirksamerer medikamentöser Therapien beim malignen Melanom stützten sich in der Vergangenheit zumeist auf Phase-II-Studien, in denen mit
. Tab. 50.6. Objektive Ansprechraten des fernmetastasierten Melanoms bei Monotherapie
Medikament
Dosierung
Ansprechrate
mg/m2
Dacarbazin
250 i.v. Tag 1-5 alle 3-4 Wochen oder 800–1200 mg/m2 i.v. Tag 1 alle 3–4 Wochen
12,1–17,6% 5,3–23%
Temozolomid
150–200 mg/m2 oral Tag 1–5 alle 4 Wochen
13,5–21%
Fotemustin
100
mg/m2
mg/m2
i.v. Tag 1, 8, und 15, dann 5 Wochen Pause, Fortsetzung alle 3 Wochen
i.v. alle 14 Tage
7,4–24,2%
Vindesin
3
12–26%
Interferon-α
9–18 Mio. I.E./m2 s.c. 3-mal wöchentlich, kontinuierliche Gabe
13–25%
Interleukin-2
600.000 IU/kg als 15 min Kurzinfusion i.v. alle 8 h, Tag 1–5 (maximal 14 Einzeldosen), Wiederholungszyklus Tag 14
16–21,6%
765 50.4 · Indikationsstellungen in der Behandlung des viszeral metastasierten Melanoms (Stadium IV)
. Tab. 50.7. Objektive Ansprechraten des fernmetastasierten Melanoms bei Polychemotherapien und Chemoimmuntherapien
Schema
Dosierung
Ansprechrate
BHD-Schema
BCNU 150 mg/m2 i.v. Tag 1, nur jeden 2. Zyklus Hydroxyurea 1500 mg/m2 oral Tag 1–5 DTIC 150 mg/m2 i.v. Tag 1–5 alle 4 Wochen
12,7–30,4%
BOLD-Schema
Bleomycin 15 mg i.v. Tag 1+4 Vincristin 1 mg/m2 i.v. Tag 1+5 CCNU 80 mg/m2 p.o. Tag 1 DTIC 200 mg/m2 i.v. Tag 1–5 alle 4–6 Wochen
22–40%
DVP-Schema
DTIC 250 mg/m2 i.v. Tag 1–5 Vindesin 3 mg/m2 i.v. Tag 1 Cisplatin 100 mg/m2 i.v. Tag 1 alle 3–4 Wochen
31,4–45%
DVP-Schema
DTIC 450 mg/m2 i.v. Tag 1+8 Vindesin 3 mg/m2 i.v. Tag 1+8 Cisplatin 50 mg/m2 i.v. Tag 1+8 alle 3–4 Wochen
24%
CarboTax-Schema
Carboplatin AUC6 i.v. Tag 1, nach 4 Zyklen Dosisreduktion AUC4 Paclitaxel 225 mg/m2 i.v. Tag 1 alle 3 Wochen
12,1% (»second line»)
GemTreo-Schema
Gemcitabin 1000 mg/m2 i.v. Tag 1+8 Treosulfan 3500 mg/m2 i.v. Tag 1+8 alle 4 Wochen
33,3% (partielle Remission + »stable disease«, Uvea-Melanom)
Polychemotherapien oder mit kombinierter Biochemotherapie höhere Remissionsraten erzielt wurden. So wurden mit Polychemotherapie-Schemata wie BOLD oder DVP Remissionsraten von 30–35% berichtet und mit Biochemotherapien mit Chemotherapeutika in Kombination mit Interferon-α und/oder Interleukin-2 Remissionsraten von bis zu 50%. Eine Übersicht ist in . Tab. 50.7 enthalten (Garbe u. Eigentler 2004). Inzwischen liegen mehr als 40 größere randomisierte prospektive Studien vor (Eigentler et al. 2003), in denen verschiedene Therapieschemata verglichen wurden. Empfehlungen zur medikamentösen Therapie des malignen Melanoms sollten sich daher auf diese randomisierten Phase-III-Studien stützen. Zunächst wurden Polychemotherapieschemata mit einer Behandlung mit DTIC allein verglichen. Hierbei konnte unter Polychemotherapie eine Tendenz zu höheren Remissionsraten gezeigt werden (in keiner einzigen Studie signifikant, aber in der Metaanalyse klar erkennbar). Es konnte aber keine Verbesserung der Überlebenszeiten durch die Polychemotherapie bewirkt werden. Weiterhin wurde versucht, die Wirkung der Monochemotherapie durch die Zugabe von Tamoxifen oder unspezifischen Immunostimulanzien zu verbessern. Auch in diesen Untersuchungen zeigte sich weder eine Verbesserung der Remissionsraten noch der Überlebenszeiten, mit Ausnahme einer initialen Studie von Cocconi et al. (1992), deren Ergebnisse in späteren Studien nicht bestätigt wurden. Die Zugabe von Interferon-α zu DTIC führte zu etwas höheren Remissionsraten, ohne dass dadurch das Überleben verlängert wurde (Falcson et al. 1998). Für diese Studien liegt eine Metaanalyse vor (Lens u. Dawes 2002). Diese zeigt eine signifikante Erhöhung der Remissionsrate, aber keine Verlängerung der Überlebenszeit.
Von verschiedenen Autoren wurden größere Hoffnungen auf die sog. Biochemotherapie gesetzt, in der Interferon-α und Interleukin-2 mit einer Polychemotherapie kombiniert werden (Eton et al. 2002; Legha et al. 1998). Hier wurden ursprünglich Ansprechraten von bis zu 60% berichtet. Verschiedene größere prospektiv randomisierte Studien konnten aber im Vergleich der Biochemotherapie mit der Polychemotherapie weder einen signifikanten Anstieg der Remissionsraten zeigen noch ein signifikant verlängertes Überleben (Atzpodien et al. 2002; Ridolfi et al. 2002). Auch eine große PhaseIII-Studie zeigte keine Überlegenheit einer Biochemotherapie mit Dacarbazin, Vincristin, Cisplatin, Interleukin-2 und Interferon-α gegenüber der Behandlung mit Dacarbazin, Vincristin und Cisplatin allein (Atkins et al. 2008). Vor dem Hintergrund des derzeitigen Kenntnisstandes ergeben sich somit folgende Überlegungen für die Auswahl des medikamentösen Therapieschemas für das maligne Melanom: 4 Da durch komplexe und toxische Therapieschemata ein Überlebensvorteil bisher nicht erzielt wurde, sollte die Erstlinien-Behandlung mit einer Monochemotherapie durchgeführt werden. Neben DTIC kommen hierfür hauptsächlich Temozolomid (orale Applikation), und Fotemustin (Liquorgängigkeit) in Frage. 4 Bei einem ausgedehnteren Tumorbefall ist ein Ansprechen auf eine Monochemotherapie gering. In solchen Fällen und/oder bei durch Metastasen verursachten Symptomen (z. B. Schmerzen, Bewegungseinschränkungen) kann es indiziert sein, primär eine Polychemotherapie durchzuführen (z. B. Carbotax oder DVP-Schema). 4 Es ist bisher ungeklärt, ob eine Zweitlinien-Therapie mit einem Polychemotherapie-Schema für den Patienten
50
766
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
einen Vorteil bringt. Zeigt sich eine Resistenz des Tumors unter der Monochemotherapie, so ist die Chance eines Ansprechens unter einer Zweitlinien-Polychemotherapie wahrscheinlich nicht größer als 5%, aber es kann bei ca. 20–30% der Patienten eine Stabilisierung des Krankheitsverlaufs erreicht werden.
50
Bei Anwendung einer systemischen Therapie muss die Wirksamkeit der Behandlung anhand des Ansprechens des Patienten beurteilt werden. Dabei werden heute folgende Remissionskritierien verwendet (nach »response evaluation criteria in solid tumor«, RECIST) (Therasse et al. 2000): 4 Komplette Remission (CR): Vollständige Rückbildung aller messbaren bzw. nicht messbaren, aber evaluablen Tumorbefunde dokumentiert durch zwei mindestens 4 Wochen auseinander liegende Kontrolluntersuchungen 4 Partielle Remission (PR): Größenabnahme der Summe der größten Tumordurchmesser aller messbaren Tumorbefunde um 30% für mindestens 4Wochen, ohne Neuauftreten von Tumormanifestationen und ohne Progression irgendeines Tumorbefundes 4 Stabile Erkrankung (»no change«, NC): Keine Größenänderung der Tumorparameter für mindestens 4 Wochen, oder Tumorreduktion um weniger als 30% oder Größenzunahme um ≤20% 4 Krankheitsprogression (»progressive disease«, PD): Auftreten neuer Tumorläsionen oder mehr als 20%-ige Größenzunahme der Tumordimensionen in einem oder mehreren Herden Die Indikationsstellung für die Fortsetzung einer Chemooder Chemoimmuntherapie ist von der Beurteilung des Ansprechens abhängig. Zu diesem Zweck wird in Abständen von 2–3 Monaten eine Ausbreitungsdiagnostik durchgeführt. Folgende Entscheidungsgrundlagen sollten berücksichtigt werden: 4 Bei Krankheitsprogression sollte eine Chemo- oder Chemoimmuntherapie in der Regel nicht mehr fortgesetzt werden. In diesem Falle sollte überlegt werden, ob eine »Second-line«-Behandlung aufgenommen wird. 4 Bei Eintreten einer kompletten Remission wird die Behandlung für 2–3 weitere Zyklen fortgesetzt und dann abgebrochen. Bei Auftreten neuer Tumormanifestationen kann dieselbe Behandlung wieder aufgenommen werden. 4 Bei partieller Remission und stabiler Erkrankung wird die Behandlung weiter fortgesetzt, bis eine komplette Remission auftritt oder bis eine Krankheitsprogression sichtbar wird.
50.5
Behandlung von Patienten mit verschiedenen Metastasenlokalisationen
Insbesondere bei singulärer Organmetastasierung können initial zumeist verschiedene therapeutische Strategien erwogen werden. Es stellt sich dabei die Frage, ob primär operativ vorgegangen werden soll und ob eine Strahlentherapie mit
herangezogen werden soll. Die Entscheidung dieser Fragen hängt von der Organlokalisation und auch von der Ausdehnung der Metastasierung ab. Die therapeutischen Optionen unterscheiden sich für verschiedene Organlokalisationen. Dazu sollen im folgenden Hinweise gegeben werden. Grundsätzlich sind dabei die bereits aufgeführten Indikationen für operative Therapien, Strahlentherapien und den Einsatz systemischer Therapien zu beachten.
50.5.1 Lungenmetastasen Lungenmetastasen stellen die häufigste Organlokalisation für die Erstmanifestation einer Fernmetastasierung dar. Bei isolierter Lungenmetastasierung ist zunächst zu prüfen, ob eine operative Entfernung der Lungenmetastasen möglich ist (Ollila u. Morton 1998; Wong et al. 1988; Thayer u. Overholt 1985; Karp et al. 1990; Tafra et al. 1995). Es können auch mehrere Lungenmetastasen in verschiedenen Lungensegmenten entfernt werden, insbesondere wenn ein transsternaler Zugang gewählt wird. Bei Vorliegen von bis zu 5 Lungenmetastasen sollte bei dem Patienten primär die Indikation zur Operation geprüft werden. Auch wiederholte Operationen bei neuer Manifestation der Lungenmetastasen können bei manchen Patienten zu einer deutlichen Verlängerung der Überlebenszeit führen. Erneute Operationen sind nicht indiziert, wenn 4 das erneute Wachstum von Lungenmetastasen schnell erfolgt (innerhalb von 3 Monaten oder kürzer), 4 sich Metastasen in anderen Organlokalisationen gebildet haben. Wenn ein operatives Vorgehen nicht indiziert ist, sollte eine systemische Therapie durchgeführt werden. Die Ansprechraten von Lungenmetastasen sind dabei ähnlich günstig wie die von Weichteilmetastasen und unter allen Organlokalisationen am höchsten.
50.5.2 Lebermetastasierung Ist die Leber als einziges Organ befallen, so sollte geprüft werden, ob die vollständige operative Entfernung der Metastasierung möglich ist. Dies geschieht in der Regel durch Leberteilresektion (Papachristou u. Fortner 1983, Stoelben et al. 1995; Vauthey et al. 1994). Besteht kein kurativer chirurgischer Ansatz, kommen lokale Behandlungsverfahren wie Kryotherapie, lokale Chemotherapie oder Chemoembolisation oder Instillations- bzw. interstitielle Koagulationsverfahren in Frage (Cantore et al. 1994; Leyvraz et al. 1997).
Die Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur lokalen Therapie ist bei Lebermetastasierung umso wichtiger, als das Ansprechen von Lebermetastasierung auf systemische Therapien deutlich geringer als z. B. bei Lungen- oder Weichteilmetastasierung ist.
767 50.5 · Behandlung von Patienten mit verschiedenen Metastasenlokalisationen
Mögliche weitere lokale Therapieverfahren, die noch im experimentellen Stadium sind, stellen die Radiohochfrequenztherapie und die intraläsionale Therapie mit Neodym-YAG-Laser dar. Beide Verfahren werden nur an einzelnen Zentren durchgeführt und erfordern eine perkutane Punktion der Metastasen. Die Indikation wird bei bis zu 5 Metastasen mit nicht mehr als 3 cm im Durchmesser gestellt. Eine primäre Indikation zur Strahlentherapie bei Lebermetastasen gibt es nicht. Bei ausgedehnter Metastasierung, die zur Leberkapselspannung führt, kann eine Bestrahlung zur Linderung des Kapselspannungschmerzes vorgenommen werden. Diese wird als perkutane Therapie bzw. Brachytherapie durchgeführt.
behandelten Fälle einen Therapieerfolg im Sinne einer Remission. Neuerdings wurde anhand von Chemosensitivitätstestungen an Tumormaterial eine relativ hohe Chemosensitivität von Uvea-Melanomzellen für die Zytostatikakombination Treosulfan und Gemcitabin festgestellt (. Tab. 50.8). Ergebnisse der klinischen Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven stehen noch aus.
50.5.4 Hautfernmetastasen in kutaner/
subkutaner Lokalisation Bei isoliertem Befall des Hautorgans sollte, wenn möglich, eine lokale Exzision in kurativer Intention angestrebt werden.
50.5.3 Lebermetastasierung und andere
Organmetastasierung bei primär okulären Melanomen Bei okulären Melanomen gibt es keine lymphogene Metastasierung und im Falle einer Tumorabsiedelung tritt primär Fernmetastasierung auf, davon in 2/3 aller Fälle primär in die Leber (Pyrhonen 1998). Der Krankheitsverlauf gleicht dann dem Verlauf bei Lebermetastasierung primär kutaner Melanome und die medianen Überlebenszeiten werden mit 6–8 Monaten angegeben. Prognostische Faktoren sind das Serumbilirubin, die Serum-Laktatdehydrogenase und die alkalische Serum-Phosphatase, deren Erhöhung auf eine schnelle Krankheitsprogression hinweist. Eine Analyse von mehr als 200 Krankheitsverläufen von Lebermetastasierung bei primär okulären Melanomen aus dem M.D. Anderson Cancer Center in Houston, Texas zeigte, dass bei systemischen Chemotherapien weniger als 1% der Patienten ansprechen. Die Chemoembolisation erwies sich als das wirksamste Therapieverfahren mit einer Ansprechrate von 36%. Intraarterielle Chemotherapie allein oder Embolisation allein führten zu Ansprechraten in Größenordnungen von 10–15% (Bedikian et al. 1995). Die intraarterielle intrahepatische Chemotherapie mit Fotemustin bewirkte in bis zu 40% aller Fälle eine zumeist temporäre partielle, in deutlich weniger Fällen auch eine komplette Remission der Lebermetastasen (Leyvraz et al. 1997). Eventuell kann das Verfahren mit einer Chemoembolisation verbunden werden. Die systemische Zytostatikatherapie bei Lebermetastasen eines Aderhautmelanoms zeigt in weniger als 5% aller
Dabei wird eine Exzision im Gesunden angestrebt, ohne dass ein Sicherheitsabstand eingehalten werden soll. Bei ausgedehnterem Befall sollten andere chirurgische Verfahren zur Anwendung gebracht werden, dazu gehören die Kryotherapie und CO2- sowie die Neodym-YAG-Laserbehandlung (Hill u. Thomas 1993). Beide Verfahren sollten nach Möglichkeit durchgeführt werden, solange die Läsionen noch klein sind. Die Neodym-YAG-Laserbehandlung hat dabei den Vorteil, dass die Dosis so appliziert werden kann, dass die Metastasen erfasst, aber das umliegende Gewebe weitestgehend geschont wird. Beide thermische Verfahren führen zu Nekrosebildungen, die anschließend über Wochen nach außen ausgeschleust werden und dann narbig verheilen. Hautmetastasen wie auch andere Weichteilmetastasen sprechen vergleichsweise gut auf systemische Chemo- und Chemoimmuntherapien an. Diese sollten bei disseminierter Metastasierung in der Regel eingesetzt werden. Bei Hautmetastasen hat es sich bewährt, dass die größeren gleichzeitig chirurgisch entfernt werden. In jedem Fall muss darauf geachtet werden, dass die entsprechenden Behandlungsmaßnahmen frühzeitig zur Anwendung kommen. Hautmetastasen stellen für die Patienten eine erhebliche Belastung dar und die Indikation zur Anwendung chirurgischer Verfahren einschließlich der Laser- und Kryotherapie sollte großzügig gestellt werden. Eine weitere Möglichkeit der Behandlung besteht in der intraläsionalen Applikation von Interleukin-2 (Radny et al. 2003; Gutwald et al. 1994).
. Tab. 50.8. Medikamentöse Therapie des fortgeschrittenen Uveamelanoms
Medikamente
Dosierung
Ansprechrate mg/m2
Fotemustin (Egerer et al. 2001)
Induktionszyklus 100 intraarteriell über 4 h (A. hepatica) wöchentlich über 4 Wochen, anschließend 5 Wochen Pause, dann Fortführung der Therapie in 3-wöchtenlichen Abständen
28,6%
Treosulfan/Gemcitabin (Pföhler et al. 2003)
Treosulfan 5 g/m2 i.v. Tag 1 Gemcitabin 1 g/m2 i.v. Tag 1 Wiederholung alle 3–4 Wochen
28,6%
50
768
Kapitel 50 · Malignes Melanom des Viszerum (Primärtumor und Metastasen)
50.5.5 Lymphknotenfernmetastasierung
50
Bei singulärer Lymphknotenfernmetastasierung in eine oder wenige Lymphknotenregionen ist bei Vorliegen einer R0-Option eine Lymphknotendissektion indiziert. Im Falle einer R1- oder R2-Resektion sollte eine Strahlentherapie in kurativer Intention durchgeführt werden. Tritt die Lymphknotenmetastasierung im Zusammenhang mit weiterer Organmetastasierung auf, so kann auch eine primäre Strahlentherapie in Ergänzung zu einer systemischen Therapie erwogen werden. Die Indikation zur palliativen Lymphknotendissektion ohne kurativen Ansatz ist vor allem dann zu stellen, wenn es sich um ausgedehnte oberflächliche Lymphknotenmetastasen handelt mit entzündlicher Begleitkomponente, insbesondere mit der Gefahr der Exulzeration und Verjauchung. Bei paraaortaler, parakavaler, retroperitonealer und mediastinaler Lymphknotenmetastasierung sollte in der Regel von einer Operation Abstand genommen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine vollständige Resektion gelingt, ist hier gering. Eine Radiatio sollte nur in palliativer Intention erwogen werden. Die primäre Therapie ist in diesem Fall eine systemische Chemo- oder Chemoimmuntherapie.
50.5.6 Knochenfernmetastasen Für die Therapieentscheidung bei Knochenfernmetastasen sind 2 Kriterien heranzuziehen: 4 Schmerzsymptomatik 4 Frakturgefährdung Besteht eine Frakturgefährdung oder ist eine pathologische Fraktur eingetreten, sollte geprüft werden, ob mit operativen bzw. prothetischen Maßnahmen eine Stabilisierung erreicht werden kann.
Wenn Knochenmetastasen eine Schmerzsymptomatik auslösen, aber keine Frakturgefährdung besteht, sollte in jedem Fall eine Radiatio durchgeführt werden.
Eine operative Therapie ist in diesem Fall nicht indiziert. Bei symptomlosen Knochenmetastasen ohne Frakturgefährdung kann zunächst eine systemische Chemo- oder Chemoimmuntherapie angewandt werden.
50.5.7 ZNS-Fernmetastasen Solange eine begrenzte Zahl von 1–3 ZNS-Metastasen vorliegen, sollte die Möglichkeit einer neuro- oder radiochirurgischen Intervention geprüft werden (Hurst et al. 1999; Brega et al. 1990; Ewend et al. 1996). Mittels Radiochirurgie (stereotaktische Bestrahlung) sowie nach vollständiger Resektion von ZNS-Metastasen können längere krankheitsfreie Zeitperioden resultieren. Nach bisher vorliegenden Erfahrungen ist die stereotaktische Bestrahlung der chirurgischen Exzision
weitgehend gleichwertig. Die stereotaktische Bestrahlung ist vorzuziehen, wenn der chirurgische Zugang schwierig ist (Grob et al. 1998; Seung et al. 1998). Zumeist wird nach chirurgischer Exzision oder stereotaktischer Bestrahlung zusätzlich eine Ganzhirnbestrahlung empfohlen. Der Wert dieser Maßnahme ist beim Melanom bisher nur durch historische Studienergebnisse belegt (Hagen et al. 1990; Skibber et al. 1996). Wegen fehlender randomisierter kontrollierter Studien ist der therapeutische Vorteil bisher nicht gesichert. Bei Auftreten multipler (>3) ZNS-Metastasen sollte in erster Linie eine Chemotherapie mit liquorgängigen Substanzen (insbesondere Fotemustin, alternativ Temozolomid) versucht werden. Bei Auftreten neurologischer Symptome sollte Dexamethason in Tagesdosen zwischen 12 und 20 mg eingesetzt werden. Dieses bewirkt eine Ausschwemmung von Ödemen, eine Senkung des Hirndrucks und führt häufig zur Reversion neurologischer Symptome. Auch bei Vorliegen einer disseminierten ZNS-Metastasierung wird häufig eine Ganzhirnradiatio empfohlen. Dabei werden 30–35 Gy in Einzeldosen von 2,5–3 Gy verabreicht. Diese Behandlung sollte zum Einsatz kommen, wenn die Metastasierung unter der Chemotherapie progredient ist. Diese Therapie ist palliativ, es ist nicht gesichert, ob damit eine Lebensverlängerung verbunden ist.
50.5.8 Meningiosis melanomatosa Wenn es zur meningealen Aussaat von Melanommetastasen kommt, ist die Prognose sehr ungünstig und die Überlebenszeit bemisst sich nach Wochen. Wirksame Therapien sind hier nicht bekannt. Die intrathekale Applikation von Chemotherapeutika oder Zytokinen hat sich beim Melanom bisher nicht als wirksam erwiesen. Auch eine systemische Therapie mit liquorgängigen Substanzen führte bisher nicht zum Erfolg. Kasuistische Berichte über Wirkungen intrathekaler Behandlungen mit Interleukin-2 bedürfen weiterer Überprüfung (Samlowski et al. 1993; Fathallah et al. 1996). Alle diese Behandlungsmaßnahmen sind daher bestenfalls als experimentell anzusehen. Als symptomatische Behandlung sollte Dexamethason in Dosierung zwischen 12 und 20 mg verabreicht werden.
50.5.9 Metastatischer Befall von Körperhöhlen Intraperitoneale und intrapleurale Metastasierungen sind mit einer sehr ungünstigen Prognose verbunden; die Überlebenszeiten bemessen sich nach Wochen. Ein Ansprechen auf systemische Chemo- oder Chemoimmuntherapie erfolgt in der Regel nicht mehr. Operative Maßnahmen sind nur in Notfallindikationen zu erwägen, z. B. bei einem Ileus. Die Therapie bleibt deswegen symptombezogen. Bei intraperitonealer Metastasierung steht die Schmerztherapie im Vordergrund. Hier sollten in der Regel Morphin oder Morphinderivate in Kombination mit peripher wirksamen Schmerzmitteln eingesetzt werden.
769 Literatur
Bei intrapleuraler Metastasierung sollten größere Ergüsse durch Punktion entlastet werden und eine Thoraxdrainage angelegt werden. Es sollte geprüft werden, ob eine Pleurodese z. B. durch Instillation von Tetrazyklin oder von Zytostatika durchgeführt werden kann (Torsten et al. 1992; Aitini et al. 1994; Keller 1993; Clementsen et al. 1998).
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51 51
Weichgewebssarkome C. Kettelhack, S. Burock, P.M. Schlag
51.1
Grundlagen
51.1.1 51.1.2 51.1.3 51.1.4 51.1.5
Epidemiologie – 774 Prädisponierende Faktoren – 774 Klassifikation – 774 Stadieneinteilung – 776 Prognostische Faktoren – 777
51.2
Klinische Symptomatologie
51.3
Diagnostik
51.4
Diagnosesicherung
51.5
Prinzipien der chirurgischen Therapie
51.5.1 51.5.2 51.5.3 51.5.4 51.5.5
Definition der Eingriffe – 783 Planung der chirurgischen Therapie – 784 Defektdeckung und rekonstruktive Maßnahmen Gefäß- und Nervenresektion – 784 Indikation zur Amputation – 784
51.6
Komponenten multimodaler Therapien
51.6.1 51.6.2 51.6.3 51.6.4 51.6.5
Strahlentherapie – 785 Chemotherapie – 787 Regionale Hyperthermie – 787 Isolierte Extremitätenperfusion – 788 Intraarterielle Chemotherapie und Bestrahlung
51.7
Lokalisationsadaptierte Therapieentscheidung
51.7.1 51.7.2
Tumoren der Extremitäten und des Stammes – 788 Retroperitoneale und viszerale Sarkome, GIST – 789
51.8
Metastasierte Sarkome
51.8.1 51.8.2 51.8.3
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen – 793 Palliative Chemotherapie – 793 Behandlung des Primärtumors im metastasierten Stadium
51.9
Postoperative Behandlung Literatur
– 774
– 778
– 779
– 795
– 780 – 783
– 784
– 785
– 788
– 788
– 793
– 794
– 794
774
51
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
> Weichgewebssarkome gliedern sich in eine Vielzahl histologischer Typen und Subtypen. Für die Prognose entscheidend sind v. a. Tumorgröße und -grading. Bei der Inzisionsbiopsie ist auf eine korrekte Schnittführung und eine ausreichende Gewebeentnahme zu achten. Das Ziel der operativen Therapie ist eine R0-Resektion bei größtmöglicher Funktionserhaltung. Ist dies primär nicht sicher möglich, besteht die Indikation zu einer neoadjuvanten Therapie. Durch eine Amputation kann die Prognose nicht verbessert werden. Bei inkompletter Resektion sind die Möglichkeiten der intraoperativen Radiotherapie oder der Brachytherapie zu prüfen. Die Indikation zur adjuvanten Strahlentherapie besteht bei extrakompartmentalen G2/G3-Tumoren auch nach R0-Resektion. Auch bei der adjuvanten, neoadjuvanten sowie der palliativen Chemotherapie ist inzwischen eine kritische Neubewertung ihrer Indikationen erfolgt. Die medikamentöse Therapie erfolgt zunehmend differenzierter entsprechend dem histopathologischen Subtyp. Die häufigste Metastasenlokalisation ist die Lunge, bei isolierten und singulären Metastasen ist die Resektion anzustreben.
51.1
Grundlagen
51.1.1 Epidemiologie Weichgewebssarkome im Erwachsenenalter sind seltene Tumoren mit einer Inzidenz von etwa 3–4/100.000 pro Jahr (Zahm u. Fraumeni 1997). Sie machen etwa 1% aller malignen Tumoren aus. Während für Deutschland keine exakten Inzidenzangaben aus neuerer Zeit vorliegen, gibt es für die USA Hinweise, dass auch ohne Berücksichtigung der Aids-bedingten Zunahme der Kaposi-Sarkome die Gesamtinzidenz in den letzten Jahrzehnten leicht zugenommen hat (Zahm u. Fraumeni 1997). Eine Ursache für diese Trendentwicklung konnte bisher nicht gefunden werden.
51.1.2 Prädisponierende Faktoren
Genetische Faktoren Beim Li-Fraumeni-Syndrom handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte Mutation des Tumorsuppressorgens p53 auf dem Chromosom 17p13. Die Patienten entwickeln neben Weichgewebssarkomen auch andere Tumoren wie Mammakarzinome, Osteosarkome, Hirntumoren oder Leukämien. Weitere Beispiele für genetische Ursachen von Sarkomen sind die Deletion des rb-Tumorsuppressorgens beim hereditären Retinobastom (Chromosom 13) und die Mutation des nf-1-Gens (Chromosom 17) beim M. Recklinghausen (Neurofibromatose Typ I) mit der bekannten Entwicklung multipler Neurofibrome, aus denen maligne Schwannome entstehen können. Weitere syndromassoziierte Weichteilsarkome finden sich beim Gardner-Syndrom (einer Variante der familiären adenomatösen Polyposis), beim Gorlin-Syndrom (Basallzellnävussyndrom) sowie beim Werner-Syndrom (Progerie Typ II).
Bei gehäuftem Auftreten eines Weichteilsarkoms in der Familie oder bei auffällig jungem Alter der Betroffenen ist eine genetische Beratung dringend anzuraten.
Strahleninduzierte Sarkome Patienten, die wegen einer anderen Erkrankung bestrahlt wurden, haben ein 8- bis 50-fach erhöhtes Risiko, an einem Sarkom zu erkranken. Die Latenzzeit beträgt im Mittel 8–10 Jahre. Die häufigsten histologischen Typen sind Fibrosarkome und maligne fibröse Histiozytome. Einen Sonderfall stellen die durch das bis Mitte der 1950er-Jahre eingesetzte Kontrastmittel Thorotrast induzierte Angiosarkome der Leber dar.
Chemikalien Eine chemische Induktion von Sarkomen ist tierexperimentell nachgewiesen. Die Häufung maligner Tumoren, u. a. auch Sarkome nach chronischer Exposition mit Polyvinylchlorid hat zur weitgehenden Elimination dieser Substanzklasse geführt. Der Zusammenhang zwischen Sarkomen und PhenoxyHerbiziden, Chlorophenolen sowie vor allem Dioxon (2,3,7,8tetradichlorodibenzo-para-dioxin) ist wiederholt beschrieben worden. Die bekanntesten Daten beziehen sich auf Beobachtungen nach der Seveso-Katastrophe 1976 mit einer 3fach erhöhten Sarkominzidenz im von der Verseuchung betroffenen Gebiet. Ein Problem bei Expositionsstudien beruflich exponierter Personen ist die z. T. sehr lange Latenzzeit von 10–20 Jahren bis zum Auftreten der Tumorerkrankung, da genaue Expositionsanalysen nach einer solchen Zeit kaum noch verlässlich möglich sind. Dies trifft z. B. für ehemalige Soldaten aus dem Vietnamkrieg zu, die mit dem chemischen Entlaubungsmittel Agent Orange in Kontakt kamen.
Viren Die Häufung von Kaposi-Sarkomen bei HIV-infizierten Patienten legt eine virale Genese dieser Tumoren nahe. Die wahrscheinlichste Ursache liegt in einer Infektion mit dem Herpes-Virus-8.
Narben, mechanische Irritation Es gibt immer wieder einzelne Patienten mit Sarkomen in Narben oder auch nach osteosynthetischer Versorgung von Frakturen. Ein eindeutiger ätiologischer Zusammenhang ließ sich jedoch bisher in keiner Studie belegen. In diese Gruppe einzuordnen ist auch die Entstehung des Lymphangiosarkoms auf dem Boden einer chronischen Lymphabflussstauung (Stewart-Treves-Syndrom), wobei vor allem die rezidivierenden chronisch-entzündliche Vorgänge eine wichtige Rolle spielen dürften.
51.1.3 Klassifikation Die Einteilung der Weichgewebssarkome wurde 2002 von der UICC letztmalig aktualisiert. Derzeit wird nomenklatorisch die Differenzierung des Tumorgewebes und letztendlich die
775 51.1 · Grundlagen
Ähnlichkeit zum Normalgewebe zugrunde gelegt, während früher eine histogenetische Einteilung stattfand (. Tab. 51.1; Salzer-Kuntschick 1993; Katenkamp 2000; Fletcher et al. 2002). Der Begriff der »fibrohistiozystischen Tumoren« wird durch den Begriff der »undifferenzierten pleomorphen Sarkome« ersetzt, da keiner der entsprechenden Tumoren eine echte histiozystische Differenzierung aufweist. Das »Hämangioperizytom« ist in die Gruppe der solitären fibrösen Tumoren (SFT)
. Tab. 51.1. Klassifikation der Weichgewebssarkome und der Subtypena
eingegliedert worden da die Tumorzellen als fibroblastäre Zellen aufgefasst werden (Gengler et al. 2006). Aus der Einteilung der Weichgewebssarkome herausgenommen wurden die Neubildungen, die eine Nervenscheidendifferenzierung aufweisen wie die peripheren Nervenscheidentumoren. Neben den malignen Tumoren sind solche Neubildungen bekannt, die sich zwar meist gutartig verhalten, aber in einigen seltenen Fällen metastasieren können. Sie werden als intermediär maligne Tumore erfasst. Ebenfalls zu den intermediär malignen Tumoren gehören jene Neubildungen, die lokal aggressiv wachsen ohne allerdings Metastasen auszubilden wie z. B. die superfizialen und tiefen Fibromatosen. Zusätzliche immunhistochemische Untersuchungen dienen vor allem der Bestätigung der diagnostischen Einteilung und der Entscheidung bei morphologisch nicht eindeutigem Befund. Eine bessere Klassifizierung erlaubt die elektronenmikroskopische Untersuchung und zunehmend auch die molekulargenetische Analyse. Möglicherweise werden zukünftig molekulare Analysen (Gensignaturen) die histopathologische Diagnostik ergänzen bzw. spezifizieren (Nielson et al. 2003).
Histologischer Typ
Subtypen
Alveoläres Weichteilsarkom
–
Angiosarkom a
Angiosarkom Lymphangiosarkom
Epitheloides Sarkom
–
Extraskelettales Chondrosarkom
–
Wichtige immunohistochemische Marker
Extraskelettales Osteosarkom
–
Extraskelettales Ewing-Sakrom, PNET
–
Fibrosarkom
–
Leimyosarkom
Leiomyosarkom Epitheloides Leiomyosarkom
Liposarkom
Lipomartig Myxoid Rundzellig Pleomorph Dedifferenziert
Undifferenziertes pleomorphes Sarkom (früher: Malignes fibröses Histiozytom)
Pleomorph
Solitäre fibröse Tumoren (SFT, früher Malignes Hämangioperizytom)
–
Malignes Mesenchymom
–
Rhabdomyosarkom
Embryonal Botyroides Alveolär Pleomorphes
Synovialsarkom
Monophasisch Biphasisch
Es gibt keinen einzelnen immunhistochemischen Marker, der eine sichere Zuordnung zu einer definierten Tumorgruppe erlaubt. Einige Marker, insbesondere solche aus der Gruppe der Intermediärfilamente, sind jedoch häufig positiv bzw. zeigen ein charakteristisches Färbemuster (Hibshoosh u. Lattes 1997): 4 Vimentin kommt häufig in mesenchymalen Tumoren vor. Da jedoch auch ein erheblicher Anteil epithelialer Tumoren diesen Marker exprimiert, hat dieses Antigen nur eingeschränkte Aussagekraft. 4 Desmin ist ein Bestandteil des Zytoskeletts myogener Zellen. Die stärkste Desminexpression findet sich in Rhabsomyosarkomen und in gut differenzierten Leiomyosarkomen. Drüber hinaus ist dieser Marker auch in epitheloiden Sarkomen nachweisbar und MFH-positiv. 4 Zytokeratin gilt als Marker epithelialer Zellen, lässt sich regelmäßig aber auch in einigen Sarkomtypen nachweisen wie z. B. in synovialen und epitheloiden Sarkomen sowie in Mesotheliomen. 4 Actin ist in fast allen Rhabdomyosarkomen nachweisbar. Dieser Marker kann gelegentlich der einzige Anhalt für die myogene Differenzierung eines Sarkoms sein. 4 S100-Protein findet sich in Zellen neurogener Differenzierung, aber auch in anderen Geweben, z. B. in Melanozyten oder Chondrozyten. Die malignen peripheren Nervenscheidentumoren (MPNST) sind zu ca. 50% positiv für diesen Marker, wenn auch häufig nur fokal.
Nicht näher klassifiziertes Sarkom
–
a
In der neuen TNM-Klassifikation werden Angiosarkome wegen des unsicheren Charakters dieser Tumoren nicht mehr einbezogen. Ebenfalls nicht zu den Sarkomen gerechnet werden Desmoide, das Dermatofibrosarkoma protuberans, maligne Nervenscheidentumoren und das KaposiSarkom
Ein entscheidendes diagnostisches Kriterium für gastrointestinale Stromatumoren (GIST) ist neben morphologischen Kriterien die immunhistochemische Anfärbung mit CD 117 (Joensuu et al. 2002).
Molekulargenetische Befunde In den letzten Jahren sind immer mehr Daten über genetische Translokationen bei Sarkomen gewonnen wurden
51
776
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
. Tab. 51.2. Molekulargenetische Befunde bei Weichgewebssarkomen
51
Histologischer Tumortyp
Translokation
Häufigkeit(%)
Ewing-Sarkom/PNET
t(11;22)(q24,q12) t(21;22)(q22;q12) t(1,16)(q11-25;q11-24) t(7;22)(p22,q12) t(2;22)(q33;q12) t(17;22)(q12;q12)
85 5–10 11
Klarzellsarkom
t(12;22)(q13;q12)
>65
Extraskelettales myxoides Chondrosarkom
t(9;22)(q22;q12) t(9;17)(q22,q11)
75
Myxoides und rundzelliges Liposarkom
t(12;16)(q13;p11) t(12;22)(q13;q11-12)
75
Synoviales Sarkom
t(X;18)(p11.2;q11.2)
> 90
Alveoläres Rhabdomyosarkom
t(2;13)(q35;q14) t(1;13)(p36;q14)
68 14
(. Tab. 51.2; Hibshoosh u. Lattes 1997; Helman u. Meltzer 2003). Dadurch ist bei einigen Tumorentitäten eine fast sichere Zuordnung möglich geworden. Darüber hinaus konnten Zusammenhänge zwischen einzelnen Tumorentitäten aufgezeigt werden, was eine gemeinsame Zuordnung oder Abgrenzung erlaubt. (Eine noch weitergehende Klassifikation erlaubt möglicherweise in Zukunft die systematische Expressionsanalyse von mehreren tausend Genen in den Tumoren.) Zwei Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass es einige Tumorentitäten wie z. B. Synovialsarkome, GIST und manche Liposarkome gibt, bei denen eine sehr konstante Gruppierung der exprimierten Gene vorliegt (Segal et al. 2003a; Nielsen et al. 2002). Andere Tumoren wie die Gruppe der MFH oder die pleomorphen Liposarkome weisen dagegen eine wesentlich stärkere Heterogenität auf. Neben einer reinen Zuordnung dieser Tumoren können hierdurch evtl. auch molekulare Ziele für neue Therapien definiert werden, wie dies z. B. durch die c-kit-Mutation beim GIST möglich war (Joensuu et al. 2002; Nielsen et al. 2002). Diese komplexe Genanalysetechnik ergab, dass das Klarzellsarkom, das bisher immer vom Melanom abgegrenzt worden war (Langezaal et al. 2001), anhand der in diesen Tumoren nachweisbaren charakteristischen Translokation t(12;22)(q13;q12) als ein Subtyp des Melanoms zu definieren ist (Segal et al. 2003b). Aufgrund morphologischer, immunhistologischer und ultrastruktureller Ähnlichkeiten wird das Klarzellsarkom auch als »Melanom der Weichteile« bezeichnet. In Weichgewebssarkomen lässt sich eine verstärkte Expression einer Reihe von Wachstumsfaktoren nachweisen, so der »platelet derives growth factor« (PDGF), der »epidermal growth factor« (EGF), der »transforming growth factor« (EGF), der »transforming growth factor« (TGF), der »nerve growth factor« (NGF), der »insulin-like growth factor« (IGF), der »fibroplast growth factor« (FGF) und ihre jeweiligen Rezeptoren (Helman u. Meltzer 2003; Pollock 1994). Die Expres-
sion ist zwischen einzelnen Entitäten unterschiedlich stark ausgeprägt. In einigen Arbeiten konnte auch ein Zusammenhang zwischen Wachstumsfaktorexpression, Tumorgrading und Prognose aufgezeigt werden. Auch bei Weichgewebssarkomen korreliert die Expression des p53-Tumorsuppressorgens mit der Prognose der Patienten (Pollock et al. 1996). Eine zusätzliche Überexpression von MDM2 (»mouse douple minute 2«), einem Protein, das die Aktivität des p53-Genproduktes inhibieren kann, konnte von verschiedenen Autoren mit einer schlechten Prognose korreliert werden (Cordon-Cardo et l. 1994; Würl et al. 1998a). Für mdm2 ist auch eine Korrelation mit einer verstärkten Expression des rb(Retinoblastom)1-Gens und einer damit verbundenen schlechteren Prognose beschrieben (Würl et al. 1998b). Eigene Untersuchungen belegen, dass die Expression des gli-Gens – eines Transkriptionsfaktors – mit dem Tumorgrading bei Weichteil- und Osteosarkomen korreliert (Stein et al. 1999). Inwieweit dieser Faktor auch eine eigenständige prognostische Bedeutung hat, muss noch in klinischen Untersuchungen ausgewertet werden. Auch die Bedeutung der von einer Arbeitsgruppe beschriebene Korrelation einer schlechten Prognose mit einer verminderten Expression des Mismatchrepair-Proteins hMSH2 ist noch unklar (Taubert et al. 2003).
51.1.4 Stadieneinteilung Zur Diagnose der Weichteilsarkome gehört eine Malignitätseinschätzung nach dem System der French Fédération Nationale des Centres de Lutte Contre le Cancer (FNCLCC Schema). Hierbei spielt die Zahl der Mitosen sowie das Ausmaß der Nekrosen eine Rolle. Die TNM-Klassifikation aus dem Jahr 2002 berücksichtigt neben Tumorgröße und -grading auch díe Lage der Tumoren im Verhältnis zur allgemeinen Körperfaszie (. Tab. 51.3 und . Tab. 51.4).
777 51.1 · Grundlagen
51.1.5 Prognostische Faktoren . Tab. 51.3. TNM-Klassifikation der Weichgewebssarkome
T – Primärtumor Tx T0 T1 T1a T1b T2 T2a T2b
Tumor kann nicht beurteilt werden Kein Anhalt für Primärtumor Tumor mit einem Durchmesser ≤5 cm Oberflächlicher Tumor Tiefer Tumor Tumor mit einem Durchmesser >5 cm Oberflächlicher Tumor Tiefer Tumor
Oberflächliche Tumoren liegen komplett oberhalb der Körperfaszie, ohne diese zu infiltrieren. Alle anderen Tumoren gelten als tiefe Tumoren. Retroperitoneale, intraabdominelle und mediastinale Tumoren sind tiefe Tumoren.
N – regionäre Lymphknoten Nx N0 N1
Lymphknotenstatus nicht beurteilbar Keine regionäre Lymphknotenmetastasen Regionäre Lymphknotenmetastasen
M – Fernmetastasen Mx M0 M1
Fernmetastasenstatus nicht beurteilbar Keine Fernmetastasen Fernmetastasen
G – histologisches Grading Gx G1 G2 G3 G4
Grading nicht beurteilbar Gut differenziert Mäßig differenziert Schlecht differenziert Undifferenziert
. Tab. 51.4. Stadieneinteilung der Weichgewebssarkome
Stadium
Grading
Tumor
Lymphknoten
Fernmetastasen
IA
G1,2 G1,2
T1a T1b
N0 N0
M0 M0
IB
G1,2 G1,2
T2a T2b
N0 N0
M0 M0
IIA
G3, 4 G3, 4
T1a T1b
N0 N0
M0 M0
IIB
G3, 4
T2a
N0
M0
III
G3, 4
T2b
N0
M0
IV
G1–4 G1–4
T1–2 T1–2
N0–1 N1
M1 M1
Als die wesentlichsten prognostischen Faktoren bei Weichgewebssarkomen werden übereinstimmend das Tumorgrading und die Tumorgröße angegeben (Coindre et al. 1996; Gaynor et al. 1992). Nachdem darüber hinaus die Lage des Tumors in Beziehung zur allgemeinen Körperfaszie als unabhängiges prognostisches Kriterium beschrieben worden ist (Guillou et al. 1997), hat dieser Faktor in der TNM-Klassifikation für die Stadieneinteilung an Bedeutung gewonnen. Bisher wurde angenommen, dass der histologische Typ eines Weichgewebssarkoms nur eine untergeordnete Rolle für die Prognose spielt. Koea et al. (2003, Memorial Sloan Kettering Cancer Center) konnten jedoch kürzlich eine unabhängige Bedeutung des Tumortyps für die Prognose nachweisen. Die Untersuchung von 911 Patienten mit operierten primären Sarkomen der Extremitäten ergab eine signifikant höhere Lokalrezidivrate für maligne periphere Nervenscheidentumoren (MPNST) sowie ein schlechteres Gesamtüberleben bei MPNST und bei Leiomyosarkomen. Auch die Tumorlokalisation ist ein relevanter prognostischer Faktor. Patienten mit retroperitonealen Tumoren haben insgesamt eine schlechtere Prognose als Patienten mit Extremitätentumoren (Stojadinovic et al. 2002). Es konnte gezeigt werden, dass dies nicht nur eine Folge der unterschiedlichen Häufung einzelner histologischer Tumortypen ist (Linehan et al. 2000): Die Untersuchung von 420 Patienten nach kompletter Resektion eines Liposarkoms ergab, dass Patienten mit retroperitonealen und viszeralen Tumoren auch hier eine eindeutig schlechtere Prognose hatten. Der wichtigste therapieabhängige Faktor ist das Erreichen einer R0-Resektion. Dieser Parameter ist an die Durchführung der definitiven Resektion in einem in der Chirurgie der Weichgewebssarkomen erfahrenen Zentrum gebunden (Peiper et al. 1997; Noria et al. 1996; Lewis et al. 2000; Zagars et al. 2003a). Die angegebenen 5-Jahres-Überlebensraten für Patienten mit Weichgewebssarkomen schwanken dementsprechend in Abhängigkeit von der Patientenselektion und den eingesetzten Therapieverfahren zum Teil erheblich. Vor allem der Anteil von Patienten mit retroperitonealen bzw. Extremitätentumoren, Primär- bzw. Rezidivtumoren sowie die verschiedenen Ansätze multimodaler Therapien bedingen, dass sich in einzelnen Publikationen deutliche Unterschiede in den rezidivfreien und Gesamtüberlebensraten zeigen. In einer multizentrischen französischen Studie betrugen sie im Stadium I 96%, im Stadium II 78%, im Stadium III 51% und im Stadium IV 45% (Coindre et al. 1996). In einer deutschen Studie an Patienten ausschließlich mit Primärtumoren der Extremitäten und des Stammes lagen die 5-Jahres-Überlebensraten in den Stadien I-IV bei 90, 80, 65 und 33 % (Peiper et al. 1997). Trotz Fortschritten in der lokalen Tumorkontrolle durch Einsatz multimodaler Therapieverfahren konnte bisher leider keine Verbesserung der Gesamtprognose festgestellt werden. Bei der Untersuchung von insgesamt 1261 Patienten mit Sarkomen im Extremitätenbereich, die zwischen 1982 und 2001 behandelt wurden, fanden sich bei Einteilung der Patienten in Behandlungsperioden von jeweils 5 Jahren vergleichbare Überlebensraten (Weitz et al. 2003).
51
778
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
51
. Abb. 51.1a,b. Leiomyosarkom des Unterschenkels. a Ausbildung einer venösen Thrombose. b Pathologisches Gefäßmuster in der Angiographie
51.2
Klinische Symptomatologie
Das führende Symptom bei Weichgewebssarkomen ist die schmerzlose Schwellung. Diese oft nur geringfügige Symptomatik ist Hauptgrund für ihre z. T. sehr lange Verschleppung und für eine meist verspätete Diagnosestellung. Häufige Verdachtsdiagnosen lauten: posttraumatische Schwellung (Hämatom), rheumatische Schwellung, Muskelverhärtung, Lipom oder Fibrom. Gelegentlich kann es aufgrund der Tumorausdehnung zu einer venösen Thrombose kommen, was dann Anlass für die Diagnose ist (. Abb. 51.1). Cave Eine typische Fehldiagnose bei Tumoren der Fossa poplitea mit konsekutiven Beschwerden im Bereich des Kniegelenkes ist eine Meniskusläsion bzw. eine Baker-Zyste.
Cave Retroperitoneale Tumoren mit einer Kompression der paravertebralen Nerven oder auch des Plexus ileosacralis werden immer wieder verkannt, die Patienten werden wegen vermeintlicher Bandscheibenbeschwerden behandelt.
Bei Infiltration oder Obstruktion des harnableitenden Systems oder des Verdauungstraktes sind im fortgeschrittenen Stadium von Weichgewebssarkomen auch Hämaturie, Koliken, gastrointestinale Blutungen oder Ileuserscheinungen möglich. Funktionelle Einschränkungen aufgrund des Tumorwachstums sind vor allem bei Extremitätentumoren mit Infiltration größerer Muskelabschnitte zu erwarten. Hier kann es zu erheblichen Bewegungseinschränkungen bis hin zur Gelenkskontraktur kommen. Lokalisation. Der überwiegende Anteil der Weichgewebssar-
Schmerzen durch direkte Infiltration von Nerven sind eher selten, können aber bei neurogenen Tumoren, die von größeren Nervenstämmen ausgehen, führendes Symptom sein.
kome im Erwachsenenalter entsteht im Bereich der Extremitäten. In einer Zusammenstellung von 2084 Patienten mit Primärtumoren aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Cen-
779 51.3 · Diagnostik
ter waren 55% an den Extremitäten lokalisiert, die Mehrheit an der unteren Extremität (Stojadinovic et al. 2002). 11% der Tumoren lagen retroperitoneal, 10% viszeral, 17% im Stammbereich, und 7% betrafen verschiedene andere Lokalisationen.
51.3
Diagnostik
Ziel der Diagnostik ist – wie bei anderen Tumoren auch – neben der Klärung der Dignität die Beurteilung der Ausdehnung eines Tumors und die Beziehung zu benachbarten anatomischen Strukturen bzw. Organen. Miteinzubeziehen sind dabei die häufigsten Metastasenlokalisationen, im speziellen Fall eindeutig die Lungen. Die Bedeutung der konventionellen Röntgenaufnahme in der Diagnostik der Weichgewebssarkome hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Der Weichteilschatten kann zwar einen Anhalt für die Tumorausdehnung liefern, in jedem Fall besser zu beurteilen ist sie jedoch in den Schnittbildverfahren. Selbiges gilt auch für eine Beteiligung von Knochen, Gefäßen und anderen wichtigen anatomischen Leitstrukturen. Da eine Dignitätsbeurteilung anhand evtl. vorhandener Verkalkungen nicht möglich ist, entfällt auch diese Begründung für eine konventionelle Weichteilaufnahme. Kleinere und oberflächlich gelegene Tumoren können durch eine Sonographie ausreichend beurteilt werden. Hierbei ist insbesondere die Beziehung des Tumors zur Faszie mitzubeurteilen. Auch die Erkennung von Lymphknotenmetastasen ist eine Domäne der Sonographie.
Bei größeren Tumoren ist eine sonographische Beurteilung dagegen nicht ausreichend, weil eine sichere Einschätzung der Lagebeziehung nicht mehr möglich ist.
Gut zu beurteilen ist dagegen eine evtl. bestehende Inhomogenität der Läsion (z. B. zystische Areale), was für die Planung einer Gewebeentnahme wichtig sein kann. Neuere sonographische Untersuchungstechniken wie z. B die Durchblutungsmessung mittels Doppler-Flussmessung oder die intravaskuläre Ultraschalluntersuchung (IVUS) können vor allem für gezielte Fragestellungen von Bedeutung sein (. Abb. 51.2). Hier ist zum einen die Veränderung der Tumordurchblutung nach systemischen oder regionalen Therapieverfahren, zum anderen die Beurteilung der Gefäßinfiltration durch ein Sarkom zu nennen. Die größte Bedeutung der Sonographie liegt sicherlich in der frühzeitigen Erkennung von Lokalrezidiven bei der Nachsorge von Patienten mit Weichgewebssarkomen. Die Computertomographie erlaubt eine Darstellung der Tumorausdehnung in Beziehung zu benachbarten Strukturen. So kann insbesondere eine intra- bzw. extrakompartmentale Tumorlage, eine mögliche Infiltration von Nerven oder Gefäßen und eine Infiltration von Knochen bzw. eine Periostreaktion exakt beurteilt werden. Die hochauflösende Spiral-CT-Untersuchung des Thorax ist heute die sensitivste Methode zur Erkennung von Lungen-
. Abb. 51.2. Intravaskulärer Ultraschall der A. femoralis mit Nachweis einer Ummauerung durch einen Tumor im Adduktorenkanal
metastasen. Sie ist im Rahmen der primären Ausbreitungsdiagnostik aller histologisch gesicherten Weichgewebssarkomen zu fordern. Auch vor allen ausgedehnten operativen Eingriffen mit erheblichen Funktionsverlusten ist eine aktuelle CT-Untersuchung des Thorax zur Überprüfung der Indikation eines solchen Eingriffs zu empfehlen, ebenso wie in regelmäßigen Abständen bei der Nachsorge von Patienten mit höher malignen Tumoren und einem entsprechenden Metastasierungsrisiko. Mit zunehmender Verbreitung der Magnetresonanztomographie (MRT) ist dieses Verfahren bei der Beurteilung von Weichgewebstumoren zur wichtigsten diagnostischen Maßnahme geworden. Durch sie lässt sich die Zugehörigkeit eines Tumors zu einem Muskelkompartment genau beurteilen und einzelne Muskeln leicht identifizieren, was für die Operationsplanung entscheidend ist.
Bei allen malignitätsverdächtigen Tumoren, die in Nachbarschaft großer Gefäße liegen, sollte prätherapeutisch eine Angiographie durchgeführt werden.
Die Angiographie gibt Aufschluss über die Vaskularisation eines Tumors und über die Verdrängung bzw. Infiltration der Gefäße. Pathologische Gefäßmuster sind in vielen Fällen ein wichtiger Malignitätshinweis. Mit der technischen Weiterentwicklung der MRT und der verwendeten Kontrastmittel gewinnt auch die MR-Angiographie zunehmend an Bedeutung (. Abb. 51.3). Die Indikation zu einer Phlebographie ist individuell zu stellen, wenn anhand der Bildgebung Verdacht auf Veneninfiltration besteht oder wenn der Tumor bereits zu einer Thrombose geführt hat. Nicht selten ist eine Thrombose
51
780
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
. Abb. 51.3a–d. 3D-MRT-Rekonstruktion eines residuellen Tumorrezidives (rot) in der Fossa poplitea. (Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Vogl, Abt. für Radiodiagnostik, Charité Campus Virchow)
51
das erste Symptom eines Weichgewebssarkoms an der unteren Extremität (. Abb. 50.1).
Bei rechtsseitigen retroperitonealen Tumoren sollte die Indikation zur Kavographie großzügig gestellt werden.
Bei der operativen Therapie retroperitonealer und intraabdomineller Tumoren ist oft eine einseitige Nephrektomie erforderlich, um eine kurative Resektion zu ermöglichen. Daher ist eine seitengetrennte Nierensequenzszintigraphie bei diesen Tumoren wichtiger Bestandteil der Diagnostik. Bei Patienten ohne Lungenmetastasen ist eine routinemäßige Knochenszintigraphie nicht indiziert. Sie kann zwar Aufschluss über eine Knocheninfiltration durch ein Sarkom geben, ist hierin der MRT allerdings unterlegen. Die Positronenemissionstomographie (PET) wird in der Diagnostik von Weichgewebstumoren bisher nicht häufig eingesetzt. In einer Metaanalyse der vorliegenden Studien mit insgesamt 441 Patienten konnte jedoch gezeigt werden, dass die PET-Untersuchung eine sehr gute Sensitivität und auch Spezifität bei High-grade-Tumoren hat, und zwar unabhängig vom Vorliegen eines Primärtumors oder eines Rezidivs (Ioannidis u. Lau 2003). Wegen der Schwierigkeiten in der Erkennung und Abgrenzung von Low-grade-Tumoren und benignen Veränderungen ist die PET als Screeningverfahren eher nicht geeignet. Bei speziellen Fragestellungen, wie z. B. der eines Rezidivs im voroperierten Areal oder der des Ausschlusses von Fernmetastasen ist die PET jedoch gut geeignet,
ebenso wie bei der Responsebeurteilung unter neoadjuvanter Therapie (Benz et al. 2009).
51.4
Diagnosesicherung
Eine Sicherung der Diagnose als Voraussetzung für die Planung der definitiven Therapie ist nur histologisch möglich. Eine primäre Resektion ohne vorherige Sicherung birgt das Risiko eines sehr hohen Anteils von Patienten mit Tumorresten (Mankin et al. 1996). Beispielhaft sei hier die Analyse von Noria et al. (1996) angeführt: In 23 von 65 Tumorresektaten nach vorangegangener Resektion fanden sich residuelle Tumoranteile, obwohl der Erstoperateur angeblich eine komplette Resektion vorgenommen hatte. Durch eine Feinnadelaspirationszytologie (FNP) kann zwar gelegentlich die Dignität eines Weichgewebstumors festgestellt werden, eine sichere histogenetische Zuordnung oder eine Bestimmung des Gradings ist aber nur in Ausnahmefällen möglich. Die FNP wird daher nicht zur Diagnosesicherung empfohlen. Durch eine Stanzbiopsie dagegen ist es möglich, einen regelrechten Gewebszylinder für die histologische Diagnostik zu gewinnen. Abhängig von der Zylinderdicke können in vielen Fällen auch immunhistologische Untersuchungen durchgeführt werden. Die Sensitivität und Spezifität einer stanzbioptischen Untersuchung bzgl. Tumorentität und Malignität ist sehr gut, teilweise bestehen allerdings Schwierigkeiten bei der Festlegung des Gradings (Ray-Coquard et al. 2003). Durch Entnahme mehrerer Stanzzylinder aus unter-
781 51.4 · Diagnosesicherung
51
a
b
c
d
. Abb. 51.4a–e. Retroperitoneales Liposarkom mit Arealen unterschiedlicher Differenzierung: a CT, b Präparat, c–e Histologie mit G1–G3
e
schiedlichen Gewebsarealen können inhomogene Tumoren möglicherweise besser eingeordnet werden (. Abb. 51.4). Besonders hierbei kann eine zusätzliche Sonographie zur »Steuerung« der Biopsie von Vorteil sein. Das Standardverfahren mit der höchsten Aussagekraft zur histologischen Sicherung und zur Bestimmung des Tumorgradings bei Weichgewebssarkomen ist die Inzisionsbiopsie (s. unten). Ein direkter Vergleich der Aussagekraft und Treffsicherheit von Stanz- und Inzisionsbiopsie ist kaum möglich, da hierzu keine prospektiv randomisierten Studien vorliegen. In einer prospektiven Studie an 62 Patienten mit Stanzbiopsien betrug die diagnostische Genauigkeit zwar 84%, bei 13% enthielt sie aber kein Tumormaterial, obwohl die Biopsie von erfahrenen Ärzten durchgeführt wurde. Bei 50 im gleichen Zeitraum durchgeführten offenen Biopsien betrug die Genau-
igkeit dagegen 96% (Skrzynski et al. 1996). Die Gesamtkosten der Stanzbiopsie betrugen lediglich ca. 15% der Kosten einer Inzisionsbiopsie. In einer anderen Studie an 60 Patienten konnte durch eine Stanzbiopsie in 95% der Fälle die Malignität, in 88% das Grading und in 75% der histologische Subtyp korrekt bestimmt werden (Heslin et al. 1997).
Die Entnahme einer Stanzbiopsie bei einem Weichgewebstumor sollte von einem in der Sarkomchirurgie erfahrenen Operateur durchgeführt werden, im Idealfall sogar von dem Chirurgen, der später die definitive Resektion vornehmen wird.
782
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
Da das Risiko von Implantationsmetastasen entlang des Biopsiekanales besteht, muss dieser mit der gleichen Sorgfalt gewählt werden wie bei einer offenen Inzisionsbiopsie. Eine Mitnahme der Biopsiestelle bei der späteren Tumorresektion ist selbstverständlich. Gerade bei retroperitonealen oder intraabdominellen Tumoren wird häufiger eine Stanzbiopsie durchgeführt, da eine Inzisionsbiopsie bereits einen größeren operativen Eingriff darstellt und eine Resektion der Biopsienarbe natürlich nur bedingt möglich ist. a Prinzipiell bleibt jedoch festzustellen, dass durch die Stanzbiopsie evtl. eine Tumorzellverschleppung möglich ist und die Indikation zu einer Stanze bei sicher resektablen Befunden kontrovers diskutiert wird.
51 Aus diesem Grund wird bei malignitätsverdächtigen Tumoren des Retroperitoneums häufig eine primäre Tumorresektion ohne vorherige bioptische Sicherung vorgenommen. Gerade in diesen Fällen kann die Staging-Laparoskopie sehr hilfreich sein, da sie zum einen eine Aussage zur Tumorausbreitung zulässt und zum anderen eine gezielte Biopsie des Tumors unter Sicht möglich macht. Auch die bioptische Sicherung von Fernmetastasen vor Einleitung einer systemischen Therapie kann durch eine Stanzbiopsie erfolgen, ggf. im Rahmen einer CT-gestützten Punktion. Dies sollte aber prinzipiell nur dann durchgeführt werden, wenn eine Resektion der Metastase auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht möglich ist. Kleinere Lungenmetastasen können heute sehr gut im Rahmen einer videoassistierten Thorakoskopie exzidiert werden. Bei einer Exzisionsbiopsie wird der Tumor mit einem schmalen Saum gesunden Gewebes komplett entfernt. Sollte eine Nachresektion erforderlich sein, so hat dies bei adäquater Ausführung keinen prognostischen Nachteil für den Patienten (Clarkson u. Ferguson 2004). Dieses Vorgehen kann nur für oberflächlich gelegene und kleinere (<3 cm) Tumoren empfohlen werden, da bei größeren Befunden immer die Gefahr besteht, dass anatomische Grenzschichten verletzt werden, die bei einer evtl. erforderlichen Nachresektion als Resektionsgrenzen einzubeziehen sind. Technik der Inzisionsbiopsie und Fehlerquellen. Eine offene
Inzisionsbiopsie erfolgt in Regional- oder Allgemeinanästhesie. Die Inzision liegt über dem Tumor, und dieser wird auf dem kürzesten Weg freigelegt.
Ganz entscheidend ist, dass bei der Wahl der Inzision die Schnittführung für die definitive Tumorresektion berücksichtigt wird, da die Narbe dann komplett mitzuentfernen ist.
Eine reine Orientierung an den Hautspaltlinien führt dagegen oft zu Narben, die bei der späteren Operation große Probleme
b
c . Abb. 51.5a–c. Fehlerquellen bei der Schnittführung. a Zustand nach Resektion eines Myxofibrosarkoms am Unterschenkel. Die Lappenbildung hat zu einer Wundnekrose geführt. Die Redon-Drainage wurde weit entfernt und seitlich zur Inzision ausgeleitet. b Das erforderliche Resektionsausmaß bei der Nachresektion ist damit erheblich vergrößert und macht eine plastische Deckung notwendig. c Korrekte Schnittführung für Inzisionsbiopsie bei einem Tumor am Oberschenkel. Der Schnitt liegt direkt über der Raumforderung, und die Drainage wird in Verlängerung der Inzision ausgeleitet
bei der Defektdeckung bereiten können (. Abb. 51.5). Im Extremitätenbereich werden daher in der Regel längsgerichtete Inzisionen vorgenommen. Cave Entscheidend für die korrekte Inzisionsbiopsie ist die genaue Kenntnis der Lagebeziehung des Tumors, da in keinem Fall ein nicht tumorbefallenes Kompartment bei der Biopsie eröffnet werden darf.
783 51.5 · Prinzipien der chirurgischen Therapie
Es muss sichergestellt sein, dass die Gewebeentnahme aus dem Tumor erfolgt. Nicht selten kommt es vor, dass lediglich aus dem makroskopisch veränderten peritumoralen Ödem biopsiert wird. Die Biopsie sollte sowohl Anteile aus der Tumorperipherie enthalten als auch tiefe Anteile. Bei ausgedehnter Nekrosenbildung muss unbedingt Gewebe aus vital erscheinenden Arealen mit entnommen werden, um eine korrekte Klassifizierung des Tumors zu ermöglichen. Durch Entnahme eines ausreichend großen Gewebeanteiles ist eine genaue histologische Begutachtung auch bei stärker inhomogen erscheinenden Tumoren möglich. Oft ist es günstig, eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung vorzunehmen, um sich vom Pathologen bestätigen zu lassen, dass die Gewebeprobe repräsentativ und ausreichend ist. Bereits bei der Entnahme muss das Gewebe entsprechend der durchzuführenden Untersuchungen asserviert werden. Neben formalinfixiertem Material kann so Frischgewebe in flüssigem Stickstoff gewonnen werden oder auch Gewebe in Kulturmedium zur zytogenetischen Analyse. Eine routinemäßige Asservierung von Gewebe zur elektronenmikroskopischen Beurteilung hat sich nicht durchgesetzt und ist nur bei speziellen Fragestellungen erforderlich. Bei einer Inzisionsbiopsie sollte immer eine Drainage eingelegt werden, die in Verlängerung der Wunde auszuleiten ist, da ansonsten auftretende Serome oder Hämatome zu einer unerwünschten Tumorzellkontamination anderer Kompartments führen können. Die Ausleitung der Drainagen in größerer Entfernung zum Wundrand kann dazu führen, dass eine komplette Narbenexzision bei der definitiven Tumorresektion unmöglich wird und damit das Risiko eines Lokalrezidivs steigt.
51.5
Prinzipien der chirurgischen Therapie
51.5.1 Definition der Eingriffe Eine Entfernung des Tumors knapp im Gesunden wird als marginale Resektion bezeichnet. Sehr oft geschieht dies sogar durch ein Ausschälen des Tumors entlang seiner Pseudokapsel (»shelling out«). Cave Bei der marginalen Resektion besteht eine sehr große Gefahr, dass vitale Tumorreste zurückbleiben, da die Pseudokapsel der Weichgewebssarkome in der Regel eine komprimierte Tumorschicht enthält (. Abb. 51.6).
Derartige Resektionen sind oft Folge einer unzureichenden präoperativen Diagnostik und die Sarkomdiagnose ein Überraschungsbefund. Wenn irgendwie möglich sollte eine Nachresektion vorgenommen werden, da im definitiven Resektat in ca. 40% dieser Fälle noch Tumorreste nachgewiesen werden können (Lewis et al. 2000). Zagars et al. (2003a) vom M.D. Anderson Cancer Center fanden sogar nach angeblicher R0-Resektion in 33% Resttumor, bei befallenem Resektionsrand stieg dieser Anteil auf 55%. Sie konnten in ihrer Ana-
. Abb. 51.6. Weichgewebssarkom (T) mit Kompressionszone normalen Gewebes (C) und Pseudokapsel (P)
lyse auch einen eindeutigen Vorteil in Bezug auf Lokalrezidivrate, metastasenfreies Überleben und Gesamtüberleben für Patienten mit R0-Status nach definitiver Resektion aufzeigen. Eine marginale Resektion kann aber auch dann vorliegen, wenn ein Weichgewebssarkom sehr knapp an vitale Strukturen heranreicht und hier nur mit Sicherheitsabstand von wenigen Millimetern entfernt werden kann. Bei einer weiten Resektion wird der Tumor mit einem Sicherheitsabstand von 2–5 cm reseziert. Diese Abstände sind zwar zur Seite hin oft zu realisieren, zur Tiefe hin entspricht dieses Maß aber wegen der jeweiligen anatomischen Verhältnisse nicht immer der Realität.
Wesentlich wichtiger als der absolute Sicherheitsabstand ist das operative Vorgehen entlang anatomischer Grenzstrukturen und die Resektion des Tumors unter Mitnahme mindestens einer gesunden und nicht tumorbefallenen Schicht, wodurch auch bei geringerem metrischem Abstand eine radikale R0-Tumorresektion möglich ist.
Bei einer kompartmentalen Resektion wird eine Muskelgruppe von ihrem Ursprung bis zum Ansatz reseziert. Inwieweit die Resektion des gesamten Kompartments bei Lokalisation eines Tumors im Randbereich desselben oder bei geringer Tumorgröße tatsächlich erforderlich ist, bleibt bisher ungeklärt. Im Rahmen der zunehmend funktionserhaltenden operativen Therapiekonzepte sind Kompartmentresektionen unter Erhaltung einzelner – sicher tumorfreier – Muskelgruppen beschrieben worden (Karakousis et al. 1998). Da Lymphknotenmetastasen bei Weichgewebssarkomen äußerst selten auftreten (unter 5%) wird eine generelle Lymphknotendissektion nicht empfohlen. Auch bei einzelnen Entitäten mit einem höheren Risiko der Lymphknotenmetastasierung (z. B. Synovialsarkom, Rhabdomyosarkom) ist der Stellenwert einer Wächterlymphknotenbiopsie noch unklar (Maduekwe et al. 2009).
51
784
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
51.5.2 Planung der chirurgischen Therapie
51.5.4 Gefäß- und Nervenresektion
Anhand der präoperativen MRT-Untersuchung in verschiedenen Schnittebenen ist eine exakte Planung des operativen Eingriffes möglich. Der Zugang und die zu resezierenden anatomischen Strukturen können eindeutig festgelegt werden.
Die Beziehung des Tumors zu den größeren Gefäßen kann anhand der präoperativen Angiographie und ggf. der Phlebographie sowie der MRT-Untersuchung beurteilt werden.
Cave Biopsiekanäle und alte Operationsnarben sind potenziell tumorkontaminiert und müssen daher immer mit entfernt werden.
51
Bei Rezidiven nach vorangegangener Strahlentherapie ist möglicherweise auch eine Resektion des kompletten Strahlenfeldes erforderlich, um evtl. auftretenden postoperativen Wundheilungsstörungen vorzubeugen. In dieser Situation ist das Einzeichnen der Bestrahlungsfelder durch die Strahlentherapeuten wichtig, da die Feldgrenzen in der Regel deutlich über die vorbestehenden Operationsnarben hinausgehen. Weite und kompartmentale Resektionen sind die häufigsten Eingriffe. Gerade bei großen Tumoren kann unter funktionserhaltenden Gesichtspunkten aber oft nur eine marginale Resektion erfolgen. Hier muss in jedem Fall ein Vorgehen entlang einer gesunden Grenzschicht (z. B. durch Periostresektion, Epineurektomie oder Adventitiadissektion) versucht werden. Am Knochen kann auch durch Abmeißeln einer Knochenlamelle noch eine »Grenzschicht« erreicht werden. Wenn dies nicht möglich ist, kann eine weite En-blocResektion mit endoprothetischem Knochenersatz vorgenommen werden.
51.5.3 Defektdeckung und rekonstruktive
Bei Nachweis einer Gefäßinfiltration ist von vornherein die Indikation zur Gefäßresektion und -rekonstruktion zu stellen.
Bei Verdrängung der Tumoren ist intraoperativ zu prüfen, inwieweit eine Dissektion entlang der Adventitia möglich ist, im Zweifelsfall ist auch hier die Gefäßresektion zu empfehlen (Hohenberger 1998; Hohenberger et al. 1999). Hierbei ist evtl. auch der histologische Typ des Tumors zu berücksichtigen, da eine direkte Gefäßinfiltration z. B. bei Liposarkomen weniger wahrscheinlich ist als bei Leiomyosarkomen, die z. T. auch von der Gefäßwand ihren Ausgang nehmen können. Die Rekonstruktion erfolgt gerade nach ausgedehnten Resektionen im Oberschenkelbereich und bei Überbrückung von Gelenken mit ringverstärkten PTFE-Prothesen, da eine adäquate weichgewebliche Deckung und Stützung der Interponate fehlt. Bei Lage der distalen Anastomosen im Unterschenkelbereich sollten nach Möglichkeit autologe Veneninterponate eingesetzt werden. Besteht die Notwendigkeit einer postoperativen Strahlentherapie, ist eine extraanatomische Bypasslage angezeigt. Bei kurzstreckigen Nervenresektionen besteht die Möglichkeit eines Suralis-Interponates. Ist dies z. B. nach Resektion des N. ischiadicus nicht möglich, so müssen kompensatorisch orthopädische Hilfsmittel (Redressionsstrumpf, Heidelberger Winkel, Schienenapparate) zur Anwendung kommen.
Maßnahmen Die Deckung des durch die Resektion ausgedehnter Tumoren oder Strahlenfelder entstandenen Gewebedefektes ist bereits in die Planung des Eingriffes miteinzubeziehen. Kleinere Defekte lassen sich durch lokale Verschiebelappen oder auch Mesh-graft-Plastiken verschließen. Vielfach ist aber eine myogene Deckung erforderlich. Die hierzu am häufigsten eingesetzten (wegen einfacher Präparation und günstigem Drehpunkt) freien oder gestielten muskulokutanen Lappen sind der M.-latissimus-dorsi-Lappen und der M.-rectus-abdominis-Lappen. Nach ausgedehnten Muskelresektionen mit Funktionsverlusten im Bereich der Extremitäten besteht die Notwendigkeit eines Muskel- oder Sehnentransfers zur Funktionswiederherstellung (Chang u. Robb 2000; Steinau et al. 2003). Hier sind z. B. die effizienten und technisch einfachen Verfahren des Bizepssehnentransfers zum Ersatz der Quadrizepsfunktion oder die Gastrocnemiusplastik als Patellarsehnenersatz zu nennen. Bei der Resektion von Tumorrezidiven und vor allem bei Tumorlokalisation an der oberen Extremität ist eine plastische Rekonstruktion häufiger erforderlich (Lohman et al. 2002).
51.5.5 Indikation zur Amputation Die Indikation zur Amputation bei Weichgewebssarkomen der Extremitäten wird nur noch selten gestellt. Der Rückgang der Amputationsfrequenz wird aus Zahlen einer Erhebung im nationalen Krebsregister der USA deutlich (Pollock et al. 1996): 1988 wurden noch 29% der Patienten mit Extremitätensarkomen durch Amputation behandelt, 1993 betrug dieser Anteil nur noch 9%. In einer Erhebungsstudie aus Deutschland 2001 war bei 4% der Patienten eine Amputation notwendig (Junginger et al. 2001). Bei Vorliegen eines Tumorrezidivs ist die Amputationswahrscheinlichkeit wesentlich höher. Im Krankengut der UCLA konnten 95% der Patienten mit einem Primärtumor extremitätenerhaltend operiert werden, im Gegensatz zu 87% der Patienten mit einem Tumorrezidiv (Eilber et al. 2003). Kam es nach initialer Behandlung im Zentrum zum Rezidiv, betrug die Amputationsrate sogar 38%. Insbesondere bei stammnahen Tumoren mit Infiltration des N. ischiadicus oder des Plexus brachialis ist die Amputation (Hemipelvektomie bzw. interthorakoskapuläre Amputation) gelegentlich die einzige kurative Option (Clark u.
785 51.6 · Komponenten multimodaler Therapien
Thomas 2003). In diesen Fällen sollte zunächst immer eine neoadjuvante multimodale Therapie eingeleitet werden, um bei einer deutlichen Tumorremission evtl. doch noch eine extremitätenerhaltende Resektion zu ermöglichen. Wenn aufgrund der Tumorlage und -ausdehnung auch durch eine Amputation keine R0-Resektion erreicht werden kann, so ist eine marginale, funktionserhaltende Resektion mit anschließender additiver Therapie (z. B. Brachytherapie) zu diskutieren. Bei großen exulzerierten Tumoren sowie bei therapierefraktären Tumorschmerzen ist die Indikation zu einer palliativen Amputation auch bei Vorliegen von Fernmetastasen zu erwägen. Tumoren der distalen Extremitäten, insbesondere im Fußwurzel- und Mittelfußbereich haben oft Ausläufer zwischen den einzelnen Knochen des Fußskeletts, weshalb sie häufig nicht kurativ resektabel sind. Gerade bei diesen Tumoren lassen sich aber durch modifizierte Teilamputationen und Stumpfbildungen gute funktionelle und kosmetische Ergebnisse erzielen.
Prinzipiell sollte die Entscheidung zu einer Amputation bei Patienten mit Weichgewebssarkomen heute nur nach Vorstellung des Patienten in einem in der Chirurgie dieser Tumoren erfahrenen Zentrum getroffen werden.
51.6
Komponenten multimodaler Therapien
51.6.1 Strahlentherapie
Präoperative Strahlentherapie Ziel einer präoperativen Radiotherapie ist die Devitalisierung des Tumors bei gleichzeitiger Tumorverkleinerung und damit eine Verbesserung der Resektabiltät. Auch wenn die makroskopische Tumorrückbildung aufgrund der langsamen Regression meist nur gering ist, kann z. T. eine deutliche Regression vitaler Tumorzellen erreicht werden. Bei 10 von 27 vorbestrahlten Patienten (47–52 Gy) wurde histologisch eine komplette Remission nachgewiesen (Willet et al. 1987) und (von einer kanadischen Arbeitsgruppe) bei 35% der Tumoren ein Nekroseanteil von über 80% (Hew et al. 1994), wobei eine komplette Tumornekrose allerdings nur bei 1 von 48 Patienten erreicht werden konnte. Leider wurden die Nekroseraten nach Bestrahlung nicht mit dem bereits prätherapeutisch bestehendem Nekroseanteil korreliert. Nachteile. Ein Problem der präoperativen Radiotherapie ist
die deutlich gesteigerte Rate postoperativer Wundheilungsstörungen (25–37%; Chen et al. 1996; Bujko et al. 1993). Im Krankengut des Massachusetts General Hospital traten bei 202 präoperativ bestrahlten Patienten in 37% der Fälle postoperative Komplikationen auf, in deren Folge 33 Patienten reoperiert werden mussten (Bujko et al. 1993). 6 dieser 33 Patienten mussten sekundär amputiert werden.
Generell sollte die Tumorresektion frühestens 4–8 Wochen nach Ende der Strahlentherapie erfolgen.
Vorteile. Der Vorteil einer präoperativen Radiotherapie in
Bezug auf die zu erwartenden Langzeitfolgen liegt in dem geringeren Strahlenvolumen und der geringeren Strahlendosis. In einer großen retrospektiven Analyse aus dem M.D. Anderson Center (Zagars et al. 2003b) wurden 271 präoperativ bestrahlte Patienten (50 Gy) mit 246 postoperativ Bestrahlten verglichen. Die Rate erreichbarer R0-Resektionen war in der präoperativen Gruppe signifikant höher (86% vs. 67%). Die Lokalrezidivrate betrug hier nach 5 Jahren 17% im Vergleich zu 28% in der postoperativen Gruppe (nicht signifikant). Langzeitkomplikationen wie Fibrosen und Ödeme waren dagegen deutlich seltener. Vergleich präoperative/postoperative Strahlentherapie.
Bisher liegen erst wenige Daten zum Vergleich der präoperativen Strahlentherapie mit der postoperativen vor. Eine randomisierte Studie mit 94 präoperativ bestrahlten und 96 postoperativ bestrahlten Patienten konnte keine Unterschiede in Bezug auf Lokalrezidivrate, krankheitsfreies- oder Gesamtüberleben aufzeigen (O’Sullivan et al. 2002). Die Rate an R0Resektionen war ebenfalls vergleichbar. In der präoperativ bestrahlten Gruppe hatten jedoch 34% der Patienten perioperative Komplikationen im Vergleich zu 17% in der postoperativ bestrahlten Gruppe. Im Verlauf zeigte sich eine erhöhte Rate an Langzeitkomplikationen wie Ödemneigung, Fibrose und Versteifungen in der postoperativ bestrahlten Gruppe (Davis et al. 2005).
Intraoperative Strahlentherapie Mit einer intraoperativen Strahlentherapie (IORT) kann gezielt eine hohe Strahlendosis auf einen intraoperativ verbleibenden Tumorrest oder an eine Stelle mit nur marginalem Resektionsabstand appliziert werden, bei gleichzeitig nur relativ geringer Belastung der umliegenden Gewebe. Durch die IORT kann die zu bestrahlende Region durch den Operateur exakt festgelegt und in Verbindung mit einer präoperativen oder postoperativen Radiotherapie leichter eine wirksame Gesamtdosis im Tumorareal erreicht werden. Vor allem bei retroperitonealen Tumoren mit oft nur sehr knappen Resektionsgrenzen konnte durch die IORT eine Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle erzielt werden. In einer prospektiv randomisierten Studie am National Cancer Institute, USA, wurde durch die IORT die Rate an Lokalrezidiven von 80% auf 40% gesenkt (Sindelar et al. 1993), was durch die guten Ergebnisse der Untersuchung zur lokalen Tumorkontrolle einer französischen Arbeitsgruppe untermauert wird (Bussières et al. 1996). In einer Untersuchung der Universität Heidelberg mit 251 Patienten zeigte sich bei 92 Patienten, die mit IORT behandelt wurden, eine erhöhte chirurgische Komplikationsrate (33% vs. 23%), allerdings konnte der Risiko eines Rezidivs oder die Mortalität um 40% reduziert werden (Lehnert et al. 2000). Das wesentliche Problem der IORT ist der große apparative Auf-
51
786
51
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
wand und die hohen Investitionskosten, weshalb die Verfügbarkeit auch auf absehbare Zeit limitiert bleiben wird. Derzeit wird die IORT in Deutschland an 24 Kliniken durchgeführt (Kaiser et al. 2003). Eindeutige Indikationskriterien liegen bisher aufgrund fehlender Daten aus koordinierten Studien nicht vor.
tivem Resektionsrand waren in einer Studie von Herbert et al. (1993) nach 5 Jahren noch ohne Lokalrezidiv. Von über 200 Patienten mit einer R1- oder R2- Resektion am Memorial Sloan Kettering Center haben im Verlauf nur 28% eine klinisch manifeste lokale Tumorprogression erlebt (Stojadinovic et al. 2002).
Postoperative Radiotherapie
Brachytherapie. Bei der Brachytherapie wird über intraopera-
Externe Bestrahlung. Seit Einführung der kombinierten chi-
tiv eingelegte Katheter im Afterloading-Verfahren eine gezielte Bestrahlung des Wundbettes ermöglicht. Um die Wundheilung nicht zu beeinträchtigen werden diese Katheter dann ab dem 5. bis 7. postoperativen Tag beladen und mit einer niedrigen Dosisrate (low-dose rate, LDR) von ca. 10 Gy pro Tag beschickt. Diese interstitielle Therapie kann als Monotherapie oder in Kombination mit der perkutanen Strahlentherapie durchgeführt werden. In einer randomisierten Studie mit 164 Patienten wurde über einen Zeitraum von 4 bis 6 Tagen eine Gesamtdosis von 42–45 Gy appliziert (Pisters et al. 1996). Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 76 Monaten waren 82% der Patienten in der Bestrahlungsgruppe lokal rezidivfrei, dagegen nur 69% in der Kontrollgruppe (p=0,04). Ein Einfluss auf das Gesamtüberleben der Patienten konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. In einer anderen Arbeit wurden die langfristigen Ergebnisse von insgesamt 202 mit einer Brachytherapie behandelten Patienten zusammengefasst (Alektiar et al. 2002): Die lokale Tumorkontrollrate beträgt 84% und das Gesamtüberleben 70%. Langzeitschäden betreffen vor allem pathologische Frakturen (3%) und Nervenschäden (5%). Ein Problem der postoperativen Brachytherapie ist die erhöhte Wundkomplikationsrate. Erfolgt die Applikation der Strahlenträger erst ab dem 5. postoperativen Tag, ist die Komplikationsrate allerdings deutlich verringert (Brennan et al. 1991).
rurgischen und radiotherapeutischen Behandlung ist die funktions- und vor allem gliedmaßenerhaltende Therapie der Weichgewebssarkome verbessert worden. Die Lokalrezidivraten bei Extremitätensarkomen liegen bei einer Kombination von radikaler Operation mit Strahlentherapie bei 10%, bei mikroskopisch positivem Resektionsrand bei 30%, bei einer R2-Resektion bei etwa 60% (Bölke et al. 2009). Die erforderliche Strahlendosis beträgt 60–66 Gy. Prinzipiell muss hierbei das gesamte Operationsgebiet mit einem Sicherheitssaum bestrahlt werden, das ehemalige Tumorareal wird dann nochmals gezielt aufgesättigt.
Intraoperativ sollte der Chirurg unbedingt eine Clip-Markierung an den Stellen vornehmen, an denen der geringste Sicherheitsabstand erreicht werden konnte, damit gezielt bestrahlt werden kann.
Durch die Ergebnisse einer randomisierten Studie aus dem NCI konnte der Wert der postoperativen Strahlentherapie für die lokale Tumorkontrolle untermauert werden (Yang et al. 1998): 91 Patienten mit High-grade-Tumoren und 50 Patienten mit Low-grade-Tumoren wurden nach funktionserhaltender Operation randomisiert. Neben einer hochsignifikanten Senkung des Lokalrezidivrisikos vor allem in der High-gradeGruppe zeigte sich allerdings erwartungsgemäß, dass die Strahlentherapie keinen Einfluss auf das Überleben der Patienten hatte. Das Lokalrezidivrisiko ist eindeutig abhängig vom erreichten Resektionsrand und somit auch von der Qualität der Operation. Dass bei adäquater Resektion mit einem Resektionsrand von mindestens 1 cm der Einfluss der Radiotherapie deutlich geringer ist, zeigen die sehr guten Ergebnisse skandinavischer Arbeitsgruppen (Trovik et al. 2000), die in diesen Fällen auch ohne adjuvante Radiotherapie über exzellente lokale Tumorkontrollraten berichteten. Auch in einer Arbeit aus Paris konnte gezeigt werden, dass vor allem Patienten mit einem Resektionsrand <1cm von der Radiotherapie profitieren (Khanfir et al. 2003). Bei inkompletter Resektion (R1/R2) sollte immer die Notwendigkeit einer Nachresektion diskutiert werden. Wenn dies nicht möglich oder der Resektionsstatus unbekannt ist, besteht die Indikation für eine adjuvante Radiatio. Bei mikroskopisch befallenem Resektionsrand besteht grundsätzlich ein deutlich erhöhtes Risiko für ein lokales Tumorrezidiv. Durch eine postoperative Strahlentherapie kann dennoch bei vielen Patienten eine Tumorkontrolle erreich werden. 55% der postoperativ bestrahlten Patienten mit posi-
Cave Insbesondere bei größeren Gewebedefekten ist unbedingt auf eine ausreichende plastische Deckung des Operationsfeldes zu achten (Alektiar et al. 2000)
Die Kombination einer Brachytherapie mit einer präoperativen Radiotherapie bei Patienten mit retroperitonealen Sarkomen wurde in einer Studie aus Toronto beschrieben (Jones et al. 2002). Von 46 präoperativ bestrahlten Patienten (45 Gy) erhielten 21 zusätzliche eine Brachytherapie über Afterloading-Katheter (25 Gy). Wegen z. T. schwerwiegender Komplikationen mit Duodenalstenosen und Strikturen wurde im Verlauf der Studie die Brachytherapie nur noch bei Tumoren im Unterbauch eingesetzt. Die Überlebensrate (80% nach 2 Jahren) und die erreichte lokale Tumorkontrolle (80% nach 2 Jahren) ist bei dieser Kombinationstherapie gut. In einer neuren Arbeit wurden die Ergebnisse von 155 mit einer Brachytherapie behandelten Patienten zusammengefasst (Laskar et al. 2007). Insgesamt betrug die lokale Tumorkontrollrate 71%, das Gesamtüberleben betrug 73%. Langzeitkomplikationen bestanden vor allem aus Fibrose (21%), Ödeme (10%) und Wundheilungstörungen (6%). Patienten, die eine Brachytherapie in Kombination mit einer externen Strahlentherapie erhalten hatten zeigten eine lokale Tumorkontrollrate
787 51.6 · Komponenten multimodaler Therapien
von 74% im Vergleich zu denen ohne zusätzliche externe Strahlentherapie 63%, allerdings zeigten sich auch die Nebenwirkungen in der Gruppe mit der Kombinationstherapie erhöht (Fibrose 30% vs. 5%).
51.6.2 Chemotherapie
Neoadjuvante Chemotherapie In Anlehnung an die guten Ergebnisse der präoperativen Chemotherapie bei primären Knochentumoren wurde auch bei Weichgewebssarkomen eine neoadjuvante Chemotherapie eingesetzt (Rosen et al. 1993; Casper et al. 1994; Pezzi et al. 1990). Ziel ist die Devitalisierung und Verkleinerung des Tumors, um die spätere Resektion zu erleichtern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen. Gleichzeitig soll auch die Überlebenszeit durch Abtötung evtl. vorhandener Mikrometastasen verbessert werden. Die bisher vorliegenden Daten (Rosen et al. 1993) stammen aus unizentrischen, nicht randomisierten Analysen. Die Angaben über klinische oder histologisch gesicherte Tumorrückbildungen sind sehr uneinheitlich und schwanken zwischen 3% (Casper et al. 1994) und 40% (Pezzi et al. 1990). Allerdings scheint eine neoadjuvante Chemotherapie die postoperative Morbidität nicht signifikant zu erhöhen wie eine Studie des M.D. Anderson Cancer Centers (Meric et al. 2000) zeigen konnte. Hierbei wurden 105 Patienten mit neoadjuvanter Chemotherapie mit 204 Patienten, welche keine Vorbehandlung hatten verglichen. Die Gruppe der vorbehandelten Patienten hatte initial einen größeren Tumor und ein schlechtes Grading, allerdings waren die Patienten insgesamt in dieser Gruppe auch jünger. Insgesamt zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der postoperativen Komplikationsrate. In einer bisher einzigen randomisierten Studie zur neoadjuvanten Chemotherapie wurden 67 Patienten mit 3 Zyklen Adriamycin/Ifosfamid vorbehandelt und mit 67 Patienten ohne Vortherapie verglichen (Gortzak et al. 2001). Eine postoperative Strahlentherapie wurde insgesamt bei 70 Patienten durchgeführt. Bei einer medianen Beobachtungsdauer von 7,3 Jahren waren sowohl die 5-Jahres-Überlebensraten mit 64% im Operationsarm vs. 65% im neoadjuvanten Chemotherapiearm als auch das krankheitsfreie Überleben mit 52% vs. 56% vergleichbar. In einer neueren Studie der RTOG wurden bei 66 Patienten mit einer Radiochemotherapie (3 Zyklen MAID plus 2×22 Gy gefolgt von Operation und 3 weiteren Zyklen MAID) eine 3-Jahres-Überlebensrate für disease-free survival von 57% und für das Overall Survival von 75% erzielt (Kraybill et al. 2006). Die verschiedenen präoperativen Therapieoptionen mit dem Ziel der Tumorverkleinerung (alleinige Strahlentherapie, alleinige Chemotherapie, Radiochemotherapie) wurden bisher nicht in kontrollierten Studien verglichen, so dass hierzu noch weitere Ergebnisse abgewartet werden müssen.
Adjuvante Chemotherapie Zur Wertigkeit der adjuvanten systemischen Chemotherapie nach Resektion von Weichgewebssarkomen gibt es eine Reihe
von prospektiv randomisierten Studien. Nur in 2 von 12 Studien konnte eine Verbesserung des krankheitsfreien und Gesamtüberlebens durch die Chemotherapie nachgewiesen werden, in 5 Studien fand sich ein verlängertes rezidivfreies Intervall (Übersicht bei Gortzal u. van Coevorden 1995). Eine Metaanalyse der durchgeführten Studien konnte dagegen einen signifikanten Vorteil für die therapierten Patienten bezüglich des Gesamtüberlebens feststellen (Zalupski et al. 1993). Problematisch bei einer derartigen retrospektiven Analyse ist immer die möglicherweise ungleiche Verteilung der Tumorstadien (G2 vs. G3) in den einzelnen Arbeiten, da sie zur Verzerrung der Ergebnisse führen kann. In einer italienischen Multicenterstudie zeigt sich eine deutlich Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit durch die adjuvante Behandlung mit Doxorubicin, Ifosfamid und G-CSF (Frustaci et al. 2001). Im Rahmen der EORTC wurde eine ähnliche Studie (Studien Nr. 62931) mit 351 Hochrisikopatienten (G2/3) durchgeführt. Die adjuvante Chemotherapie bestand aus Doxorubicin, Ifosfamid und Lenograstim, eine Radiotherapie wurde in beiden Armen bei marginalem Resektionsrand oder rezidiviertem Tumor durchgeführt. In einer Zwischenanalyse betrug das rezidivfreie 5-Jahres-Überleben in beiden Gruppen 52%, beim Overall Survival zeigte sich ein Unterschied mit einem geringen Vorteil für die Kontrollgruppe (69% vs. 64%; Woll et al. 2007).
Außerhalb von klinischen Studien kann eine adjuvante Chemotherapie bei Weichgewebssarkom derzeit nicht empfohlen werden.
51.6.3 Regionale Hyperthermie Von der EORTC wurde in Zusammenarbeit mit der ESHO (European Society for Hyperthermic Oncology) eine PhaseIII-Studie zur Wirksamkeit einer neoadjuvanten Chemotherapie (Ethoposid, Ifosfamid, Adriamycin) mit zusätzlicher regionaler Chemotherapie im Vergleich zur alleinigen neoadjuvanten Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkomen durchgeführt (EORTC 62961/ESHO RHT-95). Sie basierte u. a. auf Ergebnissen der monozentrischen RHT-91-Studie aus München an 33 Patienten mit fortgeschrittenen und nicht resektablen Tumoren (Issels et al. 1993), bei der durch die Therapie eine deutliche klinische Tumorrückbildung bei 10 (2 CR, 8 PR) der Patienten erreicht werden konnte. Die Langzeitdaten aus der Phase-II-Studie zeigten bei insgesamt 59 Patienten eine Gesamtansprechrate von lediglich 17% (Issels et al. 2001). Leider sind die Abschlussdaten zu der EORTC-Studie noch nicht publiziert. In einer vorläufigen Analyse wurde über einen Vorteil im primären Studienendpunkt »lokales progressionsfreies Überleben für den Hyperthermiearm berichtet (Issels et al. 2007). Die Kombination der regionalen Hyperthermie mit einer neoadjuvanten Strahlentherapie (50,4 Gy) wurde von einer Arbeitsgruppe der Duke University evaluiert (Prosnitz et al. 1999): 63 von 78 Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren der
51
788
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
Extremitäten konnten gliedmaßenerhaltend operiert werden, und die lokale Tumorkontrollrate betrug 95%. Problematisch war aber die sehr hohe Komplikationsrate mit 4 therapiebedingten Amputationen.
51.6.4 Isolierte Extremitätenperfusion
51
Aufbauend auf den günstigen Ergebnissen der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit Tumornekrosefaktor und Melphalan (Lienard et al. 1992) beim malignen Melanom wurde dieses Verfahren auch bei lokal fortgeschrittenen Weichgewebssarkomen im Rahmen einer multizentrischen Phase-II-Studie angewendet. Die Analyse von 186 mit dieser Methode behandelten Patienten zeigte eine messbare Tumorregression bei 82% der Patienten (Eggermont et al. 1996), sodass ein Extremitätenerhalt bei 82% möglich war. Auch nach eigenen Erfahrungen in der Anwendung der ILP bei über 100 Patienten mit lokal fortgeschrittenen Sarkomen wurden insgesamt 96 Patienten mit diesem Verfahren behandelt. In 18% der Fälle wurde eine komplette und in 40% eine partielle Remission erreicht. 86% der Patienten konnten extremitätenerhaltend behandelt werden.
Für die langfristige Tumorkontrolle ist in Verbindung mit der Extremitätenperfusion eine adäquate Tumorresektion unverzichtbar.
Die lokale 5-Jahres-rezidivfreie-Zeit betrug in unserem Krankengut gut 85% nach einer R0-Resektion. Wurde dagegen keine Resektion des Tumors durchgeführt (Ablehnung durch Patienten, Metastasenentwicklung etc.), entwickelte die Mehrzahl der Patienten eine lokale Tumorprogression. In einem aktuellen Review (Taeger et al. 2008) werden lokale Remissionsraten von 79,7% genannt, in 30 % der Fälle zeigte sich sogar eine komplette Remission des Tumors. Insgesamt stellt sich die isolierte Extremitätenperfusion als das Verfahren mit den höchsten Remissionsraten lokal fortgeschrittener Tumoren dar. Allerdings ist die Durchführung aufgrund der institutionellen Gegebenheiten großen Zentren vorbehalten.
51.6.5 Intraarterielle Chemotherapie
und Bestrahlung In den 80er-Jahren wurde ein neoadjuvantes Therapieprotokoll mit der Kombination aus intraarterieller Adriamycin-Infusion und externer Radiotherapie entwickelt (Eilber et al. 1985). Nach diesem Protokoll konnte auch bei fortgeschrittenen Tumoren in fast allen Fällen extremitätenerhaltend operiert werden. Verschiedene modifiziert wird dieses Konzept von den Autoren auch heute noch verfolgt: 498 von insgesamt 753 Patienten mit Extremitätensarkomen konnten mittlerweile hiernach therapiert werden (Eilber et al. 2003).
Die Problematik dieser Therapieform besteht allerdings in der hohen regionalen Toxizität (Pisters et al. 2002). Bestätigt wurde dies in einer Serie von 66 Patienten (Wanebo et al. 1995): 62 von 66 Patienten konnten zwar extremitätenerhaltend operiert werden, aber nur ein Patient entwickelte im Verlauf ein lokales Tumorrezidiv, die Komplikationsrate betrug aber insgesamt 41% mit Gewebsnekrosen und AdriamycinInfusion und auch vermehrten postoperativen Wundinfektionen. Bei 2 der 66 Patienten musste therapiebedingt eine Amputation vorgenommen werden.
51.7
Lokalisationsadaptierte Therapieentscheidung
51.7.1 Tumoren der Extremitäten
und des Stammes Primäre chirurgische Therapie Kutane und subkutane Weichgewebssarkome können in
fast allen Fällen durch eine weite Resektion sicher entfernt werden. Zur Tiefe hin ist die oberflächliche Körperfaszie als Grenzschicht mitzuresezieren. Der resultierende Weichteildefekt kann eine Deckung mit einem Hauttransplantat oder auch mit einer Muskellappenplastik erforderlich machen. Bei streng intrakompartimental gelegenen Tumoren, die sicher komplett zu resezieren sind (R0-Resektion), besteht klassischerweise die Indikation zur Resektion des gesamten Muskelkompartments von seinem Ursprung bis zum Ansatz. Aktuelle Untersuchungen konnten zeigen, dass bei Abständen von weniger als 10 mm eine deutlich höhere Rezidivrate resultiert (McKee et al. 2004). Ob aber die Mitresektion der Muskelstümpfe weit entfernt vom Tumor einen messbaren Vorteil für den Patienten darstellt, ist nicht gesichert.
Bei großen Tumoren und solchen, die am Rande eines anatomischen Kompartments liegen, ist die Therapieentscheidung problematisch, da diese Tumoren zwar technisch als Kompartimentresektion resezierbar sind, eine R0-Resektion aber nicht in jedem Fall sicher erreicht werden kann. In dieser Situation ist eine Vortherapie indiziert.
Der überwiegende Teil der extrakompartimental gelegenen Tumoren erfordert aufgrund der mangelnden anatomischen Begrenzung ein multimodales Vorgehen. Eine Ausnahme besteht allerdings bei gut differenzierten Tumoren (z. B. Liposarkom G1) mit einer geringeren Empfindlichkeit gegenüber einer Chemo- oder Strahlentherapie.
Indikationen zum multimodalen Vorgehen Mit Ausnahme der oben genannten speziellen Therapiesituationen sollten alle Patienten mit lokalisierten primären Weichgewebssarkomen im Rahmen multimodaler Therapiekonzepte behandelt werden. Bei Vorliegen von Rezidivtumoren ist per se schon von einer gesteigerten biologischen Aggressivität auszugehen, sodass hier eine primäre alleinige
789 51.7 · Lokalisationsadaptierte Therapieentscheidung
chirurgische Therapie auf Ausnahmesituationen beschränkt bleibt (z. B. G1-Liposarkom). Bei fortgeschrittenen und höhergradig malignen Tumoren sollte die Indikation zu einer neoadjuvanten Therapie großzügig gestellt werden. In Abhängigkeit von den lokalen institutionellen Gegebenheiten sowie der Tumorlage ist hier zwischen der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNF und Melphalan, einer Vorbestrahlung mit/ohne Chemotherapie in einer geeigneten Studie zu entscheiden.
Auch wenn durch die anschließende Operation eine R0-Situation erreicht werden kann, ist bei extrakompartimentalen Tumoren nach Abschluss der Wundheilung eine Nachbestrahlung bis zu einer Gesamtdosis von 60–70 Gy erforderlich.
Vor diesem Hintergrund sind in Zukunft Indikationen zu mutilierenden Eingriffen, insbesondere Gliedmaßenamputationen noch strenger zu stellen.
Gerade bei R1-Situationen und marginalen Tumorresektionen sollten zuvor alle Möglichkeiten einer additiven Therapie ausgeschöpft werden, da die Gesamtprognose mehr durch die (okkulte) Fernmetastasierung als die Lokaltherapie bestimmt wird und nicht bei jeder R1-Resektion mit einem sicheren Lokalrezidiv zu rechnen ist. Die lokale Progressionsrate nach inkompletter Tumorresektion betrug im Krankengut des Memorial Sloan Kettering Center 28% (Stojadinovic et al. 2002).
51.7.2 Retroperitoneale und viszerale
Sarkome, GIST Gerade bei geringen Sicherheitsabständen oder bei einer R1-Situation kann durch eine intraoperative Radiotherapie eine Tumorkontrolle doch noch erreicht werden. Aufgrund der geringen Verfügbarkeit dieser Option müssen in Zukunft die Verfahren der Brachytherapie (Afterloading) weiter forciert werden. Nach Vortherapie auch fortgeschrittener Tumoren kann die kurative Resektion in den meisten Fällen extremitätenerhaltend erfolgen. Eine Amputation ist heute lediglich bei 10% der Patienten erforderlich.
Problematik des Lokalrezidivs Die Häufigkeit eines lokalen Tumorrezidivs nach alleiniger operativer Therapie ist sehr stark von der chirurgischen Technik abhängig. Sie schwankt im Extremitätenbereich zwischen 7 und 21% nach Amputationen und zwischen 50 und 93% nach lediglich marginalen Exzisionen (Übersicht bei Lise et al. 1995). Der wichtigste Faktor ist hierbei die R0-Resektion (McKee et al. 2004; Stojadinovic et al. 2002; Trovik et al. 2000). Durch den konsequenten Einsatz multimodaler Therapieverfahren konnte die Rate lokaler Tumorrezidive in den letzten Jahren deutlich gesenkt werden, sodass davon ausgegangen werden kann, dass heutzutage funktions- und extremitätenerhaltende Therapieverfahren diesbezüglich einer Amputation gleichwertig sind. Dementsprechend ist eine primäre Amputation nur noch bei wenigen Patienten erforderlich. Ein lokales Tumorrezidiv ist assoziiert mit einer schlechten Gesamtprognose für den Patienten (Stojadinovic et al. 2002). Die Prognose ist abhängig vom Intervall zur Ersterkrankung, von der Tumorgröße und vom Grading des Rezidivs (Ramanathan et al. 2001). Aufgrund detaillierter Analysen ergeben sich aber Anhaltpunkte, dass ein lokales Tumorrezidiv Ausdruck einer insgesamt schlechten Prognose und weniger Ursache der Fernmetastasierung ist (Stojadinovic et al. 2002). Hauptindiz hierfür ist, dass trotz Steigerung der lokalen Tumorkontrolle durch multimodale Lokaltherapie keine Verbesserung des Gesamtüberlebens der Patienten resultierte.
Neben den Weichgewebssarkomen im Extremitätenbereich stellen die retroperitonealen und intraabdominellen Sarkome die größte Gruppe dar. Unter den viszeralen Sarkomen werden die Tumoren der parenchymatösen Organe und die gastrointestinalen Sarkome zusammengefasst. Retroperitoneale Sarkome werden in der Mehrzahl der Fälle erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt. Erst bei ausgeprägtem Tumorwachstum kommt es zu klinischen Symptomen durch Verdrängung und gelegentlich auch zur Infiltration von Nachbarorganen. Die z. T. monströsen Tumoren können fast das gesamte Abdomen ausfüllen und ein Gewicht von mehr als 10 kg erreichen. Histologisch überwiegen in dieser Lokalisation das Liposarkom und das Leiomyosarkom (Lewis et al. 1998). Grundsätzlich ist auch bei retroperitonealen oder intraabdominellen Tumoren eine histologische Sicherung vor der definitiven Operation anzustreben. Problematisch ist jedoch, dass bereits eine Inzisionsbiopsie einen erheblichen Eingriff darstellen kann und daher vielfach hierauf verzichtet wird. Auch die Rolle einer Stanzbiopsie ist wegen der möglichen Tumorzellverschleppung (langer Biopsiekanal) umstritten.
Die Entscheidung, einen retroperitonealen Tumor ohne vorherige histologische Sicherung primär zu resezieren, sollte nur dann getroffen werden, wenn eine komplette R0-Resektion mit großer Sicherheit erreichbar ist.
Scheint dies fraglich, kann die Situation für den Patienten möglicherweise durch eine neoadjuvante Therapie verbessert werden. In diesem Fall ist eine Biopsie erforderlich, um den Patienten auch anhand des histologischen Gradings ggf. in eine Therapiestudie einbringen zu können. Die chirurgische Laparoskopie mit gleichzeitiger gezielter Gewebeentnahme kann in diesen Fällen wichtige zusätzliche Informationen bringen.
51
790
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
. Abb. 51.7a,b. En-bloc-Resektion mit Hemikolektomie rechts und Nephrektomie. a Retroperitoneales Liposarkom. b Resektat
51 a
Die spezielle Diagnostik bei Tumoren des Retroperitoneums richtet sich nach der genauen Tumorlage und den verdrängten bzw. infiltrierten Nachbarorganen. Endoskopische und röntgenologische Verfahren sind in der Lage, eine Hohlorganbeteiligung exakt nachzuweisen. Eine Kavographie bei rechtsseitigen und retrohepatischen Tumoren oder eine indirekte portalvenöse Darstellung bei mesenterialer Manifestation können für die Operationsplanung sehr hilfreich sein. Dabei müssen von vornherein mögliche multiviszerale Resektionen berücksichtigt werden. Dies trifft insbesondere für eine adäquate Nierenfunktionsanalyse vor evtl. Nephrektomie zu.
Wann immer die Tumorsituation es erlaubt, sollte die Dissektionsebene so gewählt werden, dass eine tumorbedeckende Grenzschicht erhalten bleibt.
Dies kann z. B. durch En-bloc-Resektion von Niere oder Nierenfettkapsel, M. psoas und Hemikolektomie erreicht werden oder im linken Oberbauch durch Splenektomie, Adrenalektomie, Nephrektomie, Flexurenresektion und Pankreasschwanzresektion (. Abb. 51.7 und . Abb. 51.8). Der Anteil der multiviszeralen Resektionen wurde in der größten bisher publizierten Studie aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center bei insgesamt 500 Patienten mit 77% angegeben (Lewis et al. 1998). In einer deutschen Studie waren sie bei 23 von 53 Patienten erforderlich, wobei Niere, Nebenniere und Milz die am häufigsten resezierten Nachbarorgane waren (Nagel et al. 1994). Die Nephrektomierate beträgt ca. 20% (Russo et al. 1997). Zusätzlich zu den viszeralen Organen wurden in einer Publikation Gefäßresektionen bei 34% der Patienten beschrieben (Kilkenny et al. 1996). Das Erreichen einer kompletten Resektion (R0) ist der entscheidende prognostische Faktor für das Überleben der Patienten. Der Grund für die insgesamt schlechtere Prognose der Patienten mit retroperitonealen oder intraabdominellen
b
Tumoren liegt in der im Vergleich zu anderen Lokalisationen deutlich geringeren kurativen Resektabilitätsrate. Auch in größeren Studien wird eine R0-Resektion bei lediglich 43– 75% der Patienten angegeben (Nagel et al. 1994; Kilkenny et al. 1996; Jenkins et al. 1996). Sie liegt bei Patienten mit Primärtumoren deutlich höher als im Rezidivfall. Lewis et al. (1998) konnten bei ihren Patienten mit Primärtumor in 83% der Fälle eine Resektion durchführen, und 80% hiervon als R0-Resektion. Bei Patienten mit Rezidiven betrug die makroskopisch komplette Resektionsrate nur noch 57%. Lediglich in einer Studie wird eine Resektabilitätsrate von 100% (96% komplett) angegeben (Karakousis et al. 1995), was möglicherweise als Ausdruck einer besonderen Patientenselektion gedeutet werden muss.
791 51.7 · Lokalisationsadaptierte Therapieentscheidung
. Abb. 51.8. En-bloc-Resektion eines Weichgewebssarkoms des linken Oberbauchs unter Einschluss von Magen, Milz, Querkolon und Pankreas
. Abb. 51.9. GIST, ausgehend von der Magenwand
Die 5-Jahres-Überlebensraten der Patienten mit retroperitonealen Sarkomen betragen 20-72% (Lewis et al. 1998; Nagel et al. 1994; Jenkins et al. 1996; Karakousis et al. 1995; Catton et al. 1996; Argenziano et al. 1999). Neben tumorbiologischen Faktoren wie dem Grading und dem histologischen Tumortyp ist der wichtigste prognostische Faktor die Erreichbarkeit einer R0-Resektion (Lewis et al. 1998). Patienten mit R0-Resektion haben eine mediane Überlebenszeit von 103 Monaten, bei inkompletter Resektion beträgt sie dagegen lediglich 18 Monate. Im Gegensatz zu Patienten mit Extremitätensarkomen verstirbt ein großer Anteil der Patienten mit retroperitonealen Sarkomen an den Folgen eines lokoregionären Rezidivs ohne die Entwicklung von Fernmetastasen. Die gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) werden heute aufgrund pathohistologischer und molekularbiologischer Kriterien als eigene Entität angesehen, während sie früher oft als Leiomyome oder Leiomyosarkome des Magens
bzw. Darms zusammengefasst wurden (Joensuu et al. 2002). Der hohe Anteil viszeraler Sarkome in älteren Publikationen mit z. T. bis 15% aller Patienten ist sicher auf diese Gruppe der Tumoren zurückzuführen.
Einheitliches Kriterium für die Diagnose eines GIST ist das Vorliegen einer Expression von CD 117 auf der Zelloberfläche als Ausdruck einer Mutation im c-kit-Protoonkogen.
Der häufigste Manifestationsort der GIST ist der Magen (. Abb. 51.9), 40–70% dieser Tumoren entstehen hier, während ca. 30% im Duodenum und Dünndarm auftreten (Hohenberger et al. 2003; DeMatteo et al. 2000). Tumoren dieser Entität im Ösophagus sind dagegen außerordentlich selten. GIST machen nur ca. 1% aller malignen Tumoren des
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792
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
Magens aus, was die geringe Inzidenz dieser Neoplasien im Vergleich zu den Karzinomen verdeutlicht. Blutung und Schmerzen sind die häufigsten Symptome der viszeralen Sarkome, abhängig von der Lokalisation können sie bei 44–87% der Patienten vorhanden sein. Obstruktion und tumorbedingte Perforation sind weitere wichtige Symptome. Die klinische wie auch die histologische Unterscheidung zwischen malignen und benignen GIST kann sehr schwierig sein, wenn die Tumorbiologie z. B durch das Vorliegen von Lebermetastasen oder einer abdominellen Sarkomatose nicht deutlich wird.
51
Generell gilt, dass die Wahrscheinlichkeit eines malignen Tumors mit wachsender Tumorgröße steigt, wobei aber auch kleinere Tumoren maligne sein können.
Ziel der operativen Therapie ist, analog zu den Sarkomen anderer Histologie, die R0-Resektion. In der Serie von DeMatteo et al. (2000) war sie bei 81% der Primärtumoren möglich. Bei Patienten mit GIST des Magens ist dies auch durch eine lokale Exzision des Tumors mit ca. 2 cm Sicherheitsabstand erreichbar; eine prinzipielle Gastrektomie bedingt keine Verbesserung der Ergebnisse (Carson et al. 1994). Ebenso besteht keine Indikation zu einer erweiterten Lymphknotendissektion, es sei denn bei klinisch oder histologisch nachgewiesenem Lymphknotenbefall. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei Tumoren des Darmes auf eine segmentale Resektion des Mesenteriums verzichtet werden sollte. Durch die auf einer molekularbiologischen Analyse der GIST beruhende gezielte Entwicklung der Therapie mit dem Proteinkinaseninhibitor Imatinib hat sich die Therapie dieser z. T. hochaggressiven Tumoren grundlegend gewandelt. Auch in fortgeschrittenen Tumorstadien sind Remissionsraten zwischen 70 und 85% beschrieben worden (Joensuu et al. 2002; Hohenberger et al. 2003). Mit dieser Therapieform kann bei vielen Patienten mit zunächst inoperablen Tumoren – vor allem in Rezidivsituationen – anschließend eine R0-Resektion erreicht werden. In den häufigen Fällen einer bereits vorliegenden intraabdominellen Metastasierung ist die palliative Resektion von verbleibenden noch vitalen Resttumoranteilen möglich. Zur Responsebeurteilung und auch zur Verlaufskontrolle ist bei diesen Tumoren die PET sehr gut geeignet (Stroobants et al. 2003). Die Dauer der mit Imatinib erreichbaren Tumorkontrolle kann noch nicht sicher beurteilt werden. Nach 12– 18 Monaten war bei einem steigenden Anteil der Patienten wieder eine Progression zu beobachten (Joensuu et al. 2002). Die Studie mit der bisher längsten Follow-up Zeit konnte bisher eine Überlebensverlängerung unter Imatinibtherapie von 18 auf 60 Monate zeigen (Blanke et al. 2008). Die 5- und 10-Jahres-Überlebensraten für gastrointestinale Sarkome werden mit 32–78% bzw. 19–63% angegeben (DeMatteo et al. 2000). Die Auswirkungen der Imatinib-Therapie auf das Langzeitüberleben sind derzeit noch nicht abzuschätzen.
Primäre Sarkome der Leber sind ausgesprochen seltene Tumoren. Am bekanntesten sind die primären Angiosarkome. Diese Tumoren können z. T. ätiologisch auf definierte exogene Einflüsse zurückgeführt werden. Neben der Induktion durch Thorotrast sind hier auch eine verstärkte Arsenexposition bei Arbeitern im Weinbau oder das PVC-Monomer zu erwähnen. Die Tumoren dieser histopathologischen Entität sind in der Regel außerordentlich rasch progredient. Andere histologische Typen sind z. B. epitheloide Hämangioendotheliome, maligne Mesenchymome oder undifferenzierte (embryonale) Sarkome der Leber. Letztere treten bis auf wenige Ausnahmen fast ausschließlich im Kindesalter auf (Grazi et al. 1996). Aufgrund der geringen Fallzahlen liegen entsprechend wenige Erfahrungen zur Resektion dieser Tumoren vor. Die Bedeutung einer kompletten Resektion mit tumorfreien Rändern wird unterstrichen durch eine Arbeit aus Hamburg (Matthaei et al. 2009): bei 18 Patienten, bei denen eine R0 Resektion durchgeführt wurden betrug die 5-JahresÜberlebensrate 77%, alle Patienten mit einer R1-Resektion starben innerhalb von 36 Monaten. Die Leber ist nur bei ca. 1–2% der Patienten mit disseminierten Sarkomen der primäre Metastasierungsort. In einer Zusammenstellung von Patienten aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center (Jaques et al. 1995) hatten 61 von 65 Patienten mit Lebermetastasen eine Primärtumorlokalisation im Retroperitoneum oder viszeral. Histologisch handelte es sich in 85% der Fälle um Leiomyosarkome. 22% der 272 Patienten mit intraabdominellen/viszeralen Tumoren entwickelten Lebermetastasen, im Vergleich zu nur 3 von 637 (0,5%) der Patienten mit Extremitätensarkomen. Nur ein geringer Teil der Patienten kann durch eine Resektion behandelt werden. Ursachen hierfür sind eine extrahepatische Tumormanifestation, ein bilobärer Befall oder eine ungünstige Metastasenlokalisation. Nach erfolgter Metastasenresektion (14 von 65 Patienten) war zwar die mediane Überlebenszeit signifikant verlängert (30 vs. 11 Monate), dieser Unterschied war aber in einer multivariaten Analyse nicht mehr signifikant (Jaques et al. 1995). Eine Analyse von 45 Patienten mit Lebermetastasen eines Weichgewebssarkoms von denen 27 resektabel waren, ergab eine 5-Jahres-Überlebensrate von 49% (Rehders et al. 2009). Sarkome des Uterus machen 2–6% der malignen Tumoren des Uterus aus. Im Vordergrund stehen hierbei Leiomyosarkome, die ca. 45% der Sarkome an dieser Lokalisation ausmachen. Ein eindeutiger Zusammenhang mit einer vorangegangenen endokavitären Strahlentherapie lässt sich nicht sicher nachweisen. Die Therapierichtlinien unterscheiden sich nicht von denen für andere Lokalisationen, im Vordergrund steht die Operation mit dem Ziel der R0-Resektion. Neben Lebermetastasen können Uterussarkome gelegentlich Ausgangspunkt einer diffusen intraabdominellen Sarkomatose sein. In Analogie zur peritonealen Karzinomatose gibt es hier in neuerer Zeit Ansätze einer aggressiven zytoreduktiven Therapie mit anschließender intraperitonealer Chemotherapie (Sugarbaker et al. 1996).
793 51.8 · Metastasierte Sarkome
51.8
Metastasierte Sarkome
51.8.1 Chirurgische Therapie
von Lungenmetastasen Die Lungen sind mit über 70% der häufigste primäre Metastasierungsort der Weichgewebssarkome. 90% der Metastasen treten innerhalb der ersten 2 Jahre nach Primärtherapie auf. Die Prognose der Patienten ist vom Zeitpunkt der Metastasierung abhängig. Bei primärer pulmonaler Metastasierung findet sich in einer aktuellen Arbeit eine 5-Jahres-Überlebensrate von 0% während Lungenmetastasen, die unter Therapie auftreten eine bessere Prognose mit 7,4% aufweisen. Tritt die pulmonale Metastasierung erst im weiteren Verlauf auf steigt die 5-Jahres-Überlebensrate auf 59,5% (Po Kuei Wu et al. 2009). In einer Studie der Mayo-Klinik (Choong et al. 1995) waren die wichtigsten prognostischen Kriterien das krankheitsfreie Intervall (>/<18 Monate), die Metastasenzahl (>/<2), der Tumortyp (MFH vs. andere) und das Alter (>/<50 Jahre). Der Anteil der Patienten mit resektablen Metastasen beträgt jedoch maximal ein Drittel. So konnten Billingsley et al. (1999) vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center bei 248 von 719 Patienten mit Lungenmetastasen eine Resektion durchführen. Die 5-Jahres-Überlebensrate nach kurativer Metastasenresektion beträgt zwischen 35 und 40% (Choong et al. 1995; Billingsley et al. 1999; van Geel et al. 1996). Auch bei Rezidivmetastasen ist in vielen Fällen ein erneutes operatives Vorgehen möglich. In einer Serie von 86 Patienten mit einer Reoperation konnte eine 5-Jahres-Überlebensrate von 36% erreicht werden (Weiser et al. 2000). Bei der Indikation zur Resektion sind die prognostischen Faktoren zu berücksichtigen. Vor allem nach längerem Intervall und bei kleiner Metastasenzahl kann eine primäre Resektion befürwortet werden, die gleichzeitig der histologischen Sicherung dient. Bei kurzem krankheitsfreien Intervall sollte zunächst eine systemische Chemotherapie eingeleitet werden. Kommt es hierunter zu einer Rückbildung oder zumindest zu einem Erkrankungsstillstand, wird sich daran die Resektion anschließen. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass anhand der histologischen Aufarbeitung der resezierten Metastasen Hinweise für die Effektivität der eingesetzten Chemotherapie gewonnen werden können. Die mediane Sternotomie galt bisher als der Standardzugang bei der Resektion von Lungenmetastasen. Sie erlaubt die simultane Exploration beider Lungen, wobei in vielen Fällen zusätzliche Metastasen gefunden werden und somit der Anteil der potenziell kurativ operierten Patienten erhöht werden kann. Neuere Daten konnten jedoch zeigen, dass bei unilateralem Befall eine Exploration und Resektion nur auf der betroffenen Seite einem bilateralen Vorgehen gleichwertig ist (Younes et al. 2002). Hinzu kommt, dass bei dorsal oder zentral gelegenen Herden die Resektion über einen lateralen Zugang leichter sein kann. Seit Einführung minimal-invasiver Techniken auch in der Lungenchirurgie ist die bioptische Sicherung einer Metastasierung für den Patienten wesentlich weniger belastend geworden, womit bei solitären Herden gleichzeitig die Therapie erreicht ist. Inwieweit thorakosko-
pische Metastasenresektionen gleichwertig mit offenen Resektionsverfahren sind, ist bisher noch strittig. Der Wert einer adjuvanten systemischen Therapie nach erfolgreicher (R0) Metastasenresektion ist bisher nicht belegt und muss in prospektiven Studien weiter abgeklärt werden.
51.8.2 Palliative Chemotherapie Die wirksamsten Einzelsubstanzen in der systemischen Chemotherapie von Weichgewebssarkomen sind die Anthrazykline Adriamycin, Epirubicin, Trabectedin, Gemcitabin, Ifosfamid sowie Taxane. Die medikamentöse Therapie erfolgt zunehmend differenzierter in Abhängigkeit vom histologischen Subtyp. Der klinische Stellenwert der hochdosierten, G-CSF oder stammzellgestützen Therapie ist bisher noch unklar (Verma et al. 2008). Auch in Bezug auf neuere Substanzen wie VEGF(R)-Inhibitoren und mTor-Antagonisten fehlen die entsprechenden Daten noch. Die Ansprechraten einer Monotherapie werden für Adriamycin zwischen 17–40%, für Epirubicin mit 18–48% und für Ifosfamid mit 17–36% angegeben (Keohan u. Taub 1997). Dacarbazin (DTIC) wird aufgrund seiner geringeren Wirksamkeit heute kaum noch als Monotherapie eingesetzt. Eine sequenzielle Monochemotherapie führt zu einer vergleichbaren Überlebenszeit wie Kombinationschemotherapien bei verbesserter Lebensqualität. Die Datenanalyse der EORTC an insgesamt 2185 Patienten aus 7 verschiedenen Studien zeigt eine Gesamtansprechrate von 26% und eine mediane Überlebenszeit von 51 Wochen (van Glabbeke et al. 1999). Ein guter körperlicher Zustand (WHO Performance Status), das Fehlen von Lebermetastasen, ein niedriges Tumorgrading, ein längeres krankheitsfreies Intervall und ein jüngeres Patientenalter waren in dieser Gruppe signifikant günstigere Prognosefaktoren. Eine Überlebenszeit von mehr als 5 Jahren wurde bei insgesamt 8% der Patienten beobachtet; dies betraf insbesondere Patienten, bei denen mit der Chemotherapie eine komplette Remission erreicht werden konnte (Blay et al. 2003). Mehrere randomisierte Studien zeigen, dass sich mit einer Kombinationschemotherapie höhere Ansprechraten erreichen lassen als durch eine Monotherapie. Mit Ersterer ist eine komplette Remission für 5–15% der Patienten möglich (Schütte 1995). Die wichtigsten Therapieschemata sind die Kombinationen aus Adriamycin/Epirubicin und Ifosfamid, z. T. in Verbindung mit DTIC, VP-16 oder Vincristin. Die früher häufig eingesetzte Therapie mit Cyclophosphamid (CYVADIC-Schema) ist im Vergleich zu den neueren Kombinationen weniger wirksam. Ziel neuer Therapiestudien, insbesondere mit Hochdosisprotokollen ist es, die Rate kompletter Remissionen zu steigern und damit auch bei diesen Patienten die Voraussetzung für ein potenziell längerfristiges Überleben zu schaffen.
Bei einer partiellen oder kompletten Remission sollte immer auch die Operationsindikation zur Resektion verbleibender Metastasen erneut geprüft werden.
51
794
Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
Trotz z. T. deutlich höherer Ansprechraten durch eine Polychemo- oder eine Hochdosistherapie konnte eine signifikante Verlängerung der progressionsfreien oder auch der Gesamtüberlebenszeit in prospektiv randomisierten Studien bisher nicht nachgewiesen werden (Reichardt 2002). Diese Therapien sollten daher immer im Rahmen von Studienprotokollen durchgeführt werden.
51.8.3 Behandlung des Primärtumors
im metastasierten Stadium
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Jede Behandlungsindikation für einen lokalisierten Primäroder Rezidivtumor im metastasierten Stadium ist auf die individuelle Situation des Patienten abzustimmen. Im Vordergrund der therapeutischen Überlegungen muss die in der jeweiligen Situation bestmögliche Lebensqualität des Patienten stehen, die allerdings von Arzt und Patient sehr unterschiedlich beurteilt werden kann. Zu berücksichtigen sind bei der Therapieentscheidung auch Daten über eine mögliche humorale Kontrolle der Metastasen durch einen Primärtumor (wie z. B. Angiostatin; O’Reilly et al. 1994). Die Bedeutung dieser Daten in der konkreten klinischen Situation ist derzeit noch nicht abzusehen.
Größere mutilierende Eingriffe, insbesondere Amputationen von Gliedmaßen, sollten bei gleichzeitiger Metastasierung nur in Ausnahmefällen erwogen werden, so z. B. bei ausgedehnten exulzerierenden Tumoren und bei anders nicht beherrschbaren Tumorschmerzen.
Da die systemische Metastasierung ein lebensbegrenzender Faktor für den Patienten ist, steht hier die palliative Chemotherapie im Vordergrund. Kommt es auch hierunter zur Progression der Erkrankung, so ist die chirurgische Lokaltherapie des Tumors nur noch bei Schmerzen oder anderen Symptomen erforderlich. Bei fehlender Progredienz muss entschieden werden, ob der lokale Tumor unter funktionserhaltenden Gesichtspunkten zu resezieren ist. Gerade bei ausgedehnten Tumoren der Extremitäten kann in dieser Situation durch die isolierte Extremitätenperfusion mit TNF/Melphalan eine noch weitere Tumorremission erreicht werden. In mehreren Fällen konnte allein durch diese Maßnahme das lokale Tumorwachstum für die verbleibende Überlebenszeit des Patienten kontrolliert werden, bei gleichzeitig weitgehend uneingeschränkter Funktion. Wenn bei Patienten mit manifester systemischer Metastasierung die Indikation zur Resektion eines lokal fortgeschrittenen Tumors gestellt wird, sollte eine R0-Resektion angestrebt werden, soweit dies funktionserhaltend möglich ist. Bei unmittelbarer Nähe zu Gefäßen oder Nerven sollte in dieser Situation jedoch sorgfältig zwischen einer zur Erlangung der R0-Situation erforderlichen Gefäß- oder Nervenresektion (und ggf. Rekonstruktion) und einer Adventitiadissektion bzw. Epineurektomie abgewogen werden, auch wenn letztere in einer R1-Situation resultiert. Zu bedenken ist hierbei auch, dass
der Patient evtl. für seine verbleibende Lebenszeit durch weitere Therapiemaßnahmen oder durch ein rasch auftretendes Lokalrezidiv erneut an die Klinik gebunden wird.
51.9
Postoperative Behandlung
Die Nachsorgeuntersuchung dient neben der Erkennung eines Lokalrezidivs oder von Metastasen natürlich auch der Beurteilung des funktionellen Ergebnisses. Ausgedehnte, z. T. auch multiviszerale Resektionen retroperitonealer und intraabdomineller Sarkome können in Abhängigkeit von den mitentfernten Organ- bzw. Dünn- oder Dickdarmabschnitten zu Verdauungsstörungen führen. Schwerwiegende Störungen der Resorption sind allerdings nur in Ausnahmefällen zu erwarten. Diätetische Maßnahmen sind an die jeweilige individuelle Situation anzupassen. Im Extremitätenbereich sind insbesondere Schwellungen und Ödemneigung sowie die Kraftentwicklung der verbliebenen Muskelanteile genau zu untersuchen, das Bewegungsausmaß der benachbarten Gelenke und evtl. vorhandene muskulär oder ligamentär bedingte Instabilitäten sind zu dokumentieren, da nur so ein gezielter Einsatz von physiotherapeutischen Maßnahmen und Lymphdrainagebehandlungen sinnvoll möglich ist. Nach ausgedehnten Muskelresektionen und insbesondere nach Nervenresektionen kann die Verordnung von Orthesen erforderlich werden. Während in früheren Jahren z. T. sehr starre Nachsorgeschemata befolgt wurden, wird heutzutage die Nachsorgestrategie zunehmend der tatsächlichen Tumorsituation angepasst. Eine Umfrage unter Mitgliedern der Society of Surgical Oncology zeigt diese individuelle Adaptation in Abhängigkeit u. a. von Tumorgrading und -größe sehr deutlich (Sakata et al. 2003). Zur Erkennung eines lokalen Tumorrezidivs ist neben einer sorgfältigen klinischen Untersuchung eine Sonographie indiziert. Sie ist allerdings wegen der Darmgasüberlagerungen und postoperativer Veränderungen bei intraabdominellen und retroperitonealen Tumoren oft nicht ausreichend, weshalb der CT-Untersuchung hier ein hoher Stellenwert zukommt. Endoskopische Verfahren sind vor allem nach Resektion von GIST von Bedeutung. Für Extremitätentumoren ist bei klinischem bzw. sonographischem Rezidivverdacht oder bei sonographisch nicht ausreichend beurteilbarer Situation eine zusätzliche MRT-Untersuchung angezeigt. Letzteres ist vor allem nach ausgedehnten Kompartmentresektionen der Fall sowie bei vorangegangenen multimodalen Therapien, insbesondere unter Einschluss von Radiotherapien. Zur besseren Vergleichbarkeit einzelner Befunde ist es u. U. sinnvoll, ca. 3 Monate nach Abschluss der Primärtherapie ein »Ausgangs-MRT« zu erstellen und im weiteren Verlauf im Wechsel sonographische und MRT-Untersuchungen durchzuführen. Laboruntersuchungen haben in der Nachsorge von Patienten mit Weichgewebssarkomen keinen Stellenwert. Eine Ausnahme stellen hier lediglich Patienten nach systemischer Chemotherapie dar, bei denen hämatologische und renale Störungen auftreten können.
795 51.9 · Postoperative Behandlung
Eine routinemäßig durchgeführte Sonographie des Abdomens zur Metastasensuche bei Tumoren der Extremitäten und des Stammes ist nicht erforderlich, da intraabdominelle Metastasen hier ausgesprochen selten sind. Im Gegensatz dazu sind z. B. Lebermetastasen nach retroperitonealen Sarkomen oder vor allem auch Leiomyosarkomen des Uterus wesentlich häufiger (Jaques et al. 1995). Zusätzlich zur Sonographie wird in diesen Fällen regelmäßig die Indikation zur CT-Untersuchung sowohl für die Beurteilung des Lokalbefundes (s. oben) als auch der Metastasierung zu stellen sein. Da der häufigste Metastasierungsort bei Weichgewebssarkomen die Lungen sind, ist die regelmäßige Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen unbedingter Bestandteil der Nachsorge. Bei Risikopatienten wird in den ersten 2 Jahren ein CT der Thoraxorgane in halbjährigen Abständen empfohlen. Literatur Alektiar KM, Zelefsky MJ, Brennan MF (2000) Morbidity of adjuvant brachytherapy in soft tissue sarcoma of the extremity and superficial trunk. Int J Radiat Oncol Biol Phys 47(5): 1273–1279 Alektiar KM, Leung D, Zelefsky MJ, Healey JH, Brennan MF (2002) Adjuvant brachytherapy for primary high-grade soft tissue sarcoma of the extremity. Ann Surg Oncol 9(1): 48–56 Argenziano G, Fabbrocini G, Carli P, De Giorgi V, Delfino M (1999) Clinical and dermatoscopic criteria for the preoperative evaluation of cutaneous melanoma thickness. J Am Acad Dermatol 40(1): 61–68 Benk V, Kandel R, Goddard K, Freeman C, Sadura A, Zee B, Day A, Tu D, Pater J; Canadian Sarcoma Group; NCI Canada Clinical Trial Group Randomized Trial (2005) Late radiation morbidity following randomization to preoperative versus postoperative radiotherapy in extremity soft tissue sarcoma. Radiother Oncol 75:48–53 Billingsley KG, Burt ME, Jara E, Ginsberg RJ, Woodruff JM, Leung DH et al. (1999) Pulmonary metastases from soft tissue sarcoma: analysis of patterns of diseases and postmetastasis survival. Ann Surg 229(5): 602–610 Blanke CD, Demetri GD, von Mehren M, et al.(2008) Long-term results from a randomized phase II trial of standard- versus higher-dose imatinib mesylate for patients with unresectable or metastatic gastrointestinal stromal tumors expressing KIT. J Clin Oncol; 26:620–5. Blay JY, Van Glabbeke M, Verweij J, van Oosterom AT, Le Cesne A, Oosterhuis JW et al. (2003) Advanced soft-tissue sarcoma: a disease that is potentially curable for a subset of patients treated with chemotherapy. Eur J Cancer 39(1): 64–69 Benz MR, Czernin J, Allen-Auerbach MS, Tap WD, Dry SM, Elashoff D, Chow K, Evilevitch V, Eckardt JJ, Phelps ME, Weber WA, Eilber FC (2009): FDG-PET/CT imaging predicts histopathologic treatment responses after the initial cycle of neoadjuvant chemotherapy in high-grade soft-tissue sarcomas. Clin Cancer Res 15):2856–63. Brennan MF, Casper ES, Harrison LB, Shiu MH, Gaynor JJ, Hajdu SI (1991) The role of multimodality therapy in soft-tissue sarcoma. Ann Surg 214(3): 328–336 Bölke E. K. Ortz, M. Peiper, C.F. Eisenberger, C. Matuschel, P.A. Gerber, R. Fenk, R. Engers, S. Gripp, W. Budach (2009): Radiotherapie von Weichteilsarkomen. Onkologe 15:398–403 Bujko K, Suit HD, Springfield DS, Convery K (1993) Wound healing after preoperative radiation for sarcoma of soft tissues. Surg Gynecol Obstet 176: 124–134
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Kapitel 51 · Weichgewebssarkome
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52 52
Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts C. Peschel
52.1
Grundlagen
52.1.1 52.1.2 52.1.3 52.1.4 52.1.5
Epidemiologie – 800 Pathogenese – 800 Pathologie – 801 Klassifikation – 803 Prognostische Faktoren
52.2
Klinische Symptomatologie
52.2.1 52.2.2 52.2.3 52.2.4
Lymphome des Magens – 804 Intestinale Lymphome – 804 Mantelzell-Lymphome – 805 Burkitt-Lymphome – 805
52.3
Diagnostik und Staging
52.3.1 52.3.2
Diagnostik – 805 Staging – 805
52.4
Therapie gastrointestinaler Lymphome
52.4.1 52.4.2 52.4.3 52.4.4 52.4.5
Extranodales Marginalzonen-B-Zell-Lymphom vom MALT-Typ – 806 Diffusen großzelliges B-Zell-Lymhom – 808 Mantelzell-Lymphom – 808 Burkitt-Lymphom – 808 Chirurgische Therapie bei gastrointestinalen Lymphomen – 808
52.5
Therapie von gastrointestinalen Lymphomen im Rezidiv
52.5.1 52.5.2
Extranodales Marginalzonen-B-Zell-Lymphom vom MALT-Typ – 809 Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom und Burkitt-Lymphom – 810
52.6
Empfehlungen zur Nachsorge
52.7
Ausblick Literatur
– 800
– 810 – 810
– 803
– 804
– 805
– 810
– 806
– 809
800
Kapitel 52 · Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
> Primäre Non-Hodgkin-Lymphome des Gastrointestinaltrakts repräsentieren insgesamt eine seltene Manifestation lymphatischer Neoplasien, stellen jedoch unter den malignen Tumoren des Magens die zweithäufigste Entität dar. Ätiologisch konnte in den letzten Jahren ein Zusammenhang zwischen primären Lymphomen des Magens und einer chronischen Infektion mit Helicobacter pylori nachgewiesen werden, was wesentliche therapeutische Konsequenzen zur Folge hatte. Diese spezielle Tumorbiologie der primären Magenlymphome hat auch zur Folge, dass diese Lymphome überwiegend durch eine regionale Ausbreitung und langsame Progredienz gekennzeichnet sind. Die therapeutische Strategie beinhaltet nur in Ausnahmefällen eine ausgedehnte chirurgische Intervention. Eradikation von H. pylori oder lokale Strahlentherapie führen bei lokalisierten Stadien zu langfristigen Remissionen. Ein sekundärer gastrointestinaler Befall von Non-Hodgkin Lymhomen ist nicht selten, führt jedoch selten zu einer Änderung der für primär nodale Lymphome etablierten Therapieprinzipien.
52 52.1
Grundlagen
52.1.1 Epidemiologie Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) stellen in der westlichen Welt die fünfthäufigste Tumorerkrankung dar. Die Inzidenz und Mortalität von NHL zeigte in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Anstieg, wobei die Ursache dieser Steigerung weitgehend unklar ist. In Europa liegt die Inzidenz von NHL bei 4-8/100.000 mit deutlichen regionalen Unterschieden (d‘Amore et al. 1994; Newton et al. 1997). Eine extranodale Ausbreitung von NHL findet sich in 25–40% der Fälle. Das zentrale Nervensystem repräsentiert die häufigste Lokalisation von extranodalen NHL, gefolgt von Magen, Darm und Haut (Groves et al. 2000). Obwohl primäre Magenlymphome nur 3% der gesamten Magenneoplasien betragen, ist der Magen die häufigste von Lymphomen betroffene Region des Gastrointestinaltrakts (75%), gefolgt von Dünndarm inkl. Duodenum (9%), der Ileozökalregion (7%) und dem Rektum (2%). In 6% der Fälle sind mehr als eine Lokalisation des Gastrointestinaltrakts befallen (Koch et al. 2001a). Wesentlich häufiger als die primären NHL des Gastrointestinaltrakts kommt eine sekundäre Ausbreitung bei Patienten mit primär nodalen Lymphomen in diese Region vor. Bei Diagnosestellung weisen bereits ca. 10% der Lymphompatienten im limitierten Stadium eine Beteiligung des Gastrointestinaltrakts auf, im terminalen Stadium von fortgeschrittenen Lymphomen beträgt der Anteil bis zu 60%.
52.1.2 Pathogenese
Extranodale Marginalzonen-B-ZellLymphome vom MALT-Typ Extranodale Marginalzonen-Zell-Lymphome (MZZL) repräsentieren etwa 50% aller primären Magenlymphome und entwickeln sich aus Mukosa-assoziiertem lymphatischem Gewebe (»mucosa-associated lymphpoid tissue«, MALT) in der
Magenschleimhaut. Sie stellen das am besten definierte Modell der Entwicklung eines NHL aus einer antigen-spezifischen chronischen Stimulation von Lymphozyten durch ein mikrobielles Pathogen dar. Die Marginalzone (MZ) umgibt die B-Lymphozyten-Follikel in der Milz und im extranodalen lymphatischen Gewebe und besteht aus einer Subpopulation von B-Lymphozyten, den MZ-B-Zellen. MZ-B-Zellen sind Komponenten einer T-Lymphozyten unabhängigen Immunreaktion auf mikrobielle Pathogene und besitzen eine hohe Proliferationskapazität und die Fähigkeit der Differenzierung in überwiegend IgM-produzierende Plasmazellen, die funktionell durch eine relativ kurzlebigen Antikörperproduktion charakterisiert sind. MZ-B-Zellen können als eine Brücke zwischen der angeborenen und der adaptiven Immunantwort angesehen werden (Suarez et al. 2006). Infektion mit Helicobacter pylori. Die Magenschleimhaut ist
ursprünglich frei von lymphatischen Zellen (Zucca et al. 2000). Unter dem Einfluss einer chronischen Infektion mit Helicobacter pylori (HP) entsteht eine HP-spezifische Stimulation von T-Lymphozyten. HP-infizierte Mukosazellen des Magens produzieren proinflammatorische Zytokine, B-ZellHomingfaktoren und exprimieren Adhäsionsmoleküle, die zur Entwicklung von MALT in der Magenschleimhaut führen. Klonale, nicht maligne B-Lymphozyten werden durch die Interaktion mit HP-spezifischen T-Zellen stimuliert und sind in ihrer Antigenspezifität häufig gegen Autoantigene des Magens gerichtet, können aber auch HP-spezifisch sein. Durch die chronische entzündliche Reaktion werden neutrophile Granulozyten angelockt, die freie Sauerstoffradikale (ROS) freisetzen. Die chronische Exposition zu ROS kann zu genetischen Veränderungen in reaktiven MZ-B-Zellen mit hohem proliferativem Umsatz führen. Diese genetische Instabilität resultiert schließlich in einer malignen Transformation in ein indolentes B-Zell-Lymphom (Rollinson et al. 2003). Eine epidemiologische Assoziation von MZZL (MALT)Lymphomen des Magens mit chronischer HP-Infektion ist klar erwiesen. Die ersten Studien zeigten in 90% der Fälle von primären Magenlymphomen eine chronische HP-Infektion. Es ist deshalb verständlich, dass die Durchseuchung mit HP mit der Inzidenz von Magenlymphomen korreliert und für starke regionale Unterschiede verantwortlich ist (Zucca et al. 1997). Aufgrund der Infektionsrate von über 50% der Weltbevölkerung mit HP und der Seltenheit von extranodalen MZZL des Magens müssen aber weitere, bisher schlecht definierte Faktoren im Mikromilieu des Magens, der Pathogenität des Erregers und der Immunreaktion des Trägers angenommen werden, die zur Transformation in ein malignes Lymphom führen oder diese verhindern. Auch andere mikrobielle Pathogene wurden mit einer Stimulation von MZ-B-Zellen und der Entwicklung von extranodalen MZZL vom MALT-Typ unterschiedlicher Lokalisation in Verbindung gebracht, wie (Suarez et al. 2006): 4 C. jejuni – immunproliferative Erkrankung des Dünndarms (IPSID) 4 B. burgdorferi – kutane Lymphome 4 C. psittaci – MZZL der Tränendrüsen 4 Hepatitis-C-Virus – splenische MZZL
801 52.1 · Grundlagen
Molekulargenetische Faktoren. Eine Reihe von nicht-zufäl-
ligen genetischen Veränderungen, wie chromosomale Translokationen oder Deletionen, sowie Mutationen sind bei Lymphomen und Hämoblastosen mit einem spezifischen Phänotyp assoziiert. Auch bei MZZL des Gastrointestinaltrakts können zumindest drei rekurrente Translokationen nachgewiesen werden, die von pathophysiologischer und potenziell auch von prognostischer Bedeutung sind. Die in diesen Translokationen dysregulierten Gene sind MALT-1 und BCL-10, denen eine wichtige Rolle in der Signalübertragung einer antigenspezifischen Immunantwort durch den B-Zellrezeptor (Immunglobulin) oder T-Zellrezeptor zukommt. Beide Moleküle sind essenziell für die Stimulation des nukleären Transkriptionsfaktors NfκB (»nuclear factor κB«), der eine zentrale Rolle in der Regulation von Immunität, Entzündung und Apoptose besitzt (Jost u Ruland 2007). Die häufigste Translokation in einem Drittel der extranodalen MZZL-Lymphome vom MALT-Typ ist t(11;18)(q21;21), die vor allem bei Befall des Magens und der Lunge zu finden ist. Durch diese Translokation entsteht ein Fusionsgen AP12MALT1, das eine Überexpression von MALT1 und damit eine konstitutive Aktivierung von NfκB zur Folge hat (Dierlamm et al. 1999; Liu et al. 2001b). Auch die Translokation t(14;18)(q32;q21) führt zu einer Überexpression von MALT1 an Chromosom 18, in diesem Fall durch Beteiligung des Immunglobulin-Schwerkettengens am Fusionspartner Chromosom 14. Die Translokation t(14;18)(q32;q21) ist in ca. 20% der extranodalen MZZL nachweisbar, allerdings überwiegend in Lymphomen der Speichel- und Tränendrüsen, jedoch sehr selten bei gastrointestinalen Lymphomen (Streubel et al. 2003). Die seltene Translokation t(1;14)(q32;q21) tritt exklusiv in MALT-Lymphomen auf und führt zu einer Deregulation von BCL10 und damit ebenfalls zu einer Überaktivierung von NfκB. Offenbar werden diese zusätzlichen genetischen Aberrationen longitudinal im Verlauf der Lymphomerkrankung erworben. Insbesondere für Lymphome mit t(11;18)(q21;q21) wird ein aggressiverer Verlauf und eine Resistenz gegen Antibiotika und gegen Alkylanzien beschrieben, sodass einer molekularen Diagnostik in Zukunft eine prognostische und prädiktive Bedeutung zukommen könnte (Levy et al. 2005; Liu et al. 2001a).
Diffus großzellige Lymphome des Magens Diffus großzellige B-Zell-Lymphome (»diffuse large B cell lymphoma«, DLBCL) sind unbehandelt durch einen aggressiven klinischen Verlauf gekennzeichnet. Etwa ein Viertel der extranodalen aggressiven Lymphome des Magens weisen eine indolente MZZL-Komponente auf. In diesen Fällen muss von einer sekundären Transformation eines primär indolenten MZZL vom MALT-Typ ausgegangen werden. In vielen extranodalen diffus großzelligen Lymphomen, inklusive im Gastrointestinaltrakt, findet sich eine hohe Expression des Onkogens BCL6, bedingt durch Translokation oder Mutationen, die mit einer günstigeren Prognose assoziiert zu sein scheint (Chen et al. 2006).
Weitere prädisponierende Faktoren für gastrointestinale Lymphome: Immunmangelsyndrome und Immunsuppression. Ange-
borene Immunmangelsyndrome (Wiskott-Aldrich-Syndrom, Ataxia teleangiectasia, schweres kombiniertes Immunmangelsyndrom) sind mit einem erhöhten Risiko verbunden, ein B-Zell-NHL zu entwickeln. Bei dauerhafter immunsuppressiver Therapie nach Organtransplantationen ist das Risiko eines NHL um das 40- bis 400-fache erhöht. Ein besonders hohes Risiko stellt eine Therapie mit dem T-Zellantikörper OKT3 dar. Die meisten Lymphome nach Organtransplantation entstehen auf dem Boden einer EBV-Infektion, die bei fehlender T-Zellantwort gegen virusspezifische Antigene zunächst eine unkontrollierte, polyklonale Expansion von EBVtransformierten B-Zellblasten bewirkt. Aus dieser Population kann sich schließlich durch weitere genetische Veränderungen ein aggressives Lymphom entwickeln. Auch bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen, wie rheumatoider Arthritis, Sjögren-Syndrom oder systemischem Lupus erythematodes, besteht eine erhöhte Inzidenz von Lymphomen. Die Ursache für dieses erhöhte Risiko dürfte eher in der immunsuppressiven Therapie als in der Erkrankung selbst zu suchen sein.
Lymphome, die im Rahmen von Immundefizienz oder Immunsuppression auftreten, sind häufig durch hohe Aggressivität und frühe systemische Ausbreitung gekennzeichnet. Viele dieser Patienten weisen eine sekundäre Beteiligung des Gastrointestinaltrakts auf. Primär extranodale Lymphome des GI-Trakts werden jedoch ebenfalls beschrieben.
HIV Infektion. NHL stellen ein AIDS-definierendes Ereignis
bei HIV Infektion dar. Das relative Risiko, an einem NHL zu erkranken, liegt bei HIV-Patienten etwa 500-fach höher als beim Gesunden. Beteiligung des GI-Trakts liegt in 10–20% der Fälle vor und kann primär oder sekundär sein. Dünndarm und Rektum sind die häufigsten betroffenen Lokalisationen. Sprue. Bei Sprue (gluteninduzierte Enteropathie) besteht ein
erhöhtes Risiko eines NHL, das als Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom bezeichnet wird. Die maligne Population weist einen spezifischen Phänotyp auf mit Expression von intrazytoplasmatischem CD3, aber Fehlen von CD8 und CD3 an der Zelloberfläche. Zellen mit diesem Phänotyp können auch bei vielen Patienten mit refraktärer Sprue gefunden werden, was auf eine sekundäre Transformation nach Gluteninduzierter T-Zell-Stimulation hinweist. Enteropathie-assoziierte T-Zell-Lymphome treten bei 4–5% der Patienten mit Sprue auf.
52.1.3 Pathologie Primäre gastrointestinale Lymphome können als Lymphome definiert werden, deren Hauptmanifestation auf den Gastro-
52
802
Kapitel 52 · Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
. Tab. 52.1. Verteilung der histologischen Typen bei primär gastrointestinalen Lymphomen (Koch et al. 2005)
52
Histologischer Typ
Häufigkeit (%)
Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom
59
Mit MALT-Anteil
14
Ohne MALT-Anteil
45
Marginalzonen B-Zell-Lymphom vom MALT-Typ
38
Mantelzell-Lymphom
1
Follikuläres Lymphom
0,5
Peripheres T-Zell-Lymphom
1,5
intestinaltrakt beschränkt ist und damit eine auf diese Lokalisation gerichtete Therapie erforderlich macht. Die häufigsten Subtypen sind extranodale Marginalzonenlymphome, diffus großzellige Lymphome, Mantelzell-Lymphome und Burkittoder Burkitt-artige Lymphome (Koch et al. 2005; . Tab. 52.1).
Extranodales Marginalzonen B-Zell-Lymphom vom MALT-Typ Diese Entität stellt das weltweit häufigste primäre gastorintestinale Lymphom dar und wurde früher als niedrig-malignes MALT-Lymphom bezeichnet. Auch in der modernen Literatur wird dieser Terminus häufig vereinfachend zur Terminologie der aktuellen WHO-Klassifizierung »extranodales Marginalzonen-B-Zell-Lymphom (MZZL) vom MALT-Typ« verwendet (Harris et al. 1999). Die häufigste Lokalisation ist der Magen, gefolgt von Dünndarm, Ileozökalregion, Kolon und Ösophagus (Koch et al. 2001a). Im Magen finden sich makroskopisch meist unifokale, ulzerierte und/oder exophytische Läsionen im Antrum, im Korpus und in der präpylorischen Region des Magens. Multifokale oder diffuse Infiltration des Magens oder eine Lokalisation im Fundus oder der Kardia sind selten. Intestinale Lymphome können sich unifokal, seltener multifokal ulzerierend oder diffus infiltrierend präsentieren. In fortgeschrittenen Fällen können mesenteriale Lymphknoten durch lokale Dissemination befallen sein. Histologisch entwickeln sich MZZL aus vorbestehendem Mukosa-assoziiertem lymphatischen Gewebe (MALT), das reaktiv im Rahmen einer Helicobacter-pylori-Infektion entsteht. Deshalb sind im Umfeld von MZZL vom MALT-Typ nicht-neoplastische reaktive Lymphfollikel als »lymphoepitheliale Komplexe« charakteristisch. Immunhistochemisch tragen die Lymphomzellen reife B-Zellmarker und sind negativ für CD5 und CD10.
Immunproliferative Dünndarmerkrankung (IPSID, mediterranes Lymphom) Diese Variante des MALT-Lymphoms tritt fast ausschließlich im mittleren Osten auf und ist durch die Synthese von α-Schwerketten Paraprotein charakterisiert. Intestinale Lymphome vom Typ IPSID finden sich meist im proximalen Dünndarm und bilden diffus infiltrierende Läsionen. Histologisch ähneln sie den Lymphomen vom MALT-Typ mit ausgeprägter plasmazellulärer Differenzierung. Immunhistochemisch sind Immunglobulin-Schwerketten dem Subtyp IgA zuzuordnen, typischer Weise fehlen die leichten Ketten des Immunglobulinmoleküls.
Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom Etwa drei Viertel der diffus großzelligen B-Zell-Lymphome (DLBCL) des Gastrointestinaltrakts sind primär extranodale Varianten dieses aggressiven Lymphoms und sowohl histologisch als auch im Genexpressionsmuster von nodalen DLBCL nicht zu unterscheiden. In einem Viertel der Fälle finden sich reaktive Lymphfollikel und lymphoepitheliale Läsionen, sodass von einer sekundären Transformation aus einem primär indolenten MZZL vom MALT-Typ ausgegangen werden muss.
Mantelzell-Lymphom Bei typischer follikulärer Manifestation stellen MantelzellLymphome eine sehr ungünstige Prognose dar. Primär gastrointestinale Mantelzell-Lymphome können klinisch in einem indolenten oder aggressiven Verlauf auftreten und machen ca. 9% der gastrointestialen Lymphome aus. Charakteristisch sind multiple noduläre oder polypöse, teilweise ulzerierende Tumoren in einer Größe von 0,2 bis >2 cm. Die Erkrankung kann in einem oder mehreren Segmenten des gesamten Gastrointestinaltrakts lokalisiert sein (lymphomatöse Polyposis) mit einer Prädilektion im Kolon und Dünndarm. Häufig sind lokale mesenteriale Lymphknoten befallen. Eine Beteiligung von peripheren Lymphknoten, Knochenmark und Leber ist bereits bei Diagnosestellung der Erkrankung möglich.
Burkitt-Lymphom Burkitt-Lymphome und Burkitt-artige Lymphome sind hochaggressive B-Zellneoplasien. In Europa und anderen industrialisierten Ländern ist das sporadische Burkitt-Lymphom typisch, das in etwas der Hälfte der Fälle bei Kindern auftritt, aber in Gegensatz zum in Afrika endemischen Burkitt-Lymphom auch eine breite Altersverteilung bei Erwachsenen aufweist. Das sporadische Burkitt-Lymphom befällt häufig die Ileozökalregion und das Rektum, diffuse Infiltration des Peritoneums ist möglich.
T-Zell-Lymphome T-Zell-Lymphome des Gastrointestinaltrakts sind wesentlich seltener als B-Zell-Lymphome. Die häufigste Entität stellt das Enteropathie-assoziierte T-Zell-Lymphom (EATL) dar, das sich im Langzeitverlauf einer therapierefraktären Sprue entwickeln kann. EATL befallen am häufigsten das Jejunum. Typisch sind große, die Zirkumferenz des Darms umfassende Ulzera ohne größeren exophytischen oder infiltrierenden Tu-
803 52.1 · Grundlagen
moranteil. Ein Befall mesenterialer Lymphknoten ist typisch. Die mittelgroßen bis großen blastären Zellen tragen typische T-Zellmarker, charakteristisch ist eine nur intrazytoplasmatische Expression von CD3 (Catassi et al. 2002).
52.1.4 Klassifikation Für die Ausbreitung von diffus großzelligen Lymphomen, Burkitt-Lymphomen und Mantelzell-Lymphomen gilt wie bei anderen Lymphentitäten die Klassifikation nach Ann Arbor (. Tab. 52.2). Das Lugano-Staging-System (Rohatiner et al. 1994)stellte zunächst eine Adaptation der Ann-Arbor-Klassifizierung an die primär extranodale Ausbreitung im Magen dar (. Tab. 52.3). Für primär gastrointestinale Lymphome wurde schließlich ein verfeinertes Staging-System entwickelt, das das Ausmaß der Penetration in benachbarte Strukturen in besonderer Weise berücksichtigt (Ruskone-Fourmestraux et al. 2003; . Tab. 52.4).
52.1.5 Prognostische Faktoren Die Prognose von gastrointestinalen Lymphomen ist in erster Linie vom histologischen Subtyp abhängig. Extranodale MZZL vom MALT-Typ haben in der Regel eine exzellente Prognose. Eine Translokation t(11;18)(q21;q21) ist mit einer Resistenz gegen Helicobacter-pylori-Eradikation und gegen manche Zytostatika assoziiert (Levy et al. 2005; Liu et al. 2001a). Diffus großzellige Lymphome und auch hochaggressive Burkitt-Lymphome können mit adäquater Therapie kurativ behandelt werden. Bei diffus großzelligen Lymphomen mit indolentem MALT-Anteil ist ein Rezidiv nach alleiniger Chemotherapie wahrscheinlich. Der ungünstige Prognosefaktor einer B-Symptomatik wird praktisch nur bei aggressiven Lymphomen und Mantelzell-Lymphomen, nicht aber bei MZZL vom MALT-Typ beobachtet. Fortgeschrittene Stadien III und IV mit Befall peripherer Lymphknoten, der Leber oder des Knochenmarks sind mit einer ungünstigeren Prognose verbunden.
. Tab. 52.2. Ann-Arbor-Klassifikation für Hodgkin-Lymphome Stadium I
Befall einer einzelnen Lymphknotenregion oder lymphatischen Struktur (z. B. Milz, Thymus, Waldeyer’scher Rachenring)
Stadium II
Befall von zwei oder mehreren Lymphknotenregionen auf derselben Seite des Zwerchfells (Mediastinum = eine Region, hiläre Lymphknoten jeweils eine Region). Die Zahl der Regionen ist anzugeben (z. B. II3)
Stadium III
Befall von Lymphknotenregionen oder lymphatischen Strukturen auf beiden Seiten des Zwerchfells 4 III1: ggf. mit Lymphknoten am Milzstiel, Leberstiel, Truncus coeliacus 4 III2: mit paraaortalen, iliakalen oder inguinalen Lymphknoten
Stadium IV
Befall von extranodalen Regionen/ Organen, der über die Bezeichnung »E« hinausgeht 4 4 4 4
A: Keine Symptome B: Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust >10% des Körpergewichts X: »bulky disease«, >1/3 der Thoraxapertur, >10 cm maximaler Durchmesser von Lymphknotenaggregaten E: Fokaler Befall einer einzelnen extranodalen Region, im Anschluss oder nahe an eine bekannte befallene Lymphknotenregion
. Tab. 52.3. Lugano-Staging-System für primäre gastrointestinale Lymphome (Rohatiner et al. 1994)
Stadium
Ausbreitung des Lymphoms
Stadium I
Lymphom beschränkt auf singuläre Lokalisation im Gastrointestinaltrakt
4 Stadium I1
Lymphom beschränkt auf die Mukosa
4 Stadium I2
Infiltration der Magenwand bis zur Serosa
Stadium II
Beteiligung von abdominellen Lymphknoten
4 Stadium II1
Beteiligung der lokalen (paragrastrischen) Lymphknoten
4 Stadium II2
Beteiligung von entfernten (mesenterischen, paraaortalen, pelvinen, inguinalen) Lymphknoten
4 Stadium IIE
Infiltration benachbarter Organe oder Gewebe durch direkte Infitration
Stadium IV
Extranodale Beteiligung (Knochenmark) oder Beteiligung von supradiaphragmalen Lymphknoten
52
804
Kapitel 52 · Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
. Tab. 52.4. TNM-Paris-Staging-System für primäre gastrointestinale Lymphome (Ruskone-Fourmestraux et al. 2003) T-Stadium
Ausbreitung des Lymphoms
Tx
Lymphom Ausdehnung nicht spezifiziert
T0
Kein Hinweis für Lymphom
T1
Lymphom beschränkt auf Mukosa/Submukosa
4 T1m
Lymphom beschränkt auf Mukosa
4 T1sm
Lymphom beschränkt auf Submukosa
T2
Lymphom infiltriert Muscularis propria oder Subserosa
T3
Lymphom durchbricht Serosa (viszerales Peritoneum) ohne Invasion von benachbarten Strukturen
T4
Lymphom infiltriert benachbarte Strukturen oder Organe
N-Stadium
52
Nx
Beteiligung von Lymphknoten nicht erhoben
N0
Kein Hinweis für Lymphknotenbeteiligung
N1
Beteiligung der regionalen Lymphknoten
N2
Beteiligung abdomineller Lymphknoten außerhalb des regionalen Bereichs
N3
Ausbreitung auf extraabdominelle Lymphknoten
M-Stadium Mx
Dissemination des Lymphoms nicht erhoben
M0
Kein Hinweis für extranodale Dissemination
M1
Nicht-kontinuierliche Beteiligung von zusätzlicher Lokalisation im Gastrointestinaltrakt (z. B. Magen und Rektum)
M2
Nicht-kontinuierliche anderer Gewebe (z. B. Peritoneum, Pleura) oder Organe (z. B. Tonsillen, Speicheldrüsen, Tränendrüsen, Lunge, Leber, Niere etc.)
B-Stadium Bx
Beteiligung von Knochenmark nicht erhoben
B0
Kein Hinweis für Beteiligung des Knochenmarks
B1
Infiltration des Knochenmarks durch Lymphom
52.2
Klinische Symptomatologie
Die Symptome von gastrointestinalen Lymphomen sind untypisch und unterscheiden sich nur geringfügig nach der Lokalisation des betroffenen Bereichs im Magen-Darm-Trakt (. Tab. 52.5).
52.2.1 Lymphome des Magens Der Altersgipfel von Lymphomen des Magens liegt zwischen 50 und 60 Jahren. Die Symptomatik ist unspezifisch und wird häufig mit anderen Erkrankungen des Magens in Verbindung gebracht, wie peptische Ulzera, Dyspepsie oder Magenkarzinomen. Das häufigste Symptom ist mit bis zu 93% Schmerz im Epigastrium. Die Zeit von den ersten Symptomen bis
zur endgültigen Diagnose kann Monate bis Jahre betragen. Weitere häufige Symptome sind Anorexie, Gewichtsverlust, Übelkeit und/oder Erbrechen, okkulte gastrointestinale Blutungen, frühes Sättigungsgefühl. Die klinische Untersuchung ist in der Regel unauffällig, nur selten ist eine Raumforderung im Oberbauch tastbar. In fortgeschrittenen Stadien können periphere Lymphome nachweisbar sein. Die Laboruntersuchungen sind ebenfalls in der Regel unauffällig, abgesehen von einer Anämie bei chronischen Blutungen.
52.2.2 Intestinale Lymphome In westlichen Ländern sind primäre intestinale Lymphome selten. Auch bei dieser Lokalisation ist die Symptomatik unspezifisch, Schmerzen treten bei ca. zwei Drittel der Patienten
805 52.3 · Diagnostik und Staging
52.2.4 Burkitt-Lymphome . Tab. 52.5. Symptome von primären gastrointestinalen Lymphomen in Abhängigkeit der betroffenen Lokalisation (Koch et al. 2001a)
Symptom
Magen (n=277)
Dünndarm (n=32)
Ileozökalregion (n=26)
Mulitple Lokalisation (n=24)
Schmerzen
78%
75%
77%
58%
Appetitlosigkeit
47%
41%
23%
58%
Gewichtsverlust
24%
34%
15%
25%
Blutung
19%
6%
12%
8%
Erbrechen
18%
31%
8%
21%
Diarrhö
4%
12%
19%
46%
Obstipation
3%
25%
23%
12%
Perforation
2%
9%
–
–
Ileus
–
38%
19%
4%
Nachtschweiß
11%
12%
19%
46%
Fieber
2%
6%
8%
4%
Abdominelle Schmerzen und obstruktive Symptome aufgrund der ileozökalen Beteiligung sind häufig. Das hoch aggressive Lymphom verursacht häufig ausgeprägte Allgemeinsymptome (B-Symptomatik).
52.3
Diagnostik und Staging
52.3.1 Diagnostik
Zur definitiven Diagnosestellung eines primären gastrointestinalen Lymphoms ist die bioptische Sicherung unumgänglich. Die Endoskopie ist, in Abhängigkeit von der Lokalisation, die bevorzugte Methode.
Magenlymphome können sich bei einer Gastroskopie in un-
auf. Obstruktion des Darmlumens und Infarzierung können beobachtet werden. Bei Befall des Dünndarms sind okkulte Blutungen und Gewichtsverlust möglich, Lymphome des Dickdarms oder des Rektums können zu okkulten oder manifeste Blutungen oder Diarrhö führen. Die immunproliferative Dünndarmerkrankung (IPSID) ist für 75% der intestinalen Lymphome im Mittleren Osten und im Mittelmeerraum verantwortlich. Die α-SchwerkettenParaproteinämie kann sich mit der Entwicklung in ein offenes Lymphom zurückbilden oder völlig verschwinden. Typische Symptome von IPSID sind Laktoseintoleranz, Darmfisteln, Aszites, Fieber und Organomegalie.
52.2.3 Mantelzell-Lymphome Lokale Symptome umfassen abdominelle Schmerzen, Diarrhö und gastrointestinale Blutungen. Für Lymphome typische Allgemeinsymptome, wie Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber unklarer Genese (B-Symptomatik) oder Fatigue sind häufiger als bei Marginalzonenlymphomen. Eine Infiltration der Leber tritt in einem Viertel der Patienten auf, eine Ausschwemmung von Lymphomzellen ins periphere Blut ist bei lymphomatöser Polypose selten.
terschiedlicher Weise präsentieren: Es können noduläre oder polypoide Läsionen mit oder ohne Ulzeration beobachtet werden. Das Lymphom kann sich makroskopisch auch als gutartig wirkendes Magenulkus oder in Form von verdickten Falten der Magenschleimschleimhaut darstellen. Wichtig ist es, tiefe Biopsien von allen verdächtig erscheinenden Läsionen zu gewinnen, da das Lymphom die Submukosa ohne Beteiligung der Mukosa infiltrieren kann. Eine durch endoskopische Sonographie unterstützte Biopsiegewinnung kann die Treffsicherheit erhöhen. Der Nachweis einer Infektion durch H. pylori außerhalb der Tumormanifestation ist essenziell. Bei kolorektalen Lymphomen ist die Koloskopie die Methode der Wahl. Auch hier sind multiple Biopsien aller verdächtigen Läsionen erforderlich. Makroskopisch können die Lymphome nodulär, als Raumforderung mit oder ohne Ulzeration oder Kolitis-artig mit Induration und Ulzerationen imponieren. Bei Lymphomen des Dünndarms (IPSID, MantelzellLymphom) kann bei proximalem oder distalem Befall ebenfalls die Endoskopie zur diagnostischen Sicherung führen. Radiologische Kontrastmitteluntersuchungen oder Kapselendoskopie (Flieger et al. 2005) sind bei endoskopisch unzugänglicher Lokalisation geeignete diagnostische Maßnahmen. Eine explorative Laparotomie kann bei endoskopisch unzugänglichen Läsionen oder bei nicht-diagnostischem Biopsieergebnis erforderlich sein.
52.3.2 Staging Nach bioptischer Sicherung eines gastrointestinalen Lymphoms sind weitere Maßnahmen zur Erhebung des Ausbreitungsstadiums erforderlich, da sich von der Stadieneinteilung wesentliche prognostische Aussagen und das therapeutische Vorgehen ableiten. Prinzipiell folgt die Stadieneinteilung bei Non-Hodgkin-Lymphomen der Ann-Arbor-Klassifikation (. Tab. 52.2). Aufgrund des speziellen Ausbreitungsmusters von extranodalen Marignalzonenlymphomen vom MALT-
52
806
52
Kapitel 52 · Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
Typ wurde das Staging-System (Lugano-Staging-System oder TNM-Paris-System, . Tab. 52.3 und . Tab. 52.4) modifiziert. Eine Computertomographie von Abdomen, Becken und Thorax ist zur Erfassung einer lokoregionalen und distanten Lymphknotenbeteiligung erforderlich. Durch endoskopischen Ultraschall (EUS) kann die Tiefe der intramuralen Infiltration am besten beurteilt werden. Zur Erfassung von eventuellen weiteren Manifestationen im Gastrointestinaltrakt sollten ergänzende endoskopische Untersuchungen und eine Inspektion des Pharynx durchgeführt werden. Eine Knochenmarkbiopsie muss im Rahmen des Primärstagings von NHL durchgeführt werden. Allerdings ist eine Beteiligung des Knochenmarks bei MZZL vom MALT-Typ selten. Laboruntersuchungen sollen Blutbild, Differenzialblutbild, LDH, Leber- und Nierenfunktionsparameter umfassen. Die Staging-Maßnahmen bei Mantelzell-Lymphomen und Burkitt-Lymphomen entsprechen dem Vorgehen bei primär nodaler Manifestation. Der Stellenwert einer PET-Untersuchung als initiales Staging oder als Evaluation des Therapieergebnisses bei Marginalzonenlymphomen vom MALT-Typ ist unklar. Es wurde gezeigt, dass bei mindestens 60% von primären Magenlymphomen eine erhöhte Stoffwechselaktivität durch FDG-PET nachweisbar ist (Phongkitkarun et al. 2005). Die Intensität der FDG-Speicherung liegt bei indolenten Lymphomen deutlich niedriger als bei den aggressiven diffus großzelligen B-ZellLymphomen. Ein positiver PET-Befund nach Abschluss der Therapie besitzt einen hohen prädiktiven Wert für ein Rezidiv (Kumar et al. 2004), sodass die PET-Untersuchung wie bei anderen Lymphomerkrankungen auch bei Patienten mit gastrointestinalen Lymphomen Bedeutung für das Monitoring eines Therapieerfolges gewinnen kann.
52.4
Therapie gastrointestinaler Lymphome
Therapieziele. Die Therapie von gastrointestinalen Lympho-
men ist abhängig vom histologischen Subtyp, dem Stadium und der Lokalisation des Tumors. Bei Patienten im lokalisierten Stadium eines MZZL vom MALT-Typ ist das Therapieziel eine langfristiges rezidivfreies Überleben bzw. eine definitive Heilung, was mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne chirurgische Maßnahmen erreicht werden kann. Auch bei aggressiven Lymphomen kann durch eine systemische Chemotherapie eine Heilungsrate vergleichbar mit einer primär nodalen Manifestation erreicht werden. Eine Therapieindikation besteht bei DLBCL und BurkittLymphomen aufgrund des aggressiven natürlichen Verlaufs praktisch immer. Indikationsstellung. Die Indikationsstellung bei indolenten
Lymphomen im lokalisierten Stadium ist durch das hohe kurative Potenzial und eine geringe therapeutische Belastung gegeben. Eine »Watch-and-wait«-Strategie kann in Einzelfällen gerechtfertigt sein. In höheren Stadien von indolenten Lymphomen, insbesondere bei Non-Hodgkin-Lymphomen mit sekundärer extranodaler Beteiligung des Gastrointestinal-
trakts hängt die Indikation von lokaler Symptomatik, Auftreten von B-Symptomen oder einer Myelosuppression durch Knochenmarkinfiltration ab.
52.4.1 Extranodales Marginalzonen-B-Zell-
Lymphom vom MALT-Typ Eradikation von Helicobacter pylori Der überwiegende Teil dieser indolenten Lymphome (70–80%) ist auf den Magen beschränkt. Bei mindestens 90% der Patienten besteht ein positiver Nachweis von Helicobacter pylori (HP). Der zunächst empirische Nachweis einer Regression von MALT-Lymphomen des Magens nach Eradikationstherapie zeigte eindeutig die pathogenetische Assoziation dieses Lymphomtyps mit HP-(Bayerdorffer et al. 1995). Seither wurde in zahlreichen Studien gezeigt, dass die Heilung einer HP-Infektion in ca. 80% der Patienten im Stadium I zu einer kompletten Remission des Magenlymphoms führt, von denen wiederum 80% in Langzeitremission verblieben (Chen et al. 2001; Chen et al. 2005; Fischbach et al. 2004). Bis zum Erreichen einer kompletten Remission ist ein Zeitraum von 3 Monaten bis über ein Jahr erforderlich. Eine minimal residuelle Erkrankung (MRD) ist durch Histologie oder durch eine bestehende Klonalität der B-Lymphozyten bei einem beträchtlichen Anteil der Patienten nachweisbar. Dieser Befund bleibt jedoch ohne klare prognostische Relevanz, unterstreicht aber die Notwendigkeit von regelmäßigen endoskopischen Nachkontrollen (Wundisch et al. 2005).
Im Stadium I eines indolenten MZZL mit positivem HP-Nachweis (ca. 10% aller Magenlymphome) ist die Eradikationstherapie mit einem der etablierten Schemata (. Tab. 52.6) die Therapie der Wahl.
Im Stadium II1 steht der Stellenwert einer Eradikation weiterhin zur Diskussion. Der Therapieerfolg liegt im lokal fortgeschritteneren Stadium nur bei ca. 40% (Ruskone-Fourmestraux et al. 2001), weshalb eine strikte endoskopische Überwachung eines Therapieerfolges dringend erforderlich ist.
Fortgeschrittenes oder H.-pylori-negatives Lymphom vom MALT-Typ Bei ca. 5–10% der Patienten mit MZZL des Magens ist der HP-Nachweis negativ. In diesen Fällen sollen serologische Untersuchungen auf CagA-Antikörper und HP-IgG-Antikörper durchgeführt werden. Andere Helicobacter-Spezies sollten ausgeschlossen werden. Bei ca. 20% der HP-positiven Patienten kann auch im Stadium I keine komplette Remission erreicht werden. Für diese Patienten bestehen keine klaren Therapierichtlinien. Obwohl in Einzelfällen auch bei HP-negativen Patienten eine Regression des Lymphoms nach Eradikationstherapie beschrieben wurde, wird dieser Erfolg in größeren Fallzahlen nicht in klinisch relevanter Zahl bestätigt. Ein abwartendes Verhalten (»watch and wait«) ist bei asymptomatischen Patienten im Einzelfall aufgrund des indolenten
807 52.4 · Therapie gastrointestinaler Lymphome
. Tab. 52.6. Schemata zur Eradikation von Helicobacter pylori
Therapieschema
Kommentar
Protonenpumpeninhibitor 2× täglich Amoxicillin 2×1g täglich, Clarithromycin 2×500 mg täglich für 7–14 Tage
Erstlinientherapie der Wahl, Amoxicillin kann bei Penicillin-allergischen Patienten durch Metronidazol 2×500 mg täglich ersetzt werden
Protonenpumpeninhibitor 2× täglich Amoxicillin 2×1 g täglich Metronidazol 2×500 mg täglich für 14 Tage
Erstlinientherapie für Makrolid-allergische Patienten und Rezidivtherapie
Protonenpumpeninhibitor 2× täglich Levafloxacin 2×250 mg täglich Amoxicillin 2×1g täglich für 14 Tage
»Rescue«-Therapie für Patienten, die nach zwei Zyklen der obigen Therapien resistent sind
Wismuth 4×525 mg täglich Metronidazol 4×500 mg täglich Tetrazyklin 4×500 mg täglich Protonenpumpeninhibitor 2× täglich für 14 Tage
Rezidivtherapie, kann auch als Erstlinientherapie verwendet werden (7–14 Tage)
Charakters der Erkrankung zu vertreten (Fischbach et al. 2002). Im Allgemeinen wird jedoch die Einleitung einer weiteren onkologischen Therapie angestrebt. Strahlentherapie. MZZL vom MALT-Typ sind durch eine
hohe Strahlensensibilität charakterisiert. Lokalisierte Magenlymphome im Stadium I und II können durch Strahlendosen von 30–35 Gy mit hoher Wahrscheinlichkeit kurativ behandelt werden. In mehreren Publikationen wird eine lokale Kontrolle in >95% der Patienten beschrieben, mit einer lokalen rezidivfreien Überlebensrate von 77% und einem Gesamtüberleben von 98% nach 5 Jahren (Tsang et al. 2003; Vrieling et al. 2008). Das Bestrahlungsfeld (»involved field«) umfasst den gesamten Magen, die paragastrischen und zöliakalen Lymphknoten. Durch dreidimensionale Bestrahlungsplanung und moderne Bestrahlungstechniken kann die Toxizität auf die normale Magenschleimhaut und benachbarte Organe, insbesondere die linke Niere reduziert werden. In der deutschen Studiengruppe wurde in den frühen Protokollen eine Großfeldbestrahlung des Abdomens im Sinne einer »Extended-field«-Bestrahlung durchgeführt. Die Strategie des aktuellen Studienprotokolls verfolgt eine Verkleinerung der Strahlenfelder und eine Reduktion der Strahlendosis außerhalb der primären Tumorlokalisation. Die Kombination einer »Involved-field«-Bestrahlung mit dem monoklonalen B-Zell-Antikörper Rituximab ist eine vielversprechende Option für zukünftige Behandlungsprotokolle. Vorübergehende Übelkeit und Anorexie sind häufige akute Nebenwirkungen einer Strahlentherapie. Strahlenbe-
dingte Ulzerationen und Blutungen werden bei einer Strahlendosis von 30–35 Gy nicht beobachtet. Das Risiko eines Magenkarzinoms als Zweittumor als Strahlenfolge ist gering. Allerdings besteht bei Patienten mit Magenlymphom aufgrund des gemeinsamen pathogenetischen Hintergrunds einer HP-Infektion unabhängig von der Behandlungsmodalität ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Adenokarzinoms des Magens als zweiter Primärtumor.
Zusammenfassend stellt die Strahlentherapie bei Patienten mit HP-negativem oder antibiotikaresistentem Magenlymphom vom MALT-Typ im Stadium I oder II eine effektive und sichere Therapieoption dar, die gegenüber einer Gastrektomie den signifikanten Vorteil einer geringen Morbidität bietet. Die Strahlentherapie ist daher in dieser Patientengruppe auch unter kurativem Aspekt als Therapie der Wahl anzusehen (Morgner et al. 2007).
Chemotherapie. MZZL vom MALT-Typ weisen eine hohe
Empfindlichkeit gegenüber diversen Zytostatika auf. Patienten mit Rezidiv nach Eradikationstherapie, die aufgrund der Lokalisation und Ausdehnung des gastrointestinalen Lymphoms für eine Strahlentherapie nicht in Frage kommen oder bei denen aus anderen Gründen eine Strahlentherapie nicht möglich ist, profitieren mit großer Wahrscheinlichkeit von einer systemischen Chemotherapie (Fischbach et al. 2000). Dies gilt insbesondere für Patienten mit einem Lymphombefall außerhalb des Magens. Aufgrund der relativen Seltenheit von Patienten in dieser klinischen Situation fehlen randomisierte Studien zur optimalen Wahl der Chemotherapie. Alkyanzien (Chlorambucil, Cyclophosphamid) besitzen als Monotherapie bereits eine hohe Effektivität mit Remissionsraten von 80–100% im lokalisierten Stadium und 50–60% in Stadium IV. Eine Translokation t(11;18) scheint sowohl ein negativer prädiktiver Faktor für eine Eradikationstherapie zu sein als auch mit einer Resistenz gegen Alkylanzien assoziiert zu sein. Die Purinanaloga Fludarabin und 2-Chlordesoxyadenosin (2-CdA) weisen ein hohes therapeutisches Potenzial auf (Jager et al. 2002; Zinzani et al. 2004). Wie bei anderen indolenten Lymphomen scheint die Kombination von Fludarabin mit Cyclophosphamid oder Mitoxantron synergistisch zu wirken. Bendamustin ist eine weitere Behandlungsalternative mit günstigem Nebenwirkungsprofil. Trotz der hohen Effektivität von Zytostatika hinsichtlich einer Remissionsinduktion ist, wie bei anderen indolenten Lymphomen, eine dauerhafte Heilung nicht zu erwarten. Mit dem monoklonalen Anti-CD20-Antikörper Rituximab als Monotherapie sind beim Chemotherapie-naiven Patienten Remissionsraten von 64%, davon 29% komplette Remissionen, zu erwarten (Conconi et al. 2003). Bei vorbehandelten Patienten liegt die Ansprechrate um 45%. Die Kombination von Rituximab mit einer Chemotherapie bietet eine deutliche Steigerung der Rate an kompletten Remissionen und insbesondere des rezidivfreien Überlebens. Eine Monotherapie mit Rituximab bei erhöhtem Risiko oder Ablehnung
52
808
Kapitel 52 · Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
einer systemischen Chemotherapie für individuelle Patienten eine attraktive Therapieoption dar (Martinelli et al. 2005).
Extranodales Marginalzonen-B-Zell-Lymphom vom MALT-Typ mit intestinalem Befall
52
Beim Großteil der Patienten mit intestinalen MALT-Lymphomen erfolgte bei Diagnosestellung eine Laparotomie aufgrund von Perforation oder Obstruktion oder zur Abklärung einer unklaren abdominellen Raumforderung. Selbst nach einer Resektion unter kurativer Zielsetzung beträgt der Anteil von Patienten in dauerhafter Remission nur ca. 30%. Aufgrund der deutlich ungünstigeren Prognose von intestinalen MZZL vom MALT-Typ wird häufig zur Konsolidierung eine Strahlen- oder Chemotherapie durchgeführt, obwohl dafür keine klare Evidenz besteht (Daum et al. 2003). Eine Strahlentherapie kann die lokale Rezidivrate reduzieren, allerdings ohne wesentlichen Einfluss auf das Gesamtüberleben, da Rezidive häufig außerhalb des Strahlenfeldes auftreten. Außerdem ist eine Bestrahlung in dieser Region durch ein relativ hohes Risiko akuter und chronischer Morbidität aufgrund einer strahleninduzierten Enteritis oder Vaskulitis belastet. Durch eine Anthrazyklin-haltige Kombinationschemotherapie kann das rezidivfreie Überleben gegenüber alleiniger Chirurgie möglicherweise verbessert werden. Allerdings waren in den wenigen publizierten Studien bei geringer Fallzahl auch Patienten mit aggressiven Lymphomen eingeschlossen. Im Stadium III und IV ist eine systemische Chemotherapie in Kombination mit Rituximab die Therapie der Wahl.
52.4.2 Diffusen großzelliges B-Zell-Lymhom Diffus großzellige B-Zell-Lymphome (DLBCL) stellen mit ca. 50% die häufigste Entität primärer Magenlymphome dar. Die Behandlung dieses aggressiven Lymphomtyps erfuhr bei primärer Lokalisation im Magen im letzten Jahrzehnt einen Paradigmenwechsel. Therapie der Wahl ist heute wie bei nodalen DLBCL eine Chemotherapie nach dem CHOP-Schema in Kombination mit Rituximab. Standardtherapie in lokalisierten Stadien (Stadium I und II) sind 3–4 Zyklen nach dem R-CHOP Schema, gefolgt von einer »Involved-field«-Bestrahlung (Wohrer et al. 2004). Das Rational für eine konsekutive Immun-Chemotherapie und Strahlentherapie liegt einerseits in einer geringeren Toxizität durch Reduktion der Chemotherapiezyklen. Zum anderen findet sich häufig eine gemischte Histologie des DLBCL mit Anteilen eines indolenten MALT-Lymphoms, aus denen das aggressive Lymphom hervorgegangen ist und das nach alleiniger Chemotherapie Anlass zu Rezidiven geben kann. In den fortgeschrittenen Stadien III und IV erfolgt eine alleinige Immun-Chemotherapie mit 6–8 Zyklen nach dem R-CHOP-Schema. Die Befürchtung eines erhöhten Risikos einer Perforation oder bedrohlichen Blutung hat sich in keiner der aktuellen Therapiestudien bestätigt, sodass ein Bedarf für eine primäre chirurgische Intervention nicht gegeben ist (Koch et al. 2005). In mehreren Studien wurde eine Regression von DLBCL des Magens mit alleiniger Eradikation von H. pylori beschrie-
ben, die auch mit einem langen rezidivfreien Intervall verbunden sein kann (Chen et al. 2005; Morgner et al. 2001). Allerdings kann eine alleinige Antibiotikatherapie dieser Lymphome nicht als Standard angesehen werden, bevor dieses Vorgehen nicht in größeren prospektiven Studien validiert wurde.
52.4.3 Mantelzell-Lymphom Bei Patienten mit Mantelzell-Lymphom mit Beteiligung des Gastrointestinaltrakts sind meist multiple Lokalisation des Darms befallen (lymphomatöse Polyposis). Die Therapie der Wahl ist eine systemische Chemotherapie. Dennoch beträgt die mediane Überlebenszeit bei dieser inkurablen Erkrankung nur 3–5 Jahre. Neuere Studien zeigen zumindest bei jüngeren Patienten eine Verbesserung der rezidivfreien Überlebenszeit und des Gesamtüberlebens durch eine intensivierte Chemotherapie mit Rituximab und alternierenden Zyklen von Anthrazyklin- und Cytosinarabin-haltigen Schemata, gefolgt von einer Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation. Chirurgische Maßnahmen haben beim Mantelzell-Lymphom nur einen geringen Stellenwert, können aber bei Patienten mit Obstruktion des Darms von Bedeutung sein.
52.4.4 Burkitt-Lymphom Die Prognose bei Patienten mit Burkitt-Lymphomen hat sich in den letzten Jahren durch den Einsatz von aggressiven Schemata, die hochdosiertes Methotrexat enthalten, deutlich verbessert. Die Heilungsraten bei Patienten mit abdominellem Befall entsprechen denen bei primär nodaler Ausbreitung. Eine prophylaktische intrathekale Zytostatikaapplikation ist obligatorisch. Bei Patienten mit abdominellem Befall und Aszites ist die Kontraindikation gegen hochdosiertes Methotrexat zu berücksichtigen. Aufgrund des in der Regel raschen Ansprechens des Tumors auf die initiale Chemotherapie kann diese wichtige Komponente der kurativen Therapie in den folgenden Zyklen ergänzt werden. Auch bei Patienten mit HIV-assoziiertem Burkitt-Lymphom kann durch die Behandlung mit hochaktiver antiretroviraler Therapie (HAART) eine aggressive Chemotherapie mit adäquatem therapiebedingtem Risiko und gutem Langzeiterfolg angewandt werden.
52.4.5 Chirurgische Therapie bei
gastrointestinalen Lymphomen Die Operation war lange Zeit insbesondere im lokalisierten Stadium I und II das therapeutische Standardvorgehen bei Patienten mit Magenlymphomen. Mit alleiniger Resektion wurden 5-Jahres-Überlebensraten von über 90% beschrieben (Kodera et al. 1998). Auch in einer Metaanalyse von mehr als 3500 Patienten wurde eine signifikant höhere Überlebensrate von Patienten nach Gastrektomie gegenüber einer konserva-
809 52.5 · Therapie von gastrointestinalen Lymphomen im Rezidiv
tiven Therapie mit Chemo- oder Strahlentherapie beschrieben (Brands et al. 1997). Allerdings war trotz ausgezeichneter Überlebensraten eine Gastrektomie und ausgedehnte Lymphadenektomie mit signifikanter Kurz- und Langzeitmorbidität belastet. Im letzten Jahrzehnt verloren chirurgische Maßnahmen fast vollständig ihre Bedeutung in der Diagnose und Therapie der meisten Lymphomerkrankungen des Gastrointestinaltrakts.
Chirurgie bei Marginalzonen-B-ZellLymphomen vom MALT-Typ des Magens In retrospektiven Untersuchungen mehrerer Studien der Deutschen Studiengruppe für gastrointestinale Lymphome wurde eindeutig gezeigt, dass ein organerhaltendes Vorgehen bei Patienten mit lokalisierten MALT-Lymphomen des Magens der primären Resektion nicht unterlegen war (Koch et al. 2001b). Die Überlebensrate nach 5 Jahren betrug jeweils 82 und 84%. Aus diesem Grund wird in den aktuellen Therapieprotokollen der Deutschen Studiengruppe die primäre Resektion nicht mehr verfolgt. Auch bei Patienten mit HP-negativem Lymphom oder bei Resistenz oder Rezidiv nach Eradikation von H. pylori bietet die Resektion keinen Vorteil gegenüber einer Strahlentherapie. Blutungskomplikationen oder Obstruktion sind nur in äußerst seltenen Fällen Indikation für einen operativen Eingriff.
Chirurgie bei Marginalzonen-B-ZellLymphomen vom MALT-Typ mit intestinalem Befall Bei intestinalem Befall durch ein MZZL kann im Gegensatz zum oberen Gastrointestinaltrakt bereits für die Diagnosesicherung oder aufgrund einer Obstruktion der Darmpassage eine Operation erforderlich sein. Auch bei einer Resektion unter kurativem Aspekt beträgt die Überlebensrate nach 5 Jahren im Stadium IE 45% und im Stadium IIE nur 19% (Domizio et al. 1993). Bei Patienten in fortgeschrittenen Stadien kann in individuellen Fällen eine palliative Resektion vor der Durchführung einer systemischen Chemotherapie diskutiert werden, um in der Folge Blutungen oder eine Perforation zu verhindern. Allerdings wird dieses Vorgehen kontrovers diskutiert und stellt keinen Therapiestandard dar.
Chirugie bei diffus großzelligem B-Zell-Lymphom Auch beim DLBCL mit lokalisiertem Befall des Gastrointestinaltrakts hat die chrirugische Resektion ihre Bedeutung verloren (Liu et al. 2000). Die retrospektiven Ergebnisse der Deutschen Studiengruppe zeigen, dass das Risiko von Blutungen oder Perforationen unter primärer systemischer Chemotherapie zu vernachlässigen ist (Koch et al. 2005). In einer großen randomisierten Studie an 589 Patienten von Aviles et al. wurde prospektiv bei Patienten mit primärer DLBCL des Magens alleinige Chirurgie (C), Chirurgie und Strahlentherapie (CST), Chirurgie und Chemotherapie (CCT) und alleinige Chemotherapie (CT) verglichen (Aviles et al. 2004). Diese Studie ergab vergleichbare Remissionsraten in allen vier Therapiearmen. Nach einer 10-jährigen Beobachtungszeit betrug das Ereignis-freie Überleben für C 28%, für CST 23%, für
CCT 82% und für CT 92%. Die Überlebenszeit nach 10 Jahren war für C 54%, CST 53%, CCT 91% und CT 96%. Die Ergebnisse der Chemotherapie-haltigen Therapiearme waren hoch signifikant den anderen Therapiemodalitäten überlegen. Bei resezierten Patienten war späte Toxizität häufiger und schwerer. Augrund dieser Ergebnisse wird in modernen Therapieempfehlungen die chirurgische Resektion eines primären aggressiven Magenlymphoms nicht mehr berücksichtigt. Eine Gastrektomie soll auf die Behandlung von Komplikationen und seltene Fälle einer lokalen Persistenz des Lymphoms beschränkt werden (Spectre et al. 2006). Offenbar besteht kein prognostischer Unterschied zwischen Patienten, bei denen eine Resektion elektiv geplant wurde und solchen, bei denen aufgrund einer Komplikation eine Operation als Notfall durchgeführt werden musste (Gobbi et al. 2000). Deshalb ist auch bei primär konservativem Vorgehen eine enge interdisziplinäre Kooperation zwischen Hämatologen und Viszeralchirurgen eine unabdingbare Voraussetzung.
52.5
Therapie von gastrointestinalen Lymphomen im Rezidiv
Das Vorgehen im Rezidiv eines primären Lymphoms des Gastrointestinaltrakts hängt vom histologischen Subtyp, der Art der Primärtherapie und der Lokalisation und Ausbreitung des Rezidivs ab.
52.5.1 Extranodales Marginalzonen-B-Zell-
Lymphom vom MALT-Typ Bei einem Lokalrezidiv eines MALT-Lymphoms des Magens nach Eradikationstherapie ist eine involved field Bestrahlung die Therapie der Wahl. Bei asymptomatischen Patienten kann auch ein abwartendes Vorgehen gerechtfertigt sein. Bei multilokulären gastrointestinalem Rezidiv oder bei Patienten, bei denen eine Strahlentherapie nicht möglich ist, soll eine systemische Chemotherapie in Kombination mit Rituximab erfolgen. Bei Auftreten eines Rezidivs nach vorheriger Chemotherapie kann bei langem rezidivfreiem Intervall dasselbe Chemotherapieschema wie bei der Ersttherapie verwendet werden. Ansonsten wird wie bei anderen indolenten Lymphomen eine alternative Chemotherapie in Kombination mit Rituximab verabreicht. Der Stellenwert einer Erhaltungstherapie mit Rituximab ist beim extranodalen Marginalzonenlymphom nicht ausreichend geprüft. Eine Radioimmuntherapie mit dem 90Y-gekoppelten Ibritumomab Tiuxetan kann ein sinnvolles individuelles Vorgehen sein. Allerdings sind auch für diese Substanz bei gastrointestinalen Lymphomen prospektive Studien noch ausständig. Bei symptomatischen lokalisierten Rezidiven, insbesondere im Intestinaltrakt, kann eine komplette chirugische Resektion des Lymphoms diskutiert werden.
52
810
Kapitel 52 · Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
52.5.2 Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom
52.7
Ausblick
und Burkitt-Lymphom
52
Bei rezidiviertem DBLCL des Gastrointestinaltrakts gelten dieselben Richtlinien wie bei primär nodalen aggressiven Lymphomen. Bei Patienten unter 65 Jahren soll bei Erreichen einer mindestens partiellen Remission nach einer aggressiven Salvage-Chemotherapie eine Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation angestrebt werden. Mit diesem Vorgehen kann bei etwa 50% der Patienten eine dauerhafte Heilung erreicht werden. Bei Hochrisikopatienten im jüngeren Alter stellt eine allogene Stammzelltransplantation eine kurative Therapiemöglichkeit dar, die allerdings durch eine hohe therapiebedingte Mortalität belastet ist. Bei älteren Patienten oder Patienten mit Komorbidität, die eine Hochdosistherapie ausschließt, soll eine dem Alter und Allgemeinzustand angemessene systemische Chemotherapie erfolgen, die allerdings in der Regel keine kurative Option darstellt. Patienten mit Burkitt-Lymphom haben im Rezidiv eine sehr ungünstige Prognose. Bei chemotherapiesensiblen Patienten kann eine Hochdosistherapie eine sinnvolle Option darstellen. Die Ergebnisse einer allogenen Stammzelltransplantation sind schlecht.
52.6
Empfehlungen zur Nachsorge
Bei MALT-Lymphomen des Magens stellen regelmäßige endoskopische Kontrollen mit sorgfältiger Biopsieentnahme die wichtigste Maßnahme zur Nachsorge dar. Der Stellenwert einer molekular nachgewiesenen minimalen Resterkrankung (MRD) für die Langzeitprognose ist unklar. Eine MRD-Diagnostik wird deshalb auch bei Patienten nach Eradikationstherapie von H. pylori nicht routinemäßig empfohlen. Spätrezidive sind bei allen indolenten Lymphomen nicht ungewöhnlich, sodass Nachsorgeuntersuchungen kontinuierlich erfolgen sollen. Bei asymptomatischen Patienten mit initial lokalisiertem Stadium I oder II1 sind bei unauffälliger Gastroskopie weitere bildgebende Untersuchungen nicht routinemäßig erforderlich. Das Vorgehen bei Patienten mit intestinalem Befall durch ein MALT-Lymphom ist nicht klar definiert. Bei suspekter Symptomatik sind diagnostische Maßnahmen wie bei Erstdiagnose sinnvoll. Durch Computertomographie können suspekte abdominelle Lymphknoten erfasst werden. Regelmäßige Koloskopien sind bei kolorektalem Befall indiziert. Der Stellenwert einer Kapselendoskopie als Nachsorgemaßnahme bei Lymphomen des Dünndarms ist unklar. Bei Patienten mit diffus großzelligem Lymphom oder Mantelzell-Lymphom sind neben der klinischen Untersuchung in Abhängigkeit der Erstmanifestation Endoskopie und Computertomographie oder Sonographie sinnvolle Nachsorgeuntersuchungen. Dabei sollen sämtliche Lymphknotenregionen berücksichtigt werden, da auch bei primär extranodalem Befall Lymphknotenrezidive möglich sind. Bei DLBCL mit indolenten Anteilen gilt die Vorgehensweise wie bei primären MLLZ vom MALT-Typ.
Extranodale Marginalzonenlymphome vom MALT-Typ können als Prototyp für einen Paradigmenwechsel in der Hämatoonkologie angesehen werden. Der pathophysiologische Mechanismus einer chronischen Infektion mit H. pylori als Grundlage für die Transformation des Mukosa-assoziierten lymphatischen Gewebes wurde durch das kurative Potenzial einer antibiotischen Therapie für eine maligne Erkrankung eindrucksvoll bestätigt. Der molekulare Nachweis einer Translokation t(11;18) hingegen ist assoziiert mit einer Resistenz des Lymphoms gegenüber einer Eradikationstherapie und gegenüber Alkylanzien. Es ist zu erwarten, dass durch die molekulare Charakterisierung des Lymphoms und des Erregersubtyps eine weitere Individualisierung der Tumortherapie mit hoher Treffsicherheit erreicht werden kann. Für Patienten mit HP-negativen oder rezidivierten MALTLymphomen stellt eine Bestrahlung die Therapie der Wahl dar. Eine Reduzierung von Strahlenfeld und Strahlendosis ohne Beeinträchtigung des kurativen Potenzials wäre für die Vermeidung von Früh- und insbesondere Spättoxizität von großer Bedeutung. Dieses Ziel könnte durch eine Kombination von Strahlentherapie mit monoklonalen Antikörpern gegen B-Zell-spezifische Antigene erreicht werden. Das Waffenarsenal einer systemischen Therapie wird bei Lymphomen im allgemeinen in den kommenden Jahren durch molekular gerichtete Therapeutika und Antikörper mit höherer Effektivität und Tumorspezifität erweitert werden und damit auch die Behandlung von primären Lymphomen des Gastrointestinaltrakts eine Bereicherung darstellen. Trotz dieser innovativen Therapien wird zumindest in Einzelfällen eine chirurgische Intervention nicht vermieden werden können. Eine strukturierte Interaktion zwischen Viszeralchirurgen, Hämatoonkologen und Radioonkologen ist deshalb auch für Patienten mit Lymphomen des Gastrointestinaltrakts eine essenzielle Voraussetzung für eine optimale Therapie.
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52
812
52
Kapitel 52 · Maligne Lymphome des Gastrointestinaltrakts
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53 53
Maligne viszerale Tumoren des Kindes D. von Schweinitz, H. Till
53.1
Grundlagen
– 815
53.2
Neuroblastom
53.2.1 53.2.2 53.2.3 53.2.4 53.2.5 53.2.6 53.2.7 53.2.8 53.2.9 53.2.10 53.2.11 53.2.12
Grundlagen – 816 Klinische Symptomatologie – 817 Diagnostik und Staging – 818 Therapieziele und Indikationsstellung – 819 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 819 Operative Therapie und Komplikationen – 821 Postoperative Behandlung – 822 Postoperative Komplikationen – 823 Ergebnisse der chirurgischen Therapie – 823 Adjuvante Therapieprinzipien – 823 Empfehlungen zur Nachsorge – 824 Ausblick – 824
53.3
Nierentumoren
53.3.1 53.3.2 53.3.3 53.3.4 53.3.5 53.3.6 53.3.7 53.3.8 53.3.9 53.3.10 53.3.11
Grundlagen – 824 Klinische Symptomatologie – 825 Diagnostik und Staging – 826 Therapieplan und präoperative Chemotherapie – 827 Operative Therapie – 827 Adjuvante Therapie – 831 Behandlung der Nephroblastomatose – 832 Behandlung von Klarzellsarkom und Rhabdoidtumor der Niere Komplikationen und Therapiefolgen – 832 Nachsorge – 833 Ausblick – 833
53.4
Hepatoblastom
53.4.1 53.4.2 53.4.3 53.4.4 53.4.5 53.4.6 53.4.7 53.4.8 53.4.9
Grundlagen – 833 Klinische Symptome – 833 Diagnostik und Staging – 834 Therapeutisches Vorgehen – 835 Chirurgisches Vorgehen – 835 Postoperative Therapie, intra- und postoperative Komplikationen Postoperative adjuvante Therapie – 836 Therapieergebnisse, Prognose und Nachsorge – 836 Ausblick – 836
– 816
– 824
– 832
– 833
– 836
53.5
Pankreatoblastom
53.5.1 53.5.2 53.5.3
Grundlagen – 836 Diagnostik – 837 Therapieempfehlungen und Ergebnisse Literatur
– 836
– 837
Wichtige Adressen
– 839
– 837
815 53.1 · Grundlagen
> Dieses Kapitel befasst sich mit den embryonalen viszeralen Tumoren Neuroblastom, Nephroblastom (Wilms-Tumor), Hepatoblastom und Pankreatoblastom. Diese hochmalignen Neoplasien kommen bei Erwachsenen nicht vor und manifestieren sich bevorzugt im Säuglings- und Kleinkindesalter. Sie sprechen in der Regel gut auf Chemotherapie und zum Teil auf Bestrahlung an. Deshalb ist die Chirurgie stets ein Teil eines umfassenden Therapieregimes, das sich streng nach den Therapieoptimierungsprotokollen der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie richten sollte. Das Neuroblastom ist der häufigste solide Tumor des frühen Kindesalters und geht von Zellen des Grenzstrangs oder des Nebennierenmarks aus. Wegen der hohen Aggressivität und des häufigen disseminierten Wachstums ist die Prognose noch immer nicht zufriedenstellend. Hier ist eine besonders differenzierte chirurgische Indikationsstellung in Abhängigkeit von der Tumorbiologie und anderen Prognosefaktoren nötig. Das Nephroblastom der frühkindlichen Niere ist der häufigste Nierentumor des Kindesalters und hat in den meisten Fällen eine exzellente Prognose. Eine Operation erfolgt fast immer nach induktiver Chemotherapie und sollte zu einer radikalen Tumorentfernung führen. Das Gleiche gilt für das Hepatoblastom, ein seltenes embryonales hepatozytäres Neoplasma des frühen Kindesalters. Hier ist von Seiten der Chirurgie eine hohe Expertise und Kenntnis der onkologischen Therapie erforderlich. Das Pankreatoblastom ist sehr selten und erfordert eine komplette Tumorentfernung primär oder nach einer tumorreduktiven Chemotherapie.
53.1
Grundlagen
Maligne viszerale Tumoren im Kindesalter finden sich in der überwiegenden Mehrzahl im Abdomen und Retroperitonealraum. Sie bilden eine breite Palette von Neoplasien, sowohl was die Ursprungsorgane als auch was das Ausgangsgewebe angeht (Tabelle 52.1). Insgesamt sind sie in verschiedener Verteilung mit zwei Altersgipfeln vertreten. Im Säuglings- und Kleinkindesalter kommen fast ausschließlich Tumoren embryonalen Ursprungs vor, zu denen das Neuroblastom, das Nephroblastom, das Hepatoblastom und das Pankreatoblastom zählen. Am zweiten Altersgipfel bei Jugendlichen finden sich häufiger Tumoren, die auch bei jungen Erwachsenen auftreten, wohingegen die typischen gastrointestinalen Tumoren der älteren Erwachsenen quasi nicht vorkommen. Einige der in . Tab. 53.1 aufgeführten Neoplasien sind nicht organgebunden und können u. a. auch in den Viszeralorganen auftreten. Neuroblastom und Nephroblastom gehören zu den häufigsten soliden Malignomen des Kindesalters. In diesem Kapitel soll im Wesentlichen auf die viszeralen embryonalen Malignome des frühen Kindesalters eingegangen werden. Bei allen diesen bestehen prinzipielle Unterschiede zu den häufigen malignen Tumoren des Erwachsenenalters. Ausgehend von unreifen Zellen embryonaler Anlagen der entsprechenden Organe werden sie von rasch proliferierenden, multiformen Zellen gebildet. Wegen der raschen
Proliferation sprechen diese Tumoren oft gut auf Chemotherapie, einige auch auf ionisierende Strahlen an. Aus diesem Grund werden sie alle therapeutisch mit multifaktoriellen Strategien angegangen, bei denen die chirurgische Entfernung lediglich eine Therapiekomponente unter anderen und oft auch nicht die initiale darstellt. In den vergangenen Jahren hat es sich etabliert, die häufigeren dieser Tumoren im Rahmen multizentrischer Therapieoptimierungsstudien nach vorgegebenen Protokollen zu behandeln, die im deutschsprachigen Raum unter der Aufsicht der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) stehen. Einige der Studien sind in solche der Internationalen Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie (SIOP) integriert. Alle Tumoren, die im Rahmen dieser multizentrischen Studien behandelt werden, sollen histologisch in einer der ausgewiesenen spezialisierten Referenzpathologien mituntersucht werden, damit eine hohe Qualität der oft schwierigen und seltenen Diagnosen gewährleistet ist. Alle Kinder unter 15 Jahren mit einer malignen Erkrankung werden im Deutschen Kinderkrebsregister am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz erfasst. So wurden bis Ende 2006 insgesamt 41.185 Kinder mit maligner Erkrankung registriert (Kaatsch u. Spix 2008; zur Häufigkeit der viszeralen Tumoren in diesem Gesamtkollektiv: . Abb. 53.1). Dieses Vorgehen hat wesentlich zu der dramatischen Verbesserung der Heilungsraten bei kindlichen Tumoren geführt. Auf die Tumoren, deren Hauptmanifestationen im Kindesalter nicht in den viszeralen Organen liegen, wird hier nicht näher eingegangen. Weichteilsarkome, v. a. Rabdomyosarkome und undifferenzierte Sarkome, können in der Leber und in den Gallenwegen, sehr selten auch im Gastrointestinaltrakt wachsen (7 Kap. 49). Maligne Non-Hodgkin-Lymphome (7 Kap. 51) können wie im Erwachsenenalter auch bei Kindern im Gastrointestinaltrakt vorkommen. Hodgkin-Lym-
. Abb. 53.1. Relative Häufigkeit kindlicher Tumoren (1997–2006, Deutsches Kinderkrebsregister Mainz)
53
816
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
phome treten typischerweise bei älteren Schulkindern und Jugendlichen auf. Sehr selten gibt es maligne Keimzelltumoren in viszeralen Organen. Diese werden dann meist entsprechend den vorhandenen pädiatrischen Therapieprotokollen für Keimzelltumoren kombiniert mit Chemotherapie und Chirurgie angegangen. Aktuelle und ausführliche Darstellungen der Tumoren des Kindes- und Jugendlichenalters finden sich auch bei Gadner et al. (2006) aus onkologische und bei von Schweinitz und Ure (2009) aus kinderchirurgischer Sicht.
53.2
Neuroblastom
53.2.1 Grundlagen
Chirurgische Epidemiologie
53
Das Neuroblastom ist der häufigste solide Tumor bei Kindern und tritt v. a. im Säuglings- bzw. Kleinkindesalter auf. Die Inzidenz liegt insgesamt bei 1–6 Fällen/100.000 Kindern. Assoziationen mit anderen kinderchirurgischen Entitäten wie der Neurofibromatose, der Nesideoblastose oder dem M. Hirschsprung werden kasuistisch beschrieben und geben Hinweise auf einen vergleichbaren pathogenetischen Ursprung an der Neuralleiste (Neurokrestopathien). Eine biologische Besonderheit des Neuroblastoms ist sein variables Verhalten, das geradezu einzigartig im Vergleich zu Tumoren beim Erwachsenen ist: Bei manchen Kindern, vorzugsweise im Säuglingsalter, kann das Neuroblastom spontan regredieren und ausheilen, sodass keine Therapie nötig ist. Bei anderen Patienten wiederum differenziert sich das Gewebe oder es entwickelt sich progredient bis hin zur Therapierefraktärität (van Noesel 2004). Jede Behandlung stellt also insofern eine besondere Herausforderung dar, als ein individuelles, risikoadaptiertes Konzept gefunden werden muss. Screeningmethoden zur frühzeitigen Detektion des Neuroblastoms haben sich bisher nicht durchsetzen können. Zwar konnten solche Untersuchungen die Diagnoserate insgesamt steigern, es wurden dabei aber im Wesentlichen Säuglinge erkannt, die nicht therapiert werden mussten, weil sich der Tumor spontan zurückbildete. Andererseits wurden die klinisch problematischen Fälle von älteren Kindern mit Neuroblastomen im Stadium 4 nicht früher erkannt (Kerbl 2003). Multizentrische Tumorstudien und die deutsche Neuroblastomstudie (aktuell NB 2004) haben im Verlauf vieler Jahre zusätzlich zu diesen Erfahrungen entscheidende Informationen sammeln können, die die Basis für Qualitätssicherung und stetige Verbesserung von Behandlungskonzepten sind (Brodeur u. Maris 2002).
Pathogenese Das Neuroblastom entsteht aus embryonalen, undifferenzierten Zellen der sympathoadrenalen Neuralleiste (»neurocrest«). In Einzelfällen ist eine familiäre Häufung beschrieben (Shojaei-Brosseau 2004). Entsprechend der anatomischen Lage des sympathischen Grenzstranges und des Nebennierenmarks treten die Tumoren überwiegend im Abdomen (Nebennierenloge, kleines Becken, Retroperitoneum, Spinalkanal), im Thorax oder im Halsbereich auf.
Wie bei anderen embryonalen Tumoren wird eine primär genetisch determinierte Entartungspotenz des Gewebes angenommen, ohne dass bisher eine schlüssige Theorie zur Pathogenese vorliegt. Als derzeit wichtigste molekularbiologische Veränderungen sind die MYCN-Onkogen-Amplifikation auf dem Chromosom 2 und die 1p-Deletion am Chromosom 1 bekannt. Diese beiden Aberrationen sind von großer klinischer Bedeutung, weil sie statistisch als hochsignifikante, negative Prognosefaktoren validiert sind und dementsprechend in den Behandlungsprotokollen berücksichtigt werden. Auch Deletionen im Chromosomarm 11q sind mit einer ungünstigen Prognose assoziiert und gelten deshalb in einigen Therapieprotokollen als prognostischer Marker. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von weiteren molekulargenetischen Veränderungen (z. B. DNA-Euploidie, 17q-Translokation, Proliferationsindex), die für den Tumor beschrieben sind (Ambros 2000), ohne dass ihr Einfluss auf den biologischen Verlauf tatsächlich geklärt ist. Hinsichtlich des Phänomens der spontanen Regression ist außerdem interessant, dass der Tumor genau den programmierten Zelltod imitiert, der normalerweise bei sympathoadrenalen Zellen auftritt, die TrkA (Tyrosine Kinase A) und den p75NTR (Neurotrophinrezeptor) exprimieren (Nagawara 2004). Tatsächlich ist die TrkA-Expression der wichtigste Faktor in Bezug auf die Induktion von Tumorzell-Differenzierung und/oder programmiertem Zelltod, weil ohne die Expression keine spontane Regression des Neuroblastoms vorkommt. Daher scheint das klinische Verhalten des Tumors an die molekulargenetischen Mechanismen der Neuralrohrentwicklung gebunden zu sein (Brodeur u. Maris 2002). Um dieses facettenreiche biologische Verhalten vollständig erklären und das Neuroblastom prospektiv einschätzen zu können, sind weitere wissenschaftliche Beobachtungen notwendig (Schwab 2003).
Pathologie, Grading Die Diagnose eines Neuroblastoms wird überwiegend histologisch gesichert. Dabei müssen die unterschiedlichen Malignitätsmerkmale (Kern/Plasma-Relation, zytoplasmatische Fortsätze, klein-rundzellig) beurteilt werden, die allerdings auch innerhalb eines Tumors sehr unterschiedlich verteilt sein und sich im Verlauf einer Behandlung verändern können (Maturation oder Entdifferenzierung). Immunhistochemische Befunde wie eine positive Reaktion gegen NSE (neuronspezifische Enolase), Protein-Genprodukt 9.5, Synaptophysin, Tyrosinhydroxylase oder Neurofilamente (Tornoczky 2004) erhärten ebenso die Diagnose wie eine elektronenmikroskopische Detektion von Katecholamin-speichernden Granula. Das histologische Grading kann nach der Harms/HughesEinteilung erfolgen, die von differenzierten Tumoren mit Ganglienzellen (Ganglioneuroblastome) bis hin zu undifferenzierten Neuroblastomen reicht (Tabelle 53.1) oder alternativ nach dem Shimada-System bzw. der International Neuroblastoma Pathology Classification (Shimada 2003). Diese basiert ebenfalls auf morphologischen Kriterien (z. B. Schwannian stroma poor vs. rich) und hat zum Ziel, eine prognostisch signifikante und biologisch relevante Unterteilung zu ermöglichen. Der deutschen Neuroblastomstudie (NB 2004) liegt die Harms/Hughes-Einteilung zugrunde.
817 53.2 · Neuroblastom
. Tab. 53.1. Histologisches Grading von Neuroblastomen nach Hughes (mod. nach Harms 1979) gebräuchlich in der GPOH-Neuroblastomstudie NB 2004
Grad 1a
Diffuses Ganglioneuroblastom: diffuse Mischung von undifferenzierten, ausreifenden und reifen Zellen
1b
Ganglioneuroblastom vom Kompositionstyp: Ganglioneurom mit wechselnden Arealen undifferenzierten Neuroblastomgewebes (abrupter Übergang zwischen beiden Tumorkomponenten)
2
Mischbild aus differenzierten Zellen und mindestens einigen Zellen mit partieller Differenzierung zu Ganglienzellen
3
Undifferenzierte Zellen ohne Reifezeichen
Prognostische Faktoren Multizentrische Studien, die die unterschiedlichen Merkmale des Neuroblastoms systematisch evaluierten, konnten einige klinische und gewebeständige Parameter als Prognosefaktoren validieren. Dazu gehören die MYCN-Amplifikation, die 1p-Deletion, eine 11q-Deletion, das Alter bei Erkrankung (>1 Jahr) und das INSS-Stadium. Je nach Vorliegen dieser Merkmale werden die Kinder in unterschiedliche Behandlungsgruppen eingeteilt. Eine dezidierte Darstellung der Risikogruppen nach dem deutschen Therapieprotokoll erfolgt in 7 Kap. 53.2.3 und . Abb. 53.2. Weitere laborchemische Merkmale fließen in die Behandlung, v. a. in die Nachsorge, mit ein. Etwa 85% der Neuroblastome metabolisieren Katecholamine. Demzufolge sind Homovanillinsäure, Vanillinmandelsäure und Dopamin von diagnostischem und prognostischem . Abb. 53.2. Definition der Risikogruppen entsprechend der Neuroblastomstudie NB 2004
Wert. Des Weiteren sind Serum-LDH und -Ferritin von Nutzen. Neuroblastome im Thorax, Hals oder kleinen Becken scheinen einen eher günstigen Verlauf zu nehmen, weil die Tumoren häufiger besser differenziert sind und ein niedrigeres Stadium aufweisen (Brodeur u. Maris 2002). In den vergangenen Jahren hat eine Arbeitsgruppe von Experten aus allen Erdteilen eine gemeinsame Risikoklassifizierung für Neuroblastome erarbeitet (Cohn et al. 2009) und daraus abgeleitetes Stadiensystem entwickelt (Monclair et al. 2009), die nun zunächst von den nationalen und internationalen Studiengruppen getestet und dann für einen internationalen Vergleich von Studienergebnissen genutzt werden sollen. Eventuell werden sie zu einem späteren Zeitpunkt auch in den klinischen Gebrauch übernommen.
53.2.2 Klinische Symptomatologie Die klinische Symptomatik ist im Wesentlichen durch die Lokalisation des Primärtumors und seine kollateralen Komplikationen bedingt. Als Allgemeinsymptome kommen unspezifische Beschwerden wie Fieber, (Bauch)Schmerzen, ein schlechter Allgemeinzustand, gelegentlich auch ein arterieller Hypertonus vor. Im Abdomen sehen oder tasten die Eltern oftmals die Raumforderung zuerst. Bei Prozessen im kleinen Becken können Blasen- oder Darmstörungen auftreten. Bei Manifestation am Hals oder im Thorax fallen neben einer Schwellung gelegentlich Luftnot oder Schluckstörungen als erstes Symptom auf. Eine Ausbreitung des Neuroblastoms in den Spinalkanal (Sanduhrgeschwulst) wird häufig erst durch neurologische Komplikationen wie beispielsweise eine Querschnittssymptomatik klinisch evident. Liegt bereits eine Metastasierung vor, können Knochenschmerzen (durch Filiae im Skelettsystem), eine Leberschwellung mit abdomineller Distension und pathologischer Leberfunktion (z. B. Blutungs-
53
818
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
. Tab. 53.2. Neuroblastom: diagnostisches Vorgehen
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Biopsie mit Histologie
Sicherung der Diagnose und/oder Bestimmung der Therapiegruppe, Staging
Ausstrichpräparat von Knochenmark (Mikroskopie, Immunfluoreszenz/PCR) Katecholaminkonzentrationen im Serum/Urin
53
LDH, Ferritin, NSE im Serum
Verlaufskontrolle
Sonographie und MRT
Tumorausdehnung, Lymphknoten; Beteiligung von Gefäßen, Metastasierung
CT des Thorax
Pulmonale Metastasierung, mediastinale Beteiligung
Spezifisches MRT
Spinale Beteiligung, Sanduhrtumoren, kraniale Metastasierung
MIBG-Szintigraphie
MIBG-Speicherung, Metastasen und Knochenmarkbeteiligung bei MIBG-positiven Befunden, Verlaufsuntersuchungen
Knochenszintigraphie
Nur für Risikopatienten (cave Epiphysendosis)
neigung) oder eine Protrusio bulbi (durch Filiae in der Orbita) entstehen.
53.2.3 Diagnostik und Staging
Klinische und labordiagnostische Untersuchungen Bei den klinischen und labordiagnostischen Untersuchungen steht zunächst die Diagnosesicherung im Vordergrund (. Tab. 53.2).
Das Neuroblastom gilt als bewiesen, wenn die Histologie einer Gewebeprobe den typischen Befund erbringt oder wenn im Knochenmark die charakteristischen Tumorzellen gefunden werden und das Kind zusätzlich im Serum/ Urin erhöhte Katecholaminmetabolite (Vanillinmandelsäure, Homovanillinsäure, Dopamin) aufweist.
Das Knochenmark sollte sowohl als Ausstrichpräparat als auch mittels Immunfluoreszenz oder Polymerase-Kettenreaktion (PCR) untersucht werden. Gewebeständige Merkmale wie die MYCN-Amplifikation oder 1p-Deletion müssen evaluiert werden. Präparate müssen dabei auch zur Referenzpathologie geschickt werden und es empfiehlt sich, bereits vor der Biopsie Kontakt aufzunehmen (s. Adressenliste im Anhang), um eine fachgerechte Probenaufbereitung (Anzahl, Medium etc.) zu garantieren. Zur Einschätzung der Erkrankung dienen weitere hämatologische und serologische Parameter: Der Urinstatus mit Katecholaminwerten ist obligat, muss aber nicht als Sammelurin (24 h) erfolgen. Es ist ratsam, eine Bestimmung der Katecholaminkonzentration auch im Referenzlabor der Studien-
leitung durchführen zu lassen, um den Vergleich mit einem großen Kollektiv zu erhalten. Ferner sollten LDH, Ferritin und NSE bestimmt werden, die zwar diagnostisch relativ unspezifisch, aber als Verlaufsparameter wertvoll sind (Brodeur u. Maris 2002).
Bildgebende Verfahren Im Vordergrund der bildgebenden Diagnostik stehen Sonographie und Magnetresonanztomographie (MRT). Sie dienen einerseits der Diagnosesicherung und informieren bezüglich Tumorgröße, Lymphknotenbefall oder Mittellinienüberschreitung. Andererseits geben sie Auskunft über das Ausmaß der Erkrankung, ob oder welche Gefäße in den Prozess einbezogen sind (z. B. Tr. coeliacus, Aorta, Nierenarterie) und ob bereits eine Metastasierung stattgefunden hat.
In der Regel reicht bei der Frage einer mediastinalen Beteiligung oder pulmonalen Metastasierung ein Röntgenbild des Thorax allein nicht aus, weshalb eine Computertomographie durchgeführt werden sollte. Bei Verdacht auf spinale Beteiligung, insbesondere bei Sanduhrtumoren oder kranialer Metastasierung, ist ein spezifisches MRT gefordert.
Gleichermaßen kommen alle genannten Verfahren bei Verlaufskontrollen zur Anwendung, um eine Aussage über Regression oder Progression des Tumors zu erhalten. Etwa 85% der Neuroblastome metabolisieren 123Jod-Metajodbenzylguanidin (I-MIBG). Da die Aufnahme spezifisch für Neuroblastome, Ganglioneurome und Phäochromozytome ist, stellt die MIBG-Szintigraphie einen integralen Bestandteil der initialen Diagnostik und von Verlaufsuntersuchungen dar. Die Kombination von MRT und MIBG-Szintigraphie erreicht beim Neuroblastom eine Spezifität und Sensitivität von bis zu
819 53.2 · Neuroblastom
. Tab. 53.3. International Neuroblastoma Staging System (INSS)
Stadium 1
Lokalisierter primär makroskopisch komplett resezierter Tumor, histologisch negative Lymphknoten
2
Lokalisierter Tumor mit primär makroskopisch inkompletter Resektion
2A
Auch nichtadhärente ipsilaterale Lymphknoten histologisch negativ
2B
Nur nichtadhärente kontralaterale Lymphknoten histologisch negativ
3
Primär nichtresektabler Tumor die Mittellinie (Wirbelsäule) überschreitend mit oder ohne Lymphknotenbefall oder lokalisierter Tumor mit kontralateralem Lymphknotenbefall oder Mittellinientumor mit beidseitiger Ausdehnung und/oder beidseitigem Lymphknotenbefall
4
Jeder Primärtumor mit Fernmetastasen in distale Lymphknoten, Knochen, Knochenmark, Leber, Haut und/oder andere Organe außer Tumoren des Stadiums 4S
4S
Lokalisierter Tumor (wie bei Stadium 1, 2A oder 2B definiert) bei Säuglingen <1 Jahr mit Metastasierung begrenzt auf Leber, Haut und/ oder Knochenmark
90% (Pfluger 2003). Die Knochenszintigraphie (99mTc) kann zwischen Knochenmetastasen und Knochenmarkbeteiligung bei MIBG-positiven Knochenbefunden unterscheiden, oder allfällige Knochenmetastasen bei MIBG-negativen Tumoren aufdecken. Cave Weil die Strahlendosis auf die Epiphysen erheblich ist, bleibt diese Untersuchung allerdings wenigen Risikopatienten vorbehalten.
Nach Abschluss der Diagnostik kann das Stadium der Erkrankung definiert werden. Dazu dient die in . Tab. 53.3 beschriebene Einteilung des International Neuroblastoma Staging System (INSS).
53.2.4 Therapieziele und Indikationsstellung Das Neuroblastom ist im Unterschied zu vielen anderen onkologischen Entitäten heilbar und kann v. a. im Säuglingsalter
spontan regredieren. Um diesem besonderen biologischen Verhalten adäquat zu begegnen und keine unnötigen iatrogenen Komplikationen zu produzieren, sollte das Neuroblastom risikoadaptiert behandelt werden. Entsprechend der pathologischen Befunde wird jedes Kind einer Risikogruppe zugeordnet. Derzeit richtet sich die Unterteilung in der deutschen Neuroblastomstudie (NB 2004) im Wesentlichen nach Alter, Stadium, MYCN-Amplifikation und Chromosom-1pDeletion. Es gelten 3 Therapiegruppen: Beobachtungs-, Standardrisiko- und Hochrisikogruppe (. Abb. 53.2).
Verändert sich im Verlauf der Behandlung das Stadium (z. B. Progredienz, Metastasierung) oder treten bedrohliche Komplikationen auf, ist selbstverständlich der Wechsel des Kindes in eine andere Therapiegruppe angezeigt.
Die Indikation zu einzelnen operativen Schritten ergibt sich aus der Risikogruppe und dem Verlauf der Behandlung. Das entsprechende Konzept dazu ist im Manual der Neuroblastomstudie (NB 2004) standardisiert beschrieben. Grundsätzlich sollten alle Kinder mit Verdacht auf Neuroblastom zur Bestimmung der Therapiegruppe (s. oben) zunächst biopsiert werden. Eine Ausnahme stellen Säuglinge im Stadium 4S und Patienten mit akuter bedrohlicher Klinik wie einem drohenden Querschnitt bei einem Sanduhrtumor dar: Für diese Patienten ist allein die klinische Diagnose ausreichend, wenn radiologisch ein typischer Befund in der CT/MRT gefunden wird, szintigraphisch eine Anreicherung von MIBG im Tumorgebiet gesehen wird und die Katecholaminwerte in Serum oder Urin pathologisch erhöht sind. Säuglinge mit mycn-Amplifikation und lokal begrenztem Tumor werden der Hochrisikogruppe zugeordnet. Alle Kinder mit Stadium 4 werden gleich behandelt mit Ausnahme von Säuglingen, die keine Megachemotherapie bekommen. Im Tumorprotokoll (NB 2004) sind auch die Zeitpunkte für eine Second-look-Operation, die als Tumorbiopsie oder Tumorresektion angestrebt werden kann, dezidiert aufgelistet. Cave Bei Gefahr kollateraler Komplikationen (z. B. Nephrektomie) ist eine radikale Tumorresektion nur sehr selten indiziert.
53.2.5 Chirurgische Strategie
und Verfahrenswahl Prinzipiell hat die Chirurgie beim Neuroblastom zwei Ziele (. Tab. 53.4): Der Primäreingriff (Biopsie) dient der Diagnosesicherung, einer biologischen Charakterisierung (Onkogene) und dem vollständigen Staging. Dazu gehören die intraoperative Tumorbiopsie, die Beurteilung der Resektabilität, einer Mittellinienüberschreitung sowie eines Lymphknotenbefalls. Die Größe des Biopsats kann abhängig vom Situs
53
820
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
. Tab. 53.4. Neuroblastom: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Therapiegruppe und klinische Situation Beobachtungspatienten
Biopsie (komplette Resektion nur bei minimalem Komplikationsrisiko) Nach 12–24 Monaten keine Regression oder bedrohliche Komplikationen
Standardrisikopatienten Nach 4. bis 6. Zyklus der Chemotherapie
Resektion oder Tumorreduktion
Kinder >1 Jahr mit lokal begrenztem Neuroblastom
Komplette Resektion
Biopsie, Hochdosis-Chemotherapie, Second-lookOperation zur Tumorresektion (abhängig von Tumorgröße und chirurgischem Risiko) Kinder mit lokal begrenztem Befall u. positivem mycn-Status
Stadium 4 (außer Säuglinge)
Erneute Biopsie, ggf. Chemotherapie
Biopsie, Chemotherapie
Hochrisikopatienten
53
Empfohlenes Vorgehen
Komplette Resektion
Komplette Resektion kontrovers: nur, wenn keine wesentlichen Komplikationen zu erwarten sind; Hochdosis-Chemotherapie
entschieden werden, d. h. eine signifikante Reduktion des Tumors ist im Einzelfall möglich.
In Absprache mit der Tumorstudienleitung muss präoperativ sorgfältig geplant werden, wie viele Tumorproben entnommen werden, wie diese aufbereitet und wohin und wie sie verschickt werden sollen.
Bei Erkennung von chirurgischen Risikofaktoren bei der Bildgebung sollte auf eine primäre Resektion eines Neuroblastoms verzichtet werden. Zu diesen gehören zervikothorakale und thorako-abdominelle Tumoren, solche die Trachea oder Bronchien, große Gefäße und große Nerven bzw. Nervenplexus umwachsen oder einbeziehen, die in parenchymatöse Organe, die Mesenterialwurzel, das Lig. hepatoduodenale oder das Mediastinum infiltrieren oder solche im Spinalkanal mit Rückenmarkskompression (Cecchetto et al. 2005). Sekundäreingriffe dienen der Feststellung des Tumor-Responses und der Resektion von Residualtumor. Bei Standardund Hochrisikopatienten sind im Verlauf der Behandlung Second-look-Operationen im Protokoll vorgesehen. Zusammen mit den Kinderonkologen muss der Chirurg dann das Konzept der Intervention bestimmen: Ob beispielsweise nur eine Biopsie erfolgen soll, weil der Tumor eine klinische Progression bietet, oder aber eine Resektion angestrebt werden kann, weil der Resttumor (bei absehbarem Risiko) entfernbar erscheint. Da die Gefahr der Tumorruptur meist nach 4 bis 6 Zyklen geringer ist, kann die Resektion zu diesem Zeitpunkt angestrebt werden. Da-
bei muss beachtet werden, dass eine mikroskopisch komplette Resektion nicht unbedingt erforderlich ist. Ausgehend von den unterschiedlichen Risikogruppen ergeben sich somit folgende Strategien: 4 Bei Beobachtungspatienten steht beim initialen Eingriff die Biopsie ganz im Vordergrund. Hier entscheidet der Chirurg über das Ausmaß der Operation. Eine komplette Resektion sollte nur dann erfolgen, wenn das Risiko von Komplikationen minimal erscheint. Anschließend wird die spontane Tumorregression durch regelmäßige Untersuchungen (MRT) beobachtet. Stellt sich diese nach 6– 12 Monaten nicht ein oder ergeben sich bedrohliche Komplikationen, muss das Kind neu evaluiert (komplettes Staging) und ggf. neu gruppiert werden (s. unten). In diesen Fällen kann auch eine erneute Tumorbiopsie notwendig werden, um eine histologische Aussage zur Regression zu erhalten. 4 Standardrisikopatienten werden nach Durchführung der Tumorbiopsie chemotherapiert. Die Kombinationen der Therapeutika und die Prinzipien ihres Einsatzes können dem aktuellen Tumorprotokoll (derzeit NB 2004) entnommen werden, in dem auch die Zeitpunkte für eine erneute Tumorbiopsie vorgesehen sind (s. Abschn. 54.2.10). Eine Resektion kann nach dem 4. bis 6. Zyklus der Chemothrapie erfolgen. Dabei ist die komplette Entfernung mit mikroskopisch gesundem Rand nicht erforderlich (von Schweinitz 2002). Um eine Resektion ohne Mutilierung zu erreichen, ist auch die schrittweise Tumorreduktion erlaubt. Nur bei Kindern älter als 1 Jahr mit lokal begrenztem Neuroblastom und einer MYCN Amplifizierung ist das Outcome nach kompletter Resektion besser (von Schweinitz 2002).
821 53.2 · Neuroblastom
53.2.6 Operative Therapie
und Komplikationen Die chirurgischen Ansätze bei der Behandlung des Neuroblastoms bewegen sich zwischen den standardisierten Empfehlungen des Studienprotokolls (bezogen auf die entsprechende Risikogruppe) und der individuellen Entscheidung des Operateurs, welche Radikalität sinnvoll erscheint.
. Abb. 53.3. 4-Jähriger mit Neuroblastom Stadium 3 (retroperitoneal, MYCN-amplifiziert), das im MRT die Mittellinie überschreitet und die zentralen Gefäße ummauert
Angesichts der Potenz mancher Tumoren zur spontanen Regression erscheint eine Exstirpation jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn eine Gefährdung oder Mutilierung benachbarter Strukturen ausgeschlossen werden kann.
Im Einzelfall kann eine Tumorruptur mit massiver Streuung eine schlechtere Prognose bedeuten. Bei der Biopsie sind in der Regel 5–10 ml Tumor ausreichend für alle notwendigen Untersuchungen. Die Biopsiestelle sollte mit nicht resorbierbarem Nahtmaterial markiert werden. Bei der Verwendung von Clips sollten Titan-LigaClips verwendet werden, da diese keine Artefakte in VerlaufsMRT erzeugen. Abdominelle Neuroblastome. Bei abdominellen Neuroblas-
. Abb. 53.4. Retroperitonealer Situs des Patienten aus . Abb. 53.3 nach Chemotherapie und am Ende der Second-look-Operation, jetzt makroskopisch komplette Tumorresektion im Bereich der V. cava und Aorta abdominalis
4 Hochrisikopatienten erhalten nach der aktuellen Stu-
dienempfehlung und nach Tumorbiopsie ebenfalls eine Hochdosis-Chemotherapie, gefolgt von einer Secondlook-Operation zur Tumorresektion unter der Voraussetzung, dass Tumorgröße und chirurgisches Risiko dazu passen. Die komplette Resektion erbringt nur bei Kindern mit lokal begrenztem Befall und positivem mycin-Status eine Verbesserung der tumorfreien 5-Jahres-Überlebenszeit, sodass sie in Einzelfällen durchgeführt werden kann (. Abb. 53.3 und . Abb. 53.4). Cave Da aber der Unterschied im Überleben nur marginal ist, sollte das Risiko der Radikalität sorgfältig gegen den Nutzen abgewogen werden.
Im Stadium 4 konnte – außer bei MYCN-amplifizierten Tumoren – kein Nutzen der kompletten Resektion erwiesen werden. Daher sollte sie auch nur durchgeführt werden, wenn keine wesentlichen Komplikationen (insbesondere Nephrektomie) zu erwarten sind.
tomen sollte der operative Zugang über eine quere Oberbauchlaparotomie, bei Tumoren im kleinen Becken mittels medianer Unterbauchlaparotomie oder Pfannenstielschnitt erfolgen. Oftmals bietet sich eine Präparation von kaudal nach kranial an. Eine schrittweise Resektion empfiehlt sich, wenn der Tumor wichtige Gefäße einschließt oder in die Adventitia eingewachsen sein kann und die En-bloc-Entfernung risikoreich ist. Während die Niere selbst nur selten infiltriert wird, ist der Nierenstiel oftmals in den Tumor einbezogen, sodass bei der Präparation besondere Sorgfalt geboten ist. Eine Manipulation an der Nierenarterie kann zu Kompression, Gefäßspasmen, Endothelverletzungen oder Durchtrennungen führen. Entsprechende Probleme sollten bereits intraoperativ behandelt werden. So kann beispielsweise durch topische Applikation von Lidocain 2% ein Spasmus gelöst werden. Insgesamt besteht zur Verbesserung der Radikalität aber keine Indikation zur Nephrektomie. Ferner muss auf vegetative Nervenplexus (intraktable Diarrhoen) und intervertebrale Arterien (Paraplegie durch Rückenmarksschädigung) geachtet werden.
Alle sichtbaren Lymphknoten sollten entfernt werden, da eine makroskopische Beurteilung in etwa 50% falschnegativ ist.
Pelvine Neuroblastome. Pelvine Neuroblastome sind in der
Regel fest mit den sakralen Plexus verbunden. Sind sie von abdominell nicht gut erreichbar, kann ein sakraler Zugang gewählt werden. Als Komplikationen der Resektion gelten
53
822
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
. Abb. 53.5. Hochthorakales Neuroblastom rechts bei einem 8-jährigen Jungen mit Atemnot und Horner-Syndrom
53
Blasen- und Mastdarmlähmungen sowie Verletzungen des Rektums.
. Abb. 53.6. Intraspinale Ausdehnung eines tief thorakalen Neuroblastomas rechts bei einem 6-monatigen Säugling mit akuter Paraplegie
partmentsyndrom) kommen. In diesen Einzelfällen sind u. U. eine Eröffnung des Abdomens und ein passagerer Bauchwandersatz mit Silastikfolie notwendig.
Thorakale Neuroblastome. Thorakale Prozesse erreicht man
üblicherweise durch eine posterior-laterale Thorakotomie. Auch große Neuroblastome stellen keine Indikation zur Thoraxwandresektion dar. Bei angestrebter Resektion kann der Tumor oftmals stumpf von lateral entwickelt werden. Besonderes Augenmerk gilt der Schonung der Interkostalgefäße und -nerven, der Intervertebralgefäße und -nerven sowie des N. phrenicus und des Ductus thoracicus; im oberen Grenzstrangbereich droht bei Verletzung das Horner-Syndrom (. Abb. 53.5). Zervikale und thorakozervikale Neuroblastome. Zervikale
oder thorakozervikale Tumoren können vom Hals und durch die obere Thoraxapertur hindurch erreicht werden. Die Tumorbiopsie muss so sparsam erfolgen, dass zentrale Strukturen unverletzt bleiben. Einen Sonderfall stellen Kinder mit durch den Tumor ausgelöster akuter Atemnot dar. In diesen Fällen muss die Biopsie zur (Teil-)Resektion erweitert werden, bis eine Kompression der zentralen Luftwege aufgelöst und durch die Chemotherapie behandelt werden kann. Intraspinale Beteilung. Ein weiterer Sonderfall sind Tumoren
mit intraspinaler Beteiligung und neurologischen Symptomen (neu aufgetreten, rasch progredient; . Abb. 53.6). Hier konkurrieren die primär indizierte Chemotherapie und die Chirurgie, die notwendig wird, falls die medikamentöse Behandlung keine unmittelbare Entlastung bringt (Sandberg 2003). In diesem Fall sollte in Kooperation mit der Neurochirurgie die Indikation zur Laminektomie frühzeitig gestellt werden. Säuglinge mit Neuroblastom (Stadium 4S) und diffuser Lebervergrößerung. Hier kann es gelegentlich zu bedrohlichen
klinischen Beschwerden (Atemnot oder abdominelles Kom-
53.2.7 Postoperative Behandlung Die unmittelbare postoperative Phase wird bestimmt durch das Ausmaß des Eingriffs und den Allgemeinzustand des Kindes. Zur chirurgischen Therapie gehört eine bilanzierte, parenterale/enterale Ernährung und eine Antibiotikabehandlung.
Besondere Beachtung verdient im frühen postoperativen Verlauf eine mögliche Nierenschädigung, weshalb bei entsprechendem Verdacht die Retentionswerte kontrolliert und die Nierenarterien dopplersonographisch untersucht werden sollten.
Im Falle eines Gefäßspasmus kann eine Prostaglandin-E1Therapie angezeigt sein. Dem Kind besonders wichtig ist Schmerzfreiheit. Zur adäquaten Analgesie stehen je nach Alter des Patienten unterschiedliche Verfahren zur Verfügung wie eine intravenöse, kontrollierte Analgesie (»patient controlled« bzw. »mothercontrolled analgesia«, PCA bzw. MCA) mit Piritramid oder periphere Analgetika wie Metamizol oder Paracetamol. Besondere Erfahrungen mit Schmerzbehandlung bei Kindern mit Tumoren sind v. a. vom Boris Zernikow (1999) beschrieben. Um Kind und Eltern in dieser einzigartigen Krise zu unterstützen, müssen medizinische Maßnahmen zur Linderung der bekannten Nebenwirkungen einer Chemotherapie ergriffen und die Familie psychologisch betreut werden. Selbstverständlich können diese Strategien nur von einem kinderonkologisch versierten Team koordiniert werden.
823 53.2 · Neuroblastom
53.2.8
Postoperative Komplikationen
Zu den häufigsten Komplikationen, die bei über 1000 Fällen in der Neuroblastomstudien registriert sind, gehören Nachblutungen (4,9%), Fieber (3,3%), pulmonale Befunde (3,3%), Horner-Syndrom (2,5%) und intestinale Obstruktionen (1,6%). Dissektionen im Bereich der A. mesenterica superior oder des Truncus coeliacus können zu Störungen der umgebenden Nervengeflechte führen, sodass postoperativ intraktable Diarrhöen auftreten, die intensiv ausgeglichen werden müssen. Auf die besondere Bedeutung von Nierenfunktionsstörungen (1,6%) wurde bereits bei der Darstellung des operativen Vorgehens und der postoperativen Behandlung hingewiesen. Eine sekundäre Nephrektomie gilt als schwere postoperative Komplikation.
53.2.9
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Die Überlebensrate von Kindern mit Neuroblastom hat sich in den letzten Jahren deutlich steigern lassen und liegt aktuell im Stadium 1 bei etwa 95% nach 10 Jahren, sie beträgt noch etwa 70% im Stadium 3 und sinkt auf ca. 25% im Stadium 4 (das Stadium 4S ist insgesamt günstiger). An dieser Entwicklung hatte die Chirurgie bisher keinen eindeutigen Anteil. Ein Vergleich der ereignisfreien 5-Jahres-Überlebensraten (EFS) mit der chirurgischen Radikalität hat gezeigt, dass in den Studien NB 79 bis NB 97 bei älteren Kindern (>1 Jahr) mit lokalisiertem Befall und MYCN Amplifikation des Tumors ein signifikanter Unterschied zwischen kompletter, inkompletter und unwesentlicher Resektion bestand, während dies nicht für die jüngeren Kinder (<1 Jahr) galt (von Schweinitz et al. 2002). Für Säuglinge im Stadium 4S gab es keinen Unterschied im Outcome nach kompletter versus inkompletter Resektion des Primärtumors. Allerdings hatten Kinder mit einem Stadium 4 und mycn-Amplifikation einen signifikant besseren Verlauf, wenn der Tumor nicht nur biopsiert, sondern nahezu vollständig reseziert werden konnte. Zusammenfassend kann bezüglich der chirurgischen Ergebnisse beim Neuroblastom festgestellt werden, dass eine radikale Tumorresektion nur bei Kindern >1 Jahr und MYCN amplifiziertem Tumor mit lokalem Wachstum wichtig ist. Im Stadium 4 wird die Resektion noch kontrovers diskutiert und darf nach Ablauf der Chemotherapie nur erfolgen, wenn keine wesentlichen Komplikationen drohen.
Eine komplette Resektion verbessert in diesem Stadium nur bei MYCN-amplifizierten Neuroblastomen die Prognose.
Kinder mit Stadium-4S-Neuroblastomen ohne MYCN-Amplifikation sind primär Beobachtungspatienten (Regression), und eine Tumorresektion sollte nur bei inadäquater Regression und Progression erfolgen oder wenn Tumorreste über 2 Jahre persistieren (von Schweinitz et al. 2002).
53.2.10
Adjuvante Therapieprinzipien
Bei Hochrisikopatienten ist postoperativ eine Megachemotherapie indiziert. Cave Um das Risiko dieser Behandlung gering zu halten, sollten zusätzliche chirurgische Komplikationen wie eine sekundäre Nephrektomie wegen Gefäßverschluss (cave: Nephrotoxizität) oder eine Lungenresektion (cave: pulmonale Insuffizienz) verhindert werden.
Das aktuell gültige Tumorprotokoll (NB 2004) beschreibt die jeweils notwendigen Chemotherapeutika und die Anzahl der Behandlungen in Abhängigkeit von der Risikogruppe. Die individuelle Einteilung des Kindes erfolgt durch die Kollegen der onkologischen Pädiatrie. Grundsätzlich erhalten Standardrisikopatienten nach der Tumorbiopsie alternierende Chemotherapieblöcke mit Cisplatin, Etoposid, Vindesin (N5) bzw. mit Vincristin, Dacarbazin, Ifosfamid und Adriamycin (N6). Eine zusätzliche Behandlung mit G-CSF ist jeweils vorgesehen. Voraussetzung für eine intravenöse Chemotherapie ist üblicherweise ein zentralvenöser Dauerkatheter. Für das Kindesalter gibt es unterschiedliche handelsübliche Systeme. Die Plazierung erfolgt meist über die V. jugularis (externa oder interna). Im Rahmen der weiteren Behandlung müssen dann engmaschige, interdisziplinäre Absprachen darüber erfolgen, ob die Behandlung adäquat anspricht oder ob und wann eine Second-look-Operation und Tumorbiopsie notwendig wird. Eine Bestrahlungstherapie ist bei der Standardrisikogruppe nach dem vorletzten Block von Chemotherapie mit Cyclophosphamid und Mesna (N7) indiziert, wenn noch aktive Tumorreste nachweisbar sind. Dieser Nachweis gelingt entweder durch MIBG-positive Befunde (bei Tumoren, die primär MIBG-positiv waren) oder durch positive Kontrastierung im MRT (nachdem der Tumor vorher komplett negativ gewesen ist).
Eine Resektion von aktiven Tumorresten sollte möglichst vor der Strahlentherapie vorgenommen werden, weil dann die Operabilität günstiger ist.
Residuelle, nicht progrediente und nicht aktive Tumorreste bedürfen keiner Bestrahlung. Gleiche Kriterien gelten auch für die Hochrisikogruppe. Hier sollten die Kinder allerdings randomisiert in eine der beiden vorgesehenen Therapiegruppen (s. NB 2004) eingeteilt werden, die entweder Chemotherapie der Blöcke N5 und N6 erhalten, oder initial 2 Blöcke mit Topotecan, Cyclophosphamid, Mesna und Etoposid und dann N5- und N6-Blöcke. Die Dosierungen entsprechend dem Alter und Gewicht sowie der exakte zeitliche Ablauf sind ebenso dem Studienprotokoll zu entnehmen wie die darin vorgesehenen Zeitpunkte für eine Second-look-Operation oder eine Bestrahlung. Die intraope-
53
824
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
rative Radiatio (IORT) findet bisher nur in wenigen Zentren eine standardisierte Anwendung. Die Rationale für diese Methode liegt darin, strahlensensible Nachbarstrukturen aus dem Feld nehmen zu können und eine präzise Fokussierung zu erreichen (Leavey 1997). Die Vorteile einer solchen Strategie müssen jedoch erst in prospektiven Studien belegt werden.
53.2.11
Empfehlungen zur Nachsorge
Die Nachsorge bei Kindern mit Neuroblastom sollte immer in enger Anbindung an ein kinderonkologisches Zentrum und entsprechend der Empfehlungen des aktuellen Tumorprotokolls erfolgen. Grundsätzlich werden die Kinder im ersten postoperativen Jahr alle 6 Wochen und im weiteren Verlauf über 10 Jahre insgesamt alle 3 Monate kontrolliert. Die einzelnen Untersuchungsparameter sind im Tumorprotokoll (NB 2004) detailliert festgelegt.
53.2.12
53
Ausblick
Die standardisierte Behandlung von Kindern mit Neuroblastom im Rahmen einer kontrollierten, prospektiven Studie hat in den letzten Jahren zu großen Fortschritten bezüglich der Überlebensrate und -qualität geführt. Die kritische Bewertung der NB 97-Studie führte zur Verbesserung der Behandlungsstrategie führen, die nun in der aktuellen Studie (NB 2004) stratifiziert wird. Darüber hinaus ist mittels molekulargenetischer Untersuchungen die Frage zu klären, warum sich die Neuroblastome biologisch so unterschiedlich verhalten. Die Detektion und systematische Evaluation von genetischen Schädigungen der Zellen könnte dann das individuelle Risiko noch besser einschätzen helfen. Klinisch stellt möglicherweise die minimal-invasive Chirurgie (MIC) in Zukunft eine Methode zur Verringerung des chirurgischen Traumas bei betroffenen Kindern dar. Sie wird beim Neuroblastom bisher nicht regelhaft angewendet oder gar in Studien evaluiert. Dennoch ist ein Einsatz beispielsweise zur Tumorbiopsie durchaus denkbar. Allerdings gibt es bisher keine ausreichenden Informationen darüber, welche Komplikationen die Endochirurgie implizieren könnte, beispielsweise wie sich das Wachstumsverhalten des Tumors nach CO2-Insufflation ändert oder ob gehäuft Portmetastasen entstehen. Erst ein sorgfältiges Studium des Verhältnisses von Risiko versus Nutzen könnte den Weg für eine solche Methode ebnen.
53.3
Nierentumoren
53.3.1
Grundlagen
Bei den malignen Neoplasien der Niere kommt im Kindesalter in der weitaus überwiegenden Mehrzahl das Nephroblastom vor. Diese hochmaligne embryonale Mischgeschwulst der Niere wurde erstmals 1899 vom Chirurgen Max Wilms beschrieben und wird deshalb auch oft als Wilms-Tumor bezeichnet.
Das Nephroblastom entsteht aus unreifen Zellen der embryonalen Nierenanlage und kann somit Anteile aller drei Keimblätter enthalten. Wegen ihres oft guten Ansprechens auf Chemotherapie und Bestrahlung haben Nephroblastome heute unter Anwendung multimodaler Therapiestrategien häufig eine gute Prognose. Um günstige Heilungsergebnisse zu erzielen, ist jedoch wegen der vielschichtigen Besonderheiten kindlicher Nierentumoren die Leitung von Diagnostik und Therapie im Rahmen einer multizentrischen Therapiestudie (z. B. der Studie SIOP 2001/GPOH) durch einen erfahrenen Kinderonkologen unverzichtbar (Reinhard et al. 2007).
Epidemiologie Das Nephroblastom tritt mit einer Inzidenz von 1/100.000 Kinder auf und ist nach dem Neuroblastom der zweithäufigste solide Tumor im Kindesalter. Überwiegend sind Kinder in den ersten drei Lebensjahren betroffen (Altersmedian 2 Jahre 10 Monate), Knaben geringfügig häufiger als Mädchen (1:0,9), 95% der Nephroblastome betreffen eine Niere, in 5% treten sie bilateral auf (Grundy et al. 2002).
Ätiologie und Genetik Exogene Faktoren für die Entstehung von Nephroblastomen sind nicht bekannt. Eine familiäre Häufung ist selten, 7–10% aller Tumoren sind autosomal-dominant mit variabler Penetranz vererbt. Im Gegensatz zum bilateralen Befall entstehen die meisten unilateralen Tumoren ohne erbliche Vorbelastung. Nephroblastome finden sich gehäuft bei Kindern mit verschiedenen tumorassoziierten Syndromen. Kinder mit einem WAGR-Syndrom (Wilms-Tumor, Aniridie, genitale Fehlbildungen und geistige Retardierung) haben eine Deletion im wt1-Gen, einem Tumorsuppressorgen, das auf der Bande p13 des Chromosoms 11 lokalisiert ist. Auch das Wiedemann-Beckwith-Syndrom mit Allelverlust bei Chromosom 11p15.5 (wt2-Gen) führt neben Exomphalos, Makroglossie und Hemihypertrophie gehäuft zu Nephroblastomen. Eine weitere wt1-Mutation liegt beim Denys-Drash-Syndrom vor, bei dem degenerative Nierenfunktionsstörungen und Genitalfehlbildungen mit Wilms-Tumoren assoziiert sind. Weitere Untersuchungen familiärer Fälle zeigen aber an, dass es neben wt1 und wt2 noch mindestens ein drittes Gen (wt3) geben muss, dessen Mutationen zum Nephroblastom führen können (Grundy et al. 2002).
Pathologie und Klassifikation Makroskopisch imponieren Nephroblastome meist als relativ weiche, weiß-gräuliche Tumoren, die homogen, gelegentlich auch mit Nekrosezonen oder Zysten durchsetzt sind.
Wichtige Kriterien sind das Einwachsen in das Nierenbecken oder das perirenale Gewebe, Lymphknotenbefall und die Ausbildung von Tumorzellthromben in der Nierenvene und der V. cava.
Nephroblastome entstehen aus dem primitiven metanephrogenen Blastem und durchlaufen danach die verschiedensten
825 53.3 · Nierentumoren
. Tab. 53.5. Histologische Klassifizierung der Nierentumoren des Kindesalters A
B
Nephroblastom
I
Niedrige Malignität
4 Zystisches partiell differenziertes Nephroblastom 4 Nephroblastom mit überwiegend fibroadenomatösem Muster 4 Mesoblastisches Nephrom 4 Komplett nekrotisches Nephroblastom (nach Chemotherapie)
II
Intermediäre Malignität (Standardhistologie)
4 4 4 4 4 4
III
Hohe Malignität
4 Nephroblastom – blastemreicher Typ (nach Chemotherapie) 4 Nephroblastom mit diffuser Anaplasie 4 Klarzellsarkom der Niere (CCSK)
Andere Nierentumoren
4 4 4 4
Nephroblastom vom Mischtyp Nephroblastom – epithelialer Typ Nephroblastom – stromareicher Typ Nephroblastom – regressiver Typ Nephroblastom – blastemreicher Typ (nur vor Chemotherapie) Nephroblastom mit fokaler Anaplasie
Zystisches Nephrom (benigne) Rhabdoidtumor der Niere Adenokarzinom der Niere Malignes Lymphom der Niere
Differenzierungen. So liegt oft eine Mischung aus vielen Ge-
Prognostische Faktoren
webskomponenten vor, deren Anteile prognostische Bedeutung haben (Weirich et al. 2001). Am häufigsten ist das triphasische Nephroblastom mit Stromagewebe, tubulären Strukturen und Blastem. Ferner gibt es die günstige zystisch partiell differenzierte Histologie, aber auch die ungünstige fokale oder diffuse Anaplasie. Das hochmaligne Klarzellsarkom der Niere ist ein speziell differenzierter Tumor. Der sehr ungünstige Rhabdoidtumor der Niere zählt nicht eigentlich zu den Nephroblastomen und wird deshalb in absehbarer Zukunft mit einem auf ihn abgestimmten eigenen Therapieschema behandelt. Entsprechend den etablierten Therapiestudien unterscheidet man beim Nephroblastom drei Malignitätsgrade: niedrig, intermediär und hoch (Vujanic et al. 2002). So werden Nephroblastome drei verschiedenen histologischen Risikogruppen zugeteilt, abhängig davon, ob die Histologie vor oder nach Induktionschemotherapie untersucht wurde (. Tab. 53.5). Das kongenitale mesoblastische Nephrom ist ein monomorpher, aus Spindelzellen aufgebauter Tumor, der als Sonderform zu den Nephroblastomen zählt. Er kommt fast ausschließlich bei Säuglingen unter sechs Monaten vor und hat in der Regel nach kompletter chirurgischer Entfernung eine exzellente Prognose (Grundy et al. 2002). Nephrogene Reste sind persistierende embryonale Gewebereste in der frühkindlichen Niere, die als intralobuläre oder perilobuläre Herde vorliegen können. Bei multiplem Auftreten spricht man von Nephroblastomatose, die oft bilateral vorkommt. Sie gilt als potenzielle Vorstufe für ein Nephroblastom und kann auch ipsilateral oder kontralateral gleichzeitig mit einem solchen gefunden werden. Häufiger kommt sie bei den oben genannten Syndromen oder in belasteten Familien vor, meistens wird sie im Kleinkindesalter entdeckt (Grundy et al. 2002).
Die Auswertung der früheren multizentrischen Nephroblastomstudien in Europa und den USA haben wenige valide prognostische Faktoren ergeben, die in aktuellen Studien prospektiv überprüft werden (Weirich et al. 2004). Die wichtigsten sind das postoperative Tumorstadium, die histologische Klassifizierung und die Tumorgröße nach standardisierter Induktionschemotherapie (> oder <500 ml Volumen). Insgesamt hat das Nephroblastom eine hohe Heilungschance (90% aller Patienten), eine schlechtere bei Kindern mit einem höheren Tumorstadium (Stadium III 82%, Stadium IV 50%). Auch Kinder mit doppelseitigem Nephroblastom haben mit 87% Überleben und 75% Rezidivfreiheit eine sehr gute Heilungschance. Hier richtet sich im Einzelfall die Prognose nach der Konstellation der oben genannten prognostischen Faktoren der ungünstigeren Seite. Bei Rezidiven ist die Heilungsrate schlechter, hier können zwei Risikogruppen unterschieden werden: Gute Heilungsraten lassen sich erzielen bei ersten Rezidiven mit niedriger oder intermediärer maligner Histologie in einem Organ außerhalb vormaliger Bestrahlungsfelder und ohne Lymphknotenbeteiligung, die später als 6 Monate nach Therapieende entstehen. Schlechte Heilungschancen haben frühe oder mehrfache Rezidive an multiplen Stellen oder in vorbestrahltem Gebiet und frühe Metastasen (Reinhard et al. 2008).
53.3.2 Klinische Symptomatologie Nephroblastome werden oft erst spät entdeckt, da sie normalerweise nicht schmerzhaft sind. Häufigstes Erstsymptom ist die Vorwölbung des Abdomens, das bei 60% der Fälle zur Diagnose führt, hiervon bei 11% der Patienten anlässlich einer Vorsorgeuntersuchung. Weitere Symptome sind seltener:
53
826
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
4 Hämaturie bei Tumoreinbruch in das Nierenbeckenkelchsystem (15%) 4 Gewichtsstillstand oder -abnahme (4%) 4 Obstipation (4%) 4 Harnwegsinfektion (3%) 4 Durchfall (3%) 4 Bauchschmerzen (3%) Andere Symptome wie Auftreten einer Varikozele, Pleuraerguss oder Blutdruckerhöhung sind selten.
53.3.3 Diagnostik und Staging
53
Die sorgfältige Anamnese mit Erfassung der aktuellen Symptome sowie der Vorerkrankungen und einer familiären Belastung (maligne Erkrankungen, Syndrome) ist selbstverständlich. Bei der genauen klinischen Untersuchung sollte insbesondere auf Zeichen angeborener Syndrome wie Aniridie, Hemihypertrophie und urogenitale Fehlbildungen geachtet, sowie der Blutdruck, die Größe von Leber und Milz, die Länge und das Gewicht des Kindes und die Größe des Tumors gemessen werden.
. Tab. 53.6. Kindliche Nierentumoren: diagnostisches Vorgehen
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Obligate Diagnostik Labordiagnostik Katecholamine in Serum und Urin
Differenzialdiagnose Neuroblastom
Kreatininclearance
Vor Therapie, Ausgangsbefund
EKG und Echokardiographie Sonographie und MRT (alternativ CT) des Abdomens
Lokalisation, Ausdehnung, Tumorthrombus
CT des Thorax (alternativ Röntgenuntersuchung in 2 Ebenen)
Pulmonale Metastasierung
Die primäre Labordiagnostik sollte ein Differenzialblutbild, Gerinnungswerte, BKS, CRP, Serumchemie mit Gesamteiweiß, Leber- und Nierenwerte, Harnsäure und Elektrolyte beinhalten (. Tab. 53.6). Die Urinanalyse umfasst Eiweiß, Glukose, Leukozyten und Erythrozyten. Ferner ist die Katecholaminkonzentration in Urin und Serum zur Abgrenzung gegen ein Neuroblastom zu messen. Einen tumorspezifischen Marker gibt es für das Nephroblastom – im Gegensatz zu anderen kindlichen Tumoren – nicht. Vor Beginn einer Therapie sind eine Nierenfunktionsdiagnostik (Kreatininclearance) und die Abklärung der Myokardfunktion (EKG, Echokardiographie) notwendig. Da gemäß dem Studienprotokoll bei allen Kindern zwischen 6 Monaten und 16 Jahren eine präoperative Induktionschemotherapie ohne vorherige histologische Diagnosesicherung vorgesehen ist, kommt der bildgebenden Diagnostik eine ganz besondere Bedeutung zu.
Obligat ist die Mitbeurteilung der radiologischen Bilder durch die zentrale Referenzradiologie der Studie.
Das diagnostische Minimalprogramm besteht immer aus einer abdominellen Sonographie, einer CT oder besser MRT des Abdomens sowie aus einer Röntgenuntersuchung des Thorax in zwei Ebenen, besser einer Thorax-CT. Das früher geforderte i.v. Ausscheidungsurogramm ist nach neuen Erkenntnissen nicht mehr erforderlich und sollte besonderen Situationen vorbehalten sein. Im Ultraschall sowie in der MRT bzw. CT sollte die Tumorlokalisation, die Randbegrenzung, die Beziehung zu perirenalen Strukturen und Gefäßen und die Restniere dargestellt werden (. Abb. 53.7).
Wichtig für die Diagnosestellung sind die Tumorbinnenstruktur, eventuelle zystische Anteile und die Dichtemessung.
Diagnostik in bestimmten Situationen MIBG-Szintigraphie
Ausschluss eines Neuroblastoms
Skelettszintigraphie, kraniale MRT/CT
Verdacht auf Metastasierung
Selektive Nierenangiographie
Operationsplanung, bilaterale Tumoren, Hufeisenniere
Perkutane Feinnadelbiopsie
Ungewöhnliches klinisches Bild oder ungewöhnliche Befunde in der Bildgebung
i.v. Urogramm
. Abb. 53.7. CT eines großen Nephroblastoms links vor Therapiebeginn bei einem 8 Monate alten Säugling
827 53.3 · Nierentumoren
Der Tumor oder alle einzelnen Tumorknoten sind genau auszumessen und die Größe bzw. das Volumen zu dokumentieren. Ferner müssen die Untersuchungen den sicheren Ausschluss oder Nachweis eines Tumorthrombus in der V. renalis und V. cava inferior, von Lymphknotenvergrößerungen, von Leberherden sowie von Veränderungen der kontralateralen Niere ermöglichen. Eine MRT ist immer notwendig bei Verdacht auf: 4 Thrombus in der V. cava 4 Leber- und Zwerchfellinfiltration 4 Intrathorakale Tumorausdehnung per continuitatem 4 Nephroblastomatose Lungenmetastasen sollten mit einem Röntgenbild in zwei Ebenen, sicherer jedoch mit einer CT des Thorax ausgeschlossen oder nachgewiesen werden. Wenn in der Bildgebung die Niere durch den Tumor eher verdrängt erscheint, sollte zum Ausschluss eines Neuroblastoms eine MIBG-Szintigraphie (s. dort) durchgeführt werden. Eine Skelettszintigraphie und eine CT oder MRT des Gehirns sind bei Verdacht auf entsprechende Metastasierung indiziert. Eine selektive Nierenangiographie kann bei bilateralen Tumoren oder einer Hufeisenniere zur besseren Planung einer nierenerhaltenden Resektion sinnvoll sein. Eine perkutane Feinnadel- oder Stanzbiopsie ist indiziert bei ungewöhnlichem klinischem Bild (Alter >6 Jahre, Harnwegsinfektion, Sepsis, Infiltration des Psoasmuskels) oder ungewöhnlichen bildgebenden Befunden (Verkalkungen, voluminöse Lymphknotenvergrößerung, nicht darstellbares Nierenparenchym, hauptsächlich extrarenale Raumforderung). Cave Bei rein zystischer Raumforderung stellt die Feinnadelbiopsie keine Hilfe dar, hier ist die primäre Operation indiziert. Bei Verdacht auf Tumorruptur oder Einblutung ist sie kontraindiziert (Streuung von Tumorzellen).
Mittels dieser Diagnostik lässt sich das Nephroblastom mit einer hohen Sicherheit von 95–97% aller Fälle diagnostizieren, lediglich in 1,5% der Fälle wurde ein benigner Tumor für ein Nephroblastom gehalten. Auch das Tumorstadium kann hiermit in aller Regel bereits sicher festgestellt werden (Graf et al. 2000). Entsprechend dem Therapiestudienprotokoll (SIOP 2001/GPOH) wird das Nephroblastom endgültig jedoch erst nach der ersten Operation, die meist im Anschluss an eine Induktionschemotherapie erfolgt, einem der 5 Stadien zugeteilt (. Tab. 53.7).
53.3.4 Therapieplan und präoperative
Chemotherapie Die vergangenen europäischen Studien der SIOP/GPOH haben eindeutig die Vorteile einer vierwöchigen Induktionschemotherapie vor der Tumoroperation gegenüber einer primären Resektion gezeigt (Graf et al. 2000):
. Tab. 53.7. Tumorstadien beim Nephroblastom Stadium I
Tumor auf die Niere beschränkt und vollständig entfernt
Stadium II
Tumorausdehnung über das Nierenparenchym hinaus, aber vollständig entfernt
Stadium III
Unvollständig entfernter Tumor, keine Fernmetastasen (auch Tumorruptur, offene Biopsie vor Therapiebeginn, Lymphknotenmetastasen, Tumorgefäßthrombus)
Stadium IV
Fernmetastasen, Wachstum außerhalb der abdominopelvinen Region
Stadium V
Bilaterales Nephroblastom
4 Das Risiko einer intraoperativen Tumorruptur wird gesenkt und damit eine aggressive postoperative Therapie vermieden. 4 Die Zahl der Tumoren im Stadium I zum Operationszeitpunkt wird erhöht. Patienten mit lokalisiertem Tumor erhalten Vincristin und Actinomycin D über 4 Wochen (. Tab. 53.8). Beides wird auch bei bilateralen Wilms-Tumoren eingesetzt. Hier kann die Chemotherapie präoperativ verlängert werden, wenn sich zwar ein Ansprechen zeigt, die Befunde aber für eine nierenerhaltende Operation zumindest auf einer Seite noch ungeeignet sind. Patienten mit Fernmetastasen erhalten Chemotherapie über 6 Wochen und als zusätzliches Medikament Doxorubicin. Gelegentlich ist das Ansprechen so gut, dass in der Bildgebung die Metastasen nicht mehr nachweisbar sind. In diesen Fällen kann auf eine lokale Therapie der Metastasen verzichtet werden. Kinder unter 6 Monaten und Jugendliche über 16 Jahren werden primär operiert und erhalten keine Induktionschemotherapie.
53.3.5 Operative Therapie
Allgemeine Gesichtspunkte Ziel der operativen Therapie ist prinzipiell die radikale Entfernung des Tumors und ein genaues intraoperatives Staging. Lediglich bei bilateralem Nephroblastom steht auch der Erhalt von möglichst viel funktionellem Nierengewebe im Vordergrund. In aller Regel ist die Operation als elektiver Eingriff in Ruhe durchzuführen, wobei wichtige Voraussetzungen für ein optimales Gelingen des Eingriffes zu erfüllen sind und die Empfehlungen des multizentrischen Studienprotokolls für den operativen Eingriff den Operateuren vertraut sein sollten. So ist der Eingriff immer von einem erfahrenen Team durchzuführen. Die präoperative Bildgebung muss die Tumorausdehnung genau festlegen können, nach der der Chirurg seine Vorgehensweise plant. Insbesondere bei Nachweis eines Tumorthrombus in der V. cava muss bereits vor der Operation
53
828
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
. Tab. 53.8. Nephroblastom und kongenitales mesoblastisches Nephrom: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie (präoperativ Induktionschemotherapie außer <6 Monate und >16 Jahre)
53
Klinische Situation
Empfohlenes Vorgehen
Unilateraler Tumor
Komplette oder partielle Nephrektomie, intraoperativ Staging (evtl. Freilegung der Gegenniere, evtl. Leberbiopsie; Entnahme von Lymphknoten)
Tumorthrombus
Operationsplanung mit Herz-/Gefäßchirurgen, je nach Stadium Extraktion oder operative Entfernung mit extrakorporaler Oxygenierung und Hypothermie
Bilaterales Nephroblastom
Partielle Nephrektomie bds. (lokal sparsame Exstirpation oder partielle Nephrektomie) unter Erhalt von mindestens 40% des gesamten Nierengewebes
Intraoperativ Nephroblastomatoseherde
Biopsien, sparsame Resektion(en)
Bildgebend Nephroblastomatoseherde
Primär keine chirurgische Behandlung, sondern Chemotherapie, falls kein Ansprechen bzw. Progression: partielle Nephrektomie oder weite Exzision
Patienten <6 Monate mit kongenitalem mesoblastischem Nephrom mit fingerförmigem Einwachsen in angrenzendes Nieren- und perirenales Gewebe
Primäre komplette Resektion mit Sicherheitsabstand (Nachresektion bei Tumorresten am Resektionsrand)
Patienten >16 Jahre mit Verdacht auf Adenokarzinom der Niere
Primäre radikale Tumornephrektomie mit Sicherheitsabstand und LymphknotenStaging
Nephroblastom als Zufallsbefund
Resektion oder Biopsie (cave Tumorzellstreuung)
Pulmonale Metastasen
Lokale Exzisionen, Segmentresektionen, Lobektomien (keine Pneumonektomie) bei partieller Regression unter primärer Chemotherapie ca. 2 Wochen nach Tumorresektion
Hepatische Metastasen
Lokale Exzisionen, Segmentresektionen bei partieller Regression unter primärer Chemotherapie ca. 2 Wochen nach Tumorresektion
Bei fehlendem Ansprechen von Primärtumors und Metastasen auf Chemotherapie
Kein chirurgisches Vorgehen
die chirurgische Strategie gemeinsam mit einem Gefäß- bzw. Herzchirurgen entworfen werden. Bei Zweifeln an der Diagnose »Nephroblastom« sollte eine offene Biopsie nur durchgeführt werden, wenn der Tumor sicher inoperabel ist (Nadelbiopsie, s. oben), da wegen der angenommenen Tumorzellstreuung automatisch ein Stadium III mit intensivierter Nachbehandlung (Bestrahlung) resultiert. Besser ist immer die komplette Tumorentfernung. Prinzipiell ist bei jeder Operation das Folgende zu beachten: Der Zugang sollte über einen queren Oberbauchschnitt transperitoneal erfolgen, um ein genaues bilaterales abdominelles Staging und eine sichere Tumorresektion zu gewährleisten. Vor Beginn der Tumorresektion ist die gesamte Bauchhöhle zu inspizieren und zu palpieren sowie nach Metastasen in Leber und Lymphknoten zu suchen. Die kontralaterale Niere sollte palpiert werden. Bei verdächtigem Befund oder fraglichem Herd in der präoperativen Bildgebung muss dieser freigelegt werden (bilaterales Nephroblastom, s. unten).
Tumornephrektomie Bei unilateralem Tumor ist die Tumornephrektomie fast immer das Vorgehen der Wahl für die Resektion (Haecker et al. 2003). Stets sollte die frühe Ligatur der Nierengefäße angestrebt werden. Hierbei ist, wenn möglich, die Nierenarterie zuerst zu ligieren, um eine Tumorschwellung und Ruptur zu vermeiden. Wichtig ist die breite Freilegung des Tumors durch Ablösen des Colon ascendens mit rechter Flexur für die rechte, des Colon descendens mit Flexur für die linke Niere, verbunden mit weiterer retroperitonealer Mobilisierung wie z. B. dem Kocher-Manöver. Der Ureter sollte nahe der Blase abgesetzt werden (. Abb. 53.8). Bei ausreichendem Sicherheitsabstand kann die Nebenniere belassen werden. Heroische und mutilierende Resektionen sind nicht indiziert. Am Ende der Operation sollte das Tumorbett mit Titan-Clips markiert werden.
829 53.3 · Nierentumoren
Abdominelles Staging und Beurteilung der kontralateralen Niere Bereits vor der eigentlichen Tumorresektion ist das gesamte Abdomen zu inspizieren. Jede auf Metastasen verdächtige Region muss entfernt oder biopsiert werden. Die Leber ist genau zu beurteilen, bei Veränderungen sollte eine Biopsie erfolgen. Bei qualitativ guter präoperativer Bildgebung und eindeutigem Normalbefund kann auf die operative Freilegung der kontralateralen Niere verzichtet werden. Sie kann dann lediglich durch das Mesokolon hindurch palpiert werden. Cave Bei jeder Unsicherheit ist die kontralaterale Niere freizulegen.
. Abb. 53.8. Tumornephrektomiepräparat mit einem tief abgesetzten Harnleiter, im Oberpol ein regressiv verändertes Nephroblastom nach Induktionschemotherapie
Partielle Nephrektomie In einigen Fällen kann auch durch eine partielle Nephrektomie eine lokale Tumorkontrolle erreicht werden. Bei bilateralem Nephroblastom stellt sie das Vorgehen der Wahl dar. Beim unilateralen Tumor muss kritisch abgewogen werden, ob der mögliche Erhalt zusätzlichen funktionellen Nierengewebes das Risiko einer inkompletten Resektion rechtfertigt. Dies kann v. a. auch bei Nierenerkrankungen der Gegenseite oder auch bei Vorliegen eines der tumorassoziierten Syndrome der Fall sein. Kontraindikationen für eine partielle Nephrektomie beim unilateralen Nephroblastom sind in der Übersicht zusammengestellt (Haecker et al. 2003). Kontraindikationen für eine partielle Nephrektomie beim unilateralen Nephroblastom 4 Keine vorherige Induktionschemotherapie oder kein Ansprechen auf dieselbe 4 Präoperative Tumorruptur oder offene Biopsie 4 Infiltration extrarenaler Strukturen oder des Nierenbeckenkelchsystems 4 Tumorausdehnung von mehr als einem Drittel der Niere 4 Zentraler oder multifokaler Tumor 4 Thrombus in der Nierenvene oder V. cava 4 Intraabdominelle Metastasen oder verdächtige Lymphknoten 4 Hämaturie 4 Fehlende Erfahrung mit partieller Nephrektomie
Untersuchungen zeigen, dass allfälliger Tumorbefall der regionären Lymphknoten vom Chirurgen nicht sicher beurteilt werden kann und hier Fehleinschätzungen in bis zu 40% der Fälle vorkommen. Deshalb ist ein genaues LymphknotenStaging vorzunehmen, um eine postoperative Unterbehandlung zu vermeiden. Zur Biopsie müssen am Hilus sowie entlang der V. cava und Aorta Lymphknoten nach kranial und kaudal entfernt werden, ohne dass es zu einer Ruptur derselben kommt. Zur histologischen Untersuchung sollten auch makroskopisch normal erscheinende Lymphknoten entnommen werden.
Eine radikale Lymphknotendissektion ist beim Nephroblastom nicht indiziert.
Tumorthrombus in der V. cava Zusätzlich zu der mittels Bildgebung präoperativ vorzunehmenden Darstellung der intravasalen Tumorausdehnung muss der Chirurg die Nierenvene noch einmal genau auf das Vorhandensein eines Thrombus untersuchen. Für die intravasale Tumorausdehnung gilt folgende Stadieneinteilung (. Tab. 53.9; . Abb. 53.9):
. Tab. 53.9. Stadieneinteilung für Vena-cava-Thromben
Stadium Ia
Tumorzapfen maximal 5 cm lang, ragt in die V. cava hinein
Ib
Subendotheliales Vorwachsen
II
Thrombus bis unterhalb der Leberveneneinmündung
III
Thrombus bis auf Höhe der Lebervenen
IV
Thrombus bis in den rechten Vorhof
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830
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
. Abb. 53.9. Stadieneinteilung für V. cavaThromben beim Nephroblastom. (Aus Roth u. Daum 2001, mit freundlicher Genehmigung)
53 In den Stadien I und II erfolgen die Extraktion des Thrombus und der primäre Verschluss der Vene durch direkte Naht oder mit einem Patch. Beim Stadium III und insbesondere beim Stadium IV bedarf es der operativen Entfernung unter Hypothermie und Kreislaufarrest mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine. Deshalb muss die Operation insgesamt entsprechend diesbezüglicher Befunde in der präoperativen Bildgebung genauestens geplant werden. Nach vollständiger Entfernung eines Tumorthrombus liegt das Tumorstadium II vor, bei nachweisbarer Gefäßwandinfiltration am Absetzungsrand das Stadium III. Der Thrombus muss histologisch genau auf vitale Tumorzellinseln untersucht werden. Bei langstreckiger Wandinfiltration der V. cava ist alternativ zu einer in aller Regel kaum kompletten chirurgischen Resektion auch die Bestrahlung indiziert. Auch so können Patienten in eine dauerhafte Remission gebracht werden.
Beidseitige Tumornephrektomien dürfen nur in extremen Ausnahmefällen erwogen werden. Eine Nierentransplantation ist hier zwei Jahre nach Eintreten einer Vollremission möglich. Auch bei mikroskopisch inkomplett resezierten Tumoren haben nach postoperativer Chemotherapie und Bestrahlung Patienten mit bilateralem Nephroblastom langfristig tumorfrei überlebt. Bleiben einzelne Tumorknoten inoperabel, müssen sie bei der Operation biopsiert werden. Bei Vorliegen einer Nephroblastomatose auf einer oder beiden Seiten beschränkt man sich auf die Entnahme von Biopsien und die Resektion von bereits entstandenen Nephroblastomknoten. Hier ist besonders auf ein Parenchym-sparendes Vorgehen zu achten (s. unten).
Vorgehen bei Patienten <6 Monate oder >16 Jahre Bei Neugeborenen (86%) und jungen Säuglingen (50%) liegt meist ein kongenitales mesoblastisches Nephrom vor, das
Chirurgisches Vorgehen bei bilateralem Nephroblastom Hier sollte die Resektion auf alle Fälle erst nach chemotherapeutisch induzierter Regression der Tumoren erfolgen (. Abb. 53.10). Das Ziel ist, beidseits nierenerhaltend zu operieren und mindestens 40% des gesamten Nierengewebes zu erhalten. Oft sind hierfür zwei Operationen notwendig. In der Regel ist zunächst die günstigere Seite anzugehen. Erlaubt sind lokal sparsame Exstirpationen oder eine partielle Nephrektomie. Cave Eine komplette Nephrektomie auf der einen und eine partielle auf der anderen Seite sind nur erlaubt, wenn danach genügend funktionsfähiges Nierengewebe übrig bleibt.
. Abb. 53.10. Doppelseitiger Wilms-Tumor bei einem 6-jährigen Mädchen mit einem großen Tumorknoten der rechten und einem kleineren der linken Niere
831 53.3 · Nierentumoren
zwar niedrigmaligne ist, oft jedoch fingerförmig in das angrenzende Nierengewebe und perirenale Gewebe einwächst. Bei diesen Kindern wird der Tumor primär reseziert. Es ist hierbei auf eine komplette Resektion mit Sicherheitsabstand zu achten. Werden histopathologisch Tumorreste am Resektionsrand festgestellt, ist eine Nachresektion indiziert. Bei älteren Jugendlichen muss mit einem Adenokarzinom der Niere gerechnet werden. Deshalb ist auch hier, wenn immer möglich, eine primäre radikale Tumornephrektomie mit Sicherheitsabstand und Lymphknotendissektion anzustreben.
Vorgehen bei Zufallsbefund oder Notfällen Wird ein Nephroblastom anlässlich einer Laparotomie wegen akutem Abdomen entdeckt und stellt sich der Tumor als nur unter erheblichem Risiko resezierbar dar, kann unter sorgfältigem Abdecken der Umgebung eine Biopsie entnommen werden. Dies gilt insbesondere auch bei Notfalloperationen wegen Tumorruptur. Entdeckt man in einem solchen Fall einen zweiten, kontralateralen Nierentumor, wird auch dieser biopsiert. Damit liegt stets automatisch ein Stadium III vor.
Chirurgie von Fernmetastasen (Stadium IV) Fernmetastasen können beim Nephroblastom in der Lunge (10%), der Leber (<5%), dem Gehirn und im Knochen auftreten. Diese sollten bei partieller Regression unter der primären Chemotherapie ca. 2 Wochen nach der Tumorresektion soweit wie möglich reseziert werden, wenn dies ohne Verstümmelung möglich ist. So sind an der Lunge lokale Exzisionen, Segmentresektionen und auch Lobektomien indiziert, nicht jedoch eine Pneumonektomie. Ähnliches gilt für die Leber. Nach kompletter Entfernung von Metastasen kann auf eine Nachbestrahlung verzichtet werden. Bei fehlendem Ansprechen des Primärtumors und der Metastasen auf die Chemotherapie ist ein chirurgisches Vorgehen nicht indiziert.
53.3.6 Adjuvante Therapie
Chemotherapie Die postoperative Therapie richtet sich nach dem Tumorstadium, dem histologischen Malignitätsgrad und – an dritter Stelle – der Größe des Resttumors nach präoperativer Chemotherapie (< oder >500 ml Volumen). Bei bilateralem Nephroblastom richtet sich die postoperative Therapie nach dem höchsten lokalen Stadium und der ungünstigsten Histologie und entspricht dann dem Regime eines entsprechenden unilateralen Tumors. Stets sollte die Chemotherapie durch erfahrene pädiatrische Onkologen durchgeführt werden. Das gewählte Regime mit Dosierungen, Intervallen der Kurse, Indikationen zur Unterbrechung der Chemotherapie richtet sich nach dem aktuellen Nephroblastom-Therapieprotokoll (SIOP 2001/GPOH), in Zweifelsfällen muss die Studienleitung konsultiert werden. Patienten mit einem Nephroblastom im Stadium I mit niedriger Malignität bedürfen postoperativ keiner weiteren Therapie, wenn die Tumorresektion nach Induktionschemotherapie erfolgte. Patienten im Stadium I mit einem Tumor
intermediärer Malignität und <500 ml Volumen bedürfen einer nochmaligen Chemotherapie mit Actinomycin D und Vincristin über 4 Wochen. Hingegen werden Kinder mit größeren Tumoren intermediärer Malignität oder mit Tumoren hoher Malignität zusätzlich mit Doxorubicin insgesamt über 28 Wochen behandelt. Ein postoperatives Stadium II oder III bedeutet gleichermaßen bei niedriger Malignität eine 28-wöchige Chemotherapie mit Actinomycin D und Vincristin, bei intermediärer Malignität (Volumen <500 ml) zusätzlich nach Randomisierung ggf. mit Doxorubicin. Bei Tumoren >500 ml Volumen und/oder hoher Malignität werden Etoposid, Carboplatin, Cyclophosphamid und Doxorubicin über 34 Wochen verabreicht. Patienten mit metastasierendem Nephroblastom (Stadium IV) bedürfen zusätzlich zur verlängerten und intensivierten präoperativen Induktionschemotherapie einer postoperativen Therapie, die sich sowohl nach dem lokalen Tumorstadium (I–III), der Tumorgröße und Malignität, als auch nach dem Status der Metastasen richtet. Wenn bei Patienten die Metastasen komplett verschwunden oder chirurgisch entfernt sind, entspricht die Therapie der des lokalen Stadiums II oder III intermediärer oder hoher Malignität je nach Histologie des Primärtumors. Bei inoperablen oder inkomplett entfernten Metastasen gleicht die Chemotherapie der des Stadiums III mit hoher Malignität (4-Medikamente-Kombination – Etoposid, Carboplatin, Cyclophosphamid, Doxorubicin – über 34 Wochen). Dieses Regime wird immer bei hoher Malignität in der Histologie angewendet.
Strahlentherapie Auch die Indikationen für eine zusätzliche postoperative Strahlentherapie richten sich nach dem lokalen Tumorstadium sowie nach dem Malignitätsgrad in der Histologie. Cave Eine Strahlentherapie darf nur in radioonkologischen Zentren durchgeführt werden, die Erfahrung mit Kindern und speziell mit dem Nephroblastom haben.
Eine lokale Bestrahlung der Flanke sollte beim Stadium III mit intermediärer (14,4 Gy) und beim Stadium II und III mit hoher Malignität (25,2 Gy) erfolgen. Bei Patienten mit Stadium IV oder V soll sie dem lokalen Stadium entsprechen. Die Bestrahlung des gesamten Abdomens (maximal 20 Gy) ist bei diffusem Tumorbefall oder massiver Tumorstreuung bei Ruptur indiziert. Die Lunge muss bestrahlt werden (15 Gy), wenn nach Chemotherapie und Operation Restmetastasen vorhanden sind oder wenn histologisch eine hohe Malignität vorliegt. Lebermetastasen sollen bestrahlt werden (20 Gy), wenn diese nicht mikroskopisch komplett reseziert wurden. Zerebrale Metastasen (25,5 Gy) und Knochenmetastasen (30 Gy) müssen immer zusätzlich einer lokalen Strahlentherapie unterzogen werden.
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Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
53.3.7 Behandlung der Nephroblastomatose Es konnte gezeigt werden, dass Nephroblastomatose-Herde, die eine Vorläuferstufe des Wilms-Tumors darstellen, oft auf Chemotherapie ansprechen und dann teilweise vollständig verschwinden. Kinder, die in der Bildgebung typische linsenförmige Läsionen in der Niere haben, sollten deshalb chemotherapeutisch behandelt werden. Die Chemotherapie besteht aus Actinomycin D und Vincristin alle 3 Wochen und sollte so lange fortgeführt werden, bis die Läsionen verschwunden sind. Danach ist die Medikation alle 4 Wochen ein Jahr lang fortzuführen. Eine chirurgische Intervention ist indiziert, wenn keine Regression der Läsionen oder gar eine Progression derselben eintritt, eine Läsion heterogen wird oder innerhalb der Läsion ein sphärischer Knoten (Verdacht auf Wilms-Tumor) entsteht. Dann sollte eine partielle Nephrektomie oder weite Exzision dieser Läsion durchgeführt werden (Prasil et al. 2000).
53.3.8 Behandlung von Klarzellsarkom
53
und Rhabdoidtumor der Niere Obwohl es sich nicht eigentlich um Nephroblastome handelt, werden die im Kindesalter vorkommenden malignen Nierentumoren Klarzellsarkom und Rhabdoidtumor hinsichtlich der Behandlungsstrategie den hochmalignen Nephroblastomen zugeordnet. Das Klarzellsarkom macht ca. 5% aller Nierentumoren im Kindesalter aus und befällt bevorzugt Kleinkinder (Argani et al. 2000). Es ist ein relativ differenziertes mesenchymales Malignom. Es zeigt in der Regel ein relativ gutes Ansprechen auf die intensive Chemotherapie gemäß dem Hochrisikoprotokoll (7 Kap. 53.3.6, . Tab. 53.10). Die Erfassung erfolgt im Rahmen der multizentrischen Nephroblastomstudie. Im Gegensatz hierzu ist der Rhabdoidtumor ein Malignom mit sehr raschem, invasivem Wachstum und früher Metastasierung (Grundy et al. 2002). Er umfasst ca. 2% der kindlichen Nierentumoren bei Kleinkindern, wobei sehr selten Rhabdoidtumoren auch in anderen Organen, wie Gehirn oder Leber, entstehen können. Alle haben eine gleiche undifferenzierte Histologie und eine Mutation im hsnf5/ini1-Gen auf dem Chromosom 22. Bisher werden auch die Rhabdoidtumoren der Niere gemäß den Richtlinien für hochmaligne Ne. Tab. 53.10. Seltenere kindliche Nierentumoren: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Klinische Situation
Empfohlenes Vorgehen
Klarzellsarkom
(Chemotherapie gemäß dem Hochrisikoprotokoll)
Rhabdoidtumor
Therapie entsprechend den Richtlinien für hochmaligne Nephroblastome, aggressives chirurgisches Vorgehen Cave: Neues Therapieprotokoll in Vorbereitung
phroblastome behandelt. Da die Heilungserfolge unter solcher Therapie jedoch schlecht sind und neuere Beobachtungen für eine zumindest geringe Wirksamkeit einer Kombination von Ifosfamid, Carboplatin und Etoposid sprechen, ist von der GPOH die Erarbeitung eines eigenen Therapieprotokolls für Rhabdoidtumoren aller Lokalisationen vorgesehen, das diese Kombination enthält. Das chirurgische Vorgehen sollte hier, wenn möglich, aggressiv sein, d. h. auf Radikalität bedacht. Dies gilt sowohl für den Primärtumor als auch für allfällige Metastasen.
53.3.9 Komplikationen und Therapiefolgen Die Auswertungen der multizentrischen Studien in Europa und den USA zeigen eindeutig, dass die Terminierung der Wilms-Tumorresektion auf den Zeitpunkt nach einer Induktionschemotherapie zu einer Reduktion chirurgischer Komplikationen führt (Godzinski et al. 1998). Dies gilt insbesondere für die intraoperative Tumorruptur, die, wie auch andere Komplikationen, durch genaue Operationsplanung und vorsichtige Vorgehensweise soweit als möglich zu vermeiden ist. Hierzu zählen schwere intra- und postoperative Blutungen, Wundinfektionen, Lymphleckage, Obstruktionsileus und im Fall partieller Nierenresektionen das Urinleck. Die Einlage einer lokalen Drainage ist deshalb stets zu empfehlen. Cave Längeres Ausklemmen einer oder gar beider Nieren aus der Blutversorgung muss unbedingt vermieden werden, um das Risiko starker Funktionseinbußen zu minimieren.
Je nach verwendeten Zytostatika, Dosierung und Alter des Kindes ist mit assoziierter Toxizität zu rechnen. Dies betrifft v. a. das Knochenmark mit Anämie, Leuko- und Thrombozytopenie, gastrointestinale Nebenwirkungen, Lebertoxizität, Kardiomyopathie, tubuläre Nierenschäden, neurologische Symptome und Innenohrschäden. Eine relativ spezifische Nebenwirkung durch Actinomycin D beim Nephroblastom junger Kinder ist die schwere Lebervenenverschlusskrankheit, die besonders intensiv bei rechtsseitigem Tumor und Mitbestrahlung von Teilen der Leber vorkommt. In diesen Fällen muss Actinomycin D reduziert oder abgesetzt werden. Zu den akuten Nebenwirkungen und Langzeitschäden durch die Bestrahlung zählen neben der Nephro- und Hepatotoxizität gastrointestinale Symptome, Wachstumsstörungen von Skelett und Weichteilen, Ovarialinsuffizienz und Störung der Spermatogenese sowie Mammahypoplasie. Nach Bestrahlung der Lungen kann es zu einer Fibrose derselben und zu einer Kardiomyopathie kommen.
Es ist dringend darauf zu achten, dass durch ein optimales chirurgisches Vorgehen mit ausreichender Tumorresektion und Vermeidung von Tumorstreuung eine Bestrahlung wenn immer möglich vermieden wird.
53
833 53.4 · Hepatoblastom
53.3.10
Nachsorge
Die regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen sollten über einen Zeitraum von 5 Jahren vorgenommen werden. Hierbei wird entsprechend dem Therapieprotokoll nach Rezidivtumorwachstum gesucht und gleichzeitig die Langzeitnebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie erfasst. Sie sollte stets von einem pädiatrischen Onkologen durchgeführt werden und umfasst neben Urinuntersuchungen und serologischen Routineuntersuchungen auch endokrinologische, kardiologische, pulmonologische, nephrologische und audiometrische Untersuchungen.
53.3.11
. Tab. 53.11. Primäre Lebertumoren im Kindesalter mit relativer Häufigkeit in Mitteleuropa
Altersgruppe
Tumor
Anteil (%)
Neugeborene, Säuglinge, Kleinkinder
Hepatoblastom
43
Hämangioendotheliom/ Hämangiom
13
Mesenchymales Hamartom
6
Hepatozelluläres Karzinom
23
Sarkome
6
Fokal-noduläre Hyperplasie
2
Adenome
2
Andere Tumoren
5
Schulkinder, Jugendliche
Ausblick
Das Konzept einer primären Chemotherapie ohne vorherige histologische Sicherung der Diagnose könnte bei Einführung einer speziellen Therapie für Rhabdoidtumoren eine Alternative erfahren, da diese dann bereits primär diagnostiziert werden müssen. Neue Erkenntnisse zur Molekularbiologie der WilmsTumoren werden voraussichtlich in Zukunft noch differenziertere Therapiestrategien möglich machen. Es besteht die Hoffnung, dass auf ihrer Basis auch gentherapeutische Ansätze für ungünstige Tumoren nutzbar gemacht werden können.
53.4
Hepatoblastom
53.4.1
Grundlagen
Epidemiologie und Pathogenese Primäre Lebertumoren sind mit <2% aller Tumoren bei Kindern und einer Inzidenz von <2,5/1 Mio. in Mitteleuropa selten, wobei hier eine Reihe verschiedener Entitäten vorkommen (. Tab. 53.11). Die häufigste ist das hochmaligne Hepatoblastom, das bevorzugt bei männlichen Säuglingen und Kleinkindern auftritt (von Schweinitz 2004). Das hepatozelluläre Karzinom ähnelt in Biologie und Therapieansatz weitgehend dem des Erwachsenenalters (7 Kap. 40). Über die Ätiologie und Pathogenese des Hepatoblastoms ist nur wenig bekannt. Es tritt gehäuft nach extremer Frühgeburt, in Familien mit familiärer Polyposis coli und bei Kindern mit dem tumorassoziierten Wiedemann-Beckwith-Syndrom auf. Anders als beim hepatozellulären Karzinom findet man keine Hepatitisvirusinfektion und keine Leberzirrhose. Interessant sind neuere molekulargenetische Befunde von Allelverlusten auf den Chromosomabschnitten 1p und 11p.15.5 sowie von Mutationen des β-Catenins und anderer Moleküle des WNT-Signaltransduktionsweges, die Hinweise auf die Entstehung dieses Tumors geben könnten. Gesichert ist, dass das Hepatoblastom aus noch undifferenziertem embryonalem Lebergewebe entsteht und in manchen Aspekten die fetale Leber imitiert (Tomlinson u. Finegold 2002).
Pathologie und Klassifikation Hepatoblastome wachsen meist sehr rasch unifokal in der Leber, setzen selten Lymphknotenabsiedlungen und metasta-
sieren relativ spät, zunächst in die Lunge. Gelegentlich kommt jedoch auch disseminiertes fokales Wachstum vor. Histologisch sind Hepatoblastome epitheliale Tumoren mit meist einer höheren fetalen und/oder einer niedrigen embryonalen Differenzierung. Daneben kommen v. a. auch maligne undifferenzierte, kleinzellige Tumoren vor, ein Drittel der Hepatoblastome haben als Mischtumoren zusätzlich eine mesenchymale Komponente. 80% der Hepatoblastome produzieren große Mengen α-Fetoprotein, einige auch β-HCG und andere Hormone. Ein Charakteristikum ist das Auftreten von intratumoralen Hämatopoeseherden (Tomlinson u. Finegold 2002). Sehr selten findet man bei Tumoren von Vorschul- oder Schulkindern Gewebeanteile sowohl des Hepatoblastoms als auch des hepatozellulären Karzinoms, die dann als maligne transitionelle Lebertumoren bezeichnet werden (von Schweinitz 2006).
Prognostische Faktoren Als hochsignifikante, unabhängige prognostische Faktoren wurden beim Hepatoblastom die Tumorausdehnung in der Leber, die dadurch bedingte potenzielle Resektabilität, die makroskopische Gefäßinvasion, Lymphknotenabsiedlungen, Fernmetastasen und das Serum-α-Fetoprotein festgestellt. Es lassen sich zwei prognostische Gruppen unterscheiden: 4 Potenziell resektable Standardrisiko-Hepatoblastome ohne die erstgenannten negativen Faktoren 4 Hochrisiko-Hepatoblastome mit multifokaler Ausdehnung in der ganzen Leber, in der Bildgebung sichtbarer Invasion der Lebervenen, der Pfortader oder V. cava, eindeutigem Lymphknotenbefall und/oder Fernmetastasen
53.4.2
Klinische Symptome
Hepatoblastome fallen meist als schmerzlose große Raumforderung des Oberbauchs typischerweise bei Kindern im Alter
834
53
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
. Abb. 53.11. Großes Hepatoblastom im rechten Leberlappen bei einem 10 Monate alten Säugling
. Abb. 53.12. PRETEXT-Stadiensystem für Hepatoblastome
von 6 Monaten bis 3 Jahren auf (. Abb. 53.11). Manche Patienten haben Fieber, gelegentlich auch abdominelle Symptome wie Obstipation und Erbrechen. Ikterus und andere Zeichen einer Lebererkrankung fehlen fast immer. Labordiagnostisch steht neben einer häufig ausgeprägten Thrombozytose meistens ein exzessiv erhöhtes Serum-α-Fetoprotein im Vordergrund.
Verdachtsdiagnose, die Risikogruppenzuteilung und die Einteilung in das internationale PRETEXT-Stadiensystem (s. unten; Schnater et al. 2003). Die Auswertungen der deutschsprachigen multizentrischen Studien der GPOH haben eindeutig ergeben, dass bei Vorliegen folgender Konstellation die sichere Diagnose Hepatoblastom gestellt werden kann: 4 Alter zwischen 6 Monaten und 3 Jahren 4 Typischer Tumor in der Leber 4 Stark erhöhtes Serum-α-Fetoprotein (>1000 ng/ml und >3-faches der Altersnorm)
53.4.3 Diagnostik und Staging In der Bildgebung wird zunächst mittels Ultraschall der oft große, gut begrenzte, hyperechogene Tumor in der Leber festgestellt. Durch diese Untersuchung sowie die stets geforderte MRT bzw. CT lassen sich die Größe des Tumors, seine Lage zu den Gefäßen und die Ausdehnung in der Leber klar festlegen. Ferner ist extrahepatisches Tumorwachstum, Lymphknotenbefall und Gefäßinvasion festzustellen. In der CT der Lunge können Metastasen ausgeschlossen oder nachgewiesen werden (. Tab. 53.12). Die genannten Methoden ermöglichen die
. Tab. 53.12. Hepatoblastom: diagnostisches Vorgehen
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Sonographie und MRT oder CT des Abdomens
Ausdehnung, Lagebeziehung zu Gefäßen (Invasion?), extrahepatisches Wachstum
Thorax-CT
Lymphknotenbefall, Lungenmetastasen
Bestimmung des Serum-αFetoproteins und -β-HCG
Diagnosesicherung
Evtl. Biopsie (offen oder am Resektat, keine Feinnadelbiopsien!)
Diagnosesicherung
In diesen Fällen kann schon primär mit einer Chemotherapie begonnen werden. Bei allen anderen Patienten ist jedoch eine histologische Diagnostik notwendig. Die Materialentnahme sollte am besten über eine offene Biopsie oder am Resektat erfolgen. Möglich sind ausgiebige Stanzbiopsien, während Feinnadelbiopsien nicht zum Ziel führen (von Schweinitz 2004). Nach internationaler Übereinkunft werden Hepatoblastome nach dem PRETEXT(Pre-Treatment-Extension)-System der SIOP eingeteilt (. Abb. 53.12). Dieses System erlaubt mit Hilfe der Bildgebung die Zuteilung des Tumors zu den vier chirurgisch relevanten Sektoren der Leber vor Therapiebeginn. Es erfasst ferner extrahepatischen Tumor, Invasion von Pfortader und Lebervenen sowie Metastasen. Die Stadien haben zudem eine signifikante prognostische Relevanz (Schnater et al. 2003). Es wird auch parallel das aus den USA übernommene postoperative Stadiensystem (. Tab. 53.13) benutzt, das den Tumorstatus nach einer primären Laparotomie bzw. Abschluss der Primärdiagnostik angibt. Auch dieses ist prognostisch hochrelevant und für eine Therapiestratifizierung gut geeignet, gibt jedoch die anatomischen Charakteristika des Tumors nicht objektiv wieder. Auch das TNM-System der UICC für Lebermalignome zeigt beim Hepatoblastom eine prognostische Relevanz (von Schweinitz 2004), hat sich jedoch in den multizentrischen Studien nicht durchgesetzt.
835 53.4 · Hepatoblastom
. Tab. 53.13. Postchirurgisches Stadiensystem für maligne Lebertumoren (GPOH und USA)
. Tab. 53.14. Hepatoblastom: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Stadium
Beschreibung
Klinische Situation
I
Tumor komplett reseziert (auch mikroskopisch)
Primär kein chirurgisches Vorgehen, Biopsie(n) bei nicht sicher klinisch zu stellender Diagnose
II
Tumor reseziert, mikroskopischer Resttumor
IIA
Mikroskopischer Rest in der Leber
IIB
Extrahepatischer mikroskopischer Rest
III
Makroskopischer Resttumor und/oder Lymphknotenbefall und/oder Tumorruptur
A
Tumor komplett reseziert, Lymphknotenbefall und/oder Ruptur
B
Makroskopischer Tumorrest und/oder Lymphknotenbefall und/oder Ruptur
IV
Fernmetastasen
53.4.4 Therapeutisches Vorgehen Da die meisten Hepatoblastome gut auf Chemotherapie ansprechen, steht die Resektion zunächst nicht im Vordergrund (Schnater et al. 2003; . Tab. 53.14). Weil eine Tumorstreuung oder Resttumor zu rasch wachsenden, schwer beherrschbaren Rezidiven führen können und ferner rasches Wachstum von Lungenmetastasen nach primären Resektionen beobachtet wurde, darf eine solche nur bei ganz kleinen, nicht metastasierten Hepatoblastomen (PRETEXT I) mit großem Sicherheitsabstand maximal über eine Hemihepatektomie erfolgen. Alle anderen (d. h. 90–95%) der Hepatoblastome sind primär, je nach klinischer Symptomatik, mit oder ohne Biopsie (s. oben) chemotherapeutisch zu behandeln. Erst nach einer Regression des Tumors ist die Resektion durchzuführen und dann eine radikale Entfernung des Tumors, wenn nötig auch mit einer ausgedehnten Resektion, anzustreben (von Schweinitz 2006). Medikamentenkombination, Dosierung und Dauer der Gabe richtet sich nach dem Risikostatus des Hepatoblastoms. Wir empfehlen derzeit für Standardrisiko-Hepatoblastome Cisplatin und Doxorubicin in 2–3 Kursen über insgesamt 6–9 Wochen und für Hochrisiko-Hepatoblastome gemäss der internationalen Studie der SIOP eine intensivierte Therapie mit Cisplatin, Doxorubicin und Carboplatin über 12 bis 18 Wochen (von Schweinitz 2006), da sich eine HochdosisChemotherapie in der GPOH Studie HB99 (Häberle et al. 2003) nicht als besser wirksam herausgestellt hat.
53.4.5 Chirurgisches Vorgehen Beim primären Eingriff sollte sich der Chirurg in aller Regel auf eine genaue Beurteilung des Tumors, eine Tumorbiopsie
Empfohlenes Vorgehen
Kleiner nichtmetastasierter Tumor
Resektion mit großem Sicherheitsabstand
Alle anderen Tumoren
Chirurgisches Vorgehen erst nach Chemotherapie: radikale Tumorresektion (möglichst anatomisch)
Nichtresektables Hepatoblastom
Nach Ansprechen auf Chemotherapie Lebertransplantation (Lebendspende, Splitleber)
Pulmonale Metastasen
Nach Chemotherapie möglichst komplette offene Resektion
und ggf. eine Entnahme auffälliger Lymphknoten beschränken. In manchen Fällen kann dies auch gut laparoskopisch oder über eine Stanzbiopsie durchgeführt werden. Eine Resektion ist zu diesem Zeitpunkt nur bei kleinen, peripher liegenden Tumoren (PRETEXT I) erlaubt. Nach Induktionschemotherapie hingegen ist immer eine radikale Tumorresektion angezeigt, und zwar in jedem Fall bevorzugt eine anatomische Leberresektion (Lobektomie, erweiterte Hemihepatektomie), da so eine radikale Tumorentfernung sicherer gewährleistet ist. Nach gutem Ansprechen auf Chemotherapie und Regression des Tumors darf dieser zwar in toto, aber relativ knapp entfernt werden, ohne dass die Heilungschance stark beeinträchtigt wird. Aus der Resektionsfläche der Restleber sollten Biopsien zur Histologie entnommen werden. Die Technik der Leberresektion beim Kind entspricht generell der beim Erwachsenen. Cave Wenn immer möglich, sollte auf ein längeres Ausklemmen der Leber aus der Blutversorgung verzichtet werden.
Durch eine minutiöse Präparation und Ligatur der zu- und abführenden Gefäße kann eine übermäßige Blutung in aller Regel verhindert werden. Bei Involvierung beider Pfortaderäste, aller Lebervenen oder der V. cava kann eine Resektion in situ oder ex situ mit Gefäßrekonstruktion unter Hypothermie und Kreislaufarrest bei Anwendung einer Herz-Lungen-Maschine zum Erfolg führen. Bei nichtresektablen Hepatoblastomen ist nach Ansprechen auf Chemotherapie auch eine Lebertransplantation indiziert. Sie hat eine relativ hohe Erfolgschance und kann meist als Lebendspender-Splitleber-Technik durchgeführt werden (Otte et al. 2004). Nach der Chemotherapie noch vorhandene Lungenmetastasen sollten so bald als möglich chirurgisch angegangen und wenn möglich komplett reseziert werden. Bei beid-
53
836
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
seitigem Lungenbefall ist dies entweder über eine Sternotomie oder über je eine laterale Thorakotomie möglich.
Wegen der möglichen Palpation führt die offene Metastasenresektion sicherer zu einem Erfolg als die Thorakoskopie.
Auch bei beidseitigem Lungenbefall kann so durchaus noch eine Heilung erreicht werden (Schnater et al. 2003; von Schweinitz 2006).
53.4.6 Postoperative Therapie, intra-
und postoperative Komplikationen
53
Postoperativ entspricht die Behandlung im Wesentlichen der beim Erwachsenen nach einer Leberresektion. In der Regel ist eine ein- bis mehrtägige Nachbeatmung und die Gabe eines Breitspektrumantibiotikums notwendig. Trotz ausgedehnter Resektion kommt es bei nicht vorgeschädigter Leber sehr selten zu einer Insuffizienz des Organs bei jungen Patienten, wenn es bei der Resektion nicht längere Zeit aus der Blutversorgung ausgeklemmt war. Wird am Ende der Resektion für Bluttrockenheit gesorgt, kommt es nur selten zu schwerer Nachblutung. In einem solchen Fall können aber auch geringere Blutmengen bei den kleinen Patienten zu einem Kreislaufschock und dessen Folgen führen. Postoperative Gallelecks verschließen sich oft spontan, solange nicht größere Gallengänge verletzt sind. Postoperative Pleuraergüsse sind relativ häufig und müssen ggf. entlastet werden. Im Übrigen ist bei Kindern mit einer raschen Regeneration der Leber zu rechnen.
53.4.7 Postoperative adjuvante Therapie Postoperativ sollte nach Erholung des Patienten, beginnender Regeneration der Leber und Normalisierung der Leberwerte erneut Chemotherapie mit mindestens einem Kurs verabreicht werden. Hier kommen die Medikamente der präoperativen Induktionschemotherapie zur Anwendung, wenn der Tumor auf diese angesprochen hat. Strahlentherapie ist beim Hepatoblastom nur wenig wirksam und sollte deshalb nur in selektierten Fällen, z. B. zur gezielten Bestrahlung eines Resektionsrandes bei mikroskopischem Resttumor erwogen werden. Wie auch die präoperative Induktionschemotherapie, muss die adjuvante Therapie gemäß dem Studienprotokoll von einem erfahrenen Kinderonkologen durchgeführt werden. Nur so können toxische Nebenwirkungen, wie Knochenmarksschädigung, Infektionen, gastrointestinale Symptome, Leberschädigung, Nephropathie und Kardiomyopathie beherrscht und die Gefahr eines toxisch bedingten Todesfalles minimiert werden.
53.4.8 Therapieergebnisse, Prognose
und Nachsorge Mit einer derartigen Strategie kann eine Heilung von 75–80% aller Hepatoblastome erreicht werden. Bei den Standardrisikotumoren gelangen 95% zur Resektion, und das tumorfreie Überleben beträgt 90%. Dagegen werden nur 65–70% der Hochrisiko-Hepatoblastome resektabel (einschließlich Lebertransplantation). Die Heilungsrate in dieser Gruppe beträgt derzeit 50–55%, wobei Kinder mit nichtresektablem Primärtumor eine etwas schlechtere Prognose haben, als solche mit resektablem, aber metastasierendem Hepatoblastom (Häberle et al. 2003; Schnater et al. 2003, von Schweinitz 2006). Die Nachsorgeuntersuchungen sollen protokollgemäß über 5 Jahre regelmäßig durchgeführt werden. Hierbei wird gleichermaßen nach Rezidivtumor gesucht und Langzeitnebenwirkungen der Therapie erfasst.
Neben der routinemäßigen Testung von Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, Blutbild und Leberfunktionswerten ist labordiagnostisch besonders die Serum-α-Fetoprotein-Bestimmung wichtig, da ein erneuter Anstieg das sensibelste Indiz für ein Tumorrezidiv darstellt.
Die Leber und das Abdomen werden sonographisch, bei Bedarf auch mittels MRT, die Lungen mit der Thorax-Röngtenaufnahme oder wenn nötig mit der CT kontrolliert. Die Untersuchungen erfolgen anfangs alle 4 Wochen, nach einem Vierteljahr 3-monatlich, später jährlich.
53.4.9 Ausblick Bei guten Therapieergebnissen der Standardrisikogruppe sind diese in der Hochrisikogruppe noch unbefriedigend. Hier ist zu hoffen, dass der verbesserte Einsatz von Chemotherapie, noch differenziertere chirurgische Techniken und schließlich auch neue biologische medikamentöse Ansätze eine sicherere Heilung ermöglichen werden.
53.5
Pankreatoblastom
53.5.1 Grundlagen Pankreastumoren sind im Kindesalter eine Rarität. Trotz der großen Seltenheit soll das Pankreatoblastom als maligner embryonaler Tumor der frühen Kindheit kurz dargestellt werden. Aus der Beschreibung einzelner publizierter und eigener beobachteter Fälle lassen sich einige Charakteristika und Therapieempfehlungen ableiten (Pratt u. Pappo 2002). Das Pankreatoblastom scheint aus der frühen embryonalen Pankreasanlage zu entstehen. Histologisch enthält es neben epithelialen Zellarealen auch mesenchymale Tumoranteile und produziert in aller Regel α-Fetoprotein. Letzteres kann also, wie beim Hepatoblastom, als Tumormarker dienen,
837 53.5 · Pankreatoblastom
. Tab. 53.15. Pankreatoblastom: diagnostisches Vorgehen
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Sonographie und Abdominal-MRT oder -CT
Ausdehnung, Lagebeziehung zu Gefäßen (Invasion?) und Organen, extrahepatisches Wachstum, Lymphknotenbefall, hepatische Metastasen
Bestimmung des Serum-αFetoproteins
Diagnosesicherung
Zerebrale CT oder MRT
Metastasierung
. Tab. 53.16. Pankreatoblastom: Verfahrenswahl bei der chirurgischen Therapie
Klinische Situation
Empfohlenes Vorgehen
Kleinere Tumoren in Körper oder Schwanz
Primär radikale Resektion
Tumoren in Kopf und größere Tumoren
Primär Chemotherapie, nach Regression und Rückgang des AFP radikale Resektion (möglichst keine Splenektomie)
Metastasierte Tumoren
Größere internationale Studie geplant
Thorax-CT Bei ausgedehnten Tumoren Biopsie
Diagnosesicherung
dieselben chirurgischen Techniken wie bei Pankreastumoren des Erwachsenenalters zur Anwendung. Cave
während andere bekannte Marker negativ sind. Wie beim Hepatoblastom wurden auch beim Pankreatoblastom Mutationen im APC/β-Catenin-Signalweg und Chromosom 11p gefunden.
53.5.2 Diagnostik Ein Pankreastumor gepaart mit erhöhtem Serum-α-Fetoprotein bei einem jungen Kind wird die Verdachtsdiagnose begründen (. Tab. 53.15). In der Bildgebung kommen die Sonographie, die Abdomen-CT bzw. -MRT zur Anwendung. Hiermit sollen Größe und Lage des Tumors, seine Beziehung zu den Gefäßen des oberen Retroperitonealraumes, zu Magen, Duodenum, Leber und Milz und schließlich das Vorkommen eventueller Lebermetastasen sowie Lymphknotenabsiedlungen festgestellt werden. Lungenmetastasen können mit der Thorax-CT gesucht werden, bei Verdacht ist eine zerebrale CT oder MRT zur Suche nach Hirnmetastasen indiziert. Vor Beginn der Therapie ist bei ausgedehnten Tumoren eine Biopsie zur histologischen Sicherung der Diagnose durchzuführen.
53.5.3 Therapieempfehlungen und Ergebnisse Einzelne Berichte bestätigen, dass die meisten Pankreatoblastome zunächst auf Chemotherapie ansprechen, was jedoch noch nicht durch größere prospektive Studien abgesichert ist. Auf internationaler Ebene ist eine solche derzeit erst in Planung. Deshalb sollten kleinere Tumoren des Pankreasschwanzes und -körpers primär radikal reseziert werden (. Tab. 53.16). Große Tumoren, solche des Pankreaskopfes, Tumoren mit Lymphknoten- oder Leber- bzw. Lungenmetastasen sollten zunächst mit Chemotherapie behandelt werden. Ähnlich wie beim Hepatoblastom scheint auch hier die Kombination von Cisplatin und Doxorubicin zu wirken. Nach beobachteter Regression und Rückgang des α-Fetoproteins sollte dann die radikale Tumorresektion angestrebt werden. Hierbei kommen
Wenn möglich sollte bei jungen Kindern unbedingt die Entfernung der Milz sowie ein postoperativer Diabetes mellitus vermieden werden.
Mit der beschriebenen Strategie lassen sich neueren Berichten zufolge durchaus Heilungen erzielen. So wurde über 7 Patienten berichtet, von denen bei 5 eine Tumorresektion ermöglicht und bei 4 eine dauerhafte Remission erreicht wurde (Defachelles et al. 2001). Eine derzeit geplante Therapiestudie der SIOP auf internationaler Ebene mit den oben genannten Therapieempfehlungen soll diese Ergebnisse prospektiv evaluieren. Seit kurzem existiert für den deutschsprachigen Raum ein zentrales Register für sehr seltene, maligne Tumoren des Kindesalters der GPOH, an das Patienten mit einem Pankreatoblastom gemeldet werden sollten (Adresse s. unten). Literatur Ambros PF (2000) Concept of tumorigenesis and regression. In: Brodeur GM, Sawada T, Tsuchida Y, Voute PA (eds) Neuroblastoma. Elsevier, Amsterdam, pp 21–32 Argani P, Perlman EJ, Breslow NE, Browning NG, Green DM, D’Angio GJ, Beckwith JB (2000) Clear cell sarcoma of the kidney. A review of 351 cases from the National Wilms Tumor Study Group Pathology Center. Am J Surg Pathol 24: 4–18 Brodeur GM, Maris JM (2002) Neuroblastoma. In: Pizzo PA, Poplack DG (eds) Principles and practice of pediatric oncology. Lippincott, Philadelphia, pp 895–938 Cecchetto G, Mosseri V, De Bernardi B, Helardot P, Monclair T, Costa E, Horcher E, Neuenschwander S, Tom P, Rizzo A, Michon J, Holmes K (2005) Surgical risk factors in primary surgery for localized neuroblastoma; the LNESG1 study of the European International Society of Pediatric Oncology Neuroblastoma Group. J Clin Oncol 33:8483–8489 Cohn SL, Pearson AD, London WB, Monclair T, Ambros PF, Brodeur GM, Faldum A, Hero B, Ikehara T, Machin D, Mosseri V, Simon T, Garaventa A, Castel V, Matthay KK; INRG Task Force (2009) The International Neuroblastoma Risk Group (INRG) classification system: an INRG Task Force Report. J Clin Oncol 27:289–297
53
838
53
Kapitel 53 · Maligne viszerale Tumoren des Kindes
Defachelles AS, Martin-de Lassalle E, Boutard P, Nelken B, Schneider P, Patte C (2001) Pankreatoblastoma in childhood: clinical course and therapeutic management of seven patients. Med Pediatr Oncol 37: 47—52 Gadner H, Gaedicke G, Niemeyer C, Ritter J (2006) Pädiatische Hämatologie und Onkologie, Springer, Berlin Heidelberg New York Godzinski J, Tournade MF, de Kraker J et al. (1998) Rarity of surgical complications after postchemotherapy nephrectomy for nephroblastoma. Experience of the International Society of Paediatric Oncology – Trial and Study »SIOP-9«. Eur J Pediatr Surg 8: 83–86 Graf N, Tournade MF, de Kraker J (2000) The role of preoperative chemotherapy in the management of Wilms’ tumor. The SIOP studies. International Society of Pediatric Oncology. Urol Clin North Am 27: 443–454 Grundy PE, Green D, Coppes MJ, Breslow NE, Ritchey ML, Perlman EJ, Macklis RM (2002) Renal tumors. In: Pizzo PA, Poplack DG (eds) Principles and practice of pediatric oncology. Lippincott, Philadelphia, pp 865–894 Häberle B, Bode U, von Schweinitz D (2003) Differenzierte Therapieansätze für Hoch- und Standardrisiko Hepatoblastome. Klin Pädiatr 215: 159–165 Haecker FM, von Schweinitz D, Harms D, Buerger D, Graf N (2003) Partial nephrectomy for unilateral Wilms tumor: results of study SIOP 93–01/GPOH. J Urol 170: 939–944 Kaatsch P, Spix C (2008) Jahresbericht – Annual Report 2006/2007 (1980–2006). Deutsches Kinderkrebsregister, Mainz Kerbl R, Urban CE, Ambros IM et al. (2003) Neuroblastoma mass screening in late infancy: insights into the biology of neuroblastic tumors. J Clin Oncol 21: 4228–4234 Leavey PJ, Odom LF, Poole M, McNeely L, Tyson RW, Haase GM (1997) Intra-operative radiation therapy in pediatric neuroblastoma. Med Pediatr Oncol 28: 424—428 Monclair T, Brodeur GM, Ambros PF, Brisse HJ, Cecchetto G, Holmes K, Kaneko M, London WB, Matthay KK, Nuchtern JG, von Schweinitz D, Simon T, Cohn SL, Pearson AD; INRG Task Force (2009) The International Neuroblastoma Risk Group (INRG) staging system: an INRG Task Force report. J Clin Oncol 27:298-303 Noesel MM van, Versteeg R (2004) Pediatric neuroblastomas: genetic and epigenetic ‘danse macabre’. Gene 325: 1–15 Otte JB, Aronson DC, Brown J et al. (2002) Liver transplantation for hepatoblastoma: results from the International Society of Pediatric Oncology (SIOP) study SIOPEL-1 and review of the world experience. Pediatr Blood Cancer 42: 74–83 Pfluger T, Schmied C, Porn U et al. (2003) Integrated imaging using MRI and 123I metaiodobenzylguanidine scintigraphy to improve sensitivity specificity in the diagnosis of pediatric neuroblastoma. Am J Roentgenol 181: 1115–1124 Prasil P, Laberge JM, Bond M, Bernstein M, Pippi-Salle JL, Bernard C, Patenaude Y (2000) Management decisions in children with nephroblastomatosis. Med Pediatr Oncol 35: 429–432 Pratt CB, Pappo AS (2002) Management of infrequent cancers of childhood. In: Pizzo PA, Poplack DG (eds) Principles and practice of pediatric oncology. Lippincott, Philadelphia, pp 1157—1158 Reinhard H, Furtwängler R, Graf N (2007) Wilm’s tumor – update 2007. Urologe A 46:143-145 Reinhard H, Schmidt A, Furtwängler R, Leuschner I, Rübe C, von Schweinitz D, Zoubek A, Niggi F, Graf N (2008) Outcome of relapses of nephroblastoma in patients registered in the SIOP/ GPOH trials and studies. Oncol Rep 20:463-467 Roth R, Daum R (2001) Maligne viszerale Tumoren des Kindes. In: Siewert R (Hrsg) Onkologische Chirurgie, Bd II: Praxis der Viszeralchirurgie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
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839 Wichtige Adressen
Wichtige Adressen Studienleitung der GPOH Neuroblastomstudie NB 2004 Berthold, F., Prof. Dr. Zentrum für Kinderonkologie und -hämatologie der Universität zu Köln Joseph-Stelzmann-Str. 9 D-50924 Köln
[email protected] Studienleitung der GPOH Nephroblastomstudie SIOP 2001/GPOH Graf, N., Prof. Dr. Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Gebäude 9 D-66421 Homburg/Saar
[email protected] [email protected] Studienleitung der GPOH Lebertumorstudie, Referenzchirurgie der Neuroblastomstudie 2004, Referenzchirurgie der Nephroblastomstudie SIOP 2001/GPOH Schweinitz, D. von, Prof. Dr. Kinderchirurgische Klinik der Universität München Dr. von Haunersches Kinderspital Lindwurmstr. 4 D-80337 München
[email protected] Arbeitsgruppe Seltene Tumoren der GPOH (www.seltene-tumoren.de) Schneider, D., PD Dr. Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Klinikum Dortmund GmbH Beurhausstraße 40, 44137 Dortmund
[email protected] Brecht, I., Dr. Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Olgahospital Pädiatrie 5, Onkologie, Hämatologie, Immunologie Bismarckstraße 8 70176 Stuttgart
[email protected] Referenzpathologie für alle GPOH-Studien Pathologisches Institut der Universität Schleswig-Holstein Michaelisstr. 11 D-24105 Kiel
[email protected] Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) Klinikum der JWG-Universität Frankfurt Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Klinik III Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt/Main
[email protected] www.kinderkrebsinfo.de
53
54 54
Urogenitale Tumoren M. Wirth, M. Fröhner
54.1
Prostatatumoren
– 843
54.1.1 54.1.2 54.1.3 54.1.4 54.1.5 54.1.6 54.1.7 54.1.8 54.1.9 54.1.10 54.1.11 54.1.12 54.1.13
Grundlagen – 843 Klinische Symptomatologie – 843 Diagnostik und Staging – 844 Therapieziele und Indikationsstellung – 844 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 844 Operationstechnik – 845 Postoperative Behandlung – 846 Intra- und postoperative Komplikationen – 846 Ergebnisse der chirurgischen Therapie – 846 Neoadjuvante und additive Therapie – 847 Palliation – 847 Empfehlungen zur Nachsorge – 848 Ausblick – 848
54.2
Hodentumoren
54.2.1 54.2.2 54.2.3 54.2.4 54.2.5 54.2.6 54.2.7 54.2.8 54.2.9 54.2.10 54.2.11 54.2.12 54.2.13
Grundlagen – 848 Klinische Symptomatologie – 849 Diagnostik und Staging – 849 Therapieziele und Indikationsstellung – 850 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 851 Operationstechnik – 851 Postoperative Behandlung – 851 Intra- und postoperative Komplikationen – 852 Ergebnisse der chirurgischen Therapie – 852 Neoadjuvante und additive Therapie – 852 Palliation – 852 Empfehlungen zur Nachsorge – 852 Ausblick – 852
54.3
Harnblasentumoren
54.3.1 54.3.2 54.3.3 54.3.4 54.3.5 54.3.6 54.3.7 54.3.8 54.3.9
Grundlagen – 852 Klinische Symptomatologie – 853 Diagnostik und Staging – 853 Therapieziele und Indikationsstellung – 854 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 854 Operationstechnik – 854 Postoperative Behandlung – 855 Intra- und postoperative Komplikationen – 855 Ergebnisse der chirurgischen Therapie – 855
– 848
– 852
54.3.10 54.3.11 54.3.12 54.3.13
Neoadjuvante und additive Therapie – 856 Palliation – 856 Empfehlungen zur Nachsorge – 856 Ausblick – 857
54.4
Nierentumoren
54.4.1 54.4.2 54.4.3 54.4.4 54.4.5 54.4.6 54.4.7 54.4.8 54.4.9 54.4.10 54.4.11 54.4.12 54.4.13
Grundlagen – 857 Klinische Symptomatologie – 857 Diagnostik und Staging – 857 Therapieziele und Indikationsstellung – 858 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 858 Operationstechnik – 858 Postoperative Behandlung – 859 Intra- und postoperative Komplikationen – 859 Ergebnisse der chirurgischen Therapie – 859 Neoadjuvante und additive Therapie – 859 Palliation – 859 Empfehlungen zur Nachsorge – 860 Ausblick – 860 Internetadressen Literatur
– 860
– 857
– 860
843 54.1 · Prostatatumoren
54.1
Prostatatumoren
54.1.1 Grundlagen
Chirurgische Epidemiologie Das Prostatakarzinom ist in Deutschland wie in vielen Ländern der westlichen Welt der häufigste bösartige Tumor beim Mann. Die Zahl der Neuerkrankungen lag im Jahre 2004 bei 58.570. Im selben Zeitraum sind schätzungsweise 11.135 Männer in Deutschland am Prostatakarzinom verstorben, womit der Tumor nach dem Bronchialkarzinom und dem kolorektalen Karzinom die dritthäufigste Krebstodesursache beim Mann darstellt. Der Tumor ist eine ausgesprochene Alterserkrankung. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 69 Jahren, vor dem 50. Lebensjahr ist das Prostatakarzinom selten (Robert Koch-Institut 2009).
Pathogenese Die Pathogenese des Prostatakarzinoms ist trotz intensiver Forschung bisher noch unzureichend geklärt (Robert KochInstitut 2009; Heidenreich et al. 2009). Drei Risikofaktoren gelten als allgemein akzeptiert: 4 Alter 4 Ethnische Herkunft 4 Erbliche Belastung Während die Inzidenz des latenten, anlässlich von Autopsien aufgefundenen Prostatakarzinoms weltweit wenig differiert, tritt das klinisch manifeste Karzinom in bestimmten Populationen ausgesprochen häufig auf (Europa und Nordamerika), während es in anderen Teilen der Welt (beispielsweise in Asien) selten ist. Auswanderer aus Niedrigrisikoregionen nähern sich den erhöhten Risiko ihres Aufnahmelandes an (beispielsweise Japaner in den USA). Diese Beobachtungen legen einen Einfluss von Ernährungs- und Lebensgewohnheiten auf die Tumorentstehung nahe (Heidenreich et al. 2009). Als möglicherweise tumorfördernde Faktoren gelten fettreiche Ernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel und Rauchen (Robert KochInstitut 2009).
Prognostische Faktoren Zur Prognosebeurteilung sind beim Prostatakarzinom aufgrund des im Vergleich zu anderen malignen Tumoren in der Regel langsameren Verlaufs neben tumorassoziierten Faktoren in stärkerem Maße auch Kriterien des Patienten wie biologisches Alter und Begleiterkrankungen zu berücksichtigen. Eine weitere Besonderheit des Prostatakarzinoms ist, dass ein biochemisches Tumorrezidiv (erneute Nachweisbarkeit des Tumormarkers prostataspezifisches Antigen (PSA) nach kurativ intendierter Therapie) selbst unter lediglich konservativer Therapie keineswegs immer einen tödlichen Verlauf der Erkrankung bedeutet. Prognosefaktoren, die beim Prostatakarzinom ein (biochemisches) Rezidiv vorhersagen, müssen daher nicht unbedingt auch Prädiktoren des Überlebens sein.
Der klinisch bedeutsamste Prognosefaktor beim Prostatakarzinom ist die Tumordifferenzierung, die durch den Gleason-Score angegeben wird. Für die klinische Praxis weiterhin wichtig sind der bei rektaler Palpation erhobene Tastbefund des Organs und die Höhe des PSA-Wertes.
Mit diesen drei Parametern lassen sich die meisten Therapieentscheidungen treffen, weitergehende Untersuchungen sind nur bei fortgeschrittenen Befunden indiziert. Nach chirurgischer Entfernung des tumortragenden Organs ist neben dem Tumorgrad, dem lokalen Stadium, dem Status der Lymphknoten und dem präoperativen PSA-Wert der Status des chirurgischen Resektionsrandes von Bedeutung. Ein tumorbefallener Resektionsrand ist ein unabhängiger Prädiktor eines Rezidivs der Erkrankung (Heidenreich et al. 2009). Zur gemeinsamen Betrachtung dieser Prognosefaktoren wurde eine Vielzahl von Nomogrammen entwickelt, deren Genauigkeit derjenigen des beurteilenden Klinikers überlegen ist. Für eine klinische Relevanz dieser statistisch nachweisbaren Überlegenheit der Nomogramme für die Behandlung des individuellen Patienten fehlen jedoch bisher schlüssige Beweise.
Pathologie und Klassifikation In der überwältigenden Mehrzahl der Prostatakarzinome handelt es sich um Adenokarzinome. Daneben existiert eine Anzahl seltener histologischer Varianten, deren Prognose in der Regel ungünstiger als die des konventionellen Prostatakarzinoms ist. Die Gradeinteilung wird mit Hilfe des Gleason-Scores vorgenommen, der sich aus der Summe der beiden häufigsten (von 5 möglichen) Wachstumsmustern zusammensetzt. Dabei ist der Gleason-Score 2 der niedrigste und prognostisch günstigste, der Gleason-Score 10 der höchste und prognostisch ungünstigste (Heidenreich et al. 2009) Die Stadieneinteilung erfolgt nach dem TNM-System (Wittekind et al. 2002), wobei im klinischen Alltag häufig die Gruppen organbegrenztes (T1–2), lokal fortgeschrittenes (T3–4), lymphknotenpositives (N1) und metastasiertes (M1) Prostatakarzinom als für die Therapieplanung wichtige Gruppen unterschieden werden.
54.1.2 Klinische Symptomatologie Das lokal begrenzte Prostatakarzinom ist in der Regel symptomlos. Vorhandene Beschwerden sind meistens auf eine gleichzeitig bestehende benigne Prostatahyperplasie zurückzuführen. Verursacht das Karzinom Symptome im Sinne von Harnverhalt, Stauung des oberen Harntraktes, Makrohämaturie, Lymphödem der unteren Extremitäten, oder Knochenschmerzen, so liegt in den meisten Fällen (bei den beiden letztgenannten Symptomen immer) ein inkurabler fortgeschrittener Tumor vor. Das Prostatakarzinom wird heute jedoch meistens im asymptomatischen Frühstadium durch die Bestimmung des PSA-Wertes oder durch rektale Tastuntersuchung und anschließende Biopsie diagnostiziert.
54
844
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
54.1.3 Diagnostik und Staging
54
Beim frühen Prostatakarzinom reichen – neben der obligaten Routinediagnostik mit Anamnese, körperlicher Untersuchung, Abdomensonographie, Blut- und Urinuntersuchung – die rektale Tastuntersuchung, die Bestimmung des PSAWertes und des Gleason-Scores der Biopsie für die Ausbreitungsdiagnostik aus. Der transrektale Ultraschall hat seine Bedeutung überwiegend zur Führung der Biopsienadel; zur Beurteilung des Tumorstadiums ist er nicht ausreichend genau und reproduzierbar. Eine weitergehende bildgebende Diagnostik zur Suche nach Fernmetastasen (Skelettszintigraphie) oder Organüberschreitung (CT oder MRT) ist nur bei klinischem Verdacht oder Hochrisikokonstellation (insbesondere bei entdifferenziertem Tumor (Gleason-Score 8–10) oder hohem PSA-Wert (20 ng/ml oder höher) indiziert. In Frühstadien ist die Wahrscheinlichkeit überraschender Befunde in der Bildgebung gering, die Gefahr falsch-positiver Befunde mit der Notwendigkeit weiterer Abklärung dagegen beträchtlich. Zur Vermeidung unnötiger Belastungen für den Patienten und zur Kostenbegrenzung sollte die Indikationsstellung daher stets kritisch erfolgen. Untersuchungen, deren Ergebnis absehbar ohne Einfluss auf das weitere therapeutische Vorgehen ist, sollten unterbleiben. Kritisch zu sehen ist auch die Rolle der Positronenemissionstomographie, die beim Prostatakarzinom nur in seltenen Fällen nützlich sein kann, bei weitgestreuter Anwendung jedoch neben hohen Kosten nutzlose weitere invasive Maßnahmen induzieren kann.
54.1.4 Therapieziele und Indikationsstellung Da das Prostatakarzinom in der Mehrzahl der Fälle langsam voranschreitet, die betroffenen Patienten in der Regel älter sind und alle wirksamen Therapieformen die Lebensqualität beeinflussen können, ist die Therapieentscheidung beim Prostatakarzinom oft besonders schwierig und verantwortungsvoll. Neben der radikalen Prostatektomie stehen als etablierte Therapieoptionen mit kurativer Intention die externe oder interstitielle Strahlentherapie (die nicht Gegenstand dieses Kapitels sind) sowie die aktive Überwachung zur Verfügung. Im Gegensatz zur palliativ intendierten konservativen Therapie zielt die aktive Überwachung auf eine Heilung des Tumors, falls sich dieser im Verlauf als progredient erweist oder der Patient seine Meinung zugunsten einer definitiven Intervention ändert. Kandidaten für ein solches Vorgehen sind Patienten mit einem Tumor mit geringem Progressionsrisiko. Hierzu werden organbegrenzte Tumoren (klinisch T1–T2) mit niedrigem Gleason-Score (maximal 7) und nicht zu hohem PSA (maximal 15–20 ng/ml) gezählt (Heidenreich et al. 2009). Patienten, die sich für eine aktive Überwachung entscheiden, werden regelmäßig mittels klinischer Untersuchung, PSA-Bestimmung und Kontrollbiopsien überwacht. Dabei ist für den Erfolg der Therapie (Vermeidung einer Überbehandlung, aber auch Verhinderung einer Progression zu inkurablen, fortgeschrittenen Tumoren) weniger das Überwachungsregime als die sorgfältige Patientenauswahl entscheidend.
Neben der Heilung der Erkrankung stellt beim Prostatakarzinom auch die Vermeidung progressionsbedingter Komplikationen ein primäres Therapieziel dar. Bei älteren Patienten oder solchen mit wesentlichen Begleiterkrankungen kann auch ohne kurative Therapie die Erkrankung oft ausreichend beherrscht werden, so dass die Betroffenen mit und nicht an ihrem Tumor versterben. Für eine kurative Therapie des Prostatakarzinoms wurde traditionell eine weitere Lebenserwartung von 10 Jahren gefordert. Allerdings sind schlecht differenzierte Tumoren durchaus in der Lage, ihren Träger bei unterlassener kurativer Therapie auch innerhalb weniger Jahre zu töten, während insbesondere durch Screening diagnostizierte gut differenzierte Frühstadien durchaus auch über einen längeren Zeitraum klinisch stumm bleiben können. Wesentlich für die Therapieentscheidung ist auch die Präferenz des Patienten, da sich die verschiedenen chirurgischen und strahlentherapeutischen Therapiealternativen im Spektrum ihrer Nebenwirkungen unterscheiden.
54.1.5 Chirurgische Strategie
und Verfahrenswahl Als kuratives chirurgisches Therapieverfahren steht für das lokal begrenzte und das operable lokal fortgeschrittene Prostatakarzinom die radikale Prostatektomie zur Verfügung. Dabei werden neben der kompletten Drüse auch die Samenblasen, ein Teil der Samenleiter und gegebenenfalls Teile des Blasenhalses reseziert. In gleicher Sitzung kann die pelvine Lymphadenektomie erfolgen, wobei die Indikation und die Ausdehnung der Lymphadenektomie Gegenstand von Kontroversen ist. Ziel ist die komplette Entfernung des tumortragenden Organs mit negativem Resektionsrand. Da in unmittelbarer Nachbarschaft der Prostata die für die sexuelle Potenz erforderlichen Nerven und Gefäße verlaufen und das Organ unmittelbar an den Kontinenzapparat grenzt, sind diese Strukturen und Funktionen bei der radikalen Prostatektomie besonders gefährdet. Durch sorgfältige Operationstechnik und den Einsatz von optischen Vergrößerungen (Lupenbrille, Kamera) können die funktionellen Ergebnisse verbessert werden. Bei der radikalen Prostatektomie existiert eine Vielzahl von chirurgischen Zugangswegen, wobei bisher der offene retropubische Zugang als Standard galt. Daneben kann die Prostata auch von perineal aus oder endoskopisch (konventionell laparoskopisch oder mittels Roboterassistenz) angegangen werden. Einen erfahrenen Operateur vorausgesetzt sind die Verfahren weitgehend gleichwertig, wobei allerdings in einer großen Vergleichsstudie die konventionelle Laparoskopie hinsichtlich der Harnkontinenz der offenen Operation unterlegen war (Touijer et al. 2008).
845 54.1 · Prostatatumoren
54.1.6 Operationstechnik
Offene retropubische radikale Prostatektomie Bei der offenen retropubischen radikalen Prostatektomie wird nach Präparation der Harnblase von der vorderen Beckenwand und der Ausräumung der pelvinen Lymphknoten das prävesikal gelegene Fettgewebe entfernt und die endopelvine Faszie beidseits der Prostata inzidiert. Sollen die für die erektile Potenz erforderlichen GefäßNerven-Bündel erhalten werden, so wird vor Mobilisierung der Prostata die Prostatafaszie ventral inzidiert und die Gefäß-Nerven-Bündel werden unter Lupenbrillensicht von der Prostata abpräpariert, um im weiteren Verlauf des Eingriffs eine Distension dieser sehr empfindlichen Strukturen zu vermeiden. Die Blutstillung erfolgt hier unter Verzicht auf Koagulation, um eine thermische Schädigung der Gefäß-Nerven-Bündel zu vermeiden. Im Anschluss wird der dorsale ventral der Harnröhre gelegene Venenplexus durchtrennt und umstochen. Zur Vermeidung signifikanten Blutverlustes ist es hilfreich, die Narkose bis zu diesem Zeitpunkt mit einem Minimum an intravenöser Volumensubstitution zu führen. Nach Kontrolle des Venenplexus wird die Harnröhre ventral aus dem Prostataapex herauspräpariert und inzidiert (. Abb. 54.1). Nach Vorlegen der Anastomosenfäden (in der Regel 6) wird die Harnröhre komplett durchtrennt und die Prostata aszendierend unter Durchtrennung und Ligatur bzw. Klippung ihrer Blutversorgung freipräpariert, wobei der Schonung der Gefäß-Nerven-Bündel und des Rektums große Aufmerksamkeit zu widmen ist. Schließlich wird die Prostata nach Eröffnung der die Samenblasen vom Rektum separierenden DenonvillierFaszie, Extraktion der Samenblasen und Durchtrennung der Samenleiter unter Inspektion und Schonung der Harnleiterostien von der Blase abgesetzt. Hierzu wird der Blasenhals zunächst ventral eröffnet. Zur Vermeidung von Anastomosenstrikturen ist es hilfreich, die Blasenschleimhaut zu evertieren. Der Blasenhals wird zumeist tennisschlägerartig auf das Lumen der geplanten Anastomose eingeengt. Danach wird das Samenblasenbett an der dorsalen Blasenunterseite verschlossen, wobei gleichzeitig hier auftretende Blutungen gestillt werden. Nach Erzielen einer kompletten Bluttrockenheit wird zunächst der Musculus rectourethralis am dorsalen Blasenhals fixiert. Im Anschluss werden sämtliche Anastomosennähte gestochen und nach Einlage eines circa 20-Charriere-Silikonkatheters und Approximierung der Anastomose geknüpft (. Abb. 54.2).
Konventionell-laparoskopische und roboterassistierte radikale Prostatektomie Neben der klassischen retropubischen radikalen Prostatektomie gewannen in den vergangenen Jahren endoskopische, vermeintlich minimal-invasive Verfahren an Bedeutung. Dabei wird die konventionelle Laparoskopie zunehmend durch
. Abb. 54.1. Operationssitus bei der nerverhaltenden radikalen retropubischen Prostatektomie nach Inzision der Harnröhre (Bogen; der darin liegende gelbe Harnblasenkatheter ist zu sehen): die neurovaskulären Bündel (gerade Linie) sind bereits von der Prostata (Kreis) abpräpariert. Eine nennenswerte Blutung (problematisch ist dabei u. a. der oberhalb der Harnröhre gelegene dorsale Venenplexus) liegt nicht vor
. Abb. 54.2. Operationssitus bei der nerverhaltenden radikalen retropubischen Prostatektomie vor Vereinigung und Knüpfung der Anastomose: Es liegt ein weicher 20-Charriere-Silikonkatheter (weiß), der rekonstruierte Blasenhals wird durch vorsichtigen Zug am Katheter an den sorgfältig präparierten Harnröhrenstumpf (gestrichelt) angenähert (Pfeil). Danach wird die Anastomose geknüpft, in diesem Fall mittels 6 Einzelknopfnähten. Eine weitere Einzelknopfnaht fixiert den Musculus rectourethralis am Blasenhals dorsal der Anastomose
die roboterassistierte Operation abgelöst. In den USA wird die konventionelle laparoskopische radikale Prostatektomie mittlerweile kaum noch durchgeführt. Eine ausreichende chirurgische Erfahrung vorausgesetzt erzielen alle Varianten der radikalen Prostatektomie ähnliche funktionelle und onkologische Ergebnisse (Ficarra et al. 2009). Für die roboterassistierte radikale Prostatektomie steht bisher nur das »Da-Vinci«-System zur Verfügung. Die Steue-
54
846
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
rung der Instrumente erfolgt hierbei über Handgriffe in der Computerkonsole (»Master«), wobei der Kopf des Chirurgen zwischen Kopfsensoren auf beiden Seiten des Stereo-Bildbetrachters ruht. Die verwendeten Instrumente sind mit Gelenken ausgerüstet, die in ihrer Funktionsweise mit ihren 7 Freiheitsgraden der menschlichen Hand ähnlich sind. Durch die genaue Ausrichtung der in der Anzeige sichtbaren Instrumentenspitzen an den »Masters« wird eine natürliche und vorhersagbare Bewegung der Instrumente gewährleistet und die Hand/Augen-Koordination sowie das natürliche Gefühl einer offenen Operation für den Operateur erhalten. Insgesamt sind die Kosten der robotergestützten laparoskopischen radikalen Prostatektomie wegen der teuren Verbrauchsmaterialien höher als die der offenen retropubischen Operation. Zentren mit großer Erfahrung und einem ausgewählten Patientengut berichten bei der robotergestützten laparoskopischen radikalen Prostatektomie über sehr gute Ergebnisse, die mit denen großer offen operierter Patientenserien vergleichbar sind. Im eigenen Krankengut lag die Kontinenzrate 1 Jahr nach robotergestützter laparoskopischer radikaler Prostatektomie bei 93%, die Potenzrate (im Falle beidseitig erfolgtem Nervenerhalts) bei 60% und die Rate positiver Absetzungsränder über alle Tumorstadien bei 10%.
54
Perineale radikale Prostatektomie Die radikale Prostatektomie kann auch über einen perinealen Zugang erfolgen. Für den perinealen Zugang wurde eine im Vergleich zum retropubischen eine geringere Invasivität postuliert, Beweise für diese Hypothese aus randomisierten Studien liegen bisher jedoch noch nicht vor (Heidenreich et al. 2009). Bei der perinealen radikalen Prostatektomie wird in der Regel auf die pelvine Lymphadenektomie verzichtet. Wird sie dennoch durchgeführt, so erfolgt dies zumeist über einen zusätzlichen laparoskopischen Zugang, was jedoch aufgrund des notwendigen Zweiteingriffes im Vergleich zum einzeitigen retropubischen Vorgehen eine erhöhte Invasivität und Belastung für den Patienten bedeutet.
54.1.7 Postoperative Behandlung Perioperativ erfolgt eine antibiotische Abschirmung. Eine frühzeitige Mobilisierung (am ersten postoperativen Tag) ist wichtig. Der Harnblasenkatheter wird nach Prüfung der Dichtigkeit der Anastomose mittels Kontrastmittelfüllung der Harnblase entfernt; die Katheterliegedauer unterscheidet sich in Abhängigkeit von der Nahttechnik und den Präferenzen des Operateurs. Zur Thromboseprophylaxe erhalten die Patienten postoperativ ein niedrigmolekulares Heparin. Nach Entfernung des Harnblasenkatheters ist eine Anschlussheilbehandlung zum Training der Kontinenzfunktion ratsam. Zur Förderung der Erholung der erektilen Potenz im Falle einer intraoperativen Schonung der die Erektion steuernden neurovaskulären Bündel haben sich bei Bedarf eingesetzte Phosphodiesterase-5-Inhibitoren einer täglichen Gabe gegenüber als gleichwertig erwiesen (Montorsi et al. 2008).
. Tab. 54.1. Komplikationsrate der radikalen Prostatektomie im eigenen Krankengut (n=3052)
Komplikation
Häufigkeit
Rektumverletzung
0,5%
Rektumfistel
0,0%
Harnleiterverletzung
0,1%
Lymphozele
4,2%
Thrombose
3,0%
Lungenembolie
0,6%
30-Tage-Sterblichkeit
0,07%
54.1.8 Intra- und postoperative
Komplikationen Die perioperative Mortalität wird mit 0–2,1% angegeben, wobei erfahrene Zentren oft selbst bei mehreren Tausend operierten Patienten keinen perioperativen Todesfall mehr beobachten. Schwere postoperative Komplikationen und Spätkomplikationen treten in Kliniken mit einer hohen Operationsfrequenz seltener auf (Heidenreich et al. 2009). Typische perioperative Komplikationen sind (Häufigkeitsangaben laut den Leitlinien der EAU): Blutung (1–11,5%), Rektumverletzung (0–5,4%), tiefe Venenthrombose (0–8,3%), Lungenembolie (0,8–7,7%; Heidenreich et al. 2009). Die im eigenen Krankengut (3052 zwischen 12/1992 und 06/2008 operierte Patienten) beobachtete Komplikationsfrequenz ist in . Tab. 54.1 dargestellt. Späte Komplikationen der radikalen Prostatektomie sind Lymphozelenbildung (1–3%), Anastomosenstenose (0,5–14,6%), Urinleck oder Urinfistel (0,3–15,4%), Harnleiterobstruktion (0–0,7%), Harnröhrenstriktur (2–9%) sowie Harninkontinenz und erektile Impotenz. Ältere Patienten haben eine geringere Chance der Erholung der sexuellen Potenz. Bei einer sorgfältigen Patientenselektion sind die Resultate der nerverhaltenden radikalen Prostatektomie hinsichtlich der Rate der positiven Absetzungsränder und der Wahrscheinlichkeit eines biochemischen Rezidivs mit denen der herkömmlichen Operationstechnik gleich.
54.1.9 Ergebnisse der chirurgischen Therapie Das tumorspezifische 10-Jahres-Überleben liegt in aktuellen Serien nach radikaler Prostatektomie bei über 90%. Im eigenen Krankengut betrug die tumorspezifische 10-Jahres-Überlebensrate bei 1.910 zwischen 1992 und 2004 operierten Patienten 95% (. Tab. 54.2). Patienten, die in jüngerer Zeit behandelt wurden (also überwiegend frühzeitig erkannte Tumoren) erreichen gute Tumorkontrollraten auch bei Hochrisikopatienten mit einem hohem Gleason-Score und damit aggressiven Tumoren. So lag in einer Studie mit 1000 zwischen
847 54.1 · Prostatatumoren
. Tab. 54.2. Sterberate nach radikaler Prostatektomie im eigenen Krankengut: Competing-Risk-Analyse (n=1910; Froehner et al. 2009)
Mögliche Todesursache
10-Jahres-Sterberate
Alle Ursachen
16%
Prostatakarzinom
5%
Konkurrierende Ursachen insgesamt
10%
Komorbidität (kein Tumorleiden)
6%
Zweittumor
4%
1983 und 1998 operierten Patienten die tumorspezifische 10Jahres-Überlebensrate in der Gleason-Score-8–10-Subgruppe bei 82% (Hull et al. 2002). Die Bedeutung der operativen Erfahrung für die langfristige Tumorkontrolle wurde bei der radikalen Prostatektomie in einer aktuellen Studie mit 7765 Patienten demonstriert. Bei den erfahrensten Chirurgen wurden dabei beim histopathologisch organbegrenzten Tumor biochemische 5-Jahres-Rezidivfreiheitsraten von fast 100% beobachtet (Vickers et al. 2008). Werden bei der pelvinen Lymphadenektomie Lymphknotenmetastasen nachgewiesen, so ist die radikale Prostatektomie allein nur selten in der Lage, den Tumor dauerhaft zu heilen. Ohne adjuvante Therapie erleiden fast alle Patienten mit positiven Lymphknoten nach radikaler Prostatektomie ein Rezidiv. Dennoch wird die operative Entfernung der Prostata mit anschließender adjuvanter Hormontherapie von manchen Autoren befürwortet, da zumindest einzelne Patienten davon zu profitieren scheinen. Insbesondere kann das Auftreten lokaler tumorprogressionsbedingter Komplikationen durch die Entfernung der tumortragenden Prostata vermindert werden.
54.1.10
Neoadjuvante und additive Therapie
Eine neoadjuvante Hormontherapie vor radikaler Prostatektomie zeigte trotz intensiver Untersuchung keinen Vorteil bezüglich des progressionsfreien Überlebens. Nach erfolgter radikaler Prostatektomie konnte eine kleine randomisierte Studie einen Überlebensvorteil für eine adjuvante Hormontherapie bei Patienten mit positiven Lymphknoten zeigen (Messing et al. 2006). Allerdings wurde die Kontrollgruppe hier erst bei symptomatischem Progreß behandelt. Unklar (und eher unwahrscheinlich) ist, ob in diesem Falle eine sofortige hormonelle Behandlung auch einem Behandlungsbeginn zum Zeitpunkt des PSA-Rezidivs überlegen gewesen wäre. Patienten mit lokal fortgeschrittenem, lymphknotennegativem Prostatakarzinom profitieren nach radikaler Prostatektomie bezüglich des Gesamtüberlebens nicht von einer adjuvanten Hormontherapie. Lediglich die PSA-Progression lässt sich hinauszögern (Wirth et al. 2004, 2007). Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumoren (pT3) oder positiven Absetzungsrändern können von einer adjuvanten lokalen Strahlentherapie profitieren. Es wird dadurch in den
allermeisten Fällen eine lokale Kontrolle des Tumors erreicht sowie der klinische Progress verzögert. In einer Studie konnte auch ein Überlebensvorteil für die adjuvante Strahlentherapie nachgewiesen werden (Van der Kwast et al. 2007). Allerdings ist noch unklar, ob eine sofortige Behandlung aller Risikopatienten oder eine frühzeitige Behandlung bei erneutem PSA-Anstieg günstiger ist, da in den randomisierten Studien zur adjuvanten Strahlentherapie diese in den Kontrollgruppen zumeist sehr spät oder gar nicht erfolgte (Thompson et al. 2009; Wiegel et al. 2009).
54.1.11
Palliation
Die klassische palliative Therapie des Prostatakarzinoms ist der Entzug der männlichen Sexualhormone, welche durch chirurgische oder medikamentöse Kastration sowie durch die Gabe von Antiandrogenen erfolgen kann (7 Übersicht). Tumorbedingte Symptome können dadurch gut kontrolliert werden, jedoch ist die hormonelle Therapie des Prostatakarzinoms nicht ohne Nebenwirkungen (7 Übersicht). Der Zeitpunkt und die Dauer ihres Einsatzes müssen darum sorgfältig geprüft werden. In fortgeschrittenen Stadien mit hoher Tumorlast ist eine frühzeitige Hormontherapie einer verzögerten Behandlung hinsichtlich der Vermeidung schwerer progressionsbedingter Komplikationen und auch der Überlebenszeit überlegen. Alle Tumoren werden jedoch nach unterschiedlich langen Zeiträumen hormonrefraktär, schreiten also auch unter Kastrationsbedingungen fort. In solchen Fällen kann eine Docetaxel-basierte Chemotherapie eingesetzt werden, die in Studien eine Überlebensverlängerung von 2–3 Monaten erzielen konnte (Heidenreich et al. 2009; Petrylak et al. 2004; Tannock et al. 2004). Bei Patienten mit hormonrefraktärem Prostatakarzinom und Knochenmetastasen (. Abb. 54.3) ist die Gabe von Bisphosphonaten zur Vermeidung skelettbezogener Komplikationen indiziert. Schmerzhafte Metastasen insbesondere im Skelettsystem sind einer palliativen Bestrahlung zur Schmerzreduktion zugänglich (Heidenreich et al. 2009). Möglichkeiten der hormonellen Therapie beim Prostatakarzinom 4 4 4 4 4 4
4 4 4
Bilaterale (subkapsuläre) Orchiektomie LHRH-Analoga LHRH-Antagonisten Komplette Androgenblockade (LHRH-Analoga plus orale Antiandrogene) Monotherapie mit oralen nichtsteroidalen Antiandrogenen »Tripeltherapie« mit LHRH-Analoga plus orale Antiandrogene plus 5-α-Reduktase-Inhibitor (sog. Leibowitz-Therapie; 5-α-Reduktase-Inhibitoren sind in Deutschland nicht zur hormonellen Behandlung des Prostatakarzinoms zugelassen) Östrogene Konjugierte Östrogene (Estramustinphosphat) Ketoconazol
54
848
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
Therapie (chirurgisch oder Strahlentherapeutisch) zuführen zu können (Heidenreich et al. 2009).
54.1.13
. Abb. 54.3. Typische osteoplastische Metastasierung im Becken bei einem Patienten mit hormonrefraktärem Prostatakarzinom
Nebenwirkungen der Kastration
54
4 4 4 4
4 4 4 4
Osteoporose: Frakturgefahr Verlust von Libido und Potenz Hitzewallungen Veränderung der Körperzusammensetzung: Gewichtszunahme, Fettanteilzunahme, Muskelatrophie Verändertes Lipidprofil Anämie Psychische und kognitive Probleme Erhöhtes Risiko für Hypertonie, koronare Herzerkrankung und Diabetes mellitus
54.1.12
Empfehlungen zur Nachsorge
PSA-Bestimmungen und rektale Tastuntersuchungen werden
nach kurativer Therapie des Prostatakarzinoms nach 3, 6 und 12 Monaten, dann halbjährlich und ab dem 3. Jahr jährlich empfohlen. Nach radikaler Prostatektomie gilt ein PSA-Wert von über 0,2 ng/ml als biochemisches Rezidiv (Heidenreich et al. 2009). Wird in diesem Fall eine kurative Strahlentherapie erwogen, so sollte sie frühestmöglich erfolgen, da ihre Erfolgsaussichten bei höheren PSA-Werten geringer sind. Auf den Versuch einer histologischen Sicherung des vermuteten Lokalrezidivs wird beim biochemischen Rezidiv nach radikaler Prostatektomie verzichtet, wenn durch das Ergebnis keine Änderung des Vorgehens zu erwarten ist (Heidenreich et al. 2009). Weitergehende bildgebende Untersuchungen sind in der Nachsorge nach radikaler Prostatektomie nur im Falle von verdächtigen Symptomen indiziert (Heidenreich et al. 2009). Beim fortgeschrittenen (zumeist hormonell behandelten) Prostatakarzinom werden ähnliche Nachsorgeintervalle empfohlen, hier werden zusätzlich Hämoglobin, Serum-Kreatinin und alkalische Phosphatase kontrolliert. Weiterhin werden die Patienten über Zeichen einer beginnenden Rückenmarkkompression aufgeklärt, um diese rechtzeitig einer palliativen
Ausblick
Die klinische Bedeutung des Prostatakarzinoms wird durch den demographischen Wandel und die steigende Lebenserwartung in den kommenden Jahrzehnten weiter an Bedeutung gewinnen. Seine außerordentliche Häufigkeit, seine meist langsame Progredienz und die Möglichkeit zur Früherkennung durch Bestimmung des Tumormarkers PSA mit der Aussicht auf exzellente Heilungsraten in frühen Stadien geben dem Prostatakarzinom eine Sonderstellung unter den malignen Tumoren und sorgen für beträchtliche Kontroversen. Große Aufmerksamkeit sollte auch in Zukunft den Forschungsanstrengungen auf diesem Gebiet gewidmet werden.
54.2
Hodentumoren
54.2.1
Grundlagen
Chirurgische Epidemiologie In Deutschland traten im Jahr 2004 4750 Neuerkrankungen am Hodentumor auf, nur 190 Männer starben an dieser Erkrankung. Dieses Verhältnis reflektiert die exzellenten Therapiemöglichkeiten bei dieser Tumorerkrankung. Insgesamt ist der Hodentumor mit einem Anteil von 2% an den bösartigen Neubildungen des Mannes selten, in der am häufigsten betroffenen Altersgruppe zwischen 25 und 45 Jahren jedoch ist der Hodentumor der häufigste beim Mann auftretende Krebs. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 37 Jahre (Robert Koch-Institut 2009).
Pathogenese Kryptorchismus, familiäre Belastung und überstandene kontralaterale Hodentumorerkrankung erhöhen das Hodentumorrisiko. Es wird vermutet, dass eine bereits intrauterin erfolgte Schädigung des Keimepithels an der Tumorentstehung beteiligt ist (Robert Koch-Institut 2009; Albers et al. 2009). Insgesamt ist jedoch auch beim Hodentumor die Pathogenese noch nicht ausreichend verstanden.
Pathologie und Klassifikation Histologisch handelt es sich bei der Mehrzahl der Hodentumoren (90–95%) um Keimzelltumoren, die klinisch in Seminome und Nichtseminome unterteilt werden (Albers et al. 2009). Daneben existieren eine Vielzahl seltener Tumoren, welche teilweise maligne sind und in diesem Fall aufgrund ihrer geringeren Empfindlichkeit gegenüber Chemo- und Strahlentherapie prognostisch ungünstiger als die in der Regel hervorragend behandelbaren Keimzelltumoren sind. Neben der TNM-Klassifikation (Wittekind et al. 2002) werden beim Hodentumor die Indiana-Klassifikation und Prognoseklassifikation des metastasierten Keimzelltumors der IGCCCG (International Germ Cell Cancer Collaborative Group verwendet.
849 54.2 · Hodentumoren
Indiana-Klassifikation 4 Stadium I: keine Metastasen 4 Stadium II: retroperitoneale Lymphknotenmetastasen 4 Stadium III: Fernmetastasen
IGCCCG-Klassifikation der metastasierten Keimzelltumoren (modifiziert nach Albers et al. 2009) 4 Good prognosis (alle Kriterien müssen erfüllt sein) – Nichtseminom – Primärtumor in Hoden oder Retroperitoneum – Keine nicht-pulmonalen viszeralen Metastasen – AFP <1.000 ng/ml – β-HCG <5.000 IU/l (1.000 ng/ml) – Laktatdehydrogenase (LDH) <1,5-fache des oberen Normwertes – Seminom – Jede Primärlokalisation – Keine nicht-pulmonalen viszeralen Metastasen – Normales AFP – Jedes β-HCG – Jede LDH 4 Intermediate prognosis (alle Kriterien müssen erfüllt sein) – Nichtseminom – Primärtumor in Hoden oder Retroperitoneum – Keine nicht-pulmonalen viszeralen Metastasen – AFP >1000 und <10.000 ng/ml oder – β-HCG >5000 und <50.000 IU/l oder – LDH >1,5-fache und <10-fache des oberen Normwertes – Seminom – Vorhandensein nicht-pulmonaler viszeraler Metastasen – Normales AFP – Jedes β-HCG – Jede LDH 4 Poor prognosis (eines der folgenden Kriterien muss erfüllt sein) – Nichtseminom – Mediastinaler Primärtumor – Vorhandensein nicht-pulmonaler viszeraler Metastasen – AFP >10.000 ng/ml oder – β-HCG >50.000 IU/l (10.000 ng/ml) oder – LDH >10-fache der oberen Normwert – Seminom: Die Kategorie »poor prognosis« existiert beim Seminom nicht
Prognostische Faktoren Beim Seminom im Stadium I gelten eine Primärtumorgröße von über 4 cm und eine Rete-testis-Invasion als wichtigste Prognosefaktoren für eine spätere Metastasierung. Beim Nichtseminom im Stadium I ist die Invasion von Blut- oder
Lymphgefäßen in diesem Kontext der wichtigste Prognosefaktor (Albers et al. 2009). Im metastasierten Stadium bestimmen die Lokalisation der Metastasen und die Höhe der Tumormarker die Einteilung in die drei genannten prognostischen Klassen nach der IGCCCG (gute, intermediäre und schlechte Prognose), wobei es die Kategorie »schlechte Prognose« nur beim Nichtseminom gibt. Hier fallen neben Patienten mit »hohen« Tumormarkern (AFP >10.000 ng/ml oder β-HCG >50.000 IU/l (10.000 ng/ml) oder LDH >10-fache des oberen Normwertes) solche mit nichtpulmonalen viszeralen Metastasen oder mediastinalem Primärtumor in diese ungünstige Kategorie (7 Übersicht).
54.2.2 Klinische Symptomatologie Leitsymptom des Hodentumors ist die schmerzlose Hodenschwellung, eine Minderheit der Patienten gibt jedoch auch Hodenschmerzen an. Bei Palpation ist der Hoden verhärtet und oft uneben, jedoch kaum schmerzhaft. Neben Dyspnoe und Hämoptysen als Folge pulmonaler Metastasierung können Rückenschmerzen aufgrund retroperitonealer Lymphknotenmetastasen als initiales Symptom auftreten. Dabei wird oft nicht an den Hodentumor als Differenzialdiagnose gedacht und die Diagnose verzögert.
54.2.3 Diagnostik und Staging Die Basisdiagnostik bei Verdacht auf einen Hodentumor besteht neben der Anamnese und der Tastuntersuchung des Skrotalinhalts und der Lymphknotenstationen (retroperitoneal und supraklavikulär) in der Sonographie des Hodens (mit einem 7,5-MHz-Schallkopf; . Abb. 54.4) und des Abdomens sowie in der Bestimmung der Tumormarker α-Fetoprotein (AFP) und β-humanes Choreogonadotropin (β-HCG). Bei Vorliegen von Metastasen wird auch die Laktat-Dehydrogenase (LDH) bestimmt. Die Bestimmung des Seminommarkers placentare alkalische Phosphatase (PLAP) ist optional (Albers et al. 2009). Während die Marker β-HCG, LDH, PLAP und β-HCG sowohl vom Seminom als auch vom Nichtseminom gebildet werden können, kommt das AFP nur beim Nichtseminom vor. Ein histologisch rein seminomatös erscheinender Keimzelltumor mit erhöhtem AFP wird als Nichtseminom klassifiziert und entsprechend behandelt. Die weitere Ausbreitungsdiagnostik erfolgt mittels Computertomographie, wobei beim Nichtseminom die Untersuchung von Becken, Abdomen und Thorax obligat sind, beim Seminom kann bei negativer konventioneller Thoraxaufnahme und unauffälligem Abdomen-CT auf ein Thorax-CT verzichtet werden. Im Falle einer ausgedehnten pulmonalen Metastasierung ist beim Nichtseminom die Anfertigung eines CT oder MRT des Schädels zum Ausschluss einer zerebralen Mitbeteiligung ratsam. Eine weitergehende Bildgebung (beispielsweise MRT der Wirbelsäule) ist im Falle verdächtiger Symptome oder bei sehr ausgedehnter Metastasierung angezeigt (Albers et al. 2009).
54
850
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
a
b . Abb. 54.4. 7,5-MHz-Ultraschallaufnahmen eines normalen Hodens (a, homogenes »Pfeffer-und-Salz«-Ultraschallmuster) im Ver-
Cave Die korrekte histopathologische Klassifikation ist aufgrund der möglicherweise gravierenden therapeutischen und prognostischen Konsequenzen beim Hodentumor von großer Bedeutung. Bei Unterlassung oder Fehlinterpretation entsprechender immunhistochemischer Untersuchungen können in seltenen Fällen unter anderem Verwechslungen von Seminom und testikulärem NonHodgkin-Lymphom auftreten.
54
54.2.4 Therapieziele und Indikationsstellung Primäre, noch nicht mit platinhaltiger Chemotherapie behandelte Keimzelltumoren sind potenziell in allen Stadien,
gleich zum tumorös aufgebrauchten kontralateralen Hoden (b; inhomogenes, teilweise echoarmes Muster, höckrige Oberfläche)
selbst bei ausgedehntester Metastasierung, noch heilbar (. Abb. 54.5). Auch in Fällen extremer Tumorlast sind bis zum zweifelsfreien Beweis eines Progresses unter Therapie daher alle der modernen Tumortherapie zur Verfügung stehenden Maßnahmen inklusive maximaler Intensivtherapie indiziert und gerechtfertigt. Auch bei terminaler Niereninsuffizienz ist – wenn auch unter hohem Risiko und unter Zentrumsbedingungen – die Applikation einer kurativen Chemotherapie möglich (Froehner et al. 2007). Weit fortgeschrittene Keimzelltumoren sollten immer in einem mit diesem Krankheitsbild erfahrenen Zentrum behandelt werden, da die korrekte Interpretation der Befunde, die Therapieplanung und die Vermeidung sowie die rechtzeitige Erkennung und Behandlung von Therapiekomplikationen das Schicksal des Patienten entscheiden kann und nur
a
b . Abb. 54.5a,b. Ausgedehnte pulmonale Metastasierung bei einem Patienten mit nichtseminomatösem Keimzelltumor und extrem hoher Tumorlast (weitere Metastasen in Leber, Knochen, Hirn und retroperitonealen Lymphknoten; das β-HCG lag bei über 500.000 IU/l (nor-
mal: <5 IU/l). a CT vor Chemotherapie. b Nach erfolgter Chemotherapie: Es zeigt sich eine nahezu vollständige Rückbildung der Lungenmetastasen
851 54.2 · Hodentumoren
mit ausreichender und regelmäßiger klinischer Praxis sicher möglich ist. Rückgrat nahezu aller Behandlungen beim metastasierten Keimzelltumor ist die platinhaltige Chemotherapie. Eine Ausnahme bildet lediglich das Seminom mit minimaler ausschließlich retroperitonealer Metastasierung, bei dem auch die Strahlentherapie angewandt werden kann. Empfehlenswert ist, in jedem Einzelfall Indikation und Dosierung anhand der aktuellen Leitlinien (beispielsweise der Leitlinie der European Association of Urology; Albers et al. 2009) zu prüfen. Nach korrekt applizierter Chemotherapie werden beim Nichtseminom alle im CT nachweisbaren (mit sinnvollem Risiko) operablen Restbefunde chirurgisch entfernt, zunächst beginnend mit den retroperitonealen Lymphknoten. Beim Seminom ist eine primäre Residualtumorchirurgie dagegen nicht indiziert. Im klinischen Stadium I besteht neben der Möglichkeit einer adjuvanten Therapie (beim Seminom die Bestrahlung der retroperitonealen Lymphknoten oder eine einzyklische Carboplatin-Therapie; beim Nichtseminom zwei Serien Standard-Kombinationschemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin [alternativ Ifosfamid]) auch die Option, zunächst abzuwarten, da nur eine Minderheit der Betroffenen tatsächlich Metastasen entwickelt und diese bei frühzeitiger Erkennung sehr gut behandelbar sind. Hierbei ist eine Risikostratifizierung (7 Kap. 54.2.1, Abschnitt »Prognostische Faktoren«) erforderlich. Die Wahl der Therapie geschieht nach ausführlicher Beratung des Patienten über die Vor- und Nachteile der verfügbaren Optionen. Voraussetzung für ein abwartendes Vorgehen im klinischen Stadium I ist die Normalisierung aller Tumormarker. Zur Beurteilung der Tumormarkernormalisierung sind die Halbwertszeiten der Tumormarker zu beachten, wobei diejenige des AFP mit 5–7 Tagen am längsten ist. Primär deutlich erhöhte AFP-Werte können trotz fehlender Metastasierung Wochen benötigen, um in den Normalbereich zurückzukehren. Ein zu früher Therapiebeginn ohne Abwarten der Markernormalisierung (oder der Ausbildung eines Markerplateaus als Zeichen einer in der Bildgebung noch nicht zu fassenden frühen Metastasierung) führt zu Unsicherheiten in der Stadieneinteilung und damit möglicherweise zu einer inadäquaten Behandlung (Unter- oder Übertherapie).
54.2.5 Chirurgische Strategie
und Verfahrenswahl Initialer Therapieschritt ist – mit Ausnahme seltener Fälle, in denen bedrohliche Symptome einer ausgedehnten Metastasierung eine sofortige Chemotherapie erfordern – die Entfernung des tumorbefallenen Hodens über einen inguinalen Zugang. Dabei wird der Samenstrang bis zur peritonealen Umschlagsfalte reseziert.
Eine primäre nerverhaltende retroperitoneale Lymphadenektomie ist beim Seminom nicht und beim Nichtseminom
nur bei gegen eine adjuvante Chemotherapie (oder in Niedrigrisikofällen auch eine Verlaufskontrolle) sprechenden Umständen indiziert (Albers et al. 2009). Nach adäquat dosierter Chemotherapie ist eine Residualtumorchirugie nur beim Nichtseminom indiziert, wenn keine komplette Remission zu verzeichnen ist. Dabei werden alle primär befallenen retroperitonealen Gebiete komplett ausgeräumt. Wenn technisch möglich sollten dabei die für die antegrade Ejakulation essentiellen sympathischen Nervenfasern erhalten werden (Albers et al. 2009). Im Anschluss an die retroperitoneale Residualtumorausräumung (selten in gleicher Sitzung, beispielsweise im Falle von Leberläsionen) werden die weiteren Metastasenresiduen chirurgisch entfernt. Wenn sich die Läsionen in einer Lunge als komplett nekrotisch erweisen, kann auf die Operation der Gegenseite verzichtet werden.
54.2.6 Operationstechnik Im Falle von residuellen Tumormassen erfolgt die retroperitoneale Lymphadenektomie in der Regel über eine mediane Laparotomie unter Umschneidung des Nabels. Ausgedehntere Tumormassen können auch einen thorakoabdominalen Zugang erforderlich machen. Das Prinzip der Operation besteht in der Freipräparation der großen retroperitonealen Gefäße (Aorta, Hohlvene, Nieren- und Beckengefäße) möglichst fern der tastbaren Tumormanifestationen. Zur Vermeidung von Komplikationen wird der Tumor selbst dabei erst am Ende der Operation isoliert. Bei sehr ausgedehnten retroperitonealen Tumormassen kann zu Beginn der Präparation eine Durchtrennung des Tumors im Verlauf der großen Gefäße erforderlich sein. Hierbei kann auch eine Resektion der Bauchaorta und der Vena cava inferior mit Gefäßersatz erforderlich werden. Bei einem Verdacht auf Gefäßinfiltration sollten die großen Gefäße frühzeitig proximal und distal präpariert werden, um im Bedarfsfall eine sofortige Blutungskontrolle zu ermöglichen. Die Harnleiter werden mit ausreichend Umgebungsgewebe isoliert und angezügelt. Liegt ein unilateraler Residualtumor vor, so ist meistens eine Erhaltung der die Ejakulation steuernden präsynaptischen sympathischen Nervenfasern des Plexus hypogastricus möglich. Hierzu werden die Nervenfasern nach Identifikation des Grenzstranges scharf aus dem FettLymph-Gewebe des Retroperitoneums gelöst, was jedoch beträchtliche chirurgische Erfahrung erfordert (Froehner et al. 2007). Eine komplette Entfernung aller Tumormassen muss jedoch stets Priorität haben.
54.2.7 Postoperative Behandlung Postoperativ sind eine frühe Mobilisierung und Anregung der Darmtätigkeit, Thromboseprophylaxe sowie Atemgymnastik empfehlenswert. Bei stärkerer Lymphextravasation kann eine
54
852
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
vorübergehende parenterale Ernährung erfolgen (Albers et al. 2006).
54.2.8
Intra- und postoperative Komplikationen
Neben allgemeinen Komplikationen und der Möglichkeit einer Lymphozele oder Lymphaszites und der Gefahr für die Ejakulation durch die Traumatisierung oder Resektion der entsprechenden Nerven können intraoperative Verletzungen von Organen, Gefäßen und Nachbarstrukturen auftreten. Eine Infiltration des Nierenhilus kann eine Entfernung des Organs erforderlich machen. Eine ausgedehnte Präparation des Nierenhilus zum Organerhalt kann durch eine Intimaläsion der Nierenarterie dennoch einen Organverlust zur Folge haben. Gelegentlich ist ein partieller Ersatz der Bauchaorta zur vollständigen Tumorentfernung erforderlich. Bei der unteren Hohlvene kann auf prothetischen Ersatz verzichtet werden.
54.2.9
54
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Die Heilungsraten der frühen Stadien des testikulären Keimzelltumors liegen bei fast 100%. Auch beim metastasierten Keimzelltumor ist selbst in der ungünstigsten Prognosegruppe knapp jeder zweite Patient langfristig zu heilen. Dies gelingt jedoch praktisch nie durch eine chirurgische Therapie allein, sondern nur in Kombination mit einer cisplatinhaltigen Chemotherapie. Rezidive nach adäquater cisplatinhaltiger Primärbehandlung haben eine ungünstigere Prognose. Die Standardbehandlung besteht bei diesen Patienten in 4 Serien Chemotherapie nach dem PEI (Cisplatin, Etoposid, Ifosfamid) oder VIP (Vinblastin, Ifosfamid, Cisplatin) und ggf. Residualtumorresektion. Beim Seminom können dadurch in 50% und beim Nichtseminom in 15–40% der Fälle dauerhafte Remissionen erreicht werden (Albers et al. 2009). Betroffene Patienten sollten in jedem Fall in einem großen Zentrum, möglichst im Rahmen von Studien behandelt werden. Versuche, die Heilungsraten in ungünstigen prognostischen Konstellationen (»poor prognosis« nach IGCCCG oder Rezidiv nach adäquater cisplatinhaltiger Primärbehandlung) durch den Einsatz von Hochdosischemotherapie zu verbessern, haben bisher keine eindeutig positiven Resultate ergeben (Albers et al. 2009). In Frage kommende Patienten sollten daher weiterhin nur im Rahmen von Studien behandelt werden.
54.2.10
Neoadjuvante und additive Therapie
Da das Therapiekonzept beim fortgeschrittenen Keimzelltumor fast immer multimodal ist, sollte nicht von einer neoadjuvanten Therapie gesprochen werden. Eine adjuvante Therapie kann beim Keimzelltumor im Stadium I erfolgen (Chemotherapie oder beim Seminom optional auch die Strahlentherapie). Nach der eher selten primären vorgenommenen
chirurgischen Resektion kleinvolumiger retroperitonealer Lymphknotenmetastasen beim Nichtseminom kann eine adjuvante Therapie von 2 Serien Standardchemotherapie erfolgen. Nach kompletter Residualtumorresektion kann eine weitere »adjuvante« Chemotherapie sinnvoll sein, wenn im Resektat mehr als 10% vitales Tumorgewebe (nicht reifes Teratom) vorgefunden wird (Albers et al. 2009).
54.2.11
Palliation
Nach Ausschöpfung der auf Heilung gerichteten multimodalen Therapieoptionen können auch beim Keimzelltumor supportive Maßnahmen der palliativen Onkologie indiziert sein. Als palliatives Zytostatikum kann orales Etoposid zum Einsatz kommen.
54.2.12
Empfehlungen zur Nachsorge
Die Leitlinien der European Association of Urology geben detaillierte risikoadaptierte Empfehlungen zur Nachsorge (Albers et al. 2009), denen im Praxisalltag gefolgt werden sollte. Beim Keimzelltumor besteht die Besonderheit, dass die meisten Patienten dauerhaft geheilt werden und zum Zeitpunkt der Erkrankung noch recht jung sind. Zu warnen ist daher vor unkritischer Anwendung der Computertomographie in der Nachsorge, da die damit assoziierte hohe Strahlenexposition und die lange verbleibende Lebenserwartung das Entstehen von Zweittumoren begünstigen können. Ultraschall- und MRT-Untersuchungen können sinnvolle Alternativen sein, wenn auch die Datenlage hier noch nicht ausreichend ist.
54.2.13
Ausblick
In den frühen Stadien der Keimzelltumoren sind Verbesserungen in der bereits jetzt exzellenten Therapieeffektivität kaum noch zu erreichen. Hier liegt der Schwerpunkt der Bemühungen und der zu erwartenden Neuerungen auf der Reduzierung der Toxizität und Invasivität der Therapie. In den fortgeschrittenen Stadien sind Verbesserungen kurzfristig am ehesten durch eine regionale Zentralisierung der Behandlung zu erwarten, da nur so ausreichend Erfahrung gesammelt und erhalten werden kann.
54.3
Harnblasentumoren
54.3.1
Grundlagen
Chirurgische Epidemiologie Im Jahr 2004 erkrankten in Deutschland schätzungsweise 28.750 Menschen an einem Blasentumor, 6194 starben daran (Robert Koch-Institut 2009). Männer erkranken etwa dreimal so häufig wie Frauen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei beiden Geschlechtern jenseits des 70. Lebensjahres, womit
853 54.3 · Harnblasentumoren
das Harnblasenkarzinom ein typischer Tumor des höheren Lebensalters ist.
Pathogenese Das Rauchen ist der bedeutendste Risikofaktor des Harnblasenkarzinoms. Etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Fälle bei Männern und 20–30% der Fälle bei Frauen werden ihm zugeschrieben [2]. Eine rückläufige Bedeutung hat die berufsbedingte Exposition gegenüber kanzerogenen Chemikalien wie aromatischen Aminen. Chronische Zystitis, Bilharziose und Strahlentherapie des Beckens ebenfalls als Risikofaktoren akzeptiert. Eine nicht definitiv geklärte Rolle spielt das Geschlecht. Obwohl Frauen wesentlich seltener am Harnblasenkarzinom erkranken als Männer wird bei ihnen relativ häufiger ein primär muskelinvasiver Tumor diagnostiziert (Babjuk et al. 2009).
Pathologie und Klassifikation Die überwiegende Mehrzahl der Harnblasenkarzinome in Europa sind Urothelkarzinome. Deutlich seltener werden Plattenepithelkarzinome und Adenokarzinome beobachtet. Beim Urothelkarzinom wird neben Low-grade- und Highgrade-Tumoren auch die Entität »papilläre urotheliale Neoplasie mit niedrigem malignen Potenzial« (PUNLMP) geführt. Dabei handelt es sich um eine Läsion praktisch ohne Progressionstendenz, jedoch mit dem Risiko, wiederzukehren. Klassifiziert wird das Harnblasenkarzinom nach der TNM-Klassifikation. Von besonderer klinischer Bedeutung sind dabei das Tumorstadium T2 (Invasion der Detrusormuskulatur, Indikation zur radikalen Zystektomie), das Stadium T1 »high grade« (kritische Abwägung zwischen Vorteile für Lebensqualität bei blasenerhaltender Therapie versus größten Heilungschancen bei primärer Zystektomie) sowie das Carcinoma in situ (flache, hochmaligne multilokuläre Läsionen, hohes Progressionsrisiko, ohne medikamentöse Zusatztherapie keine transurethrale Eradikation möglich). Klinisch wird meistens zwischen oberflächlichem (bis Stadium T1) und muskelinvasivem (ab Stadium T2) Harnblasenkarzinom unterschieden. Alle muskelinvasiven Tumoren sind »High-grade«-Tumoren (Babjuk et al. 2009). Bei Primärdiagnose gehören 75–85% der Harnblasenkarzinome zur Kategorie der oberflächlichen, potenziell durch transurethrale Resektion, gegebenenfalls mit anschließender intravesikaler Instillationstherapie behandelbaren Tumoren an (Babjuk et al. 2009).
Prognostische Faktoren Beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom neigen multilokuläre Tumoren, große Tumoren (ab 3 cm) und rasch rezidivierende Tumoren (über 1 Rezidiv pro Jahr) besonders stark zu Tumorrezidiven, während T1- und High-grade-Tumoren sowie Carcinomata in situ mit einem besonders hohen Progressionsrisiko assoziiert sind (Babjuk et al. 2009). Durch die Eingabe der Parameter Tumoranzahl (1 versus 2–7 versus 8 und mehr), Tumorgröße (<3 cm versus ≥3 cm), bisherige Rezidivrate (Erstbefund versus Rezidiv nach maximal einem Jahr versus Rezidiv nach mehr als einem Jahr), T-Kategorie
(Ta versus T1), Vorhandensein eines Carcinoma in situ (ja versus nein) und Tumorgrad (nach WHO 1973; 1 versus 2 versus 3) kann mit Hilfe eines im Internet verfügbaren Kalkulators Website: (http://www.eortc.be/tools/bladdercalculator/) bequem und schnell das individuelle Rezidiv- und Progressionsrisiko berechnet werden. Beim muskelinvasiven Urothelkarzinom sind Blutgefäßinvasion und das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen unabhängige ungünstige Prognosefaktoren. Beim metastasierten Urothelkarzinom sind neben der Art der applizierten Chemotherapie der Performance-Status und das Vorliegen viszeraler Metastasen (ungünstiger als Lymphknotenmetastasen) mit der Länge des Überlebens assoziiert (Stenzl et al. 2009).
54.3.2 Klinische Symptomatologie Leitsymptom des Harnblasenkarzinoms ist die schmerzlose Makrohämaturie. Die Erkrankung kann jedoch auch ohne sichtbare Blutbeimengung im Urin auftreten, darum muss auch im Falle einer Mikrohämaturie (Nachweis nur mittels Urinsediment oder Teststreifen) ein Blasentumor ausgeschlossen werden. Weitere Symptome sind Pollakisurie, Dysurie und Beckenschmerz; letzterer weist auf bereits fortgeschrittene Tumoren hin. Auch das Auftreten einer Harnstauung ist in der Regel Zeichen eines fortgeschrittenen Tumors (Stenzl et al. 2009).
54.3.3 Diagnostik und Staging Cave Jede nicht sicher durch harmlose Ursachen (wie z. B. eine akute Zystitis bei einer jungen Frau) erklärbare Blutbeimengung im Urin, gleichgültig ob sichtbar oder nur labortechnisch nachweisbar, ist blasentumorverdächtig und muss diagnostisch untersucht werden.
Dabei sind neben Anamnese und körperlicher Untersuchung ein Ultraschall des Harntraktes, eine urinzytologische Untersuchung, eine Ausscheidungsurographie und eine Zystoskopie durchzuführen. Unklare Befunde in der Ausscheidungsurographie (z. B. inkomplett kontrastierte Kelchgruppen) sind durch retrograde Kontrastmittelsdarstellung, Computertomographie und gegebenenfalls Endoskopie des oberen Harntraktes zu klären. Jeder zystoskopisch tumorverdächtige Befund wird mittels transurethraler Elektroresektion histologisch geklärt. Diese ist in der Mehrzahl der Fälle gleichzeitig (sieht man von der oft folgenden intravesikalen Instillationstherapie ab) die definitive Therapie. Beim Vorliegen eines muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms sind Staginguntersuchungen nur indiziert, wenn aus ihnen klinische Konsequenzen (veränderte Therapie) gezogen werden. Es kann eine Ausbreitungsdiagnostik mittels Com-
54
854
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
putertomographie des Abdomens erfolgen, jedoch ist eine sonographische Untersuchung in den meisten Fällen ausreichend. Ein Thorax-CT ist nur bei Auffälligkeiten im konventionellen Thoraxröntgen indiziert. Eine Skelettszintigraphie erfolgt nur bei verdächtigen Symptomen (Stenzl et al. 2009).
Harnröhre oder von Teilen der Vagina) erfolgen in Abhängigkeit von der Ausdehnung des Tumors. Die Ausräumung der gesamten Beckenlymphknoten ist integraler Bestandteil der radikalen Zystektomie (Stenzl et al. 2009).
54.3.6 Operationstechnik 54.3.4 Therapieziele und Indikationsstellung
54
Ziel der Therapie des oberflächlichen Harnblasenkarzinoms ist die Verhinderung von Tumorrezidiven und einer Progression der Erkrankung zu höheren, blasengefährdenden oder lebensbedrohlichen Stadien. Beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom ist neben der Rettung des Lebens des Patienten auch die Vermeidung schwerer progressionsbedingter Komplikationen ein Therapieziel. Eine Zwischenstellung nimmt das High-grade-Karzinom ohne Invasion der Detrusormuskulatur (Carcinoma in situ oder Stadium T1 »high grade«) ein. Obwohl auch hier die radikale Zystektomie die höchsten Langzeitheilungsraten bietet, erfolgt eine Abwägung zwischen Heilungsrate und Lebensqualität. Das heißt, für die Rettung der Blase und der damit verbundenen Lebensqualität wird trotz sorgfältiger Nachkontrolle eine gewisse Rate an Patienten mit Tumorprogression in Kauf genommen, wobei dann möglicherweise auch durch eine radikale Zystektomie (welche bei frühzeitiger Indikationsstellung in diesen Stadien sehr gute Langzeitergebnisse zeigt) eine Heilung nicht mehr möglich ist. Diese Therapieentscheidung ist naturgemäß sehr schwierig und kontrovers. Sie kann nur im vertrauensvollen Gespräch zwischen Arzt und den betroffenen Patienten getroffen werden.
54.3.5 Chirurgische Strategie
und Verfahrenswahl Grundsätzlich stellt die transurethrale Resektion den ersten Therapieschritt dar. Dabei wird der Tumor wenn möglich komplett inklusive Anteilen der darunter liegenden Detrusormuskulatur entfernt. Separate Resektate von Tumorgrund und -rand können nach makroskopisch vollständiger Tumorentfernung diese auch histologisch dokumentieren. Ist der Tumor endoskopisch nicht komplett entfernbar oder offensichtlich muskelinvasiv, so wird eine repräsentative Gewebsentnahme zur Dokumentation der Invasionstiefe angestrebt. Eine zweite transurethrale Resektion sollte erfolgen, wenn ein großer, multilokulärer oder High-grade-Tumor vorliegt, wenn bei der histopathologischen Aufarbeitung keine Muskulatur gefunden wird oder die Vollständigkeit der Resektion fraglich ist. Unmittelbar postoperativ wird nach transurethraler Resektion ein Zytostatikum (z. B. Mitomycin C) in die Harnblase instilliert, um die Ansiedlung verstreuter Tumorzellen zu verhindern. Bei muskelinvasiven Tumoren ist die Indikation zur radikalen Zystektomie gegeben. Diese umfasst bei der Frau die komplette Entfernung der Blase, des Uterus und der Ovarien, beim Mann die Entfernung der Blase, der Prostata und der Samenblasen. Weitergehende Maßnahmen (Entfernung der
Transurethrale Resektion Bei der transurethralen Resektion gilt die Aufmerksamkeit neben der Vollständigkeit der Tumorentfernung der Vermeidung von Verletzungen der Harnblase. Besonders intraperitoneale Perforationen sind gefährlich, da sie neben der Gefahr der Peritonitis auch die der Tumorzellverschleppung bergen. Eine Resektion bei wenig gefüllter Blase hilft, das Risiko gering zu halten, da die Blasenwand in diesem Zustand schlaff und dick ist und gleichzeitig die Gefahr einer Reizung des Nervus obturatorius mit der Gefahr von plötzlichen heftigen Muskelkontraktionen minimiert wird. Ein solches Vorgehen ist für den Anfänger naturgemäß schwierig, da die Übersicht bei gering gefüllter Blase eingeschränkt ist. Wundrand und -grund sollten vor Ende des Eingriffs ausgiebig koaguliert werden, um Nachblutungen zu vermeiden. Die präoperative Instillation von Hexaminolävulinsäure in die Harnblase kann helfen, kleinere und flache, im Weißlicht schlecht sichtbare Läsionen durch Fluoreszenzanregung mit blauem Licht besser zu identifizieren. Es konnte gezeigt werden, dass dadurch die Rezidivrate verringert wird.
Radikale Zystektomie und Harnableitung Für die radikale Zystektomie ist in der Regel ein Unterbauchmittelschnitt ohne Umschneidung des Nabels ausreichend. Es empfiehlt sich, den Darm mittels einem Hakenhaltesystem aus dem Becken unter den geschlossenen Teil der Bauchdecke zu drängen. Es erfolgt zunächst die pelvine Lymphadenektomie. Es ist sowohl ein primär transperitonealer Zugang (Umschneidung des Urachus und Inzision des Peritoneums beidseits abwärts in Richtung der Beckengefäßgabel) als auch ein zunächst extraperitonealer Zugang (Ablösung der Blase von der Beckenwand, Inzision der endopelvinen Fascie und Präparation der Prostata ggf. mit erektionsprotektivem Nerverhalt aszendierend wie bei der radikalen Prostatektomie mit Eröffnung des Peritoneums am Ende des ablativen Teils der Operation zur Durchtrennung der kranialen Blasenpfeiler) möglich. Bei betagten Patienten mit Begleiterkrankungen kann der Eingriff auch komplett extraperitoneal durchgeführt werden. Die Harnableitung erfolgt entweder kontinent (heute überwiegend durch orthotopen Blasenersatz (. Abb. 54.6) oder katheterisierbaren Pouch) oder inkontinent (IleumConduit oder Ureterokutaneostomie). Zur Formung der Harnableitungen wird in der Regel ein Stück des terminalen Ileums verwendet. Orthotope Neoblasen sind bei der Frau mit ungünstigeren funktionellen Resultaten (Gefahr der Hyperkontinenz) verbunden, jedoch technisch ebenfalls möglich. Kontraindikationen 6
855 54.3 · Harnblasentumoren
gegen orthotopen Blasenersatz sind ein Befall der Harnröhre durch das Karzinom (Schnellschnittuntersuchung des distalen Absetzungsrandes) und eine Niereninsuffizienz (mangelnde Kompensationsmöglichkeiten der durch Resorption in der Neoblase drohenden metabolischen Azidose). Bei betagten Patienten wird überwiegend eine inkontinente Harnableitung gewählt, obwohl es für die kontinente Harnableitung keine Altersgrenze gibt (Froehner et al. 2009). Allerdings ist der Eingriff umfangreicher, länger und komplikationsträchtiger. Die radikale Zystektomie gehört zu den Eingriffen, bei denen ein deutlicher Zusammenhang zwischen Operationsfrequenz und perioperativer Mortalität besteht. Die 30-Tage-Sterblichkeit liegt in großen Zentren mittlerweile bei unter 1%, in Einrichtungen, die den Eingriff selten durchführen, jedoch erheblich höher (Froehner et al. 2009; Novotny et al. 2007).
54.3.7 Postoperative Behandlung Naturgemäß liegen zur postoperativen Behandlung nach radikaler Zystektomie kaum Daten aus randomisierten Vergleichen verschiedener Therapieregime vor. Vieles deutet darauf hin, dass ein durch regelmäßige postoperative Behandlung zystektomierter Patienten erfahrenes Schwestern- und Ärzteteam die Komplikationsrate und die Sterblichkeit senkt. Die Erfahrung des Teams ist wahrscheinlich von größerer Bedeutung als die Fähigkeiten des individuellen Chirurgen (Froehner et al. 2009). Besondere Aufmerksamkeit ist der rechtzeitigen Erkennung und Behebung von Harnabflussstörungen und Sekretverhalten zu widmen, um für die zumeist durch multiple Begleiterkrankungen besonders gefährdeten Patienten bedrohliche septische Komplikationen zu vermeiden. Weiterhin wichtig sind eine frühzeitige Mobilisation, Atemgymnastik sowie die Anregung der Darmtätigkeit. Ein paralytischer Ileus ist eine häufige und potenziell gefährliche Komplikation nach radikaler Zystektomie. Die Antikoagulation erfolgt durch niedrigmolekulares Heparin in Standarddosierung. Um den 10. postoperativen Tag werden die Harnleiterkatheter entfernt, der transurethrale Katheter nach Prüfung der Dichtheit der Anastomose mittels Kontrastmittelfüllung in der Regel um den 21. postoperativen Tag.
54.3.8 Intra- und postoperative
Komplikationen Typische intraoperative Komplikationen sind eine stärkere Blutung und eine Verletzung des Rektums, die in erfahrenen Händen jedoch selten beobachtet wird. Postoperative Komplikationen nach radikaler Zystektomie sind häufig, wobei die exakte Frequenz aufgrund mangelnder Standardisierung der Erfassung unbekannt ist. Am häufigsten berichtet werden Ileus und infektiöse Komplikationen sowie Probleme mit der Harnableitung. Auch in erfahrenen Zentren ist innerhalb von 90 Tagen nach Zystektomie in nahezu zwei Dritteln der Patienten mit mindestens einer Komplikation zu rechnen (Froehner et al. 2009). In großen Zentren ist die perioperative Sterblichkeit der radikalen Zystektomie trotz der Größe des Eingriffs und der Multimorbidität der betroffenen Patienten heute sehr gering. Im eigenen Krankengut beispielsweise lag die 30-TageMortalität bei 0,8% (Novotny et al. 2007). Die perioperativen Komplikationen der radikalen Zystektomie im eigenen Krankengut sind in . Tab. 54.3 dargestellt.
a
b . Abb. 54.6a,b. Bildung einer Ileum-Neoblase. a Ausgeschaltetes Segment des terminalen Ileums in W-förmiger Lage vor der Eröffnung des Darmes zur Bildung einer Ileum-Neoblase. Der Darm wird im nächsten Schritt antimesenteriell eröffnet und zu einem kugelförmigen Reservoir ohne gerichtete Peristaltik vernäht. b Antimesenteriell eröffnetes und an der Rückwand bereits fortlaufend vernähtes Ileumsegment zur Bildung einer Ileum-Neoblase. Nach Einlage eines transurethralen Katheters und Implantation der durch Ureterenkatheter geschienten Harnleiter wird die Neoblase auch ventral verschlossen und mittels Einzelknopfnähten mit dem Harnröhrenstumpf anastomosiert
54.3.9 Ergebnisse der chirurgischen Therapie Im eigenen Krankengut betrug das 10-Jahres-Gesamtüberleben nach radikaler Zystektomie wegen eines muskelinvasiven oder rezidivierenden Urothelkarzinoms über alle Tumorstadien und Altersgruppen – ähnlich wie in vergleichbaren Serien anderer großer Zentren (Stenzl et al. 2009) – etwa 50%. Die 10-Jahres-Überlebensrate lokal fortgeschrittener oder lymphknotenpositiver Patienten liegt nach radikaler Zystektomie bei etwa 20% (Stenzl et al. 2009).
54
856
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
. Tab. 54.3. Komplikationsrate der radikalen Zystektomie im eigenen Krankengut (n=516). (Nach Novotny et al. 2007)
54
Komplikation
Häufigkeit
Wundheilungsstörung
8,9%
Pelvine Lymphozele
8,1%
Tiefe Venenthrombose
4,7%
Paralytischer Ileus
3,9%
Enterokolitis
1,9%
Lungenembolie
1,7%
Sepsis
1,4%
Dyspnoe
1,4%
Akuter Myokardinfarkt
1,4%
Dünndarmobstruktion
0,8%
Peritonitis
0,8%
Beckenhämatom
0,8%
30-Tage-Sterblichkeit
0,8%
Auch bei der radikalen Zystektomie ist bei ausgewählten Patienten eine Erhaltung der die Erektion steuernden neurovaskulären Bündel möglich. Im Falle eines beidseitigen Nerverhalts kann die erektile Funktion in etwa 60% der Patienten erhalten werden. Ein Erhalt der neurovaskulären Bündel wirkt sich auch günstig auf die Kontinenz nach Anlage einer orthotopen Neoblase aus. Die Kontinenzrate erhöhte sich dadurch in einer Studie in etwa von 80 auf 90% (Kessler et al. 2004).
54.3.10
Neoadjuvante und additive Therapie
Eine neoadjuvante Strahlentherapie vor geplanter radikaler Zystektomie ist nicht indiziert (Stenzl et al. 2009). Mehrere Metaanalysen bei jedoch sehr heterogener Datenlage zeigten, dass eine neoadjuvante platinhaltige Chemotherapie vor radikaler Zystektomie das 5-Jahres-Überleben um etwa 5% verbessert. Für eine adjuvante Chemotherapie ist ein solcher Effekt noch nicht nachgewiesen worden, die Datenlage ist hier jedoch noch problematischer (Stenzl et al. 2009). Aussagefähige randomisierte Studien zum Vergleich von neoadjuvanter versus adjuvanter Chemotherapie fehlen. Die aktuellen Leitlinien der European Association of Urology empfehlen, beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom eine neoadjuvante Chemotherapie in Erwägung zu ziehen, während eine adjuvante Chemotherapie im Rahmen von Studien erfolgen sollte (Stenzl et al. 2009). Beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom wird zusätzlich zur transurethralen Resektion eine intravesikale Instillationstherapie empfohlen. Diese erfolgt bei den Niedrigrisikobefunden (pTa »low grade«) mittels unmittelbar postope-
rativer intravesikaler Instillation eines Zytostatikums, bei den Hochrisikobefunden (pTa »high grade«, Carcinoma in situ oder pT1) zusätzlich zu dieser unmittelbar postoperativen Instillation mittels wiederholter Instillation mit BCG (Bacillus Calmette-Guérin; Babjuk et al. 2009).
54.3.11
Palliation
Das metastasierte Urothelkarzinom ist ein chemotherapiesensitiver Tumor. Wichtigster Bestandteil der Chemotherapie beim Urothelkarzinom ist das Cisplatin, das heute in der Regel in Kombination mit anderen Zytostatika zum Einsatz kommt. Gegenüber einer Monotherapie mit Cisplatin kann durch eine Kombination von Cisplatin mit weiteren Zytostatika das mediane Überleben um etwa 4 Monate verlängert werden. Diese Überlebensverlängerung wird durch eine erhöhte Toxizität erkauft (Loehrer et al. 1992). Die Therapie ist am aussichtsreichsten bei Patienten mit gutem Performancestatus und ohne viszerale Metastasen (Stenzl et al. 2009). In Einzelfällen sind auch bei Vorliegen von Metastasen dauerhafte komplette Remissionen und sogar Heilungen durch eine platinhaltige Kombinationschemotherapie möglich (Froehner et al. 2001). Leider sind derartige Fälle sehr selten. Die Chemotherapie hat in der überwiegenden Mehrzahl der Patienten einen palliativen Charakter. So lag die 5-JahresÜberlebensrate nach Chemotherapie bei fortgeschrittenem Urothelkarzinom mit messbarer Läsion (knapp 50% der Patienten hatten viszerale Metastasen) in einer großen Studie bei etwa 10% (Roberts et al. 2006). Wenn der Allgemeinzustand es gestattet, kommt beim metastasierten Urothelkarzinom eine cisplatinhaltige Kombinationstherapie zum Einsatz. Die wirksamsten und am besten untersuchten Kombinationen sind MVA(E)C (Methotrexat, Vinblastin, Adriamycin (oder Epirubicin), Cisplatin) und GC (Gemcitabine, Cisplatin). Beide Regimes sind nahezu gleich wirksam, bei jedoch reduzierter Toxizität bei letzterem Schema (Stenzl et al. 2009). Zur Zweitlinientherapie im Falle eines Tumorprogresses nach bereits erfolgter Chemotherapie fehlen bisher klare Daten. Bei gutem Performancestatus kann eine Monotherapie mit Paclitaxel oder Gemcitabine erfolgen. Bei einem längeren progressionsfreien Intervall (12 Monate oder mehr) kann der erneute Einsatz der primär verwendeten Chemotherapiekombination sinnvoll sein (Stenzl et al. 2009).
54.3.12
Empfehlungen zur Nachsorge
Da die Prognose eines Tumorrezidivs nach radikaler Zystektomie trotz Therapie ungünstig ist, beschränken sich die Empfehlungen zur Nachsorge auf allgemeine symptomorientierte Maßnahmen wie Anamnese, körperlicher Untersuchung und Überwachung der Nierenfunktion. Bildgebende Diagnostik ist bei Auftreten suspekter Symptome indiziert (Stenzl et al. 2009). Beim oberflächlichen Harnblasenkarzinom werden von der European Association of Urology risikoadaptierte Nachsorgeintervalle empfohlen, wobei zunächst nach 3 Monaten eine Zystoskopie und bei Hochrisikopatienten auch
857 54.4 · Nierentumoren
eine urinzytologische Untersuchung empfohlen wird. Bei Hochrisikopatienten werden diese Kontrollen in dreimonatlichen Abständen zunächst 2 Jahre fortgesetzt und dann (bei negativem Befund) auf 4-monatliche Intervalle im dritten, halbjährlichen Abständen im 4. und 5. Jahr und danach auf jährliche Untersuchungen beschränkt werden. Niedrigrisikopatienten erhalten bei negativem Befund ihre 2. Zystoskopie nach 9 Monaten und danach in jährlichen Abständen. Bei Patienten mit intermediärem Risiko werden die Intervalle individuell festgelegt (Babjuk 2009). Neben der Suche nach Tumorrezidiven sind auch die Überwachung und gegebenenfalls Korrektur des Säure-Basen-Haushaltes bei Patienten mit kontinenter Harnableitung und des oberen Harntraktes (frühe Erkennung einer Mitbeteiligung im Sinne einer panurothelialen Erkrankung) Ziel der Nachsorgeuntersuchungen.
54.3.13
Ausblick
Als typischer tabakrauchassoziierter Tumor kann das Harnblasenkarzinom durch die gesundheitspolitischen Anstrengungen zur Zurückdrängung des Nikotinabusus möglicherweise in Zukunft an Bedeutung verlieren. Andererseits wird die Zahl der Erkrankungen durch den demographischen Wandel zunehmen. Klinisch herausfordernd werden hochbetagte multimorbide Patienten sein, die wegen eines Harnblasenkarzinoms eine radikale Zystektomie oder eine Chemotherapie benötigen. Diese Problematik könnte eine beträchtliche uroonkologische Herausforderung in der Zukunft darstellen.
54.4
Nierentumoren
54.4.1
Grundlagen
Chirurgische Epidemiologie Am Nierentumor erkrankten im Jahre 2004 in Deutschland etwa 17.250 Menschen, 6127 starben daran. Das mittlere Erkrankungsalter liegt beim Mann bei 67, bei der Frau bei 71 Jahren. Männer erkranken etwa anderthalbmal so häufig wie Frauen.
Pathogenese Als Risikofaktoren des Nierenzellkarzinom gelten das Rauchen, Übergewicht und antihypertensive Therapie (Robert Koch-Institut 2009). Beim klarzelligen Nierenzellkarzinom wird häufig eine Mutation des von-Hippel-Lindau-Gens gefunden, eine Veränderung, die durch die Angiogeneseförderung an Entwicklung und Progression des Tumors beteiligt ist und einen Ansatzpunkt für neuartige molekulare Therapiestrategien ist (Ljungberg et al. 2009). Somatische Träger derartiger Mutationen erkranken gehäuft am Nierenzellkarzinom.
Pathologie und Klassifikation Das Nierenzellkarzinom wird zumeist mit der TNM-Klassifikation klassifiziert. Andere Klassifikationen haben geringere Bedeutung. Die Gradeinteilung erfolgt nach dem Fuhrman-
Graduierungs-System. Drei histologische Subtypen werden unterschieden: das konventionelle klarzellige (80–90% der Fälle), das papilläre (10–15%) und das chromophobe Nierenzellkarzinom (4–5%) (Ljungberg et al. 2009).
Prognostische Faktoren Zu den prognostischen Faktoren beim Nierenzellkarzinom zählen: 4 Anatomische Faktoren (Größe, Veneninvasion, Kapselinvasion, Nebenniereninvasion, Lymphknoten- oder Fernmetastasen) 4 Histologische Faktoren (Fuhrman-Grad, histopathologischer Subtype, das Vorliegen sarkomatoider Entdifferenzierung, mikrovaskuläre Invasion, Tumornekrose sowie Invasion des harnableitenden Systems) 4 Klinische Faktoren (Performance-Status, Tumorsymptome, Kachexie, Anämie, Thrombozytenzahl) 4 Verschieden molekulare Faktoren, von denen jedoch bisher keiner Eingang in die klinische Routine gefunden hat (Ljungberg et al. 2009)
54.4.2
Klinische Symptomatologie
Die Mehrzahl der Nierentumoren wird heute in einem asymptomatischen Stadium als Zufallsbefunde im Rahmen einer Ultraschall- oder CT- beziehungsweise MRT-Untersuchung aus anderer Ursache diagnostiziert. Die klassische Symptomtrias Flankenschmerz, Makrohämaturie, tastbarer Tumor wird nur noch sehr selten angetroffen. Eine Fülle von paraneoplastischen Symptomen und Laborveränderungen kann beim Nierentumor auftreten, daher wird gelegentlich die Bezeichnung »internistischer Tumor« verwendet.
54.4.3
Diagnostik und Staging
Ausgangspunkt der Diagnostik beim Nierentumor ist in den meisten Fällen eine auffällige Ultraschalluntersuchung der Nieren. Jeder im Ultraschall tumorsuspekte oder unklare Nierenbefund bedarf der Abklärung mittels CT unter intravenösem Einsatz von Kontrastmittel. Das MRT steht bei Patienten mit Kontrastmittelallergie als praktisch gleichwertiges Alternativverfahren zur Verfügung. Wichtige Informationen, die die bildgebende Diagnostik liefern sollte, sind die Diagnosebestätigung (Abgrenzung gegenüber benignen Zysten durch Nachweis von Kontrastmittelenhancement), die Beurteilung der kontralateralen Niere (Funktion, Pathologien) und die abdominelle Ausbreitungsdiagnostik (Beurteilung der Nebenniere, der retroperitonealen Lymphknoten, der Leber und Untersuchung der Nierenvene sowie der Vena cava inferior auf eventuelle Tumorthromben, ein beim Nierenzellkarzinom nicht seltenes und für die Therapieplanung wichtiges Phänomen; Ljungberg et al. 2009). Zur Beurteilung der Lunge reicht in der Regel eine normale Thoraxaufnahme aus. Weitergehende Staginguntersuchungen (Skelettszintigraphie, Thorax-CT, Schädel-CT) sollten Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren oder solchen
54
858
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
mit suspekten klinischen oder laborchemischen Befunden vorbehalten bleiben. Die Positronenemissionstomographie ist beim Nierentumor ohne praktische Bedeutung.
54.4.4 Therapieziele und Indikationsstellung
54
Da außer radikalchirurgischen Maßnahmen beim Nierentumor keine kurativen Optionen bestehen, steht die Entfernung des Tumors und – soweit chirurgisch und onkologisch sinnvoll und möglich – auch die Entfernung einzelner Metastasen im Mittelpunkt der initialen therapeutischen Bemühungen. Unklar ist die Rolle der Tumornephrektomie beim metastasierten Nierenzellkarzinom. Aufgrund einer in einer Metaanalyse zweier randomisierter Studien belegten Überlebensvorteils im Falle anschließender Immuntherapie hatte sich der Eingriff bei Patienten in gutem Allgemeinzustand als Standard etabliert. Durch die Einführung neuer molekularer Therapieverfahren und das weitgehende Verschwinden der Immuntherapie aus dem klinischen Alltag ist diese Frage wieder offen und bedarf der Untersuchung in randomisierten Studien. Da die neuen Therapien beim metastasierten Nierenzellkarzinom überwiegend bei tumornephrektomierten Patienten getestet wurden, besteht im Falle eines guten Allgemeinzustandes weiterhin eine Rechtfertigung für die Entfernung des Primärtumors. Diese sollte jedoch unter kritischer Würdigung der Risiken erfolgen, auch eine primäre antiangiogenetische Therapie mit Tumornephrektomie im Falle eines Therapieansprechens stellt eine Option dar.
Die komplette chirurgische Entfernung von Metastasen beim Nierenzellkarzinom verbessert die Prognose und sollte daher angestrebt werden, wenn Allgemeinzustand und Operationsrisiko es gestatten.
54.4.5 Chirurgische Strategie
und Verfahrenswahl Standard bei der Behandlung der Frühstadien des Nierenzellkarzinoms (bis 4 cm Durchmesser) ist die offene Nierenteilresektion. Bei günstiger anatomischer Lage können auch größere Tumoren ohne Kompromittierung der Radikalität teilreseziert werden. Die laparoskopische Nierenteilresektion ist möglich, jedoch mit einer höheren Komplikationsrate und einer häufig zu langen warmen Ischämiezeit der Niere belastet. Ist eine komplette Entfernung indiziert, so ist in den Stadien T1b–2 normalerweise die laparoskopische Tumornephrektomie vorzuziehen. Experimentelle minimalinvasive perkutane Techniken wie Kryotherapie oder HIFU sollten nur im Rahmen von Studien Anwendung finden. Bei im CT (oder MRT) unauffälligen Befund ist die routinemäßige Entfernung der Nebennniere nicht indiziert (Ljungberg et al. 2009).
54.4.6 Operationstechnik
Offene Operation Ein Zugang zur Niere ist retroperitoneal und transperitoneal möglich, wobei letzterer Zugang in der Regel größeren Tumoren vorbehalten ist. In beiden Fällen wird die Gerota-Faszie eröffnet und die Niere mobilisiert, wobei zumeist die Nebenniere abpräpartiert und in situ belassen wird. Ist eine komplette Entfernung der Niere vorgesehen, so erfolgt diese zumeist en bloc mit der umgebenden Fettkapsel. Bei der Nierenteilresektion (oder Freilegung der Niere) muss die Fettkapsel vollständig von der Niere abpräpariert werden, wobei eine Dekapsulation der Capsula fibrosa vermieden wird. Stets ist auf akzessorische Gefäße zu achten, deren versehentliche Verletzung zu Blutungen und Verlust von Nierengewebe führen kann. Nach kompletter Mobilisation werden die Nierengefäße (zuerst die Arterie, dann die Vene) abgesetzt und doppelt ligiert. Der Harnleiter wird ebenfalls ligiert, auf eine komplette Ureterektomie wird beim Nierenzellkarzinom verzichtet. Sie ist bei Vorliegen eines Nierenbeckenkarzinoms indiziert, in Zweifelsfällen sollte intraoperativ die Artdiagnose mittels Schnellschnitt angestrebt werden, um gegebenenfalls die Ureterektomie in gleicher Sitzung vornehmen zu können. Die Lymphadenektomie beschränkt sich auf die hilären Lymphknoten und hat überwiegend diagnostischen Wert; eine radikale Ausräumung der retroperitonealen Lymphknoten verbessert die Prognose nicht (Ljungberg et al. 2009). Vor Abklemmung der Nierenvene sollte diese stets freigelegt und auf das Vorhandensein eines Tumorthrombus geprüft werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Spitze des Thrombus abgequetscht wird und eine Lungenembolie auslöst. Die Nierenteilresektion sollte unter Kühlung der Niere erfolgen (mit Eiswasser), um die Ischämietoleranz des Organs zu vergrößern. Zu achten ist auf eine subtile Rekonstruktion des eventuell eröffneten Hohlsystems und eine Umstechung der sichtbaren größeren Gefäße auf der Parenchymschnittfläche. Je nach Form und Lage des Parenchymdefekts wird dieser durch eine fortlaufende Naht oder durchgreifende komprimierende Einzelknopfnähte (sog. Matratzennähte) verschlossen und danach auf Bluttrockenheit geprüft. Potenziell sehr aufwendig und oft mit hohem Blutverlust verbunden ist die Operation großer Tumorthromben in der Vena cava inferior (. Abb. 54.7), die gelegentlich bis in den rechten Vorhof reichen können. Hier kann der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine erforderlich sein. In jedem Fall sollten solche Patienten in ein Zentrum überwiesen werden, welches derartige Eingriffe regelmäßig durchführt.
859 54.4 · Nierentumoren
a
54
b . Abb. 54.7. Nierenzellkarzinom. a CT-Aufnahme eines großen rechtsseitigen Nierenzellkarzinoms mit Ausbildung eines Tumorthrombus (Pfeil) in der Vena cava inferior. b Präparierte und eröffne-
te untere Hohlvene nach Extraktion eines Tumorthrombus bei einem Nierenzellkarzinom
Laparoskopische Tumornephrektomie
Verletzungen der großen Gefäße treten bei sorgfältiger Operationstechnik selten auf. Geachtet werden muss beim lumbalen Zugang auf eine mögliche Eröffnung der Pleura (luftdichter Verschluss erforderlich, selten eine Thoraxdrainage). Beim linksseitigen Eingriff, insbesondere bei transperitonealem Zugang, ist die Milz verletzungsgefährdet und sollte sorgsam geschont und im Zweifel genau inspiziert werden.
Bei sorgfältiger Durchführung und in den Händen erfahrener Operateure gilt die laparoskopische Tumornephrektomie als Standardtherapie nicht teilresezierbarer T1/T2-Nierentumoren. Sie bietet dieselbe Tumorkontrolle wie die offene Operation bei geringerer Morbidität. Bei der laparoskopischen Tumornephrektomie erfolgt die Präparation zumeist retroperitoneal unter Schaffung einer künstlichen Höhle und ohne Eröffnung des Peritoneums. Alternativ ist auch ein transperitonealer Zugang möglich. Die Niere wird dabei am Schluss der Operation über einen im Unterbauch gelegenen Bergeschnitt extrahiert. Bei der laparoskopischen Tumornephrektomie müssen die Prinzipien der offenen Tumorchirurgie (frühe Gefäßkontrolle vor Manipulation des Tumors, Mobilisation der Niere ohne Eröffnung der umgebenden Fettkapsel, Vermeidung einer Ruptur des Präparates, intakte Bergung desselben) eingehalten werden (Ljungberg et al. 2009).
54.4.7
Postoperative Behandlung
Die postoperative Behandlung beschränkt sich auf die übliche Überwachung, Frühmobilisation und Thromboseprophylaxe. Zu beachten ist bei der Nierenteilresektion, dass sich Nachblutungen (teilweise unter Ausbildung arteriovenöser Fisteln) oder Urinextravasationen auch nach einem längeren Intervall entwickeln können. Entsprechende Symptome (moderate persisierende Infektzeichen, Schmerzen, Anämie, Makrohämaturie) müssen darum sorgfältig beachtet werden.
54.4.8
Intra- und postoperative Komplikationen
Große Nierentumoren können während der Präparation aufgrund aufgedehnter venöser Tumorgefäße sehr stark bluten.
54.4.9
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Das tumorspezifische 10-Jahres-Überleben differiert zwischen über 90% im Stadium T1a und etwa 40% in den Stadien T3b/c. Patienten ohne Lymphknotenmetastasen weisen eine tumorspezifische 10-Jahres-Überlebenswahrschweinlichkeit von etwa 85% auf, bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen liegt sie knapp über 20%. Auch bei Vorliegen von Fernmetastasen überlebt ein kleiner Teil der Patienten (etwa 15%) 10 Jahre (Kanao et al. 2009).
54.4.10
Neoadjuvante und additive Therapie
Außerhalb kontrollierter Studien besteht keine Indikation für eine adjuvante Therapie beim Nierenzellkarzinom (Ljungberg et al. 2009). Bei Patienten mit komplett resezierten Metastasen ist nicht gesichert, ob eine sofortige systemische Therapie einem Therapiebeginn bei Auftreten eines (inoperablen) Tumorprogresses überlegen ist.
54.4.11
Palliation
Für die palliative Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms stehen mittlerweile eine Vielzahl in randomisier-
860
Kapitel 54 · Urogenitale Tumoren
54.4.13 . Tab. 54.4. Empfehlungen der European Association of Urology zur systemischen Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms. (Nach Ljungberg et al. 2009)
54
Primärtherapie
Empfohlene Therapie
Keine Vorbehandlung, niedriges oder intermediäres Risiko
Sunitinib oder Bevacizumab + Interferon-α
Keine Vorbehandlung, hohes Risiko
Temsirolimus
Vorbehandlung mit Zytokin
Sorafenib
Vorbehandlung mit Sorafenib, Sunitinib, Bevacizumab oder Temsirolimus
Everolimus
Die Vielzahl der nunmehr beim Nierenzellkarzinom verfügbaren systemischen Therapien lässt in den kommenden Jahren weitere Fortschritte in der Behandlung der metastasierten Erkrankung erwarten. Ob dadurch ein wirklicher Durchbruch erzielt werden kann, ist jedoch gegenwärtig noch nicht zu beurteilen. Internetadressen
ten Studien geprüfter Substanzen zur Verfügung. Für die Erstlinientherapie werden gegenwärtig bei niedrigem und mittleren Risiko der Tyrosinkinaseinhibitor Sunitinib sowie eine Kombination aus dem Anti-»vascular-endothelial-growthfactor«-(VEGF)-Antikörper Bevacizumab und Interferon-α empfohlen (Ljungberg et al. 2009). Hochrisikopatienten können mit dem »Mammalian-target-of-rapamycin«-(mTOR)Inhibitor Temsirolimus behandelt werden. Für die Zweitlinientherapie stehen nach vorangegangener Zytokintherapie der Multikinaseinhibitor Sorafenib und nach molekularer Therapie der mTOR-Inhibitor Everolimus zur Verfügung (. Tab. 54.4). Im klinischen Alltag werden verschiedene Sequenzen dieser Substanzen eingesetzt. Sie verzögern den Erkrankungsverlauf, komplette Remissionen oder Heilungen sind jedoch kaum zu erwarten. Die Nebenwirkungen (in der klinischen Praxis vor allem bedeutsam sind das Hand-Fuß-Syndrom (nur bei Tyrosinkinaseinhibitoren), das Fatigue-Syndrom und ausgeprägte Durchfälle) sind meist beherrschbar, jedoch durchaus ernst zu nehmen. Beachtet werden sollten, insbesondere beim sequenziellen Einsatz im Rahmen individueller Heilversuche, auch die gegenwärtig noch hohen Kosten dieser Medikamente.
54.4.12
Ausblick
Empfehlungen zur Nachsorge
Es gibt beim Nierenzellkarzinom kein allgemein akzeptiertes Nachsorgeschema. Allgemein gilt, dass die Intensität der Nachsorge individuell am Progressionsrisiko orientieren sollte, welches mit Hilfe von Nomogrammen abgeschätzt werden kann (Ljungberg et al. 2009). Das Nierenzellkarzinom gilt als besonders unberechenbarer Tumor, Rezidive werden nicht selten noch nach vielen Jahren und sogar nach Jahrzehnten beobachtet. Mit vertretbarem Risiko komplett resektable Metastasen sollten beim Nierenzellkarzinom – einen guten Performancestatus vorausgesetzt – chirurgisch angegangen werden (Ljungberg et al. 2009).
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Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie A. Kühnl, H.-H. Eckstein
55.1
Grundlagen
– 865
55.1.1 55.1.2 55.1.3 55.1.4
Chirurgische Epidemiologie – 865 Pathogenese primärer Gefäßtumoren Pathologie und Klassifikation – 866 Prognostische Faktoren – 866
55.2
Klinische Symptomatologie
55.3
Diagnostik und Staging
55.3.1 55.3.2 55.3.3 55.3.4
Ultraschall – 868 CT und MRT – 868 Invasive Diagnostik – 868 Zusatzdiagnostik – 868
55.4
Therapieziele und Indikationsstellung
55.4.1 55.4.2 55.4.3
Kurativer Therapieansatz – 869 Palliativer Therapieansatz – 869 Begleitende Therapien – 870
55.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
55.5.1 55.5.2 55.5.3 55.5.4 55.5.5 55.5.6
Aorta, Becken- und Leistengefäße – 870 Venen des Retroperitoneums – 870 Viszeralarterien – 871 Pfortader – 872 Gefäße des Halses und des Thorax – 872 Bypass-Materialien – 872
55.6
Operationstechnik
55.6.1 55.6.2 55.6.3 55.6.4
Aorta, Becken- und Leistengefäße – 873 Venen des Retroperitoneums – 873 Viszeralarterien/Nierenarterien – 875 Gefäße des Halses und des oberen Thorax
55.7
Postoperative Behandlung
55.8
Intra- und postoperative Komplikationen
55.8.1 55.8.2 55.8.3 55.8.4
Postoperative Blutungen – 878 Verschlüsse – 878 Wund- und Bypass-Infekte – 878 Anschlussaneurysmen und paraprothetische Fisteln
– 865
– 866
– 867
– 869
– 870
– 873
– 876
– 877 – 877
– 878
55.9
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
55.9.1 55.9.2 55.9.3 55.9.4
Pankreaskarzinom – 879 Cholangiozelluläre Karzinome – 879 Primäre und sekundäre Lebermalignome – 879 Retroperitoneale Malignome mit Beteiligung der großen Gefäße
55.10
Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie
55.11
Palliation
55.12
Empfehlungen zur Nachsorge
– 883
Internetadressen Literatur
– 884
– 884
– 883
– 879
– 882
– 880
865 55.1 · Grundlagen
> Die Infiltration größerer Gefäße durch fortgeschrittene, maligne Tumoren wurde früher überwiegend als Kontraindikation gegen ein kurativ-resezierendes Therapieverfahren angesehen. Die hohe operationsassoziierte Mortalität und Morbidität dieser aufwändigen, langwierigen und teils massiv gewebetraumatisierenden Operationen stand im Vergleich zu konservativen Therapieverfahren in keinem Verhältnis zum onkologischen Outcome. Heutzutage bieten moderne Operationstechniken und Narkoseverfahren, sowie technische Fortschritte in der Gefäßchirurgie die Möglichkeit, die Grenzen der Resektabilität weiter zu verschieben. Obwohl Gefäßinfiltrationen heute nur noch in seltenen Fällen eine Inoperabilität aus technischen Gründen bedingen, müssen auch weiterhin die onkologische Zweckmäßigkeit sowie die Auswirkungen einer Therapie auf die Prognose und Lebensqualität des einzelnen Patienten bedacht werden.
55.1
Grundlagen
Die vaskuläre Beteiligung als zentrales und valides Kriterium der Inoperabilität zu definieren, ist erst nach interdisziplinärer Diskussion jedes individuellen Falles zwischen Onkologie, Radiologie, onkologischer Chirurgie und Gefäßchirurgie möglich. Diese Diskussion sollte jedoch immer vor dem Hintergrund erfolgen, dass nicht alles was technisch durchführbar wäre, auch ethisch-moralisch richtig ist (Sandmann et al. 2006). Aus diesem Grund ist die Einbeziehung eines Palliativmediziners, sofern verfügbar, in die oben erwähnte interdisziplinäre Diskussion anzustreben. Auch wenn eine kurativ-chirurgische Therapie der Grunderkrankung aus onkologischen Gründen nicht sinnvoll erscheint oder diese vom Patienten abgelehnt wird, ermöglichen moderne offene oder endovaskuläre gefäßrekonstruktive Verfahren in vielen Fällen eine effektive palliative Behandlung vaskulär bedingter Symptome.
55.1.1 Chirurgische Epidemiologie Primäre Gefäßtumoren gehören zur inhomogenen Gruppe der Weichgewebssarkome die aus dem Mesoderm entstehen. Diese umfassen originäre Gefäßtumoren und tumoröse Gefäßneubildungen. Weichgewebssarkome treten mit einer Inzidenz von 2–3 Fällen/100000 Menschen/Jahr auf (2.000–3.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland). Insgesamt machen diese Tumoren weniger als 1% aller Malignome im Erwachsenenalter aus. Sowohl die Subgruppe der malignen primären Gefäßtumoren als auch die Subgruppe der Tumoren mit sekundärer Gefäßbeteiligung sind selten.
Primäre Gefäßtumoren Originäre Gefäßtumoren (Endotheliome, Leiomyome, Leiomyosarkome) stellen weniger als 1% der Weichteiltumoren dar und weisen eine Inzidenz von 1–2 Fällen/10 Millionen Menschen/Jahr auf. Primäre Leiomyosarkome sind eine absolute Rarität. Eine Untergruppe stellen die sog. tumorösen Gefäßneubildungen dar, deren bekannteste benigne Form das
Hämangiom ist. Es ist der häufigste Tumor im Kindesalter
und betrifft 5–10% aller Kinder kaukasischer Herkunft. 1–2% aller bösartigen Weichgewebstumoren sind Angiosarkome. Sie sind die häufigste Entität in der Gruppe der bösartigen, tumorösen Gefäßneubildungen. Die bekannteste Unterform der Angiosarkome ist das Kaposi-Sarkom. Er ist der häufigste Tumor in Afrika, wird in Mitteleuropa jedoch selten angetroffen. Risikogruppen stellen Patienten unter Immunsuppression, HHV-8-Infektion sowie Menschen afrikanischer Herkunft dar. Vorwiegend sind Männer zwischen 50–70 Jahre betroffen.
Sekundäre Gefäßtumoren Von den bisher genannten Tumoren, die primär von vaskulären Zellen oder primitiven Kapillaren ausgehen, sind »Tumoren mit sekundärer Gefäßbeteiligung«, also Geschwülste extravasalen Ursprungs mit sekundärer vaskulärer Beteiligung abzugrenzen. Benigne Formen stellen z. B. entzündliche Lymphknotenschwellungen dar. Eine eigene Entität dieser Gruppe ist der als semimaligne einzustufende Karotis-Glomus-Tumor, präziser bezeichnet als Paraganglioma caroticum. Es hat eine Inzidenzrate von ca. 5 Fällen/1 Million Einwohner/Jahr und kann in bis zu 10% der Fälle maligne entarten. Es ist mit 50% das häufigste Paragangliom. Zu den malignen Formen zählen, wie in . Tab. 55.1 aufgelistet, u. a. die fortgeschrittenen Stadien der retroperitonealen Weichteilsarkome, des Pankreaskarzinoms, der primären und sekundären Lebermalignome und der Lymphome.
55.1.2 Pathogenese primärer Gefäßtumoren Hämangiome treten in ihrer idiopathischen Form am häufigs-
ten bei Kindern mit einer Bevorzugung des männlichen Geschlechts auf. Deshalb wird neben anderen Faktoren eine hormonelle Beteiligung an der Pathogenese diskutiert. So wurde nachgewiesen, dass die in Hämangiomen vorhandenen Endothelzellen im Gegensatz zu den umgebenden Zellen (Fibromyoblasten) klonalen Ursprungs sind. Diese zeigten zudem eine paradoxe Reaktion auf endogene Angiogeneseinhibitoren, sodass eine genetische Mutation, die jedoch bisher nicht genauer definiert werden konnte, angenommen werden kann (Boye u. Olsen 2009). In sehr wenigen Familien wurde ein autosomaldominanter Erbgang nachgewiesen, der mit dem Genlokus 5q31–33 verknüpft ist. Das Paraganglioma caroticum (Karotis-Glomus-Tumor) entwickelt sich aus dem normalen, ca. 2–3 mm großen Karotis-Glomus, der in der Adventitia der Karotis-Gabel liegt und als Chemorezeptor (pH-Wert, pO2, pCO2) dient. Eine Häufung wird vor allem bei Personen mit chronisch niedrigen pO2-Werten, wie z. B. den Bewohnern von höher gelegenen Regionen (Anden, Tibet) sowie bei Patienten mit kardiopulmonalen Erkrankungen und konsekutiv schlechter Oxygenierung beobachtet (Hamann u. Voss 2004; Debus 2007). Eine familiäre Häufung unabhängig von einer MEN-2 wird bei parasympathischen Paragangliomen zwar beobachtet, jedoch konnte bisher keine Ursache dafür gefunden werden (Kloppel 2003).
55
866
Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
. Tab. 55.1. Übersicht über Ursprung, Einteilung und Dignität von gefäßassoziierten Tumoren (Sandmann et al. 2006; Debus 2007)
Typ
Ursprung
Dignität Benigne
Semimaligne
Maligne
Primär
Zellen der Gefäßwand
Fibromyxom Leiomyom Endotheliom Lymphangiomyom Hämangiom Lymphangiom
Angiomyomatose Leiomyomatose Hämangioperizytom
Fibromyxosarkom Hämangiosarkom Leiomyosarkom Lymphangiosarkom Angiosarkom Kaposi-Sarkom Angioblastöses Sarkom
Sekundär
Zellen extravasaler Herkunft
Entzündliche Lymphknotenschwellungen
Paragangliome Karotis-Glomus-Tumor
Weichteilsarkome Bronchialkarzinome Lymphome, Lymphknotenmetastasen Lebermetastasen Nierenzellkarzinom Ovarialkarzinom Teratokarzinome, Seminome Pankreaskarzinom
55.1.3 Pathologie und Klassifikation
55
Die Terminologie und Klassifikation der Gefäßtumoren lehnt sich an die Einteilung von Enzinger und Weiss an und ist in . Tab. 55.1 beschrieben (Weiss u. Goldblum 2007). Die primären, malignen Tumoren der Gefäße sowie die tumorösen, malignen Gefäßneubildungen zählen zu den Weichteilsarkomen, werden gemäß TNM-Klassifikation der UICC eingeteilt (Garbe 2008) und sind insgesamt sehr selten. Das T-Stadium ist davon abhängig, ob der Tumor kleiner (T1) oder größer (T2) als 5 cm ist. Eine weitere Einteilung in T3 oder T4-Stadien ist nicht vorgesehen. Das histologische Grading sowie der Status einer eventuellen Fernmetastasierung finden zudem Eingang in die Stadieneinteilung. Im Vergleich zu den sekundären Gefäßtumoren wie z. B. dem fortgeschrittenen Pankreaskarzinom oder den retroperitonealen Sarkomen, treten in der täglichen Praxis des onkologisch tätigen Viszeralchirurgen primäre Gefäßtumoren klar in den Hintergrund. Bezüglich der Tumoren mit sekundärer Gefäßbeteiligung verweisen wir auf das TNM-Staging-System des jeweiligen Primärtumors.
beachten, dass in vielen Studien mehrere Tumorentitäten vermischt sind (. Tab. 55.3). Für die primären Gefäßtumoren ist allgemein zu sagen, dass eine kleine Tumorgröße (<5 cm) und ein niedriges histopathologisches Grading (G1/2) mit einer höheren Überlebenszeit korreliert sind (Wendtner et al. 2002). Dagegen hat sich eine retroperitoneale oder viszerale Lage als unabhängiger Prädiktor für kürzeres Überleben herausgestellt (Wendtner et al. 2002). In einzelnen Studien konnten zudem das Vorhandensein von Beinödemen oder Tumorschmerzen sowie das Vorliegen eines Budd-Chiari-Syndrom, eines intraluminalen Tumorwachstums, eines Befalls des distalen V.-cava-Segmentes oder eines tastbaren abdominellen Tumors als negative Prognosemarker identifiziert werden (Hollenbeck et al. 2003; Kühnl et al. 2007; Mingoli et al. 1996).
Die vorhandenen Studien deuten darauf hin, dass die mikroskopisch radikale Tumorresektion (R0) der wichtigste prognostische Faktor für eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit ist (. Tab. 55.3; Hollenbeck et al. 2003; Kühnl et al. 2007; Mingoli et al. 1996; Schwarzbach et al. 2006; Hines et al. 1999).
55.1.4 Prognostische Faktoren Aufgrund der extremen Heterogenität des Krankheitsbildes »Tumor mit Gefäßbeteiligung« ist es nicht möglich, allgemeingültige Aussagen mit hohem Evidenzgrad über die Relevanz einzelner Prognosefaktoren zu treffen. Zudem gibt es nur für einzelne Tumorentitäten Studien mit größerer Patientenzahl, die den Effekt einer chirurgischen Therapie bei Malignomen mit Gefäßbeteiligung untersucht haben. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist neben der jeweiligen Fallzahl zu
55.2
Klinische Symptomatologie
Das Auftreten allgemeiner Symptome wie Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Kachexie oder Anämie, sowie nicht erklärbarer Thrombosen und Leukozytosen sollte den Verdacht auf eine maligne Erkrankung wecken. Klassische paraneoplastische Syndrome endokriner oder antikörpervermit-
867 55.3 · Diagnostik und Staging
. Tab. 55.2. Zusammenstellung typischer Symptome bezogen auf den jeweiligen Ort der Gefäßbeteiligung und diagnostische Methoden zur weiteren Abklärung. Bei den mit * gekennzeichneten Arterien hängt die Symptomatik vom Ausmaß der kontralateralen Kollateralversorgung ab. Bei den hirnversorgenden Gefäßen ist zwischen hämodynamisch und embolisch bedingten Symptomen zu unterscheiden
Betroffenes Gefäß
Typische Symptomatik
Befundsicherung
A. carotis communis/interna*
Amaurosis fugax, Schlaganfall
Duplex, MRT, CT
A. vertebralis*
Dysarthrie, Dysphagie, Ataxie, Sehstörungen, weitere
Duplex, MRT, Angiographie
A. subclavia
Armclaudicatio, Subclavian-steal-Syndrom
Duplex, MRT
Aorta ascendens und Bogen
Zerebrale, viszerale oder periphere Embolien
CT
Aorta descendens
Viszerale oder periphere Embolien
CT
Truncus coeliacus
Bei isoliertem Befall meist asymptomatisch Leberfunktionsstörungen, Milzinfarkt
Duplex, CT
A. mesenterica superior
Bei isoliertem Befall meist asymptomatisch Claudicatio intestinalis, ischämische Colitis, Darminfarkt
Duplex, CT, Angiographie
A. renalis
Bei höhergradiger Stenosierung Bluthochdruck Flanken- und Bauchschmerzen, selten Makrohämaturie
Duplex/KM-Sono, CT, MRT, Angiographie
A.mesenterica inferior
Meist asymptomatisch, selten ischämische Colitis
CT, Angiographie
A. iliaca communis/externa
Claudicatio intermittens
Duplex, MRT, Angiographie
A. iliaca interna*
Bei einseitigem Befall meist asymptomatisch Claudicatio glutealis
MR-Angio, Angiographie
V. jugularis
Bei einseitigem Befall meist asymptomatisch
Duplex, CT
V. subclavia
Armschwellung, oberflächliche Umgehungskreisläufe
Duplex, Phlebographie
V. cava superior
Obere Einflussstauung
CT, Phlebographie
V. cava inferior
Beinschwellung beidseits Venöse Umgehungskreisläufe (. Abb. 55.2 und . Abb. 55.3)
Duplex, CT, Phlebographie
4 Vv. hepaticae
Budd-Chiari-Syndrom
Duplex, CT
4 V. renalis
Nierenfunktionsstörung Makrohämaturie und Flankenschmerzen
Duplex, CT
V. portae
Ösophagusvarizen, Caput medusae, Hämorrhoiden Aszites, Enzephalopathie, Splenomegalie
Duplex, CT
V. iliaca
Einseitige Beinschwellung
Duplex, CT, Phlebographie
telter Natur treten allgemein in ca. 10% der Karzinompatienten und bei fast jedem zweiten Patienten mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom auf. Die spezifische Symptomatik primärer und sekundärer Gefäßtumoren richtet sich nach dem Ort der befallenen Gefäßregion, kann als lokale Symptomatik im Sinne von Schmerzen oder einem Druckgefühl, aber auch als Symptomatik im nachgeschalteten arteriellen oder zuführenden venösen Stromgebiet auftreten. Bei Infiltration von Arterien kommt es eher selten zu Arrosionsblutungen oder einer peripheren Embolie. Liegt ein schnelles Tumorwachstum vor, können bei arteriellem Befall aufgrund einer unzureichenden Kollateralisation Symptome wie eine Claudicatio intermittens, eine Claudicatio intestinalis oder ein Schlaganfall auftreten. Bei Befall des venösen Stromgebiets stehen Symptome des beein-
trächtigten venösen Rückstroms im Sinne einer oberen oder unteren Einflussstauung im Vordergrund. Bezüglich der spezifischen Symptome der zugrundeliegenden Tumoren wird auf die jeweiligen Kapitel in diesem Buch verwiesen. Die für den Befall einzelner Gefäßabschnitte typische Symptomatik und die jeweils weiterführenden diagnostischen Modalitäten sind in . Tab. 55.2 aufgeführt.
55.3
Diagnostik und Staging
Bestehen im Rahmen der Erstkonsultation eines Patienten Verdachtsmomente auf eine maligne Erkrankung, so müssen diese in jedem Fall weiter abgeklärt werden. Initial ist eine ausführliche medizinische und soziale Anamnese, sowie eine
55
868
Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
gründliche körperliche Untersuchung unabdingbar, damit im Rahmen der späteren interdisziplinären Besprechung eine für den Patienten und sein Tumorleiden individualisierte Therapieentscheidung ermöglicht wird. Die allgemeinen diagnostischen Algorithmen werden in den Kapiteln der jeweiligen Primärtumoren abgehandelt. Liegt der Verdacht auf eine Involvierung großer Gefäße am Tumorgeschehen vor, ist eine Reihe zusätzlicher Untersuchungen notwendig (. Tab. 55.2). Dazu zählen allgemeine Tests, wie z. B. die Erhebung des Pulsstatus, die Messung der Dopplerverschlussdruckindizes sowie bei Befall der Halsgefäße eine neurologische Untersuchung inklusive einer bildgebenden Diagnostik des Gehirns (Schädel-CT oder -MRT) bei Verdacht auf eine fokal-neurologische Pathologie. Die für die Therapieentscheidung und Operationsstrategie relevanten und durch die weiterführende, bildgebende und ggf. funktionelle Diagnostik bezüglich der vaskulären Beteiligung zu beantworten Fragen sind: 4 Welche Arterien und/oder Venen sind betroffen? 4 Welche funktionelle Bedeutung haben diese Gefäße? 4 Wie ist der Status des Zielorgans? 4 Welche Kollateralkreisläufe existieren? 4 Liegt eine Infiltration oder Verdrängung vor? 55.3.1 Ultraschall
55
Als schnell verfügbare und weitverbreitete Methode steht die klassische B-Mode-Ultraschalluntersuchung zur Verfügung, die durch erweiterte Modi wie die Duplexsonographie neben morphologischen Informationen auch Daten über die Strömungsverhältnisse in den betroffenen Gefäßen und das Ausmaß der Tumorvaskularisation liefern kann. Zudem ist die Sonographie zum Mapping der tiefen und oberflächlichen Venen im Hinblick auf deren Eignung als Bypass-Material unverzichtbar. Im Falle von venösen Stauungen, die durch eine Tumorinfiltration oder Tumorkompression der ableitenden Venen verursacht werden, kann sonographisch eine (Teil-) Thrombose der zuführenden Venen abgeklärt werden. Da im abdominellen Bereich der Ultraschall durch verschiedene Faktoren wie Darmgasüberlagerung erschwert oder gar unmöglich gemacht werden kann, ist bei venöser Beteiligung des Tumors eine CT-Angiographie mit venöser Phase oder eine Phlebographie indiziert. Hiermit können Lumenverengungen quantifiziert, Thrombosen nachgewiesen und eventuell vorhandene Kollateralkreisläufe (. Abb. 55.2 und . Abb. 55.3) identifiziert werden. Für spezielle Fragestellungen kann zusätzlich eine kontrastmittelverstärkte Sonographie durchgeführt werden. Diese erlaubt eine Beurteilung der Perfusionsdynamik des Tumors und der umgebenden Strukturen (Puttemans 2007; Weskott 2008).
55.3.2 CT und MRT Der Goldstandard in der Diagnostik tumoröser Prozesse mit fraglicher Gefäßbeteiligung ist die Computertomographie mit Kontrastmittel in der arteriellen und venösen Phase
(. Abb. 55.1). Moderne Scanner erreichen bereits eine räumliche Auflösung von unter 1 mm und erlauben damit unter Verwendung spezieller Softwareprogramme hochqualitative Rekonstruktionen in beliebigen Ebenen. Durch Kombination mit einer Positronenemissionstomographie (PET-CT) ist eine Korrelation der Strukturen mit ihrem Aufnahmeverhalten für z. B. Glukose möglich, was insbesondere für die Detektion von Metastasen wichtig ist. Alternativ und für manche Fragestellungen bevorzugt, kann eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt werden, die vor allem in Bezug auf die Beurteilung der Weichteile Vorteile gegenüber der CT-Angiographie aufweist. Die Verwendung von MR-Kontrastmittel erlaubt zudem durch Erstellung einer frei drehbaren, dreidimensionalen Abbildung des Gefäßbaumes eine genaue Beurteilung des Gefäßstatus.
55.3.3 Invasive Diagnostik Ist keine klare Tumorabgrenzung durch die oben genannten Verfahren möglich, können invasive Untersuchungsverfahren wie z. B. der endoskopische oder intravaskuläre Ultraschall, sowie die Angiographie weitere Informationen liefern. Der Goldstandard zur dynamischen Beurteilung der arteriellen Strömungsverhältnisse ist die konventionelle Angiographie, die oftmals in gleicher Sitzung neben der reinen Diagnostik auch eine präoperative Optimierung ermöglicht. Dies kann z. B. eine Dilatation von Stenosen im zuführenden Gefäß vor geplanter Bypass-Operation oder eine Embolisation eines hypervaskularisierten Tumors zur Reduktion des Blutungsrisikos sein.
55.3.4 Zusatzdiagnostik Im Vorfeld umfangreicher Operationen sind neben den allgemeinen Operationsvorbereitungen je nach betroffener Gefäßregion noch weitere Untersuchungen notwendig. Dies sind z. B. die Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktion bei Beteiligung der Nierengefäße, die Beurteilung der zerebralen Perfusion (transkranielle Dopplersonographie, diffusionsgewichtetes Schädel-MRT) bei Beteiligung der hirnversorgenden Gefäße oder die Bestimmung der Leberfunktion bei Beteiligung des Truncus coeliacus, der Lebervenen oder der Pfortader (Hohenberger et al. 2006). Sind Aorta, V. cava, oder Beckenarterien betroffen, ist vor einer größeren Gefäßrekonstruktion die kardiopulmonale Belastbarkeit u. a. mittels Echokardiographie und Lungenfunktionstest zu überprüfen. Sollte präoperativ eine Herzkatheteruntersuchung mit Intervention notwendig sein, ist die Implantation von Drugeluting-Stents (DES) unbedingt zu vermeiden und stattdessen die Verwendung von unbeschichteten Stahlstents zu fordern. Diese erfordern lediglich eine 6-wöchige und nicht die bei DES obligate 12-monatige duale Thrombozytenaggregationshemmung (TAH) mit ASS und Clopidogrel. Vor jeder großen Operation ist bei Patienten >65 Jahre und bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren eine Duplexuntersuchung der hirnversorgenden Gefäße zu empfehlen (Kühnl et al. 2009). Bei Vorliegen einer über 70%-igen Stenose, sollte – ins-
869 55.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
a
55
b . Abb. 55.1a,b. Leiomyosarkom des Retroperitoneums. Axiale Computertomographie (b) mit koronarer Rekonstruktion (a). Sowohl die Leber als auch die Pfortader sind nach kranial verdrängt. Die V. cava
inferior ist durch den Tumor komprimiert und infiltriert. (Aus Kühnl et al. 2009)
besondere bei Vorliegen einer Mehrgefäßerkrankung – eine vorgeschaltete Karotis-Thrombendarteriektomie angestrebt werden (Hepp et al. 2006). Dem Nutzen des primär weniger invasiven Stenting der A. carotis steht entgegen, dass die Gleichwertigkeit zur Karotis-Operation bisher nicht nachgewiesen ist, und die Stentimplantation eine duale TAH für mindestens 1–3 Monate erfordern würde (Kühnl et al. 2009; Eckstein et al. 2008).
adjuvanten Begleittherapien können den Kapiteln über die entsprechenden Primärtumoren entnommen werden.
55.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Cave Grundsätzlich gilt für die Indikationsstellung, dass eine Tumorresektion inklusive Gefäßrekonstruktion mit einer signifikanten Verbesserung der Prognose bei gleichbleibender oder verbesserter Lebensqualität assoziiert sein muss.
Wichtig für die Diskussion über die Operabilität eines malignen Tumors mit Gefäßbeteiligung ist, dass es basierend auf den modernen gefäßchirurgischen Techniken und derzeit möglichen vaskulären Rekonstruktionsverfahren kaum eine anatomische Region mehr gibt, deren Befall durch einen malignen Tumor eine Inoperabilität aus technischen Gründen bedingen würde (Sandmann et al. 2006). Die onkologische Zweckmäßigkeit ist jedoch immer individuell im Hinblick auf den Patienten zu diskutieren.
Einen Sonderfall stellen benigne Tumoren oder Inzidentalome dar. Die Indikation zur Operation besteht bei relevanter Kompression von Nachbarorganen und zur Bannung der Gefahr einer bösartigen Entwicklung von Tumoren von semimaligner oder unklarer Dignität (Sandmann et al. 2006).
55.4.1 Kurativer Therapieansatz 55.4.2 Palliativer Therapieansatz Liegt in Bezug auf die jeweilige Entität ein als lokalisiert klassifiziertes Tumorleiden vor, besteht im Rahmen eines kurativen Therapieansatzes die Indikation zur Operation, sofern dem Patienten unter Einbeziehung eventueller Begleiterkrankungen die Operationsfähigkeit bescheinigt wird und durch eine Resektion eine Verbesserung der Prognose erwartet werden kann. Im Allgemeinen ist dabei die mikroskopisch radikale Resektion (R0) des Tumors das primäre Ziel. Weitere Details insbesondere die Indikationen zu neoadjuvanten und
Liegt dagegen ein als generalisiert klassifiziertes Tumorleiden vor, beschränken sich die Ziele einer Therapie im Rahmen eines palliativen Ansatzes auf eine eventuelle Reduktion der Tumormasse (Debulking), im Einzelfall Resektion von Metastasen und die Prophylaxe von Komplikationen wie die Kompression von Hohlorganen und Gefäßen. Da die Kompression der venösen oder arteriellen Gefäße überwiegend langsam vor sich geht, entwickelt sich oftmals ein ausreichender Blutfluss
870
Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
über Kollateralen. Treten dennoch relevante venöse Stauungen auf, besteht die Indikation zur meist endovaskulär durchführbaren Therapie (. Abb. 55.8, 7 Kap. 55.11). Bei akuten arteriellen Durchblutungsstörungen durch eine nicht ausreichend kollateralisierte Gefäßkompression oder Tumorembolie sowie bei Tumorblutungen, liegt zumeist eine Notfallsituation vor, die zur Beherrschung der unmittelbar lebensbedrohlichen Situation zunächst eine palliative Operation erzwingt. Die endovaskuläre Versorgung ist dabei aufgrund ihrer geringeren Invasivität zu präferieren. Durch sie können auch in Lokalanästhesie über einen Leisten- oder Armzugang Stenosen dilatiert oder mit einem Stent versorgt werden, sowie Blutungen durch selektives Coiling oder die Implantation einer Endoprothese gestillt werden.
55.4.3 Begleitende Therapien
55
Wird ein Tumor primär als inoperabel eingestuft, ist dies nach einer erfolgten (Radio-)Chemotherapie in jedem Fall interdisziplinär zu reevaluieren. Auch gilt es zu bedenken, dass die radiologisch diagnostizierte Gefäßinfiltration nicht in jedem Fall auch einer histologisch nachweisbaren Gefäßinfiltration entsprechen muss (Yekebas et al. 2008; Kahlert et al. 2008). Insbesondere nach neoadjuvanten Therapien kann die makroskopische Differenzierung zwischen Tumorinfiltrationen und peritumorösen Entzündungsprozessen sowie Vernarbungen schwierig sein. Da Karzinome im Rahmen eines paraneoplastischen Mechanismus oft zu einer thrombophilen Gerinnungssituation führen, besteht bei Auftreten von Thrombosen die Indikation zur vollen Antikoagulation soweit dies vom Blutungsrisiko her vertretbar ist.
55.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Die gefäßchirurgische Strategie ist dem aktuellen Zustand und der Prognose des Patienten anzupassen. Das zentrale Ziel besteht in der Rekonstruktion, der durch die Tumorresektion gefährdeten oder wegfallenden arteriellen Perfusion oder venösen Drainage. Dabei ist zu bedenken, dass bei sekundären Gefäßtumoren nur selten eine tatsächliche Infiltration, sondern vielmehr eine Ummauerung der Gefäße vorliegt, dass es sich meist um gesunde, nicht verkalkte Gefäße mit entsprechendem Potenzial zur Dissektion und spastischen Verengung handelt, und dass sich bei Gefäßkompression durch schnell wachsende Tumoren keine suffiziente Kollateralzirkulation ausgebildet haben könnte (Sandmann et al. 2006).
55.5.1 Aorta, Becken- und Leistengefäße Die Strategie bei Resektion der Aorta sowie der Beckenund Leistengefäße folgt den Prinzipien der Behandlung von Aneurysmen und Stenosen dieser Gefäßregionen. Der anatomischen, großkalibrigen Rekonstruktion ist der Vorzug zu gewähren. Aufgrund der Größe und Länge der resezierten
Arterien ist meist der Einsatz von alloplastischem Material nötig. Dies verbietet sich bei bakterieller Kontamination des Operationsfeld z. B. nach umfangreichen Darmresektionen. Für diesen Fall stehen autologe (z. B. Entnahme der V. femoralis superior als Bypass-Material) oder extraanatomische Rekonstruktionsverfahren (z. B. axillo-femoraler Bypass) zur Verfügung. Dieser sollte als beidseitiger (Hosenträger-)Bypass mit Prothesen von 8–10 mm Durchmesser angelegt werden. Alternativ kann auch eine einseitige Anlage mit iliako- oder femoro-femoralem Crossover-Bypass erfolgen. Sind die Leistengefäße z. B. durch maligne infiltrierte Lymphknoten mit betroffen, kann eine Rekonstruktion, z. B. durch einen medial verlaufenden Obturator-Bypass oder einen lateral durch eine Einkerbung am Beckenkamm verlaufenden iliako-poplitealen Bypass, erfolgen. Liegt ein einseitiger Befall der Beckenarterien vor, können diese zusammen mit dem Tumor en bloc reseziert werden. Die Rekonstruktion der arteriellen Strombahn erfolgt entweder anatomisch oder über einen großkalibrigen iliako-femoralen Crossover-Bypass von kontra- nach ipsilateral. Alternativ kann dieser auch femoro-femoral angelegt werden. Bei nicht ausreichendem venösem Abfluss aus dem Bein kann die Rekonstruktion anatomisch oder im Sinne einer Palma-Operation durch Freilegen der ipsilateralen V. saphena magna, distalem Absetzen und Anastomosieren auf die kontralaterale V. iliaca erfolgen. Auch ein Quer-Bypass zwischen den beiden Iliakalvenen ist möglich. Meist führt jedoch die langsame Venenkompression durch den Tumor zur Ausbildung einer ausreichenden venösen Kollateralisierung.
55.5.2 Venen des Retroperitoneums Eine Segmentresektion sollte bei Patienten durchgeführt werden, die entweder einen primären Tumor der Venenwand (z. B. Leiomyosarkom) oder eine Infiltration durch einen Tumor anderen Ursprungs von mehr als 180° der Venenzirkumferenz aufweisen. Das engmaschige, retroperitoneale venöse Kollateralnetz (. Abb. 55.2 und . Abb. 55.3) erlaubt in den meisten Fällen eine Resektion der Vena cava inferior ohne das Risiko einer unteren Einflussstauung oder Venenthrombose. Bei Resektion der rechten Niere kann auch das renale Segment der V. cava inferior meist reseziert werden.
Während die Indikation zur Rekonstruktion der rechten Nierenvene aufgrund fehlender, präformierter Kollateralen immer besteht, kann die linke Nierenvene meist ohne Folgen zentral abgesetzt werden (Sandmann et al. 2006). Hier ist von einer ausreichenden venösen Drainage über die Venen der linken Nebenniere sowie über lumbale, ureterale und gonadale Kollateralen auszugehen (Mingoli et al. 1996).
Auf eine Rekonstruktion der Vena cava inferior kann verzichtet werden, wenn bereits präoperativ ein gut kollateralisierter Cava-Verschluss besteht (Bower et al. 2000). Eine Rekonstruk-
871 55.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
. Abb. 55.2. Darstellung der präformierten venösen Kollateralkreisläufe. a Zentraler Kollateralkreislauf über die Vv. lumbales ascendentes und V. (hemi-)azygos. Zum oberflächlichen und parietalen Kollateralkreislauf b und zu den Venenplexus des Spinalkanals bestehen zahlreiche Verbindungen (*). c Portaler Kollateralkreislauf über die Nabelschnur- und Bauchwandvenen wie bei portaler Hypertension nur in umgekehrter Richtung. Zudem bestehen Verbindungen über Bauchwandvenen (#) zu b. d Intermediärer Kollateralkreislauf über die Vv. ovaricae, spermaticae und uretericae
tion ist jedoch notwendig wenn präoperativ kein adäquater kavokavaler Kollateralkreislauf (. Abb. 55.2 und . Abb. 55.3) existiert oder es intraoperativ zur Oligo-Anurie oder zur hämodynamischen Instabilität kommt. Dies kann z. B. dadurch bedingt sein, dass es aufgrund einer umfangreichen retroperitonealen Tumorresektion zu einer Zerstörung des paravertebralen Venenplexus kommt. Wird eine Darmresektion mit anzunehmender bakterieller Kontaminierung des Operationsfeldes notwendig, sollte die Indikation zur autologen und insbesondere zur alloplastischen Rekonstruktion sehr streng gestellt werden (Bower et al. 2000). Bei deutlicher Kontamination des zukünftigen Prothesenlagers ist selbst die Implantation von silber- oder antibiotikabeschichteten Prothesen nicht zu empfehlen. Hier sind autologe Rekonstruktionen z. B. durch die V. femoralis superior oder extraanatomische Rekonstruktionen in Betracht zu ziehen (Schwarzbach et al. 2006).
55.5.3 Viszeralarterien Der proximale Befall der A. mesenterica superior und des Truncus coeliacus gilt außerhalb von Studien weiterhin als Kontraindikation gegen ein resezierendes Verfahren (Kahlert et al. 2008). Bei Befall des Truncus coeliacus durch ein Pankreaskarzinom kann dessen Resektion jedoch in Einzelfällen zum Erreichen einer R0-Resektion in Betracht gezogen werden (Kahlert et al. 2008; Hirano et al. 2007). Die A. gastroduodenalis ist zwar bei Verschluss des Truncus coeliacus allein in der Lage, eine ausreichende Leberperfusion sicherzu-
. Abb. 55.3. Anatomische Darstellung der venösen Umgehungskreisläufe
stellen, jedoch können anatomische Variationen und tumorbedingte, lokale Gegebenheiten diese Kollateralversorgung stören. Liegen keine ausreichenden Umgehungskreisläufe vor, ist die Revaskularisierung der A. hepatica communis bzw. propria vorrangiges Ziel (Sandmann et al. 2006). Eine Revaskularisierung der A. lienalis und der A. gastrica sinistra ist nicht notwendig. Führt eine langsame Ummauerung der proximalen A. mesenterica superior zu deren Verschluss, reicht meistens die Kollateralversorgung über die A. gastroduodenalis aus, um die Darmdurchblutung sicherzustellen. Besteht keine Claudicatio intestinalis ist eine Revaskularisierung nicht indiziert. Nach Resektion einer tumorbefallenen aber offenen proximalen A. mesenterica superior ist dagegen eine Revaskularisierung zwingend notwendig. Die Reimplantation in die infrarenale Aorta ist dabei das Verfahren der Wahl. Alternativ kommen Bypass-Rekonstruktionen, vorzugsweise mit autologem Material in Frage. Die Nierenarterien werden nur sehr selten durch abdominelle Malignome, sondern eher durch
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872
Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
Nieren- und Nebennierenkarzinom infiltriert. Eine einseitige Nephrektomie ist bei gut funktionierender Gegenseite meist ohne relevante Folgen für die globale Nierenfunktion möglich. Ist nur noch eine Niere vorhanden oder funktionsfähig, besteht, sofern dies aus onkologischer Sicht sinnvoll ist, die Indikation zur Revaskularisierung der A. renalis. Nach proximaler Resektion ist häufig keine direkte Reimplantation mehr möglich. Das Verfahren der Wahl ist die Anlage eines aortorenalen Bypasses, wobei hepatorenale und splenorenale Rekonstruktionen ebenfalls möglich sind. Bei Nebennierentumoren mit Infiltration des Nierenhilus bietet sich bei technischer Machbarkeit als nierenerhaltende Therapie die sog. (Auto-)Transplantation der eigenen Niere mit gekürzter Arteria und Vena renalis ins kleine Becken an, sofern dies aufgrund der Tumorausdehnung als onkologisch sinnvoll erscheint. Cave Handelt es sich um einen akuten Verschluss durch eine Tumorembolie oder akzidentelle Dissektion ist aufgrund der fehlenden Kollateralisierung und geringen Warmischämietoleranz der Niere eine sehr zügige Diagnostik bzw. Therapie zwingend, da anderenfalls ein irreversibler Funktionsverlust droht (Torsello 2007).
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55.5.4 Pfortader Die Resektionsstrategie hängt vom Ausmaß der Infiltration und einer ggf. vorhandenen Thrombose der V. portae ab. Bei langstreckigem Verschluss der Pfortader und der intrahepatischen Stammvenen ist von einer Rekonstruktion abzusehen (Sandmann et al. 2006). Ist die V. portae dagegen nur auf kurzer Strecke verschlossen, aber im Hilus wieder frei durchgängig, ist eine Rekonstruktion zu empfehlen (Sandmann et al. 2006). Meist ist eine Tangentialresektion bereits ausreichend, um einen schmalbasig ins Gefäß infiltrierenden Tumor inklusive Gefäßwand im Gesunden zu entfernen. Der entstehende Defekt kann entweder direkt vernäht oder mittels Patch-Plastik rekonstruiert werden. Bei mehr als semizirkulärem Befall ist eine Segmentresektion indiziert. Die direkte End-zu-End-Rekonstruktion ist das Verfahren der Wahl, wobei darauf zu achten ist, dass die Anastomose nicht unter Zug gerät. Im Zweifel ist die Anlage eines Interponates indiziert. Hierfür sind mehrere Materialien verfügbar, wobei gerade im Hinblick auf ein nach Darmresektion potenziell kontaminiertes Operationsfeld den autologen Verfahren stets Vorrang vor Prothesen eingeräumt werden sollte. Muss der portalvenöse Confluens reseziert werden, sollte die Indikation zur Rekonstruktion der V. lienalis vom Vorhandensein eines adäquaten Kollateralennetzwerkes vom Milzhilus über die Vv. gastricae breves abhängig gemacht werden (Yekebas et al. 2008). Wegen der zu erwartenden Enzephalopathie sollte nur in Ausnahmefällen und erst nach Ausschöpfung der oben genannten Rekonstruktionstechniken die Anlage einer portokavalen Anastomose erwogen werden.
55.5.5 Gefäße des Halses und des Thorax Meist sind die Halsgefäße nur bei sehr fortgeschrittenen HNO-Tumoren befallen, können aber z. B. bei Ösophaguskarzinom oder zervikalen und mediastinalen Metastasen involviert sein. Die Resektionsstrategie hängt dabei vom Ort und der Art des Gefäßbefalls ab. Während die V. jugularis interna einseitig meist ohne Folgen abgesetzt werden kann, ist eine Rekonstruktion der hirnversorgenden Arterien stets anzustreben. Erfordert eine Infiltration durch einen Tumor eine Segmentresektion, ist die Implantation eines Interponats das Verfahren der Wahl. Ist das Operationsfeld nicht sicher steril (z. B. Speichelfistel bei Ösophaguskarzinom oder Vorhandensein eines Tracheostomas), ist die Verwendung von autologem Material zwingend notwendig. Liegt bereits präoperativ ein gesicherter, längerstreckiger Verschluss der A. carotis interna vor und ist eine gute Kollateralisierung über die Gegenseite nachgewiesen, kann bei fehlender Symptomatik auf eine Rekonstruktion verzichtet werden. Sind die großen Venen der oberen Thoraxapertur z. B. durch Schilddrüsenkarzinome, Metastasen oder Leiomyosarkome (Rarität) befallen, besteht meist Inoperabilität. Liegt ein lokales Tumorstadium vor, kann die En-bloc-Resektion inklusive der V. brachiocephalica, V. anonyma und Vv. jugulares tumorfreie Absetzungsränder ermöglichen (Sandmann et al. 2006; Kühnl et al. 2007; Spaggiari et al. 2004). Eine Rekonstruktion ist zur Vermeidung einer oberen Einflussstauung indiziert. Bei sehr proximalem Befall muss auch der Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine diskutiert werden, sofern dadurch eine R0-Resektion erreicht werden kann. Die Resektion des Aortenbogens und der proximalen, supraaortalen Äste ist dabei nur in kleinen Fallserien beschrieben und stellt eine absolute Einzelfallentscheidung dar (Shiraishi et al. 2005). Als Rekonstruktionsverfahren kommen wegen der großen Gefäßdurchmesser fast ausschließlich alloplastische Interponate zum Einsatz. Bei Befall der absteigenden thorakalen Aorta ist eine In-situ-Rekonstruktion einer extraanatomischen Umleitung klar vorzuziehen.
55.5.6 Bypass-Materialien Die Wahl des Bypass- oder Patch-Materials hängt u. a. von der Größe des resezierten Gefäßes, der Sterilität des Operationsfeldes und der geplanten Nachbehandlung (Radio-Chemotherapie) ab (Sandmann et al. 2006). Autologe Venen sind dabei bis auf wenige Lokalisationen das Material mit den besten Langzeitergebnissen. Am häufigsten Verwendung findet dabei die V. saphena magna, gefolgt von der V. saphena parva und den Armvenen. Für großkalibrige Interponate empfiehlt sich die Verwendung der V. femoralis superior. Dagegen werden die V. iliaca und jugularis interna seltener verwendet. Von einer Verwendung der wiedereröffneten Nabelvene ist wegen der schlechten Langzeitergebnisse abzusehen. Stehen keine Venen zur Verfügung und ist die Verwendung von autologem Material notwendig (septisches BypassLager, Patient noch im Wachstum), kann die A. iliaca interna
873 55.6 · Operationstechnik
oder die A. lienalis verwendet werden. Ist von einem sicher sterilen Operationsfeld auszugehen, kann bei großkalibrigen Gefäßen auch primär ein alloplastischer Ersatz mit ringverstärkten ePTFE- (Venen- und Pfortaderersatz) oder DacronProthesen (Arterienersatz) erfolgen. Bei geplanter Nachbestrahlung des Operationsgebietes inklusive Bypass-Lager ist wegen der Strahleninsensibilität die Verwendung von alloplastischem Material zu präferieren. Dennoch kann es im Bereich der Anastomosen schon nach kurzer Zeit zu einer relevanten Stenosierung durch Induktion einer Neointimahyperplasie kommen (Kühnl et al. 2006). Die Implantation anderer Bypass-Materialien wie allound xenogene Transplantate sowie desantigenisierte Rinder- und Kalbsarterien sollten auf Einzelfälle beschränkt bleiben und nur in Zentren mit entsprechender Erfahrung erfolgen.
55.6
Operationstechnik
Bei malignem Befall von Gefäßen ist in der Regel aufgrund des ohnehin lokal fortgeschrittenen Tumorleidens ein großzügiger Zugang über eine lange mediane oder quere Oberbauchlaparotomie erforderlich. Die initialen Zugangswege zu den Arterien sind damit schon vorgegeben, hängen aber im Weiteren von der Tumorlokalisation und -ausdehnung sowie vom geplanten Resektionsausmaß ab.
55.6.1 Aorta, Becken- und Leistengefäße Das beim Ersatz der suprarenalen Aorta erforderliche komplette Ausklemmen der distalen Strombahn stellt große Anforderungen an das Herz und sollte so kurz wie möglich gehalten werden. Zudem ist hier oft ein thorakoabominelles Vorgehen (Zweihöhlenzugang zum Retroperitoneum und zum Thorax, Zugang nach Crawford) zur sicheren Blutungskontrolle notwendig. Eine gute Kommunikation mit dem Anästhesieteam ist prä- und intraoperativ unerlässlich. Nach Ausklemmen der Viszeralperfusion empfiehlt sich eine Kaltperfusion der Organe zur Verbesserung der Ischämietoleranz. Eine schematische Darstellung der Rekonstruktionsmöglichkeiten bei Tumorbefall der retroperitonealen Gefäße zeigt . Abb. 55.4. Der Truncus coeliacus sowie die A. mesenterica superior und rechte Nierenarterie werden im Optimalfall als zusammenhängender Insel-Patch (Carrel-Patch) ausgeschnitten und in die Aortenprothese reimplantiert. Die Rekonstruktion der linken Nierenarterie erfolgt separat. Die Anastomosen werden mit monofilem Nahtmaterial der Stärke 4/5-0 genäht. Die proximale Anastomose der Aortenprothese erfolgt mit 2-0-Fäden, die distale Anastomose je nach Lage mit 3-0 infrarenal) und 4-0 bis 5-0 iliakal und femoral. Die Anlage eines axillo-femoralen Bypasses erfolgt durch Freilegen der A. subclavia/axillaris über einen infraklavi6
kulären Zugang, Anastomosierung mit 5/6-0 monofilem Nahtmaterial und subkutanem Verlegen des Bypasses an der lateralen Körperwand. Der distale Anschluss kann im Bereich der retroperitoneal freigelegten A. iliaca oder im Bereich der A. femoralis communis erfolgen. Die Anastomosen werden hier ebenfalls mit monofilem, nichtresorbierbarem Material genäht.
55.6.2 Venen des Retroperitoneums
Tumoren des renalen und distalen Cava-Segments Der Zugang erfolgt im Allgemeinen über eine mediane Laparotomie. Bei rechtsseitig lokalisierten retroperitonealen Tumoren erfolgt der Zugang zur V. cava von rechts retrokolisch, bei ventral oder linksseitig lokalisierten Tumoren durch transperitoneales Eröffnen des Retroperitoneums. Bei großen, ventral gelegenen Tumoren mit Infiltration der V. cava kann zur Blutungskontrolle zusätzlich ein rechtsseitiger, retrokolischer Zugang erforderlich sein, um die V. cava subhepatisch, kranial des Tumors freilegen und anzügeln zu können. Zur Rekonstruktion wird die V. cava nach dem Freilegen und Anschlingen mit geraden Gefäßklemmen geklemmt oder alternativ mit Silikontourniquets verschlossen. Das infrarenale Klemmen der V. cava führt dabei nur selten zu einem medikamentös nicht kontrollierbaren Kreislaufversagen, sodass die Anlage von venovenösen Bypässen selten nötig ist.
Tumoren des suprarenalen Cava-Segments Bei Befall der suprarenalen Segmente der V. cava inferior durch retroperitoneale Malignome sowie primäre oder sekundäre Lebertumoren empfiehlt sich ein operativer Zugang über einen rechtsseitigen Rippenbogenrandschnitt mit median verlaufender Verlängerung zum Xyphoid (umgekehrte L-Inzision). Bei großen Resektionen kann primär eine quere Oberbauchlaparotomie erfolgen oder die oben genannte L-Inzision subkostal nach links im Sinne eines Mercedes-Stern-Schnittes verlängert werden (Azoulay et al. 2006; Lang 2007). Im Falle einer Tumorinfiltration der Lebervenen kann im Rahmen einer Segmentresektion oder Hemihepatektomie auch eine Rekonstruktion der Lebervenen erfolgen. Hierzu hat sich der Zugang zum Lebervenen-Confluens durch Thorakotomie mit Spaltung des Zwerchfells bis auf die Vena cava bewährt, da diese zur Blutungskontrolle supradiaphragmal geklemmt werden kann. Die Technik und das Ausmaß der Leberresektionen hängen von der Größe und der Ausbreitung des Tumors ab. Die Blutungskontrolle wird dabei über das Anzügeln der V. cava inferior kranial und kaudal des Tumors erreicht. Zudem kann das Abklemmen des Leberhilus (Pringle-Manöver) deutlich zur Reduktion des Blutverlustes beitragen und wird 6
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Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
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. Abb. 55.4a–i. Rekonstruktionsmöglichkeiten bei Tumorbefall der retroperitonealen Gefäße. a Anatomie der retroperitonealen Gefäße. b Rohrinterponat bei ausgedehntem Tumorbefall im Bereich der rechten Nierenvene und suprarenalen V. cava inferior. c Rohrinterponat nach Resektion der V. cava inf. mit Revaskularisation der rechten und Blindverschluss der linken Nierenvene. d Patchplastik der V. cava nach Resektion der rechten Niere. e Resektion und Blindverschluss der infrarenalen V. cava. f Resektion des renalen und infra-
renalen Segments der V. cava mit Blindverschluss der V. cava und linken Nierenvene. Anlage eines venösen Bypass von der rechten Nierenvene zur distalen V. cava. g Reimplantation der A. mes. sup. in die infrarenale Aorta. h Ersatz der Aorta und Anlage eines aortorenalen Bypass links. i Resektion der infrarenalen Abschnitte der V. cava und Aorta. Ersatz der V. cava mit einer ringverstärkten PTFE-Prothese und Anlage eines aorto-aortalen Rohrinterponats aus Dacron
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bei einer Abklemmzeit von 30–60 min meist ohne relevante Folgen toleriert (Lang 2007). Durch eine ischämische Präkonditionierung (10-minütige arterielle und portalvenöse Okklusion, gefolgt von einer 10-minütigen Reperfusion vor der eigentlichen Hilusokklusion) wird die Toleranz der Leber gegenüber normothermer Ischämie vermutlich noch gesteigert (Lang 2007). Nach Resektion von Tumor und Cava-Segment erfolgt die Rekonstruktion durch autologes Venenmaterial oder Prothesen. Als alloplastische Interponate haben sich ringverstärkte PTFE-Prothesen bewährt (Kühnl et al. 2007; Schwarzbach et al. 2006, Bower et al. 2000). Die End-zu-End-Anastomosen werden in Direkt- oder Distanznahttechnik unter Verwendung von monofilen, nichtresorbierbaren Fäden (4-0) angelegt. Bestehen nur kleinere Wanddefekte, können diese oft primär, fortlaufend mit 4/5-0 monofilen Fäden vernäht werden. Eine mäßiggradige Stenosierung darf dabei in Kauf genommen werden. Größere Wanddefekte können mit Dacronsowie ePTFE-Streifen oder besser mit venösen PatchPlastiken versorgt werden. Die Studienlage zum Einsatz von blutverdünnenden Medikamenten nach Cava-Plastiken ist divergent. Bei Implantation von Fremdmaterial in die Vena cava empfehlen wir eine orale Antikoagulation für 3 bis maximal 6 Monate, sofern keine anderen Indikationen vorliegen (Kühnl et al. 2007). Aufgrund der Datenlage können keine Empfehlungen bezüglich der Anlage von distalen AV-Fisteln zur Erhöhung der Offenheitsrate abgegeben werden. Es werden jedoch gute Offenheitsraten von über 80% auch ohne distale AV-Fisteln erreicht (Kühnl et al. 2007).
55.6.3 Viszeralarterien/Nierenarterien Die Rekonstruktion der A. hepatica erfolgt vorzugsweise von der suprarenalen Aorta aus und mit autologem Bypass-Material. 6–8 mm Dacron- oder ringverstärkte PTFE-Prothesen sind ebenso geeignet. Die distale Anastomose kann dabei weit in den Leberhilus verlaufen, um eine adäquate Perfusion für beide Leberlappen zu ermöglichen. Als Spendergefäße kommen ebenfalls die infrarenale Aorta sowie die rechte Beckenarterie in Betracht. Die Rekonstruktion der A. mesenterica superior erfolgt vorzugsweise durch Absetzen distal des Tumors und Reimplantation in die infrarenale Aorta. Die Anastomose wird Seit-zu-End mit monofilem Nahtmaterial angelegt. Alternativ kann auch die Anlage von kurzen aorto-mesenterialen Bypässen erforderlich sein.
Cave Der Ischämietoleranz des Darmes ist dabei als zeitlich limitierender Faktor die größte Aufmerksamkeit zu schenken.
Der unmittelbare Zugang zu den Nieren und Nierenarterien erfolgt im Rahmen einer Tumoroperation idealerweise nach Mobilisation der jeweiligen Kolonflexur und ggf. Durchtrennung des Lig. gastrocolicum links oder Durchführung eines Kocher-Manövers rechts. Ein infrakolischer oder primär retroperitonealer Zugang ist ebenfalls möglich, bietet jedoch im Hinblick auf das Tumorgeschehen oftmals nicht so große Übersicht. Wird in kurativer Absicht ein Teil der Nierenarterie reseziert, ist zumeist eine Bypass-Rekonstruktion nötig.
Cave Eine komplette Abklemmung der Nierenarterie über 60 min ist zu vermeiden. Sind längere Klemmphasen primär zu erwarten, empfiehlt sich zur Verbesserung der Ischämietoleranz ein lokales Kühlen der Niere sowie eine kontinuierliche Kaltperfusion über die Nierenarterie z. B. mit Elektrolytlösung mit 40 μg/l Prostaglandin E1 und 5000 IE/l Heparin (Torsello et al. 2007).
Für die Rekonstruktion gilt, dass sowohl autologe als auch alloplastische Bypässe spannungsfrei zu liegen kommen müssen und dass eine Deckung z. B. durch Omentum zur Abtrennung vom Darm anzustreben ist. Als Spendergefäße kommen, sofern nach Tumorresektion noch vorhanden, die supra- und infrarenale Aorta, die Iliakalarterien, sowie die A. hepatica oder auch die A. mesenterica superior in Frage. Der Bypass wird am Spendergefäß Seit-zu-End und an die Nierenarterie End-zu-End angeschlossen. Eine Transposition der A. lienalis auf die linke A.renalis ist ebenfalls möglich. Die Anastomose erfolgt dabei mit monofilen, nichtresorbierbaren Fäden der Stärke 4-0 bis 6-0. Eine Rekonstruktion mit Venenmaterial ist auch hier immer zu bevorzugen.
Pfortader Der operative Zugang richtet sich nach der geplanten viszeralen Resektion. Kann die Notwendigkeit einer autologen Gefäßrekonstruktion nicht sicher ausgeschlossen werden, müssen die Zugänge zu den als Bypass geplanten Venen ebenfalls steril abgewaschen werden. Eine schematische Darstellung möglicher Techniken zur Pfortaderrekonstruktion zeigt . Abb. 55.5. Nach Darstellung des Situs sollten im Bereich der Pfortader die zu- und abführenden Gefäße zirkulär freipräpariert und angezügelt werden, um eine sichere Blutungskontrolle zu erreichen. Bei Tumorinfiltration der V. mesenterica superior wird die zentrale Klemme distal des VenenConfluens gesetzt. Liegt der Tumor näher zum lateralen Anteil der distalen Pfortader, empfiehlt es sich, eine Klemme angewinkelt in den Confluens zu setzen ohne dabei die Milzvene auszuklemmen. Infiltriert der Tumor die mittlere oder proximale Pfortader, kann eine Durchtrennung der V. lienalis die Mobilisation der V. portae erleichtern.
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Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
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. Abb. 55.5a–i. Anatomie der zentralen Bauchgefäße und des Leberhilus. Schematische Darstellung möglicher Techniken zur
Die tangentiale Resektion eines kleinen Venenabschnitts wird mittels Direktnaht mit monofilem Fadenmaterial der Stärke 4/5-0 versorgt. Würde eine Direktnaht zu einer relevanten Stenose führen, empfiehlt sich die Anlage einer Patch-Plastik, idealerweise mit autologem Material. Bei Befall von mehr als 180° der Zirkumferenz ist eine Segmentresektion indiziert, deren Rekonstruktion durch End-zu-End-Naht angestrebt werden sollte. Allerdings ist dabei die Spannungsfreiheit der Anastomose obligates Qualitätskriterium. Dies kann manchmal nur durch ein langstreckiges Herauslösen aus dem umgebenden Stützgewebe und nach Mobilisation der Mesenterialwurzel erreicht werden. Dabei gilt es zu bedenken, dass diese Anastomosen sekundär leicht unter Zug geraten können, was die Gefahr von Nachblutungen oder Thrombosen erhöht (Sandmann et al. 2006)].
Pfortaderrekonstruktion (d–i) bei verschiedenen Tumorbefallsmustern (a–c)
55.6.4 Gefäße des Halses und des oberen
Thorax Der Zugang zur A. carotis erfolgt bei Tumorbefall über einen am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus verlaufenden Schnitt. Dadurch ist eine Erweiterung nach kranial und mediokaudal möglich. Die Gefäße werden zur Blutungskontrolle angezügelt. Zeigt sich die A. carotis als tumorbefallen oder ist die Integrität der Wand nach Abpräparieren des Tumors geschädigt, empfiehlt sich der segmentale Ersatz. Die A. carotis externa muss nicht zwingend erhalten werden. Nach Exzision des Tumors inkl. eines Segments der A. carotis erfolgt die Implantation des Interponates mit End-zu-End-Anastomosen mit 5-0 oder 6-0 Fäden gemäß den Standardtechniken der Karotischirurgie (. Abb. 55.6; Eckstein 2004). Die Platzierung einer 12er-Redondrainage 6
877 55.8 · Intra- und postoperative Komplikationen
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. Abb. 55.6a,b. Tumorbefall des Karotisbulbus (a). Resektion der A. carotis interna und Rekonstruktion mit autologer Vene (b)
neben dem Gefäß ist zur Prophylaxe einer Trachealkompression bei Nachblutung zu empfehlen. Der Zugang zur V. cava superior erfolgt meist über eine rechtslaterale oder mediane Thorakotomie. Für die Rekonstruktion der V. cava superior oder der zuführenden Venen haben sich ringverstärkte PTFE-Prothesen, die keinem Kollaps bei negativem ZVD unterliegen, bewährt. Bei proximalem Befall der supraaortalen Äste können diese in situ rekonstruiert werden, was allerdings zum Teil den Einsatz einer extrakorporalen Zirkulation erfordert. Alternativ kann nach vorheriger Anlage von carotidocarotidalen oder carotido-subklavialen Bypässen das tumortragende Segment ersatzlos reseziert werden. Der Gefäßersatz im Bereich der Aorta ascendens oder des Aortenbogens erfolgt mit großkalibrigen Dacron-Prothesen und erfordert immer den Einsatz einer Herz-LungenMaschine.
55.7
Postoperative Behandlung
Die postoperative Therapie und Überwachung sollte auf einer Intermediate-Care- oder Intensivstation erfolgen, um potenziell lebensbedrohliche Komplikationen (z. B. akute Organischämie, Nachblutungen) sofort erfassen und behandeln zu können (Hamann u. Voss 2004). Die allgemeine postoperative Behandlung ist den jeweiligen Kapiteln der Primärtumoren zu entnehmen. Die spezielle Therapie nach Gefäßrekonstruktionen richtet sich nach der Art und Region des rekonstruierten Gefäßes sowie nach den Begleiterkrankungen und dem Vorliegen von Kontraindikationen gegen bestimmte Medikamente.
Nach arteriellen Bypass-Rekonstruktionen sollte unabhängig davon, ob ein Venen- oder Kunststoff-Bypass implantiert wurde, eine lebenslange Medikation mit 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin) pro Tag erfolgen (Settmacher et al. 2004). Bezüglich der Antikoagulation nach alloplastischer Rekonstruktionen der Vena cava empfiehlt sich eine orale Antikoagulation für 3 bis maximal 6 Monate, sofern keine anderen Indikationen für eine Dauerantikoagulation vorliegen (Kühnl et al. 2007). Die Empfehlungen zur Antikoagulation nach Rekonstruktionen der Pfortader sind uneinheitlich und reichen von einer »Low-dose«-Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin für die ersten 10 postoperativen Tage (Settmacher et al. 2004) bis zur vollen Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin bis zum 5. postoperativen Tag (Riediger et al. 2006). Eine Langzeitantikoagulation wurde jedoch in keiner Studie durchgeführt (Settmacher et a. 2004; Riediger et al. 2006; Ramacciato et al. 2009; Howard et al. 2003). Durch postoperative Fortsetzung einer prophylaktischen antibiotischen Therapie kann die Rate an frühen Prothesenund Wundinfekten signifikant reduziert werden (Stewart et al. 2005). Die Fortsetzung dieser Therapie für mehr als 24 h postoperativ zeigte jedoch nur in wenigen Studien einen zusätzlichen Vorteil. Das verwendete Antibiotikum sollte eine breite Wirksamkeit gegen Staphylokokken und gramnegative Bakterien aufweisen (Stewart et al. 2007). Unter besonderen Bedingungen z. B. nach Implantation von langen alloplastischen Bypässen, langen Operationszeiten, Re-Operationen, nur bedingt sterilen Operationsbedingungen (simultane viszeralchirurgische Resektion, akzidentelle Hohlorganeröffnung) sowie bei Patienten mit Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Zustand nach Radio-Chemotherapie, Immunsuppression, Niereninsuffizienz) ist eine Verlängerung der antibiotischen Therapie um 3–5 Tage empfohlen (Hepp u. Kogel 2006; Rutherford 2005). Das Medikament der Wahl ist ein staphylokokkenwirksames Cephalosporin der 2. Generation und/oder Metronidazol (Debus et al. 2007). Eine engmaschige Überwachung der Drainageflüssigkeit, der Infektparameter sowie der lokalen Situation im Bereich des Bypasses (Sonographie, CT) ist bei oben genannten Bedingungen zu empfehlen, um der Gefahr einer septischen Arrosionsblutung begegnen zu können. Drainagen, die als Blutungsdrainagen in unmittelbarem Kontakt mit alloplastischem Bypass-Material stehen, sollten einen mindestens 10 cm langen subkutanen Verlauf haben und möglichst am zweiten, spätestens jedoch am dritten postoperativen Tag gezogen werden um eine Keimausbreitung entlang der Drainage in die Tiefe zu verhindern.
55.8
Intra- und postoperative Komplikationen
Die intraoperativen Komplikationen gleichen denen von allgemeinen viszeralchirurgischen Eingriffen. Wird zusätzlich eine Gefäßrekonstruktion durchgeführt sind spezielle intraoperative Komplikationen, wie z. B. Massenblutungen, Gefäßdissektionen, technische Fehler (Naht- und Knickstenose, Bypass-Torsion, Thromboembolien) oder Bypass-Verschlüsse
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Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
möglich. Grund für sofortige intraoperative Bypass-Verschlüsse kann auch eine fehlerhafte Bypass-Planung sein (mangelnder Ein- und Ausstrom, falsche Prothese).
der Grundkrankheit, eine langsame Intimahyperplasie oder Narbenbildung nach Radiatio bedingt (Debus 2007; Hepp u. Kogel 2006)].
55.8.1 Postoperative Blutungen
55.8.3 Wund- und Bypass-Infekte
Sie treten meist innerhalb der ersten Stunden bis Tage auf, wobei die klinische Manifestation bei retroperitonealer, mediastinaler, intraabdomineller oder thorakaler Lage deutlich verzögert sein kann. Im Allgemeinen handelt es sich um lokalisierbare Blutungen aus den Gefäßnähten, aus nicht versorgten Kollateralgefäßen, abgeglittenen Ligaturen, Verletzung benachbarter Strukturen oder diffusen Blutungen aufgrund von Gerinnungsstörungen. Für aorto-iliakale Primäreingriffe wird eine Nachblutungshäufigkeit von ca. 4% angegeben (Hepp u. Kogel 2006), während bei Tumorresektionen mit Beteiligung der großen retroperitonealen Gefäße Nachblutungsraten von bis zu 17% beobachtet wurden (Schwarzbach et al. 2006; Bower et al. 2000]. Für die En-bloc-Resektion von Pankreastumoren ist mit einer Nachblutungshäufigkeit von ca. 6% zu rechnen (Yekebas et al. 2008). Sowohl floride als auch langsam schwelende Infekte im Bereich von autologen aber vor allem im Bereich von alloplastischen Bypässen führen unbehandelt im Großteil der Fälle zu falschen Aneurysmen oder septischen Arrosionsblutungen, die sich auch noch Monate nach der Operation manifestieren können (Debus 2007).
Wundinfekte treten meistens früh postoperativ auf und werden in der Praxis je nach Tiefe des Infektes und der Gefäßbeteiligung nach Szilagyi Grad I–III eingeteilt (Hepp u. Kogel 2006). Wundinfekte ohne Prothesen- und Anastomosenbeteiligung können konservativ behandelt oder nach Debridement und Wundkonditionierung (z. B. durch Vakuumtherapie) sekundär vernäht werden. Frühe Wundinfekte mit Prothesenbeteiligung bedürfen im Großteil der Fälle einer Revision mit Ausbau des alten alloplastischen Materials und meist umfangreicher autologer oder extraanatomischer, alloplastischer Rekonstruktion. Auch bei primär autologer Rekonstruktion bedarf es bei einer tiefen Wundinfektion mit Bypass-Beteiligung zumeist einer umfassenden Wundrevision mit Sicherung des Bypasses z. B. durch Einschwenken eines Muskellappens. Protheseninfekte können auch später auftreten und werden dann in Früh- (<4 Wochen) und Spätinfekte (>4 Wochen) eingeteilt. Davon hängt es ab, ob ein kompletter Ausbau eines alloplastischen Bypasses nötig ist, oder ob eine Teilexplantation ausreicht.
55.8.2 Verschlüsse Verschlüsse von rekonstruierten Gefäßen oder Bypässen werden in Sofort- (1.–3.Tag), Früh- (4.Tag bis 1. Jahr) und Spätverschlüsse (>1 Jahr) eingeteilt (Hepp u. Kogel 2006). Die häufigsten Gründe für Sofortverschlüsse sind technische Fehler wie Dissektionen, Nahtstenosen, Bypass-Torsionen oder ein insuffizienter Zu- oder Abstrom. Je nach Ausprägung des technischen Fehlers können die Auswirkungen auch erst nach Monaten manifest werden. Daneben können eine Kreislaufdepression oder bis dahin unbekannte Gerinnungsstörungen (HIT, DIC, APC-Resistenz, AT-III-Mangel, Protein-C/S-Mangel) zur sofortigen oder frühen Bypass-Thrombose führen. Cave Jeder akute Verschluss von Viszeralarterienrekonstruktionen ist sofort revisionsbedürftig (Eckstein 2003). Bei Verschlüssen der Hals- oder Extremitätenarterien ist in Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik in den meisten Fällen eine notfallmäßige Diagnostik und Therapie indiziert.
Cave Zentrale Protheseninfekte, zu denen auch der Leisteninfekt bei einer Y-Prothese gehört, stellen immer ein hochgefährliches Krankheitsbild dar. Nach Stellung der (Verdachts-)Diagnose ist eine intensivmedizinische Überwachung initial notwendig. Der Ausbau einer infizierten, zentralen Prothese ist der einzig erfolgversprechende Therapieansatz. Die rein konservative Therapie weist laut Datenlage eine Mortalität von nahezu 100% auf (Hepp u. Kogel 2006).
Die Rekonstruktionen nach Prothesenausbau erfolgen primär anatomisch z. B. mit der V. femoralis superficialis. Bei floriden Infekten, vor allem aber bei begleitenden Pankreasfisteln oder einer Peritonitis, ist eine extraanatomische Rekonstruktion (axillo-femoral beidseits) mit Absetzen der zentralen und distalen Arterienstümpfe sinnvoll. Die Einlage von großen Drainagen und eine Sicherung der Stümpfe mit einem Omentumlappen sind dabei zu empfehlen.
55.8.4 Anschlussaneurysmen
und paraprothetische Fisteln Bedingt durch Turbolenzen, Scheerspannungen, Bestrahlungen oder mechanische Schädigung des Endothels (Pinzette, Klemmen) kann es vorwiegend im Zeitraum zwischen 3 Wochen und 3 Monaten nach Operation zur Bildung einer neointimalen Hyperplasie mit konsekutiver Stenosierung des Lumens kommen (Kühnl et al. 2006). Späte Verschlüsse von Rekonstruktionen sind meist durch eine Progression
Anschlussaneurysmen sind meist durch eine zu hohe Anastomosenspannung, einen lokalen Infekt, eine Einheilungsstörung oder ein Compliance- oder Kaliber-Mismatch bedingt (Hepp u. Kogel 2006). Falsche Aneurysmen sind häufig durch einen kleinen Anastomosenausriss bedingt. Sie lassen sich sonographisch oder durch ein CT leicht nachweisen und sind
879 55.9 · Ergebnisse der chirurgischen Therapie
zur Prophylaxe einer freien Blutung je nach Größe zeitnah auszuschalten (Hepp u. Kogel 2006). Paraprothetische Fisteln führen oft zu einer Symptomentrias aus septischen Fieberschüben, einer chronischen Infektanämie und gastrointestinalen Blutungen. Sie treten im aorto-iliakalen Bereich in bis zu 4% der Fälle auf und sind vor allem durch eine mangelhafte Abdeckung der Prothese gegenüber den Darmschlingen bedingt. Eine intensivmedizinische Überwachung und zeitnahe operative Versorgung ist indiziert, da der Spontanverlauf mit einer Letalität von bis zu 100% einhergeht (Hepp u. Kogel 2006).
55.9
denalis zu induzieren. Neben der Pankreaslinksresektion erfolgte eine proximale Absetzung des Truncus coeliacus ohne Rekonstruktion. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug 42% bei einer Mortalität und Morbidität von 0% bzw. 48% (Hirano et al. 2007). Eine R0-Resektion konnte in 91% der Fälle erreicht werden. Zum Nutzen einer Resektion der A. hepatica liegen ebenfalls nur einzelne Berichte vor. In einer aktuellen Fallserie von 13 Patienten wurde nach Resektionen und Rekonstruktion der A. hepatica in 10 Fällen sowie der A. mesenterica superior in 3 Fällen ein medianes Überleben von 15 Monaten, bei einer Mortalität von 7,7% erreicht (Yekebas et al. 2008). Die 1- und 2-Jahresüberlebensrate betrug dabei 62 und 31%.
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Der Großteil der vorliegenden Studien, die sich mit der Resektion von Malignomen mit sekundärer Gefäßbeteiligung beschäftigen weist nur eine geringe Fallzahl und ein retrospektives Design auf. Zudem enthalten die beschriebenen Kollektive oft mehrere Tumorentitäten. Eine Übersicht über die Ergebnisse ausgewählter Studien gibt . Tab. 55.3.
Diesbezüglich muss die arterielle Gefäßresektion zunächst in weiteren klinischen Studien an größeren Kollektiven evaluiert werden. Bis dahin sollten arterielle Resektionen nur in Einzelfällen, und dies erst nach strenger, interdisziplinärer Indikationsstellung mit dem klaren Ziel einer R0-Resektion durchgeführt werden (Kahlert et al. 2008).
55.9.1 Pankreaskarzinom 55.9.2 Cholangiozelluläre Karzinome Ab Mitte der 1990er-Jahre konnten mehrere Studien die bis dahin bestehende Meinung, dass eine Gefäßinfiltration durch ein Pankreaskarzinom immer ein Kriterium der Inoperabilität sei widerlegen (Kahlert et al. 2008). Die kombinierte Resektion des Pankreas und der Pfortader bzw. der Vena mesenterica superior bei maligner Infiltration ist mittlerweile in spezialisierten Zentren mit niedrigen Morbiditäts- und Mortalitätsraten, die vergleichbar zu denen bei Pankreaskarzinomresektion ohne Gefäßresektion sind, durchführbar. Dieses Verfahren hat in ausgewählten Kollektiven die Zahl der kurativ operierten Patienten sowie deren Langzeitüberlebensrate deutlich steigern können (Ramacciato et al. 2009).
Die Infiltration der Pfortader sowie der V. mesenterica superior durch ein Pankreaskopfkarzinom ist somit nicht mehr als Kriterium der Inoperabilität anzusehen (Kahlert et al. 2008; Ramaccito et al. 2009; Adler et al. 2007).
Dagegen bleibt die Mitresektion des Truncus coeliacus oder der proximalen A. mesenterica superior in kurativer Absicht weiter Gegenstand der Diskussion. Die aktuelle Studienlage erlaubt diesbezüglich keine klare Empfehlung (Kahlert et al. 2008; Adler et al. 2007; Glanemann et al. 2008). Einen Sonderfall stellt dabei die Infiltration des Truncus coeliacus durch Pankreaskarzinome dar. In der diesbezüglich größten publizierten Studie berichten Hirano et al. (2007) über 23 Patienten bei denen aufgrund eines malignen Befalls durch ein Pankreasschwanzkarzinom der Truncus coeliacus reseziert wurde. Zunächst erfolgte eine Coil-Embolisation der A. hepatica communis, um eine Kollateralisierung über die A. gastroduo-
Die kombinierte Resektion von Pfortader und Karzinomen des mittleren und distalen Gallengangs sowie der Gallenblase waren in einer aktuellen Studie mit einer signifikant erhöhten Morbidität und Mortalität, sowie einer besonders schlechten Langzeitprognose assoziiert, weswegen für diese Tumorkonstellation eine Operation nicht zu empfehlen ist (Kurosaki et al. 2008). Ebenfalls scheint die radikale Operation eines hilären Gallengangskarzinoms mit Resektion der A. hepatica das Outcome nicht positiv zu beeinflussen (Miyazaki et al. 2007). Dagegen ist die kombinierte Resektion eines fortgeschrittenen, hilären Gallengangskarzinoms inklusive der von ihm infiltrierten Pfortader mittlerweile mit einem den Umständen entsprechenden, akzeptablen Mortalitätsrisiko von 0–10% durchführbar. Die Resektion und ggf. Rekonstruktion der Pfortader scheint bei radikaler Resektion des Tumors zu einer verbesserten Langzeitprognose zu führen (Miyazaki et al. 2007). Die hohe, teils über 50%-ige Morbidität wird dabei nicht durch vaskuläre Komplikationen verursacht und ist im Vergleich zur Resektion ohne Gefäßrekonstruktion nicht signifikant erhöht (Kurosaki et al. 2008; Miyazaki et al. 2007).
55.9.3 Primäre und sekundäre
Lebermalignome Die Infiltration der V. cava inferior sowie des LebervenenConfluens ist grundsätzlich noch als Kontraindikation gegen ein kurativ-operatives Vorgehen anzusehen. Es existieren jedoch einige kleinere Fallserien von bis zu 22 Patienten, die den Nutzen einer kombinierten Leber- und Cava-Resektion unter-
55
880
Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
suchten. Hierbei wurden 5-Jahres-Überlebensraten von 21– 38% bei einem medianen Überleben von 28–40 Monaten erreicht. Die operationsbedingte Mortalität betrug 5–9% bei einer Morbidität von bis zu 64% (Azoulay et al. 2006; Hemming et al. 2004; Sarmiento et al. 2003; Hashimoto et al. 2008). Somit erscheint die kombinierte Resektion der Leber- und V. cava für ein gut selektioniertes Patientenkollektiv nach strenger Indikationsstellung zum Erreichen eines R0-Status sinnvoll zu sein, sollte jedoch nur in Zentren mit hoher Erfahrung auf diesem Gebiet durchgeführt werden (Azoulay et al. 2006).
55.9.4 Retroperitoneale Malignome
mit Beteiligung der großen Gefäße
rapie der Wahl und ermöglicht bei den meisten Patienten eine Resektion mit mikroskopisch tumorfreien Resektionsrändern (Kühnl et al. 2007; Schwarzbach et al. 2006; Bower et al. 2000). Als Beispiel sind Ergebnisse der Resektion sekundärer Malignome mit Infiltration der V. cava inferior in . Abb. 55.7 dargestellt. Das Ausmaß der Gefäßresektion und die Planung der vaskulären Rekonstruktion sind dabei interdisziplinär zu diskutieren. Durch eine mikroskopisch radikale Resektion kann das Überleben signifikant verlängert werden (Kühnl et al. 2007; Schwarzbach et al. 2006). Derart umfangreiche Operationen sind bei sorgfältig ausgewählten Patienten auch mit akzeptabler, den Umständen entsprechender Morbidität von 5-41% und Mortalität von 3-8% möglich (Kühnl et al. 2007; Mingoli et al. 1996; Schwarzbach et al. 2006; Bower et al. 2000).
Patienten mit retroperitonealen, die V. cava oder die Aorta infiltrierenden Tumoren sollten nicht mehr grundsätzlich als inoperabel klassifiziert werden, selbst wenn eine Teil- oder Segmentresektion der V. cava und ggf. eine alloplastische Rekonstruktion notwendig werden (Schwarzbach et al. 2006; Kühnl et al. 2009; Schwarzbach et al. 2009). Die radikale Resektion der großen Gefäße ist sowohl bei primären (z. B. Angiooder Leiomyosarkomen) als auch bei sekundär die großen Gefäße infiltrierenden, retroperitonealen Sarkomen die The-
55
Somit erscheint eine Resektion retroperitonealer Malignome mit Gefäßbeteiligung, eingebettet in ein neoadjuvant-adjuvantes Therapieregime, besonders bei Patienten mit retroperitonealen Sarkomen sowie zu erwartender R0-Resektabilität als sinnvoll. Diese Ergebnisse entstammen jedoch nur kleineren Fallserien.
. Tab. 55.3. Zusammenstellung ausgewählter Studien mit Ergebnissen der chirurgischen Therapie bei fortgeschrittenen Malignomen mit Gefäßbeteiligung. Mortalität, Morbidität, Rate an mikroskopisch radikal entfernten Tumoren (R0) und das 5-Jahres-Überleben sind in Prozent, das mediane Überleben in Monaten angegeben. Nach R0-Resektion ist das Überleben entweder als 5-Jahres-Überlebensrate in % oder als medianes Überleben in Monaten angegeben. Die angegebenen prognostischen Marker waren in den Studien signifikant mit einem längeren Überleben verbunden
Studie
Tumor
Resezierte Gefäßabschnitte
Mortalität / Morbidität (%)
R0-Rate
Überleben 5 Jahre
Median (Monate)
R0
Prognostischer Faktor
Tseng et al. 2004
Pankreas
VP 100, AH 17, IVC 6 (110 gesamt)
2/21
78%
24%
23
–
Keiner
Jain et al. 2005
Pankreas
VP 48
6,3/17
100%
18%
40
18%
–
Riediger et al. 2006
Pankreas
VP 53
3,8/42
69%
18%
22
–
R0 G1/2
Shimada et al. 2006
Pankreas
VP 86
1,2/38
62%
12%
14
–
Sonstige
Siriwardana et al. 2006
Pankreas
VP 1646 (incl. 117 AH, TC, AMS)
5,9/42
60%
7%
13
–
–
Hirano et al. 2007
Pankreas
TC 23 (incl. VP 16)
0/48
91%
42%
21
–
–
Miyazaki et al. 2007
hCCC
AH 9
33/–
–
–
–
–
VP 34
8,8/–
14% (AH 0%)
Kurosaki et al. 2008
hCCC
VP 11
0/73
73%
29%
37
53M
dCCC
VP 10
10/30
40%
0%
7
42M
Pankreas
VP 35
2,9/34
86%
13%
20
22M
11M N0 R0
55
881 55.9 · Ergebnisse der chirurgischen Therapie
. Tab. 55.3 (Fortsetzung)
Studie
Tumor
Resezierte Gefäßabschnitte
Mortalität / Morbidität (%)
R0-Rate
Überleben 5 Jahre
Median (Monate)
R0
Prognostischer Faktor
Stauffer et al. 2009
Pankreas
VP 25
11*/32*
75%
30%(3a)
22
–
–
Mingoli et al. 1996
LMS
VCI134
3/5
–
–
–
49%
R0 Sonstige
Bower et al. 2000
LMS/S CCC Andere
VCI 29
7/41
–
–
37
–
R0
Hollenbeck et al. 2003
LMS
VCI 25
8/–
28%
33%
–
–
Sonstige
Sarmiento et al. 2003
HCC/CCC MET, S
VCI 19
5,3/37
84%
21%
38
–
–
Hemming et al. 2004
HCC/CCC MET Andere
VCI 22
9/–
91%
33%
40
–
–
Azoulay et al. 2006
MET HCC/CCC Andere
VCI 22 (incl. VP 2)
4,5/64
–
38%
28
–
–
Hashimoto et al. 2008
Adenokarzinom der Leber
VCI 18
Schwarzbach et al. 2006
LMS/S Andere
VCI 20, Aorta 5, TC 1, Iliaca 3 (25 gesamt)
4/36
68%
38%
–
67%
R0
Kühnl et al. 2007
LMS/S MET HCC Andere
VCI 26
7,7/31
54%
21%
28
33%
R0, G1/2 Sonstige
VCS 9
0/44
67%
0%
28
30M
R0
Klepetko et al. 1999
BC, BrC, S
Aorta 7
0/14
71%
18%(3a)
26
–
–
Bernard et al. 2001
BC
Aorta 8
–/–
–
0%
–
–
–
33%
VCS 8
–
25%
Spaggiari et al. 2004
BC
VCS 109 (incl. AS 5)
12/30
73%
21%
11
–
Sonstige
Ohta et al. 2004
BC
Aorta 16
13/31
75%
48%
26
58%
N0
Shargall et al. 2004
BC
VCS 15
14/23
93%
61%(3a)
40
40M
Keiner
Shiraishi et al. 2005
BC
Aorta 16
13/13
50%
17%
–
37%
R0
h/dCCC hiläres/distales Cholangiocarcinom, LMS Leiomyosarkom, S Sarkom, MET Metastase, VP Pfortader mit V. mesenterica superior, VCS/I V. cava superior/inferior, TC Truncus coeliacus, AMS A. mesenterica superior, AH Arteria hepatica, BrC Brustkrebs, HCC hepatozelluläres Karzinom. * Die Werte beziehen sich nicht ausschließlich auf das angegebene Kollektiv.
882
Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
a
b
c
d
55
. Abb. 55.7a–d. Subgruppenanalyse aus (Kühnl et al. 2007) mit Fokussierung auf Tumoren mit sekundärer vaskulärer Beteiligung der Vena cava inferior. Die Kurven zeigen Kaplan-Meier Berechnungen und log-rank-Analysen, die den Einfluss der operativen Radika-
55.10
Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie
Für retroperitoneale Weichteilsarkome sind neoadjuvante und adjuvante Behandlungsstrategien wie die Chemotherapie, Strahlentherapie oder die aufkommenden (molekular-)zielgerichteten Therapieverfahren – »targeted therapies« – Gegenstand aktueller Forschungsprojekte. Eine prospektiv-randomisierte Phase-III-Studie konnte den signifikant-positiven Effekt einer kombinierten, neoadjuvanten Chemotherapie und regionalen Hyperthermie in Bezug auf das krankheitsfreie Überleben, die Ansprechrate und die lokale Beherr-
lität (a), der Histologie (b), der Symptomatik (c) und des histologischen Gradings (d) auf die Überlebenswahrscheinlichkeit darstellen. Die Punkte stellen zensierte Daten dar
schung des Tumors zeigen (Issels et al. 2008). Vor allem Liposarkome vom myxoiden und rundzelligen Typ, die auf eine Standardtherapie mit Anthrazyklinen und Ifosfamid nicht mehr ansprachen, zeigten ein besonders gutes Ansprechen auf die Second-line-Therapie mit Trabectedin (Yondelis), einem DNA-bindenden Toxin der Seescheide (Meerestier), das über eine Störung des Zellzyklus das Tumorwachstum verhindern soll (Schwarzbach et al. 2009). Eine Bestrahlung kommt vor allem bei lokal fortgeschrittenen, retroperitonealen High-grade-Sarkomen zum Einsatz, wobei die Optimierung der Bestrahlungsgeometrie noch Gegenstand der Forschung ist. Aufgrund der begrenzten Anzahl
55
883 55.12 · Empfehlungen zur Nachsorge
a
b
c
. Abb. 55.8a–c. Konventionelle Phlebographie der Vena cava superior mit Darstellung der durch ein fortgeschrittenes Bronchialkarzinom infiltrierten und komprimierten V. cava superior vor und
nach PTA (a, b), sowie nach transfemoraler Implantation eines Stents (c, Sinus 14/60 mm)
von Patienten mit retroperitonealen Sarkomen sowie den bisher nicht zufriedenstellenden Ergebnissen bezüglich der lokalen Tumorkontrolle und Langzeitüberlebensrate wird lediglich ein internationaler, multizentrischer Studienansatz als Möglichkeit gesehen, um die Algorithmen und Strategien der multimodalen Behandlung zu optimieren (Schwarzbach et al. 2009). Weitere Details über das Krankheitsbild der Weichgewebssarkome sind dem entsprechenden Kapitel zu entnehmen. Bezüglich der neoadjuvanten und adjuvanten Therapiestrategien bei Tumoren der Viszeralorgane mit Gefäßbeteiligung verweisen wir ebenfalls auf die jeweiligen Kapitel.
ten Arteriensegmentes oder eine endovaskuläre Therapie in Frage. Eine Kompression größerer Venen durch einen schnell wachsenden Tumor lässt dem Körper meist zu wenig Zeit, um suffiziente venöse Kollateralkreisläufe auszubilden. In diesen Fällen kann es zu schweren venösen Stauungen wie z. B. einer oberen Einflussstauung bei Kompression der V. cava superior kommen. Offen-chirurgische, meist sehr invasive Therapieverfahren sind in Studien mit meist niedriger Fallzahl beschrieben. Die wesentlich weniger invasive Therapieoption stellt die interventionelle Therapie durch Ballondilatation und Implantation eines Stents dar. Durch sie kann bei geringer Belastung für den Körper oft eine durchgreifende Besserung der Symptomatik erreicht werden (. Abb. 55.8).
55.11
Palliation
Bei weit fortgeschrittenen Malignomen, die selbst durch umfangreiche vaskuläre Rekonstruktionen nicht kurativ operabel sind, kann in machen Fällen eine Operation oder Intervention aus palliativen Gründen notwendig werden. Hierzu zählt z. B. eine Gefäßarrosion durch einen Tumor, die zu massivsten Blutungen führen kann. Je nach Lokalisation und den Begleitumständen (operatives Risiko, Vorhandensein eines großen Hämatoms) kann die Ausschaltung der Blutungsquelle offen chirurgisch oder durch Implantation eines umhüllten (gecoverten) Stents erfolgen. Kommt es dagegen durch Tumorwachstum zur Kompression eines oder mehrerer Gefäße kann die periphere Minderversorgung starke Beschwerden wie z. B. Ruheschmerzen der Beine oder Ischämieschmerzen der Viszeralorgane verursachen. Als palliative Therapieoptionen kommen hier die offen-chirurgische Gefäßdekompression, eine Bypass-Anlage zur Umgehung des komprimier-
Die endovaskulären Therapieansätze sind in der überwiegenden Anzahl der Fälle bei technischer Machbarkeit das Verfahren der ersten Wahl (Debus 2007).
55.12
Empfehlungen zur Nachsorge
Die Nachsorge besteht aus einem onkologischen und einem vaskulären Teil. Das onkologische Follow-up wird dabei in den Kapiteln der Primärtumoren beschrieben. Im Zentrum der vaskulären Nachuntersuchungen steht zum einen die Frage nach dem Zustand und der Funktion des resezierten und ggf. rekonstruierten Gefäßes, und zum anderen die Funktion, der
884
Kapitel 55 · Gefäßchirurgie im Rahmen der Onkologie
durch diese Gefäße arteriell versorgten oder venös drainierten Körperregionen. Die in . Tab. 55.2 zusammengefassten Methoden zur präoperativen Diagnostik sind größtenteils auch für die Nachuntersuchungen zu empfehlen. Bei der Verfahrenswahl gilt es jedoch zu bedenken, dass eventuell intraoperativ eingebrachten Metallimplantate wie Gefäßclips, Coils und Stents in der MRT und CT zu deutlichen Artefakten führen können, die die Beurteilbarkeit der relevanten Strukturen, wie den Anastomosenbereichen erschweren können. Ähnliche Nachteile gelten auch für die Duplexsonographie, deren Bildqualität z. B. durch Narbengewebe oder Luftüberlagerungen stark vermindert sein kann. Eine unmittelbar postoperative, klinische oder bildgebende Kontrolluntersuchung ist klar zu empfehlen, sofern nicht intraoperativ bereits eine eindeutige Erfolgskontrolle z. B. durch Angiographie erfolgt ist. Cave Im Hinblick auf die Praktikabilität und die Lebensqualität der Patienten empfiehlt es sich, die vaskulären Nachuntersuchungen mit dem onkologischen 3-Monats Followup zu synchronisieren (Hohenberger et al. 2006). Für manche Gefäßregionen können die Intervalle der vaskulären Untersuchungen dann schrittweise auf 1 Jahr angehoben werden.
55
Bei den vaskulären Untersuchungen sollte der ganze Bypass, die Anastomosenregionen sowie der Ein- und Ausstrom dargestellt und quantifiziert werden. Das frühzeitige Erkennen von Anastomosenstenosen, die konsekutiv zu einer Gefäß-/ Bypass-Thrombose führen könnten, steht hierbei im Fokus. Die Untersuchungen sollten durch die Dokumentation einer korrekten Perfusion der Zielorgane ergänzt werden. Danksagung: Die Autoren danken Herrn PD Dr.med. Manfred Stangl für das kritische Korrekturlesen des Kapitels.
Internetadressen http://www.aio-portal.de http://www.bag-selbsthilfe.de http://www.dgvs.de http://www.eortc.be http://www.gefaesschirurgie.de http://www.inkanet.de http://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/ weitere-tumorarten/seltene-tumorarten.php http://www.krebs-kompass.de http://leitlinien.net http://www.nakos.de http://www.sarkome.de http://www.tumorregister-muenchen.de
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55
56 56
Ovarialkarzinom M. Pölcher, B. Schmalfeldt, G. Florack, J. Kalff, W. Kuhn
56.1
Grundlagen
56.1.1 56.1.2 56.1.3 56.1.4
Epidemiologie – 888 Pathogenese – 888 Pathologie und Klassifikationen Prognosefaktoren – 888
56.2
Klinische Symptomatologie
56.3
Diagnostik und Staging
56.3.1 56.3.2 56.3.3
Früherkennung – 890 Diagnosesicherung – 891 Staging – 892
56.4
Therapieziele und Indikationsstellung
56.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
56.6
Operationstechnik
56.6.1 56.6.2
Operatives Standardvorgehen – 894 Operative Folgeeingriffe – 896
56.7
Postoperative Behandlung
56.8
Postoperative Komplikationen
56.9
Ergebnisse der Chirurgie und adjuvanten Therapie
56.10
Neoadjuvante, adjuvante und palliative Therapieprinzipien – 899
56.10.1 56.10.2 56.10.3
Indikationen zur Chemotherapie – 899 Präoperative (neoadjuvante) Chemotherapie Therapie bei Progression und Rezidiv – 900
56.11
Empfehlungen zur Nachsorge
56.12
Ausblick Literatur
– 888
– 901 – 901
– 888
– 890
– 890
– 892 – 893
– 894
– 898 – 898
– 900
– 900
– 898
888
56
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
> Das Ovarialkarzinom wird in etwa 70% der Fälle in einem fortgeschrittenen Tumorstadium mit lokal ausgedehnter und/ oder peritoneal disseminierter Tumorerkrankung diagnostiziert. Wesentliches Ziel bei der Behandlung dieser fortgeschrittenen Tumorstadien FIGO IIIC und FIGO IV (Fédération internationale de Gynécologie et d’Obstétrique) ist die vollständige Entfernung der intraperitoneal und retroperitoneal entwickelten Tumormanifestation. Hierbei sind neben den gynäko-onkologischen Operationsschritten häufig viszeral-chirurgische Techniken erforderlich, da Resektionen und Rekonstruktionen intestinaler Organe durchgeführt werden müssen. Das Ovarialkarzinom stellt eines der seltenen Karzinome dar, bei denen eine weitgehende operative Tumorreduktion unter Belassen von Tumorresten bis zu einem Durchmesser von 1 cm, somit einer R2-Resektion entsprechend, noch prognostisch sinnvoll ist. In Ergänzung des gynäkologisch-chirurgischen Eingriffes folgt die Chemotherapie. Ausgedehnte, zumeist multiviszerale Tumorresektionen und peritoneales Debulking stellen technisch anspruchsvolle Operationen dar, welche in der postoperativen Phase zu Problemen wie peritonealen Reizzuständen, Ileussymptomatik und anderen Symptomen führen können, die eine kontinuierliche Betreuung der Patientinnen erfordern. Bestmögliche Therapieergebnisse sind nur interdisziplinär unter Beteiligung des gynäkologischen Onkologen, des Viszeralchirurgen sowie des erfahrenen Anästhesisten und Intensivmediziners möglich, hierbei ist die Kenntnis der Tumorbiologie mit ihrer unterschiedlichen Art der Tumorausdehnung sowie des Therapieansprechens auf operative und zytotoxische Therapie wesentliche Voraussetzung für die multimodale Therapie.
56.1
Grundlagen
zunehmendem Alter kommt es zu einem Anstieg der Inzidenz. Umwelt- und Ernährungsfaktoren scheinen ebenfalls das Auftreten des Ovarialkarzinoms zu begünstigen. Infertilität und Nulliparität sowie dauerhaft ovulatorische Zyklen gehen mit einem erhöhten Ovarialkarzinomrisiko einher, Schwangerschaft und die Einnahme von Ovulationshemmern sind als protektive Faktoren anzusehen. Der im Rahmen der Ovulation auftretende Einriss des Zölomepithels mit anschließender reparativer Epithelproliferation wird hierbei als ursächlicher Faktor für die Entstehung des Ovarialkarzinoms diskutiert. Eindeutige Hinweise für eine Korrelation von Ovarialkarzinom und medikamentöser Ovulationsauslösung im Rahmen einer Sterilitätsbehandlung liegen bisher nicht vor. Intravaginal eingebrachte chemische Stoffe (Spermizide u. a.) scheinen als Kokarzinogene die Entstehung eines Ovarialkarzinoms zu begünstigen, während eine Tubenligatur oder die Hysterektomie bei Erhaltung der Ovarien als protektiver Faktor anzusehen ist. In über 90% der Fälle treten Ovarialkarzinome sporadisch auf, in etwa 5–10% liegt ein hereditäres Ovarialkarzinom vor (Antoniou et al. 2003). So ist das Risiko, ein Ovarialkarzinom zu entwickeln, für eine Frau mit einer erkrankten nahen Verwandten 3-fach höher im Vergleich zur Normalbevölkerung, für eine Frau mit zwei erkrankten nahen Verwandten liegt die Risikorate bereits bei 30–40%. Bei etwa 90% aller hereditären Ovarialkarzinome liegt das familiäre Mamma- und/oder Ovarialkarzinomsyndrom vor. Es wird hauptsächlich auf autosomal-dominant vererbte Keimbahnmutationen in den Brustkrebsgenen BRCA1 (Chromosom 17q21) und BRCA2 (13q12) zurückgeführt. Weiterhin kommen Ovarialkarzinome bei weiblichen Familienmitgliedern aus Familien mit hereditärem nichtpolypösen Darmkarzinomen (HNPCC) vor. Das kumulative Risiko für BRCA1-Mutationsträgerinnen, bis zum 70. Lebensjahr an einem Ovarialkarzinom zu erkranken, liegt bei 40%, für BRCA2-Mutationsträgerinnen bei 11%.
56.1.1 Epidemiologie Das Ovarialkarzinom ist nach dem Endometriumkarzinom das zweithäufigste Genitalmalignom der Frau und ist die Hauptursache für Sterbefälle infolge gynäkologischer Krebserkrankungen. Etwa eine von 70 Frauen wird während ihres Lebens ein Ovarialmalignom entwickeln, etwa 8000 Frauen versterben jährlich in Deutschland an einem malignen Ovarialtumor. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen wird für Europa, einem Nord-Süd-Gefälle folgend, im Norden mit etwa 15 Fällen/100.000 Frauen und im Mittelmeerraum mit etwa 5 Fällen/100.000 Frauen angegeben (Sankaranarayanan u. Ferlay 2006). Die Neuerkrankungsrate zeigt keine wesentlichen Veränderungen in den letzten 20 Jahren, die Mortalität ist in diesem Zeitraum leicht abnehmend (Heintz et al. 2006).
56.1.2 Pathogenese Die Ätiologie des Ovarialkarzinoms ist bisher weitgehend unklar; es sind jedoch zahlreiche Faktoren bekannt, die mit dessen Auftreten in Verbindung gebracht werden können. Mit
56.1.3 Pathologie und Klassifikationen Die histologische Klassifikation der WHO ist aufgeführt in . Tab. 56.1 (Tavassoli u. Devilee 2003).
56.1.4 Prognosefaktoren
Klinische Prognoseindikatoren Die Prognose wird durch klinische Indikatoren wie Stadium der Erkrankung, Histologie des Primärtumors und insbesondere den postoperativ verbliebenen Tumorrest bestimmt, letzterer ist der stärkste unabhängige prognostische Parameter. Weitere wichtige Indikatoren sind der retroperitoneale Lymphknotenstatus, das Lebensalter, der präoperative Allgemeinzustand der Patientin und die präoperative Aszitesmenge. Die Halbwertszeit des Tumormarkers CA 125 lässt sowohl postoperativ als Ausdruck des Ansprechens auf die Chemotherapie als auch in der neoadjuvanten Situation während einer Induktions- Chemotherapie Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf der Erkrankung zu.
889 56.1 · Grundlagen
. Tab. 56.1. Histologische Klassifikation maligner Ovarialtumoren nach WHO (mit relativen Häufigkeiten) I
Maligne epitheliale Tumoren (80–90%)
A
Seröse Tumoren
Seröse Tumoren von niedrig maligner Potenz (»low malignant potential«, LMP; Syn.: Borderline-Tumoren) Seröse Karzinome, seröses Adenokarzinom, serös-papilläres Adenokarzinom, serös-papilläres Zystadenokarzinom, exophytisches papilläres Karzinom
B
Muinöse Tumoren
Muzinöse Tumoren von niedrig maligner Potenz als Variante eines Zystadenoms oder (Zyst-)Adenofibroms Muzinöse Karzinome, Adenokarzinom, Zystadenokarzinom
C
Endometrioide Tumoren
Endometrioide Tumoren von niedrig maligner Potenz Endometrioide Karzinome, Adeno- und Zystadenokarzinom, Adenokarzinom mit plattenepithelialer Differenzierung Epithelial-stromale und rein stromale maligne Tumoren (Adenosarkom, Karzinosarkom, Stromasarkom)
D
Klarzellige Tumoren
Klarzellige Tumoren von niedrig maligner Potenz Klarzellige Karzinome
E
Transitionalzellige (Brenner-)Tumoren
Transitionalzellige Tumoren von niedrig maligner Potenz Maligner Brenner-Tumor Transitionalzellkarzinom (nicht vom Brenner-Typ)
F
Plattenepithelkarzinome
G
Gemischte epitheliale Karzinome
H
Undifferenzierte Karzinome
I
Unklassifizierbare Karzinome
II
Maligne Keimstrang-Stroma-Tumoren (<3%)
A
Weiblich determiniert
Maligner Granulosazell-Tumor Malignes Thekom
B
Männlich determiniert
Malignes Androblastom (Sertoli-Leydig-Zell-Tumor) Malignes Gynandroblastom
C
Unklassifizierbar
D
Steroidzelltumoren (auch Lipidzelltumor, Lipoidzelltumor) (<1%)
III
Maligne Keimzelltumoren (<2%)
A
Dysgerminom
Maligner Lipidzelltumor
B
Endodermaler Sinustumor (»Dottersacktumor«)
C
Embryonales Karzinom
D
Polyembryom
E
Chorionkarzinom
F
Malignes Teratom
G
Kombinierte maligne Keimzelltumoren
IV
Mischtumoren aus Keimleiste und Keimzellen (<1%) Reines Gonadoblastom Gonadoblastom mit malignem Keimzelltumoranteil
V
Sarkome ohne Ovarspezifität (<1%)
VII
Metastasen extraovarieller Primärtumoren (10–15%)
VIII
Maligne Tumoren des lymphatischen und blutbildenden Systems (<1%)
Histopathologisches Grading
GX
Differenzierungsgrad kann nicht beurteilt werden
G1
Hoch differenziert
G2
Mittelgradig differenziert
G3
Gering differenziert und undifferenziert
56
890
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
Bei der pathologischen Diagnostik spielen neben der Festlegung des Stadiums die Abgrenzung des »BorderlineTumors« sowie die Zuordnung zum histomorphologischen Tumortyp, d. h. die Subklassifizierung (serös, muzinös, endometrioid, klarzellig) eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Erkrankung, während die Bedeutung des histologischen Gradings kontrovers beurteilt wird.
einer 5- Jahres-Überlebensrate von 80–90% günstiger (Tingulstad et al. 2003; Trimbos et al. 2003).
Eine Früherkennung und damit frühzeitige Therapie könnte zu einer erheblichen Verbesserung der Gesamtprognose führen.
Maßnahmen zur Früherkennung Tumorbiologische Prognosefaktoren
Tumormarker. Der Tumormarker CA 125 ist bei mehr als 80%
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Faktoren der Tumorzellproliferation, der Zellregulation sowie Faktoren der Wechselwirkung zwischen Tumorzelle und umgebendem Tumorstroma auf ihre prognostische Relevanz untersucht (u. a. Ki-67, p53, Steroidhormonrezeptorstatus, Wachstums- und Proteolysefaktoren). Diese Faktoren waren bei multivariater Analyse ohne wesentliche Aussagekraft, so dass bis heute neben den oben aufgeführten klinischen Prognoseindikatoren tumorbiologische Faktoren von untergeordneter Bedeutung sind.
der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom über die Norm erhöht, im Stadium FIGO I jedoch nur bei 50%. In der Postmenopause ist CA 125 von höherer Aussagekraft als in der Prämenopause. Der absolute Wert wird relativiert, da erhöhte CA 125-Werte auch bei Endometriose, peritonealen Infektionen, Uterus myomatosus, Schwangerschaft und Lebererkrankungen beobachtet werden. Ein weiterer Tumormarker ist CA 72-4, der beim muzinösen Ovarialkarzinom eine höhere Sensitivität aufweist. Vaginalsonographie. Die Vaginalsonographie ermöglicht im
56.2
56
Klinische Symptomatologie
Der Krankheitsverlauf ist in der Frühphase nahezu symptomlos, sodass nur 30% der Patientinnen mit Ovarialkarzinom im Stadium FIGO I und II (Tumor auf das Ovar oder auf Organe des kleinen Beckens beschränkt) im Rahmen der gynäkologischen Früherkennungsuntersuchung diagnostiziert und einer Therapie zugeführt werden. Bei 10–15% der Ovarialkarzinome ist eine Postmenopausenblutung das einzige Leitsymptom. In den fortgeschrittenen Tumorstadien FIGO III (Tumor außerhalb des kleinen Beckens) oder FIGO IV (intraparenchymatöse Metastasierung oder extraabdominaler Tumorbefall) ist die klinische Symptomatik unspezifisch. In der Regel steht die gastrointestinale Symptomatik mit Obstipation, häufig in Verbindung mit aszitesbedingter Bauchumfangszunahme oder pleuraergussbedingter Dyspnoe im Vordergrund. Aufgrund dieser unspezifischen Symptomatik erfolgt nicht selten zunächst eine gastroenterologische oder pulmonologische Diagnostik, bevor die Patientin schließlich gynäkologisch untersucht wird. Die hierbei durchgeführte klinische und sonographische Untersuchung führt in der Regel zur korrekten Diagnosestellung. Die häufig beschriebene »Facies ovarica« mit Tumorkachexie wird erst im schwer therapierbaren Endstadium der Erkrankung beobachtet.
56.3
Diagnostik und Staging
Vergleich zur Abdominalsonographie den Nachweis bereits geringgradiger morphologischer Veränderungen der Ovarien. Malignitätskriterien sind 4 Große Tumoren (>12 cm Prämenopause, >3 cm Postmenopause) 4 Multiple Septierungen 4 Irreguläre und dicke Zystenwand oder Septen 4 Papilläre oder solide Anteile 4 Heterogene Binnenechos 4 Aszites Unter Zugrundelegung der oben aufgeführten sonomorphologischen Kriterien lässt sich vaginalsonographisch ein maligner Adnextumor auch in frühen Tumorstadien nachweisen. Aufgrund des häufigen Auftretens funktionell bedingter, zystischer Adnextumoren bei jüngeren Frauen ist jedoch die Sensitivität und Spezifität der Vaginalsonographie in der Prämenopause deutlich geringer als in der Postmenopause, sodass die Indikation zum operativen Vorgehen nicht umgehend zu stellen ist. Der Nachweis zystischer Adnextumoren in der Postmenopause sollte zeitnahe zu einer operativen Befundklärung führen. Farbdoppler- und Powerdoppler-Sonographie. Der doppler-
sonographische Nachweis von Vaskularisation innerhalb zystisch- solider Adnextumoren kann, insbesondere bei zentral im Tumorgewebe nachweisbarer, malignomtypischer Vaskularisation, die Befunde der B-Bild-Sonographie sinnvoll ergänzen und zur Diagnosefindung führen (Schelling et al. 2000).
56.3.1 Früherkennung Die Diagnosestellung erfolgt in etwa 70% der Fälle erst in den fortgeschrittenen Stadien FIGO III und IV (7 Kap. 56.2). Hierdurch ist die niedrige Gesamt-5-Jahres-Überlebensrate erklärbar, die zwischen 20 und 40% liegt. Die Prognose der Patientinnen in frühen Tumorstadien ist demgegenüber mit
In zahlreichen retrospektiven und prospektiven Studien wurde in den vergangenen Jahren versucht, unter Anwendung der Vaginalsonographie sowie der Tumor6
891 56.3 · Diagnostik und Staging
marker ein Screening zur Früherkennung des Ovarialkarzinoms zu etablieren. Aufgrund zu geringer Sensitivität und Spezifität mit Nachweis falsch-positiver Befunde und der sich hieraus ergebenden Durchführung unnötiger Operationen kann allerdings bis heute kein ausreichend wirksames Screeningprogramm zur Früherkennung des Ovarialkarzinoms empfohlen werden.
Untersuchungen kann der Nachweis von Aszites, intrahepatischer Metastasierung, Stauung des Nierenhohlsystems und Pleuraergüssen erbracht werden. Nur bei besonderen Fragestellungen ist zusätzlich die Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT) oder Positronenemissionstomographie (PET) erforderlich. Zystoskopie und Rekto-/Koloskopie werden bei fortgeschrittenen Karzinomen zum Ausschluss einer Blasen- oder Darmbeteiligung durchgeführt.
Bei nachgewiesenem Pleuraerguss muss durch eine zytologische Untersuchung geklärt werden, ob ein Tumorstadium IV vorliegt, da sich hieran das Ausmaß der operativen Radikalität orientieren kann.
56.3.2 Diagnosesicherung Diagnosesicherung und Stadieneinteilung des Ovarialkarzinoms erfolgen intraoperativ. Es ist jedoch bei jedem unklaren Unterbauchtumor und bei Verdacht auf ein Ovarialkarzinom wünschenswert, bereits präoperativ möglichst viel Information zu erhalten . Tab. 56.2). Obligat sind die Anamneseerhebung, die klinische Ganzkörperuntersuchung und der gynäkologische Spiegel- und Tastbefund.
Ultraschall, Endoskopie, Röntgendiagnostik Die präoperative Ultraschalldiagnostik erlaubt Aussagen über Größe, Lokalisation und strukturelle Beschaffenheit des Tumors. Durch Oberbauchsonographie und Röntgen-Thorax-
Labor Neben der üblichen klinisch-chemischen Diagnostik ist die Bestimmung des Tumormarkers CA 125 präoperativ erforderlich, um einen zusätzlichen Parameter zur Therapieverlaufskontrolle zur Verfügung zu haben. Bei Vorliegen eines muzinösen Karzinoms ist der Tumormarker CA 125 nur in etwa der Hälfte der Fälle erhöht, hier empfiehlt sich die Bestimmung der Tumormarker CA 19-9 oder CA 72-4. Bei nicht-epithelialen Malignomen (Keimzell-
. Tab. 56.2. Diagnostisches Vorgehen beim Vorliegen eines Ovarialkarzinoms
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Obligate Diagnostik Anamnese Klinische Ganzkörperuntersuchung
Körperlicher Allgemeinzustand unter dem Gesichtspunkt der Operabilität
Gynäkologische Spiegel- und Tastuntersuchung
Tumorgröße, Beweglichkeit, Ausbreitung des Tumors im kleinen Becken, Entnahme eines PAP-Abstrichs (Ekto-/Endozervix)
Vaginalsonographie, ggf. mit Doppler-Sonographie
Tumorgröße, Dignität, Ausbreitung im kleinen Becken, Infiltration der Harnblase, Peritonealkarzinose im kleinen Becken
Abdominalsonographie
Stauung im Bereich der Harnwege, intrahepatische Metastasen, größere abdominelle Lymphknotenmetastasen
Röntgenuntersuchung des Thorax
Ausschluss Pleuraerguss
Mammographie
Erhöhtes Risiko für ein Zweitkarzinom in der Mamma, Ausschluss eines primär abdominal metastasierten Mammakarzinoms
Tumormarker CA 125
Zur Verlaufskontrolle unter Therapie
Zusätzliche Diagnostik in bestimmten Situationen CT des Beckens und Abdomens
Tumorausdehnung im Oberbauch, Becken
Magen-Darm-Passage
Bei Passagestörung im Bereich des Dünndarms
Gastroskopie
Bei Verdacht auf primäres Magenkarzinom
Koloskopie
Bei Verdacht auf Infiltration des Kolons, Rektums, Ausschluss primärer gastrointestinaler Tumor
Zystoskopie
Bei Verdacht auf Infiltration der Harnblase
56
892
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
tumor, Keimstrangstromatumor) können weitere Marker wie α-Fetoprotein (AFP), HCG, LDH oder Inhibin die Diagnosestellung erleichtern.
56.3.3 Staging Die Stadieneinteilung ist entscheidend vom intraoperativen makroskopischen Befund und seiner histologischen Bestätigung abhängig. . Tab. 56.3 gibt die Stadieneinteilung nach dem TNM-System der UICC (Union Internationale Contre le Cancer) wieder, die sich mit der Einteilung der FIGO deckt. Die Bezeichnung »regionäre Lymphknoten« beinhaltet die Obturator-, die Iliaca-communis- und die Iliaca-externaLymphknoten sowie die lateral sakralen, paraaortalen und inguinalen Lymphknoten. Eine zuverlässige Bestimmung des retroperitonealen Lymphknotenstatus (N0 versus N1) ist nur dann möglich, wenn mindestens 20 pelvine und 10 paraaortale Lymphknoten entfernt und histologisch untersucht wurden. Leberkapselmetastasen sind als T3 bzw. FIGO III zu lassifizieren, Leberparenchymmetastasen als M1 bzw. FIGO IV. Ein Pleuraerguss darf erst nach positivem zytologischen Tumorzellnachweis als M1 bzw. FIGO IV klassifiziert werden.
56.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Ziel des operativen Eingriffes ist die möglichst komplette Resektion des gesamten Tumorgewebes, zumindest aber die Reduktion auf Resttumorgewebe mit maximalem Durchmesser von ≤1 cm cm. Die Größe des postoperativ verbliebenen Tumorrestes stellt nach wie vor den wichtigsten Prognoseparameter für das Überleben beim Ovarialkarzinom dar.
Nur die möglichst vollständige Entfernung allen makroskopisch sichtbaren Tumorgewebes schafft die Voraussetzung für eine bestmögliche Wirkung der Kombinationschemotherapie. Die gesteigerte Radikalität beim Primäreingriff und die postoperative Platin- und Paclitaxel-haltige Chemotherapie haben dazu beigetragen, die progressionsfreie Zeit zu verlängern und damit eine verbesserte Lebensqualität und eine Verlängerung der Überlebenszeit für einen Teil der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom zu erreichen (Bristow et al. 2002). Für eine Übersicht zum chirurgischen Vorgehen . Tab. 56.4.
. Tab. 56.3. Stadieneinteilung des Ovarialkarzinoms
56
TNM
FIGO
Befundsituation
T1
I
Tumor begrenzt auf Ovarien
T1a
IA
Tumor auf ein Ovar begrenzt; Kapsel intakt; kein Tumor auf der Oberfläche des Ovars
T1b
IB
Tumor auf beide Ovarien begrenzt; Kapsel intakt, kein Tumor auf der Oberfläche beider Ovarien
T1c
IC
Tumor begrenzt auf ein oder beide Ovarien mit Kapselruptur, Tumor an Ovaroberfläche oder maligne Zellen im Aszites oder bei Peritonealspülung
T2
T3
II
Tumor befällt ein oder beide Ovarien und breitet sich im Becken aus
T2a
IIA
Ausbreitung auf und/oder Implantate an Uterus und/oder Tube(n)
T2b
IIB
Ausbreitung auf andere Beckengewebe
T2c
IIC
Ausbreitung im Becken (2a oder 2b) und maligne Zellen im Aszites oder bei Peritonealspülung
und/oder N1
III
Tumor befällt ein oder beide Ovarien, mit histologisch nachgewiesenen Peritonealmetastasen außerhalb des Beckens und/oder regionären Lymphknotenmetastasen
T3a
IIIA
Mikroskopische Peritonealmetastasen jenseits des Beckens
T3b
IIIB
Makroskopische Peritonealmetastasen jenseits des Beckens, größte Ausdehnung ≤2 cm
T3c und/ oder N1
IIIC
Peritonealmetastasen jenseits des Beckens, größte Ausdehnung >2 cm, und/oder regionäre Lymphknotenmetastasen
M1
IV
Fernmetastasen (ausgeschlossen Peritonealmetastasen)
NX
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
N0
Keine regionären Lymphknotenmetastasen
N1
Regionäre Lymphknotenmetastasen
893 56.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
. Tab. 56.4. Epitheliales Ovarialkarzinom: Vorgehen bei der chirurgischen Therapie Frühe Stadien FIGO IA–IIA Medianlaparotomie
Medianlaparotomie Peritonealzytologie Inspektion der gesamten Bauchhöhle Peritonealbiopsien an auffälligen Stellen Peritonealbiopsien aus unauffälligen Regionen (Harnblasen- und Douglasperitoneum, parakolische Rinnen, Zwerchfell) Hysterektomie Adnektomie bds. mit hohem Absetzen der Ovarialgefäßbündel Omentektomie, mindestens infrakolisch Appendektomie (bei muzinösem oder intraoperativ unklarem Tumortyp) Pelvine Lymphadenektomie beidseits Paraaortale Lymphadenektomie bds. der Aorta/V. cava bis Höhe Vv. renales Bei peritonealen Adhäsionen des Tumors extraperitoneales Vorgehen
Fortgeschrittene Stadien FIGO IIB bis IIIC, wenn makroskopisch Tumorfreiheit erreicht ist
Vorgehen wie bei frühen Stadien, zusätzlich: Omentektomie infragastrisch Resektion befallener Darmabschnitte Peritonektomie der befallenen Areale einschließlich Zwerchfellperitoneum bei Befall Bei Befall Oberbaucheingriff ggf. mit Organresektion zur Tumorresektion
Fortgeschrittene Stadien FIGO III–IV, bei denen keine makroskopische Tumorfreiheit zu erreichen ist
Medianlaparotomie mit Resektion des Tumors wenn möglich mit Tumorrest ≤1 cm: Vorgehen wie bei fortgeschrittenen Stadien IIB bis IIIC mit makroskopischer Tumorfreiheit. Medianlaparotomie mit Resektion des Tumors mit zu erwartendem Tumorrest >1 cm: Operatives Vorgehen in palliativer Intention ggf. mit En-bloc-Entfernung tumorös befallener Beckenorgane (Uterus, Adnextumoren, Rektosigmoid), Omentektomie infragastrisch, Resektion vergrößerter pelviner und paraaortaler Lymphknoten, (keine systematische Lymphadenektomie), Peritonektomie, wenn zur Tumorresektion sinnvoll, Resektion infiltrierter Darmabschnitte wenn zur Tumorreduktion sinnvoll und bei funktioneller Stenose, Oberbaucheingriffe, wenn zur Tumorresektion sinnvoll
56.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Internationale Studien bestätigen, dass Patientinnen mit Ovarialkarzinom in onkologisch-operativ erfahrenen Zentren signifikant häufiger tumorfrei operiert werden und eine bessere Prognose haben als Patientinnen, die in Häusern der Grund- und Regelversorgung mit nur wenigen Ovarialkarzinomoperationen pro Jahr behandelt werden (Aletti et al. 2006). Die operative Behandlung des Ovarialkarzinoms ist in der Regel bei fortgeschrittenen Befunden nur im interdisziplinären Ansatz adäquat durchführbar. Wird bei fehlender personeller und apparativer Infrastruktur ein schwieriger Situs erst bei der Explorativlaparotomie offensichtlich, so empfiehlt sich nach histologischer Sicherung die Beendigung des Ein-
griffs als diagnostische Laparotomie und die möglichst schnelle Verlegung der Patientin in ein entsprechendes Zentrum zur Komplettierung der Primäroperation. Häufig lässt sich ein zunächst als nicht resektabel eingeschätztes Ovarialkarzinom in einer Klinik mit entsprechenden intra- und perioperativen Versorgungsmöglichkeiten doch noch vollständig entfernen (7 Kap. 56.6.2). Operationsplanung. Die Einschätzung der Dignität und der
Ausbreitung des Tumors sollte bereits präoperativ möglich sein (7 Kap. 56.3.2). Eine interdisziplinäre Planung zwischen gynäkologischen Onkologen, Viszeralchirurgen und ggf. einem Urologen ist sinnvoll, da bei adäquatem chirurgischen Vorgehen im Stadium FIGO IIIC häufig mit Darm- und gelegentlich auch mit Ureter- und Blasenteilresektionen gerechnet werden muss.
56
894
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
Cave Jeder Adnextumor, der zyklusunabhängig nachweisbar ist, sollte bis zum Beweis des Gegenteils als malignitätsverdächtig angesehen werden.
56.6
Operationstechnik
56.6.1 Operatives Standardvorgehen Neben einer möglichen multifokalen, extraovariellen Tumorentstehung metastasieren Ovarialmalignome hauptsächlich peritoneal und lymphogen. Charakteristisch ist der peritoneale Metastasierungsweg; es kommt zur Exfoliation von Tumorzellen in die Bauchhöhle, von wo aus diese mit Hilfe der normalen Zirkulation der Peritonealflüssigkeit sehr früh entlang der rechten und linken parakolischen Rinne in die Lymphbahnen der rechten und linken Zwerchfellhälfte gelangen (. Abb. 56.1).
56
Nach Medianlaparotomie und Asservation von Peritonealflüssigkeit bzw. Aszites zur zytologischen Untersuchung erfolgt die sorgfältige Exploration der Peritonealhöhle zur Beurteilung des Tumors und der Metastasierung. Je nach Resektabilität der lokalen Tumorsituation gehört zum Standardvorgehen des operativen Stagings und der chirurgischen Therapie bei Tumorbefall die Peritonealresektion des kleinen Beckens und der Blase. Darüber hinaus sollte überall dort, wo makroskopisch Tumorabsiedlungen nachzuweisen sind, das Peritoneum großzügig entfernt werden, ggf. auch subphrenisch. 6
. Abb. 56.1. Zirkulation der Peritonealflüssigkeit
Das Omentum, funktionell einem biologischen intraabdominalen Filter vergleichbar, ist ebenfalls ein Ort früher Metastasierung. In der Regel wird die infragastrische Omentektomie durchgeführt, je nach Tumorsituation mit oder ohne Erhalt der gastroepiploischen Gefäßarkade.
Hysterektomie und Adnektomie Hysterektomie und beidseitige Adnektomie mit hohem Absetzen der Ovarialgefäßbündel sind bei gegebener extrapelviner Operabilität obligate Bestandteile der Gesamtoperation. Liegt ein Konglomerattumor aus Adnexen, Uterus und Sigma/Rektum vor, ist eine »En-bloc-Resektion« des inneren Genitale zusammen mit dem Rektosigmoid indiziert. Dies gelingt meist nach retroperitonealer Mobilisierung der Beckenorgane und Darstellung der Harnblase und der Vaginalvorderwand. Nach Resektion des tumorösen Gewebes unter Mitnahme des befallenen Kolonsegmentes ist eine anschließende tiefe Anastomose in der Regel spannungsfrei durchführbar.
Lymphadenektomie Ein weiterer Ausbreitungsweg des Ovarialkarzinoms erfolgt entlang des Lymphsystems (. Abb. 56.2). Entsprechend der Anatomie kann ein Ovarialkarzinom vom Ovar entlang der Vasa ovarica direkt in die Gegend der mittleren paraaortalen Lymphknoten metastasieren. Retrograd kann sich das Malignom entlang dem parametranen Lymphknotennetz in die Lymphknotenbereiche nahe der A. und V. iliaca communis, A. und V. iliaca externa und der Fossa obturatoria ausbreiten.
895 56.6 · Operationstechnik
. Abb. 56.2. Lymphatische Metastasierung des Ovarialkarzinoms
In fortgeschrittenen Tumorstadien ist in mindestens 50% der Fälle mit einem tumorösen Befall der pelvinen und/oder paraaortalen Lymphknoten zu rechnen. In den frühen intraperitonealen Stadien mit ausschließlichem Beckenbefall ist ebenfalls in etwa 10–20% mit Lymphknotenmetastasen zu rechnen. Der Stellenwert des Lymphknotenstatus für die Prognose der Patientin ist im frühen Tumorstadium, vermutlich auch in den fortgeschrittenen Stadien gesichert, der therapeutische Nutzen der systematischen pelvinen und paraaortalen Lymphadenektomie ist jedoch noch nicht endgültig geklärt. In zahlreichen retrospektiven Studien erwies sich die Lymphadenektomie als sinnvolle Maßnahme, die Überlebenszeit der Patienten zu verlängern. In der bisher größten prospektiv-randomisierten Studie von Benedetti-Panici war allerdings die systematische Lymphadenektomie im fortgeschrittenen Tumorstadium lediglich mit einer verlängerten progressionsfreien Überlebenszeit, nicht jedoch mit einer Verlängerung des gesamten Überlebens verbunden (Benedetti-
Panici et al. 2005). Die Aussagekraft dieser Studie wird dadurch beeinträchtigt, dass ein Großteil der Patientinnen makroskopischen Tumorrest intraperitoneal aufwies. Eine von der AGO (Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie) initiierte und rekrutierende, prospektive Studie soll daher den Stellenwert der systematischen Lymphadenektomie bei intraperitoneal tumorfrei operierten Patientinnen klären. So lange die Ergebnisse dieser Studie noch nicht vorliegen, ist weiterhin die in den AGO-Leitlinien gegebene Empfehlung zur systematischen pelvinen und paraaortalen Lymphadenektomie in allen Tumorstadien mit makroskopischem Tumorrest von 0–1 cm gültig.
Die pelvine und paraaortale Lymphadenektomie ist somit bei allen Stadien indiziert, bei denen eine Tumorreduktion auf Reste von maximal 1 cm möglich ist.
56
896
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
Darm- und Oberbauchchirurgie
56
Im FIGO-Stadium IIIC sind häufig Darmresektionen notwendig, um makroskopische Tumorfreiheit oder weitgehende Tumorreduktion zu erzielen. Falls onkologisch sinnvoll, sind zur maximalen Reduktion der intraabdominalen Tumormassen und zur Beseitigung oder Verhinderung von Darmstenosen selbst multiple Darmresektionen angezeigt. Die Anlage eines Stomas ist fast immer vermeidbar und sollte nur Endstadien des Tumorleidens mit Ileussymptomatik vorbehalten bleiben. Bei Vorliegen großer Tumormassen sind der Befall des ileozökalen Überganges, des Querkolons und des rektosigmoidalen Bereiches typische Lokalisationen. Wegen der anatomischen Nachbarschaft ist die beschriebene En-bloc-Resektion von Rektosigmoid und innerem Genitale die am häufigsten durchgeführte darmresektive Maßnahme. Weitere Techniken sind rechts- oder linksseitige Hemikolektomie, Ileozökal- und Dünndarmresektionen. Die Rate an erreichbarer makroskopischer Tumorfreiheit kann bei tumorösem Darmbefall durch die Vornahme von Darmresektionen erhöht werden, so dass die Indikation für diese Eingriffe großzügig gestellt werden sollte. In der Regel werden etwa in der Hälfte der Fälle im fortgeschrittenen Tumorstadium eine oder mehrere Darmresektionen mit anschließender Anastomosierung zur Rekonstruktion des Passageweges vorgenommen. Hierbei ist die Rate problemhafter tiefer Anastomosen oder Anastomoseinsuffizienzen, die temporär die Vorschaltung eines protektiven Ileostomas erfordern, in der Regel deutlich unter 5%. Sofern der Oberbauch tumorös befallen ist, kann zusätzlich die Indikation zu Oberbaucheingriffen sinnvoll sein. Zwerchfelldeperitonealisierung mit partieller Zwerchfellresektion, Splenektomie, Pankreas-, Leber- sowie Magenteilresektion sollten bei gegebener Operabilität dann durchgeführt werden, wenn hierdurch makroskopische Tumorfreiheit erreichbar scheint. Retrospektive Daten belegen, dass durch eine zunehmende Rate an oberbauchchirurgischen Eingriffen die Rate der vollständigen Tumorresektion deutlich erhöht werden kann (. Tab. 56.5 und . Tab. 56.6; Zivanovic et al. 2008). Bei selten vorliegenden intrahepatischen Metastasen oder bei extraabdominalem Tumornachweis sollte die chirurgische Radikalität des Primäreingriffes in der Regel zurückgenommen werden. Beim alleinigen Vorliegen eines Pleuraergusses mit positiver Zytologie wird ein radikales Vorgehen befürwortet, da Pleuraergüsse meist gut auf die Chemotherapie ansprechen.
. Tab. 56.5. Daten zur operativen Therapie von Ovarialmalignomen (Universitätsfrauenklinik Bonn 2003–2007, n=238)
Erstdiagnose
Rezidiv
Borderline-Tumoren
26
4
Epitheliale Ovarialkarzinome
157
43
Keimzell-/Keimstrangstromatumoren
8
0
Gesamt
191
47
. Tab. 56.6. Operative Daten nach radikaler Primäroperation
Anzahl der Anastomosen
FIGO I–II (n=49)
FIGOIII (n=114)
FIGO IV (n=28)
1
1 (2%)
32 (28%)
9 (32%)
2
0
10 (9%)
3 (11%)
3
0
3 (3%)
0
Pelvin und paraortal
18 (37%)
63 (55%)
11 (39%)
Sampling
2 (4%)
12 (11%)
2 (7%)
Keine
29 (60%)
39 (34%)
15 (54%)
Primäre Stoma-Anlage
0
5 (4%)
1 (4%)
Lymphadenektomie
Urologische Eingriffe Eine Stauung der ableitenden Harnwege oder eine hydronephrotische Niere kommen beim Ovarialkarzinom meist nicht durch Infiltration des Ureters, sondern durch Tumorkompression zustande. Sollte ein Befall des Ureters vorliegen, so ist die distale Ureterresektion mit Neuimplantation (Psoas-HitchTechnik) sinnvoll. Blasenteilresektionen werden vorgenommen, wenn hierdurch makroskopische Tumorfreiheit oder eine weitgehende Tumorreduktion zu erreichen ist.
56.6.2 Operative Folgeeingriffe
Operation nach »unvollständiger« Primäroperation (Komplettierung) Eine Nachoperation bei unvollständigem Primäreingriff ist dann sinnvoll, wenn bei der Primäroperation die apparativen, strukturellen und personellen Voraussetzungen für eine radikale Tumorreduktion nicht gegeben waren und der Eingriff als diagnostische Laparotomie mit alleiniger Gewinnung der Histologie beendet wurde (. Abb. 56.3). Cave Eine postoperative Chemotherapie nach unzureichender Primärchirurgie sollte heute in jedem Falle vermieden werden.
Sekundäres Debulking (Intervall-Laparotomie) Eine Intervall-Laparotomie bezeichnet ein sekundäres Debulking nach in der Regel 3 Zyklen Chemotherapie und klinisch partieller oder kompletter Remission des initial verbliebenen Tumorrestes. In zwei großen prospektiven Studien wurde der Wert der Intervalloperation untersucht. In der Studie der EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) konnte eine Verlängerung der progressionsfreien und der Gesamtüberlebenszeit durch ein sekundäres Debulking nach Ansprechen auf eine platinhaltige Chemotherapie nach-
897 56.6 · Operationstechnik
nicht zu einer günstigen Beeinflussung des weiteren Krankheitsverlaufs führt (Luesley et al. 1988). Die Second-lookOperation ist daher heute nicht mehr fester Bestandteil der Primärtherapie beim Ovarialkarzinom.
Rezidivoperation
. Abb. 56.3. Therapiesituationen nach inkompletter Primäroperation
gewiesen werden. Von dem zweiten Eingriff profitieren jedoch nur diejenigen Patientinnen, die makroskopisch tumorfrei operiert werden können (van der Burg u. Vergote 2003). In einer Studie der Gynecologic Oncology Group (GOG) wurde ebenfalls der Einfluss der Intervalloperation nach radikaler Primäroperation mit Tumorrest >1 cm untersucht mit der Einschlussbedingung, dass beide Eingriffe durch einen erfahrenen gynäkologischen Onkologen erfolgen mussten. Hierbei konnte kein Überlebensvorteil für Patientinnen mit Tumorrest >1 cm nach Primäroperation durch eine zweite Operation nachgewiesen werden (Rose et al. 2004). Die unterschiedlichen Ergebnisse beider Studien lassen sich dadurch erklären, dass die Patientinnen in der Europäischen Studie im Rahmen des Primäreingriffes deutlich weniger radikal operiert wurden. 72% der Patientinnen hatten einen Tumorrest von über 5 cm vor Beginn der Chemotherapie, Patientinnen in der GOG-Studie hatten lediglich in 44% der Fälle Tumorreste dieser Größe. Aufgrund dieser Daten sollten Patientinnen mit makroskopischem Tumorrest trotz radikaler Tumorchirurgie nicht einer Intervalloperation zugeführt werden, da diese keine Prognoseverbesserung bewirken kann. Patientinnen mit makroskopischem Tumorrest nach eingeschränkt radikaler Tumorresektion profitieren von einer möglichst umgehend erfolgenden Komplettierungsoperation, bei bereits begonnener Chemotherapie nach unvollständiger Tumorresektion kann die in einem operativem Zentrum durchzuführende Intervalloperation nach nicht mehr als 2–3 Zyklen einer Kombinationschemotherapie zu einer Verlängerung der progressionsfreien und Gesamtüberlebenszeit führen.
Second-look-Operation Der Begriff der »Second-look-Operation« steht für die aus diagnostischen Gründen durchgeführte und geplante Zweitlaparotomie beim Ovarialkarzinom zum Nachweis eines persistierenden Tumors nach Operation und Chemotherapie (4–6 Zyklen) bei negativen klinischen, laborchemischen und apparativen Parametern. Prospektive Studien konnten zeigen, dass die Durchführung der Second-look-Operation ggf. in Verbindung mit Tumorresektion und Einleitung einer erneuten Chemotherapie
Bei Patientinnen mit einem Spätrezidiv (rezidivfreies Intervall nach Beendigung der Primärtherapie >6 Monate) besteht die Möglichkeit, über einen erneuten chirurgischen Eingriff zu einer signifikanten Lebensverlängerung beizutragen (Kuhn 2003). Diese erneute Operation ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn bei der Primärtherapie günstige Voraussetzungen vorlagen. Hierzu zählen: 4 Initial frühes Tumorstadium 4 Makroskopische Tumorfreiheit bei der Primäroperation 4 Gutes Ansprechen auf die postoperative Chemotherapie bei initialem Tumorrest 4 Ein möglichst langer Abstand zwischen Primärtherapie und Auftreten des Rezidivs
Die Indikation zu diesem Eingriff sollte nur dann gestellt werden, wenn das Erzielen einer makroskopischen Tumorfreiheit wahrscheinlich ist.
In einer prospektiven Studie der AGO wurde die Frage nach der sinnvollen Indikationsstellung zur Rezidivchirurgie untersucht, hierbei wurde ein anhand von retrospektiven Studien entwickelter Bewertungs-Score prospektiv validiert. Dieser Score berücksichtigt den Allgemeinzustand der Patientin, die makroskopische Tumorfreiheit nach der Primäroperation und den fehlenden Aszitesnachweis zum Zeitpunkt der Rezidivdiagnose. Bei positivem Score konnte bei den Patientinnen mit Ovarialkarzinom-Erstrezidiv in über 75% der Fälle eine makroskopische Tumorfreiheit erreicht werden. Die komplette Tumorfreiheit ist wiederum Voraussetzung für ein Ansprechen auf die postoperative, platinhaltige Chemotherapie, die in der genannten Studie zu medianen Überlebenszeiten von über 3 Jahren führte (Harter et al. 2006). Die meist interdisziplinär durchzuführenden, aufwändigen Eingriffe bedürfen der ebenso sorgfältigen Vorbereitung vor der Primärchirurgie. Bei Patientinnen mit Frührezidiv (rezidivfreies Intervall nach Beendigung der Primärtherapie <6 Monate) oder bei Patientinnen mit primärer Progression macht es in der Regel keinen Sinn, über eine erneute Operation eine Verbesserung der Gesamtsituation zu versuchen. Eine signifikante Verlängerung der Überlebenszeit gelingt im Allgemeinen nicht.
Palliative Operation Palliative Operationen sind nur dann sinnvoll, wenn stenosierende Tumoren im Bereich des Darms nach Primär- und Rezidivbehandlung resezierbar sind und ohne größere Gefährdung der Patientin entfernt werden können. Bei Vorliegen eines Ileus bleibt trotz der begrenzten Prognose häufig keine andere Wahl als eine erneute Operation, dann ist die nicht selten unvermeidbare Anlage eines Stomas gerechtfertigt.
56
898
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
Minimal-invasive Chirurgie In der Abklärung persistierender unklarer Unterbauchbefunde hat die Laparoskopie allenfalls als diagnostisches Verfahren eine Bedeutung. Darüber hinaus kann im Einzelfall bei multimorbiden Patientinnen und frühen Tumorstadien die laparoskopische Adnektomie zur Diagnosesicherung sowie zur Tumorentfernung indiziert sein.
Bei Ovarialtumoren, die aufgrund ihrer Klinik sowie der präoperativen Zusatzuntersuchungen verdächtig oder maligne erscheinen, ist eine primäre Laparotomie indiziert. Nach laparoskopischem »Anoperieren« eines primär nicht erkannten Ovarialkarzinoms sollte nach Erhalt der Schnellschnittdiagnostik zeitnah die definitive operative Therapie erfolgen, da eine Verzögerung zu einer Prognoseverschlechterung führt.
56.7
Die Indikation zur Durchführung der Tumordebulkingoperation ist unter Würdigung der teilweise erheblichen perioperativen Morbidität und Mortalität zu stellen. Ist die Operationsfähigkeit der Patientin gegeben, ist das aufwändige operative Vorgehen aufgrund der eindeutig günstigen Beeinflussung des weiteren Krankheitsverlaufs anzustreben.
Postoperative Behandlung
Die frühe postoperative Behandlung der wegen eines Ovarialkarzinoms operierten Patientinnen, insbesondere wenn zusätzlich ein darmresektiver Eingriff durchgeführt werden musste, orientiert sich an den in der Viszeralchirurgie bekannten Kriterien und den dort angewendeten Maßnahmen.
56
56.8
tes, der Thrombosehäufigkeit und der meist konservativ zu behandelnden Subileuszustände. Bei den fortgeschrittenen Tumorstadien ist nach Durchführung zusätzlicher Darmresektionen sowie insbesondere nach oberbauch-chirurgischen Eingriffen eine deutlich erhöhte perioperative Morbidität und Mortalität zu beachten. Unter Anwendung eines im Memorial-Sloan-Kettering-Institut entwickelten Morbiditäts-Score konnten wir in einem von uns behandelten Kollektiv in über 13% der Fälle schwere Morbidität u. a. mit septischen Verläufen, Platzbauch oder Anastomoseninsuffizienz beobachten, die perioperative Mortalität lag bei 4% (. Tab. 56.7)
Postoperative Komplikationen
Bei zunehmender Radikalität des operativen Eingriffes ist mit einer Erhöhung der Morbidität und auch der Mortalität zu rechnen. Allein die Durchführung der systematischen pelvinen und paraaortalen Lymphadenektomie bedingt selbst an operativen Zentren eine signifikante Zunahme des Blutverlus-
Ergebnisse der Chirurgie und adjuvanten Therapie
56.9
Die Standardtherapie des Ovarialkarzinoms mit Leitliniengemäßer, operativer Vorgehensweise in Verbindung mit Platin- und taxanhaltiger Chemotherapie führt zu den günstigsten Therapieergebnissen (. Abb. 56.4a). Anders als die gastrointestinalen Tumore ist das Ovarialkarzinom in der Regel ein Chemotherapie-sensibles Malignom, so dass nach vollständiger operativer Tumorresektion und adjuvanter Chemotherapie ein kurativer Ansatz möglich ist. In einer Metaanalyse von über 6000 Patientinnen mit Ovarialkarzinom konnte gezeigt werden, dass durch die zunehmende operative Radikalität die
. Tab. 56.7. Perioperative Morbidität und Mortalität bei 238 Ovarialmalignom-Operationen (einschließlich Rezidiveingriffe, Universitätsfrauenklinik Bonn)
Score
Eingesetzte Therapie
Anzahl (Anteil)
Komplikationen
0
Keine behandlungsbedürftigen Komplikationen
136 (57%)
–
1
Einsatz oral verabreichter Medikamente, »Bedside-Interventionen«
48 (20%)
Harnwegsinfekte, Wundheilungsstörungen
2
Einsatz intravenös verabreichter Medikamente, parenterale Ernährung, Transfusionen etc.
24 (10%)
Fieber, Infektion, Thrombose, Pleuraerguss/-punktion
3
Einsatz interventionell-radiologischer Verfahren, Intubation, Operation
14 (6%)
Nachblutung, Infektion, CT-gestützte Lymphozelenpunktion, rektovaginale Fistel, Ureterleckage, Platzbauch, passagere Dialyse, passagere motorische Ausfälle
4
Anhaltende oder bleibende Behinderungen, Organresektionen
7 (3%)
Anastomoseninsuffizienz, Laparostoma, Kurzdarmsyndrom
5
Tod
9 (4%)
Sepsis, Multiorganversagen, Nierenversagen, Herzstillstand
899 56.10 · Neoadjuvante, adjuvante und palliative Therapieprinzipien
a
b . Abb. 56.4a,b. a 5-Jahres-ÜberlebensrateFIGO I–IV (nach Heintz et al. 2006). b Medianes Überleben in Abhängigkeit von maximaler Tumorreduktion
Überlebenszeit der Patientinnen linear verlängert werden konnte (Bristow et al. 2002; . Abb. 56.4b). Hierbei werden in zahlreichen Studien mediane Langzeitüberlebenszeiten bei makroskopisch tumorfrei operierten Patientinnen von über 72 Monaten angegeben. Die möglichst vollständige Tumorresektion, als wesentliche Voraussetzung für einen günstigen Krankheitsverlauf, ist abhängig von dem Operateur und dem Ort der Primäroperation. Optimale »Tumorresektion« mit makroskopischem Resttumor von 0–1 cm sind in operativen Zentren in bis zu 80% der Fälle erreichbar. Die Überlebensdaten werden durch eine von der FIGO weltweit erhobene Analyse bestätigt, die zeigen konnte, dass sich während der letzten 20 Jahre die Prognose der Patientinnen mit Ovarialkarzinom im Hinblick auf das 5-JahresÜberleben verbessert hat, dies ist insbesondere auf die zunehmende Radikalität des operativen Vorgehens in Verbindung mit der platin-/taxanhaltigen Chemotherapie zurückzuführen
56.10
Neoadjuvante, adjuvante und palliative Therapieprinzipien
56.10.1
Indikationen zur Chemotherapie
Die stadienadaptierte systemische Chemotherapie entsprechend den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie Ovar (AGO-Ovar, http://www.ago-ovar.de) ist in . Tab. 56.8 dargestellt. Patientinnen mit hochdifferenziertem Ovarialkarzinom im Stadium FIGO IA profitieren nicht von einer adjuvanten Therapie. Bei Karzinomen im Frühstadium mit mäßig bis schlechter Differenzierung (G2 oder G3) oder einem hellzelligen histologischen Subtyp sowie bei Vorliegen eines Stadiums FIGO IB, IC, IIA oder IIB ist das Rezidivrisiko erhöht, das durch eine adjuvante platinhaltige Therapie deutlich gesenkt werden kann. Carboplatin und Cisplatin sind in der Behandlung des Ovarialkarzinoms äquieffektiv, Carboplatin weist jedoch ein signifikant günstigeres Nebenwirkungsprofil auf (weniger Emesis, geringere Nephro- und Neurotoxizität) und sollte deshalb bevorzugt eingesetzt werden (du Bois et al. 2003). In den Stadien FIGO IIB bis IV ist die Kombination aus Platin und Paclitaxel der Kombination aus Platin und Cyclophosphamid überlegen und stellt den derzeitigen Standard in der Primärtherapie des Ovarialkarzinoms dar (McGuire et al. 1996). Voraussetzung für eine bestmögliche Wirkung der Chemotherapie ist die ausreichend dosierte, möglichst zeitnah zur Operation durchgeführte Kombinationschemotherapie. Bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom und deutlich eingeschränktem Allgemeinzustand aufgrund von Komorbidität oder aufgrund der Tumorerkrankung ist anstelle der Kombination die Monotherapie mit Carboplatin als wirksame Behandlung mit guter Verträglichkeit zu empfehlen. Die intraperitoneale Chemotherapie zeigte in mehreren Studien im Vergleich zur Standardtherapie vielversprechende Ergebnisse, zuletzt in der Kombination des intraperitoneal verabreichten Cisplatin mit intraperitoneal und intravenös verabreichten Paclitaxel (Armstrong et al. 2006). Der signifikante
. Tab. 56.8. Übersicht über die stadienadaptierte Chemotherapie beim Ovarialkarzinom
Tumorstadium
Empfehlung
IA G1
Keine adjuvante Therapie
IA G >1 IB, IC, IIA Gx
Adjuvant Carboplatin (AUC 5), Tag 1, q21 4–6 Zyklen (Carboplatin ggf. in Kombination mit Paclitaxel)
IIB–IV
Carboplatin (AUC 5) + Paclitaxel 175 mg/m2, 3 h-Infusion, Tag 1, q21, 6 Zyklen
IIIC–IV bei eingeschränktem Allgemeinzustand
Carboplatin-Monotherapie (AUC 4–5), Tag 1, q21, 6 Zyklen
56
900
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
Überlebensvorteil ging allerdings mit deutlich erhöhter Toxizität einher, so dass die intraperitoneale Chemotherapie die Standardtherapie nicht abgelöst hat (du Bois et al. 2006). Für eine Bewertung der HIPEC (hypertherme intraperitoneale Chemoperfusion) liegen keine ausreichenden Ergebnisse vor. Therapieoptimierungsstudien mit Hinzunahme einer 3. Substanz zu dem platinhaltigen Standardschema sowie die Durchführung einer sequentiellen Konsolidierungs- oder einer über mehrere Monate andauernden Erhaltungstherapie konnten zu keiner signifikanten Verbesserung der Therapieergebnisse führen. Aktuelle Studien zur zusätzlichen Gabe von »Biologicals«, wie Antiangiogenesefaktoren (Bevacizumab) oder von Antikörpern gegen das Tumorprotein CA 125 (Abagovomab) haben noch keine auswertbaren Ergebnisse.
56.10.2
56
Präoperative (neoadjuvante) Chemotherapie
Patientinnen, bei denen aufgrund der Tumorlokalisation (diffuse Peritonealkarzinose, Zwerchfellkarzinose, Befall des Mesenteriums) eine optimale Tumorreduktion nicht zu erreichen ist, profitieren nur wenig von dem konventionellen therapeutischen Vorgehen (Tumordebulking gefolgt von Chemotherapie). Retrospektive Studien konnten zeigen, dass Patientinnen mit großen Aszitesvolumina als Ausdruck ausgedehnter Peritonealkarzinose und hierdurch bedingter eingeschränkter Tumorresektabilität von einer neoadjuvanten Chemotherapie gefolgt von Tumordebulking im Hinblick auf Tumorresektionsrate und progressionsfreies Überleben profitieren. Ergebnisse einer von unserer Arbeitsgruppe durchgeführten, prospektiven Phase IIStudie bestätigen, dass die platin-/taxanhaltige Chemotherapie bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom und ungünstigen Zusatzkriterien (Aszitesbildung bei Peritonealkarzinose, Alter über 60 Jahre, hoher Anteil an Tumorstadium FIGO IV) zu Tumorresektionsraten führen, die bei konventioneller Vorgehensweise bei diesen Patientinnen nicht erreichbar wären (Pölcher et al. 2009). Die kürzlich erstmals vorgestellten Ergebnisse einer prospektiven, randomisierten Phase-III-Studie konnten darüber hinaus zeigen, dass bei deutlich besserer Lebensqualität und signifikant geringerer perioperativer Morbidität neoadjuvant therapierte Patientinnen den gleichen Überlebenszeitverlauf aufwiesen wie konventionell behandelte Patientinnen. Es zeichnet sich ab, dass zumindest in Untergruppen Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom von einer neoadjuvanten Therapie profitieren. Weitere prospektive Studien sind erforderlich, um zu klären, ob die neoadjuvante Therapie auch als weitere Standardtherapie empfohlen werden kann (Kuhn et al. 2001; Vergote et al. 2008).
Primäres Tumordebulking, gefolgt von postoperativer Chemotherapie, ist weiterhin der Standard der Therapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms, die neoadjuvante Therapie sollte bis zur endgültigen Klärung ihres Stellenwertes ausschließlich unter Studienbedingungen erfolgen.
56.10.3
Therapie bei Progression und Rezidiv
Ein Rezidiv der Erkrankung tritt trotz adäquater Primärtherapie bei 70% der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom auf. Zu unterscheiden sind 4 Platinrefraktäres Rezidiv (Rezidiv innerhalb von 6 Monaten nach Abschluss der Primärtherapie) 4 Platinsensitives Rezidiv (Rezidiv nach einem Intervall >6 Monate nach Abschluss der Primärtherapie) Bei primärer Progression unter der Primärtherapie und bei platinrefraktärem Rezidiv ist die Prognose ungünstig. Die Remissionsraten der zur Verfügung stehenden Chemotherapieschemata liegen deutlich unter 25%, die medianen Überlebenszeiten bei etwa 10 Monaten. Die Behandlung sollte daher in diesen Fällen auf eine Vermeidung von Toxizität gerichtet sein. Wirksam und relativ gut verträglich sind Topotecan (1,25 mg/ m2 KOF, Tag 1–5, q21), pegyliertes-liposomales Doxorubicin (40 mg/ m2, Tag 1, q28) und Treosulfan (5–7 g/m2, Tag 1, q21). Die endokrine Therapie mit Tamoxifen (20 mg/ Tag) oder Megestrolacetat (160 mg/Tag) ist mit Remissionsraten von etwa 10–15% in dieser ungünstigen Krankheitssituation ebenfalls zu erwägen, im Einzelfall kann ein therapeutisches Vorgehen im Sinne von »best supportive care« ein sinnvolles Vorgehen sein. Bei einem rezidivfreien Intervall von mehr als 6 Monaten ist die Reinduktion einer platinhaltigen Chemotherapie sinnvoll. Die Ansprechrate nimmt mit der Länge des rezidivfreien Intervalls zu und kann Raten bis zu 50% erreichen (Kuhn et al. 1998). In dieser Situation ist die Kombination aus Platin und Taxan oder Gemcitabine der platinhaltigen Monotherapie im Hinblick auf die Überlebenszeit der Patientinnen signifikant überlegen (Parmar et al. 2003; Pfisterer et al. 2006). Beim klinisch fassbaren Rezidiv nach zunächst eingetretener Vollremission und therapiefreiem Intervall von mehr als 6 Monaten (»Spätrezidiv«) kann eine sekundäre tumorreduktive Operation in Erwägung gezogen werden, wenn nach präoperativer klinischer Einschätzung eine optimale Zytoreduktion durch den Eingriff erreicht werden kann.
56.11
Empfehlungen zur Nachsorge
Die Nachsorge liegt zumeist in der Hand des gynäkologischen Onkologen. Die Nachsorgeuntersuchungen nach der Primärtherapie beinhalten die körperliche und gynäkologische Untersuchung einschließlich Vaginalsonographie und werden in folgenden Abständen durchgeführt: 4 Im 1. bis 3. Jahr alle 3 Monate 4 Im 4. bis 5. Jahr alle 6 Monate 4 Ab dem 6. Jahr alle 12 Monate Die Nachsorge sollte symptomorientiert erfolgen ohne routinemäßige apparative Diagnostik, die zwar einen frühzeitigen Nachweis eines Rezidivs ermöglicht, jedoch nicht zu einer günstigen Beeinflussung der Prognose führt. Die apparative Diagnostik sollte erst bei entsprechender Symptomatik gezielt
901 56.12 · Ausblick
eingesetzt werden, darüber hinaus sollte sich Art und Intervall der Nachuntersuchung an der Modalität der Primärtherapie, deren Sekundärfolgen und an der individuellen Prognose orientieren. Eine Bestimmung des Tumormarkers CA 125 (CA 72-4 oder CA 19-9 beim muzinösen Karzinom) sollte nur erfolgen, wenn aus den Ergebnissen direkte Konsequenzen für weitere Maßnahmen oder Therapien erwartet werden können, eine Routinebestimmung der Tumormarker ist nicht indiziert. Bei alleiniger Erhöhung des Tumormarkers ohne klinisch oder apparativ nachgewiesenes Tumorrezidiv ist nach heutigem Kenntnisstand die frühzeitige Einleitung einer erneuten Therapie ohne Vorteil für die Patientin.
Die Tumornachsorge sollte symptomorientiert erfolgen, die Indikation zur apparativen Diagnostik oder zur Bestimmung der Tumormarker ist nur bei entsprechender klinischer Symptomatik oder bei Verdacht auf das Vorliegen eines Rezidivs sinnvoll.
56.12
Ausblick
Zum Zeitpunkt der Primärdiagnosestellung befinden sich über 70% der Patientinnen im Tumorstadium FIGO III und IV. Die Prognose in diesen fortgeschrittenen Krankheitsstadien ist limitiert. Ziel von Vorsorgeprogrammen (u. a. transvaginale Sonographie, Tumormarker bei Risikopatientinnen) sollte es deshalb sein, die Tumorerkrankung in Frühstadien zu diagnostizieren, um die Gesamtprognose der Patientinnen zu verbessern. Da sich jedoch lediglich etwa 30% aller Frauen den Vorsorgeuntersuchungen unterziehen und Screeningprogramme aufgrund eingeschränkter Sensitivität und Spezifität nicht ausreichend wirksam sind, wird das fortgeschrittene Ovarialkarzinom FIGO III und IV auch zukünftig von großer klinischer Bedeutung sein. Die komplette Tumorreduktion, gefolgt von Platin-/Paclitaxel-haltiger Chemotherapie führt mit medianen Überlebenszeiten von über 72 Monaten zu den günstigsten Therapieergebnissen. Die Patientinnen mit postoperativem Tumorrest haben hingegen trotz des Einsatzes der Polychemotherapie deutlich kürzere Überlebenszeiten. Die Rolle der neoadjuvanten Therapie bei der Behandlung des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms wird durch weitere prospektive Studien geklärt werden. Es zeichnet sich ab, dass Patientinnen im fortgeschrittenen Tumorstadium und ungünstigen Zusatzkriterien (großes Aszitesvolumen, Peritonealkarzinose) von der neoadjuvanten Therapie profitieren. Darüber hinaus ist es denkbar, dass sich das weitere therapeutische Vorgehen an dem Remissionsverhalten des Tumors auf die neoadjuvante Chemotherapie orientieren wird: es bleibt zu untersuchen, ob bei Nichtansprechen oder Progression unter der neoadjuvanten Chemotherapie die Durchführung einer aufwändigen operativen Tumorresektion wirklich von Vorteil für die Patientin ist.
Die Chemotherapie prä- oder postoperativ verabreicht, wird weiterhin ein wesentlicher Bestandteil in der Therapie des Ovarialkarzinoms bleiben, es ist abzuwarten, ob die zusätzliche Gabe von »Biologicals« (u. a. Tyrosinkinase-Inhibitoren, Antiangionesefaktoren) zu einer weiteren Verbesserung der Therapieergebnisse führen wird. Die Therapie des Ovarialkarzinoms sollte ausschließlich in operativ-onkologisch versierten Zentren erfolgen, die Etablierung von Ovarialkarzinomzentren oder gynäkologischen Krebszentren wird von den Kostenträgern und von der Deutschen Krebsgesellschaft gefördert und wird zu einer Verbesserung der Therapieergebnisse führen.
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56
902
56
Kapitel 56 · Ovarialkarzinom
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57 57
Peritonealkarzinose G. Glockzin, H.J. Schlitt, P. Piso
57.1
Grundlagen
– 904
57.2
Klinische Symptomatologie
57.3
Diagnostik und Staging
57.4
Therapieziele und Indikationsstellung
57.5
Chirurgische Strategie
57.6
Operationstechnik
57.7
Postoperative Behandlung
57.8
Intra- und postoperative Komplikationen
57.9
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
57.10
Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie
57.11
Palliation
57.12
Empfehlungen zur Nachsorge
57.13
Ausblick
– 904
– 907
– 911
– 911
– 905
– 906
– 908
– 911
Internetadressen Literatur
– 904
– 911
– 911
– 909
– 909 – 910
904
Kapitel 57 · Peritonealkarzinose
> Die Peritonealkarzinose ist ein häufiges Zeichen fortgeschrittener maligner gastrointestinaler Tumoren oder Tumorrezidive. Hinzu kommen seltene primäre peritoneale Karzinome wie das diffuse maligne peritoneale Mesotheliom (DMPM). Eine Sonderform des peritonealen Tumorbefalles stellt das Pseudomyxoma peritonei (PMP) dar, das sich durch oftmals ausgeprägte intraperitoneale Schleimmassen auszeichnet. Histologisch reicht das Pseudomyxoma peritonei von der disseminierten Adenomuzinose (DPAM) über einen intermediären Typ (PMCA-I) bis zur peritonealen muzinösen Karzinomatose (PMCA). Primärtumoren sind meist rupturierte Mukozelen oder muzinöse Adenokarzinome der Appendix oder der Ovarien (Ronnett et al. 1997). Auf das fortgeschrittene Ovarialkarzinom als häufigster gynäkologischer Tumor mit peritonealer Metastasierung wird im folgenden Kapitel nicht näher eingegangen.
57.1
57
Grundlagen
Im Gegensatz zur hämatogenen und lymphatischen Metastasierung liegt der Peritonealkarzinose eine Tumorausbreitung per continuitatem oder eine Tumorzellverschleppung im Rahmen der Primärtumorresektion zugrunde. Die Entstehung einer peritonealen Metastasierung beginnt mit der Ablösung einzelner Tumorzellen vom Primarius. Aufgrund rascher Tumorproliferation bei fehlender lymphatischer Drainage und weiterer Mechanismen kommt es zu einem Übertritt der einzelnen Zellen nach intraperitoneal. Hier erfolgt die Verteilung mit der zirkulierenden Peritonealflüssigkeit. Direkter Zell-Zell-Kontakt führt über diverse Adhäsionsmoleküle wie ICAM-1 und CD44 zu einer Bindung an Mesothelzellen. Durch Apoptoseinduktion und Auflösen der interzellulären Verbindungen kommt es zu einem Kontakt mit der extrazellulären Matrix und schließlich über Integrinbindung und Degradation zur Invasion submesothelialer Schichten (. Abb. 57.1). Zudem können die freien Tumorzellen auch direkt an extrazelluläre Matrix oder spezialisierte Strukturen wie das Omentum majus binden und diese infiltrieren. Diese Vorgänge scheinen durch ein chirurgisches Trauma mit postoperativer Entzündungsreaktion und immunologische Vorgänge im Rahmen der Wundheilung begünstigt zu werden (Ceelen u. Bracke 2009).
Jeder zehnte Patient mit kolorektalem Karzinom zeigt bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose eine Peritonealkarzinose. Bei etwa 25% der Patienten mit peritoneal metastasierten kolorektalen Karzinomen lassen sich keine zusätzlichen Organmetastasen nachweisen. Dennoch geht die Diagnose einer Peritonealkarzinose in der Regel mit einer schlechten Prognose einher. In der multizentrischen EVOCAPE I-Studie betrug das mediane Überleben 5,2 Monate bei kolorektalem (n=118) und 3,1 Monate bei Magenkarzinom (n=125; Sadeghi et al. 2000). Für das peritoneale Mesotheliom sind in den meisten Studien Überlebenszeiten unter einem Jahr publiziert (Yan et al. 2008).
57.2
Klinische Symptomatologie
Die Peritonealkarzinose ist häufig lange Zeit klinisch inapparent oder geht mit unspezifischen abdominellen Symptomen oder B-Symptomatik einher. Das Auftreten von Aszites ist oftmals das erste klinische Zeichen einer zu diesem Zeitpunkt meist bereits fortgeschrittenen peritonealen Tumordissemination. Im Verlauf können in Abhängigkeit vom Befallsmuster Cholestase, Harnstau, Dysphagie und Stenosesymptomatik bis hin zum mechanischen Ileus auftreten. Zudem entwickeln einige Patienten zunehmende abdominelle Schmerzen. Hinzu kommen bei synchroner Peritonealkarzinose u. U. durch den Primarius verursachte Symptome und Komplikationen. Beim Pseudomyxoma peritonei fällt bei großer Tumormasse häufig eine progrediente Bauchumfangsvermehrung und deutliche Gewichtszunahme auf.
57.3
Diagnostik und Staging
Entscheidend für die Festlegung des therapeutischen Procedere bei Verdacht auf oder gesicherter Peritonealkarzinose ist eine konsequente Diagnostik (7 Übersicht). Hierzu gehören Anamneseerhebung mit Begleiterkrankungen und Voroperationen, klinische Untersuchung, Routinelabor und Bestimmung der entitätsspezifischen Tumormarker. Unverzichtbar ist darüber hinaus eine Computertomographie von Thorax, Abdomen und Becken mit intravenöser, oraler und rektaler Kontrastierung. Zwingend notwendige präoperative Diagnostik 4 Klinische Untersuchung 4 Klinische Chemie inkl. spezifischer Tumormarker 4 3-Phasen-Computertomographie des Thorax, Abdomens und Beckens mit oraler, rektaler und intravenöser Kontrastierung
Additive präoperative Diagnostik
. Abb. 57.1. Pathogenese der Peritonealkarzinose. 1 Zellablösung, 2 Zelladhäsion, 3 Apoptoseinduktion, 4 Invasion, 5 Degradation und Infiltration; BM Basalmembran. (Nach Ceelen u. Bracke 2009)
4 4 4 4
Kontrastmittelsonographie Magnetresonanztomographie (MRT) Positronenemissionstomographie (PET)/PET-CT Diagnostische Laparoskopie
905 57.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
57.4
. Abb. 57.2. Peritoneal Cancer Index. (Nach Sugarbaker et al. 1995)
Beim kolorektalen Karzinom muss die Diagnostik um eine komplette Koloskopie und im Falle einer synchronen Peritonealkarzinose bei Rektumkarzinom auch um Rektoskopie und Endosonographie erweitert werden. Beim Magenkarzinom kommt die Gastroskopie mit Endosonographie hinzu. Ergänzende befundbezogene Untersuchungen wie Sonographie, Magnetresonanztomographie oder Positronenemissionstomographie bzw. PET-CT sind häufig hilfreich. In ausgewählten Fällen kann eine diagnostische Laparoskopie zur genaueren Beurteilung der intraperitonealen Tumordissemination oder histologischen Sicherung bei Verdacht auf Peritonealkarzinose sinnvoll sein (Yan et al. 2007c). Beim peritonealen Mesotheliom sollte aufgrund des besonders hohen Risikos von Trokarmetastasen allerdings auf eine laparoskopische Exploration verzichtet werden (Deraco et al. 2008). Die Ausdehnung einer Peritonealkarzinose lässt sich letztlich nur intraoperativ sicher festlegen. Hierzu stehen verschiedene Staging-Systeme zur Verfügung. Am häufigsten wird entitätsübergreifend der sog. Peritoneal Cancer Index (PCI, Washington Cancer Institute) verwendet (. Abb. 57.2). Der numerische Score setzt sich aus Läsionsgröße (LS-0 bis LS-3) und Tumorlokalisation (Region 0–12) zusammen und liegt zwischen 0 und maximal 39. Der PCI kann als sog. CT-PCI auch präoperativ anhand der computertomographischen Befunde bestimmt werden. Untersuchungen bei Patienten mit Peritonealkarzinose bei kolorektalem Karzinom zeigen allerdings, dass der CT-PCI den intraoperativen Befund häufig unterschätzt (Esquivel u. Chua 2009).
Therapieziele und Indikationsstellung
Die Behandlung fortgeschrittener Karzinome mit Peritonealkarzinose ist die Domäne der systemischen Chemotherapie (Folprecht et al. 2007). Zwar konnte durch die Einführung von Polychemotherapieschemata und den Einsatz neuer Zytostatika, spezifischer Antikörper und anderer molekularer Therapeutika die Prognose betroffener Patienten z. T. wesentlich verbessert werden, die Ergebnisse bleiben aber insgesamt unbefriedigend. Mit dem kombinierten Therapieregime aus zytoreduktiver Chirurgie (CRS) und hyperthermer intraperitonealer Chemotherapie (HIPEC) steht für einen hochselektionierten Teil der Patienten eine zusätzliche Therapieoption mit grundsätzlich kurativer Intention zur Verfügung. Therapieziel ist eine vollständige Entfernung aller sichtbaren Tumormassen, die sog. komplette makroskopische Zytoreduktion, als Grundlage für die intraperitoneale Applikation eines oder mehrerer Zytostatika in Verbindung mit Hyperthermie zur Vernichtung nicht sichtbarer verbliebener Tumorzellen. Elias et al. publizierten in einer Studie mit 48 Patienten mit peritoneal metastasiertem kolorektalem Karzinom ein medianes Überleben von 63 Monaten nach kompletter makroskopischer Zytoreduktion und HIPEC mit Oxaliplatin im Vergleich zu 24 Monaten in der historischen Kontrollgruppe mit alleiniger systemischer Chemotherapie (Elias et al. 2008). Entscheidend für eine erfolgreiche Durchführung des kombinierten Behandlungskonzeptes ist eine konsequente präoperative Patientenselektion. Bei der Indikationsstellung müssen Tumorentität, Ausdehnung des peritonealen Tumorbefalles, Histologie sowie Allgemeinzustand und Begleiterkrankungen der Patienten beachtet werden (. Abb. 57.3). Während beim Magenkarzinom ein maximaler PCI von 10 gefordert wird, werden beim Kolonkarzinom ein PCI von 20 und beim Pseudomyxoma peritonei auch deutlich höhere Scores akzeptiert (Bozzetti et al. 2008; Esquivel et al. 2008; Moran et al. 2008). Die Peritoneal Surface Malignancy Group hat für das kolorektale und Appendixkarzinom insgesamt 8 Variablen festgelegt, die die Wahrscheinlichkeit einer kompletten makroskopischen Zytoreduktion erhöhen (Esquivel et al. 2007): 4 ECOG-Performance-Status ≤2 4 Fehlen extraabdomineller Tumormanifestationen 4 Maximal drei resektable Lebermetastasen 4 Keine Anzeichen von Cholestase 4 Keine Hinweise für Ureterstenose und Harnstau 4 Maximal eine intestinale Stenose 4 Limitierter Dünndarmbefall 4 Limitierter Tumorbefall des Omentum minus Zudem scheinen Patienten mit Rektumkarzinomen nicht von einer Therapie mit CRS und HIPEC zu profitieren. In einer Studie von da Silva et al. mit 156 Patienten lag die 5-JahresÜberlebensrate in der Rektumkarzinomgruppe bei 0% (da Silva 2005). Darüber hinaus verschlechtern eine histologische Siegelringzellkomponente, ein positiver Lymphknotenstatus und ein schlechtes Ansprechen auf systemische Chemotherapie die Gesamtprognose.
57
906
57
Kapitel 57 · Peritonealkarzinose
. Abb. 57.3. Algorithmus für die Behandlung von Patienten mit peritoneal metastasierten Kolon- und Appendixkarzinomen
Beim Magenkarzinom mit synchroner oder metachroner Peritonealkarzinose gilt eine Fernmetastasierung in den meisten Peritonealkarzinosezentren als Ausschlusskriterium für CRS und HIPEC (Bozzetti et al. 2008). Beim Pseudomyxoma peritonei spielen neben der Tumordissemination histologisches Grading, Dünndarmbefall, Lebermetastasierung und Patientenalter eine entscheidende Rolle für die Prognose (Moran et al. 2008). Beim peritonealen Mesotheliom müssen bei der Indikationsstellung zu CRS und HIPEC extraabdominelle und hepatische Metasierung sowie Histologie und Mitosezahl beachtet werden (Deraco et al. 2008).
57.5
2,5 mm Größe intraoperativ letztlich nicht sicher möglich ist, wird CCR-0/1 als komplette makroskopische Zytoreduktion definiert. CCR-2 klassifiziert verbliebene Tumorreste zwischen 2,5 mm und 2,5 cm, CCR-3-Tumorreste über 2,5 cm (Glehen et al. 2003).
Eine definitive Entscheidung über die Durchführbarkeit einer kompletten makroskopischen Zytoreduktion kann erst intraoperativ getroffen werden. Insbesondere beim Magenkarzinom kann es daher im Einzelfall sinnvoll sein, den Eingriff mit einer diagnostischen Laparoskopie zu beginnen.
Chirurgische Strategie
Das chirurgische Behandlungskonzept der Peritonealkarzinose setzt sich aus zytoreduktiver Chirurgie (CRS) und hyperthermer intraperitonealer Chemotherapie (HIPEC) zusammen. Ziel der CRS ist die komplette makroskopische Zytoreduktion. Die Vollständigkeit der Tumorreduktion wird mit Hilfe des Completeness of Cytoreduction Score (CCR Score) klassifiziert. CCR-0 steht für keinen verbliebenen sichtbaren Tumor und CCR-1 für Tumorreste <2,5 mm. Da ein makroskopischer Ausschluss einzelner verbliebener Tumorreste unter
Der Resektion folgt die intraoperative Applikation der hyperthermen intraperitonealen Chemotherapie (HIPEC). Der theoretische Vorteil gegenüber einer systemischen Chemotherapie liegt in der hohen lokalen Wirkstoffkonzentration bei reduzierter Toxizität. Experimentelle Daten zeigen allerdings, dass die Gewebepenetration in Abhängigkeit von den verwendeten Substanzen nur bei einer Tiefe von etwa 3 mm liegt. CCR-0/1 ist daher die Grundvoraussetzung für den effektiven Einsatz der HIPEC. Die zusätzliche Hyperthermie kann das
907 57.6 · Operationstechnik
. Abb. 57.4a–e. Intraoperativer Befund bei einem Patienten mit peritoneal metastasiertem Kolonkarzinom. a infiltriertes Omentum majus (»omental cake«). b Präparation des Peritoneum parietale.
c Situs nach Omentektomie. d,e Operationspräparat mit Milz, Omentum majus, Peritoneum- und Dünndarmanteilen
therapeutische Potenzial und z. B. bei Cisplatin die Gewebepenetration der verwendeten Zytostatika erhöhen. Zudem belegen experimentelle Untersuchungen direkte zytotoxische Effekte der Hyperthermie (Sugarbaker et al. 2007).
pische Zytoreduktion zu erreichen. Entfernt werden nur die tumorbefallenen Anteile des Peritoneums.
57.6
Operationstechnik
Die zytoreduktive Chirurgie setzt sich basierend auf der von Paul H. Sugarbaker publizierten Technik der viszeralen und parietalen Peritonektomie in Abhängigkeit vom Befallsmuster aus zahlreichen chirurgischen Prozeduren zusammen (Sugarbakter 1995). Diese lassen sich nach Moran et al. wie folgt einteilen (Moran et al. 2006): 4 Hemikolektomie rechts, Omentektomie und Splenektomie 4 Peritonektomie rechter und linker Oberbauch 4 Cholezystektomie und Resektion der Leberkapsel 4 (Subtotale) Gastrektomie 4 Anteriore Rektumresektion und pelvine Peritonektomie Zudem müssen u. U. weitere Organresektionen wie Dünndarmteilresektion, Leberteilresektion, Pankreasteilresektion, Zwerchfellteilresektion, Adnektomie, Hysterektomie oder Blasenteilresektion bis hin zur ausgedehnten Multiviszeralresektion durchgeführt werden, um eine komplette makrosko-
Der operative Eingriff wird in Rektumlagerung durchgeführt und beginnt mit einer vollständigen medianen Laparotomie vom Xiphoid bis zur Symphyse. Es folgt die abdominelle Exploration und Festlegung des Resektionsausmaßes. Die Resektion beginnt in der Regel mit der Omentektomie des Omentum majus, das meist eine Tumorinfiltration aufweist. Bei einigen Patienten zeigt sich das große Netzt als sog. »omental cake« vollständig tumordurchsetzt und verdickt. Bei Infiltration des Colon transversum wird dieses en bloc mit dem Omentum majus reseziert. Es folgt die Peritonektomie im linken Oberbauch, die oft mit einer Splenektomie einhergeht. Im mittleren Oberbauch können kleines Netz, Magen und Pankreas infiltriert sein. Technisch oft schwierig ist die Tumorresektion im Bereich der Leberpforte. Die Exploration des rechten Oberbauches erfordert die vollständige Mobilisation des rechten Leberlappens. Oft sind bei Tumorbefall eine partielle Leberkapselresektion und eine Cholezystektomie notwendig. Bei limitiertem Dünndarmbefall erfolgt die tubuläre Resektion mit anschließender Anastomosierung. Einzelne Tumorknoten 6
57
908
Kapitel 57 · Peritonealkarzinose
im Dünndarmmesenterium können reseziert oder durch Fulgurisation koaguliert werden. Die Peritonektomie im kleinen Becken erfordert oft eine parietale Peritonektomie und anteriore Rektumresektion sowie seltener eine Blasenteilresektion. Bei weiblichen Patientinnen ist u. U. zusätzlich eine Hysterektomie oder Ovarektomie notwendig. Die Ureteren sollten bei der Präparation im kleinen Becken nach Möglichkeit dargestellt und geschont werden. Gegebenfalls können diese bereits präoperativ oder aber intraoperativ durch Zystostomie mit Doppel-J-Kathetern geschient werden. Im Falle einer direkten Tumorinfiltration kann eine Ureterresektion mit anschließender Rekonstruktion durch Transureteroureterostomie oder Psoas-hitch-Plastik durchgeführt werden (Glockzin et al. 2007).
Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie. Zur Appli-
57
kation der HIPEC werden am Ende der Operation insgesamt vier Drainagen, eine Zulaufdrainage im Mittelbauch und drei Ablaufdrainagen subdiaphragmal beidseits und im Douglasraum platziert. Der Temperaturverlauf wird durch drei Temperatursonden in Ösophagus, Zulaufdrainage und Douglasraum kontrolliert (. Abb. 57.5). Die HIPEC kann bei offenem oder geschlossenem Abdomen vor oder nach intestinaler Rekonstruktion durchgeführt werden. Hierzu wird ein Rollerpumpensystem mit Wärmetauscher verwendet. Die Zieltemperatur liegt bei 42°C, die Perfusionsdauer in Abhängigkeit vom verwendeten Protokoll zwischen 30 und 120 min. Vorteil der offenen HIPEC ist die einfachere Sicherstellung einer konstanten intraperitonealen Zirkulation, Vorteil der geschlossenen Anwendung ist die deutlich minimierte Kontaminationsgefahr des involvierten Personals.
Verwendete Zytostatika und Perfusionsprotokolle sind bisher nicht standardisiert und unterscheiden sich somit in Abhängigkeit von der Tumorentität und den »standard operating procedures« des behandelnden Peritonealkarzinosezentrums (Glehen et al. 2008). Das bestuntersuchte und bisher meistverwendete Zytostatikum ist Mitomycin C. Beim Magenkarzinom sowie beim peritonealen Mesotheliom kommen hingegen oft Cisplatin-basierte Kombinationen zum Einsatz. Beim kolorektalen Karzinom bekommen aufgrund möglicherweise besserer Überlebensraten Oxaliplatin und Irinotecan eine zunehmend größere Bedeutung für die HIPEC.
57.7
Postoperative Behandlung
Die postoperative Behandlung richtet sich nach dem Resektionsausmaß und entspricht im Wesentlichen der bei anderen großen viszeralchirurgischen Eingriffen. Die eingebrachten Drainagen werden mindestens 48 h belassen, um ein passives Abfließen der verbliebenen intraperitonealen Chemotherapie zu ermöglichen. Die Patienten werden während der ersten 24 h umkehrisoliert. Meist ist eine eintägige intensivmedizinische Überwachung insbesondere beim Einsatz kardiotoxischer Substanzen sinnvoll. Aufgrund der Kombination aus ausgedehnter Resektion, langer Operations- und Narkosezeit und intraperitonealer Chemotherapie mit Hyperthermie kommt es nicht selten zu postoperativen paralytischen Subileuszuständen, die einen vorsichtigen Kostaufbau und konservative prokinetische Maßnahmen erfordern. Zudem sollte eine regelmäßige postoperative Kontrolle der Elektrolyte, der Infektparameter, der Retentionsparameter, der Leberwerte, der Gerinnung und des (Differenzial-)Blutbildes erfolgen. Bei klinischen Symptomen oder klinisch relevanten Laborveränderungen sollte die Indikation zu weiterführender
. Abb. 57.5. Drainagenlage und Temperaturverlauf im Rahmen der HIPEC
909 57.9 · Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Diagnostik und ggf. auch zur abdominellen Revision progressiv gestellt werden, um mögliche Komplikationen frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Eine entscheidende Rolle für die Vermeidung insbesondere pulmonaler und thrombotischer Komplikationen spielt die physiotherapeutische Betreuung und Frühmobilisation der Patienten sowie eine konsequente Atemtherapie. Diesbezüglich ist eine suffiziente analgetische Therapie unverzichtbar. Hierbei hat sich die Analgesie mittels eines perioperativ eingebrachten Periduralkatheters als hilfreich erwiesen.
konsekutiven Eingriffen eine signifikante Reduktion der Morbiditätsrate von 30% auf 10% im Vergleich der ersten mit den folgenden 70 Patienten (Yan et al. 2007b). In einer Analyse von 323 konsekutiven Eingriffen an einem niederländischen Zentrum ging die Lernkurve erst nach 130 Eingriffen in die Plateauphase über (Smeenk et al. 2007). Akzeptable Ergebnisse können somit nur an spezialisierten Peritonealkarzinosezentren mit entsprechend hohen Patientenzahlen und gesondert ausgebildetem Personal erzielt werden.
57.9 57.8
Intra- und postoperative Komplikationen
Die intraoperativen Komplikationen der zytoreduktiven Chirurgie ergeben sich aus den durchgeführten Einzelprozeduren. Durch die Präparation des parietalen und viszeralen Peritoneums kann eine große Wundfläche mit diffuser Blutung entstehen, die eine intraoperative Bluttransfusion erforderlich macht. Die postoperativen Morbiditätsraten liegen in der Literatur zwischen 25% und 41%, die Mortalitätsraten zwischen 0% und 8%. Die Gesamtmorbidität lässt sich in chirurgische Komplikationen wie Anastomoseninsuffizienz, Abszess, Wundheilungsstörung oder Blutung und Zytostatika-assoziierte Komplikationen wie Thrombozytopenie, Neutropenie, Transaminasenerhöhung oder Herzrhythmusstörungen einteilen. Hinzu kommen weitere postoperative Komplikationen wie (Sub-)Ileus, postoperative Pankreatitis, Niereninsuffizienz, Thrombose oder Lungenembolie. Häufig sind zudem postoperative Pleuraergüsse als Folge der Peritonektomie im Bereich des Zwerchfells oder nach Leber(kapsel)resektion (Glockzin et al. 2009). In einer Studie von Yan et al. bei 70 Patienten mit peritonealem Mesotheliom korrelierte die Entwicklung von postoperativen Grad-IV-Komplikationen mit der Anlage von Kolonanastmosen, der Durchführung von mehr als vier definierten Peritonektomie-Prozeduren und einer Operationszeit von mehr als sieben Stunden (Yan et al. 2007a). Weitere Studien zeigen erwartungsgemäß, dass sich das Komplikationsrisiko mit zunehmender Tumorausdehnung und entsprechender Zytoreduktion erhöht. Kusamura et al. konnten zudem an einer Serie von 209 Patienten mit Peritonealkarzinose unterschiedlichen Ursprungs belegen, dass die intraperitoneale Konzentration von Cisplatin einen unabhängigen Risikofaktor für die postoperative Morbidität darstellt (Kusamaura et al. 2006). Obwohl die vorliegenden Studien aufgrund fehlender Standardisierung der Komplikationserfassung nur schwer vergleichbar sind, ergibt sich kein signifikanter Unterschied zwischen offener und geschlossener Durchführung der HIPEC bezüglich der Morbiditätsrate. Insgesamt sind postoperative Komplikationen und Mortalität vergleichbar mit anderen großen viszeralchirurgischen Eingriffen. Aufgrund des Einsatzes von Zytostatika müssen allerdings deren spezifische unerwünschte Wirkungen und Kontraindikationen beachtet werden. Zudem kommt aufgrund der Komplexität des kombinierten Therapieregimes und der damit verbundenen Lernkurve der Zentrenbildung eine entscheidende Bedeutung zu. Yan et al. zeigten an 140
Ergebnisse der chirurgischen Therapie
Zahlreiche Studien konnten eine Verbesserung des Überlebens nach kompletter makroskopischer Zytoreduktion (CCR-0/1) und HIPEC bei selektionierten Patienten mit Peritonealkarzinose bei diversen Tumorentitäten im Vergleich zur alleinigen systemischen Chemotherapie belegen. Allerdings gibt es nur wenige prospektiv randomisierte klinische Studien mit hohem Evidenzniveau. Verwaal et al. verglichen in einer prospektiv randomisierten multizentrischen Studie mit 105 Patienten mit peritoneal metastasierten kolorektalen Karzinomen eine Therapiegruppe mit CRS und HIPEC und adjuvanter systemischer Chemotherapie mit 5-FU/Leukovorin mit einer Kontrollgruppe mit alleiniger systemischer Chemotherapie. Das mediane Gesamtüberleben betrug in der Therapiegruppe 22,2 Monaten gegenüber 12,6 Monaten in der Kontrollgruppe. Bei den Patienten mit kompletter makroskopischer Zytoreduktion betrug das medinae Überleben sogar 48 Monate und die 5-Jahres-Überlebensrate 45% (Verwaal et al. 2003, 2008). In den zahlreichen Beobachtungsstudien wurden für das kolorektale Karzinom mit Peritonealkarzinose mediane Überlebenszeiten zwischen 28 und 60 Monaten nach kompletter makroskopischer Zytoreduktion und HIPEC publiziert (Glockzin et al. 2007). Das peritoneal metastasierte Magenkarzinom geht bereits primär mit einer deutlich schlechteren Prognose einher. Der Einsatz von CRS und HIPEC bei betroffenen Patienten wird daher unter Experten kontrovers diskutiert. Allerdings zeigen verschiedene Beobachtungsstudien mediane Überlebenszeiten zwischen 10 und 19 Monaten. Die 5-Jahres-Übelebensraten nach kompletter makroskopischer Zytoreduktion und HIPEC lagen zwischen 21% und 32%. Prognoseentscheidend ist beim Magenkarzinom neben der CCR-0/1-Resektion ein niedriger PCI (Glockzin et al. 2009). Für das sehr seltene diffuse maligne peritoneale Mesotheliom (DMPM) liegen naturgemäß nur wenige Studien vor. In einer von Yan et al. publizierten systematischen Übersicht mit insgesamt sieben Studien lag das mediane Überleben zwischen 34 und 92 Monaten und die 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 33% und 54% (Yan et al. 2007a). In allen Studien zeigte sich ein Überlebensvorteil nach CRS und HIPEC im Vergleich zu historischen Kontrollgruppen. Allerdings liegt bislang keine prospektiv randomisierte Studie zum Vergleich von systemischer Chemotherapie unter Einsatz von Permetrexed mit und ohne CRS und HIPEC vor.
57
910
Kapitel 57 · Peritonealkarzinose
Eine besondere Gruppe stellen die Patienten mit Pseudomyxoma peritonei dar. Ihre Prognose wird vor allem durch die Histologie bestimmt, die von der diffusen peritonealen Adenomuzinose (DPAM) bis zur peritonealen muzinösen Karzinomatose (PMCA) reicht. Sugarbaker konnte in einer Serie von 385 Patienten mit PMP einen eindeutigen Vorteil der kompletten gegenüber der inkompletten Zytoreduktion belegen. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug 80% versus 20% (Sugarbaker u. Chang 1999). Aufgrund der Heterogenität der Patientenkollektive sind die vorliegenden Studien nur schwer vergleichbar. Die größte publizierte Serie mit 501 Patienten zeigt ein medianes Überleben von 156 Monaten und eine 10-Jahres-Überlebensrate von 55% nach CRS und HIPEC (Gonzales-Moreno et al. 2004). In den übrigen Studien liegt das mediane Überleben zwischen 51 und 64 Monaten und die 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 52% und 75%.
Alle Beobachtungsstudien zeigen einen Überlebensvorteil nach CRS und HIPEC im Vergleich zu historischen Kontrollkollektiven (Tab. 57.1; Moran et al. 2008).
57
Neben den Überlebensraten spielt die postoperative Lebensqualität eine entscheidende Rolle bei der Bewertung der Ergebnisse nach CRS und HIPEC. Die wenigen vorliegenden systematischen Studien zeigen in Abhängigkeit von der Größe des operativen Eingriffs und der peri- und postoperativen Komplikationen eine signifikante initiale Verschlechterung der Lebensqualität durch das kombinierte Therapiekonzept. Allerdings erreichen die meisten Patienten innerhalb der ersten 4 postoperativen Monate wieder das präoperative Ausgangsniveau. Bei einigen Patienten kann die Lebensqualität langfristig sogar deutlich verbessert werden (Glockzin et al. 2009).
57.10
Neoadjuvante, adjuvante und additive Therapie
Für eine effektive Therapie und ein bestmögliches Outcome muss das kombinierte Therapieregime aus CRS und HIPEC in ein individuelles interdisziplinäres onkologisches Behandlungskonzept unter Berücksichtigung der jeweiligen Tumorentität und der prognoserelevanten Faktoren der betroffenen Patienten integriert werden. Der Stellenwert der neoadjuvanten Chemotherapie vor CRS und HIPEC wird insbesondere beim kolorektalen Karzinom aktuell in prospektiven Studien untersucht. So erhalten z. B. Patienten mit Peritonealkarzinose bei Appendix- oder Kolonkarzinom im Rahmen einer nationalen, multizentrischen, einarmigen Phase-II-Studie (COMBATAC-Studie) eine jeweils dreimonatige neoadjuvante und adjuvante Kombinationschemotherapie plus Cetuximab in Kombination mit CRS und HIPEC. Die Ergebnisse dieser Studie stehen noch aus. Auch Patienten mit Peritonealkarzinose bei Magenkarzinom oder diffusem peritonealem Mesotheliom können möglicherweise von einer neoadjuvanten Chemotherapie profitieren. Bei gutem Ansprechen kann eine komplette makroskopische Zytoreduktion erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht werden. Zu keiner der genannten Tumorentitäten liegen allerdings bislang valide Daten in Verbindung mit CRS und HIPEC vor. Eine Peritonealkarzinose definiert unabhängig von der Entität ein fortgeschrittenes Tumorstadium. Der adjuvanten Chemotherapie kommt somit eine entscheidende Bedeutung zu. In den meisten Fällen muss in Abhängigkeit von der Tumorentität, der Histologie, dem Ansprechen auf bereits erhaltene Chemotherapie und den Begleiterkrankungen der Patienten eine adjuvante systemische Chemotherapie empfohlen werden. Eine Ausnahme bildet die DPAM auf der Grundlage einer rupturierten Mukozele. Da grundsätzlich im Verlauf ein
. Tab. 57.1. Medianes Überleben und Überlebensraten nach CRS und HIPEC bei Peritonealkarzinose verschiedener Ätiologie
Autor, Jahr
Patientenzahl (n)
Tumorentität
Zytostatika (HIPEC)
Medianes Überleben (Monate)
Gesamtüberleben (%)
Überleben CCR-0/1 (%)
Verwaal et al. 2003, 2008
105
KRK
MMC
22
28 (3 Jahre)
45 (5 Jahre)
Glehen et al. 2004
506
KRK
MMC/OX
19
39 (3 Jahre)
47 (3 Jahre)
Sugarbaker et al. 2004
501
PMP
MMC
156
55 (10 Jahre)
–
Yonemura et al. 2005
105
MK
MMC/DDP
19
7 (5 Jahre)
27 (5 Jahre)
Feldmann et al. 2003
49
DMPM
DDP
92
59 (5 Jahre)
–
Yan et al. 2007a
70
DMPM
DDP/DXR
59
49 (5 Jahre)
–
KRK kolorektales Karzinom; PMP Pseudomyxoma peritonei; MK Magenkarzinom; DMPM diffuses malignes peritoneales Mesotheliom; MMC Mitomycin C, DDP Cisplatin, OX Oxaliplatin, DXR Doxorubicin
911 57.13 · Ausblick
Übergang bis zur PMCA möglich ist, wird allerdings eine engmaschige Nachsorge empfohlen.
57.11
Palliation
Eine definitive Entscheidung bezüglich einer kompletten makroskopischen Zytoreduktion kann erst im Rahmen der intraoperativen Exploration getroffen werden. Die häufigste Ursache für einen Abbruch des geplanten Eingriffes ist ein disseminierter kleinknotiger Dünndarmbefall, der CT-morphologisch nicht erfasst werden kann. In diesen Fällen muss jedoch über palliative operative Maßnahmen zur Vermeidung tumorassoziierter Komplikationen nachgedacht werden. Hierzu gehören die palliative Omentektomie sowie die Anlage intestinaler Umgehungsanastomosen bei drohenden oder manifesten intestinalen Stenosen. In einigen Fällen ist zudem die Anlage eines Anus praeter indiziert. Bei Vorliegen von malignem Aszites kann im Rahmen der Exploration oder der vorangegangen diagnostischen Laparoskopie eine Drainage zur Applikation einer palliativen normothermen intraperitonealen Chemotherapie zur Aszitesreduktion eingebracht werden (Garofalo et al. 2006).
57.12
Empfehlungen zur Nachsorge
Bezüglich der Nachsorgeuntersuchungen gelten grundsätzlich die Leitlinien bzw. Empfehlungen der Fachgesellschaften für die jeweilige Tumorentität. Oftmals ist eine CT-Untersuchung einige Wochen postoperativ zur Erhebung eines Ausgangsbefundes für die Nachsorge bzw. vor geplanter adjuvanter Chemotherapie sinnvoll. Da die meisten Rezidive beim Pseudomyxoma peritonei innerhalb der ersten 12 Monate auftreten, wird hier eine dreimonatige Nachsorge mit klinischer Untersuchung, Bestimmung der Tumormarker und ggf. Ultraschall sowie Computertomographie nach 6 und 12 Monaten empfohlen. Einige Zentren propagieren sogar einen geplanten Revisionseingriff nach 12 Monaten zur makroskopischen Erfassung eines Tumorrezidives und ggf. Durchführung einer erneuten zytoreduktiven Chirurgie mit HIPEC.
57.13
Ausblick
Die multimodale Therapie gastrointestinaler Malignome erlebt derzeit einen Paradigmenwechsel. Gut ausgewählte Patienten mit peritoneal metastasierten Kolonkarzinomen und anderen Tumorentitäten können von einem kombinierten interdisziplinären Behandlungsregime aus CRS, HIPEC und systemischer Chemotherapie deutlich profitieren. Die präoperativen Selektionskriterien und die einzelnen Bestandteile der multimodalen Therapie werden aktuell im Rahmen prospektiv randomisierter Studien weiter evaluiert und bewertet. Entscheidend für den Therapieerfolg ist die konsequente Patientenevaluation und -selektion nach klar strukturierten Kriterien sowie die Behandlung geeigneter Patienten an spezialisierten Peritonealkarzinosezentren.
Internetadressen American Society of Peritoneal Surface Malignancies: www.americansocietypsm.org AWMF Leitlinien online: www.awmf-leitlinien.de CancerNet, U.S. National Cancer Institute: www.cancer.gov Deutsche Krebsgesellschaft: www.krebsgesellschaft.de Sugarbaker Oncology Associates Home Page: www.surgicaloncology. com
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57
912
57
Kapitel 57 · Peritonealkarzinose
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Sachverzeichnis
914
Sachverzeichnis
A Abdomenübersichtsaufnahme 125 Aberration, genetische 68–70 ACTHom 588 Actin 775 Adenokarzinom 6 – Diagnostik 116 – duktales 16 – – Diagnostik 135 – gastroösophagealer Übergang 509–516, 535 – – Definition 510 – – Epidemiologie 511 – – Klassifikation 510, 511, 513 – – Laparoskopie 227, 228 – – Lymphadenektomie 515 – – Metastasierung 514 – – Prognose 516 – – Therapie 514–516 – Magen 528, 529 – muzinöses 529 – Ösophagus 477, 491–497 – papilläres 529 – tubuläres 529 Adenom – ampulläres 562 – kolorektales 119 – präampulläres 573 Adenom-Dysplasie-Karzinom-Sequenz 697 Adenom-Karzinom-Sequenz 69 Adnektomie 894 AEG-Karzinom 7 Adenokarzinom, gastroösophagealer Übergang Aflatoxine, Leberkarzinom 597 Afterloading-Technik 288 Aggressionsstoffwechsel 372 Aktivität, körperliche, Krebsrisiko 42 Alkohol – Krebsrisiko 42, 106, 108, 563, 696 – Operationsrisiko 244 Alkylanzien 250 Allgemeinzustand – Operationsrisiko 244 – präoperative Diagnostik 245, 246 Alopezie, chemotherapiebedingte 256 Amaurosis fugax 867 Amplifikation 70 Ampullektomie 578 Amsterdam-Kriterien 58, 700 Analkanalkarzinom 120, 736 – Histologie 738 – Klassifikation 737 – Therapie 741 Analkarzinom 735–749 – Brachytherapie 744
– Chemotherapie 259, 744 – Diagnostik 739–741 – Klassifikation 736, 737 – Komplikationen 746 – Metastasierung, hepatische 747 – Nachsorge 748 – Pathologie 736 – Prognosefaktoren 736, 737 – Radiochemotherapie 742, 743 – – bei HIV-Infektion 745 – Radiotherapie 742–744 – Risikogruppen 736 – Staging 739–741 – Symptomatik 739 – Therapie, chirurgische 745 Analrandkarzinom 736 – Klassifikation 737 – Therapie 742 Analresektion, abdominoperineale 745 Anämie, perniziöse 523 Aneuploidie 10 Angioblasten 81 Angiogenese 9, 77–85 – physiologische 81 Angiomyomatose 866 Angiopoetin 80 Angiopoetin-Tie-2-Signalweg 271 Angiosarkom 865 Angiostatin 80 Angstkonfrontation 394 Ann-Arbor-Klassifikation 803 Anorexie 372 Anschlussaneurysma 878 Ansprechen, Definition 417, 418 Antiangiogenese 82–85 Antigene, tumorassoziierte 98 Antigen-präsentierende Zellen 278 Antikörper, monoklonale 99, 266, 282 Antimetabolite 250 Aorta, Resektion 870, 871 Aortenbogen, Resektion 872 APC-Gen 12, 52, 527, 697 APC-Mutation 53 Apoptose 9, 91–95 – Bedeutung 91 – chemotherapiebedingte 251, 252 – Induktion 91 AQUATHERM 322 Arginin 377 Arkade von Drummond 694 Arteria – carotis interna, Resektion 872 – gastrica sinistra, Resektion 871 – hepatica, Resektion 871, 879 – lienalis, Resektion 871 – mesenteria superior, Resektion 879 – renalis, Resektion 872, 875 Arzneimittelprüfung 416
ASA-Klassifikation 242 Aspirationszytologie 159 Aufklärung – postoperative 221, 222 – präoperative 216 Auswerteverfahren 420, 421
B Barrett-Frühkarzinom 492 Barrett-Karzinom 116, 491–497, 535 Barrett-Metaplasie 106 Barrett-Ösophagus 107, 116 – thermische Ablation 362 Barrett-Schleimhaut 15 Basingstoke Predictive Index 642 Bavecizumab 272 BCL-10-Gen 801 BCR-ABL-Fusionsprodukt 69 Beckengefäße, Resektion 870, 871 Behandlungsleitlinien 206 Behandlungsunterschied 413 Beobachtungsstudie 416 Bergeinzision 226 Beta-Sonde 147 Bethesda-Kriterien 59, 700 Bevacizumab 82, 194, 269, 282, 291, 431 – Nebenwirkungen 270 Bilobektomie – obere 434, 435 – untere 436, 437 Biomarkerstudie 417 Biometrie 414 Biopsie 158, 159, 178 – Aufarbeitung 159 – Probenversand 158, 159 Bisegmentresektion 627 Bismuth-Corlett-Klassifikation 660 Bismuth-Karzinom 671 Blasenkarzinom 260 – 7 Harnblasentumor Blasentoxizität 257 blue liver 650 Blutstammzelltransplantation 257 Bombesin-Rezeptoren 338 Boostschema, simultanes integriertes 288 Borderline-Tumor 896 Brachytherapie 288, 363 Bragg-Peak 302 Brenner-Tumor 889 Bronchialkarzinom – 7 Lungenkarzinom – kleinzelliges 262, 449, 450 – nicht-kleinzelliges 262
915 Sachverzeichnis
Bronchoplastik 438–443, 445 Bronchoskopie 430 – flexible 460 Budd-Chiari-Syndrom 867 bulky disease 685 Burkitt-Lymphom 802 – Rezidiv 810 – Symptomatik 805 – Therapie 808, 809 Bürstenzytologie 668 Bypass-Infekt 878 B-Zell-Lymphom – diffuses großzelliges 808, 809 – Rezidiv 810
C Cancer Center 202–204 Cancer Inventory of Problem Situations 403 Cancer/Testis-Antigene 278 Cape-Town-Klassifikation 660 Carcinoma in situ 6 CASH 650 Caspasen 91, 92, 252 Catumaxomab 34, 282 CCR-Score 906 CDKN2-Gen 566 Cetuximab 193, 271, 282, 290, 431 Chemoembolisation – Lebermetastasen 645 – transarterielle 342–345, 633, 651 – – Chemotherapeutika 343 – – Indikationen 344 – – Kontraindikationen 344 – – palliative 351 – – präoperative 351 – – Sandwich-Prinzip 344 – – SE-TACE-Konzept 344 Chemotherapie 249–262 – 7 Zytostatika – additive 255 – adjunktive 255 – adjuvante 255 – Apoptose 251 – Dokumentation 258 – Dosisintensität 255 – Durchführung 258 – historische Entwicklung 250 – hypertherme intraperitoneale 554, 905, 908 – intraarterielle 788 – intraperitoneale 554 – – hypertherme 554, 905, 908 – Kombination mit Strahlentherapie 289, 290, 294
– metronomische 84 – Nebenwirkungen 255, 256 – neoadjuvante 255 – palliative 255 – Therapieerfolg 259 Chirurgie – 7 Tumorchirurgie – limitierte 243 Cholangiographie, endoskopischretrograde 666 Cholangiokarzinom 596 – 7 Gallenwegskarzinom – 7 Karzinom, cholangiozelluläres – extrahepatische 596 – hiläres 596 – intrahepatisches 596 cholangiozelluläres Karzinom 7 Karzinom, cholangiozelluläres Cholangitis, primär sklerosierende 598 Cholezystektomie 907 – palliative 670 Cholezystokininrezeptoren 337, 338 Cholinesterase 374 Chondrosarkom – extraskelettales 775, 776 – Partikeltherapie 308, 315 Chordom 308 Chorionkarzinom 889 Chromatinstruktur 72 Chromoendoskopie 113–116 Chylothorax 498 CIPS 403 cirrhose cardiaque 615 c-KIT-Rezeptor 267 Clamshell-Inzision 465 Claudicatio – glutealis 867 – intermittens 867 CLIP-Score 605, 606 Clustertransplantation 672 Colitis ulcerosa 697 Colon-descendens-Pouch 723 Completeness of Cytoreduction Score 906 Comprehensive Cancer Center 202–204 Computertomographie 128 CONSORT-Statement 421 Cox-Regression 414 CUP-Syndrom 260 Cyberknife 293
D DNA-Mismatch-Reparatur-System 59 Darmkrankheiten, entzündliche 697 Darmperforation 270
Dartmouth COOP Charts 401 DaVinci-Roboter 228 DCC-Gen 697 Deletion 69 Denys-Drash-Syndrom 824 Dermatitis, perianale 744 Desmin 775 Diagnosestudie 412 Diagnostik – erweiterte 245 – molekulare 187–195 – nuklearmedizinische 143–155 – postoperative 221 – prädiktive genetische 405 – präoperative 244–246 – radiologische 123–142 Dihydropyrimidin-Dehydrogenase 190 Dilatation, endoskopische 354 Disease Management Team 206 Distress-Thermometer 391 DNA-Methylierung 71 Doppelkontrastuntersuchung 125 Dosisfindungsstudie 416 Dottersacktumor 889 Double-Duct-Zeichen 569 Drei-Feld-Lymphadenektomie 486 Drug-Targeting 321 Dual-Tracer-Methode 169, 170 Ductus – hepaticus, Karzinom 671 – hepatocholedochus, Resektion 673 Dumping-Syndrom 550 Dünndarmerkrankung, immunproliferative 802 Dünndarmlymphom 805 Dünndarmtumoren – Adenokarzinom 683 – Chemotherapie 689 – Diagnostik 686, 687 – Epidemiologie 682 – Klassifikation 683, 684 – Lokalisation 682, 683 – maligne 681–690 – Nachsorge 690 – postoperative Komplikationen 688 – Prognosefaktoren 685 – Staging 686, 687 – Strahlentherapie 689 – Symptomatik 685 – Therapie – – chirurgische 687, 688 – – neoadjuvante 688 Duodenaladenom 55 Duodenojejunostomie 577 Duodenopankreatektomie – laparoskopische 230 – partielle 672
A–D
916
Sachverzeichnis
Duodenumkarzinom 683 Dysgerminom 889 Dysphagie, maligne 362
E ECOG-Index 401 Edrecolomab 282 EGFR 266, 267, 290 – Nebenwirkung 267 EGFR-Signalweg 194 Einzelnukleotidpolymorphismus 195 Elektrolytzufuhr, präoperative 380 Elektronenmikroskopie 165 Embolisation – portale 646 – transarterielle, Lebermetastasen 645 Emissionstomographie 144 En-bloc-Ösophagektomie 228, 486, 488, 494 En-bloc-Resektion 215 – multiviszerale 217 Endauswertung 421 Endometriumkarzinom, Lungenmetastasen 467 Endoradiotherapie 333–338 Endoskopie – diagnostische 111–121 – intraoperative 227 – therapeutische 353–365 – – gastroösophageale Refluxkrankheit 365 – – Indikationen 357 – – kurative 357 – – Zenker-Divertikel 364 Endosonoelastographie 113 Endosonographie 112, 124 – transrektale 121 Endostatin 80 Endotheliom 866 Energiebedarf – postoperativer 382 – präoperativer 380 EORTC-Fragebogen 402 Epidemiologie 32–39 – ätiologische 32, 34 – deskriptive 32, 33 Epigenetik 71, 72 Epitheltumoren 6 Epstein-Barr-Virusinfektion – Krebsrisiko 235 – Magenkarzinom 8 Eradikationstherapie 806 ERBB-Familie 90 Erbrechen, chemotherapiebedingte 256 ERCC1-Gen 253
Erfolgsrate 412 Erhaltungstherapie 255 Erlanger Selbstbeurteilungsliste 401 Erlotinib 266, 272, 282 Ernährung – enterale 380, 381 – – Kontraindikationen 381 – Krebsrisiko 41, 108, 563, 681–690, 696, 843 – künstliche 381, 382 – parenterale 382 – perioperative 378 – präoperative 378–380 – postoperative 381 Ernährungszustand, Erfassung 373 Evidenzbasierte Medizin 415 Ewing-Sarkom 775, 776 Exfoliativzytologie 159, 160 Expositionswahrscheinlichkeit 35 Extravasation 458 Extremitätenperfusion – hypertherme 761 – isolierte 788
F FACIT 402 FACT 402 Fall-Kontroll-Studie 34, 35, 417 Fallzahlplanung 420 Farbstoffmarkierung, präoperative 227 Fast-track-Konzept – Kolonkarzinom 702, 708 – Kontraindikationen 379 – Kostaufbau 379 FDG-PET 147, 151–154, 460, 642 Feinnadelaspirationszytologie 780 Feinnadelpunktion, CT-gesteuerte 461 FGF-5 279 fibroblast growth factor 80 Fibromyxom 866 Fibromyxosarkom 866 Fibrosarkom 775 Fibrose, nephrogene systemische 131 Fistel – bronchopleurale 468 – paraprothetische 878 FLIC 403 Fluordeoxyglukose-PET 147, 151–154, 460, 642 Fluoropyrimidine 188 Fluorthymidin 149 Flüssigkeitszufuhr, sondengestützte 381, 382 FOBT 699
Follow-up-Studie 34, 421 Fragebogen zur Belastung von Krebskranken 391 Frameshift-Mutationsfrequenz 63 Functional Living Index 403 Functional-Assessment-of-ChronicIllness-Therapy-Fragebogen 402 Fundektomie, abdominelle 494
G Gallenblase – Anatomie 657 – Lymphabstrom 657 Gallenblasenkarzinom 656–677 – Ätiologie 662, 663 – Carcinoma in situ 669 – Chemotherapie 259 – Diagnostik 664–668 – Differenzialdiagnostik 660 – diffus infiltrierendes 658 – Epidemiologie 662 – fortgeschrittenes 669 – Infiltration der Mukosa 669 – Infiltration der Muskularis 669 – Klassifikation 660, 661 – Laparoskopie 668 – Lokalisation 660 – Marker 664 – polypoid wachsendes 658 – Prädispositionsfaktoren 663, 664 – Prognose 675 – rechtsseitige 657, 658 – Staging 662 – Symptomatik 664 – Therapie, chirurgische 669 – Tumorausbreitung 659, 660 Gallenblasenpolyp 663 Gallengangsbiopsie 668 Gallengangskarzinom 7 Gallenwegskarzinom Gallengangsschienung, interventionelle 674 Gallengangsstriktur 660 Gallenstein 663 Gallenwege – Anatomie 657 – Drainage 674 – linksseitige 657 – präoperative Dekompression 668 Gallenwegskarzinom – Ätiologie 662, 663 – Chemotherapie 676 – Diagnostik 664–668 – distale 675 – Epidemiologie 662
917 Sachverzeichnis
– extrahepatisches 656–677 – – Histologie 659 – – Tumorausbreitung 6 – Klassifikation 660, 662 – Lymphadenektomie 670 – Marker 664 – Prognose 675, 676 – proximale 674 – Radiochemotherapie 677 – Radiotherapie 676, 677 – Staging 662 – Symptomatik 664 – Therapie – – chirurgische 670, 673, 674 – – photodynamische 677 Gamma-Kamera 144 Gamma-Sonde 147 Ganzkörperhyperthermie 322, 329, 330 Ganzkörper-MRT 131 Gastrektomie – erweiterte 549, 550 – proximale 516 – subtotale 546–548, 907 – totale 516, 548 Gastrinom – malignes 589 – sporadisches 589 Gastritis – atrophische 523 – Typ A 523 – Typ B 15, 523 Gastrografinpassage 127 Gastrointestinaltrakt, Lymphom 685 Gastrojejunostome 577 Gastrostomie, perkutane endoskopische 363, 364 gatekeeper pathway 697 Gefäßarrosion 883 Gefäßchirurgie 863–883 Gefäßkompression 883 Gefäßresektion 870–875 – Komplikationen 877, 878 Gefäßtumoren 863–883 – 7 Angiosarkom – 7 Hämangiom – Diagnostik 867, 868 – inoperable 870 – Klassifikation 866 – Pathogenese 865 – primäre 865 – Prognosefaktoren 866 – sekundäre 865 – Symptomatik 866, 867 – Therapie – – begleitende 870 – – chirurgische 870–876 – – palliative 869, 870 – – postoperative 877
Gefitinib 266, 282 Genexpressionsprofil 73, 74 Genregulation 72 Gesamtüberleben 259 Gewebebank 165 GIST 685, 791, 792 – Chemotherapie 260 – c-KIT 267 – endoskopische Resektion 359, 360 – Lebermetastasen 644 – Nachsorge 651 – Therapie 687, 690 Gleason-Score 843 gli-Gen 776 Glisson-Gewebe 596 GLP1-Rezeptoren 338 Glucagon-like-peptid-1-Rezeptoren 338 Glukagonom 588, 590 Glutamin 377 Glutathion-S-Transferase 192 Goldie-Coldman-Hypothese 253 Gompertz-Kinetik 252 Gonadoblastom 889 Gonadotoxizität 257 Grading 24 Granulosazelltumor 261 Greenwood-Formel 413 GRFom 588 Gruppentherapie, supportiv-expressive 393
H Halsgefäße, Resektion 872, 876 Hämangioendotheliom 596 Hämangiom – Epidemiologie 865 – Pathogenese 865 Hämangioperizytom 866 Hämangiosarkom 866 Hämatoxylin-Eosin-Färbung 169 Hämoptyse, tumorassoziierte 350 Hämostase, endoskopische 355 Harms-Huges-Klassifikation 816, 817 Harnableitung 854 Harnblasentumor 852–857 – Chemotherapie 260, 856 – Diagnostik 853, 854 – Epidemiologie 852 – Klassifikation 853 – Komplikationen 855 – muskelinvasiver 853, 854 – Nachsorge 856 – oberflächlicher 853, 854 – Pathogenese 853 – Prognosefaktoren 853
D–H
– Strahlentherapie 856 – Symptomatik 853 – Therapie – – additive 856 – – chirurgische 854, 855 – – neoadjuvante 856 – – palliative 856 – transurethrale 854 Hautexanthem, chemotherapiebedingte 256 Hazardquotient 414 Hazard-Regression 414 Health Assessment Questionnaire 401 Health Utilities Index 401 Heilung, Definition 417 Helicobacter-pylori-Infektion 524, 525 – Eradikation 806 – Karzinogenese 8 – Magenkarzinom 108 – malignes Lymphom 800 Heliumbestrahlung 314 Hemihepatektomie 623, 671 – erweiterte 672, 706 – links 705, 706 – malignes Melanom 766 – rechts 705, 907 Hepatektomie 614 – atypische 623 – Operationstechnik 626–628 – laparoskopische 649 – partielle 623 – – operatives Vorgehen 628–631 – primäre 646 – totale 672 – zweizeitige 634, 647 Hepatikusgabel, Karzinom 671 Hepatitis-B-Impfung 110 Hepatitis-B-Virusinfektion – Leberzellkarzinom 8 – Karzinom, kolorektales 110 Hepatitis-C-Virusinfektion 800 – Leberkarzinom 597, 599 Hepatoblastom 833–836 – Chemotherapie 835 – Diagnostik 834 – Epidemiologie 833 – Komplikationen 836 – Lungenmetastasen 835 – Nachsorge 836 – nichtresektables 835 – Pathologie 833 – prognostische Faktoren 833 – Symptomatik 833, 834 – Therapie – – adjuvante 836 – – chirurgische 835, 836 hepatocyte growth factor receptor 267 Hepatolithiasis 598
918
Sachverzeichnis
Hepatom 596 Hepatotoxizität 256 hepatozelluläres Karzinom 7 Karzinom, hepatozelluläres Hepatozytenphase 132 HER2 70, 279 HER2-Überexpression 70 Hirnmetastasen 297 Histon 72 HIV-Infektion, malignes Lymphom 801 HNPCC 57–63, 525, 526, 563 – Amsterdam-Kriterien 700 – Bethesda-Kriterien 700 – Diagnostik 62 Hodentumor 848–852 – Chemotherapie 260, 851 – Diagnostik 849, 850 – Epidemiologie 848 – Klassifikation 848, 849 – Komplikationen 852 – Lymphadenektomie 851 – metastasierter 849 – Nachsorge 852 – Pathogenese 848 – Prognosefaktoren 849 – Symptomatik 849 – Therapie – – additive 852 – – chirurgische 851 – – neoadjuvante 852 – – palliative 852 Hormontherapie, maligne Tumoren 257, 258 Hornheider Screening-Instrument 391 Hospital Anxiety and Depression Scale 391 Hospitalletalität 220 Hydro-Kolon-CT 127 Hydro-Magen-CT 139 Hydro-Sellink-MRT 127 Hyperthermie 321–332 – endoskopische 324 – Ganzkörper 322 – Indikationen 329, 330 – interstitielle 326 – klinische Ergebnisse 327, 328 – Kombination mit Strahlentherapie 328 – lokale 325 – Methoden 322 – MR-Überwachung 324, 325 – Nebenwirkungen 322 – regionale 322, 330, 787 – Teilkörper 324 – Wirkungen 323 – zytotoxischer Effekt 323 Hypofraktionierung 288, 295, 311, 418 Hypothesentest, statistischer 411 Hysterektomie 894
I ICF 398 IGFR 267 Ileostoma, protektives 724 Ileozökalklappe 694 – Karzinom 683 Ileumkarzinom 683 Imatinib 272 Immunadjuvanzien 98 Immunhistochemie 194, 195 Immunhistologie 164 Immunmangelsyndrom 801 Immunoediting 98 Immunogenität 279 Immunonutrition 377 Immunosurveillance 279 Immunsuppression – durch Zytostatika 256 – Krebsrisiko 235 – tumorinduzierte 279, 280 Immuntherapie 277–282 – aktive 98 – antigenspezifische 280, 281 – passive 99 – T-Zell-basierte 100 – Zielstrukturen 278 Impedanzanalyse, bioelektrische 374 Indiana-Klassifikation 849 Induktionstherapie 255 Insertion 69 Instillationstherapie, intravesikale 856 insulin-like growth factor receptor 267 Insulinom 588 Intensivierungstherapie 255 Interferon α 280 Interkalantien 250 Interleukin-2, intraläsionale Behandlung 760 Intervall-Laparotomie 896 Interventionsstudie 35 Intoleranz, gastrointestinale 381 Intransitmetastasen 760 Inversion 69 Inzidentalom 869 Inzidenz – altersspezifische 34 – Definition 33 – Krebs 37–39 Inzidenzrate 33 – altersstandardisierte 34 Inzisionsbiopsie 781 Ipilimumab 280 IPSID 802
J Jejunumkarzinom 683 Jejunumsegmentinterposition 516 J-Pouch 723
K Kanzerogenese – epigenetische Veränderungen 72 – Lungenmetastasen 458 Kaplan-Meier-Schätzer 413, 414 Kaposi-Sarkom 774, 866 Kappenmethode nach Inoue 358 Kardiakarzinom 7 Adenokarzinom, gastroösophagealer Übergang Kardiotoxizität 256 Karnofsky-Index 246, 401 Karotis-Glomus-Tumor 865, 866 Karzinogenese 8 – bakterielle 8, 800 – biliäre 663 – chemische 8 – Pankreaskarzinom 565, 566 – strahlenbedingte 8 – virale 8 Karzinoidsyndrom 588, 685 Karzinom – adenoidzystisches 309 – ampulläres 562 – cholangiozelluläres 596, 879 – – Ablationsverfahren 342 – – Angiographie 611 – – Chemotherapie 259 – – Diagnostik 133, 607–612 – – Epidemiologie 596 – – Histologie 611 – – Komplikationen 632 – – Lymphadenektomie 625, 626 – – Nachsorge 634 – – operative Therapie 620–631 – – Pathogenese 598, 599 – – Pathologie 602, 603 – – postoperatives Vorgehen 631, 632 – – Prognosefaktoren 603–607 – – Staging-Laparoskopie 612 – – Sympatomatik 607 – – Therapie – – – adjuvante 634 – – – neoadjuvante 633 – – transarterielle Chemoembolisation 633 – – Tumormarker 608 – embryonales 889
919 Sachverzeichnis
– extrahepatisches 7 Gallenwegskarzinom, extrahepatisches – fibrolamelläres 133, 619, 601, 602 – gastral differenziertes 529 – hepatozelluläres – – Ablationsverfahren 342 – – Angiographie 611 – – Chemotherapie 260 – – CLIP-Score 605, 606 – – Diagnostik 132, 607–612 – – Epidemiologie 596 – – fibrolamelläres 601, 602, 619 – – Histologie 611 – – infiltrierendes 600 – – In-situ-Ablation 622 – – Komplikationen 632 – – Lymphadenektomie 625, 626 – – mit Zirrhose 613–615 – – multifokales 600 – – Nachsorge 634 – – ohne Zirrhose 618, 619 – – operative Therapie 612–631 – – Partikeltherapie 313 – – Pathogenese 596–598 – – pendikuläres 600 – – postoperatives Vorgehen 631, 632 – – Prävention 109 – – Risikofaktoren 597, 598 – – Staging-Laparoskopie 612 – – Symptomatik 607 – – Therapie – – – adjuvante 634 – – – neoadjuvante 633 – – trabekuläres 601 – – transarterielle Chemoembolisation 633 – – Tumormarker 608 – Ileozökalklappe 683 – kolorektales – – Chemoprävention 108 – – Diagnostik 120, 127, 148 – – EGF-Rezeptoren 266 – – hereditäres nicht-polypöses 7 HNP-CC-Syndrom – – Histologie 119 – – Hyperthermie 329 – – Laparoskopie 231 – – Lokalisation 120 – – Nachsorge 651 – – peritoneal metastasiertes 909 – – Prävention 108, 109 – – Risikofaktoren 109, 120 – – Screening 46, 108 – – Sentinel-Lymphknotendetektion 171 – – Staging 148 – – Symptomatik 120 – Lebermetastasen 644
– neuroendokrines – – 7 NET – – neuroendokrines 683, 687, 689 – periampulläres 562, 565, 566 – – Symptomatik 567 – – Therapie, chirurgische 581 – Typ Bismuth I 671 karzinomembryonales Antigen 608 Kastration – chemische 847, 848 – Nebenwirkungen 848 Kaudakarzinom 573 Kausch-Whipple-Operation 574–577 Keimstrang-Stromatumoren 889 Keimzelltumor 896 – Chemotherapie 261 – Lungenmetastasen 466 – maligne 889 KISS 401 Klarzellsarkom 776 – Therapie 832 Klatskin-Tumor 596, 660 Knochenmarktransplantation, autologe 257 Knochenmetastasen, Strahlentherapie 297 Knochentumoren, Embolisationsverfahren 351 Kochsalzirrigation 631 Kohlenstoffionentherapie 313, 314 Kolektomie 702–704 Kollimator 144 Kolonkarzinom 119–121, 693–711 – 7 Karzinom, kolorektales – Altersverteilung 696 – Anastomoseninsuffizienz 709 – Anastomosentechnik 704 – Chemotherapie 260 – Diagnostik 699–701 – – präoperative 700, 701 – diffus infiltrierendes 698 – Drainage 705 – Epidemiologie 695, 696 – Fast-track-Konzept 702, 708 – genetische Disposition 696, 697 – Geschlechtsverteilung 696 – Klassifikation 698 – komplette mesokolische Exzision 703 – Komplikationen 709, 710 – Kostaufbau 708 – Laparoskopie 231, 706, 707 – Lokalisation 120, 696 – Lungenmetastasen 467 – Lymphadenektomie 703 – Nachsorge 710, 711 – Pathogenese 696 – Pathologie 697, 698
– polypoides 698 – Prognose 710 – Resektionsausmaß 703 – Rezidiv 711 – ringförmig stenosierendes 698 – Risikofaktoren 120, 696 – Sentinel-Lymphknotendetektion 172 – Symptomatik 698, 699 – Therapie – – adjuvante 710 – – chirurgische 701–708 – ulzerierendes 697 Kolonoskopie, komplette 700, 701 Kolonsegmentinterposition 516 Koloplastik-Pouch 723 Koloskopie 120 Kolostoma 746 Kombinationschemotherapie 253, 255 Komorbidität, psychische 388, 389 Konfidenzintervall 35, 411, 412 Konsolidierungstherapie 255 Kontrastmittelsonographie 124 koronare Herzerkrankung, präoperative Behandlung 247 Korpuskarzinom, Therapie, chirurgische 573 k-ras-Gen 11, 69, 188, 697 k-ras-Mutation 193, 194, 565 Krebsprävention 44, 45 Krebsregister 33 – epidemiologisches 37, 38 Krebsursachen 39–44 – berufliche 43 – genetische 43 – Schadstoffbelastung 43
L Laparoskopie – diagnostische 175–183 – – Durchführung 176–178 – – erweiterte 176 – – Komplikationen 183 – explorative 226 – therapeutische 226–231 Lapatinib 266, 272 LASA 402 Laserpalliation 363 Laurén-Klassifikation 523, 529 Lebensqualität – Erfassung 397–404, 418 – Kriterien 399, 400 – Magenkarzinom 550 Leberfunktion, präoperative Diagnostik 245 Leberinsuffizienz 618
H–L
920
Sachverzeichnis
Leberkarzinom 879, 880 – 7 Lebertumoren – 7 Karzinom, hepatozelluläres Lebermetastasen 639–651 – Chemoembolisation 651 – Diagnostik 133, 134, 182 – Grundlagen 640 – Klassifikation 641 – Lymphadenektomie 648 – Nachsorge 651 – Pathogenese 641 – Pathologie 641 – postoperative Komplikationen 649, 650 – Prognosefaktoren 641 – Radiofrequenzablation 650 – Resektion 646–648 – Strahlentherapie 297, 651 – Symptomatik 642 – Therapie – – adjuvante 650 – – chirurgische 644 – – neoadjuvante 650 – – palliative 651 – Thermoablation 649, 650 Leberresektion 7 Hepatektomie Leberspende, postmortale 613 Leberteilresektion 7 Hemihepatektomie Lebertransplantation 613, 615, 619–621 – Indikationen 624 – Krebsrisiko 234, 236 – orthotope 672 Lebertumoren – Ablationsverfahren 342, 347 – Diagnostik 607–612 – Embolisationsverfahren 342–345, 348, 349, 633 – Epidemiologie 596 – Laparoskopie 230 – maligne – – Einteilung 596 – – TNM-Klassifikation 603 – Nachsorge 634 – Pfortaderembolisation 633 – sekundäre 347, 348 – Therapie – adjuvante 634 – – neoadjuvante 633 – – operative 595–635 – transarterielle Chemoembolisation 633 Leberzirrhose – biliäre 614 – Definition 614 – kolorektales Karzinom 109 – Leberkarzinom 613–615 – Leberkarzinomrisiko 597, 598, 604 left upper abdominal evisceration 550
Leiomyom 866 Leiomyomatose 866 Leiomyosarkom 775, 866 Leistengefäße, Resektion 870, 871 LHRH-Analoga 847 Li-Fraumeni-Syndrom 774 linear analog self assessment scale 402 Lipidzelltumor 889 Liposarkom 775, 776 Log-cell-kill-Hypothese 252, 253 Lokalrezidiv 222 Lokalrezidivrate 220 Longmire-Klassifikation 660 Long-segment-Barrett-Ösophagus 115 loss of heterozygosity 16 Lugano-Staging 803 Lungenerkrankungen, obstruktive 246 Lungenfunktion, präoperative Diagnostik 245 Lungenkarzinom – 7 Bronchialkarzinom – Chemotherapie 431 – – adjuvante 448 – Diagnostik 428–430 – Epidemiologie 426 – Histologie 426, 428 – Klassifikation 426, 427 – Nachsorge 450, 451 – Onkogene 428 – Operabilität 431, 432 – Operationstechnik 432–446 – postoperative Komplikationen 446, 447 – Radiochemotherapie 431 – Staging 426 – Therapie – – multimodale 431 – – nicht-operative 431 – – operative 431–448 – Tumorstadien 427 – Tumorsuppressorgene 428 Lungenmetastasen 648 – Biopsie 464 – Diagnostik 459–462 – Epidemiologie 458 – Hepatoblastom 835 – Kanzerogenese 458 – Klassifikation 459 – Nachsorge 471 – postoperative Komplikationen 468 – Primärtumoren 467, 468 – Staging 464 – Strahlentherapie 297 – Symptomatik 459 – synchrone 470 – Therapie
– – adjuvante 470, 471 – – chirurgische 462–466, 793 – – neoadjuvante 470, 471 – – palliative 465 – Überlebensrate 468, 469 Lungentumoren – Ablationsverfahren 349, 350 – maligne 425–453 Lymphabstromszintigraphie 758 Lymphadenektomie 215, 217, 218, 542, 543 – Ausmaß 543, 545 – erweiterte 533, 580, 581 – Hodentumor 851 – iliakale 762 – Kolonkarzinom 703 – Leberkarzinom 625, 625 – Lebermetastasen 648 – malignes Melanom 759 – mediastinale – – linksseitige 446 – – rechtsseitige 443, 444 – Ösophaguskarzinom 485, 486, 490, 493, 497 – Ovarialkarzinom 894 – paraaortale 543, 544, 625, 895 – pelvine 844, 895 – Rektumkarzinom 720 Lymphagniosis carcinomatosa 494 Lymphangiom 866 Lymphangiomyom 866 Lymphangiosis, metastatische 461 Lymphknoten – 7 Wächterlymphknoten – Farbstoffmarkierung 168 – Histopathologie 169 Lymphknotendarstellung, endosonographische 113 Lymphknotendissektion, elektive 757 Lymphknotenquotient 217, 534 Lymphknotenratio 501 Lymphom 7 – diffus-großzelliges 261 – gastrointestinales 685, 687, 690 – kolorektales 805 – malignes – – 7 Magenlymphom – – Chemotherapie 261 – – Diagnostik 805, 806 – – Epidemiologie 800 – – Gastrointestinaltrakt 799–810 – – Immundefizienz 801 – – Klassifikation 803 – – molekulargenetische Faktoren 801 – – Niere 825 – – Pathogenese 800 – – Pathologie 801, 802 – – prädisponierende Faktoren 801
921 Sachverzeichnis
– – prognostische Faktoren 803 – – Rezidiv 809, 810 – – Staging 805, 806 – – Symptomatik 804, 805 – – Therapie 806–809 – – – chirurgische 808, 809 – mediterranes 802 Lymphome 7 Lymphozyten, tumorinfiltrierende 281 Lymphszintigraphie 151 Lynch-Syndrom 63
M MAGE-1 278 Magenadenom 524 – endoskopische Resektion 357 Magenausgangsstriktur, Stenteinlage 363 Magenfrühkarzinom 528 – endoskopische Resektion 357 – Laparoskopie 229 Magenkarzinom 521–557 – Anastomoseninsuffizienz 550 – Chemotherapie 260 – – intraperitoneale 554 – – palliative 554, 555 – – perioperative 551, 552 – – postoperative 553, 554 – – präoperative 551, 552 – Diagnostik 139, 148, 534, 535 – diffuses 525, 529 – distales 540 – – Laparoskopie 229, 230 – Dumping-Syndrom 550 – Endoskopie 117, 118 – Endosonographie 118 – Epidemiologie 522 – Fernmetastasen 536, 537 – fortgeschrittenes 528 – – chirurgische Therapie 540, 541 – genetische Disposition 525 – genetische Instabilität 527 – Grading 529 – hereditäres diffuses 525 – Histologie 528 – intestinales 529 – Klassifikation – – histologische 528, 529 – – makroskopische 528 – – nach Laurén 523, 529 – Laparoskopie 229, 230 – Lasertherapie 539 – Laurén-Klassifikation 523, 529 – Lebensqualität 550 – Lokalisation 118, 527
– – – – –
Lymphadenektomie 542, 543 – erweiterte 533 Lymphknotenmetastasierung 536 Metastasierung 140, 536, 537 molekularbiologische Veränderungen 526 – Morbidität 550 – Mortalität 550 – Nachsorge 556 – Onkogene 527 – Onkogenese 523 – Pathologie 527, 528 – peritoneal metastasiertes 909 – Prävention 107, 108 – prognostische Faktoren 532, 533 – proximales 535, 540 – R0-Resektion 532 – Radiotherapie-/Chemotherapie 554 – Regressionsbeurteilung 531, 532 – Rezidiv 555 – Risikofaktoren 117 – Sentinel-Lymphknotendetektion 170, 171 – Splenektomie 546 – Staging 179, 180, 535 – Symptomatik 117, 534 – Telemerase 527 – Therapie – – additive 554 – – neoadjuvante 551–553 – – operative 537–551 – – – Ergebnisse 551 – – – Indikationen 538 – – – Komplikationen 550 – – – limitierte 538, 539 – – – palliative 542 – – – Technik 542–545 – – – Zielstellung 537 – Tumorsuppressorgene 527 – UICC/TNM-Klassifikation 530, 531 – Wachstumsfaktoren 527 Magenlymphom 119, 535 – Diagnostik 805 – diffus großzelliges 801 – – Therapie 808 – Nachsorge 810 – Symptomatik 804 Malenresektion 7 Gastrektomie Magenstumpfkarzinom 524 Magenwandresektion, kombinierte endoskopisch-laparoskopische 540 Magnetflüssigkeitshyperthermie 326, 330 Magnetresonanz-Cholangio-Pankreatikographie 130 Magnetresonanztomographie 128–131 – Artefakte 129 – Kontraindikationen 130
L–M
– Kontrastmittel 131, 134 – Wichtung 129 Makrophagen, tumorassoziierte 81 Malignom, retroperitoneales 880 MALT-1-Gen 801 MALT-Lymphom 800, 802 – Nachsorge 810 – Rezidiv 809 – Therapie 806–809 Mammakarzinom – Diagnostik 150 – familiäres 563 – Hormontherapie 257 – Lungenmetastasen 467 – Screening 46 Management, perioperatives 219 Mangelernährung – Bestimmung 373, 374 – präoperative Ernährungstherapie 379, 380 – Tumorpatienten 372 Manschetten-Pneumektomie 440–443 Manschettenresektion 439, 440 Mantelzell-Lymphom 802 – Nachsorge 810 – Symptomatik 805 – Therapie 808 Marginalzonen-Zelllymphom 261, 800, 802 – Therapie 806–809 Marker – klinische 93 – molekulare 193, 194 – prädiktive 188 – prognostische 188 Matrixmetalloproteinasen, Inhibitoren 84 MCC-Gen 697 McMaster Health Index 401 Mediastinaltumor 450–453 Mediastinektomie 493 Mediastinoskopie 430 Medikamentenfieber 256 Mehrfeldertechnik 292 Melanom, malignes – Anus 756 – Biochemotherapie 765 – Chemoembolisation 767 – Chemoimmuntherapie 765, 766 – Chemotherapie 260, 764–766 – Dura 757 – Hautfernmetastasen 767 – Hautmetastasen 764 – Intransitmetastasen 760 – Klassifikation 754, 755 – Knochenfernmetastasen 768 – Lebermetastasen 766 – Lokalrezidiv 759 – Lungenmetastasen 466, 766
922
Sachverzeichnis
Melanom, malignes – Lymphknotenfernmetastasen 768 – Lymphknotenmetastasierung 761, 762, 768 – Meningen 757 – Metastasierung – – intraperitoneale 768 – – intrapleurale 768 – – lokoregionäre 757 – – lymphogene 761, 762, 768 – Mundhöhle 756 – Nase 756 – Nasennebenhöhlen 756 – okkultes 763 – okuläres 767 – Ösophagus 756, 757 – Prognose 754 – radikale Lymphadenektomie 762 – Satellitenmetastasen 759 – Stadieneinteilung 755 – Strahlentherapie 764 – Therapie 756, 757, 763, 764 – Vagina 756 – viszeral metastasiertes 763 – Viszerum 752–768 – Vulva 756 – ZNS-Fernmetastasen 768 Melanozytendifferenzierungsantigene 278, 279 MEN 1 589, 590 Meningiosis melanomatosa 768 Mesenchymom, malignes 775 Mesna 257 Mesorektumresektion 726 Mesotheliom, diffuses malignes peritoneales 909 Metaanalyse 417 Metajodbenzylguanidin 150 Metall-Stent, selbstexpandierender 362 Metaplasie, intestinale 523 Metaplasie-Dysplasie-KarzinomSequenz 491 Metastasen, Behandlung 222 Metastasierung 10 – hämatogene 10 – lymphogene 10 Methotrexat 250 Methylentetrahydrofolat-Reduktase 191 Microarray-Analyse 74 Mikrodissektionsverfahren 195 Mikrogastrinom 589 Mikrometastasen, Nachweis 169 Mikrosatelliteninstabilität 17, 59, 68 – Magenkarzinom 527 Mikrowellenablation 342 Minigastrin 337
Mischmatch-repair-Gene 697 Mitosehemmstoffe, Wirkungsmechanismus 250 Mittellappenresektion 434 Molekularpathologie 165 Mononukleotid-Repeats, kodierende 63 Morbus – Crohn 697 – Ménétrier 524 – Recklinghausen 774 Mortalität – Definition 33 – Krebs 35–37 Mortalitätsrate 33 – altersstandardisierte 34 mTOR-Inhibitoren 83 Mukosaresektion, endoskopische 539, 540 – intragastrische 229 Mukosektomie 358 – Erfolgsrate 359 – Technik 358 – Voraussetzungen 358, 359 Multidetektor-CT 128 Multidrug-Resistenzgen 253 Multileaf-Kollimator 293 multiple endokrine Neoplasie 7 MEN Multiviszeralresektion 580 MUTYH-Gen 53 Myelosuppression 256
N Nährstoffbedarf – postoperativer 382 – präoperativer 380 Nano-Carrier 321 Narrow-Band-Imaging 115 Nationales Centrum für Tumorerkrankungen 207–209 Nekrose 251 Neoplasie – intraepitheliale 6, 14, 524 – multiple endokrine 7 MEN – papilläre urotheliale 853 Neovaskularisation 458 Nephrektomie – Komplikationen 859 – laparoskopische 859 – Nierentumor 828, 829 – offene 858 – partielle 829, 858 – totale 858 Nephroblastom – bilateales 830 – unilaterales 829
Nephroblastomatose 825 – Therapie 832 Nephrom – kongenitales mesoblastisches 825 – zystisches 825 Nephrotoxizität 256 Nervus recurrens, Parese 498 NET 6 – Chemotherapie 261, 689 – Lebermetastasen 645 – Nachsorge 651 Neuroblastom 816–824 – abdominelles 821 – Bestrahlungstherapie 823 – Chemotherapie 823 – Diagnostik 818, 819 – Epidemiologie 816 – Komplikationen 821, 823 – Nachsorge 822, 823 – Pathogenese 816 – Pathologie 816, 817 – pelvines 821 – prognostische Faktoren 817 – Strahlentherapie 831 – Symptomatik 817 – Therapie – – adjuvante 823 – – chirurgische 819–822 – thorakales 822 – thorakozervikales 822 – zervikales 822 neuroendokriner Tumor 7 NET Neurotensin-Rezeptoren 338 Neurotoxizität 257 Nierenarterien, Resektion 871, 875 Nierenfunktion, eingeschränkte 244 Nierensequenzszintigraphie 780 Nierentransplantation – Krebsrisiko 234 – Nierenzellkarzinom 236 Nierentumoren 824–833, 857–860 – 7 Nephroblastom – Ablationsverfahren 350 – Ätiologie 824 – Chemotherapie 831 – – präoperative 827 – Diagnostik 826, 827, 857, 858 – Embolisationsverfahren 351 – Epidemiologie 824, 857 – Fernmetastasen 831 – Klassifikation 824, 825 – Komplikationen 832 – Nachsorge 833, 860 – Pathogenese 857 – Pathologie 824, 825 – Prognosefaktoren 825, 857 – Staging 826, 827, 857, 858 – Strahlentherapie 831
923 Sachverzeichnis
– Symptomatik 825, 826, 857 – Therapie – – additive 859 – – adjuvante 831 – – chirurgische 827–831, 858, 859 – – neoadjuvante 859 – – palliative 859, 860 Nierenzellkarzinom 866 – Chemotherapie 261 – Lungenmetastasen 467 Nikotin, Krebsrisiko 106, 108 nm32-Gen 697 Non-Hodgkin-Lymphom 7 Lymphom, malignes Norton-Simon-Hypothese 253 Notfallendoskopie 355 No-touch-isolation-Technik 215, 720 Nottingham Health Profile 401 NY-ESO-1 278
O Oberbauchexenteration 672 Oberlappenresektion 433, 434 Oberlappenresektion 445 Obturator-Bypass 870 Odds Ratio 35 Omega-3-Fettsäuren 377, 378 Onkogene 10, 16 – Lungenkarzinom 428 – Magenkarzinom 527 Onkologisches Zentrum 202–204 Operation – minimal-invasive 219 – palliative 218, 219 – prophylaktische 219 Operationsbericht 219 Operationsplanung 216 Operationspräparat 163, 164 Operationsrisiko 242–247 – Analyse 247 – hepatorenale 244 – kardiovaskuläres 243 – pulmonales 243 Organkrebszentrum 204 Organtransplantation – Krebsprävention 236, 237 – Krebsrisiko 234–237 – Krebstherapie 237 – Krebsübertragung 234, 235 Ösophagektomie 485, 486, 488 – abdomino-rechts-thorakale 494, 495 – distale 516 – en bloc 228 – malignes Melanom 756 – radikale 493
– rechts-thorakale 494 – subtotale 493 – transhiatale partielle 549 – transmediastinale 493, 498 – transthorakale 493, 494, 498 – zervikale Anastomose 228 – zervikale 489 Ösophago-Fundektomie 493 – radikale 495 – transmediastinale 495 Ösophagogastrostomie 516 – zervikale 486 Ösophagusadenom, endoskopische Resektion 357 Ösophaguskarzinom 473–505 – 7 Barrett-Karzinom Ösophaguskarzinom – Adenokarzinom 477, 491–497 – Alkoholabusus 484 – Anastomoseninsuffizienz 498 – Anastomosenstriktur 498 – Ausschluss von Fernmetastasen 482 – Chemoprophylaxe 107 – Chemotherapie 261 – – präoperative 502, 503 – Diagnostik 137, 180, 181, 481, 484 – endoskopische Bougierung 504 – Epidemiologie 474 – Hyperthermie 328 – Klassifikation 115, 475–477 – Komplikationen 497, 498 – Laparoskopie 227, 228 – Lymphadenektomie 485, 486, 490, 493, 497 – Metastasierung 140, 476 – Nachsorge 505 – Partikeltherapie 311–313 – Pathogenese 491 – Pathologie 475 – Plattenepithelkarzinom 486, 477, 484, 487 – Präkanzerose 484, 491 – Prävention 106, 107 – Prognosefaktoren 478 – Radio-/Chemotherapie, präoperative 503 – Resektion 485 – Risikoanalyse 483 – Risikofaktoren 115 – Risikogruppen 480 – Sentinel-Lymphknotendetektion 170 – Staging 148, 180–182 – Strahlentherapie, präoperative 502 – Symptomatik 115, 480 – Therapie – – additive 502 – – adjuvante 502 – – chirurgische 488–491
M–P
– – multimodale 504 – – neoadjuvante 487, 502 – – palliative 504 – – postoperative 497 – Therapieansprechen 483 – Therapieziel 484, 492 – zervikales 487, 488 Ösophagusstenose, peptische 354 Ösophagusstriktur, Bougierung 354 Ösophagusvarize, Ligatur 355 Osteosarkom, Lungenmetastasen 468 Ovarialkarzinom 886–901 – Chemotherapie 261, 898–900 – chirurgische Therapie 893–898 – Debulking 896, 900 – Diagnostik 890, 891 – Epidemiologie 888 – epitheliales 261, 896 – Früherkennung 890 – hereditäres 888 – Histologie 889 – Klassifikation 888, 889, 892 – Lungenmetastasen 467 – Metastasierung 467, 895 – Nachsorge 900 – palliative Therapie 897 – Pathogenese 888 – Prognosefaktoren 888, 889 – Rezidiv 897, 900 – Risikofaktoren 888 – Staging 892 – Symptomatik 890 – Tumormarker 890, 901 Ovarialkarzinomsyndrom, familiäres 888
P p53-Gen 12, 253, 697, 776 Palliativmedizin 206 Palma-Operation 870 PanIN-Klassifikation 565 Panitumumab 193, 271, 272, 282 Pankreasfistel 577, 582 Pankreaskarzinom 563–585 – Anastomoseninsuffizienz 582 – arterielle 579, 580 – Ätiologie 562 – Biopsie 569 – Chemotherapie 261, 583, 584 – – additive 584 – – adjuvante 583 – – neoadjuvante 583, 584 – – palliative 584 – Diagnostik 135, 148 – Diagnostik 567–570 – Einteilung 562
924
Sachverzeichnis
Pankreaskarzinom – Endoskopie 568 – Epidemiologie 562 – familiäres 563 – fortgeschrittenes 584 – Grading 565 – hereditäre Disposition 563 – Karzinogenese 565, 566 – Klassifikation 564 – Labordiagnostik 567 – Laparoskopie 230 – Lymphadenektomie 580, 581 – Lymphknotenmetastasen 565 – Magenentleerungsstörungen 583 – Metastasen 581 – Multiviszeralresektion 580 – Nachsorge 585 – neuroendokrines 587–593 – – Chemoembolisation 592 – – Chemotherapie 592 – – Embolisation 592 – – funktionelles 588 – – Lebertransplantation 592 – – malignes 588–593 – – metastasiertes 592 – – nicht-funktionelles 588, 590, 591 – – Radiofrequenzablation 592 – – Radionuklid-Radiopeptid-Therapie 593 – – Radiotherapie, selektive interne 593 – Partikeltherapie 314 – postoperative Komplikationen 582 – Prävention 109 – Prognose 584 – Prognosefaktoren 566, 567 – Radiochemotherapie 583 – Radioimmuntherapie 583 – Resektabilität 566, 567, 571 – Risikofaktoren 109, 563 – Stadieneinteilung 564 – Staging 182 – Staginglaparoskopie 572 – Stenteinlage 584 – Strahlentherapie, palliative 584 – Symptomatik 567 – Therapie – – adjuvante 583 – – chirurgische 573–583 – – neoadjuvante 583, 584 – venöse Resektion 578, 579 – Zytologie 570 Pankreaskarzinom-Melanom-Syndrom 563 Pankreaslinksresektion 546, 573, 577 – laparoskopische 230 Pankreasschwanzresektion 573 Pankreastransplantation 672 Pankreastumoren
– Diagnostik 135, 136 – endokrine 136 – zystische 136, 137 Pankreatektomie – distale 577 – Mitresektion des Truncus coeliacus 879 – totale 577, 578 Pankreatikoduodenektomie – palliative 573 – partielle 574–577 Pankreatikotoxizität 256 Pankreatitis, hereditäre 563 Pankreatoblastom 836 – Diagnostik 837 – Therapie 837 Papillektomie 578 – endoskopische 360, 361 Papillenadenom 562 Papillenkarzinom 562, 683 Papillomaviren, humane 8, 736 Paragangliom 866 Paraganglioma caroticum 865 Paravasat 256 Paris-Klassifikation 112 Partikelembolisation 347 Partikeltherapie 301–317 – biologische Wirksamkeit 303 – klinische Anwendung 307 – Nebenwirkungen 313, 315 – Verfügbarkeit 304–306 Passivrauchen, Krebsrisiko 41 patient reported outcome 399 Pemetrexed 431 Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie 335 Perforation, gastrointestinale 270 Perfusionstherapie, hypertherme 761 Peritonealkarzinose 574, 903–911 – Chemotherapie 261 – – hypertherme intraperitoneale 905, 908 – Diagnostik 140, 904, 905 – Komplikationen 909 – Nachsorge 911 – Symptomatik 904 – Therapie – – additive 910 – – adjuvante 910 – – chirurgische 906–908 – – neoadjuvante 910 – – palliative 911 – – postoperative 908, 909 – – zytoreduktive 905 Peritoneallavage 178 Peritonektomie 907, 908 – pelvine 907 Perizyten 81
PET 7 Positronenemissionstomographie PET/CT 145–147 Peutz-Jeghers-Syndrom 563 Pfortader, Resektion 872, 875 Pfortaderembolisation 633 – präoperative 347, 348 Phase-I-Studie 416 Phase-II-Studie 416 Phase-III-Studie 416 Phase-IV-Studie 416 Philadelphia-Chromosom 68 Photonentherapie 315 Photosensibilisierung, chemotherapiebedingte 256 Pit-pattern-Klassifikation 115 platelet derived growth factor 80 Platinkomplexe 191, 250 Plattenepithelkarzinom 6 – Diagnostik 115, 116 – Ösophagus 227, 228 Pleuraerguss 632 Pleura-Mesotheliom, malignes 262 Pneumonektomie – intraperikardiale 438 – rechts 437, 438 Polyembryom 889 Polymerase-Ketten-Reaktion 165 Polymorphismus 195, 196 Polyposis coli, familiäre adenomatöse 51–57, 563 – Diagnostik 55–57 Port-site-Rezidiv 226 Positronenemissionstomographie 144, 145 – Somatostatin-basierte 148 Postaggressionsstoffwechsel 374–377 Postaggressionssyndrom 374–377 Postembolisationssyndrom 346 Pouch-Rekonstruktion 722 PPom 588 prädiktiver Wert 45 präkanzeröse Läsion 14 PRAME 279 Präparatebergung 227 Prävalenz, Definition 33 Prävention 44, 45 – gastrointestinale Tumoren 106–109 – primäre 44 – sekundäre 44 – tertiäre 44 Precision-TACE 347 Proangiogen 79 Probeexzision 158 Profile of Mood States 401 Progenitorzellen, endotheliale 81 Prognosestudie 412, 417 Progredienzangsttherapie 393 Projektionsradiographie 125
925 Sachverzeichnis
Prokarzinogen 8 Prostaglandin-E-Therapie 822 Prostatakarzinom – Chemotherapie 261 – Diagnostik 844 – Epidemiologie 843 – Hormontherapie 257, 847 – Hyperthermie 329, 330 – Lymphadenektomie, pelvine 844 – Lymphknotenmetastasen 847 – Nachsorge 848 – Partikeltherapie 315, 316 – Pathologie 843 – Prognosefaktoren 843 – Risikofaktoren 843 – Staging 844 – Strahlentherapie 847 – Symptomatik 843 – Therapie – – additive 847 – – chirurgische 844–847 – – neoadjuvante 847 – – palliative 847 Prostatatumoren 843–848 Prostatektomie – Komplikationen 846 – Mortalität 846 – radikale 844 – – laparoskopische 845, 846 – – offene retropubische 845 – – perineale 846 – – roboterassistierte 845, 846 Proteinstatus, viszeraler 374 Protoonkogen 69, 88 PSA-Bestimmung 844, 848 Pseudomyxoma peritonei 910 Psychoedukation 392, 393 Psychological General Wellbeing Index 401 Psychoonkologie 206, 387–394 – Behandlung 392–394 – Belastungsscreening 390, 391 – Indikationen 389, 390 Psychotherapie 392 – kognitiv-behaviorale 393 Pull-Technik 364 Pulmonalisangiographie 460 Purinantagonisten 250 Push-Technik 364 Pyrimidinantagonisten 250
Q QOLCA 403 QOL-Fragebogen 400 Q-TWiST-Methode 403
Qualitätssicherung 206 Quality of Life Cancer Scale 403 Quality of Wellbeing Scale 401
R R0-Resektion 215 R1-Resektion 220 R2-Resektion 220 Radio-/Chemotherapie 289, 290, 294 – neoadjuvante 295, 296 – primäre 294 Radiofrequenzablation 342, 362 – hepatozelluläres Karzinom 622 – Lebermetastasen 650 Radiokolloidmarkierung 168–170 Radionuklid-Radiopeptid-Therapie 592 Radiotherapie 285–298 – Ablauf 291–294 – adjuvante 295 – Behandlungsplanung 292 – bildgeführte 294 – biologisch zielgerichtete Therapeutika 295, 296 – biologische Wirkung 288 – Clip-Markierung 292 – fraktionierte 288, 293, 294 – Hirnmetastasen 297 – Indikationen 291 – intensitätsmodulierte 292 – interventionelle 341–351 – intraoperative 296 – Knochenmetastasen 297 – Kombination mit Chemotherapie 289, 290, 294 – Kombination mit Hyperthermie 328 – kurative 294–296 – kurzzeitige 295 – Leber- und Lungenmetastasen 297 – Nachsorge 298 – Nebenwirkungen 297, 298 – neoadjuvante 295 – palliative 296, 297 – Patientenbetreuung 294 – physikalische Grundlagen 287, 288 – präoperative 295 – primäre 294 – selektive interne 334, 344, 345, 593, 651 – Spätfolgen 297, 298 – stereotaktische 293 – Zielvolumen 291, 292 Randomisation 419 Ras-Signalweg 91 Raster-Scan-Verfahren 303 Rauchen, Krebsrisiko 39–41, 106, 108
P–R
Real-time-PCR-Verfahren 194 RECIST-Kriterien 259 Refeedingsyndrom 380 Refluxkrankheit, gastroösophageale 106, 107 – endoskopische Therapie 365 Regressionsgrading 27 Rektosigmoidoskopie, flexible 700 Rektoskopie 716 Rektum, Anatomie 714, 715 Rektumexstirpation, abdominoperineale 721, 727, 728, 747 Rektumkarzinom 713–732 – 7 kolerektales Karzinom Rektumkarzinom – Anastomoseninsuffizienz 728 – Anastomosentechnik 723, 724 – Chemotherapie 262 – Diagnostik 120, 140, 141, 716 – Drainage 724 – Exzision, totale mesorektale 719 – Histologie 715 – Hyperthermie 328–339 – Implantationsmetastasen 720 – Klassifikation 716 – Kontinenzerhalt 721 – Laparoskopie 231 – Lungenmetastasen 467 – Lymphadenektomie 720 – Metastasierung 715, 716 – Nachsorge 731 – postoperative Behandlung 728 – postoperative Komplikationen 728 – Prognose 729, 730 – Radiochemotherapie 730 – Radiotherapie 730 – Rezidivdiagnostik 717 – Satelliten 716 – Sentinel-Lymphknotendetektion 172 – Sphinktererhalt 717 – Staging 716 – Symptomatik 716 – Therapie – – adjuvante 725, 730 – – chirurgische 719–728 – – neoadjuvante 730 – Therapieziele 717, 718 Rektumresektion 907 – Ausmaß 731 – laparoskopische 725 – Letalität 729 – lokale 724, 725 – – transanale 728 – malignes Melanom 756 – Mortalität 729 – Rekonstruktion 722, 723, 726, 727 – tiefe anteriore 725, 726 – totale 719–722
926
Sachverzeichnis
Rekurrensparese 498 Remission – komplette 259 – partielle 259 Remissionsdauer 259 Rescue-Transplantation 624 Residualtumor-Klassifikation 27, 219, 220 Resistenz – biochemische 254 – genetische 254 – kinetische 253, 254 – pharmakologische 254 – Zytostatika 252–254 Response-Prädiktion 188–193 Restaging, endosonographische 113 Retinoblastom, hereditäres 774 Rezeptor-Tyrosinkinasen 16, 90, 527 Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitoren 82 Rhabdoidtumor 825 – Therapie 832 Rhabdomyosarkom 775, 776 Rhythmusstörungen, tachykarde 246, 247 Riolan-Arkade 695 Risiko – 7 Operationsrisiko – operationsbezogenes 242 – patientenbezogenes 243 – perioperatives 214 – populationsbezogenes, attributables 35 – relatives 34 Risikoabschätzung, präoperative 241– 247 Risikoanalyse 247 Rituximab 282
S S100-Protein 775 Salvage-Chemotherapie 255 Sarkom – angioblastisches 866 – Leber 792 – Partikeltherapie 315 – retroperitoneales 789 – Uterus 792 – viszerales 789 Schadstoffbelastung, Krebsrisiko 43 Schätzverfahren, statistische 411 Schilddrüsenkarzinom 467 Schlingenexzision, endoskopische 158 Schlingenpolypektomie, einfache 358 Schlingenresektion, nach Submukosainjektion 358 Schmerztherapie 206
Schnellschnittuntersuchung 162, 163, 218 Screening 45 Second-look-Endoskopie 357 Seed-Behandlung 288 Sektorektomie 627 Seminom 866 – Chemotherapie 260 Sensitivität, Definition 412 Sentinel-Lymphknoten 7 Wächterlymphknoten Sertoli-Leydig-Zelltumor 261 Sestamibi-Szintigraphie 150 SF-36-Health Survey 400 Shimada-System 816 Short-segment-Barrett-Ösophagus 116 Sicherheitschirurgie 243 Sickness Impact Profile 401 Siegelringzellkarzinom 529 Signaltransduktionskaskade 79 Sinustumor 889 SIRO 403 SIR-Spheres 334 SIRT 334, 344, 345, 593, 651 Skelettszintigraphie 150 Skip-Metastasierung 168 Sklerotherapie, Varizenblutung 355 Somatostatinanaloga 645 Somatostatinom 588, 590 Somatostatinrezeptor-Antagonisten 337 Somatostatinrezeptoren 335–337 Somatostatinrezeptorliganden 148 Sonde – intestinale 381 – nasogastrale 381 – nasojejunale 381 Sonographie 124 – endoluminale 535 – endorektale 141 – endoskopische 482 – laparoskopische 537 Sorafenib 82, 272, 273 SPECT 146, 147 Speicheldrüsentumoren 309 Spezifität, Definition 412 Spitzer-Index 401 Splenektomie 546 Sprue 801 Spülzytologie 160, 178 Spurenelementzufuhr, präoperative 380 β-Catenin 52 stable disease 259 Staging 24, 25 – präoperatives 215, 216 – prätherapeutisches 112, 151, 178, 179 Standardfehler 411, 413
Stanzbiopsie 158 Stapleranastomose 723 Statistik 409–421 – Auswerteverfahren 420, 421 – Kenngrößen 412 – Merkmale 410 – Prinzipien 410, 411 – Schätzverfahren 411 – Tests 410–412 – Zielgröße 417 STAT-Signalweg 91 Steatosis hepatis 650 Stent – selbstexpandierender 362 – ummantelte 362 Sternotomie, mediane 465 Steroidzelltumor 889 Stoma, protektives 724, 747 Strahlenkolitis 8 Strahlentherapie – 7 Radiotherapie – 7 Endoradiotherapie Stratifikation 419 Stress Index Radio Onkology 403 Stromasarkom 889 Stromatumoren, gastrointestinale 7 GIST Studie – Auswertung 420, 421 – einarmige 420 – Endpunkte 418 – klinische 415, 416 – Validität 415 – zweiarmige 420 Studienplanung 414, 415 Studientypen 416 Submukosaresektion, endoskopische 359, 539, 540 Substanzfindungsstudie 416 Sunitinib 82, 273 Synovialsarkom 775
T TACE 7 Chemoembolisation, transarterielle targeted therapy 193, 194, 251, 471 Teilkörperhyperthermie 324 Telekonsultation 207 Teletherapie 288 Teratogenität, Zytostatika 257 Teratokarzinom 866 Teratom 889 Test, statistischer 410–413 Thalidomid 84 Theranostik 28
927 Sachverzeichnis
Therapie – adjuvante 221 – kognitiv-behaviorale 393 – palliative 747, 748 – photodynamische 363 Theraspheres 334 Thermoablation, lokale 361, 362 Thermometrie 326 Thorakoskopie, videoassistierte 465, 466, 782 Thorakotomie, laterale 465 Thoraxaufnahme 125, 430 Thoraxtumoren 262 – 7 Lungentumoren Thrombospondin 80 Thymidin-Phosphorylase 190, 191 Thymidylat-Synthase 188, 189 Tiuximab 99 T-Lymphozyten 100 TNF-Rezeptoren 93 TNM-System 25 Todesdomäne 93 Todesrezeptor 92 Todesursachenstatistik 32 Toleranz – periphere 278 – zentrale 278 Toll-like-Rezeptor 280 Tomotherapie 292 Topoisomerasehemmer 192, 193, 251 Trabectedin 882 TRAIL-Rezeptoren 93 Transformation, maligne 16 Transitionalzellkarzinom 889 Translokation 68 Transplantation, Krebsrisiko 234–237 Transversostoma, protektives 724 Transversumresektion 706 Trastuzumab 266, 272, 282 Tremelimumab 280 Trisektorektomie 623, 627 Trokareinstichrezidiv 226 Trokarmetastasen 708 Truncus coeliacus, Resektion 879 Tumorangiogenese 268–271 – 7 Angiogenese Tumorantigene 278, 279 – Vakzinierung 280 – virale 279 Tumorausbreitung 9 Tumorblutungen 351 Tumorboard 204 Tumorchirurgie – laparoskopische 226–231 – minimal-invasive 219 – palliative 218, 219 – prophylaktische 219 – roboterassistierte 230, 231
Tumordifferenzierung 5, 6 Tumoren – benigne 4 – Extravasation 458 – maligne 5 – – Epidemiologie 32–39 – – Grading 24 – – histologische Typisierung 20 – – Kinder 813–837 – – Staging 24, 25 – Neovaskularisation 458 – neuroendokrine 7 NET – Progress 259 – Stoffwechselveränderungen 372, 373 – submuköse, endoskopische Resektion 359, 360 – urogenitale 840–857 – – 7 Harnblasentumor – – 7 Hodentumor – – 7 Nierentumoren – – 7 Prostatakarzinom – Wachstumskinetik 252 Tumorentstehung 7 Karzinogenese Tumor-escape-Mechanismus 279 Tumorfrüherkennung 223 Tumorgene 10 Tumorklassifikation – histologische 21, 22 – klinische 25 – makroskopische 112, 117 – pathologische 25 Tumorlokalisation 20 Tumornachsorge 223 Tumorsuppressorgene 10–12, 16, 69, 88, 253 – Lungenkarzinom 428 – Magenkarzinom 527 Tumorvakzine, rekombinante 281 Tumorvorläuferläsion 6 Tumorvorsorge 223 Tumorwachstum – exophytisches 4 – invasives 5, 9 – makroskopisches 116 Tumorzellvakzine 281 Tumorzentrum 202–204 Typ-A-Gastritis 523 Typ-B-Gastritis 15, 523 Typing 20 – postoperatives 23 – präoperatives 23 Tyrosinkinase-Inhibitoren 266 T-Zellen, tumorspezifische, adoptischer Transfer 281, 282 T-Zell-Lymphom 802, 803 – Enteropathie-assoziierte 802
U Übelkeit, chemotherapiebedingte 256 Übergewicht, Krebsrisiko 42, 107, 108 Überleben – ereignisfreies 259 – krankheitsfreies 259 – progressionsfreies 259 – rezidivfreies 259 Überlebenszeit 46 – akute 398 – Definition 418 – langfristige 398 – mittlere 398 Ulkusblutun – endoskopische Therapie 356 – Injektionsmethode 356 Untergruppenanalyse 421 Uridindiphosphat-Glucosyltransferase 193 Urothelkarzinom 853 – Chemotherapie 260 – oberflächliches 260 Uveamelanom, Partikeltherapie 307 UV-Strahlung, Krebsrisiko 44
V Varizenblutung – Ligatur 355 – Sklerotherapie 355 vascular disrupting agents 83 vascular endothelial growth factor 7 VEGF Vaskulogenese 81 vasoactive-intestinal-peptid-Rezeptoren 338 VEGF 78, 85 VEGF-Antikörper 291 VEGFR 267 VEGF-Rezeptor 79 – Blockade 194 VEGF-Signalweg 268 Vena – cava – – Resektion 870, 873 – – Tumorthrombus 829 – jugularis interna, Resektion 872 Venenresektion, Bypass 872, 873 Ventilationsstörungen, restriktive, präoperative Behandlung 246 Verhaltensänderung 394 Verner-Morrison-Syndrom 588
R–V
928
Sachverzeichnis
Vertrauensintervall 7 Konfidenzintervall Verwandten-Lebertransplantation 613, 616, 617 Vimentin 775 VIPom 588, 590 VIP-Rezeptoren 338 Viszeralarterien, Resektion 871, 872, 875 Vitaminzufuhr, präoperative 380
W Wachstumsfaktoren 16 Wachstumsfaktor-Rezeptoren 266 Wachstumssignale 88–90 Wächterlymphknoten 151 – Biopsie 757–759 – Detektion 167–171 WAGR-Syndrom 824 Wedge-Resektion, laparoskopische 229 Weichgewebssarkom 773–794 – 7 Weichteilsarkom – Amputation 784, 785 – Brachytherapie 786 – Chemotherapie 262 – – adjuvante 787 – – intraarterielle 788 – – neoadjuvante 787 – – palliative 793 – Defektdeckung 784 – Diagnostik 779–783 – Epidemiologie 774 – Extremitätenperfusion, isolierte 788 – Gefäßresektion 784 – Klassifikation 774, 775 – Kombinationschemotherapie 793 – kutanes 788 – Lokalisation 778, 779 – Lokalrezidiv 789 – Lungenmetastasen 467, 468, 793 – Marker 775 – metastasiertes 793, 794 – Molekulargenetik 775, 776 – Nachsorge 794 – Nervenresektion 784 – prädisponierende Faktoren 774 – Prognosefaktoren 777 – regionale Hyperthermie 787 – Resektion – – kompartmentale 783 – – marginale 783 – Stadieneinteilung 776, 777 – Staging-Laparoskopie 782 – Strahlentherapie 785 – – intraoperative 785, 786 – – postoperative 786 – – präoperative 785
– subkutanes 788 – Symptomatik 778 – Therapie, chirurgische 783, 784, 788 Weichgewebstumoren 7 Weichteilsarkom – 7 Weichgewebssarkom – alveoläres 3 – Chemotherapie 882 – Hyperthermie 882 – Nachsorge 883, 884 – Pathogenese 866 – retroperitoneales 880, 882 – Strahlentherapie 882 WHO Quality of Life-Fragebogen 400 WHO-Klassifikation 22 Widemann-Beckwith-Syndrom 824 Wien-Klassifikation 161 Wilms-Tumor – 7 Nephroblastom – 7 Nierentumoren Wirksamkeit, Definition 415 Wirkung, Definition 415 Wundheilungsstörungen 270
X XPD-Gen 192
Y Yamada-Klassifikation 120
Z Zangenbiopsie, endoskopische 158 Zellvakzine, dendrite 281 Zellwachstum 88 Zenker-Divertikel, Endotherapie 364 Zertifizierung 204 Zerviskarzinom – Screening 46 – Hyperthermie 329 – Partikeltherapie 314, 315 Zökumreservoir 723 Zollinger-Ellison-Syndrom 589 Zoomendoskopie 113 Zwei-Hit-Hypothese 55 Zweitneoplasie – chemotherapiebedingte 257 – radiogen induzierte 298 Zwischenauswertung 421 Zystektomie, radikale 854
Zytokeratin 775 Zytokine 100 Zytokintherapie 280 Zytologie 159, 160 Zytostatika 84 – 7 Chemotherapie – Interaktionen 255 – Nebenwirkungen 255, 256 – Organtoxizität 256, 257 – Resistenz 251–254 – Teratogenität 257 – Überempfindlichkeitsreaktion 256 – Wirkungsmechanismus 250, 251