J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick Praxis der Viszeralchirurgie Gastroenterologische Chirurgie
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J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick Praxis der Viszeralchirurgie Gastroenterologische Chirurgie
J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick (Herausgeber)
Praxis der Viszeralchirurgie
Gastroenterologische Chirurgie V. Schumpelick (Bandherausgeber) F. Harder (Editor emeritus) 2. Auflage
Mit 746 zum Teil farbigen Abbildungen und 146 Tabellen
123
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Volker Schumpelick Universitätsklinik und Poliklinik Medizinische Fakultät der RWTH Pauwelsstr. 30 52057 Aachen
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Rüdiger Siewert Chirurgische Klinik und Poliklinik Technische Universität München Klinikum rechts der Isar Ismaninger Str. 22 81657 München
Prof. Dr. med. Matthias Rothmund Zentrum für Operative Medizin I Klinikum der Philipps-Universität Baldinger Straße 35043 Marburg
ISBN 3-540-29040-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN 978-3-540-29040-7 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Fritz Kraemer, Heidelberg Projektmanagement: Willi Bischoff, Heidelberg Design: deblik Berlin Copy-Editing: U. Illig, Stockdorf Satz und Reproduktion der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Druck- und Bindearbeiten: Stürtz GmbH, Würzburg SPIN: 10826995 Gedruckt auf säurefreiem Papier
106/2111/BF – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Auf fahrende Züge aufzuspringen, zählt nicht zu den charaktervollsten Formen der Fortbewegung. Und dennoch gibt es Angebote, die man nicht ausschlagen kann, weil sie einfach zu verlockend sind. Die Nachfolge von Felix Harder bei diesem Standardwerk anzutreten, war gleichermaßen ehrenvoll und verpflichtend. Standards, die Felix Harder zusammen mit den beiden anderen Herausgebern gesetzt hatte, galt es zu halten, Gutes sollte bewahrt, Bewährtes gegebenenfalls verbessert werden. Ergänzungen waren gewünscht (so die komplette Hernienchirurgie), aber der Umfang des Bandes durfte nicht zunehmen, wohl aber die Qualität eines ohnehin schon sehr guten Werkes. Diese Aufgabe war verlockend, aber eigentlich kaum lösbar, und nun liegt der fertige Band vor uns. Dass dies möglich war, verdanke ich vor allem den bisherigen Autoren, die ohne Murren ihre Beiträge großzügig auf das Essenzielle gekürzt und auf den aktuellen Kenntnisstand ausgerichtet haben. Aber auch allen neuen Autoren ist zu danken, dass sie sich in dieses Konzept eingebunden und uns mit ihren Ausführungen bereichert haben. Insbesondere danke ich meinen Mitarbeitern und hier vor allem in erster Linie Herrn Kollegen Priv.-Doz. Dr. Marc Jansen für die straffe Hand bei der Realisation in denkbar kurzer Zeit. Ohne das jetzige und frühere Aachener Team wäre diese Aufgabe nicht zu lösen gewesen, hierfür danke ich allen Beteiligten. Ganz besonderer Dank gilt aber auch Herrn Dr. Fritz Kraemer vom Springer Verlag für seine unermüdliche Betreuung und meiner wissenschaftlichen Sekretärin Frau Martina Schmitt für die mühevolle redaktionelle Umsetzung in allen Schritten. Diese neue Auflage der Praxis der Viszeralchirurgie folgt dem erklärten Konzept der Herausgeber, »gebündeltes und fundiertes Wissen in verständlicher, äußerst gefälliger Form aufzubereiten«. Vollständigkeit zu erreichen, ist eine Illusion, alles zu sagen ist nach Cicero die sicherste Form zu langweilen. So bitten wir den geneigten Leser um Verständnis für etwaige Auslassungen und Unvollständigkeiten, damit wir auch genügend Raum und Auftrag für eine nächste Auflage schaffen. Für die Herausgeber Volker Schumpelick
VI
Vorwort der 1. Auflage Die drei Bände »Praxis der Viszeralchirurgie« – neben der gastroenterologischen Chirurgie betrifft das die onkologische und endokrine Chirurgie – sind sichtbarer Ausdruck der sich fortwährend weiterentwickelnden Spezialisierung innerhalb der Viszeralchirurgie. In der Tat hatten 1981 die Herren Proff. Martin Allgöwer, Louis Hollender und H.-J. Peiper die »Chirurgische Gastroenterologie« in 2 Bänden noch ohne die nun vorgenommene Unterteilung als interdisziplinäres Werk herausgegeben. Sie dokumentierten damit auch ihre Vorstellung der Einheit der Viszeralchirurgie. Je nach Wirkungsort wird heute die Tätigkeit des Viszeralchirurgen fachlich unterschiedlich weit gefasst und interdisziplinär vernetzt sein. Selbst innerhalb definierter Schwerpunkte der Chirurgie zeichnen sich Gebiete mit höchster Spezialisierung ab, die allerdings ein entsprechend großes Einzugsgebiet voraussetzen. Dieser Band soll einerseits einen Überblick über die gastroenterologische Chirurgie geben und gleichzeitig die Möglichkeit bieten, mit Hilfe von Experten, die diversen nichtoperativen Disziplinen angehören, einen noch fokussierten Blick auf bestimmte Gebiete zu erzielen. Angesichts der kurzen Halbwertszeit unseres medizinischen Wissens stellt sich die Frage nach der Berechtigung einer derartigen Publikation. Immerhin bleibt ein größerer Grundstock der behandelten Materie über längere Zeit gültig. Davon ausgehend werden hier aktuelle Fragen aufgeworfen und Lösungen von Spezialisten vorgeschlagen, welche dem praktizierenden Chirurgen oder jenem in Weiterbildung wertvolle Dienste beim raschen Nachschlagen erweisen können. Mittels allfälliger, punktueller Aktualisierungen über elektronische Datenbanken kann danach der Leser stets noch neueste Trends erfassen. Auch als Quelle für den Unterricht in Weiter- und Fortbildung ist dieses dreibändige Werk gerade dank seiner ausgesprochenen Interdisziplinarität gedacht. Den Autoren aus zahlreichen sehr unterschiedlichen Fachgebieten sei für ihren Einsatz und ihr Verständnis beim Entstehen dieses Buches gedankt. Besondere Anerkennung gebührt den Herren PD Dr. Walter Marti und PD Dr. Daniel Oertli für die Redaktion und Abstimmung der Manuskripte sowie Frau Susanne Demou für ihre minutiöse und geduldige Koordinationsarbeit. Auch dem SpringerVerlag sei an dieser Stelle für die Zusammenarbeit der Dank der Herausgeber ausgesprochen. Basel, Februar 2002 Prof. Dr. Felix Harder
VII
Inhaltsverzeichnis I
Spezielle diagnostische Techniken
1
Diagnostische Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
A. Zielke
2
Interventionelle Sonographie . . . . . . . . . . . . . . .
H. Bartels
15
S. Truong, O. Schumacher, V. Schumpelick
3
Allgemeine radiologische Diagnostik des MagenDarm-Traktes und der Gallenwege einschließlich Computertomographie und Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung . . . . . . . . . . . . 185 L. Lehr
31
Nuklearmedizinische Verfahren . . . . . . . . . . . . . .
47
Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
Resorptionstests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung . . . . 205 H. Bartels, C. Töns, A. Schachtrupp
63
M. Jansen, B. Dreuw, F. Hölzl, G. Böhm, V. Schumpelick
7
20 Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 M. Stumpf, R. Rosch
L. Degen, C. Beglinger
6
19 Antibiotikatherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 G. Welty
K. Schnabel
5
17 Ambulante Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 K. Ophoff, J. de Jager, V. Schumpelick
W. Steinbrich, W. Wiesner
4
16 Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
22 Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens . . . . . . . . . . . . . . . 215 R. Babst, J. Rosenkranz
77
W.F. Caspary, J. Stein
23 Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 S. Müller
8
Spezielle Labordiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
C. Beglinger, R. Driesch
III Therapieindikationen und Durchführung der Therapie
II Allgemeine Viszeralchirurgie 9
Therapeutische Endoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
S. Truong, O. Schumacher, N. Butz
24 Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
241
H.J. Stein, H. Feussner, B.H.A. von Rahden, M. Feith, D. Liebermann-Meffert, J.R. Siewert
10 Prinzipien der Laparoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . 123 A. Tittel, V. Schumpelick
11 Präoperative Risikoabschätzung . . . . . . . . . . . . . . 131
25 Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Feussner
A. Reber, D. Scheidegger, R. Babst
26 Verletzungen von Ösophagus und Magen . . . . . . . 307 12 Prinzipien der Laparotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Bartels, J.R. Siewert
J. Conze, R. Schwab
27 Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum 323 13 Die chirurgische Naht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 K. Böttcher, W.R. Marti
14 Drainage der Bauchhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 P. Bertram, K.-H. Treutner
15 Allgemeine Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . 165 R. Pfitzmann, P. Neuhaus
E. Bollschweiler, J. Faß, A.H. Hölscher, K. Homayounfar, D. Oertli, C. Prinz
28 Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
381
M.K. Müller, S. Wildi, P.-A. Clavien, M. Weber
29 Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn) 391 A. Erckmann, F. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers, V. Schumpelick
VIII
Inhaltsverzeichnis
30 Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons 399 J. Schölmerich, C. Herfarth
39 Lebertransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 F. Braun, K.-P. Platz, A.R. Müller
31 Dünndarmtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 F. Braun, K.-P. Platz, F. Fändrich, A.R. Müller
32 Morbus Crohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
40 Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 C. Beglinger, P.-A. Clavien, L. Degen, O. Drognitz, R. Fried, U.T. Hopt, R. Kasperk, C. Krones, F. Lammert, D. Oertli, M. Schäfer
C. Tjaden, T. Hackert, J. Schmidt
41 Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 33 Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
447
S. Willis, R. Kasperk, M. Saklak, F. Ulmer, J. Braun, V. Schumpelick
D. Oertli, M. Zuber
42 Chirurgie des großen Netzes . . . . . . . . . . . . . . . . 745 D. Liebermann-Meffert
34 Appendizitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Ch. Peiper
35 Proktologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 C.G.M.I. Baeten, C. Beglinger, G. Curti, L. Degen, M. Rossi, M. von Flüe
43 Hernien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753 J. Conze, K. Junge, U. Klinge, C. Krones, R. Rosch, V. Schumpelick
44 Kindliche Hernien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 G. Steinau, M. Lörken
36 Erkrankungen der Gallenwege . . . . . . . . . . . . . . . 549 C. Ackermann, P. Born, M. Classen, H. Feussner, F. Harder, B. Kern, S. Krähenbühl, F. Lammert, C. Looser, D. Oertli, R. Peterli, R. Schlumpf, J.R. Siewert, G.A. Stalder, J. Wydler
37 Erkrankungen der Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 R. Margreiter, T. Roeren, C. Sieber, R. Schlumpf, J. Wydler
38 Portale Hypertension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 J. Bauer, P.-A. Clavien, W.A. Gantert, B. Müllhaupt, E.L. Renner, M. Selzner, C. Sieber, J.E. Tuttle-Newhall, M. von Flüe
45 Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785 D. von Schweinitz
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 M. Jansen, J. Otto
IX
Autorenverzeichnis Ackermann, C., Priv.-Doz. Dr.
Böttcher, K., Prof. Dr.
Curti, G., Dr.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstr. 30 CH-4016 Basel
Hochtaunus Kliniken GmbH Chirurgische Klinik I Urseler Str. 33 61348 Bad Homburg
Kantonsspital Luzern Chirurgische Klinik A CH-6000 Luzern 16
Babst, R., Prof. Dr.
Born, P., Priv.-Doz. Dr.
Chefarzt Chirurgie A und Leiter Unfallchirurgie Kantonsspital Luzern CH-6000 Luzern
Klinikum rechts der Isar II. Medizinische Klinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Baeten, C.G.M.I., Dr.
Braun, F., Dr.
Akademisch Ziekenhuis Department of Surgery NL-6221 CB Maastricht
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel Klinik für Allgemein- und Thoraxchirurgie Arnold-Heller-Str. 7 24105 Kiel
Degen, L., Dr. Kantonsspital Basel Gastroenterologie Petersgraben 4 CH-4031 Basel
de Jager, J., Dr.
Bartels, H., Prof. Dr. Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Bauer, J., Dr. Klinikum Nürnberg-Nord Medizinische Klinik 2 Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1 90419 Nürnberg
Beglinger, C., Prof. Dr. Kantonsspital Basel Petersgraben 4 CH-4031 Basel
Bertram, P., Priv.-Doz. Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Böhm, G., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Bollschweiler, E., Priv.-Doz. Dr. Klinikum der Universität zu Köln Klinik und Poliklinik für Viszeralund Gefäßchirurgie Kerpener Straße 62 50937 Köln (Lindenthal)
Braun, J., Prof. Dr. Klinik für Allgemein- und Unfallchirurgie Rotes Kreuz Krankenhaus St. Pauli-Deich 24 28199 Bremen
Butz, N., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Dreuw, B., Priv.-Doz. Dr. St. Johannes-Hospital Chirurgische Abteilung An der Abtei 7–11 47166 Duisburg
Driesch, R., Dr. Universitätsklinikum Aachen Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Drognitz, O., Dr. Caspary, W.F., Prof. Dr. Universitätsklinikum Frankfurt Medizinische Klinik II Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt a.M.
Universitätsklinikum Freiburg Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie Hugstetter Str. 55 79095 Freiburg
Erckmann, A. Classen, M., Prof. (em.) Dr. Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Juliusspital Würzburg Chirurgische Klinik Juliuspromenade 19 97070 Würzburg
Erckmann, F. Clavien, P.-A., Prof. Dr. Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich
Conze, J., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Juliusspital Würzburg Chirurgische Klinik Juliuspromenade 19 97070 Würzburg
Fändrich, F., Prof. Dr. Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel Klinik für Allgemein- und Thoraxchirurgie Arnold-Heller-Str. 7 24105 Kiel
X
Autorenverzeichnis
Faß, J., Prof. Dr.
Homayounfar, K., Dr.
Lehr, L., Prof. Dr.
Klinikum Kassel Klinik für Allgemein- Viszeral- und Thoraxchirurgie Mönchebergstr. 41–43 34125 Kassel
Klinikum Kassel Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie Mönchebergstr. 41–43 34125 Kassel
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Feith, M.
Hopt, U.T., Prof. Dr. Dr.
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Universitätsklinikum Freiburg Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie Hugstetter Str. 55 79095 Freiburg
Feussner, H., Prof. Dr.
Jansen, M., Priv.-Doz. Dr.
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Fried, R., Dr.
Junge, K.
Kantonsspital Basel Petersgraben 4 CH-4031 Basel
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Liebermann-Meffert, D., Prof. Dr. Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Looser, C., Dr. St. Claraspital Radiologische Abteilung Kleinriehenstr. 30 CH-4016 Basel
Lörken, M., Dr.
Gantert, W.A., Prof. Dr. St. Anna-Hospital St. Anna-Str. 32 CH-6006 Luzern
Hackert, T., Dr. Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Harder, F., Prof. Dr. (em.) Kantonsspital Basel Department für Chirurgie Spitalstr. 21 CH-4031 Basel
Herfarth, C., Prof. Dr. Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Hölscher, A.H., Prof. Dr. Klinikum der Universität zu Köln Klinik und Poliklinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie Kerpener Straße 62 50937 Köln (Lindenthal)
Margreiter, R., Prof. Dr. Kasperk, R., Prof. Dr. St. Johannes-Hospital Chirurgische Abteilung An der Abtei 7–11 47166 Duisburg
Universitätsklinik Innsbruck Klin. Abt. für Allgemein- und Transplantationschirurgie Anichstraße 35 A-6020 Innsbruck
Kern, B., Dr. med.
Marti, W.R., Prof. Dr.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstrasse 30 CH-4016 Basel
Kantonsspital Basel CH-4031 Basel
Klinge, U., Prof. Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Krähenbühl, S., Priv.-Doz. Dr. Universitätsspital Basel Klinische Pharmakologie Hebelstrasse 32 CH-4031 Basel
Krones, C., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Hölzl, F., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Universitätsklinikum Aachen Unfallchirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Lammert, F., Prof. Dr. Universitätsklinikum Bonn Medizinische Klinik I Sigmund-Freud-Str. 25 53105 Bonn
Müller, A.R., Prof. Dr. Ilmtalklinik GmbH Krankenhausstraße 70 85276 Pfaffenhofen
Müller, M. K., Dr. Universitätsspital Zürich Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich
Müller, S., Priv.-Doz. Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Müllhaupt, B., Priv.-Doz. Dr. Universitätsspital Zürich Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich
XI Autorenverzeichnis
Neuhaus, P., Prof. Dr.
Renner, E.L., Prof. Dr.
Schippers, E., Prof. Dr.
Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow-Klinikum Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
University of Manitoba Dept. of Internal Medicine Section of Hepatology, Health Sciences Center 809-715 McDermot Avenue Winnipeg, MB Canada R3E 3P4
Juliuspital Würzburg Chirurgische Klinik Juliuspromenade 19 97070 Würzburg
Oertli, D., Prof. Dr. Kantonsspital Basel Departement Chirurgie Spitalstr. 21 CH-4031 Basel
Roeren, T., Prof. Dr. Kantonsspital Aarau Institut für Radiologie Tellstraße CH-5001 Aarau
Ophoff, K., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Rosch, R., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Peiper, Ch., Priv.-Doz. Dr. Evangelisches Krankenhaus Diakoniewerk Ruhr Witten Pferdebachstr. 27–43 58455 Witten
Rosenkranz, J. Dr.
Peterli, R., Dr.
Rossi, M.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstr. 30 CH-4016 Basel
Kantonsspital Luzern Infektiologie und Spitalhygiene CH-6000 Luzern 16
Chirurgie A Kantonsspital Luzern CH-6000 Luzern
Schachtrupp, A., Priv.-Doz. Dr. Pfitzmann, R., Dr. Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow-Klinikum Klinik für Allgemeinchirurgie Augustenburger Platz 11 13353 Berlin
Marien Hospital Düsseldorf Klinik für Allgemein- Gefäß- und Viszeralchirurgie Rochusstr. 2 40479 Düsseldorf
Saklak, M., Dr. Platz, K.-P., Dr. Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel Klinik für Allgemein- und Thoraxchirurgie Arnold-Heller-Str. 7 24105 Kiel
Prinz, C., Prof. Dr. Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Chirurgische Universitätsklinik der RWTH Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
Schäfer, M., Priv.-Doz. Dr. Universitätsspital Zürich Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie Rämistr. 100 CH-8091 Zürich
Scheidegger, D., Prof. Dr. Reber, A., Priv.-Doz. Dr. med. Dr. phil. Spital Zollikerberg Chefarzt Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin CH-8125 Zollikerberg
Kantonsspital Basel Departement Anästhesie Petersgraben 4 CH-4031 Basel
Schlumpf, R., Prof. Dr. Kantonsspital Aarau Klinik für Chirurgie Tellstraße CH-5001 Aarau
Schmidt, J., Prof. Dr. Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Schnabel, K., Dr. Friedrichstr. 24 75417 Mühlacker
Schölmerich, J., Prof. Dr. Universitätsklinikum Regensburg Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg
Schumacher, O., Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Schumpelick, V., Prof. Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Schwab, R., Dr. Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie Rübenacher Str. 170 56072 Koblenz
Selzner, M., Dr. Universitätsspital Chirurgische Klinik Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich
Sieber, C., Prof. Dr. Klinikum Nürnberg Medizinische Klinik 2 Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1 90419 Nürnberg
XII
Autorenverzeichnis
Siewert, J.R., Prof. Dr.
Treutner, K.-H., Prof. Dr.
Wildi, S., Dr.
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
Schlosspark Klinik Chirurgie II Heubnerweg 2 14059 Berlin
Universitätsspital Zürich Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich
Stalder, G.A., Prof. Dr.
Truong, S., Prof. Dr.
Rebgasse 6 CH-4142 Münchenstein
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Stein, H.J., Prof. Dr. Paracelsus Medizinische Universität Universitätsklinik für Chirurgie Müllner Hauptstr. 48 A-5020 Salzburg
Stein, J., Prof. Dr. Dr. Universitätsklinikum Frankfurt Medizinische Klinik II Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt a.M.
Steinau, G., Priv.-Doz. Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Steinbrich, W., Prof. Dr. Kantonsspital Basel Departement Medizinische Radiologie Petersgraben 4 CH-4031 Basel
Stumpf, M., Priv.-Doz. Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Tittel, A., Priv.-Doz. Dr. Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Tjaden, C., Dr. Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Marien Hospital Düsseldorf Klinik für Allgemein-Gefäß- und Viszeralchirurgie Rochusstr. 2 40479 Düsseldorf
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Tuttle-Newhall, J.E., Dr. Duke University Medical Center Department of Surgery POB 3247, Hanes House 3000 Erwin Road N.C. 27710 Durham USA
Wydler, J., Dr. Kantonsspital Aarau, Klinik für Chirurgie Abteilung Viszeralchirurgie Tellstrasse CH-5001 Aarau
Zielke, A., Priv.-Doz. Dr. Ulmer, F., Dr. Chirurgische Universitätsklinik der RWTH Aacehn Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
Klinikum Offenbach GmbH Klinik für Allgemein-, Visceral- und Thoraxchirurgie Starkenburgring 66 63099 Offenbach
von Flüe, M., Prof. Dr.
Zuber, M., Priv.-Doz. Dr.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstr. 30 CH-4016 Basel
Kantonsspital Chirurgische Klinik CH-4600 Olten
von Rahden, B.H.A., Dr. Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Str. 22 81675 München
von Schweinitz, D., Prof. Dr. Kinderspital Innenstadt Klinikum der Universität München Lindwurmstraße 4 80337 München
Weber, M., Priv.-Doz. Dr. Universitätsspital Zürich Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich
Welty, G., Dr. Töns, C., Prof. Dr.
Willis, S., Priv.-Doz. Dr.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Wiesner, W., Priv.-Doz. Dr. Klinik Stephanhorn Brauerstr. 95 CH-9016 St. Gallen
1 1 Diagnostische Sonographie A. Zielke
1.1
Technische Neuerungen in der Sonographie – 4
1.1.1 Kontrastverstärkter Ultraschall
1.2
–4
Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen
–4
1.2.1 Stumpfes Bauchtrauma – 4 1.2.2 Akutes Abdomen – 5
1.3
Perkutane Sonographie in der präoperativen Diagnostik – 8
1.4
Endosonographie/endoskopischer Ultraschall – 9
1.5
Intraoperative Sonographie/laparoskopischer Ultraschall – 11 Literatur – 12
4
1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
) ) Analog den technischen Weiterentwicklungen weitet sich das Indikationsspektrum des Ultraschalls in der Viszeralchirurgie kontinuierlich aus. Dies gilt vor allem für die Endosonographie des Gastrointestinaltraktes und den durch Kontrastmittel verstärkten Ultraschall. Die Endosonographie hat bei der Festlegung der stadiengerechten Behandlung viszeraler Tumoren eine herausragende Bedeutung. Beim Ösophagus- und Rektumkarzinom ist sie obligater Teil der Behandlungsplanung. In diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, dass die individuelle methodische Qualifikation beim Einsatz des Ultraschalls das entscheidende Qualitätsmerkmal in der »klinischen Routine« ist. Nach wie vor bleibt deshalb die anhaltende Beschäftigung mit dem Ultraschall für den Viszeralchirurgen unerlässlich. Im folgenden Kapitel werden die Grundzüge der Ultraschalldiagnostik mit den Schwerpunkten »stumpfes Bauchtrauma«, »akutes Abdomen« und »perioperatives Staging« vorgestellt und der Stellenwert des Ultraschalls in diesen Indikationsgebieten angerissen. Die allgemeine Sonomorphologie der jeweiligen Erkrankungen kann hier nicht detailliert wiedergegeben werden, dazu muss auf einschlägige Lehrbücher verwiesen werden.
1.1
ermöglichen. Stabilere Mikrosphären (z. B. SonoVue, Optinson) erlauben eine kontinuierliche Beschallung ohne Ruptur. Damit werden Untersuchungen mit Beurteilung des An- und Abflutverhaltens differenter Gewebe möglich. Spezielle Geräte erlauben beide Effekte, d. h. eine kontinuierliche Bilddarstellung mit der gezielten Induktion von Rupturen durch eingestreute Pulse mit hohem mechanischen Index zu kombinieren. Die folgenden UCA sind derzeit (6/2005) in Europa zugelassen: 4 Levovist (Galaktose/Palmitinsäure; 1996 Schering; Zulassung für Herz, Abdomen, Neurokranium), 4 Optison (Octafluropropan mit Albuminhülle; 1998, Amersham; Zulassung für Herz) und 4 SonoVue (Schwefelhexaflourid mit Phospholipidhülle; Bracco 2001; Zulassung für Herz, Leber und Brust). Vor ihrer Anwendung sind zwar keine speziellen Untersuchungen erforderlich. Die Anwendung sollte aber an Experten in der Sonographie gebunden sein. Unerwünschte Reaktionen auf UCA ergaben sich nur in Einzelfällen (Histaminliberation, 1/10.000, UAW Datenbank 1/2004). Die einzige Kontraindikation besteht aktuell in einer Schwangerschaft. Der zunehmende klinische Einsatz der UCA hat jüngst zu einer Leitlinie für ihre Anwendung geführt (EFUSMB Study Group 2004).
Technische Neuerungen in der Sonographie
In der Viszeralchirurgie finden UCA vor allen Dingen in der Diagnostik fokaler Läsionen der Leber Anwendung.
1.1.1 Kontrastverstärkter Ultraschall Der Ultraschall mit Kontrastmitteln (»contrast enhanced ultrasound«, CEUS) ist eine sich rasch entwickelnde Anwendung, von der erwartet werden muss, dass sie maßgeblich die prä- und intraoperative Diagnostik verändern wird. Ultraschallkontrastmittel (UCA) agieren als Kontrastverstärker des intravaskulären Raums. Sie erlauben es aber auch, neben der Darstellung von Gefäßen die parenchymatöse Mikrovaskulatur darzustellen. Abhängig vom UCA können z. B. in Angleichung an das triphasische Leber-CT eine arterielle, portalvenöse, spät-venöse und parenchymatöse Phase differenziert und zur Charakterisierung von fokalen Läsionen genutzt werden. Offensichtliche Vorteile gegenüber CT und MRT sind u. a. die strahlungsfreie, real-time Darstellung ohne Blous-tracking, einschließlich ihrer nahezu beliebigen Wiederholbarkeit. Ein wesentlicher Unterschied zum CT und MRT besteht darin, dass UCA im intravaskulären Raum verbleiben und erst mit einiger Zeitverzögerung durch das RES geklärt werden. Diese Information kann diagnostisch genutzt werden. Die derzeitigen UCA entsprechen in ihrem Aufbau Mikrogasblasen, die von einer Hülle umgeben sind. Diese Mikrosphären werden intravaskulär transportiert, verursachen starke Reflexe und stellen so Blutfluss und parenchymatöse Mikrovaskulatur dar. Spezielle technische Gerätemodifikationen sind unerlässlich, wobei 2 unterschiedliche nichtlineare Antworten der Mikrosphären erhalten werden. Mit Luft gefüllte Mikrosphären wie z. B. Levovist, haben eine niedrige Resistenz gegenüber dem Schalldruck. Sie rupturieren leicht und setzten das Gas frei, wobei die Reflexinformationen nach Ruptur und Freisetzung diagnostisch verwertbar sind. Bei der Anwendung dieser UCA ist ein intermittierendes Schallmuster mit erniedrigter Bildrate erforderlich, um eine Wiederauffüllung des UCA in das Gewebe zu
Aufgrund charakteristischen Kontrastverhaltens in den verschiedenen Phasen der Perfusion können die Läsionen in aller Regel sicher zugeordnet werden. In Expertenhand stehen die Leistungsdaten des CEUS denjenigen der CT oder der MRT nicht nach. Indikationen an der Leber sind derzeit Metastasen, Abszesse, Hämangiome, FNH und ggf. HCC, sofern nicht bereits ein konventioneller Ultraschall eindeutige Befunde liefert (Übersicht bei Nicolau et al. 2005). Zunehmend wird CEUS in der Therapiekontrolle der Radiofrequenzablation angewendet (Übersicht bei Lemke et al. 2005). Eine weitere Indikation werden die entzündlichen Darmerkrankungen (Übersicht bei Schlottmann et al. 2005). 1.2
Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen
1.2.1 Stumpfes Bauchtrauma Indikation. Jeder Patient mit einem stumpfen Bauch- oder
Thoraxtrauma, bei dem aufgrund des Unfallmechanismus ein Akzelerations-/Dezelerationstrauma angenommen werden muss, sofern ein Spiral-CT nicht verfügbar ist oder nicht durchgeführt werden kann, wie z. B. beim hämodynamisch instabilen Patienten. Spezielle Untersuchungstechnik. Ein systematischer, standardi-
sierter, den gesamten Abdominalraum und das Retroperitoneum erfassender Untersuchungsablauf ist erforderlich. Dieser kann von einem erfahrenen Untersucher in wenigen Minuten geleistet werden. Sofern im Schockraum in der Initialphase der Versor-
5 1.2 · Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen
1
jedoch fehlerbehaftet. Sie kann möglicherweise durch die Anwendung von Scores verbessert werden. Kontrollierte Untersuchungen hierzu stehen noch aus. Stellenwert. Die Sonographie im Schockraum stellt eine Stan-
. Abb. 1.1. Schematische Darstellung der Schnittebenen des perkutanen Ultraschalls in der Notfalldiagnostik beim stumpfen Bauchtrauma (FAST)
gung eines Polytrauma eine orientierende Sonographie durchgeführt wird, kann die Beschränkung auf einen abgekürzten Untersuchungsgang sinnvoll sein (»focussed assessment with sonography for trauma«, FAST (. Abb. 1.1).
Beim hämodynamisch instabilen Patienten ist für die Festlegung der weiteren Behandlung der Nachweis bzw. der Ausschluss größerer Mengen freier Flüssigkeit oftmals wichtiger als der subtile Nachweis einer Organverletzung.
Dies gelingt auch weniger erfahrenen Untersuchern mit hoher Spezifität (Fröster et al. 1993). Es ist obligat die Untersuchung innerhalb der ersten Stunden zeitlich gestaffelt zu wiederholen. Dies erhöht die diagnostische Ausbeute und die Validität (Blackbourne et al. 2004). Bei Patienten mit forcierter Volumentherapie können in bis zu 25% der Fälle zunehmende Mengen freier Flüssigkeit erst im weiteren Verlauf dargestellt werden. Spezielle Sonomorphologie. Prinzipiell können bereits geringe Mengen freier Flüssigkeit (ab 20 ml) dargestellt werden, wobei dies u. U. spezielle Lagerungen verlangt. Ort und Menge der Flüssigkeit sind abhängig von der Blutungsquelle. Befindet sich diese im Oberbauch, so sind nach 150–250 ml Flüssigkeiten in Morrison- oder Koller-Pouch darstellbar. Befindet sie sich dagegen im Unterbauch, so füllt sich der Morrison-Pouch bei einem Erwachsenen erst nach etwa 600 ml. Näherungsweise kann unterstellt werden, dass bei einem Erwachsenen ein 5 mm breiter Saum im Morrison- und Koller-Pouch eine freie Menge von 500–750 ml bedeutet, ein 5 mm breiter Saum auf der Leberkonvexität etwa 1000 ml freier Flüssigkeit entspricht und dass bei nennenswerten Mengen Flüssigkeit in allen Abdominalregionen, einschließlich der parakolischen Rinnen, stets die Litergrenze überschritten ist. In der Regel bedeutet der Ausschluss freier Flüssigkeit beim hämodynamisch stabilen Patienten, dass mit einer notfallmäßigen Laparotomie nicht gerechnet werden muss (Farahmand et al. 2005; Rose et al. 2005). Umgekehrt trägt der sofortige Nachweis von freier Flüssigkeit im rechten oberen Quadranten die größte Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit einer Laparotomie. Die über den Nachweis freier Flüssigkeit zu stellende Indikation zur Laparotomie ist beim hämodynamisch stabilen Patienten
dardprozedur im diagnostischen Algorithmus schwerstverletzter Patienten dar und ist Bestandteil nationaler und internationaler Leitlinien. Mehrere große Übersichtarbeiten und Metaanalysen der letzten Jahre haben aufgezeigt, dass Sensitivität und Spezifität der Sonographie stets im Bereich der diagnostischen Peritoneallavage liegen. Hier definiert die Sonographie die »neue« Routine. Allerdings muss sie als Diagnostikum im Schockraum heute differenzierter bewertet werden. Bei ausschließlich ultraschallbasierter Diagnostik ist in 10–20% mit einer verzögerten Feststellung versorgungsbedürftiger Läsionen und einer Quote unnötiger Laparotomien um 10–15% zu rechnen (Stengel et al. 2003; Bakker et al. 2005). Umgekehrt schließt ein negativer sonographischer Befund beim hämodynamisch instabilen Patienten eine versorgungsbedürftige innere Verletzung keinesfalls aus, sodass im Zweifelsfall die Laparotomie erwogen werden muss. Derzeit ist unklar, ob durch Wiederholung der Sonographie oder durch andere Verfahren die Ergebnisse verbessert werden können. Eine jüngere Cochrane-Analyse zeigte bei ultraschallbasierten Trauma-Algorithmen zwar einen Trend zu weniger CT-Untersuchungen auf. Die derzeitige Datenlage erlaubte aber die abschließende Bewertung der Nützlichkeit US-basierter Algorithmen nicht (Stengel et al. 2005). Stets wurden mehr intraabdominelle Verletzungen sicherer mit CT detektiert als mit der Sonographie.
Zusammenfassend kann derzeit formuliert werden, dass die Sonographie als Screeningmethode am Anfang eines TraumaAlgorithmus sehr gut eingesetzt werden kann. Die Sonographie ist sicher indiziert beim kreislaufinstabilen Patienten mit einem stumpfen Bauchtrauma, bei dem eine CT nicht möglich ist und bei dem die Entscheidung zur Laparotomie durch den Nachweis freier Flüssigkeit rational unterstützt wird. Beim hämodynamisch stabilen Patienten sollte die Sonographie nicht die letzte oder ausschließliche Methode der Abdominaldiagnostik in einem Traumazentrum sein. Die Nützlichkeit der Ultraschalldiagnostik bezüglich der Indikationsstellung zur Laparotomie beim hämodynamisch stabilen Patienten ist derzeit am schlechtesten einzuschätzen.
1.2.2 Akutes Abdomen Indikation. Der Nutzen einer routinemäßigen Ultraschalldiagnostik von Patienten mit akut aufgetretenen Abdominalbeschwerden ist umstritten. Zwar ist anerkannt, dass die Genauigkeit der Diagnosen beim akuten Abdomen durch US gesteigert werden kann, jedoch ist nicht belegt, dass auch das Endergebnis chirurgischer Behandlung oder Kosten positiv beeinflusst wird. Methodisch anspruchsvolle Untersuchungen, die eine Bewertung der Nützlichkeit der Sonographie erlaubten, gibt es derzeit nicht. Da die Ultraschalldiagnostik wenig Zeit beansprucht und keine Risiken bietet, ist ein großzügiger Einsatz beim akuten Abdomen zu befürworten. Es ist wichtig das Spektrum der Erkrankungen mit dringendem chirurgischem Behandlungsbedarf zu kennen.
6
1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
In einer multizentrischen Datenbasis von mehr als 15.000 Patienten in Westeuropa waren nur 5 Entitäten für mehr als 90% der notfallmäßigen Operationen verantwortlich (de Dombal 1992): 4 Akute Appendizitis (40–50%) 4 Akute Cholezystitis (15–20%) 4 Ileus (10–20%) 4 Ulkusperforation (2–5%) 4 Akute Divertikulitis (2–5%) Der Nutzen der Sonographie bei diesen ausgewählten Diagnosen wird im Folgenden näher erläutert. Spezielle Untersuchungstechnik. Grundsätzlich gilt, dass nicht nur die Region größten Interesses untersucht werden soll, sondern stets ein vollständiger und standardisierter Untersuchungsablauf durchgeführt wird. Da häufig Luft oder Ingesta die Darstellung beeinträchtigen, ist die Technik der dosierten Kompression hilfreich. Dabei wird mit der Sonde eine am Schmerzempfinden der Patienten dosierte, kontinuierliche Kompression auf die Bauchdecke ausgeübt. Die Sonde wird dabei in einer der palpierenden Hand ähnlichen Art und Weise langsam bewegt. Durch die Kompression werden die durch Luft und Ingesta hervorgerufenen Sichtbehinderungen reduziert.
Akute Appendizitis Spezielle Sonomorphologie. Das spezifische Kriterium der akuten Appendizitis ist die pathologische Kokarde, d. h. eine Zielscheibenstruktur mit einem Durchmesser von >6 mm, im Mittel um 12 mm. Mit modernen Geräten gelingt die Darstellung einer »normalen Appendix« sehr häufig (. Abb. 1.2).
große Gruppe der zur Verlaufskontrolle hospitalisierten – nicht aber die nach klinischen Kriterien eindeutig zu operierenden oder ambulant zu kontrollierte Fälle (Orr et al. 1995). Vergleiche zwischen Sonographie und CT liegen vor, wobei in aller Regel die CT seitens der diagnostischen Leistung besser abschnitt (Kaiser et al. 2004). Akute Cholezystitis, Choledocholithiasis Spezielle Sonomorphologie. Bei der akuten Cholezystitis finden
sich Wandverdickung auf mehr als 4 mm, Schichtungsphänomen der Wand, Flüssigkeitssäume und echoreiche perizystische Strukturvermehrung. Die komplizierten Formen, d. h. Abszedierung, Perforation oder Gangrän der Gallenblase, wie auch der Gallensteinileus, können von Experten sicher zugeordnet werden (Ripolles et al. 2001). Die Darstellung eines auf 10 mm und mehr dilatierten Ductus choledochus ist verdächtig auf das Vorliegen einer biliären Obstruktion. Stellenwert. In einer kürzlich vorgestellten Metaanalyse betrug die adjustierte Sensitivität und Spezifität der Sonographie für die Erkennung einer akuten Cholezystitis 88% (95% KI: 74–100%) und 80% (95% KI: 62–98%). Bei einer vergleichbaren Sensitivität für die Detektion von Konkrementen in den Gallenwegen, war die Spezifität in dieser Fragestellung mit 99% deutlich höher und besser als die CT (Trowbridge et al. 2003).Von Experten werden mehr als 90% der Konkremente >10 mm und immerhin noch 70% der kleineren Konkremente erfasst. Der Stellenwert des Sonographie bei der akuten Cholezystitis und dem Ikterus ist damit unbestritten.
Ileus
Ein eindeutiger sonographischer Befund sollte einer Operation zugeführt werden.
Spezielle Sonomorphologie. Diagnostische Kriterien des Ileus sind distendierte, mit hypoechogener Flüssigkeit, oder hyperechogenem Ingesta gefüllte Darmschlingen, die hypoechogene Wandverdickung zeigen. Ein Nebeneinander dilatierter und kollabierter Schlingen charakterisiert den mechanischen Ileus. Wandverdickung auf >6 mm muss an eine Ischämie als Ileusursache, respektive -folge denken lassen. Die Invagination ist durch ein aus mehreren konzentrischen Ringen aufgebautes Zielscheibenphänomen (doppeltes, konzentrisches Ringzeichen) und die Zeichen des mechanischen Ileus gekennzeichnet.
Die Nützlichkeit der Sonographie wird deshalb vor allem durch die Sensitivität bestimmt, die eindeutig von der Erfahrung abhängig ist (Chan et al. 2005). Dies betrifft auch den Ausschluss einer Appendizitis mit der Sonographie, der mit großer Zurückhaltung interpretiert werden sollte. Selbst in den Händen anerkannter Experten sind bis 15% der im Sonogramm negativ oder als nicht diagnostisch befundeten Patienten an einer Appendizitis erkrankt (Schuler et al. 1998). Nur im Kontext mit klinischen Algorithmen sind negative Laparotomieraten <10% ohne vermehrte Fehldiagnosen berichtet worden (Zielke et al. 1998). Bislang existiert jedoch keine methodisch befriedigende randomisierte Untersuchung hinsichtlich des chirurgischen Outcome. Strittig ist deshalb, welche Patienten untersucht werden sollen. Nach einer Metaanalyse der englischsprachigen Literatur von 1986 – 1994 ist die Sonographie dann am effektivsten, wenn es sich um klinisch nicht eindeutige Fälle handelt, d. h. in der
Stellenwert. Der besondere Wert der Sonographie liegt in der Darstellung des frühen Ileus und der schnellen Unterscheidung zwischen adynamischem und mechanischem Ileus. Die Sensitivität der Sonographie im Nachweis wird mit 94–98% bei einer Spezifität von 80–82 angegeben (Grunshaw et al. 2000). Die Ultraschalldiagnostik ist damit empfindlicher als die Abdomenserie, deren Quote falsch-negativer Ergebnisse mit bis zu 15% größer als diejenige der Sonographie ist, die 2–7% beträgt. Die Bestimmung der Ileushöhe gelingt sonographisch in etwa 75% (mechanischer Ileus 72–80%, paralytischer Ileus 55%) und ist damit geringer als die nahezu 100% der Abdomenserie (Schmuth et al. 1997). Die Ileusursache kann in etwa 50% dargestellt werden. Bei der Invagination ist die Sonographie aber aufgrund ihrer unverwechselbaren Sonomorphologie diagnostisch. Bei Kindern ist die Sonographie der Goldstandard der »Bildgebung« (Vsavada 2004), und es kann die hydrostatische Reduktion einer Invagination unter Ultraschallkontrolle durchgeführt werden.
Stellenwert. Eine Zusammenfassung prospektiver Untersuchun-
gen bis 1998 ergab eine mediane Sensitivität der Sonographie von 0,86, eine Spezifität von 0,96, und eine Gesamtgenauigkeit von 0,93. In deutschen chirurgischen Kliniken variierte die Sensitivität sehr stark (0,13–0,9), die Spezifität aber weitaus weniger (Mittelwert 0,95, Bereich 0,82–1,0; Franke et al. 1999).
7 1.2 · Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen
1
. Abb. 1.2. Sonographisches Bild der akuten, ulzerophlegmonösen Appendizitis. Im Längsschnitt (linker Bildausschnitt) Darstellung der tubulären, blind endenden Struktur mit zentralen hyperreflektiven Echos und Unterbrechungen der mittleren echoreichen Schicht. Im Querschnitt (rechter Bildausschnitt) Darstellung der nicht kompressiblen Kokarde. Toshiba SSH140, 5 MHz
. Abb. 1.3. Sonographisches Bild größerer Mengen freier Luft in Rückenlage bei Perforation eines Ulcus ventriculi: komplette Schallreflektion auf der Ebene des Peritoneums mit Reverberationsartefakt (rechter Bildausschnitt). Nach dosierter Kompression Verdrängung der Luft zu beiden Seiten mit freier Einsicht auf das Lappenübergangsgebiet der Leber (linker Bildausschnitt). Siemens Sonoline, 3.5 MHz
Ulkusperforation
Akute Divertikulitis
Spezielle Sonomorphologie. Die Zeichen der intestinalen Per-
Stellenwert. Im chirurgischen Schrifttum ist die Sonographie
Spezielle Sonomorphologie. Die Sigmadivertikulitis hat keine spezifische Sonomorphologie. Die Diagnose einer unkomplizierten Divertikulitis ist ein Summenbefund aus den folgenden Merkmalen: segmentale hypoechogene Kokarde mit schmalem Lumen und Hypoperistaltik. Die Kokarde ist häufig umgeben von einem hyperechogenen Halo sowie einzelnen Divertikeln. Das Bild der komplizierten Divertikulitis ist unschärfer mit u. U. sehr diffusen, schwer abgrenzbaren Pseudotumoren. Spezifika zur Abgrenzung neoplastischer Wandverdickungen können nicht angegeben werden.
zum Nachweis freier Luft nicht verbreitet, obgleich die Sonographie das sensitivste Verfahren ist. Bei einer intestinalen Perforation ist der Nachweis von extraintestinaler Luft in der Abdomenserie in bis zu 30% falsch-negativ. Hier ist nur die CT der Sonographie ebenbürtig; allerdings ist die CT zum Nachweis einer retroperitonealen Luftansammlung der Sonographie überlegen.
Stellenwert. Die Sonographie hat bei der Sigmadivertikulitis eine wichtige Rolle im diagnostischen Algorithmus eingenommen. Die Sensitivität wird mit 76–92% angegeben, die Spezifität liegt zwischen 97–99% und damit nahe an derjenigen der CT (Zielke et al. 1997). Die Sonographie erlaubt eine Schwergradabschät-
foration sind allesamt indirekte: freie Luft, freie Flüssigkeit und Darmparalyse. Sie sind durch die Sonographie prinzipiell einfach festzustellen. Unmittelbar auf der Höhe des Peritoneums gelegene komplette Schallreflexion oder Reverberationsartefakte als Ausdruck größerer Luftmengen (. Abb. 1.3) oder kleine extraanatomische Luftreflexe auf der Konvexität der Leber haben eine hohe diagnostische Sicherheit (Wallstabe et al. 2002).
8
1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
zung und kann die weitere Diagnostik leiten (Mizuki et al. 2005). Bei einer unkomplizierten und sonographisch gut definierbaren Divertikulitis ist die Sonographie als alleinige Methode ausreichend für Diagnose und Verlaufskontrolle. Bei komplexen Befunden besteht die Indikation zum 3-Kontrast-CT – nach wie vor der Goldstandard. Probleme bereitet die Abgrenzung der perforierten Sigmadivertikulitis vom perforierten malignen Tumor des Kolons oder die Abszessdiagnostik und -therapie. Hier ist die CT der Sonographie überlegen (Farag-Soliman et al. 2004). 1.3
Perkutane Sonographie in der präoperativen Diagnostik
Hauptanwendungen der perkutanen präoperativen Sonographie in der Chirurgie sind vor allem die Erfassung pathologischer Befunde zur Bestätigung einer Operationsindikation bzw. die Beschreibung des Ausmaßes und der Folgen eines Krankheitsprozesses für differenzialtherapeutische Überlegungen oder die Operationsplanung. Während der präoperativen Diagnostik maligner Erkrankungen muss besonders nach Hinweisen für onkologische oder technische Inoperabilität gefahndet werden. Dies findet bislang nur wenig Niederschlag in der chirurgischen Literatur und wird deshalb für die häufigeren Tumoren in Grundzügen besprochen. Schilddrüsenkarzinom. Die präoperative Sonographie der
Schilddrüse ist unverzichtbar. Sie erlaubt die differenzierte Beschreibung von Morphologie und Volumen der Drüse sowie der Beziehung zu den Leitstrukturen des Halses und die Mitbeurteilung der zervikalen Lymphknoten (regionale Sonographie der Halsweichteile). Die Sonographie ist unverzichtbar bei der Feinnadelaspirationszytologie (FNA). Der Nutzen der ultraschallgesteuerten FNA wird dadurch unterstrichen, dass nach der Einführung dieser Technik die Operationsfrequenz kalter Knoten auf unter 10% gesenkt werden konnte. Die Kriterien echoarm, solitär und solide haben für das Schilddrüsenkarzinom eine Sensitivität von 95% und eine Spezifität von 50%. Sind diese Knoten szintigraphisch kalt, kann sich die Spezifität auf 85% erhöhen und somit eine zielgerichtete FNAC ermöglichen (Spiegel et al. 1986). Magenkarzinom. Die perkutane Sonographie beim Magenkarzinom ist komplementär zur Endosonographie, z. B. wenn diese ein T4-Stadium vermutet. Zwar wird für die perkutane Sonographie des Magens mit oder ohne Wasserfüllung eine Sensitivität für die Tumorerkennung bis 85% berichtet, die Sensitivität für das T- und N-Stadium beträgt jedoch nur 40–50%. Bei etwa 10% der Patienten wird ein nicht resektabler Befund unterschätzt (Düx et al. 1997). Während mit der Ultraschalldiagnostik zwischen 50%–80% der Fälle mit Lebermetastasen erkannt werden, wird eine Peritonealkarzinose regelhaft übersehen. Die Beurteilung der Resektabilität ist in der Hand von Experten mit 62–85% der CT (42–74%) ebenbürtig (Kuntz u. Herfarth 1999). Primären oder sekundäre Lebertumoren. Die häufigste fokale Läsion der Leber ist die Leberzyste, gefolgt vom Hämangiom, den benignen Lebertumoren sowie den entzündlichen und malignen Raumforderungen. Als Screening-Instrument ist die Sonographie bei all diesen Entitäten der ungerichteten CT überlegen. Erst durch spezielle CT-Techniken (Angio-CT [CTAP], Lipidol-CT)
bzw. durch das MRT wird eine höhere Leistungsfähigkeit erreicht. Es wird erwartet, dass durch kontrastverstärkten Ultraschall (CEUS) diese Anwendungen wieder unter Druck kommen werden, vor allem bei der Diagnostik bei Metastasen und beim HCC. Metastasen. Eine Zuordnung der Dignität fokaler Leberläsionen aufgrund ihrer Sonomorphologie ist nicht mit Sicherheit möglich. Natürlich sprechen multiple Läsionen bei bekanntem Tumorleiden für eine Metastasierung. Aber die Abgrenzung z. B. von der fokal-nodulären Hyperplasie (FNH) und dem Leberadenom, die keine einheitliche Sonomorphologie aufweisen, ist problematisch. Der Stellenwert der perkutanen Sonographie wird weiter dadurch eingeschränkt, dass nur 2/3 der Patienten suffizient im Gesamtquerschnitt der Leber untersuchbar sind. Bei der Erkennung von Metastasen ist deshalb die Sonographie der CT-Arterioportographie (CTAP) unterlegen. Die akkurateste Methode zur Detektion und Charakterisierung fokaler Leberläsionen ist derzeit die MRT, sofern auf neuesten Geräten und mit leberspezifischen KM durchgeführt (Vogel et al. 2003). Mit dem CEUS wurde jüngst die Detektionsrate für Metastasen auch in schwierigen Lokalisationen (z. B. zwerchfellnahe) um 40% gesteigert und in den ersten vergleichenden Studien z. T. über das Niveau leberspezifischer Spiral-CT angehoben (Konopke et al. 2005). CEUS erlaubt m. E. auch Rückschlüsse auf den Primärtumor aufgrund des unterschiedlichen Perfusionsverhaltens der Metastasen (Rückes et al. 2004). Hepatozelluläres Karzinom. Das zumeist auf dem Boden einer
Leberzirrhose entstehende HCC hat eine variable, nicht spezifische Sonomorphologie. Auch wenn z. T. hervorragende Leistungsdaten für die Sonographie berichtet wurden, findet sich in den wenigen Studien in denen die Ergebnisse mit Operationspräparaten korreliert wurden, für die konventionelle Sonographie eine Sensitivität von nur 43–67%. Neue Hoffnung ergibt sich mit dem CEUS, dessen Potenzial, obgleich noch in der Charakterisierungsphase sich bereits andeutet. Die Kontrastmerkmale des HCC im CEUS sind bereits gut definiert und insbesondere die Darstellung der Tumorgefäße in der arteriellen Phase scheint eine recht zuverlässige Unterscheidung der HCC von den Regeneratknoten zu erlauben (. Tab. 1.1; Seitz 2005). Gallenwegstumoren. Im Ultraschallbild sind nur die nahe dem Hilus gelegenen cholangiozellulären Karzinome leicht erkennbar. Global beträgt die Detektionsrate etwa 70% (Sensitivität 73%, Spezifität 65%), wobei hilusnahe 85%, im mittleren Anteil des Choledochus 57% und am distalen Choledochus nur 35% erreicht werden (Albu et al. 2005). Sehr erfahrene Untersucher konnten mit der farbkodierten Dopplersonographie (FKDS) bezüglich der Resektabilitätskriterien Verschlusshöhe, Parenchyminvasion und Infiltration der Portalvene eine Genauigkeit erreichen, die der Angio-CT nicht nachstand. Extrahepatische Metastasen werden allerdings kaum erkannt, sodass in 10–25% ein Unter-Staging resultiert. Allerdings liegt die Quote der Über- und Unterschätzung auch mit ERC, MRCP und PTCD bei 35–40% und um 10% (Romaneehsen et al. 2004). Möglicherweise kann mit dem intraduktalen Ultraschall (IDUS) die Sicherheit, vor allem bei den distalen Tumoren gesteigert werden (Domagk et al. 2004).
9 1.3 · Perkutane Sonographie in der präoperativen Diagnostik
1
. Tabelle 1.1. Vereinfachte Darstellung der wichtigsten Ultraschallkontrastphänomene beim mit Kontrastmittel verstärkten Ultraschall (CEUS) fokaler Leberläsionen
Entität
Perfusionsmaximum
Mikrovaskulatur
Metastasen (GI)
Arteriell, kapillär
Tumorperipherie, radiär zentripetal
Metastasen (NET)
Früharteriell, arteriell, kapillär
Keine sicher erkennbare Vaskulatur
HCC
Früharteriell
Peritumorales Enhancement früharteriell, chaotische Vaskulatur mit zentripetaler Ausbreitung in der arteriellen Phase und Hypervaskularisation in der kapillären Phase, portalvenöse Kontrastaussparung
Regeneratknoten
Alle Phasen
Idem zum umgebenden Gewebe
FNH
Früharteriell
Radiäre Vaskulatur, zentral Arterie
Adenom
?a
Hämangiom
Arteriell, kapillär beginnend
Zentripetale Kontrastierung über lange Zeiträume, fleckig multilokulär in der Peripherie beginnend
Fokale Steatose
Alle Phasen
Idem zum umgebenden Gewebe
a
derzeitige Datenlage noch unsicher
Gallenblasenkarzinom. Bei polypösen Befunden in der Gallenblase ist die Sonographie das dominierende Diagnostikum. Die Mehrzahl der »Polypen« sind Steine oder Cholesteroldepots. Ab einer Größe von >10 mm sollte ein Karzinom unterstellt werden, insbesondere dann, wenn in der Wand oder dem Polyp Unregelmäßigkeiten vorliegen. Die Karzinomrate liegt dann bei 35–65% (Sun et al. 2004; Chattopadhyay et al. 2005). Frühe Stadien werden regelmäßig übersehen. Die Resektabilität wird wegen häufig inkorrekter Einschätzung der Infiltrationstiefe in die Leber sowie der Beteiligung von Lymphknoten und Peritoneum, in der Regel überschätzt. Bis zu 60% der sonographisch als kurabel gewertete Fälle sind nicht R0-resektabel. Hier bietet die CT die besseren Daten zur präoperativen Planung (Donohue 2001). Pankreaskarzinom. Die perkutane Sonographie ist als Screening
fest etabliert, jedoch selbst in der Hand von Experten in 10–25% technisch unzureichend. Bei jedem dritten Patienten ist der Pankreasschwanz nicht vollständig beurteilbar. Wegen der technisch schwierigen Beurteilung des Gesamtorgans ist der prädiktive Wert eines negativen sonographischen Befundes bereits demjenigen der ungerichteten CT deutlich unterlegen (Hopt u. Heydasch 1997). Speziell bei der Vorhersage der portalvenösen Infiltration erreichten Experten der perkutanen FKDS eine Sensitivität von 75–82% mit einer Spezifität von 92–95% (Gesamtgenauigkeit 85–87%). Sie war damit nahezu identisch zu CT und Angiographie (Bunk et al. 2001). Differenzierte, Morphologieorientierte Scoresysteme zur Beurteilung der Resektabilität sind zwar publiziert, aber derzeit noch nicht überprüft worden. Goldstandard zur präoperativen Abklärung ist der EUS (7 unten). Mit der CEUS kann die Aussagekraft der Sonographie wahrscheinlich verbessert werden. Sehr erfahrene Anwender haben mit einer Spezifität von oberhalb 90% Karzinome von Pankreatitis trennen und die Resektabilität mit sehr hoher Sicherheit vorhersagen können (Rickes et al. 2002).
Kolonkarzinom. Die Kokarde ist die Leitstruktur des Kolonkarzinoms, jedoch ist eine Unterscheidung zwischen Karzinom, Divertikulitis und Lymphom nicht sicher möglich. Auch ist das Karzinom in bis zu 25% der Patienten nicht auffindbar. Dennoch wird, offenbar mit zunehmender Erfahrung, eine Sensitivität und Spezifität von 80–90% berichtet. Die perkutane Sonographie erlaubt keine Aussage über das Lymphknotenstadium, die Sensitivität beträgt hier nur 40%. Das TNM-Stadium wird von einigen Untersuchern mit besserer Genauigkeit durch perkutane Sonographie nach Füllung des Kolons mit Wasser beschrieben (»Hydrosonographie«). Sofern die Tumoren dargestellt werden konnten, wurde eine Spezifität von 70–90% für das uT-Stadium und 46– 71% für das uN-Stadium erreicht (Düx et al. 1997; Chung et al. 2004). Die derzeit einzige gesicherte Indikation beim Kolonkarzinom ist deshalb die Sonographie der Leber zum Screening auf hepatische Filialisierung.
1.4
Endosonographie/endoskopischer Ultraschall
Indikation. Der Vorteil des endoluminalen Ultraschalls (EUS)
des Gastrointestinaltraktes, der Gallenwege und des Pankreas besteht in der Umgehung von Artefakte verursachenden Strukturen (z. B. beim Pankreas) und in der Tatsache, dass Regionen, die bei der perkutanen Sonographie kaum beurteilt werden können, in dieser Technik hochauflösend untersucht werden können (z. B. beim Ösophagus und Rektum). Indikationen für den EUS sind deshalb die Malignome des Ösophagus und ösophagokardialen Überganges, des Rektums und des Pankreas. Gesichert ist in diesen Indikationen auch, dass es kosteneffektive Strategien zum lokalen Staging sind. Zunehmend werden auch Tumoren des Magen zur stadiengerechten Behandlungsplanung mit EUS untersucht. Sie werden deshalb im Folgenden näher erläutert. Besonders wertvoll ist die EUS bei submukösen Tumoren, bei denen der intramurale Sitz nahezu immer belegt werden kann.
10
1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
Weitere Indikationen sind die EUS des Analkanals, beim Fistelleiden und bei Funktionsstörungen des Beckenbodens einschl. der Inkontinenz (Übersichten bei Hinninghofer u. Enck 2003; Rieger et al. 2004; Fusaroli u. Caletti 2005). Ösophaguskarzinom. Multimodale Therapiekonzepte für das
Ösophaguskarzinom erfordern ein differenziertes prätherapeutisches Staging. Hier hat die EUS einen festen Platz, weil sie bezüglich der Genauigkeit mit der Ausdehnung und Infiltrationstiefe bestimmt werden können, allen anderen bildgebenden Verfahren überlegen ist. Es besteht eine enge Korrelation zwischen der EUS Ausdehnung des Tumors durch die Wandschichten und dem pTStadium (. Tab. 1.2). Durch die Beurteilung der Aufhebung der Wandschichten kann mit der Ausnahme des pTis-Carcinoma die Infiltrationstiefe präzise festgelegt werden. In ca. 25% können die Tumoren nicht mehr passiert werden und in der Mehrzahl dieser Fälle liegt ein T3- oder T4-Stadium vor. Neue Möglichkeiten ergeben sich durch Minisonden, die über die Biopsiekanäle gängiger Endoskope platziert werden können. Diese Schallsonden arbeiten mit Frequenzen zwischen 7,5 MHz und 30 Mhz. Sie können die Rate des Überstaging von T1-Karzinomen des Ösophagus reduzieren. Die Treffsicherheit der EUS erreicht beim T-Stadium im Mittel 85% (82–95%) und beim N-Stadium eine Spezifität zwischen 70 und 80% (Catalano et al. 1999). Die EUSgesteuerte FNA suspekter Lymphknoten erhöht die Spezifität der Festlegung des N-Stadiums erheblich (Eloubeidi et al. 2001). Die Einschätzung der Resektabilität ohne FNA ist immerhin noch in etwa 75% zutreffend.
Durch die Festlegung des T und N-Stadiums und die Beurteilung der Resektabilität hat die EUS einen unmittelbaren Einfluss auf die Verfahrenswahl (neoadjuvante, primär chirurgische, primär palliative Strategien). Sie kann nach neoadjuvanter Therapie mit Erfolg zum Re-Staging genutzt werden (Chak et al. 2003).
Magenkarzinom. Die EUS stellt einen unverzichtbaren Bestand-
teil in der Umsetzung stadienabhängiger Therapiekonzepte dar. In Analogie zum o. g. wird das T-Stadium durch Beurteilung der Wandschichten festgelegt. Da Serosa und Subserosa mit der EUS nicht differenziert werden können, ist beim Magenkarzinom die Unterscheidung der T2- und T3-Tumoren problematisch. Das
. Tabelle 1.2. Sonographische Ausdehnung eines Tumors entsprechend der TNM-Klassifikation beim Ösophaguskarzinom uT1
Tumor reicht bis in die mittlere echoreiche Schicht, die jedoch nicht durchbrochen ist
uT2
Tumor reicht bis in die äußere echoreiche Schicht, die jedoch nicht durchbrochen ist
uT3
Tumor durchbricht alle Wandschichten mit Unterbrechung auch der äußersten echoreichen Schicht
uT4
Tumor ist von paraösophagealen Strukturen nicht abgrenzbar oder Nachweis einer Infiltration
uN+
Verdacht auf Lymphknotenbeteiligung
T-Stadium wird in 69–92% korrekt, das N-Stadium in 50–88% richtig beurteilt. Die Gesamtgenauigkeit liegt bei 75–80%. Der prädiktive Wert einer EUS ohne suspekte Lymphknoten beträgt bei den früheren Tumorstadien über 90% (Xi et al. 2003). Die EUS neigt aufgrund der entzündlichen Umgebungsreaktionen zum Überstaging von Frühkarzinomen und T1-Tumoren. Ist ihr Anteil hoch, kann die Genauigkeit der EUS auf unter 50% sinken. Im Hinblick auf technische Operabilität ist das Staging in 80– 97% korrekt; die Voraussage der R0-Resektabilität in 80%. Aufgrund der spezifischen Sonomorphologie des Magenlymphoms und der MALT-Lymphome kann mit EUS nahezu immer die Diagnose gestellt werden. Auch hier ist die EUS das Referenzverfahren um Therapieeffekte nachzuweisen (Levy et al. 1997). Hinsichtlich der häufig submukös gelegenen GIST des Magens, kann eine EUS-gesteuerte endoskopische FNA die Diagnose präoperativ mit höchster Sicherheit erarbeiten (Ando et al. 2002). Pankreaskarzinom. Die EUS ist derzeit der Goldstandard in der Detektion exokriner wie neuroendokriner Pankreastumore. Die Sensitivität der Detektion eines Pankreaskarzinoms liegt global bei 85% und kann bis 97% betragen. Selbst bei Tumoren unter 2 cm beträgt sie mindestens 75% und maximal 90%. Die Detektionsrate für Tumoren kleiner 2 cm ist damit dem CT und der perkutanen Sonographie weit überlegen (Maguchi 2004). Mit der EUS-FNA suspekter Areale kann eine Sensitivität von 94% mit einer Spezifität bis 100% für duktale Karzinome erreichten werden (Harewood u. Wiersema 2002). Bezüglich des T- und NStaging ist die EUS mit mehr als 90% Sensitivität und nahezu 80% Genauigkeit allen anderen Verfahren überlegen – in jeweils weniger als 10% wird ein Über- oder Unterstaging registriert. Die EUS ist auch hilfreich in der Differenzialdiagnostik von Pankreaszysten und zystischen Pankreaskarzinomen. Nur die einfachen Zysten mit dünnwandigen Septen dürfen als unverdächtig angesprochen werden. Die besten Ergebnisse werden derzeit mit EUS-FNA und Analyse der Zystenflüssigkeit auf CEA, Ca19–9, Ca125 u. a. Tumormarker erreicht (Brugge et al. 2004). Bezüglich der Infiltration der Pfortader ist die EUS der Angiographie ebenbürtig und erreichte in Studien in denen die Gefäßinfiltration auch histologisch verifiziert wurde, eine Gesamtgenauigkeit von 70% (Yusoff et al. 2003). Durch entsprechende Selektion konnte die Rate der R0-Resektionen durch EUS von 60 auf 80% angehoben werden und sogar auf 86%, wenn Angiographie und EUS zusammen zur Beurteilung der Gefäßinvasion herangezogen wurden (Brugge et al. 1996).
Der prädiktive Wert einer EUS ohne Tumorbefund liegt bei nahezu 100% und ersetzt somit jedes andere bildgebende Verfahren zum Ausschluss einer fokalen Läsion.
Rektumkarzinom. Auch beim Rektum werden in der Regel 5 Wandschichten mit unterschiedlichem Reflexverhalten erkannt (59). Die Infiltrationstiefe wird entsprechend der TNM-Klassifikation anhand der Infiltration der Wandschichten unterteilt (. Tab. 1.3). Wegen der vom T- und vom N-Stadium geleiteten, differenten Behandlungsstrategien ist die EUS beim Rektumkarzinom heute unverzichtbar. Die Stärken der Methode liegen in der Differenzierung der T2- und T3-Tumoren sowie dem Nachweis des T4-Stadiums. Die Gesamtgenauigkeit in der Vorhersage des T-Stadiums kann mit 85% (64–91%), die des N-Stadiums mit
11 1.5 · Intraoperative Sonographie/laparoskopischer Ultraschall
1
. Tabelle 1.3. Sonographische Ausdehnung eines Tumors entsprechend der TNM-Klassifikation beim Rektumkarzinom uT1
Tumor reicht bis in die innere echoarme Schicht, mittlere echoreiche Schicht intakt
uT2
Tumor reicht bis in die innere echoarme Schicht, mittlere echoreiche Schicht durchbrochen, intakte äußere echoreiche Schicht
uT3
Tumor durchbricht alle Wandschichten mit Unterbrechung auch der äußersten echoreichen Schicht
uT4
Tumor infiltiriert in pararektale Strukturen
uN+
Verdacht auf Lymphknotenbeteiligung
78% (64–87%) angegeben werden. Auch beim Rektumkarzinom kann durch EUS-gesteuerte FNA die Spezifität des N-Stagings und damit die Präzision der Zuweisung der Patienten zu neoadjuvanter Therapie erhöht werden. Die Patientenselektion durch EUS-FNA kann zu einer Reduktion lokaler Rezidivraten führen (Harewood 2004). Stellenwert. Die Nützlichkeit des EUS in der »klinischen Routine« ist in den vergangenen Jahren mehrfach kritisch diskutiert worden. Die Diskussion wird angeregt von Mitteilungen, die beispielsweise für den routinemäßigen Einsatz des EUS beim Magen- und Ösophaguskarzinom eine kombinierte Genauigkeit für das T- und N-Staging von nur 35% ergaben (Bosing et al. 2003). Ebenso wurde gezeigt, dass die Sensitivität des T-Staging bei Ösophagus und Magentumoren im EUS von 73% auf 53% sank, wenn die Untersucher für klinische Informationen verblindet waren (Meining et al. 2002). Auch für die EUS des Rektums wurden kürzlich außerhalb von Studien sehr viel schlechtere Leistungsdaten mitgeteilt, als sie aus den kontrollierten Studien erwartet worden waren (z. B. nur 63% Gesamtgenauigkeit nach [Marusch et al. 2002]). Eine systematische Übersichtsarbeit über die zum EUS beim Rektumkarzinom zwischen 1985 und 2003 publizierten Studien konnte zudem einen Trend zu zunehmend schlechteren Ergebnissen aufzeigen, je mehr Patienten in der jeweiligen Studie untersucht und je aktueller die Studien publiziert worden waren (Harewood 2005). Diese und andere kritische Mitteilungen verdeutlichen, dass die persönliche methodische Qualifikation das entscheidende Qualitätsmerkmal in der »klinischen Routine« ist.
1.5
Intraoperative Sonographie/ laparoskopischer Ultraschall
Indikation. Aufgrund der rasanten Entwicklung der CT- und MRT-Diagnostik kommt der intraoperativen Sonographie (IOUS) zunehmend die Aufgabe eines ergänzenden intraoperativen Diagnostikums zu. Die Anwendungen sind vielfältig (Übersichten bei Kane 2005; Machi et al. 2004; Rau u. Hünerbein 2005). Haupeinsatzgebiete der IOUS sind die Komplettierung des Tumorstagings und die optimierte Führung von Resektionsbehandlungen an Leber und Pankreas. Bei der Staging-Laparoskopie ist die laparoskopisch durchgeführte Ultraschalluntersuchung (LUS) unverzichtbar. Eine weitere Indikation betrifft die intraoperative Diagnostik der Gallenwege – auch zur intraoperativen Qualitätskontrolle. Seltener, aber von herausragendem Stellenwert, ist die IOUS/LUS beim endokrinen Pankreastumor. Eine neue Indikation betrifft die Radiofrequenzablation hepatischer Läsionen.
Staging-Laparoskopie. Obgleich ausschließlich prospektive Beobachtungsstudien und Fallsammlungen publiziert sind, kann der Stellenwert der LUS im Rahmen einer Staging-Laparoskopie nicht mehr in Zweifel gestellt werden. 4 Beim Ösophaguskarzinom ist die LUS das sensitivste Verfahren zur Detektion intraabdomineller Lymphknotenmetastasen (Sensitivität bis 80%) und der selteneren Lebermetastasierung (Sensitivität bis 75%). Zusätzliche, die Therapie beeinflussende Befunde können in 10–20% erwartet werden, wobei therapieentscheidende Befunde vor allem bei höheren Tumorstadien und distaler Lokalisation des Karzinoms angetroffen werden (Krasna et al. 2001). 4 Beim Magenkarzinom ist die Verbesserung der StagingLaparoskopie durch die LUS weniger eindrucksvoll. Zwar kann auch hier in den höheren Tumorstadien (T3 und T4) mit dem LUS die diagnostische Genauigkeit des Stagings erhöht werden, aber in der Mehrzahl der Fälle können bereits mit der Laparoskopie die relevanten Befunde alleine erhoben werden (Yusoff et al. 2003). 4 Beim Pankreaskarzinom kann die LUS die diagnostische Genauigkeit erheblich steigern. Entscheidend ist der Nachweis bzw. der Ausschluss der Gefäßinfiltration und der peritonealen oder hepatischen Metastasierung. Die Metastasierung klärt im allgemeinen die Laparoskopie. Hinsichtlich der Beurteilung der Gefäßinfiltation konnte mit Hilfe des LUS bei präoperativ als resektabel gewerteten Patienten in 14 und 59% eine Infiltration der Portalvene bzw. der AMS nachgewiesen werden. Die LUS ist somit hilfreich die Kriterien der onkologischen Irresektabilität zu überprüfen (Minnard et al. 1998; Zhao et al. 2003). 4 Bei primären und sekundären Lebertumoren konnten durch die Kombination von Laparoskopie und LUS in zusätzlichen 15–30% Patienten identifiziert werden, welche entgegen der präoperativen Wertung nicht kurativ resezierbar waren (DeCastro et al. 2004). Die per LUS gesteuerte intraoperative Biopsie ist eine gesicherte Anwendung (Berger et al. 2004). 4 Beim kolorektalen Karzinom kann insbesondere bei laparoskopischen Resektionen zusätzliche Information durch die LUS erwartet werden. Wenn die LUS bei der Laparoskopie eingesetzt wurde, konnte in bis zu einem Drittel der Fälle eine Änderung präoperativer Wertungen oder per alleiniger Laparoskopie erhobener Befunde registriert werden. Selbst wenn die präoperative Diagnostik und die Blickdiagnostik per Laparoskopie negativ waren, werden hinsichtlich des Staging der Leber in bis zu 10% »okkulte« Metastasen aufgedeckt. Bei dieser Indikation hat der Einsatz des LUS das größte Potenzial zusätzliche therapierelevante Befunde aufzudecken.
12
1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
Lebermetastasen. Die IOUS/LUS ist nach wie vor das sensitivste
Verfahren um Lebermetastasen von Kolon-, Magen- und Pankreastumoren aufzudecken. Der Zugewinn an diagnostischer Information beträgt zwischen 3 und 26%. In der Kombination von Laparoskopie und LUS kann damit die onkologische Inoperabilität in 80–100% korrekt vorausgesagt werden (Mortensen et al. 1996). Erste Untersuchungen zeigen auch, dass die Detektionsrate mit Hilfe der US-Kontrastmittel (CE-IOUS) noch verbessert werden kann (Torzilli 2004). Überwiegend wird die IUOS der Leber zum Ausschluss weiterer fokaler Läsionen der Leber im Rahmen von Standardresektionen eingesetzt (7 oben). Im Vergleich zu allen anderen bildgebenden Verfahren ist sie bei dieser Fragestellung führend mit einer Sensitivität und Spezifität von 96% und 98%. Je nach Umfang der präoperativen Diagnostik und Gewichtung der IOUS, werden in bis zu 40% zusätzliche Raumforderungen erfasst. Gleichwohl wird nur selten, im Mittel um 10%, eine relevante Änderung der operativen Strategie erforderlich (Paul et al. 1996). Gallenwegschirurgie. Wenngleich versierte Untersucher beim
Nachweis von Gallenwegskonkrementen Daten mitgeteilt haben, die der intraoperativen Cholangiographie nicht nachstehen, hat sich ein genereller Einsatz bislang nicht durchgesetzt (Nies et al. 1996). Pankreaschirurgie. Der Einsatz der IOUS bei Operationen zur
internen Drainage bei der chronischen, kalkulösen Pankreatitis wird klar befürwortet (Prinz et al. 1992). Per IOUS gelingt das Auffinden des Pankreasganges in Sekunden und ergibt sich die Möglichkeit einer nicht invasiven Qualitätskontrolle der vollständigen Entfernung aller Pankreatiokolithen. Im Bezug auf die Differenzialdiagnostik Pankreatitis vs. malignem Pankreastumor hat die IOUS/LUS bislang nicht überzeugt. Möglicherweise ergeben sich neue Optionen mit Ultraschallkontrastmitteln (7 oben). Die portalvenöse Infiltration kann zwar mit hoher Spezifität (bis 97%) aber nur niedriger Sensitivität (58%) erfasst werden (van Delden et al. 1996). Aus diesen Gründen ist ein routinemäßiger Einsatz der IOUS beim exokrinen Pankreaskarzinom derzeit nicht sinnvoll. Im Gegensatz hierzu ist bei den endokrinen Pankreastumoren eine zeitgemäße chirurgische Therapie ohne IOUS nicht denkbar. IOUS stellt beim Insulinom, dem häufigsten dieser sehr seltenen Tumore, nach dem Ausschluss der hepatischen Filialisierung durch einen perkutanen US, die einzige sinnvolle Lokalisationsdiagnostik dar und ist hier, wie bei allen anderen endokrinen Pankreastumoren, das einzige sinnvolle Lokalisationsverfahren (Fendrich et al. 2004).
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1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
Torzilli G (2004) Contrast enhanced intraoperative ultrasonography in surgery for liver tumors. Eur J Radiol 51:SupplS 25–29 Trowbridge RL, Rutkowski NK, Shojania KG (2003) Does this patient have acute cholecystitis? JAMA 289:80–86 vanDelden OM, Smits NJ, Bemelman WA, deWit LT, Gouma DJ, Reeders WAJ (1996) Comparison of laparoscopic and transabdominal ultrasonography in staging of cancer of the pancreatic head region. J Ultrasound Med 16:207–212 Vasavada P (2004) Ultrasound evaluation of acute abdominal emergencies in infants and children. Radiol Clin N Am 42:445–456 Vogl TJ, Schwarz W, Blume S et al. (2003) Preoperative evaluation of malignant liver tumors: comparison of unenhanced and SPIO (Resovist) enhanced MRI with biphasic CT and IOUS. Eur J Radiol 13:262–272 Wallstabe L, Veitt R, Korner T (2002) Diagnose perforierter Magengeschwüre durch Ultraschall. Z Gastroenterol 40:877–880 Xi WD, Zhao C, Ren GS (2003) Endoscopic ultrasonongraphy in preoperative staging of gastric cancer: determination of tumor invasion depth, nodal involvement and surgical resectability. World J Gastroenterol 9:254–257 Yusoff IF, Mendelson RM, Edmunds SE; Ramsay D, Cullingford GL, Fletcher DR, Zimmerman AM (2003) Preoperative assessment of pancreatic malingancy using endoscopic ultrasound. Adomin Imaging 28:556– 562 Zhao ZW, He JY, Tan G, Wang HJ, Li KJ (2003) Laparoscopy and laparoscopic ultrasonography in judging the resectability of pancreatic head cancer. Hepatobiliary Panreatic Dis Int 2:609–611 Zielke A, Hasse C, Sitter H, Kisker O, Rothmund M (1998) Ultrasound and clincal decision making in acute appendicitis: a prospective study. Eur J Surgery 164:201–209 Zielke A,Hasse C, Kisker O, Nies C, Voss M, Sitter H, Rothmund M (1997) Prospective evaluation of ultrasound in acute colonic diverticulitis. Br J Surg 84:385–388
2 2 Interventionelle Sonographie S. Truong, O. Schumacher, V. Schumpelick
2.1
Allgemeines
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
Vorteile – 16 Material für die Punktion Punktionstechnik – 17 Komplikationen – 17
– 16
2.2
Sonographisch gesteuerte interventionelle Diagnostik – 17
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Schilddrüse – 19 Leber – 19 Pankreas – 20 Flüssigkeiten in Körperhöhlen
2.3
Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie – 20
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5
Schilddrüse – 20 Nebenschilddrüsen – 20 Leber – 21 Aszites, Pleuraergüsse, postoperative und parenchymatöse Verhalte Abszesse und Empyeme – 24
Literatur – 28
– 16
– 20
– 23
16
Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2.1.2 Material für die Punktion
) ) Die Sonographie hat in der Viszeralchirurgie eine weite Verbreitung gefunden und besitzt nicht nur einen hohen Stellenwert in der apparativen Diagnostik, sondern auch in der interventionellen Anwendung. Hierbei wird zwischen diagnostischen und therapeutischen Interventionen unterschieden. Die diagnostischen Interventionen umfassen die gezielte Entnahme von Gewebeproben sowie die Punktion von Flüssigkeitsansammlungen zur mikrobiologischen, zytologischen oder histologischen Untersuchung. Die therapeutischen Maßnahmen umfassen dauerhafte Drainagen von Abszessen, Empyemen und Ergüssen mit Hilfe von Kathetersystemen sowie unterschiedliche Techniken zur Ablation von Tumoren und Zysten.
2
2.1
Allgemeines
2.1.1 Vorteile Die Sonographie ist als bildgebendes Verfahren schnell verfügbar und kann jederzeit ortsungebunden, d. h. am Krankenbett, eingesetzt werden. Ihre Anwendung ist kostengünstig und führt zu keiner Strahlenbelastung. Entsprechende Analysen zeigen auf, dass CT-gesteuerte Interventionen um den Faktor 1,89 kostspieliger sind als ultraschallgesteuerte Maßnahmen (Douglas et al. 2001). Das dabei benötigte Material bei CT-gestützten Interventionen ist 4-fach teurer. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit der Echtzeitvisualisierung des betreffenden Befundes sowie die unmittelbare dynamische Darstellung des Erfolges der Maßnahme. Hieraus resultiert, z. B. für die Entnahme von Gewebeproben, eine höhere Genauigkeit gegenüber der CT-Bildgebung. Dies äußert sich in einer statistisch niedrigeren Rate falsch-negativer Ergebnisse gegenüber der CT-gesteuerten Biopsie (Douglas et al. 2001). Die genannten Fakten spiegeln sich in einer stark steigenden Fallzahl ultraschallgesteuerter Interventionen wider (. Abb. 2.1). Sonographisch schlecht darstellbare Prozesse, z. B. im Becken, intrathorakal oder interenterisch gelegen, sind für eine ultraschallgesteuerte Intervention weniger gut geeignet. In diesen Fällen ist die Computertomographie überlegen. Auch sehr adipöse Patienten profitieren bei entsprechender Befundlokalisation von einer CT-gesteuerten Technik.
Für die Interventionen steht eine große Auswahl an Punktionsnadeln sowie Katheterbestecken zur Verfügung. Nadeln mit einem Außendurchmesser über 1 mm werden als Grobnadeln bezeichnet, bei Nadelweiten unter 1 mm spricht man von Feinnadeln. Häufig werden Nadeldurchmesser auch in French (1 Fr = 0,33 mm bzw. 1 mm = 3 Fr) und Gauge angegeben. Die Bezeichnung der Nadeln ist nicht einheitlich und meistens von der Herstellfirma abhängig. Je nach Einsatzzweck werden InjektionsAspirationsnadeln und Schneid-Stanz-Biopsienadeln unterschieden. Zur Punktion von liquiden Prozessen eignen sich Nadeln mit einer einfachen angeschliffenen Hülse. Wird mit solchen Nadeln ein solider Gewebeverband fächerförmig unter permanentem Sog punktiert, lassen sich einzelne Zellen oder Zellverbände für eine zytologische Auswertung gewinnen. Das Material wird auf einen Objektträger gebracht und mit Alkohol fixiert. Die anschließende Färbung und Interpretation erfolgt durch den Pathologen. Die Entnahme eines soliden Gewebezylinders, die sog. Biopsie, erfordert die Verwendung eines speziellen Hohlnadelsystems. Hierzu stehen Nadelsysteme mit verschiedenen Schneide- oder Stanzmechanismen zur Verfügung. Die gewonnene Probe wird in Formalin überführt und an den Pathologen weitergeleitet. 4 Chiba-Nadel: Durchmesser 0,6–0,95 mm mit schrägem Schliff und Mandrin zur Aspiration von Flüssigkeiten und zur Gewinnung einer Aspirationszytologie (. Abb. 2.2a). 4 Menghini-Set: Durchmesser 0,5–1,8 mm. Spezielles NadelSpritzen-Set zur Leberbiopsie. Ähnlich wie bei der VacucutNadel wird durch Aspiration und Vorschieben ein Gewebezylinder von 2–3 cm Länge gewonnen (. Abb. 2.2b). 4 Otto-Kanüle: Durchmesser 0,8–1,2 mm. Diese Schneidbiopsiekanüle ist weniger traumatisch. Die Spitze der Hülse ist mit zwei feinen Schneiden versehen, so dass durch Drehung der Nadel beim Vorschieben ein Gewebezylinder herausgetrennt werden kann. Dabei ist die Anlage eines Vakuums über eine Spritze erforderlich (. Abb. 2.2c). 4 Vacucut-Nadel: Durchmesser 0,7–1,2 mm. Durch Einsatz eines dicht schließenden O-Ringes im Konus der Kanüle wird beim Zurückziehen des Mandrins in der Hülse ein Vakuum erzeugt. Beim Vorschieben der Nadel wird ein Gewebszylinder gewonnen (. Abb. 2.2d, e). 4 Trucut-Nadel: Durchmesser 0,9–2,0 mm zur Entnahme von Stanzbiopsien. Es lassen sich definierte Gewebezylinder herausschneiden. Die Nadel wird mit manueller und automatischer Abschussvorrichtung angeboten. Gelegentlich kommt es dabei zum Herausreißen von Gewebepartikeln, was die Blutungsgefahr erhöht (. Abb. 2.2f). Zur Entnahme von Gewebezytologien ist eine 22-G-Nadel ausreichend. Größere Nadeln bedingen eine höhere Komplikationsrate ohne Informationsgewinn.
. Abb. 2.1. Fallzahlen US- und CT-gesteuerter Interventionen (Douglas et al. 2001)
Die Entscheidung, ob eine Zytologie oder Biopsie entnommen wird, sollte zusammen mit dem Pathologen, der die Proben untersucht, getroffen werden.
17 2.1 · Allgemeines
a
b c d e
f . Abb. 2.2a–f. Punktionsnadeln für Zytologie bzw. Biopsie. a ChibaNadel, b Menghini-Set, c Otto-Kanüle, d, e Vacucut-Nadel mit verschiedenen Schliffen, f Trucut-Nadel
Zur Frage der diagnostischen Wertigkeit beider Methoden existieren mehrere Untersuchungen, welche die Aspirationszytologie als gleichwertig gegenüber der Stanzbiopsie ausweisen. Die Ursachen falsch-negativer Punktionsergebnisse liegen nicht selten in der zu geringen Menge an gewonnenem Material, der Punktion von nekrotischem Gewebe oder aber in einem Verfehlen des Herdes. Größere Tumoren sollten möglichst im Randbereich punktiert werden. Für Zusatzuntersuchungen wie Spezialfärbungen, Rezeptorbestimmungen oder die Subtypisierung von Lymphomen muss eine Stanzbiopsie erfolgen; eine alleinige Aspirationszytologie ist nicht ausreichend (Douglas et al. 2001). Eine Auswertung von 1685 Feinnadelpunktionen unterschiedlicher Organe ergab eine Erfolgsquote von 86–100% (Otto 2002) für die einzelnen Gewebe (. Tab. 2.1).
lässt sich die sog. Freihandtechnik anwenden. Hierzu führt eine Hand den Schallkopf und die andere Hand die Punktionsnadel (. Abb. 2.3a, b). Eine Korrektur der Nadelspitze ist an Hand des Ultraschallbildes möglich, und der Erfolg der Intervention kann direkt beobachtet und dokumentiert werden (Real-time-Visualisierung). Bei großen Befunden können Punktionsrichtung und Ziel am Patienten markiert und die Nadel zunächst ohne Schallkontrolle eingebracht werden. Mit Hilfe dieser Technik können z. B. Pleuraergüsse und subkutane Verhalte sicher punktiert werden. Zielgenauere Punktionen werden durch eine fixe Verbindung von Schallkopf und Punktionskanüle möglich. Die Nadel wird mit Hilfe einer an den Schallkopf adaptierten Führungsschiene schräg in das Schallfeld vorgeschoben, wobei die Nadelspitze in der Regel gut darstellbar ist (. Abb. 2.3c). Der Verlauf des Stichkanals kann in das Gerät einprogrammiert werden. Ein Nachteil der Methode ist die häufige Abweichung der Nadel von der vorgesehenen Punktionsrichtung durch die Kompression des Gewebes mit dem Schallkopf. Die besten Resultate werden bei der Verwendung von speziellen Punktionsschallköpfen erreicht. Es handelt es sich in der Regel um Linearscanner mit einer zentralen Aussparung, in die spezielle Einsätze mit Stichkanälen unterschiedlichen Durchmessers eingesetzt werden können (. Abb. 2.4). Über diese Stichkanäle werden dann die Nadeln in das Gewebe vorgeschoben, während das Gerät den exakten Verlauf des gewählten Punktionskanals in das Sonobild einblendet (. Abb. 2.3d). Hierbei kann durch Kompression von außen der Weg zum Punktionsziel verkürzt werden. Abweichungen der Nadel vom vorgesehenen Punktionsweg sind mit dieser Technik praktisch ausgeschlossen (Otto 2002). Die höchste Treffsicherheit bei der sonographisch gesteuerten Punktion wird bei der Verwendung von Punktionsschallköpfen erreicht.
2.1.3 Punktionstechnik Jede Intervention ist zunächst mit einer Punktion verbunden. Ist der zu punktierende Prozess über eine kurze Distanz erreichbar,
. Tabelle 2.1. Erfolgsquote von Feinnadelpunktionen (Otto 2002)
Organ
(n)
Leber
561
34,2
89,3
Pankreas
232
14,2
94,0
Retroperitoneum
166
10,1
91,0
Niere
87
5,3
94,3
Milz
5
0,3
16
1,0
Aszites
117
7,1
Pleura
116
7,1
86,2
Weitere (Schilddrüse, Brust etc.)
339
20,7
89,7
Gesamt
639
Intestinaltrakt
2
(%)
100
Erfolgsquote (%)
100 93,8 100
91,2
2.1.4 Komplikationen Die Komplikationsrate nach Feinnadelpunktion liegt insgesamt deutlich unter 1% (. Tab. 2.2). Die häufigsten Komplikationen sind allgemeiner Art und betreffen Schmerzen, Blutungen und Infektionen. Seltener sind organspezifische Komplikationen wie z. B. Pneumothoraces, Pankreatitiden oder Stichkanalmetastasierungen nach der Punktion von malignen Tumoren. 2.2
Sonographisch gesteuerte interventionelle Diagnostik
Die stetige Verbesserung der Bildgebung mittels Ultraschall erweitert gleichzeitig das Spektrum der interventionellen sonographischen Diagnostik. Die häufigste Indikation für die interventionelle Diagnostik besteht in der Gewinnung von Gewebeproben unterschiedlicher Organe. Weitere Indikationen für diagnostische Interventionen betreffen Probengewinnung und Untersuchung von Aszites und Pleuraergüssen sowie liquiden Verhalten. Erfolgt hierbei gleichzeitig eine Entlastung der betreffenden Flüssigkeitsansammlung, erweitert sich die Punktion zur therapeutischen Intervention.
18
2
Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
. Abb. 2.3a–d. Techniken der sonographisch gesteuerten Punktion. a, b Punktion in Freihandtechnik, c Punktion mit Führungsschiene, d Punktion mit Punktionsschallkopf
a
b
c
d
. Abb. 2.4. Punktionsschallkopf mit Biopsienadel
. Tabelle 2.2. Komplikations- und Letalitätsrate nach Feinnadelpunktion
Autor
Patienten (n)
Komplikationsrate (%)
Letalitätrate (%)
Weiss (1988)
60.949
0,55
0,0075
Fornari (1989)
10.766
0,18
0,018
Nolsoe (1990)
3.500
0,20
0,028
Weiss (1996)
95.070
0,81
0,0011
19 2.2 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Diagnostik
2.2.1 Schilddrüse Aufgrund ihrer oberflächlichen Lage ist die Schilddrüse für diagnostische Punktionen gut zugänglich. Zur Feinnadelbiopsie eignen sich Chiba-Nadeln von 20 G. Die Punktion kann hierzu freihändig nach Palpation oder sonographisch gesteuert erfolgen. Bei der freihändigen Punktion ist immer gleichzeitig die A. carotis zu palpieren, um eine akzidentelle Verletzung des Gefäßes zu vermeiden. Der anvisierte Knoten wird dann mittels mehrerer leicht gestreuter Stichbewegungen biopsiert. Nicht palpable Knoten und Läsionen, die mit freihändiger Technik erfolglos punktiert wurden, sollten ultraschallgesteuert biopsiert werden (Mittendorf et al. 2002). Die Empfehlungen bezüglich der Indikation zur Biopsie hängen stark von den regionalen Gegebenheiten bezüglich der Inzidenz von Schilddrüsenerkrankungen ab (Deandrea et al. 2002).
Die bioptische Abklärung von solitären Knoten sowie zystischen Strukturen ist in 70–100 % der Fälle erfolgreich, wobei die Erfolgsquote von der Größe, der Dignität sowie vom histologischen Typ der Befunde abhängt (Ogawa et al. 2001).
. Abb. 2.5. Stanzbiopsie mit Trucut-Nadel: Punktionszylinder einer Metastase eines Kolonkarzinoms
. Abb. 2.6. Aspirationszytologie mittels Feinnadelpunktion: Ausstrichpräparat eines hepatozellulären Karzinoms
2
Bei negativem Ergebnis sollte die Punktion wiederholt werden. Im Rahmen der Tumornachsorge bei Schilddrüsenkarzinomen nach totaler Thyreoidektomie wird für die Biopsie von Rezidivtumoren eine Sensitivität von 94–100% angegeben (Krishnamurthy et al. 2001). 2.2.2 Leber Eine Indikation zur perkutanen Leberbiopsie besteht unter bestimmten Vorraussetzungen sowohl bei diffusen Lebererkrankungen als auch bei fokalen Gewebeveränderungen bzw. Tumoren. Bei diffusen Gewebeveränderungen, z. B. einer Hepatitis oder Zirrhose, kann eine Leberblindpunktion nach sonographischer Voruntersuchung erfolgen. Solitäre bzw. fokale Gewebeveränderungen müssen sonographisch gesteuert punktiert werden. Der Stichkanal sollte dabei immer durch einen mindestens 1 cm breiten Mantel gesunden Gewebes verlaufen. Die Erfolgsquote wird mit 93–95% angegeben. Hierbei wird eine Blutung als häufigste Komplikation in 0,5% der Fälle beobachtet. Die Probengewinnung kann mittels Feinnadelaspiration oder Stanzbzw. Schneidbiopsie erfolgen, wobei das Blutungsrisiko für die Biopsietechniken höher ist (. Abb. 2.5 und 2.6).
20
Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2.2.3 Pankreas
2
Die sonographisch gesteuerte Punktion des Pankreas ist aufgrund der Lage des Organs und Darmgasüberlagerung erschwert. Der Stichkanal muss häufig transgastral oder transhepatisch gewählt werden, sodass nur feine Chiba-Nadeln von 20–22 G verwendet werden sollten. Die Angaben zur Erfolgsquote reichen von 60– 100%, wobei die meisten Studien bei etwa 80% liegen. Bei der Punktion von Pankreaskarzinomen wird oft die Möglichkeit einer Tumorzellverschleppung erwähnt, die zur Ausbildung von Impfmetastasen im Stichkanal führen kann. Das Risiko scheint aber eher gering zu sein, da in der Literatur bisher nur 10 Fälle beschrieben sind. Die Rate schwerer Komplikationen wie Pankreatitiden, Pankreasgang-Leckagen und relevanter Blutungen wird mit 0,4% angegeben (Sparchez 2002). Cave Bei der Punktion des Pankreas dürfen nur Feinnadeln verwendet werden. Größere Nadelsysteme, z. B. Trucut-Nadeln, können eine Pankreatitis auslösen.
2.2.4 Flüssigkeiten in Körperhöhlen Flüssigkeitsansammlungen im Pleuraspalt und in der Abdominalhöhle sind einer Punktion in der Regel gut zugänglich. Eine diagnostische Punktion kann mit 20-G-Kanülen in Freihandtechnik oder, bei kleinen Flüssigkeitsmengen, mit Hilfe eines Punktionsschallkopfes vorgenommen werden. Die Diagnostik umfasst makroskopische Beurteilung sowie laborchemische, mikrobiologische und zytologische Untersuchungen.
Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
2.3
2.3.1 Schilddrüse Ablationstechniken zur Behandlung von Schilddrüsenknoten sind sowohl für autonome Adenome als auch für zystische Knoten beschrieben. Für beide Entitäten existieren Erfahrungen mit einer sonographisch gesteuerten perkutanen Ethanolinjektion (PEI). Die Ablation von autonomen Adenomen erfolgt durch 1–3 Injektionen von 95%-igem Ethanol unter sonographischer Kontrolle. Das Volumen wird so gewählt, dass die durch die Injektion der Flüssigkeit entstehenden Schallreflexe den betreffenden Befund komplett einnehmen. Bei Schmerzäußerung des Patienten wird die Injektion vorher unterbrochen (Guglielmi et al.
2004). Die benötigten Ethanolvolumina bewegen sich hierbei zwischen 1 und 5 ml. Der Behandlungserfolg und die Notwendigkeit weiterer Injektionen wird an Hand der Volumenabnahme des Knotens im Rahmen von Kontrolluntersuchungen bewertet. Zur Sklerosierung von zystischen Knoten wird der Befund zunächst ultraschallgesteuert punktiert und dann der flüssige Inhalt aspiriert. Anschließend werden 25% des aspirierten Volumens in Form von 95%-igem Ethanol in der Zystenhöhle installiert (Guglielmi et al. 2004). Auch hier ist die Volumenabnahme der Läsion der Bewertungsmaßstab für den Behandlungserfolg. Parameter zur Bewertung des Langzeiterfolges waren bei Zysten die Volumenabnahme auf weniger als 25% des Ausgangswertes und bei autonomen Adenomen die Volumenabnahme auf unter 50%, ein normales Serum-TSH sowie die szintigraphisch normale Hormonaktivität des initial supprimierten Schilddrüsenparenchyms (. Tab. 2.3). Die durchschnittliche Volumenabnahme der mit PEI behandelten autonomen Adenome beträgt nach 5 Jahren nur 64%, und lediglich 60% der behandelten Patienten weisen normale TSH-Werte auf (Guglielmi et al. 2004). Aufgrund dieses mäßigen Erfolges hat sich die PEI bei der Behandlung autonomer Adenome nicht durchgesetzt. Die Injektion von Salzsäure (PHI) in Zysten hat schlechtere Ergebnisse als die reine Aspiration und wird daher nicht empfohlen (Chu et al. 2003). 2.3.2 Nebenschilddrüsen Bei sekundärem Hyperparathyreoidmus (HPT) sind die ultraschallgesteuerte perkutane Ethanolinjektion (PEIT) sowie Calcitriolinjektion (PCIT) als ablative Verfahren beschrieben. Der Erfolg dieser Behandlungsmethoden wird in der Literatur unterschiedlich bewertet, wobei das Ausmaß der Hormonstörung und das Volumen der vergrößerten Nebenschilddrüsen einen großen Einfluss auf das Langzeitergebnis haben (deBarros et al. 2004). Bei durchschnittlichen Parathormon-Serumspiegeln von 633 pg/ml bzw. 727 pg/ml betrugen die Erfolgsraten der PEIT 80% bei 46 Patienten (Kakuta et al. 1999) resp. 77% bei 9 behandelten Patienten (Kitaoka et al. 1994). Rodriguez et al. (2002) berichten im Rahmen einer Auswertung verschiedener Studien über eine erfolgreiche PEIT in 80% der Fälle bei einem Parathormon <400 pg/ml, während bei Ausgangswerten von 1200 pg/ml die Erfolgsrate auf unter 20% sinkt.
Die PEIT sollte Patienten mit hohem Operationsrisiko oder Patienten, die eine Operation ablehnen, vorbehalten bleiben.
. Tabelle 2.3. Ergebnisse der PEI bei zystischen Knoten und autonomen Adenomen (Guglielmi et al. 2004)
Anzahl Zystischer Knoten Autonomes Adenom a
Anzahl PEIBehandlungen (n)
Volumenreduktion auf 25%a/50%b nach 5 Jahren (%)
Normales TSH nach 5 Jahren (%)
58
2
86,2
–
112
4
81,0
60,0
Anzahl PEIPatienten (n)
b
für zystische Knoten; für autonome Adenome
2
21 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
. Abb. 2.7. Sonde zur Radiofrequenzablation
2.3.3 Leber
Technik. Unter bildgebender Kontrolle werden elektrisch isolier-
Bei nichtresektablen primären und sekundären Lebertumoren sowie für inoperable Patienten steht eine Reihe von Ablationsverfahren als Therapiealternative zur Verfügung. Die meisten Erfahrungen liegen für die Radiofrequenzablation, Laserablation, Kryoablation und Ethanolinstillation vor. Die Verfahren können perkutan, laparoskopisch oder intraoperativ durchgeführt werden, wobei der Ethanolinstallation die perkutane Technik vorbehalten bleibt. Für die perkutane Anwendung aller Verfahren stehen zur Steuerung die Sonographie, CT und MRT zur Verfügung. Die schon genannten Vorteile der Sonographie als bildgebendes Medium (7 Kap. 2.1.1) lassen erwarten, dass die Ultraschallsteuerung bei allen Ablationsverfahren an Bedeutung gewinnen wird.
Alle Ablationsverfahren, die an der Leber zum Einsatz kommen, sind primär als Palliativverfahren anzusehen.
Radiofrequenzablation Indikation. Mit der Radiofrequenzablation (RFA) können hepatozelluläre Karzinome und Lebermetastasen verschiedener Primärtumoren behandelt werden. Bei einer erreichbaren Nekrose von 7 cm können, bei einem Sicherheitssaum von 1 cm, Tumorherde bis 5 cm Größe abladiert werden. Pro Behandlung sollen maximal 3–4 Herde angegangen werden (Kettenbach et al. 2004). Als Kontraindikationen gelten eine ausgedehnte Aszitesbildung, unkorrigierbare Koagulopathien sowie ein obstruktiver Ikterus mit einem Serumbilirubin von >3 mg/dl.
te Sonden mit leitfähiger Spitze in die Leber eingebracht und ein Wechselstrom mit 375–500 kHz appliziert, welcher über eine an der Haut angebrachte Flächenelektrode abfließt. Der Stromfluss induziert eine hochfrequente Oszillation von Ionen an der Sondenspitze und führt zu einer Erhitzung des umliegenden Gewebes. Ab einer Temperatur von 60°C entsteht die gewünschte Koagulationsnekrose, die das Tumorgewebe zerstört. Die abgegebene Energie beträgt je nach Tumor 60–250 Watt. Entsprechend der Tumorausdehnung können Einzelelektroden (. Abb. 2.7) oder selbstexpandierende Schirmelektroden eingesetzt werden. Die Applikationsdauer des Stromes je Herd beträgt 10–30 min, wobei der Destruktionsgrad des Gewebes an Hand einer Impedanzmessung oder Temperaturkontrolle abgeschätzt werden kann. Zur Vermeidung von Nachblutungen und Tumorzellverschleppung muss der Stichkanal nach Abschluss der Behandlung koaguliert werden. Dies geschieht durch langsamen Rückzug der Elektroden bei reduzierter Generatorleistung (Kettenbach et al. 2004). Ergebnisse. Der Langzeiterfolg bei der Behandlung des hepatozellulären Karzinoms sowie von Metastasen kolorektaler Metastasen ist jeweils in mehreren Studien dokumentiert (. Tab. 2.4 und 2.5). Komplikationen. Bei allen interventionell-ablativen Therapieverfahren an der Leber sind als Hauptkomplikationen die Blutung, Leberabszesse sowie die Verschleppung von Tumorzellen zu nennen. Die Rate an behandlungspflichtigen Komplikationen nach RFA wird durchschnittlich mit unter 2% angegeben (Ahmed et al 2002).
. Tabelle 2.4. Ergebnisse der perkutanen RFA bei hepatozellulären Karzinomen
Autor
Tumorgröße (cm)
Art der Elektrode
Nekrosegrad (%)
Rezidivrate (%)
Beobachtungsintervall (Monate)
Überlebensrate (ÜLR)
39
3,0
Einzelnadel
95
41
23
1-/3-/5-JahresÜLR: 94/68/40% 44 Monatea
Curley (2000)
110
3,4
Schirmelektrode
95
49
19
–
Hansler (2003)
20
3,1
Einzelnadel
85
30
15
15 Monate: 60%
Rossi (1996)
a
Patienten (n)
mittlere Überlebenszeit
22
Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
. Tabelle 2.5. Ergebnisse der perkutane RFA bei kolorektalen Lebermetastasen
2
Autor
Patienten (n)
Tumorzahl (n)
Tumorgröße (cm)
Überlebensrate (ÜLR)
Gillams (2000)
69
2,9
3,9
1-/2-/3-/4-Jahres-ÜLR: 90/69/34/22% 33 Monatea
Solbiati (2001)
117
2,0
2,8
1-/2-/3-Jahres-ÜLR: 93/69/46% 36 Monatea
Oshowo (2003)
25
–
3,0
3-Jahres-ÜLR: 53% 37 Monatea
a
mittlere Überlebenszeit
Interstitielle Laserablation Indikation. Die Laserablation eignet sich zur Behandlung von Lebermetastasen kolorektaler Karzinome und Mammakarzinome sowie multifokalen Erstmanifestationen oder Rezidiven von hepatozellulären Karzinomen (HCC). Der erzielbare Durchmesser der Gewebedestruktion beträgt bis zu 4 cm. Bei der Verwendung eines Applikators können, entsprechend eines Sicherheitsabstandes von 1 cm, Tumoren bis 2 cm behandelt werden. Mit Hilfe mehrerer Applikatoren können Herde bis 5 cm Größe abladiert werden.
Kryotherapie Indikation. Die Indikation umfasst hepatozelluläre Karzinome und Metastasen verschiedener Primärtumoren. Die Herde sollen gut abgrenzbar sein und eine Größe von 5 cm nicht überschreiten. Pro Behandlung können maximal 3–4 Herde angegangen werden. Ein Vorteil der Kryodestruktion liegt darin, dass auch Tumorherde in Nachbarschaft zu großen Blutgefäßen mit nur geringem Risiko einer Thrombose therapiert werden können. Die Kryotherapie wird am häufigsten mittels Laparotomie durchgeführt, kann aber auch laparoskopisch und perkutan zur Anwendung kommen (Garcea et al. 2003).
Technik. Bei der Laserablation handelt es sich um ein thermoablatives Verfahren durch Erhitzung des Gewebes mit Hilfe eines speziellen Laserlichtes. Ein Neodym-YAG-Laser generiert ein Laserlicht mit einer Wellenlänge von 1064 nm, das über feine Lichtleiter, die in einer speziellen Sonde gebündelt sind, in das Gewebe geleitet wird. Die Laserenergie führt zu einer Erhitzung des Gewebes bis auf eine Zieltemperatur von 60°C. Für den synchronen Betrieb mehrerer Applikatoren stehen spezielle Lichtweichen zur Verfügung. Der Vorteil liegt in einer Zeitersparnis gegenüber der sequenziellen Nutzung eines einzigen Applikators (Stroszczynski et al. 2004).
Technik. Bei der Kryotherapie führt die kontrollierte Abkühlung der zu behandelnden Tumorherde auf unter −20°C zu einer Kältenekrose und Destruktion. Dabei kommen spezielle Kryosonden zum Einsatz, die mittels flüssigem Stickstoff eine Temperatur von bis zu −100°C erreichen und diese an das umliegende Gewebe abgeben. Mit einer einzelnen Kryosonde können Kältenekrosen bis zu 4,9×2,2×2,2 cm, mit mehreren Sonden Nekrosen bis zu 6,0×4,9×5,6 cm erzeugt werden (Silverman et al. 2000). Für jeden zu abladierenden Herd sind 2 Zyklen von 6–15 min Dauer erforderlich (Feifel et al. 1999).
Ergebnisse. Die Laserablation ist eine relativ junge Methode, sodass bisher lediglich wenige Einzelcenterstudien vorliegen (Auswahl . Tab. 2.6). Die Rate an klinisch relevanten Komplikationen (Abszesse, Galleleckagen, Nachblutungen) wird mit 1,3% angegeben (Mack et al. 2001).
Ergebnisse. Bei der Behandlung von kolorektalen Lebermetastasen und hepatozellulären Karzinomen beträgt die mittlere Überlebenszeit nach Kryotherapie zusammengenommen 30,7 Monate (Garcea et al. 2003). . Tab. 2.7 listet die Ergebnisse verschiedener Studien zum Langzeitverlauf der behandelten Patienten auf. Alle
. Tabelle 2.6. Ergebnisse der perkutane Laserablation bei kolorektalen Lebermetastasen (MET) und hepatozellulären Karzinomen (HCC)
Autor Giorgio (2000)
Mack (2001)
Pacella (2001) Vogl (2004) a
mittlere Überlebenszeit
Patienten (n)
Tumor
Komplette Tumornekrose (%)
Überlebensrate (ÜLR)
77
HCC
82
–
25
MET
77
–
705
MET
–
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 93/50/30% 41,8 Monatea
74
HCC
97
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 99/68/15%
603
MET
–
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 94/56/37% 42 Monatea
23 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
2
. Tabelle 2.7. Ergebnisse der Kryotherapie bei kolorektalen Lebermetastasen (MET) und hepatozellulären Karzinomen (HCC)
Autor
Patienten (n)
Tumor
Mittlere Überlebenszeit (Monate)
Überlebensrate (ÜLR)
Zhou (1998)
235
HCC
–
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 78/54/27%
Weaver (1998)
136
MET
30
–
Weaver (1995)
47
MET
–
2-Jahres-ÜLR: 62%
Hewitt (1998)
20
MET
32
1-/2-Jahres-ÜLR: 88/60%
Behandlungen erfolgten im Rahmen einer Laparotomie durch intraoperativ-sonographisch gesteuerte Punktion. Die Komplikationsrate wird allgemein als vergleichbar zur Metastasenresektion angegeben. Perkutane Ethanolinstillation Indikation. Bei der perkutanen Ethanolinstillation (PEI) handelt es sich um die älteste minimalinvasive Ablationstechnik zur Behandlung von Lebertumoren. Allgemein empfohlen wird die PEI für die Behandlung kleiner Lebertumoren bis 3–5 cm und bis zu 3 Herden. Die Therapie größerer Herde >5 cm ist im Rahmen einer One-shot-PEI unter Narkose möglich, wobei hier Ethanolvolumina von 50–100 ml mit mehreren Injektionen in einer Sitzung installiert werden (Sparchez et al. 2003). Hauptindikation für die PEI ist das nicht resektable hepatozelluläre Karzinom auf dem Boden einer Leberzirrhose. Auch bei kleinen Metastasen kolorektaler Karzinome sowie von Mammakarzinomen bei Inoperabilität des Patienten ist eine PEI möglich, jedoch wird sie hierfür als deutlich ineffektiver gegenüber den anderen Ablationsverfahren bewertet. Technik. Die erste Beschreibung dieser Technik stammt aus dem Jahre 1983. Der eingespritzte Alkohol diffundiert hierbei in das umliegende Gewebe und verursacht eine Tumornekrose durch Proteindenaturierung, Zelldehydratation und Okklusion kleiner Gefäße. Injiziert wird 96%iges Ethanol über 20–22G-Chiba-Nadeln oder spezielle Nadeln mit seitlichen Öffnungen. Das erforderliche Alkoholvolumen berechnet sich aus der Formel V=4/3 π (r+0,5)3. Die Rate kompletter Tumornekrosen beim HCC ist abhängig von der Herdgröße (Sparchez et al. 2003).
Ergebnisse. Bei Tumoren <3 cm beträgt die Rate kompletter Nekrosen 80%, bei 3–5 cm 70–75% und bei Tumoren >5 cm 60% (Sparchez et al. 2003). Bei solitären HCC-Herden bis 5 cm ist sie fast ebenbürtig zur Resektion (3-Jahres-Überlebensrate bei Resektion 79% und nach PEI 71%). . Tab. 2.8 fasst die Ergebnisse bisheriger Studien zusammen. Aufgrund der Weiterentwicklung neuerer Techniken, insbesondere der Laserablation, Kryoablation und Radiofrequenzablation, wird sich die Indikation für eine PEI in der Zukunft auf ein selektiertes Patientengut mit kleinen Lebertumoren beschränken (Giovannini 2002). Die Komplikationsrate wird mit 3,2% angegeben (Di Stasi et al. 1997).
2.3.4 Aszites, Pleuraergüsse, postoperative und parenchymatöse Verhalte Die Hauptindikation zur therapeutischen Punktion von Aszites, Pleuraergüssen, postoperativen und parenchymatösen Verhalten besteht meistens in der Entlastung größerer Flüssigkeitsmengen. Prinzipiell können sowohl die einmalige komplette Punktion sowie die Einlage einer Drainage erfolgen. Die Intervention kann bei der Punktion von Aszites und Pleuraergüssen in der Regel in Freihandtechnik nach sonographischer Markierung der Punktionsstelle durchgeführt werden. Indikationen zur sonographisch gesteuerten perkutanen Punktion bzw. Drainage sind: 4 Aszites 4 Pleuraergüsse 4 Hämatome 4 Wundserome 4 Biliome und Leberzysten 4 Pankreaspseudozysten
. Tabelle 2.8. Ergebnisse der PEI bei hepatozellulären Karzinomen
Autor
Patienten (n)
Tumorgröße (cm)
Überlebensrate (ÜLR)
Ebara (1993)
133
≤3,0
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 96/61/37%
Shiina (1993)
146
–
1-/2-/3-/4-/5-Jahres-ÜLR: 79/64/46/38/38%
Livraghi (1995)
293 (Child A) 149 (Child B) 20 (Child C) 121 (Child A) 28 (Child A) 16 (Child A)
Single ≤5 Single ≤5 Single ≤5 Multipel Single ≤5 Fortgeschritten
3-/5-Jahres-ÜLR: 79/47% 3-/5-Jahres-ÜLR: 63/29% 3-/5-Jahres-ÜLR: 12/0% 3-/5-Jahres-ÜLR: 68/36% 3-/5-Jahres-ÜLR: 53/30 3-/5-Jahres-ÜLR: 16/0%
Giorgio (2000)
268
0,6–14
1-/2-/3-/4-/5-Jahres-ÜLR: 93/83/74/65/59%
24
2
Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
Bei der Punktion von Pleuraergüssen lässt sich die Komplikationsrate durch den Einsatz der Sonographie zur Punktionssteuerung senken.
2.3.5 Abszesse und Empyeme Zur Therapie intraabdomineller Abszesse hat sich die interventionelle perkutane Abszessdrainage (PAD) als alternative Behandlungsmöglichkeit zur operativen Therapie etabliert. Die Punktion und Drainage kann sowohl CT- als auch Ultraschallgesteuert erfolgen. Vorteile für die Bildgebung mittels Ultraschall ergeben sich aus der Schnelligkeit, der Mobilität, der fehlenden Strahlenbelastung und nicht zuletzt wegen der geringen Kosten der Methode (Men et al. 2002). Zudem gestattet der Ultraschall eine Real-time-Darstellung der anzugehenden Befunde. Im Allgemeinen wird die sonographisch gestützte Intervention bei gut zugänglichen sowie solitären Abszessen empfohlen, deren Punktion mit einem geringen Verletzungsrisiko für benachbarte Strukturen wie Blutgefäße, Hohlorgane oder Pleurahöhle verbunden ist.
Abszesse mit Verbindung zu Hohlorganen können mittels PAD nur passager entlastet werden. Zur definitiven Sanierung ist eine zweizeitige operative Therapie erforderlich.
Ätiologie. Intraabdominelle Abszesse können im Rahmen verschiedenster Erkrankungen sowie als postoperative Komplikation auftreten. Daher ist das Patientengut sehr heterogen. Ursächlich sind entzündliche Erkrankungen intraabdomineller Organe, Hohlorganperforationen, pyogene Absiedlungen in parenchymatöse Organe und nicht zuletzt postoperative Infekte aufgrund von Keimverschleppungen oder Nahtinsuffizienzen. Abszessformationen in Weichteilen treten nach Verletzungen oder Injektionen von Medikamenten auf. . Tab. 2.9 zeigt die typischen Abszesslokalisationen nach Häufigkeit. Indikation. Vor der Entscheidung zum interventionellen Vorgehen müssen Lokalisation, Ätiologie und Ausdehnung des Befundes sonographisch oder computertomographisch erfasst sein.
. Tabelle 2.9. Lokalisation intraabdomineller Abszesse (n=62; Jansen et al. 1999) Abszesslokalisation
Häufigkeit
Subhepatisch
29%
Subphrenisch links
29%
Intrahepatisch
18%
Parakolisch
10%
Douglas/kleines Becken
6%
Subphrenisch rechts
5%
Retroperitoneal
3%
Prinzipiell ist zunächst bei allen sonographisch darstellbaren und perkutan erreichbaren putriden Verhalten die Indikation für eine Drainage zu prüfen. Indikationen zur US-gesteuerten perkutenen therapeutischen Abszessdrainage sind: 4 Leberabszesse 4 Milzabszesse 4 Intrahepatische Abszesse 4 Abszesse im Becken 4 Enterische Abszesse 4 Retroperitoneale Abszesse 4 Perityphlitische Abszesse 4 Lungenabszesse 4 Pleuraempyeme Kontraindikationen zur interventionellen Therapie bestehen bei nicht geeignetem perkutanem Zugangsweg sowie bei Krankheitsursachen, die primär eine chirurgische Behandlung erfordern. Hierzu zählen u. a. Darmnekrosen, infizierte nekrotisierte Tumoren, infizierte Pankreasnekrosen und sequestierte, gekammerte sowie organisierte entzündliche Verhalte, bei denen eine suffiziente Entlastung nicht zu erwarten ist. Zur Differenzierung von infizierten und nicht infizierten liquiden Verhalten kann eine diagnostische Nadelaspiration durchgeführt werden. Hierbei muss eine Stichführung durch den Darm vermieden werden, da sonst ein falsch-positives mikrobiologisches Ergebnis sowie eine Keimverschleppung und Infektion bei der Punktion steriler Flüssigkeiten resultieren kann. Die mikrobiologische Untersuchung kann wichtige Hinweise zur Ätiologie von Abszessen liefern und hilft, eine ggf. begleitende antibiotische Behandlung zu optimieren. Bei Patienten, die bereits eine antimikrobielle Therapie erhalten, fällt der Bakteriennachweis in putriden Sekreten nicht selten negativ aus. Das Fehlen von Leukozyten bei nachgewiesener bakterieller Kontamination wird im Rahmen von Immunsuppressionen oder bei Patienten mit Immundefekten beobachtet. Wird bei der diagnostischen Punktion klares Sekret gewonnen, kann auf die Einlage einer Drainage verzichtet werden. Cave Vor der Einlage einer perkutanen Abszessdrainage (PAD) darf die Abszesshöhle nicht komplett abpunktiert werden, da sonst eine sichere Platzierung der Drainage nicht möglich ist.
Material und Technik. Die Platzierung der Drainage kann, nach lokaler Betäubung der Haut, unter sterilen Kautelen mittels Seldingertechnik oder Trokartechnik erfolgen (. Abb. 2.8 und 2.9). Bei der Seldingertechnik wird der Abszess mit einer Chiba-Nadel unter sonographischer Kontrolle punktiert und die korrekte Lage durch Aspiration von trübem oder putridem Sekret bestätigt (. Abb. 2.8a). Gleichzeitig kann eine Probe zur mikrobiologischen Diagnostik asserviert werden. Nun wird über die Nadel ein Führungsdraht mit J-Spitze eingebracht und die Chiba-Nadel entfernt (. Abb. 2.8b). Nach Inzision der Haut im Bereich der Eintrittsstelle des Drahtes und Dilatation des Stichkanals wird die Drainage über den Draht in der Abszesshöhle platziert (. Abb. 2.8c). Der Draht wird entfernt und die Drainage mittels Annaht gesichert (. Abb. 2.8d). Bei der Trokartechnik ist die Drainage mittels einer Nadel und eines Mandrins von innen geschient und kann unter sonographischer Kontrolle nach Hautinzision bis in den Abszess vorgeschoben werden. Hierbei muss
25 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
a
a
b
b
c
c
d
d
2
. Abb. 2.8a–d. Punktion mittels Seldingerdraht. a Punktion und Aspiration (optische Beurteilung, Mikrobiologie), b Einbringen Seldingerdraht, Entfernung Punktionskanüle, c Platzierung der Drainage über den Seldinger-Draht, d Drainage nach Entfernen des Seldinger-Drahtes
. Abb. 2.9a–d. Punktion mittels Trokar. a Punktion und Aspiration (optische Beurteilung, Mikrobiologie), b Entfernung der Punktionskanüle, Hautinzision, Punktion mit kombiniertem Trokar-Drainagesystem, c Entfernung des Trokars und Platzierung der Drainage, d Drainage nach Entfernung des Trokars
über die innere Trokarnadel stetig aspiriert werden, um das Erreichen der Abszesshöhle erkennen zu können. Dann wird die Drainage bei fixierter Nadel noch wenige Zentimeter vorgeschoben und nach Zurückziehen von Nadel und Mandrin mittels Annaht gesichert (. Abb. 2.9). Der Vorteil der Trokarsysteme liegt im besseren Penetrationsvermögen bei sehr festen Abszessmembranen, jedoch ist diese Technik mit einer leicht höheren Komplikationsrate im Vergleich zur Seldingertechnik behaftet.
Bei der Wahl der Drainage kann auf ein weites Spektrum an Kathetersystemen mit Kalibern von 6–12 French für einlumige Otto-Systeme und 12–24 French für doppellumige Spülkatheter (Van-Sonnenberg-Systeme) zurückgegriffen werden (. Abb. 2.10). Eine klinische Studie konnte zeigen, dass bei der Behandlung von 64 Patienten mit intraabdominellen Abszessen die Verwendung von 7-French-Pigtailkathetern sowie 14-FrenchSpülkathetern keine signifikanten Unterschiede bezüglich Er-
26
Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2
a
a
b . Abb. 2.10a,b. Systeme zur perkuntanen Abszessdrainage (PAD). a Einlumiger Otto-Katheter, b doppellumiger Van-Sonnenberg-Spülkathether
folgsrate, Rezidivrate, Komplikationshäufigkeit, Drainagedauer und Rate an offen-chirurgischen Revisionen offenbarte (Rothlin et al. 1998). Bei zähem Sekret und relevanten Anteilen von Zelldetritus und Gewebenekrosen sind dünne einlumige Katheter aber oft nicht ausreichend, weswegen viele Autoren empfehlen, den größtlumigen Katheter zu verwenden, der unter den gegebenen Umständen sicher und komplikationsarm eingebracht werden kann. Entscheidend für den Behandlungserfolg ist neben der suffizienten Platzierung der Drainage das intermittierende Anspülen und Offenhalten des Systems. Dabei müssen Sekretmengen und Sekretqualität täglich dokumentiert und beurteilt werden (Göhl et al. 1999). Der Rückgang von Fieber und Leukozytose in den ersten 2–3 Tagen nach der Intervention ist als klinischer Parameter des Therapieerfolges zu beobachten und zu dokumentieren. Direkt nach Einlage der Drainage sollte die Abszesshöhle mehrere Male mit physiologischer Kochsalzlösung gespült werden, bis das Aspirat klar wird. Ein mehrmaliges Anspülen in den folgenden Tagen ist erforderlich, um den Katheter offen zu halten. Ein plötzliches Sistieren des ablaufenden Sekretes sollte an eine Verlegung oder Dislokation des Katheters denken lassen.
b . Abb. 2.11a,b. Perkutane Drainage eines Leberabszesses. a Abszess im Sonogramm, b Abszess nach Platzierung der PAD und Darstellung der Abszesshöhle mit Kontrastmittel
Entscheidend für den Erfolg einer PAD ist die regelmäßige Spülung der Abszesshöhle über die einliegende Drainage.
Leberabszesse. Bakterielle Abszesse der Leber stellen eine der häufigsten Indikationen für die Einlage einer PAD dar. Leberabszesse entstehen im Rahmen von Entzündungen der Gallenwege,
2
27 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
. Abb. 2.12. Perityphlitischer Abszess im Sonogramm
in der Folge von Traumata oder abdominellen Operationen sowie mittels hämatogener Aussaat bei abszedierenden Infekten des Darmes. Solitäre Abszesse können mit sehr gutem Erfolg sonographisch gesteuert punktiert werden, während bei multilokularen und konfluierenden Abszessformationen die CT-gesteuerte Drainage empfohlen wird. Im Allgemeinen ist eine Drainagedauer von 3–5 Tagen bei begleitender antibiotischer Behandlung ausreichend (van Sonnenberg et al. 2001). Auch die einmalige Punktion und Aspiration von Leberabszessen als therapeutische Option ist beschrieben. Die in der Literatur beschriebene Erfolgsrate der PAD liegt bei 70–93% (. Abb. 2.11), die der offenchirurgischen Drainage bei 51–70% (Vogl u. Estifan 2001). Pankreasabszesse. Abszedierungen des Pankreas treten nach Operationen sowie im Rahmen von Pankreatitiden auf. Die interventionelle Entlastung wird wegen der Nachbarschaft zu Blutgefäßen und Hohlorganen im Allgemeinen CT-gesteuert empfohlen. Einmalige Punktionen sind mit einer hohen Rezidivrate bis 70% behaftet, weswegen stets die Einlage eines Drainagesystems erfolgen sollte (Men et al 2002). Milzabszesse. Abszedierungen der Milz sind selten und treten gehäuft bei immungeschwächten Patienten auf. Es handelt sich dann meist um hämatogene Absiedlungen im Rahmen einer Endokarditis oder posttraumatische Superinfektionen von Hämatomen (Green 2001). Milzabszesse sind gut einer interventionellen Therapie zugänglich, es gelten hierbei die gleichen Empfehlungen wie bei der Behandlung von Leberabszessen. Abszesse im Becken. Intraabdominelle Abszesse treten gehäuft im Becken auf, da dieses den tiefsten Raum der Abdominalhöhle bildet und sich entzündliche Sekrete aufgrund der Schwerkraft ansammeln können. Weiterhin beherbergt das Becken Strukturen, die häufig selbst Ausgangspunkt einer Entzündung sind. So finden sich putride Verhalte im Rahmen von Appendizitiden, Sigmadivertikulitiden und als Tuboovarialabszesse. Bei der Therapie der durch Abszess komplizierten Sigmadivertikulitis in den Stadien I und II nach Hinchey kann z. B. durch eine interventionelle Abszessdrainage der notfallmäßige operative Eingriff umgangen und, nach einer Drainagedauer von bis zu 12 Tagen,
die elektive einzeitige Resektionstherapie erfolgen (Bertram et al. 2002) Beckenabszesse könne auf verschiedenen Routen interventionell angegangen werden. Sonographisch gesteuert stehen transrektale und transvaginale Punktionstechniken zur Verfügung (Ryan et al. 2003), während mittels CT-gesteuerter Technik transgluteale und parakokkygeal-infragluteale Punktionswege gewählt werden können (Men et al. 2002). Enterische Abszesse. Enterische Abszesse können im Rahmen von Appendizitiden (. Abb. 2.12), Sigmadivertikulitiden, Anastomoseninsuffizienzen, perforierten Tumoren oder eines M. Crohn auftreten. Die interventionelle Punktion ist sowohl sonographisch gesteuert als auch CT-gesteuert möglich. In den meisten Fällen stellt die enterische Abszessdrainage eine temporäre bzw. adjuvante Maßnahme im Rahmen der notwendigen chirurgischen Therapie dar (Men et al. 2002). Hier muss an Hand des klinischen Verlaufes und der Befundkonstellation im Einzelfall abgewogen werden, ob die alleinige Drainage ausreichend ist oder ob eine definitive operative Behandlung im Intervall erfolgen soll (. Abb. 2.13). Ergebnisse. Je nach Lage und Ätiologie der Befunde wird in der Literatur eine Heilungsrate von 33–100% angegeben. . Tab. 2.10
. Tabelle 2.10. Heilungsraten bei interventioneller Abszessdrainage (Göhl et al. 1999)
Abszesslokalisation
Heilungsrate
Postoperative intraperitoneale Abszesse
33–78%
Pyogene Leberabszesse
69–92%
Milzabszesse
50–100%
Abszesse kleines Becken
52–100%
Abszesse mit Verbindung zum Darm
51–84%
Infizierte Pankreaspseudozysten
67–94%
Pankreasabszesse
14–79%
28
2
Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
. Abb. 2.13. Drainage eines Abszesses mittels PAD. Darstellung einer Fistel von der Abszesshöhle zum Kolon durch die Gabe von wasserlöslichem Kontrastmittel über den einliegenden Otto-Katheter
fasst die Ergebnisse mehrerer klinischer Studien zur Erfolgsrate der interventionellen Abszessdrainage zusammen. Mehrere Studien an vergleichbaren Patientenkollektiven konnten zeigen, dass die interventionellen Techniken im Vergleich zur operativen Therapie annähernd gleiche Erfolgsraten aufwiesen. Komplikationen. Als schwerwiegende Komplikationen im Rahmen der interventionellen Drainage sind Hohlorganperforationen und Blutungen aus parenchymatösen Organen und Gefäßen zu nennen. Eine Keimverschleppung in benachbarte Kompartimente kann zu Septikämien führen. Die Rate schwerer Komplikationen, die eine chirurgische Therapie nach sich ziehen, ist von der Lokalisation der drainierten Abszesse abhängig und wird mit 1–5% beziffert (Göhl et al. 1999).
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3 3 Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege einschließlich Computertomographie und Magnetresonanztomographie W. Steinbrich, W. Wiesner
3.1
Allgemeines
– 32
3.2
Abdomenübersichtsaufnahmen – 32
3.3
Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik
– 32
3.3.1 Wahl des Kontrastmittels – 32 3.3.2 Kontrastmittelapplikation – 36 3.3.3 Bilddokumentation – 36
3.4
Computertomographie – 37
3.4.1 Indikationsstellung – 37 3.4.2 Untersuchungstechnik – 39
3.5
Magnetresonanztomographie
– 42
3.5.1 Indikationsstellung – 42 3.5.2 Magnetresonanzcholangiographie und Magnetresonanzcholangiopankreatikographie – 43
3.6
Angiographie – 44
3.6.1 Indikationsstellung – 44
Literatur – 44
32
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
) ) Die Auswahl geeigneter diagnostischer Verfahren in der prä- oder postoperativen Abklärung des Gastrointestinaltraktes wird durch die Vielzahl verfügbarer Methoden bereichert, aber auch erschwert. Neben dem diagnostischen Ziel und dem Patientenkomfort spielen heute zunehmend auch ökonomische und im Hinblick auf kurze Liegezeiten auch ablauftechnische Aspekte eine Rolle. Hilfreich erscheint deswegen eine systematische Analyse des Kompetenzspektrums der jeweiligen Methoden im Gesamtzusammenhang der Patientenversorgung. Hinsichtlich der Bewertung der Methoden kann dabei grundsätzlich zwischen Erkenntnissen über funktionelle, oberflächenmorphologische, tiefenmorphologische und Umgebungsveränderungen unterschieden werden.
3
3.1
Allgemeines
Konventionell radiologische Kontrastmittelverfahren (Ösophagogramm, Magen-Darm-Passage, Magen-Doppelkontrastdarstellung, Dünndarmdarstellung nach Sellink, Kolon-Monooder -Doppelkontrastuntersuchung) sind als oberflächenmorphologische Verfahren mit einigen funktionellen Aspekten, insbesondere der Motilitätsbeurteilung, anzusehen. Auch der Endoskopie bleibt – abgesehen von möglichen Tiefenbiopsien – die Beurteilung tieferer Wandschichten des Gastrointestinaltraktes grundsätzlich verborgen. Gerade die Frage der transmuralen Ausbreitung spielt aber – nicht nur in der Beurteilung von tumorösen Prozessen, sondern auch bei entzündlichen Veränderungen – eine erhebliche Rolle. Entsprechend haben inzwischen Schichtbildtechniken (Sonographie, Computertomographie und Magnetresonanztomographie) einen breiten Eingang in die gastrointestinale Diagnostik gefunden. Die Endosonographie überzeugt dabei mit der besten räumlichen Auflösung. Diese erlaubt als einziges bildgebendes Verfahren die Analyse der Integrität oder Desintegrität einzelner Wandschichten. Allerdings ist ihr eine begrenzte Umgebungssicht durch eine limitierte Eindringtiefe zu eigen. Demgegenüber ist die räumliche Auflösung von Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) begrenzt; diese Verfahren bieten aber eindeutig die beste Gesamtübersicht über das Untersuchungsfeld. Insgesamt gewinnt gerade in chirurgischen Zusammenhängen die Schichtbilddiagnostik sowohl präoperativ als auch hinsichtlich der Beurteilung postoperativer Komplikationen zunehmend an Bedeutung. Entsprechend werden immer häufiger ein oberflächenkompetentes Verfahren (endoskopischer oder radiologischer Natur) in Kombination mit einem Schichtbildverfahren eingesetzt. 3.2
Abdomenübersichtsaufnahmen
Abdomenübersichtsaufnahmen gehören unbestritten ins Routinerepertoire bei der Abklärung des akuten Abdomens und zwar unmittelbar im Anschluss an die klinische Untersuchung (7 Kap. 20). Auch bei unklaren abdominellen Beschwerden können Abdomenübersichtsaufnahmen bereits richtungsweisende Befunde ergeben, wenn nach der Regel »stone – bone – gas – mass« systematisch nach pathologischen Verkalkungen, Skelettpathologien, pathologischen Darmgasverteilungen inkl. freier
Luft oder etwaigen Raumforderungen oder Fremdkörpern gesucht wird (. Abb. 3.1; Field 1994). Bezüglich Raumforderungen ist als Primäruntersuchung allerdings meist die abdominelle Sonographie vorzuziehen. Es werden in der Regel 2 a.p.-Aufnahmen angefertigt, eine davon stets im horizontalen Strahlengang, sei es im Stehen oder in Linksseitenlage (LSL). Auf der Aufnahme im horizontalen Strahlengang muss unabhängig von der Körperposition immer das Zwerchfell mit abgebildet sein, um hier freie Luft nachweisen zu können. Der Aufnahme in Linksseitenlage wird nachgesagt, dass sie noch kleinere Luftansammlungen sicher nachweist als die Stehendaufnahme. Allerdings kann die stehende Abdomenübersichtsaufnahme auch von einer stehenden Thoraxaufnahme ergänzt werden, der ebenfalls eine sehr hohe Sensitivität für den Nachweis von freier intraperitonealer Luft bescheinigt wird (Miller et al. 1980; . Abb. 3.1). Bei kleinen Mengen freier intraperitonealer Luft grenzt sich hierbei die Luftsichel durch einen schmalen, weichteildichten und vom Zwerchfell gebildeten Streifen von der basalen Lunge ab. Die Aufnahme in LSL wird immer erforderlich bei nicht stehfähigen Patienten. Ergänzend wird stets auch eine a.p.-Aufnahme in Rückenlage angefertigt – dies wegen der in Rückenlage etwas anderen Positionierung der Abdominalorgane. Hierdurch können Fehlzuordnungen überblähter Schlingen im Rahmen der Obstruktionsdiagnostik verhindert und Volvulus- und Invaginationszustände besser erkannt werden. Bei klinisch eindeutigem akuten Abdomen und initial negativem Röntgenbild hinsichtlich Spiegelbildungen und freier Luft sollte nicht gezögert werden, die Abdomenübersichtsaufnahme im horizontalen Strahlengang kurz bis mittelfristig zu wiederholen, da zum Teil rasche Befundänderungen zu beobachten sind. Besteht allerdings der Verdacht auf eine mesenteriale Ischämie, erscheint heute eher die unmittelbare Durchführung eines Spiral-CT mit zeitgerechter intravenöser KM-Applikation angeraten (. Abb. 3.2). 3.3
Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik
Um bei konventionellen Kontrastmitteluntersuchungen hinsichtlich der Art der Kontrastmittelapplikation, der Wahl des Kontrastmittels (KM) und der Art der Dokumentation der Untersuchungsergebnisse das richtige Vorgehen zu wählen, ist sowohl im präoperativen als auch im postoperativen Management unbedingt eine exakte Definition des Untersuchungsziels erforderlich. Hierzu ist mit der Anmeldung der Untersuchung eine detaillierte Information, bei komplexeren Zustandsbildern auch ein direktes Gespräch zwischen Zuweiser und Untersucher erforderlich. Bei postoperativen Zuständen mit komplexen Anastomosenverhältnissen empfiehlt sich chirurgischerseits zudem die Anfertigung einer Operationsskizze, da diese nicht nur für die Interpretation der radiologischen Befunde, sondern auch für die Vorgehensweise entscheidend sein kann. 3.3.1 Wahl des Kontrastmittels Bariumsulfat Wegen seiner großen Kontrastdichte und seiner hohen Oberflächenaffinität stellt unverändert Bariumsulfat das KM der Wahl
33 3.3 · Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik
. Abb. 3.1. a Thoraxübersicht sitzend p.a.: Freie subdiaphragmale Luft rechts (Pfeil) nach intestinaler Perforation. b Abdomenübersicht liegend a.p.: Sigmavolvulus mit mechanischem Kolonileus.
3
c Abdomenübersicht liegend a.p.: »body packer« mit multiplen Kokaingefüllten Plastikpäcken im Kolon (Pfeilspitzen)
34
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
. Abb. 3.2. Computertomographie des Abdomens. Volvulus mit strangulierter Dünndarmschlinge. Beachte die verdickte, venös gestaute und bereits ischämisch geschädigte Darmwand (Pfeile)
3
. Abb. 3.3a,b. Ösophagographie. a Monokontrastdarstellung eines stenosierenden Ösophaguskarzinoms. b Doppelkontrastdarstellung desselben Befundes mit Bariumsulfat. Beachten Sie die im Doppel-
kontrast deutlich bessere Beurteilbarkeit des Befundes anhand des für Barium typischen Wandbeschlags
zur differenzierten Beurteilung von Oberflächenprozessen dar (. Abb. 3.3). Es wird dennoch im Umfeld von chirurgischen Eingriffen am Gastrointestinaltrakt immer weniger eingesetzt. Neben den bekannten Kontraindikationen gegen Bariumsulfat bei akuten Zuständen wie Ileus oder Perforation mit der Gefahr des Austritts von KM in die freie Bauchhöhle und der Entstehung einer Bariumperitonitis spielt dabei auch das Zeitmanagement eine zunehmende Rolle. Der Einsatz von Bariumsulfat erfordert nämlich sowohl hinsichtlich der weiteren Diagnostik (CT) als
auch hinsichtlich allfälliger Eingriffe zunächst eine aufwändige Darmreinigung (Henrich 1986). Hierdurch kann das weitere Prozedere um 1–2 Tage verzögert werden. Häufig ist zudem die lokale Situation bereits durch die Endoskopie abgeklärt, sodass KM-Untersuchungen der Hohlorgane präoperativ eher zur Abklärung der Grobanatomie (Länge einer endoskopisch nicht überwindbaren Stenose, Zweittumor etc.) eingesetzt werden als zur Feindiagnostik und deshalb mit wasserlöslichem Kontrastmittel durchgeführt werden können.
35 3.3 · Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik
Weitgehend unbestritten ist der Einsatz von Bariumsulfat in der präoperativen Ösophagusdiagnostik wegen der rascheren Selbstreinigung des Ösophagus und in der Dünndarmdiagnostik (selektive Dünndarmpassage, Enteroklysma nach Sellink), sofern diese Untersuchungen nicht unmittelbar postoperativ erfolgen (Herlinger 1978; Miller et al. 1979). Direkt postoperativ wird Bariumsulfat besonders in Verbindung mit Enteroanastomosen tunlichst vermieden, und sollte – wenn notwendig – erst eingesetzt werden, wenn zuvor mittels wasserlöslichem Kontrastmittel die Dichtigkeit der Anastomose bestätigt werden konnte. Hinsichtlich des Nachweises feinerer Fisteln, ausgehend von Nahtinsuffizienzen nach Ösophagusersatzoperationen gibt es allerdings Hinweise, dass diese mit Bariumsulfat besser erfasst werden. Das Auftreten einer bariuminduzierten Fremdkörpermediastinitis ist nicht zu befürchten, wenn vorgängig ein breiterer KM-Austritt mit Höhlenbildung durch Applikation eines wasserlöslichen KM ausgeschlossen worden ist. Auch zum Nachweis feinerer Fisteln am Dünn- und Dickdarm im Rahmen von chronisch entzündlichen Erkrankungen (M. Crohn) wird mit Vorteil Bariumsulfat eingesetzt. Bei bekannter oder dringend vermuteter Aspiration sollte auf die Schluckprüfung mittels großer Mengen Bariumsulfat verzichtet werden. Die Untersuchung kann jedoch mit kleinen Mengen Bariumsulfat durchgeführt werden, da dieses bei nur geringer Aspiration mukoziliär wieder aus den oberen Atemwegen entfernt werden kann. Hinsichtlich der differenzierten Analyse des Schluckaktes (sog. differenzierte Schluckpassage), die immer auch mittels Video dokumentiert werden sollte, wird Bariumsulfat in unterschiedlichen Viskositätsstufen, zum Teil untermengt mit Keks oder Brot, appliziert. Auf die Doppelkontrasttechnik des Ösophagus, Magens, und Dickdarms wird hier nicht weiter eingegangen. Sie ist in der radiologischen Literatur ausführlich beschrieben.
Bariumsulfat ist den wasserlöslichen Kontrastmitteln in der Diagnostik des Gastrointestinaltraktes deutlich überlegen, darf aber vor allem früh postoperativ und vor geplanten Operationen nicht eingesetzt werden (Bariumperitonitis).
Hyperosmolare, wasserlösliche, nichtsterile Kontrastmittel Diese werden heute bei der Mehrzahl der prä- und postoperativen KM-Untersuchungen des Gastrointestinaltraktes eingesetzt. Auch sie sollten allerdings bei Aspirationsverdacht vermieden werden, da die Hyperosmolarität dieser Kontrastmittel bei Aspiration zum Lungenödem führen kann. Ebenfalls Folge der Hyperosmolarität ist eine Verdünnung im Dünndarm durch Wasserausscheidung, die insbesondere bei Passagebehinderungen zur Einschränkung des Kontrastes führt (fraktionierte Dünndarmpassage). Dieser wasseranziehenden volumenvermehrenden Wirkung ist die Stimulation der Darmperistaltik zuzuschreiben, die zum Teil auch therapeutisch eingesetzt wird (paralytische Subileuszustände). Vorsicht ist wegen des dabei entstehenden Wasserverlustes allerdings bei dehydrierten Patienten und bei Kindern geboten (Cohen 1987; Laubenberger et al. 1994). Umgekehrt erfolgt bei Passagebehinderungen eine Eindickung im Kolon, was zu erheblichen störenden Artefaktbildungen bei einer nachfolgenden CT führen kann. Insgesamt ist der Oberflächenbeschlag der Schleimhaut des Darmes bei allen wasserlöslichen
3
. Abb. 3.4. Monokontrastuntersuchung des Kolons mit wasserlöslichem Kontrastmittel. Großes, der lateralen Wand des Colon descendens breitbasig aufsitzendes villöses Adenokarzinom (Pfeilspitzen). Nebenbefundlich einzelne Kolondivertikel (kleine Pfeile)
Kontrastmitteln deutlich schlechter als bei Bariumsulfat, sodass die Feinbeurteilung von Schleimhautulzerationen und Polypenbildungen erheblich eingeschränkt ist. Die Darstellung erfolgt in Einfachkontrasttechnik (. Abb. 3.4). Am Dickdarm kann durch rektale Gabe von Luft und am Magen durch orale Applikation von CO2-Pulver eine Doppelkontrastdarstellung versucht werden (. Abb. 3.5). Hyperosmolare wasserlösliche sterile Kontrastmittel Diese werden bevorzugt zur Darstellung natürlicher Gänge, aber auch pathologischer Fisteln und Höhlen mit externem oder endoskopischem Zugang verwendet (ERCP, PTC, T-Drain-Darstellungen, Fistelfüllungen etc.) Wegen ihrer Wasserlöslichkeit werden sie auch bei gegebener Perforation oder Nahtinsuffizienz leicht aus der freien Bauchhöhle oder dem interstitiellen Gewebe resorbiert (Laubenberger et al. 1994). Isoosmolare wasserlösliche Kontrastmittel Die isoosmolaren wasserlöslichen Kontrastmittel sind deutlich teurer als alle zuvor genannten kontrastgebenden Substanzen und sollten deshalb zurückhaltend eingesetzt werden. Als Indikationen gelten Untersuchungen des Schluckaktes und des Ösophagus bei Patienten mit Verdacht auf Perforation resp. postoperative Anastomoseninsuffizienz und zusätzlichem Verdacht auf ausge-
36
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
. Abb. 3.5. Versuchte Doppelkontrastuntersuchung des Kolons mit wasserlöslichem Kontrastmittel und anschließender Luftinsufflation. Mäßiger Wandbeschlag mit jedoch genügender Darstellung eines ausgeprägten Pflastersteinreliefs (großer Pfeil) bei M.-Crohn-Rezidiv vor einer ileosigmoidalen Anastomose (kleine Pfeile)
. Abb. 3.6. Selektive Dünndarmpassage (Füllung des Dünndarmes mit Bariumsulfat und anschließende Auswaschung mit Methylzellulose). Glatt berandeter, mäßig stenosierender Tumor im Ileum (Pfeile). Die Operation ergab ein Leiomyom
prägte Aspiration. Weiter werden sie mit Vorteil bei der unmittelbar postoperativen Kontrolle von oberen gastrointestinalen Anastomosen z. B. im Rahmen von Ösophagusersatzoperationen eingesetzt, bei denen die peristaltikanregende Wirkung der hochosmolaren Kontrastmittel nicht erwünscht ist (Rubin et al. 1981).
3.3.3 Bilddokumentation
3.3.2 Kontrastmittelapplikation Diese ist meist durch das Zielorgan vorgegeben (oral bis BauhinKlappe, rektal über Darmrohr ab Bauhin-Klappe). Für die selektive Dünndarmpassage ist die Applikation von verdünntem Bariumsulfat und Methylzellulose zur Doppelkontrasttechnik über eine im duodenojejunalen Übergangsbereich platzierte Sonde unbestritten, da die schrittweise Füllung des Dünndarms so wesentlich besser steuerbar ist als bei oraler Applikation (. Abb. 3.6; Maglinte 1994). Fistelfüllungen erfolgen – wenn immer möglich – durch äußere Fistelöffnungen über Knopfsonden, kleine Ballonkatheter oder Mikrokatheter. Eine ausreichende Kontrastierung setzt meist die Blockierung des Rückflusses voraus, was am besten mit feinen Ballonkathetern gelingt. T-Drain-Darstellungen der Gallenwege können mit der Funktionsprüfung des choledochoduodenalen Abflusses kombiniert werden (7 Spezialliteratur).
Digitale Bilddarstellungen haben sich bei allen konventionellen KM-Untersuchungen hinsichtlich der räumlichen Auflösung als ausreichend erwiesen und werden in Zusammenhang mit der »Last-image-hold«-Technik (Speicherung des jeweils letzten Bildes eines Durchleuchtungsganges) auch strahlendosisreduzierend eingesetzt. Die Dokumentation differenzierterer Befunde setzt allerdings auch heute noch die Anfertigung von optimal eingestellten Einzelaufnahmen voraus. Bei Darstellung im Monokontrast ist dabei generell die Dokumentation in unterschiedlichen Projektionen erforderlich, um die gesamte Zirkumferenz eines Darmabschnittes randständig zu erfassen. Die Mehrebenendarstellung empfiehlt sich insbesondere auch bei komplexen Anastomosenverhältnissen oder Fistelgangsystemen zum besseren Verständnis der Anatomie. Die detaillierte Analyse des Schluckaktes einschließlich der hypopharyngealen KM-Passage setzt eine Videoaufzeichnung mit anschließender Bild-zu-Bild-Analyse voraus, um die sehr raschen Bewegungsabläufe detailliert studieren zu können (Dodds et al. 1989). Auch bei unklaren Passagebehinderungen nach gastrointestinalen Eingriffen (Anastomosenstenosen, Schlingenabknickungen etc.) erfolgt sinnvollerweise eine Video-
37 3.4 · Computertomographie
dokumentation, damit diese gemeinsam von Radiologen und Chirurgen ausgewertet werden kann. 3.4
Computertomographie
3.4.1 Indikationsstellung Die Computertomographie stellt unbestrittenermaßen die beste Zusammenhangsuntersuchung des Abdomens dar, und zwar insofern, als hier sowohl Hohlorgane als auch parenchymatöse Organe einschließlich der peritonealen und retroperitonealen Umgebungsstrukturen zuverlässig abgebildet werden. Sie wird – nach einer initialen Sonographie – entsprechend bevorzugt bei allen unklaren abdominellen Zustandsbildern eingesetzt, seien sie akut, subakut oder chronisch. Die gute Zusammenhangsdarstel. Abb. 3.7. Computertomographie des Oberbauches. Innerhalb der kontrastierten Leber hypodens zur Darstellung kommende Einblutungen nach posttraumatischer Leberruptur (Pfeile). Intraperitoneale Einblutung mit freier Flüssigkeit um die Milz und Leber (Pfeilspitzen)
. Abb. 3.8. Computertomographie des Oberbauches. Schwere exsudative Pankreatitis mit ausgeprägten peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen (Pfeile)
3
lung wird, sofern es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt mit Vorteil auch beim stumpfen Abdominaltrauma angewendet, weil hier Verletzungen der parenchymatösen Abdominalorgane, Einblutungen in die freie Bauchhöhle oder den Retroperitonealraum und Luftaustritte aus Hohlorganen gleichermaßen gut erfasst werden (. Abb. 3.7; Novelline et al. 1999). Auch bei suggestiver klinischer Symptomatik und entsprechend gezielteren klinischen Fragestellungen kann der Einsatz der Computertomographie sinnvoll sein. Wie die Literatur zeigt, werden auch bei klinisch »klaren« Fällen mit einer akuten abdominellen Symptomatik häufig therapierelevante andere Diagnosen oder Nebenbefunde erhoben. Bei definitiv diagnostizierter Erkrankung liegt der Wert der Computertomographie eher in Zusatzinformationen, die meist den Schweregrad, die Ausbreitung und/oder allfällige Komplikationen betreffen, z. B. akute Pankreatitis (. Abb. 3.8; Freeny 1994).
38
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
. Abb. 3.9. Computertomographie des Unterbauches. Perityphilitischer Abszess nach perforierter Appendizitis (Pfeilspitzen)
3
. Abb. 3.10. Computertomographie des Unterbauches. Akute perforierte Sigmadivertikulitis mit verdickter und und stark KM anreichernder Wand (Pfeile) und riesigem intraperitonealen Abszess mit Luft-Flüssigkeitsspiegel (Pfeilspitzen)
Die Kompetenz des Verfahrens hinsichtlich des Nachweises fokaler Leber- oder Milzläsionen ist hinlänglich bekannt und auch das Pankreas wird einschließlich Umgebungsstrukturen zuverlässig abgebildet (. Abb. 3.8). Der Nachweis und die Beurteilungen von Pathologien an den Hohlorganen ist demgegenüber weit schwieriger und setzt zum Teil eine differenzierte Untersuchungstechnik voraus (z. B. Kontrastmittelfüllung). Dennoch wird das Verfahren zunehmend auch bei akut und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Appendizitis, Divertikulitis, M. Crohn) zur Ausdehnungsbestimmung und zum Komplikationennachweis (Abszesse, Blutungen, Ileus etc.) eingesetzt (. Abb. 3.9 bis 3.11; Novelline et al. 1999; Rao 1999). Auch die peritoneale Ausbreitung von entzündlichen oder neoplastischen Prozessen einschließlich des Nachweises von Abszessen gelingt
bei ausreichender Darmkontrastierung übersichtlich. In vielen Fällen bietet sich gerade bei großen perityphilitischen oder peridivertikulitischen Abszessen die präoperative CT-gesteuerte Punktion und Abszessdrainage an (. Abb. 3.11; Forstner et al. 1995). Bei Einsatz der Spiraltechnik und gutem Timing des KM-Bolus können embolische Verschlüsse an den zentralen Abschnitten der Intestinal- und Nierenarterien aber auch thrombotische Läsionen im venösen System mit hoher Zuverlässigkeit nachgewiesen werden. Die Beurteilung von Gallenblasenerkrankungen erfolgt mit der Sonographie und auch bei Gallenwegserkrankungen ist die CT nicht als Verfahren der Wahl zu betrachten.
39 3.4 · Computertomographie
3
. Abb. 3.11a,b. Computertomographie des Unterbauches. a Großer intraperitonealer Abszess (Pfeilspitzen) mit kleinem Lufteinschluss (Pfeil) bei Status nach Appendicitis perforata. b Vollständige Regredienz des Abszesses nach CT-gesteuerter Punktion und Einlage eines Pigtail-Katheters innerhalb von 7 Tagen
a
b
Der Indikationsbereich der Computertomographie hat sich in den letzten Jahren durch die Einführung der Mehrzeilenspiraltechnik nochmals erweitert (3D-Rekonstruktion, Gefäße, Darm).
Die Möglichkeit, in einem Durchgang gleich mehrere Schichten aufzunehmen, hat nicht nur zu einer weiteren wesentlichen Beschleunigung der Messungen geführt, sondern ermöglicht gleichzeitig die Rekonstuktion sehr dünner Schichten. Hierdurch werden heute bei der Mehrzahl der Untersuchungen isotrope 3D-Datensätze erstellt, die in allen 3 Raumrichtungen eine ausgezeichnete räumliche Auflösung bieten. Hiervon profitiert vor allem die Diagnostik tubulärer Strukturen wie Gefäße und Darm die einerseits in Schnittbildern in beliebiger Richtung rekonstruiert als auch als 3D-Ansicht betrachtet werden können (Vogl et al. 2002). Letzteres Verfahren hat sich in Form der CT-Angiographie auch für die abdominelle Aorta und die Viszeralarterien bewährt (. Abb. 3.13; Wintersperger et al. 2004). Neuerdings ist
zudem die Erstellung von 3D-Datensätzen des Kolons nach negativer Kontrastierung mit endoluminaler Rekonstruktion als CT-Kolonographie (. Abb. 3.14a) zum Nachweis endoluminaler Pathologien beschrieben worden (Gluecker u. Fletcher 2002). Bereits weitgehend durchgesetzt hat sich das CT-Enteroklysma zur Dünndarmdiagnostik (. Abb. 3.14b), das damit das konventionelle Enteroklysma unter Durchleuchtung verdrängt. Auf die Fähigkeit der Computertomographie über Dichtewertmessungen und über die räumliche und zeitliche Analyse von Kontrastmittelanreicherungen eine spezifische Diagnose zu stellen sei hier nur am Rande hingewiesen. Hierauf wird in den organbezogenen Kapiteln noch eingegangen. 3.4.2 Untersuchungstechnik Die heute üblichen schnellen Spiral-CT-Scanner ermöglichen optimale Untersuchungsergebnisse auch bei stärker kompromittierten Patienten besonders auch bei respiratorischer Insuffizienz. Das Untersuchungsergebnis wird deshalb heute mehr von der
40
3
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
. Abb. 3.12a,b. Computertomographie des Oberbauches. a Knotige Durchsetzung des Omentum majus im Sinne eines »omental cake« (Pfeile) sowie reichlich maligner Aszites (Pfeilspitzen). b Diffuse und homogene karzinomatöse Verdickung des gesamten Peritoneums (Pfeilspitzen)
a
b
Untersuchungsstrategie beeinflusst, als durch Artefakte eingeschränkt. Wichtig ist dabei vor allem die Abstimmung der Kontrastmittelapplikation auf den Zeitablauf und die speziell interessierende Region. Die orale Applikation einer größeren Menge stark verdünnten wasserlöslichen Kontrastmittels gehört bis auf ausgeprägte Ileuszustände zur allgemeinen Routine der CT. Das KM soll dabei gleichmäßig fraktioniert über 60 min verabreicht werden, um eine kontinuierliche Kontrastierung aller Darmabschnitte zu gewährleisten. Bei bekannten subtotalen Obstruktionen oder paralytischem Subileus ist eine entsprechend verlängerte Transitzeit zu berücksichtigen. Da bei stationären Patienten die orale KMApplikation in der Regel auf den Stationen vorgenommen wird, kommt hier dem Pflegepersonal eine erhebliche Mitverantwortung für das Untersuchungsergebnis zu. Bei ausgeprägten Ileusbildern ist der Darm meist erheblich mit Flüssigkeit gefüllt. Da in diesen Situationen ohnehin keine ausreichende KM-Verteilung zu erwarten ist, empfiehlt sich der Verzicht auf die orale Kontrastmittelgabe. Dies hat außerdem noch den positiven Effekt, dass KM-Anreicherungen eines i.v. applizierten Kontrastmittels im
Bereich verdickter Darmwände so besser nachgewiesen werden können (. Abb. 3.15). Bei gezielten Ösophagusuntersuchungen empfiehlt sich die Markierung der Ösophagusinnenwand mit einem hochviskösen, besser haftenden Kontrastmittel. Bei Kombination mit einer Oberbauch- oder gesamten Abdominaluntersuchung muss zusätzlich der Darm wie oben beschrieben markiert werden. Bei bekannten oder vermuteten Beckenprozessen wird zudem das Rektum, Colon sigmoideum und Colon descendens mit verdünntem wasserlöslichen Kontrastmittel von rektal her gefüllt. Die KM-Menge sollte dabei so bemessen sein, dass der Anschluss an die Oralpassage etwa im Bereich der linken Kolonflexur erreicht wird (ca. 200 ml). Die forcierte intravenöse Kontrastmittelapplikation gehört ebenfalls zum Standard abdomineller CT-Untersuchungen. Wegen der Schnelligkeit moderner CT-Anlagen können unterschiedliche Phasen der KM-Zirkulation analysiert werden, wobei der gezielte Einsatz eine präzise Fragestellung voraussetzt. Nativstudien werden für den Nachweis von Verkalkungen und Kon-
41 3.4 · Computertomographie
3
. Abb. 3.13a,b. Multidetektor-Computertomographie: 3D-CT-Angiographie. a Koronare Übersicht: A. mesenterica superior mit ihren Setenästen. b Kräftige Riolan-Arkade bei Abgangsverschluss der A. mesenterica superior und Kollateralversorgung aus der A. mesenterica inferior
a
b
krementen (Pankreas, Niere) sowie für den Nachweis von Frischblut resp. frischen Hämorrhagien benötigt. Auch Fremdkörper können dabei unter Umständen am besten identifiziert werden (Kalovidouris et al. 1999). Die sog. arterielle Phase wird mit Vorteil zur Untersuchung der Leber, des Pankreas, der Nieren, aber auch entzündlicher Konglomerate, eingesetzt (Tabuchi et al. 1999). Sie erlaubt bei sorgfältiger Bildanalyse auch den Nachweis embolischer Verschlüsse der zentralen Abschnitte der intestinalen Arterien. In der portalen Phase (KM-Rückstrom aus der Vena lienalis und Vena mesenterica superior in die Pfortader) werden hingegen fokale Leberläsionen bevorzugt erfasst und gewisse Pathologien, wie z. B. Verschlüsse der mesenterialen Venen nachgewiesen (Yun et al. 1999). Spätaufnahmen (Steady State der KM-Verteilung zwischen intravasalem und interstitiellem Raum) sind zur Beurteilung von Hämangiomen der Leber hilfreich (Freeny et al.
1986). Die bei normaler Nierenfunktion in dieser Phase bereits kräftige KM-Anreicherung im Nierenbecken, den Ureteren und der Harnblase ermöglicht die begleitende Beurteilung der ableitenden Harnwege. Der Einsatz der Mehrzeilenspiralcomputertomographie (Multidetektor-Computertomographie) ermöglicht die kontrastdynamische Untersuchung ganzer Körperabschnitte. Zudem ist die interaktive dreidimensionale Analyse der generierten isotropen 3D-Datensätze auf modernen Workstations bereits zum Standard geworden. Dies hat vor allem die Analyse von Gefäßen und Darmstrukturen erheblich verbessert. Eine differenzierte Darmdiagnostik setzt aber auch hier eine Aufweitung des Darmlumens und eine Kontrastierung voraus. Am Dickdarm erfolgt diese überwiegend durch rektale Luftinsufflation z. B. in Form der CT-Kolonographie (. Abb. 3.14a), am Dünndarm durch Applikation eines Gemisches aus wasserlöslichem Kontrastmittel
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Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
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a . Abb. 3.14a,b. Multidetektor-Computertomographie: a CT-Kolonographie mit dreidimensionaler Rekonstruktion und »endoskopischer Ansicht« eines Kolonpolypen. b CT-Enteroklysma in koronarer Rekonstruktion mit Darstellung einer Wandverdickung des terminalen Ileums bei M. Crohn
b
. Abb. 3.15. Computertomographie des Unterbauches. Stenosierendes Sigmakarzinom. Kurzstreckige hochgradig stenosierende, zirkumferenzielle und lobulierte Wandverdickung des mittleren Sigmas mit starker KM-Anreicherung und prästenotischer Dilatation (Pfeil)
und Methylzellulose über eine Dünndarmsonde in Form des »CT-Entroklysmas« (. Abb. 3.14b). 3.5
Magnetresonanztomographie
3.5.1 Indikationsstellung Die Magnetresonanztomographie (MRT) beschränkt sich in der abdominellen Diagnostik auf einige Spezialindikationen. Der hohe Weichteilkontrast des Verfahrens an den parenchyma-
tösen Oberbauchorganen (Leber, Nieren und Milz) und die Möglichkeit der MRT mittels verschiedener Sequenzen gewisse Substanzen wie Blut, Wasser, Fett (. Abb. 3.16) und Eisen (Hämosiderin) eindeutig zu identifizieren verleihen dieser Methode vor allem in der Beurteilung von fokalen Leber-, Nieren- und Nebennierenläsionen aber auch in der Verlaufsbeurteilung der Eisenüberladung von Leber, Milz und Pankreas bei Patienten mit Hämochromatose eine hohe Aussagekraft (Stark 1988). Der bisherige gegenüber der Computertomographie immer wieder angeführte Vorteil der Magnetresonanztomographie zur
43 3.5 · Magnetresonanztomographie
. Abb. 3.16a,b. Magnetresonanztomographie der Nieren. 2 Angiomyolipome (Pfeile) mit fettäquivalentem Signal auf den T1-gewichteten, nicht fettgesättigten Spinechosequenzen (a) und eindeutiger Unterdrückung des Signals nach Fettsättigung auf den T2-gewichteten schnellen Spinechosequenzen (b)
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a
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multiplanaren Bildgebung ist mit den Möglichkeiten der Multidetektor-CT, standardmäßig isotrope 3D-Datensätze zu erstellen, hinfällig geworden. Zur Gefäßdiagnostik hat sich im Abdomen – im Gegensatz zum Gehirn – die Magnetresonanzangiographie nicht durchgesetzt. Die sehr schnellen Mehrzeilen-CT erlauben meist artefaktfreiere Bilder mit einer zudem besseren räumlichen Auflösung (. Abb. 3.13). Weiterhin gelingt die in chirurgischen Zusammenhängen so wichtige Darstellung pathologischer Blutansammlungen, Abszessformationen und extraintestinaler Gasausbreitungen deutlich besser mit der Computertomographie.
3.5.2 Magnetresonanzcholangiographie und
Magnetresonanzcholangiopankreatikographie Als Spezialindikation im Rahmen des hier zu behandelnden Themenkreises ist die magnetresonanztomographische Darstellung der Gallenwege und des Pankreasganges – die sog. Magnetresonanzcholangiographie (MRC) oder auch Magnetresonanzcholangiopankreatikographie (MRCP) zu erwähnen (. Abb. 3.17). Mittels Spezialsequenzen gelingt dabei die signalreiche Darstellung von Flüssigkeit (in den Gängen) bei gleichzeitiger Signalunterdrückung im umgebenden Gewebe (Coakley u. Schwartz 1999). Die so ausschließlich flüssigkeitshaltige Hohlräume darstellenden Schichtbilder werden sekundär zu einem Summationsbild der Oberbauchregion verarbeitet, das aus unterschiedlichen Richtungen angesehen werden kann, da es sich um einen echten 3D-Datensatz handelt (MIP-Rekonstruktion).
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Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
. Abb. 3.17. MRCP. Normale intrahepatische Gallenwege (kleine Pfeile) und nicht dilatierter Ductus choledochus (große Pfeile). Schlanker Ductus pancreaticus (Pfeilspitzen)
Die MRCP vermag inzwischen die rein diagnostische ERCP sowohl beim Nachweis von Gangstenosen als auch Gallengangkonkrementen im Bereich der zentralen Gänge abzulösen. Allerdings bietet es bisher keine Möglichkeiten, interaktiv eine Intervention (z. B. eine Steinextraktion oder eine Gallenwegsdrainage) durchzuführen, sodass in diesen Fällen die ERCP ihre Bedeutung behalten wird.
. Abb. 3.18. Digitale Subtraktionsangiographie nach selektiver Sondierung der arteria mesenterica superior. Nachweis einer intestinalen Blutung aus einem kleinen Angiom/Angiodysplasie im Bereich der rechten Kolonflexur (Pfeil)
teilresektionen kann ebenso wie der Nachweis von Stenosen an den Intestinalarterien im Rahmen einer Angina abdominalis bei geeigneter technischer Ausstattung inzwischen zuverlässig mit der CT-Angiographie durchgeführt werden (. Abb. 3.13). Auf die im Rahmen der Katheterangiographie möglichen Interventionen wird in 7 Kap. 4 noch ausführlich eingegangen.
Literatur 3.6
Angiographie
3.6.1 Indikationsstellung Der Einsatz der arteriellen Katheterangiographie beschränkt sich im hier darzustellenden Themenkreis inzwischen weitgehend auf den Nachweis endoskopisch unklarer intestinaler oder posttraumatischer Blutungen. Mit immer feineren Kathetersystemen ist es bei den intestinalen Blutungen Standard geworden, die einzelnen Darmabschnitte selektiv und superselektiv darzustellen und damit auch kleine blutende Angiome oder Angiodysplasien nachzuweisen (. Abb. 3.18; Wetzel et al. 1986). Sistierte Blutungen aus nichtangiomatösen Läsionen wie Ulzerationen oder Divertikeln lassen sich allerdings auch bei diesem differenzierten Vorgehen nicht fassen. Eine weitere Indikation ist der Nachweis peripherer embolischer Gefäßverschlüsse an den Intestinalarterien, soweit diese nicht mit der Spiral-CT identifiziert werden können. Die präoperative Diagnostik der Gefäßanatomie besonders vor Leber-
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3
4 4 Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt K. Schnabel
4.1
Perkutane Gastrostomie und Gastrojejunostomie – 48
4.2
Perkutane Jejunostomie
4.3
Perkutane Zäkostomie
4.4
Stenteinlage – 50
– 50 – 50
4.4.1 Oberer Gastrointestinaltrakt – 50 4.4.2 Kolon – 51
Literatur – 52
48
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
) ) Die Erhaltung bzw. rasche Wiederherstellung der enteralen Ernährung trägt wesentlich zur Erholung eines schwer kranken Patienten bei. Die durchleuchtungsgesteuerte perkutane Gastrostomie bzw. Gastrojejunostomie stellt neben der endoskopischen und der chirurgischen Gastrostomie eine einfache und zuverlässige Methode zur künstlichen Ernährung dar. Die perkutane Einlage eines Katheters in das Jejunum ist eine Ausnahmesituation. Sie findet Anwendung nach totaler oder partieller Gastrektomie und ist technisch sehr anspruchsvoll. Rasche Entlastung des Kolons bei drohender Perforation bietet die perkutane Zäkostomie. Sie dient als Reservemaßnahme nach dem erfolglosen Versuch einer endoskopischen Entlastung und bei Vorliegen einer absoluten Kontraindikation für eine chirurgische Maßnahme. Die häufigsten Obstruktionen von Magen und Duodenum sind durch maligne Tumore bedingt. Die chirurgische Entlastung (Resektion, Umgehung) ist die Methode der ersten Wahl. Im fortgeschrittenen Tumorstadium ist die Einlage einer Metallgitterprothese (Stent) eine geeignete palliative Maßnahme, um die Passage rasch wiederherzustellen. Obstruktionen des Kolons bedürfen einer raschen Entlastung. Durch die Einlage eines Stents ist eine sichere, rasch durchzuführende Wiederherstellung der Darmpassage möglich.
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4.1
Perkutane Gastrostomie und Gastrojejunostomie
Die Technik der durchleuchtungsgesteuerten perkutanen Gastrostomie (PG) wurde erstmals 1983 beschrieben (Ho 1983; Tao u. Gillies 1983; Wills u. Oglesby 1983). Seither wurde die Methode noch verfeinert und hat sich als Alternative zur perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) etabliert. In zahlreichen Artikeln wurde über die gewonnenen klinischen Erfahrungen berichtet (Alzate et al. 1986; de Baere et al. 1999; Dewald et al. 1999; Gray et al. 1987, 1989; Halkier et al. 1989; Hicks et al. 1990; Ho et al. 1985, 1988; Laasch et al. 2003; O’Keefe et al. 1989; Saini et al. 1990; van Sonnenberg et al. 1986a, b). Indikationen. Die häufigsten Indikationen sind schwere Schluck-
störungen. Meistens sind diese verursacht durch Erkrankungen bzw. Verletzungen des ZNS. Eine weitere große Gruppe stellen Patienten mit malignen Erkrankungen im Bereich von Oro-und Hypopharynx sowie im Ösophagus dar. Anwendung findet die PG auch bei Patienten mit Anorexie oder zur gastrointestinalen Dekompression bei fortgeschrittenem Tumorleiden. Eine Auflistung findet sich in folgender Übersicht (modifiziert nach Simons et al. 1996). Kontraindikationen. Als absolute Kontraindikationen gelten die Interposition von Leber oder Darmschlingen zwischen Magenvorderwand und vorderer Bauchwand sowie eine zu hohe Lage des Magens hinter dem Rippenbogen. Relative Kontraindikationen sind Hepatomegalie, Aszites, partielle Gastrektomie, Tumorbefall des Magens und Gerinnungsstörungen. Bei Patienten mit langjähriger Steroidtherapie können Komplikationen durch Heilungsstörungen an der Punktionsstelle und eine muskuläre Atrophie der Magenwand auftreten.
Häufige Indikationen für die Gastrostomie/transgastrische Jejunostomie 5 Dysphagie – Zerebrovaskulärer Insult – Neurologische Schluckstörungen – Maligne Tumore im HNO-Bereich und Ösophagus – Demenz – Unfallopfer – Komatöse Patienten – Massive Aspirationen 5 Dünndarmerkrankungen – M. Crohn – Kurzdarmsyndrom (Darmischämie) – Strahlenenteritis 5 Anorexie – Anorexia nervosa – Schwere psychische Depression – Fortgeschrittenes Tumorleiden – Präoperative Ernährung bei Kachexie 5 Motilitätsstörungen – Gastroparese nach Roux-Y-Anastomose 5 Gastrointestinale Dekompression – Gastroparese (z. B. bei Diabetes) – Paralytischer Ileus – Mechanischer Ileus im präfinalen Tumorstadium
Vorbereitung. Der Gerinnungsstatus wird am Tag vor der Intervention erhoben. Von Mitternacht des Untersuchungstages an muss der Patient nüchtern sein. Vom Patienten oder seinem Vormund wird das schriftliche Einverständnis eingeholt. Eine gründliche Durchsicht der Krankengeschichte bezüglich möglicher Kontraindikationen ist obligat. Der Patient wird auf dem Durchleuchtungstisch (C-Bogen) gelagert. Seine Überwachung erfolgt mittels Pulsoxymetrie und EKG. Schon vor Beginn der Intervention sollten ein intravenöser Zugang und eine nasogastrale Sonde platziert werden. Eine intravenöse Sedation ist nicht bei jedem Patienten nötig. Technik. Mit sonographischer Hilfe wird der kaudale Rand des linken Leberlappens auf der Haut markiert. Anschließend wird der Magen mittels eingelegter nasogastraler Sonde mit Luft insuffliert. Im seitlichen Strahlengang wird die Magenvorderwand lokalisiert. Die Punktionsstelle befindet sich in einem Winkel zwischen linkem Leberlappen und dem linken Rippenbogen, lateral des Musculus rectus abdominis (. Abb. 4.1). Nach Markierung der Punktionsstelle auf der Haut und Applikation von Lokalanästhetikum wird eine 5–10 mm messende Hautinzision gemacht. Danach erfolgt die Punktion mit einer 18-G-(Gauge-)Trokarnadel. Zur Befestigung der Magenwand an der Bauchwand können sog. Sicherungsanker verwendet werden (Brown et al. 1986; Cope 1980; Dewald et al. 1999). Nach der Punktion wird die Nadellage durch Aspiration von Magengas oder durch Injektion einer geringen Menge wasserlöslichen Kontrastmittels kontrolliert. Über die Nadel wird ein 0,038-Inch-Führungsdraht eingeführt (Seldinger-Technik). Der Punktionskanal wird auf einen Durchmesser von 12 F (French) aufdilatiert. Dann kann ein kurzer selbstretinierender Katheter
49 4.1 · Perkutane Gastrostomie und Gastrojejunostomie
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. Abb. 4.1. Perkutane Gastrostomie (Schema). Schematische Darstellung des Punktionsortes der perkutanen Gastrostomie. Die Lagebeziehungen von Magen, Leber und Xyphoid werden gezeigt
mit einem gebogenen Ende (z. B. Nephrostomie-Katheter) im Magen platziert werden. Normalerweise schließt die Magenwand den Katheter dicht ein, sodass bei komplikationslosem Verlauf mit der Ernährung in den Magen mittels Bolus nach etwa 24 h begonnen werden kann. Soll ein jejunaler Katheter eingelegt werden, muss der Führungsdraht durch den Pyloruskanal ins Duodenum manipuliert werden. Dies gelingt meistens durch ein Vorschieben des stumpfen Nadeltrokars bis zum Magenausgang. Eine Schleifenbildung des Führungsdrahtes im Magen muss unbedingt vermieden werden. Die Spitze des Führungsdrahtes sollte im Bereich des duodenojejunalen Überganges platziert werden. Dann erfolgt die Einlage des 50–60 cm langen Jejunostomiekatheters, der einen Durchmesser von 12 oder 14 F aufweist. Die korrekte Katheterlage wird mittels Injektion von Kontrastmittel dokumentiert (. Abb. 4.2). Von verschiedenen Herstellern werden unterschiedliche Katheterkonfigurationen angeboten (z. B. Gastrostomieset der Firma Cook oder der Firma Meditech). Durch die antegrade Darmperistaltik ist die Gefahr der Dislokation im Vergleich zu dem kurzen Gastrostomiekatheter vermindert, doch muss auch der längere Jejunostomiekatheter an seiner Eintrittsstelle an der Hautoberfläche fixiert werden. Durch die Lage der Katheterspitze im Dünndarm kann bei komplikationslosem Verlauf mit der Ernährung 8–12 h nach Kathetereinlage begonnen werden. Die Dünndarmnahrung kann allerdings nicht als Bolus, sondern nur mittels einer speziellen Pumpe verabreicht werden. Nachdem der Punktionskanal fibrosiert ist (3–4 Wochen), wird in den meisten Fällen der initial eingelegte Katheter durch einen großlumigeren Katheter ersetzt. Im Falle einer erwünschten Bolusernährung in den Magen wird ein kurzer Katheter eingewechselt, der durch einen Ballon oder ein Körbchen an der Mageninnenwand fixiert wird. Der Jejunostomiekatheter kann später durch eine handelsübliche, dicklumige nasogastrale Sonde (14 F) ersetzt werden, die auf die erforderliche Länge gekürzt und dann über einen Führungsdraht eingewechselt wird. Die Katheterspitze wird wiederum im Bereich des gastrojejunalen Überganges platziert. Die flüssige Nahrung kann dann ohne Pumpe per Tropfinfusion appliziert werden. Ergebnisse und Komplikationen. Durch eine sorgfältige Evalua-
tion der Patienten können Komplikationen weitgehend vermieden werden (Bell et al. 1995; Dewald et al. 1999). Ein unsicherer
. Abb. 4.2. Lagekontrolle des Gastrojejunostomiekatheters durch Injektion von wasserlöslichem Kontrastmittel. Katheterspitze im gastrojejunalen Übergangsbereich
Zugangsweg (hohe Lage des Magens, Überlagerung durch andere Organe) ist der Hauptgrund für das Scheitern einer PG. Hochgradige Ösophagusstenosen können, im Gegensatz zur endoskopischen Methode, unter Durchleuchtungskontrolle noch mit dünnen Kathetern passiert werden um Luft in den Magen zu insufflieren. Die technische Erfolgsquote der PG liegt, wie bei der PEG, zwischen 95 und 100%. Für die chirurgische Methode wird ein Erfolg in 100% der Fälle angegeben (Darcy 1996a). Leichte Komplikationen werden in 1,3–22% (PG), 2–22% (PEG) und 1–10% (chirurgische Gastrostomie) der Fälle beobachtet. Dazu zählen u. a. die vasovagale Reaktion, Hypotension, Dyspnoe, Arrhythmie und Hautinfektionen. Zu den schweren Komplikationen zählen u. a. die Blutung, Punktion einer interponierten Darmschlinge, Peritonitis, Abszessbildung, Pankreatitis und die tracheobronchiale Aspiration. Für die PG werden schwere Komplikationen in 0–3,3% beschrieben. Bei der PEG rangieren sie zwischen 3 und 19%. Die chirurgische Gastrostomie ist in 0–17% mit schweren Komplikationen belastet. Sie ist durch die notwendige Laparatomie auch am traumatischsten. Cave Die PEG hat unter allen Methoden das höchste Risiko lokaler Infektionen an der Punktionsstelle und ungewollter Punktionen interponierter Darmschlingen.
Die interventionsgebundene Mortalität beträgt 0,8% für die PG, 1% für die PEG und 1,8% für die chirurgische Gastrostomie. Die 30-Tage-Mortalitäten betragen 11%, 16,3% und 10,4% (Darcy 1996b; Simons et al. 1996; Dewald et al. 1999). Nach erfolgreicher Platzierung eines Katheters spielt seine Handhabung eine wesentliche Rolle. Dünnlumige Katheter (12– 14 F) neigen eher zu Blockierungen, wobei dieses Problem bei
50
4
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
regelrechter Zerkleinerung von Nahrung und Medikamenten sowie einer gründlichen Spülung des Katheters nach Gebrauch vermieden werden kann (Wolfsen et al. 1990). Durch eine initiale Gastropexie wird das Risiko einer peritonealen Leckage minimiert, da frühe Katheterdislokationen umgangen werden. Auch durch die Verwendung eines gastrojejunalen Katheters, der eine Länge von 50–60 cm aufweist, wird das Risiko einer Katheterdislokation und einer peritonealen Leckage vermindert. 3–4 Wochen nach Kathetereinlage ist das Risiko einer peritonealen Verunreinigung durch eine Leckage an der Magenwand minimiert, da sich zu diesem Zeitpunkt ein stabiler fibröser Trakt zwischen Magen und Hautoberfläche gebildet hat, sodass ein Übertritt von Mageninhalt in das Peritoneum kein Problem mehr darstellt. Bei Patienten mit schwerem gastroösophagealem Reflux wird mit Vorteil der längere GJ-Katheter eingesetzt. Die Nahrungsapplikation in den Magen in Form eines Bolus hat häufiger Aspirationen zur Folge. Bei Patienten mit hochgradiger maligner Obstruktion des Gastrointestinaltraktes kann alternativ zur Einlage einer nasogastralen Sonde auch ein großlumiger perkutaner Katheter in den Magen eingelegt werden, um den Magen zu entlasten. Das technische Vorgehen ist identisch mit der Vorgehensweise bei der PG. Eine effektive Dekompression wird mit Kathetern >16 F erreicht. Wegen des erhöhten Risikos einer Leckage muss die Magenwand in jedem Fall mittels Sicherungsankern an der vorderen Abdominalwand fixiert werden. 4.2
Perkutane Jejunostomie
Die direkte perkutane Jejunostomie findet nur eine seltene Anwendung. Sie kann als Ersatz zur PG bei ungünstiger anatomischer Position des Magens oder nach totaler Gastrektomie eingesetzt werden. Problematisch ist bei der perkutanen Jejunostomie allerdings die exakte Lokalisation der zu punktierenden Darmschlinge, deren Fixation und die sichere intraluminale Platzierung des Katheters im Darmlumen, da die Dünndarmschlingen stark gegeneinander verschieblich sind und nur ein geringes Kaliber aufweisen. Trotz allem wird von mit dieser Methode erfahrenen Radiologen der technische Erfolg auf etwa 95% beziffert (Cope et al. 1998; Gray et al. 1987; Rosenblum et al. 1990). Eine Darmpunktion unter CT-Durchleuchtung soll die Risiken minimieren (Davies et al. 2001). Die verwendeten Katheter weisen ein geringes Kaliber auf (8–10 F). Die Ernährung erfolgt, wie bei der chirurgisch angelegten Fistel, mittels einer flüssigen Dünndarmnahrung, die mit einer Pumpe infundiert wird. Ist der Fistelgang einmal etabliert, kann der Katheter im Bedarfsfall problemlos über einen Führungsdraht ausgewechselt werden. 4.3
Perkutane Zäkostomie
Eine Distension des Zäkums kann aus einer mechanischen Obstruktion oder einer Pseudoobstruktion des Kolons resultieren. Mit zunehmender Dauer der Dilatation und einer Distension über 10–12 cm besteht ein erhöhtes Risiko für eine Darmperforation und es ist eine rasche Entlastung notwendig. Auch bei der kolischen Pseudoobstruktion (Ogilvie-Syndrom), die sich unter konservativer/endoskopischer Therapie nicht innerhalb von 48–72 h bessert, ist eine Dekompression des Kolons angezeigt.
1977 wurde erstmals über die Möglichkeit der koloskopischen Entlastung beim nicht obstruierten Kolon berichtet (Kukora u. Dent 1977). Alternativ wurde zur Behandlung der Pseudoobstruktion 1986 die perkutane Entlastung mittels Einlage eines Katheters publiziert (Casola et al. 1986; Haaga et al. 1987). Da das Zäkum zu mindestens 270° seiner Zirkumferenz von Peritoneum umgeben ist, ist ein extraperitonealer Zugang praktisch nicht möglich. Obwohl bei den in der Literatur publizierten Fällen meist ein transperitonealer Zugang gewählt wurde, stellte die Peritonitis kein wesentliches Problem dar (van Sonnenberg et al. 1990). Die Punktion des ballonierten Darmes ist technisch einfach und kann mit Hilfe der Durchleuchtung oder der CT durchgeführt werden. Die Verwendung von T-Ankern zur Fixation der Darmwand an der vorderen Abdominalwand wird nicht als zwingend erachtet. Erfolgt die Einlage über einen Führungsdraht (Seldinger-Technik), muss die Punktionsstelle graduell aufdilatiert werden, mit dem höheren Risiko einer peritonealen Verunreinigung. Bei der sog. Trokar-Technik wird der auf die Punktionsnadel montierte Katheter direkt eingebracht. Dazu eignen sich Katheter mit einem Durchmesser von 7–9 F. Der eingeführte Katheter muss einen Retentionsmechanismus besitzen (z. B. Nephrostomiekatheter mit Haltefaden oder kleinlumiger Blasenkatheter mit Ballon). Durch kontinuierlichen Sog kann der Darm ausreichend entlastet werden. Der Katheter darf nicht entfernt werden, bis sich eine fibröse Verbindung zwischen Darmlumen und Hautoberfläche gebildet hat (mindestens 2 Wochen) um eine peritoneale Verunreinigung zu vermeiden. Im Falle einer mechanischen Obstruktion und einer Kontraindikation zur operativen Entlastung kann im Notfall mit der perkutanen Einlage eines dicklumigen Katheters (24–30 F) eine rasche Entlastung erreicht werden. Zur präoperativen oder palliativen Entlastung einer malignen Stenose ist jedoch die transluminale Einlage einer Metallgitterprothese (Stent) besser geeignet. 4.4
Stenteinlage
4.4.1 Oberer Gastrointestinaltrakt Obstruktionen des oberen Gastrointestinaltraktes führen zu anhaltendem Erbrechen und in der Folge zu einer Dehydratation des Patienten. Die häufigste Ursache von Magenausgangsstenosen ist die maligne Obstruktion. Hochgradige Obstruktionen im Rahmen einer Ulkuskrankheit sind heutzutage selten (Shone et al. 1995). Bisher stellten chirurgische Maßnahmen (Resektion, Gastroenterostomie) die einzig mögliche Behandlungsmethode dar. Die Überbrückung maligner Stenosen im oberen Gastrointestinaltrakt mittels Metallgitterprothesen (Stents) stellt eine wenig invasive Alternative zur chirurgischen Entlastung dar. Sie wird im fortgeschrittenen Tumorstadium zur palliativen Entlastung angewandt und erfordert nur eine kurze Hospitalisationszeit. Auch hartnäckige benigne Stenosen im Rahmen einer chronischen Ulkuskrankheit können auf diese Weise behandelt werden. Im Ösophagus und in den Gallenwegen ist diese Behandlungsform bereits seit Jahren etabliert (Gasparri et al. 1987; Rossi et al. 1994; Song et al. 1994). Zunehmend findet diese Methode auch im oberen Gastrointestinaltrakt Anwendung. Eine genauere Beschreibung erfolgt im 7 Kap. 9.
51 4.4 · Stenteinlage
4.4.2 Kolon Die häufigste Ursache höhergradiger Obstruktionen des Kolons sind maligne Stenosen und entzündliche Engen im Rahmen einer chronischen Divertikulitis. Etwa 30% der an einem Kolonkarzinom leidenden Patienten werden durch eine Obstruktion symptomatisch. Bis vor wenigen Jahren wurde in der Notfallsituation zur Entlastung des Kolons eine Zäkostomie angelegt, da die primäre Resektion und Anastomosierung im unvorbereiteten Darm mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden ist (Carty u. Corder 1992; Leitmann et al. 1992). Wie im oberen Gastrointestinaltrakt ist eine Wiederherstellung der Passage durch die Einlage einer Metallgitterprothese (Stent) möglich. Die Intervention ist vergleichbar mit einer diagnostischen Endoskopie und für den Patienten wenig belastend. Die Wiedereröffnung des Darmlumens erlaubt eine bessere präoperative Vorbereitung, sodass die Darmoperation später einzeitig vorgenommen werden kann. Im Falle eines fortgeschrittenen Tumorleidens kann die Prothese auch palliativ als definitive Maßnahme belassen werden. Voraussetzung. Diagnose einer Dickdarmobstruktion mittels Abdomenleeraufnahmen liegend und stehend bzw. Linksseitenlage. Die exakte Höhe der Darmobstruktion wird mittels Endoskopie und/oder Kolonkontrasteinlauf dargestellt. Zur Erfassung der gesamten Tumorausdehnung ist die zusätzliche Durchführung einer Computertomographie (CT) erforderlich.
. Abb. 4.3a,b. Stent im Colon sigmoideum. a Langstreckige Stenose im Sigma. b Zustand nach endoskopisch eingelegtem Stent
4
Vorbereitung. Zur Vorbereitung sollten mehrere Reinigungseinläufe durchgeführt werden. Vor der Intervention muss das schriftliche Einverständnis des Patienten eingeholt werden. Ein intravenöser Zugang ist erforderlich. Überwachung der vitalen Parameter während der Intervention. Durchführung. Die Untersuchung wird auf einem Durchleuchtungstisch durchgeführt. Das Endoskop wird bis zum distalen Ende der Stenose vorgeführt und ein hydrophiler Führungsdraht durch die Darmenge manipuliert. In der Regel gelingt die Behandlung problemlos bis zur Höhe der linken Kolonflexur. Der technische Ablauf ist mit dem zur Einlage eines Stents in den oberen Gastrointestinaltrakt identisch (7 oben). Dünnlumige Gitterprothesen werden über den Arbeitskanal des Endoskopes eingelegt. Dicklumige Stents müssen direkt über einen stabilen Führungsdraht platziert werden. Zur Anwendung kommen verschiedene Stenttypen mit Durchmessern von 20–30 mm und einer Länge von 60 oder 90 mm im entfalteten Zustand. Auf eine Ballondilatation der Tumorstenose und des Stents wird in der Regel verzichtet, um nicht eine Darmperforation zu provozieren. Die Lage des Stents wird mittels Kontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel kontrolliert. Die erfolgreiche Intervention zeigt sich unmittelbar in Form der sofort einsetzenden Darmtätigkeit. Nach vierundzwanzig Stunden erfolgt eine Kontrolle mittels Abdomenleeraufnahme. Durch die wieder einsetzende Peristaltik besteht das Risiko zur Stentmigration. Die klinischen Zeichen der Darmobstruktion bessern sich in der Regel rasch, doch zeigt das radiologische Bild der Obstruktion erst verzögert eine Normalisierung (. Abb. 4.3).
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Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
Ergebnisse und Komplikationen. Die ersten Ergebnismitteilungen über Stenteinlagen ins Kolon stammen aus dem Jahr 1993 (Spinelli et al.). Zwischenzeitlich wurden zahlreiche Serien zu diesem Thema publiziert, die eine Einschätzung der Wertigkeit dieser Methode erlauben. Die größten publizierten Serien stammen von Baron et al. (1998), De Gregorio et al. (1998) und Mainar et al. (1999). Eine gute Übersicht erlaubt die Publikation von Mauro et al. (2000). In der Gruppe von Mainar et al. wurden insgesamt 72 Stents bei 71 Patienten platziert. Die klinische Erfolgsquote betrug 93%. In 2 Fällen konnte die Darmenge mit dem Führungsdraht nicht passiert werden. In drei Fällen war wegen schlechter Positionierung die Einlage einer zweiten Prothese erforderlich. Eine klinische Besserung der Obstruktionssymptomatik trat in 93% innerhalb von 96 h auf. Zwischen Stenteinlage und Operation vergingen im Mittel 8,6 Tage. Die technischen Erfolsraten wurden zwischen 90–100% angegeben bei Benutzung verschiedener Stenttypen. Der klinische Erfolg lag bei 75–100%. Die Mehrzahl der Stents wurde im rektosigmoidalen Übergang platziert. Die wesentlichen Komplikationen sind Stentmigrationen (7–40%), Restenosen (8–15%) und Perforationen (1–16%). In seltenen Fällen kommt es zu Blutungen. Die größte aus dem deutschsprachigen Raum publizierte Serie stammt von Binkert et al. (1998a, b). Die Erfolgsquoten gleichen denen der vorher erwähnten Autorengruppen. Bei 10 Patienten wurde ein Stent in präoperativer und bei 3 Patienten in palliativer Absicht eingelegt. In der Mehrzahl der Fälle lag ursächlich ein maligner Tumor vor. Dabei wurde eine Senkung der Behandlungskosten um 19,7% durch kürzere Hospitalisationszeiten ermittelt. Bei Patienten mit malignem Grundleiden betrug die Kostenreduktion 28,8%.
Die Beobachtungen aller Autoren zeigen, dass durch die Einlage einer Metallgitterprothese ins Kolon eine sichere, rasch durchzuführende Entlastung einer Stenose möglich ist. Am besten lassen sich kurzstreckige Einengungen des Darmlumens, die mit einem einzelnen Stent überbrückt werden können, behandeln.
Bei längeren Stenosen, die zur Überbrückung mehr als einen Stent benötigen, ist das Risiko einer Stentmigration erhöht. Ziel der Behandlung ist die präoperative Vorbereitung, um anschließend ein einzeitiges chirurgisches Vorgehen zu ermöglichen. Die palliative Stenteinlage erspart dem in seinem Allgemeinzustand ohnehin schon reduzierten Patienten einen operativen Eingriff zur Darmentlastung. Mit der Einführung größerer und ummantelter Stents wird eine längere Funktion gewährleistet. Schwere Komplikationen werden nach Stenteinlage nur selten beobachtet.
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4
5 5 Nuklearmedizinische Verfahren L. Degen, C. Beglinger
5.1
Grundlagen
5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5
Radionuklide – 56 Radiopharmazeutika – 56 Maßeinheiten – 56 Apparaturen – 57 Bildanalyse – 57
– 56
5.2
Klinische Indikationen
– 57
5.2.1 Gastrointestinale Blutung – 57 5.2.2 Meckel-Divertikel – 58
5.3
Gastrointestinale Motilität
– 58
5.3.1 Magenentleerung – 58 5.3.2 Dünndarm- und Kolontransit – 59 5.3.3 Ösophagus – 59
5.4
Entzündliche und infektiöse Krankheiten – 60
5.4.1 Leukozytenszintigraphie – 60 5.4.2 67Ga-Zitrat-Szintigraphie – 60
5.5
Szintigraphie der Leber – 60
5.6
Onkologische Applikation – 60
5.7
Positronenemissionstomographie (PET) – 61 Literatur – 62
56
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
5.1.3 Maßeinheiten
) ) Obwohl nuklearmedizinische Verfahren vielfach anderen radiologischen Techniken in der anatomischen Bildauflösung unterlegen sind, bieten sie im klinischen Alltag in spezifischen Situationen wichtige Vorteile. Ihren Stellenwert finden sie vor allem in der Analyse von Funktionsabläufen, aber auch in der Diagnostik von Tumoren. Neben Grundprinzipien werden im nachfolgenden Kapitel neuere nuklearmedizinische Methoden dargestellt, deren technische Besonderheiten hervorgehoben und vor allem die klinischen Indikationen kritisch beleuchtet.
5 5.1
Grundlagen
5.1.1 Radionuklide
Als Radionuklid wird ein instabiles Nuklid, also eine instabile Kernkonfiguration, mit einer spezifischen Zahl von Neutronen und Protonen verstanden (z. B. Technetium-99m, Indium-111). Ein Isotop zeichnet sich im Gegensatz dazu durch die gleiche Atomzahl, aber durch eine unterschiedliche Masse, bedingt durch die unterschiedliche Zahl von Neutronen, aus (z. B. Iod-123; Iod-125 oder Iod-131).
Zur diagnostischen Bildgebung beim Menschen eignen sich Radionuklide, die entweder Gammaphotonen oder charakteristische Röntgenstrahlen von genügender Energie ausstrahlen, die den Körper durchwandern und wieder verlassen können. Isotope mit primär niedriger Photonenenergie (<60 keV) oder mit korpuskulärer Strahlung wie z. B. Betapartikel werden in diagnostischen Verfahren vermieden. Die geringe Penetrationstiefe umliegender Strukturen zusammen mit der erhöhten Strahlenbelastung für den Patienten bietet keinen diagnostischen Nutzen. Für konventionelle Untersuchungen werden Photonen mit Energien zwischen 60–400 keV verwendet. Über 200 keV verschlechtert sich jedoch die Bildqualität bereits deutlich, da Photonen höherer Energie weit tiefer eindringen, bevor sie mit dem Gewebe interagieren.
Die Radioaktivität einer Probe ist durch den Zerfall pro Zeiteinheit charakterisiert. Im Système International (SI) wird Becquerel (Bq) als Einheit verwendet, die einem nuklearen Zerfall pro Sekunde entspricht. Üblicherweise werden in diagnostischen Verfahren einige Millionen nuklearer Zerfälle pro Sekunden verwendet (Megabecquerel; MBq). Weit verbreitet findet sich auch noch die alte Einheit der Radioaktivität Curie (Ci), das ursprünglich als radioaktive Summe eines Gramms Radium definiert wurde. Ein Curie enthält 3,7×1010 Zerfälle pro Sekunde und 1 Millicurie (mCi) entspricht 37 MBq. In der Nuklearmedizin wurden die Dosierungen gewöhnlich in Milli- oder Mikrocurie (μCi) angegeben (. Tab. 5.1). Zur Beschreibung des potenziellen biologischen Schadens einer bestimmten Strahlung am umliegenden Gewebe dient das Strahlen-Dosis-Äquivalent, das im SI-System mit Sievert (Sv) angeben wird. Dabei richtet sich die Strahlenbelastung eines Patienten nicht nur nach den physikalischen Eigenschaften und den Strahlenemissionen des Radionuklids, sondern auch nach dessen biologischen Interaktionen und Verhalten (Distribution, Elimination). Ein Sievert entspricht der absorbierten Strahlung einer Substanz (Gray, Gy) multipliziert mit einem Qualitätsfaktor, der sich aus dem Typ der Strahlung definiert und den relativen biologischen Schaden repräsentieren soll (. Tab. 5.1). Röntgenstrahlen, Gammastrahlen und Betapartikeln wird ein Qualitätsfaktor von 1, Alphapartikeln ein Faktor von 20 zugeordnet. Das im klinischen Alltag weitaus bedeutendste Radionuklid 99m Tc zeichnet sich in diesem Zusammenhang durch die Emission eines einzelnen Gammaphotons mit idealer Energie zur Bildgebung sowie durch eine kurze Halbwertszeit aus (6 h; Palmer et al. 1992).
Im klinischen Alltag liegen die verwendeten Radioaktivitäten in der Größenordnung radiologischer Verfahren, die z. B. bei Röntgenuntersuchungen oder bei Computertomographie mit Kontrastmitteln erreicht werden.
. Tabelle 5.1. Maßeinheiten
Einheit
5.1.2 Radiopharmazeutika Das Produkt aus einem Radionuklid und einer nichtradioaktiven Substanz oder einem Pharmazeutikum wird als Radiopharmazeutikum bezeichnet. Für die adäquate Verbindung des Radionuklids an den nichtradioaktiven Teil, auch Ligand genannt, sind hauptsächlich dessen physikalische und chemische Charakteristika maßgebend. Der Ligand hingegen definiert durch seine Eigenschaften die Biodistribution im Körper. Nur wenige Radionuklide können direkt aufgrund ihrer natürlichen Verteilung im menschlichen Körper, wie z. B. bei 123I oder 131I für die Schilddrüsenfunktion, verwendet werden. Von den Radionukliden hat sich Technetium besonders günstig zur Inkorporation in stabile Komplexe oder Chelate erwiesen. Heutzutage werden kommerziell Sets angeboten, die in einfachen Schritten die Synthese stabiler Bindungen erlauben.
Definition
SI-Einheiten der Radioaktivität 1 Becquerel (Bq)
= 1 Zerfall pro Sekunde
1 Megabecquerel (MBq)
= 106 Zerfälle pro Sekunde
Traditionelle Einheiten der Radioaktivität 1 Curie (Ci)
= 3,7×1010 Zerfälle pro Sekunde
1 Millicurie (mCi)
= 37 MBq
SI-Einheiten der absorbierten radioaktiven Dosis 1 Gray (Gy)
= 1 Joule pro kg
Sievert (Sv)
= Gray (Gy) × Qualitätsfaktora
a
Qualitätsfaktor 1 = Röntgenstrahlen, Gammastrahlen, Betapartikel; Qualitätsfaktor 20 = Alphapartikel
57 5.2 · Klinische Indikationen
Klinische Indikationen
5.1.4 Apparaturen
5.2
Zur Bildgebung werden Gammakameras verwendet, deren Hauptkomponenten große, flache Natriumiodidkristalle sind, die Gamma- und Röntgenstrahlen absorbieren und in Lichtblitze konvertieren können. Eine Matrix von Photoverstärkern mit elektronischen Stromkreisen erlaubt die Lokalisation und Quantifizierung der einfallenden Energie an exakt definierter Stelle. Typische Kameras bieten heute ein Messfeld mit einem Durchmesser zwischen 30 und 64 cm an. Zur Verbesserung der Bildqualität werden den Kameras Kollimatoren aufgesetzt. Diese zumeist aus Blei und einer Vielzahl von Löchern bestehenden Schilder erlauben lediglich eine unbehinderte Passage von senkrecht auffallenden Strahlen, die eine scharfe Bildgebung ermöglichen. Schräg einfallende Strahlen werden jedoch abhängig von der Dicke des Bleischildes und der Lochgröße absorbiert. Neben planaren Bildern, wie bei einer konventionellen Röntgenaufnahme, können Querschnittsbilder, analog einer CT- oder MRT-Aufnahme, rekonstruiert werden. Diese Methode wird üblicherweise als Single-Photon-Emissionscomputertomographie (SPECT) bezeichnet und mit rotierenden Gammakameras erzeugt. Die heutigen SPECT-Systeme verwenden meist 2–3 Gammakameras, die in bestimmten Winkeln zueinander versetzt sind und schnellere Aufnahmen mit besserer Bildqualität erlauben.
5.2.1 Gastrointestinale Blutung
5.1.5 Bildanalyse Bei der Bildanalyse ist der Computer von integraler Bedeutung, da jedes auftreffende Photon als Ereignis digitalisiert verarbeitet und als Bildpunkt (sog. Pixel) in einem Raster dargestellt wird. Alle Pixel zusammen lassen ein Bild entstehen, dessen Schärfe von der Anzahl Bildpunkte in einem definierten Raster abhängen. Zur quantitativen Analyse der Bilder muss eine Region, die sog. »region of interest« (ROI), definiert werden, in deren Bezirk die Anzahl radioaktiver Ereignisse gemessen werden kann. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Biodistribution des verabreichten Markers ziehen und durch definierte Aufnahmesequenzen dynamische Abläufe anhand einer Zeit-AktivitätsKurve analysieren.
Das szintigraphische Prinzip basiert auf der lokalen Akkumulation intravasal injizierter und radioaktiv markierter Erythrozyten am Ort der aktiven Blutung. In der Diagnostik haben sich hier 99m Tc-markiertes Schwefelkolloid oder 99mTc-markierte Erythrozyten bewährt (. Abb. 5.1). Nach i.v.-Injektion wird 99mTc-Schwefelkolloid schneller durch das retikuloendotheliale System der Leber, der Milz und des Knochenmarkes aus der Zirkulation eliminiert als 99mTc-Erythrozyten, sodass die geringere Hintergrundsaktivität die Sensitivität zur Blutungslokalisation verbessert. Die Blutung muss jedoch nach Injektion von 99mTc-Schwefelkolloid wegen dessen kurzen intravaskulären Verweildauer in den ersten 10–12 min aktiv sein, um eine adäquate Diagnose zu ermöglichen. 99mTc-markierte Erythrozyten verbleiben demgegenüber wesentlich länger intravaskulär und erlauben eine über Stunden dauernde Diagnostik. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, eine intermittierende Blutung zu lokalisieren. Im direkten Vergleich sind die auf 99mTc-Erythrozyten basierenden Verfahren dem Schwefelkolloid überlegen und werden deshalb meist als szintigraphische Methode der Wahl eingesetzt.
Um eine Blutungsquelle mit 99mTc-markierten Erythrozyten eindeutig nachweisen zu können, ist in erfahrenen Zentren ein Blutverlust von 0,2 ml/min notwendig, verglichen mit einer minimalen Blutung von 0,5 ml/min bei der Angiographie.
In der Diagnostik spielt jedoch nicht nur das Radiopharmazeutikum eine wesentliche Rolle, sondern auch das gewählte Aufnahmeverfahren. Häufigere statische Bilder aber auch dynamische Sequenzen mit länger dauernden Bildaufnahmen können die diagnostische Ausbeute verbessern (Maurer et al. 1992). Die kritische Analyse der Aufnahmen ist essenziell, um potenzielle Fehlinterpretationen zu vermeiden. Die Blutungsquelle kann durch die Peristaltik zu weit distal, bei retrograder Bewegung aber auch zu weit proximal lokalisiert werden. Zur Vermeidung einer falsch positiven Aussage, soll eine Blutungsquelle erst bei einer frischen Ansammlung von Radioaktivität außerhalb des Gefäßpools mit
. Abb. 5.1a,b. Blutungsquellenszintigraphie mit 99mTc-markierten autologen Erythrozyten. Aufnahmen nach 15 min (a) und nach 24 h (b). Nach zunächst physiologischer Verteilung zeigt sich im weiteren Verlauf der Messung (b) eine vom Zäkalpol ausgehende flächige Anreicherung, die sich im Bereich der rechten Flexur intensiviert. Klinische Diagnose: blutendes Divertikel im Zäkalpol bei Kolondivertikulose. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. J. Müller, Institut für Nuklearmedizin, Kantonsspital Basel)
a
5
b
58
anschließend charakteristischem Transport spezifisch dem Dünndarm oder Kolon zugeordnet werden. Bei der Lokalisation einer geringen gastrointestinalen Blutung ist eine Genauigkeit von bis zu 90% möglich. Die Diagnostik einer Blutung ist häufig durch ihren intermittierenden Charakter erschwert, sodass bei einem Drittel der Patienten erst bei den Spätaufnahmen die Blutung nachgewiesen wird (. Abb. 5.1; Zuckier 2003) Bei diesen Spätbildern wird die exakte Lokalisation der Blutungsquelle durch den bereits erfolgten Transport der markierten Erythrozyten erschwert. Häufig lässt sich nach 18–24 h lediglich eine diffuse Aktivität im gesamten Kolonrahmen zeigen, obwohl die Quelle bei gut der Hälfte dieser Patienten im oberen Gastrointestinaltrakt liegt. Die späten Aufnahmen sind mehr von prognostischer als von diagnostischer Bedeutung. Patienten mit diagnostischen Spätaufnahmen tendieren zu komplizierteren Verläufen (Jacobson u. Cerqueira 1992). 5.2.2 Meckel-Divertikel Das Meckel-Divertikel als kongenitaler Rest des Ductus omphaloentericus kann bei ca. 1–3% der Bevölkerung meist in den letzten 100 cm des terminalen Ileums gefunden werden. Nur 25–40% der Patienten mit Meckel-Divertikel klagen über Beschwerden und bei über der Hälfte findet sich im Divertikel ektope Magenmukosa. Gewöhnlich treten Komplikationen wie Blutungen in den ersten Lebensjahren auf, können aber in jedem Alter gefunden werden. Ektopische Magenmukosa lässt sich durch eine aktive Sekretion von 99mTc-Pertechnetat aus den Schleimzellen nachweisen. Zur nuklearmedizinischen Diagnostik werden 30–100 µCi/kg von 99mTc-Pertechnetat gespritzt und danach seriell Bilder von anterior über einen Zeitraum von 30–60 min aufgenommen. Typischerweise findet sich bei ektoper Magenmukosa mit Schleimzellen nach 10–20 min eine Anreicherung der Aktivität außerhalb des Magens im rechten unteren Quadranten. Spezialisierte Zentren erreichen mit diesem Verfahren eine Spezifität und Sensitivität zwischen 85–95% (Emamian et al. 2001).
. Abb. 5.2. Magenentleerung von Flüssigkeit und solider Nahrung. Flüssigkeit entleert sich exponenziell aus dem Magen, wogegen die Entleerung von solider Nahrung einen biphasischen Verlauf mit Lag- und Postlag-Phase zeigt
5.3
Gastrointestinale Motilität
5.3.1 Magenentleerung Die szintigraphische Untersuchung der Magenentleerung wird mit unterschiedlichen Testmahlzeiten und geringen Mengen radioaktiven Markers durchgeführt, wobei sowohl die Entleerung von flüssiger als auch solider Nahrung gemessen werden kann (Parkman et al. 1995). Flüssigkeitsentleerungen aus dem Magen werden mit 100–300 µCi 99mTc-markiertem Kolloid oder 111In-Diäthylentriaminpentaazetat (DTPA) zusammen mit 150–300 ml Wasser oder Fruchtsäften untersucht. Die Flüssigkeit entleert sich exponenziell und nach 15–45 min, gelegentlich aber auch schon nach 5–10 min ist nur die Hälfte der Aktivität im Magen zu messen (. Abb. 5.2). Zur Messung der Entleerung einer soliden Kost werden verschiedene Testmahlzeiten eingesetzt, die üblicherweise mit 300– 1000 µCi 99mTc markiert sind. Entscheidend bei diesen Verfahren ist die Stabilität der Verbindung zwischen Nahrung und radioaktivem Marker. Die Markierung der soliden Phase erfolgt heute mit Harzkügelchen. Diese repräsentieren die soliden Nahrungsbestandteile und werden nach technisch einfacher Markierung mit 99mTc meist einem Rührei beigemischt (Camilleri et al. 1989). Nach Einnahme der Testmahlzeit werden Bilder entweder als dynamische oder statische Sequenz mit unterschiedlichen Zeitintervallen aufgenommen (. Abb. 5.3). Manuell wird die spezifische Region wie z. B. die Magenkontur umfahren und die Aktivität in diesem Bereich quantifiziert. Aus dem daraus resultierenden Aktivitätsverlauf über die Zeit können neben dem Entleerungsmuster verschiedenste Parameter bestimmt werden. Bei der Magenentleerung wird eine biphasische Dynamik mit einer initialen sog. Lag- und einer darauf folgenden PostlagPhase gefunden (. Abb. 5.2). Die Lag-Phase als initiale Verzögerung der Entleerung wird als diejenige Zeit definiert, die verstreicht, bis 10% der eingenommenen Nahrung den Magen verlassen haben. Die nachfolgende Postlag-Phase beschreibt die anschließende Geschwindigkeit der Entleerung, bis nur noch
Lag Phase
Postlag Phase
100 90
Mahlzeit im Magen (%)
5
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
80 60 40
Solide Nahrung
Flüssigkeit 20 0
0
50
100
150
200
250
Zeit (min)
300
350
400
450
500
59 5.3 · Gastrointestinale Motilität
5
. Abb. 5.3a,b. Szintigraphische Messung der Magenentleerung von 99mTcmarkierter solider Nahrung. a Kontur des gefüllten Magens unmittelbar nach Konsum der Mahlzeit vor jeglicher Entleerung. b 2 h später ist bereits eine deutliche Abnahme der Radioaktivität im Magen als Ausdruck der Magenentleerung festzustellen. Entsprechend lässt sich jetzt markierte Nahrung in der Dünndarmregion erkennen
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b
a
b
. Abb. 5.4a,b. Szintigraphische Messung des Kolontransits mit 111In. Nach initialer Verteilung des 111In-Marker im Colon ascendens 6 h nach Beginn der Untersuchung (a) kann 24 h später entsprechend des antegraden Transports neben dem Colon ascendens auch das Colon transversum abgegrenzt werden (b)
10% der Nahrung im Magen sind. Sie wird durch die Steigung der linearen Entleerungsdynamik in Prozent pro Minuten (%/min) beschrieben. Als Ausdruck der integralen Entleerungsdynamik wird häufig die Halbwertszeit in Minuten angegeben, d. h. die verstrichene Zeit, bis sich 50% der Testmahlzeit aus dem Magen entleert haben. Die Normwerte werden durch verschiedenste Eigenschaften der Testmahlzeit, wie z. B. Menge, Komponenten (Fett, Eiweiß etc.) und Energiedichte, beeinflusst. Die mittlere Halbwertszeit der Magenentleerung einer soliden Nahrung variiert zwischen 70–300 min, wobei kleinere Mahlzeiten gewöhnlich weniger als 120 min benötigen (Degen u. Phillips 1996).
Im klinischen Alltag hat sich dieses Verfahren zur Messung veränderter Magenentleerungen etabliert. Dabei lassen sich nicht nur Verzögerungen als Folge einer Gastroparese, sondern auch beschleunigte Entleerungen als Konsequenz eines operativen Eingriffes mit Dumpingsyndrom aufzeigen. Durch wiederholte Messungen können zudem Effekte therapeutischer Bemühungen objektiviert werden. 5.3.2 Dünndarm- und Kolontransit Bei der Messung des Dünndarm- wie auch des Kolontransits stellen sich verschiedene Probleme. Anatomische Strukturen überlagern sich hier und unterschiedliche Abschnitte lassen sich nur erschwert abgrenzen.
Um Überlagerungen der unterschiedlichen Anatomien zu vermeiden, muss eines der Isotope direkt dem terminalen Ileum zugeführt werden. Dazu muss das Isotop entweder via Sonde direkt perfundiert oder aber in eine Kapsel verpackt werden, die sich nach Einnahme erst im distalen Dünndarm auflöst. Damit sind auch kombinierte Bestimmungen der Magenentleerung sowie des Dünndarm- und Kolontransits möglich. Die Messung des Kolontransits erstreckt sich üblicherweise über mehrere Tage und erfordert entsprechend ein Isotop mit einer langen Halbwertszeit (111In, 67 h). Trotz des vermehrten Zeitaufwandes hat sich diese Messung zur Evaluation einer schweren chronischen Obstipation im klinischen Alltag etabliert (. Abb. 5.4). Die Differenzierung eines normalen Transits von einem verlangsamten Transit ist für die Wahl des weiteren therapeutischen Vorgehens entscheidend. Aber auch bei der chronischen Diarrhö können in speziellen Situationen wichtige Informationen gewonnen werden. Einzig das szintigraphische Verfahren ermöglicht einen beschleunigten Transit zu bestätigen (von der Ohe u. Camilleri 1992). 5.3.3 Ösophagus Zur Diagnose gastroösophagealer Refluxepisoden wird beim Erwachsenen in erster Linie die 24-Stunden-pH-Metrie eingesetzt. In speziellen Situationen, wie z. B. einer nicht möglichen Sondeneinlage, aber vor allem auch in der Pädiatrie, bietet sich die szintigraphische Untersuchung als diagnostische Alternative an (Fisher et al. 1976).
60
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
5.4
Entzündliche und infektiöse Krankheiten
5.4.1 Leukozytenszintigraphie
5
Die radioaktive Markierung von Leukozyten ermöglicht, entzündliche Prozesse des Gastrointestinaltraktes szintigraphisch zu erfassen. Meist werden Populationen von Leukozyten, gelegentlich isolierte Granulozyten, aus 30–60 ml Vollblut gewonnen und in vitro entweder mit 111In oder 99mTc markiert. Dabei ist der Einsatz von 99mTc technisch einfacher, sensitiver und mit einer geringeren Strahlenbelastung als 111In verbunden (Datz 1996). Entzündliche Prozesse manifestieren sich in den Bildern als Akkumulation von Aktivität, deren Intensität sich im Vergleich zu Organen mit physiologischer Absorption wie der Leber oder dem Knochenmark abschätzen lässt. Aktivitäten können einerseits der Darmwand (z. B. kleine intramurale Abszesse) oder aber einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit zugeordnet werden. Blut unterschiedlicher Herkunft führt im Gastrointestinaltrakt ebenso zu einer Anreicherung von markierten Leukozyten. Mit Spätbildern lässt sich dann aber der Weitertransport dieser intraluminalen Anreicherung im Gegensatz zu Darmwandprozessen erfassen. In den letzten Jahren wurde eine Anzahl verschiedener monoklonaler Antikörper gegen menschliche Leukozytenoberflächenproteine entwickelt und zur In-vivo-Markierung eingesetzt. Diese Verfahren bieten den Vorteil einer kurzen Vorbereitungszeit und einer fehlenden Manipulation mit Blut. Als radioaktiver Marker werden hier 123I, 111In und 99mTc verwendet. In der Diagnostik muskuloskelettaler Entzündungen scheint dieses Verfahren Erfolg versprechend zu sein (Love u. Palestro 2004). 5.4.2
67
Ga-Zitrat-Szintigraphie
Bevor Leukozyten markiert werden konnten, wurde hauptsächlich Gallium-67 (67Ga-)Zitrat zur Infektlokalisation verwendet. Obwohl die Bildqualität schlechter und die Strahlenbelastung höher ist als bei alternativen Verfahren, wird 67Ga weiterhin eine gewisse Bedeutung bei speziellen Fragestellungen der Infektdiagnostik zugemessen. 67Ga-Zitrat ist immer noch das geeignetste Radiopharmazeutikum in der Diagnostik eines Fiebers unklaren Ursprungs. Es reichert sich nicht nur in sterilen oder infektiösen Entzündungsherden an, sondern auch in einer Vielzahl von Weichteil- und Knochentumoren. Bei chronischen Weichteilentzündungen und Osteomyelitis ist 67Ga-Zitrat sensitiver, aber unspezifischer als markierte Leukozyten. Üblicherweise werden 24 und 48 h nach i.v. Injektion von 5–10 mCi 67Ga-Zitrat die ersten Bilder aufgenommen. Der zu Akkumulation führende Mechanismus wird nicht vollständig verstanden. Einerseits bindet sich 67Ga-Zitrat in entzündlich verändertem Gewebe mit großer Affinität an Laktoferrin, das von degranulierenden Neutrophilen freigesetzt wird. Andererseits bindet sich 67Ga-Zitrat nach Injektion an eisenbindende Proteine, wie z. B. Transferrin, die sich im Bereich der Entzündung als Folge der vermehrten Kapillarpermeabilität anreichern (Love u. Palestro 2004).
5.5
Szintigraphie der Leber
Verschiedenste szintigraphische Verfahren wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten zur Diagnostik struktureller Veränderungen der Leber oder hepatobiliärer Funktionen entwickelt. Die parallele Entwicklung und Verbesserung der Bildqualität komplementärer Verfahren wie Sonographie, CT und MRT hat jedoch den Stellenwert der nuklearmedizinischen Verfahren im klinischen Alltag erheblich eingeschränkt. Gelegentlich wird zur Bestätigung eines kavernösen Hämangioms, das sich in den konventionellen Bildgebungen atypisch präsentiert, die 99mTc-Erythrozytenszintigraphie herangezogen. Nach Injektion der Erythrozyten ist die fokale Aktivität ähnlich der Kontrastmittel-CT zunächst niedrig und steigt in den folgenden Minuten allmählich an. Dieses pathognomonische Muster wird meist bei Hämangiomen über 2 cm verlässlich gefunden. Die Sensitivität der Untersuchung liegt hier bei über 90% und kann mit derjenigen einer kontrastmittelangereicherten Computertomographie oder eines MRT verglichen werden. Kleinere Läsionen werden wahrscheinlich immer noch präziser mit CT oder MRT erfasst (Middleton 1996). Zur Funktionsanalyse der Hepatozyten, aber auch des hepatobiliären Systems werden meist 99mTc-markierte »Imino-diaceticacid« (IDA)-Derivate verwendet. Eine der ersten verwendeten Substanzen war das Dimethyl-substituierte IDA, das als HIDA (H: »hepatic«) bekannt wurde und den Namen HIDA-Szintigraphie prägte. Obwohl sich dieser Name im klinischen Alltag weiterhin behauptet, werden jetzt IDA-Produkte mit verbesserten Eigenschaften und nicht mehr HIDA eingesetzt. Die korrekte Bezeichnung der Untersuchung ist heutzutage hepatobiliäre Szintigraphie oder Choleszintigraphie. Ähnlich dem Bilirubin wird das IDA-Derivat in die Hepatozyten aktiv aufgenommen. Dieser Prozess wird bei den heutzutage verwendeten Substanzen (Disofenin, Mebrofenin) deutlich weniger kompetitiv durch eine Hyperbilirubinämie gehemmt als bei früheren IDA-Derivaten (z. B. HIDA, PIPIDA). Typischerweise werden 3–5 mCi 99mTc-markierte IDA-Produkte intravenös verabreicht. Während einer normalen Untersuchung wird das Radiopharmazeutikum innerhalb von 5 min in der Leber angereichert. Die Sekretion lässt sich innerhalb der nächsten 60 min sequenziell über die intra- und dann extrahepatischen Gallenwege in den Dünndarm hinein verfolgen. Dadurch können Informationen über die Parenchymfunktion, aber auch über die strukturelle Integrität der einzelnen Teile des hepatobiliären Systems gewonnen werden (Kim EE et al. 1993). 5.6
Onkologische Applikation
Große Erwartungen zur onkologischen Applikation wurden in die Entwicklung monoklonaler Antikörper zur Diagnose und zur Therapie maligner Prozesse gesetzt. Diese Erwartungen ließen sich leider bis heute nicht erfüllen. Die Schwierigkeiten bestehen darin, hochspezifische Antikörper zu synthetisieren. Zudem behindern heterogene antigene Charakteristika des Tumorgewebes und die häufig ungenügende Penetration der Substanz in das vitale Tumorgewebe die Resultate. Dennoch wurden in den letzten Jahren mehrere radiomarkierte Antikörper entwickelt und für den klinischen Gebrauch zugelassen. Dabei fallen die Antikörper in zwei große Kategorien: komplette Antikörper und Antikörperfragmente. Komplette Antikörper verweilen länger im
61 5.7 · Positronenemissionstomographie (PET)
5
Tumore (. Abb. 5.5). Pentreotid bewährt sich dabei vor allem zur Suche okkulter, mit den üblichen bildgebenden Verfahren nicht zu erkennender Metastasen (Biersack u. Grunwald 1995; Eary 1999). Das Konzept einer Tumorantikörper-vermittelten lokalen Radiotherapie mit einem Beta-Emissionsisotop wie 131I und 186Re wird an verschiedenen Zentren verfolgt. Die Datenlage lässt momentan noch keine sicheren Rückschlüsse für den klinischen Alltag zu. 5.7
. Abb. 5.5. 111In-Pentreotid-Szintigraphie bei metastasierendem neuroendokrinem Tumor. 24 h nach i.v.-Injektion von 111In-Pentreotid zeigen sich intensive Anreicherungen in multiplen Lebermetastasen. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. J. Müller, Institut für Nuklearmedizin, Kantonsspital Basel)
Blut und werden primär durch die Leber via hepatobiliärem System ausgeschieden. Antikörperfragmente (»fragment antibody« – Fab) sind kleine Proteinstrukturen, die kürzer im Blut verweilen und primär über die Nieren ausgeschieden werden. Einer der ersten zur klinischen Anwendung freigegebener kompletter Antikörper ist Abciximab. Dieser mit 111In markierte anti-TAG- (»tumor-associated glycoprotein«)-72-Antikörper wird zur Diagnose des kolorektalen Karzinoms eingesetzt. Mit einer Sensitivität von 69% und einer Spezifität von 77% ist jedoch die diagnostische Ausbeute relativ niedrig. Mit einer optimalen Aufnahmetechnik lassen sich aber peritoneale Metastasen feststellen, die weder mit der CT noch mit der MRT nachweisbar waren. Bei den Antikörperfragmenten interessieren vor allem jene, die gegen das karzinoembryonale Antigen (CEA) gerichtet sind. Verschiedenste Tumoren, inkl. Kolonkarzinom, können CEA exprimieren und ermöglichen die szintigraphische Erfassung. Bei extrahepatischen abdominellen Manifestationen des kolorektalen Karzinoms wird mit einem kommerziell erhältlichen 99mTc-markierten Anti-CEA-Antikörper (Arcitumomab) eine Sensitivität von 78% und für Beckenläsionen von 73% erreicht. Eine Kategorie von Radiopharmazeutika, die in den kommenden Jahren in der onkologischen Bildgebung zunehmend an Bedeutung gewinnen dürfte, sind radioaktiv markierte Peptide. Im Gegensatz zu den monoklonalen Antikörpern sind diese synthetischer Natur und lösen keine Immunreaktionen aus. Sie können spezifisch für Oberflächenrezeptoren einer Tumorzelle entwickelt werden und lassen sich dementsprechend für die Diagnose als auch für die Therapie verwenden. Zur Tumordiagnostik wurde als erstes Peptid 111In-Pentreotid zugelassen, eine dem Octreotid verwandte Substanz. Dieses Somatostatinanalogon bindet sich an Somatostatinrezeptoren und erlaubt die Darstellung Somatostatinrezeptor-positiver, neuroendokriner
Positronenemissionstomographie (PET)
Vor allem bei der Untersuchung gastrointestinaler Malignome hat sich in den letzten Jahren die Positronenemissionstomographie (PET) verbreitet. Im Unterschied zu den konventionellen nuklearmedizinischen Methoden misst PET die Freisetzung von Positronen und nicht von Gamma- oder Betastrahlen. Positronen sind positiv geladene Partikel, die beim Zerfall von Protonen zu Neutronen freigesetzt werden und die gleiche Masse wie Elektronen besitzen. Kollidiert ein Positron mit einem Elektron, werden beide Partikel vernichtet und zwei hochenergetische GammaPhotonen werden in entgegengesetzter Richtung ausgesandt (Annihilation). Mit Szintillationskristallen als Detektoren können diese Gamma-Photonen registriert werden. Moderne PETScanners bestehen aus einem kreisförmigen Ring von mehreren Hundert dieser Detektoren, die jeweils paarweise einander gegenüberliegend angeordnet sind. Liegt der Partikelzerfall näher zum einen Detektor, wird das Gamma-Photon mit etwas Zeitunterschied von den jeweiligen Sensoren gemessen. Dies erlaubt den Ort des Partikelzerfalls dreidimensional zu rekonstruieren. Obwohl die modernen PET-Scanner Bilder mit einer Auflösung zwischen 2–8 mm ermöglichen und allen anderen nuklearmedizinischen Verfahren überlegen sind, erreichen sie nie die Bildqualität einer CT oder eines MRT. Positronen aussendende Elemente wie Sauerstoff-15 (15O), Stickstoff-13 (13N), Kohlenstoff-11 (11C) und Fluor-18 (18F) werden von Zyklotronen generiert. Diese Nuklide besitzen eine kurze Halbwertszeit (2–100 min) und müssen deshalb unmittelbar nach ihrer Synthese in ein Trägermolekül integriert werden, damit sie dann zur Messung i.v. injiziert werden können. 15O, 13 11 N, C und 18F können relativ einfach in organische Moleküle integriert werden, sodass im Gegensatz zu den anderen nuklearmedizinischen Verfahren eine größere Anzahl von Radiopharmazeutika zur Verfügung stehen. Als Marker wird am häufigsten 2-[F-18] Fluoro-2-Deoxy-DGlukose (FDG), ein radiomarkiertes Glukose-Analogon verwendet. FDG wird wie Glukose durch metabolisch aktive Zellen aufgenommen, durch deren Hexokinase in FDG-6-Phosphat phosphoryliert, dann aber nicht weiter metabolisiert, sondern als Ausdruck der aktiven Glykolyse intrazellulär akkumuliert.
Im Unterschied zu den radiologischen Bildern reflektieren die PET-Bilder physiologische oder pathophysiologische Funktionsabläufe. Je nach markiertem Substrat können Enzymsysteme oder metabolische Prozesse untersucht werden.
Unter physiologischen Bedingungen nehmen nur das Gehirn und das Herz in größerem Umfang FDG auf. Weitaus am häufigs-
62
5
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
ten wird die PET in der Gastroenterologie bei der Diagnostik gastrointestinaler Tumor eingesetzt. Viele der primären gastrointestinalen Tumoren, aber auch Metastasen zeigen eine hohe metabolische Aktivität und reichern FDG an, das im PET nachgewiesen werden kann. Daneben wird die PET aber auch zur Untersuchung zentralnervöser Funktionen wie z. B. der viszeralen Schmerzperzeption und deren zentralnervösen Verarbeitung vor allem in der Forschung eingesetzt. Bei der primären Tumordiagnostik stehen weiterhin die etablierten endoskopischen und radiologischen Verfahren im Vordergrund. Die PET erreicht zwar eine sehr gute Genauigkeit, konnte sich aber hier bis jetzt nicht durchsetzen. Die Spezifität wird durch die Anreicherung von FDG auch bei entzündlichen Prozessen (z. B. akuter Pankreatitis, akuter Divertikulitis und Abszesse) eingeschränkt.
Ein größeres klinisches Potenzial liegt in der Diagnostik von loko-regionären Rezidiven, Lymphknoten und Fernmetastasen.
Vor einer Größenzunahme ist bei loko-regionären Rezidiven eine Zunahme der metabolischen Aktivität festzustellen. Diese gesteigerte FDG-Anreicherung erlaubt die Rezidive früher als mit den konventionellen radiologischen Verfahren festzustellen. Auch Therapie-assoziierte strukturelle Veränderungen können durch die unterschiedliche FDG-Anreicherung besser von fraglichen Tumorrezidiven abgegrenzt werden. Die PET ist zudem sonographischen und radiologischen Verfahren im Nachweis von Lymphknoten- und Fernmetastasen sowohl beim Ösophaguskarzinom, beim Pankreaskarzinom als auch beim kolorektalen Karzinom überlegen. Die diagnostische Genauigkeit der PET wird dabei wie bei der CT durch die Größe des Befundes beeinflusst. Lymphknoten kleiner als 1 cm werden wegen der geringeren metabolischen Aktivität nur ungenügend erfasst. Aus dem gleichen Grund ist die Qualität der PET zum Nachweis muzinöser Karzinome und neuroendokriner Tumore des Gastrointestinaltraktes unbefriedigend und spielt hier nur eine untergeordnete Rolle (van Kouwen et al. 2004).
Literatur Biersack HJ, Grunwald F (1995) Endocrinological applications in nuclear medicine. Semin Nucl Med 25(2):92–110 Camilleri M, Colemont LJ, Phillips SF, Brown ML, Thomforde GM, Chapman N, Zinsmeister AR (1989) Human gastric emptying and colonic filling of solids characterized by a new method. Am J Physiol 257:G284– G290 Datz FL (1996) Abdominal abscess detection: gallium, 111In-, and 99mTclabeled leukocytes, and polyclonal and monoclonal antibodies. Semin Nucl Med 26(1):51–64 Degen LP, Phillips SF (1996) Variability of gastrointestinal transit in healthy women and men. Gut 39(2):299–305 Eary JF (1999) Nuclear medicine in cancer diagnosis. Lancet 354(9181):853– 857 Emamian SA, Shalaby-Rana E, Majd M (2001) The spectrum of heterotopic gastric mucosa in children detected by Tc-99m pertechnetate scintigraphy. Clin Nucl Med 26(6):529–535 Fisher RS, Malmud LS, Roberts GS, Lobis IF (1976) Gastroesophageal (GE) scintiscanning to detect and quantitate GE reflux. Gastroenterology 70(3):301–308 Jacobson AF, Cerqueira MD (1992) Prognostic significance of late imaging results in technetium-99m-labeled red blood cell gastrointestinal bleeding studies with early negative images. J Nucl Med 33(2):202– 207 Kim EE, Moon TY, Delpassand ES, Podoloff DA, Haynie TP (1993) Nuclear hepatobiliary imaging Radiol Clin North Am 31(4):923–933 Love C, Palestro CJ (2004) Radionuclide imaging of infection. J Nucl Med Technol 32(2):47–57 Maurer AH, Rodman MS, Vitti RA, Revez G, Krevsky B (1992) Gastrointestinal bleeding: improved localization with cine scintigraphy. Radiology 185(1):187–192 Middleton ML (1996) Scintigraphic evaluation of hepatic mass lesions: emphasis on hemangioma detection. Semin Nucl Med 26(1):4–15 Palmer EL, Scott JA, Strauss HW (1992) Practical nuclear medicine. Saunders, Philadelphia Parkman HP, Miller MA, Fisher RS (1995) Role of nuclear medicine in evaluating patients with suspected gastrointestinal motility disorders. Semin Nucl Med 25(4):289–305 van Kouwen MCA, Oyen WJG, Nagengast FM, Jansen JBMJ, Drenth JPH (2004) FDG-PET Scanning in the Diagnosis of Gastrointestinal Cancers. Scand J Gastroenterol (suppl 241):85–92 von der Ohe MR, Camilleri M (1992) Measurement of small bowel and colonic transit: indications and methods. Mayo Clin Proc 67:1169– 1179 Zuckier LS (2003) Acute gastrointestinal bleeding. Semin Nucl Med 33(4):297–311
6 6 Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie) 6.1
Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie – 64 B. Dreuw, M. Jansen, V. Schumpelick
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4
Technische Aspekte der Ösophagusmanometrie – 64 Technische Aspekte der 24-Stunden-pH-Metrie – 69 Bilitec-Messung – 70 Klinische Indikationen – 71
6.2
Gastrointestinale Manometrie – 71 M. Jansen, B. Dreuw, V. Schumpelick
6.2.1 Grundlagen – 71 6.2.2 Antroduodenale Manometrie 6.2.3 Elektrogastrographie – 72
6.3
– 72
Anorektale Manometrie – 73 F. Hölzl, G. Böhm, V. Schumpelick
6.3.1 Technische Aspekte – 73 6.3.2 Durchführung – 73 6.3.3 Klinische Indikationen – 74
Literatur – 75
64
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
) ) Eine gerichtete Peristaltik, der koordinierte Ablauf verschiedener Kontraktionszustände in Verbindung mit dem Auftreten dynamischer Hochdruckzonen führt im Gastrointestinaltrakt zur Möglichkeit der Bevorratung, der kontrollierten Entleerung und der Vermeidung von unerwünschtem Reflex. Daher ist das Verständnis für physiologische und pathologische Motilitätsveränderungen sowohl im oberen Gastrointestinaltrakt als auch anorektal ist von besonderer Bedeutung für die Indikation und zur Kontrolle jeder Therapie. Vor allem in der Therapie des GERD sowie der analen Inkontinenz sind Manometrie und pH-Metrie unverzichtbare Bestandteile einer differenzierten Diagnostik. Nachfolgend werden die diagnostischen Möglichkeiten sowie deren kritische Beurteilung vorgestellt.
6
Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
6.1
B. Dreuw, M. Jansen, V. Schumpelick Die Ösophagusmanometrie und die 24-Stunden-pH-Metrie sind Untersuchungen zur Erkennung und Differenzierung primärer und sekundärer Erkrankungen der Speiseröhre und des Magens, einschließlich der gastroösophagealen Refluxkrankheit (7 Übersichten). Darüber hinaus sind sie zur Abklärung eines unklaren Thoraxschmerzes sowie zur Objektivierung postoperativer Funktionsstörungen nach Eingriffen am Ösophagus und Magen von Bedeutung. Vor Anwendung dieser Untersuchungen muss eine mechanische Läsion der Speiseröhre durch Ösophagusbreischluck oder Endoskopie ausgeschlossen bzw. erkannt sein, um Fehlinterpretationen der Ergebnisse zu vermeiden. Indikationen für eine Ösophagusmanometrie 5 5 5 5
Gastroösophageale Refluxkrankheit Dysphagie Extrakardialer Thoraxschmerz Primäre Ösophagusmotilitätsstörungen – Achalasie – Nussknackerösophagus – Diffuser Ösophagusspasmus – Hypertensiver unterer Ösophagussphinkter – Unspezifische Ösophagusmotilitätsstörungen 5 Sekundäre Ösophagusmotilitätsstörungen – Kollagenosen – Progressive systemische Sklerose – Polymyositis und Dermatomyositis – Gemischte Bindegewebserkrankung
Systemischer Lupus erythematosus 5 Chronische idiopathische intestinale Pseudoobstruktion 5 Neuromuskuläre Erkrankungen 5 Endokrine und metastatische Erkrankungen – Diabetes mellitus – Schilddrüsenerkrankungen – Paraneoplastische Syndrome
6
5 5 5 5
Alkoholismus Infektionen Bestrahlungsschäden Medikamenteninduktion
Indikationen für eine 24-Stunden-pH-Metrie 5 Gastroösophageale Refluxkrankheit 5 Typische Refluxsymptome bei normalem Endoskopiebefund 5 Atypische Refluxsymptome 5 Extrakardialer Thoraxschmerz 5 Unklare pneumologische oder otorhinolaryngologische Symptome 5 Nichtallergisches Asthma bronchiale 5 Chronischer Husten 5 Persistierende Symptome unter Protonenpumpenblockertherapie 5 Dosisfindung säuresuppressiver Therapie 5 Unklare Symptome nach Antirefluxchirurgie 5 Unklare Symptome nach Magenresektion
6.1.1 Technische Aspekte der Ösophagus-
manometrie Unter funktionell-manometrischen Gesichtspunkten werden an der Speiseröhre der obere Ösophagussphinkter, der tubuläre Ösophagus und der untere Ösophagussphinkter unterschieden. Der obere Ösophagussphinkter (OÖS) ist ein anatomisch definierter Schließmuskel. Manometrisch ist er 3–5 cm lang. Der Ruhedruck liegt zwischen 30 und 140 mmHg mit einer ausgeprägten Asymmetrie und Altersabhängigkeit. Beim Schlucken baut sich im Schlund ein Druck bis zu 300 mmHg auf, der OÖS erschlafft reflektorisch und es erfolgt ein Druckausgleich mit dem Ösophagus (Druck −2 bis –8 mmHg). Durch die hohe Druckdifferenz wird der Speisebolus in den Ösophagus geschleudert (Fisher et al. 1978). Funktionsstörungen dieses komplexen Systems führen zu oropharyngealer Dysphagie. Die schlauchförmige Speiseröhre ist 22–26 cm lang und transportiert den Speisebolus mit aktiven peristaltischen Bewegungen entgegen einem Druckgradienten von 10–15 mmHg in den Magen. Die Peristaltik des tubulären Ösophagus wird folgendermaßen unterteilt (nach Weihrauch 1981): 4 Primäre Peristaltik: durch Schlucken hervorgerufene propulsive, absteigende Wellen. 4 Sekundäre Peristaltik: durch Dehnung des Ösophagus oder gastroduodenalen Reflux hervorgerufene propulsive Wellen. 4 Tertiäre Kontraktionen: unkoordinierte, nicht propulsive Kontraktionen, die gleichzeitig an verschiedenen Stellen auftreten. Sie sind Hinweise auf eine gestörte Innervation oder neuromuskuläre Koppelung ohne sicheren Krankheitswert. 4 Wiederholte repetitive Kontraktionen: nach einer peristaltischen Welle ein oder mehrfach am gleichen Ort wieder auftretende Kontraktionen. Diese peristaltischen Wellen erreichen Amplituden über100 mmHg mit einer Dauer von 0,9 s im proximalen und bis zu 7 s im distalen
65 6.1 · Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
Drittel der Speiseröhre (Dodds et al. 1973). Kriterien für pathologische Ösophagusmotilität sind in der Übersicht zusammengefasst. Im proximalen Ösophagus ist eine Kontraktionsamplitude von 25 mmHg, im mittleren Drittel von 30 mmHg und im distalen Ösophagus von 35 mmHg erforderlich, um einen Speisebolus ungehindert in den Magen zu befördern (Kharilas 1989). Manometrische Kriterien fü r pathologische Ö sophagusmotilität 5 Abnorme Kontraktionsmorphologie – Kontraktionsamplitude >180 mmHg – Kontraktionsamplitude <20 mmHg – Kontraktionsdauer >7 s – Mehrgipflige Kontraktionswellen – Repetitive Kontraktionswellen 5 Abnorme Kontraktionssequenz – Simultane Kontraktionen (Progression >20 cm/s) >10% der Schluckakte – »Dropped waves« (Amplitude <10 mmHg) >10% der Schluckakte – Repetitive Kontraktionswellen >30% der Schluckakte
Der untere Ösophagussphinkter (UÖS) ist ein komplexes Gebilde aus angiomuskulärem Dehnverschluss, Hiss’schem Winkel, der Muskelschlinge von Willis (Fibrae obliquae) und der Schleimhautrossette von Magendi. Makroskopisch ist kein echter Sphinktermuskelwulst erkennbar, aber in der Manometrie zeigen sich typische Charakteristika. Lokalisation, abdominelle Länge, Gesamtlänge, Ruhedruck, Symmetrie und Relaxation des UÖS können mit der Ösophagusmanometrie bestimmt werden (. Tab. 6.1). Die Kompetenz des unteren Ösophagussphinkters ist eine Funktion der abdominellen Länge und des Druckes. Je kürzer der intraabdominelle Teil des Ösophagus ist, ein desto höherer Druck ist für seine Kompetenz erforderlich (Bonavina et al. 1987; DeMeester et al. 1979a; O’Sullivan et al. 1982).
Bei einer Hiatushernie mit komplett intrathorakaler Lage des UÖS und damit abdomineller Länge von 0 cm ist häufig auch ein normaler Ruhedruck nicht in der Lage, die mechanische Kompetenz des UÖS aufrechtzuerhalten.
Die detaillierte Messung beider Parameter ist demnach für . Tabelle 6.1. Manometrische Normalwerte für den unteren Ösophagussphinkter (nach Zaninotto et al. 1988
6
die Beurteilung eines insuffizienten Sphinkters entscheidend (Zaninotto et al. 1988). Instrumente zur Ösophagusmanometrie Die Untersuchung der Ösophagusmotilität mit manometrischen Methoden erfordert die endoluminale Platzierung eines geeigneten mehrkanaligen Messkatheters in den Ösophagus und Anschluss an eine Messkette, bestehend aus Druckaufnehmer, Verstärker und Aufzeichnungseinheit. Technisch stehen zur Druckmessung im Wesentlichen 2 Systeme zur Verfügung: wasserperfundierte Druckaufnehmer, die derzeit den Standard darstellen, und Halbleiter-Druckaufnehmer. Ein Messkatheter für die Perfusionsmanometrie ist aus einzelnen dünnen Polyethylen- oder Polyvinylschläuchen von 0,8 mm Innendurchmesser zusammengeklebt, die die Messkanäle darstellen. Jeder Kanal wird mit Flüssigkeit perfundiert, die am vorgesehenen Messpunkt durch eine kleine Seitöffnung austritt. Druckschwankungen in der Flüssigkeitssäule, die durch Behinderung des Flüssigkeitsaustritts, z. B. durch motilitätsbedingte Druckerhöhung, entstehen, werden über die Wassersäule zu einem extrakorporalen Druckaufnehmer geleitet, dort in elektrische Signale umgewandelt, zu einem Verstärker weitergeleitet und auf einem PC gespeichert oder ausgedruckt (. Abb. 6.1). Für Messungen der Ösophagusmotilität werden die Messöffnungen so konfiguriert, dass sie über eine Strecke von 20 cm in festen Abständen von 3–5 cm longitudinal angeordnet sind. Für die Untersuchung der Sphinkteren hat sich eine Anordnung 45° (8 Kanäle) oder 90° (4 Kanäle) versetzt in einer Ebene (radiär) bewährt. Einen idealen Kompromiss stellt eine 8-Kanal-Sonde dar mit 5 longitudinalen und 4 radiären Messöffnungen, von denen der vorletzte longitudinale Messpunkt einen der 4 radiären Messpunkte darstellt (. Abb. 6.1). Damit ist eine Motilitätsmessung über die gesamte Länge des Ösophagus und eine dreidimensionale Messung des UÖS ohne Wechsel des Katheters möglich. Moderne wasserperfundierte hydraulische Kapillarperfusionssysteme mit Hochdruckpumpen (Arndorfer Pumpen), elektronischen Verstärkern und Anschluss an einen PC halten einen konstanten Arbeitsdruck von 1000 mmHg bei einer Flussrate von 0,5 ml/min pro Kapillare aufrecht. Damit können Druckschwankungen bis 200 mmHg exakt registriert werden, was zur Beurteilung der Ösophagusperistaltik und des UÖS erforderlich ist (Weihrauch 1981). Der Aufwand für Eichung und Entlüftung ist bei regelmäßigem Gebrauch nur gering. Intrakorporale elektronische Halbleiter-Druckaufnehmer, »solid-state transducer«, setzen Druckereignisse direkt in elektrische Signale um und ermöglichen damit neben stationären Messungen auch ambulante 24-Stunden-Messungen, da sie keine Flüssigkeitsperfusion benötigen. Nachteile sind eine höhere mechanische Störanfälligkeit, Temperaturabhängigkeit, hohe Anschaffungs- und Reparaturkosten und die konstruktionsbedingte Unmöglichkeit, 4 Messpunkte radiär in einer Ebene auf einem Katheter anzuordnen. Vorteile sind ein nur minimaler Kalibrierungsaufwand und die Unabhängigkeit der Messwerte von der Körperhaltung.
SD
Median
2,5%
5%
Perzentile
Ruhedruck (mmHg)
14,9
5,1
13,8
6,1
8,0
Abdominelle Länge (cm)
2,2
0,7
2,2
0,9
1,1
Gesamtlänge (cm)
3,7
0,7
3,6
2,4
2,6
Techniken der stationären Ösophagusmanometrie
Ruhedruck (mmHg)
14,9
5,1
13,8
6,1
8,0
Stationäre Rü ckzugsmanometrie (»station pull-through technique«). Ein Messkatheter wird nach Vorschieben der Messpunk-
te bis in den Magen in Schritten von 0,5 oder 1 cm durch den UÖS bzw. OÖS zurückgezogen. Aus der erhaltenen Druckkurve
66
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
6
. Abb. 6.1. 8-Kanal-Perfusionsmanometrie und Katheterdesign. Ein modernes Manometriesystem besteht aus einem mindestens 10-KanalNiedrig-Compliance-Kapillarperfusionssystem mit Hochdruckpumpe (C). Es wird ein 8-Kanal-Polyvinylkatheter (A) mit 5 sequenziellen und 4 radiären Perfusionsöffnungen verwendet, wobei ein Lumen sowohl sequenziell als auch radiär genutzt wird (links oben). Dieses Katheterdesign erlaubt eine 5-Kanal-Manometrie des Ösophagus sowie eine radiäre 4-Kanal-Manometrie des UÖS ohne Wechsel des Katheters. Die Atmung wird mit einem Responce Transducer (R, Kanal 10) und die Willkürschluck-
aktivität z. B. über ein zervikales Mikrofon registriert (M, Kanal 9). Die Kanäle 1–8 sind Druckkanäle und werden mit den 8 Kanälen des Messkatheters verbunden. Die Hochdruckpumpe liefert einen konstanten Druck von 1000 mmHg und perfundiert die einzelnen Messlumina des Katheters. Zwischengeschaltet sind Druckaufnehmer (B, 1–8), in denen der Druck in elektrische Signale umgewandelt wird. Diese elektrischen Signale werden über einen Verstärker (D) aufgenommen, verstärkt und in einen PC (F) zur graphischen Aufarbeitung, Speicherung und Ausgabe auf einem Printer übernommen
. Abb. 6.2. Normaler UÖS in der langsamen Rückzugsmanometrie. Normaler UÖS mit 4 radiären Messkanälen und langsamer motorisierter Rückzugstechnik gemessen. Länge 5 cm, abdominelle Länge 4 cm und Ruhedruck von 18 mmHg
können Länge, abdomineller Länge und der Druck des UÖS oder OÖS bestimmt werden. Durchzugsmanometrie. Ein Messkatheter wird nach Vorschieben bis in den Magen mit konstanter Geschwindigkeit durch den UÖS zurückgezogen. Bei einer Rückzugsgeschwindigkeit von 1 cm/s spricht man von einer schnellen Durchzugsmanometrie (»rapid-pull-through technique«). Sie muss in Atemstillstand des Patienten ohne Schlucken durchgeführt werden. Es ist somit
möglich, aus der erhaltenen Druckkurve die Länge und den Druck des UÖS oder OÖS zu bestimmen, eine Differenzierung in abdominellen und thorakalen Anteil des UÖS ist nicht möglich. Bei einer Rückzugsgeschwindigkeit von 0,1 cm/s spricht man von einer langsamen Durchzugsmanometrie (»slow-motorized-pull-through technique«). Hierbei darf der Proband normal atmen, aber nicht schlucken. Diese Technik erlaubt eine Differenzierung in abdominellen und thorakalen Anteil des UÖS und lässt sich besonders einfach auswerten (. Abb. 6.2 und 6.3).
67 6.1 · Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
6
. Abb. 6.3. Pathologischer UÖS in der langsamen Rückzugsmanometrie. Pathologischer UÖS mit 4 radiären Messkanälen und langsamer motorisierter Rückzugstechnik gemessen. Länge 3 cm, abdominelle Länge 2 cm und Ruhedruck von 0 mmHg
. Abb. 6.4. Normale Ösophagusperistaltik. Normale Ösophagusperistaltik und computerunterstützte Auswertung der Amplitude mit graphischer Darstellung im 2,5-, 5-, 95- und 97,5-Perzentile des Normalwertbereiches
Mehrpunktmanometrie. Ein Katheter mit z. B. 5 in festem Ab-
stand von 5 cm angeordneten Druckmesspunkten wird stationär im Ösophagus platziert. Dabei sollte zur Vergleichbarkeit der Messungen der oberste Messpunkt 1 cm unterhalb des OÖS zu liegen kommen. Die zeitgleiche Aufzeichnung der Drucke an den Messpunkten erlaubt es, peristaltische Kontraktionen des Ösophagus zu registrieren und neben Dauer und Amplitude der Druckereignisse am jeweiligen Messpunkt auch die Geschwindigkeit und Fortleitung der Peristaltikwelle zu berechnen (. Abb. 6.4 und 6.5). Standardisierter Untersuchungsgang der stationären Manometrie Zunächst wird der Manometriekatheter über die Nase soweit vorgeschoben, bis alle Messpunkte im Magen liegen (ca. 75-cmMarke) und 5 min abgewartet, bis die schluckbedingten Artefakte abgeklungen sind. Eine komplette Ösophagusmanometrie besteht aus verschiedenen Tests, um die mechanischen Charakteris-
tika der Sphinkteren und die Motilität des Ösophagus vollständig beurteilen zu können. Stationäre Rückzugsmanometrie. Dazu wird die Manometrie-
sonde von 75 cm bis 39 cm ab Naseneingang zurückgezogen und nach jedem cm Rückzug solange abgewartet, bis eine artefaktfreie Messung über mindestens 5 Atemzüge aufgezeichnet ist. Für jeden einzelnen Messpunkt werden Untergrenze, Obergrenze, Atemumkehrpunkt und Druck am Atemumkehrpunkt des UÖS ausgewertet und die Ergebnisse gemittelt. Aus der Differenz von Obergrenze und Untergrenze ergibt sich die Länge, aus der Differenz von Atemumkehrpunkt und Untergrenze die abdominelle Länge des UÖS. Langsame motorisierte Durchzugsmanometrie. Alternativ kann bei Vorhandensein eines Rückzugsmotors eine langsame motorisierte Durchzugsmanometrie durchgeführt werden. Dazu wird die Manometriesonde soweit vorgeschoben, bis die 4 radiä-
68
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
. Abb. 6.5. Pathologische Ösophagusperistaltik. Pathologische Ösophagusperistaltik und computerunterstützte Auswertung der Amplitude mit graphischer Darstellung im 2,5-, 5-, 95- und 97,5-Perzentile des Normalwertbereiches
6
ren Messpunkte im Magen liegen (ca. 65-cm-Marke). Die Sonde wird an einen Rückzugsmotor fixiert und der Patient aufgefordert, während der Messung nicht zu schlucken. Dann wird die Sonde mit konstanter Geschwindigkeit von 0,1 cm/s durch den UÖS zurückgezogen, bis die Messpunkte sicher im Ösophagus liegen. Zur Berechnung von Mittelwerten und um zu vermeiden, dass bei ungewolltem Schlucken des Patienten eine Auswertung unmöglich ist, wird diese Messung dreimal wiederholt. Für jeden einzelnen Messpunkt werden Untergrenze, Obergrenze, Atemumkehrpunkt und Druck am Atemumkehrpunkt des UÖS ausgewertet und die Ergebnisse gemittelt. Aus der Differenz von Obergrenze und Untergrenze ergibt sich die Länge, aus der Differenz von Atemumkehrpunkt und Untergrenze die abdominelle Länge des UÖS. Die langsame Durchzugsmanometrie ist die Grundlage für eine automatisierte Auswertung und eine Darstellung als Vektorbild (. Abb. 6.6 und 6.7).
. Abb. 6.6. Vektorvolumen eines normalen UÖS. Der dargestellte Blickwinkel zeigt vom Magen in den Ösophagus unter einem Winkel von 35° (totales SVV: 14.388 mmHg2×mm, abdominelles SVV: 9823 mmHg2×mm)
Relaxationsmessung des UÖS. Dazu werden die 4 radiären Messpunkte aus dem Magen, in dem die Atemruhelage registriert wurde, an den zuvor ermittelten Atemumkehrpunkt platziert und hier fixiert. Dann erhält der Proband 5 Schlucke von 5 ml raumtemperierten Wassers zu trinken, um den zeitlichen Verlauf des Druckabfalls beim Schlucken relativ zum Magenruhedruck zu ermitteln. Mehrpunktmanometrie zur Motilitätsmessung des tubulären Ösophagus. Hierzu wird der Katheter so platziert, dass der kra-
nialste Messpunkt 1 cm unterhalb der Untergrenze des OÖS liegt. Dann erhält der Proband 10 Schlucke von 5 ml raumtemperierten Wassers zu trinken, mit ausreichenden Pausen von mindestens 30 s dazwischen, um die postdeglutorische Refraktärzeit der Speiseröhre abzuwarten. Manometrie des OÖS. Hierzu wird der Katheter in Rückzugstechnik mit 1-cm-Schritten zurückgezogen, bis die 4 radiären Messpunkte im OÖS platziert sind. Dann erhält der Proband 5 Schlucke von 5 ml raumtemperierten Wassers zu trinken, um die Relaxation des OÖS zu messen und der Katheter wird in 1-cmSchritten komplett aus der Speiseröhre zurückgezogen und ent-
. Abb. 6.7. Vektorvolumen eines defekten UÖS. Der dargestellte Blickwinkel zeigt vom Magen in den Ösophagus unter einem Winkel von 35°. Auffällig ist die vor dem Sphinkter (S) gelegene Hiatushernie (H) und das geringe Volumen im Vergleich zum normalen UÖS. (Totales SVV: 1010 mmHg2×mm, abdominelles SVV: 0 mmHg2×mm)
69 6.1 · Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
6
fernt. Aus der Messkurve kann der Ruhedruck, die Untergrenze, die Obergrenze, die Länge, die Symmetrie, und die Relaxation des OÖS bestimmt werden.
diese Weise lassen sich die Gesamtlänge, die abdominelle Länge und der Ruhedruck am Atemumkehrpunkt berechnen. Sie stellen die Eckdaten für die mechanische Kompetenz des UÖS dar (. Tab. 6.1).
Aus dem Messwert der Obergrenze des UÖS und der Untergrenze des OÖS ergibt sich die Länge des tubulären Ösophagus.
Ambulante Langzeitmanometrie 24-Stunden-Messungen der Ösophagusmotilität, evtl. kombiniert mit gleichzeitiger 24-Stunden-pH-Metrie erlauben eine exaktere Beurteilung der Ösophagusmotilität und eine genauere Differenzierung primärer Ösophagusmotilitätsstörungen (Stein 1993; Stein u. DeMeester 1993). Durch spezialisierte Software ist eine weitgehend automatische Auswertung möglich (Bremner et al. 1993), wobei die Erkennung und Ausschließung von Artefakten einen erheblichen Aufwand für den Untersucher darstellt (Eypasch et al. 1990). Eine Beurteilung der Relaxation des UÖS ist mit speziellen Dent-Sleeve-Kathetern möglich, was die Erkennung transienter Relaxationen des UÖS als Ursache für eine Refluxkrankheit ermöglicht. Eine Beurteilung der mechanischen Charakteristika des UÖS, nämlich Länge, abdominelle Länge und Ruhedruck ist allerdings nur mit zusätzlicher stationärer Manometrie möglich.
Interpretation und Auswertung der Ösophagusmanometrie Bei der Rückzugsmanometrie und der Durchzugsmanometrie registrieren die Messöffnungen im Magen zunächst dessen Ruhedruck. Bedingt durch die atemabhängigen Druckschwankungen erhält man eine sinusartige Druckkurve, die bei Einatmung zu einem Peak von wenigen mmHg und bei Ausatmung zu einem Tal führt. Beim Rückzug des Katheters kommt es bei der Passage einer Messöffnung durch den UÖS zu einem Anstieg der Druckkurve, die nach Passage des oberen Endes des UÖS auf Werte unterhalb der Magenruhedruckkurve abfällt. Bedingt durch die Zwerchfellschenkel verstärkt sich die atemabhängige Amplitude der Sinusschwingung zu Beginn des Sphinkters bzw. beim Durchtritt des Katheters durch das Zwerchfell. Der Beginn des Sphinkterkomplexes kann so auch dann erkannt werden, wenn kein Druck mehr messbar ist. Im Verlauf der Passage des Katheters durch den UÖS wird der Einfluss der Atmung auf die Druckkurve negativ. Das heißt, die Einatmung führt zu einem Tal und die Ausatmung zu einem Peak. Dies ist bedingt durch den negativen Druck im Thorax. Der Punkt, an dem der Atemeinfluss von positiv auf negativ umschlägt, heißt Atemumkehrpunkt. Er markiert die Grenze, ab der der UÖS dem negativen intrathorakalen Druckniveau ausgesetzt ist. Per Definition wird an dieser Stelle der Druck gemessen als Mittelwert der atembedingten Sinusschwingung, da so der Einfluss der Atmung eliminiert wird. Auf
. Tabelle 6.2. Normalwerte der 24-Stunden-ÖsophaguspH-Metrie (DeMester Score ≤14,71)
Weiser München n=31
Fuchs Kiel n=10
Cheadle Dundee n=50
DeMeester Omaha n=50
% pH<4 Gesamt
2,0
2,0
2,1
1,5
% pH<4 Aufrecht
2,8
3,0
3,0
2,3
% pH<4 Liegend
0,7
0,5
1,0
0,6
Anzahl Refluxepisoden
23
52
11
19
Längste Episode (min)
–
4,7
6,4
6,7
Anzahl Refluxe >5 min
1,0
0,4
0,7
0,8
6.1.2 Technische Aspekte
der 24-Stunden-pH-Metrie Die pH-Metrie nutzt die Säurekonzentrationsmessung mit endoluminal platzierten pH-sensitiven Sonden zur Beurteilung eines Refluxes in die Speiseröhre oder der Säurekapazität des Magens und benötigt eine Messkette bestehend aus pH-Elektrode mit Referenzelektrode, ein tragbares Datenspeichergerät sowie einen Personalcomputer mit entsprechender Auswertesoftware.
Die 24-Stunden-pH-Metrie stellt derzeit den Goldstandard in der Diagnostik der gastroösophagealen Refluxkrankheit dar.
Die notwendigen Geräte sind unkompliziert in der Handhabung und Auswertung. Stationäre pH-Metrieverfahren sowie SäureClearence-Messungen, der standardisierte Säurerefluxtest, der Bernstein-Test, Magensäureanalysen oder andere historische Verfahren wurden durch die Langzeit-pH-Metrie, evtl. ergänzt durch die Bilitec-Messung ersetzt und werden derzeit nur noch in Ausnahmesituationen angewendet. pH-Elektroden Als pH-Messsonden stehen 2 verschiedene Elektrodentypen zur Verfügung, die Glaselektrode und die Antimonelektrode. Die Glaselektrode ist eine Membranelektrode, bei der in Abhängigkeit vom H+-Konzentrationsgradienten elektrische Potenziale entstehen, die sich proportional zum pH-Wert verhalten. Die notwendige Referenzelektrode kann in die Glaselektrode integriert sein oder auch als externe Elektrode ausgeführt werden, wenn die Messelektrode möglichst dünn sein soll. Die Glaselektroden besitzen eine großen Referenzbereich von 0–12 pHEinheiten, eine maximale Abweichung von 0,1 pH-Einheiten und eine lange Lebensdauer. Die monokristaline Antimonelektrode ist eine Metalloxidelektrode, bei der Redoxpotenziale in Abhängigkeit vom H+-Konzentrationsgradienten entstehen, die sich proportional zum pH-
70
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
Wert verhalten. Die notwendige Referenzelektrode muss als externe Elektrode ausgeführt werden. Ihr Potenzial ist zwischen pH 1 und 8 linear und ihre maximale Abweichung liegt bei der Benutzung einer Haut-Referenzelektrode bei 0,1–0,5 pH-Einheiten. Die Antimon-Sonden sind kostengünstig, lassen sich leicht platzieren und belästigen die Patienten aufgrund eines Durchmessers von 1,5–2,1 mm nur wenig.
6
Datenspeicher Verschiedene batteriebetriebene handliche Festspeichergeräte zur Langzeit-pH-Metrie sind derzeit im Handel. Gemeinsam ist allen Geräten eine Umwandlung der gemessenen analogen Potenzialdifferenzen in digitale Signale und Speicherung der Daten in Festspeichermedien. Messungen mit 1–4 Sonden über 24– zu 96 h sind derzeit je nach Fragestellung und Preis möglich. Alle erfüllen mindestens die Mindestanforderungen einer Abtastrate von lo/min und eine Genauigkeit von 1%. Einige Geräte ermöglichen es, Symptome oder Ereignisse per Knopfdruck im Speicher zu markieren. Dies erlaubt eine genauere Korrelation von Beschwerden und pH-Wert, wenn die Compliance des Patienten ausreichend ist. Durchführung der 24-Stunden-pH-Metrie Es ist erforderlich, vor einer 24-Stunden-pH-Metrie Medikamente mit einer Wirkung auf die Magensäure mindestens 48 h, Protonenpumpenblocker wegen der irreversiblen Blockung der gastralen Protonensekretion 3 Wochen vorher abzusetzen. Während er Messung sollten saure oder säureneutralisierende Speisen und Getränke gemieden werden, um die Messergebnisse nicht zu verfälschen. Vor (und nach) jeder Messung werden die Elektroden auf Schäden kontrolliert und in Pufferlösung pH 7 und 1 bei Raumtemperatur kalibriert. Die Sonden werden nach Oberflächenanästhesie durch die Nase eingeführt und 5 cm distal der Untergrenze und 5 cm proximal der Obergrenze des UÖS platziert. Die korrekte Lage der Sonden kann auf verschiedene Weise kontrolliert werden. Die genaueste Methode ist die manometrische Messung der Lokalisation des UÖS. Wesentlich ungenauer ist die Beobachtung des Säuresprunges bei Vorschieben der pH-Sonde in den Magen und anschließendem langsamen Rückzug, bis der pH-Wert plötzlich von sauren Werten zwischen 1 und 2 auf Werte über 4 springt. Eine dritte, insbesondere bei Vorliegen einer Hiatushernie ungenaue Methode ist die Sondenplatzierung unter Durchleuchtung. Nach korrekter Platzierung der Sonden und Einschaltung des Datenspeichers werden die Patienten instruiert, einen Protokollbogen zu führen, in dem die Mahlzeiten und Liegendperioden sowie evtl. auftretende Symptome dokumentiert werden. Wichtig ist auf eine zusammenhängende Liegendperiode von mindestens 6 h hinzuweisen. Anschließend gehen die Patienten im Idealfall ihrer gewohnten Tätigkeit nach und kommen nach 24 h zur Entnahme der Sonden und Auswertung der Untersuchung zurück. Ösophagogastrale 2-Kanal-pH-Metrie Bei der ösophagogastralen pH-Metrie wird neben der Säuremessung im Ösophagus eine zweite parallel laufende Messung im Magen durchgeführt. Die pH-Sonden werden 5 cm oberhalb und 5 cm unterhalb des UÖS platziert (Little et al. 1979). Ein Grund für diese 2-Kanal-Messung ist die Problematik des duodenogastralen Refluxes (DGR), der bei einer 1-Kanal-Lang-
zeit-pH-Metrie in bis zu 10% der Fälle zu falschen Ergebnissen führt (DeMeester et al. 1979b). Ein anderer Grund ist die Schwierigkeit der Interpretation des pH-Metrie-Befundes bei Patienten mit Voroperationen am Ösophagus, Magen oder Duodenum oder unter Einnahme mit säuresupprimierender Medikation und dadurch veränderter Zusammensetzung des Mageninhaltes. Um in Zweifelsfällen die Qualität einer ösophagealen pH-Messung beurteilen zu können, ist eine gleichzeitige Messung der gastralen Säurekonzentration notwendig (Bechi et al. 1985). Auswertung der pH-Metrie Allgemein anerkannt sind die Auswertekriterien der pHMetrie, die für die Beurteilung der Refluxkrankheit entscheidend sind: 4 pH 4 ist die Grenze zwischen normal und pathologisch. 4 Der Beginn eines Refluxes wird definiert als pH-Abfall um eine Einheit unter pH 4 und das Ende eines Refluxes als das Wiedererreichen von pH 4. 4 Ein neuer Reflux wird gezählt, wenn er mindestens 30 s nach dem letzten beginnt. 4 Die Analysekriterien sind die Anzahl der Refluxe, die Anzahl der Refluxe mit einer Dauer von mehr als 5 min, die Länge der längsten Refluxepisode, die Prozentwerte des pH <4 für die Gesamtmessperiode, die Tagperiode (aufrechte Körperposition) und die Nachtphase (liegende Körperposition) sowie die Zusammenfassung dieser Einzelkriterien in einen Refluxscore (. Tab. 6.2, . Abb. 6.8). 4 Die Normwerte der 24-Stunden-pH-Metrie sind von Ort und Nationalität unabhängig (Fuchs et al. 1987). Die Normwerte und Analysekriterien sind in fast alle handelsüblichen Auswertesysteme integriert und ermöglichen so eine weitgehend standardisierte und automatisierte Auswertung und Beurteilung der Ösophagus- und Magen-pH-Metrie. 6.1.3 Bilitec-Messung Die Diagnose eines alkalischen Refluxes mit Hilfe der 24Stunden-pH-Metrie wird nicht allgemein akzeptiert (et al. Singh 1993). Seit einigen Jahren steht ein tragbares, mikrophotometrisches Untersuchungsgerätes zum endoluminalen Nachweis von Bilirubin zur Verfügung (Bilitec-2000; Bechi et al. 1993; Caldwell et al. 1994). Das Prinzip besteht in der intraluminalen fiberoptischen Messung des Absorptionsspektrums von Bilirubin (450 nm), das als Marker für einen duodenogastroösophagealen Reflux verwendet werden kann. Ausgewertet wird der prozentuale Zeitanteil der Absorption oberhalb des Grenzwertes von 0,2, der gesamt nicht über 2,9%, aufrecht nicht über 4% und liegend nicht über 0,4% betragen darf. Mit diesem Verfahren konnte an Patienten mit GERD (Stein et al. 1994) und Barrett-Ösophagus (Champion et al. 1994) ein vermehrter duodenogastroösophagealer Reflux bestätigt werden. Die prinzipielle Durchführung und Auswertung einer Bilitec-Messung erfolgt weitgehend analog einer 24-Stunden-pH-Metrie.
71 6.2 · Gastrointestinale Manometrie
6
. Abb. 6.8. Ösophagogastrale 2-Kanal pH-Metrie. Die Abbildung zeigt eine ösophagogastrale 2-Kanal-pH-Metrie mit pathologischen Tag- und Nachtreflux und Verdacht nächtlichen duodenogastralen alkalischen Reflux
6.1.4 Klinische Indikationen In Zukunft kann evtl. die alkalische Refluxmessung Bedeutung gewinnen vor dem Hintergrund der Zunahme der Karzinome des gastroösophagealen Übergangs und der anhaltenden Diskussion um die pathogenetische Bedeutung des alkalischen Refluxes für deren Entstehung. Bei nachweisbarem alkalischem Reflux unter maximaler konservativer Therapie sollte die Indikation zur Fundoplikatio gestellt werden, da nur die mechanische Wiederherstellung eines suffizienten Kardiaschlusses Reflux jedweder Qualität wirkungsvoll unterbinden kann.
Nach Ausschluss organischer Stenosen besteht die Indikation zur Ösophagusmanometrie bei unklaren Schmerzsymptomen, Dysphagie und vor einer Antirefluxoperation. Die Indikation zur pH-Metrie besteht bei unklaren gastroösophagealen Refluxsymptomen und zur Klärung der Säurebildung im Magen.
Mit Hilfe einer subtilen Ösophagusfunktionsdiagnostik ist es möglich, Patienten mit Refluxbeschwerden in therapeutisch relevante Gruppen einzuteilen. Dabei hat die pH-Metrie in Kombination mit der Manometrie eine Sensitivität bis zu 98% und ist anderen diagnostischen Verfahren überlegen (Bollschweiler 1991). Patienten mit normaler pH-Metrie, Manometrie und Endoskopie. Diese Patienten bedürfen einer weiterführenden Diagnos-
tik und haben wahrscheinlich eine kardiale, pulmonale oder andere gastrointestinale Ursache ihrer Beschwerden. Patienten mit pathologischer pH-Metrie und normaler Manometrie. Diese machen etwa 40% aller symptomatischen Patienten
aus und bedürfen einer gastralen Ursachenabklärung sowie der medikamentösen Therapie in Abhängigkeit vom endoskopischen Befund und den subjektiven Beschwerden. Patienten mit pathologischer pH-Metrie und pathologischem unteren Ösophagusshinkter in der Manometrie, aber normaler Ösophagusmotilität. Diesen Patienten sollte nach einem erfolg-
losen konservativen Therapieversuch eine Antirefluxoperation als Alternative zur Langzeitmedikation angeboten werden. Die Operationsindikation sollte vor Eintreten einer sekundären Motilitätsstörung erfolgen. Bei dieser Patientengruppe ist mit einem guten chirurgischen Langzeitergebnis zu rechnen. Patienten mit pathologischer pH-Metrie, pathologischem Ösophagussphinkter und hypo- oder amotilem Ösophagus. Hier ist
die chirurgische Therapieempfehlung kontrovers, da möglicherweise mit einer erhöhten Rate an postoperativer Dysphagie bei einer kompletten Fundoplikatio und einer erhöhten Rate an Refluxrezidiven bei partiellen Fundoplikationen oder Alternativverfahren zu rechnen ist.
6.2
Gastrointestinale Manometrie M. Jansen, B. Dreuw, V. Schumpelick
6.2.1 Grundlagen Die Bewegungsabläufe im Gastrointestinaltrakt sind komplex. Sie bewirken einen gerichteten Transport, eine Bevorratung und kontrollierte Entleerung von Nahrungsbestandteilen, unter Vermeidung von unerwünschtem Reflux. Dies wird erreicht durch dynamische Hochdruckzonen und dem koordinierten Ablauf verschiedener Kontraktionszustände. Die Magenentleerung folgt einem charakteristischen zeitlichen Muster. Flüssigkeiten werden annähernd exponentiell und solide Nahrungsbestandteile mit einer zeitlichen Verzögerung entleert. Die physiologische, gastrointestinale Motilität gilt als einer der wichtigsten Faktoren in der Vermeidung einer bakteriellen Fehlbesiedelung des Darms und der damit verbundenen Komplikationen. Dies unterstreicht die besondere Bedeutung gastrointestinaler Motilität für die Sekretion und Resorption, aber auch für die Immunabwehr. Es stehen grundsätzlich 2 Kontraktionsformen zur Verfügung. 4 Phasische Kontraktionen können propulsiv, retropulsiv oder segmentierend ablaufen. Währen pro- und retropulsive Kontraktionen nach aboral oder oral befördern, führen segmentale Kontraktionen zur Zerkleinerung und Durchmischung des Chymus.
72
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
4 Tonische Kontraktionen finden sich vorwiegend in Hochdruckzonen, die die verschiedenen intestinalen Kompartimente unterteilen.
6
Motilitätsstörungen des Magens äußern sich in verzögerter Magenentleerung (Gastroparese), schneller Magenentleerung (Dumping-Syndrom) und anderen motorischen Dysfunktionen. Die Gastroparese ist charakterisiert durch eine verzögerte Magenentleerung verbunden mit Übelkeit, Erbrechen und Oberbauchbeschwerden. Die häufigsten Ursachen sind Diabetes mellitus Typ 1, operative Eingriffe im Oberbauch, Nebenwirkungen von Medikamenten und selten Infektionen. Als Mechanismen der Gastroparese werden eine Beeinträchtigung der Fundusrelaxation, der antralen Kontraktilität, des migrierenden Motorkomplexes, ein Pylorospasmus, eine abnormale elektrische Magenaktivität oder antroduodenale Fehlkoordination diskutiert (Allescher). Zur Diagnostik dieser Erkrankungen stehen verschiedene funktionelle und bildgebende Untersuchungstechniken zur Verfügung. Neben der Magen-Darm-Passage mit Röntgenkontrastmitteln und der Szintigraphie kommen in ausgewählten Fällen die gastrointestinale Manometrie, die Elektrogastrographie und der Barostat zum Einsatz. Aktuell werden außerdem erste Ergebnisse zur Beurteilung der gastrointestinalen Motilität mittels MRT vorgestellt. 6.2.2 Antroduodenale Manometrie Mit Hilfe der antroduodenalen Manometrie lassen sich spezifische Störungen der Motilität nachweisen. Zur Messung der phasischen Motilität werden, ähnlich wie bei der Ösphagusmanometrie, eine Drucksonde in den Magen, das Duodenum und das proximale Jejunum eingebracht. Der Messkatheter verfügt über mehrere Messpunkte. Dies sind kleine Öffnungen, aus denen kontinuierlich Flüssigkeit austritt. Der in den jeweiligen Darmabschnitten herrschende Druck wird durch den Austrittswiderstand der Flüssigkeit dargestellt. Über externe Drucksensoren wird der Druck innerhalb der Wassersäule in ein elektrisches Signal transformiert. Alternativ kann ein »solid state transducer« eingesetzt werden. Vorteil dieser Technik ist die direkte Druckmessung, z. B. durch Veränderung der piezoelektrischen Eigenschaft eines halbleitenden Kristalls. Schließlich existiert eine weitere elektronische Messmethode (Barostat), die nicht nur Kontraktionen, sondern auch Relaxationen, insbesondere in größeren gastrointestinalen Hohlorganen erfassen kann. Die Untersuchung kann sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden. Der Vorteil der ambulanten 24-Stunden-Manometrie liegt in der Möglichkeit, die geklagten Symptome mit entsprechenden pathologischen Motorkomplexen zu korrelieren. Allerdings kommt es nicht selten zu einer Katheterdislokation, was die Interpretationsmöglichkeit einschränkt. Die gastrointestinale Manometrie wird eingesetzt zur Charakterisierung der motorischen Aktivität bei unklarem Erbrechen, Abgrenzung der Ursache einer Magenentleerungsstörung (Neuro- oder Myopathie, postoperativ), und Nachweis bzw. Ausschluss einer chronisch intestinalen Pseudoobstruktion (7 Übersicht).
Indikationen für gastrointestinale Manometrie 5 5 5 5 5 5
Übelkeit und Erbrechen unklarer Ursache Gastroparese, Magenentleerungsstörung Differenzierung Neuro-, Myopathie Postoperative Magenentleerungsstörung Chronisch intestinale Pseudoobstruktion Therapieeffekt
Eindeutige gastrointestinale Motorkomplexe charakterisieren sowohl die interdigestive Phase (Nüchternheit) als auch die digestive Phase (Nahrungsaufnahme). Im oberen Gastrointestinaltrakt lassen sich im nüchternen Zustand regelmäßige, zweistündige Peristaltikmuster nachweisen. Der »migrating motor complex« (MMC) lässt sich in Phasen unterteilen. 4 In der Phase 1 (Ruhephase) zeigt sich keinerlei motorische Aktivität. 4 In der Phase 2 beginnen die Kontraktionen zunächst unregelmäßig, die dann in Phase 3 (Aktivitätsfront) zunehmend regelmäßig auftreten. 4 Die Phase-3-Aktivität stellt eine propulsive peristaltische Welle dar, die vom Duodenum bis ins Ileum nachweisbar ist. Diese intensiven Kontraktionen werden als physiologischer intestinaler »housekeeper« angesehen, der den oberen Gastrointestinaltrakt von verbliebenen Speiseresten reinigt. Die Nahrungsaufnahme unterbricht den MMC und es entstehen mehr geordnete intestinale Kontraktionen variabler Amplitude, die entweder segmental oder propulsiv auftreten. 6.2.3 Elektrogastrographie Die Elektrogastrographie (EGG) zeichnet die myoelektrische Aktivität des Magens mittels auf die Haut des Oberbauchs aufgebrachten Elektroden auf. Im distalen Magen lassen sich langsame, zyklisch auftretende Potenzialschwankungen, »slow waves« (SW) oder »basic electrical rhythm« (BER), nachweisen. Sie bestehen aus einem schnell ansteigenden Abschnitt und einer Plateauphase. Darüber hinaus kommt es, aufgelagert auf die Plateauphase des BER, zu schnellen Potenzialschwankungen (»action potentials«, AP, bzw. »spikes«, »burst potentials« oder »electrical response activity«). Schrittmacherpotenziale finden sich im gesamten distalen Magen und treten in regelmäßigen Abständen mit einer Frequenz von 3/min auf. Als Ursprungsort wird die Tunica muscularis entlang der großen Kurvatur des Magens am Übergang vom oralen zum distalen Drittel des Magenkorpus angenommen. Sie breiten sich vom Ursprungsort zirkulär und nach distal aus. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit variiert in den verschiedenen Regionen der Magenwand, sodass ein zeitgleiches Eintreffen des BER am Pylorus gewährleistet ist. Neuronale Transmittersubstanzen und Hormone greifen zwar modifizierend ein, sind aber für die Generation und Ausbreitung des BER nicht notwendig. Grundsätzlich besitzt jede Muskelzelle die Möglichkeit, einen BER unterschiedlicher Frequenz zu erzeugen. Die Eigenfrequenz nimmt jedoch von oral nach aboral ab, sodass die proximalen Areale als Pacemaker fungieren und die distal gelegenen Zellen diese Frequenz übernehmen.
73 6.3 · Anorektale Manometrie
Die EGG quantifiziert die dominante Frequenz und Regelmäßigkeit der gastralen, myoelektrischen Aktivität, den relativen Anteil abnormaler »slow waves« im Nüchternzustand sowie den Anstieg der Amplitude nach einer Mahlzeit.
6
werden auch nicht-perfusionsgebundene, elektromechanische Drucksensoren verwendet. Die Messergebnisse beider Verfahren sind jedoch nur bedingt vergleichbar. 6.3.2 Durchführung
Generell wird eine EGG als pathologisch gewertet, wenn der relative Anteil von Arrhythmien 30% überschreitet und wenn die Nahrungsaufnahme nicht zu einem Anstieg der Signalamplitude führt.
Gastrale Arrhythmien (Tachyarrhythmie, Bradyarrhythmie) und eine verminderte Amplitude nach Nahrungsaufnahme finden sich bei Patienten mit diabetischer oder idiopathischer Gastroparese, rezidivierendem unklaren Erbrechen, Erbrechen in der Schwangerschaft. Allerdings steht die Validierung dieser Untersuchungstechnik bei der Behandlung von Patienten mit vermuteter gastraler Dysmotilität noch aus (AGA Gastronenterology). 6.3
Anorektale Manometrie F. Hölzl, G. Böhm, V. Schumpelick
Die anorektale Manometrie ist das wichtigste diagnostische Mittel zur funktionellen Beurteilung des distalen anorektalen Sphinkterapparates bei Patienten mit Stuhlinkontinenz oder chronischer Obstipation bei Auslassobstruktion. Sie ermöglicht nicht nur eine Bewertung des Sphinkterdruckes in Ruhe und beim Pressen, sondern lässt den Untersucher darüber hinaus auch Asymmetrien erkennen und lokalisieren. Zusätzlich eignet sie sich zur Verlaufs- und Therapiekontrolle. Ergänzende Untersuchungen sind die Endosonographie, welche Muskeldefekte, entzündliche oder tumoröse Veränderungen aufdeckt, sowie die Elektromyographie. Eine geringere Bedeutung zur Beurteilung der Stuhlinkontinenz haben die Defäkographie und die rektale Compliancemessung, die eher zur differenzierten Diagnostik der Stuhlentleerungstörung eingesetzt werden. 6.3.1 Technische Aspekte Die am weitesten verbreitete Messmethode, für die auch die meisten Referenzwerte vorliegen, ist die Perfusionsmanometrie, die daher auch weiterhin als die Standardmethode anzusehen ist. Das Messprinzip gleicht dem der Ösophagusmanometrie. Es kommen Messsonden mit einem Durchmesser von 4–10 mm zum Einsatz. Der Durchmesser wird so gewählt, dass ein zirkulärer Kontakt gewährleistet ist, Dehnungsartefakte jedoch verhindert werden. Es sollten mindestens 4 Messkanäle vorhanden sein, optimal sind 8. Diese sind je nach Messverfahren radiär auf gleicher Höhe oder spiralförmig in Längsrichtung mit einem Abstand von 0,5–1 cm angeordnet. So können Asymmetrien ebenfalls erfasst werden. Die Sonde darf keinesfalls zu rigide sein. In derartigen Fällen kommt es zu Messartefakten. In der Regel kommen Perfusionsmanometriesonden zum Einsatz, die über einen Ballon, bevorzugt mit Druckaufnehmer, an der Spitze verfügen. Damit kann zusätzlich die Rektumcompliance bewertet werden, ein Stuhldrangempfinden ausgelöst und die sensorische Schwelle ermittelt werden. Zunehmend
Die völlig schmerzlose Untersuchung bedarf keiner speziellen Vorbereitung des Patienten. Erforderlich ist lediglich eine Darmentleerung möglichst auf natürlichem Wege. Abführmaßnahmen sollten vermieden werden, da sie zu Irritationen des Analkanals und somit zu veränderten Messergebnissen führen können. Auf keinen Fall darf unmittelbar vor der Messung eine Prokto- oder Rektoskopie durchgeführt werden. Eine Sedierung ist nicht erforderlich und sollte vermieden werden. In Seitenlage des Patienten wird die mit Gleitmittel versehene Messsonde in den Analkanal eingeführt. Die Verwendung von LokalanästhetikaGel verbietet sich. Nach dem Einführen der Sonde sollte über wenige Minuten eine Adaptation abgewartet werden, bis mit der Messung begonnen wird. Zunächst erfolgt die Bestimmung des Sphinkterruhedrucks. Wünschenswert ist ein stufenweiser Durchzug. Dazu wird der Katheter wiederholt in Schritten von 0,5 oder 1 cm langsam aus dem Analkanal herausgezogen. Durch das Herausziehen kann es zu Sphinkterkontraktionen kommen, sodass nach jeder Manipulation etwa 30 s abgewartet werden sollte, bis sich ein stabiles Druckniveau ausgebildet hat. Diese stationäre Durchzugsmethode sollte daher dem kontinuierlichen Durchzug vorgezogen werden, wie er beispielsweise mit einer Zugmaschine (Puller) durchgeführt werden kann. Der kontinuierliche Zug stellt zwar das Sphinkterprofil präziser dar, nicht aber die Druckwerte. Die Messung des maximalen Kneifdrucks erfolgt gleichermaßen, jedoch unter maximaler willkürlicher Sphinkterkontraktion. Bei gleichzeitiger intrarektaler Druckkontrolle über einen luft- oder wassergefüllten Ballon an der Sondenspitze können Messfehler durch eine mögliche gleichzeitige Bauchpresse erkannt und ausgeschaltet werden. Die Auswertung erfolgt durch in der Regel softwaregestützte Ermittlung des Medians des maximalen Druckplateaus pro Durchzug. Durch eine zweidimensionale Darstellung im XYDiagramm, bei der die X-Achse der Zugstrecke und die Y-Achse dem Sphinkterdruck entsprechen, kann auch die Länge der Druckzone bestimmt werden. In der Literatur angegebene Normwerte sind lediglich als Anhaltszahlen zu werten. Entscheidend ist die Erfahrung des Manometrielabors durch die Ermittlung labor-, verfahrens- und ausrüstungsspezifischer Normwerte, sowie der intraindividuelle Vergleich im Verlauf bzw. vor und nach einer Therapie. Die Vektormanometrie erfordert auf einer Höhe radiär angeordnete Messpunkte auf der Sonde. Bei diesem Verfahren sollte ein Puller zum Einsatz kommen. Es entsteht eine anschauliche, dreidimensionale Darstellung des Sphinkterdruckprofils, mit der Asymmetrien erkannt werden können. Zusätzlich lässt sich die Länge und Konfiguration der Hochdruckzone präzise darstellen. Die Vektormanometrie ersetzt nicht die stationäre Durchzugsmanometrie. Ihr Stellenwert in der Diagnostik ist als Ergänzung anzusehen. Zur Beurteilung der Auslösbarkeit des anorektalen Inhibitionsreflexes wird der Sphinkterdruck bei zügiger Füllung des Rektumballons ermittelt. Es erfolgt hierbei eine stationäre Druck-
74
6
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
messung, bei der möglichst viele Messpunkte in der Hochdruckzone liegen sollten. Überprüft wird hierbei lediglich, ob der Reflex reproduzierbar ist. Die absoluten Druckwerte sollten nicht streng bewertet werden. Beim Defäkationstest presst der Patient wie beim Stuhlgang. Die gleichzeitig durchgeführte Sphinkterdruckmessung erfolgt unter manueller Stabilisierung der Messsonde. Beim Vorliegen einer paradoxen Sphinkterkontraktion wird der Test unter Füllung des Rektumballons bis zum Stuhldranggefühl wiederholt. Der intakte Inhibitionsmechanismus schließt einen Anismus (paradoxe Sphinkterkontraktion beim Pressakt) aus. Bei paradoxer Reaktion sollte die Diagnostik ausgeweitet werden. Auch dieses Testverfahren erlaubt lediglich eine qualitative Bewertung der Messergebnisse. Die Bestimmung der sensorischen Schwellen kann ebenfalls im Rahmen der Analmanometrie erfolgen, indem eine schrittweise manuelle Füllung des Rektumballons mit je 10 bis 20 ml Volumen vollzogen wird, bis der Patient Stuhldrang verspürt. Eine standardisierte Ballonfüllungszeit muss gefordert werden, da die Patientenwahrnehmung abhängig ist von der Füllungsgeschwindigkeit. So kann neben der Evaluation der subjektiven Empfindung des Patienten auch eine Messung der Rektumwandcompliance durchgeführt werden. Dazu wird der Druck-Volumen-Quotient an der Schmerzschwelle als statische Compliance als Näherungswert für die Rektumwandspannung bestimmt. Dieses Vorgehen kann das üblicherweise eingesetzte Barostat-Verfahren in der Praxis teilweise ersetzen. Für eine exakte Messung der Compliance sollte die Wandspannung des Rektums jedoch als dynamische Funktion mit der BarostatSonde ermittelt werden.
6.3.3 Klinische Indikationen
Die wichtigste Indikation zur anorektalen Manometrie ist die Stuhlinkontinenz, von der mehr als 2% der Bevölkerung betroffen sind.
Die alleinige palpatorische Untersuchung des Sphinkterapparates ist unzureichend und ungenau. Im Vergleich zur Endosonographie erscheint die Manometrie als funktionelles Messverfahren zuverlässiger zur Untersuchung der Inkontinenz, die Längenabbildung des Sphinkters ist jedoch sonographisch präziser (Fawler et al. 2003). Das gilt ebenso für entzündliche oder tumoröse Läsionen. Daher sollte nicht auf ein Verfahren alleine zurückgegriffen werden. In der Zusammenschau der Befunde kann zwischen diffusen und fokalen Ursachen der Inkontinenz unterschieden werden. Eine weitere Indikation zur anorektalen Manometrie besteht bei chronischen therapierefraktären Obstruktionsbeschwerden. Hier kann die Bestimmung der Auslösbarkeit des anorektalen Inhibitionsreflexes eine wichtige diagnostische Hilfe sein. Beim M. Hirschsprung findet sich typischerweise ein gestörter anorektaler Inhibitionsreflex trotz guter Rektumfüllung. In solchen Fällen ist eine weitergehende Diagnostik erforderlich. So kann der M. Hirschsprung mittels alleiniger Manometrie nicht gesichert werden, er kann jedoch ausgeschlossen werden bei intaktem Reflex, sodass hiermit eine geeignete Screeningmethode zur Verfügung steht (Emir et al 1999). Der Anismus kann mittels Defäkationstest bei reproduzierbarem Abfall des Sphinkterdrucks
. Abb. 6.9. Analmanometrie mit dreidimensionaler Darstellung des Sphinkters bei intaktem Sphinkter
75 Literatur
6
. Abb. 6.10. Analmanometrie mit dreidimensionaler Darstellung eines insuffizienten Sphinkters bei Inkontinenz
unter Pressen ausgeschlossen werden. Ein Ausbleiben der Inhibition beweist einen Anismus jedoch nicht. Auch hier sollten weitere Untersuchungen wie die Elektromyographie oder die Defäkographie durchgeführt werden. Findet eine Sphinkterrelaxation erst bei hohen Füllungsvolumina im Rektum statt, sollte ein Megarektum, Störungen der Rektumwandcompliance oder eine sensorische Neuropathie in Betracht gezogen werden. Vor elektiven, operativen Kontinuitätswiederherstellungen des Darmes oder der Auflösung protektiver Stomata gibt die Analmanometrie wertvolle Hinweise auf die erwartete postoperative Kontinenz, insbesondere, wenn präoperative Messergebnisse zum Vergleich vorliegen. Ebenso sinnvoll kann die präoperative Manometrie bei der Operationsplanung sein, wenn sich vor Rektumeingriffen die Frage der Rekonstruktion stellt (Franco et al. 2004).
Neben der Diagnostik und Therapieplanung eignet sich die Manometrie hervorragend zur Verlaufskontrolle, sodass auch konservative Therapiemaßnahmen wie eine BiofeedbackBehandlung hinsichtlich ihres Erfolges quantifiziert und dokumentiert werden können. Das gleiche gilt für operative Interventionen jeder Art. Die Ergebnisse der Manometrie sind im Gegensatz zu sensorischen Untersuchungen in hohem Maße intraindividuell reproduzierbar (Bharucha et al. 2004) und bieten damit eine zuverlässige Interpretation hinsichtlich einer postinterventionellen Veränderung (. Abb. 6.9 und 6.10).
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76
6
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
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7 7 Resorptionstests W.F. Caspary, J. Stein
7.1
Einführung
– 78
7.2
Resorptionstests für den oberen Dünndarm – 79
7.2.1 Disaccharid-(Laktose-)Toleranztests – 79 7.2.2 D-Xylosetest – 80 7.2.3 Atemtests – 80
7.3
Resorptionstests für den unteren Dünndarm – 81
7.3.1 Vitamin-B12-Resorptionstest (Schillingtest) 7.3.2 75SeHCAT-Test – 81
– 81
7.4
Globale Testverfahren
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4
Fettmalassimilation – quantitative Stuhlfettanalyse – 82 Proteinmalassimilation – Nachweis intestinalen Proteinverlusts – 83 Permeabilitätstests – 83 Hyperoxalurie – 84
7.5
Synopsis
– 86
Literatur – 87
– 82
78
Kapitel 7 · Resorptionstests
) ) . Tabelle 7.1. Malabsorption – Hinweise aus der Routinediagnostik (↓ erniedrigt; ↑ erhöht)
Operative Eingriffe am oberen Gastrointestinaltrakt wie auch am Dünndarm können vielfältige Auswirkungen auf digestive und resorptive Funktionen haben und in einer Malassimilation münden. Da die klinische Symptomatik vorwiegend aus Störungen dieser Partialfunktionen resultiert, prüfen Dünndarmfunktionstests Partialfunktionen des Darms und leisten einen diagnostischen und differenzialdiagnostischen Beitrag über Vorliegen, Lokalisation und Schweregrad dieser Störungen. Hierzu bieten sich die nachfolgenden Untersuchungsverfahren an, die teils entscheidend an die Mitarbeit des Patienten gebunden sind: 5 einfache Stuhluntersuchungen, mit geringem Aufwand durchführbar: makroskopische Beurteilung von Form, Farbe, Konsistenz, Volumen, Oberflächenbeschaffenheit und Gewicht des Stuhls; 5 Metaboliten- und Enzymbestimmungen im Stuhl; 5 Bilanzuntersuchungen (z. B. Fettbilanz); 5 Resorptions-(Toleranz-)Tests; 5 Atemtests.
7
Einführung
7.1
Eine normale Funktion des Verdauungstraktes ist an die Integrität der Dünndarmmukosa und an den koordinierten Ablauf einer Vielzahl digestiv-resorptiver und sekretorischer Partialfunktionen gebunden.
Hämoglobin
↓
Erythrozyten
↓
Hbe
↑ oder ↓
Serumeisen
↓
Serumferritin
↓
Serumfolat
↓
Serum-Vitamin B12
↓
Serumkalzium
↓
Serumphosphat
↓
Serummagnesium
↓
Alkalische Phosphatase
↑
Vitamin A im Serum
↓
β-Carotin im Serum
↓
Serumeiweiß
↓
Serumalbumin
↓
Prothrombin
↓
Oxalsäure im Urin
↑
Serumzink
↓
Partialfunktionen des Intestinaltraktes 5 5 5 5 5 5 5
Terminale Digestion Resorption Sekretion Motilität Endokrine/parakrine Sekretion Immunabwehr Barrierefunktion
Operative Eingriffe am oberen Gastrointestinaltrakt wie auch am Dünndarm können vielfältige Auswirkungen auf digestive und resorptive Funktionen haben und in eine Malassimilation münden.
Im Wesentlichen werden Resorptionstests dann zum Einsatz kommen, wenn beim Patienten die Leitsymptome einer Malabsorption, Gewichtsverlust und Diarrhö, bestehen.
Hinweise für ein Malabsorptionssyndrom (Caspary 1999b), das schon länger besteht, sind aus zahlreichen Parametern des klinischen Routinelabors zu erhalten (. Tab. 7.1). Besteht der Verdacht auf ein Malabsorptionssyndrom, bedingt durch eine Dünndarmkrankheit, werden sich Resorptionstests des oberen oder unteren Dünndarms anschließen (. Tab. 7.2). Der wichtigste globale Funktionstest für den Dünndarm ist die quantitative Stuhlfettbestimmung (Riley et al. 1998; Stein et al.
. Tabelle 7.2. Malabsorption – Topographische Diagnostik bei Verdacht auf Dünndarmkrankheiten
Oberer Dünndarm
Unterer Dünndarm
Spezialfragen
Globaltest
D-Xylosetest (Serum und Urin)
Schillingtest (Vitamin-B12-Resorptionstest)
α1-Antitrypsinclearance
Quantitative Stuhlfettbestimmung
Laktosetoleranztest
SeHCAT-Test (Messung des Gallensäurenverlustes)
51
Permeabilitätstests
H2-Atemtest nach Laktosegabe
Chromalbumintest
Gammakamerauntersuchung nach Gabe 99mTc-markierten Albumins
79 7.2 · Resorptionstests für den oberen Dünndarm
1999). Weitere globale Funktionstests sind diagnostische Verfahren zur Erfassung eines enteralen Proteinverlusts sowie einer Permeabilitätssteigerung des Dünn- und Dickdarms. 7.2
Resorptionstests für den oberen Dünndarm
Fast alle Nährstoffe (Ausnahme: Vitamin B12 und Gallensäuren) werden im oberen Dünndarm resorbiert. Störungen der Kohlenhydratassimilation betreffen überwiegend den oberen Dünndarm. Die wichtigsten Resorptionstests des oberen Dünndarms sind der Laktosetoleranztest und der D-Xylosetest. Besteht eine Steatorrhö, sind Laktosetoleranztest und/oder D-Xylosetest pathologisch, muss eine Dünndarmkrankheit angenommen werden (Stein et al. 1999).
7
chemische Messzelle (GMI-Exhaled Monitor, Fa. Stimotron, Wendelstein) oder nach dem Prinzip eines Gaschromatographen (Quintron-Microlyzer) sowie durchaus akzeptable preiswerte Messgeräte mit polarographischer Messzelle (Fa. Medicheck, Essen; Duan et al. 1994). Ein Blutglukoseanstieg nach oraler Gabe von 50 g Laktose von >20 mg/dl schließt in der Regel eine Laktoseintoleranz aus.
Der H2-Atemtest erfasst mit einem H2-Anstieg von>20 ppm die Folgesymptomatik einer Laktosemalabsorption mit Gasentwicklung (H2, CO2, CH4) aus nichtresorbierter Laktose im Dickdarm (Newcomer et al. 1975). Weniger als 5% der Menschen produzieren im Kolon keinen Wasserstoff (sog. »non-hydrogen producer«; Stein et al. 1999).
7.2.1 Disaccharid-(Laktose-)Toleranztests
Interpretation der Ergebnisse des Laktosetoleranztests und H2-Atemtests
Störungen der Digestion und Resorption des Disaccharids Laktose können als isolierte kongenitale Enzymdefekte (primärer Laktasemangel ohne jede morphologische Veränderung der Mukosarchitektur des Dünndarms) auftreten oder sekundär als unselektiver (meist Laktasebetonter) Disaccharidasenmangel bei Schädigungen der Dünndarmmukosa (z. B. Sprue, unter Therapie mit Neomycin, Colchicin oder Zytostatika). Laktase ist die anfälligste Disaccharidase der Dünndarmmukosa und ist bei morphologischen Veränderungen der Dünndarmmukosa meist vermindert, während die Aktivitäten der Disaccharidasen Saccharase, Maltase, γ-Amylase und Trehalase meist nicht kritisch reduziert sind (Caspary 1999a). Die klinische Symptomatik bei der Laktoseintoleranz ist von folgenden Faktoren abhängig: 4 Menge der aufgenommenen Laktose, 4 Magenentleerungsgeschwindigkeit, 4 Laktaseaktivität der Dünndarmmukosa, 4 Dünndarmpassagegeschwindigkeit, 4 Fermentationskapazität des Dickdarms für Laktose, 4 Rückresorptionskapazität für Fermentationsprodukte (kurzkettige Fettsäuren).
5 Plasmaglukoseanstieg>20 mg/dl, H2-Anstieg<20 ppm, keine Symptome: – Laktasemangel und Laktoseintoleranz ausgeschlossen 5 Plasmaglukoseanstieg<20 mg/dl, H2-Anstieg>20 ppm, Symptome: – Laktasemangel und Laktoseintoleranz 5 Plasmaglukoseanstieg<20 mg/dl, kein H2-Anstieg, Symptome: – »Non-hydrogen-producer« (Sicherung durch Laktulose-H2-Atemtest) – Antibiotikatherapie, vorherige Abführmaßnahmen 5 Plasmaglukoseanstieg >20 mg/dl, H2-Anstieg >20 ppm, Symptome: – Laktasemangel bei Diabetes mellitus möglich – Schneller intestinaler Transit mit Laktosemalabsorption trotz normaler Laktaseaktivität (z. B. Postgastrektomie-Syndrom) 5 Plasmaglukoseanstieg<20 mg/dl, H2-Anstieg 20 ppm, keine Symptome: – Magenentleerungsstörung – Laktasemangel ohne Laktoseintoleranz (Kompensation durch Rückresorption von kurzkettigen Fettsäuren im Kolon)
Testprinzip. Mit dem Laktosetoleranztest (LTT; Messung des Glukoseanstiegs nach oraler Gabe von Laktose) wird die Resorptionskapazität für Laktose bestimmt. Wichtiger ist jedoch die Erfassung der klinischen Folgesymptomatik einer Laktoseintoleranz: Meteorismus, Flatulenz und Durchfälle. Hierzu eignet sich die simultane Bestimmung von Wasserstoff (H2) in der Atemluft (Laktose-H2-Atemtest). Der Test beruht auf der Erfassung der bakteriellen Fermentation von Laktose im Dickdarm, bei der aus dem Disaccharid kurzkettige Fettsäuren, H2, CO2 und CH4 entstehen (Levitt et al. 1970; Strocchi et al. 1993). Durchführung und Interpretation. Konventionelle Methode des Laktosetoleranztests ist die Bestimmung des Blutglukoseanstiegs nach 30, 60, 90 und 120 min gegenüber dem Ausgangswert zum Zeitpunkt 0 nach oraler Verabreichung von 50 g Laktose in 400 ml Wasser. Atemproben für die H2-Analyse werden zu den gleichen Zeitpunkten entnommen. Die Bestimmung der H2Konzentration (»parts per million«, ppm) in der Atemluft ist in Klinik und Praxis mit einfachen Geräten möglich: elektro-
Fehlerquellen. In etwa 25% kommt es nach oraler Laktosebelas-
tung trotz normaler Laktaseaktivität zu einem abgeflachten Blutglukoseverlauf. Ursächlich kommen dafür in Betracht: 4 Motilitätseinflüsse wie verzögerte Magenentleerung, aber auch sehr rasche Intestinalpassage mit einem Blutglukosemaximum schon nach 15 min (z. B. nach Magenresektion). Unter letzterer Situation wird der H2-Atemtest aber eindeutig pathologisch sein (s. Übersicht oben; Caspary 1999a). 4 Störungen der Resorptionsfunktion: Wiederholung des Testablaufs mit 25 g Glukose und 25 g Galaktose. 4 Bei Patienten mit pathologischer Glukosetoleranz oder manifestem Diabetes mellitus sind falsch-negative Ergebnisse des LTT zu erwarten. 4 Unter Antibiotikatherapie oder nach Abführmaßnahmen ist der H2-Atemtest nicht verwertbar (falsch-negativ).
80
7
Kapitel 7 · Resorptionstests
7.2.2 D-Xylosetest
7.2.3 Atemtests
Der D-Xylosetest prüft die funktionelle Integrität des proximalen Dünndarms. Oral verabreichte D-Xylose (Pentose) wird aktiv, aber sehr träge im oberen Dünndarm resorbiert. Etwa 50% der D-Xylose werden vom Dünndarm resorbiert, wovon die Hälfte metabolisiert und die andere Hälfte im Urin ausgeschieden wird. Krankheiten mit einer Einschränkung der resorptiven Oberfläche des Dünndarms weisen eine erniedrigte D-Xyloseausscheidung im Urin sowie niedrige postabsorptive Serum-DXylosekonzentrationen auf. Die klassische Indikation für den D-Xylosetest ist die einheimische Sprue. Die diagnostische Bedeutung des D-Xylosetests ist jedoch größer, da auch andere Störungen des Dünndarms (z. B. partielle Dünndarmresektion, Medikamentenschädigung, bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms durch Blindsack-Syndrom, Dünndarmdivertikel oder Motilitätsstörungen) eine Reduktion der D-Xyloseresorption bewirken (Lembcke 1998; Peled et al. 1991; Stein et al. 1999).
Der Wasserstoff-(H2-)Atemtest wurde bereits bei der Durchführung des Laktosetoleranztests mit gleichzeitiger H2-Bestimmung in der Atemluft vorgestellt. Der H2-Atemtest kann jedoch bei jeglicher Art von Kohlenhydratmalabsorption eingesetzt werden (Caspary 1978). Bei Verwendung von Saccharose dient er als diagnostischer Test für eine Saccharoseintoleranz. Bei Verwendung von Fruktose dient der H2-Atemtest zur Erfassung der individuellen Unverträglichkeit von Fruktose, schließlich kann bei Verwendung von Glukose und Galaktose als Substrate die seltene angeborene Glukose-Galaktose-Intoleranz diagnostisch erfasst werden (Caspary 1999a).
Durchführung. Nach Blasenentleerung trinkt der nüchterne Patient 25 g D-Xylose in 600 ml Wasser bzw. schwachem Tee. Der 5-h-Sammelharn nach Testbeginn ist vollständig zu asservieren. Venöse Blutentnahmen erfolgen zu den Zeitpunkten 0, 15, 30, 60, 90 und 120 min. Die Bestimmung der D-Xylose im Serum und Urin erfolgt photometrisch (546 nm) nach Bildung eines Chromogens mittels p-Brom-Anilin oder durch eine spezifische enzymatische Methode (Lembcke 1998; Stein et al. 1999).
Durchführung. Endexpiratorische H2-Konzentrationen werden vor Testbeginn sowie 30, 60, 90 und 120 min nach oraler Gabe von 75 g Glukose bestimmt.
Normalwerte. Die Ausscheidung von D-Xylose im Urin unterliegt nicht nur möglichen Sammelfehlern, sondern wird auch durch das Alter des Patienten (Abnahme der Nierenfunktion) sowie ungenügende Hydratation, Azetylsalizylsäure und bei Hypothyreose beeinflusst. Als normal gilt eine D-Xyloseausscheidung von >4 g/5 h (26,6 mmol/5 h), d. h. 16% der verabreichten Dosis (25 g). Als normaler Anstieg der Serumkonzentration von D-Xylose gelten Werte von >10 mg/dl (nach 15 min) oder >20 mg/dl (30 min) bzw. >30 mg/dl (nach 60 min). Wertigkeit und Interpretation. Ein pathologischer D-Xylose-
test deutet auf Reduktion der Resorptionsfläche des Dünndarms (Sprue, Darmresektion, Kurzdarm) hin. Ein falsch-negativer Test kann durch Malabsorption bei Krankheiten des distalen Dünndarms (z. B. M. Crohn des Ileums) oder bei Maldigestion durch exokrine Pankreasinsuffizienz, Cholestase und Gallensäurenmangel bedingt sein. Leberkrankheiten mit Aszites, Niereninsuffizienz und bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms können zu einem falsch-positivem Test führen.
Ein pathologischer D-Xylosetest weist in erster Linie auf eine Resorptionsstörung im Dünndarm hin, kann aber auch bei der bakteriellen Überbesiedlung des Dünndarms pathologisch sein. Unter letzterer Bedingung normalisiert sich der Test nach einer Antibiotikatherapie (z. B. Doxycyclin).
Fehlerquellen. Fehlerhafte Urinsammlung, Harnwegsinfekte,
Resorptionsstörungen durch Medikamente (Indometacin, Neomycin, Metformin), Aszites, starke Veränderungen der Magenentleerung.
Glukose-H2-Atemtest H2-Atemtests beruhen auf der bakteriellen Fermentation von Kohlenhydraten durch gramnegative Bakterien im Dünn- oder Dickdarm. Glukose wird normalerweise im Dünndarm vollständig resorbiert und gelangt nicht in den Dickdarm.
Wertigkeit und Interpretation. Der Glukose-H2-Atemtest wird als der praktikabelste Test zur Erfassung einer bakteriellen Überbesiedlung des Dünndarms angesehen. Ein Anstieg der endexspiratorischen H2-Konzentration nach oraler Glukosegabe (75 g) um >20 ppm zeigt an, dass eine bakterielle Metabolisierung des Zuckers stattgefunden hat. Da eine Malabsorption von Glukose ohne Magenresektion (Billroth II) oder Dünndarmresektion nicht vorkommt, zeigt ein frühzeitiger Anstieg der H2-Konzentration in der Atemluft eine bakterielle Überbesiedlung des oberen Dünndarms an. Sensitivität (65–93%) und Spezifität (ca. 90%) des Tests für eine Erfassung einer bakteriellen Überbesiedlung sind zufriedenstellend (Bai 1998; Toskes et al. 1998).
Laktulose-H2-Atemtest Die rasche Bildung, Resorption und Exhalation von H2 aus Kohlenhydraten kann für die Bestimmung der orozäkalen Transitzeit benutzt werden. Durchführung. Ein nicht resorbierbarer Zucker (z. B. Disaccharid-Laktulose) wird oral verabreicht und die H2-Konzentration in der Atemluft sequenziell in kurzen Abständen (5 min) bestimmt. Der erste abgrenzbare Anstieg der H2-Konzentration korreliert dabei mit der Ankunft der Testlösungsfront im Zäkum (validiert für 10 g Laktulose in 150 ml Wasser). Wertigkeit und Interpretation. Die Bedeutung des Tests liegt eher bei der Möglichkeit, intraindividuelle Vergleichsuntersuchungen unter Therapieeinfluss durchzuführen, weniger aussagefähig ist die klinisch-diagnostische Bedeutung, da eine erhebliche interindividuelle Variabilität (d. h. große Streubreite; R: 30–150 min) besteht (Stein et al. 1999). 14
C-Glykocholatatemtest Der 14C-Glykocholatatemtest war der erste Atemtest zur Erfassung einer bakteriellen Überbesiedlung.
81 7.3 · Resorptionstests für den unteren Dünndarm
7
Testprinzip und Durchführung. Der Test basiert auf der Fähigkeit . Tabelle 7.3. Pathologische Vitamin-B12-Resorption im Schillingtest nach Ileumresektion. (Nach Stein et al. 1999)
von Bakterien des Dünndarms, Gallensäuren zu dekonjugieren. Anschließende Resorption und Metabolisierung der 14C-markierten Glyzinkomponente führen zu einem Anstieg von 14CO2 in der Atemluft. Gemessen wird das 14CO2/CO2-Verhältnis (Stein et al. 1999; Toskes et al. 1998).
Ileumres ektion (cm)
Wertigkeit und Interpretation. Der Test ist pathologisch, wenn
>4,5% der applizierten Radioaktivität in 6 h in der Atemluft erscheint. Der 14C-Glykocholatatemtest vermag jedoch nicht zwischen einer bakteriellen Überbesiedlung des Dünndarms oder Malabsorption von Gallensäuren (Dekonjugation im Dickdarm) zu unterscheiden. Beim 14C-Glykocholatatemtest werden 185 MBq (5 µCi) 14Cmarkierte Gallensäure oral als Tracerdosis verabreicht. Obwohl diese geringe Menge an Radioaktivität unterhalb der Freigrenze liegt, ist die Anwendung beim Menschen zumindest in Deutschland problematisch, da 14C-Glykocholsäure nicht als Radiopharmazeutikum, sondern lediglich als Radiochemikalie zugelassen ist; zudem gibt es zunehmend prinzipielle und ökologische Bedenken gegenüber dem langlebigen β-Strahler, sodass sich generell Atemtests unter Verwendung des β-Strahlers 14C nicht durchgesetzt haben. Als Alternative kann der 13C-Glykocholatatemtest eingesetzt werden, wobei das Risiko der Strahlenbelastung entfällt. 14
C-D-Xyloseatemtest
Testprinzip und Durchführung. Der
<30
4
30–60
45
60–90
71
>90
97
Vitamin B12 wird nach Kopplung an Intrinsic Factor im unteren Dünndarm resorbiert (Caspary 1999c; Neale 1990). Nach Resektion des unteren Dünndarms vermag der obere Dünndarm die spezifische Vitamin-B12-Resorption nicht adaptativ zu erwerben. Das Ileum besitzt spezifische Rezeptoren für den Vitamin-B12Intrinsic-Factor-Komplex, sodass die Ausdehnung einer Ileumresektion negativ mit der Vitamin-B12-Resorption korreliert (Caspary et al. 1999b; . Tab. 7.3). Der Schillingtest setzt eine normale Nierenfunktion voraus. Mit Intrinsic Factor stellt er die klassische Funktionsprüfung für den unteren Dünndarm dar.
Durchführung. Dem nüchternen Patienten werden oral 0,5 µCi 14
C-D-Xyloseatemtest basiert auf der Fähigkeit gramnegativer Bakterien, D-Xylose zu 14 CO2 zu metabolisieren. 14CO2 wird in der Atemluft nach Gabe von 1 g D-Xylose mit einem Tracer von 14C D-Xylose gemessen. Wertigkeit und Interpretation. Die Sensitivität des Tests liegt zwischen 65–95%. Die Limitation liegt ebenfalls in der Strahlenbelastung durch das langlebige 14C (Stein et al. 1999; Toskes et al. 1998). In der Zwischenzeit steht auch der 13C-Xyloseatemtest mit dem nicht strahlenden stabilen Isotop 13C zur Verfügung.
7.3
Pathologischer Schillingtest (%)
Resorptionstests für den unteren Dünndarm
Resorptionstest zur Erfassung der Funktion des unteren Dünndarms sind der Vitamin-B12-Resorptionstest (Schillingtest) sowie der SeHCAT-Test. 7.3.1 Vitamin-B12-Resorptionstest (Schillingtest) Malabsorption von Vitamin B12 kann auftreten als Ursache von: 4 Intrinsic-Factor-Mangel (bei Perniziosa oder nach Magenresektion), 4 Pankreasinsuffizienz (fehlerhafter Transfer von Vitamin B12 vom R-Protein zum Intrinsic Factor), 4 Bindung/Metabolisierung (zu Cobamiden) durch Bakterien bei bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms, 4 Funktionseinschränkung (z. B. M. Crohn) oder Fehlen des terminalen Ileums (Resektion; Behrend et al. 1995; Caspary 1999b; Filipsson et al. 1978).
57
Co-Vitamin B12 verabreicht (bei Auslegung als Ileumfunktionstest mit Intrinsic Factor). Um die renale Exkretion von resorbiertem markiertem Vitamin B12 zu steigern, werden 1 h nach der Applikation des markierten Vitamins B12 intramuskulär 1000 µg nicht radioaktiv markierten Vitamins B12 verabreicht (»flushig dose«). Dadurch werden die im Serum vorhandenen VitaminB12-bindenden Proteine abgesättigt. Über den Mechanismus der kompetitiven Verdrängung wird radioaktives Vitamin B12 aus der Bindung mit seinen Transportproteinen herausgelöst und aus den intrazellulären Speichern entfernt. Nach beiden Applikationen wird der Urin komplett über 24 h gesammelt (Schröder et al. 1999; Stein et al. 1999). Wertigkeit und Interpretation. Eine renale Ausscheidung von
10–30% der verabreichten Radioaktivität im 24-h-Urin entspricht der Norm. Über die möglichen Interpretationen der Ergebnisse des Schillingtestes mit und ohne Intrinsic Factor . Tab. 7.4. Der Vitamin-B12-Resorptionstest mit Intrinsic Factor ist nicht spezifisch für eine Ileumfunktionsstörung, da bei bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms Vitamin B12 von Bakterien zu unwirksamen Cobamiden metabolisiert wird (Brandt et al. 1977) und somit zu einem pathologischen Testausfall führen kann. Auch bei Pankreasinsuffizienz und Sprue kann der Test pathologisch sein. Fehlerquellen. Unvollständige Urinasservation ist die häufigste Fehlerquelle. Eine Nierenfunktionsstörung kann zu falsch-positiven Testresultaten führen.
7.3.2
75
SeHCAT-Test
Die klinisch-chemische Diagnostik des enteralen Gallensäurenverlusts durch enzymatische Bestimmung der Gallensäuren im Stuhl mit der 3α-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Methode, die
82
Kapitel 7 · Resorptionstests
. Tabelle 7.4. Vitamin-B12-Resorption (Schillingtest) bei verschiedenen Krankheiten
7
Test
Perniziosa/ Gastrektomie
Sprue/Zöliakie
Bakterielle Überbesiedlung
Primäre Vitamin-B12Malabsorption oder Ileumresektion
Pankreasinsuffizienz
Vitamin B12
Niedrig
Niedrig/normal
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 + Intrinsic Factor
Normal
Niedrig/normal
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 nach Antibiotikatherapie
Niedrig
Niedrig/normal
Normal
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 nach glutenfreier Diät
Niedrig
Normal
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 nach Pankreasenzymsubstitution
Niedrig
Niedrig/normal
Niedrig
Niedrig
Normal
Bestimmung postprandialer Anstiege konjugierter Gallensäuren im Serum mittels RIA sowie der 14C-Glykocholatatemtest (Strahlenbelastung) haben sich klinisch nicht durchgesetzt. Methode der Wahl zur Erfassung eines enteralen Gallensäurenverlusts ist eine nuklearmedizinische Methode, der SeHCAT-Test (Bai 1998; Nylin et al. 1994; Sciaretta et al. 1986; Stein et al. 1999). Testprinzip. Verwendet wird eine künstliche Gallensäure, 75Selen-
markierte (im Steroidgerüst an Position 23) Homotaurocholsäure. Nach aktiver Aufnahme im Ileum durchläuft 75SeHCAT ca. 3- bis 12-mal pro Tag den enterohepatischen Kreislauf. Gemessen wird die Retention der markierten Gallensäure über einen Zeitraum von 24–48 h. Eine verminderte Retention signalisiert somit einen erhöhten enteralen Verlust (Sciaretta et al. 1986). Durchführung. Nach Ermittlung des Nüchternnullwerts und
einer Kontrolle 30 min nach Einnahme von 37 kBq (10 µCi) 75 SeHCAT wird zunächst (nach 3 h) die Ausgangsaktivität über dem Abdomen mit einer Großfeldgammakamera bestimmt. Weitere Messungen erfolgen an den nachfolgenden Tagen (2., 4., 7. Tag). Normalerweise werden 80% der Gallensäure nach 24 h retiniert, nach 72 h 50% und 19% nach 7 Tagen. Als pathologisch wird eine 75 SeHCAT-Retention <25% nach 4 Tagen und <12% nach 7 Tagen gewertet. Bei Patienten mit chronischem Gallensäurenverlust beträgt die SeHCAT-Retention oft <5% (Schröder et al. 1999). Wertigkeit und Interpretation. Der SeHCAT-Test ist ein sehr sensitives Verfahren, mit dem sich bereits eine Gallensäurenmalabsorption bei einer Ileumresektion von 20 cm feststellen lässt. Im Gegensatz zum 14C-Glykocholatatemtest ist er spezifisch für eine Gallensäurenmalabsorption. Der Test ermöglicht zwar die Abschätzung des Schweregrad eines Gallensäurenverlusts, vermag jedoch nicht zwischen kompensiertem und dekompensiertem Gallensäurenverlustsyndrom zu differenzieren. Hierzu dient die quantitative Stuhlfettanalyse. Fehlerquellen. Auf die gleichzeitige Durchführung von Abführmaßnahmen ist zu achten. Ionenaustauscher (Colestyramin, Colestipol) sind 3 Tage vor dem Test abzusetzen. Der SeHCATTest überschätzt eher den Gallensäurenverlust, bedingt durch fehlende Rückresorption der synthetischen Gallensäure im Colon ascendens (Stein et al. 1999).
7.4
Globale Testverfahren
7.4.1 Fettmalassimilation – quantitative
Stuhlfettanalyse
Die quantitative Stuhlfettanalyse stellt einen wichtigen Suchtest für das Vorliegen eines Malabsorptionssyndroms dar. Sie umfasst neben Störungen der Lipolyse (pankreatische Phase der Fettverdauung) auch Störungen der hepatobiliären Phase (Mizellenbildung), der intestinalen Phase (Resorption, Reveresterung) sowie lymphatische Abflussstörungen (Caspary 1999b).
Damit ist die quantitative Stuhlfettbestimmung ein wichtiger diagnostischer Parameter für eine Fettmalabsorption, der jedoch keine Information über die Ursache oder Lokalisation der Störung der Digestion oder Resorption von Neutralfetten gibt. Normalerweise liegt die fäkale Fettausscheidung in 24 h unter 20 mmol Fettsäuren (6 g) und bleibt auch dann konstant, wenn die Fettzufuhr auf 150–200 g/Tag gesteigert wird (Stein et al. 1999). Durchführung und Bestimmungsmethoden. Die Messung der Fettausscheidung im Stuhl stellt eine vereinfachte Bilanzuntersuchung dar, wobei eine konstante orale Aufnahme von 80–100 g Neutralfett vorausgesetzt wird. Eine Fettzufuhr von <70 g/Tag bzw. >150 g/Tag sollte nicht unter- bzw. überschritten werden. Die Bestimmung von Stuhlgewicht und Fettausscheidung über 3 Tage (72-h-Stuhl) ist dabei wegen der Tag-zu-Tag-Variabilität beider Parameter als zeitliches Minimum zu betrachten. Traditionell erfolgt die Stuhlfettanalyse vielerorts noch nach der aufwendigen Van-de-Kamer-Methode (van de Kamer et al. 1949). Eine mittlere Stuhlfettausscheidung von >7 g/Tag gilt als pathologisch (Steatorrhö). Eine zunehmend eingesetzte methodische alternative Bestimmungsmethode ist die nahe Infrarotabsorptionsspektrometrie (NIRA). Im nahen Infrarotbereich (700–2500 nm) lässt sich durch das an der Oberfläche des Stuhls reflektierte Licht in seinem Spektrum der Fettgehalt des Stuhls qualitativ und quantitativ sicher erfassen (Caliari et al. 1996; Lembcke et al. 1994; Stein et al. 1995).
83 7.4 · Globale Testverfahren
Fehlerquellen. Neben einer unzureichenden oder inkonstanten Fettzufuhr (Beginn 3 Tage vor der Sammelperiode und während der Sammelperiode) besteht die Hauptfehlerquelle in der unvollständigen Stuhlasservation (72 h). Bei der Ernährung mit mittelkettigen Triglyzeriden (MCT-Kost) entstehen bei der Van-deKamer-Methode Fehler durch unvollständige Extraktion und in der Berechnung (geringeres Molekulargewicht). Stark entzündliche Stühle mit Schleim und Blut oder stark wässrige Stühle führen bei beiden Methoden zu falsch-normalen bzw. pathologischen Ergebnissen (Stein et al. 1999).
7.4.2 Proteinmalassimilation – Nachweis
intestinalen Proteinverlusts Klinisch brauchbare Methoden zum Nachweis einer Resorptionsstörung für Proteine, Peptide und Aminosäuren existieren nicht. Nur bei seltenen angeborenen Resorptionsstörungen für Aminosäuren (z. B. neutrale Aminosäuren bei der HartnupKrankheit) kann die fehlende Resorption isolierter Aminosäuren durch einen oralen Belastungstest und mangelndem Anstieg der Aminosäurenkonzentration im Blut nachgewiesen werden. Klinisch bedeutsamer ist ein gesteigerter enteraler Verlust von Proteinen über Magen, Dünn- oder Dickdarm. Neben den klassischen Krankheitsbildern des M. Ménétrier und der intestinalen Lymphangiektasie kann bei über 40 Krankheitsbildern ein gesteigerter enteraler Proteinverlust auftreten.
An einen enteralen Proteinverlust ist immer dann zu denken, wenn Symptome der Hypoproteinämie (Ödeme, Aszites, Pleura- und Perikardergüsse) bei fehlender Proteinurie und Lebersynthesestörung auftreten. Nur in den seltensten Fällen führt eine Malnutrition zur Hypoproteinämie.
Für eine direkte Diagnostik des enteralen Proteinverlusts ist die Bestimmung der fäkalen Proteinausscheidung grundsätzlich nicht geeignet, da die in das Darmlumen ausgeschiedenen Proteine nach Verdauung als Aminosäuren zum Teil rückresorbiert werden und sich so einer Analytik entziehen. Aus diesem Grunde wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Methoden beschrieben und auch klinisch angewandt, bei denen radioaktiv markierte Makromoleküle wie 131J-markierte Serumproteine, 131J-Polyvinylpyrrolidin (Gordon-Test), 67CuCoeruloplasmin und 69Fe-Dextran eingesetzt wurden. Bewährt haben sich klinisch lediglich der 51Cr-Albumintest, die α1-Antitrypsinclearance (Bai 1998; Strygler et al. 1990) sowie die nuklearmedizinische Ortungsdiagnostik mit 99mTc-markiertem Albumin (Schröder et al. 1999). Wegen der fehlenden Strahlenbelastung ist die α1-Antitrypsinclearence-Test der Wahl zur Erfassung eines gesteigerten enteralen Proteinverlustes (Bai 1998; Stein et al. 1999). α1-Antitrypsinclearance. Der Proteinaseinhibitor α1-Antitrypsin eignet sich vorzüglich als endogener Marker zum Nachweis der enteralen Proteinausscheidung zum einen dadurch, dass er ca. 5% des gesamten Serumproteinbestands ausmacht und sein Molekulargewicht mit 50 kDa ähnlich wie das von Albumin (67 kDa) ist, zum anderen unterliegt er nur einer geringen intestinalen Degradation und wird somit unverändert im Stuhl ausgeschieden.
7
Durchführung. Die über 72 h ausgeschiedene Stuhlmenge wird gewogen, die native Stuhlprobe mit 0,9% NaCl 1:20 verdünnt, zentrifugiert und die α1-Antitrypsinkonzentration im Überstand mittels radialer Immundiffusion oder mittels ELISA bestimmt. Besser als Angabe der alleinigen Konzentration bzw. Menge der Stuhlausscheidung hat sich die Berechnung der Clearance bewährt, wobei zusätzlich α1-Antitrypsin im Serum zu bestimmen ist.
Vg *F α1-ATC [ml/24 h] = 51 S α1-ATC α1-Antitrypsinclearance, V mittleres Stuhlvolumen, über 3 Tage (ml/24 h), F mittlere fäkale Konzentration von α1-Antitrypsin (mg/100 ml), S α1-Antitrypsinkonzentration im Serum (mg/100 ml). Normalpersonen weisen eine intestinale α1-Antitrypsinclearance von <35 ml/Tag auf, bei ausgeprägtem Proteinverlustsyndrom werden Werte von >400 ml/Tag gefunden. Wertigkeit und Interpretation. Die Methode stellt einen wertvol-
len Parameter in der gastroenterologischen Dünndarmdiagnostik dar. Der verstärkte Proteinverlust bei gastraler Exudation (M. Ménétrier) wird durch die Methode jedoch nicht zuverlässig erfasst, da α1-Antitrypsin bei pH-Werten von <3 instabil ist. Krankheiten mit enteralem Proteinverlust auf dem Boden einer Lymphangiektasie führen zu einer Lymphopenie und niedrigen Triglyzeriden im Serum. Der Nachweis eines zur Hypalbuminämie führenden enteralen Proteinverlusts ohne bekannte entzündliche Grunderkrankung stellt eine Indikation zur szintigraphischen Lokalisationsdiagnostik mit 99mTc-Albumin dar (Schröder et al. 1999). Calprotectin im Stuhl. Das im Zytosol von Neutrophilen gebil-
dete Kalzium-bindende Protein erweist sich aufgrund seiner Stabilität im Stuhl als neuer zuverlässiger Marker intestinaler Entzündungen. 7.4.3 Permeabilitätstests Neben einer effizienten Resorption von Wasser, Elektrolyten, Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen ist die wichtigste Leistung des Intestinaltrakts die Aufrechterhaltung einer Barriere zwischen äußerem und innerem Milieu. Sie verhindert einen passiven Ein- und Austritt (Permeabilität) von gelösten hydrophilen Substanzen. Als passiver Vorgang ist die Permeabilität durch die Darmmukosa abhängig von den physikochemischen Eigenschaften der permeierenden Substanzen, ihren transmembranären Konzentrationsgradienten, aber auch von Fläche, Integrität und spezifischer Struktur des Epithels. Zahlreiche klinische Untersuchungen weisen auf primäre und sekundäre Veränderungen der intestinalen Permeabilität bei verschiedenen Krankheiten hin (7 Übersicht). Permeabilitätsstörungen sind häufig unter Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) nachweisbar und mitverantwortlich für die NSAR-Enteropathie (Davies 1998; Reuter et al. 1997). Störungen der intestinalen Barriere im Rahmen der Ischämie/ Reperfusion gelten nach neueren Untersuchungen als eines der Primärereignisse eines Multiorganversagens beim kritisch kranken Patienten (Fink 1987; Pape et al. 1994; Unno et al. 1998).
84
Kapitel 7 · Resorptionstests
Krankheiten und Therapienebenwirkungen mit erhöhter intestinaler Permeabilität 5 5 5 5 5 5 5 5 5
7
Sprue/Zöliakie M. Crohn, Colitis ulcerosa Multiple Traumata Verbrennungen Schock Zytostatikatherapie NSAR-Enteropathie Mukoviszidose Leberzirrhose
Permeationswege. Abhängig von den physikochemischen Eigenschaften und dem Molekulargewicht lassen sich für polare Substanzen zwei Permeationswege aufzeigen: 4 transzellulär durch funktionscharakterisierte hydrophile Kanäle der Enterozytenmembran: polare Substanzen mit einem Molekulargewicht von <180 (Monosaccharide); 4 parazelluär: 51Cr-EDTA und größere Di- und Oligosaccharide (MG >300).
Über den Permeationsweg von Polyethylenglykol (PEG) herrscht noch keine Klarheit. Bei PEG handelt es sich um ein Gemisch von Molekülen über einen definierten Molekulargewichtsbereich (z. B. PEG 400, PEG 600, PEG 1000). So reicht der Molekulargewichtsbereich von PEG 400 – häufigstes eingesetztes PEG – von 192–504 Dalton. Nach den in . Tab. 7.5 aufgeführten Kriterien sind gegenwärtig die komplexgebundenen Radionuklide 51CrEDTA und 99mTc-DPTA insbesondere im Hinblick auf die gute Reproduzierbarkeit und hohe Sensitivität der Messungen als Testmarker der ersten Wahl anzusehen (Davies 1998). Sie erlauben zudem je nach Messzeitpunkt eine simultane und differenzielle Erfassung der Dünn- und Dickdarmpermeabilität (Bjarnason et al. 1995; Stein et al. 1999). Die von verschiedenen Autoren oft kritisch angemerkte Strahlenbelastung (0,12 mSv bei Einsatz von 3,7 Mbq 51Cr-EDTA) liegt im Rahmen üblicher radiologischer Untersuchungstechniken (Röntgen-Thorax: 0,05 mSv, Röntgen-Abdomen 1,34 mSv).
Durchführung. Grundsätzlich können zum Nachweis von Permeabilitätsstörungen iso- bzw. hypertone Lösungen verwendet werden, die eine oder mehrere Testsubstanzen enthalten. Der Einsatz von kombinierten Oligosaccharid/Monosaccharid-Testlösungen bietet die Möglichkeit, Störungen unterschiedlicher Permeationswege zu erfassen und gleichzeitig durch Berechnung eines Oligo-/Monosaccharid-Quotienten den Einfluss von Störfaktoren (Urinsammelfehler, Änderungen der intestinale Passagezeit) zu minimieren. Anhaltende Diskussionen über den idealen Permeabilitätsmarker und fehlende Standardisierung lassen deshalb momentan noch keine eindeutige Empfehlung zu. Es soll deshalb nur auf den am häufigsten benutzten Mono-/Oligosaccharid-Test eingegangen werden. Der nüchterne Patient trinkt 200 ml Wasser mit 10 g eines Oligosaccharids (Laktulose, Cellobiose) und 2 g eines Monosaccharids (Mannit, Rhamnose, Arabinose). Der quantitative Nachweis im 5-h-(24-h-)Sammelurin der genannten Zucker erfolgt mittels chromatographischer (Hochdruckflüssigkeitschromatographie, HPLC, Gaschromatographie, GC) Methoden oder im Falle von 51Cr-EDTA oder 99mTc-DPTA mittels eines Gammacounters. Für Mannit und Laktulose stehen auch spektralphotometrische oder enzymatische Messverfahren zur Verfügung. Die Berechnung erfolgt in Prozent der verabreichten Menge bzw. als Oligo-/Monosaccharid-Quotient (Stein et al. 1999). Wertigkeit und Interpretation. Erhöhte intestinale Permeabilität findet sich beim Vollbild der Sprue/Zöliakie wie auch beim M. Crohn und der Colitis ulcerosa (7 Übersicht oben).
7.4.4 Hyperoxalurie Bei zahlreichen Krankheiten mit Durchfällen und Malabsorption wird ein vermehrtes Auftreten von Nierensteinen beobachtet (Caspary 1975). Vor allem bei Patienten mit M. Crohn und Ileumbefall oder -resektion (besonders häufig beim Kurzdarmsyndrom), aber auch bei Malabsorption und Steatorrhö (Sprue, chronische Pankreatitis). Es handelt sich dabei um eine Oxalatsteinnephrolithiasis, die durch eine sekundäre (enterale) Hyperoxalurie bedingt ist (Caspary 1975; Hofmann et al. 1983).
. Tabelle 7.5. Eigenschaften intestinaler Permeabilitätsmarker. (Nach Davies 1998)
Eigenschaft
51Cr-EDTA/99Tc-DPTA
Monosaccharide
Oligosaccharide
PEG
Strahlenbelastung
+
–
–
–
Bakteriell abbaubar
–
+
+
–
Toxisch
–
–
–
–
Metabolisierbar
–
–
–
–
Endogene Synthese
–
(+)
–
–
Vollständige renale Ausscheidung
+
–
+
–
Hydrophil
+
+
+
+
Lipophil
–
–
–
+
Suffiziente Analytik
+
+
+
+
Permeationskinetik 1. Ordnung
+
+
+
+
85 7.4 · Globale Testverfahren
. Tabelle 7.6. Laboruntersuchungen und Funktionstests bei Verdacht auf Malabsorption
Test
Normalwerte
Veränderungen bei Malabsorption
Blut Hämoglobin
14–17 g/dl
↓ Bei Eisenmangel
Erythrozyten
4,2–5,6 Millionen/pl
↓ Bei Folsäure-/Vitamin-B12-Mangel
HbE
28–32 ng
↓ Bei Eisenmangel ↓ Bei Folsäure-/Vitamin-B12-Mangel
Albumin
4,0–5,0 g/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten und enteralem Proteinverlust, Malnutrition
β-Carotin
60–400 µg/dl
Serum
↓ Bei Dünndarmkrankheiten ↓ Bei Dünndarmkrankheiten
Kalzium Alkalische Phosphatase
80–170 IE/L
↑ Bei Vitamin-D-Mangel, Osteomalazie
Magnesium
1,8–3,0 mg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten
Kalium
3,5–4,7 mÄq/l
↓ Bei Dünndarmkrankheiten, villösen Adenomen
Cholesterin
150–250 mg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten mit Fettmalabsorption
Eisen
65–175 µg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten, intestinalem Blutverlust
Ferritin
15–300 µg/l
↓ <5 bei Sprue, intestinalem Blutverlust
Zink
75–120 µg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten, parenteraler Ernährung
Vitamin B12
150–950 pg/ml
↓ Nach Ileumresektion, Gastrektomie, bei tropischer Sprue, bakterieller Überbesiedlung
Folsäure
2–10 ng/ml
↓ Bei Dünndarmkrankheiten: Sprue, tropischer Sprue
IgA-Gliadin-Antikörper
Negativ
Positiv bei Sprue/Zöliakie
IgA-Endomysium-Antikörper
Negativ
Positiv bei Sprue/Zöliakie
70–100%
Verlängert bei Cholestase und Dünndarmkrankheiten
>20 mg/dl über Nüchternwert (nach 30 min; >4 g/5 h im Urin
Pathologisch bei Dünndarmkrankheiten und bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms
Plasma Prothrombinzeit Funktionstest D-Xylosetest(25 g oral) Glukose (75 g oral)
Laktosebelastung (50 g oral)
Schillingtest
>35 mg/dl über Nüchternwert
»Flache Kurve« bei Sprue, Dünndarmkrankheiten
<20 ppm H2-Anstieg über Nüchternwert
↑ Bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms, »intestinal hurry« (z. B. nach Billroth-II-Resektion)
Blutglukoseanstieg >20 mg/dl über Nüchternwert
»Flache Kurve« bei Laktoseintoleranz, Sprue, anderen Dünndarmkrankheiten
<20 ppm H2-Anstieg über Nüchternwert
↑ Bei Laktoseintoleranz, Sprue, anderen Dünndarmkrankheiten
>7% Urinausscheidung von 57 Co-Vitamin B12
↓ Bei Gastrektomie, Pankreasinsuffizienz, Ileumresektion, bakterieller Überbesiedlung
<6 g/Tag
↑ Bei Pankreasinsuffizienz, Gastrektomie, Dünndarmkrankheiten (Sprue), bakterieller Überbesiedlung, Ileumresektion, Kurzdarm
Stuhlfett (Unter 80 g Fettdiät über 3 Tage) Verschiedene ↓ Retention bei erhöhtem Gallensäurenverlust: Ileumresektion, Ileumbefall durch M. Crohn, chologene Diarrhö
75
SeHCAT-Test
Oxalsäure Ausscheidung im Urin
7–44 mmol/24 h
↑ Chologene Diarrhö, Kurzdarmsyndrom, Sprue, Pankreasinsuffizienz
7
86
Kapitel 7 · Resorptionstests
Patienten mit M. Crohn und Ileumresektion oder Kurzdarmsyndrom haben häufig eine Hyperoxalurie, die zum rezidivierenden Auftreten von Nierensteinen führt.
7
Normalerweise werden nur ca. 10% des mit der Nahrung aufgenommenen Oxalats resorbiert, da Oxalat im Darmlumen durch Kalzium zu unlöslichem Kalziumoxalat komplexiert wird. Zum einen bedingt die erniedrigte intraluminale Konzentration von Kalzium bei Steatorrhö (Kalzium + Fettsäuren → Kalkseifen) damit durch Wegfall der »Kalziumbremse« eine erhöhte Resorption von Oxalat, zum anderen führen Gallensäuren im Kolon durch Steigerung der Permeabilität zu einer gesteigerten Resorption von Oxalat und damit zur Hyperoxalurie. Die Bestimmung der Oxalsäure im Urin kann im 24-h-Urin erfolgen oder durch den 14 C-Oxalsäureresorptionstest. Durchführung. Zur Messung der Oxalsäureresorption können analog zum Schillingtest 370 kBq 14C-Oxalsäure oral verabreicht werden und das Erscheinen der Radioaktivität im 24- bis 36-h-
Urin gemessen werden. Normal werden 9,3±3,5% der Radioaktivität im Urin ausgeschieden. Werte>15% weisen auf eine gesteigerte intestinale Resorption hin und lassen somit auf eine Hyperoxalurie schließen (Stein et al. 1999). In neuerer Zeit hat sich die direkte Bestimmung der Oxalsäure im 24-h-Urin mitttels enzymatischer, kolorimetrischer oder chromatographischer (HPLC, GC) Methoden durchgesetzt. Die Referenzbereiche liegen in Abhängigkeit der Methode bei 71–42 mmol/24 h (kolorimetrisch) bzw. 7–44 mmol/24 h (enzymatisch). Werte >45 mmol/24 h weisen auf eine Hyperoxalurie hin. 7.5
Synopsis
Die Interpretation pathologischer Laborparameter und Funktionstests in Bezug auf die zu erwartenden Krankheiten wird in . Tab. 7.6 zusammenfassend dargestellt. . Tab. 7.7 differenziert Ursachen der Malabsorption durch Dünndarmkrankheiten von Störungen der luminalen Digestion und Lymphabflussstörungen durch Labor- und Funktionstests.
. Tabelle 7.7. Vergleich von Laborergebnissen bei 3 Typen der Malabsorption: Krankheiten des Dünndarms, gestörte intraluminale Digestion oder Lymphabflussstörungen
Test
Mukosakrankheit
Störungen intraluminaler Digestion Pankreaskrankheit
Bakterielle Überbesiedlung
Lymphabflussstörung
Stuhlfett
Erhöht
Stark erhöht
Leicht erhöht
Erhöht
Dünndarmbiopsie
Pathologisch
Normal
Leicht pathologisch
Meist pathologisch
Prothrombinzeit
Evtl. verlängert
Evtl. verlängert
Evtl. verlängert
Evtl. verlängert
β-Carotin im Serum
Niedrig
Niedrig
Evtl. erniedrigt
Niedrig
Serumcholesterin
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Albumin im Serum
Niedrig
Normal
Evtl. erniedrigt
Niedrig
Serumeisen
Niedrig
Normal
Normal
Normal
Serumfolsäure
Niedrig
Normal
Normal
Normal
Vitamin B12 im Serum
Normal
Normal/erniedrigt
Evtl. erniedrigt
Normal
D-Xylosetest
Pathologisch
Normal
Evtl. pathologisch
Normal
Schillingtest
Pathologisch
Evtl. pathologisch
Pathologisch
Normal
Atemtests (H2)
Normal/pathologisch
Normal
Pathologisch
Normal
Pancreolauryltest
Normal
Pathologisch
Normal
Normal
α1-Antitrypsinclearance
Pathologisch
Normal
Normal
Pathologisch
Screeningtests auf Malabsorption
Spezifische Malabsorptionstests
87 Literatur
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90
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
8.1
Gastrointestinale Hormone
8.1.1 Verteilung der GEP-endokrinen Zellen
im menschlichen Körper
C. Beglinger ) )
8
Der Begriff »Hormon« wurde erstmals durch Bayliss und Starling im Jahre 1902 verwendet, als sie die biologische Wirkung von Sekretin beschrieben. Das Peptid Sekretin hatten sie aus der Dünndarmmukosa extrahiert und nach intravenöser Verabreichung beobachtet, dass der Extrakt einen starken Anstieg der Pankreassekretion verursachte. Das erste Hormon war also ein Botenstoff aus dem Magen-Darm-Trakt; der Begriff wurde in der Folge für Substanzen verwendet, die als Botenstoffe von einer Zelle (einem Organ) produziert werden und via Blut ihre Wirkung an einem anderen Organ ausüben. Heute sind über 20 verschiedene endokrine Zelltypen im Magen-Darm-Trakt bekannt. Die meisten davon wurden erst in den letzten zwei Jahrzehnten entdeckt. Gleichzeitig mit der Entdeckung dieser endokrinen Zelltypen wurde man auf eine Gruppe von seltenen Krankheiten aufmerksam, die mit einer hormonellen Dysfunktion dieser Zellen verknüpft ist: die hormonproduzierenden Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Falkner et al. 1984). Die endokrinen Zellen gehören zu einem Gewebe, das heute als »gastroenteropankreatisches« System oder als GEP-System bezeichnet wird. Es stellt somit das größte endokrine Organ des menschlichen Körpers dar (Dockray 1979; Rawdon u. Andrew 1993; Capella 1995). Hormonproduzierende Tumoren des GEPSystems, sog. GEP-Tumoren, sind Raritäten. Gemeinsames Merkmal dieser Tumoren ist die Ausstattung mit einem Apparat zur Synthese und Sekretion von gastrointestinalen Hormonen, Neurotransmittern und Neuropeptiden. Wegen ihrer Symptome stellen sie häufig eine »Knacknuss« für den Arzt dar. Im Folgenden werden die wichtigsten gastrointestinalen Hormone vorgestellt.
Das GEP-System stellt das größte endokrine Organ des Menschen dar; es ist ein integraler Bestandteil des neuroendokrinen Systems (Oberg 1998; Solcia 2000). Die wichtigsten Zelltypen mit ihren Hauptprodukten sind in . Tab. 8.1 abgebildet. Die Produkte dieser Zellen sind vorwiegend Peptide; sie wirken auf mindestens 4 verschiedene Arten, die als endokrin, neurokrin, parakrin oder autokrin bezeichnet werden (. Abb. 8.1 und Übersicht). Letztlich wirkt jedes dieser Hormone auf einen spezifischen Rezeptor; dessen Aktivierung in der Folge zu einer veränderten Zellaktivität führt. Eine schematische Darstellung dieses Ablaufes ist in . Abb. 8.2 dargestellt. Wirkungsmechanismen von gastrointestinalen Peptiden 5 Endokrin: klassisches Hormon 5 Neurokrin: Neurotransmittersubstanz, von Nervenzellen freigesetzt 5 Parakrin: lokaler Effekt von Zelle zu Zelle 5 Autokrin: Selbstregulation
8.1.2 Gastrointestinale Peptide Verschiedene gastrointestinale Peptide können in strukturell verwandte Gruppen zusammengefasst werden. Diese chemische Gruppierung sagt aber nichts aus über die biologische Wirkung der einzelnen Peptide, bindet doch jedes selektiv an einen spezifischen Rezeptor. Im Folgenden werden die wichtigsten Vertreter der verschiedenen Peptidfamilien vorgestellt, wobei die physiolo-
. Tabelle 8.1. Verteilung von GEP-endokrinen Zellen im menschlichen Gastrointestinaltrakt
Zelltyp
Hauptprodukt
Pankreas
Magen
Dünndarm Duodenum/Jejunum
Ileum
A
Glukagon
+
–
–
–
B
Insulin
+
–
–
–
D
Somatostatin S-14
+
+
+
+
D
Somatostatin S-28
–
–
–
+
PP
Pankreatisches Polypeptid
+
–
–
–
EC
5-Hydroxytryptamin
(+)
+
+
+
G
Gastrin
–
+
+
(+)
J
Cholezystokinin (CCK)
–
–
+
(+)
S
Sekretin
–
–
+
(+)
GIP
GIP
–
–
+
(+)
N
Neurotensin
–
–
+
+
L
GLP-1 und PYY
–
–
(+)
+
VL
Unbekannt
–
–
+
+
8
91 8.1 · Gastrointestinale Hormone
Endokrine Wirkung (Das Peptid erreicht sein Ziel über die Blutbahn)
Autokrine Wirkung (Das Peptid wirkt auf die produzierende Zelle)
Parakrine Wirkung (Lokale Wirkung)
. Abb. 8.1. Schematische Darstellung der verschiedenen Wirkungsmechanismen von gastrointestinalen Hormonen: endokrin, autokrin, parakrin
gische Bedeutung und die klinische Relevanz im Vordergrund stehen. Gastrin-Cholecystokinin-(CCK-)Familie Gastrin. Gastrin wird vorwiegend in den G-Zellen des Magenantrums produziert. Das Gen für Gastrin kodiert für ein Prohormon, das in verschiedenen Schritten zum aktiven Gastrin transformiert wird. Gastrin wird vor allem durch Nahrungssubstrate freigesetzt. Die stärksten Stimuli für eine Gastrinfreisetzung sind kleine Peptide, Aminosäuren und Kalzium. Gewisse Substanzen im Wein, im Bier sowie im koffeinfreien Kaffee sind ebenfalls potente Stimuli für eine Gastrinfreisetzung. Die Gastrinfreisetzung führt zu einer Stimulation der Magensäureproduktion via spezifische Rezeptoren, die an den Parietalzellen, aber auch an den histaminfreisetzenden enterochromaffinen (ECL) Zellen exprimiert werden. Die Gastrinrezeptoren sind mit den CCK2- (früher CCK-B)-Rezeptoren identisch (Rehfeld 1999).
Erhöhte Gastrinspiegel werden in der Klinik nach medikamentöser Säuresekretionshemmung, nach Achlorhydrie sowie bei Patienten mit Helicobacter-pylori-Infektion gefunden. Die seltenen gastrinproduzierenden Tumoren sind auch als ZollingerEllison-Syndrom bekannt.
Klinische Zustände mit Hypergastrinämie 5 5 5 5
Chronisch, atrophe Gastritis Helicobacter-pylori-Infektion Zollinger-Ellison-Syndrom (Gastrinom) Einnahme von Säuresekretionshemmern (H2-Rezeptorantagonisten, Protonenpumpenhemmer)
Cholezystokinin (CCK). CCK wird vorwiegend in den I-Zellen des proximalen Dünndarms produziert, doch wird es auch von Nervenzellen exprimiert und sezerniert (Milenov et al. 1998). Das Produkt der endokrinen Zellen ist ein Peptid von 58 oder 33 Aminosäuren (CCK33), während aus Nervenendigungen ein kürzeres Peptid (CCK8) freigesetzt wird. Fett und, etwas weniger ausgeprägt, Eiweiße sind die stärksten Stimuli für eine CCK-Freisetzung. Vor allem langkettige Fettsäuren, die mehr als 12 Kohlenstoffatome enthalten, sind verantwortlich für die postprandiale CCK-Freisetzung. Das dadurch freigesetzte CCK stimuliert die Gallenblasenkontraktion durch Aktivierung von spezifischen Rezeptoren, den CCK1- (früher CCK-A-)Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind vor allem an Muskelzellen der Gallenblase, aber auch an Nervenfasern aufzufinden. Zusätzlich zur Gallenblasenkontraktion stimuliert CCK auch die exokrine Pankreasenzymsekretion durch Aktivierung von CCK1-Rezeptoren an Nervenendigungen; CCK hemmt zudem die Magenentleerung sowie die
. Abb. 8.2. Schematische Darstellung der Agonistenwirkung auf den Rezeptor
Zielzelle Endokrin Rezeptor Neurokrin
Agonist
Parakrin Autokrin
Antwort
92
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
Nahrungsaufnahme. Die Hemmung der Magenentleerung nach fettreicher Mahlzeit führt zu einer langsameren Entleerung der Nahrung in den Dünndarm, wodurch mehr Zeit für die Fettverdauung zur Verfügung steht. CCK ist demzufolge ein zentraler Regulator des Verdauungsprozesses. Es gibt keine bekannte Überproduktion von CCK. Patienten mit aktiver Sprue haben eine verminderte CCK-Freisetzung; diese verminderte CCK-Freisetzung wird jedoch durch eine adäquate Therapie (glutenfreie Diät) wieder normalisiert.
8
Sekretinfamilie Sekretin. Sekretin ist ein Peptid aus 27 Aminosäuren, das in den S-Zellen der duodenalen und jejunalen Mukosa produziert wird. Der Hauptstimulus der Sekretinfreisetzung ist die Magensäure, die in das Duodenum gelangt. Die Menge Magensäure, die den Dünndarm erreicht, bestimmt demnach die Sekretinfreisetzung. Sekretin ist der stärkste Reiz der Pankreasflüssigkeits- und der Pankreasbikarbonatsekretion. Die freigesetzte Bikarbonatmenge neutralisiert in der Folge einen großen Teil der in den Dünndarm gelangten Magensäure (die restliche Neutralisation erfolgt durch Galle und durch Dünndarmsekrete). Damit entsteht ein optimales Milieu für die Pankreasenzyme und den resultierenden Verdauungsprozess (Pankreasenzyme haben ihr Wirkungsoptimum im neutralen Milieu). Glucose-dependent insulinotropic peptide (GIP). GIP ist strukturell eng mit Sekretin verwandt. Es wird vorwiegend in den Krypten der Duodenal- und Jejunalmukosa produziert. Die Nahrungsaufnahme, vor allem Kohlenhydrate und Fette, stimulieren die GIP-Freisetzung ins Blut. Die Hauptfunktion von GIP ist eine verstärkte Insulinsekretion nach Einnahme von Kohlenhydraten. GIP ist also ein Teil eines Schutzsystems, das den Körper vor einer ungenügenden Insulinsekretion bewahrt. GIP stimuliert demzufolge die Insulinproduktion nur, wenn die zirkulierenden Blutzuckerspiegel erhöht sind. Bisher sind keine Krankheiten bekannt, die auf eine gestörte GIP-Sekretion zurückgeführt werden können. Vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP). Die Aufklärung der
Genstruktur hat ergeben, dass VIP Teil eines großen Prohormons darstellt, das ein zweites, strukturell verwandtes Peptid enthält. Dieses zweite Peptid wird Peptid-Histidin-Methionin oder PHM genannt. PHM und VIP können auf den gleichen Rezeptor einwirken. Beide Peptide sind keine eigentlichen Hormone, sondern wirken als Neurotransmitter. Zirkulierende Blutspiegel sind deshalb sehr gering und bleiben durch Mahlzeiten unverändert. Die biologischen Wirkungen von VIP sind mannigfaltig. Im Vordergrund stehen Steigerung von Blutfluss und intestinalen Sekretionen, Hemmung der enteralen Muskulatur und Stimulation der Pankreasbikarbonatsekretion. Zurzeit ist nicht klar, welche dieser Wirkungen physiologisch sind, da keine geeigneten Antagonisten zur Verfügung stehen, die die Hormonwirkung blockieren könnten. Hohe Blutkonzentrationen von VIP führen zu einer ausgeprägten sekretorischen Diarrhö (Stuhlentleerungen von >1 l pro 24 h möglich), die mit schwerer Hypokaliämie sowie einer Hyperchlorhydrie einhergehen kann; das Krankheitsbild wurde deshalb auch als endokrine Cholera bezeichnet. Die Ursache dieses klinischen Bildes ist ein VIP-produzierender Tumor, ein VIPOM.
PP-Familie Pankreatisches Polypeptid (PP). PP wird ausschließlich im Pan-
kreas gefunden, vor allem am Rande der Langerhans-Inseln und viel weniger ausgeprägt verstreut zwischen den Azini des exokrinen Pankreas. Intravenös verabreichtes PP ist ein potenter Hemmer der exokrinen Pankreassekretion, doch ist unklar, ob dies eine physiologische Wirkung darstellt. Die genaue physiologische Bedeutung von PP ist bisher unbekannt. Die PP-Sekretion ins Blut wird durch Nahrungsaufnahme stimuliert. Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass die Blutspiegel von PP mit zunehmendem Alter ansteigen; die Ursache und die Bedeutung diese Phänomens sind jedoch unbekannt. Patienten mit Niereninsuffizienz weisen deutlich erhöhte BlutPP-Konzentrationen auf, was darauf hinweist, dass die Nieren bei der Metabolisierung von PP eine wichtige Rolle spielen. Schließlich haben Patienten mit chronischer Pankreatitis reduzierte Blut-PP-Spiegel, was mit einer zunehmenden Destruktion des Pankreas erklärt wird. Ein klinisches Syndrom, das mit erhöhtem Plasma-PP-Spiegel assoziiert ist, ist bisher jedoch nicht bekannt. Neuropeptid Y (NPY). NPY ist ein Neurotransmitter; das Peptid kommt sowohl im ZNS, aber auch im peripheren Nervensystem vor. Eine intravenöse Infusion von NPY verursacht eine starke Vasokonstriktion, eine Steigerung des peripheren Blutdruckes und eine Hemmung der Kolonmotilität; zusätzlich spielt NPY eine zentrale Rolle in der Appetitregulation. Peptid YY (PYY). PYY ist im Gegensatz zu NPY ein Hormon. Es wird in endokrinen Zellen des distalen Dünndarms (hauptsächlich im Ileum) und des Kolons produziert und freigesetzt. Die Freisetzung von PYY erfolgt vor allem durch Fette. Die biologischen Wirkungen von PYY umfassen die Hemmung der exokrinen Pankreassekretion, die Hemmung der Magensekretion sowie der Magenentleerung. PYY wurde deshalb als Enterogastron bezeichnet. Als Enterogastrone werden Hormone bezeichnet, die durch Fette freigesetzt werden und in der Folge Magensäuresekretion und Magenentleerung hemmen: Damit soll erreicht werden, dass die Entleerung von fetthaltiger Nahrung in den Dünndarm verzögert wird, was schließlich zu einer verbesserten Verdauung von Fetten führen soll. Kürzlich wurde beschrieben, dass PYY an der Regulation von Appetit und Sättigung beteiligt ist: PYY3–36, eine im Blut zirkulierende Form des Peptids, hemmt den Appetit und induziert ein Sättigungsgefühl. PYY erfüllt deshalb primär physiologische Aufgaben; Krankheiten, die auf eine inadäquate PYY-Freisetzung zurückgeführt werden können, sind nicht bekannt.
Somatostatine Das Gen von Somatostatin kodiert für ein aus 116 Aminosäuren bestehendes Prohormon (Gillies 1997). Dieses Prohormon wird sowohl im Gehirn als auch im Magen-Darm-Trakt gefunden. Aus diesem Prohormon werden zwei verschiedene, molekulare Hauptformen gebildet, Somatostatin-28 (S-28) und Somatostatin-14 (S-14). Somatostatine werden sowohl in Nervenzellen als auch in endokrinen Zellen exprimiert. Im Magen-Darm-Trakt werden mehr als 90% des Somatostatins in der Mukosa gefunden und weniger als 10% in den Muskelschichten des Darmes (Alumets et al. 1977). In der Mukosa des Darmes, aber auch im exokrinen Pankreas, wird Somatostatin in den D-Zellen nachgewiesen. Sowohl S-14 als auch S-28 werden in der Mukosa des
93 8.1 · Gastrointestinale Hormone
Magen-Darm-Trakts gefunden, S-14 vorwiegend im Magen und im Pankreas, S-28 im Jejunum und im Ileum. Nach Einnahme einer fettreichen Mahlzeit steigen nur die Plasmakonzentrationen von S-28 an, während die S-14-Konzentrationen unverändert bleiben. S-28 gilt deshalb primär als zirkulierendes Hormon, während S-14 eine parakrine oder neurokrine Wirkung ausübt. Die biologischen Wirkungen von Somatostatin sind vielfältig; ein Teil davon kann auch therapeutisch ausgenützt werden. Eine Zusammenfassung der biologischen Wirkungen von Somatostatin wird in der folgenden Übersicht gegeben. Praktisch alle biologischen Wirkungen von Somatostatinen sind hemmender Natur. Biologische Wirkungen von Somatostatinen im MagenDarm-Trakt 5 Hemmung von gastrointestinalen Hormonfreisetzungen – Gastrin – CCK – Sekretin – VIP – Insulin – Glukagon 5 Hemmung von exokrinen Sekretionen – Magensäureproduktion – Exokrine Pankreassekretion 5 Hemmung der Motilität – Magenentleerung – Gallenblasenkontraktion 5 Hemmung der Wasser- und Elektrolytsekretion des Darmes 5 Hemmung der Splanchnikus- und Portalvenendurchblutung
Die pharmakodynamischen Wirkungen von Somatostatinen haben die Grundlage für die Entwicklung von synthetischen Analogen mit verlängerter Wirkungsdauer gebildet. Verschiedene dieser langwirkenden Somatostatinanaloga sind heute therapeutisch verfügbar und werden zur Behandlung von Krankheiten mit exzessiver Hormonproduktion (GEP-Tumoren), aber auch zur Behandlung von Varizenblutungen (Reduktion der Splanchnikus- und Portaldurchblutung) und von Fisteln verwendet.
Erhöhte Blutspiegel von Somatostatin führen zu Diabetes mellitus (Hemmung der Insulinsekretion) und zu Gallensteinen (Hemmung der Gallenblasenkontraktion). Somatostatinproduzierende Tumoren können dabei die Ursache darstellen, doch sind solche Tumoren extreme Raritäten.
8
8.1.3 Klinische Bedeutung von gastrointestinalen
Hormonen Die klinische Bedeutung von gastrointestinalen Hormonen wird primär definiert durch ihre Rolle in hormonproduzierenden Tumoren. Diese endokrinen Tumoren des Gastrointestinaltraktes sind zwar sehr selten, doch verursachen sie in der Regel sehr eindrückliche klinische Symptome (Arnold u. Frank 1996). Die gastrointestinalen Hormone können aber auch an andern Krankheiten beteiligt sein (Beispiele: Gallensteine, Motilitätsstörungen, Pankreatitis). Interessant ist die Beobachtung, dass fast alle dieser Peptide auch im Gehirn nachgewiesen werden können. Diese Befunde bilden die Grundlage für die »HirnDarm-Achse«. Die Bedeutung der gastrointestinalen Hormone im ZNS ist zurzeit noch unklar, doch gibt es indirekte Hinweise für zentrale Integrationsfunktionen von verschiedenen gastrointestinalen Prozessen (Sekretion, Motilität, Perzeption, Blutfluss, Nahrungsaufnahme). Es braucht noch viel Forschungsarbeit, um die Bedeutung der einzelnen Peptide genau zu verstehen. Voraussetzung sind spezifische Rezeptorantagonisten für jedes einzelne Peptid, damit die genaue Funktion definiert werden kann.
Literatur Alumets J, Sundler F, Hakanson B (1977) Distribution, ontogenicity and ultrastructure of somatostatin immunoreactive cells in the pancreas and gut. Cell Tissue Res 185:465–479 Arnold R, Frank M (1996) Gastrointestinal endocrine tumours: medical management. Baillieres Clin Gastroenterol 10:737–759 Capella C, Heitz PU, Hofler H, Solcia E, Klöppel G (1995) Revised classification of neuroendocrine tumours of the lung, pancreas and gut. Virchows Arch 425:547–560 Dockray GJ (1979) Evolutionary relationships of the gut hormones. Fed Proc 38:2295–2301 Falkmer S, Hakanson R, Sundler F (1984) Evolution and tumour pathology of the neuroendocrine system. Elsevier, Amsterdam Gillies G (1997) Somatostatin: the neuroendocrine story. Trends Pharmacol Sci 18:87 Milenov K, Kalfin R, Todorov S, Raichev P (1998) Neuropeptides of the cholecystokinin group: effects and mechanisms of action an the gastro–intestinal and galt bladder motility. Acta Physiol Pharmacol Bulg 23:85–91 Oberg K (1998) Gastric neuroendocrine cells and secretory products. Yale J Biol Med 71:149–154 Rawdon BB, Andrew A (1993) Origin and differentiation of gut endocrine cells. Histol Histopathol 8:567–580 Rehfeld JF (1999) The cholecystokinin-gastrin family of peptides and their receptors. Results Probl Cell Differ 26:293–321 Solcia E, Rindi G, Larosa S, Capella C (2000) Morphological, molecular, and prognostic aspects of gastric neuroendocrine tumours. Microsc Res Tech 48:339–348
94
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
8.2
Serumenzymdiagnostik R. Driesch
) )
8
Enzyme sind katalytisch wirksame Proteine, die die Geschwindigkeit von biochemischen Reaktionen beschleunigen und damit den Stoffumsatz erhöhen. Sie enthalten ein oder mehrere aktive Zentren, die für die hohe katalytische Aktivität und Spezifität verantwortlich sind. Eine medizinisch wichtige Unterscheidung ist unter anderem die zytosolische/membranständige/mitochondriale, zelluläre/extrazelluläre Lokalisation oder die Unterscheidung von hepatischen/nicht hepatischen Enzymen. Enzymaktivitätsmessungen stellen wichtige und häufig durchgeführte Laboranalysen dar, da ihr Erscheinen oder Verschwinden aus Körpermaterial, in dem sie unter physiologischen Bedingungen gar nicht oder nur in geringer bzw. in hoher Konzentration vorkommen, von diagnostischer Bedeutung ist. So führt die Schädigung von Hepatozyten zum Austritt von zellulären Enzymen (z. B. ALT, AST) in den Blutkreislauf und dort in Abhängigkeit vom Ausmaß der Schädigung zu einem messbaren Enzymaktivitätsanstieg. Andererseits führt die chronische Schädigung von Pankreaszellen zum Untergang dieser Zellen und damit zu Abnahme, z. B. der Pankreaselastase-Konzentration im Stuhl. Die diagnostische Aussagekraft kann erhöht werden durch Messung organspezifischer (z. B. Lipase oder Pankreasamylase) oder in bestimmten Organen in besonders hoher Aktivität vorliegender Enzyme (z. B. ALT), durch Quotientenbildung von Enzymaktivitäten, z. B. zytosolischer und mitochondrialer Enzyme zur Abschätzung der Schwere der Einzelzellschädigung, durch gemeinsame Beurteilung der Aktivitäten mehrerer Enzyme oder von Isoenzymen zur Erhöhung der Organspezifität und Beobachtung des Verlaufs der Enzymaktivitäten zur Abschätzung des Ausmaßes der Organschädigung und unter Therapie zur Beurteilung der Normalisierung und damit Ausheilung einer Schädigung.
8.2.1 Leber- und Gallenwegenzyme Alkalische Phosphatase (AP) Die Gesamt-AP ist eine Familie von 4 durch separate Gene kodierten Isoenzymen und weiteren bis zu 16 durch posttranslationale Modifikationen unterscheidbare immunologische distinkte Isoformen und Varianten. Diese immunologisch und durch verschiedene physikochemische Eigenschaften unterscheidbaren, nahezu ubiquitär vorkommenden Isoenzyme und Isoformen können durch überlappende Substratspezifitäten als Gesamt-AP gemessen werden. AP kommt praktisch in allen Geweben und Körperflüssigkeiten (Serum, Urin, Galle, Lymphe) mit jedoch relativ hohen spezifischen Aktivitäten in Leber (Haptozyten und Gallengangsepithelien), Knochen (Osteoblasten), Intestinum (Mikrovilli der intestinalen Mukosa), Plazenta, Niere (proximaler Tubulus) und Leukozyten vor. In der Zirkulation gesunder Probanden ist vorwiegend Leber- und Knochen-AP vorhanden, deren fraktioneller Anteil altersabhängig variiert (Knochen-AP bei Kindern und in der Adoleszenz in Abhängigkeit vom Knochenwachstum erhöht). In der Schwangerschaft ab dem dritten Monat ist die AP-Aktivität auf etwa das 2- bis 3-fache des oberen Normbereiches erhöht. Probanden der Blutgruppen B und 0
haben einen relativ hohen Anteil des intestinalen Isoenzyms in der Zirkulation (besonders nach fettreicher Mahlzeit), weshalb der Patient bei der Blutentnahme 12 h nüchtern sein sollte. Als Untersuchungsmaterial eignet sich Serum und Plasma (nur Heparin-P).
Bei cholestatischen (hepatobiliären) Lebererkrankungen benigner und maligner Ursache kommt es zur Induktion der AP in Hepatozyten und Gallengangsepithelien und verstärkter Abgabe in die Zirkulation. In malignen Geweben kommt es zur Expression weiterer Isoenzyme, sodass die Bestimmung der AP als Zusatzdiagnostik von malignen Tumoren mit Knochen- und/oder Lebermetastasen dienen kann.
Die Zurückführung der AP-Erhöhung auf das involvierte Organ oder Gewebe ist durch Zusatzbestimmungen weiterer Enzymaktivitäten (z. B. LAP, γ-GT) oder durch Bestimmung von AP-Isoenzymen möglich. Eine Reihe von hepatotoxischen Medikamenten können die Gesamt-AP erhöhen bzw. vermindern. Alaninaminotransferase (ALT) ALT (früher GPT) kommt mit den höchsten spezifischen Aktivitäten in Leber (85% zytosolisch) und Niere vor, in geringeren Konzentrationen in Herz, Skelettmuskel, Pankreas, Milz, Lunge und Erythrozyten. Die Erythrozytenaktivität der ALT beträgt das 7-fache der Serumaktivität (Hämolyse!).
Die ALT im Blut ist eine sensitive Kenngröße gestörter Leberzellintegrität (Hepatozytennekrose) im Rahmen primärer (Hepatitis, toxische Leberschäden) und sekundärer (hämodynamisch, ischämisch) Lebererkrankungen.
Die Halbwertszeit des Enzyms beträgt 47±10 h. Bei Zellmembranpermeabilitätserhöhungen kommt es im Rahmen von Nekrosen zu einem vorzeitigen (relativ zur AST) Austritt des Enzyms in die Blutbahn. Da ALT-Aktivitätserhöhungen nur selten und in geringem Ausmaß bei extrahepatischen Erkrankungen gemessen werden, sind ALT-Erhöhungen weitgehend leberspezifisch. Höchste Aktivitäten finden sich bei akuter fulminanter (toxischer, infektiöser) Leberdystrophie und akuten Hepatitiden. Mäßige Anstiege finden sich bei Leberzirrhose (abhängig vom Aktivitätsgrad), Stauungsleber (Rechtsherzinsuffizienz, schwerem Kreislaufschock, akuter Anoxie), Traumatisierungen und post operationem. Die Bildung des Enzymquotienten AST/ALT dient zur Differenzialdiagnostik akuter und chronischer Lebererkrankungen. Leberschädigungen durch Pharmaka (unter anderem hochdosierte Salicylat- und Heparintherapie) können zur ALT-Erhöhung führen. Aspartataminotransferase (AST) AST (früher GOT) ist ein nahezu ubiquitär vorkommendes Enzym mit höchsten spezifischen Aktivitäten in Myokard, Leber (Hepatozyten), Skelettmuskel und Niere. Es tritt jedoch auch in Pankreas, Milz, Lunge und Erythrozyten (15-mal höher als im Serum) auf. In den Hepatozyten liegt das Enzym zu etwa 80% mitochondrial vor. Die Halbwertszeit im Blut beträgt 17±5 h.
95 8.2 · Serumenzymdiagnostik
Bei Zellmembranpermeabilitätserhöhungen im Rahmen von Nekrosen kommt es wegen der überwiegend mitochondrialen Bindung zu einem späteren Austritt der AST relativ zur zytosolischen ALT. Da die AST weder ein leber- noch ein (herz)muskelspezifisches Enzym ist, ist die diagnostische Spezifität gering. Starke Erhöhungen treten bei akuter Hepatitis und schweren toxischen Leberschädigung (Leberdystrohpie) auf. Mäßige Erhöhungen werden gefunden bei Myokardinfarkt, Muskeldystrophie, Stauungsleber, akuter Pankreatitis, Lungenembolie, Nieren- und Hirninfarkt und geringe Erhöhungen bei Leberzirrhose (abhängig vom Aktivitätsgrad), Myokarditis und iatrogen nach intramuskulären Injektionen, Herzmassage, Defibrillation und postoperativ auf. Auch hochdosierte Salicylat- und Heparintherapie führt zur allerdings geringen AST-Erhöhung. Stärkere Hämolysen in vivo und in vitro führen zu AST-Erhöhungen im Serum. Zur Differenzialdiagnose akuter und chronischer Lebererkrankungen kann der AST/ALT-Quotient eingesetzt werden. In sehr seltenen Fällen tritt in der Zirkulation eine Makro-AST, bestehend aus einem hochmolekularen Komplex von AST und Immunglobulinen mit verlängerter biologischer Halbwertszeit auf. Dies führt zu unerklärlichen, isolierten und persistierenden AST-Aktivitäten bei fehlenden klinischen und histologischen Zeichen einer Leber- oder Muskelschädigung. Gammaglutamyltransferase (γ-GT) γ-GT ist ein nahezu ubiquitär, mit der größten Menge in der Leber vorliegendes Enzym, das auch in Hirn, Lunge, Dünndarm, Milz, Mamma, Testes und Prostata vorkommt, jedoch nicht in Muskel, Knochen und Erythrozyten. Intrazellulär ist es zum kleineren Anteil im Zytosol lokalisiert mit einer größeren Fraktion in die Zellmembran integriert. Aktivitätserhöhungen im Serum sind vorwiegend durch hepatobiliäre Erkrankungen bedingt, wobei die höchsten Anstiege bei intrahepatischen und posthepatischen Gallengangsobstruktionen auftreten. Hierbei steigen die γ-GT-Aktivitäten früher an und persistieren länger als die der AP.
Da es bei hepatobiliären Erkrankungen in über 95% der Fälle zu Aktivitätserhöhungen kommt, gilt die γ-GT als die sensitivste Kenngröße dieser Erkrankungen.
Mäßige Anstiege der γ-GT werden bei Fettlebern alkoholischer und nicht alkoholischer Ursache, Medikamentenintoxikationen und Zirrhose, besonders alkoholischer Ätiologie gefunden. Langzeitige Medikation mit Antikonvulsiva und Sedativa (z. B. Phenobarbital, Phenytoin), Cephalosporinen und oralen Kontrazeptiva führt ebenso wie chronischer Alkoholabusus durch Enzyminduktion zu erhöhten Serumaktivitäten. Auch andere Medikamente wie Phenylbutazon, Hydantoine und Rifampicin ebenso wie akute und chronische Pankreatitis führen zu mäßigen γ-GT-Anstiegen. Bei Nierenerkrankungen bleibt die γ-GT im Normbereich, wohingegen Prostatakarzinome ebenso wie die Schwangerschaft zu mäßigen γ-GT-Anstiegen führen. Wie oben angedeutet, eignet sich die Bestimmung der γ-GT-Aktivität in Verbindung mit dem »carbohydrate-deficient transferrin« (CDT) zur Diagnose und Abstinenzkontrolle des chronischen Alkoholabusus.
8
Glutamatdehydrogenase (GLDH) Es handelt sich um ein mitochondrial in den Hepatozyten der Leber lokalisiertes Enzym, wobei es im Lebergewebe im azinuszentralen Läppchenbereich (Zone 3, in der Umgebung der Zentralvene) angereichert ist. Daneben findet sich das Enzym in geringeren Aktivitäten auch in Myokard, Nieren, Hirn, Skelettmuskel, Erythrozyten und Leukozyten.
Diagnostisch wird die Messung der GLDH-Aktivität im Serum als Kenngröße der Leberzellnekrose eingestzt.
Eine Freisetzung der GLDH aus den Hepatozyten zeigt wegen der mitochondrialen Lokalisierung und der hohen Molmasse eine tiefgreifende Einzelzellschädigung an. Da sich alkoholtoxische Leberschädigungen bevorzugt und frühzeitig in den Hepatozyten der Zone 3 manifestieren, sind isolierte GLDH-Erhöhungen im Serum ein Frühsymptom der Alkohohepatitis ebenso wie für eine Stauungsleber bei Rechtsherzinsuffizienz. Die Halbwertszeit in der Zirkulation beträgt 18 h. Starke Erhöhungen des Enzyms treten also bei akuter Hepatitis, akuten toxischen Leberschädigungen (z. B. durch Halothan und Phalloidin), mäßige Erhöhungen bei Leberzirrhosen, Stauungsleber (bei Rechtsherzinsuffizienz) und Mononucleosis infectiosa mit Leberbeteiligung auf. Geringe Erhöhungen werden bei Myokardinfarkt, akuter Pankreatitis und Lebertumoren gefunden. Für die Abschätzung des Schweregrades der Einzelzellschädigung der Hepatozyten kann der GLDH-Transaminasenquotient herangezogen werden, wobei der Quotient umso kleiner wird, je tiefgreifender die Zellnekrose ist.
冢
冣
AST + ALT 03 GLDH
Pseudocholinesterase (PCHE) Zu den Pseudocholinesterasen gehört eine Gruppe (ca. 29 genetische Varianten) von substratunspezifischen Sekretionsenzymen der Leber, die als Kenngröße der Lebersynthesefunktion diagnostisch Bedeutung haben. Sie kommen auch im Pankreas, Herz, Hirn und Serum vor, die Halbwertszeit in der Zirkulation beträgt ca. 10 Tage. Bei ca. 4% aller Individuen treten klinisch relevante atypische Pseudo-PCHE auf, die teilweise hochgradig verminderte Aktivitäten haben und gegenüber Inhibitoren wie Dibucain und Fluorid in unterschiedlicher Ausprägung resistent sind.
Indikationen zur Bestimmung der PCHE-Aktivität sind der Verdacht auf Vergiftung mit Insektiziden vom Typ organischer Phosphorsäuren, die zu einer kompetitiven Enzyminhibition führen.
In Abwesenheit atypischer PCHE-Varianten oder bekannter Enzyminhibitoren (z. B. Morphin, Phenothiazin) ist die PCHEAktivität ein sensitiver Indikator der Synthesekapazität der Leber. Verminderungen um 50% und mehr treten z. B. bei schweren akuten und fortgeschrittenen chronischen Lebererkrankungen (Zirrhose, Tumoren) auf. Erhöhungen der PCHEAktivität sind klinisch von untergeordneter Bedeutung.
96
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
Dibucain-Zahl (DZ). Atypische Formen der PCHE mit deutlich
reduzierten Aktivitäten werden durch erhöhte Resistenz gegenüber Inhibitoren wie Dibucain und Fluorid nachgewiesen. Die Erkennung ist präoperativ wichtig, wenn Muskelrelaxanzien vom Typ des Succinylcholins (Succamethonium), welches durch PCHE abgebaut wird, Verwendung finden. Es kommt zu stark verlängerten Apnoephasen, die durch Substitution humaner PCHE therapierbar sind. Das Ausmaß der Hemmung, angegeben durch die Dibucain-Zahl (DZ) wird nach Messung der PCHEAktivität im Serum in einem Parallelansatz ohne und mit Dibucain nach der Formel berechnet
冤
冥
Dibucain – gehemmte PCHE DZ = 1– 0309 × 100 ungehemmte PCHE
Erniedrigung der DZ bei Heterozygoten im Bereich von 36–75 und bei Homozygoten ≤35 deuten auf atypische PCHE-Varianten hin.
8 8.2.2 Pankreasenzyme α-Amylase Die vorwiegend von Pankreas und Speicheldrüsen sezernierte α-Amylase spielt in der Diagnostik der Pankreatitis eine Rolle.
Das mit höchsten Konzentrationen in den Azinuszellen des exokrinen Pankreas und in Speicheldrüsen auftretende Enzym kommt in geringeren Aktivitäten auch in anderen Drüsen, Organen, Geweben, Blutzellen und Tumoren vor. Als einziges Serumenzym tritt es physiologisch auch im Urin auf, da es aufgrund seiner geringen Molekülgröße uneingeschränkt glomerulär filtriert und nur etwa zu 50% tubulär rückresorbiert wird. Die Halbwertszeit im Blut beträgt 9–18 h. Entzündungsbedingte Nekrosen des exokrinen Pankreas und/oder der Speicheldrüse ebenso wie Abflussstörungen des Pankreas oder der Speicheldrüsen führen zu einem verstärkten Übertritt des Enzyms in den Blutkreislauf. Auch bei abnehmender renaler Clearance und einigen Tumoren (Lunge, Ovar) treten Erhöhungen der Serumaktivität auf. Als Makroamylasämie bezeichnet man die Bildung von Komplexen der Amylase mit Immunglobulinen, die zu einer maximal 4-fachen persistierenden Erhöhung der Serumaktivität führt. Makroamylasämie kann therapeutisch durch Infusion von Amylase-bindender Hydroxyethylstärke induziert werden. Die Makroamylasämie hat eine Prävalenz von 0,1% und keine Krankheitsrelevanz. Bei akuter Pankreatitis steigt die Serumaktivität innerhalb von 2–12 h an, erreicht mit dem 3- bis 40-fachen der Normalaktivität ihr Maximum nach 12–72 h und fällt innerhalb von 3–5 Tagen wieder in den Referenzbereich ab. Der Aktivitätsanstieg ist nicht mit dem Schweregrad der Pankreasnekrose korreliert. Die Isoenzymbestimmung der Pankreasamylase gelingt u. a. mit Hilfe inhibitierender monoklonaler Anti-S-Typ Antikörper durch selektive Hemmung der Speichelamylase.
Lipase Die Bestimmung der Aktivität der Pankreaslipase im Serum dient als Kenngröße von Pankreasnekrosen, z. B. bei (akuter) Pankreatitis.
Synthese und Sekretion des Enzyms erfolgt durch die Azinuszellen des Pankreas, die geringen Mengen extrapankreatischer Lipase werden aufgrund eines abweichenden pH-Optimums bei der Analytik nicht miterfasst. Wegen vollständiger tubulärer Resorption ist Pankreaslipase im Urin normalerweise nicht nachweisbar. Die Halbwertszeit im Blut beträgt 7–14 h. Die Enzymfreisetzung erfolgt bei Pankreasnekrosen im Rahmen akuter und chronisch-rezidivierender Entzündungen oder Traumatisierungen wie auch bei Pankreasgangobstruktion, Tumoren und Gewebeödemen. Bei unkompliziertem Verlauf der akuten Pankreatitis steigt die Lipaseaktivität im Serum innerhalb von 4–8 h an, erreicht den Gipfel (2- bis 50-fache des oberen Referenzbereiches) bei 24 h und fällt innerhalb von 8–14 Tagen zu Referenzwerten ab. Die Erhöhung steht nicht in direkter Proportionalität zur Schwere der akuten Erkrankung. Weiter Ursachen für Erhöhungen der Pankreaslipase können sein: ERCP, Niereninsuffizienz, Virushepatitis, Opiate; Normalaktivitäten treten bei akuter Parotitis auf. An die sehr seltene Makrolipase (Komplex aus Lipase und Immunglobulin G) muss bei moderaten Lipaseerhöhungen ohne klinisches Korrelat und normaler Amylaseaktivität gedacht werden.
Literatur Gressner A, Arndt T (2006) Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik, Bd. 1. Springer, Heidelberg McCormick DB, Klee GG (2001) Tietz fundamentals of clinical chemistry, 5th ed. Saunders, Philadelphia Thomas L (2005) Labor und Diagnose, 6. Aufl. TH-Books, Frankfurt/Main
9 9 Therapeutische Endoskopie S. Truong, O. Schumacher, N. Butz
9.1
Übersicht über die therapeutischen Möglichkeiten – 101
9.2
Polypektomie
– 101
9.2.1 Technik – 101 9.2.2 Komplikationen – 102 9.2.3 Vorgehen nach Polypektomie – 103
9.3
Endoskopische Mukosaresektion
– 103
9.3.1 Indikationen – 103 9.3.2 Technik – 104
9.4
Endoskopische Papillotomie und Steinextraktion aus den Gallenwegen – 104
9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4
Indikationen – 104 Technik – 105 Endoskopische Therapie von Gallengangskonkrementen – 106 Ergebnisse – 107
9.5
Endoskopische transpapilläre Gallengangsdrainage – 107
9.5.1 9.5.2 9.5.3 9.5.4
Indikationen – 107 Technik – 107 Ergebnisse – 108 Komplikationen – 109
9.6
Endoskopische Therapie der chronischen Pankreatitis – 109
9.6.1 Stenosen des Ductus wirsungianus – 109 9.6.2 Steine im Ductus wirsungianus – 109 9.6.3 Pankreaspseudozysten – 110
9.7
Endoskopische Therapie gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt – 110
9.7.1 Endoskopische Therapieverfahren – 111 9.7.2 Endoskopische Therapie der Ösophagusachalasie
9.8
– 111
Endoskopische palliative Tumortherapie im gastrointestinalen Trakt – 112
9.8.1 Endoskopische Stentimplantation – 112 9.8.2 Lasertherapie – 113
9.9
Perkutane endoskopische Gastrostomie – 114
9.9.1 Indikationen – 114 9.9.2 Technik – 114 9.9.3 Komplikationen – 115
9.10
Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung – 115
9.10.1 9.10.2 9.10.3 9.10.4
Differenzialdiagnostik – 115 Ablauf in der Klinik – 117 Endoskopische Therapie – 117 Technik – 117
9.11
Fremdkörperextraktion Literatur – 120
– 119
101 9.2 · Polypektomie
9.2
) ) Die Begriffe »therapeutische« und »operative« oder »chirurgische« Endoskopie werden heute überwiegend synonym für alle Eingriffe verwendet, die unter endoskopischer Kontrolle durchgeführt werden. Zahlreiche chirurgische Eingriffe können heute auf endoskopischem Wege mit dem damit verbundenen geringeren Risiko für den Patienten vorgenommen werden. Die erste therapeutische Maßnahme, die über den Arbeitskanal des flexiblen Endoskops durchgeführt wurde, war die Abtragung von gestielten Polypen mit einer Drahtschlinge unter Verwendung von Hochfrequenzströmen (Deyhle et al. 1974). Das Spektrum der therapeutischen Endoskopie ist seitdem breiter geworden. Die Grundvoraussetzung dafür liefert die Industrie mit stetigen technischen Verbesserungen, z. B. durch die Produktion großlumiger Operationsendoskope oder durch die Weiterentwicklung der entsprechenden Hilfsinstrumente, wie Schlingen, Dormiakörbchen, Papillotomen, Zangen, Scheren, Injektionssonden und Clipapplikatoren. Bei allen im Folgenden dargestellten Behandlungstechniken handelt es sich um klinisch etablierte Verfahren. Die Vorteile der therapeutischen Endoskopie sind: 5 Defensives Eingreifen ohne Eröffnung einer Körperhöhle 5 Minderung der Komplikationsrate 5 Möglichkeit der ambulanten Behandlung bzw. kürzere stationäre Aufenthaltsdauer 5 Niedrige Behandlungskosten
9.1
Übersicht über die therapeutischen Möglichkeiten
Zu den standardisierten therapeutischen Eingriffen gehören heute: 4 Endoskopische Blutstillung 4 Polypektomie 4 Endoskopische Mukosaresektion (EMR) 4 Bougierung und Dilatation von Stenosen 4 Palliative Therapie maligner Stenosen durch 5 Laser 5 Stenteinlage 5 Endokavitäre Strahlentherapie in Afterloading-Technik 5 Lokale Applikation von Kryo- oder Thermosonden 5 Lokale Alkoholinjektion 5 Schlingenresektion 4 Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) 4 Endoskopische Papillotomie (EPT) 5 Gallengangsdrainage 5 Entfernung von Gallengangssteinen 4 Endoskopische Drainage von Pankreaspseudozysten, Therapie von chronischen Pankreatitiden 4 Fremdkörperentfernung 4 Sondeneinführung zur Dekompression bei Ileus 4 Koloskopische Dekompression bei Pseudoobstruktion 4 Blutstillung 4 Septektomie bei Zenker-Divertikel
9
Polypektomie
Als Polypen (griech. polypos = Tintenfisch) bezeichnet man erhabene Schleimhautveränderungen oder Vorwölbungen in das Darmlumen, die über das Niveau der Schleimhaut hinausragen. Man unterscheidet »nicht neoplastische« und »neoplastische« Polypen. Bei den neoplastischen Polypen beträgt der Anteil der Adenome ca. 80% (Winawer et al. 1988; Hamilton et al. 2000). Die histologische Differenzierung sowie die Feststellung von Malignitätsgrad, Infiltrationstiefe und Lymphgefäßeinbrüchen ist nur durch die Aufarbeitung des gesamten Gebildes möglich. Die Polypektomie ist daher primär ein diagnostischer Eingriff. Auf der anderen Seite können aus benignen Adenomen invasive Karzinome entstehen (Adenom-Karzinom Sequenz; Hermanek 1992), sodass die gezielte endoskopische Polypektomie die Inzidenz von kolorektalen Karzinomen um bis zu 90% senken kann (Winawer et al. 1993, Brenner et al. 2001; Citarda et al. 2001). Cave Kontraindikationen zur endoskopischen Polypektomie sind hämorrhagische Diathesen, Polypen mit einem Basisdurchmesser von mehr als 3 cm, floride entzündliche Darmerkrankungen und dekompensierte kardiopulmonale Insuffizienz.
Für eine sichere histologische Beurteilung ist die komplette Polypektomie, d. h. die Abtragung sämtlicher Polypenanteile, notwendig. 9.2.1 Technik Vor der Polypektomie muss eine Darmvorbereitung durch orthograde Spülung oder Gabe von Laxanzien durchgeführt werden. Immunsupprimierte Patienten oder Patienten mit Vitien erhalten kurz vor dem Eingriff eine Antibiotikagabe zur Endokarditisprophylaxe. Vor der Abtragung sind der ganze Polyp sowie seine Basis genau zu inspizieren. Zur besseren Inspektion ist manchmal eine Umlagerung des Patienten oder Manipulation des Polypen mit der geschlossenen Biopsiezange erforderlich. Die Polypektomieschlinge wird in Höhe des Polypen ausgefahren und über den Polypen gelegt. Unter gleichzeitigem Vor-
. Abb. 9.1. Technik der endoskopischen Polypektomie mittels Diathermieschlinge
102
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
a
9
b
c
. Abb. 9.2a–c. Schritte bei der endoskopischen Abtragung eines Kolonadenoms. a Gestieltes Adenom vor der Abtragung, b Anlage eines Endo-
loop vor der Abtragung, c Bild des komplett abgetragenen gestielten Adenoms
schieben der Sonde wird die Schlinge soweit eingezogen, bis sie den Stiel umfasst. Die Abtragung erfolgt mit intermittierenden Stromstößen. Um die Blutungsgefahr zu minimieren, soll ein sog. Koagulationsstrom verwendet werden. Damit eine Verletzung der Darmwand durch die Spitze der Schlinge vermieden wird, muss die Schlinge mit dem Polypen während der Stromapplikation von der Darmwand weg in das Lumen luxiert werden (. Abb. 9.1). Zur Vorbeugung von Komplikationen im Rahmen der Polypektomie, z. B. Blutungen oder Perforationen, kann vor der Abtragung eine submuköse Unterspritzung an der Basis des Polypen mit verdünnter Adrenalinlösung (1:10.000) durchgeführt werden. Bei großen gestielten Polypen kann auch eine Ligatur an der Basis des Polypen mittels Endoloop oder Haemoclip angebracht werden (. Abb. 9.2). Die Komplikationsrate der Polypektomie kann durch eine submuköse Unterspritzung vor der Abtragung signifikant gesenkt werden.
Eine spätere Sekundärblutung kann zwischen dem 2. und 14. postoperativen Tag auftreten. Als Ursache wird angenommen, dass sich das Blutkoagel, welches sich an der Abtragungsstelle ausbildet, durch eine nachfolgende Entzündungsreaktion im Abtragungsbereich ablöst. Sekundärblutungen werden häufig bei Patienten beobachtet, die Thrombozytenaggregationshemmer oder Antikoagulanzien einnehmen. Die Inzidenz einer Blutung nach Polypektomie wird in der Literatur mit 0,8–1,7% angegeben (Frühmorgen et al. 1990). Therapie. Tritt eine Blutung unmittelbar nach der Polypektomie auf, so kann die Blutungsstelle endoskopisch durch folgende Techniken behandelt werden: 4 Endoskopische Ligatur (Endoloop, Clips; . Abb. 9.3) 4 Lokale Unterspritzung durch mit Kochsalz verdünnte Adrenalinlösung (1:10.000) 4 Elektrokoagulation (cave: Perforation bei Koagulation an der Abtragungsstelle)
9.2.2 Komplikationen Blutungen und Perforation stellen die häufigsten Komplikationen der Polypektomie dar. Weitere seltene Komplikationen wie Postpolypektomiesyndrom, Pneumoperitoneum und Milzruptur werden in der Literatur beschrieben. Blutung Die häufigste Komplikation ist die Blutung, die gewöhnlich sofort nach Polypektomie auftritt. Es handelt sich in der Regel um eine leichte Sickerblutung, die spontan sistiert. Gelegentlich kommt es auch zu einer arteriellen Spritzblutung, die eine sofortige endoskopische Therapie erfordert. Ursachen für Blutungskomplikationen 5 5 5 5 5
Abtragung eines breitbasigen Polypen Unvollständige Gefäßkoagulation Polypektomie bei Patienten mit Gerinnungsstörungen Mangelhafte Technik bei der Abtragung Verwendung von Schneidestrom mit hoher Stromstärke
. Abb. 9.3. Behandlung einer Nachblutung nach Polypektomie durch nachträgliches Anlegen eines Endoloop an die Basis des Polypen
103 9.3 · Endoskopische Mukosaresektion
9.3
9
Endoskopische Mukosaresektion
Nur bei massiver, endoskopisch nicht beherrschbarer Blutung ist eine operative Therapie indiziert.
Perforation Das Risiko einer Darmperforation nach Polypektomie im Kolon liegt zwischen 0,25% und 0,5% (Frühmorgen et al. 1990). Klinische Symptomatologie. Charakteristisch sind abdominelle
Schmerzen mit zunehmender Intensität, Peritonismus und Fieber. Häufig lässt sich eine subphrenische Luftsichel in der Abdomenleeraufnahme im Stehen nachweisen. Die Diagnose einer Perforation ergibt sich in manchen Fällen bereits während der endoskopischen Untersuchung: Die insufflierte Luft entweicht, das Darmlumen kollabiert, und der Patient klagt gleichzeitig über heftige Schmerzen. In manchen Fällen verläuft die Perforation auch schleichend, und die Symptome treten erst nach einem Intervall von einigen Stunden bis zu 36 h auf. Bei einer gedeckten Perforation tritt die Beschwerdesymptomatik häufig verzögert auf (12–24 h nach der Polypektomie). Bei der Röntgenuntersuchung lässt sich keine freie Luft in der Bauchhöhle nachweisen. Die Beschwerden sind wahrscheinlich Folge einer Hitzeschädigung der Darmwand sowie einer entzündlichen Reaktion des Peritoneums. Therapie. Bei einer freien Perforation ist die sofortige chirurgische Therapie indiziert. Nach Knoch liegt die Letalität einer Kolonperforation unter 20%, wenn innerhalb der ersten 8 h gehandelt wird. Sie steigt auf über 50%, wenn die Perforation erst nach 24 h oder später einer Therapie zugeführt wird. Bei einer gedeckten Perforation wird das Therapieverfahren kontrovers diskutiert. Bei Patienten mit milden klinischen Symptomen kann eine konservative Therapie durch Antibiotikagabe und parenterale Ernährung unter strengen klinischen und laborchemischen Kontrollen versucht werden.
9.2.3 Vorgehen nach Polypektomie Nichtneoplastische Polypen wie Hamartome (bei juvenilen und Peutz-Jeghers Polypen) und hyperplastische Polypen weisen kein malignes Potenzial auf. Eine Nachsorge mit endoskopischer Kontrolle ist nur bei Patienten mit multiplen Polypen oder bei familiären Karzinombelastungen zu empfehlen. Neoplastische Polypen wie Adenome können sich zu invasiven Karzinomen entdifferenzieren. Daher ist nach kompletter Polypektomie eine erste Kontrolle nach 3 Jahren, dann in 5-jährigem Intervall indiziert. Bei inkompletter Polypektomie ist eine endoskopische Kontrolle bereits nach 3 Monaten erforderlich. Invasives Wachstum (pT1): Bei Low-risk-Frühkarzinomen ist eine endoskopische Kontrolle nach 6, 24 und 60 Monaten erforderlich. Bei High-risk-Frühkarzinomen ist eine chirurgische Therapie indiziert (Schmiegel et al. 2000; Hahne et al. 2004).
Die endoskopische Mukosaresektion (EMR) wird zur Behandlung von Frühkarzinomen des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes eingesetzt.
Frühkarzinome (Carcinoma in situ, mukosale, intramukosale, intraepitheliale Karzinome) sind histologisch nur auf die Mukosa beschränkt und weisen eine niedrige Rate von Lymphknotenmetastasen auf (0–5%; Kojima et al. 1998). Bei Infiltration der Submukosa erhöht sich die Rate der Lymphknotenmetastasen auf bis zu 35% (Netzer et al. 1998; Frühmorgen et al. 2003; . Tab. 9.1). Im Rahmen der Weiterentwicklung und Verbesserung der Endoskopie, z. B. durch Chromoendoskopie und Vergrößerungsendoskopie (High-resolution- und Magnifikationsendoskopie), ist die Früherkennungsrate der Frühkarzinome und adenomatösen Krebsvorstufen im Gastrointestinaltrakt angestiegen. In Japan beträgt der Anteil der Frühkarzinome bei Ösophaguskarzinomen 24% (Yoshinaka et al. 1991), bei Magenkarzinomen 50% (Shimuzu et al. 1995) und bei Kolonkarzinomen 20% (Schida et al. 1996). Zur Behandlung dieser Frühkarzinome stehen verschiedene endoskopische Verfahren wie photodynamische Therapie, Lasertherapie, Argon-Plasma-Koagulation oder endoskopische Mukosaresektion zur Verfügung. Im Vergleich zu den thermischen Destruktionsverfahren ist bei der EMR eine histologische Untersuchung des resezierten Präparates möglich (Rembacken et al. 2001). Aus diesem Grund wird die EMR zunehmend in westlichen Ländern zur Therapie von Frühkarzinomen im Gastrointestinaltrakt eingesetzt. 9.3.1 Indikationen Im Ösophagus ist die EMR bei Frühkarzinomen der Typen m1 und m2 indiziert, wobei der Tumordurchmesser weniger als 2 cm betragen soll. Bei Magenfrühkarzinomen ist die Indikation zur EMR beim intestinalen Typ, bei Mukosabefall und bei den makroskopischen Typen I, IIa und IIb ohne Ulzeration gegeben (. Abb. 9.4). Außerdem soll der Tumordurchmesser kleiner als 2 cm sein (Tani et al. 2003). Im Allgemeinen soll der Tumor gut differenziert und nicht größer als 2 cm im Durchmesser sein. Bei ulzerierter Form ist aufgrund der Fibrosierung eine Anhebung der Läsion von der Submukosa durch Unterspritzung nicht möglich. Vor der endoskopischen Mukosaresektion ist ein Ausschluss von Lymphknotenmetastasen durch den Einsatz der Endosonographie
. Tabelle 9.1. Häufigkeit von Lymphknotenmetastasen
Tumorinfiltration Organ
Mukosa
Submukosa
Ösophagus
4%
35%
Magen
0–5%
10–20%
Kolon
2–3%
8–12%
104
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Tabelle 9.2. Einteilung der Karzinominvasion
Stadium
Definition
m1
Epithelialkarzinom oder Mukosakarzinom mit Infiltration in die Lamina propria
m2
Befall zwischen m1 und m3
m3
Mukosakarzinom mit Infiltration in die Lamina muscularis mucosae
sm1
Submukosakarzinom mit Befall des ersten Drittels der Submukosaschicht
sm2
Submukosakarzinom mit Invasion des mittleren Drittels der Submukosaschicht
sm3
Massive Invasion der Submukosa
. Abb. 9.4. Makroskopische Einteilung der Frühkarzinome
. Abb. 9.5. Diathermiemesser mit isolierter Spitze
9
möglich. Die Trefferquote zur Differenzialdiagnose zwischen Mukosa- und Submukosabefall liegt bei der Endosonographie mit 20-MHz-Schallkopf bei 71–91%. Dies ist von Bedeutung, da eine endoskopische Mukosaresektion nur bis einschließlich des Stadium m2 eine ausreichende Sicherheit bietet. Tumoren der Stadien m3 + sm1 stellen wegen der relevanten Rate an Lymphknotenmetastasen nur eine relative Indikation zur EMR dar (. Tab. 9.2 und . Abb. 9.8; Shim 2001). 9.3.2 Technik Prinzipiell können folgende 3 Techniken angewendet werden: 4 Technik mit Injektion und Exzision ohne Aspiration (StripBiopsie) 4 Aspirationsmukosektomie mit Zylindervorsatz (Inohue et al. 1993) 4 Modifizierte Technik, z. B. EMR mittels Diathermiemesser mit isolierter Spitze (Ohkuwa et al. 2001) Injektion und Exzision ohne Aspiration (Strip-Biopsie). Bei der
Strip-Biopsie-Technik wird zunächst die Basis der Läsion durch eine submuköse Injektion mit Kochsalzlösung oder mit dickflüssig-viskösen Substanzen mit langanhaltendem Effekt, wie z. B. Glyzerol, Hydroxypropyl, Methylzellulose oder Natriumhyaluronat, unterspritzt (Fujishiro et al. 2004). Zur besseren Erkennung der Läsion kann auch eine Mischung von 0,5 ml Methylenblau und 10 ml NaCl verwendet werden. Die durch die Unterspritzung erhabene Läsion wird dann mittels endoskopischer Schlinge reseziert (. Abb. 9.6). Diese Technik lässt sich einfacher durch den Einsatz von Endoskopen mit 2 Arbeitskanälen durchführen: Über den ersten Arbeitskanal wird die Schlinge um die zu resezierende Läsion gelegt, über den zweiten Arbeitskanal wird die Läsion gleichzeitig mit Hilfe einer Fasszange angehoben. Anschließend kann die Läsion abgetragen werden. Eine Markierung der Läsion vor submuköser Unterspritzung erleichtert die nachfolgende Abtragung. Die Unterspritzung selbst senkt das Perforationsrisiko während der Abtragung. Aspirationsmukosektomie mit Zylindervorsatz. Nach Lokalisa-
tion der Läsion mittels Chromoendoskopie wird diese durch sub-
muköse Unterspritzung mit Kochsalzlösung oder einer gleichwirksamen Substanz angehoben. Der Zylindervorsatz aus transparentem Plastik wird an der Spitze des Endoskops angebracht. Die eingeführte dünne Schlinge wird nun an der inneren Kante des Zylindervorsatzes ausgefahren. Der Tumor wird in den Zylinder hineingesaugt und die Schlinge kann zugezogen werden; danach erfolgt die Abtragung des Tumors (. Abb. 9.7). EMR mittels Diathermiemesser mit isolierter Spitze. Nach der Unterspritzung wird zunächst eine kleine Inzision mit einem konventionellen Messer durchgeführt. Die weitere Tumorexzision erfolgt dann mit dem Diathermiemesser mit isolierter Spitze. Diese isolierte Spitze verhindert das Tieferschneiden bei der Resektion (. Abb. 9.5).
Endoskopische Papillotomie und Steinextraktion aus den Gallenwegen
9.4
Die endoskopische Sphinkterotomie wurde im Jahre 1974 in Deutschland durch Classen und Demling sowie in Japan durch Kawai eingeführt. Die Spaltung des Sphinkter Oddi ist die Voraussetzung für viele diagnostische und therapeutische Eingriffe im Gallengang- und Pankreasgangsystem. 9.4.1 Indikationen
Indikationen zur endoskopischen Papillotomie 5 5 5 5 5 5
Gallengangskonkremente Papillenstenose Septische Cholangitis Biliäre Pankreatitis Drainage bei postoperativen Gallengangsläsionen Gallengangsdrainage bei inoperablem Verschlussikterus
Die Durchführung einer endoskopischen Papillotomie sollte immer mit einer therapeutischen Option begründet sein.
105 9.4 · Endoskopische Papillotomie und Steinextraktion aus den Gallenwegen
b
a
c . Abb. 9.6a–d. Schritte bei der Strip-Biopsie eines breitbasigen Adenoms. a Schematische Darstellung der Technik der Strip-Biopsie, b endos-
9
d kopisches Bild des Adenoms vor der Biopsie, c gleiches Adenom nach submuköser Injektion, d Abtragungsstelle nach Strip-Biopsie
. Abb. 9.8. Stadien der Karzinominvasion in Mukosa und Submukosa
9.4.2 Technik
. Abb. 9.7a,b. Technik der Aspirationsmukosektomie. a Kopf des Instruments mit ausgefahrener Diathermieschlinge, b einzelne Arbeitsschritte bei der Mukosektomie
Zur endoskopischen Papillotomie (EPT) wird ein Duodenoskop mit Seitenoptik verwendet. Nach Darstellung der Papilla vateri und Sondierung des Gallengangs mit dem Papillotom wird der Schneidedraht in 12-Uhr-Position eingestellt (. Abb. 9.9). Diese ist wichtig, um eine Verletzung von Duodenalwand oder Pankreasgang zu vermeiden. Mit kurzen Stromstößen wird eine Kombination von Schneide- und Koagulationsstrom durch einen Hochfrequenzgenerator abgegeben. In der gleichen Zeit wird das Papillotom zurückgezogen. Zur Vermeidung von Blutungen sollen
106
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
Steins vorgeschoben. Nach Öffnen der Fangarme wird dann der Stein unter Vor- und Rückwärtsbewegungen in das Körbchen eingefangen und aus dem Gallengang entfernt (. Abb. 9.10). Die Erfolgsrate der endoskopischen Steinextraktion nach EPT liegt bei ca. 85%. Gallengangsteine sind schwierig oder unmöglich zu entfernen, wenn die Steine sehr groß sind oder wenn ein Missverhältnis zwischen der Größe der Steine und der Lumenweite des Gallengangs besteht (. Abb. 9.11). Schwierigkeiten sind ab einer Steingröße von 15 mm Durchmesser zu erwarten.
. Abb. 9.9. Technik der EPT
9
die Schnittführungen nicht über die Querfalten der Papille hinausgehen. Die gesamte Komplikationsrate der EPT liegt unter 6,8% (Blutung 2,6%, Cholangitis 1,8%, akute Pankreatitis 1,3%, Perforation 1,1%; Barthet et al. 2002; Mutignani et al. 2004). 9.4.3 Endoskopische Therapie von Gallengangs-
konkrementen Steinextraktion Die endoskopische Steinextraktion kann mit Hilfe eines Dormiakörbchens durchgeführt werden. Dazu wird das Dormiakörbchen in geschlossenem Zustand in den Gallengang proximal des
Steinfragmentation Es gibt verschiedene Techniken zur Fragmentierung von Gallengangssteinen, wenn eine endoskopische Extraktion bei großen Konkrementen misslingt: 4 Mechanische Lithotripsie 4 Elektrohydraulische Lithotripsie 4 Ultraschalllithotripsie 4 Laserlithotripsie Die Techniken können entweder durch endoskopisch retrograden Zugang oder durch einen perkutan transhepatischen Zugang erfolgen. Mechanische Lithotripsie Der mechanische Lithotripter funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die Steinextraktion mit Dormiakörbchen. Er besteht aus einem Körbchen in einem längsstabilen und flexiblen Stahlmantel (. Abb. 9.12). Bei der Lithotripsie wird über einen Gewindemechanismus Zug auf den Führungsdraht des Dormiakörbchens ausgeübt, sodass die Fangarme des Körbchens das eingefangene Konkrement durchschneiden. Die allgemeine Erfolgsrate der mechanischen Lithotripsie liegt bei 85%.
. Abb. 9.10a,b. Bergung eines Gallengangkonkrements. a Darstellung des Konkrements im Ductus choledochus, b Extraktion des Konkrements mit Dormiakörbchen
107 9.5 · Endoskopische transpapilläre Gallengangsdrainage
9
9.4.4 Ergebnisse Eine Steinextraktion ist in 85% der Fälle mittels Dormiakörbchen und Ballonkatheter möglich. Von allen Fragmentationstechniken ist die mechanische Lithotripsie die einfachste Technik im Hinblick auf Praktikabilität, Effizienz und Kosten. Die Erfolgsrate der mechanischen Lithotripsie liegt bei 85%. Dies führt zu einer allgemeinen Steigerung der gesamten Erfolgsrate von endoskopischen Methoden bei Gallengangsteinen bis auf 97%. Laser, elektrohydraulische Lithotripsie und Schockwellen sind zusätzliche effektive Methoden. Die endoskopische Platzierung von Gallengangsendoprothesen unter Belassung der Konkremente bleibt älteren Patienten mit hohem chirurgischem Risiko vorbehalten (Costamagna et al. 2001; Shah et al. 2002; Neuhaus 2004). Mit den aktuell verfügbaren endoskopischen Verfahren ist es möglich, 97% aller Gallenwegskonkremente zu extrahieren.
. Abb. 9.11. Missverhältnis zwischen großem Konkrement und engem Lumen im distalen Ductus choledochus
9.5
Endoskopische transpapilläre Gallengangsdrainage
9.5.1 Indikationen
. Abb. 9.12. Abbildung eines mechanischen Lithotripters
Lasertherapie Bei dieser Technik kommt ein gepulster Laser zum Einsatz, dessen hohe Energie während der Behandlung in mechanische Energie umgewandelt wird, die den Stein desintegriert. Über einen in den Arbeitskanal des Endoskops eingeführten flexiblen Lichtleiter wird dabei die Laserenergie zum Konkrement transportiert. Der Vorteil des Lasers scheint zu sein, dass die hohe Energie auch große Steine zerstören kann. Der Nachteil dieser Methode besteht darin, dass der Eingriff nur unter endoskopischer Sicht durchgeführt werden kann und mit hohen Kosten verbunden ist. Die Erfolgsrate der Laserlithotripsie wird mit 95% angegeben, Nebenwirkungen wurden bisher im Bereich der Gallengänge nicht beobachtet. Extrakorporale Schockwellen In einer prospektiven multizentrischen Studie bei 113 Patienten mit Gallengangsteinen konnte Sauerbruch eine Erfolgsrate von 86% berichten (Sauerbruch u. Stern 1989). Die hospitale Mortalität wurde mit 1,8% angegeben, die Nebenwirkungsrate betrug insgesamt 27%.
Die Hauptindikation zur Implantation einer Endoprothese oder eines Stents stellen in etwa 90% der Fälle inoperable maligne Verschlüsse der Gallenwege dar, welche der Häufigkeit nach durch Karzinome des Pankreaskopfes, der Gallenwege und durch Metastasen bedingt sind. Für diese Tumoren findet sich ein Altersgipfel in der 6. bis 7. Lebensdekade. Die Beschwerden der Patienten bei den genannten Krankheitsbildern sind so uncharakteristisch, dass die Diagnosestellung häufig erst beim Auftreten eines Ikterus erfolgt. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ist bei Gallenwegskarzinomen in bis zu 60% der Fälle mit einer regionären Metastasierung in Lymphknoten oder Leber zu rechnen. In fast 50% der Fälle sind Fernmetastasen nachweisbar. Zu diesem Zeitpunkt sind kurative Maßnahmen nur noch in Ausnahmefällen möglich. Das therapeutische Vorgehen hat dementsprechend einen palliativen Charakter. Im Vordergrund der Maßnahme steht dabei die mechanische Entlastung der Gallenwege. Aufgrund der Ergebnisse einer Metaanalyse von 8 veröffentlichten retrospektiven und 2 prospektiven randomisierten Studien konnten Saleh und Mitarbeiter bei malignem Verschlussikterus, bezüglich der postoperativen Morbidität und Mortalität, keinen vorteilhaften Effekt für eine präoperative Gallengangsdrainage mit Stent oder Endoprothese feststellen. Eine Indikation zur präoperativen Gallengangsdrainage ist damit nicht gegeben (Saleh et al. 2002). Zu den gutartigen Erkrankungen, welche die restlichen 10% ausmachen, zählen die distale Choledochusstenose infolge einer chronischen Pankreatitis, die postoperative Striktur, die postoperative Gallenleckage, die sklerosierende Cholangitis u. ä. m. (Bilsel et al. 2003; Stiehl 2004). 9.5.2 Technik Der Eingriff wird mit einem Fiberglasendoskop mit Seitenoptik durchgeführt. Das Prothesenset nach Soehendra und Reynders-
108
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Abb. 9.13. Verschiedene Endoprothesen zur Gallengangdrainage
9
Frederix besteht aus Führungsdraht, Schubkatheter, Führungskatheter und Endoprothese. Am häufigsten werden zurzeit folgende 3 Prothesen eingesetzt (. Abb. 9.13): 4 Die Pigtail-Prothese weist an der Spitze eine bogenförmige Krümmung auf, durch die die Prothese nach erfolgter Platzierung im Gallengang gehalten wird. 4 Die doppelte Pigtail-Prothese mit zusätzlicher Biegung am distalen Ende soll die Gefahr einer prothesenbedingten Duodenalläsion vermeiden. 4 Die gerade Prothese nach Huibregste ist mit einem flügelartigen Einschnitt an beiden Enden versehen.
Kunststoffprothesen werden im Allgemeinen gegenüber den kostspieligen Metallstents bevorzugt. Letztere haben aufgrund ihrer größeren Lumina (bis etwa 10 mm) einen exzellenten initialen Drainageeffekt. Sie verstopfen jedoch infolge von Tumorein- und -überwuchs und haben den Nachteil, dass sie nicht entfernbar sind. Metallstents sollten daher nicht bei benignen Stenosen verwendet werden. Wiederholte Okklusionen sowie Dislokationen der Kunststoffprothesen und Cholangitiden bei malignen Verschlüssen sind die Hauptindikationen für Metallstents. Meist handelt es sich hierbei um Patienten mit langsam fortschreitenden Neoplasmen, wie z. B. Klatskin-Tumoren (Soehendra u. Seitz 2003). Nach der Durchführung einer endoskopischen Papillotomie wird mit Hilfe des Führungskatheters ein Führungsdraht in den Gallengang eingeführt und unter Röntgendurchleuchtung durch die Stenose bis in die intrahepatischen Gallenwege vorgeschoben. Anschließend wird der Führungskatheter entfernt. Die Endoprothese wird auf den Führungsdraht gefädelt und mit dem Schubkatheter durch den Arbeitskanal des Endoskops in den Gallengang eingeführt. Unter radiologischer und endoskopischer Kontrolle wird die Prothese durch die Stenose vorgeschoben. Das distale Ende der Prothese soll bei korrekter Lage ca. 1 cm in das Duodenallumen hineinragen (. Abb. 9.14). 9.5.3 Ergebnisse Die technische Erfolgsrate der endoskopischen Platzierung von Gallengangsendoprothesen liegt in der Literatur bei 84%. Misserfolge sind durch eine duodenale Stenose oder nicht durchführbare endoskopische Papillotomie bei Patienten nach reseziertem
. Abb. 9.14a–e. Technik der endoskopischen Platzierung einer Endoprothese bei Stenosierung des Gallengangs. a Darstellung der Stenose, b Vorschieben des Führungsdrahtes über die Stenose, c Vorschieben der Endoprothese, d Endoprothese in situ, e schematische Darstellung der exakten Lage der Prothese
a
b
c
d
e
109 9.6 · Endoskopische Therapie der chronischen Pankreatitis
9
9.5.4 Komplikationen Frühkomplikationen sind entweder durch die Papillotomie selbst oder durch die Endoprothese bedingt. Als Komplikationen der Papillotomie werden in der Literatur Blutungen mit 1%, Pankreatitis mit 1% und Perforationen mit 0,55% angegeben. Endoprothetisch bedingte Komplikationen sind akute Cholezystitis (1%), Okklusion der Endoprothese (2%) und akute Cholangitis (7–18%). Als Spätkomplikationen sind häufig Okklusionen der Drainage mit bis zu 36% zu verzeichnen. In seltenen Fällen treten auch hier noch Dislokationen und Perforation der Drainage auf. Bei 10% aller Patienten entwickeln sich Duodenalstenosen. Mortalität. Die gesamte Hospitalletalität bei endoskopischen Eingriffen liegt in der Literatur bei bis zu 6%. Unter Verwendung von großkalibrigen Endoprothesen ist eine Senkung der Cholangitisrate und damit auch der Letalität auf bis zu 3,5% zu verzeichnen. Bifurkationstumoren weisen aufgrund inkompletter Drainage bei einseitiger Prothesenimplantation eine hohe Letalität bis 25% auf. Papillentumoren haben eine Mortalitätsrate von lediglich 2% (Rey et al. 2002). Prothesenokklusion. Die Ursache der Katheterokklusion liegt
. Abb. 9.15. Abb. 9.15. Bilaterale Drainage mit 2 Endoprothesen bei Klatskin-Tumor (getrennte Schienung von rechtem und linkem Ductus hepaticus)
Magen, z. B. bei Billroth-II- oder Roux-Y-Anastomosen, bedingt. Hochgradige Stenosen, die ein Vorschieben des Führungsdrahtes verhindern, führen ebenfalls zu Misserfolgen bei der Implantation. Die Erfolgsrate bei Leberhilustumoren liegt mit 58% eindeutig niedriger als bei Tumoren im extrahepatischen Gallengangssystem (97%; Cheng 2002). Effektivität der Drainagen. Nach technisch erfolgreicher Platzie-
rung der Endoprothese ist in ca. 90% der Fälle ein Abfall des Serumbilirubins auf unter 50% des Ausgangswertes zu beobachten. Eine fehlende Effektivität der Drainage kann durch Dislokation oder Verstopfung des Drains bedingt sein. Bei KlatskinTumoren gelingt häufig nur ein partieller Drainage-Effekt. Aus diesem Grunde sollte angestrebt werden, die Prothesen einzeln in den linken und rechten D. hepaticus zu platzieren (. Abb. 9.15). Der Abfall des Bilirubinspiegels erfolgt in der Regel innerhalb von 4 Wochen. Überlebenszeiten nach Prothesenimplantation. Die mittlere Überlebenszeit nach Prothesenplatzierung liegt bei 4,2 Monaten. Es besteht eine deutliche Abhängigkeit der Überlebenszeit von der Effektivität der Endoprothese. Bei effektiver Drainage beträgt die Überlebenszeit 7,5 Monaten im Gegensatz zu 1,2 Monaten bei nicht effektiv drainierten Patienten (Freeman u. Overby 2003). Eine Normalisierung des Bilirubins nach Prothesenplatzierung ist demnach als günstiger prognostischer Faktor hinsichtlich der Überlebenszeit zu werten. Die Verwendung einer möglichst großlumigen Gallengangsdrainage verlängert das Intervall bis zu deren Okklusion und senkt damit die Cholangitisrate.
in einer Inkrustierung des Katheterlumens durch Ablagerung von Galle und Zelldetritus. Diese Komplikation wird in der Literatur in bis zu 50% der Fälle angegeben. Die durchschnittliche Liegedauer der Prothesen beträgt 3,4 bis 5 Monate. Bei Katheterokklusion ist ein rechtzeitiger Katheterwechsel erforderlich, um einer septischen Cholangitis vorzubeugen (Kaasis et al. 2003). 9.6
Endoskopische Therapie der chronischen Pankreatitis
Obstruktionen des Pankreasganges durch narbige Stenosen oder intraduktale Konkremente sind nicht selten Ursache von Schmerzen bei akut rezidivierender Pankreatitis oder chronischer Pankreatitis. Eine endoskopische Therapie ist im Rahmen der folgenden pathologischen Befunde indiziert: 9.6.1 Stenosen des Ductus wirsungianus Bei kurzstreckigen Pankreasgangstenosen mit Gangdilatation vor den Stenosen können diese nach Seldinger-Technik aufbougiert oder mit dem Ballon aufdilatiert und anschließend mit einer 7-French-Endoprothese geschient werden. 9.6.2 Steine im Ductus wirsungianus Pankreasgangsteine können nach EPT mit einem Dormiakörbchen oder Ballon aus dem D. wirsungianus entfernt werden. In den meisten Fällen sind die Konkremente im Gang impaktiert und müssen mit der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) zertrümmert werden. Mit der sonographisch gesteuerten ESWL lassen sich solche Steine am Hauptgang erfolgreich desintegrieren, sodass die kleinen Fragmente spontan abgehen können (Soehendra u. Seitz 2003).
110
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
9.6.3 Pankreaspseudozysten Im Verlauf der chronischen Pankreatitis kommt es bei 25% der Patienten zur Entwicklung von Pankreaspseudozysten. Innerhalb der ersten 6 Wochen bilden sich 40% der Pseudozysten spontan zurück. Nach 12 Wochen ist die Spontanregression von Pseudozysten nur noch sehr gering, und Komplikationen werden in bis zu 2/3 der Fälle beobachtet. Ursächlich für die Entstehung von Komplikationen ist die Größenzunahme der Zysten auf über 5 cm. Treten Beschwerden auf, kann in geeigneten Fällen, bei geringerer Belastung des Patienten, eine endoskopische Pseudozystendrainage durchgeführt werden (Mayerle et al. 2004). Indikationen zur endoskopischen Pseudozystendrainage 5 Symptomatische Zysten (Schmerzen, Verschlussikterus, Kompression des Duodenums) 5 Infizierte Zysten 5 Zysten >6 cm im Durchmesser . Abb. 9.16. Endoskopische transgastrische Drainage einer Pankreaspseudozyste mittels Kunststoffprothese
9
Vorbereitungen und Voraussetzungen für eine endoskopische Zystendrainage. Vor der Drainage sollten Untersuchungen wie
z. B. Computertomographie, Gastroduodenoskopie, Endosonographie und ERCP zur Klärung der folgenden Fragestellungen durchgeführt werden: 4 Kontakt (Abstand) der Zysten zur Magenwand 4 Gefäße an der Zystenwand 4 Zysteninhalt (liquide oder mit festem Detritus), bei festem Zysteninhalt ist die Anlage einer nasozystischen Drainage zur Spülung erforderlich 4 Septierung der Zysten Eine perkutane Punktion der Zysten vor endoskopischer Drainage mit Untersuchung des Zysteninhaltes auf Tumorzellen, Bakterien und Amylase wird allgemein empfohlen (Soehendra u. Seitz 2003).
Ergebnisse. Die Erfolgsrate der Zystendrainage bei chronischer Pankreatitis liegt bei 92%, die Rezidivrate wird mit 10% angegeben (Baron et al. 2002; Neuhaus 2004). Komplikationen. Die Gesamtkomplikationsrate liegt bei 17%.
Die Infektion ist dabei die häufigste Komplikation und kann durch Wechsel und Spülung über eine nasozystische Sonde behandelt werden. Das Risiko schwerwiegender Komplikationen wie Perforation und Blutung kann durch eine sorgfältige Untersuchung vor der endoskopischen Zystendrainage vermindert werden (Soehendra u. Seitz 2003).
Endoskopische Therapie gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt
9.7
Instrumentarium. Als Instrumentarium werden benötigt:
4 Duodenoskop mit Seitenoptik 4 Diathermienadel mit zentraler Bohrung für den Führungsdraht 4 10-French-Plastikprothese oder eventuell nasozystischer 7-French-Katheter
Gutartige Stenosen im Gastrointestinaltrakt sind keineswegs seltene Krankheitsbilder. Die Inzidenz von klinisch relevanten Anastomosenstenosen liegt dabei zwischen 5,2 und 18,1% je nach Anastomosenart (. Tab. 9.3; Truong 1993).
Technik. Anhand der computertomographischen und gastrosko-
Ursachen gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt
pischen Befunde kann die durch die Zysten verursachte Vorwölbung in der Magenhinterwand lokalisiert werden. Die Punktion erfolgt mit der Diathermienadel, und zwar in senkrechter Richtung zur Magenwand. Die korrekte Lage der Nadel in der Zyste kann durch Gabe von Kontrastmittel oder Aspiration des Zysteninhaltes festgestellt werden. Der Außenkatheter wird zunächst vorgeschoben und der Innenkatheter anschließend entfernt. Zuletzt wird der Führungsdraht eingeführt. Nach Dilatation mit dem Ballon bis 8 oder 10 mm kann die 10-French-Prothese mit mehreren Seitenlöchern eingelegt werden (. Abb. 9.16).
5 5 5 5 5 5 5 5
Die Lokalisation der Punktionsstelle sowie die Gefäßdarstellung mittels Endosonographie erleichtert die Drainage von Pankreaszysten und senkt deren Komplikationsrate.
5 5 5 5
Kongenital Reflux: peptische Stenose Verätzung (Säure, Lauge, KCl-Tabletten) Bestrahlung: aktinische Stenose Nach Verödungstherapie (Ösophagusvarizen) Webs: Plummer-Winson-Syndrom Ring (Schatzki-Ring) Entzündliche Erkrankungen: Viren (Herpes, Zytomegalie), Bakterien (Tbc), Granulomatosen (M. Crohn, Sarkoidose), Ulzera Dermatose: Sklerodermie, Pemphigoid, M. Behçet Durchblutungsstörungen: ischämische Enterokolitis Postoperative Anastomosenstenose Achalasie
111 9.7 · Endoskopische Therapie gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt
9
9.7.2 Endoskopische Therapie der Ösophagus-
achalasie
. Tabelle 9.3. Inzidenz von Anastomosenstenosen
Anastomose
n
Inzidenz
Kolorektal
1950
9,0%
Ösophagogastrostomie
924
8,7%
Ösophagojejunostomie
474
5,2%
Koloninterponat
381
18,1%
9.7.1 Endoskopische Therapieverfahren Bewährt haben sich die Bougierung mit den flexiblen SilikonBougies verschiedener Durchmesser nach Savary-Gilliard und die endoskopische Dilatation mit dem Ballon unter Sicht. Bougierung mit Savary-Gilliard-Bougies. Zunächst erfolgt eine
endoskopische Platzierung des Führungsdrahtes über die Stenose hinaus (evtl. unter radiologischer Kontrolle). Anschließend wird der Bougie mit dem gewünschten Durchmesser über den Führungsdraht vorgeschoben und die Stenose dabei aufgedehnt. Endoskopische Ballondilatation. Unter endoskopischer Sicht wird der Ballon über den Arbeitskanal des Endoskops in die Stenose eingeführt und stufenweise dilatiert (. Abb. 9.17). Bei kurzstreckiger, narbiger Stenose ist evtl. eine Einkerbung des Narbenrings durch Elektroinzision oder Argon-Plasma-Koagulation notwendig. Ergebnisse. Die initiale Erfolgsrate liegt bei 90%, der Langzeiterfolg bei 68%, die Rezidivrate der Stenose bei 30%. Schwerwiegenden Komplikationen wie Perforation und Blutung kommen insgesamt in weniger als 0,7% der Fälle vor. Die durch das Verfahren bedingte Letalität liegt bei 0,3% (Truong 1993).
Das Perforationsrisiko kann durch die stufenweise Bougierung (oder Dilatation) in kleinen Schritten gesenkt werden.
a
b
Ätiologie und klinische Einteilung Die Achalasie ist eine neuromuskuläre Erkrankung der glatten Ösophagusmuskulatur, gekennzeichnet durch die fehlende schluckreflektorische Relaxation des unteren Ösophagussphinkters (UÖS) sowie das Fehlen der Peristaltik des Ösophagus. Je nach Ausmaß der Ösophagusdilatation wird die Achalasie in 3 Schweregrade unterteilt. 4 Stadium I: keine Dilatation des Ösophagus, nachweisbare tertiäre Peristaltikwellen 4 Stadium II: deutliche Dilatation des Ösophagus, keine nachweisbare Peristaltik 4 Stadium III: extreme Dilatation des Ösophagus, keine nachweisbare Peristaltik Die Vigorous achalasia (hypermotile Achalasie) ist eine Übergangsform zwischen Ösophagusspasmus und Achalasie. Sie ist gekennzeichnet durch eine inkomplette schluckreflektorische Relaxation des UÖS bei vorhandener tertiärer Motilität. Die bei der Achalasie zu beobachtende Ösophagusdilatation tritt hier nicht auf. Diagnostik Die notwendigen Untersuchungen zur Diagnose einer Achalasie umfassen die Röntgendarstellung nach Kontrastmittelschluck, die Manometrie sowie die Endoskopie einschließlich der Entnahme von Gewebeproben. Typische Befunde bei Ösophagusachalasie 5 Röntgenkontrastschluck – Ösophagusdilatation, Flüssigkeitsspiegel – Fehlende Luftblase im Magenfundus – Stenose im ösophagogastralen Übergang (weinkelchartig oder Stundenglasstenose) 5 Manometrie des UÖS – Ruhetonus normal bis erhöht – fehlende schluckreflektorische Erschlaffung
6
c
. Abb. 9.17a–c. Technik der Ballondilatation einer Anastomosenstenose. a Anastomosenstenose vor der Dilatation, b Aufdehnen der Stenose mit dem Ballon, c endoskopischer Befund der Stenose nach Dilatation
112
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
5 Manometrie des Ösophagus – Ruhedruck größer als Magentonus 5 Endoskopie – Megaösophagus – Ösophagitis mit Speiseresten, evtl. Soorbefall – Problemlose Passage mit dem Endoskop
Die Indikation zur operativen Behandlung durch Kardiamyotomie besteht prinzipiell bei jungen Patienten, außerdem nach zweimaliger erfolgloser Ballondilatation oder Botulinustoxininjektion sowie bei Patienten mit einer Achalasie im Stadium III.
Im Rahmen der Endoskopie ist die Entnahme einer Gewebeprobe zum Ausschluss eines Malignoms unbedingt erforderlich. Vor der Therapie einer Achalasie muss ein Malignom durch Biopsie und bildgebende Verfahren ausgeschlossen werden.
Therapie Patienten mit symptomatischer Achalasie der Stadien I und II sind für eine endoskopische Therapie geeignet. Es existieren 2 Verfahren: die Ballondilatation und die Injektion von Botulinustoxin.
9
Endoskopische palliative Tumortherapie im gastrointestinalen Trakt
9.8
Cave
Endoskopische Ballondilatation. Als Dilatator kann entweder ein hydrostatischer oder pneumatischer Ballon eingesetzt werden. Nach endoskopischer Passage durch die Kardia wird ein Führungsdraht in den Magen vorgeführt. Nach Entfernung des Endoskops kann der Ballondilatator unter radiologischer Kontrolle in der Kardia platziert und aufgedehnt werden. Bei der Verwendung eines pneumatischen Ballons (Microvasive, Boston Scientific) empfiehlt sich eine Dilatation mit 35 mm Durchmesser unter einem Druck von 8–10 psi (55,2–69 kPa) für 1–3 min. In der Regel sind 2 Dilatationsbehandlungen erforderlich. Der Langzeiterfolg beträgt 74–86% nach 5 Jahren und 62% nach 19 Jahren. Die Perforationsrate liegt bei 1–4,5% (Alonso-Aguirre et al. 2003).
Die Hauptziele der endoskopischen palliativen Tumortherapie im Gastrointestinaltrakt sind die Wiederherstellung der Passage, die Rekanalisierung der tumorbedingten Stenose und dadurch die Beseitigung der Dysphagie oder des Ileus mit der Möglichkeit einer enteralen Ernährung. Möglichkeiten der endoskopischen palliativen Therapie von malignen Stenosen im Gastrointestinaltrakt sind: 4 Stentimplantation 4 Laser 4 Perkutane, endoskopische Gastrostomie 4 Endokavitäre Strahlentherpie in After-Loading-Technik 4 Lokale Applikation von Kryo- oder Thermosonde 4 Schlingenresektion 4 Photodynamische Therapie 4 Argon-Plasma-Koagulation (APC) 4 Injektionsmethoden (Alkohol, Zytostatika) Alle endoskopischen Palliativtherapien haben zum Ziel, effektiv und komplikationsarm zu sein und zu keiner Beeinträchtigung bzw. Verschlechterung der Lebensqualität zu führen. Im Folgenden werden die 2 zurzeit am häufigsten angewandten Verfahren behandelt. 9.8.1 Endoskopische Stentimplantation
Injektion von Botulinustoxin. Die endoskopische Injektion von
Botulinustoxin in den UÖS wurde 1994 von Parischa eingeführt und ist vor allem bei alten Patienten indiziert. Der Vorteil liegt hier beim fehlenden Perforationsrisiko. Unter endoskopischer Sicht werden in alle 4 Quadranten des UÖS ca. 25 MU Botulinustoxin intramuskulär injiziert. Der Initialerfolg dieser Methode liegt bei 66%. Bereits nach 12 Monaten sind aber nur noch 32% der behandelten Patienten beschwerdefrei (Vaezi u. Richter 1999, Hoogerwerf u. Pasricha 2002).
Indikationen zur Stentimplantation 5 5 5 5 5
Ösophagotracheale Fisteln (Gelbmann 2004) Langstreckige Tumorstenosen Ösophagusstenosen durch Tumoren anderen Ursprungs Stenosen nach Ausschöpfung anderer Therapieverfahren Rasch wachsende Tumoren
. Tabelle 9.4. Strukturen verschiedener selbstexpandierender Metallstents
Wall-Stent
Ultraflex-Stent
Gianturco-Stent
Esopha- Coil
Material
Rostfreier Stahl
Nitinol
Rostfreier Stahl
Nitinol
Durchmesser vor Freisetzung
18 Fr
24 Fr
24 Fr
32 Fr
Durchmesser nach Freisetzung
20 mm
18 mm
18 mm
18 mm
Stentretraktion
30%
27–40%
10%
40%
Expansionskraft
+
+
++
+++
Therapie von Fistel
+
+
+
–
Therapie von Kardiatumor
+
+
–
–
9
113 9.8 · Endoskopische palliative Tumortherapie im gastrointestinalen Trakt
Material. Selbstexpandierende Metallstents bestehen aus einem schlauchförmigen Drahtgeflecht, das die Tendenz hat, sich nach seiner Freisetzung aktiv auf einen bestimmten Lumendurchmesser auszudehnen. Dieser Metallschlauch ist in komprimiertem Zustand auf einem Katheter befestigt. Durch die Verwendung von Stentsystemen mit Kunststoffhülle kann eine Tumordurchwucherung verhindert werden. Im Handel sind verschiedene Stentsysteme mit unterschiedlichen Eigenschaften erhältlich (. Tab. 9.4).
Die Implantation von selbstexpandierenden Metallstents ist nur bei malignen Stenosen, keinesfalls jedoch bei benignen Stenosen indiziert.
Technik. Der Eingriff kann unter Sedierung oder in Allgemeinnarkose durchgeführt werden. Bei hochgradiger Tumorstenose ist eine endoskopische Bougierung oder Dilatation bis auf den Lumendurchmesser des nichtexpandierten Stents erforderlich (normalerweise bis 0,8 cm), damit dieser platziert werden kann. Nach endoskopischer Lokalisation und Markierung des proximalen und distalen Endes der Stenose kann die Tumorlänge und damit die entsprechende Stentlänge ermittelt werden. Unter radiologischer Sicht kann dann der Stent über einen Führungsdraht eingeführt und freigesetzt werden (. Abb. 9.18). Ergebnisse. Der technische Erfolg liegt bei 96%, die Rückbildungsrate der Dysphagie wird zwischen 71 und 85% angegeben. Die Gesamtkomplikationsrate liegt zwischen 3 und 17% (Stentmigration, Stentobstruktion durch Tumor oder durch Bolus, Arrosionsblutung). Die Reinterventionsrate liegt bis 65% (. Tab. 9.5; Christie et al. 2001, Wang et al. 2001, Bartelmann et al. 2000, Homs et al. 2002).
.8 9 .2
Lasertherapie
5 Kurzstreckiger, exophytischer Tumor 5 Tumor mit hoher Lokalisation im Bereich des oberen Ösophagussphinkters 5 Tumorüberwucherung
. Tabelle 9 .5.
. Abb. 9 .18 a,b. Platzierung eines Stents bei stenosierendem Ösophaguskarzinom. a radiologischer Befund der langstreckigen Stenose, b radiologischer Befund nach Stentimplantation mit freier Passage des Kontrastmittels
Ergebnisse der palliativen Therapie inoperabler Ösophagus- und Kardiakarzinome mit selbstexpandierenden Metallstents
n
Rückbildung (Dysphagie)
100
85%
3%
Wang (2001)
82
96%
Bartelmann (2000)
153
Homs (2004)
216
Christie (2001)
b
a
Indikationen der Lasertherapie
Komplikation
Stentmigration
Tumorobstruktion
Reintervention
Überlebenszeit (Monate)
9%
37%
78%
4,2
17%
6%
28%
65%
4,5
78%
10%
8%
9%
2,6
71%
17%
12%
14%
11%
4,1
114
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
a
9
b
. Abb. 9.19a,b. Technik der Laserablation eines Ösophaguskarzinoms. a Bild des Tumors während der Einwirkung des Lasers, b Tumor nach Rekanalisierung durch den Laser
Technik. Zur Lasertherapie maligner Tumoren im Gastrointestinaltrakt wird häufig der Neodym-YAG-Laser verwendet. Die besondere Wirkung des Neodym-YAG-Lasers beruht auf einer hohen Eindringtiefe aufgrund seiner Absorptionseigenschaften in Wasser und Blut. Der Laserstrahl wird über eine flexible Quarzfaser durch den Arbeitskanal des Endoskops an die Tumorstenose herangebracht. Bei einer Ausgangsleistung von 100 Watt, einer Entfernung von 1 cm und einer Impulsdauer von 1–2 s vermag die Laserenergie eine Verdampfung der intrazellulären Flüssigkeit und damit eine schichtweise Tumorablation zur Rekanalisierung der Stenose herbeizuführen. Niedrigere Energien haben lediglich einen Koagulationseffekt, und erst nach Abstoßung der Nekrosen wird die gewünschte Lumenerweiterung erzielt. Es ist empfehlenswert, erst nach vorausgegangener Bougierungstherapie mit der Laser-Anwendung am unteren Tumorende zu beginnen, um die Achsrichtung nicht zu verfehlen. Die Laserbestrahlung dauert 20–30 min pro Sitzung und muss zunächst in 2- bis 5-tägigen Abständen durchschnittlich viermal wiederholt werden (. Abb. 9.19). Ergebnisse. Die Rekanalisierungsquote liegt bei ca. 90%. Im
Durchschnitt sind 4 Therapiesitzungen notwendig. Die Gesamtkomplikationsrate liegt bei 9–10%. Schwerwiegende Komplikationen wie Perforation treten in 4–5%, Fistelbildung in 1% und Blutungen in 1% der Fälle auf. Die verfahrensbedingte Letalität liegt bei 1%. 9.9
Perkutane endoskopische Gastrostomie
Seit der Einführung im Jahre 1980 durch Gauderer hat sich die perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) als enterales Langzeiternährungsverfahren bewährt. Auch für ambulante Patienten ist sie sehr geeignet.
9.9.1 Indikationen
Häufigste Indikationen zur enteralen Langzeiternährung mittels PEG 5 Reversible und irreversible Schluckstörungen 5 Schädel-Hirn-Traumen 5 Tumorobstruktionen im oberen Gastrointestinaltrakt oder im HNO-Bereich 5 Tumorkachexie 5 Bewusstseinseintrübung 5 Kurzdarmsyndrom 5 Zystische Fibrose 5 Anorexia nervosa
9.9.2 Technik Prinzipiell gibt es 2 Techniken zur PEG-Platzierung: die transorale Fadendurchzugsmethode (Gauderer et al. 1980) und die Direktpunktionstechnik (Negri et al. 1984; Vestweber 1984). Transorale Fadendurchzugsmethode. Der Eingriff beginnt mit der Einführung des Gastroskops in Rückenlage des Patienten und Luftinsufflation, bis der Magen der Bauchwand anliegt. Die Punktionsstelle liegt in der Regel in der Mitte einer Verbindungslinie zwischen Nabel und unterem linkem Rippenbogen. In einem abgedunkelten Raum kann die optimale Kontaktfläche und damit die Punktionsstelle diaphanoskopisch bestimmt und unter endoskopischer Sicht durch Fingerdruck von außen überprüft werden. Nach Desinfektion des Punktionsbereiches erfolgt eine Lokalanästhesie aller Bauchwandschichten bis zum Magenlumen hin. Nach Anlegen einer 3–4 mm langen Stichinzision wird die Punktionsnadel von außen perkutan mit aufgesteckter Kunststoffkanüle unter endoskopischer Kontrolle in das Magenlumen
9
115 9.10 · Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung
. Tabelle 9.6. Komplikationen der PEG bei 1410 Patienten (Vestweber 1988)
Komplikationen
n
Letalität
5
0,3
Peritonitis
2
0,1
Revisionsbedingte Blutung
3
0,2
Perforation
4
0,3
Fehlpunktion
–
–
Dislokation
6
0,4
Aspiration
12
0,9
Leck
1
0,8
Persistierende Fistel
3
0,2
68
4,8
113
8,0
Wundinfektion Gesamt . Abb. 9.20. Korrekte Lage der inneren Andruckplatte nach PEGAnlage
vorgeschoben. Anschließend wird die Punktionsnadel zurückgezogen. Über die Kunststoffkanüle wird der Führungsfaden in den Magen eingeführt, mit einer Polypektomieschlinge gefasst und dann gemeinsam mit dem Endoskop peroral entfernt. Nunmehr wird der Katheter am Führungsfaden befestigt und unter vorsichtigem Zug an dem aus der Kunststoffkanüle herausragenden Faden in den Magen und dann zusammen mit der Kunststoffkanüle durch die Bauchdecken soweit herausgezogen, bis die Silikonkautschukscheibe an der Mageninnenwand anliegt (. Abb. 9.20). Nach äußerer Fixation des Katheters erfolgt die Befestigung des Luer-Lock-Anschlusses. Cave Bei fehlender Diaphanoskopie bzw. nicht sichtbarer Pellotierung der Magenwand unter Fingerdruck ist die Anlage einer PEG kontraindiziert.
Direktpunktionsverfahren. Ein Spezial-Foley-Katheter 12-French wird in eine Splitkanüle eingelegt, über die Magenwand intragastral plaziert und geblockt. Die Nachteile dieses Verfahrens sind häufige Dislokation durch den Defekt des Halteballons sowie das Wegschieben der Magenvorderwand von der Bauchwand während der Insertion mit der möglichen Folge einer Fehlpunktion.
9.9.3 Komplikationen Komplikationen der PEG treten relativ selten auf (. Tab. 9.6). Die verfahrensbedingte Letalität liegt bei 0,3%, die Morbiditätsrate bei 8% (Vestweber 1988). Die Ursachen für Todesfälle waren Sedierungseffekte, Aspirationen sowie nekrotisierende Fasziitiden. Ursachen der Komplikationen. In der Literatur werden folgende
Ursachen von Komplikationen genannt:
4 Fehlende Diaphanoskopie bei der Punktion (bei adipösen Patienten oder Patienten mit Aszites) 4 Patienten mit Stenosen im Gastrointestinaltrakt 4 Patienten mit Sepsis 4 Infiltrative Prozesse der Magenwand 4 Die PEG-Sonde wurde zu fest an der Magenwand fixiert (Nekrose der Magenwand mit nekrotisierender Fasziitis) 9.10
Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung
Blutungen des oberen Gastrointestinaltraktes sind mit einer Prävalenz von 0,1% bei einer durchschnittlichen Letalität von 10% ein ernst zu nehmendes, nicht seltenes Ereignis. Zu den häufigsten Symptomen gehören Hämatemesis und Teerstuhl (Meläna) bzw. bei sehr starken Blutungen des oberen Gastrointestinaltraktes auch Blutstuhl (Hämatochezie). Die Indikation zur endoskopischen Abklärung ist immer gegeben, auch wenn eine Vielzahl der Blutungen von selbst zum Stillstand kommt. Hierbei hat sich gezeigt, dass es notwendig ist, standardisiert vorzugehen. Die initiale Behandlung ist entscheidend für das Outcome des Patienten. Man muss eine zügige hämodynamische Stabilisierung erreichen, d. h. frühzeitig Blutprodukte transfundieren. Ein spezielles Team für die Notfallendoskopie mit schneller Anwesenheit sollte zur Verfügung stehen. Diese initiale zügige Vorgehensweise ist nicht nur für die Morbidität und Mortalität, sondern auch für die Kostenrechnung von positiver Bedeutung (Marek 2003). 9.10.1 Differenzialdiagnostik In den letzten Jahren zeigt sich eine Abnahme der peptischen Ulzera als Ursache für die obere gastrointestinale Blutung von 59% auf 38% (Marek 2003; Jensen et al. 2003). Als Hauptgrund wird die sich verbreitende Eradikationstherapie bei Helicobacter-
116
9
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Abb. 9.21. Angiodysplasie
pylori-positiver Gastritis gesehen. Außerdem sind die Entwicklung und der Einsatz von neuen antisekretorischen Medikamenten und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) neuerer Generation bedeutsam. Als Risikofaktor spielt die chronische Einnahme von NSAR bei Magenulzera eine größere Rolle (57%) als bei Duodenalulzera (53%). Bei der Helicobacter-Infektion ist es umgekehrt: 45% der Magenulzera und 50% der Duodenalulzera sind Helicobacterbedingt. Hingegen ist bei einer Helicobacter-Infektion nur in 10–20% ein Ulkus nachzuweisen (Jensen u. Savides 2003). Bei ca. einem Drittel der Ulzera kommt es zu Blutungen. Viele haben nur sehr geringe (<100 ml) Blutmengen und sind für den Patienten okkult. Weitere Risikofaktoren für ein Ulkus sind Stress, die zusätzliche Einnahme von Marcumar und Kortikoiden, sowie ein Duodenalulkus in der Vorgeschichte. Außer dem klassischen Ulkus kommt es durch die Einnahme von NSAR auch zu blutenden Erosionen oder einer hämorrhagischen Gastritis. Einige Autoren empfehlen deshalb bei bestehender Notwendigkeit einer Therapie mit NSAR, die prophylaktische Eradikationstherapie (Udd et al. 2003; El-Khayat u. Mousa 2003; Vilaichone et al. 2003; Chan et al. 2002). Ein Häufigkeitsanstieg zeigte sich unerklärlicherweise bei der erosiven Ösophagitis von 4,3% auf 12,9%. Die dritthäufigste Blutungsursache (ca. 10%) sind maligne Ulzerationen; hierbei ist die Blutung oftmals erstes Symptom in einem meist schon fortgeschrittenen Stadium. Als weitere Blutungsursachen sind arteriovenöse Malformationen wie Angiodysplasien (. Abb. 9.21), das Ulkus Dieulafoy (. Abb. 9.22) und das Mallory-Weiss-Syndrom zu erwähnen. Beim Ulkus Dieulafoy handelt es sich um die Blutung aus einer arrodierten, direkt unterhalb der Muscularis mucosae abnorm gelegenen großkalibrigen Arterie, die durch eine Schleimhauterosion in Kontakt zum Magenlumen gelangt. Es ist ein Häufigkeitsanstieg von 0,6% auf 2,3% zu verzeichnen. Das Mallory-Weiss-Syndrom bezeichnet schmale Schleimhauteinrisse in Längsrichtung im Bereich der Kardia, ausgelöst durch starkes Erbrechen. Von prognostischer Bedeutung ist die Einteilung der Blutungsaktivität nach Forrest (. Tab. 9.7, . Abb. 9.23; Forrest et al.
. Abb. 9.22. Ulkus Dieulafoy
. Tabelle 9.7. Forrest-Klassifikation der Blutungsaktivität von Magen- und Duodenalulzera
Stadium
Definition
Ia
Spritzende arterielle Blutung
Ib
Sickerblutung
IIa
Sichtbarer Gefäßstumpf (»visible vessel«), keine aktive Blutung
IIb
Ulkus mit haftendem Koagel
IIc
Dunkler Ulkusgrund mit Hämatin
III
Ulkus ohne Blutungszeichen (cave: »invisible vessel«)
1974). Das Nachblutungsrisiko ist am höchsten in der Folge einer Forrest-Ia-Blutung und nimmt bis zum Stadium III ab (Laine u. Peterson 1994). Zusätzlich besteht eine direkte Abhängigkeit von der Größe des arrodierten Gefäßes (Chung 2003). Der Schweregrad der Blutung ist bei Duodenalulzera größer und es besteht öfter die Notwendigkeit der endoskopischen Intervention und einer Bluttransfusion. Auch das Nachblutungsrisiko und die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingreifens sind erhöht (Jensen et al. 2003; Marek 2003).
Bei Nachweis einer Helicobacter-Infektion, insbesondere im Rahmen eines Blutungsgeschehens, sollte eine Eradikationstherapie durchgeführt werden (Bardou et al. 2003; Martin et al. 2003).
Zur Eradikationstherapie zählt die Dreierkombination eines Protonenpumpeninhibitors (z. B. Omeprazol/Pantoprazol), der im übrigen auch ohne den Nachweis einer Helicobacter-Infektion
117 9.10 · Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung
9
zur Reduktion der Rezidivblutungsrate signifikant beiträgt (Bardou et al. 2003; Martin et al. 2003), sowie Clarithromycin und Amoxicillin oder alternativ Metronidazol. Die Reduktion der Nachblutungsrate erklärt sich durch die Vorbeugung der Säure und Pepsin Andauung des Blutkoagels durch die Protonenpumpeninhibitoren mit pH-Wert Erhöhung. Die Gabe ist sofort nach der endoskopischen Blutstillung indiziert (Khuroo et al. 1997). 9.10.2 Ablauf in der Klinik
a
Je nach Befund, abhängig von der Menge des Blutverlustes und der Kreislaufsituation, muss elektiv oder notfallmäßig vorgegangen werden. Im letzteren Fall sollte das weitere Vorgehen unter intensivmedizinischen Bedingungen durchgeführt werden. Bei massiver Blutung sollte die Spiegelung, zumindest bei multimorbiden Patienten, wegen der Aspirationsgefahr in Intubationsnarkose durchgeführt werden. Bei gesunden Patienten kann man alternativ ohne oder mit leichter Sedierung einer möglichen Aspiration vorbeugen. Die Stabilisierung des Kreislaufs und die Transfusion von Blutkonserven müssen vor der endoskopischen Intervention erfolgen. 9.10.3 Endoskopische Therapie
b
Nach Klärung der notwendigen Vorgehensweise (sofortige Endoskopie, vorherige Kreislaufstabilisierung, Vorbereitung einer geplanten Endoskopie) erfolgt schließlich in jedem Fall die Spiegelung des oberen Gastrointestinaltraktes, einerseits zur Diagnostik der Blutungsursache und Lokalisation und andererseits eventuell zur Therapie. Für die Endoskopie bei Blutungen des oberen Gastrointestinaltraktes sind spezielle Blutungsgastroskope mit großlumigem Saug-Spül-Kanal notwendig. So können vorhandene Koagel abgesaugt werden, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Zusätzlich reicht die normal übliche Spülung nicht aus, sodass viele Endoskopiker auf kräftige Spülsysteme zurückgreifen, die zusätzlich an das Endoskop angeschlossen werden können. Grundsätzlich ist das aggressivere Vorgehen mit Abspülen von festsitzenden, adhärenten Koageln zur tatsächlichen Aufdeckung der Blutungsquelle vorteilhafter, als ein eher konservatives Belassen dieser Koagel. So können unter dem Koagel liegende Stigmata behandelt werden, was zu einer Senkung der Nachblutungsrate führt (Chung 2003; Jensen et al. 1999). 9.10.4 Technik
c . Abb. 9.23a–c. Einteilung der Ulkusblutung nach Forrest. a Spritzende arterielle Blutung Typ Forrest Ia, b sichtbarer Gefäßstumpf Typ Forrest IIa, c Ulkus mit haftendem Koagel Typ IIb
Man kann grundsätzlich zwischen thermischen Verfahren (Laser/ Argonbeamer/Koagulation) und nicht-thermischen Verfahren (Injektion/Clipping) unterscheiden. Injektion. Sehr standardisiert und kostengünstig ist die Injektionsmethode mit einer Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten von Agenzien. Die alleinige Injektion von Adrenalin (1:10.000−100.000 verdünnt) wirkt primär über die Kompression des Gefäßes, sekundär über die Vasokonstriktion. Genauso kann man hyperosmolare NaCl-Lösung injizieren. Die Wirkdauer ist
118
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Abb. 9.24. Technik der Injektion zur endoskopischen Blutstillung
9
wegen der Resorption und Diffusion relativ kurz, entsprechend das Nachblutungsrisiko hoch (20%). Es wird eine Blutstillungsrate von 70–90% erreicht (. Tab. 9.8). Zu den Injektionsmethoden gehört insbesondere heute auch die submuköse Unterspritzung mit einem sog. Fibrinkleber, einem Fibrin-Thrombin-Gemisch, dass zunächst rein mechanisch komprimiert, allerdings wegen der Aushärtung permanent im Gegensatz zu den o. g. ist. Außerdem wird die Wundheilung induziert und damit beschleunigt (. Abb. 9.24). Die primäre Blutstillungsrate beträgt über 95%. Auch die Nachblutungsrate, Rate einer chirurgischen Intervention und die Morbidität und Letalität sind deutlich vermindert (2–4%; Grund 2003; Repici et al. 2003). Eine große Metaanalyse zeigt allerdings die deutliche Senkung der Nachblutungsrate, der Rate der noch notwendigen chirurgischen Interventionen und der Letalität durch eine kombinierte Therapie (Vergara et al. 2003). Hierbei wird nach der primären Adrenalininjektion ein thermisches, mechanisches oder weiteres Injektionsverfahren (Fibrin) angewandt. Diese sind als gleichwertig zu bezeichnen. Das Verfahren sollte individuell ausgewählt werden (Chung 2003).
beiden Gefäßenden clippen, bei einem nicht direkt sichtbaren Gefäß fasst man das Gewebe im Bereich der Blutung um ein verdecktes Gefäß zu komprimieren. Schwierigkeiten ergeben sich lediglich in gewissen schwer zu erreichenden Lokalisationen, wie etwa der Magenhinterwand oder im Bulbus duodeni, wegen der tangentialen Lage zum Gerät, oder auch bei fibrotischem, derbem Untergrund (Fuke et al. 1996). Argon-Plasma-Koagulation. Die Blutstillung mittels ArgonPlasma-Koagulation (APC/»Argonbeamer«), die insbesondere auch bei schwierigen Lokalisationen für z. B. eine Clipapplikation zum Erfolg führt, ist mit Blutstillungsraten von 99% sehr effektiv (Bampton et al. 2003; Ianetti et al. 2003; Fujii et al. 2003). Weitere Hauptanwendungsgebiete sind diffuse Tumorblutung und Koagulopathien. Andere thermische Verfahren. Gegenüber den vorher geschilderten Verfahren haben weitere thermische Verfahren wegen schlechterer Ergebnisse, höherer Kosten und schlechterer Praktikabilität eher eine untergeordnete Bedeutung. Zu nennen sind der Neodym(YAG)-Laser, die »Heater-Probe«, eine Metall-
Clipapplikation. Als mechanische Methode ist die Clipapplikation ein effektives Standardverfahren sowohl bei der Ulkusblutung als auch bei allen Blutungen, in denen ein sichtbares oder zu erahnendes Gefäß vorhanden ist (. Abb. 9.25). Es werden initiale Hämostaseraten von über 95% erreicht. Das Nachblutungsrisiko liegt bei 2–4% (Fuke et al. 1996; Kim et al. 2003). Vorteilhaft ist das fehlende Risiko einer Wandnekrose mit Perforationsgefahr. Idealerweise kann man gezielt zweifach die
. Tabelle 9.8. Blutstillungsverfahren, Blutstillungsraten und Nachblutungsraten
Verfahren
Blutstillungsrate
Nachblutungsrate
Injektion (Adrenalin oder NaCl)
70–90%
20%
Elektrokoagulation und Adrenalin
80%
6–7%
Clipapplikation
84–100%
1,8–10%
Fibrinunterspritzung
>95%
2–4%
. Abb. 9.25. Endoskopische Blutstillung einer spritzenden Blutung mittels Haemoclip
119 9.11 · Fremdkörperextraktion
. Tabelle 9.9. Gegenüberstellung der wichtigsten Blutungsarten und Blutstillungsverfahren
Clip
Injektion
APC
YAGLaser
HeaterProbe
Forrest Ia, IIa
+
+
–
–
–
Forrest Ib, IIb, IIc
?
+
+
?
(+)
(+)
+
(+)
?
(+)
+
?
?
+
?
Tumor Angiodysplasie Entzündung
?
sonde, die durch eine Heizspirale auf eine definierte Temperatur erhitzt werden kann, und die mono- oder multipolare Elektrokoagulation. Hierbei fließt Strom entweder von Sonde zu Sonde oder von Sonde zur Neutralelektrode, also durch den Patienten. Alle genannten Verfahren beruhen auf der Erhitzung des Gewebes, einer Koagulation des Gefäßes und der Umgebung mit Blutstillungsraten über 80% und entsprechenden Nebenwirkungen im Sinne von thermischen Wandverletzungen mit Perforationsgefahr (Lin et al. 2003) Auch die Nachblutungsraten sind mit z. B. 18% bei der Heater-Probe zu hoch (Soehendra et al. 2001).
Nach endoskopischer Blutstillung beim Typ Forrest Ia ist immer eine endoskopische Verlaufskontrolle erforderlich.
Vergleich der verschiedenen Blutstillungstechniken. In . Tab. 9.9
sind nochmals die wichtigsten Blutstillungsverfahren den entsprechenden Blutungsarten gegenübergestellt. Gewertet ist die Eignung der Verfahren für die unterschiedlichen Blutungsmodalitäten. Letztendlich muss aber im Einzelfall entschieden werden. Wie bereits oben erwähnt muss auch die Lokalisation der Blutung mit in die Verfahrenswahl einbezogen werden (Grund u. Lange 2000). Protonenpumpeninhibitoren. Zeitgleich bzw. unmittelbar nach
der endoskopischen Intervention ist die kontinuierliche Hochdosisgabe eines Protonenpumpeninhibitors (z. B. Omeprazol/ Pantoprazol 80–240 mg i.v.) für 3 Tage indiziert, da sie signifikant zur Reduktion der Rezidivblutungsrate beiträgt (Martin et al. 2003; Bardou et al. 2003). Danach ist zur Rezidivprophylaxe die orale Therapie mit 20 mg eines Protonenpumpenhemmers indiziert. H2-Rezeptorantagonisten spielen nach neuesten Studien wegen der deutlichen Unterlegenheit gegenüber den Protonenpumpeninhibitoren nur noch eine untergeordnete Rolle. Das Nachblutungsrisiko liegt nach einer kombinierten Therapie bei 2–10%. Manche Zentren führen eine Routinekontrollendoskopie nach 24 h durch.
9
Die Therapie der oberen Gastrointestinalblutung hat in den letzten 20 Jahren einen erheblichen Wandel erfahren. Heute wird primär ein endoskopisches Behandlungskonzept verfolgt. Eine Operation ist nur noch bei Massenblutungen und einem endoskopischen Therapieversagen angezeigt (Grund u. Lange 2000).
9.11
Fremdkörperextraktion
Fremdkörper im Gastrointestinaltrakt gehen in 85–98% der Fälle per via naturalis spontan ab. Bei einem Missverhältnis zwischen Größe des Fremdkörpers und dem Lumendurchmesser des Verdauungskanals ist ein Spontanabgang nicht möglich. In solchen Fällen ist eine Fremdkörperextraktion durch die Endoskopie indiziert. Indikationen. Impaktierte Fremdkörper im Ösophagus müssen wegen der Gefahr einer Aspiration entfernt werden. Spitze, scharfkantige oder große (>2,5 cm im Durchmesser) Fremdkörper müssen wegen der Gefahr einer Verletzung der Hohlorgane des Gastrointestinaltraktes ebenfalls extrahiert werden. Fremdkörper mit toxischen Substanzen, z. B. Knopfbatterien oder mit Rauschgift gefüllte Beutel bei Body-Packern, sollen wegen der Gefahr einer lokalen Verätzung oder Intoxikation ebenfalls entfernt werden. Nach einer Verweildauer von mehr als 3 Tagen wird ein Spontanabgang des Fremdkörpers unwahrscheinlich, deshalb ist die Indikation zur Extraktion nach dieser Zeit gegeben (Soehendra u. Seitz 2003). Untersuchungen vor der Fremdkörperextraktion. Bevor die Indikation zur endoskopischen Fremdkörperextraktion gestellt wird, müssen Art und Lokalisation des Fremdkörpers festgestellt sowie bereits eingetretene Verletzungen der Hohlorgane diagnostiziert werden. Hierzu sind Röntgenübersichtsaufnahmen von Thorax und Abdomen und evtl. Kontrastmittelschluck oder Kolonkontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel geeignet. Die Befragung des Patienten oder Begleitpersonen nach der Art und Form des Fremdkörpers können ebenfalls hilfreich sein. Technik. Als Instrumentarium zur Fremdkörperextraktion kommen zur Anwendung: Fremdkörperschlinge, Fremdkörperzange, Dormiakörbchen, Schere usw. Der Eingriff soll wegen der Aspirationsgefahr in Allgemeinnarkose durchgeführt werden. Scharfe Gegenstände (z. B. Rasierklingen und Messer) sollen über einen Obertube oder eine am distalen Endoskopende montierten flexiblen Schutztrichter entfernt werden (. Abb. 9.26). Das Durchstoßen eines Bolus in den Magen ist wegen der Gefahr einer Perforation bei Verrutschen des Endoskops möglichst zu vermeiden.
Nach dem Eingriff soll ggf. eine Röntgenkontrolle zum Ausschluss einer Perforation durchgeführt werden.
120
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
9
. Abb. 9.26. Endoskopische Entfernung einer Rasierklinge mittels »Overtube«
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122
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
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9
10 10
Prinzipien der Laparoskopie A. Tittel, V. Schumpelick
10.1
Historische Entwicklung – 124
10.2
Funktionsprinzip
– 124
10.3
Anlage des Pneumoperitoneums – 125
10.3.1 10.3.2 10.3.3
Offene Anlage des Pneumoperitoneums – 125 Geschlossene Anlage des Pneumoperitoneums – 125 Direkte Trokarpunktion – 125
10.4
Indikationen und Kontraindikationen – 126
10.5
Apparative Ausstattung – 126
10.6
Pathophysiologie des Pneumoperitoneums – 126
10.6.1 10.6.2 10.6.3
Kardiale und hämodynamische Auswirkungen Pulmonale Auswirkungen – 126 Immunologische Auswirkungen – 127
10.7
Komplikationen
10.7.1 10.7.2 10.7.3 10.7.4 10.7.5 10.7.6 10.7.7
Gefäßverletzungen – 127 Verletzungen viszeraler Organe – 127 Emphysem – 128 Narbenhernien – 128 Wundinfektionen – 128 Postoperative Adhäsionen – 128 Gasembolie – 128
Literatur – 128
– 127
– 126
124
Kapitel 10 · Prinzipien der Laparoskopie
) ) Die erste laparoskopische Cholezystektomie 1987 bildete den Startpunkt für einen breiten klinischen Einsatz der Laparoskopie in der Chirurgie. Geringere postoperative Schmerzen, eine rasche Rekonvaleszenz und bessere Kosmetik faszinierten gleichermaßen Chirurgen und Patienten und bewirkten eine explosionsartige weltweite Verbreitung laparoskopischer Operationen. Initial engagierten Enthusiasten vorbehalten sind laparoskopische Operationstechniken heutzutage etablierter und unverzichtbarer Bestandteil des viszeralchirurgischen Tätigkeitsspektrums.
10.1
10
. Tabelle 10.1. Erstbeschreibungen laparoskopischer Operationstechniken
Jahr
Erstbeschreiber
Eingriff
1980
Semm
Laparoskopische Appendektomie
1987
Mouret
Laparoskopische Cholezystektomie
1982
Ger
Laparoskopische Hernienreparation
1991
Dallemagne
Laparoskopische Fundoplikation
1991
Jacobs
Laparoskopische Kolonresektion
1992
Gagner
Laparoskopische Adrenalektomie
1993
Corbitt Jr.
TAPP-Reparation
1993
McKernan
TEP-Reparation
1993
Belachew
Laparoskopisches »gastric banding«
1994
Weerts
Laparoskopische proximale selektive Vagotomie
1994
Katkhouda
Laparoskopische Leberteilresektion
1996
Cushieri
Laparoskopische Pankreasteilresektion
Historische Entwicklung
Die Geschichte der Laparoskopie im engeren Sinne begann 1901 zeitgleich mit den Untersuchungen von Ott und Kelling (Kelling 1902; Ott 1901). Ott inspizierte bei seinem Ventroskopie genannten Verfahren die Abdominalhöhle mit Hilfe eines Kopfspiegels und eines durch die Bauchwand eingebrachten Spekulums. Kelling legte bei Hunden erstmalig ein Pneumoperitoneum an, um dann ein Zystoskop durch die Bauchwand in die Abdominalhöhle einzuführen. Er nannte sein Verfahren Kölioskopie und veröffentlichte es 1902. 1910 publizierte der Schwede Hans Christian Jacobaeus seine Erfahrungen mit der Thorako- und Laparoskopie beim Menschen (Jacobaeus 1910). Der deutsche Internist Kalk führte 1925 die Laparoskopie in die Innere Medizin ein (Kalk 1929). Er veröffentlichte zwischen 1929 und 1959 mehr als 21 Arbeiten zum Thema Laparoskopie. 1929 entwickelte er eine neue, wegweisende 135°-Optik und standardisierte ein in Lokalanästhesie durchführbares Verfahren mit 2 Trokaren. 1937 berichtete der amerikanische Gastroenterologe John C. Ruddock über seine persönlichen Erfahrungen bei 500 Laparoskopien (Ruddock 1937). Trotz dieser beeindruckenden Serie war die Laparoskopie in den USA im Gegensatz zu Europa nur wenig verbreitet. 1938 entwickelte der Ungar Veress die noch heute gebräuchliche Sicherheitspunktionskanüle zum Aufbau des Pneumoperitoneums, bei der ein stumpfes federgetriebenes Innenteil nach Durchstoßen der Bauchwand schützend vor die scharfe Kanülenspitze springt (Veress 1938). Weitere wegweisende technische Entwicklungen sind mit dem Gynäkologen Semm verbunden, der eine Vielzahl noch heute gebräuchlicher Instrumente, u. a. 1964 den automatisierten, elektronisch gesteuerten Laparoinsufflator, 1972 den Endokoagulator, 1978 die Endoschlinge oder den zu Übungszwecken gebräuchlichen Pelvitrainer entwickelte. Die Entwicklung der Glasfibertechnologie 1958, der Kaltlichtquelle 1962 und der Hochleistungs-Hopkins-Optik 1962 sowie die Einführung der Farbvideographie 1968 und der CCD-ChipKamera führten zu der heute gebräuchlichen Videolaparoskopie mit ihrer genauen und für alle am Eingriff Beteiligten sichtbaren Darstellung des Operationssitus. Von Chirurgen erfunden und von Internisten zu diagnostischen Zwecken eingesetzt, nutzten Gynäkologen früh die therapeutischen Möglichkeiten der Laparoskopie. Bereits 1933 berichtete Fervers über die erste laparoskopische Adhäsiolyse (Fervers 1933). In den folgenden Jahrzehnten wurde die Laparoskopie vorwiegend von Gynäkologen weiterentwickelt. So verwundert es nicht, dass die erste laparoskopische Appendektomie 1980 vom Gynäkologen Semm durchgeführt wurde.
Die von Philippe Mouret 1987 erstmalig durchgeführte laparoskopische Cholezystektomie erregte dann schlagartig allgemeinchirurgisches Interesse und verdrängte lawinenartig die konventionelle Cholezystektomie im klinischen Alltag (Mouret 1996). Ohne Überprüfung durch prospektiv randomisierte Studien etablierte sie sich als Standardeingriff zur Behandlung der Cholelithiasis. Bis zum heutigen Tage sind laparoskopische Operationstechniken für nahezu alle allgemeinchirurgischen Operationen entwickelt worden (. Tab. 10.1). 10.2
Funktionsprinzip
Funktionsprinzip der Laparoskopie ist die Schaffung eines kuppelförmigen intraabdominellen Arbeitsraums, in dem dann mit durch Trokare eingebrachten Instrumenten unter videoendoskopischer Kontrolle die Operation durchgeführt wird. Routinemäßig wird dieser Kuppelraum durch Gasinsufflation in die Bauchhöhle aufgebaut und als Pneumoperitoneum bezeichnet. Neben Kohlendioxid können auch gereinigte Raumluft, Stickstoff oder die Edelgase Helium und Argon insuffliert werden (Neuhaus et al. 2001). In der Abwägung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Gase hat sich Kohlendioxid als Standardinsufflationsgas etabliert. Trotz seiner Beeinflussung des SäureBasen-Haushaltes sprechen vor allem die fehlende Brennbarkeit, geringe Kosten und eine hohe Löslichkeit des Kohlendoxids für seine Anwendung im klinischen Alltag.
125 10.3 · Anlage des Pneumoperitoneums
Standardinsufflationsgas ist Kohlendioxid, das mit einem Insufflationsdruck von 10–15 mmHg und einer Insufflationsrate von 3–6 l/min insuffliert wird.
10
fahr kann dann der Optiktrokar samt Staboptik oder alternativ auch ein an der Spitze konischer Hassontrokar durch die Peritonealinzision in die Bauchhöhle unter Sicht vorgeschoben und mit der CO2-Insufflation begonnen werden (Hasson 1971). Komplikationen. Trotz des Vorgehens unter Sicht lassen sich
10.3
Anlage des Pneumoperitoneums
Unabdingbare Voraussetzung jeder Laparoskopie ist ein etabliertes Pneumoperitoneum, dessen Anlage unter Allgemeinanästhesie in offener und geschlossener Technik oder nach direkter Trokarpunktion erfolgen kann. In der Anfangsphase der Laparoskopie wurde überwiegend die geschlossene Anlage des Pneumoperitoneums durchgeführt. Berichte über Gefäß- und Hohlorganverletzungen führten jedoch zu einer zunehmenden Verbreitung der offenen Technik zur Anlage des Pneumoperitoneums. Eine Metaanalyse prospektiver randomisierter und nichtrandomisierter Studien zum Vergleich der offenen und geschlossenen Technik zur Anlage eines Pneumoperitoneums zeigt ein tendenziell verringertes Risiko schwerwiegender Komplikationen bei Anwendung der offenen Zugangstechnik (Merlin et al. 2003). Die European Association of Endoscopic Surgery (EAES) konstatiert jedoch in ihrer Leitlinie zum Pneumoperitoneum, dass aufgrund der vorliegenden Datenlage eine Überlegenheit der offenen oder geschlossenen Zugangstechnik nicht zu belegen ist (Neudecker et al. 2002). 10.3.1 Offene Anlage des Pneumoperitoneums Technik (. Abb. 10.1). Nach Hautinzision, Durchtrennung des Subkutangewebes und Spaltung der Muskelfaszien erfolgt die sparsame Inzision des Peritoneums unter Sicht mit einer Präparationsschere. Dabei können etwaige Adhäsionen zur ventralen Bauchwand erkannt und abgelöst werden. Ohne Verletzungsge-
iatrogene Verletzungen nicht vollständig vermeiden (Bonjer et al. 1993; Schäfer et al. 2001). Etwaige Gasverluste entlang des Trokars aufgrund der im Vergleich zur geschlossenen Technik größeren Trokarinzision lassen sich durch eine Tabaksbeutelnaht auf Faszienniveau minimieren. Lediglich bei ausgeprägter Adipositas stößt die offene Anlage des Pneumoperitoneums an ihre Grenzen. Um eine adäquate Übersicht auf Peritonealniveau zu erhalten, muss dann die Trokarinzision so groß gewählt werden, dass eine gasdichte Abdichtung während der Insufflation nahezu unmöglich wird. 10.3.2 Geschlossene Anlage des Pneumo-
peritoneums Technik. Nach Hautinzision erfolgt bei der geschlossenen Tech-
nik zunächst die Blindpunktion der Bauchhöhle mit der VeressKanüle. Nach verschiedenen Sicherheitstests kann dann die Insufflation der Bauchhöhle mit CO2 begonnen werden. Bei etabliertem Pneumoperitoneum wird dann ein Sicherheitstrokar mit einer erneuten Blindpunktion in die Bauchhöhle eingebracht. Nach diesem ersten, sog. »Optiktrokar« können alle weiteren Arbeitstrokare dann unter videoendoskopischer Kontrolle platziert werden. Komplikationen. Vor allem bei schlanken Patienten oder Pa-
tienten mit Adhäsionen zur Bauchdecke nach Voroperationen droht die Verletzung intraabdomineller Gefäße und Hohlorgane durch die zweimalige Blindpunktion der Bauchhöhle. Zur Minimierung dieses Risikos ist die Beachtung der etablierten, nachfolgend aufgeführten Sicherheitstests entscheidend: 4 Abdomenpalpation der relaxierten Bauchdecke zur Lokalisation der Aorta und Aortenbifurkation; 4 Prüfung der Durchgängigkeit der Veress-Sicherheitskanüle; 4 Rotationstest: Die frei in der Bauchhöhle liegende VeressNadel muss widerstandfrei bewegbar sein. 4 Injektions-/Aspirationstest: 5–10 ml Kochsalzlösung müssen sich bei korrekter intraabdomineller Lage der Veress-Nadel widerstandsfrei injizieren lassen, ohne sich danach erneut aspirieren zu lassen. 4 »Schlürftest«: Ein auf die Veress-Nadel aufgebrachter Tropfen Kochsalzlösung muss beim Anheben der Bauchdecken durch den entstehenden intraabdominellen Unterdruck in die Bauchhöhle hineinlaufen. 4 Manometertest: Zu Beginn der CO2-Insufflation mit 1 l/min sollte der zeitgleich gemessene Druck unter 8–10 mmHg liegen; Ausnahme: extrem adipöse Bauchdecken. 10.3.3 Direkte Trokarpunktion
. Abb. 10.1. Offene Anlage des Pneumoperitoneums
Bei diesem selten angewandten Vorgehen wird der erste Trokar blind und ohne vorhergehende Gasinsufflation in die Bauchhöhle eingeführt (Woolcott et al. 1997). Obwohl 2 prospektive randomisierte Studien signifikante Vorteile für die direkte Trokarpunk-
126
Kapitel 10 · Prinzipien der Laparoskopie
tionstechnik gegenüber der geschlossenen Technik zur Anlage eines Pneumoperitoneums zeigen (Byron et al. 1993; Nezhat et al. 1991), stößt sie bei den meisten Chirurgen auf Ablehnung und ist dementsprechend nur wenig verbreitet (Catarci et al. 2001). Eine Variante des direkten Zugangs ist die Verwendung sog. optischer Trokare mit transparenten Obturatoren (Visi-Port, Optiview), die mit in den Trokar eingeführter Optik das Eingehen in die Bauchhöhle unter Sicht ermöglichen. Die durch das Vorgehen unter Sicht suggerierte Sicherheit des Verfahrens wird jedoch von einem Review der amerikanische Food and Drug Administration (FDA) relativiert, der von 37 Verletzungen großer intraabdomineller Gefäße und 4 Todesfällen bei Anwendung derartiger Systeme berichtet (Sharp et al. 2002). 10.4
10
Indikationen und Kontraindikationen
Indikationen und Kontraindikationen der laparoskopischen Chirurgie unterliegen, bedingt durch die zunehmende chirurgisch-laparoskopische Erfahrung, einem stetigen Wandel und werden in den entsprechenden organspezifischen Kapiteln dargestellt. Grundsätzlich ist eine Ausweitung der Indikationen und eine Abnahme der Kontraindikationen zu laparoskopischen Eingriffen zu konstatieren. Cave Als allgemeine absolute Kontraindikationen gelten dekompensierte kardiopulmonale Erkrankungen.
Relative Kontraindikationen sind die fortgeschrittene diffuse Peritonitiden, dekompensierte Ileuszustände, Schwangerschaft im dritten Trimenon und Kopfverletzungen mit erhöhtem Hirndruck. 10.5
Apparative Ausstattung
Die apparative Grundausstattung zur Laparoskopie besteht aus einem CO2-Insufflator mit automatischer Kontrolle des Insufflationsdrucks und -flusses und einer Videokette, bestehend aus Hopkins-Optik, Miniaturvideokamera, Kameraprozessor und Hochleistungskaltlichtquelle. Diese Komponenten werden in der Regel in einem fahrbaren Videoturm integriert, der zudem noch Videorecorder bzw. -printer zu Dokumentationszwecken beinhaltet. Neben der Modifikation klassischer chirurgischer Instrumente wie Scheren, Fasszangen und Klammernahtgeräten für den laparoskopischen Einsatz begünstigte die Laparoskopie auch die Entwicklung völlig neuartiger Instrumente zur Blutstillung und gleichzeitiger bzw. nachfolgender Gewebsdurchtrennung unter Verwendung von Ultraschall oder bipolarem Strom mit niedriger Spannung und hoher Stromstärke (Ultracision, LigaSure). 10.6
Pathophysiologie des Pneumoperitoneums
Die pathophysiologischen Folgen des Pneumoperitoneums sind komplex. Sie sind Untersuchungsgegenstand einer Vielzahl tierexperimenteller und klinischer Studien, deren Ergebnisse auf-
grund der komplexen Wechselwirkungen nicht immer widerspruchsfrei sind. Die Hauptschädigungsmechanismen des CO2Pneumoperitoneums sind die Erhöhung des intraabdominellen Drucks und die durch CO2-Resorption bedingte Hyperkapnie mit nachfolgender Azidose. Zusätzlich begünstigen Gasverluste eine Hypothermie der Patienten. 10.6.1 Kardiale und hämodynamische
Auswirkungen Die kardiovaskulären Veränderungen während laparoskopischer Eingriffe beruhen auf dem Zusammenspiel von Anästhesie, CO2-Pneumoperitoneum und Patientenlagerung, das in einer Vielzahl klinischer und tierexperimenteller Studien untersucht wurde (Zuckerman et al. 2001). Die meisten Studien zeigen übereinstimmend einen Anstieg des zentralen Venendrucks, des mittleren arteriellen Drucks, der Herzfrequenz und des peripheren und pulmonalarteriellen Gefäßwiderstands. Insgesamt resultiert eine Reduktion des Herzzeitvolumens (Henny et al. 2005). Als Erklärung des reduzierten Herzzeitvolumens werden sowohl eine relative Hypovolämie durch den reduzierten venösen Rückstrom zum Herzen bei Erhöhung des intraabdominellen Drucks als auch eine reduzierte kardiale Funktionsreserve diskutiert (Zuckerman et al. 2001). Die durch CO2-Resorption hervorgerufene Hyperkapnie bewirkt am Herzen eine Verschlechterung der Kontaktilität sowie Bradykardien und Arrhythmien. Zudem führt sie zu einer Erhöhung des Sympathikotonus mit erhöhten Serumspiegeln von Adrenalin, Noradrenalin und Angiotensin (Henny et al. 2005). Das reduzierte Herzzeitvolumen hat eine verschlechterte Durchblutung der intraabdominellen Organe zur Folge (Henny et al. 2005). An den Nieren kommt es zu einer Verringerung der glomerulären Filtrationsrate und der Urinproduktion (Junghans et al. 1997). Auch die mesenteriale und portohepatische Durchblutung sind durch die Erhöhung des intraabdominellen Drucks während des Pneumoperitoneums reduziert (Schilling et al. 1997). 10.6.2 Pulmonale Auswirkungen Die während des Pneumoperitoneums zu beobachtende Hyperkapnie erreicht bei konstanter Ventilation nach 40 min CO2Insufflation ihr Maximum (Baraka et al. 1994). Danach wird CO2 in den Körperkompartimenten angereichert, wobei bis zu 120 l gespeichert werden können. Da während laparoskopischer Eingriffe CO2 nahezu ausschließlich über die Lungen abgeatmet werden kann, sollte der Hyperkapnie von Beginn der Laparoskopie an durch eine kompensatorische Hyperventilation mit erhöhtem Atemzugvolumen entgegengewirkt werden. Trotz Hyperventilation halten die respiratorische Azidose und erhöhte CO2-Abatmung für mindestens eine Stunde postoperativ an und sind bei eingeschränkter kardiopulmonaler Funktion deutlich verlängert (Hsieh 2003; Kazama et al. 1996). Die Erhöhung des intraabdominellen Drucks während des Pneumoperitoneums führt zu einer Kranialverlagerung des Zwerchfells mit intrathorakaler Druckerhöhung. Dies bewirkt erhöhte Beatmungssdrücke, basale Dystelektasen, eine Verringerung der funktionellen Residualkapazität und der pulmonalen Compliance um bis zu 50%. Eine Verschlechterung des Ventila-
127 10.7 · Komplikationen
tions-/Perfusionsquotienten und eine Zunahme intrapulmonaler Shunts sind die Folge. Im Gegensatz zu Lungengesunden erhöht dies bei kardiopulmonal vorgeschädigten Patienten das Risiko einer Hypoxämie (Henny et al. 2005). 10.6.3 Immunologische Auswirkungen Chirurgische Eingriffe beeinflussen als kontrolliertes Trauma die Immunantwort der Patienten. Das Ausmaß der postoperativen Immunsuppression korreliert dabei mit der Intensität des chirurgischen Traumas. Für laparoskopische Eingriffe wird im Vergleich zu identischen konventionellen Operationen ein geringeres Trauma postuliert, das entsprechend zu einer geringeren Alteration des Immunsystems führen sollte. Bei der Untersuchung der Auswirkungen des Pneumoperitoneums auf das Immunsystem muss zwischen systemischen immunologischen Folgen und der lokalen Beeinflussung der peritonealen Immunität unterschieden werden. Die meisten tierexperimentellen Untersuchungen der peritonealen Immunität zeigen nach laparoskopischen Eingriffen im Vergleich zu offenen Operationen einen besseren Erhalt der Anzahl und Funktion der Makrophagen, eine verringerte Produktion des Tumornekrosefaktors durch peritoneale Makrophagen und eine geringere Rate postoperativer septischer Komplikationen als Ausdruck der besseren peritonealen Immunabwehr (Novitsky et al. 2004). Auch die systemische Immunantwort ist nach laparoskopischen Eingriffen weniger beeinträchtigt als nach identischen konventionellen Operationen. Dies gilt sowohl für die Zytokininausschüttung als auch für die zellvermittelte Immunantwort in tierexperimentellen und klinischen Studien (Sietses et al. 1999). Mehrere, überwiegend jedoch nicht randomisierte Studien zeigten nach laparoskopischer Cholezystektomie signifikant geringere Interleukin-6- und CRP-Spiegel im Vergleich zur konventionellen Cholezystektomie. Dieser Vorteil fand sich auch nach anderen Eingriffen. Untersuchungen zu seltener analysierten Zytokinen (z. B. sTNFR, IL-8) konnten jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen laparoskopischen und konventionellen Eingriffen nachweisen (Buunen et al. 2004). 10.7
Komplikationen
Nachfolgend dargestellt werden relevante laparoskopiespezifische Komplikationen und laparoskopiespezifische Besonderheiten allgemeiner Operationskomplikationen. Eingriffsspezifische Komplikationen (z. B. Anastomoseninsuffizienzraten oder postoperative funktionelle Störungen) unterscheiden sich in der Regel nicht zwischen laparoskopischen und konventionellen Operationen und werden in den organspezifischen Kapiteln abgehandelt.
10
Sickerblutung entlang der Trokare, die sich durch Kompression oder Elektrokoagulation stillen lässt und so den weiteren Fortgang der Laparoskopie nicht stört. Nur selten wird eine operative Revision der Trokareinstichstelle mit Schnitterweiterung und gezielter Gefäßumstechung notwendig. Schwerwiegender und bedrohlicher ist die Verletzung der großen intraabdominellen Gefäße im Rahmen laparoskopischer Operationen. Sie treten in der Regel bei der geschlossenen Anlage des Pneumoperitoneums durch die Blindpunktion mit der Veress-Nadel bzw. dem ersten Trokar auf. Die Inzidenz dieser Komplikation wird mit 0,04–0,1% und ihre Mortalität mit 8–13% angegeben (Catarci et al. 2001; Champoult et al. 1996; Deziel et al. 1993; Rovaiaro et al. 2002; Saville et al. 1995). Sowohl Bonjer als auch Sigman konnten eine erhöhte Rate Gefäßverletzungen nach geschlossener Anlage des Pneumoperitoneums im Vergleich zum offenen Vorgehen nachweisen (Bonjer et al. 1997; Sigman et al. 1993). Bei einer Blutung in die freie Bauchhöhle hinein wird die Verletzung rasch bemerkt, blutet die Verletzung jedoch ins Retroperitoneum kann sie dem Operateur initial verborgen bleiben und sogar erst postoperativ klinisch symptomatisch werden. Cave Jede Verschlechterung der Kreislaufsituation während laparoskopischer Operationen muss daher den Verdacht auf eine Verletzung großer intraabdomineller Gefäße wecken und Anlass zu einer sorgfältigen Exploration der Abdominalhöhle sein. Der Nachweis einer Gefäßverletzung führt dann zur sofortigen Konversion mit Freilegung und Versorgung des verletzten Gefäßes.
10.7.2 Verletzungen viszeraler Organe Auch die Verletzung von Hohlorganen erfolgt in der Regel beim Einbringen der Veress-Nadel bzw. der Trokare. Sie tritt bei geschlossener Anlage des Pneumoperitoneums mit einer Häufigkeit von 0,06–0,14% auf und ihre Letaltät liegt bei bis zu 2,5% (Catarciet al. 2001; Dezielet al. 1993; Schäfer et al. 2001). 80% der Verletzungen betreffen dabei den Magen-Darmtrakt und nur 20% die Harnblase (Catarci 2001). Ausgedehnte Verwachsungen zur ventralen Bauchwand nach Voroperationen erhöhen das Risiko von Hohlorganverletzungen im Rahmen laparoskopischer Operationen. Bei offener Anlage des Pneumoperitoneums ist die Rate der Hohlorganverletzungen reduziert (Bonjer et al. 1997; Sigman et al. 1993). Neben direkten Trokar- oder Veress-Nadelverletzungen kann es beim Einsatz monopolaren Stroms durch unkontrollierten Stromfluss zur Neutralelektrode zu Darmwandschädigungen außerhalb des eigentlichen Operationsgebietes kommen. Diese Darmwandschädigungen können zunächst unbemerkt bleiben und werden dann erst postoperativ durch die sich entwickelnde Peritonitis klinisch symptomatisch.
10.7.1 Gefäßverletzungen Die häufigsten Gefäßverletzungen während laparoskopischer Eingriffe betreffen die Bauchwandgefäße. Sie werden trotz Diaphanoskopie und einer am anatomischen Verlauf der epigastrischen Gefäße orientierten Trokarplatzierung in bis zu 0,46% der Laparoskopien verletzt. Klinisch imponieren sie in der Regel als
Hohlorganverletzungen erfordern die sofortige chirurgische Versorgung durch Übernähung oder Resektion, die sich bei entsprechender operativer Erfahrung auch laparoskopisch durchführen lassen, da sich bei therapeutischer Verzögerung ihre Morbidität deutlich erhöht (Reich 1992).
128
Kapitel 10 · Prinzipien der Laparoskopie
10.7.3 Emphysem Die Häufigkeit subkutaner Emphyseme wird auf 0,3–3,0% geschätzt (Derouin et al. 1996). Bei präperitonealer Fehllage der Veress-Nadel oder bei Dislokation des Insufflationstrokars während der Laparoskopie kann es zur Insufflation des präperitonealen Raumes und zur nachfolgenden Entwicklung eines CO2Hautemphysems kommen, das sich jedoch in der Regel nach kurzer Zeit resorbiert. Im Rahmen laparoskopischer Eingriffe kann es durch den intraabdominellen Überdruck über den Hiatus oesophagei zu einer mediastinalen CO2-Verteilung und Entwicklung eines kollaren Hautemphysems, in seltenen Fällen auch zum Pneumoperikard und Pneumothorax, kommen (Kalhan et al. 1990). Auch dieses Emphysem wird zumeist postoperativ rasch resorbiert und erfordert keine weiteren therapeutischen Maßnahmen. Ausgedehnte Emphyseme können jedoch zur Hyperkapnie und kardiovaskulären Dekompensation führen (Munro 2002). Weitere relativ häufige Emphysemprädilektionsstellen sind das Omentum majus und das Mesenterium. An diesen Lokalisationen entstehen die Emphyseme in der Regel bei der Gasinsufflation über die Veress-Nadel und können so irrtümlich dem Operateur eine präperitoneale Fehllage suggerieren.
10
mentellen Ergebnisse decken sich mit klinischen Beobachtungen. Nach konventionellen Eingriffen werden postoperative Adhäsionen zur Laparotomienarbe in bis zu 95% der Fälle beobachtet, wobei das Ausmaß der Adhäsionsbildung von der Inzisionslokalisation und der Art des Eingriffs abhängt (Menzies et al. 1990). Nach laparoskopischen Eingriffen wird dagegen die Häufigkeit postoperativer Adhäsionen mit 0,8–3,5% pro Trokarinzision angegeben (Pattaras et al. 2002). 10.7.7 Gasembolie Eine sehr seltene, aber gefährliche Komplikation des Pneumoperitoneums ist die CO2-Embolie, deren Letalität mit bis zu 28% angegeben wird (Magrina 2002). Als Hauptursache gilt die Fehlplatzierung der Veress-Kanüle in Gefäße oder parenchymatöse Organe. Aufgrund der guten Wasserlöslichkeit von CO2 werden erst größere intravasale Gasmengen klinisch auffällig und erfordern dann eine sofortige aggressive Therapie durch Ablassen des Pneumoperitoneums, kombinierte Linksseiten- und Kopftieflage, Hyperventilationsbeatmung mit 100% O2, Versuch der intrakardialen Gaselimination durch Aspiration eines zentralvenösen Venenkatheters und kardiopulmonale Reanimation im Falle einer Asystolie (Haroun et al. 2001).
10.7.4 Narbenhernien
Literatur Narbenhernien werden mit einer Häufigkeit von 0,2–1,8% nach laparoskopischen Operationen beobachtet (Bonjer et al. 1997; Holzinger et al. 2002; Lajer et al. 1997; Mayol et al. 1997). Bedingt durch die Häufigkeit umbilikal plazierter Trokare und durch das fehlende Kulissenphänomen der Bauchwandmuskulatur in der Linea alba treten ca. 25% aller Narbenhernien umbilikal auf. Die Rate der Narbenhernien korreliert mit dem Durchmesser der eingesetzten Trokare (Holzinger et al. 2002). Ein Trokardurchmesser >10 mm begünstigt die Entwicklung einer Narbenhernie (Montz et al. 1994).
Für alle Trokareinstichstellen mit einem Durchmesser >10 mm wird ein konsequenter Faszienverschluss gefordert (Köckerling et al. 1997; Lajer et al. 1997).
10.7.5 Wundinfektionen Wundinfektionen werden nach laparoskopischen Operationen im Vergleich zu konventionellen Eingriffen seltener beobachtet. Sie treten nach aseptischen laparoskopischen Eingriffen mit einer Häufigkeit von 0,04% auf, bei potenzieller bakterieller Kontamination wird die Rate mit 2,3% in der Literatur angegeben (Bittner et al. 2002; Zitser et al. 1997). 10.7.6 Postoperative Adhäsionen Tierexperimentelle Untersuchungen konnten eine geringere postoperative Adhäsionsbildung nach laparoskopischen Operationen im Vergleich zu identischen offenen Operationen nachweisen (Krähenbühl et al. 1998; Tittel et al. 1994). Diese experi-
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11 11
Präoperative Risikoabschätzung A. Reber, D. Scheidegger, R. Babst
11.1
Präoperative Evaluation – 132
11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5 11.1.6 11.1.7
Risikoklassifikationen – 132 Alter – 132 Vorbestehende Erkrankungen – 132 Ernährungszustand – 132 Präoperative Routineuntersuchungen – 133 Präoperatives Patientengespräch – 133 Anästhesietechniken – 133
11.2
Postoperative Risikoabschätzung: Verbesserung des Outcomes und der Langzeitverläufe – 134
11.3
Stationäre versus ambulante Anästhesie/Chirurgie – 134 Literatur – 134
132
Kapitel 11 · Präoperative Risikoabschätzung
) ) Der gesellschaftliche Anspruch auf risikoarme und exakt planbare Abläufe in der täglichen Spitalroutine wächst und verstärkt damit die Gewichtung der präoperativen Risikoabschätzung mit dem Ziel, die für den vorgesehenen Eingriff relevanten Begleiterkrankungen mit vernünftigem Aufwand zu erkennen und, falls möglich, vor dem Krankenhauseintritt zu verbessern. Eine optimale perioperative Betreuung verbessert den Outcome und Langzeitverlauf des Patienten. Durch das ansteigende Patientenalter und der damit verbundenen Zunahme von bedeutenden Begleiterkrankungen können auch einfache viszerale Eingriffe ausgedehnte präoperative Vorbereitungen benötigen. Es muss eine möglichst frühe Besprechung mit allen beteiligten Spezialisten stattfinden (Chirurgen, Anästhesisten, Gastroenterologen und Hausärzte).
11.1
Präoperative Evaluation
11.1.1 Risikoklassifikationen
11
Das Ziel der präoperativen Evaluation ist die Risikoreduktion hinsichtlich eines geplanten Eingriffs. Auf Grund der klinischen Untersuchung und der laborchemischen Daten wird das perioperative Risiko festgelegt. Dazu stehen verschiedene Klassifizierungssysteme zur Verfügung. Am häufigsten wird das Schema der American Society of Anesthesiologists (ASA) verwendet (. Tab. 11.1). Alle diese Klassifikationen belassen einen großen Ermessensspielraum und berücksichtigen nicht alle für das perioperative Risiko wichtigen Parameter. Nicht berücksichtigt sind z. B. Art und Dauer des operativen Eingriffs, die Erfahrung der beteiligten Ärzte und das Alter des Patienten. Eine solche international anerkannte Klassifizierung wie die ASA ist aber nützlich, wenn man Komplikationen bei der gleichen viszeralen Operation an verschiedenen Zentren vergleichend untersuchen will. 11.1.2 Alter Auch wenn bei der ASA-Klassifizierung das Alter nicht berücksichtigt wird, ist es wichtig zu wissen, dass beim geriatrischen Patienten ein erhöhtes perioperatives Komplikationsrisiko be-
. Tabelle 11.1. ASA-Risikogruppen I
Normaler, gesunder Patient
II
Patient mit leichter Allgemeinerkrankunga
III
Patient mit schwerer Allgemeinerkrankunga und Leistungseinschränkung
IV
Patient mit inaktivierender Allgemeinerkrankung, die eine ständige Lebensbedrohung darstellt
V
Moribunder Patient, von dem nicht erwartet wird, dass er die nächsten 24 h überlebt (mit oder ohne Operation)
a
z. B. kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen, Hypovolämie, Stoffwechselerkrankungen, Anämie, Leber- und Nierenerkrankungen
steht (Cook u. Rooke 2003). Trotz der Fortschritte in der perioperativen Betreuung wird eine deutliche Reduktion des Risikos bei diesen Patienten nicht mehr möglich sein, da stets noch ältere Patienten sowohl elektiv als auch notfallmäßig operiert werden. Es ist nicht das Alter an sich als vielmehr die Begleiterkrankungen, die bei der Risikoeinstufung eine Rolle spielen (Bulder et al. 1999; Nieran u. Zakrzewski 1999). Allerdings können schon kleinere intraoperative Komplikationen wie z. B. Blutdruckabfall bei einer Blutung beim geriatrischen Patienten zu schwerwiegenden Folgen führen. 11.1.3 Vorbestehende Erkrankungen Bei elektiven chirurgischen Eingriffen stehen kardiovaskuläre Probleme bei Erwachsenen im Vordergrund. Zeichen koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Herzklappenerkrankungen oder Hypertonie bedeuten ein erhöhtes perioperatives Risiko (Mangano 1990). Diese Erkrankungen können intraoperativ durch die Auswirkung der Anästhetika auf das Herz-Kreislauf-System oder durch große Volumenverschiebungen bei Abdominaleingriffen zu Komplikationen führen. Postoperativ sind diese Patienten vor allem durch schmerzbedingte Stressreaktionen oder Infektionen mit Fieber stark gefährdet. Unter den Atemwegserkrankungen mit erhöhtem perioperativen Risiko sind die Infektionen der oberen Atemwege und die obstruktiven Lungenerkrankungen zu nennen. Wir wissen heute, dass die früher häufig angewendeten Lungenfunktionstests wenig über mögliche postoperative pulmonale Komplikationen aussagen (Wong et al. 1995; Zollinger u. Pasch 2002). Verglichen damit ist die ASA-Klassifizierung nicht nur billiger in der Durchführung, sondern auch besser, da sie zusätzlich zu pulmonalen auch nichtpulmonalen Faktoren miteinbezieht. Bei Patienten mit vorbestehenden Lungenerkrankungen kann durch spezielle Anästhesieführung (s. unten) und durch eine Verkürzung der Operationszeit das Risiko für eine prolongierten intensivmedizinischen Betreuung vermindert werden. Offene wie auch laparoskopische Eingriffe beeinflussen das Zwerchfell und damit die pulmonale Funktion. Anästhesiebedingt verschiebt sich das Zwerchfell nach kranial und kann zur Atelektasenbildung und damit verbundener Gasaustauschstörung führen (Reber et al. 1998). Patienten mit vorbestehender eingeschränkter Lungenfunktion neigen auch nach laparoskopischen Cholezystektomien zu pulmonalen Komplikationen (Erice et al. 1993). Nach offenen Oberbaucheingriffen bleibt die Vitalkapazität bis zu einer Woche postoperativ reduziert, während nach Unterbaucheingriffen bereits nach 3 Tagen die präoperativen Werte wieder erreicht werden (Dureuil et al. 1987). 11.1.4 Ernährungszustand Viele vor allem ältere hospitalisierte Patienten sind mangelernährt (Cook u. Rooke 2003). Eine klare Definition von Mangelernährung fehlt. Zur Erfassung des Risikofaktors »Mangelernährung« haben sich für die klinische Praxis eine genaue Anamnese betreffend ungewolltem Gewichtsverlust innerhalb der letzten 6 Monate, Nahrungsaufnahme und übliche präoperative Evaluation von Organfunktionen (Lunge, Skelettmuskulatur, Immunsystem), zusammengefasst als das sog. »Subjective Global Assessment« (SGA), als genügend erwiesen (Detsky et al. 1987).
133 11.1 · Präoperative Evaluation
Prospektiven Studien zeigen, dass das SGA ein guter Prädiktor ist für postoperative Komplikationen bei allgemeinchirugischen Patienten und bei Patienten nach Lebertransplantation (Baker et al. 1982; Pikul et al. 1994). Die Beurteilung der Mangelernährung als Risikofaktor für postoperative Komplikationen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese auch durch Patientenfaktoren wie Alter, Komorbidität, durch operationstechnische Faktoren wie Operationsdauer, Fähigkeit des Chirurgen und Blutverlust mitbeeinflusst werden. Die klinische Relevanz der Mangelernährung beruht auf der Möglichkeit zur therapeutischen Intervention. So konnte wiederholt bestätigt werden, dass eine Ernährungstherapie bei mangelernährten Patienten sowohl zu einer Verbesserung des Ernährungszustands als auch zu einer Reduktion postoperativer Komplikationen und der Letalität führt. Eine Vielzahl von prospektiven randomisierten Studien bei mangelernährten Patienten mit gastrointestinalen Malignomen zeigen, dass durch eine präoperative parenterale Ernährung während 7–10 Tagen die Rate postoperativer Komplikationen durchschnittlich um 10% (von 40 auf 30%) gegenüber den Kontrollen reduziert werden kann (Klein et al. 1997). Heute wird der weniger komplikationsträchtigen enteralen Ernährung für die prä- und postoperative Ernährungstherapie der Vorzug gegeben.
Relevant mangelernährte Patienten mit malignen gastrointestinalen Tumoren profitieren von einer 5- bis 7-tägigen präoperativen enteralen Zusatzernährung, die mit Omega-3Fettsäuren, Arginin und Ribonukleinsäuren angereichert ist.
Gegenüber Kontrollgruppen fanden sich bei den Verumpatienten signifikant weniger infektiöse Komplikationen und eine verkürzte Hospitalisationsphase (Braga et al. 2002). Die gleichen klinischen Vorteile scheinen auch normalernährte Patienten mit gastrointestinalen Tumoren zu haben, welche ein angereichertes enterales Substrat 5–7 Tage prä- und 7 Tage postoperativ erhielten (Braga et al. 1999), zu erleben. Die enterale Zufuhr fettarmer Energiedrinks kann zudem noch bis wenige Stunden vor einem chirurgischen Eingriff gegeben werden. Eine enterale Ernährungtherapie kann bei funktionierendem Gastrointestinaltrakt wieder frühzeitig (unter Umständen wenige Stunden postoperativ) begonnen werden. Eine postoperative parenterale Ernährungstherapie findet dagegen meist nur noch bei nicht funktionstüchtigem Gastrointestinaltrakt von stark mangelernährten Patienten und von Patienten bei denen die Nahrungskarenz 10 Tage überschreitet, Anwendung (Souba 1997). Der enteralen Applikationsform ist, wenn immer möglich, der Vorzug zu geben (www.dgem.de; www.ake-nutrition.at). 11.1.5 Präoperative Routineuntersuchungen Die mit Abklärungen verbundenen Kosten können durch den gezielten Einsatz der präoperativen Untersuchungen deutlich gesenkt werden. Zwangsläufig nimmt damit die Bedeutung der Anamnese und klinischen Untersuchung bei der Einschätzung des perioperativen Risikos zu. Elektrokardiogramm, Thoraxröntgenbild und Laboruntersuchungen dürfen nicht mehr routinemäßig, sondern nur gezielt bei Risikogruppen bzw. bei begründetem Verdacht verordnet werden (Narr et al. 1996).
11
Das präoperativ routinemäßig durchgeführte Thoraxröntgenbild hat einen schlechten prognostischen Wert. Postoperativ aufgetretene Komplikationen konnten nur bei 50% der Patienten mit präoperativ erhobenen pathologischen Befunden in Zusammenhang gebracht werden (Acapem et al. 1992). Stellt man die Aussagekraft dieser Untersuchung den anfallenden Kosten gegenüber, darf die Röntgenaufnahme nur zur Sicherung einer klinischen Verdachtsdiagnose eingesetzt werden. Eine Metaanalyse hat gezeigt, dass nur 1,3% der Röntgenbefunde unerwartet, d. h. weder durch Patientenbefragung noch durch die klinische Untersuchung diagnostizierbar waren (Archer et al. 1993). Auch die routinemäßige Durchführung eines EKG bei Patienten unter 60 Jahren ohne anamnestische Hinweise auf eine kardiale Erkrankung bringt keinen diagnostischen Beitrag (0,4%; Moorman et al. 1985). Es ist unklar, wie häufig das präoperative Ruhe-EKG der einzige Hinweis auf einen früher stattgefundenen Myokardinfarkt sein kann und welche Bedeutung dieser Befund für das perioperative Risiko hat. Die Inzidenz stummer Myokardinfarkte steigt bei älteren Patienten. Die Framingham-Studie zeigte, dass bei 28% der Infarkte weder der Patient noch der primär betreuende Arzt vor dem Routine-EKG einen Hinweis auf die durchgemachte Erkrankung hatten (Kannel u. Abbott 1984). In den USA werden jährlich 30 Milliarden Dollar für Laboruntersuchungen ausgegeben. 10% dieses Betrags wurde für Routinescreening präoperativ ausgegeben (Pasternak 1996). Wir haben gute Erfahrung mit einem Fragebogen gemacht, den der Patient selbst ausfüllen muss: Eine Schablone, die über den Fragebogen gelegt werden kann, zeigt durchzuführende Untersuchungen an (nicht publiziert). Damit wird der Patient für seine Angaben mitverantwortlich. Wenn er z. B. angibt, keine blutverdünnenden Medikamente einzunehmen und nie abnormal lange bei Bagatellverletzungen zu bluten, so kann beispielsweise eine rückenmarknahe Regionalanästhesie auch ohne Laboruntersuchungen durchgeführt werden. 11.1.6 Präoperatives Patientengespräch Im präoperativen Gespräch muss das für den Patienten günstigste Anästhesieverfahren ausgesucht werden. Wie Roizen und Fischer (1997) aber gezeigt haben, sind noch andere Faktoren wie z. B. Angstreduktion bei der Anästhesieplanung zu berücksichtigen, die für den Patienten von großer Bedeutung sind, aber mit der gewählten Technik direkt nichts zu tun haben. Adäquate Aufklärung impliziert eine positive Kommunikation mit dem Patienten, die zu weiter gehender Vertrauensbildung beitragen kann (Bock et al. 2004) Neuere Untersuchungen zeigen, dass videounterstützte Schulung der Anästhesisten für dieses Patientengespräch die Patientenzufriedenheit stark verbessert (Harms et al. 1997). Die patientengerechte Information und das Besprechen möglicher Komplikationen gehören selbstverständlich dazu. 11.1.7 Anästhesietechniken Trotz der Vielfalt neuer Anästhetika und unterschiedlichster Anästhesieverfahren gibt es keine Untersuchung, die zeigt, dass eines dieser Verfahren einem anderen gegenüber eindeutige Vorteile hat. Jeder Anästhesist hat seine bevorzugten Techniken, die er beherrscht und mit denen er gute Resultate erzielt. Jede Methode hat ihre Vor- und Nachteile. Yeager konnte zeigen, dass
134
Kapitel 11 · Präoperative Risikoabschätzung
Patienten, die für einen großen intraabdominellen bzw. intrathorakalen Eingriff neben der Allgemeinanästhesie zusätzlich eine Periduralanästhesie erhielten, eine signifikant niedrigere Inzidenz von kardiovaskulären Komplikationen aufwiesen als Patienten mit Allgemeinanästhesie allein (Yeager et al. 1987). Baron et al. (1992) fanden hingegen zwischen diesen 2 Anästhesieverfahren keinen Unterschied in der kardialen und pulmonalen Morbidität bei Patienten mit abdominalen Aortenaneurysmen. Obwohl in der Literatur Kontroversen zu diesem Thema bestehen, sollte bei pulmonalen Risikopatienten für große Abdominaleingriffe ein kombiniertes Verfahren gewählt und die Periduralanästhesie in der postoperativen Phase fortgeführt werden. Da die Periduralanästhesie eine periphere Vasodilatation und Zunahme der regionalen Durchblutung bewirkt, scheint die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen bei dieser Technik, verglichen mit anderen Anästhesieverfahren, geringer zu sein. Auch hier fehlt aber eine große Studie, die statistisch einen Unterschied in der Überlebensrate zeigt. Der paralytische Ileus ist eine häufige postoperative Komplikation nach Abdominaleingriffen. Unter kontinuierlicher rückenmarknaher Leitungsanästhesie setzt die Darmperistaltik früher ein als unter Schmerzbehandlung mit intravenösen Opiaten (Liu et al. 1995). In der Kolonchirurgie konnte mit der Periduralanalgesie die postoperative Erholung der Patienten verkürzt werden (Liu et al. 1995).
11
11.2
Postoperative Risikoabschätzung: Verbesserung des Outcomes und der Langzeitverläufe
Die intraoperativ eingeleiteten Maßnahmen müssen fließend in die unmittelbare postoperative Betreuung des Patienten im Aufwachraum oder auf der Intensivstation übergehen. Das Zusammenspiel sorgfältig aufeinander abgestimmter Therapieschritte verbessert die Behandlungsergebnisse (Lawrence et al. 1995). Dazu gehören eine effiziente Schmerztherapie in den ersten Tagen nach der Operation, evtl. kombiniert mit einer postoperativ weitergeführten Regionalanästhesie, frühe orale Ernährung (siehe Abschnitt »Ernährungszustand«) und die Frühmobilisation (Mønicke et al. 1995). Eine wirksame, auf den Patienten abgestimmte Schmerztherapie kann die Hospitalisationsdauer verkürzen und erhöht den Aktivitätsgrad des Patienten nach der Entlassung (Gottschalk et al. 1998). Unter Berücksichtigung aller dieser Faktoren konnten gewisse Patienten nach laparoskopischen Kolonresektionen bereits am zweiten postoperativen Tag entlassen werden (Bardram et al. 1995). 11.3
Stationäre versus ambulante Anästhesie/Chirurgie
Der wachsende Kostendruck im Gesundheitswesen führte zu einer Verlagerung von stationären chirurgischen Patienten zu teilstationären und ambulanten Patienten. Dies erfordert eine Neuorientierung des präoperativen Patientenmanagements. Die Patienten können nicht mehr am Tag vor der Operation im Krankenhaus vorbereitet werden, sondern müssen in einer Anästhesiesprechstunde oder -ambulanz gesehen werden. Wichtig ist dabei vor allem, dass in interdisziplinärer Absprache geklärt wird, ob mit einer Vorbehandlung (kardial, respiratorisch, metabolisch)
eine perioperative Risikoverminderung erreicht werden kann. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Planung des Eingriffs. Kurzfristige Verschiebungen von ambulanten oder teilstationären Patienten muss unbedingt vermieden werden. Für Patienten der ASA-Klassifizerungen I und II mit kleineren ambulanten Eingriffen werden neben der klassischen Prämedikationsvisite in der Sprechstunde auch Telefoninterviews durch den Anästhesisten durchgeführt. Diese Form von präoperativer Evaluation ist dann sinnvoll, wenn der Algorithmus der präoperativen Abklärungen klar definiert ist. Eine vollständige klinische Untersuchung solcher Patienten bei der Indikationsstellung durch den Chirurgen in dessen Praxis ist sehr wichtig. Telefonvisiten ersparen hingegen dem Patienten mehrere Besuche in verschiedenen Arztpraxen im Krankenhaus. »Postoperative nausea and vomiting« (PONV) gehört zu den signifikanten Komplikationen speziell in der ambulanten Chirurgie, wo die Inzidenz bis zu 30% betragen kann (Green u. Jonsson 1993). Bei ambulanten Patienten beeinflusst PONV die Entlassungszeiten entscheidend. In einer Metaanalyse konnten leider keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Anästhetika bezüglich der PONV Häufigkeit festgestellt werden (Tramer et al. 1997). Trotz neuerer, zum Teil sehr teurer Medikamente bleibt PONV bei chirurgischen Patienten ein echtes Problem. Der Zeitpunkt der Entlassung nach ambulanten Operationen ist ein Kompromiss zwischen der größtmöglichen Sicherheit für den Patienten und dem ökonomischen Druck. Es gibt leider weder Scoring-Systeme noch standardisierte zeitliche Grenzen, die eine absolute Sicherheit für die Entlassungsfähigkeit der Patienten geben (Chung 1995). Die Zielsetzung einer Kostenreduktion durch Verlagerung der teuren stationären präoperativen Voruntersuchungen in die preiswertere Ambulanz kann nur dann als erreicht gelten, wenn die folgenden Punkte erfüllt werden: 4 Patienten am Operationstag im bestmöglichen Zustand 4 Reduktion der Angst des Patienten vor Anästhesie und Operation 4 Reduktion der operativen Morbidität 4 Frühe, interdisziplinäre Planung des perioperativen Managements 4 Qualifizierte Betreuung der Patienten in der gesamten perioperativen Phase 4 Keine Terminverschiebungen
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12 12
Prinzipien der Laparotomie J. Conze, R. Schwab
12.1
Anatomie der Bauchwand – 138
12.2
Chirurgische Zugangswege
12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6 12.2.7
Mediane Laparotomie (Dieffenbach 1848) – 139 Paramediane Laparotomie – 139 Subkostale Laparotomie/Rippenbogenrandschnitt (Courvoiser 1890) Quere Laparotomie – 140 Wechselschnitt (McBurney 1894) – 140 Pfannenstielschnitt – 140 Flankenschnitt/lumbaler Schrägschnitt – 140
Literatur – 140
– 139
– 140
138
Kapitel 12 · Prinzipien der Laparotomie
) ) In der Viszeralchirurgie ist »primum non nocere« als oberste Maxime ärztlichen Handels kaum zu verwirklichen, vielmehr muss es »primum non nocere quam minimae« (so wenig wie möglich) heißen. Der ideale chirurgische Zugang in die Abdominalhöhle sollte schnell durchführbar, eine gute Übersicht ermöglichen und ggf. erweiterbar sein. Daneben sollte er komplikationsarm sein, d. h. wenig Serome, Hämatome und Infektionen, sowie eine niedrige Inzidenz von Narbenhernien aufweisen. Kein abdomineller Zugangsweg ist frei von Narbenhernien. Sie treten bei allen Laparotomien und Laparoskopien in unterschiedlichen Inzidenzen von bis zu 15% auf (Hoer et al. 2002; Mudge u. Hughes 1985). Da anscheinend zurzeit das Auftreten von Narbenhernien nicht vollständig zu vermeiden ist, sollte dies bei der primären Schnittführung berücksichtigt werden. Wenn möglich sollte deshalb ein Abstand zu knöchernen Strukturen von bis zu 5 cm angestrebt werden, vor allem im Bereich des Beckenknochens und des Rippenbogen.
12.1
12
Anatomie der Bauchwand
Zwischen Thoraxunterrand und Oberrand des knöchernen Beckens besteht eine große Skelettlücke, die durch eine weiche, vielschichtige Bauchdecke verschlossen ist. Sie setzt sich zusammen aus breiten Muskeln, Faszien, Aponeurosen und Peritoneum. Dadurch wird eine Beweglichkeit des Brustkorbs und des gesamten Rumpfes gewährleistet. Die muskuläre Grundlage der Bauchwand wird durch autochthone Muskeln gebildet. Thorax, Becken und Processus costarii der Lendenwirbel stellen den knöchernen Rahmen dar, in dem die einzelnen Muskeln mit ihren Faszien eingespannt werden: Der M. rectus abdominis spannt sich paramedian auf beiden Seiten der Mittellinie aus. Er verläuft vertikal von der unteren Thoraxapertur bis zur Symphyse. Er bildet die gesamte Dicke der Bauchwand, wobei ihm im kaudalen Anteil der unbedeutende M. pyramidalis vorgelagert liegt. Er entspringt an der Außenfläche des 5. bis 7. Rippenknorpels und am Proc. xiphoideus des Brustbeins. Von einem bindegewebigen Führungsschlauch, der Rektusscheide, umgeben zieht der vordere Bauchmuskel nach kaudal, wo er sehnig zwischen Tuberculum pubicum des Schambeins und der Symphyse ansetzt. Die Rektusscheide wird gebildet durch die medialen, sehnigen Ausläufer der lateralen Bauchwandmuskulatur. Man unterteilt eine vordere und hintere Wand die in der Mittellinie, der Linea alba, verbunden sind. Die Hinterwand ist dabei nicht über die gesamte Länge ausgebildet. Wenige Zentimeter unterhalb des Nabels ziehen die Fasern der Hinterwand ebenfalls nach ventral. Diese Übergangslinie wird als Linea arcuata bezeichnet. Der Muskelbauch des M. rectus abdominis wird durch 3–4 zwischengeschaltete, longitudinale gefaserte Sehnenstreifen unterteilt, den Intersectiones tendineae. Sie sind ausschließlich mit dem vorderen Blatt der Rektusscheide verwachsen. Dies verhindert eine Gesamtverschieblichkeit des Muskels in der Rektusscheide und ermöglicht die isolierte Funktion einzelner Rektusabschnitte. Die neurovaskuläre Versorgung verläuft am lateralen Rand innerhalb der Rektusscheide entlang der Muskelhinterwand. Die seitliche Bauchwand wird durch drei paarig angelegte Muskeln gebildet. Lateral entspringen sie meist muskulär an der
knöchernen Umrahmung der Bauchwand und gehen medial in breite Sehnenplatten über. Der M. obliquus externus abdominis ist der äußerste der lateralen Muskelgruppe. Er entspringt meist von der 5. bis 12. Rippe und zieht schräg von laterokranial nach mediokaudal und bildet das vordere Blatt der Rektusscheide. An seinem Unterrand bildet er vermittels einer breiten Aponeurose die Vorderwand des Leistenkanals bevor diese in das Lig. inguinale einstrahlt. Der M. obliquus internus abdominis entspringt fächerartig von der Fascia thoracolumbalis, der Linea intermedia des Darmbeinkamms und der Spina iliaca anterior superior. Er verläuft dem M. obliquus externus entgegengesetzt von laterokaudal nach medio-kranial. Nach medial spaltet sich die Internus-Aponeurose bis herab zur Linea arcuata in 2 Blätter, die das vordere und hintere Blatt der Rektusscheide bilden. Unterhalb der Linea arcuata strahlt auch das hintere Blatt in die vordere Rektusscheide ein. Der M. transversus abdominis entspringt von der Innenfläche der 7. bis 12. Rippe, von der Fascia thoracolumbalis, von der Crista iliaca sowie vom lateralen Anteil des Lig. inguinale. Oberhalb der Linea arcuata strahlt seine Aponeurose in das hintere Blatt, unterhalb davon, ähnlich dem M. obliquus internus, in das vordere Blatt der Rektusscheide ein. Im mittleren anterioren Anteil ist die Aponeurose des M. transversus verbreitert, im kranialen und kaudalen Anteil reicht der muskuläre Anteil bis an die Rektusscheide heran. Diese aponeurotische Struktur verläuft konkav parallel zum lateralen Rand der Rektusscheide und wird als Linea semilunaris (Spieghel) bezeichnet.
. Abb. 12.1. Schematische Darstellung der Bauchwand in Abhängigkeit zur Schnitthöhe
139 12.1 · Anatomie der Bauchwand
12
In der Mittellinie verflechten sich die Externusfasern einer Seite mit den Internus- und Transversusfasern der Gegenseite und bilden die Linea alba. Diese kann je nach Position in ihrer Breite variieren, und im supraumbilikalen Anteil als sog. Rektusdiastase ohne Krankheitswert erscheinen (. Abb. 12.1). 12.2
Chirurgische Zugangswege
Für die Wahl des Zugangsweges und dessen Ausdehnung ist ausschließlich die Überschaubarkeit des Operationsgebiets maßgeblich. Bei zu klein gewähltem Zugangsweg kann vermehrtes Ziehen an der Bauchdecke zu Wundheilungsstörungen führen!
Abhängig von der Indikation des geplanten chirurgischen Eingriffes stehen dem Chirurgen verschiedene typische Zugangswege zur Verfügung. 12.2.1 Mediane Laparotomie (Dieffenbach 1848) Die Längsinzision der Mittellinie ermöglicht den schnellsten Zugang in die Abdominalhöhle mit der besten Übersicht. Sie ist je nach Bedarf zur Symphyse nach kaudal und nach kranial bis hin zur Sternotomie erweiterbar. Da hierbei vornehmlich bindegewebige Strukturen durchtrennt werden, ist dieser Zugangsweg relativ blutungsarm. Auch querverlaufende Erweiterungen mit Kerbung oder Durchtrennung der Rektusmuskulatur sind möglich. Die mediane Längsinzision ist der Universalzugang für Explorationen und Notfallsituationen. Zur Erhaltung des Lig. teres hepatis, der Chorda umbilicalis und Erleichterung des umbilikalen Wundverschlusses erfolgt die Schnittführung typischerweise unter Linksumschneidung des Nabelpfeilers (. Abb. 12.2a). 12.2.2 Paramediane Laparotomie Mediane pararektale Laparotomie. Diese Inzision wird einen Querfinger neben der Mittellinie durchgeführt (. Abb. 12.2b). Nach Eröffnung der vorderen Rektusscheide wird der mediale Rand des Rektusmuskels nach lateral mobilisiert. Die hintere Rektusscheide wird in gleichen Abstand zur Mittellinie längs inzidiert (. Abb. 12.3a). Dieser Zugangsweg ist mit einer hohen . Abb. 12.3. Schematische Darstellung des lateralen und medialen pararektalen Zugangsweges
. Abb. 12.2a–h. Schematische Darstellung der unterschiedlichen abdominellen Zugangswege. a median, b paramedian, c pararektal, d subkostal, e quer, f Wechselschnitt, g Pfannenstiel, h Flankenschnitt
Rate von Narbenhernien behaftet und zeigt keinen wirklichen Vorteil zur medianen Laparotomie (Guillou et al. 1980). Laterale pararektale Laparotomie. Diese Inzision wird einen
Querfinger medial des lateralen Rektusrandes längsverlaufend durchgeführt (. Abb. 12.2c). Nach Eröffnung der vorderen Rektusscheide wird der laterale Rand des Rektusmuskels nach medial mobilisiert und dann die hintere Rektusscheide ebenfalls längsverlaufend eröffnet (. Abb. 12.3b). Obwohl dieser Zugangsweg mit einer geringeren Narbenhernieninzidenz einhergeht (Burger et al. 2002; Donaldson et al. 1982; Cox et al. 1986), ist er zeitaufwendiger und ist mit einem
140
Kapitel 12 · Prinzipien der Laparotomie
höheren Blutverlust behaftet. Zusätzlich muss die Gefahr der Verletzung der epigastrischen Gefäße und bei entsprechender Schnittverlängerung die Durchtrennung von ein oder mehreren Interkostalnerven mit sekundärer Bauchwandrelaxation bedacht werden (O’dwyer u. Courtney 2003; Donaldson et al. 1982).
der Muskulatur im Bereich der Linea alba und Eröffnung des Peritoneums. Vorteile dieses Zugangs sind neben der besseren Kosmetik vor allem eine niedrige Komplikationsrate und Narbenhernieninzidenz. Nachteilig ist die eingeschränkte Übersicht. Vor allem in der Gynäkologie hat sich dieser Zugangsweg als Standardzugang verschiedener Indikationen durchgesetzt.
12.2.3 Subkostale Laparotomie/Rippenbogen-
randschnitt (Courvoiser 1890) Der rechtseitige Rippenbogenrandschnitt ist ein typischer Zugangsweg für Eingriffe an den Gallenwegen. Seit Einführung der laparoskopischen Cholezystektomie wird er nur noch selten durchgeführt. Linksseitig kann er als Zugang zur Splenektomie genutzt werden. Wegen der Nähe zum Rippenbogen wird heute vornehmlich die quere Laparotomie genutzt (. Abb. 12.2d). 12.2.4 Quere Laparotomie
12
Querschnitte kommen vor allem bei diagnostisch klaren Eingriffen außerhalb des kleinen Beckens zum Einsatz. Der quere Zugang kann bogenförmig oder gerade, im Ober-, Mittel- oder Unterbauch erfolgen. Er ist problemlos auf die Gegenseite erweiterbar. Beim Querschnitt wird die Rektusmuskulatur ggf. mit Verlängerung durch die laterale Bauchwandmuskulatur, durchtrennt (. Abb. 12.2e). Dieser Zugangsweg ist zeitaufwendiger und mit einem höheren Blutverlust verbunden (Greenall et al. 1980). Der Verschluss der Querinzision erfolgt typischerweise in zweischichtiger Technik. Obwohl die Narbenhernieninzidenz im Vergleich zur medianen Laparotomie unterschiedlich diskutiert wird (Burger et al. 2002, Greenall et al. 1980, Regnard et al. 1988), scheint die quere Laparotomie mit weniger Schmerzen und pulmonalen Komplikationen verbunden zu sein (Regnard et al. 1988, Grantcharow u. Rosenberg 2001; Inaba et al. 2004; Proske et al. 2005). 12.2.5 Wechselschnitt (McBurney 1894) Klassischer Zugangsweg der konventionellen Appendektomie. Die quere Hautinzision von 3–5 cm Länge wird über dem McBurney-Punkt durchgeführt (. Abb. 12.2f). Scharfe Präparation bis auf die Faszie. Inzision der Externusfaszie lateral der Rektusscheide im Faserverlauf. Stumpfes Auseinanderdrängen des M. internus und M. transversus unter sorgfältiger Schonung des N. iliohypogastricus. Bei tiefer querer Hautinzision lässt sich durch Zug der Weichteile noch kranial mit hohem Faszieneinstieg ein gutes kosmetisches Ergebnis erzielen. 12.2.6 Pfannenstielschnitt Der deutsche Gynäkologe Herman Johannes Pfannenstiel (1862– 1909) beschrieb 1900 den nach ihm benannten tiefen Unterbauch-Querschnitt. Dabei erfolgt eine 8–12 cm lange quere Inzision 2–3 cm oberhalb der Symphyse im Bereich des Schamhaaransatzes mit Durchtrennung der Haut, Subkutis und vorderer Rektusscheide sowie der angrenzenden Externusfaszie nach lateral (. Abb. 12.2g). Nach Mobilisation des Rektusmuskel vom vorderen Blatt der Rektusscheide erfolgt die mediane Spaltung
12.2.7 Flankenschnitt/lumbaler Schrägschnitt Es handelt sich um den klassischen Zugangsweg in das Retroperitoneum, erstmalig beschrieben durch Sir Astley Cooper vor 190 Jahren. Die Schnittführung erfolgt von unterhalb des Rippenbogens im Bereich der mittleren Axillarlinie schräg nach mediokaudal und kann bis 2–3 Querfinger parallel zum Leistenband verlängert werden (. Abb. 12.2h). Eine typische Komplikation ist die postoperative Erschlaffung der ipsilateralen abdominellen Bauchwandmuskeln. Diese als »Relaxatio« bezeichnete Vorwölbung der lateralen Bauchwand entsteht durch Verletzung der interkostalen Nerven. Sie tritt in bis zu 12% der Fälle auf (Honig et al. 1992). Durch Vermeidung einer Schnittführung in Höhe des 11. Interkostalraumes kann diese Komplikation weitestgehend vermieden werden (Gardner et al. 1994).
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142
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
13.1
Nahtmaterial und Nahttechnik
Seide, nach längerer Implantationszeit einen Teil ihrer Reißfestigkeit (Postlethwait 1970).
W.R. Marti ) ) Seit Einführung der chirurgischen Naht wurde das Fadenmaterial bis heute stetig weiterentwickelt. Die natürlichen Materialien wurden weitgehend durch die synthetischen Fäden ersetzt, die durchwegs bessere Eigenschaften besitzen. In der gastrointestinalen Chirurgie haben sich resorbierbare Fäden durchgesetzt. Dabei ermöglichen monofile, resorbierbare Fäden, die doppelt armiert sind, die sichere und kostengünstigste Form der fortlaufend genähten, extramukösen Darmanastomose auf Stoß. Nur technisch schwierige Anastomosen am Ösophagus oder transanal am Dickdarm, bei denen die Nähte vorgelegt werden, müssen in Einzelknopfnahttechnik genäht werden.
13.1.1 Eigenschaften des Nahtmaterials
Fadenstruktur. Die Eigenschaft eines Fadens wird durch seine Struktur wesentlich mitbestimmt. Es gibt monofilen und multifilen Strukturaufbau. Die monofilen Fäden sind homogen aus einem Fadenfilament aufgebaut und haben eine völlig glatte Oberfläche (z. B. Metall, Polyamid, Polypropylen, Polybutester, Glycomer 631, Polydioxanon, Polyglyconat oder Poliglecaprone 25). Beim multifilen Fadenaufbau werden die einzelnen Fadenfilamente um ihre Längsachse verdreht, d. h. verzwirnt, oder aber sie werden geflochten (z. B. Metall, Polyamid, Polyester, Seide oder Catgut). Werden multifile Fäden beschichtet oder überzogen, so spricht man von ummantelten Fäden oder pseudomonofilem Fadenaufbau (z. B. Polyglycolsäure, Polyglactin 910 oder Lactomer 9–1). Der pseudomonofile Faden verbindet die Vorzüge des monofilen Fadens (gute Gewebegleitfähigkeit) und des multifilen Fadens (gute Flexibilität und Knüpfeigenschaft). Durch die dünne Beschichtung ist die Oberfläche des Fadens aber verletzlich. Elastizität. Die Elastizität des Fadens entspricht der Längen-
Physikalische Eigenschaften Fadenstärke. Die ursprüngliche Bezeichnung der Fadenstärke
13
entspricht der amerikanischen Pharmakopoe (USP). Sie geht von einer Fadenstärke »0« aus, die für nichtresorbierbares und synthetisches, resorbierbares Fadenmaterial einem Durchmesser von 0,300–0,399 mm und für natürliches, resorbierbares Fadenmaterial einem Durchmesser von 0,400–0,499 mm entspricht. Natürliche, resorbierbare Fäden sind also bei gleicher Stärkenbezeichnung dicker als nichtresorbierbare oder synthetische Fäden. Ausgehend von »0« werden dickere Fäden fortlaufend mit 1, 2, 3 usw. und dünnere mit 2/0, 3/0, 4/0 usw. bezeichnet. Letzteres entspricht dem Mehrfachen von Null (2×0, 3×0 usw.). Um diese verwirrende Bezeichnung der Fadenstärke zu ordnen, wurde 1973 in Straßburg in der Europäischen Pharmakopoe (abgekürzt Ph. Eur. I oder EP I) eine neue Bezeichnungsskala festgelegt, die weitgehend mit der USP abgestimmt ist. Die Stärkenbezeichnung in der Ph. Eur. I ist metrisch, sie gibt den Fadendurchmesser in 1/10 mm wieder. Die Nahtmaterialien werden mit der USP- und der Ph.-Eur.-I-Stärkenangabe etikettiert. Zur Vermeidung von Verwechslung hat man sich geeinigt, die Fadenstärke nach der Ph. Eur. I durch den Zusatz »metric« zu kennzeichnen. . Tab. 13.1 stellt den für die viszerale Chirurgie wichtigen Bereich der Fadenstärke gemäß USP und Ph. Eur. I dar. Von einer Stärkebezeichnung zur nächst dünneren nimmt der Fadenquerschnitt jeweils um 25–50% ab. Reißfestigkeit. Die Reißfestigkeit eines Fadens entspricht der
notwendigen Kraft, gemessen in Newton (N), die zum Zerreißen des entsprechenden Fadens führt. Sie wird am gestreckten Faden (lineare Reißfestigkeit) oder im Knoten (Knotenbruchfestigkeit) gemessen. Die Knotenbruchfestigkeit ist immer geringer als die lineare Reißfestigkeit und ist damit der limitierende und klinisch wesentliche Faktor. Die Reißfestigkeit ist einerseits von der Fadenstärke und vom Fadenmaterial abhängig, andererseits wird sie aber auch vom Gewebe, in das der Faden implantiert wird, und durch die Dauer der Implantation beeinflusst. Außer Fäden aus Metall, Polypropylen und Polyester verlieren alle anderen Materialien, wie z. B. auch das nichtresorbierbare Polyamid oder
zunahme unter Belastung, die sich nach Aufheben des Zuges wieder zurückbildet. Bei zu großer Fadenelastizität geht das Gefühl für einen sicheren Knotensitz verloren und zudem besteht die Gefahr, dass sich die abgeschnittenen Fadenenden in den Knoten zurückziehen. Bei zu geringer Elastizität ist der Faden spröde und kann beim Knüpfen brechen (Catgut, Seide oder Zwirn). Kapillarität. Die Kapillarität (Dochtwirkung) bewirkt eine Flüssigkeitsaufnahme des Fadens. Sie ist beim bei geflochtenen Fäden und Catgut besonders ausgeprägt. Im Gegensatz dazu sind Metallfäden und monofiles Nahtmaterial frei von Kapillarität. Durch die Beschichtung kann die Kapillarität von multifilen Fäden vermindert werden. Die Flüssigkeitsaufnahme führt zum Aufquellen des Fadens und vermindert damit die Reißfestigkeit. Zudem
. Tabelle 13.1. Einteilung der Fadenstärke nach der Pharmakopoe der USA (USP) und nach der europäischen Pharmakopoe (EP I) für nichtresorbierbare und resorbierbare synthetische Fäden
Fadenstärke USP
Fadenstärke EP I
Durchmesser (mm)
6/0
0,7
0,070–0,099
5/0
1,0
0,100–0,149
4/0
1,5
0,150–0,199
3/0
2,0
0,200–0,249
2/0
2,5
0,250–0,299
2/0
3,0
0,300–0,349
0
3,5
0,350–0,399
1
4,0
0,400–0,499
2
5,0
0,500–0,599
3
6,0
0,600–0,699
143 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
wird die Dochtwirkung auch als möglicher begünstigender Faktor für die Keimverschleppung durch die Haut oder Darmwand angesehen. Gebrauchseigenschaften Die Flexibilität eines Fadens ist eine wichtige Eigenschaft für einfache Handhabung und günstige Knüpfeigenschaft. Die multifilen und pseudomonofilen Fäden (Polyester, Polyamid, Polyglycolsäure, Polyglactin 910 oder Lactomer 9–1), aber auch neuere monofile Fäden aus Glycomer 631 oder Poliglecaprone 25 zeichnen sich durch eine geradezu optimale Flexibilität aus. Ein reibungsloses Gleiten des Fadens durch das Gewebe hängt vor allem von der Oberflächenbeschaffenheit des Fadens ab. Geflochtene Fäden haben eine rauere Oberfläche als monofile Fäden. Durch die Sägewirkung besteht die Gefahr von Durchschneiden des Gewebes. Die Beschichtung verbessert die Gleiteigenschaften multifiler Fäden entscheidend. Insgesamt vereinen die beschichteten, pseudomonofilen Fäden (Polyglycolsäure, Polyglactin 910 oder Lactomer 9–1) die guten Eigenschaften am besten. Die entscheidendsten Gebrauchseigenschaften sind die Knüpfbarkeit und die Knotensicherheit des Fadens. Sie setzten eine hohe Flexibilität, eine optimale Elastizität und eine nicht zu glatte Fadenoberfläche voraus. Glatte Fäden erlauben zwar ein leichtes Gleitenlassen der Schlinge, wegen mangelnden Reibungswiderstands verrutschen diese aber leicht und haben die Tendenz, sich spontan wieder zu öffnen. Raue Fadenoberflächen erschweren das Herabgleiten der Schlinge, sein Knotensitz lässt sich aber präziser bestimmen und der Knoten sitzt zudem auch sicherer. Die Knotensicherheit ist nicht nur vom Fadenmaterial, von der Fadenstruktur und den Gebrauchseigenschaften abhängig, sondern auch von der verwendeten Knotenkombination und bei monofilen Fäden zusätzlich von der Fadenstärke. Je größer der Fadendurchmesser eines monofilen Fadens ist, desto rigider ist er und desto mehr Schlingenkombinationen müssen gelegt werden, um einen sicheren Knotensitz zu erreichen. Beim monofilen Polypropylenfaden der USP-Stärke 5/0 reichen 3 gegenläufig gelegte Einhandknoten, um eine Knotenbruchfestigkeit von 64% der linearen Reißfestigkeit des Fadens zu erreichen. Bei der USP-Stärke 2 werden schon 6 gegenläufig gelegte Einhandknoten benötigt, um eine Knotenbruchfestigkeit dieser Größenordnung zu erreichen (Semjonow et al. 1993). Bei Fadenstärken von USP 3/0 bis 5/0, in der die monofilen Fäden (Polyglyconat, Polydioxanon, Glycomer 631 und Polyglecaprone 25) in der viszeralen Chirurgie am häufigsten verwendet werden, sollte mindestens ein chirurgischer Knoten, gefolgt von 3 gegenläufigen Einhandknoten angelegt werden, um einen genügend sicher sitzenden Knoten zu erreichen. Der chirurgische Knoten kann dabei auch durch 2 gleichläufige »Rutschknoten« ersetzt werden. Letzteres erlaubt das präzisere Legen des ersten noch rutschfähigen Knotens, der mit dem zweiten gleichläufigen Einhandknoten noch verschoben werden kann. Geflochtene, beschichtete Fäden (Polyglykolsäure, Polyglactin 910 und Lactomer 9–1) sind mit einer Knotenkombination von 2 gleichläufigen, gefolgt von 2 gegenläufigen Einhandknoten alle sicher zu knoten (Debus et al. 1997). Cave Das unkritische Legen von zu vielen Knoten führt zur Implantation von unnötig viel Fremdmaterial.
13
Die Verwendung von komplizierten selbstblockierenden Knoten (Israelsson et al. 1994) ist sehr zeitaufwendig. Bei laparoskopischen Operationen erfordert intrakorporelles Knoten sehr viel Geschicklichkeit. Der Einfachheit halber kommen deshalb extrakorporell entweder vorgelegte Rutschknoten nach Tayside, Melzer und Roeder (Shimi et al. 1994), oder bevorzugt konventionelle Knoten, die mit Knotenschieber platziert werden, zur Anwendung. Biologische Eigenschaften Die Gewebeverträglichkeit eines Nahtmaterials ist umso besser, je geringer die Fremdkörperreaktion ist, die es auslöst. Sie wird am Ödem, dem entzündlichen zellulären Infiltrat und der Ausdehnung der reaktiven Fibrose gemessen. Je inerter sich ein Fadenmaterial verhält (z. B. Metallfäden), desto besser ist seine Gewebeverträglichkeit. Resorbierbares Fadenmaterial und multifile nichtresorbierbare Fäden führen zu einer stärkeren Gewebereaktion als nichtresorbierbare, monofile Fäden (Setzen et al. 1997). Die stärkste Gewebereaktion verursachen die historischen Fadenmaterialien wie Catgut (Fremdeiweiß) und die natürlichen Fasern Zwirn und Seide. Die heute gebräuchlichen resorbierbaren Fäden verursachen im Vergleich zum gleichzeitig gesetzten chirurgischen Gewebetrauma keine relevante Gewebereaktion mehr (Smit et al. 1991). Die Resorbierbarkeit eines Fadens ist heute die wichtigste biologische Eigenschaft. Resorbierbares Nahtmaterial wird durch biochemische Vorgänge in seine Bestandteile aufgelöst und abtransportiert, sodass nach einer gewissen Zeit kein Nahtmaterial mehr vorhanden ist (Resorptionszeit). Resorbierbar sind die synthetischen Materialien Polyglykonat, Polydioxanon, Glycomer 631, Polyglecarone 25, Polyglykolsäure, Polyglactin 910 und Lactomer 9–1. Sie werden durch Hydrolyse gespalten. Catgut hingegen wird durch proteolytische Enzyme abgebaut. Die Resorption des Fadens verursacht mit der Zeit eine Verminderung der Reißfestigkeit. Klinisch wichtiger als die Resorptionszeit ist demnach die Zeit, nach der ein Faden die für seine Aufgabe kritische Reißfestigkeit unterschreitet. Die durchschnittlichen Resorptionseigenschaften verschiedener resorbierbarer Fäden sind in . Tab. 13.2 dargestellt. Dabei gilt es zu beachten, dass bei gleicher Fadenstärke die initiale Reißfestigkeit der verschiedenen Materialien sehr unterschiedlich ist. Die Resorptionszeiten können jedoch durch körpereigene Flüssigkeiten und bakterielle Infektionen zum Teil erheblich verkürzt werden (Greenberg et al. 2004; Muftuoglu et al. 2004). Auch nichtresorbierbare Nahtmaterialien wie Seide, Zwirn und Polyamid verlieren über Monate bis Jahre im Gewebe bis zu 50% ihrer Ausgangsreißfestigkeit (Postlethwait 1970; Greenwald et al. 1994). Dieser Vorgang beruht aber auf einer mechanischen Fragmentierung des Materiales, das im Gewebe liegen bleibt. Die Eigenschaften der verschiedenen Nahtmaterialien sind in . Tab. 13.3 dargestellt. 13.1.2 Nichtresorbierbares Nahtmaterial Natürliches Nahtmaterial Da die synthetischen Nahtmaterialien durchwegs bessere Eigenschaften aufweisen als die natürlichen Materialien, werden Letztere praktisch nicht mehr verwendet. Sie sind aber hier der Vollständigkeit halber noch aufgeführt.
144
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Tabelle 13.2. Reißfestigkeit und Resorptionseigenschaften resorbierbaren Nahtmaterials. (Zusammenstellung nach Bezwada et al. 1995; Brown 1992; Debus et al. 1997; Israelson et al. 1994; Katz et al. 1970; Rodeheaver et al. 1996)
Nahtmateriala
Reißfestigkeit linear (N)
Reißfestigkeit im Knoten (N)
Reißkraft der ursprünglichen linearen Reißkraft (%) 7 Tage
28 Tage
Catgut plain
25
23
30
0
–
40
Chromcatgut
25
23
60
30
0
60
Polyglactin 910 (Vicryl rapid)
40
20
40
0
–
42
Poliglecapron 25 (Monocryl gefärbt)
85
43
65
35
0
120
Polyglactin 910 (Vicryl)
58
33
90
70
0
90
Polyglykolsäure (Safil)
62
39
90
70
0
120
Lactomer 9–1 (Polysorb)
66
42
73
53
0
70
Glycomer 631 (Biosyn)
89
40
86
67
16
110
Polyglyconat (Maxon)
67
39
80
70
45
180
Polydioxanon (PDS II)
53
29
90
80
70
180
a
13
14 Tage
Reißkraft der ursprünglichen linearen Resorptionszeit in Tagen
Synthetisches Nahtmaterial USP 2/0, EP I 3; Catgut und Chromcatgut USP 3/0, EP I 3
Seide. Die heutzutage hergestellten Seidenfäden (z. B. NC-Seide,
Perma-Hand Seide oder Sofsilk) sind geflochtene Fäden, die beschichtet oder imprägniert werden und dadurch den Nachteil der starken Dochtwirkung verloren haben. Im Vergleich zu den synthetischen Materialien verursachen sie aber eine ausgeprägte Gewebereaktion. Zwirn. Er besteht aus Zellulose (hergestellt aus Flachs oder Baumwolle). Zwirn hat eine starke Dochtwirkung, löst wie Seide eine starke Gewebereaktion aus und verursacht häufig Fistelbildungen. Metall. Meist werden solche Fäden aus korrosionsbeständigem Edelstahl hergestellt (z. B. Suturdraht). Monofil sind sie extrem unflexibel und schwierig zu knüpfen. Bei multifiler Struktur sind diese Nachteile weniger ausgeprägt.
Synthetisches Nahtmaterial Polyamid. Die Polyamide unterscheiden sich nach ihrer Struktur in Nylon 6 (Perlon) und das neuere Nylon 6/6. Polyamid ist das älteste, heute noch gebräuchliche synthetische Fadenmaterial. Polyamidfäden werden als geflochtene, imprägnierte (z. B. Nurolon, Surgilon), pseudomonofile (z. B. Supramid, Suturamid, Bralon) oder monofile (z. B. Dermalon, Dafilon, Ethilon, Suturamid, Monosof, Seralon) Fäden hergestellt. Sie haben eine hohe Reißfestigkeit und eine bessere Gewebeverträglichkeit als die organischen, natürlichen Fadenmaterialien. Polyamid kommt am meisten bei der Hautnaht, in monofiler Form auch für Hernienplastiken zur Anwendung.
Polyester. Die Polyesterfäden werden geflochten (z. B. Mersilene, Terylene), beschichtet (z. B. Synthofil, Ethibond, Surgibraid, Ti-Cron) oder monofil (z. B. Mirafil, Miralene) hergestellt. Die Eigenschaften von Polyesterfäden sind denen des Polyamids sehr ähnlich. Die Knotensicherheit ist etwas besser. Sie werden ebenfalls für die Hautnaht, aber auch für Gefäßnähte eingesetzt. Polypropylen. Alle Polypropylenfäden werden in monofiler Struktur hergestellt (z. B. Prolene, Surgilene, Surgipro II, Serapren, Premilene). Sie zeichnen sich durch höchste Reißfestigkeit, minimale Gewebereaktion und sehr gute Gleitfähigkeit aus. Hingegen müssen diese Fäden wegen der schlechteren Knüpfeigenschaften und der schlechteren Knotensicherheit mit mindestens einem chirurgischen Knoten gefolgt von 3 gegenläufigen Einhandknoten geknüpft werden. Polypropylen wird vor allem für Gefäßnähte und für den Hautverschluss verwendet. Polyester. Aus Polybutester werden monofile Fäden hergestellt
(z. B. Novafil). Sie haben dieselben Vorteile wie das Polypropylen und zeichnen sich außerdem durch bessere Knüpfeigenschaften und bessere Knotensicherheit aus. Der Anwendungsbereich entspricht dem des Polypropylens.
13
145 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
. Tabelle 13.3. Eigenschaften verschiedener Nahtmaterialien (– schlecht; + mäßig, ++ gut, +++ sehr gut). (Zusammenstellung nach Bezwada et al. 1995; Brown 1992; Debus et al. 1997; Faulkner et al. 1996; Holmlund 1974; Israelson et al. 1994; Nockemann 1980; Semjonow et al. 1993; Trimbos et al. 1995)
Nahtmaterial
Reißkraft im Knoten
Kapillarität
Knüpfeigenschaften
Gleitfähigkeit
Flexibilität
Knotensicherheit
Gewebeverträglichkeit
Seide
+
–
+++
++
+++
+++
+
Polyamid (monofil)
++
+++b
+
+++
+
+
++
Polyester (geflochten)
++
–
++
++
+++
++
++
Polypropylen
+++
+++b
+
+++
++
–
+++
+++
b
+++
++
+++
++
+
+++
++
–
++
++
+
+
–
++
–
Nichtresorbierbar
Polybutester Resorbierbar Catgut plain Chromcatgut
++
++
+
+
–
+++
c
++
+++
++
+++
++
+++
Polyglactin 910a
+++
++c
+++
++
+++
++
+++
Lactomer 9–1a
+++
++c
a
Polyglykolsäure
Poliglecapron 25
++
+++
++
+++
++
+++
b
++
+++
+++
+
+++
b
+++
Glycomer 631
++
+++
+++
+++
+++
++
+++
Polyglyconat
++
+++b
++
+++
+++
+
+++
Polydioxanon
++
+++b
++
+++
++
+
+++
a
b
c
Mit Beschichtung, gar keine Kapillarität, mäßig ausgeprägte Kapillarität
13.1.3 Resorbierbares Nahtmaterial Natürliches Nahtmaterial Catgut. Wegen einer zumindestens theoretischen Gefahr der BSE-Übertragung wurde die Anwendung von Catgut bei Menschen inzwischen in verschiedenen Ländern, wie z. B. auch in Deutschland, untersagt.
Synthetisches Nahtmaterial Die synthetischen resorbierbaren Fadenmaterialien haben sich wegen ihrer vorteilhaften Eigenschaften in der viszeralen Chirurgie durchgesetzt. In . Tab. 13.2 werden die Reißfestigkeit und das Resorptionsverhalten, in . Tab. 13.3 die Eigenschaften dieser Fäden zusammengefasst. Polyglykolsäure. Aus Polyglykolsäure wurden die ersten synthe-
tischen Fäden produziert. Aus einem Polymer von reiner Polyglykolsäure wird Safil hergestellt, das aus Einzelfilamenten geflochten wird. Um seine Eigenschaften zu verbessern, wird der Faden mit Polyglyconat beschichtet. Er zählt deshalb zu den pseudomonofilen Fäden. Seine initiale Reißfestigkeit ist hoch. Innerhalb 4 Wochen nach Implantation verliert die Polyglykol-
säure jedoch die Reißfestigkeit vollständig. Die Polyglykolsäure eignet sich für gastrointestinale Anastomosen, für seroseröse Nähte, für Ligaturen wie auch für Nähte der Gallenwege. Polyglactin 910. Es besteht aus einem Kopolymer aus Glycolid
und Lactid im Verhältnis von 9 : 1 und ist mit Polyglactin 370 und Kalziumstearat beschichtet (Vicryl). Die Beimischung von 10% Milchsäure verändert die Resorptionseigenschaft und Reißfestigkeit dieses pseudomonofilen Fadens im Vergleich zu Polyglykolsäure nicht wesentlich. Auch sein Einsatzgebiet ist dasselbe. Im Gegensatz dazu wird Vicryl rapid, der zwar aus demselben Kopolymer, mit jedoch einem geringerem Molekulargewicht und mit derselben Beschichtung versehen ist, sehr schnell resorbiert. Er kommt allenfalls für die intrakutane Naht zur Anwendung. Lactomer 9–1. Dieses Fadenmaterial setzt sich aus einem Kopolymer aus Glycolid und Lactid im Verhältnis 1:1 zusammen (Polysorb). Er ist multifil, mit Glycolid und Lactid, Polyethylenoxid, Glyzerin und Kalziumlaktat beschichtet. Er zählt ebenfalls zu den pseudomonofilen Fäden. Seine Reißfestigkeit ist mit der von Polyglykolsäure vergleichbar. Er wird hingegen etwas schneller resorbiert.
146
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
Glycomer 631. Es handelt sich um ein synthetisches Polyesterderivat aus Glycolid, Trimethylenkarbonat und Dioxanon (Biosyn). Dieser neu entwickelte monofile Faden hat sehr gute Gebrauchseigenschaften. Im Vergleich zur Polyglykolsäure hat er bei ähnlichem Resorptionsverhalten eine höhere initiale Reißfestigkeit. Durch die monofile Struktur eignet er sich sehr gut für die einreihige fortlaufende Darmnaht und als Schlaufennaht für den Laparotomieverschluss. Poliglecapron 25. Dieser monofile Faden besteht aus dem Kopo-
lymer aus Glycolid und E-Caprolacton im Verhältnis 3:1 (Monocryl). Wie Glycomer 631 hat er eine sehr hohe initiale Reißfestigkeit, wird aber deutlich schneller resorbiert. Polyglyconat. Es handelt sich wiederum um einen monofilen
Faden aus dem Kopolymer Polyglykolsäure und Trimethylenkarbonat in einem Verhältnis 2:1 (Maxon). Trimethylencarbonat verbessert die Flexibilität des Fadens. Im Vergleich zu Polyglykolsäure wird der Faden deutlich langsamer resorbiert (. Tab. 13.2). Dieser Faden eignet sich für alle gastrointestinalen Anastomosen und wie Glycomer 631 als Schlaufennaht für den Laparotomieverschluss. Polydioxanon. Dieser monofile Faden besteht aus dem Polymer Polydioxanon (PDS II). Er hat eine geringere Ausgangsreißfestigkeit als Polyglyconat. Polydioxanon ist das am langsamsten resorbierbare Fadenmaterial, das heute zur Verfügung steht. Er ist etwas weniger flexibel als Polyglyconat und deshalb auch etwas schwieriger zu knoten. Es zeichnet sich durch eine hohe Pankreassaftresistenz aus (Muftuoglu et al. 2004). Sein Anwendungsbereich deckt sich mit dem von Polyglyconat.
13
Polyglytone 6211. Dieser monofile Faden besteht aus Glycolid,
Caprolacton, Trimethylencarbonat und Lactid (Caprosyn). Er ist sehr rasch resorbierbar und ersetzt wie Vicryl rapid die resorbierbaren Fadenmaterialien tierischen Ursprungs (Catgut). 13.1.4 Alternativen zum Nahtmaterial Fibrinkleber beruhen auf der Polymerisation von humanem Fibrinogen durch Thrombinzusatz. Seine Anwendung beschränkt sich auf besondere Situationen mit schwierig zu erreichender Hämostase in der Milz- und Leberchirurgie. Korrekt durchgeführte Darmanastomosen können damit nicht verbessert, fehlerhafte Nahttechniken nicht korrigiert werden. Als synthetische Klebstoffe kommen Cyanoacrylate (z. B. Indermil, Dermabond) höchstens für den Hautschluss zur Anwendung. Die nahtlose Darmanastomose mittels biofragmentierbarem Anastomosenring (Valtrac) führt im Vergleich zur einreihigen fortlaufenden Darmnaht oder zur Stapleranastomose auch zu guten Resultaten (Thiede et al. 1998). Trotzdem konnte er sich nicht durchsetzten. Im Vergleich zur einfachen und ebenfalls schnell durchzuführenden einreihigen, fortlaufenden Handnaht mit einem doppelt armierten, monofilen Faden ist er durch einen erheblich höheren Preis belastet. Im Bereich des tiefen Rektums, wo heutzutage am ehesten Stapler zur Darmanastomosierung verwendet werden, ist seine Anwendung schwierig. Außerhalb des Rektums sind Vorteile schwer erkennbar.
Hautklammern ermöglichen einen raschen Hautverschluss. Die Adaptation der Wundränder mit Klammern ist oft weniger exakt als mit der Naht. Im Abdomen können zur Blutstillung an Stelle von Ligaturen auch Clips oder Klammern aus Titan oder resorbierbaren Materialien gesetzt werden. Sie kommen vor allem in der laparoskopischen Chirurgie und im kleinen Becken zur Anwendung. Zudem gibt es auch Klammerapparate, die in einem Schritt an einer Gewebebrücke beidseits Klammern setzen und das Gewebe in der Mitte durchtrennen. Technisch noch einfacher können mit Ultraschall- oder Diathermiezangen (Ultracision, Ligasure) Gewebebrücken in einem Schritt durchtrennt und dabei die Gefäßenden versiegelt werden. Bei ausgedehnten Skelettierungen kann damit Operationszeit eingespart werden. Auf Klammerinstrumente für gastrointestinale Anastomosen wird in 7 Kap. 13.2 im Detail eingegangen. 13.1.5 Wahl des Nahtmaterials Die Wahl des Nahtmaterials ist vielerorts schul- und traditionsgebunden sowie von dem im Hause vorhandenen Fadensortiment abhängig. In der gastrointestinalen Chirurgie wird wo immer möglich resorbierbares Nahtmaterial verwendet. Unsere eigenen, aufgrund der vorangegangenen Ausführungen aufgestellten Empfehlungen sind in . Tab. 13.4 zusammengestellt. 13.1.6 Nadeln Alle Nadeln sind aus hochwertigem Stahl gefertigt. Sie werden entweder gerade, viel häufiger jedoch gebogen verwendet. Ihre Einteilung erfolgt in chirurgische Nadeln mit Öhr oder atraumatische Nadeln, bei denen der Faden praktisch stufenlos eingegossen wurde. Chirurgische und atraumatische Nadeln Bei den chirurgischen Nadeln, die entweder mit einem Langlochöhr oder einem Federöhr versehen sind, muss der Faden eingefädelt werden. Am Federöhr kann der Faden fixiert werden, wodurch die Gefahr des verfrühten Ausfädelns beim Nähen vermindert wird. Nahtmaterial, das mit chirurgischen Nadeln versehen ist, ist günstiger als solches mit atraumatischen Nadeln. Der bedeutende Nachteil in chirurgischen Nadeln liegt jedoch darin, dass sie beim Durchziehen ein größeres Loch im Gewebe verursachen als atraumatische Nadeln. In der gastroenterologischen Chirurgie werden vor allem für die Anfertigung von Anastomosen praktisch ausschließlich atraumatische Nadeln verwendet. Nadelkorpus Angepasst an die Fadenstärke werden verschiedene Nadelgrößen angeboten. Die gebogenen Nadeln werden als 1/4-, 3/8-, 1/2oder 5/8-Kreis angeboten. Außerdem gibt es auch Sonderformen, wie z. B. J-förmige, asymptotisch gebogene Nadeln. Diese werden vor allem in der laparoskopischen Chirurgie verwendet. Der Nadelkorpus entspricht entweder einer nichtschneidenden Rundkörpernadel, oder ist innen oder außen schneidend, meist im Querschnitt dreieckig geformt. Rundkörpernadeln hinterlassen die dünnsten Stichkanäle im Gewebe und werden
147 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
13
13.1.7 Hautnähte . Tabelle 13.4. Wahl des Nahtmaterials
Ort der Naht
Empfohlenes Nahtmaterial
Alternative
Anastomosen am Ösophagus und Magen
Polyglyconat (3/0) Glycomer 631 (3/0)
Polyglykolsäure (3/0) Polyglactin 910 (3/0) Lactomer 9–1 (3/0)
Anastomosen am Darm
Polyglyconat (4/0) Glycomer 631 (4/0)
Polyglykolsäure (4/0) Polyglactin 910 (4/0) Lactomer 9–1 (4/0)
Choledochotomie und biliodigestive Anastomose
Polyglyconat (5/0) Glycomer 631 (5/0)
Polyglykolsäure (4/0) Polyglactin 910 (4/0) Lactomer 9–1 (5/0)
Anastomose am Pankreas
Polydioxanon (4/0) Polyglyconat (4/0) Glycomer 631 (4/0)
Lactomer 9–1 (4/0)
Ligaturen
Polyglykolsäure (2/0–4/0) Polyglactin 910 (2/0–4/0)
Lactomer 9–1 (2/0–4/0)
Laparotomieverschluss
Polyglykonat (1) Polydioxanon (1) Glycomer 631 (1)
Polyglykolsäure (1–2) Polyglactin (1–2)
Subkutannaht
Keine Naht Redon-Saugdrainage
Polyglykolsäure (3/0) Polyglactin 910 (3/0)
Hautnaht
Polypropylen (3/0–5/0) Polyamid (3/0–5/0)
Hautklammern Polyglactin 910 und Steristrip Polyglytone 6211 und Steristrip
Gefäßnaht
Polypropylen Polybutester
Polyester Polytetrafluoroethylen
Die Hautnaht soll nur so weit angezogen werden, bis die beiden Hautränder gerade adaptiert sind. Zusätzlicher Zug verschlechtert die Gewebeperfusion. Auch der Stichabstand hat diesen Aspekt zu berücksichtigen. Das Gewebe darf mit der Pinzette nicht traumatisiert werden.
Das kosmetische Resultat einer Hautnaht ist oft mehr von der atraumatischen Technik des Chirurgen mit exakter Adaptation der Hautränder und vom möglichst raschen Entfernen des Nahtmaterials bei gesicherter Wundheilung abhängig als von der Stichführung oder dem Fadenmaterial (Parell u. Becker 2003). Wir bevorzugen die Einzelknopfnaht für die Hautnaht bei potenziell kontaminierten Eingriffen. Bei septischen Eingriffen wird auf den Hautschluss ganz verzichtet. In der nichtseptischen, nichtkontaminierten Chirurgie ziehen wir fortlaufende Techniken vor, darunter auch die Intrakutannaht. Eine Subkutannaht dient der Blutstillung und der Vermeidung von subkutanen Hohlräumen. Sie führt aber zu zusätzlicher Einlagerung von Fremdmaterial, Immobilisierung der Hautränder und auch zu Fettgewebsnekrose. Gute Blutstillung und ein subkutanes Redondrain, das höchstens für 1–2 Tage belassen wird, sind vorzuziehen. Die Hautränder bleiben dabei frei verschieblich. Einzelknopfnähte Die überwendliche Einzelknopfnaht (. Abb. 13.1) stellt die einfachste Stichführung dar. Sie soll alle Hautschichten umfassen und damit knapp bis in die Subkutis reichen. Die exakte Hautadaptation ist wegen Tendenz zu Inversion nicht zuverlässig. Die vertikale Rückstichnaht nach Donati (. Abb. 13.2) fasst zur perfekten Hautadaptation nach dem Ausstich auf der Gegenseite mit einem Rückstich nur noch das Korium. Die vertikale Rückstichnaht nach Allgöwer (. Abb. 13.3) ist eine Variante der Donati-Naht. Sie fasst auf der Gegenseite des Einstiches vor allem das Korium, der Rückstich erfolgt intrakutan. Die Beschränkung des Gegenstiches schont die Gewebs-
deshalb am Gastrointestinaltrakt bevorzugt verwendet. Für die Naht von Faszien kommen außen schneidende Nadeln zur Anwendung. Nadelspitzen Die Nadelspitzen sind entweder relativ stumpf, im Sinne einer Sicherheitsspitze, was die Penetrationsgefahr der Operationshandschuhe vermindert, ganz spitzig, was nur kleinste Stichkanäle verursacht, oder in verschiedenen geometrischen Formen scharf geschliffen. Für von Hand genähte Anastomosen werden spitzige, nicht schneidende Nadeln verwendet. Zur Durchdringung von festem Bindegewebe und Faszien werden scheidende Nadelspitzen verwendet.
. Abb. 13.1. Überwendliche Einzelknopfnaht
148
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
Steristrips gesichert werden. Auch diese Hautnahttechnik ergibt sehr gute kosmetische Ergebnisse und hat den Vorteil, dass die Fadenentfernung entfällt. Sie soll jedoch nur bei ganz sterilen Eingriffen, bei denen der Hautschluss nicht unter Zug steht, zur Anwendung kommen (z. B. Inguinalhernienoperation). Durch die lange Fadenliegezeit kann es zu Fremdkörperreaktionen der Haut kommen.
. Abb. 13.2. Vertikale Rückstichnaht
Fadenentfernung Die Fäden der Hautnaht werden generell zu spät entfernt. Dies führt zu zusätzlichen punktförmigen Narben an den Einstichstellen. Der optimale Zeitpunkt der Fadenentfernung ist variabel und ist vor allem von der Lokalisation der Naht am Körper und vom Grad der Wundheilung abhängig. Bei ungestörter Wundheilung können nach Platysma- und Hautnaht am Hals sowie nach Tumorektomie an der weiblichen Brust die Fäden schon am 3. postoperativen Tag entfernt werden. Diese Wunden sollen nach der Fadenentfernung jedoch noch mit Steristrip gesichert werden. Am Abdomen können die Fäden nach 10 Tagen, an den Extremitäten nach 14 Tagen entfernt werden. Vorausgesetzt, dass die Wunde mit monofilem Faden genäht wurde, können die Patienten ab dem 2. postoperativen Tag ohne spezielle Wundabdeckung wieder duschen oder in die Sauna gehen (Papp u. Alhava 2003). 13.1.8 Gastrointestinale Nähte
13
. Abb. 13.3. Einseitig intrakutane Rückstichnaht
perfusion und ermöglicht gleichzeitig eine gute Adaptation der Hautränder. Geknotet wird auf der besser durchbluteten Seite (zu beachten bei Hautlappen). Bei geraden Inzisionen können die Knöpfe alternierend auf beiden Seiten zu liegen kommen (. Abb. 13.3). Fortlaufende Nähte Wird die überwendliche Naht fortlaufend angelegt, so wird sie als Kürschnernaht bezeichnet. Diese Stichführung eignet sich für Regionen mit dickem Korium. Andernfalls kann die Adaptation leiden. Bei der fortlaufenden einseitige intrakutanen Rückstichnaht nach Allgöwer ist die Stichführung durch das Gewebe quer zur Wunde angeordnet, die Fadenanteile über der Haut liegen schräg zu den Wundrändern. Die Adaptation der Wundränder ist optimal. Die Intrakutannaht mit invertierten Knöpfen und völlig versenktem Nahtmaterial fasst das Korium. Sie wird mit ungefärbtem monofilem oder pseudomonofilem Nahtmaterial durchgeführt, das resorbierbar ist. Diese Form der Hautnaht sollte mit
Während normalerweise die Verklebung der Serosaflächen einer Darmanastomose in den ersten 4–6 h erfolgt, ist die mechanische Festigkeit in der ersten Phase (ca. 4 Tage) der Anastomosenheilung vor allem durch das Nahtmaterial gegeben (Nockemann 1980). In der zweiten Phase, bis zum 14. Tag, lassen die zunehmende Proliferation von Fibroblasten und Muskelzellen sowie die Kollagenbildung die Eigenfestigkeit der Anastomose so weit ansteigen, dass deren Reißfestigkeit nicht mehr allein von der Anwesenheit des Nahtmaterials abhängt. Etwa nach 10 Tagen erreicht die genähte Anastomose gegen den Berstungsdruck die Resistenz intakten Darmes, seine Reißfestigkeit aber erst nach 4–6 Wochen (Herrmann et al. 1964). In einer dritten Phase, die bis zu mehreren Monaten dauert, erfolgt der endgültige Umbau der Wandschichten über die Anastomose hinweg und erreicht die mechanische Festigkeit von intaktem Darm (Herzog 1974).
Der Begriff Nahtreihe bezeichnet eine zusammengehörige Folge von Nähten, ungeachtet der Anzahl Gewebeschichten, die von einer einzelnen Naht gefasst wird. Dementsprechend beschreibt der Begriff Nahtschicht die Gewebeschichten, die mit einer einzelnen Naht gefasst werden.
Basierend auf der Erkenntnis, dass die Serosaflächen schnell verkleben und dies eine größere Sicherheit vor Insuffizienz bietet, wurden einstülpende Techniken von Jobert (1822) und Lembert (1826) eingeführt. Zahlreiche Abwandlungen in zwei- oder gar dreireihiger Technik erreichten das gleiche Ziel der dichten Darmanastomose. Diese Nahttechniken verursachten aber zum Teil eine erhebliche Stenosierung des Darmlumens. Anfangs der 50er-Jahre wurde die schichtgerechte Adaptation der Darmwand »auf Stoß« untersucht. Gambee beschrieb 1951 eine solche ein-
149 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
13
. Abb. 13.4. Extramuköse Naht auf Stoß (von außen gestochen, Standardnaht)
. Abb. 13.5. Abb. 13.5. Rückstichnaht vom Lumen her gestochen (allschichtig vom Lumen her gestochen, Rückstich durch die Mukosa)
reihige Nahttechnik. Dieser Gedanke der schichtgerechten, nicht in- oder evertierenden Naht wurde auch von Allgöwer propagiert und durch gute klinische Ergebnisse belegt (Allgöwer et al. 1971; Max et al. 1991). Die Naht auf Stoß führt zudem auch zu einer raschen Wiederherstellung der Gefäßversorgung im Anastomosenbereich (Herzog 1974). Eine zweireihige Technik bietet keine Vorteile, stülpt unnötig ein und beansprucht entbehrliche Handgriffe. Voraussetzung für eine sichere einreihige Naht auf Stoß sind gewebeschonende Operationstechnik, eine Stichführung, die eine gute Adaptation ohne Ischämisierung der Darmränder erzielt und eine sichere Knotentechnik. Die spannungsfreie Annäherung gut durchbluteter Darmenden ist dabei Voraussetzung. Im Zweifelsfall kann die arterielle Durchblutung mit einem Dopplergerät nachgewiesen werden.
retraktor (»lone star retractor«) für die transanale Naht einer koloanalen Anastomose.
Einzelknopfnähte Die einfachste Stichführung ist die allschichtige Albert-Naht, mit der die Adaptation der Schichten auf Stoß aber schwierig ist. Die Stichkanäle führen außerdem bis ins Darmlumen, was Infektionen besonders bei Verwendung von geflochtenem Nahtmaterial begünstigen kann. Die außen geknüpfte extramuköse Naht auf Stoß (. Abb. 13.4) adaptiert bei exakter Durchführung alle Wandschichten, ohne ins Darmlumen zu führen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Submukosa als bestes Nahtlager mitgefasst wird. Die allschichtige, vom Lumen her gestochene und innen geknüpfte Rückstichnaht durch die Mukosa (. Abb. 13.5) eignet sich zur genauen Adaptation der Schleimhaut bei der Hinterwandnaht von Anastomosen, die von außen her nicht zugänglich sind, z. B. nach tiefer Rektumresektion. Die vorgelegte Einzelknopfnaht, evtl. für die Hinterwand mit Lift- oder Seilbahntechnik, wird für technisch schwierige Anastomosen eingesetzt. Diese Technik eignet sich für die Anastomose am tiefen Rektum (. Abb. 13.6) oder für die Ösophagojejunostomie. Für aufwendige Einzelknopfanastomosen, bei denen die Fäden vorgelegt werden müssen, verwenden wir flexible Stahlfedern als Fadenhalter (Demartines et al. 1998). Die Fäden sind unter leichtem Zug fixiert, dadurch kann das Verstricken der einzelnen Fäden vermieden werden. . Abb. 13.7 zeigt die flexiblen Stahlfedern, aufgesetzt auf einen selbsthaltenden Gummiband-
Fortlaufende Nähte Mit der Verfügbarkeit von monofilen, resorbierbaren Fäden (Polyglyconat, Polydioxanon oder Glycomer 631), die doppelt armiert sind, hat sich die fortlaufende, einreihige, extramuköse Naht für die gastrointestinalen Anastomosen durchgesetzt. Im Vergleich zur einreihigen Einzelknopfnaht mit identischer Stichführung stellt sie eine weitere Vereinfachung dar. Sie erfordert weniger Manipulationen und Kontakte mit bakteriell kontaminiertem Gewebe, ist dicht, gewebeschonend und außerdem zeitund kostensparend. Die fortlaufende Darmnaht ist überall dort geeignet, wo der Gastrointestinaltrakt frei beweglich, also wendbar ist. So kann die ganze Anastomose fortlaufend in Vorderwandtechnik durchgeführt werden. Die Nahtreihe wird mit einem doppelt armierten Faden mesenterial begonnen, der nach dem ersten Stich doppelt geknotet wird. Antimesenterial wird ein offener Haltefaden vorgelegt. Besteht eine ausgeprägte Lumendifferenz, so kann diese durch eine antimesenteriale Längsinzision ausgeglichen werden. Mit extramukösen Stichen wird nun die Naht weitergeführt, wobei darauf geachtet werden muss, dass sich die Mukosa nicht zwischen die genähten Darmenden einschlägt (. Abb. 13.8). Solange die fortlaufende Naht zum Operateur hinführt, dirigiert der Assistent mit der Pinzette den Faden nach Durchziehen der Nadel, bis die Schlaufe präzise gelegt ist und wieder von Hand geführt werden kann. Der Operateur sorgt dabei dafür, dass überschüssige Schleimhaut beim Anziehen des Fadens im Lumen verschwindet. Erfolgt die Naht vom Operateur weg, sind diese Rollen vertauscht. Der monofile Faden muss stetig aber nur so weit unter Zug stehen, dass eine lockere Adaptation der Darmränder die Dichtigkeit der Anastomose gewährleistet, ohne eine Ischämie oder einen Tabaksbeuteleffekt zu erzeugen. Beim Erreichen des antimesenterialen Haltefadens wird dieser entfernt und der Darm gewendet. Mit dem zweiten Fadenende wird die Gegenseite der Anastomose in gleicher Technik genäht und der Faden antimesenterial 6-fach geknotet. Diese Stichführung stellt den Standard für die handgenähten Anastomosen an wendbaren Abschnitten des Gastrointestinaltraktes dar (Harder et al. 1987).
150
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Abb. 13.6. Lift- oder Seilbahntechnik. Vom Lumen her gestochene, vorgelegte Einzelknopfnaht. Vor dem Knoten werden die beiden Darmenden analog einer Seilbahngondel entlang den angespannten Fäden zusammengeführt. Das gerade Stahlfedermodell aus der Mayo-Klinik (McDonald et al. 1995) verhindert das Verstricken der einzelnen Fäden untereinander
13
. Abb. 13.7. Transanale Anastomose (allschichtige Einzelknopfnaht vorgelegt). Der Analkanal wird mit einem selbsthaltenden Gummibandretraktor dargestellt. Die allschichtigen Einzelknopfnähte werden vorgelegt und an der flexiblen Stahlfeder fixiert
151 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
a
b
c
d
e
f
13
. Abb. 13.9. Abb. 13.9. Fortlaufende, allschichtige, einreihige Hinterwandnaht (Gastroenterostomie)
. Abb. 13.8a–f. Einreihige, fortlaufende Naht am Darm in Vorderwandtechnik. a Extramuköse Darmnaht, mesenterial begonnen und nach dem ersten Stich doppelt geknotet. b Die beiden Fadenenden werden quer zur Verlaufsrichtung des Darmes auf das Operationsfeld gelegt, wobei einer der beiden Fäden hinter dem Darm durchgezogen wird. Setzen eines antimesenterialen Haltefadens. Fortlaufende Naht extramukös unter Mitfassen der Submukosa vom Mesenterialansatz weg in Richtung Operateur. c Fadenführung mit nichttraumatisierender Pinzette durch den Assistenten und Einstülpen der überschüssigen Schleimhaut durch den Operateur. d Wenden des Darmes nach Vollenden der ersten Vorderwandnaht und Entfernen des Haltefadens. e Identische fortlaufende Naht der »zweiten Vorderwand« unter Verwendung des zweiten armierten Fadenendes. f Knüpfen der beiden Fadenenden mit einem 6-fachen Knoten
An nicht wendbaren, aber dennoch gut zugänglichen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes wird die Hinterwand vom Lumen her in einer einreihigen, allschichtigen, fortlaufenden Technik genäht. Wir wenden diese Technik für alle Gastroenterostomien (Demartines et al. 1991), Seit-zu-Seit- oder End-zuSeit-Enteroenterostomie und am oralen Abschnitt des Rektums an. . Abb. 13.9 zeigt eine Gastroenterostomie. Nach Eröffnung des Darmes quer und des Magens längs wird die Naht mit einem doppelt armierten monofilen Faden an der Ecke begonnen. Der Stich führt allschichtig längs in das Darmlumen und quer zur
Darmschlinge wieder nach außen. Am anliegenden Magen wird ebenfalls allschichtig quer ein- und axial zur Gastrotomie wieder ausgestochen. Nach dem Knüpfen des Fadens wird nun die Hinterwand auf den Operateur zu fortlaufend, allschichtig genäht. Um die Naht der Hinterwand zu erleichtern, wird vorgängig die zweite Ecke mit einem Haltefaden markiert. Die Vorderwand wird, wie an den wendbaren Darmabschnitten, in extramuköser, fortlaufender Technik verschlossen. 13.1.9 a Whl der a Nhttechnik Aufgrund der klinischen Situation und des zur Verfügung stehenden Materials soll für jedes Gewebe die geeignete Nahttechnik gewählt werden. Unsere Empfehlungen, die in . Tab. 13.5 zusammengefasst sind, gründen auf den Ergebnissen klinischer und experimenteller Untersuchungen und auf der klinischen Erfahrung. Sie müssen auch im Zusammenhang mit . Tab. 13.4 betrachtet werden.
Ziel jeder Nahttechnik ist es, einen ungestörten Verlauf der Wundheilung zu ermöglichen und zu sichern sowie ein gutes funktionelles Ergebnis zu erreichen.
152
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Tabelle 13.5. Wahl der Nahttechnik
Ort der Naht
Empfohlene Nahttechnik
Alternative
Anastomosen am Ösophagus
Einreihige, extramuköse Einzelknopfnaht Hinterwand mit Rückstichnähten von innen
Stapleranastomose
Anastomosen am Magen
Fortlaufende, einreihige, extramuköse Naht
Stapleranastomose
Anastomosen am beweglichen Darm und proximalen Rektum
Fortlaufende, einreihige, extramuköse Naht
Anastomosen am tiefen Rektum
Stapleranastomose
Extramuköse Einzelknopfnaht distal vorgelegt Hinterwand mit Rückstichnähten in Lifttechnik
Anorektale Anastomosen
Transanale, allschichtige Einzelknopfnaht
Stapleranastomose
Choledochotomieverschluss
Fortlaufende Allschichtnaht
Überwendliche Einzelknopfnaht
Biliodigestive Anastomose
Überwendliche Einzelknopfnaht außen geknotet
Anastomose am Pankreas
Fortlaufende Naht, am Darm extramukös
Zusätzliche fortlaufende Teleskopnaht
Laparotomieverschluss
Fortlaufende Naht mit Schlingenfaden
Bei problematischem Verschluss zusätzlich Entlastungsnähte (Ausziehnaht)
Hautnaht
Einseitig intrakutane Rückstichnaht nach Allgöwer
Vertikale Rückstichnaht nach Donati Klammern oder Intrakutannaht und Steristrip
Literatur
13
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153 13.2 · Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
13
Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
13.2
K. Böttcher ) )
a
Eine moderne Chirurgie am Gastrointestinaltrakt ohne Klammernahtinstrumente ist nicht mehr vorstellbar. Stapleranastomosen ermöglichen in vielen Bereichen im Vergleich zur Handnaht eine Senkung der postoperativen Letalität und Morbidität. Der Einsatz von Klammernahtgeräten ermöglicht bei vielen Patienten eine Verbesserung der Lebensqualität durch die Pouchbildung nach Gastrektomie und kontinenzerhaltender Operation beim tiefsitzenden Rektumkarzinom. Dagegen ist der Einsatz an beweglichen, intraperitonealen Darmabschnitten zum Anlegen einer Anastomose wenig sinnvoll. Hier bietet sich die Handnaht als kostengünstige Alternative an. Ein breites Verfahrensspektrum und neue Operationsstrategien in der laparoskopischen Chirurgie sind erst durch den Staplereinsatz möglich.
b
c
13.2.1 Gerätetypen und Anwendungsprinzipien Insgesamt stehen 3 verschiedene Typen von Staplern unterschiedlicher Größe zur Verfügung: lineare (TA, PLS) und zirkuläre Stapler (CEEA, CDH) sowie lineare Cutter (GIA, PLC). Daneben sind auch Stapler für Ligaturen und zum Hautverschluss erhältlich. Alle Geräte sind in der überwiegenden Mehrzahl als Einweginstrumente erhältlich. Hauptanbieter der Stapler sind die Firmen Auto-Suture (USSC, Norwalk, USA) und Ethicon (Sommerville, USA). Lineare Stapler Lineare Stapler (. Abb. 13.10) lassen sich vor allem für den partiellen oder totalen Verschluss von Hohlorganen verwenden.
. Tabelle 13.6. Lineare Stapler
Auto-Suture
Ethicon
Bezeichnung
TA Premiuma Premium Multifire TAb Roticulatorc
Proximate Linear Stapler TL, TXb Proximate Accessc
Magazingröße (mm)
TA Premium: 30, 55, 90 Premium Multifire TA: 30, 60, 90 Roticulator: 30, 55
TL: 30, 60, 90 TX: 30, 60 Access: 55
Klammergröße (mm)
2,5/3,5/4,8
2,5/3,5/4,8
Klammer
Titan
Titan
Verwendbarkeit
Einweg/Mehrweg
Einweg/nachladbar
a
Stahlinstrument mit Nachladeeinteilung, b Einweggerät mit Nachladeeinheit, c biegsamer Schaft
. Abb. 13.10a–c Auswahl verfügbarer Klammernahtgeräte für die gastrointestinale Chirurgie. a, b Lineare Stapler: Proximate Linear Stapler 60 und 30 mm; c abwinkelbarer Linearstapler: Proximate Access 55 mm
Je nach Einsatzzweck sind verschiedene Stapler mit Magazinlängen zwischen 30 und 90 mm auf dem Markt (. Tab. 13.6). Kleinere Größen sind in fast allen Bereichen des Gastrointestinaltraktes einsetzbar, die 90-mm-Geräte eignen sich besonders zum Verschluss des Magenstumpfes oder für die Magenschlauchbildung. Die U-förmigen Metallklammern aus Titan sind in doppelter Reihe angeordnet, geschlossen nehmen sie die Form eines »B« an. Je nach Dicke des zu verschließenden Gewebes sind Geräte mit Klammern der Größen 3,5 und 4,8 mm erhältlich, zum Verschluss von Gefäßen sind auch Magazine mit Klammern von 2,5 mm verfügbar. Seit einigen Jahren sind auch abwinkelbare Geräte mit einem biegsamen Schaft (Roticulator, Proximate Access) verfügbar, die das Einführen auch in enge Bereiche, etwa ins kleine Becken zum Verschluss eines tiefen Rektumstumpfes, erlauben (. Abb. 13.10c). Für den Einsatz in der laparoskopischen Chirurgie sind 30und 60-mm-Geräte mit 2,5 und 3,5 mm Klammerlänge auf dem Markt (Multifire Endo TA, Fa. Auto Suture; Endopath ELC ohne Messer, Fa. Ethicon). Lineare Cutter Lineare Cutter (. Abb. 13.11) dienen vor allem der Anlage von Seit-zu-Seit-Anastomosen sowie der Durchtrennung unter gleichzeitigem beidseitigen Verschluss von Darmschlingen.
Je nach Anwendungsgebiet sind Gerätelängen zwischen 50 und 100 mm erhältlich (. Tab. 13.7). Die 90- und 100-mm-Geräte sind am besten für die Anlage intestinaler Pouches beim Magenersatz oder in der kolorektalen Chirurgie geeignet. Je nach Dicke
154
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Abb. 13.11a,b. Lineare Cutter: Proximate Linear Cutter 75 mm (a), abwinkelbarer linearer Cutter für den laparoskopischen Einsatz: Endo Gia Universal Roticulator 60 mm (b) a
b
. Tabelle 13.8. Zirkuläre Klammernahtgeräte
. Tabelle 13.7. Lineare Cutter
13
Auto-Suture
Ethicon
Bezeichnung
GIA Premiuma Multifire GIAb
Proximate Linear Cutter (PLC)b
Magazingröße (mm)
GIA Premium: 50, 90 Multifire GIA: 60, 80
55, 75, 100
Klammergröße (mm)
3,8/4,8
2,5/3,5/4,8
Klammer
Titan
Titan
Verwendbarkeit
Einweg/Mehrweg
Einweg
a
Stahlinstrument mit Nachladeeinteilung, b Einweginstrument mit Nachladeeinheit
des zu verschließenden und durchtrennenden Gewebes stehen auch hier unterschiedliche Magazine mit Klammerlängen von 2,5–4,8 mm zu Verfügung. Zum Einsatz in der laparoskopischen Chirurgie werden auch endoskopische lineare Cutter (z. B. Endopath ELC, Fa. Ethicon; Multifire Endo GIA, Fa. Auto-Suture) in verschiedenen Magazinlängen von 30–60 mm und Klammerlängen von 2,5 und 3,5 mm angeboten; zur besseren Handhabung sind diese zum Teil auch abwinkelbar (. Abb. 13.11b). Zirkuläre Stapler Zirkuläre Stapler (. Abb. 13.12) dienen zur Anlage von Endzu-End-, End-zu-Seit-, Seit-zu-End- und Seit-zu-Seit-Anastomosen.
Zirkuläre Stapler sind in verschiedenen Ausführungen erhältlich (. Tab. 13.8). Abnehmbare Instrumentenköpfe mit verschiedenen Durchmessern erleichtern die intraoperative Handhabung der Geräte. Der gebogene Premium Plus CEEA (»circular end-to-end anastomosis«, Fa. Auto-Suture) ist mit einem Instrumentenkopf-
Auto-Suture
Ethicon
Bezeichnung
Premium Plus CEEA
Proximate Circular Stapler (CDH)
Instrumentenkopfdurchmesser (mm)
21, 25, 28, 31, 34
21, 25, 29, 33
Anastomosendurchmesser (mm)
11,4/15,0/18,0/ 21,2/24,2
12,4/16,4/20,4/24,4
Schaft
Gebogen
Gerade/gebogen
Klammer
Titan
Titan
Verwendbarkeit
Einweg
Einweg
durchmesser von 21, 25, 28, 31 und 34 mm erhältlich, die resultierenden Anastomosenweiten betragen 11,4, 15,0, 18,0, 21,2 und 24,2 mm. Nach Auslösen und Teilöffnung des Staplers kippt die extrem flache Andruckplatte um fast 90° in Richtung auf den Zentralstab und erleichtert so das Zurückziehen des Gerätes. Der Proximate CDH-Stapler (Intraluminalstapler, Fa. Ethicon) wird mit Kopfgrößen von 21, 25, 29 und 33 mm angeboten, die zu einem Anastomosendurchmesser von 12,2, 16,4, 20,4 und 24,4 mm führen. Damit führt das CDH-Gerät im Vergleich zum CEEA bei gleichem Außendurchmesser zu einer größeren Anastomosenweite. Die Länge der Titanklammern beträgt in allen Geräten 5,5 mm. Während der Premium Plus CEEA-Stapler zum Auslösen vollständig geschlossen werden muss, ermöglicht das Proximate CDH-Gerät eine individuelle Anpassung der geschlossenen Klammerhöhe zwischen 1,0 und 2,5 mm an das jeweilige Gewebe. Dadurch kann das Gewebstrauma reduziert und einer Anastomoseninsuffizienz durch Drucknekrose entgegengewirkt werden (Chung 1987). CDH-Stapler sind mit geradem und gebogenem Schaft, Premium Plus CEEA-Stapler nur mit gebogenem Schaft erhältlich. Die leichte Biegung der Instrumente erleichtert das Einführen z. B. in die Ampulla recti sowie in das Mediastinum bei trans-
155 13.2 · Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
13
. Abb. 13.12a,b. Zirkuläre Stapler: Premium Plus CEEA 34 mm (a), CDH 29 mm (b)
a
b
hiataler distaler Ösophagektomie mit hoher intramediastinaler Ösophagojejunostomie. Zum Einsatz in der laparoskopischen Chirurgie sind die Geräte auch in gasdichter Ausführung erhältlich. Zirkuläre Anastomosen ermöglicht auch der sog. biofragmentierbare Anastomosenring (BAR, Valtrac, Fa. Braun-Dexon, Spangenberg, 7 Kap. 13.1.4). Bei allen zirkulären Klammernahtgeräten müssen Tabaksbeutelnähte angelegt werden, um das Darmlumen dicht an den Amboss bzw. das Gerät adaptieren zu können. Diese können per Hand oder auch mit den verfügbaren Tabaksbeutelnahtklemmen manuell angelegt werden, die ebenfalls verfügbare automatische Tabaksbeutelnahtklemme (Pursestring-Klemme, Fa. AutoSuture), die eine durch kleine Drahtklammern gehaltene Tabaksbeutelnaht automatisch im richtigen Abstand zur Resektionslinie platziert, ist dagegen in Abhängigkeit von der Lokalisation und Gewebebeschaffenheit nicht immer zuverlässig. 13.2.2 Indikationen Die von der Industrie in großer Zahl hergestellten Klammernahtgeräte werden in nahezu allen Bereichen der gastroenterologischen Chirurgie als Alternative zur Handnaht angewendet (. Tab. 13.9).
Ein großer Vorteil dieser Nahttechniken ist, dass sie standardisiert sind, eine gute Durchblutung der Randlefzen gewährleisten und immer von gleicher Zuverlässigkeit sind.
In tierexperimentellen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass bei handgenähten Anastomosen passagere fokale Vaskularisationsänderungen auftreten, die wahrscheinlich auf einen unterschiedlich dosierten Knotendruck zurückzuführen sind (Hölscher u. Siewert 1992). Dieses wird jedoch bei Klammernähten durch eine immer gleich dosierte Kompression verhindert. Somit sind Klammernähte unabhängig von dem Ausbildungsstand und der Tagesform des Chirurgen. Grundsätzlich sind automatische Nähapparate dort besonders sinnvoll einsetzbar, wo sie durch ohnehin im Ablauf der Operation entstandene oder von der Natur vorgegebene Öffnungen eingeführt werden können.
Die Deckung der Klammernahtreihen mit seromuskulären Einzelknopfnähten ist nicht notwendig. In der laparoskopischen Chirurgie ermöglichen die hierfür entwickelten Geräte fast alle auch in der offenen Chirurgie möglichen Operationsverfahren. Neben einer zeitsparenden und sicheren Rekonstruktion führt der Staplereinsatz auch zu einer Verbesserung der Lebensqualität, so kann z. B. die Rate kontinenzerhaltender Operationen in der Rektumchirurgie in schwierigen anatomischen Situationen (enges Becken beim Mann) erhöht werden. Durch einen sicheren Verschluss bzw. eine saubere und rasche Durchtrennung keimbesiedelter Hohlorgane wird die Kontamination des Operationsfeldes deutlich vermindert. Weiterhin führt die Klammernahttechnik zu einer geringeren Traumatisierung der Anastomose, wobei die Metallclips eine maximale Dichtigkeit ohne Gewebsischämie ermöglichen.
Den größten Fortschritt ermöglichen Klammergeräte in der laparoskopischen Chirurgie, die ohne diese Geräte in vielen Bereichen nicht denkbar wäre.
. Tabelle 13.9. Anerkannte Indikationen zur Anwendung von Klammernahtgeräten in der gastrointestinalen Chirurgie
Organgebiet
Anwendung
Ösophagus
Abtragung Zenker-Divertikel Schlauchmagenbildung Intrathorakale Ösophagogastrostomie
Dünndarm
Abtragung Meckel-Divertikel
Magen
Verschluss des Magenstumpfes Verschluss des Duodenalstumpfes Ösophagojejunostomie intraabdominal und intramediastinal Bildung eines Jejunumpouches
Kolon/Rektum
Tiefe kolorektale, koloanale und ileoanale Anastomosen zum Teil in »Double-staplingTechnik« Ileum- und ggf. Kolonpouchbildung
156
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
13.2.3 Anwendungsmöglichkeiten Ösophaguschirurgie Lineare Klammernahtgeräte sind besonders zum Blindverschluss bei Abtragung von Ösophagusdivertikeln geeignet, alternativ kann auch in geeigneten Fällen eine transorale Schwellenspaltung beim Zenker-Divertikel mit dem linearen Cutter erfolgen (Omote et al. 1999). Bei der transthorakaler Ösophagektomie kann der Ösophagus problemlos in der Pleurakuppel mit einem linearen Klammernahtgerät verschlossen und abgesetzt werden, um einer Keimverschleppung vorzubeugen. Die Magenschlauchbildung zur Passagerekonstruktion erfolgt mit linearen Staplern oder Cuttern. Klare Indikationen für zirkuläre Klammernahtgeräte sind die ösophagogastrale Anastomose nach subtotaler Ösophagektomie, wenn sie im Thorax angelegt wird, sowie die hohe intramediastinale Ösophagojejunostomie. Hier kommen überwiegend Gerätekopfgrößen von 25 oder 28 mm zur Anwendung. Der Einsatz der Zirkulärstapler erlaubt eine wesentlich höhere intramediastinale Anlage der Anastomose als bei Handnaht und vermeidet die Thorakotomie. Der blinde Schenkel der Ösophagojejunostomie kann problemlos mit einem linearen Stapler verschlossen werden.
13
Magenchirurgie Klare Indikationen sind der Verschluss des Duodenalstumpfes sowie die Transsektion und der Verschluss des proximalen Magenstumpfes mit linearen Klammernahtgeräten. Lineare Cutter werden bevorzugt zur Bildung eines Jejunumpouches (Magazingröße 90–100 mm) nach totaler Gastrektomie sowie zur Anlage von Gastroenterostomien verwendet. Auch die Anlage einer Braun-Fußpunktanastomose nach Magenresektion ist hiermit möglich. Zirkuläre Klammernahtgeräte dienen zur Anlage der Ösophagojejunostomie (7 oben), aber auch die Erstellung einer Gastroduodenostomie (Billroth I) ist hiermit möglich. In der laparoskopischen Chirurgie eignen sich lineare Cutter zur Magenwedgeresektion bei Stromatumoren oder beim Magenfrühkarzinom vom Mukosatyp (Böttcher et al. 1998; Katai et al. 1997; Ohgami et al. 1999). Auch die Anlage einer palliativen Gastroenterostomie bei einer Magenausgangsstenose ist eine gute Indikation. Dünndarmchirurgie Klare Indikationen zum Einsatz von Klammernahtgeräten in der Dünndarmchirurgie sind selten. Die Abtragung eines MeckelDivertikels mit einem linearen Klammernahtgerät ist eine häufige Indikation, dagegen sind Seit-zu-Seit-Anastomosen zwischen zwei Dünndarmschlingen mit dem linearen Cutter sowie Seit-zu-End-Anastomosen im Sinne einer Roux-Y-Ableitung mit zirkulären Klammernahtgeräten seltene Indikationen. Kolorektale Chirurgie Klare Indikation in der kolorektalen Chirurgie ist die Anlage einer kolorektalen Anastomose bei der anterioren Resektion mit zirkulären Klammernahtgeräten; hier sollten die Geräte mit dem größten Durchmesser (Premium Plus CEEA 34, CDH 33) bevorzugt werden. Je nach Länge des Rektumstumpfes kann dieser dabei mit einem linearen Stapler verschlossen werden und die Anastomosierung transanal mit dem zirkulären Stapler erfolgen
(sog. »Double-stapling-Technik«). Manchmal bietet sich auch eine kolorektale Anastomosierung in Seit-zu-End-Technik von abdominal an. Nach Einknoten des Kopfes eines zirkulären Staplers in den mit einer Tabaksbeutelnaht versehenen Rektumstumpf erfolgt die kolorektale Anastomose in Seit-zu-End-Technik von abdominal her. Der resultierende blinde Schenkel wird wiederum mit einem linearen Stapler verschlossen. Weitere Indikationen für zirkuläre Klammernahtgeräte sind die Wiederherstellungsoperationen nach Hartmann-Operation, für lineare Klammernahtgeräte der Verschluss des Rektumstumpfes bei anteriorer Resektion oder Hartmann-Operation. Die intrapelvine Pouchbildung bei ileorektalen oder ileoanalen Anastomosen geschieht am vorteilhaftesten durch 90 oder 100 mm lange lineare Cutter, die hier am besten zweimal zum Einsatz kommen. Auch die Anlage eines Kolonpouches, dessen Länge nicht mehr als 5 cm betragen sollte, ist mit linearen Cuttern leicht möglich. Zur Anlage der pouchrektalen bzw. pouchanalen Anastomosen empfiehlt sich ein zirkuläres Klammernahtgerät. Wahrscheinlich führt nach Pouchbildung eine bessere Mikrozirkulation im Bereich des Pouchapex sowie nach Seit-zuEnd-Anastomosen zu einer geringeren Rate an Anastomoseninsuffizienzen (Haalböök et al. 1996). 13.2.4 Probleme und Empfehlungen Prinzipiell sind bei wiederverwendbaren Geräten Fehler durch eine falsche Montage des Klammernahtgerätes sowie des Magazines möglich. Bei Anwendung des linearen Cutters ist darauf zu achten, das Skalpell vollständig durchzuziehen, um eine inkomplette Durchtrennung des Gewebes zu vermeiden. Auch empfiehlt es sich hier, die Seit-zu-Seit-Anastomose möglichst antimesenterial anzulegen, um Blutungen zu vermeiden. Tritt eine Blutung auf, muss eine Durchstechungsligatur vorgenommen werden; auf eine Kauterisierung ist zu verzichten, um thermische Schäden zu vermeiden. Bei der Anlage einer Ösophagojejunostomie muss darauf geachtet werden, dass der Ösophagus nicht durch zu starke Dilatation einreißt. Bei engen Lumina sollte der Ösophagus nach i.v.-Injektion von Glukagon digital oder mittels einer Kornzange dilatiert werden.
Nach Verwendung eines zirkulären Staplers empfiehlt es sich, die ausgestanzten Ringe auf Vollständigkeit zu überprüfen.
Diese schließt jedoch Insuffizienzen nicht vollständig aus. Bei tiefen Rektumanastomosen empfiehlt sich daher die Dichtigkeitsprüfung mit Methylenblaulösung oder Luftinsufflation, bei Flüssigkeits- oder Gasaustritt erfolgt die Übernähung ggf. mit einer Anus-praeter-Anlage, in seltenen Fällen muss die Anastomose auch neu angelegt werden. Als Nachteile der Stapleranwendung besonders am Rektum werden neben den hohen Kosten vor allem der Verbleib der Titanklammern genannt, der zum einen über eine erhöhte Induktion von Kollagenbildung im Nahtbereich Stenosen bedingen, zum anderen zu einer CT-Beeinflussung führen kann (Dziki et al. 1993). Dagegen gibt es keine gesicherten Hinweise aus klinischen Studien, die zeigen, dass Metall als Nahtmaterial eine höhere Kanzerogenität besitzt als Fadenmaterial (Hölscher u. Siewert 1992).
157 13.2 · Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
13.2.5 Kostenanalyse Aufgrund knapper werdender Ressourcen und des zunehmenden ökonomischen Drucks muss der Einsatz von Klammernahtgeräten nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Effektivität, sondern auch ihrer Effizienz (Kosten-Nutzen-Analyse) beurteilt werden (Izbicki et al. 1998). Neben operationstechnischen Überlegungen ist die Zeitersparnis ein immer wieder genannter Vorteil von Stapleranastomosen. Habu et al. (1989) konnten an einem großen Patientengut eine statistisch signifikante Zeitersparnis von 18 min bei der Staplerösophagojejunostomie (n=94) gegenüber der Handnaht (n=145) erzielen. Bei kolorektalen Anastomosen betrug der Zeitgewinn beim Staplereinsatz 17 min (Everett et al. 1986). Dieser Zeitgewinn wird jedoch mit hohen Kosten erkauft. So betragen die reinen Materialkosten z. B. für die Rekonstruktion nach Gastrektomie in Staplertechnik 640,– € (Handnaht: 180,– €), nach Rektumresektion 460,– € (Handnaht: 73,– €). Selbst unter zusätzlicher Berücksichtigung von Operationszeiten und Personalkosten ergibt sich bei Klammernahtanastomosen ein finanzieller Mehraufwand von etwa 30% (Izbicki et al. 1998).
Klammernahtgeräte sollten deshalb am Gastrointestinaltrakt nur dort zum Einsatz kommen, wo sie besondere Vorteile bieten (. Tab. 13.9).
Allerdings erscheint im klinischen Alltag das Argument der Zeitersparnis relevanter als aus den vorliegenden Studien hervorgeht. So wird z. B. nach langen und schwierigen Resektionen in der onkologischen Chirurgie die Belastung des Operateurs durch zeitsparende Rekonstruktionsmöglichkeiten erheblich reduziert.
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13
Katai H, Sasako M, Sano T, Maruyama K (1997) Wedge resection of the stomach for gastric leiomyosarcoma. Br J Surg 84:560–561 McGuire J, Wright IC, Leverment JN (1997) Surgical staplers: a review. J R Coll Surg 42:1–9 Ohgami M, Otani Y, Kumai K, Kubota T, Kim Y-I, Kitajima M (1999) Curative laparoscopic surgery for early gastric cancer: five years experience. World J Surg 23:187–192 Omote K, Feussner H, Stein HJ, Ungeheuer A, Siewert JR (1999) Endoscopic stapling divertculostomy for Zenker´s diverticulum. Surg Endoscopy 13:535–538
14 14
Drainage der Bauchhöhle P. Bertram, K.-H. Treutner
14.1
Allgemeine Prinzipien der intraabdominellen Drainage – 160
14.2
Drainagesysteme und physikalische Prinzipien – 160
14.3
Material und Struktur von Drainagen – 161
14.4
Drainagetypen
14.5
Prophylaktische Drainage: Indikationen – 162
14.5.1 14.5.2 14.5.3 14.5.4 14.5.5 14.5.6 14.5.7
Ösophaguschirurgie – 162 Magen- und Dünndarmchirurgie Kolorektale Chirurgie – 162 Hepatobiliäre Chirurgie – 163 Milzchirurgie – 163 Pankreaschirurgie – 163 Septische Chirurgie – 163
14.6
Therapeutische Drainage – 163 Literatur – 163
– 161
– 162
160
Kapitel 14 · Drainage der Bauchhöhle
) ) Der Einsatz von abdominellen Drainagen ist wie kaum ein anderes Thema weiterhin durch Subjektivismen und fehlende, klinisch verwertbare Studien gekennzeichnet. Die prophylaktische und routinemäßige Drainage der Bauchhöhle in elektiven Situationen kann nicht mehr generell empfohlen werden. Die therapeutische Drainage ist grundsätzlich zur Entlastung von pathologischen Flüssigkeitsverhalten indiziert. Die synthetischen Kunststoffe Polyurethan und Silikon haben die auf Naturprodukten basierenden Materialien nunmehr vollständig abgelöst. Drainagen werden unter den physikalischen Prinzipien Schwerkraft, Kapillarwirkung und Sog eingesetzt. Unterschieden wird zwischen offenen, halboffenen oder geschlossenen Drainagesystemen.
14.1
Allgemeine Prinzipien der intraabdominellen Drainage
Ziel der abdominellen Drainage ist die Ableitung von infektiösen oder potenziell infektiösen Flüssigkeitsansammlungen in der Bauchhöhle. Grundsätzlich werden 2 differente Indikationen zur intraabdominellen Drainage unterschieden: die prophylaktische und die therapeutische Drainage. 4 Die prophylaktische Drainage wird während der Operation oder unmittelbar vor Verschluss der Bauchhöhle vorgenommen, um die im Anschluss an die Operation zu erwartenden Flüssigkeits- oder Sekretansammlungen abzuleiten. 4 Die therapeutische Drainage wird eingesetzt, um entstandene Flüssigkeits- oder Sekretverhalte zu entlasten und unterliegt in vielen Fällen der Notfallindikation.
14
Aufgrund drainagebedingter Komplikationen, wie sie vor allem im Tierexperiment nachweisbar sind, wird der Sinn der prophylaktischen und routinemäßigen abdominellen Drainage vor allem in Elektivsituationen zunehmend in Frage gestellt. Zu den Komplikationen gehören Drucknekrosen am Darm, Gefäßarrosionen mit Blutungen, aszendierende Infektionen entlang der Drainage, Hernien an den Drainageaustrittsstellen, Schmerzen, Darmstrangulationen, Drainageretraktion oder Verbleiben von Drainageanteilen in situ (Ernst et al. 1993; Raves 1984). Für viele Chirurgen hat die prophylaktische Drainage eine Indikatorfunktion als »Blutungsdrainage« für 48 h oder »Insuffizienzdrainage« für 7 Tage. Bei Okklusion können sie jedoch falsche Sicherheit vortäuschen. Unter beiden Indikationen kann die Drainage häufig nicht die Relaparotomie umgehen. Sinnvoll kann die Drainage aber durchaus kurz- oder auch mittelfristig zur Ableitung da eingesetzt werden, wo erfahrungsgemäß Flüssigkeits- oder Sekretverhalte im Verlauf zu erwarten sind. Insbesondere bei Anastomosenlokalisationen mit hohen Leckageraten, bei entzündlichen Prozessen oder größeren Ablöseflächen vermag die prophylaktische Drainage eine nachträgliche und potenziell risikobelastete interventionelle Entlastung zu umgehen. Cave Weder die prophylaktische noch die therapeutische Drainage sind, auch bei Einlage multipler Drainagen, in der Lage, den gesamten Abdominalraum suffizient zu drainieren.
. Abb. 14.1a–f. Prädilektionsstellen der Flüssigkeitsansammlungen in der Peritonealhöhle. a, b rechts und links subphrenisch, c subhepatisch, d, e parakolisch rechts und links, f Douglas-Raum
Die Ursache liegt in der Bildung von Abdominalkompartimenten, die einerseits anatomisch vorgegeben sind und andererseits als postoperativer Zustand durch Veränderung der Anatomie oder Verklebungen zusätzlich auftreten können. Die Einlage der prophylaktischen Drainage erfolgt deswegen in das entsprechende Operationsgebiet oder in die anatomisch vorgegebenen Prädilektionsstellen einer Flüssigkeitsansammlung (. Abb. 14.1). Bei der Zieldrainage einer Anastomose muss ein Kontakt jedoch vermieden werden, um die Wundheilung nicht zu kompromittieren. Eine dauerhafte Sekretableitung mittels Drainagesystemen ist nicht zuverlässig gewährleistet. Durch Koagelbildung oder Fibrinausschwitzungen kann es zu einer Verlegung der Drainage oder dem abhängigen Schlauchsystem kommen. Die Anlage einer abdominellen Drainage erfolgt wenn immer möglich von innen nach außen durch eine gesonderte Inzision. Zur Vermeidung von Dislokationen oder Retraktionen werden Drainagen immer mittels nichtresorbierbarer Naht an der Haut fixiert. 14.2
Drainagesysteme und physikalische Prinzipien
Grundsätzlich werden 3 verschiedene Drainagesysteme unterschieden (. Tab. 14.1): 4 Die offene Drainage leitet das Sekret direkt in einen Verband. 4 Das halboffene Drainagesystem fördert Flüssigkeiten in Drainagebeutel, die über der Austrittstelle der Drainage direkt auf die Haut geklebt werden. 4 Geschlossene Drainagesysteme leiten das Sekret unmittelbar in eine Flasche oder einen Beutel.
161 14.4 · Drainagetypen
. Tabelle 14.1. Drainagesysteme und physikalische Prinzipien
. Tabelle 14.2. Drainagematerialien
Drainagesysteme
Physikalisches Prinzip
Modifizierte Naturprodukte
Synthetische Kunststoffe
Offen
Schwerkraft
Kautschuk
Polyvinylchlorid
Halboffen
Kapillarwirkung
Latex
Polyurethan
Geschlossen
Sog (Vakuum)
Weichgummi
Silikon
Nach dem physikalischen Prinzip der Ableitung unterscheidet man Drainagen, die durch Schwerkraft, Kapillarwirkung oder Sog arbeiten. Flexible Rohrsysteme, die am tiefsten Punkt ausgeleitet werden, fördern das Sekret aufgrund des Schwerkraftprinzips. Unterstützend wirken Bauchpresse oder Lungenexkursionen durch eine zusätzliche Kompression des zu drainierenden Areals. Drainagesysteme mit mehreren kleinen Kanälen mit kleinem Querschnitt oder eingelegtem Gewebe mit Dochtwirkung fördern Sekret nach dem Prinzip der Kapillarwirkung. Auf Dauersog oder Vakuum basierende geschlossene Drainagesysteme evakuieren Sekret unabhängig von ihrer Lage entgegen der Schwerkraft. Bei diesem Drainageprinzip muss das eingesetzte Schlauchsystem eine ausreichende Stabilität aufweisen, um nicht zu kollabieren (. Tab. 14.1; Robinson 1986). 14.3
Material und Struktur von Drainagen
Als Drainagematerial werden heutzutage entweder modifizierte Naturstoffe aus Rohkautschuk oder durch Polymerisation (Polyvinylchlorid), Polyadduktion (Polyurethan) und Polykondensation (Silikon) hergestellte, synthetische Kunststoffe eingesetzt. Rohkautschuk wird nach Vulkanisierung durch Zusatz von Antioxidanzien, Schwefel und Stabilisatoren in Latex- oder Weichgummiprodukte überführt. Bei der Verwendung von Polyvinylchlorid (PVC) wird durch Veränderungen des Polymerisationsverfahrens, Zugabe von Weichmachern und Gleitmitteln die gewünschte flexible und elastische Drainageeigenschaft erreicht. Insbesondere bei längerer Liegedauer können jedoch diese Verbindungen aus den Drainagen herausgelöst werden und in den Körper gelangen. Das eingesetzte Material wird spröde. Wegen unzureichender Biokompatibilität (Feisetzung von Weichmachern) sind diese Materialien nicht mehr einzusetzen. Polyurethane (PUR) entstehen durch Polyaddition niedermolekularer Monomere zu einem makromolekularen Hochpolymer. Chemische Modifikationen ermöglichen die Herstellung verschiedenartiger Materialeigenschaften. Silikone (Organosiloxane) werden durch Polykondensation aus Ketten von Siliziumund Sauerstoffatomen mit Besetzung der freien Valenzen durch Kohlenwasserstoffe gebildet. Durch die Zugabe von Füllstoffen wie Kieselsäure entsteht der weiche Silikonkautschuk (Dimethylpolysiloxan) (. Tab. 14.2; Schumpelick et al. 1993).
Form und materielle Struktur der Drainage sollten idealer Weise dem intraabdominellen Einsatzort sowie der zu erwartenden Liegedauer und der zu erfüllenden Funktion entsprechen.
14
So ermöglichen Drainagetypen mit einer singulären Öffnung die Evakuation von Sekreten in einer gezielten Lokalisation, während Drainagen mit multiplen Öffnungen prinzipiell über die gesamte Länge ihrer Strecke Flüssigkeiten aufnehmen können. Drainagen mit kleinen Kanälen mit kleinem Querschnitt unterliegen hingegen der Gefahr der Obstruktion durch Koagel oder nekrotisches Gewebe. Saugdrainagen benötigen eine ausreichende Materialfestigkeit. Bei großlumigen Saugdrainagen mit singulärer Öffnung besteht die Gefahr, dass Gewebe den Kanal verlegt und durch den Sog oder bei Retraktion der Drainage geschädigt wird. Ist eine längere Verweildauer vorgesehen, werden zweckmäßigerweise Drainagetypen aus weichen und flexiblen Materialien gewählt. Komplikationen. Zu berücksichtigen ist, dass jede Drainage als Fremdkörper wirkt, auch wenn die derzeit eingesetzten Materialien über weite Strecken als sehr gut kompatibel gelten müssen. Zumindest Beeinträchtigungen der lokalen körpereigenen Immunabwehr in Form von Bakterientranslokation oder Behinderung der peritonealen Phagozytosefähigkeit gelten als erwiesen. Zudem gibt es starke Indizien für Anastomosenheilungsstörungen durch unmittelbar an der Anastomose platzierte Drainagen. Jederzeit zu berücksichtigen ist das potenzielle Risiko einer aszendierenden Infektion sowie der Gewebearrosion bei längeren Liegezeiten oder der Gewebeschädigung bei Retraktion. Hernierungen im Drainagekanal sind ebenso möglich wie Strangulationen um die Drainage. Außerdem wird die Bildung von Adhäsionen durch Drainagen induziert (Ernst et al. 1997; Guo et al. 1993a, b; Mora et al. 1991). Während der Dauer ihrer Anwendung sind Drainagen der permanenten Wechselwirkung biochemischer Reaktionen ausgesetzt, die sich durch körpereigene enzymatische Reaktionen oder bakterielle Besiedlungen ergeben. Neben den durch Form und Struktur verursachten Problemen, muss deshalb zunehmend auch die lokale und vor allem systemische Schädigung des Organismus durch Freisetzung atomarer und molekularer Bestandteile, von Stabilisatoren und Weichmachern, Berücksichtigung finden. Diesen Umstand gilt es zuallererst bei der Anwendung in der Kinderchirurgie zu bedenken. Die Forderungen an die im Einzelfall zu wählende Drainage richten sich maßgeblich nach Ort, Dauer und Funktion der zu erfüllenden Aufgabe. Grundsätzlich ist jedoch klar, dass es nicht eine Drainage für alle Anwendungen gibt (Treutner et al. 2003).
14.4
Drainagetypen
Der am häufigsten eingesetzte Drainagetyp bei problematischen intestinalen Anastomosen oder nach Hohlorganperforationen mit lokaler Peritonitis ist der Drainagetyp »easy flow« mit kapil-
162
Kapitel 14 · Drainage der Bauchhöhle
. Abb. 14.2. Drainagetypen zur intraabdominellen Drainage. a Easy-flow-Drainage, b Aachener-Drainage, c Robinson-Drainage, d Latexrohrdrainage a
b
c
d
lärem Förderprinzip. Als Schwerkraftdrainagen werden die Robinson-Drainage oder – insbesondere bei notwendigen Dauerspülbehandlungen wie der infizierten Pankreasnekrose – großlumige Latexrohrdrainagen als Abflusssysteme eingesetzt. Zur Drainage von flächigen Arealen oder bei Verwendung von Sog kommt die »Jackson-Pratt« oder »Aachener-Drainage« zum Einsatz (. Abb. 14.2).
14.5
darmresektionen nicht die Notwendigkeit einer routinemäßigen Drainage besteht. Ist nach Dünndarmnaht eine Drainage zu platzieren, so muss in jedem Fall der Douglas-Raum mit erfasst werden, da eine sichere Zuordnung der Drainage zur Nahtstelle nach Einsetzen der Peristaltik nicht gewährleistet ist. Nach Gastrektomie liegt die Insuffizienzrate an der Ösophagojejunalen Anastomose zwischen 3% und 58,9% (Ichikawa et al. 2004; Ikeguchi et al. 2001). Insbesondere die Nähe zum Mediastinum rechtfertigt in diesem Fall die Drainage.
Prophylaktische Drainage: Indikationen 14.5.3 Kolorektale Chirurgie
14
Bereits 1984 kam Lennox zu dem Schluss, dass prinzipiell auf die routinemäßige prophylaktische Drainage in der Elektivchirurgie verzichtet werden kann, auch wenn sie dem Bedürfnis des Chirurgen nach mehr Sicherheit oft widerspricht (Lennox 1984). Diese elektiven Situationen sollen im Einzelnen besprochen werden. 14.5.1 Ösophaguschirurgie Nach Ösophagusresektionen mit intrathorakaler Anastomosierung ist eine Anastomoseninsuffizienz aufgrund der entstehenden Mediastinitis mit fatalen Konsequenzen behaftet. Die prophylaktische Drainage ist hier obligat. Bei der kollaren Anastomose nach Magentransposition ist die Anastomoseninsuffizienz durch Ausbildung einer Speichelfistel mit hoher Selbstheilungstendenz gekennzeichnet. Nach eigenen Erfahrungen wird auf die Anlage einer Drainage verzichtet. 14.5.2 Magen- und Dünndarmchirurgie Anastomosen am Magen und Dünndarm sind insbesondere durch ihren Serosaüberzug und die Entwicklung modernen Anastomosentechniken und Klammernahtinstrumente vergleichsweise geringgradig insuffizienzgefährdet. Dies bedingt, dass insbesondere nach unkomplizierten Magen- und Dünn-
Insbesondere für die Kolon- und Rektumchirurgie mit einer Insuffizienzrate von bis zu 9,8% besteht eine heftige Kontroverse über den Nutzen der routinemäßigen Drainage. So belegen zahlreiche Klinische Studien aus den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, dass die negativen Effekte der Drainage die positiven überwiegen. Eine Studie bei 48 Patienten ohne Drainage versus 52 Patienten mit Saugdrainage nach Rektumresektion erbrachte den Nachweis größerer Sekretverhalte bei einliegender Drainage. Das Vorliegen einer Anastomoseninsuffizienz konnte auch bei liegender Drainage nicht diagnostiziert werden (Sagar et al. 1995). Vergleichbare Ergebnisse ergab eine Analyse von 148 Patienten ebenfalls nach Kolonresektionen (Sagar 1993). Eine randomisierte Studie an 156 Patienten mit Drainage und 161 Patienten ohne Drainage nach Kolonanastomosen kranial der Beckeneingangsebene ergab weder eine Senkung der Insuffizienzrate noch der Komplikationen bei Auftreten einer Leckage bei einliegender Drainage (Merad et al. 1998). Die Auswertung einer multizentrischen Studie an 494 Patienten mit analer oder rektaler Anastomose ergab, dass auch durch eine prophylaktische Saugdrainage (n=247) die Rate und Schwere postoperativer Komplikationen gegenüber der Kontrollgruppe ohne Drainage (n=245) nicht gesenkt werden konnte (Merad et al. 1999). Eine Metaanalyse von 4 kontrollierten und randomisierten Studien (n=414) konnte ebenfalls keinen positiven Effekt der Routinedrainage bei kolorektalen Eingriffen erkennen (Urbach et al. 1999). Scott et al. konnten in einer retrospektiven Analyse von 165 Patienten mit Kolonanastomosen im
163 Literatur
kleinen Becken nach Tumorresektion zwar keine erhöhte Insuffizienzrate mit Jackson-Pratt-Drainagen nachweisen, jedoch war die Drainage auch nicht hilfreich bei der Diagnostik einer Anastomoseninsuffizienz (Scott et al. 1996). Andere Untersuchungen kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass die prophylaktische Drainage zur Ableitung des sero-sanguilenten Sekretes bei diesen Eingriffen erforderlich, aber nur während der ersten 7 Tage effektiv ist (Allen-Mersh et al. 1989). Eine andere Studie an 59 Patienten mit infraperitonealer rektaler Anastomose ergab im Hinblick auf die Morbidität keinen signifikanten Unterschied mit oder ohne Drainage (Brown et al. 2001). In einer Studie an 44 Patienten mit Anastomoseninsuffizienz erbrachte die multivariate Analyse keinen Hinweis auf die Drainage als Risikofaktor (Makela et al. 2003). 14.5.4 Hepatobiliäre Chirurgie Die kontrovers diskutierte Frage der Drainage nach Cholezystektomie ist durch die Laparoskopie endgültig in Richtung Drainageverzicht entschieden. Lediglich nach Choledochusrevisionen oder nach Einlage einer T-Drainage vermag eine Zieldrainage gelegentliche kleinere Leckagen abzuleiten. Nach biliodigestiver Anastomose wird eine Drainage für 48 h empfohlen (Ihse et al. 1996). In der Leberchirurgie wird die prophylaktische Drainage kontrovers diskutiert. Einige Autoren sehen auch nach ausgedehnten Resektionen keine Indikation zur Drainage (Burt et al. 2002; Fong et al. 1996). In einer anderen Studie an 1803 Patienten wurde auch nach ausgedehnten Leberesektionen nur nach biliärer Rekonstruktion drainiert (Jarnagin et al. 2002). Andere Autoren stellen insbesondere nach Resektionen bei chronischen entzündlichen Lebererkrankungen eine Indikation zu Drainage (Fuster et al. 2004), während diese von anderen unter derselben Indikation abgelehnt wird (Liu et al. 2004). 14.5.5 Milzchirurgie Nach elektiver Splenektomie erübrigt sich eine prophylaktische Drainage. Andere Autoren führen jedoch nach laparoskopischem Vorgehen wegen Splenomegalie die routinemäßige Drainage durch (Smith et al. 2004). 14.5.6 Pankreaschirurgie Nach Pankreasresektionen wird die routinemäßige prophylaktische Drainage von den meisten Autoren durchgeführt (Adam et al. 2004; Fahy et al. 2002; Takano et al. 2000). Andere Autoren sehen jedoch auch nach Duodenopankreatektomie und Pankreasschwanzresektionen keinen Vorteil der routinemäßigen Drainage in Bezug auf Morbidität und Mortalität (Conlon et al. 2001). 14.5.7 Septische Chirurgie Im Falle einer diffusen Peritonitis kommt das Verfahren der programmierten Lavage stadienabhängig zur Anwendung, da bedingt durch Verklebungen und Fibrinausschwitzungen eine
14
suffiziente Ableitung aller Sekrete in der Abdominalhöhle durch eine Drainage alleine nicht erfolgreich ist. Diese muss mit einem Laparostoma als offene Drainage, das temporär mittels eines Polyglactinnetzes verschlossen wird, kombiniert werden. 14.6
Therapeutische Drainage
Die therapeutische Drainage zur Entlastung von Hämatomen, Abszessen, Seromen und Sekretverhalten wird, wenn immer möglich, zunehmend perkutan sonographisch oder aber auch radiologisch interventionell durchgeführt. Diese Vorgehensweise gilt als Verfahren der Wahl bei Patienten mit lokalisierten Abszessen ohne Zeichen der generalisierten Peritonitis nicht nur nach kolorektalen Eingriffen (Khurrum et al. 2002). Sind Flüssigkeits oder Sekretverhalte einer perkutanen Drainage nicht zugänglich oder besteht eine diffuse Peritonitis, so ist die offene chirurgische Drainage indiziert.
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164
14
Kapitel 14 · Drainage der Bauchhöhle
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15 15
Allgemeine Transplantationsmedizin R. Pfitzmann, P. Neuhaus
15.1
Geschichte – 166
15.2
Grundbegriffe – 166
15.3
Indikationen und Kontraindikationen zur Transplantation – 166
15.4
Organspende, -konservierung und Spenderoperation – 167
15.4.1 15.4.2
Organspende – 167 Organspendeoperation, Organkonservierung
15.5
Immunologie – 168
15.6
Spender-Empfänger-Matching
15.7
Immunsuppressive Therapie Literatur – 171
– 169 – 169
– 168
166
Kapitel 15 · Allgemeine Transplantationsmedizin
) ) Bei irreversiblem Funktionsverlust eines Organs, der durch medikamentöse und intensivmedizinische Maßnahmen nicht mehr zu therapieren ist, stellt die Transplantation die effizienteste und damit erfolgreichste Behandlungsmethode dar. Aufgrund der zunehmenden Fortschritte sowie der verbesserten Ergebnisse in den letzten 20 Jahren hat sich die Organtransplantation zu einer etablierten chirurgischen Therapie entwickelt. Nachdem heute die Organtransplantation zu einem standardisierten Routineverfahren gehört, stehen nicht mehr die chirurgischen Techniken, sondern die Weiterentwicklung immunsuppressiver Medikamente und die Organprotektion im Vordergrund. Zentrales Problem ist die limitierte Verfügbarkeit von Spenderorganen bei steigenden Patientenzahlen, der nur eingeschränkt durch Lebensspende (Leber, Niere) entgegengewirkt werden kann.
15.1
15
Geschichte
Organe oder Organteile von einem Individuum auf ein anderes zu übertragen um damit zu heilen, ist seit jeher die Idee der Menschheit. Erste Aufzeichnungen können bis ca. 500 v. Chr. zurückdatiert werden; wissenschaftlich belegte Organtransplantationen hingegen finden sich erst im 18. und 19. Jahrhundert. Ein entscheidender Schritt bzw. Meilenstein in der Organtransplantation gelang A. Carell im Jahre 1908 mit der Verbesserung der Gefäßnaht. Somit war das Haupthindernis aus chirurgisch-technischer Sicht beseitigt. In den folgenden Jahren konnten dann durch grundlegende tierexperimentelle Ergebnisse über die Organperfusion und -konservierung mittels Hypothermie erste erfolgreiche Organtransplantationen durchgeführt werden. 1936 erfolgte dann durch den ukrainischen Chirurgen Y. Voronoy in Kiew die erste klinische humane Nierentransplantation, diese scheiterte jedoch, da die Niere ihre Funktion nicht aufnahm. Anfang der 50er-Jahre, als durch weitere tierexperimentelle Untersuchungen die immunologisch bedingte Transplantatabstoßung und weniger die chirurgische Technik als entscheidendes Kriterium für den Erfolg einer Organtransplantation evident wurde, verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt auf die immunologische Problematik bzw. die immunologischen
. Tabelle 15.1. Erste erfolgreiche klinische Organtransplantationen
Erste Transplantation
Organ
Operateur
1954
Niere
Murray/Merrill
1963
Leber
Starzl
1963
Lunge
Hardy
1967
Herz
Barnard
1967
Pankreas
Kelly
1985
Dünndarm
Deltz
1988
Kombination Leber/ Dünndarm
Grant
Mechanismen. 1954 gelang die erste erfolgreiche Nierentransplantation beim Menschen durch J. Murray und J. Merrill bei Zwillingen. Danach nahm die Transplantationsmedizin einen rasanten Verlauf (. Tab. 15.1). Seither wurden weltweit über eine 3/4 Million Organtransplantationen durchgeführt und sie gehören heutzutage zur klinischen Routine. 15.2
Grundbegriffe
Grundsätzlich wird zwischen der Transplantation solider Organe (z. B. Niere, Leber, Herz) und Gewebetransplantationen (z. B. Hornhaut, Knochenmark, Inselzellen) unterschieden. Eine Sonderstellung nimmt die Knochenmarktransplantation (zelluläre Transplantation) ein, bei der nach weitgehender Zerstörung des Immunsystems des Empfängers (Radio-Chemotherapie) Spenderstammzellen übertragen werden und so das Immunsystem des Empfängers neu konstituiert wird. Transplantationen können auch nach genetischen, anatomischen sowie funktionellen Gesichtspunkten unterteilt werden. Immunologische Klassifikation. Die Transplantation eines Ge-
webes oder eines Organs bei demselben Individuum wird als autologe Transplantation bezeichnet. Sie wird am häufigsten in der plastisch-rekonstruktiven sowie Knochenchirurgie (Knorpel, Sehnen, Beckenkammspan etc.) angewandt. Die Transplantation zwischen genetisch identischen Empfängern (eineiigen Zwillingen) wird als isogen bezeichnet. Sie kommt klinisch nur selten zur Anwendung und spielt in der experimentellen Forschung eine wesentliche Rolle. Die Übertragung von Geweben bzw. Organen zwischen genetisch verschiedenen Individuen der gleichen Spezies wird als allogene (homologe) Transplantation bezeichnet und klinisch am häufigsten angewandt. Die Transplantation zwischen verschiedenen Spezies hingegen wird als xenogen (Xenotransplantation) bezeichnet. Anatomische Klassifikation. Die Transplantation des Spender-
organs an die gleiche Stelle wie das erkrankte Organ wird als orthotop (z. B. Herz, Lunge, Leber) bezeichnet, die Transplantation eines Organs in eine andere Körperregion als heterotop (z. B. Niere, Pankreas). Funktionelle Klassifikation. Die orthotope Transplantation stellt eine substitutive Transplantation dar, d. h. das Transplantat muss vollständig die Funktion übernehmen. Die Belassung des erkrankten und zusätzliche Transplantation eines funktionierenden Organs zur Funktionsunterstützung bezeichnet man als auxiliäre Transplantation (z. B. Herz, Leber).
15.3
Indikationen und Kontraindikationen zur Transplantation
Indikation zur Transplantation ist der vollständige und irreversible Funktionsverlust eines Organs oder Gewebes. Hierbei werden für die einzelnen Organe bzw. Organsysteme unterschiedliche Kriterien für die Indikationsstellung gewichtet. Eine Sonderstellung nimmt wiederum die Knochenmarktransplantation ein, bei der die Transplantation aufgrund der weitgehenden Zerstörung des Empfängerknochenmarks bei der Behandlung von Leukämien etc. durchgeführt wird.
167 15.4 · Organspende, -konservierung und Spenderoperation
Kontraindikationen zur Transplantation des Empfängers sind grundsätzlich eine HIV-Infektion bzw. -Erkrankung und Malignome, beim Spender eine HIV-, Hepatitis-B-/-C-Infektion und Malignome. Relative Kontraindikationen zur Transplantation sind schwerwiegende Nebenerkrankungen des Empfängers (Diabetes, Arteriosklerose, etc.). 15.4
Organspende, -konservierung und Spenderoperation
Grundlegende Voraussetzung für die Transplantation ist die Organspende und die Organkonservierung. Hierbei sind prinzipiell Patienten von 0–70 Jahren potenzielle Organspender, in Ausnahmefällen auch ältere Patienten (biologisches Alter entscheidend!). Überwiegend werden in Deutschland Empfänger mit einem Alter zwischen 0 und 65 Jahren, je nach Organ, in Ausnahmefällen auch älter, akzeptiert. 15.4.1 Organspende Bei den Organspendern handelt es sich um zerebral schwerstgeschädigte Patienten (Hirntote), die generell auf Intensivstationen behandelt werden und bei denen es trotz aller therapeutischen Maßnahmen zu einer progredienten Hirnschädigung mit tödlichem Ausgang gekommen ist. Eine weitere Option, die Lebendorganspende (Niere, Leberlappen) nimmt in Deutschland in den letzten Jahren zu (ca. 10%). Sie erfolgt in der Regel als Organspende durch einen engen Verwandten oder andere Personen, die dem Empfänger in besonderer persönlicher Weise offenkundig nahe stehen. Gerechtfertigt wird die Lebendspende zum einen durch die besseren Langzeitergebnisse nach Organtransplantation (Niere), die schnelle Verfügbarkeit eines Spenderorgans und – in zunehmendem Maße – aufgrund der zu geringen Organspenden durch hirntote Spender. Da durch die Lebendspende potenzielle Risiken für den Spender entstehen, muss er vor der geplanten Spendeoperation sorgfältigst evaluiert werden. Neben der Funktionstüchtigkeit des zu transplantierenden Organs ist auch die Funktionstüchtigkeit des verbleibenden Organs bzw. Organteils abzuklären. Ferner muss der Spender gründlichst über operative Risiken sowie über potenzielle Langzeitfolgen der Organspende aufgeklärt werden. Organentnahme von Verstorbenen Voraussetzung für die Organentnahme ist die Feststellung und Dokumentation des Hirntodes (7 Übersicht). Der Nachweis erfolgt hierbei gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer durch zwei unabhängige und in dieser Diagnostik erfahrene Ärzte, die beide nicht dem Transplantationsteam angehören dürfen (7 Übersicht). Der Hirntod wird definiert als der völlige Funktionsausfall des gesamten Gehirns einschließlich des Stammhirns. Festgestellt wird der Hirntod durch eine zweimalige klinische Untersuchung im Abstand von mindestens 12 h, bei der u. a. der Ausfall der Hirnreflexe sowie ein Apnoetest geprüft werden. Zusätzlich können fakultativ eine zerebrale Angiographie oder ein EEG durchgeführt werden. Die Organspende bzw. -entnahme in Deutschland ist durch das Transplantationsgesetz vom 01.12.1997 mit der erweiterten Zustimmungslösung reglementiert. Für die Entscheidung zu
15
einer Organspende ist hierbei der Wille des Verstorbenen ausschlaggebend. Angehörige (in der Rangfolge: Ehepartner, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern, nächste Angehörige) sollen in seinem Sinne entscheiden. Die Organentnahme ist nach dem Gesetzestext auch erst dann zulässig, wenn der Organspender nach den Regeln, die dem neuesten Stand der Kenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, für hirntot erklärt worden ist und der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird. Klinische Symptome des Hirntodes 5 Koma 5 Ausfall aller Hirnstammreflexe – Keine Lichtreaktion der Pupillen – Kein Kornealreflex – Keine Trigeminusschmerzreaktion – Kein Würgereflex – Kein okulozephaler Reflex (sog. Puppenkopfphänomen: bei Drehbewegungen des Kopfes bleiben die Augen starr und geradeaus stehen) – Kein vestibulookulärer Reflex (kalorische Prüfung: bei Eiswasserspülung des äußeren Gehörganges kommt es zu keiner Augenbewegung) – Kein Bulbovagalreflex (okulokardialer Reflex; bei festem Druck auf die Bulbi kommt es zu keiner Pulsfrequenzabsenkung) 5 Ausfall der Spontanatmung (spezielle Prüfungsvorschriften)
Ablauf der Hirntoddiagnostik 5 Ausschluss von Diagnosehindernissen – Relaxation – Schock – Unterkühlung – Metabolisches oder endokrines Koma – Vergiftung bzw. sedierende Medikamente (toxikologisches Gutachten) 5 Klinische Untersuchung durch zwei Ärzte (beide Ärzte nicht dem Transplantationsteam zugehörig; beide Ärzte müssen in der Hirntoddiagnostik bzw. Intensivmedizin mehrjährige Erfahrung haben) 5 Beobachtungszeit und Wiederholung der klinischen Untersuchung nach wenigstens 12 h in Abhängigkeit vom Alter und der Todesursache des Patienten oder Anwendung technischer Verfahren (Beobachtungszeit entfällt) – EEG – Angiographie – Dopplersonographie – Evozierte elektrische Potenziale – Hirnszintigraphie
Allokation Für die Bundesrepublik Deutschland, Österreich, die Beneluxstaaten und Slowenien wird die Organspende zentral durch Eurotransplant (ET) in Leiden/Niederlande geregelt. Potenzielle Organempfänger und -spender werden hier gemeldet und gemäß den für alle verbindlichen Organvergabekriterien nach Blut-
168
Kapitel 15 · Allgemeine Transplantationsmedizin
gruppe, Körpergröße, Körpergewicht, Wartezeit und speziellen Gewebsmerkmalen (z. B. HLA-Typisierung bei der Niere) ein Spenderorgan zugeteilt. 15.4.2 Organspendeoperation,
Organkonservierung Die Organentnahme erfolgt unter aseptischen Bedingungen, bei den abdominellen Organen durch eine mediane Laparotomie, bei den thorakalen Organen durch eine mediane Sternotomie. Es erfolgt zunächst die makroskopische Beurteilung der Organe (z. B. Herz: Beurteilung der Kontraktilität, Palpation der Koronarien auf eventuelle Verkalkungen; Leber: Farbe, Konsistenz, Grad der Verfettung). Die Organentnahme setzt neben einem operativen Geschick auch die Erfahrung mit Transplantationen voraus, da die Transplantation eines insuffizient entnommenen Organs durch anatomische Besonderheiten oder eine unzureichende Organkonservierung fatale Folgen für den Empfänger hätte (Transplantatversagen). Operationstechnik Nach entsprechender Präparation und Vollheparinisierung wird die Durchblutung der abdominellen Organe durch Abklemmen der Aorta in Zwerchfellhöhe unterbrochen. Eine einheitliche Konservierungslösung für alle Organe hat sich bisher noch nicht durchgesetzt, so dass die Perfusion der abdominellen Organe mit kalter Konservierungslösung separat von der Perfusion der thorakalen Organe erfolgt. Leber, Niere und Pankreas werden hierbei durch retrograde Perfusion der Aorta abdominalis konserviert. Nach entsprechender Organkonservierung erfolgt bei der Mehrorganentnahme zunächst die Entnahme der thorakalen Organe und in den weiteren Schritten die Entnahme von Leber, Pankreas und den Nieren.
15
Organkonservierung Ziel der Organperfusion ist es, das Blut vollständig aus dem Spenderorgan zu entfernen. Die Heparinisierung verhindert Mikrothrombosierungen in der Endstrombahn der Spenderorgane. Gleichzeitig wird das Organ möglichst rasch auf eine Temperatur von 4–8°C heruntergekühlt, um den Energiebedarf und den Sauerstoffverbrauch des Zellstoffwechsels auf ein Minimum zu reduzieren. Neben der zentralen Kühlung durch die Perfusionslösung erfolgt eine zusätzliche Oberflächenkühlung (topisch) mit Eiswasser während der Organperfusion. Die Konservierungslösung ermöglicht hierbei eine längere Lagerung bzw. Transport des Organs bei einer Temperatur von 4–8°C. Die verwendeten Konservierungslösungen enthalten Elektrolyte, Pufferbasen, Aminosäuren etc, die einerseits Ischämieschäden verringern bzw. vermeiden, andererseits eine spätere Schädigung durch die Reperfusion des Spenderorgans vermindern sollen. Die am häufigsten verwendeten Konservierungslösungen sind die University-of-Wisconsin-Lösung und die HTK (Bretschneider)Lösung. Zur Lagerung wird das steril in mehrere Plastikbeutel verpackte Organ in einer Kühlbox von außen mit Crush-Eis gekühlt, so dass eine Temperatur von ca. 4–8°C während der Lagerungsbzw. Transportphase aufrechterhalten werden kann.
Ischämiezeiten Als kalte Ischämiezeit wird die Phase vom Beginn der Perfusion bis zum Beginn der Implantation eines Spenderorgans bezeichnet, als warme Ischämiephase hingegen die Zeit zwischen der Herausnahme des Organs aus der Kühlbox bis zur Freigabe des Blutstroms im Empfänger in das transplantierte Organ. Da die Organe in der Phase der Implantation häufig noch topisch gekühlt werden, wird hier zumeist noch der Begriff der Anastomosenzeit verwendet.
Die Dauer der Ischämietoleranz der einzelnen Organe ist vom Organ selbst und von der verwendeten Konservierungslösung abhängig. Herz und Lunge sollten innerhalb einer Ischämiezeit von 4–6 h, Leber und Pankreas innerhalb von 12–16 h und die Nieren innerhalb von 24 h transplantiert werden.
Da die Organentnahme heutzutage weitestgehend standardisiert ist, werden explantierte Nieren häufig über weite Strecken versandt und von anderen Operateuren transplantiert. Für die Leber- und Pankreastransplantation wird ebenfalls die Organentnahme durch andere Chirurgen akzeptiert, während die Herzund Lungenentnahme fast ausnahmslos durch das Zentrum erfolgt, welches auch das Organ bzw. die Organe transplantiert. 15.5
Immunologie
Organtransplantationen sind in der Regel allogene Transplantationen, bei denen es ohne entsprechende Behandlung bzw. immunsuppressive Therapie zur Entwicklung von Abstoßungsreaktionen kommt. Sie werden durch sog. Histokompatibilitätsantigene, die auf dem Chromosom 6 als »major histocompatibility complex« (MHC) kodiert sind, hervorgerufen. Die Expression dieser Histokompatibilitätsantigene findet auf nahezu allen Körperzellen, so auch auf den menschlichen Leukozyten (»human leukocyte antigens«, HLA) statt. Aufgrund dieser genetisch determinierten Unterschiede von biochemischen Strukturen auf der Zelloberfläche werden diese vom Immunsystem des Empfängers als fremd erkannt und führen zu einer Abwehrreaktion (Transplantatabstoßung bzw. Rejektion). Hierbei wird zwischen einer zellvermittelten und einer antikörpervermittelten (humoralen) Immunantwort bzw. Abstoßung unterschieden. Die zellvermittelte Immunantwort wird durch T-Lymphozyten gewährleistet. Nach Fremdantigenerkennung und Präsentation auf der Zelloberfläche sog. dendritischer Zellen (»passenger leukocytes« und Makrophagen) wird eine zellvermittelte bzw. akute Abstoßungsreaktion induziert. Hierbei stimulieren die T-Helferzellen mit Hilfe von Interleukinen die Proliferation von T-Effektorzellen. Diese sind zytotoxisch wirksam (T-Killerzellen) und können auch die immunologische Toleranz für das Antigen fördern (T-Suppressorzellen). Eine wichtige Rolle im Ablauf dieser Immunantwort stellen dabei das Interleukin-2 und die entsprechenden Rezeptoren auf der Oberfläche der T-Lymphozyten dar. Die Proliferation dieser immunkompetenten Zellen verursacht im Transplantat eine Entzündungsreaktion mit mononukleären Zellen, die zu Zellnekrosen und Fibrosierung des Transplantates führen kann. Die Stimulierung bzw. Proliferation von B-Lymphozyten, die die humorale Immunantwort repräsentieren, führt zur Bildung
169 15.7 · Immunsuppressive Therapie
gegen das Transplantat gerichteter zytotoxischer Antikörper. Sie sind besonders für Schäden an den Transplantatgefäßen verantwortlich, die über Gefäßwandnekrosen, Intimaproliferation oder sklerosierende Veränderungen zu einer obliterativen Vaskulopathie (vaskuläre Rejektion) und damit letztendlich zum Funktionsverlust des Organs führen.
Grundsätzlich werden hyperakute, akute und chronische Abstoßungen unterschieden.
Transplantationserfolg erwiesen. Bei der Herz-, Lungen-, Leberund Pankreastransplantation scheint der Einfluss von untergeordneter Bedeutung zu sein. Die HLA-Typisierung erfolgt molekulargenetisch mittels PCR (»polymerase chain reaction«). Wegen der möglichen Präexistenz zytotoxischer HLA-Antikörper muss vor jeder Transplantation ein »cross-match« mit Lymphozyten des Spenders und dem Serum des Empfängers durchgeführt werden, da bei einer positiven Reaktion eine hyperakute Rejektion zu befürchten ist. 15.7
Ursache für die hyperakute Abstoßung sind präformierte Antikörper im Empfänger, die gegen die Antigene des Spenders gerichtet sind. Sie verlaufen innerhalb von Minuten bis Stunden, treten jedoch aufgrund der routinemäßigen »cross-match«Untersuchung (Kreuzprobe) sehr selten auf. Die akute bzw. zelluläre Abstoßung verläuft protrahiert über mehrere Tage und stellt den größten Teil der zu diagnostizierenden Rejektionen dar. Sie spricht in der Regel gut auf eine hochdosierte immunsuppressive Medikation bzw. Abstoßungsbehandlung an. Eine chronische Abstoßung tritt nach Monaten bis Jahren nach Transplantation auf, verläuft langsam schleichend und hat sowohl eine zelluläre als auch eine humorale Komponente. Sie ist häufig therapieresistent, führt zum chronischen Transplantatversagen und erfordert die Retransplantation. Um diese für das Transplantat schwerwiegenden Immunantworten zu vermeiden bzw. zu unterdrücken, werden das »crossmatch« und vor allem die immunsuppressive Therapie eingesetzt. Einen Sonderfall stellt die Graft-versus-host-Erkrankung (GvHD) dar, die nach Knochenmarktransplantation eine häufige Komplikation darstellt (bis zu 50%), bei der Transplantation solider Organe jedoch sehr selten auftritt. Sie entsteht bei der Übertragung immunkompetenter Zellen (T-Zellen, NK-Zellen) im Transplantat in einen immungeschwächten bzw. immunsupprimierten Empfänger, d. h. durch die Immunreaktion der übertragenen Zellen gegen die Histokompatibilitätsantigene des Empfängers. Die GvHD lässt sich therapeutisch nur schwer beeinflussen und ist mit einer hohen Letalität verbunden. 15.6
Spender-Empfänger-Matching
Bei der Organtransplantation wird grundsätzlich die Kompatibilität des AB0-Blutgruppensystems zwischen Spender und Empfänger eingehalten, die den Regeln der Bluttransfusion folgt. Der Rhesusfaktor und andere Blutgruppenmerkmale sind vernachlässigbar. Besonders wichtig für die Organtransplantation ist dabei das HLA-System, insbesondere die Merkmale HLA-A, -B und -DR. Da zwei A-, B- und DR-Sätze von den Eltern vererbt werden, sind beim Vergleich der HLA-Typen zwischen Spender und Empfänger insgesamt 6 Merkmale zu berücksichtigen. Die HLA-Merkmale C, DP und DQ spielen nur eine untergeordnete Rolle und können vernachlässigt werden. Grundsätzlich gilt hierbei die Erfahrung für alle Organtransplantationen, dass eine hohe Übereinstimmung in den HLA-Merkmalen eine geringere Immunantwort zeigt. Infolge logistischer Gründe beschränkt sich die Anwendung der HLA-Typisierung jedoch auf die Nierentransplantation. Hierfür ist ein definitiver Einfluss des HLA-Systems auf den
15
Immunsuppressive Therapie
Ziel der immunsuppressiven Therapie ist die Unterdrückung von Abstoßungsreaktionen und die weitgehende Erhaltung der immunologischen Reaktivität des Empfängerorganismus gegenüber Infektionserregern.
Da eine Rejektion zeitlebens auftreten kann, ist eine lebenslange immunsuppressive Therapie erforderlich. Bei der immunsuppressiven Therapie werden eine initiale Induktionstherapie, eine Basisimmunsuppressionstherapie (Erhaltungstherapie) und eine Abstoßungstherapie unterschieden. Die immunsuppressive Therapie ist unterschiedlich und richtet sich hierbei nach dem jeweiligen transplantierten Organ. Grundsätzlich erfolgt nach Transplantation eine initiale (hochdosierte) Induktionstherapie, die im weiteren Verlauf als Erhaltungstherapie fortgeführt wird. Im Spätverlauf (>1 Jahr) kann die Immunsuppression häufig mit Ciclosporin oder Tacrolimus allein, ggf. mit einem weiteren Medikament, durchgeführt werden. Das Bestreben ist es hierbei, die immunsuppressive Therapie und deren Nebenwirkungen soweit wie möglich zu reduzieren. Bei zu geringer Immunsuppression besteht das Risiko der Induktion von Abstoßungsreaktionen, bei zu hoch dosierter immunsuppressiver Therapie steigt das Risiko für Infektionen und im Langzeitverlauf insbesondere das Risiko für die Entwicklung von Malignomen (z. B. B-Zell-Lymphome). Zur Immunsuppression stehen Ciclosporin A, Tacrolimus, Prednisolon, Azathioprin, Mycophenolatmofetil, Antilymphozytenglobulin (ALG), Antithymozytenglobulin (ATG), OKT3 (CD3-Antikörper), Rapamycin und zur Induktionstherapie die Interleukin-2-Antikörper Basiliximab und Daclizumab zur Verfügung (. Tab. 15.2). Methotrexat und Cyclophosphamid haben bei der humoralen Immunantwort eine entsprechende Indikationsstellung. Bei überwiegend humoralen Abstoßungsreaktionen können noch die Plasmapherese und/oder Bestrahlungstherapie eingesetzt werden. Bei der Abstoßungstherapie erfolgt zunächst eine Methylprednisolon-Stoßtherapie mit jeweils 0,5(–1) g/Tag i.v., in der Regel für 3 Tage, ggf. auch länger. In Einzelfällen genügt es, bei geringgradigen Rejektionen die Erhaltungsimmunsuppression zu erhöhen. Bei steroidresistenten Rejektionen erfolgt die Therapie mit ATG oder monoklonalen Antikörpern (5 mg OKT3) über 3 bis max. 10 Tage. In einigen Fällen hat sich bei häufigen oder steroidresistenten Rejektionen die Umstellung der immunsuppressiven Therapie von Ciclosporin A auf Tacrolimus oder die zusätzliche Gabe von Mycophenolatmofetil als erfolgreich erwiesen.
170
Kapitel 15 · Allgemeine Transplantationsmedizin
. Tabelle 15.2. Immunsuppressiva nach Organtransplantation
15
Substanz
Induktionstherapie
Erhaltungstherapie
Abstoßungstherapie
Ciclosporin A
+
+
–
Tacrolimus (FK506)
+
+
(+)
Azathioprin
+
+
–
Kortikosteroide
+
+
+
Mycophenolatmofetil
+
+
–
Sirolimus
+
+
–
ALG/ATG
+
–
+
OKT3
–
–
+
Basiliximab, Daclizumab
+
–
–
Ciclosporin A. Der 1976 entdeckte und seit 1981 im klinischen Einsatz befindliche Calcineurininhibitor hemmt die Bildung von Interleukin-2 und somit die Proliferation von T-Lymphozyten nach Antigenstimulation. Es stellt eines der am häufigsten eingesetzten Immunsuppressiva nach Organtransplantation dar. Aufgrund der individuell unterschiedlichen Absorption und Metabolisierung in der Leber erfolgt die Ciclosporin-A-Dosierung durch Messung des Ciclosporin-Talspiegels. Je nach transplantatiertem Organ werden unterschiedlich hohe poly- bzw. monospezifische Ciclosporin-Spiegel angestrebt (monospezifisch: 100–350 ng/ml). Nebenwirkungen des Ciclosporins sind vor allem Nephro- und Neurotoxizität (Tremor, Kopfschmerzen), arterielle Hypertonie, ein diabetogener Effekt, Hyperlipoproteinämie, Hirsutismus, Gingivahyperplasie und Osteoporose. Tacrolimus (FK506). Der 1984 entdeckte Calcineurininhibitor
mit ähnlichem Wirkungsmechanismus wie Ciclosporin A wird neben der Induktions- und Erhaltungstherapie auch erfolgreich zur Abstoßungsbehandlung eingesetzt. Gegenüber Ciclosporin A hat Tacrolimus eine effizientere Wirkung bei der Verhinderung akuter und chronischer Abstoßungen nach Lebertransplantation gezeigt. Die Tacrolimus-Dosierung erfolgt hierbei auch nach Messung eines Blut-Talspiegels und in Abhängigkeit vom jeweils transplantierten Organ (5–20 ng/ml). Nebenwirkungen von Tacrolimus sind zum einen Nephro- und Neurotoxizität, eine stärkere diabetogene Wirkung als Ciclosporin A und gastrointestinale Beschwerden. Azathioprin. Das seit 1961 im Einsatz befindliche Immunsuppressivum verhindert relativ unspezifisch die Zellproliferation durch Alkylierung von DNA-Präkursoren und die Inhibition verschiedener Enzymsysteme. Es weist deshalb bei relativ moderater immunsuppressiver Wirkung eine erhebliche myelotoxische Wirkung auf und wird in der Regel als drittes Medikament neben Ciclosporin und Prednisolon (Dreifachtherapie) zur Induktionsund Erhaltungstherapie eingesetzt. Es findet noch vereinzelt nach Herz- und Lungentransplantation Anwendung.
Kortikosteroide. Insbesondere Prednisolon und Methylprednisolon werden in der Initialtherapie eingesetzt, wegen der dosisabhängigen Nebenwirkungen (Diabetes, Osteoporose, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Wundheilungsstörungen, Hautatrophie, avaskuläre Knochennekrosen, Adipositas, Katarakt etc.) jedoch früh reduziert und nach Möglichkeit ausgeschlichen. Bei einer erforderlichen Langzeittherapie (>3–4 Monate) sollte die Dosierung unterhalb der sog. Cushing-Schwelle liegen. Einen besonderen Stellenwert besitzt der Einsatz der Kortikosteroide in der Behandlung von akuten zellulären Abstoßungsreaktionen mit Dosierungen von 0,5–1 g Methylprednisolon i.v./Tag. Mycophenolatmofetil. Das Derivat der Mycophenolsäure besitzt eine hohe Selektivität für T- und B-Lymphozyten. Es wird zur Induktion, Erhaltungs- und Abstoßungstherapie zwischen 0,5– 3 g/Tag eingesetzt. Wichtigste Nebenwirkungen sind gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Diarrhö und Knochenmarkdepression, insbesondere Thrombozytopenien). Es wird erfolgreich nach Herz-, Nieren- und Lebertransplantationen eingesetzt. Rapamycin (Sirolimus). Das Makrolid hemmt einerseits die T-Zell-Proteinsynthese durch Kinaseninhibition und andererseits die intrazelluläre Transduktion des Proliferationssignals, das durch die Bindung von Interleukin-2 an seinen Rezeptor verursacht wird. Da ein Einfluss auf die glatte Gefäßmuskulatur nachgewiesen wurde, könnte Rapamycin möglicherweise durch Hemmung der Intimaproliferation Einfluss auf chronische Abstoßungsreaktionen (Graftsklerose, Vaskulopathie) haben. Wichtige Nebenwirkungen sind eine Knochenmarkdepression, ausgeprägte Leuko- und Thrombopenien, gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit und Völlegefühl, Kopfschmerzen und, bei vorbelasteten Patienten, Migräneanfälle). Es wird für die Induktions- und Erhaltungstherapie nach Leber- und Nierentransplantation genutzt. Antilymphozytenglobuline (ALG) bzw. Antithymozytenglobuline (ATG). Die Antiseren, richten sich gegen Oberflächenmerk-
male von Lymphozyten und wirken dadurch lymphozytotoxisch. Sie werden ausschließlich zur Induktions- und Abstoßungstherapie eingesetzt. Durch sie kann kurzfristig eine starke Immunsuppression erreicht werden, die mit einer ausgeprägten Lymphopenie einhergeht. Die Nebenwirkungen bleiben hierbei auf Infektionen und allergische Reaktionen beschränkt. In Einzelfällen können anaphylaktoide Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock ausgelöst werden, da es sich um Fremdeiweiße handelt. Da sie zur Antikörperbildung führen, ist die Wirkung zeitlich begrenzt. OKT3. Der spezifische monoklonale CD3-Antikörper führt durch
Elimination und Blockade von T-Lymphozyten zu einer ausgeprägten Lymphopenie und daher zu einer sehr potenten, aber nur wenig selektiven Immunsuppression. Es findet nach steroidresistenten Abstoßungen Anwendung und muss unter Intensivüberwachung appliziert werden (anaphylaktoide Reaktionen). Da es sich um einen Mausantikörper handelt, kommt es zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern. Interleukin-2-Antikörper (Basiliximab, Daclizumab). Die Anti-
körper reagieren mit den IL-2 Rezeptoren von aktivierten Lymphozyten. Sie haben eine höhere Selektivität als OKT3, führen
171 Literatur
jedoch auch zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern. Sie werden u. a. für die Induktionstherapie nach Lebertransplantation genutzt.
Literatur Brent L (1997) A history of transplantation immunology. Academic Press, New York Deutsche Stiftung Organtransplantation (Hrsg) (1998) Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen, Transplantationsgesetz Deutsche Stiftung Organtransplantation, Neu Isenburg Ginns LC, Cosimi B, Morris PJ (1999) Transplantation. Blackwell Science, Oxford, UK Ginns LC, Cosimi B, Morris PJ (1999) Immunosuppression. In: Ginns LC, Cosimi B, Morris PJ (eds) Transplantation. Blackwell Science, Oxford, UK Hakim NS, Danovitch GM (2001) Transplantation Surgery. Springer, London Handbuch Transplantation (2004) mmi, München Largiader F (Hrsg) (1999) Checkliste Organtransplantation. Thieme, Stuttgart New York Pfitzmann R, Neuhaus P, Hetzer R (Hrsg) (2001) Organtransplantation. Transplantation thorakaler und abdomineller Organe. De Gruyter, Berlin New York Schlake HP, Roosen K (Hrsg) (1995) Der Hirntod als der Tod des Menschen Edition Deutsche Stiftung Organtransplantation. Neu Isenburg Thiru S, Waldmann H (2001) Pathology and Immunology of transplantation and rejection. Blackwell Science, Oxford, UK Wood K (ed) (1995) The handbook of transplant immunology. Med Sci Publications, Stokes Pages, Bucks, UK
15
16 16
Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie H. Bartels
16.1
Überwachung der Vitalfunktionen
16.1.1 16.1.2 16.1.3
Pulmonale Funktion – 175 Kardiovaskuläre Funktion – 175 Renale Funktion – 175
16.2
Überwachung des Operationssitus – 176
16.3
Postoperative Komplikationen – 176
16.3.1 16.3.2
Inzidenz und Prävalenz – 176 Zielgerichtete Diagnostik – 177
16.4
Therapie der Komplikationen – 177 Literatur – 179
– 174
174
Kapitel 16 · Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie
) )
16
Moderne Chirurgie und Intensivmedizin bedingen sich gegenseitig. Große viszeralchirurgische Eingriffe (z. B. Ösophagektomie, Multiviszeralresektion, Lebertransplantation) sind ohne unterstützende intensivmedizinische Maßnahmen nicht denkbar. Zur Absicherung des postoperativen Verlaufs ist die Überwachung vitaler Organfunktionen unverzichtbar, ggf. müssen spezielle Therapieformen (z. B. Beatmung, Kreislauftherapie, extrakorporale Ersatzverfahren) zur Anwendung kommen. Es gilt, die schwere Belastung des Patienten durch Operation und Anästhesie schnellstmöglich zu überwinden und damit die Voraussetzung für ein erfolgreiches Gelingen des Eingriffs zu schaffen. Die eigentliche chirurgische Aufgabe ist die Überwachung des Operationssitus. Nach gastroenterologischen Eingriffen sind postoperative Komplikationen ganz überwiegend auf Störungen im Bereich des Operationssitus und benachbarter Areale (eigentliche chirurgische Komplikation) zurückzuführen. Dabei stellt die septische Komplikation die schwerste Belastung des postoperativen Verlaufs dar und ist heute als Hauptursache für postoperative Morbidität und Mortalität anzusehen. Somit kommt dem Komplikationsmanagement in der Viszeralchirurgie eine ganz besondere Bedeutung zu. Ziel aller Überwachungsmaßnahmen ist es, Störungen im postoperativen Verlauf frühestmöglich zu erfassen und diagnostische und therapeutische Maßnahmen einzuleiten, bevor sekundäre Organversagen auf die bereits eingetretene (septische) Komplikation hinweist. Sepsis, schwere Sepsis und septisches Multiorganversagen (MOV) – heute das eigentliche Problem in der chirurgischen Intensivmedizin – macht wiederum den gemeinsamen Einsatz aller intensivmedizinischen Maßnahmen erforderlich, die sich gegen die jeweils aktuellen Störungen der Vitalfunktionen richten. Die Intensivtherapie ist dabei nicht nur notwendige Unterstützung für aufwendige diagnostische oder operative Verfahren, sondern stellt geradezu die Voraussetzung dafür dar. Sie hat aber rein symptomatischen Charakter. Ihr Einsatz kann nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, z. B. bei einer Anastomoseninsuffizienz durch aggressives interventionelles Vorgehen die Insuffizienz rasch nach außen zu drainieren und durch Ableitung von Gastrointestinalinhalt aus diesem Bereich die Kontamination begrenzt zu halten oder durch operative Intervention eine chirurgische Herdsanierung herbeizuführen.
16.1
Als auslösende Ursache für diese Homöostasestörungen werden heute die initiale Gewebeschädigung/Verletzung, der Ischämie/Reperfusionsschaden nach Hypoxie- und Schockphasen und die intestinale Translokation diskutiert (Alverdy et al. 2003). Immunologisch zeigt sich dann eine systemische Hyperinflammation (SIRS: »systemic inflammatory response syndrom«) und metabolisch typische Veränderungen, die als Postaggressionssyndrom (Postaggressionsstoffwechsel) bezeichnet werden (ACCP/SCCM Consensus Conference Committee 1992). Beide Phänomene können in einem Netzwerk sich gegenseitig regulierender Feed-back-Mechanismen über die Aktivierung zahlreicher zellulärer Komponenten zu Mikrozirkulationsstörungen auch in initial nicht betroffenen Organsystemen und progredienter Eiweißkatabolie führen und letztendlich in ein Multiorganversagen einmünden. Durch die genannten Mechanismen werden Immunmediatoren (z. B. Zytokine) freigesetzt, neuronale (z. B. Schmerz, Angst) und systemische Reaktionen (z. B. Tachykardie) getriggert und Barorezeptoren z. B. durch intravasale FlüssigkeitsVerschiebungen stimuliert (Plank u. Hill 2000). Die Folge ist eine reaktive Ausschüttung von Hormonen, die der sympathoadrenalen Achse (autonomes Nervensystem, Nebenniere) und Hypothalamus-Hypophysen-Achse zuzuordnen sind. Dabei ist die sympatho-adrenale Reaktion als zentraler Mechanismus zur schnellen Aktivierung von kardiovaskulären, respiratorischen und metabolischen Reaktionen entscheidend für das Überleben des Organismus (Hartl et al. 2003). Dementsprechend ist die aggressive Behandlung der systemischen Hyperinflammation vorrangig, während der Versuch, die Eiweißkatabolie zu beeinflussen, eher von nachgeordneter Bedeutung ist (Rensing u. Bauer 2001). Damit steht am Beginn aller Behandlungsmaßnahmen die effektive Schocktherapie durch Volumensubstitution und ausreichende Oxygenierung. Ziel muss es sein, in kürzester Zeit eine ausreichende nutritive Perfusion aller Organe wiederherzustellen und im weiteren Verlauf auch Hypotonie- und Hypoxiephasen zu vermeiden. Die Wirksamkeit einer effizienten Schocktherapie ist heute gut belegt (Rivers et al. 2001). Wenn irgend möglich sollte dabei auf zusätzliche Anwendung von Katecholaminen (Vasopressoren) ganz verzichtet werden, wegen der damit verbundenen Gefahr der intestinalen Minderdurchblutung und sekundären Translokation (MeierHellmann 2000; Rensing u. Bauer 2001). Die zur eigentlichen Überwachung der Vitalfunktionen erforderlichen Maßnahmen sind in . Tab. 16.1 zusammengestellt.
Überwachung der Vitalfunktionen
Nach großen viszeralchirurgischen Eingriffen (z. B. Ösophagektomie, Multiviszeralresektion, Lebertransplantation) sind die vitalen Organfunktionen unmittelbar postoperativ immer gestört. Der chirurgische Patient reagiert auf den operativen Eingriff mit ganz spezifischen endokrinen, metabolischen und immunologischen Reaktionsmustern (Stressantwort). Ist das Operationstrauma nur gering, erfolgt in der Regel in kurzer Zeit die Wiederherstellung der metabolischen und immunologischen Homöostase. Ist das Operationstrauma aber massiv und länger anhaltend, kann dies zu ausgeprägten Veränderungen der endogenen Regulationsprozesse führen mit lebensbedrohlicher Rückwirkung auf den Gesamtorganismus (ACCP/SCCM Consensus Conference Committee 1992; Hartl et al. 2003; Hotchkiss u. Karl 2003).
. Tabelle 16.1. Postoperative Überwachung: Vitalfunktionen Pulmonal
BGA, Pulsoxymetrie, Rönten-Thorax, Atemfrequenz, Atemmechanik, Atemgeräusche, (Respiratorüberwachung)
Kardiovaskulär
Puls, Blutdruck, EKG, hämodynamisches Monitoring, (Echokardiographie, Pulmonaliskatheter)
Hepatorenal
Urinausscheidung, Gallesekretion
Metabolisch
Temperatur, Laktat, BE, Bikarbonatverbrauch
Laborchemisch
BB, Gerinnung, Elektrolyte, Kreatinin, CK, GPT, Bilirubin, alkalische Phosphatase, α-Amylase
175 16.1 · Überwachung der Vitalfunktionen
Werden zur Unterstützung und Aufrechterhaltung gestörter Funktionen invasive Verfahren der modernen Intensivmedizin benötigt (z. B. Beatmung, Kardiaka, Ultrafiltration/Dialyse), beinhaltet das jeweilige Monitoring auch immer die Kontrolle der zur Anwendung kommenden Therapie. Bezüglich Indikationsstellung und Durchführung spezieller Therapieverfahren sei auf Lehrbücher der Intensivmedizin verwiesen. An dieser Stelle sollen nur einige grundsätzliche Gesichtspunkte Erwähnung finden. 16.1.1 Pulmonale Funktion Chirurgischer Eingriff und Anästhesie verändern die Atemmechanik und den Gasaustausch im Sinne einer restriktiven Ventilationsstörung anhaltend bis in die postoperative Phase hinein. Auslösende Ursachen dafür sind Gasaustausch-Störungen, Depression des Atemzentrums und Veränderung der Atemmechanik (The Acute Respiratory Distress Syndrome Network 2000). Ihre klinische Bedeutung liegt darin, dass nach großen Eingriffen der Patient nur unzureichend in der Lage ist, tief einzuatmen und effektiv abzuhusten. Das bewirkt auf der einen Seite eine verminderte Ventilation noch perfundierter Lungenabschnitte mit Entwicklung eines Rechts-/Links-Shunts und Hypoxämie, auf der anderen Seite Sekretretention, Infektion und Pneumonie. Dementsprechend sind die vorrangigen Behandlungsziele der respiratorischen Therapie die Verbesserung der Ventilation, Erlernen spezieller Hustentechniken und Sekretmobilisation.
Für eine postoperative Nachbeatmung gilt, dass zur Vermeidung von Spätkomplikationen (z. B. Pneumonie, Thromboembolie, Dekubitus) der Patient schnellstmöglich auf assistierte Beatmungsformen und dann auf Spontanatmung zurückgeführt werden muss (Manthous 2002).
Beim extubierten Patienten ist das gesamte Spektrum der physikalischen Therapie (z. B. Lagerung, Krankengymnastik, Mobilisation, apparative Maßnahmen zur Atemvertiefung) einzusetzen (Esteban et al. 2004). Grundvoraussetzung dafür ist aber ein weitgehend schmerzfreier und kooperativer Patient, der auch in der Lage sein muss, die geforderten Manöver immer wieder selbständig durchzuführen. Damit ist die Schmerztherapie heute wesentlicher Bestandteil jeder postoperativen Behandlung (Kehlet u. Holte 2001; Simanski u. Neugebauer 2003). 16.1.2 Kardiovaskuläre Funktion Die häufigsten Ursachen für Herz-Kreislauf-Instabilität im postoperativen Verlauf sind Restwirkung von Anästhetika (negativ-inotrope Wirkung), Tachykardie (Hypovolämie, Rhythmusstörung), Schmerz, Agitation, Kältezittern (erhöhter Sauerstoffverbrauch) und Imbalanzen im Säure-Basen- und Wasser-Elektrolyt-Haushalt. Eine kontrollierte Aufwärmphase, ausreichende analgetische Therapie und Vermeidung von Hypoxämie- und Hypotoniephasen hilft die Stressantwort zu minimieren (Scamer et al. 2002). Dies gilt vor allem für Patienten mit kardialer Risikoerhöhung (American Society of Anesthesiology 2002) und nach Operationen, die als »high risk-surgery« klassifiziert werden,
16
d. h. Eingriffen mit langen Operationszeiten, großen Flüssigkeitsverschiebungen und hohem Blutverlust (Eagle et al. 2002). Neben den Routine-Überwachungsparametern liefert die Echokardiographie bei speziellen Fragestellungen zusätzliche Information über Herzfüllung und Kontraktilitätsmuster. Darüber hinaus können durch ein erweitertes hämodynamisches Monitoring andere Determinanten der Herz-Kreislauffunktion wie Vorlast, Kontraktilität und Nachlast erfasst und auch gezielt therapeutisch beeinflusst werden. Diese Überwachung mit einem Pulmonaliskatheter (Swan-Ganz-Katheter) wird in den letzten Jahren kontrovers diskutiert (Task Force of the American College of Critical Care Medicine 1999). Unverändert gilt aber, dass bei korrekter Messerhebung und Interpretation der Daten durchaus wertvolle Hinweise für relevante Therapieentscheidungen zur Verfügung stehen. 16.1.3 Renale Funktion Die Niere ist postoperativ Zielscheibe einer Reihe von neuroendokrinen Reaktionen mit negativer Rückwirkung auf die glomerulären und tubulären Funktionen. Damit ist das Nierenversagen ein multifaktoriell verursachtes klinisches Syndrom, charakterisiert durch die abrupte jedoch prinzipiell reversible Abnahme der Urinproduktion bei gleichzeitiger Akkumulation von Stoffwechselendprodukten und Störungen im Wasser-Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt.
Das prärenale Versagen ist Folge von Hypovolämie, Druckabfall und Hypoxämie, das renale Versagen ist die »Niere als Opfer« bei Sepsis oder in Folge von tubulotoxischen Noxen (z. B. Antibiotika, Röntgenkontrastmittel).
Das postrenale Versagen, bedingt durch Obstruktion der ableitenden Harnwege oder Katheterkomplikationen, dürfte heute in der Intensivmedizin diagnostisch und therapeutisch kein eigentliches Problem mehr darstellen. Daraus ergibt sich für das postoperative Management erneut die Forderung nach einer suffizienten Volumentherapie und ausreichenden Oxygenierung. Die Indikation für Vasopressoren ist kritisch zu stellen (Vasokonstriktion!) und der Einsatz nephrotoxischer Substanzen (z. B. Antibiotika) sollte nur unter laufender Serum-Spiegelkontrolle durchgeführt werden. Die Infusionstherapie muss zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Nierenfunktion den Basisbedarf an Wasser und Elektrolyten, den Korrekturbedarf bei eingetretenen Verlusten und darüber hinaus die Bereitstellung notwendiger Bau- und Nährstoffe berücksichtigen, die dem gesteigerten Energiebedarf im Postaggressionsstoffwechsel und dem jeweiligen Ausmaß der Katabolie angepasst sind (postoperative Ernährungsregime) (Marek u. Zagola 2002; Tüller u. Marsch 2002). Im klinischen Alltag ist die stündliche Urinausscheidung ein sehr genauer Parameter zur globalen Überwachung der Vitalfunktionen im postoperativen Verlauf. Sistiert die Urinausscheidung und sind vordergründig andere Erklärungen dafür (z. B. Hypovolämie, Herzinsuffizienz, respiratorische Azidose) ausgeschlossen, muss immer und zuerst an Störungen im Bereich des Operationssitus gedacht und unverzüglich eine entsprechende Diagnostik eingeleitet werden.
176
Kapitel 16 · Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie
16.2
Überwachung des Operationssitus
Die postoperative Überwachung hat grundsätzlich die Risikosituation des Patienten, Ausmaß und Dauer der Operation und eingriffsspezifische Besonderheiten mit den sich daraus ergebenden möglichen Veränderungen und Komplikationen zu berücksichtigen. Nach viszeralchirurgischen Eingriffen gibt der intraoperative Situs die besten Hinweise auf die möglichen postoperativen Komplikationen. Der erfahrene Chirurg weiß das und gibt diese Information auf die Intensivstation weiter. Das bedeutet, dass im postoperativen Management die unten aufgeführten Maßnahmen zur Überwachung des Operationssitus unbedingt mit Berücksichtigung finden müssen.
5 Postoperative Überwachung: Operationssitus 5 Wiederholte klinische Untersuchung (Inspektion, Palpation, Auskultation) 5 Röntgen-Thorax, Sonographie, Endoskopie, (Bronchoskopie, Duplexsonographie) 5 Wundkontrolle, Beurteilung von Sekreten aus Drainagen und Sonden 5 Temperaturverlauf, Laboranalysen 5 Beurteilung von Compliance, Kooperationsfähigkeit und Belastbarkeit z. B. beim Mobilisationsversuch
16
Dabei kommt der wiederholten physikalischen Untersuchung und Befunderhebung eine zentrale Bedeutung zu. So können durch Inspektion, Palpation und Auskultation u. a. Abwehrspannung, Schmerzlokalisation, Distension des Abdomens, Peristaltik, Darmparalyse, aktuelle Wundsituation, aber auch Hautemphysem, Hydratationszustand und Venenfüllung erfasst werden. Und es gilt, den Patienten immer wieder hinsichtlich seiner Bewusstseinslage, Kooperationsfähigkeit und Belastbarkeit z. B. bei Mobilisationsversuchen zu beurteilen Die Menge und Zusammensetzung von Drainagesekreten muss kontrolliert werden (cave: Dislokation der Drainagen, Verstopfung durch Blutkoagel). Laborchemische Analysen geben Hinweise auf pathologische Veränderungen wie Blutung (Hb), intestinale Leckage (α-Amylase), Pankreasfistel (α-Amylase) oder Gallefistel (Bilirubin). Nach hepatobiliären Eingriffen ist die Gallesekretion nach außen ein mitentscheidender Parameter zur Beurteilung der Leberfunktion. Ein gesteigerter Reflux über die Magensonde lässt intestinale Motilitätsstörungen erfassen und kann in seltenen Fällen bei blutigem Reflux beweisend für eine intraluminale Blutung sein. Die Sonographie steht weiterhin im Mittelpunkt der Überwachung des operierten Abdomens und erlaubt Beurteilung und Verlaufskontrolle von Veränderungen an parenchymatösen Organen (z. B. Hämatom) und macht intraabdominelle und intrathorakale Flüssigkeitsansammlung sichtbar. Die Asservierung dieser Flüssigkeit (z. B. Blut, Erguss, Aszites, Intestinalinhalt) gelingt durch schallgezielte Feinnadelpunktion. Die Röntgen-Thoraxaufnahme kann neben der Beurteilung von Herz und Lunge entscheidende Zusatzinformationen liefern wie Zwerchfellhochstand, Mediastinalemphysem, Erguss, Pneumothorax oder Überblähung des Interpositionsorgans nach Ösophagusersatz. Spezielle Fragestellungen lassen sich duplexsonographisch oder angiographisch (z. B. Leberdurchblutung), endoskopisch (z. B. Anastomoseninsuffizienz, Interponatdurch-
blutung) oder nach trachealwandnahen Resektionen bronchoskopisch (z. B. tracheale Läsionen, Bronchusfistel) überprüfen. In klinisch nicht eindeutigen Situationen müssen diese Untersuchungen und Analysen in kurzen Zeitabständen wiederholt werden. Nur so lassen sich Veränderungen rasch erfassen und objektivieren. Häufig liefern Zusatzinformationen wie Temperaturverlauf, metabolische Azidose, veränderte Stoffwechselsituation (z. B. gesteigerter Insulinbedarf, Laktat), Kreislaufinstabilität oder Oligo-Anurie entscheidende Hinweise. Insofern ist die Überwachung von Vitalfunktionen und die Überwachung des Operationssitus nicht voneinander zu trennen und sollte im Idealfall in der gemeinsamen Verantwortung eines erfahrenen Chirurgen liegen. 16.3
Postoperative Komplikationen
Ziel der postoperativen Überwachung ist es, Komplikationen frühzeitig zu erkennen, bevor sekundäre Organversagen auf die bereits eingetretene Katastrophe hinweisen.
Das bedeutet, dass schon beim ersten Verdacht auf das Vorliegen einer Komplikation eine zielgerichtete Diagnostik eingeleitet werden muss. In der Regel entstehen Probleme nicht aus der Komplikation selbst, sondern aus dem Umgang mit ihr, d. h. aus der zu spät erfolgten Diagnostik und inadäquaten Therapie. Bei jedem Ereignis, das vom erwarteten glatten postoperativen Verlauf abweicht, muss der Verdacht auf eine Komplikation geäußert werden. Solche Ereignisse sind u. a.: 4 Laborchemische Veränderungen (z. B. Leukozytose, Leukozytopenie, Thrombozytopenie, Anstieg der Retentionswerte, Hyperbilirubinämie) 4 Störungen der Vitalfunktionen (pulmonal, kardiovaskulär, hepatorenal), für die es vordergründig keine andere Erklärung gibt 4 Pathologische Röntgenbefunde (z. B. Röntgen-Thorax), sonographisch Nachweis von Flüssigkeitsretention 4 Änderung der Bewusstseinslage des Patienten (z. B. Apathie, Unruhe, Verwirrtheit) und seiner Belastbarkeit in Mobilisationsphasen 4 Veränderungen in Drainageflüssigkeiten, pathologisches Wundsekret, Darmparalyse, Erbrechen, Fieber Das Auftreten dieser Symptome – einzeln oder in Kombination – muss bei entsprechender Beurteilung der klinischen Gesamtsituation immer Anlass für eine zielgerichtete Diagnostik sein. 16.3.1 Inzidenz und Prävalenz Eine prospektive Dokumentation und Analyse der postoperativen Verläufe von über 8000 Patienten mit großen viszeralchirurgischen Eingriffen im eigenen Krankengut zeigt, dass in ca.10% der Fälle Komplikationen überhaupt auftreten. Dabei finden sich chirurgische (d. h. operationstechnisch-bedingte) Komplikationen fünfmal häufiger als allgemeine (nichtchirurgische) Komplikationen. Bei den chirurgischen Komplikationen stehen die septischen Komplikationen weitaus an erster Stelle, die überwiegend auf eine Anastomoseninsuffizienz zurückzuführen
177 16.4 · Therapie der Komplikationen
sind und bereits am dritten postoperativen Tag auftreten können (Bartels 2001). Auch bei einem technisch problemlosen Verlauf der Operation muss somit immer an eine Anastomoseninsuffizienz gedacht werden, dies gilt erst recht bei schwierigem oder technisch unbefriedigendem Operationsablauf (Informationspflicht des Operateurs). Damit orientiert sich die Diagnostik bei einem gestörten postoperativen Verlauf an der Art des Eingriffes, am Zeitpunkt des Auftretens der Komplikation und an der Wahrscheinlichkeit des zugrunde liegenden Problems. Vorrangig muss das Vorliegen einer chirurgischen Komplikation ausgeschlossen werden, bevor seltene Differenzialdiagnosen erwogen werden. 16.3.2 Zielgerichtete Diagnostik Grundsätzlich bieten bettseitige Untersuchungsverfahren den Vorteil, dass sie einfach durchführbar sind, beliebig oft wiederholt werden können und eine rasche Information liefern. Damit entfällt der häufig aufwendige und risikoreiche Transport in Diagnoseeinheiten mit der Schwierigkeit, Überwachungs- und Therapiemaßnahmen kontinuierlich weiterzuführen. Die entsprechenden Verfahren einer zielgerichteten Diagnostik bei Verdacht auf Vorliegen von postoperativen Komplikationen sind in nachfolgender Tabelle zusammengestellt. Zielgerichtete Diagnostik bei postoperativen Komplikationen 5 Bettseitige Diagnostik – Klinische Beurteilung – Sekret aus Drainagen (Intestinalsekret?) – Sonographie (Flüssigkeitsretention?) – Endoskopie (Durchblutung?, Fistel?) – Anastomosenkontrolle mit Gastrografin 5 Externe Diagnostik – CT (Flüssigkeitsretention?, Fistelstraßen?) – Interventionelle Angiographie 5 Chirurgische Diagnostik – Diagnostische Laparotomie
allerdings bei ausgeprägtem Meteorismus, bei extremer Adipositas des Patienten, bei abdominellen Drainagen und Wund(Bauchwand-)Defekten. Endoskopisch kann der Vitalitätsnachweis von Anastomosen geführt werden. Es wird z. B. beurteilt, wie die Schleimhautdurchblutung eines Interponats ist, ob eine Insuffizienz vorliegt, wie groß sie ist und welche Heilungstendenz sie im Verlauf zeigt. Für die Computertomographie gilt die gleiche Fragestellung wie bei der Sonographie. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt aber in der von der Erfahrung des Untersuchers unabhängigen objektiven Befunddokumentation, semiquantitativen Dichtemessung (z. B. Differenzialdiagnose Hämatom/Abszess) und darin, dass eine Beurteilung auch dann möglich ist, wenn eine sonographische Befundung nicht gelingt. Die Angiographie bleibt speziellen Fragestellungen vorbehalten wie z. B. Blutungsnachweis/Lokalisation oder intestinale Perfusion und Leberdurchblutung. Wenn es nicht gelingt mit den angegebenen Diagnoseverfahren ein morphologisches Korrelat für die klinische Situation des Patienten zu liefern, aber weiterhin der hochgradige Verdacht auf eine chirurgische Komplikation besteht, bleibt als Ultima Ratio die diagnostische Laparotomie. Sie ist auch heute noch eines der wichtigsten diagnostischen und/ oder therapeutischen Prinzipien in der Viszeralchirurgie. Im eigenen Krankengut konnte in über 60% der Fälle allein mit bettseitiger Diagnostik die Art der vorliegenden Komplikation gesichert werden (Bartels 2003). Nur ein Drittel der Patienten benötigte dazu stationsexterne Diagnoseinheiten und knapp 5% mussten ohne vorherige Diagnosestellung laparotomiert werden (chirurgische Diagnostik). Diese Zahlen unterstreichen, dass das chirurgische Know-how für den Patienten in der postoperativen Phase von entscheidender Bedeutung ist. Der Chirurg weiß, was nach einer Operation passieren kann und wann das Ereignis erfahrungsgemäß auftreten wird, da er die Schwachstellen der jeweiligen Operation am besten kennt. Er beherrscht die adäquaten Diagnoseverfahren (z. B. Sonographie, Beurteilung von Drainagesekret, Endoskopie) und verfügt in enger Kooperation mit Endoskopikern und interventionellen Radiologen auch über die geeigneten Therapiemöglichkeiten. 16.4
Der einfachste Nachweis einer Anastomoseninsuffizienz gelingt über die Differenzierung von Wundsekreten und Drainageflüssigkeit. Die Diagnose ist gesichert, wenn sich Intestinalinhalt direkt oder als Marker ein Farbstoff über die Zieldrainage entleert. Darüber hinaus kann die laborchemische Analyse mit Bestimmung der α-Amylase Hinweise auf die Höhenlokalisation der Leckage geben (Bartels 2003). Die Passageprüfung mit Gastrographin als dynamische Untersuchungsmethode liefert insofern mehr Informationen, weil eine quantitative Beurteilung der Insuffizienz möglich wird. Gleichzeitig kann dargestellt werden, wohin die Insuffizienz drainiert und ob die Drainageableitung nach außen suffizient ist. Diese Aussage ist von entscheidender Bedeutung für die weitere Therapieplanung. Die Bedeutung der Ultraschallsonographie liegt darin, dass in Kenntnis des Operationssitus gezielt nach freier Flüssigkeit und freier Luft gefahndet werden kann und – bei konservativem Behandlungsversuch – eine Verlaufskontrolle jederzeit möglich wird. Untersuchungstechnisch erschwert ist die Sonographie
16
Therapie der Komplikationen
Die therapeutischen Konsequenzen sind meist »selbstevident«, wenn die Diagnose gestellt ist. Bei der frühen postoperativen Nachblutung muss bei entsprechender Blutungsintensität schnellstmöglich eine operative Blutstillung erfolgen. Aufgabe der Intensivmedizin dabei ist, bis zum Operationszeitpunkt eine ausreichende Kreislauffunktion und Oxygenierung aufrecht zu erhalten. Hinsichtlich der postoperativ-septischen Komplikationen hat sich das therapeutische Spektrum heute durch Fortschritte der interventionellen Radiologie grundsätzlich erweitert. Dies gilt im besonderen Maße für spezielle Abszessdrainagen, Anastomoseninsuffizienz-Drainagen und die interventionelle Angiographie, die die Möglichkeit einer sofortigen Blutstillung durch Stents oder Coiling bei septischen Arrosionsblutungen bietet (Bartels u. Stein 2004; Theisen et al. 2005). Bei intraabdominellen Abszessen ist das interventionelle Vorgehen mit perkutaner Abszessdrainage (PAD) heute die Therapie der Wahl. Dafür sprechen die hohe Erfolgsrate von über 80% – definiert als suffiziente Abszessdrainage ohne nachfol-
178
16
Kapitel 16 · Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie
gende chirurgische Reintervention –, die geringe Komplikationsrate von <5%, vor allem aber das weitaus weniger invasive Vorgehen im Vergleich zur Relaparotomie (Theisen et al. 2005). Als ideale Indikationen gelten abgekapselte Retentionen parakolisch, perihepatisch und subphrenisch rechts. Eine operative Therapie ist aber weiterhin primär erforderlich bei der generalisierten Peritonitis, bei Abszessen, die von einer ausgedehnten Insuffizienz/Fistel unterhalten werden und bei der frühen Anastomoseninsuffizienz (Theisen et al. 2005). Indikationen für eine sekundäre chirurgische Therapie sind nicht erfolgreiche Abszessdrainagen, d. h. trotz PAD-Kontrolle/Korrektur ausbleibende klinische Besserung und persistierende abdominelle Sepsis über 48 h hinaus. Ein spezielles Problem stellen Nahtinsuffizienzen am Gastrointestinaltrakt dar, die weitaus häufigste und wohl schwerwiegendste Komplikation nach viszeralchirurgischen Eingriffen (Siewert et al. 2004). Die Diagnostik erfolgt bei proximaler oder distaler Lokalisation der Anastomose von intestinal, d. h. mittels Endoskopie. Etwaige Bedenken bezüglich der Zerstörung der Integrität der Anastomose durch die postoperative Endoskopie sind nicht gerechtfertigt (Griffin et al. 2001). Bei Minimierung der Luftinsufflation während der Endoskopie ist auch die Gefahr der Vergrößerung einer bestehenden Insuffizienz oder die Ausbreitung der Kontamination ins Abdomen, Mediastinum oder die Pleurahöhlen nicht gegeben. Vielmehr kann nur die Endoskopie die wesentliche Information zu den Durchblutungsverhältnissen im Bereich der Anastomose, das etwaige Vorliegen einer Interponatnekrose oder die Ausdehnung einer Anastomoseninsuffizienz-Dehiszenz liefern. Darüber hinaus ermöglicht sie eine innere Wundtoilette (u. a. durch Abziehen von Nekrosen) und, in gleicher Sitzung, die Einlage einer enteralen Ernährungssonde und gegebenenfalls weiterer Sonden zum Absaugen von Intestinalinhalt aus dem Insuffizienzbereich (Siewert et al. 2004). Sekundär erfolgt dann – wie auch bei allen endoskopisch nicht erreichbaren Insuffizienzen z. B. im Dünndarmbereich – die Umgehungsdiagnostik mittels Röntgenkontrastdarstellung und Computertomographie. Diese dient dem Nachweis von Fistelstraßen, von Flüssigkeitsretentionen und der Beurteilung des Abflusses von ausgetretenem Kontrastmittel und Gastrointestinalinhalt über liegende Drainagen. Ggfs. können dabei auch Drainagen gezielt lagekorrigiert oder neue Zieldrainagen platziert werden (Bartels u. Stein 2004; Bartels 2003). Auf die spezielle Problematik des Managements von Anastomoseninsuffizienzen im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes soll an dieser Stelle nicht eingegangen (Siewert et al. 2004), sondern vielmehr einige grundsätzliche Behandlungsziele und Prinzipien der Therapie von Anastomoseninsuffizienzen Erwähnung finden. Eine allgemein akzeptierte Definition und Klassifikation der Anastomoseninsuffizienz im Gastrointestinaltrakt existiert derzeit nicht (Bruce et al. 2001). Das behindert den Vergleich publizierter Ergebnisse und erklärt auch die oft extremen Unterschiede in der Rate der berichteten Anastomoseninsuffizienzen. Dementsprechend reicht das Spektrum der Therapieoptionen von der alleinigen Drainagebehandlung über endoskopische Intervention mit Fistelklebung, endoskopischem Clipverschluss oder Stentplatzierung bis hin zur Reoperation mit Nachresektion und Neuanlage der Anastomose, Exklusion durch Speichelfistel oder Anlage eines Stomas bis hin zur Diskontinuitätsresektion (Alanezik u. Urschel 2004; Doniec et al. 2003; Rodella et al.
. Tabelle 16.2. Klinische Klassifikation der Anastomoseninsuffizienz und deren therapeutische Konsequenz Einteilung
Befund
Konsequenzen
Grad I
Gut drainiert, ohne Sepsis
Konservative Therapie
Grad II
Ausreichend drainiert, aber ohne Sepsis
Ausschaltung aus der Intestinalpassage
Grad III
Unzureichend/nicht drainiert, mit Sepsis
Revision zur Herdsanierung
1998; Schein u. Marshall 2004; Siewert u. Stein 2001; Stein et al. 2001). In der eigenen Erfahrung hat sich eine einfache Klassifikation bewährt (Siewert et al. 2004). Sie berücksichtigt nur die beiden für das weitere Management wesentlichen Fragen: 4 Ist die Insuffizienz gut drainiert oder drainierbar? 4 Liegen Zeichen einer Sepsis vor? Hieraus ergeben sich dann unmittelbar therapeutische Konsequenzen (. Tab. 16.2).
Primäres Behandlungsziel ist immer die rasche und suffiziente Drainage der Insuffizienz und aller Verhalte nach außen, sowie die Verhinderung einer weiteren Kontamination durch Ableitung von Gastrointestinalinhalt aus dem Bereich der Insuffizienz.
Bei gut drainierter Insuffizienz und Fehlen jeglicher septischer Allgemeinreaktionen (Insuffizienz Grad I) ist der Versuch eines konservativen Vorgehens gerechtfertigt. Ausbleibende Verbesserung oder gar Verschlechterung des klinischen Bildes muss beim konservativen Vorgehen jedoch immer Anlass zur erneuten aggressiven Diagnostik und ggf. zur Intervention sein. Bei Patienten mit zwar gut drainierter Insuffizienz, aber klinischen Zeichen einer Sepsis (Insuffizienz Grad II) muss von einem persistierenden Flüssigkeitsverhalt ausgegangen werden. Hier ist eine Neutralisierung der Insuffizienz erforderlich. Diese ist möglich – je nach Lokalisation der Insuffizienz – z. B. durch Anlage eines zervikalen T-Rohrs in den Ösophagus, Anlage einer Speichelfistel, Überbrückung der Insuffizienz durch intestinale Stents, bei Duodenalstumpf-Insuffizienz oder Insuffizienz von biliodigestiven Anastomosen durch perkutane Gallengangsdrainagen, die transpapillär in das Duodenum vorgeführt werden oder bei Insuffizienzen im unteren Gastrointestinaltrakt durch Stomaanlage. Unzureichend drainierte oder drainierbare Insuffizienzen mit Sepsis (Insuffizienz Grad III) bedürfen immer einer operativen Revision mit dem Ziel der chirurgischen Herdsanierung, ggf. auch durch Diskontinuitätsresektion (Lamme et al. 2004; Schein u. Marshall 2004).
179 Literatur
Somit ist der Schlüssel zum erfolgreichen Management einer Anastomoseninsuffizienz die rasche und gezielte Diagnostik bei jeder Störung des normalen komplikationslosen postoperativen Verlaufs und die aggressive Intervention bei Nachweis der Insuffizienz. Therapieziel dabei ist, die Kontamination zu begrenzen und den septischen Verlauf günstig zu beeinflussen. Das ist heute aber nur möglich in enger Kooperation zwischen Chirurgen, Intensivmedizinern, Endoskopikern und interventionellen Radiologen.
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16
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17 17
Ambulante Chirurgie K. Ophoff, J. de Jager, V. Schumpelick
17.1
Gesetzliche Grundlagen
– 182
17.2
Organisation
17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4 17.2.5 17.2.6
Allgemeine organisatorische Anforderungen – 182 Bauliche Anforderungen – 183 Apparativ-technische Voraussetzungen – 183 Hygienische Voraussetzungen – 183 Personelle Voraussetzungen – 183 Medizinische Voraussetzungen – 183
17.3
Operationsverfahren
– 182
Literatur – 184
– 183
182
Kapitel 17 · Ambulante Chirurgie
) ) In der letzten Dekade hat die ambulante Chirurgie aufgrund gesundheits-politischer Veränderungen und ökonomischer Aspekte zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Mittelknappheit unseres Gesundheitssystems sorgt für eine breite politische, gesetzliche und medizinische Förderung des ambulanten Operierens, da diese Methode ein erhebliches Einsparpotenzial bietet. Ambulante Eingriffe erfahren durch Beibehaltung des häuslichen Umfeldes, die kurze Liegezeit und die frühe Reintegration eine hohe Wertschätzung durch den Patienten (Schumpelick et al. 2004; Blum 1998). Effiziente, ambulante Chirurgie setzt Investitionen in eine spezielle Organisationsstruktur voraus, die im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen räumliche, apparative, hygienische und personelle Aspekte berücksichtigt. Durch den Aufbau einer flächendeckenden ambulanten Struktur ist ein deutliches Einsparpotenzial aufgrund einer Erhöhung ambulant erbringbarer Eingriffe zu erwarten. Mit welcher Dynamik zu rechnen ist zeigt die USA, wo zwischenzeitlich mehr als 2500 Ambulatory Surgery Center (ASC) existieren, was einer Dichte von rund 100.000 Einwohnern pro Center entspricht (Ulsenheimer 2003).
17.1
Gesetzliche Grundlagen
Die in vielen Kliniken praktizierte kurzstationäre Chirurgie, bei der Patienten je nach Definition 1–3 Nächte in der Klinik verbleiben, ist strikt vom ambulanten Eingriff zu trennen. Die ambulante Operation setzt die Aufnahme und Entlassung des Patienten am selben Tag voraus.
Ambulante Chirurgie: Aufnahme + Operation am gleichen Tag.
17
Die Durchführung ambulanter chirurgischer Eingriffe durch niedergelassene Ärzte war schon immer möglich. Mit Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes zum 1.1.1993 sind ambulante Operationen auch im Krankenhaus möglich. Im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes im Jahre 2000 wurde u. a. im neuen § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz der Einsatz eines Vergütungssystems auf der Grundlage von Diagnosis Related Groups (DRG) vorgegeben. Der am 15. Juli 2003 durch die Selbstverwaltungspartner geschlossene Vertrag nach § 115b Absatz 1 SGB V zu ambulanten Operationen und stationsersetzenden Eingriffen im Krankenhaus (AOP) ist am 1. Januar 2004 in Kraft getreten. Er löst den bis zum 31. Dezember 2003 gültigen Vorgängervertrag »Ambulantes Operieren im Krankenhaus« vom 22. März 1993 ab. Der neue Vertrag zielt darauf ab, nicht notwendige vollstationäre Krankenhausbehandlung zu vermeiden, sowie eine patientengerechte und wirtschaftliche Versorgung zu sichern. An maßgeblichen Neuerungen des AOP-Vertrages sind die Erweiterung des Katalogs auch um nichtoperative »stationsersetzende Eingriffe« (Anlage 1 des AOP-Vertrages) sowie die Umkehr der Beweislast zu Lasten der Krankenhäuser bei der Begründung der Notwendigkeit der stationären Behandlung (Allgemeine Tatbestände nach Anlage 2 des AOP-Vertrages) zu nennen. Mit Wirkung ab dem Jahr 2005 ist eine Umstellung des Leistungskataloges nach § 115b SGB V
auf EBM-unabhängige Fallpauschalen auf Basis des OPS-301 sowie der ICD-10-GM geplant (§ 20 des AOP-Vertrages). Die DRG-basierte Vergütung wird im stationären Bereich eine weitere Absenkung der Verweildauer und notwendige Optimierungen krankenhausinterner Abläufe nach sich ziehen, um Leistungen kostendeckend erbringen zu können. Die zweijährige budgetneutrale DRG-Einführungsphase endet mit dem Jahr 2004 (Rochell et al. 2004). Der behandelnde Arzt muss einen Anreiz erhalten, diejenige Behandlungsform zu wählen, welche unter Kostenaspekten und der Patientensicherheit optimal geeignet ist. Das Krankenhaus seinerseits erfährt einen Anreiz zum ambulanten Operieren, da die Erlöse aus dem Krankenhausbudget für stationäre Leistungen ausgegliedert sind. Die Einführung der DRG hat zusätzliche Dynamik in die Diskussion zwischen Fehlbelegung d. h. möglichen ambulanten Operationen und der Kurzzeitchirurgie geführt (Lüngen et al. 2004). Die Durchführung ambulanter Operationen erfordert eine Mitteilung des Krankenhauses an die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen, die Kassenärztliche Vereinigung und den Zulassungsausschuss, in der die im Krankenhaus durchführbaren Operationen bezeichnet werden (§ 96 SGB V). Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität erfolgt durch die Krankenkassen (§ 12 SGB V). Die erforderlichen Daten werden gemäß § 301 an die Krankenkassen übermittelt (Rochell et al. 2004). 17.2
Organisation
In der »Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen bei ambulanten Operationen und bei sonstigen stationsersetzenden Leistungen gemäß § 15 des Vertrages nach § 115b Abs. 1 SGB V« werden allgemeine, fachliche, bauliche, apparativ-technische und hygienische Vorgaben zur Organisation angegeben, die jedoch nicht zwingend sind. Bei Eintreten eines Zwischenfalls oder im Falle einer Klage ist jedoch der Operateur in der »Bringschuld«. Eine detaillierte Dokumentation über den prä- und intraoperativen Befund sowie den postoperativen Verlauf des geplanten ambulanten Eingriffes sind gefordert. 17.2.1 Allgemeine organisatorische Anforderungen Vor Durchführung eines ambulanten Eingriffes muss der Operateur die Versorgung des Patienten im familiären bzw. häuslichen Umfeld oder die pflegerische Nachbetreuung sicherstellen. Bei mangelnder Einsicht des Patienten für eine ambulante Operation ist diese nicht durchführbar. Eine fehlende Kommunikationsmöglichkeit im Falle von postoperativen Komplikationen oder eine fehlende sachgerechte Versorgung im Haushalt (keine Transportmöglichkeit, große Entfernung, kein Telefon) können die ambulante Versorgung gefährden. Allgemein gilt, dass der Operateur für den Patienten nach der erfolgten Operation ständig erreichbar sein muss. Die präoperative Aufklärung zum geplanten Eingriff ist integraler Bestandteil des ambulanten Behandlungsablaufes. Eine ausführliche Aufklärung über die geplante Operation mit detaillierter Risikoaufklärung im Rahmen des Eingriffes erfolgt vom Operateur persönlich. Zwischen dem Aufklärungsgespräch, einschließlich der schriftlichen Einwilligung, und dem Operations-
183 17.3 · Operationsverfahren
tag müssen mindestens 24 h liegen, besser ist jedoch ein Intervall von einigen Tagen.
17
Behandlungsaufwand. Unerwähnt bleiben leider in diesem Zusammenhang hohes Patientenalter und Multimorbidität des Patienten, die einen ambulanten Eingriff fragwürdig machen.
17.2.2 Bauliche Anforderungen Gefordert werden eine Operationseinheit mit Operationssaal, Waschraum, Vorraum zur Ein- und Ausleitung, ein Aufwachraum und eine Schleuse mit Umkleideraum für Personal und Patienten. Des Weiteren werden ein Aufbereitungs- und Sterilisationsraum sowie Geräte-, Vorrats- und Entsorgungsräume benötigt. 17.2.3 Apparativ-technische Voraussetzungen Voraussetzung sind Instrumente und Geräte zur Reanimation bzw. Schockbehandlung (Monitor, Blutdruck-, Puls- und Sättigungmessung) einschließlich manueller Beatmungsmöglichkeit und griffbereiten Notfallmedikamenten. Die Ausstattung umfasst neben dem Operationstisch, Instrumentarium, fachgerechte Beleuchtung, netzunabhängige Licht- und Stromquellen eine Entlüftungsmöglichkeit. Infusions-, Naht- und Verbandsmaterial sowie sterile Operationskleidung und Patientenabdeckung sollten in ausreichender Menge und Sortierung vorhanden sein. 17.2.4 Hygienische Voraussetzungen Die fachgerechte Reinigung der Räume, die Desinfektion und Sterilisation der Instrumente und Geräte werden mittels Hygieneplan durchgeführt und dokumentiert (Reydelet 2004). Als Sterilisator sind üblicherweise Überdruckautoklave im Einsatz. Eine adäquate Abfallentsorgung wird zusätzlich gefordert.
Morbiditäts-/diagnosebedingte allgemeine Kriterien für eine stationäre Behandlung 5 Klinisch relevante Begleiterkrankungen – Herzinsuffizienz (III./IV. Grades) – bekannte maligne Hyperthermie – Lungenfunktionsstörungen – Koronarsyndrom – Gerinnungsstörungen 5 Besondere postoperative Risiken – aufgrund von postoperativer Überwachungspflichtigkeit von mehr als 8 h nach Beendigung des Eingriffs (z. B. kritischer endokriner oder metabolischer Status) 5 Schwere der Erkrankung – Bewusstlosigkeit – Verwirrtheitszustand – Akute Lähmung/Sehverlust/Hörverlust – Akute Blutung – Erhöhter Behandlungsaufwand: – Kontinuierliche intravenöse Medikation/Infusion – Kontinuierliche intensive Überwachungsnotwendigkeit – Kontinuierliche assistierte oder kontrollierte Beatmung – Bedrohliche Infektion, anhaltendes Fieber – Andere akute Funktionsstörungen – Gegenüber dem Regelfall sehr komplexe Eingriffe
17.3
Operationsverfahren
17.2.5 Personelle Voraussetzungen Ein Facharztstatus für den Operateur bzw. mindestens Aufsicht und Weisung mit der Möglichkeit des unverzüglichen Eingreifens durch den Facharzt ist Voraussetzung für die ambulante Operation. Der ärztliche Assistent soll entsprechende Erfahrung und Kenntnisstand haben. Zusätzlich sollten mindestens ein qualifizierter Mitarbeiter, der im Heilberuf oder als Arzthelfer ausgebildet ist, und eine Hilfskraft in Bereitschaft anwesend sein. 17.2.6 Medizinische Voraussetzungen Ein wesentliches Kriterium für die Einschätzung des perioperativen Risikos bietet die ASA-Klassifikation (American Society of Anaesthesiologists), nach der Patienten der ASA-Klassen I und II »ohne relevante Allgemeinkrankheiten« der ambulanten Operation zugeführt werden können. Neben den allgemeinen individuellen Tatbeständen, die sich vornehmlich auf soziale Faktoren gründen, bestehen auch morbiditäts-/diagnosebedingte allgemeine Tatbestände, die eine stationäre Durchführung von in der Regel ambulant durchführbaren Operationen und Eingriffen erforderlich machen (7 Übersicht). Zu den Kriterien zählen z. B. klinisch relevante Begleiterkrankungen, der Schweregrad der Erkrankung bzw. ein erhöhter
Mit dem seit dem 1. Januar 2004 geltenen Vertrag für ambulante Operationen und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus hat sich der Katalog der ambulant durchzuführenden Eingriffe deutlich vergrößert. Im Allgemeinen umfasst der Katalog Operationen und invasive Maßnahmen, die insbesondere in Lokalanästhesie oder in Sedierung aber auch in Intubationsnarkose durchgeführt werden können. Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben wurden alle im Katalog nach § 115b aufgeführten Leistungen ausschließlich in zwei Kategorien unterteilt. Diejenigen Leistungen, die in der Regel ambulant erbracht werden müssen, wurden mit einem Sternchen gesondert gekennzeichnet. Um auch für einige äußerst strittige EBM-Ziffern einen Kompromiss erzielen zu können, wurde eine ergänzende Kommentarspalte in den Katalog aufgenommen. In diese wurden für einzelne EBM-Ziffern entsprechende Hinweise eingefügt; dies insbesondere immer dann, wenn die Heterogenität der Leistungsbeschreibung eine Einschränkung der Zuordnung der Leistung zum stationären oder ambulanten Bereich unumgänglich machte. Zusätzlich wurde eine Differenzierung zwischen der Leistungserbringung bei Kindern und Erwachsenen vorgenommen, da der Leistungsaufwand unterschiedlich sein kann. Die Übersicht zeigt die für die Viszeralchirugie geltenden stationsersetzenden Eingriffe in vereinfachter Form.
184
Kapitel 17 · Ambulante Chirurgie
Literatur Katalog ambulant durchzuführender Operationen 5 Gastroskopie (Bougierung, Stentimplantation), Koloskopie 5 Wundversorgung 5 Fremdkörperentfernung 5 Lymphknotenentfernung 5 Probebiopsie 5 Bursektomie 5 Weichteil- und Hauttumorentfernung 5 Abszessexzision 5 Hautverschiebelappenplastik 5 Leisten-/Schenkel-/Nabelhernienreparation 5 Verschluss epigastrischer Hernien 5 Peritoneallavage 5 Laparoskopie (mit Adhäsiolyse, Probeentnahme) 5 Pilonidalsinusexzision 5 Sphinkterotomie 5 Exzision von Analfissuren 5 Port-Implantation
Von den insgesamt 307 Leistungen nach EBM sind ca. 150 Eingriffe in der Regel ambulant durchzuführen. In der Viszeralchirurgie sind es 40 Leistungen, von denen 17 in der Regel ambulant durchgeführt werden. Sollte eine derartige Leistung stationär erbracht werden, bedarf es bei Beweislastumkehr der Dokumentation und einer Begründung des Krankenhauses (Weiser 2004). Der AOP-Katalog regelt, welche Leistung auch von Krankenhäusern ambulant erbracht werden dürfen. Aus den im AOP-Katalog aufgeführten Eingriffen kann aber nicht automatisch die Verpflichtung hergeleitet werden, dass diese Eingriffe ausschließlich ambulant zu erbringen sind. Die Verpflichtung zur ärztlichen Prüfung und Dokumentation der Entscheidung über ambulante oder stationäre Durchführung einer Leistung besteht in jedem Einzelfall auch unabhängig von der Kategorisierung der jeweiligen Leistung oder den allgemeinen Tatbeständen. Die schriftliche Dokumentation ist damit nicht nur von hoher leistungsrechtlicher bzw. vergütungstechnischer Relevanz, sondern auch von haftungsrechtlicher Bedeutung.
17
Der Chirurg ist zur schriftlichen Begründung der Entscheidung über ambulante oder stationäre Durchführung verpflichtet!
Blum K (1998) Patientenzufriedenheit bei ambulanten Operationen. Juventa, Weinheim Lüngen M, Lauterbach KW (2004) Gesundheitspolitischer Rahmen für die ambulante und kurzzeitstationäre Chirurgie. Chirurg 75:113–119 Reydelet J (2004) Hygiene und Ambulantes Operieren – Hygieneplan nach § 36 IfSG. Der Chirurg BDC 3:M 71–74 Rochell B, Bunzemeier H, Roeder N (2004) Ambulante Operationen und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus nach § 115b SGB V – eine Einstiegshilfe (I). Krankenhaus 3/04 Rochell B, Bunzemeier H, Roeder N (2004) Ambulante Operationen und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus nach § 115b SGB V – eine Einstiegshilfe (II). Krankenhaus 4/04 Schumpelick V, Stumpf M, Schwab R (2004) Leistenhernienchirurgie als ambulante und kurzzeitstationäre Therapie. Chirurg 75:126–130 Ulsenheimer K (2003) Haftungsrechtliche Probleme – Rechtsfragen beim ambulanten Operieren. Dt. Ges. f. Chirurgie Mitteilungen 3/03:246– 253 Vertrag nach § 115b Absatz 1 SGB V – Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus vom 01. Juli 2003 sowie Qualitätssicherungsmaßnahmen bei ambulanten Operationen und bei sonstigen stationsersetzenden Leistungen gemäß § 15 des Vertrages nach § 115b Absatz 1 SGB V vom 01. Juli 2003 (siehe http://www.dkgev.de/1_pub.htm) Weiser HF (2004) Welche Leistungen sollten Krankenhäuser erbringen können und dürfen. (siehe http://www.bdc.de/bdcc/bdc.nsf )
18 18
Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung L. Lehr
18.1
Blutung
18.1.1 18.1.2 18.1.3
Lokalisationsdiagnostik – 186 Rezidivblutung – 186 Nachblutungen – 186
– 186
18.2
Blutersatz
18.3
Blutgerinnungsstörungen
18.3.1 18.3.2
Hämorrhagische Diathesen Thrombophilien – 191
18.4
Routinethromboembolieprophylaxe
– 187
Literatur – 191
– 189
– 190
– 191
186
Kapitel 18 · Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung
18.1.2 Rezidivblutung
) ) Diagnostik und primäre Therapie der gastrointestinalen Blutung sind heute meist eine Domäne der Endoskopie. Bei Rezidivblutungen ist die größte Schwierigkeit die rechtzeitige Indikationsstellung zum Verfahrenswechsel, in der Regel die Operation. Auch im Falle der Komplikation einer intraabdominellen postoperativen Blutung/Nachblutung besteht die ärztliche Kunst in der zeitgerechten Entscheidung zwischen Abwarten unter Substitutionstherapie und Relaparotomie. In speziellen Situationen kann allerdings heute die interventionelle Radiologie (Coiling, Stenting) die bessere Option sein. Die Themen Blutersatz inkl. Transfusionsmedizin sowie Blutgerinnung sind so komplex, dass sie eigene Handbücher füllen. Einige Faustregeln und Stichworte können aber helfen, sich bei Bedarf rasch zu orientieren und als Trigger dienen für die frühzeitige konsiliarische Hinzuziehung eines einschlägigen Experten z. B. für die Hämostaseologie.
18.1
Ein sehr differenziert anzugehendes Problem ist die Rezidivblutung. Vor allem wenn operative Verfahren wegen eines hohen Risikos primär nicht zum Einsatz kommen (z. B. bei Leberzirrhose mit Ösophagusvarizenblutung), wird man zunächst die endoskopische Blutstillung versuchen. Andererseits ist eine lokale Ulkusblutungchirurgie (Ulkusdurchstechung und Ligatur der A. gastroduodenalis), durchgeführt im blutungsfreien Intervall, 12–24 h nach endoskopischer Primärblutstillung und basierend auf endoskopischen Kriterien (Forrest-Klassifikation, . Kap. 27.6), gerade beim älteren Patienten weniger gefährlich als wiederholte erfolglose endoskopische Versuche. Auch postoperativ können ein Verfahrenswechsel (Angiographie und ggf. Embolisation bei Rezidivblutung nach Ligatur der A. gastroduodenalis) oder wieder die Laparotomie (Relaparotomie und Anlage von endständigen Enterostomata zur späteren Endoskopie bei anders nicht lokalisierbarer Dünn- oder Dickdarmblutung) sinnvoll sein.
Blutung 18.1.3 Nachblutungen
Diagnostik und Therapie der akuten Blutung richten sich nach deren Ursache, Quelle und vor allem Intensität. Bei postoperativen Blutungen ist auch das Zeitintervall zur vorausgegangenen Operation zu berücksichtigen. Zunächst stehen Einschätzung der Vitalfunktionen, Schockbehandlung bzw. -vermeidung durch Kreislaufüberwachung und Volumensubstitution im Vordergrund. Die diesbezüglichen Kriterien, betreffend Kristalloid-, Kolloid- und Blutkomponentengaben, sind Standard (. Kap. 18.2). 18.1.1 Lokalisationsdiagnostik
18
Bei Hinweisen auf eine Blutung in den Gastrointestinaltrakt ist die Endoskopie das Verfahren der ersten Wahl. Dabei sollte man immer mit einer Ösophagogastroduodenoskopie beginnen, weil obere gastrointestinale Blutungen häufiger sind als untere. Massenblutungen mit dringender Operationsindikation sind v. a. im oberen Gastrointestinaltrakt zu finden. Die angiographische Darstellbarkeit einer Blutung setzt eine hohe Blutungsintensität (Substitutionsbedarf von mindestens 1–2 Erythrozytenkonserven [EK] pro Stunde) voraus. Eine gute Indikation zur Angiographie ist die endoskopische Beobachtung einer Blutung aus der Duodenalpapille bei Hämobilie oder Haemosuccus pancreaticus wegen der gleichzeitigen therapeutischen Option zur Embolisierung des blutenden Gefäßes, z. B. bei arterieller Arrosionsblutung in eine Pankreaspseudozyste. Manchmal aber ist es nicht nötig, die aktive Blutung selbst als Kontrastmittelaustritt darzustellen, sondern die Diagnose ergibt sich indirekt aus spezifischen angiographischen Merkmalen (Hämangiom, Aneurysma, Spasmus, Gefäßwandunregelmäßigkeit i. S. einer Arrosion etc.). Das Problem der szintigraphischen Verfahren ist oft die Schwierigkeit einer nur ungefähren topographischen Zuordnungsmöglichkeit der Aktivitätsanreicherung, die für ein gezieltes operatives Vorgehen zu ungenau ist. Die Überlegungen zu den verschiedenen therapeutischen Optionen der Blutstillung, d. h. vor allem endoskopisch/medikamentös versus chirurgisch, sowie zur Behandlung der Grundkrankheit, sind Thema der jeweiligen Organkapitel.
Von den Rezidivblutungen zu trennen sind die postoperativen Blutungen im engeren Sinn, die Nachblutungen. Dabei ist zwischen Früh- und Spät-, extra- und intraluminaler Manifestation zu unterscheiden. Der frühen Nachblutung liegt meist ein Blutstillungsproblem zugrunde. Damit sind Ausdehnung und Verlauf der Operation und so auch die allerdings bekannt subjektive Einschätzung des Operateurs wichtige Kriterien für die Entscheidung über das weitere Vorgehen. Zur Abschätzung der Blutungsintensität wird versucht, Kreislaufparameter, Transfusionsbedarf, abdomensonographisch nachweisbare Zunahme der freien Flüssigkeitsmenge sowie Blutverluste nach außen z. B. über Drainagen (unsicher!) zueinander in Relation zu setzen. Bei Diskrepanz zwischen der Menge an freier Flüssigkeit und Klinik, woraus sich der Verdacht auf ein Organ-, Retroperitoneal- oder anderes Weichgewebehämatom ergibt, kann ein CT weiterhelfen. Gibt es Anhaltspunkte für eine diffuse Blutungsneigung (Unterkühlung ausschließen bzw. beseitigen!), kann ein Therapieversuch durch Unterstützung der Gerinnungsfunktion mit Gefrierplasma und Thrombozytenkonzentraten vertretbar sein. Spätestens nach 6–8 h sollte man bei einem substitutionspflichtigen Verlust von 1 EK/h sich diese Strategie jedoch überlegen, besonders wenn sonographisch oder im CT Hinweise für eine Blutansammlung im Abdomen bzw. im Operationsgebiet bestehen. Da es sich im viszeralchirurgischen Bereich meist um sauber-kontaminierte oder kontaminierte Eingriffe handelt, stellt dieses Blut einen Nährboden für Bakterien dar und ist nicht selten der Grundstein für die spätere Komplikation eines Abszesses. Die CT-gesteuerte Punktion eines Hämatoms verspricht meist erst nach der Abtrennung des flüssigen Serumanteils – in der Regel nach 1–2 Wochen – Erfolg. Wir stellen daher die Indikation zur Relaparotomie bei Blutung sehr früh. Intraluminale Blutungen aus Anastomosen rechtfertigen eher ein konservatives Vorgehen mit Gerinnungsubstitution, unterstützt – sofern in Reichweite der Endoskope – durch lokales Unterspritzen, Koagulation etc. Weichgewebe- und Muskelblutungen, z. B. im M. iliopsoas, treten spontan oder bei Gerinnungsstörung, z. B. Marcumartherapie, auf. Erst muss man die Gerinnung normalisieren (Marcumar:
187 18.2 · Blutersatz
Dosisreduktion/Absetzen, Antagonisierung mit Vitamin K, zur Gerinnungssubstitution PPSB), dann ist die Indikation (z. B. Druck auf N. femoralis, Muskelnekrose, Infektion) zu einer operativen Ausräumung zu überlegen, möglichst mit einem Intervall von 2–3 Tagen. Organhämatome, insbesondere der Leber, subkapsulär oder intrahepatisch, werden primär konservativ behandelt. Muss man aktiv werden, ist beim intrahepatischen Hämatom der nächste Schritt die Angiographie ggf. mit Embolisation, beim subkapsulären Leberhämatom die Laparotomie mit Koagulation der dekapsulierten Leberoberfläche und ggf. Tamponade in Form des »packing«. Die Ursache einer Spätnachblutung ist meist eine chemische oder septische Arrosion von oft größeren Arterien. Entsprechend ist sie am häufigsten bei einer Anastomoseninsuffizienz im Leber-, Pankreas- oder kolorektalen Bereich. Ein erkennbar septisches Krankheitsbild muss der Blutung nicht vorausgehen. Nicht selten ist es so, dass die erste septische Fieberzacke und der Leukozytenanstieg mit der Blutung zusammenfallen. Alarmierend muss sein, wenn nach der ersten postoperativen Woche klinische Blutungszeichen auftreten und es zum Blutfluss über eine noch liegende Drainage, eine alte Drainagestelle, zu einer in der Bildgebung nachgewiesenen Hämatombildung im Operationsbereich und gleichzeitig – infolge der Eintrittsmöglichkeit nach intraluminal durch das Anastomosenleck – zum Absetzen von Blut über den Anus und/oder Bluterbrechen kommt. Wurde die Anastomose allerdings nach Roux Y ausgeschaltet, kann man selten Bluterbrechen, dafür aber, wenn man bis dahin gelangen kann, endoskopisch Blutaustritt an der Fußpunktanastomose beobachten. Cave Die erste Blutungsepisode kommt meist spontan zum Stillstand, darf aber keinesfalls bagatellisiert werden. Sie muss vielmehr als Prodrom der mit nahezu absoluter Sicherheit innerhalb der nächsten 24–72 h folgenden lebensbedrohlichen Massenblutung gewertet werden und sofort die Indikation zur Angiographie stellen lassen.
Bei fest verklebtem Operationssitus ist es meist nicht zu vermeiden, dass die Anastomose, die gleichzeitig Ursache und Teil des Problems ist, aufgelöst werden muss. Im Beckenbereich mag durch vorübergehende Schaffung einer Hartmann-Situation die Option einer späteren Rekonstruktion noch erhalten bleiben, am Pankreas, z. B. nach einer Whipple-Operation, ist dies aber praktisch ausgeschlossen und endet meist in der totalen (Rest)Pankreatektomie. Aus diesen Gründen favorisieren wir im Anschluss an die diagnostische Angiographie bei Blutungen aus der A. lienalis, den Beckenarterien und auch aus der A. hepatica den Versuch einer radiologisch-interventionellen Gefäßokklusion (. Abb. 18.1). Bei seitständiger Arrosion kann interventionell ein Stent eingebracht werden, der einerseits den Defekt schließt und damit die Blutung stillt, gleichzeitig aber den arteriellen Blutzufluss z. B. zur Leber erhält. Ein gefäßchirurgischer Rekonstruktionsversuch, z. B. mit Interponat, in dieser Notfallblutungssituation im septischen Narbengewebe mit aufgehobener Anatomie kann technisch extrem schwierig und komplikationsträchtig sein. Bei einer Blutung aus einem Leberarterienast würden wir ebenfalls die schonendere radiologisch-interventionelle Gefäß-
18
okklusion bevorzugen, denn eine chirurgische Intervention kann die Durchblutung meist auch nicht erhalten. 18.2
Blutersatz
Die Transfusion von Vollblut (Warm- und Frischblut) ist obsolet. Nur der jeweils wirklich fehlende Blutbestandteil soll als spezifische Komponente gezielt ersetzt werden (Blutkomponententherapie; Glück u. Kubanek 1989). Der Blutersatz bei akuten Blutungen, etwa in Form des Ulmer Transfusionsplans (. Abb. 18.2), bietet in der Viszeralchirurgie gegenüber der Allgemeinchirurgie (Lehr 2005) keine Besonderheiten. Bei Rezidiv- und frühen Nachblutungen werden gefrorenes Frischplasma (GFP) und Thrombozytenkonzentrate zusätzlich zu einer notwendigen Erythrozytensubstitution verabreicht. In der Akutsituation sollte man einen Hämogloblinwert von 10–11 g/l anstreben, schon um für Diagnostik, Narkoseeinleitung, Operationsbeginn etc. eine ausreichende Kreislaufreserve sicherzustellen. In der Elektivsituation weiß man, dass zumindest bei kreislaufgesunden jüngeren Patienten selbst Werte bis unter 5 g/l toleriert werden. Entscheidende Voraussetzung ist allerdings die Aufrechterhaltung von Normovolämie und Normoxie. Nach transfusionsbedürftigen Operationen ist meist mit einer Heilungsphase von mindestens 2 Wochen zu rechnen. Der Tiefpunkt des Hämoglobinwertes ist häufig aber nicht schon mit Beendigung der Operation erreicht, sondern fällt mit Beginn der Wundheilungsphase erfahrungsgemäß noch um mindestens 1–2 g/l weiter ab. Nicht zuletzt ist die Neubildungsfähigkeit des Knochenmarks für Erythrozyten bei onkologischen Patienten oft durch eine Eisenverfügbarkeitsstörung eingeschränkt. Es ist deshalb nicht sinnvoll, einen Patienten am Hämoglobinlimit aus der Operation kommen zu lassen, um sich eine Woche später dann doch zur Transfusion entschließen zu müssen, weil der Patient wegen Kollaps, Adynamie etc. nicht zügig mobilisiert werden kann. So halten wir beim Patienten über 60 Jahre ein Hämoglobin von etwa 10 g/l für wünschenswert, akzeptieren aber bei jungen kreislaufgesunden Patienten unter Beobachtung Werte bis 7 g/l. Ähnlich individuell zu interpretieren ist die ausreichende Thrombozytenzahl. Spontanblutungen bei unverletzten Patienten treten selbst bei Werten unter 20.000/mm3 nicht regelmäßig auf. Postoperativ wird man allerdings Werte um 50.000 anstreben, für größere Operationen über 80.000. Der Bedarf für GFP als Blutersatzmittel lässt sich in der Akutsituation laboranalytisch nicht exakt objektivieren, er erfolgt meist nach empirischen Regeln. Obwohl Blut und Blutprodukte durch strenge gesetzlichen Auflagen (Transfusionsgesetz 1998) und verbesserte Tests auf Infektiosität heute als sehr sicher anzusehen sind, bedarf jede Transfusion einer strengen Indikationsstellung.
Der Beitrag des Chirurgen zur Lösung von Blutersatzproblemen ist eine blutsparende operative Technik (Lehr et al. 1993).
Abhängig vom Krankengut, so z. B. vom T-Stadium, d. h. dem Anteil an erweiterten Resektionen, schwanken die Empfehlungen, wie viele Blutkonserven für typische Operationen in einem
188
Kapitel 18 · Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung
. Abb. 18.1a–c. Radiologischinterventionelle (Prof. Dr. H. Berger) Gefäßokklusion zur Stillung einer Arrosionsblutung aus der A. lienalis bei Insuffizienz der Pankreato-Jejunostomie nach Whipple-Operation
18
189
. Abb. 18.2. Ulmer Transfusionsplan
Volumen Ersatz Liter
Kristal.-Lsg.
18.3 · Blutgerinnungsstörungen
Kolloid. Lsg. Künstl.
Ery
Plasma
18 Thrombo
HA 5 %
500 ml
1 500
1,0 250
250 ml
250
2 250 250
3,0 200
3
4,8 250 ml
4
7,4 nach Wert
5
. Tabelle 18.1. Präoperative Bereitstellung (Kreuzen) von Erythrozytenkonzentraten
Operationsverfahren
Konservenzahl
Strumaresektion
0
Ösophagektomie + Rekonstruktion
4–6
Totale Gastrektomie
2–4 (T4)
Cholezystektomie
0
Splenektomie (elektiv)
2
Whipple-Operation
4
Hemihepatektomie
4
Hemikolektomie rechts
0
Hemikolektomie links
2
Sigmaresektion
0
Anteriore Rektumresektion
2
Rektumamputation
2–4 (T4)
Haus routinemäßig bereitgestellt werden sollen. Darunter ist zu verstehen, dass die Verträglichkeit für den jeweiligen Patienten bereits durch eine negative serologische Verträglichkeitsprobe (Kreuzprobe) sichergestellt ist. Es bedarf also nur noch der AB0Identitätskontrolle in Form des sog. »Bedside-Test« am Empfängerblut, um ggf. sofort mit der Transfusion beginnen zu können. Die im eigenen Vorgehen für die Stationen festgelegte präoperative Bestellpraxis ist . Tab. 18.1 dargestellt. Es ist kein Zeichen von Missmanagement, wenn mehr Konserven gekreuzt und bereitgestellt als transfundiert werden. Als vernünftige Relation gilt bis 2,5:1. Auch wenn nach obiger Übersicht keine Bereitstellung von Blut vorgesehen ist, sollten jedoch unbedingt rechtzeitig vor der Operation die Blutgruppe bestimmt und der Antikörpersuchtest vorgenommen werden. Andernfalls können bei selteneren Blutgruppen und irregulären Antikörpern Probleme bei der rechtzeitigen Beschaffung kompatiblen Blutes entstehen, wenn doch unerwartet eine dringende Situation eintritt. 18.3
Blutgerinnungsstörungen
Störungen der Hämostase sind ein komplexes Gebiet mit zum Teil hochspeziellen (labor-)diagnostischen und therapeutischen Anforderungen. Es kann deshalb hier nur ein allgemeiner Über-
190
Kapitel 18 · Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung
blick gegeben werden. Die Notwendigkeit einer kontinuierlichen begleitenden differenzierten labortechnischen Therapiekontrolle, die Gefahren einer inadäquaten Behandlung und nicht zuletzt auch die erheblichen Kosten einer unnötigen oder überschießenden Substitution (Vorstand und Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer 2003) mit teuren Gerinnungspräparaten lassen in aller Regel die Zuziehung eines Gerinnungsexperten ratsam erscheinen. 18.3.1 Hämorrhagische Diathesen Je nach dem betroffenen Teil des Hämostasesystems werden plasmatische (Koagulopathien), thrombozytäre und vaskuläre Ursachen unterschieden. Diese können angeboren oder erworben sein.
18
Koagulopathien Angeborene Mangel- bzw. Defektzustände sind von allen Gerinnungsfaktoren bekannt. Die »klassischen« sind Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel), Hämophilie B (Faktor-IX-Mangel) und Von-Willebrand-Krankheit (plasmatischer Kofaktor der Tc-Aggregation). Selten wird man durch die Blutungskomplikation eines viszeralchirurgischen Eingriffs erstmals auf die Diagnose kommen. Meist geht es um die Planung der perioperativen Substitutionstherapie beim bekannten Bluter. Da es verschiedene Typen und Schweregrade des Bluterleidens gibt und es keineswegs notwendig ist, Normalwerte an den mangelnden Gerinnungsfaktoren zu erreichen, wird man sich am besten vom Hämophiliezentrum, das den Patienten betreut, beraten lassen. Für den Faktor-XIII-Mangel typisch wäre, dass Blutungen erst nach einem zeitlichen Intervall von bis zu 36 h nach der Verletzung/Operation beginnen, weil sich das zunächst gebildete aber instabile Fibrin vorzeitig auflöst. Auch das Verkleben von Wunden, Anastomosen etc. kann deutlich verzögert sein. Damit ist die Abgrenzung zu chirurgischen Komplikationen oft schwierig und strittig. Mittel der ersten Wahl sind heute Faktorenkonzentrate, bei kleineren geplanten Eingriffen und milden Formen von Hämophilie A und insbesondere Von-Willebrand-Syndrom zuerst DDAVP (Desmopressin), nicht jedoch Gefrierplasma. Beim Faktor-XIII-Mangel – auch in den erworbenen Fällen, z. B. bei Sepsis – genügen bereits einige wenige Prozent an Faktor-XIIIAktivität, um die Blutstillung zu normalisieren, sodass die Indikation generell selten ist; kontrollierte Studien gibt es nicht. Erworbene Koagulopathien können durch Störungen der Synthese (Vitamin-K-Mangel/-Hemmung, Lebererkrankungen), Verbrauch durch Gerinnungsaktivierung im Sinne einer disseminierten intravasalen Koagulation (DIC) oder Hemmung (Immunkoagulopathien) von plasmatischen Gerinnungsfaktoren bedingt sein. Vitamin-K-Mangel kann durch intestinale Resorptionsstörung fettlöslicher Vitamine (z. B. beim Verschlussikterus) verursacht werden, Vitamin-K-Hemmung durch Antagonisten vom Typ der Kumarine (z. B. Marcumar). Die Therapie besteht in der Gabe von bevorzugt Phytomenadion (Vitamin K1), in dringenden Fällen von PPSB, eine Kumarineinnahme wird ausgesetzt bzw. reduziert. Bei Erkrankungen der Leber sind PPSB (cave DIC!) und GFP die besten Substitutionsmittel. Vor einer Elektivoperation sollte ein Quickwert von 60–80 % angestrebt werden.
Bei einer DIC ist die alles entscheidende Maßnahme die Beseitigung der auslösenden Ursache, d. h. vor allem die Eradikation einer Sepsis durch (chirurgische) Fokussanierung.
Zusätzliche medikamentöse Eingriffe ins Gerinnungssystem (GFP, AT III, Heparin, Antifibrinolytika) haben bestenfalls unterstützend-überbrückenden Wert. Prokoagulatorische Faktoren inkl. Thrombozyten sind in der Regel kontraindiziert, ausgenommen GFP, das ja ein Gemisch mit Inhibitoren darstellt. Thrombozy täre Erkrankungen Die Diagnostik hereditärer Thrombozytopenien und -pathien ist Speziallaboratorien vorbehalten. Therapeutisch steht die Thrombozytensubstitution im Vordergrund. Erworbene Thrombozytopenien sind die häufigste Form der hämorrhagischen Diathesen. Pathogenetisch wird zwischen einer verminderten Bildung (aplastische Thrombozytopenien durch infiltrativ-verdrängende Erkrankungen/toxische Schädigungen des Knochenmarks) und einem vermehrten Abbau (thrombozytoklastische Thrombozytopenien) unterschieden. Kombinationen sind häufig (Hypersplenismus = splenogene Sequestrierung + Markhemmung). Die thrombozytoklastische Thrombozytopenie mit chirurgischer Behandlungsmöglichkeit ist die autoimmunthrombozytopenische Purpura (ATP) des Erwachsenen (früher: idiopathische thrombozytopenische Purpura, ITP, M. Werlhof). Die Diagnose bedarf subtiler hämatologischer Ausschluss- und Differenzialdiagnostik inkl. Laboruntersuchungen (Nachweis von Thrombozytenantikörpern). Abgesehen von der Indikation zur Splenektomie wegen gravierender Verdrängungsbeschwerden durch Splenomegalie besteht Therapiebedarf erst bei Thrombozytenzahlen unter etwa 50.000. Meist sind Kortikosteroide primär gut wirksam. Oft kommt es beim Dosisausschleichen aber wieder zum kritischen Thrombozytenabfall. Immunglobuline (IgG) i.v. führen durch Verminderung der Abbaurate immunologisch geschädigter Plättchen im mononukleär-phagozytären System (MPS) zu einem raschen Thrombozytenanstieg und sind deshalb besonders zur akuten Blutstillung und zur Operationsvorbereitung hilfreich. Die Wirkung geht aber innerhalb von Tagen vorbei. Angeblich lässt ein gutes Ansprechen auf Immunglobulin einen therapeutischen Nutzen der Splenektomie vorhersagen, was insofern logisch ist, da die Splenektomie zu einer Reduktion des MPS und damit ebenfalls seiner Eliminationskapazität führt. Jedenfalls sollte die Splenektomie erwogen werden, wenn nach einer ausschleichenden Steroidtherapie sich die Plättchen nicht auf einer für die Hämostase nötigen Höhe halten. Die ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-KochInstitut empfiehlt bei Asplenie Impfungen gegen Pneumokokken, Haemophilus influenzae Typ b und Meningokokken (Epidemiologisches Bulletin Juli 2004). Wenn ein Patient auf Kortikosteroide oder IgG reagiert, sollte diese Therapie präoperativ eingesetzt werden, um Plättchenzahlen von etwa 80.000 zu erzielen. Die Steroiddosis sollte nach der Operation langsam reduziert werden; etwa 2/3 der Patienten halten damit nach der Splenektomie die Plättchen in ausreichender Höhe. Wegen der die Krankheit verursachenden Thrombozytenautoantikörper sinkt auch die Halbwertszeit transfundierter Fremdthrombozyten in den Stundenbereich ab. Trotzdem wird man bei bedrohlichen Blutungskomplikationen Plättchen transfundieren, in der Hoffnung,
191 Literatur
dass trotz der extrem verkürzten Halbwertszeit die Blutung gestillt werden kann. Kurz vor oder mit der Thrombozytentransfusion sollte immer IgG gegeben werden. Medikamentös-allergische Thrombozytopenien können durch zahlreiche Medikamente ausgelöst werden. In der Chirurgie ist die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) als Komplikation der Thromboembolieprophylaxe die praktisch wichtigste (. Kap. 18.4). Von den erworbenen Thrombozytopathien für den chirurgischen Alltag wichtig ist die Blutungs- und Nachblutungsgefahr unter Einnahme von Azetylsalizylsäure (ASS). Da dabei Selbstmedikation weit verbreitet ist und die Patienten spontan darüber oft nicht berichten, ist eine diesbezüglich gezielte Anamnesefrage nötig. In elektiven Situationen muss die ASS-Einnahme mindestens 3, besser 7–10 Tage vor der Operation eingestellt werden, bei Dringlichkeit ist eine Antagonisierung mit DDAVP (Desmopressin) möglich. Vaskuläre hämorrhagische Diathesen Diese treten angeboren am häufigsten als M. Osler-Weber-Rendu (Teleangiectasia haemorrhagica hereditaria) auf. Die einige Millimeter großen Gefäßerweiterungen entstehen nicht nur an der Haut und sichtbaren Schleimhäuten, sondern auch im Gastrointestinal-, Respirations- und Harntrakt. Bei endoskopisch schwer zugänglichen rezidivierenden oder bedrohlichen Blutungen kann die Resektion z. B. von Dünndarm indiziert sein. 18.3.2 Thrombophilien In erster Linie zur Thrombose disponiert ist die venöse Strombahn (tiefe Bein-/Beckenvenen, Mesenterialvenen) und der Patient ist durch eine Lungenembolie bzw. Darmnekrose akut gefährdet oder durch Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms lebenslang beeinträchtigt. Geläufige Mängel sind z. B. AT-III-, Protein-C- und ProteinS-Mangel oder die sog. APC-Resistenz (Faktor-V-Mutation). Je nach Schweregrad besteht bereits als Säugling ein erhebliches Thromboembolierisiko oder erst bis zum 50. Lebensjahr hat mehr als die Hälfte der Patienten ein venöses thromboembolisches Ereignis gehabt. Thromboembolien manifestieren sich häufig, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen wie Schwangerschaft, Einnahme von oralen Kontrazeptiva, Immobilisation und Operation. Das Routinelabor hilft hier praktisch nie weiter; die einschlägige Anamnese entscheidet, ob eine laboranalytische Abklärung veranlasst und/oder die perioperative Thromboembolieprophylaxe über die Routine hinaus verstärkt oder verlängert werden muss. Bei hohem Risiko und entsprechendem Phlebographiebefund kann sich die Indikation zur Anlage einer Emboliesperre (Cavaschirm) ergeben. 18.4
Routinethromboembolieprophylaxe
Größere Eingriffe in der Bauch und Beckenregion besitzen ein mittleres bis hohes (Karzinome!) Thromboembolierisiko. Die Notwendigkeit einer medikamentösen Prophylaxe, neben der Ausschöpfung der physikalischen und frühmobilisierenden Basismaßnahmen, ist deshalb heute unumstritten. Weitgehend durchgesetzt haben sich die niedermolekularen Heparine. Eine
18
Komplikation der Heparinanwendung ist die heparininduzierte Thromozytopenie (HIT Typ I und II). Gefährlich ist besonders die HIT II (venöse und arterielle Thrombosen inkl. zerebral und viszeral). Eine entsprechende Aufklärung des Patienten ist unerlässlich. Um der Wichtigkeit des Themas Rechnung zu tragen, hat die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (2000) einen Expertenkonsens publiziert, der auch Hinweise zur Diagnostik einer HIT (Thrombozytenzahlmonitoring vor und ab dem 5. Tag der Heparingabe mehrmals pro Woche) und Präparatumstellung (Hirudin) der Antikoagulation gibt.
Literatur Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (2000) Grundlagen der Chirurgie (G91): Leitlinien zur stationären und ambulanten Thromboembolieprophylaxe in der Chirurgie. Beilage zu den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 3/2000, Demeter, Balingen Glück D, Kubanek B (1989) Transfusionsmedizin: Blutkomponententherapie. Fischer, Stuttgart New York Lehr L (2005) Bluttransfusion. In: Siewert JR (Hrsg) Chirurgie, 8. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg, im Druck Lehr L, Schuhmacher C, Siewert JR (1993) Blutsparendes Operieren in der Abdominalchirurgie. In: Ahnefeld FW (Hrsg) Fremdblutsparende Methoden, Klinische Anästhesiologie und Intensivtherapie, Bd 43. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 96–113 Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (2004) Epidemiologisches Bulletin Nr. 30 Vorstand und Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer (2003) Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, 3. Aufl. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln
19 19
Antibiotikatherapie G. Welty
19.1
Infektionswege
19.2
Grundsätzliche Problematik der korrekten Antibiotikatherapie – 194
19.3
Planung und Durchführung einer adäquaten Antibiotikatherapie – 195
19.3.1
Auswahl der wichtigsten Antibiotikastoffgruppen und ihr Erregerspektrum – 195
Literatur – 198
– 194
194
Kapitel 19 · Antibiotikatherapie
19.2
) ) Die Rate nosokomialer, d. h. im Krankenhaus erworbener Infektionen insbesondere mit (multi)resistenten Problemkeimen nimmt kontinuierlich zu und beträgt in Deutschland 3,5% auf einer Normalstation bis 15,3% auf einer Intensivstation. In Europa sind 10–67% aller Intensivpatienten betroffen. Häufigste Manifestationsorte sind untere Atemwege (8–47%) und ableitende Harnwege (8–37%), gefolgt von Wundinfektionen (7–17%) und septischen Komplikationen (6–19%). Diese Morbiditätsfaktoren protrahieren den Krankheitsverlauf erheblich und sind oft bedeutender als die ambulant durch die Grunderkrankung oder das Trauma erworbenen Infektionen.
19.1
Infektionswege
Der Verlust verschiedener Schutzmechanismen eröffnet exogene und endogene Infektionswege. Risikoerhöhende Faktoren sind: 4 Patientenalter und Grundmorbidität: Diabetes mellitus, Tumorkachexie, Trauma 4 Krankheitsdauer, Länge des Aufenthaltes auf der Intensivstation und der Beatmung 4 Störung der Atemmechanik und der Expektoration nach Laparotomie, besonders bei unzureichender Analgesie 4 Verletzung der Hautbarriere, Eröffnung endogener Keimreservoire und Postaggressionsstoffwechsel durch den operativen Eingriff 4 Stressulkusprophylaxe, Magensonde: Keimbesiedlung des Magens mit möglicher Aszension und Aspiration, Sinusitis durch Verlegung des Sekretabflusses 4 Katheter 4 Parenterale Ernährung (Keimtranslokation, Inaktivität des Dünndarms als Immunorgan) 4 Therapie mit Immunsuppressiva und Antibiotika
Händedesinfektion und das Tragen von Handschuhen sind die wichtigsten Maßnahmen zur Vermeidung einer exogenen Infektion durch Keimübertragung von einem Patienten zum anderen.
19
Die Kontamination mit Hospitalkeimen ist auch durch den Verzicht auf eine wiederholte Inspektion und Untersuchung beispielsweise einer offenen Fraktur außerhalb des Operationssaales vermeidbar. Aerogene Übertragung und medizinisches Gerät spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Der größere Anteil der nosokomialen Infektionen ist jedoch endogenen Ursprungs (bei Intensivpatienten bis zu 80%) und kann durch Hygienemaßnahmen nur bedingt beeinflusst werden. Die Erreger stammen hier aus der patienteneigenen Haut- (Katheter- und Wundinfektionen), Schleimhaut- und Darmflora (bronchopulmonale Infektionen, Translokation/Endotoxinämie) und erlangen ihre Virulenz durch den Standortwechsel (Dellinger 1999; Elliot et al. 2000; Mazuski et al. 2002).
Grundsätzliche Problematik der korrekten Antibiotikatherapie
Der behandelnde Chirurg steht im Falle einer Infektion des Patienten nicht nur einem wesentlichen Komorbiditätsfaktor, sondern auch der Komplexität der Fächer Mikrobiologie und Pharmakologie gegenüber. Die Indikation zu einer Notfalllaparotomie fällt ggf. leichter als die richtige Antibiotikawahl. Dieser Umstand ist nicht zuletzt durch die schwierige Nomenklatur der Antiinfektiva begründet. Für nahezu alle Präparate ist eine Aufstellung von Synonymen unter Verwendung der Stoffklasse, des Generic name oder des Handelsnamens möglich. Auch aus dieser Tatsache resultiert der Wunsch, ein Antibiotikum zur Verfügung zu haben, das gleich gut wirksam gegen alle Keime ist. Dies ist in überschaubarer Zukunft unerreichbar und zurzeit eher kontraproduktiv, da die Herstellung, Vermarktung und unbedachte Anwendung von Präparaten mit immer breiteren Spektren ihre eigenen Risiken trägt: unzureichende Wirkung gegen den eigentlich krankheitsauslösenden Keim, Resistenzentwicklung, Selektion von Problemkeimen, vermehrte Zerstörung der natürlichen Keimflora mit der Gefahr einer opportunistischen (Pilz-)Infektion. Bei einer kalkulierten initialen Antibiotikatherapie ohne direkten Keimnachweis wird den Krankheitsbildern mit ihren wahrscheinlichsten Erreger(gruppe)n die entsprechende Antibiotikatherapie gegenübergestellt. Dies setzt jedoch eine (geringstenfalls Verdachts-)Diagnose voraus. Der leider verbreitete Ausdruck »blinde antibiotische Abdeckung« wird also den Tatsachen bei korrekter Durchführung nicht gerecht. Bei unspezifischen Infektzeichen in Form von Fieber oder Leukozytose ist zu berücksichtigen, dass eine antibiotische Therapie, so breit sie auch sein mag, niemals den klinischen Blick ersetzen kann und darf. So sollte beim postoperativen Fieber der erste Blick der Wunde gelten, ein einfacher subkutaner Wundinfekt ohne phlegmonöse Umgebungsreaktion braucht nach chirurgischer Wunderöffnung und -debridement in der Regel keine antibiotische Therapie. Der zweite Blick fällt auf einliegende Katheter: Thrombophlebitis? Urinbeschaffenheit? Alter des zentralen Venenzuganges? Auch hier kann mit der Entfernung der Ursache oft eine unnötige Antibiotikagabe vermieden werden. Bei ungewöhnlichem Untersuchungsbefund des Abdomens hat die Sonographie zum Ausschluss intraabdomineller Verhalte eine hohe Sensitivität erlangt. Die Möglichkeit der sonographisch gesteuerten diagnostischen oder therapeutischen Punktion kann eine (bei abgekapselten Prozessen eventuell unwirksame) Antibiotikagabe ersetzen oder der Materialgewinnung für eine gezielte Therapie dienen. Auffällige Sputumbeschaffenheit und Auskultation führen zur radiologischen Diagnosesicherung einer Pneumonie. Die Krankheits- und Beatmungsdauer sind für das zu erwartende Erregerspektrum entscheidend, die bronchoskopische Trachealsekretgewinnung vereint hier ebenfalls Diagnostik und Therapie. Bei unklarer Sepsis ist selbstverständlich die Abnahme von Blutkulturen indiziert, jedoch kann der Therapiebeginn nicht bis zur Mitteilung der mikrobiologischen Ergebnisse verzögert werden. Durch minimale Diagnostik kann also eine nicht indizierte Antibiotikatherapie vermieden werden oder sie wird auf die zu erwartenden Erreger begrenzt oder erweitert. Eine falsche Indikationsstellung oder Antibiotikawahl ist risikobehaftet, sie kann die Aufenthaltsdauer des Patienten verlängern und die Therapiekosten unnötig erhöhen.
195 19.3 · Planung und Durchführung einer adäquaten Antibiotikatherapie
Cave Die falsche Auswahl eines Antibiotikums (unnötig breites Spektrum) kann die Tageskosten dieser Therapie um mehr als das 350-fache erhöhen.
Als weitere Voraussetzungen für die korrekte Durchführung einer effizienten Antibiotikatherapie sind folgende Punkte zu berücksichtigen (Blaas et al. 2002; Ebner et al. 2000; Gleason et al. 1999; Schmitz et al. 2003; Sirinek 2000; Vogel et al. 2004): 4 Keine Verwendung eines Breitspektrum- oder Reserveantibiotikums, wenn der Erreger durch ein Schmalspektrumantibiotikum gezielter erfasst wird: Bestes Beispiel ist die richtige Therapie des Erysipels mit Benzylpenicillin, das eine außerordentlich gute Wirkung gegen Streptokokken hat. Unbeachtet sei der Umstand, dass bestimmten Breitspektrumantibiotika eine »hervorragende Weichteilgängigkeit« attestiert wird (sie haben nämlich gegenüber dem auslösenden Erreger eine schlechtere Wirksamkeit!). 4 Ein Erfassen von bestimmten Erregergruppen und Problemkeimen im Initialstadium einer Erkrankung ist nicht sinnvoll, sie erlangen ihre pathologische Bedeutung meist erst im späteren Verlauf (Enterokokken, Pseudomonas aeruginosa u. a.). 4 Keine Fortführung der perioperativen Antibiotikaprophylaxe »zur Sicherheit für 3 Tage postoperativ«: entweder prophylaktische Gabe nur prä- (ggf. intra-)operativ oder therapeutische Applikation aufgrund des intraoperativen Befundes mit entsprechender Dosierung und Dauer. 4 Keine Endokarditisprophylaxe ohne wirklichen Eingriff: Einliegende, intravenöse Zugänge sind keine Indikation zur Prophylaxe. 4 Wechsel des Antibiotikums oder der Therapiestufe bei ausbleibendem Therapieerfolg. Kombination verschiedener Antibiotika zur Potenzierung der Wirkung und Erweiterung des Spektrums bei Bedarf. 4 Falsche oder zu späte Gewinnung des Untersuchungsmaterials: Aussagekräftiger als ein Abstrich ist eine Spritze mit auffälligem Körpersekret oder gar die Einsendung infizierter Gewebeproben falls eine zügige Verarbeitung möglich ist. Richtige Entnahmetechnik und Transport in den adäquaten Medien (Anaerobier!). Die Materialgewinnung vor Beginn der Antibiotikatherapie ist anzustreben. 4 Umstellung der intravenösen Applikation auf eine orale Gabe nach klinischer Besserung falls verfügbar: Die Bioverfügbarkeit ist meist vergleichbar, es erfolgt eine deutliche Kostenreduktion durch diese Sequenz(ial)therapie. 4 Initial hohe Dosierung sind in der Chirurgie indiziert. Anpassung der Dosis bei Leber- oder Niereninsuffizienz gemäß Gebrauchsinformation, Talspiegelkontrollen bei Bedarf (z. B. Aminoglykoside, Glykopeptide). 4 Den Vertretern der Industrie sollte ein qualifizierter Ansprechpartner gegenüber gestellt werden, um Produktinformationen richtig zu interpretieren und eine falsche Gewichtung zu verhindern. 19.3
Planung und Durchführung einer adäquaten Antibiotikatherapie
Die Lösung der in 7 Kap. 19.2 beschriebenen Problematik liegt vor allem in der Erstellung eines hausinternen, alltagstauglichen,
19
die Resistenzsituation des Krankenhauses berücksichtigenden und für alle Mitarbeiter anwendbaren Konzeptes für die antibiotische Initialtherapie. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Chirurgen, Mikrobiologen, Hygienikern und Intensivmedizinern ist notwendig. Die mikrobiologische, pharmakologische und klinisch-pathologische Informationsdichte muss auf ein vertretbares Maß reduziert werden. Die Aufführung aller gleich- bis minderwertiger Alternativen oder nicht mehr empfohlener Stoffklassen inkl. (im Hause) nicht zur Verfügung stehender Präparate führt primär zu Unübersichtlichkeit. In derselben Weise müssen extrem seltene oder in Bezug auf die antibiotische Therapie nicht mit einer therapeutischen Konsequenz assoziierte Untergruppen der Krankheitsbilder aus einer solchen Übersicht exkludiert werden. Eine Abstufung der antibiotischen Therapie ermöglicht die Angabe von Alternativen bei Unverträglichkeit oder einer Eskalation bei Versagen der Therapie bzw. längerer Krankheitsdauer mit der Erfassung von Problemkeimen. Für gesonderte Fälle müssen entsprechende Ansprechpartner in den genannten Fachabteilungen zur Verfügung stehen. Eine Darstellung der hausinternen Therapiekosten pro Tag (Spanne reicht von ca. 30 Cent bis zu über 100 €!) mit Vergleich der intravenösen zur oralen Applikationsform führt zum verantwortungsvollen Umgang mit den finanziellen Ressourcen. 19.3.1 Auswahl der wichtigsten Antibiotikastoff-
gruppen und ihr Erregerspektrum Bei den Penicillinen reicht das Spektrum von sehr schmal (Benzylpenicillin, Isoxazylpenicillin) bis sehr breit (Acylaminopenicillin plus β-Laktamase-Inhibitor). Cephalosporine und Fluorchinolone (Gyrasehemmer) gelten im allgemeinen als Substanzen mit breitem Spektrum, haben jedoch zum Teil eine reduzierte Effektivität, die bekannt sein sollte (Enterokokkenlücke bei allen Cephalosporinen, unzureichende Wirkung der Fluorchinolone Gruppe 2 gegen grampositive Kokken); andererseits werden einige bedeutende Problemkeime erfasst (z. B. gute Pseudomonasaktivität bei Cephalosporinen der Gruppe 3b und bei Fluorchinolonen der Gruppe 2 und 3). Es existieren Stoffgruppen mit nur einem relevanten Vertreter, die trotz ihrer selektiven, aber damit auch sehr guten Wirkung z. B. im Anaerobierbereich, nicht an Bedeutung verloren haben (Lincosamide, Nitroimidazole) oder bei multiresistenten Keimen als Reserveantibiotikum genutzt werden (Glykopeptide, Oxazolidinone). Weitere Stoffgruppen sind wegen ihrer Wirkungsmechanismen und Pharmakokinetik (Makrolide bei Pneumonie) oder auch ihrer Toxizität (Aminoglykoside bei Sepsis) für spezielle Indikationsstellungen reserviert. Neuere Breitspektrumantibiotika (z. B. Carbapeneme) sind meist prolongierten, lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen vorbehalten. . Tab. 19.1 zeigt das Spektrum ausgewählter Stoffgruppen und Präparate (Kiesslich et al. 2001; Naber et al. 2000; Niedermann 2000; Vogel et al. 2004; Vogel u. Charpentier 1998). Die Dosierungsvorschläge in . Tab. 19.2 entsprechen hohen Dosierungen für schwere bis lebensbedrohliche Krankheitsbilder erwachsener Patienten, eine Anpassung bei Leber- oder Niereninsuffizienz bzw. bei Kindern ist entsprechend den Produktinformationen durchzuführen. Die genannten Wirkstoffe und insbesondere die erwähnten Handelsnamen stellen eine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit dar. Sie haben beispielhaften, in keiner Weise empfehlenden Charakter, Alternativen sind selbstverständlich auf dem Markt erhältlich.
196
Kapitel 19 · Antibiotikatherapie
. Tabelle 19.1. Antibiotikastoffgruppen und ihre Wirksamkeit gegenüber wichtigen Erreger(gruppe)n von nicht vorhanden (–) über unzureichend (X) bis gut (XXXX)
Stoffgruppe
Generic name (Auswahl)
Handelsname (Auswahl)
Streptokokken
Enterokokken
Staphylokokken
Enterobakterien
Pseudomonas
Anaerobe
Aminoglykoside
Tobramycin Gentamycin
Gernebcin Refobacin
– –
– –
XXX XXXX
XXXX XXXX
XXXX XXX
– –
Carbapeneme
Imipenem+ Cilastin (Gr. 1) Ertapenem (Gr. 2)
Zienam
XXXX
XXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
Invanz
XXXX
X
XXXX
XXXX
X
XXXX
Cephalosporine der 2. Generation
Cefotiam Cefuroxim Cefuroximaxetil
Spizef Zinazef Elobact
XXXX
–
XXXX
XXXX
–
X
Cephalosporine der 3. Generation
Cefotaxim (3a) Ceftriaxon (3a) Cefixim (3a) Ceftazidim (3b)
Claforan Rocephin Cephoral Fortum
XXX
–
XX
XXXX
XX
X
XXXX
–
XX
XXXX
XXXX
X
Glykopeptide
Vancomycin
Vancomycin
XXX
XXX
XXXX (MRSAa)
–
–
–
Gyrasehemmer = (Fluor-)Chinolone
Ciprofloxacin (Gr. 2) Levofloxacin (Gr. 3) Moxifloxacin (Gr. 4)
Ciprobay
X
X
X
XXXX
XXXX
X
Tavanic
XX
XX
XX
XXXX
XXXX
X
Avalox
XXX
XX
XXX
XXX
X
XXX
Lincosamide
Clindamycin
Sobelin
XXXX
–
XXXX
–
–
XXX
Makrolide
Clarithromycin Erythromycin Roxithromycin
Klacid Erythrocin Rulid
XXX
XX
XXX
–
–
XX
Nitroimidazole
Metronidazol
Clont
–
–
–
–
–
XXXX
Oxazolidinone
Linezolid
Zyvoxid
XXXX
XXXX (VREb)
XXXX (MRSAa)
–
–
–
Acylaminopenicilline
Mezlocillin Piperacillin
Baypen Pipril
XXXX XXXX
XXXX XXXX
X X
XXXX XXXX
– XXX
XX XXX
Acylaminopenicilline + β-LaktamaseInhibitor
Piperacillin + Sulbactam Piperacillin + Tazobactam
Pipril + Combactam Tazobac
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
Aminobenzylpenicilline
Ampicillin Amoxicillin
Binotal Amoxypen
XXXX
XXXX
X
XX
–
XX
Aminobenzylpenicilline + β-LaktamaseInhibitor
Amoxicillin+ Clavulansäure Ampicillin+ Sulbactam
Augmentan Unazid
XXXX
XXXX
XXXX
XXX
–
XXXX
Benzylpenicilline
Benzylpenicillin
Penicillin G
XXXX
–
–
–
–
X
Isoxazylpenicilline
Flucloxacillin
Staphylex
–
–
XXXX
–
–
–
Penicilline
19
a
b
MRSA Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, VRE Vancomycin-resistenter Enterococcus
197 19.3 · Planung und Durchführung einer adäquaten Antibiotikatherapie
19
. Tabelle 19.2. Antibiotikatherapie häufiger bakterieller Erkrankungen und Empfehlungen zur Prophylaxe in der Chirurgie. Therapievorschläge sind jeweils in kursiv gesetzt
Krankheitsbild
Therapiestufe I
Therapiestufe II
Therapiestufe III
Erysipel
Benzylpenicillin Penicillin G 3×5 Mio IE i.v.
Makrolide Clarithromycin 2×0,5 g p.o.
Lincosamide (ggf. + Therapiestufe I/II) Sobelin 3×600 mg i.v./3×300 mg p.o. (ggf. + Therapiestufe I/II)
Phlegmone/ Weichteilinfektion
Aminobenzylpenicillin + ßLIb oder Lincosamide Unazid 3×3 g i.v./2×0,75 g p.o. oder Sobelin 3×600 mg i.v./3×300 mg p.o
Chinolon Gr. 4–2 Avalox 1×400 mg oder Tavanic 2×500 mg oder Ciprobay 2×500 mg p.o./2×400 mg i.v
Carbapenem Gr. 1 oder Therapiestufe II + Lincosamide oder Nitroimidazole Zienam 3×1g i.v. oder Therapiestufe II+ Sobelin 3×600 mg/3×300 mg i.v./p.o. oder Clont 3×0,5 g i.v.
Osteitis (Osteomyelitis)
Cephalosporin 2. Gen. oder Aminobenzylpenicillin + ßLI Zinazef 3×1,5 g i.v. oder Unazid 3×3g i.v./2×0,75 g p.o.
Lincosamide (ggf. + Cephalosporin 2. Gen. oder Chinolon Gr. 3–2) Sobelin 3×600 mg i.v. (ggf. +Zinazef 3×1,5 g i.v. o. Tavanic 2×500 mg p.o./i.v. o. Ciprobay 2×500 p.o./2×400 mg i.v.
Chinolon Gr. 4 Avalox 1×400 mg i.v./p.o.
Harnwegsinfekt
Cephalosporin 2. Gen. oder Aminobenzylpenicillin+ ßLI Zinazef 3×1,5 g i.v. oder Unazid 3×3 g i.v./2×0,75 g p.o.
Chinolon Gr. 2 Ciprobay 2×500 mg p.o./2×400 mg i.v.
Acylaminopenicillin + ßLI Tazobac 3×4,5 g oder Pipril 3×4 g + Combactam 3×1 g i.v.
Pneumonie
Aminobenzylpenicillin + ßLI oder Cephalosporin 2. Gen. oder Chinolon Gr. 4 Unazid 3×3g i.v./2×0,75 g p.o. oder Zinazef 3×1,5 g i.v. oder Avalox 1×400 mg i.v./p.o.
Cephalosporin 3. Gen. (a bzw. b) oder Chinolon Gr. 3 bzw. 2 Claforan bzw. Fortum 3×2 g oder Tavanic 2×500 mg p.o./i.v. oder Ciprobay 2×500 mg p.o./2×400 mg i.v.
Carbapenem Gr. 1 oder Therapiestufe I–III + Makrolid und/oder Clindamycin Zienam 3×1 g i.v. oder Therapiestufe I–III + Clarithromycin 2×0,5 g p.o. und/oder Sobelin 3×600 mg i.v./ 3×300 mg p.o.
Cholangitis
Acylaminopenicilline + ßLI Baypen 3×2g + Combactam 3×1 g i.v.
Cephalosporin 3. Gen. (a) + Nitroimidazole Rocephin 1×2 g + Clont 3×0,5 g i.v.
Chinolon Gr. 2 bzw. 3 Ciprobay 2×400 mg o. Tavanic 2×500 mg i.v.
Nekrotisierende Pankreatitis
Acylaminopenicilline + ßLI Baypen 3×2g + Combactam 3×1 g i.v.
Cephalosporin 2. Gen. oder Chinolon Gr. 2 bzw. 3, jeweils + Nitroimidazol Zinazef 3×1,5 g oder Ciprobay 2×400 mg oder Tavanic 2×500 mg, jeweils + Clont 3×0,5 g i.v.
Carbapenem Gr. 1 Zienam 3×1 g i.v.
Peritonitis (lokal)
Cephalosporin 2. Gen. + Nitroimidazol Zinazef 3×1,5 g i.v. + Clont 3×0,5 g i.v.
Aminobenzylpenicilline + ßLI Unazid 3×3 g i.v.
Carbapenem Gr. 2 Invanz 1×1 g i.v.
Peritonitis (diffus)
Acylaminopenicilline + ßLI Tazobac 3×4,5 g oder Pipril 3×4 g + Combactam 3×1g i.v.
Cephalosporin 3. Gen. (a) + Nitroimidazol oder Carbapenem Gr. 2 Claforan 3×2 g + Clont 3×0,5 g oder Invanz 1×1 g i.v.
Cephalosporin 3. Gen. (b) + Nitroimidazol oder Carbapenem Gr. 1 Fortum 3×2 g + Clont 3×0,5 g oder Zienam 3×1 g i.v.
Sepsis
Therapiestufe I–III + Aminoglykosid Therapiestufe I–III + Gernebcin 1×5 mg/KG i.v.
Therapiestufe I–III + Chinolon Gr. 2 bzw. 3 Therapiestufe I–III + Ciprobay 2×400 mg oder Tavanic 2×500 mg i.v.
Carbapenem Gr. 1 (ggf. + Aminoglykosid oder Chinolon Gr. 2 oder 3) Zienam 3×1g i.v. (ggf. + links genannte Therapiestufen I/II)
Präoperative Prophylaxe (Single shot 30 min präoperativ)
Magen, Dünndarm, Gallenwege, Mesh: Cephalosporin 2. Gen. Zinazef 1×1,5 g i.v.
Kolon, terminales Ileum/Appendix: Therapiestufe I + Nitroimidazol Therapiestufe I + Clont 1×0,5 g i.v.
Alternative: Aminobenzylpenicillin + ßLI Unazid 1×3 g i.v.
Endokarditisprophylaxea
Nicht zyanotische Vitien, Mitralinsuffizienz, Kardiomyopathie: Aminobenzylpenicillin Binotal 1×2 g i.v. 30 min präoperativ
Klappenprothesen, Zustand nach bakterieller Endokarditis: Therapiestufe I + Aminoglykosid präoperativ + Aminobenzylpenicillin postoperativ Therapiestufe I + Refobacin 1,5 mg/KG 30 min präoperativ i.v. + Binotal 1×1 g 6 h postoperativ i.v.
Alternative: Glykopeptid bei Allergie oder Lincosamid bei Abzess Vancomycin 1 g 1 h präoperativ + 8 h postoperativ oder Sobelin 600 mg 1 h präoperativ + 300 mg i.v. 6 h postoperativ
a
nur perioperativ, nicht nur wegen Zentralvenenkatheter; b βLI β-Laktamase-Inhibitor
198
Kapitel 19 · Antibiotikatherapie
Literatur Blaas SH, Elsner D, Glück T (2002) Infektiöse Endokarditis. Arzneimitteltherapie 11:362–374 Dellinger RP (1999) Current therapy for sepsis. Infect Dis Clin North America 13:495–509 Ebner W, Forster DH, Rüden H, Daschner F (2000) Evidenzbasierte Empfehlungen zur perioperativen Prophylaxe. Chirurg 71:912–917 Elliot D, Kufera JA, Myers RAM (2000) The microbiology of necrotizing soft tissue infections. Am J Surg 179:361–366 Gleason PP, Meehan TP, Fine JM, et al. (1999) Associations between initial antimicrobial regimens and medical outcomes for elderly patients with pneumonia. Arch Intern Med 159:2562–2572 Kiesslich R, Holfelder M, Will D, Hahn M et al.(2001) Interventionelle ERCP bei Patienten mit Cholestase: Häufigkeit und Antibiotikaresistenz der biliären Keimbesiedlung. Z Gastroenterol 39:985–992 Mazuski JE, Sawyer RG, Nathens AB, Dipiro JT et al. (2002) The surgical infection society guidlines on antimicrobial therapy for intra- abdominal infections: evidence for recommendations. Surg Infect 3:161–173 Naber KG, Fünfstück R, Hofstetter A, Brühl P et al. (2000) Empfehlungen zur antimikrobiellen Therapie von Infektionen der Nieren und des Urogenitaltrakts bei Erwachsenen. Chemother J 9:193–199 Niedermann MS (2000) Antibiotic therapy of exacerbations of chronic bronchitis. Sem Resp Infect15:59–70 Sirinek K (2000) Diagnosis and treatment of intraabdominal abscesses. Surg Infect 1:31–38 Vogel F, Charpentier C (1998) Therapieempfehlungen bei Atemwegsinfektionen. Chemother J 7:102–106 Vogel F, Bodmann KF et al. (2004) Empfehlungen zur kalkulierten parenteralen Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen. Chemother J 13:46–105. Schmitz S, Kleeberg UR, Seber S et al. (2003) Wenn Therapiekosten zum Zankapfel werden. Dtsch Ärztebl 100:1657–1659 Weiterführende Literatur im Internet unter www.wissenschaftlicheverlagsgesellschaft.de/CTJ
19
20 20
Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen M. Stumpf, R. Rosch
20.1
Leitsymptome
– 200
20.2
Diagnostik
20.3
Erstmaßnahmen und erweiterte Diagnostik – 201
20.4
Apparative Diagnostik – 202
20.5
Zugangsweg und intraoperative Strategie – 202
– 200
Literatur – 203
200
Kapitel 20 · Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen
) ) Der Begriff des »akuten Abdomens« ist eine Sammelbezeichnung für Erkrankungen, die mit einer akut einsetzenden und rasch progredienten Abdominalsymptomatik einhergehen. Die klassischen Leitsymptome sind heftige Bauchschmerzen, Peritonismus und das Vorliegen einer Kreislaufdysregulation bis hin zum Schock. Ursache der Abdominalsymptomatik ist entweder die Manifestation einer intraabdominellen Erkrankung oder die abdominelle Projektion einer extraabdominellen Ursache. Die Beurteilung eines Patienten mit akuten Abdominalschmerzen gehört zu den interessantesten und herausforderndsten Problemen in der klinischen Medizin. Trotz ständiger Erweiterung der diagnostischen Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten, bleibt die rasche klinische Beurteilung durch einen erfahrenen Untersucher, evtl. ergänzt durch unmittelbar verfügbare, gezielt ausgewählte Diagnostik der entscheidende Schritt im Behandlungsablauf. Entscheidend bei der Indikationsstellung ist, ob ein Patient möglichst ohne Verzögerung einer Notfalloperation zugeführt werden muss oder ob Zeit für erweiterte differenzialdiagnostische Maßnahmen bleibt.
20.1
Leitsymptome
Primäres Leitsymptom des akuten Abdomens ist der Schmerz, wobei hier 2 Schmerzafferenzen zu unterscheiden sind. Der viszerale Schmerz entsteht durch Affektion sympathischer Nerven des viszeralen Peritoneums. Als Ursache kommen ödematöse Schwellung und Entzündungsprozesse, überschießende Kontraktionen der glatten Muskulatur, akute Schwellung parenchymatöser Organe (Kapselspannungsschmerz) oder rasch zunehmende Druckerhöhungen in Hohlorganen in Frage. Der viszerale Schmerz wird als dumpf, brennend, bohrend, wellenartig und schlecht lokalisierbar empfunden. Wegen der Konvergenz viszerosensibler und somatosensibler kutaner, afferenter Nervenfasern auf dieselben Hinterhornneurone des Tractus spinothalamicus lateralis werden die Erregungen aus inneren Organen auch auf Hautareale übertragen (»referred pain«). Diese Hautareale (Head-Zonen) entsprechen in ihrer Ausdehnung jeweils dem Dermatom, das aus demselben spinalen Segment innerviert wird wie das erkrankte Organ. Klassische Beispiele sind der rechtsseitige Schulterschmerz bei Erkrankungen der Gallenblase oder der Rückenschmerz bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse.
20
Charakteristisch für den viszeralen Abdominalschmerz ist die vegetative Begleitsymptomatik: Übelkeit, Erbrechen, Angstzustände, Unruhe, Tachykardie, Kaltschweißigkeit und Blässe (»Facies abdominalis«).
Der somatische Schmerz entsteht durch Irritationen des parietalen Peritoneums und des Mesenteriums. Er ist aufgrund der bilateralen Innervation meist gut lokalisierbar und wird durch Bewegung der Bauchdecken verstärkt. Die Patienten liegen daher ruhig im Bett und versuchen, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Erschütterungsschmerz, Druckschmerz, Loslassschmerz und kontralateraler Loslassschmerz sind klinische Zeichen. Auch die Abwehrspannung der Bauchdeckenmuskulatur
wird durch die Reizung des parietalen Peritoneums hervorgerufen. Der zeitliche Ablauf und die Veränderung des Schmerzcharakters gibt Aufschluss über die mögliche Ursache. Als klassisches Beispiel für die Entwicklung von einem viszeralen Anfangsschmerz zu einem somatischen Schmerz mag die akute Appendizitis dienen. Solange die Entzündung auf die inneren Wandschichten des Organs beschränkt bleibt, bedingt sie viszerale Schmerzen, die auf das Epigastrium projiziert werden. Schreitet die Entzündung auf die Appendixaußenwand fort, »wandert« der Schmerz in den rechten Unterbauch, da auch somatosensible Afferenzen des parietalen Peritoneums irritiert werden. Über viszero-viszerale Reflexe können intraabdominelle Affektionen zu Motilitätsstörungen im Sinne einer Hypoperistaltik führen. Sie ist in der Regel durch reflektorische Steigerung des Sympatikotonus bedingt. Diese kann direkt, durch retroperitoneale Prozesse erfolgen (z. B. Wirbelfrakturen, Hämatome, Pankreatitis) oder durch entzündliche Prozesse und viszerale Schmerzaffektionen verursacht sein. Je nach Schweregrad können alle Spielarten von der reflektorischen Atonie bis hin zum Vollbild des paralytischen Ileus beobachtet werden. Eine Hyperperistaltik ist primär beim Vorliegen eines mechanischen Ileus (Widerstandsperistaltik) zu finden. Durch viszero-viszerale Reflexe kann durch viszerale Schmerzen Erbrechen ausgelöst werden. Dieses reflektorische Erbrechen ist vom Dekompensationserbrechen zu unterscheiden, das durch ein mechanisches Hindernis im Bereich des Gastrointestinaltraktes hervorgerufen wird (z. B. Magenausgangsstenose, dekompensierter Ileus). 20.2
Diagnostik
Die primäre Diagnostik muss mit möglichst minimalem Aufwand sicher die Frage klären, ob ein Patient einer Notfalloperation unmittelbar zugeführt werden muss, oder ob Zeit für differenzialdiagnostische Maßnahmen bleibt.
Anamnese und körperliche Untersuchung sind das wichtigste Fundament und damit unabdingbarer Bestandteil dieser primären Entscheidungsfindung. Die hierbei gewonnene Diagnose sollte idealerweise durch wenige, gezielt ausgewählte Laboruntersuchungen oder die radiologische Diagnostik bestätigt werden (7 Übersicht). Eine gezielt geführte Anamnese zur Entwicklung der Akutsymptomatik grenzt die möglichen Ursachen deutlich ein. Neben dem exakten, anamnestischen Eruieren der o. g. Leitsymptome sind Fragen nach der Darmtätigkeit, früheren Erkrankungen, vor allem früheren Operationen, Aufenthalte in tropischen Ländern und bei Frauen nach der Menstruation obligat. Auch sollte eine kurze und gezielte Allgemeinanamnese helfen, mögliche extraabdominelle Ursachen der Bauchschmerzen auszuschließen. Die körperliche Untersuchung schließt eine Beurteilung des Gesamtzustandes des Patienten, seiner Haltung, seiner Position auf der Untersuchungsliege sowie dem Ausmaß der Schmerzäußerung mit ein. Schon der »klinische Blick« hilft dem Erfahrenen bei der ersten Einschätzung der Situation. Das Verhalten des Patienten – z. B. Schonhaltung mit angezogenen Beinen und
201 20.3 · Erstmaßnahmen und erweiterte Diagnostik
oberflächlicher Atmung bei Peritonitis, der »wandernde Patient« mit Harnleiterkolik –, sein Aussehen (z. B. Facies abdominalis bei Peritonitis, Ikterus bei Cholangitis, Blässe bei Blutung) geben wichtige Hinweise auf die mögliche Ursache der Beschwerden. Eine Tachykardie mit Hypotonie kann beispielsweise Ursache einer durch die Peritonitis ausgelösten Hypovolämie (Volumenshift) sein. Die Untersuchung des Abdomens beginnt immer mit einer Inspektion auf Narben, Hernien, Raumforderungen und dem Beachten von Hautveränderungen. Die Auskultation erfolgt in allen vier Quadranten. Neben der hochgestellten, »klingenden« Peristaltik beim mechanischen Ileus ist auf eine mögliche Hypoperistaltik zu achten, die auf einen entzündlichen Herd im Abdominalbereich hinweisen kann. Die Palpation des Abdomens sollte vorsichtig im Quadranten mit den geringsten Schmerzen beginnen und sich von dort aus zum Krankheitsherd hinbewegen. Dies ist vor allem auch bei Kindern zu beachten, wo eine initial rüde Untersuchungstechnik das Vertrauen des kleinen Patienten nachhaltig beeinträchtigt und einen weiteren adäquaten diagnostischen Ablauf extrem erschwert bis unmöglich macht. Regionen einer nachweisbaren Druckschmerzhaftigkeit sind in Qualität und Ausdehnung sorgfältig zu registrieren. Das »brettharte Abdomen« bei der Peritonitis, der lokale Peritonismus bei fortgeleiteten entzündlichen Prozessen (z. B. Appendizitis) oder der Druckschmerz über nicht fortgeleiteten Prozessen sind gute Kriterien zur Einordnung der Erkrankung. Neben individuellen Unterschieden in der Schmerzbewertung ist zu beachten, dass bei Kindern, alten und sehr adipösen Patienten die Bauchdeckenreaktion u. U. deutlich geringer ausfällt. Cave Bei alten bzw. adipösen Patienten schließt ein weniger ausgeprägter Druckschmerz eine akute abdominelle Erkrankung nicht aus.
Die rektale Untersuchung ist unabdingbar, um beurteilen zu können, ob ein Douglas-Schmerz, Portioschiebeschmerz, ein Vorwölbung oder ein Tumor vorliegt. Hierbei ist auch der Füllungszustand der Ampulle sowie etwaige Blutbeimengungen zu eruieren. Obligate und fakultative Erstmaßnahmen beim akuten Abdomen 5 Obligat – Anamnese, Klinische Untersuchung (Auskultation, Palpation, rektal digitale Austastung) – Blutdruck, Puls, Temperatur – Sauerstoffsättigung – Blutgasanalyse (mit Blutzucker) – Venöser Zugang, Infusion – Notfalllabor (kleines Blutbild, Gerinnung, Elektrolyte, Enzyme, Laktat) – Blutgruppenbestimmung mit Kreuzprobe – Magensonde – Abdomensonographie – Röntgen Abdomen (im Stehen oder LinksseitenAufnahme)
6
20
5 Fakultativ – Urinschnelltest, Urinkatheter, Schwangerschaftstest – Spezielle Laborparameter (großes Labor, Drogenscreening) – Einlauf (Klistier, Hebe-Senk-Einlauf ) – Weiterführende Diagnostik (Gastrografin-Passage, KKE, CT, Endoskopie, Peritoneallavage, Angiographie/Angio-CT) – Konsiliarische interdisziplinäre Vorstellung
20.3
Erstmaßnahmen und erweiterte Diagnostik
An den oben beschriebenen Untersuchungsgang sollten sich unmittelbar und standardisiert erste Behandlungsmaßnahmen anschließen. Ausgeprägte oder stärkste Abdominalschmerzen werden als Leitsymptom des akuten Abdomens initial oft bewusst in Kauf genommen und zunächst, aus Angst hierdurch wichtige klinische Befunde zu maskieren und eine Fehleinschätzung zu provozieren, nicht therapiert. Die ist insbesondere der Fall, wenn Patienten von weniger erfahrenen Ärzten nachfolgend noch einem chirurgischen Facharzt vorgestellt werden müssen. In mehreren Untersuchungen konnte jedoch gezeigt werden, dass eine frühe Analgesie die korrekte klinische Diagnosestellung nicht beeinträchtigt (Attard et al. 1992; Thomas et al. 2003).
Die adaptierte frühzeitige Schmerzlinderung ist beim akuten Abdomen als ärztliche Pflicht anzusehen.
Je nach Schmerzausprägung kommen Novaminsulfon, Pethidin oder Morphinderivate zum Einsatz. Bei Verdacht auf eine Gallenkolik sollten Morphine aufgrund der Druckerhöhung des Sphincter Oddi erst nach Therapie mit Butylscopolamin verabreicht werden. Generell lindert Butylscopolamin Koliken, evtl. ergänzt durch Novaminsulfon. Übelkeit und Erbrechen sollte zusätzlich mittels Triflupromazin oder Metoclopramid behandelt werden. Das Monitoring von Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung ist essenziell. Das Erfassen der Körpertemperatur sollte ebenfalls bereits in der Aufnahmeroutine durchgeführt werden. Über einen der klinischen Situation entsprechend dimensionierten venösen Zugang erfolgt die Blutentnahme für das Notfalllabor inkl. der Blutgruppenbestimmung. Entsprechend der Klinik (Hydratationszustand des Patienten, Blutdruck, Schockindex) sollten Infusionen von Kristalloiden und ggf. von Kolloiden verabreicht werden. Die einfach durchführbare kapilläre Blutgasanalyse verschafft gerade in kritischen Situationen einen schnellen Überblick zur Oxygenierung, zum Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt, sowie zum Blutzuckerspiegel und kann hierdurch weitere entscheidende nachfolgende Schritte wie beispielsweise Sauerstoffzufuhr oder die intensivmedizinische Überwachung und Stabilisierung einleiten. Eine Magensonde ist grundsätzlich obligat und kann das Risiko der Aspiration reduzieren und die Beschwerden insbesondere bei Passagestörungen lindern. Darüber hinaus liefert die
202
Kapitel 20 · Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen
Einschätzung der Qualität des Drainagesekretes (gallig, stuhlig, blutig) bereits entscheidende Hinweise auf das zugrundeliegende Krankheitsbild. Nicht zu empfehlen ist eine Magensonde bei Verdacht auf eine Ösophagusvarizenblutung. Zu den situationsabhängig durchzuführende Erstmaßnahmen zählt die Urinuntersuchung (Leukozyturie, Mikrohämaturie) und der Schwangerschaftstest (β-HCG). Eine transurethrale Urinkatheterisierung sollte bei komatösen Patienten und selbstverständlich bei sonographisch nachgewiesenem Harnverhalt durchgeführt werden. Fakultativ, je nach Klinik, ist zusätzlich zu periphervenösen Zugängen ein zentralvenöser Zugang zur Bestimmung des zentralvenösen Druckes und zum Ausgleich des Säure-Basen-Haushaltes. Bei gastrointestinalen Blutungen ist in der eigenen Klinik ein großvolumiger Sheldon-Katheter Standard. Spezielle Laborparameter (z. B. großes Labor, Schilddrüsenwerte, Drogenscreening) sollten gezielten Fragestellungen vorenthalten sein. 20.4
20
Apparative Diagnostik
Die Sonographie des Abdomens und des Retroperitoneums durch den behandelnden Chirurgen hat einen großen Stellenwert und sollte heutzutage als Standard jede klinische Untersuchung ergänzen, diese jedoch niemals ersetzen. In der Mehrzahl der Fälle gelingt es hierdurch die klinische Diagnose zu sichern und ermöglicht zusätzlich die Differenzierung zu Erkrankungen anderer Fachbereichen wie Krankheiten des Urogenitaltraktes (Teichmann et al. 2002). Speziell bei der Divertikulitis, der Cholezystitis und bei Darmobstruktionen hat die initiale Sonographie eine hohe Sensitivität und Spezifität (Riesener et al. 1997). Beim sonographischen Nachweis freier Flüssigkeit bietet die sonographisch gesteuerte Punktion weitere wichtige Informationen zum Krankheitsbild. Die Röntgenaufnahme des Abdomens im Stehen oder in der Linksseitenlage gehört nach wie vor zu den am häufigsten durchgeführten diagnostischen Erstmaßnahmen, da hierdurch relativ kostengünstig in kurzer Zeit freie Luft oder Spiegelbildung erkannt werden können. Bei der Suche nach freier Luft ist zu beachten, dass im Liegen die Abdomeneinstellung in Linksseitenlage, im Stehen jedoch die aufs Zwerchfell zentrierte Thoraxaufnahme die Technik mit der höchsten Sensitivität darstellt. Die gleichzeitige Durchführung des Thoraxröntgenbildes ist auch logistisch sinnvoll, da sie weitere Hinweise auf den Krankheitszustand gibt (ebenfalls freie Luft, Enterothorax, Erguss, Stauung, Pneumonie) und der Abschätzung der allgemeinen Morbidität im Rahmen der Operationsvorbereitung dient. Weitere bildgebende Verfahren folgen je nach Arbeitsdiagnose und Klinik, wobei aufgrund der raschen Verfügbarkeit das Kontrastmittel-CT zunehmend an Bedeutung gewinnt. Vor allem bei unzureichender Aussage der Ultraschalluntersuchung oder einem unklaren klinischen Bild kann die Computertomographie wichtige Zusatzinformationen bieten. Trotzdem sollte der Einsatz des CT speziellen Fragestellungen vorbehalten bleiben. Der Kolonkontrasteinlauf zum Nachweis und der Einschätzung entzündlicher Veränderungen, Stenosen oder gedeckter Perforationen wird je nach Verfügbarkeit aufgrund der rascheren und praktikableren Durchführbarkeit mehr und mehr vom Kontrastmittel-CT abgelöst. Das CT hilft insbesondere bei unklaren Situationen, bietet weitere Informationen wie beispielsweise zu einer
möglichen Abszedierung und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit einer interventionellen Therapie mittels gezielter Drainage. 20.5
Zugangsweg und intraoperative Strategie
Generell ist bei präoperativ nicht eindeutig geklärter Krankheitsursache die mediane Laparotomie der Standardzugang. Entsprechend der Anamnese, Klinik und weiterführenden präoperativen Lokalisationsdiagnostik ist zwischen überwiegend supraoder infraumbilikalem Schnitt zu entscheiden. Steht präoperativ die zugrunde liegende Organpathologie fest, ist selbstverständlich der direkte Zugangsweg mit der besten Übersicht und geringer postoperativer Morbidität vorzuziehen. So bietet beispielsweise die quere Oberauchlaparotomie unter Umständen eine bessere Übersicht im Oberbauch (z. B. Pankreas). Nach erfolgter Eröffnung der Peritonealhöhle erfolgt eine sorgfältige und komplette Inspektion der abdominellen Organe. Grundsätzlich sollte die Exploration – ausgenommen bei aktiven Blutungen- von den wenig veränderten Arealen zum vermuteten Krankheitsherd voranschreiten, um die zusätzliche Verbreitung einer möglichen Infektion zu verhindern. Liegt ein septischer Fokus vor sollte versucht werden eine Kontamination der Bauchdecken sowie des übrigen Abdomens durch entsprechendes Abdecken mit Tüchern zu verhindern. Ist bei Ulkusverdacht auf Anhieb keine Perforationsstelle zu finden, muss die Bursa omentalis eröffnet werden und das Duodenum komplett mobilisiert werden (Kocher-Manöver) um eine retroperitoneale Perforation auszuschließen. Unter Umständen kann eine Instillation von Blaulösung über die liegende Magensonde oder eine intraoperative Endoskopie zum Aufsuchen der Perforation hilfreich sein (zur detaillierten Therapie der Peritonitis 7 Kap. 21). Kontrovers diskutiert wird nach wie vor der Stellenwert der Laparoskopie beim akuten Abdomen. Die routinemäßige Laparoskopie mit therapeutischer Intention beim akuten Abdomen ist nicht als Standardverfahren zu empfehlen, sondern sollte ausgewählten Indikationen vorbehalten werden. Am häufigsten zählen hierzu die akute Cholezystitis und die akute Appendizitis. Insbesondere bei jungen Frauen mit akuten Unterbauchschmerzen hilft die Laparoskopie in der Differenzialdiagnose zu gynäkologischen Erkrankungen und ermöglicht über den minimalinvasiven Zugang die gleichzeitige Therapie. Beim älteren Patienten mit nicht sicher zu klärendem Fokus, kann in Ausnahmefällen eine laparosokopische Exploration sinnvoll sein (Memon et al. 1997). Die Versorgung einer frischen Ulkusperforation ist bei entsprechender Erfahrung sicher möglich. Generell ist die Grundvoraussetzung für ein laparoskopisches Vorgehen im Notfall natürlich ein rund um die Uhr zur Verfügung stehendes erfahrenes Laparoskopie-Team. Die laparoskopische Behandlung von Ileuszuständen ist nicht als Standard zu empfehlen, da schon die Anlage des Pneumoperitoneums, auch in offener Technik erschwert und risikoreich sein kann. Darüber hinaus erscheint uns die häufig notwendige Beurteilung der Durchblutungssituation des Darms nach wie vor unsicher, sodass an unserer Klinik bei derartigen Konstellationen die Laparoskopie nicht zum Einsatz gelangt.
203 Literatur
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20
206
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
) ) Die Klinik der abdominellen Sepsis ist durch ein lokales intraabdominelles Geschehen (Peritonitis) und extraperitoneale Allgemeinreaktionen (Sepsis) gekennzeichnet. Damit sind die Therapiekonzepte auch klar definiert. Die Kausaltherapie ist immer die Ausschaltung der eigentlichen (primären) Infektionsquelle durch chirurgische oder interventionelle Herdsanierung in Kombination mit gezielter antibiotischer Therapie. Nur wenn das gelingt und eine permanente Reinfektion des Bauchraumes verhindert wird, können supportive Strategien der modernen Intensivbehandlung und auch adjunktive Konzepte überhaupt zum Tragen kommen.
Zu der eigentlichen Kausaltherapie ist unbestritten auch eine rationale antibiotische und – wenn erforderlich – antimykotische Therapie zuzurechnen. Bei primär unbekannten Erregern erfolgt die Antibiotikatherapie kalkuliert mit einem Breitspektrumantibiotikum (Bujik u. Bruining 2002). Sobald mikrobiologische Daten verfügbar sind, kann die Therapie eingeengt werden und richtet sich dann gezielt gegen das vorliegende Keimspektrum (Deeskalationstherapie; Hau 2002). Ob der routinemäßige Wechsel der Antibiotikaklassen in bestimmten Zeitintervallen zu einer verminderten Resistenzentwicklung beiträgt, ist zurzeit aufgrund der unzureichenden Datenlage noch nicht gesichert (Sablotzki et al. 2003). 21.1.3 Supportive Therapie
21.1
Abdominelle Sepsis H. Bartels
21.1.1 Einführung Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock stellen heute eine medizinische und auch ökonomische Herausforderung dar. Ihre Inzidenz ist steigend und liegt – geschätzt für die Bundesrepublik Deutschland – bei 4500–9500 Erkrankungen pro Jahr (Reinhart et al. 2003). Die Behandlungskosten pro Patient belaufen sich dabei auf ca. 23.000 € (Forst 2003). Das entspricht Gesamtkrankenhauskosten von 1–2,2 Milliarden € (Schmid et al. 2002) oder 20–40% der Gesamtkosten Intensivmedizin überhaupt (Moerer et al. 2003).
In der Viszeralchirurgie ist die Peritonitis die weitaus häufigste Sepsismanifestation. Die abdominelle Sepsis stellt nicht nur die schwerste Belastung des postoperativen Verlaufes dar, sie ist auch die Hauptursache für postoperative Morbidität und Mortalität (Siewert et al. 2004).
Im Gegensatz dazu haben intensivmedizinische Therapieverfahren nur supportiven Charakter mit Unterstützung der jeweils vorliegenden Organfunktionsstörungen infolge der septischen Allgemeinreaktion (Reinhart et al. 2001). Jedoch konnten einige neue Studien die Wirksamkeit dieser Maßnahmen unter Beweis stellen. Dies gilt in gleichem Maße für modifizierte Beatmungsformen mit kleineren Atemzugvolumina und inspiratorischer Druckbegrenzung (Task force of the American College of Criitical Care Medicine) und für Strategien, die den Pathomechanismen des Multiorganversagens entgegen wirken. Heute werden für die Entstehung des Multiorganversagens (MOV) neben der Dysfunktion des unspezifischen Immunsystems mit pro- und antiinflammatorischen Reaktionsmustern vor allem die Kreislaufinsuffizienz mit endothelialer Dysfunktion und die Störung der Mukosabarriere des Darmes mit sekundärer Translokation verantwortlich gemacht (Rensing u. Bauer 2001). Damit kommt einer effektiven initialen Kreislaufstabilisierung entscheidende Bedeutung zu. Kreislauftherapie Rivers et al. (2001) konnten zeigen, dass eine frühzeitige und aggressive Optimierung der kardiozirkulatorischen Funktion die Sterblichkeit von Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock deutlich reduziert.
21.1.2 Kausale Therapie
21
Das therapeutische Vorgehen bei der abdominellen Sepsis ist seit nahezu 80 Jahren klar definiert. Nach wie vor ist die chirurgische Herdsanierung mit Ausschaltung der primären Infektionsquelle der entscheidende erste Schritt und für den Patienten prognosebestimmend (Bartels 2002). Gelingt die Herdsanierung aber nicht, sind permanente Reinfektionen des Bauchraums mit Aktivierung von immunologischen Reaktionsabläufen und als Endstrecke Multiorganversagen und septischer Schock nur schwer oder gar nicht beeinflussbar (Bartels u. Stein 2004). Die operativen Konzepte zur Herdsanierung – jeweils in Abhängigkeit von der Lokalisation der primären Infektionsquelle – und der Stellenwert einer chirurgischen Folgetherapie zur Prävention persistierender intraabdomineller Infektionen sind in 7 Kap. 21.2 dargestellt. Grundsätzlich hat sich dabei aber das therapeutische Spektrum durch Fortschritte der interventionellen Radiologie erweitert. Dies gilt vor allem für die perkutane Abszessdrainage (PAD), die bei postoperativ septischen Komplikationen heute die Therapie der Wahl darstellt (Theisen et al. 2005).
Die Therapie der Wahl ist dabei der hohe parenterale Volumenersatz (Task force of the American College of Criitical Care Medicine). Der Einsatz von vasoaktiven Substanzen ist eher kritisch zu bewerten und nur dann gerechtfertigt, wenn mit Volumen allein kein ausreichender Perfusionsdruck erzielt werden kann (MeirHellmann 2000). Allen Katecholaminen gemeinsam ist eine dosisabhängige intestinale Minderdurchblutung, die wiederum der Translokation Vorschub leisten kann (Taneja u. Marshall 2000). Translokation Unter Translokation verstehen wir die Passage von lebenden Mikroorganismen und/oder ihrer Produkte aus dem Darmlumen durch eine makroskopisch intakte Darmwand. Translokation findet statt – in der Regel ist aber die klinische Konsequenz daraus gering. Körpereigene systemische und retikuloendotheliale Abwehrmechanismen werden offensichtlich mit dieser Translokation fertig (Bartels 2003). Unter gewissen Voraussetzungen kann aber eine Entwicklung in Gang kommen über Aktivierung
21
207 21.1 · Abdominelle Sepsis
bination mit Antibiotika (Kausaltherapie) und supportive Intensivmedizin zur Unterstützung der jeweils vorliegenden Organfunktionsstörungen (. Abb. 21.2). Darüber hinaus wird heute mit adjunktiven Konzepten versucht, im Sinne einer speziellen Sepsistherapie die immunologischen Reaktionsabläufe und die Aktivierung des gesamten Gerinnungssystems zu beeinflussen (Marshall 2001).
Translokalisationsphänomen Kreislaufinsuffizienz Splanchnicus-Hypoperfusion Darmischämie »Gut Inflammatory Response«
Verlust der Mukosabarriere
Antimediatorstrategien Die kausale Beteiligung proinflammatorischer Faktoren an der Genese eines septischen Multiorganversagens ist unbestritten (Rensing u. Bauer 2001), sodass die Blockade dieser Mediatoren als ein vielversprechender Therapieansatz erschien (Rivers et al. 2001). Die tierexperimentellen Grundlagen dafür waren, dass durch Injektion einer definierten Menge von Toxinen oder Zytokinen reproduzierbar ein septischer Schock ausgelöst werden kann und auf der anderen Seite in Tiermodellen mit letalem Ausgang durch Inhibition dieser Toxine und Zytokine ein bis zu hundertprozentiges Überleben der Tiere ermöglicht wurde (Emmanuel et al. 2005). Aber die hohen Erwartungen, die u. a. in monoklonale Antikörper gegen Endotoxine, Ibuprofen, Interleukin-1-Rezeptorantagonisten, Immunglobuline und hochdosiertes N-Azetylcystein gesetzt wurden, haben sich in klinischen Studien bisher nicht bestätigen lassen (Marshalll 2002; Reinhart et al. 2003).
Aktivierung von Marophagen Zytokin-Freisetzung, Apoptose
SIRS, SEPSIS, MOV . Abb. 21.1. Intestinale Translokation
von Makrophagen systemisch und in der Darmwand sowie über massive Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen und Mediatoren bis hin zur Sepsis und Multiorganversagen (Kalff et al. 2003). Dabei ist offensichtlich die intestinale Ischämie von zentraler Bedeutung (. Abb. 21.1). Translokation wird zum Problem vor allem bei Kreislaufinstabilität, intestinaler Minderdurchblutung und Mukosaischämie (Alverdy et al. 2003). Diese Zusammenhänge haben zu einer Reihe von Bezeichnungen geführt, wie in »gut derived sepsis«, »motor of multiple organ failure« oder »gut inflammatory response« (Taneja u. Marshall 2000). Die einzigen zurzeit verfügbaren Maßnahmen, eine Translokation mit ihrer schädigenden Rückwirkung auf den Gesamtorganismus zu beeinflussen, sind damit wieder die effektive initiale Kreislaufstabilisierung, wenn möglich unter Verzicht auf Katecholamine, und eine frühzeitige enterale Ernährung, die einer Mukosaatrophie der Darmschleimhaut entgegen wirkt (Marik u. Zagola 2002).
Modulation des Gerinnungssystems Die direkte Interaktion des Gerinnungssystems mit der Inflammationskaskade bedingt eine Verschiebung des Gleichgewichts der Hämostase zur prokoagulatorischen Seite (Marshall 2001). Diese vermehrte Gerinnungsaktivierung und Fibrinolysehemmung sind insofern von klinischer Bedeutung, dass sie Störungen der Mikrozirkulation verursachen und damit ein Multiorganversagen auslösen/unterhalten können (Reinhart et al. 2003). Mit der rekombinanten Herstellung der humanen physiologischen Inhibitoren der Gerinnung (Antithrombin, TFPI, aktiviertes Protein C) wurde ein therapeutischer Einsatz dieser Substanzen bei Sepsis möglich. In Multizenterstudien konnte aber weder für AT III (Abraham et al. 2003) noch für TFPI (»tissue factor pathway inhibitor«; Warren et al. 2001) ein Überlebensvorteil gefunden werden.
Adjunktive Therapie Etablierte Therapieprinzipien bei der abdominellen Sepsis sind somit die chirurgische/interventionelle Herdsanierung in Kom. Abb. 21.2. Therapiekonzepte bei der abdominellen Sepsis
Therapiekonzepte bei der abdominellen Sepsis Invasion von Erregern
Dysfunktion des Immunsystems
Organversagen
? Herdsanierung: chirurgisch/ interventionell
Antimikrobielle Therapie
Adjunktive Therapie
Supportive Therapie
208
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
Lediglich aktiviertes Protein C (Drotrecogin-Alpha) hat bisher die Mortalität der schweren Sepsis wohl auf dem Boden eines kombinierten antithrombotischen, profibrinolytischen und antiinflammatorischen Wirkmechanismus signifikant senken können (Bernard et al. 2001).
Bei Patienten mit abdomineller Sepsis und den Rahmenbedingungen häufig erforderlicher operativer Interventionen muss der Einsatz dieses Substanz aber weiterhin kritisch beurteilt werden wegen der nicht unerheblichen Blutungskomplikationen und der Tatsache, dass für invasive Maßnahmen die ausgewiesenen Sperrzeiten einzuhalten sind, da Drotrecogin-Alpha nicht antagonisierbar ist (Reinhart et al. 2003). Intensivierte Insulintherapie Im Gegensatz dazu ist eine intensiv ierte Insulintherapie mit dem Ziel, den Blutzucker auf normoglykämische Werte einzustellen, weniger problematisch. Van den Berghe (van den Berghe et al. 2001) hat bei einem vorwiegend kardiochirurgisch ausgerichteten Patientenkollektiv zeigen können, dass durch intensivierte Insulintherapie (Glukosekonzentration 80–100 mg/dl) im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv mit Glukosekonzentrationen bis zu 215 mg/dl die Sterblichkeit und auch die Inzidenz schwerer Komplikationen signifikant gesenkt werden konnte. Die exakten Mechanismen, die dieser nachhaltigen Reduktion von Morbidität und Mortalität zugrunde liegen, sind noch nicht vollständig geklärt. Als mögliche Ursachen werden Einflüsse auf die Funktion immunkompetenter Zellen und des Endothels diskutiert.
Auch wenn der Stellenwert der intensivierten Insulintherapie bei Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock noch weiter evaluiert werden muss, ist zum jetzigen Zeitpunkt dieses Verfahren als wirksames adjunktives Therapiekonzept einzuschätzen.
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21
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209 21.2 · Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom
21.2
Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom C. Töns, A. Schachtrupp
21.2.1 Einführung Die Kontamination der Peritonealhöhle mit infektiösem Material kann 3 mögliche Konsequenzen haben: Beseitigung der Bakterien durch den Organismus, Abszessbildung oder Ausbildung einer Peritonitis. Die Brisanz der peritonealen Infektion ergibt sich aus der schnellen systemischen Wirkung. Der lokale und systemische Kontakt mit dem infektiösen Material bzw. mit Endotoxin bewirkt eine monozytenvermittelte Freisetzung pro- und antiinflammatorischer Mediatoren welches zu einer immunologisch vermittelten Kreislaufbeeinträchtigung mit Hypotension und Organischämie führt (Seiler et al. 2000). Eine weitere Gefährdung ergibt sich aus der großen peritonealen Fläche (1,5–2 m2), da schon eine geringe Ödembildung zu einem systemischen Volumenmangel führt. Aufgrund dieser und weiterer Mechanismen führt eine lokale Infektion (Peritonitis) rasch zu einer potenziell lebensbedrohlichen Allgemeinerkrankung (Peritonitiskrankheit).
Die Brisanz der Peritonitis ist hoch: Die lokale Infektion (Peritonitis) kann rasch zur lebensbedrohlichen Allgemeinerkrankung (Peritonitiskrankheit) führen.
21.2.2 Studienlage In einer aktuellen Übersicht zur chirurgischen Therapie fassten Holzheimer und Dralle (Holzheimer u. Dralle 2001b) 94 Studien aus den Jahren 1965–2000 zusammen. Von diesen Arbeiten waren 4 Studien randomisiert und 19 prospektiv angelegt. Zur sekundären Peritonitis ist lediglich eine Meta-Analyse verfügbar (Lamme 2002). Randomisierte prospektive Studien zur Therapie der Peritonitis sind nicht verfügbar, daher beruht der Evidenzgrad auf dem Niveau III–IV (Schein 2002; Holzheimer u. Dralle 2001b). Auch in Abwesenheit einer hohen Evidenz hat sich eine Reihe von Maßnahmen etabliert, die als das Resultat von gesundem Menschenverstand anzusehen sind (Schein 2002).
21
Diese Infektionen werden zumeist von einer Kombination aus gram-negativen aeroben (z. B. E. coli, Proteus, Klebsiellen) und anaeroben Erregern (z. B. Bacteroides, Peptokokken, Peptostreptokokken) verursacht. Eine tertiäre Peritonitis ist gegeben, wenn nach adäquater Therapie einer primären oder sekundären Peritonitis eine intraabdominelle Infektion bestehen bleibt oder rezidiviert (Nathens 1998). Das Erregerspektrum besteht aus atypischen und nicht selten auch multi-resistenten Enterokokken, Staphylokokken oder Enterobacter. Außerdem können Pilzinfektionen auftreten (z. B. Candida).
Die sekundäre Peritonitis wird häufig durch eine Kombination aus gram-negativen aeroben und anaeroben Erregern verursacht.
21.2.4 Klassifikationen Im Zusammenhang mit der Peritonitis sind mehrere Klassifikationen beschrieben worden. Der Mannheimer Peritonitis-Index (MPI) ermöglicht eine intraaoperative Klassifikation von Ursprung bzw. Ausdehnung der Entzündung und berücksichtigt die zirkulatorische, pulmonale, renale und gastrointestinale Organfunktion zum Zeitpunkt der Operation (Billing et al. 1994; Linder et al. 1987). Er gilt daher als spezifisch für die intraabdominelle Infektion und kann zur Festlegung der Therapie nach der Erstoperation hinsichtlich einer programmierten Reintervention herangezogen werden. Andere Klassifikationen wie der Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score II (APACHE II; Knaus 1985) bzw. die Klassifikation des Multiorganversagens (MOV; Goris et al. 1985) oder des Multiorgandysfunktionssyndroms (MODS; Marshall 1995) sind eher geeignet, die Prognose der Peritonitis besonders im Vergleich unterschiedlicher Therapieregime abzuschätzen (Ohmann et al. 1997). 21.2.5 Klinische Symptomatologie
und Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose einer Peritonitis wird in erster Linie klinisch gestellt, apparative Untersuchungen treten dagegen deutlich in den Hintergrund. Kardinalsymptome sind abdomineller Druckschmerz, Peritonismus, Fieber und Leukozytose.
21.2.3 Allgemeine Einteilung und Erregerspektrum Nach Poppert (1916) erfolgte eine Einteilung der Peritonitis in die primäre oder sekundäre bzw. in die lokalisierte oder diffuse Form. Eine primäre bakterielle Peritonitis tritt am häufigsten bei Patienten mit Lebererkrankungen und Aszites oder unter Peritonealdialyse auf. Häufig ist eine monobielle Infektion anzutreffen, die in etwa 70% gram-positiven Ursprungs ist. In den übrigen Fällen finden sich zumeist gram-negative Erreger und nur selten Anaerobier, Pilze oder Mykobakterien. Eine sekundäre Peritonitis entsteht durch Bakterien des Gastrointestinaltraktes als Folge einer Hohlorganperforation oder im Rahmen einer Superinfektion von Pankreasnekrosen.
Zur Diagnose der Ursache – z. B. Appendizitis, Cholezystitis oder perforiertes Ulkus – führen Anamnese und klinischer Untersuchungsbefund. Ein etabliertes, rasch und wiederholt einsetzbares Untersuchungsverfahren ist die Sonographie, ggf. mit sonographisch gesteuerter Punktion der Bauchhöhle. Normalerweise finden sich hierbei weniger als 100 Leukozyten pro mm3. Nativröntgenaufnahmen des Abdomens im Stand ergänzen sinnvoll die Notfalldiagnostik. Schnittbildverfahren spielen dagegen in der Notfalldiagnostik eine eher untergeordnete Rolle. Die Diagnose einer intraabdominellen Infektion bei kritisch Kranken oder im postoperativen Verlauf kann schwierig sein
210
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
(Cheadle u. Spain 2003). Auch hier ist die sonographisch gesteuerte Punktion von Verhalten in der Leibeshöhle ein wichtiges Hilfsmittel. Sollten die klinischen und sonographischen Befunde nicht eindeutig sein, ist der großzügige Gebrauch der Computertomographie unter Kontrastmittelapplikation zu empfehlen. 21.2.6 Therapie Einfache intraabdominelle Infektionen Grundprinzipien der Peritonitistherapie wurden von Kirschner bereits 1926 formuliert: 4 Sanierung der Infektionsquelle 4 Beseitigung des Exsudates 4 Behandlung des Bauchfelles mit Desinfektionsmitteln 4 Postoperative Ableitung des Exsudates Damit wurde eine Reduktion der Mortalität von 90% auf 46% erreicht (Kirschner 1926). Die Herdsanierung hat höchste Priorität und sollte bei der ersten Operation erreicht werden um Mortalität und Morbidität zu begrenzen (Holzheimer u. Dralle 2001b; Seiler et al. 2000). Welche operative Maßnahme im Einzelfall durchgeführt wird und ob primär eine Darmanastomose angelegt wird, hängt von der Lokalisation der Infektionsquelle, dem Ausmaß der peritonealen Entzündung und dem Bestehen einer generalisierten Sepsiskrankheit ab (Schein 2002). Die Entfernung des Exsudates bzw. von infektiösem Material und Debris ist schonend durchzuführen. Es sind nur die Fibrinbeläge zu entfernen, die sich leicht und ohne Aufwand abwischen lassen. Die Behandlung mit Desinfektionsmitteln kann lokal und systemisch toxisch wirken. Die Verwendung von Spülzusätzen (z. B. Taurolidin) ist umstritten (Teichmann u. Herbig 2000) und hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt. Der Wert der intraoperativen Spülung konnte in einer randomisierten Untersuchung nicht bestätigt werden (Hunt et al. 1975), dennoch ist es gängige Praxis wie auch die vorsichtige intraoperative Dekompression des Darms (Schein 2002). Eine Spülung sollte mit körperwarmer isotoner Lösung erfolgen bis die Spülflüssigkeit klar erscheint. Der Nutzen oder die Gefahr von Drainagen ist ebenfalls nicht belegt (Dominguez u. Post 2003); die Drainage von Prädilektionsstellen ist aber zu empfehlen (Cheadle u. Spain 2003) um Ex- oder Transsudate zu entfernen und um der Ausbildung von Abszessen vorzubeugen. Auch können Drainagen zur Ableitung bestehender Verhalte oder zur Etablierung einer Fistel dienen. Fast gleichwertig neben einer zeitgerechten und gründlichen operativen Therapie steht eine intensivmedizinische Behandlung mit entsprechendem Monitoring, eine bilanzierte Flüssigkeitsgabe und eine initial kalkulierte und später resistenzgerechte Antibiotikatherapie (Cheadle u. Spain 2003; Seiler 2000). Mit dieser Standardtherapie können ca. 90% der Patienten adäquat behandelt werden (Teichmann u. Herbig 2000; Seiler et al. 2000).
21 Die Standardtherapie der Peritonitis besteht in Sanierung der Infektionsquelle, Beseitigung des Exsudates, Spülung der Bauchhöhle, ggf. Darmdekompression, ggf. Drainage, kalkulierter antibiotischer Therapie und Intensivtherapie.
Komplizierte intraabdominelle Infektionen Zu diesen sind Infektionen zu zählen, die sich über alle 4 Quadranten ausdehnen, in deren Verlauf bereits eine Organdysfunktion oder ein Organversagen aufgetreten ist oder die Patienten mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand und Abwehrlage betreffen (Seiler et al. 2000). Therapeutisch steht auch hier die Kontrolle der Infektionsquelle im Vordergrund. Falls dies nicht erreicht werden kann, ergeben sich folgende Optionen: programmierte Relaparotomie nach 48–72 h zum weiteren Debridement oder die Relaparotomie nach Bedarf. Diese Verfahren betreffen mit ca. 10% eine Minorität der Patienten (Seiler 2000). Programmierte Relaparotomie und Etappenlavage. Diese geht
zurück auf die Untersuchungen von Penninckx und Teichmann et al. (Teichmann u. Mansfeld 2001; Penninckx et al. 1983) und ist definiert als Entscheidung zur Relaparotomie während der Erstoperation unabhängig vom weiteren klinischen Verlauf (Schein 2002). Das Ziel ist die Erreichung oder Bewahrung der Herdkontrolle bzw. die Verminderung der systemischen Inflammation. Die Indikation zur geplanten Relaparotomie ist unscharf definiert, ein MPI>29 kann als Anhaltspunkt dienen. Ein starker Indikator ist die Unmöglichkeit, die Infektionsursache zu beheben (Lamme et al. 2004; Schein 2002; Seiler et al. 2000). Auch kann die Instabilität des Patienten während der ersten Operation ein verkürztes Vorgehen – z. B. ein Packen bei diffuser Blutung – im Sinne eines schadenbegrenzenden Eingriffs (»damage control«; Schein 2002) und somit eine weitere Intervention bedingen. Bei geplanter Relaparotomie ist die Anlage eines temporären Bauchdeckenverschlusses sinnvoll, um die Reintervention zu vereinfachen und die Faszien zu schonen. Die »Etappenlavage« fördert einerseits die Elimination von infektiösem Material und eine Kontrolle der Infektionsquelle (Teichmann u. Mansfeld 2001), andererseits bedingt sie eine eigene Morbidität durch Verletzung von Gewebe (Fistelbildung) und Freisetzung von Entzündungsmediatoren (Lamme et al. 2004; Seiler 2000). Der Zeitpunkt der Beendigung ist nicht genau definiert. Neben dem makroskopischen Aspekt einer annährend sauberen Abdominalhöhle ist die Rekompensation der Organfunktion grundlegend.
Die Indikationen zur programmierten Relaparotomie oder Etappenlavage nach 24–72 h sind vielfältig, z. B. wenn die Sanierung der Infektionsquelle fraglich erscheint, MPI >29 oder nur eine verkürzte Erstoperation möglich ist. Beendigung des Programms, wenn Bauchhöhle annähernd sauber.
Relaparotomie nach Bedarf. Das Ziel dieser Therapieform ist die
Aufgabe starrer Interventionsintervalle um die therapiebedingte Mortalität und Morbidität zur vermindern. Die Indikation ergibt sich in erster Linie aus dem klinischen Verlauf, d. h. bei Persistenz oder Rezidiv der Infektion (Hau u.1995). In einer kürzlich vorgestellten retrospektiven Untersuchung von Lamme et al. (2004) wurde eine Reduktion der Mortalität (36 auf 21,8%) sowie der chirurgisch bedingten Komplikationsrate bei bedarfsadaptierter Revision im Gegensatz zu programmieren Revision festgestellt (Lamme et al. 2004).
211 21.2 · Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom
Laparostoma Die Anlage eines temporären Bauchdeckenverschlusses (Laparostoma) zielt darauf ab, die Abdominalhöhle wie eine Abzesshöhle zu behandeln. Ein temporärer Bauchdeckenverschluss ist außer bei der programmierten Relaparotomie auch zur Senkung bzw. der Vermeidung eines erhöhten intraabdominellen Drucks indiziert. Das verwendete Material zur passageren Deckung des Laparostomas ist bei kurzfristiger Verwendung belanglos und kann auch aus Plastikfolien bestehen (Schein 2002). Am geeignetsten sind Materialien, die lagerungsstabil, sekretdurchlässig und individuell anpassbar sind. Resorbierbare Netzmaterialien (z. B. Polyglactin 910 oder Polyglycolsäure) vereinen diese Eigenschaften und können darüber hinaus auch bei infektiösen Komplikationen wie enterokutanen Fisteln oder bis zur endgültigen Wundheilung belassen werden. Die Häufigkeit dieser Komplikation bleibt in den meisten Studien unter 10% (Ghimenton u.2000). Die Applikation von Vakuum mit Hilfe einer selbstklebenden Folie und einem negativen Druck von 100 bis 150 mmHg wurde überwiegend bei abdominellem Trauma, aber auch bei intraabdomineller Infektion beschrieben. Bei Anwendungszeiten bis zu einem Monat treten enterokutane Fisteln bei bis zu 4,5% der Patienten auf (Stone 2004; Barker 2000).
Die Laparostomaanlage dient zur programmierten Relaparotomie und zur Behandlung des abdominellen Kompartmentsyndroms.
Interventionelle Therapie Bei einer umschriebener Ansammlung von infektiösem Material an chirurgisch nicht oder nur risikoreich zugänglichen Stellen der Leibeshöhle kann die sonographisch oder computertomographisch gesteuerte Punktion erfolgreich sein. Diese Situation kann bei gedeckt perforierter Sigmadivertikulitis ohne systemische Mitbeteiligung bestehen. Eine chirurgische Behandlung kann dann elektiv erfolgen (Cheadle u. Spain 2003). Ein interventionelles Vorgehen kann auch im postoperativen Verlauf indiziert sein, wenn eine Leckage spät, also 7–10 Tage postoperativ erfolgt und aufgrund der intraabdominellen Verklebungen lokalisiert bleibt (7 Kap. 2). Antibiotikatherapie Grundsätzlich sollte bei der Peritonitis eine kalkulierte Antibiotikatherapie eingeleitet werden, die auch die anaeroben Keime einschließt. Ein intraoperativer Abstrich und eine mikrobielle Untersuchung sind dringend zu empfehlen, um die Therapie resistenzgerecht umstellen zu können. Die Therapiedauer bei etablierter Peritonitis beträgt 5–7 Tage wenn eine Kontrolle der Infektionsquelle besteht (Cheadle u. Spain 2003). Die Empfehlungen zur antibiotischen Therapie der Peritonitis beruhen auf einer Vielzahl von prospektiven Untersuchungen und haben einen Evidenzgrad von I (7 Kap. 19). Die zugrunde gelegten Studien sind hinsichtlich der chirurgischen Therapie nicht vergleichbar und erfassen Patienten mit primär guter Prognose, d. h. ohne Organversagen und zumeist mit Appendizitis und perforiertem Ulkus als Grundlage. Dennoch stehen 8 Antibiotika bzw. deren Kombinationen im Vordergrund (Holzheimer u. Dralle 2001a), die eine vergleichbare Rate an Nebenwirkungen und Therapieerfolg besitzen:
4 4 4 4 4 4 4 4
21
Piperacillin/Tazobactam Ampicillin/Sulbactam Gentamycin + Clindamycin Tobramycin + Clindamycin Meropenem, Imipenem Aztreonam + Clindamycin Cefoxitin, Cefotetan Cefotaxim + Metronidazol
21.2.7 Mortalität und Prognose Nach Bohnen (Bohnen et al. 1983) beträgt die Mortalität in der generalisierten Peritonitis 38%. Bei perforierter Appendizitis und perforiertem Duodenalulkus liegt sie bei 10%. Wenn andere intraabdominelle Ursachen oder eine postoperative Peritonitis vorliegen kann die Mortalität 50–60% erreichen. Ein Organversagen ist in dieser Untersuchung mit einer Mortalität von 76% assoziiert. Die Mortalitätsraten der Peritonitis haben sich in der letzten Zeit allenfalls leichtgradig verbessert. In Abhängigkeit von Ursache und Schweregrad kann die Mortalitätsrate aller Patienten zwischen 30 und 50% betragen (Holzheimer u. Dralle 2001b; Koperna u. Schulz 2000). Wichtigsten Determinanten für die Prognose sind Alter und die Schwere der Erkrankung gemessen anhand des APACHE II oder des MPI-Wertes (Cheadle u. Spain 2003; Billing et al. 1994). Ein MPI<21 ist mit 3,3% Mortalität assoziiert, während ein MPI 21–29 mit einer Mortalität von 22,5% einhergeht. Bei einem MPI>29 wurde eine Mortalität von 59% beobachtet (Billing et al. 1994). Wenn die Infektursache kontrolliert werden kann, beträgt die Mortalität zwischen 9 und 14% (Bartels et al. 1992; Billing et al. 1992). Es bleibt zu klären, inwieweit die Prognose der Peritonitis derzeit noch bestimmt wird von der Behandlung (inkl. chirurgischer, antibiotischer und intensivmedizinischer Therapie; Lamme et al. 2004; Bosscha et al. et al. et al. 1999) als vielmehr von der Schwere der Erkrankung bzw. dem Maß der Immunantwort (Cheadle u. Spain 2003; Holzheimer u. Dralle 2001b; Wickel et al. 1997).
Die Mortalität ist maßgeblich bestimmt durch Schwere der Erkrankung bzw. dem Maß der Immunantwort und kann trotz adäquater Therapie bis zu 80% erreichen.
21.2.8 Abdominelles Kompartmentsyndrom Beginnend mit Arbeiten von Kron und Fietsam (Fietsam 1989; Kron et al. 1984) ist mittlerweile anerkannt, dass auch die Bauchhöhle Eigenschaften eines Kompartimentes aufweist. Entsprechend kann gezeigt werden, dass ab einer kurzfristigen intraabdominellen Volumenzunahme von ca. 5 l der intraabdominelle Druck (IAD) exponenziell ansteigt (McDougall et al. 1994). Primär kann eine Verschiebung von Flüssigkeit in das Abdomen mit Anstieg des IAD bei abdominellem Trauma, Pankreatitis, Peritonitis oder intraabdomineller Blutung resultieren (Balogh et al. 2003b; Pupelis et al. 2002; Ivatury et al. 1997). Ein Anstieg des IAD kann auch iatrogen bedingt sein, wenn bei ent-
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Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
sprechendem Ödem der Bauchdeckenverschluss erzwungen wird (Töns 2000). Daneben kann es auch ohne primäre Beteiligung des Abdomens sekundär zu einem Anstieg des IAD bei schwerer Verbrennung und bei Verletzungen der Extremitäten kommen (Latenser et al. 2002; Biffl et al. 2001; Kopelman et al. 2000). Faktoren, die auf eine bevorstehende Erhöhung des IAD hinweisen können, sind (Balogh et al. 2003c): 4 Hoher Bedarf an Flüssigkeit (≥7,5 l in 6 h) 4 Verminderte Urinausscheidung (≤150 ml in 6 h) 4 Verringerter Hämoglobinwert (≤8 g/dl) 4 Vermindertes Herzzeitvolumen (≤2,6 l/min/m) 4 Azidose (Basendefizit ≥12 mEq/l) Ferner wurden ein erhöhter Beatmungsdruck oder eine deutlich positive Flüssigkeitsbilanz in diesem Zusammenhang beschrieben (McNelis et al. 2002). Ein Anstieg des IAD geht mit einer verschlechterten Durchblutung intra- und extraabdomineller Organsysteme (z. B. Leber, Darm, Niere, Thorax, Gehirn) einher und führt zu einer Minderung der Organfunktion und sogar zum Organversagen. Ab welchem Niveau eine Erhöhung des IAD als pathologisch zu werten ist, ist nicht definiert. Gemäß der vorliegenden Untersuchungen ist jedoch anzunehmen, dass schädliche Konsequenzen bereits ab einer Höhe von 10–12 mmHg resultieren (Malbrain et al. 2004; Kirkpatrick et al. 2000; Sugrue 1999). Ein abdominelles Kompartmentsyndrom (AKS) bezeichnet einen Anstieg des IAD auf >20 mmHg zusammen mit einer Minderung von Organfunktionen, wobei typischerweise die respiratorische (hohe Atemwegsdrücke), renale (Anurie) und kardiozirkulatorische Funktion (niedriges Herzzeitvolumen) betroffen sind (Schachtrupp et al. 2003; Ertel et al. 2000; Mayberry 1999; Moore et al. 1998; Meldrum et al. 1997; Burch et al. 1996). Die Letalität dieser Komplikation kann bis zu 60% betragen (Balogh et al. 2003c; Hong et al. 2002; Ivatury et al. 1998; Meldrum et al. 1997).
Abdominelles Kompartmentsyndrom: IAD >20 mmHg und Organfunktionsstörung wie hohe Atemwegsdrücke, Anurie und niedriges Herzzeitvolumen. Die Letalität kann 60% betragen.
21
Neben einer relevanten mechanischen Komponente, die durch Höhertreten der Zwerchfelle und durch Behinderung des venösen Rückstroms zu Minderung von Lungenvolumina und intravasaler Flüssigkeit führt, ist eine bakterielle Translokation sowie eine Aktivierung von Mediatoren und hormoneller Regelkreise als Pathomechanismus anzunehmen (Rezende-Neto et al. 2002). In bisherigen klinischen Untersuchungen konnte ein Zusammenhang zwischen abdominellem Kompartmentsyndrom und MODS bzw. MOV beobachten werden (Balogh et al. 2003c; Raeburn et al. 2001; Offner et al. 2001; Sugrue 1999). Prospektivrandomisierte Studien zur Mortalität oder Therapie des AKS liegen nicht vor und sind aufgrund der hohen Letalität und der damit verbundenen ethischen Problematik nicht zu erwarten. Zudem ist die Inzidenz des AKS variabel und liegt bei Patienten gemischter allgemeinchirurgischer oder internistischer Intensivstationen bei 1–8% (Malbrain et al. 2004; Hong et al. 2002).
Bei AKS besteht eine Prädisposition zum Multiorganversagen. Die Inzidenz bei intensivmedizinischen Patienten liegt allgemein bei 1–8%
Therapie. Es besteht Konsens darüber, dass bei Vorliegen eines AKS eine Laparotomie durchzuführen ist, um eine permanente Dekompression mittels Anlage eines temporären Bauchdeckenverschlusses zu erreichen (Balogh et al. 2003a; Hobson et al. 2002). Hinsichtlich der Höhe des IAD, ab der eine Dekompression auch ohne fassbare Organveränderungen erfolgen sollte, liegen keinerlei prospektive Untersuchungen vor. Bei einer persistierenden Erhöhung des IAD auf 25 mmHg oder mehr ist jedoch eine Dekompression zu empfehlen. Neben der Therapie der bereits vorliegenden Druckerhöhung muss es jedoch ein wesentliches Anliegen sein, präventiv einem iatrogen bedingten Anstieg des IAD entgegen zu wirken. Hierzu gehört der Verzicht auf einen forcierten Bauchdeckenverschluss oder auf die Verwendung von Stahldrähten mit Gegendruckplatten als sog. »Platzbauchtherapie oder -prophylaxe«. Neben diesen Ansätzen liegt es nahe, einer Reduktion der renalen, kardiozirkulatorischen oder pulmonalen Funktionen durch gezielte Stützung dieser Organsysteme zu begegnen. Beispielsweise wurde beobachtet, dass die Gabe von Flüssigkeit zu einer Normalisierung des Herzzeitvolumens (HZV) führen kann (Tiwari et al. 2002). Hierbei war zum Teil auch eine Verbesserung der Urinausscheidung und der Organdurchblutung nachweisbar (Friedlander et al. 1998). Ob aber eine Organdysfunktion oder ein morphologischer Organschaden auch ohne Dekompression verhindert werden können, ist zweifelhaft (Tiwari et al. 2002). In diesem Zusammenhang ist von der Verwendung der sog. »Füllungsdrücke« (z. B. zentralvenöser Druck oder pulmonalkapillärer Okklusionsdruck) zur Abschätzung des Volumenbedarfs abzuraten, da eine nicht genau nachvollziehbare Beeinflussung dieser Parameter durch den transdiaphragmal weitergeleiteten IAD gegeben ist (Chang et al. 1998). Stattdessen ist eine direkte Erfassung des intravasalen Volumens wie z. B. durch Erfassung des intrathorakalen Blutvolumens zu empfehlen, da dieses nicht vom intrathorakalen Druck beeinflusst wird.
Bei Patienten mit einem entsprechend erhöhten Risiko, eine intraabdominelle Hypertension (IAH) zu erleiden, ist eine Überwachung des IAD zu empfehlen (Sugrue 2002). Hierbei gilt die Messung des intravesikalen Drucks (Blasendrucks) derzeit noch als »Goldstandard« für die Abschätzung des IAD, da die Methodik wenig invasiv und bettseitig durchführbar ist.
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Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
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21
22 22
Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens R. Babst, J. Rosenkranz
22.1
Verletzungsmuster
– 216
22.2
Patientenbeurteilung nach »Advanced-trauma-life-support«Kriterien – 216
22.3
Diagnostik
22.3.1 22.3.2 22.3.3
Basisdiagnostik – 217 Erweiterte Diagnostik – 217 Abklärungsalgorithmen bei Abdominaltrauma
22.4
Antibiotikaprophylaxe und -therapie – 220
22.5
Operative Therapieprinzipien
22.5.1 22.5.2 22.5.3
Lagerung und Zugänge – 220 Technik der Revisionslaparotomie – 220 Techniken der Blutstillung – 221
22.6
Behandlungsprinzipien der Einzelorgane – 221
22.6.1 22.6.2 22.6.3 22.6.4 22.6.5 22.6.6
Milz – 221 Leber – 222 Gastrointestinaltrakt – 223 Gefäßverletzungen beim Abdominaltrauma Niere und ableitende Harnwege – 226 Zwerchfell und Bauchdecke – 227
22.7
Frühpostoperative Ernährung nach Abdominaltrauma – 227
22.8
Abdominelles Kompartmentsyndrom – 229
– 217
Literatur – 229
– 219
– 220
– 225
216
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
) ) In Mitteleuropa überwiegt das stumpfe Abdominaltrauma als Folge von Verkehrs- und Arbeitsunfällen gegenüber penetrierenden Abdominalverletzungen. Abdominalverletzungen liegen bei 20–40% der polytraumatisierten Patienten vor (Bardenheuer et al. 1997; Staib et al. 2004). Obwohl das Schädel-Hirn-Trauma die häufigste Ursache der Frühletalität beim polytraumatisierten Patienten darstellt, ist das Abdominaltrauma mit 19% zu einem beachtlichen Teil an der Gesamtletalität von polytraumatisierten Patienten beteiligt. Im Gegensatz zum Schädel-Hirn-Trauma finden sich die meisten Todesfälle beim Abdominaltrauma in den ersten 6 h nach Klinikeintritt, was eine hohe zeitliche Priorität bei Diagnostik und Therapie dieser abdominellen Verletzungen begründet (Demetriades et al. 2004). Während die korrekt diagnostizierte und therapierte Abdominalverletzung eine Mortalitätsrate von 6,3% aufweist, steigt diese bei verpassten Abdominalverletzungen auf 17% rasch an (Sung et al. 1996). Übersehen werden hierbei neben Pankreasverletzungen v. a. Rupturen der Hohlorgane. Um die Morbidität und Letalität nach Abdominaltrauma zu senken, muss das klinische Management standardisierten Abklärungs- und Therapiekonzepten folgen. Damit können unnötige Zeitverluste vermieden und die Zahl verpasster relevanter Abdominalverletzungen gesenkt werden. Diese Konzepte orientieren sich dabei am Gesamtzustand des Patienten und setzen die Prioritäten nach pathophysiologischen Gesichtspunkten (z. B. ATLS 1997).
22.1
Verletzungsmuster
Unterschieden werden stumpfe und penetrierende Abdominalverletzungen. Stumpfe Abdominaltraumen sind Folge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung durch Dezeleration im Rahmen von Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großer Höhe. Diese können v. a. bei Überrolltraumen mit erheblichen Weichteilavulsionen einhergehen.
. Abb. 22.1. Abklärungsalgorithmus beim Abdominaltrauma nach ATLS-Kriterien
Penetrierende Traumen werden in ihren Folgen durch die topographische Lage sowie durch Fläche und involvierte Energie der Penetration bestimmt. So sind Stichverletzungen durch ihren limitierten Stichkanal prognostisch meist günstiger als Schussverletzungen, bei denen die Traumafolgen von Projektilenergie, Projektilart und Schusskanal abhängig sind. Pfählungsverletzungen werden durch Eindringtiefe und Art des Pfählungsgegenstandes in ihrer Verletzungsschwere bestimmt. 22.2
Patientenbeurteilung nach »Advancedtrauma-life-support«-Kriterien
Die Erstbeurteilung (»primary survey«) des Verletzten zielt auf rasches Erkennen und Behandeln gestörter Vitalfunktionen ab (. Abb. 22.1). Mit der ABCDE-Regel – Überprüfung und Sicherstellen der Atemwege (A), der Atmung (»breathing«, B), des Kreislaufs (C), des neurologischen Status (»disability«, D) und dem Entkleiden des Patienten unter Kontrolle der Hypothermie (»exposure«, E) – wird ein effizientes und strukturiertes Management in der Akutphase gewährleistet. Diese Erstbeurteilung wird unterstützt durch ein kontinuierliches Monitoring von Hämodynamik und Oxygenation, 3-KanalElektrokardiographie und die Einlage eines Ureterkatheters, sofern dies nicht kontraindiziert ist. Zusätzlich erfolgt das Legen einer Magensonde. Kann der Patient kreislaufmäßig stabilisiert oder stabil gehalten werden, erfolgen insbesondere beim polytraumatisierten Patienten konventionelle Röntgenaufnahmen des Thorax, des Beckens und der seitlichen Halswirbelsäule. Zu diesen Basisabklärungen gehört auch die Ultraschalluntersuchung des Abdomens. Können die Störungen der Vitalfunktionen erfolgreich behandelt werden, wird der Patient detailliert von Kopf bis Fuß (»secondary survey«) untersucht. Hierher gehört auch die Anamnese bezüglich Allergien, Medikation, Vorerkrankungen, Zeitpunkt der letzten Mahlzeit und die genaue Unfallanamnese, aus der häufig bereits Hinweise auf das mögliche Verletzungsmuster erarbeitet werden können.
Erstbeurteilung (»primary survey«) – Atemwege – Beatmung – Kreislauf – Neurologischer Status – Entkleiden
Röntgen Thorax, Becken, HWS seitlich Ultraschall Abdomen
22
Detaillierte Untersuchung (»secondary survey«) – Anamnese – Status – Zusatzuntersuchungen nach Bedarf
Unterstützung der Vitalfunktionen Monitoring: EKG, Urin-Output Blutgase, Sättigung, Blutdruck
Vitalfunktionen stabil
Fortgesetzte Unterstützung der Vitalfunktionen
217 22.3 · Diagnostik
Die hämodynamische Stabilität, Unfallmechanismus und -lokalisation bestimmen den Zeitpunkt der fokussierten Untersuchung des Abdomens. Hierbei wird das gesamte Abdomen nach äußeren Verletzungen abgesucht. Dies beinhaltet auch eine Beurteilung der Flanken, des Rückens und des Perineums. Bei thorakalen Verletzungen, insbesondere bei Stichverletzungen und Rippenfrakturen unterhalb der vierten Rippe muss an die Möglichkeit einer abdominellen Mitbeteiligung gedacht werden. 22.3
Diagnostik
22.3.1 Basisdiagnostik Sonographie Während die diagnostische Peritoneallavage mit bis zu 30% falsch-negativen Ergebnissen (Fabian et al. 1986) an Bedeutung verloren hat, hat sich die Ultraschalluntersuchung als Notfalldiagnostik der ersten Wahl etabliert. Mit einer Spezifität von 95% und einer Sensitivität von 71% ist sie auch in der Hand von Unfallchirurgen mit relativ geringer Ultraschallerfahrung ein zuverlässiges Instrument zum Nachweis freier Flüssigkeit im Abdomen (McCarter et al. 2000). Damit kann sie das weitere therapeutische Vorgehen relevant mitbestimmen. Neben der Nichtinvasivität der Methode liegen die Vorteile auch in einer raschen Verfügbarkeit, der Wiederholbarkeit v. a. bei konservativer Behandlung von Leber- oder Milzrupturen und der Durchführbarkeit während kreislaufstabilisierenden Maßnahmen.
Die Ultraschalluntersuchung hat sich zu einem Standard in der Erstdiagnostik von polytraumatisierten Patienten entwickelt.
Im Gegensatz zur Computertomographie ist die Sensitivität des Ultraschalls bei Hohlorganrupturen auch in der Hand eines Geübten relativ gering, d. h. zur Ausschlussdiagnose kaum geeignet. Konventionelle Röntgendiagnostik Im Gegensatz zu Röntgenaufnahmen des Beckens, des Thorax und der seitlichen Halswirbelsäule gehört die konventionelle Röntgenuntersuchung des Abdomens nicht zur Basisdiagnostik des Polytraumapatienten. Labordiagnostik Die im Schockraum durchgeführte Blutentnahme dient in erster Linie der Blutgruppenbestimmung und Kreuztestung. Während Hämoglobin- und Hämatokritwerte zu Beginn durch noch nicht stattgefundene Flüssigkeitsumverteilung aus dem Extravasalraum kaum Anhaltspunkte für die Blutungsschwere geben, sind diese als Verlaufskontrollen durch repetitive Bestimmung geeignet, die suffiziente Substitution verlorengegangener Blutvolumina zu monitorisieren. Arterielle Blutgasanalysen und die Kontrolle der Gerinnungsparameter können jedoch bereits im Schockraum indirekte Hinweise auf den respiratorischen und hämodynamischen Zustand des Patienten geben. Der Urinstatus kann durch Nachweis einer Mikrohämaturie Hinweise auf Verletzungen der Nieren oder der ableitenden Harnwege geben und für ein Drogenscreening oder einen Schwangerschaftsnachweis verwendet werden.
22
22.3.2 Erweiterte Diagnostik Voraussetzung für die Durchführung einer erweiterten Diagnostik ist ein bezüglich Vitalparametern stabiler oder stabil zu haltender Patient. Die erweiterte Diagnostik richtet sich dabei nach dem Verletzungsmuster, hat sich aber auch nach dem zeitlichen Aufwand, gegeben durch Infrastruktur und verfügbares Fachpersonal, zu richten. Computertomographie Durch moderne Computertomographen mit simultaner Aufnahme mehrerer Schichten hat sich der zeitliche Aufwand für die Computertomographie erheblich vermindert. So ist mit neuesten Spiralcomputertomographen eine Aufnahme von 120 cm Länge in 1 mm Schichten innerhalb von 30 s möglich. Diese rasche Aufnahmetechnik vermindert störende Bewegungsartefakte. In größeren Traumazentren werden zudem zunehmend CT-Anlagen im oder in der unmittelbaren Umgebung von Schockräumen platziert. Durch Ankopplungsmöglichkeiten der Schockraumliege an den CT-Tisch entfällt bei entsprechend eingerichteten Zentren das zeitaufwendige Umlagern des Patienten. Dies hat dort zum Teil zu Änderungen im Schockraumalgorithmus geführt. Unabhängig davon ist die Ultraschalluntersuchung bei hämodynamisch instabilen Patienten weiterhin das erste diagnostische Instrument der Wahl. Sensitivität und Spezifität liegen bei 97,6% bzw. 98,7% (Hoff et al. 2002), der negative prädiktive Wert einer unauffälligen Computertomographie liegt bei 99,63% (Livingston et al. 1998).
Dies führt zum Postulat (Livingston et al 1998), Patienten mit isoliertem stumpfem Bauchtrauma bei einem unauffälligen CT nicht mehr zu hospitalisieren.
Die Stärke der Computertomographie liegt v. a. in der besseren Beurteilbarkeit des Retroperitoneums. Der Entscheid zur konservativen Behandlung von Läsionen solider Bauchorgane stützt sich auf die computertomographische Beurteilung der Organläsion und vor allem auf die Stabilität der Vitalfunktionen. Die Computertomographie mit intravenöser Kontrastgabe kann zusätzlich Informationen bezüglich Perfusion und – bei Nierenverletzungen – Funktion der soliden Bauchorgane liefern. Wie bei der Ultraschalluntersuchung können Hohlorganrupturen und mesenteriale Verletzung der frühen CT-Diagnostik entgehen, bei entsprechendem Verdacht werden sequenzielle CT-Untersuchungen durchgeführt. Untersuchung der Harnwege Eine intraoperative Pyelographie kann bei notfallmäßiger Notwendigkeit einer Nephrektomie die Funktion der kontralateralen Niere dokumentieren, falls diese präoperativ nicht durch eine Computertomographie mit Kontrastmittelgabe belegt wurde. Schwere Beckenverletzungen mit Blutaustritt aus dem Meatus urethrae, Pfählungsverletzungen im Dammbereich oder computertomographischen Kontrastmittelextravasaten im Blasenbereich bilden die Indikation zu einer retrograden Urethrozystographie.
218
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
Kontrastmitteluntersuchung des Gastrointestinaltraktes Durch Kontrastmittelfüllung des Magens in Kopftieflage über eine Magensonde können distale Ösophagusrupturen oder Zwerchfellrupturen abgeklärt werden, die endoskopisch retrograde Cholangiographie (ERC) mit Darstellung des Pankreasganges ist bei Verdacht auf eine entsprechende Verletzung die spezifischste und sensitivste Methode zu deren Nachweis (Harerell et al. 1998), der Stellenwert der Magnetresonanzpankretikographie (MRP) ist hier noch nicht klar (Lin et al. 2004). Angiographie Beim kreislauflabilen Patienten ist die Diagnostik durch Angiographie zu zeitaufwendig. Die meisten Fragestellungen können üblicherweise durch die Computertomographie geklärt werden. Beim hämodynamisch stabilen Patienten hat die interventionelle Angiographie mit der Möglichkeit der Embolisation einen gewissen Stellenwert erlangt: so in der Blutstillung bei Beckentraumen oder auch gewissen Formen der Milzruptur. Diese Interventionen setzen jedoch eine jederzeitige Verfügbarkeit und Kompetenz des radiologischen Personals voraus. Proktosigmoidoskopie Die Anorektoskopie und evtl. Rektosigmoidoskopie sind bei Verdacht auf Rektumbeteiligung bei Pfählungsverletzungen im Dammbereich indiziert, auch bei Beckenverletzungen mit analem Blutabgang sollten diese Untersuchungen zum Ausschluss einer Rektumbeteiligung durchgeführt werden. Laparoskopie Die Laparoskopie hat bei der Diagnostik des kreislaufinstabilen, polytraumatisierten Patienten aufgrund des Zeitaufwandes keine Bedeutung. Sie kann aber bei monotraumatisierten, kreislaufstabilen Patienten zur Klärung unklarer Befunde der bildgebenden diagnostischen Verfahren dienen. Sie hat insbesondere bei Stichverletzung eine Bedeutung erlangt, da sich mit ihrer Hilfe die Rate unnötiger Laparotomien und die damit verbundene Zugangsmorbidität senken lässt (Simon et al. 2002). Einschränkungen in der laparoskopischen Diagnostik bestehen jedoch bei retroperitonealen Verletzungen, die mit dieser minimal-invasiven Methode schlecht oder nicht einsehbar sind. Peritoneallavage Mit der guten Verfügbarkeit von Ultraschall, Computertomographie und Laparoskopie hat die Peritoneallavage aufgrund ihrer Invasivität und der damit verbundenen Komplikationsrate an Bedeutung verloren. Als Monitorisierungsmethode bei länger dauernden Eingriffen und wenig freier Flüssigkeit im Abdomen hat die Peritoneallavage jedoch weiterhin ihre Berechtigung. Zudem bestehen Hinweise, dass mit einer Kombination von diagnostischer Peritoneallavage und Computertomographie Sensitivität und Spezifität der Einzeluntersuchungen weiter erhöht werden kann und die Kombination v. a. in Hinsicht auf Hohlorganverletzungen dem CT allein überlegen ist (Gonzalez RP et al. 2001).
22 22.3.3 Abklärungsalgorithmen
bei Abdominaltrauma Standardisierte Abklärungsalgorithmen helfen in der Akutphase eine problemorientierte Therapie ohne Zeitversug zu planen. Die
Behandlungsprioritäten richten sich danach, ob das Abdominaltrauma isoliert oder im Verband mit Begleitverletzungen vorliegt. Letztere beeinflussen nicht nur die Therapie, sondern auch die Abklärungsprioritäten. Neben einer raschen Übersicht über vitalitätsgefährdende Verletzungen und relevante Begleitverletzungen müssen im Schockraum folgende Fragen geklärt werden: 4 Ist die Abdominalverletzung stumpf oder penetrierend? 4 Ist der Kreislauf stabil oder instabil? 4 Lässt sich ultrasonographisch freie Flüssigkeit nachweisen? 4 Wie ist der Volumenbedarf des Patienten und wie verhalten sich Hämoglobin, Hämatokrit und Diurese im Verlauf? Isoliertes stumpfes Bauchtrauma Beim isolierten stumpfen Bauchtrauma richtet sich der Abklärungsalgorithmus ausschließlich nach der Kreislaufstabilität (. Abb. 22.2). Bei Kreislaufinstabilität beschränkt sich die Diagnostik des Abdomens nach Ausschluss von Begleitverletzungen auf die Ultraschalluntersuchung. Der Nachweis von freier Flüssigkeit stellt hier die Indikation zur unverzüglichen Notfalllaparotomie. Bei stabilem Kreislauf sollte der Sonographie bei freier Flüssigkeit eine Computertomographie folgen, um die Blutungsursache zu lokalisieren und bei Läsionen solider Organe die Möglichkeiten eines konservativen Vorgehen abschätzen zu können. Die Indikationen zur konservativen Therapie von Läsionen parenchymatöser Bauchorgane haben in den vergangenen Jahren stets zugenommen. Hämodynamische Instabilität stellt dabei eine absolute Kontraindikation dar. Voraussetzung für ein konservatives Vorgehen ist eine engmaschige Kreislaufüberwachung auf einer Intensivstation, wiederholte Hämoglobin- und Hämatokritkontrollen sowie repetitive sonographische Verlaufsuntersuchungen. Bei Instabilität dieser genannten Überwachungsparameter muss die konservative Vorgehensweise überdacht werden. Auch Anzeichen einer Peritonitis erfordern eine unverzügliche operative Exploration. Begleitverletzungen Extraabdominelle Begleitverletzungen bestimmen die abdominellen Abklärungsalgorithmen. Bestimmend in der Abklärungsund Therapiepriorität ist hier in erster Linie der Schweregrad der Begleitverletzung und ihr Einfluss auf die Kreislauf(in)stabilität. Schädel-Hirn-Trauma. Das Vorliegen eines mittelschweren Schädel-Hirn-Traumas (GCS<12) erfordert die Durchführung einer Computertomographie des Schädels. Bei simultanem Vorliegen eines Abdominaltraumas sollte die Untersuchung auf das Abdomen erweitert werden. Ist die neurologische Überwachung schwierig oder bei Narkose nur eingeschränkt gewährleistet, muss die Indikation zum Schädel-CT großzügig gestellt werden. Beim nicht stabilisierbaren kreislaufinstabilen Patienten mit Abdominaltrauma und freier Flüssigkeit in abdomine hat die abdominelle Blutstillung Priorität vor der kraniellen Abklärung. Thoraxtrauma. Das in der Routine der Basisdiagnostik beim
Schockraumpatienten durchgeführte Thoraxröntgenbild diagnostiziert die meisten der kreislaufrelevanten Thoraxverletzungen. Der Pneumo- und/oder Hämatothorax wird unverzüglich durch eine Thoraxdrainage behandelt. Die Drainagen geben Information über Ausmaß und Dynamik des thorakalen Blutver-
22
219 22.3 · Diagnostik
. Abb. 22.2. Abklärungsalgorithmus beim stumpfen abdominellen Bauchtrauma
Hämodynamisch stabil
Hämodynamisch instabil
Ultraschall
Ultraschall
Freie Flüssigkeit
Freie Flüssigkeit
Ja
Nein
CT
– Wiederholte Sonographien – Überwachung – CT
Läsion von soliden Organen? Ja Konservative Therapie?
Nein Laparotomie?
lustes. Kann der Patient trotz Thoraxverletzung stabilisiert werden, wird die Abdominalverletzung prioritär abgeklärt. Beckenverletzung. Wie das Thoraxröntgenbild gehört das Röntgen des Beckens zur Routine der Basisdiagnostik. Bei instabilen Beckenringverletzungen erfolgt im Schockraum eine provisorische Stabilisierung des Beckenrings mit einer Beckenschlinge oder temporär mit einer Beckenzwinge resp. mit einem externen Fixateur entsprechend dem Frakturmuster. Bei gleichzeitig vorliegender abdomineller Blutung wird der Beckenring anlässlich der abdominellen Revision mit Fixateur externe, Beckenzwinge oder durch Plattenosteosynthese temporär oder definitiv stabilisiert.
Penetrierendes Abdominaltrauma Auch in der Abklärung penetrierender Abdominaltraumen (. Abb. 22.3) ist die Kreislaufstabilität entscheidend. Bei nicht . Abb. 22.3. Algorithmus beim penetrierenden Abdominaltrauma. (Aus Ertl u. Trentz 1996)
Nein
Ja
– Kontinuierliche Unterstützung der Vitalfunktionen – Suche nach anderen Quellen der Kreislaufinstabilität – Wiederholte Sonographien
– Explorative Laparotomie
stabilisierbarem Kreislauf wird nach Ausschluss eines Hämatothorax eine sofortige Laparotomie durchgeführt. Ein Hämatothorax wird vor der Laparotomie drainiert. In Abhängigkeit der Fördermenge über den Thoraxdrain wird die Laparotomie mit einer Sternotomie oder anterolateraler Thorakotomie kombiniert, um die Blutstillung in beiden Körperhöhlen zu ermöglichen. Stichverletzung. Der Abklärungsalgorithmus der Stichverlet-
zung richtet sich nach der Kreislaufstabilität und der Eintrittsregion der Stichverletzung. Bei stabilem Kreislauf, Stichverletzung in der ventralen Bauchwand und fehlender freier Flüssigkeit in der Sonographie kann die Stichwunde in Lokalanästhesie revidiert und – falls sich die Faszien als intakt erweisen – auf eine intraabdominelle Exploration verzichtet werden. Ist die Faszie verletzt, kann der Verlauf des Stichkanals laparoskopisch weiter abgeklärt werden und so u. U. eine Laparotomie vermieden
Penetrierendes Abdominaltrauma Schussverletzung
Röntgenthorax
Stichverletzung
Thoraxdrainage hämodynamisch instabil, > 500 ml / h Thorakotomie
tiefe Verletzungen im zentralen Drittel
hämodynamisch stabil
Sonographie: freie Flüssigkeit
Sonographie: keine freie Flüssigkeit
ventrolaterale Bauchwand
Flanke / Rücken
Peritoneum perforiert
Peritoneum intakt
Wunddébridement Laparotomie Wunddébridement
CT-Bilanzierung Retroperitoneum
Gefäß- / Organläsion
Befund negativ
Wunddébridement
220
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
werden. Stichverletzungen in der lateralen Bauchwand oder Flanke mit möglichem retroperitonealem Verlauf können laparoskopisch kaum abgeklärt werden, hier empfiehlt sich eine computertomographische Abklärung zum Ausschluss retroperitonealer Verletzungen.
Hämodynamische Instabilität und Stichkanal im medialen Drittel des Abdomens erfordert aufgrund der potenziellen Verletzungen der zentralen Gefäßachse eine sofortige Laparotomie auch ohne sonographischen Nachweis freier Flüssigkeit.
Schussverletzung. Bei abdominellen Schussverletzungen ist aufgrund der Kavitationsschäden entlang des Schusskanals immer eine Exploration durch Laparotomie indiziert. Ist der Patient kreislaufstabil, kann eine vorgängig durchgeführte Computertomographie Hinweise auf retroperitoneale Verletzungen geben. Pfählungsverletzung. Der Abklärungsalgorithmus bei der Pfählungsverletzung gleicht dem der Schussverletzung, bei Pfählung im Bereich des Dammes wird eine Anorektoskopie durchgeführt, um eine Rektumbeteiligung auszuschließen.
22.4
Antibiotikaprophylaxe und -therapie
Die prophylaktische Antibiotikagabe hat sich sowohl in der Viszeralchirurgie wie auch in der Traumatologie als Standard durchgesetzt. Auch bei perforierenden Abdominalverletzungen konnte der Nutzen der prophylaktischen Gabe von Breitspektrumantibiotika nachgewiesen werden (Thadepalli et al. 1973). Der Nutzen einer Antibiotikagabe über mehr als 24 h hingegen konnte bei Patienten mit Abdominaltrauma bisher nicht belegt werden. Dies gilt auch bei Patienten mit Hohlorganperforation. Aufgrund des Hypermetabolismus und des Flüssigkeitsumsatzes . Abb. 22.4. Standardinzisionen und ihre Erweiterungen beim Abdominaltrauma. (Aus Trentz u. Käch 1995)
22
beim Traumapatienten kann eine Dosisanpassung von Vorteil sein (Luchette et al. 2000). Dies gilt insbesondere bei Transfusion größerer Mengen von Blutersatzprodukten, wo ein Zusammenhang des Infektrisikos mit der Transfusionsmenge nachgewiesen werden konnte (Delgado et al. 2002). 22.5
Operative Therapieprinzipien
22.5.1 Lagerung und Zugänge Die Lagerung und Abdeckung des Patienten sollte die intraoperative Erweiterung des abdominellen Zugangs durch Sternotomie oder anterolaterale Thorakotomie zulassen; auch die Möglichkeit, Thoraxdrainagen zu legen, sollte nicht durch zu begrenzte Abdeckungen verhindert werden. Perineale Verletzungen erfordern eine Steinschnittlagerung, um rektoskopieren, débridieren und drainieren zu können. Die mediane Laparotomie ist der Zugang, der im Bedarfsfalle am einfachsten durch Subkostalschnitte nach links oder rechts erweitert werden kann, um z. B. den Zugang bei Leberverletzungen zu erleichtern (. Abb. 22.4). 22.5.2 Technik der Revisionslaparotomie Über eine Minilaparotomie kann – außer bei Verdacht auf eine Hohlorganperforation – mit einem Cellsaver als Erstmaßnahme das freie Blut aus der Bauchhöhle gesammelt werden. Nach Laparotomie werden anschließend die 4 Quadranten im Gegenuhrzeigersinn beginnend im linken oberen Quadranten exploriert und der Bauchraum mit Tüchern für eine initiale Blutstillung austamponiert. Bei nicht sicher lokalisierbarer oder lokal nicht kontrollierbarer Blutung empfiehlt sich ein Ausklemmen der Aorta. Vor allem bei schlechter Gefäßfüllung beim schockierten Patienten ist dies über eine anterolaterale Thorakotomie supradiaphragmal leichter zu bewerkstelligen als intra-
221 22.6 · Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
abdominal, zudem bietet dieser zusätzliche Zugang die Möglichkeit der offenen Herzmassage und der Entlastung einer Perikardtamponade. Bis zum Ausklemmen supradiaphragmal wird die abdominale Aorta durch einen Assistenten gegen die Wirbelsäule komprimiert. Bei infradiaphragmaler Ausklemmung der Aorta kann eine Magensonde im Ösophagus helfen, die Aorta auch bei schlechtem Füllungszustand zu orten. Eine weitere Alternative ist die Ballonokklusion über einen inguinal in die A. femoralis eingebrachten Angiographiekatheter. Nach dieser temporären Blutungskontrolle werden verletzte Darmabschnitte ausgeklemmt oder mit Staplernaht verschlossen. Unter adäquater Volumensubstitution werden die 4 Quadranten systematisch inspektorisch und palpatorisch nach Organläsionen abgesucht. Anschließend erfolgt die Inspektion von Magenhinterwand, Duodenum und Pankreas über eine Eröffnung der Bursa omentalis. Schließlich wird der gesamte Dünndarm und der Kolonrahmen vom Treitz’schen Ligament nach distal revidiert und schlussendlich auch das kleine Becken und die Blase inspiziert. Neben der Inspektion der Einzelorgane werden auch Ausmaß und Dynamik retroperitonealer Blutungen bzw. Hämatome beurteilt. Bei Patienten mit relevantem Blutverlust, mit Hypothermie und mit Gerinnungsstörung wird auf eine anatomische Rekonstruktion von Hohlorganverletzungen oder auf eine zeitaufwendige, penible Blutstillung verzichtet und die Laparotomie bzw. die intraabdominelle Intervention auf eine »damage control surgery« beschränkt (Rotondo et al. 1997). Dies bedeutet, dass der Abdominaleingriff in erster Linie auf volumenrelevante Blutstillung und Vermeidung weiterer Kontamination auf Tuchtamponaden bzw. Staplernähte beschränkt wird. Eine etappenweise oder definitive Versorgung des Intestinums erfolgt erst nach intensivmedizinischer Stabilisierung der pathologischen Kreislauf- und Gerinnungsparamenter. Als Parameter zur Durchführung eines »Damage-control-surgery«-Protokolls werden eine Azidose (pH<7,3), ein Transfusionsbedarf über 10 Erythrozytenkonzentraten und eine Hypothermie <35°C diskutiert (Johnson et al. 2001). Die Indikation zu diesem Vorgehen wird dann erweitert, wenn der Patient weitere zerebrale oder thorakale Begleitverletzungen hat. Dieses Vorgehen hat die Mortalität bei Patienten in extremis senken können, Techniken und Inidkationsschwellen der »damage control surgery« sind jedoch noch in der Entwicklung. Falls es der Schwellungszustand der Därme verbietet, ein »second look« oder andere abdominelle Folgeeingriffe geplant sind, erfolgt ein temporärer Bauchdeckenverschluss mit Kunststoffnetz und/oder einem Vakuumsystem. Lezteres hat den Vorteil, dass eine Retraktion der Bauchdecken reduziert werden kann. 22.5.3 Techniken der Blutstillung Bei größeren Blutungen mit schlechter Lokalisierbarkeit und Übersicht wird läsionsfern eine temporäre Blutstillung durch Ausklemmen des zuführenden Gefäßes durchgeführt. Beispiele hierfür sind die infra- oder supradiaphragmale Ausklemmung der Aorta, während oder unter drohender Reanimation, oder das Pringle-Manöver am Lig. hepatoduodenale bei der Leberblutung.
22
An den parenchymatösen Organen stehen verschiedene Techniken zur Verfügung: Durch eine Textiltamponade können rupturierte Organflächen gegeneinander komprimiert werden um die Flächen verkleben zu lassen. Das betroffene Organ muss dazu jedoch mobilisiert werden, die komprimierenden Tücher müssen obligat nach spätestens 48 h wieder entfernt werden. Das sog. »mesh-wrapping« basiert auf demselben Prinzip wie die Textiltamponade, mit dem Unterschied, dass das Organ in ein resorbierbares Netz eingepackt wird, dessen Entfernung entfällt. In Frage kommen hier v. a. Milz und Niere, evtl. auch die Leber, Schwierigkeiten bereitet die Dosierung des durch das Netz auf das Organ ausgeübte Druck, was zu Drucknekrosen am Organ führen kann. Selektive Gefäßligaturen und Umstechungen wirken gezielt, sind aber zeitaufwendig und sind daher bei drohender Exsanguination nicht angebracht. Sie bilden ansonsten aber die Basis jeden Resektionsdebridements an Leber, Niere und Milz. Bei diffusen Oberflächenblutungen ist die Parenchymflächenversiegelung mit Koagulation oder Argonbeamer besonders geeignet, zusätzlich kann der Effekt durch das Auflegen von Kollagenvlies augmentiert werden. Größere Flächen können auch mit Fibrinkleber abgedichtet werden; dies bedingt allerdings eine temporäre Bluttrockenheit durch eine Einstromsperre. 22.6
Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
22.6.1 Milz
Die Milzruptur ist die häufigste intraabdominelle Organverletzung beim stumpfen Abdominaltrauma. Die immunologische Bedeutung des Organs hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass organerhaltenden Therapien nach Möglichkeit der Vorzug vor der Splenektomie gegeben wurde.
Voraussetzung hierfür ist die hämodynamische Stabilität des Patienten bei minimalem Flüssigkeitsbedarf, der computertomographische Ausschluss einer hilären Beteiligung, sowie die Möglichkeit einer intensivmedizinischen Überwachung. Allein aus dem bildmorphologischen Schweregrad (. Tab. 22.1) der Milzverletzung lässt sich deshalb keine Therapierichtlinie ableiten. Bei Milzverletzungen ohne Hilusbeteiligung kann mit konservativer Therapie von einer Erfolgsrate von 90% ausgegangen werden. Auch bei höhergradigen Milzverletzungen konnte in den vergangenen Jahren durch aggressive angiographische Abklärung und Intervention die Versagerrate der konservativen Therapie gesenkt werden (Haan et al. 2001). Die Dauer und die Modalitäten der Überwachung variieren in der Literatur stark, in größeren Serien konservativ behandelter Milzläsionen finden sich die meisten Therapieversager zwischen 2. und 3. Tag, so dass eine Überwachung über mindestens 3 Tage empfehlenswert scheint. Zusätzlich sollte die Therapie durch eine Kontrollcomputertomographie überwacht werden, da, wahrscheinlich durch Vasospasmen bedingt, vaskuläre Läsionen der Milzgefäße der initialen Abklärung entgehen können. Bei hämodynamisch stabilisierbaren Patienten mit intakter Gerinnung kann der Milzerhalt operativ durch Polresektion,
222
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
. Tabelle 22.1. Schweregrad der Milzverletzung (nach Moore et al. 1989)
. Tabelle 22.2. Schweregrad der Leberverletzung. (Nach Moore et al. 1989)
Grad
Beschreibung
Grad
Hämatom
Subkapsulär, nicht expandierend, <10% der Milzoberfläche
I
Lazeration
Kapselriss, nicht blutend, <1 cm Parenchymtiefe
Hämatom
Subkapsulär, nicht expandierend, 10–50% der Milzoberfläche; intraparenchymatös, nicht expandierend, <2 cm im Durchmesser
Lazeration
Kapselriss, aktive Blutung, 1–3 cm Parenchymtiefe, trabekuläre Gefäße nicht mit einbeziehend
Hämatom
Subkapsulär, >50% der Milzoberfläche und/oder expandierend; rupturiertes subkapsuläres Hämatom mit aktiver Blutung; intraparenchymatöses Hämatom >2 cm oder expandierend
Lazeration
Rupter >3 cm in die Parenchymtiefe unter Einbezug der trabekulären Gefäßen
I
II
II
III III
IV
Hämatom
Rupturiertes intraparenchymatöses Hämatom mit aktiver Blutung
Lazeration
Ruptur unter Einbezug segmentaler oder hilärer Gefäße oder Devaskularisation >25% der Milz
Lazeration
Komplette Organzerstörung
Vaskulär
Hiläres Trauma mit Devaskularisation der Milz
Verschorfung mit »Argonbeamer«, Infrarotkoagulation, Fibrinklebung oder »mesh-wrapping« versucht werden, bei ungenügender Blutstillung, Gerinnungsstörungen oder relevanten Zusatzverletzungen sollte der Splenektomie der Vorzug gegeben werden.
Es wird empfohlen, splenektomierte Patienten 2 Wochen postoperativ gegen Pneumokokken und evtl. auch Meningokokken und Haemophilus influenzae zu impfen. Die Pneumokokkenimpfung sollte nach 5 Jahren einmalig wiederholt werden (Shatz 2002).
22.6.2 Leber
22
Wie bei der Milzverletzung zeigt sich auch bei Verletzungen der Leber ein Trend zur nicht-operativen Therapie. Durch Verbesserung der Technik bei der venösen und arteriellen Blutstillung und durch die Einführung der »damage control surgery« an der Leber hat sich die Letalität der Verletzungen in den letzten 25 Jahren wesentlich senken lassen (Richardson 2000).
IV
V
VI
Beschreibung Hämatom
Subkapsulär, nicht expandierend, <10% der Leberoberfläche
Lazeration
Kapselriss, nicht blutend, <1 cm Parenchymtiefe
Hämatom
Subkapsulär, nicht expandierend, 10–50% der Leberoberfläche; intraparenchymatös, nicht expandierend, <2 cm im Durchmesser
Lazeration
Kapselriss, aktive Blutung, 1–3 cm Parenchymtiefe, >10 cm lang
Hämatom
Subkapsulär, >50% der Leberoberfläche und/oder expandierend; rupturiertes subkapsuläres Hämatom mit aktiver Blutung; intraparenchymatöses Hämatom >2 cm oder expandierrend
Lazeration
Rupter >3 cm in die Parenchymtiefe
Hämatom
Rupturiertes intraparenchymatöses Hämatom mit aktiver Blutung
Lazeration
Parenchymatöse Zerstörung von 25–50% eines Leberlappens
Lazeration
Parenchymatöse Zerstörung von >50% eines Leberlappens
Vaskulär
Juxtahepatische venöse Verletzung, d. h. der extrahepatischen Lebervenen und/ oder der V. cava
Vaskulär
Hepatische Avulsionsverletzung
Nach stumpfem Bauchtrauma können 85% der Leberverletzungen erfolgreich konservativ (Malhotra et al. 2000) behandelt werden. Die Voraussetzungen für die konservative Therapie entsprechen denen bei Milzverletzungen (7 oben). Auch bei Leberverletzungen sollte – sofern die Kreislaufstabilität dies zulässt – eine Computertomographie durchgeführt werden, um den Schweregrad der Leberverletzung zu beurteilen. Die Indikation zur konservativen Therapie wird dabei weniger von der computertomographischen Einteilung des Schweregrades als vielmehr vom hämodynamischen Verhalten des Patienten und dessen Volumenbedarf abhängig gemacht. Bei kreislaufinstabilen Patienten mit höhergradigen Leberverletzungen empfiehlt sich als primäre Maßnahme das perihepatische »packing« durch Bauchtücher nach Mobilisation der Leber über eine quere Oberbauchlaparotomie oder die subkostal rechts erweiterte mediane Laparotomie. Oberflächliche Leberläsionen oder subkapsuläre Hämatome (Grad I und II nach Moore) sind meist einer konservativen Therapie zugänglich (. Tab. 22.2), schwerere Lebertraumen werden in Abhängigkeit der hämodynamischen Stabilität behandelt: Ist der Patient stabil, kann nach computertomographischer Beurteilung des Schweregrades der Verletzung eine angiographische Intervention zur Blutstillung angeschlossen werden
223 22.6 · Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
(Hagiwara et al. 2002). Besteht nach Volumentherapie weiterhin eine Instabilität, wird nach chirurgischem »packing« die angiographische Intervention im Sinne einer »damage control« angeschlossen (Johnson 2002) oder je nach Befund oberflächliche Leberläsionen mittels »Argonbeamer« verschorft oder Einrisse mit »mesh-wrapping« komprimiert. Bei vornehmlich arteriellen Blutungen kann, falls ein Pringle-Manöver die Blutung kontrolliert, eine selektive Ligatur der zuführenden Leberarterie erfolgversprechend sein (Richardson 2000).
Von Versuchen, diffuse venöse Blutungen mit Umstechungen oder Ligaturen zu kontrollieren, wird abgeraten, da diese Blutungen durch die Manipulationen eher verstärkt werden. Hier hat die Kompression durch »packing« eher Aussicht auf Erfolg.
Juxtakavale venöse Blutungen werden entweder durch Freilegung der verletzten Vene durch »finger-fracture« des umliegenden Gewebes und gezielte Ligatur behandelt oder durch Ausklemmen des betroffenen Venenanteils und anschließende Naht der Läsion. Der Nutzen des früher beschriebenen atriokavalen Shunts zur Blutungskontrolle bei diesen Läsionen wird aufgrund der ungenügenden Datenlage in Frage gestellt. Obwohl die Letalität auch bei schweren Lebertraumen durch o. g. Maßnahmen hat gesenkt werden können, sind diese Verletzungen mit einer erheblichen Morbidität assoziiert. Häufig sind Revisionslaparotomien nötig, um durch Lebernekrosen bedingte Abszesse oder Gallenfisteln zu behandeln. 22.6.3 Gastrointestinaltrakt Perforationen der Hohlorgane stellen diagnostisch beim stumpfen Abdominaltrauma in der Akutsituation eine Herausforderung dar. Klinisch manifestiert sich eine peritoneale Reizung oft erst verzögert und sie fehlt beim intubierten, relaxierten Patienten vollständig. Patienten, bei denen ein dringender Verdacht auf eine Hohlorganruptur besteht und deren Hämodynamik weitere Abklärung zulässt, sollten neben einer sorgfältigen sonographischen Untersuchung computertomographisch abgeklärt werden. Freie Luft in der CT-Untersuchung mit Kontrastmittel ist praktisch beweisend für eine Hohlorganruptur, Darmwandhämatome oder Mesenterialhämtome müssen zumindest einen hochgradigen Verdacht erwecken. Hier kann die diagnostische Peritoneallavage bei Nachweis intraabdomineller Bakterien u.U. diagnostisch richtungsweisend sein.
Keine der aktuell zur Verfügung stehenden Untersuchungen kann eine Läsion der Hohlorgane sicher ausschließen (Williams et al. 2003), hier sind eine engmaschige klinische Verlaufskontrolle sowie ein sequenzieller Gebrauch der bildgebenden Verfahren zu fordern.
Ösophagus Traumatische Läsionen des Ösophagus sind aufgrund seiner geschützten Lage selten und entgehen leicht der Primärdiagnostik. Extravasate in der Gastrografinpassage können hier den Verdacht erhärten.
22
Therapeutisch muss die Läsion rasch operativ angegangen werden. Durch Mobilisation des linken Leberlappens wird der distale Ösophagus umfahren und über einem dicken Magenschlauch geschient. Die Läsion wird anschließend mit resorbierbarem Faden (3–0) genäht und durch eine Magenmanschette im Sinne einer Fundoplicatio gesichert. Falls die Läsion auch nach Eröffnung des Hiatus oesophagei nicht vollständig beurteilt und versorgt werden kann, muss die Läsion durch eine Thorakotomie links zwischen 7. und 8. Interkostalraum von thorakal nach direkter Naht mit Fundoplikation oder Pleuraflap abgedeckt werden. Höherliegende Verletzungen werden entsprechend den Standardzugängen zum Ösophagus angegangen und versorgt. Magen Magenverletzungen treten meist im Rahmen perforierender Abdominaltraumen auf und erfordern dann auch stets eine Inspektion der Magenhinterwand durch Eingehen in die Bursa omentalis. Die gute Durchblutung der Magenwand erlaubt nach sparsamem Débridement der Wunde in den meisten Fällen eine direkte Naht, die anschließend durch eine Magensonde entlastet wird. Bei ausgedehnteren Verletzungen wie beispielsweise Schussverletzungen ist gelegentlich eine Resektion erforderlich, die nach den üblichen Kriterien der Magenchirurgie erfolgt. Auf eine ausreichende Dekontamination des Abdomens durch Spülung ist bei diesen Eingriffen zu achten. Duodenum Duodenalverletzungen sind, da sie eine erhebliche Traumaenergie erfordern, beim Abdominaltrauma mit einer Inzidenz zwischen 3 und 12% selten (Timaran et al. 2001), stellen aber, da auch biliäre und pankreatische Strukturen involviert sein können, oft eine große therapeutische Herausforderungen dar. Zusätzlich sind die Läsionen diagnostisch leider oft schlecht zu erfassen, obwohl gerade bei Duodenalverletzungen nur eine frühe Therapie die Mortalität und Morbidität entscheidend senken kann (Lucas u. Ledgerwood 1975). Häufig wird die Diagnose im Rahmen der Revisionslaparotomie bei periduodenalen Begleitverletzung gestellt. Computertomographisch muss freie, retroperitoneale Luft oder eine periduodenale Flüssigkeitskollektion an die Verletzung denken lassen. Konservativ therapierbare Duodenalwandhämatome sind bei fehlendem Kontrastmittelaustritt schlecht oder nicht von operationsbedürftigen Läsionen der Duodenalwand zu unterscheiden. Weder eine Gastrographinpassage noch die Peritoneallavage weisen eine genügende Sensitivität auf, um in der Diagnostik einen wesentlichen Beitrag zu leisten (Timaran et al. 2001). Im Zweifelsfall müssen deshalb wiederholt Ultraschall- oder besser CT-Untersuchungen durchgeführt werden. Durch Mobilisation der rechten Kolonflexur und des Duodenums nach Kocher, sowie durch Eröffnung der Bursa omentalis wird das Duodenum inspiziert (. Abb. 22.5), isolierte Läsionen bis 50% der Zirkumferenz können nach sparsamem Débridement durch Allschichtnaht spannungsfrei direkt verschlossen werden. Ausgedehntere, kurzstreckige Läsionen können durch Mobilisation des Duodenums und Segmentresektion meist Endzu-End anastomosiert werden. Läsionen >75% der Zirkumferenz der Pars II werden unter Berücksichtigung der Papilla vateri am sichersten mit einer Roux-Y-Duodenojejunostomie verschlossen. Bei verzögert diagnostizierten Läsionen mit unsicherem Verschluss ist in seltenen Fällen eine Diversion des Duodenums
224
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
a
b
. Abb. 22.5. Zugang zum 3. und 4. Abschnitt des Duodenums, der A. und V. mesenterica superior und zum Pankreaskopf
zur Vermeidung einer High-output-Fistel nötig. Für die Notfallsituation ist in diesen Situationen eine Pylorusexklusion das technisch einfachste und schnellste Verfahren (. Abb. 22.6). Bei schweren Oberbauchtraumen scheint ein etappenweises Vorgehen im Sinne der »damage control« die sicherere Vorgehensweise als die primäre Rekonstruktion (Carillo et al. 1996). Verletzungen der Gallengänge werden, falls vom Allgemeinzustand möglich, in eine End-zu-Seit-Roux-Y-Choledochojejunostomie abgeleitet. Die Duodenopankreatektomie (Operation nach Whipple) ist selten notwendig und gilt als Rückzugsverfahren, falls oben genannte Verfahren fehlschlagen (Lin 2004). Dünndarmverletzungen Dünndarmverletzungen können bei Rissen unter 50% der Zirkumferenz durch direkte Naht spannungsfrei wieder verschlossen werden, ausgedehntere Läsionen oder devitalisierte Darmabschnitte werden segmentreseziert und durch End-zu-End Anastomose anastomosiert. Wegen der geringen Morbidität sind Ausleitungsmanöver in der Regel nicht indiziert. Bei erheblicher Kontamination oder Zweifeln bezüglich der Vitalität von Darmabschnitten kann ein »second look« angebracht sein.
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Kolon- und Rektumverletzungen Bei kleineren Kolonläsionen kann, wie bei Dünndarmläsionen, eine direkte Naht erfolgen, ausgedehntere Läsionen werden durch Segmentresektion oder – falls nötig – Hemikolektomien versorgt. Eine Ausleitung ist auch hier nur in Ausnahmefällen indiziert, eine Steigerung der Morbiditätsrate durch direkte Anastomosierung gegenüber einer temporären Stomie konnte nicht nachgewiesen werden und sollte deshalb vermieden werden (Demetriades et al. 2001). Die Morbidität bei Kolonverletzungen ist erheblich, so treten bei über einem Drittel der Patienten im Verlauf intra- oder extraabdominelle Komplikationen auf (Williams et al. 2003).
Milz Ductus choledochus
Duodenum
RouxSchlinge
. Abb. 22.6. Ausschluss des Duodenopankreas bei schwersten Verletzungen im Bereich des Duodenums und Pankreaskopfes: Antrektomie, Gastroenteroanastomose, Vagotomie, T-Drainage des Choledochus, Schlauchduodenostomie. Da diese anisoperistaltische Schlinge nicht die beste Entlastung des stark in Mitleidenschaft gezogenen Duodenalstumpfes bietet, ist als Alternative eine Gastroenterostomie mit Enteroanastomose nach Braun oder Drainage des Magnes mit Roux-Y-Schlinge vorzuziehen
225 22.6 · Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
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a
. Abb. 22.7a,b. Zugang zu den inframesokolischen Gefäßen. a Inzision des Peritoneums. b Das rechte Hemikolon wird vollständig nach links herübergeschlagen und das Duodenopankreas ausgiebig nach Kocher mobilisiert
b
Rektumverletzungen durch Pfählungsverletzungen sind häufig einer rektosigmoidoskopischen Diagnostik zugänglich, extraperitoneale Rektumläsionen erfordern nach Möglichkeit eine Direktnaht mit Diversion des Stuhlflusses in Form einer doppelläufigen Sigmoidostomie, die bei einer ausschließlich extraperitonealen Verletzung laparoskopisch durchgeführt werden kann. Bei intraperitonealen Läsionen erfolgt eine endständige Sigmoidostomie mit Rektumstumpfverschluss nach Hartmann (Navsaria et al. 2001). Aufgrund der häufigen Mitbeteiligung des Harnableitungssystems sollte nach Möglichkeit präoperativ eine urographische Abklärung erfolgen. 22.6.4 Gefäßverletzungen beim Abdominaltrauma Intraabdominelle Gefäßverletzungen treten beim Abdominaltrauma in den meisten Fällen in Kombination mit anderen intraabdominellen Läsionen auf, am häufigsten zusammen mit Leber- oder Dünndarmverletzungen (Carillo et al. 1997). Während in den USA Schussverletzungen die häufigste Ursache darstellen, stehen in Europa Stichverletzungen im Vordergrund. Neben diesen direkten Verletzungsmechanismen können Dezelerationstraumen zu Avulsionsverletzungen der A. mesenterica superior führen, während Kompressionstraumen eher Intimaläsionen dieses Gefäßes oder der Nierenarterien mit nachfolgenden Thrombosen zur Folge haben. Zur Versorgung der Gefäßverletzungen wird primär wie bei der Revisionslaparotomie vorgegangen und das Abdomen in 4 Quadranten mit Tüchern tamponiert. Begleitende Darmläsionen werden durch eine Staplernaht verschlossen um eine weitere Kontamination zu verhindern und dann sekundär versorgt. Bei großen Hämatomen in der Mesenterialwurzel ist gelegentlich eine proximale Kontrolle von Arteria und Vena me-
senterica sup. notwendig. Dies erfolgt entweder durch Mobilisation der rechten Kolonflexur und Verlagerung des gesamten Dünndarmpaketes nach links oder durch direktes Eingehen auf die Gefäße unterhalb des Doudenums, am Treitz-Ligament (. Abb. 22.7). Die Gefäßrekonstruktion erfolgt entweder durch direkte Anastomosierung, durch eine Venenpatchangioplastie oder durch Veneninterponat. Peripherere Gefäßläsionen werden durch Ligatur unter Kontrolle der Darmperfusion versorgt. Unsicher perfundierte Darmabschnitte werden reseziert oder bei Erhalt durch eine »Second-look«-Operation kontrolliert.
4 paravesikaler Venenplexus
1 Rektum 2 Sakrum 3 präsakraler Venenplexus
5 Symphyse
Tamponade . Abb. 22.8. Schematische Darstellung der Beckenkammtamponade gegen den stabilisierten Beckenring
226
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
. Abb. 22.9. Zugang zur Aorta: Milz, Pankreasschwanz und -korpus und das linke Hemikolon werden nach rechts herübergeschlagen. Die Aorta liegt vom Hiatus bis zur Bifurkation frei. Sie wird nur noch von der linken V. renalis überkreuzt
Leber Milz (von dorsal)
Magen (von dorsal)
Flexura coli dextra Pancreas, Flexura coli sinistra Colon transversum (von dorsal)
Colon descendens (von dorsal) Jejunum
Colon sigmoideum (von dorsal) Zäkum Rektum
22
Retroperitoneale Hämatome bei Beckenfrakturen werden in erster Linie durch Stabilisierung des Beckenrings mit Fixateur externe oder Beckenzwinge und eventuell Tamponade gegen den stabilisierten Ring behandelt (. Abb. 22.8). Eine Eröffnung der Hämatome empfiehlt sich nur, falls eine Plattenosteosynthese zur transiliosakralen Stabilisierung notwendig ist oder falls Pulsationen des Hämatoms auf eine arterielle Läsion hindeuten. Hämatome im Bereich der Leberpforte bedürfen der Revision, um Verletzungen der Gallenwege, der A. hepatica oder der V. porta auszuschließen. Bei paraduodenalen Hämatomen sollten duodenale, biliäre Verletzungen oder Läsionen des Pankreas ausgeschlossen werden. Perirenale Hämatome werden dann revidiert, wenn der Patient kreislaufinstabil ist, in der Computertomographie Kontrastmittelextravasate nachweisbar sind und perforierende Verletzungen vorliegen. Perikolische Hämatome werden, falls sie aufsteigend durch eine Beckenfraktur verursacht werden, belassen, andernfalls muss eine Kolonläsion durch Mobilisation des linken bzw. rechten Hemikolons ausgeschlossen werden. Läsionen der Aorta oder der V. cava (. Abb. 22.9 und 22.10) werden durch direkte Naht versorgt, allenfalls unter Interposition von V.-saphena- oder V.-femoralis-superficialis-Grafts. Insbesondere bei Verletzungen der V. cava können primär unbedeutende retroperitonelae Hämatome durch Eröffnung des Retroperitonealraumes zu heftigen Blutungen führen. Diese wird primär durch Kompression, dann durch Ausklemmen der V. cava proximal und distal der Läsion kontrolliert, die Läsion wird direkt vernäht, bei perforierenden Verletzungen erfolgt primär die Naht der Hinterwand von endoluminal. Geringe Stenosierungen der V. cava können toleriert werden.
Duodenum (Pars ascendens), A. mesenterica inf.
22.6.5 Niere und ableitende Harnwege Nierenläsionen erfordern aufgrund des umgebenden Weichteilmantels eine erhebliche Traumaenergie. Bei höhergradigen Nierenverletzungen sind begleitende abdominelle Verletzungen mit 72–90% daher die Regel (Knudson et al. 2000). Beim kreislaufstabilen Patienten sollte präoperativ eine CT-Kontrastmitteluntersuchung durchgeführt werden. Diese gibt nicht nur Informationen über die Morphologie der Nierenverletzung, sondern auch Auskunft über begleitende Gefäßverletzungen und die Nierenfunktion. Die konservative Therapie ist die Therapie der Wahl. Nur bei kompletten Zerreißungen mit Devaskularisation (Grad V nach Moore) ist eine primäre Nephrektomie indiziert. Bei bilateralen Verletzungen oder afunktioneller Niere der Gegenseite sollte jedoch eine Nierenerhaltung versucht werden (Knudson et al. 2000). Bei pulsierenden perirenalen Hämatomen erfolgt eine Darstellung der beidseitigen Nierengefäßstiele über eine paraaortale Inzision medial der V. mesenterica inferior, hier können beide Nierenarterien und die linke Nierenvene abgeklemmt werden. Die Nierenfreilegung erfolgt anschließend über eine Mobilisation des linken bzw. rechten Hemikolons (. Abb. 22.11 und 22.12). Die Versorgung der Nierenverletzung erfolgt prinzipiell ähnlich wie bei Milzläsionen: durch Polresektion, Renorrhaphie mit Netz oder oberflächlicher Verschorfung. Rupturen des Nierenbeckens werden durch fortlaufende Naht verschlossen und durch DoppelJ-Katheter drainiert. Einrisse der Nierenarterie werden nach Ausklemmung direkt genäht, postoperativ muss bei Verdacht angiographisch eine Nierenarterienstenose ausgeschlossen werden, um der Entwicklung einer renal bedingten Hypertonie durch Stenose frühzeitig entgegentreten zu können.
227 22.7 · Frühpostoperative Ernährung nach Abdominaltrauma
22
. Abb. 22.10a–d. Versorgung von Verletzungen der Vena cava. a Exklusionsklemme; b Rotation des Gefäßes zwischen Snares, Ligatur von Lumbalvenen; c Naht einer Hinterwandverletzung vom Lumen her; d Kompression der zwischen Zügeln mündenden Lumbalvenen bis zum Beenden der Gefäßnaht. (Aus Starzl et al. 1962)
a
b
c
Läsionen der Ureteren werden durch direkte Naht nach Einlage eines Doppel-J-Katheters versorgt und das Retroperitoneum nach außen drainiert. 22.6.6 Zwerchfell und Bauchdecke Zwerchfellrupturen sind schwierig zu diagnostizieren; bei größeren Defekten kann eine kranial liegende Magensonde einen Hinweis geben. Gefährdet für Spätkomplikationen im Sinne von Inkarzerationen von Darm sind jedoch v. a. Patienten mit kleineren Läsionen, beispielsweise bei links thorakoabdominellen Stichverletzungen. Bei diesen sollte durch Laparoskopie oder -tomie aktiv nach einer Läsion des Zwerchfells gesucht werden. Kleinere Läsionen können von abdominell, größere Defekte besser über eine posterolaterale Thorakotomie versorgt werden. Sie erlaubt eine sicherere Naht oder Defektüberbrückung mit einem nichtresorbierbaren Netz. Defekte der Bauchwand erfordern aufgrund der Inkarzerationsgefahr eine sofortige Revision. Hier erfolgt entweder eine direkte Naht, oder, bei großen Defekten, die Implantation von resorbierbaren Netzen, die eine spätere Spalthauttransplantation auf das sich bildende Granulationsgewebe erlauben.
d
22.7
Frühpostoperative Ernährung nach Abdominaltrauma
Der Vorteil der frühzeitigen enteralen Ernährung beim polytraumatisierten Patienten hat sich in vielen Studien gezeigt: Sie ist nicht nur mit weniger Komplikationen behaftet als die parenterale Ernährung, sondern hat auch positive Einflüsse auf die Darmmukosa. Gerade bei Polytraumatisierten kann die systemische Immunantwort durch Zusatz von immunmodulierenden Substanzen wie Omega-3-Fettsäuren, Arginin, Glutamin, Nukleotiden und Antioxidanzien günstig beeinflusst werden. Durch Verminderung der Atrophie der Enterozyten wird die Immunbarriere des Dünndarms erhalten, was die Entzündungsreaktion nach Trauma und das Multiorganversagen vermindert (Galban et al. 2000). Die bei Intensivpatienten mit Abdominaltrauma häufig bestehende Gastroparese kann durch die Einlage einer Jejunalsonde umgangen werden, Reflux wird über eine Magensonde kontrolliert. Auch bei Gastroparese und fehlenden Darmgeräuschen bleibt der Dünndarm in der Lage, Nahrung zu resorbieren (Marik et al. 2001).
228
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
V. mesenterica inferior
Rechte Nierenvene
b
a
Rechte Nierenarterie
Aorta
GefäßSchleifen
. Abb. 22.11a–c. Zugang zur vaskulären Kontrolle beider Nieren. a Inzision des Peritoneums medial der V. mesenterica inferior; b vaskuläre Kontrolle des Nierenstiels beider Nieren; c Zugang zur Exploration der linken Niere. (Aus McAninch 1986)
c
. Abb. 22.12a,b. Zugang zur rechten Niere. a Mobilisation der rechten Flexur und des Duodenopankreas nach Kocher; b Freilegung der rechten Niere und Setzen von Gefäßklemmen
22
a
b
Linke Nierenvene
Linke Nierenarterie
229 Literatur
Die Sondenkost sollte rasch (d. h. vor 24 h) postoperativ begonnen werden. Kontraindikationen gegen einen frühen Ernährungsbeginn können kritische Anastomosen oder Übernähungen darstellen. Neben Senkung der Infektrate und Morbidität hat die frühe enterale Ernährung auch einen positiven Effekt auf die Kosten: Sie ist nicht nur preiswerter als die parenterale Ernährung, sie senkt auch die Hospitalisationsdauer.
22.8
Abdominelles Kompartmentsyndrom
Abdominelle Kompartmentsyndrome entstehen durch Volumenzunahme im Abdomen (z. B. Blutungen, Ileus), Volumenabnahme oder Complianceänderung des Kompartments (forcierter Bauchwandverschluss, abdominelle Verbrennungen). Sie äußern sich abdominell in einem gespannten, geblähtem Abdomen, vermindertem Urin-Output (<0,5 ml kg–1 h–1), aber auch extraabdominell-systemisch durch einen erhöhten pulmonalarteriellen Druck (PAP>45 cm H2O), einen sinkenden Sauerstoffpartialdruck bei Anstieg des Kohlendioxidpartialdrucks und Ausbildung einer Azidose. Der zentrale Venendruck steigt und das Schlagvolumen nimmt ab. Mit einer Inzidenz zwischen 3–15% (Morris et al. 1993; Ertel et al. 1998) bei Traumapatienten und einer hohen Mortalität bei verzögerter Therapie hat die Entität des abdominellen Kompartmentsyndrom in den letzten Jahren zunehmendes Interesse erlangt.
Bei klinischem Verdacht sollte der abdominelle Druck entweder über den Harnblasendruck oder über die gastrische Mukosatonometrie überwacht werden (Saggi et al. 1998).
Druckwerte über 25 mmHg gelten als pathologisch und werden mit einer sofortigen, abdominellen Dekompression, d. h. einem Laparostoma, behandelt. Der temporäre Bauchdeckenverschluss erfolgt dabei spannungsfrei mit einem Kunststoffnetz oder mit einem Vakuumsystem, wobei das Vakuum hier unter Kontrolle des Blasendrucks dosiert werden sollte (7 auch 21.2.8).
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22
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230
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
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22
23 23
Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus S. Müller
23.1
Grundlagen
23.1.1 23.1.2 23.1.3
Epidemiologie – 232 Klassifikation – 232 Pathophysiologie – 232
– 232
23.2
Klinische Symptomatik
23.3
Diagnostik
23.3.1 23.3.2 23.3.3 23.3.4
Anamnese und klinische Untersuchung Laboruntersuchungen – 234 Sonographie – 234 Radiologische Diagnostik – 234
23.4
Therapieziele und Indikationsstellung – 235
23.5
Konservative Strategie – 235
23.5.1 23.5.2 23.5.3
Allgemeine Maßnahmen – 235 Konservative Therapie – 235 Medikamentöse Therapie – 236
23.6
Operationstechnik
23.6.1 23.6.2 23.6.3 23.6.4
Allgemeine Maßnahmen Dünndarmileus – 236 Dickdarmileus – 236 Laparoskopie – 236
23.7
Ergebnisse
23.8
Ileusprophylaxe
– 233
– 233
– 236
– 237
Literatur – 237
– 237
– 236
– 233
232
Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
) ) Als Ileus bezeichnet man alle Störungen der intestinalen Passage. Dazu gehört neben den häufigen mechanischen Formen auch die Beeinträchtigung der Peristaltik aufgrund einer Paralyse. Die Passagebehinderung kann total oder inkomplett sein. Klinisch lassen sich akute von subakuten, chronischen und chronisch rezidivierenden Formen unterscheiden. Ein unbehandelter Darmverschluss führt in der fortgeschrittenen Form zu progredientem Organversagen das als »Ileuskrankheit« bezeichnet wird.
23.1
Grundlagen
23.1.1 Epidemiologie Der Ileus macht ca. 5% aller chirurgischen Laparotomien aus. Davon fallen 70% auf den Dünndarm und 30% auf den Dickdarm (Post u. Schuster 2000). In den Entwicklungsländern stellen inkarzerierte Hernien heute noch den größten Anteil dar. Mit zunehmender Verfügbarkeit von Operationen aus verschiedenen Indikationen sind postoperative Adhäsionen mit bis zu 80% in den Industrienationen die häufigste Ursache (Treutner u. Schumpelick 2000). Zu den häufigsten Voroperationen gehören kolorektale und gynäkologische Eingriffe. Die Appendektomie, als häufig durchgeführter Eingriff, ist in bis zu 40% der Fälle die Ursache für eine Passagestörung. Das Risiko für einen Adhäsionsileus besteht lebenslang. Die Letalität erreicht auch heute noch Werte von 5–15% (Menzies et al. 2001). 23.1.2 Klassifikation Der mechanische Ileus ist durch eine Behinderung der normalen Darmpassage charakterisiert. Er kann als inkomplette oder komplette Passagestörung vorkommen. Daneben ist eine Differenzierung nach der Lokalisation in einen Dünndarm- bzw. einen Dickdarmileus möglich. Das Vorliegen einer Beeinträchtigung der Darmdurchblutung hat eine entscheidende Bedeutung bei der Therapieplanung. Ätiologisch sind extramurale Ursachen, die eine Kompression des Darms verursachen, von der intramuralen Okklusion durch Veränderungen der Darmwand und von der intraluminären Obturation durch abnormalen Darminhalt zu unterscheiden (. Tab. 23.1). Der paralytische Ileus zeichnet sich durch eine funktionelle Motilitätsstörung aus. Die seltene primäre Form kommt bei Myopathien und Neuropathien vor. Die sekundäre Form hat ein breites Spektrum von möglichen Ursachen. Dazu zählen toxische Einflüsse durch Medikamente (Tranquilizer, Neuroleptika mit anticholinerger Wirkung) aber auch bakterielle Toxine bei Abszessen und Peritonitis. Zu den metabolischen Ursachen gehören Hypokaliämie, Urämie, Porphyrie und Diabetes. Reflektorisch tritt ein Ileus postoperativ durch die Manipulation am Darm und bei retroperitonealen Irritationen wie Hämatomen, Uretersteinen und Wirbelsäulentraumen auf.
23
23.1.3 Pathophysiologie Die Obstruktion des Darms führt durch den Aufstau der Darminhalte zu einer Distension des Darms proximal des Passagestopps.
Dadurch kommt es reflektorisch zu einer Relaxation der glatten Muskulatur. Durch die Zunahme der Wandspannung, insbesondere beim Kolon, werden Mikrozirkulation und Mukosabarriere gestört. Die Folge ist eine Flüssigkeitssequestration in das Darmlumen, die durch eine vermehrte Sekretion bei verminderter Resorption verstärkt wird. Beim hohen Dünndarmileus steht der Reflux aus dem Jejunum und das Erbrechen im Vordergrund, da es zu keiner wesentlichen Darmdilatation kommt. Neben der intraluminären Druckerhöhung kann es zur Erhöhung des intraabdominellen Druckes und damit zum abdominellen Kompartmentsyndrom kommen. Die Folgen reichen von Organdysfunktionen (Nieren, Leber, Herz, Lungen) bis zum Multiorganversagen (7 Kap. 21.2; Madl u. Druml 2003). Weitere Mechanismen sind die bakterielle Überwucherung mit Darmkeimen, die vornehmlich gram-negativ und anaerob sind. Die bakteriellen Zerfalls- und Stoffwechselprodukte wirken entweder direkt auf die Schleimhaut oder führen zur Mediatorfreisetzung. Durch die geschädigte Darmwand kommt es zum Erliegen der Mukosabarriere und damit gesteigerter Translokation von Bakterien und Toxinen über das Pfortaderblut und Lymphbahnen in den systemischen Kreislauf. Diese Bakteriämie kann zur Sepsis und damit systemischen Ileuskrankheit führen (Henne-Bruns et al. 1990; Roscher u. Lommel 1998). Allen Mechanismen gemeinsam sind die systemischen Auswirkungen des intravasalen Flüssigkeitsdefizits mit Elektrolytverschiebungen bis hin zum hypovolämischen Schock.
Durch die Obstruktion kommt es zunächst zu einer gesteigerten Peristaltik, um das Hindernis zu überwinden. Klinisch lässt sich eine Stenoseperistaltik oder Pendelperistaltik auskultieren. In der Spätphase geht die vermehrte Peristaltik in eine Paralyse über. Die Strangulation des Darms bedingt primär eine lokale Hypoxie der Darmwand mit Azidose und Entzündungsreaktion mit Mediatorenfreisetzung. Die Mukosa reagiert am sensibelsten auf die Ischämie und stellt die Eintrittspforte für Bakterien mit folgender systemischer Infektion bis zum septischen Schock. Je nach Ausmaß der Durchblutungsstörung kommt es frühzeitig zu einem generalisierten Krankheitsbild. Postoperativer Ileus Allein durch die Manipulationen bei einer Laparotomie werden die Makrophagen in der Darmwand aktiviert. Das ist der Ausgangspunkt einer Entzündungskaskade mit Ausschüttung von Zytokinen, Chemokinen und Substanzen wie NO und Prostaglandinen. In den Gefäßen der Muskularis kommt es zu einer Extravasation von Leukozyten in die Darmmuskelschicht. Diese leukozytäre Infiltration und die lokale Sekretion von leukozytären Mediatoren (Proteasen, Radikale) bewirken eine Verminderung der muskulären Kontraktilität (Kalff et al. 2003). Daneben gibt es Hinweise auf einen neuronalen Weg, bei dem durch eine zentrale Stimulation des sympathischen Nervensystems die Inhibierung des autonomen Nervensystems in der Darmwand verursacht wird (Behm u. Stollmann 2003). Pathophysiologie des Ileus: Passagestopp → Darmdistension → Störung der Mikrozirkulation → bakterielle Überwucherung → Flüssigkeitssequestration → Hypovolämie
233 23.3 · Diagnostik
23
. Tabelle 23.1. Klassifikation und Ätiologie des Ileus
Mechanisch
Ohne Störung der Blutzirkulation: Obstruktion
Mit Störung der Blutzirkulation: Strangulation
Kompression
Adhäsionen Briden Tumoren
Torsion Inkarzeration Volvulus Hernien Malrotation
Obturation
Atypischer Darminhalt (Nahrung, Fremdkörper, Gallenstein, Bezoar, Mekonium) Tumor Membranen
Invagination
Okklusion
Entzündungen/Stenose (Divertikulitis, M. Crohn, Kolitis) Extraluminäre Raumforderungen M. Hirschsprung Atresien
Funktionell
Primär
Sekundär
Myopathien Neuropathien Pseudoobstruktion (Ogilvie-Syndrom) Strukturelle Darmwandveränderungen (Sklerodermie, Amyloidose)
Toxisch/entzündlich 5 Vergiftungen, Medikamente 5 Abszess 5 Peritonitis Metabolisch 5 Elektrolytstörung 5 Eiweißmangel 5 Diabetes 5 Urämie 5 Porphyrie Reflektorisch 5 Postoperativ 5 Ureterstein, volle Blase 5 Beckenfraktur 5 Retroperitoneales Hämatom
Arterielle Embolie Arterielle Thrombose Venöse Thrombose
Nichtokklusive mesenteriale Ischämie Vaskulitis
Vaskulär
23.2
Klinische Symptomatik
Die Symptomatik ist in der Frühphase oft uncharakteristisch. Danach treten Übelkeit, Erbrechen, krampfartige Bauchschmerzen und Stuhlverhalt auf. Je nach Höhe des Verschlusses und der Ileusform variiert die Ausprägung der Hauptsymptome. Der hohe Dünndarmileus ist durch Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen großer Mengen charakterisiert. Der übrige Darm entleert sich normal und das Abdomen erscheint leer. Bei einem tiefen Dünndarmileus stehen Übelkeit und Erbrechen sowie krampfartige Schmerzen bei hochgestellter Peristaltik im Vordergrund. Durch den Meteorismus ist das Abdomen aufgetrieben. Die Symptome des Dickdarmileus beginnen verzögert mit unspezifischen abdominellen Beschwerden mit oder ohne kolikartigen Charakter und Obstipation. Übelkeit und Erbrechen kommen erst sehr spät hinzu. Bei langsam progredienten Prozessen sind Stuhlunregelmäßigkeiten häufig der erste Hinweis. Der paralytische Ileus zeichnet sich durch Singultus, Übelkeit, Erbrechen, Meteorismus und Stuhlverhalt aus. Auskultatorisch fehlt die Peristaltik. Das Abdomen ist meist gespannt. Durch die Hypovolämie kommt es zur Tachykardie und Hypo-
tonie. Oligo-/Anurie und septischer Schock sind in den Spätphasen zu beobachten. 23.3
Diagnostik
23.3.1 Anamnese und klinische Untersuchung Da bis zu 80% des mechanischen Ileus auf postoperative Adhäsionen zurückgehen, ist die Frage nach bisherigen Operationen von entscheidender Bedeutung. Neben der Appendektomie gehören gynäkologische Eingriffe im kleinen Becken zu den häufigsten Auslösern für einen postoperativen Adhäsionsileus. Dabei handelt es sich um ein lebenslanges Risiko, das auch nach über 20 Jahren nach dem Primäreingriff zum Ileus führen kann. Bei der Palpation können Meteorismus, Resistenzen oder Peritonismus gefunden werden. Neben dem Abtasten der Bruchpforten ist die rektale Untersuchung essenziell. Hier können Rektumkarzinome diagnostiziert werden. Blut am tastenden Finger gibt Hinweise auf eine Strangulation, Invagination oder vaskulären Ileus. Auskultatorisch unterscheidet man die patho-
234
Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
gnomonische Pendelperistaltik mit hochgestellten Darmgeräuschen von der Atonie beim funktionellen Ileus. Erstmaßnahmen beim Ileus 5 5 5 5 5 5
Venöser Zugang Magensonde Rektale Untersuchung Blasenkatheter Hebe-Senk-Einlauf Operationsindikation?
23.3.2 Laboruntersuchungen Ileusspezifische Laborparameter existieren nicht. Sie können nur Aussagen über den Schweregrad des vorliegenden Darmverschlusses machen und eine gezielte präoperative Infusionstherapie ermöglichen. Zur Diagnostik gehören Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin oder Harnstoff, Gerinnungsstatus, Blutzucker, Transaminasen, α-Amylase und Gesamteiweiß. Eine Blutgasanalyse kann zum Ausgleich des Säure-Basen-Haushalts hilfreich sein. . Abb. 23.1. Dünndarmileus des mittleren Drittel mit multiplen Spiegeln und stehenden Schlingen im Mittelbauch. Das Kolon ist leer
23.3.3 Sonographie Die Sonographie ist die wichtigste Untersuchung zur Differenzierung zwischen mechanischem und paralytischem Ileus sowie zur Ursachenabklärung (7 Kap. 2). Durch die bettseitige Verfügbarkeit und beliebige Wiederholbarkeit bei minimaler Belastung des Patienten hat sie auch in der Verlaufsbeobachtung einen hohen Stellenwert. Mit der Sonographie lassen sich sowohl die dilatierten und mit Flüssigkeit gefüllten Darmschlingen als auch die Peristaltik beurteilen. Diese Veränderungen gehen häufig den Spiegelbildungen im Röntgenbild voraus. Darmwandveränderungen wie Hämatome und Invagination lassen sich direkt darstellen. Freie intraabdominelle Flüssigkeit ist ein Hinweis auf ein fortgeschrittenes Krankheitsbild, das rasche Therapie erfordert (Grassi et al. 2004). Daneben lassen sich auch alle anderen intraabdominellen Organe und Strukturen beurteilen und so der Ursache des Darmverschlusses weiter abklären.
Sonographie ist die wichtigste Untersuchung zur Differenzierung zwischen mechanischem und paralytischem Ileus.
23.3.4 Radiologische Diagnostik
23
Abdomenübersicht im Stand. Dies ist die klassische radiologische Diagnostik des Ileus mit einer Sensitivität von 98%. Die Abdomenübersicht im Stand oder in Linksseitenlage identifiziert Spiegelbildungen und lässt Rückschlüsse auf die Lokalisation des Passagestops zu. Ein hoher Ileus zeigt meist nur wenig Spiegel, vielleicht nur im linken Oberbauch auf. Beim tiefen Dünndarmileus können multiple Spiegel bis zum rechten Unterbauch auftreten. Die Überblähung des Zökums ist charakteristisch für den Dickdarmileus, wobei je nach Höhe des Verschlusses der gesamte
Kolonrahmen durch Spiegel abgebildet ist. Freie intraabdominelle Luft als Zeichen der Perforation wird sicher erkannt. Eine Aerobilie ist ein Hinweis auf einen Gallensteinileus (. Abb. 23.1 und 23.2). Kolonkontrasteinlauf. Beim Dickdarmileus kann die rektale Gabe von wasserlöslichem Kontrastmittel Art und Höhe des Stops darstellen. Gleichzeitig hat das Kontrastmittel eine laxierende Wirkung. Magen-Darm-Passage. Beim Dünndarmadhäsionsileus kann mittels oraler Gabe von wasserlöslichen Kontrastmitteln eine inkomplette Passagestörung von einem kompletten Ileus differenziert werden. Das hochmolare Gastrografin führt zur Verdünnung des Darminhalts und hat eine laxierende Wirkung, die therapeutisch genutzt werden kann. Gelangt das Kontrastmittel in das Kolon kann weiter konservativ therapiert werden, andernfalls ist die Operation indiziert. Ebenfalls kann die Magen-DarmPassage zur Lokalisationsdiagnostik beitragen. Die zusätzliche Flüssigkeitsverschiebung verstärkt allerdings auch die Hypovolämie. Um die Gefahr der Aspiration mit folgender Pneumonie zu verringern, kann das Kontrastmittel über eine duodenal platzierte Sonde appliziert werden. Bei Patienten mit Obstruktion wird für Gastrografin eine therapeutische Erfolgsrate von bis zu 85% beschrieben (Biondo et al. 2003). Computertomographie mit Kontrastmitteleinlauf. Das CT hat
eine ähnliche Sensitivität (98%) in der Feststellung einer Obstruktion wie die Abdomenleeraufnahme. Der Vorteil liegt in der Erkennung differenzialdiagnostisch wichtiger Erkrankungen und Begleitbefunden. Daneben lassen sich dilatierte Schlingen vor, kollabierte Darmschlingen hinter dem Stopp und die Ursache des Stops direkt darstellen. Insbesondere Tumoren des Kolons und im kleinen Becken können sicher diagnostiziert werden.
235 23.5 · Konservative Strategie
23
. Abb. 23.2. Dickdarmileus bei stenosierendem Rektumkarzinom. Aufnahme in Linksseitenlage mit multiplen Dünn- und Dickdarmspiegeln
Durch eine 3D-Rekonstruktionen lassen sich zusätzliche Hinweise gewinnen. Durch die intravenöse Kontrastmittelgabe lässt sich eine Aussage zur Durchblutungssituation der Darmwand machen (Peck et al. 1999; Scaglione et al. 2004). 23.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Ziel der Behandlung des Ileus ist die Wiederherstellung der Passage durch Beseitigung der Ursache der Passagestörung. Eine absolute Operationsindikation besteht bei komplettem Passagestopp und dringendem Verdacht auf Strangulation oder mesenterialer Ischämie sowie bei Peritonitis. In diesen Fällen fehlen objektive bildgebende oder laborchemische Parameter mit prädiktivem Wert. Der klinische Befund eines akuten Abdomens ist hier führend. Ohne Anhalt für Durchblutungsstörung kann ein konservativer Therapieversuch eingeleitet werden. Dies trifft insbesondere für postoperative Adhäsionen bei Zustand nach multiplen Voroperationen, bei partiellen Obstruktionen bei Neoplasien und bei Patienten mit wesentlichen Begleiterkrankungen zu. Cave Bei mechanischem Ileus besteht die Gefahr der Darmnekrose bei verzögerter Operation!
Antibiotikatherapie zur Verringerung der Auswirkungen der Translokation der Darmkeime ist indiziert. Hierzu eignen sich die Kombination von Cephalosporinen der 3. Generation und Metronidazol. Nach Antibiogrammen von Blutkulturen oder intraabdominellen Abstrichen kann die Therapie dann angepasst werden. Das Ableiten der Blase durch einen Dauerkatheter ist sinnvoll um die Diurese abzuschätzen und einen eventuell vorliegenden Harnverhalt, der als Peristaltik Bremse wirkt, zu beseitigen. Daneben kann die Abschätzung des intraabdominellen Druckes, der zu kardialer, respiratorischer und renaler Insuffizienz, Minderperfusion von Darm und Leber sowie Erhöhung des intrakraniellen Druckes führen kann, zur Festlegung des Operationszeitpunktes beitragen. Ein Hebe-Senk-Einlauf ist sowohl zur Anregung der Peristaltik als auch zur Operationsvorbereitung sinnvoll. 23.5.2 Konservative Therapie Ein konservativer Therapieversuch ist bei inkompletten Passagestörungen und beim funktionellen Ileus sinnvoll. Eine kausale Therapie eines mechanischen Hindernisses oder der den Ileus auslösenden Grunderkrankung ist jedoch meist chirurgischer Natur. Cave
23.5
Konservative Strategie
23.5.1 Allgemeine Maßnahmen Jeder Ileuspatient muss supportiv behandelt werden, um eine Verschlechterung des Allgemeinzustands im Sinne der »Ileuskrankheit« zu verhindern. Als Erstmaßnahme erhält der Patient einen großlumigen Zugang, über den eine Flüssigkeitssubstitution mit Elektrolytlösungen (z. B. Ringer-Lösung) erfolgt. Weiterhin wird dem Patienten eine Magensonde gelegt, um den Magen zu entlasten und das Aspirationsrisiko zu verringern. Eine
Eine Strangulation mit Darmischämie muss bei konservativen Therapieversuchen sicher ausgeschlossen werden.
Bei tiefem Dünndarmileus kann eine Gastrografin-Passage zur Lösung der Obstruktion führen. Dies gilt insbesondere für den rezidivierenden Adhäsionsileus. Ein konservativer Versuch kann bis zu 48 h durchgeführt werden. Danach ist bei weiterhin bestehendem Reflux über die Magensonde und dilatierten Dünndarmschlingen die operative Therapie angezeigt (Choie et al. 2002). Cox et al. (1993) erzielten bei 88% der Patienten, die auf eine konservative Therapie ansprachen, diesen Erfolg innerhalb der ersten 48 h. Andere Studien haben die konservative Phase bis
236
Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
zu 5 Tagen ausgedehnt (Seror et al. 1993). Eine allgemeingültige Zeitspanne ist nicht anzugeben und eine engmaschige Überwachung des Patienten ist unerlässlich. Eine Entlastung des Darms kann durch eine lange, transnasal eingeführte Dekompressionssonde (Dennis-Sonde) erfolgen. Diese wird endoskopisch postpylorisch platziert und wandert durch den an der Spitze befindlichen Ballon durch die Peristaltik weiter. Die Füllung des Ballons kann variiert werden. Die 2 weiteren Kanäle der Sonde dienen zum Spülen und zum Auffangen des Darminhalts in einem Drainagebeutel. Bei Tumoren im Ileozökalbereich kann die Sonde den Patienten aus der Akutphase bringen und eine bessere Vorbereitung des Patienten für die definitive Sanierung möglich machen. Weiterhin kann man die lange Intestinalsonde als innere Schienung nach offener Adhäsiolyse bis zum Colon ascendens vorgeschoben und nach 10–14 Tagen entfernt werden (Gowen 2003). Die konservative Behandlung des Ileus bei stabilem Patienten reduziert die stationäre Behandlungsdauer im Vergleich zur operativen Therapie. Die Rezidivraten und Reoperationszahlen unterscheiden sich nicht. Allerdings ist das Zeitintervall bis zu einer erneuten Obstruktion verkürzt im Vergleich zu operierten Patienten (Fevang et al. 2004; Miller et al. 2000). 23.5.3 Medikamentöse Therapie Es liegen keine gesicherten Daten zur Peristaltik-anregenden Therapie vor. Neostigmin, ein Acetylcholinesterase-Inhibitor, steigert die Kontraktilität von Dünn- und Dickdarm. Als Dosierung wird 0,4–0,8 mg in 24 h oder 2,5 mg über 3–60 min angegeben (Paran et al. 2000; Trevisani et al. 2000; van der Spoel et al. 2001). Durch die diffuse Stimulation des gesamten Gastrointestinaltraktes ohne gerichtete Propulsion kann es zu Krämpfen kommen. Prokinetische Substanzen wie Metoclopramid haben antiemetische Wirkung, indem sie als Dopaminantagonist und Cholinstimulanz wirken. Trotz guten theoretischen Ansatzes konnte die Wirksamkeit in kontrollierten Studien nicht nachgewiesen werden. Erythromycin, ein Makrolidantibiotikum, steigert als Motilinagonist die Aktivität des Gastrointestinaltraktes. In einer Dosierung von 3–4×200–250 mg i.v., oder 3×0,5 g p.o. (Kreis et al. 2003) zeigte es Wirkung am oberen Gastrointestinaltrakt. Andere randomisierte Studien konnten keine Wirksamkeit nachweisen (Smith et al. 2000). 23.6
im Abdomen und erleichtert so den Laparotomieverschluss. Zum anderen führt sie zu zusätzlicher Schädigung der Darmserosa durch Serosaeinrisse und Einblutungen, die dann Ausgangspunkt für neue Verwachsungen sind und die postoperative Atonie verlängern. Ebenso kommt es zu einer massiven Bakteriämie und Endotoxinämie. Dennoch ist die vorsichtige Dekompression allgemein akzeptiert. Retrograd kann sie über die Magensonde oder eine lange Intestinalsonde erfolgen. Diese wird manuell langsam vorgeschoben und der Darminhalt abgesaugt. Dabei sollte der Darm nicht mit Klemmen abgeklemmt werden sondern digital oder mit feuchten Tupfern ausgestrichen werden. Orthograd kann der Darminhalt über ein Darmrohr abgeleitet werden. Die offene Dekompression sollte nur in Ausnahmefällen und auch dann nur an Stellen erfolgen, die ohnehin reseziert werden müssen oder an denen ein Stoma angelegt werden muss. 23.6.2 Dünndarmileus Je nach Ursache des Passagestopps reicht eine Durchtrennung von Briden und Adhäsionen, Desinvagination oder Lösung von inkarzerierten Hernien aus. Bei Obstruktionen durch Bezoare oder Gallensteine müssen diese Fremdkörper entfernt werden. Durchblutungsgestörte Darmabschnitte, die sich nach Lösung der Verschlingung nicht erholen, sollten im Zweifel reseziert werden. Bei Verlegung des Darmlumens durch Tumoren oder Peritonealkarzinose ist häufig nur eine Palliation möglich. Dazu sind neben der Entfernung der betroffenen Abschnitte Umgehungsanastomosen oder die Stomaanlage geeignet. 23.6.3 Dickdarmileus Die häufigste Ursache für einen Dickdarmileus ist das Kolonkarzinom. Zur Entlastung des Darms kann je nach Lokalisation des Tumors eine doppelläufige Transversostomie oder eine Zökostomie angelegt werden. Prinzipiell sollte aber eine primäre Resektion mit Sanierung der Ursache einem mehrzeitigen Verfahren vorgezogen werden. Dabei sollte intraoperativ eine Darmspülung erfolgen. Je nach Situation kann die primäre Anastomose mit einer protektiven Ileo- oder Transversostomie geschützt werden. Bei massiver Darmdilatation sollte ein mehrzeitiges Verfahren gewählt werden. Die Diskontinuitätsresektion nach Hartmann hat bei gleichzeitiger Perforation und Peritonitis sowie beim alten Menschen in schlechtem Allgemeinzustand ihren Platz (Maurer et al. 1998).
Operationstechnik 23.6.4 Laparoskopie
23.6.1 Allgemeine Maßnahmen
23
Das Ziel einer Operation ist die Beseitigung der Ursache der Passagestörung und die Entlastung des gestauten Darms. Es gibt keine objektiven Kriterien zur Beurteilung der Vitalität des Darms. Farbe, Peristaltik und mesenteriale Durchblutung geben allenfalls Anhaltspunkte. Eine Möglichkeit zur Objektivierung der Durchblutung könnte die Laserfluoreszenzangiographie sein. Im Zweifelsfall muss Dünndarm reseziert werden. Eine Dekompression muss differenziert betrachtet werden. Zum einen verbessert sie durch Verringerung des intraluminalen Druckes die Darmdurchblutung, führt zu einer Drucksenkung
Die Laparoskopie gewinnt als Verfahren in der Chirurgie immer mehr Bedeutung. Theoretisch lassen sich auch für den Ileuspatienten die Vorteile laparoskopischen Operationstechnik postulieren. Allerdings ist sie nur in 50–70% erfolgreich und weist somit die höchsten Konversionsraten auf. Daneben zeichnet sie sich durch eine deutlich verlängerte Operationszeit, ein hohes Risiko iatrogener Darmverletzungen und eine hohe Rate an frühpostoperativer Komplikationen aus. Nutzbringend kann sie bei strenger Indikationsstellung bei Patienten ohne Voroperation, nach laparoskopischen Eingriffen oder nach limitierter Voroperation sein (Nagle et al. 2004; Neufang u. Becker 2000).
237 Literatur
23.7
Ergebnisse
Die Letalität ist entscheidend von der Ausprägung der systemischen Folgen der Passagestörung abhängig. Aber auch die Grunderkrankung hat einen deutlichen Einfluss. Die Gesamtletalität beim operierten Dünndarmileus schwankt zwischen 2 und 21%, die mit dem Ausmaß der Operation und Ursache des Ileus korreliert (Roscher et al. 1991). Auch heute noch liegt die Letalität bei adhäsionsbedingtem Ileus zwischen 1,4% und 9,8% (Kossi et al. 2003; Menzies et al. 2001). Beim malignen Dünndarmileus ist die Mortalität der Operation durch die Verfahrenswahl von 33% bei einer Dünndarmresektion auf 6% bei der Anlage einer Umgehungsanastomose gesenkt werden (Bittner et al. 1985; Walsh u. Schofield 1984). 23.8
Ileusprophylaxe
Sowohl die Dünndarm- (Noble 1937) und Mesenterialplikatur (Childs u. Philipps 1960) als auch die Schienung mittels langer Intestinalsonden (Miller u. Abbot 1934, White 1956, Baker 1959, Dennis 1969) sind keine Methoden zur Prophylaxe peritonealer Adhäsionen. Ziel dieser Massnahmen ist lediglich eine Stabilisation des Dünndarms ohne Abknickung, Torquierung oder Herniation während Heilung und Ausbildung neuer Verwachsungen nach Adhäsiolyse. Die Ileusrezidivquoten dieser Verfahren liegen über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren bei Angaben zwischen 0% und 27% (Treutner u. Schumpelick 2000). Außerdem können sowohl bei der Plikatur als auch bei der Sondenschienung Perforationen und Fisteln auftreten, bei Intestinalsonden finden sich ferner Ösophagitis, Blutungen und Invaginationen als weitere Komplikationen (Fass et al. 1997). Die langen Intestinalsonden haben heutzutage ihren Platz in der Entlastung des Darms, sei es endoskopisch platziert oder intraoperativ eingebracht. Entscheidend zur Prophylaxe ist die Vermeidung von peritonealen Läsionen, die die Ausgangspunkte für Adhäsionen darstellen. Neben dem direkten Operationsgebiet können auch Schädigungen des Peritoneums durch Austrocknung und Hakenzug Adhäsionen induzieren. Fremdkörper wie Nähte, Klammern und Netze aus resorbierbaren und nicht-resorbierbaren Materialien haben vergleichbare Effekte. Allgemeine Maßnahmen sind neben der Verwendung von puderfreien Handschuhen die schonende Präparation und sorgfältige Blutstillung.
Eine schonende Präparation ist die beste Ileusprophylaxe.
Als adjuvante Maßnahmen sind experimentell viele Ansätze zur Trennung der peritonealen Flächen versucht worden. Keine hat bisher die breite Anwendung in der Viszeralchirurgie gefunden. In der Gynäkologie haben sich Folien bewährt, die nach Operationen an den Adnexen deren Verklebung verhindern und damit auf das Behandlungsziel der Fertilität ausgerichtet sind. Für die Viszeralchirurgie ist eine Prophylaxe erforderlich, die die gesamte Abdominalhöhle abdeckt. Hierbei sind flüssige Barrieren denkbar. Experimentelle und erste klinische Ergebnisse gibt es zu Icodextrin. Icodextrin ist ein Glukosepolymer aus Maisstärke, das seit Jahren als 8%-ige Lösung zur Peritonealdialyse eingesetzt wird. Die Glukose-Einheiten werden bei Dextrin durch α-1,4-
23
Bindungen verbunden. Diese Bindungen sind Substrat für Amylase, die in der menschlichen Peritonealhöhle nicht vorkommt. Dadurch bleibt Icodextrin länger in der Peritonealhöhle, wird im Kreislauf allerdings rasch zu Glukose abgebaut. Die Trennung der Gewebe durch diese flüssige Barriere (»Hydroflotation«) ist mit einer peritonealen Halbwertszeit von 72–96 h gegenüber Elektrolytlösungen deutlich prolongiert (Hosie et al. 2001; Verco et al. 2000). Vielversprechende experimentelle Ergebnisse gibt es für Lipidverbindungen. Diese konnten ihre Effizienz in unterschiedlichen Modellen, auch gegenüber anderen Lösungen und festen Barrieren, zeigen (Müller et al. 2003; Müller et al. 2005). Klinische Studien stehen jedoch aus. Zur Prophylaxe von Adhäsionen nach Adhäsiolyse könnte auch die autologe Transplantation von Peritonealzellen eingesetzt werden. Nach Peritonealbiopsie würden die Peritonealzellen in einer Zellkultur vermehrt und dem Patienten dann am Ende des Eingriffs appliziert. Methodik und Wirksamkeit konnten im Tierversuch dargestellt werden (Bertram et al. 1999).
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Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
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24
243 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
24.1
24.1.1 Der Schluckakt
Die komplexen Bewegungen der Mundhöhlenmuskulatur kontrollieren die orale Phase des Schluckaktes, bei der die Nahrung von der Mundhöhle in den Pharynx transportiert wird. Die Einleitung des Schluckvorgangs während der oralen Phase erfolgt willkürlich. Zur Bolusformation werden Zunge und bukkale Muskulatur benötigt. Der Bissen wird durch Andrücken der Zunge an den harten Gaumen in den Pharynx gepresst (. Abb. 24.1). Wenn der Bissen das Gaumensegel oder die Rachenhinterwand berührt, setzt die rein reflektorisch ablaufende pharyngeale Phase des Schluckvorgangs ein. Die pharyngeale Phase besteht aus 4 rasch aufeinander folgenden und einander zeitlich überlappenden Vorgängen (Dodds et al. 1990; . Abb. 24.1): 4 Der Nasopharynx wird durch den weichen Gaumen und die Pharynxhinterwand abgeschlossen. So wird ein Transport des Bissens in den Nasopharynx verhindert. 4 Die Mundbodenmuskeln ziehen den Larynx zusammen mit dem Zungenbein nach vorne und oben unter den Zungengrund. Dadurch schiebt sich die Epiglottis über den Larynxeingang. Der sagittale Durchmesser des Oropharynx vergrößert sich. 4 Kurz aufeinander folgend kontrahieren sich der obere, der mittlere und der untere Teil des M. constrictor pharyngis. Mit einem Druck von 150–200 mmHg im Oropharynx und 200–250 mmHg im Hypopharynx wird der Bissen gegen den Ösophaguseingang gepresst. 4 Zu Beginn der pharyngealen Phase, d. h. bereits vor der peristaltischen Kontraktion der Pharynxmuskulatur, erschlafft der obere Ösophagussphinkter. Die Erschlaffung dauert ca. 1 s und endet mit einer sich in den tubulären Ösophagus fortsetzenden peristaltischen Welle.
Der Schluckakt wird in 3 Phasen eingeteilt: 4 Orale Phase 4 Pharyngeale Phase 4 Ösophageale Phase
Die Steuerung dieses komplexen Transportes erfolgt über Afferenzen und Efferenzen der Hirnnerven V, IX, X und XII und steht unter der Kontrolle des Schluckzentrums in der Medulla oblongata (Weissbrodt 1976).
) ) Der Ösophagus des erwachsenen Menschen ist ein ca. 24–27 cm langer Muskelschlauch mit phasisch-tonisch kontrahierten Sphinkteren am proximalen und distalen Ende (oberer und unterer Ösophagussphinkter). Die Funktion kann mit einer artesischen Pumpe verglichen werden, die die Nahrung gegen ein Druckgefälle vom intrathorakalen Ösophagus mit seinem negativen Ruhedruck (ca. –6 mmHg) in den Magen mit seinem positiven Ruhedruck (ca. +6 mmHg) transportiert. Oberer und unterer Ösophagussphinkter dienen als Barrieren oder funktionelle Ventile zwischen Hypopharynx und tubulärem Ösophagus bzw. tubulärem Ösophagus und Magen. Durch die phasisch-tonische Kontraktion der Sphinkteren entsteht im Ruhezustand eine Druckbarriere, die die Kompartimente funktionell voneinander trennt. Bei der Boluspassage erschlaffen die Sphinkteren und geben den Weg für die Speise frei. Der Transport eines Nahrungsbolus vom Hypopharynx in den Magen und die Verhinderung von Reflux aus dem Magen erfordert ein koordiniertes Zusammenspiel zwischen der Pumpe des tubulären Ösophagus und dem proximalen und distalen Ventil. Eine Dysfunktion der tubulären Speiseröhre und eine fehlende oder unkoordinierte Relaxation des oberen oder unteren Ösophagussphinkters behindern den Nahrungstransport. Eine gestörte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters führt zum Reflux von Mageninhalt.
oral
pharyngeal
normal
1
2
3
4
5
pathologisch
. Abb. 24.1. Die orale und pharyngeale Phase des Schluckaktes und ihre Störungen bei neurologischen Erkrankungen. 1 Bolusformation; 2 palatonasaler Abschluss; 3 Larynxverschluss durch Höhertreten des
Larynx und Hyoids; 4 Pharynxkontraktion; 5 Öffnung des oberen Ösophagussphinkters
244
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Die ösophageale Phase des Schluckaktes beginnt mit der Relaxation des oberen Ösophagussphinkters und endet mit dem Schluss des unteren Ösophagussphinkters nach Passage des Nahrungsbolus in den Magen. Die ösophageale Phase des Schluckaktes ist komplett reflexkontrolliert. Die efferente Innervation der quergestreiften Muskulatur des oberen Ösophagussphinkters und des oberen Ösophagusdrittels erfolgt über direkte Fasern aus den Nn. vagi und den Nn. recurrentes.
Muskulatur 1 Lage
Laryngopharynx (Hypopharynx)
M. constrictor inf.
24.1.2 Pharyngoösophageales Segment Als pharyngoösophageales Segment wird die anatomische und funktionelle Einheit aus Pharynxmuskulatur, oberem Ösophagussphinkter und proximalem tubulärem Ösophagus bezeichnet (Liebermann-Meffert 1997).
24
Funktionelle Anatomie Der Pharynx bildet den Anfangsteil des Intestinalrohres. Der Nasopharynx ist der Raum kranial des weichen Gaumens, der die Nasenhöhle fortsetzt. Der Oropharynx ist der Raum zwischen weichem Gaumen (Uvula), der Spitze der Epiglottis und der Zunge, der die Mundhöhle fortsetzt. Der 6–7 cm lange Laryngopharynx oder Hypopharynx ist der Raum zwischen der Spitze der Epiglottis und dem unteren Rand des Ringknorpels. Dorsal werden alle 3 Räume durch den Gewebemantel der Constrictorpharyngis-Muskulatur und die Wirbelsäule begrenzt. Der an der Schädelbasis ansetzende Schlauch aus Muskulatur, Submukosa und Schleimhaut des Pharynx bildet den gemeinsamen Abschnitt der Nahrungs- und Luftwege. Am Übergang des Hypopharynx in den Ösophagus und in den Larynx treffen die komplexen Mechanismen des Schluckens, der Atmung und der Phonation aufeinander. Mechanisch beteiligt sind Knorpel- und Knochenstrukturen (Maxilla, Zungenbein, Schildknorpel, Ringknorpel, Epiglottis), dehnbare und mobile Weichteile (Pharynx, Ösophagus) und Verschiebezonen (Faszien, Bindegewebe), in die Pharynx und Ösophagus eingebettet sind. »Sphinkteren« aus Muskulatur und Knorpel verschließen mit reziproker Wirkung den Eingang in den Ösophagus und in die Trachea und vermeiden damit die »Via falsa« für Nahrung und Luft. Der aus Skelettmuskulatur bestehende obere Ösophagussphinkter liegt mit seinem Eingang auf Höhe des 5. bis 6. Halswirbelkörpers. Die anatomisch prominenteste Struktur des Sphinkters ist die Pars fundiformis des M. cricopharyngeus, die am Ringknorpel entspringt und einen horizontalen Gürtel um die Ösophagushinterwand bildet. Der eigentliche tubuläre Ösophagus beginnt am unteren Rand des M. constrictor pharyngis inferior etwa auf Höhe des 6. Halswirbels und betritt nach 3–6 cm den Thorax auf Höhe der Incisura jugularis des Sternums. Vor der Wirbelsäule verläuft er nach kaudal in direkter Nachbarschaft mit der Rückwand der Trachea im hinteren Mediastinum. Schon im Halsbereich ist der Ösophagus ein dünnwandiger, im Ruhezustand kollabierter Muskelschlauch. An seinem Beginn ist die Schlinge der krikopharyngealen Muskulatur als längliche Engstelle endoskopisch zu sehen, bzw. als Hochdruckzone manometrisch zu messen. Sie liegt etwa 15 cm von der Zahnreihe entfernt. Die Wandarchitektur des Pharynx und des proximalen Ösophagus unterscheidet sich grundlegend (. Abb. 24.2). Die Wand des Pharynx besteht aus einer sich nach kaudal fortsetzenden Gruppe von 3 Muskelanteilen, den Mm. constrictores pharyngis
2 Lagen
Ösophagus
. Abb. 24.2. Schematische Darstellung der Anordnung der Muskelfasern im Bereich des Hypopharynx, oberen Ösophagussphinkters (M. constrictor inferior) und proximalen Ösophagus
superior, medius und inferior. Die Muskelbündel setzen auf der lateralen Seite an der Basis des Os sphenoidale, am Tubenknorpel, am Processus pterygoideus, am Zungenbein sowie am Schildund Ringknorpel an. In der dorsalen Mittellinie inserieren sie in Kontinuität an der »submukösen Aponeurose«, die über die Fascia pharyngobasilaris fest am Fornix der Schädelbasis haftet. Dabei verlaufen die Muskelbündel in etwa gleicher Richtung schräg von lateral kaudal nach medial kranial. In der Mittellinie überkreuzen sich die Fasern geflechtartig. Hierdurch werden Verkürzungen in der Quer- und Längsachse möglich (Liebermann-Meffert 1997). Der M. constrictor pharyngis inferior teilt sich in eine schräg verlaufende, an der Linea obliqua des Schildknorpels ansetzende Pars thyropharyngea sowie in eine transversale Muskelschlinge, die am Ringknorpel ansetzende Pars cricopharyngea. Durch die Umorientierung der Muskelfasern aus der schrägen in die transversale Richtung entsteht oberhalb des M. cricopharyngeus in der dorsalen Mittellinie ein muskelarmes bzw. muskelfreies, potenziell gewebeschwaches dreieckiges Areal (7 Kap. 24.2, . Abb. 24.11). Diese nach Gustaf Killian benannte Muskellücke ist die typische Austrittsstelle für das pharyngoösophageale ZenkerDivertikel (Kilian 1908). Die Schlinge des M. cricopharnyngeus ist, gemessen am Autopsiepräparat, zwischen den beiden Ansatzstellen 2,5–3 cm lang. Sie bildet den engsten Teil der Pharynxkonstriktoren. Manometrisch entspricht die hufeisenförmige Schlinge des M. cricopharyngeus mit Widerlager an der unteren Ringknorpelplatte eindeutig der Hochdruckzone des manometrischen oberen Ösophagussphinkters. Diese anatomische Besonderheit erklärt die radiale und axiale Asymmetrie des Sphinkters (Liebermann-Meffert 1997; Skandalakis u. Ellis 2000). Die Faseranordnung im M. cricopharyngeus ähnelt mehr der des Ösophagus als der des Pharynx (. Abb. 24.2). Abweichend vom M. cricopharyngeus und der übrigen Pharynxmuskulatur besitzt die Wand des Ösophagus allerdings 2 getrennte Lagen von Muskulatur unterschiedlicher Verlaufsrichtung mit senkrecht aufeinander stehenden Muskelbündeln (. Abb. 24.2). Diese bestehen aus dem Stratum longitudinale und dem Stratum circulare. Die Faserbündel der longitudinalen äußeren Schicht des Ösophagus entspringen am Unterrand der Rückfläche der Ringknorpelplatte und fächern sich zunächst beiderseits nach lateral und dorsal auf, um nach etwa 1 cm eine geschlossene Schicht
245 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
um den Ösophagus zu bilden. Das hieraus entstehende Dreieck fehlender Längsmuskulatur entspricht der sog. Laimer-Muskellücke (Laimer 1883; 7 Kap. 24.2, . Abb. 24.11). Die Wand des Pharynx und des oberen Ösophagussphinkters besteht vollständig aus quergestreifter Muskulatur. Im proximalen Ösophagus mischen sich zunehmend glatte Muskelfasern und Faserbündel mit der quergestreiften Muskulatur. Die Innervation des pharnygoösophagealen Segments erfolgt überwiegend aus Ästen des N. recurrens (X. Hirnnerv), zu geringeren Teilen auch aus den Hirnnerven IX und XII (Aharinejad u. Firbus 1989; Weissbrodt 1976). Die willkürliche Innervation des oberen Ösophagussphinkters und der anderen quergestreiften, am Schluckvorgang beteiligten Muskeln zeigt sich besonders deutlich unter speziellen Trainingsbedingungen: Eine willkürliche Aktivierung der Pharynxmuskeln gestattet das »Bauchreden« und eine Ösophagussprache nach Laryngektomie. Nach Lähmung der thorakalen Atemmuskulatur kann eine »glossopharyngeale« Atmung erlernt werden, bei der die Luft durch Schluckbewegungen in die Lungen gedrückt wird. Eine willkürliche Hemmung der Sphinktermuskulatur ist die Voraussetzung für das »Schwertschlucken«. Normale Funktion Während der Atmung und des Sprechens ist der obere Ösophagussphinkter tonisch kontrahiert, wodurch das Schlucken von Luft während der Atmung verhindert und die Luftwege gegen Aspiration geschützt werden. Während des Schluckens relaxiert der obere Ösophagussphinkter (. Abb. 24.1), die Epiglottis schließt und verhindert damit die Aspiration (Dodds et al. 1990). Die manometrisch messbare Hochdruckzone im oberen Ösophagussphinkter ist etwa 3 cm lang. Während des Schluckaktes steigt der Druck im Hypopharynx rapide an. Es entsteht ein deutliches Druckgefälle zwischen dem pharyngealen Druck und dem negativen Ruhedruck des intrathorakalen Ösophagus. Dieser Druckgradient beschleunigt den Transport von Nahrung aus dem Hypopharynx in den Ösophagus, sobald der obere Ösophagussphinkter relaxiert. Der Nahrungsbolus wird damit sowohl durch die peristaltische Welle des Hypopharynx in den Ösophagus geschoben als auch durch das Druckgefälle angesaugt. Die Compliance des oberen Ösophagussphinkters und des zervikalen Ösophagus ist für diese Phase des Schluckaktes von entscheidender Bedeutung. Nach Passage des Bolus schließt sich der obere Sphinkter innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Der unmittelbare Verschlussdruck erreicht zunächst das Doppelte des Ruhedrucks. Diese »Postrelaxationskontraktion« setzt sich auf den proximalen Ösophagus als peristaltische Welle fort. Der hohe Verschlussdruck des oberen Ösophagussphinkters und die Initiierung einer peristaltischen Welle im proximalen Ösophagus verhindern die Regurgitation des Bolus. Funktionsstörungen Fehlfunktionen der pharyngoösophagealen Phase des Schluckaktes können aus einer Dyskoordination der neuromuskulären Vorgänge während des Kauens, der Initiation des Schluckaktes und der Propulsion des Materials vom Oropharynx in den zervikalen Ösophagus resultieren. Dies äußert sich in Dysphagie, pharyngealer Regurgitation, Aspiration und/oder rezidivierenden Atemwegsinfekten. Die Funktionsstörungen können demzufolge in eine der folgenden Kategorien oder eine Kombination dieser Kategorien klassifiziert werden (Kahrilas 1995):
24
4 4 4 4
Inadäquater oropharyngealer Bolustransport Parese des Pharynx Elevationsstörung des Pharynx Dyskoordination der krikopharyngealen Relaxation mit der pharyngealen Kontraktion 4 Fehlende oder eingeschränkte Compliance des pharyngoösophagealen Segmentes auf dem Boden einer restriktiven Myopathie Ätiologie. Bei den pharyngoösophagealen Funktionsstörungen
liegt in der Regel eine kongenitale oder erworbene Veränderung des zentralen oder peripheren Nervensystems vor. Dies beinhaltet Schlaganfälle, Hirnstammtumoren, Poliomyelitis, Multiple Sklerose, M. Parkinson, Pseudobulbärparalyse, periphere Neuropathie oder Verletzung der Hirnnerven, die am Schluckakt beteiligt sind. Primär muskuläre Erkrankungen, wie eine bestrahlungsinduzierte Myopathie, Dermatomyositis, myotone Dystrophie oder Myasthenia gravis, sind weniger häufig. Selten kann auch eine extrinsische Kompression durch eine Struma, zervikale Lymphadenopathie oder eine Hyperostose der Halswirbelsäule zu einer zervikalen Dysphagie führen (Kahrilas 1995; Feussner und von Rahden 2006). Klinik. Ein allgemein anerkannter Normalbereich des Ruhe-
druckes im oberen Ösophagussphinkter existiert nicht. Dies ist durch technische Schwierigkeiten bei der Druckmessung wie Asymmetrie der Druckmaxima und rasche spontane Druckschwankungen bedingt. Ein gegenüber gesunden Kontrollen erhöhter Druck ist bei Patienten mit Globusgefühl beschrieben worden. Ob das Globusgefühl tatsächlich durch eine Sphinkterhypertonie bedingt ist oder ob diese Patienten nur mit einem unverhältnismäßig hohen Druckanstieg auf die Manometriesonde reagieren, ist ungewiss. Beobachtungen über eine Hypertonie des oberen Ösophagussphinkters bei Patienten mit gastroösophagealem Reflux sind widersprüchlich (Castell et al. 1990; Castell u. Dalton 1995). Ein verminderter Ruhedruck ist bei Ausfall der Innervation des Sphinkters zu erwarten. Hinweise für eine Hypotonie sind bei neurologischen Krankheiten, wie Multipler Sklerose, beschrieben. Ob diesem Befund eine klinische Relevanz zukommt, ist derzeit unklar. Am häufigsten beginnt und endet die Sphinktererschlaffung vorzeitig. Seltener setzt die Erschlaffung zeitgerecht ein, endet aber zu früh. Bei einer Koordinationsstörung mit verzögerter Relaxation des oberen Ösophagussphinkters wird der Bolus gegen den noch verschlossenen Sphinkter gedrückt. Eine Verzögerung der Relaxation um mehr als 0,3 s kann zur Aspiration führen. Die Störung kommt z. B. bei familiärer Dysautonomie vor. Eine unvollständige oder sogar fehlende Erschlaffung des oberen Sphinkters (die sog. zervikale Achalasie, Feussner und von Rahden 2006) findet sich bei verschiedenen neurologischen Krankheiten, beispielsweise der Pseudobulbärparalyse. Sie kann dort zu schwerster Dysphagie führen. Eine zervikale Achalasie ist auch gelegentlich bei Patienten mit Schilddrüsen- oder zervikalem Ösophaguskarzinom, nach Thyreoidektomie, Laryngektomie oder nach Halstrauma beschrieben worden. Klare Beweise für eine zervikale Achalasie gibt es bisher nur bei neurologischen Krankheiten. In radiologischen Studien wird oft eine während des Schluckaktes erkennbare Einkerbung im dorsalen Bereich des M. cricopharyngeus als obere Achalasie gedeutet. Eine solche persistierende Einkerbung findet sich in 5% aller untersuchten Individuen und ist kein Zeichen einer oberen Achalasie (Ott 1995).
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Bei Patienten mit Zenker-Divertikel kann mittels konventioneller Manometrie mit wasserperfundierten Systemen häufig keine Funktionsstörung aufgezeigt werden. Mit speziellen Druckaufnehmern und Untersuchungstechniken lässt sich jedoch in der Regel ein erhöhter »Intrabolusdruck« nachweisen. Muskelbiopsien aus dem krikopharyngealen Sphinkter zeigen bei Patienten mit Zenker-Divertikel eine restriktive Myopathie, die mit einem Verlust der Compliance des pharyngoösophagealen Segments in der Hochfrequenzvideographie korreliert. Demzufolge scheint sich das Divertikel als Folge eines repetitiven Stresses beim Bolustransport durch ein nicht ausreichend aufdehnbares pharyngoösophageales Segment zu entwickeln. Eine Dyskoordination der Sphinkterrelaxation mit der pharyngealen Kontraktion stellt eine weitere mögliche Ursache des Zenker-Divertikels dar. Da eine derartige Dyskoordination nicht über die gesamte Länge des Sphinkters vorliegen muss, kann sie während einer Routinemanometrie leicht übersehen werden (Ekberg 1999; Peters u. Mason 1999). Eine Schwäche der bukkalen Muskeln bewirkt beim Trinken Tröpfeln aus dem Mund, eine Schwäche der Zunge erschwert die Bolusbildung und somit die Einleitung des Schluckaktes. Sie kann gelegentlich zu pharyngooraler Regurgitation führen. Eine Schwäche des weichen Gaumens führt zur Störung des palatonasalen Abschlusses mit nasaler Aspiration und Austritt der Nahrung durch die Nase. Eine laryngeale Aspiration ist möglich bei einer Schwäche der Larynxheber, die normalerweise den Abschluss des Larynx bewirken, bei pharyngealer Stase infolge Schwäche der Pharynxmuskulatur oder bei Koordinationsstörungen des oberen Ösophagussphinkters. Bei Gesunden kommt es nur zur Aspiration, wenn während des Schluckaktes geatmet wird (Kahrilas 1995). 24.1.3 Tubulärer Ösophagus
24
Der tubuläre Ösophagus ist ein gestreckter Muskelschlauch zwischen oberem und unterem Ösophagussphinkter. Jeweils etwa 3–6 cm sind zervikal bzw. abdominell lokalisiert. Die Lage des Ösophagus in den 3 Körperräumen Hals, Brust und Bauch führte zur klassischen Unterteilung in einen zervikalen, thorakalen und abdominellen Abschnitt. Die Pars cervicalis des tubulären Ösophagus beginnt am Unterrand des oberen Ösophagussphinkters etwa auf Höhe des 6. Halswirbels, verläuft zwischen Wirbelsäule und Trachea und endet am Oberrand des Sternums etwa auf Höhe des 2. bis 3. Brustwirbelkörpers. Die Pars thoracalis erstreckt sich vom Oberrand des Sternums bis zum Hiatus oesophageus (etwa auf Höhe des 7. bis 9. Brustwirbelkörpers). Auf Höhe des 4. Brustwirbels legt sich der Aortenbogen von links an den Ösophagus an und verursacht eine Impression. Zwischen der Aortenimpression und dem Hiatus oesophageus liegt die Aorta links zwischen Ösophagus und Wirbelsäule. Direkt kaudal und medial der Aortenimpression liegt der Abgang des linken Hauptbronchus aus der Trachea und verursacht von ventral her eine Impression des Ösophagus. Kaudal der Trachealbifurkation verläuft der Ösophagus zwischen Aorta und Perikard. Eine abnorme Kompression der Pars thoracalis kommt zustande, wenn die A. subclavia dextra nicht aus dem Truncus brachiocephalicus, sondern aus der Aorta descendens entspringt und hinter dem Ösophagus hindurch nach rechts zieht (A. lusoria, Dysphagia lusoria). Es handelt sich um eine seltene
Anomalie. Bedeutend häufiger sind Impressionen durch einen vergrößerten linken Vorhof. Als Pars abdominalis des Ösophagus wird das 2–5 cm lange intraabdominale Segment des distalen Ösophagus, jenseits des Durchtritts durch das Zwerchfell, bezeichnet (LiebermannMeffert 1997). Dieser topographisch-anatomischen Einteilung steht eine Einteilung aus chirurgischer Sicht gegenüber, die auch gut der embryonalen Entwicklung und damit der Gefäßversorgung, dem Lymphabfluss und den muskelanatomischen Gegebenheiten Rechnung trägt (Liebermann-Meffert et al. 2001; Skandalakis u. Ellis 2000): Unterschieden werden – orientiert an der chirurgisch bedeutenden Beziehung zum Tracheobronchialsystem bzw. der Karina – zwischen suprabifurkalem (suprakarinalem) und infrabifurkalem (infrakarinalem) Ösophagus. Funktionelle Anatomie Abweichend vom übrigen Intestinalrohr hat der Ösophagus keine begrenzende Serosa und kein Mesenterium. Anstelle einer Serosa besitzt der Ösophagus zervikal und thorakal einen Überzug aus Bindegewebe (Adventitia), dessen locker angeordnete kollagene und elastische Fasern einerseits zwischen die Bündel der Tunica muscularis einstrahlen, andererseits in das Bindegewebsnetz des Mediastinums übergehen. Dieses periösophageale Gewebe führt die feinen Gefäße und Nervenfasern für die Ösophaguswand. Träger der Motilität, Elastizität und Plastizität des Ösophagus ist seine Muskulatur. Die vom Kliniker in der Regel inkorrekt als »Muscularis propria« bezeichnete Tunica muscularis umgibt das Lumen in 2 Lagen. Die Muskelzüge der äußeren Lage verlaufen parallel zur Längsachse des Ösophagus, die der inneren Lage liegen hierzu in rechtem Winkel (. Abb. 24.3). Diese Anordnung spiegelt sich in der traditionellen Bezeichnung »Längs-« und »Ringmuskulatur« wider. Die Tunica muscularis besteht im oberen Teil der Speiseröhre nahezu ausschließlich aus quergestreifter Skelettmuskulatur. Im distalen Teil des Ösophagus besteht die gesamte Tunica muscularis aus glatter Muskulatur. Obwohl sich quergestreifte und glatte Muskulatur im anatomischen Bild, in der embryonalen Entwicklung, der Innervation und dem in vitro physiologischen Verhalten deutlich unterscheiden, verläuft die Peristalsis entlang des Ösophagus normalerweise ohne erkennbaren Unterschied ab. Die Interaktionen zwischen den verschiedenen Muskelzelltypen und ihre jeweilige Rolle bei Motilitätsstörungen sind unklar (Liebermann-Meffert 1997). Die Längsmuskulatur (Stratum longitudinale) entspringt am Ringknorpel und fächert sich sofort auf, wobei die mehr lateralen Anteile nach dorsal in Richtung zur Wirbelsäule umbiegen und sich mit denen der Gegenseite zur kompletten äußeren Muskelschicht des Ösophagus vereinigen. Die Muskelbündel dieser Außenschicht sind lang und verlaufen gestreckt nach kaudal. Der Zusammenhang ist durch dünne Septen aus lockerem Bindegewebe, die auch in die tiefere zirkuläre Muskelschicht ziehen, gewährleistet. Am Ort dieser Bindegewebesepten treten Gefäße und Nerven in die Submukosa ein. Sie verdrängen dabei die Muskelzüge und verursachen lokal längsgerichtete schmale Spalten, die nur von lockerem Bindegewebe bedeckt sind (Liebermann-Meffert 1997). Die Ringmuskulatur (Stratum circulare) entspringt ebenfalls am kaudalen Ende des Ringknorpels und schließt sich ohne erkennbare Begrenzung an die in gleicher Richtung orientierte Pars cricopharyngea des M. constrictor pharyngis inferior an.
24
247 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
. Abb. 24.3. Architektur der Muskelwand des tubulären Ösophagus und ösophagogastralen Übergangs. Links: äußere, längsverlaufende Muskellage; rechts: innere, transversal (zirkulär) verlaufende Muskellage mit Umorientierung im Bereich des ösophagogastralen Übergangs in »gastric sling fibers« und »clasps«, die zusammen den funktionellen Apparat des unteren Ösophagussphinkters (UÖS) bilden (7 auch . Abb. 24.7 und 24.8)
OÖS
UÖS
Die Muskelbündel setzen sich kontinuierlich nach kaudal fort; sie bilden dabei keinesfalls zirkulär an den Faserenden geschlossene Ringe, sondern formen »spangenförmige« Halbkreise um den Ösophagus, deren Enden sich lateral dachziegelartig überlappen. Eine spiralförmige Muskelanordnung, wie man sie bei einigen Tierarten antrifft und gelegentlich auch in einzelnen anatomischen Darstellungen der Ösophagusmuskulatur des Menschen sieht, besitzt der Mensch weder in der Längs- noch in der Ringschicht, weder im tubulären Ösophagus noch im Bereich des ösophagogastralen Übergangs (Liebermann-Meffert 1997; Skandalakis u. Ellis 2000). Das Epithel des tubulären Ösophagus ist ein geschichtetes 0,2–0,4 mm dickes, nicht verhornendes Plattenepithel, das alle Charakteristika einer auf mechanische Belastung ausgerichteten Schutzschicht aufweist. Das Epithel ist durch Bindegewebepapillen mit der Lamina propria verzahnt. Die Länge der Papillen beträgt im Mittel die Hälfte der gesamten Epitheldicke. Bei mechanischer Belastung dient die Submukosa als Verschiebeschicht, auf der das Epithel zusammen mit der Lamina propria und der Muscularis mucosae gleiten kann. Eine Verbesserung der Oberflächengleitfähigkeit wird durch Schleim aus den submukösen Drüsen und den Speicheldrüsen erzielt. Abgeschilferte Plattenepithelzellen werden durch die Basalzellschicht ersetzt. Die Lebensdauer der Epithelzellen beträgt etwa eine Woche. Die Lamina propria enthält auch beim Gesunden reichlich Lymphozyten, Plasmazellen und Mastzellen, jedoch nur sehr spärlich eosinophile und neutrophile Granulozyten.
Normale Funktion Die dünne Wand des Muskelschlauchs ist im Ruhezustand kollabiert und weitet sich beim Schlucken eines Nahrungsbolus mit Einsetzen einer peristaltischen Welle. Die propulsive Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre wird durch die Anordnung der Muskulatur ermöglicht. Die Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre ist essenziell für den Transport des Speisebolus vom distalen Ösophagus in den Magen. Der Speisebolus muss gegen ein Druckgefälle von etwa 12 mmHg (von –6 mmHg intraösophagealer Ruhedruck auf +6 mmHg intragastraler Ruhedruck) transportiert werden (. Abb. 24.4), was eine effektive, koordinierte Pumpaktion der Speiseröhrenmuskulatur erfordert (DeMeester u. Stein 1996; Stein et al. 1992). Während der Peristaltik wird der Ösophagus zunächst durch die Kontraktion der proximalen Muskulatur nach oral gezogen. Am distalen Ende des Ösophagus ist die Aufwärtsbewegung stärker ausgeprägt, sodass sich der untere Ösophagussphinkter beim Schlucken um bis zu 3 cm nach oral verlagert. Kurz bevor die peristaltische Welle den unteren Ösophagussphinkter erreicht, beginnt das Zurückgleiten in Ruhelage. Die peristaltische Welle im tubulären Ösophagus generiert in der Regel einen Spitzendruck zwischen 30 und 150 mmHg. Der Spitzendruck steigt von proximal nach distal an. Eine primäre peristaltische (d. h. eine durch einen bewussten Schluckakt eingeleitete) Kontraktionssequenz läuft nach initialer Inhibition der gesamten Ösophagusmuskulatur mit einer Propagationsgeschwindigkeit von ca. 2–4 cm/s von proximal nach distal und
248
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
. Abb. 24.4. Schematische Darstellung der topographischen Anatomie und des Ruhedruckprofils des oberen Gastrointestinaltrakts beim Erwachsenen
Ventil
Pumpe
Ventil
Oberer Ösophagussphinkter
Tubulärer Ösophagus
Unterer Ösophagussphinkter
-10
-5
0
5
10
15
20
25
30
Ruhedruck (mm Hg)
24
erreicht den unteren Ösophagussphinkter ca. 7–9 s nach Beginn des Schluckens (. Abb. 24.5). Die Propagationsgeschwindigkeit der peristaltischen Welle ist von der Größe, der Viskosität und der Temperatur des geschluckten Bolus abhängig. Wenn genügend lange Pausen (mehr als 20 s) zwischen den einzelnen Schluckakten eingehalten werden, resultiert ein gleicher Bolus in der Regel in einer identischen peristaltischen Kontraktionssequenz. Beim raschen Schlucken nimmt die Kontraktionsamplitude mit jedem konsekutiven Schluck ab. Bei einer Pause von weniger als 10 s zwischen einzelnen Schluckakten bleibt der tubuläre Ösophagus relaxiert, eine peristaltische Welle wird nur für den letzten der konsekutiven Schlucke initiiert. Dieses Phänomen wird als postdeglutitive Inhibition bezeichnet (Castell u. Dalton 1995). Das Fortschreiten der peristaltischen Welle in der tubulären Speiseröhre wird durch eine sequenzielle Aktivierung der Muskulatur aus dem Schluckzentrum über efferente Vagusfasern gesteuert. Eine Kontinuität der Ösophagusmuskulatur ist hierfür nicht erforderlich, solange die vagale Innervation intakt bleibt. Wird die Ösophagusmuskulatur durchtrennt, setzt sich bei intakter Innervation die peristaltische Welle distal der Durchtrennungsstelle ohne Unterbrechung fort. Afferente Impulse aus Rezeptoren der Ösophaguswand sind für einen geordneten Ablauf der primären peristaltischen Welle nicht notwendig (Weissbrodt 1976; Diamant 1989). Eine Distension des Ösophagus oder Irritation der Schleimhaut durch mechanische, thermische oder chemische Reize kann ebenfalls eine peristaltische Kontraktionssequenz einleiten. Diese sog. sekundäre Peristalsis tritt unabhängig von einer Stimulation des Pharynx auf und wird nicht vom zentralen Nervensystem gesteuert. Die sekundäre Peristalsis stellt somit einen lokalen Reinigungsreflex des tubulären Ösophagus dar. Als tertiäre Peristalsis wird die spontane peristaltische Aktivität des tubulären Ösophagus bezeichnet, die nicht durch einen Schluckakt oder extrinsische Stimulation initiiert wird. Da dies jedoch häufig mit dem Begriff »tertiäre Kontraktionen« verwechselt wird, sollte man hier besser von autonomer Peristalsis sprechen (Kahrilas 1995).
Funktionsstörungen Simultane manometrische und videoradiographische Untersuchungen haben gezeigt, dass der Speisetransport durch den tubulären Ösophagus in den Magen und die Clearance von aus dem Magen regurgitiertem Material vom zeitgerechten Ablauf und der Amplitude der peristaltischen Welle abhängen. Für eine geregelte Boluspropagation ist eine Mindestamplitude von etwa 30 mmHg und eine Propagationsgeschwindigkeit von unter 20 cm/s erforderlich (Kahrilas 1995). Funktionsstörungen des tubulären Ösophagus sind durch ein Fehlen der Peristalsis, abnorme Kontraktionssequenzen oder abnorme Kontraktionsformen gekennzeichnet. Dies kann zu einer Verlängerung der Transitzeit des Bolus vom oberen Ösophagussphinkter in den Magen, mit und ohne klinisch manifeste Dysphagie, Regurgitation und/oder retrosternale Schmerzen führen.
Funktionsstörungen betreffen entweder primär und ausschließlich den Ösophagus (primäre Motilitätsstörungen) oder können als Folge einer zugrunde liegenden anderen Erkrankung oder einer generalisierten neurologischen, muskulären oder metabolischen Störung auftreten (sekundäre Motilitätsstörungen). Der Ösophagus kann vor allem bei Patienten mit Kollagenerkrankungen und Vaskulitiden mitbetroffen sein. Die Diagnose und Klassifikation von Funktionsstörungen des tubulären Ösophagus erfolgt in der Regel mittels Ösophagumanometrie. Ausgeprägte Funktionsstörungen können jedoch auch mittels Transitszintigraphie oder röntgenologischer Kontrastmitteldarstellung und videofluoroskopischer bzw. kinematographischer Aufzeichnung des Schluckaktes erfasst werden. Mit der Einführung der Standardösophagusmanometrie wurde eine Reihe von primären Funktionsstörungen als separate Entitäten definiert. Es handelt sich hierbei um die »Achalasie«, den »diffusen Ösophagospasmus«, den sog. »NussknackerÖsophagus« und die große Gruppe der »unspezifischen Motilitätsstörungen« (7 Kap. 24.7 und folgende Übersicht).
24
249 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
. Abb. 24.5. Mechanisches Modell und manometrische Funktion der menschlichen Speiseröhre und ihrer Sphinkteren beim Schluckakt
mm Hg 60
S
50 40
Ventil
Oberer Ösophagussphinkter
30
17 cm
20 10 0 30
Proximal
20 10 0 -10 30
Mitte
20
Pumpe
Tubulärer Ösophagus
10 0 -10 40 30
Distal
20 10 0 -10 40
Ventil
Unterer Ösophagussphinkter
30
41 cm
20 10 0 -10 2s
Primäre und sekundäre Motilitätsstörungen der Speiseröhre 5 Primäre Motilitätsstörungen – Achalasie – Diffuser Ösophagospasmus – »Nussknacker-Ösophagus« – Unspezifische Motilitätsstörungen – (Hypertensiver unterer Ösophagussphinkter) 5 Sekundäre ösophageale Motilitätsstörungen bei – Kollagenerkrankungen und Vaskulitiden (progressive Sklerodermie, Polymyositis und Dermatomyositis, »mixed connective tissue disease«, systemischer Lupus erythematodes u. a.) – Chronisch idiopathische Pseudoobstruktion – Neuromuskuläre Erkrankungen – Diabetes mellitus – Schilddrüsenerkrankungen – Paraneoplastische Syndrome – Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) – Alkoholismus – Infektionen – Bestrahlungsschäden – Medikamentenwirkungen
Klassische manometrische Kriterien zur Diagnose und Klassifikation primärer Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus 5 Achalasie – Inkomplette oder fehlende schluckreflektorische Relaxation des unteren Ösophagussphinkters – Aperistalsis der tubulären Speiseröhre – Erhöhter Ruhedruck des unteren Ösophagussphinkters – Erhöhter intraösophagealer Ruhedruck 5 Diffuser Ösophagospasmus – Häufig simultane Kontraktionssequenzen (>20%) – Repetitive und mehrgipflige Kontraktionen – Intermittierend normale Peristalsis – Kontraktionen von hoher Amplitude und langer Dauer 5 »Nussknacker-Ösophagus« – Erhöhte Kontraktionsamplitude (>180 mmHg) – Verlängerte Kontraktionsdauer – Normale Peristalsis 5 Unspezifische Motilitätsstörung – Erniedrigte oder fehlende Kontraktionsamplitude – Unterbrochene Kontraktionssequenzen – Abnorme Morphologie der Kontraktionen – Normale Funktion des unteren Ösophagussphinkters
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Die klassische Einteilung der primären Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus basiert gewöhnlich auf der Analyse von 6–10 Nassschlucken, die im Rahmen einer Standardmanometrie durchgeführt werden. Die Technik der ambulanten 24-StundenManometrie der tubulären Speiseröhre multipliziert die zur Verfügung stehenden Kontraktionsdaten und erhöht damit die Genauigkeit und Verlässlichkeit der Analyse (Stein et al. 1991; Stein u. DeMeester 1993). Die breite klinische Anwendung der ambulanten 24-Stunden-Manometrie bei Patienten mit typischen primären Motilitätsstörungen in der Standardmanometrie zeigte jedoch eine überraschend große Diskrepanz zwischen den beiden Untersuchungstechniken. Dies weist darauf hin, dass die derzeitige Klassifikation der Motilitätsstörungen klinisch wenig relevant ist. Dies wird auch durch die Beobachtung unterstützt, dass sich im Verlauf der Erkrankung der Charakter einer Motilitätsstörung grundsätzlich ändern kann. So wurde wiederholt der Übergang eines »Nussknacker-Ösophagus« zum »diffusen Ösophagospasmus« und zur »klassischen Achalasie« berichtet. Die primären Motilitätsstörungen der Speiseröhre wären damit nicht als separate Krankheitsbilder, sondern als Ausdruck einer gemeinsamen zugrunde liegenden Abnormität der Ösophagusfunktion zu betrachten (Stein 2004). 24.1.4 Ösophagogastraler Übergang
24
Im Bereich des ösophagogastralen Übergangs ändern sich morphologische Strukturen und funktionelles Verhalten der beiden benachbarten Segmente grundlegend. Dennoch liegen über keine andere Region des Gastrointestinaltraktes derartig viele unterschiedliche Definitionen und Terminologien vor wie über den ösophagogastralen Übergang (Friedland 1978). Die Stelle, »wo der Ösophagus zum Magen wird«, wird seit den hippokratischen Schriften als Kardia bezeichnet. Aufgrund variierender Untersuchungsmethoden und Konzepte wird die genaue Lokalisation der Kardia jedoch nach wie vor unterschiedlich angegeben. Nach makroanatomischer Definition wird anhand des sich verändernden Verlaufs der zirkulären Muskelschicht ein 2–3 cm langes Segment zwischen dem distalen tubulären Ösophagus und der sackartigen Ausweitung des Magens als Zone des ösophagogastralen Übergangs bezeichnet und hierfür der Terminus Kardia verwendet. Dieser Abschnitt der Umstrukturierung der Faseranordnung der inneren Muskelschicht verursacht im kontrahierten Ruhezustand eine spaltförmige und schräg gestellte Einengung »zwischen« Ösophagus und Magen, die auch dem Ostium cardiacum ventriculi und damit der chirurgischen Definition des Mageneingangs entspricht (Liebermann-Meffert u. Brauer 1995). Im Bereich des ösophagogastralen Übergangs wechselt auch die Anordnung der Schleimhautfalten aus einer Längsrichtung im tubulären Ösophagus in eine Transversalrichtung im proximalen Magen. Nach radiologischer Definition stellt diese Faltenübergangslinie den Sitz der Kardia dar. Alternativ wird radiologisch auch die im Doppelkontrast erkennbare trichterförmige Verengung des Ösophagus oberhalb des Magens als Sitz der Kardia angegeben. Für die radiologisch häufig beschriebene funktionelle sackartige Erweiterung des distalen Ösophagus, als Vestibulum oder synonym Ampulla oesophagea bezeichnet, oder eine oberhalb des Diaphragmas zu sehende Ampulla epiphrenica gibt es in der anatomischen Literatur kein Korrelat.
Die entscheidende Funktion dieser Zone besteht in der Aufrechterhaltung einer funktionellen Barriere zwischen dem negativen Ruhedruck des tubulären Ösophagus und dem positiven Ruhedruck des Magens und damit der Verhinderung eines gastroösophagealen Refluxes bei gleichzeitiger Gewährleistung eines ungehinderten ösophagogastralen Speisetransports. Dies wird durch die Architektur der terminalen Ösophagusmuskulatur erbracht. Sie repräsentiert den funktionell definierten unteren Ösophagussphinkter. Für den Endoskopiker liegt der ösophagogastrale Übergang im Bereich gut sichtbarer Grenzen zwischen Plattenepithel des Ösophagus und Zylinderepithel des Magens, der Z-Linie (Savary u. Miller 1978). Diese liegt normalerweise 1–2 cm kranial des Ostium cardiacum und etwa auf Höhe des oberen Drittels der manometrisch messbaren Hochdruckzone im Bereich des ösophagogastralen Übergangs. Im Gegensatz zur manometrischen Hochdruckzone erfährt die Lokalisation der endoskopischen Z-Linie im Lauf des Lebens auch bei Gesunden deutliche Verschiebungen und kann vor allem bei Patienten mit langjähriger Refluxkrankheit über mehrere Zentimeter nach oral in den tubulären Ösophagus wandern. Bei histologischem Nachweis einer intestinalen Metaplasie in diesem Bereich wird dann von einem Endobrachyösophagus oder Barrett-Ösophagus gesprochen.
Deshalb hat sich heute das orale Ende der Magenfalten als endoskopische Landmarke für die Lokalisation der Kardia eingebürgert und in der Praxis bewährt.
Funktionelle Anatomie Bis zu seinem Durchtritt durch den Hiatus oesophageus verläuft der distale Ösophagus im netzartig angeordneten lockeren Bindegewebe des hinteren Mediastinums. Der Hiatus oesophageus phrenoösophageale Membran Zwerchfell Pleura
Z- Linie
unterer ösophagealer Sphinkter
Peritoneum
Magenfalten
. Abb. 24.6. Schematische Darstellung der Strukturen des ösophagogastralen Übergangs
24
251 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
. Abb. 24.7. Verlauf der äußeren longitudinalen und inneren zirkulären Muskulatur im Bereich des ösophagogastralen Übergangs (»sling« und »clasp fibers«)
longitudinaler
gastrische SlingFasern
zirkulärer ösophagealer Muskel
UOS Clasps
mittlere Magenmuskulaturschicht
wird v. a. durch das Crus mediale dextrum der Pars lumbalis des Zwerchfells gebildet. Im Bereich des Hiatus ist der dorsale Anteil des distalen Ösophagus im retroperitonealen Bindegewebe verankert. Die Vorderwand der Pars abdominalis des distalen Ösophagus und ösophagogastralen Übergangs ist mit Peritoneum überzogen und über die phrenoösophageale Membran mit dem Zwerchfell verbunden. Das Gewebe der phrenoösophagealen Membran ist zart und individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Sie enthält Kollagen und elastische Fasern und besteht aus Pleura, subpleuraler Faszie, phrenoösophagealer Faszie, Fascia transversalis und Peritoneum (. Abb. 24.6). Diese Strukturen erlauben die für den Schluckakt und die Relaxation des unteren Sphinkters erforderliche freie Beweglichkeit des distalen Ösophagus im Hiatus oesophageus und gewährleisten zugleich, gemeinsam mit den Aufhängungsstrukturen des proximalen Magens, die intrabdominale Verankerung des ösophagogastralen Übergangs. Zunehmendes Alter ändert die Gewebebeschaffenheit der phrenoösophagealen Membran infolge progressiven Ersatzes der elastischen Fasern durch kollagene Fasern. Dadurch wird die Membran unelastisch und schlaff. Fettgewebe tritt vermehrt im Bindegewebespalt auf. In Verbindung mit einem weiten Hiatus und dem vor allem bei Adipositas erhöhten intraabdominalen Druck ist dies die Voraussetzung für eine Hiatushernie (Liebermann-Meffert 1997; Skandalakis u. Ellis 2000). Die Faserbündel der Längsmuskulatur des distalen tubulären Ösophagus verlaufen über die Kardia hinweg und werden zur Längsmuskulatur des Magens. Dabei ändern sie an der Vorderund Hinterwand des Magens ihre Richtung und liegen hier rechtwinklig zur Magenachse (. Abb. 24.7). Auch die Architektur der Ringmuskulatur ändert sich am ösophagogastralen Übergang. Während kleinkurvaturseits die Muskelzüge über den terminalen Ösophagus und Mageneingang hinaus ihren horizontalen Verlauf beibehalten und kurze, U-förmige Muskelbündel entlang der Magenstraße bilden (sog. »clasp fibers« oder Muskelklammern), werden die Muskelbündel großkurvaturseits zu schräg verlaufenden Faserzügen, den Fibrae obliquae oder »gastric sling fibers« (. Abb. 24.7). Die Enden der »Clasp«- und »Sling«-Fasern stehen somit in nahezu rechtem Winkel zueinander (. Abb. 24.8; Liebermann-Meffert et al 1979; Liebermann-Meffert u. Brauer 1995).
. Abb. 24.8. Schematische Darstellung der Zugrichtung der »sling« und »clasp fibers«
Die Fibrae obliquae, die den während der Kontraktion mobilen His-Winkel bilden und hier ihre größte Faserkonzentration haben, stellen damit das wesentliche anatomische Korrelat des manometrischen unteren Ösophagussphinkters des Menschen dar (Liebermann et al. 1979; Stein et al. 1995; Mattioli et al. 1993). Normale Funktion Der untere Ösophagussphinkter stellt beim Menschen die wesentliche Barriere zwischen dem positiven intraabdominellen Druck im Magen und dem negativen Ruhedruck in der intrathorakalen tubulären Speiseröhre dar. Im Ruhezustand ist der Sphinkter tonisch kontrahiert und verhindert damit Reflux von Mageninhalt in den Ösophagus. Beim Schluckakt relaxiert der Sphinkter. Dadurch wird eine Nahrungspassage ermöglicht. Die Relaxation des unteren Ösophagussphinkters beginnt mit der Einleitung des pharyngealen Schluckes und wird erst durch das Eintreffen der peristaltischen Welle am gastroösophagealen Übergang beendet. Mageninhalt, der während der Sphinkterrelaxation in den distalen Ösophagus refluieren kann, wird somit durch die peristaltische Welle gemeinsam mit dem Nahrungsbolus in den Magen befördert.
252
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Beim Gesunden liegt der mittlere Ruhedruck des unteren Ösophagussphinkters zwischen 10 und 20 mmHg. Neben dem Ruhedruck tragen auch die intraabdominelle Position des Sphinkters und seine Länge zur Kompetenz der Kardia bei. So kann ein Sphinkter mit ausreichendem Ruhedruck allein aufgrund einer zu kurzen Sphinkterlänge Ursache einer Kardiainkompetenz sein. Das Sphinkter-Vektor-Druck-VolumenDiagramm integriert alle radialen Druckwerte über die gesamte Länge der Hochdruckzone in einen Messwert und erlaubt damit eine bessere Quantifizierung der Barrierefunktion als die alleinige Messung des Ruhedrucks oder der Sphinkterlänge (Stein et al. 1991; Stein u. Korn 1997). Der Sphinkter ist auch in Ruhe starken Druckschwankungen unterworfen: Phasische Druckschwankungen treten zusammen mit Funduskontraktionen auf, deren Intensität wiederum von den Phasen des intestinalen myoelektrischen Komplexes, d. h. von der Nüchternaktivität des Darms abhängt. In Abständen von 10–30 min kann eine kurz dauernde vollständige Sphinktererschlaffung ohne vorhergehenden Schluckakt beobachtet werden. Proteinhaltige Mahlzeiten führen zu einem Anstieg, fetthaltige Mahlzeiten zu einem Abfall des Sphinkterdruckes. Die Rezeptoren für diese Druckänderungen sitzen möglicherweise im Duodenum. Der Übertragungsmechanismus (hormonell, nerval) ist nicht sicher bekannt. Der untere Ösophagussphinkter wird in seiner Funktion als Antirefluxmechanismus durch weitere Strukturen unterstützt. Bei Anstieg des intraabdominalen Druckes superponiert sich der intraabdominale Druck auf den Sphinkterdruck. Ein reflektorischer Druckanstieg findet dabei aber offenbar nicht statt. Dieser Mechanismus ist auch bei Patienten mit axialer Hiatushernie nachweisbar. Allerdings liegt bei der Mehrzahl der Patienten mit Refluxkrankheit eine axiale Hiatushernie vor, sodass dieser eine über die Sphinkterinkompetenz hinausgehende Rolle bei der Pathophysiologie der Refluxkrankheit zukommen muss (7 Kap. 24.6). Darüber hinaus scheint auch eine intakte Zwerchfellzwinge einen gewissen protektiven Effekt gegen Reflux aufzuweisen (DeMeester u. Stein 1996; Kahrilas 1995). Funktionsstörungen Eine inadäquate Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters führt zum gastroösophagealen Reflux. Auch das Ausbleiben einer peristaltischen Welle nach einem pharyngealen Schluckakt führt aufgrund der dadurch induzierten Sphinkterrelaxation und fehlender Schutzwirkung der ösophagealen Peristaltik zu einer Refluxepisode. Gemeinsam mit der postprandialen Dilatation des Magens ist dieses Phänomen für die sog. inadäquaten, transienten oder spontanen Relaxationen des unteren Ösophagussphinkters verantwortlich.
Inadäquate Sphinkterrelaxationen sind die wesentliche Ursache des physiologischen Refluxes beim Gesunden und bei Patienten mit episodisch verlaufender Refluxkrankheit (Kahrilas 1995).
24
Ein hypertensiver Sphinkter (Ruhedruck >35 mmHg) mit kompletter schluckreflektorischer Relaxation findet sich gelegentlich bei Patienten mit dem sog. Nussknacker-Ösophagus oder mit diffusem Ösophagospasmus. Ob dem alleinigen Nachweis eines hypertensiven Sphinkters bei kompletter und koordinierter
schluckreflektorischer Erschlaffung und regelrechter Peristaltik ein Krankheitswert zukommt ist umstritten. Eine fehlende, inkomplette oder unkoordinierte schluckreflektorische Relaxation des Sphinkters (Achalasie) behindert die Nahrungspassage und führt zur Dysphagia sowie, vermutlich sekundär, zu Aperistalsis und Dilatation der tubulären Speiseröhre (7 Kap. 24.7).
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253 24.2 · Divertikel
24.2
24
Divertikel
) ) In der Speiseröhre gibt es verschiedene Divertikel-Erkrankungen, die sich hinsichtlich Pathophysiologie, Lokalisation, klinischer Bedeutung und Therapie unterscheiden. Unter pathophysiologischen Gesichtspunkten (Belsey 1966) werden Pulsionsdivertikel von Traktionsdivertikeln unterschieden, je nachdem ob sie durch Pulsionskräfte von innen oder durch Traktion von außen entstehen (. Abb. 24.9).
24.2.1 Pathophysiologie, Klassifikation
und Implikationen für die Klinik Bei den zumeist juxtasphinktär gelegenen Pulsionsdivertikeln stülpt sich die Schleimhaut durch eine Muskellücke vor (»Schleimhauthernie«). Ursächlich ist ein aborales funktionelles oder mechanisches Passagehindernis (in der Regel autochthone oder postoperative Sphinkteröffnungsstörung) und den dadurch proximal entstehenden erhöhten intraluminalen Druck. Das am oberen Ösophagussphinkter gelegene zervikale, Hypopharynx- oder auch Zenker-Divertikel ist eine häufige Erkrankung, während das im distalen Ösophagus, nahe dem unteren Ösophagussphinkter entstehende, epiphrenische Divertikel sehr selten ist. Im Gegensatz dazu ist das zumeist parabronchial gelegene Traktionsdivertikel eine Ausstülpung aller Ösophaguswandschichten. Es entsteht durch »Traktion« von entzündlich veränderten Lymphknoten oder in Folge embryonaler Fehlentwicklung (Liebermann-Meffert et al. 2000). Von allen diagnostizierten Ösophagusdivertikeln sind ca. 70% zervikale Divertikel, 21,5% parabronchiale Divertikel und ca. 8,5% epiphrenische Divertikel (. Abb. 24.10). Bei funktionellen Divertikeln handelt es sich um nur passager auftretende Ausbuchtungen der Ösophaguswand, z. B. im Rahmen eines diffusen Ösophagospasmus. Sie sind in der Regel nur röntgenologisch nachweisbar (sog. Pseudodivertikel). Ein eigenes, von den Ösophagusdivertikeln abzugrenzendes Krankheitsbild stellt die sog. intramurale Pseudodivertikulose des Ösophagus dar. Hier handelt es sich um eine seltene gutartige Erkrankung der Ösophaguswand mit Dilation der submukosalen Drüsen (Herter et al. 1997).
. Abb. 24.10. Typische Lokalisation und Häufigkeitsverteilung der Ösophagusdivertikel
Während die Pulsionsdivertikel (mit der zugrunde liegenden Motilitätsstörung) oft symptomatisch sind (Dysphagie, Regurgitation, Globusgefühl, evtl. Aspiration), sind Traktionsdivertikel meistens asymptomatisch. Daher stellen letztere auch selten eine Operationsindikation dar. Großzügig wird die Operationsindikation hingegen beim Zenker-Divertikel gestellt, da die Erkrankung progredient verläuft. 24.2.2 Zervikales, Hypopharynx- oder Zenker-
Divertikel
Pathogenese
Funktionsstörungen
OOS
UOS
Embryonal
+
Traktion (Lk)
+
Postoperativ
+
. Abb. 24.9. Schematische Darstellung der Pathogenese der Ösophagusdivertikel
Typisches Beispiel eines Pulsionsdivertikels ist das Hypopharynxdivertikel, das sich praktisch immer an der pharyngealen Hinterwand im Bereich der dreieckigen Kilian-Muskellücke oberhalb des horizontalen Faserbündels des M. cricopharyngeus bildet (. Abb. 24.11; Liebermann-Meffert et al. 2000). Diese Divertikel werden auch als Zenker-Divertikel bezeichnet (benannt nach dem deutschen Pathologen Zenker, der gemeinsam mit von Ziemsen 1874 27 Fälle beschrieb). Nur selten kommt es zur Divertikelbildung durch die sog. Laimer-Muskellücke (Jamieson-Divertikel), die aboral der Pars transversa des M. cricopharyngeus lokalisiert ist (Liebermann-Meffert et al. 2000). Verantwortlich für die Ausbildung des hypopharyngealen (zervikalen) oder Zenker-Divertikels ist in der Regel eine Fehlfunktion des oberen Ösophagussphinkters (OÖS; Ekberg 1999; Peters u. Mason 1999). In seltenen Fällen besteht eine unvoll-
254
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Der Nachweis eines Divertikels erfolgt in aller Regel durch eine Röntgenkontrastuntersuchung des Ösophagus (Cook u. Kahrilas 1999; Ekberg 1999). Schon der erste Breischluck führt meist zur Darstellung. Kleinere Divertikel können gelegentlich im a.p.-Strahlengang übersehen werden. Deshalb hat die Röntgenuntersuchung auch in seitlichen und schrägen Ebenen zu erfolgen. Die Endoskopie ist zum Divertikelnachweis weniger geeignet, hat jedoch ihren Platz zum Nachweis/Ausschluss anderer Pathologien wie Tumoren, Ulzerationen oder Blutungen (Bowdler u. Stell 1987; Cook u. Kahrilas 1999). Vor allem die Darstellung eines zervikalen Divertikels kann mit einem flexiblen Endoskop schwierig sein. Beim zervikalen Divertikel ist der kausale Zusammenhang mit einer Funktionsstörung des oberen Ösophagussphinkters so überzeugend, dass der Nachweis einer zugrunde liegenden Funktionsstörung nicht erzwungen werden muss (Manometrie nicht obligatorisch). . Abb. 24.11a,b. Anatomische Darstellung der Muskellücken am pharyngoösophagealen Übergang (a) und typische Lokalisation des Zenker-Divertikels (b)
ständige oder gar gänzlich ausbleibende schluckreflektorische Erschlaffung (krikopharyngeale Achalasie). In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle bestehen Koordinationsstörungen zwischen Sphinkterschluss und Pharynxentleerung. Am häufigsten lässt sich ein vorzeitiger Sphinkterschluss nachweisen. Inwieweit hierfür autochthone Funktionsstörungen des Muskels verantwortlich sind, bzw. sekundäre Faktoren wie chronischer gastroösophagealer Reflux eine Rolle spielen, ist noch unklar (Peters u. Mason 1999). Durch den entstehenden Überdruck im Hypopharynx kommt es zur Ausbuchtung durch die anatomisch präformierte, muskelschwache Pforte der Hypopharynxwand im Killian-Dreieck, oberhalb der Pars horizontalis des M. cricopharyngeus (. Abb. 24.11). Unbehandelt nehmen Zenker-Divertikel im Verlauf von Jahren deutlich an Größe zu. Entsprechend ihrer Größenausdehnung werden sie nach Brombart (1953) in 4 Stadien eingeteilt: 4 Im Stadium I hat das Divertikel im Profil die Form eines etwa 2–3 mm langen Rosendorns. 4 Im Stadium II zeigt das Divertikel die Form einer bis zu 10 mm langen Keule. 4 Das Divertikel des Stadiums III ist bereits länger als 10 mm und nach abwärts gerichtet. Das Divertikel liegt in der krikopharyngealen Impression am pharyngoösophagealem Übergang, komprimiert den Ösophagus aber noch nicht. 4 Im Stadium IV kann das Divertikel beträchtliche Größe erreichen. Es senkt sich zwischen Ösophagus und Wirbelsäule, sodass die Speiseröhre komprimiert und verdrängt wird (. Abb. 24.12). Symptomatik und Diagnostik
24
Dysphagie, Regurgitation unverdauter Nahrung, Globusgefühl und rezidivierende Aspiration sind die wesentlichen Symptome und Befunde des zervikalen Ösophagusdivertikels.
Indikationsstellung zur operativen Therapie Der Nachweis eines zervikalen Divertikels stellt – unabhängig vom momentanen Beschwerdebild und Brombart-Stadium – eine chirurgische Indikation dar, zumal das Operationsrisiko sehr gering ist und es im Verlauf von wenigen Jahren zu einer deutlichen Größenzunahme des Divertikels kommt (Cook u. Kahrilas 199; Ellis u. Crozier 1981). Nur in Ausnahmefällen können bei allgemein inoperablen Patienten konservative Maßnahmen erwogen werden, die allerdings meist erfolglos bleiben. Von klinischer Relevanz ist die Frage, ob vor einer geplanten chirurgischen Behandlung eines Zenker-Divertikels eine gastroösophageale Refluxkrankheit ausgeschlossen werden muss. Eine Reihe von Autoren vertritt die Ansicht, dass der obere Ösophagussphinkter einen Schutz vor Aspiration des gastroösophagealen Refluats in den Bronchialbaum darstellt (Feussner u. Siewert 1992). Unter dieser Vorstellung wäre bei Patienten mit ausgeprägtem gastroösophagealem Reflux die zervikale Myotomie lebensbedrohlich. Ein streng wissenschaftlicher Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese steht bislang jedoch aus. Wir empfehlen bei anamnestischen oder endoskopischen Hinweisen auf eine schwere Refluxkrankheit die Objektivierung durch eine Langzeit-pHMetrie. Nur bei medikamentös nicht kontrollierbarem Reflux wird die Indikation zur simultanen chirurgischen Behandlung des Zenker-Divertikels und der Refluxkrankheit gestellt (Feussner u. Siewert 1992). In der eigenen Erfahrung ist dies bei weniger als 2% der Patienten mit Zenker-Divertikel erforderlich. Operatives Vorgehen Über lange Zeit wurde diskutiert, ob die zervikale Myotomie als obligater Bestandteil der chirurgischen Behandlung des ZenkerDivertikels zu betrachten ist. Aus theoretischer Sicht ist das Rezidiv bei Verzicht auf die Myotomie vorprogrammiert (Shaw et al. 1996). Tatsächlich wird dies auch durch klinische Studien bestätigt, die nach Divertikulektomie ohne Myotomie deutlich höhere Rezidivraten und höhere Raten an frühpostoperativen lokalen Komplikationen (Wundinfekte, Fisteln, Mediastinitis) zeigen, als nach Divertikelabtragung mit Myotomie des oberen Ösophagussphinkters (Ellis u. Crozier 1981; Feussner u. Siewert 1999; Omote et al. 1999).
255 24.2 · Divertikel
24
. Abb. 24.12a,b. Radiographische Darstellung eines Zenker-Divertikels Brombart-Grad IV
In der klinischen Praxis hat sich heute die zervikale Myotomie als integraler Bestandteil der chirurgischen Behandlung des Zenker-Divertikels durchgesetzt (Bonavina et al. 1985; Feussner u. Siewert 1999; Orringer 1980).
Liegt ein kleines Divertikel vor (Brombart-Grad I–II), kann es belassen werden. Der Eingriff wird nach Therapie der zugrunde liegenden Funktionsstörung des oberen Ösophagussphinkters (zervikale Myotomie) beendet. Liegt ein großes Divertikel vor (Brombart-Grad III–IV), kann es nach oral hin fixiert (Divertikulopexie) oder abgetragen werden (Divertikulektomie; Ellis u. Crozier 198, Gutschow et al. 2002). Technisch erfolgt die Freilegung des pharyngoösophagealen Übergangs am besten durch eine Inzision entlang des Vorderrandes des linken M. sternocleidomastoideus. Der Eingriff erfolgt in Allgemeinnarkose mit dem Kopf des Patienten in Reklination
und Rechtsdrehung (Siewert u. Hölscher 1989). Die Durchführung des Eingriffs in lokaler Betäubung ist bei kooperativen Patienten grundsätzlich möglich. Ein besonderer Vorteil ist dabei, dass der Patient während der Operation aufgefordert werden kann zu schlucken. Hierdurch wird die Identifikation der Pars horizontalis des Musculus cricopharyngeus vor allem bei kleinen Divertikeln erheblich erleichtert. Die Präparation erfolgt vor der Gefäßnervenloge unter Durchtrennung des M. omohyoideus bis zur prävertebralen Faszie, wobei der Ösophagus, sofern er durch eine Magensonde geschient werden konnte, gut tastbar ist. Die Darstellung des Divertikels erfolgt vor der prävertebralen Faszie von lateral her, um die Gefahr einer Rekurrensläsion zu minimieren. Nach allseitiger Präparation des Divertikelsackes können nun die unmittelbar unterhalb des Divertikelhalses liegenden, horizontal verlaufenden Fasern des M. cricopharyngeus identifiziert und von kranial über ca. 2–4 cm nach kaudal gespalten werden. Hierdurch erfolgt die extramuköse Myotomie des funktionsgestörten oberen Ösophagussphinkters (. Abb. 24.13).
256
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
. Abb. 24.13a,b. Zervikale Myotomie und Divertikelabtragung: Nach allseitiger Präparation des Divertikelsackes und Divertikelhalses werden die unmittelbar unterhalb liegenden horizontal verlaufenden Fasern des M. cricopharyngeus identifiziert und von kranial her über eine Länge von
ca. 2–4 cm nach kaudal gespalten. Die Abtragung des Divertikels erfolgt am sichersten mit einem Klammernahtgerät (a). Eine Übernähung der Abtragungsstelle ist nicht erforderlich (b). Situs nach zervikaler Myotomie und Divertikelabtragung
Die vollständige Spaltung aller Muskelfasern ist für den weiteren Therapieerfolg entscheidend, da auch bei Belassen von nur kleinsten Muskelsträngen die Obstruktion persistieren kann.
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Das Absetzen des Divertikels erfolgt am sichersten durch einen linearen Klammernahtapparat (. Abb. 24.13a). Eine Übernähung der Klammernahtreihe ist nicht erforderlich (. Abb. 24.13b). Kleine Divertikel werden belassen und nach oben an der prävertebrale Faszie fixiert (. Abb. 24.14). Nach abschließender Wundkontrolle empfiehlt sich die Einlage einer geeigneten, weichen Drainage. Nur das Platysma wird mit resorbierbaren Einzelknopfnähten locker adaptiert. Im postoperativen Verlauf ist die Wunde sorgfältig zu kontrollieren. Lokale oder systemische Entzündungszeichen sollten immer Anlass geben, die Dichtigkeit der Ösophagusschleimhaut durch Röntgenkontrastdarstellung mit wasserlöslichem Kontrastmittel zu überprüfen. Etwaige Insuffizienzen heilen bei großzügiger Wiedereröffnung der Halswunde innerhalb von 2– 3 Wochen aus. Voraussetzung dafür ist eine gute Drainage des Sekrets nach außen. Ungenügend drainierte Insuffizienzen führen zur Mediastinitis und stellen eine vitale Bedrohung des Patienten dar. Zur Vermeidung von Nahtinsuffizienzen an der Divertikelabtragunsgstelle empfehlen verschiedene Autoren ein grundsätzliches Belassen und Pexieren des Divertikels parallel zum Hypopharynx an der Fascia praevertebralis (Divertikulopexie . Abb. 24.14). Die funktionellen Ergebnisse sind nach Divertikulopexie, sofern eine zervikale Myotomie durchgeführt wurde, der Divertikelabtragung vergleichbar. Als Alternative zum klassischen offenen Vorgehen wird die transorale Spaltung der
. Abb. 24.14. Divertikulopexie: Bei kleinen Divertikeln wird der Divertikelsack parallel zum Hypopharynx nach oben an der Fascia praevertebralis fixiert
257 24.2 · Divertikel
24
. Abb. 24.15a–c. Transorale Schwellenspaltung. a Einstellung der Schwelle zwischen Ösophagusmund und Divertikelöffnung mittels Stützlaryngoskop; b transorales Einführen des linearen Klammernahtgerätes; c Situs nach Auslösen des Klammernahtgeräts: V-förmige Öff-
nung der Schwelle zwischen Ösophagus und Divertikel; die Ränder sind durch Klammern verschlossen (Pfeile). E Ösophagusmund, C Schwelle zwischen Ösophagusmund und Divertikelöffnung, D Divertikel. (Nach Omote et al. 1999)
Schwelle zwischen Divertikelhals und Ösophagusmund mittels Laser oder Diathermie eingesetzt (Mulder u. van den Hazel 1999). Mit der Verfügbarkeit von Linearstaplern hat sich die transorale Schwellenspaltung als elegantes und sicheres Verfahren bewährt und wird zunehmend angewendet (Omote et al. 1999; Peracchia et al. 1998). Da eine vollständige Myotomie des oberen Ösophagussphinkters die entscheidende Voraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Behandlung des Hypopharynxdivertikels ist, kommen für die Schwellenspaltung allerdings nur Divertikel mit ausreichender Größe (Brombart-Grad III–IV) in Frage. Die Qualität des Staplerverfahrens ist durch Studien belegt: Bei kleinen Divertikeln (<3 cm) war die offene Operation noch überlegen, bei großen Divertikeln (>3 cm) waren aber beide Verfahren gleichwertig (Gutschow et al. 2002). Eine wesentliche Voraussetzung für die transorale Schwellenspaltung ist aufgrund der Rigidität der Linearstapler derzeit auch eine ausreichende Reklinierbarkeit des Kopfes. Mit der Entwicklung flexibler Klammernahtapparate wird sich diese Einschränkung jedoch wahrscheinlich relativieren (Bremner u. DeMeester 1999; Eubanks u. Pellegrini 1999; Pagliero 1985). Technisch erfolgt beim transoralen Vorgehen zunächst die Einstellung der Schwelle zwischen Ösophagusmund und Divertikelöffnung mittels modifiziertem Stützlaryngoskop in Intubationsnarkose (. Abb. 24.15a). Bei maximal rekliniertem Kopf wird dann das Klammernahtgerät mit der breiten Branche
in den proximalen Ösophagus, mit der schmalen Branche in den Divertikelhals eingeführt (. Abb. 24.15b). Durch das Auslösen des Klammernahtgerätes wird die Schwelle zwischen Ösophagus und Divertikel, und damit der dazwischen verlaufende M. cricopharyngeus, durchtrennt, und gleichzeitig die Durchtrennungslinie seitlich verklammert (. Abb. 24.15c). Es handelt sich also de facto um eine Myotomie. Der Divertikelsack verbleibt. 24.2.3 Epiphrenisches Divertikel Auch die epiphrenischen Divertikel sind klassische Pulsionsdivertikel. Sie entstehen als Folge eines erhöhten intraluminalen Drucks im distalen Ösophagus, auf dem Boden einer Öffnungsstörung des unteren Ösophagussphinkters oder, seltener, einer hypertensiven Funktionsstörung des distalen Ösophagus. Die zugrunde liegende Funktionsstörung ist entweder eine primäre Ösophagusmotilitätsstörung (hypermotile Achalasia, diffuser Ösophagospasmus) oder die Folge eines vorangegangenen chirurgischen Eingriffs im Bereich des ösophagogastralen Übergangs. Eine physiologische Muskellücke besteht im Bereich des distalen Ösophagus zwar nicht, jedoch konnte in anatomischen Untersuchungen eine Verdünnung der Muskulatur im linkslateralen Segment des distalen Ösophagus aufgezeigt werden (Lieber-
258
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
. Abb. 24.16a,b. Radiographische Darstellung eines typischen epiphrenischen Divertikels, das sich nach links lateral entwickelt
. Abb. 24.16a,b. Radiographische Darstellung eines typischen epiphrenischen Divertikels, das sich nach links lateral entwickelt
mann-Meffert et al. 2000). Dementsprechend entwickeln sich epiphrenische Divertikel in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nach links-lateral (. Abb. 24.16). Symptomatik und Diagnostik Patienten mit epiphrenischen Divertikeln berichten über Regurgitation, Dysphagie und/oder retrosternale Schmerzen. Diese Symptome sind häufig Ausdruck der zugrunde liegenden Motilitätsstörung und nicht des Divertikels. Epiphrenische Pulsionsdivertikel können alleine aufgrund ihrer Lokalisation gelegentlich nicht von parabronchialen Divertikeln unterschieden werden. Eine Ösophagusmanometrie ist zum Nachweis oder Ausschluss einer zugrunde liegenden Funktionsstörung obligat (Stein 1997).
24
Indikationsstellung zur operativen Therapie Beim epiphrenischen Divertikel wird die Indikation zum chirurgischen Vorgehen in Abhängigkeit von den röntgenologischen, endoskopischen und manometrischen Befunden sowie der Symptomatik gestellt (Allen 1999). Große Divertikel mit Speiseretention oder Regurgitation, Ulzera und Blutungen stellen eine absolute Indikation zur Divertikelabtragung und Myotomie dar. Kleinere Divertikel können sich nach Ausschaltung der Funktionsstörungen des unteren Ösophagussphinkters
(z. B. durch Myotomie oder pneumatische Dilatation) zurückbilden. Operatives Vorgehen Das Standardvorgehen beim epiphrenischem Divertikel ist die linkstransthorakale Freilegung und Divertikelabtragung (Allen 1999; Siewert u. Hölscher 1989). Der Erfolg der Operation hängt von der gleichzeitigen Mitbehandlung der zugrunde liegenden Funktionsstörung des distalen Ösophagus und unteren Ösophagussphinkters ab. Besteht eine hypertone Funktionsstörung oder Öffnungsstörung des unteren Ösophagussphinkters, ist auch hier die extramuköse Myotomie (wie bei der Achalasie) wesentliche Ergänzung der Divertikelabtragung (Allen 1999). Zur Verhinderung eines postoperativen Refluxes, Abdichtung etwaiger Mukosaläsionen und Verhinderung einer Vernarbung wird die Myotomie mit einem Funduszipfel gedeckt (Thal- oder Dor-Fundoplastik; . Abb. 24.17). Abtragung epiphrenischer Divertikel, distale Mytotomie des Ösophagus und Thal-Fundoplastik können in Zentren mit Erfahrung auch minimal-invasiv, auf laparoskopischem oder thorakoskopischem Wege, erfolgen (Chami et al. 1999; Rosati et al. 1998; Saw et al. 1998).
259 24.2 · Divertikel
24
. Abb. 24.17a,b. Epiphrenische Divertikel. a Präoperative Röntgenkontrastdarstellung, b Röntgenkontrastdarstellung nach laparoskopischer transhiataler Divertikelabtragung, Mytomie sowie Thal-Fundoplastik
24.2.4 Parabronchiales Divertikel Parabronchiale Divertikel sind typischerweise Traktionsdivertikel. Die gesamte Ösophaguswand ist ausgebuchtet, hervorgerufen durch Traktion von durch Entzündung adhärenten Lymphknoten. Zumeist sind parabronchiale Traktionsdivertikel im Zusammenhang mit einer spezifischen Lymphadenitis beschrieben worden, weshalb sie mit dem Rückgang der Tuberkulose ebenfalls seltener geworden sind. Der größere Teil der heute beobachteten parabronchialen Divertikel dürfte als Resultat einer unvollkommenen embryonalen Trennung der Luft- und Speiseröhre zu interpretieren sein, bei der es aufgrund einer persistierenden fibrösen Gewebebrücke zwischen beiden Organen und sekundärer Zugwirkung zur Ausbuchtung der Ösophaguswand kommt (Liebermann-Meffert et al. 2000). Symptomatik, Diagnostik, operativen Therapie Parabronchiale Traktionsdivertikel sind meist asymptomatisch und daher nur in Ausnahmefällen, bei eindeutiger divertikelassoziierter Symptomatik (Odynophagie, Dysphagie, Regurgitation oder chronische Aspiration), eine Operationsindikation. Eine absolute Indikation zur Intervention besteht nur bei Fistelbildung
zu den Atemwegen oder zum Mediastinum. Die Freilegung des Traktionsdivertikels erfolgt durch rechtsseitige Thorakotomie. Das Divertikel wird freipräpariert, ligiert und durch eine einstülpende Naht versorgt. Bei Vorliegen einer ösophagobronchialen Fistel muss diese isoliert versorgt werden, z. B. durch Interposition eines Muskellappens. 24.2.5 Ergebnisse der chirurgischen Therapie
der Ösophagusdivertikel Die langfristigen Ergebnisse der chirurgischen Therapie der Ösophagusdivertikel sind, unabhängig von ihrer Lokalisation und bei adäquater Indikationsstellung und Selektion des Therapieverfahrens, mit einer Erfolgsrate von über 90% überzeugend gut. Die Letalität liegt zwischen 0 und 1,4%. Komplikationen sind selten (Allen 1999; Cook u. Kahrilas 1999; Feussner u. Siewert 1999; Stein et al. 1992). Bei der zervikalen Myotomie und Divertikelabtragung bzw. Divertikulopexie ist in etwa 2% der Fälle mit einer (einseitigen) Rekurrensparese zu rechnen (Barthlen et al. 1990; Bonavina et al. 1985; Feussner u. Siewert 1999). In etwa der Hälfte der Fälle
260
24
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Submuköse Tumoren des Ösophagus
kommt es zur spontanen Rückbildung. Beim transoralen Vorgehen besteht praktisch kein Risiko einer Rekurrensparese (Omote et al. 1999; Peracchia et al. 1998). Postoperative Fisteln nach Abtragung von Pulsionsdivertikeln und distaler Myotomie werden in der Literatur mit einer Rate zwischen 1,0 und 2,5% angegeben. Unterbleibt die Myotomie, kommt es bei bis zu 15% der Patienten zur Fistelbildung. Die Häufigkeit der Entstehung eines Rezidivs steht ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang mit der Art des durchgeführten Eingriffes. Bei alleiniger Divertikelabtragung muss mit einer Rezidivquote von bis zu 16% gerechnet werden. Bei Ergänzung der Divertikelabtragung durch eine Myotomie des oberen Ösophagussphinkters bzw. durch adäquate Therapie der Funktionsstörung des unteren Ösophagussphinkters kann die Rate der postoperativen Rezidive auf unter 5% gesenkt werden (Allen 1999; Belsey 1966; Cook u. Kahrilas 1999; Feussner u. Siewert 1999; Stein et al. 1992).
24.3
Literatur
24.3.1 Symptomatik und Diagnostik
Barthlen W, Feussner H, Hannig Ch, Hölscher AH, Siewert JR (1990) Surgical therapy of Zenker’s diverticulum: Low risk and high efficiency. Dysphagia 5:13–19 Bonavina L, Khan NA, DeMeester TR (1985) Pharyngoesophageal dysfunction. The role of cricopharyngeal myotomy. Arch Surg 120:541–549 Bremner CG, DeMeester TR (1999) Endoscopic treatment of Zenker’s diverticulum. Gastrointest Endosc 49:126–128 Brombart M (1953) Le diverticule pharyngo-oesophagien de Zenker. Considerations pathogenetiques. J Belg Radiol 76:128 Cook JI, Kahrilas PJ (1999) AGA technical review on management of oropharyngeal dysphagia. Gastroenterology 116:455–478 Ekberg O (1999) Neue chirurgisch-pathologische Aspekte des ZenkerDivertikels. Diagnostische Bildgebung und Funktionsanalyse. Chirurg 70:747–752 Feussner H, Siewert JR (1999) Traditionelle extraluminale Operation des Zenker-Divertikels. Chirurg 70:753–756 Gutschow CA, Hamoir M, Rombaux P, Otte JB, Goncette L, Collard JM (2002) Management of pharyngoesophageal (Zenker’s) diverticulum: which technique? Ann Thorac Surg 74:1677–1682 Herter B, Dittler HJ, Wuttge-Hannig A, Siewert JR (1997) Intramural pseudodiverticulosis of the esophagus: a case series. Endoscopy 29:109–113 Liebermann-Meffert D, Stein HJ, Duranceau A (2006) Anatomy and embryology of the esophagus. In: Orringer MB (ed) Shackelford’s surgery of the alimentary tract, vol I. WB Saunders, Philadelphia (in Druck) Omote K, Feussner H, Stein HJ, Siewert JR (1999) Endoscopic stapling diverticulostomy for Zenker’s diverticulum. Surg Endosc 13:535–538 Peters JH, Mason R (1999) Die pathophysiologische Basis des ZenkerDivertikels. Chirurg 70:741–746 Rosati R, Fumagalli U, Bona S, Bonavina L, Peracchia A (1998) Diverticulectomy, myotomy, and fundoplication through laparoscopy: a new option to treat epiphrenic esophageal diverticula? Ann Surg 227: 174–178 Saw EC, McDonald TP, Kam NT (1998) Video-assisted thoracoscopic resection of an epiphrenic diverticulum with esophagomyotomy and partial fundoplication. Surg Laparosc Endosc 8:145–148 Stein HJ, DeMeester, Hinder RA (1992) Outpatient physiologic testing and surgical management of foregut motility disorders. Cur Probl Surg, 29:415–555 Zenker FA, von Ziemsen H (1874) Krankheiten des Oesophagus. In: von Ziemsen H (Hrsg) Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie; vol 7 (suppl), pp 1–87. Vogel, Leipzig
Das führende Symptom bei Patienten mit submukösen Ösophagustumoren ist die Dysphagie, seltener auch Odynophagie oder eine Refluxsymptomatik. Diagnostische Mittel der Wahl sind die Kontrastmittel-Schluckuntersuchung und die Endoskopie. Die Pharyngoösophagographie zeigt meist den sich mit glatter Oberfläche in das ösophageale Lumen vorwölbenden und damit die Obstruktion verursachenden Tumor (. Abb. 24.18). Auch für die Höhenlokalisation ist diese Untersuchungsmethode am besten geeignet. Die Endoskopie zeigt eine Schleimhautvorwölbung und die – je nach Tumorgröße variable – Lumenobstruktion. Die Schleimhaut selbst ist intakt. Verifizieren lässt sich ein submuköser Ösophagustumor durch den endoskopischen Ultraschall. Verzichtet werden sollte auf die Entnahme einer Biopsie, da hierdurch die Tumorenukleation erschwert werden kann (Bonavina et al. 1995). Nicht obligat, sondern nur bei Verdacht auf Malignität indiziert, ist eine Computertomographie.
) ) Unter submuköse Tumoren (»submucosal tumors; SMTs) des Ösophagus werden verschiedene histologische Entitäten subsumiert, denen das submuköse, intramurale Wachstumsmuster gemeinsam ist. Am häufigsten sind Leiomyome (ca. 70%), aber auch andere mesenchymale Tumoren kommen vor (z. B. Rhabdomyome, Fibrome etc.). Meistens handelt es sich um benigne Tumoren. Bisweilen kommen aber auch GIST-Tumoren vor, die im Ösophagus jedoch wesentlich seltener sind als z. B. im Magen. Eine Operationsindikation besteht, wenn die Tumoren symptomatisch sind (zumeist Dysphagie) oder die Dignität – z. B. bei beobachteter Größenzunahme – unklar ist. Operatives Prinzip ist die Enukleation des Tumors, die auch in minimal-invasiver Technik durchgeführt werden kann (von Rahden et al. 2004).
24.3.2 Operative Therapie Die operative Therapie ist indiziert, wenn der Tumor symptomatisch, oder die Dignität unklar ist. Das chirurgische Prinzip zur Behandlung der SMT ist die Enukleation. Der zumeist von einer bindegewebigen Kapsel umgebene Tumor wird in toto aus seinem Tumorlager »herausgeschält« (enukleiert). Zuvor müssen Serosa und Muskularis längs inzidiert werden, unter sicherer Schonung der Vagusäste. Die Enukleation submuköser Ösophagustumoren lässt sich auch sehr gut in minimal-invasiver Technik durchführen (von Rahden et al. 2004). Verwendet wird sowohl die Thokoskopie (. Abb. 24.19) als auch – bei durch transhiatale Präparation erreichbaren Tumoren – die Laparoskopie. Als hilfreich hat sich die Verwendung einer simultanen Endoskopie erwiesen (sog. »Rendezvousverfahren«; Pross et al. 2004; von Rahden et al. 2004): Die simultane Endoskopie ist hilfreich bei der exakten Lokalisation des Tumors, wobei insbesondere der Diaphanoskopieeffekt des im Ösophagus leuchtenden Endoskops eine wertvolle Hilfe bei der Präparation darstellt. Die Überwachung der Präparation von intraluminal aus hilft ferner die Integrität der Mukosa sicherzustellen.
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Submuköse Tumoren des Ösophagus
kommt es zur spontanen Rückbildung. Beim transoralen Vorgehen besteht praktisch kein Risiko einer Rekurrensparese (Omote et al. 1999; Peracchia et al. 1998). Postoperative Fisteln nach Abtragung von Pulsionsdivertikeln und distaler Myotomie werden in der Literatur mit einer Rate zwischen 1,0 und 2,5% angegeben. Unterbleibt die Myotomie, kommt es bei bis zu 15% der Patienten zur Fistelbildung. Die Häufigkeit der Entstehung eines Rezidivs steht ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang mit der Art des durchgeführten Eingriffes. Bei alleiniger Divertikelabtragung muss mit einer Rezidivquote von bis zu 16% gerechnet werden. Bei Ergänzung der Divertikelabtragung durch eine Myotomie des oberen Ösophagussphinkters bzw. durch adäquate Therapie der Funktionsstörung des unteren Ösophagussphinkters kann die Rate der postoperativen Rezidive auf unter 5% gesenkt werden (Allen 1999; Belsey 1966; Cook u. Kahrilas 1999; Feussner u. Siewert 1999; Stein et al. 1992).
24.3
Literatur
24.3.1 Symptomatik und Diagnostik
Barthlen W, Feussner H, Hannig Ch, Hölscher AH, Siewert JR (1990) Surgical therapy of Zenker’s diverticulum: Low risk and high efficiency. Dysphagia 5:13–19 Bonavina L, Khan NA, DeMeester TR (1985) Pharyngoesophageal dysfunction. The role of cricopharyngeal myotomy. Arch Surg 120:541–549 Bremner CG, DeMeester TR (1999) Endoscopic treatment of Zenker’s diverticulum. Gastrointest Endosc 49:126–128 Brombart M (1953) Le diverticule pharyngo-oesophagien de Zenker. Considerations pathogenetiques. J Belg Radiol 76:128 Cook JI, Kahrilas PJ (1999) AGA technical review on management of oropharyngeal dysphagia. Gastroenterology 116:455–478 Ekberg O (1999) Neue chirurgisch-pathologische Aspekte des ZenkerDivertikels. Diagnostische Bildgebung und Funktionsanalyse. Chirurg 70:747–752 Feussner H, Siewert JR (1999) Traditionelle extraluminale Operation des Zenker-Divertikels. Chirurg 70:753–756 Gutschow CA, Hamoir M, Rombaux P, Otte JB, Goncette L, Collard JM (2002) Management of pharyngoesophageal (Zenker’s) diverticulum: which technique? Ann Thorac Surg 74:1677–1682 Herter B, Dittler HJ, Wuttge-Hannig A, Siewert JR (1997) Intramural pseudodiverticulosis of the esophagus: a case series. Endoscopy 29:109–113 Liebermann-Meffert D, Stein HJ, Duranceau A (2006) Anatomy and embryology of the esophagus. In: Orringer MB (ed) Shackelford’s surgery of the alimentary tract, vol I. WB Saunders, Philadelphia (in Druck) Omote K, Feussner H, Stein HJ, Siewert JR (1999) Endoscopic stapling diverticulostomy for Zenker’s diverticulum. Surg Endosc 13:535–538 Peters JH, Mason R (1999) Die pathophysiologische Basis des ZenkerDivertikels. Chirurg 70:741–746 Rosati R, Fumagalli U, Bona S, Bonavina L, Peracchia A (1998) Diverticulectomy, myotomy, and fundoplication through laparoscopy: a new option to treat epiphrenic esophageal diverticula? Ann Surg 227: 174–178 Saw EC, McDonald TP, Kam NT (1998) Video-assisted thoracoscopic resection of an epiphrenic diverticulum with esophagomyotomy and partial fundoplication. Surg Laparosc Endosc 8:145–148 Stein HJ, DeMeester, Hinder RA (1992) Outpatient physiologic testing and surgical management of foregut motility disorders. Cur Probl Surg, 29:415–555 Zenker FA, von Ziemsen H (1874) Krankheiten des Oesophagus. In: von Ziemsen H (Hrsg) Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie; vol 7 (suppl), pp 1–87. Vogel, Leipzig
Das führende Symptom bei Patienten mit submukösen Ösophagustumoren ist die Dysphagie, seltener auch Odynophagie oder eine Refluxsymptomatik. Diagnostische Mittel der Wahl sind die Kontrastmittel-Schluckuntersuchung und die Endoskopie. Die Pharyngoösophagographie zeigt meist den sich mit glatter Oberfläche in das ösophageale Lumen vorwölbenden und damit die Obstruktion verursachenden Tumor (. Abb. 24.18). Auch für die Höhenlokalisation ist diese Untersuchungsmethode am besten geeignet. Die Endoskopie zeigt eine Schleimhautvorwölbung und die – je nach Tumorgröße variable – Lumenobstruktion. Die Schleimhaut selbst ist intakt. Verifizieren lässt sich ein submuköser Ösophagustumor durch den endoskopischen Ultraschall. Verzichtet werden sollte auf die Entnahme einer Biopsie, da hierdurch die Tumorenukleation erschwert werden kann (Bonavina et al. 1995). Nicht obligat, sondern nur bei Verdacht auf Malignität indiziert, ist eine Computertomographie.
) ) Unter submuköse Tumoren (»submucosal tumors; SMTs) des Ösophagus werden verschiedene histologische Entitäten subsumiert, denen das submuköse, intramurale Wachstumsmuster gemeinsam ist. Am häufigsten sind Leiomyome (ca. 70%), aber auch andere mesenchymale Tumoren kommen vor (z. B. Rhabdomyome, Fibrome etc.). Meistens handelt es sich um benigne Tumoren. Bisweilen kommen aber auch GIST-Tumoren vor, die im Ösophagus jedoch wesentlich seltener sind als z. B. im Magen. Eine Operationsindikation besteht, wenn die Tumoren symptomatisch sind (zumeist Dysphagie) oder die Dignität – z. B. bei beobachteter Größenzunahme – unklar ist. Operatives Prinzip ist die Enukleation des Tumors, die auch in minimal-invasiver Technik durchgeführt werden kann (von Rahden et al. 2004).
24.3.2 Operative Therapie Die operative Therapie ist indiziert, wenn der Tumor symptomatisch, oder die Dignität unklar ist. Das chirurgische Prinzip zur Behandlung der SMT ist die Enukleation. Der zumeist von einer bindegewebigen Kapsel umgebene Tumor wird in toto aus seinem Tumorlager »herausgeschält« (enukleiert). Zuvor müssen Serosa und Muskularis längs inzidiert werden, unter sicherer Schonung der Vagusäste. Die Enukleation submuköser Ösophagustumoren lässt sich auch sehr gut in minimal-invasiver Technik durchführen (von Rahden et al. 2004). Verwendet wird sowohl die Thokoskopie (. Abb. 24.19) als auch – bei durch transhiatale Präparation erreichbaren Tumoren – die Laparoskopie. Als hilfreich hat sich die Verwendung einer simultanen Endoskopie erwiesen (sog. »Rendezvousverfahren«; Pross et al. 2004; von Rahden et al. 2004): Die simultane Endoskopie ist hilfreich bei der exakten Lokalisation des Tumors, wobei insbesondere der Diaphanoskopieeffekt des im Ösophagus leuchtenden Endoskops eine wertvolle Hilfe bei der Präparation darstellt. Die Überwachung der Präparation von intraluminal aus hilft ferner die Integrität der Mukosa sicherzustellen.
261 24.4 · Heterotope Magenmukosa im Ösophagus
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Literatur Bonavina L, Segalin A, Rosati R, Pavanello M, Peracchia A (1995) Surgical therapy of esophageal leiomyoma. J Am Coll Surg 181:257–262 Pross M, von Rahden BHA, Schubert D, Feussner H (2004) Rendezvousverfahren im Bereich des Ösophagus. Chir Gastroenterol 20:100–104 von Rahden BHA, Stein HJ, Feussner H, Siewert JR (2004) Enucleation of submucosal tumors of the esophagus: minimally invasive versus open approach. Surg Endosc 18:924–930
24.4
Heterotope Magenmukosa im Ösophagus
) ) Heterotope (oder auch ektope) Magenschleimhaut (»heterotopic gastric mucosa«, HGM) kommt in verschiedensten Lokalisationen des Gastrointestinaltraktes vor: Diese als Relikt der Embyronalentwicklung angesehenen Schleimhautinseln sind u. a. am Zungengrund, im Duodenum, im Jejunum, in der Gallenblase, im Rektum und in Meckel-Divertikeln beschrieben. Im Ösophagus findet sich heterotope Magenmukosa bisweilen unmittelber unterhalb des oberen Ösophagussphinkters. Handelt es sich um eine makroskopisch sichtbare Magenschleimhautinsel, so spricht man auch vom sog. »Inlet-Patch« oder »gastric inlet patch«. Heterotope Magenmukosa kann für Symptome verantwortlich sein und zu Komplikationen führen (von Rahden et al. 2004).
24.4.1 Epidemiologie und Diagnostik
. Abb. 24.18. Die Pharyngoösophagographie (Schluckuntersuchung mit Konstrastmittel) zeigt ein glattberandete Kontrastmittelaussparung, verursacht durch ein das Ösophaguslumen obstruhierendes Leiomyom
Die Häufigkeit heterotoper Magenmukosa im Ösophagus wird unterschätzt. Dies liegt zumindest zum Teil an der Schwierigkeit, den Prädilektionsort (die Region unmittelbar unterhalb des oberen Ösophagussphinkters) zu untersuchen: Diese Region liegt knapp unterhalb des vom HNO-Arzt mit dem starren Endoskop einsehbaren Bereich und ist auch bei der flexiblen Endoskopie
. Abb. 24.19. Typischer thorakoskopischer Aspekt eines Leiomyoms, das sich, in der Wand der Speiseröhre gelegen, auch in die Pleurahöhle vorwölbt. Zu sehen ist der nach anterior retrahierte Lungenlappen, der Nervus phrenicus und die Vena azygos mit den einmündenden Interkostalvenen
. Abb. 24.20. Endoskopische Darstellung einer großen makroskopisch sichtbaren Insel heterotoper Magenschleimhaut, unmittelbar unter dem oberen Ösophagussphinkter (Inlet-Patch)
261 24.4 · Heterotope Magenmukosa im Ösophagus
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Literatur Bonavina L, Segalin A, Rosati R, Pavanello M, Peracchia A (1995) Surgical therapy of esophageal leiomyoma. J Am Coll Surg 181:257–262 Pross M, von Rahden BHA, Schubert D, Feussner H (2004) Rendezvousverfahren im Bereich des Ösophagus. Chir Gastroenterol 20:100–104 von Rahden BHA, Stein HJ, Feussner H, Siewert JR (2004) Enucleation of submucosal tumors of the esophagus: minimally invasive versus open approach. Surg Endosc 18:924–930
24.4
Heterotope Magenmukosa im Ösophagus
) ) Heterotope (oder auch ektope) Magenschleimhaut (»heterotopic gastric mucosa«, HGM) kommt in verschiedensten Lokalisationen des Gastrointestinaltraktes vor: Diese als Relikt der Embyronalentwicklung angesehenen Schleimhautinseln sind u. a. am Zungengrund, im Duodenum, im Jejunum, in der Gallenblase, im Rektum und in Meckel-Divertikeln beschrieben. Im Ösophagus findet sich heterotope Magenmukosa bisweilen unmittelber unterhalb des oberen Ösophagussphinkters. Handelt es sich um eine makroskopisch sichtbare Magenschleimhautinsel, so spricht man auch vom sog. »Inlet-Patch« oder »gastric inlet patch«. Heterotope Magenmukosa kann für Symptome verantwortlich sein und zu Komplikationen führen (von Rahden et al. 2004).
24.4.1 Epidemiologie und Diagnostik
. Abb. 24.18. Die Pharyngoösophagographie (Schluckuntersuchung mit Konstrastmittel) zeigt ein glattberandete Kontrastmittelaussparung, verursacht durch ein das Ösophaguslumen obstruhierendes Leiomyom
Die Häufigkeit heterotoper Magenmukosa im Ösophagus wird unterschätzt. Dies liegt zumindest zum Teil an der Schwierigkeit, den Prädilektionsort (die Region unmittelbar unterhalb des oberen Ösophagussphinkters) zu untersuchen: Diese Region liegt knapp unterhalb des vom HNO-Arzt mit dem starren Endoskop einsehbaren Bereich und ist auch bei der flexiblen Endoskopie
. Abb. 24.19. Typischer thorakoskopischer Aspekt eines Leiomyoms, das sich, in der Wand der Speiseröhre gelegen, auch in die Pleurahöhle vorwölbt. Zu sehen ist der nach anterior retrahierte Lungenlappen, der Nervus phrenicus und die Vena azygos mit den einmündenden Interkostalvenen
. Abb. 24.20. Endoskopische Darstellung einer großen makroskopisch sichtbaren Insel heterotoper Magenschleimhaut, unmittelbar unter dem oberen Ösophagussphinkter (Inlet-Patch)
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
nur beim vorsichtigen, schrittweisen Rückzug inspizierbar. Dennoch sollte jede endoskopische Untersuchung des oberen Gastrointestinaltraktes die Inspektion auf einen makroskopisch sichtbaren Inlet-Patch einschließen (. Abb. 24.20). Die Häufigkeit der ösophagealen heterotopen Magenmukosa wird in historischen Serien auf 0,67% (Taylor 1927) bis zu 70% (wenn mikroskopische Areale einbezogen wurden; Schridde 1904) beziffert. In der größten Autopsieserie (Rector u. Connerly 1941) betrug die Häufigkeit 4,5%. 24.4.2 Pathophysiologie, Symptomatik
und Klassifikation Die Mehrzahl der Träger heterotoper Magenmukosa ist asymptomatisch. Allerdings kann ein Inlet-Patch auch für Symptome verantwortlich sein. Als ursächlich wird hier eine Säuresekretion durch die heterotope Magenschleimhaut angesehen (Galan et al. 1998). Auch eine maligne Entartung hetertoper Magenmukosa ist beschrieben (von Rahden et al. 2005). 24.4.3 Operative Therapie Die Mehrzahl der HGM-Träger ist asymptomatisch und bedarf – in Anbetracht des geringen Entartungsrisikos – keiner Therapie. Die Frage, ob und wann eine Biopsie indiziert ist, kann derzeit nicht sicher beantwortet werden. Empfehlenswert ist jedoch die Abklärung makromorphologisch sichtbarer Befunde zur Unterscheidung benigner oder maligner Inlet-Patch-Komplikationen. Ebensowenig wie diagnostische Standards verfügbar sind, gibt es Standards für die Therapie. Im Falle der malignen Progression sollte nach den Prinzipien der Behandlung anderer maligner Läsionen der zervikalen Speiseröhre vorgegangen werden (von Rahden et al. 2005). Für benigne Inlet-Patch-Komplikationen (wie z. B. symptomatische Säuresekretion, Stenosen) kommen medikamentöse und endoskopisch-endoluminale Therapieverfahren in Betracht.
Literatur Galan AR, Katzka DA, Castell DO (1998) Acid secretion from an esophageal inlet patch demonstrated by ambulatory pH monitoring. Gastroenterology 115:1574–1576 von Rahden BHA, Stein HJ, Becker K, Liebermann-Meffert D, Siewert JR (2004) Heterotopic gastric mucosa of the esophagus. Literaturereview and proposal of a clinicopathologic classification. Am J Gastroenterol 99:543–551 von Rahden BHA, Stein HJ, Becker K, Siewert JR (2005) Complete response of a rare cervical esophageal adenocarcinoma in heterotopic gastric mucosa to neoadjuvant radiochemotherapy. Dig Surg 22:107–112
24
24.5
Ringe, Webs, Infektionen, Ulzera
) ) Man unterscheidet im distalen Ösophagus muskuläre Ringe und Mukosaringe (sog. Schatzki-Ring). Webs sind irreguläre, asymmetrische, membranartige Einengungen des Hypopharynx oder Ösophagus. Infektionen des Ösophagus kommen überwiegend bei immunsupprimierten Patienten und Patienten mit malignen Tumoren vor. Die häufigsten Erreger sind Kandida, Zytomegalievirus und Herpes-simplex-Virus. Arzneimittelulzera in der Speiseröhre entstehen durch Auflösung von Tabletten oder Kapseln im Ösophagus, bei zugrunde liegender Motilitätsstörung, Stenose oder falscher Einnahme.
24.5.1 Ösophagusringe »Muskuläre Ringe« oder »kontraktile Ringe« der Speiseröhre sind durch eine lokale Verdickung der Muscularis propria verursacht. Es handelt sich um in ihrer Weite rasch wechselnde und relativ breitbasige Einengungen des Ösophaguslumens im Bereich des unteren Ösophagussphinkters (Hirano et al. 2000). In der radiologischen Literatur werden sie auch als »A-Ringe« bezeichnet. Die klinische Relevanz dieser Ringe ist fraglich. Entsprechend der Definition des Erstbeschreibers (Schatzki u. Gray 1953, 1956) handelt es sich beim Schatzki-Ring um eine membranartige ringförmige Einengung des Ösophaguslumens am Oberrand einer Hiatushernie. Der Ring trägt Plattenepithel an der Ober- und Zylinderepithel an der Unterseite. In der radiologischen Nomenklatur wird hierfür synonym auch der Begriff »B-Ring« verwendet. Eine ringförmige Einengung des Ösophaguslumens ohne Nachweis einer Hiatushernie sollte gemäß dieser Definition nicht als Schatzki-Ring bezeichnet werden. Abzugrenzen sind die Ösophagusringe von den eigentlichen Ösophagusstenosen oder Strikturen. Ätiologie und Pathogenese Ätiologie und Pathogenese der muskulären Ringe sind nicht bekannt. Häufig kann bei sorgfältiger manometrischer Untersuchung jedoch eine Motilitätsstörung im Bereich des Ringes aufgezeigt werden (Hirano et al. 2000). Ob diese Ursache oder Folge des Ringes darstellt, ist unklar. Schatzki-Ringe werden überwiegend im mittleren und höheren Lebensalter diagnostiziert und stellen deshalb wahrscheinlich keine angeborene Missbildung, sondern eine erworbene Veränderung dar. Ein kausaler Zusammenhang mit der Refluxkrankheit oder medikamenteninduzierten Schleimhautläsionen wurde zwar wiederholt postuliert, ist jedoch nicht bewiesen (DeVault 1996; Jamieson et al. 1989; Ott et al. 1996). Pathologischanatomisch ist das Epithel intakt und entzündliche Infiltrate fehlen. In der Submukosa findet sich eine Vermehrung von Kollagen, das als morphologisches Substrat des Rings angesehen wird. Klinisches Bild und Diagnostik Muskuläre Ringe werden meist als radiologischer Zufallsbefund diagnostiziert und sind nur selten symptomatisch. Ein SchatzkiRing von weniger als 13 mm Durchmesser kann Dysphagie verursachen. Typisch sind intermittierende Beschwerden mit beschwerdefreien Intervallen. Gelegentlich kommt es zur Bolus-
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
nur beim vorsichtigen, schrittweisen Rückzug inspizierbar. Dennoch sollte jede endoskopische Untersuchung des oberen Gastrointestinaltraktes die Inspektion auf einen makroskopisch sichtbaren Inlet-Patch einschließen (. Abb. 24.20). Die Häufigkeit der ösophagealen heterotopen Magenmukosa wird in historischen Serien auf 0,67% (Taylor 1927) bis zu 70% (wenn mikroskopische Areale einbezogen wurden; Schridde 1904) beziffert. In der größten Autopsieserie (Rector u. Connerly 1941) betrug die Häufigkeit 4,5%. 24.4.2 Pathophysiologie, Symptomatik
und Klassifikation Die Mehrzahl der Träger heterotoper Magenmukosa ist asymptomatisch. Allerdings kann ein Inlet-Patch auch für Symptome verantwortlich sein. Als ursächlich wird hier eine Säuresekretion durch die heterotope Magenschleimhaut angesehen (Galan et al. 1998). Auch eine maligne Entartung hetertoper Magenmukosa ist beschrieben (von Rahden et al. 2005). 24.4.3 Operative Therapie Die Mehrzahl der HGM-Träger ist asymptomatisch und bedarf – in Anbetracht des geringen Entartungsrisikos – keiner Therapie. Die Frage, ob und wann eine Biopsie indiziert ist, kann derzeit nicht sicher beantwortet werden. Empfehlenswert ist jedoch die Abklärung makromorphologisch sichtbarer Befunde zur Unterscheidung benigner oder maligner Inlet-Patch-Komplikationen. Ebensowenig wie diagnostische Standards verfügbar sind, gibt es Standards für die Therapie. Im Falle der malignen Progression sollte nach den Prinzipien der Behandlung anderer maligner Läsionen der zervikalen Speiseröhre vorgegangen werden (von Rahden et al. 2005). Für benigne Inlet-Patch-Komplikationen (wie z. B. symptomatische Säuresekretion, Stenosen) kommen medikamentöse und endoskopisch-endoluminale Therapieverfahren in Betracht.
Literatur Galan AR, Katzka DA, Castell DO (1998) Acid secretion from an esophageal inlet patch demonstrated by ambulatory pH monitoring. Gastroenterology 115:1574–1576 von Rahden BHA, Stein HJ, Becker K, Liebermann-Meffert D, Siewert JR (2004) Heterotopic gastric mucosa of the esophagus. Literaturereview and proposal of a clinicopathologic classification. Am J Gastroenterol 99:543–551 von Rahden BHA, Stein HJ, Becker K, Siewert JR (2005) Complete response of a rare cervical esophageal adenocarcinoma in heterotopic gastric mucosa to neoadjuvant radiochemotherapy. Dig Surg 22:107–112
24
24.5
Ringe, Webs, Infektionen, Ulzera
) ) Man unterscheidet im distalen Ösophagus muskuläre Ringe und Mukosaringe (sog. Schatzki-Ring). Webs sind irreguläre, asymmetrische, membranartige Einengungen des Hypopharynx oder Ösophagus. Infektionen des Ösophagus kommen überwiegend bei immunsupprimierten Patienten und Patienten mit malignen Tumoren vor. Die häufigsten Erreger sind Kandida, Zytomegalievirus und Herpes-simplex-Virus. Arzneimittelulzera in der Speiseröhre entstehen durch Auflösung von Tabletten oder Kapseln im Ösophagus, bei zugrunde liegender Motilitätsstörung, Stenose oder falscher Einnahme.
24.5.1 Ösophagusringe »Muskuläre Ringe« oder »kontraktile Ringe« der Speiseröhre sind durch eine lokale Verdickung der Muscularis propria verursacht. Es handelt sich um in ihrer Weite rasch wechselnde und relativ breitbasige Einengungen des Ösophaguslumens im Bereich des unteren Ösophagussphinkters (Hirano et al. 2000). In der radiologischen Literatur werden sie auch als »A-Ringe« bezeichnet. Die klinische Relevanz dieser Ringe ist fraglich. Entsprechend der Definition des Erstbeschreibers (Schatzki u. Gray 1953, 1956) handelt es sich beim Schatzki-Ring um eine membranartige ringförmige Einengung des Ösophaguslumens am Oberrand einer Hiatushernie. Der Ring trägt Plattenepithel an der Ober- und Zylinderepithel an der Unterseite. In der radiologischen Nomenklatur wird hierfür synonym auch der Begriff »B-Ring« verwendet. Eine ringförmige Einengung des Ösophaguslumens ohne Nachweis einer Hiatushernie sollte gemäß dieser Definition nicht als Schatzki-Ring bezeichnet werden. Abzugrenzen sind die Ösophagusringe von den eigentlichen Ösophagusstenosen oder Strikturen. Ätiologie und Pathogenese Ätiologie und Pathogenese der muskulären Ringe sind nicht bekannt. Häufig kann bei sorgfältiger manometrischer Untersuchung jedoch eine Motilitätsstörung im Bereich des Ringes aufgezeigt werden (Hirano et al. 2000). Ob diese Ursache oder Folge des Ringes darstellt, ist unklar. Schatzki-Ringe werden überwiegend im mittleren und höheren Lebensalter diagnostiziert und stellen deshalb wahrscheinlich keine angeborene Missbildung, sondern eine erworbene Veränderung dar. Ein kausaler Zusammenhang mit der Refluxkrankheit oder medikamenteninduzierten Schleimhautläsionen wurde zwar wiederholt postuliert, ist jedoch nicht bewiesen (DeVault 1996; Jamieson et al. 1989; Ott et al. 1996). Pathologischanatomisch ist das Epithel intakt und entzündliche Infiltrate fehlen. In der Submukosa findet sich eine Vermehrung von Kollagen, das als morphologisches Substrat des Rings angesehen wird. Klinisches Bild und Diagnostik Muskuläre Ringe werden meist als radiologischer Zufallsbefund diagnostiziert und sind nur selten symptomatisch. Ein SchatzkiRing von weniger als 13 mm Durchmesser kann Dysphagie verursachen. Typisch sind intermittierende Beschwerden mit beschwerdefreien Intervallen. Gelegentlich kommt es zur Bolus-
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impaktation. Die Röntgenkontrastdarstellung zeigt typischerweise eine membran- oder ringartige Einschnürung am Oberrand einer axialen Hiatushernie. Angedeutete ringartige Strukturen lassen sich in der Mehrzahl der Patienten mit axialen Hiatushernien nachweisen. Voraussetzung für die Diagnose ist eine Distension des unteren Ösophagusdrittels bei der Untersuchung und Provokation mit einem soliden Bolus (Smith et al. 1998). Endoskopisch findet sich beim Schatzki-Ring eine Membran mit intakter Schleimhaut. Therapie Eine spezifische Therapie ist nur bei symptomatischen Patienten erforderlich. Die Dilatation stellt die Therapie der Wahl beim symtomatischen muskulären Ring dar. Dünne Schatzki-Ringe können leicht durch Vorschieben des Endoskops zerrissen werden. Bei festeren Ringen werden bei 0°, 90°, 180° und 270° endoskopisch größere Biopsien entnommen. Alternativ kann auch eine pneumatische Dilatation oder Bougierung erfolgen. In einer randomiserten Studie zeigte sich kein Unterschied zwischen Bougierungsbehandlung und endoskopischer Quadrantenbiopsie (Chotiprasidhi u. Minocha 2000). Unabhängig vom Therapieverfahren sollte bei Patienten mit assozierter Refluxkrankheit eine Rezidivprophylaxe mit medikamentöser Säuresuppression oder, alternativ, laparoskopischer Fundoplikation erfolgen. Bei Bolusimpaktationen ist die Mobilisation des Bolus mit dem Endoskop, der endoskopischen Biopsie- oder Fremdkörperzange möglich. Auch die Auflösung eines impaktierten Fleischbolus mit Papain-Lösung oder eines anderen Fleischweichmachers kann versucht werden. 24.5.2 Ösophageale Webs Die irregulären Einengungen von Hypopharynx oder Ösophagus werden auch als »Spinnengeflecht« bezeichnet. Bei gleichzeitigem Vorliegen einer sideropenischen Anämie werden synonym die Begriffe Plummer-Vinson-Syndrom, Patterson-Kelly-Syndrom oder sideropenische Dysphagie verwendet. Das typische Web sitzt an der Ösophagusvorderwand direkt unterhalb der postkrikoidalen Impression, d. h. am Unterrand des oberen Ösophagussphinkters. Eine zweite häufige Lokalisation ist der Hypopharynx. Sehr selten werden Webs im mittleren und unteren Ösophagusdrittel beschrieben. Ätiologie und Pathogenese Ätiologie und Pathogenese der Webs sind nicht bekannt. In den Vereinigten Staaten, England und Skandinavien werden Webs v. a. bei Frauen des mittleren Lebensalters mit chronischer Eisenmangelanämie beschrieben. In Zentraleuropa findet sich bei den meisten Patienten mit Web keine Anämie. Zudem hängt die Häufigkeit der Diagnosenstellung, wie bei den Ösophagusringen, von der Untersuchungstechnik und der Aufmerksamkeit des Radiologen ab. Bei entsprechender Technik finden sich webartige Strukturen bei mehr als 5% der asymptomatischen Bevölkerung. Pathologisch-anatomisch ist das Web von intaktem Epithel überzogen. Eine maligne Entartung von Webs ist beschrieben, scheint allerdings eine extreme Seltenheit zu sein. Klinisches Bild und Diagnostik Beim postkrikoidalen Web kann es intermittierend zu Dysphagie, v. a. für feste Speisen, kommen. Der Patient beschreibt beim
24
Schlucken eine Regurgitation von Nahrung in den Hypopharynx oder das Steckenbleiben des Speisebolus. Die Diagnose basiert in der Regel auf der Röntgenkontrastdarstellung. Am besten gelingt die Diagnose mittels dynamischer Aufzeichnung des Schluckaktes im seitlichen Strahlengang. In der flexiblen Endoskopie wird das krikopharyngeale Web oft übersehen oder beim blinden Einführen des Endoskops in den proximalen Ösophagus bereits zerstört. Therapie Eine spezifische Therapie ist nur bei symptomatischen Patienten erforderlich. Die endoskopische Zerreißung des Web ist einfach und gefahrlos möglich und stellt damit die Therapie der Wahl dar. Die Behandlung einer gleichzeitig vorhandenen Anämie hat keinen Einfluss. Umstritten ist, ob nach der Behandlung eine radiologische und/oder endoskopische Kontrolle zur Früherfassung eines Rezidivs oder Karzinoms zu erfolgen hat. 24.5.3 Infektionen der Speiseröhre Soorösophagitis Eine Schädigung der Speiseröhrenschleimhaut durch Candida albicans wird als Soorösophagitis bezeichnet und wie folgt klassifiziert: 4 Grad I: wenige weiße Plaques bis zu 2 mm Größe mit Hyperämie, aber ohne Ödeme und Ulzerationen 4 Grad II: multiple weiße, mehr als 2 mm messende Plaques mit Hyperämie und Ödem, aber ohne Ulzerationen 4 Grad III: konfluierende Plaques mit Hyperämie, Ödem und Ulzerationen Die Soorösophagitis ist eine opportunistische Infektion. Eine gestörte, zellulär vermittelte Immunität scheint zur Kolonisation des Ösophagus mit Kandida zu prädisponieren, während eine Granulozytopenie für eine disseminierte Kandidiasis verantwortlich zu sein scheint. Odynophagie und Dysphagie sind die wesentlichen Symptome der Soorösophagitis. Entscheidend für die Diagnose sind Bürstenabstrich und Kandida-Agglutinationstiter. Biopsien sind häufig falsch-negativ, Kulturen des abgesaugten Speiseröhrensekrets falsch-positiv. Schwierig ist die endoskopische Unterscheidung von mit Soor durchwachsenen Speiseresten bei Patienten mit Motilitätsstörungen (z. B. Achalasie) und den Frühformen der Soorösophagitis, speziell dem Stadium I. Die Therapie der unkomplizierten Soorösophagitis erfolgt durch orale Gabe von Nystatin. In therapieresistenten Fällen und bei Patienten mit hohem Risiko für eine disseminierte Kandidiasis können auch andere Antimykotika (Ketoconazol oder Amphotericin B) indiziert sein (Walsh et al. 1988). Virale Infektionen der Speiseröhre Virale Infektionen der Speiseröhre werden durch Zytomegalieund Herpes-simplex-Viren verursacht. Prädisponiert hierfür sind vor allem AIDS-Patienten. Retrosternale Schmerzen und Odynophagie sind die wesentlichen Symptome. Spezifisch für HIV-infizierte Patienten sind idiopathische Ulzera im Ösophagus und Infektionen durch Pilze, Bakterien oder Parasiten (Laine u. Bonacini 1994). Bei diesen Patienten sind auch Infektionen mit mehreren pathogenen Keimen nicht selten (Baer u. McDonald 1994).
264
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Endoskopische Biopsie und Bürstenabstrich gelten als Goldstandard für die Diagnosestellung (Laine u. Bonacini 1994). Nach Sicherung der Diagnose erfolgt die Therapie mit entsprechender antiviraler Medikation (Bonacini u. Laine 1998).
24.6.1 Epidemiologie und natürlicher Verlauf
In der westlichen Welt ist die gastroösophageale Refluxkrankheit die häufigste gutartige Erkrankung des oberen Gastrointestinaltraktes. Die Inzidenz ist steigend.
24.5.4 Arzneimittelulzera Arzneimittelinduzierte Ulzera der Speiseröhre wurden für mehr als 100 Substanzklassen beschrieben. Von der Häufigkeit stehen vor allem orale Tetrazyklinpräparate, Clindamycin, Anticholinergika, Kaliumchlorid, Azetylsalizylsäure (Aspirin), Eisenpräparate, Steroide und nichtsteroidale Antiphlogistika im Vordergrund. Ursache für die Entstehung von Arzneimittelulzera in der Speiseröhre ist eine Auflösung von Tabletten oder Kapseln im Ösophagus bei zugrunde liegender Motilitätsstörung, Stenose oder falscher Einnahme (wie z. B. Tabletteneinnahme im Liegen, Tabletteneinnahme ohne reichlich Flüssigkeit). Heftige retrosternale Schmerzen und Dysphagie sind die wesentlichen Symptome. Eine Restitutio ad integrum ist zwar auch bei zirkulären Epitheldefekten möglich, häufig kommt es jedoch zur Ausbildung von Stenosen (Jaspersen 2000; Kikendall 1999).
Literatur Baehr PH, McDonald GB (1994) Esophageal infections: risk factors, presentation, diagnosis, and treatment. Gastroenterology 106:509– 532 Bonacini M, Laine LA (1998) Esophageal disease in patients with AIDS: diagnosis and treatment. Gastrointest Endosc Clin N Am 8:811– 823 Chotiprasidhi P, Minocha A (2000) Effectiveness of single dilation with Maloney dilator versus endoscopic rupture of Schatzki’s ring using biopsy forceps. Dig Dis Sci 45:281–284 DeVault KR (1996) Lower esophageal (Schatzki’s) ring: pathogenesis, diagnosis and therapy. Dig Dis 14:323–329 Hirano I, Gilliam J, Goyal RK (2000) Clinical and manometric features of the lower esophageal muscular ring. Am J Gastroenterol 95:43–49 Jaspersen D (2000) Drug-induced esophageal disorders: pathogenesis, incidence, prevention and management. Drug Saf 22:237–249 Schatzki R, Gray JE (1956) The lower esophageal ring. Am J Roentgenol 75:246–250 Walsh TJ, Hamilton SR, Belitsos N (1988) Esophageal candidiasis. Managing an increasingly prevalent infection. Postgrad Med 84:193–196
24.6
Refluxkrankheit und BarrettÖsophagus
In Deutschland leiden etwa 10–15% der Bevölkerung unter Refluxbeschwerden. Bei der überwiegenden Mehrzahl der betroffenen Patienten ist das Ausmaß der Erkrankung jedoch gering und führt nicht zum Arztbesuch. Bis zu 40% der Patienten, bei denen aufgrund von Refluxbeschwerden eine Endoskopie durchgeführt wird, haben jedoch eine erosive Ösophagitis. Langzeitstudien zum Spontanverlauf der Refluxkrankheit zeigen, dass bei etwa der Hälfte der Patienten die Refluxösophagitis ein einmaliges Ereignis im Leben ist. Bei der anderen Hälfte der Patienten verläuft die Refluxkrankheit rezidivierend und führt bei ca. 20% zu progredienten peptischen Schleimhautschäden im tubulären Ösophagus. Der Schweregrad der Ösophagitis zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sowie eine eingeschränkte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters und eine Beimischung von Duodenalinhalt im gastroösophagealen Regurgitat stellen die wesentlichen Prädiktoren für einen rezidivierenden oder progredienten Verlauf der Refluxkrankheit dar (Stein et al. 1998). Wenn sich im natürlichen Verlauf der Erkrankung Schleimhauterosionen zu Ulzera vertiefen, erfolgt in der Regel eine narbige Ausheilung. Bindegewebsnarben führen zur Wandstarre und Einengung des Lumens, d. h. zur peptischen Stenose. Seit Einführung der Protonenpumpenhemmer sind peptische Ösophagusstenosen eine Seltenheit geworden. Bei etwa 10% der Patienten mit erosiver Refluxösophagitis kommt es bei der Abheilung der Epitheldefekte zum Ersatz oder Umwandlung des zugrunde gegangenen Plattenepithels zu Zylinderepithel (Zylinderepithelmetaplasie). Die Zylinderepithelmetaplasie im distalen Ösophagus ist damit keine eigentliche Komplikation der Refluxkrankheit, sondern eine typische Form der Ausheilung von Epitheldefekten im Plattenepithel der Speiseröhre. Bedecken die Läsionen die gesamte Zirkumferenz des distalen Ösophagus über eine Länge von mindestens 3 cm, spricht man von einem Endobrachyösophagus (. Abb. 24.21a). Erstbeschreiber ist der französische Chirurg Lortat-Jacob (Lortat-Jacob 1957). Bezeichnet wird diese Veränderung heute jedoch weltweit als Barrett-Ösophagus, nach dem britischen Chirurgen Norman Rupert Barrett (Barrett 1957). Der klassische »Long-segment«Barrett-Ösophagus (langstreckig, >3 cm) wird unterschieden vom »Short-segment«-Barrett-Ösophagus (kurze Segmente, <3 cm, Zylinderzellmetaplasie im distalen Ösophagus; . Abb. 24.21b).
) )
24
Die gastroösophageale Refluxkrankheit ist durch einen vermehrten Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre gekennzeichnet. Die typischen Symptomen sind Sodbrennen, Regurgitation und/oder retrosternale Schmerzen. Abzugrenzen ist die Refluxkrankheit vom sog. physiologischen Reflux, der bei praktisch jedem Menschen als kurzzeitige Refluxepisode vor allem nach voluminösen Mahlzeiten oder bei Alkoholexzessen auftritt. Die Refluxkrankheit ist damit allein durch das Ausmaß und die Dauer der Refluxepisoden, d. h. der ösophagealen Expositionszeit für Mageninhalt, definiert.
Nach allgemeiner Übereinkunft gilt heute als wesentliches Kriterium für die Diagnose eines Barrett-Ösophagus nur der bioptisch-histologische Nachweis einer Zylinderepithelmetaplasie vom spezialisierten intestinalen Typ, mit Vorhandensein von Becherzellen im distalen Ösophagus (. Abb. 24.21c), unabhängig von der Länge des betroffenen Ösophagussegmentes (7 Übersicht; DeMeester 2000; Spechler 2005).
Abzugrenzen sind diese Veränderungen vom histologischen Nachweis einer intestinalen Metaplasie unmittelbar am, oder
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Endoskopische Biopsie und Bürstenabstrich gelten als Goldstandard für die Diagnosestellung (Laine u. Bonacini 1994). Nach Sicherung der Diagnose erfolgt die Therapie mit entsprechender antiviraler Medikation (Bonacini u. Laine 1998).
24.6.1 Epidemiologie und natürlicher Verlauf
In der westlichen Welt ist die gastroösophageale Refluxkrankheit die häufigste gutartige Erkrankung des oberen Gastrointestinaltraktes. Die Inzidenz ist steigend.
24.5.4 Arzneimittelulzera Arzneimittelinduzierte Ulzera der Speiseröhre wurden für mehr als 100 Substanzklassen beschrieben. Von der Häufigkeit stehen vor allem orale Tetrazyklinpräparate, Clindamycin, Anticholinergika, Kaliumchlorid, Azetylsalizylsäure (Aspirin), Eisenpräparate, Steroide und nichtsteroidale Antiphlogistika im Vordergrund. Ursache für die Entstehung von Arzneimittelulzera in der Speiseröhre ist eine Auflösung von Tabletten oder Kapseln im Ösophagus bei zugrunde liegender Motilitätsstörung, Stenose oder falscher Einnahme (wie z. B. Tabletteneinnahme im Liegen, Tabletteneinnahme ohne reichlich Flüssigkeit). Heftige retrosternale Schmerzen und Dysphagie sind die wesentlichen Symptome. Eine Restitutio ad integrum ist zwar auch bei zirkulären Epitheldefekten möglich, häufig kommt es jedoch zur Ausbildung von Stenosen (Jaspersen 2000; Kikendall 1999).
Literatur Baehr PH, McDonald GB (1994) Esophageal infections: risk factors, presentation, diagnosis, and treatment. Gastroenterology 106:509– 532 Bonacini M, Laine LA (1998) Esophageal disease in patients with AIDS: diagnosis and treatment. Gastrointest Endosc Clin N Am 8:811– 823 Chotiprasidhi P, Minocha A (2000) Effectiveness of single dilation with Maloney dilator versus endoscopic rupture of Schatzki’s ring using biopsy forceps. Dig Dis Sci 45:281–284 DeVault KR (1996) Lower esophageal (Schatzki’s) ring: pathogenesis, diagnosis and therapy. Dig Dis 14:323–329 Hirano I, Gilliam J, Goyal RK (2000) Clinical and manometric features of the lower esophageal muscular ring. Am J Gastroenterol 95:43–49 Jaspersen D (2000) Drug-induced esophageal disorders: pathogenesis, incidence, prevention and management. Drug Saf 22:237–249 Schatzki R, Gray JE (1956) The lower esophageal ring. Am J Roentgenol 75:246–250 Walsh TJ, Hamilton SR, Belitsos N (1988) Esophageal candidiasis. Managing an increasingly prevalent infection. Postgrad Med 84:193–196
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Refluxkrankheit und BarrettÖsophagus
In Deutschland leiden etwa 10–15% der Bevölkerung unter Refluxbeschwerden. Bei der überwiegenden Mehrzahl der betroffenen Patienten ist das Ausmaß der Erkrankung jedoch gering und führt nicht zum Arztbesuch. Bis zu 40% der Patienten, bei denen aufgrund von Refluxbeschwerden eine Endoskopie durchgeführt wird, haben jedoch eine erosive Ösophagitis. Langzeitstudien zum Spontanverlauf der Refluxkrankheit zeigen, dass bei etwa der Hälfte der Patienten die Refluxösophagitis ein einmaliges Ereignis im Leben ist. Bei der anderen Hälfte der Patienten verläuft die Refluxkrankheit rezidivierend und führt bei ca. 20% zu progredienten peptischen Schleimhautschäden im tubulären Ösophagus. Der Schweregrad der Ösophagitis zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sowie eine eingeschränkte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters und eine Beimischung von Duodenalinhalt im gastroösophagealen Regurgitat stellen die wesentlichen Prädiktoren für einen rezidivierenden oder progredienten Verlauf der Refluxkrankheit dar (Stein et al. 1998). Wenn sich im natürlichen Verlauf der Erkrankung Schleimhauterosionen zu Ulzera vertiefen, erfolgt in der Regel eine narbige Ausheilung. Bindegewebsnarben führen zur Wandstarre und Einengung des Lumens, d. h. zur peptischen Stenose. Seit Einführung der Protonenpumpenhemmer sind peptische Ösophagusstenosen eine Seltenheit geworden. Bei etwa 10% der Patienten mit erosiver Refluxösophagitis kommt es bei der Abheilung der Epitheldefekte zum Ersatz oder Umwandlung des zugrunde gegangenen Plattenepithels zu Zylinderepithel (Zylinderepithelmetaplasie). Die Zylinderepithelmetaplasie im distalen Ösophagus ist damit keine eigentliche Komplikation der Refluxkrankheit, sondern eine typische Form der Ausheilung von Epitheldefekten im Plattenepithel der Speiseröhre. Bedecken die Läsionen die gesamte Zirkumferenz des distalen Ösophagus über eine Länge von mindestens 3 cm, spricht man von einem Endobrachyösophagus (. Abb. 24.21a). Erstbeschreiber ist der französische Chirurg Lortat-Jacob (Lortat-Jacob 1957). Bezeichnet wird diese Veränderung heute jedoch weltweit als Barrett-Ösophagus, nach dem britischen Chirurgen Norman Rupert Barrett (Barrett 1957). Der klassische »Long-segment«Barrett-Ösophagus (langstreckig, >3 cm) wird unterschieden vom »Short-segment«-Barrett-Ösophagus (kurze Segmente, <3 cm, Zylinderzellmetaplasie im distalen Ösophagus; . Abb. 24.21b).
) )
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Die gastroösophageale Refluxkrankheit ist durch einen vermehrten Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre gekennzeichnet. Die typischen Symptomen sind Sodbrennen, Regurgitation und/oder retrosternale Schmerzen. Abzugrenzen ist die Refluxkrankheit vom sog. physiologischen Reflux, der bei praktisch jedem Menschen als kurzzeitige Refluxepisode vor allem nach voluminösen Mahlzeiten oder bei Alkoholexzessen auftritt. Die Refluxkrankheit ist damit allein durch das Ausmaß und die Dauer der Refluxepisoden, d. h. der ösophagealen Expositionszeit für Mageninhalt, definiert.
Nach allgemeiner Übereinkunft gilt heute als wesentliches Kriterium für die Diagnose eines Barrett-Ösophagus nur der bioptisch-histologische Nachweis einer Zylinderepithelmetaplasie vom spezialisierten intestinalen Typ, mit Vorhandensein von Becherzellen im distalen Ösophagus (. Abb. 24.21c), unabhängig von der Länge des betroffenen Ösophagussegmentes (7 Übersicht; DeMeester 2000; Spechler 2005).
Abzugrenzen sind diese Veränderungen vom histologischen Nachweis einer intestinalen Metaplasie unmittelbar am, oder
265 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
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. Abb. 24.21a–c. Typischer makroskopischer Aspekt eines Endobrachyösophagus oder »Long-segment«Barrett-Ösophagus (a) und eines »Short-segment«-Barrett-Ösophagus (mit Gallereflux, b). Histologischer Nachweis von Becherzellen (blau in der Alcain-Blaufärbung) in der Biopsie aus dem distalen Ösophagus als Beweis für das Vorliegen einer spezialisierten intestinalen Metaplasie (c)
unterhalb des ösophagogastralen Übergangs, die – im Gegensatz zum Barrett-Ösophagus – im Zusammenhang mit einer Helicobacter-pylori-assoziierten Gastritis entstehen können (Hackelsberger et al. 1998; Spechler 1999). Die Diagnose eines BarrettÖsophagus kann damit erst in Zusammenschau des endoskopischen Befundes, der Lokalisation der entnommenen Biopsien und dem histologischen Nachweis einer spezialisierten intestinalen Metaplasie gestellt werden (7 Übersicht; Watson 2000). Definitionen 5 Physiologischer Reflux: kurze Refluxepisoden beim Gesunden, die vor allem postprandial auftreten 5 Refluxkrankheit: erhöhte ösophageale Exposition für Mageninhalt mit typischen (Sodbrennen, Regurgitation) oder atypischen (respiratorischen, pharyngealen) Symptomen 5 Refluxösophagitis: fakultative Folge der Refluxkrankheit mit Schleimhautläsionen im distalen Ösophagus 5 Peptische Stenose: narbige Einengung, in der Regel im Bereich der Schleimhautgrenze, als Folge einer chronischrezidivierenden Refluxkrankheit
6
5 Endobrachyösophagus: historischer Begriff für BarrettÖsophagus 5 Barrett-Ösophagus: Ersatz des Plattenepithels im distalen Ösophagus durch spezialisiertes intestinales Zylinderepithel (intestinale Metaplasie im distalen Ösophagus) 5 »Long-segment«-Barrett-Ösophagus: zirkulärer Ersatz des Plattenepithels im distalen Ösophagus mit spezialisierter intestinaler Metaplasie über eine Länge von >3 cm 5 »Short-segment«-Barrett-Ösophagus: zungenförmige oder zirkuläre, endoskopisch gut sichtbare Ausläufer mit spezialisierter intestinaler Metaplasie im distalen Ösophagus über eine Länge von <3 cm 5 Intestinale Metaplasie der Kardia: histologisch nachweisbare spezialisierte intestinale Metaplasie unmittelbar im Bereich des ösophagogastralen Übergangs ohne makroskopisch-endoskopisches Korrelat 5 Barrett-Karzinom: Adenokarzinom im distalen Ösophagus, das auf dem Boden eines Barrett-Ösophagus, in der Regel als Folge einer langjährigen Refluxkrankheit, entstanden ist
266
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Plattenepithel ±10%
Spezialisierte Intestinale Metaplasie
±10%
Gastroösophagealer Reflux
. Abb. 24.22. Abb. 24.22. Darstellung der Progression von der normalen Plattenepithelauskleidung des distalen Ösophagus zur intestinalen Metaplasie, Dysplasie und invasivem Adenokarzinom, bei langjähriger, rezidivierender Refluxkrankheit. Das geschätzte Risiko und mögliche Risikofaktoren sind dargestellt
Dysplasie und Karzinom
Der Barrett-Ösophagus stellt den wichtigsten Risikofaktor für die Entwicklung eines Adenokarzinoms im distalen Ösophagus und damit eine Präkanzerose dar. Im Vergleich zur Normalbevölkerung ist das Risiko für die Entwicklung eines Adenokarzinoms im distalen Ösophagus bei Patienten mit bekanntem Barrett-Ösophagus, in Abhängigkeit von der Länge des betroffenen Segmentes, ca. 40- bis 200-fach erhöht (Stein et al. 1993; von Rahden et al., 2003). Das Adenokarzinom im distalen Ösophagus wird deshalb auch als Barrett-Karzinom bezeichnet. Anhand epidemiologischer Daten kann davon ausgegangen werden, dass ca. 10% der Patienten mit rezidivierender Refluxösophagitis einen Barrett-Ösophagus entwickeln. Bei wiederum etwa 10% der Patienten mit Barrett-Ösophagus kommt es im Verlauf des Lebens, in der Regel über verschiedene Zwischenstufen der Dysplasie, zur Progression zum invasiven Barrett-Karzinom (. Abb. 24.22). Es besteht damit ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen der Refluxkrankheit und dem Adenokarzinom des distalen Ösophagus (Lagergreen et al. 1999).
. Tabelle 24.1. Klassifikation der Refluxösophagitis in Anlehnung an Savary und Miller. (Mod. nach Siewert u. Ottenjahn)
Stadium
Beschreibung
0
Normale Schleimhaut
I
Fleckförmige rote Läsionen
Ia
Ohne weißen Fibrinbelag
Ib
Zentral mit weißem Fibrinbelag
II
Streifenförmig rote Läsionen
IIa
Ohne weißen Fibrinbelag
IIb
Zentral mit weißem Fibrinbelag
III
Größere Läsionen als Stadium I oder II, Ausdehnung über die gesamte Zirkumferenz des Ösophagus (kein Endobrachyösophagus!)a
IV
Komplikationen der Refluxösophagitis, wie Stenose, Barrett-Ulkus etc.
24.6.2 Klassifikation a
24
Endoskopisch wird die Refluxösophagitis durch das Ausmaß der Epitheldefekte im tubulären Ösophagus klassifiziert. Am weitesten verbreitet ist die endoskopische Klassifikation nach Savary u. Miller (1977). Ihre klinische Relevanz ist jedoch umstritten, da in vielen Fällen des Stadiums IV dieser Klassifikation (d. h. Endobrachyösophagus) eine Rückbildung nicht möglich ist. Dieses Stadium stellt damit keine eigentliche Komplikation der Refluxkrankheit, sondern eine spezielle Form der Narbenbildung dar. Von Siewert und Ottenjahn wurde die Savary-Miller-Klassifikation dementsprechend modifiziert (. Tab. 24.1). Als Alternative wurde von Armstrong und Mitarbeitern (1991) ein Klassifikationsschema vorgeschlagen, das eine diffe-
Der Endobrachyösophagus wird gesondert registriert, weil er keine eigentliche Komplikation der Refluxösophagitis, sondern einen Folgezustand darstellt.
renzierte Beurteilung des Schweregrads und Ausmaßes der Metaplasie (M), Ulzera (U), Stenose (S) und Epitheldefekte (E) ermöglicht. Dieses MUSE-Schema zur endoskopischen Klassifikation der Refluxösophagitis eignet sich vor allem zur Verlaufsbeobachtung und Therapiekontrolle und kommt deshalb bei wissenschaftlichen Fragestellungen zur Anwendung. Eine vereinfachte Form der endoskopischen Graduierung der Refluxösophagitis stellt die sog. Los-Angeles-Klassifikation dar (. Tab. 24.2), die
267 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
24
24.6.3 Pathogenese . Tabelle 24.2. Los-Angeles-Klassifikation der Refluxösophagitis. (Nach Lundell et al. 1999)
Grad
Beschreibung
A
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, kürzer als 5 mm, keine Ausdehnung zwischen benachbarten Mukosafalten
B
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, länger als 5 mm, keine Ausdehnung zwischen benachbarten Mukosafalten
C
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, die sich zwischen 2 oder mehr benachbarten Mukosafalten erstrecken, aber weniger als 75% der ösophagealen Zirkumferenz involvieren
D
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, die mindestens 75% der ösophagealen Zirkumferenz involvieren
zunehmend Eingang in die klinische Routine findet (Lundell et al. 1999). Endoskopisch findet sich jedoch bei mehr als der Hälfte der Patienten mit typischen Refluxsymptomen und positiver pHMetrie keine Ösophagitis. Bei diesen Patienten spricht man von einer Refluxkrankheit Stadium 0 oder besser von einer Endoskopie-negativen Refluxkrankheit. Aus funktioneller Sicht erfolgt die Beurteilung des Schweregrades der Refluxkrankheit anhand des Ausmaßes der Säureexposition des distalen Ösophagus in der ambulanten 24-Stunden-pH-Metrie (. Abb. 24.23). Die Quantifizierung der Säureexposition erfolgt durch Kalkulation der Expositionszeit für pH<4 in Prozent der Gesamtmesszeit oder als Composite-Score (sog. Johnson-DeMeester-Score), der die in folgender Übersicht gezeigten Messparameter berücksichtigt (Johnson u. DeMeester 1986). Eine Expositionszeit für pH<4 über mehr als 4,5% der Gesamtmesszeit oder ein Johnson-DeMeester-Score von größer als 14,8 gelten als abnormal. Die häufig getroffene Unterscheidung zwischen Tag-, Nacht- und kombinierten Refluxen anhand des 24-Stunden-pH-Profiles im distalen Ösophagus ist klinisch von geringer Relevanz. Trotz einer insgesamt guten Korrelation der 24-Stunden-pHMetrie mit dem Schweregrad der Symptome oder Ösophagitis besteht gelegentlich eine deutliche Diskrepanz zwischen funktionellen und morphologischen Befunden und den Symptomen des Patienten. Dies wird auf die fehlende Erfassbarkeit des sog. »alkalischen« oder besser »nicht-sauren« oder »biliären« Refluxes in der 24-Stunden-pH-Metrie zurückgeführt. Parameter der 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie, die in den Composite-Johnson-DeMeester-Score eingehen 5 % Gesamtmesszeit mit pH<4 5 % Messzeit während der Wachphase (»upright«) mit pH<4 5 % Messzeit während der Schlafphase (»supine«) mit pH<4 5 Gesamtzahl der Refluxepisoden während der Messzeit 5 Gesamtzahl der Refluxepisoden mit einer Dauer >5 min 5 Dauer der längsten Refluxepisode
Refluxkrankheit Die Refluxkrankheit tritt entweder primär – als eigenständiges Krankheitsbild – oder sekundär als Folge einer organischen Erkrankung – oder iatrogenen Schädigung von Speiseröhre und/ oder Magen auf. Ursache ist immer eine Störung des Antirefluxmechanismus. Der untere Ösophagussphinkter, die Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre, die gastroduodenale Funktion und protektive Mechanismen der Ösophagusschleimhaut stellen die wesentlichen Komponenten des Antirefluxmechanismus beim Menschen dar. Die normale Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters verhindert einen vermehrten Reflux von Mageninhalt. Die geregelte Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre sorgt für eine Selbstreinigung der Speiseröhre. Eine zeitgerechte Entleerung des Magens, sowie die regelrechte Funktion des sog. antropyloroduodenalen Komplexes sorgen für einen Transport des Mageninhalts nach aboral und verhindern Reflux von Duodenalinhalt. Die sekretorische Funktion des Magens, die Magenentleerungscharakteristika und die protektive Funktion des antropyloroduodenalen Komplexes gegen Reflux von Duodenalinhalt bestimmen die Zusammensetzung des gastroösophagealen Regurgitates (Stein 1998). Primäre Refluxkrankheit. Eine gestörte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters spielt in der Pathogenese der primären Refluxkrankheit die zentrale Rolle. Zwei Mechanismen kommen hierbei zum Tragen: 4 Eine unzeitgemäße Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters: Der Sphinkter erschlafft zu einem Zeitpunkt außerhalb eines Schluckaktes und lässt zu diesem Zeitpunkt Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre zu. Diese sog. »transient sphincter relaxations« sind die wesentliche Ursache der physiologischen Refluxepisoden, die bei jedem Menschen vor allem postprandial auftreten. Nach neueren Untersuchungen werden sie über Dehnungsrezeptoren im Magenfundus getriggert. 4 Ein verminderter Ruhedruck oder eine zu kurze Länge des unteren Ösophagussphinkters im Ruhezustand: Bei dieser Situation übersteigt der intragastrale Druck den myogenen Sphinkterdruck und es kommt zum Reflux. Dieser Mechanismus stellt die häufigste Ursache der schweren primären Refluxkrankheit dar. Die Ursache der gestörten Sphinkterfunktion ist unklar. Anhand von Tierexperimenten wurde der in . Abb. 24.24 gezeigte Circulus vitiosus postuliert. Beim Menschen liegen bislang jedoch keine Anhaltspunkte für eine Restitution der Sphinkterfunktion nach Abheilen einer Ösophagitis vor. Ein weiterer Mechanismus, die hormonelle Fehlsteuerung des Sphinkters, etwa durch verminderte Ausschüttung von Gastrin aus dem Antrum, ist rein hypothetisch. Eine rezidivierende Überfüllung und Dehnung der proximalen Magenanteile, als Folge der Ernährungsgewohnheiten der Menschen in der westlichen Welt, mit konsekutiver Aufweitung des Durchmessers der Kardia und Verlust der Barrierefunktion, wird in den letzten Jahren zunehmend als Mechanismus der gestörten Sphinkterfunktion diskutiert (Kahrilas et al. 2000). Bei einem geringen Prozentsatz der Patienten scheinen genetische Faktoren ebenfalls eine Rolle zu spielen.
268
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
M
S
P
M P
M P 1
8 7 6 5 4 3 2 1
pH
14:00
18:00
22:00
02:00
06:00
10:00
14:00
a S
M P
M P
M P 1
8 7 6 5 4 3 2 1
pH
15:00
19:00
23:00
03:00
07:00
11:00
15:00
b S
M P
M P
M P 1
8 7 6 5 4 3 2 1 15:00
pH 19:00
23:00
03:00
07:00
11:00
15:00
c . Abb. 24.23a–c. Repräsentative 24-Stunden-Ösophagus-pH-MetrieKurven. a Normaler, beschwerdefreier Proband. Einzelne Refluxepisoden von kurzer Dauer vor allem postprandial (P). Gesamtzeit mit pH<4: 3,7%; DeMeester-Score: 12,4. b Symptomatischer Patient mit täglichem Sodbrennen. pH-metrisch sog. »Wachrefluxer« mit vermehrt saurem Reflux
24
während der Wachphase, aber nicht während der Nacht (S). Gesamtzeit mit pH<4: 8,9%; DeMeester-Score: 24,3. c Symptomatischer Patient mit Sodbrennen und Regurgitation. pH-metrisch sog. »kombinierter Refluxer« mit vermehrt saurem Reflux während der Wach- und Schlafphase. Gesamtzeit mit pH<4: 23,0%; DeMeester-Score: 68,2
24
269 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
Sphinkterinkompetenz
patholog. Reflux
Wandschädigung
Dyskinesie im tubulären Ösophagus
Abnorm langer Kontakt des Ösophagus mit Mageninhalt . Abb. 24.24. Circulus vitiosus der Refluxkrankheit
Ein Fehlen der Verankerung des distalen Ösophagus im Abdomen mit konsekutiver Störung der Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre und ein Fehlen der sog. »Zwerchfellzwinge« stellen die möglichen Ursachen eines vermehrten gastroösophagealen Refluxes bei Patienten mit axialer Hiatushernie dar (Dent 1999). Allerdings bestehen bei der überwiegenden Mehrzahl aller Patienten mit axialer Hiatushernie keine Refluxsymptome und keine Ösophagitis. Reflux und Refluxösophagitis können zudem selten auch ohne axiale Hiatushernie auftreten. Insgesamt kommt der axialen Hiatushernie damit keine direkte kausale Bedeutung bei der Entwicklung der primären Refluxkrankheit zu. Bei gleichzeitig vorliegender Insuffizienz des unteren Ösophagussphinkters kann eine axiale Hiatushernie den Verlauf einer Refluxkrankheit jedoch ungünstig beeinflussen. Sekundäre Refluxkrankheit. Unter sekundärem Reflux versteht man einen Reflux, der als Folge einer organischen Erkrankung . Abb. 24.25. Schematische Darstellung des Zusammenspiels aggressiver und defensiver Faktoren bei der Pathogenese der Refluxösophagitis
Aerophagie
Verzögerte Magenentleerung
von Kardia, Speiseröhre und/oder Magen bzw. nach Eingriffen an diesen Organen entsteht. Als typisches Beispiel kann die Pylorusoder Duodenalstenose gelten. Durch den intragastralen Überdruck kommt es hier zu einer chronischen Magendilatation mit Verkürzung des unteren Ösophagussphinkters und Aufhebung seiner Barrierefunktion. Andere mögliche Ursachen einer sekundären Refluxkrankheit sind die Zerstörung des unteren Ösophagussphinkters durch operative Eingriffe (Myotomie, Kardiaresektion) oder der bindegewebige Umbau der Muskulatur des tubulären Ösophagus und des unteren Ösophagussphinkters mit konsekutivem Funktionsverlust, wie z. B. bei der Sklerodermie. Refluxösophagitis Die Refluxösophagitis ist eine fakultative Folge eines vermehrten Refluxes von Mageninhalt in die Speiseröhre. Ausmaß und Schweregrad der Refluxösophagitis hängen ab von der Kontaktzeit zwischen Regurgitat und Ösophagusschleimhaut (Quantität des Refluxes), von der Zusammensetzung des Regurgitates (Qualität des Refluxes) sowie von defensiven Faktoren der Ösophagusschleimhaut (. Abb. 24.25; Stein u. DeMeester 1992). Die Kontaktzeit zwischen Regurgitat und Ösophagusschleimhaut (Quantität des Refluxes) wird vor allem von der Selbstreinigungsfunktion (Clearance-Funktion) der Speiseröhre bestimmt. Eine gestörte Selbstreinigungsfunktion führt zu einer verlängerten ösophagealen Expositionszeit für regurgitierten Mageninhalt. Folgende 4 Faktoren beeinflussen die Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre: 4 Propulsive Pumpfunktion der ösophagealen Peristalsis 4 Schwerkraft 4 Speichelsekretion 4 Verankerung des distalen Ösophagus im Abdomen Eine effektive und koordinierte Pumpaktion der Muskulatur des tubulären Speiseröhre spielt die wesentliche Rolle für den Transport eines Speisebolus und die Clearance von Refluxepisoden über das physiologische Druckgefälle von etwa –6 mmHg im distalen Ösophagus auf etwa +6 mmHg im Magen. Eine gestörte Peristalsis findet sich häufig bei Patienten mit Diabetes und an-
Inkompetenz der Kardia
Verzögerte ösophageale Clearance (Peristaltik, Speichel, Schwerkraft)
Überfüllung des Magens
Duodenogastraler Reflux
Hyperchlorhydrie
„Hyper”-aggresiver Magensaft
Aggresive Faktoren
Schädigung der Schleimhaut
Defekt der defensiven Faktoren
270
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
deren Systemerkrankungen. Jedoch kommt es auch bei Patienten mit primärem Defekt des unteren Ösophagussphinkters als Folge eines persistierenden Refluxes mit rezidivierender Ösophagitis sekundär zu einer Dysfunktion der tubulären Speiseröhre. Hierdurch wird ein Circulus vitiosus mit Verlängerung der Kontaktzeit für refluierten Mageninhalt, Fortschreiten der Ösophagitis und weiterem Verlust der Selbstreinigungsfunktion des Ösophagus initiiert (. Abb. 24.24). Die Zusammensetzung des Regurgitats (Qualität des Refluxes) stellt den zweiten wesentlichen Faktor für die Entstehung einer Ösophagitis dar. Magensäure allein ist zwar in der Lage eine Ösophagitis auszulösen, der Prozess wird aber bei gleichzeitiger Anwesenheit von Pepsin beschleunigt. Eine besondere Bedeutung kommt offenbar auch den Gallensäuren zu. Die korrosive Wirkung eines Salzsäure-Pepsin-Gemisches wird durch den Zusatz von Gallensäuren verstärkt. Refluxbeschwerden und Ösophagitis können auch bei Achlorhydrie oder Zustand nach Gastrektomie als reine Folge eines duodenoösophagealen Refluxes auftreten (. Abb. 24.25). Die defensiven Faktoren der Ösophagusschleimhaut sind bislang wenig erforscht. Die häufigen Spontanremissionen einer Refluxösophagitis trotz persistierendem Reflux legen jedoch eine wichtige Rolle defensiver Faktoren nahe. Schleimproduktion sowie Bikarbonatsekretion der Ösophagusmukosa und verschiedene Wachstumsfaktoren werden hierfür verantwortlich gemacht. Neuere Untersuchungen zeigen auch einen protektiven Effekt einer Helicobacter-pylori-Besiedlung des Magens. Die genauen Mechanismen dieser Schutzwirkung sind bislang nicht eindeutig geklärt.
24
Barrett-Ösophagus Zur Pathogenese des Barrett-Ösophagus hat sich heute weitgehend die Theorie einer erworbenen Epithelveränderung durchgesetzt. So kann im Tierexperiment nach Induktion eines gaströsophagealen Refluxes durch Zerstörung des unteren Ösophagussphinkters und kontinuierliche Stimulation der Säuresekretion eine Zylinderepithelmetaplasie im distalen Ösophagus induziert werden. Auch klinisch und funktionsdiagnostisch liegt bei praktisch allen Patienten mit Barrett-Ösophagus eine langjährige Refluxanamnese mit besonders schwerer Störung des Antirefluxmechanismus (fehlende Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters, unzureichende Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre) in Kombination mit einem ausgeprägten duodenogastroösophagealen Reflux vor (Kauer et al. 2005; Stein et al. 1993, 1998). In histologischen Untersuchungen der Barrett-Mukosa findet sich in der Regel spezialisiertes Zylinderepithel vom intestinalen Typ mit villiformer Oberfläche, Schleimdrüsen und Becherzellen. Gelegentlich findet sich jedoch auch atrophisches Magenfundusepithel mit Haupt- und Parietalzellen oder Zylinderepithel vom Kardiatyp mit kardialen Schleimdrüsen. Bei einigen Patienten lassen sich diese 3 Zylinderepitheltypen in der Barrett-Mukosa nebeneinander nachweisen, wobei dann das spezialisierte Epithel in der Regel am weitesten oral, das fundusähnliche Epithel am weitesten aboral, und das Epithel vom Kardiatyp zwischen den beiden anderen Epithelarten angesiedelt ist. Diese heterogene Natur des Zylinderepithels im distalen Ösophagus schließt ein einfaches Hochwachsen von Magenmukosa in den distalen Ösophagus als histogenetischen Ursprung des Zylinderepithels im distalen Ösophagus aus. Eine Entwicklung aus pluripotenten Stammzellen, die in der Basalmembran der
ösophagealen Mukosa angesiedelt sind und durch den Reiz einer chronischen Entzündung in Zylinderepithel umgewandelt werden, stellt somit die derzeit plausibelste Erklärung für den histogenetischen Ursprung der Barrett-Mukosa dar. Damit ist der Barrett-Ösophagus als eine spezielle Form der Schleimhautreaktion im Rahmen der Refluxösophagitis und somit als Zylinderzellnarbe anzusehen (Stein u. Siewert 1993). Peptische Stenose Für die Entwicklung einer peptischen Ösophagusstenose im Rahmen einer Refluxösophagitis bedarf es zusätzlicher prädisponierender Faktoren. Hier ist in erster Linie der Barrett-Ösophagus zu nennen. Peptische Stenosen entstehen meistens unmittelbar im und oberhalb des Übergangs vom Plattenepithel zum Zylinderepithel (Z-Linie). Beim Barrett-Ösophagus ist dieser Epithelübergang in den tubulären Ösophagus verschoben. Die Stenose beim Endobrachyösophagus ist deshalb deutlich oberhalb der anatomischen Kardia lokalisiert (hochsitzende Stenose). Relativ häufig entstehen peptische Stenosen bei der sekundären Refluxkrankheit, d. h. bei Magenausgangsstenose, Duodenalstenose, nach ausgedehnter Magenresektion, langfristiger Magensondierung, operativen Eingriffen am gastroösophagealen Verschlussmechanismus, bei Sklerodermie oder auch beim Zollinger-Ellison-Syndrom. Im Zusammenhang mit diesen Grundkrankheiten kann sich eine peptische Stenose auch ohne Barrett-Ösophagus entwickeln. Auch hier entsteht die Stenose unmittelbar im und oberhalb des Überganges von Plattenepithel zum Zylinderepithel. Da der Schleimhautübergang im Bereich der Kardia lokalisiert ist, entwickelt sich die Stenose am unteren Ende der Speiseröhre (terminale Stenose). 24.6.4 Klinisches Bild
Sodbrennen, Regurgitation und retrosternale Schmerzen gelten als die typischen Symptome der Refluxkrankheit.
Sodbrennen und Regurgitation können durch Bücken, Liegen, Nahrungsaufnahme, Alkoholkonsum und Rauchen, seltener durch physische oder psychische Belastung, aber auch durch Medikamente wie Anticholinergika, Koronardilatanzien und zyklische Antidepressiva ausgelöst und verstärkt werden. Epigastrischer Schmerz und Schluckbeschwerden (Dysphagie oder Odynophagie) sind ebenfalls häufige Symptome einer Refluxkrankheit. Eine Refluxkrankheit kann sich jedoch auch durch atypische Symptome und Befunde wie chronischer Husten, Räusperzwang, Globusgefühl und Heiserkeit oder rezidivierende Pneumonien manifestieren. Bei einigen Patienten findet sich auch ein quälender Schluckauf als einziges Symptom der Refluxkrankheit. Nach Ausschluss anderer Ursachen sollten diese Symptome ebenfalls an eine zugrunde liegende Refluxkrankheit denken lassen. Die Diagnose einer Refluxkrankheit nur aufgrund typischer Symptome ist nicht zuverlässig möglich. Die typischen Symptome »Sodbrennen« und »Regurgitation« können auch bei einer Vielzahl anderer ösophagealer und extraösophagealer Erkrankungen auftreten. So werden Sodbrennen und Regurgitation auch bei Patienten mit primären Ösophagusmotilitätsstörungen, Ulkuskrankeit oder Cholezystolithiasis angegeben.
271 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
Patienten mit Barrett-Ösophagus haben, trotz einer objektiv messbaren deutlich höheren ösophagealen Säure- und Galleexposition, häufig weniger Beschwerden als Patienten mit Refluxösophagitis. Dies wird auf die Säureresistenz und geringere Schmerzsensitivität des Zylinderepithels im distalen Ösophagus zurückgeführt. Typischerweise geben Patienten mit Barrett-Karzinom anamnestisch jahrezehntelange Refluxbeschwerden und ein plötzliches Nachlassen oder komplettes Verschwinden dieser Beschwerden einige Jahre vor Diagnose des Karzinoms an. Die Diagnose eines Barrett-Ösophagus erfolgt dementsprechend häufig nur als Zufallsbefund oder wenn aufgrund einer neu aufgetretenen Dysphagie eine Endoskopie durchgeführt wird. 24.6.5 Diagnostik Die rationale Therapie der Refluxkrankheit setzt eine objektive Diagnose der Erkrankung und der ihr zugrunde liegenden Ursache voraus. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl diagnostischer Methoden zur Abklärung der Refluxkrankheit evaluiert. Diese Tests können grob in Tests zum Nachweis der Refluxkrankheit und ihrer Komplikationen sowie in Tests zur Abklärung der Ursache des vermehrten Refluxes unterteilt werden (7 Übersicht). Diese diagnostischen Methoden variieren in ihrer Invasivität, Sensitivität und Spezifität (Fuchs et al. 1987; Stein 1997). Diagnostische Tests zur Abklärung der gastroösophagealen Refluxkrankheit 5 Klinische Tests zum Nachweis von vermehrtem gastroösophagealem Reflux – Endoskopie und Biopsie – Kontraströntgenographie – 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie – 24-Stunden-Ösophagus-Bilitec-Messung – Impedanzmesung – Protonenpumpeninhibitorentest (PPI-Test) – Gastroösophageale Szintigraphie 5 Klinische Tests zur Abklärung der Ursache von vermehrtem gastroösophagealem Reflux – Ösophagusmanometrie – Magenentleerungsszintigraphie – Kontraströntgenographie – Magensaftanalyse – 24-Stunden-Magen-pH-Metrie
Endoskopie mit Biopsie. Diese Methode erlaubt als einzige den direkten Nachweis von Komplikationen der Refluxkrankheit (d. h. Ösophagitis, Stenose oder Ulkus) oder eines Barrett-Ösophagus. Jedoch ist nicht jeder endoskopische Nachweis einer Ösophagitis mit der Diagnose einer Refluxkrankheit gleichzusetzen. Eine Ösophagitis kann auch durch Medikamente, Pilzbefall, eine Virusinfektion oder Stase verursacht werden. Beim Fehlen von Erosionen, Ulzera, Stenosen oder einer Barrett-Metaplasie ist die endoskopische Diagnose einer Refluxkrankheit nicht möglich. Dies ist bei ca. 50% aller Patienten mit pH-metrisch nachgewiesener Refluxkrankheit der Fall. Eine Rötung, ödematöse Verquellung oder Kontaktvulnerabilität der Mukosa kann bei diesen Patienten auf eine zugrunde liegende Refluxkrankheit hinweisen; diese Veränderungen sind jedoch wenig spezifisch.
24
Histologie. Bioptisch-histologisch lassen eine Infiltration polymorphkerniger Leukozyten und der Nachweis von Lymphozyten, Eosinophilen und sog. Ballonzellen auf eine Refluxkrankheit schließen. Eine relative Verbreiterung der Basalzellzone und eine Verlängerung der Stromapapillen auf über 2/3 der Gesamtepitheldicke gelten als weiterer histologischer Hinweis auf eine Ösophagitis. Diese histologischen Veränderungen können jedoch allenfalls den Verdacht auf eine Mukosaschädigung durch gastroösophagealen Reflux bekräftigen, haben für sich betrachtet jedoch eine geringe Sensitivität und Spezifität für die Diagnose der Refluxkrankheit. Kontraströntgenographie. Die Wertigkeit der Kontraströntgenographie zum Nachweis einer Refluxkrankheit variiert in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode. Ein spontaner gastroösophagealer Reflux kann radiologisch nur bei ca. 40% der Patienten mit pH-metrisch dokumentierter Refluxkrankheit nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu kann bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten mit spontanem Reflux während der Röntgenographie die Diagnose der Refluxkrankheit mittels 24-Stunden-pH-Metrie bestätigt werden. Die radiologische Beobachtung eines Spontanrefluxes besitzt eine hohe Spezifität für die Diagnose der Refluxkrankheit. Das Ausbleiben eines Spontanrefluxes während der radiologischen Untersuchung schließt jedoch eine Refluxkrankheit keineswegs aus. Im Vergleich zur Endoskopie ist die radiologische Kontrastdarstellung der Speiseröhre und des gastroösophagealen Übergangs zur Abklärung der topographischen Verhältnisse überlegen. Die Kontraströntgenographie ist somit die Methode der ersten Wahl zur Untersuchung von Patienten mit persistierenden oder neu aufgetreten Problemen nach einer Antirefluxoperation. Auch lassen sich axiale und paraösophageale Hernien am besten radiologisch darstellen. 24-Stunden-pH-Metrie. Die 24-Stunden-pH-Metrie der distalen Speiseröhre ist die direkteste Methode zur objektiven Messung des sauren gastroösophagealen Säurerefluxes (. Abb. 24.23). Die Untersuchung erfolgt mit einer 5 cm oberhalb des unteren Ösophagussphinkters platzierten pH-Elektrode, die mit einem tragbaren Datenrekorder verbunden ist. Die intraösophageale Langzeit-pH-Messung ermöglicht eine Quantifizierung der ösophagealen Säureexpositionszeit sowie eine Analyse der Selbstreinigungsfähigkeit (»Clearance-Aktivität«) der tubulären Speiseröhre und erlaubt eine direkte Korrelation von spontan auftretenden Symptomen mit Refluxepisoden. Basierend auf ausgedehnten Validierungstudien und breiter klinischer Erfahrung hat sich die 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie heute als »Goldstandard« für die Diagnose eines vermehrten Säurerefluxes in die Speiseröhre, die Dokumentation des Therapieerfolgs nach einer Antirefluxoperation und Titrierung einer säuresuppressiven Therapie etabliert. Bei Patienten mit chronischem Husten, Heiserkeit oder Aspiration kann die zusätzliche Platzierung einer pH-Elektrode im proximalen Ösophagus oder Pharynx hilfreich sein. Nicht selten kann mit dieser proximal platzierten Elektrode ein Säurereflux bis in den Pharynx als Ursache der Beschwerden des Patienten dokumentiert werden (Jacob et al. 1991). Bilitec-Messung. Im Gegensatz zur Messung des sauren Refluxes ist die Erfassung des sog. »alkalischen« oder besser »nicht-sauren« Refluxes mittels pH-Metrie nicht zuverlässig möglich. Reflux von Galle kann zuverlässig mittels der Bilitec-Messung nachgewiesen werden. Es handelt sich hierbei um die fiberoptische Messung
272
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
S
M P
M P
M P 1
8 7 6 5 4 3 2 1
pH
15:00
19:00
23:00
03:00
07:00
11:00
15:00 2
0,9 0,8 0,7 0,6
Bili
0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 15:00
19:00
23:00
07:00
11:00
15:00
. Abb. 24.26. Kombinierte ambulante 24-Stunden-Ösophagus-pHund Bilitec-Messung mit vermehrtem Säurereflux während der gesamten
Messphase (obere Kurve, pH) und Nachweis von vermehrt galligem Reflux in der simultan durchgeführten Bilitec-Messung (untere Kurve, Bili)
von Bilirubin mittels einer Glasfaserelektrode, die 5 cm oberhalb des unteren Ösophagussphinkters platziert wird und mit einem tragbaren Photospektrometer verbunden ist. Die Bilirubin-Extinktion wird hierbei als Marker für eine gallige Komponente im Refluat verwendet. Limitationen der Methodik sind falsch-positive Ergebnisse durch Nahrungsmittel oder Getränke mit einem dem Bilirubin ähnlichem Absorptionsverhalten, vor allem bei gestörter Clearance-Funktion des Ösophagus (z. B. bei peptischen Stenosen). Die kombinierte Ösophagus-pH-Metrie- und Bilitec-Messung stellt heute den Standard für die simultane Evaluation das sauren und biliären Refluxes im Rahmen von Studien dar (. Abb. 24.26). Da ein Reflux von Galle bei intaktem und säuresezernierendem Magen in der Regel nur in Kombination mit Säurereflux auftritt, liegt eine klinische Indikation zur Durchführung einer Bilitec-Messung nur bei Patienten mit Achlorhydrie oder Voroperationen am Magen vor. In den letzten Jahren wird Objektivierung eines nicht-sauren Refluxes auch zunehmend die Impedanzmessung eingesetzt. Größere klinische Erfahrungen mit dieser neuen Methode liegen allerdings noch nicht vor.
penhemmern gilt als einfacher und kostengünstiger empirischer Test zum Nachweis einer Refluxkrankheit (PPI-Test). Die Sensitivität des PPI-Tests ist hoch, bei allerdings geringer Spezifität, da auch andere Erkrankungen aus dem peptischen Formenkreis auf Protonenpumpenhemmer ansprechen (Fass et al. 1999).
PPI-Test. Die Gabe eines Protonenpumpeninhibitors (PPI) führt
24
03:00
bei Patienten mit Refluxkrankheit in der Regel rasch zum Verschwinden der Symptome. Das symptomatische Ansprechen auf einen kurzen Therapieversuch mit hochdosierten Protonenpum-
Manometrie. Die Barrierefunktion des unteren Ösophagus-
sphinkters lässt sich durch manometrische Messung des Ruhedrucks und Bestimmung der Gesamtlänge und der intraabdominellen Länge der Hochdruckzone am gastroösophagealen Übergang quantifizieren. Die manometrische Bestimmung des dreidimensionalen Sphinkter-Vektor-Druck-Volumens erlaubt eine integrierte Erfassung dieser Parameter. Es ist allerdings umstritten, ob durch Druckmessungen im unteren Ösophagussphinkter die Indikationsstellung zur chirurgischen Therapie verbessert werden kann. Die propulsive Kraft der Speiseröhre kann am besten mittels Standard- oder ambulanter 24-Stunden-Manometrie der tubulären Speiseröhre evaluiert werden. Die Manometrie der tubulären Speiseröhre ist insbesondere vor einer geplanten Antirefluxoperation, zum Ausschluss einer zugrunde liegenden primären ösophagealen Funktionsstörung, wie Achalasie oder diffuser Ösophagospasmus, wichtig, um schlechte Ergebnisse durch falsche Indikationsstellung zu vermeiden.
24
273 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
Magenentleerungsszintigraphie. Eine gestörte Magenentlee-
rung besteht bei bis zu 50% der Patienten mit Refluxkrankheit. Die objektive Messung der Magenentleerung erfolgt am besten mittels Magenentleerungsszintigraphie. Eine generelle Abklärung der Magenentleerung bei Patienten mit primärer Refluxkrankheit ist allerdings nicht erforderlich. Bei Verdacht auf sekundäre Refluxkrankheit sollte nach Ausschluss einer mechanischen Magenausgangs- oder Duodenalstenose aber eine objektive Quantifizierung der Magenentleerungsfunktion erfolgen. Magensaftanalyse. Alleinige Hypersekretion von Magensäure ist eine seltene, aber gut therapierbare Ursache der Refluxkrankheit. Der Sekretionsstatus wird in der Regel mittels Magensaftanalyse bestimmt. Hierzu wird über eine Magensonde die im Verlauf einer Stunde ohne Stimulation produzierte Magensäure kontinuierlich abgesaugt und titriert (basale Magensaftsekretion). Zur Bestimmung der maximalen Säuresekretionskapazität wird Pentagastrin appliziert und die sezernierte Magensäure erneut titriert. Nach Einführung der ambulanten 24-StundenMagen-pH-Metrie hat die Magensaftanalyse zur Bestimmung des Säuresekretionsstatus jedoch an Bedeutung verloren.
Rationale Diagnostik der Refluxkrankheit Bei Bestehen von typischen Refluxsymptomen ist zunächst ein zeitlich limitierter probatorischer Therapieversuch mit hochdosierten säuresuppressiven Medikamenten ohne weitere diagnostische Maßnahmen gerechtfertigt. Persistieren die Symptome unter Medikation oder treten sie bald nach Absetzen der Medikamente wieder auf, sollte eine objektive Diagnostik angestrebt werden. Bei Patienten mit atypischen Symptomen ist nach Ausschluss extraösophagealer Ursachen der Beschwerden ebenfalls eine objektive Dokumentation oder Ausschluss einer zugrunde liegenden Refluxkrankheit unerlässlich. Das eigene diagnostische Vorgehen ist in . Abb. 24.27 als Flussdiagramm dargestellt (Stein 1997). Am Beginn der Diagnostik steht immer die Endoskopie. Sie dient der Diagnose einer Ösophagitis. Eine Biopsie aller suspekten Schleimhautbezirke ist dabei unerlässlich zum Ausschluss oder Nachweis einer intestinalen Zylinderepithelmetaplasie im Ösophagus (d. h. eines Barrett-Ösophagus). Lässt sich bei dieser Untersuchung eine Ösophagitis oder ein Barrett-Ösophagus nachweisen, kann mit hoher Sicherheit von einer zugrunde liegenden Refluxkrankheit ausgegangen werden. Erscheint die Ösophagusschleimhaut endoskopisch unauffällig, muss zur Diagnose oder zum Ausschluss einer Refluxkrankheit Grad 0 oder »Endoskopie-negativen Refluxkrankheit« eine 24-StundenpH-Metrie der Speiseröhre erfolgen. Eine Objektivierung der Refluxkrankheit durch pH-Metrie ist auch dann indiziert, wenn bei einem Patienten mit rezidivierenden oder persistierenden Refluxbeschwerden oder Ösophagitis trotz adäquater medikamentöser Therapie eine Antirefluxoperation erwogen wird. Vor Durchführung einer Antirefluxoperation sollte bei diesen Patienten auch eine Manometrie des Ösophagus zum Ausschluss einer zugrunde liegenden primären Motilitätsstörung des Ösophagus (wie z. B. Achalasie oder diffuser Ösophagospasmus) erfolgen. Zusätzlich lässt sich hierdurch in der Regel auch eine gestörte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters nachweisen. Die ambulante 24-Stunden-Bilirubin-Messung der Speiseröhre ermöglicht den Nachweis einer biliären Komponente im gastroösophagealen Regurgitat und kann dadurch die Indikation zum chirurgischen Vorgehen verstärken. Die röntgenologische Diagnostik der Refluxkrankheit ist unzuverlässig.
'Atypische' Symptome
Persistierende typische Refluxsymptome
Ausschluss extraösophagealer Erkrankungen
Endoskopie Ösophagitis oder Barrett-Ösophagus
keine Ösophagitis kein Barrett-Ösophagus
Protonenpumpenhemmer für 8-12 Wochen Rezidivierende Symptome oder Ösophagitis
24-Stunden-pH-metrie Manometrie ggf. 'Bilitec-Messung' primäre Refluxkrankheit medikamentöse Dauertherapie oder laparoskopische Fundoplikatio
keine primäre Refluxkrankheit weiterführende Diagnostik
. Abb. 24.27. Algorithmus zum rationellen diagnostischen Vorgehen bei der Refluxkrankheit
Diagnostisches Vorgehen beim Barrett-Ösophagus Die Diagnose eines Barrett-Ösophagus ist nur in Zusammenschau des endoskopischen Befundes und der histologischen Aufarbeitung der Biopsien möglich.
Aufgrund des Karzinomrisikos, der Chance für die Entdeckung von Karzinomvorstufen (intraepitheliale Neoplasien, früher: Dysplasien) und der Konsequenzen im Hinblick auf therapeutische Intervention, Prävention und endoskopische Überwachungsstrategien sollte jede auffällige Läsion ausgiebig biopsiert werden.
Endoskopische Färbemethoden (z. B. mit Methylenblau) können hier hilfreich sein. Die genaue Angabe der Lokalisation der Biopsie ist wichtig zur Beurteilung des Karzinomrisikos. Entsprechend dem derzeitigen Wissenstand besteht ein deutlich erhöhtes Karzinomrisiko nur bei Nachweis einer spezialisierten intestinalen Metaplasie im Ösophagus (Barrett-Ösophagus), nicht jedoch bei Nachweis einer intestinalen Metaplasie unmittelbar im Bereich des ösophagogastralen Übergangs (intestinale Metaplasie der Kardia). Bei Nachweis eines Barrett-Ösophagus ohne intraepitheliale Neoplasien in multiplen Biopsien wird derzeit, unabhängig von der Therapie der zugrunde liegenden Refluxkrankheit, eine endoskopisch bioptische Überwachung im Abstand von ein bis 3 Jahren empfohlen (Spechler 2005; Sampliner 2002). Tumoren, die bei Patienten im Rahmen derartiger Überwachungspro-
274
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
gramme entdeckt werden, sind in der Regel noch auf die Mukosa oder Submukosa beschränkt und können kurativ mit einer 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von über 85% reseziert werden (DeMeester u. DeMeester 2000; van Sandick et al. 1998). Beim Nachweis von geringgradigen intraepithelialen Neoplasien sollte zunächst eine hochdosierte Therapie mit Protonenpumpenhemmer für 6–8 Wochen erfolgen, um eine potenziell vorliegende Inflammation, die häufig als niedriggradige intraepitheliale Neoplasie fehlgedeutet wird, zum Abheilen zu bringen. Im Anschluss daran sollte eine Reendoskopie mit erneuten ausgiebigen Biopsien erfolgen. Bestätigt sich die niedriggradige intraepitheliale Neoplasie, muss das Überwachungsintervall auf 6 Monate reduziert werden. Beim Nachweis hochgradiger intraepithelialen Neoplasien liegt häufig bereits an anderer Stelle ein invasives Karzinom vor. Empfohlen wird eine sofortige Reendoskopie mit erneuten ausgiebigen Biopsien. Bei Nachweis eines Karzinoms, erfolgt die Therapie entsprechend onkologischen Prinzipien. Bestätigt sich die Diagnose einer hochgradigen intraepitheliale Neoplasie, wird von der Mehrzahl der Experten ebenfalls eine (limitierte) Resektion empfohlen (DeMeester u. DeMeester 2000). Molekulare Marker zur Identifizierung von Risikogruppen für eine maligne Progression des Barrett-Ösophagus haben sich bislang nicht bewährt. Nach Ausschluss einer intraepithelialen Neoplasie oder eines invasiven Karzinoms erfolgt die Diagnostik der zugrunde liegenden gastroösophagealen Refluxkrankheit bei Patienten mit Barrett-Ösophagus wie bei Refluxpatienten ohne BarrettMukosa. In der Regel zeigt sich hier – trotz häufig wenig eindrucksvoller klinischer Symptomatik – ein deutlich vermehrter saurer und biliärer Reflux bei inkompetentem unterem Ösophagussphinkter und eingeschränkter Clearance-Funktion des tubulären Ösophagus.
zeigt werden, dass Protonenpumpenhemmer (z. B. Omeprazol, Lansoprazol oder Pantoprazol) den H2-Blockern, Sucralfat oder Prokinetika deutlich überlegen sind. Mit konventionellen Dosen von Protonenpumpenhemmern (z. B. Omeprazol 20–40 mg/Tag) kann bei etwa 85% der Patienten eine erosive Ösophagitis innerhalb von 8–12 Wochen zum Abheilen gebracht werden. Durch höhere Dosen ist bei nahezu allen Patienten eine Abheilung der Refluxösophagitis erreichbar. Die Antirefluxchirurgie hat in der Akuttherapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit ihren Stellenwert verloren (DeVault 1999, DeVault 2005; Rösch u. Jaspersen 1998).
24.6.6 Therapie
Klassische Refluxkrankheit. Mit der Entwicklung laparoskopi-
Rezidivprophylaxe der gastroösophagealen Refluxkrankheit Trotz der hohen Erfolgsraten der medikamentösen Therapie in der Akutphase der Refluxkrankheit kommt es nach Absetzen der Medikation bei bis zu 50% der Patienten entsprechend dem zu erwartendem Spontanverlauf innerhalb weniger Tage zu einem Rezidiv der Erkrankung. Auch durch die früher häufig angeratenen allgemeinen Therapiemaßnahmen (wie Veränderungen in der Lebensweise, Gewichtsabnahme, Umstellung der Ernährung, Nikotin- und Alkoholkarenz, Hochlagerung des Kopfendes am Bett usw.) kann in der Regel ein Rezidiv nicht verhindert werden. Eine medikamentöse Rezidivprophylaxe ist bei diesen Patienten nur durch eine Dauertherapie mit Protonenpumpenhemmern möglich (Klinkenberg-Knoll et al. 2000; DeVault 2005). Bei diesen Patienten tritt die Antirefluxchirurgie in Konkurrenz zu den konservativen Maßnahmen. Endoskopisch-endoluminale Therapieverfahren stellen derzeit aufgrund fehlender Langzeiteffektivität keine rationelle Alternative zur medikamentösen Dauertherapie oder laparoskopischen Antirefluxchirurgie dar (Shapira 2002). Indikationsstellung zur Antirefluxchirurgie
Therapieziele Die Behandlungsziele bei Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit sind klar definiert. In der Akutphase sind die rasche Besserung der Refluxsymptome und, falls vorhanden, die Abheilung der Ösophagitis von entscheidender Bedeutung. Im weiteren Verlauf treten dann die Prävention von Rezidiven und Komplikationen der Refluxkrankheit sowie eine Verhinderung des Auftretens eines Barrett-Ösophagus und dessen maligne Entartung in den Vordergrund. Diese Therapieziele sollten ohne wesentliche Morbidität und Nebenwirkungen erreicht werden. Für die Langzeittherapie ist es darüber hinaus erforderlich, dass die eingeleiteten Therapiemaßnahmen kosteneffektiv und ohne wesentliche Compliance-Probleme durchführbar sind. Bei Patienten mit bereits etabliertem Barrett-Ösophagus kann mit keiner der derzeit verfügbaren Therapiemodalitäten die maligne Entartung zuverlässig verhindert werden. Eine frühzeitige Erkennung der Progression zum Karzinom steht hier ganz im Vordergrund. Die Therapieziele bei der Behandlung des zugrunde liegenden gastroösophagealen Refluxes entsprechen denen der Refluxkrankheit ohne Barrett-Ösophagus (Stein et al. 2000).
24
Akuttherapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit Die Akuttherapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit ist heute eine unumstrittene Domäne medikamentöser Therapiemaßnahmen. In einer Reihe randomisierter Studien konnte ge-
scher Techniken erlebte die chirurgische Therapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit in den letzten Jahren eine Renaissance als minimal-invasive, effektive und kostengünstige Alternative zu einer potenziell lebenslangen medikamentösen Dauertherapie. In einer prospektiv randomisierten Studie zeigte sich bei Patienten mit rezidivierender Refluxösophagitis ein signifikanter Vorteil der Antirefluxchirurgie im Vergleich zur medikamentösen Dauertherapie mit der Standarddosis eines Protonenpumpenhemmers. Bei Anpassung (d. h. Erhöhung) der Medikamentendosis entsprechend der Symptomatik der Patienten war medikamentöse Dauertherapie der Antirefluxchirurgie im Hinblick auf Symptomkontrolle, Rezidiv der Ösophagitis und Lebensqualität ebenbürtig. Allerdings bestand nach Antirefluxchirurgie eine höhere Rate an Nebenwirkungen, wie Unfähigkeit zum Aufstoßen oder Flatulenz (Lundell et al. 2001). Die Indikationsstellung zur Antirefluxchirurgie erfordert damit eine kritische Abwägung ihrer Vor- und Nachteile im Vergleich zu den konservativen, medikamentösen Alternativen. Jeder Patient mit persistierender oder rezidivierender Ösophagitis und/oder Refluxsymptomatik, der auf eine medikamentöse Langzeittherapie angewiesen ist, ist auch ein potenzieller Kandidat für die Antirefluxchirurgie. Die Durchführung einer Antirefluxoperation sollte dann erwogen werden, wenn es sich um einen jungen Patienten ohne wesentliche Risikofaktoren handelt, wenn eine medikamentöse Dauertherapie aufgrund von Nebenwirkungen nicht möglich ist, wenn Bedenken über die Langzeit-
24
275 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
. Abb. 24.28. Beweggründe zur Antirefluxoperation bei 150 konsekutiven Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit (Mehrfachnennungen möglich)
Besorgnis über Langzeitsicherheit der PPI's Möglichkeit der laparoskopischen Operation Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie Alternative zur medikamentösen Dauertherapie Rezidivierende Symptome oder Ösophagitis 0%
sicherheit der verfügbaren medikamentösen Alternativen bestehen oder wenn der Patient die medikamentöse Dauertherapie ablehnt (Stein et al. 1998). Bei Vorliegen der 3 Parameter 4 typische Symptome, 4 positive pH-Metrie und 4 gutes symptomatisches Ansprechen auf Protonenpumpeninhibitoren liegt die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Antirefluxoperation bei über 95%. Liegen nur 2 oder einer dieser Faktoren vor, sinkt die Erfolgsaussicht auf unter 70% (Campos et al. 1999). Demzufolge ist ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit dem Patienten über die potenziellen Vor- und Nachteile, Erfolgsaussichten, Risiken sowie möglichen Nebenwirkungen der Fundoplikation im Vergleich zur medikamentösen Dauertherapie erforderlich. Die freie Entscheidung des Patienten zwischen den therapeutischen Alternativen nach dem Aufklärungsgespräch sollte respektiert werden. Eine Ausweitung der angeführten Indikationen zur Antirefluxchirurgie nur aufgrund der Verfügbarkeit eines minimal-invasiven chirurgischen Vorgehens sollte nicht erfolgen. Die Beweggründe zur Entscheidung für eine Antirefluxoperation bei 150 konsekutiven Patienten an der eigenen Klinik sind in . Abb. 24.28 dargestellt. In unserer Erfahrung stellen Refluxrezidive trotz medikamentöser Säuresuppression, die Vermeidung einer potenziell lebenslangen medikamentösen Therapie und Nebenwirkungen der säuresuppressiven Therapie die wesentlichen Gründe für den Entschluss zur Fundoplikation dar. Eine Besorgnis über die Langzeitsicherheit der verfügbaren Medikamente und die Möglichkeit eines minimal-invasiven Vorgehens spielen dagegen eher eine untergeordnete Rolle (Stein et al. 1998).
20 %
40 %
60 %
80 %
100 %
tion einer posterioren Laryngitis und gutem Ansprechen auf medikamentöse Säuresuppression kann jedoch als Alternative zur medikamentösen Dauertherapie eine Fundoplikation mit guter Aussicht auf Erfolg erwogen werden (Bowrey et al. 2000). Patienten mit Barrett-Ösophagus. Weder medikamentöse Säure-
suppression noch Antirefluxchirurgie führen bei Patienten mit bereits bestehendem Barrett-Ösophagus zu einer vorhersagbaren Regression des Ausmaßes der Zylinderepithelmetaplasie. Auch bieten anhand der derzeit vorliegenden Daten weder die medikamentöse Dauertherapie noch die Antirefluxchirurgie einen sicheren Schutz gegen die maligne Entartung eines BarrettÖsophagus Stein et al. 2000). Somit sind die Indikationen zur Durchführung einer Antirefluxoperation bei Patienten mit Barrett-Ösophagus die gleichen wie bei Patienten mit Refluxkrankheit ohne Nachweis einer Zylinderepithelmetaplasie, d. h. die Indikation zur Antirefluxchirurgie beruht nicht auf einer möglichen Verhinderung eines Karzinoms, sondern auf der dauerhaften Kontrolle der Refluxsymptome und Verhinderung einer Ösophagitis oder peptischen Stenose. Demzufolge stellt der alleinige Nachweis eines Barrett-Ösophagus bei einem asymptomatischen Patienten keine Indikation zur Antirefluxchirurgie dar (Stein et al. 1998). Bei der Indikationsstellung zur Antirefluxoperation bei einem Patienten mit Barrett-Ösophagus sollte auch erwogen werden, dass durch den Eingriff und die damit veränderten anatomischen Verhältnisse die frühzeitige Diagnose und chirurgische Therapie eines möglicherweise später auftretenden Karzinoms im BarrettÖsophagus deutlich erschwert werden können.
Patienten mit überwiegend sekundären Refluxsymptomen.
In jedem Fall muss vor Durchführung einer Antirefluxoperation bei Patienten mit Barrett-Ösophagus zum Ausschluss von bereits vorliegenden Dysplasien oder eines Karzinoms im Bereich des Zylinderepithels ausgiebig biopsiert werden.
Der Stellenwert der Antirefluxchirurgie bei Patienten mit refluxassoziierten respiratorischen oder pharyngealen Symptomen, wie chronischer Husten, Aspiration, Heiserkeit oder Globusgefühl, ist bislang nicht eindeutig gesichert. Die in der Literatur angegebenen Erfolgsraten der Fundoplikation bei diesen Patienten schwanken zwischen 50 und 90% und stehen in engem Zusammenhang mit der aufgebrachten Sorgfalt in der Diagnostik des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Symptom und gastroösophagealem Reflux. Bei objektivem Nachweis einer zeitlichen Korrelation zwischen Symptom und Säurereflux, Dokumenta-
Auch nach einer erfolgreichen Antirefluxoperation muss der Patient in ein langfristiges endoskopisch-bioptisches Überwachungsprogramm eingebunden werden, wie es auch für Patienten mit Barrett-Ösophagus unter medikamentöser Therapie empfohlen wird. Aufgrund dieser Überlegungen wird die Indikationsstellung zur Antirefluxoperation bei Patienten mit BarrettÖsophagus in der eigenen Abteilung zunehmend kritischer hinterfragt, vor allem wenn bereits niedriggradige intraepitheliale
276
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
. Abb. 24.29. Kurze und lockere 360°-Manschette um den distalen Ösophagus, gebildet aus der Fundusvorderwand (Fundoplikation nach NissenRossetti)
Neoplasien vorliegen. Beim Nachweis hochgradiger intraepithelialer Neoplasien hat die Antirefluxchirurgie keinen Stellenwert, hier sollten onkologische Therapieprinzipien zum Einsatz kommen. Die Ablation der Barrett-Mukosa (mittels photodynamischer Therapie, endoskopischer Mukosaresektion, Plasma- oder Laserkoagulation) mit oder ohne Antirefluxoperation stellt ein experimentelles Therapieverfahren dar, dessen Nutzen nicht gesichert ist. Abgesehen von den potenziellen Komplikationen dieser invasiven Verfahren (Stenosen, Perforationen, Blutungen) wurden auch nach »erfolgreicher« Ablation die Persistenz genetischer Veränderungen und die Entwicklung von Adenokarzinomen im distalen Ösophagus beschrieben. Da derartige Tumoren sich auch in persistierenden Drüsen unterhalb eines nach Ablation regenerierten Plattenepithels entwickeln können, erschwert dieses Vorgehen unter Umständen sogar die frühzeitige Diagnose eines Karzinoms. Vom breiten Einsatz der Ablationstechniken außerhalb kontrollierter Studien wird deshalb derzeit sowohl beim Barrett-Ösophagus als auch mit intraepithelialen Neoplasien abgeraten (Bremner u. DeMeester 1998; Ell et al. 2000).
24
Patienten mit peptischen Stenosen. Aufgrund der nahezu obligat vorhandenen schweren Motilitätsstörung im Bereich der distalen Speiseröhre sind die Erfolgsraten der Antirefluxchirurgie bei Patienten mit peptischen Stenosen mit ca. 70–80% deutlich schlechter als bei Patienten mit Refluxösophagitis. Die konservative Therapie mit hochdosierten Protonenpumpenhemmern und wiederholter endoskopischer Bougierung bietet hier deutliche Vorteile und stellt damit derzeit die primäre Therapie der Wahl dar (Richter 1999). Nach Abheilen der Stenose und Erholung der propulsiven Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre unter den konservativen Therapiemaßnahmen kann jedoch mit guter Erfolgsaussicht sekundär, als Alternative zur medikamentösen Dauertherapie, eine Fundoplikation durchgeführt werden. Im seltenen Fall des Nichtansprechens der Stenose auf die konservativen Therapiemaßnahmen kann als chirurgische Alternative eine Resektion der Stenose mit Interposition eines Dünndarmsegmentes erwogen werden.
24.6.7 Wirkmechanismus und Verfahrenswahl
der Antirefluxchirurgie Im Gegensatz zu den verfügbaren medikamentösen Maßnahmen liegt das Prinzip der Antirefluxchirurgie in einer kausalen Therapie der zugrunde liegenden Funktionsstörung des Antirefluxmechanismus. So wird durch die Mehrzahl der beschriebenen Antirefluxoperationen die defekte Druckbarriere am gastroösophagealen Übergang durch eine mehr oder weniger ausgeprägte Manschettenbildung um den distalen Ösophagus rekonstruiert und damit der auf den unteren Ösophagussphinkter einwirkende Öffnungsdruck (intragastraler Druck) des Magens neutralisiert. Dies verhindert auch die unzeitgerechten Relaxationen des unteren Ösophagussphinkters. Eine intraabdominelle Verankerung des distalen Ösophagus, wie sie ebenfalls bei der Mehrzahl der beschrieben Antirefluxoperationen erfolgt, führt zu einer Verbesserung der gestörten Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre, vor allem bei Patienten mit axialer Hiatushernie. Nach Ausmaß der Manschettenbildung um den terminalen Ösophagus und Lage der Manschette wird zwischen einer kompletten 360°-Fundoplikation (Nissen-Fundoplikation, . Abb. 24.29) und verschiedenen Formen der Hemiplikation (z. B. Toupet, Lind, Belsey, Dor) unterschieden. Alle klinisch erwiesenermaßen erfolgreichen primären Antirefluxoperationen (360°Fundoplikation, Hemiplikationen) verwenden einen Anteil der Magenwand des Fundus zur Manschettenbildung. Früher häufig angewandte alleinige Gastropexieverfahren und Verfahren der Rekonstruktion des His-Winkels haben sich in Langzeitverlaufsuntersuchungen nicht bewährt und sind heute weitgehend verlassen. Nach wie vor wird kontrovers diskutiert, ob eine 360°-Fundoplikation oder eine Form der Hemiplikation den besten primären Antirefluxeingriff darstellt. Die weltweit größte Erfahrung liegt für die Bildung einer kurzen und weiten 360°-Manschette (modifizierte Fundoplikation nach Nissen-Rossetti) vor. Die Verfechter einer Hemiplikation als primären Antirefluxeingriff füh-
277 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
ren als Argument gegen die 360°-Fundoplikation eine in einigen, (aber nicht allen) randomisierten Studien gezeigte höhere initiale Nebenwirkungsrate an. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch für die Hemiplikation, nicht aber für die 360°-Fundoplikation, einen deutlichen Wirkungsverlust im Langzeitverlauf (Ludemann 2005; Watson 2004; Alexiou et al. 1999; Farrell et al. 2000). Eine initial potenziell höhere Nebenwirkungsrate wird durch die Dauerhaftigkeit des Antirefluxeffekts der 360°-Fundoplikation mehr als wettgemacht. Durch adäquate Technik lassen sich darüber hinaus viele der Nebenwirkungen der 360°-Fundoplikation vermeiden (DeMeester u. Stein 1992). Dies gilt auch für Patienten mit eingeschränkter peristaltischer Funktion des tubulären Ösophagus. Im eigenen Vorgehen stellt deshalb die Nissen-Fundoplikation in der Modifikation nach Rossetti mit kurzer (2–3 cm) und lockerer Manschette um den distalen Ösophagus, sowohl beim Patienten mit regulärer Peristalsis als auch bei Patienten mit eingeschränkter Clearance-Funktion des tubulären Ösophagus, das Verfahren der Wahl dar. Bei Vorliegen eines komplett aperistaltischen tubulären distalen Ösophagus, wie z. B. bei der Sklerodermie, kann weder die Anlage einer 360°-Fundoplikation noch die Verwendung einer Hemiplikation einen Therapieerfolg sicherstellen. Bei diesen Patienten sollte bei medikamentös nicht beherrschbarem Reflux wegen der zugrunde liegenden mehr generalisierten Funktionsstörung auf resektive Verfahren zurückgegriffen werden. Auch auf die Kombination einer Antirefluxmanschette mit Vagotomie sollte verzichtet werden, da dies zur Fehlplatzierung oder einem Auskrempeln der Manschette, dem »Teleskop-Phänomen«, prädisponiert. Die Kombination aus 2/3-Magensekretion, Vagotomie und Roux-Y-Galleableitung reduziert die aggressiven Faktoren in der Pathophysiologie der Refluxkrankheit (d. h. Reflux von Säure und Duodenalinhalt). Dieses Vorgehen ist aufgrund des Ausmaßes des Eingriffs als primäre chirurgische Therapie der Refluxkrankheit jedoch nicht indiziert, stellt allerdings eine gute Alternative beim Rezidiveingriff nach Antirefluxoperation dar, wenn eine Revision der Anitrefluxplastik nicht möglich ist oder zu riskant erscheint. Sowohl die Fundoplikation als auch die verschiedenen Formen der Hemiplikation werden heute in erfahrenen Zentren nahezu ausnahmslos minimal-invasiv, laparoskopisch operiert. Nach initialer Euphorie über die reduzierte Invasivität und den besseren Patientenkomfort zeigt sich in den letzten Jahren jedoch zunehmend, dass das laparoskopische Vorgehen unter Umständen mit einer höheren Komplikations- und Nebenwirkungsrate verbunden ist, als beim konventionellen Zugang via Laparotomie (Bais et al. 2000). Entscheidend zur Vermeidung einer erhöhten Komplikations- und Nebenwirkungsrate beim laparoskopischen Vorgehen ist ganz eindeutig die Erfahrung des Operateurs und des Zentrums, in dem der Eingriff durchgeführt wird. Die »Lernkurve« ist flacher als vielfach angenommen. Erst bei mehr als 50–100 laparoskopischen Antirefluxeingriffen kann von einer ausreichenden Expertise ausgegangen werden. Die laparoskopische Antirefluxchirurgie sollte daher nur an erfahrenen Zentren erfolgen (Loustarinen u. Isolauri 1999; Catarci 2004).
24
24.6.8 Modifizierte Fundoplikation nach Nissen-
Rossetti Operationstechnik Die wesentlichen Prinzipien und Operationsschritte der Fundoplikation sind das Ergebnis einer konsequenten Weiterentwicklung der von Rudolf Nissen (1961) initial beschriebenen Operationstechniken, mit dem Ziel der Vermeidung von (früher häufigen) Fehlergebnissen und Verbesserung der Langzeitergebnisse (DeMeester u. Stein 1992; Siewert et al. 1992; Siewert u. Stein 1996). Die Operationstechnik beim laparoskopischen Vorgehen entspricht exakt der des offenen Eingriffs (. Abb. 24-30a–d). Der Ösophagus wird nach Inzision der peritonealen Umschlagfalte im Bereich des ösophagogastralen Übergangs dargestellt und ausreichend mobilisiert. Eine ausgedehnte Skelettierung an der kleinen Kurvaturseite des ösophagogastralen Übergangs ist nicht notwendig und erhöht das Risiko einer Manschettendislokation. Die ausreichende Beweglichkeit des Fundus ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die spannungsfreie Anlage der Fundusmanschette. Deshalb erfolgt immer eine partielle Skelettierung im Bereich der großen Kurvatur des Fundus. Auf sorgfältige Schonung beider Stämme des N. vagus muss geachtet werden. Der vordere Trunkus, der in der Regel der Ösophaguswand dicht anliegt, kommt innerhalb der Manschette zu liegen, während der hintere Trunkus wegen seiner meist nur lockeren Verbindung zum Ösophagus außerhalb der Manschette verbleiben kann. Die Rami hepatici bleiben unverletzt, da die Manschettenbildung oral davon erfolgt. Nach Reposition der meist vorliegenden axialen Hiatushernie erfolgt zunächst der Verschluss des Hiatus mit kräftigem, nichtresorbierbarem Nahtmaterial so weit, dass dem mit einem dicken Bougie geschienten Ösophagus (mindestens 40 Fr) im Hiatus noch ausreichend Bewegungsspielraum bleibt. Die Manschette selbst wird aus der Magenfundusvorderwand so kranial wie möglich gebildet. Die Fundusfalte wird hinter der distalen Speiseröhre durchgeführt. Die Kontur dieser Falte bleibt bei ausreichender Mobilisierung des Fundus spannungsfrei auf der Gegenseite. Es erfolgt die Nahtreihe am besten von kranial nach kaudal, wobei in der Regel 3 Einzelnähte (nicht-resorbierbares Nahtmaterial) genügen. Die Manschette sollte nicht länger als 3 cm sein und locker um den geschienten distalen Ösophagus zu liegen kommen. Zur Verhinderung einer Manschettendislokation erfolgt eine Fixation der Fundoplikation mit einer Naht im Bereich des ösophagogastralen Übergangs. Zur Prävention eines Teleskop-Phänomens legen wir zwischen Unterrand der Manschette und Magenvorderwand noch 2 Einzelknopfnähte an (sog. Pfeilernähte).
Zur Vermeidung einer zu großen Druckbelastung der Manschette während der Aufwachphase wird für die ersten postoperativen Stunden eine Magensonde gelegt. Eine Drainage des Bauchraumes ist meist nicht notwendig. Eine orale Belastung ist bereits am Abend des Eingriffstages möglich.
278
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
. Abb. 24.30a–d. Operationstechnik der laparoskopischen 360°-Fundoplikation nach Nissen-Rossetti. a Nativer Situs mit Hiatushernie; b hintere
Wesentliche Schritte bei der 360°-Fundoplikation nach Nissen-Rossetti zur Vermeidung von Komplikationen, Nebenwirkungen und Rezidiven 5 Großzügige Mobilisierung der großen Kurvatur im Bereich des Fundus 5 Möglichst sparsame Skelettierung der kleinen Kurvatur 5 Ausreichende Mobilisierung des distalen Ösophagus 5 Schonung beider Nn. vagi 5 Verschluss des Hiatus 5 Verwendung der Fundusvorderwand zur Manschettenbildung 5 Bildung einer kurzen (maximal 3 cm) und lockern Manschette um den distalen Ösophagus (dicker intraluminaler Bougie!) 5 Verwendung von nicht-resorbierbarem Nahtmaterial
24
Komplikationsmöglichkeiten Die intraoperativen Komplikationsmöglichkeiten umfassen Blutung, Ösophagus- bzw. Magenwandläsionen und Verletzung von Nachbarorganen. Splenektomie aufgrund Milzverletzung stellt bei sorgfältiger Operationstechnik eine extreme Rarität dar. Eine
Hiatoplastik; c Bildung der Manschette mit Fixierung an der Ösophaguswand; d komplettierte Fundoplikation
Verletzung der Ösophagus- oder Magenwand scheint beim laparoskopischen Vorgehen häufiger zu sein als beim Zugang über eine Laparotomie. Vor allem Patienten mit florider Ösophagitis oder Vernarbung im Bereich des ösophagogastralen Übergangs sind hier gefährdet. Spezifische Komplikationsmöglichkeiten beim laparoskopischen Vorgehen sind Verletzungen des Kolons, des Duodenums oder großer intrabdomineller Gefäße bei der Trokarplatzierung. Als Folge derartiger Verletzungen wurde bereits über letale Verläufe berichtet. Pneumothorax und Pneumomediastinum sind ebenfalls spezifische Komplikationen des laparoskopischen Vorgehens, gehen jedoch, falls rechtzeitig erkannt und therapiert, mit keiner größeren Gefährdung des Patienten einher (Stein et al. 1998). Im unmittelbar postoperativen Verlauf kann gelegentlich ein drainagebedürftiger Pleuraerguss auftreten. Subphrenische Abszesse und Wundinfektionen werden praktisch nur nach Splenektomie oder Verletzung anderer intraabdomineller Organe beobachtet. Eine initial postoperativ temporäre Dysphagie, die in der Regel auf eine Schwellung der Manschette zurückzuführen ist, bedarf nur selten der endoskopischen Bougierung. Relativ häufig wird nach laparoskopischem Vorgehen über eine frühpostoperative Hernierung der Manschette ins untere Mediastinum, mit dem Bild einer paraöosphagealen Hernie, berichtet.
279 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
a
b
c
. Abb. 24.31a–c. Dreidimensionales manometrisches Druckprofil des unteren Ösophagussphinkters bei einem normalen Probanden (a), einem Patienten mit primärer Refluxkrankheit (b) vor und nach NissenFundoplikation (c)
Diese Komplikation ist in der Regel auf einen unzureichenden Verschluss des Hiatus oesophagus zurückzuführen und damit vermeidbar. Langzeitergebnisse In erfahrenen Zentren führt die Fundoplikation bei adäquat selektierten Patienten (7 Indikationsstellung) bei über 90% der Patienten zu einer effektiven und dauerhaften Verhütung jeglichen Refluxes von Mageninhalt in den Ösophagus. Die Ergebnisse des laparoskopischen Vorgehens sind diesbezüglich dem konventionellen, offenen Vorgehen vergleichbar (Stein et al. 1998; Watson 1998). Die klinischen Symptome der Refluxkrankheit bilden sich, ebenso wie die Ösophagitis, zurück. Manometrische und pH-metrische Nachuntersuchungen nach erfolgreicher Fundoplikation zeigen eine deutliche Verstärkung der Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters und eine Normalisierung der ösophagealen Säureexposition (. Abb. 24.31 und 24.32). Bei bis zu 10% aller Kranken erzielt die Fundoplikation nicht den gewünschten Erfolg. In aller Regel beruht dies auf einer falschen Selektion der Patienten (fehlende objektive Dokumentation der Refluxkrankheit!) oder intraoperativen technischen Fehlern, wie einer zu tief angelegten, einer zu engen oder zu langen Manschette oder eine Denervation des Magens durch unbeabsichtigte Verletzung des N. vagus.
Eine sorgfältige Selektion der Patienten, die objektive Dokumentation der primären gastroösophagealen Refluxkrankheit mittels Endoskopie, 24-Stunden-pH-Metrie und Manometrie sowie eine gewissenhafte Beachtung der technischen Details des operativen Eingriffs stellen somit die Schlüssel zum Erfolg der Antirefluxchirurgie dar (Stein u. DeMeester 1992).
Bei Patienten mit bereits existierendem Barrett-Ösophagus sind die Erfolgsraten der Antirefluxchirurgie in der Mehrzahl der publizierten Serien deutlich schlechter als bei Refluxpatienten ohne Barrett-Ösophagus. Die Regression eines bereits präoperativ existierenden Barrett-Ösophagus bleibt auch nach wirksamer
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Fundoplikation die Ausnahme. In gleicher Weise stellt die Fundoplikation keinen wirksamen Schutz vor der malignen Entartung eines bereits präoperativ existierenden Barrett-Ösophagus dar. Allerdings scheint eine Fundoplikation besser vor der Entwicklung eines Barrett-Ösophagus bei Patienten mit Refluxkrankheit zu schützen als eine medikamentöse Dauertherapie. Bei frühzeitiger Intervention, d. h. vor Auftreten eines Barrett-Ösophagus, kann die Antirefluxchirurgie damit auch als »prophylaktische Chirurgie« zur Karzinomprävention wirken. Neben der Suppression des pathologischen Refluxes unterbindet die Fundoplikation häufig auch den physiologischen Reflux. Bis zu 40% der Patienten berichten nach Fundoplikation über eine Behinderung des Aufstoßens, Unmöglichkeit des Erbrechens und einen vermehrten Flatus (Hogan 2000). Dies wird jedoch nur selten als Einschränkung empfunden. Postprandiales Völlegefühl und epigastrische Beschwerden nach Antirefluxoperation werden gewöhnlich auf eine Magenentleerungsstörung oder intraoperative Schädigung des N. vagus zurückgeführt, treten aber auch bei Patienten unter medikamentöser säuresuppressiver Therapie auf. Ein Großteil dieser Beschwerden ist damit auf eine möglicherweise zugrunde liegende generalisierte gastrointestinale Motilitätsstörung zurückzuführen, deren Symptome bislang von den vorherrschenden Refluxbeschwerden überdeckt worden waren (Tew et al. 2000). Fehlgeschlagene Antirefluxoperation und postoperative Syndrome nach Fundoplikation Zwischen 5 und 20% aller Patienten, bei denen eine Antirefluxoperation durchgeführt worden ist, begeben sich wegen persistierender oder postoperativ neu aufgetretener Beschwerden im weiteren Verlauf erneut in Behandlung. Rezidivierende Refluxbeschwerden sind der häufigste Grund, gefolgt von einer Kombination aus Dysphagie und Refluxsymptomen und von Dysphagie als alleinigem Symptom. Das sog. Denervations- oder »Gas-bloat-Syndrom« nach Antirefluxeingriffen ist heute selten (Stein et al. 1997). Die anamnestischen Angaben zu Art, Intensität und Zeitpunkt des Auftretens neuer oder des Wiederauftretens alter Symptome nach dem initialen Antirefluxeingriff geben wichtige Hinweise, zeigen jedoch nicht notwendigerweise die Ursache des Fehlschlagens der Antirefluxoperation an. Vielmehr ist ein detailliertes diagnostisches Vorgehen erforderlich. Im Vordergrund steht die Röntgenkontrastdarstellung der anatomischen Situation am ösophagogastralen Übergang, sowie die obere gastrointestinale Endoskopie. Ergänzt wird die Diagnostik durch eine Ösophagusmanometrie, eine 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie und ggf. eine Magenentleerungsszintigraphie. Anhand der Symptomatik und der Ergebnisse der diagnostischen Untersuchungen werden die postoperativen Syndrome nach Antirefluxeingriffen in eine der folgenden Kategorien klassifiziert (Hunter et al. 1999; Stein et al. 1997): 4 Rezidivierender Reflux aufgrund einer partiellen oder kompletten Auflösung einer Antirefluxmanschette 4 Dysphagie mit oder ohne Refluxbeschwerden aufgrund einer inkorrekt platzierten Manschette, eines »Auskrempelns« der Manschette (sog. Teleskop-Phänomen, . Abb. 24.33), einer peptischen Stenose oder aufgrund einer paraösophagealen Hernierung (. Abb. 24.34) 4 Dysphagie bei einer zu engen oder zu langen Fundoplikation, einem zu engen Verschluss des Hiatus oder einer zugrunde liegenden primären oder sekundären Motilitätsstörung der tubulären Speiseröhre
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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b . Abb. 24.32a,b. 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie eines Patienten mit Refluxkrankheit vor (a, oben) und nach Nissen-Fundoplikation (b, unten). Die Nissen-Fundoplikation führt zur kompletten Refluxsuppression
4 Epigastrische Beschwerden beim sog. »Denervationssyndrom« oder persistierende und präoperativ nicht erkannte andere zugrunde liegende Funktionsstörungen
24
Technische Probleme bei der Erstoperation oder eine inadäquate Patientenselektion sind für die Mehrzahl der postoperativen Probleme nach Antirefluxeingriffen verantwortlich. Diese Probleme können durch eine sorgfältige präoperative Diagnostik, Patientenselektion und Operationstechnik vermieden werden. Die Erfahrung des Chirurgen, der die Erstoperation durchführt, ist deswegen der wesentliche prognostische Faktor für das Gelingen einer Antirefluxoperation. Eine Reoperation nach einem fehlgeschlagenen Antirefluxeingriff ist mit einer nicht zu vernachlässigenden Morbidität (20–40%) und Mortalität (2%) verbunden. Trotz einiger enthusiastischer Berichte ist die Erfolgswahrscheinlichkeit beim Reeingriff auch in erfahrenen Zentren deutlich geringer als beim Ersteingriff. Gute oder zufrieden stellende Resultate können mit Reeingriffen nur bei etwa 70–80% der Patienten erwartet werden. Als allgemeine Regel gilt, dass Patienten mit Refluxrezidiv ohne Dysphagie mit konservativen, medikamentösen
Maßnahmen, d. h. Protonenpumpenhemmern, gut therapiert werden können. Eine Reoperation sollte bei diesen Patienten nur dann erwogen werden, wenn das Risiko des Eingriffs als gering eingestuft wird, es sich um einen relativ jungen Patienten handelt und ein ausgeprägter Leidensdruck besteht. Im Gegensatz dazu ist bei Patienten mit postoperativ persistierender Dysphagie mit oder ohne gleichzeitig bestehenden Refluxsymptomen in der Regel eine chirurgische Revision erforderlich (Stein et al. 1996). Das Spektrum der verfügbaren Verfahren beim Reeingriff reicht von einer einfachen Refundoplikation bis hin zur Ösophagektomie. Patienten, bei denen der Ersteingriff auf einer falschen Diagnose basierte, kann in aller Regel durch eine Auflösung der vorangegangenen Antirefluxoperation und Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung geholfen werden. In ähnlicher Weise kann eine paraösophageale Hernie nach Antirefluxoperation durch eine einfache chirurgische Hernienreduktion, Pexie und Hiatoplastik therapiert werden. Bei Patienten mit inadäquat durchgeführter initialer Antirefluxoperation, Auflösung der initialen Antirefluxoperation oder bei Patienten mit dem Teleskop-Phänomen kann der Versuch der Refundoplikation un-
281 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
24
. Abb. 24.33. Röntgenkontrastdarstellung eines Teleskopphänomens nach Nissen-Fundoplikation
. Abb. 24.34. Röntgenkontrastdarstellung nach epiphrenisch hernierten Fundoplikation
ternommen werden. Die Erfolgswahrscheinlichkeit liegt bei diesen Patienten bei etwa 85%, vorausgesetzt die Indikationsstellung zur Erstoperation war korrekt und die peristaltische Aktivität der tubulären Speiseröhre ist durch die Voroperation nicht wesentlich beeinträchtigt. Bei Patienten mit schwer gestörter Funktion der tubulären Speiseröhre und konservativ nicht kontrollierbaren Refluxsymptomen kann eine subtotale Gastrektomie mit trunkulärer Vagotomie und Roux-Y-Galleableitung erwogen werden, vor allem dann, wenn durch die funktionelle Diagnostik eine biliäre Komponente im Refluat aufgezeigt werden kann. Bei Patienten mit postoperativer Dysphagie und schwer gestörter Clearance-Funktion der tubulären Speiseröhre sollte eine Resektion erwogen werden, insbesondere wenn mehrere fehlgeschlagene Antirefluxoperationen vorangegangen sind, wenn eine derbe, nichtdilatierbare Stenose im distalen Ösophagus besteht, ausgedehnte Vernarbungen im Operationsgebiet vorliegen oder der Fundus durch die vorangegangenen Operationen »aufgebraucht« ist. Nach unserer Erfahrung ist in dieser Situation die Resektion des
distalen Ösophagus und des ösophagogastralen Übergangs mit Interposition eines kurzen gestielten Jejunumsegments, die sog. Merendino-Operation, eine attraktive Alternative zur Koloninterposition oder zum Magenhochzug.
Das erfolgreiche Management von Patienten mit fehlgeschlagenem Antirefluxeingriff erfordert ein individuelles Vorgehen, basierend auf dem Beschwerdebild des Patienten, den Ergebnissen von Funktionstests und den intraoperativen Befunden. Reeingriffe nach fehlgeschlagener Antirefluxoperation sollten somit nur an Zentren mit Erfahrung im gesamten Spektrum der resektiven und rekonstruktiven Chirurgie des gastroösophagealen Übergangs durchgeführt werden.
282
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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24
283 24.7 · Funktionsstörungen
24.7
Funktionsstörungen
) ) Eine gestörte propulsive Aktivität der tubulären Speiseröhre und/ oder eine gestörte Koordination zwischen Peristaltik der tubulären Speiseröhre und Relaxation des unteren Ösophagussphinkters sind die wesentlichen pathophysiologischen Korrelate der ösophagealen Motilitätsstörungen. Diese Motilitätsstörungen betreffen entweder direkt und ausschließlich den Ösophagus (primäre Motilitätsstörungen) oder resultieren aus einer neurologischen, muskulären, systemischen oder sonstigen Erkrankung (sekundäre Motilitätsstörungen). Mit Einführung der Standardmanometrie des Ösophagus wurde eine Reihe von primären Motilitätsstörungen als separate Erkrankungen definiert und klassifiziert (Vantrappen et al. 1979). Es handelt sich hierbei um die »Achalasie«, den »diffusen Ösophagospasmus«, den »Nussknacker-Ösophagus«, den »hypertensiven unteren Ösophagussphinkter« und um die große Gruppe der »unspezifischen Motilitätsstörungen« (7 Kap. 24.1).
24.7.1 Achalasie Die Achalasie ist die wohl am besten charakterisierte primäre Funktionsstörung der Speiseröhre. Sie ist durch eine fehlende oder inkomplette schluckreflektorische Relaxation des in der Regel hypertonen unteren Ösophagussphinkters und eine Aperistalsis des tubulären Ösophagus gekennzeichnet. Dies führt zu einer progressiven Dilatation der Speiseröhre, zur Stase von Speichel und Nahrungsmitteln sowie zur Superinfektion mit Bakterien und Pilzen. Historisches Bereits im Jahre 1672 berichtete Sir Thomas Willis erstmals über einen Patienten mit Dysphagie und dilatierter Speiseröhre, der durch Dehnung mit einem Walfischknochen erfolgreich behandelt worden waren. Systematische Berichte über dieses Krankheitsbild wurden in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts publiziert. Von Mikulicz berichtete über mehr als 100 Fälle mit »Kardiospas-
Dilatation Motilität
Sphinkter (UÖS)
Klassifikation Klassifiziert wird die Achalasie heute nach Ausmaß der Dilatation des tubulären Ösophagus in 3 Stadien (. Abb. 24.35). Im Stadium 1 besteht keine Dilatation, im Stadium 2 ist die Dilatation deutlich und im Stadium 3 extrem. In Anlehnung an die Nomenklatur der Herzinsuffizienz wird Stadium 1 auch als kompensierte, Stadium 2 bzw. 3 als dekompensierte Achalasie bezeichnet (Siewert et al. 2001). Als Sonderform gilt die sog. »vigorous achalasia«. Es handelt sich hier um eine Übergangsform zwischen dem sog. »diffusen idiopathischen Ösophagospasmus« und der eigentlichen Achalasie. Gekennzeichnet ist die »vigorous achalasia« durch repetitive Kontraktionen des tubulären Ösophagus mit z. T. hoher Amplitude, intermittierend mit gelegentlich normaler Peristalsis. Diese repetitiven Kontraktionen können sowohl im Anschluss an den Schluckakt als auch spontan auftreten und retrosternale Schmerzen verursachen. Wie bei der typischen Achalasie fehlt eine schluckreflektorische Sphinktererschlaffung. Der Ösophagus ist nicht dilatiert. Im weiteren Verlauf der Erkrankung geht die »vigorous achalasia« häufig in eine klassische Achalasie über, weshalb sie heute als Frühform der eigentlichen Achalasie gilt. Die Begriffe »Kardiospasmus« und »idiopathischer Megaösophagus« sind nicht mehr gebräuchliche Synonyme, da sie den entscheidenden Funktionsausfällen der Achalasie nicht gerecht werden. Abzugrenzen ist die primäre oder idiopathische Achalasie von der Pseudoachalasie oder sekundären Achalasie, die das
Klassische Achalasie
„Vigorous Achalasie”
Tubulärer Ösophagus
mus« ohne organisches Korrelat. Von Kraus und Heyrovsky wurde erstmals eine Läsion des N. vagus als Ursache des »Kardiospasmus« postuliert. Im weiteren Verlauf identifizierten Sir Arthur Hurst und G.W. Rake eine Verminderung der Ganglienzellen im Auerbach-Plexus (Plexus myentericus) des Ösophagus bei diesem Krankheitsbild. Der »Kardiospasmus« wurde daraufhin als eine neurologische Veränderung, möglicherweise als Folge eines entzündlichen Prozesses, definiert. Hurst gebrauchte 1927 als Erster den Begriff »Achalasie« für das beschriebene Krankheitsbild und machte damit auf das »Fehlen der Relaxation« und die Dysfunktion des unteren Ösophagussphinkters als Ursache der Erkrankung aufmerksam (Spiess et al. 1998; Korn et al. 1997).
II
I
III
keine
keine
deutlich
extrem
tertiär/ spastisch
tertiär
Aperistalsis
Aperistalsis
Tonus Erschlaffung
. Abb. 24.35. Klassifikation der Achalasie
normal
erhöht/ normal
inkomplett
unkoordiniert/ inkomplett
erhöht/ normal
normal/ erhöht
inkomplett
inkomplett
284
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
klinische Bild der Achalasie imitiert und durch eine Vielzahl möglicher zugrunde liegender Erkrankungen hervorgerufen werden kann (7 Übersicht). Besondere Beachtung verdienen hierbei Neoplasien der Kardia und submukös die Kardia infiltrierende proximale Magenkarzinome. Auch bei einer Reihe anderer neoplastischer Prozesse (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom oder Hypernephrom) kann es zum Auftreten achalasieformer Bilder kommen. Hier werden paraneoplastische Prozesse verantwortlich gemacht. Ein achalasieähnliches Krankheitsbild kommt in Südamerika, v. a. bei der Chagas-Krankheit, vor (Stein et al. 1997). Mögliche Ursachen einer sekundären Achalasie oder Pseudoachalasie 5 Maligne Erkrankungen – Adenokarzinom des ösophagogastralen Übergangs – Lymphom – Bronchialkarzinom (v. a. kleinzelliges) – Pankreaskarzinom – Prostatakarzinom – Hepatozelluläres Karzinom – Kolonkarzinom – Hypernephrom 5 Chagas-Krankheit 5 Amyloidose 5 Sarkoidose 5 Postvagotomie 5 Chronische idiopathische Pseudobstruktion 5 Morbus Parkinson 5 Neurofibromatose 5 Schwangerschaft 5 Zerebelläre hereditäre Ataxie
Epidemiologie Die Inzidenz der Achalasie wird in der westlichen Welt mit 0,5–1 pro 100.000 Einwohner/Jahr angegeben, die Prävalenz liegt bei 7,9–12,6 pro 100.000 Einwohnern. Die Verteilung auf das männliche und weibliche Geschlecht ist in etwa gleich. Die Achalasie scheint häufiger in ländlichen als in städtischen Gegenden aufzutreten. Die Erkrankung betrifft alle Altersstufen und ist auch bei Neugeborenen und Kleinkindern beschrieben, jedoch ist die Diagnose einer Achalasie während der ersten Lebensdekade eher selten. Das durchschnittliche Alter bei Erstdiagnose liegt zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr. Die Lebenserwartung der Patienten wird durch die Erkrankung nicht beeinflusst (Korn et al. 1997).
24
Achalasie und Ösophaguskarzinom Chronische Stase von Nahrungsmitteln und/oder eine Superinfektion führen bei Patienten mit Achalasie häufig zu einer Veränderung der Ösophagusmukosa. So werden eine Hyperplasie der basalen Zellen, Verhornung und Papillomatose der Mukosa, Entzündung der Submukosa, Ausbildung von Zysten sowie Pseudodivertikel in den submukösen Drüsen beobachtet. Diese epithelialen Veränderungen scheinen das Entstehen von Dysplasien und Karzinomen zu begünstigen. Die Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus ist bei Patienten mit Achalasie deutlich erhöht. Die Achalasie gilt deshalb als Präkanzerose. Das Risiko der Karzinomentstehung bei Patienten mit bekannter
Achalasie steigt mit der Krankheitsdauer. Anhand der wenigen verfügbaren prospektiven Literaturdaten muss bei 2–10% der Patienten mit einer mehr als 10 Jahre bestehenden Achalasie mit der Entstehung eines Ösophaguskarzinoms gerechnet werden. Ein möglicher Einfluss verschiedener Therapieverfahren der Achalasie auf das Karzinomrisiko wird kontrovers diskutiert.
Eine regelmäßige endoskopische Kontrolluntersuchung bei Patienten mit langjähriger Achalasie wird empfohlen.
Ätiologie, Pathogenese und Pathologie Die Ätiologie der primären oder idiopathischen Achalasie ist bis heute ungeklärt. Diskutiert werden genetische Veranlagung (familiäre, ererbte Form der Achalasie), autoimmunentzündliche Prozesse, degenerativ-neurologische Erkrankungen (peripher und/oder zentral) und Infektionen mit neurotropen Viren oder Parasiten (. Abb. 24.36). Heute wird die idiopathische Achalasie weitgehend als eine primär neurogene Erkrankung betrachtet. Dennoch ist es schwierig, das genaue neuropathologische Korrelat der Erkrankung zu lokalisieren. Historisch wurde zuerst über Veränderungen im Auerbach-Plexus des distalen Ösophagus, des unteren Ösophagussphinkters und des mittleren Magendrittels berichtet. Später wurde auch ein Befall der Nn. vagi und der Kerne des N. vagus im Gehirnstamm postuliert. Von diesen Berichten sind die nachgewiesenen Veränderungen in Höhe des unteren Ösophagussphinkters und des distalen Ösophagus am überzeugendsten. So wurde hier wiederholt eine Degeneration, Verminderung oder gänzliches Fehlen der Ganglienzellen des Plexus myentericus beschrieben. Korrelierend zum Verlust der Ganglienzellen im AuerbachPlexus wurde auch über eine Verminderung der Nervenfasern zwischen den glatten Muskelfasern berichtet. Mit immunhistochemischen Methoden konnte gezeigt werden, dass diese Denervierung vor allem Nervenfasern betrifft, die Neuropeptidinhibitoren (wie z. B. das vasoaktiv-intestinale Polypeptid und das Neuropeptid Y) beinhalten. Diese Befunde unterstützen das Konzept einer Schädigung der inhibitorischen Nervenbahnen, die für die Erschlaffung des Sphinkters und die Regulierung seines Ruhedrucks verantwortlich sind. Der Nachweis von zytoplasmatischen Einschließungen, sog. Lewy-Körper, in den Ganglienzellen des Plexus myentericus und den Zellen der Vaguskerne bei Patienten mit Achalasie legt eine pathogenetische Verbindung zwischen der Achalasie und anderen neurodegenerativen Erkrankungen (z. B. M. Parkinson oder M. Alzheimer) nahe. So wurde bei Patienten mit Achalasie eine Schädigung der Myelinscheide und der Axone des N. vagus, die eine Waller-Degeneration vortäuschen, beschrieben. Weiterhin wurden auch quantitative und qualitative Veränderungen im Bereich der dorsalen Vaguskerne aufgezeigt. Diese Daten weisen auf eine präganglionäre Läsion als Ursache der Achalasie hin. Ebenfalls beschrieben wurden Veränderungen der glatten Ösophagusmuskulatur bei Patienten mit Achalasie. Makroskopisch zeigen die meisten Präparate eine Verdickung der Ösophaguswand. Mikroskopisch beruht dies auf einer Hyperplasie und/ oder Hypertrophie der Muscularis propria. In anderen Fällen ist die Muskulatur aber auch normal oder atrophisch und mit fibrotischen Arealen durchsetzt. Alle diese Veränderungen können als Folge einer Denervation betrachtet werden.
24
285 24.7 · Funktionsstörungen
. Abb. 24.36. Schematische Darstellung der pathophysiologischen Merkmale und mögliche Ursachen der Achalasie
Nukleus dorsalis des Vagus
Nervus vagus
Postganglionär
Ach(N)(+)
Ach(N + M)(+)
Aperistalsis
Inhibitorische Bahn
Walle r-Deg en e r a
Exzitatorisc he Bah n
Präganglionär
tion
Sekundäre Myopathie
Stasc Dilatation Ösophagitis Karzinom
Ach(M)(+) (+) CCK VIP/NPY ? Nit Ox ?(–)
Tonus erhöht Inkomplette Relaxation
Sekundäre Ösophagitis
Ganglienzellen „Ganglionitis” „Lewy Bodies”
(+)
Glatte Muskulatur des Ösophagus und UOS
Viral ?
Autoimmun ?
Degenerativ ?
Hereditär ?
Pathophysiologie Die klassischen, bei der unbehandelten Achalasie beobachteten Abnormitäten sind: 4 Erhöhung des basalen Drucks im unteren Ösophagussphinkter 4 Fehlende oder inkomplette schluckreflektorische Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters 4 Aperistalsis des tubulären Ösophagus 4 Erhöhter Ruhedruck im tubulären Ösophagus als Zeichen der Stase und Nahrungsretention Normalerweise befindet sich der untere Ösophagussphinkter in einem Zustand der dauernden Kontraktion. Dies entspricht der myogenen Eigenaktivität der sphinkterischen Muskelfasern und dem Gleichgewicht zwischen der exzitatorisch cholinergen und der postganglionären inhibitorisch nonadrenergen, noncholinergen Aktivität. Durch die Triggerung des Schluckaktes oder eine lokale Dehnung des Ösophagus wird beim Gesunden eine primäre oder sekundäre peristaltische Welle ausgelöst, die in einer koordinierten und kompletten Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters resultiert. Diese reflektorische Erschlaffung
des Sphinkters scheint auf einer Aktivierung der postganglionären inhibitorischen Fasern im Plexus myentericus zu beruhen. Als Mediator hiefür wird ein nonadrenerges, noncholinerges Peptid, möglicherweise das VIP, das Neuropeptid Y oder Stickoxid, diskutiert. Diese Zusammenhänge unterstützen die Hypothese eines Ungleichgewichts zwischen stimulierenden und inhibitorischen Nervenbahnen bei Patienten mit Achalasie. Die Ursache der Aperistalsis des tubulären Ösophagus ist bis heute nicht klar. Histologische Untersuchungen der tubulären Speiseröhre bei Patienten in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung zeigen auch hier eine Schädigung des Plexus myentericus. Im Gegensatz zum unteren Ösophagussphinkter scheint die Aperistalsis der tubulären Speiseröhre zumindest im Frühstadium der Erkrankung jedoch reversibel zu sein. Entsprechend diesem Konzept stellt die »vigorous achalasia« eine Frühform der Erkrankung dar, bei der die tubuläre Speiseröhre durch hypertone Aktivität versucht, die distale Passagebehinderung zu überwinden. In der Folge wird dieser Mechanismus insuffizient und es kommt zu einer Dilatation der Speiseröhre, die Ausdruck der Muskeldekompensation des Ösophaguskörpers ist.
286
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Klinisches Bild Das klinische Bild der Achalasie weist starke individuelle Variationen auf. Dysphagie und Regurgitation gelten jedoch als Leitsymptome (. Tab. 24.3). In der Regel bestehen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung die mehr oder weniger stark ausgeprägten Symptome bereits seit mehreren Jahren. Eine Dysphagie sowohl für feste als auch für flüssige Nahrung wird von der Mehrzahl der betroffenen Patienten als langsam progredient, gelegentlich aber auch als plötzlich auftretend oder intermittierend beschrieben. Häufig hängt der Schweregrad der Dysphagie von der Art, Konsistenz und Temperatur der Nahrung ab. Viele Patienten entwickeln zum Teil obskure Verhaltensweisen, die der Erleichterung des retrosternalen Völlegefühls dienen und eine ausreichende Nahrungsaufnahme gewährleisten. Eine starke Gewichtsabnahme ist daher bei Patienten mit Achalasie eher selten. Wird dennoch eine Gewichtsabnahme angegeben, so verläuft diese langsam. Ein schneller und signifikanter Gewichtsverlust sollte immer an eine Pseudoachalasie mit einem zugrunde liegenden neoplastischen Prozess denken lassen. Regurgitation tritt bei Patienten mit Achalasie charakteristischerweise erst Stunden nach dem Essen oder während der Nacht auf. Da das regurgitierte Material immer aus der Speiseröhre stammt, ist es in der Regel nicht angedaut und wird vom Patienten als weder sauer noch bitter, manchmal als fäkulent beschrieben. Oft ist dies mit Mundgeruch verbunden. Retrosternaler Schmerz ist kein typisches Symptom der klassischen Achalasie, kann aber in den Frühstadien der Erkrankung oder bei Patienten mit der »vigorous achalasia« vorkommen. Odynophagie ist bei Patienten mit Achalasie in der Regel die Folge einer Staseösophagitis. Pulmonale Symptome werden bei Patienten mit Achalasie in den vorliegenden Studien mit unterschiedlicher Häufigkeit angegeben und beruhen häufig auf Aspiration. Selten kann eine extrem dilatierte Speiseröhre das Lungenparenchym so weit komprimieren, dass daraus eine signifikante restriktive Ventilationsstörung resultiert (Stein et al. 1997).
24
Diagnostik Die diagnostische Abklärung eines Patienten mit Verdacht auf Achalasie beinhaltet eine Röntgenübersichtsaufnahme des Thorax in 2 Ebenen, eine Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre, die Endoskopie und die Ösophagusmanometrie. Als weiterführende Untersuchungen stehen die Ösophagustransitszintigraphie, pharmakologische Tests, die Endosonographie und die Computertomographie zur Verfügung. Diese sind aber nicht zwingend erforderlich und werden vor allem bei Therapiestudien, wissenschaftlichen Fragestellungen und zum Ausschluss einer Pseudoachalasie eingesetzt (Stein et al. 1997). Oft kann die Verdachtsdiagnose einer Achalasie bereits aufgrund einer Thoraxübersichtsaufnahme gestellt werden. Folgende Befunde sind typisch für eine Achalasie: Verbreiterung des Mediastinums, Luft-/Flüssigkeitsspiegel im hinteren Mediastinum und eine fehlende Luftblase im Fundus des Magens. Weiterhin kann die Thoraxübersichtsaufnahme die Folgen einer chronischen Aspiration zeigen. Die Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre zeigt typischerweise eine Dilatation der tubulären Speiseröhre mit Flüssigkeitsspiegel, eine verzögerte Entleerung des Kontrastmittels und eine fehlende propulsive Ösophagusmotilität. Bei Patienten mit »vigorous achalasia« sieht man gelegentlich tertiäre einschnürende
. Tabelle 24.3. Relative Häufigkeit verschiedener Symptome bei Patienten mit Achalasie (Sammelstatistik, 11 publizierte Serien mit 1332 Patienten). (Mod. nach Stein 1997)
Symptom
Prävalenz (% )
Dysphagie
97
Regurgitation
76
Gewichtsabnahme
53
Retrosternaler Schmerz
40
Rezidivierender Husten
28
Kontraktionen in einem nur wenig dilatierten Ösophagus. Die Kardia ist klassischerweise spindelförmig konzentrisch eingeengt und zeigt keine schluckreflektorische Relaxation (. Abb. 24.37). Spasmolytika haben keinen Effekt. Die Verwendung von solidem oder semisolidem Kontrastmaterial (z. B. »marsh-mellow«) macht die inkomplette oder fehlende Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters und die Aperistalsis der tubulären Speiseröhre noch deutlicher sichtbar. Im fortgeschrittenen Stadium zeigt sich eine massive Dilatation mit siphonartiger Elongation der mit Succus gefüllten Speiseröhre (. Abb. 24.38). In seltenen Fällen zeigt sich ein epiphrenisches Divertikel, das sich aufgrund der Öffnungsstörung des unteren Ösophagussphinkters ausbilden kann. Zum Ausschluss einer Pseudoachalasie muss bei der Röntgenkontrastdarstellung immer auch nach einem malignen Prozess an der Kardia oder am Magenfundus gesucht werden. Die Endoskopie trägt in der Regel nicht zur Diagnose der Achalasie bei. Ihr größter Nutzen findet sich im Ausschluss anderer Erkrankungen und in der Diagnose von Komplikationen, wie z. B. einer Staseösophagitis, einer Soorösophagitis oder eines Karzinoms. Klassischerweise zeigt die Endoskopie bei der Achalasie eine Ösophagusdilatation und Speisereste im Ösophagus. Die Sphinkterpassage ist mit dem Endoskop gegen geringen Widerstand immer möglich. Ein größerer Widerstand deutet auf das Vorliegen einer Pseudoachalasie, verursacht durch ein Karzinom des ösophagogastralen Übergangs, oder eine peptische Stenose hin.
Aufgrund des erhöhten Risikos der malignen Entartung bei Patienten mit Achalasie sollte bei der Endoskopie immer darauf geachtet werden, dass die gesamte Mukosa der Speiseröhre genau eingesehen wird. Dies ist bei Patienten mit dilatierter und siphonartig verlängerter Speiseröhre aufgrund von Nahrungsmittelretention häufig erst nach mehrtägiger Nahrungskarenz oder Spülung der Speiseröhre möglich. Alle auffälligen Schleimhautbefunde müssen bioptisch abgeklärt werden.
Die Ösophagusmanometrie gilt als »Goldstandard« für die Abklärung der Achalasie. Sie erlaubt eine eindeutige Diagnosestellung und ermöglicht die Abgrenzung der Achalasie zu anderen primären oder sekundären Motilitätsstörungen. Die Behandlung einer Achalasie sollte nicht ohne eine vorherige ma-
287 24.7 · Funktionsstörungen
24
. Abb. 24.37. Die Röntgenkontrastdarstellung bei einem Patienten mit Achalasie zeigt eine verbreiterte tubuläre Speiseröhre mit fehlender Peristaltik und eine konzentrisch eingeschnürte Kardia ohne Relaxation
. Abb. 24.38. Massive Dilatation mit siphonartiger Elongation der mit Succus gefüllten Speiseröhre bei Achalasie Grad III
nometrische Sicherung der Diagnose erfolgen. Die klassischen manometrischen Zeichen der Achalasie sind (. Abb. 24.39): 4 Fehlen der primären geordneten peristaltischen Aktivität im tubulären Ösophagus 4 Inkomplette oder fehlende Sphinkterrelaxation bzw. verkürzte Relaxation 4 Erhöhter Ruhedruck im unteren Ösophagussphinkter 4 Erhöhter intraluminaler Druck im Ösophagus im Vergleich zum Magen
Methode lässt sich auch eine teilweise Erholung der Peristaltik nach Behandlung durch Dilatation oder Myotomie eindrucksvoll dokumentieren. Die szintigraphische Messung der Ösophagustransitzeit erlaubt als einzige Methode die Quantifizierung der Passageverzögerung bei Patienten mit Achalasie. Diese aufwendige Untersuchungsmethode trägt zwar nicht zur Primärdiagnostik bei, kann jedoch den Effekt therapeutischer Interventionen (pneumatische Dilatation, Myotomie oder Botulinumtoxininjektion) eindrucksvoll veranschaulichen. Die Indikation zur Endosonographie und Computertomographie bei Patienten mit Achalasie liegt im Ausschluss oder Nachweis von neoplastischen Prozessen, die zu einer Pseudoachalasie führen können. Wir empfehlen die Durchführung einer Endosonographie und Computertomographie von Abdomen und Thorax zum Ausschluss maligner Prozesse bei jedem Patienten über 40 Jahre, bei dem eine Myotomie geplant ist, und bei allen Patienten, die nicht adäquat auf eine pneumatische Dilatation oder Botulinumtoxininjektion ansprechen.
In der quergestreiften Muskulatur des proximalen Drittels des Ösophagus findet sich manometrisch gelegentlich eine normale Peristalsis. Der Nachweis von normalen peristaltischen Kontraktionen im distalen Ösophagus schließt dagegen die Diagnose einer klassischen Achalasie praktisch aus. Die Amplitude und Frequenz der motorischen Aktivität der tubulären Speiseröhre erlaubt eine Klassifikation in hyper-, hypo- und amotile Achalasie. Die hypermotile Achalasie entspricht der »vigorous achalasia« und kann häufig nur schwer vom »diffusen Ösophagospasmus« abgegrenzt werden. Bei Übergangsformen erlaubt die Langzeitmanometrie eine weiterführende Abklärung. Mit dieser
288
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
mm Hg
S
S
30 20 10 0 -10
35 cm
34 cm
40 cm
39 cm
45 cm (Magen)
44 cm (UOS)
mm Hg 30 20 10 0 -10
mm Hg 30 20 10 0 -10
. Abb. 24.39. Typischer manometrischer Befund bei einem Patienten mit Achalasie. Die Druckaufnehmer sind zunächst in der tubulären Speiseröhre (35 und 40 cm ab Zahnreihe) bzw. im Magen (45 cm ab Zahnreihe) platziert und werden dann um 1 cm zurückgezogen. Damit kommt der distale Druckaufnehmer in den unteren Ösophagussphinkter (UOS, 44 cm ab Zahnreihe) zu liegen. Beim Nassschluck (S) zeigt sich in der tubulären Speiseröhre nur eine repetitive simultane Aktivität von niederer Amplitude bei erhöhtem intraösophagealem Ruhedruck. Der UOS relaxiert nicht
Therapie
Indikationsstellung zur chirurgischen Therapie. Prospektive
Therapieziel. Das Therapieziel bei der Behandlung der Achalasie
randomisierte Studien konnten überzeugend zeigen, dass die primäre chirurgische Therapie der Achalasie, vor allem bei jüngeren Patienten, bessere Ergebnisse erzielen kann, als die pneumatische Dilatation oder Botulinumtoxininjektion (Zaninotto et al. 2004; Eckhardt et al. 2004). Die Indikation zur primären minimal-invasiven chirurgischen Myotomie sollte daher, vor allem bei jüngeren Patienten und Patienten ohne wesentliches operatives Risiko, großzügig gestellt werden. Bei älteren Patienten ist spätestens nach 2 erfolglosen Dilatationsversuchen oder Rezidiven nach Botulinumtoxininjektion die Indikation zur chirurgischen Therapie gegeben (Eckhardt et al. 1992 und 2004; Zaninotto et al. 2004; Stein et al. 2001; Urbach et al. 2001).
ist die Beseitigung oder Reduktion der meist im Vordergrund stehenden Dysphagie und Regurgitationen. Erreicht wird dies durch eine Reduzierung der Barriere am ösophagogastralen Übergang, die durch das Fehlen der schluckreflektorischen Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters verursacht wird. Eine Heilung der Achalasie ist nicht möglich.
24
Wirksamkeit der Ballondilatatoren ist die Begrenzung der Ballondehnbarkeit durch einen eingearbeiteten Stoffbeutel oder durch Verwendung von Plastikmaterialien. Erst dadurch können während der Dehnung in dem engen Segment ausreichende Dehnungsdrücke wirksam werden. Bevorzugt verwendet werden Dilatatoren, die über oder neben einen endoskopisch eingelegten Führungsdraht im Sphinkterbereich platziert werden. Der Führungsdraht erlaubt ein Einführen des Dilatators auch bei erweitertem und geschlängeltem Ösophagus. Mit neueren System ist eine Dilatation auch unter endoskopischer Kontrolle möglich. Voraussetzungen für eine erfolgreiche und risikoarme Sprengung des unteren Ösophagussphinkters mittels Ballondilatation sind die Durchführung der Behandlung unter Durchleuchtungskontrolle und die Vermeidung einer medikamentösen Herabsetzung des Tonus im unteren Ösophagussphinkter, da sonst eine ausreichende Überdehnung der Muskelfasern nicht zustande kommt. Aus dem letztgenannten Grund verbietet sich der Eingriff in Narkose oder unter Wirkung von Spasmolytika, Nitrat und Glukagon. Eine Analgesie wird auch deshalb nicht angestrebt, weil die Schmerzreaktion ein wichtiger und frühzeitiger Indikator drohender Komplikationen ist. Wichtig zur Vermeidung einer Aspiration ist ferner die vorherige Entfernung von Speise- und Sekretresten aus der Speiseröhre durch Spülung, am besten nach mehrtägiger Vorbereitung durch flüssige Kost. Die endoskopische Injektion von Botulinumtoxin direkt in den unteren Ösophagussphinkter wurde bei Patienten mit Achalasie in den letzten Jahren ausgiebig evaluiert (Pasricha et al. 1995). Nach den vorliegenden Studien kann hierdurch bei etwa 60–70% der Patienten eine Verbesserung der Symptomatik erzielt werden. Dies wird auf eine Hemmung der cholinergen Erregung des unteren Ösophagussphinkters durch das injizierte Botulinumtoxin zurückgeführt. Bei der Mehrzahl der so behandelten Patienten kommt es jedoch innerhalb weniger Monate zu einem Rezidiv der Beschwerden, das häufig auch durch erneute Injektion nicht therapierbar ist (Annese et al. 1996).
Therapiealternativen. Die Obstruktion des hypertensiven und nichtöffnenden Sphinkters am ösophagogastralen Übergang kann pharmakologisch, durch Ballondilatation, endoskopische Injektion von Botulinumtoxin in den unteren Ösophagussphinkter und chirurgisch beeinflusst werden. Ein konservativer Therapieversuch kann mit Kalziumantagonisten oder Nitraten unternommen werden, die erschlaffend auf die glatte Muskulatur u. a. des Ösophagus wirken. Eine medikamentöse Therapie führt jedoch nur selten zu einer dauerhaften Symptomverbesserung, sodass praktisch früher oder später immer andere Therapiemaßnahmen zum Einsatz kommen müssen (Bassotti et al. 1999). Die Dilatation der Kardia wird heute bei Patienten mit Achalasie fast nur noch pneumatisch durchgeführt. Die risikoreiche Sprengung mit starren Dilatatoren ist heute aufgrund der hohen Rupturraten weitgehend verlassen. Entscheidend für die
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl. Die lang diskutierte Alternative zwischen transabdominaler und transthorakaler Myotomie des unteren Ösophagusphinkters ist heute weitgehend zugunsten des transabdominalen Zugangs entschieden. Dieses Vorgehen ist nicht nur schonender, es vermittelt auch eine bessere Übersicht über den ösophagogastralen Übergang. An erfahrenen Zentren erfolgt die Myotomie des unteren Ösophagussphinkters heute praktisch ausnahmslos laparoskopisch (Champion et al. 1999; Patti et al. 1995). Wichtigster Bestandteil des Eingriffs ist die Spaltung der distalen 4–5 cm der Ösophagusmuskulatur. Die Durchtrennung der
289 24.7 · Funktionsstörungen
24
proximalen 1–2 cm der Magenwandmuskulatur ist nur insofern wichtig, als sie die vollständige Durchtrennung der terminalen Ösophagusmuskulatur sicherstellt. Die Myotomie sollte keineswegs zu weit auf dem Magen fortgesetzt werden, weil sie dann zu einer kompletten Durchtrennung der sog. Willis-Schlinge oder »Sling-Fasern« führt und ein freier gastroösophagealer Reflux unvermeidlich ist. Auch bei weitgehender Schonung der »Sling-Fasern« kann postoperativ ein Reflux von Mageninhalt in den Ösophagus auftreten. Daher empfiehlt es sich, die Myotomie mit einer Antirefluxoperation zu verbinden (Andreollo et al. 1987; Peters et al. 2001; Abir et al. 2004). Über lange Zeit ist dafür eine komplette 360 -Fundoplikation empfohlen worden. Langzeituntersuchungen zeigen, dass diese Operationsmethode bei bis zu 30% der Patienten zu postoperativen Dysphagien führt (Topart et al. 1992). Die motilitätsgestörte Speiseröhre kann in diesen Fällen die relativ starke Antirefluxbarriere der 360°-Fundoplikation nicht adäquat überwinden. Als Alternative wird deshalb zunehmend die sog. Thal- oder Dor-Fundoplastik gewählt (Ackroyd et al. 2001; Patti et al. 2001; Bonavina et al. 1992). Sie bietet neben dem Schutz vor einem eventuellen postoperativen Reflux auch eine Protektion der denudierten Schleimhaut im Bereich der Myotomie und verhindert eine »Selbstheilung« der Myotomie und damit Rezidive. Operationstechnik der transabdominalen bzw. laparoskopischen Myotomie und Thal-Fundoplastik. Beim offenen Vorge-
hen hat sich zur Freilegung der Kardia die mediane Oberbauchlaparotomie bewährt. Beim laparoskopischen Vorgehen erfolgt die Platzierung der Trokare und die Exposition des ösophagogastralen Übergangs wie bei der Fundoplikation. Nach Eröffnen der peritonealen Umschlagfalte am ösophagogastralen Übergang erfolgt die Darstellung der Vorderwand des mit einem dicken Bougie geschienten distalen Ösophagus. Dies ist in der Regel mühelos möglich, da bei Patienten mit Achalasie praktisch nie eine Hiatushernie vorliegt. Eine zirkuläre Freilegung des ösophagogastralen Übergangs ist nicht erforderlich und würde nur zu einer Zerstörung des extrasphinktären Antirefluxmechanismus führen. Die Myotomie erfolgt links vom Truncus, anterior des N. vagus. Auf eine komplette Myotomie aller Fasern beider Muskelschichten ist zu achten. Im Bereich des Ösophagus ist die Ablösung der Muskulatur von der Schleimhaut leichter und gefahrloser als im Magenfundusbereich. Insgesamt hat sich die Myotomie über wenigstens 4 cm im Bereich des terminalen Ösophagus und über nur 1–2 cm im Bereich des Magenfundus zu erstrecken (. Abb. 24.40a). Die Myotomie sollte dabei den in fortgeschrittenen Fällen deutlich dilatierten tubulären Anteil des Ösophagus erreichen. Dies ist in der Regel ohne Probleme von abdominal her möglich. Der gespaltene Muskelmantel wird dann nach rechts und links stumpf von der Schleimhaut abgeschoben, bis die Mukosa in einer Ausdehnung von etwa 1/4 bis 1/3 der Ösophaguszirkumferenz freiliegt und sich bei Luft- oder Wasserinsufflation in den Ösophagus vorwölbt (. Abb. 24.41). Bei der Thal- oder Dor-Fundoplastik wird der proximale Fundus nach Mobilisation dreiecksförmig in den entstandenen Myotomiedefekt eingenäht. Dies geschieht durch Vereinigung des Funduspatches mit der vorderen wie auch der hinteren Muskelkante (. Abb. 24.40b). Auf diese Weise wird einmal eine Antirefluxbarriere geringeren Ausmaßes errichtet, zum anderen kann die denudierte Speiseröhrenschleimhaut gedeckt werden und
. Abb. 24.40. a Myotomie des distalen Ösophagus und unteren Ösophagussphinkters, b Deckung mit Thal-Fundoplastik. Das Ausmaß der Myotomie an Ösophagus und Magen ist dargestellt
schließlich die Myotomie durch die Fundoplastik offen gehalten werden (Feussner 1997; Feussner u. Stein 1994). Ergebnisse der Myotomie. Für den Leistungsvergleich zwischen Myotomie und pneumatischer Dilatation ist die Kenntnis der Komplikationsraten entscheidend. Bei der Myotomie ist nach Sammelstatistiken in ca. 4% mit einer Mukosaläsion zu rechnen, die bei Deckung mittels Thal- oder Dor-Fundoplastik jedoch praktisch immer folgenlos abheilt. Die Letalität der Myotomie beträgt deutlich unter 0,5% (Hunter et al. 1997). Auch mit modernen Ballondilatatoren beträgt das Perforationsrisiko der pneumatischen Dilatation noch etwa 1% pro Dilatationsversuch, die Letalität wird mit unter 0,5% angegeben (Vaezi et al. 1999). Die Langzeitergebnisse nach Myotomie werden bei 85–90% der Patienten als »gut« oder »sehr gut« beschrieben (Ellis1993; Hunter et al. 1997; Luketich et al. 1997; Patti et al. 1999; Radovanovic et al. 2000). Eine einmalige pneumatische Dilatation ist nur bei ca. 50% der Patienten erfolgreich, durch Wiederholung der pneumatischen Dilatation kann die Erfolgsrate auf ca. 75% gesteigert werden (Vaezi et al. 1999). Bei jungen Patienten (<30 Jahre)
290
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
23 cm
S
S
mm Hg 30 20 10 0 -10
28 cm mm Hg 30 20 10 0 -10
. Abb. 24.41. Laparoskopische Myotomie. Die Myotomie ist durchgeführt, die Submukosa liegt über 1/4 der Zirkumferenz des Ösophagus frei
33 cm
liegt die Erfolgsrate der Dilatation, auch bei mehrmaligen Versuchen, bei unter 30% (Eckhardt et al. 1992). Ein therapiebedürftiger gastroösophagealer Reflux tritt nach pneumatischer Dilatation oder alleiniger Myotomie bei bis zu 25% der Patienten auf. Wird die Myotomie mit einer Antirefluxplastik kombiniert, liegen diese Zahlen deutlich unter 10%. Vorangegangene pneumatische Dilatationen oder Botulinumtoxininjektionen haben zwar keinen Einfluss auf die Langzeitergebnisse der Myotomie, können jedoch die Schwierigkeit des Eingriffs und damit die Komplikationsrate erhöhen. 24.7.2 Diffuser Ösophagospasmus
Beim diffusen Ösophagospasmus handelt es sich um eine primäre Funktionsstörung des tubulären Ösophagus, die durch intermittierende repetitive und simultane Kontraktionen bei partiell erhaltener normaler Peristalsis gekennzeichnet ist. Der untere Ösophagussphinkter ist normoton oder hyperton und erschlafft meist normal. Eine eindeutige Diagnose kann nur manometrisch gestellt werden.
Epidemiologie Der klassische, symptomatische diffuse Ösophagospasmus kommt mit ca. 1 Patienten pro 100.000 Einwohner etwa 10-mal seltener vor als die Achalasie. Gelegentlich geht ein diffuser idiopathischer Ösophagospasmus im späteren Verlauf in eine Achalasie über.
24
Ätiologie und Pathophysiologie Die Ätiologie und die neuromuskulären Mechanismen, die dem diffusen Ösophagospasmus zugrunde liegen, sind unklar. Eine Hypertrophie der Ösophagusmuskulatur und die Degeneration von Nervenfasern wurden in Einzelfällen beschrieben, treten jedoch nicht konstant auf. Die Ösophagusmuskulatur ist bei
mm Hg 30 20 10 0 -10 2s
. Abb. 24.42. Typischer manometrischer Befund bei einem Patienten mit diffusem Ösophagospasmus. Die Druckaufnehmer sind in der tubulären Speiseröhre platziert (23, 28 und 33 cm ab Zahnreihe). Beim ersten Nassschluck (S) zeigt sich in der tubulären Speiseröhre eine regelrechte peristaltische Kontraktionssequenz. Beim zweiten Nassschluck stellt sich eine simultane und repetitive Kontraktionssequenz dar
elektronenmikroskopischer Untersuchung normal. Psychische Faktoren wirken auslösend, wahrscheinlich aber nicht kausal. Eine Verdickung der Ösophagusmuskulatur, wie sie mittels Endosonographie gelegentlich beschrieben wird, dürfte eine Folge der Funktionsstörung im Sinne einer Bedarfshypertrophie sein. In vielen Fällen finden sich analog zur Achalasie pharmakologische Hinweise auf eine Denervierung der Ösophagusmuskulatur, d. h. es besteht eine Überempfindlichkeit auf Cholinergika. Dabei kommt es zu massiver Spontanaktivität der Speiseröhre mit Anhebung des Ruhedrucks und retrosternalen Schmerzen, die durch Anticholinergika oder Nitroglyzerin beseitigt werden können. Im Gegensatz zur Achalasie ist jedoch die Zahl der intramuralen Ganglienzellen nicht vermindert. Die wesentlichen pathophysiologischen Komponenten des diffusen Ösophagospasmus sind gehäuft auftretende simultane und repetitive Kontraktionen im tubulären Ösophagus. Im Gegensatz zur klassischen Achalasie besteht aber bis zu einem gewissen Grad noch peristaltische Aktivität. Die Kontraktionen im tubulären Ösophagus sind häufig von höherer Amplitude und dauern länger als normal. Ein Kontraktionskomplex kann hier vereinzelt bis zu 40 s anhalten. Während dieser Phasen lassen sich radiologisch Pseudodivertikel und eine partielle Bolusretention
291 24.7 · Funktionsstörungen
24
. Abb. 24.43. Typisches radiologisches Bild des diffusen Ösophagospasmus mit helikalem Erscheinungsbild der tubulären Speiseröhre, dem »Korkenzieher-Ösophagus«
in der tubulären Speiseröhre darstellen. Mittels ambulanter 24Stunden-Manometrie kann eine vermehrte Spontanaktivität des tubulären Ösophagus aufgezeigt werden. Der untere Ösophagussphinkter zeigt bei Patienten mit diffusem Ösophagospasmus in der Regel einen normalen Ruhedruck mit vollständiger und koordinierter schluckreflektorischer Relaxation. Ein hypertensiver Sphinkter mit inkompletter Relaxation kann jedoch ebenfalls vorkommen. Die manometrischen Veränderungen des diffusen Spasmus betreffen entsprechend der Verteilung der glatten Muskulatur in der Regel die distalen zwei Drittel der tubulären Speiseröhre. Die typischen Motilitätsveränderungen können auch auf ein Segment des Ösophagus beschränkt sein (segmentaler Ösophagospasmus). Gelegentlich kann ein segmentaler oder diffuser Ösophagospasmus auch zur Ausbildung eines Pulsionsdivertikels führen (Stein et al. 1997). Klinisches Bild Leitsymptom des idiopathischen Ösophagospasmus ist die intermittierende, nicht-obstruktive Dysphagie, d. h. Dysphagie ohne Nachweis eines morphologischen Passagehindernisses in der Endoskopie oder Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre. Die Dysphagie tritt typischerweise in unregelmäßigen Abständen (Stunden bis Jahre) auf und kann durch Stress oder hastiges Essen provoziert und verstärkt werden. Retrosternale Schmerzen können im Anschluss an das Schlucken oder unabhängig davon auftreten. Auch tagelange retrosternale Dauerschmerzen und monate- oder jahrelange symptomfreie Intervalle sind möglich. Eine Bolusimpaktation ist selten.
Diagnostik Die Ösophagusmanometrie ist für die Diagnose des »diffusen Ösophagospasmus« unerlässlich. Die Röntgenkontrastdarstellung gilt als ergänzende Untersuchung. Die Endoskopie mit Biopsie dient zum Ausschluss einer organischen Erkrankung. In der Manometrie erfolgt die Diagnose eines diffusen Ösophagospasmus bei Nachweis einer erhöhten Anzahl simultaner und repetitiver Kontraktionssequenzen (»spastische Kontraktionen«) im tubulären Ösophagus, bei intermittierend normaler Peristalsis (. Abb. 24.42). Häufig findet sich auch eine erhöhte Kontraktionsamplitude, die jedoch nicht Voraussetzung für die Diagnosestellung ist. Typisch ist auch eine vermehrte Spontanaktivität der tubulären Speiseröhre. Der Ruhedruck und die Relaxationscharakteristika des unteren Ösophagussphinkters sind in der Regel unauffällig, gelegentlich findet sich allerdings ein erhöhter Ruhedruck. Bei der Röntgenkontrastdarstellung des Ösophagus zeigt sich häufig das typische Bild eines »Korkenzieher-Ösophagus« mit Pseudodivertikelbildung, partieller Retention des Kontrastmittels in der Speiseröhre (. Abb. 24.43) und tertiären Kontraktionen. Das Vorliegen bzw. Fehlen einer Hiatushernie trägt zur Diagnose nicht bei. Zum Ausschluss einer refluxinduzierten Motilitätsstörung, die ein dem »diffusen Spasmus« ähnliches manometrisches Bild zeigen kann, ist eine Ösophagus-pH-Metrie erforderlich. Beim typischen diffusen idiopathischen Ösophagospasmus ist die Endoskopie normal. Die endoskopische Beurteilung der Motilität ist nicht zuverlässig möglich.
292
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Therapie Da es sich beim diffusen Ösophagospasmus um eine chronischrezidivierende, gutartige Erkrankung handelt, die mit langen symptomfreien Intervallen einhergeht und therapeutisch nur schwer zu beeinflussen ist, hängt die Indikation zur Therapie von der Intensität der Beschwerden und dem Leidensdruck ab. Entscheidend für die Betreuung des Patienten ist die Aufklärung über die harmlose Natur seines Leidens. Die akute Symptomatik kann mit Spasmolytika, Nitraten oder Kalziumantagonisten kupiert werden. Als Langzeitmedikation können Anticholinergika, Benzodiazepine oder Antidepressiva verwendet werden (Pandolfino et al. 2000; Storr et al. 1999). Gelegentlich wird eine Bougierung der Speiseröhre oder eine pneumatische Dilatation des unteren Sphinkters durchgeführt, obwohl die pathophysiologischen Voraussetzungen für eine solche Behandlung nicht erfüllt sind. Die Erfolge dieser Behandlung sind dementsprechend eher ungünstig. Nur in extrem seltenen Fällen kann eine lange extrasphinktere Myotomie des Ösophagus erforderlich werden, die heute auch minimal-invasiv auf thorakoskopischem Wege durchgeführt werden kann. Dieses Vorgehen sollte jedoch als Ultima Ratio betrachtet werden und ist nur bei ca. 70% der Patienten erfolgreich (Ellis 1998; Eypasch 1992; Stein 1992). 24.7.3 Hypertensive Peristalsis (Nussknacker-
Ösophagus)
25 cm
S
S
mm Hg 30 20 10 0 -10
30 cm mm Hg 30 20 10 0 -10
35 cm mm Hg
Die manometrische Untersuchung von Patienten mit nichtkardialen retrosternalen Schmerzen zeigt häufig peristaltische Kontraktionen von hoher Amplitude oder langer Dauer. In den späten 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde für diesen manometrischen Befund der Begriff des »Nussknacker-Ösophagus« oder »Supersqueezer-Ösophagus« geprägt. Von einigen anderen Gruppen wird diese Entität deskriptiv einfach auch als »hypertensive Peristalsis« beschrieben. Die Motilitätsstörung wird dann diagnostiziert, wenn die mittlere Amplitude oder Dauer der Kontraktionen die 95. Perzentile oder den Mittelwert plus 2 Standardabweichungen der laboreigenen Normwerte übertrifft, d. h. in der Regel mehr als 180 mmHg oder länger als 7 s beträgt. Die Kontraktionsamplituden können bei diesen Patienten leicht jenseits von 400 mmHg liegen und damit die obere Messgrenze gängiger Manometriesysteme übersteigen (. Abb. 24.44). Systematische Untersuchungen haben gezeigt, dass es sich beim Nussknacker-Ösophagus um die wohl häufigste der primären Motilitätsstörungen handelt. Definitionsgemäß ist der Nussknacker-Ösophagus jedoch eine rein manometrische Abnormität, die gehäuft bei Patienten mit nichtkardialem Brustschmerz nachgewiesen werden kann. Ein Kausalzusammenhang zwischen peristaltischen Kontraktionen hoher Amplitude oder langer Dauer und dem Beschwerdebild der Patienten ist bislang nicht bewiesen. Der Nussknacker-Ösophagus wird deswegen häufig nicht als eigenständiges Krankheitsbild betrachtet. Eine spezifische Therapie ist demzufolge praktisch nie erforderlich. Von der Durchführung einer Ösophagusmyotomie bei diesen Patienten, wie vereinzelt berichtet, raten wir ab.
24
30 20 10 0 -10 2s
. Abb. 24.44. Typischer manometrischer Befund bei einem Patienten mit »Nussknacker-Ösophagus«. Die Druckaufnehmer sind in der tubulären Speiseröhre platziert (25, 30 und 35 cm ab Zahnreihe). Beim Nassschluck (S) zeigt sich in der tubulären Speiseröhre eine regelrechte peristaltische Kontraktionssequenz mit exzessiv hohen Kontraktionsamplituden und Kontraktionsdauern
24.7.4 Hypertensiver unterer Ösophagus-
sphinkter Bereits 1960 wurde von Code und Mitarbeitern der sog. hypertensive untere Ösophagussphinkter als eigenständige Motilitätsstörung bei Patienten mit retrosternalen Schmerzen und Dysphagien beschrieben (Code et al. 1960). Definiert wird der hypertensive untere Ösophagussphinkter durch einen erhöhten Ruhedruck bei normaler schluckreflektorischer Relaxation des unteren Ösophagussphinkters. Neuere Untersuchungen zeigen, dass bei mehr als 50% der betroffenen Patienten zusätzlich eine Motilitätsstörung der distalen Speiseröhre, meist ein Nussknacker-Ösophagus, besteht. Die Ätiologie der Abnormität, der Kausalzusammenhang zwischen den beschriebenen manometrischen Befunden und den Beschwerden des Patienten sowie die klinische Relevanz des Krankheitsbildes sind unklar (Bassotti et al. 1992).
293 24.8 · Literatur
24.7.5 Unspezifische primäre Motilitätsstörungen
des tubulären Ösophagus Eine große Anzahl von Patienten mit Dysphagie oder retrosternalen Schmerzen zeigt in der Standardmanometrie abnorme Motilitätsphänomene, die nicht die Kriterien der oben beschriebenen Motilitätsstörungen erfüllen. Diese Abnormitäten werden im Allgemeinen als unspezifische Motilitätsstörungen klassifiziert und als Gruppe zusammengefasst. Die klinische Bedeutung dieser manometrischen Befunde ist unklar. Nach unserer Erfahrung dürfte es sich bei der Mehrzahl um sekundäre Motilitätsphänomene, bei nicht erkannter zugrunde liegender gastroösophagealer Refluxkrankheit, oder um eine Mitbeteiligung der Speiseröhre bei Systemerkrankungen handeln (7 unten; Achem et al. 1992). 24.7.6 Sekundäre Motilitätsstörungen
des Ösophagus Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre können auch Ausdruck einer zugrunde liegenden anderen Erkrankung oder einer generalisierten neurologischen, muskulären oder metabolischen Störung sein. Der Ösophagus kann vor allem bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, Kollagenerkrankungen, Vaskulitiden, paraneoplastischen Syndromen und einer Reihe von Stoffwechselerkrankungen (wie z. B. Diabetes, Schilddrüsenfunktionsstörungen) mitbetroffen sein (7 Kap. 24.1). Am häufigsten ist dies bei Patienten mit progressiver systemischer Sklerodermie, der sog. »mixed connective tissue disease«, bei Polymyositis und Dermatomyositis der Fall. Eine spezifische Therapie der Ösophagusfunktionsstörung ist hier nur selten erforderlich, vielmehr muss die Grundkrankheit behandelt werden. Eine Ausnahme bildet die Sklerodermie. Eine Motilitätsstörung der Speiseröhre kann bei über 80% der Patienten mit Sklerodermie nachgewiesen werden. In der Regel handelt es sich dabei um einen Krankheitsprozess, der auf die glatte Muskulatur beschränkt ist und damit nur die unteren 2 Drittel der Speiseröhre betrifft. Die typischen manometrischen Befunde sind: 4 eine normale Peristalsis im proximalen Ösophagus (im Bereich der quergestreiften Muskulatur) und 4 Kontraktionen mit sehr niedriger Amplitude oder 4 eine komplett fehlende Peristalsis in der distalen Speiseröhre (im Bereich der glatten Muskulatur). Der untere Ösophagussphinkter ist ebenfalls betroffen und zeigt einen deutlich verminderten oder fehlenden Ruhedruck. Konsequenterweise kommt es bei den betroffenen Patienten zu einem ausgeprägten Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre mit fehlender Clearance und konsekutiver schwerer Ösophagitis. Da eine Antirefluxoperation bei amotiler tubulärer Speisröhre nicht erfolgversprechend ist, sollten hier alle konservativen medikamentösen Therapieverfahren ausgeschöpft werden.
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25 25
Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Feussner
25.1
Hiatushernien
25.1.1 25.1.2 25.1.3 25.1.4
Klassifikation und Pathogenese Symptome – 297 Diagnostik – 297 Operative Therapie – 299
– 296 – 296
25.2
Andere Erkrankungen des Zwerchfells – 301
25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4
Extrahiatale Zwerchfellhernien – 302 Zwerchfellverletzungen – 303 Relaxatio diaphragmatica – 303 Neoplastische und entzündliche Prozesse des Zwerchfells – 303
Literatur
– 305
296
25
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
) ) Bei der »Hiatushernie«, der häufigsten Form der Zwerchfellhernie, ist der Hiatus oesophageus die Bruchpforte. Durch ihn ist der Magen (und evtl. andere abdominelle Strukturen) teilweise oder ganz (totaler Thoraxmagen, »upside-down stomach«) in den Thorax verlagert. Die Kontinuität des Zwerchfells kann durch angeborene oder erworbene Lücken und Defekte sowie durch traumatische Läsionen beeinträchtigt sein. Durch die Lücken können abdominelle Organe nach thorakal verlagert werden.
25.1
Hiatushernien
25.1.1 Klassifikation und Pathogenese Aus epidemiologischer, pathogenetischer und therapeutischer Sicht werden die Hiatushernien in axiale (Typ I), paraösophageale (Typ II) und Mischhernien (Typ III) eingeteilt (. Abb. 25.1). Bei großen Zwerchfelldefekten mit Herniation anderer intraabdomineller Organe (z. B. Kolon oder Milz) spricht man von TypIV-Hernien. Axiale Hiatushernie (Typ I). Der ösophagogastrale Übergang, die anatomische Kardia, ist entlang der Längsachse des Ösophagus (»axial«) durch den Hiatus oesophageus nach oralwärts verlagert und epiphrenisch lokalisiert. Synonym ist auch der Begriff »Hiatusgleithernie« gebräuchlich, da die Herniation zunächst reversibel ist, und durch Horizontal- oder Oberkörpertieflage und durch abdominellen Überdruck (»Pressen«) provoziert werden kann. Die axiale Hiatushernie ist die häufigste Form der Hiatushernie und nimmt mit zunehmendem Alter an Prävalenz zu. Jenseits des 70. Lebensjahres lässt sich bei mehr als 70% der Bevölkerung eine axiale Hiatushernie röntgenologisch nachweisen (Rossetti 1990). Durch die partiell extraperitoneale Lage der verlagerten Organe (distaler Ösophagus, Kardia, Magenfundus) gibt es nur einen gering ausgeprägten Bruchsack. Als pathogenetischer
Hauptfaktor wird die mit fortschreitendem Alter zunehmende Mesenchymschwäche angesehen, die zu einer Relaxation und Verlängerung des ligamentären Bandapparats am ösophagogastralen Übergang sowie zu einer Lockerung und Ausweitung des Hiatus führt. Veränderungen der viskoelastischen Eigenschaften des distalen Ösophagus sowie der Funktion der longitudinalen Muskelfasern sollen ebenfalls eine Rolle spielen (Christensen u. Miftakhov 2000). Adipositas, Schwangerschaft und Lungenemphysem begünstigen die hiatale Bruchbildung. Durch diese pathoanatomischen Veränderungen ist das physiologische Ventilelement des unteren Ösophagussphinkters gestört, da dieses auf dem koordinierten Zusammenspiel zwischen Zwerchfellschenkeln und Muskelapparat am ösophagogastralen Übergang beruht. Bei der axialen Hiatushernie ist die abdominothorakale Druckregulation am Mageneingang gestört, wodurch es zu gastroösophagealem Reflux kommt. Im Rahmen der konsekutiven Refluxösophagitis kann es zur perifokalen Entzündung und Längsschrumpfung des Ösophagus kommen, wodurch die Kardia weiter ins Mediastinum hinaufgezogen und dort sukzessive verankert werden kann: Aus dem Gleitbruch wird so eine »fixierte axiale Hernie«. Paraösophageale Hiatushernie (Typ II). Bei der Typ-II-Hiatus-
hernie tritt ein mehr oder minder großer Anteil des intraperitonealen Magens neben dem Ösophagus in das Mediastinum. Die Maximalform ist der totale Thoraxmagen (»upside-down stomach«). Der entscheidende Unterschied zur Abgrenzung von der axialen Hernie ist die bei der paraösophagelen Hernie subphrenisch lokalisierte Kardia. Es handelt sich also um eine Bruchbildung neben dem Ösophagus, bei erhaltener intraabdomineller Fixation des distalen Ösophagus und der Kardia. Bei ca. 80% der Patienten besteht als zugrunde liegende und wohl angeborene Fehlbildung ein Hiatus communis, d. h. ein gemeinsamer Durchtritt von Ösophagus und Aorta durch das Zwerchfell (. Abb. 25.2). Entsprechend der intraperitonealen Lage des Magenkorpus und -antrums bildet das Peritoneum parietale bei der paraösophagelen (im Gegensatz zur axialen) Hernie Parasternale Hernie (Morgagni)
a
Angeborene Defekte
b
c . Abb. 25.1a–c. Klassifikation der Hiatushernien. a Axiale Hiatushernie (Typ I), b paraösophageale Hiatushernie (Typ II), c Mischhernie (Typ III). (Nach Siewert et al. 2001)
Hiatus communis
Lumbo-kostale Bruchlücke (Bochdalek-Hernie)
. Abb. 25.2. Typische Bruchpforten und Lücken des Zwerchfells. (Nach Siewert et al. 2001)
297 25.1 · Hiatushernien
a
b
25
c
. Abb. 25.3a–c. Paraösophageale Hiatushernie mit typischer Drehung der großen Kurvatur und Bildung eines proximalen (a), distalen (b) oder totalen (c) Magenvolvolus. (Nach Rossetti 1990)
einen nach allen Seiten geschlossenen Bruchsack. Bruchbildung und Torsion vollziehen sich nach konstanten anatomischen Gesetzen: Die Majorseite dreht sich nach vorne und kranial, mit der Kardia als Fixpunkt. In der Mehrzahl der Fälle bildet sich zuerst ein partieller proximaler Magenvolvulus, seltener ein distaler Magenvolvulus mit Drosselung des Ausflusstrakts und Entleerungsstörung und dem Bild einer Magenausgangsstenose (. Abb. 25.3). Die paraösophageale Hiatushernie neigt zur Progression bis zum Vollbild des totalen Thoraxmagens (»upside-down stomach«). Hier befindet sich das ganze Organ in einem großen mediastinalen Bruchsack mit der Majorseite als oberer Kontur (. Abb. 25.4). Die reine Form der paraösophagealen Hiatushernie stellt eine seltene Erkrankung dar. Weniger als 5% aller Zwerchfellhernien gehören diesem Typ an (Rossetti 1990; Oddsdottir 2000). Mischhernie (Typ III). Die Typ-III-Hernie ist eine Kombination der axialen und paraösophagealen Hiatushernie. Sie entsteht meist aus einer zunächst rein axialen Gleithernie, bei der sich im weiteren Verlauf zunehmend mehr Magenabschnitte durch einen erweiterten Hiatus oesophageus nach paraösophageal verlagern. Entscheidender Unterschied zur rein paraösophagealen Hernie ist die Intrathorakalverlagerung auch der Kardia. Bei ca. 10–15% aller Hiatushernien handelt es sich um Mischhernien. Gemischte und paraösophageale Hernien bevorzugen im Verhältnis 3:1 Frauen, wobei eine pyknisch-adipöse Konstitution die Progression der Hernienformation begünstigt (Rossetti 1990: Siewert u. Stein 1998).
Paraösophageale Hiatushernie. Typische Symptome einer paraösophagealen Hernie sind Dysphagie, Regurgitation und auch postprandiale Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Herzrhythmusstörungen. Durch die Neigung zur Progression bis hin zum kompletten Thoraxmagen (»upside-down stomach«) besteht auch die Gefahr der Strangulation und (selten) der Einklemmung des Bruchinhaltes. Häufig ist eine Anämie nachweisbar, durch chronischen Blutverlust im torquierten, gestauten und mechanisch geschädigten Magenabschnitt. Gelegentlich entsteht ein Ulkus im Bereich des Schnürringes (sog. »riding ulcer« (. Abb. 25.5). In 1/3 der Fälle wird die paraösophageale Hernie als Zufallsbefund entdeckt, in 1/3 wegen schleichender Anämie bei meist okkulter Blutung und in 1/3 wegen Passagestörungen. Aufstoßen und Erbrechen sind durch die Kompression der Kardia erschwert, so dass eine chronische Stauung und Dilatation des Magenvolvulus bis zum Bild des »Spannungsgastrothorax« entstehen kann (Rossetti 1990; Siewert u. Stein 1998). Mischhernie. Das klinische Bild entspricht weitestgehend dem der paraösophagealen Hernie. Seltener kann aber auch eine Refluxsymtomatik führend sein. Bei bis zu 30% der Patienten mit Hiatushernie besteht als Begleiterkrankung eine Cholelithiasis und Divertikulose des Colon sigmoideum (Saint-Trias). Es handelt sich hierbei jedoch wohl um eine »Trias der Häufigkeit und Koinzidenz« ohne jeglichen pathophysiologischen Zusammenhang.
25.1.3 Diagnostik 25.1.2 Symptome Axiale Hiatushernie. Die Typ-I-Hiatushernie ist in der Regel
klinisch stumm. Beschwerden wie retrosternale oder epigastrische Schmerzen sind meist auf eine begleitende Refluxkrankheit zurückzuführen. Gelegentlich kann es zur Ausbildung einer ringförmigen Stenose am Oberrand der Hernie (Schatzki-Ring; 7 Kap. 24.5) mit Dysphagie und Bolusimpaktation kommen.
Hinweisend auf das Vorliegen einer paraösophagealen Hernie oder Mischhernie ist der Nachweis einer epiphrenisch und retrokardial gelegenen Luftblase in der Röntgenübersichtsaufnahme des Thorax (. Abb. 25.4a, b). Eine Kontrastmitteldarstellung (Breischluck) von Ösophagus und Magen stellt die topographische Anatomie des ösophagogastralen Übergangs am besten dar (. Abb. 25.4c und 25.6) und ist für die Klassifizierung der Hiatushernien unerlässlich.
298
25
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
. Abb. 25.4a–c. Thoraxröntgenübersichtsaufnahmen (a, b) sowie Röntgenkontrastdarstellung (c) eines »totalen Thoraxmagens« oder »upside-down stomach«. Bereits in der Übersichtsaufnahme ist die typische epiphrenische retrocardiale Luftsichel gut erkennbar
a
b
Endoskopisch kann die Diagnose einer axialen Hiatushernie gestellt werden, wenn unterhalb des unteren Ösophagussphinkters eine durch die Zwerchfellschenkel verursachte zweite Einschnürung im Magenbereich auszumachen ist. Ein indirektes endoskopisches Zeichen für das Vorliegen einer axialen Hiatushernie ist auch der Nachweis eines Schatzki-Ringes. Schwierig ist es jedoch mit der Endoskopie zwischen rein paraösophagealer Hernie (Typ II) und Mischhernie (Typ III) zu unterscheiden. Wichtig ist der endoskopische Ausschluss bzw. Nachweis einer begleitenden Refluxösophagitis, einer Stauungsgastritis oder eines Ulkus.
Ösophagusmanometrie und pH-Metrie sollten bei Refluxsymptomen und endoskopischem Nachweis einer Refluxösophagitis zur Objektivierung der Refluxkrankheit genutzt werden. Manometrisch nachweisbare Funktionsstörungen des tubulären Ösophagus sind bei großen axialen Hernien häufig. Bei paraösophagealen oder Mischhernien kann die Kompression des distalen Ösophagus zu Funktionsstörungen führen. Diese Veränderungen sind in der Regel nach operativer Korrektur der Hernie reversibel (Siewert 1998; Cuomo et al. 1999; Kahrilas et al. 1999; Stein u. Siewert 2001).
299 25.1 · Hiatushernien
25
. Abb. 25.4 (Fortsetzung)
c
25.1.4 Operative Therapie
Progression
Dysphagie
Stauungsgastritis Anämie
Inkarzeration
. Abb. 25.5. Komplikationen der paraösophagealen (Typ II) und Mischhernie (Typ III)
Indikation Eine axiale Hernie wird in der Regel nur bei gleichzeitigem Vorliegen einer rezidivierenden Refluxkrankheit chirurgisch therapiert. Ansonsten (ohne Refluxkrankheit) besteht nur selten eine Operationsindikation. Bei 80–90% der nachgewiesenen Gleithernien handelt es sich um einen harmlosen Zufallsbefund, der keiner Therapie bedarf. Auch der routinemäßige Verschluss einer im Rahmen anderer chirurgischer Eingriffe diagnostizierten Hiatushernie ist nicht gerechtfertigt (Siewert u. Stein 1998). Diskutieren sollte man eine Operationsindikation bei Blutungsneigung durch den gastroösophagealem Schleimhautprolaps oder bei assoziierten Mallory-Weiss-Läsionen. Paraösophageale und Mischhernien stellen – wegen Progressionsneigung und potenziellen Komplikationen – auch im asymptomatischen Stadium eine Operationsindikation dar. Zwingend wird die Indikation bei partiellem oder totalem Magenvolvulus, bei Passagestörungen (intermittierend, selten akuter Magenileus), bei der immer irreversiblen mediastinalen Mageninkarzeration oder bei assoziierter chronischer Anämie (Siewert u. Stein 1998). Bei der gemischten Hiatushernie können Indikation und Operationstaktik durch eine begleitende Refluxkrankheit beeinflusst werden, deren Ausmaß, Stadium und mögliche organische Komplikationen präoperativ präzisiert werden müssen.
300
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
25
a
b
. Abb. 25.6. Röntgenkontrastdarstellung einer paraösophagealen Hiatushernie (a) und regelrechter anatomischer Situs nach laparos-
kopischer Reposition, hinterer Hiatoplastik und hinterer Gastropexie sowie Fundophrenikopexie (b)
Verfahrenswahl Die Verfahrenswahl bei Patienten mit axialer Hiatushernie und Refluxkrankheit erfolgt nach den Prinzipien der Antirefluxchirurgie. Neben der Hernienreposition und der Einengung des erweiterten Hiatus (hintere Hiatoplastik) steht hier die Durchführung einer Fundoplikation im Vordergrund (7 Kap. 24.6). Das Ziel der chirurgischen Therapie der paraösophagealen Hernie und Mischhernie ist die bleibende Reposition durch eine sichere Einengung der Bruchlücke. Der Bruchsack sollte zur Verhinderung von Rezidiven zumindest partiell reseziert werden. Das geeignetste Verfahren ist die transabdominelle Hiatoplastik und Gastropexie. Während die Reposition des intrathorakalen Magenanteils in Narkose in der Regel leicht gelingt, kann eine Einengung der Bruchlücke (Hiatoplastik) bei einem weiten Hiatus communis gelegentlich schwierig sein. Zur Verhinderung von Rezidiven sollten deshalb zusätzlich eine intraabdominelle Fixierung des Magens durch Annaht des Magenfundus an die Unterseite des linken Zwerchfells (Fundophrenikopexie) und eine Fixierung des gastroösophagealen Übergangs und des oralen Anteils der kleinen Kurvatur des Magens an die präaortale Faszie oder, falls vorhanden, an die hintere Kommissur der Zwerchfellschenkel (hintere Gastropexie) erfolgen. Die früher häufig durchgeführte Fixierung der Magenvorderwand an die Bauchdecke (vordere Gastropexie) ist überflüssig (Siewert u. Stein 1998; Stein u. Siewert 2001). Die Verwendung von alloplastischem Material (Netze) zum Verschluss großer Bruchlücken ist beschrieben (Frantzides et al. 1999), nach der eigenen Erfahrung jedoch nur extrem selten erforderlich. Unklar ist nach wie vor, ob neben einer Hiatoplastik und Gastropexie auch grundsätzlich eine Fundoplikation als Antirefluxoperation durchgeführt werden sollte (Andujar et al. 2004; Diaz et al. 2003; Geha et al. 2000; Nissen et al. 1981; Rossetti 1990;
Siewert u. Stein 1998). Durch eine adäquate Hiatoplastik und Gastropexie wird der physiologische Antirefluxmechanismus weitgehend rekonstruiert (Mattioli et al. 1998). Nach Ansicht der Autoren ist die Fundoplikation als zusätzliche Maßnahme zur Hiatoplastik und Gastropexie deshalb bei der Mehrzahl der Patienten überflüssig, verlängert und kompliziert den Eingriff unnötigerweise und ist mit einem nicht unerheblichen Risiko postoperativer Dysphagien und funktioneller Beschwerden assoziiert. Eine nach Hiatoplastik und Gastropexie persistierende oder neu aufgetretene Refluxkrankheit kann in der Regel medikamentös therapiert werden (Stein u. Siewert 2001). Die von einigen Autoren empfohlene zusätzliche Durchführung einer »Ösophagusverlängerung« mittels Collis-Gastroplastik (Luketich et al. 2000; Swanstrom et al. 1999; Horvathet al. 2000) ist nach unserer Erfahrung und der Erfahrung anderer Autoren (Andujar et al. 2004) selbst bei großen Mischhernien oder fixierten axialen Hiatushernien nicht erforderlich. In erfahrenen Zentren kann die operative Versorgung einer paraösophagealen oder Mischhernie heute praktisch immer laparoskopisch durchgeführt werden (Andujar et al. 2004; Diaz et al. 2003; . Tab. 25.1). Dieser Eingriff ist auch bei älteren und multimorbiden Patienten in der Regel problemlos durchführbar (Stein 2001). Operationstechnik Zur Operationstechnik bei axialer Hiatushernie und Refluxkrankheit 7 Kap. 24. Bei der operativen Versorgung einer paraösophagealen oder Mischhernie erleichtert sowohl beim offenen als auch beim laparoskopischen Vorgehen eine exponierende Lagerung den Eingriff wesentlich. Die einzelnen Operationsschritte beim laparoskopischen Vorgehen entsprechen exakt dem der »offenen« Chirurgie. Beim »offenen« Vorgehen ist die mediane Laparotomie für die
301 25.2 · Andere Erkrankungen des Zwerchfells
. Tabelle 25.1. Minimal-invasive Chirurgie der paraösophagealen und Mischhernien (Typ II und III)
Andujar et al. 2004
Diaz et al. 2003
Fallzahl
166
119
Operationsdauer (min)
160 (50–325)
162 (100–320)
Konversion (%)
2 (1–2)
3 (2–5)
Krankenhausaufenthalt (Tage)
4 (1–74)
2 (1–18)
Morbidität/Komplikationsrate (%)
15 (9)
Mortalität (%)
0
Aufhebung der Dysphagie (%)
Signifikant reduziert
Postoperativer Reflux (%)
10 (8,6)
2 (1,7) 76
13
Rezidive inkl. Gleithernien (%)
21 (22)
10 (6)
Reoperationsrate (%)
10 (6)
3 (3)
Bauchraumrevision, die Hiatoplastik und Gastropexie sowie die Durchführung etwaiger Begleitoperationen (z. B. Cholezystektomie) vorteilhafter als der Rippenbogenschnitt. Die Reposition der hernierten Magenanteile ist in der Regel unproblematisch und fast nie durch ausgedehnte Verwachsungen im Bruchsack behindert. Der mediastinale Bruchsack wird evertiert und inzidiert. Eine komplette Bruchsackresektion ist unnötig und nicht ungefährlich. Der in situ belassene Bruchsackrest kollabiert durch die thorakale Raumanpassung und Lungenentfaltung und obliteriert spontan. Das im Bereich des ösophagogastralen Übergangs regelhaft zu findende lipomatöses Fettpolster sollte entfernt werden. Der breite, meist dickrandige Hiatus wird von dorsal mit mehreren kräftigen, nichtresorbierbaren Einzelnähten so weit eingeengt, dass der mit einem Bougie geschiente Ösophagus noch frei durch den Hiatus gleiten kann (hintere Hiatoplastik). Beim kompletten Hiatus communis, mit der Aorta als dorsale Begrenzung, wird die Hiatusraffung von vorne nach hinten vorgenommen (vordere Hiatoplastik). Der ösophagogastrale Übergang und der proximale Magen werden kleinkurvaturseitig ebenfalls mit mehreren kräftigen, nichtresorbierbaren Nähten an die hintere Zwerchfellkommissur bzw. die präaortale Faszie (hintere Gastropexie), der Fundus an das linke Zwerchfell (Fundophrenikopexie) fixiert. Beide Vagusstämme müssen bei der Hiatoplastik und Gastropexie sorgfältig geschont werden. . Abb. 25.6 zeigt eine prä- und postoperative Röntgenkontrastdarstellung des ösophagogastralen Übergangs bei einem Patienten mit paraösophagealer Hiatushernie. Komplikationen Ösophagus- oder Magenperforationen, Blutungen (Milz, Zwerchfellgefäße vor allem am linken Zwerchfellschenkel) und Läsionen der Vagusstämme sind typische intraoperative Komplikationen der Hiatoplastik und Gastropexie. Im Rahmen der mediastinalen
25
Präparation können beim laparoskopischen Vorgehen ein Emphysem oder auch eine hyperkapnische Azidose resultieren. Bei Eröffnung der Pleura kann es beim laparoskopischen Vorgehen auch zu Beatmungsproblemen kommen, die eine Pleuradrainage notwendig machen oder auch zur Konversion zwingen können. Die Inzidenz chirurgischer Komplikationen beträgt entsprechend einer Literaturübersicht zwischen 10 und 16% (. Tab. 25.1). Patienten mit Typ-II- und Typ-III-Hernien weisen oft ein fortgeschrittenes Alter und beträchtliche Komorbidität auf, die häufig für einen prolongierten postoperativen Verlauf verantwortlich sind (Oddsdottir 2000). Die Letalität nach offener oder laparoskopischer Versorgung einer paraösophagealen oder Mischhernie liegt in der neueren Literatur dennoch nur zwischen 0 und 2,4%. Langzeitergebnisse der chirurgischen Therapie Die Langzeitergebnisse der »offenen« chirurgischen Therapie sind bei mehr als 90% der Patienten gut, auch wenn es nicht immer gelingt, den gesamten Magen abdominell definitiv zu fixieren. Die berichteten Rezidivraten nach Operationen wegen paraösophagealer Hernien sind – sowohl nach offener als auch laparoskopischer Chirurgie – hoch (. Tab. 25.1). Allerdings handelt es sich oft nur um kleine Gleithernien (Typ I). Ein im Röntgenbild zu diagnostizierender »Restprolaps« oder eine Typ-IHernie werden deshalb oft zu Unrecht als Therapieversagen angesehen (Andujar et al. 2004). Es handelt sich hier um einen harmlosen Befund, wenn die Operation eine weitere Magentorsion verhindert. Echte Rezidive sind selten (Andujar et al. 2004). Nur die Hälfte der Patienten mit radiologischem Rezidiv hat tatsächlich auch Beschwerden (Hashemi et al. 2000). Die meisten Rezidive sind asymptomatisch. Eine Re-Operation ist nur selten erforderlich (Diaz et al. 2003; Adujar et al. 2004). Die laparoskopische Operation ist beim erfahrenen Operateur bei über 90% der Fälle ohne Konversion durchführbar (Oddsdottir 2000). Nach Beobachtungszeiträumen von bis zu 3 Jahren erleben 8–23% der Patienten ein symptomatisches Hernienrezidiv, deutlich weniger als 10% der Patienten müssen wegen eines Hernienrezidivs oder eines postoperativen Refluxes erneut operiert werden. Die sog. radiologische Rezidivrate reicht immerhin bis zu 40% (Hashemi et al. 2000). Bei einem perioperativen Vergleich minimal-invasiver mit konventioneller Chirurgie schneidet die laparoskopische Versorgung von Typ-IIund Typ-III-Hernien in Hinblick auf die Hospitalisationsdauer, Schmerzmittelbedürftigkeit und Komplikationsrate besser ab (Schauer et al. 1998). 25.2
Andere Erkrankungen des Zwerchfells
Die Kontinuität des Zwerchfells kann durch angeborene oder erworbene Lücken/Defekte sowie durch traumatische Läsionen aufgehoben sein. Durch diese können abdominelle Organe – dem physiologischen Druckgefälle folgend – nach thorakal verlagert werden. Erfolgt die Verlagerung mit einem Bruchsack, liegt eine echte Zwerchfellhernie vor; bei traumatischer Ruptur kommt es zum direkten Organprolaps ohne peritonealen Überzug. Im Gegensatz zu den Hiatushernien (7 Kap. 25.1) sind die extrahiatalen Zwerchfellhernien selten.
302
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
25
. Abb. 25.7. Kernspintomographische Darstellung einer Bochdalek-Hernie mit Prolaps von Magenfundus, Milz und Anteilen des linken Kolons
25.2.1 Extrahiatale Zwerchfellhernien Ätiopathogenese. Form und Sitz der Lückenbildung hängen mit der embryologischen Entwicklung zusammen (Schumpelick et al. 2000). Das Zwerchfell bildet sich in 2 Phasen zwischen der 4. und der 12. Fetalwoche. Eine primitive Wand aus Septum transversum und Plicae pleuroperitoneales separiert zunächst die Körperhöhlen bis auf eine temporär offene Stelle, die sich rechts schneller als links schließt. Angeborene Defekte ohne Bruchsack beruhen auf unvollständiger Vereinigung in dieser Phase und finden sich im Centrum tendineum, mit Bevorzugung des linken Zwerchfells (. Abb. 25.2). Später kommt es zur Einsprossung von Muskulatur in die bindegewebige Platte. Echte kongenitale Hernien mit Bruchsack beruhen auf mangelhafter Einwanderung der Muskelplatte. Lokalisation. Bevorzugte Lokalisation für extrahiatale Hernien sind kongenital schwache Areale wie das vordere Trigonum sternocostale und das hintere Trigonum costolumbale (Naunheim 1998; . Abb. 25.2). Das vordere Trigonum bildet die Bruchpforte für die von Morgagni 1769 beschriebene parasternale Hernie, durch die Kolon- oder Dünndarmschlingen prolabieren. Durch das hintere Trigonum entwickelt sich die BochdalekHernie, häufiger links und mit der Milz als bevorzugtem Bruchinhalt (. Abb. 25.7). Klinik. Extrahiatale Hernien werden beim Erwachsenen häufig nur zufällig entdeckt (Naunheim 1998). Selten und nur beim Prolaps durch eine enge Pforte kann eine Strangulation mit Nekrose des Inkarzerats auftreten. Sitz und Breite der Lücke, Inhalt des Prolapses sowie plötzliche oder allmähliche Entstehung bestim-
men Klinik und Komplikationen. Beim Erwachsenen werden alle Varianten zwischen Notsituation mit unmittelbarer Lebensbedrohung bis zum asymptomatischen Zufallsbefund beobachtet. Beim Neugeborenen dominieren hingegen die dramatischen Zustände infolge thorakaler Raumverdrängung. Das Krankheitsbild ist bereits in den ersten Lebenstagen ausgeprägt und allein die Sofortoperation lebensrettend. Therapie. Abdominothorakale Organverlagerung bedeutet operative Indikation. Wichtig und schwierig ist das Problem des Zugangswegs. Die Thorakotomie ist v. a. für den betagten und Risikopatienten der größere Eingriff, auch wenn sie allgemein bessere Übersicht und Handlungsfreiheit im Zwerchfellbereich gewährt. In den meisten Fällen bestimmen neben Lokalbefund und Allgemeinzustand die Begleitläsionen die Wahl des Verfahrens (Rossetti 1990). Der Chirurg, der am Zwerchfell operiert, muss deshalb über Erfahrung mit thorakoabdominalen Prozeduren verfügen. Das gesunde Zwerchfell ist exzellent vaskularisiert und heilt gut. Radiäre Schnitte oder Risse heilen besser als Querinzisionen. Die Schnittführung kann später maßgeblich die Zwerchfellfunktion beeinflussen, wenn die Aufteilung der Phrenikusäste unberücksichtigt bleibt (. Abb. 25.8). Das mit der Atmung ständig bewegte, Spannungen ausgesetzte, tendomuskuläre Zwerchfell muss mit widerstandsfähigem, nicht oder nur langsam resorbierbarem Material genäht werden. Eine postoperative Nahtinsuffizienz bedeutet erneuten Organprolaps und risikoreiche Re-Intervention. Der Verschluss ausgedehnter kongenitaler Defekte kann eine Ersatzplastik mit alloplastischem Material (z. B. PTFE- oder Goretex-Netze) erforderlich machen, das relativ schnell einwächst.
303 25.2 · Andere Erkrankungen des Zwerchfells
A
C
B
25
Zugang richten sich nach dem Muster der Begleitverletzungen (im Rahmen eines Polytrauma), dem Vorherrschen abdomineller oder intrathorakaler Symptome, dem Wundkanal bei Schussund Stichwunden und dem Allgemeinzustand des Patienten (Ruf et al. 1996; Matz et al. 2000).
Als Faustregel gilt: Frische Zwerchfellrupturen werden transabdominell angegangen und durch direkte Naht verschlossen. Ältere Zwerchfellrupturen werden besser transthorakal freigelegt, um auf diese Weise eine übersichtliche Freipräparation der prolabierten Abdominalorgane zu ermöglichen. Ist ein Direktverschluss des Zwerchfells durch adptierende Naht nicht möglich, kommen alloplastische Materialien zum Einsatz.
. Abb. 25.8. Schnittführung am Zwerchfell: Die Inzision medial des N. phrenicus unterbricht nur einige anteromediale Äste (A). Die laterale radiäre Inzision (B) unterbricht sämtliche laterodorsale Nervenäste und führt zu einer weitgehenden Denervation des Hemidiaphragmas. Die semizirkuläre Inzision nahe des Rippenansatzes (C) ist nervenschonend und funktionell am günstigsten. (Nach Rossetti 1990)
25.2.2 Zwerchfellverletzungen In Friedenszeiten überwiegen indirekte Berstungsrupturen nach stumpfer Gewalteinwirkung (Simpson et al. 2000; Ruf et al. 1996), wohingegen im Krieg direkte, perforierende Zweihöhlenverletzungen von Bedeutung sind. Der Prolaps kann einzeitig, sofort nach dem Trauma, mit dramatischen Symptomen, aber auch über Stunden und Tage schleichend manifest werden. Klinik. Das klinische Bild wird primär meist von Schock und übrigen Traumafolgen überlagert (Shah et al. 1995; Ruf et al. 1996). Die Beteiligung des Zwerchfells wird oft am kritischen Zeitpunkt verkannt. Insbesondere bei polytraumatisierten Patienten, die beatmet werden müssen, erfolgt die Diagnose einer Zwerchfellruptur meist verzögert. Nicht selten werden Zwerchfellrupturen auch ganz übersehen und erst Jahre später durch eine Inkarzeration oder andere Komplikationen diagnostiziert (. Abb. 25.9). Durch großzügigen Einsatz der diagnostischen Laparoskopie bei jedem Verdacht auf Zwerchfellverletzung könnte dies vermieden werden (Matz et al. 2000).
25.2.3 Relaxatio diaphragmatica Definition und Pathophysiologie. Als Relaxatio diaphragmatica
wird ein »erschlafftes«, teilweise oder gänzlich funktionsuntüchtiges Zwerchfell bezeichnet. Zugrunde liegt entweder ein muskuläres Problem (z. B. mangelhafte Muskeleinsprossung in die pleuroperitoneale Membran) oder eine Phrenikusparese. Das atrophische, nicht mehr funktionsfähige Zwerchfell wird mit morphologisch ähnlichen Organverschiebungen (wie bei der extrahiatalen Zwerchfellhernie) bis zum grotesken Hochstand intrapleural angesogen. Im Unterschied zu einer Hernie fehlt jedoch ein Bruchring, sodass keine Einklemmungsgefahr besteht. Klinik. Beim Erwachsenen ist die Relaxatio in der Regel ein Zufallsbefund, gelegentlich äußert sie sich als Folge der Raumverdrängung oder Organtorsion mit Atemnot, Herzrhythmusstörungen oder Verdauungsbeschwerden. Therapie. Eine Operationsindikation zur operativen Korrektur (Zwerchfellraffung) sollte solchen symptomatischen Fällen vorbehalten bleiben, da durch den Eingriff lediglich die Organverschiebung, nicht jedoch nicht die diaphragmale Atemfunktion beeinflusst werden kann.
25.2.4 Neoplastische und entzündliche Prozesse
des Zwerchfells
Lokalisation. Die in der Literatur (Simpson et al. 2000; Shah et al.
Primäre Tumoren. Primäre Zwerchfelltumoren sind Raritäten.
1995) angegebene Bevorzugung des linken Hemidiaphragmas – statistisch im Verhältnis 4:1 – beruht zumindest zum Teil darauf, dass Rupturen rechts oft nicht diagnostiziert werden. Die Lebermasse verhindert weniger die Zwerchfellruptur als vielmehr Prolaps und Diagnose. In den letzten Jahren werden Verletzungen der rechten Seite, meist in Kombination mit Leberruptur und Hämatothorax, zunehmend häufig diagnostiziert. Eine seltene Variante ist die zentrale Zerreißung mit intraperikardialem Prolaps von Magen-Darm-Teilen (Shah et al. 1995).
Es kann die operative Gewinnung eine Biopsie zur histologischen Diagnostik indiziert sein, falls der Befund anders nicht durch Punktion (z. B. CT-gezielt) erreicht werden kann.
Therapie. Die Diagnose einer Zwerchfellruptur ist gleichzeitig auch Indikation zur chirurgischen Therapie, weil eine teilweise oder komplette Verlagerung intraabdomineller Organe in den Thorax nicht zu vermeiden ist. Operationstaktik und operativer
Tumorinfiltration. Weit häufiger ist die Infiltration des Zwerch-
fells durch Karzinome aus benachbarten thorakalen oder abdominellen Organen (Bronchialkarzinom, Pleuramesotheliom, Kardia-Fundus-Karzinom, Hypernephrom etc.). Tumorinfiltration des Zwerchfells ist per se kein Inoperabilitätskriterium, da die Mitresektion von Anteilen des Zwerchfells durchaus möglich ist. Der hierdurch hinterlassene Defekt wird durch raffende Primärnaht, Einnähen von Nachbarstrukturen (z. B. Magenfundus, Leberkuppe) oder – bei ausgedehntem Substanzverlust – durch alloplastischen Zwerchfellersatz beseitigt.
304
25
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
. Abb. 25.9a–c. Initial übersehene Zwerchfellverletzung mit Prolaps von Darmanteilen in den linken Thorax. Beachte die supradiaphragmale Luftsichel im linken Hemithorax in der a.p.- und Seitaufnahme (a, b; Pfeile). Jahre später kommt es im Rahmen einer Koloskopie aufgrund »unspezifischer Oberbauchbeschwerden« (vermutlich verursacht durch die Inkarzeration in der Zwerchfellhernie) zur intrathorakalen Kolonperforation mit Spannungspneumothorax (c)
a
b
Entzündliche Prozesse. Das Zwerchfell ist auch für entzündliche Prozesse von Thorax und Abdomen die natürliche Grenze. Allerdings können abdominelle oder retroperitoneale Eiteransammlungen des subphrenischen Raums sich auch transdiaphragmal in den Pleuraraum ausbreiten. Auch entzündliche Prozesse des Thorax, wie Pleuraempyeme und basale Lungenprozesse, können das Zwerchfell betreffen. Die Behandlung besteht in der Beseiti-
gung des Grundleidens mit Drainage und/oder Ausräumung von Abszessen und Empyemen nach den üblichen chirurgischen und interventionellen Prinzipien. Subphrenischer Abszess. Dabei handelt es sich um eine wichtige
Komplikation primärer oder postoperativer septischer Bauchprozesse. Zwerchfellhochstand, begleitender Pleuraerguss, Gas-
305 Literatur
25
. Abb. 25.9c
c
und Spiegelbildungen im Oberbauch sind röntgenologische Hinweise, Sonographie und/oder Computertomographie geben über Sitz, Ausdehnung und Beziehungen zu Nachbarstrukturen die wichtigsten Informationen. Eröffnung und Drainage erfolgen am besten subkostal. Die Tendenz zur Kammerbildung erfordert eine genügend breite Freilegung. Echinokokken. Echinokokken der Leber, selten der basalen Lun-
genanteile, können das Zwerchfell infiltrieren und eine meist umschriebene Resektion erforderlich machen.
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25
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
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308
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
26.1
Ösophagus- und Magenverätzung
) )
26
Das Verschlucken von Säuren oder Laugen kann zu reversibler oder irreversibler »ingestiver Verätzung« des Gastrointestinaltraktes führen. Der Schweregrad der Verätzung hängt ab vom pHWert der Substanz (bzw. Konzentration der H+- oder OH–-Ionen) und der Kontaktzeit mit der Organwand. Das Ausmaß der Schädigung reicht vom nur lokalen Ödem, über die Devitalisierung von Organabschnitten, bis hin zur kompletten Sequestrierung.
26.1.1 Pathomechanismus Säure- und Laugenverätzungen unterscheiden sich grundsätzlich hinsichtlich des Schädigungsmechanismus, -musters und der Prognose (Poleyet al. 2004): Säuren verursachen Koagulationsnekrosen, wohingegen Laugen (die prognostisch schlechteren) Kolliquationsnekrosen hervorrufen (. Abb. 26.1; Poely et al. 2004). Bei der Koagulationsnekrose wird das Gewebe durch Proteindenaturierung »verklumpt«, wohingegen es bei der Kolliquationsnekrose »verflüssigt« wird. Die Koagulation wirkt einer weiteren Ausbreitung der chemischen Substanz entgegen, wohingegen die Kolliquation sie begünstigt (Kikendall 1991; Makela et al. 1998; Poleyet al. 2004). Säureverätzungen betreffen bevorzugt den Magen. Abhängig von Füllungszustand, Zeitpunkt der Ingestion und Lagerung des Patienten, finden sich Läsionen kleinkurvaturseitig, entlang der Magenstraße und präpylorisch (Zargar et al. 1989). Durch reflektorischen Pylorospasmus kann die Verweildauer der Substanz zusätzlich verlängert, und die Schädigung im Antrum verstärkt werden. Laugenverätzungen bewirken bevorzugt Schädigungen des Ösophagus, überwiegend im Bereich der physiologischen Engen, d. h. im Bereich des oberen Ösophagussphinkters, der Aortenbogenimpression und am ösophagogastralen Übergang (Zargar et al. 1992), vermutlich durch die in diesen Bereichen verlängerte Kontaktzeit. In hohen Konzentrationen bewirken Säuren und Laugen eine Verätzung sowohl des Ösophagus als auch des Magens (Han et al. 2004).
a
26.1.2 Epidemiologie und schädigende Substanzen Die Häufigkeit von gastrointestinalen Verätzungen wird in der westlichen Welt auf ca. 500 Fälle pro 100.000 Einwohner und Jahr geschätzt. Etwa 80% der Patienten sind jünger als 10 Jahre. Im Kindesalter handelt es sich bei der Säure- oder Laugeningestion zumeist um unbeabsichtigtes Verschlucken, wohingegen beim Erwachsenen die Ingestion in suizidaler Absicht (mit entsprechend ungünstigerer Prognose) im Vordergrund steht (Bartels 1990; Gumaste et al. 1992; Kikendall 1991; Ertekin et al. 2004). Das Spektrum der Substanzen, die bei Ingestion zur Verätzung führen, ist groß (Zargar et al. 1989, 1992). Die schädigenden Chemikalien kommen in alltäglich im Haushalt verwendeten Flüssigkeiten vor (z. B. Natronlauge in Haushaltsreinigern, Ammoniak und anorganische Säuren – wie Schwefel- oder Salzsäure – in Abflussreinigern). Phenol-, Silbernitrat- oder Arsenlösungen sind Beispiele für schädigende Agenzien bei Laboratoriumszwischenfällen.
b . Abb. 26.1a,b. Komplette ösophagogastrale Verätzung nach Ingestion eines Haushaltsreinigers in suizidaler Absicht. Es handelt sich um eine Kolliquationsnekrose. a Der Ösophagus (hier am kompletten Ösophagogastrektomiepräparat) ist artifiziell geschrumpft. b Die Ausschnittsvergrößerung zeigt Reste des aus Kügelchen bestehenden Haushaltsreinigers (Pfeil)
309 26.1 · Ösophagus- und Magenverätzung
Starke anorganische Säuren, wie z. B. Schwefel-, Salz- und Salpetersäure, sind aggressiver und führen früher zur Organwandperforation, als schwache, organische Säuren, wie z. B. Oxaloder Ameisensäure. Die Laugenverätzung durch Ingestion von Natronlauge führt zu den schwerwiegendsten Schädigungen am oberen Gastrointestinaltrakt. Die Schädigungen durch Ingestion von Arsenlösungen oder Lötwasser sind eher geringer. Diese Gifte haften jedoch in chemisch aktiver Form an der Organwand, wodurch die systemische Intoxikation unterhalten wird. Bei Voroperationen am Magen können aufgrund der schnelleren Passage frühzeitiger tiefere Darmabschnitte geschädigt werden. 26.1.3 Klassifikation Nach histopathologischen Kriterien lassen sich Ösophagus- und Magenverätzungen wie folgt klassifizieren (Bartels 1990; Kikendall 1991): 4 Die Verätzung I. Grades entspricht einer oberflächlichen Schädigung der Mukosa, mit isolierten kleinen Schleimhautdefekten und toxischem bzw. entzündlichem Schleimhautödem. Diese Veränderungen heilen ohne spezifische Therapie folgenlos ab. 4 Bei der Verätzung II. Grades ist die Mukosa zerstört, die Submukosa und die Muskularis sind zumindest partiell geschädigt. Es finden sich in unterschiedlichem Ausmaß Nekroseflächen, Ulzerationen und Blutungen. Ab diesem Schweregrad heilen die Läsionen nicht ohne eine Narbe. 4 Die Verätzung III. Grades entspricht einer vollständigen Nekrose aller Organwandschichten. Diese Verletzungen können nicht mehr ad integrum ausheilen. Die Folge kann eine frühzeitige Wandperforation mit Ausbildung einer Mediastinitis, Peritonitis und möglicher weiterer Arrosionen anderer intrathorakaler und intraabdominaler Organe durch chemisch noch aktive Säure oder Lauge sein. Diese histopathologische Klassifikation kann aufgrund der Beurteilung von Biopsien durch den Pathologen vorgenommen werden. Für die klinische Notfallversorgung ist allerdings zunächst die grobe endoskopische Unterscheidung in »schwere« und »schwerste« Verätzung gebräuchlich, wie sie unter »Diagnostik« dargestellt ist (7 Kap. 26.1.5). Nach ingestiver Verätzung laufen verschiedene regenerative und reparative Vorgänge ab, abhängig vom initialen Verätzungsgrad (Bartels et al. 1990; Kikendall 1991): 4 Akutes Initialstadium (Nekrosephase, bis zum 4. Tag): Die Gewebenekrosen als Folge der Koagulation bzw. Kolliquation werden nach bakterieller und hämorrhagischer Infiltration der darunter liegenden Gewebe durch Leukozyten demarkiert. Dabei geht das anfänglich toxische Gewebeödem in ein – klinisch häufig von Fieber begleitetes – entzündliches über. Plasmazellen und Fibroblasten formieren sich am Grund der sich in Abstoßung befindlichen Nekrosen. 4 Folgestadium (Granulationsphase, bis 4. Woche): Bei weiterer Abstoßung nekrotischen Materials kann es aus arrodierten Gefäßen zu Blutungen kommen. Im Wundgrund findet eine Gefäßeinsprossung, Fibroblastenimigration und Ausbildung eines Granulationsgewebes statt, das in das Lumen vorwuchern kann. Dabei entstehen durch Verklebungen von Granulationen Segel und Taschenbildungen, was zu
26
späterer Stenosenbildung prädisponieren kann. Nach dem 10. bis 12. Tag werden reichlich kollagene Fasern eingebaut (fibröse Umwandlung). In der Granulationsphase hat die Organwand die geringste Festigkeit. 4 Spätstadium (Vernarbungsphase, bis 4. Monat): Nach der 4. Woche beginnt die Neubildung einer dünnen, schuppigen Epithelschicht ohne Drüsen, die bis zum 4. Monat andauern kann. Das neu gebildete kollagene Faser- und Narbengewebe retrahiert und führt, v. a. bei zirkulären Läsionen der Mukosa, zu Lumeneinengungen bis hin zur Obliteration. Bei noch erhaltenen Mukosabrücken ist das Ausmaß der zu erwartenden Stenosierung geringer. 80% aller Strikturen manifestieren sich innerhalb der ersten 8 Wochen, über 90% im 1. Jahr (Bartels 1990).
Das Risiko der Karzinomentstehung auf dem Boden einer verätzungsbedingten narbigen Striktur im Ösophagus ist nach einem Intervall von 10–20 Jahren deutlich erhöht (Stein et al. 1994).
26.1.4 Klinische Symptomatologie Symptome der ingestiven Verätzung sind zunächst Schmerzen in Mund und Rachenraum sowie Dysphagie und Odynophagie. Eine vagale Stimulation induziert eine Hypersalivation. Die Patienten klagen über intensives Durstgefühl. Ein toxisches Glottisödem kann ursächlich für respiratorische Störungen sein, oder sich in Heiserkeit, Stridor, Aphonie und Dysphonie äußern. Bei zweit- bis drittgradigen Verätzungen kann sich eine Schocksymptomatik als Folge der Allgemeinintoxikation oder eines septischen Krankheitsbildes auf dem Boden einer Perforation entwickeln. Gelangen Keime über eine verätzungsbedingte Perforation in die Bauchhöhle kommt es zum Peritonismus und akutem Abdomen. In 3–5% aller ingestiven Verätzungen findet sich eine Ösophagusperforation, die mit den Zeichen einer akuten Mediastinitis und meist linksseitigem Pleuraerguss einhergeht. Die Letalität der Ösophagusperforation auf dem Boden einer Verätzung beträgt 50–70%. Im zervikalen Ösophagus kann eine Perforation relativ symptomarm verlaufen. Spätsymptome sind Pleuraerguss, Pneumothorax, Mediastinitis, Mediastinalemphysem und Empyem sowie retropharyngeale Abszedierung (Bartels 1990; Kikendall 1991). 26.1.5 Diagnostik Da die Ingestion toxischer Substanzen wie Säuren und Laugen häufig in suizidaler Absicht geschieht, sind eigenanamnestische Angaben oft unzuverlässig. Daher ist die Fremdanamnese von großer Bedeutung. Im Einzelfall kann die toxikologische Analyse von asserviertem Material aufschlussreich sein. Für das klinische Handeln in der Notfallsituation ist jedoch die prinzipielle Unterscheidung in starke oder schwache Säure oder Lauge am wichtigsten. Auf jeden Fall ist die Zusammenarbeit mit einem Toxikologen erforderlich, da verschiedene Substanzen im Organismus komplexe Wirkungen entfalten. Außerhalb eines Zentrums mit eigener toxikologischer Abteilung stehen gut organisierte Giftnotrufzentralen für fachkundige Beratung zur Verfügung.
310
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
. Abb. 26.2. Flussdiagramm zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen bei der ingestiven Verätzung
Schockraum Stabilisierung Toxikologisches Konsil
26
Verdacht auf „schwerste” Verätzung Radiologie
Keine Perforation
Station
„Leichte” Verätzung
Endoskopie
Perforation
„Schwerste” Verätzung
Operation
„Schwere” Verätzung Stabilisierung
Komplikation
Intensivstation
Die wesentliche Frage bei der Initialdiagnostik der Verätzung ist die Beurteilung von Lokalisation, Ausmaß und Tiefe der Organwandschädigung durch unverzügliche endoskopische Untersuchung (. Abb. 26.2; Poleyet al. 2004; Bartels 1990; Zargar et al. 1991). Diese für Diagnosestellung und Therapieplanung entscheidende Fragestellung ist anspruchsvoll und muss von einem erfahrenen Endoskopiker beantwortet werden. Klinisch wird anhand der Endoskopie in leichte, schwere und schwerste Verätzung differenziert, da die histopathologische Differenzierung des Verätzungsgrades (7 Kap. 26.1.3) in der Notfallsituation nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Insbesondere die zweit- und drittgradige Verätzung können klinisch schwer zu unterscheiden sein, weshalb weitere Kriterien einfließen: 4 Eine »leichte Verätzung« ist durch Schleimhautreizung, Ödem und ggf. Erosion gekennzeichnet. 4 Eine »schwere« Verätzung liegt dann vor, wenn neben thrombosierten Venen, Blutungen, Ulzera und Schleimhautnekrosen noch inselförmige Schleimhautareale identifizierbar sind, die nach Abzug mit der Biopsiezange frisch bluten. 4 Um eine »schwerste« Verätzung handelt es sich dann, wenn bei vollständiger Nekrotisierung der Schleimhaut tiefere Organwandschichten nicht mehr beurteilbar sind und es auch bei Stufenbiopsien nicht mehr zu Blutungen kommt. In diesem Fall lässt sich die exakte Tiefe der Verätzung nur durch die direkte intraoperative Inspektion der Organe sicher beurteilen. Die radiologische Untersuchung mit wasserlöslichem Kontrastmittel liefert keine zuverlässigen Aussagen hinsichtlich Ausdehnung und Verätzungstiefe und kann lediglich Perforationen aufzeigen. 26.1.6 Therapie Akuttherapie der ingestiven Verätzung Die Akuttherapie der ingestiven Verätzung umfasst die Stabilisierung des Patienten und das Abwenden der vitalen Gefährdung.
Hierzu ist eine aggressive Volumentherapie erforderlich, ggf. die frühzeitige Intubation und maschinelle Beatmung, sowie der Ausgleich von metabolischer Azidose und Gerinnungsstörungen. Der Magen wird über eine belüftete nasogastrale Sonde entlastet. Cave Kontraindiziert sind Magenspülung, Gabe von Emetika und Neutralisationsversuche mittels chemischer Antagonisierung.
Bei der Magenspülung kann durch die intraluminale Druckerhöhung eine frühzeitige Perforation der Organwände begünstigt werden. Durch Emetika induziertes Erbrechen führt infolge der Zweitpassage zur zusätzlichen Schädigung durch die Substanz. Die chemische Antagonisierung durch Spülungen mit Laugen bei Säureverletzungen bzw. mit Säuren bei Laugenverätzungen verbietet sich wegen einer möglichen Dampfentwicklung und zusätzlich entstehender thermischer Schädigung infolge von Neutralisationswärme (Andreoni et al. 1997; Bartels 1990). Die initiale Diagnostik und Akuttherapie der ingestiven Verätzung ist in Abb. 26.2 als Flussdiagramm zusammengefasst (Bartels 1990; Sarfati et al. 1987). Operationsindikation Eine absolute Operationsindikation besteht beim Nachweis einer Perforation oder einer ,,schwersten« Verätzung. »Schwere« Verätzungen, bei denen der weitere Verlauf nicht sicher vorherzusagen ist, werden grundsätzlich auf der Intensivstation überwacht. Bei diesen Patienten ergibt sich dann eine Operationsindikation, wenn eine Diskrepanz zwischen primär endoskopischem Befund (»schwere« Verätzung) und klinischem Bild auftritt. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn trotz maximaler Intensivtherapie eine Instabilität der Vitalfunktionen fortbesteht oder sich neu einstellt, ein akutes Abdomen oder ein akuter Thorax manifest werden, bei sonographischen Verlaufskontrollen eine extraluminale Flüssigkeitsansammlung nachweisbar wird, oder eine Hämolyse,
311 Literatur
disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) oder schwerste metabolische Azidosen auftreten (Bartels 1990; Berthet et al. 1996; Estrera et al. 1986; Horvath et al. 1991; Hugh et al. 1999; Wu et al. 1993). Operationstaktik Zeigt sich bei der Laparotomie eine transmurale Magenverätzung, wird in Abhängigkeit vom Lokalbefund gastrektomiert. Der Duodenal- und distale Ösophagusstumpf werden blind verschlossen und eine zervikale Speichelfistel sowie eine jejunale Ernährungssonde angelegt. Die Rekonstruktion erfolgt im Intervall, in einem Zweiteingriff, nach ausreichender Rekonvaleszenz des Patienten. Schwieriger ist die Beurteilung des verätzten Ösophagus im Rahmen der Laparotomie. Durch Erweiterung des Hiatus kann der Ösophagus von abdominell bis auf Höhe der Trachealbifurkation eingesehen werden. Zeigt das Organ von außen bereits eine transmurale Nekrose, erfolgt die organnahe transmediastinale Dissektion (Gosset et al. 1987; Horvath et al. 1991; Wu et al. 1996). Diese Technik der Ösophagektomie bietet sich aus verschiedensten Gründen an: Zum einen fehlen (anders als z. B. beim Karzinom) Verwachsungen mit anderen mediastinalen Strukturen, weshalb das stumpfe Auslösen (»stripping«) des Ösophagus verhältnismäßig einfach durchzuführen ist. Weiterer bedeutender Vorteil ist die Vermeidung der Thorakotomie mit breiter transpleuraler Exposition: Speziell bei diesen schwerkranken Patienten ist es wichtig, die damit verbundenen postoperativen pulmonalen Störungen zu vermeiden. Die Rekonstruktion der Speisepassage erfolgt wiederum im Intervall, nach dem Überstehen der Akutphase. Konservative Therapie Die Akutfolgen der leichten Verätzungen und endoskopisch gesicherten »schweren« Verätzungen, ohne posttraumatische Komplikationen, klingen unter konservativer Therapie innerhalb von 8–14 Tagen ab. Die Therapie umfasst die »Entlastung« des Gastrointestinaltraktes (Magensonde), parenterale Ernährung, Blockade der Säureproduktion des Magens (Protonenpumpeninhibitoren) und die regelmäßige endoskopische Kontrolle (Kikendall 1991). Möglichst frühzeitig sollte bei symptomatischen Stenosen (zumeist nach zweitgradigen, seltener bei erstgradigen Verätzungen) eine Bougierungsbehandlung durchgeführt werden (Kikendall 1991). Umstritten ist die systemische Therapie mit Steroiden zur Prophylaxe von Strikturen: Unter Kortisontherapie soll gemäß Erfahrungsberichten in nur etwa 5–10% aller Verätzungen mit Strikturen zu rechnen sein, während ohne Kortisonbehandlung deren Inzidenz zwischen 25 und 80% liegt. Prospektiv kontrollierte Studien konnten dies bislang nicht bestätigen (Anderson et al. 1990; Howell et al. 1992). Entscheidend scheint eine initial hohe Dosierung und eine ausreichend lange Behandlung (6– 12 Wochen) zu sein. Eine Beherrschung des Infekts durch Antibiotika verkürzt die Nekrosephase, schützt und beschleunigt die reparativen Vorgänge und ist in der Prophylaxe und Therapie einer Durchwanderungsmediastinitis von Bedeutung. Antibiotika sind zudem bei langfristiger Kortisontherapie angezeigt (Webb 1970).
26
Bougierungsbehandlung Die frühzeitige Bougierung ist die effektivste Maßnahme zur Verhinderung narbiger Strikturen und Stenosen des Ösophagus nach höhergradiger Verätzung und sollte zwischen 6. und 12. Tag nach dem Ereignis begonnen werden (Bartels 1990; Kikendall 1991).
Für den Erfolg entscheidend ist die konsequente Anwendung in 2- bis 4-tägigem Abstand für einen ausreichend langen Zeitraum. Am besten hat sich die Bougierung über eine Führungsfaden bewährt, der entweder über eine Magenfistel oder peroral ausgeleitetet wird. Eine Magenfistel bietet den zusätzlichen Vorteil einer enteralen Ernährung und sollte daher nach Sicherung einer höhergradigen Verätzung möglichst frühzeitig angelegt werden. Die Bougierungsbehandlung trägt (insbesondere beim »blinden« Vorgehen) ein beträchtliches Perforationsrisiko. Außerdem kann durch jeweils neuerliche Irritation der geschädigten Ösophaguswand neue Narbenbildung und konsekutive Re-Stenosierung induziert werden. Hochgradige Strikturen machen eine Langzeitbougierung notwendig. Eine solche »Dauerbougierung« kann von den Patienten selbst erlernt werden, ist allerdings ebenfalls risikobehaftet (Ösophagitiden, Narbenbildung und Re-Stenosierung; Kikendall 1991). Operative Behandlung der Verätzungsstriktur Eine absolute Indikation zur operativen Behandlung besteht bei der »vollständigen« Verätzungsstriktur und der Striktur, die eine Nahrungsaufnahme nur noch in unzureichender Menge gestattet, aber einer Bougierungsbehandlung nicht mehr zugänglich ist. Eine relative Indikation besteht bei Strikturen, die nur durch eine Dauerbougierung offen gehalten werden können. Hier richtet sich die Entscheidung nach dem Grad der Dysphagie und dem individuellen Operationsrisiko des Patienten und dem dringenden Wunsch des Kranken nach endgültiger Sanierung (Bartels 1990; Han et al. 2004). Bei der Indikationsstellung muss weiterhin Berücksichtigung finden, dass eine Verätzungsstriktur als Präkanzerose aufzufassen ist. Patienten mit Ösophagusverätzungen im Kindesalter erkranken etwa 20 Jahre früher und bis zu tausendmal häufiger an einem Ösophaguskarzinom als gesunde Personen. Die Rate der malignen Entartung wird in der Literatur zwischen 0,8 und 7,2% angegeben (Stein et al. 1994). Das Krebsrisiko für Patienten mit einer Verätzungsstriktur liegt damit allerdings in der gleichen Größenordnung wie die Operationsletalität des Speiseröhrenersatzes. Damit kann das Karzinomrisiko allein nicht für die prophylaktische Indikationsstellung zur Ösophagusexstirpation ausschlaggebend sein. Eine engmaschige endoskopische Überwachung, beginnend etwa 10 Jahre nach ingestiver Verätzung, erscheint sinnvoll (Stein et al. 1996).
Literatur Anderson KD, Rouse TM, Randolph JG (1990) A controlled trial of corticosteroids in children with corrosive injury of the esophagus. N Engl J Med 323:637–640 Andreoni B, Farina ML, Biffi R, Crosta C (1997) Esophageal perforation and caustic injury: emergency management of caustic ingestion. Dis Esophagus 102:95–100
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26
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
Bartels H (1990) Ösophagus und Magenverätzung. In: Siewert JR et al. (Hrsg) Chirurgische Gastroenterologie, Bd 2, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 567–573 Berthet B, Castellani P, Brioche MI, Assadourian R, Gauthier A (1996) Early operation for severe corrosive injury of the upper gastrointestinal tract. Eur J Surg 162:951–955 Ertekin C, Alimoglu O, Akyildiz H, Guloglu R, Taviloglu K (2004) The results of caustic ingestions. Hepatogastroenterology 51:1397–400 Estrera A, Taylor W, Mills LJ, Platt MR (1986) Corrosive burns of the esophagus and stomach: a recommendation for an aggressive surgical approach. Ann Thorac Surg 41:276–283 Gossot D, Sarfati E, Celerier M (1987) Early blunt esophagectomy in severe caustic burns of the upper digestive tract. J Thorac Cardiovasc Surg 94:188–191 Gumaste VV, Dave PB (1992) Ingestion of corrosive substances by adults. Am J Gastroenterol 87:1–5 Han Y, Cheng QS, Li XF, Wang XP (2004) Surgical management of esophageal strictures after caustic burns: a 30 years of experience. World J Gastroenterol 10:2846–2849 Horvath OP, Olah T, Zentai G (1991) Emergency esophagogastrectomy for treatment of hydrochloric acid injury. Ann Thorac Surg 52:98– 101 Howell JM, Dalsey WC, Hartsell FW, Butzin CA (1992) Steroids for the treatment of corrosive esophageal injury: a statistical analysis of past studies. Am J Emerg Med 10:421–425 Hugh TB, Kelly MD (1999) Corrosive ingestion and the surgeon. J Am Coll Surg 189:508–522 Kikendall JW (1991) Caustic ingestion injuries. Gastroenterol Clin North Am 20:847–857 Makela JT, Laitinen S, Salo JA (1998) Corrosion injury of the upper gastrointestinal tract after swallowing strong alkali. Eur J Surg 164:575–580 Poley JW, Steyerberg EW, Kuipers EJ, Dees J, Hartmans R, Tilanus HW, Siersema PD (2004) Ingestion of acid and alkaline agents: outcome and prognostic value of early upper endoscopy. Gastrointest Endosc 60:372–377 Sarfati E, Gossot D, Assens P, Celerier M (1987) Management of caustic ingestion in adults. Br J Surg 74:146–148 Stein HJ, Siewert JR (1994) Klinische Bedeutung der Präkanzerosen des Ösophagus. In: Häring R (Hrsg) Krebsrisikoerkrankungen des Verdauungstrakts. Blackwell, Berlin, S 31–40 Stein HJ and Panel of Experts (1996) Esophageal cancer: screening and surveillance. Results of a consensus conference. Dis Esoph 9 (Suppl 1): 3–19 Webb WR (1970) An evaluation of steroids and antibiotics in caustic burns of the esophagus. Ann Thorac Surg 9:95 Wu MH, Lai WW (1993) Surgical management of extensive corrosive injuries of the alimentary tract. Surg Gynecol Obstet 177:12–16 Wu MH, Lai WW, Hwang TL et al. (1996) Surgical results of corrosive injuries involving esophagus to jejunum. Hepato-Gastroenterology 43:846– 850 Zargar SA, Kochhar R, Nagi B, Mehta S, Mehta SK (1989) Ingestion of corrosive acids. Spectrum of injury to upper gastrointestinal tract and natural history. Gastroenterology 97:702–707 Zargar SA, Kochhar R, Mehta S, Mehta SK (1991) The role of fiberoptic endoscopy in the management of corrosive ingestion and modified endoscopic classification of burns. Gastrointest Endosc 37:165– 169 Zargar SA, Kochhar R, Nagi B, Mehta S, Mehta SK (1992) Ingestion of strong corrosive alkalis: spectrum of injury to upper gastrointestinal tract and natural history. Am J Gastroenterol 87:337–341
26.2
Fremdkörper in Ösophagus und Magen
) ) Fremdkörper in Ösophagus oder Magen können zur Wandverletzung, Passagebehinderung oder auch zur Verlegung der Atemwege führen. Zu unterscheiden sind das versehentliche und das absichtliche Fremdkörperverschlucken, sowie iatrogene, intraluminal entstandene (Bezoare) und von außen einbrechende Fremdkörper (Manegold 1992).
26.2.1 Epidemiologie, Lokalisation,
Komplikationen Versehentliches Verschlucken von Fremdkörpern ist im Kindesalter häufig (Münzen, Spielzeug, Kleinteile des Haushalts; Haraguchi et al. 2004) und bleibt meist unbemerkt und asymptomatisch (häufig spontane, unbemerkte Passage). Im höheren Lebensalter werden bisweilen hinsichtlich Größe, Form und Oberflächenbeschaffenheit komplikationsträchtigere Fremdkörper verschluckt (wie z. B. Zahnprothesen oder Knochen; von Rahden et al. 2002, 2004a, b; Lai et al. 2004). Absichtliches Verschlucken von Fremdkörpern ist häufig bei psychisch Kranken, geistig Retardierten, Betrunkenen, Gefangenen, Schmugglern und Drogenkurieren (»Bodypacker«). Anamnestische Angaben über Zeitpunkt und Art der verschluckten Gegenstände sind hier in der Regel nicht zu erwarten/verwerten. Iatrogene Fremdkörper im oberen Gastrointestinaltrakt (Sonden, Endoprothesen, Stents) können, wie absichtlich oder unabsichtlich verschluckte Fremdkörper, ebenfalls zu Komplikationen führen. Ein Spezialfall sind intraluminal entstandene Fremdkörper: Als Bezoare bezeichnet man Konvolute von z. B. unverdaulichen Nahrungsbestandteilen, die sich zu einem Fremdkörper formiert haben. Extraluminale Fremdkörper (wie Granatsplitter, Aortenprothesen, Silikon-Antirefluxprothesen) können durch Wandarrosion von außen in den Gastrointestinaltrakt einbrechen (Brady 1991; Gerling u. Behrens 1994; Winkler et al. 2000). Ein weiterer Spezialfall ist der Einbruch von Osteosynthesematerial nach ventraler Instrumentation an der Halswirbelsäule. Durch die enge anatomische Nachbarschaft zwischen Hypopharynx, Ösophagus und Halswirbelsäule, kann es zu chronischer Drucknekrose und konsekutiver Penetration und Perforation kommen (von Rahden et al. 2005). Prädilektionstellen für das Steckenbleiben ingestierter Fremdkörper im oberen Gastrointestinaltrakt sind die anatomischen und funktionellen Engstellen im Bereich des oberen Ösophagussphinkters, des proximalen Ösophagus (an der Überkreuzungstelle des Aortenbogens), des unteren Ösophagussphinkters und am Pylorus. Bei spontaner Passage durch den Ösophagus ist ein Liegenbleiben im weiteren Gastrointestinaltrakt selten (Brady 1991; Stein et al. 1992). Vor allem im Ösophagus, aber auch im Magen, kann es bei Impaktation von Fremdkörpern zur Schleimhautverletzung, Druckulzeration und Perforation kommen. Die Fremdkörperperforation ist auch heute noch eine ernste, potenziell letale Komplikation. Vollständig durch die Ösophagus- oder Magenwand gewanderte Fremdkörper können dort extraluminal narbig
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Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
Bartels H (1990) Ösophagus und Magenverätzung. In: Siewert JR et al. (Hrsg) Chirurgische Gastroenterologie, Bd 2, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 567–573 Berthet B, Castellani P, Brioche MI, Assadourian R, Gauthier A (1996) Early operation for severe corrosive injury of the upper gastrointestinal tract. Eur J Surg 162:951–955 Ertekin C, Alimoglu O, Akyildiz H, Guloglu R, Taviloglu K (2004) The results of caustic ingestions. Hepatogastroenterology 51:1397–400 Estrera A, Taylor W, Mills LJ, Platt MR (1986) Corrosive burns of the esophagus and stomach: a recommendation for an aggressive surgical approach. Ann Thorac Surg 41:276–283 Gossot D, Sarfati E, Celerier M (1987) Early blunt esophagectomy in severe caustic burns of the upper digestive tract. J Thorac Cardiovasc Surg 94:188–191 Gumaste VV, Dave PB (1992) Ingestion of corrosive substances by adults. Am J Gastroenterol 87:1–5 Han Y, Cheng QS, Li XF, Wang XP (2004) Surgical management of esophageal strictures after caustic burns: a 30 years of experience. World J Gastroenterol 10:2846–2849 Horvath OP, Olah T, Zentai G (1991) Emergency esophagogastrectomy for treatment of hydrochloric acid injury. Ann Thorac Surg 52:98– 101 Howell JM, Dalsey WC, Hartsell FW, Butzin CA (1992) Steroids for the treatment of corrosive esophageal injury: a statistical analysis of past studies. Am J Emerg Med 10:421–425 Hugh TB, Kelly MD (1999) Corrosive ingestion and the surgeon. J Am Coll Surg 189:508–522 Kikendall JW (1991) Caustic ingestion injuries. Gastroenterol Clin North Am 20:847–857 Makela JT, Laitinen S, Salo JA (1998) Corrosion injury of the upper gastrointestinal tract after swallowing strong alkali. Eur J Surg 164:575–580 Poley JW, Steyerberg EW, Kuipers EJ, Dees J, Hartmans R, Tilanus HW, Siersema PD (2004) Ingestion of acid and alkaline agents: outcome and prognostic value of early upper endoscopy. Gastrointest Endosc 60:372–377 Sarfati E, Gossot D, Assens P, Celerier M (1987) Management of caustic ingestion in adults. Br J Surg 74:146–148 Stein HJ, Siewert JR (1994) Klinische Bedeutung der Präkanzerosen des Ösophagus. In: Häring R (Hrsg) Krebsrisikoerkrankungen des Verdauungstrakts. Blackwell, Berlin, S 31–40 Stein HJ and Panel of Experts (1996) Esophageal cancer: screening and surveillance. Results of a consensus conference. Dis Esoph 9 (Suppl 1): 3–19 Webb WR (1970) An evaluation of steroids and antibiotics in caustic burns of the esophagus. Ann Thorac Surg 9:95 Wu MH, Lai WW (1993) Surgical management of extensive corrosive injuries of the alimentary tract. Surg Gynecol Obstet 177:12–16 Wu MH, Lai WW, Hwang TL et al. (1996) Surgical results of corrosive injuries involving esophagus to jejunum. Hepato-Gastroenterology 43:846– 850 Zargar SA, Kochhar R, Nagi B, Mehta S, Mehta SK (1989) Ingestion of corrosive acids. Spectrum of injury to upper gastrointestinal tract and natural history. Gastroenterology 97:702–707 Zargar SA, Kochhar R, Mehta S, Mehta SK (1991) The role of fiberoptic endoscopy in the management of corrosive ingestion and modified endoscopic classification of burns. Gastrointest Endosc 37:165– 169 Zargar SA, Kochhar R, Nagi B, Mehta S, Mehta SK (1992) Ingestion of strong corrosive alkalis: spectrum of injury to upper gastrointestinal tract and natural history. Am J Gastroenterol 87:337–341
26.2
Fremdkörper in Ösophagus und Magen
) ) Fremdkörper in Ösophagus oder Magen können zur Wandverletzung, Passagebehinderung oder auch zur Verlegung der Atemwege führen. Zu unterscheiden sind das versehentliche und das absichtliche Fremdkörperverschlucken, sowie iatrogene, intraluminal entstandene (Bezoare) und von außen einbrechende Fremdkörper (Manegold 1992).
26.2.1 Epidemiologie, Lokalisation,
Komplikationen Versehentliches Verschlucken von Fremdkörpern ist im Kindesalter häufig (Münzen, Spielzeug, Kleinteile des Haushalts; Haraguchi et al. 2004) und bleibt meist unbemerkt und asymptomatisch (häufig spontane, unbemerkte Passage). Im höheren Lebensalter werden bisweilen hinsichtlich Größe, Form und Oberflächenbeschaffenheit komplikationsträchtigere Fremdkörper verschluckt (wie z. B. Zahnprothesen oder Knochen; von Rahden et al. 2002, 2004a, b; Lai et al. 2004). Absichtliches Verschlucken von Fremdkörpern ist häufig bei psychisch Kranken, geistig Retardierten, Betrunkenen, Gefangenen, Schmugglern und Drogenkurieren (»Bodypacker«). Anamnestische Angaben über Zeitpunkt und Art der verschluckten Gegenstände sind hier in der Regel nicht zu erwarten/verwerten. Iatrogene Fremdkörper im oberen Gastrointestinaltrakt (Sonden, Endoprothesen, Stents) können, wie absichtlich oder unabsichtlich verschluckte Fremdkörper, ebenfalls zu Komplikationen führen. Ein Spezialfall sind intraluminal entstandene Fremdkörper: Als Bezoare bezeichnet man Konvolute von z. B. unverdaulichen Nahrungsbestandteilen, die sich zu einem Fremdkörper formiert haben. Extraluminale Fremdkörper (wie Granatsplitter, Aortenprothesen, Silikon-Antirefluxprothesen) können durch Wandarrosion von außen in den Gastrointestinaltrakt einbrechen (Brady 1991; Gerling u. Behrens 1994; Winkler et al. 2000). Ein weiterer Spezialfall ist der Einbruch von Osteosynthesematerial nach ventraler Instrumentation an der Halswirbelsäule. Durch die enge anatomische Nachbarschaft zwischen Hypopharynx, Ösophagus und Halswirbelsäule, kann es zu chronischer Drucknekrose und konsekutiver Penetration und Perforation kommen (von Rahden et al. 2005). Prädilektionstellen für das Steckenbleiben ingestierter Fremdkörper im oberen Gastrointestinaltrakt sind die anatomischen und funktionellen Engstellen im Bereich des oberen Ösophagussphinkters, des proximalen Ösophagus (an der Überkreuzungstelle des Aortenbogens), des unteren Ösophagussphinkters und am Pylorus. Bei spontaner Passage durch den Ösophagus ist ein Liegenbleiben im weiteren Gastrointestinaltrakt selten (Brady 1991; Stein et al. 1992). Vor allem im Ösophagus, aber auch im Magen, kann es bei Impaktation von Fremdkörpern zur Schleimhautverletzung, Druckulzeration und Perforation kommen. Die Fremdkörperperforation ist auch heute noch eine ernste, potenziell letale Komplikation. Vollständig durch die Ösophagus- oder Magenwand gewanderte Fremdkörper können dort extraluminal narbig
313 26.2 · Fremdkörper in Ösophagus und Magen
»einheilen« oder aber auch weiter im Körper über weite Strecken verschleppt werden (Brady 1991; Yoshida u. Peura 1995). Beim Verschlucken von Batterien besteht neben der Möglichkeit von Niederstromverbrennungen durch Kurzschluss auch Gefahr durch Austritt toxischer Substanzen (wie z. B. Quecksilber), mit potenzieller Gefahr lokaler Verätzung und/oder resorptiver Vergiftung (Frey et al. 1989; Samad et al. 1999). 26.2.2 Klinische Symptomatologie Unbeabsichtigtes Fremdkörperverschlucken kann sich z. B. durch Symptome wie Dysphagie, Odynophagie oder Asphyxie bemerkbar machen. Hypersalivation und Aphagie sind Ausdruck einer kompletten Obstruktion des Ösophagus und Hautemphysem, Hämoptysen, Hämatemesis und Peritonismus Zeichen einer ausgedehnten Wandschädigung oder Perforation. Gelegentlich wird ein Fremdkörper im Ösophagus oder Magen erst nach einem beschwerdefreien Intervall durch das Auftreten lokaler Komplikationen diagnostiziert (von Rahden et al. 2002, 2004b). Vor allem im Magen können auch größere Fremdkörper über lange Zeit symptomlos bleiben (Manegold 1992; Brady 1991).
26
Fremdkörperingestion RÖ Hals + direkte Laryngoskopie FK gefunden und entfernt
Entlassung
FK gefunden und entfernt
Entlassung
Symptome abgeklungen
Entlassung
FK nicht gefunden
ÖGD
FK nicht gefunden
Persistenz von Symptomen
Komplikativer Verlauf! Endoskopische Extraktion intraluminaler FK
Chirurgische Exploration des Halses bei Bei jedem Verdacht auf Fremdkörperingestion oder Komplikationen durch Fremdkörper ist eine Klinikeinweisung erforderlich.
• extraluminalem FK • Abszessformation . Abb. 26.3. Algorithmus bei Fremdkörperingestion, basierend auf einer großen Fallserie (n=1338 Fremdkörperingestionen aus Hong Kong/ China; FK Fremdkörper). (Nach Lai et al. 2004)
26.2.3 Diagnostik Ziele der diagnostischen Maßnahmen sind die Bestimmung von Art, Größe und Lokalisation des Fremdkörpers sowie Nachweis oder Ausschluss von Komplikationen und zugrunde liegenden Funktionsstörungen oder Stenosen (Yoshida et al. 1995; Winkler et al. 2000). Die erste diagnostische Maßnahme bei Verdacht auf Fremdkörperingestion ist nach Inspektion der Mundhöhle die Durchführung einer Röntgenübersichtsaufnahme des Halses, Thorax und Abdomens, jeweils in 2 Ebenen, zum Nachweis röntgendichter Fremdkörper. Eine Röntgenkontrastdarstellung des Ösophagus und Magens mit wasserlöslichem Kontrastmittel kann bei nicht röntgendichten Fremdkörpern weiterführen. Die flexible obere gastrointestinale Endoskopie ermöglicht neben dem Nachweis eines Fremdkörpers auch den Nachweis oder Ausschluss einer bereits vorliegenden Wandschädigung und häufig in gleicher Sitzung die Fremdkörperentfernung. Laryngoskop und Lupenlaryngoskop kommen bei meso- und hypopharyngealen Fremdkörpern zum Einsatz (Winkler et al. 2000; Manegold 1992; Yoshida et al. 1995). In . Abb. 26.3 ist ein aus einer großen Fallserie in Hong Kong/China abgleiteter Algorithmus wiedergegeben, der in abgewandelter Form auch für unsere westliche Patientenpopulation anwendbar ist (von Rahden 2004a, Lai et al. 2004). Indikationen zur Fremdkörperextraktion Bei Indikationsstellung zur Fremdkörperextraktion aus Ösophagus oder Magen müssen Risiko und Nutzen abgewogen werden. Material, Größe, Form, und Lage des Fremdkörpers, sowie
das Vorliegen einer Obstruktion und die Dauer seit der Fremdkörperingestion müssen berücksichtigt werden (Winkler et al. 2000; Manegold 1992).
Bei Lokalisation im Rachen oder am oberen Ösophagussphinkter besteht eine vitale Indikation zur Extraktion aufgrund der Asphyxiegefahr. Impaktation im Ösophagus führt innerhalb von wenigen Stunden zu Drucknekrosen. Bei Regurgitation besteht Aspirationsgefahr.
Beim Nachweis von Fremdkörpern im Magen besteht in der Regel keine Notfallindikation zur Bergung, wenn die Art und Beschaffenheit des Fremdkörpers eine Passage durch den Pylorus möglich erscheinen lässt, kein Anhalt für eine tiefergehende Wandläsion besteht und nicht die Gefahr besteht, dass gefährliche Inhaltsstoffe austreten. Bei mehr als 85% der Fremdkörper, die komplikationslos den Ösophagus passiert haben, ist auch eine spontane Passage aus dem Magen und durch den restlichen Verdauungstrakt möglich. Allerdings sollten diese Patienten bis zum Ausscheiden des Fremdkörpers unter Beobachtung bleiben (Yoshida et al. 1995). 26.2.4 Therapie Beim Erstickenden ist zuerst die Mundhöhle digital auszuräumen und mit dem Esmarch-Handgriff der Zugang zu den oberen
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Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
Atemwegen zu eröffnen. Beim Kleinkind lässt sich durch Hochhalten an den Beinen und Klopfen auf den Rücken häufig ein Fremdkörper lösen. Der Heimlich-Handgriff gilt als lebensrettende Maßnahme bei aspirierten oder am Hypopharynx retinierten Gegenständen, kann aber zu Rippenfrakturen, Milzruptur oder Ösophagusruptur (7 Kap. 26.3) führen. Im Notfall kann zur Sicherung der Atemwege bei einem impaktierten supra- oder infraglottischen Fremdkörper die Koniotomie lebensrettend sein. Fremdkörper im Hypopharynx lassen sich in der Regel laryngoskopisch leicht entfernen. Prinzipiell kann auch jeder in den Ösophagus oder Magen gelangte Fremdkörper endoskopisch peroral mittels Zange, Schlinge oder Sog wieder entfernt werden, vorausgesetzt, er hat seine Form nicht verändert und die Wand nicht perforiert. Das Vorschieben eines im Bereich der Kardia eingeklemmten Fremdkörpers in den Magen ist gefährlich und sollte unterlassen werden (Yoshida et al. 1995; Manegold 1992). Durch die Fortentwicklung der flexiblen Endoskopie hat das starre Ösophagoskop heute seine Rolle bei der Fremdkörperbergung aus dem Ösophagus weitgehend verloren. Bei gleicher Erfolgsrate ist die Komplikationsrate der flexiblen Endoskopie deutlich geringer als die der starren Endoskopie (Berggreen et al. 1993; Yoshida et al. 1995). Durch Muskelspasmus eingeklemmte Fremdkörper im Ösophagus lassen sich häufig durch Spasmolytika (Buscopan, Glukagon) und Sedativa aus ihrer Lage lösen und können dann mit dem flexiblen Endoskop geborgen werden. Gelegentlich können Fremdkörper aber aufgrund eines Wandödems mit dem flexiblen Endoskop nicht sicher gefasst werden, sodass das starre Instrumentarium bei jeder Fremdkörperextraktion verfügbar sein sollte, um im Bedarfsfall durch Wechsel der Endoskopiesysteme sofort den Eingriff erfolgreich abzuschließen. Die Schwierigkeit und die Zeitdauer einer endoskopischen Fremdkörperentfernung sollte nicht unterschätzt werden. Cave Jeder Versuch der Bergung eines Fremdkörpers aus dem oberen Gastrointestinaltraktes muss zum Schutz der Atemwege in Intubationsbereitschaft erfolgen. Bei perforierenden Fremdkörpern ist grundsätzlich die Bergung in Intubationsnarkose erforderlich (Yoshida et al. 1995; Manegold 1992).
Nach jeder Fremdkörperextraktion aus dem oberen Gastrointestinaltrakt ist eine erneute Endoskopie erforderlich, um die Vollständigkeit der Entfernung zu überprüfen, Wandläsionen auszuschließen und eine möglicherweise zugrunde liegende Ursache der Fremdkörperimpaktation (wie Stenosen oder Tumoren) abzuklären. Komplikationen durch endoskopische Fremdkörperextraktion sind selten, aber in allen Schweregraden möglich. Bereits bestehende fremdkörperbedingte Ösophaguswandläsionen können durch Extraktion und Manipulation verschlimmert werden. Mukosadefekte heilen in der Regel folgenlos aus. Ausgedehntere Wandverletzungen und auch Perforationen bei der Fremdkörperextraktion treten überwiegend im Bereich des zervikalen Ösophagus und Hypopharynx auf und können meist konservativ therapiert werden (Yoshida et al. 1995; Manegold 1992; Brady 1991) Die Indikation zur operativen Fremdkörperextraktion ist nur selten gegeben. Nur endoskopisch nicht beherrschbare Fremdkörperkomplikationen oder frustrane endoskopische Bemühun-
gen berechtigen heute noch zum operativen Vorgehen (Manegold 1992; Barros et al. 1991). Eine Extraktion metallischer Fremdkörper mittels Magneten unter Röntgendurchleuchtung ohne Intubation ist aufgrund der Aspirationsgefahr bei Verlust des Fremdkörpers nur im Ausnahmefall zu rechtfertigen (Manegold 1992). Cave Der Nutzen von Prokinetika, Laxanzien und Ballaststoffen zur Unterstützung der Spontanpassage eines Fremdkörpers ist fraglich. In keinem Fall sollten Prokinetika bei scharfen oder spitzen Fremdkörpern verabreicht werden!
Literatur Barros JL, Caballero A Jr, Rueda JC, Monturiol JM (1991) Foreign body ingestion: management of 167 cases. World J Surg 15:783–788 Berggreen PJ, Harrison E, Sanowski RA, Ingebo K, Noland B, Zierer S (1993) Techniques and complications of esophageal foreign body extraction in children and adults. Gastrointest Endosc 39:626–630 Brady PG (1991) Esophageal foreign bodies. Gastroenterol Clin North Am 20:691–701 Frey P, David TJ, Ferguson AP (1989) Knopfbatterien im Magen-Darm-Trakt des Kindes. Pädiat Prax 38:6367–6369 Gerling S, Behrens R (1994) Fremdkörperingestionen im Kindesalter. Pädiat Prax 47:55–63 Haraguchi M, Matsuo S, Tokail H, Azuma T, Yamaguchi S, Dateki S, Fukahori K, Kanematsu T (2004) Surgical intervention for the ingestion of multiple magnets by children. J Clin Gastroenterol 38:915– 916 Manegold BC (1992) Fremdkörper im Bereich von Ösophagus und Magen. In: Siewert JR et al. (Hrsg) Chirurgische Gastroenterologie, Bd 2, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 574–581 Lai ATY, Chow TL, Lee DTY, Kwok SPY (2003) Risk factors predicting the development of complications after foreign body ingestion. Br J Surg 90:1531–1535 von Rahden BHA (2004a) Algorithmus bei Fremdkörperingestion. Chirurg 75:320–321 von Rahden BHA, Becker I, Stein HJ (2004b) Ösophagusperforation durch Wildschweinteile. Zentralbl Chir 129:1-3 von Rahden BHA, Feith M, Dittler HJ, Stein HJ (2002) Cervical esophageal perforation with severe mediastinitis due to an impacted dental prosthesis. Dis Esophagus 15:340–344 von Rahden BHA, Stein HJ, Scherer MA (2005) Late hypopharyngo-esophageal perforationen after cervical spine surgery: proposal of a therapeutic strategy. Eur Spine J 14:880–886 Samad L, Ali M, Ramzi H (1999) Button battery ingestion: hazards of esophageal impaction. J Pediatr Surg 34:1527–1531 Stein HJ, Schwizer W, DeMeester TR, Albertucci M, Bonavina L, SpiresWilliams KJ (1992) Foreign body entrapment in the esophagus – A manometric and scintigraphic study in normal volunteers. Dysphagia 7:220–225 Winkler U, Henker J, Rupprecht E (2000) Fremdkörperingestionen im Kindesalter. Dt Ärztebl 97:A316–319 Yoshida CM, Peura DA (1995) Foreign bodies. In: Castell DO (ed) The esophagus, 2nd ed. Little, Brown & Co., Boston Toronto London, pp 379– 394
315 26.3 · Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
26.3
Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
) ) Die traumatischen Läsionen von Ösophagus und Magen lassen sich sinnvoll in Perforationen (primäre, meist traumatisch bedingte Durchbohrungen), Rupturen (traumatisch bedingte Wandberstungen) und Fisteln (traumatisch bedingt oder postoperativ) einteilen.
26.3.1 Einteilung Perforationen. Als Perforationen bezeichnet man die durch
interne oder externe Gewalteinwirkung entstandene perforierende Verletzung. Am häufigsten sind hierbei iatrogen instrumentelle Verletzungen (z. B. Dilatation, Bougierung, Endoskopie), gefolgt von der Penetration von verschluckten Fremdkörpern (7 Kap. 26.2). Prädilektionsstellen sind die anatomischen Engstellen des Ösophagus. Weit seltener sind Verletzungen durch externe Gewalteinwirkung (z. B. Stich-, Schussverletzung). Eingeteilt wird nach Höhenlokalisation (zervikal, thorakal, abdominell). Berücksichtigt werden sollte außerdem, ob ein gesunder oder vorgeschädigter Ösophagus perforiert wurde (z. B. peptische Stenose, Achalasie, Karzinom). Eine »echte« oder »komplette« Perforation betrifft alle Wandschichten, und verbindet das Lumen mit der Umgebung (Mediastinum, Pleurahöhle, Peritonealhöhle). Eine »inkomplette« Perforation bezeichnet die isolierte Verletzung einzelner Wandschichten (Schleimhaut, Muskelmantel). Rupturen. Die wesentlich selteneren Rupturen entstehen als Folge eines Barotrauma, durch mit Überdruck einströmende Gase (z. B. Pressluft) oder Flüssigkeiten. Bei nicht mehr kompensierbarem Missverhältnis von Organbinnendruck zu kontraktil-elastischem Wandwiderstand resultiert eine Berstung/ Zerreißung am Locus minoris resistentiae (zumeist im terminalen Ösophagus). Eine Sonderform ist die (ebenfalls seltene) emetogene Ösophagusruptur (sog. Boerhaave-Syndrom), als Folge einer Episode forcierten Erbrechens (7 Kap. 26.3.3). Fisteln. Fisteln können ebenfalls als Traumafolge entstehen und
stellen Verbindungen zu Nachbarorganen (»innere Fistel«) oder zur Körperoberfläche (»äußere Fistel«) her. Unterschieden werden ferner »komplette« und »inkomplette« ( blind endende) Fisteln. Abzugrenzen sind posttraumatische von postoperativen Fisteln (im Bereich einer Anastomose). 26.3.2 Ösophagusperforationen und -rupturen Ätiologie und Epidemiologie Perforationen der Speiseröhre sind mindestens 5-mal häufiger als Rupturen und zeigen aufgrund der Zunahme der invasiven diagnostischen und interventionellen Maßnahmen (wie Endoskopie, Bougierung, Stenteinlage) weiter steigende Tendenz. Nach Literaturangaben entstehen derzeit mehr als 80% der Ösophagusperforationen durch Instrumenteneinwirkung, d. h. iatrogen. Die übrigen 20% sind zu etwa gleichen Teilen Folge von verschluckten Fremdkörpern (7 Kap. 26.2), Stich- und Schussverletzungen oder schweren Thoraxtraumen.
26
Instrumentelle Perforationen ereignen sich am häufigsten im Rahmen therapeutischer Maßnahmen, wie der Dilatation oder Bougierung von Stenosen. Das Perforationsrisiko derartiger therapeutischer Eingriffe beträgt nach Verbesserung der Bougierungstechniken durch flexible Leitsonden bzw. pneumatische Bougies etwa 1%. Das Risiko der Ösophagusperforation im Rahmen einer diagnostischen Endoskopie mit flexiblem Instrument liegt in großen Serien unter 0,01%, bei Verwendung des starren Endoskops bei etwa 0,2%. Bei Vorliegen einer Stenose oder eines Tumors kann das Perforationsrisiko auch bei Durchführung einer rein diagnostischen Endoskopie allerdings deutlich höher sein (Murphy u. Roufail 1995; Kim-Deobald u. Kozarek 1992). Perforationen durch Endoskopie ereignen sich am häufigsten zervikal (>50%) oder im terminalen Ösophagus (ca. 30%), aber nur selten thorakal. Eine Sonderform stellt die sekundäre Perforation dar, bei der ein durch eine Schleimhautverletzung entstandener intramuraler Abszess sekundär die äußeren Wandschichten durchbricht. Bei den durch externes Trauma hervorgerufenen Läsionen stehen häufig die Begleitverletzungen des Halses bzw. des Thorax oder des Abdomens im Vordergrund des klinischen Bildes (Degiannis et al. 2005). Ätiologisch handelt es sich um Stich-, Schnitt- oder Schussverletzungen. Derartige Ösophagusperforationen sind meist groß und hinterlassen einen Defekt oder gar einen vollständige Kontinuitätstrennung des Organs. Bisweilen entstehen durch ein Trauma Fisteln zu Nachbarorganen, z. B. der Trachea. Ösophagusfisteln zeigen den mehr chronischen Verlauf einer Speiseröhrenperforation an und sind als deren Komplikation bzw. Folge anzusehen. Sie entstehen nach Verletzungen, die das Lumen der Speiseröhre direkt eröffnen, oder nach Wandschädigungen, die schließlich zur Nekrose führen. Mögliche Ursachen sind auch stumpfe Unfallmechanismen, bei denen es z. B. zu einer Quetschung der Trachea mit Hinterwandläsion und gleichzeitiger Verletzung der Speiseröhre mit nachfolgender Nekrose und Ausbildung einer ösophagotrachealen Fistel kommt. Weitere typische Fistelformen sind die ösophagobronchiale und die ösophagogastrale Fistel. Sie entstehen fast ausschließlich nach chirurgischen Eingriffen oder bei Malignomerkrankungen. Pathophysiologie Die Folgen von Ösophagusperforationen sind prinzipiell unabhängig von der Verletzungsart. Infektiöses Material dringt in Mediastinum und Pleurahöhle ein und führt dort zu schweren intrathorakalen Infektionen wie Mediastinitis bzw. Pleuraempyem. Liegt die Perforation im zervikalen Teil der Speiseröhre, kann es ebenfalls durch sekundäre Infektion zur absteigenden Mediastinitis kommen. Diese Sekundärinfektion verläuft bei größeren unbehandelten Läsionen foudroyant, da Speiseröhreninhalt durch den hohen intraösophagealen Druck ins Mediastinum und in die Pleurahöhle gepresst wird. Dagegen entwickeln sich entzündliche Komplikationen nach umschriebener Perforation – zumal wenn sie instrumentell beim nüchternen Patienten gesetzt wurden – meist verzögert und bleiben nicht selten auf die Verletzungsstelle beschränkt (Murphy u. Roufail 1995). Klinische Symptomatologie Typische Früh- und Spätsymptome hängen neben dem Erkrankungszeitpunkt von der Größe und Morphologie des Defekts (gedeckte oder freie Perforation) und damit von der Menge ausgetretenen Speichels und den Begleitverletzungen ab. Schmerzen
26
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
werden meist entsprechend der Perforationslokalisation angegeben. Häufig kann ein Haut- oder Mediastinalemphysem nachgewiesen werden. Dyspnoe tritt meist nach thorakalen Perforationen mit Pleuraverletzung (Pneumothorax, Serothorax) auf, während das Symptom Dysphagie bei allen Lokalisationen gleich häufig zu finden ist. Systemische Infektionszeichen wie Fieber und Leukozytose im Rahmen einer Mediastinitis nach Verletzung der Pleura mediastinalis sowie beim Pyo- bzw. Serothorax können erst verzögert nachweisbar sein. Thorakale Läsionen verlaufen durch die Mediastinitis bereits initial wesentlich schwerer als zervikale Läsionen. Die abdominale Perforation bedingt ein akutes Abdomen mit Erfordernis zur Laparotomie und Abklärung der Ösophagusverletzung (Murphy u. Roufail 1995). Diagnostik Die bildgebende Diagnostik bei Verdacht auf Ösophagusperforation oder -ruptur stützt sich auf 4 Untersuchungen: 4 Konventionelles Thoraxröntgen 4 Endoskopie 4 Computertomographie 4 Pharyngooösophagographie mit wasserlöslichem Kontrastmittel Die letztere Methode hat häufig die größte diagnostische Aussagekraft, da bereits kleine Verletzungen in dieser Schluckuntersuchung – anhand der austretenden Kontrastmittelfahne – diagnostiziert und exakte lokalisiert werden können. Durch Endoskopie und Computertomographie können weitere Informationen über das Ausmaß der Verletzung (Größe der Perforationsstelle? Freie/gedeckte Läsion) und Mitbeteiligung von Pleura (Pleuraerguss? Pleuraempyem?) und Mediastinum (Mediastinalemphysem?) gesichert werden. Ein röntgenologisches Frühsymptom der zervikalen Läsion ist das Minnegerode-Zeichen, d. h. die röntgenologisch darstellbare, paraösophageale Luftansammlung im Halsbereich. Bei intrathorakalen Verletzungen fallen in der Thoraxübersichtsaufnahme in 2 Ebenen Veränderungen des Pleuraraums (Sero-, Pneumo-, Pyothorax) und des Mediastinums auf (Mediastinalverbreiterung, Emphysem). Ist der intraabdominelle Ösophagusanteil verletzt, so zeigt die Abdomenleeraufnahme im Stehen fast regelmäßig freie Luft unter dem Zwerchfell. Direkt lässt sich eine Perforation oder eine Fistel mit einem wasserlöslichen Kontrastmittel unter Durchleuchtungskontrolle darstellen. Äußere Fisteln werden über einen eingeführten Katheter dargestellt. Bei inneren Fisteln zur Trachea ist eine Bronchographie hilfreich (Jones u. Ginsberg 1992; Murphy u. Roufail 1995; White u. Morris 1992). Therapie Während in der Vergangenheit die operative Versorgung von instrumentellen Ösophagusperforationen in der frühen Phase (maximal innerhalb 12–24 h) bevorzugt wurde, tritt in den letzten Jahren zunehmend die konservative Therapie in den Vordergrund (. Abb. 26.4). Vor allem umschriebene instrumentelle Perforationen im Bereich des zervikalen Ösophagus und gedeckte Perforationen des thorakalen Ösophagus können unter antibiotischer Abdeckung, Nulldiät und parenteraler Ernährung häufig erfolgreich primär konservativ behandelt werden. Wesentlich bei der konservativen Therapie der Ösophagusperforation sind der Ausschluss eines distal der Perforation gelegenen Tumors oder anderer obstruktiver Prozesse sowie die sofortige und
100
Prävalenz (%)
316
75 50 25 0
1982 -1987
1988 -1993
1994 - 2000
(n = 35)
(n = 40)
(n = 37)
Chirurgisch
Konservativ
. Abb. 26.4. Zunahme des konservativen Vorgehens in der Therapie der Ösophagusperforation (eigene Erfahrung)
kontinuierliche Absaugung von Speichel und Mageninhalt durch oral und aboral der Perforation platzierte Sonden (. Abb. 26.5). Bei Ausbleiben einer Besserung des klinischen Zustandes unter diesen Maßnahmen sollte jedoch großzügig auf ein chirurgisches Vorgehen umgestiegen werden (Fernandez et al. 1999; Trastek 1992; Luostarinen u. Isolauri 1997; White u. Morris 1992). Bei frischen größeren freien Perforationen, bei Verletzung der Pleura mediastinalis sowie bei intraabdomineller Perforation stellt die primäre chirurgische Intervention nach wie vor die Therapie der Wahl dar. Verletzungen der zervikalen Speiseröhre werden durch direkte Naht und Deckung mit gestieltem Muskellappen oder durch Einlage einer großlumigen T-Drainage versorgt. Bei ausgedehnter thorakaler Perforation der Speiseröhre mit breitem Kontrastmittelaustritt in den Pleuraraum oder bei intraabdomineller Perforation reicht das therapeutische Spektrum vom direkten Verschluss mit Deckung (durch Magenfundus, Muskelellappen, Zwerchfelllappen, Pleura oder Omentum), über die Resektion oder Exklusion des betroffenen Segments bis hin zur Ösophagektomie mit zweizeitiger Rekonstruktion der Speisepassage. Die Wahl des Therapieverfahrens hängt ab von der Ursache der Perforation, eventuell zugrunde liegenden Organveränderungen (wie Stenose, Achalasie, Karzinom), Lokalisation und Ausmaß der Perforation, Intervall zwischen Perforation und Diagnosenstellung sowie Alter und Allgemeinzustand des Patienten. Wesentlich für die Prognose ist bei ausgedehnten Verletzungen die Vermeidung der Infektionsausbreitung auf benachbarte Organe und Körperhöhlen durch ausgiebige intraoperative Lavage und frühzeitige hochdosierte Antibiotikatherapie (aerobes und anaerobes Spektrum) (Ferguson 1997; Fernandez et al. 1999; Sakamoto et al. 1997; White u. Morris 1992). In Einzelfällen, vornehmlich bei Ösophagusperforationen nach Bougierung oder Lasertherapie maligner Stenosen, bzw. bei spontaner Tumorperforation mit Ausbildung von ösophagotrachealen Fisteln, kann die endoskopische Einlage eines die Perforation überbrückenden und verschließenden Expansionsendotubus oder Stents erfolgreich sein (Davies u. Vaughan 1999). Prognose Durch eine verbesserte chirurgische Intensivmedizin und ein differenzierteres therapeutisches Vorgehen ist die Mortalität der Ösophagusperforation in den letzten Jahren deutlich gesenkt werden. In der eigenen Erfahrung sank die Mortalität der Ösophagusperforation unter Einsatz der oben angegebenen Behand-
317 26.3 · Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
26
das Krankheitsbild in einer historischen Schrift von 1724 beschrieben hat (Obduktion des niederländischen Admirals Baron von Wassenauer, der nach einem nach opulentem Dinner selbst herbeigeführten Erbrechen an einer Ösophagusruptur verstorben war; Boerhaave 1724). Der ebenfalls gebräuchliche Begriff »spontane« Ösophagusruptur ist irreführend, und wohl nur Ausdruck des bisweilen nicht mehr anamnestisch zur eruierenden auslösenden Ereignisses.
. Abb. 26.5. Konservatives Vorgehen bei der gedeckten Ösophagusperforation mit transnasaler Sonde oral und aboral der Läsion zur Drainage
lungsprinzipien von mehr als 15% vor 1985 auf deutlich unter 3% seit 1995. 26.3.3 Boerhaave-Syndrom (»emetogene«
Ösophagusruptur) Als »Boerhaave-Syndrom« wird die Ösophagusruptur als Folge einer Episode forcierten Erbrechens bezeichnet, weshalb auch die Bezeichnung »emetogene« Ösophagusruptur geeignet ist. Benannt ist das Krankheitsbild nach Hermann Boerhaave, Professor an der Universität Leyden zu Beginn des 18. Jahrhunderts, der
Epidemiologie, Pathophysiologie, Differenzialdiagnose Die Erkrankung betrifft vorwiegend (80%) das männliche Geschlecht. Über 2/3 der Patienten sind älter als 40 Jahre (Brauer et al. 1997). Pathophysiologisch liegt dem Boerhaave-Syndrom ein intraluminales Barotrauma zugrunde. Im Experiment rupturiert die Ösophaguswand erst unterer extremen Drücken. Entscheidender als der absolute Druck scheint aber die Geschwindigkeit des Druckanstiegs zu sein. Vermutlich ist ein reflektorischer Spasmus des unteren Ösophagussphinkters pathophysiologisch beteiligt (Brauer et al. 1997). Morphologisch findet sich in der Regel supradiaphragmal ein linkslateral dorsalseitiger, schlitzförmiger Defekt. Höher lokalisierte Rupturen sind außerordentlich selten. Gelegentlich nachweisbare Nekrosen sind sekundär, Folge einer durch den Intestinalinhalt bedingten Andauung. Nicht immer verlaufen die Rupturen transmural und beschränken sich gelegentlich auf intramurale Einrisse, die sich allerdings sekundär zu einer kompletten Wandläsion ausweiten können (Brauer et al. 1997). Dem Boerhaave-Syndrom und dem subkardial lokalisierten Mallory-Weiss-Syndrom liegen wahrscheinlich gemeinsame pathogenetische Ursachen zugrunde. Beide Erkrankungen werden als verschiedene Ausprägung ein und derselben Erkrankung angesehen (Mallory-Weiss-Syndrom als inkomplettes BoerhaaveSyndrom; Murphy u. Roufail 1995; Younes u. Johnson 1999). Im Gegensatz dazu wird das »intramurale Hämatom der Ösophaguswand« oder »Ösophagealer Apoplex« in der Literatur als von Boerhaave- und Mallory-Weiss-Syndrom verschiedene Entität angesehen (Jotteet al. 1991). Hierbei soll die spontane Ausbildung eines intramuralen Hämatoms in der Ösophaguswand zu Fistelbildung ins Mediastinum und ins ösophageale Lumen führen, wodurch es zu Bluterbrechen in Folge einer Wanddissektion kommt (Grassiet al. 1995; Jotte et al. 1991). Im Gegensatz zum Boerhaave-Syndrom treten dabei kein Pneumomediastinum oder Medistinalemphysem auf. Auch soll das Krankheitsbild nicht mit ursächlichem Erbrechen, sondern lediglich konsekutiver Hämatemesis, assoziiert sein. Patienten präsentieren sich mit plötzlichen, in Epigastrium, Hals und Rücken ausstrahlenden Schmerzen, gefolgt von Bluterbrechen und geringgradiger Dysphagie (Gutierrez del Olmoet al. 1985). Klinische Symptomatologie Die klassische Symptomen- und Befundkonstellation des Boerhaave-Syndroms besteht aus der Trias 4 akuter thorakaler oder epigastrischer Schmerz 4 nach einer Episode forcierten Erbrechens und 4 Mediastinal-/Hautemphysem. Die Symptome treten akut und dramatisch mit vernichtendem Schmerz unmittelbar nach heftigem Erbrechen auf. Rasch kommen Allgemeinsymptome mit Dyspnoe, Zyanose und später die Zeichen der Sepsis hinzu. In etwa 1/3 aller Fälle entwickelt sich
318
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
. Abb. 26.6. Thoraxübersichtsaufnahme mit Mediastinalemphysem (Pfeile) bei Boerhaave-Syndrom
26
das Bild eines akuten Abdomens, bedingt durch die Reizung der basalen Pleura oder einer freien Perforation in die Bauchhöhle. Geradezu obligat ist die Entwicklung eines Pneumothorax oder einer Ergussbildung bzw. eines Seropneumothorax. Als besonders typisches Zeichen gilt das Mediastinalemphysem, das rasch – als Hautemphysem – auch die Subkutis des Halses und die oberen Thoraxabschnitte ergreift. Der weitere klinische Verlauf ist durch die Entwicklung einer Mediastinitis, Peritonitis und/oder eines Pleuraempyems gekennzeichnet. Leider ist das klinische Bild wegen der variablen Symptome und Befunde nicht immer eindeutig. Dies erklärt die in der Literatur beschriebenen Schwierigkeiten der Diagnosestellung. Wichtig ist es bei der Differenzialdiagnose des thorakalen Schmerzes stets nach einer Episode forcierten Erbrechens zu fragen, und die Differenzialdiagnose Boerhaave-Syndrom im Hinterkopf zu haben und dann eine standardisierte Diagnostik (wie in 7 Kap. 26.3.2 bei Perforationen aufgeführt) durchzuführen.
Stets bei thorakalem Schmerz nach Erbrechen fragen und auch die Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom) in Betracht ziehen!
unerlässlich. Eine Mitbeteiligung der Pleura lässt sich, ebenso wie ein Mediastinalemphysem, in der Regel auf der röntgenologischen Thoraxübersichtsaufnahme erkennen (. Abb. 26.6). Der Beweis einer Ösophagusruptur kann am besten durch eine Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre erbracht werden. Bereits beim geringsten Verdacht sollte die Darstellung der Speiseröhre mit einem wasserlöslichen Kontrastmittel (Gastrografin, Bronchografin) erfolgen. In etwa 70% der Fälle gelingt damit der Nachweis der Ruptur. Eine Durchführung der Untersuchung in Linksseitenlage erhöht die Sensitivität der Untersuchung. Gelegentlich bleiben jedoch kleinere Läsionen in der Kontrastmitteldarstellung unentdeckt. Die Computertomographie kann auch kleinere Mengen freier Luft im Mediastinum oder Oberbauch aufzeigen (. Abb. 26.7), die in der Übersichtsaufnahme leicht übersehen werden. Mittels Computertomographie kann auch die Beteiligung der Pleura besser dargestellt werden, als in der konventionellen Übersichtsaufnahme. Durch Endoskopie lässt sich auch die Länge der Ruptur und eine ggf. zugrunde liegende Erkrankung des Ösophagus oder der Kardia beurteilen. Kleinere oder unvollständige Rupturen können in der Endoskopie besser dargestellt werden, als in der Röntgenkontrastdarstellung (Murphy u. Roufail 1995).
Diagnostik Die Diagnose ist beim Vorliegen der klassischen Trias (Erbrechen, plötzlicher retrosternaler Vernichtungsschmerz und Mediastinalemphysem) klinisch bereits mit großer Wahrscheinlichkeit zu stellen. Eine röntgenologische Sicherung ist jedoch
Therapie Die Therapiestrategie basiert auf der Morphologie des Defektes (große, freie Ruptur oder kleine, gedeckte Rupturstelle) und dem Allgemeinzustand des Patienten (. Abb. 26.8). Die in der Literatur außerdem als Kriterium vorgeschlagene absolute Länge der Rupturstelle (größer/kleiner 3 cm) ist endoskopisch nicht exakt
319 26.3 · Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
26
. Abb. 26.7. Computertomographie des Thorax mit Mediastinalemphysem (Pfeile) bei Boerhaave-Syndrom
genug zu bestimmen und erscheint weniger entscheidend als das Kriterium »gedeckte« versus »freie« Ruptur. Ähnliches gilt für den Zeitpunkt der Perforation (größer/kleiner 24 h). Bei gedeckten Rupturen sollte die primäre Naht des Defektes über einen transabdominellen, transhiatalen Zugang erfolgen. Erforderlich ist weiter die Deckung durch Fundoplastik/Fundoplikation. Eine Drainage des Mediastinums und der Pleurahöhle ist obligat. Postoperativ erfolgt die »Ruhigstellung« des Ösophagus durch Nulldiät und Absaugung des Mageninhalts über eine transnasale Sonde oder Witzelfistel für mindestens 5–7 Tage.
Bei größeren Defekten ist die primäre Reparatur – auch unter Verwendung von Deckung mit gestieltem Zwerchfelllappen, Pleura oder Omentum – häufig nicht erfolgreich. Hier sollte großzügig die Indikation zur Resektion gestellt werden: Als Vorgehen bietet sich die transmediastinale Ösophagektomie an, mit Blindverschluss des Magens und Ausleitung des zervikalen Ösophagusstumpfes als zervikale Speichelfistel. Das Mediastinum und die Pleurahöhlen müssen gut drainiert werden. Die Rekonstruktion der Speisepassage erfolgt zweizeitig nach Erholung des Patienten, d. h. in einem variablen Intervall von Wochen bis Monaten.
320
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
. Abb. 26.8. Flussdiagramm zum therapeutischen Vorgehen beim Boerhaave-Syndrom
26
Zeitintervall zw. Ruptur u. Diagnose
>24 Std.
Allgemeinzustand/ Schwere der Sepsis Länge der Rupturstelle
<24 Std.
mehrere Tage minimale Symptome
schwere Sepsis
>3 cm
Morphologie der Rupturstelle
<3 cm gedeckt
frei
chirurgische Intervention
Zweizeitige Ösophagektomie
Ergänzt werden müssen die chirurgischen Maßnahmen durch Antibiotikagabe. Beim postoperativen Auftreten eines mediastinalen Abszesses oder Pleuraempyems müssen diese durch Drainage entlastet werden (Lawrence et al. 1999; Murphy u. Roufail 1995). Die alleinige konservative Therapie mit Antibiotika, sowie Magen- und Ösophagussonden und perkutaner Drainage von Abszessen/Verhaltformationen ist allenfalls bei einer inkompletten, intramuralen Rupturen und wenig symptomatischen Patienten möglich (. Abb. 26.8).
Primäre Naht + Fundoplicatio
konservative Therapie
Drainage IV Antibiotika
jedoch unweigerlich zum Austritt von kontaminiertem Mageninhalt, sekundärer Peritonitis und dem klinischen Bild eines akuten Abdomen, das der Operation bedarf (Pikoulis et al. 1999). Ein Barotrauma, durch »Aufblasen des Magens« bei ösophagealer Fehlintubation oder durch übermäßige Luftinsufflation während flexibler Endoskopie, verursacht vorwiegend im proximalen Anteil der kleinen Kurvatur gelegene Läsionen. Ein Sturz aus großer Höhe kann zum Abriss des Magens im Kardiabereich oder am Pylorus führen. Diagnostik. Ein klinischer Verdacht auf Magenperforation wird
Prognose Die Prognose des Boerhaave-Syndroms ist von den auch die Therapie determinierenden Kriterien (Morphologie des Defektes und Allgemeinzustand/Sepsis) abhängig. Entscheidend sind die rechtzeitige Diagnose und der sofortige Therapiebeginn mit chirurgischer Intensivmedizin und Festlegung der chirurgischen Strategie. Die Letalität des unbehandelten Boerhaave-Syndroms beträgt nahezu 100%. Bis vor wenigen Jahren lag auch nach chirurgischer Intervention die Überlebenswahrscheinlichkeit in vielen publizierten Serien deutlich unter 50%. Mit dem oben angegebenen Algorithmus konnte in der eigenen Erfahrung bei mehr als 30 Patienten mit Boerhaave-Syndrom eine Mortalität von unter 3% erzielt werden. Diese günstigen Ergebnisse unterstützen das dargestellte aggressive, entsprechend Befund individualisierte Vorgehen (Brauer et al. 1997). 26.3.4 Traumatische Magenperforation/-ruptur Traumatische Magenperforationen oder -rupturen (durch interne oder externe Gewalteinwirkungen, z. B. beim stumpfen Abdominaltrauma, als Barotrauma bei Fehlintubation oder iatrogen durch ein Endoskop) sind aufgrund der geschützten Lage im Oberbauch und der Dicke der Magenwand extrem selten (Wilkinson 1989). Im Gegensatz zur Ösophagusperforation besteht bei kleineren Magenwandläsionen die Chance einer spontanen Abdeckung durch das Omentum oder durch Nachbarorgane, die vor Keimaustritt und Peritonitis schützen können (gedeckte Perforation/Ruptur). Ausgedehnte Rupturen führen
durch Nachweis freier, subdiaphragmaler Luft im konventionellen Röntgen bestätigt. Weitere Informationen lassen sich durch Endoskopie (mit allerdings nur vorsichtiger Luftinsufflation!) gewinnen. Mittels Röntgenuntersuchung mit wasserlöslichem Kontrastmittel sind auch kleinere Läsionen oder Fisteln darstellbar. Therapie. Gedeckte Magenperforationen ohne klinische Symptomatik bedürfen keiner operativen Therapie. Sie sollten lediglich mittels einer transnasal eingelegten Magensonde bis zum Abdecken der Perforation entlastet werden. Auch Magenfisteln haben eine gute Prognose. Bei ausreichender Drainage (Magensonde) und medikamentöser Sekretionshemmung heilen sie fast immer spontan ab. Lediglich bei Therapieresistenz müssen Fisteln chirurgisch versorgt werden (Durham 1990). Bei größeren Magenperforationen und Magenrupturen sowie klarerweise bei klinischer Symptomatik im Sinne eines akuten Abdomen, ist die Operation indiziert. Nach Exzision der Wundränder wird bei lokalen Verletzungen eine primäre Naht durchgeführt. Zusätzliche Kontusionen mit Wandhämatomen oder ausgedehnte Rupturen können die Magenteilresektion erforderlich werden lassen.
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326
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.1
Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion C. Prinz
27
) ) Die ausgeprägte Motilität des menschlichen Magen wird durch neurale Prozesse koordiniert und bewirkt die kontinuierliche Durchmischung sowie einen koordinierten Weitertransport der Speise. Die Abgabe von Sekret in das Duodenum ist das Ergebnis einer koordinierten Aktivität von Antrum und Duodenum, eine Störung dieser Aktivität kann zum duodenogastralen Reflux und zur Schädigung der Magenschleimhaut, v. a. durch die Exposition mit Gallensäuren führen. Magenentleerungsstörungen werden vor allem bei mechanischen Hindernissen und bei der diabetischen Gastroparese gefunden. Die Magendrüsen werden durch neuronale, endokrine und parakrine Mechanismen kontrolliert. Wichtigste Zellen sind die säureproduzierenden Parietalzellen, die pepsinogenproduzierenden Hauptzellen, die histaminhaltigen ECL-Zellen sowie die endokrinen Gastrin- und Somatostatinzellen. Gastrin wird im Rahmen der gastralen Phase aus G-Zellen im Antrum freigesetzt und stimuliert als endokriner Botenstoff die ECL-Zellen im Korpus. Histamin aus ECL-Zellen führt dann als parakriner Mediator zur Stimulation der Säuresekretion, die Wirkung kann selektiv durch H2-Rezeptorantagonisten blockiert werden. Protonenpumpenhemmer hemmen irreversibel den Transport von Protonen in das Magenlumen. Somatostatin hemmt die Funktion der ECL-, Parietal und Gastrinzellen des Magens.
27.1.1 Magenmotilität Physiologie Der Magen ist von einer starken Muskelschicht umgeben, die ein Durchmischen und einen kontrollierten Transport der Speise ermöglicht. In nüchternem Zustand zeigt der Magen 2 Motilitätsmuster: eine Phase mit keiner oder nur geringer Motilität sowie eine Phase mit starken propulsiven Bewegungen, auch als interdigestive Motilitätsphase bezeichnet. Diese Phase nimmt ihren Ausgang von einem Schrittmacherzentrum im Korpus nahe der großen Kurvatur. Von diesem Zentrum ausgehend kommt es zu starken propulsiven Bewegungen in Richtung des Antrums, wobei die Frequenz etwa 3-mal pro Minute ist (Hinder u. Kelly 1977). Nach der Nahrungsaufnahme erfolgt zunächst im Fundusbereich eine nerval vermittelte Relaxation, dann wird der Mageneingang durch Druckerhöhung im unteren Ösophagussphinkter verschlossen (Siewert u. Blum 1977). Der Fundus kann dann einen tonischen Druck auf den Mageninhalt ausüben; das Magenantrum zeigt eine kontinuierliche phasische Aktivität, was zur Durchmischung der Speise beiträgt. Dies führt zur proportionierten Abgabe in das Duodenum. Der Transport des Speisebreis bis zum Duodenum ist also das Ergebnis der koordinierten Aktivität von Fundus, Antrum und Pylorus. Die Magenentleerung erfolgt über Rezeptoren, die überwiegend im Duodenum lokalisiert sind. Diese erfassen Menge, Konsistenz und Zusammensetzung und steuern die Menge der Entleerung (Hund et al. 1975; Stubbs u. Hund 1975). Die Entlee-
rung verläuft exponentiell. Von physiologischer Bedeutung sind der Kaloriengehalt (»Energiedichte«) und die Konsistenz; dies führt dazu, das flüssige und kalorienarme Speisen schneller entleert werden als feste (Tripathi 1999). Störungen der Magenentleerung Insbesondere bei mechanischen Hindernissen kommt es zur Behinderung der Magenentleerung. Als häufigste Ursache findet man peptische Ulzera, die in der Nähe des Pylorus zu einer starken Schleimhautschwellung führen und dadurch den Pylorus verschließen. Auch maligne Ursachen sind häufig. Verätzungen führen nicht nur zur Schleimhautschädigung im Ösophagus, sondern häufig auch im Bereich des Pylorus, was eine endoskopisch gesteuerte Dilatation, ggf. auch eine Resektion des Pylorus notwendig machen kann. Vorsicht ist geboten bei Ulzerationen in dem Bereich der Stenose, da hier im Rahmen einer endoskopischen Dilatation ein erhöhtes Perforationsrisiko besteht. Hier ist der Operation der Vorzug zu geben. Metabolische Ursachen der Magenentleerungsverzögerung sind vor allem der Diabetes mellitus. Die sog. diabetische Gastroparese imponiert klinisch durch Oberbauchschmerzen, Sodbrennen und auch Erbrechen. Bei der endoskopischen Untersuchung ist der Magen trotz 12-stündiger Nahrungskarenz mit Speiseresten gefüllt. Die Ursachen liegen in einer Schädigung der afferenten und efferenten Nervenfasern im Magen. Die Therapie besteht in der Optimierung der Stoffwechselsituation sowie in der Gabe von prokinetisch wirkenden Medikamenten, z. B. Metoclopramid (Paspertin), oder auch Erythromycin-Derivaten in niedriger Dosierung, z. B. Erythrocin 100 mg 1–2× tgl. (Tripathi 1999). Auch bei Parkinson-Patienten wird gehäuft eine Magenentleerungsstörung beobachtet, die meist zentral bedingt ist. Hier steht die systemische Therapie der Grundkrankheit im Vordergrund. Beschleunigte Magenentleerung Durch beschleunigte Entleerung des Mageninhalts kann es zur Übersäuerung des Duodenums kommen. Normalerweise wird das saure Sekret von sezernierten Alkali-Ionen abgepuffert, die jedoch nur eine begrenzte Pufferkapazität besitzen. Die beschleunigte Entleerung kann daher mit Ulzera assoziiert sein, allerdings lässt sich diese Ursache meist nur als Ausschlussdiagnose stellen. Das sog. Dumping-Syndrom findet sich vor allem bei Billroth-IIoder Roux-Y-operierten Patienten, in denen ein kontrollierter Verschluss des Magenausgangs fehlt (7 Kap. 27.11). Duodenogastraler Reflux (»Gallereflux«) Normalerweise fungiert der Pylorus als Antirefluxventil für den Magen. In seltenen Fällen kann es jedoch zu Reflux von Duodenalsekret in den Magen kommen. Tierexperimentelle Untersuchungen beim Hund haben gezeigt, dass bei Implantation eines künstlichen Schrittmachers in das distale Duodenum ein massiver duodenogastraler Reflux ausgelöst werden kann; ebenfalls ließ sich tierexperimentell zeigen, dass ein kontinuierlicher Kontakt von Duodenalsaft mit der Magenmukosa zu Ulzerationen führen kann (Kelly u. Code 1977). Meist sind die genauen Ursachen für den Reflux jedoch ungeklärt. Gehäuft wird dieses Phänomen nach laparoskopischer Cholezystektomie beobachtet (Passaro et al. 2001). Funktionell liegen dem duodenogastralen Reflux ein ungenügender Pylorusverschluss sowie eine unkoordinierte Aktivität der Antrum- und Duodenalmotorik zugrunde, die man messtechnisch erfassen kann. Das Duodenalsekret enthält u. a. Bilirubin, das durch spezielle Sonden (»Bilitec«) im
327 27.1 · Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion
Magen exakt über 24 h bestimmt werden kann (Manifold et al. 2001; Byrne u. Attwood 1999; Stein et al. 1999; Nakamura et al. 2001; Dowall et al. 2000; Fein et al. 2000). Therapeutisch ist daher nicht nur die luminale Bindung von Gallensäuren, sondern auch die Hemmung der Säuresekretion wichtig (Vaezi u. Richter 2000). Bei einigen Patienten kommt es sogar zu einem Reflux von Gallensäuren bis in den Ösophagus, was eine Ösophagitis bei gleichzeitiger Exposition mit Magensäure induzieren kann (Vaezi u. Richter 2000). Diskutiert wird auch die Entwicklung von Karzinomen in der Speiseröhre durch die Exposition mit Gallensäuren (Fein et al. 2000; Menges et al. 2001; Marshall et al. 2001). Der Reflux von Gallensäuren und Bilirubin bis in den Ösophagus wird durch eine sondengesteuerte Analyse festgestellt (Cuomo et al. 2000). Die Therapie richtet sich auf die medikamentöse Bindung der Gallensäuren, die Gabe von Schleimhautprotektiva, propulsiv wirkende Medikamente sowie eine Inhibierung der Säuresekretion.
27 Epithelzellen
Stammzellen
Hauptzellen
Parietalzellen
ECL-Zellen
27.1.2 Magensekretion Neben der Reservoir- und Transportfunktion hat der Magen die entscheidende Aufgabe, durch die Sekretion von Säure und Pepsin eine initiale Verdauung der aufgenommenen Speisen einzuleiten. Durch die starke Hyperazidität des Sekretes schützt der Magen weiterhin vor der Infektion mit Bakterien, aber auch kanzerogenen Substanzen. Der Magen sezerniert pro Tag etwa 3–5 l Flüssigkeit. Das Sekret enthält nicht nur Säure und Pepsinogen (Vorstufe der säureaktivierten Protease Pepsin); sondern auch Elektrolyte, Intrinsic-Faktor, Histamin und die Hormone Gastrin, Somatostatin und Prostaglandin E2 (Hersey u. Sachs 1995). Vor der Autodigestion schützt sich der Magen durch die Mukosabarriere. Hierunter versteht man die oberflächliche Schleimschicht sowie die dem Lumen zugewandten Schicht aus dicht aneinander gereihten Epithelzellen, die durch sog. »tight junctions« verbunden sind, sodass keine Substanzen in die Magenschleimhaut eindringen können. Dieser lipophile Wall fungiert als Grenzschicht zwischen tiefer gelegenen Abschnitten und dem Lumen und verhindert die Rückdiffusion von Säure sowie Elektrolyten aus dem Lumen (Allen et al. 1993; Davenport 1967). Struktur und Topographie der Magendrüsen Bei der Ansicht der Magenoberfläche erkennt man kleine punktförmige Einsenkungen, die sog. »gastric pits«. Dies stellt die Mündung einer Magendrüse dar, aus der das saure Sekret in das Magenlumen gelangt. In dem Ausführungsgang der Magendrüsen (Canaliculus) liegt ein extrem saurer pH-Wert vor, der beim Menschen zwischen 1,0 und 4,0 liegt (21). Die Magendrüsen liegen in der oberflächlichen Mukosa und haben eine Gesamtgröße von etwa 2–5 mm. Die Magendrüsen weisen eine ganz charakteristische strukturelle Gliederung auf (. Abb. 27.1; Helander 1981). An der Oberfläche liegen die schmalen Epithelzellen, die Teil der Mukosabarriere sind. Im sog. Hals der Drüsen liegen die Stammzellen des Magens, die durch kontinuierliche Proliferation und Differenzierung die Erneuerung des Epithels ermöglichen. Im mittleren Teil liegen die Haupt- und Belegzellen. Die Hauptzellen liegen im oberen Anteil dieses Abschnittes und produzieren Pepsinogen. Die Belegzellen liegen im unteren Teil dieses Abschnittes und werden als Parietalzellen bezeichnet. Parietalzellen produzieren Magensäure durch ein charakteris-
. Abb. 27.1. Schematische Darstellung über die Struktur einer Magendrüse
tisches Enzym, die H+-K+-ATPase (DiBona 1979). An der Basis der Magendrüsen finden sich chromaffine Zellen, die »enterochromaffin-like« Zellen (ECL-Zellen). Diese Zellen sezernieren Histamin, das die Freisetzung der Säure kontrolliert (Chen et al. 1998; Andersson et al. 1998; Hakanson et al. 1994). Komponenten der Magensekretion Magenschleim. Der Magenschleim wird von den epithelialen, an der Oberfläche liegenden Epithelzellen sezerniert. Er setzt sich aus Makromolekülen wie Glykoproteinen, Mukopolysacchariden und Blutgruppensubstanzen zusammen. Je nach Gehalt an sauren Sialinsäuren werden sie in saure oder neutrale Glykoproteine unterteilt. Diese Proteine bilden eine lineare Kette, von denen Seitenketten abzweigen. Die benachbarten Seitenketten der sauren Glykoproteine bilden kovalente Bindungen, sodass es zur Vernetzung dieser Moleküle kommt und ein zäher, visköser Schleimmantel den Magen belegt (Schrager u. Oates 1968). Magensäure. Parietalzellen produzieren die Salzsäure, die den Hauptanteil des Magensekretes ausmacht, sowie den IntrinsicFaktor, der für die Resorption von Vitamin B12 wichtig ist. Parietalzellen liegen im sog. oxyntischen Teil der Korpusmukosa (abgeleitet vom griechischen oxyno, d. h. säureproduzierend). Mikroskopisch lassen sich die etwa 20–25 µm großen Zellen durch die konische Zellform und den massiven Gehalt an Mitochondrien erkennen. Außergewöhnlich ist bei diesem Zelltyp die starke morphologische Änderung nach Stimulation, wobei die Membranoberfläche um ein Vielfaches vergrößert wird (DiBona et al. 1979). Histamin. Histamin wird im Magen im Rahmen der Verdauung aus den ECL-Zellen freigesetzt (Hakanson et al. 1971). ECL-Zellen sind 10 µm kleine, neuroendokrine Zellen, die an der Basis der Magendrüsen lokalisiert sind und sich nicht von den Stammzellen ableiten. Eine strukturelle Ähnlichkeit besteht mit den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarkes sowie den enterochromaffinen Zellen des Ileums. All diese Zelltypen produzieren
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
ein biogenes Amin sowie mehrere Peptide (Prinz et al. 1999). Das Magenantrumhormon Gastrin wird nach Nahrungsaufnahme in die Blutbahn freigesetzt und erreicht auf dem Blutwege die ECL-Zellen. Gastrin bindet an CCK-B-Rezeptoren der ECL-Zellen und löst eine Erhöhung des intrazellulären Kalziumgehaltes aus. Es folgt eine Aktivierung der SNARE-Proteine SNAP-25 und Synaptobrevin, sodass eine Exozytose resultiert. Gastrin koordiniert nicht nur die Freisetzung, sondern auch die Neusynthese und Speicherung von Histamin in den sekretorischen Vesikeln (Prinz et al. 1999; Sachs et al. 1997; Scott et al. 1993). Gastrin. Gastrin wird aus den G-Zellen im Magenantrum durch Peptide und Distension freigesetzt. Gastrin und Cholezystokinin haben eine identische Peptidsequenz in den 5 N-terminalen Aminosäuren, die die entscheidende Sequenz für den Gastrineffekt darstellt (»Pentagastrin«). Es wurden bisher 2 Rezeptoren für Gastrin bzw. CCK beschrieben: Der CCK-A-Rezeptor vermittelt die Wirkung von CCK wie Gallenblasenkontraktion oder Pankreassekretion. Dagegen vermittelt der CCK-B-Rezeptor die biologische Wirkung des Gastrins wie Histaminsekretion und Schleimhautproliferation im Magen (Wank 1998). Injektion von Antikörpern gegen Gastrin im Tiermodell hebt die nahrungsinduzierte Säuresekretion auf (Kovacs et al. 1989). Gastrin wird aus den G-Zellen durch luminalen Kontakt mit Peptiden sowie Aminosäuren freigesetzt. Diese führen zu einer Alkalisierung der sekretorischen Vesikel, sodass es zu einer Hormonfreisetzung kommt. Nachgewiesen wurde auch eine Rezeptor-abhängige Freisetzung durch das sog. »gastrin-releasing peptide« (GRP), dessen Derivate wie Bombesin in neuralen Endungen des N. vagus im Antrum gefunden werden (Lichtenberger et al. 1995; Lichtenberger 1982; Forssmann et al. 1979; Schepp et al. 1990; Sachs et al. 1997). Der Nachweis bestimmter Rezeptoren für Aminosäuren auf den G-Zellen steht allerdings noch aus. Die Verwendung von Gastrin-defizienten Mäusen hat weitere Aufschlüsse über die Bedeutung dieses Hormons für das Wachstum und die Proliferation der Magenschleimhaut erbracht. Gastrin- und auch CCK-B-defiziente Mäuse entwickeln eine ausgeprägte Schleimhautatrophie im Magen (Wang u. Dockray 1999). Dagegen weisen transgene Gastrin-Mäuse, die dieses Hormon überexprimieren, eine erhöhte ECL- und Parietalzelldichte auf; nach einiger Zeit entstehen sogar präkanzeröse Läsionen im Magen, die durch die Infektion mit H. pylori weiter beschleunigt werden (Wang et al. 2000).
Gastrin ist damit das entscheidende Magenhormon, das neben der Säuresekretion auch die Schleimhautproliferation bzw. Differenzierung im Magen steuert.
Somatostatin. Ein Gegenspieler von Gastrin ist das Somatostatin, das die Freisetzung von Histamin, Gastrin und der Säure hemmt (Sachs et al. 1997). Somatostatin wird aus den D-Zellen im Antrum freigesetzt. Protonen induzieren die Ausschüttung von Somatostatin, sodass über diese Zellen ein wesentlicher Regulationsschritt in der Feedback-Hemmung der Magensekretion vermittelt wird: Bei erfolgter Säuresekretion wird reaktiv die Somatostatinsekretion stimuliert, wodurch die Gastrinfreisetzung mittels parakriner Freisetzung (zytoplasmatische Ausläufer) unterdrückt wird. Somatostatin bindet vorwiegend an Somatosta-
tinrezeptoren vom Subtyp 2 auf den ECL-Zellen, G-Zellen und anderen endokrinen Zellen. Dies wird klinisch zur Diagnostik und Therapie von endokrinen Tumoren eingesetzt (Sandostatin). Pepsinogen. Pepsinogen wird aus den Hauptzellen nach Stimulation mit Azetylcholin, Adrenalin, aber auch gastrointestinalen Hormonen freigesetzt. Pepsinogen ist die Vorstufe von Pepsin, die im sauren Milieu des Magens aktiviert wird. Pepsin ist eine extrem potente Protease, die komplexe Proteinstrukturen in Peptide spalten kann. Dies ist für die Stimulation von G-Zellen von besonderer Bedeutung (Muller et al. 1990).
Regulation und Phasen der Säuresekretion Die Säuresekretion unterliegt im Magen einer komplexen Regulation. Ziel dieses Mechanismus ist es, die Säure zur Verdauung der Speisen adäquat bereit zu stellen, während unter basalen Bedingungen nur eine minimale Sekretion erfolgt. Die Säuresekretion wird durch zephale, gastrale und intestinale Mechanismen gesteuert. Während der Nahrungsaufnahme muss die Säuresekretion zunächst angeschaltet, dann aber auch wieder herunter reguliert werden. Die erforderlichen Vorgänge werden von verschiedenen Organen koordiniert und finden zeitlich überlappend statt. Der zephalen Phase liegt eine Aktivierung der Vaguskerne im Gehirn zugrunde. Die Impulse zum Magen werden mittels Aktivierung der Vagusfasern vermittelt. Im klassischen Pavlov-Experiment kommt es im Hundemodell allein durch Blickkontakt mit dem Essen zur Sekretion von Säure aus einer Magenfistel. Ausgelöst wird die zephale Phase durch das Betrachten, Riechen und Schmecken der aufzunehmenden Nahrung. Experimentell kann die durch Vagusreiz vermittelte Säuresekretion auch durch eine Insulin-Injektion sowie durch Scheinfütterung ausgelöst werden. Die gastrale Phase beginnt mit dem Nahrungseintritt in den Magen und wird im Wesentlichen durch die Distension des Magenantrums und die Freisetzung von Peptidbestandteilen vermittelt. Beide Komponenten setzen Gastrin aus den G-Zellen im Magenantrum frei. Gastrin zirkuliert über die Blutbahn und bindet an Gastrinrezeptoren auf den histaminhaltigen ECL-Zellen im Magenkorpus. ECL-Zellen sezernieren Histamin auf diesen Reiz hin, dies erreicht die Parietalzellen auf parakrinem Weg und stimuliert die Säuresekretion. Nach erfolgter Säuresekretion erniedrigt sich konsekutiv der pH-Wert im Magen. Die Protonen wiederum erreichen das Magenantrum und führen nach luminalem Kontakt mit den G-Zellen zur Hemmung der Gastrinausschüttung, sodass ein wesentlicher Stimulus der Säuresekretion fehlt. Folglich wird nach erfolgter Säuresekretion wieder die Stimulation abgeschaltet, der Kreislauf ist geschlossen. Bei der intestinalen Phase der Magensekretion wurden neben stimulierenden Einflüssen, die u. a. durch Glukagon aus dem Dünndarm vermittelt werden (Schmidtler et al. 1994; Schepp et al. 1986), auch inhibierende Effekte beobachtet. Mechanismus und Aktivierung der Säuresekretion Parietalzellen sezernieren Protonen in das Innere des Magenlumens, sodass im unteren Bereich der Magendrüsen ein pH von unter 2,0 entsteht (. Abb. 27.2). Die Sekretion erfolgt durch aktiven Transport von Protonen im Austausch mit Kalium Ionen, was durch die sog. Protonenpumpe, die H+-K+-ATPase, vermittelt wird (Wolosin et al. 1981; Sachs et al. 1976). Durch
329 27.1 · Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion
27
. Abb. 27.2. Die Parietalzelle und die Sekretion von Protonen. Nachdruck mit Genehmigung. Parietalzellen besitzen Rezeptoren für Histamin (H2) sowie Azetylcholin (M3), die zur Erhöhung der cAMP-Spiegel oder der Kalziumkonzentrationen beitragen. Diese wiederum führen zur Assoziation der Tubulovesikel mit den Canaliculi der Plasmamembran
ATP-Spaltung und Gegentransport mit Kaliumionen werden durch die Parietalzellen Protonen bis zu einem Gradienten von 106 angereichert. Die Protonenpumpen liegen in den Parietalzellen in komplett exprimierter Form vor; die Stimulation der Zellen durch Nahrungs- oder vagale Reize führt zur Assoziation der Vesikel mit der Plasmamembran und zum Kontakt mit Kaliumionen. Erst durch den Kontakt mit dem Magenlumen wird daher eine Aktivierung erreicht (Hersey u. Sachs 1995).
Die Parietalzellen werden im Wesentlichen durch den Histamin-H2-Rezeptor zur Sekretion stimuliert (Feldman u. Burton 1990).
Die Sequenz dieses Rezeptors wurde durch Klonierung eindeutig ermittelt (Gantz et al. 1991). Die Pharmakologie dieses Rezeptors ist sehr ausführlich beschrieben worden, hier sei auf die Literatur verwiesen (Feldman u. Burton 1990; Langstreth et al. 1977; Soll 1978). Histamin steigert intrazellulär die Konzentration von cAMP, was zur Aktivierung von Proteinkinasen und schließlich zur Assoziation der Tubulovesikel mit der Plasmamembran führt. Die Blockade dieser Rezeptoren stellt einen entscheidenden Mechanismus zur Blockade der Säuresekretion dar. Parietalzellen werden weiterhin durch Azetylcholinrezeptoren vom Typ M3 aktiviert, die eine Erhöhung des intrazellulären Kalziumspiegels bewirken (Kajimura et al. 1992). Durch diese Prozesse werden Enzymkaskaden aktiviert, die das Schlüsselenzym der Parietalzelle, die H+-K+-ATPase, aktivieren. Dieses in den Tubulovesikel der ruhenden und in den Mikrovilli der sezernierenden Parietalzelle gelegene Enzym führt zur Sekretion von Protonen in das Innere des Lumens.
Im Gegensatz zu früheren Annahmen stimuliert Gastrin jedoch nicht die Funktion der Parietalzellen. Zwar lassen sich Gastrinrezeptoren auf den Parietalzellen nachweisen. Die Inkubation von isolierten Parietalzellen mit Gastrin führt jedoch nicht zur Säuresekretion. Vielmehr wirkt Gastrin auf indirektem Weg über die Histaminsekretion aus den ECL-Zellen des Magens (Prinz et al. 1994). Medikamente zur Hemmung der Säuresekretion Histamin-H2-Rezeptorantagonisten (H2-RA). Der H2-Rezeptor auf den Parietalzellen des Magens kann durch selektive Antagonisten, die keine intrinsische Aktivität am Rezeptor besitzen, blockiert werden (Feldman u. Burton 1990). James Black beschrieb 1972 als erster die Pharmakologie und den Antagonismus dieses Rezeptors, was schließlich zur Einführung des Cimetidins führte (Black et al. 1972). In den letzten Jahrzehnten sind eine Reihe von H2-Antagonisten entwickelt worden, die sich durch ihre Selektivität und Nebenwirkungen unterscheiden. Als wesentliche Vertreter sind zu nennen: 4 Cimetidin, z. B. Cimetidin, Dosierung 200–800 mg/Tag, Anwendung auch i.v. und in der Schwangerschaft möglich, wesentliche Nebenwirkungen Müdigkeit, zahlreiche Medikamenten Interaktionen, mittlerweile in den USA auch ohne Rezept erhältlich. 4 Ranitidine, z. B. Zantic, Dosierung 150–300 mg/Tag, Anwendung auch i.v. und in der Schwangerschaft, wesentliche Nebenwirkungen Kopfschmerzen und Müdigkeit, Hautausschlag, Interaktion mit Betablocker und Theophyllin. 4 Famotidin, z. B. Pepdul, Dosierung 20–40 mg/Tag, Anwendung auch i.v., Nebenwirkungen geringer, Selektivität für H2 gegenüber H1-Rezeptor etwa 150-fach. 4 Nizatidin, z. B. Nizax, 150–300 mg/Tag, Anwendung nur im Erwachsenenalter, Nebenwirkung Bradykardie, Selektivität etwa 300-fach, vor allem in Japan beliebt.
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Protonenpumpeninhibitoren (PPI). 1981 wurde Omeprazol ent-
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deckt, das kovalent an die Protonenpumpen der Parietalzellen bindet und dadurch zur Ausschaltung der Säuresekretion führt (Fellenius et al. 1981). Mittlerweile gibt es 3 weitere, ähnliche Präparate, die als irreversible Protonenpumpeninhibitoren bezeichnet werden.
Durch PPI werden die Protonenpumpen irreversibel blockiert und damit die Säuresekretion vollständig ausgeschaltet. Dies hat die medikamentöse Therapie des Ulkusleidens revolutioniert, die chirurgische Therapie von Ulzera wurde zurückgedrängt.
Zurzeit sind Protonenpumpenhemmer die am häufigsten verschriebenen Medikamente in der westlichen Welt. Diese Pharmaka sind sog. Pro-Drugs, d. h. das Medikament wird erst im Körper zur aktiven Form umgewandelt. Irreversible PPI sind substituierte Benzyl-Imidazole, die eine besondere SulfhydrylGruppe aufweisen. Unter normalen pH-Bedingungen ist die Protonierung des Schwefelatoms stabil. Bei einem pH-Wert<3 kommt es jedoch zum Verlust der Protonenbindung und das Schwefelatom reagiert als Anhydrid. Da es im menschlichen Körper praktisch keine anderen Bereiche mit pH-Werten<2,5 gibt, gelangt das Medikament nach der systemischen Zirkulation an Parietalzellen und bindet dort an die Cysteine der H+-K+-ATPase. Die Bindung ist nicht spezifisch, die selektive Wirkung wird vielmehr über die gezielte Aktivierung im Canaliculus der Parietalzelle hergestellt (Maton 1991). Folgende Medikamente werden zur Zeit klinisch verwendet: 4 Omeprazol (Antra, Generika): Dosierung 20–40 mg bei Ulzera, bei Reflux bis 120 mg, bei Zollinger-Ellison oder blutenden Ulzera bis 240 mg pro Tag. Mittlerweile an über 100 Millionen Menschen getestet mit sehr gutem Erfolg. Omeprazol liegt als S- und N-Enatiomer vor. Das S-Enantiomer (Nexium) wurde kürzlich als besonders schnell wirksam beschrieben, außerdem ist der Plasmapiegel dieses Medikamentes gegenüber dem N-Enatiomer erhöht; weitere Vorteile gegenüber dem Omeprazol sind die erhöhte Bioverfübarkeit und die besseren Heilungsraten (Thitiphuree u. Talley 2000). 4 Pantoprazol (Pantozol): Dosierung 40 mg, bei Reflux bis 120 mg. Oral oder i.v. verfügbar. pKa-Wert am niedrigsten in der PPI-Gruppe, daher gezielte Aktivierung nur bei pH<2,3; keine unspezifischen Nebenwirkungen. Bindet selektiv an Cys813 der H+-K+-ATPase. Selten gibt es Patienten, die Mutationen in diesem Abschnitt haben und daher auf diese Therapie nicht ansprechen. Vorteil: geringes Interaktionspotenzial. 4 Lansoprazol (Agopton). Dosierung 30 mg, bei Reflux bis 120 mg. Höchster pKa-Wert in dieser Medikamentengruppe. Vor allem in Japan eingesetzt. Seltene Nebenwirkungen wie bei Omeprazol. 4 Rabeprazol (Pariet): Dosierung 40 mg, besonders schneller Wirkungseintritt, kürzere Wirkdauer. Nebenwirkungen ähnlich den anderen Medikamenten. Bei Refluxkrankheit und On-demand-Therapie Dosierung 10 mg/Tag, nur geringe Erhöhung der Plasmagastrinspiegel. Unter bestimmten Umständen (7 Kap. 27.8) kann eine vollständige Hemmung der Säuresekretion notwendig sein. Wie bereits
beschrieben, liegen die Protonenpumpen in den Parietalzellen in exprimierter Form vor und werden durch die Stimulation mit der Plasmamembran assoziiert. Die Protonenpumpenhemmer wie Omeprazol binden irreversibel an die Pumpen, worauf diese abgebaut werden. Durch histaminerge und neurale Stimulation werden dann neue Pumpen an der Oberfläche exprimiert.
Die Inhibierung der Säuresekretion wird nicht von der Halbwertszeit der Inhibitoren, sondern von der Halbwertszeit der Pumpen bestimmt. Da diese bei etwa 20–24 h liegt, ist eine kontinuierliche Gabe von PPI als Dauerinfusion notwendig, um eine vollständige Ausschaltung der Sekretion zu erreichen.
Pathophysiologie Die Überproduktion von Gastrin in neuroendokrinen Tumoren, sog. Gastrinomen, führt zur Hyperplasie und Tumorentstehung von ECL-Zellen, sowie zur Ausbildung multipler Ulzera in Magen und Duodenum. Diese Beobachtungen unterstreichen die elementare Bedeutung von Gastrin für die Stimulation der Säuresekretion. Der Nachweis gastrinproduzierender Tumoren (Zollinger-Ellison-Syndrom) bei therapierefraktären Ulzera wird durch die Injektion von Sekretin durchgeführt (Sekretintest), die zu einem starken Anstieg des Plasmagastrinspiegels innerhalb weniger Minuten führt. Nach erfolgreicher Lokalisation, meist im Pankreaskopf, wird eine lokale Resektion durchgeführt. Die Überproduktion von Histamin, beispielsweise in den ECL-Zell-Karzinoiden, wird selten beobachtet. Meist liegt ein genetischer Defekt zugrunde. Karzinoide sind ebenfalls gehäuft mit Ulzerationen assoziiert. ECL-Zell-Karzinoide sind typischerweise nicht metastasierend, sondern lokal infiltrierend. Bei ungenügendem Abbau der Säure und Pepsin sowie bei Ausfall der inhibitorischen Mechanismen kommt es zu einer verstärkten Säuresekretion, sodass Ulzera resultieren können. Dagegen sind Parietal- und Hauptzellmasse nach operativen Eingriffen, bei der Autoimmungastritis sowie bei VIPomen (VernerMorrison-Syndrom) reduziert, sodass entsprechende Läsionen ausbleiben.
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332
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.2
Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung C. Prinz
27
) ) Chronische Entzündungen im Magen werden durch eine Autoimmunreaktion gegen Parietalzellen, durch die Helicobacter-pyloriInfektion oder durch Gallereflux bzw. durch regelmäßige Einnahme bestimmter Medikamente ausgelöst. Histopathologisch findet sich bei jedem dieser Gastritistypen eine charakteristische Morphologie. Insbesondere die chronische Helicobacter-pyloriInfektion ist nach jahrzehntelanger Exposition mit der Kanzerogenese im Magen assoziiert. Daher empfiehlt die »Europäische Helicobacter Pylori Gesellschaft (EHSG)« die Eradikation von Patienten mit schweren histologischen Veränderungen im Magen, z. B. mit atrophischer Gastritis oder intestinaler Metaplasie. Auch Patienten mit einer Familienanamnese von Magenkarzinomen sollten von H. pylori eradiziert werden, da möglicherweise besonders virulente Stämme in der Familie übertragen wurden. Vor kurzem wurde eine genetische Suszeptibilität für Magenkarzinome identifiziert, die besonders in Zusammenhang mit der H.-pylori-Infektion besonderer Behandlung und endoskopischer Kontrollen bedarf.
Autoimmungastritis (AIG, Typ-A-Gastritis) Durch Antikörper gegen die Protonenpumpen der Parietalzellen (H+-K+-ATPase) kommt es zur Zerstörung der Parietalzellmasse im Magenkorpus (D’Elios et al. 2001). Schließlich resultiert eine ausgeprägte Schleimhautatrophie im gesamten Magen. Durch die konsekutive Hypoazidität und den reaktiv erhöhten Gastrinspiegel ist die AIG mit einem deutlich erhöhten Karzinomrisiko assoziiert. Das relative Risiko, bei Vorliegen einer AIG an einem Adenokarzinom zu erkranken, ist um das 5- bis 18-fache gegenüber Normalpatienten gesteigert (Kokkola et al. 1996; Sipponen 1989; Sipponen et al. 1985). Die klinischen Beschwerden sind untypisch. Meist fallen erst im Spätstadium eine perniziöse Anämie durch den begleitenden Mangel an Intrinsic-Faktor und Vitamin B12 auf. Durch wiederholte Endoskopien (2- bis 3-jährlich) sollten Magenfrühkarzinome und präkanzeröse Veränderungen ausgeschlossen werden. Bei Vorliegen einer H.-pyloriInfektion sollte eine Eradikationsbehandlung auch ohne Nachweis von Ulzera durchgeführt werden (Oberhuber et al. 1998; Stolte et al. 1998).
27.2.2 Formen
Die Helicobacter-pylori-Gastritis (Typ-B-Gastritis) Die Infektion mit H. pylori führt in der Mehrzahl der Fälle zu einer chronisch persistierenden Infektion. Die Kolonisation der Magenmukosa mit diesem Bakterium induziert initial eine aktive Gastritis im Antrum mit Infiltration von Monozyten, Makrophagen und leukozytären Zellen. Eine besondere Rolle für die Aktivierung dieser entzündlichen Reaktion spielt das Zytotoxinassoziierte Antigen CagA, das vakuolisierende Toxin VacA, aber auch das Blutgruppen Antigen bindende Antigen BabA, das die Adhäsion des Keims an die Schleimhaut vermittelt (Prinz et al. 2001). Nach jahrelanger Infektion kommt es zur sukzessiven Kolonisation des Korpus mit Infiltration von Granulozyten, Lymphozyten, eosinophilen Zellen sowie Plasmazellen. Charakteristisch sind insbesondere multiple Lymphfollikel in der Schleimhaut (Crabtree 1996; Censini et al. 1996). Durch die chronische Entzündung kommt es zur Schädigung der Magenschleimhaut mit Schädigung der oberflächlichen Epithelzellen, vor allem durch Induktion einer Apoptose (Wagner et al. 1997). Schließlich resultiert eine multifokale Atrophie und eine intestinale Metaplasie, die zur Entstehung von präkanzerösen Veränderungen (Dysplasien) und auch von Adenokarzinomen des Magens führen kann. Atrophische Gastritis, intestinale Metaplasie und auch schwere entzündliche Veränderungen im Magenkorpus sind als Risikofaktoren für die Entstehung von Magenkarzinomen identifiziert worden Dabei ist das relative Risiko für die Karzinomentstehung bei Vorliegen dieser Faktoren um das 4- bis 6-fache erhöht (Fontham et al. 1995; Correa u. Shiao 1994; Meining et al. 1998; Sipponen u. Kumura 1994).
Als wesentliche Manifestationen chronischer Entzündungen im Magen sind die chronisch-atrophische Autoimmungastritis, die H.-pylori-induzierte Gastritis und die chemische Gastritis infolge von Gallereflux oder Medikamenteneinnahme zu nennen (Forman 1991; Asaka et al. 1994). Die Schleimhautschädigung wird histologisch (»Sydney-System«) nach dem Grad der Infiltration granulozytärer Zellen (Aktivität der Gastritis) sowie der Lymphozyten (Chronizität der Gastritis) beurteilt. Als besonderer Ausdruck der Schleimhautschädigung wird die glanduläre Atrophie sowie eine intestinale Metaplasie beschrieben (Oberhuber u. Haidenthaler 2000; Cohen et al. 2000; Sipponen et al. 1991).
Chemisch induzierte Gastritis durch Gallereflux und Medikamente (Typ-C-Gastritis) Die Bedeutung der NSAR für die Zerstörung der Mukosabarriere wird im 7 Kap. 27.3.5 beschrieben. Diese Medikamente führen zu einer sog. C-Gastritis. Die Einnahme dieser schleimhautschädigenden Medikamente führt zur (unerwünschten) Unterdrückung der COX-1-Enzyme in der Magenschleimhaut, wodurch es zur verminderten Sekretion von Prostaglandin E2 kommt. Es kommt zur charakteristischen oberflächlichen Schleimhautzerstörung mit Hämorrhagien und Ödem, wobei die für H. pylori typische Infiltration mit entzündlichen Zellen und die Lymphfollikel fehlen.
27.2.1 Klinische Symptomatologie Die chronische Gastritis ist eine oberflächliche Schädigung der Magenschleimhaut, die keine eigene Krankheitsentität bildet, sondern vielmehr durch verschiedene Mechanismen zustande kommt. Meist geben die Patienten nur sehr unspezifische Beschwerden wie Oberbauchschmerzen oder postprandiales Völlegefühl an. Die klinische Symptomatik bei chronischen Entzündungsprozessen im Magen ist äußerst schwierig zu interpretieren und nicht eindeutig. Die Diagnose »chronische Gastritis« wird daher in der Regel histologisch gestellt. Eine frühzeitige korrekte Diagnostik sowie eine adäquate Therapie bestimmter Schleimhautschädigungen sind wichtig, da einige Formen von chronischen Entzündungen im Magen zur Karzinogenese disponieren und daher die Ursachen rechtzeitig beseitigt werden müssen (Sipponen et al. 1998; Anderson et al. 2000).
333 27.2 · Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung
Auch durch den Reflux von Duodenalsekret (»Gallereflux«) kann es zur chronischen Schleimhautzerstörung kommen (7 Kap. 27.1). Andere, spezielle Formen der Gastritiden Gastritis des operierten Restmagens. 5–10 Jahre nach einer Magenteilresektion (meist Billroth-II-Magen) findet sich bei ca. 80% der Operierten eine chronische Gastritis unterschiedlichen Ausmaßes im Magenstumpf (Nielsen et al. 1972). Neben der Möglichkeit einer persisiterenden H.-pylori-Infektion ist hier insbesondere an eine Schädigung durch den Reflux von Galle in den Restmagen zu denken. Typischerweise findet sich dieser Reflux bei einem Billroth-II-Magen ohne Braun’sche Fußpunktanastomose. Die Diagnose über die Art der Gastritis wird histologisch gestellt. Charakteristisch ist neben der Schleimhautschädigung oft eine Ösophagitis durch den Reflux bis in die Speiseröhre mit entsprechender Symptomatik (Sodbrennen, Erbrechen, Aufstoßen). Führen konservative Maßnahmen nicht zum Erfolg, ist an eine operative Sanierung zu denken (Umwandlungsoperation nach Henry-Soupalt, Interposition, Roux-Y-Jejunostomie). Granulomatöse Gastritis. Diese Gastritisform tritt sehr selten auf und ist meist idiopatischer Genese. Selten findet sich eine granulomatöse Gastritis im Rahmen eines M. Crohn oder des M. Boeck im oberen Gastrointestinaltrakt. Die meist präpylorisch lokalisierten Granulome lassen sich histologisch eindeutig darstellen. Manchmal finden sich Ulzerationen, die trotz Antibiotika oder antisekretorischer Therapie nicht abheilen. Eine Arbeit beschreibt einen Zusammenhang mit dieser Gastritisform und dem Auftreten eines M. Whipple (Zuckerman et al. 1994; Lichtenstein 1993; Ectors et al. 1992; Gumaste et al. 1989, Treem u. Ragsdale 1988). Sehr selten finden sich Störungen im Kalziumstoffwechsel wie bei dem primären Hyperparathyreoidismus (eigene Beobachtungen). Phlegmonöse Gastritis. Dies ist eine bakterielle und abzedierende Entzündung der Magenwand, besonders der Submukosa. Sie tritt gelegentlich nach ausgedehnten Ulzerationen, Magenkarzinomen sowie nach Magenoperationen auf. Klinisch ist diese Gastritisform durch heftige Schmerzen, Fieber, Abwehrspannung und Leukozytose gekennzeichnet. Die Diagnose kann durch Computertomographie, Endosonographie und bioptisch gestellt werden. Meist ist eine testgerechte antibiotische Therapie erfolgreich (Sood et al. 2000; Radhi et al. 1999; Cohen et al. 2000). Lymphozytäre Gastritis. Diese seltene Gastritisform wird histologisch durch die massive Infiltration der Mukosa mit intra-
27
epithelialen Lymphozyten diagnostiziert. Ursächlich ist eine begleitende Infiltration des Magens mit lymphozytären Zellen bei der Sprue, aber auch eine abnorme Reaktion des Magens auf die H.-pylori-Infektion. Die Therapie besteht bei Nachweis einer Sprue in glutenfreier Diät bzw. bei H.-pylori-Nachweis in einer entsprechenden Eradikationstherapie (Muller et al. 2001). Eosinophile Gastritis. Bei einigen Patienten mit Oberbauchschmerzen zeigt sich in der histologischen Aufarbeitung der Proben eine starke Infiltration mit eosinophilen Zellen in der Magenmukosa. Diese ist meist mit einer eosinophilen Enteritis assoziiert. Man unterscheidet 3 Unterformen. Zum Teil liegt eine allergische Genese vor; besondere Fälle können mit Aszitesbildung assoziiert sein. Ein Teil der Patienten reagiert auf Kortikoide. Morbus Menetrier. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine Magenschleimhauthypertrophie aufgrund einer Hyperplasie der Epithel- und Parietalzellen. Es liegt eine massive TGF-αSekretion vor; insbesondere bei gleichzeitiger H.-pylori-Infektion besteht ein Risiko zur kanzerogenen Entartung. Die Diagnose wird endoskopisch durch den Nachweis von Riesenfalten mit einer entsprechenden histologischen Diagnose gestellt. Therapie der Wahl ist insbesondere bei einem starken Albumin-Verlust im Magen die komplette Magenresektion (Coffey et al. 1995; Sachs u. Encke 1993). Morbus Crohn. Der M. Crohn ist eine chronisch entzündliche Erkrankung unklarer Ätiologie, die den gesamten Magen-DarmTrakt befallen kann. Typischerweise finden sich die Läsionen im Ileum oder im linksseitigen Kolonabschnitt. Auch der Magen kann von den entzündlichen Infiltraten betroffen sein. Endoskopisch lassen sich Ulzerationen durch den M. Crohn nicht eindeutig von anderen Läsionen unterscheiden. Allerdings liefert die histologische Untersuchung des Ulkusgrundes und des Randwalls oft eine richtungsweisende Diagnose, die durch den Nachweis von Granulomen und das Fehlen von Lymphfollikeln charakterisiert ist. Zytomegalievirus-Infektion. Die Infektion mit CMV kann bei immunsupprimierten Patienten (z. B. nach Organtransplantation, aber auch bei HIV Infizierten) zur Ausbildung von Gastritiden, Erosionen, Ulzerationen im Magen, Duodenum, aber auch im Colon führen. Typischerweise finden sich hier in der histologischen Untersuchung die sog. Eulen-Augenzellen, die die Diagnose sichern und eine Therapie mit Ganciclovir einleiten. Endoskopisch ist keine eindeutige Diagnose möglich.
. Tabelle 27.1. Metaanalyse von Forman über den zeitlichen Zusammenhang zwischen H.-pylori-Infektion, Entstehung von Magenkarzinomen und Vergleich der relativen Risiken (Forman et al. 1994) Intervall ProbennahmeDiagnose (Jahre)
Magenkarzinom % H. p.+ (n)
Kontrolle % H. p.+ (n)
Odds Ratio.
95%-Konfidenzintervall
<5
20 (25)
34 (58)
2,1
0,6–8,7
5–9
37 (46)
46 (85)
2,3
0,9–6,5
10–14
70 (78)
58 (93)
4,4
1,8–13,0
>15
88 (98)
65 (98)
8,7
2,7–44,7
334
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.2.3 Karzinomentstehung durch die
chronische Entzündung im Magen
27
Die jahrzehntelange Entzündung im Magen führt meist zu einer Zerstörung der Schleimhaut mit konsekutiver Hypo- bis Achlorhydrie. Dies kann unter bestimmten Umständen die Entstehung von kanzerogenen Substanzen im Magen induzieren, die im Einzelnen noch nicht vollständig geklärt sind. Wichtige Faktoren in diesem Zusammenhang sind der Gehalt an Vitamin C und Antioxidanzien in der Nahrung und im Magen (protektiv) sowie der Gehalt an Nitraten und Nitrosaminen (schädigend; Correa et al. 1998; Correa u. Miller 1998; Forman 1998; Correa 1995; Correa u. Chen 1994). Im Folgenden sind die Zusammenhänge zwischen der H.-pylori-Infektion und der Entstehung von Magenkarzinomen beschrieben, da es hier eindeutige wissenschaftliche Evidenzen gibt.
tenrennmäusen, sog. Gerbils, führt die H.-pylori-Infektion nach etwa 6 Monaten zur Entstehung von Atrophie, Metaplasie, schließlich auch zur Entstehung distaler Magenkarzinome. Dabei wurde als pathogenetischer Mechanismus diskutiert, dass es durch die Achlorhydrie zu einer veränderten Mikroflora kommt, die die Entstehung von Nitrosoverbindung ermöglicht und damit zur Kanzerogenese beiträgt (Watanabe et al. 1998). Kosten-Nutzen-Analyse der H.-pylori-Eradikation zur Karzinomprophylaxe. Durch die eindeutigen experimentellen und statis-
tischen Zusammenhänge wurde Helicobacter von der WHO als ein Typ-1-Karzinogen eingestuft. Trotzdem ist es nicht sinnvoll, eine generelle Eradikation dieses Keims in der Weltbevölkerung anzustreben. Ein generelles H.-pylori-Screening mit nachfolgender Eradikation zur Karzinomprophylaxe ist weder kosteneffektiv noch praktikabel.
Epidemiologie des Helicobacter-pylori-Magenkarzinom. Eine Metaanalyse über den Zusammenhang zwischen der H.-pyloriInfektion und der Mortalität durch distale Magenkarzinome wurde Anfang der 90er-Jahre publiziert (Stolte u. Meining 1998). Es wurde die Seroprävalenz von H.-pylori-Antikörpern an insgesamt 3194 randomisiert ausgewählten Patienten bestimmt, dabei wurden 17 Zentren in 13 Ländern beobachtet und eine Regressionsanalyse durchgeführt. Es fand sich eine signifikante Korrelation zwischen der Prävalenz von H.-pylori-Antikörpern und der Inzidenz sowie der Mortalität distaler Magenkarzinome (Anonymous 1993).
Dies wurde in den Empfehlungen der Europäischen und Kanadischen Gesellschaften berücksichtigt (Tytgat et al. 2000; McNamara u. O’Morain 2000):
Drei große prospektive Studien haben den Zusammenhang zwischen der Infektion mit H. pylori und der Entstehung von Magenkarzinomen eindeutig nachgewiesen.
Maastricht Guidelines zur Eradikation von H. pylori bei Patienten mit chronischer Gastritis (Hentschel 2000; Heatley 1998)
Dabei wurden Fall-, kontrollierte oder Kohorten-Studien durchgeführt. Die H.-pylori-Infektion wurde durch Antikörpernachweis in großen Blutbanken in USA und in England bestimmt. Im Mittel zeigte sich eine H.-pylori-Seropositivität etwa 13 Jahre vor der Diagnose des Magenkarzinoms. Es fand sich in allen Studien eine Assoziation von H. pylori mit intestinalem und diffusem Typ. Das relative Risiko für die Entwicklung von distalen Magenkarzinomen liegt zwischen 2 und 8, wenn eine H.-pylori-Infektion vorausging (Nomura et al. 1991; Parsonnet et al. 1991a,b; Forman 1991; Forman et al. 1991). In einer Metaanalyse von Forman wurden die Patienten in einer Gesamtgruppe zusammengefasst und die relativen Risiken verglichen. Dabei zeigte sich, dass das relative Risiko ansteigt, je länger die Seroprävalenz der H.-pylori-Infektion zurückliegt. Ein wesentlicher Faktor für die Kanzerogenese dieser Karzinome ist also die lange Entwicklungsdauer (. Tab. 27.1). Auch in den asiatischen Ländern zeigt sich ein eindeutiger epidemiologischer Zusammenhang zwischen der H.-pylori-Infektion und der Entstehung von distalen Magenkarzinomen sowie Magenfrühkarzinomen (Asaka et al.1994). Tiermodelle. Neben den epidemiologischen Zusammenhängen hat man in den letzten Jahren auch geeignete Tiermodelle gefunden, in denen die Inokulation mit H. pylori zur Krebsenstehung führt. Damit erfüllt die H.-pylori Infektion auch ein entscheidendes Koch’sches Postulat. In den mongolischen Wüs-
Die Eradikation sollte auf Risikogruppen beschränkt bleiben. Dazu zählen Patienten, die Magenkarzinome in der Familienanamnese haben, sowie Patienten, die schwere histologische Veränderungen wie Atrophie, intestinale Metaplasie und insbesondere Dysplasie aufweisen.
5 Schwere histologische Veränderungen: atrophische Gastritis, intestinale Metaplasie, Dysplasie, Adenome 5 Magenkarzinome in der Familienanamnese 5 Zustand nach Resektion eines Magenfrühkarzinoms 5 Sehr selten: M. Menetrier, lymphozytäre Gastritis
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335 27.2 · Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung
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336
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.3
Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie C. Prinz
27
) ) Magenulzera entstehen durch ein Ungleichgewicht zwischen aggressiven und defensiven Schutzmechanismen im Magen. Ein Großteil der Magenulzera ist durch die Infektion mit H. pylori bedingt und wird durch eine sog. Triple-Therapie behandelt. Zu den aggressiven Faktoren, die die Schleimhaut schädigen, zählt weiterhin die Exposition mit Gallensäuren. Zunehmend häufiger werden NSAR-Gastropathien beobachtet. NSAR schädigen die defensiven Mechanismen der Schleimhaut, vor allem durch die Ausschaltung des COX-1-Isoenzyms, das die Prostaglandinsekretion steuert. Patienten, die unter längerfristiger Medikation mit NSAR Schmerzen entwickeln, sollten mit H2-RA oder PPI prophylaktisch behandelt werden. NSAR-induzierte Läsionen neigen zu Blutungen, die meist endoskopisch gestillt werden können und unter hochdosierter Therapie mit antisekretorischen Medikamenten beschleunigt abheilen.
27.3.1 Klinische Symptomatologie Ulcera ventriculi sind exkavierte Schleimhautdefekte im Magen, die kraterförmig über die Lamina muscularis mucosae in die Magenwand penetrieren. Typischerweise zeigt sich eine fibrinbelegte Läsion mit einem leicht erhabenen Randwall. Magenulzera finden sich vor allem im Magenantrum, im Bereich der Angulusfalte und entlang der kleinen Kurvatur, der Fundus ist selten (<5%) betroffen. Die Prävalenz in Deutschland beträgt etwa 0,2%. Etwa 5% der deutschen Bevölkerung leidet im Laufe des Lebens mindestens einmal an solchen Geschwüren. Magenulzera verursachen ähnlich wie Duodenalulzera nur in etwa 2/3 der Fälle klinische Beschwerden wie Schmerzen, Erbrechen oder Völlegefühl. Durch die starke Durchblutung neigen Magenulzera zu Blutungen. Ein beträchtlicher Teil der Patienten kommt erst mit der akuten Blutung in die Klinik, ohne vorher Beschwerden gehabt zu haben (Soll 1990).
Unkomplizierte Magenulzera sind meist solitär und kleiner als 2 cm; multiple Läsionen deuten eher auf systemische oder medikamentenassoziierte Genese hin.
Läsionen, die größer als 2 cm und unregelmäßig begrenzt sind, sowie nur langsam abheilen, sind malignitätsverdächtig. Im aktiven Stadium zeigt sich ein stark geröteter Gewebedefekt, teilweise mit frischen Blutungstigmata (→Forrest-Klassifikation). Im Heilungsstadium wird das Ulcus kleiner und ist mit einem zentralen Fibrinschorf bedeckt. Schließlich wird der Defekt reepithelialisiert und es bildet sich eine weißliche Narbe, die manchmal nur durch zulaufende Falten entdeckt wird. Ulzera sind meist von einem Randwall umgeben, der bei suspektem Aspekt mindestens 4- bis 6-mal ebenso wie der Ulkusgrund 4- bis 6-mal biopsiert werden sollte. Bei den H.-pylori-positiven Ulcera ventriculi findet sich regelmäßig eine chronische Gastritis vom sog. B-Typ im Antrum, die durch starke entzündliche Infiltration gekennzeich-
net ist. Im Spätstadium greift diese Entzündung auf den Korpus über. Das Ausmaß der Entzündung und der Ulkusentstehung hängt dabei u. a. auch von der Kolonisationsdichte ab (Maaroos et al. 1991; Sipponen et al. 1992; Sipponen 1992). Magen- oder Duodenalulzera werden durch die endoskopische Untersuchung diagnostiziert, hierbei wird auf Zahl, Größe und Struktur geachtet. Zur Abklärung der Dignität und der Pathogenese werden nach dem akuten Stadium Biopsien aus dem Ulkusgrund und -rand sowie aus Magenantrum und Korpus entnommen. Im akuten Stadium, etwa bei einer Blutung, verbietet sich die Biopsie. 27.3.2 Differenzialdiagnose Die Ätiopathogenese der Magenulzera ist vielschichtig. Es wird grundsätzlich postuliert, dass die Magenläsionen durch ein Ungleichgewicht zwischen aggressiven und protektiven Faktoren entstehen. Kommt es zum Überwiegen der aggressiven Faktoren durch Hyperazidität oder durch Exposition mit Gallensäuren, resultiert eine Schleimhautschädigung. Analog werden bei Ausschalten der defensiven Mechanismen durch Medikamente die Zellen der Mukosa einer Autodigestion ausgesetzt. Ähnlich wie bei den Duodenalulzera gilt auch im Magen das Dogma von Schwartz, dass »ohne Säure kein Ulkus« entstehen kann.
Gastrinproduzierende Tumoren sind daher typischerweise mit Ulzerationen im Magen und Duodenum assoziiert; dagegen findet sich bei der autoimmunen, atrophischen Gastritis fast nie ein Magenulkus.
. Tabelle 27.2. Differenzialdiagnose von Ulzerationen in Magen. Die relativen Häufigkeiten entstammen einer aktuellen Übersicht von Stolte et al. an einem großen Deutschen Kollektiv (Stolte et al. 2001); etwa 10% der Magenulzera sind primär maligne, diese werden getrennt abgehandelt
Ursache
Häufigkeit
Charakteristika
H. pylori
70–80%
Antrum, singulär, B-Gastritis
Gallereflux
Selten
Operierter Magen, diffus, C-Gastritis
Aggressive Faktoren
Störung der defensiven Schutzmechanismen NSAR-Läsionen
10–20%
Diffus, multipel, C-Gastritis
Kortikosteroide
Selten
In Kombination mit NSAR, diffus, multipel
Medikamente
Selten
Antidepressiva, MAO Hemmer etc.
M. Crohn
Selten
Granulome, typische Histologie
CMV-Ulzera
Selten
Immunsuppression, TX, HIV
Maligne Ulzera
10%
>2 cm, unscharf, infiltrierend
Andere Ursachen
337 27.3 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie
In . Tab. 27.2 sind die verschiedenen Ursachen und die relativen Häufigkeiten von Magenulzera zusammengefasst. Zu den aggressiven Faktoren, die die Magenschleimhaut schädigen, zählen die Helicobacter-pylori-Infektion sowie ein pathologischer Reflux von Galle. Diese werden im Folgenden näher besprochen. Zu den wesentlichen Ursachen, die die defensiven Schutzmechanismen der Schleimhaut beeinträchtigen, zählt die Einnahme von Medikamenten. Dies wird anschleißend eingehend besprochen (Soll 1990; Wolfe et al. 1999). 27.3.3 Helicobacter-pylori-assoziiertes
Ulcus ventriculi Ein Großteil der unkomplizierten Magenulzera ist mit der Infektion durch Helicobacter pylori assoziiert (70–80%, je nach Population). Die Kolonisation mit diesem Keim führt zu einer Störung dieses empfindlichen Gleichgewichtes im Magen, sodass aggressive Faktoren überwiegen. Durch die H.-pylori-Infektion kommt es zur Freisetzung von NH3 in den Magendrüsen des Antrums (7). H.-pylori-positive Patienten mit Magenulzera haben daher häufig eine erhöhte postprandiale Säuresekretion (Wormsley u. Grossmann 1965; Hamlet u. Olbe 1996). Dies führt zur Schädigung des Schleimhautepithels in Magen und Duodenum. In den Spätstadien (>30 Jahre nach Infektion) kommt es durch die chronische Besiedelung zur Schleimhautatrophie im Antrum und zunehmend auch im Korpus (Shirin u. Moss 1998). Durch diese sog. multifokale atrophische Gastritis verliert die Korpusmukosa ihre normale Architektur (Shirin u. Moss 1998; Fontham et al. 1995; Mobley et al. 1997), es resultiert schließlich eine Hypochlorhydrie, sodass die Ausbildung von Ulzera seltener ist (Brown 2000).
27
Histologisch findet sich meist eine typische C-Gastritis (Nakamura et al. 2001; Rhodes et al. 1969; Vaezi u. Richter 2000; Dowall et al. 2000; Fein et al. 2000; Borchard 2001). Der Gallereflux wird vor allem beim operierten Magen beobachtet und ist meist unabhängig von der Infektion mit Helicobacter pylori. Insbesondere nach Billroth-II-Operationen wird vermehrt eine flächige Rötung im Restmagen beobachtet. Nach langfristiger Exposition kann eine Karzinogenese entstehen (Dowall et al. 2000; Fein et al. 2000; Stein et al. 1999; Byrne u. Attwood 1999). Zur Therapie werden Metoclopramid (z. B. Paspertin), aluminiumhaltige Antazida, Cholestyramin (z. B. Quantalan), Schleimbildner (z. B. Ulcogant) sowie gleichzeitig eine niedrig dosierte antisekretorische PPI-Therapie (z. B. Pantozol) verordnet. Die Wirksamkeit dieser konservativen Therapie ist jedoch umstritten. Maligne Ursachen. Ulzera, die größer als 2 cm sind, unregelmäßig
begrenzt bleiben, einen tiefen Ulkusgrund besitzen und nur langsame Abheilungstendenz haben, sind malignitätsverdächtig. Hier sollte wiederholt (bis zu 20-mal) biopsiert werden. Auch NonHodgkin-Lymphome könne sich primär als Ulzeration im Magen zeigen. Diese erscheinen flach, sind von unregelmäßig geröteter und granulierter Schleimhaut umgeben, die sich flächig ausbreitet. Hier kann die Histologie eine eindeutige Aussage liefern. Wichtig ist allerdings hier eine korrekte Beurteilung der Schleimhautinfiltration, z. B. durch die Endosonographie. In dem Stadium der oberflächlichen Schleimhautinfiltration 1E1 und bei Nachweis von Helicobacter pylori sollte eine Eradikationstherapie nach der »Triple-Therapie« erfolgen. Bei Versagen dieser Therapie sollte unbedingt eine Bakterienkultur mit Resistenztestung und anschließender testgerechter Therapie erfolgen (Rosin et al. 2001). 27.3.5 NSAR-induzierte Magenulzera
Der Goldstandard zum Nachweis der Infektion mit gleichzeitiger Beurteilung der Schleimhautstruktur im Magen ist nach wie vor die endoskopische Beurteilung des Magens.
Gleichzeitig mit der Endoskopie erfolgt eine Biopsieentnahme im Antrum und im Korpus (jeweils 2-mal), die der Aktivitätsbeurteilung der Gastritis dient. Mit dem sog. HUT-Test (Helicobacter-Ureasetest) wird die Ureaseproduktion in einer Biopsie nachgewiesen, wobei die Sensitivität über 90% liegt (Therapie: 7 Kap. 27.6). 27.3.4 Ulcera ventriculi durch Reflux von
Duodenalsekret (»Gallereflux«) Bei einem ungenügenden Pylorusverschluss sowie einer unkoordinierten Aktivität von Antrum- und Duodenalmotorik kann es zum Reflux von Duodenalsaft in den Magen kommen. Die Inhaltsstoffe des Duodenalsekretes, vor allem Gallensäuren, Lezithine und der Pankreassaft, können die Magenschleimhaut insbesondere durch die gleichzeitige Exposition mit der Magensäure stark schädigen. Neben der Funktionsstörung des Pylorus liegt möglicherweise auch eine gestörte Motilität des Magens vor (Miranda et al. 1985). Die Agenzien zerstören die oberflächliche Schleimschicht mit den darunter liegenden Epithelzellen, sodass es zu flächigen Erosionen und auch Ulzerationen kommen kann.
und Gastropathien Epidemiologie. Die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheu-
matika (NSAR) ist mit beträchtlichen Nebenwirkungen im Magen assoziiert. Etwa 10% der Patienten entwickeln unter chronischer Therapie ein Ulkusleiden, wiederum 10% hiervon zeigen klinisch relevante Blutungen. Einer von 1000 behandelten Patienten stirbt an den Nebenwirkungen der Therapie. Epidemiologische Untersuchungen haben nachgewiesen, dass es durch die Nebenwirkungen im Rahmen dieser Therapie zu mehr als 4000 Todesfällen pro Jahr in Deutschland kommt; damit ist die Todesursache »NSAR-Nebenwirkung« unter den 15 häufigsten Todesursachen in Deutschland und auch den USA. Die Verordnung von NSAR ist besonders problematisch bei der gleichzeitigen Einnahme von ASS und/oder Markumar; diese Medikamente verstärken die Blutungsneigung. Ein erhöhtes Risiko besteht auch bei Patienten, die ein Ulkus in der Vorgeschichte haben, älter als 70 Jahre sind, und evtl. gleichzeitig Steroidderivate einnehmen (Wolfe et al. 1999). Klinische Symptomatik. Bereits 3 Tage nach der Einnahme von
ASS, Voltaren, Diclofenac und anderen NSAR kommt es in der Mehrzahl der Patienten (>50%) zu Oberbauchschmerzen. Diese sog. dyspeptischen Beschwerden stehen jedoch nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Entstehung von Ulzera. Vielmehr hat ein Teil der Patienten, die unter kontinuierlicher Therapie Ulzera entwickeln, zunächst keine Beschwerden (5–10%). Erst
338
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
die Komplikation durch Blutung oder Perforation führt die Patienten zum Arzt (Wolfe et al. 1999).
27
Pathogenese. ASS und NSAR führen durch unterschiedliche Mechanismen zur Schädigung der Magenschleimhaut (Anand et al. 1999). ASS und NSAR zerstören demnach die Schleimschicht der Mukosabarriere, dies geht mit einem Abfall der Potenzialdifferenz einher (Davenport 1967a,b). Aspirin (bereits bei einer Dosierung von 30–80 mg) sowie NSAR (z. B. Ibuprofen) führen weiterhin zu einer signifikanten Reduktion der Prostaglandinsekretion um bis zu 60% (Cryer u. Feldman 1999). ASS und NSAR hemmen verschiedene Isoenzyme der Zyklooxygenasen (COX). Dies sind membranständige Enzyme, die aus der ungesättigten Fettsäure Arachidonsäure Prostaglandine synthetisieren. Diese Enzyme regulieren den lokalen Blutfluss, schützen Zellen vor Apoptose und rufen Entzündungsreaktionen hervor. Es gibt 2 Isoenzyme der COX, die an verschiedenen Prozessen beteiligt sind (Cryer u. Feldman 1998). Die COX-2 ist ein induzierbares Enzym, das vor allem bei entzündlichen Prozessen und auch bei Schmerzen hochreguliert und exprimiert wird. Dagegen ist die COX-1 ein ubiquitäres Enzym, das sich vor allem im Magen und in der Niere findet. Neben lokaler Funktion ist dieses Enzym verantwortlich für die Synthese von PGE2. PGE2 wird in verschiedenen Zellen der Magenmukosa, u. a. in ECLZellen synthetisiert. Die bisherigen NSAR hemmen beide Isoenzyme mit etwa gleicher Potenz und Sensitivität; dadurch kommt es zwar zur erwünschten Entzündungshemmung und Schmerzstillung, aber auch zur Ausschaltung des COX-1-Enzyms in Magen und Niere, sodass Magenläsionen und Nierenschäden entstehen können. Die Toxizität der einzelnen Medikamente steht daher mit der unselektiven Hemmung der COX-1 in Zusammenhang (. Tab. 27.3), wobei beispielsweise Diclofenac die COX-2 etwa 20-mal stärker hemmt als die COX-1. Unter den bisher verwendeten NSAR, die im Folgenden aufgelistet sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Ulzera etwa 10–20%, die Häufigkeit von klinisch relevanten Blutungen liegt bei 1–3%. Dagegen zeigen die neuen COX-2-selektiven Hemmer, z. B. Refecoxibil, keine signifikante Hemmung der COX-1 in therapeutischer Dosierung mehr und haben daher auch keine erhöhten Nebenwirkungen im Magen gegenüber Placebo (Bombardier et al. 2000; Gabriel et al. 1991). Rofecoxib wurde 2004 vom Markt genommen, weil es in Langzeitstudien mit einer erhöhten Rate an unerwünschten kardiovaskulären Ereignissen assoziiert war.
. Tabelle 27.3. Selektive Hemmung der COX durch verschiedene NSAR
Medikament
COX-1/COX-2 (IC50-Ratio)
Kommentar
Ibuprofen
0,5
COX-1-Hemmer
Indomethacin
1,9
Häufig verwendet
Diclofenac
18,9
In Deutschland am meisten verwendet
Celecoxib
>100
Selektiver COX-2-Inhibitor
Rofecoxib
>300
Höchste Spezifität für COX-2
Therapie der NSAR-induzierten Gastropathie. Die Therapie der
NSAR-induzierten Läsionen zielt primär daraufhin ab, das ursächliche Medikament zu vermeiden. Dies ist allerdings nur in einem Teil der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen möglich. Neuere Studien haben daher den gleichzeitigen Einsatz von PPI, H2-Blocker oder auch Sucralfat untersucht. Famotidin (Pepdul) in einer Dosierung von 20–40 mg/Tag ist effektiv in der Prophylaxe der NSAR-induzierten Gastropathie. In einer Studie betrug die Häufigkeit von Magenulzera unter NSAR-Einnahme 20%, unter gleichzeitiger Medikation mit 20 mg Famotidin fanden sich nur 13%, und unter 40 mg Famotidin nur 8% Ulzerationen. Ein ähnlicher Effekt fand sich auch bei Duodenalläsionen: 13% Ulzera in der Kontrollgruppe mit Naproxen, 4% Ulzera unter 20 mg, und 2% unter 40 mg Famotidin (Taha et al. 1996; Hudson et al. 1997). Zahlreiche Studien belegen indessen die überlegende Wirksamkeit von PPI bei der Prophylaxe von NSAR-induzierten Läsionen in Magen und Duodenum. Eine doppelblind kontrollierte Studie (»Omnium«) an über 900 Patienten verglich den Effekt von 20–40 mg/Tag Omeprazol mit 400 mg/Tag Misoprostol (ein Prostaglandinanalogon) bei Patienten mit Ulzera oder mehr als 10 Erosionen im Magen oder Duodenum unter NSAR-Einnahme. Es zeigte sich ein ähnlicher Therapieerfolg unter beiden Medikamenten (Heilung in etwa 70–75%) wobei ein größerer Patientenanteil (60%) unter 40 mg Omeprazol in Remission blieb (Yeomans et al. 1998; Hawkey et al. 1998). Yeomans et al. verglichen den Effekt von PPI mit Ranitidin (300 mg) bei dieser Indikationsstellung (»Astronaut«-Studie). In dieser Studie fand sich einer höherer Therapieerfolg von 40 mg Omeprazol (Abheilung in 72%) als Ranitidin (Abheilung in 63%), auch die Zahl der Patienten in Remission war unter PPIMedikation höher als unter H2-RA (Yeomans et al. 1998). Cytotect, ein Prostaglandinanalogon, ist zur Therapie der NSARinduzierten Läsionen zugelassen, wird aber vorwiegend in den angloamerikanischen Ländern aufgrund seines Preisvorteils eingesetzt. Cytotect ist durch die Nebenwirkung starker Durchfälle problematisiert und kann nicht in der Schwangerschaft verabreicht werden.
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339 27.4 · Stressulkus und Stressulkusprophylaxe
Cryer B, Feldman M (1999) Effects of very low dose daily, long-term aspirin therapy on gastric, duodenal, and rectal prostaglandin levels and on mucosal injury in healthy humans. Gastroenterology 117:17 Davenport HW (1967a) Ethanol damage to canine oxyntic glandular mucosa. Proc Soc Exp Biol Med 126:657 Davenport HW (1967b) Salicylate damage to the gastric mucosal barrier. N Engl J Med 276:1307 Dowall JE, Willis P, Prescott R, Lamonby S, Lynch DA (2000) Cell proliferation in type C gastritis affecting the intact stomach. J Clin Pathol 53:784 Fein M, Fuchs KH, Stopper H, Diem S, Herderich M (2000) Duodenogastric reflux and foregut carcinogenesis: analysis of duodenal juice in a rodent model of cancer. Carcinogenesis 21:2079 Fontham ET, Ruiz B, Perez A, Hunter F, Correa P (1995) Determinants of Helicobacter pylori infection and chronic gastritis. Am J Gastroenterol 90:1094 Gabriel SE, Jaakkimainen L, Bombardier C (1991) Risk for serious gastrointestinal complications related to use of nonsteroidal anti-inflammatory drugs. A meta-analysis. Ann Intern Med 115:787 Hamlet A, Olbe L (1996) The influence of Helicobacter pylori infection on postprandial duodenal acid load and duodenal bulb pH in humans. Gastroenterology 111:391 Hawkey CJ, Karrasch JA, Szczepanski L et al. (1998) Omeprazole compared with misoprostol for ulcers associated with nonsteroidal antiinflammatory drugs. Omeprazole versus Misoprostol for NSAID-induced Ulcer Management (OMNIUM) Study Group. N Engl J Med 338:727 Hudson N, Taha AS, Russell RI et al. (1997) Famotidine for healing and maintenance in nonsteroidal anti-inflammatory drug-associated gastroduodenal ulceration. Gastroenterology 112:1817 Lichtenberger LM, Dial EJ, Romero JJ, Lechago J, Jarboe LA, Wolfe MM (1995) Role of luminal ammonia in the development of gastropathy and hypergastrinemia in the rat. Gastroenterology 108:320 Maaroos HI, Kekki M, Sipponen P, Salupere V, Villako K (1991) Grade of Helicobacter pylori colonisation, chronic gastritis and relative risks of contracting high gastric ulcers: a seven-year follow-up. Scand J Gastroenterol Suppl 186:65–72 Miranda M, Defilippi C, Valenzuela JE (1985) Abnormalities of interdigestive motility complex and increased duodenogastric reflux in gastric ulcer patients. Dig Dis Sci 30:16 Mobley HL (1997) Helicobacter pylori factors associated with disease development. Gastroenterology 113: S21 Nakamura M, Haruma K, Kamada T et al. (2001) Duodenogastric reflux is associated with antral metaplastic gastritis. Gastrointest Endosc 53:53–59 Nakayama J, Yeh JC, Misra AK, Ito S, Katsuyama T, Fukuda M (1999) Expression cloning of a human alpha1, 4-N-acetylglucosaminyltransferase that forms GlcNAcalpha1–4GalßR, a glycan specifically expressed in the gastric gland mucous cell-type mucin. Proc Natl Acad Sci USA 96:8991 Rhodes J, Barnardo DE, Phillips SF, Rovelstad RA, Hofmann AF (1969) Increased reflux of bile into the stomach in patients with gastric ulcer. Gastroenterology 57:241 Rosin D, Rosenthal RJ, Bonner G, Grove MK, Sesto ME (2001) Gastric MALT lymphoma in a Helicobacter pylori-negative patient: a case report and review of the literature. J Am Coll Surg 192:652 Shirin H, Moss SF (1998) Helicobacter pylori induced apoptosis. Gut 43:592 Sipponen P (1992) Helicobacter pylori, chronic gastritis and peptic ulcer. Mater Med Pol 24:166 Sipponen P, Kosunen TU, Valle J, Riihela M, Seppala K (1992) Helicobacter pylori infection and chronic gastritis in gastric cancer. J Clin Pathol 45:319 Soll AH (1990) Pathogenesis of peptic ulcer and implications for therapy. N Engl J Med 322:909 Stein HJ, Kauer WK, Feussner H, Siewert JR (1999) Bile acids as components of the duodenogastric refluxate: detection, relationship to bilirubin, mechanism of injury, and clinical relevance. Hepatogastroenterology 46:66
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Stolte M, Seitter V, Muller H (2001) Improvement in the quality of the endoscopic/biotpic diagnosis of gastric ulcers between 1990 and 1997, an analysis of 1658 patients. Z Gastroenterol 39:349 Taha AS, Hudson N, Hawkey CJ et al. (1996) Famotidine for the prevention of gastric and duodenal ulcers caused by nonsteroidal antiinflammatory drugs. N Engl J Med 334:1435 Takahashi S, Takeuchi K, Okabe S (1999) EP4 receptor mediation of prostaglandin E2-stimulated mucus secretion by rabbit gastric epithelial cells. Biochem Pharmacol 58:1997 Vaezi MF, Richter JE (2000) Duodenogastro-oesophageal reflux. Baillieres Best Pract Res Clin Gastroenterol 14:719 Wolfe MM, Lichtenstein DR, Singh G (1999) Gastrointestinal toxicity of nonsteroidal antiinflammatory drugs. N Engl J Med 340:1888 Wormsley KG, Grossman MI (1965) Maximal histalog test in control subjects and patients with peptic ulcer. Gut 6:427 Yeomans ND, Tulassay Z, Juhasz L et al. (1998) A comparison of omeprazole with ranitidine for ulcers associated with nonsteroidal antiinflammatory drugs. Acid Suppression Trial: Ranitidine versus Omeprazole for NSAID-associated Ulcer Treatment (ASTRONAUT) Study Group. N Engl J Med 338:719
27.4
Stressulkus und Stressulkusprophylaxe C. Prinz
) ) Eine generelle Prophylaxe von Stressulzera kann bei Patienten einer chirurgischen Intensivstation nicht empfohlen werden. Von einer Säuresekretionshemmung profitieren jedoch Patienten mit Risikofaktoren. Zu den Risikofaktoren zählen insbesondere Polytraumata, Verbrennungen und neurochirurgische Eingriffe. Stressulzera werden wie unkomplizierte Ulzera des oberen Gastrointestinaltraktes therapiert; Blutungen können endoskopisch gestillt werden. Bei der Primärprophylaxe sind H2-RA der Behandlung mit Sucralfat oder Antazida überlegen und werden in der Regel bei leichteren Fällen eingesetzt. Patienten mit hohem Risiko profitieren von der Behandlung mit PPI.
Stressulzera sind akute Schleimhautschädigungen im oberen Gastrointestinaltrakt. Typischerweise finden sich diese akuten Läsionen bei Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen, insbesondere nach Verbrennungen sowie nach schweren traumatischen Ereignissen. Unter diesem Oberbegriff sind u. a. die akute hämorrhagische Gastritis, das akute Ulkus und auch akute Erosionen zusammengefasst. Historisch hat man das sog. »Curling-Ulkus« beschrieben, das in Zusammenhang mit Verbrennungen im Duodenum auftritt, sowie das »Cushing-Ulkus«, das in Zusammenhang mit Verletzungen oder Erkrankungen des ZNS beobachtet wird (Pruitt et al. 1970). Pathogenetisch wichtig für die Entstehung dieser Läsionen sind eine Schleimhauthypoxie und Minderperfusion der Magenmukosa, die durch Hypotension, venöse Stase und Vasospasmen ausgelöst wird (Rosen et al. 1992). Als weitere pathogenetisch wichtige Mechanismen wurden eine gesteigerte Permeabilität der Magenschleimhaut, ein vermehrter gastroduodenaler Reflux, eine gesteigerte Histaminfreisetzung sowie ein akutes Energiedefizit in der Schleimhaut erwogen. Klinische Symptomatologie. Stressulzera werden in 5–25% der Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen beobachtet.
339 27.4 · Stressulkus und Stressulkusprophylaxe
Cryer B, Feldman M (1999) Effects of very low dose daily, long-term aspirin therapy on gastric, duodenal, and rectal prostaglandin levels and on mucosal injury in healthy humans. Gastroenterology 117:17 Davenport HW (1967a) Ethanol damage to canine oxyntic glandular mucosa. Proc Soc Exp Biol Med 126:657 Davenport HW (1967b) Salicylate damage to the gastric mucosal barrier. N Engl J Med 276:1307 Dowall JE, Willis P, Prescott R, Lamonby S, Lynch DA (2000) Cell proliferation in type C gastritis affecting the intact stomach. J Clin Pathol 53:784 Fein M, Fuchs KH, Stopper H, Diem S, Herderich M (2000) Duodenogastric reflux and foregut carcinogenesis: analysis of duodenal juice in a rodent model of cancer. Carcinogenesis 21:2079 Fontham ET, Ruiz B, Perez A, Hunter F, Correa P (1995) Determinants of Helicobacter pylori infection and chronic gastritis. Am J Gastroenterol 90:1094 Gabriel SE, Jaakkimainen L, Bombardier C (1991) Risk for serious gastrointestinal complications related to use of nonsteroidal anti-inflammatory drugs. A meta-analysis. Ann Intern Med 115:787 Hamlet A, Olbe L (1996) The influence of Helicobacter pylori infection on postprandial duodenal acid load and duodenal bulb pH in humans. Gastroenterology 111:391 Hawkey CJ, Karrasch JA, Szczepanski L et al. (1998) Omeprazole compared with misoprostol for ulcers associated with nonsteroidal antiinflammatory drugs. Omeprazole versus Misoprostol for NSAID-induced Ulcer Management (OMNIUM) Study Group. N Engl J Med 338:727 Hudson N, Taha AS, Russell RI et al. (1997) Famotidine for healing and maintenance in nonsteroidal anti-inflammatory drug-associated gastroduodenal ulceration. Gastroenterology 112:1817 Lichtenberger LM, Dial EJ, Romero JJ, Lechago J, Jarboe LA, Wolfe MM (1995) Role of luminal ammonia in the development of gastropathy and hypergastrinemia in the rat. Gastroenterology 108:320 Maaroos HI, Kekki M, Sipponen P, Salupere V, Villako K (1991) Grade of Helicobacter pylori colonisation, chronic gastritis and relative risks of contracting high gastric ulcers: a seven-year follow-up. Scand J Gastroenterol Suppl 186:65–72 Miranda M, Defilippi C, Valenzuela JE (1985) Abnormalities of interdigestive motility complex and increased duodenogastric reflux in gastric ulcer patients. Dig Dis Sci 30:16 Mobley HL (1997) Helicobacter pylori factors associated with disease development. Gastroenterology 113: S21 Nakamura M, Haruma K, Kamada T et al. (2001) Duodenogastric reflux is associated with antral metaplastic gastritis. Gastrointest Endosc 53:53–59 Nakayama J, Yeh JC, Misra AK, Ito S, Katsuyama T, Fukuda M (1999) Expression cloning of a human alpha1, 4-N-acetylglucosaminyltransferase that forms GlcNAcalpha1–4GalßR, a glycan specifically expressed in the gastric gland mucous cell-type mucin. Proc Natl Acad Sci USA 96:8991 Rhodes J, Barnardo DE, Phillips SF, Rovelstad RA, Hofmann AF (1969) Increased reflux of bile into the stomach in patients with gastric ulcer. Gastroenterology 57:241 Rosin D, Rosenthal RJ, Bonner G, Grove MK, Sesto ME (2001) Gastric MALT lymphoma in a Helicobacter pylori-negative patient: a case report and review of the literature. J Am Coll Surg 192:652 Shirin H, Moss SF (1998) Helicobacter pylori induced apoptosis. Gut 43:592 Sipponen P (1992) Helicobacter pylori, chronic gastritis and peptic ulcer. Mater Med Pol 24:166 Sipponen P, Kosunen TU, Valle J, Riihela M, Seppala K (1992) Helicobacter pylori infection and chronic gastritis in gastric cancer. J Clin Pathol 45:319 Soll AH (1990) Pathogenesis of peptic ulcer and implications for therapy. N Engl J Med 322:909 Stein HJ, Kauer WK, Feussner H, Siewert JR (1999) Bile acids as components of the duodenogastric refluxate: detection, relationship to bilirubin, mechanism of injury, and clinical relevance. Hepatogastroenterology 46:66
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Stolte M, Seitter V, Muller H (2001) Improvement in the quality of the endoscopic/biotpic diagnosis of gastric ulcers between 1990 and 1997, an analysis of 1658 patients. Z Gastroenterol 39:349 Taha AS, Hudson N, Hawkey CJ et al. (1996) Famotidine for the prevention of gastric and duodenal ulcers caused by nonsteroidal antiinflammatory drugs. N Engl J Med 334:1435 Takahashi S, Takeuchi K, Okabe S (1999) EP4 receptor mediation of prostaglandin E2-stimulated mucus secretion by rabbit gastric epithelial cells. Biochem Pharmacol 58:1997 Vaezi MF, Richter JE (2000) Duodenogastro-oesophageal reflux. Baillieres Best Pract Res Clin Gastroenterol 14:719 Wolfe MM, Lichtenstein DR, Singh G (1999) Gastrointestinal toxicity of nonsteroidal antiinflammatory drugs. N Engl J Med 340:1888 Wormsley KG, Grossman MI (1965) Maximal histalog test in control subjects and patients with peptic ulcer. Gut 6:427 Yeomans ND, Tulassay Z, Juhasz L et al. (1998) A comparison of omeprazole with ranitidine for ulcers associated with nonsteroidal antiinflammatory drugs. Acid Suppression Trial: Ranitidine versus Omeprazole for NSAID-associated Ulcer Treatment (ASTRONAUT) Study Group. N Engl J Med 338:719
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Stressulkus und Stressulkusprophylaxe C. Prinz
) ) Eine generelle Prophylaxe von Stressulzera kann bei Patienten einer chirurgischen Intensivstation nicht empfohlen werden. Von einer Säuresekretionshemmung profitieren jedoch Patienten mit Risikofaktoren. Zu den Risikofaktoren zählen insbesondere Polytraumata, Verbrennungen und neurochirurgische Eingriffe. Stressulzera werden wie unkomplizierte Ulzera des oberen Gastrointestinaltraktes therapiert; Blutungen können endoskopisch gestillt werden. Bei der Primärprophylaxe sind H2-RA der Behandlung mit Sucralfat oder Antazida überlegen und werden in der Regel bei leichteren Fällen eingesetzt. Patienten mit hohem Risiko profitieren von der Behandlung mit PPI.
Stressulzera sind akute Schleimhautschädigungen im oberen Gastrointestinaltrakt. Typischerweise finden sich diese akuten Läsionen bei Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen, insbesondere nach Verbrennungen sowie nach schweren traumatischen Ereignissen. Unter diesem Oberbegriff sind u. a. die akute hämorrhagische Gastritis, das akute Ulkus und auch akute Erosionen zusammengefasst. Historisch hat man das sog. »Curling-Ulkus« beschrieben, das in Zusammenhang mit Verbrennungen im Duodenum auftritt, sowie das »Cushing-Ulkus«, das in Zusammenhang mit Verletzungen oder Erkrankungen des ZNS beobachtet wird (Pruitt et al. 1970). Pathogenetisch wichtig für die Entstehung dieser Läsionen sind eine Schleimhauthypoxie und Minderperfusion der Magenmukosa, die durch Hypotension, venöse Stase und Vasospasmen ausgelöst wird (Rosen et al. 1992). Als weitere pathogenetisch wichtige Mechanismen wurden eine gesteigerte Permeabilität der Magenschleimhaut, ein vermehrter gastroduodenaler Reflux, eine gesteigerte Histaminfreisetzung sowie ein akutes Energiedefizit in der Schleimhaut erwogen. Klinische Symptomatologie. Stressulzera werden in 5–25% der Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen beobachtet.
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Endoskopisch werden folgende Lokalisationen unterschieden (Rosen et al. 1992; Cook et al. 1994, 1996; Tryba u. Cook 1997): 4 60% sind Ulcera ventriculi, wobei das Antrum meist ausgespart bleibt. Die Ulzerationen sind in der Regel kleiner als 2 cm, und an mehreren Stellen im Magen sichtbar. 4 30% sind Ulcera duodeni. 4 In 10% der Fälle finden sich gleichzeitig Läsionen in Magen und Duodenum.
Sekret aus der Magensonde. Nicht-intubierte Patienten klagen meist über Oberbauchschmerzen, die im epigastrischen Bereich lokalisiert sind und nicht in den Rücken ausstrahlen. Diagnostisch entscheidend ist dann die endoskopische Untersuchung des Patienten, die mit großzügiger Indikationsstellung durchgeführt werden sollte, da diese bei einer Blutung gleichzeitig auch interventionelle Maßnahmen wie Unterspritzung oder Clipping bietet.
In 5–15% der Fälle kommt es zu klinisch relevanten Schleimhautblutungen aus diesen Läsionen, die zu bedrohlichen Blutverlusten und Kreislaufinstabilitäten führen. Allerdings können die Ulzera unter entsprechender Therapie rasch abheilen und Blutungen ggf. endoskopisch gestillt werden (Rosen et al. 1992). Die H.-pylori-Infektion hat in diesem Zusammenhang keinen Einfluss auf Entwicklung oder Blutungsneigung der Ulzera (Schilling et al. 2000).
Therapie. Bei den meisten Patienten ist primär eine Optimierung der intensivmedizinischen Maßnahmen notwendig. Dazu zählen der Ausgleich eines Volumenmangelschocks durch Flüssigkeitsgaben, eine optimierte Beatmung und Schmerztherapie, sowie eine frühzeitige enterale Ernährung. Sind Ulzera sichtbar und liegt gleichzeitig eine Helicobacter-pylori-Infektion vor, sollte primär eine Eradikation erfolgen. Ist der Patient H.-pylori-negativ, erfolgt eine antisekretorische Therapie mit Histamin-H2-Rezeptorantagonisten (H2-RA, z. B. Pepdul 2×20–40 mg i.v.) oder Protonenpumpenhemmern (PPI, z. B. Pantoprazol 2×20–40 mg i.v.) während des Intensivaufenthaltes. Bei Auftreten von Ulzera, die trotz endoskopischer Blutstillung wiederholt bluten, kann die PPI-Dosis auf bis zu 240 mg pro Tag i.v. (80 mg Bolus, 8 mg/h Dauerinfusion, z. B. mit Omeprazol pro Infusione) gesteigert werden, was die Abheilung der Läsionen signifikant beschleunigt (Lau et al. 2000).
Eine prophylaktische Eradikation von H. pylori bei Intensivpatienten ist daher nicht gerechtfertigt.
Risikofaktoren. Die pathogenetischen Mechanismen, die zum
Stressulkus führen, sind nicht eindeutig geklärt. Allerdings gibt es eine Reihe von ursächlichen Faktoren, die in diesem Zusammenhang beschrieben wurden und daher als Risikofaktoren charakterisiert wurden (Rosen et al. 1992;Cook et al. 1994; Tryba u. Cook 1997; Tryba 1987). Diese sind in der 7 Übersicht zusammengefasst (Cook et al. 1994). Verbrennungen, Schädelhirntraumen und neurochirugische Eingriffe sind als wesentliche Risikofaktoren zu nennen. Verbrennungen führen insbesondere dann zu Stress Ulzerationen, wenn septische Komplikationen vorliegen (Pruitt et al. 1970). Auch nach akutem Nieren- und Leberversagen werden Stressläsionen beobachtet. Bei Patienten mit schweren Verbrennungen liegt die Häufigkeit von Stressulzera 4–6 Tage nach dem Ereignis bei etwa 25%, 75% der Opfer hatten erosive Veränderungen im Magen (Pruitt et al. 1970). Risikofaktoren einer Stressulkusentstehung 5 Trauma – Polytraumata – Schädelhirntrauma, Herz- und neurochirurgische Eingriffe – Ausgedehnte Verbrennungen, insbesondere mit septischen Komplikationen – Sepsis 5 Aufenthalt auf der Intensivstation mit Organversagen – ARDS – Nierenversagen – Leberversagen mit Enzephalopathie 5 Zusätzliche Risikofaktoren – Alter >70 Jahre – Portale Hypertension bei Alkoholabusus – Koagulopathie
Prophylaxe. Eine generelle Prophylaxe von Stressulzera kann aufgrund der allgemein seltenen Inzidenz schwerer Nebenwirkungen wie Blutung oder Perforation in einem Gesamtkollektiv der Patienten einer chirurgischen Intensivstation nicht empfohlen werden (Tryba u. Cook 1997; Devlin et al. 1998). Klinische Studien haben allerdings erwiesen, dass Stressulzera unter den oben erwähnten Risikobedingungen besonders häufig sind und daher insbesondere in diesen Risikogruppen einer Primärprophylaxe bedürfen. Als pharmakologische Maßnahmen zur Primärprophylaxe stehen die in . Tab. 27.4 genannten Medikamente bei diesen Risikopatienten zur Verfügung (Zulassung für diese Indikationsstellung in Deutschland). . Tabelle 27.4. Medikamente für die Primärprophylaxe bei Risikopatienten
Medikament
Dosierung
Säuresekretionshemmer PPI, z. B. Omeprazol (Antra)
40 mg/Tag i.v.
PPI, z. B. Pantoprazol (Pantozol)
40 mg Tag i.v.
H2-RA, z. B. Ranitidin (Zantic)
150–300 mg/Tag i.v.
H2-RA, z. B. Famotidin (Pepdul)
2×20 mg/Tag i.v.
Schleimhautprotektiva Sucralfat (z. B. Ulcogant)
4×1 g per Magensonde
Antazida (z. B. Magnesium- und Aluminiunhydroxid, Maalox)
Antazida 4–6 Btl. per Magensonde
Azetylcholin-Rezeptorantagonisten
Diagnostik. Im Vordergrund steht die klinische Beobachtung
des Patienten. Richtungsweisend am intubierten Patienten ist der Hb- oder RR-Abfall sowie der Teerstuhl oder das hämatinisierte
Pirenzepin (M1-Rezeptorantagonist, z. B. Gatrozepin)
2×25–50 mg i.v.
341 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
In Metaanalysen wurde die Effizienz der H2-RA (z. B. Ranitidin oder Cimetidin) zur Stressulkusprophylaxe an einem randomisierten Patientengut verschiedener Intensivstationen nachgewiesen (Book et al. 1996; Zuckerman u. Shuman 1987; Cook 1995). Dabei lag die mittlere Blutungsinzidenz in der Plazebogruppe zwischen 10–15%, in der Gruppe mit H2-RA-Therapie bei 2,7% (Zuckerman u. Shuman 1987). Neuere Studien zeigen eindeutig, dass H2-RA der Behandlung mit Sucralfat überlegen sind (1,7% Blutung versus 3,8% Blutung). Ein besonderer Vorteil des M1-Rezeptor-Antagonisten Pirenzepin liegt darin, dass es die Viskosität des Magenschleims nicht beeinflusst (Takakura et al. 1994). Prostaglandinanaloga wie Misoprostol (Cytotect) werden für die Therapie von peptischen Ulzera und der NSAR-induzierten Gastropathie erfolgreich verwendet (Walt 1992), sind jedoch bei dieser Indikationsstellung nicht vergleichend analysiert worden; dieses Präparat stellt im Gegensatz zu Pirenzepin auch keinen Therapiestandard bei der Primär- oder Sekundärprophylaxe der Stressulzera dar. Omeprazol in einer Dosierung von 40 mg pro Tag ist der Gabe von Ranitidin 300 mg pro Tag hinsichtlich der Verhinderung von Stressulzera überlegen und steigert den intragastrischen pH auf über 4 bei 96% der Patienten (Ranitidin: 43% pH>4; Lasky et al. 1998). Omeprazol senkt auch die Inzidenz der gastrointestinalen Blutung deutlicher als die Behandlung mit H2-RA, wie eine andere Studie zeigt (Levy et al. 1997): In der OmeprazolGruppe (40 mg/Tag) traten Blutungen nur bei 6% auf, dagegen bei 31% in der Ranitidin Gruppe (300 mg/Tag).
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Levy MJ, Seelig CB, Robinson NJ, Ranney JE (1997) Comparison of omeprazole and ranitidine for stress ulcer prophylaxis. Dig Dis Sci 42:1255 Pruitt BAJ, Foley FD, Moncrief JA (1970) Curling’s ulcer: a clinical-pathology study of 323 cases. Ann Surg 172:523 Rosen HR, Vlahakes GJ, Rattner DW (1992) Fulminant peptic ulcer disease in cardiac surgical patients: pathogenesis, prevention, and management. Crit Care Med 20:354 Schilling D, Haisch G, Sloot N, Jakobs R, Saggau W, Riemann JF (2000) Low seroprevalence of Helicobacter pylori infection in patients with stress ulcer bleeding – a prospective evaluation of patients on a cardiosurgical intensive care unit. Intensive Care Med 26:1832–1836 Takakura K, Harada J, Mizogami M, Goto Y (1994) Prophylactic effects of pirenzepine (M1-blocker) on intraoperative stress ulcer: comparison with an H2-blocker. Anesth Analg 78:84 Tryba M (1987) Risk of acute stress bleeding and nosocomial pneumonia in ventilated intensive care unit patients: sucralfate versus antacids. Am J Med 83:117 Tryba M, Cook D (1997) Current guidelines on stress ulcer prophylaxis. Drugs 54:581 Walt RP (1992) Misoprostol for the treatment of peptic ulcer and antiinflammatory-drug-induced gastroduodenal ulceration. N Engl J Med 327:1575 Zuckerman GR, Shuman R (1987) Therapeutic goals and treatment options for prevention of stress ulcer syndrome. Am J Med 83:29
27.5
PPI sind als Standard in der Primärprophylaxe der Stressulzera bei Hochrisikopatienten anzusehen, allerdings etwas teuerer als die Behandlung mit H2-RA.
Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie A.H. Hölscher, E. Bollschweiler
) )
Als Substanzen stehen Omeprazol pro infusione (40 mg/Tag, pH 9, zentralvenöse Injektion, Stabilität maximal 4 h) oder Pantozol pro injectione (40 mg 1×/Tag) zur Verfügung. Alternativ kann auch Antra MUPS (40 mg) über eine Magensonde appliziert werden.
Literatur Cook DJ (1995) Stress ulcer prophylaxis: gastrointestinal bleeding and nosocomial pneumonia. Best evidence synthesis. Scand J Gastroenterol Suppl 210:48–52 Cook DJ, Fuller HD, Guyatt GH et al. (1994) Risk factors for gastrointestinal bleeding in critically ill patients. Canadian Critical Care Trials Group. N Engl J Med 330:377 Cook DJ, Reeve BK, Guyatt GH et al. (1996) Stress ulcer prophylaxis in critically ill patients. Resolving discordant meta-analyses. JAMA 275: 308 Devlin JW, Ben-Menachem T, Ulep SK, Peters MJ, Fogel RP, Zarowitz BJ (1998) Stress ulcer prophylaxis in medical ICU patients: annual utilization in relation to the incidence of endoscopically proven stress ulceration. Ann Pharmacother 32:869 Lasky MR, Metzler MH, Phillips JO (1998) A prospective study of omeprazole suspension to prevent clinically significant gastrointestinal bleeding from stress ulcers in mechanically ventilated trauma patients. J Trauma 44:527 Lau JY, Sung JJ, Lee KK et al. (2000) Effect of intravenous omeprazole on recurrent bleeding after endoscopic treatment of bleeding peptic ulcers. N Engl J Med 343:310–316
Durch die Erfolgsbilanz der Protonenpumpenhemmer und der Helicobacter-pylori-Eradikation sind elektive Operationen gastroduodenaler Ulzera in den 90er-Jahren stark zurückgegangen. Die verbleibenden Indikationen zur elektiven Operation beschränken sich auf die kleine Gruppe von Helicobacter-pylorinegativen Patienten, bei denen trotz Dosissteigerung der Säurehemmer oder wegen fehlender Patienten-Compliance keine Abheilung des Ulcus ventriculi zu erzielen ist. Wenn der Verdacht auf ein Malignom besteht, der Leidensdruck durch häufige Rezidive zu groß wird oder drohenden Komplikationen vorgebeugt werden soll, ist ferner die Indikation zur elektiven Ulkuschirurgie gegeben. Die Magenresektion nach Billroth I ist das Verfahren der Wahl beim Ulcus ventriculi. Die alternativen Vagotomieverfahren sind hier mit hohen Rezidivraten belastet. Die Gastroduodenostomie erhält die Duodenalpassage und hat im Vergleich zu anderen Rekonstruktionsverfahren ein geringeres Spektrum an Nebenwirkungen. Ist eine spannungsfreie Rekonstruktion nach Billroth I nicht möglich, wird eine Gastrojejunostomie nach Roux-Y- oder Billroth-II-Resektion mit Braun-Fußpunktanastomose ausgeführt. Bei pylorischen oder präpylorischen Ulzera sollte wegen der Hyperazidität zusätzlich eine selektiv gastrale Vagotomie hinzugefügt werden. Obwohl Magenresektionen auch laparoskopisch ausgeführt werden können, ist das offene Vorgehen als das Standardverfahren anzusehen. Wegen der geringen Operationsfrequenz werden sich randomisierte Studien mit dem Vergleich beider Techniken in kalkulierbaren Zeiträumen nicht mehr ausführen lassen.
341 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
In Metaanalysen wurde die Effizienz der H2-RA (z. B. Ranitidin oder Cimetidin) zur Stressulkusprophylaxe an einem randomisierten Patientengut verschiedener Intensivstationen nachgewiesen (Book et al. 1996; Zuckerman u. Shuman 1987; Cook 1995). Dabei lag die mittlere Blutungsinzidenz in der Plazebogruppe zwischen 10–15%, in der Gruppe mit H2-RA-Therapie bei 2,7% (Zuckerman u. Shuman 1987). Neuere Studien zeigen eindeutig, dass H2-RA der Behandlung mit Sucralfat überlegen sind (1,7% Blutung versus 3,8% Blutung). Ein besonderer Vorteil des M1-Rezeptor-Antagonisten Pirenzepin liegt darin, dass es die Viskosität des Magenschleims nicht beeinflusst (Takakura et al. 1994). Prostaglandinanaloga wie Misoprostol (Cytotect) werden für die Therapie von peptischen Ulzera und der NSAR-induzierten Gastropathie erfolgreich verwendet (Walt 1992), sind jedoch bei dieser Indikationsstellung nicht vergleichend analysiert worden; dieses Präparat stellt im Gegensatz zu Pirenzepin auch keinen Therapiestandard bei der Primär- oder Sekundärprophylaxe der Stressulzera dar. Omeprazol in einer Dosierung von 40 mg pro Tag ist der Gabe von Ranitidin 300 mg pro Tag hinsichtlich der Verhinderung von Stressulzera überlegen und steigert den intragastrischen pH auf über 4 bei 96% der Patienten (Ranitidin: 43% pH>4; Lasky et al. 1998). Omeprazol senkt auch die Inzidenz der gastrointestinalen Blutung deutlicher als die Behandlung mit H2-RA, wie eine andere Studie zeigt (Levy et al. 1997): In der OmeprazolGruppe (40 mg/Tag) traten Blutungen nur bei 6% auf, dagegen bei 31% in der Ranitidin Gruppe (300 mg/Tag).
27
Levy MJ, Seelig CB, Robinson NJ, Ranney JE (1997) Comparison of omeprazole and ranitidine for stress ulcer prophylaxis. Dig Dis Sci 42:1255 Pruitt BAJ, Foley FD, Moncrief JA (1970) Curling’s ulcer: a clinical-pathology study of 323 cases. Ann Surg 172:523 Rosen HR, Vlahakes GJ, Rattner DW (1992) Fulminant peptic ulcer disease in cardiac surgical patients: pathogenesis, prevention, and management. Crit Care Med 20:354 Schilling D, Haisch G, Sloot N, Jakobs R, Saggau W, Riemann JF (2000) Low seroprevalence of Helicobacter pylori infection in patients with stress ulcer bleeding – a prospective evaluation of patients on a cardiosurgical intensive care unit. Intensive Care Med 26:1832–1836 Takakura K, Harada J, Mizogami M, Goto Y (1994) Prophylactic effects of pirenzepine (M1-blocker) on intraoperative stress ulcer: comparison with an H2-blocker. Anesth Analg 78:84 Tryba M (1987) Risk of acute stress bleeding and nosocomial pneumonia in ventilated intensive care unit patients: sucralfate versus antacids. Am J Med 83:117 Tryba M, Cook D (1997) Current guidelines on stress ulcer prophylaxis. Drugs 54:581 Walt RP (1992) Misoprostol for the treatment of peptic ulcer and antiinflammatory-drug-induced gastroduodenal ulceration. N Engl J Med 327:1575 Zuckerman GR, Shuman R (1987) Therapeutic goals and treatment options for prevention of stress ulcer syndrome. Am J Med 83:29
27.5
PPI sind als Standard in der Primärprophylaxe der Stressulzera bei Hochrisikopatienten anzusehen, allerdings etwas teuerer als die Behandlung mit H2-RA.
Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie A.H. Hölscher, E. Bollschweiler
) )
Als Substanzen stehen Omeprazol pro infusione (40 mg/Tag, pH 9, zentralvenöse Injektion, Stabilität maximal 4 h) oder Pantozol pro injectione (40 mg 1×/Tag) zur Verfügung. Alternativ kann auch Antra MUPS (40 mg) über eine Magensonde appliziert werden.
Literatur Cook DJ (1995) Stress ulcer prophylaxis: gastrointestinal bleeding and nosocomial pneumonia. Best evidence synthesis. Scand J Gastroenterol Suppl 210:48–52 Cook DJ, Fuller HD, Guyatt GH et al. (1994) Risk factors for gastrointestinal bleeding in critically ill patients. Canadian Critical Care Trials Group. N Engl J Med 330:377 Cook DJ, Reeve BK, Guyatt GH et al. (1996) Stress ulcer prophylaxis in critically ill patients. Resolving discordant meta-analyses. JAMA 275: 308 Devlin JW, Ben-Menachem T, Ulep SK, Peters MJ, Fogel RP, Zarowitz BJ (1998) Stress ulcer prophylaxis in medical ICU patients: annual utilization in relation to the incidence of endoscopically proven stress ulceration. Ann Pharmacother 32:869 Lasky MR, Metzler MH, Phillips JO (1998) A prospective study of omeprazole suspension to prevent clinically significant gastrointestinal bleeding from stress ulcers in mechanically ventilated trauma patients. J Trauma 44:527 Lau JY, Sung JJ, Lee KK et al. (2000) Effect of intravenous omeprazole on recurrent bleeding after endoscopic treatment of bleeding peptic ulcers. N Engl J Med 343:310–316
Durch die Erfolgsbilanz der Protonenpumpenhemmer und der Helicobacter-pylori-Eradikation sind elektive Operationen gastroduodenaler Ulzera in den 90er-Jahren stark zurückgegangen. Die verbleibenden Indikationen zur elektiven Operation beschränken sich auf die kleine Gruppe von Helicobacter-pylorinegativen Patienten, bei denen trotz Dosissteigerung der Säurehemmer oder wegen fehlender Patienten-Compliance keine Abheilung des Ulcus ventriculi zu erzielen ist. Wenn der Verdacht auf ein Malignom besteht, der Leidensdruck durch häufige Rezidive zu groß wird oder drohenden Komplikationen vorgebeugt werden soll, ist ferner die Indikation zur elektiven Ulkuschirurgie gegeben. Die Magenresektion nach Billroth I ist das Verfahren der Wahl beim Ulcus ventriculi. Die alternativen Vagotomieverfahren sind hier mit hohen Rezidivraten belastet. Die Gastroduodenostomie erhält die Duodenalpassage und hat im Vergleich zu anderen Rekonstruktionsverfahren ein geringeres Spektrum an Nebenwirkungen. Ist eine spannungsfreie Rekonstruktion nach Billroth I nicht möglich, wird eine Gastrojejunostomie nach Roux-Y- oder Billroth-II-Resektion mit Braun-Fußpunktanastomose ausgeführt. Bei pylorischen oder präpylorischen Ulzera sollte wegen der Hyperazidität zusätzlich eine selektiv gastrale Vagotomie hinzugefügt werden. Obwohl Magenresektionen auch laparoskopisch ausgeführt werden können, ist das offene Vorgehen als das Standardverfahren anzusehen. Wegen der geringen Operationsfrequenz werden sich randomisierte Studien mit dem Vergleich beider Techniken in kalkulierbaren Zeiträumen nicht mehr ausführen lassen.
342
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.5.1 Therapieziele und Indikationsstellung
27
Erstes Therapieziel der elektiven Operation beim Ulcus ventriculi ist die Resektion des bestehenden Geschwürs und gleichzeitige Rezidivprophylaxe durch 2/3-Resektion mit Entfernung des Locus minoris resistentiae an der kleinen Kurvatur. Zweites Ziel ist die sichere und möglichst physiologische Wiederherstellung des Magen-/Darmpassage mit Vermeidung von Folgezuständen. Die elektive chirurgische Therapie des peptischen Ulkus ist durch die effektiven konservativen Behandlungsmethoden stark in den Hintergrund gedrängt worden (Paimela 2004). Der elektiven Chirurgie eines chronischen peptischen Geschwürs geht ein langfristig angelegter konservativer Behandlungsversuch voraus. Indikationen für eine elektive Operation eines Ulcus ventriculi 5 Hoher Leidensdruck des Patienten bei Therapieresistenz mit mangelnder Ulkusabheilung oder häufigen Rezidiven 5 Schlechte Patienten-Compliance 5 Malignomverdacht 5 Prävention drohender Ulkuskomplikationen (Blutung, Perforation, Magenausgangsstenose)
27.5.2 Chirurgische Strategie Ziel der elektiven operativen Behandlung des Ulcus ventriculi ist die definitive Ausheilung der Ulkuskrankheit. Fast ausschließlich werden distale Magenresektionen vorgenommen. Sie werden je nach Ausdehnung als Antrum-, 2/3-, 4/5- oder subtotale Resektionen ausgeführt. Unabhängig vom Ausmaß der Resektion wird die distale Magenresektion nach der Art der Anastomosierung des Magenrestes mit dem Dünndarm bezeichnet. Obwohl die Resektionsverfahren ohne Überlegungen zum Wirkungsmechanismus von der Karzinomchirurgie in die Ulkuschirurgie übernommen worden sind, erscheinen die pathophysiologischen Grundlagen der Resektion akzeptabel und geeignet, die therapeutische Effektivität dieses Prinzips zu erklären. Bei der Resektion werden die Belegzellmasse durch Entfernung eines Teils von Korpus und Fundus reduziert und das Antrum als Bildungsort des Gastrins entfernt. Im Falle eines Ulcus ventriculi eliminiert die Resektion den Ort der Ulkusprädilektion an der Antrum-Korpus-Grenze kleinkurvaturseits zusammen mit dem Magengeschwür. Durch Skelettierung der kleinen Kurvatur über die Resektionsgrenze hinaus wird der Magenrest teil-
weise vagotomiert. Nach der Resektion werden die Basalsekretion (BAO) und die maximale Sekretion (MAO) nach Pentagastrinsimulation jeweils um ca. 85% reduziert. Der mediane pH, gemessen mit der intragastralen 24-Stunden-pH-Metrie wird durch die 2/3-Magenresektion von 2 auf 5–6 angehoben (Hölscher 1993, 1996). Die Vagotomie führt nur zur Säurereduktion. Die vagotomiebedingte Verminderung der Magenwanddurchblutung, die Motilitätsveränderungen und die Reduktion der Schleimproduktion sind beim Ulcus ventriculi eher unerwünscht. Zudem ist die Vagotomie beim typischen, an der Antrum-Korpus-Grenze der kleinen Kurvatur lokalisierten Ulcus ventriculi wegen lokaler Entzündungen oder Ulkuspenetration technisch z. T. schwierig. Nicht immer kann die Antruminnervation sicher geschont werden, sodass eine Pyloroplastik notwendig werden kann. Eine Pyloroplastik ist aber beim Ulcus ventriculi unerwünscht, da sie einen duodenogastralen Reflux mit seinen möglichen Folgen initiieren oder verstärken kann. 27.5.3 Verfahrenswahl Hier muss die Wahl zwischen den Resektionen vom Typ Billroth I bzw. II und Billroth II mit Roux-Y-Rekonstruktion getroffen werden. Alle 3 Verfahren haben heute einen hohen Sicherheitsstandard erreicht. Die postoperative Letalität dieser 3 Resektionen ist nach den gültigen Leistungsziffern ab 1980 mit weniger als 1% gleich (. Tab. 27.5). Insbesondere nach älteren Statistiken scheinen die Letalität und die allgemeinen postoperativen Komplikationen der resezierenden Verfahren beim Ulcus ventriculi geringgradig höher als beim Ulcus duodeni zu liegen. Dies hängt damit zusammen, dass Patienten mit Magengeschwür im Schnitt ca. 10 Jahre älter sind und mehr Zweiterkrankungen aufweisen. Anastomoseninsuffizienz und Nachblutung sind beim Billroth I selten geworden (. Tab. 27.6). In gleicher Weise ist das früher beim Billroth II als Nachteil angesehene Risiko einer Duodenalstumpfinsuffizienz bei dem heute üblichen maschinellen Verschluss äußerst gering. Für das Ulcus ventriculi ergeben sich hinsichtlich der Rezidivulkusquoten keine signifikanten Unterschiede zwischen Billroth I und Billroth II (. Tab. 27.7). Die Roux-Y-Modifikation von Billroth II ist hinsichtlich des Operationsrisikos und der postoperativen Komplikationen mit der Billroth I bzw. der Original-Billroth-II-Resektion gleichzusetzen. Sie weist nach älteren Statistiken Ulkusrezidive zwischen 8 und 15% auf (Kennedy u. Green 1978; Menguy u. Chey 1980; Nielsen et al. 1974). Aus diesem Grund konnte sich dieses Ver-
. Tabelle 27.5. Postoperative Letalität nach Billroth-I-, Billroth-II- bzw. Roux-Y-Magenresektion wegen Ulcera ventriculi bzw. duodeni (Quellen: Hölscher 2002)
Billroth I
Billroth II
Roux Y
Studien
Patientenzahl
∅ (%)
Studien
Patientenzahl
∅ (%)
Studien
Patientenzahl
∅ (%)
Bis 1970
5
2167
2,5
3
952
3,6
–
–
–
1971–1980
6
1812
1,3
2
270
4,4
–
–
–
Nach 1980
7
700
0,7
1
418
0,7
5
178
0,6
27
343 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
. Tabelle 27.6. Komplikationen nach Billroth-I-, Billroth-II- bzw. Roux-Y-Magenresektion wegen Ulcera ventriculi bzw. duodeni (Quellen: Hölscher 2002)
Studien
Patientenzahl
Billroth I
9
4457
Billroth II
2
Billroth I
Atonie/Stenose (%)
Nahtinsuffizienz/Peritonitis (%)
Nachblutung (%)
3,8
1,7
2,3
208
3,4
2,5
1,9
4
550
10,2
1,6
2,6
Billroth II
1
418
5,0
2,4
4,5
Roux-Y
4
310
10,0
2,6
2,5
1971–1980
Nach 1980
. Tabelle 27.7. Rezidivulkusraten nach Billroth-I- und Billroth-II-Magenresektion und proximal gastrischer Vagotomie (PGV) wegen Ulcus ventriculi. Nachuntersuchungen bis 5 Jahre postoperativ (Quellen: Hölscher 2002)
Studien
Patientenzahl
∅ (%)
Studien
Patientenzahl
∅ (%)
Studien
Patientenzahl
∅ (%)
Studien
Patientenzahl
∅ (%)
Bis 1970
9
1833
3,1
5
1313
1,6
–
–
–
1
–
14,3
1971–1980
8
940
2,9
3
320
6,6
–
–
–
4
150
15,3
Nach 1980
9
984
2,5
3
484
1,5
10
411
3,1
7
960
12,0
. Tabelle 27.8. Prospektiv randomisierte Studien zum Rekonstruktionsverfahren nach Magenresektion wegen Ulcus ventriculi
Studien
Pääkonen et al. 1987
Haglund 1990
Hölscher 1991a
Ulcus-ventriculi-Typ
Pylorisch, präpylorisch
Präpylorisch (Johnson-Typ III)
Johnson-Typ I
Resektion
Antrektomie + SGV
Antrektomie + SGV
2/3-Magenresektion
Rekonstruktion
Billroth I
Roux Y
Billroth I
Roux Y
Billroth I
n
19
21
57
64
23
23
Klinikletalität (n)
0
0
1
0
0
0
Anastomoseninsuffizienz (n)
0
0
2
1
0
0
58
24
10
11
–
–
Nachbeobachtung (Jahre) ∅
1
1
2,2
2,6
5,6
4,9
Rezidivulkus (%)
0
0
1,7
1,5
93
93
Postoperative Magenretention (%)
Visick I + II (%) a
75
81
13b 96
Roux Y
4,3 100
ergänzt 1994, b asymptomatisch
fahren als chirurgische Primärmaßnahme nicht durchsetzen (Menguy u. Chey 1980). Schon früh wurde die ulzerogene Wirkung der Roux-Y-Rekonstruktion im Tierexperiment nachgewiesen (Exalto 1910). Sie korreliert mit der Länge der Roux-YSchlinge (Arlt et al. 1984). Beim Ulkus vom Johnson-Typ I zeigte eine kontrollierte Studie bei gleichem Resektionsausmaß gleich große Rezidivulkusraten zwischen der Billroth-I-Resektion und der Magenre-
sektion mit Roux-Y-Rekonstruktion (. Tab. 27.8; Hölscher u. Siewert 1991). Bei präpylorischen Ulzera, die in der Regel mit Hyperazidität einhergehen, sollte die Magenresektion mit einer selektiv gastralen Vagotomie (SGV) kombiniert werden. Unter diesen Bedingungen wiesen die beiden kontrollierten Studien ebenfalls gleiche Rezidivulkusraten zwischen Billroth I- und Roux-Y-Verfahren auf (. Tab. 27.8). In unkontrollierten Studien ohne diese
344
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Differenzierung der Ulkustypen und ohne entsprechende Ergänzung durch SGV ist die Rezidivulkusrate der Roux-Y-Rekonstruktion beim Ulcus ventriculi etwas höher als bei der Billroth-Ioder Billroth-II.Resektion (. Tab. 27.7). Nach den von Emås publizierten 10-Jahres-Ergebnissen einer kleinen randomisierten Studie zum Vergleich proximal-gastrischer Vagotomie (PGV) mit Ulkusexzision versus BI-Resektion beim Ulcus ventriculi Johnson-Typ I waren die Rezidive mit 3 von 15 in der Vagotomie- und 2 von 14 in der Resektionsgruppe nicht signifikant unterschiedlich (Emås u. Fenstroem 1985). Auch die Visick-Klassifikation und die Rate an Dumpingsymptomatik waren nach 10 Jahren nicht different. Aufgrund der wenigen Daten ist die PGV mit Ulkusexzision für diesen Ulkustyp jedoch nicht generell zu empfehlen und nur in Ausnahmefällen als Alternative zur Resektion anzusehen. Präpylorisches Ulkus. Einen Sondertyp des Ulcus ventriculi stellt das präpylorische Ulkus dar. Solche Ulzera befinden sich definitionsgemäß in einem Abstand von bis zu 3 cm oral des Pylorus. Rezidivraten nach PGV sind hier besonders hoch. In einem Beobachtungszeitraum von 5–8 Jahren betrugen sie zwischen 12 und 44% (Becker et al. 1982; Ornsholt et al. 1983). Eine schlüssige pathophysiologische Erklärung für diesen Befund gibt es nicht, jedoch scheinen die Hyperazidität und Probleme der Magenentleerung eine Bedeutung zu haben. Wird aber die Vagotomie mit einer Antrektomie kombiniert, so ist die Rezidivrate dagegen außerordentlich gering.
27.5.4 Operationstechnik Distale Magenresektion Typ Billroth I Zugang. Als Zugang empfiehlt sich in der Regel die mediane obere Laparotomie. Auch von einem supraumbilikalen Querschnitt aus ist die Resektion übersichtlich ausführbar. Skelettierung des Magens. Sie beginnt in der Mitte der großen
Kurvatur mit der Durchtrennung des Lig. gastrocolicum und der damit verbundenen Eröffnung der Bursa omentalis (. Abb. 27.3). Die Skelettierung kann beim Ulcus ventriculi zwischen den Vasa gastroepiloica und der Magenwand selbst erfolgen. Pyloruswärts wird der gastrale Ansatz des großen Netzes breiter und teilt sich in ein vorderes und hinteres Blatt, die möglichst einzeln durchtrennt werden sollten. Dabei empfiehlt es sich, zunächst stumpf im lockeren Zwischengewebe weiter duodenalwärts zu präparieren und die gefäßführenden Anteile dann isoliert zu versorgen. Präparation und Mobilisation des Duodenums (. Abb. 27.3).
Die periduodenale Skelettierung des oberen freien Anteils des Duodenums wird nach einem Kocher-Manöver so fortgesetzt, dass man unter Anspannen des Magens zunächst in Fortsetzung der großen Magenkurvatur die linke mediale Duodenalwand, dann die Hinterwand und schließlich von oben kleinkurvaturwärts die laterale Duodenalwand bis zum Ansatz des Lig. hepatoduodenale freilegt. Auf diese Weise können etwa 3–5 cm Duodenalhinterwand – beim Ulcus ventriculi meist ohne technische Schwierigkeiten – gewonnen werden. Den Übergang vom freien oberen Duodenum zum dorsal am Pankreas fixierten Anteil erkennt man am Verlauf der A. gastroduodenalis. An dieser Stelle geht die Serosa auf den Pankreaskopf über. Hier muss die Präpa-
C
B
A
. Abb. 27.3. Magenresektion Typ Billroth I. Die Resektionsgrenzen sind oral 5 cm distal des His-Winkels im Bereich der kleinen Kurvatur bzw. an der großen Kurvatur im Bereich des proximalen Drittels des Versorgungsgebiets der A. gastroepiploica dextra, aboral 2 cm postpylorisch zu wählen. Die Skelettierung des Magens beginnt im Bereich der großen Kurvatur (A). Als nächster Schritt erfolgt die Präparation des Duodenums (B). Zu diesem Zweck muss der peritonale Überzug lateral des Duodenums zwischen dem unteren Duodenalknie und dem Ansatz des Lig. hepatoduodenale gespalten werden. Schließlich wird die Skelettierung des Magens entlang der kleinen Kurvatur nach oralwärts fortgesetzt (C). Die Ligatur der A. gastrica sinistra erfolgt distal ihres Scheitelbogens. Nach Entfernung des Resektats wird die Anastomosierungsebene rechtwinklig zur großen Kurvatur festgelegt
ration besonders sorgfältig sein, da die Erhaltung der Arterie für die Durchblutung des Duodenums von Wichtigkeit ist. Skelettierung der kleinen Kurvatur. Nach allseitiger Mobilisie-
rung des Duodenums wird die Skelettierung entlang der kleinen Kurvatur nach oralwärts so weit fortgesetzt, bis man ein ausreichendes Areal unverbrauchter Magenwand präpariert hat. Die Ligatur der A. gastrica sinistra erfolgt distal ihres Scheitelbogens unmittelbar an der kleinen Kurvatur. Magenresektion. Das Duodenum wird 1–2 cm postpylorisch abgesetzt und nach Hochschlagen des Magens die Resektionsgrenze im Korpusbereich festgelegt. Das Absetzen selbst erfolgt am besten mit einem langen linearen Klammernahtgerät. Nach Entfernung des Resektates wird der mit der Klammernaht verschlossene Magenrest zum Duodenum geführt und der spitzwinkelige aborale Anteil rechtwinkelig zur großen Kurvatur so abgesetzt, dass das Magenlumen dem Duodenallumen entspricht. Gastroduodenostomie. Die Anastomose wird als Gastroduodenostomia oralis partialis inferior angelegt. Die Nahttechnik im Bereich der Hinterwand ist die allschichtige, schleimhautadaptierende Rückstichnaht, die an der Kleinkurvaturseite begonnen wird. Die Vorderwand wird abschließend einreihig allschichtig – die Mukosa tangential fassend – mit Einzelknopfnähten versorgt. Die genannte Anastomose kann auch in fortlaufender
345 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
27
. Abb. 27.4. Magenresektion Typ Billroth I. Die Gastroduodenostomie muss spannungsfrei zu liegen kommen. Die Bursa omentalis wird durch die Wiederanheftung des Netzes verschlossen
Nahttechnik ausgeführt werden (Demartines et al. 1991). Abschließend werden die Anastomosen auf ihre Durchgängigkeit palpiert und die Lage der Magensonde über die Anastomose hinweg überprüft. Die Bursa omentalis wird durch Wiederanheftung des großen Netzes verschlossen (. Abb. 27.4). Das Operationsgebiet muss nicht grundsätzlich drainiert werden. Gastroduodenostomia terminolateralis. Bei sehr schwierigen
narbigen Verhältnissen am Duodenum kann es günstiger erscheinen, den Duodenalstumpf mit einem Klammernahtgerät zu versorgen und die Intestinalpassage durch eine End-zu-Seit-Anastomose (Gastroduodenostomia terminolateralis) wiederherzustellen. Zu diesem Zweck wird der Magen in gleicher Weise, wie oben beschrieben, abgesetzt, das präparierte Magenlumen wird aber nun auf die Vorderwand des Duodenums genäht. Das Magenlumen wird nach Verschluss des Duodenalstumpfes mit der Vorderwand des Duodenums anastomosiert. Die Inzision an der Duodenalvorderwand erfolgt leicht schräg. Die Nahttechnik ist dieselbe wie bei der terminoterminalen Anastomose (Hinterwand mit Rückstich; Vorderwand einreihig allschichtig extramukös oder in fortlaufender Technik). Gerade bei technisch schwierigen Duodenalstumpfverschlüssen eignet sich dieses Verfahren zur zusätzlichen Deckung des Stumpfes mit der Magenhinterwand. Distale Magenresektion Typ Billroth II Die Entscheidung zugunsten der alternativen Magenresektion vom Typ Billroth II ist dann zu treffen, wenn eine spannungslose Gastroduodenostomie nicht zu erreichen ist.
. Abb. 27.5. Magenresektion Typ Billroth II. Die Resektionsgrenzen werden wie folgt festgelegt: oral im Bereich der kleinen Kurvatur 3–5 cm subkardial; an der großen Kurvatur aboral des Zuflusses der A. gastroepiploica sinistra; aboral 2 cm postpylorisch. Oralis-partialis-Gastroenterostomie isoperistaltisch mit der ersten antekolisch hochgezogenen Jejunalschlinge. Braun-Fußpunktanastomose
Wir wählen die antekolische Gastroenterostomie, weil für die retrokolische Gastroenterostomie ein vermehrter gastraler Reflux typisch ist. Ein anderes Argument ist die leichtere Revidierbarkeit der Anastomose bei einer etwaigen Reoperation. Präparation und Skelettierung des Magens. Diese erfolgen in gleicher Weise wie beim Billroth I. Allerdings endet die Präparation des Duodenums mit dessen Blindverschluss. Wenn notwendig, kann die Magenresektion im Falle der Rekonstruktion mit einer Gastrojejunostomie ausgiebiger erfolgen als bei der Magenresektion vom Typ Billroth I. Die Skelettierung wird bei der klassischen 2/3-Resektion so weit fortgesetzt, bis etwa 80% der kleinen Kurvatur freipräpariert sind. Zur Orientierung bieten sich 2 anatomische Fixpunkte an. An der großen Kurvatur ist dies kurz unterhalb des Zuflusses der A. gastroepiploica sinistra und im Bereich der kleinen Kurvatur etwa 3–5 cm unterhalb der Kardia. Man markiert diese Punkte am besten durch Haltefäden. Zwischen diesen Fixpunkten wird der Magen mit einem Klammernahtgerät abgesetzt. Rekonstruktion. Die Wiederherstellung der Intestinalpassage erfolgt durch Gastrojejunostomie mit der ersten antekolisch hochgezogenen Jejunalschlinge. Die zuführende Schlinge kommt an die große Kurvatur, die abführende Schlinge an die kleine
346
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Kurvatur zu liegen. Diese isoperistaltische Gastroenterostomie hat sich bewährt, weil das Treitz-Ligament häufig relativ weit links lokalisiert ist und so das Hochführen der zuführenden Schlinge an die kleine Kurvatur oft zu einer anatomisch ungünstigen Lage von Schlinge und Anastomose führt. Weiterhin verläuft die Magenentleerung entlang der sog. Magenstraße der kleinen Kurvatur und erfährt bei minorseitiger Anastomosierung der abführenden Schlinge eine möglichst physiologische Fortsetzung. Die Länge der zuführenden Schlinge soll etwa 40–50 cm betragen. Die Anastomose wird als partielle ausgeführt, d. h. die oralen etwa 60% der geklammerten Absetzungslinie werden mit seroserösen Einzelknopfnähten übernäht, die aboralen etwa 40% zur Anastomosierung verwendet (. Abb. 27.5). Die terminolaterale Anastomose zwischen Magen und Jejunum sollte eine Länge von 5–6 cm haben. Die Nahttechnik ist die gleiche wie bei der Billroth-I-Anastomose. Die Operation wird mit einer Braun-Anastomose (laterolaterale Jejunojejunostomie) beendet, die am tiefsten Punkt zwischen zu- und abführender Schlinge angelegt werden sollte (sog. Fußpunktanastomose). Der Abstand zur Gastrojejunostomie sollte 15–20 cm betragen. Diese Seit-zu-Seit-Anastomose soll den jejunogastralen Reflux, insbesondere von Galle, quantitativ verringern und gleichzeitig mögliche Schlingenprobleme verhindern. Als Länge dafür reichen 4–5 cm. Distale Magenresektion mit Rekonstruktion Typ Roux-Y Resektionsausmaß und Verschluss des Magenstumpfes erfolgen bei diesem Alternativverfahren wie bei der Billroth-II-Operation. Unterschiedlich ist lediglich die Art der Rekonstruktion. Sie erfolgt am besten durch eine terminolaterale Gastrojejunostomie mit der blind verschlossenen ersten Jejunumschlinge. Zu diesem Zweck wird das Mesenterium der ersten Jejunumschlinge unter Transillumination an einer anatomisch günstigen Stelle der Gefäßarkade skelettiert und die aborale Schlinge mit einem Nahtapparat blind verschlossen und durchtrennt. Diese Schlinge wird mobilisiert und ante- oder retrokolisch zum Magenstumpf in den Oberbauch geführt. Die Anastomosierung zwischen erster Jejunumschlinge und Magenstumpf erfolgt terminolateral wie beim Billroth II. Das blinde Ende der Jejunumschlinge kommt an der kleinen Kurvatur des Magens zu liegen und kann zur Deckung der sog. Jammerecke genutzt werden. Zum Abschluss wird die zuführende Jejunumschlinge ca. 40–50 cm aboral der Gastrojejunostomie End-zu-Seit von links kommend in die abführende Jejunalschlinge eingepflanzt (. Abb. 27.6). Rekonstruktion nach Magenresektion mit Klammernahttechnik Die beschriebenen Nahttechniken zur Gastroduodenostomie oder Gastrojejunostomie sind sehr standardisiert und sicher, sie erfordern keinen besonderen Zeitaufwand und sind kostengünstig. Beide Anastomosen und die zusätzlichen Dünndarmanastomosen lassen sich auch komplett in Klammernahttechnik herstellen. Der zeitliche Gewinn ist eher gering, eine Erhöhung der Sicherheit ist nicht erwiesen, aber die Materialkosten sind deutlich höher. Daher werden die Rekonstruktionen bei der offenen Chirurgie noch überwiegend in der beschriebenen Nahttechnik ausgeführt. Laparoskopische Magenresektion Alle Formen der Magenresektionen bei gastroduodenalen Ulzera – Billroth I, Billroth II, Roux-Y – sind auch laparoskopisch aus-
40 cm
. Abb. 27.6. Magenresektion Typ Billroth II mit Roux-Y-Rekonstruktion. Die zuführende Schlinge ist 40–50 cm distal der Gastrojejunostomie eingepflanzt
führbar (Ablaßmeier et al. 1994; Goh et al. 1992, 1997; Kanaya et al. 2002; Shiraishi et al. 1999; Saccomani et al. 2003: Zornig et al. 1998). Diese Verfahren orientieren sich an den bewährten Techniken der offenen Chirurgie, es werden jedoch in der Regel maschinelle Anastomosen angefertigt. Die bisher dazu publizierten Berichte umfassen meist Einzelfälle oder sehr kleine Serien. 27.5.5 Postoperative Behandlung Intraoperativ sollte eine Magensonde gelegt werden, die in der Regel am ersten postoperativen Tag entfernt werden kann. Am 4. bis 5. postoperativen Tag kann der Patient bei normalem Verlauf beginnen, schluckweise Tee oder Wasser zu trinken. Der weitere Kostaufbau von flüssiger über semisolider zu fester Kost erfolgt ab dem 5. bis 6. postoperativen Tag mit nachfolgender Diätberatung. Neben der postoperativen Analgesierung erfolgen Frühmobilisation und apparative Verfahren zur Atemvertiefung, da Patienten mit Oberbaucheingriffen zu oberflächlicher Atmung neigen. Ergebnisse der Therapie 7 Kap. 27.5.3 sowie . Tab. 27.5 bis 27.8. Empfehlungen zur Nachsorge 7 Kap. 27.10).
347 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
27.5.6 Intra- und postoperative Komplikationen Intraoperative Komplikationen sind bei standardisierter Operationstechnik selten. Sie umfassen Blutungen im Operationsgebiet, Pankreas- und Gallengangsläsionen, insbesondere bei penetrierenden Ulzera, und Milzverletzungen. Nach einer Magenresektion vom Typ Billroth I oder II können hauptsächlich folgende intraabdominelle Komplikationen auftreten: 4 Nahtinsuffizienz im Bereich der Anastomose (1–2,5%) 4 Duodenalstumpfinsuffizienz (1%) 4 Nachblutungen (2%) 4 Passagestörungen (2–5%) 4 Postoperative Pankreatitis (0,9%) Die Frühinsuffizienz im Bereich der Gastroduodenostomie oder Gastrojejunostomie in den ersten 3–4 postoperativen Tagen führt meist zu einer diffusen Peritonitis mit akutem Abdomen und ist revisionspflichtig. Dabei wird neben der Peritoneallavage in der Regel eine Neuanlage der Anastomose ausgeführt. Bei Frühinsuffizienz des Duodenalstumpfes wird ein erneuter Verschluss angestrebt. Ist dieses nicht möglich, so hat sich die Drainage des Duodenalstumpfes nach außen mit einem dicken Foley-Katheter bewährt. Sind die lokalen Verhältnisse bei der Reoperation noch gut, ist auch eine innere Drainage des Duodenalstumpfes z. B. in eine ausgeschaltete Roux-Y-Dünndarmschlinge möglich. Tritt die Leckage später auf, so ist die resultierende lokale Peritonitis konservativ meist beherrschbar, unter der Voraussetzung, dass die Insuffizienz ausreichend drainiert ist (evtl. CT-gezielte Drainage). Bei guter innerer Drainage über eine Magensonde und äußerer Drainage sowie zusätzlicher Applikation von Protonenpumpenhemmern sowie Sandostatin (Sekretionshemmung) und parenteraler Ernährung gelingt es fast immer, die Anastomose weitgehend trockenzulegen, sodass die Abheilung der Fistel abgewartet werden kann. Die Nekrose des Magenstumpfes ist eine seltene, aber fatale Komplikation und geht mit einer schweren Peritonitis einher, die die Revision erfordert. Die Spätinsuffizienz des Duodenalstumpfes kann bei guter äußerer Drainage, die evtl. CT-gezielt eingebracht werden muss, konservativ behandelt werden. Die zum Teil resultierende Duodenalfistel kann sekundär in eine ausgeschaltete Dünndarmschlinge eingepflanzt werden. Intragastrale Nachblutungen sind selten. Zunächst sollte ein Versuch der endoskopischen Blutstillung unternommen werden. Die Indikation zur Revision richtet sich nach dem Ausmaß der Blutung. In jedem Fall sollte eine operative Revision erfolgen, wenn mehr als 6 Blutkonserven/24 h zur Substitution des Blutverlustes benötigt werden. Bei einer operativen Revision einer Blutung aus der Anastomose oder dem Magenstumpf erfolgt die Wiedereröffnung des Magens durch eine Querinzision etwa 3–5 cm oberhalb der Anastomose. Von hier aus lassen sich Anastomose ebenso wie Magenstumpf leicht revidieren und Blutungsquellen gezielt umstechen. Der Wiederverschluss der Inzision erfolgt ebenfalls in querer Richtung. Extraluminale Blutungsquellen werden in typischer Weise versorgt. Stellt die Milz die Blutungsquelle dar, erfolgt die lokale Blutstillung möglichst mit Milzerhaltung. Ist die Splenektomie erforderlich, so muss wegen der erforderlichen Durchtrennung der Vasae gastricae breves auf die Durchblutung des Restmagens geachtet werden, da dieser meist nur noch durch die Arteria gastrica sinistra versorgt wird.
27
Postoperative Passagestörungen im Bereich der Gastroduodenostomie oder Gastrojejunostomie sollten bei einwandfreier Operationstechnik nicht auftreten. Entwickeln sie sich trotzdem, so sind sie meist Folge eines Anastomosenödems, eines Hämatoms oder einer Magenatonie und bilden sich bei guter innerer Drainage in den folgenden 10–14 Tagen zurück. Revisionen sind nur im Ausnahmefall notwendig. Bei der postoperativen Pankreatitis handelt es sich meist um eine ödematöse Pankreatitis, deren Prognose relativ gut ist. Kommt es dagegen zu einer hämorrhagisch nekrotisierenden Pankreatitis, so ist mit einer höheren Letalität zu rechnen. Derartige postoperative Pankreatitiden sollten immer den Verdacht auf eine mechanische Alteration des Pankreas nahe legen. Sie sind insgesamt selten. Postoperative Störungen treten beim Vorliegen lokaler Ulkuskomplikationen (Blutungen, Perforation) öfter auf. So fanden sich in einer Serie von 61 Billroth-I-Resektionen wegen akuter Ulkusblutung alle Komplikationen zwei- und mehrfach häufiger als bei den elektiven Billroth-I-Resektionen (Winkler 1977). Stenosierende oder penetrierende Ulzera wiesen in diesem Krankengut dagegen keinen höheren Komplikationsindex auf.
Literatur Ablaßmeier B, Steinhilper U, Bandl WD, Ziehen T, Münster W, Föckersperger H (1994) 100 Jahre nach Billroth – Laparoskopische distale Magenresektion (Billroth I und Billroth II). Chirurg 65:367–372 Arlt G, Schumpelick V, Klöppel G (1984) Das Ulkusrisiko des Roux-YMagens. Langenbecks Arch Chir 362:43–52 Becker HD, Lehmann L, Löhlein D, Schumpelick V, Troidl H (1982) Selektivproximale Vagotomie mit Ulcusexzision oder Billroth-I-Resektion beim chronischen Ulcus ventriculi. Chirurg 53:773–777 Demartines N, Rothenbühler JM, Chevalley JP, Harder F (1991) The singlelayer continuous suture for gastric anastomosis World J Surg 15:522– 525 Emås S, Fenstroem M (1985) Prospective randomized trials of selective vagotomy with pyloroplasty and selective proximal vagotomy with and without pyloroplasty in the treatment of duodenal, pyloric and prepyloric ulcers. Am J Surg 149(2):236–243 Exalto J (1910) Ulcus jejuni nach Gastroenterostomie. Mitt Grenzb Med 22:13–41 Goh P, Tekant Y, Isaac J, Kum CK, Ngoi SS (1992) The technique of laparoscopic Billroth II gastrectomy. Surg Laparosc Endosc 3:258– 260 Goh P, Alponat A, Mak K, Kum CK (1997) Early international results of laparoscopic gastrectomies. Surg Endosc 11:650–652 Haglund UH, Jansson RL, Lindhagen JGE, Lundell LR, Svartholm EG, Olbe LC (1990) Primary Roux-Y-gastrojejunostomy versus gastroduodenostomy after antrectomy and selective vagotomy. Am J Surg 159:546– 549 Hölscher AH, Siewert JR (1984) Stellenwert der Billroth-II-Magenresektion mit Roux-Y-Anastomose bei der Refluxösophagitis. In: Bünte H, Grill W, Langhans P, Siewert JR (Hrsg) Die Roux-Schlinge. Indikationen, Techniken und Resultate. Edition Medizin, Weinheim, S 175– 180 Hölscher AH, Siewert JR (1991) Operationsindikation und chirurgische Therapie des Ulcus ventriculi. Chir Gastroenterol 4:513–521 Hölscher AH, Bumm R, Siewert JR (1990) Chirurgische Therapieprinzipien bei der Rezidivprophylaxe. In: Bauerfeind P, Blum AL (Hrsg) Ulkusalmanach 1 + 2. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 87– 113 Hölscher AH, Klingele C, Bollschweiler E, Schröder W, Beckurts KTE, Siewert JR (1996) Postoperatives Rezidivulcus nach Magenresektion – Ergebnisse der chirurgischen Behandlung. Chirurg 67:814–820
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27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Hölscher AH, Bollschweiler E, Oertli D (2002) Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie. In: Siewert JR, Harder F, Rothmund M (Hrsg) Praxis der Viszeralchirurgie. Gastroenterologische Chirurgie. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 361–369 Kanaya S, Gomi T, Momoi H, Tamaki N, Isobe H, Katayama T et al. (2002) Delta-shaped anastomosis in totally laparoscopic Billroth I gastrectomy: new technique of intraabdominal gastroduodenostomy. J Am Coll Surg 195(2):284–287 Kennedy T, Green R (1978) Roux-diversion for bile reflux following gastric surgery. Br J Surg 65:323–325 Menguy R, Chey W (1980) Experiences with the treatment of alkaline reflux gastritis. Surgery 88:482–487 Nielsen OV, Jorgensen SP, Pedersen G (1974) Roux-enY anastomosis in the treatment of chronic afferent loop syndrome. Acta Chir Scand 140:531–534 Ornsholt J, Amdrup E, Andersen D, Hostrup H (1983) Arhus County Vagotomy Trial: ulcer recurrence rate related to alterations in gastric acid secretion after selective gastric and parietal cell vagotomy. Scand J Gastroenterol 18(4):465–472 Päakonen M, Alhava EM, Ankee S, Lahtinen J, Poikolainen E, Syrjamen K (1987) Roux-en-Y reconstruction compared with Billroth I in chronic pyloric or prepyloric ulcer. 32nd World Congress of Surgery. Sydney Sept. 20–26. Book of Abstracts, p 200 Paimela H, Oksala N, Kivilaakso E (2004) Surgery for peptic ulcer today. A Study on the Incidence, Methods and Mortality in Surgery for Peptic Ulcer in Finland between 1987 and 1999. Dig Surg 21(3):185–191 Saccomani G, Percivale A, Stella M, Durante V, Pellicci R (2003) Laparoscopic billroth II gastrectomy for completely stricturing duodenal ulcer: technical details. Scand J Surg 92(3):200–202 Shiraishi N, Adachi Y, Kitano S et al. (1999) Indication for and outcome of laparoscopy-assisted Billroth I gastrectomy. Br J Surg 86:541–544 Winkler R, Farthmann E, Eichfuß HP (1977) Die B-I Resektion in der Ulcuschirurgie. Langenbecks Arch Chir 343:123 Zornig C, Emmermann A, Blochle C, Jackle S (1998) Laparoscopic 2/3 resection of the stomach with intracorporal Roux-en-Y anastomosis. Chirurg 69:467–470
27.6
Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie
die Lamina muscularis mucosae überschreitet. Im Vergleich zum Ulkus ist bei der Erosion nur die oberflächliche Mukosa betroffen, die L. muscularis mucosae bleibt intakt, es liegt kein tiefer Defekt mit Randwall vor. Duodenalulzera verursachen in etwa 2/3 der Fälle klinische Beschwerden wie Oberbauchschmerzen, Nüchternschmerzen oder postprandiales Völlegefühl. In 1/3 der Fälle führen jedoch erst die Komplikationen den Patienten zum Arzt, z. B. der Teerstuhl durch eine Ulkusblutung. Duodenalulzera sind fast ausschließlich auf den Bulbus duodeni beschränkt; durch die dünne Wand in diesem Abschnitt sind Perforationen möglich.
Ulzera und Erosionen im Bulbus werden in der Regel von einer diffusen, entzündlichen Reaktion der oberflächlichen Schleimhautschichten begleitet. Dies zeigt eine Infiltration mit granulozytären, aber auch lymphozytären Zellen. In einem Großteil der Patienten beobachtet man eine gastrale Metaplasie in diesem Abschnitt. Innerhalb dieser Metaplasien lässt sich Helicobacter pylori nachweisen. Dies weist auf die Genese der unkomplizierten Duodenalulzera hin (Soll 1990). Gastritis. Bei nahezu allen Patienten mit solitären Duodenal-
ulzera, die keine NSAR oder andere schleimhautschädigende Medikamente einnehmen, zeigt sich eine oberflächliche Schleimhautentzündung im Magenantrum, wobei sich dort in den Magendrüsen spirillenförmige Bakterien nachweisen lassen. Die Schleimhaut ist mit monozytären Zellen, Granulozyten, Lymphozyten und eosinophilen Zellen infiltriert. Die Entzündung persistiert über Jahrzehnte und greift vom Antrum auf den Korpus über. Nach Jahren der chronischen Entzündung kann die Gastritis mit Erosionen, Drüsenatrophie und intestinaler Metaplasie einhergehen (Peek u. Blaser 1997; Cover u. Blaser 1996; Blaser 1995). Die Mechanismen zur Entstehung dieser Gastritis sowie der begleitenden Ulzera werden im Folgenden beschrieben. 27.6.2 Endoskopische Untersuchung
C. Prinz ) ) Unkomplizierte Duodenalulzera sind in der Regel mit der Infektion durch Helicobacter pylori assoziiert. Typischerweise kommt es durch die Infektion zur erhöhten postprandialen Säuresekretion. Die Diagnose des Ulkus sowie die begleitende Infektion werden endoskopisch mit nachfolgender Untersuchung der Schleimhautproben aus Antrum und Korpus gestellt. Nichtinvasiv können die Infektion und der Therapieerfolg vor allem durch den Atemtest gesichert werden. Ulzera werden mit der sog. Triple-Therapie behandelt, was in über 90% der Fälle einen anhaltenden Therapieerfolg sichert. Bei Versagen dieser Therapie kann auf eine sog. Reservetherapie zurückgegriffen werden.
Durch die endoskopische Untersuchung des Duodenums können peptische Ulzera und Erosionen eindeutig lokalisiert und klassifiziert werden. Die endoskopische Untersuchung dient nicht nur der makroskopischen Beurteilung, sondern bietet auch die Möglichkeit der Intervention bei Blutungen. Weiterhin können malignitätsverdächtige Ulzera biopsiert werden. Unkomplizierte Duodenalulzera sind meist solitär und kleiner als 2 cm; multiple Läsionen deuten eher auf systemische oder medikamentenassoziierte Genese hin. Durch die starke Entzündungsreaktion können Faltenschwellungen die Ulzerationen verdecken, insbesondere im unmittelbar postpylorischen Bereich und im Bulbusknie. Eine gründliche Untersuchung mit wiederholter Spülung des Bulbus duodeni und vollständiger endoskopischer Darstellung (»Rundumblick«) ist daher wichtig. . Abb. 27.7 zeigt ein frisches Ulcus duodeni im Stadium IB.
27.6.1 Klinische Symptomatologie 27.6.3 Stadieneinteilung Ulcera duodeni sind scharf begrenzte Schleimhautdefekte im Duodenum. Typischerweise zeigt sich ein solitärer, fibrinbelegter Schleimhautdefekt an der Vorderwand des Bulbus duodeni, der
Makroskopisch lassen sich bei Ulzera 3 verschiedene Stadien unterscheiden:
348
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Hölscher AH, Bollschweiler E, Oertli D (2002) Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie. In: Siewert JR, Harder F, Rothmund M (Hrsg) Praxis der Viszeralchirurgie. Gastroenterologische Chirurgie. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 361–369 Kanaya S, Gomi T, Momoi H, Tamaki N, Isobe H, Katayama T et al. (2002) Delta-shaped anastomosis in totally laparoscopic Billroth I gastrectomy: new technique of intraabdominal gastroduodenostomy. J Am Coll Surg 195(2):284–287 Kennedy T, Green R (1978) Roux-diversion for bile reflux following gastric surgery. Br J Surg 65:323–325 Menguy R, Chey W (1980) Experiences with the treatment of alkaline reflux gastritis. Surgery 88:482–487 Nielsen OV, Jorgensen SP, Pedersen G (1974) Roux-enY anastomosis in the treatment of chronic afferent loop syndrome. Acta Chir Scand 140:531–534 Ornsholt J, Amdrup E, Andersen D, Hostrup H (1983) Arhus County Vagotomy Trial: ulcer recurrence rate related to alterations in gastric acid secretion after selective gastric and parietal cell vagotomy. Scand J Gastroenterol 18(4):465–472 Päakonen M, Alhava EM, Ankee S, Lahtinen J, Poikolainen E, Syrjamen K (1987) Roux-en-Y reconstruction compared with Billroth I in chronic pyloric or prepyloric ulcer. 32nd World Congress of Surgery. Sydney Sept. 20–26. Book of Abstracts, p 200 Paimela H, Oksala N, Kivilaakso E (2004) Surgery for peptic ulcer today. A Study on the Incidence, Methods and Mortality in Surgery for Peptic Ulcer in Finland between 1987 and 1999. Dig Surg 21(3):185–191 Saccomani G, Percivale A, Stella M, Durante V, Pellicci R (2003) Laparoscopic billroth II gastrectomy for completely stricturing duodenal ulcer: technical details. Scand J Surg 92(3):200–202 Shiraishi N, Adachi Y, Kitano S et al. (1999) Indication for and outcome of laparoscopy-assisted Billroth I gastrectomy. Br J Surg 86:541–544 Winkler R, Farthmann E, Eichfuß HP (1977) Die B-I Resektion in der Ulcuschirurgie. Langenbecks Arch Chir 343:123 Zornig C, Emmermann A, Blochle C, Jackle S (1998) Laparoscopic 2/3 resection of the stomach with intracorporal Roux-en-Y anastomosis. Chirurg 69:467–470
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Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie
die Lamina muscularis mucosae überschreitet. Im Vergleich zum Ulkus ist bei der Erosion nur die oberflächliche Mukosa betroffen, die L. muscularis mucosae bleibt intakt, es liegt kein tiefer Defekt mit Randwall vor. Duodenalulzera verursachen in etwa 2/3 der Fälle klinische Beschwerden wie Oberbauchschmerzen, Nüchternschmerzen oder postprandiales Völlegefühl. In 1/3 der Fälle führen jedoch erst die Komplikationen den Patienten zum Arzt, z. B. der Teerstuhl durch eine Ulkusblutung. Duodenalulzera sind fast ausschließlich auf den Bulbus duodeni beschränkt; durch die dünne Wand in diesem Abschnitt sind Perforationen möglich.
Ulzera und Erosionen im Bulbus werden in der Regel von einer diffusen, entzündlichen Reaktion der oberflächlichen Schleimhautschichten begleitet. Dies zeigt eine Infiltration mit granulozytären, aber auch lymphozytären Zellen. In einem Großteil der Patienten beobachtet man eine gastrale Metaplasie in diesem Abschnitt. Innerhalb dieser Metaplasien lässt sich Helicobacter pylori nachweisen. Dies weist auf die Genese der unkomplizierten Duodenalulzera hin (Soll 1990). Gastritis. Bei nahezu allen Patienten mit solitären Duodenal-
ulzera, die keine NSAR oder andere schleimhautschädigende Medikamente einnehmen, zeigt sich eine oberflächliche Schleimhautentzündung im Magenantrum, wobei sich dort in den Magendrüsen spirillenförmige Bakterien nachweisen lassen. Die Schleimhaut ist mit monozytären Zellen, Granulozyten, Lymphozyten und eosinophilen Zellen infiltriert. Die Entzündung persistiert über Jahrzehnte und greift vom Antrum auf den Korpus über. Nach Jahren der chronischen Entzündung kann die Gastritis mit Erosionen, Drüsenatrophie und intestinaler Metaplasie einhergehen (Peek u. Blaser 1997; Cover u. Blaser 1996; Blaser 1995). Die Mechanismen zur Entstehung dieser Gastritis sowie der begleitenden Ulzera werden im Folgenden beschrieben. 27.6.2 Endoskopische Untersuchung
C. Prinz ) ) Unkomplizierte Duodenalulzera sind in der Regel mit der Infektion durch Helicobacter pylori assoziiert. Typischerweise kommt es durch die Infektion zur erhöhten postprandialen Säuresekretion. Die Diagnose des Ulkus sowie die begleitende Infektion werden endoskopisch mit nachfolgender Untersuchung der Schleimhautproben aus Antrum und Korpus gestellt. Nichtinvasiv können die Infektion und der Therapieerfolg vor allem durch den Atemtest gesichert werden. Ulzera werden mit der sog. Triple-Therapie behandelt, was in über 90% der Fälle einen anhaltenden Therapieerfolg sichert. Bei Versagen dieser Therapie kann auf eine sog. Reservetherapie zurückgegriffen werden.
Durch die endoskopische Untersuchung des Duodenums können peptische Ulzera und Erosionen eindeutig lokalisiert und klassifiziert werden. Die endoskopische Untersuchung dient nicht nur der makroskopischen Beurteilung, sondern bietet auch die Möglichkeit der Intervention bei Blutungen. Weiterhin können malignitätsverdächtige Ulzera biopsiert werden. Unkomplizierte Duodenalulzera sind meist solitär und kleiner als 2 cm; multiple Läsionen deuten eher auf systemische oder medikamentenassoziierte Genese hin. Durch die starke Entzündungsreaktion können Faltenschwellungen die Ulzerationen verdecken, insbesondere im unmittelbar postpylorischen Bereich und im Bulbusknie. Eine gründliche Untersuchung mit wiederholter Spülung des Bulbus duodeni und vollständiger endoskopischer Darstellung (»Rundumblick«) ist daher wichtig. . Abb. 27.7 zeigt ein frisches Ulcus duodeni im Stadium IB.
27.6.1 Klinische Symptomatologie 27.6.3 Stadieneinteilung Ulcera duodeni sind scharf begrenzte Schleimhautdefekte im Duodenum. Typischerweise zeigt sich ein solitärer, fibrinbelegter Schleimhautdefekt an der Vorderwand des Bulbus duodeni, der
Makroskopisch lassen sich bei Ulzera 3 verschiedene Stadien unterscheiden:
349 27.6 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie
27
. Abb. 27.7. Frisches Ulcus duodeni (links) im Stadium Ib, sickernde arterielle Blutung
. Abb. 27.8. Forrest Ia (spritzende arterielle) Blutung durch ein Duodenalulkus
4 Das aktive Stadium zeigt eine Gewebeläsion mit akuter Entzündung und oft auch Blutungstigmata (. Abb. 27.8), die nach der Forrest-Klassifikation (. Tab. 27.9) eingeteilt werden (Forrest et al. 1974). 4 Im Heilungsstadium wird das Ulkus kleiner und ist mit einem zentralen Fibrinschorf bedeckt. 4 Schließlich bildet sich eine Narbe.
polypöses Wachstum am Rand. Die Diagnose wird bioptisch gestellt.
Ulzerationen, die trotz Therapie nicht abheilen, sind als suspekt zu betrachten.
Maligne Ulzerationen im Bulbus duodeni entstehen z. B. durch Infiltration eines Pankreaskarzinoms an der Vorderwand, sind unregelmäßig begrenzt, zeigen nekrotische Areale und teils auch
. Tabelle 27.9. Forrest-Klassifikation zur Beurteilung der Blutungsaktivität von Ulzera im Magen und Duodenum
Stadium
Beschreibung
I
Aktive Blutung
Ia
Spritzende arterielle Blutung
Ib
Sickernde arterielle Blutung
II
Stattgehabte Blutung
IIa
Keine aktive Blutung, aber sichtbarer Gefäßstumpf
IIb
Ulkus mit Koagel bedeckt
IIc
Ulkus mit Hämatin bedeckt
III
Ulkus ohne Blutungszeichen, fibrinbelegt
27.6.4 Pathogenese
Intensive Forschung und klinische Studien haben nachgewiesen, dass die Mehrzahl (80–90%) der unkomplizierten Duodenalulzera mit der Infektion durch Helicobacter pylori in Zusammenhang steht. Dies trifft insbesondere bei denjenigen Patienten zu, die keine schleimhautschädigenden Substanzen wie NSAR, ASS und Kortikoide einnehmen.
Bereits um die Jahrhundertwende wurden im Magen von Ulkuskranken Bakterien nachgewiesen, die aber als Kontamination fehlgedeutet wurden. Salomon beschrieb bereits 1896 spirillenförmige Bakterien im Tiermagen, die er in Versuchsmäuse übertragen konnte und dort in den Magendrüsen wiederfand. 1983 gelangen Warren und Marshall die Keimisolierung und Kultur aus dem menschlichen Magen (Marshall u. Warren 1984). Es wurden spirillenförmige Bakterien im Magenschleim nachgewiesen, die wegen ihrer Ähnlichkeit zu anderen CampylobacterSpezies zunächst Campylobacter pylori, später Helicobacter pylori genannt wurden. H. pylori wurde nicht nur im Magenschleim identifiziert, sondern auch in den Magendrüsen und am Magenepithel. Mittlerweile ist bekannt, dass die Infektion mit H. pylori im Kindesalter von Geschwistern und den Eltern erworben wird und ohne Therapie lebenslang persistiert (Brown 2000). Durch die erfolgreiche konservative Therapie und vor allem die verbesserten Lebensbedingungen ist die Prävalenz der H.-pylori-Infektion in Deutschland sinkend und liegt zurzeit im Erwachsenenalter bei ca. 32%, im Kindesalter unter 10%. Dagegen liegt die Infektionsquote bei Patienten über 60 Jahre über
350
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Harnstoff
H+ äußere Bakterienmembran NH4+
27
Periplasma innere Bakterienmembran
Urease
ten zu einer chronischen Gastritis. Während es bei der akuten Infektion zur Hyperazidität kommt, wird nach jahrzehntelanger Infektion eine multifokale atrophische Gastritis mit einer Hypochlorhydrie induziert (Peek u. Blaser 1997). Der Keim schädigt dann die Epithelzellen wie auch Parietalzellen durch Induktion eines programmierten Zelltodes, sodass es zur sukzessiven Schleimhautzerstörung kommt. Etwa 10–20% der Infizierten entwickeln peptische Ulzera (Soll 1990).
NH3
. Abb. 27.9. Helicobacter pylori produziert intrazellulär Urease. Harnstoff wird mittels spezieller Transporter in die Bakterien aufgenommen. Durch Spaltung des Harnstoffs entsteht NH3, das frei membrangängig ist. Die extrazellulären Protonen werden vor allem im Periplasma durch Bildung von Ammoniumionen abgepuffert, wodurch ein Säureschutzmantel für den Keim entsteht. Die Harnstoff-Aufnahme erfolgt mittels spezieller Transproter (Urease I), die bei einem pH-Wert unter 4 geöffnet werden. Bei pH 7 ist die Harnstoffaufnahme blockiert. Der pH im Inneren des Bakteriums ist neutral. (Nach Weeks et al. 2000)
50%, was die Lebensbedingungen zum Zeitpunkt der Infektion widerspiegelt. H. pylori ist ein gram-negatives Bakterium, das durch die Produktion von Urease zum Überleben in dem aziden Milieu fähig ist. Der Keim benutzt die Harnstoffspaltung zur Herstellung von Ammoniak (NH3). NH3 verbindet sich im periplasmatischen Raum mit den Protonen zu NH+4 , sodass der Keim die sauren Valenzen im periplasmatischen Raum und nach Autolyse extrazellulär abpuffert (Brown 2000; Mobley 1997). Urease ist daher der entscheidende Faktor für das Überleben in vivo. 15–20% des gesamten Proteingehaltes dieses Bakteriums bestehen aus Urease. Die massive Ureaseproduktion kann gleichzeitig zum selektiven Nachweis herangezogen werden, da es nur äußerst selten zur Infektion mit anderen Urease-bildenden Keimen kommen kann (. Abb. 27.9). H. pylori und Säuresekretion. Die Kolonisation mit diesem Keim in Magen und Duodenum führt zu einer Störung dieses empfindlichen Gleichgewichtes, sodass aggressive Faktoren überwiegen. Durch die H.-pylori-Infektion kommt es zu erhöhten Gastrinspiegeln und einer vermehrten postprandialen Säuresekretion (Wormsley u. Grossmann 1965; Hamlet u. Olbe 1996). Die erhöhte Gastrin- oder durch Nahrung stimulierte Säuresekretion ist typisch für Patienten mit Duodenalulzerationen (Gillen et al. 1998). Die Hyperazidität führt zur Umwandlung der Schleimhaut im Bulbus (gastraler Metaplasie), was wiederum die Kolonisation des Bulbus mit diesem Keim favorisiert (Bendtsen et al. 1987; Blair et al 1986; Feldmann u. Richardson 1986; Isenberg et al. 1975). Gastritis, Ulkus, Karzinom und Lymphom nach Helicobacterpylori-Infektion. Die Infektion mit dem Keim wird in der Kind-
heit erworben. Offensichtlich liegt eine fäkal-orale Übertragung vor, die besonders häufig bei Kleinkindern und Eltern durch den intensiven Kontakt gegeben ist. Wichtig ist ein niedriger pHWert im Mundbereich, sodass der Keim zunächst im Plaque Material nachgewiesen werden kann und später den Magen kolonisiert. Meist liegt eine Mischinfektion vor, wobei sich dann in der Regel ein bestimmter Keimtyp festsetzt und den Magen kolonisiert. Die Infektion mit den Keimen führt bei allen Patien-
Ein großer Teil der Infizierten entwickelt im Laufe des Lebens Ulzera im Magen und/oder im Duodenum (10–20%), ein kleiner Teil (ca. 1%) kann nach Jahrzehnten der Exposition (meist >20 Jahre) ein Magenfrühkarzinom oder ein Magenkarzinom entwickeln.
Sehr selten ist die Entstehung von MALT-Lymphomen im Magen. Die Ursachen für die differenzielle Entwicklung sind nicht eindeutig geklärt. Allerdings weiß man, dass die Heterogenität bestimmter Stämme durch Expression von Virulenzfaktoren, die Immunantwort des Wirtes, sowie die Lebensbedingungen für die Entwicklung entscheidend sind. Offensichtlich disponiert die frühe Exposition in der Kindheit bei gleichzeitig schlechten Lebensbedingungen für die Entwicklung von Magenkarzinomen, z. B. in Kolumbien. Dagegen prädisponieren gute äußere Umstände (z. B hoher Vitamin-C-Gehalt) in diesem Infektionszeitraum zur Ulkusentstehung (Peek u. Blaser 1997; Blaser 1998; Sipponen et al. 1998; Blaser u. Crabtree 1996; Parsonnet 1998; Covacci et al. 1999). Keimtypen. Bei der Helicobacter-Infektion werden verschiedene
Keimtypen unterschieden, die mit besonderen Risiken assoziiert sind. Der klassische Pathogenitätsfaktor von H. pylori ist das vakuolisierende Toxin VacA (128 kDA), das eine Apoptose in epithelialen Zellen auslösen kann. Daneben ist auch die Präsenz einer sog. Pathogenitätsinsel (cagPAI) wichtig. Dieses System stellt ein Typ-IV-Sekretionssystem dar, mit dem die Keime ihre Produkte in die Zielzellen injizieren können und so zu einer Schädigung führen (Blaser u. Crabtree 1996; Censini et al. 1996). Schließlich sind auch die Adhärenz und die Kolonisationsdichte von entscheidender Bedeutung für den Krankheitsverlauf (Covacci et al. 1999). Die besondere Bedeutung dieser Virulenzfaktoren liegt darin, dass sie eine Apoptose der Epithelzellen auslösen können und dadurch direkt die Schleimhaut schädigen (Shirin u. Moss 1998). Dagegen ist die unspezifische Immunantwort auf die Infektion, z. B. durch Makrophagen, unabhängig von der Präsenz dieser Toxine. 27.6.5 Diagnostik von Helicobacter-pylori-
Infektionen
Der Goldstandard zum Nachweis der Infektion mit gleichzeitiger Beurteilung der Schleimhautstruktur im Magen sind nach wie vor die endoskopische Beurteilung des Magens mit gleichzeitiger Biopsieentnahme im Antrum und im Korpus (jeweils 2-mal) sowie die histologische Beurteilung der Aktivität und Chronizität der Gastritis.
351 27.6 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie
27
. Tabelle 27.10. Nichtinvasive Diagnostik von H.-pylori-Infektionen 13
C- oder 14C-Atemtest
Stuhltest (Vaira et al. 1991, 1998)
Serologische Testverfahren (ELISA; Herbrink u. van Doorn 2000)
Beschreibung
Infrarotanalyse (13C) oder Massenspektrometrie (14C)
Nachweis von H.-pylori-Antigenen in Stuhlprobe
Nachweis von Antikörpern gegen Urease A/B, CagA, VacA, Hsp60; Antigengemisch, da große Variabilität
Sensititivität/ Spezifität
Etwa 95%/98%
95%
70–80%/75–87%
Indikation
Erfolgsbeurteilung einer Eradikation
Screening; Erfolg der Eradikation, Testung von Kindern
Screening von Datenbanken und Populationen
Kosten
Etwa 15–25 € pro Test
Etwa 20–30 €
Problem
Gleichzeitige Einnahme von PPI
Datenbanken, Studien, Compliance
Der sog. CLO- oder HUT-Test, aber auch eine Bakterienkultur mit Resistenztestung und weitere wissenschaftliche Untersuchung sind aus einer Magenschleimhautbiopsie möglich (Caspary et al. 1996). Die Helicobacter-Infektion des Magens kann auch auf nichtinvasivem Wege diagnostiziert werden (Vaira et al. 1998). Als nichtinvasive Methoden stehen der Helicobacter-Atemtest, ein Stuhltest und auch serologische Verfahren zur Verfügung, die allesamt eine zufriedenstellende Sensitivität von >85% und eine Spezifität von 75–90% bieten . Tab. 27.10). Allerdings liefern alle diese Verfahren keine weiteren Aussagen über Krankheiten des Magens, Infektionsausmaß oder gar Zeitpunkt der Infektion und sind zur alleinigen Diagnostik nicht ausreichend. Die endoskopische Untersuchung sollte daher bei allen Patienten mit Oberbauchbeschwerden am Anfang der Untersuchungen stehen (. Abb. 27.7). 27.6.6 Behandlungsindikation bei Helicobacter-
pylori-positivem Ulcus duodeni Die Bedeutung der Helicobacter-pylori-Infektion für die Entstehung peptischer Ulzera im Magen und Duodenum wurde durch klinische Studien nachgewiesen, in denen es nach einer Eradikationstherapie zu einer Verhinderung des chronisch-rezidivierenden Verlaufes der peptischen Ulzera kam (Soll 1990). Nach Entfernung dieses Bakteriums kam es in einer Kontrollgruppe innerhalb eines Jahres in über 80% zu einem Ulkusrezidiv, während die erfolgreich behandelten in mehr als 95% der Fälle von der Ulkuskrankheit befreit wurden. Dies hat die medikamentöse und auch die chirurgische Therapie des Ulkusleidens revolutioniert. Mittlerweile gibt es klare Indikationsstellungen der DGVS (Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten; Caspary et al. 1996) und der EHSG (Gesellschaft zum Studium von Helicobacter pylori; Watanabe et al. 1998; Tytgat u. Malfertheiner 2000; McNamara u. O’Morain 2000) bei Vorliegen einer Ulkuskrankheit und einer H.-pylori-Infektion, die in der 7 Übersicht zusammengefasst sind. Bei Nachweis einer H.-pyloriInfektion und Ulzera im Magen oder Duodenum wird grundsätzlich eine sog. Triple-Therapie durchgeführt. Weitere Indikationen sind der Riesenfaltenmagen, MALT-Lymphome im frühen Stadien, die die Lamina muscularis mucosae nicht penetriert
Nicht anwendbar zur Kontrolle einer H.-pyloriEradikation
haben, sowie Patienten mit Vorgeschichte von Ulzera oder Magenkarzinom in der Familiengeschichte (Graham 2000). Die H.-pylori-Infektion wird im Rahmen der endoskopischen Untersuchung durch den CLO-Test oder durch die nachfolgende Histologie bestimmt. Indikationen zur Eradikation von H. pylori 5 DGVS – Ulcus ventriculi und duodeni, auch bei Ulkusnarben – Blutende Ulzera – NSAR-induzierte Ulzera, die H.-pylori-positiv sind – Riesenfaltenmagen (M. Menetrier) – MALT-Lymphom 1E1 5 EHSG – Ulcera duodeni et ventriculi – Magenkarzinom in der Familiengeschichte – Schwere histologische Veränderungen in der Mukosa – Riesenfaltenmagen – MALT-Lymphom 1E1 – Dauertherapie mit PPI bei schwerer Refluxösophagitis
Richtlinien zur Nachuntersuchung nach Eradikationstherapie.
Bei unkomplizierten Duodenalulzera kann der Eradikationserfolg nach 4 Wochen entweder endoskopisch oder durch den H.-pylori-Atemtest bestätigt werden. Ulcera ventriculi müssen endoskopisch im Zeitraum von 4–6 Wochen bis zur Abheilung beobachtet und ausführlich biopsiert werden. 27.6.7 Eradikationsschemata der H.-pylori
Infektion bei Ulcus ventriculi et duodeni Nach Empfehlung der DGVS sollten H.-pylori-positive Ulcera ventriculi oder duodeni nach folgendem Schema behandelt werden (Caspary et al. 1996). In erster Linie werden heute die kombinierte Gabe eines Protonenpumpenhemmers (PPI) wie Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol oder Esomeprazol empfohlen, die in einer Standarddosis von 2×20–40 mg über 7 Tage eingesetzt werden. Diese werden mit Antibiotika kombiniert. Amoxicillin oder Clarithromycin werden im Magensaft ange-
352
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.6.8 Therapie des H.-pylori-negativen . Tabelle 27.11. Therapie des H.-pylori-positiven Ulcus ventriculi oder duodeni
Medikament
27
Dosierung/Tag
»Französische Triple-Therapie« (7 Tage Therapie, erste Wahl) PPI (z. B. Omeprazol, Pantozol)
2×20 mg/40 mg
Amoxicillin
2×1 g
Clarithromycin (z. B. Klacid)
2×250 mg
»Italienische Triple-Therapie« (7 Tage Therapie, Cave MetronidazolResistenz) PPI (z. B. Omeprazol, Pantozol)
2×20 mg/40 mg
Clarithromycin (z. B. Klacid)
2×250 mg
Metronidazol (z. B. Clont)
2×400 mg
. Tabelle 27.12. Reserveschema nach Versagen der TripleTherapie (10 Tage Therapie)
Ulcus duodeni In etwa 10% der Fälle findet sich ein H.-pylori-negatives Duodenalulkus. Meist sind die Ulzerationen auf Nebenwirkungen von schleimhautschädigenden Substanzen zurückzuführen. Neben den histologischen Untersuchungen sollte in diesen Fällen unbedingt der Atemtest verwendet werden, da dieser Test wesentlicher sensitiver ist. Bei Fehlen einer H.-pylori-Infektion wird generell eine antisekretorische Therapie empfohlen. Zur Verfügung stehen: 4 PPI 5 Omeprazol (Antra), 40 mg/Tag oral 5 Pantoprazol (Pantozol), 40 mg/Tag oral 4 H2-RA 5 Ranitidin 150–300 mg/Tag (Zantic) 5 Famotidin 2×20 mg/Tag (Pepdul) 4 Schleimhautprotektiva und Antazida 5 Sucralfat 4×1 g per Magensonde, (z.B. Ulcogant) 5 Antazida 4–6 Btl. per Magensonde, (z. B. Magnesiumund Aluminiunhydroxid, Maalox, Ulcogant, Rennie etc.) Die genannten Substanzen werden in der Regel über 4–6 Wochen appliziert, dann erfolgt eine erneute endoskopische Kontrolle und ggf. das Absetzen der Medikation.
Medikament
Dosierung/Tag
PPI (z. B. Omeprazol, Pantozol)
2×20 mg/40 mg
Amoxicillin
2×1 g
Tetracyclin 500 mg (z. B. Doxycyclin)
4×500 mg
Literatur
Wismultsalz (z. B. Wismut-Comp. Ratioph.)
2×120 mg
Bendtsen F, Rosenkilde-Gram B, Tage-Jensen U, Ovesen L, Rune SJ (1987) Duodenal bulb acidity in patients with duodenal ulcer. Gastroenterology 93:1263 Blair AJ, Richardson CT, Vasko M, Walsh JH, Feldman M (1986) Comparison of acid secretory responsiveness to gastrin heptadecapeptide and of gastrin heptadecapeptide pharmacokinetics in duodenal ulcer patients and normal subjects. J Clin Invest 78:779 Blaser MJ (1995) The role of Helicobacter pylori in gastritis and its progression to peptic ulcer disease. Aliment Pharmacol Ther 9 (Suppl 1): 27–30 Blaser MJ (1998) Helicobacter pylori and gastric diseases. BMJ 316:1507 Blaser MJ, Crabtree JE (1996) CagA and the outcome of Helicobacter pylori infection. Am J Clin Pathol 106:565 Brown LM (2000) Helicobacter pylori: epidemiology and routes of transmission. Epidemiol Rev 22:283 Canducci F, Ojetti V, Pola P, Gasbarrini G, Gasbarrini A (2001) Rifabutinbased Helicobacter pylori eradication »rescue therapy«. Aliment Pharmacol Ther 15:143 Caspary WF, Arnold R, Bayerdorffer E et al. (1996) Diagnosis and therapy of Helicobacter pylori infection. Guidelines of the German Society of Digestive and Metabolic Diseases. Z Gastroenterol 34:392 Censini S, Lange C, Xiang Z et al. (1996) cag, a pathogenicity island of Helicobacter pylori, encodes type I-specific and disease-associated virulence factors. Proc Natl Acad Sci USA 93:14648 Covacci A, Telford JL, Del Giudice G, Parsonnet J, Rappuoli R (1999) Helicobacter pylori virulence and genetic geography. Science 284:1328 Cover TL, Blaser MJ (1996) Helicobacter pylori infection, a paradigm for chronic mucosal inflammation: pathogenesis and implications for eradication and prevention. Adv Intern Med 41:85–117 Feldman M, Richardson CT (1986) Total 24-hour gastric acid secretion in patients with duodenal ulcer. Comparison with normal subjects and effects of cimetidine and parietal cell vagotomy. Gastroenterology 90:540
Oder PPI (z. B. Omeprazol, Pantozol)
2×20 mg/40 mg
Amoxicillin (z. B. Amoxicillin)
2×1 g
Rifabutin (z. B. Mycobutin)
2×150 mg
reichert und wirken lokal bakterizid. Metronidazol zeigt durch die Protonierung im Magensaft eine starke Aktivitätssteigerung. Als Alternativen stehen bei einer Reservetherapie Wismutsalze, Tetrazykline, aber auch Rifabutin zur Wahl, die dann über 10– 14 Tage eingesetzt werden sollten. Rifabutin ist ein neues Präparat, das sich in aktuellen Studien als besonders effektiv erwiesen hat (Canducci et al. 2001; Perri et al. 2001). In den Reserveschemata sollte die PPI-Dosis auf 2×40 mg verdoppelt werden (. Tab. 27.11 und 27.12). Wesentliche Nebenwirkungen der Eradikationstherapie sind Diarrhö, die manchmal auch Ausdruck einer pseudomembranösen Kolitis mit C. difficile sein können. Dies zwingt zum Absetzen der Medikamente und zur Entfernung der verantwortlichen Keime im Darm. Durch die Antibiotikawahl besteht weiterhin die Gefahr einer Keimselektion, evtl. Metronidazol- oder Clarithromycin-resistenter H.-pylori-Stämme. Es können gelegentlich vermehrt Drüsenkörperzysten entstehen, die jedoch ohne weitere Bedeutung sind. Insgesamt verpflichten die Nebenwirkungen zu einem strikten Einsatz der Eradikationstherapie nach den o. g. Kriterien.
353 27.7 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie
Forrest JA, Finlayson ND, Shearman DJ (1974) Endoscopy in gastrointestinal bleeding. Lancet 2:394 Gillen D, El-Omar EM, Wirz AA, Ardill JE, McColl KE (1998) The acid response to gastrin distinguishes duodenal ulcer patients from Helicobacter pylori-infected healthy subjects. Gastroenterology 114:50 Graham DY (2000) Therapy of Helicobacter pylori: current status and issues. Gastroenterology 118:S2 Hamlet A, Olbe L (1996) The influence of Helicobacter pylori infection on postprandial duodenal acid load and duodenal bulb pH in humans. Gastroenterology 111:391 Hentschel E, Brandstatter G, Dragosics B et al.(1993) Effect of ranitidine and amoxicillin plus metronidazole on the eradication of Helicobacter pylori and the recurrence of duodenal ulcer. N Engl J Med 328:308 Herbrink P, van Doorn LJ (2000) Serological methods for diagnosis of Helicobacter pylori infection and monitoring of eradication therapy. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 19:164 Isenberg JI, Grossman MI, Maxwell V, Walsh JH (1975) Increased sensitivity to stimulation of acid secretion by pentagastrin in duodenal ulcer. J Clin Invest 55:330 Marshall BJ, Warren JR (1984) Unidentified curved bacilli in the stomach of patients with gastritis and peptic ulceration. Lancet 1:1311 McNamara D, O’Morain C (2000) Consensus guidelines: agreement and debate surrounding the optimal management of Helicobacter pylori infection. Can J Gastroenterol 14:511 Mobley HL (1997) Helicobacter pylori factors associated with disease development. Gastroenterology 113:S21 Parsonnet J (1998) Helicobacter pylori. Infect Dis Clin North Am 12:185 Peek RMJ, Blaser MJ (1997) Pathophysiology of Helicobacter pyloriinduced gastritis and peptic ulcer disease. Am J Med 102:200 Perri F, Festa V, Clemente R et al. (2001) Randomized study of two »rescue« therapies for Helicobacter pylori-infected patients after failure of standard triple therapies. Am J Gastroenterol 96:58 Shirin H, Moss SF (1998) Helicobacter pylori induced apoptosis. Gut 43:592 Sipponen P, Hyvarinen H, Seppala K, Blaser MJ (1998) Review article: Pathogenesis of the transformation from gastritis to malignancy. Aliment Pharmacol Ther 12 (Suppl 1):61 Soll AH (1990) Pathogenesis of peptic ulcer and implications for therapy. N Engl J Med 322:909 Tytgat G, Malfertheiner P (2000) Practice and principle: the influence of current research on our management of acid-related disorders. Summary: key messages. Eur J Gastroenterol Hepatol 12 S21 Vaira D, Holton J, Menegatti M et al. (1998) Blood tests in the management of Helicobacter pylori infection. Italian Helicobacter pylori Study Group. Gut 43 (Suppl 1): S39 Vaira D, Miglioli M, Holton J, Mule P, Barbara L (1991) Screening for Helicobacter pylori. Lancet 338:1149 Watanabe T, Tada M, Nagai H, Sasaki S, Nakao M (1998) Helicobacter pylori infection induces gastric cancer in mongolian gerbils. Gastroenterology 115:642 Weeks DL, Eskandari S, Scott DR, Sachs G (2000) A H+-gated urea channel: the link between Helicobacter pylori urease and gastric colonization. Science 287:482 Wormsley KG, Grossman MI (1965) Maximal histalog test in control subjects and patients with peptic ulcer. Gut 6:427
27.7
27
Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie A.H. Hölscher, E. Bollschweiler
) ) Patienten mit Ulcus duodeni sind in 90–95% der Fälle mit Helicobacter pylori infiziert, sodass die Eradikationstherapie häufiger als beim Ulcus ventriculi erfolgreich eingesetzt werden kann. Das Ulcus duodeni ist in der Regel benigne, weshalb eine chirurgische Indikationsstellung zur Exzision primär fehlt. Die elektiven Vagotomieverfahren, die in den 70er- und 80er-Jahren eine Blütezeit erlebt haben, werden heute mit der Möglichkeit der H.-pyloriEradikationstherapie praktisch nicht mehr gebraucht. Obwohl hier der Stellenwert der elektiven Chirurgie heute sehr gering ist, sollten die operativen Möglichkeiten für den Fall des Versagens der konservativen Therapie in das Behandlungskonzept mit einbezogen werden.
27.7.1 Präoperative Maßnahmen und Diagnostik
(7 Kap. 27.1 und 27.6) Die obligate Endoskopie lokalisiert und beurteilt das Ulkus und eine eventuelle begleitende Magenausgangsstenose. Ulcus-duodeni-Patienten, bei denen eine Operation erwogen wird, sind vorselektioniert, weshalb präoperativ Serumgastrinbestimmung bzw. Sekretintest zum Ausschluss oder Beweis eines ZollingerEllison-Syndroms vorgenommen werden sollte. Voraussetzungen für die postoperative Erfolgskontrolle nach Vagotomie sind die Magensekretionsanalyse und die intragastrale pH-Metrie. Damit kann der säurereduzierende Effekt postoperativ erfasst werden (Hölscher et al. 1991).
Die Ulkusanamnese mit Dauer, Anzahl der Rezidive, Ulkuskomplikationen, medikamentöse Behandlung und Voroperationen ist für die Therapieentscheidung des Chirurgen Ausschlag gebend.
27.7.2 Therapieziele und Indikationsstellung Therapieziel ist die gastrale Säurereduktion mit Ausheilung der Ulcus-duodeni-Krankheit und Vermeidung postoperativer Folgezustände. Dieses Ziel soll in erster Linie unter Erhaltung des Magens erreicht werden. Die Indikation zur elektiven operativen Therapie eines Ulcus duodeni wird nur beim Versagen einer adäquaten konservativen Therapie (H.-pylori-Eradikation und Säurehemmung) gestellt (Johnson 2000; Paimela et al. 2004). Die entsprechende Patientengruppe umfasst H.-pyloripositive Patienten mit mehreren frustranen Eradikationsversuchen, H.-pylori-negative Patienten ohne Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika und Patienten mit mangelnder Compliance oder Fälle, bei denen die Möglichkeit einer konservativen Therapie nicht existiert (Jamieson 2000). Abgelaufene Ulkuskomplikationen und der Leidensdruck des Patienten sollten in die Entscheidung mit einfließen.
353 27.7 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie
Forrest JA, Finlayson ND, Shearman DJ (1974) Endoscopy in gastrointestinal bleeding. Lancet 2:394 Gillen D, El-Omar EM, Wirz AA, Ardill JE, McColl KE (1998) The acid response to gastrin distinguishes duodenal ulcer patients from Helicobacter pylori-infected healthy subjects. Gastroenterology 114:50 Graham DY (2000) Therapy of Helicobacter pylori: current status and issues. Gastroenterology 118:S2 Hamlet A, Olbe L (1996) The influence of Helicobacter pylori infection on postprandial duodenal acid load and duodenal bulb pH in humans. Gastroenterology 111:391 Hentschel E, Brandstatter G, Dragosics B et al.(1993) Effect of ranitidine and amoxicillin plus metronidazole on the eradication of Helicobacter pylori and the recurrence of duodenal ulcer. N Engl J Med 328:308 Herbrink P, van Doorn LJ (2000) Serological methods for diagnosis of Helicobacter pylori infection and monitoring of eradication therapy. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 19:164 Isenberg JI, Grossman MI, Maxwell V, Walsh JH (1975) Increased sensitivity to stimulation of acid secretion by pentagastrin in duodenal ulcer. J Clin Invest 55:330 Marshall BJ, Warren JR (1984) Unidentified curved bacilli in the stomach of patients with gastritis and peptic ulceration. Lancet 1:1311 McNamara D, O’Morain C (2000) Consensus guidelines: agreement and debate surrounding the optimal management of Helicobacter pylori infection. Can J Gastroenterol 14:511 Mobley HL (1997) Helicobacter pylori factors associated with disease development. Gastroenterology 113:S21 Parsonnet J (1998) Helicobacter pylori. Infect Dis Clin North Am 12:185 Peek RMJ, Blaser MJ (1997) Pathophysiology of Helicobacter pyloriinduced gastritis and peptic ulcer disease. Am J Med 102:200 Perri F, Festa V, Clemente R et al. (2001) Randomized study of two »rescue« therapies for Helicobacter pylori-infected patients after failure of standard triple therapies. Am J Gastroenterol 96:58 Shirin H, Moss SF (1998) Helicobacter pylori induced apoptosis. Gut 43:592 Sipponen P, Hyvarinen H, Seppala K, Blaser MJ (1998) Review article: Pathogenesis of the transformation from gastritis to malignancy. Aliment Pharmacol Ther 12 (Suppl 1):61 Soll AH (1990) Pathogenesis of peptic ulcer and implications for therapy. N Engl J Med 322:909 Tytgat G, Malfertheiner P (2000) Practice and principle: the influence of current research on our management of acid-related disorders. Summary: key messages. Eur J Gastroenterol Hepatol 12 S21 Vaira D, Holton J, Menegatti M et al. (1998) Blood tests in the management of Helicobacter pylori infection. Italian Helicobacter pylori Study Group. Gut 43 (Suppl 1): S39 Vaira D, Miglioli M, Holton J, Mule P, Barbara L (1991) Screening for Helicobacter pylori. Lancet 338:1149 Watanabe T, Tada M, Nagai H, Sasaki S, Nakao M (1998) Helicobacter pylori infection induces gastric cancer in mongolian gerbils. Gastroenterology 115:642 Weeks DL, Eskandari S, Scott DR, Sachs G (2000) A H+-gated urea channel: the link between Helicobacter pylori urease and gastric colonization. Science 287:482 Wormsley KG, Grossman MI (1965) Maximal histalog test in control subjects and patients with peptic ulcer. Gut 6:427
27.7
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Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie A.H. Hölscher, E. Bollschweiler
) ) Patienten mit Ulcus duodeni sind in 90–95% der Fälle mit Helicobacter pylori infiziert, sodass die Eradikationstherapie häufiger als beim Ulcus ventriculi erfolgreich eingesetzt werden kann. Das Ulcus duodeni ist in der Regel benigne, weshalb eine chirurgische Indikationsstellung zur Exzision primär fehlt. Die elektiven Vagotomieverfahren, die in den 70er- und 80er-Jahren eine Blütezeit erlebt haben, werden heute mit der Möglichkeit der H.-pyloriEradikationstherapie praktisch nicht mehr gebraucht. Obwohl hier der Stellenwert der elektiven Chirurgie heute sehr gering ist, sollten die operativen Möglichkeiten für den Fall des Versagens der konservativen Therapie in das Behandlungskonzept mit einbezogen werden.
27.7.1 Präoperative Maßnahmen und Diagnostik
(7 Kap. 27.1 und 27.6) Die obligate Endoskopie lokalisiert und beurteilt das Ulkus und eine eventuelle begleitende Magenausgangsstenose. Ulcus-duodeni-Patienten, bei denen eine Operation erwogen wird, sind vorselektioniert, weshalb präoperativ Serumgastrinbestimmung bzw. Sekretintest zum Ausschluss oder Beweis eines ZollingerEllison-Syndroms vorgenommen werden sollte. Voraussetzungen für die postoperative Erfolgskontrolle nach Vagotomie sind die Magensekretionsanalyse und die intragastrale pH-Metrie. Damit kann der säurereduzierende Effekt postoperativ erfasst werden (Hölscher et al. 1991).
Die Ulkusanamnese mit Dauer, Anzahl der Rezidive, Ulkuskomplikationen, medikamentöse Behandlung und Voroperationen ist für die Therapieentscheidung des Chirurgen Ausschlag gebend.
27.7.2 Therapieziele und Indikationsstellung Therapieziel ist die gastrale Säurereduktion mit Ausheilung der Ulcus-duodeni-Krankheit und Vermeidung postoperativer Folgezustände. Dieses Ziel soll in erster Linie unter Erhaltung des Magens erreicht werden. Die Indikation zur elektiven operativen Therapie eines Ulcus duodeni wird nur beim Versagen einer adäquaten konservativen Therapie (H.-pylori-Eradikation und Säurehemmung) gestellt (Johnson 2000; Paimela et al. 2004). Die entsprechende Patientengruppe umfasst H.-pyloripositive Patienten mit mehreren frustranen Eradikationsversuchen, H.-pylori-negative Patienten ohne Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika und Patienten mit mangelnder Compliance oder Fälle, bei denen die Möglichkeit einer konservativen Therapie nicht existiert (Jamieson 2000). Abgelaufene Ulkuskomplikationen und der Leidensdruck des Patienten sollten in die Entscheidung mit einfließen.
354
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.7.3 Anatomie der vagalen Innervation
2 1
am Magen
9
27
Rechter und linker Nervus vagus teilen sich unterhalb der Hauptbronchien in mehrere Äste auf und bilden den vorderen und hinteren Plexus vagalis. Beide Trunci vagales entspringen aus diesen Plexus, wobei der vordere vorwiegend Äste des linken, der hintere Äste des rechten Vagus enthält. Am Magen selbst finden sich demnach Fasern aus Anteilen des rechten und linken Nervus vagus sowohl im vorderen als auch im hinteren Vagusstamm. Normalerweise liegt der anteriore Ast vorne links, der posteriore hinten rechts dem Ösophagus auf. Die hepatischen Äste entstammen dem vorderen Trunkus; sie gehen oberhalb oder auf Höhe der Kardia ab und können zusammen mit einem aufgeteilten vorderen Trunkus multipel sein oder aber als gastrohepatischer Nerv am kaudalen Rand des Ligamentum gastrohepaticum verlaufen (. Abb. 27.10). Als erste gastrale Äste gibt der anteriore Trunkus Fasern nach links vorne zu den untersten Anteilen der Speiseröhre, der Kardia und der Vorderfläche des Fundus und des Corpus ventriculi ab (. Abb. 27.10). Nach Abgabe dieser ösophagokardiofundalen Äste verläuft der vordere Trunkus (Latarjet-Ast) entlang der kleinen Kurvatur auf der Ventralseite und ca. 1–2 cm von ihr entfernt. Nach links hin gibt er Äste an die Vorderwand des Corpus ventriculi ab und endet am Antrum ca. 7 cm präpylorisch in 2–3 Ästen in Form eines Krähenfußes. Der dorsale Vagushauptstamm zeigt in der Regel gastrale Äste, die ca. 4 cm oberhalb seiner Mündung in den Plexus coeliacus entspringen. Die Variabilität ist groß und es kann ein sog. Ramus criminalis vorhanden sein, der sehr viel höher vom dorsalen Trunkus abzweigt und am His-Winkel entlang die Hinterseite des Fundus innerviert. Der tiefste gastrale Ast bildet den dorsalen Hauptast der kleinen Kurvatur, symmetrisch zum vorderen, aber weniger stark ausgebildet. 27.7.4 Chirurgische Strategie und
Verfahrenswahl Die Unterbrechung der präganglionären efferenten parasympathischen Fasern, die mit den Nervi vagi den Magen erreichen, hat eine Verminderung basaler und stimulierter Säure- und Pepsinogensekretion zur Folge. Dabei ist die Sekretion verschiedener Schleimhautabschnitte topographisch einzelnen Nervenästen zuzuordnen. Die Vagotomie beeinflusst aber auch die Magenmotorik durch den Verlust der rezeptiven Relaxation des Magenfundus und – je nach Ausdehnung der Vagotomie – auch die Antrummotilität. Folgen sind verlangsamte Entleerung fester und beschleunigte Entleerung flüssiger Nahrung. Die Schleimhautdurchblutung wird zunächst um 50–80% herabgesetzt. Die Helicobacter-pylori-Besiedelung wird durch die Vagotomie nicht beeinflusst (Hölscher et al. 1990). Vagus und Gastrin sind bei der Säurestimulation synergistisch. In diesen Mechanismus greift die Vagotomie durch Denervierung der Belegzelle ein. Das durch Vagotomie erreichte Azetylcholindefizit reduziert die Sekretion an der Belegzelle wesentlich (Olbe et al. 1986). Die durch Antrektomie erreichbare Säurereduktion (Ausschaltung der hormonellen Phase) lässt sich durch zusätzliche Vagotomie steigern. Die nach proximal-gastrischer Vagotomie erhaltene Antruminnervation hat keinen Einfluss auf die basale Säuresekretion, da nach proximal-gastrischer wie nach selektiv-gastrischer Vagotomie die Basalsekretion im gleichen Umfang reduziert wird.
5 6 7
10
8 3
4
. Abb. 27.10. Chirurgische Anatomie des N. vagus. 1 vorderer Stamm; 2 hinterer Stamm; 3 Endigung des Latarjet-Astes; 4 rekurrente Zweige; 5 zöliakaler Ast; 6 Nn. hepatopylorici; 7 Latarjet-Nerven; 8 N. gastroepiploicus rechts; 9 hinterer gastraler Ast; 10 N. pyloroduodenalis
Trunkuläre Vagotomie Die Durchtrennung der Vagusstämme führt zu einer nahezu vollständigen vagalen Denervation des Magen-Darm-Traktes bis hin zur linken Kolonflexur und der Leber, der Gallenblase und der Gallenwege (Dragstedt 1945). Die erhebliche Störung der Magenmotorik macht immer eine Drainageoperation notwendig. Wegen der hohen Nebenwirkungsrate ist die trunkuläre Vagotomie heute obsolet. Selektiv gastrische Vagotomie Die selektiv gastrische Vagotomie (SGV) umfasst die Durchtrennung aller zum Magen führenden Äste der Nervi vagi unter Schonung der Rami hepatopylorici und des Ramus coeliacus (. Abb. 27.10). Die vollständige SGV ergibt eine Reduktion der basalen und stimulierten Säuresekretion von 60–80%. Auch bei dieser Form der Vagotomie wird die Magenentleerung erheblich beeinträchtigt, weshalb ein Drainageverfahren angezeigt ist. Proximal gastrische Vagotomie Die selektive Unterbrechung der zu den säureproduzierenden Magenanteilen führenden Vagusfasern unter Erhaltung des vorderen und hinteren Ramus antralis (Nervus Latarjet) geht auf die experimentellen Untersuchungen von Griffiths u. Harkins (1957) und die klinische Pionierarbeit von Holle u. Hart (1967) zurück. Da in dieser Technik der proximale Teil des Magens denerviert wird, scheint der Begriff der proximal- gastrischen Vagotomie (PGV) der geeignetste. Besonderer Vorteil dieser Methode ist, dass bei einer Reduktion der Säureresekretion von 50–80% nur eine geringe Störung der Magenmotorik mit einem nahezu nor-
355 27.7 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie
27
. Abb. 27.11a,b. Extramuköse Pyloromyotomie. a Fassen der Muskulatur ohne Eröffnung der Mukosa; b Verschluss des Defektes
ac
malen Entleerungsverhalten resultiert. Eine Drainageoperation ist bei erhaltener Antruminnervation nicht notwendig, außer bei klinisch relevanter Magenausgangsstenose (7 Kap. 27.10). Minimalinvasive Vagotomieverfahren Hier wurde zunächst versucht, sich an den bewährten Techniken aus der offenen Chirurgie zu orientieren. Die PGV in der von Holle angegebenen Technik ist zwar laparoskopisch durchführbar, aber mit einem großen Zeitaufwand verbunden. Daher wandten viele laparoskopisch tätige Arbeitsgruppen modifizierte Techniken an, die teilweise in der Entwicklungsgeschichte der Vagotomie verworfen wurden oder hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit in der offenen Chirurgie nur bei einer kleinen Patientenanzahl angewandt und überprüft worden sind. Die hintere trunkuläre Vagotomie, kombiniert mit einer vorderen Seromyotomie, geht auf Taylor zurück (Taylor et al. 1990). Eine Modifikation der laparoskopischen Taylor-Operation beinhaltet statt der vorderen Seromyotomie die anteriore lineare Magenwandexzision mit dem Endo-GIA-Klammernahtgerät (Gomez-Ferrer et al. 1999). Ähnlich zu bewerten ist auch die laparoskopische hintere trunkuläre Vagotomie und vordere proximal-gastrische Vagotomie (Croce et al. 1999; Walia u. Abd el-Karim 1994). Von anderen Gruppen wurde die laparoskopische proximal-gastrische Vagotomie propagiert, die im Vergleich zu den genannten Verfahren eine deutlich längere Operationszeit erfordert (Cadière et al. 1999; Katkouda et al. 1998). Drainageverfahren Grundsätzlich ist zwischen erweiternden und den Magenausgang umgehenden Verfahren zu unterscheiden. Pyloroplastik. Die Pyloroplastik erweitert den Magenausgang
und führt zum Verlust der Pylorusfunktion (Antirefluxbarriere). Bei der Magenentleerung spielt der Pylorus allerdings eine untergeordnete Rolle. Entscheidend für die Entleerung fester Substanzen ist das terminale Antrum, das durch die meisten Pyloroplastiken auch in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Pyloroplastik verhindert die postprandiale Propulsion-Retropulsion mit Durchmischung und Zerkleinerung fester Nahrung. Gleichzeitig wird durch die
d b
mechanische Erweiterung den Kräften der Magenentleerung kein nennenswerter Widerstand mehr entgegengesetzt, was das Dumpingsyndrom und den duodenogastralen Reflux begünstigt. Die klassische Pyloroplastik nach Heineke-Mikulicz stellt eine Längsinzision und Quervernähung dar. Fehlen morphologische Veränderungen der Pylorusregion, so kann die extramuköse Pyloromyektomie zur Anwendung kommen (. Abb. 27.11). Die Anastomosierungspyloroplastik nach Finney ist die Methode der Wahl bei schweren morphologischen Veränderungen von Pylorus und des Bulbus duodeni. Sie führt zu einer weiten Passage vom Antrum ins Duodenum und wird – beim Vorderwandulkus – mit Vorteil unter Exzision des Geschwürs durchgeführt. Duodenoplastik. Eine deutlich postpylorisch liegende Magenausgangsstenose wird pyloruserhaltend durch eine duodenale Erweiterungsplastik mit Längsinzision und Quervernähung behoben (Muller u. Martinoli 1985). Gastrojejunostomie. Scheint eine Stenosierung reversibel (z. B. entzündlich) zu sein, so sollte eine Gastroenterostomie angelegt werden. Dadurch bleibt die Pylorusfunktion nach eventueller Rückbildung der Stenose intakt. Die Gastrojejunostomie sollte am tiefsten Punkt der Magenhinterwand isoperistaltisch mit Braun-Fußpunktanastomose angelegt werden. Funktionell werden hier die gleichen Ergebnisse wie mit der Pyloroplastik erreicht (7 Band 1: Onkologische Chirurgie).
Kombinierte Verfahren und Resektionsverfahren Die Kombination von SGV mit einer Antrektomie schaltet nicht nur die vagale Säurestimulation, sondern auch den humoralen Faktor des antralen Gastrins weitgehend aus. Die Wiederherstellung der Intestinalpassage erfolgt durch Gastroduodenostomie. Mit diesem kombinierten Verfahren kann eine fast vollständige Säurereduktion und damit die geringste Rezidivrate erreicht werden. Für die Behandlung der Ulcus-duodeni-Krankheit steht grundsätzlich auch die distale Magenresektion (Billroth II) zur Verfügung.
356
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.7.5 Operationstechnik
27
Proximal gastrische Vagotomie Die PGV beginnt mit der Präparation des distalen Ösophagus, der mit einer dicken Magensonde geschient sein sollte. Der Ösophagus, der hintere und der vordere Vagusstamm kranial der hepatopylorischen Äste werden angeschlungen. Der Punkt, an dem die Skelettierung des Magens im Bereich der kleinen Kurvatur beginnt, wird so gewählt, dass der distale Ast des LatarjetNervs im Bereich des Krähenfußes sicher geschont wird, während die beiden proximalen Äste durchtrennt werden (. Abb. 27.12). Grundsätzlich empfiehlt es sich, kleinkurvaturseits unter Erhaltung des distalen Krähenfußastes ca. 6 cm an den Pylorus heran zu skelettieren, da die Vollständigkeit der PGV dadurch nachweislich verbessert wird (Muller u. Martinoli 1985). Das kleine Netz wird magenwandnah in kleinen Schritten und in 2 Schichten von aboral nach oral hin skelettiert. Die Präparation wird vor der Kardia schräg bis zum His-Winkel geführt, wodurch die Muskulatur der Ösophaguswand auf einer Strecke von ca. 6 cm zirkulär freigelegt wird. Es müssen alle Fasern, die im Bereich zwischen His-Winkel und Milz vom Ösophagus zum Fundus ziehen, durchtrennt werden, um auch den sog. Ramus criminalis mit zu erfassen (. Abb. 27.12). Die häufigste Ursache einer unvollständigen Vagotomie ist fast immer die ungenügende Präparation im Ösophagus bzw. Kardiabereich. Der letzte Schritt der PGV ist eine Reserosierung der kleinen Kurvatur. Damit kann ein gewisser Schutz vor der seltenen ischämischen Nekrose der kleinen Kurvatur und eine Hinderniswirkung gegen eine Reinnervation erwartet werden. Im Kardiabereich ist darauf zu achten, dass bei der Reserosierung keine stenosierende Fundoplikation herbeigeführt wird. Die laparoskopische PGV wird in umgekehrter Trendelenburg-Lagerung durchgeführt, wobei der Chirurg zwischen den Beinen des Patienten steht. In der Regel werden 5 Trokare verwendet, wobei außer dem Optiktrokar 2 weitere dazu dienen,
6 cm 6 cm
jeweils mit einem Haken die Leber anzuheben bzw. mit einer Babcock-Klemme den Magen nach links zu ziehen. Danach wird, wie beim offenen Verfahren, die Dissektion der kleinen Kurvatur unter Belassung des distalen Krähenfußastes magenwandnah entweder mit Elektrokoagulation oder mit dem Ultraschallmesser durchgeführt (Katkouda et al. 1998). Das Hauptproblem beim laparoskopischen Vorgehen stellen Blutungen dar, die die Sicht verschlechtern oder das Erkennen des Nervenverlaufs erschweren. Dies ist insbesondere der Fall bei der Präparation des Truncus anterior im Kardiabereich und an der kleinen Kurvatur (Cadière et al. 1999). Bei der laparoskopischen posterioren trunkulären Vagotomie und anterioren Seromyotomie nach Taylor wird der hintere Vagusstamm durchtrennt. Danach wird mit dem elektrischen Häkchen eine Seromyotomie in 1,5 cm Abstand von der kleinen Kurvatur, beginnend am gastroösophagealen Übergang, bis 7 cm vom Pylorus zur Höhe der Trifurkation des Krähenfußes vorgenommen. Serosa und darunter liegende schräge Muskulatur werden komplett und die zirkuläre Muskelschicht oberflächlich durchtrennt. Die Blutstillung ist exakt durchzuführen und es muss sichergestellt werden, dass die Magenmukosa nach der Seromyotomie intakt ist (Luft- oder Methylenblaufüllung). Zuletzt wird die Seromyotomie mit einer fortlaufenden Naht wieder verschlossen (Taylor 1990, Mouiel u. Kathouda 1999; GomezFerrer et.al. 1999). Selektiv gastrische Vagotomie und Antrektomie Nach Freipräparieren des Ösophagus werden beide Vagusstämme dargestellt und angezügelt. Der hintere Zügel wird unter den hepatopylorischen Ästen durch ein Loch in der Pars flaccida des Omentum minus nach rechts geführt. Von dieser Öffnung aus wird unterhalb der Leberäste und unter deren Schonung alles Gewebe mit dem vorderen Latarjet-Nerv und dem deszendierenden Ast der Arteria gastrica sinistra bis zur Magenwand an der Kardia durchtrennt (. Abb. 27.13). An der Kardia wird die Präparation vorn schräg bis zum His-Winkel fortgesetzt, sodass die Muskulatur an der Vorderwand frei liegt. Die Kardiahinterseite wird minorseitig an der zweiten Schicht beginnend und unter Durchtrennung des vom hinteren Vagusstamm abgehenden Nervus Latarjet und der hinteren Fundusäste bis zu den Vasa gastrica brevia freipräpariert. Der Ösophagus wird auf ca. 6 cm Länge kranial der Kardia denudiert, wobei alle auf dem Muskel verlaufenden und von den Vagusstämmen abgehenden Nervenäste durchtrennt werden sollten. Wird das kombinierte Verfahren mit einer Antrektomie gewählt, so entspricht es einer Resektion nach Billroth I von etwa 40–50% des Magens (. Abb. 27.13). Dabei wird die proximale Resektionslinie leicht gewinkelt angelegt, um der an der kleinen Kurvaturseite höher reichenden Antrumgrenze Rechnung zu tragen. Die Technik der Resektion und der Rekonstruktion entspricht dem in Kap. 27.5 geschilderten Vorgehen. 27.7.6 Postoperative Behandlung
. Abb. 27.12. Situs nach vollständiger PGV. Ösophagus, Vagusstämme und der Nervus Latarjet sind angeschlungen. Abdomineller Ösophagus und die kleine Kurvatur sind bis zum Krähenfuß denerviert
Eine intraoperative gelegte Magensonde sollte am ersten postoperativen Tag entfernt werden. Danach kann ein schrittweiser Kostaufbau zunächst mit Trinken erfolgen. Bei Magenretention durch Pylorusspasmus muss eine erneute Dekompression durch Magensonde vorgenommen werden.
27
357 27.7 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie
4 - 6cm
K
a
b
. Abb. 27.13a,b. SGV und Antrektomie. a Ausmaß der Antrumresektion. Selektive Durchtrennung aller distal der hepatopylorischen Nerven zum Magen einstrahlenden Vagusäste sowie zirkuläre Denudierung
des abdominellen Ösophagus. b Situs nach gastroduodenaler Oralispartialis-Anastomose
27.7.7 Ergebnisse
bis zu 30% im Langzeitverlauf (Emås 1993; Donahue 2000; Johnson 2000). Ein Rezidivulkus nach Vagotomie ist jedoch einer konservativen Behandlung oder einer erneuten Operation sehr viel besser zugänglich als ein Ulcus pepticum jejuni nach Magenresektion. Das wichtigste Alternativverfahren zur PGV ist die Antrumresektion in Kombination mit einer SGV. Die kumulative Rezidivrate nach 15 Jahren war in der Untersuchung von Jordan bei der PGV signifikant höher als nach Antrektomie plus SGV (Jordan u. Thornby 1994; . Tab. 27.13). Die Visick-Verteilung war gleich bei signifikant höherer Dumpingsymptomatik nach dem kombinierten Verfahren. Dieses Vorgehen kann zwar nicht
Zum Vergleich von Resektion und Vagotomie, insbesondere PGV, liegen keine aussagekräftigen randomisierten Studien vor (. Tab. 27.13). Die Rezidivraten nach Billroth-II-Resektion sind deutlich geringer als nach Vagotomie, jedoch mit einer wesentlich höheren Rate an Folgeerkrankungen behaftet. Die postoperative Letalität ist bei der Beurteilung der Therapieverfahren einer benignen Erkrankung das härteste Kriterium, sodass dadurch die nichtresezierenden Vagotomieverfahren mit der niedrigsten Mortalität beim Ulcus duodeni zu favorisieren sind. Das Problem der PGV liegt in der relativ hohen Rezidivulkusrate von
. Tabelle 27.13. Vergleich von verschiedenen Verfahren der Vagotomie beim chronischen Ulcus duodeni (prospektive randomisierte Studien nach 1990)
Autor
Verfahren
Patienten (n)
Hildebrandt u. Herrmann 1992
SGV
38
SGV+P
38
Emås et al. 1993
SGV
40
SGV+P
39
Walia u. Abd el-Karim 1994
PGV
50
ALCS+hTV
50
Jordan u. Thornby 1994
PGV
100
SGV+A
100
Nachbeobachtung (1 Jahr)
Rezidiv (%)
Dumping (%)
10
12,5
2,6
2,6
81
16,7
0
5,3
84
20
–
–
55
15
–
–
70
14
8
10
76
12
6
14
76
16,5
2
Gleich
86
2,1
8
6
1
15
Diarrhö (%)
Visick I/II (%)
85
PGV Proximal gastrische Vagotomie, ALCS »anterior lesser curve seromyotomy«, SGV Selektiv gastrische Vagotomie, A Antrektomie, P Pyloroplastik
358
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
als Routineverfahren beim chronischen Ulcus duodeni empfohlen werden, wenn aber ein Rezidivulkus sicher vermieden werden muss, sollte das Verfahren erwogen werden. Antrektomie plus SGV sind günstig bei pylorischen oder präpylorischen Ulzera.
27
Literatur Cadière GB, Bruyns J, Himpens J, Van Alphen P, Verturyen M (1999) Laparoscopic highly selective vagotomy. Hepato-Gastroenterol 46:1500– 1506 Croce E, Olmi S, Russo R, Azzola M, Matropasqua E, Golia M (1999) Laparoscopic treatment of peptic ulcers. A review after 6 years experience with Hill-Barkerás procedure. Hepato-Gastroenterol 46:924–929 Donahue PE (2000) Parietal cell vagotomy versus vagotomy-antrectomy: Ulcer surgery in the modern era. World J Surg 24:264–269 Dragstedt LR (1945) Vagotomy for gastroduodenal ulcer. Ann Surg 122:973–989 Emås S, Grupcev G, Eriksson B (1993) Six-year results of a prospective, randomized trial of selective proximal vagotomy with and without pyloroplasty in the treatment of duodenal, pyloric, and prepyloric ulcers. Ann Surg 217:16–14 Gómez-Ferrer F, Balique JG, Azagra S et al. (1999) Laparoscopic surgery for duodenal ulcer: first results of a multicentre study applying a personal procedure. Hepatogastroeenterology 46:1517–21 Griffiths CA, Harkins HN (1957) Partial gastric vagotomy: An experimental study. Gastroenterology 32:97–101 Hildebrandt J, Herrmann U (1992) Selective proximal vagotomy with and without pyloroplasty in uncomplicated chronic duodenal ulcer. Results of a randomized clinical study 5 and 10 years following surgery. Zentralbl Chir 117 (1):36–40 Hölscher AH, Bollschweiler E, Petkaneschkov G, Dittler J, Becker K (1990) Effekt der proximal gastrischen Vagotomie auf die Campylobacterpylori-Besiedelung des Magens. In: Häring R et al. (Hrsg) Chirurgisches Forum für experimentelle und klinische Forschung. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Hölscher AH, Bollschweiler E, Seebauer L. Alcock ATR, Siewert JR (1989) Experience with long-term intragastric pH monitoring as a test after proximal gastric vagotomy. Dig Surg 6:33–38 Hölscher AH, Bollschweiler E, Seebauer L, Alcock ATR, Siewert JR (1991) Experience with long-term intragastric pH monitoring as a test after proximal gastric vagotomy. In: Fuchs KH, Hamelmann H (Hrsg) Gastrointestinale Funktionsdiagnostik in der Chirurgie. Blackwell, Berlin Holle F, Hart W (1967) Neue Wege der Chirurgie des Gastroduodenalulcus. Med Klin 62:441–450 Johnson AG (2000) Proximal gastric vagotomy: Does it have a place in the future management of peptic ulcer? World J Surg 24:259–263 Jamieson GG (2000) Current status of indications for surgery in peptic ulcer disease. World J Surg 24:256–258 Jordan PH Jr, Thornby H (1994) Twenty years after parietal cell vagotomy or selective vagotomy antrectomy for treatment of duodenal ulcer. Ann Surg 220 (3):283–296 Katkhouda N, Waldrep DJ, Campos GM et al. (1998) An improved technique for laparoscopic highly selective vagotomy using harmonic shears. Surg Endosc 12:1051–1054 Mouiel J, Katkhouda N (1993) Laparoscopic vagotomy for chronic duodenal ulcer disease. World J Surg 17:34–39 Mouiel J, Katkhouda N (1999) Posterior vagotomy and anterior seromyotomy as elective surgery for duodenal ulcer disease. Hepatogastroenterology 46:1507–16 Muller C, Martinoli S (1985) Die proximal-selektive Vagotomie in der Behandlung der gastroduodenalen Ulkuskrankheit. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Muller C, Martinoli S, Fiedler L, Marrie A, Stalder G, Zumtobel V (1987) Langzeiteffekte der proximal selektiven Vagotomie auf die Säuresekretion. Schweiz Rundsch Med Prax 76:132–135
Olbe L, Lind T, Cederberg C, Ekenved G (1986) Effect of omeprazole on gastric acid secretion in man. Scand J Gastroenterol 118 (Suppl):105– 107 Paimela H, Oksala NKJ, Kivilaakso E (2004) Surgery for peptic ulcer today. Dig Surg 21:185–191 Taylor TV, Lythgoe JP, McFarland JB, Gilmore IT, Thomas PE, Ferguson GH (1990) Anterior lesser curve seromyotomy and posterior truncal vagotomy versus truncal vagotomy and pyloroplasty in the treatment of chronic duodenal ulcer. Br J Surg 77:1007–1009 Walia HS, Abd el-Karim HA (1994) Anterior lesser curve seromyotomy with posterior truncal vagotomy versus proximal gastric vagotomy: results of a prospective randomized trial 3–8 years after surgery. World J Surg 18(5):758–763
27.8
Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung J. Faß, K. Homayounfar
) ) Die obere gastrointestinale Blutung stellt nach wie vor eine klinische und ökonomische Herausforderung dar. Zunehmende Komorbidität, die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika und Antikoagulanzien führen zu vermehrten Blutungen und einer signifikanten Erhöhung des Blutungsrisikos.
27.8.1 Epidemiologie Die obere gastrointestinale Blutung hat in den westlichen Industrienationen eine Prävalenz von ca. 170 Fällen/ 100.000 Einwohner und belastet allein in den Vereinigten Staaten das Gesundheitssystem mit etwa 750 Mio. US-Dollar/Jahr (Blatchford et al. 1997; Jiranek u. Kozarek 1996). Trotz der allgemein rückläufigen Ulkusinzidenz sind peptische Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre noch immer für 50–70% der nichtvarikösen oberen gastrointestinalen Blutungen verantwortlich. Dabei kommt das Ulcus duodeni etwas häufiger vor als das Ulcus ventriculi (Barkun et al. 2001; Marshall et al. 1999). Andere Ursachen sind gastroduodenale und ösophageale Erosionen, Ösophagitis, MalloryWeiss-Syndrom, Ulcus Dieulafoy, Angiodysplasien und andere Gefäßmalformationen, Malignome und seltene Entitäten wie Hämobilie, aortoduodenale Fisteln, Ulcus pepticum jejuni nach Magenresektionen u. a. (. Tab. 27.14; Blatchford et al. 1997; British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Longstreth 1995; Peura et al. 1997; Rockall et al. 1996; Vreeburg et al. 1997). Obwohl das vertiefte Verständnis der Ulkusgenese, die verbesserten Möglichkeiten der medikamentösen Therapie und die flächendeckende Einführung der diagnostischen und interventionellen Endoskopie zu erheblichen Verbesserungen in der Behandlung der peptischen Ulkuskrankheit geführt haben, blieb die Inzidenz der oberen gastrointestinalen Blutung und ihre Mortalität (6−8%) nahezu unverändert (Blatchford et al. 1997; Silverstein et al. 1981; Jiranek u. Kozarek 1996). Das kann damit erklärt werden, dass die Patienten in neueren Serien älter sind, eine größere Komorbidität aufweisen und der Einsatz der interventionellen Notfallendoskopie noch immer sehr unterschiedlich gehandhabt wird (Barkun et al. 2004). Darüber
358
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
als Routineverfahren beim chronischen Ulcus duodeni empfohlen werden, wenn aber ein Rezidivulkus sicher vermieden werden muss, sollte das Verfahren erwogen werden. Antrektomie plus SGV sind günstig bei pylorischen oder präpylorischen Ulzera.
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Literatur Cadière GB, Bruyns J, Himpens J, Van Alphen P, Verturyen M (1999) Laparoscopic highly selective vagotomy. Hepato-Gastroenterol 46:1500– 1506 Croce E, Olmi S, Russo R, Azzola M, Matropasqua E, Golia M (1999) Laparoscopic treatment of peptic ulcers. A review after 6 years experience with Hill-Barkerás procedure. Hepato-Gastroenterol 46:924–929 Donahue PE (2000) Parietal cell vagotomy versus vagotomy-antrectomy: Ulcer surgery in the modern era. World J Surg 24:264–269 Dragstedt LR (1945) Vagotomy for gastroduodenal ulcer. Ann Surg 122:973–989 Emås S, Grupcev G, Eriksson B (1993) Six-year results of a prospective, randomized trial of selective proximal vagotomy with and without pyloroplasty in the treatment of duodenal, pyloric, and prepyloric ulcers. Ann Surg 217:16–14 Gómez-Ferrer F, Balique JG, Azagra S et al. (1999) Laparoscopic surgery for duodenal ulcer: first results of a multicentre study applying a personal procedure. Hepatogastroeenterology 46:1517–21 Griffiths CA, Harkins HN (1957) Partial gastric vagotomy: An experimental study. Gastroenterology 32:97–101 Hildebrandt J, Herrmann U (1992) Selective proximal vagotomy with and without pyloroplasty in uncomplicated chronic duodenal ulcer. Results of a randomized clinical study 5 and 10 years following surgery. Zentralbl Chir 117 (1):36–40 Hölscher AH, Bollschweiler E, Petkaneschkov G, Dittler J, Becker K (1990) Effekt der proximal gastrischen Vagotomie auf die Campylobacterpylori-Besiedelung des Magens. In: Häring R et al. (Hrsg) Chirurgisches Forum für experimentelle und klinische Forschung. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Hölscher AH, Bollschweiler E, Seebauer L. Alcock ATR, Siewert JR (1989) Experience with long-term intragastric pH monitoring as a test after proximal gastric vagotomy. Dig Surg 6:33–38 Hölscher AH, Bollschweiler E, Seebauer L, Alcock ATR, Siewert JR (1991) Experience with long-term intragastric pH monitoring as a test after proximal gastric vagotomy. In: Fuchs KH, Hamelmann H (Hrsg) Gastrointestinale Funktionsdiagnostik in der Chirurgie. Blackwell, Berlin Holle F, Hart W (1967) Neue Wege der Chirurgie des Gastroduodenalulcus. Med Klin 62:441–450 Johnson AG (2000) Proximal gastric vagotomy: Does it have a place in the future management of peptic ulcer? World J Surg 24:259–263 Jamieson GG (2000) Current status of indications for surgery in peptic ulcer disease. World J Surg 24:256–258 Jordan PH Jr, Thornby H (1994) Twenty years after parietal cell vagotomy or selective vagotomy antrectomy for treatment of duodenal ulcer. Ann Surg 220 (3):283–296 Katkhouda N, Waldrep DJ, Campos GM et al. (1998) An improved technique for laparoscopic highly selective vagotomy using harmonic shears. Surg Endosc 12:1051–1054 Mouiel J, Katkhouda N (1993) Laparoscopic vagotomy for chronic duodenal ulcer disease. World J Surg 17:34–39 Mouiel J, Katkhouda N (1999) Posterior vagotomy and anterior seromyotomy as elective surgery for duodenal ulcer disease. Hepatogastroenterology 46:1507–16 Muller C, Martinoli S (1985) Die proximal-selektive Vagotomie in der Behandlung der gastroduodenalen Ulkuskrankheit. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Muller C, Martinoli S, Fiedler L, Marrie A, Stalder G, Zumtobel V (1987) Langzeiteffekte der proximal selektiven Vagotomie auf die Säuresekretion. Schweiz Rundsch Med Prax 76:132–135
Olbe L, Lind T, Cederberg C, Ekenved G (1986) Effect of omeprazole on gastric acid secretion in man. Scand J Gastroenterol 118 (Suppl):105– 107 Paimela H, Oksala NKJ, Kivilaakso E (2004) Surgery for peptic ulcer today. Dig Surg 21:185–191 Taylor TV, Lythgoe JP, McFarland JB, Gilmore IT, Thomas PE, Ferguson GH (1990) Anterior lesser curve seromyotomy and posterior truncal vagotomy versus truncal vagotomy and pyloroplasty in the treatment of chronic duodenal ulcer. Br J Surg 77:1007–1009 Walia HS, Abd el-Karim HA (1994) Anterior lesser curve seromyotomy with posterior truncal vagotomy versus proximal gastric vagotomy: results of a prospective randomized trial 3–8 years after surgery. World J Surg 18(5):758–763
27.8
Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung J. Faß, K. Homayounfar
) ) Die obere gastrointestinale Blutung stellt nach wie vor eine klinische und ökonomische Herausforderung dar. Zunehmende Komorbidität, die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika und Antikoagulanzien führen zu vermehrten Blutungen und einer signifikanten Erhöhung des Blutungsrisikos.
27.8.1 Epidemiologie Die obere gastrointestinale Blutung hat in den westlichen Industrienationen eine Prävalenz von ca. 170 Fällen/ 100.000 Einwohner und belastet allein in den Vereinigten Staaten das Gesundheitssystem mit etwa 750 Mio. US-Dollar/Jahr (Blatchford et al. 1997; Jiranek u. Kozarek 1996). Trotz der allgemein rückläufigen Ulkusinzidenz sind peptische Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre noch immer für 50–70% der nichtvarikösen oberen gastrointestinalen Blutungen verantwortlich. Dabei kommt das Ulcus duodeni etwas häufiger vor als das Ulcus ventriculi (Barkun et al. 2001; Marshall et al. 1999). Andere Ursachen sind gastroduodenale und ösophageale Erosionen, Ösophagitis, MalloryWeiss-Syndrom, Ulcus Dieulafoy, Angiodysplasien und andere Gefäßmalformationen, Malignome und seltene Entitäten wie Hämobilie, aortoduodenale Fisteln, Ulcus pepticum jejuni nach Magenresektionen u. a. (. Tab. 27.14; Blatchford et al. 1997; British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Longstreth 1995; Peura et al. 1997; Rockall et al. 1996; Vreeburg et al. 1997). Obwohl das vertiefte Verständnis der Ulkusgenese, die verbesserten Möglichkeiten der medikamentösen Therapie und die flächendeckende Einführung der diagnostischen und interventionellen Endoskopie zu erheblichen Verbesserungen in der Behandlung der peptischen Ulkuskrankheit geführt haben, blieb die Inzidenz der oberen gastrointestinalen Blutung und ihre Mortalität (6−8%) nahezu unverändert (Blatchford et al. 1997; Silverstein et al. 1981; Jiranek u. Kozarek 1996). Das kann damit erklärt werden, dass die Patienten in neueren Serien älter sind, eine größere Komorbidität aufweisen und der Einsatz der interventionellen Notfallendoskopie noch immer sehr unterschiedlich gehandhabt wird (Barkun et al. 2004). Darüber
359 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
. Tabelle 27.14. Inzidenz der verschiedenen Ursachen der nichtvarikösen oberen gastrointestinalen Blutung und ihre Mortalität
Blutungsursache
Inzidenz (%)
Mortalität (%)
Ulcus duodeni
24–35
10–12
Ulcus ventriculi
16–26
8–11
Gastroduodenale Erosionen
6–29
2–7
Ösophagitis
5–20
8
Mallory-Weiss-Syndrom
5–15
1–3
Ulcus Dieulafoy
0,2–1,2
1–2,9
Gefäßmalformationen
1,4–5
k. A.
Malignome
1–5
10–37
Andere
5–10
10–18
hinaus führt die zunehmende Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika und Antikoagulanzien zu vermehrten Blutungen und einer signifikanten Erhöhung des Blutungsrisikos. Generell weisen die Patienten mit oberer gastrointestinaler Blutung gegenüber einem Vergleichskollektiv aus anderen Gründen endoskopierter Patienten folgende Charakteristika auf: Sie sind eher männlich, haben ein um 5 Jahre höheres Durchschnittsalter, trinken und rauchen mehr und nehmen in einem höheren Prozentsatz nichtsteroidale Antirheumatika und Antikoagulanzien. 27.8.2 Klinische Symptomatologie Das klinische Erscheinungsbild der oberen gastrointestinalen Blutung hängt von der Grunderkrankung, der Lokalisation der blutenden Läsion und der Blutungsintensität ab. Bei der Ulkusblutung präsentieren sich 20% der Patienten mit Meläna, 30% mit Hämatemesis und 50% weisen beide Symptome auf. Die Inzidenz der Hämatochezie wird mit 5–15% angegeben (Barkun et al. 2004; Corley et al. 1998; Laine u. Peterson 1994; Vreeburg et al. 1997). Ob transrektal frisches Blut oder Teerstuhl auftreten, hängt vom Blutungsvolumen und der Blutungsintensität ab. Teerstuhl kann schon bei einem Blutungsvolumen von 50–100 ml beobachtet werden, während für die Hämatochezie 1000 ml oder mehr Blutverlust notwendig sind (Laine u. Peterson 1994). Dementsprechend haben Patienten mit letzterem Symptom zu 3/4 ein blutendes Ulkus (43% Ulcus duodeni), einen höheren Transfusionsbedarf und eine höhere Mortalität (Wilcox et al. 1997). Das typische Symptom der Mallory-Weiss-Blutung ist das wiederholte, heftige Erbrechen frischroten Blutes das durch einen intrakardialen Schleimhauteinriss verursacht wird. Das Ulcus Dieulafoy kann sich, je nach Blutungsintensität, als Hämatemesis und/oder Meläna bemerkbar machen. Charakteristisch ist das Fehlen einer Ulkusanamnese und der dazugehörigen klinischen Zeichen (Kasapidis et al. 2002). Etwa 1/3 aller Patienten mit einer oberen gastrointestinalen Blutung sind bei Aufnahme hämodynamisch instabil, 2/3 haben
27
einen Hb-Wert <10 g/dl und 3/4 zeigen laborchemisch eine Anämie (Barkun et al. 2004; Peura et al. 1997). Abgesehen von den Blutungssymptomen wiesen in einer hölländischen Studie bei der Aufnahme 18% der Patienten eine Dyspepsie, 22% epigastrische Schmerzen, 10% Sodbrennen und 10% diffuse abdominelle Schmerzen auf (Vreeburg et al. 1997). 27.8.3 Notfallmanagement Etwa 80% der oberen gastrointestinalen Blutungen kommen spontan zum Stehen und entwickeln im weiteren Verlauf kein Rezidiv (Laine u. Peterson 1994). Fast die gesamte Morbidität und Mortalität entsteht in den verbleibenden 20%. Die wichtigste Aufgabe im Management der gastroduodenalen Blutung besteht also darin, die Risikogruppe frühzeitig zu erkennen und einer sicheren und effektiven Therapie zuzuführen.
Für den Verlauf der Erkrankung spielen medizinische, aber auch organisatorische Parameter eine wesentliche Rolle. Nach eindeutigen Hinweisen aus der Literatur wird die Prognose der Patienten mit einer oberen gastrointestinalen Blutung von folgenden, organisatorischen Faktoren beeinflusst (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Eisen et al. 2002): 4 Der Existenz eines standardisierten, gastroenterologisch/ chirurgischen Konzeptes zur Behandlung dieser Entität 4 Der Verfügbarkeit einer interventionellen Endoskopie in erfahrener Hand für 24 h/Tag 4 Der Möglichkeit der Unterbringung von Patienten mit substitutionspflichtiger Blutung auf einer Intensiv- oder Wachstation 4 Verfügbarkeit einer leistungsfähigen Blutbank über 24 h/Tag Das klinische Management des individuellen Patienten muss die Schwere und Ursache der Blutung, Begleiterkrankungen und Alter sowie die hierdurch verursachte Gesamtsituation berücksichtigen. Die empfohlenen Behandlungsstufen und Entscheidungswege sind dem Algorithmus in . Abb. 27.14 zu entnehmen. Primärversorgung. Die Art der Primärversorgung von Patienten mit einer akuten gastroduodenalen Blutung richtet sich im Wesentlichen nach dem Schweregrad des Blutverlustes und der, häufig von den Begleiterkrankungen bestimmten, klinischen Gesamtsituation. Alle Patienten sollten, unabhängig vom Schweregrad der Blutung bei Aufnahme, einen peripher-venösen Zugang erhalten. Bei dieser Gelegenheit sollten auch die Notfall-Laboruntersuchungen eingeleitet werden.
Notwendige Notfall-Laboruntersuchungen bei der gastroduodenalen Blutung (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002) 5 5 5 5 5
Blutbild Hämoglobin im Serum Elektrolyte inkl. Serumkreatinin Gerinnung inkl. Quick-Test (Leberfunktion!) Kreuzprobe/ggf. Erythrozytenkonzentrate
360
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Abb. 27.14. Algorithmus für die Behandlung der akuten oberen gastrointestinalen Blutung (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002)
Hämatemesis/Melaena
Routine-Labor/Kreuzprobe
27 Schwache Blutung
Starke Blutung
– Beobachtung auf der Allgemeinstation – Elektive Endoskopie – Frühe Entlassung möglich
– Überwachung auf der Intensivstation – Mit Volumensubstitution – Transfusion
Endoskopie
Aktive Blutung
Keine aktive Blutung
Endoskopische Therapie
Beobachtung auf der Allgemeinstation
Erfolgreiche Blutstillung
Stabiler Verlauf
Kein Erfolg
Rezidivblutung
Abklärung: – H. pylori – NSAR
Operation
Erneute endoskopische Therapie
Erfolg
Weiterhin gehört eine sorgfältige Anamnese, die die Fragen nach Vorerkrankungen, stattgehabten Operationen, Genussmittelkonsum, Medikamenteneinnahme und Gerinnungsstörungen beinhalten sollte, ganz an den Anfang der Exploration. Die körperliche Untersuchung sollte, vor allem bei nicht geschäftsfähigen Patienten, unbedingt auf Operationsnarben, die Zeichen der portalen Hypertension oder einer Tumorerkrankung achten.
Eine digitale, rektale Untersuchung auf Blutungsstigmata ist obligatorisch!
Die Notwendigkeit des Einlegens einer Magensonde wird heute kontrovers beurteilt. Die Anwesenheit von frischem Blut im Magensondenaspirat beweist das Vorliegen einer oberen gastrointestinalen Blutung. Obwohl einige Daten das Legen einer Magensonde nicht unterstützen, konnte jedoch gezeigt werden, dass ihre initiale vorübergehende Platzierung (»in and out«) in der Lage war, eine schlechte Prognose und die Notwendigkeit
Persistierende Blutung
einer Notfallendoskopie vorherzusagen (Barkun et al. 2004; Corley et al. 1998; Perng et al. 1994; Silverstein et al. 1981). In einer großen Studie war die Diagnose frischroten Blutes über die Magensonde ein unabhängiger Prognosefaktor für das Auftreten einer Rezidivblutung (Barkun et al. 2001). Obwohl eine Magensonde nicht zur Verhinderung einer Aspiration beiträgt, kann die Magenspülung über eine liegende Sonde hilfreich für die Vorbereitung auf die Notfallendoskopie sein (Barkun et al. 2003).
Bei allen instabilen Patienten mit Erbrechen frischroten Blutes sollte auch weiterhin eine Magensonde platziert werden.
In der Praxis werden 2 unterschiedliche Ausgangssituationen vorgefunden (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002): 4 Leichte oder moderate Blutung: Es handelt sich meist um Patienten unterhalb des 60. Lebensjahres ohne wesentliche Begleiterkrankungen. Sie sind kreislaufstabil und haben eine
361 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
Hämoglobinkonzentration >100 g/l. Diese Patienten können auf eine Normal- oder »Intermediate-care«-Station aufgenommen werden und dürfen, wenn sie stabil bleiben, trinken. Die Kreislaufparameter werden stündlich und die Urinausscheidung 6-stündlich gemessen. Die Endoskopie kann zum nächstmöglichen, aber innerhalb von 24 h liegenden, elektiven Termin erfolgen (Barkun et al. 2003). Werden bei der Untersuchung keine Stigmata der stattgehabten Blutung, Varizen oder ein Karzinom gefunden, ist die Prognose in der Regel gut. Meist handelt es sich um gastroduodenale Erosionen oder kleine, oberflächliche Ulzera. Die Patienten können zur Eradikationstherapie oder mit dem Hinweis auf einen Verzicht auf nichtsteroidale Antirheumatika schnell wieder in ambulante Behandlung entlassen werden. 4 Schwere, kreislaufwirksame Blutung: Hier handelt es sich meist um kreislaufinstabile Patienten jenseits des 60. Lebensjahres mit multipler Komorbidität, positivem Schockindex und einem Hämoglobinwert unter 100 g/l. Der Letztere kann jedoch auch trügerisch sein, da er sich erst nach einigen Stunden der Blutung messbar verändert. Bei heftiger Blutung kann ein Volumenmangelschock auch bei normalem Hb bestehen. Im Zentrum der Primärversorgung dieser Patienten steht die Schockbekämpfung und die Aufrechterhaltung bzw. Sicherung der Vitalfunktionen. Hierzu müssen zumindest 2 großlumige periphervenöse Zugänge und ein zentraler Venenkatheter gelegt werden, da auch die Messung des zentralvenösen Druckes in der Überwachung erforderlich ist. Somnolente Patienten und solche mit heftigem Bluterbrechen sollten sofort intubiert werden, um eine Aspiration zu verhindern oder zu erkennen und um eine adäquate Oxygenierung während der weiteren Therapie zu garantieren (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002). Als Nächstes erfolgt die Aufnahme auf eine Intensivstation, wo ein engmaschiges Monitoring der Kreislaufparameter und der Urinausscheidung notwendig ist. Parallel findet die Volumensubstitution mit Erythrozytenkonzentraten, Plasmaexpandern und FFP statt.
Im Zentrum des Managements steht jedoch die Notfallendoskopie, die unmittelbar nach Kreislaufstabilisierung oder bei Misserfolg der Volumentherapie sofort durchgeführt werden muss.
Generell kann bei allen Patienten mit Nachweis von Blutungsstigmata mit hohem Risiko die Rezidivblutungsrate mit einer sofort einsetzenden, hochdosierten (>100 mg/Tag) i.v. PPI-Therapie signifikant gesenkt werden (Barkun et al. 2004). 27.8.4 Endoskopie Auf die Details der endoskopischen Diagnose und Therapie bei gastroduodenalen Blutungen wurde im vorhergehenden Kapitel ausführlich eingegangen. Hier soll daher lediglich noch einmal die Frage des Zeitpunkts der Untersuchung und ihre klinische Bedeutung dargestellt werden. Die zeitliche Definition der Notfallendoskopie variiert in verschiedenen Studien sehr stark zwischen 2–24 h nach Aufnahme (Cipolletta et al. 2002; Cooper et al. 1998; Lee et al. 1999). Inzwi-
27
schen existiert die Empfehlung einer Konsensuskonferenz, den Zeitrahmen auf die ersten 24 h nach der Aufnahme festzulegen (Barkun et al. 2003). Die frühe Endoskopie für alle Risikogruppen der gastroduodenalen Blutung reduziert die stationäre Liegedauer und die Operationsrate (Cooper et al. 1998). Bei Patienten mit niedrigem Risiko ermöglicht die frühe Endoskopie eine Kostenreduktion von 43–91% (Cipolletta et al. 2002; Lee et al. 1999). Bei schweren Blutungen sollte die Endoskopie grundsätzlich nur durch einen erfahrenen Untersucher durchgeführt werden der alle Blutstillungstechniken sicher beherrscht. Hierzu gehört auch mindestens ein adäquat ausgebildeter Assistent, der Erfahrung in der therapeutischen Endoskopie hat (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002).
Folgende Ziele sollen durch die Notfallendoskopie erreicht werden: 5 Die Klärung der Blutungsursache und Blutungsintensität 5 Wenn nötig Durchführung der endoskopischen Blutstillung 5 Die Risikostratifizierung im Hinblick auf das Blutungsrezidiv und die Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention
Bei der Risikostratifizierung des kreislaufwirksam blutenden Patienten führt die gemeinsame Beurteilung durch Endoskopiker und Chirurgen zu einer Verbesserung der Ergebnisse (Barkun et al. 2003; British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002). 27.8.5 Risikostratifizierung Die wesentlichen, bei der Risikoabschätzung der gastroduodenalen Blutung interessierenden Fragen, sind: 4 Benötigt der Patient eine stationäre Therapie sowie eine endoskopische Intervention und, wenn ja, in welchem Umfang? 4 Wird der Patient mit oder ohne endoskopische Intervention eine persistierende oder eine Rezidivblutung erleben? 4 Wie groß ist das Risiko des Patienten, an seiner Blutung zu versterben, und wie intensiv muss demnach die Therapie sein? 4 Sollte von vorneherein eine notfallmäßige oder frühelektive chirurgische Intervention erfolgen? Generell stehen zur Beantwortung dieser Fragen klinische Zeichen, Laborparameter und endoskopische Variablen zur Verfügung die mittlerweile in Scores zu den verschiedenen Komplexen Eingang fanden. Die klinische Relevanz dieser Parameter wurde in multiplen Studien überprüft (. Tab. 27.15). Die Blutungsintensität wird in der Regel nach der Forrest-Klassifikation beurteilt (7 Kap. 27.8.1). Sie fand allerdings keinen Eingang in die neueren Score-Systeme. Für die Beantwortung der ersten Frage entwickelten Blatchford et al. einen Risikoscore auf der Basis rein klinischer Befunde und labormedizinischer Ergebnisse, der eine zuverlässige Aussage zur Notwendigkeit der stationären Aufnahme und der Wahrscheinlichkeit einer endoskopischen Intervention ermöglicht (Blatchford et al. 2000).
362
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tabelle 27.15. Statistisch signifikante Prädiktoren für das Fortbestehen oder Rezidivieren einer gastroduodenalen Blutung. Ergebnisse einer multivariaten Analyse von Studien der Jahre 1993–2003 (Barkun et al. 2003)
27
Risikofaktoren
Odds Ratio für erhöhtes Risiko
Allgemeine klinische Faktoren Alter >65 Jahre
1,3
Alter ≥70 Jahre
2,30
Schock (systolischer RR<100 mmHg)
1,2–3,65
Allgemeinzustand (ASA 1 vs. 2–5)
1,94–7,63
Komorbidität
1,6–7,63
Bewusstseinslage
1,53–6,74
Persistierende Blutung
2,40–4,12
Laborparameter Aufnahme-Hb≤100 g/l; Hkt<0,3
0,8–2,99
Gerinnungsstörung
1,46–2,64
Klinische Blutungszeichen Meläna
1,1–2,4
Frisches Blut rektal/digital
2,26–6,26
Blut über Magensonde
1,1–11,5
Endoskopische Befunde Aktive Blutung bei Endoskopie
2,5–6,48
Hochrisikostigmata
1,91–4,81
Koagel auf Läsion
1,72–1,9
Ulkusgröße ≥2 cm
2,29–3,54
Diagnose Magen- vs. Duodenalulkus
1,2–4,9
Ulkuslokalisation (hoch an der kleinen Kurvatur)
13,9 (9,2)
Für die Analyse des Rezidivblutungs- und Mortalitätsrisikos steht, neben der Bewertung der einzelnen klinischen und endoskopischen Faktoren (. Tab. 27.15), seit 1996 das Rockall-ScoringSystem (Rockall et al. 1996) zur Verfügung, das eine validierte Abschätzung des individuellen Risikos ermöglicht (. Tab. 27.16 und 27.17). Es konnte eine eindeutige Korrelation zwischen der Risikopunktzahl und der Prognose der oberen gastrointestinalen Blutung gefunden werden, sodass sich das System auch in der Praxis bewährt hat. Dabei ist zu beachten, dass nur 50% der verstorbenen Patienten eine Rezidivblutung haben und 40% der Patienten mit Rezidivblutung sterben, was wiederum ein Licht auf die Bedeutung der Begleiterkrankungen und der klinischen Gesamtsituation wirft (Rockall et al. 1996). 4 Patienten mit einem Rockall-Risiko-Score von 0–2 Punkten können nach der endoskopischen Diagnose und ggf. Therapie (z. B. Mallory-Weiss-Läsion) in der Regel nach kurzer stationärer Beobachtung in die ambulante Betreuung entlassen werden. 4 Bei 3–4 Risikopunkten liegt das Rezidivblutungsrisiko schon über 10% und es gibt ein reales Letalitätsrisiko. Hier sollte eine stationäre Überwachung auf der Normalstation erfolgen, bis von einer stabilen Situation ausgegangen werden kann. Routinemäßige Kontrollendoskopien tragen in dieser Gruppe nicht zur Verbesserung der Ergebnisse bei. Eine weitere Endoskopie sollte nur bei Vorliegen einer Rezidivblutung erfolgen (Messmann et al. 1998). 4 Patienten mit >5 Risikopunkten sind vital gefährdet und haben ein hohes Rezidivblutungsrisiko. Sie sollten in Endoskopiebereitschaft intensivmedizinisch überwacht werden. Bei Hochrisikopatienten mit initialer endoskopischer Therapie kann, bei ausgewählten Patienten, die geplante Kontrollendoskopie, ggf. mit erneuter Intervention, den Verlauf günstig beeinflussen (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Saeed et al. 1996). 27.8.6 Vorgehen bei endoskopisch nicht
lokalisierbarer Blutung Trotz des routinierten Einsatzes der Notfallendoskopie gelingt es, je nach Definition, bei 7–22% der Patienten nicht, bei der ersten Endoskopie die Blutungsquelle eindeutig zu identifizieren (Vreeburg et al. 1997). Diese Patienten weisen häufiger eine
. Tabelle 27.16. Rockall-Scoring-System für die obere gastrointestinale Blutung: Vergabe der Risikopunkte nach klinischen und endoskopischen Parametern
Variable
0
1
2
Alter
≤60 Jahre
60–79 Jahre
≥80 Jahre
Schock
RR≥100, Puls<100 »Kein Schock«
RR>100, Puls >100 »Tachykardie«
RR systolisch <100 »Hypotension«
Komorbidität
Keine wesentliche
Diagnose
Mallory-Weiss Läsion, keine Blutungsstigmata
Blutungszeichen
Keine oder nur »dunkler Fleck«
Herzinsuffizienz, KHK, schwere andere Krankheiten Alle anderen
Tumor oberer Gastrointestinaltrakt
Blut im oberen Gastrointestinaltrakt, Koagel, »visible vessel«, aktive Blutung
27
363 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
. Tabelle 27.17. Rezidivblutungsrate und Letalität in Abhängigkeit von den Risikopunkten im Rockall-Score (Rockall et al. 1996) Risikopunkte
0
1
2
3
4
5
6
7
8+
Rezidivblutung (%)
4,9
3,4
5,3
11,2
14,1
24,1
32,9
43,8
41,8
Letalität (%)
0
0
0,2
2,9
5,3
10,8
17,3
27,0
41,1
Hämatochezie und seltener eine Hämatemesis auf. Ein großer Teil dieses Kollektivs hat eine Gastritis, die während der Untersuchung nicht mehr blutet und erlebt eine Rezidivblutung in nur 5% der Fälle. Wenn bei der zweiten Endoskopie, trotz klinisch eindeutiger Blutung, wiederum keine Blutungsquelle lokalisiert werden kann, liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um eine sog. »seltene Ursache«, wie atypische, peptische Ulzera oder Divertikel im Jejunum, eine Hämobilie, Angiodysplasien oder von außen infiltrierende Malignome handelt. Hier wird eine erweiterte Diagnostik mit Angiographie und/oder Angio-CT notwendig. Häufig kann während einer erfolgreichen Angiographie dann auch gleich eine Blutstillung mittels Embolisation durchgeführt werden (Jiranek u. Kozarek 1996). In seltenen Fällen kann die Erythrozytenszintigraphie weiterhelfen. Eine andere klinische Situation liegt vor, wenn die Blutung so massiv ist, dass es nicht möglich ist, durch Spülen und Absaugen eine ausreichende Übersicht zu erhalten. Hier sind meist große Gefäße, wie die A. gastroduodenalis, gastrica dextra oder Äste der A. gastrica sinistra arrodiert. Eine besonders dramatische Situation stellt das Auftreten einer aortoduodenalen Fistel bei Zustand nach Implantation einer Gefäßprothese dar. In all diesen Fällen hilft nur noch die sofortige Notfalloperation. Chirurgische Strategie Die Bedeutung der chirurgischen Therapie bei der Behandlung der gastroduodenalen Blutung nahm, durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Notfallendoskopie und der medikamentösen Möglichkeiten bedingt, in den letzten 2 Jahrzehnten ständig ab. In Deutschland sank die Operationsfrequenz von über 20% in den Jahren 1989/90 auf 6% in 1999/2000. Gleichzeitig nahm die Mortalität von 13% auf 8% ab (Seidel et al. 2002). Auch international werden heute nur noch 4,9–7% der gastroduodenalen Blutungen operiert (Barkun et al. 2004; Peura et al. 1997; Vreeburg et al. 1997). Dennoch spielt die Chirurgie, nach wie vor, bei den Läsionen mit hohem Risiko eine wichtige Rolle (. Tab. 27.18). Grundsätzlich gibt es, bezogen auf den Interventionszeitpunkt, 2 chirurgische Strategien: 4 Notfalloperation 4 Frühelektive Operation
27.8.7 Notfalloperation Sie ist immer dann indiziert, wenn es auf endoskopischem Wege oder durch Embolisation nicht gelingt, eine aktive Blutung zum Stehen zu bringen. Alle Möglichkeiten sollten unternommen werden, um diese Situation zu vermeiden, da die Notfalloperation eine Letalität bis 50% aufweist. Wichtig ist allerdings, dass endoskopische Blutstillungsversuche nur zeitlich limitiert und bei kreislaufstabilem Patienten unternommen werden. Bezüglich der Blutungsintensität und des Transfusionsvolumens gilt, dass mehr als 6 Konserven innerhalb von 24 h als kritische Grenze anzusehen sind bei deren Überschreiten die Mortalität sprunghaft ansteigt (Jiranek u. Kozarek 1996) und demzufolge eine sofortige Operation indiziert ist. Am besten wird bei Blutungen mit hohem Risiko von Anfang an der Chirurg in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden. Bei Patienten nach endoskopischer Blutstillung und Rezidivblutung gelten die gleichen Prinzipien. In einer prospektiv randomisierten Studie konnten Lau et al. (1999) zeigen, dass auch die Reendoskopie in dieser Situation die Operations- und Komplikationsrate senkt ohne die Mortalität zu erhöhen. In der reendoskopierten Gruppe mussten nur 27% der Patienten operiert werden. 27.8.8 Frühelektive Operation Sie kommt zum Einsatz, um bei Patienten mit hohem Rezidivblutungsrisiko (. Tab. 27.15 und 27.18) und initial großer Blutungsintensität eine erneute Blutungsepisode zu verhindern und damit das Mortalitätsrisiko zu senken (Branicki et al. 1990). Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Rezidivblutungen innerhalb der ersten 2–3 Tage nach endoskopischer Blutstillung auftreten. Die frühelektive Operation sollte somit am nächsten elektiven Termin, jedoch auf jeden Fall innerhalb von 24–36 h nach der Primärversorgung durchgeführt werden, also wenn der Patient nach entsprechender Intensivtherapie eine gute Volumen- und Gerinnungssituation aufweist. Die Entscheidung zur frühelektiven Operation sollte auf der Basis der Erfahrung der beteiligten
. Abb. 27.18. Die Rolle der chirurgischen Therapie bei gastroduodenalen Ulzera mit hohem Rezidivblutungsrisiko (Jiranek u. Kozarek 1996)
Läsion
Inzidenz
Rezidivblutung
Operationsrate
Mortalität
Aktive Blutung
18%
55%
35%
11%
»Visible vessel«
17%
43%
34%
11%
Adhärentes Koagel
17%
22%
10%
7%
364
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Ärzte, der Möglichkeiten der Institution und der klinischen Gesamtsituation unter Abwägung des Operationsrisikos getroffen werden (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Jiranek u. Kozarek 1996). Neuere Studien zu diesem Behandlungskonzept existieren leider nicht, sodass die Argumentation auf empirischer Basis erfolgen muss. Bei folgenden Blutungen sollte man eine frühelektive Operation in Erwägung ziehen: 4 Große Ulcera duodeni an der Bulbushinterwand (A. gastroduodenalis!) 4 Ulcera ventriculi >2 cm an der kleinen Kurvatur oder proximal hinterwandseitig »visible vessel« 4 Ulcera ventriculi mit Malignitätsverdacht (Histologie!) 4 Bei allen Forrest-Ia-Blutungen und unsicherer endoskopischer Blutstillung
Bei einer Entscheidung zu abwartendem Verhalten sollte von chirurgischer Seite immer bedacht werden, dass rezidivierende endoskopische Blutstillungsversuche in der Regel zu erheblichen Wandveränderungen führen, die letztendlich die Ergebnisse der Operation erheblich kompromittieren können.
Die Laparotomie erfolgt bei allen oberen gastrointestinalen Blutungen über eine mediane Oberbauchlaparotomie unter Linksumschneidung des Nabels. Sie bietet die beste Übersicht und unbegrenzte Erweiterungsmöglichkeiten. Grundsätzlich ist bei der Ulkuserkrankung die Blutstillung das vorrangige Ziel des chirurgischen Eingriffs. Die Behandlung des Grundleidens erfolgt heute durch medikamentöse Eradikationstherapie. Vagotomien haben daher im Rahmen der im Folgenden zu besprechenden Eingriffe keinen Stellenwert mehr. 27.8.9
Ulcus ventriculi
Das Vorgehen beim Ulcus ventriculi ist von der Lokalisation und Ausdehnung der Läsion und von einem eventuell bestehenden Malignitätsverdacht abhängig. Grundsätzlich muss bei Läsionen der Magenschleimhaut immer eine Exzision mit histologischer Sicherung, wenn möglich durch Schnellschnittdiagnose, erfolgen. Da die Magengeschwüre meist intraoperativ tastbar sind, hat man mit der Lokalisation selten ein Problem. An der Magenvorderwand wird das Ulkus in querer Richtung in toto exzidiert und der Magen anschließend mit Einzelknopfnähten wieder verschlossen. Bei Lokalisation an der Hinterwand wird an den klassischen Stellen eine Gastrotomie durchgeführt und dann in gleicher Weise vorgegangen. Die blutenden Arterien verlaufen submukös. Daher sollte die Exzision immer als Vollwandresektion erfolgen, um ein erhöhtes Rezidivblutungsrisiko zu vermeiden. Bei größeren, penetrierenden Ulzera an der kleinen Magenkurvatur und präpylorisch ist in der Regel eine klassische 2/3 Magenresektion indiziert, da sonst Durchblutungsstörungen oder Stenosen den postoperativen Verlauf komplizieren können. Gleiches gilt bei großkurvaturseitigen Läsionen. Hier ist die Begründung das erhöhte Malignitätsrisiko. Die Rekonstruktion kann, je nach Schule des Hauses, nach Billroth I oder II erfolgen. Sie sollte jedoch in jedem Fall den sicheren Verschluss des Duodenums beinhalten, da Anastomosen- und Duodenalstumpfinsuffizien-
zen die häufigsten chirurgisch-technischen Ursachen eines letalen Ausganges sind (Lau et al. 1999). Bei intraoperativ nicht tastbaren Ulcera ventriculi sollte an die Möglichkeiten der präoperativen Clipmarkierung und der intraoperativen Endoskopie gedacht werden. Große Gastrotomien zur Exploration lassen sich so häufig vermeiden. 27.8.10
Ulcus duodeni
Der operationsbedürftigen Blutung aus einem Ulcus duodeni liegt meistens ein tief penetrierendes peptisches Ulkus mit Arrosion der Arteria gastroduodenalis zugrunde. Dieses Gefäß wird aus 3 Zuflüssen, den Aa. gastroduodenalis, gastroepiploica dextra und pancreaticoduodenalis superior gespeist die zur sicheren Blutstillung alle unterbunden werden müssen. Die reine intraluminale Umstechung der Blutungsquelle ist mit einem höheren Rezidivblutungsrisiko behaftet. In der Notfallsituation steht die möglichst schnelle Blutstillung mit Stabilisierung des Kreislaufs im Vordergrund. Als Zugang zum Duodenum erfolgt eine Längsduodenotomie die, bei typischer Ulkuslokalisation, bis über den Pylorus hinaus ausgedehnt wird. So wird eine gute Übersicht erreicht die die gezielte Blutstillung beschleunigt und bei der späteren Rekonstruktion durch Pyloroplastik Stenosen vermeidet. Die Ulkusblutung wird zunächst durch eine tief durchgreifende »Vier-Quadranten-Umstechung« zum Stehen gebracht. Während die Anästhesie den Kreislauf stabilisiert, sollte das Ulkus, wenn technisch möglich, mit der benachbarten Schleimhaut bedeckt werden, um einen weiteren Kontakt zum aggressiven Duodenalsekret zu vermeiden (. Abb. 27.15b). Wenn stabile Kreislaufverhältnisse vorliegen folgt die ausgedehnte Mobilisierung des Duodenums nach Kocher. Jetzt kann man die Gefäßversorgung der Region palpatorisch identifizieren und bei der weiteren Präparation gezielt vorgehen. Die A. gastroduodenalis findet man am einfachsten, wenn man entlang der A. hepatica communis oder propria disseziert. Sie wird möglichst nahe am Duodenum ligiert oder umstochen. Bei penetrierenden Ulzera mit starker Umgebungsreaktion gelingt es meist nicht die A. gastroduodenalis am Unterrand des Duodenums gefahrlos darzustellen (cave: Pankreasfisteln!). Hier ist es sicherer, etwas aus dieser Region fernzubleiben und die Zuflüsse zu ligieren. Die A. gastroepiploica dextra kann leicht an der großen Kurvatur identifiziert werden. Die A. pancreaticoduodenalis dextra sup. findet man auf der Vorderfläche des Pankreaskopfes (. Abb. 27.15a). Der Eingriff wird durch den Verschluss der Duodenotomie durch eine Pyloroplastik nach Heinecke-Mikulicz beendet. Gelegentlich wird eine Blutung von atypischen, in der Pars descendens duodeni gelegenen Ulzera verursacht. Hier muss bei der Versorgung sorgfältig auf die Erhaltung des Abflusses der Papille geachtet werden. Bei der Ulkusübernähung kann in solchen Fällen der Gallengang transpapillär geschient werden. Am Ende sollte der Operateur die Einlage einer T-Drainage in Erwägung ziehen, da postoperative Schwellungszustände zu einem vorübergehenden biliaren Passageproblem führen können. Ist in diesen Fällen ein spannungsfreier querer Duodenalverschluss nicht möglich, besteht in den Gastroduodenostomien nach Finney oder Jaboulay eine oft sicherere Alternative.
365 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
. Abb. 27.15a,b. Relevante Gefäßanatomie bei der Versorgung von blutenden Ulcera duodeni an der Bulbushinterwand. Als Zuflüsse der A. gastroduodenalis müssen die Aa. gastroduodenalis (suprapankreatisch), gastroepiploica dextra und pancreaticoduodenalis superior
27.8.11
Mallory-Weiss-Syndrom
Meist können Mallory-Weiss-Blutungen endoskopisch zum Stillstand gebracht werden. Erfordern sie dennoch eine Operation, wird als Zugang eine infrakardiale Gastrotomie gewählt. So erhält man eine gute Übersicht über diese Region und kann die oft tiefen Schleimhauteinrisse sicher übernähen (. Abb. 27.16). Das Mallory-Weiss-Syndrom ist häufig mit einer Hiatushernie und einer chronischen gastroösophagealen Refluxkrankheit assoziiert. In diesen Fällen ist nach der Blutstillung und dem Verschluss der Gastrotomie eine Hiatoplastik indiziert. Eine zusätzliche Fundoplikatio (Nissen oder Toupet) beseitigt das Refluxproblem und sichert die Naht der Magenwand. 27.8.12
Ulcus Dieulafoy
Dieulafoy-Läsionen können heftig arteriell bluten und u. U. während der Endoskopie schwer zu finden sein, da sie klein und meist im proximalen Magen lokalisiert sind. Dennoch werden sie heute meist endoskopisch mit dauerhaft gutem Erfolg versorgt (Kasapidis et al. 2002). Wird trotzdem eine Operation notwendig, hat es sich bewährt, die Blutungsquelle mit einem Clip zu markieren (oder gleich mit einem Endoclip die Blutstillung durch-
27
ligiert werden (a). Der Eingriff beginnt mit einer intraluminären Vierquadrantenumstechung der Blutungsquelle und der Schleimhautdeckung des Ulkus (b)
zuführen), da sie meist nicht tastbar ist. Man kann dann intraoperativ die Läsion unter Durchleuchtung genau lokalisieren und gezielt exzidieren. Eine noch elegantere Methode stellt die laparoskopische Resektion mit intraoperativer Endoskopie dar (Karanfilian et al. 1996), die jedoch nur bei vorderwandnaher Lokalisation einfach durchzuführen ist. Da Dieulafoy-Läsionen jedoch meist hoch an der kleinen Kurvatur in der Gegend des A. gastrica sinistra Verorgungsgebietes lokalisiert sind, wird die minimalinvasive Methode Einzelfällen vorbehalten bleiben. 27.8.13
Andere Blutungsquellen
Ulcus pepticum jejuni. Blutende Anastomosenulzera werden in der Regel nach Billroth-II- oder Rouy-Y-Rekonstruktion im Rahmen einer subtotalen Magenresektion gefunden. Vor allem sog. »refluxfreie« Roux-Y-Techniken mit langer Schlinge verhindern die Pufferung der Magensäure mit Duodenalsekret und wirken ulzerogen (Arlt et al. 1984). Nachdem das Ulkus lokalisiert und möglichst endoskopisch blutgestillt wurde, erfolgt, bei ausreichend großem Restmagen, die Nachresektion und, wenn nötig, die Modifikation der Rekonstruktion. Eine lange RouxSchlinge sollte auf eine Länge von ca. 20 cm gekürzt werden, bei
366
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27
aa
b
c
. Abb. 27.16a,b. Chirurgische Versorgung der Mallory-Weiss-Blutung. Die Blutungsquelle ist immer in der Kardia oder ihrer direkten Nachbarschaft lokalisiert. a Zugang durch subkardiale Längsgastrotomie. b Die
Schleimhautrisse können meist problemlos umstochen werden. Die häufig begleitende Hiatushernie und Refluxkrankheit werden mit Hiatoplastik und Fundoplikatio (Nissen, Toupet oder Dor) behandelt
einer Billroth-II-Rekonstruktion mit tiefer Baun-Fußpunktanastomose kann diese aufgelöst oder in eine Roux-Y-Situation mit kurzer Schlinge umgewandelt werden. Da beim Ulcus pepticum jejuni die Ulkusgenese meist nicht Helicobacter-assoziiert ist, ist hier die Durchführung einer trunkulären oder gastrisch selektiven Vagotomie zur Säurereduktion als zusätzliche Maßnahme indiziert.
27.8.14
Aortoduodenale Fistel. Hier handelt es sich meist um dramatische Situationen, in denen der Patient nur bei entschlossenem und interdisziplinär gut koordiniertem Handeln den Operationssaal noch lebend erreicht. Die schnelle mediane Laparotomie ohne große Präliminarien und die sofortige Abklemmung der Aorta abdominalis in Höhe der Zwerchfellschlinge mit einer geraden Gefäßklemme führt zum Stehen der Blutung, aber auch zu einer erheblichen kardialen Belastung (cave Dekompensation mit Kammerflimmern!). Ursache der Blutung ist fast immer ein chronischer Protheseninfekt nach Aortenersatz mit Insuffizienz der proximalen Anastomose. Die Versorgung erfolgt nach gefäßchirurgischen Prinzipien, in der Regel durch extraanatomischen Bypass. Die Duodenalläsion ist meist erstaunlich klein und muss lediglich übernäht werden. Wichtig ist, dass vitales Gewebe (am besten Omentum majus) zwischen Duodenalrekonstruktion und neue Prothese platziert wird um eine Reinfektion mit Blutungsrezidiv zu vermeiden. Postoperativ wird der Verlauf von der Herz- und Nierenfunktion (suprarenale Abklemmung, Schock) bestimmt. Andere seltene Ursachen. Maligne Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes können heftige, meist jedoch eher diffuse Blutungen verursachen, die meist einer endoskopischen Therapie zugänglich sind. Häufig, vor allem bei Lymphomen, treten sie unter Chemotherapie auf. Als Behandlungsalternativen zur Endoskopie kommen die angiographische Embolisation und, selten, die Notfallgastrektomie in Betracht. Die – häufig posttraumatische – Hämobilie und Blutungen aus dem Pankreas sind eine Domäne der Embolisation, da diese meist selektiver und mit weniger Kollateralschaden eingesetzt werden kann.
Ergebnisse
Der vermehrte und aggressivere Einsatz der endoskopischen Blutstillung hat in den letzten Jahrzehnten zu einer immer negativeren Patientenselektion für die Operation und zu einer Belastung für die chirurgischen Ergebnisse geführt. Als alternatives Konzept wurde daher die sog. frühelektive Operation inauguriert. Branicki et al. (1990) fanden bei notfallmäßig operierten Patienten eine Mortalität von 12,3% während in einer frühelektiv operierten Gruppe die Sterblichkeit 0% betrug. Diese Daten sind allerdings für heutige Verhältnisse nicht mehr repräsentativ, da in dieser Studie die interventionelle Endoskopie fast keine Rolle spielte. Bei Operation von Hochrisikopatienten und den Fällen, die bei Rezidivblutung endoskopisch nicht gestillt werden konnten, liegt die Mortalität in neueren Studien zwischen 8% und 23,7% (Jiranek u. Kozarek 1996; Laine u. Peterson 1994; Lau et al. 1999; Silverstein et al. 1981). Auch in diesen Studien sind die Kollektive sehr heterogen und zum Teil aus sehr langen Untersuchungszeiträumen, sodass sie nicht ohne weiteres auf die heutige Situation übertragbar sind. Insgesamt lässt sich sagen, dass die postoperative Letalität, trotz der negativen Patientenselektion, im Vergleich zu früher nicht zugenommen hat und etwa bei 10–15% liegt. Lau et al. (1999) zeigten, dass heute nur 27% aller Patienten mit endoskopischer Stillung einer Rezidivblutung später operiert werden müssen. In dieser Studie war die Gesamtmortalität und -morbidität in der Gruppe mit aggressiverer interventioneller Endoskopie niedriger als in der Gruppe mit frühzeitiger Indikationsstellung zum chirurgischen Vorgehen bei Rezidivblutung. Dass die Mortalität der Ulkusblutung insgesamt in den letzten Jahrzehnten von 13% auf 8% gesunken ist (Seidel et al. 2002), ist zum wesentlichen Teil den Fortschritten in der interventionellen Endoskopie zu danken. Aussagekräftige prospektiv randomisierte Studien zum Vergleich der frühelektiven Indikation mit einem prädominant endoskopischen Vorgehen fehlen. Ob dieses Konzept, an größeren Kollektiven angewandt, geeignet ist, die Ergebnisse weiter zu verbessern, muss bezweifelt werden, denn die Hälfte der Pa-
367 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
tienten mit gastroduodenaler Blutung stirbt an ihren Begleiterkrankungen (Rockall et al. 1996). 27.8.15
Nachsorge
Da die Eradikationstherapie von Helicobacter-positiven Ulkuspatienten bereits parallel zur Blutstillungstherapie verlaufen sollte (Barkun et al. 2004) wird diese, gegebenenfalls ambulant, komplettiert. Die Kontrollendoskopien zur Ulkusabheilung und die Kontrolle der erfolgreichen Eradikation erfolgen gemäß den gastroenterologischen Richtlinien (7 Kap. 27.8.1).
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368
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.9
Peptische Ulkusperforation D. Oertli
4 Grad I entspricht dem exkavierten muralen Ulkus, 4 Grad II der fibrösen Adhäsion an benachbarten Strukturen und 4 Grad III der gedeckten Perforation.
) )
27
Die Perforation stellt eine der Ulkuskomplikationen dar. Effiziente medikamentöse Säurehemmung und die Helicobacter-pyloriEradikation haben die chirurgische Verfahrenswahl bei der Ulkusperforation in den letzten Jahren drastisch verändert. Das nichtoperative Vorgehen hat sich wegen ungünstiger Resultate bei älteren Patienten nicht durchsetzen können. Heute dürften bei den meisten Patienten mit Ulkusperforation die einfache Übernähung und Peritoneallavage, gefolgt von einer medikamentösen Ulkusbehandlung genügen. In geeigneten Situationen bei kurzer Anamnese, fehlenden Schockzeichen und kleinem Perforationsdurchmesser kann der Defektverschluss auch auf laparoskopischem Wege geschehen. Morbidität und Mortalität werden vor allem durch die Peritonitisdauer, das Patienten alter und durch vorbestehende Begleiterkrankungen negativ beeinflusst.
27.9.1 Epidemiologie Schätzungsweise 5–10% der Patienten mit unbehandeltem Ulcus duodeni entwickeln zeitlebens eine Perforation (Johnson 1994). Perforationen sind zu 80% durch ein Ulcus duodeni und zu 20% durch ein Ulcus ventriculi bedingt (Lee et al. 2001). Obwohl elektive chirurgische Interventionen durch Säurehemmung und Helicobacter-pylori-Eradikation weitgehend ersetzt worden sind, bleibt die Perforationshäufigkeit des Ulcus duodeni konstant (Bloom u. Kroch 1993; Liu u. Wu 1997). Bei etwa 11% der Patienten geschieht die Erstmanifestation des Ulcus duodeni durch eine Perforation (Jordan u. Thronby 1995). Nichtsteroidale Antirheumatika sind in ca. 1/4 der Fälle für eine Perforation mitverursachend (Svanes 2000). 27.9.2 Definition und Klassifikation Die Perforation stellt das Endresultat bzw. die akute Form der Ulkuspenetration dar. Sie wird definiert als Zustand der Penetration aller Wandschichten, wenn sich Magen- respektive Duodenalinhalt in die freie Bauchhöhle entleert. Von Norris u. Haubich (1961) wurde die Klassifikation der Penetration in 3 Schweregrade vorgeschlagen (. Abb. 27.17):
a
b
Die meisten duodenalen Perforationen sind anterior und superior am Bulbus duodeni und das perforierte Ulcus ventriculi an der antropylorischen Region der Magenvorderwand gelegen. Ganz selten perforieren Ulcus duodeni und Ulcus ventriculi nach dorsal in die Bursa omentalis (Palmer 1972). Perforierte präpylorische Ulzera sind stark mit dem Gebrauch von nichtsteroidalen Antirheumatika korreliert (Bornman et al. 1999). Akute Ulzera führen in der Regel zu kleinen Perforationsdurchmessern mit wenig veränderter Magen- oder Duodenalwand; chronische hingegen tendieren zur Umgebungsfibrose mit kallöser Deformation der Wand und deutlich größerem Perforationsdurchmesser (Bornman et al. 1999). 27.9.3 Peritonitis bei Perforation Austretendes Magen- oder Duodenalsekret führt in den ersten 6 h nach der Perforation zunächst zur chemischen Peritonitis ohne signifikante bakterielle Kontamination. Danach werden vor allem grampositive Keime (Streptokokken und Staphylokokken) gefunden. Nach ca. 24 h können immer häufiger gramnegative Stäbchen und Candida albicans aus der Bauchhöhle kultiviert werden (Boey et al. 1982). In protrahierten Fällen sind Hypovolämie und Oligoanurie die Folgen der entzugsbedingten Sequestrierung von intravasaler Flüssigkeit in die Peritonealhöhle. 27.9.4 Klinische Symptomatologie
und Diagnostik Typisch für die Ulkusperforation ist der plötzliche Beginn heftiger epigastrischer Schmerzen, die sich allmählich über das ganze Abdomen verteilen. Häufig können die Patienten den genauen Zeitpunkt der Ereignisse angeben. Chronische Ulkusbeschwerden können in bis zu 44% der Fälle in den Tagen vor der Perforation exazerbieren. Schulterschmerz als Zeichen der diaphragmalen Irritation durch die Peritonitis wird in 23–28% der Perforationen gefunden (Bornman et al. 1999). Die klinische Untersuchung ergibt bei generalisierter Peritonitis in der Regel brettharte Bauchdecken und fehlende Darmgeräusche. Eine Oberbauchsymptomatik kann u. U. verschleiert sein, wenn die Perforation abgedeckt ist und auslaufendes Sekret
c
Abb. 27.17a–c. Klassifikation der Ulkuspenetration. a Grad I: murales Ulkus; b Grad II: Penetration mit fibröser Adhäsion; c Grad III: gedeckte Perforation in eine benachbarte Struktur. (Modifiziert nach Norris u. Haubich 1961)
369 27.9 · Peptische Ulkusperforation
entlang der rechten parakolischen Rinne in den Unterbauch fließt und dort zu einem lokalisierten Peritonismus führt. Das Vorliegen einer Appendizitis kann in diesem Falle vorgetäuscht werden. Bei der Differenzialdiagnose der peptischen Ulkusperforation sind vor allem akute Cholezystitis, akute Pankreatitis, intestinale Strangulation, Mesenterialinfarkt und die Perforation an anderer Stelle zu berücksichtigen. Freie Luft unter dem Zwerchfell lässt sich in 50–80% der Ulkusperforationen nachweisen (Roh et al. 1983; Svanes et al. 1990).
Bei starkem klinischen Verdacht, aber fehlendem Nachweis freier Luft im konventionellen Abdomen- oder Thoraxröntgenbild sind die orale Gabe von wasserlöslichem Kontrastmittel angezeigt oder die Gastroskopie angezeigt, um die Ulkuspenetration oder -perforation darstellen zu können.
a
Bei unklaren Fällen hilft die Zusatzuntersuchung mittels Spiralcomputertomographie bei der Diagnostik und der Therapieentscheidung (Ongolo et al. 1999). 27.9.5 Therapie Behandlungsziel ist die möglichst rasche Beseitigung der einsetzenden Peritonitis. Bei der peptischen Ulkusperforation findet man in 47–92% der Fälle eine Helicobacter-pylori-Besiedelung der Antrummukosa (Goodwin et al. 1997; Reinbach et al. 1993; Tokunaga et al. 1998). Die Helicobacter-pylori-Infektion ist bei der Perforation häufiger als bei der Ulkusblutung (Tokunaga et al. 1998). Mit der Möglichkeit der H.-p.-Eradikationsbehandlung ist die früher praktizierte definitive chirurgische Ulkussanierung im Falle der Perforation nicht mehr notwendig (Blomgren 1997; Cocks 1992; Labenz u. Borsch 1994; Millat 2000). Kontrollierte Studien in der Ära vor der H.-p.-Eradikation beschrieben wohl nach einfacher Ulkusexzision und -übernähung häufiger Rezidivulzera auf als nach definitiver Ulkussanierung mit Vagotomie (Millat 2000). Eine randomisierte Studie zeigte, dass mit alleiniger Ulkusübernähung und konsequenter H.-pylori-Eradikation und Säureblockade Ulkusrezidive nach einem Jahr in nur 5% auftraten im Vergleich zu 38% bei der Gruppe mit Ulkusübernähung und Säurehemmung ohne H.-p.-Eradikation (Ng et al. 2000).
b
Operative Therapie Der Eingriff der Wahl ist die Ulkusexzision und Übernähung. Ulzera in Duodenalposition dürfen auch nur übernäht werden. Am Magen hingegen ist die Exzision immer angezeigt, damit der Prozess histologisch bezüglich eines eventuellen Magenkarzinoms aufgearbeitet werden kann. In der Regel eignet sich eine spindelförmige Exzision des Ulkus mit querer Wiedervernähung des Magen- oder Duodenallumens. Juxtapylorische Ulzera werden im Sinne einer Erweiterungspyloroplastik nach HeineckeMikulicz versorgt (. Abb. 27.18 bis 27.20). . Abb. 27.18a–c. Operative Versorgung eines perforierten juxtapylorischen Ulkus. a Situation nach spindelförmiger Exzision der Ulkus in Längsachse und transpylorisch; b nach einem Kocher-Manöver queres Vernähen der Exzisionsstelle als Pyloruserweiterungsplastik; c abgeschlossene Naht und digitale Überprüfung auf Durchgängigkeit
c
27
370
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27
. Abb. 27.19. Operative Versorgung eines perforierten Ulcus duodeni. Spindelförmige Ulkusexzision quer zur Duodenalachse und queres Vernähen der Duodenotomie
. Abb. 27.20. Ulkusexzision bei perforiertem Ulcus ventriculi am Angulus quer zur Magenachse mit anschließender querer Naht
Die laparoskopische Versorgung einer Ulkusperforation wurde 1990 erstmals beschrieben (Mouret et al. 1990). Als Verfahren der Wahl bietet sich hier die einfache Übernähung der Perforationsstelle an. Gegebenenfalls wird die Naht durch einen gestielten Zipfel aus Omentum majus gedeckt. Die alternative laparoskopische Versorgungsmethode ist die Omentum-patchPlastik, die die freie Perforation in eine gedeckte verwandelt
(. Abb. 27.21; Böhm et al. 2001). Nicht alle Patienten eignen sich für das laparoskopische Vorgehen (Katkhouda et al. 1999; Metzger et al. 2001). Indikationen dafür sind gegeben, wenn die Anamnese weniger als 24 h andauert, kein Schockzustand besteht und der Perforationsdurchmesser nicht größer als 6 mm ist (Katkhouda et al. 1999, Malkov et al. 2004). In bis zu 25% der Fälle muss vom laparoskopischen Eingriff zum offenen Verfahren konvertiert werden (Zittel 2000). Seit 1990 werden immer mehr Arbeiten mit der laparoskopischen Versorgung der perforierten gastroduodenalen Ulkuserkrankungen veröffentlicht. Dabei wurde in den meisten Serien eine längere Operationsdauer, verglichen mit der konventionellen Laparotomie, aufgezeigt (Zittel 2000; Siu et al. 2002). Morbidität und Mortalität sind in publizierten Serien mit den beiden Methoden vergleichbar. In einigen Arbeiten wird ein verminderter postoperativer Schmerzmittelbedarf bei der laparoskopischen Gruppe festgestellt (Lau et al. 1996; Zittel 2000). Eine randomisierte kontrollierte Studie zeigte für das laparoskopische Vorgehen kürzere Operations- und Hospitalisationszeiten und weniger pulmonale Infekte auf verglichen mit dem offenen Vorgehen (Siu 2002). Bei weniger günstigen Verhältnissen lohnt sich die Forcierung des laparoskopischen Vorgehens nicht. Die einsetzende Peritonitis benötigt eine rigorose Peritoneallavage und ein Débridement eventuell vorhandener Fibrinbeläge. Ausgeprägte Fälle mit langem Intervall zwischen Perforation und chirurgischer Intervention benötigen u. U. eine programmierte Relaparatomie nach 48 h. Konservative Therapie Perforierte Ulzera können sich im Verlauf spontan abdichten (Donovan et al. 1998). In ausgewählten Fällen kann hier die konservative Behandlung zum Ziel führen. Voraussetzungen dafür sind allerdings die nasogastrische Sonde zur Entlastung, eine medikamentöse Ulkustherapie, Antibiotika und die radiologische Magen- und Duodenumdarstellung mit wasserlöslichem Kontrastmittel, mit der gezeigt werden kann, dass sich ein Extravasat nicht in die freie Bauchhöhle entleert. Ist Letzteres aber der Fall, oder bessert sich der klinische Zustand des Patienten binnen 12 h nicht wesentlich, so muss die Indikation zur operativen Ulkussanierung gestellt werden. In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde die konservative Behandlung mit der operativen bei 83 Patienten verglichen (Crofts et al. 1989). Die Mortalität war in beiden Gruppen mit 5% gleich hoch. Im Vergleich zu jüngeren Patienten führte die konservative Behandlung bei über 70-jährigen Patienten signifikant häufiger nicht zum Ziel. Überdies war der Klinikaufenthalt bei den konservativ behandelten Patienten signifikant länger als bei den Operierten. Jüngere Patienten (<40 Jahre) ohne nichtsteroidale Antirheumatika sind zum größten Teil H.-p.infiziert und dürften sich am ehesten für die konservative Ulkustherapie qualifizieren. Gerade bei diesen Patienten mit niedrigem Operationsrisiko favorisieren wir jedoch das laparoskopische Vorgehen. In einer anderen prospektiven Studie konservativ therapierter Patienten mit Ulkusperforation mussten im Verlauf 8 von 49 Patienten operiert werden. Die Gesamtmortalität lag bei eindrücklichen 10% (Marshall et al. 1999). Ergebnisse Mit dem Einzug der Antibiotikatherapie in die Klinik haben sich Mortalität und Morbidität nach peptisch bedingter Perforation seit den 1950er-Jahren stetig verringert (Svanes et al. 2000).
371 27.9 · Peptische Ulkusperforation
27
. Abb. 27.21a–d. Verschluss eines perforierten Ulcus duodeni an der Vorderwand des Bulbus duodeni durch Omentum-Patch. a Stich durch die Duodenalwand; b Fassen des Omentums; c Stich durch die Duodenalwand; d zusätzliche Stichsicherung durch Einzelknopfnähte
a
b
c
d
Hauptfaktoren, die das Sterberisiko beeinflussen, sind das Intervall zwischen Perforation und Ulkussanierung, das Patientenalter, internistische Begleiterkrankungen und das Ulcus ventriculi (. Tab. 27.19). In neueren Publikationen liegt die operative Mortalität bei der Ulkusperforation zwischen 1,4 und 7,8% (. Tab. 27.20). Bei über 70-jährigen Patienten lag die 30-TageMortalität in einer Serie aus Schweden bei 27% (Blomgren 1997). Präoperativer Schockzustand und Immunosuppression stellen
ebenfalls Faktoren für eine erhöhte Mortalität dar (Evans u. Smith 1997). Der fatale Ausgang ist zu 81% durch unkontrollierbare systemische Infektion bedingt (Chou et al. 2000). Die meisten Patientenserien zeigen Komplikationsraten um 20% auf (. Tab. 27.20). Dabei werden abdominelle Komplikationen (. Tab. 27.21) in etwa gleicher Häufigkeit vorgefunden wie systemische, ulkusbedingte, lokale Komplikationen sind seltener (Bornman et al. 1999).
. Tabelle 27.19. Risikofaktoren für die Mortalität nach perforiertem peptischem Ulkus
Faktor
Vergleich
Erhöhung der Mortalität
Autor/Jahr
Verzögerung bis zur Laparotomie
>6 h vs. <6 h
5-fach
>12 h vs. <12 h
4- bis 6-fach
Blomgren 1997, Svanes 1994, Wakayama 1994, Svanes 1994
>24 h vs. <24 h
9-fach
>50 Jahre vs. <50 Jahre
6- bis 16-fach
>70 Jahre vs. <70 Jahre
2,5- bis 10-fach
Svanes 1994, Wakayama 1994, Irvin 1989, Wakayama 1994, Hermannsson 1997
Internistische Begleiterkrankung
Vorhanden vs. nicht vorhanden
3-fach
Hermannsson 1997
Ulkuslokalisation
Magen vs. Duodenum
2- bis 4fach
Blomgren 1997, Wakayama 1994
Alter
372
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tabelle 2 7.20. Morbidität und Mortalität bei der Ulkusperforation
27
Autor
Jahr
Patienten (n)
Katkhouda
1999
30
Sillakivi
2000
Cougard
Komplikation (%)
Mortalität (%)
20
4, 0
394
20,6
5,6
2000
419
13,4
1,4
Lee
2001
436
20,4
7,8
Metzger
2001
47
22
4,0
Tsugawa
2001
130
n.a.
5,4
Siu
2004
172
16,3
8,1
a
a
Sammelstatistik der Französischen Arbeitsgemeinschaft für laparoskopische Chirurgie (18 beteiligte Zentren)
. Tabelle 27.21. Spektrum postoperativer Komplikationen
Gruppe
Komplikationen
Systemisch
Pneumonie, Nierenversagen, Kathetersepsis, Thromboembolie
Abdominell
Persistierende Peritonitis, intraabdomineller Abszess, Wundinfekt, Bauchdeckendehiszenz, Ileus
Lokal, ulkusbedingt
Intestinale Blutung, Reperforation, Magenausgangsstenose
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373 27.10 · Magenausgangsstenose
Svanes C, Lie RT, Svanes K, Lie SA, Soreide O (1994) Adverse effects of delayed treatment for perforated peptic ulcer. Ann Surg 220:168–175 Svanes C (2000) Trends in perforated peptic ulcer: incidence, etiology, treatment, and prognosis. World J Surg 24:277–283 Tokunaga Y, Hata K, Ryo J, Kitaoka A, Tokuka A, Ohsumi K (1998) Density of Helicobacter pylori infection in patients with peptic ulcer perforation. J Am Coll Surg 186:659–663 Tsugawa K, Koyanagi N, Hashizume M et al. (2001) The therapeutic strategies in performing emergency surgery for gastroduodenal ulcer perforation in 130 patients over 70 years of age. Hepatogastroenterology 48:156–162 Wakayama T, Ishizaki Y, Mitsusada M, Tkahashi S, Wada T, Funatsu H (1994) Risk factors influencing short-term results of gastroduodenal perforation. Surg Today 24:681–687 Zittel TT, Jehle EC, Becker HD (2000) Surgical management of peptic ulcer disease today – indication, technique and outcome. Langenbecks Arch Surg 385:84–96
27.10
Magenausgangsstenose A.H. Hölscher
) ) Die Magenausgangsstenose (MAS) wird heute häufiger durch ein Antrumkarzinom verursacht als durch eine Ulkuskrankheit. Diese Differenzialdiagnose ist sehr wichtig, da endoskopische Biopsien aus der Stenose eine niedrige Sensitivität besitzen. Floride MAS im Rahmen eines akuten Ulkusschubes sind von fixierten narbigen Stenosen zu differenzieren. Die Therapie besteht zunächst in einer konservativen Behandlung mit Dekompression via Magensonde, Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes, parenteraler Ernährung und medikamentöser Ulkustherapie. Die endoskopische Dilatationsbehandlung führt v. a. bei der floriden MAS zum Erfolg, muss aber häufig wiederholt werden. Bei einem Drittel der Patienten mit benigner MAS und initialer Ballondilatation wird später eine Operation (Stenosenplastik, Resektion) nötig.
27.10.1
Definition und Klassifikation
Unter der benignen MAS versteht man die organische Einengung von distalem Magen, Pylorus oder proximalem Duodenum als Folge einer gutartigen Erkrankung mit klinisch relevanter Verzögerung der Magenentleerung. Die MAS ist seltener im eigentlichen Pyloruskanal, sondern meistens postpylorisch lokalisiert (Mäkelä et al. 1996). Pathogenetisch wird die floride MAS als Folge einer entzündlichen Reaktion mit Begleitödem im akuten Ulkusschub von der narbigen Form als Folge rezidivierender abgeheilter peptischer Läsionen unterschieden. Eine funktionelle MAS entsteht als Folge einer Muskelhypertrophie von Pylorus und Antrum. Eine MAS wird solange als kompensiert bezeichnet, wie durch gesteigerte Peristaltik die Magenentleerung noch möglich ist. Das typische Erbrechen unverdauter Speisen fehlt hier. Bei anhaltender Obstruktion dekompensiert der Magen und es kommt zu Dilatation und Atonie. Der nunmehr komplette Entleerungsstopp führt zu rezidivierendem Erbrechen. Heute sind peptische Ulzera seltener Ursache der MAS als Malignome (Awan et al. 1998; Khullar u. DiSario 1996; Shone
27
et al. 1995, Paimela et al. 2004). Bei Ulkuspatienten wird die Stenosehäufigkeit zwischen 2–16% angegeben (Hölscher u. Siewert 1982; Hölscher et al. 1990). Patienten mit benigner MAS haben in der Regel eine 10- bis 12-jährige Ulkusanamnese (Pelot u. Hollander 1985). Dies bedeutet, dass im Regelfall mehrere Ulkusschübe abgelaufen sein müssen, bevor eine relevante Obstruktion eintritt. Narbige Stenosen können sich auch postoperativ nach Übernähung eines perforierten, pylorusnahen Ulcus duodeni ausbilden. 27.10.2
Klinische Symptomatologie
Die MAS ist charakterisiert durch Druck- und Völlegefühl im Oberbauch, das sich mit zunehmender Magenfüllung verstärkt und durch Erbrechen sofort bessert (charakteristischer Symptomwechsel). Das schwallartige voluminöse Erbrechen von länger retinierten, unverdauten Speisen ist als Leitsymptom der MAS anzusehen (Delaney 1978). Bei unbehandelter MAS verringert sich im Verlauf die schmerzhafte Peristaltik und es kommt zur Dilatation. Mit dem Einsetzen der Atonie werden Schmerzen durch ein konstantes Völlegefühl ersetzt. Das klinische Bild des profusen schwallartigen Erbrechens in der Spätphase der MAS ist eher auf das Versagen der Peristaltik als auf den eigentlichen Stenosegrad zurückzuführen. Eine lange bestehende MAS kann zu einer sekundären gastroösophagealen Refluxkrankheit Anlass geben. Schwerste Dilatation im Endstadium führt zum Cavakompressionssyndrom und zur Magenruptur.
Die wichtigste Folge der unbehandelten, dekompensierten MAS ist der Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlust.
Der Salzsäureverlust durch das Erbrechen führt zu einer metabolischen hypochlorämischen Alkalose. Hinzu treten Hypokaliämie und Hyponatriämie durch Verluste mit dem Magensaft und mit dem Urin als Begleitkationen von Bikarbonat im Rahmen der renalen Kompensation. Letztendlich führt die MAS zu Katabolie und Kachexie. 27.10.3
Diagnostik
Bei der klinischen Untersuchung findet sich bei schlanken Patienten eine durch die Bauchhaut sichtbare Magenperistaltik, ein tastbares dilatiertes Organ und auskultatorisch nachweisbare Plätschergeräusche. Praktisch alle Patienten verlieren an Körpergewicht mit der MAS. Eine abnorm erhöhte Nüchternsekretmenge (>300 ml pro 24 h in der Magensonde) ist ein wichtiges Zeichen der Magenretention.
Für die Diagnose einer MAS sollten 3 Faktoren erfüllt sein (Delaney 1978): Erbrechen und signifikanter Gewichtsverlust, Magendilatation mit Magensaftrestmenge und Stenosendurchmesser von weniger als 9 mm.
Endoskopisch lassen sich vorhandene Speisereste trotz mehrstündigem Fasten, eine Dilatation, ein deformierter Magenaus-
373 27.10 · Magenausgangsstenose
Svanes C, Lie RT, Svanes K, Lie SA, Soreide O (1994) Adverse effects of delayed treatment for perforated peptic ulcer. Ann Surg 220:168–175 Svanes C (2000) Trends in perforated peptic ulcer: incidence, etiology, treatment, and prognosis. World J Surg 24:277–283 Tokunaga Y, Hata K, Ryo J, Kitaoka A, Tokuka A, Ohsumi K (1998) Density of Helicobacter pylori infection in patients with peptic ulcer perforation. J Am Coll Surg 186:659–663 Tsugawa K, Koyanagi N, Hashizume M et al. (2001) The therapeutic strategies in performing emergency surgery for gastroduodenal ulcer perforation in 130 patients over 70 years of age. Hepatogastroenterology 48:156–162 Wakayama T, Ishizaki Y, Mitsusada M, Tkahashi S, Wada T, Funatsu H (1994) Risk factors influencing short-term results of gastroduodenal perforation. Surg Today 24:681–687 Zittel TT, Jehle EC, Becker HD (2000) Surgical management of peptic ulcer disease today – indication, technique and outcome. Langenbecks Arch Surg 385:84–96
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Magenausgangsstenose A.H. Hölscher
) ) Die Magenausgangsstenose (MAS) wird heute häufiger durch ein Antrumkarzinom verursacht als durch eine Ulkuskrankheit. Diese Differenzialdiagnose ist sehr wichtig, da endoskopische Biopsien aus der Stenose eine niedrige Sensitivität besitzen. Floride MAS im Rahmen eines akuten Ulkusschubes sind von fixierten narbigen Stenosen zu differenzieren. Die Therapie besteht zunächst in einer konservativen Behandlung mit Dekompression via Magensonde, Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes, parenteraler Ernährung und medikamentöser Ulkustherapie. Die endoskopische Dilatationsbehandlung führt v. a. bei der floriden MAS zum Erfolg, muss aber häufig wiederholt werden. Bei einem Drittel der Patienten mit benigner MAS und initialer Ballondilatation wird später eine Operation (Stenosenplastik, Resektion) nötig.
27.10.1
Definition und Klassifikation
Unter der benignen MAS versteht man die organische Einengung von distalem Magen, Pylorus oder proximalem Duodenum als Folge einer gutartigen Erkrankung mit klinisch relevanter Verzögerung der Magenentleerung. Die MAS ist seltener im eigentlichen Pyloruskanal, sondern meistens postpylorisch lokalisiert (Mäkelä et al. 1996). Pathogenetisch wird die floride MAS als Folge einer entzündlichen Reaktion mit Begleitödem im akuten Ulkusschub von der narbigen Form als Folge rezidivierender abgeheilter peptischer Läsionen unterschieden. Eine funktionelle MAS entsteht als Folge einer Muskelhypertrophie von Pylorus und Antrum. Eine MAS wird solange als kompensiert bezeichnet, wie durch gesteigerte Peristaltik die Magenentleerung noch möglich ist. Das typische Erbrechen unverdauter Speisen fehlt hier. Bei anhaltender Obstruktion dekompensiert der Magen und es kommt zu Dilatation und Atonie. Der nunmehr komplette Entleerungsstopp führt zu rezidivierendem Erbrechen. Heute sind peptische Ulzera seltener Ursache der MAS als Malignome (Awan et al. 1998; Khullar u. DiSario 1996; Shone
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et al. 1995, Paimela et al. 2004). Bei Ulkuspatienten wird die Stenosehäufigkeit zwischen 2–16% angegeben (Hölscher u. Siewert 1982; Hölscher et al. 1990). Patienten mit benigner MAS haben in der Regel eine 10- bis 12-jährige Ulkusanamnese (Pelot u. Hollander 1985). Dies bedeutet, dass im Regelfall mehrere Ulkusschübe abgelaufen sein müssen, bevor eine relevante Obstruktion eintritt. Narbige Stenosen können sich auch postoperativ nach Übernähung eines perforierten, pylorusnahen Ulcus duodeni ausbilden. 27.10.2
Klinische Symptomatologie
Die MAS ist charakterisiert durch Druck- und Völlegefühl im Oberbauch, das sich mit zunehmender Magenfüllung verstärkt und durch Erbrechen sofort bessert (charakteristischer Symptomwechsel). Das schwallartige voluminöse Erbrechen von länger retinierten, unverdauten Speisen ist als Leitsymptom der MAS anzusehen (Delaney 1978). Bei unbehandelter MAS verringert sich im Verlauf die schmerzhafte Peristaltik und es kommt zur Dilatation. Mit dem Einsetzen der Atonie werden Schmerzen durch ein konstantes Völlegefühl ersetzt. Das klinische Bild des profusen schwallartigen Erbrechens in der Spätphase der MAS ist eher auf das Versagen der Peristaltik als auf den eigentlichen Stenosegrad zurückzuführen. Eine lange bestehende MAS kann zu einer sekundären gastroösophagealen Refluxkrankheit Anlass geben. Schwerste Dilatation im Endstadium führt zum Cavakompressionssyndrom und zur Magenruptur.
Die wichtigste Folge der unbehandelten, dekompensierten MAS ist der Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlust.
Der Salzsäureverlust durch das Erbrechen führt zu einer metabolischen hypochlorämischen Alkalose. Hinzu treten Hypokaliämie und Hyponatriämie durch Verluste mit dem Magensaft und mit dem Urin als Begleitkationen von Bikarbonat im Rahmen der renalen Kompensation. Letztendlich führt die MAS zu Katabolie und Kachexie. 27.10.3
Diagnostik
Bei der klinischen Untersuchung findet sich bei schlanken Patienten eine durch die Bauchhaut sichtbare Magenperistaltik, ein tastbares dilatiertes Organ und auskultatorisch nachweisbare Plätschergeräusche. Praktisch alle Patienten verlieren an Körpergewicht mit der MAS. Eine abnorm erhöhte Nüchternsekretmenge (>300 ml pro 24 h in der Magensonde) ist ein wichtiges Zeichen der Magenretention.
Für die Diagnose einer MAS sollten 3 Faktoren erfüllt sein (Delaney 1978): Erbrechen und signifikanter Gewichtsverlust, Magendilatation mit Magensaftrestmenge und Stenosendurchmesser von weniger als 9 mm.
Endoskopisch lassen sich vorhandene Speisereste trotz mehrstündigem Fasten, eine Dilatation, ein deformierter Magenaus-
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27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
gang sowie die Unmöglichkeit der Passierbarkeit des Untersuchungsinstrumentes erheben. Endoskopische Biopsien können ein Malignom als Ursache der MAS beweisen, aber bei einer niedrigen Sensitivität nie ausschließen (Awan et al. 1998). Die Abdomenleeraufnahme stellt eine dilatierte lufthaltige Magenblase mit Spiegelbildung dar. Durch Kontrastmitteluntersuchung lässt sich der Stenosegrad direkt radiologisch vermessen. Um die extrapylorische/extraduodenale Region bildgebend erfassen zu können, eignen sich Computertomographie und endoluminaler Ultraschall (Khullar u. DiSario 1996). Die Magenentleerungsstörung kann durch alimentäre Entleerungsszintigraphie funktionell quantifiziert werden (Hör u. Baew-Christaw 1993). Die intraoperative Klassifizierung erfolgt am exaktesten durch eine offene Passageprüfung mit Hegarstiften. 27.10.4
Indikationsstellung, Therapieziele und Verfahrenswahl
Therapieziel ist die Behebung der Stenose. Initial soll der Magen mit einer Sonde entlastet werden. Unverdaute Nahrungsreste werden mit Kochsalzlösung über einen großkalibrigen Magenschlauch ausgespült. Die weitere Dekompression ist vom Stenosegrad und dem Sekretionsvolumen abhängig. Wenn die kontinuierlich abgesaugte Magensaftmenge weniger als 250 ml/12 h beträgt, kann auf eine einmalig tägliche Entlastung übergegangen werden. Der Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes erfordert die Substitution von Wasser, Natrium, Kalium, Chlorid und die Korrektur der Alkalose. Das vollständige Ausmaß der Bluteindickung und der Verluste ist oft erst nach genügender Rehydrierung manifest. Gleichzeitig werden eine parenterale Ernährungstherapie und eine konservative Ulkusbehandlung (Protonenpumpenhemmer und Helicobacter-Eradikation) begonnen (Hopkins 1997; Lee u. O’Moran 1997; Misiewicz 1997). Eine HelicobacterInfektion wurde bei 45–69% der Patienten gefunden, die wegen einer MAS operiert werden mussten (Tokunaga et al. 1998). Unter den genannten Maßnahmen wird eine reversible MAS in wenigen Tagen erkennbar sein (Stabile u. Passaro 1993). Prinzipiell stellt das Versagen der konservativen Therapie einschließlich der pneumatischen Dilatation jenseits des 5. bis 7. Tages eine Operationsindikation dar. Hier sind die allgemeingültigen Operationsmethoden der elektiven Ulkuschirurgie anzuwenden (7 Kap. 27.5 und Kap. 27.7). Bei der Kombination verschiedener Komplikationen (z. B. Stenose und Blutung) ist die Indikationsstellung zur Chirurgie dem Individualfall anzupassen (Lam et al. 1978). Der Karzinomverdacht stellt ebenfalls eine Indikation dar, insbesondere in Anbetracht der niedrigen Sensitivität bezüglich des Malignitätsnachweises durch Biopsien (Awan et al. 1998). 27.10.5
Operationstechnik und Ergebnisse
Die Langzeitergebnisse der endoskopischen Dilatationsbehandlung sind ernüchternd. Sie kann insbesondere bei florider Stenose zu einer Besserung der Symptomatik führen. Bei narbigen Stenosen kommt es rasch wieder zur Restenosierung (Khullar u. DiSario 1996). Etwa ein Drittel der Patienten sind durch eine einmalige Dilatation von ihren Symptomen befreit, weitere 33– 84% brauchen wiederholte Dilatationen und 30% benötigen
später doch eine Operation. Stentplatzierungen durch die Stenose wurden versucht, um Restenosierungen zu vermeiden, Langzeitbeobachtungen damit sind aber limitiert (Khullar u. DiSario 1996). Für die chirurgische Behebung der Stenose stehen die operative Dilatation, die Stenosenplastik, die Manschettenresektion und die distale Magenresektion zur Verfügung. Eine Gastroenterostomie als Bypassverfahren kommt nur in besonders gelagerten Fällen zur Anwendung (Zittel et al. 2000). Die operative offene oder geschlossene Dilatation kann u. U. gleich effektiv sein wie die Stenose- oder Pyloroplastik, birgt aber das Risiko der Restenosierung (Delaney 1978; Thomson u. Galloway 1979). Bei unauflösbarer Stenose oder Ruptur bei der Dilatation erfolgt die Segment- oder Manschettenresektion mit nachfolgender Gastroduodenostomie. Eine Erweiterungsplastik lässt sich manchmal wegen narbiger Wandverhältnisse chirurgisch nicht sicher ausführen. Bei Patienten, die durch Antrektomie oder Billroth-I-Resektion behandelt wurden, trat eine Restenosierunge in 5–8% auf (Mäkelä et al. 1996). In einer randomisierten Studie wurden 3 verschiedene chirurgische Techniken bei der durch ein Duodenalulkus verursachten MAS untersucht (Csendes et al. 1993). Die erste Gruppe erhielt eine proximal selektive Vagotomie (PSV) und eine Gastrojejunostomie, die zweite eine PSV kombiniert mit einer Jaboulay-(Seit-zu-Seit)-Gastroduodenostomie und die dritte eine PSV mit Antrektomie. Bezüglich des säurereduktiven Effektes der Vagotomie und der Morbidität schnitten alle 3 Gruppen gleich ab. Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 98 Monaten war das funktionelle Resultat, gemessen am Patientenanteil mit Visick-Score I, bei der ersten Gruppe mit 80% am besten. Für die Gruppe mit Antrektomie war der Anteil 75% und bei derjenigen mit der Jaboulay-Anastomose 70%. Die PSV in Kombination mit einer pyloroduodenalen Dilatation sollte nicht mehr durchgeführt werden, da hohe Ulkusrezidivund Restenosierungsraten über 40% berichtet worden sind (Mäkelä et al. 1996, Stabile u. Passaro 1993). Alle diese Behandlungsresultate kombiniert mit Vagotomien stammen aus der Zeit vor einer effektiven H.-p.-Eradikationsbehandlung. Die Infektion mit H. pylori wurde bei der Mehrzahl der Patienten, die wegen einer MAS operiert worden sind, gefunden (Tokunaga et al. 1998). Die konsequente H.-p.-Eradikation wird heute bei diesen Patienten mit MAS empfohlen (Hopkins 1997; Zittel et al. 2000).
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375 27.11 · Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie
Hör G, Baew-Christaw Th (1993) Nuklearmedizinische Methoden in der Gastroenterologie. In: Classen M, Siewert JR (Hrsg) Gastroenterologische Diagnostik. Schattauer, Stuttgart New York, S 19–38 Hopkins RJ (1997) Current FDA-approved treatments for Helicobacter pylori and the FDA aproval process. Gastroenterol 113 (Suppl 1):126–130 Khullar SK, DiSario JA (1996) Gastric outlet obstruction. Gastrointest Endosc Clin North Am 6:585–603 Lam SK, Chan PKW, Cheng PCY, Ong GB (1978) The interrelationship between bleeding, perforation, and stenosis in duodenal ulceration. Aust N Z J Surg 48:152–155 Lee J, OáMoran C (1997) Who should be treated for Helicobacter pylori infection. A review of consensus conferences and guidelines. Gastroenterology 113 [Suppl 1]: 99–106 Mäkelä J, Kiviniemi H, Laitinen S (1996) Gastric outlet obstruction caused by peptic ulcer disease. Analysis of 99 patients. Hepato-Gastroenterol 43:547–552 Misiewicz JJ (1997) Management of Helicobacter pylori-related disorders. Eur J Gastroenterol Hepatol 9 [Suppl 1]:17–21 Paimela H, Oksala NKJ, Kivilaakso E (2004) Surgery for peptic ulcer today. Dig Surg 21:185–191 Pelot D, Hollander D (1985) Complications of peptic ulcer disease. In: Berk JE (ed) Bockus Gastroenterology. WB Saunders, Philadelphia London Toronto, 1155–1185 Shone DN, Nikoomanesh P, Smith-Neek MM, Bender JS (1995) Malignancy is the most common cause of gastric outlet obstruction in the era of H2 blockers. Am J Gastroenterol 90:1769–1770 Stabile BE, Passaro E (1993) Surgery for duodenal and gastric ulcer disease. Adv Surg 26:275–306 Thomson JD, Galloway JBW (1979) Vagotomy and pyloric dilatation in chronic duodenal ulceration. Br Med J I:1453–1455 Tokunaga Y, Hara K, Ryo J, Kitaoka A, Tokuka A, Ohsumi K (1998) Density of Helicobacter pylori infection in patients with peptic ulcer perforation. J Am Coll Surg 186:659–663 Zittel TT, Jehle EC, Becker HD (2000) Surgical management of peptic ulcer disease today – indication, technique and outcome. Langenbecks Arch Surg 385:84–96
27.11
Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie A.H. Hölscher
) ) Für die Beurteilung der Spätergebnisse nach Magenresektion oder Vagotomie sind neben den Ulkusrezidivraten die Folgesymptome von Bedeutung. Dazu wird unter anderem die von Visick beschriebene Klassifikation herangezogen. Nach Magenresektion ist die Rekonstruktion nach Billroth II (oder Roux-YGastrojejunostomie) funktionell eindeutig weniger günstig als diejenige nach Billroth I. Dumpingbeschwerden, Diarrhö, Gewichtsverlust, Anämie und Osteoporose sind in höherem Prozentsatz nach Gastrojejunostomie als nach Gastroduodenostomie anzutreffen. Das Magenstumpfkarzinom entsteht aus der langjährig persistierenden atrophen Gastritis mit intestinaler Metaplasie, die als fakultative Präkanzerose anzusehen ist. Alle Vagotomieformen verändern die Magenmotorik und die rezeptive Relaxation des Fundus. Nach Denervation fehlt die koordinierte Schrittmacherfunktion des Magens. Postoperative Folgezustände betreffen Dysphagie, Dumping und Diarrhö. Nur nach proximal selektiver gastrischer Vagotomie mit Erhaltung der Antruminnervation sind diese Folgezustände minimal ausgeprägt.
27.11.1
27
Folgezustände nach Magenresektion
Refluxösophagitis Sie stellt im Rahmen von Postgastrektomiebeschwerden nur einen Teilaspekt verschiedener Syndrome dar und ist nach Billroth-II-Resektion – indirekt manometrisch evaluiert – ausgeprägter als nach Billroth-I-Operation. Für die konservative Therapie stehen H2-Rezeptorenblocker, Protonenpumpenhemmer und Gallensäuren-bindende Substanzen (Cholestyramin oder Antazida) zur Verfügung. Bei therapieresistenter Refluxkrankheit hat sich die Umwandlung in die Roux-Y-Anastomose bewährt. Dumpingsyndrom Frühdumping. Das Dumpingsyndrom ist Folge des distal resezierten, inkontinenten Magens (Mix 1922). Frühdumping wird definiert als gastrointestinale und kardiovaskuläre vasomotorische Symptome, die binnen einer halben Stunde nach Nahrungsaufnahme auftreten. Vor allem nach flüssigen, vor allem kohlehydrat- und fettreichen Mahlzeiten können Übelkeit, Hitzegefühl, Schwitzen, Tachykardie, Blutdruckabfall, Völlegefühl, Aufstoßen, Erbrechen und Diarrhö auftreten. Zwei verschiedene pathogenetische Mechanismen führen zum Frühdumping. Die in den Dünndarm rasch einströmende hyperosmolare Nahrung vermag – wie Provokationstests gezeigt hatten – zwischen 400 ml und 800 ml Volumen aus dem Plasmavolumen relativ rasch zu entziehen (Roberts et al. 1954). Andererseits führt der hyperosmolare Reiz der intestinalen Mukosa zur Ausschüttung humoraler Faktoren wie Neurotensin, Bradykinin, vasoaktives intestinales Peptid und Polypeptid YY, die die Dumpingsymptome verstärken (Woodward u. Hocking 1987). Spätdumping. Es tritt 1–3 h nach der Nahrungseinnahme auf und ist durch Schwitzen, Schwäche- und Hungergefühl gekennzeichnet. Im Gegensatz zum Frühdumping fehlen jedoch die vasomotorischen Symptome sowie Diarrhö. Die schnelle Glukoseabsorption induziert nicht nur primär eine Hyperglykämie, sondern auch eine überschießende Sekretion des insulinotropen Hormons GLP-1, das in den sog. L-Zellen des unteren Intestinaltraktes gebildet wird. Hyperglykämie und GLP-1-Erhöhung führen zu einer abnorm gesteigerten Insulinausschüttung, die letztlich eine Hypoglykämie verursacht (Toft-Nielsen et al. 1988). Epidemiologie. Dumping besteht bei ca. 20% magenresezierter
Patienten und ist direkt proportional zum Ausmaß der Resektion (Woodward u. Hockning 1987). Häufigkeit und Schweregrad dieser Nebenwirkung sind nach Billroth II ausgeprägter als nach Billroth I. Neuere Publikationen verzeichnen je nach Rekonstruktionstyp zwischen 1,1 und 9,2% postoperatives Dumping (. Tabelle 27.22). Therapie. Die Therapie besteht in einer Flüssigkeitsrestriktion während den Mahlzeiten, einer Fraktionierung in mehrere kleine Mahlzeiten, der Vermeidung von freien Zuckern oder Disacchariden (Ersatz durch Stärke oder Glukagon) und in der Verwendung von Quellstoffen, die die Magenentleerung hemmen können. In schweren therapierefraktären Fällen ist die Verabreichung des Somatostatinanalogons Octreotid angezeigt (Farthing 1993; Hölscher 1990; Vecht et al. 1999). Die Glukoseabsorption im Dünndarm kann ferner durch die Gabe des α-Glukosidaseinhibitors Acarbose gehemmt und somit Dumpingsymptome
375 27.11 · Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie
Hör G, Baew-Christaw Th (1993) Nuklearmedizinische Methoden in der Gastroenterologie. In: Classen M, Siewert JR (Hrsg) Gastroenterologische Diagnostik. Schattauer, Stuttgart New York, S 19–38 Hopkins RJ (1997) Current FDA-approved treatments for Helicobacter pylori and the FDA aproval process. Gastroenterol 113 (Suppl 1):126–130 Khullar SK, DiSario JA (1996) Gastric outlet obstruction. Gastrointest Endosc Clin North Am 6:585–603 Lam SK, Chan PKW, Cheng PCY, Ong GB (1978) The interrelationship between bleeding, perforation, and stenosis in duodenal ulceration. Aust N Z J Surg 48:152–155 Lee J, OáMoran C (1997) Who should be treated for Helicobacter pylori infection. A review of consensus conferences and guidelines. Gastroenterology 113 [Suppl 1]: 99–106 Mäkelä J, Kiviniemi H, Laitinen S (1996) Gastric outlet obstruction caused by peptic ulcer disease. Analysis of 99 patients. Hepato-Gastroenterol 43:547–552 Misiewicz JJ (1997) Management of Helicobacter pylori-related disorders. Eur J Gastroenterol Hepatol 9 [Suppl 1]:17–21 Paimela H, Oksala NKJ, Kivilaakso E (2004) Surgery for peptic ulcer today. Dig Surg 21:185–191 Pelot D, Hollander D (1985) Complications of peptic ulcer disease. In: Berk JE (ed) Bockus Gastroenterology. WB Saunders, Philadelphia London Toronto, 1155–1185 Shone DN, Nikoomanesh P, Smith-Neek MM, Bender JS (1995) Malignancy is the most common cause of gastric outlet obstruction in the era of H2 blockers. Am J Gastroenterol 90:1769–1770 Stabile BE, Passaro E (1993) Surgery for duodenal and gastric ulcer disease. Adv Surg 26:275–306 Thomson JD, Galloway JBW (1979) Vagotomy and pyloric dilatation in chronic duodenal ulceration. Br Med J I:1453–1455 Tokunaga Y, Hara K, Ryo J, Kitaoka A, Tokuka A, Ohsumi K (1998) Density of Helicobacter pylori infection in patients with peptic ulcer perforation. J Am Coll Surg 186:659–663 Zittel TT, Jehle EC, Becker HD (2000) Surgical management of peptic ulcer disease today – indication, technique and outcome. Langenbecks Arch Surg 385:84–96
27.11
Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie A.H. Hölscher
) ) Für die Beurteilung der Spätergebnisse nach Magenresektion oder Vagotomie sind neben den Ulkusrezidivraten die Folgesymptome von Bedeutung. Dazu wird unter anderem die von Visick beschriebene Klassifikation herangezogen. Nach Magenresektion ist die Rekonstruktion nach Billroth II (oder Roux-YGastrojejunostomie) funktionell eindeutig weniger günstig als diejenige nach Billroth I. Dumpingbeschwerden, Diarrhö, Gewichtsverlust, Anämie und Osteoporose sind in höherem Prozentsatz nach Gastrojejunostomie als nach Gastroduodenostomie anzutreffen. Das Magenstumpfkarzinom entsteht aus der langjährig persistierenden atrophen Gastritis mit intestinaler Metaplasie, die als fakultative Präkanzerose anzusehen ist. Alle Vagotomieformen verändern die Magenmotorik und die rezeptive Relaxation des Fundus. Nach Denervation fehlt die koordinierte Schrittmacherfunktion des Magens. Postoperative Folgezustände betreffen Dysphagie, Dumping und Diarrhö. Nur nach proximal selektiver gastrischer Vagotomie mit Erhaltung der Antruminnervation sind diese Folgezustände minimal ausgeprägt.
27.11.1
27
Folgezustände nach Magenresektion
Refluxösophagitis Sie stellt im Rahmen von Postgastrektomiebeschwerden nur einen Teilaspekt verschiedener Syndrome dar und ist nach Billroth-II-Resektion – indirekt manometrisch evaluiert – ausgeprägter als nach Billroth-I-Operation. Für die konservative Therapie stehen H2-Rezeptorenblocker, Protonenpumpenhemmer und Gallensäuren-bindende Substanzen (Cholestyramin oder Antazida) zur Verfügung. Bei therapieresistenter Refluxkrankheit hat sich die Umwandlung in die Roux-Y-Anastomose bewährt. Dumpingsyndrom Frühdumping. Das Dumpingsyndrom ist Folge des distal resezierten, inkontinenten Magens (Mix 1922). Frühdumping wird definiert als gastrointestinale und kardiovaskuläre vasomotorische Symptome, die binnen einer halben Stunde nach Nahrungsaufnahme auftreten. Vor allem nach flüssigen, vor allem kohlehydrat- und fettreichen Mahlzeiten können Übelkeit, Hitzegefühl, Schwitzen, Tachykardie, Blutdruckabfall, Völlegefühl, Aufstoßen, Erbrechen und Diarrhö auftreten. Zwei verschiedene pathogenetische Mechanismen führen zum Frühdumping. Die in den Dünndarm rasch einströmende hyperosmolare Nahrung vermag – wie Provokationstests gezeigt hatten – zwischen 400 ml und 800 ml Volumen aus dem Plasmavolumen relativ rasch zu entziehen (Roberts et al. 1954). Andererseits führt der hyperosmolare Reiz der intestinalen Mukosa zur Ausschüttung humoraler Faktoren wie Neurotensin, Bradykinin, vasoaktives intestinales Peptid und Polypeptid YY, die die Dumpingsymptome verstärken (Woodward u. Hocking 1987). Spätdumping. Es tritt 1–3 h nach der Nahrungseinnahme auf und ist durch Schwitzen, Schwäche- und Hungergefühl gekennzeichnet. Im Gegensatz zum Frühdumping fehlen jedoch die vasomotorischen Symptome sowie Diarrhö. Die schnelle Glukoseabsorption induziert nicht nur primär eine Hyperglykämie, sondern auch eine überschießende Sekretion des insulinotropen Hormons GLP-1, das in den sog. L-Zellen des unteren Intestinaltraktes gebildet wird. Hyperglykämie und GLP-1-Erhöhung führen zu einer abnorm gesteigerten Insulinausschüttung, die letztlich eine Hypoglykämie verursacht (Toft-Nielsen et al. 1988). Epidemiologie. Dumping besteht bei ca. 20% magenresezierter
Patienten und ist direkt proportional zum Ausmaß der Resektion (Woodward u. Hockning 1987). Häufigkeit und Schweregrad dieser Nebenwirkung sind nach Billroth II ausgeprägter als nach Billroth I. Neuere Publikationen verzeichnen je nach Rekonstruktionstyp zwischen 1,1 und 9,2% postoperatives Dumping (. Tabelle 27.22). Therapie. Die Therapie besteht in einer Flüssigkeitsrestriktion während den Mahlzeiten, einer Fraktionierung in mehrere kleine Mahlzeiten, der Vermeidung von freien Zuckern oder Disacchariden (Ersatz durch Stärke oder Glukagon) und in der Verwendung von Quellstoffen, die die Magenentleerung hemmen können. In schweren therapierefraktären Fällen ist die Verabreichung des Somatostatinanalogons Octreotid angezeigt (Farthing 1993; Hölscher 1990; Vecht et al. 1999). Die Glukoseabsorption im Dünndarm kann ferner durch die Gabe des α-Glukosidaseinhibitors Acarbose gehemmt und somit Dumpingsymptome
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
gebessert werden. Acarbose blockiert reversibel die Spaltung von komplexen Kohlenhydraten in die absorbierbaren Monosacharide (Imhof et al. 2001).
27
Die chirurgischen Optionen zur Behandlung des schweren Dumpings sind die Einengung des gastrointestinalen Stomas, die Rekonstruktion der Duodenalpassage (falls nach Billroth II technisch möglich) und die Interposition einer Magenersatzplastik oder eines Jejunumsegmentes zwischen Magen und Duodenum.
Atrophische Gastritis Innerhalb von 10 Jahren nach Magenresektion bildet sich bei 80–90% der Patienten eine atrophische Gastritis unterschiedlichen Ausmaßes aus. Trotz endoskopischem Befund einer Hyperämie der Magenschleimhaut (Magenerythem) und starker histologischer Veränderungen bleibt die große Mehrzahl der Patienten beschwerdefrei (Hoare et al. 1976). Etwa 10% magenresezierter Patienten klagen über behandlungsbedürftige Symptome wie epigastrische Schmerzen, Völlegefühl und galliges Erbrechen (Bondurant et al. 1987). Charakteristisch sind das Abklingen der Symptomatik nach galligem Erbrechen sowie ihre Verstärkung durch Stimulation der Galle- und Pankreassekretion. Ursache ist nicht die atrophische Stumpfgastritis per se, sondern der enterogastrale Reflux. Die Gastritis ist beim Billroth-II-Magen ausgeprägter als beim Billroth I (Werner et al. 1975). Sie nimmt jährlich im Mittel um 3% an Ausprägung zu (Kliems et al. 1979). Retrokolische Billroth-II-Anastomosen sind im Vergleich zu antekolischen oder zu Billroth-I-Anastomosen besonders refluxgefährdet. Zudem wurden mit steigendem intragastralen pH-Wert eine Zunahme der Keimbesiedelung und ein vermehrtes Auftreten der atrophischen Gastritis nachgewiesen (Schumpelick 1979).
Bei ausgeprägten Beschwerden der Refluxgastritis ist die isoperistaltische Jejunuminterposition oder die Umwandlung in eine Roux-Y-Anastomose indiziert (Bondurant et al. 1987; Kennedy u. Green 1978; Menguy u. Chey 1980).
Der therapeutische Effekt der Roux-Y-Ableitung zeigt sich dabei am stärksten an der Besserung der Symptome. Günstig beeinflusst werden galliges Erbrechen und retrosternaler Schmerz (Siewert 1980). Zwei prospektive Studien bestätigten diese Effekte der Roux-Y-Ableitung bei der gastralen Refluxkrankheit (Hoare et al. 1976; Malagelada et al. 1979). Interessant ist aber, dass sich die Gastritis nach der Roux-Y-Ableitung nicht zurückbildet. Dies kann bedeuten, dass sie nicht Folge des galligen Refluxes ist – einige Autoren (Alexander-Williams u. Hoare 1980) sehen sie als Folge der Hypochlorhydrie an – oder dass die Gastritis nicht mehr reversibel ist.
regionäre Lymphadenektomie (Piso et al. 1999). Während in früheren Untersuchungen von einer verminderten Resezierbarkeit und einem um 7% schlechteren 5-Jahres-Überleben des Stumpfkarzinoms (Ovaska et al. 1986) gegenüber dem primären Magenkarzinom berichtet worden ist, kann ein solcher Unterschied heute nicht mehr gesehen werden (Thorban et al. 2000). Malnutrition Die Ursachen von Malnutrition und Malabsorption nach Magenresektion sind vielfältig. Die meisten dieser Störungen sind von geringem Ausmaß und werden selten zum klinischen Problem. Eine behandlungsbedürftige Malnutrition entwickelt sich vorwiegend nach einer Resektion vom Typ Billroth II. Im Langzeitverlauf berichten Mellström und Rundgren bei den Billroth-IIResezierten im 70. Lebensjahr ein um durchschnittlich 6 kg und im 75. Lebensjahr ein um 11 kg vermindertes Körpergewicht gegenüber einer altersgleichen nichtoperierten gesunden Gruppe (Melström u. Rutgreen 1982). Im Gegensatz zu älteren Arbeiten ließ sich in neueren Studien bei Patienten mit Billroth-I-Resektion postoperativ kein signifikanter Gewichtsabfall mehr nachweisen; teilweise wurde sogar eine signifikante Gewichtszunahme bei diesen Patienten festgestellt. Anämie Etwa die Hälfte der Magenresezierten weist 20 Jahre postoperativ eine Anämie auf (Tovey u. Clark 1980). Sie ist häufiger und ausgeprägter nach einer Billroth-II- als nach einer Billroth-I-Resektion und häufiger bei Patienten, die wegen eines Ulcus ventriculi, als bei solchen, die wegen eines Ulcus duodeni operiert worden sind. In abnehmender Häufigkeit liegt der Anämie ein Mangel an Eisen, Vitamin B12 oder an Folsäure zugrunde. Eine Kombination dieser Anämietypen ist häufig (Mellström u. Rundgren 1982). Die gestörte Eisenresorption im Darm ist die Folge der reduzierten Säurekonzentration, der fehlenden Duodenalpassage (Hauptort der Eisenresorption) bei der Billroth-II- oder Roux-YRekonstruktion sowie der beschleunigten Darmpassage. Die genannten Anämieformen sind durch parenterale Substitution von Eisen oder der entsprechenden Vitamine einfach zu behandeln. Knochenveränderungen Das Auftreten einer Osteomalazie und Osteoporose nach Magenresektion ist multifaktoriell bedingt. Verminderte Aufnahme von Kalzium und Vitamin D (v. a. bei Fettmalabsorption) sowie der Ausschluss der Duodenalpassage, wo sich der Hauptsitz der Kalziumresorption befindet, sind die Ursachen (Marcinowska et al. 1995; Shingelton et al. 1957; Pääkonen et al. 1982). Knochenveränderungen nach Magenresektion werden bei bis zu 40% der Patienten beschrieben. In der Knochendensitometrie finden sich nach Billroth-II-Resektion um 20% verminderte und nach Billroth-I-Resektion um 8% verminderte Werte gegenüber Kontrollindividuen (Mellström et al. 1993). 27.11.2
Magenstumpfkarzinom Die chronisch bestehende atrophische Stumpfgastritis mit intestinaler Metaplasie wird als fakultative Präkanzerose angesehen. Die Inzidenz der Magenstumpfkarzinome hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Nach einem Zeitintervall von 15 Jahren ist in ca. 3% mit einem Stumpfkarzinom zu rechnen (Ovaska et al. 1986). Therapie der Wahl ist die Restgastrektomie und
Folgezustände nach Vagotomie
Postvagotomiedysphagie Sie stellt eine akute postoperative, meist passagere Schluckstörung dar und ist als direkte Folge der Präparation im distalen Ösophagusbereich zu betrachten. Die Dysphagie tritt bei etwa 2% aller Vagotomietypen auf normalisiert sich innerhalb 2–3 Monaten postoperativ spontan (Taylor 1999).
377 27.11 · Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie
Dumping Dumping tendiert zur Besserung mit der Zeit postoperativ, kann sich selten aber auch Jahre nach dem Eingriff ausprägen. Die selektiv gastrische Vagotomie wurde 1948 von Jackson und Franksson propagiert, um die Häufigkeit an postoperativem Dumping und Diarrhö nach Vagotomie durch Erhaltung aller extragastrischen Vagusfasern zu reduzieren (Taylor 1999). Nach selektivgastrischer Vagotomie und Antrektomie wird Dumping bei einem Viertel der Patienten beobachtet (Macintyre et al. 1990). Die PSV mit Erhaltung der Antrummotilität zeigt in größeren Serien postoperatives Dumping bei 2,3–5,4% der Fälle (Enskog et al. 1986; Macintyre et al. 1990). Postvagotomiediarrhö Sie entsteht aus verschiedenen pathophysiologischen Folgen nach Vagotomie: Die gestörte Magenmotilität mit pathologischem Entleerungsmuster führt zu einem gesteigerten intestinalen Transit. Eine verminderte Säuresekretion des Magens begünstigt die bakterielle Besiedelung des Dünndarms. Zudem führt die bakterielle Spaltung von Gallensäuren zur Malabsorption von Triglyzeriden, Fettsäuren, Aminosäuren und Kohlehydraten. Die osmotische Belastung nichtresorbierter Nahrungsbestandteile, die sich ins Kolon entleeren, führen dann schließlich zum Durchfall. Die Diarrhö kann in bis zu 3% invalidisierend sein mit Stuhldrang, Unterbauchschmerzen und wässrigen Entleerungen, die zu Inkontinenz führen können. Diarrhö wird nach selektivgastrischer Vagotomie und Antrektomie in bis zu 15% beobachtet (Jordan u. Condon 1970), nach PSV zwischen 3 und 11% (Enskog 1986; Jordan u. Condon 1970). Im Allgemeinen werden diätetische Maßnahmen mit Begrenzung der Flüssigkeitszufuhr, häufigen kleinen Mahlzeiten und Reduktion freier Kohlehydrate oder Disaccharide sowie ballastreiche Kost ausreichen. Die Gabe von Spasmolytika und Antidiarrhoika neben gallesalzbindenden Substanzen (Cholestyramin, Aluminiumhydroxid) hilft in der Regel. Bei den seltenen schwersten Postvagotomiediarrhöen nach SGV und Pyloroplastik wird die operative Rekonstruktion des Pylorus oder die Interposition eines anisoperistaltischen, ca. 8–10 cm langen Ileumsegmentes im mittleren Ileumbereich empfohlen (Frederiksen et al. 1980).
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
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27.12
Anomalien, Divertikel, Volvulus A.H. Hölscher
) ) Anomalien, Divertikel oder Volvulus des Magens sind entweder symptomlos und werden zufällig entdeckt, verursachen rezidivierende Beschwerden oder führen zum akuten Abdomen. Die Kenntnis dieser seltenen Veränderungen ist daher wichtig, um zufällige Befunde interpretieren zu können und bei Symptomen auch diese Erkrankungen in die Differenzialdiagnose mit einzubeziehen. Eine Operationsindikation besteht bei symptomatischen Anomalien, Divertikeln oder Volvuluszuständen. Dabei werden die Divertikel abgetragen bzw. die Anatomie wiederhergestellt, um Rezidive zu vermeiden. Volvuluszustände haben in der Regel eine Ursache wie Hiatushernien oder Tumoren, die gleichzeitig chirurgisch saniert werden müssen.
27.12.1
Anomalien
Lageanomalien des Magens (Dextrogastrie) treten beim partiellen oder totalen Situs inversus auf. Einzelfälle von Magenektopien im Thoraxraum sind beschrieben worden. Missbildungen in Form einer Agastrie oder Mikrogastrie sind Raritäten. Selten sind auch Duplikaturen (. Abb. 27.22), die auf Störungen in der Entwicklung des Septum oesophagotracheale zurück zu führen ist. Eine Magenduplikatur ist meist mit einer Duplikatur des unteren Ösophagus, mit Wirbelsäulenanomalien und mit einem aberranten Pankreas kombiniert (Wieczorek 1984). Zu den partiellen Doppelbildungen werden die Riesendivertikel gezählt (Ottenjann 1973). Von den kongenitalen Stenosen im Bereich des Magens wird die membranöse Stenose im distalen Antrum am häufigsten beobachtet. Hierbei handelt es sich um eine ringförmige Schleimhautmembran, die teilweise auch muskuläre Anteile enthalten kann. Sie ist von der hypertrophischen Pylorusstenose des Säuglingsalters zu trennen. Klinische Symptomatologie Angeborene Lageanomalien sind meist asymptomatisch. Bei Doppelbildungen kann es jedoch durch Stagnation von Sekret und Nahrungsbestandteilen im Blindsack zu entzündlichen Wandveränderungen, Ulzerationen und Blutungen kommen. Durch sich schlecht entleerende Doppelbildungen und Riesendivertikel können Passagestörungen auftreten. Bei der antralen Membranstenose findet sich in Abhängigkeit von der Passagebehinderung das Bild einer Magenausgangsstenose (7 Kap. 27.10). Die Diagnose wird bei allen Anomalien endoskopisch bzw. röntgenologisch gestellt (. Abb. 27.22).
378
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Menguy R, Chey W (1980) Experiences with the treatment of alkaline reflux gastritis. Surgery 88:482–487 Mix CL (1922) Dumping stomach following gastrojejunostomy. Surg Clin N Am 2:617–623 Nielsen J, Amdrup E, Christiansen P (1973) Gastric ulcer II, Surgical treatment. Acta Chir Scand 139:460 Ovaska JT, Havia TV, Kujari HP (1986) Retrospective analysis of gastric stump carcinoma patients treated during 1946–1981. Acta Chir Scand 152:199–204 Ovaska JT, Ekfors TO, Luukkonen PE, Lempinen MJ (1988) Histological changes in the gastric stump mucosa and late clinical results after Billroth I, Billroth II and Roux-en-Y operations for peptic ulcer disease. Ann Chir Gynaecol 77: 1–5 Pääkonen M, Alhava EM, Karjaleinen B (1982) Bone mineral and intestinal calcium absorption after partial gastrectomy. Scand J Gastroenterol 17:369 Petrat H, Schröder H, Jacob M, Petrat G (1991) Results of Billroth I and Billroth II stomach resection. Zentralbl Chir 116(6):369–373 Piso P, Meyer HJ, Edris C, Jähne J (1999) Surgical therapy of gastric stump carcinoma- a retrospective analysis of 109 patients. Hepatogastroenterology 46:2643–2647 Reid DA, Duthie HL, Bransom CJ, Johnson AG (1982) Late follow-up of highly selective vagotomy with excision of the ulcer compared with Billroth I gastrectomy for treatment of benign gastric ulcer. Br J Surg 69:605–607 Rieu PMNA, Joosten HJM, Jansen JBMJ, Lamers CBHW (1994) A comparative study of gastrectomy without vagotomy with either Roux-en-Y or Billroth II anastomosis in peptic ulcer. Hepato Gastroenterol 41:294–297 Roberts KE, Randall HT, Farr HW (1954) Cardiovascular blood volume alterations resulting from intrajejunal administration of hypertonic solutions to gastrectomized patients: the relationship of these changes to the dumping syndrome. Ann Surg 140:631–640 Schumpelick V, Begemann F, Peterhoff G, Flasshoof D (1979) Reflux und Refluxkrankheit im Resektionsmagen. Langenbecks Arch Chir 348:61 Sekine T, Tsukamoto M, Sato T (1975) An evaluation of segmental gastrectomy for gastric ulcer: one to ten year follow-up. Surgery 78:508–514 Semb LS, Montclair T, Brunsgaard C (1973) Partial gastrectomy with gastroduodenal anastomosis with or without truncal vagotomy in the treatment of peptic ulcer. Acta Hepatogastroenterol 20:178 Siewert JR (1980) Chirurgische Aspekte nach Resektionen am Magen. Langenbecks Arch Chir 352:125–132 Siewert JR, Hölscher AH (1986) Billroth I Gastrectomy. In: Nyhus LM, Wastell C (eds) Surgery of the stomach and duodenum, 4th edn. Little Brown, Boston Toronto, pp 263–290 Taylor TV (1999) Surgical treatment of chronic duodenal ulcer. In: Taylor TV, Watson A, Williamson RCN (eds) Upper digestive surgery. WB Saunders, pp 469–494 Thomas WEG, Thompson MH, Williamson RCN (1982) The long-term outcome of Billroth-I partial gastrectomy for benign gastric ulcer. Ann Surg 195:189 Thorban S, Böttcher K, Etter M, Roder JD, Busch R, Siewert JR (2000) Prognostic factors in gastric stump carcinoma. Ann Surg 231:188– 194 Toft-Nielsen M, Madsbad S, Holst JJ (1998) Exaggerated secretion of glucagon-like peptide-1 (GLP-1) could cause reactive hypoglycaemia. Diabetologia 41:1180–1186 Tovey FI, Clark CG (1980) Anemia after partial gastrectomy: A neglected curable condition. Lancet 1(8175): 956–958 Troncon LE, Thompson DG, Ahluwalia NK, Barlow J, Heggie L (1995) Relations between upper abdominal symptoms and gastric distension abnormalities in dysmotility like functional dyspepsia and after vagotomy. Gut 37:17–22 Vecht J, Lamers CB, Masclee AA (1999) Long-term results of octreotide therapy in severe dumping syndrome. Clin Endocrinol 51:619–624 Visick AH (1946) A study of the failures after gastrectomy. Ann R Coll Engl 3:266
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27.12
Anomalien, Divertikel, Volvulus A.H. Hölscher
) ) Anomalien, Divertikel oder Volvulus des Magens sind entweder symptomlos und werden zufällig entdeckt, verursachen rezidivierende Beschwerden oder führen zum akuten Abdomen. Die Kenntnis dieser seltenen Veränderungen ist daher wichtig, um zufällige Befunde interpretieren zu können und bei Symptomen auch diese Erkrankungen in die Differenzialdiagnose mit einzubeziehen. Eine Operationsindikation besteht bei symptomatischen Anomalien, Divertikeln oder Volvuluszuständen. Dabei werden die Divertikel abgetragen bzw. die Anatomie wiederhergestellt, um Rezidive zu vermeiden. Volvuluszustände haben in der Regel eine Ursache wie Hiatushernien oder Tumoren, die gleichzeitig chirurgisch saniert werden müssen.
27.12.1
Anomalien
Lageanomalien des Magens (Dextrogastrie) treten beim partiellen oder totalen Situs inversus auf. Einzelfälle von Magenektopien im Thoraxraum sind beschrieben worden. Missbildungen in Form einer Agastrie oder Mikrogastrie sind Raritäten. Selten sind auch Duplikaturen (. Abb. 27.22), die auf Störungen in der Entwicklung des Septum oesophagotracheale zurück zu führen ist. Eine Magenduplikatur ist meist mit einer Duplikatur des unteren Ösophagus, mit Wirbelsäulenanomalien und mit einem aberranten Pankreas kombiniert (Wieczorek 1984). Zu den partiellen Doppelbildungen werden die Riesendivertikel gezählt (Ottenjann 1973). Von den kongenitalen Stenosen im Bereich des Magens wird die membranöse Stenose im distalen Antrum am häufigsten beobachtet. Hierbei handelt es sich um eine ringförmige Schleimhautmembran, die teilweise auch muskuläre Anteile enthalten kann. Sie ist von der hypertrophischen Pylorusstenose des Säuglingsalters zu trennen. Klinische Symptomatologie Angeborene Lageanomalien sind meist asymptomatisch. Bei Doppelbildungen kann es jedoch durch Stagnation von Sekret und Nahrungsbestandteilen im Blindsack zu entzündlichen Wandveränderungen, Ulzerationen und Blutungen kommen. Durch sich schlecht entleerende Doppelbildungen und Riesendivertikel können Passagestörungen auftreten. Bei der antralen Membranstenose findet sich in Abhängigkeit von der Passagebehinderung das Bild einer Magenausgangsstenose (7 Kap. 27.10). Die Diagnose wird bei allen Anomalien endoskopisch bzw. röntgenologisch gestellt (. Abb. 27.22).
27
379 27.12 · Anomalien, Divertikel, Volvulus
8 17
259 6
5
29
31
15
65
. Abb. 27.22. Prädilektionsstellen von Magenduplikaturen. Häufigkeitsverteilung von 93 Fällen in einer Sammelstatistik. (Modifiziert nach Wieczorek et al. 1984)
. Abb. 27.23. Prädilektionsstellen von Magendivertikeln mit Aufsicht auf die Hinterwand. Häufigkeitsverteilung von 342 Fällen in einer Sammelstatistik. (Modifiziert nach Palmer 1951)
Therapie Die Dextrogastrie macht in der Regel keine Therapie erforderlich. Bei Doppelbildungen ist hingegen oft eine operative Behandlung indiziert, besonders bei Passagebehinderungen, rezidivierendem Erbrechen und Ulzerationen in der Doppelbildung. Behandlungsziel ist die Abtragung der Doppelbildung bis zur unveränderten Magenwand. Membranöse Stenosen werden nach Gastrotomie reseziert und der Schleimhautdefekt vernäht.
Perforation und Stieldrehung. Kardianahe Divertikel mit Kardiainsuffizienz und Refluxösophagitis erfordern eine operative Behandlung.
27.12.2
Divertikel
Magendivertikel sind Ausstülpungen der Magenwand, wobei sich meist die ganze Wand, gelegentlich aber auch nur einige Schichten durch die Längsmuskulatur nach außen ausstülpen. Pathogenese Echte Divertikel bilden sich im Bereich eines Locus minoris resistentiae oder von Nachbarschaftsprozessen (Traktionsdivertikel). Die häufigste Divertikellokalisation ist subkardial an der Fundushinterwand (. Abb. 27.23; Palmer 1951). Weitere Prädilektionen sind präpylorisch und an der großen Kurvatur. Klinische Symptomatologie Eine Faltenbildung am Divertikelhals kann einen ventilartigen Mechanismus auslösen, der bei der Magenfüllung eine Auffüllung des Divertikels zwar zulässt, aber den Abfluss aus dem Divertikel bei entleertem Magen erschwert. Ulzerationen, Divertikulitis, Blutungen und Perforationen können die Folge sein. Dies verursacht Druckgefühl und epigastrische Schmerzen. Subkardiale Divertikel können zudem gastroösophageale Refluxbeschwerden hervorrufen. Plötzliche heftige Oberbauchschmerzen lassen an eine Stieldrehung am Divertikel oder an eine Perforation denken. Operationsindikation Asymptomatische Magendivertikel erfordern keine Therapie. Indikationen zur operativen Behandlung sind radiologisch oder endoskopisch nachgewiesene Ulzerationen, besonders bei bestehender oder stattgehabter Blutung. Absolute Indikationen sind
Operative Therapie Das Ziel ist die sichere Divertikelabtragung. Ist trotz eindeutigem präoperativen radiologischen Nachweises das Divertikel intraoperativ nicht auffindbar, so wird der Pylorus mit einer weichen Klemme verschlossen und der Magen mit Wasser oder Luft (intraoperative Gastroskopie) angefüllt. Das Divertikel wird an seiner Basis im Bereich der unveränderten Magenwand quer zur Magenachse (linearer Stapler oder extramuköse Naht) abgetragen. Der Eingriff kann auch laparoskopisch erfolgen (Kim et al. 1999). Bei kardianahen Divertikeln ist eine Lumeneinengung zu vermeiden. Der Verschluss sollte hier über einem dicken Magenschlauch erfolgen. 27.12.3
Volvulus
Ein Magenvolvulus besteht dann, wenn das Organ um mindestens 180° gedreht ist. Diese Drehung erfolgt entweder um die kardiopylorische Längs- oder um die Transversalachse (. Abb. 27.24). Entsprechend unterscheidet man einen organoaxialen von einem mesenterioaxialen Volvulus. Der organoaxiale Volvulus kommt am häufigsten vor und ist verursacht durch Eventration, diaphragmale Hernie, Pylorusobstruktion, Adhäsionen oder durch einen zu weiten Hiatus oesophagei (Wastell u. Ellis 1971). Der akute Volvulus bietet das klinische Bild eines akuten Abdomens mit Brechreiz, aber Unfähigkeit zu erbrechen (Hafter 1973). Wesentlich symptomärmer ist die seltener auftretende chronische Form mit Druckgefühl im Oberbauch, Störungen bei der Nahrungsaufnahme und Brechreiz (Wastell u. Ellis 1971). Pathogenese Durch die peritoneale Fixation der Kardia und der Pars descendens duodeni sowie durch das Lig. gastrolienale und gastrocolicum wird der Magen in seiner Position gehalten. Bei abnorm langem Bandapparat ist eine organoaxiale Drehung möglich. Bei Tumoren, besonders aber bei Ausdehnung des Abdominalrau-
380
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
kardiopylorische Achse
27
Transversalachse . Abb. 27.24. Mögliche Achsen, um die eine Organdrehung zu einem Volvulus führen kann
mes in den Thorax aufgrund eines Zwerchfelldefektes, kann es zu einer Anhebung des Pylorus und zu einer Dorsal-kaudal-Verlagerung des Fornix und damit zu einer mesenterioaxialen Drehung kommen. Paraösophageale Hiatushernien oder Mischhernien mit Ausbildung können einen proximalen, distalen oder totalen Magenvolvulus, den sog. »upside down stomach« hervorrufen (Hölscher et al. 1984; Landreneau 1997). Klinische Symptomatologie Das klinische Bild beim akuten organoaxialen Volvulus ist durch Passage- und Durchblutungsstörungen bestimmt. Komplikationen des Volvulus sind Strangulation, Blutung, Perforation, Milzruptur, Pankreatitis, Kolongangrän, Omentumavulsion und Schock. Diagnostik Die Diagnose des akuten Volvulus ist präoperativ schwierig zu stellen. Hinweis kann eine bei der Röntgenübersichtsaufnahme des Abdomens auffällige Verlagerung der Luftblase des Magenfornix sein. Die Röntgenkontrastdarstellung klärt in der Regel die typische Lageveränderung des Magens. Beim akuten, kompletten organoaxialen Volvulus ist die Kontrastmittelfüllung oft nicht möglich, da die Kardia durch die Magendrehung verschlossen ist. Therapie Beim akuten Volvulus ist die sofortige Laparotomie indiziert. Ist die Rückverlagerung des Magens auch nach Adhäsiolyse schwierig, so kann die Punktion des prall gefüllten Organs erforderlich sein. Nach Rückverlagerung ist auf irreversibel durchblutungsgestörte Wandabschnitte, die einer Resektion bedürfen, zu achten. In 28% der Fälle wird eine Magennekrose angetroffen (Carter et al. 1980). Liegt keine sonstige organische Ursache für die Magendrehung vor, so besteht die weitere operative Behandlung in einer Gastropexie (Hölscher et al. 1984; Landreneau 1997; Katkhouda et al. 2000). Dabei müssen sowohl der Magenfundus als auch die kleine Kurvatur an der vorderen Bauchwand mit nichtresorbierbaren Nähten fixiert werden. Bei Zwerchfelldefekt und paraösophagealer Hernie sollte vor der Gastropexie eine hintere Hiatoplastik durch Crurorrhaphie vorgenommen werden.
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28 28
Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas M.K. Müller, S. Wildi, P.-A. Clavien, M. Weber
28.1
Klassifikation und Komorbidität – 382
28.2
Epidemiologie
28.3
Bedeutung der bariatrischen Chirurgie – 382
28.4
Bariatrisch-chirurgische Prinzipien
28.4.1 28.4.2 28.4.3
Restriktion – 383 Malabsorption – 383 Kombinierte Verfahren – 384
28.5
Indikationsstellung
28.6
Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie – 385
28.7
Verfahrenswahl
28.7.1 28.7.2 28.7.3
Laparoskopie oder offenes Verfahren? – 385 Welches restriktive Verfahren? – 386 Restriktives Verfahren oder Bypass-Operation?
28.8
Folgeoperationen
28.8.1 28.8.2
Revisionen nach vorgängiger Implantation eines Magenbandes Revisionen nach Magenbypass – 387
Literatur
– 388
– 382
– 382
– 384
– 385
– 386
– 387 – 387
382
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
) )
28
Die Chirurgie des krankhaften Übergewichts, auch bariatrische Chirurgie genannt, hat in den letzten Jahren einen unerwarteten Boom erlebt (Steinbrook 2004; Buchwald u. Williams 2003). Es ist allgemein anerkannt, dass die Chirurgie der konservativen, nichtoperativen Therapie in Bezug auf langzeitige Gewichtskontrolle (Andersen et al. 1984), Lebensqualität (Arcila et al. 2002) und Verbesserung von Komorbiditäten überlegen ist (Colquitt et al. 2003; Sjostrom et al. 2004).
28.1
Klassifikation und Komorbidität
Die Schwere der Adipositas wird heute nach der WHO-Klassifizierung eingeteilt (. Tab. 28.1). Dabei wird der Body-MassIndex (BMI) als Berechnungsgrundlage verwendet.
et al. 1980; Allison et al. 1999) einerseits und die knapper werdenden Ressourcen in den Gesundheitssystemen andererseits, führen neben der rein medizinischen Herausforderung zu einer zusätzlichen gesundheitsökonomischen Belastung und Verschärfung der Situation. 28.3
Bedeutung der bariatrischen Chirurgie
Bildete die Chirurgie in der Vergangenheit die letzte Option der Behandlung der morbiden Adipositas, ist sie heute – insbesondere durch die rasante Entwicklung der minimalinvasiven Techniken –Teil eines umfassenden Therapiekonzepts (Sharma 2004).
Die chirurgische Therapie der Adipositas ist der konservativen Behandlung in Bezug auf langanhaltende Gewichtskontrolle und Verbesserung der Komorbiditäten überlegen.
BMI = Körpergewicht (kg)/Körpergröße (m)2
Die Adipositas ist assoziiert mit Hypertonie, koronarer Herzkrankheit, Diabetes mellitus, Dyslipidämie, degenerativen Gelenkserkrankungen, sowie vermehrtem Auftreten von Karzinomen (Kolon, Gallenblase, Pankreas Leber, Mamma, Endometrium, Ovarien, Zervix, Prostata). Die Lebenserwartung einer adipösen Person ist damit signifikant verkürzt gegenüber einem Normalgewichtigen (Drenick et al. 1980). 28.2
Epidemiologie
Die Inzidenz der morbiden Adipositas hat in den vergangenen Jahren in der westlichen Welt stetig zugenommen (WHO 2000). Dabei ist es nicht nur zu einer Zunahme der Anzahl von übergewichtigen Patienten gekommen, sondern auch das Ausmaß der Adipositas – gemessen am BMI – ist immer größer geworden. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass 2003 in den USA 30% der Bevölkerung einen BMI von 30 kg/m2 oder mehr aufwiesen, und bereits bei 4,9% der BMI 40 kg/m2 und mehr beträgt (Mokdad et al. 2001; Hedley et al. 2004). Diese Zahlen treffen in einem ähnlichen Ausmaß auch für Europa zu (Schutz u. Woringer 2002; Groscurth et al. 2003). Die kostenintensiven gesundheitlichen Spätfolgen der morbiden Adipositas (Drenick
Dieser Vorgang wurde auch deswegen beschleunigt, weil bis heute konservative Therapien trotz dem Einsatz neuartiger Medikamente wie Reductil oder Xenical meistens ungenügend wirksam sind oder langfristig ganz versagen (Sjostrom et al. 1998). Hinzu kommt, dass bei 90% der Patienten nach einem Gewichtsverlust, der auf konservativem Weg erreicht wurde, eine erneute Gewichtszunahme – häufig über das Ausgangsgewicht – auftritt (sog. Jo-Jo-Effekt; Goodrick et al. 1996). Bereits Anfang der Neunzigerjahre konstatierte deshalb eine Konsensuskonferenz der National Institutes of Health in den USA, dass die chirurgische Therapie der Adipositas der konservativen Behandlung in Bezug auf langanhaltende Gewichtskontrolle und Verbesserung der Komorbiditäten überlegen ist (National Institutes of Health Consensus Development Conference 1992). 28.4
Bariatrisch-chirurgische Prinzipien
Die chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas basiert im Wesentlichen auf den folgenden 2 Prinzipien: Restriktion und Malabsorption. Diese beiden Ansätze können auch kombiniert werden (. Tab. 28.2).
. Tabelle 28.2. Chirurgische Prinzipien und typische Verfahren . Tabelle 28.1. Klassifizierung der Adipositas nach WHO
Restriktive Operation
»Gastric banding« (. Abb. 28.1) »Vertical banded gastroplasty« (VBG) Horizontale Gastroplastie
Malabsorbtive Operation
»Doudenal switch« (. Abb. 28.2) »Biliopancreatic diversion« (BPD) Jejuno-ilealer Bypass (obsolet)
BMI (kg/m2) Normalgewicht
18–24,9
Übergewicht
25–29,9
Adipositas Grad I
30–34,9
Adipositas Grad II
35–39,9
Adipositas Grad III (morbide Adipositas)
>40
Kombinationsverfahren
»Gastric Bypass« (. Abb. 28.3)
Superadipositas
>50
Andere
»Gastric Stimulator«
383 28.4 · Bariatrisch-chirurgische Prinzipien
28
28.4.1 Restriktion Ziel der Restriktion ist eine massive, quantitative Einschränkung der Menge Nahrungsmittel, die ein Patient zu sich nehmen kann, dies unabhängig von der Qualität und Art der Nahrungsmittel. Die Restriktion geschieht in der Regel durch die Verkleinerung des Magenreservoirs und durch die Anlage eines kleinen Ausgangs aus diesem Reservoir. Zu diesem Zweck wird der Magen auf ein Volumen von ungefähr 20–25 ml verkleinert. Gleichzeitig soll damit auch das erst spät einsetzende oder ganz fehlende Sättigungsgefühl bei adipösen Patienten wiederhergestellt werden. Beispiele für rein restriktive Verfahren sind das Magenband (. Abb. 28.1) oder die »vertical banded gastroplasty« (VBG). 28.4.2 Malabsorption
. Abb. 28.1. Laparoskopisches »gastric banding« mit proximalem Pouch (p). Das subkutan liegende Reservoir erlaubt eine Einstellung des Stomadurchmessers zwischen Pouch und Restmagen
. Abb. 28.2. Beim »duodenal switch« wird die Großkurvatur des Magens reseziert, was zu einem Restmagenvolumen von 200–300 ml führt. Der alimentäre Schenkel (a) wird mit dem proximalen Duodenum anastomosiert und misst 150 cm. Der biliäre Schenkel (b) ist variabel und der »common channel« (c) misst 100 cm
Hier wird durch die Verminderung der resorbierenden Mukosaoberfläche des Darmes und eine beschleunigte intestinale Transitzeit eine Reduktion der Resorption von Kalorien angestrebt. Als malabsorptive Verfahren werden der »duodenal switch« (. Abb. 28.2) und die »biliopancreatic diversion« (BPD) verwendet.
. Abb. 28.3. Der proximale Magenbypass hat einen Pouch (p) mit einer Größe von ca. 25 ml. Daran anastomosiert ist der alimentäre Schenkel (a) mit einer Länge von 150 cm. Der biliäre Schenkel (b) misst 50 cm und ist in einer Y-Roux-Anastomose zum »common channel« (c) verbunden. Beim distalen Magenbypass misst der »common channel« 100–150 cm und der alimentäre Schenkel ist variabel
384
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
28.4.3 Kombinierte Verfahren Voraussetzungen zur Durchführung bariatrischer Eingriffe
Der Roux-en-Y-Magenbypass gilt als typischer Vertreter der Kombination von restriktivem und malabsorbtivem Prinzip (. Abb. 28.3). 28.5
28
5 Bei erstmaliger Therapie des Übergewichts zunächst Anstreben eines konservativen, nichtchirurgischen Vorgehens 5 Informierte und motivierte Patienten mit akzeptablem operativem Risiko 5 Evaluation durch ein multidisziplinäres Team 5 Erfahrene Chirurgen in einer Klinik mit adäquater Infrastruktur 5 Lebenslange medizinische Nachsorge nach der Chirurgie
Indikationsstellung
Die Indikation zu einem bariatrischen Eingriff benötigt aufwändige Abklärungen, die durch ein eingespieltes, interdisziplinäres Team von Spezialisten durchgeführt werden sollten. Dieses Team besteht in der Regel aus Stoffwechsel- und Ernährungsspezialisten, Diätberatern, Endokrinologen, Psychiatern, Gastroenterologen und Chirurgen. Die Abklärungen beinhalten eine Ernährungsanamnese, das Feststellen der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit und der Ausschluss endokrinologischer Störungen und Stoffwechsel-Erkrankungen. Bereits manifeste Mängel an Vitaminen und Spurenelementen werden präoperativ korrigiert. Die gastroenterologische Untersuchung umfasst eine Gastroduodenoskopie zum Ausschluss einer Pathologie im oberen Gastrointestinaltrakt, sowie eine Manometrie zur Beurteilung des unteren Ösophagussphinkters und der Ösophagusmotilität. Nach einer Bypass-Operation können sowohl Restmagen, als auch das Duodenum und die Gallenwege endoskopisch nicht mehr untersucht werden. Ein manifestes Gallensteinleiden wird in der Regel anlässlich des bariatrischen Eingriffes mittels Cholezystektomie behandelt. Eine psychiatrische oder psychologische Evaluation zum Ausschluss einer manifesten Psychose oder schweren Essstörungen rundet die Abklärungen ab, um den Patienten gegebenenfalls bereits perioperativ unterstützen zu können.
Daneben gibt es in verschiedenen Ländern Auflagen, die durch die Kostenträger erhoben werden. Dabei kommen folgende Kriterien zur Geltung: 4 BMI>40 kg/m2 4 Versagen von konservativen Therapieversuchen, die während mindestens 2 Jahren durchgeführt wurden (z. B. ärztlich geführte Diät- und Verhaltensprogramme) 4 Altersbegrenzungen (nicht älter als 60 Jahre) 4 Vorliegen von Komorbiditäten wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Schlafapnoe-Syndrom, Dyslipidämie, degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates, Koronaropathien und andere mehr Kriterien wie z. B. eine BMI-Limite, Alterslimite oder die Voraussetzung einer konservativen und nicht erfolgreichen Therapie sind nicht das Resultat chirurgischer Forschung, sondern von Konsensuskonferenzen und Expertenmeinungen und werden deswegen heutzutage zunehmend kritisiert (Kral et al. 2005). Cave
Die Abklärungen für einen bariatrischen Eingriff erfolgen im interdisziplinären Team.
Spezifische Essstörungen sind eine Kontraindikation für rein restriktive Verfahren.
Die »National Institutes of Health Consensus Conference« stellte 1991 zur Selektion von Patienten für einen bariatrischen Eingriff Empfehlungen auf (7 Übersicht; National Institutes of Health Consensus Development Conference (1992)):
Ist die Indikation zu einem bariatrisch-chirurgischen Vorgehen gestellt, muss das am besten geeignete Verfahren bestimmt werden (. Tab. 28.3). Diese Auswahl richtet sich nach den Ergebnissen der präoperativen Abklärungen. So hat sich gezeigt, dass
. Tabelle 28.3. Kriterien für die Verfahrenswahl
Verfahren
Ideale Indikation
Kontraindikation
Laparoskopisches »gastric banding«
BMI (35)40–50 »Big eater« Gute Compliance
»Binge eating disorder« Ösophagusdysmotilität BMI>50a »Sweeter« a
Laparoskopischer »gastric bypass«, »long/short limb«
BMI>40 Metaboles Syndrom Konversion nach restriktivem Verfahren
Leberzirrhosea
»Duodenal switch«, »biliopancreatic diversion«
BMI>50 Metaboles Syndrom Konversion nach restriktivem Verfahren
Arbeit in engem Umfeld (Flatulenz)a Leberzirrhosea
a
relative Kontraindikationen
385 28.7 · Verfahrenswahl
Patienten mit einem BMI>50 kg/m2 zu wenig von einem rein restriktiven Verfahren profitieren (Buchwald 2002), bleiben doch die meisten dieser Patienten nach einer Bandingoperation auch nach 2 Jahren noch im Bereich der morbiden Adipositas (Mognol et al. 2005). Weitere Kontraindikationen für ausschließlich restriktive Techniken bilden Essstörungen wie »binge eating disorders«, »sweet eaters« (Sugerman et al. 1987) und ein insuffizienter unterer Ösophagussphinkter (Weber et al. 2003). Auch beim Vorliegen eines latenten oder manifesten Diabetes mellitus Typ II konnte gezeigt werden, dass ein kombiniertes Verfahren mit Restriktion und Malabsorption der rein restriktiven Methode überlegen ist (Sjostrom et al. 2004; Pories et al. 1995; Cowan u. Boffington 1998; Weber et al. 2004). Aus den Erfahrungen der früher durchgeführten stark malabsorptiven Verfahren (z. B. ileo-ilealer Bypass) mit konsekutivem Entwickeln einer sekundären Leberzirrhose sehen viele bariatrische Chirurgen eine Leberzirrhose auch heute noch als eine Kontraindikation für ein malabsorbtives Verfahren an. 28.6
Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie
Gewichtsverlust. Im Gegensatz zur konservativen Behandlung
können Patienten nach bariatrischen Eingriffen lang anhaltend ihr Übergewicht um mehr als 50% reduzieren. Beim Magenbanding verlieren die Patienten ca. 40–60% ihres Übergewichtes (Weiner et al. 2003; Buchwald et al. 2004). Dies entspricht einem Abbau von 10–12 BMI-Punkten (Dargent 1999; O’Brien et al. 1999). Nach proximalem Magenbypass verlieren die Patienten etwa 61–77% des Übergewichtes innerhalb von 2 Jahren (Buchwald et al. 2004; Wittgrove u. Clark 2000; Schauer et al. 2000; DeMaria et al. 2002), beim distalen Magenbypass kann diese Rate auf 90% ansteigen (Torres 1991). Nach einem »duodenal switch« haben die Patienten praktisch keine Restriktion, verlieren aber dennoch durch die starke Malabsorbtion 64–74% ihres Übergewichts (Marceau et al. 1998; Hess u. Hess 1998); die Folge sind jedoch häufig Diarrhö (14%) und Steatorrhö mit übelriechendem Flatus (Marceau et al. 1998). Komorbiditäten. Ebenso wichtig wie der Gewichtsverlust ist die Wirkung der bariatrischen Chirurgie auf die Komorbiditäten. Das sog. metabole Syndrom ist ein Hauptfaktor für die Spätmorbidität der Adipositas wie kardiovaskuläre Erkrankungen. Der Diabetes mellitus verbessert sich bei den Bypassverfahren, noch bevor es zu einem signifikanten Gewichtsverlust kommt (Pories et al. 1995; Rubino u. Gagner 2002). Komorbiditäten wie die arterielle Hypertonie (Weber et al. 2004), Dyslipidämie und Schlafapnoe-Syndrom (Buchwald et al. 2004) reduzieren sich ebenfalls signifikant. Morbidität und Mortalität. Die Mortalität für Bypassverfahren liegt bei routinierten Teams bei 0,5% (Schauer et al. 2000; Higa et al. 2000) und beim Magenband bei 0,05% (Chapman et al. 2004). Als postoperative Komplikationen treten in erster Linie Wundinfekte auf. Bei Bypassverfahren kommt es sehr selten (1,5– 2,2%) zu Anastomoseninsuffizienzen an der Gastroenterostomie (Schauer u. Ikramuddin 2001), die jedoch bei rechtzeitiger Diagnose und raschem Handeln effektiv kontrolliert werden können. Daneben kommen postoperative Blutungen einerseits, Lungenembolien trotz Thromboseprophylaxe andererseits vor (Wittgrove u. Clark 2000; Schauer et al. 2000; Higa et al. 2000).
28
Im Langzeitverlauf müssen Vitamine (B12) und Spurenelemente (Fe, Ca) substituiert werden.
Bei rein restriktiven Verfahren sind vermehrt Ösophagusdysmotilitäten und Pouch-Komplikationen (Vergrößerung des proximal des Bandes gelegenen Magenanteils) beschrieben (Suter et al. 2000; Niville u. Dams 1999; Holeczy et al. 2001; Gustavsson u. Westling 2002), was zu einem sekundären Bandversagen führen kann. Dies wiederum führt in bis zu 20% der Fälle nach Magenbanding zu einer Reoperation (Weber et al. 2003; Westling u. Gustavsson 2002). Nach Bypass-Operationen werden innerhalb der ersten Wochen bis zu 20% (Bell et al. 2003) Anastomosenstenosen gesehen, die sich nahezu immer endoskopisch durch Bougierung beheben lassen (Weber et al. 2004). Beim »duodenal switch« leiden die Patienten häufig unter Steatorrhö (14%) und übelriechendem Flatus (Marceau et al. 1998), was gelegentlich eine relative Kontraindikation für Patienten, die in der Öffentlichkeit arbeiten, darstellen kann. Bei stark malabsorptiven Verfahren können Vitamin- und Spurenelementmangelzustände vermehrt auftreten, was eine engmaschige und vor allem lebenslange Betreuung dieser Patienten erfordert. 28.7
Verfahrenswahl
Bei der Verfahrenswahl existieren starke geographische Unterschiede. In Europa hat sich schon früh das Magenbanding durchgesetzt, währenddessen in den USA der Magenbypass der Goldstandard geblieben ist. Weltweit werden weitaus mehr Bypass-Operationen als Magenbandoperationen durchgeführt. 28.7.1 Laparoskopie oder offenes Verfahren? Mit der Einführung und der Entwicklung der laparoskopischen Techniken wurde maßgeblich zur Verbreitung der bariatrischen Chirurgie beigetragen. Drei randomisierte Studien (. Tab. 28.4) verglichen laparoskopische gegen offene Magenbypass-Chirurgie (Nguyen et al. 2001; Westling u. Gustavsson 2001; Lujan et al. 2004). Dabei fanden sich für die laparoskopische Magenbypasschirurgie kürzere Hospitalisationszeiten, weniger postoperative Schmerzen und eine kürzere Rehabilitationszeit. Der postoperative Gewichtsverlauf von beiden Zugangsmethoden war vergleichbar (Nguyen et al. 2001). Hingegen waren die Wundprobleme wie Infektionen (1,3 vs. 10,5%) und Narbenhernien (0 vs. 7,9%) bei der Laparoskopie deutlich geringer, während Anastomosenstenosen an der Gastrojejunostomie im Spätverlauf beim laparoskopischen Bypass signifikant häufiger waren (2,6 vs. 11,4%). Die höheren Operationskosten für die Laparoskopie wurden durch die tieferen Hospitalisationskosten wettgemacht.
Die Laparoskopie hat vor allem bei adipösen Patienten Vorteile gegenüber der offenen Chirurgie (Dindo et al. 2003).
386
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
. Tabelle 28.4. Laparoskopie vs. offene Chirurgie
28
Autor
Jahr
Infekte (%)
Hospitalisationszeit (Tage)
Hernien (%)
Stenosen (%)
Kosten (1000 USD)
Nguyen et al.
2001
1,3 vs. 10,5
3 vs. 4
0 vs.7,9
11,4 vs. 2,6
14 vs.14
Westling et al.
2001
0 vs. 12
4 vs. 6
0 vs. 4
4 vs. 0
Lujan et al.
2004
0 vs. 8
5 vs. 8
0 vs. 20
2 vs. 0
Weltweit werden deshalb auch mittlerweile fast 2 Drittel aller bariatrischen Operationen laparoskopisch durchgeführt (Buchwald u. Willkiams 2004).
Reoperationsrate von 17% nach Banding beschrieben, ein Wert, der von Kritikern des laparoskopischen »gastric bandings« als ein wesentlicher Nachteil und limitierender Faktor im Langzeitverlauf dieser Methode betrachtet wird (Weber et. Al. 2003).
28.7.2 Welches restriktive Verfahren? 28.7.3 Restriktives Verfahren oder BypassDas rein restriktive Verfahren, »vertical banded gastroplasty« (VBG), wurde ursprünglich offen angelegt. In jüngerer Zeit kam das adjustierbare »gastric banding« hinzu, das laparoskopisch eingesetzt werden kann. Von der SOS-Gruppe in Schweden wurden 10-Jahres-Resultate einer Kohortenstudie, die chirurgische Verfahren (VBG, fixes und verstellbares Banding, Bypass) gegen die nicht-chirurgische Behandlung von Übergewichtigen verglichen; in deren Subgruppen fand sich eine Reduktion des Eintrittsgewichts für das VBG von 16.5% und für das Banding von 13,2% (Sjostrom et al. 2004).
Das laparoskopische adjustierbare »gastric banding« hat den Vorteil der Verstellbarkeit des Restriktionsgrades.
Das VBG wird immer weniger durchgeführt, da es deutlich invasiver und die Operation laparoskopisch komplexer ist als das laparoskopische Magenbanding. Ferner kann beim VBG keine Anpassung der Restriktion vorgenommen werden, und die Operation ist im Gegensatz zum laparoskopischen Magenbanding nicht ohne weiteres reversibel. Zahllose Fallserien wurden zum laparoskopischen Magenbanding publiziert, allerdings nur wenige mit einem Follow-up von mehr als 5 Jahren. Eine Fallserie rapportierte einen »excessive weight loss« (EWL) von 59,3% nach 8 Jahren (Weiner et al. 2003). In dieser Studie wird auch eine
Operation? Bereits aus der Ära der offenen Chirurgie ist bekannt, dass die Bypass-Operation im Vergleich zur rein restriktiv wirkenden Gastroplastie (z. B. VBG) zu größerem Gewichtsverlust führt (Sugerman et al. 1987) und weniger Revisionsoperationen benötigt (. Tab. 28.5; Colquitt et al. 2003). Außerdem werden Komorbiditäten wie der Diabetes mellitus durch den Bypass effizienter behandelt (Sugerman et al. 1989). In einer Metaanalyse, die die Bypass-Operation mit dem restriktiven Magenbanding verglich, wurde für den Magenbypass ein durchschnittlicher EWL (= Prozentualer Verlust des Übergewichts) von 62% gegenüber 48% beim Magenbanding errechnet (Buchwald et al. 2004). In einer »Matched-pair«-Analyse konnte gezeigt werden, dass der laparoskopische Bypass im Vergleich zum laparoskopischen Banding einen höheren Gewichtverlust herbeiführt. Außerdem ist die Reduktion von Diabetes, Dyslipidämie und Hypertonie signifikant besser nach Bypass als nach Magenbandoperation (Weber et al. 2004).
Der laparoskopische Magenbypass ist in Bezug auf Gewichtsverlust und Abbau von Komorbiditäten dem »gastric banding« überlegen.
. Tabelle 28.5. Restriktive Verfahren vs. Bypassverfahren
Autor
Jahr
Methode
EWL (%)
Komorbiditäten
Sugerman et al.
1987
VGB vs. RYGB
37 vs. 64 (3 Jahre)
k. A.
Buchwald et al.
2004
GB vs. RYGB
48 vs. 62
RYGBP effektiver
Weber et al.
2004
LAGB vs. LRYGB
42 vs. 54 (2 Jahre)
LRYGBP effektiver
2005
LAGB vs. LRYGB
46 vs. 73 (2 Jahre)
k. A.
a
Mognol et al.
VGB »vertical banded gastroplasty; RYGB »Roux-en-Y-gastric bypass«; GB »gastric banding«; LAGB laparoskopisches »gastric banding«; LRYGB laparoskopischer »Roux-en-Y-gastric bypass«; EWL »excessive weigth loss« a nur BMI >50 kg/m2
387 28.8 · Folgeoperationen
Bypass-Operationen haben eine höhere Rate an Frühkomplikationen, wogegen es beim Banding vermehrt zu Langzeitkomplikationen, namentlich Pouch-Dilatationen und Ösophagusdekompensationen kommt, die einen Verfahrenswechsel zur Folge haben (Weber et al. 2004). 28.8
Folgeoperationen
Die ansteigende Anzahl von bariatrischen Operationen wird in Zukunft zu einer vermehrten Anzahl von Langzeitkomplikationen führen, die wiederum Folgeoperationen nach sich ziehen werden. Schon in der Ära der offenen Chirurgie sind solche Revisionseingriffe beschrieben worden, um einerseits Langzeitkomplikationen zu beheben oder um einen weiteren erwünschten Gewichtsverlust herbeizuführen (Jones 2001). Die Möglichkeit des laparoskopischen Zugangs für Revisionen nach vorgängiger bariatrischer Chirurgie ist mehrfach demonstriert worden (Gagner et al. 2002). 28.8.1 Revisionen nach vorgängiger Implantation
eines Magenbandes Bei weltweit mehr als 70.000 implantierten Magenbändern im letzten Jahrzehnt werden wir in Zukunft mit einer steigenden Zahl von Revisionsoperationen nach Magenbanding konfrontiert werden (Gustavsson u. Westling 2002). Pouch-Komplikationen, Bandverrutschen (sog. Slippage) und Ösophagusdekompensation sind die häufigsten Gründe für das Langzeitversagen einer Magenbandoperation (Weber et al. 2003, 2004). Neben dem Versagen im Bezug auf Gewichtsverlust und Korrektur der Komorbiditäten können vergrößerte konzentrische und exzentrische Pouches infolge eines verrutschten Magenbandes zu einer akuten Magenobstruktion führen (Spivak u. Favretti 2002; Peternac et al. 2001). In dieser Situation kann eine Notfalloperation notwendig sein, speziell wenn der Patient über akute kontinuierliche Abdominalschmerzen klagt, die von Tachykardie, Tachypnoe und Fieber begleitet sind. Diese Symptome können Zeichen einer Magenwandnekrose infolge des durchgerutschten Magenteils sein. Cave Anhaltender Schmerz trotz Entlastung des Bandes ist immer eine Indikation für eine notfallmäßige laparoskopische Revision, um einen im Band inkarzerierten Magenanteil auszuschließen resp. zu reponieren.
Zur Behebung einer chronischen Pouch-Komplikation gibt es 3 Lösungsansätze: 4 Ersatzloses Entfernen des Bandes 4 Reposition des Bandes (Niville u. Dams 1999;Suter 2001) 4 Konversion in eine andere bariatrische Operationsform (Weber et al. 2003) Eine alleinige Entfernung eines Magenbandes ohne Ersatzverfahren korrigiert in aller Regel die Magenband-Slippage-Komplikation, ist aber mit einem raschen Wiederanstieg des Gewichts oder einer persistierenden Adipositas vergesellschaftet (Weiner et al. 2003).
28
Das laparoskopische Rebanding wurde als mögliche Folgeoperation beschrieben. Allerdings sind nur wenige Daten darüber publiziert und diese zeigen nur ungenügende oder enttäuschende Resultate (Weber et al. 2003; Suter 2001). Ein Magen-Rebanding ist allenfalls eine Option für Patienten, die bereits erfolgreich Gewicht reduziert haben, und die ein zufriedenstellendes Endgewicht erreicht haben. Zudem sollten diese Patienten sehr gut mit dem Band und dessen Restriktion zurechtkommen, resp. keine Bandintoleranz haben. Daneben darf es nicht zum Auftreten von neuen Kontraindikationen gekommen sein wie z. B. eine Ösophagusdysmotilität oder massiver pouch-ösopheagaler Reflux. Der ideale Kandidat ist somit ein Patient, bei dem es durch Materialdefekt zum Bandversagen gekommen ist.
Eine fehlgeschlagene, rein restriktive Operationsform sollte nicht erneut durch eine restriktive Methode ersetzt werden (Weber et al. 2003).
Dies deckt sich auch mit Berichten aus der offenen Chirurgie, wo die Konversion zum Bypass besser war als eine erneute Gastroplastie (Hunter et al. 1992). Die laparoskopische oder offene Konversion von einer Magenbandoperation zu einer Magenbypass-Operation wurde bereits als Möglichkeit, einen weiteren Gewichtsverlust herbeizuführen, vorgestellt (Westling et al. 2002). Dieser Verfahrenswechsel ist vor allem in Anbetracht der zuvor erwähnten Kontraindikationen für eine rein restriktive Rebanding-Operation angebracht (Westling u. Gustavsson 2001; Balsiger et al. 2000). Die Konversion von einer Magenband- zu einer MagenbypassOperation ist eine technisch anspruchsvolle Operation, die jedoch laparoskopisch durchgeführt werden kann. In einer vergleichenden Studie konnte gezeigt werden, dass die laparoskopische Konversion in einen Bypass nach 2 Jahren zu einem besseren Gewichtsverlust führt als ein laparoskopisches Rebanding (Weber et al. 2003). 28.8.2 Revisionen nach Magenbypass Selten muss auch nach einer vorgängigen Bypass-Operation eine Reoperation infolge ungenügenden Gewichtsverlusts durchgeführt werden. In diesen Fällen muss zunächst der proximale Pouch in Bezug auf dessen Größe und dessen restriktivem Potenzial evaluiert werden. Ein erweiterter Magen-Pouch kann laparoskopisch verkleinert und somit der restriktive Effekt wieder hergestellt werden (Müller et al. 2005). Im Fall einer korrekten Magen-Pouchgröße kann in einem Folgeeingriff der malabsorbtive Effekt durch das laparoskopische Verkürzen des »common channels« ebenfalls in Betracht gezogen werden (Torres 1991; Fobi et al. 2001). Bei Patienten, bei denen nach einem Magenbypass ein zu starker Gewichtsverlust oder zu große Mangelsymptome namentlich von Vitaminen, Eisen und Proteinen auftreten, ist es auch möglich, die Schenkellängen zu verändern und damit die Absorptionsfläche des Dünndarmes wieder zu vergrößern (Fobi et al. 2001).
388
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
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28
392
Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
29.1
Pathophysiologie M. Jansen, E. Schippers, V. Schumpelick
) ) Erkrankungen des Dünndarms manifestieren sich in Transportstörungen, Resorptionsstörungen, sowie mangelnder Enzymund Hormonproduktion. Leitsymptome sind Malassimilation, Schmerzen (Koliken), Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö.
29
29.1.1 Malassimilation Resorptionsstörungen (Malassimilation) können durch Maldigestion oder Malabsorption entstehen. Die Maldigestion ist charakterisiert durch eine verminderte exokrine Enzymaktivität des Pankreas und der Dünndarmmukosa. In der Folge kommt es zu einer gestörten Aufschließung der Nahrungsbestandteile. Häufigste Ursachen sind die exokrine Pankreasinsuffizienz bei chronischer Pankreatitis oder Resektion des Pankreas sowie der Mangel an intraluminalen Gallesäuren durch Verschlussikterus oder Leberzirrhose.
Bei der Malabsorption handelt es sich um eine verminderte Resorption der Nahrungsbestandteile durch Schädigung der Schleimhaut oder eine beschleunigte Darmpassage.
Ursachen einer Malassimilation 5 Schädigung der Mukosa – Glutensensitive Sprue – Tropische Sprue – Morbus Whipple – Morbus Crohn – Eosinophile Gastroenteritis – Amyloidose 5 Angeborene Defekte – Laktasemangel – Synthesestörung der Chylomikronen (A-beta-Lipoproteinämie) – Glukosetransportstörung 5 Pankreasinsuffizienz – Chronische Pankreatitis – Pankreasresektion – Pankreaskarzinom – Zollinger-Ellison-Syndrom 5 Biliäre Insuffizienz – Verschlussikterus – Intrahepatische Cholestase – Primär biliäre Zirrhose – Blind-loop-Syndrom (s. unten) – Afferent-loop-Syndrom (s. unten) 5 Iatrogen – Dünndarmresektion – Blindsacksyndrom (z. B. Seit-zu-Seit-Anastomose) – Medikamente (Zytostatika, Antibiotika)
6
5 Hormonbildende Tumoren – Zollinger-Ellison-Syndrom – Verner-Morrison-Syndrom – Medulläres Schilddrüsenkarzinom – Karzinoide 5 Erregerbedingt – Yersinien, Salmonellen, Tuberkulose – Viren (Rota-, Parvo-, Reo-Viren, AIDS)
Nach Dünndarmteilresektionen müssen je nach Lokalisation unterschiedliche Resorptionsstörungen bedacht werden. So werden im Duodenum Kalzium, Magnesium, Eisen, Saccharide und wasserlösliche Vitamine resorbiert. Im Jejunum werden vor allem fettlösliche Vitamine, Eiweiß, Fette und Cholesterin resorbiert, während es im terminalen Ileum zur Resorption von Gallensäuren und des Vitamin-B12-Komplexes kommt (7 Kap. 7). 29.1.2 Diagnostik Sonographie. Die Sonographie ist als initiale Screeninguntersuchung indiziert bei Darmerkrankungen wie Ileus, entzündlichen Darmerkrankungen, Invagination oder Tumoren. Beurteilt werden können die Peristaltik mit Nachweis von Flüssigkeit innerhalb und außerhalb des Dünndarms, die pathologische Kokarde als sonomorphologisches Korrelat einer entzündlichen oder tumorösen Wandverdickung oder freie intraabdomineller Luft als Zeichen einer Hohlorganperforation (Ogata et al. 1996). Radiologische Verfahren. Hier kommen derzeit folgende Untersuchungen zum Einsatz (. Kap. 1 und 3): 4 Abdomenleeraufnahme im Liegen oder Stehen zum Nachweis freier Luft oder Flüssigkeitsspiegel 4 Enteroklysma nach Sellink zur Beurteilung der Passage, Nachweis von entzündlichen oder tumorösen Stenosen 4 Computertomographie
Eine vollständige visuelle Beurteilung erlaubt erstmals die Kapselendoskopie, bei der eine 1×2 cm große Kapsel geschluckt werden muss. Während der Passage durch den Dünndarm werden jede halbe Sekunde bis zu 50.000 Bilder aufgenommen und über einen Sender auf einen tragbaren Rekorder übermittelt (Scapa et al. 2002). Inzwischen steht auch ein Ortungssystem zur Verfügung, das eine Zuordnung der abgebildeten Läsionen in Bezug auf 8 auf die Bauchdecke platzierten Sensoren ermöglicht. 29.1.3 Spezielle Erkrankungen Glutensensitive einheimische Sprue (Z öliakie) Pathogenese. Bei der Zöliakie handelt es sich um ein generalisiertes Malabsorptionssyndrom auf dem Boden einer Unverträglichkeit gegen das Getreideprotein Gluten. Die toxische Komponente des Glutens ist das Gliadin. Die Inzidenz liegt in Europa bei 1:300–1:1000. Erstmanifestationen werden ab dem 3. Lebensjahr beobachtet; allerdings entwickelt sich das Vollbild der Erkrankung häufig erst im Erwachsenenalter. Epidemiologisch ist eine genetische Disposition vorhanden. Direkte Verwandte sind in bis zu 15% erkrankt.
393 29.1 · Pathophysiologie
Klinische Symptomatologie. Im Kindesalter kann es zu Gedeihstörungen und Rachitis mit Durchfällen kommen. Häufig verläuft die Erkrankung jedoch klinisch stumm und manifestiert sich in Form von Mangelerscheinungen entsprechend der Malabsorption von Eisen, Folsäure, Vitamin B12, sowie Vitamin D und Kalzium. Die klinischen Korrelate sind Anämie, Ödeme, Adynamie, Knochenschmerz und Tetanie. In seltenen Fällen treten neurologische Schäden auf.
29
Symptome, die einen M. Whipple vermuten lassen 5 Unerklärbare Malabsorption mit systemischer Reaktion 5 Unerklärbare systemische Granulomatose ähnlich einer Sarkoidose 5 Unerklärbare Uveitis 5 Neurologische Erkrankung (Myoklonie, Demenz, supranukleäre Ophthalmoplegie)
Diagnostik. Die Diagnose erfolgt histologisch durch Nachweis
einer zottenlosen Mukosa. Gesichert wird die Diagnose jedoch erst durch Rückgang dieser Veränderungen unter glutenfreier Diät. Im Rahmen der Verlaufskontrolle werden auch serologische Tests wie der Nachweis von Antigliadinantikörpern eingesetzt. 10–15% der Patienten mit unbehandelter Zöliakie entwickeln ein malignes Lymphom oder ein Karzinom, das im gesamten Gastrointestinaltrakt auftreten kann. Sehr selten kommt es zu Dünndarmulzera, die durch Spontanperforationen und massive Blutungen jedoch eine hohe Letalität aufweisen. Therapie. Die Therapie besteht in einer konsequenten, lebenslangen glutenfreien Diät. Initial ist meist auch eine Substitution der vermindert resorbierten Vitamine, Eisen und ggf. Elektrolyte erforderlich. Steroide sollten nur bei Versagen der glutenfreien Kost eingesetzt werden (Dewar et al. 2004).
Morbus Whipple
HIV/AIDS Im Laufe einer HIV-Infektion entwickeln bis zu 50% der Patienten gastrointestinale Symptome wie Diarrhö und Gewichtsverlust. Ohne antivirale Therapie erleiden 91% der Patienten gastrointestinale opportunistische Erkrankungen. Durch den Einsatz einer hochaktiven antiretroviralen Therapie konnte der Anteil der erkrankten Patienten auf 30% signifikant reduziert werden (Monkermuller et al. 2005). Dennoch sind chronische Diarrhö, Gewichtsverlauf und Serumalbumin weiterhin entscheidende Faktoren für das Überleben (Poles et al. 2001). Die häufigste Ursache für opportunistische Erkrankungen ist die CMV-Infektion. Weitere wesentliche Ursachen sind Clostridium difficile, Mycobacterium avium und Kryptospiroidose. Allerdings sind parasitäre, virale und bakterielle opportunistische Infektionen als Ursache für die Diarrhö nur noch in ca. 20% der Fälle zu finden, während nichtinfektiöse Formen in bis zu 70% der Fälle auftreten (Call et al. 2000).
Klinische Symptomatologie. Die erstmals 1907 von George
Whipple erwähnte Erkrankung ist charakterisiert durch die Trias Malabsorption, Lymphadenopathie, und Arthritis. Ursache ist eine Infektion mit dem stäbchenförmigen Bakterium Tropheryma Whippelii, das in der Dünndarmmukosa, in mesenterialen Lymphknoten und in zahlreichen Organen nachweisbar ist. Klinisch kommt es zu Durchfällen, Steatorrhö, Zeichen der allgemeinen Malabsorption und extrainstestinalen Symptomen wie Arthralgie und infektiöse Endokarditis (20–55%). Das ZNS ist bei 10–50% der Patienten betroffen mit supranukleären Ophthalmoplegie, Myoklonie und Demenz. Diagnostik. Die Diagnose wird histologisch durch den Nachweis
von Makrophagen mit PAS positivem Inhalt gestellt. Da diese Methode jedoch nicht ausreichend spezifisch ist, sollte heutzutage ebenfalls eine PCR Diagnostik durchgeführt werden. Derzeit werden immunhistologische Verfahren entwickelt, die den direkten Nachweis von T. Whippelii erlauben. Therapie. Die Therapie besteht in der Antibiotikabehandlung.
Zum Einsatz kommen Tetrazykline, Penicillin-Streptomycin oder Cotrimoxazol. Bei ZNS-Beteiligung ist eine antibiotische Therapie über mindestens 6 Monate erforderlich. Der Behandlungserfolg zeigt sich im klinischen Verlauf und wird mittels PCR dokumentiert. Der therapierefraktäre M. Whipple kann möglicherweise mit Interferon-Gamma erfolgreich behandelt werden. Die Prognose des behandelten M. Whipple ist günstig (Misbah et al. 2004).
Ursachen einer Gastroenteritis bei AIDS (Furrer u. Fux 2002) 5 Bakteriell: Mykobakterien, Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Clostridium difficile 5 Parasiten: Kryptosporidien, Isospora belli, Mikrosporidien 5 Viral: Zytomegalievirus, Rota-, Adenoviren
Radiogene Enteritis Eine radiogene Enteritis kann nach Bestrahlung von intra- oder retroperitonealen Tumoren oder Tumoren im kleinen Becken auftreten. Die akute strahleninduzierte Enteritis kann nach 2– 3 Tagen zu einer gastrointestinalen Blutung führen. Häufiger jedoch kommt es zu Spätkomplikationen nach 1–2 Jahren mit unterer Gastrointestinalblutung, Diarrhöen, Obstruktion oder Fisteln. Allerdings werden auch Reoperationen wegen Spätkomplikationen nach 9–18 Jahren berichtet (Onodera et al. 2005), deren Ursache in 81% der Fälle eine Passagestörung war. Strahlenschäden sind dosis- und zeitabhängig. Bei einer Strahlendosis von 45 Gy beträgt die Rate klinisch manifester enteraler Strahlenschäden 5% und steigt nach einer Dosis von 65 Gy auf 50% der Fälle an. Etwa ein Drittel dieser Patienten benötigen eine chirurgische Therapie. Die adäquate chirurgische Vorgehensweise bei Strahlenenteritis wird aktuell diskutiert. Zur Verfügung stehen die Resektion, die Strikturoplastik oder die Anlage eines enteroenteralen Bypass. Die Resektion hat zwar eine erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsrate, führt jedoch langfristig zu deutlich besseren Ergebnissen hinsichtlich der 5-Jahres-Überlebensrate sowie der Reoperationsrate (Regimbeau et al. 2001).
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Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
Literatur
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Call SA, Heudebert G, Saag M, Wilcox CM (2000) The changing etiology of chronic diarrhea in HIV-infected patients with CD4 cell counts less than 200 cells/mm3. Am J Gastroenterol 95(11):3142–3146 Dewar D, Pereira SP, Ciclitira PJ (2004) The pathogenesis of coeliac disease. Int J Biochem Cell Biol 36(1):17–24 Furrer H, Fux C (2002) Opportunistic infections: an update. J HIV Ther 7(1):2–7 Misbah SA, Aslam A, Costello C (2004) Whipple’s disease. Lancet 363(9409):654–656 Monkemulle, KE, Lazenby AJ, Lee DH, Loudon R, Wilcox CM (2005) Occurrence of gastrointestinal opportunistic disorders in AIDS despite the use of highly active antiretroviral therapy. Dig Dis Sci 50(2):230–234 Ogata M, Mateer JR, Condon RE (1996) Prospective evaluation of abdominal sonography for the diagnosis of bowel obstruction. Ann Surg 223(3):237–241 Onodera H, Nagayama S, Mori A, Fujimoto A, Tachibana T, Yonenaga Y (2005). Reappraisal of surgical treatment for radiation enteritis. World J Surg 22–3-2005 Poles MA, Fuerst M, McGowan I, Elliott J, Rezaei A, Mark D, Taing P, Anton PA (2001) HIV-related diarrhea is multifactorial and fat malabsorption is commonly present, independent of HAART. Am J Gastroenterol 96(6):1831–1837 Regimbeau JM, Panis Y, Gouzi JL, Fagniez PL (2001) Operative and long term results after surgery for chronic radiation enteritis. Am J Surg 182(3):237–242 Scapa E, Jacob H, Lewkowicz S, Migdal M, Gat D, Gluckhovski A., Gutmann N, Fireman Z (2002) Initial experience of wireless-capsule endoscopy for evaluating occult gastrointestinal bleeding and suspected small bowel pathology. Am J Gastroenterol 97(11):2776–2779
29.2
Kurzdarmsyndrom F. Erckmann, A. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers
) ) Das Kurzdarmsyndrom charakterisiert ein Krankheitsbild, bei dem es durch Verlust größerer Dünndarmabschnitte und der damit verbundenen Reduzierung der Resorptionsfläche zu ausgeprägter Mangelernährung mit Wasser- und Elektrolytstörungenkommt.
bliebenen Dünndarms und nicht vom Resektionsausmaß zu sprechen (Jeremy 1995).
Eine ausgedehnte Dünndarmresektion unter Mitnahme des terminalen Ileums, des Zökums und größerer Dickdarmabschnitte führt zu ausgeprägteren Mangelerscheinungen als eine proximale Dünndarmresektion unter Erhalt des terminalen Ileums und Kolons.
Die Resektion des terminalen Ileums bedingt den Verlust von Gallensäuren und eine Resorptionsstörung von Vitamin B12. Zusätzlich verkürzt der Verlust der Bauhin-Klappe die Dünndarmtransitzeit und so die Kontaktzeit der Nahrung mit dem Dünndarm. Weiter ist der Wasser- und Elektrolytverlust mit konsekutiven chologenen Diarrhöen erheblich. Der verminderte Gallensäurenpool löst eine Fettmalabsorption in Kombination mit vermehrter Gallensteinbildung aus. Fettlösliche Vitamine werden nur unzureichend resorbiert und lösen so Mangelerscheinungen aus (Krähenbühl 1997). Insgesamt verfügt der Dünndarm jedoch über eine enorme Anpassungsfähigkeit, sodass nur in den seltensten Fällen eine komplette dauerhafte parenterale Ernährung indiziert ist. Die Adaptation zeigt sich durch eine Hyperplasie der Darmschleimhaut und Zunahme des Darmumfanges. Hierdurch kann die Absorptionskapazität um mehr als das Doppelte gesteigert werden. Langfristig können deshalb 100 cm Dünndarm für eine adäquate orale Ernährung ausreichend sein. Dieser Prozess der Adaptation dauert jedoch Monate. Erst danach kann abschließend die Ausprägung des Kurzdarmsyndroms endgültig beurteilt werden (Krähenbühl 1997). Die Prognose der Patienten, die dauerhaft parenteral ernährt werden müssen, hat sich in den letzten Jahren durch die Einführung der häuslichen parenteralen Ernährungstherapie bezüglich des Langzeitüberlebens und der Lebensqualität deutlich verbessert. Trotz besserem Verständnis bezüglich der Ernährungsphysiologie und parenteralen Ernährung bleibt die beste »Therapie« jedoch ein, wenn immer möglich, sparsam gewähltes Resektionsausmaß durch den Chirurgen. 29.2.2 Klinische Symptomatik
29.2.1 Pathogenese Als Ursache hierfür steht beim Erwachsenen an erster Stelle der durch den Chirurgen ausgelöste Verlust größerer Dünndarmabschnitte. Dieser ist am häufigsten durch arterielle, venöse oder kombinierte Durchblutungsstörungen bedingt. Seltenere Ursachen, welche zu ausgedehnten Resektionen des Dünndarmes zwingen, sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, pseudomembranöse Enteritis sowie Verwachsungen oder ausgedehnte Resektionen im Rahmen tumorchirurgischer Eingriffe (Thomson 2005). Beim Kind sind es angeborene Anomalien sowie Folgen ausgedehnter Invaginationen, die zu Resektionen mit Ausbildung eines Kurzdarmsyndroms führen. Der Schweregrad ist abhängig von der Länge des verbliebenen Dünndarms und der Lokalisation des Dünndarmverlustes mit oder ohne Dickdarmresektion. Erhebliche individuelle Schwankungen der Dünndarmlängen machen es sinnvoller, von der Länge des in situ ver-
Das klinische Erscheinungsbild des Kurzdarmsyndroms korreliert mit dem von der Resektion betroffenen Dünndarmabschnitt. Dehnt sich das Resektionsausmaß auf den proximalen Dünndarm aus, so kommt es zu Mangelerscheinungen bezüglich der Eisen-, Kalzium-, und Folsäureresorption. Ist der distale Dünndarmabschnitt betroffen, führt die mangelnde Vitamin-B12Aufnahme zur Anämie und die fehlende Rückresorption von Galle zur Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs. Dies wiederum hat Wasser- und Elektrolytverlust, Diarrhö, Malabsorption von Fetten und der fettlöslichen Vitamine zur Folge. 29.2.3 Therapie Konservative Therapie In der Initialphase des Kurzdarmsyndroms steht die konservative Therapie im Vordergrund. Wichtig ist hier die ausreichende Flüs-
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Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
Literatur
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Call SA, Heudebert G, Saag M, Wilcox CM (2000) The changing etiology of chronic diarrhea in HIV-infected patients with CD4 cell counts less than 200 cells/mm3. Am J Gastroenterol 95(11):3142–3146 Dewar D, Pereira SP, Ciclitira PJ (2004) The pathogenesis of coeliac disease. Int J Biochem Cell Biol 36(1):17–24 Furrer H, Fux C (2002) Opportunistic infections: an update. J HIV Ther 7(1):2–7 Misbah SA, Aslam A, Costello C (2004) Whipple’s disease. Lancet 363(9409):654–656 Monkemulle, KE, Lazenby AJ, Lee DH, Loudon R, Wilcox CM (2005) Occurrence of gastrointestinal opportunistic disorders in AIDS despite the use of highly active antiretroviral therapy. Dig Dis Sci 50(2):230–234 Ogata M, Mateer JR, Condon RE (1996) Prospective evaluation of abdominal sonography for the diagnosis of bowel obstruction. Ann Surg 223(3):237–241 Onodera H, Nagayama S, Mori A, Fujimoto A, Tachibana T, Yonenaga Y (2005). Reappraisal of surgical treatment for radiation enteritis. World J Surg 22–3-2005 Poles MA, Fuerst M, McGowan I, Elliott J, Rezaei A, Mark D, Taing P, Anton PA (2001) HIV-related diarrhea is multifactorial and fat malabsorption is commonly present, independent of HAART. Am J Gastroenterol 96(6):1831–1837 Regimbeau JM, Panis Y, Gouzi JL, Fagniez PL (2001) Operative and long term results after surgery for chronic radiation enteritis. Am J Surg 182(3):237–242 Scapa E, Jacob H, Lewkowicz S, Migdal M, Gat D, Gluckhovski A., Gutmann N, Fireman Z (2002) Initial experience of wireless-capsule endoscopy for evaluating occult gastrointestinal bleeding and suspected small bowel pathology. Am J Gastroenterol 97(11):2776–2779
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Kurzdarmsyndrom F. Erckmann, A. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers
) ) Das Kurzdarmsyndrom charakterisiert ein Krankheitsbild, bei dem es durch Verlust größerer Dünndarmabschnitte und der damit verbundenen Reduzierung der Resorptionsfläche zu ausgeprägter Mangelernährung mit Wasser- und Elektrolytstörungenkommt.
bliebenen Dünndarms und nicht vom Resektionsausmaß zu sprechen (Jeremy 1995).
Eine ausgedehnte Dünndarmresektion unter Mitnahme des terminalen Ileums, des Zökums und größerer Dickdarmabschnitte führt zu ausgeprägteren Mangelerscheinungen als eine proximale Dünndarmresektion unter Erhalt des terminalen Ileums und Kolons.
Die Resektion des terminalen Ileums bedingt den Verlust von Gallensäuren und eine Resorptionsstörung von Vitamin B12. Zusätzlich verkürzt der Verlust der Bauhin-Klappe die Dünndarmtransitzeit und so die Kontaktzeit der Nahrung mit dem Dünndarm. Weiter ist der Wasser- und Elektrolytverlust mit konsekutiven chologenen Diarrhöen erheblich. Der verminderte Gallensäurenpool löst eine Fettmalabsorption in Kombination mit vermehrter Gallensteinbildung aus. Fettlösliche Vitamine werden nur unzureichend resorbiert und lösen so Mangelerscheinungen aus (Krähenbühl 1997). Insgesamt verfügt der Dünndarm jedoch über eine enorme Anpassungsfähigkeit, sodass nur in den seltensten Fällen eine komplette dauerhafte parenterale Ernährung indiziert ist. Die Adaptation zeigt sich durch eine Hyperplasie der Darmschleimhaut und Zunahme des Darmumfanges. Hierdurch kann die Absorptionskapazität um mehr als das Doppelte gesteigert werden. Langfristig können deshalb 100 cm Dünndarm für eine adäquate orale Ernährung ausreichend sein. Dieser Prozess der Adaptation dauert jedoch Monate. Erst danach kann abschließend die Ausprägung des Kurzdarmsyndroms endgültig beurteilt werden (Krähenbühl 1997). Die Prognose der Patienten, die dauerhaft parenteral ernährt werden müssen, hat sich in den letzten Jahren durch die Einführung der häuslichen parenteralen Ernährungstherapie bezüglich des Langzeitüberlebens und der Lebensqualität deutlich verbessert. Trotz besserem Verständnis bezüglich der Ernährungsphysiologie und parenteralen Ernährung bleibt die beste »Therapie« jedoch ein, wenn immer möglich, sparsam gewähltes Resektionsausmaß durch den Chirurgen. 29.2.2 Klinische Symptomatik
29.2.1 Pathogenese Als Ursache hierfür steht beim Erwachsenen an erster Stelle der durch den Chirurgen ausgelöste Verlust größerer Dünndarmabschnitte. Dieser ist am häufigsten durch arterielle, venöse oder kombinierte Durchblutungsstörungen bedingt. Seltenere Ursachen, welche zu ausgedehnten Resektionen des Dünndarmes zwingen, sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, pseudomembranöse Enteritis sowie Verwachsungen oder ausgedehnte Resektionen im Rahmen tumorchirurgischer Eingriffe (Thomson 2005). Beim Kind sind es angeborene Anomalien sowie Folgen ausgedehnter Invaginationen, die zu Resektionen mit Ausbildung eines Kurzdarmsyndroms führen. Der Schweregrad ist abhängig von der Länge des verbliebenen Dünndarms und der Lokalisation des Dünndarmverlustes mit oder ohne Dickdarmresektion. Erhebliche individuelle Schwankungen der Dünndarmlängen machen es sinnvoller, von der Länge des in situ ver-
Das klinische Erscheinungsbild des Kurzdarmsyndroms korreliert mit dem von der Resektion betroffenen Dünndarmabschnitt. Dehnt sich das Resektionsausmaß auf den proximalen Dünndarm aus, so kommt es zu Mangelerscheinungen bezüglich der Eisen-, Kalzium-, und Folsäureresorption. Ist der distale Dünndarmabschnitt betroffen, führt die mangelnde Vitamin-B12Aufnahme zur Anämie und die fehlende Rückresorption von Galle zur Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs. Dies wiederum hat Wasser- und Elektrolytverlust, Diarrhö, Malabsorption von Fetten und der fettlöslichen Vitamine zur Folge. 29.2.3 Therapie Konservative Therapie In der Initialphase des Kurzdarmsyndroms steht die konservative Therapie im Vordergrund. Wichtig ist hier die ausreichende Flüs-
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sigkeits- und Elektrolytsubstitution in den ersten Tagen. Die Ernährung erfolgt hauptsächlich parenteral, da Nahrungsaufnahme und Hypersekretion des Magens im Wesentlichen die Quantität der Diarrhö bestimmen. Zur Reduktion der Sekretmenge kommen H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer sowie Somatostatin zum Einsatz. Ergänzend sollte, sobald die Anastomosen abgeheilt sind und die atone Phase des Darmes abgeklungen ist, mit einer vorsichtigen oralen Belastung begonnen werden. Dies kann in der frühpostoperativen Phase mittels isotoner, chemisch definierter Oligopeptiddiät in Form von Sondenkost oral oder aber über Magensonde geschehen. Hierdurch wird einer frühen Mukosaatrophie vorgebeugt und somit das Risiko einer Sepsis durch Translokationen von Keimen aus dem Darm reduziert. Danach schließt sich der langsame orale Kostaufbau an. Bei intaktem Kolon sollte dieser durch eine fettarme Diät erfolgen. Zur Verbesserung der Resorption kommen pflanzliche mittelkettige Fette zur Anwendung. Kohlenhydrate sollten nicht in Form hypertoner Lösungen eingenommen werden. Ferner sind Milch und Milchprodukte wegen eines meist bestehenden sekundären Laktasemangels zu meiden. Auf Alkohol, Koffein und faserreiche Kost sollte möglichst verzichtet werden (Shanbhogue 1994). Zur Prävention einer Überlastung des Dünndarmes ist es sinnvoll, die Mahlzeiten in mehreren kleinen Portionen über den Tag verteilt einzunehmen. Durch die Gabe von Cholestyramin kann die häufig bestehende chologene Diarrhö positiv beeinflusst werden. Liegt jedoch eine Steatorrhö vor, kann Cholestyramin kontraproduktiv sein. Hier muss von Fall zu Fall individuell entschieden werden. Zudem können Peristaltikhemmer (z. B. Loperamid) zu einer verlängerten intestinalen Transitzeit der Nahrung beitragen und somit die Stuhlfrequenz senken. Ergänzend empfiehlt sich die Substitution von Spurenelementen und Vitaminen, die je nach enteraler Resorptionsfähigkeit auch parenteral verabreicht werden (z. B. Vitamin B12). Sollte es trotz oben genannter Maßnahmen zu einer Mangelernährung mit Wasser- und Elektrolytstörung kommen, ist eine kombinierte enterale/parenterale bzw. komplette parenterale Ernährung zu erwägen. Oft reicht jedoch die ergänzende parenterale Substitution von Fetten in Kombination mit Vitaminen und Spurenelementen aus. Diese kann je nach Bedarf 1- bis 3-mal pro Woche erfolgen. Chirurgische Therapie Ist die endgültige Ausprägung des Kurzdarmsyndroms erreicht und die Situation trotz oben genannter Maßnahmen unbefriedigend, stehen eine Reihe von operativen Behandlungsmöglichkeiten zu Verfügung. Es sind im Wesentlichen 2 Prinzipien, die verfolgt werden. Ein Prinzip ist die Verlängerung der Transitzeit, die durch Rekonstruktion der Ileozökalklappe oder Interposition von anisoperistaltischen Dünndarmsegmenten bzw. einem Kolonsegment erreicht wird. Ein weiteres Prinzip ist die Vergrößerung der Resorptionsfläche durch Dünndarmverlängerung mittels Längsspaltung (Selzner 1996). Der theoretisch beste Ansatz zur dauerhaften Heilung ist die Dünndarmtransplantation. Hier muss zunächst die Entwicklung in den nächsten Jahren abgewartet werden.
29
Chirurgische Maßnahmen bei Kurzdarmsyndrom 5 Rekonstruktion der Ileozökalklappe – Antiperistaltisches Dünndarmsegment – Koloninterposition – Rezirkulierende Darmschleife – Intestinales Pacing 5 Vergrößerung der Resorptionsfläche – Dünndarmverlängerung durch Längsspaltung – Dünndarmtransplantation – Mukosaautotransplantation
Die Prognose eines Patienten mit Kurzdarmsyndrom wird neben seiner Grunderkrankung von der Erfahrung des erstbehandelnden Chirurgen bestimmt. Dieser sollte den Verlust der BauhinKlappe vermeiden. Bietet sich technisch die Möglichkeit, mehrere kurze Darmabschnitte zu verbinden, so ist dieser, bei sicherer Anastomosentechnik, im Vergleich zu ausgedehnten Resektionen der Vorrang zu geben. Jeder Zentimeter Dünndarm zählt und minimiert das Risiko eines Kurzdarmsyndroms.
Literatur Jeremy, Nightingale (1995) The short-bowel syndrom. Europ J Gastroenterol Heptol 7:514–519 Krähenbühl L, Büchler MW (1997) Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Kurzdarmsyndroms. Chirurg 68:559–567 Selzner M, Isenber J, Keller HW, (1996) Derzeitiger Stand der operativen Behandlung des Kurzdarmsyndroms. Zentralbl Chir 121 1–7 Shanbhogue LKR, Molnaar JC (1994) Short bowel syndrome: metabolic and surgical management. Br J Surg 81:486–499 Thompson JS, DiBaise JK, Iyer KR, Yeats M, Sudan D (2005) Postoperative short bowel syndrome. J Am Coll Surg 201:85–89
29.3
Blindsacksyndrom F. Erckmann, A. Erckmann, E. Schippers
) ) In ausgeschalteten Dünndarmsegmenten, insbesondere in blind endenden Schlingen, treten bakterielle Fehlbesiedelungen auf. Die hieraus resultierenden klinischen Symptome werden unter dem Begriff Blindsacksyndrom subsumiert. Er steht heute für jegliche Formen der bakteriellen Fehlbesiedelung im Dünndarm.
29.3.1 Pathogenese Ursächlich für die pathologische Keimvermehrung, die den gesamten Dünndarm betreffen kann, sind in der Regel chirurgische Maßnahmen, die eine oder mehrere der physiologischen Schutzbarrieren des Dünndarms unterbrechen. Hauptfaktoren, welche den Dünndarm vor einer Keimüberwucherung schützen, sind 4 Azider Magensaft → Dekontamination 4 Regelrechte Dünndarmperistaltik → Clearance 4 Intakte Ileozökalklappe → Refluxbarriere
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sigkeits- und Elektrolytsubstitution in den ersten Tagen. Die Ernährung erfolgt hauptsächlich parenteral, da Nahrungsaufnahme und Hypersekretion des Magens im Wesentlichen die Quantität der Diarrhö bestimmen. Zur Reduktion der Sekretmenge kommen H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer sowie Somatostatin zum Einsatz. Ergänzend sollte, sobald die Anastomosen abgeheilt sind und die atone Phase des Darmes abgeklungen ist, mit einer vorsichtigen oralen Belastung begonnen werden. Dies kann in der frühpostoperativen Phase mittels isotoner, chemisch definierter Oligopeptiddiät in Form von Sondenkost oral oder aber über Magensonde geschehen. Hierdurch wird einer frühen Mukosaatrophie vorgebeugt und somit das Risiko einer Sepsis durch Translokationen von Keimen aus dem Darm reduziert. Danach schließt sich der langsame orale Kostaufbau an. Bei intaktem Kolon sollte dieser durch eine fettarme Diät erfolgen. Zur Verbesserung der Resorption kommen pflanzliche mittelkettige Fette zur Anwendung. Kohlenhydrate sollten nicht in Form hypertoner Lösungen eingenommen werden. Ferner sind Milch und Milchprodukte wegen eines meist bestehenden sekundären Laktasemangels zu meiden. Auf Alkohol, Koffein und faserreiche Kost sollte möglichst verzichtet werden (Shanbhogue 1994). Zur Prävention einer Überlastung des Dünndarmes ist es sinnvoll, die Mahlzeiten in mehreren kleinen Portionen über den Tag verteilt einzunehmen. Durch die Gabe von Cholestyramin kann die häufig bestehende chologene Diarrhö positiv beeinflusst werden. Liegt jedoch eine Steatorrhö vor, kann Cholestyramin kontraproduktiv sein. Hier muss von Fall zu Fall individuell entschieden werden. Zudem können Peristaltikhemmer (z. B. Loperamid) zu einer verlängerten intestinalen Transitzeit der Nahrung beitragen und somit die Stuhlfrequenz senken. Ergänzend empfiehlt sich die Substitution von Spurenelementen und Vitaminen, die je nach enteraler Resorptionsfähigkeit auch parenteral verabreicht werden (z. B. Vitamin B12). Sollte es trotz oben genannter Maßnahmen zu einer Mangelernährung mit Wasser- und Elektrolytstörung kommen, ist eine kombinierte enterale/parenterale bzw. komplette parenterale Ernährung zu erwägen. Oft reicht jedoch die ergänzende parenterale Substitution von Fetten in Kombination mit Vitaminen und Spurenelementen aus. Diese kann je nach Bedarf 1- bis 3-mal pro Woche erfolgen. Chirurgische Therapie Ist die endgültige Ausprägung des Kurzdarmsyndroms erreicht und die Situation trotz oben genannter Maßnahmen unbefriedigend, stehen eine Reihe von operativen Behandlungsmöglichkeiten zu Verfügung. Es sind im Wesentlichen 2 Prinzipien, die verfolgt werden. Ein Prinzip ist die Verlängerung der Transitzeit, die durch Rekonstruktion der Ileozökalklappe oder Interposition von anisoperistaltischen Dünndarmsegmenten bzw. einem Kolonsegment erreicht wird. Ein weiteres Prinzip ist die Vergrößerung der Resorptionsfläche durch Dünndarmverlängerung mittels Längsspaltung (Selzner 1996). Der theoretisch beste Ansatz zur dauerhaften Heilung ist die Dünndarmtransplantation. Hier muss zunächst die Entwicklung in den nächsten Jahren abgewartet werden.
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Chirurgische Maßnahmen bei Kurzdarmsyndrom 5 Rekonstruktion der Ileozökalklappe – Antiperistaltisches Dünndarmsegment – Koloninterposition – Rezirkulierende Darmschleife – Intestinales Pacing 5 Vergrößerung der Resorptionsfläche – Dünndarmverlängerung durch Längsspaltung – Dünndarmtransplantation – Mukosaautotransplantation
Die Prognose eines Patienten mit Kurzdarmsyndrom wird neben seiner Grunderkrankung von der Erfahrung des erstbehandelnden Chirurgen bestimmt. Dieser sollte den Verlust der BauhinKlappe vermeiden. Bietet sich technisch die Möglichkeit, mehrere kurze Darmabschnitte zu verbinden, so ist dieser, bei sicherer Anastomosentechnik, im Vergleich zu ausgedehnten Resektionen der Vorrang zu geben. Jeder Zentimeter Dünndarm zählt und minimiert das Risiko eines Kurzdarmsyndroms.
Literatur Jeremy, Nightingale (1995) The short-bowel syndrom. Europ J Gastroenterol Heptol 7:514–519 Krähenbühl L, Büchler MW (1997) Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Kurzdarmsyndroms. Chirurg 68:559–567 Selzner M, Isenber J, Keller HW, (1996) Derzeitiger Stand der operativen Behandlung des Kurzdarmsyndroms. Zentralbl Chir 121 1–7 Shanbhogue LKR, Molnaar JC (1994) Short bowel syndrome: metabolic and surgical management. Br J Surg 81:486–499 Thompson JS, DiBaise JK, Iyer KR, Yeats M, Sudan D (2005) Postoperative short bowel syndrome. J Am Coll Surg 201:85–89
29.3
Blindsacksyndrom F. Erckmann, A. Erckmann, E. Schippers
) ) In ausgeschalteten Dünndarmsegmenten, insbesondere in blind endenden Schlingen, treten bakterielle Fehlbesiedelungen auf. Die hieraus resultierenden klinischen Symptome werden unter dem Begriff Blindsacksyndrom subsumiert. Er steht heute für jegliche Formen der bakteriellen Fehlbesiedelung im Dünndarm.
29.3.1 Pathogenese Ursächlich für die pathologische Keimvermehrung, die den gesamten Dünndarm betreffen kann, sind in der Regel chirurgische Maßnahmen, die eine oder mehrere der physiologischen Schutzbarrieren des Dünndarms unterbrechen. Hauptfaktoren, welche den Dünndarm vor einer Keimüberwucherung schützen, sind 4 Azider Magensaft → Dekontamination 4 Regelrechte Dünndarmperistaltik → Clearance 4 Intakte Ileozökalklappe → Refluxbarriere
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Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
Versagt einer dieser Mechanismen, kann es zur bakteriellen Überwucherung der Dünndarmflora kommen. Typische Beispiele sind Magenresektionen mit Verlust der säurebildenden Zellen und beschleunigter Restmagenentleerung, Roux-Y Rekonstruktionen (Schippers 1996), Stenosen im Dünndarm unter Ausbildung einer Stase sowie Resektionen der Ileozökalklappe oder Fisteln, die das Aufsteigen von Keimen aus dem Kolon ermöglichen (Halkic 2002). Das physiologische Keimspektrum verändert sich durch Zunahme dickdarmtypischer Bakterien (gramnegative Keime, Anaerobier). Zudem steigt die Anzahl der Keime im Dünndarmsekret pro Milliliter drastisch an. Es kommt zu einem gesteigerten Nährstoffverbrauch durch die Bakterien sowie zur Dekonjugation von Gallensalzen, mit der Folge einer Verminderung der Fettaufnahme und mangelnder Resorption von Vitamin B12. Hierdurch bildet sich eine megaloblastäre Anämie aus. Ferner resultiert eine Malabsorption von Proteinen, Kohlenhydraten und fettlöslichen Vitaminen (Vitamin A, D, E, K). 29.3.2 Klinische Symptomatik Die 3 klinischen Kardinalsymptome sind perniziöse Anämie, Steatorrhö und Malnutrition. Der Patient beschreibt unspezifische Bauchschmerzen, die oft von Übelkeit und Durchfall begleitet sind. Zudem wird häufig über Gewichtsverlust und Müdigkeit geklagt. Diese Symptome können erst Jahre nach dem intraabdominellen Eingriff klinisch manifest werden.
Literatur Halkic N, Abdelmoumene A, Kianmanesh R, Vuilleumier H (2002) Blind loop syndrome. Swiss Surg 8:220–223 Issacs PET, Kim YS (1983) Blind loop syndrome and small bowel bacterial contamination. Clinics in Gastroenterology 12:395–414 Schippers E, Willis S, Ruckdeschel G, Schumpelick V (1996) Small intestinal myoelectrical activity and bacterial flora after Roux-en-Y reconstruction. Br J Surg 83:1271–1275
29.4
Divertikulose des Dünndarms F. Erckmann, A. Erckmann, E. Schippers
) ) Die Divertikulose des Dünndarms ist ebenso wie das MeckelDivertikel ein eher seltenes Krankheitsbild. In Autopsiestudien werden die Divertikel in 0,3–4,5% nachgewiesen. Ihre Größe kann zwischen wenigen Millimetern bis zu 10 cm schwanken. Am häufigsten kommen sie multipel im proximalen Dünndarm vor und nehmen nach distal in ihrer Häufigkeit ab. Sie bilden sich im Bereich des Mesenteriums an den Durchtrittsstellen der Blutgefäße aus und führen zur Ausstülpung von Mukosa und Submukosa durch eine Muskellücke der Darmwand. Sie sind somit erworbene, »falsche« oder »Pseudo-« Divertikel (Kouraklis 2001).
29.3.3 Diagnostik
29.4.1 Pathogenese
Neben einer genauen Anamnese inkl. eventuell vorausgegangener Operationen ist die sicherste und spezifischste Methode die direkte Keimbestimmung aus dem Dünndarmsekret. Die Gewinnung unter Intubation des Jejunums ist jedoch aufwendig und für den Patienten belastend. Etabliert haben sich Atemtests, welche den erhöhten bakteriellen Metabolismus nachweisen können. Bei Verdacht auf Vorliegen eines chirurgisch bedingten Blindsacksyndroms kann der direkte Nachweis des Blindsackes durch radiologische Diagnostik hilfreich sein (Isaacs 1983).
Die Ursache der Dünndarmdivertikulose ist unklar, es wird jedoch eine Dysfunktion der Muskulatur bzw. des Plexus myentericus mit folgender Druckerhöhung vermutet (Lempinen 2004). Ihre Inzidenz nimmt mit steigendem Lebensalter zu.
29.3.4 Therapie Chirurgische Ursachen des Blindsacksyndroms bedürfen grundsätzlich einer operativen Therapie. Hierbei sollten Blindsäcke ebenso wie Stenosen reseziert werden. Im Bereich des Magens kommen auch Umwandlungsoperationen in Betracht. Wegen guter konservativer Behandlungsmöglichkeiten ist die Indikation zur Operation hier nur relativ. Der Eingriff sollte erst nach Ausgleich einer mangelhaften Ernährungssituation erfolgen. Eine vorangegangene konservative Therapie zur Eindämmung der bakteriellen Fehlbesiedelung ist obligat. Die konservative Behandlung besteht in der Gabe von Antibiotika. Hierbei ist das Spektrum der anaeroben Keime mit abzudecken. Komplikationen wie Perforation, Ileus oder Blutung sind immer einer chirurgischen Therapie zuzuführen.
29.4.2 Klinische Symptomatik Die meisten Patienten mit einer Divertikulose des Dünndarms sind asymptomatisch. Häufig wird die Diagnose als Zufallsbefund im Rahmen einer Laparotomie bzw. radiologisch gestellt. Treten jedoch Beschwerden auf, so sind diese häufig unspezifisch. Sie reichen von untypischen Bauchschmerzen und Blähungen bis zu Übelkeit und Erbrechen. Kommt es jedoch zu Komplikationen, welche in 10–40% beschrieben werden, führt die Klinik der Komplikation. Diese kann Folge von Entzündung und Perforation im Sinne eines Peritonismus bis hin zu Ileus oder intestinaler Blutung sein (Longo 1992). 29.4.3 Diagnostik Wird die Diagnose nicht im Rahmen einer Laparotomie gestellt (. Abb. 29.1), so kann die Dünndarmdivertikulose häufig mittels Kontrastmittelschluck, CT oder MRT diagnostiziert werden. Hierbei gilt das unter dem Meckel-Divertikel aufgeführte. Eine neuere Methode des Nachweises ist die drahtlose Endoskopiekapsel, welche zurzeit jedoch nur in wenigen Zentren zur Verfügung steht.
396
29
Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
Versagt einer dieser Mechanismen, kann es zur bakteriellen Überwucherung der Dünndarmflora kommen. Typische Beispiele sind Magenresektionen mit Verlust der säurebildenden Zellen und beschleunigter Restmagenentleerung, Roux-Y Rekonstruktionen (Schippers 1996), Stenosen im Dünndarm unter Ausbildung einer Stase sowie Resektionen der Ileozökalklappe oder Fisteln, die das Aufsteigen von Keimen aus dem Kolon ermöglichen (Halkic 2002). Das physiologische Keimspektrum verändert sich durch Zunahme dickdarmtypischer Bakterien (gramnegative Keime, Anaerobier). Zudem steigt die Anzahl der Keime im Dünndarmsekret pro Milliliter drastisch an. Es kommt zu einem gesteigerten Nährstoffverbrauch durch die Bakterien sowie zur Dekonjugation von Gallensalzen, mit der Folge einer Verminderung der Fettaufnahme und mangelnder Resorption von Vitamin B12. Hierdurch bildet sich eine megaloblastäre Anämie aus. Ferner resultiert eine Malabsorption von Proteinen, Kohlenhydraten und fettlöslichen Vitaminen (Vitamin A, D, E, K). 29.3.2 Klinische Symptomatik Die 3 klinischen Kardinalsymptome sind perniziöse Anämie, Steatorrhö und Malnutrition. Der Patient beschreibt unspezifische Bauchschmerzen, die oft von Übelkeit und Durchfall begleitet sind. Zudem wird häufig über Gewichtsverlust und Müdigkeit geklagt. Diese Symptome können erst Jahre nach dem intraabdominellen Eingriff klinisch manifest werden.
Literatur Halkic N, Abdelmoumene A, Kianmanesh R, Vuilleumier H (2002) Blind loop syndrome. Swiss Surg 8:220–223 Issacs PET, Kim YS (1983) Blind loop syndrome and small bowel bacterial contamination. Clinics in Gastroenterology 12:395–414 Schippers E, Willis S, Ruckdeschel G, Schumpelick V (1996) Small intestinal myoelectrical activity and bacterial flora after Roux-en-Y reconstruction. Br J Surg 83:1271–1275
29.4
Divertikulose des Dünndarms F. Erckmann, A. Erckmann, E. Schippers
) ) Die Divertikulose des Dünndarms ist ebenso wie das MeckelDivertikel ein eher seltenes Krankheitsbild. In Autopsiestudien werden die Divertikel in 0,3–4,5% nachgewiesen. Ihre Größe kann zwischen wenigen Millimetern bis zu 10 cm schwanken. Am häufigsten kommen sie multipel im proximalen Dünndarm vor und nehmen nach distal in ihrer Häufigkeit ab. Sie bilden sich im Bereich des Mesenteriums an den Durchtrittsstellen der Blutgefäße aus und führen zur Ausstülpung von Mukosa und Submukosa durch eine Muskellücke der Darmwand. Sie sind somit erworbene, »falsche« oder »Pseudo-« Divertikel (Kouraklis 2001).
29.3.3 Diagnostik
29.4.1 Pathogenese
Neben einer genauen Anamnese inkl. eventuell vorausgegangener Operationen ist die sicherste und spezifischste Methode die direkte Keimbestimmung aus dem Dünndarmsekret. Die Gewinnung unter Intubation des Jejunums ist jedoch aufwendig und für den Patienten belastend. Etabliert haben sich Atemtests, welche den erhöhten bakteriellen Metabolismus nachweisen können. Bei Verdacht auf Vorliegen eines chirurgisch bedingten Blindsacksyndroms kann der direkte Nachweis des Blindsackes durch radiologische Diagnostik hilfreich sein (Isaacs 1983).
Die Ursache der Dünndarmdivertikulose ist unklar, es wird jedoch eine Dysfunktion der Muskulatur bzw. des Plexus myentericus mit folgender Druckerhöhung vermutet (Lempinen 2004). Ihre Inzidenz nimmt mit steigendem Lebensalter zu.
29.3.4 Therapie Chirurgische Ursachen des Blindsacksyndroms bedürfen grundsätzlich einer operativen Therapie. Hierbei sollten Blindsäcke ebenso wie Stenosen reseziert werden. Im Bereich des Magens kommen auch Umwandlungsoperationen in Betracht. Wegen guter konservativer Behandlungsmöglichkeiten ist die Indikation zur Operation hier nur relativ. Der Eingriff sollte erst nach Ausgleich einer mangelhaften Ernährungssituation erfolgen. Eine vorangegangene konservative Therapie zur Eindämmung der bakteriellen Fehlbesiedelung ist obligat. Die konservative Behandlung besteht in der Gabe von Antibiotika. Hierbei ist das Spektrum der anaeroben Keime mit abzudecken. Komplikationen wie Perforation, Ileus oder Blutung sind immer einer chirurgischen Therapie zuzuführen.
29.4.2 Klinische Symptomatik Die meisten Patienten mit einer Divertikulose des Dünndarms sind asymptomatisch. Häufig wird die Diagnose als Zufallsbefund im Rahmen einer Laparotomie bzw. radiologisch gestellt. Treten jedoch Beschwerden auf, so sind diese häufig unspezifisch. Sie reichen von untypischen Bauchschmerzen und Blähungen bis zu Übelkeit und Erbrechen. Kommt es jedoch zu Komplikationen, welche in 10–40% beschrieben werden, führt die Klinik der Komplikation. Diese kann Folge von Entzündung und Perforation im Sinne eines Peritonismus bis hin zu Ileus oder intestinaler Blutung sein (Longo 1992). 29.4.3 Diagnostik Wird die Diagnose nicht im Rahmen einer Laparotomie gestellt (. Abb. 29.1), so kann die Dünndarmdivertikulose häufig mittels Kontrastmittelschluck, CT oder MRT diagnostiziert werden. Hierbei gilt das unter dem Meckel-Divertikel aufgeführte. Eine neuere Methode des Nachweises ist die drahtlose Endoskopiekapsel, welche zurzeit jedoch nur in wenigen Zentren zur Verfügung steht.
397 29.5 · Meckel-Divertikel
29
. Abb. 29.2. Dünndarmileus durch Invagination eines Meckel-Divertikel beim Erwachsenen
29.5.1 Klinische Symptomatologie
. Abb. 29.1. Asymptomatische Dünndarmdivertikulose als Zufallsbefund im Rahmen einer Laparotomie
29.4.4 Therapie Die asymptomatische Dünndarmdivertikulose hat keinen Krankheitswert und muss nicht behandelt werden. Auch die im Rahmen einer Laparotomie nachgewiesenen Divertikel tragenden Darmabschnitte sollten nicht reseziert werden, um hier das operative Risiko nicht zu steigern und einen unnötigen Verlust von Dünndarm zu vermeiden. Kommt es jedoch zu Komplikationen, müssen diese therapiert werden. Im Vordergrund steht hier bei Entzündungen die konservative Therapie mittels Antibiose. Ileus, Perforation oder Blutung sind jedoch immer chirurgisch anzugehen.
Literatur Kouraklis G, Mantas D, Glivanou A, Kouskos E, Raftpoulos J, Karatzas G (2001) Diverticular disease of the small bowel: report of 27 cases. Int Surg 86:235–239 Lempine M, Salmela K, Kemppainen E (2004) Jejunal diverticulosis: a potentially dangerous entity. Scand J Gastroenterol 39:905–909 Longo WE, Vernava AM (1992) Clinical implications of jejunoileal diverticular disease. Dis Colon Rectum 35:381–388
29.5
Klinisch ist das Meckel-Divertikel überwiegend symptomlos und wird meist als Zufallsbefund im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs oder radiologischer Diagnostik aus anderen Gründen entdeckt. Kommt es jedoch zu Komplikationen, wird das MeckelDivertikel klinisch relevant. Im Vordergrund der Komplikationen steht beim Erwachsenen der mechanische Ileus (. Abb. 29.2), wobei im Kindesalter Blutung oder Perforation die häufigsten Komplikationen sind. Oft ist die Ursache hierfür versprengte Magenschleimhaut oder Pankreasgewebe im Divertikel, welche Blutungen oder Ulzerationen mit Perforation verursachen. Als seltenere Komplikation kann es zu Entzündungen im Divertikel im Sinne einer Divertikulitis kommen. Hier ist die Symptomatik von der Klinik einer Appendizitis meist nicht zu unterscheiden. 29.5.2 Diagnostik Das Meckel-Divertikel wird in den meisten Fällen im Rahmen chirurgischer Eingriffe als Nebenbefund entdeckt. Besteht der klinische Verdacht ist nach Ausschluss einer Komplikation der Versuch einer radiologischen Verifizierung mittels Sellink-MDP gerechtfertigt. Im Zweifel sollte auf ein wasserlösliches Kontrastmittel mit jedoch schlechterer Bildgebung zurückgegriffen werden. Weitere mögliche Methoden zur Darstellung sind das Kontrastmittel-CT oder die MRT. Liegt eine Blutungskomplikation vor, so gelingt der Nachweis eines Meckel-Divertikels häufig durch eine 99Tc-Szintigraphie oder bei starker Blutungsaktivität mittels selektiver Angiographie.
Meckel-Divertikel
29.5.3 Therapie
F. Erckmann, A. Erckmann, E. Schippers
Asymptomatische Meckel-Divertikel, die im Rahmen radiologischer Diagnostik zufällig zur Darstellung kommen, bedürfen keiner weiteren Therapie. Kommt es jedoch zu einer der oben beschriebenen Komplikationen, ist diese durch Resektion des Divertikels zu therapieren. Dies erfolgt durch Absetzen des Divertikels in Längsrichtung und Querverschluss des Defektes zur Verhinderung einer postoperativen Stenose. Wird ein Meckel-Divertikel im Rahmen eines anderen chirurgischen Eingriffes entdeckt, sollte dieses ebenfalls nach Möglichkeit immer reseziert werden.
) ) Das Meckel-Divertikel ist entwicklungsgeschichtlich ein nicht vollständig zurückgebildeter Ductus omphaloentericus. Es liegt eine Ausstülpung aller Wandschichten vor, sodass es sich hier um ein echtes Divertikel handelt. Es ist 80–120 cm proximal der BauhinKlappe lokalisiert. Die Inzidenz liegt bei ca. 2% der Bevölkerung.
397 29.5 · Meckel-Divertikel
29
. Abb. 29.2. Dünndarmileus durch Invagination eines Meckel-Divertikel beim Erwachsenen
29.5.1 Klinische Symptomatologie
. Abb. 29.1. Asymptomatische Dünndarmdivertikulose als Zufallsbefund im Rahmen einer Laparotomie
29.4.4 Therapie Die asymptomatische Dünndarmdivertikulose hat keinen Krankheitswert und muss nicht behandelt werden. Auch die im Rahmen einer Laparotomie nachgewiesenen Divertikel tragenden Darmabschnitte sollten nicht reseziert werden, um hier das operative Risiko nicht zu steigern und einen unnötigen Verlust von Dünndarm zu vermeiden. Kommt es jedoch zu Komplikationen, müssen diese therapiert werden. Im Vordergrund steht hier bei Entzündungen die konservative Therapie mittels Antibiose. Ileus, Perforation oder Blutung sind jedoch immer chirurgisch anzugehen.
Literatur Kouraklis G, Mantas D, Glivanou A, Kouskos E, Raftpoulos J, Karatzas G (2001) Diverticular disease of the small bowel: report of 27 cases. Int Surg 86:235–239 Lempine M, Salmela K, Kemppainen E (2004) Jejunal diverticulosis: a potentially dangerous entity. Scand J Gastroenterol 39:905–909 Longo WE, Vernava AM (1992) Clinical implications of jejunoileal diverticular disease. Dis Colon Rectum 35:381–388
29.5
Klinisch ist das Meckel-Divertikel überwiegend symptomlos und wird meist als Zufallsbefund im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs oder radiologischer Diagnostik aus anderen Gründen entdeckt. Kommt es jedoch zu Komplikationen, wird das MeckelDivertikel klinisch relevant. Im Vordergrund der Komplikationen steht beim Erwachsenen der mechanische Ileus (. Abb. 29.2), wobei im Kindesalter Blutung oder Perforation die häufigsten Komplikationen sind. Oft ist die Ursache hierfür versprengte Magenschleimhaut oder Pankreasgewebe im Divertikel, welche Blutungen oder Ulzerationen mit Perforation verursachen. Als seltenere Komplikation kann es zu Entzündungen im Divertikel im Sinne einer Divertikulitis kommen. Hier ist die Symptomatik von der Klinik einer Appendizitis meist nicht zu unterscheiden. 29.5.2 Diagnostik Das Meckel-Divertikel wird in den meisten Fällen im Rahmen chirurgischer Eingriffe als Nebenbefund entdeckt. Besteht der klinische Verdacht ist nach Ausschluss einer Komplikation der Versuch einer radiologischen Verifizierung mittels Sellink-MDP gerechtfertigt. Im Zweifel sollte auf ein wasserlösliches Kontrastmittel mit jedoch schlechterer Bildgebung zurückgegriffen werden. Weitere mögliche Methoden zur Darstellung sind das Kontrastmittel-CT oder die MRT. Liegt eine Blutungskomplikation vor, so gelingt der Nachweis eines Meckel-Divertikels häufig durch eine 99Tc-Szintigraphie oder bei starker Blutungsaktivität mittels selektiver Angiographie.
Meckel-Divertikel
29.5.3 Therapie
F. Erckmann, A. Erckmann, E. Schippers
Asymptomatische Meckel-Divertikel, die im Rahmen radiologischer Diagnostik zufällig zur Darstellung kommen, bedürfen keiner weiteren Therapie. Kommt es jedoch zu einer der oben beschriebenen Komplikationen, ist diese durch Resektion des Divertikels zu therapieren. Dies erfolgt durch Absetzen des Divertikels in Längsrichtung und Querverschluss des Defektes zur Verhinderung einer postoperativen Stenose. Wird ein Meckel-Divertikel im Rahmen eines anderen chirurgischen Eingriffes entdeckt, sollte dieses ebenfalls nach Möglichkeit immer reseziert werden.
) ) Das Meckel-Divertikel ist entwicklungsgeschichtlich ein nicht vollständig zurückgebildeter Ductus omphaloentericus. Es liegt eine Ausstülpung aller Wandschichten vor, sodass es sich hier um ein echtes Divertikel handelt. Es ist 80–120 cm proximal der BauhinKlappe lokalisiert. Die Inzidenz liegt bei ca. 2% der Bevölkerung.
30 30
Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons J. Schölmerich, C. Herfarth
30.1
Anatomische Grundlagen
30.2
Klinische Symptomatik
30.2.1 30.2.2 30.2.3 30.2.4 30.2.5
Chronische mesenteriale Ischämie – 401 Akute arterielle Embolie – 402 Arterielle Thrombose – 402 Nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI) – 403 Mesenterialvenenthrombose – 403
30.3
Prognose
30.4
Diagnostik
30.4.1 30.4.2 30.4.3 30.4.4 30.4.5 30.4.6 30.4.7
Laboruntersuchungen – 405 Sonographie – 405 Endoskopie – 405 Radiologische Verfahren – 405 Andere Diagnoseverfahren – 406 Differenzialdiagnose der akuten mesenterialen Ischämie Chronische mesenteriale Ischämie – 407
30.5
Therapie
30.5.1 30.5.2 30.5.3 30.5.4 30.5.5
Akute Mesenterialischämie – 407 Mesenterialvenenthrombose – 408 Andere Maßnahmen – 410 Chronische mesenteriale Ischämie – 410 Klinische Probleme und Schlussfolgerungen – 411
Literatur
– 400
– 401
– 404 – 404
– 407
– 413
– 406
400
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
) ) . Tabelle 30.1. Gefäßversorgung des Intestinums
30
Gefäßerkrankungen des Dünndarms und Kolons umfassen neben der akuten mesenterialen Ischämie (arterielle Embolie, arterielle Thrombose, nichtokklusive Ischämie) und der Mesenterialvenenthrombose die chronische mesenteriale Ischämie unterschiedlicher Ursachen. Die akute mesenteriale Ischämie ist ein lebensbedrohlicher Notfall mit einer nach wie vor erschreckend hohen Letalität von 50–95%. Die klinischen Erscheinungsformen werden von Art und Ausmaß der vaskulären Läsion und von der zugrunde liegenden Erkrankung bestimmt. Wesentliche Determinante der Prognose ist die Geschwindigkeit der Diagnose. Da bislang keine einfachen diagnostischen Tests mit ausreichender Sensitivität und Spezifität zur Verfügung stehen, erfolgt die Diagnose im Wesentlichen durch angiographische Verfahren. In jüngster Zeit ist auch die Computertomographie mit Rekonstruktionen erfolgreich eingesetzt worden. Die Behandlung der obstruktiven Mesenterialarteriensyndrome und der Mesenterialvenenthrombose ist meist chirurgisch, seltener gezielt interventionell. Bei nichtokklusiven Formen sind Versuche mit pharmakologischen Vasodilatatoren möglich. Die chronische mesenteriale Ischämie ist ein schwierig zu diagnostizierendes Krankheitsbild und wird in geeigneten Fällen interventionell oder gefäßchirurgisch behandelt.
30.1
Anatomische Grundlagen
Gefäßstamm
Hauptäste
Versorgungsgebiet
Truncus coeliacus
A. hepatica propria
Leber, Magen (über A. gastrica dextra)
A. gastroduodenalis
Magen, Duodenum, Pankreaskopf
A. lienalis
Milz, Pankreas, Magen
A. gastrica sinistra
Magen, distaler Ösophagus
Aa. jejunales et ilei
Dünndarm
A. ileocolica
Zäkum, proximales Colon ascendencs, Appendix
A. colica dextra
Distales Colon ascendens, rechte Kolonflexur
A. colica media
2/3 des Querkolons
A. colica sinistra
Linkes Drittel des Querkolons, Colon descendens
A. sigmoidea
Sigma
A. rectalis superior
Rückseite des Rektums
A. rectalis inferior
Unteres Rektumdrittel
A. rectalis media
Mittleres Rektumdrittel
A. mesenterica superior
A. mesenterica inferior
Die Gefäßversorgung des Magen-Darm-Trakts wird durch 3 große Arterien sichergestellt: 4 Truncus coeliacus 4 A. mesenterica superior (AMS) 4 A. mesenterica inferior (AMI) A. ilica interna
Die 3 großen Viszeralstämme bilden untereinander dabei eine große Anastomosenkette (. Abb. 30.1). So werden der Truncus . Abb. 30.1. Arterielle Gefäßversorgung des Intestinums
Truncus coeliacus
A. pancreaticoduodenalis Rio-BrancoArkade
A. mesenterica superior
Sudeck-Anastomose
RiolanAnastomose
Duodenum
Jejunum, Ileum, prox. Kolon
Li-seitiges Kolon, oberes Rektum A. mesenterica inferior
401 30.2 · Klinische Symptomatik
30
. Abb. 30.2a–d. Ausdehnung des Darminfarkts in Abhängigkeit von der Verschlusslokalisation: a Hauptstamm, b Ileo-colica, c Vasa recta, d Astverschluss 2. und 3. Ordnung
aa
bb
c c
dd
coeliacus und die A. mesenterica superior über Kollateralen aus den Aa. pancreaticoduodenales superiores und inferiores verbunden, AMS und AMI anastomosieren über den Riolan-Gefäßbogen (Verbindung zwischen A. colica media und sinistra). Zusätzlich bestehen innerhalb des Versorgungsgebietes eines Gefäßstamms multiple Querverbindungen durch Arkadenbildungen der Seitenäste. Diese reichliche Anastomosenbildung gewährleistet, dass erst Ausfälle größerer Stromgebiete zu einer mesenterialen Ischämie führen, Astverschlüsse der zweiten oder dritten Ordnung jedoch vollständig kompensiert werden können (. Abb. 30.2). Am häufigsten von mesenterialen Durchblutungsstörungen betroffen ist das Stromgebiet der AMS. . Tab. 30.1 gibt einen Überblick über die Versorgungsgebiete der einzelnen Hauptäste der 3 großen Arterien. 30.2
Klinische Symptomatik
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen der chronischen und akuten Ischämie, in Analogie zur Kardiologie vergleichbar mit der koronaren Herzerkrankung (Angina pectoris) und dem akuten Myokardinfarkt. 30.2.1 Chronische mesenteriale Ischämie Die chronische mesenteriale Ischämie (CMI; Angina intestinalis) ist durch postprandiale Schmerzen und Gewichtsverlust cha-
rakterisiert. Sie ist durch wiederholte transiente Episoden inadäquater intestinaler Durchblutung, meist provoziert durch vermehrten metabolischen Bedarf während des Verdauungsprozesses, bedingt. Die Schmerzen treten in der Regel kurz nach Mahlzeiten auf und persistieren für 1–2 h. Sie können über Wochen und Monate im Schweregrad langsam zunehmen und führen zu einer Reduktion der Nahrungszufuhr und entsprechendem Gewichtsverlust. Seltenere Erscheinungsformen der CMI sind Durchfälle, Übelkeit und Erbrechen oder auch abdominelle Dauerschmerzen. Noch seltener sind therapieresistente Magen- oder Duodenalulzera oder gangränöse akalkulöse Cholezystitiden (Arnott et al. 1999). Die viszerale Arteriosklerose ist relativ häufig und als Teilerscheinung eines generalisierten arteriosklerotischen Prozesses zu werten. So fand sich in einer unselektionierten Autopsieserie bei einem knappen Drittel der Patienten eine Stenose entlang der ersten Zentimeter der großen mesenterialen Arterien. Das Vorkommen dieser Stenosen korrelierte eng mit dem Alter der Patienten und mit einer gleichzeitig vorliegenden Koronarsklerose beziehungsweise einer zerebralen Arteriosklerose (Järvinen et al. 1995). Wie bei der koronaren Herzerkrankung führt ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -bedarf zu der »Angina abdominalis«. Trotz der häufigen morphologischen Gefäßveränderungen, die beispielsweise autoptisch gefunden werden, wird eine symptomatische chronische mesenteriale Ischämie im Vergleich zu allen anderen Manifestationen chronisch okklusiver Gefäßerkrankungen selten gefunden. Dies ist
402
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
durch die ausgeprägte Kollateralisation der Mesenterialgefäße, die sich durch das langsame Fortschreiten der arteriosklerotischen Veränderungen zu einem noch weiteren Netz verzweigen kann, bedingt. So müssen in der Regel 2 der 3 Hauptstämme stenosiert sein, bevor es zu einer symptomatischen Ischämie kommen kann. Ein Überblick über die mitgeteilten Serien von Patienten mit CMI zeigte, dass 91% mindestens 2 und 55% 3 Gefäße okkludiert hatten, nur 7% und 2% zeigten eine isolierte Okklusion der AMS und des Truncus coeliacus (Moawad u. Gewertz 1997). Es ist aber davon auszugehen, dass die Diagnose einer chronischen mesenterialen Ischämie häufig verkannt wird.
30
30.2.2 Akute arterielle Embolie Die häufigste Form der akuten mesenterialen Ischämie ist mit etwa 50% eine Embolie in die AMS. Bei einer Verminderung der Sauerstoffversorgung auf unter 50% kommt es zur Funktionsstörung des Darmes, bei einem Abfall auf unter 20% zu einer Nekrose, die von der Mukosa ausgeht und dann die gesamte Darmwand betrifft. In der zeitlichen Abfolge sind zunächst eine Verminderung der Resorption, ein Motilitätsverlust, ein Ileus, die Schleimhautablösung, die Blutung, die Permeabilitätssteigerung, die bakterielle Translokation, die Peritonitis und schließlich die Sepsis zu beobachten. Die Häufigkeit der Symptome bei der akuten mesenterialen Embolie gibt . Tab. 30.2 wieder. Leitsymptom ist der plötzlich auftretende Bauchschmerz, der in der Regel periumbilikal oder im rechten Unterbauch lokalisiert wird. Das subjektiv starke Schmerzempfinden steht häufig im Gegensatz zur klinischen Untersuchung, bei der das Abdomen noch weich und diskret druckempfindlich ist. Viele Patienten klagen über Übelkeit, Erbrechen und Durchfall (Schneider et al. 1994). Von klinischer Bedeutung ist der zeitliche Verlauf der Symptomatik, wobei sich ein Initialstadium, ein stilles Intervall und ein Spätstadium unterscheiden lassen (. Tab. 30.3). In der Mehrzahl der Fälle liegt die Emboliequelle im Herzen. Weitere mögliche Streuquellen sind Aneurysmen der Aorta und der Mesenterialgefäße, selten Thromben im venösen Kreislauf mit paradoxer Embolie. . Tab. 30.4 gibt entsprechend die Komorbidität wieder.
. Tabelle 30.3. Zeitlicher Verlauf der Klinik der arteriellen mesenterialen Embolie
Formen
Initialstadium 0–6 h
Stilles Intervall 7–12 h
Spätstadium >12 h
Schmerz
+++
+
++
Ileussymptome
○
+
+++
Peritonismus
○
+
+++
AZ
○
––
–––
Leukozytose
++
++
+++
Laktat
○
○
>6 mmol/l
Revaskularisierung
+++
++
+
Resektion
○
++
+++
Letalität
ca. 25%
ca. 60%
80–90%
Klinik
Labor
Therapie
. Tabelle 30.4. Komorbidität bei Patienten mit mesenterialen Durchblutungsstörungen (%)
Embolie
Arterielle Thrombosen
Venöse Thrombosen
Arrhythmie
72
–
–
KHK
36
77
75
Hypertonie
68
62
25
Diabetes
28
8
–
Lungenerkrankungen
20
39
25
Nierenerkrankungen
16
15
–
4
15
50
AT-III-Mangel . Tabelle 30.2. Symptome bei der Mesenterialembolie
Symptome
Häufigkeit (%)
Abdomineller Schmerz
90
Erbrechen
47
Diarrhö
19
Meteorismus
19
Schock
17
Hämatochezie
15
Fieber
13
Stuhlverhalt
6
Hämatemesis
3
Bei der akuten mesenterialen Ischämie ist initial häufig eine Diskrepanz zwischen starken Schmerzen und diskreter Druckempfindlichkeit des Abdomens zu beobachten.
30.2.3 Arterielle Thrombose Die bei weitem häufigste Ursache der Mesenterialarterienthrombose ist eine vorbestehende stenosierende Arteriosklerose der viszeralen Arterien. Seltenere prädisponierende Faktoren sind Vaskulitiden oder intraabdominelle Tumoren. Bei Vorliegen einer Vaskulitis ist eine intestinale Beteiligung meist eher selten, lediglich bei der Polyarteriitis nodosa, dem Churg-Strauss-
403 30.2 · Klinische Symptomatik
. Tabelle 30.5. Häufigkeit intestinaler Beteiligung bei unterschiedlichen Vaskulitiden (Müller-Ladner 2001
. Tabelle 30.6. Begleiterkrankungen bei NOMI (Bruch et al. 1989)
Vaskulitistyp
Erkrankung
%
Herz
70
Häufigkeit (%)
Primäre Vaskulitiden Polyarteriitis nodosa
30–50
Niere
37
Churg-Strauss-Syndrom
25–50
Pankreas
10
M. Behcet
Bis 30
Hochdruck
10
Takayasu-Arteritis
Bis 15
Schock
40
Wegener-Granulomatose
1–2
Diabetes
23
Riesenzellarteriitis
1
Arteriosklerose
27
30
Medikamente: Digitalis 57%, Diuretika 23%
Sekundäre Vaskulitiden Purpura Schönlein-Henoch
50–90
Systemischer Lupus erythematodes
bis 50
Vaskulitis bei rheumatoider Arthritis
bis 10
Thrombangitis obliterans
1
Syndrom und der Purpura Schoenlein-Henoch wird diese häufiger beobachtet (. Tab. 30.5; Müller-Ladner 2001). Wegen der häufig bereits ausgebildeten Kollateralen verläuft die Symptomatik weniger akut als bei der Embolie; typisch sind allmählich zunehmende abdominelle Schmerzen mit einer Auftreibung des Bauches. Das Zeitintervall zwischen Beschwerdebeginn und Mesenterialinfarkt beträgt häufig 12–24 h. Gelegentlich finden sich auch länger zurückliegende Beschwerden im Sinne einer CMI. Auch bei diesen Patienten besteht zunächst eine Diskrepanz zwischen subjektiver Beschwerdeangabe und objektivem Befund. Bei bereits eingetretenem Mesenterialinfarkt kann sich dann allerdings rasch eine Sepsis mit Dehydration, blutigen Durchfällen und Schockzeichen entwickeln. 30.2.4 Nichtokklusive mesenteriale
Ischämie (NOMI) Die nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI) wird am besten per exclusionem definiert: Es handelt sich um eine mesenteriale Ischämie, die nicht durch Arteriosklerose, arterielle oder venöse Thrombosen, Embolien oder Vaskulitis verursacht wird. Sie ist Konsequenz einer erheblich verminderten Perfusion der Mesenterialgefäße, die entweder durch eine Linksherzinsuffizienz, eine ausgeprägten Hypotonie (z. B. bei Schock oder Sepsis) oder eine Hypovolämie (bei Dehydratation, Blutung oder Diuretikatherapie) bedingt ist (Knichwitz et al. 2004). Dies spiegelt sich in den Begleiterkrankungen wider (. Tab. 30.6; Bruch et al. 1989). Eine sekundäre mesenteriale Vasokonstriktion in Folge eines systemischen »Niedrigflusssyndroms« ist die wesentliche Ursache des Syndroms. Medikamente, die die splanchnische Perfusion beeinflussen, werden ebenfalls als Ursache angeschuldigt, hier sind insbesondere Digoxin, Ergotamin, Katecholamine, Angiotensin II, Vasopressin und Betablocker zu erwähnen. Auch Kokainabusus ist beschrieben worden.
Das klinische Erscheinungsbild leitet oft fehl, da die Patienten meist wegen einem zugrunde liegenden Krankheitsbild in der Regel schwer krank sind und häufig auf der Intensivstation behandelt werden. Die gastrointestinalen Symptome können unspezifisch sein und sich als Verstopfung, unspezifische Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und schleimig-blutige Durchfälle äußern. Wenn es zu einer intestinalen Gangrän gekommen ist, weist der Patient Peritonitiszeichen bzw. eine Sepsis auf. Bei allen Patienten, die entsprechende Vorerkrankungen haben und bei denen mit Verschiebungen des Flüssigkeitshaushaltes oder Veränderungen der Durchblutung zu rechnen ist, muss bei Auftreten entsprechender Symptome oder bei unerklärten Laborveränderungen bei Intensivpatienten (Leukozytose, LDH-Erhöhung) an die NOMI gedacht werden, da die Prognose außerordentlich ungünstig ist (7 unten). 30.2.5 Mesenterialvenenthrombose Diese Erkrankung ist eine seltene Form der intestinalen Gefäßobstruktion, die langsam und symptomlos, subakut über Wochen und Monate, aber auch als akutes schweres Krankheitsbild verlaufen kann (Rhee u. Gloviczki 1997)). Einen Überblick über die prädisponierenden Faktoren gibt . Tab. 30.4. Etwa 20% der Mesenterialvenenthrombosen bleiben ätiologisch ungeklärt, auch wenn zugrunde liegende primäre Störungen der Gerinnung (Mangel an Antithrombin III, Protein C, Protein S), CardiolipinAntikörper, Faktor-V-Leyden-Mutationen und Antikonzeptivaeinnahme sowie intraabdominelle Entzündungen, abdominelle Traumen und Hämoblastosen ausgeschlossen wurden (Lock 2001). Die Gefahr einer Pfortaderthrombose besteht in erster Linie nach Lebertransplantation oder nach Splenektomie. Die Hauptursachen dafür sind bei der Transplantation ein verminderter Perfusionsdruck durch ausgedehnte Kollateralisierung in Folge präexistenten Pfortaderhochdruckes oder, in Verbindung mit einer Splenektomie, die konsekutive Thrombozytose und ebenfalls gleichzeitig verminderter Perfusionsdruck. Auch bei der akuten Mesenterialvenenthrombose ist die klinische Symptomatik unspezifisch. Leitsymptom ist bei mehr als 90% der Patienten der Bauchschmerz, wobei Dauer, Art,
404
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
Schweregrad und Lokalisation große Variationen aufweisen. Meist bestehen die Schmerzen bei Aufnahme in die Klinik schon einige Tage. Über 50% der Patienten geben Übelkeit und Erbrechen an. Blutige Diarrhöen, Hämatochezie und Hämatemesis sprechen für einen bereits erfolgten Mesenterialinfarkt. Die Mehrzahl der Patienten hat ein schmerzhaftes, aufgetriebenes Abdomen mit abgeschwächten Darmgeräuschen, die Hälfte hat peritonitische Zeichen und Temperaturen über 38°C.
Patienten mit einer subakuten Mesenterialvenenthrombose haben über Wochen oder Monate Bauchschmerzen, ohne dass es zu einem Mesenterialinfarkt kommt.
. Tabelle 30.7. Häufigkeit, Alter und Prognose der akuten mesenterialen Ischämie (insgesamt selten: ca. jeder 1000. hospitalisierte Patient)
Formen
Verteilung (%)
Alter (Jahre)
Letalität (%)
Arterielle Embolie
39 (10–70)
73
71
Arterielle Thrombose
29 (10–67)
72
89
Nichtokklusive Ischämie
18 (2–48)
>60
83
Venöse Thrombose
14 (2–32)
70
67
30 Die Übergänge zur akuten Thrombose sind fließend. Die Diagnose einer chronischen Thrombose kann dann gestellt werden, wenn diese symptomlos verläuft. Die Patienten können auf Dauer asymptomatisch bleiben oder insbesondere bei Ausdehnung der Thrombose auf Pfortader und Milzvene durch Ösophagusvarizenblutungen auffallen. 30.3
Prognose
Zur Prognose der chronisch-mesenterialen Ischämie liegen keine gesicherten Daten vor. Langzeitstudien an Patienten, die eine Revaskularisation überlebten, zeigten ein 5-Jahres-Überleben von 81–86%. Unterschiede der Beobachtungszeit und kleine Fallzahlen limitieren die Wertigkeit dieser Zahlen allerdings. Gleiches gilt für Daten zur perkutanen transabdominalen Angioplastie (Brandt u. Boley 2000). Die verschiedenen Formen der arteriellen mesenterialen Ischämie und die venöse Thrombose im Splanchnikusstromgebiet weisen nach wie vor eine sehr hohe Mortalität auf (. Tab. 30.7). Dies ist teilweise durch die Begleiterkrankungen der Patienten, vor allem aber durch die häufig verzögerte Diagnose bedingt. Ein Überblick über die publizierten größeren Serien mit akuter mesenterialer Ischämie zeigt die Bedeutung einer frühen Diagnose für das Überleben der Patienten (. Tab. 30.8; Brandt u. Boley 2000). Wenn die Diagnose vor Auftreten einer Gangrän erfolgt,
liegen die Mortalitätsraten in den Studien, die dieses analysiert haben, unter 30% (. Tab. 30.3). Erfreulicherweise lassen neuere Übersichten (Eckstein 2003; Schoots et al. 2004) erkennen, dass die Prognose sich in den letzten Jahren verbessert hat, wobei dies insbesondere für die Mesenterialarterienthrombose und für die -venenthrombose gilt. Die durchschnittliche Letalität in Studien nach 2000 lag bei 53% (Eckstein 2003). Unverändert schlecht ist die Prognose der NOMI, die ja in der Regel Patienten betrifft, die a priori eine ungünstige Prognose aufweisen und bereits intensivpflichtig sind (Knichwitz et al. 2004). Hier spielen auch erhebliche Probleme der Erkennung des Krankheitsbildes bei analgosedierten Patienten eine Rolle, sodass die Prävalenz der NOMI und ihre Rolle für die Prognose dieser Patienten sicher unterschätzt werden.
Diagnostik
30.4
Anamnese und klinischer Befund sind bei Patienten mit mesenterialer Ischämie fast immer unspezifisch und vieldeutig. Die definitive Diagnosestellung bleibt somit eine echte klinische Herausforderung, zumal bei den akuten Formen der mesenterialen Ischämie zusätzlich der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle für das Überleben des Patienten spielt. Flüssigkeitsexsudation in das Darmlumen oder den Peritonealraum kann zur Hämokonzentration führen; Hypoxämie und prärenales Nieren-
. Tabelle 30.8. Bedeutung der frühen Diagnose der akuten mesenterialen Ischämie für das Überleben. (Nach Brandt u. Boley 2000)
Jahr der Studie
Patientenzahl
Mortalität
Mortalität
Keine Gangrän
Gangrän
< 24 h
> 24 h
1977
52
–
–
54
95
1981
47
–
–
57
73
1986
23
25
75
–
–
1990
65
25
68
–
–
1990
83
–
–
0
88
1990
98
26
71
–
–
1990
92
31
73
–
–
1997
141
–
–
44
92
405 30.4 · Diagnostik
versagen treten oft begleitend auf. Sind diese Komplikationen aber erst eingetreten, ist das »therapeutische Fenster« meist bereits überschritten. 30.4.1 Laboruntersuchungen Eine Reihe von Laborparametern sind bezüglich ihrer Aussagefähigkeit bei mesenterialer Ischämie diskutiert worden. Große Hoffnungen, die in die Bestimmung verschiedener im Darm vorkommender Enzyme (CK mit Isoenzymen, LDH, intestinale alkalische Phosphatase, GOT, Diaminoxidase, Hexosaminidase) gesetzt wurden, haben sich nicht erfüllt. Die Wertigkeit erhöhter Phosphatspiegel ist umstritten; ein erhöhtes anorganisches Phosphat gilt als wichtiger Hinweis auf eine mesenteriale Ischämie, andererseits schließen normale Phosphatwerte eine mesenteriale Ischämie keineswegs aus. Dasselbe gilt für erhöhte Laktatwerte. Viele Patienten haben eine Leukozytose, diese ist aber unspezifisch und sicher nicht differenzialdiagnostisch hilfreich. Ähnliches gilt für die metabolische Azidose. Eine Literaturübersicht (Kurland et al. 1992) kam zu dem Schluss, dass weder ein einzelner Parameter noch eine Kombination von Laborwerten ausreichende Sensitivität oder Spezifität haben, um die Diagnose mit hinreichender Sicherheit zu stellen, sodass Verbesserungen von Morbidität und Mortalität resultieren könnten. Diese Schlussfolgerung ist auch 13 Jahre später noch valide. Einzelne Parameter werden derzeit untersucht, so das intestinale fettsäurebindende Protein (I-FABP), es liegen aber keine Daten zur klinischen Wertigkeit solcher Serummarker vor (Lock 2001). 30.4.2 Sonographie Die Sonographie ist das bildgebende Verfahren der ersten Wahl bei Patienten mit abdominellen Beschwerden. Bei akuter mesenterialer Ischämie können sonographisch eine verdickte (> 5 mm) Dünndarmwand, Zeichen eines Subileus oder Ileus mit erweiterten Darmschlingen und fehlender Peristaltik und – in fortgeschrittenen Fällen – freie intraabdominelle Flüssigkeit und Lufteinschlüsse im Portalsystem gefunden werden. Spezifische Kriterien zur definitiven Diagnose einer mesenterialen Ischämie gibt es jedoch nicht; die wesentliche Bedeutung der Sonographie liegt im Ausschluss anderer abdomineller Erkrankungen (Aortenaneurysma, mechanischer Ileus, biliäre Erkrankungen; Rahmouni et al. 1992). Die Duplexsonographie gilt als viel versprechende Methode bei der Suche nach der chronischen mesenterialen Ischämie. Eine systolische Spitzengeschwindigkeit von mehr als 275 cm/s in der AMS und mehr als 200 cm/s im Truncus coeliacus oder ein komplett fehlendes Flusssignal in einer oder beiden Arterien gelten als sensitive (89%) und spezifische (92%) Parameter für eine mehr als 70%-ige Stenose oder einen Verschluss der Viszeralarterien (Moneta et al. 1991). Bei der hohen Prävalenz einer viszeralen Arteriosklerose ist der Nachweis einer signifikanten Stenose allerdings nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit einer mesenterialen Ischämie (Roobottom u. Dubbins 1995). Die Rolle der Duplexsonographie beim akuten Mesenterialarterienverschluss ist bislang wenig untersucht. Die Untersuchung kann durch den häufig vorhandenen Meteorismus erheblich erschwert oder unmöglich sein. Wenn ein normaler Fluss in der AMS gefunden werden kann, ist eine Okklusion des
30
Hauptstammes proximal der A. colica unwahrscheinlich, dennoch können signifikante Embolien in größere Gefäßabschnitte jenseits dieses Punktes vorliegen. Über die Möglichkeiten dieser Methode bei Nachweis der bei NOMI auftretenden Vasokonstriktion der Mesenterialgefäße liegen keine sicheren Daten vor (Lock 2001). Die thrombosierte Mesenterialvene kann in der farbkodierten Duplexsonographie als erweitertes röhrenförmiges Gebilde ohne Flusssignal dargestellt werden. Bei guten Untersuchungsbedingungen kann hier eine definitive Diagnose möglich sein. Da in den meisten Fällen abdomineller Beschwerden in der Routine heute eine Sonographie erfolgt, erscheint es zweckmäßig, dann auch zu versuchen, die Abgänge der AMS und des Truncus coeliacus zu suchen und den Fluss dort zu analysieren. Dies vermag zumindest proximale Stenosen auszuschließen. 30.4.3 Endoskopie Endoskopische Verfahren sind bei der Diagnostik der mesenterialen Ischämie wenig hilfreich, da das betroffene Segment im Allgemeinen jenseits der Reichweite des Endoskops im Dünndarm liegt. Die Gastroskopie kann differenzialdiagnostisch sinnvoll sein, um Magen- oder Duodenalulzera auszuschließen, in Einzelfällen kann bei Erreichen des oberen Jejunums endoskopisch eine Ischämie gesichert werden. Das Vorliegen einer ischämischen Kolitis lässt sich im akuten Stadium durch Petechien, Erosionen und eine blasse oder hyperämische Schleimhaut nachweisen, bei Verschluss einer Segmentarterie findet sich häufig ein scharfer Übergang zwischen normaler und ischämischer Schleimhaut. Daten zur Videokapselendoskopie oder zur Doppelballontechnik liegen bisher noch nicht vor. Die Rolle der Laparoskopie ist unklar, sie ermöglicht die Beurteilung des Mesenteriums und der Darmwand. Eine unauffällige Laparoskopie schließt eine mesenteriale Durchblutungsstörung jedoch nicht aus. 30.4.4 Radiologische Verfahren Röntgenübersichtsaufnahmen des Abdomens werden angefertigt, um andere Ursachen abdomineller Beschwerden auszuschließen. Eine unauffällige Abdomenleeraufnahme schließt eine Mesenterialischämie nicht aus. Hochgradig verdächtig auf eine fortgeschrittene Ischämie sind eine Pneumatosis intestinalis und der Nachweis von Gas im Portalsystem. Beide Befunde sind allerdings selten. Die zunehmende Verbreitung der Computertomographie hat dazu geführt, dass bei vielen Patienten mit unklaren abdominellen Schmerzen diese Untersuchung relativ rasch durchgeführt werden kann. Die CT ermöglicht eine direkte Darstellung der Darmwand und kann in einigen Fällen intramurale, mesenteriale oder portale Gasansammlungen nachweisen. Arterielle und venöse Mesenterialgefäßverschlüsse (Lee et al. 2003; Angelelli et al. 2004; Rahmouni et al. 1992) können nach Bolusinjektion von Kontrastmittel als Füllungseffekt dargestellt werden. Unter korrekter Technik ist die Identifikation einer Mesenterialvenenobstruktion sicher und als diagnostisches Verfahren der Wahl anzusehen. Die Sensitivität liegt zwischen 90 und 100%.
406
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
. Abb. 30.3. Notfalldiagnostik bei Verdacht auf akute mesenteriale Ischämie
Anamnese vereinbar mit mesenterialer Ischämie, Risikofaktoren
Diskrepanz: Schmerz und objektiver Befund, peritonitische Zeichen
Labor: BB, CK, LDH, Lipase, Phosphat, Laktat, BGA
30
EKG Ausschl. Herzinfarkt
Sonographie mögl. mit Duplex
Rö-Thorax Abdomenübersicht
ÖGD: fakultativ bei V.a. Ulkus
Angiographie
Die Magnetresonanzangiographie (MRA) spielt für die Diagnose der chronischen mesenterialen Ischämie ebenso wie die CT-Angiographie eine wichtige Rolle (Carlos et al. 2001; Cademartiri et al. 2004). Machbarkeitsstudien (Lauenstein et al. 2005) weisen der MRT auch einen mögliche Rolle bei der akuten Ischämie zu. Ein Verschluss der arteriellen Gefäße kann sich als Füllungsdefekt nach Kontrastmittel zeigen. In früheren Studien war die CT nur bei 39% der Patienten diagnostisch, hingegen liegt in neueren Berichten die Sensitivität bei 80% (Klein et al. 1995). Durch die neuen Mehrzeilen-Computertomographen ist die CT mittlerweile in einigen Zentren Methode der Wahl bei Verdacht auf mesenteriale Ischämie. Nach wie vor Goldstandard zum Nachweis einer akuten oder chronischen mesenterialen Ischämie ist aber die Angiographie. Sie ermöglicht die eindeutige Sicherung der Diagnose, eine ätiologische Zuordnung der Ischämie (okklusiv – nichtokklusiv, embolisch – thrombotisch) und liefert die entscheidenden Hinweise für die Therapieplanung (7 unten). Nach Darstellung der Aorta und der Abgänge des Truncus coeliacus und der AMS wird letztere selektiv katheterisiert. Bei unauffälligem Befund können anschließend AMI und Truncus coeliacus selektiv dargestellt werden (Schneider et al. 1994). Bei einem thrombotischen Verschluss der AMS findet sich meist ein abrupter Kontrastmittelabbruch, meist am Gefäßabgang oder innerhalb von 1–2 cm nach dem Abgang. Die Diagnose wird durch arteriosklerotische Veränderungen in anderen Gefäßen unterstützt. Mesenterialarterienembolien zeigen sich als scharfe, abgerundete Füllungsdefekte in der Kontrastmittelsäule (Meniskuszeichen). Wie bei der Thrombose finden sich zusätzliche Vasospasmen. Die Embolien sind üblicherweise an Gefäßengen, Verzweigungen oder Bifurkationen und meist distal des Abgangs der A. colica media lokalisiert. Für die NOMI bleibt die Mesenterialangiographie das einzig verlässliche Diagnoseverfahren – sie sollte früh bei klinischem Verdacht angewandt werden. Die NOMI ist angiographisch durch eine diffuse Verengung der AMS und ihrer Äste als Ausdruck der zugrunde liegenden Vasokonstriktion charakterisiert. Die peripheren Gefäßarkaden können spastisch eng gestellt sein, weit gestellte und spastische Abschnitt der Gefäße können auf-
einander folgen und das Bild kann dann an eine Kette von Würsten erinnern (»string of sausage sign«). Die intramuralen Gefäße werden nur schlecht gefüllt und der niedrige Fluss in den Mesenterialgefäßen kann so zu einem verstärkten Rückfluss von Kontrastmittel in die Aorta während der selektiven Füllung der AMS führen. Gelegentlich ist die Differenzierung zwischen Arteriosklerose und mäßiggradiger Vasokonstriktion schwierig. Eine Gefäßerweiterung nach Injektion von Papaverin kann hier diagnostisch hilfreich sein. 30.4.5 Andere Diagnoseverfahren Laserdopplerflussmessung und endoluminale Pulsoximetrie haben im Tierversuch interessante Ergebnisse erbracht, klinische Daten sind nach wie vor rar und die Techniken sind nicht in der Routine verfügbar. Die tonometrische CO2-Bestimmung von luminal wurde diskutiert, auch hier liegen keine relevanten klinischen Daten vor. . Abb. 30.3 gibt einen Überblick über das diagnostische Vorgehen bei Verdacht auf akute mesenteriale Ischämie oder Mesenterialvenenthrombose. . Abb. 30.4 gibt die Ergebnisse einer größeren Serie von Patienten bezüglich der Verdachtsdiagnosen, des zeitlichen Ablaufs von Diagnostik und Therapie und der Mortalität wieder. 30.4.6 Differenzialdiagnose der akuten
mesenterialen Ischämie Die Differenzialdiagnose der mesenterialen Ischämie ist umfangreich, viele der Differenzialdiagnosen können durch klinische Untersuchungen, einzelne technische Verfahren wie Elektrokardiogramm, Abdomenleeraufnahme, Sonographie, Computertomographie und Labormethoden ausgeschlossen werden. Bis zum Beweis einer anderen Diagnose muss die Verdachtsdiagnose einer mesenterialen Ischämie aufrechterhalten und weiter verfolgt werden (7 Übersicht).
407 30.5 · Therapie
30
. Abb. 30.4. Beispiel der Diagnostik und der Ergebnisse bei mesenterialer Obstruktion (Grothues et al. 1996)
NOMI
NOMI
30.5 Mögliche Differenzialdiagnosen der akuten mesenterialen Ischämie 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Akuter Myokardinfarkt (Hinterwandinfarkt!) Ulcus ventriculi/duodeni mit Penetration/Perforation Sonstige Hohlorganperforation Akute Pankreatitis Akute Gastroenteritis Mechanischer Ileus (inkarzerierte Hernien, Volvulus etc.) Gallenkolik Peritonitis (Divertikulitis, Appendizitis, spontane bakterielle Peritonitis, Pseudoperitonitis diabetica etc.) Obstipation Ureterenkolik Disseziierendes Aortenaneurysma Intoxikationen (Blei, Arsen) Akute intermittierende Porphyrie Vertebragene Beschwerden Funktionelle Erkrankungen
30.4.7 Chronische mesenteriale Ischämie Die Diagnose der Kolonischämie erfolgt im Wesentlichen endoskopisch; hier finden sich typische makroskopische Zeichen, während die histologische Untersuchung häufig nicht wesentlich weiterführt. Weder die Angiographie noch der Barium-Kontrasteinlauf geben beweisende Befunde für eine chronische Dickdarmischämie, sodass die Diagnose sich aus typischer Klinik, makroskopischem Befund bei der Endoskopie und im positiven Fall aus den Ergebnissen der anderen genannten Verfahren ergibt. Die chronische Ischämie des Dünndarms (Angina intestinalis) kann mit Hilfe der Duplexsonographie (Grothues et al. 1996), der MR-Angiographie und der Angiographie diagnostiziert werden. Die Diagnose ist angesichts der hohen Prävalenz der viszeralen Arteriosklerose und der Verbreitung unspezifischer postprandialer Beschwerden aber schwierig, da es selten gelingt, den eindeutigen Zusammenhang zwischen Gefäßveränderungen und Klinik herzustellen (Roobottom u. Dubbins 1995).
Therapie
30.5.1 Akute Mesenterialischämie Der erste Schritt der Therapie bei allen Formen der akuten mesenterialen Ischämie ist die Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse. Anämie, Flüssigkeitsdefizite und Störungen des Elektrolytund Säure-Basen-Haushalts (Azidose!) sollten ausgeglichen, die Pumpleistung des Herzens optimiert und hämodynamisch relevante Arrhythmien behandelt werden. Zur hämodynamischen Überwachung sollte ein Pulmonalarterienkatheter, zumindest aber ein zentraler Zugang gelegt werden (Lock 2001). Bei klinischen oder laborchemischen Zeichen einer fortgeschrittenen Ischämie müssen unverzüglich Antibiotika (z. B. ein Cephalosporin der dritten Generation in Kombination mit Metronidazol) appliziert werden. Potenziell vasokonstriktorische Medikamente (Digitalis!) sollten vermieden werden. Bei hypotensiven, hypovolämischen und im Schock befindlichen Patienten liegt immer eine mesenteriale Vasokonstriktion vor. Eine Angiographie in dieser Situation ist bei begründetem Verdacht auf eine NOMI daher sinnlos, es sei denn, eine andere Form der mesenterialen Ischämie soll als Ursache des Schocks sicher ausgeschlossen werden (Lock 2004). Die meisten Autoren empfehlen bei angiographischem Nachweis einer mesenterialen Ischämie eine selektive Applikation von Papaverin in die AMS über den Angiographiekatheter (Bakal et al. 1992; Cappell 1998; Kaleya et al. 1992; Schneider et al. 1994; Knichwitz et al. 2004). Bei Vorliegen eines embolischen oder thrombotischen Gefäßverschlusses soll dadurch die häufig gleichzeitig vorhandene mesenteriale Vasokonstriktion behandelt werden. Bei der NOMI ist diese Maßnahme auch als definitive Therapiemöglichkeit anzusehen, wenn noch keine Nekrosen aufgetreten sind (Lock 2001). Papaverin ist ein potenter Phosphodiesteraseinhibitor und führt über eine Erhöhung der cAMP-Konzentration zu einer Vasodilatation. Die Dosierung liegt bei 30–60 mg/h (Applikation über eine Infusionspumpe). Heparin darf wegen Inkompatibilität mit Papaverin nicht im gleichen System gegeben werden. Bei ausgeprägter Hypovolämie und Hypotonie ist Papaverin kontraindiziert. Während der Infusion muss eine kontinuierliche Überwachung von Blutdruck, Herzfrequenz und Herzrhythmus ge-
408
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
währleistet sein. Bei korrekter Lage des Infusionskatheters in der AMS kommt es allerdings nur selten zu systemischen Blutdruckabfällen, da das Papaverin während der ersten Leberpassage zu über 90% abgebaut wird. Beim plötzlichen Blutdruckabfall sollte die Infusion sofort gestoppt und die korrekte Lage des Angiographiekatheters überprüft werden. Eine seltenere Ursache einer akuten Hypotension ist eine Leberinsuffizienz mit inadäquater Clearance (Lock 2001).
Bei Mesenterialarterienembolie und -thrombose ist nach Stabilisierung des Patienten die rasche operative Gefäßdesobliteration die Therapie der Wahl.
30 Nach einer medianen Oberbauchlaparotomie wird zunächst das Intestinum beurteilt. Bei der Mesenterialarterienembolie ist das proximale Jejunum in der Regel unauffällig, die betroffenen Darmanteile können den gesamten übrigen Dünndarm und den Dickdarm bis ins Colon transversum einschließen. Wenn ein Embolus in der AMS angenommen wird, wird die Eröffnung der AMS im Mesenterium durchgeführt, nachdem der Patient systemisch heparinisiert wurde. Die Arteriotomie sollte proximal der A. colica media erfolgen. Nach erfolgreicher proximaler und distaler Embolektomie sollten 30 min Reperfusion abgewartet werden, bevor eine Darmresektion durchgeführt wird. Eine gründliche intraoperative Klärung der Darmvitalität ist nötig, um die Darmresektion zu minimieren (Horgan u. Gorey 1992). Die Resektionsindikation schließt die Inspektion der Darmfarbe, sichtbarer Arterienpulsationen und der Peristaltik sowie die Palpation der Darmtextur und der arteriellen Pulsationen ein. Da diese Kriterien nicht ausreichen können, wurden technische Methoden zur Analyse der Darmvitalität entwickelt. Vorhandene Dopplersignale lassen Darmvitalität annehmen. Im Zweifelsfall wird die Anwendung von intravenöser Fluoresceingabe und Inspektion mit der Wood-Lampe empfohlen. Eine einheitliche Fluoreszenz zeigt Darmvitalität an. Die intraoperative Bestimmung des paO2 der Darmoberfläche wird als neue Technik benutzt. Eine »Second-look-Operation« kann 12–24 h später durchgeführt werden, um Regionen fraglicher Vitalität zu inspizieren; dies hilft bei der Reduktion des initialen Resektionsausmaßes. Offensichtlich nekrotischer Darm muss selbstverständlich primär entfernt werden, in diesem Fall ist auch ein Stoma häufig notwendig. Wenn der gesamte Dünndarm gangränös ist, ist eine mehr oder weniger komplette Enterektomie mit konsekutiver lebenslanger intravenöser Ernährung die einzige Option.
Ist die Darmvitalität und Reperfusion nicht ausreichend beurteilbar, sollte keine kontinuitätswiederherstellende Anastomose erfolgen, sondern zunächst ein Split-Stoma angelegt werden, das eine Beurteilung der Durchblutung der beiden herausgeleiteten Darmenden erlaubt. Weitere operative Interventionen werden von der Vitalität der Split-Stomata abhängig gemacht.
Von einer interventionellen lokalen arteriellen Lyse wird bei thrombotischen oder embolischen Verschlüssen des arteriellen mesenterialen Systems abgeraten, da die arterielle Lyse im Gebiet
der A. mesenterica superior zu schweren diffusen Mukosablutungen führen kann (Katsumori et al. 1998). Bei einer NOMI besteht das Hauptproblem in der mesenterialen Vasokonstriktion, die nicht operativ korrigiert werden kann. Eine operative Exploration bei Patienten mit NOMI ist daher nur dann zweckmäßig, wenn die Patienten Zeichen einer Peritonitis aufweisen (Lock 2001). Entsprechend den oben dargestellten pathophysiologischen Prinzipien besteht die frühe Behandlung in der Korrektur prädisponierender und präzipitierender Faktoren und einer effektiven Behandlung der mesenterialen Vasokonstriktion. Die oben genannten allgemeinen Behandlungsmaßnahmen sind daher in diesem Falle von besonderer Bedeutung. Ein Behandlungsalgorithmus wird vorgeschlagen, der aber einen Extrakt der persönlichen Erfahrung der Autoren (Boley et al. 1977; Brandt u. Boley 1991; Kaleya et al. 1992; Knichwitz et al. 2004) und nicht das Ergebnis kontrollierter Studien darstellt. Die Behandlung ist im Prinzip pharmakologisch mit Hilfe der selektiven Infusion von Papaverin, anschließend oder alternativ Prostaglandin E1 (7 unten) in die AMS durchzuführen. Die Angiographie wird nach 30 min wiederholt, um die Beseitigung der Vasokonstriktion zu dokumentieren. Die Papaverin-Infusion wird für 24 h fortgesetzt. Eine erneute Angiographie nach 30-minütigem Ersetzen der Papaverin-Infusion durch Kochsalz definiert das weitere Vorgehen. Dieses Verfahren kann über weitere 24-Stunden-Intervalle fortgesetzt werden – entsprechende Behandlungszyklen bis zu 5 Tagen sind beschrieben. Bei einer lokalen Pharmakotherapie kann durch extremen Gefäßspasmus und ausgedehnte Kollateralisierung die Dilatationswirkung ausbleiben. Wenn sich Zeichen einer Peritonitis entwickeln oder sich unter der Infusion nicht zurückbilden, ist eine chirurgische Exploration indiziert. Die Papaverin-Infusion wird während und nach der Operation fortgesetzt. Eine Peritoneallavage mit warmer Kochsalzlösung (37°C) kann die Vasokonstriktion ebenfalls reduzieren. Offensichtlich nekrotischer Darm wird reseziert. Wenn die Operationsränder eindeutig vital sind, kann eine primäre Anastomose versucht werden, in allen anderen Fällen ist eine Exteriorisierung mit Anlage eines Split-Stomas zur Beurteilung der Vitalität im weiteren Verlauf angezeigt. Die Entscheidung für eine »Second-look-Operation« resultiert aus der fraglichen Vitalität während der initialen Operation. Das Zurücklassen fraglich vitalen Darmes kann ein späteres Kurzdarmsyndrom vermeiden, da der Darm häufig unter den supportiven Maßnahmen revitalisiert wird und bei der zweiten Operation vitale und nichtvitale Segmente eindeutiger identifiziert werden können. Die Entscheidung für eine »Second-look-Operation« erfolgt durch den Operateur und sollte aufrecht erhalten werden, unabhängig vom klinischen Verlauf in der unmittelbaren postoperativen Periode. Je nach Befund können als Zeitpunkt für die Reoperation 12, 24 oder 36 h postuliert werden. Bei Problemfällen erleichtert das Split-Stoma die Entscheidung. Mit diesem Algorithmus erzielten die Autoren eine Überlebensrate von 54% bei 26 Patienten, die im Vergleich zu der früheren Mortalität von 70–90% eine deutliche Verbesserung darstellt. Keiner der Überlebenden hatte mehr als 1,2 m Dünndarm verloren (Kaleya et al. 1992). Alle Patienten mit einer lokalisierten oder diffusen Peritonitis müssen unverzüglich laparotomiert werden. Dies ist in der Mehrzahl der Patienten der Fall (34 von 53 Patienten, Mayo-Klinik; Rhee et al. 1994). Bei Patienten mit Mesenterialarterienthrombose ist das proximale Jejunum in der Regel mitbeteiligt. Die operative Revaskularisation wird durch Thrombektomie, wenn
409 30.5 · Therapie
30
d
b
e
c
. Abb. 30.5a–e. Sonographisch nachgewiesene spontane Pfortaderthrombose zur Lyse. Im CT Darstellung einer mesenterikoportalen Thrombose (a). Wegen eindeutiger klinischer Unterbauchperitonitis und entsprechender Laborkonstellation Probelaparotomie. Dabei Nachweis einer ca. 30–35 cm langen ischämischen Ileumschlinge, einer segmentalen Ileumvenenthrombose und kompletten Mesenterialvenen- und Pfortaderthrombose (b). Daraufhin Resektion und Kathetereinlage (F5, Typ »multipurpose«) bis in den Pfortaderhilus und Beginn einer Urokinaselyse mit 125.000 Einheiten/h (c). Am 2. postoperativen Tag zusätzlich transjuguläre Pfortaderpunktion und Etablierung eines transhepatischen Pfortaderzuganges (TIPS-Zugang) zur kombinierten (Split-)Lyse mit jeweils 60.000 Einheiten Urokinase über beide Katheter (d). Beendigung der Lyse am 11. postoperativen Tag mit fast völliger Wiederherstellung der Mesenterialvenen- und Pfortaderperfusion (e)
410
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
möglich, oder durch einen Bypass realisiert. Die Optionen schließen einen aortoviszeralen Bypass mit Hilfe einer Polyesterfluoroethylenprothese oder der V. saphena entweder antegrad von der suprazöliakalen oder retrograd von der intrazöliakalen Aorta oder einen iliakomesenterischen Bypass ausgehend von der rechten oder linken A. iliaca ein. Das weitere Vorgehen entspricht dem bei der Embolie. Die Darmresektion wird auf das Nötigste beschränkt, die »Second-look-Operation« ist hier ebenfalls häufig indiziert. 30.5.2 Mesenterialvenenthrombose
30
Bei der akuten Mesenterialvenenthrombose ist in der Regel eine unverzügliche Antikoagulation notwendig. Wenn keine Peritonitis und keine Zeichen der Darmnekrose erkennbar sind, kann sich das weitere Vorgehen auf Antikoagulation beschränken. Diese muss in der Regel lebenslang weitergeführt werden. Wie bei der arteriellen Ischämie sind Antibiotika indiziert. Eine thrombolytische Therapie bei akuter Mesenterialvenenbzw. Pfortaderthrombose kann auf 3 Wegen durchgeführt werden: systemisch, regional oder portal-regional (Bilbao et al. 1995, 1999). Die systemische Thrombolyse birgt die Gefahr der generalisierten Blutungsneigung, der intrazerebralen Blutung und der schweren intestinalen Mukosablutung, sodass als systemische Therapie nur die indirekte Thrombolyse durch Heparinisierung zu empfehlen ist. Die regionale Thrombolyse kann im Rahmen einer Operation ermöglicht werden, indem über eine Mesenterialvene ein Katheter bis in den Stamm der V. mesenterica cranialis bzw. die Pfortader (Richter et al. 2001), evtl. kombiniert mit einem transjugulär-transhepatisch intraportal gelegten Katheter (TIPS-Weg), eingeführt wird (. Abb. 30.5). Erfolgreiche Einzelberichte liegen vor (Demertzis et al. 1994; Gabler et al. 1997; . Tab. 30.9). Die operative Thrombektomie bei Pfortaderthrombose mit regionaler Thrombolyse wird vereinzelt beschrieben (Demertzis et al. 1994). Der operative Zugang zur Thrombolyse hat sicherlich durch das interventionelle Verfahren der transjugulären, transhepatischen Katheterplatzierung in die Pfortader an Bedeutung verloren. Eine erfolgreiche Thrombektomie der VMS ist beschrieben worden; dies ist vermutlich nur zweckmäßig, wenn die Thrombose weniger als 3 Tage alt ist, da die meisten Patienten eine dif-
fuse venöse Thrombose mit distaler Extension, die nicht durch Thrombektomie behandelt werden kann, aufweisen. Bei Bestätigung der Diagnose einer Mesenterialvenenthrombose erst intraoperativ kann über einen lokal gelegten Katheter eine lokale Thrombolyse erfolgen. Ist dies nicht möglich, ist eine Antikoagulation unmittelbar intraoperativ angezeigt. 30.5.3 Andere Maßnahmen Eine Kurzzeitlyse ist bei allen Formen der mesenterialen Gefäßverschlüsse nur selten angezeigt, sie sollte nur bei jungen Patienten ohne peritonitische Zeichen mit Hinweis auf Verschlüsse peripherer Gefäße erwogen werden. Die Gabe von Prostaglandin E1 (Bolus 20 µg, dann 60 µg/h Dauerinfusion) wird als Alternative zur Papaverin-Infusion diskutiert (Lock u. Schölmerich 1995). 30.5.4 Chronische mesenteriale Ischämie Im Gegensatz zur akuten mesenterialen Ischämie spielt bei der chronischen Form der Faktor Zeit bei Diagnose und Therapie nur eine untergeordnete Rolle. Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung des mesenterialen Blutflusses und damit die Beseitigung intestinaler Symptome und die Prophylaxe eines Mesenterialinfarkts. Viele Patienten haben vor Diagnosestellung bereits erheblich an Gewicht verloren und befinden sich in einem reduzierten Allgemeinzustand. Präoperativ sollte auf eine ausreichende Hydrierung, ggf. auf eine intravenöse Ernährung geachtet werden. Für den Therapieerfolg ist eine möglichst vollständige mesenteriale Revaskularisation entscheidend.
Als chirurgische Methoden der Wahl gelten ein antegrader aortomesenterischer Bypass oder die transaortale mesenteriale Entarterektomie.
Die perkutane transluminale Angioplastie der AMS weist technische Erfolgsraten von 79–100% auf, der klinische Erfolg variiert von 63–100%. Die Fallzahlen der vorliegenden Untersuchungen sind allerdings mit 2–23 sehr klein. Die Rezidivraten liegen bei
. Tabelle 30.9. Regionale interventionelle Lyse bei Mesenterialvenenthrombose bei 3 Patienten
Alter
Grund/Begleiterkrankung
Symptomatik
Zugang
Lysedauer
Primärergebnis
6-MonateErgebnis
68 m
Thrombozytose, geringes stumpfes Bauchtrauma vor 20 Jahren (Traktorunfall)
8 Tage, lokale Unterbauchperitonitis
Operativ + TIPS nach 2 Tagen
10 Tage
80–90% Rekanalisation (geringe Restthromben)
Geringe Restthrombose in den Seitenästen
28 w
Sphärozytose, 18. postoperativer Tag nach Splenektomie
Diffuse abdominelle Schmerzen ohne Abwehrspannung
TIPS
11 Tage
90–95% Rekanalisation (minimale Restthromben)
Freies Pfortadersystem
46 w
Thrombozytose, Heparin induzierte Thrombopathie (HIT)
Diffuse abdominelle Schmerzen ohne Abwehrspannung
TIPS
9 Tage
100% Rekanalisation, aber Reverschluss nach 2 Wochen: erfolgreiche Relyse
Freies Pfortadersystem, Vernarbungszonen in der Leber
30
411 30.5 · Therapie
. Abb. 30.6. Vorgehen bei Verdacht auf mesenteriale Ischämie
Anamnese Arrhythmie Herzinsuffizienz Infarkt AVK Thromboseneigung
Klinik Schmerzen Durchfall Erbrechen
Labor Leukozytose met. Azidose Hypokaliämie
Verdacht auf Mesenterialischämie Intensivtherapie Magensonde Flüssigkeit Elektrolyte NaHCO3
Röntgen Nativ / Sonographie
Mesenterikographie
Funktionelle Ischämie
Embolie / Thrombose
Papaverin i.a. Kalziumantagonisten
Laparotomie
0–67%, die Nachbeobachtungszeit schwankt ebenfalls weit mit 7–27 Monaten (Brandt u. Boley 2000). Eine längerfristige Antibiotikatherapie zur Verhinderung einer bakteriellen Translokation ist wiederholt empfohlen worden; bislang liegen keine klinischen Daten zur Effizienz einer solchen Maßnahme vor, die sich nur auf experimentelle Studien stützt. 30.5.5 Klinische Probleme und Schlussfolgerungen Eine retrospektive Serie von 57 Patienten mit akuter mesenterialer Ischämie in einem schottischen Lehrkrankenhaus zeigte, dass nur 32% der Patienten eine korrekte Diagnose vor Operation oder Tod erfuhren (Mamode et al. 1999). Das Überleben lag mit 19%
erschreckend niedrig, die Mortalität war verglichen mit Patienten der vorangegangenen 12 Jahre unverändert. Der entscheidende Weg zu einem besseren Überleben ist eine schnelle Diagnose. Je kürzer das Intervall zwischen ersten Symptomen und Behandlungsbeginn ist, umso besser ist das Ergebnis (. Tab. 30.8). Lediglich bei einem Operationsbeginn innerhalb von 12 h ist bei Patienten mit embolischem Verschluss mit einer hohen Überlebensrate zu rechnen (Inderbitzi et al. 1990). . Abb. 30.6 zeigt ein standardisiertes Vorgehen bei Verdacht auf mesenteriale Ischämie. In . Tab. 30.10 werden klinische Kriterien, Diagnoseverfahren und Therapie zusammengefasst. Der in den Anfangsstadien der mesenterialen Ischämie häufig noch weitgehend blande klinische Untersuchungsbefund kann den erstuntersuchenden Arzt in falsche Sicherheit wiegen. Darüber hinaus besteht bei den häufig multimorbiden Patienten,
. Tabelle 30.10. Klinische Kriterien der verschiedenen Formen der akuten mesenterialen Ischämie
Prädisposition
Leitsymptom
Definitive Diagnosestellung
Therapie
Mesenterialarterienembolie
Herzrhythmusstörungen, Zustand nach Myokardinfarkt, Aortenaneurysma
Plötzlich auftretend heftige Bauchschmerzen
Angiographie, (Computertomographie)
Embolektomie; Resektion von infarziertem Darm
Mesenterialarterienthrombose
Generalisierte Atherosklerose
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen
Angiographie, Computertomographie
Operative Revaskularisation; Resektion von infarziertem Darm
Nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI)
Linksherzinsuffizienz, ausgeprägte Hypotonie, Hypovolämie, Anämie, vasokonstriktorische Medikation
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen, aufgetriebenes Abdomen
Angiographie
Papaverin; Resektion von infarziertem Darm
Mesenterialvenenthrombose
Hyperkoagulabilität, portale Hypertonie, entzündliche intraabdominelle Erkrankungen, postoperativ
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen
Duplexsonographie, Computertomographie, (Angiographie)
Darmresektion + Heparin; evtl. Thrombektomie; in Einzelfällen nur Heparin oder Thrombolyse
412
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
Stabilisierung des Patienten, Korrektur prädisponierender oder präzipitierender Faktoren
Rö Abdomen Übersicht Andere Ursachen
Anamnese einer TVT oder familiäre Hyperkoagulabilität
30
ja
nein
KM CT
Peritonitische Zeichen
Materialvenenthrombose
ja
nein
Laparatomie
Angiographie/KM CT
Pathologisch
Arterielle Ischämie
Normal
Keine persist. peritonitischen Zeichen
Persist. peritonitischen Zeichen
beobachten
Laparotomie
. Abb. 30.7. Diagnostik der akuten mesenterialen Ischämie (modifiziert nach den Richtlinien der American Gastroenterological Association)
insbesondere bei NOMI, eine gewisse Hemmschwelle, sie einer invasiven Diagnostik zuzuführen. Es kann jedoch nur immer wieder betont werden, dass bloßes Abwarten und Kontrollieren in aller Regel gleichbedeutend mit dem Tod des Patienten ist. Einfache und nichtinvasive Untersuchungsverfahren mit hoher Aussagekraft gibt es bis heute nicht. Der Kliniker muss daher anhand der vorhandenen, oft genug widersprüchlichen Informationen aus Anamnese, Befund, unspezifischen Laborparametern und bildgebenden Verfahren die Entscheidung treffen, ob er zur Sicherung (oder zum Ausschluss) einer mesenterialen Ischämie eine CT und/oder Angiographie durchführen lässt oder nicht. Die folgenden 5 Grundsätze sollten als Entscheidungshilfe verstanden werden. 4 Ähnlich wie beim Myokardinfarkt gibt es auch für den Mesenterialinfarkt ein bestimmtes Risikoprofil, das das Vorliegen einer mesenterialen Ischämie wahrscheinlich macht. 4 Typisch für das Frühstadium der akuten mesenterialen Ischämie ist ein Missverhältnis zwischen der erheblichen Beschwerdeangabe des Patienten und dem relativ unauffälligen abdominellen Untersuchungsbefund. Bei akuten, heftigen, anderweitig nicht erklärbaren Bauchschmerzen muss immer auch an eine mesenteriale Ischämie gedacht werden. 4 Pathologische Laborwerte, wie eine sonst nicht zu erklärende Leukozytose, eine metabolische Azidose oder ein erhöhter Laktatwert, können als Hinweis auf eine mesenteriale Ischämie insbesondere bei Intensivpatienten gedeutet und
als Argument für eine angiographische Klärung verwendet werden. Das Fehlen solcher Laborparameter schließt eine mesenteriale Ischämie niemals aus. 4 Die Angiographie als invasive Untersuchung kann zu Komplikationen führen, diese sind jedoch selten. Bei Patienten, bei denen eine mesenteriale Ischämie möglich erscheint, überwiegt der Nutzen einer frühen Angiographie deutlich die damit verbundenen Risiken. Zu rechtfertigen sind nicht die Angiographien, die veranlasst wurden, sondern die, die man unterlassen hat. 4 Bei begründetem Verdacht auf eine akute mesenteriale Ischämie sollten vor der Angiographie zunächst orientierend und möglichst zügig andere in Frage kommende Erkrankungen ausgeschlossen werden, was aufgrund der vielfältigen differenzialdiagnostischen Möglichkeiten (7 Kap. 30.4.6) manchmal schwierig sein kann. Hier spielt heute die CT eine dominierende Rolle. Der wesentliche Grund für die häufige Verkennung der chronischen mesenterialen Ischämie ist die Tatsache, dass bei der oft uncharakteristischen und vieldeutigen Symptomatik zu selten an dieses Krankheitsbild gedacht wird. Die diagnostische Abklärung ist bei einer bewussten Einbeziehung dieser Differenzialdiagnose aber deutlich einfacher als die der akuten mesenterialen Ischämie, da eine geplante abgestufte Diagnostik möglich ist. Die zunehmende Verbreitung der Duplexsonographie und die Erarbeitung valider Kriterien für eine Mesenterialgefäßstenose (Moneta et al.
413 30.6 · Literatur
1991) könnten dieses Verfahren in Zukunft als Screening-Untersuchung anwendbar werden lassen. Bei arteriellen Verschlüssen steht die Thrombektomie bzw. Embolektomie absolut im Vordergrund, gefolgt von der Antikoagulation. Bei venösen, portalen und mesenterialen Thrombosen kann eine direkte Antikoagulation durchgeführt werden. Die lokale portale bzw. mesenteriale Thrombolyse kann interventionell über einen transjugulär-transhepatischen intraportalen Katheter (TIPS-Weg) oder operativ über einen in eine Mesenterialvene gelegten Katheter erfolgen.
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30
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31 31
Dünndarmtransplantation F. Braun, K.-P. Platz, F. Fändrich, A.R. Müller
31.1
Indikationsstellung
31.2
Evaluierung des Empfängers – 417
31.3
Transplantationstechnik – 419
31.4
Perioperatives Management – 423
31.5
Postoperatives Management – 423
31.6
Ergebnisse und Ausblick Literatur
– 427
– 416
– 427
416
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
) )
31
Die Dünndarmtransplantation (DTx) ist eine noch junge Technik, die bei Patienten mit Kurzdarmsyndrom und Komplikationen der totalen parenteralen Ernährung (TPN) indiziert ist. Das International Intestinal Transplant Registry (IITR) erfasste weltweit bislang 989 DTx bei 923 Patienten. Während der vergangenen 2 Jahre führten 28 der 61 registrierten Programme mindestens eine DTx durch. Die aktivsten Programme mit über 15 DTx pro Jahr sind das Thomas E. Starzl Transplantation Institute in Pittsburgh, die University of Miami School of Medicine und das University of Nebraska Medical Center in Omaha. Die Anzahl der DTx stieg seit 1985 mit der Einführung des Immunsuppressivums Tacrolimus kontinuierlich an und überschritt 2001 erstmals 100 DTx pro Jahr. Von den 989 Transplantation erfolgten 43,8% als isolierte DTx, 39,0% als kombinierte Leber-und Dünndarmtransplantation (LDTx) und 17,2% als multiviszerale Transplantation (MTx). Die Mehrzahl der Empfänger waren Kinder (61%). Die hohe Anzahl kombinierter LDTx war durch eine fortgeschrittene cholestatische Lebererkrankung mit Fibrose oder Zirrhose als Folge der total parenteralen Ernährung bedingt. Der gegenwärtige Trend bei der DTx geht in Richtung isolierte DTx. Dieses setzt eine frühere Indikationsstellung vor Ausbildung schwerwiegender TPN-assoziierter Komplikationen (z. B. Leberzirrhose) voraus, wodurch zukünftig kombinierte Transplantationen vermieden werden könnten.
31.1
Indikationsstellung
Die DTx ist bei Patienten mit einem irreversiblen Verlust der Dünndarmfunktion und Komplikationen der total parenteralen Therapie indiziert (Benedetti et al. 2003; Fishbein et al. 2003; Grant et al. 2005). Die häufigste Ursache hierfür stellt das Kurzdarmsyndrom, das eine Inzidenz von 2–5 Patienten pro Millionen Einwohner pro Jahr aufweist (Koffeman et al. 2003). Die Mortalität beim Kurzdarmsyndrom des Erwachsenen liegt bei 15–47% und ist abhängig von dem Patientenalter, der Grunderkrankung und der Dauer der TPN (Schalamon et al. 2003). Die Therapie der ersten Wahl ist gegenwärtig die TPN, die jedoch mit einer Vielzahl von Komplikationen assoziiert ist und ein 5-Jahres-Patientenüberleben von 60–67% aufweist (Scolapio et al. 1999; van Gossum et al. 1999; Pironi et al. 2003). Die Gabe von Wachstumshormonen, die Wiederherstellung der gastrointestinalen Kontinuität, Resektion von dysmotilen oder strikturierten Dünndarmsegmenten, rezirkulierende Loops oder reverse Segmente, Bianchi-Prozedur und serielle transverse Enteroplastik (STEP) sind alternative Techniken, die überwiegend frühzeitig bei pediatrischen Patienten eingesetzt werden (Panis et al. 1997; Bianchi et al. 1999; Carlson et al. 2003; Kim et al. 2003; Buchman et al. 2004; Wales et al. 2005).
Die DTx stellt derzeit die einzige kurative Therapie für Patienten mit einem irreversiblen Kurzdarmsyndrom dar.
Bei einer Restdünndarmlänge von 40–60 cm, einem intaktem Duodenum und einem Kolonsegment ist meist von einem irreversiblen Funktionsverlust auszugehen (Gouttebel et al. 1986; Dudrick et al. 1991; Byrne et al. 1995). Das Risko für eine progres-
sive cholestatische Lebererkrankung (CLD) ist bei einer residualen Restdünndarmlänge von weniger als 100 cm postduodenalem Jejunum, Jejunostoma und Verlust der Ileozökalklappe oder des Zökums erheblich erhöht (Fryer et al. 2001). Dennoch sollte bei Kurzdarmpatienten ein Zeitintervall von ca. 6–12 Monaten eingehalten werden, bevor von der Notwendigkeit einer lebenslangen TPN-Abhängigkeit ausgegangen werden kann (Goulet et al. 1998; Azuma et al. 1998). Verschiedene Erkrankungen können zum TPN-pflichtigen Kurzdarmsyndrom führen und stellen eine Indikation zur DTx dar. Prinzipiell werden nur Patienten mit benignen Erkrankungen transplantiert. In mehr als 10 % der bisher transplantierten Patienten lag jedoch eine maligne Grunderkrankung (z. B. Desmoidtumor) vor, die im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden muss. Die Indikationen zur DTx unterscheiden sich bei pädiatrischen und adulten Empfängern (. Tab. 31.1). . Tabelle 31.1. Indikationen zur DTx bei Kindern und Erwachsenen (Grant et al. 2005; ITTR 2005)
Grunderkrankung
%
Kinder Gastroschisis
21
Volvulus
17
Nekrotisierende Enterokolitis
12
Pseudoobstruktion
9
Intestinale Atresie
8
Retransplantation
8
Aganglionose, M. Hirschsprung
7
Mikrovillus-Inklusion
6
Malabsorption
4
Kurzdarmsyndrom anderer Ursachen
4
Andere Ursachen
4
Motilitätsstörungen anderer Ursachen
2
Tumoren
1
Erwachsene Intestinale Ischämie
23
M. Crohn
14
Trauma
10
Desmoidtumor
9
Motilitätsstörung
8
Volvulus
7
Kurzdarmsyndrom anderer Ursache
7
Retransplantation
6
Andere Ursachen
5
Andere Tumoren
4
Gardner-Syndrom
3
417 31.2 · Evaluierung des Empfängers
Indikationszeitpunkt. Die verbesserten Patienten- und Trans-
plantatüberlebensraten haben die DTx aus der Etablierungsphase in eine vermehrte klinische Anwendung geführt (Grant et al. 2005). In einigen Zentren erreichen die 3-Jahres-Patientenüberlebensraten nach DTx 73–88% (Fishbein et al. 2003; Farmer et al. 2004). Aufgrund der frustranen Ergebnisse nach DTx in der Vergangenheit und der relativ guten Lebensqualität unter TPN bis zum Eintreten schwerwiegender Komplikationen erfolgte die Zuweisung zur Transplantation bislang relativ spät und oftmals als ultima ratio (Grant et al. 1996). Der Zeitpunkt für die Indikation zur DTx sollte so gewählt werden, dass diese vor der Ausbildung schwerwiegender Komplikationen erfolgt. Zu diesen gehören insbesondere die progressive CLD, rezidivierende Infektionen und Thrombosen zentralvenöser Katheter, der Verlust des venösen Zuganges, schwerwiegende Elektrolytentgleisungen mit Nierenversagen, systemische Mykosen, Osteoporose und Frakturen. Annähernd 90% der auf der Warteliste zur DTx verstorbenen Patienten waren für eine kombinierte LDTx gelistet und die häufigste Todesursache war eine Sepsis (Horslen et al. 2004). Die Mortalität auf der Warteliste erreicht bei pediatrischen Patienten bis zu 53% (Fecteau et al. 2001).
31
4 Manifeste Alkoholkrankheit, Drogenabusus 4 Fehlende Compliance Zu den relativen Kontraindikation gehören: 4 Intestinale maligne Tumoren 4 CMV Risikokonstellation (CMV-positiver Spender, CMVnegativer Empfänger) 4 Positives Crossmatch (hier sollte nicht transplantiert werden!) 4 Anamnestisch systemische Mykose (Candida, Aspergillus, Cryptococcus) Die Zytomegalie-Virus (CMV)-Erkrankung und insbesondere die CMV-Enteritis stellt eine der meist gefürchteten Komplikationen nach Dünndarmtransplantation dar. Daher sollten CMVnegative Empfänger, häufig Kinder, immer CMV-negative Organe erhalten. Ein negatives Crossmatch ist immunologisch günstiger, da bei positivem Crossmatch der Reperfusionsschaden durch die Präsenz zytotoxischer Antikörper größer ist und in diesem Fall eine intensivere Immunsuppression erforderlich ist (Todo et al. 1992a). 31.2
Evaluierung des Empfängers
Kontraindikationen. Diese sind identisch mit denen anderer
Organtransplantationen. Zu den absoluten Kontraindikationen zählen: 4 Nicht kontrollierte schwere Infektion, Pneumonie, Sepsis, Multiorganversagen 4 Metastasierende maligne Erkrankungen 4 Fortgeschrittene kardiopulmonale Erkrankungen 4 HIV, AIDS
Die Evaluierung beinhaltet laborchemische, mikrobiologische, apparative und konsiliarische Untersuchungen, die zur Indikationsstellung, der Kalkulation des individuellen Risikos, zum Ausschluss von Kontraindikationen und der präzisen Planung der operativen Strategie in Bezug auf die Rekonstruktion der gastrointestinalen Integrität und der Gefäßanastomosen benötigt werden (. Tab. 31.2).
. Tabelle 31.2. Übersicht über die Phasen bei der Evaluation zur DTx Phase 1
Erstvorstellung
Anamnese, körperliche Untersuchung, Arztbriefe und Operationsberichte
Phase 2
Routinelabor
Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten), Gerinnung (Quick, INR, PTT, ATIII), Elektrolyte (Na, K, Ca, Mg, P, Cl), Substrate (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Glukose, Bilirubin, Laktat, Ammoniak), Enzyme (AST, ALT, AP, GGT, CK, LDH, GLDH, CHE, Lipase), Proteine (Gesamtprotein, Albumin, C-reaktives Protein, Cholesterin, Triglyzeride), Blutgasanalyse, Urinstatus und Urinsediment
Serologie
HAV (anti-HAV), HBV (HBsAg, HBeAg, HBcAg, anti-HBs), HCV (anti-HCV), HIV (anti-HIV), HSV (anti-HSV), CMV (anti-CMV), EBV (anti-EBV)
Immunologie
ABO-Blutgruppe, irreguläre Antikörper, humanes Leukozytenantigen (HLA)-Typisierung, kreuzreaktive Antikörper (PRA), anti-HLA Antikörper
Spezifische Bluttests
Hormonstatus1 (TSH, T3, T4), Spezialgerinnunga (APC-Resistenz, Protein C und S, Gerinnungsfaktoren), Tumormarkera (AFP, CEA, CA 19–9, CA 125), intestinale Enterozytenmasse1 (Citrullin-Test)
Apparative Diagnostik
EKG, Echokardiographie, Röntgenthorax, Lungenfunktionstest, extrakranielle Duplexsonographie, abdomineller Ultraschall, abdominelle Magnetresonanzangiographie (MRA), Sellink-Intestinographie, DXA-Knochendichtemessung
Apparative Zusatzdiagnostik
Stress-EKGa, MR-Intestinographiea
Invasive Diagnostik
Koronarangiographiea, Zöliakomesenterikographiea, Duodenogastroskopiea, Koloskopiea, Nierenbiopsiea, Leberbiopsiea
Konsile
Neurologie, Kardiologie, Gastroenterologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Zahn-Mund-Kieferchirurgie, Urologie, Gynäkologie und Psychosomatik
Indikationsstellung
Interdisziplinäre Transplantationskonferenz
Phase 3
Phase 4
a
fakultative Untersuchungen
418
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
31
. Abb. 31.1. Komplikationen der total parenteralen Therapie bei Patienten mit Kurzdarmsyndrom
Das individuelle Risikoprofil wird durch die Grunderkrankung, die Begleiterkrankungen und insbesondere durch die Komplikationen der TPN bestimmt (. Abb. 31.1). Zu diesen gehören rekurrente Komplikationen des zentralvenösen Zuganges wie Infektion und Thrombose (Terra et al. 2000; O’Keefe 1994), Verlust des venösen Zuganges (Braun et al. 2004; Selvaggi et al. 2005; . Abb. 31.2), Lebererkrankungen wie Cholezystolithiasis, Steatosis, CLD, Firbose und Zirrhose (Nightingale et al. 2003), Nierenfunktionsstörungen wie Nephrolithiasis, akutes und chronisches Nierenversagen (Banarjee et al. 2002), Osteopenie/-porose und Frakturen (Lopez et al. 2000; Klein et al. 1998) und rekurrente bakterielle und mykotische Infektionen mit Pneumonie und Sepsis (O’Keefe et al. 1994; Terra et al. 2000). Das Risiko einer CLD steigt mit der TPN-Dauer und ist bei Ausbildung einer Fibrose irreversibel (Iyer et al. 2004). Eine Bilirubinkonzentration >3 mg/dl zum Zeitpunkt der Evaluation ist prognostisch ungünstig (Bueno et al. 1999). Das Frühstadium einer CLD ist nach erfolgreicher isolierter DTx potenziell reversibel (Iyer et al. 2004). Eine Leberbiopsie ist zum histologischen Ausschluss einer Leberfibrose oder Zirrhose notwendig, da deren Nachweis eine Indikation zur kombinierten LDTx darstellt (Fryer et al. 2001; Horslen et al. 2004). Die zentralvenösen Zugänge stellen bei TPN-Patienten eine bedeutende Infektionsquelle dar und sollten immer in die präoperativen mikrobiologischen Untersuchungen miteingeschlossen werden. Das Risiko von zentral venösen Katheterinfektionen ist bei einer residualen Dünndarmlänge von weniger als 50 cm erheblich erhöht (Terra et al. 2000). Die durchschnittliche ZVK-
Infektionsrate liegt bei 0,37 Infektionen pro Patientenjahr und die Infektionen führen meist zur Sepsis (Buchman et al. 1994). Insbesondere sollten systemische Mykosen unter TPN eruiert werden, da TPN-Patienten trotz erfolgreicher antimykotischer Therapie dauerhaft Fremdmaterial (zentralvenöser Katheter) in der Blutbahn haben, von dem nach Transplantation eine Streuung ausgehen kann. Bei einer mesenterialen Ischämie ist eine Diagnostik hinsichtlich Vorhofflimmern und Koagulopathie notwendig, die eine spezifische Therapie erfordern und ggf. lebenslange Antikoagulation erfordern. Die Kurzdarmpatienten weisen oftmals eine eingeschränkte Nierenfunktion durch Alterationen der renalen Tubulusfunktion und Creatinin-Clearance, stomale Salz-, Flüssigkeits- und Bikarbonatverluste und Hyperoxalurie auf. Oftmals liegt ein rekompensiertes Nierenversagen nach Urosepsis, Dehydration und medikamenteninduzierter Nephrotoxizität vor (Banerjee et al. 2002; Boncompain-Gerard et al. 2000; Buchman et al. 1993). Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz besteht die Indikation zur simulatanen Nieren- und Dünndarmtransplantation. Die TPN kann zum Auftreten eines Diabetes mellitus führen. Ferner werden häufig erhöhte Gastrinspiegel aufgrund fehlender inhibierender Peptide beobachtet. Ein ZollingerEllison-Syndrom ist selten, sollte jedoch ggf. ausgeschlossen werden.
419 31.3 · Transplantationstechnik
a
b
c
d
. Abb. 31.2a–d. Verlust der venösen Zugangsmöglichkeiten zur TPN bei einer Kurzdarmpatientin nach multiplen zentralvenösen Kathetern. Die Patientin verstarb 522 Tage nach erfolgreicher Dünndarmtransplan-
Bis zur Transplantation sollte auch bei kurzem Darm dieser enteral ernährt werden, um eine Fehlbesiedelung und Zottenatrophie zu verhindern. Darüber hinaus kann die Darmflora mittels der Gae von Laktobazillen günstig beeinflusst werden. Eine frühzeitige psychosomatische Begleitung der potenziellen Empfänger ist hilfreich, da die Patienten aufgrund der oftmals langen und komplizierten Krankengeschichte an Depressionen leiden.
31.3
Transplantationstechnik
Vorbereitung des Spenders. Der Spender erhält Laktobazillen (ca. 15 g) über die Magensonde sowie eine niedrigdosierte (ca. 25 ml/h) enterale Ernährung mit Immunonutrition. Spenderoperation. Bei der Multiorganentnahme ist auf eine schonende Behandlung des Dünndarmes sowie kurzzeitige Kompromittierung des venösen Abflusses bei der Präparation des Kolons aus dem Retroperitoneum zu achten. Nach Präparation der Leber erfolgt die Durchtrennung des Lig. gastrocolicum sowie die Ligatur der A. und V. gastica breves. Magen und Omentum
31
tation an einer foudroyanten Aorten- und Mitralklappeninsuffizienz auf dem Boden einer Endokarditis, die auf die zahlreichen Katheterinfektionen zurückzuführen war
werden nach kranial verlagert. Es erfolgt die Präparation von Milz und Pankreas aus dem Retroperitoneum (. Abb. 31.3), die Durchtrennung des Darmes aboral des Treitz-Ligaments sowie die Präparation der A. und V. mesenterica superior, die Ligatur der Gefäße des oberen Jejunums, der A. und V. colica dextra sowie media stammnah und die Durchtrennung des Mesokolon. Falls keine Pankreasentnahme erfolgt, werden die zum Pankreas ziehenden Gefäße ligiert (. Abb. 31.4). In jedem Fall sollte eine vollständige Darstellung von A. und V. mesenterica superior im Bereich der Mesenterialwurzel bis zum Pankreasoberrand erfolgen. Letzter Schritt gilt nicht für die kombinierte Leber-PankreasDünndarmentnahme. Hier werden alle drei Organe »en bloc« entnommen. Perfusion. Diese erfolgt über die Aorta. Nach Kanülierung der
Portalvene wird diese kaudal komplett durchtrennt, um einen freien Ausfluss aus der Mesenterialvene zu gewährleisten. Bei kombinierter Leber-Dünndarm-Transplantation wird über die V. mesenterica inferior perfundiert, um den Konfluenz von V. mesenterica superior in die V. portae intakt zu lassen. Nach arterieller Perfusion von 500 ml University of Wisconsin (UW)Lösung sollte die A. mesenterica direkt an der Aorta mit der Femoralisklemme oder manuell vorsichtig verschlossen werden. Eine übermäßige Perfusion des Darmes (> 1 l) kann die mukosale
420
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
. Abb. 31.3. Spenderoperation: Das Lig. gastrocolicum ist gespalten, Milz und Pankreasschwanz aus dem Retroperitoneum gelöst, die Mesenterialwurzel wird sichtbar. A. und V. colica dextra und media sind stammnah abgesetzt
V. cava
V. portae A. lienalis
Truncus coeliacus A. gastro duodenalis
A., V. renalis
31
A. lienalis
A. pancreaticoduodenalis
V. mesenterica superior A. colica media und dextra
A. mesenterica superior
. Abb. 31.4. Spenderoperation: Das Jejunum ist hinter dem Treitz’schen-Ligament durchtrennt und die Mesenterialgefäße freipräpariert
V. portae
Truncus coeliacus A. lienalis A. mesenterica superior A. lienalis sinistra A. pancreatico-duodenalis
V. lienalis V. pancreatico-duodenalis A., V. colica media
A., V. colica dextra
31
421 31.3 · Transplantationstechnik
. Abb. 31.5. Empfängeroperation: Rekonstruktion von A. und V. mesenterica superior; A. mesenterica superior auf die infrarenale Aorta direkt oder mittels A.-iliaca-Interponat und V. mesenterica superior retropankreatisch End-zu-Seit auf die V. portae
Leber
A. hepatica
Portalvene (E)
Truncus coeliacus (E)
Truncus coeliacus (E)
D. choledochus (E)
A. lienalis
V. cava
V. mesenterica inferior (E)
V. renalis
A. mesenterica superior (S)
V. portae (S)
V. mesenterica superior (E) V. mesenterica superior (S)
Mikrovaskulatur erheblich schädigen. Dies führt nach Reperfusion zum Verlust der Villusepithelien (Mueller et al. 1994; Mueller et al. 1996; Todo et al. 1992a, Braun et al. 2004).
Vor Entnahme wird der Dünndarm mittels GIA im Bereich des proximalen Jejunums und des terminalen Ileums durchtrennt. Auf eine Perfusion des Darmlumens wird wegen der hierdurch bedingten deutlichen Schädigung der mukosalen Mikrovaskulatur verzichtet (Mueller et al. 1994; Mueller et al. 1996; Todo et al. 1992a). Nach Ligatur der V. lienalis wird die Portalvene in ganzer Länge bis zur Durchtrennung im Hilusbereich entnommen (. Abb. 31.4).
Empfängeroperation. Die Transplantation sollte so schnell wie möglich erfolgen. Die angestrebte kalte Ischämiezeit des Transplantates sollte 4–6 h nicht überschreiten. Je nach Voroperationen muss das operative Vorgehen häufig modifiziert werden. Dies gilt auch für die kombinierte Leber-Dünndarm-Transplantation. Die Anastomosierung der A. mesenterica superior erfolgt meistens direkt oder mittels Iliakainterponat auf die infrarenale Aorta. Die Anastomosierung der Portalvene (oder V. mesenterica superior) des Spenders erfolgt, wenn möglich, auf die Portalvene des Empfängers (End-zu-Seit; . Abb. 31.5). Falls eine gutkalibrige V. mesenterica superior unterhalb des Pankreas zu finden ist, kann diese ebenfalls zur Anastomosierung dienen (. Abb. 31.6). Die V. cava sollte wegen der negativen Auswirkungen metabolischer und immunologischer Art (portokavaler Shunt) vermieden werden. Bei der venösen Anastomose ist besonders auf einen weiten, uneingeschränkt freien Abfluss des Mesenterialvenenblutes des Transplantates in die V. portae des Empfängers zu achten, da eine venöse Stase den Reperfusionsschaden erheblich verstärken würde und u. U. zum frühen Transplantatversagen führen könnte.
Die Anastomosierung des Darmes erfolgt proximal Endzu-End. Ist dies wegen der Kürze des verbliebenen Duodenums des Empfängers technisch nicht möglich, kann die Anastomose auch in Seit-zu-Seit-Technik erfolgen (. Abb. 31.6). Zur enteralen Ernährung kann ein Jejunalkatheter in das Transplantat eingenäht und durch die Bauchdecken ausgeleitet werden. Alternativ kann der Patient über eine Trilumensonde ernährt werden. Das distale Ende des Transplantates wird mittels Ileostoma durch die Bauchdecken ausgeleitet, wobei die intestinale Kontinuität zum Kolon (End-zu-Seit) direkt hergestellt wird (. Abb. 31.6). Dies erleichtert später den Verschluss des Ileostomas. Bei kombinierter Leber-Dünndarm-Transplantation sollte die Kontinuität des Mesenterialvenenblutes erhalten bleiben (. Abb. 31.7). Die abgesetzte Pfortader des Empfängers wird hier End-zu-Seit in die Spenderpfortader implantiert. Die Transplantation des Kolons zur Reduktion von Diarrhöen hat sich nicht bewährt, da dies im Rahmen von Abstoßungen zu einer erheblichen Steigerung des Risikos von letalen septischen Komplikationen führt (Todo et al. 1994). Die Dünndarmtransplantation unter Einschluss der Ileozökalregion wird erfolgreich durchgeführt. Lebendspende. Die Rolle der Lebendspende-DTx wird bei der isolierten Transplantation kontrovers diskutiert, da diese gegenwärtig gegenüber der postmortalen Spende keinen wesentlichen Vorteil bezüglich der Verfügbarkeit eines Spenderorgans darstellt, ähnliche Patienten- und Transplantatüberlebensraten aufweist und bei der kombinierten LDTx ein erhebliches gesundheitliches Risiko für den Spender darstellt. Die Vorteile der Verwandten-Lebendspende sind ein besseres HLA-Match, eine kürzere kalte Ischämiezeit und die Möglichkeit zur Durchführung immunmodulatorischer Strategien (Fryer u. Angelos 2004). Bei der Entnahmeoperation werden 150–200 cm Ileum 20 cm proximal der Ileozökalklappe, die immer erhalten wird, entnom-
422
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
. Abb. 31.6. Empfängeroperation: Interposition des Spenderdünndarmes mit End-zu-End-Anastomose des Jejunums, End-zu-Seit-Anastomose des terminalen Ileums mit dem Kolon und Ileostomaanlage. Bei gutkalibriger Empfänger-V.-mesenterica-superior kann die venöse Anastomose auch am Pankreasunterrand er folgen
Pankreas
Pankreas V. mesenterica superior (E)
Treitz-Ligament Jejunum (E)
V. mesenterica superior (S)
Aorta A. mesenterica superior (S)
V. cava
31
Jejunum (S)
Ileostoma (S)
Kolon (E)
. Abb. 31.7. Kombinierte Leber-Dünndarm-Transplantation. Die venöse Achse zwischen V. mesenterica superior und Pfortader bleibt erhalten. Die Empfängerpfortader wird End-zu-Seit in die Spenderpfortader implantiert
Portalvene (S) Portalvene (E) Pankreaskopf und Duodenum mobilisiert D. choledochus (S) Truncus coeliacus (E) Truncus coeliacus (S)
V. mesenterica superior (S)
A. mesenteria superior (S)
Kolon (E)
423 31.5 · Postoperatives Management
men (Testa et al. 2004). Vor der Resektion des Ileumsegmentes wird der gesamte Spenderdünndarm ausgemessen werden, damit gewährleistet ist, dass 60% des Dünndarmes beim Spender verbleiben (Testa et al. 2004). Die arterielle Versorgung des Transplantates erfolgt über die terminalen Äste der A. mesenterica superior und der venöse Abfluss über ein proximales Segment der V. mesenterica superior bzw. A. und V. Ileocolica, die an die infrarenale Aorta und V. cava End-zu-Seit anastomosiert werden (Testa et al. 2004; Cicalese et al. 2001). 31.4
Perioperatives Management
Ein bei der Prämedikation eingelegter Epiduralkatheter verbessert die Durchblutung der viszeralen Organe und verringert den postoperativen Bedarf an Opiatanalgetika. Perioperativ wird ein intensiviertes Kreislaufmonitoring durchgeführt. Nach Reperfusion ist besonders auf gute Blutdruckverhältnisse sowie ein hohes Herzzeitvolumen zu achten, da dies den Reperfusionsschaden vermindert. Der Volumenbedarf ist in den ersten Stunden nach Reperfusion mit Augenmaß zu steuern, da es zu Flüssigkeitsverschiebungen sowie zum Verlust von Albumin und Proteinen 4 in das Darmlumen (hohe Mukusproduktion), 4 in das lymphatische System und 4 in die Darmwand (Darmwandödem) kommt. Diese Verluste sollten mit HAES, Humanalbumin, FFP und ggf. nichtkolloidalen Lösungen unter strenger Überwachung aller Kreislaufparameter inkl. des kolloidosmotischen Druckes vorischtig ausgeglichen werden. Zur Reduktion des Reperfusionsschadens kann diese Therapie mit einer niedrigdosierten Dop-
31
examin- oder Arterenol-Therapie kombiniert werden. Ähnliches gilt für die nach Dünndarmtransplantation übliche Prostaglandin E2 (PGE2)-Therapie, die neben der Reduktion des Reperfusionsschadens auch immunmodulatorisch im Sinne einer Verminderung des Abstoßungsrisikos wirkt (Todo et al. 1992a). 31.5
Postoperatives Management
Immunsuppression. Die Netto-Immunsuppression ist aufgrund der höheren Immunogenität des Dünndarmes höher als nach anderen Organtransplantationen (Ringe u. Braun 2005; Müller et al. 2004). Das am häufigsten verwendete Basisimmunsuppressivum ist Tacrolimus in Verbindung mit einem QuadrupleRegime. Tacrolimus kann während der Induktions- und Erhaltungsimmunsuppression mit Rapamycin und Kortikosteroiden kombiniert werden, die synergistisch wirken. Zusätzlich werden monoklonale (Daclizumab, Basiliximab, Alemtuzumab) oder polyklonale (Antithymozytenglobulin) T-Zell-Antikörper während der Induktion eingesetzt (Grant et al. 2005). Die jüngsten Ergebnisse mit der Kombination von Tacrolimus und Rapamycin sind sehr viel versprechend (Fishbein et al. 2002). Initial besteht jedoch bei der Gabe von Rapamycin eine erhöhtes Risiko von Wundheilungsstörungen und Anastomoseninsuffizienzen (Groetzner et al. 2004). Im Langzeitverlauf kann die Tacrolimusdosis in Kombination mit Rapamycin gesenkt werden, wodurch das nephrotoxische Potenzial von Tacrolimus reduziert werden kann. Bei Verwendung von Mycophenolat mofetil oder Enteric-coated-Mycophenolsäure sei auf die bekannten und häufig auftretenden gastrointestinalen Nebenwirkungen, insbesondere Diarrhöen, hingewiesen (. Tab. 31.3 und 31.4; Behrend 2001; Behrend u. Braun 2005).
. Tabelle 31.3. Übersicht über die derzeitig klinisch verwendeten Immunsuppressiva bei der klinischen Dünndarmtransplantation
Medikament
Wirkmechanismus
Indikation
Dosierung und Monitoring
Nebenwirkungen
Alemtuzumab
Anti-CD52-mAk
Induktion
0,3 mg/kg i.v., Kontrolle Lymphozyten
Ausgeprägte Lymphozytopenie, Infektionen
Antithymozytenglobulin
T-Zell pAk
Induktion, Therapie AR
1,25–5 mg/kg i.v. über 5–10 Tage
Lymphozytopenie
Basiliximab
Chimärer anti-CD25 mAk
Induktion
20 mg i.v. Tag 0 und 4
Selten allergische Reaktion
Daclizumab
Humanisierter anti-CD25-mAk
Induktion
1–2 mg/kg Tag 0 und 10
Selten allergische Reaktion
OKT3
Muriner Anti-CD3-mAk
Induktion, Therapie AR
5 mg i.v. über 5–10 Tage
Allergische Reaktion, Infektionen
Infliximab
Anti-TNF-α-mAk
Therapie AR
3 mg/kg i.v.
Infektionen
Tacrolimus
Calcineurin-Inhibitor
Induktion, Erhaltung
0,1–0,15 mg/kg p.o., TL 15–20 µg/l (<3 Monate), 10–15 µg/l (>3 Monate)
Neuro- und Nephrotoxizität, diabetogen, Hypertonus
Rapamycin
mTOR-Inhibitor
Induktion, Erhaltung
6 mg »loading dose« p.o., dann 2 mg p.o., TL 5–10 µg/l (<3 Monate), 3–8 µg/l (>3 Monate)
Wundheilungs-störungen, Hyperlipidämie, Anämie
Prednisolon
Unspezifisch antiinflammatorisch
Induktion, Erhaltung
Vor Reperfusion und bei AR (3–5 Tage) 500 mg i.v., anschließend 1 mg/kg p.o., stufenweise Dosisreduktion und Ausschleichen
Infektionen, Adipositas, erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, Glaukom, Osteoporose Hyperlipidämie, M. Cushing
mAK monoklonale Antikörper; pAK polyklonale Antikörper; AR allergische Reaktion; TL Talblutspiegel
424
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
. Tabelle 31.4. Beispiel für ein immunsuppressives Regime nach Dünndarmtransplantation
Zeit
MP
Vor Reperfusion
500 mg i.v.
Tag 0–7
ATG
Tac
Rapa
5 mg/kg i.v.
2×0,1 mg/kg p.o., TL 15–20 µg/l
Pred
1 mg/kg i.v., Dosisreduktion auf 20 mg/Tag p.o.
Tag 8–15
TL 15–20 µg/l
1×6 mg/Tag, dann 2 mg/Tag po, TL 5–10 µg/l
Dosisreduktion auf 10 mg/Tag p.o.
Tag 15–90
TL 15–20 µg/l
TL 5–10 µg/l
Dosisreduktion auf 5 mg/Tag p.o.
Tag >90
TL 10–15 µg/l
TL 3–8 µg/l
Ggf. absetzen
TL Talblutspiegel
31 Überwachung der Transplantatfunktion. Diese erfolgt in erster Linie klinisch! Die Zeichen einer Dysfunktion des Dünndarmtransplantates, wie sie häufig bei akuter Abstoßung oder CMVEnteritis zu finden ist, sind: 4 Aufgetriebenes Abdomen 4 Schmerzen 4 Wässrige Diarrhöen 4 Erbrechen oder Ileus 4 Veränderungen (Dunkelfärbung) der Ileostomamukosa
Eine weitere diagnostische Hilfe bietet die endoskopische Inspektion des Transplantates über das Ileostoma. Diese erfolgt initial in zweitägigen Abständen mit Entnahme von seriellen Biopsien zur histologischen Untersuchung sowie zur CMV-Diagnostik (PCR). Eine Weiterentwicklung ist die Zoom-Endoskopie, die eine bessere makroskopische Beurteilung der Zotten erlaubt (Kato et al. 1999). Die Sonographie des Darmes erlaubt prinzipiell eine Beurteilung der Peristaltik, einer Distension und eines Darmwandödems, jedoch verringern Luftüberlagerungen oftmals die Aussagekraft der Ultraschalldiagnostik. Zur Sicherung der Anastomosenverhältnisse wird üblicherweise am 5. postoperativen Tag sowie bei unklarem Abdomen eine Gastrografinpassage durchgeführt. Spezifische Parameter für die Darmfunktion sind bisher nicht ausreichend etabliert. Die laborchemischen Untersuchungen beschränken sich somit auf die generellen Routineparameter. Zusätzlich sind der zelluläre Immunstatus sowie lösliche Im-
a
b
munparameter (sIL-2R, LBP, TNF-α, PCT) diagnostisch hilfreich. Die Bestimmung dieser Parameter ermöglicht die Erfassung einer Transplantatdysfunktion bzw. ist richtungsweisend auf Infektionen (PCT, LBP) oder Abstoßungen (sIL-2R, LBP, TNF-α). Akute Transplantatabstoßung. Der diagnostische Goldstandard
ist die Histologie (HE-Färbung; . Abb. 31.8). Das Vorliegen von Nekrosearealen in der Mukosa und der Verlust der Villusarchitektur mit transmuralen Zellinfiltraten ist hinweisend für eine akute Abstoßung. Histopathologisch finden sich Apoptosen in den Zellen der Krypten, eine Kryptitis oder eine Rarefizierung der Krypten, Nekrosen und eine Endothelitis (. Tab. 31.5; . Abb. 31.8). Die Transplantatabstoßung tritt häufig fokal auf, was die endoskopische und histologische Diagnostik erheblich erschwert, da diese in der Regel von der endoskopischen Zugangsmöglichkeit limitiert ist. Somit können proximal lokalisierte Abstoßungen der endoskopischen Diagnostik entgehen. Dem Monitoring von Funktionstests (D-Xyloseabsorption, Serotonin, Citrullin) und Immunparametern (sIL-2R, LBP, TNF-α) kommt gegenwärtige eine ergänzende Bedeutung zu, jedoch konnte bislang kein Parameter die Histologie als Goldstandard ersetzen (. Abb. 31.9). Immunhistochemische Untersuchungen beinhalten die Färbung von CD3- und CD25-positiven Zellen und sind sensitiver als die Histologie (Goulet et al. 1994). Die Therapie der akuten Abstoßung erfolgt nach internationalen Standards und
c
. Abb. 31.8a–c. Histologien einer exfoliativen Therapie-refraktären akuten Abstoßung 15 Tage nach DTx. Das Transplantat weist ein massives lymphozytäres Infiltrat und eine fast vollständige Destruktion der Zotten auf
425 31.5 · Postoperatives Management
31
a
b
c . Abb. 31.9. Klinischer Verlauf einer Patientin mit Kurzdarmsyndrom, die nach DTx eine exfoliative therapie-refraktäre akute Abstoßung entwickelte. Tac Tacrolimus, Rapa Rapamycin, TL Talblutspiegel, ATG Antithymozytenglobulin, MP Methylprednisolon, AR akute Abstoßung,
IL-6 Interleukin-6, sIL-2R löslicher IL-2-Rezeptor, LBP Lipolysaccharidbindendes Protein, TNF Tumornekrosefaktor-α, PCT Procalcitonin, Tx Transplantation, OP Operation
sollte zügig erfolgen, da es mit Progression der Abstoßung zur Ausbildung einer Peritonitis mit Mikroperforationen des Dünndarmes kommt: 4 Methylprednisolon 500 mg i.v. über 3–5 Tage 4 Bei steroidrefraktärer Abstoßung OKT3 5 mg i.v. über 5–10 Tage 4 Alternativ zur OKT3-Therapie auch ATG, ALG, IL-2-Rezeptorantagonisten und Anti-TNF-α-mAk eingesetzt werden, sofern diese nicht bereits als Induktionstherapie eingesetzt wurden 4 Bei therapierefraktärer Abstoßung die Explantation des Transplantates
Chronische Abstoßung. Im Gegensatz zu den akuten Abstoßungen sind chronische Abstoßungen schwieriger zu diagnostizieren und therapieren. Klinisch imponiert bei der chronischen Abstoßung eine chronische Diarrhöe mit Malabsorption und Gewichtsverlust (Todo et al. 1992a). Der diagnostische Goldstandard ist ebenfalls die Histologie, die ggf. offen als Dünndarmvollwandbiopsien entnommen wird. Bei fortgeschrittener chronischer Abstoßung sollte umgehend die Explantation des Transplantates erfolgen.
426
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
. Tabelle 31.5. Graduierung der akuten Transplantatabstoßung nach Dünndarmtransplantation (Wu et al. 2003; Ruiz et al. 2004)
Grad der Abstoßung
Histologie
Borderline
Minimale lokalisierte inflammatorische Infiltrate, minimaler Epithelschaden der Krypten, erhöhte Apoptoserate der Kryptzellepithelien (<6 Apoptosekörper pro 10 Krypten), keine bis minimale Architekturstörung, keine mukosale Ulzeration, Veränderungen reichen nicht für die Diagnose einer milden akuten Abstoßung aus
Mild
Milde lokalisierte inflammatorische Infiltrate mit aktivierten Lymphozyten, milder Epithelschaden der Krypten, erhöhte Apoptoserate der Kryptzellepithelien (>6 Apoptosekörper pro 10 Krypten), milde Architekturstörung, keine mukosale Ulzeration
Moderat
Weit verteilte inflammatorische Infiltrate in der Lamina propria, diffuser Epithelschaden der Krypten, erhöhte Apoptoserate der Kryptzellen mit fokal konfluierender Apoptose, ausgeprägte Architekturstörung, milde bis moderate intimale Arteritis möglich, keine mukosale Ulzeration
Schwer
Wie moderate akute Transplantatabstoßung mit mukosalen Ulzerationen, schwere intimale Arteritis oder transmurale Arteritis möglich
31 Infektionen. Besonders gefürchtet ist die CMV-Enteritis (. Abb. 31.10), die in jedem Fall ausgeschlossen bzw. mit Ganciclovir i.v. und CMV-Immunglobulin i.v. längerfristig behandelt werden sollte (Reyes et al. 1992). Bei einer CMV-Risikokonstellation (Spender CMV-positiv und Empfänger CMV-negativ) oder klinischem Verdacht auf eine CMV-Infektion kann präemptiv mit Valganciclovir p.o. therapiert werden. Bei bakteriellen Infektionen (Peritonitis) sollte bei Nichtansprechen der antibiotischen Therapie umgehend eine antimykotische Therapie eingeleitet werden, da mykotische Infektionen (cave Pilzperitonitis) relativ häufig beobachtet werden (Langnas et al. 1996; Reyes et al. 1993). Hier kommt überwiegend liposomales Amphotericin B ggf. in Kombination mit Fluconazol, Iatraconazol oder Voriconazol zum Einsatz. Indikationen zur antimykotischen Prophylaxe und Therapie sind: 4 Schwere bakterielle, atypische oder virale Infektionen, Sepsis, SIRS 4 Fehlendes Ansprechen auf eine Antibiose 4 Langzeitantibiose 4 Schwere, rezidivierende Abstoßungen, steroidresistente Abstoßungen und langdauernde OKT3-Therapie 4 Nicht näher beschriebene, ausgeprägte Immunkompromittierung des Patienten 4 Retransplantation des Dünndarms
Ebstein-Barr-Virus und posttransplantationslymphoproliferative Erkrankung. Aufgrund der Assoziation von Epstein-Barr-
Virus (EBV) und posttransplantationslymphoproliferativen Erkrankung (PTLD) sollte die klinische EBV-Infektion (EBV-PCRTiteranstieg) hochdosiert mit Ganciclovir 2×10 mg/kg bis zum Abfallen des Titers ggf. über Monate behandelt werden (. Abb. 31.11; Reyes et al. 1994). Eine PTLD kann sowohl im Transplantat (Ulzerationen!) lokalisiert sein als auch in anderen Organen oder generalisiert auftreten. Die Immunsuppression sollte auf ein Minimum reduziert werden und eine Therapie mit Ganciclovir, Cyclophosphamid und Methylprednisolon oder Ganciclovir und Rituximab (Anti-CD20-mAk) eingeleitet werden. Ernährung. Neben der nach größeren darmchirurgischen Eingriffen üblichen parenteralen Ernährung, die über den 5. postoperativen Tag hinaus durchgeführt wird, sollte unmittelbar postoperativ (ca. 6 h) parallel mit der enteralen Ernährung begonnen werden. Diese dient der Regeneration und dem Erhalt der Mukosa, der Wiederherstellung der gastrointestinalen Barrierefunktion und verringert das Risiko einer bakteriellen Fehlbesiedlung. Zu empfehlen sind hier als Immunonutrition bezeichnete Präparationen, die Glutamin, Arginin und Mikrofasern zur optimalen Versorgung der Mukosa enthalten (Bland u. Bailey 1998; Mueller et al. 1998b; Schroeder et al. 1992; Wood 1996). Bei Beginn des Kostaufbaus können unterstützend lebende Laktobazillen zum Wiederaufbau der Darmflora oral appliziert werden. Transplantatfunktion. Nach erfolgreicher Dünndarmtransplan-
. Abb. 31.10. Histologisches Bild einer CMV-Enteritis im Dünndarmtransplantat mit charakteristischen Eulenaugen-Zellen
tation kann mittels alleiniger enteraler Ernährung ein guter Ernährungsstatus mit normalem Wachstum (bei Kindern) erreicht werden (Atkison et al. 1997; Goulet et al. 1997; Sudan et al. 2004). Die Gewichtszunahme ist bei Kindern altersentsprechend vergleichbar mit gesunden Kindern, ein Zustand, der mittels parenteraler Ernährung vor Transplantation nicht erreicht werden kann. Hier liegt der Gewichtsverlauf immer unterhalb der altersentsprechenden Perzentile. Auch wenn der mesenteriale Lymphabfluss durch die Operation unterbrochen wurde, erfolgt die Fettabsorption in ausreichender Form über Kollateralen (Winkelaar et al. 1997). Es kommt spontan zur Restitution der Lymphabflusswege innerhalb von 4–6 Wochen nach Transplantation. Eine Rekonstruktion der
427 Literatur
a
31
b
. Abb. 31.11a,b. Computertomographie des Oberbauches mit Nachweis einer EBV-Gastritis nach DTx
Lymphgefäße weist keine sichtbaren Vorteile auf. Bei guter Transplantatfunktion ist die Resorption von Aminosäuren und Kohlenhydraten ebenfalls unauffällig. Die Resorption intestinaler Disaccharide kann jedoch bei schwerer akuter und chronischer Abstoßung sowie schwerer Peritonitis signifikant reduziert sein (Xyloseresorptionstest) und erfordert bei diesen Patienten eine temporäre, zusätzliche parenterale Ernährung (Kauffman et al. 1998). Klinisch kann es aufgrund der gastointestinalen Autonomie zunächst zur Hypo- oder Hyperperistaltik kommen. Bei guter Transplantatfunktion ist die Motilität des Darmes klinisch suffizient; klinisch nicht bedeutsame Veränderungen lassen sich jedoch tierexperimentell nachweisen. Erste Untersuchungen zur Lebensqualität nach Dünndarmtransplantation zeigten, dass diese nach erfolgreicher Transplantation deutlich besser ist, als vor Transplantation unter parenteraler Ernährung (DiMartini et al. 1998). 31.6
Ergebnisse und Ausblick
In der Anfangsphase der Dünndarmtransplantation kam es durch schwere Abstoßungen zu überimmunsuppressionsbedingten Infektionen mit Peritonitis und Sepsis, die für die relativ hohe Letalität verantwortlich waren (Reyes et al. 1992; Grant 1996; Langnas et al. 1996; Furukawa et al. 1997). Die gegenwärtigen 1-Jahres-Patienten- und Transplantatüberlebensraten des IITR liegen bei 64,7 und 57,6% nach postmortaler Spende und bei 66,7 und 59,3% nach Lebendspende. Die häufigsten Todesursachen waren Sepsis 46% und Abstoßung 11,2%, die häufigsten Ursachen für eine Transplantatverlust Abstoßung 56,3%, Thrombose, Ischämie oder Blutung 20,6%, Sepsis 8,8%, Lymphome 1,2% und andere Ursachen 13,1% (Grant et al. 2005). Aufgrund der Verbesserung der Immunsuppression und des perioperativen Managements können 1-Jahres-Patientenüberlebensraten von ca. 80–90 % bei guter Lebensqualität und alleiniger enteraler Ernährung erreicht werden (Rovera et al. 1998; Fishbein et al. 2003; Masetti et al. 2004; Farmer et al. 2004; Reyes et al. 2005; Bond et al. 2005). Das Transplantatüberleben liegt ca. 10 % niedriger als das Patientenüberleben, fällt jedoch – im Gegensatz zu den
initialen Erfahrungen in der Dünndarmtransplantation – auch im Laufe von 3–4 Jahren nicht mehr wesentlich ab. Weitere Anstrengungen konzentrieren sich derzeit auf das Monitoring der Transplantatfunktion, die Diagnostik der Transplantatabstoßung, die Reduktion des Ischämie- Reperfusionsschadens sowie eine frühzeitige und dauerhaft gute Transplantatfunktion (Wood 1996; Adams 1998; Bland u. Bailey 1998; Tzuruma et al. 1998). In Verbindung mit einer frühzeitigeren Indikationsstellung könnte die Inzidenz von immunologischen und infektiologischen Komplikationen gesenkt und die Ergebnisse der Dünndarmtransplantation weiter verbessert werden.
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Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
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32 32
Morbus Crohn C. Tjaden, T. Hackert, J. Schmidt
32.1
Epidemiologie
32.2
Ätiologie
32.3
Pathologie
32.4
Klinische Symptomatik
32.5
Diagnostik
32.5.1 32.5.2 32.5.3 32.5.4 32.5.5
Ösophagus, Magen, Duodenum – 435 Dünndarm – 436 Terminales Ileum, Kolon, Rektum – 436 Labor – 436 Differenzialdiagnose – 436
32.6
Komplikationen
32.7
Konservative Therapie
32.7.1 32.7.2 32.7.3 32.7.4 32.7.5 32.7.6
Akuter Schub des Morbus Crohn – 438 Chronisch-aktiver Morbus Crohn – 438 Remissionserhaltung und postoperative Rezidivprophylaxe – 438 Antibiotika – 439 Antisensenukleotide – 439 Ernährung – 439
32.8
Chirurgische Therapie
32.8.1 32.8.2 32.8.3
Indikationsstellung – 439 Operationstechnik und Verfahrenswahl – 443 Nachsorge – 444
Literatur
– 432
– 433 – 433 – 434
– 435
– 444
– 437 – 438
– 439
432
Kapitel 32 · Morbus Crohn
) ) Im Jahre 1932 beschrieben Crohn, Ginzburg und Oppenheimer »eine Erkrankung des terminalen Ileums, die überwiegend junge Erwachsene betrifft und durch eine subakute oder chronische nekrotisierende und vernarbende Entzündung« gekennzeichnet ist. Dem Terminus Ileitis regionalis folgte entsprechend der Erkenntnis, dass jede Stelle des gesamten Gastrointestinaltraktes befallen sein kann, die Bezeichnung Enteritis regionalis. Heute ist M. Crohn der international anerkannte Begriff, wobei inzwischen diskutiert wird, sie in Abhängigkeit von Lokalisation, Befallsmuster (überwiegend entzündlich, stenosierend, fistulierend) und Ansprechen auf unterschiedliche Medikamente in weitere Subtypen zu unterteilen. Häufig finden sich außerdem extraintestinale Symptome. Der Verlauf des M. Crohn ist im Einzelfall nicht vorhersagbar. Die Erkrankung neigt zu rezidivierenden Schüben, gefolgt von spontanen oder medikamentös induzierten Remissionen. Saisonale Schwankungen sind bekannt mit hohen Rezidivneigungen im Herbst und Winter sowie den niedrigsten Raten im Sommer (Zeng u. Anderson 1996).
32
Epidemiologie
32.1
Fälle / 105 EW
Die Inzidenz des M. Crohn schwankt in den verschiedenen Ländern stark. Eine Übersicht gibt . Tab. 32.1. Die durchschnittliche Inzidenz der Erkrankung liegt zwischen 3 und 6 Fällen/Jahr/ 100.000 Einwohner, variiert jedoch zwischen 0,3 und 7,0. Die höchsten Werte werden aus den skandinavischen Ländern berichtet, die niedrigsten aus den südlichen Regionen (Mittelmeerraum, Arabische Länder). Generell berichten die meisten Studien von einer steigenden Inzidenz, die sich jedoch in den letzten Jahren seit 1975 abgeschwächt hat (Russel u. Stockbrügger 1996; Ekbom 2004). Der M. Crohn zeigt eine bimodale Altersverteilung mit einem Gipfel in der Altersgruppe zwischen 15 und 30 Jahren und einem zweiten Gipfel im späteren Lebensalter (. Abb. 32.1). Frauen und Mädchen haben ein etwa 20–30% höheres Risiko einen M. Crohn zu entwickeln. Auch ethnische Faktoren sind von Bedeutung. Der M. Crohn zeigt eine genetische Prädisposition mit einem erhöhten relativen Risiko der Entwicklung
. Tabelle 32.1. Inzidenz und Prävalenz des M. Crohn (pro 100.000 Einwohner in verschiedenen geographischen Regionen. (Modifiziert nach Gordon u. Nivatvongs 1999)
Autor
Land
Jährliche Inzidenz
Prävalenz
Garland et al. (1981)
USA
3,4–4,95
Binder et al. (1982)
Dänemark
2,7
Gollop et al. (1988)
Rochester, MN
4,0
Haug et al. (1989)
Norwegen West
5,3
Stowe et al. (1990)
Rochester, NY
5,0
Probert et al. (1993)
England
Europäer
75,8
Südasiaten
33,2
Maté-Jimenez et al. (1994)
Spanien
1,6
19,8
Odes et al. (1994)
Israel
4,2
50,6
34,0
Asien/Afrika
55,0
Europa/Amerika
58,7
Beduinen/Araber
8,2
Tsianos et al. (1994)
Griechenland
0,3
Anseline et al. (1995)
Australien
2,1
Lindgren et al. (1996)
Schweden
Manousos et al. (1996)
Kreta
3,0
Moum et al. (1996)
Norwegen Südost
5,8
Tragnone et al. (1996)
Italien
2,3
Hanauer et al. (1997)
USA
10 8
Ekbom (2004)
Schweden
34,0
94,0
50,0
5–6
6 4 2 0 0
10
20
30
40
50
60
70
< 80
Jahre . Abb. 32.1. Zweiphasiger Inzidenzpeak beim M. Crohn. Deutlich zu erkennen ist der zweite Peak beim älteren Menschen
der Erkrankung für erstgradig Verwandte eines Betroffenen zwischen 17 und 35 (Duerr 2003; Russel u. Satsangi 2004). Die Inzidenz ist bei eineiigen Zwillingen höher als bei zweieiigen. Andere Risikofaktoren sind Rauchen, orale Antikonzeptiva und hoher sozioökonomischer Status (Katschinski et al. 1993; Sonneberg 1992).
433 32.3 · Pathologie
32.2
Ätiologie
Die Ätiologie des M. Crohn kann noch immer nicht mit Sicherheit angegeben werden. Drei wesentliche Säulen der diesbezüglichen wissenschaftlichen Diskussion haben sich in den letzten Jahren herauskristallisiert: 4 Defekte intestinale Barrierefunktion mit der Folge einer Überexposition gegen luminale Antigene 4 Gestörte immunologische Antwort in der Darmwand gegen ubiquitäre luminale Antigene 4 Spezifische Infektion Defekte intestinale Barrierefunktion. Die erste Theorie beruht
auf einer erhöhten Exposition gegenüber luminalen Antigenen des Darms bei einer defekten Mukosabarriere. Eine gestörte Permeabilität der Mukosa könnte das Eindringen von Bakterien oder Nahrungsbestandteilen in die Darmwand mit der Folge einer ständig initiierten Entzündung bedingen. Hierfür würden die familiären Häufungen beim M. Crohn und die verschiedenen intramural nachgewiesenen Virus- und Bakterienbestandteile sprechen. Darüber hinaus wird diese Theorie bestärkt durch die Tatsache, dass die Erkrankung am Ort der höchsten bakteriellen Konzentration gefunden wird und sich bessert, wenn mittels Antibiotika, Diversion oder Bypass die luminale Bakterienkonzentration sinkt. Gestörte immunologische Antwort. Die zweite Hypothese
(Sartor 1995) beinhaltet folgendes pathophysiologisches Konzept. Infolge einer Konfrontation des Gastrointestinaltrakts mit verschiedensten Antigenen kommt es im Rahmen einer unspezifischen Entzündung zur lokalen und systemischen Reaktion auf diese Antigene. Normalerweise erfolgt hierauf eine Herunterregulation der proinflammatorischen Antworten mit Heilung. Genetisch prädisponierte Patienten dagegen haben einen Defekt in der effizienten Herunterregulation und reagieren mit überschießender immunologischer Aktivität. Die konstante Balance zwischen pro- und antiinflammatorischen Reaktionen als ein permanenter Zustand einer kontrollierten Entzündung kann nicht aufrechterhalten werden. Es resultiert eine chronisch vernarbende Entzündung. Diese Theorie wird heute allgemein als Erklärungsmodell akzeptiert. . Abb. 32.2. Typischer Aspekt des Dünndarms beim M. Crohn. Entzündliche Wandverdickung, mesenteriale Fettproliferation und narbige Verengungen sind sichtbar
32
Spezifische Infektion. Bezüglich der dritten Theorie einer spe-
zifischen Infektion sind hauptsächlich atypische Mykobakterien, vor allem Mycobacterium paratuberculosis, untersucht worden. Ähnlich der intestinalen Tuberkulose bevorzugt der M. Crohn das terminale Ileum; es werden epitheloidzellige Granulome beobachtet; eine dem M. Crohn sehr ähnliche chronische Entzündung findet sich bei Rindern (Johne-Krankheit), bei der der gesicherte Erreger Mycobakterium paratuberculosis ist. Die DNA von M. paratuberculosis lässt sich bei vielen Crohn-Patienten nachweisen; eine antimykobakterielle Therapie mit ribosomal aktiven Agentien ist klinisch wirksam (Hermon-Taylor 1998). Im eigenen Krankengut liegt die Nachweisrate mit einer speziellen Double-PCR bei ca. 52% (Eisold et al. 2004). Andere Untersuchungen sprechen von über 68% Nachweisrate (Sanderson et al. 1992). Letztlich ist jedoch die Kausalität nicht einwandfrei gesichert. Auch Masernviren, Listeria moncytogenes und Zytomegalieviren sind weitere Pathogene für eine mögliche Infektionsgenese des M. Crohn (Hommes et al. 2004; Chen et al. 2000). 32.3
Pathologie
Der M. Crohn ist eine transmurale, überwiegend submuköse Entzündung der Darmwand. Makroskopisch sieht man die typische segmentale Rötung mit Wandverdickung und mesenterialer Fettproliferation (. Abb. 32.2). Häufig sind mehrere hintereinander geschaltete Strikturen und Dilatationen sichtbar (. Abb. 32.3). Luminal imponiert das typische Pflastersteinrelief mit teilweise längsgestellten fissuralen Ulzera und vernarbenden Stenosierungen (. Abb. 32.4). Das Mesenterium weist zahlreiche vergrößerte Lymphknoten auf und ist deutlich verdickt. Der entzündete Darmabschnitt ist häufig adhärent zu benachbarten Organen; und es bilden sich Konglomerate aus, oft mit teils interenterischen, teils blind endenden Fisteln und Abszessen. Mikroskopisch sind submukosales Ödem, lymphoide Aggregationen, lymphoplasmazelluläre Infiltrate, Ulzera und ein fibrotischer Umbau zu sehen. Nahezu beweisend sind die in bis zu 50–60% der Fälle auftretenden epitheloidzelligen Granulome, die an die Sarkoidose erinnern.
434
Kapitel 32 · Morbus Crohn
. Abb. 32.3. Multiple segmentale Stenosen bei M. Crohn. Sie stellen die typische Indikation zur Strikturoplastik dar
32.4
32
Klinische Symptomatik
Da der M. Crohn den gesamten Intestinaltrakt befallen kann, hängt die klinische Symptomatik ganz überwiegend vom Ort des Befalls ab. Eine Übersicht über die Befallsverteilung gibt . Tab. 32.2. Im chirurgischen Krankengut findet sich vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Patientenselektion ein weitaus höherer Anteil mit perianalem Befall als in der Tabelle aufgelistet.
Die Trias abdomineller Schmerz, Durchfälle (teils blutig) und Gewichtsverlust, eventuell in Verbindung mit Anämie, Fieber und oralen Aphthen, ist wegweisend für die Diagnose.
Während beim alleinigen Dünndarmbefall abdominelle, meist postprandiale Schmerzen überwiegen, sind beim kombinierten oder alleinigen Kolonbefall häufig auch blutige Diarrhöen und eine Anämie vorhanden. Allerdings weisen auch eine ganze Reihe anderer Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes ähnliche oder gleiche Symptome auf und müssen daher differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden (7 Übersicht). Einen Überblick über die zu erwartende klinische Symptomatik bezüglich des primären Befallsortes gibt . Tab. 32.3. Zu den nicht selten beobachteten extraintestinalen Manifestationen gehören Affektionen der Gelenke (Arthritis), der Haut (Pyoderma gangraenosum), der Nie-
. Tabelle 32.3. Symptomatik und Lokalisation beim M. Crohn
. Abb. 32.4. Luminaler Aspekt des befallenenen Dünndarms bei M. Crohn. Pflastersteinrelief, fissurale längsgestellte Ulzera und die ausgeprägte Wandverdickung sind zu erkennen
Befallenes Organ
Klinische Symptomatik
Mund
Stomatitis aphthosa, schmerzhafte Schwellung Lippen/Wangen
Speiseröhre
Dysphagie
Magen/Duodenum
Nausea/Erbrechen/Oberbauchschmerz
Dünndarm
Abdominelle Schmerzen, oft nahrungsabhängig
Fisteln/Abszess
Palpable Resistenz, Fieber
Kolon
Obstruktion, Durchfälle
32
435 32.5 · Diagnostik
. Tabelle 32.2. Anatomische Verteilung des Crohn-Befalls
Autor
n
Dünndarm
Ileozökal
Kolon
Greenstein et al. (1987)
1124
39
45
16
Perianal
Ritchie et al. (1990)
332
23
33
44
Anseline et al. (1995)
130
35
32
28
5
Platell et al. (1990)
306
21
32
42
5
Fernandez et al. (2004)
210
46
33
17
21
Smith et al. (2004)
231
36
16
38
Deveaux et al. (2005)
178
17
38
25
ren und ableitenden Harnwege (Steine, Fisteln) sowie der Gallenblase und Gallenwege (Steine, sklerosierende Cholangitis), die in . Tab. 32.4 zusammengefasst sind. Differenzialdiagnose des M. Crohn 5 Bakterien – Yersiniose – Salmonellose – Shigellose – Campylobacter – Tuberkulose – Clostridium difficile – Gonorrhö – Staphylokokkenenteritis – E. coli 0157:H7 5 Viren – Lymphgranuloma venereum 5 Pilze – Histoplasma – Candida – Aktinomykose 5 Protozoen – Amöben – Lamblien – Schistosomen 5 Tumoren – Maligne Lymphome – Karzinome – Karzinoid – FAP 5 Andere Krankheiten – Colitis ulcerosa – Strahlenenteritis – Ischämische Enteritis – Divertikulitis – Colon irritabile – Behçet-Syndrom – Appendizitis – Sprue – Sarkoidose
OGI
4 11
11
0,5
. Tabelle 32.4. Extraintestinale Manifestationen und klinische Symptomatik
Lokalisation
Symptomatik
Gelenkapparat
Arthritis, Spondylitis
Haut
Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum
Nieren und ableitende Harnwege
Hyperoxalurie, Nierensteine, urogenitale Fisteln, Pneumaturie, Fäkalurie
Gallenblase
Gallensäureverlust über den Stuhl, verminderter Gallensäurepool, lithogene Galle, Cholesteringallensteine (20–40%)
Leber
Pericholangitis, sklerosierende Cholangitis
Zur Beurteilung der Erkrankungsschwere und des Verlaufs sind verschiedene Klassifikationen (z. B. Vienna-Klassifikation) und Aktivitätsscores (z. B. Crohn’s Disease Activity Index) gebräuchlich, in die u. a. Alter des Patienten, subjektive Beschwerden, Lokalisation des Befalls und vorhandene Komplikationen eingehen (Best et al. 1976; Gasche et al. 2000). 32.5
Diagnostik
Vor therapeutischen Erwägungen sollte beim M. Crohn ein vollständiges Staging durchgeführt werden. Hierbei sollte der gesamte Gastrointestinaltrakt erfasst werden, um mögliche noch asymptomatische Affektionen festzustellen. 32.5.1 Ösophagus, Magen, Duodenum Die Ösophagogastroduodenoskopie gestattet eine Beurteilung und Biopsie bis zum unteren Duodenalknie. Insgesamt ist der Befall hier selten (. Abb. 32.5). Im Heidelberger Krankengut konnten wir bislang 33 von 1307 (2,5%) Patienten mit einem duodenalen Crohn erfassen (Schwalbach et al. 2004). Falls Fistelverdacht besteht, kann eine Gastrografindarstellung des oberen
436
Kapitel 32 · Morbus Crohn
gleichwertigem Nachweis von Stenosen und prästenotischer Dilatation (Ganten et al. 2003). 32.5.3 Terminales Ileum, Kolon, Rektum Beim Staging des unteren Gastrointestinaltraktes stehen Prokto-, Rekto- und Koloskopie sowie die Endosonographie des Rektums und Sphinkterapparates im Vordergrund. Mittels Endoskopie kann der meist segmentale Kolonbefall, häufig unter Aussparung des Rektums, eventuelle Fisteln und der Befall des terminalen Ileums aufgedeckt werden.
Längsgestellte Ulzera sind in Verbindung mit dem Plastersteinrelief diagnostisch wegweisend.
32
. Abb. 32.5. Typischer Hydro-MRT Aspekt bei M. Crohn des terminalen Ileums. Intra- und extraluminale Bildgebung ohne Strahlenbelastung in einer nicht-invasiven Untersuchung sind die wesentlichen Vorteile der Technik
Gastrointestinaltraktes, im positiven Falle eine Hydro-MRTUntersuchung hilfreich sein. 32.5.2 Dünndarm Für die routinemäßige Diagnostik von Patienten mit M. Crohn hat in vielen Häusern die konventionelle Sonographie große Bedeutung, da sie beim erfahrenen Untersucher eine präzise Darstellung von Wandverdickungen, Stenosen, Fisteln sowie Flüssigkeitsansammlungen ermöglicht und in vielen Fällen eine weitergehende Diagnostik unnötig macht. Obwohl unter Klinikern immer noch kontrovers diskutiert, kann die Kontrastmitteldarstellung von Stenosen oder Strikturen im Dünndarm bei uncharakteristischer Klinik hilfreich sein, um die Operationsindikation zu stellen. Hierzu gehörte die Magen-Darm-Passage nach Sellink, die jedoch nicht alle Stenosen zeigt und mit einer verhältnismäßig hohen Strahlenbelastung einhergeht, die gerade bei den meist jungen Patienten nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Als Alternative wird daher inzwischen die Hydro-MRT-Untersuchung durchgeführt (. Abb. 32.5), bei der Magen, Dünndarm und Kolon mit Wasser gefüllt werden. Vorteile dieser Untersuchungstechnik sind die fehlende Strahlenbelastung, die gleichzeitige Möglichkeit der extraluminalen Bildgebung (Abszesse, Fisteln etc.) sowie die Möglichkeit der Beurteilung der Darmwanddicke und der Kontrastmittelaufnahme (Floridität) bei
Bei Endoskopien obligat erfolgende Stufenbiopsien erlauben die diagnostische Einordnung und Erfassung des aktuellen Entzündungsgrades. Biopsien aus frühen Läsionen, den sog. Aphthen, oder auch aus Mikroulzera können bereits früh die Diagnose erbringen. Bei perianalen Fisteln sollten eine Prokto- und Rektoskopie sowie eine Endosonographie erfolgen. Eine ergänzende MRTUntersuchung des Beckens ist bei hochgradiger Stenose im Analbereich hilfreich. Entscheidend für die Einordnung von perianalen Fisteln ist ihre Lagebeziehung zum Sphinkter ani (supra-, trans-, extrasphinktär) sowie deren Floridität und der Nachweis bzw. Ausschluss von perianalen oder perirektalen Abszessen. Eine Kontrastdarstellung des Kolons ist nur noch in Ausnahmefällen notwendig, etwa bei nicht-passierbarer Stenose im Kolon oder bei Fistelverdacht, aber auch hier kann die HydroMRT-Technik hilfreich sein. 32.5.4 Labor Spezifische Parameter für den M. Crohn gibt es bislang nicht. Wichtig, besonders im Verlauf, ist jedoch die Beurteilung der Entzündungsaktivität (BKS, Leukozyten, CRP). Häufig ist eine Eisenmangelanämie vorhanden. Bei Malabsorption als Folge der Krankheit oder nach Dünndarmresektion kann ein Mangel an Folsäure, Vitamin B12, fettlöslichen Vitaminen, Magnesium, Zink sowie anderen Spurenelementen bestehen. Eiweißmangel verbunden mit Hypalbuminämie oder Antithrombin-III-Mangel tritt besonders bei ausgedehnten Affektionen des Dünndarms oder enterokolischen Fisteln auf. 32.5.5 Differenzialdiagnose Die Diagnose des M. Crohn ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Klinik, Endoskopie bzw. röntgenologischen Befunden und dem histologischen Befund. Letztlich beweisend ist nur die Biopsie, auch wenn hier nicht selten, insbesondere bei ausschließlichem Kolonbefall, immer noch diagnostische Unklarheit bleibt. Die im Jahre 1960 erstmals von Lockhardt-Mummery und Morson beschriebene Colitis Crohn unterscheidet sich jedoch meist in einem oder mehreren Punkten von der Hauptdifferenzialdiagnose Colitis ulcerosa. Diese für das therapeutische Procedere
437 32.6 · Komplikationen
. Tabelle 32.5. Unterschiede zwischen M. Crohn und Colitis ulcerosa
Befunde
M. Crohn
Colitis ulcerosa
Fieber
Häufig
Selten
Palpable Resistenz
Häufig
Selten
Gewichtsverlust
Häufig
Selten
Blut im Stuhl
Selten
Häufig
Bauchschmerzen
Häufig
Selten
Erbrechen
Häufig
Selten
Durchfälle
Häufig
Häufig
Dünndarmbeteiligung
Sehr häufig
Gelegentlich Backwash-Ileitis
Rektumbeteiligung
Seltener
Fast immer
Perianale Läsionen
Häufig
Selten
Fisteln
Häufig
Selten
Toxisches MegaKolon
Selten
Häufiger
Rezidiv nach Operation
Häufig
Nein
Klinischer Verlauf
Schubweise
Meist langsam progressiv
32
Antizipieren vermeidbarer Komplikationen durch rechtzeitige Operation. So stellt z. B. die blind endende retroperitoneale Fistel eine dringliche Operationsindikation dar, da aus ihr vielfach Abszesse und sekundäre Affektionen von Duodenum, Nieren und ableitenden Harnwegen mit ihrerseits weiteren Folgekomplikationen (z. B. aszendierender Harnwegsinfekt etc.) hervorgehen können. Zwingende Interventionsindikationen sind Blutung, Perforation, Ileus, Abszesse, sekundäres Karzinom, enterovesikale und retroperitoneale Fisteln und das toxische Megakolon. Das Risiko, ein Crohn-assoziiertes Karzinom zu entwickeln, ist gegenüber der Normalbevölkerung insbesondere hinsichtlich eines Kolonkarzinoms deutlich erhöht (5- bis 7-fach; Solem 2004), wenngleich niedriger als bei der Colitis ulcerosa. Crohnassoziierte Karzinome sind gekennzeichnet durch häufig multifokales Auftreten, Entstehung in einer ausgeschalteten Schlinge, vorwiegendes Auftreten im Kolon bei Colitis Crohn und eine schlechte Prognose. Dünndarmkarzinome treten insgesamt selten, aber bei Crohn-Patienten dennoch häufiger als in der Normalbevölkerung auf. Komplikationen beim M. Crohn
relevanten Differenzierungskriterien sind in . Tab. 32.5 zusammengestellt.
Entscheidend sind das entzündungsfreie Rektum und der segmentale Befall, die eher beim Crohn anzutreffen sind, während der Rektumbefall und die kontinuierliche vom Rektum aszendierende Affektion für das Vorliegen einer Colitis ulcerosa sprechen.
Wenngleich Fisteln beim M. Crohn wesentlich häufiger anzutreffen sind, so finden sie sich doch auch bei immerhin 4% der Colitis-ulcerosa-Patienten der Heidelberger Chirurgischen Klinik. Li et al. (1994) berichteten über eine gute Treffsicherheit der 99m Tc-Leukozyten Szintigraphie bei der Unterscheidung zwischen Colitis ulcerosa und M. Crohn. Weitere wichtige Differenzialdiagnosen sind in der Übersicht in 7 Kap. 32.4 dargestellt. Routinemäßig sollte eine Untersuchung des Stuhls auf pathogene Bakterien, Wurmeier und andere Parasiten erfolgen. Eine Infektion mit Clostridium difficile, E. coli (v. a. Stamm 0157:H7) oder Yersinien kann das Bild einer rechtsbetonten Colitis Crohn täuschend ähnlich nachahmen (Ilnyckyj et al. 1997). 32.6
Komplikationen
Aufgrund der variablen Ausprägung und der verschiedenen Lokalisationen des M. Crohn sind vielfältige Komplikationen möglich. Entscheidend für den Chirurgen ist das frühzeitige
5 Lokale Komplikationen – Fisteln (anorektal, interenterisch, enterokutan, enterovesikal, enterovaginal) – Abszesse (ischiorektal, pelvin, intraperitoneal, subphrenisch) – Hämorrhagie – Obstruktion (Ileus, Stenose) – Perforation – Akute Kolondilatation (toxisches Megakolon) – Ureterstenose – Karzinom – Sterilität – Osteomyelitis 5 Mit Kolonbefall assoziierte Komplikationen – Hautveränderungen (Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, papulonekrotische Läsionen, granulomatöse Läsionen, sklerodermiforme Veränderungen) – Gelenkveränderungen (Mono- oder Polyarthritis, ankylosierende Spondylitis) – Augenveränderungen (Konjunktivitis, Episkleritis, Iridozyklitis, Chorioiditis, Vaskulitis) – Orale Veränderungen (Aphthen, Ulzera) 5 Folgen gestörter Dünndarmphysiologie – Malabsorption – Nierensteine – Gallensteine – Chologene Diarrhö – Enterales Eiweißverlustsyndrom 5 Unspezifische Folgen und Komplikationen – Lebererkrankung (Amyloid, PSC etc.) – Minderwuchs und verzögerte Pubertät – Hypophysenvorderlappeninsuffizienz – Osteoporose – Amyloidose – Polyarteriitis nodosa – Granulomatöse Myositis
438
Kapitel 32 · Morbus Crohn
32.7
Konservative Therapie
Wie bei der Colitis ulcerosa gibt es keine kausale oder spezifische medikamentöse Therapie des M. Crohn. Das Ziel der medikamentösen Behandlung ist daher die Reduktion der entzündlichen Aktivität, Besserung der intestinalen und extraintestinalen Beschwerden und einer Korrektur der Ernährungsdefizite.
32
Zur Wahl der richtigen Medikation muss zunächst die Diagnose gesichert sein sowie Lokalisation und Ausdehnung der Erkrankung bestimmt und der Ausschluss abszedierender Komplikationen erfolgt sein. Der Schweregrad des M. Crohn kann mittels verschiedener Indizes, z. B. dem Harvey-Bradshaw-Index oder dem »Crohn’s Disease Activity Index« (CDAI), erfasst werden, die als Verlaufskontrolle hilfreich sein können (Best et al. 1976). Zur Berechnung muss der Patient zunächst einen Wochenbericht ausfüllen, daneben werden aktuelle klinische Parameter erhoben. Punktwerte <150 bedeuten geringe Aktivität, Punktwerte >150 mittlere bis starke Aktivität. Wie alle Score-Systeme hat auch dieser Index seine Schwächen und kann unzuverlässig sein. Die folgenden Therapieprinzipien des M. Crohn sind vor allem den evidenzbasierten Leitlinien der Konsensuskonferenz der DGVS 2003 entnommen (www.awmf-online.de). 32.7.1 Akuter Schub des Morbus Crohn Der akute Schub wird ebenso wie die Indikation zur Therapie durch die klinische Symptomatik in Verbindung mit Laborwerten (BKS, CRP, Hb/Hkt, Thrombozyten) definiert. 4 Bei leichtem bis mäßig schwerem Schub ist ein Therapieversuch mit 5-Aminosalizylsäure (5-ASA; 3–4 g/Tag) gerechtfertigt. Bei vorwiegend ileozökalem Befall kann Budenosid (9 mg/Tag) eingesetzt werden. 4 Im schweren akuten Schub ohne Komplikationen steht der Einsatz von hochdosierten systemischen Glukokortikoiden an erster Stelle (initial 60 mg Prednisolon/Tag). 4 Liegen häufige Schübe (>2/Jahr) vor, kann zusätzlich Azathioprin (2,5 mg/kg/Tag) oder sein Derivat 6-Mercaptopurin (1–1,5 mg/kg/Tag) gegeben werden. Vor einem Ansprechen müssen jedoch in der Regel mehrere Monate der Therapie stehen. Alle anderen Medikamente (Antibiotika, Infliximab, Ciclosporin, Methotrexat u. a.) werden bei der Initialtherapie des akuten Schubes nicht eingesetzt. 32.7.2 Chronisch-aktiver Morbus Crohn Der chronisch-aktive Verlauf des M. Crohn wird definiert durch die persistierende oder rezidivierende Symptomatik über 6 Monate trotz adäquater Therapie. Hier lässt sich unterscheiden zwischen Steroidabhängigkeit (Notwendigkeit der Beibehaltung einer Steroidgabe zur Aufrechterhaltung einer stabilen Remission nach mindestens 2 gescheiterten Reduktionsversuchen innerhalb eines halben Jahres) und Steroidrefraktärität (klinische Aktivität lässt sich durch kontinuierlich hohe Steroidgabe von
60 mg/Tag Prednisonäquivalent über 6 Wochen nicht durchbrechen). Die Behandlung des chronisch-aktiven M. Crohn sollte in erster Linie mit den Immunsuppressiva Azathioprin (2,5 mg/kg/ Tag) oder 6-Mercaptopurin (1,5 mg/kg/Tag) erfolgen. Als Medikament der zweiten Wahl steht Methotrexat (25 mg/Woche i.m.) bei Unverträglichkeit oder Wirkungslosigkeit von Azathioprin und 6-Mercaptopurin zur Verfügung. Bei den genannten Immunsuppressiva müssen besonders die Kontraindikationen und Nebenwirkungen berücksichtigt, auf sichere Kontrazeption bei Frau und Mann hingewiesen und regelmäßige Kontrollen (Anamnese, Untersuchung und Labor) durchgeführt werden. Als Medikament der Reserve bei therapierefraktärem Verlauf gilt der Anti-TNF-α-Antikörper Infliximab. 5-Aminosalizylate haben beim chronisch-aktiven M. Crohn nur untergeordnete Bedeutung. 32.7.3 Remissionserhaltung und postoperative
Rezidivprophylaxe Die Remission ist definiert als Symptomfreiheit nach einem vorangegangenen akuten Schub, chronischem Verlauf oder Operation. Die postoperative Remission zeigt dabei einen stabileren Verlauf als eine medikamentös induzierte. Eine prinzipielle Empfehlung, eine remissionserhaltende Therapie bei allen Patienten durchzuführen, exisistiert nicht, sondern muss vom individuellen Krankheitsverlauf und vom spezifischen Risikoprofil (Steroidabhängigkeit, chronisch-aktiver Verlauf, Fistelleiden, mehrfache Voroperationen) abhängig gemacht werden. Glukokortikoide sollten nach ihrem Einsatz im akuten Schub möglichst ausgeschlichen und, wenn nötig, überlappend durch topische Kortikoide ersetzt werden (9 mg/Tag). Ausnahme bildet hier die steroidabhängige Verlaufsform, bei der durch die niedrig dosierte (5–10 mg/Tag) Steroidgabe die Remissionsdauer verlängert werden kann, auch wenn die absolute Rezidivfrequenz dadurch nicht beeinflusst wird.
Die wirksamsten Substanzen zur Remissionserhaltung sind Azathioprin (2,5 mg/kg/Tag) und 6-Mercaptopurin (1,5 mg/kg/Tag).
Aufgrund des gravierenden Nebenwirkungsprofils sollten diese Immunsuppressiva allerdings nur bei streng ausgewählten Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko (persistierende laborchemische Entzündungsaktivität, Rauchen, endoskopisches Anastomosenrezidiv nach Operation, kurze Intervalle der Schübe, mehrfache chirurgische Eingriffe, fistulierender Verlauf) zum Einsatz kommen. Bei Patienten mit Methotrexat-induzierter Remission ist eine Rezidivprophylaxe mit Methotrexat (15 mg/Woche i.m.) über 40 Wochen wirksam. 5-ASA zeigt bei medikamentös induzierter Remission keine Wirksamkeit. Bezüglich der postoperativen Rezidivprophylaxe wird die bislang gegebene Empfehlung einer Dosierung von 3–5 g/Tag über einen Zeitraum von bis zu 3 Jahren zurzeit sehr kritisch hinterfragt. Nach neueren Studien ist ein positiver Effekt stark vom individuellen präoperativen Befallsmuster sowie der Galenik des jeweiligen 5-ASA-Präparates abhängig (Lochs 2000).
439 32.8 · Chirurgische Therapie
Für alle anderen Präparate, wie Ciclosporin, MycophenolatMofetil, Weihrauch, Infliximab oder Probiotika, wird eine Anwendung aufgrund mangelnder Evidenz nicht empfohlen und sollte nur im Rahmen von Studien erfolgen.
tale versus nichtelementale Ernährung war nicht unterschiedlich wirksam. 32.8
32.7.4 Antibiotika Der Einsatz von Antibiotika als Medikamente der ersten Linie wird aktuell diskutiert (Wild 2004). In einer Studie war bei 45% der Crohn-Patienten eine klinische Remission nach Langzeitgabe von Metronidazol und Ciprofloxacin festgestellt worden, verglichen mit 63% in der Kortisongruppe (Prantera et al. 1996). Daneben wird Metronidazol vorwiegend bei der Colitis Crohn (10 mg/kg/Tag) und/oder perianalen Manifestationen (20 mg/kg/ Tag) empfohlen.
Den größten Stellenwert hat der Einsatz von Antibiotika bei der Behandlung von septischen Komplikationen und zur perioperativen Prophylaxe.
Antimykobakteriell aktive Antibiotika wurden unter der Hypothese einer kausalen Therapie des M. Crohn im Sinne einer Eradikation atypischer Mykobakterien verschiedentlich eingesetzt. Ihre Wirksamkeit ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. Mehrere klinische Studien mit Rifabutin und Clarithromycin zeigten ein therapeutisches Potenzial auf (Borody et al. 2002; Shafran et al. 2002) Derzeit wird in Australien eine MulticenterStudie an einer großen Patientenzahl durchgeführt. 32.7.5 Antisensenukleotide In einer randomisierten Multicenterstudie wurde die Effektivität einer Blockade des entzündungsassoziierten Adhäsionsmoleküls (ICAM-1) mittels Transkriptionsblockade durch Antisensenukleotide untersucht. Hierbei zeigte sich ein gutes klinisches Ansprechen, eine abschließende Bewertung ist zurzeit aber noch nicht möglich (Yu et al 2003). 32.7.6 Ernährung Patienten mit M. Crohn haben vielfach organische Gründe für Malnutrition bzw. können sich aufgrund bestehender Stenosen und der damit verbundenen Angst vor Nahrungsaufnahme nicht adäquat ernähren (Stokes 1992). Ein durch enteralen Verlust, Malabsorption, Mangel an Resorptionsfläche, enteroenterale Fisteln mit funktionellem Kurzschluss und/oder Fehlbesiedelung entstandener Mangelzustand kann vielfach nicht adäquat ausgeglichen werden. Der nachhaltige Effekt einer elementalen Diät ist jedoch nicht bewiesen und allenfalls für Patienten mit überwiegendem Dünndarmbefall zu empfehlen (Lochs et al. 1984). Der Ersatz von Omega-6-Fettsäuren (z. B. Arachidonsäure) durch Omega-3-Fettsäuren (Fisch- und Olivenöl) kann die Produktion von Entzündungsmediatoren hemmen (Nelson 1990). Eine Metaanalyse von 8 randomisierten Studien (n=413) zeigte, das enterale Ernährung als alleinige Behandlung gegenüber Kortikoiden unterlegen war (Griffiths et al. 1995). Elemen-
32
Chirurgische Therapie
Da die chirurgische Therapie beim M. Crohn im Gegensatz zur Colitis ulcerosa die Erkrankung nicht heilen kann, ist die operative Intervention nur bei bestehenden oder drohenden Komplikationen indiziert. Grundsätzlich sollte zunächst die konservative Therapie ausgeschöpft sein. Die chirurgische Behandlung sollte rechtzeitig bei klinisch symptomatischen Stenosen, Fisteln, septischen Komplikationen und bei konservativ nicht adäquat beherrschbaren Beschwerden zum Einsatz kommen. Darüber hinaus bestehen Operationsindikationen zur Vermeidung von Komplikationen einer Dauertherapie mit Kortikoiden bzw. Immunsuppressiva, sowie zur Vorbeugung oder Behandlung maligner Entartung.
Eine gründliche detaillierte Anamnese mit gezielten Fragen nach Beschwerdemuster und Medikation sowie die eingehende körperliche Untersuchung inkl. des rektalen Palpationsbefundes haben größte Bedeutung im Rahmen der chirurgischen Indikationsstellung.
Über 90% der Crohn-Patienten des Heidelberger Krankengutes gaben nach erfolgter Operation an, dass die Operation ihre Symptome entweder vollständig beseitigte (68%) oder wesentlich gelindert (24%) hat (Leowardi et al. 2003). Zwar erleiden innerhalb von 10 Jahren 50–65% der Patienten Rezidive, die eine erneute operative Intervention erfordern, jedoch können auch diese dann meist operativ beherrscht werden. Zur Vermeidung eines postoperativen Kurzdarmsyndroms wird in der modernen Crohn-Chirurgie, wenn überhaupt, nur eine sparsame Resektion des entzündeten Bereiches ohne Sicherheitsabstände durchgeführt, ohne dass es hierbei zu einer höheren Rate an resektionsassoziierten Komplikationen (Insuffizienzen, Anastomosenrezidive) kommt als bei den früher üblichen Resektionen mit Sicherheitsabstand (McLeod 2003). Wenn möglich sollten nichtresezierende Verfahren (z. B. Strikturoplastik, 7 unten) bevorzugt werden. Vielfach können minimalinvasive operative Techniken eingesetzt werden. 32.8.1 Indikationsstellung Eine Übersicht über die Operationsindikationen und deren Verteilung bei den Crohn-Patienten der chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg gibt . Tab. 32.6. Der Zeitpunkt für die Operationsindikation wird weiterhin kontrovers diskutiert. Argumente für ein relativ frühes Intervenieren sind die hohe Besserungsrate der Beschwerden nach Operationen von über 90% (Ekelund u. Lindhagen 1989). Die entfernten Darmabschnitte sind bei Einhaltung des Sparsamkeitsgrundsatzes ohnehin weitgehend funktionslos. Opponenten dagegen argumentieren, dass eine Verzögerung der Indikationsstellung mit weniger Resektionen im individuellen lebenslangen Krankheitsverlauf und einem geringeren Risiko des Kurzdarmsyndroms einhergeht. Der Operationszeitpunkt sollte daher überwiegend von den klinischen
440
Kapitel 32 · Morbus Crohn
. Tabelle 32.6. Durchgeführte Eingriffe der chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg bei M. Crohn (1982–2004)
Eingriff
n
Resektion Dünndarm
264
Ileozökalresektion
293
Anastomosennachresektion
245
Kolonsegment/Sigmaresektion
61
Hemikolektomie
109
Subtotale Kolektomie
107
Rektumresektion/-exstirpation
14
Proktokolektomie/Proktektomie
69
Deviation
32
Ileostoma
251
Kolostoma
39
Hartmann-Operation
19
Intestinaler Bypass
3
Gastroenterostomie
6
Rekonstruktion Strikturoplastik
187
Fistelübernähung
159
Omentumplastik
83
Kontinuitätswiederherstellung
14
Ileostomarückverlagerung
111
Kolostomarückverlagerung
6
Pouch-Anlage
4
Laparoskopische Eingriffe Ileozökalresektion
14
Dünndarmsegmentresektion
4
Ileostomaanlage
3
Hemikolektomie
2
Subtotale Kolektomie
2
Fisteleingriffe Interenterisch
216
Enterokutan
84
Enterogenital
67
Enterovesikal
35
Retroperitoneal
35
Anal
260
Beschwerden bestimmt sein. Das individuelle Operationsrisiko und die bereits durchgeführte medikamentöse Therapie bzw. deren Nebenwirkungen sind dabei mit einzubeziehen. Dass diese Grundsätze bei weitem noch nicht ausreichend berücksichtigt werden, geht aus einer Publikation von Scott und Hughes hervor (1994). Danach gaben 74% aller operierten Crohn-Patienten an, dass sie im Nachhinein einen früheren Operationszeitpunkt gewählt hätten (median 12 Monate, maximal 15 Jahre). Kein einziger gab einen späteren Zeitpunkt an. Grund hierfür war, dass die Beschwerden durch die Operation wesentlich gebessert oder beseitigt wurden (97%) und postoperativ eine normale Ernährung möglich war (86%). Ist die Indikation zum operativen Vorgehen bei einem Patienten mit M. Crohn gestellt, so sollte ein komplettes Crohn-Staging vorausgehen, um das individuelle Befallsmuster zu erkennen und ein logisches Operationskonzept zu erstellen. Bei geplanten Darmresektionen sollte ein Hydro-MRT des Abdomens sowie die Gastro- und Koloskopie erfolgen, bei Vorliegen von perianalen Fisteln darüber hinaus eine Proktoskopie, Endosonographie und Sphinktermanometrie sowie ein MRT des Beckens (7 Kap. 32.5). Im Notfall konzentriert sich die präoperative Diagnostik auf die Sonographie und die Übersichtsröntgenaufnahme des Abdomens, gegebenenfalls ergänzt durch eine Gastrografinpassage (bei Passagestörung) oder Computertomographie des Abdomens (bei Verdacht auf abszedierendes Geschehen). Wie vor allen großen abdominalchirurgischen Eingriffen werden die üblichen Vorbereitungen mit Bestimmung der Laborparameter, EKG, Lungenfunktion und Röntgen-Thorax durchgeführt. Stenose und Obstruktion Patienten mit akuter Obstruktionssymptomatik bleiben zunächst nüchtern, werden eventuell mit einer Magensonde zur Entlastung versorgt und parenteral ernährt bzw. rehydriert. Besteht der Verdacht auf das Vorliegen überwiegend entzündlicher Stenosen ohne vorangegangene medikamentöse Therapie, wird diese zunächst in der Regel mit Kortikosteroiden vorgeschaltet. Sprechen Stenosen bei überwiegend narbiger Beschaffenheit auf eine antientzündliche konservative Therapie nicht mehr an, ist die operative Therapie der Obstruktionssymptomatik indiziert, die sich nach dem intestinalen Befallsmuster richtet. Der häufigste Ersteingriff ist die Ileozökalresektion oder die isolierte Dünndarmsegmentresektion. Bei kurzstreckigen Strikturen kann zum Erhalt der Darmlänge auch eine sog. Strikturoplastik erfolgen. Beide Fälle eignen sich besonders gut für ein minimalinvasives Vorgehen. Beim offenen Verfahren wird im Regelfall über eine mediane Laparotomie vorgegangen. Stenosen im Bereich des Kolons sind problematischer, da die Ileokolitis und Colitis Crohn stärker zum Rezidiv neigen. Daher gilt die Grundregel »so wenig wie möglich, so viel wie nötig entfernen«, um die Passage wiederherzustellen.
Andere Abszess
156
Ureterolyse
20
Explorative Laparoskopie
22
Lavage
29
Endoskopische Intervention
36
Sonstige
178
Die früher häufig geübte Praxis der Bypass-Operation von Crohn-assoziierten Konglomerattumoren ist heute wegen der entstehenden Blindsackprobleme, der Karzinombildung und der möglichen septischen Probleme weitgehend verlassen worden.
441 32.8 · Chirurgische Therapie
32
Abszesse Abszesse sind bei M. Crohn die Folge einer gedeckten Perforation durch Fistulierungen. Am häufigsten finden sie sich im rechten Unterbauch und im Perianalbereich. Mit der Verfügbarkeit der interventionellen Drainage lassen sich viele dieser Abszesse extern drainieren. Nach Beherrschung der septischen Situation kann dann das fistelspeisende Segment frühelektiv reseziert werden. Gelegentlich, insbesondere bei gekammerten Prozessen oder bei multiplen interenterischen Abszessen, muss primär offen chirurgisch drainiert werden. Perianale Fisteln und Abszesse, die kaudal des Sphinkters liegen, werden von perineal her inzidiert und drainiert. Perirektale Abszesse oberhalb des Sphinkters und der Levatorenebene sollten von abdominell her drainiert werden, da ansonsten persistierende translevatorische oder transspinktäre Fisteln resultieren können. Bei Vorliegen eines schweren Rektumbefalls mit sichtbarer speisender Rektumfistel oberhalb des Sphinkters kann ausnahmsweise auch hier transrektal unter Vorschaltung eines protektiven Stomas drainiert werden. Fisteln Fisteln entspringen meist aus einem primär vom Crohn befallenen Darmabschnitt mit nachgeschalteter Stenose und konsekutivem Hochdruck auf die transmural entzündete Darmwand. Sie können sich ihren Weg in alle benachbarten Strukturen und Organe suchen und im schlimmsten Fall zu einem fuchsbauartigen System von Fisteln und Abszessen werden, mit der Folge der sekundären Organaffektion und Kompromittierung. Innere Fisteln. Etwa ein Drittel der Patienten mit M. Crohn entwickeln innere Fisteln, am häufigsten interenterisch verlaufend. Überwiegend finden sich ileosigmoidale Fistulierungen, die im terminalen Ileum ihren Ursprung nehmen (Broe et al. 1982). Interenterische Fisteln stellen nicht von vornherein, sondern erst bei Entwicklung eines funktionellen, resorptionsrelevanten Bypasses oder bei symptomatischer Stenose des terminalen Ileums eine Operationsindikation dar. Die Resektion des entsprechenden Fistel-speisenden Darmanteils mit primärer Naht ist die Therapie der Wahl.
Eine absolute Operationsindikation stellt die blind endende retroperitoneale Fistel dar, da sie häufig Ausgangspunkt von Psoasabszessen und vielfältigen sekundären Organbeteiligungen mit entsprechenden Folgekomplikationen ist.
Enterovesikale Fisteln (typischer Luftabgang über die Harnröhre) müssen ebenfalls zwingend operativ behandelt werden, da sie zu potenziell lebensbedrohlichen aszendierenden Harnwegsinfekten führen und irreversible Nierenschädigungen verursachen können. Die Resektion des speisenden Darmabschnittes (meist das terminale Ileum) und die Exzision der Blasenwand mit Übernähung sowie die Interposition von Omentum majus sind hier die Therapie der Wahl. Protektiv sollte in diesen Fällen die Einlage eines Blasenkatheters erfolgen. Fisteln zum Magen sind selten und meist Folge der primären Affektion von benachbarten Darmabschnitten (Kolon transversum, Jejunum). Noch seltener sind Fisteln, die vom Duodenum und von der Speiseröhre ausgehen (. Abb. 32.6). Duodenokolische Fisteln sind aufgrund des hohen Flüssigkeitsverlustes und der Malabsorption gefährlich
. Abb. 32.6. Fistel im distalen Ösophagus beim Crohn-Befall
und werden nach Exzision der Duodenalwand mit einer Roux-enY-Schlinge gedeckt. Äußere oder enterokutane Fisteln. Die häufigsten äußeren Fisteln sind perianale Fisteln, die gesondert abgehandelt werden (7 unten). Enterokutane Fisteln gehen wie die inneren Fisteln meist vom terminalen Ileum oder von Anastomosen bei Rezidiven nach Operation aus. Obwohl für die unkomplizierte enterokutane Fistel keine zwingende Operationsindikation besteht, so stellt sie doch ein ständiges Potenzial für weitere Fisteln und Abszesse dar. Sie ist Indikator für einen aktiven Crohn des Ursprungsorgans und entspringt meist vor oder in einer hochgradigen Stenose (Hochdruckzone). Das permanente Ausheilen einer enterokutanen Fistel ohne chirurgischen Eingriff stellt daher eine Rarität dar. In der Regel muss das fistelspeisende Darmsegment (meist stark stenotisch und damit ohnehin symptomatisch) entfernt und der Fistelkanal exzidiert werden. Anastomosenrezidive werden durch Anastomosennachresektion behandelt. Den selteneren kolokutanen Fisteln liegen häufig ausgedehnte, gelegentlich auch isolierte segmentale Manifestationen einer Colitis Crohn zugrunde. Beim segmentalen Kolonbefall kann eine Kolonsegmentresektion erfolgen. Rezidive sind jedoch häufig. Beim ausgedehnten Kolonbefall ist eine subtotale Kolektomie eventuell
442
Kapitel 32 · Morbus Crohn
drohenden Karzinom ergeben. Ähnlich der Colitis ulcerosa steigt das Karzinomrisiko vor allem bei den Patienten mit Colitis Crohn mit der Krankheitsdauer, dem Vorliegen einer Pankolitis und dem Auftreten von Dysplasien deutlich an. Auch Karzinome des Dünndarms und ausgeschalteter Segmente nach Bypassoperationen sind publiziert. Daher sollte sich die Indikation zur Resektion immer dann ergeben, wenn unter regelmäßiger endoskopischer Kontrolle Dysplasien oder eine segmentale Stenose neu auftreten. Extraintestinale Manifestationen des M. Crohn wie Gelenkbeschwerden, primär sklerosierende Cholangitis, Zirrhose, Spondylitis, Erythema nodosum etc. bessern sich häufig, jedoch nicht immer, wenn das erkrankte Darmsegment entfernt wird.
Eine weitere seltene, aber ungemein wichtige Indikation kann sich beim juvenilen Crohn ergeben, um eine Wachstumsverzögerung durch eine langdauernde Steroidtherapie aufzuhalten. In diesen Fällen sollte deutlich vor Verschluss der Wachstumsfugen interveniert werden, um ein Aufholen des versäumten Längenwachstums zu ermöglichen.
32
Notfallindikationen Fulminante und/oder toxische Kolitis. Ähnlich wie bei der Coli. Abb. 32.7. Ausgedehntes perianales Fistelsystem beim M. Crohn
als zweiter Schritt nach erfolgloser temporärer Deviation zu erwägen. Eine Sonderform stellen die vom Zökum ausgehenden Fisteln z. B. nach Appendektomie dar, die aufgrund der fehlenden nachgeschalteten Stenose auch spontan ausheilen können. Perianale Fisteln. 5–10% aller Patienten mit M. Crohn und 40–
60% der chirurgischen Crohn-Patienten weisen perianale Fisteln auf (. Abb. 32.7). Diese können als einziges oder unabhängiges Symptom des M. Crohn auftreten. Eine aggressive Therapie sollte mit Bedacht und nur bei Beschwerden, aber auch nicht zu spät durchgeführt werden. Einerseits rezidivieren diese Fisteln häufig und auch bei differenziertem chirurgischen Vorgehen ist der Sphinkterapparat und damit die Kontinenz des Patienten gefährdet, andererseits droht durch therapeutischen Nihilismus bei fortschreitendem septisch-fistulierendem Geschehen ebenfalls die Zerstörung des Sphinkters oder auch die Entwicklung eines Fistelkarzinoms (Winkler et al. 2002). Bei Vorliegen einer akuten Komplikation, also eines Abszesses mit Sepsisrisiko, sollten zuerst nur Inzision und Drainage durchgeführt werden. Erst im entzündungsfreien Stadium und nach genauer aktueller Evaluierung von Fistellokalisation und -ausdehnung erfolgt dann die definitive operative Therapie. Diese lokale Therapie sollte von einer adäquaten medikamentösen Systemtherapie (Infliximab) begleitet werden. Droht die Zerstörung des Sphinkters durch einen septisch-fistulierenden Verlauf, so bevorzugen wir die Vorschaltung eines doppelläufigen Ileostomas, um das Problem in eine elektive Phase überführen zu können. Einteilung und operative Therapie der perianalen und perirektalen Fisteln sind in 7 Kap. 35.2.4 und 35.2.5 dargestellt. Seltenere Indikationen Neben den erwähnten Indikationsbereichen kann sich beim M. Crohn die Indikation zur Resektion beim manifesten oder
tis ulcerosa kann auch bei der Colitis Crohn eine fulminante Kolitis oder sogar ein toxisches Megakolon auftreten. Die chirurgische Therapie sollte unverzüglich erfolgen, wenn sich der Zustand des Patienten unter maximaler intensivmedizinischer Therapie nicht bessert. Hierbei ist die 72-h-Grenze entscheidend, da anschließend die Mortalität deutlich ansteigt. In dieser Situation ist der Zustand der Patienten meist sehr schlecht und damit häufig ein zweizeitiges Vorgehen notwendig. Die partielle, ggf. auch subtotale Kolektomie mit terminaler Ileostomaanlage und distaler Kolonschleimfistel bzw. Hartmannstumpf-Anlage ist die Therapie der Wahl, die sekundär von einer Kontinuitätswiederherstellung gefolgt wird. Perforation. 1–3 % der chirurgischen Crohn-Patienten präsentieren sich mit einer freien Perforation, die etwa gleich häufig den Dünndarm und den Dickdarm betrifft (Mowatt u. Burnstein 1993). Die Diagnose wird aus dem Zusammentreffen von akutem Abdomen und freier Luft in der Abdomenübersicht gestellt. Die Operation hat sofort unter Resektion des perforierten Darmabschnittes, ggf. auch unter Mitresektion nachgeschalteter stenotischer Bereiche zu erfolgen. Die Indikation zur Diskontinuitätsresektion hat großzügig zu erfolgen, da in diesen Fällen über die besten Überlebensraten berichtet wurde, wohingegen bei primärer Anastomose eine höhere Mortalität angegeben wird (Greenstein et al. 1985). Blutung. Eine massive potenziell lebensbedrohliche Blutung tritt
in 1–13% der Fälle beim M. Crohn auf. Sie betrifft häufiger junge Männer und geht meist vom terminalen Ileum, seltener auch vom Kolon aus. Eine unverzügliche Mesenterikographie kann in der Regel die Blutungsquelle lokalisieren und eine zielgerichtete Resektion ermöglichen. Wenn möglich sollte der selektive Arteriographiekatheter im blutenden Segmentast für die Operation belassen werden, da eine intraoperative Methylenblauinjektion das selektive Auffinden der betroffenen Darmschlinge im Situs erleichtern kann.
32
443 32.8 · Chirurgische Therapie
32.8.2 Operationstechnik und Verfahrenswahl
100 80 darmschonend
60
%
Die moderne Chirurgie des M. Crohn berücksichtigt den Grundsatz des zur Erreichung des definierten Ziels erforderlichen minimalen Resektionsausmaßes (. Abb. 32.8). Die früher viel geübte Praxis, mit »Sicherheitsabstand« zu resezieren hat sich in prospektiv randomisierten Studien als falsch erwiesen (. Abb. 32.9; Ewe et al. 1989; Sperenza et al. 1986).
40
radikal
20 p < 0,01
0
Auch die operativen Zugänge haben sich in den letzten Jahren geändert. Wenn immer möglich und sinnvoll, sollten Primäreingriffe mittels minimalinvasiver Chirurgie erfolgen. Eingriffe wie Ileozökalresektionen, Stomaanlagen, Dünndarmsegmentresektionen, Strikturoplastiken oder auch Kolonsegmentresektionen sollten laparaskopisch assistiert durchgeführt werden, um die Belastung des Patienten zu minimieren (. Abb. 32.10; Reissman et al. 1996). Beim Rezidiv oder zu befürchtenden ausgedehnten Verwachsungen muss zwischen laparoskopischem und offenem Vorgehen abgewogen werden. Konventionelle Eingriffe sind bei ausgedehntem Crohn-Befall, komplexen interenterischen Fistelsystemen oder bei Malignitätsverdacht sicherer. Die aseptische Phase des Eingriffes sollte so lange wie möglich aufrecht erhalten bleiben, bevor Fisteln oder Abszesse eröffnet werden. Bei der Anastomosennaht bevorzugen wir die atraumatische zweireihige (seromuskulär und allschichtig) Naht mit resorbierbarem monofilem Nahtmaterial (z. B. Polydioxanon) mit dem Ziel, die Ausbildung von Anastomosenfisteln zu reduzieren.
. Abb. 32.8. Typischer Verlauf der Resektionsgrenzen beim M. Crohn. Sparsame Resektion, darmnahe Skelettierung und Belassung der mesenterialen Lymphknoten sind die entscheidenden Grundsätze
0
10
20
30
40
Monate . Abb. 32.9. Rezidivfreiheit in Abhängigkeit vom »Sicherheitsabstand« bei der Crohn-Chirurgie. Es ist deutlich zu erkennen, dass bei radikaler Resektion die Rezidivrate sogar höher ist, als nach sparsamer darmschonender Resektion (Ewe et al. 1989)
Resezierende Verfahren. Zur Behandlung des M. Crohn steht eine Fülle von resezierenden Verfahren zur Verfügung, die sich am betroffenen Segment und sekundär beteiligten Organen orientieren. Hierbei gilt, möglichst darmnah zu skelettieren und nur den stenosierten oder fisteltragenden Bereich sparsam zu entfernen (. Abb. 32.8). Die Verteilung der resezierenden Eingriffe an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg geht aus . Tab. 32.6 hervor. Die häufigsten Eingriffe sind die Ileozökalresektion, die Dünndarmsegmentresektion und Kolonsegmentresektionen (meist im Sigma).
. Abb. 32.10. Zustand nach laparoskopisch-assistierter Ileozökalresektion. Kleine Wunden, weniger Schmerzen, schnellere Rekonvaleszenz, reduzierte Wundinfektrate und weniger postoperative adhäsionsbedingte Beschwerden sowie Narbenhernien sind ernstzunehmende Vorteile
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Kapitel 32 · Morbus Crohn
Stomaanlage. Die häufigsten Indikationen zur Stomaanlage beim M. Crohn sind die passagere Ausschaltung eines stark entzündeten Kolons bzw. ein ausgedehntes perianales Fistelsystem. Ziel ist hierbei die Ausheilung nach systemischen, lokalen medikamentösen oder operativen Maßnahmen. Außerdem erfolgt eine Stomaanlage in Notfallsituationen (Perforation, toxisches Megakolon) im Rahmen einer Diskontinuitätsresektion oder in Ausnahmefällen bei postoperativen Komplikationen (Anastomoseninsuffizienz).
32.8.3 Nachsorge
Die Tatsache, dass der M. Crohn eine hohe Rezidivrate aufweist, macht eine gut geführte Nachsorge unentbehrlich.
32
. Abb. 32.11. Technik der Strikturoplastik. Längsinzision und Quervernähung sind die Prinzipien des Eingriffes, der zu einer Erweiterung der Stenose ohne Darmverlust führt
Strikturoplastik. Diese von Alexander-Williams (1982) beschrie-
bene Technik ermöglicht es in Anlehnung an die Pyloroplastik organsparend, d. h. nichtresezierend eine kurzstreckige Stenose chirurgisch zu erweitern (. Abb. 32.11). Sie wird immer dann eingesetzt, wenn mehrere hintereinander geschaltete kurzstreckige Stenosen (. Abb. 32.3) die Resektion von relativ viel Dünndarm erfordern würden. Meist sind diese segmentalen Stenosen im proximalen Dünndarm angesiedelt. Da der proximale Dünndarmbefall einen Hauptrisikofaktor für ein Rezidiv darstellt, ist dieser Ansatz gerade für diese Patienten zum Erhalt der Darmlänge besonders geeignet (Post et al. 1996). Bypass-Verfahren. Gemäß den Empfehlungen der Konsensuskonferenz für die chirurgische Behandlung des M. Crohn sind Bypassverfahren heute ein obsoletes Therapiekonzept (www. awmf-online.de). Gründe hierfür sind immer wieder publizierte Fälle von Karzinomen in durch einen Bypass ausgeschalteten Segmenten, die nicht adäquat endoskopisch kontrolliert werden können, sowie die Persistenz septischer Foci bei Belassung der entzündeten und ggf. noch fisteltragenden Segmente. Ausnahmen sind der ausgedehnte Befall des Duodenums, bei dem eine Gastrojejunostomie angelegt werden kann oder Fälle, in denen die Resektion zu risikoreich erscheint.
Diese kann entweder über einen kooperierenden ausgewiesenen Gastroenterologen oder über die eigene Spezialsprechstunde erfolgen. Im eigenen Krankengut wurden der frühe Krankheitsbeginn, der überwiegend proximale Jejunumbefall und das gleichzeitige Vorliegen von enterokutanen oder perianalen Fisteln als unabhängige Risikofaktoren für ein Rezidiv identifiziert (Post et al. 1996). Diese Patienten sollten daher besonders engmaschig überwacht werden. Wir führen in der Regel 6 Wochen nach der Operation eine Nachuntersuchung durch. Hierbei wird der CDAI und der IBDQ mittels entsprechender Fragebögen dokumentiert. Stomaträger werden besonders durch Fachkräfte in der Stomaversorgung und -pflege geschult. Daneben wird bei diesen Patienten empfohlen, in regelmäßigen Abständen die Retentionswerte und Serumelektrolyte hausärztlicherseits kontrollieren zu lassen, da aufgrund der Stomaverluste gelegentlich Dekompensationen beobachtet werden. Die IBDQ-Bögen werden dann in einjährigen Abständen an die Patienten verschickt, um Verschlechterungen frühzeitig zu erkennen und ggf. Nachuntersuchungen einzuleiten. Eine medikamentöse Rezidivprophylaxe wird nach o. g. Richtlinien nur bei Risikopatienten empfohlen.
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449 33.1 · Kolititis
33.1
Kolititis
) ) Man unterscheidet grundsätzlich zwischen akuten und chronischen Kolitiden. Akute Entzündungen des Dickdarms durch Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten gehören zu den häufigsten Darmerkrankungen überhaupt. Ihr Kardinalsymptom ist der Durchfall, der auch mit diffusen und krampfartigen Bauchschmerzen einhergehen kann. Zudem können vegetative Reaktionen wie Übelkeit, Erbrechen sowie Exsikkose auftreten. Je nach Pathogenitätsfaktoren der beteiligten Erreger sind unterschiedliche Krankheitsverläufe möglich. So können von manchen Erregern sekundäre Immunprozesse ausgehen, die zu einer anderweitigen Organschädigung führen können (z. B. reaktive Arthritis bei Yersinieninfektion). Die meisten Formen der akuten infektiösen Kolitis sind unkompliziert, selbstlimitierend und bedürfen keiner chirurgischen Intervention. Ausnahmen stellen die pseudomembranöse Kolitis oder bei Neugeborenen die nekrotisierende Enterokolitis dar, die bei kompliziertem klinischem Verlauf auch rasch eine chirurgische Therapie erforderlich machen können (7 Kap. 45). Chronisch-rezidivierende, unspezifische Entzündungen des Darms werden entweder als Colitis ulcerosa oder als Morbus Crohn klassifiziert. Während die Colitis ulcerosa ausnahmslos den terminalen Dickdarm befällt und nur selten auf den Dünndarm übergreift, betrifft der M. Crohn in unterschiedlichem Ausmaß sämtliche Abschnitte des Magendarmtrakts, weshalb diese Erkrankung in einem separaten Kapitel abgehandelt wird (7 Kap. 32). Ischämische Kolitis und mikroskopische Kolitis stellen wichtige Differenzialdiagnosen der chronischen Kolitis dar, sind jedoch meist konservativ zu beherrschen und erfordern nur selten eine chirurgische Therapie.
33.1.1 Pseudomembranöse Kolitis
M. Saklak, S. Willis Pathogenese Die pseudomembranöse Kolitis ist eine entzündliche Erkrankung des Kolons, die allgemein durch eine Veränderung der Zusammensetzung der physiologischen Darmflora ausgelöst wird. Als Ursachen kommen alle Faktoren in Frage, die das natürliche Gleichgewicht der Darmflora nachhaltig verändern. Neben der epidemiologisch häufigen antibiotikaassoziierten Diarrhö (10– 30% der Fälle) kommen ätiologisch auch Ischämien des Gastrointestinaltraktes, Schock, Sepsis und Urämie in Frage. Bei den klinisch relevanten Fällen steht die Infektion mit Clostridium difficile im Vordergrund.
Die Inzidenz der pseudomembranösen Kolitis in den Industrienationen nahm in den letzten Jahren aufgrund des gestiegenen Einsatzes von Breitbandantibiotika zu.
33
handlung oder zytostatischer Therapie oder bei allgemeiner Abwehrschwäche vorliegt, bietet ideale Voraussetzungen für eine unkontrollierte Vermehrung von Clostridium difficile. Fortgeschrittenes Lebensalter und bereits abgelaufene Clostridiumdifficile-Infektionen stellen weitere Risikofaktoren dar (Price 2003). Verantwortlich für die klinische Symptomatik sind die von Clostridium difficile gebildeten Toxine A und B, die ihre Hauptwirkung an der Darmschleimhaut entfalten. Sie werden aktiv ins Darmlumen sezerniert, von wo aus sie an Rezeptoren der Enterozyten binden. Nach Aufnahme in die Zelle entfalten sie ihre zytotoxische Wirkung durch Zerstörung des Zytoskeletts und Lockerung des Zellverbundes. Die Folge ist ein Flüssigkeitsverlust ins Darmlumen, der als wässrige, teils blutige Diarrhö imponiert. Enterotoxin A und Zytotoxin B spielen auf zellulärer und subzellulärer Ebene die entscheidenden Rollen für die umfassende Schädigung der Darmmukosa. Toxin B schädigt dominant das Zytoskelett der Mukosa, Toxin A aktiviert parallel die Signaltransduktionskaskade der Immunabwehr, sodass durch die Degranulation von Mastzellen und Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie den Interleukinen IL-1, IL-6, IL-8 und TNF chemotaktisch Granulozyten und Monozyten einwandern. Die Immunreaktion gegen die Bakterienzellen zur Abräumung von Zelldetritus wie Muzin und Fibrin bedingt beim Vollbild der pseudomembranösen Kolitis eine ausgeprägte Inflammation der Mukosa, die zu den endoskopisch nachweisbaren Pseudomembranen führt (Surawicz u. McFarland 2000). Klinische Symptomatologie Die Leitsymptome der pseudomembranösen Kolitis sind wässrige – oder seltener blutige – Diarrhö, Fieber und abdominelle Schmerzen oder Krämpfe. Laborchemisch kann eine Leukozytose auftreten. In der Regel zeigen sich die Symptome in der ersten Woche nach Beginn einer antibiotischen Therapie, jedoch ist ein Ausbruch der Erkrankung auch Wochen nach Absetzen der Antibiotikatherapie möglich. In diesem Zusammenhang wichtig ist die präzise medikamentöse Anamnese. Diagnostik Die Diagnose beruht auf der klinischen Symptomatik, einer mikrobiologischen Stuhluntersuchung und auf dem Nachweis von Pseudomembranen bei der Endoskopie. Besonderes Augenmerk liegt auf den allgemein prädisponierenden Faktoren wie einer abgeschlossenen oder laufenden antibiotischen oder chemotherapeutischen Behandlung oder eines kürzlich stattgefundenen operativen Eingriffes. Prinzipiell kann jede – auch einmalige prophylaktische Gabe – eines Antibiotikums Auslöser einer pseudomembranösen Kolitis sein, die häufigsten Auslöser sind aber β-Laktam-Antibiotika wie die Cephalosporine, Penicilline und Ampicillin sowie das Lincosamid Clindamycin. Generell tritt die pseudomembranöse Kollitis häufiger bei Substanzklassen auf, die die anaerobe Flora des Kolons verändern. Cave Auch eine einmalige Antibiotikumgabe kann eine pseudomembranöse Kolitis auslösen!
Clostridium difficile besitzt mehrere Pathogenitätsfaktoren. Es kommt u. a. auch in der normalen Darmflora des Menschen vor, wo es aber physiologischerweise nicht schädigend wirkt. Erst eine Dysbalance der Darmflora, wie sie häufig nach Antibiotikabe-
Zur Diagnosestellung ist der Nachweis von C. difficile und Toxin im Stuhl zwingend erforderlich. Der Toxinnachweis erfolgt im-
450
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.1. Pseudomembranöse Kolitis
33
munologisch mittels ELISA, wobei eine Sensitivität und Spezifität von mehr als 90%erreicht werden. Der Nachweis von C. difficile erfolgt durch mikroskopische Kulturen. Zu beachten ist, dass 5–10% der Bevölkerung asymptomatische Träger sind ohne krank zu sein. Von hohem diagnostischem Wert ist die endoskopische Untersuchung des Patienten, da in über 90% der Fälle Pseudomembranen sigmoidoskopisch bzw. koloskopisch nachgewiesen werden können (. Abb. 33.1). Meist ist eine flexible Sigmoidoskopie ausreichend, da die Pseudomembranen typischerweise vorwiegend im Linkskolon lokalisiert sind. Da die Leitsymptome nicht spezifisch für die pseudomembranöse Kolitis sind, müssen andere Ursachen der Diarrhö sorgfältig ausgeschlossen werden. Diagnostik der pseudomembranösen Kolitis 5 Anamnese und klinische Untersuchung 5 Stuhluntersuchung zum Toxinnachweis (A und B) mittels ELISA 5 Stuhlkultur zum Erregernachweis 5 Endoskopie
Differenzialdiagnosen der pseudomembranösen Kolitis 5 Bakterielle Infekti onen mit Enterobakterien, insbesondere enteropathogene E. coli 5 Virale Infektionen insbesondere Enteroviren und HIV 5 Enteritiden durch Medikamente und andere chemische Noxen 5 Nahrungsmittelallergene (Sprue, Zöliakie) 5 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Therapie Neben den allgemein supportiven Maßnahmen bei Diarrhö wie einer adäquaten Flüssigkeitsbilanzierung und Hydrierung des Patienten steht insbesondere bei den klinisch schwereren Fällen die Wahl eines geeigneten Antibiotikums im Vordergrund. In leichten Fällen reicht unter Umständen neben den allgemeinen Maßnahmen ein Absetzen der bestehenden antibiotischen Medikation aus. Die wichtigsten Antibiotika sind in der Therapie
Metronidazol, Vancomycin und Teicoplanin (Surawicz u. Farland 2000). Metronidazol ist das Mittel der Wahl in der Dosierung von 3-mal täglich 400 mg p.o. für 14 Tage. Während der Therapie sollte aufgrund möglicher Nebenwirkungen auf eine Alkoholkarenz geachtet werden. Vancomycin und Teicoplanin sind Mittel der Reserve. Ihr Einsatz sollte trotz leicht gestiegener Resistenzen gegen Metronidazol weiterhin restriktiv erfolgen, und nur bei Versagen bzw. einer Kontraindikation der Metronidazol-Therapie (medikamentöse Unverträglichkeit oder Gravidität im 1. Trimenon) verabreicht werden. Bis heute sind keine vollständigen Resistenzen gegen Vancomycin bekannt. Die Dosierung für Vancomycin liegt bei 3-mal täglich 250 mg p.o. Neuere Studien weisen vermehrt auf einen Nutzen probiotischer Therapien hin. Zielsetzung ist dabei eine weitgehende Wiederherstellung der normalen Darmflora durch Saccharomyces boulardii und Lactobacillus-Applikation. Im Verlauf sollte sich eine Besserung der Symptomatik innerhalb von 1–4 Tagen zeigen. Die Diarrhö sollte innerhalb von 2 Wochen sistieren. Rezidive treten in 20% der Fälle auf und müssen erneut konsequent behandelt werden. Bei fehlender Besserung, fulminanten Verläufen oder endoskopisch nicht beherrschbarer diffuser Blutung ist die Resektion des betroffenen Kolonsegmentes bis hin zur Kolektomie indiziert. 33.1.2 Ischämische Kolitis
M. Saklak, S. Willis Pathogenese Die ischämische Kolitis ist die häufigste Manifestation gastrointestinaler Ischämien. Sie verläuft entweder akut oder chronisch. Auslöser der Ischämie sind zumeist Verschlüsse der Mesenterialgefäße, wobei lokale Durchblutungsstörungen auf kleinere Kolonsegmente beschränkt sind. Die Prädilektionsstelle – vor allem beim älteren Menschen – ist die Riolan-Anastomose im Bereich der linken Kolonflexur, wo sich die arteriellen Versorgungsgebiete der A. mesenterica superior und A. mesenterica inferior treffen. Meist wird die ischämische Kolitis spätpostoperativ nach gefäßchirurgischen Eingriffen an der Aorta abdominalis beobachtet. Durch lokale Ischämie kommt es zur sekundären Schleimhaut- bzw. Darmwandentzündung, bzw. narbiger Ausbreitung mit z. T. langstreckigen Strikuturen. Die lokalen Ischämien entstehen zumeist auf der Basis vorbestehender arteriosklerotischer Veränderungen. Höheres Lebensalter ist dementsprechend ein wesentlicher Risikofaktor, der sich vornehmlich aus dem im Alter schlechteren Gefäßstatus ergibt (Higgins et al. 2004).
Die ischämische Kolitis wird häufig postoperativ nach gefäßchirurgischen Eingriffen – vor allem aortoiliakalen Eingriffen – beobachtet.
Klinische Symptomatologie Es werden 3 Subtypen der ischämischen Kolitis unterschieden, wobei insbesondere die transienten und die stenosierenden Typen von dem klinisch dringlicheren gangränösen Typus unterschieden werden müssen (Higgins et al. 2004).
451 33.1 · Kolititis
4 Die transiente ischämische Kolitis präsentiert sich im akuten Verlauf mit abdominellen Schmerzen, vor allem im Bereich der linken Kolonflexur und mit blutiger Diarrhö. Häufig sind Übelkeit und Erbrechen, im weiteren Verlauf kommt es zum Fieberanstieg. Laborchemisch finden sich eine Leukozytose und Entzündungsparameter. 4 Die stenosierende Kolitis ist insgesamt häufiger und äußert sich insbesondere mit Passagestörungen, postprandialen Schmerzen, die auch in eine Angst vor Nahrungsaufnahme im Sinne einer Angina abdominalis einmünden können. 4 Die gangränöse Kolitis ist in ihrem Verlauf fulminant und äußert sich mit den klinischen Zeichen eines akuten Abdomens.
33
Die gangränöse ischämische Kolitis ist mit hohen Mortalitätsraten behaftet und erfordert eine schnelle chirurgische Intervention mit Resektion betroffener Darmabschnitte. Je nach Lokalisation und Durchblutungssituation des Restdarms kann eine Anastomosierung versucht werden. Bei einer schlechten oder klinisch nicht einschätzbaren Durchblutungssituation ist von einer primären Anastomose abzuraten. Das sicherste Verfahren ist in solchen Fällen die Diskontinuitätsresektion (MacDonald 2002). 33.1.3 Diversionskolitis
M. Saklak, S. Willis Diagnostik Die klinische Symptomatik mit Angina abdominalis oder ein gefäßchirurgischer Eingriff in der Anamnese führen zur Verdachtsdiagnose. Entscheidendes diagnostisches Verfahren ist die Koloskopie. Hier imponieren zunächst ödematöse Schleimhautbezirke mit Einblutungen, später auch – insbesondere bei schwerem gangränösen Verlauf – dunkelrote bis schwarze Mukosaabschnitte, zum Teil mit Ulzerationen (. Abb. 33.2). Der Kolonkontrasteinlauf ist hilfreich zum Nachweis von Kolonstenosen. Die Angiographie der Mesenterialgefäße ist meist entbehrlich, da Verschlüsse im Bereich der Randarkden häufig nicht dargestellt werden können. Therapie Die transienten Verlaufsformen sind einer konservativen Therapie in der Regel gut zugänglich (MacDonald 2002). Die konservative Therapie umfasst eine effiziente Schmerztherapie sowie eine adäquate Flüssigkeitssubstitution. Wichtig ist eine aufmerksame Verlaufskontrolle, um möglichen Komplikationen rasch begegnen zu können. Vereinzelt wird eine Vollheparinisierung empfohlen. Die Prognose ist meist gut mit kompletter Ausheilung innerhalb von 2–3 Monaten. Bei bis zu 25% der Patienten muss jedoch mit einer späteren Strikturbildung oder einer segmentalen Kolitis gerechnet werden. Bei der stenosierenden Kolitis sollte das entsprechende Segment elektiv reseziert werden.
. Abb. 33.2. Ischämische Kolitis
Pathogenese Die Diversionskolitis ist definiert als unspezifische Entzündung des Intestinums, die nach chirurgischer Intervention aboral eines Ileo- oder Kolostomas auftritt. Die Inzidenz basierend auf endoskopischen Kriterien liegt bei über 50%, wobei 0–50% der Patienten Symptome entwickeln. Der Entstehungsmechanismus der Diversionskolitis ist unverstanden, diskutiert wird der fehlende trophische Reiz durch die endoluminale Stuhlpassage. Histopathologisch imponieren milde bis moderate Entzündungsherde mit lymphozytären und plasmazellulären Infiltraten der Lamina propria, erweiterten Blutgefäßen, Kryptenabszessen und einer Reduktion der Kryptenanzahl und der Bildung von lymphoiden Knötchen. Klinische Symptomatologie Die Diversionskolitis verursacht Blutungen und mukösen Ausfluss. Patienten klagen häufig über Völlegefühl und abdominelle Schmerzen mit Ausstrahlung in das Becken und/oder Rektum. Der Zeitpunkt des Auftretens der Symptome variiert sehr stark. Sie können innerhalb eines Monats postoperativ auftreten, manifestieren sich jedoch nicht selten auch erst nach mehreren Jahren. Diagnostik Die klinischen Symptome sind nicht wegweisend. Entscheidend ist die Endoskopie der ausgeschalteten Darmabschnitte mit Biopsieentnahmen für die histomorphologische Beurteilung ergeben. Radiologische Verfahren spielen zur Sicherung der Diagnose keine entscheidende Rolle, da die Befunde unspezifisch sind. Endoskopisch kann die Diversionskolitis auch wie ein M. Crohn oder eine Colitis ulcerosa imponieren, so dass die Diagnose immer im Gesamtkontext mit der Vorgeschichte des Patienten zu stellen ist. Therapie Die kausale Therapie besteht in der Wiederherstellung der Darmkontinuität. Bei Patienten, bei denen die Stomaanlage temporär erfolgte, sollte – soweit chirurgisch vertretbar – die Kontinuität frühestmöglich wiederhergestellt werden. Auch wenn bis dato keine Angaben über Dysplasien ausgeschalteter Darmsegmente vorliegen, wird eine regelmäßige Nachsorge empfohlen. Asymptomatische Patienten sollten regelmäßig endoskopisch sowohl im ausgeschalteten und nicht-ausgeschalteten Darmabschnitt kontrolliert werden. Patienten mit permanentem Stoma können häufig erfolgreich mit Steroiden, Salizylaten und kurzkettigen Fettsäuren
452
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
symptomatisch behandelt werden. Bei erfolgloser medikamentöser Therapie sollte bei Patienten mit permanenter Stomaanlage die Resektion des ausgeschalteten Darmabschnittes erwogen werden (Eggenberger u. Farid 2001). 33.1.4 Radiogene Kolitis
M. Saklak, S. Willis
33
Pathogenese Die Toleranzschwelle des Dickdarms beträgt etwa 50 Gy Herddosis. Höhere Dosen und lokale Strahlenspitzen (z. B. Radiumeinlagen) bewirken irreversible Wandschädigungen, bevorzugt nach Bestrahlung intrapelviner Karzinome sowie von Nierenkarzinomen. Die Schädigung der Stammzellen der Schleimhaut führt in 11–15% der Fälle zu einer akuten Proktokolitis mit geschwollener Schleimhaut, Blutungen, Erosionen und Ulzerationen. Davon zu unterscheiden ist die chronische Strahlenkolitis, die sich oft erst Jahre nach der Bestrahlung im bestrahlten Gebiet entwickelt. Sie ist die Folge einer Strahlen-induzierten Angiosklerose, die in der Folge zu Schleimhauthypoxie, Wandfibrose, Stenosebildung und einem erhöhten Kolonkarzinomrisiko führt. Die Häufigkeit operationspflichtiger Strahlenspätschäden beträgt 1,5–2%. Klinische Symptomatologie und Diagnostik Kardinalsymptom der akuten radiogenen Kolitis sind blutigschleimige Diarrhö und Tenesmen. Die chronische Strahlenkolitis manifestiert sich entweder als hämorrhagisch-ulzeröse Proktokolitis mit diffusen Blutungen oder als chronischer Dickdarm(sub)ileus. Höhergradige lokale Wandschäden können Fistelbildungen zur Blase, Scheide, seltener enterokutane Fisteln bewirken. Als Begleitschäden können Schrumpfgallenblase, Harnleiter- und Dünndarmstenosen und eine sklerosierende konstriktive Peritonitis aufteten. Diagnostikum der Wahl ist die flexible Endoskopie, bei Stenosen und Begleiterkrankungen können Kolonkontrasteinlauf und CT erforderlich sein. Therapie Die therapeutischen Möglichkeiten sind häufig unbefriedigend. Die konservative Therapie umfasst Sulfasalazin, Panthenol, Sucralfat-Einläufe, Spasmolytika, Sedativa, Östrogen-Progesteron-Kombinationen, Kortisonklysmen und schlackenreiche Kost (Wurzer et al. 1998). Die akute Strahlenkolitis klingt meist nach wenigen Wochen ab, der Übergang in eine chronische Kolitis ist selten. Diffuse Blutungen bei hämorrhagischer chronischer Proktokolitis lassen sich am besten endoskopisch mittels Laserkoagulation behandeln (Tjandra u. Sengupta 2001). Bei nicht beherrschbarer profuser Blutung oder Ileus ist die sofortige operative Therapie indiziert. Ansonsten sollte die Operationsindikation aufgrund einer hohen Operationsletalität von 5–10% und einer Anastomoseninsuffizienzrate von bis zu 50% zurückhaltend gestellt werden. Lokale Reparationsversuche sind wegen der schlechten Heilungstendenz meist frustran, weshalb im Zweifelsfall dem mehrzeitigen Vorgehen der Vorzug zu geben ist.
33.1.5 Mikroskopische Kolitis
M. Saklak, S. Willis Pathogenese Es handelt sich hierbei um eine erstmals 1976 beschriebene Erkrankung des Kolons mit chronischer Diarrhö und normalem endoskopischen Aspekt, bei der sich histologisch ein charakteristisches subepitheliales kollagenes Band findet. Später wurde zusätzlich eine klinisch ähnliche, lymphozytäre Kolitis entdeckt, die ebenfalls nur mikroskopisch zu erkennen ist. Beide Erkrankungen wurden unter dem Oberbegriff »mikroskopische Kolitis« subsummiert (Schiller 2004). Die kollagene Kolitis kann aus einer lymphozytären Kolitis entstehen und umgekehrt. Die Ursache der mikroskopischen Kolitis ist unklar, eine familiäre Häufung und damit eine genetische Prädisposition scheinen vorzuliegen. Vermutlich liegt der mikroskopischen Kolitis eine abnormale Immunreaktion auf luminale Antigene zugrunde. An der Entstehung der Diarrhö ist bei der kollagenösen Variante die Kollagenschicht wahrscheinlich nicht beteiligt. Wahrscheinlicher ist als Ursache der Diarrhö und des erhöhten Stuhlgewichtes die Infiltration mit Entzündungszellen und konsekutive Freisetzung von Mediatorstoffen anzusehen. Es gibt Hinweise auf eine Assoziation mit autoimmunologischen Krankheiten wie dem Sjögren-Syndrom oder der Sprue, sodass eine autoimmunologische Komponente auch bei den mikroskopischen Kolitiden vorliegen kann. Medikamente, v. a. NSAR und Lansoprazol können möglicherweise ebenfalls eine mikroskopische Kolitis auslösen. Neuere Daten weisen auf einen kausalen Zusammenhang mit der Entstehung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie M. Crohn und Colitis ulcerosa hin (Robert 2004). Klinische Symptomatologie und Diagnostik Kardinalsymptom ist die wässrige Diarrhö. Korrekt diagnostizierbar ist die Erkrankung allerdings nur über eine endoskopische Stufenbiopsie und einer histopathologischen Untersuchung. Da die mikroskopische Kolitis meist den gesamten Dickdarm betrifft, können die Biopsien im gesamten Kolon entnommen werden. Die Breite der Kollagenschicht nimmt jedoch vom Zökum zum Rektum ab. Das Rektum kann in seltenen Fällen ausgespart bleiben. Daher ist eine Biopsie aus dem Sigma und/ oder dem rechten Kolon anzustreben. Wichtig ist der Ausschluss anderer Ursachen einer wässrigen Diarrhö, insbesondere einer Colitis ulcerosa (Schiller 2004). Therapie Die Therapie ist primär konservativ, eine chirurgische Therapie ist in der Regel nicht indiziert. Primär sollten alle potenziell verursachenden Medikamenten (z. B. NSAR) abgesetzt werden. Kortikoide, speziell Prednisolon und Budesonid, haben sich als erfolgversprechende Therapie erwiesen. Die Relapsgefahr nach Absetzen ist jedoch hoch. Wismutsubsalyzylat und Mesalazin können eingesetzt werden. Symptomatisch kann die Stuhlfrequenz mit Loperamid gesenkt werden. Oftmals treten Spontanremissionen auf, wobei ältere Patienten haben eine höhere Spontanremissionsrate und einen milderen Verlauf aufweisen als junge Patienten (Schiller 2004).
453 33.1 · Kolititis
33
33.1.6 Colitis ulcerosa
S. Willis, J. Braun
ektomie und Stress weniger gut belegt ist. Es gibt wenig Evidenz dafür, dass psychosomatische Faktoren von pathogenetischer Bedeutung sind. Vielmehr scheinen verschiedene psychologische Auffälligkeiten sekundär durch den chronischen Krankheitsprozess verursacht zu sein (Farrell u. Peppercorn 2002; Podolsky 2002).
Definition und Epidemiologie Die Colitis ulcerosa ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung unbekannter Ätiologie. Sie betrifft primär das Rektum, kann sich jedoch von distal nach proximal ausdehnen und das ganze Kolon befallen. In der klinischen Praxis wird zwischen einem Befall des Rektums (Proktitis), des Rektosigmoids (Proktosigmoiditis), des Colon descendens (Linksseitenkolitis) und des gesamten Kolon (Pankolitis) unterschieden. Die Entzündung befällt ausschließlich Mukosa und Submukosa. Bei 10–40% der Patienten bleibt die Erkrankung auf das Rektum und Sigma beschränkt. Bei etwa 10% der Patienten mit schweren Verlaufsformen ist eine Beteiligung des terminalen Ileum möglich, die als »Backwash«-Ileitis bezeichnet wird. Die Inzidenz der Colitis ulcerosa wird mit 5–8 Neuerkrankungen/100 000 Menschen/Jahr und die Prävalenz mit 40–90 Fälle/100.000 Menschen angegeben. Das Manifestationsalter liegt zumeist zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr. In einigen Statistiken wird ein zweiter Häufigkeitsgipfel zwischen dem 60. und dem 70. Lebensjahr beschrieben. Auffällig ist eine Zunahme der Inzidenz während der letzten Jahre, wobei nicht klar ist, ob die Krankheitsfälle tatsächlich zunehmen, oder ob die Diagnose aufgrund besserer Diagnostik häufiger gestellt wird. Bei 25% der Fälle liegt die Erstmanifestation im Kindesalter, was mit einer sehr schlechten Langzeitprognose verbunden ist. Bei Frauen wird die Colitis ulcerosa etwas häufiger beobachtet als bei Männern. Ebenso wie beim M. Crohn, jedoch nicht so ausgeprägt, gibt es sowohl eine familiäre als auch einen ethnische Häufung (europäische und nordamerikanische Juden), was eine genetische Komponente in der Krankheitsentstehung suggeriert. Andere epidemiologische Untersuchungen haben ergeben, dass Bewohner ländlicher Gegenden weniger häufig betroffen zu sein scheinen als die Bewohner städtischer Regionen. Die Bewohner nördlicher Länder sind stärker betroffen als die Bewohner südlicher Regionen, was für eine Beteiligung von Umgebungsfaktoren in der Pathogenese der Erkrankung spricht (Loftus 2004).
Morphologie Morphologisch ist die erkrankte Mukosa durch ein samtartig, feingranuläres Aussehen gekennzeichnet. Die Entzündungsausbreitung ist kontinuierlich mit im Regelfall scharfer Begrenzung zum gesunden Darm. Punktförmige Erosionen gehen in hochgradig entzündlich veränderten Bereichen auch in echte Ulzerationen über. Nach dem Abklingen der akuten Entzündungsphasen kommt es durch Hyperplasie der zwischen den Ulkusnarben erhaltenen Schleimhautinseln zur Ausbildung charakteristischer entzündlicher Pseudopolypen (. Abb. 33.3). Im Extremfall können diese sogar das Bild einer Polyposis coli vortäuschen. Im akuten Schub ist das Kolon zunächst dilatiert. Bei langjährigem Verlauf kommt es zu einer zirkulären Schleimhautzerstörung mit narbiger Schrumpfung und es entwickelt sich das Bild eines weitgehend funktionslosen »Fahrradschlauches« (. Abb. 33.4). Die histologische Untersuchung von Material, das im floriden Stadium gewonnen wurde, zeigt eine granulozytäre Entzündung mit Reduktion der Becherzellen. Häufig sind Kryptenabszesse, die allerdings auch beim M. Crohn und anderen Entzündungen gefunden werden. Remissionen gehen bisweilen mit einer Normalisierung des Schleimhautbildes einher. Bei langdauernder Kolitis findet man zunehmend Epitheldysplasien, die aufgrund histologischer Kriterien in »High-grade«- und »Lowgrade«-Dysplasien unterteilt werden. Gelegentlich ist diese Unterscheidung auch für geübte Pathologen schwierig, woraus eine geringe Konkordanz in der histologischen Beurteilung resultiert. In schwierigen Fällen sollte deshalb grundsätzlich eine zweite Meinung eingeholt werden. Etwa 50% der Dysplasien findet man in beetartig erhabenen oder flachen, evtl. perlmuttartig diskolorierten Bezirken, bevorzugt im Rektum. Diese »Dysplasie-assoziierten Läsionen oder Massen« (DALM) sind eng mit dem
Pathogenese Ätiologie und Pathogenese der Colitis ulcerosa sind noch weitgehend ungeklärt. Vermutlich führt wie beim M. Crohn ein Zusammenspiel genetischer, immunologischer und Umgebungsfaktoren zur Ausbildung der chronischen Entzündung. Dabei scheint nicht nur der Phänotyp der Erkrankung (M. Crohn oder Colitis ulcerosa), sondern auch der Krankheitsverlauf genetisch determiniert zu sein. Man geht heute davon aus, dass die chronische Entzündung der Darmwand auf einer andauernden und überschießenden Aktivierung des mukosalen Immunsystems durch endoluminale Substanzen beruht. Dabei kann die chronische Immunstimulation durch einen Defekt der mukosalen Schleimhautbarriere und/oder durch ein Ungleichgewicht proinflammatorischer und entzündungshemmender Zytokine verursacht sein. Der Trigger, der die chronische Immunstimulation auslöst, ist nicht bekannt. Grundsätzlich kann es sich um ein Nahrungsantigen, bestimmte Bakterien wie atypische Mykobakterien, Bestandteile der normalen Darmflora oder ein Autoantigen handeln. Gesichert ist, dass Rauchen statistisch vor der Entstehung einer Colitis ulcerosa schützt, während ein Zusammenhang mit Ernährungsgewohnheiten, Antikonzeptiva, vorausgegangener Append-
. Abb. 33.3. Pseudopolypen bei Colitis ulcerosa
454
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
Karzinome bei Colitis ulcerosa sind statistisch gleichmäßig über das gesamte Kolon und Rektum verteilt und treten in ca. 30% der Fälle multifokal auf. Es handelt sich meist um wenig differenzierte und muzinöse Adenokarzinome. Auch wenn nicht alle Kolitis-Karzinome aus Dysplasien entstehen, gelten letztere als Präkanzerosen. Schwere Dysplasien sind in 50–74% der Fälle mit einem kolorektalen Karzinom assoziiert, wobei diese auch fern der Schleimhaut entstehen können, die von der »High-grade«Dysplasie betroffen sind. Deshalb wird 8–10 Jahre nach Erkrankungsbeginn eine kontinuierliche Überwachung mittels jährlicher Koloskopie und Stufenbiopsien alle 10 cm des gesamten Dickdarms empfohlen, obwohl dadurch bislang weder eine statistisch signifikante Lebensverlängerung noch eine Kosteneinsparung nachgewiesen werden konnte (Delco 2000; Podolsky 2002). Durch die Entwicklung molekulargenetischer Marker könnte die Entdeckung von Dysplasien in Zukunft jedoch deutlich effizienter werden. Cave Jede Stenose bei Colitis ulcerosa ist malignitätsverdächtig!
33
. Abb. 33.4. Kolonkontrasteinlauf bei »ausgebrannter« Colitis ulcerosa mit Haustrenverlust und langstreckiger Stenosierung
Auftreten von Karzinomen verknüpft (Warren 2004). In 10–15% der Fälle ist die Abgrenzung von anderen chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, vor allem zum M. Crohn schwierig. Ist eine eindeutige Zuordnung trotz ausreichender Biopsien nicht möglich, spricht man von indeterminierter Kolitis.
Klinische Symptomatologie Die klinische Symptomatik der Colitis ulcerosa hängt von der Ausbreitung der Erkrankung und vom Schweregrad der Entzündung ab. Die Leitsymptome sind blutig-schleimige Durchfälle. Typisch für die aktive Colitis ulcerosa sind 4–10 Stuhlentleerungen pro Tag, darunter auch nächtliche Stuhlentleerungen. Viele Patienten klagen zudem über Tenesmen, Defäkationsschmerzen, imperativen Stuhldrang und das Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung.
50% der Dysplasien finden sich in normaler Schleimhaut. Leitsymptom der Colitis ulcerosa sind blutig-schleimige Durchfälle.
Karzinomrisiko Patienten mit Colitis ulcerosa haben ein signifikant höheres Risiko, ein Kolonkarzinom zu entwickeln, als die Allgemeinbevölkerung. Dieses Risiko ist im Wesentlichen abhängig von Ausmaß und Dauer der Erkrankung. Die Aktivität der Erkrankung spielt demgegenüber keine Rolle. In einer Populations-basierten Studie war die Karzinominzidenz im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bei Proktitis um das 1,7-fache, bei Linksseitenkolitis um das 2,8-fache und bei Pankolitis um das 14,8-fache erhöht. Nach 10-jähriger Erkrankungsdauer betrug die kummulative Karzinominzidenz von 0,1–0,8%, nach 30-jähriger Krankheitsdauer bereits 6–16% (Hata 2003). Noch höher ist das Karzinomrisiko bei Erstmanifestation der Erkrankung unter 30 Jahren, bei Nachweis einer sklerosierenden Cholangitis oder »Backwash«Ileitis oder bei positiver Familienanamnese für kolorektale Karzinome (Heuschen 2001; Jayaram 2001). Als Faustregel steigt nach einer Erkrankungsdauer von 10 Jahren das Entartungsrisiko pro Jahr um 1% an. Eine kontinuierliche Aminosalizylat-Therapie, Rauchen und möglicherweise Folsäure- und Vitamin-ESupplementierung konnten bislang als protektive Faktoren identifiziert werden (Farrell u. Peppercorn 2002).
Das Karzinomrisiko bei Colitis ulcerosa ist abhängig von Ausmaß und Dauer, nicht aber der Aktivität der Erkrankung.
Der Schweregrad der Colitis ulcerosa wird nach Truelove und Witts in 3 Stadien eingeteilt (. Tab. 33.1; Truelove u. Witts 1954). Als Folge hoher Krankheitsintensität können Anämie, Eiweißmangel, Abwehrschwäche und Gewichtsverlust bis hin zur Anorexie auftreten. Die Erkrankung verläuft überwiegend schubweise
. Tabelle 33.1. Aktivitätsbeurteilung der Colitis ulcerosa nach Truelove und Witts
Symptome/ Aktivität
Mild
Mittelschwer
Schwer
Stühle/Tag
<5
5–9
>9
Blutung
Gering
Intermittierend profus
Dauernd profus
Fieber
Afebril
37,5–38,5°C
>38,5°C
Hämoglobin
Normal
<10 g/dl
<7,5 mg/dl
BSG
<30 mm/h
>30 mm/h
>50 mm/h
Serumalbumin
Normal
3–4 g/dl
<3 g/dl
455 33.1 · Kolititis
33
entbehrlich. Etwa die Hälfte der Dysplasien entstehen aus flacher Schleimhaut und können oft nur mit speziellen Färbetechniken (z. B. Indigokarmin) sichtbar gemacht werden. Der Kolonkontrasteinlauf wurde in den letzten Jahren weitgehend durch die Endoskopie abgelöst. Sonographie, Computertomographie und Kernspintomographie sind hilfreich bei bestimmten Fragestellungen, besitzen im Allgemeinen jedoch auch keinen relevanten Stellenwert in der Diagnostik. Eine Ausnahme stellt das toxische Megakolon dar, wo die CT die einzige nichtinvasive Methode darstellt, um subklinische Abszesse und Perforationen zu erkennen. Wegen Perforationsgefahr dürfen bei Verdacht auf ein toxisches Megakolon keine Koloskopie oder ein Kontrastmitteleinlauf durchgeführt werden. Antigranulozytenantikörper-Szintigraphie und Positronenemissionstomographie können in seltenen Fällen Zusatzinformationen hinsichtlich Erkrankungsausdehnung und -aktivität liefern. Neben den klinischen Parametern sind Laborparameter wie Hämoglobin, Serumalbumin, BSG oder CRP zur Abschätzung der Aktivität der Erkrankung hilfreich. Die Bestimmung der Crohn-spezifischeren Antikörper ASCA (Anti-Saccharomycescerevisiae-Antikörper) und Colitis-spezifischeren Antikörper pANCA (perinukleäre antineutrophile zytoplasmatische Antikörper) können bei der Differenzialdiagnose M. Crohn/Colitis ulcerosa helfen. Medikamentöse Therapie . Abb. 33.5. Toxisches Megakolon bei Colitis ulcerosa
mit durchaus längerfristigen spontanen Remissionen. Eine Unterscheidung in einen akuten oder chronischen Verlauf ist deshalb nur bedingt sinnvoll, da auch bei chronischen Verläufen akute, schwere Exazerbationen möglich sind. Die gefährlichsten Komplikationen der Colitis ulcerosa sind das toxische Megakolon (1–2%), Perforationen (3%) und massive Blutungen (3%). Klinisch manifestiert sich das toxische Megakolon durch plötzliches Sistieren des Stuhlgangs, ein schmerzhaft geblähtes, akutes Abdomen, Erbrechen und allgemeinen Intoxikationszeichen (septische Temperaturen, Schüttelfrost, Tachykardie, Tachypnoe, Verwirrtheit, Somnolenz, Schock). Pathognomonisch ist eine Zunahme des Colon-transversum-Durchmessers auf mehr als 6,5 cm in der Abdomenleeraufnahme (. Abb. 33.5). Perforationen ereignen sich meist infolge eines toxischen Megakolons, sind jedoch in seltenen Fällen auch so möglich. Massive Blutungen sind in der Regel Folge einer ausgeprägten Entzündung und damit im Gegensatz zum M. Crohn meist diffus und nicht lokalisiert. Seltenere Komplikationen sind narbige Stenosen und perianale Abszesse. Extraintestinale Manifestationen sind Arthritis, Erythema nodosum, Augenentzündungen, Thrombophlebitis, Pankreatitis, primär sklerosierende Cholangitis, Cholelithiasis, Nephrolithiasis, Hydronephrose und Amyloidose. Diagnostik Die Diagnose einer Colitis ulcerosa wird ausschließlich histologisch gestellt. Hierfür ist bei entsprechendem Verdacht eine Rekto-/Sigmoideoskopie mit Entnahme von multiplen Biopsien erforderlich. Eine komplette Koloskopie ist für die Diagnosestellung nicht zwingend erforderlich, zur Bestimmung des Krankheitsausmaßes, zur Erkennung von Dysplasien und zum Ausschluss eines gleichzeitig vorliegenden Karzinoms jedoch un-
Eine kausale medikamentöse Therapie der Colitis ulcerosa existiert bis heute nicht. Dennoch stellt die medikamentöse Therapie die primäre Therapie der Colitis ulcerosa dar.
Verschiedene Wirkstoffklassen stehen zur Verfügung, um mit hoher Erfolgsrate die Entzündungsaktivität der Darmschleimhaut zu unterdrücken. Moderne 5-Aminosalizylate (5-ASA, als Retardpräparat Mesalazin genannt) nehmen die zentrale Rolle in der Behandlung ein. Sofern die Ausdehnung der Kolitis die linke Kolonflexur nicht überschreitet, sind rektale Applikationsformen vorzuziehen. Neben 5-ASA-Suppositorien und -Klysmen in einer Dosierung von 1 g/Tag kommen auch topisch wirksame Kortikosteroide wie Hydrokortisonschäume oder Budenosid-Klysmen (2 mg/Tag) zum Einsatz. Klinische Studien konnten zeigen, dass topische Steroide in der Behandlung der distalen Kolitis bei reduzierter Nebenwirkungsrate eine vergleichbare oder sogar höhere Wirksamkeit als orale Steroide haben. Geht die Entzündung über die linke Flexur hinaus, muss eine orale Medikation erfolgen. Bei gering- bis mäßiggradiger Entzündung sind orale 5-ASA-Präparate die Therapie der Wahl (Mesalazin 3–4,8 g/Tag, Sulfasalazin 4–6 g/Tag, Olsalazin 3 g/Tag). Bei höhergradiger Entzündung werden orale oder intravenöse Steroide eingesetzt. Initial werden 1 mg/kg Prednisolon-Äquivalent pro Tag verabreicht, bis die akute entzündliche Erkrankungsaktivität kontrolliert ist. Anschließend erfolgt eine schrittweise Dosisreduktion um 10 mg/Woche und um 5 mg/Woche ab einer Dosis von 30 mg. Auch die orale Budesonid-Gabe ist möglich. In entsprechenden klinischen Studien zeigten 10 mg Budesonid eine vergleichbare Wirkung wie 40 mg Prednisolon. Bei häufig rezidivierenden Schüben, fehlender Remission oder Steroidabhängigkeit werden alternativ die immunsuppressiven Substanzen Azathioprin (2–2,5 mg/kg KG) oder 6-Mercaptopurin (1,5 mg/kg KG) eingesetzt. Beide Substanzen besitzen
456
33
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
einen verzögerten Wirkungseintritt, sodass das therapeutische Ansprechen erst nach 2–3 Monaten erwartet werden kann. Erfahrungsgemäß hält der Nutzen dieser Therapie so lange an, wie die Substanz eingenommen wird und bei vielen Patienten treten beim Absetzen dieser Medikamente Erkrankungsrezidive auf. Aufgrund der zum Teil erheblichen Nebenwirkungen dieser Substanzen (v. a. Hämato- und Hepatotoxizität) sollte deshalb bereits frühzeitig eine chirurgische Therapie erwogen werden. Bei fulminanten Verläufen wird zunächst ein Versuch mit einer intravenösen Hochdosis-Steroidtherapie (100 mg Prednisolon-Äquivalent) unternommen. Bei Versagen dieses Versuchs kommt Ciclosporin zum Einsatz. Die übliche Dosierung beträgt 4 mg/kg KG i.v. über 3–7 Tage, anschließend 5 mg/kg KG per os über maximal 3 Monate. Das mittlere Ansprechen liegt bei 50– 80% der Patienten mit schwerster Kolitis innerhalb von 7–10 Tagen. Nach initialem Ansprechen sollten überlappend Azathioprin oder 6-Mercaptopurine als Anschlusstherapie eingesetzt werden. Wirkstoffe wie Tacrolimus, Infliximab oder Interferone befinden sich derzeit in der klinischen Erprobung. Die Indikation zur chirurgischen Sanierung sollte bei schwerem oder fulminantem Verlauf frühzeitig gestellt werden, um nicht eine Notfallkolektomie mit sehr hoher Morbidität und Mortalität zu riskieren. Rein statistisch werden 50% der Patienten, bei denen durch Ciclosporin eine Kontrolle der Erkrankung erreicht werden konnte, innerhalb eines Jahres aufgrund eines erneuten schweren Schubs proktokolektomiert.
Nach erfolgreicher Remission sollte eine Rezidivprophylaxe mit 1,5 g 5-ASA pro Tag über mindestens 2 Jahre durchgeführt werden. Bei ausschließlich linksseitiger Kolitis ist die Gabe von Klysmen, bei reiner Proktitis auch die Verwendung von Suppositorien (1 g/Tag oder 2×4 g/Woche) wirksam. Die Gabe von apathogenen E.-coli-Stämmen wurde als gleich wirksam für die Erhaltungstherapie der Colitis ulcerosa beurteilt wie die Standardtherapie mit Mesalazin (. Tab. 33.2; Stange et al. 2001; Rammert u. Kullak-Ublick 2003). Operationsindikationen Da es sich bei der Colitis ulcerosa um eine isolierte Erkrankung der Kolonschleimhaut handelt, ist die chirurgische Therapie im Gegensatz zur medikamentösen Therapie kausal, d. h. sie führt zur definitiven Heilung der Erkrankung. Vor der Planung elektiver Eingriffe ist die histologische Sicherung der Diagnose obligat. Eine absolute Operationsindikation ist gegeben, wenn konservative Maßnahmen versagen, Komplikationen auftreten oder Karzinomverdacht besteht. . Tab. 33.3 führt die verschiedenen Indikationen zur Elektiv- und Notfallchirurgie auf. Die häufigste Indikation zur chirurgischen Therapie ergibt sich nach erfolgloser medikamentöser Therapie. Dazu zählen fehlendes Ansprechen auf die Therapie, Rezidive nach Absetzen der Therapie, Bedarf exzessiv hoher Steroiddosen oder das Auftreten von Therapiekomplikationen und -nebenwirkungen
. Tabelle 33.2. Therapiestandards bei Colitis ulcerosa entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen Gering- bis mäßiggradiger Schub (distale Kolitis) Standard
Aminosalizylate (lokal): 1 g/Tag Suppositorien (Proktitis) oder 1 g/Tag Klysmen (Proktosigmoiditis)
Alternative
Kortikosteroide (lokal) als Schaum oder Klysma, z. B. Budesonid 2 mg/Tag
Gering- bis mäßiggradiger Schub (ausgedehnte Kolitis) Standard
Aminosalizylate (oral): 3–4,8 g/Tag, evtl. auch Aminosalizylate lokal
Alternative
Kortikosteroide (oral) 40–60 mg/Tag Prednisolon-Äquivalent
Schwerer oder fulminanter Schub (distale Kolitis) Standard
Kortikosteroide (oral oder parenteral): 40–100 mg/Tag Prednisolon-Äquivalent, evtl. plus Aminosalizylate (lokal)
Schwerer oder fulminanter Schub (ausgedehnte Kolitis) Standard
Kortikosteroide (oral oder parenteral): 40–100 mg/Tag Prednisolon-Äquivalent, evtl. plus Aminosalizylate (lokal)
Falls steroidrefraktär
Zusätzlich: Ciclosporin A (4 mg/kg KG i.v.) oder Tacrolimus (0,01 mg/kg KG) über 3–7 Tage)
Bei Therapieversagen
Proktokolektomie
Chronisch-aktive Erkrankung Standard
Azathioprin (oral) 2,5 mg/kg KG/Tag oder 6-Mercaptopurin (oral)
Rezidivprophylaxe Standard
Aminosalizylate (oral) 1,5 g/Tag
Falls ineffektiv/unverträglich
E. coli Nissle (oral) 200 mg/Tag
457 33.1 · Kolititis
. Tabelle 33.3. Operationsindikationen und Häufigkeiten bei Colitis ulcerosa
Indikation
Häufigkeit
Therapierefraktäre Kolitis, Therapiekomplikationen
75%
Dysplasie, Kolitis-Karzinom
15%
Toxisches Megakolon (Notfall)
7%
Perforation, Blutung (Notfall)
3%
(Steroidabhängigkeit, Steroidpsychosen, Hypertonie, Diabetes, Osteopenie, aseptische Knochennekrosen usw.).
Als Faustregel gilt, dass 85% der Patienten mit mehr als 8 Stühlen pro Tag oder mit mehr als 3 Stühlen pro Tag und einem CRP>45 mg/l am dritten Tag der Steroidtherapie wegen Therapieversagens operiert werden müssen (Travis 1996).
Schwierig ist die Indikationsstellung beim toxischen Megakolon. Absolute Indikationen für einen operativen Eingriff sind Perforationen, unkontrollierbare Blutungen und zunehmende Dilatation. Eine Perforation oder Blutung erhöhen die Letalität des toxischen Megakolons von 4 auf 33%, weshalb in der Literatur einhellig eine frühzeitige Intervention bevorzugt wird (»Save the patient, not the colon« [Goligher]). Empfohlen wird derzeit ein 7-tägiger, aggressiver medikamentöser Therapieversuch unter engmaschiger, interdisziplinärer intensivmedizinischer Überwachung. Bei Verschlechterung des klinischen Zustands oder fehlender Besserungstendenz innerhalb von 72 h ist die operative Sanierung vor dem Auftreten von Komplikationen angezeigt (Gan 2003). Wichtige Operationsindikationen stellen Dysplasien oder Karzinomverdacht dar. Aufgrund der bereits erwähnten Schwierigkeiten der histologischen Beurteilung ist eine absolute Operationsindikation erst gegeben, wenn 2 unabhängige Pathologen eine Dysplasie als »high-grade« beurteilen. Häufig finden sich dann bereits invasive Karzinome im Präparat. Dementsprechend wird die Indikationsstellung zur chirurgischen Therapie bereits beim Nachweis von »Low-grade«-Dysplasien diskutiert, auch wenn bislang ein eindeutiger Überlebensvorteil durch die Ausweitung der Indikationsstellung nicht bewiesen werden konnte (Lim et al. 2003). Bei Patienten mit ausgeprägtem Risikoprofil wird derzeit die prophylaktische Proktokolektomie sogar bereits diskutiert, bevor endoskopisch-bioptisch Epitheldysplasien nachweisbar sind. Diese Überlegungen werden durch die Tatsache beeinflusst, dass der Karzinomentstehung häufig eine Erkrankungsphase vorausgeht, die von intensiver entzündlicher Aktivität geprägt ist. Bereits vorhandene Dysplasien werden dann durch die frisch entzündlichen, aber auch chronischen, regenerativen Veränderungen maskiert und können möglicherweise koloskopisch und histologisch nicht rechtzeitig erkannt werden. Aufgrund der guten Ergebnisse der chirurgischen Therapie mit definitiver Heilung der Erkrankung, Vermeidung von Medikamentennebenwirkungen und guter langfristiger Lebensqualität sollte die Indikation zur elektiven chirurgischen Therapie unseres
33
Erachtens nicht zu restriktiv gestellt werden. Dennoch werden bislang insgesamt weniger als 20% der Patienten mit Colitis ulcerosa im Verlauf ihrer Krankheit operiert. Eine weitere Indikation besteht bei Wachstumsverzögerung bei Kindern mit Colitis ulcerosa. Die chronische Entzündung und die hochdosierte immunsuppressive Therapie können zu schwersten und z. T. irreversiblen körperlichen und psychosozialen Folgeschäden führen, die durch die frühzeitige chirurgische Therapie vermieden bzw. wieder aufgeholt werden können. Bei bioptisch indeterminierter Kolitis und klinisch fehlendem Verdacht auf M. Crohn kann entsprechend der Therapie bei Colitis ulcerosa vorgegangen und eine ileoanale Pouch-Operation durchgeführt werden. Postoperativ gelingt bei diesen Patienten zu 95% der histologische Nachweis einer Colitis ulcerosa. Bei den wenigen Patienten mit echter indeterminierter Colitis sind die Ergebnisse nach Pouch-Operation vergleichbar mit denen bei Colitis ulcerosa (Pishori et al. 2004). Bei Verdacht auf M. Crohn ist die restaurative Proktokolektomie jedoch kontraindiziert.
Versagen der medikamentösen Therapie, »High-grade«-Dysplasien und Karzinomverdacht sind absolute Operationsindikationen.
Operationsverfahren Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie. Bis zu Beginn der 80er-Jahre war die Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie (Synonym: Brooke-Ileostomie) die chirurgische Therapie der Wahl bei Colitis ulcerosa. Die Entfernung der gesamten Dickdarmschleimhaut führt zur Beherrschung der mukosalen Grunderkrankung und damit verbunden zu einer wirkungsvollen Tumorprophylaxe. Das endständige Ileostoma stellt allerdings eine erhebliche psychische und physische Belastung für die meist jungen Patienten dar, was zu einer Ablehnung des Verfahrens gleichermaßen bei Patienten und behandelnden Ärzten führte. Die notwendige Operationsindikation wurde deshalb häufig zu spät gestellt bzw. bis zum Eintritt einer Notfallsituation hinausgezögert. Proktokolektomie mit Kock-Pouch. Der Kock-Pouch ist eine kontinentes Ileostoma und stellt eine Alternative zur herkömmlichen Ileostomie dar. Eine Klappe, die aus dem terminalen Ileum gebildet wird, gewährleistet die Kontinenz für Gas und Stuhl. Die Operation ist komplex und die Lernkurve hoch. Knapp die Hälfte der Patienten benötigt im Laufe der Zeit eine Reoperation wegen Klappendysfunktion. Zudem leiden viele Patienten an Pouchitis und wässriger Diarrhö, weshalb die Indikation zur Kock-Pouch-Anlage heutzutage selten geworden ist. Nur noch wenige Zentren verfügen über genügend Erfahrung mit dieser Technik (. Abb. 33.6). Proktokolektomie mit Ileumpouch-analer Anastomose. Die Proktokolektomie mit Ileumpouch-analer Anastomose (IPAA, Synonym: restaurative Proktokolektomie) ist heute das chirurgische Standardverfahren und die Therapie der Wahl bei Colitis ulcerosa. Es handelt sich um ein Kontinenz-erhaltendes Verfahren, das 1978 erstmals von Parks und Nicholls beschrieben wurde. Hierbei wird nach erfolgter Proktokolektomie aus dem terminalen Ileum ein Reservoir (Pouch) gebildet, der als Neorektum mit dem Anus anastomosiert wird (. Abb. 33.7). Im Pouch sammelt
458
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.6. Kock-Pouch
33 . Abb. 33.8. Auswahl von in der Literatur veröffentlichten PouchKonstruktionen. (Aus: Heuschen et al. 1999)
. Abb. 33.7. Ileum-J-Pouch als Stuhlreservoir bei restaurativer Proktokolektomie
sich der dünne und voluminöse Dünndarmstuhl. So kann zum einen die Frequenz der Stuhlentleerung, die nach der einfachen ileoanalen Anastomose bis weit über 20-mal täglich beträgt, zum anderen aber auch die Kontinenz gebessert werden (7 unten). Der in der Originalbeschreibung von Parks verwendete S-Pouch ist aufgrund eines langen abführenden Segmentes mit erheblichen Entleerungsstörungen behaftet. Es wurden deshalb andere Pouch-Designs entwickelt, von denen der J-Pouch am weitesten verbreitet ist (. Abb. 33.8). Der W-Pouch und der K-Pouch, die aus einem längeren Ileumsegment gebildet werden, haben möglicherweise eine höhere Dehnbarkeit und Kapazität
als ein J-Pouch. Es liegen bislang allerdings keine Studien vor, die eindeutig die Überlegenheit eines bestimmten Pouch-Designs bezüglich der funktionellen Spätresultate belegen. Der Vergleich der einzelnen Pouch-Varianten ist allerdings in den meisten Studien nur sehr eingeschränkt verwertbar, da die einzelnen Pouch-Typen ein unterschiedliches Volumen hatten. Letztendlich scheint das Pouch-Design keine Rolle für die funktionellen Spätresultate zu spielen. Eine gestörte Entleerung bis hin zur Überlaufinkontinenz wurde bei sehr großen Pouches unabhängig vom Pouch-Design beschrieben. Ein zu großes Pouch-Volumen führt zu Stase des Pouch-Inhalts, zu einer dadurch bedingten bakteriellen Fehlbesiedelung und konsekutiv zu einer Verschlechterung der Entleerung (Teixeira u. Kelly 1999). Wegen des geringeren Operationstraumas wird die minimalinvasive Chirurgie gerade bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zunehmend häufiger eingesetzt. Obwohl technisch machbar erfordert die laparoskopische Proktokolektomie eine große technische Erfahrung. Mit Ausnahme der unbestritten besseren Kosmetik konnten bislang allerdings keine klaren Vorteile der Laparoskopie nachgewiesen werden. Geringfügig verkürzte Rekonvaleszenz und Liegezeit werden mit deutlich verlängerter Operationszeit, erhöhtem technischen Aufwand und erhöhtem Bluttransfusionsbedarf erkauft (Kienle et al. 2003; Wexner u. Sands 2003). Subtotale Kolektomie mit terminaler Iloeostomie oder ileorektaler Anastomose. Die subtotale Kolektomie wird bei drohenden
oder bereits eingetretenen Komplikationen durchgeführt, um den Patienten durch einen schnellen und komplikationsarmen Eingriff aus seiner bedrohlichen Situation zu bringen. Im Notfall erfolgt in der Regel eine Diskontinuitätsresektion mit terminaler Ileostomie und Blindverschluss des Rektums nach Hartmann oder – falls auch dieses sehr brüchig oder vulnerabel erscheint –
459 33.1 · Kolititis
durch Ausleiten des distalen Sigmas als Schleimfistel. Nach einer Erholungsphase von mehreren Wochen bis Monaten wird dann die Proktektomie durchgeführt. Da bei der Colitis ulcerosa das Rektum immer befallen ist, ist eine elektive Kolektomie mit ileorektaler Anastomose kaum mehr indiziert. Eine Ausnahme stellen junge Patienten mit Kinderwunsch dar, bei denen aufgrund der möglichen Nervenschädigung im Rahmen der Rektumresektion zunächst nur die Kolektomie durchgeführt wird. Nach Abschluss der Familienplanung muss dann die Proktektomie mit Pouch-Anlage nachgeholt werden. Patienten mit ausgedehnter Proktitis, perianalen Fisteln, Rektumstenosen, nachgewiesenen Dysplasien im Rektum und extraintestinalen Manifestationen kommen für dieses Vorgehen nicht in Frage. Die Ileorektostomie ist außerdem als Palliativeingriff bei metastasierendem Kolonkarzinom bei Colitis ulcerosa indiziert. Der Eingriff muss ferner in Erwägung gezogen werden, wenn bei Pankolitis ein M. Crohn nicht ausgeschlossen werden kann. Verfahrenswahl Die restaurative Proktokolektomie mit ileoanaler PouchAnlage stellt derzeit die Therapie der Wahl zur definitiven Therapie der Colitis ulcerosa dar.
Die totale Proktokolektomie mit permanenter Ileostomie ist die Alternative für Patienten mit präexistenter Stuhlinkontinenz, die für eine ileoanale Anastomosierung nicht in Frage kommen. Ist bereits ein Karzinom nachgewiesen, haben die tumorchirurgischen Radikalitätsprinzipien oberstes Primat. Es besteht dann die Indikation zur Proktokolektomie unter Mitnahme des kompletten Lymphabstromgebiets. Bei tiefsitzenden Karzinomen muss notfalls auf eine Ileumpouch-Anlage verzichtet werden und eine Rektumexstirpation durchgeführt werden. Wegen des häufig multifokalen Auftretens von Karzinomen ist eine limitierte Resektion mit Ausnahme der Palliativsituation obsolet. Bei fulminanter, therapierefraktärer Colitis, toxischem Megakolon oder Perforation ist die subtotale Kolektomie als Diskontinuitätsresektion indiziert. Von einer Proktokolektomie muss wegen erhöhter Morbidität und Mortalität in der Notfallsituation strikt abgeraten werden. Nur wenn das toxische Megakolon mit einer profusen Blutung aus dem Rektum einhergeht, sollte das Rektum am besten mit einer ultratiefen Hartmann-Resektion mit entfernt werden. Wegen der Fragilität der Darmwand darf dem Kolon anheftendes Omentum majus nicht abgelöst, sondern muss mitreseziert werden. Die größte Gefahr iatrogen eine Perforation zu verursachen liegt im Bereich der linken Kolonflexur, weshalb diese bei der Operation als letzter Schritt mobilisiert werden sollte. Die »Turnbull-Operation«, d. h. die Anlage eines doppelläufigen Ileostomas und multipler Kolostomien zur Dekompression des Dickdarms, belässt den septischen Fokus in situ und wurde daher weitgehend verlassen (Gan u. Beck 2003). Obwohl die Blutung eines der Leitsymptome der Colitis ulcerosa ist, sind therapieresistente Blutungen selten. Meist sind diese Blutungen dann diffus, sodass im Gegensatz zum M. Crohn eine einzelne Blutungsquelle nicht auszumachen ist. In der Notfallsituation sollte daher ebenfalls eine subtotale Kolektomie mit endständiger Ileostomie erfolgen, sofern das Rektum nicht eine relevante Blutungsquelle darstellt (. Tab. 33.4).
33
Operationstechnik Proktokolektomie. Im ersten Schritt wird von abdominell her eine komplette Proktokolektomie durchgeführt. Wenn keine ausgeprägte Adipositas vorliegt, kann diese über eine sparsame mediane oder auch eine kosmetisch günstige, quere Unterbauchlaparotomie erfolgen. Dies relativiert den Gewinn des laparoskopisch-assistierten Vorgehens. Das Omentum majus wird durch Ablösen vom Colon transversum erhalten. Die Kolektomie erfolgt darmnah unter sicherer Schonung der ileokolischen Gefäße. Bei Karzinomverdacht muss das gesamte Lymphabstromgebiet mitentfernt werden, was die spätere Pouch-Rekonstruktion bei Zökum- oder Colon-ascendens-Karzinomen erschweren kann. Das Rektum wird von abdominal mobilisiert, wobei bei der dorsalen Dissektion des Rektums der Plexus hypogastricus sicher geschont werden muss. Desweiteren muss wegen der Gefahr der Verletzung der Nn. erigentes bei der ventralen Rektumdissektion die Denonvillier-Faszie über den Samenbläschen intakt bleiben. Während früher zur Schonung dieser Strukturen eine rektumwandnahe Präparation innerhalb des Mesorektum empfohlen wurde, wird heutzutage meist eine totale mesorektale Exzision wie beim Rektumkarzinom entlang der endopelvinen Faszien durchgeführt. Im distalen Anteil müssen diese durchtrennt werden (Übergang der Fascia pelvis parietalis und der Fascia pelvis visceralis), um die Präparation bis auf die Levatorenebene und in den intersphinktären Raum hinein fortsetzen zu können. Das Rektum wird dann unter kranialwärts gerichtetem Zug in Ebene des Beckenbodens offen abgesetzt. Cave Bei der Proktokolektomie ist die Gefahr einer Verletzung der A. ileocolica zu beachten!
. Tabelle 33.4. Operationsverfahren und ihre Indikationen bei Colitis ulcerosa
Indikation
Eingriff
Therapierefraktäre Kolitis
Proktokolektomie mit Ileumpouchanaler Anastomose (IPAA)
Schleimhautdysplasien Karzinomprävention Kolitis-Karzinom
IPAA mit Lymphadenektomie
Tief sitzendes Rektumkarzinom
Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie und Lymphadenektomie
Sphinkterinsuffizienz
Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie
Palliation bei KolitisKarzinom
Subtotale Kolektomie mit ileorektaler Anastomose
Kinderwunsch bei guter Entzündungskontrolle im Rektum (temporär) Fulminante Kolitis, toxisches Megakolon Perforation, Blutung Unsichere Histologie
Subtotale Kolektomie mit endständiger Ileostomie, spätere Proktektomie mit Pouchanlage
460
a
33
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
c
b
. Abb. 33.9a–c. Technik der Ileumpouch-analen Anastomose. a Transanale Mukosektomie und Handnaht; b Double-Stapling; c intersphinktäre Resektion mit Stapleranastomose
Pouch-Bildung. Die A. ileocolica und die A. mesenterica superior versorgen über darmnahe Gefäßarkaden das terminale Ileum. Der Dünndarm wird 15 cm vor seinem Ende angeschlungen und versuchsweise über das Os pubis gezogen. Der so gebildete PouchApex sollte ca. 3 Querfinger über die Symphyse reichen. Ist die Länge des Mesenteriums trotz kompletter Mobilisierung der gesamten Mesenterialwurzel nicht ausreichend, so kann durch Inzision des Peritoneums über dem Gefäßstamm oder durch Durchtrennung größerer Äste der A. mesenterica sup. ein zusätzlicher Längengewinn erreicht werden, vorausgesetzt der Pouch wird über darmnahe Gefäßarkaden noch ausreichend versorgt. Die J-Pouch-Bildung erfolgt durch antimesenteriale Applikation von zwei 90-mm-Klammernahtgeräten. Die Applikation erfolgt zweimal über die Öffnung des Apex oder alternierend von kaudal und kranial. Um eine Blindsackbildung mit Stase zu vermeiden, kann das blinde Schenkelende End-zu-Seit mit der zuführenden Schlinge anastomosiert werden.
nahtgerät verschlossen und abgesetzt. Die Anastomosierung erfolgt mit einem transanal eingeführten zirkulären Klammernahtgerät nach Durchspießung des blind verschlossenen Rektumstumpfs mit dem Zentraldorn des Staplers. Allerdings konnte die theoretisch zu erwartende Verbesserung der funktionellen Ergebnisse durch Erhalt der Transitionalzone bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden. Ein wesentlicher Nachteil des Double-Stapling ist das Belassen eines Rektumrestes von 0,5– 4 cm mit dem Risiko der malignen Entartung (Schumpelick et al. 1998; Heuschen et al. 1999). Eine Empfehlung aufgrund randomisierter und kontrollierter Studien kann bislang nicht gegeben werden. Wegen der deutlich unkomplizierteren Anastomosierung hat sich das Double-Stapling in vielen Zentren durchgesetzt. Als Kontraindikation gilt unseres Erachtens der Nachweis von Dysplasien im distalen Rektum (. Abb. 33.9b). Cave Kein Double-Stapling bei Dysplasien im distalen Rektum!
Anastomosentechnik. In der ursprünglichen Operationstechnik
nach Parks wurde der Pouch unter Belassung eines muskulären Rektum-Cuffs nach endoanaler Mukosektomie per Handnaht an der Linea dentata anastomosiert. Hierfür wird die Rektumschleimhaut oberhalb der Linea dentata transanal von der Submukosa disseziert. Eine ausgedehnte Mukosektomie führt jedoch häufig zu Verletzungungen des Sphinkterapparates mit nachfolgender Inkontinenz. Außerdem erhöht die Mukosektomie das Risiko für septische Komplikationen, was langfristig aufgrund der Ausbildung starrer Narbenplatten ebenfalls zu einer Verschlechterung der funktionellen Ergebnisse führt. In vielen Zentren ist man daher dazu übergegangen den muskulären Cuff kurz zu halten und das Rektum 2–3 cm oberhalb der Linea dentata abzusetzen (. Abb. 33.9a). Im Bestreben, die Sphinktertraumatisierung und Komplikationsrate zu reduzieren, wird bei der sog. Double-StaplingMethode eine sehr tiefe maschinelle Anastomose ca. 1–2 cm oberhalb der Linea dentata durchgeführt. Hierfür wird das Rektum knapp oberhalb des Beckenbodens mit einem Klammer-
Bei der an unserer Klinik durchgeführten Operationstechnik verzichten wir ebenfalls auf die Mukosektomie, erreichen jedoch Radikalität durch intersphinktäre Resektion des Rektums im Bereich des Sphinkterapparats. Hierzu wird von perineal her der freie Analrand mit Duval-Klemmchen gefasst und der kraniale Anteil des inneren Analschließmuskels im intersphinktären Raum scharf von der Pars profunda des Sphincter ani ext. gelöst. Der freie anorektale Rand wird, falls erforderlich, bis 0,5 cm oberhalb der Linea dentata nachreseziert und mit einer Tabaksbeutelnaht versehen. Die damit verbundene Resektion der sensiblen Transitionalzone führt nicht zu einer Erhöhung der Inkontinenzrate (Willis et al. 2003). Anschließend kann mit einem transanal eingeführten zirkulären Klammernahtgerät die Anastomosierung mit dem Pouch in Höhe der Linea dentata durchgeführt werden (. Abb. 33.9c). Die offene Kreuzbeinhöhle wird von abdominell her mit 2 Easyflow-Drainagen drainiert. Zusätzlich wird der Pouch von transanal mit einem 24-Ch-Foley-Katheter entlastet.
461 33.1 · Kolititis
Die Anlage eines protektiven Deviationsileostomas ist fakultativ und bleibt dem Operateur überlassen. Ein solches schützt zwar nicht vor Nahtbrüchen, grenzt aber die von der Insuffizienz ausgehenden Komplikationen weitgehend ein. Bei Risikopatienten unter Steroid- oder immnunsuppressiver Therapie sollte unseres Erachtens eine protektive Ileostomie für 6–12 Wochen angelegt werden. Intra- und postoperative Komplikationen Die Letalität des Eingriffs beträgt unter 1%. Entsprechend der Komplexität und Schwere des Eingriffs sind Komplikationen bei bis zu 60% der Patienten vorhanden. Schwerere Komplikationen, die einer Reoperation bedürfen, treten bei bis zu einem Viertel der Patienten auf (Heuschen et al. 2002). Pelvine septische Komplikationen werden je nach Operationstechnik zwischen 0 und 17% beschrieben (Meagher et al. 1998). Ursächlich sind infizierte Hämatome und Nahtbrüche der ileoanalen bzw. Pouch-Anastomosen. Anastomoseninsuffizienzen entstehen am ehesten als Folge zu großer Nahtspannung oder sekundär bei Spontanentleerungen von Cuff-Abszessen über den Pouch oder die ileoanale Anastomose. Unter Ileostomieschutz treten bis zu 16% klinisch inapparente Insuffizienzen auf, die meist spontan abheilen. Durch Narbenbildung kann es in der Folge zur Ausbildung von Strikturen, Stenosen oder einer kompletten Sklerosierung des Pouches (»frozen pelvis«) mit konsekutiver Verschlechterung der funktionellen Ergebnisse kommen. Insgesamt verlieren bis zu einem Viertel der Patienten mit klinisch manifester Anastomoseninsuffizienz in der Folge ihren Pouch (Schumpelick et al. 1998). Etwa ein Drittel der Patienten müssen sich wegen langstreckiger Stenosen wiederholten Analdilatationen in Narkose unterziehen. Dies betrifft vorwiegend Patienten mit endorektalem Durchzug, bei denen in höherem Ausmaß mit langstreckigen Stenosen durch Schrumpfung des Rektum-Cuffs auf dem Boden von Durchblutungsstörungen im Bereich des Pouch-Auslasses und der Sphinkteren zu rechnen ist. Die Rate lokaler Komplikationen steht in engem Zusammenhang mit der Erfahrung des Operateurs. Eine Sonderform lokal entzündlicher Probleme nach ileoanaler Pouch-Operation stellt die sog. Cuffitis dar. Es handelt sich um eine akute Entzündung des supraanal belassenen Rektummukosaringes nach Pouch-analer Stapleranastomose, die zu Schleim- und Blutabgang, analem Juckreiz oder Schmerzen führen kann. Sie tritt bei etwa 10% der Patienten auf und spricht meist auf eine konservative Therapie mit lokal oder systemisch applizierten Steroiden oder 5-ASA an (Thompson-Fawcett et al. 1999). Dünndarmobstruktionen sind Adhäsionen anzulasten und treten in bis zu 23% auf. Nur 13−17% bedürfen einer operativen Behandlung. Die Misserfolgsrate der ileoanalen Pouch-Operation liegt in größeren Serien zwischen 3 und 15% innerhalb von 10 Jahren (Fazio et al. 2003). Eine erneute Pouch-Anlage ist meist nicht möglich, sodass der Pouch häufig exstirpiert und ein endständiges Ileostoma angelegt werden muss. Die Exzision des Pouch ist mit einer hohen Morbidität von 63% behaftet, wobei perineale Wundheilungsstörungen die häufigsten Komplikationen ausmachen (Karoui et al. 2004). Insgesamt ist die postoperative Komplikationsrate nach ileoanaler Pouch-Operation jedoch niedriger einzuschätzen als nach Proktokolektomie mit permanenter Ileostomie.
33
Pouchitis Bei der Pouchitis handelt es sich um eine unspezifische Entzündung des Ileumpouch. Es ist die häufigste Langzeitkomplikation nach ileoanaler Pouch-Operation mit einer Häufigkeit bis zu 50% nach 10 Jahren. Die Ätiologie ist bislang unbekant; Risikopatienten sind Patienten mit primär sklerosierender Cholangitis, extraintestinalen Manifestationen und Nichtraucher. Die Diagnose wird gestellt anhand klinischer Symptome (Diarrhö, z. T. blutig, Stuhldrang, Tenesmen, Fieber, extraintestinale Manifestationen) und endoskopischem und histologisch-bioptischem Entzündungsnachweis. Sie wird je nach Verlauf in eine akute und chronische Verlaufsform unterschieden und anhand verschiedener Scoring-Systeme klassifiziert, von denen der »Pouchitis Disease Activity Index« (PDAI) am weitesten verbreitet ist (. Tab. 33.5; Sandborn et al. 1994). Die meisten Patienten haben nur einige milde Pouchitisepisoden und sprechen gut auf Antibiotika (Metronidazol 10–20 mg/kg/Tag oder Ciprofloxacin 2×500 mg über 2 Wochen) an. Probiotika sind wirksam zur Remissionserhaltung und ggfs. bei Nichtansprechen der antibiotischen Therapie. Etwa 25% der Patienten mit Pouchitis leiden an rezidivierender, schwerer Pouchitis und etwa 5% an chronischer Pouchitis. Diese werden entsprechend der medikamentösen Therapie der Colitis ulcerosa mit topischen Kortikosteroiden, 5-ASA, Immunsuppressiva oder topischem Bismuth behandelt. Bei Nichtansprechen auf die medikamentöse Therapie ist die PouchExzision indiziert (Cheifetz u. Itzkowitz 2004). Funktionelle Ergebnisse Nach ileoanaler Pouch-Operation wird zwar die Kontinenz erhalten, eine Restitutio ad integrum wird jedoch nur inkomplett erreicht. Bei äußerer Integrität des Abdomens bleibt die Stuhlfrequenz lebenslang erhöht und die Kontinenzleistung ist häufig zumindest partiell eingeschränkt. Nach einer Adaptationsphase von 6–12 Monaten haben die Patienten im Durchschnitt 5–7 Stuhlgänge pro Tag und einen Stuhlgang pro Nacht. Ein Teil der Patienten benötigt permanent eine zusätzliche Medikation zur Stuhleindickung (Schumpelick et al. 1998; Willis et al. 2003). Eine Analyse verschiedener Studien ergab, dass eine gute Kontinenz nach ileoanaler Pouch-Operation bei 43–89% der Patienten erreicht werden konnte. 5–36% der Patienten hatten eine eingeschränkte Kontinenz mit Stuhlschmieren und der Notwendigkeit, dauerhaft oder gelegentlich eine Vorlage verwenden zu müssen. Tagsüber waren im Durchschnitt 80% aller Patienten vollständig kontinent (Schumpelick et al. 1998). Ob und inwieweit durch den Alterungsprozess langfristig eine Verschlechterung der funktionellen Ergebnisse eintritt, kann derzeit nur spekuliert werden. Aufgrund der verbreiteten Einführung der restaurativen Proktokolektomie erst während der letzten 20 Jahre und des vorwiegend jungen Patientenkollektivs sind solche Daten derzeit naturgemäß noch nicht verfügbar. An ausgewählten Patienten konnte jedoch bereits gezeigt werden, dass die ileoanale Pouch-Operation auch bei über 70-Jährigen mit gutem Erfolg machbar ist. Hauptursache postoperativer Inkontinenzen ist der individuell unterschiedlich ausgeprägte Ruhedruckverlust im Analkanal. Er beträgt etwa 40–45% des Ausgangsruhedrucks und wird zumindest teilweise als Folge einer übermäßigen Dehnung des inneren Analschließmuskels im Rahmen der Mukosektomie gesehen (Kroesen et al. 1999). Der Funktionserhalt nach ileoanaler Pouch-Operation wird meist mit Gewinn an Lebensqualität gleichgesetzt, obwohl eine enge Korrelation zwischen Lebensqualität und Kontinenzfunk-
462
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Tabelle 33.5. »Pouchitis Disease Activity Index« (Maximum 18 Punkte; eine Pouchitis liegt definitionsgemäß bei ≥7 Punkten vor)
Klinik
Score
Stuhlfrequenz
Normal postoperativ 1–2 Stuhlgänge mehr als normal postoperativ ≥3 Stuhlgänge mehr als normal Postoperativ
0 1 2
Stuhldrang/Krämpfe
Keine Gelegentlich Gewöhnlich
0 1 2
Rektaler Blutabgang
Nie/selten Täglich
0 1
Fieber >37,8°C
Nein Ja
0 1
Endoskopie
33
1 1 1 1 1 1
Ödem Granulationen Kontaktvulnerabilität Verlust der Gefäßzeichnung Schleimexsudation Ulzerationen Histologie Polymorphe Leukozyteninfiltration
Keine Mild Mild + Kryptenabszesse Ausgeprägt + Kryptenabszesse
0 1 2 3
Ulzerationen
Keine <25% 25–50% >50%
0 1 2 3
tion nicht belegt ist (Willis et al. 2003). Der heilende und damit entscheidende Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität bei Kolitispatienten ist die Entfernung des erkrankten Kolons und nicht der Funktionserhalt durch die Pouch-Anlage. Heuschen et al. konnten in einer prospektiven Verlaufsstudie nachweisen, dass die Lebensqualität von Kolitispatienten nach Proktokolektomie und Loop-Ileostomie signifikant zunahm, während die Wiederherstellung der natürlichen Stuhlpassage durch den Ileostomieverschluss keinen signifikanten Zugewinn mehr ergab (Heuschen 1998). Dementsprechend ist die Lebensqualität nach Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie nur unwesentlich schlechter als nach restaurativer Proktokolektomie. Lediglich in den Aktivitätsbereichen Sport und Sexualleben zeigten Patienten nach IPAA bessere Resultate als die beiden anderen Gruppen (Camilleri-Brennan et al. 2003; Berndtsson et al. 2004). Nachsorge Es besteht nur ein sehr geringes Risiko für eine De-novo-Entsehung von Dysplasien in der Pouch-Mukosa, wobei Patienten mit chronischer Pouchitis möglicherweise stärker betroffen sind. Dysplasien und Karzinome entstehen vorwiegend in der analen Transitionalzone nach Double-Stapling oder inkompletter Mukosektomie, weshalb eine jährliche endoskopische Nachuntersuchung mit Biopsieentnahme allgemein empfohlen wird (Thompson-Fawcett et al. 2001).
Durch die Proktokolektomie ist im Gegensatz zur medikamentösen Therapie eine definitive Heilung der Colitis ulcerosa und damit eine wirksame Karzinomprävention möglich. Der ileoanale Pouch löst die Probleme des Dickdarmverlusts von allen zur Verfügung stehenden Verfahren hinsichtlich äußerer Integrität, Lebensqualität und Funktion am besten. Die Stuhlfrequenz bleibt langfristig erhöht und die Kontinenzleistung ist häufig zumindest partiell eingeschränkt. Aufgrund der schweren präoperativen Einschränkungen durch die Colitis ulcerosa bedeutet dies für die meisten Patienten dennoch eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität, weshalb die Operationsindikation häufiger und früher als bisher gestellt werden sollte.
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464
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
33.2
Divertikulose und Divertikulitis R. Kasperk, S. Willis
) )
33
Divertikel sind sackartige Ausstülpungen der Darmschleimhaut durch Lücken in der Muskelschicht der Darmwand. Sie können im gesamten Gastrointestinaltrakt vorkommen, treten jedoch in einigen Regionen häufiger auf: im oberen Ösophagus, im Jejunum und im Dickdarm, wobei vor allem letztere klinisch relevant sind. Das Vorhandensein von Divertikeln im Dickdarm bezeichnet man als Divertikulose, die zumeist asymptomatisch ist und keinen Krankheitswert hat. Die symptomatische Divertikulose ist schwer von anderen funktionellen Krankheitsbildern abzugrenzen. Die Divertikelkrankheit im engeren Sinne umfasst die verschiedenen Stadien der Divertikulitis. Hierunter versteht man die Entzündung eines oder mehrerer Divertikel. Komplikationen des Entzündungsprozesses sind vor allem gedeckte (Abszess, Fistel) und freie (Peritonitis) Perforationen sowie Obstruktionen. Die Divertikelblutung erfolgt eher aus nicht akut-entzündlich veränderten Divertikeln und ist die häufigste Ursache der akuten unteren gastrointestinalen Blutung. Bei rezidivierender oder komplizierter Divertikulitis liegt eine Indikation zur Sigmaresektion vor. Dagegen ist die Divertikelblutung zunehmend eine Domäne der Endoskopie.
33.2.1 Grundlagen Anatomie und Pathogenese Bei den Divertikeln des Dickdarmes handelt es sich um sog. »falsche« Divertikel, bei denen die Schleimhaut durch gefäßbedingte Lücken der Muskelwand herniert (. Abb. 33.10). Alle Wandstrukturen des Kolons sind an diesem Prozess beteiligt: 4 die Schleimhaut herniert und bildet den Divertikelsack, 4 die Submukosa bildet die notwendige Verschiebeschicht zwischen Schleimhaut 4 und Muskelrohr, 4 die Gefäße fungieren als Leitschienen und ihre Gefäßlücken sozusagen als Bruchpforten, 4 die Ringmuskulatur führt zur Ausbildung sog. Druckkammern mit einem erhöhten intraluminären Druck, 4 die kontrakten Tänien verkürzen das muskuläre Darmrohr (»Konzertinaform«). Divertikel sind zunächst intramural gelegen (inkomplette Divertikel) und ragen erst im weiteren Verlauf über das Niveau der äußeren Muskelwand hinaus. Intramurale Divertikel weisen oft einen sehr engen Hals auf und sind daher auch für die Entstehung einer Divertikulitis prädisponierend. Das komplette Divertikel weist meist einen weiten Hals auf, der Divertikelsack wird nicht mehr von Muskulatur bedeckt. Rechtsseitige, im Zökum gelegene Divertikel sind durchschnittlich größer; damit kann das über die Divertikelwand und -kuppe ziehende Vas rectum auch in einem längeren Abschnitt geschädigt werden. Dies erklärt die bekannte größere Blutungsneigung rechtsseitiger Dickdarmdivertikel anatomisch. Jedes Divertikel kann zum Ausgangspunkt einer Entzündung werden, wobei nicht sicher ist, dass dieser immer eine Inkarzera-
. Abb. 33.10. Schemazeichnung eines Kolonsegments mit Divertikeln (falsches Divertikel, gebildet aus Mukosa und Serosa)
tion von Darminhalt im Divertikel zugrunde liegen muss. Möglicherweise reichen auch schon kleinste mechanische Alterationen, die dann zu Mikroperforationen führen und die Entzündung initiieren. Je nach Lokalisation des Divertikels und Grad des Entzündungsprozesses entwickelt sich aus dem lokalen Prozess eine Peridivertikulitis oder auch eine Perikolitis mit oder ohne Perforation in die freie Bauchhöhle.
Schon ein einziges,ggf. inkomplettes Divertikel kann im Entzündungsfall das gesamte Komplikationsspektrum der Divertikelkrankheit auslösen.
Die mit 80–90% bevorzugte Lokalisation der Divertikel ist das Kolon sigmoideum. Dies gilt zumindest für westliche Länder, während in asiatischen Ländern umgekehrte Verhältnisse mit einer Bevorzugung des rechten Kolons in 40–80% vorliegen, die auch nach Migration erhalten bleibt (Nakaji 2002). Die Patienten sind bei Krankheitsbeginn durchschnittlich 20 Jahre jünger als diejenigen in westlichen Ländern mit der typischen linksseitigen Divertikulitis. Die Ursachen hierfür sind unbekannt. Epidemiologie Die Divertikulose nimmt zumindest in den westlichen Industrienationen in den letzten Jahrzehnten an Häufigkeit zu und ist in ihrer Inzidenz bzw. Prävalenz in einer gleichen Größenordnung wie Adipositas, koronare Herzkrankheit und Diabetes mellitus anzusetzen. Die Divertikuloseprävalenz zeigt eine klare Altersabhängigkeit, da die unter 50-Jährigen zu ungefähr 1/3 und die über 80-Jährigen zu 2/3 betroffen sind. Es gibt keine eindeutige Geschlechtsprädilektion, wobei Frauen durchschnittlich 5 Jahre später Komplikationen entwickeln, die eine chirurgische Therapie erfordern. In Bezug auf die Komplikationen zeigen Männer eine etwas höhere Inzidenz der Blutung, wogegen Frauen eine höhere Inzidenz von Striktur und Obstruktion aufweisen (McConnell et al. 2003). Von den Patienten mit einer Divertikulose bleiben ca. 70% asymptomatisch, 5–15% erleiden eine Divertikelblutung und 10–25% entwickeln eine Divertikulitis (. Abb. 33.11).
465 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
Divertikulose asymptomatisch 70 %
Divertikelblutung 5 -10 %
Divertikulitis 10 - 25 % einfache 75 %
komplizierte 25 %
. Abb. 33.11. Natürlicher Verlauf der Divertikelkrankheit
Pathogenese Ätiologisch werden immer wieder bestimmte Lebensumstände der westlichen Industriegesellschaften diskutiert: Dies gilt insbesondere für einen niedrigen Anteil an Ballaststoffen und ein Überwiegen von hoch raffinierten Zuckern in der Nahrung. Echte Beweise im Sinne evidenzbasierter Studien gibt es hierzu allerdings nach wie vor nicht. Dennoch scheinen die Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen, geringe physische Aktivität, die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika oder Kortikosteroiden und die Existenz anderer Erkrankungen, z. B. einer Niereninsuffizienz bei Zystennieren, prädisponierende Faktoren für die Entwicklung einer Divertikulitis zu sein (Morris et al. 2003). Auf der funktionellen Ebene werden Motilitätsstörung bzw. Drucksteigerung als Ursachen diskutiert (Simpson et al. 2003). Allerdings ist die Datenlage uneinheitlich und von Widersprüchen hinsichtlich der Ursachen-Wirkungsbeziehung gekennzeichnet. Auf morphologischem bzw. strukturellem Niveau sind bereits seit längerem eine Abnahme der elastischen Fasern in der Darmwand und eine Veränderung der Architektur der Muskelzellen bei Divertikulitis bekannt. Darüber hinaus weiss man, dass mit zunehmendem Alter die »cross links« innerhalb der Kollagenfibrillen der Darmwand zunehmen und damit die Elastizität
ohnehin schrumpft. Insgesamt ist der Kollagengehalt der Darmwand im Fall einer Divertikulitis höher als in nicht betroffenen Fällen. Parallel dazu lässt sich in der Darmwand von Divertikulitispatienten eine verminderte Expression der Matrixmetalloproteinasen 1 und 13 und eine Überexpression der Matrixmetalloproteinasen 2, 3 und 9 nachweisen (Schumpelick u. Kasperk 2001). Dies steht wiederum in enger Beziehung zu einer gleichfalls nachweisbaren Rarefizierung von Nervenzellen im Plexus submucosus und myentericus bei der Divertikulitis, also von Nervengeflechten, die maßgeblich an der Vermittlung motorischer Funktionen der Darmwand beteiligt sind. Hier zeigen sich gewisse Parallelen zu den histopathologischen Kriterien einer interstinalen neuronalen Dysplasie. Als Bindeglied zu den beschriebenen funktionellen Veränderungen lassen sich schließlich Untersuchungsergebnisse interpretieren, die die intrinsische Innervationsstörung auf Transmitter-Niveau untersuchen. Es ließ sich zeigen, dass die divertikeltragende Kolonwand eine verminderte Reaktion auf relaxierende Transmittersubstanzen zeigt, entweder aufgrund eines Überwiegens der aktivierenden Transmittersubstanzen oder durch beschleunigten Abbau der relaxierenden Transmitter (Young-Fadok u. Farrugia 2003). Kritisch muss allerdings zu diesen pathophysiologischen Daten angemerkt werden, dass bislang nicht sicher festzulegen ist, ob es sich bei den beschriebenen Veränderungen um primäre Ursachen oder vielmehr Folgezustände in einem divertikulitisch veränderten Darm handelt. Krankheitsverlauf Aufgrund der weit differierenden Literaturangaben zur Häufigkeit der Entwicklung einer Divertikulitis bei vorhandenen Divertikeln ist die immer wieder zitierte Zahl von maximal 10–25% nach wie vor als Schätzung anzusehen. Die Mehrzahl dieser Erkrankungen verläuft als unkomplizierte Divertikulitis, die gut auf konservative Therapie anspricht. In ca. 1/4 der Fälle entwickelt sich eine komplizierte Form die eine interventionelle bzw. ope-
. Abb. 33.12. Formen und Häufigkeit der komplizierten Sigmadivertikulitis. (Nach Oertli et al. 1993)
freie Perforation 37 %
Blutung 3%
Abszess 31 %
Fistelbildung 10 %
Stenose 19 %
33
466
33
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
rative Therapie erfordert. Dabei stellen Fistelbildung, Darmobstruktionen durch narbige oder entzündliche Stenosen, gedeckte Perforationen mit Abszessbildung und freie Perforationen mit Peritonitis die häufigsten Komplikationen dar (. Abb. 33.12). Während klinisch relevante Blutungen bei der akuten Divertikulitis eher eine Rarität darstellen, sind sie die häufigste Komplikation der Divertikulose. Von den initial konservativ behandelten Patienten mit einer Divertikulitis entwickeln ca. 30% langfristig rezidivierende Beschwerden, die schließlich einer Operation zugeführt werden müssen. Diejenigen Patienten, die operiert werden, dürfen weitgehend als geheilt eingestuft werden, obwohl meist Divertikel im verbleibenden Kolon vorliegen. Nur etwa 2% der Patienten entwickeln in den Folgejahren eine operationspflichtige Divertikulitis im Restkolon. Für einen besonders komplikationsträchtigen Verlauf der Divertikulitis beim (gut eingestellten) Diabetiker gibt es keine Beweise. Auch der immer zitierte Hinweis, dass die Divertikulitis beim jüngeren Menschen eine aggressivere Erkrankung sei, lässt sich nicht sicher belegen (Guzzo u. Hyman 2004). Die hohe Zahl an Primäroperationen, die das Bild eines relativ schwereren Verlaufes suggerieren, wird durch eine hohe Anzahl an präoperativen Fehldiagnosen relativiert. 33.2.2 Klassifikation Es gibt vielfältige Bemühungen das Krankheitsausmaß bei klinischer Manifestation der Divertikelkrankheit exakt zu definieren. Die publizierten Schemata unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der einbezogenen Variablen (klinisch versus apparativ erhobene Befunde), als auch hinsichtlich des Zeitpunkts der Erhebung relevanter Befunde (präoperativ versus kombiniert prä- und in-
traoperativ). Dementsprechend hat keine der Klassifikationen bislang für die klinische Routine nennenswerte Relevanz. Die größte Verbreitung in der Literatur hat die 1978 von Hinchey publizierte Stadieneinteilung gefunden, die sich allerdings lediglich auf die Perforationssituation bezieht und diese in Stadien von I bis IV unterteilt (. Abb. 33.13). Kritisch ist zu dieser Klassifikation anzumerken, dass sie auf einer unizentrischen retrospektiven Analyse von nur 95 operierten Patienten beruht, sodass z. B. in das sog. Stadium IV mit generalisierter kotiger Peritonitis lediglich 7 Patienten fielen (Hinchey 1978). 33.2.3 Klinische Symptomatologie Klinisches Leitsymptom der Divertikulitis ist der Schmerz im linken Unterbauch mit oder ohne peritonitischer Abwehrreaktion (Schumpelick u. Kasperk 2001). Die Schmerzlokalisation entspricht dem anatomischen Verteilungsmuster der Divertikelkrankheit. In den westlichen Ländern findet sich diese zu über 90% im linksseitigen Kolon, meist im Kolon sigmoideum, und nur zu 1–2% im rechtsseitigen Kolon. In den asiatischen Ländern hingegen finden sich 40–80% der Divertikulitiden im rechtsseitigen Kolon! Die Mehrzahl der Patienten gibt Episoden mit ähnlicher Symptomatik in der Vorgeschichte an, sodass von wiederholten Divertikulitisepisoden auszugehen ist. Uncharakteristische Allgemeinbeschwerden wie Krankheitsgefühl, Inappetenz, Übelkeit und Meteorismus können meist erfragt werden. Fieber und Leukozytose weisen auf den entzündlichen Prozess hin. Zu betonen ist, dass eine Divertikulitis in allen Fällen von Erkrankungen des Mittel- und Unterbauches als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden muss (Divertikulitis als »klinisches Chamäleon«).
. Abb. 33.13. Klassifikation der perforierten Divertikulitis nach Hinchey. Grad I: mesenterial gelegene Phlegmone oder Abszess, Grad II: parakolischer Abszess mit Quadrantenperitonitis, Grad III: diffuse eitrige Peritonitis, Grad IV: diffuse kotige Peritonitis
PUS PUS
I
II
FECES PUS
III
IV
467 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
Insbesondere kann die Mitbeteiligung der ableitenden Harnwege bzw. des inneren Genitale zu differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten führen. Die sog. Rechtsdivertikulitis ist in der westlichen Welt eine Rarität, führt aber aufgrund der schwierigen differenzialdiagnostischen Abgrenzung zur Appendizitis oft zur Operation.
Bei allen entzündlichen Erkrankungen des Mittel- und Unterbauchs ist die Divertikulitis eine in Betracht zu ziehende Differenzialdiagnose.
33.2.4 Diagnostik Typische Anamnese und klinische Untersuchung begründen die Verdachtsdiagnose einer Divertikulitis. Laborchemie, Abdomensonographie und, bei klinischem Verdacht, die Abdomenröntgenübersichtsaufnahme stellen die überall verfügbare Basisdiagnostik dar. Weitergehende Aussagen insbesondere bei unklarer Klinik oder vermutetem Vorliegen einer komplizierten Verlaufsform erlauben der Röntgenkontrasteinlauf und vor allem die Abdomencomputertomographie (Kaiser et al. 2004). Die CT erlaubt die umfassendste Aussage auch im Hinblick auf extraluminale Organveränderungen oder -beteiligungen (Abszess, Fistel, Gefässkomplikationen, Leberbeteiligung, inneres Genital etc.), ist aber möglicherweise nicht überall zu jeder Uhrzeit verfügbar und teurer (. Abb. 33.14; Rotert et al. 2003). Der Kolonkontrasteinlauf ist breiter verfügbar und kostengünstiger, beschränkt sich aber in seiner Aussage auf intraluminale Veränderungen und ist daher als Routinediagnostik weitgehend verlassen worden (. Abb. 33.15). In fast allen Fällen kann die Diagnose allein aufgrund der klinischen Symptome und einer im Ultraschall nachweisbaren Kokarde als Ausdruck des Darmwandödems gestellt werden. Nach Ausschluss einer freien Perforation durch die Ab-
. Abb. 33.14. Darstellung der komplizierten Divertikulitis im CT. Nachweis eines lokalisierten Abszesses (Kontrastmittelenhancement und Lufteinschlüsse) im mesenterialen Fettgewebe (Pfeil)
33
domenröntgenübersichtsaufnahme kann eine CT meist frühelektiv zum nächst verfügbaren Zeitpunkt im Routinebetrieb vorgenommen werden.
Zwingend erforderliche Akutdiagnostik bei Verdacht auf Divertikulitis: Klinik, Sonographie, Labor, Abdomenröntgenübersichtsaufnahme. Eine CT (seltener Kontrasteinlauf ) ist zum frühelektiven Zeitpunkt oft sinnvoll.
Die Koloskopie ist im Stadium der akuten Divertikulitis wegen Perforationsgefahr kontraindiziert. Ihr Stellenwert liegt zum einen in der Kolonabklärung im Intervall zum differenzialdiagnostischen Ausschluss eines Tumorgeschehens. Zum anderen ist sie diagnostisches Mittel der Wahl in der Notfallsituation einer akuten unteren gastrointestinalen Blutung (Messmann 2003). Sie sollte hierbei unverzüglich, d. h. ohne den Versuch einer orthogeraden Lavage, von einem geübten Endoskopeur vorgenommen werden. Auf diese Weise ist es am wahrscheinlichsten möglich, den Ort der Blutung genau zu identifizieren. Eine Szintigraphie oder Angiographie liefern, sofern sie überhaupt noch in der akuten Phase der Blutung stattfinden (hohe Rate spontanen Sistierens, s. unten), dagegen nur ungefähre Informationen zur Blutungslokalisation. Liegt nach Abklingen der akuten Divertikulitis eine Stenosierung vor, die eine Komplettinspektion des Kolonrahmens mittels Endoskopie unmöglich macht, ist es nach orientierender Durchführung eines Kontrasteinlaufs indiziert, zunächst zu resezieren und die Komplettendoskopie ca. 2 –3 Monate postoperativ nachzuholen. Je nach konkret vorliegender Symptomatik kann es im Einzelfall erforderlich werden, dieses diagnostische Repertoire um weitere Maßnahmen, z. B. in Hinblick auf urologische oder gynäkologische Erkrankungen zu erweitern. Auch die explorative Laparoskopie hat hier durchaus ihren Stellenwert.
468
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.15. Kolonkontrasteinlauf bei akuter Sigmadivertikulitis. Nachweis einer fixierten Stenose im mittleren Sigma und die für die Entzündung charakteristischen spitz zulaufenden, ödematös verquollenen Divertikelhälse (Pfeil)
33 33.2.5 Therapieziele und Indikationsstellung Divertikulitis Die Therapie der unkomplizierten Sigmadivertikulitis ist konservativ und besteht in Antibiotikagabe, Nahrungskarenz, parenteraler Ernährung und Bettruhe. Darunter werden 80% der Patienten mit einem ersten Divertikulitisschub dauerhaft beschwerdefrei, nur ein kleiner Prozentsatz entwickelt nach konservativ behandeltem erstem Schub Komplikationen oder weitere Entzündungsschübe. Für diese Patienten gibt es daher keine Indikation für eine operative Therapie. Wichtige Maßnahmen nach erfolgreich konservativ behandeltem erstem Schub einer Sigmadivertikulitis ist die Durchführung einer Koloskopie zum Ausschluss eines Malignoms oder einer postentzündlichen Stenose. Eine Ausnahme stellen immunsupprimierte Patienten dar, bei denen aufgrund eines deutlich erhöhten Rezidiv- und Komplikationsrisikos bereits nach dem ersten Schub eine elektive Sigmaresektion durchgeführt werden sollte. Dagegen scheint bei jungen Patienten unter 50 Jahre im Vergleich zu älteren Patienten kein erhöhtes Rezidiv- oder Komplikationsrisiko vorzuliegen, sodass die Indikation zur elektiven Sigmaresektion nicht generell bereits nach dem ersten Schub gestellt werden sollte (Biondo et al. 2002; Guzzo u. Hyman 2004). Bei jedem weiteren Schub einer unkomplizierten Sigmadivertikulitis vermindert sich sukzessive das Ansprechen auf die konservative Therapie bei gleichzeitigem Anstieg der Komplikationshäufigkeit bei weiteren Schüben. Aus diesem Grund sollte die Indikation zur elektiven Sigmaresektion nach dem zweiten Schub gestellt werden. Gründe, die ein solches auch von Gastroenterologen akzeptiertes Vorgehen unterstreichen, sind die zunehmende Sicherheit der Operation, das Erreichen einer definitiven Heilung der Erkrankung und das Vorbeugen lebensbedrohlicher Komplikationen (Chautems et al. 2002). Einschränkend ist anzumerken, dass dieser Empfehlung nur eine Level-III-Evidenz zugrunde liegt (Janes 2005).
Nach dem zweiten Schub einer unkomplizierten Divertikulitis ist die Indikation zur elektiven Resektion gegeben.
Im Gegensatz zur Sigmadivertikulitis erleiden bei der Zökumdivertikulitis im weiteren Verlauf mehr als 60% der Patienten ein Rezidiv trotz erfolgreicher konservativer Therapie. Dementsprechend wird hier bei gesicherter Diagnose bereits nach dem ersten Schub die Indikation zur Ileozökalresektion gestellt (Fang et al. 2003). Bei der komplizierten Divertikulitis besteht in jedem Fall die Indikation zum chirurgischen Vorgehen. In den Stadien Hinchey III und IV, d. h. beim Vorliegen einer diffusen Peritonitis, handelt es sich um akut lebensbedrohliche Notfälle, die der sofortigen chirurgischen Intervention entsprechend den Grundsätzen der Peritonitisbehandlung bedürfen. Im Gegensatz dazu stellen die Stadien Hinchey I und II, d. h. gedeckte Perforationen mit Abszessbildung, keine perakuten Operationsindikationen dar. Hier sollte durch konservative Therapie und falls möglich durch sonographische oder CT-gesteuerte Abszessdrainage das akut entzündliche Geschehen überwunden und eine operative Fokussanierung möglichst frühzeitig angestrebt werden. Nach kurzem konservativem Therapieintervall von 7–10 Tagen kann der Gesamtzustand des Patienten in der Regel deutlich gebessert werden. Die anschließende frühelektive Operation ermöglicht die Resektion des Entzündungsherdes unter kontrollierten Bedingungen und minimalem Komplikationsrisiko. Bleibt die Befundbesserung aus, muss allerdings unverzüglich chirurgisch interveniert werden. Ebenso darf eine komplette klinische Besserung nach interventioneller Therapie nicht zum Verzicht auf die Resektion führen: diese Fälle weisen eine hohe Rezidivquote auf (Schumpelick u. Kasperk 2001; Kaiser et al. 2004).
33
469 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
Divertikelblutung Die Divertikelblutung stellt die häufigste Ursache eines akuten massiven Blutverlustes aus dem Kolon dar (30–50% der Fälle). Etwa 10–15% der Patienten mit Divertikulose erleiden eine Divertikelblutung, davon ca. 1/3 einen massiven Blutverlust. Da es sich vorwiegend um alte und multimorbide Patienten handelt, beträgt die Mortalität der Divertikelblutung 15–20%. Ursächlich liegt der Blutung eine Erosion des arteriellen Vas rectum im Bereich des Divertikelhalses zugrunde. Klinisch zeigt sie sich durch eine schmerzlose Hämatochezie. In ca. 80% der Fälle kommt es zum spontanen Stillstand der Blutung. Dennoch ist bei der eingeschränkten Kompensationsfähigkeit der meist alten Patienten ein aggressives klinisches Management mit Volumen- und Blutsubstitution unter Monitoring von Blutgasen und Ausscheidung erforderlich. Die bereits angesprochene Notfallkoloskopie bietet als initiale Untersuchung ideale Möglichkeiten der Diagnostik (Lokalisation) und Primärtherapie (z. B. Unterspritzung mit verdünnter Adrenalinlösung, Argon-Plasma-Koagulation, Clip-Applikation). Sie ist technisch anspruchsvoll. Dies gilt allerdings ebenso für die diagnostischen Alternativen der Szintigraphie (erforderliche Blutungsintensität 0,1 ml/min) und der Angiographie (erforderliche Blutungsintensität 0,5–1 ml/min). Die Angaben zur Erfolgsquote der letztgenannten Verfahren schwanken in weiten Grenzen. Im Rahmen der Angiographie besteht die Möglichkeit der selektiven arteriellen Embolisation (Gady et al. 2003). Allerdings sind die Erfahrungen sehr begrenzt und das Vorgehen trägt das Risiko der Darmischämie und -nekrose von mindestens 10%. Die Indikation zur Operation ist bei massiver oder rezidivierender Divertikuloseblutung gegeben. Eine operative Intervention sollte nur bei klarer Lokalisationsangabe und in Abwägung des oftmals nicht unbeträchtlichen allgemeinen Operationsrisikos vorgenommen werden. Therapie der Wahl ist die segmentale Resektion. Bei anhaltender Blutung und weiterhin unklarer Lokalisation haben sich im eigenen Krankengut eine (naturgemäß arbiträre) Grenzziehung des konservativen Vorgehens nach Transfusion von insgesamt 6 Erythrozytenkonzentraten pro 24 h und ein anhaltender bzw. wieder auftretender Transfusionsbedarf von 2 Erythrozytenkonzentraten pro 24 h etabliert. Stets wird dann intraoperativ endoskopiert, um zumindest eine Eingrenzung auf das linke oder rechte Kolon zu erreichen. Unter diesem Vorgehen gelingt es, die Zahl der infolge anhaltender Blutung und fehlendem Lokalisationsnachweis erforderlichen subtotalen Kolektomien mit Ileorektostomie auf ein Minimum zu reduzieren (Renzulli et al. 2002). 33.2.6 Konservative Therapie Symptomatische Divertikulose Die symptomatische Divertikulose mit funktionellen Beschwerden unterscheidet sich klinisch von der akuten Divertikulitis im Wesentlichen durch fehlende Infektzeichen. Die Therapie besteht hier in einer faserreichen Diät mit mehr als 30 g/Tag unlöslichen Faserbestandteilen (Evidenzgrad Ib) und aus regelmäßiger körperlicher Betätigung z. B. durch Jogging (ebenfalls Evidenzgrad Ib). Ziel dieser Maßnahmen ist eine Stuhlregulierung, d. h. der intraluminale Druck soll reduziert, die Stuhlmasse erhöht und die Passagezeit verkürzt werden. Die Wirkung von Spasmolytika ist nicht wissenschaftlich belegt, ihr Einsatz wird jedoch häufig empfohlen (Evidenzgrad IV). Antibiotika sind in dieser Situation nicht indiziert.
. Tabelle 33.6. Effektive Antibiotikatherapie der symptomatischen Divertikulitis
Antibiotikum
Ansprechrate
Evidenzgrad
Piperacillin/Tazobactam
88%
Ib
Cefoxitin
78%
Ib
Meropenem
92%
Ia
Imipenem/Cilastatin
80%
Ib
Tobramycin-Clindamycin
89%
Ib
Cefepime-Metronidazol
88%
Ia
Unkomplizierte Divertikulitis Klinisch sind hier die Schmerzen im linken Unterbauch (tastbare Walze) ohne Vorhandensein einer echten Abwehrspannung kennzeichnend. Basis jeder Therapie ist die mit höchstem Evidenzgrad unterlegte Gabe von Antibiotika. Für verschiedene Therapieregime, sowohl als Mono- als auch als Kombinationstherapie liegen Evidenzgrade von I vor (. Tab. 33.6). Die Therapiedauer ist mit ca. 7 Tage anzusetzen. Ein Patient, der entfiebert, klinisch gebessert ist und normale Leukozytenzahlen aufweist, profitiert von einer fortgeführten Antibiotikatherapie nicht. Außerordentlich wichtig ist, dass der Patient unter der Antibiotikatherapie innerhalb kurzer Zeit eine deutliche klinische Besserung erfahren sollte. Ein Nichtansprechen innerhalb von 2–3 Tagen zeigt entweder einen komplizierten Verlauf an oder sollte zu einem Überdenken der Diagnose mit erneuter und intensivierter Diagnostik führen. Bei klinisch leichtem Verlauf ist es durchaus möglich, die Antibiotika oral zu verabreichen.
Bei Nichtansprechen einer vermuteten Divertikulitis auf konservative Therapie unbedingt Diagnose überdenken und ggf. Diagnostik vertiefen.
Alle anderen häufig praktizierten Maßnahmen sind nicht durch Studien gesichert. Mesalazin/5-ASA hat mit einem Evidenzgrad Ib keinen signifikanten Erfolg in der Behandlung der akuten Divertikulitis. Klinisch durchaus von Vorteil erscheinen die Verabreichung von Analgetika sowie eine Reduktion der enteralen Belastung, wobei dies abhängig vom klinischen Schweregrad sein sollte. Auch lokal kühlende Maßnahmen werden vom Patienten häufig als angenehm empfunden und sind praktisch nebenwirkungsfrei. Keinerlei Nutzen hat jedoch eine strikte Bettruhe (Schumpelick u. Kasperk 2001). 33.2.7 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl Unkomplizierte Sigmadivertikulitis. Goldstandard in der chir-
urgischen Behandlung der unkomplizierten Sigmadivertikulitis ist die offene Sigmaresektion mit Wiederherstellung der Darmkontinuität durch eine End-zu-End-Anastomose. Dies sollte möglichst einzeitig und in einer Elektivsituation geschehen. Ziel der Operation ist es nicht, alle divertikeltragenden Kolonabschnitte zu entfernen, sondern nur den entzündeten Anteil. Das
470
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
a
dem immer vorhandenen Selektions-Bias interpretiert werden! Die Vorteile hinsichtlich kürzerer Verweildauer werden durch die Ergebnisse der »Fast-track«-Chirurgie vollständig aufgehoben, ganz zu schweigen von den längeren Operationszeiten, den höheren Kosten und dem zweifelsohne gesteigerten technischen Schwierigkeitsgrad des Eingriffs. Trotzdem stellt die laparoskopische Sigmaresektion in spezialisierten Zentren zunehmend den »state of the art« bei der unkomplizierten Sigmadivertikulitis dar. Selbstverständlich muss nicht laparoskopisch operiert werden, wenn die entsprechenden patientenbezogenen, infrastrukturellen oder personellen Voraussetzungen nicht gewährleistet sind.
Konventionelles und laparoskopisches Vorgehen stehen in der Elektivsituation gleichberechtigt nebeneinander. Für den Patienten viel bedeutsamer ist ein klinisches Management nach »Fast-track«-Kriterien.
Komplizierte D ivertikulitis. Bei der komplizierten Divertikulitis
33
b . Abb. 33.16. Resektionsausmaß bei der Sigmadivertikulitis. a Oraler Absetzungsrand am Übergang Sigma – Colon descendens im entzündungsfreien Gebiet, distaler Absetzungsrand im proximalen Rektum distal des Abbruchs der Taenien, b Die Skelettierung erfolgt darmwandnah und in kleinen Schritten aufgrund des entzündlich verdickten Mesosigmas
Resektionsausmaß richtet sich daher im Wesentlichen nach dem intraoperativen Befund. Im Falle des meist betroffenen Colon sigmoideum bedeutet dies, dass nach proximal so weit reseziert wird, dass die Darmwand nicht mehr verdi ckt oder palpatorisch rigide ist. Nach aboral ist die Resektion bis in das obere Rektum hinein fortzuführen, um die rektosigmoidale Hochdruckzone, der eine Schrittmacherfunktion in der Divertikelentwicklung zugeschrieben wird, vollständig mit zu entfernen. Es ist selbstverständlich, dass in die Nahtreihe der Anastomose keine Divertikel mit einbezogen werden (. Abb. 33.16). In dem nicht aufzuhaltenden Trend zur Minimierung des operativen Zugangs wurde die unkomplizierte Sigmadivertikulitis in den letzten Jahren zunehmend laparoskopisch oder laparoskopisch-assistiert operiert. Die laparoskopische Intervention in der Notfallsituation ist zwar prinzipiell möglich, weist aber keine generell dokumentierten Vorteile auf. Das laparoskopische Vorgehen bei der Divertikulitis ist – wenngleich in vielen Kliniken praktiziert – nach wie vor keineswegs zwingend. Die derzeit vorliegenden Studienergebnisse deuten einen Vorteil der laparoskopischen Operationen hinsichtlich eines rascheren Kostaufbaus, eines niedrigeren Analgetikaverbrauchs, einer Reduktion des Krankenhausaufenthaltes und einer Reduktion von Narbenhernien bei gleich hoher Erfolgquote an (Scheidbach et al. 2004; Schwandner et al. 2004; Willis et al. 2005). Die hierzu publizierten sehr guten Operationsergebnisse müssen vor
steht die Indikation zur Operation außer Frage. Die Art des chirurgischen Vorgehens ist abhängig vom Ausmaß der Erkrankung. In den Stadien Hinchey I und II ermöglicht die frühelektive Operation nach konservativer Therapie und ggf. interventioneller Abszessdrainage die Resektion des Entzündungsherdes unter kontrollierten Bedingungen und minimalem Komplikationsrisiko bei gleichzeitiger Wiederherstellung der Darmkontinuität. Bei entsprechender operativer Erfahrung kann dies im Einzelfall auch laparoskopisch durchgeführt werden. In den Stadien Hinchey III und IV, d. h. beim Vorliegen einer diffusen Peritonitis, handelt es sich um akut lebensbedrohliche Notfälle, die der sofortigen chirurgischen Intervention bedürfen. Allerdings stehen Fragen zur chirurgischen Technik und Verfahrenswahl derzeit im Brennpunkt der Diskussion. Prinzipiell gelten bei der Behandlung der komplizierten Sigmadivertikulitis die Prinzipien der Peritonitis- und Sepsisbehandlung. Die Resektion des entzündeten Darmabschnittes und damit die Fokussanierung bildet die zentrale Voraussetzung für eine definitive Heilung. Daher sind dreizeitige Operationsverfahren, d. h. initiale Abszessdrainage und Kolostomie, gefolgt von der Sigmaresektion im Intervall und anschließender Kolostomieverschluss in einer dritten Sitzung, gänzlich verlassen worden. Am weitesten verbreitet ist derzeit ein zweizeitiges Vorgehen. Bei der Diskontinuitätsresektion nach Hartmann wird der betroffene Darmabschnitt reseziert, das proximale Ende als Stoma ausgeleitet, das Rektum blind verschlossen und die Abdominalhöhle gespült. Je nach Schweregrad der Peritonitis, in unserer Klinik gemessen anhand des Mannheimer Peritonitis Index, wird zusätzlich ein Laparostoma angelegt und programmierte Etappenlavagen durchgeführt. Die Wiederherstellung der Darmkontinuität erfolgt etwa 6 Monate nach Ausheilen der Peritonitis. Allerdings ist die Hartmann-Auflösung oft technisch anspruchsvoll und hat eine nicht zu vernachlässigende eigene Morbidität und Mortalität, weshalb sie bei etwa einem Drittel der häufig multimorbiden Patienten letztendlich nicht durchgeführt wird. Die Resektion des Sigmas mit Durchführung einer primären Anastomose in der diffusen Peritonitis wurde lange Zeit aufgrund des hohen Anastomosenrisikos bei nicht vorbereitetem Darm und umgebender peritonealer Reizung abgelehnt. In den letzten
471 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
33
. Tabelle 33.7. Operationsverfahren und Indikationen bei Sigmadivertikulitis (Richtlinien der Chirurgischen Universitätsklinik der RWTH Aachen)
Indikation
Eingriff
Rezidivierende unkomplizierte Divertikulitis
Laparoskopische, ggf. offene Sigmaresektion mit Anastomose im entzündungsfreien Intervall
Komplizierte Divertikulitis mit Peridivertikulitis (Hinchey I)
Frühelektive laparoskopische, ggf. offene Sigmaresektion mit Anastomose
Komplizierte Divertikulitis mit parakolischem Abszess (Hinchey II)
Frühelektive offene, ggf. laparoskopische Sigmaresektion mit Anastomose nach interventioneller Abszessdrainage
Komplizierte Divertikulitis mit eitriger Peritonitis (Hinchey III)
Sofortige offene Sigmaresektion mit Anastomose und protektivem Stoma, ggf. Diskontinuitätsresektion nach Hartmann
Komplizierte Divertikulitis mit kotiger Peritonitis (Hi nchey IV)
Sofortige Diskontinuitätsresektion nach Hartmann, ggf. offene Sigmaresektion mit Anastomose und protektivem Stoma
Jahren wird zunehmend die Resektion mit primärer Anastomose im Stadium Hinchey III, d. h. bei diffuser eitriger Peritonitis, propagiert. Begründet wird dies mit den Nachteilen der HartmannOperation und der Möglichkeit der intraoperativen Darmspülung. Mit einer Letalität von 0–20% sind die Ergebnisse nach derzeitiger Datenlage vergleichbar mit der Hartmann-Operation. Es handelt sich hierbei jedoch um Studien mit wenigen, höchst selektionierten Patienten, weshalb dieses Vorgehen noch nicht generell empfohlen werden kann. Es gibt letztendlich keine gesicherten Daten zu der in diesen Fällen zu bevorzugenden Strategie, sodass die Verfahrenswahl immer eine subjektive Einzelfallentscheidung ist (. Tab. 33.7; Salem 2004). 33.2.8 Operationstechnik Das operative Vorgehen unterscheidet sich prinzipiell nicht von der auch sonst geübten Technik. Die perioperative »Single-shot«Antibiotikaprophylaxe ist Standard. Eine Steinschnitt-Lagerung erlaubt jede Art von operativem Zugangsweg. Die Medianlaparotomie bietet sich insbesondere für Notfallsituationen an. Bei nicht zu adipösen Bauchdecken ist für die elektive Sigmaresektion im Sinne des »Fast-track«-Vorgehens eine quere bzw. schräge Inzision in der linken Fossa iliaca gut geeignet. Selbstverständlich kann auf eine radikuläre Unterbindung von Gefäßen aufgrund der gutartigen Grundkrankheit verzichtet werden, und eine tubuläre Resektion durchgeführt werden. Die Darstellung des linken Ureters ist bei jeder Form der Sigmaresektion obligat. Je nach anatomischen Verhältnissen erfolgt die Reanastomosierung per Klammer- oder Handnaht, entweder als fortlaufende, einreihigallschichtige Naht mit 3–0 oder 4–0 resorbierbarem monofilen Nahtmaterial oder mit 3–0 resorbierbaren allschichtigen Einzelknopfnähten. Entscheidend ist die Lokalisation der Anastomose im proximalen Rektum, das anhand der fehlenden Tänien problemlos identifiziert werden kann.
Für die Laparoskopie werden ein 10 mm Optiktrokar periumbilikal, ein 10 mm-Arbeitstrokar im rechten Mittel- und ein 12 mmArbeitstrokare im rechten Unterbauch platziert. Der erste Arbeitsschritt ist die Mobilisierung des Sigmas und des Colon descendens bis zur linken Flexur und die sichere Identifizierung des linksseitigen Ureters. Anschließend erfolgt die Präparation ins kleine Becken bis unterhalb des rektosigmoidalen Übergangs mittels Ultracision oder Ligasure. Bei sehr langer Sigmaschlaufe ist ein zusätzlicher Trokar suprasymphysär oft hilfreich. Bei der meist durchgeführten laparoskopisch-assistierten Resektion wird das Sigma mittels Endo-GIA abgesetzt, über einen 5– 10 cm langen Pfannenstielschnitt vor die Bauchdecke luxiert und das divertikeltragende Segment extrakorporal tubulär reseziert. Nach Befreiung des zu anastomosierenden oralen Darmendes vom mesenterialen Fettgewebe wird dort eine Tabaksbeutelnaht angelegt und ein EEA-Staplerkopf platziert. Der Darm wird wieder nach intraperitoneal zurückverlagert, die Minilaparotomie verschlossen und das Pneumoperitoneum wieder aufgebaut. Die Reanastomosierung erfolgt unter laparoskopischer Kontrolle nach peranalem Einführen des zirkulären Klammernahtgeräts in typischer Doppelstapler-Technik (. Abb. 33.17).
Bei gleichzeitiger Versorgung einer durch die Divertikulitis hervorgerufenen Fistelung zur Blase oder zu anderen Organen ist darauf zu achten, dass die entsprechenden Nahtreihen von Darm und mitbetroffenem Organ nicht direkt nebeneinander zu liegen kommen, da sonst das Fistelrezidiv vorprogrammiert wäre. Es bietet sich die Interposition eines gestielten Netzanteiles an. Eine übernähte Blase wird über einen bevorzugt suprapubisch eingelegten Katheter für ca. 10 Tage entlastet. Die Platzierung abdomineller Drainagen kann zurückhaltend gehandhabt werden. Mobilisation und postoperativer Kostaufbau nach Elektiveingriffen beginnen am Operationstag oder am ersten postoperativen Tag. Im Allgemeinen sind die Patienten ideale Kandidaten für ein perioperatives Management im Sinne der multimodalen Rehabilitation (7 unten).
472
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
mit einer Letalität von ca. 1% und einer Morbidität von 25% (dabei 7% abdominelle und 18% extraabdominelle Morbidität) sehr gering (Pessaux et al. 2004). Ein Reoperationserfordernis bei gesichertem Divertikulitisrezidiv kommt bei weniger als 2% der Patienten vor. Im Langzeitverlauf scheint nach eigenen Untersuchungen eine erhöhte Inzidenz von Narbenhernien vorzuliegen. Hier könnte ein spezielles Risiko gegeben sein, das sich durch die wahrscheinlich zugrunde liegende Kollagen-Stoffwechselstörung erklärt. Eine erste Studie deutet darauf hin, dass durch die Bevorzugung der laparoskopischen Operationstechniken die Narbenhernieninzidenz zu reduzieren ist (Willis et al. 2005).
Literatur
33
. Abb. 33.17. Laparoskopisch assistierte Sigmaresektion. Nach Resektion des entzündlichen Herds vor der Bauchdecke und Einknoten des EEA-Staplerkopfes erfolgt die Reanastomosierung unter laparoskopischer Kontrolle in Double-Stapling-Technik (1 Kameratrokar infraumbilikal, 2 Arbeitstrokar im rechten Unterbauch, 3 Arbeitstrokar im rechten Mittelbauch)
Im Falle der Diskontinuitätsresektion erfolgt die Reanastomosierung in Abhängigkeit vom Schweregrad der ursprünglichen Erkrankung nach frühestens 6 Wochen, oft erst nach 6 Monaten. Auch dieser Eingriff kann laparoskopisch assistiert durchgeführt werden. »Fast-track«-Chirurgie. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass die Patienten im postoperativen Verlauf von einem Maßnahmenpaket, das auf die Optimierung der perioperativen Abläufe zielt erheblich profitieren. Besonders die Arbeiten von Kehlet waren hier wegbereitend (Basse 2004). Ein Benefit lässt sich für die verschiedensten Eingriffe, nicht nur in der Chirurgie, nachweisen. Dieses auch als multimodale Rehabilitation bezeichnete Vorgehen umfasst zunächst bekannte Maßnahmen, wie die Reduktion des Blutverlusts, die Vermeidung einer intraoperativen Auskühlung und die Aufrechterhaltung einer adäquaten Sauerstoffsättigung. Präoperativ wird besonders auf eine ausreichende enterale Ernährung bis wenige Stunden vor der Operation geachtet. Das Eingriffstrauma selbst soll durch Verwendung von queren oder schrägen Zugängen bzw. durch minimalinvasive Techniken reduziert werden. Von höchster Bedeutung ist eine gute intra- und postoperative Schmerztherapie, vorzugsweise unter Nutzung einer thorakalen PDA. Postoperativ wird der Kostaufbau am 1. Tag nach dem Eingriff begonnen und bei Akzeptanz durch den Patienten schnell gesteigert sowie auf eine zügige Mobilisation, beginnend am Operationstag geachtet. Bei konsequenter Durchführung eines derartigen Maßnahmenpakets sind postoperative Verweildauern nach Kolonresektionen von 2–4 Tagen durch verschiedene Autoren belegt. Ausdrücklich gilt dies auch für die konventionelle Vorgehensweise.
33.2.9 Ergebnisse Unter den chirurgisch behandelten Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts weist die Kolondivertikulitis eine der höchsten Heilungsraten auf. Das Operationsrisiko des Elektiveingriffs ist
Basse L, Thorbol J, Lossl K, Kehlet H (2004) Colonic surgery with accelerated rehabilitation or conventional care. Dis Colon Rectum 47:271–278 Biondo S, Pares D, Marti Rague J, Kreisler E, Fraccalvieri D, Jaurrieta E (2002) Acute colonic diverticulitis in patients under 50 years of age. Br J Surg 89:1137–1141 Chautems RC, Ambrosetti P, Ludwig A, Mermillod B, Morel P, Soravia C (2002) Long-term follow-up after first acute episode of sigmoid diverticulitis: is surgery mandatory? A prospective study of 118 patients. Dis Colon Rectum 45:962–966 Fang JF, Chen RJ, Lin BC, Hsu YB, Kao JL, Chen MF (2003) Aggressive resection is indicated for cecal diverticulitis. Am J Surg 185:135–140 Gady J, Reynolds H, Blum A (2003) Selective arterial embolization for control of lower gastrointestinal bleeding: recommendations for a clinical management pathway. Curr Surg 60:344–347 Guzzo J, Hyman M (2004) Diverticulitis in young patients: is resection after a single attack always warranted? Dis Colon Rectum 47:1187–1191 Hinchey E, Schaal P, Richards G (1978) Treatment of perforated diverticular disease of the colon. Adv Surg 12:85-109 Janes S, Meagher A, Frizelle F (2005) Elective surgery after acute diverticulitis. Br J Surg 92:133–142 Kaiser A, Jiang J, Ault G, Artinyan A, Beart R (2004) Management of acute complicated diverticulitis and the impact of computed tomography. Dis Colon Rectum 47:585 McConnell E, Tessier D, Wolff B (2003) Population-based incidence of complicated diverticular disease of the sigmoid colon based on gender and age. Dis Colon Rectum 46:1110–1114 Messmann H (2003) Akute untere gastrointestinale Blutung – moderne Diagnostik und Therapie. Dtsch Med Wochenschr 128: S75-S77 Morris C, Harvey I, Stebbings W, Speakman C, Kennedy H, Hart A (2003) Anti-inflammatory drugs, analgesics and the risk of perforated colonic diverticular disease. Br J Surg 90:1267–1272 Nakaji S, Danjo K, Munakata A, Sugawara K (2002) Comparison of etiology of right-sided diverticula in Japan with that of left-sided diverticula in the West. Int J Colorectal Dis 17:365–373 Oertli D, Rothenbühler JM, Capaul R, Laffer U, Frede K, Harder F (1993) Entwicklungen in der chirurgischen Therapie der Kolondiverikulitis. Schweiz Med Wsch 123:1516–1519 Pessaux P, Muscari F, Quellet J, Msika S, Hay J, Millat B, Fingerhut A, Flamant Y (2004) Risk factors for mortality and morbidity after elective sigmoid resection for diverticulitis: prospective multicenter multivariate analysis of 582 patients. World J Surg 28:92–96 Renzulli P, Maurer C, Netzer P, Dinkel H, Büchler M (2002) Subtotal colectomy with primary ileorectostomy is effective for unlocalized, diverticular hemorrhage. Langenbecks Arch Surg 387:67–71 Rotert H, Noldge G, Encke J, Richter G, Dux M (2003) Der Stellenwert der CT in der Akutdiagnostik der Divertikulitis. Radiologe 43:51–58 Salem L, Flum D (2004) Primary anastomosis or Hartmann´s procedure for patients with diverticular peritonitis? A systematic review. Dis Colon Rectum 47:1953–1964
473 33.3 · Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen
Scheidbach H, Schneider C, Rose J, Konradt J (2004) Laparoscopic approach to treatment of sigmoid diverticulitis: changes in the spectrum of indications and results of a prospective multicenter study on 1545 patients. Dis Colon Rectum 47:1883–1888 Schumpelick V, Kasperk R (2001) Divertikulitis – Eine Standortbestimmung. Springer, Berlin Heidelberg Schwandner O, Farke S, Fischer F, Eckmann C, Schiedeck T, Bruch H (2004) Laparoscopic colectomy for recurrent and complicated diverticulitis: a prospective study of 396 patients. Langenbecks Arch Surg 389:97– 103 Simpson J, Scholefield J, Spiller R (2003) Origin of symptoms in diverticular disease. Br J Surg 90:899–908 Willis S, Ulmer F, Fell T, Butz N, Schumpelick V (2005) Comparison of laparoscopic and open sigmoidal resection in uncomplicatied diverticulitis. Viszeralchirurgie 40:27–32 Young-Fadok T, Farrugia G (2003) Cholinergic denervation in diverticular disease. Lancet 361:1923–1924
33.3
Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen R. Kasperk, S. Willis
) ) Hierzu zählt eine Vielzahl oft sehr seltener Krankheitsentitäten, die sich am besten hinsichtlich ihrer Abstammung von den Keimblättern klassifizieren lassen. Aufgrund der speziellen viszeralchirurgischen Relevanz wird im Folgenden hauptsächlich auf die Adenome, die Angiodysplasie und den Morbus Hirschsprung eingegangen. Bei allen anderen benignen Neubildungen des Kolons gilt zusammenfassend, dass sie im Wesentlichen entweder als Zufallsbefund diagnostiziert werden oder im Rahmen einer Passagebehinderung bzw. einer mehr oder weniger starken Blutungsepisode infolge Schleimhautarrosionen über dem wandständigen Tumor auffallen. Diagnostisch spielt die Endoskopie mit Biopsie eine herausragende Rolle. Im Einzelfall kommen alternative diagnostische Methoden wie die Computer- oder Magnetresonanztomographie oder die selektive Angiographie zum Einsatz. Bei Passagebehinderung bzw. stattgehabter Blutung ist die Operationsindikation im Prinzip stets gegeben. Sie besteht in einer sparsamen Entfernung des gutartigen Tumors. Dies kann sowohl mittels Kolotomie und Exzision wie auch mittels Segmentresektion und End-zu-End-Anastomose erfolgen. Bei derartigen Eingriffen bewährt sich insbesondere ein laparoskopisch assistiertes Vorgehen in Kombination mit der intraoperativen Endoskopie zur optimalen Lokalisation des Prozesses.
Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen des Dickdarms 5 Epitheliale Neubildungen – Neoplastische Polypen/Adenome – Nicht-neoplastische Polypen – Hyperplastisch – Hamartomös (Peutz-Jeghers, juvenil) – Entzündlich 6
33
5 Mesenchymale Neubildungen – Lipom – Leiomyom – Hämangiom – Lymphangiom
33.3.1 Adenome Grundlagen Unter den adenomatösen Veränderungen der Dickdarmschleimhaut müssen die neoplastischen von den nicht-neoplastischen Erkrankungen abgegrenzt werden. Letztere sind praktisch nie von chirurgischer Relevanz. Im Gegensatz dazu ist die Diagnose von neoplastischen epithelialen Adenomen von erheblicher therapeutischer Bedeutung, wobei die Chirurgie hier ganz klar hinter endoskopischen Verfahren zurücktritt. Neben den einzelnen oder in geringer Zahl auftretenden Adenomen sind die sog. Adenomatosen zu unterscheiden, die durch das Auftreten von 100 und mehr Polypen definiert sind. Die bekannteste darunter ist die familiäre adenomatöse Polypose, weitere sind das Gardner-, Turcot- und das Zanca-Syndrom. Gemeinsam ist allen ein klar definierter Erbgang und die hoch wahrscheinliche Ausbildung von Malignomen innerhalb und außerhalb des Gastrointestinaltrakts, häufig schon in jugendlichem Alter. Wichtig ist daher in allen Fällen eine möglichst frühere Diagnosestellung schon vor der Pubertät, besondere Bedeutung kommt der Familienanamnese zu. Im Fall der familiären adenomatösen Polypose ist heute zur Vorbeugung der obligaten Entwicklung eines Dickdarmmalignoms die restaurative Proktokolektomie mit Ileumpouch-Bildung operativer Standard. Dieses sollte prophylaktisch möglichst nach der Pubertät, jedoch noch vor dem 20. Lebensjahr erfolgen. Das technische Vorgehen entspricht dem bei der Colitis ulcerosa (▶ Kap. 33.2.8). Die postoperativen funktionellen Einbußen werden von den Adenomatosispatienten allerdings wesentlich deutlicher empfunden, als von den Colitis-ulcerosa-Patienten. Dies muss aufklärungstechnisch berücksichtigt werden.
Bei Adenomatose (z. B. FAP) erfolgt die restaurative Proktokolektomie nach der Pubertät und vor dem 20. Lebensjahr.
Zahlenmäßig weitaus bedeutsamer und für die klinische Praxis damit viel relevanter sind die neoplastischen epithelialen Adenome, die zu 70% als tubuläre und zu ca. 10–15% als villöse Adenome vorkommen. Beide haben das Risiko der größenabhängigen malignen Entartung (klassisches Beispiel einer Adenom-/Karzinomsequenz), wobei dieses bei den letzteren deutlich höher ausgeprägt ist (Bonithon-Kopp et al. 2004). Insgesamt ist davon auszugehen, dass ca. 90% der kolorektalen Karzinome auf dem Boden präexistenter Adenome entstehen. Hauptlokalisation neoplastischer Polypen ist der rektosigmoidale Bereich. Klinische Symptomatologie und Diagnostik Rektumadenome weisen keine typische Symptomatologie auf. Gering bis mäßiggradige Schmerzen, Blutabgang und schleimige Durchfälle können vorhanden sein, meist jedoch handelt es sich
473 33.3 · Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen
Scheidbach H, Schneider C, Rose J, Konradt J (2004) Laparoscopic approach to treatment of sigmoid diverticulitis: changes in the spectrum of indications and results of a prospective multicenter study on 1545 patients. Dis Colon Rectum 47:1883–1888 Schumpelick V, Kasperk R (2001) Divertikulitis – Eine Standortbestimmung. Springer, Berlin Heidelberg Schwandner O, Farke S, Fischer F, Eckmann C, Schiedeck T, Bruch H (2004) Laparoscopic colectomy for recurrent and complicated diverticulitis: a prospective study of 396 patients. Langenbecks Arch Surg 389:97– 103 Simpson J, Scholefield J, Spiller R (2003) Origin of symptoms in diverticular disease. Br J Surg 90:899–908 Willis S, Ulmer F, Fell T, Butz N, Schumpelick V (2005) Comparison of laparoscopic and open sigmoidal resection in uncomplicatied diverticulitis. Viszeralchirurgie 40:27–32 Young-Fadok T, Farrugia G (2003) Cholinergic denervation in diverticular disease. Lancet 361:1923–1924
33.3
Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen R. Kasperk, S. Willis
) ) Hierzu zählt eine Vielzahl oft sehr seltener Krankheitsentitäten, die sich am besten hinsichtlich ihrer Abstammung von den Keimblättern klassifizieren lassen. Aufgrund der speziellen viszeralchirurgischen Relevanz wird im Folgenden hauptsächlich auf die Adenome, die Angiodysplasie und den Morbus Hirschsprung eingegangen. Bei allen anderen benignen Neubildungen des Kolons gilt zusammenfassend, dass sie im Wesentlichen entweder als Zufallsbefund diagnostiziert werden oder im Rahmen einer Passagebehinderung bzw. einer mehr oder weniger starken Blutungsepisode infolge Schleimhautarrosionen über dem wandständigen Tumor auffallen. Diagnostisch spielt die Endoskopie mit Biopsie eine herausragende Rolle. Im Einzelfall kommen alternative diagnostische Methoden wie die Computer- oder Magnetresonanztomographie oder die selektive Angiographie zum Einsatz. Bei Passagebehinderung bzw. stattgehabter Blutung ist die Operationsindikation im Prinzip stets gegeben. Sie besteht in einer sparsamen Entfernung des gutartigen Tumors. Dies kann sowohl mittels Kolotomie und Exzision wie auch mittels Segmentresektion und End-zu-End-Anastomose erfolgen. Bei derartigen Eingriffen bewährt sich insbesondere ein laparoskopisch assistiertes Vorgehen in Kombination mit der intraoperativen Endoskopie zur optimalen Lokalisation des Prozesses.
Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen des Dickdarms 5 Epitheliale Neubildungen – Neoplastische Polypen/Adenome – Nicht-neoplastische Polypen – Hyperplastisch – Hamartomös (Peutz-Jeghers, juvenil) – Entzündlich 6
33
5 Mesenchymale Neubildungen – Lipom – Leiomyom – Hämangiom – Lymphangiom
33.3.1 Adenome Grundlagen Unter den adenomatösen Veränderungen der Dickdarmschleimhaut müssen die neoplastischen von den nicht-neoplastischen Erkrankungen abgegrenzt werden. Letztere sind praktisch nie von chirurgischer Relevanz. Im Gegensatz dazu ist die Diagnose von neoplastischen epithelialen Adenomen von erheblicher therapeutischer Bedeutung, wobei die Chirurgie hier ganz klar hinter endoskopischen Verfahren zurücktritt. Neben den einzelnen oder in geringer Zahl auftretenden Adenomen sind die sog. Adenomatosen zu unterscheiden, die durch das Auftreten von 100 und mehr Polypen definiert sind. Die bekannteste darunter ist die familiäre adenomatöse Polypose, weitere sind das Gardner-, Turcot- und das Zanca-Syndrom. Gemeinsam ist allen ein klar definierter Erbgang und die hoch wahrscheinliche Ausbildung von Malignomen innerhalb und außerhalb des Gastrointestinaltrakts, häufig schon in jugendlichem Alter. Wichtig ist daher in allen Fällen eine möglichst frühere Diagnosestellung schon vor der Pubertät, besondere Bedeutung kommt der Familienanamnese zu. Im Fall der familiären adenomatösen Polypose ist heute zur Vorbeugung der obligaten Entwicklung eines Dickdarmmalignoms die restaurative Proktokolektomie mit Ileumpouch-Bildung operativer Standard. Dieses sollte prophylaktisch möglichst nach der Pubertät, jedoch noch vor dem 20. Lebensjahr erfolgen. Das technische Vorgehen entspricht dem bei der Colitis ulcerosa (▶ Kap. 33.2.8). Die postoperativen funktionellen Einbußen werden von den Adenomatosispatienten allerdings wesentlich deutlicher empfunden, als von den Colitis-ulcerosa-Patienten. Dies muss aufklärungstechnisch berücksichtigt werden.
Bei Adenomatose (z. B. FAP) erfolgt die restaurative Proktokolektomie nach der Pubertät und vor dem 20. Lebensjahr.
Zahlenmäßig weitaus bedeutsamer und für die klinische Praxis damit viel relevanter sind die neoplastischen epithelialen Adenome, die zu 70% als tubuläre und zu ca. 10–15% als villöse Adenome vorkommen. Beide haben das Risiko der größenabhängigen malignen Entartung (klassisches Beispiel einer Adenom-/Karzinomsequenz), wobei dieses bei den letzteren deutlich höher ausgeprägt ist (Bonithon-Kopp et al. 2004). Insgesamt ist davon auszugehen, dass ca. 90% der kolorektalen Karzinome auf dem Boden präexistenter Adenome entstehen. Hauptlokalisation neoplastischer Polypen ist der rektosigmoidale Bereich. Klinische Symptomatologie und Diagnostik Rektumadenome weisen keine typische Symptomatologie auf. Gering bis mäßiggradige Schmerzen, Blutabgang und schleimige Durchfälle können vorhanden sein, meist jedoch handelt es sich
474
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
um Zufallsbefunde im Rahmen einer Screeningmaßnahme, wie dem Nachweis okkulten Blutes im Stuhl bzw. der Vorsorgekoloskopie. Diagnose und Therapie sind eine Domäne der Endoskopie. Hinsichtlich der Diagnostik tritt die virtuelle Koloskopie mittels CT oder MR inzwischen neben die konventionelle Endoskopie (Vogt et al. 2004). Diese Verfahren haben aber noch beträchtliche Schwierigkeiten im Nachweis kleiner und flacher Läsionen und sind zudem nicht kostengünstiger. Wesentlichster Nachteil ist jedoch die fehlende Biopsie-/Abtragungsmöglichkeit. Auch wurden bereits Perforationen im Rahmen virtueller Koloskopien berichtet (Kamar et al. 2004).
33
Operative Therapie Die Therapie besteht bei allen Läsionen über 5 mm Größe in der totalen endoskopischen Abtragung (7 Kap. 9). Nur Läsionen unter 5 mm Größe bzw. makroskopisch bereits hochgradig verdächtige Raumforderungen sollten biopsiert werden (Church 2004; Eickhoff u. Riemann 2000). Chirurgische Verfahren der Adenomabtragung werden nur bei endoskopisch nicht abtragbaren Adenomen zum Einsatz kommen. Gründe hierfür sind Größe über 4 cm, Breitbasigkeit und Lokalisation in einem endoskopisch nicht vollständig einsehbaren Bereich. Weitere seltene Indikationen für eine chirurgische Intervention sind nach endoskopischer Abtragung auftretende Perforationen bzw. Nachblutungen.
Die Indikation zur chirurgischen Adenomentfernung wird in Abhängigkeit von Größe, Breitbasigkeit oder Lokalisation in endoskopisch nicht einsehbarem Bereich gestellt.
Bei geplanter Operation ist für eine besonders sorgfältige Lokalisationsdiagnostik Sorge zu tragen, da intraoperativ u. U. selbst größere Polypen bei sehr weicher Konsistenz nicht transmural getastet werden können. Der Chirurg muss sich auf die präoperativen Angaben exakt verlassen können, reine Zentimeterangaben als Abstand von der Anokutanlinie sind absolut unzureichend. Hilfreich ist stets die Durchführung einer intraoperativen Endoskopie (Grund 2002). Besteht keine Möglichkeit der intraoperativen Koloskopie, ist aus chirurgischer Sicht unbedingt zu fordern, dass die Tumorlokalisation präoperativ durch eine Abdomenröntgenübersichtsaufnahme mit vor dem Tumor liegendem Endoskop dokumentiert wird. Die endoskopische Applikation von Clips oder aber die Tuschemarkierung der Darmwand ist im Einzelfall hilfreich. Allerdings können sowohl intraluminal platzierte Clips, wie auch Tuschemarkierungen bei Adipositas des Patienten oder ausgeprägten Adhäsionen optisch maskiert und auch der Palpation entzogen sein.
laufend-resorbierbar, einreihig-allschichtig oder allschichtige, resorbierbare Einzelknopfnähte). Die Patienten sind postinterventionell in ein Nachsorgeprogramm mit einer erstmaligen Kontrollkoloskopie nach 3 Jahren und weiteren Kontrollen in 5-jährigen Abständen aufzunehmen. 33.3.2 Gefäßanomalien des Kolons Grundlagen Hierzu zählen neben den seltenen Hämangiomen und den echten Gefäßneoplasien (Hämangioendotheliom, Hämangioperizytom, Kaposi-Sarkom) die Teleangiektasien und die arteriovenösen Missbildungen. Unter letzteren haben vor allem die Angiodysplasien chirurgische Relevanz, da sie im gesamten Gastrointestinaltrakt als Blutungsquelle in Erscheinung treten können und hinsichtlich der unteren gastrointestinalen Blutung sogar die zweithäufigste Ursache nach der Divertikulose darstellen. Angiodysplasien im Kolon sind vorwiegend im Zökum bzw. Colon ascendens oder im Rektum lokalisiert und kommen eher multipel als solitär vor. Wichtigste diagnostische Maßnahme ist die Endoskopie, die ein charakteristisches Bild von Stecknadelkopfbis maximal 2 cm großen kirschroten, runden oder unregelmäßigen, stets scharf begrenzten Flecken zeigt, von denen oftmals kleinere Gefäße ausstrahlen, die ihnen dadurch ein »spiderförmiges« Aussehen geben können (. Abb. 33.18). Vorwiegend werden Angiodysplasien bei Patienten über 55 Jahren diagnostiziert. Ätiologisch scheint es sich bei den im histologischen Bild ektatischen venösen und arteriellen Gefäßen um eine degenerative Veränderung, möglicherweise im Zusammenhang mit einem Kollagendefekt, zu handeln (Roskell 1998). Neben der endoskopischen Nachweismöglichkeit kommt im Fall einer akuten Blutung auch die selektive Angiographie zum Einsatz. Operative Therapie Die primäre Therapie erfolgt bei endoskopischem Nachweis der Blutung auf interventionellen Wege durch perifokale Injektion in die Darmwand oder Laser- bzw. Argon-Plasma-Koagulation (Fogel u. Valdivia 2002). Die chirurgische Therapie tritt vor allem beim Rezidivblutungsereignis in den Vordergrund. Im Fall einer nicht sistierenden und wahrscheinlich im unteren Gastrointes-
Speziell bei minimalinvasivem Vorgehen ist eine sichere präoperative Lokalisation des Prozesses innerhalb des Kolons erforderlich.
Die chirurgische Taktik bezieht heute sehr stark minimalinvasive Vorgehensweisen mit laparoskopisch assistierten Resektionen ein (Hildebrandt et al. 2001). Die Entfernung kann entweder als Kolotomie und Wandexzision erfolgen oder aber als formale Segmentresektion mit zumeist handgenähter Anastomose (fort-
. Abb. 33.18. Teleangieektasie im Kolon
475 33.4 · Funktionelle Erkrankungen
tinaltrakt lokalisierten Blutung, die sich auf koloskopischem Wege nicht sicher identifizieren lässt, sollte intraoperativ, ggf. über eine Enterotomie, eine erneute Panendoskopie erfolgen.
Die intraoperative Endoskopie ist der Goldstandard der Diagnostik und Therapie einer unklaren unteren gastrointestinalen Blutung.
Entweder können intraoperativ endoskopisch unterstützt gezielte transmurale Durchstechungsligaturen angebracht oder formale Resektionen durchgeführt werden. Blinde Resektionen von nicht sicher blutenden, angiodysplasietragenden Darmabschnitten sind nicht indiziert. Die eigene Erfahrung mit der gegenwärtig recht populären Videokapselendoskopie bei unklaren Blutungsquellen zeigt, dass eine exakte Blutungslokalisation im Dünndarm meist nicht möglich ist und deshalb aus chirurgischer Sicht der aussichtsreicheren intraoperativen Endoskopie der Vorzug zu geben ist. Bei allgemeinen Kontraindikationen gegen eine Operation besteht ebenfalls die Möglichkeit einer supraselektiven Angiographie mit Embolisation. Dies beinhaltet allerdings das potenzielle Risiko eine Kolonwandischämie mit späterer Perforation und stellt darüber hinaus ein nicht überall verfügbares Verfahren dar. 33.3.3 Morbus Hirschsprung Grundlagen Der Morbus Hirschsprung, die kongenitale intestinale Aganglionose, ist im Wesentlichen eine Erkrankung des Kindesalters (7 Kap. 45), allerdings sind ca. 5% der Patienten bei Diagnosestellung älter als 16 Jahre. Die Abwesenheit von Ganglionzellen im Bereich des Dickdarmes beginnend direkt oberhalb der Linea dentata und reicht unterschiedlich weit nach proximal, unter Umständen bis in den Dünndarm. Das aganglionäre Segment bedingt eine funktionelle Stenose: die betroffenen Darmabschnitte können aufgrund der nicht kompensierten sympathischen Innervation nicht relaxieren. Der Begriff des »Megacolon congenitum« ist insofern irreführend, da das sekundär dilatierte proximale Kolon von dem ursächlichen Defekt nicht betroffen ist.
Die dilatierten Dickdarmanteile liegen beim M. Hirschsprung proximal der pathophysiologisch betroffenen Kolonabschnitte.
Klinisch steht die chronische, gelegentlich intermittierende, Obstipation im Vordergrund. Anamnestisch lassen sich die Beschwerden bis ins Kindesalter zurückverfolgen. Die definitive Diagnose wird durch eine Rektumbiopsie gestellt, in der fehlende Ganglienzellen, hypertrophierte Nerven und ein erhöhter Azetylcholinesterasegehalt nachweisbar sind. Operative Therapie Das Prinzip der heutzutage meist einzeitig durchgeführten Operation besteht in der vollständigen Entfernung des aganglionären Segments und in der Reanastomosierung des proximalen gangliontragenden Dickdarmes mit dem Rektumstumpf in Höhe der
33
Linia dentata (Elhalaby et al. 2004; Teitelbaum 2003). Mit jeder der zur Verfügung stehenden operativen Techniken lassen sich in 80% der Fälle gute Ergebnisse erzielen. Wichtig ist zudem neben der Entfernung des aganglionären Segments die Resektion des proximal angrenzenden funktionsuntüchtigen dilatierten Darmabschnittes. An der proximalen Resektionslinie sollten durch intraoperative Schnellschnittuntersuchung Ganglienzellen nachwiesen werden.
Literatur Bonithon-Kopp C, Oiard F, Fenger C, Cabeza E (2004) Colorectal adenoma characteristics as predictors of recurrence. Dis Colon Rectum 47:323– 333 Church J (2004) Clinical significance of small colorectal polyps. Dis Colon Rectum 47:481–485 Eickhoff A, Riemann J (2000) Coloncarcinom: Frühdiagnose und endoskopische Prävention. Internist 41:860–867 Elhalaby E, Hashish H, Elbarbary, Soliman H (2004) Transanal one-stage pull-through for Hirschsprung’s disease: a multicenter study. J Pediatr Surg 39:345–351 Fogel R, Valdivia E (2002) Bleeding angiodysplasia of the colon. Curr Treat Options Gastroenterol 5:225–230 Grund K (2002) Chirurgische Endoskopie bei Polypen und Adenomen des Colons. Kongressbd Dtsch Ges Chir 119:174–177 Hildebrandt U, Kreissler-Haag D, Lindemann W (2001) Laparoskopisch assistierte colorectale Resektionen: Morbidität, Konversionsraten und Ergebnisse. Zentralbl Chir 126:323–332 Kamar M, Portnoy O, Bar-Dayan A (2004) Actual colonic perforation in virtual colonoscopy: report of a case. Dis Colon Rectum 47:1242–1249 Roskell D, Biddolph S, Warren B (1998) Apparent deficiency of mucosal vascular collagen type IV associated with angiodysplasia of the colon. J Clin Pathol 51:18–20 Teitelbaum D, Coran A (2003) Primary pull-through for Hirschsprung’s disease. Semin Neonatol 8:233–241 Vogt C, Cohnen M, Beck A, Aurich V, Mödder U, Häussinger D (2004) Virtuelle Kolographie. Coloproctology 26:1–14
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Funktionelle Erkrankungen S. Willis, R. Kasperk
) ) Die wesentlichen Aufgaben des Kolons sind die Stuhleindickung durch Wasser- und Elektrolytresorption sowie der Weitertransport und die kontrollierte Ausscheidung unverdauter Nahrungsreste. Klinisch äußern sich Störungen dieser Funktion nicht nur als Obstipation oder Diarrhö, sondern auch in Form von abdominellen Schmerzen, Blähungen und einer Vielzahl unspezifischer systemischer Symptome. Die Behandlung dieser funktionellen Störungen ist eine Domäne der Gastroenterologie, eine chirurgische Therapie ist nur bei ausgewählten Funktionsstörungen indiziert.
33.4.1 Chronische Obstipation Grundlagen Die chronische Obstipation gehört zu den häufigsten Störungen der Dickdarmfunktion. Man unterscheidet eine primäre oder
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tinaltrakt lokalisierten Blutung, die sich auf koloskopischem Wege nicht sicher identifizieren lässt, sollte intraoperativ, ggf. über eine Enterotomie, eine erneute Panendoskopie erfolgen.
Die intraoperative Endoskopie ist der Goldstandard der Diagnostik und Therapie einer unklaren unteren gastrointestinalen Blutung.
Entweder können intraoperativ endoskopisch unterstützt gezielte transmurale Durchstechungsligaturen angebracht oder formale Resektionen durchgeführt werden. Blinde Resektionen von nicht sicher blutenden, angiodysplasietragenden Darmabschnitten sind nicht indiziert. Die eigene Erfahrung mit der gegenwärtig recht populären Videokapselendoskopie bei unklaren Blutungsquellen zeigt, dass eine exakte Blutungslokalisation im Dünndarm meist nicht möglich ist und deshalb aus chirurgischer Sicht der aussichtsreicheren intraoperativen Endoskopie der Vorzug zu geben ist. Bei allgemeinen Kontraindikationen gegen eine Operation besteht ebenfalls die Möglichkeit einer supraselektiven Angiographie mit Embolisation. Dies beinhaltet allerdings das potenzielle Risiko eine Kolonwandischämie mit späterer Perforation und stellt darüber hinaus ein nicht überall verfügbares Verfahren dar. 33.3.3 Morbus Hirschsprung Grundlagen Der Morbus Hirschsprung, die kongenitale intestinale Aganglionose, ist im Wesentlichen eine Erkrankung des Kindesalters (7 Kap. 45), allerdings sind ca. 5% der Patienten bei Diagnosestellung älter als 16 Jahre. Die Abwesenheit von Ganglionzellen im Bereich des Dickdarmes beginnend direkt oberhalb der Linea dentata und reicht unterschiedlich weit nach proximal, unter Umständen bis in den Dünndarm. Das aganglionäre Segment bedingt eine funktionelle Stenose: die betroffenen Darmabschnitte können aufgrund der nicht kompensierten sympathischen Innervation nicht relaxieren. Der Begriff des »Megacolon congenitum« ist insofern irreführend, da das sekundär dilatierte proximale Kolon von dem ursächlichen Defekt nicht betroffen ist.
Die dilatierten Dickdarmanteile liegen beim M. Hirschsprung proximal der pathophysiologisch betroffenen Kolonabschnitte.
Klinisch steht die chronische, gelegentlich intermittierende, Obstipation im Vordergrund. Anamnestisch lassen sich die Beschwerden bis ins Kindesalter zurückverfolgen. Die definitive Diagnose wird durch eine Rektumbiopsie gestellt, in der fehlende Ganglienzellen, hypertrophierte Nerven und ein erhöhter Azetylcholinesterasegehalt nachweisbar sind. Operative Therapie Das Prinzip der heutzutage meist einzeitig durchgeführten Operation besteht in der vollständigen Entfernung des aganglionären Segments und in der Reanastomosierung des proximalen gangliontragenden Dickdarmes mit dem Rektumstumpf in Höhe der
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Linia dentata (Elhalaby et al. 2004; Teitelbaum 2003). Mit jeder der zur Verfügung stehenden operativen Techniken lassen sich in 80% der Fälle gute Ergebnisse erzielen. Wichtig ist zudem neben der Entfernung des aganglionären Segments die Resektion des proximal angrenzenden funktionsuntüchtigen dilatierten Darmabschnittes. An der proximalen Resektionslinie sollten durch intraoperative Schnellschnittuntersuchung Ganglienzellen nachwiesen werden.
Literatur Bonithon-Kopp C, Oiard F, Fenger C, Cabeza E (2004) Colorectal adenoma characteristics as predictors of recurrence. Dis Colon Rectum 47:323– 333 Church J (2004) Clinical significance of small colorectal polyps. Dis Colon Rectum 47:481–485 Eickhoff A, Riemann J (2000) Coloncarcinom: Frühdiagnose und endoskopische Prävention. Internist 41:860–867 Elhalaby E, Hashish H, Elbarbary, Soliman H (2004) Transanal one-stage pull-through for Hirschsprung’s disease: a multicenter study. J Pediatr Surg 39:345–351 Fogel R, Valdivia E (2002) Bleeding angiodysplasia of the colon. Curr Treat Options Gastroenterol 5:225–230 Grund K (2002) Chirurgische Endoskopie bei Polypen und Adenomen des Colons. Kongressbd Dtsch Ges Chir 119:174–177 Hildebrandt U, Kreissler-Haag D, Lindemann W (2001) Laparoskopisch assistierte colorectale Resektionen: Morbidität, Konversionsraten und Ergebnisse. Zentralbl Chir 126:323–332 Kamar M, Portnoy O, Bar-Dayan A (2004) Actual colonic perforation in virtual colonoscopy: report of a case. Dis Colon Rectum 47:1242–1249 Roskell D, Biddolph S, Warren B (1998) Apparent deficiency of mucosal vascular collagen type IV associated with angiodysplasia of the colon. J Clin Pathol 51:18–20 Teitelbaum D, Coran A (2003) Primary pull-through for Hirschsprung’s disease. Semin Neonatol 8:233–241 Vogt C, Cohnen M, Beck A, Aurich V, Mödder U, Häussinger D (2004) Virtuelle Kolographie. Coloproctology 26:1–14
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Funktionelle Erkrankungen S. Willis, R. Kasperk
) ) Die wesentlichen Aufgaben des Kolons sind die Stuhleindickung durch Wasser- und Elektrolytresorption sowie der Weitertransport und die kontrollierte Ausscheidung unverdauter Nahrungsreste. Klinisch äußern sich Störungen dieser Funktion nicht nur als Obstipation oder Diarrhö, sondern auch in Form von abdominellen Schmerzen, Blähungen und einer Vielzahl unspezifischer systemischer Symptome. Die Behandlung dieser funktionellen Störungen ist eine Domäne der Gastroenterologie, eine chirurgische Therapie ist nur bei ausgewählten Funktionsstörungen indiziert.
33.4.1 Chronische Obstipation Grundlagen Die chronische Obstipation gehört zu den häufigsten Störungen der Dickdarmfunktion. Man unterscheidet eine primäre oder
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Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
funktionelle Obstipation von sekundären, mit Medikamenteneinnahme oder anderen Krankheitsbildern assoziierten Formen. Gemeinsames Symptom ist die zu seltene, erschwerte oder inkomplette Entleerung von zu kleinen und in der Regel zu harten Stuhlmengen. Die Prävalenz beträgt je nach Definition von 2 bis zu 28% der Bevölkerung mit Häufung bei Frauen und Zunahme im Alter. Ein Zusammenhang mit dem Lebensstil oder dem Vorhandensein von Hämorrhoiden konnte bislang nicht sicher nachgewiesen werden. Nur etwa ein Drittel der Betroffenen sucht ärztlichen Rat; dennoch werden die Kosten der durchgeführten diagnostischen Maßnahmen aufgrund von chronischer Obstipation in den USA auf jährlich 6,9 Billionen Dollar geschätzt (Talley 2004).
33
Funktionelle Obstipation. Anhand epidemiologischer Daten wurden in einer Konsensuskonferenz in Rom die diagnostischen Kriterien der funktionellen Obstipation festgelegt (Thompson et al. 1999). Sie wird demnach als Kombination von chronischen oder rezidivierenden Defäkationsbeschwerden von mindestens 12 Wochen Dauer in den zurückliegenden 12 Monaten beschrieben. Dabei muss der Patient während einem Viertel der Zeit mindestens über 2 charakteristische Symptome klagen:
Rom-II-Kriterien der funktionellen Obstipation 5 Starkes Pressen bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 5 Klumpiger oder harter Stuhl bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 5 Gefühl der inkompletten Entleerung bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 5 Gefühl der anorektalen Obstruktion oder Blockierung bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 5 Manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen (z. B. digitale Ausräumung, Stützen des Beckenbodens) 5 Weniger als 3 Stuhlentleerungen pro Woche 5 Fehlende Kriterien für das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms
Pathophysiologisch werden mehrere Formen der funktionellen Obstipation unterschieden (Prather 2004): 4 Die »slow-transit constipation«, auch innertes Kolon genannt, ist eine primäre Kolonmotilitätsstörung mit pathologischer Verlängerung der Kolontransitzeit bei normaler Evakuation. Sie kommt bei etwa 12% der Patienten isoliert vor. 4 Eine »Outlet-Obstruktion« liegt bei etwa 16% der Patienten mit funktioneller Obstipation vor. Es handelt sich um eine Evakuationsstörung, deren Ursache meist eine Koordinationsstörung der Beckenbodenmuskulatur ist. 4 Die gemischte Störung bedeutet eine verzögerte Kolonpassage mit zusätzlicher Evakuationsstörung. 4 Die idiopathische Obstipation betrifft etwa die Hälfte aller Patienten, bei denen keine Kolonpathologien nachweisbar sind. In vielen Fällen bestehen psychische Auffälligkeiten, die entsprechend behandelt werden müssen (Whitehead 1996) Formal ist die funktionelle Obstipation vom obstipationsprädominanten Reizdarmsyndrom abzugrenzen, bei dem neben der Verstopfung zusätzlich noch andere Symptome wie abdominelle
Schmerzen, Meteorismus oder wechselnde Stuhlkonsistenz vorhanden sind (7 unten). Sekundäre Obstipation. Verschiedenste neurologische, psychische, metabolische, endokrinologische und strukturelle Krankheitsbilder sind mit einer chronischen Obstipation assoziiert. Außerdem ist die Obstipation eine häufige Nebenwirkung verschiedenster Medikamente.
Sekundäre Ursachen der chronischen Obstipation 5 Erkrankungen des Kolons – Kolonstenose (postoperativ, entzündlich, tumorös) – M. Hirschsprung – Intestinale Pseudoobstruktion – Chagas-Erkrankung – Rektozele – Intussuszeption, Rektumprolaps – Sigmoidozele, Enterozele – Rezidivierender Volvulus 5 Muskel-Bindegewebserkrankungen – Sklerodermie – Amyloidose – Dermatomyositis 5 Metabolisch-endokrinologische Erkrankungen – Diabetes mellitus – Hypothyreose – Porphyrie – Hypokaliämie – Hyperkalzämie – Schwangerschaft 5 Neurologisch-psychiatrische Erkrankungen – Apoplex – M. Parkinson – Multiple Sklerose – Depression – Anorexie 5 Medikamente – Opiate – Trizyklische Antidepressiva – Antiepileptika – Diuretika – Nichtsteroidale Antiphlogistika – Kalziumantagonisten – Aluminiumhaltige Antazida – Eisen – Laxanzienabusus
Megakolon. Die Begriffe Megakolon oder Megarektum beschreiben eine übermäßige Dilatation der entsprechenden Organe. Im Colon transversum wird dieser Begriff bei einem Querdurchmesser von über 6,5 cm, im Colon ascendens bei über 8 cm und im Rektum bei über 12 cm verwendet. Im Rektosigmoid handelt es sich in vielen Fällen um die Folge einer langjährigen chronischen Obstipation. Ein Megakolon kann jedoch auch auf dem Boden eines M. Hirschsprung, einer chronisch intestinalen Pseudoobstruktion oder einer Infektion mit Trypanosoma cruzi auftreten. Das toxische Megakolon ist eine lebensbedrohliche Komplikation der Colitis ulcerosa oder anderer infektiöser Kolitiden (7 Kap. 33.2).
477 33.4 · Funktionelle Erkrankungen
Diagnostik Die Behandlung der chronischen Obstipation erfordert zunächst eine exakte Definition der pathophysiologischen Ursache. Anamnestisch kann eine erste Einordnung durch folgende Fragen erfolgen: 4 Ist die Stuhlhäufigkeit zu gering? 4 Ist die Evakuation zu schwer? 4 Ist die Konsistenz zu hart? 4 Dauert die Stuhlentleerung zu lange? Eine gezielte Befragung nach Vorerkrankungen und eingenommenen Medikamenten erlaubt häufig bereits die Ursache einer Stuhlunregelmäßigkeit zu eruieren. Das Ausmaß der apparativen Diagnostik hängt vom Alter des Patienten, der Dauer der Beschwerden und der Präsenz von Begleitsymptomen ab. Bei Alarmsymptomen wie ungewolltem Gewichtsverlust, Änderung der Stuhlgewohnheiten, rektalem Blut- oder Schleimabgang muss ein organisches Leiden mittels Koloskopie ausgeschlossen werden. Zeigen einfache Therapieansätze keinen Erfolg, ist eine weiterführende Funktionsdiagnostik gerechtfertigt. Dabei sollten Patienten mit infrequenter Defäkation primär mittels Kolontransitzeitmessung abgeklärt werden. Diese kann mittels peroral applizierten, radiodichten Markern oder szintigraphisch durchgeführt werden. Der Vorteil der Szintigraphie ist die geringere Strahlenbelastung und die Möglichkeit, auch Magenentleerung und Dünndarmpassagezeit auswerten zu können (Wald 2004). Wegen der aufwendigeren Technik wird diese jedoch in der Praxis seltener eingesetzt. Bei der Markertechnik werden 10 Marker pro Tag über einen Zeitraum von 6 Tagen gegeben. Am 7. Tag wird eine Abdomenübersichtsaufnahme angefertigt und die Passagezeit anhand der Markerverteilung kalkuliert. Ist die Kolontransitzeit bei gleichmäßiger Verteilung der Marker bzw. der radioaktiv markierten Testmahlzeit im Kolorektum verzögert, spricht man von »slow-transit constipation« oder »inertem Kolon«.
Grundsätzlich kann eine Kolontransitzeit von mehr als 72 h als pathologisch betrachtet werden.
Bei Akkumulation der Marker im Rektum liegt am ehesten eine Entleerungsstörung vor. Diese kann über einen Ballonexpulsionstest einfach und kostengünstig bestätigt werden (Minguez et al. 2004). Hierbei wird ein mit 50 ml Wasser gefüllter Ballon in das Rektum eingeführt. Kann der Ballon nicht spontan ausgestoßen werden, wird zunehmend Gewicht angehängt. Bei einem Gesunden müssen durchschnittlich 126 g Gewicht angehängt werden, während bei Evakuationsstörungen bis zu 700 g erforderlich sein können. Die Ursachen einer Entleerungsstörung werden mittels Defäkographie und Analmanometrie weiter abgeklärt. Bei der Videodefäkographie wird das Rektum mit einer stuhlähnlichen Bariumpaste gefüllt und anschließend die Defäkation im horizontalen Strahlengang gefilmt. Dadurch lassen sich Größe und Kontraktion des Rektums beurteilen sowie eine Rektozele, eine Intussuszeption oder eine Sigmoideozele nachweisen. Neuerdings steht auch die MR-Defäkographie zur Verfügung, die neben der fehlenden Strahlenbelastung auch die Beurteilung der Beckenbodenmotilität erlaubt (Dvorkin et al. 2004). Ein Fehlen des rektoanalen Inhibitionsreflexes bei der Analmanometrie ist
33
verdächtig auf einen M. Hirschsprung und muss durch Rektumbiopsien weiter abgeklärt werden (s. oben). Kann manometrisch eine Kontraktion des Schließmuskels während der Ballonexpulsion nachgewiesen werden, so ist dies als Hinweis auf eine Beckenbodendysfunktion zu werten. Therapie Die primäre Therapie der chronischen Obstipation ist konservativ (Herold 2001; DiPalma 2004). In vielen Fällen sind bereits eine ballaststoffreiche Ernährung und das Umstellen der Medikation erfolgreich. Gerade bei älteren Menschen ist auf eine ausreichende Trinkmenge hinzuweisen. Anstelle natürlicher Ballaststoffe können auch synthetische Polymere eingesetzt werden. Sie binden Wasser im Darm, erhöhen damit das Stuhlgewicht und fördern so die Dickdarmmotilität. Eine entsprechende Wirkung erzielen osmotische Laxantien wie Laktulose, Polyethylenglykol (PEG) oder Natriumpicosulfat. Diphenylmethanderivate (Bisacodyl) und pflanzliche Antrachinone (Aloe, Faulbaumrinde, Sennesblätter) wirken über eine direkte Stimulation der Darmmotilität bei gleichzeitiger Hemmung der intestinalen Wasserresorption. In Studien Erfolg versprechend sind neuere Therapieansätze mit Opiat- und 5-HT4-Antagonisten. Bei Entleerungsstörungen sind Klysmen oder Natriumhydrogenkarbonat-Suppositorien hilfreich. »Slow-transit constipation«. Erst nach Ausschluss anderer Ursachen und Ausschöpfen sämtlicher konservativer Therapiemöglichkeiten sollte die Indikation zur operativen Intervention in Betracht gezogen werden. Nur etwa 3–7% aller Patienten mit chronischer Obstipation sind Kandidaten für eine Operation. Das weitaus am häufigsten angewandte Verfahren ist die Kolektomie mit ileorektaler Anastomose – entsprechend liegen hier die größten klinischen Erfahrungen vor. Die Erfolgsrate liegt bei etwa 90% mit persistierenden Obstipationsbeschwerden bei 10% der Patienten. Demgegenüber beträgt die Rate an postoperativen Diarrhöen bis zu 69% und die Rate neu aufgetretener Inkontinenzbeschwerden bis zu 52%. Bei bis zu 29% der Patienten entwickelt sich im Langzeitverlauf ein therapiepflichtiger Ileus und bis zu 9% der Patienten enden mit einem permanenten Ileostoma (. Tab. 33.8). Dementsprechend war die postoperative Lebensqualität trotz Behebung der Obstipation in vielen Fällen relevant eingeschränkt (Lim u. Ho 2001; FitzHarris et al. 2003). Vor diesem Hintergrund wurden in den vergangenen Jahren Studien mit reduziertem Resektionsausmaß durchgeführt. Die Ergebnisse nach subtotaler Kolektomie mit ileosigmoidaler oder auch zökorektaler Anastomose waren mit Erfolgsraten von 12–51% deutlich schlechter als nach Kolektomie und in 2 Studien mit erweiterter Hemikolektomie links betrug die Versagerrate gar 100% (Knowles et al. 1999).
Derzeit ist die Kolektomie mit ileorektaler Anastomose als chirurgische Standardtherapie bei therapierefraktärer »slowtransit constipation« anzusehen. Nach bisherigem Kenntnisstand kann dieses Verfahren mit gleichem funktionellem Ergebnis auch laparoskopisch durchgeführt werden (Bruch et al. 1999; Inoue et al. 2002).
Die partielle Kolonresektion ist nur gerechtfertigt, wenn der Verdacht auf eine segmental beschränkte Transportstörung besteht. Für diese Indikation wurden bei einzelnen Patienten gute Erfolge beschrieben (Lundin et al. 2002).
478
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Tabelle 33.8. Ergebnisse nach Kolektomie und Ileorektostomie bei »slow-transit-constipation«
Autor
Patientenzahl
Erfolg (%)
Ileus (%)
Diarrhö (%)
Inkontinenz (%)
Stoma (%)
Piccirillo 1995
54
94
9
–
24
0
Redmond 1995
34
90
18
10
–
5
de Graaf 1996
44
67
2
14
14
7
Pluta 1996
24
92
21
33
–
0
Lubowski 1996
59
90
17
20
22
0
Platell 1996
96
82
–
–
52
9
Nyam 1997
74
87
9
10
1
0
Ho 1997
24
96
13
0
0
0
106
75
29
15
20
–
24
87
21
8
–
–
112
81
17
69
45
4
Bernini 1998 Fan 2000 FitzHarris 2003
33 Die restaurative Proktokolektomie mit Ileumpouch-analer Anastomose zur Behandlung der idiopathischen Obstipation ist nur in Ausnahmefällen indiziert, meist bei persistierender Obstipation nach Kolektomie oder bei Vorliegen eines Megakolon mit Einschluss des Rektum (Kalbassi 2003). In diesen Fällen ist die präoperative Dünndarmszintigraphie zum Ausschluss einer Dünndarmmotilitätsstörung obligat. Dadurch kann das Risiko einer persistierenden Obstipation trotz Proktokolektomie vermieden werden. Outlet-Obstruktion. Die primär konservative Therapie bein-
haltet die Stuhlregulation, Ernährungsberatung und Entleerungshilfen. Bei Therapieversagern kann die operative Therapie indiziert sein. Diese orientiert sich an der verursachenden Pathologie: Wird das distale Rektum durch eine Enterozele oder Sigmoidozele komprimiert, ist eine Elevation des Beckenbodens mit synchroner Rektopexie und Sigmaresektion zu empfehlen. Bei manifestem Rektumprolaps findet sich bei bis zu 2 Dritteln der Patienten eine begleitende Obstipation. Hier stehen die transabdominelle Resektionsrektopexie und perineale Verfahren (Rehn-Delorme-Operation, Altemeier-Operation) als Therapieoptionen zur Verfügung. Bei intrarektaler Intussuszeption bieten transanale Verfahren Vorteile. Auch Rektozelen sind häufig Ursachen von Entleerungsstörungen. Therapeutisch konkurrieren die vaginale, die transanale und die transperineale Raffung mit Levatorenplatik. Als relativ neues Verfahren steht die transanale gestapelte Rektumresektion (STARR) zur Verfügung, das nach bisheriger Datenlage zumindest ebenbürtig mit den anderen Verfahren ist (Boccasanta et al. 2004). In Anbetracht der komplexen und eigenständigen Krankheitsbilder wird auf 7 Kap. 35 verwiesen. Bei Koordinationsstörungen ist das Biofeedback-Training die Therapie der Wahl. Über einen geeigneten Sensor wird dem Patienten seine Beckenbodenfunktionsstörung dargestellt und über eine operative Konditionierung eine Funktionsänderung erreicht. Die Erfolgsraten betragen 55–100%, im Mittel 78% (Herold 2001; DiPalma 2004).
Gemischte Störung. Besteht eine Kombination von »slow-transit
constipation« und »outlet obstruction« ist primär das Biofeedbacktraining indiziert. Nach Behebung bzw. Verbesserung der Entleerungsstörung kann in Ausnahmefällen die Kolektomie mit Ileorektostomie angezeigt sein (Pemberton 1991). Eine Übersicht über den Behandlungsalgorithmus bei chronischer Obstipation gibt . Abb. 33.19. 33.4.2 Syndrom des irritablen Kolons
(Reizdarmsyndrom) Die für verschiedenste, eher unspezifische funktionelle Darmbeschwerden gebräuchliche Diagnose des Colon irritabile oder des spastischen bzw. nervösen Kolon kann nur per exclusionem und nicht aufgrund biologischer Marker gestellt werden. Da nicht nur das Kolon, sondern der gesamte Gastrointestinaltrakt betroffen ist, hat sich in den letzten Jahren der Begriff des »irritable bowel syndrome« oder des Reizdarmsyndroms durchgesetzt. Die diagnostischen Kriterien wurden 1999 auf einer Konsensuskonferenz definiert (Rom-II-Kriterien des Reizdarmsyndroms). Es wird als Kombination von chronischem und rezidivierendem abdominellen Unbehagen oder Schmerzen von mindestens 12 Wochen Dauer während der vorhergehenden 12 Monate definiert, deren Ursache nicht in strukturellen oder biochemischen Abnormitäten liegen und die 2 der 3 nachfolgenden Charakteristika aufweisen: 4 Erleichtert durch Defäkation und/oder 4 Beginn verbunden mit einer Änderung der Stuhlfrequenz und/oder 4 Beginn verbunden mit einer Änderung der Stuhlform Kumulativ unterstützende Symptome für ein Reizdarmsyndrom sind: 1. <3 Stuhlentleerungen pro Woche 2. >3 Stuhlentleerungen pro Tag 3. Harter oder klumpiger Stuhlgang
479 33.4 · Funktionelle Erkrankungen
33
. Abb. 33.19. Therapeutischer Algorithmus bei chronischer Obstipation
4. 5. 6. 7. 8. 9.
Breiiger oder wässriger Stuhlgang Pressen während des Stuhlgangs Imperativer Stuhldrang Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung Schleimabgang während der Stuhlentleerung Abdominelles Völlegefühl, Blähungen und abdominelle Schwellung
Man unterscheidet einen diarrhöprädominanten (ein oder mehr Symptome von 2, 4, 6, aber kein Symptom von 1, 3, 5) und einen obstipationsprädominanten Typ (ein oder mehr Symptome von 1,3, 5, aber kein Symptom von 2, 4, 6). Oft wird das Beschwerdebild von anderen gastrointestinalen Beschwerden wie Dyspepsie und Übelkeit begleitet. Die Prävalenz liegt bei 15–20% der Bevölkerung mit Häufung bei Frauen. Als mögliche Ursachen werden intestinale Dysmotilität, viszerale Hypersensibilität und psychosoziale Faktoren diskutiert. Die Therapie ist in allen Fällen konservativ und symptomorientiert. Für den Viszeralchirurgen ist das Krankheitsbild wichtig als Differenzialdiagnose zur funktionellen Obstipation (Thompson et al. 1999). 33.4.1 Intestinale Pseudoobstruktion Grundlagen. Die intestinale Pseudoobstruktion, erstmalig durch
Ogilvie 1948 beschrieben, umfasst ein klinisches Zustandsbild, das durch eine Behinderung des intestinalen Transports mit erheblicher Kolondilatation in Abwesenheit eines mechanischen Hindernisses charakterisiert ist. Üblicherweise ist der Dickdarm involviert, seltener auch der Dünndarm. Die Ätiologie ist nach wie vor unklar. Betroffen sind insbesondere ältere, kritisch multimorbide Patienten, z. B. im postoperativen Verlauf. Es handelt sich typischerweise um akut auftretende Krankheitsbilder, die mit erheblicher Distension des Abdomens und Schmerzen im Sinne eines akuten Abdomens einhergehen (Kuhn 2003). Ein zweiter Altersgipfel einer allerdings mehr chronischen Verlaufsform der intestinalen Pseudoobstruktion findet sich im Kindes-
alter, auch hier typischerweise im Gefolge schwerer angeborener Erkrankungen. Diagnostik. Die Diagnose wird bei klinisch auffälliger Distension des Abdomens meist anhand des Röntgen-Übersichtsbilds gestellt, das eine Dilatation des Zökums oder des Colon ascendens mit einem Durchmesser von über 12–14 cm zeigt. Wichtigste Differenzialdiagnose ist der mechanische Ileus, z. B. infolge eines Zökal- oder Sigmavolvulus. Therapie. Therapieziel ist die Vermeidung der Perforation infolge Wandüberdehnung, die eine Letalität von mehr als 20% aufweist (Delgado-Aros 2003). Therapie der Wahl ist die endoskopische Dekompression und ggf. transanale Platzierung einer Sonde zwecks Rezidivprophylaxe. Alternativ kommt die Anlage einer Zökalfistel oder eines Kolostomas infrage. Die Indikation zu einer Kolonresektion besteht nur selten, z. B. bei manifesten Wandischämien. Nach endoskopischer Dekompression kann die Tonisierung des Darmes auf pharmakologischem Wege (Neostigmin) versucht werden.
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480
33
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
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33.5
Kolonvolvulus F. Ulmer, S. Willis
) ) Unter einem Volvulus versteht man die Torsion eines sich an einem Stiel befindlichen Organs. Am häufigsten ist der Kolonvolvulus, bei dem die Torsion entweder um die eigene (organoaxial) oder häufiger um die Mesenterialachse (mesenterioaxial) erfolgt. Schon im Altertum befassten sich Hippokrates und Aulus Cornelius Celsus mit dem Krankheitsbild. Das vorgeschlagene konservative Vorgehen mit Einblasen von Luft in den Darm ist auch heute noch Bestandteil bei der endoskopischen Therapie. Atherton führte 1883 die erste operative Derotation eines Sigmavolvulus durch. Beim Volvulus kommt es durch die Rotation zu einer partiellen oder vollständigen Okklusion des Darms. Darüber hinaus liegt zusätzlich oft eine Minderdurchblutung des betroffenen Segments vor. Eine Distension des Darmabschnittes mit eventueller Gangrän, Nekrose und Perforation ist die Folge. In Entwicklungsländern ist der Volvulus nach Kolontumoren und Divertikulitis dritthäufigste Ursache eines Darmverschlusses. Die häufigsten Formen des Volvulus betreffen das Sigma sowie das Zökum. Die einzuleitende Therapie hängt davon ab, wie sehr die Durchblutung des Darms beeinträchtigt ist. Bei vitalem Darm ist die endoskopische Dekompression gefolgt von einer elektiven Resektion die Therapie der Wahl. Im Ileus oder bei Darmnekrose ist eine Notfalllaparotomie angezeigt.
33.5.1 Grundlagen Epidemiologie Die Inzidenz des Kolonvolvulus variiert weltweit erheblich. In Westeuropa und in den USA erkranken daran nur ca. 5% oder weniger. In Osteuropa, Ländern des mittleren Ostens und Afrika ist der Volvulus in bis zu 75% der Fälle Ursache für einen Darmverschluss. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei etwa 60–65 Jahren, mit einer Verteilung von 80% >50 Jahren und 45% >70 Jahren. Einige Autoren gehen von einer ausgewogenen Geschlechtsverteilung aus, wobei aus Ländern des mittleren Ostens, Südamerikas und Afrika von einem Verhältnis zugunsten der Männer berichtet wird (Pfeifer 2003). Mögliche Ursache hierfür könnte ein anderes Verhältnis von Länge zu Breite beim Mesokolon des Mannes sein. Der Dickdarmvolvulus kommt meist im Bereich des Sigmas und Zoekums vor. In einer Studie von Ballantyne wurden die Daten von 546 in den USA lebenden Patienten mit Dickdarmvolvulus ausgewertet, wobei 95% der Fälle
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Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
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Thompson WG, Longstreth GF, Drossman DA, Heaton KW, Irvine EJ, MullerLissner SA (1999) Functional bowel disorders and functional abdominal pain. Gut 45 (Suppl 2):II43-II47 Wald A (2004) Diagnosis of constipation in primary and secondary care. Rev Gastroenterol Disord 4 (Suppl 2):S28–S33 Wexner SD, Sands DR (2003) What’s new in colon and rectal surgery. J Am Coll Surg 196(1):95–103 Whitehead WE (1996) Psychosocial aspects of functional gastrointestinal disorders. Gastroenterol Clin North Am 25(1):21–34
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Kolonvolvulus F. Ulmer, S. Willis
) ) Unter einem Volvulus versteht man die Torsion eines sich an einem Stiel befindlichen Organs. Am häufigsten ist der Kolonvolvulus, bei dem die Torsion entweder um die eigene (organoaxial) oder häufiger um die Mesenterialachse (mesenterioaxial) erfolgt. Schon im Altertum befassten sich Hippokrates und Aulus Cornelius Celsus mit dem Krankheitsbild. Das vorgeschlagene konservative Vorgehen mit Einblasen von Luft in den Darm ist auch heute noch Bestandteil bei der endoskopischen Therapie. Atherton führte 1883 die erste operative Derotation eines Sigmavolvulus durch. Beim Volvulus kommt es durch die Rotation zu einer partiellen oder vollständigen Okklusion des Darms. Darüber hinaus liegt zusätzlich oft eine Minderdurchblutung des betroffenen Segments vor. Eine Distension des Darmabschnittes mit eventueller Gangrän, Nekrose und Perforation ist die Folge. In Entwicklungsländern ist der Volvulus nach Kolontumoren und Divertikulitis dritthäufigste Ursache eines Darmverschlusses. Die häufigsten Formen des Volvulus betreffen das Sigma sowie das Zökum. Die einzuleitende Therapie hängt davon ab, wie sehr die Durchblutung des Darms beeinträchtigt ist. Bei vitalem Darm ist die endoskopische Dekompression gefolgt von einer elektiven Resektion die Therapie der Wahl. Im Ileus oder bei Darmnekrose ist eine Notfalllaparotomie angezeigt.
33.5.1 Grundlagen Epidemiologie Die Inzidenz des Kolonvolvulus variiert weltweit erheblich. In Westeuropa und in den USA erkranken daran nur ca. 5% oder weniger. In Osteuropa, Ländern des mittleren Ostens und Afrika ist der Volvulus in bis zu 75% der Fälle Ursache für einen Darmverschluss. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei etwa 60–65 Jahren, mit einer Verteilung von 80% >50 Jahren und 45% >70 Jahren. Einige Autoren gehen von einer ausgewogenen Geschlechtsverteilung aus, wobei aus Ländern des mittleren Ostens, Südamerikas und Afrika von einem Verhältnis zugunsten der Männer berichtet wird (Pfeifer 2003). Mögliche Ursache hierfür könnte ein anderes Verhältnis von Länge zu Breite beim Mesokolon des Mannes sein. Der Dickdarmvolvulus kommt meist im Bereich des Sigmas und Zoekums vor. In einer Studie von Ballantyne wurden die Daten von 546 in den USA lebenden Patienten mit Dickdarmvolvulus ausgewertet, wobei 95% der Fälle
481 33.5 · Kolonvolvulus
. Tabelle 33.9. Häufigkeit der Lokalisation des Dickdarmvolvulus (Ballantyne 1990)
Lokalisation
Häufigkeit (%)
Sigma
60,9
Zökum
34,5
Colon transversum
3,6
Linke Flexur
1
einen Sigma- oder Zökumvolvulus aufwiesen (. Tab. 33.9). Sehr selten sind Colon transversum, linke Flexur, Colon descendens oder Appendix betroffen (Ballantyne 1990). Pathogenese Die Ätiologie des Volvulus ist noch nicht vollständig geklärt. Einig ist man sich, dass anatomische Voraussetzungen (ein langer, mobiler Darmabschnitt mit entsprechend langem Mesokolon) für die Entstehung notwendig sind. Eine kongenitale Variation der Länge des betroffenen Darmabschnitts und dem dazugehörigen Mesenterium könnte somit auch der Grund für das weltweit unterschiedliche Vorkommen sein. In der Literatur werden neben diesen wichtigen anatomischen Voraussetzungen noch zahlreiche andere prädisponierende Faktoren beschrieben: M. Hirschsprung, M. Chagas, Megakolon, Adhäsionen von vorausgegangenen Operationen, Diabetes mellitus, Tuberkulose, kardiovaskuläre Störungen, neurologische und psychiatrische Erkrankungen, Vitamin-B-Mangel, ischämische Kolitis, Schwangerschaft und der exzessive Verbrauch von Einläufen. Ebenso kann eine angeborene Anomalie (Malrotation) die Ursache für einen Volvulus neonatorum sein (Pfeifer 2003). 33.5.2 Sigmavolvulus Der Sigmavolvulus ist weltweit die häufigste Form des Volvulus. Aufgrund einer ballaststoffreicheren Ernährung und der damit häufig einhergehenden Kolonverlängerung kommt der Sigmavolvulus in Ländern wie Asien und Afrika vermehrt vor. Ein langes Sigmamesenterium mit einer relativ schmalen Basis ist eine wichtige anatomische Voraussetzung für eine Torquierung im oder gegen den Uhrzeigersinn, wobei erstere die häufigere Form darstellt. Bei einem einfachen Darmverschluss im Bereich des Sigmas bleibt der betroffene Abschnitt normalerweise noch einige Tage lebensfähig. Grund hierfür ist, dass das Colon sigmoideum im Gegensatz zu den anderen Kolonabschnitten einem größeren intraluminalen Druck standhält, bevor es zu einer Gefäßobstruktion kommt. Übersteigt der intraluminale Druck jedoch den Kapillardruck, kommt es zu einer Venenthrombose mit konsekutivem Darminfarkt. Ist jedoch die akute Torquierung des Mesenteriums führend, so folgt der Darmischämie schnell die Nekrose. Klinische Symptomatologie Es werden 3 unterschiedliche Formen des Sigmavolvulus unterschieden: Eine häufige subakute, eine seltenere akute Form mit schnell eintretender Wandnekrose und der sog. ileosigmoidale Knoten.
33
4 Bei der subakuten Form entwickeln sich die Symptome wie Bauchsschmerzen und Übelkeit mit Erbrechen über Tage mit einem in der klinischen Untersuchung geblähten Abdomen sowie tympanischen Klopfschall. Die Verfassung des Patienten ist im Allgemeinen gut, der schwere Schockzustand ein Spätsymptom. Die Anamnese ist für ähnliche, vorausgegangene Episoden häufig positiv. Oft ist das Hauptsymptom des Patienten eine neu aufgetretene Dyspnoe als Folge des Zwerchfellhochstands. 4 Im Gegensatz hierzu beginnt die Klinik bei der akuten Form mit plötzlich auftretenden, starken, kolikartigen Schmerzen und Erbrechen mit raschem Übergang in eine Peritonitis, meist innerhalb der ersten 24 Stunden. 4 Bei der dritten Form, dem ileosigmoidalen Knoten, zeigen die Patienten eine Vielfalt unterschiedlicher Symptome, die von einfacher Verstopfung bis hin zum akuten Abdomen reichen. Ursache ist ein Ileumsegment, das sich um die Basis einer Sigmaschlinge wickelt und so zu einer mehr oder minder ausgeprägten Gefäß- oder Darmabschnürung führt. Diagnostik In den meisten Fällen ist das Röntgenbild des Abdomens im Stehen wegweisend. Typischerweise kommt das Sigma ahaustral in Form eines verkehrten U’s zur Darstellung (. Abb. 33.20; Kaffeebohnenzeichen). Bei Unklarheiten kann der Kolonkontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel weiterhelfen. Durch die Lumeneinengung an der Torsion kommt es zum sog. »bird’s peak sign« (Vogelschnabelzeichen) durch die sich verjüngende Kontrastmittelsäule an der Stelle der Torsion (. Abb. 33.21). Die Kombination von Abdomenröntgenleeraufnahme und Kolonkontrasteinlauf ermöglicht in den meisten Fällen die richtige Diagnose. Die Computertomographie hat eine hohe Treffsicherheit, ist jedoch meist entbehrlich. Differenzialdiagnostisch muss an eine distale neoplastische Obstruktion, an einen Kolonvolvulus anderer Lokalisation sowie an eine Pseudoobstruktion (s. oben) gedacht werden. Die nächste diagnostische und zugleich therapeutische Maßnahme ist die sofortige Sigmoidoskopie. Bei der subakuten Form erscheint die Mukosa des Sigma normal und rechtfertigt einen primär konservativen Therapieversuch (s. unten), während der Nachweis von Mukosanekrosen auf eine vitale Gefährdung des Darms bei der akuten Verlaufsform hinweist und zu einer Notfalllaparotomie mit Resektion des betroffenen Darmsegments führt. Therapie Die Therapie des subakuten Sigmavolvulus hat sich in den letzten Jahren von der sofortigen Operation mit einer häufig hohen Mortalitätsrate hin zu einer primär konservativen Therapie mit frühelektiver Sigmaresektion gewandelt.
Goldstandard ist die umgehende endoskopische Dekompression des Volvulus und die Einlage eines Darmrohrs, um eine sofortige Retorquierung zu verhindern.
Die Erfolgsrate betrug zwischen 58 und 100% bei einer Mortalität zwischen 0 und 15%. Das Problem der ausschließlich endoskopischen Therapie ist die hohe Rezidivquote von 23–85%, weshalb heute die elektive Sigmaresektion noch während des gleichen Krankenhausaufenthalts empfohlen wird (Pfeifer 2003). Die
482
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.20. Abdomenröntgenleeraufnahme bei Sigmavolvulus. Man erkennt ein großes gasgefülltes Hohlorgan, das aus dem kleinen Becken unter das linke Zwerchfell zieht. Dieses radiologische Phänomen wird verglichen mit einem zusammengepressten Schlauch eines Radreifens (»bent inner tube of a tyre«), auch »Kaffebohnenzeichen« oder »Omegazeichen« genannt
33
. Abb. 33.21. Kolonkontrasteinlauf bei Sigmavolvulus. Durch die Verengung an der Basis der torquierten Schlinge entsteht das sog. Vogelschnabelzeichen (»bird’s beak sign«)
483 33.5 · Kolonvolvulus
33
. Abb. 33.22. Therapieschema beim Zökum- und Sigmavolvulus
Reoperationsrate kann so auf 10% gesenkt werden (Renzulli et al. 2002). Dabei scheint die Laparoskopie gegenüber den offenen Verfahren zumindest gleichwertig zu sein, obwohl hierzu bislang nur wenige kasuistische Daten veröffentlicht wurden (Chung et al. 1997). Nichtresezierende Verfahren wie die Sigmapexie, Mesosigmoideoplastie und der T-Fastener sollten aufgrund schlechter Langzeitergebnissen kritisch bewertet werden und nur in Ausnahmefällen bei multimorbiden Patienten zum Einsatz kommen (Pfeifer 2003). Im Einzelfall ist bei stark erhöhtem Operationsrisiko aber auch ein rein konservatives Vorgehen vertretbar (. Abb. 33.22). Konsens besteht bei einem akuten Volvulus mit bestehender oder drohender Darmwandgangrän oder -nekrose. Hier ist eine unverzügliche Notfalloperation mit Resektion des betroffenen Segments indiziert. Die primäre Anastomose mit eventueller »on-table-lavage« und protektivem Stoma ist hierbei das Operationsverfahren der Wahl. Dabei scheinen sich die Ergebnisse hinsichtlich Mortalität (3%), Anastomoseninsuffizienzrate (15–27%) und mittlerem Krankenhausaufenthalt (12–16 Tage) beim Vorliegen von noch vitalem im Vergleich zu bereits gangränösem Darm nicht zu unterscheiden (Raveenthiran 2004). Bei ausgeprägter Peritonitis oder sehr schlechtem Allgemeinzustand des Patienten sollte im Zweifelsfall eine Diskontinuitätsresektion nach Hartmann durchgeführt werden, um den Patienten schnell aus seiner kritischen Situation zu bringen. Im Falle einer Gangrän empfiehlt es sich, intraoperativ den betroffenen Darm nicht zu detorquieren, da dies zu einem septischen Schock führen kann. 33.5.3 Zökumvolvulus Grundlagen Der Zökumvolvulus ist für etwa 10–40% aller Kolonvolvulusfälle bzw. ca. 1% aller Darmverschlüsse verantwortlich. Das Durchschnittsalter ist im Gegensatz zum Sigmavolvulus niedriger (zwi-
schen 30 und 60 Jahren). Die anatomische Voraussetzung eines Coecum mobile ist grundlegend. Sie resultiert aus einer fehlenden Verklebung und damit unvollständiger Fixation an das hintere parietale Peritoneum. Prädisponierende Faktoren für einen Zökumvolvulus sind vorausgegangene abdominelle Operationen, kongenitale Verwachsungen, ballaststoffreiche Ernährung, erhöhte Peristaltik aufgrund von Durchfall oder Abführmittelabusus sowie Schwangerschaften und maligne Prozesse im Beckenbereich. Pathologisch-anatomisch werden 2 Formen unterschieden (Madiba u. Thomsen 2002): 4 Der axiale ileokolische Volovulus (Drehung des Zökums um seine Längsachse) 4 Der nach oben geklappte Zökumvolvulus, das sog. »Cecale bascule« (Drehung des Zökums um seine Vertikalachse nach ventral und kranial) Klinische Symptomatologie In Analogie zum Sigmavolvulus werden auch beim Zökumvolvulus 3 unterschiedliche klinische Verlaufsformen unterschieden (Pfeifer 2003): 4 Akut fulminanter Typ: Dieser ist durch ein akutes Abdomen auf dem Boden einer akuten mesenterialen Durchblutungsstörung charakterisiert. 4 Akut obstruktiver Typ: Dieser äußert sich durch die Rotation des Ileums klinisch als tiefer Dünndarmileus mit krampfartigen Bauchschmerzen, Erbrechen und aufgetriebenem Abdomen. 4 Subakuter oder rezidivierender Typ: Dieser ist durch unterschiedlich starke, kolikartige Bauchschmerzen gekennzeichnet, die meist nur von kurzer Dauer sind. Diagnostik Der Zökumvolvulus ist auf der Abdomenröntgenleeraufnahme meist leicht zu erkennen. Typischerweise findet sich ein dilatier-
484
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.23. Abdomenröntgenleeraufnahme bei Zökumvolvulus. Man erkennt ein in den Mittelbauch disloziertes und massiv dilatiertes Zäkum mit Spiegelbildung, rechts daneben dilatierte Dünndarmschlingen mit multiplen Spiegeln als Ausdruck der begleitenden Dünndarmobturation
33
tes Zökum mit einem einzigen Flüssigkeitsspiegel, der abhängig von der Lage und dem Grad der Verdrehung überall im Abdomen auftreten kann. Bei dem axialen ileokolischen Volvulus zeigen sich oft zusätzlich erweiterte Dünndarmschlingen mit Spiegelbildung als Ausdruck eines Dünndarmileus (. Abb. 33.23). Die CT-Untersuchung führt ebenfalls zur Diagnose, ist jedoch meist entbehrlich und sollte jedoch aus Kostengründen nur bei Unklarheiten eingesetzt werden. Aufgrund der hohen Perforationsgefahr ist eine Koloskopie zur Diagnosestellung aufgrund der eingeschränkten Therapiemöglichkeiten umstritten (7 unten). Therapie Im Gegensatz zum Sigmavolvulus ist die Koloskopie beim Zökumvolvulus wenig erfolgversprechend, da die Strecke vom Anus bis zur Verdrehung des Zökums deutlich länger ist als beim Sigmavolvulus. In einer relativ aktuellen Studie gelang die endoskopische Dekompression beim Zökumvolvulus nur bei einem Drittel der Patienten (Renzulli et al. 2002). Ohne Frage ist bei Darmgangrän die Resektion Methode der Wahl. Eine Hemikolektomie rechts ist anzustreben. Je nach intraoperativem Befund kann ein vorgeschaltetes Ileostoma sinnvoll
sein. Bei bereits vorliegender Gangrän sollte der Volvulus ohne Detorsion reseziert und eine primäre Anastomose angestrebt werden (Madiba u. Thomsen 2002). Bei vitalem Darm bestehen 2 Therapieoptionen. Als nichtresezierendes Verfahren war die Detorsion kombiniert mit einer langstreckigen Zökopexie an der Tänie des Colon ascendens lange Zeit die Therapie der Wahl. Die Rezidivrate bei Zökopexie betrug durchschnittlich 16% bei einer Mortalität von 18% (Pfeifer 2003). Aufgrund verbesserter operations- und intensivtechnischer Methoden haben sich in den letzten Jahren die resezierenden Verfahren zunehmend durchgesetzt. Der Vorteil der Resektion ist, dass ein Wiederauftreten des Volvulus unmöglich ist. Bezüglich der Mortalität und Morbidität unterscheiden sich die resezierenden Verfahren heute nicht mehr wesentlich von den nichtresezierenden Verfahren, weshalb letztere heute nur noch bei Hochrisikopatienten eingesetzt werden sollten. Standard ist die Hemikolektomie rechts, die bei entsprechender Erfahrung auch laparoskopisch durchgeführt werden kann (. Abb. 33.22; Tuech et al. 2002; Renzulli et al. 2002; Pfeifer 2003).
485 33.5 · Kolonvolvulus
33
33.5.4 Transversumvolvulus
Literatur
Grundlagen. Nur ca. 4% aller Volvulusvorfälle betreffen das Colon transversum. Meist sind die Patienten jüngeren Alters und weiblichen Geschlechts. Angeborene Anomalien wie ein frei bewegliches rechtes Kolon, ein langes Mesokolon, ein elongiertes Colon transversum oder das Chilaiditi-Syndrom sind prädisponierende Faktoren. Wie schon beim Sigma- und Zökumvolvulus muss zwischen einem akuten Typ mit peritonitischen Zeichen und einem subakuten Typ mit aufgetriebenem Abdomen, Krämpfen, Erbrechen und langsamer Verschlechterung unterschieden werden.
Ballantyne GH (1990) Volvulus of the colon. In: Fazio VW (Hrsg) Current therapy in colon and rectal surgery. Decker, Philadelphia, pp 254– 265 Chung CC, Kwok SP, Leung KL, Kwong KH, Lau WY, Li AK (1997) Laparoscopy-assisted sigmoid colectomy for volvulus. Surg Laparosc Endosc 7:423–425 Madiba TE, Thomson SR (2002) The management of cecal volvulus. Dis Colon Rectum 45:264–267 Mahajan R, Seth S, Braithwaite PA (2000) Volvulus of the splenic flexure of colon: a case report and review. Int J Colorect Dis 15:182–184 Pfeifer J (2003) Volvulus des Dickdarms. J Gastrointest Hepatol Erkr 1:6-13 Raveenthiran V (2004) Restaurative resection of unprepared left-colon in gangrenous vs. viable sigmoid volvulus. Int J Colorect Dis 19:258– 263 Renzulli P, Maurer CA, Netzer P, Büchler MW (2002) Preoperative colonoscopic deratation is beneficial in acute colonic volvulus. Dig Surg 19:223–229 Tuech JJ, Pessaux P, Regnet N, Derouet N, Bergamashi R, Arnaud JP (2002) Results of resection for volvulus of the right colon. Tech Coloproctol 6:97–99
Diagnostik. Die Verdachtsdiagnose wird aufgrund der klinischen Untersuchung und Röntgenaufnahme gestellt. Die eigentliche Diagnose wird jedoch meist erst bei der Laparotomie gestellt. Therapie. Bei Darmwandnekrose und bei Patienten in gutem Allgemeinzustand wird eine erweiterte Hemikolektomie rechts durchgeführt. Bei kritischen Patienten sind eine rechtsseitige Kolostomie und eine distale Mukusfistel oder ein distaler Kolonblindverschluss in das Therapiekonzept mit einzubeziehen (Pfeifer 2003).
33.5.5 Volvulus der linken Kolonflexur Grundlagen. Der Volvulus der linken Flexur ist eine Rarität.
Weniger als 100 Fälle sind in der Literatur beschrieben. Zu einer Prädisposition kann es kommen, wenn die Haltebänder (Ligamentum gastrocolicum, phrenicolicum und splenocolicum) kongenital nicht angelegt sind oder bei chirurgischen Eingriffen durchtrennt wurden. Klinische Symptomatologie. Das klinische Erscheinungsbild ist dem des Transversumvolvulus ähnlich. Beim fortgeschrittenen Stadium finden sich Zeichen eines Darmverschlusses. Im Kolonkontrasteinlauf ist dann eine komplette Obstruktion in Höhe der Milzflexur nachzuweisen. Therapie. Aufgrund der Schwierigkeit, die Milzflexur ausreichend zu fixieren, ist eine Kolonsegmentresektion zu empfehlen (Mahajan et al. 2000).
34 34
Appendizitis Ch. Peiper
34.1
Grundlagen – 488
34.1.1 34.1.2 34.1.3 34.1.4
Epidemiologie – 488 Anatomie – 488 Pathogenese – 488 Neurogene Appendikopathie – 489
34.2
Klinische Symptomatologie – 489
34.3
Diagnostik – 490
34.3.1 34.3.2 34.3.3 34.3.4
Laboruntersuchung – 490 Sonographie – 490 Radiologische Diagnostik – 490 Differenzialdiagnostik – 490
34.4
Indikationsstellung – 491
34.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 491
34.5.1 34.5.2 34.5.3
Aufklärung – 491 Antibiotikaprophylaxe – 491 Intraoperative Befunde – 491
34.6
Operationstechnik – 492
34.6.1 34.6.2
Konventionelle Appendektomie – 492 Laparoskopische Appendektomie – 493
34.7
Postoperative Behandlung – 493
34.8
Komplikationen – 494
34.9
Ergebnisse – 494
34.10
Ausblick – 494 Literatur – 495 Internetadressen
– 495
488
Kapitel 34 · Appendizitis
) ) . Tabelle 34.1. Anatomisch definierte Positionen der Appendix
Die Appendektomie ist die häufigste abdominalchirurgische Operation und für nahezu alle Chirurgen der erste intraabdominelle Eingriff, der in der Ausbildung durchgeführt wird. Dennoch herrscht nach wie vor eine erstaunliche Unsicherheit in der Diagnosestellung der Appendizitis und der Festlegung des optimalen Operationszeitpunktes, die auch ihren Niederschlag in häufigen forensischen Implikationen findet.
34.1
Grundlagen
Kaudalposition
In 30% der Fälle ragt die Appendix in das kleine Becken hinein und kann so eine enge Lagebeziehung beispielsweise mit dem rechten Ovar aufweisen
Medialposition
Die Appendix liegt zwischen den Dünndarmschlingen, ggf. auch retroileal
Lateralposition
Die Appendix findet sich zwischen der lateralen Bauchwand und dem Zökum
Retrozökale Kranialposition
In 65% aller Fälle ist die Appendix hinter dem Zökum nach oben geschlagen und liegt im Recessus retrocaecalis
Antezökale Kranialposition
Die Appendix ist vor dem Zökum nach oben geschlagen
34.1.1 Epidemiologie
34
Die Appendizitis stellt die häufigste Abdominalerkrankung im chirurgischen Krankengut dar. Ihr Manifestationsgipfel liegt für Männer bei 10–14 Jahren, für Frauen bei 15–19 Jahren. Die Inzidenz in Deutschland beträgt etwa 100 Erkrankungen/100.000 Einwohner. Frauen haben ein lebenslanges Appendektomierisiko von 23%, während das der Männer mit 12% deutlich niedriger liegt. Die Appendizitis ist eine Erkrankung der Zivilisationsländer. Die Inzidenz liegt in Thailand oder Afrika deutlich niedriger als in Deutschland, obwohl hygienische Mängel wie beispielsweise unsauberes Trinkwasser die Inzidenz der Appendizitis deutlich erhöhen (Ohmann et al. 2002). Möglicherweise wird die Diagnose in westlichen Ländern lediglich häufiger gestellt. Große Populationsstudien mit Gruppengrößen von jeweils über 200.000 Menschen haben den Zusammenhang zwischen der Appendektomie und dem Risiko, eine Colitis ulcerosa zu entwickeln, untersucht. Hier zeigte sich eine eindeutige Risikoreduktion im Kollektiv der Appendektomierten. Dies war allerdings nur nachweisbar, wenn die Appendix zum Zeitpunkt der Operation Entzündungszeichen aufwies. Nach negativer Appendektomie war das Risiko unverändert (Andersson et al. 2001). Genetische Ursachen hierfür hätten zeitstabil sei müssen. Der protektive Effekt trat jedoch erst nach erfolgter Appendektomie auf (Hallas et al. 2004). Die offensichtlich immunologische Erklärung hierfür steht noch aus. Der beschriebene Effekt konnte auch in kleineren fallkontrollierten Studien bestätigt werden (Dijkstra et al. 1999; Koutroubakis et al. 2002). Für den M. Crohn ist ein reziproker Zusammenhang beschrieben. Offensichtlich ist nach erfolgter Appendektomie das Risiko, im weiteren Verlauf des Leben einen M. Crohn zu entwickeln, signifikant erhöht (Andersson et al. 2003). 34.1.2 Anatomie Durch die frei bewegliche intraperitoneale Lage des Zökums unterliegt auch die Lage der Appendix vermiformis großen Schwankungen. Die definierten Positionen der Appendix sind in . Tab. 34.1 dargestellt. Auch eine sekundär retroperitoneale Lage bei Caecum fixum mit völliger Adhäsion zur Faszie des M. iliacus ist möglich. In seltenen Fällen kann die Wanderung des Zökums nach kaudal während der Individualentwicklung ausbleiben und zu einem Hochstand von Zökum und Appendix unterhalb der Leber führen. Normalerweise jedoch projiziert sich die Abgangstelle der Appendix aus dem Zökum auf den McBurney-Punkt.
Die A. appendicularis verläuft im Mesenteriolum der Appendix und stellt einen funktionellen Endast der A. iliocolica dar. Die Lymphdrainage erfolgt über die Nodi lymphatici im Winkel zwischen Ileum und Zökum. Die Appendix zeigt den gleichen mikroskopischen Wandaufbau wie das Kolon, jedoch mit kürzeren Krypten. Charakteristisch sind zahlreiche Lymphfollikel, die rings um das Lumen angeordnet sind und vielfach die Muscularis mucosae durchbrechen. 34.1.3 Pathogenese Die Appendizitis entsteht bei Verlegung des Appendixlumens durch narbige Stenosen, Kotsteine, Parasiten, Schleim, Nahrungsbestandteile, Endometrioseherde, ödematöse Schwellung, lymphoide Hyperplasie oder Tumoren. Die nachfolgende bakterielle Entzündung kann zu einer Durchwanderung der Appendixwand und zur Peritonitis führen. Die in der 7 Übersicht aufgeführten anatomischen Besonderheiten begünstigen dies noch. Je nach Grad der Entzündung werden die in . Tab. 34.2 aufgeführten Stadien der Appendizitis unterschieden. Anatomische Besonderheiten der Appendix (Becker u. Höfler 2002) 5 Gerlach-Klappe am Eingang der Appendix 5 Scherengitterartiger Aufbau der Appendixwand, der eine Lumenerweiterung verhindert 5 Gefäßversorgung mit der Arteria appendicularis, die als funktionelle Endarterie nicht kompensiert werden kann
Die gesunde Appendix erfüllt als Bestandteil des darmassoziierten lymphatischen Gewebes aktive immunologische Aufgaben zur Erkennung fremder Proteine und Darmbakterien sowie zur Bildung von IgA-Immunglobulinen. Dies zeigt sich auch in der Anwesenheit von reichlich entwickeltem lymphoiden Gewebe in der Appendixwand (Becker u. Höfler 2002).
489 34.2 · Klinische Symptomatologie
. Tabelle 34.2. Stadien der Appendizitis Akut katarrhalisch
Makroskopisch zeigt sich eine Hyperämie überwiegend der distalen Hälfte der Appendix. Histologisch finden sich in einzelnen Schleimhautbuchten Oberflächendefekte der Schleimhaut mit Granulozyteninfiltraten der inneren Wandschichten
Seropurulent
Die Appendix ist stark gerötet und verdickt. Alle Wandschichten weisen Granulozyteninfiltrate auf. Auch in diesem Stadium ist noch eine Restitutio möglich
Ulzerophlegmonös
Die erheblich verdickte Appendix ist schmierig grau belegt. Sie zeigt Ulzerationen der Schleimhaut und granulozytär durchsetzte Fibrinbeläge auf der Serosa
Gangränös
Die Wand der Appendix ist dunkelrot bis blaurot-blauschwarz und zundrigbrüchig
Ulzerös mit Perforation
Durch Nekrose der Appendixwand kommt es zum Austritt von Appendixinhalt
Perityphlitischer Abszess
Benachbarte Dünndarmschlingen oder Omentum majus decken die Perforation zur Bauchhöhle ab
Perforation mit Peritonitis
Infiziertes Material gelangt in die freie Bauchhöhle
34.1.4 Neurogene Appendikopathie Basierend auf der Tatsache, dass ein hoher Prozentsatz von Patienten mit klinischen Zeichen der Appendizitis auch bei Ausschluss histologischer Entzündungszeichen postoperativ beschwerdefrei ist, wurde die Theorie der neurogenen Appendikopathie weiter untersucht. In etwa 60% der beschriebenen Fälle lassen sich dann auch entsprechende Veränderungen nachweisen. Diese bestehen in neuromartigen Proliferationen nervaler Strukturen in der Wand der Appendix. Aber auch verdickte Nervenbündel im Plexus myentericus mit einer erhöhten Anzahl von Ganglionzellen wurden gefunden (Nemeth et al. 2003). Patienten mit diesen Veränderungen können die klinischen Zeichen der Appendizitis sowie unspezifische Symptome wie Blutdruckschwankungen, Obstipation, Diarrhö, Schweißausbrüche und Meteorismus zeigen und einen chronisch-rezidivierenden Verlauf aufweisen (Becker u. Höfler 2002). 34.2
Klinische Symptomatologie
Wesentliche Bedeutung bei der Diagnosestellung der Appendizitis kommt der exakten Anamneseerhebung zu. Typisch ist ein mehrphasiger Verlauf bei kurzer Anamnesedauer und rascher Progredienz. Die Beschwerden sind zu Beginn unspezifisch (einschließlich Übelkeit und Erbrechen) und lassen sich nicht exakt lokalisieren. Mit Einbeziehung des parietalen Peritoneums in den Entzündungsprozess kommt es zu einem lokalisierbaren Punc-
34
tum maximum des Schmerzes und damit zu der »Schmerzwanderung« in den rechten Unterbauch. Typisch sind dann der Druckschmerz am McBurney-Punkt (auf einer Linie zwischen rechter Spina iliaca anterior superior und Nabel an der lateralen Drittelgrenze) oder am Lanz-Punkt (rechte Drittelgrenze zwischen beiden Spinae iliacae anterior superior). Wegen der freien Beweglichkeit des Zökums kann die Appendizitis auch Schmerzen an anderen Regionen des Abdomens verursachen. Bei Eintreten einer Perforation kommt es häufig kurzfristig zu einer Beschwerdebesserung, bis dann die lokale Peritonitis zum Bild des akuten Abdomens führt. Klinische Symptome der Appendizitis 5 Druckschmerz am McBurney- und/oder Lanz-Punkt 5 Blumberg-Zeichen: ipsi- bzw. kontralateraler Loslassschmerz bei lokalem Peritonismus 5 Perkussionsschmerz 5 Erschütterungsschmerz 5 Lokale Abwehrspannung im rechten Unterbauch 5 Verminderung der Peristaltik im Rahmen der peritonealen Reizung 5 Rovsing-Zeichen mit Schmerzzunahme im rechten Unterbauch bei retrogradem Ausstreichen des Kolons 5 Psoasanspannungsschmerz (Anheben des rechten Beines gegen Widerstand) bei retroperitonealer Lage 5 Rechtsseitiger Douglasschmerz während der rektalen Untersuchung bei Lage im kleinen Becken 5 Axillorektale Temperaturdifferenz über 0,5°C als sehr unspezifisches Symptom
Nach Wagner et al (1996) weist die folgende Befundkonstellation am wahrscheinlichsten auf eine akute Appendizitis hin: 4 Initial epigastrische oder periumbilikale Schmerzen 4 Inappetenz, Übelkeit oder einmaliges Erbrechen 4 Schmerzwanderung in den rechten Unterbauch 4 Geringe Erhöhung der Körpertemperatur
Anamnese und klinischer Befund besitzen den größten positiv prädiktiven Wert in der Diagnostik der Appendizitis (Lee et al. 2001) und müssen daher im Mittelpunkt der Diagnostik stehen.
Um die klinische Untersuchung vom Untersucher unabhängiger zu machen, wurden Versuche mit computerunterstützter Erfassung und Entscheidung (CAD) oder unterschiedlichen Score-Systemen durchgeführt. In einzelnen Fällen konnten durch deren Einsatz die Rate an negativen Appendektomien und die Perforationsrate deutlich gesenkt werden (Adams et al. 1986; Ohmann et al. 1995). Diese guten Ergebnisse ließen sich jedoch nicht von allen Arbeitsgruppen nachvollziehen. Möglicherweise haben diese Hilfsmittel dann einen hohen Stellenwert, wenn ein chirurgisch erfahrener Untersucher oder zusätzliche technische diagnostische Möglichkeiten nicht verfügbar sind (Zielke 2002).
490
Kapitel 34 · Appendizitis
34.3
Diagnostik
34.3.1 Laboruntersuchung
Eine Urinuntersuchung kann bei Nachweis einer ausgeprägten Hämaturie die Differenzialdiagnose auf eine urologische Ursache der Beschwerden leiten. Eine diskrete Mitbeteiligung des Urogenitaltraktes ist jedoch auch im Rahmen einer retrozökalen oder kaudalen Appendizitis möglich. Bei Frauen sollte eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden.
Durch die lokale Peritonitis mit Dünndarmatonie kann bei fortgeschrittener Appendizitis die Bildung vereinzelter Dünndarmspiegel im rechten Unterbauch beobachtet werden. Jedoch fehlt regelhaft auch bei perforierten Befunden der radiologische Nachweis freier Luft. Zur Diagnosefindung und als Unterstützung der Operationsindikation kann auf die Röntgenaufnahme des Abdomens im Stehen verzichtet werden. Auch weiterführende Diagnostik wie die Computertomographie oder der Kontrasteinlauf spielen im Vergleich zur Sonographie im deutschsprachigen Raum in der Routinediagnostik keine Rolle. Im Zweifelsfall kann eine Computertomographie helfen, die Rate der falsch negativen Appendektomien zu senken (Kaiser et al. 2002). Abweichend hiervon ist die Indikation zur computertomographischen Untersuchung bei unklaren Befunden, z. B. bei bereits medikamentös anbehandelten oder älteren Patienten, großzügig zu stellen. Gerade in der Differenzialdiagnose der lokalen Raumforderung entzündlicher oder tumoröser Genese ist die Computertomographie der Sonographie überlegen und kann ggf. gleich als Bildgebung zur perkutanen Intervention dienen.
34.3.2 Sonographie
34.3.4 Differenzialdiagnostik
Die unklare klinische Symptomatik als Hauptindikation zur Ultraschalldiagnostik der Appendizitis lässt es ratsam erscheinen, in die Untersuchung immer das gesamte Abdomen und das Retroperitoneum mit einzubeziehen. Zur direkten Darstellung der Appendix sollte ein hochauflösender Schallkopf verwendet werden. Normalerweise wird ein 7,5 MHz-Linearscanner benutzt. Durch leichten Druck kann eventuell störende Luft weggedrückt werden. Liegt eine phlegmonöse oder gangränöse Appendizitis vor, sieht man das vergrößerte Organ als pathologische Kokarde. Im Querschnitt weist sie das »target sign« mit einer echoarmen mittleren Schicht, umgeben von einer inneren echoreichen und einer äußeren echoreichen Schicht auf. Diese Kokarde besitzt keine Peristaltik und endet blind bzw. kann nicht zum Ileum verfolgt werden. Im Gegensatz zum Dünndarm ist sie nicht komprimierbar. Kann eine solche Veränderung gefunden werden, ist eine akute Appendizitis mit einer Trefferquote von 80–90% sehr wahrscheinlich (Lehmann et al. 2000). Für eine perforierte Appendix spricht der zusätzliche Nachweis von Flüssigkeit in Form einer echofreien Raumforderung in der Nachbarschaft des Wurmfortsatzes. Fehlt die Organschwellung, scheint die Darstellung der gesunden Appendix stark vom Untersucher abhängig zu sein. Die Mitteilungen über die Trefferquoten reichen von 12% (Lehmann et al. 2000) bis 95% (Lee et al. 2002). Mögliche indirekte Hinweise auf eine Appendizitis ohne hohe Spezifität sind der Nachweis freier Flüssigkeit oder fehlender Dünndarmperistaltik im rechten Unterbauch. Eine wesentliche Aufgabe der Sonographie stellt jedoch auch der Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen wie der Ovarialzyste, der Urolithiasis, der Cholezystitis, des Harnverhaltes oder der Ileitis terminalis dar.
Die bei Kindern häufige Lymphadenitis mesenterialis lässt sich von der Appendizitis im Allgemeinen durch die Beobachtung über einige Stunden abgrenzen. Die abdominellen Symptome der Lymphadenitis sind normalerweise rasch rückläufig, eine Abwehrspannung entwickelt sich nicht. Dagegen sind Tonsillen und Lymphknoten anderer Lokalisation häufig mitbeteiligt. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann eine Ileitis terminalis bei M. Crohn oder eine Yersinieninfektion als Differenzialdiagnose in Frage kommen und sich ggf. sonographisch durch Nachweis eines wandverdickten terminalen Ileums abgrenzen lassen. Ein entzündetes Meckel-Divertikel ist in der klinische Routine selten die Ursache der Beschwerden, lässt sich aber präoperativ nicht differenzieren und führt ebenso zur Operationsindikation wie die Appendizitis. Die Gastroenteritis zeigt häufig im Anfangsstadium die Symptome der akuten Appendizitis, manifestiert sich dann aber mit Durchfällen, die für die Appendizitis untypisch sind. Andererseits kann die bei einer Peritonitis auftretende Entleerung dünnen Stuhls leicht als Diarrhö bei Gastroenteritis fehlgedeutet werden. Eine Appendizitis mit retrozökaler Lage kann zu entzündlicher Mitreaktion des Ureters führen. Auch bei lokaler Peritonitis ist ein auffälliger Urinbefund möglich.
Veränderungen der Entzündungszeichen treten erst bei fortgeschrittenem inflammatorischen intraabdominellem Prozess auf. Die wesentlichen zu bestimmenden Parameter sind hierbei die Leukozytenzahl und das C-reaktive Protein. Wegen ihres unspezifischen Charakters sind diese Parameter differenzialdiagnostisch allerdings nur von untergeordneter Bedeutung. Cave Normalwerte können eine Appendizitis nicht ausschließen.
34
34.3.3 Radiologische Diagnostik
Bei positivem Nachweis der entzündeten Appendix ist von einer Operationsindikation auszugehen, ein fehlender Nachweis schließt die Appendizitis nicht aus (Rettenbacher et al. 2001).
Die primär gestellte Diagnose der Zystopyelonephritis bedarf daher der engmaschigen Überprüfung, was in der klinischen Realität aufgrund der häufig urologischen Weiterbehandlung auf organisatorische Schwierigkeiten stoßen kann. Deletäre Verzögerungen in der korrekten Behandlung der akuten Appendizitis sind so vorgezeichnet.
Die Diagnosestellung im Alter kann durch larvierte Verlaufsformen und in der Schwangerschaft durch Lageänderungen des
491 34.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Zökums, aber auch durch Fehlinterpretation der Beschwerden im Unterbauch erschwert werden. Auch bei Kleinkindern ist die Diagnosestellung durch fehlende Erhebung der Eigenanamnese, der geringen diagnostischen Bedeutung von Erbrechen und der frühzeitigen starken Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes, insbesondere bei der Perforation, problematisch. Das postoperative Auftreten einer Appendizitis beispielsweise nach Cholezystektomie ist fast nicht oder erst anlässlich einer Relaparotomie wegen peritonealer Erscheinungen oder diffuser Bauchschmerzen mit Fieber zu erkennen. 34.4
Indikationsstellung
Nach Stellung der Verdachtsdiagnose besteht die Indikation zur Appendektomie ohne weiteren zeitlichen Aufschub. Eine zeitverzögerte Operation, um die Nüchternheit des Patienten abzuwarten, ist bei akuten Befunden kontraindiziert, insbesondere beim Vorliegen einer postulierten intestinalen Atonie. Lediglich bei einer diffusen Peritonitis mit entsprechender Beeinträchtigung der Vitalparameter kann eine kurzfristige Stabilisierung des Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen sinnvoll sein.
34
34.5.3 Intraoperative Befunde Blande Appendix. Liegt bei blander Appendix trübes Exsudat
intraabdominell vor, müssen andere Ursachen wie ein perforiertes Ulcus ventriculi oder duodeni, eine Cholezystitis oder Sigmadivertikulitis, ggf. auch unter Erweiterung des Zugangs, ausgeschlossen werden. Sind weitere Ursachen ausgeschlossen, so ist beim offenen Vorgehen über einen Wechselschnitt auf jeden Fall zu appendektomieren, da die charakteristische Narbe als Beweis für die stattgehabte Appendektomie gilt und später die Differenzialdiagnose der Appendizitis ausschließt (Becker u. Neufang 1997). Beim laparoskopischen Vorgehen wird die Indikation zur Appendektomie bei makroskopisch blandem Befund in der Literatur unterschiedlich angegeben. Einerseits spricht das mögliche Vorliegen einer neurogenen Appendikopathie bei makroskopisch unauffälligem Aussehen für die Entfernung des Wurmfortsatzes. Andererseits konnten beispielsweise van den Broek et al. (2001) zeigen, dass in ihrem Patientengut mit belassener Appendix (n=109) nur 15 Patienten erneut wegen Schmerzen im rechten Unterbauch stationär aufgenommen werden mussten. Sechs von ihnen wurden letztendlich doch appendektomiert, und nur einer hatte auch histologisch eine Appendizitis. Meckel-Divertikel. Findet sich während der Appendektomie ein
Die Indikation zur Operation sollte bei Kindern, alten Menschen und unter Immunsuppression großzügig gestellt werden, da hier die klinischen Symptome verschleiert oder schwierig zu interpretieren sein können.
34.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
34.5.1 Aufklärung Die Appendektomie per se besitzt mit unter 1% eine geringe Letalität. Jeder Patient muss auf eine Wundheilungsstörung sowie eine mögliche Insuffizienz des Appendixstumpfes mit konsekutiver kotiger Peritonitis oder einer Stuhlfistel hingewiesen werden. Die Morbidität ist abhängig vom Stadium der Entzündung, Wundheilungsstörungen können in bis zu 15% auftreten. Je nach Lage der Appendix kann eine Erweiterung des Zuganges notwendig sein. Im Aufklärungsgespräch sollte auch auf eine mögliche andere Diagnosestellung intraoperativ und ggf. Änderung der operativen Strategie hingewiesen werden. 34.5.2 Antibiotikaprophylaxe Eine routinemäßig durchgeführte perioperative Antibiotikaprophylaxe hat in einer prospektiven Multicenterstudie das Risiko des subkutanen Wundinfektes bei der offenen Appendektomie von 3,8% auf 0,7% und beim laparoskopischen Vorgehen von 1% auf 0% gesenkt (Koch et al. 2000). Diese sollte daher bei jeder Appendektomie als »Single-shot«-Gabe eines modernen Cephalosporins bzw. eines Breitband-Penicillins in Kombination mit Metronidazol durchgeführt werden.
perityphlitischer Abszess oder eine lokale Peritonitis, ist die Revision des Dünndarmes auf ein Meckel-Divertikel nicht indiziert, um infiziertes Material nicht weiter im Abdomen zu verschleppen. In allen anderen Fällen, insbesondere bei makroskopisch unauffälliger Appendix, ist die Suche nach einem MeckelDivertikel möglich. Die Indikation hierzu wird kontrovers diskutiert. Das wesentliche Gegenargument sind die Serosaläsionen, die am Darm durch die Eventrierung insbesondere bei zu kleinem Zugang entstehen und die zu vermehrten postoperativen Adhäsionen führen können. In der Literatur ist die Empfehlung dennoch eindeutig und untermauert die Notwendigkeit der Revision des aboralen Dünndarms auf ein Meckel-Divertikel bei nur gering ausgeprägter Appendizitis (Ruh et al. 2002), da die Komplikationsrate hierdurch nicht wesentlich erhöht wird. Dies gilt unabhängig von der Operationstechnik. Karzinoid. Karzinoide der Appendix sind selten und werden normalerweise erst zufällig bei der histologischen Aufarbeitung entdeckt. Findet sich überraschend ein solcher Befund, so erscheint eine Nachresektion nicht notwendig, wenn der Tumor kleiner als 1 cm ist und die Appendixbasis oder das Mesenteriolum nicht infiltriert waren. In allen anderen Fällen sollte unter onkologischen Kautelen hemikolektomiert werden. Pseudomyxoma peritonei. Der als Karzinom mit niedrigem Malignitätsgrad anzusehende Tumor geht oft von einer Mukozele aus und gehört zur Differenzialdiagnose beispielsweise eines zystischen Ovarialtumors. Er sollte so radikal wie möglich reseziert werden, da die Rezidivtendenz sehr hoch ist. Morbus Crohn. Stellt sich intraoperativ ein M. Crohn als Ursache der ursprünglichen Symptomatik heraus, sollte nur appendektomiert werden, wenn die Basis der Appendix symptomfrei ist. Insgesamt scheint die Komplikationsrate in dieser Situation jedoch geringer zu sein als nach Dünndarmresektionen wegen eines M. Crohn (Prieto-Nieto et al. 2001).
492
Kapitel 34 · Appendizitis
Perityphlitischer Abszess. Ist beim ausgedehnten Abszess und
Nekrose der Appendix das Organ nicht mehr darstellbar, ist die palliative Drainage – offen oder perkutan – und ggf. die zweizeitige Intervallappendektomie nach Abklingen der entzündlichen Symptomatik nach mehreren Wochen oder Monaten indiziert. 34.6
Operationstechnik
34.6.1 Konventionelle Appendektomie Die konventionelle Appendektomie ist seit Jahrzehnten standardisiert und erfolgt über den unteren lateralen Wechselschnitt nach McBurney und Sprengel, der die unterschiedlichen Faserrichtungen der einzelnen Bauchwandschichten respektiert. Zur Verbesserung des kosmetischen Ergebnisses kann der Hautschnitt weit kaudal und nahezu waagerecht angelegt werden. Lediglich bei einer Unterbauchperitonitis kann alternativ eine mediane Unterbauchlaparotomie durchgeführt werden. Der pararektale Zugang ist wegen der Denervierung des M. rectus abdominis und des schlechten kosmetischen Ergebnisses abzulehnen.
34
Nach Eröffnung des Abdomens wird das Zökum vor die Bauchdecke luxiert (. Abb. 34.1). Ist die Identifikation der Appendix schwierig, kann man der Taenia libera zum Zökalpol folgen. Anschließend erfolgt die Durchtrennung des Mesenteriolums der Appendix mit der A. appendicularis unter Ligaturen. Die Appendix selbst wird basisnah mit einer Klemme verschlossen und kolonwärts davon ligiert. Dazwischen kann sie dann durchtrennt werden (. Abb. 34.2). Der Stumpf wird mit einer Tabaksbeutel- oder Z-Naht versenkt (. Abb. 34.3). Dabei ist darauf zu achten, dass das Lumen der Ileozökalklappe unversehrt bleibt. Liegt eine ausgedehnte Entzündung mit Nekrose der Appendixbasis vor, muss die Zökumwand mit Einzelknopfnähten spannungsfrei adaptiert werden. Falls dies wegen ausgeprägter Wandinfiltration nicht möglich erscheint, kann auf die Sicherung des Stumpfes unter ausgiebiger Drainage verzichtet oder besser eine Zökalpol- oder Ileozökalresektion durchgeführt werden. Nach Austupfen des Douglas-Raumes wird die Bauchdecke schichtweise verschlossen. Bei lokaler Peritonitis sollte eine Drainage für 2–3 Tage eingelegt werden.
. Abb. 34.1. Vorluxieren des Zökums vor die Bauchdecke
. Abb. 34.2. Absetzen der Appendix zwischen Basisligatur und Klemme
Ist das Zökum retroperitoneal fixiert, muss die Präparation intraabdominell vorgenommen werden. Bei retrozökal fixierter Lage der Appendix kann diese basisnah beginnend mit sog. Kletterligaturen entwickelt werden. Alternativ ist es auch möglich, die Basis primär zu durchtrennen und zu versorgen und anschließend die Appendix aus ihren Verwachsungen zu lösen und zu entfernen.
In jedem Fall ist auf eine vollständige Appendektomie zu achten.
. Abb. 34.3. Versenken des Appendixstumpfes durch Tabaksbeutelnaht
493 34.7 · Postoperative Behandlung
34
34.6.2 Laparoskopische Appendektomie Ein besonderer Vorteil der Laparoskopie ist die erhöhte Übersicht, durch die relevante Differenzialdiagnosen wie die Ileitis terminalis oder eine Overialzyste mitbeurteilt werden können. Der Zugang erfolgt normalerweise über einen infraumbilikalen 10 mm-Trokar für die Kamera, einen 5 mm-Trokar im rechten Mittelbauch etwas kranial der Fossa inguinalis lateralis und einen 10 mm-Trokar tief im linken Unterbauch in der linken Fossa supravesicalis kaudal der Schamhaargrenze. Operateur und kameraführender Assistent stehen beide auf der linken Seite des Patienten. Nach Ausschluss oder Absaugen von putrider Flüssigkeit intraabdominell, die sonst in der Abdominalhöhle unkontrolliert verteilt werden könnte, wird der Patient in Trendelenburg- und Linksseitenlage gelagert. Das Mesenteriolum kann unter bipolarer Koagulation oder mit dem Endo-GIA durchtrennt werden (. Abb. 34.4). Der Verschluss der Appendix erfolgt entweder mit der RoederSchlinge oder ebenfalls mit dem Endo-GIA (. Abb. 34.5). Hierbei erscheint die Stapler-Appendektomie bezüglich postoperativer Abszessbildung und Entwicklung einer postoperativen Unterbauchperitonitis günstiger (Klima 1998). Der Stumpf wird nicht versenkt (. Abb. 34.6). Das in der Anfangszeit geübte Koagulieren des Appendix-Stumpfes ist wegen der Gefahr der Zökumnekrose mit konsekutiver Peritonitis obsolet. Auch beim laparoskopischen Vorgehen kann bei retrozökaler Lage die Appendix zunächst an der Basis dargestellt, verschlossen und durchtrennt werden, um dann retrograd den Wurmfortsatz zu entwickeln. Hierbei empfiehlt sich jedoch auf alle Fälle die Verwendung eines Linearstaplers (Tamme u. Köckerling 2003). Die abgesetzte Appendix kann entweder durch den Trokar im linken Unterbauch oder über einen Bergebeutel geborgen werden. Bei fortgeschrittenen Entzündungsformen scheint die lokale Lavage die postoperative Abszessrate senken zu können (Ritter et al. 1998). Bei lokaler Peritonitis sollte auch beim laparoskopischen Vorgehen eine Drainage für 2–3 Tage eingelegt werden. Die Faszienlücken an den 10 mm-Trokaren müssen verschlossen werden.
. Abb. 34.4. Laparoskopisches Durchtrennen des Mesenteriolums mit dem Linearstapler
. Abb. 34.5. Laparoskopisch abgesetzte Appendix
Eine Weiterentwicklung stellt die mikroinvasive Operation dar, die durch die Verwendung von zwei 3 mm Trokaren das kosmetische Ergebnis verbessert und das Trokarhernienrisiko minimiert. Sie kann von erfahrenen Operateuren bei schlanken Patienten und niedrigem Entzündungsgrad der Appendix ohne erhöhtes Komplikationsrisiko durchgeführt werden (Mainik et al. 2003). 34.7
Postoperative Behandlung
Eine antibiotische Therapie ist nur beim Vorliegen einer Peritonitis indiziert. Der postoperative Kostaufbau kann unabhängig vom Operationsverfahren rasch innerhalb der nächsten 24 h erfolgen. Lediglich bei ausgeprägter Atonie wegen Peritonitis muss Peristaltik-adaptiert vorgegangen werden. Die Entlassung kann
. Abb. 34.6. Blick auf die Klammernaht-Reihe über der Wurzel des Mesenteriolums und dem Appendixstumpf
494
Kapitel 34 · Appendizitis
je nach intraoperativem Befund rasch erfolgen. Die durchschnittliche stationäre Aufenthaltsdauer lag 2003 in Deutschland bei 6 Tagen (BQS 2003). 34.8
Im Gegensatz zu häufig geäußerten Theorien scheint eine perforierte Appendizitis keinen negativen Einfluss auf die weibliche Fertilität bzw. die Integrität der Tuba ovarica zu haben (Urbach et al. 2001).
Komplikationen 34.9
34
Die Rate der Wundheilungsstörungen wurde noch 1997 in Abhängigkeit vom Stadium des Entzündungsprozesses mit etwa 9% nach offener und 4% nach laparoskopischer Appendektomie angegeben (Becker und Neufang 1997). Nach Angaben der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung trat ein subkutaner Wundinfekt 2003 in Deutschland noch in 3,1% aller Fälle auf (BQS 2003). In diesen Fällen muss die Wunde revidiert werden. Eine antibiotische Therapie ist nur bei ausgeprägter Bauchdeckenphlegmone sinnvoll. Intraabdominelle Abszesse sind häufig Ausdruck von belassenem infektiösem Material und nur selten Folge einer Appendixstumpfinsuffizienz. Hier ist nach Diagnosesicherung die Indikation zur Revision großzügig zu stellen. In ausgewählten Fällen kann der Abszess auch perkutan interventionell drainiert werden. Bei weiterbestehender lokaler oder generalisierter Peritonitis kann es zu einem paralytischen Ileus kommen. Hier muss rasch relaparotomiert, die Bauchhöhle lavagiert und der Fokus saniert werden. Die 30-Tage-Mortalität liegt wegen des überwiegend gesunden Kollektives bei unter 1%. Werden nur Appendektomien bei Erwachsenen untersucht, steigt die Mortalität bereits auf 1,8%. Treten ernste Komplikationen auf, kann die Mortalität je nach Komorbidität auf über 30% steigen (Margenthaler et al. 2003). Die Inzidenz von Narbenhernien ist nach einem Wechselschnitt mit 0,4% sehr gering. Das Risiko für einen Bridenileus ist in Abhängigkeit vom primären intraabdominellen Befund deutlich höher. In einer Langzeit-Beobachtungsstudie in Skandinavien an 3.230 Patienten hatten nach 10 Jahren 1,24% der appendektomierten Patienten einen mechanischen Ileus entwickelt, und 0,68% mussten daran operiert werden (Tingstedt et al. 2004).
Ergebnisse
Die laparoskopische Appendektomie hat sich nach anfänglich hoher Komplikationsrate inzwischen flächendeckend durchgesetzt. 2003 wurden in Deutschland 43,5% aller Appendektomien laparoskopisch durchgeführt (BQS 2003). In der Literatur sind inzwischen die Vor- und Nachteile des laparoskopischen Vorgehens relativ eindeutig herausgearbeitet worden (. Tab. 34.3). So ist der Zeitaufwand im OP weiterhin höher, die Dauer des gesamten stationären Aufenthaltes aber durchschnittlich niedriger als beim offenen Vorgehen. Der wesentliche Vorteil scheint das seltenere Auftreten subkutaner Wundinfekte zu sein (Long et al. 2001; Pederson et al. 2001; Wullstein et al. 2001). Die Rate intraabdomineller Abszesse ist nur in wenigen Arbeiten bei der laparoskopischen Operation erhöht. 34.10
Ausblick
Eine Verbesserung der Behandlung von Patienten mit akuter Appendizitis würde sich in der Reduktion der Perforationsrate und der Rate an histologisch unauffälligen Appendices niederschlagen. Dies ist nur durch eine Verbesserung der diagnostischen Möglichkeiten zu erreichen. Da die sonographisch gestützte Diagnosestellung stark untersucherabhängig ist, werden in Zukunft möglicherweise Schnittbildverfahren wie MR oder CT einen höheren Stellenwert einnehmen. Abhängig wird das zu einem großen Teil nicht von den medizinischen Erfordernissen, sondern auch von den zu erzielenden Fallerlösen sein. Die Liegedauer wird sich unter ökonomischen Zwängen weiter verkürzen bis hin zu einem hohen Anteil an ambulanten Appendektomien. Ein nahezu vollständiger Ersatz der konventionellen Operation durch die Laparoskopie, wie es bei der Cholezystektomie
. Tabelle 34.3. Literaturvergleich der Vorteile von laparoskopischer oder offener Appendektomie
Autor
Operationsdauer
Stationärer Aufenthalt
Komplikationsrate
Kosten
Intraabdomineller Abszess
Ball et al. 2004
k.U.
k.U.
k.U.
n.u.
n.u.
Vegunta 2004
Offen
lap
lap
Offen
Offen
Lagares-Garcia et al. 2003
k.U.
k.U.
n.u.
k.U.
n.u.
Lee u. Lin 2003
k.U.
lap
k.U.
n.u.
n.u.
Marzouk et al. 2003
Offen
lap
lap
n.u.
k.U.
Milewczyk et al. 2003
Offen
k.U.
k.U.
n.u.
n.u.
Lippert et al. 2002
Offen
n.u.
lap
Offen
n.u.
Long et al. 2001
Offen
lap
k.U.
k.U.
n.u.
Pederson et al. 2001
Offen
n.u.
lap
n.u.
Offen
k.U. kein Unterschied, n.u. nicht untersucht, offen: Vorteile für die offene Appendektomie, lap Vorteile für die laparoskopische Appendektomie
495 Literatur
geschehen ist, wird sich hier nicht vollziehen, da die Appendektomie häufig als Notfalloperation durchgeführt wird, und ein gleichbleibend hoher Standard an laparoskopischer Operationstechnik nicht bei allen Diensthabenden vorhanden ist. Außerdem ist der finanzielle Aufwand durch die verkürzte Liegedauer nur teilweise kompensierbar.
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498
Kapitel 35 · Proktologie
35.1
Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik L. Degen, C. Beglinger
) ) An der Defäkation und Kontinenzerhaltung sind mehrere Strukturen in einem komplexen Zusammenspiel beteiligt. Das Anorektum, aber auch der Dickdarm erfüllen dabei wichtige Aufgaben. Im folgenden Kapitel werden physiologische Funktionsabläufe in ihren Hauptprinzipien erörtert und deren Diagnostik zusammen mit möglichen Störungen vorgestellt.
35.1.1 Funktionelle Anatomie Kontinenz und Defäkation sind gegensätzliche Funktionen des Anorektums, die erst durch die Koordination zwischen Analkanal, Beckenboden und Rektum erreicht werden.
35
Analkanal Der anatomische Analkanal misst ca. 2 cm und erstreckt sich von der Analöffnung bis hin zur Linea dentata. Der chirurgische oder klinische Analkanal ist etwas länger und dehnt sich vom oralen Ende des M. puborectalis bis zum kaudalen Ende des M. sphincter ani externus auf einer Strecke von 2–5 cm aus, wobei er in der Regel bei Frauen kürzer ist. Für die Physiologie ist dieser Abschnitt von entscheidender Bedeutung und wird im Folgenden mit dem Begriff »Analkanal« bezeichnet. Der Analkanal wird von zwei konzentrischen Muskelkanälen umschlossen (. Abb. 35.1). Zum einen findet sich hier der innere
. Abb. 35.1. Analkanal im Längsschnitt. Beziehung der muskulären Strukturen im Übergang vom Rektum zum Analkanal. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
Schließmuskel (M. sphincter ani internus), der sich aus der Fortsetzung der inneren zirkulären Schicht der Muscularis propria der Rektumwand bildet. Über diesen gestülpt liegt ein zweiter Muskel, der äußere Schließmuskel (M. sphincter ani externus), der aus der Beckenbodenmuskulatur hervorgeht. Zwischen innerem und äußerem Schließmuskel befindet sich eine dünne, muskulär-bindegewebliche intersphinktäre Schicht, die sich aus der äußeren Muskelschicht der Muscularis propria des Rektums formt. Der M. sphincter ani externus besteht anatomisch aus 3 Anteilen: der Pars profunda, der Pars superficialis und der Pars subcutanea. Bei Frauen ist der äußere Schließmuskel ventral in den proximalen Anteilen des Analkanals schwächer ausgeprägt als bei Männern. Die Pars subcutanea wird von Muskelfasern aus der intersphinktären Schicht durchsetzt, die an der Perianalhaut befestigt sind (M. corrugator ani) und die typische Fältelung in diesem Bereich hervorrufen. Der M. sphincter ani externus ist trotz quer gestreifter Muskulatur nicht nur zu einer kurzfristigen, sondern auch zu einer langdauernden Kontraktion fähig. Neben der reflektorischen Steuerung, kann er zur Verbesserung der Kontinenzleistung auch willkürlich aktiviert werden. Der M. sphincter ani internus hält demgegenüber einen Dauertonus aufrecht. Eine Relaxation wird nur durch zunehmende Füllung des Rektums mit steigendem Druckaufbau erreicht (rektoanaler Inhibitionsreflex). Beckenboden Der Beckenboden kann als Platte aus Skelettmuskulatur (M. levator ani) und zugehörigen Faszien betrachtet werden, die trichterförmig in den M. sphincter ani externus übergeht (. Abb. 35.2). Der M. puborectalis ist der mediale Anteil des M. levator ani, der seine beiden Ansätze am Os pubis hat und schlingenförmig um
Längsmuskelschicht des Rektums M. levator ani Ringmuskelschicht des Rektums
Innerer Hämorrhoidalplexus * Pars profunda M. sphincter ani internus
Intersphinktäre Schicht
* Pars superficialis
M. corrugator ani * Pars subcutanea
Äußerer Hämorrhoidalplexus * = M. sphincter ani externus
35
499 35.1 · Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik
. Abb. 35.2. Beckenbodenmuskulaturen. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
Centrum tendineum M. transversus perinei superficialis
M. sphincter ani externus
Tuber ischiadicum
M. pubococcygeus M. puborectalis
M. levator ani
M. ilicoccygeus Lig. anococcygeum
M. glutaeus maximus Os coccygis
das obere Ende des Analkanals am anorektalen Übergang zieht. Zwischen den beiden Armen der Puborektalisschlinge befindet sich das Diaphragma urogenitale, das aus den Mm. transversi perinei zusammen mit Faszien gebildet wird. Der Zug der Puborektalisschlinge bewirkt in Ruhe beim Gesunden eine Abwinkelung des Analkanals in der Längsachse, was als anorektaler Winkel bezeichnet wird und einen wichtigen Kontinenzfaktor darstellt (. Abb. 35.3 und 35.4). Weiter verschließen die Pars pubica und die Pars iliaca des M. levator ani den Beckenboden fächerförmig, ausgehend von Os sacrum und Os coccygis. Dieser trichterförmige Beckenboden hat physiologisch einerseits die Aufgabe, beim aufrechten Gang den Bauchinhalt gegen die Schwerkraft abzustützen und andererseits wichtige Entleerungsfunktionen zu ermöglichen.
Aus anatomischer Sicht beginnt das Rektum auf Höhe S3 und folgt dem Sakrum, zunächst kaudalwärts, um sich dann nach ventral auf einer Gesamtlänge von 13–15 cm zu erstrecken. Typischerweise verläuft es dabei in 2 seitlichen Kurven, die sich im Rektumlumen als transversale Falten (Houston) bemerkbar machen. Die meist vorhandene mittlere der 3 Falten ist als Kohlrausche-Falte bekannt und befindet sich in Höhe des peritonealen Umschlags. Das Rektum ist dorsal und lateral beidseits von peri-
anorektaler Winkel
Symphysis pubica
Posterior
M. puborectalis Anterior
M. puborectalis Rektum
. Abb. 35.3. M. puborectalis. Schema mit Blick von oben. Der M. puborectalis schlingt sich dorsal um den Darm und definiert so den anorektalen Übergang. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
. Abb. 35.4. Anorektaler Winkel. Der M. puborectalis bildet in der Längsachse durch anterioren Zug den anorektalen Winkel. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
500
Kapitel 35 · Proktologie
rektalem Fett, dem Mesorektum, umgeben. Das Mesorektum ist in seinem posterioren Bereich von einer Faszie umgeben, die als Waldeyer-Faszie bezeichnet wird. Durch das Mesorektum verlaufen die lokal versorgenden Gefäße und Nerven. Die Vorderwand der Faszienkapsel wird bei der Frau durch das Septum rectovaginale und beim Mann durch die prostataperineale Denonvillier-Faszie gebildet. Im Ruhezustand ist das Rektum, bedingt durch einen Druckgradienten zwischen Rektum und Rektosigmoid, meist leer. Beim Übergang in den Analkanal finden sich 6–12 längsgerichtete Schleimhautfalten (Columnae anales), die Muskularisstränge, Lymph- und Blutgefäße enthalten. Die kaudalen Enden dieser Falten sind durch Schleimhautfalten zu Taschen (Analkrypten) verbunden, in die feine Gänge der Proktodealdrüsen münden. Diese Krypten und Proktodealdrüsen sind beim Menschen häufig Ausgangspunkt akuter entzündlicher Erkrankungen wie Analfissuren und Fisteln. Die relativ prägnante Linie der Krypten wird wegen ihrer regelmäßigen Erhabenheit Linea dentata genannt. In diesem Übergangsbereich geht die wenig sensible Rektumschleimhaut allmählich in das hochsensible Anoderm über, das aus nichtverhornendem Plattenepithel gebildet wird. Die Sensibilität des Analkanals ist ein bedeutsamer Kontinenzfaktor, vor allem zur Unterscheidung von Stuhl und Gas (Flatus). Proximal der Linea dentata liegen die inneren Hämorrhoiden, die als Schwellkörper den Eingang zum Analkanal überlagern und zusätzlich abdichten.
35
Nervenversorgung Der M. levator ani wird von Ästen des Plexus sacralis meist von S3 und S4 versorgt. Die Innervation des M. puborectalis wird kontrovers entweder als isolierte Versorgung durch den N. pudendus, durch Wurzeln der Sakralnerven S3/S4 oder als überlappende Innervation dieser beiden vermutet (2, 5, 8). Der M. sphincter ani externus ist durch Äste des N. pudendus innerviert, der aus dem Plexus sacralis (S2–S4) hervorgeht. Der M. sphincter ani internus wird, wie der restliche Gastrointestinaltrakt, sowohl autonom parasympathisch (S2–S4) als auch sympathisch (L5) innerviert. Die parasympathischen Fasern erhöhen den Tonus des inneren Sphinkters, wohingegen der Sympathikus diese Funktion hemmt. Gefäßversorgung Rektum und Analkanal werden hauptsächlich durch die A. rectalis superior und durch die gepaarte A. rectalis inferior versorgt (. Abb. 35.5). Die A. rectalis media ist ein Ast der A. iliaca interna und anastomosiert sowohl mit der A. rectalis superior als auch mit der A. rectalis inferior. Die A. rectalis superior entspringt als direkte Fortsetzung der A. mesenterica inferior und versorgt den größten Teil des proximalen Rektums sowie die inneren Hämorrhoiden. Die A. rectalis inferior zweigt aus der A. pudenda interna ab, die ein Ast der A. iliaca interna ist und den unteren Analkanal versorgt. Der venöse Abfluss folgt im Wesentlichen der arteriellen Versorgung. 35.1.2 Physiologie Verschiedene, wichtige Techniken, die in der Funktionsdiagnostik verwendet und später im Kapitel diskutiert werden, haben mitgeholfen, die anorektale Physiologie der Stuhlkontinenz und der Defäkation besser zu verstehen.
A. mesenterica inferior
A. sacralis mediana A. rectalis superior
A. rectalis media
A. rectalis inferior . Abb. 35.5. Gefäßversorgung des Rektums und des Analkanals. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
Stuhlkontinenz Unter der Stuhlkontinenz wird die Fähigkeit verstanden, Stuhl willkürlich zurückzuhalten, um Ort und Zeit der Entleerung willentlich zu bestimmen. Die Kontinenz muss während der frühen Kindheitsphase erlernt werden und bedarf eines ungestörten Zusammenspiels mehrerer Faktoren und Mechanismen (7 Übersicht). Diese Kontinenzleistung wird aktiv durch den muskulären Sphinkterapparat mit spezifisch erzielten Druckwerten, mit dem anorektalen Winkel und mit dem sog. rektoanalen Inhibitionsreflex aufrechterhalten. Zusätzlich kommen auch dem Rektum mit seiner Reservoirkapazität und seiner Motorik und nicht zuletzt auch der Stuhlbeschaffenheit eine erhebliche Bedeutung zu (Pemberton 1990). Verantwortliche Faktoren für Stuhlkontinenz 5 5 5 5 5
Muskulärer Sphinkterapparat Anorektaler Winkel Rektoanaler Inhibitionsreflex Rektum: Reservoirkapazität und Motorik Stuhl: Konsistenz und Volumen
Anale Hochdruckzone. Die Länge der analen Hochdruckzone misst in Ruhe ca. 4 cm und ist bei Frauen etwas kürzer als bei Männern. Der Ruhedruck im Analkanal nimmt im Längsprofil von proximal nach distal allmählich zu. 1–2 cm proximal der Analöffnung wird meist das Druckmaximum erreicht, worauf die Werte relativ steil zum atmosphärischen Druck hin wieder abfallen. Dies markiert das distale Ende des analen Sphinkters. Der
501 35.1 · Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik
durchschnittliche maximale Ruhedruck im Analkanal beträgt 40–50 mmHg, wobei Frauen niedrigere Werte zeigen als Männer. Die asymmetrische Anordnung der Sphinktermuskulatur führt zu einer ungleichmäßigen Druckverteilung entlang der Längsachse des Analkanals. Der Ruhedruck ist in den proximalen Abschnitten posterior und distal anterior am ausgeprägtesten. Neben dem M. sphincter ani internus, der 85% des Druckes generiert, ist auch der M. sphincter ani externus am Ruhedruck beteiligt. Dieser Ruhedruck kann sowohl im Wachzustand als auch im Schlaf nachgewiesen werden. Während der Stuhlevakuation verschwindet jedoch die Aktivität des M. sphincter ani externus. Nach Aufforderung zur Kontraktion der analen Sphinktermuskulatur kann eine Druckzunahme auf über 100 mmHg mit Verlängerung der analen Druckzone beobachtet werden. Obwohl durch zusätzliches Bauchpressen auch der intrarektale Druck gesteigert werden kann, bleiben die maximalen Kontraktionswerte in der analen Druckzone immer noch deutlich höher. Der aktive Kontraktionsdruck wird durch den M. sphincter ani externus und den M. puborectalis generiert. Da sich die Muskulatur schnell schwächt und die Kontraktionsdrücke kaum länger als 1 min aufrechterhalten werden können, scheint dieser Mechanismus vor allem für die kurzfristige Kontinenzleistung bei Stuhldrang eingesetzt zu werden. Anorektaler Winkel. Der anorektale Winkel wird durch den
anterioren Zug der M.-puborectalis-Schlinge zwischen Analkanal und Rektum gebildet (. Abb. 35.4). Möglicherweise unterstützt dieser die länger dauernde Kontinenz für geformten Stuhl. Durch Öffnung des in Ruhe spitzwinklig konfigurierten anorektalen Übergangs wird die Passage von Stuhl bei der Defäkation erleichtert. Im angewinkelten Zustand kann sich demgegenüber der anorektale Übergang wie ein Ventil auswirken und die Passage von Stuhl verhindern (Bannister et al. 1987). Anorektale Sensibilität. Erst durch die Wahrnehmung des
Darminhaltes im tieferen Rektum kann zwischen Gas (Flatus) und Stuhl unterschieden werden (Wald u. Tunuguntla 1984). Dehnungsrezeptoren in der Darmwand oder im Beckenboden lassen die Rektumfüllung erkennen. Die erste Wahrnehmung einer Dehnung geht parallel mit dem Auslösen des sog. rektoanalen Inhibitionsreflexes. Dieser lokale Reflex wird durch eine schnelle rektale Dehnung ausgelöst und hat eine leichte Kontraktion der Rektumwand, vor allem aber eine Relaxation im Bereich des M. sphincter ani internus und eine Kontraktion im Bereich des M. sphincter ani externus zur Folge. Es wird vermutet, dass dieser Reflex die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Qualitäten des Darminhaltes ermöglicht. Durch die Relaxation in den proximalen Abschnitten des Analkanals tritt der Inhalt der Rektumampulle tiefer und kommt in den Kontakt mit dem hochsensiblen Epithel der analen Übergangszone. In diesem Segment wird dann die bewusste Information über den Aggregatzustand des Darminhaltes (fest, flüssig und gasförmig) generiert, um dann entweder die adäquate Kontinenz zu wahren oder die Defäkation zuzulassen. Kontrastiert werden jedoch diese Vermutungen durch Angaben von Patienten mit ileoanaler Anastomose und fehlendem Reflex, die über eine adäquate Kontinenzleistung berichten. Interessanterweise wurde auch nach lokaler Anästhesie der Analmukosa die Kontinenzleistung bei gesunden Probanden nicht beeinträchtigt (Read u. Read 1982).
35
Rektumkapazität und -compliance. Die Kapazität des Rektums bestimmt die Häufigkeit und den Grad des Stuhldranges. Obwohl bereits 10 ml im Rektum wahrgenommen werden können, lassen sich gut 300 ml Flüssigkeit ins Rektum einbringen, ohne einen imperativen Stuhldrang auszulösen. Diese Fähigkeit zur Akkommodation, d. h. zur rezeptiven Relaxation, ist nicht nur eine passive, sondern auch eine aktive dynamische Fähigkeit des Rektums. Werden bei einer allmählichen Wanddehnung durch einen Ballon die Druckveränderungen gegen die Volumenveränderungen (dP/dV) aufgezeichnet, lässt sich aus der Steigung der so gemessenen Kurve die sog. Compliance als Parameter objektivieren (7 Kap. 6). Bei veränderten Wandeigenschaften wie z. B. bei entzündlichen Prozessen des Rektums oder nach operativen Eingriffen (z. B. tiefe anteriore Resektion) verringert sich die Wandcompliance und damit auch die Reservoirkapazität. Die Patienten verspüren folglich häufiger imperativen Stuhldrang und leiden an Episoden von Inkontinenz (Lee u. Park 1998). Darmmotilität. Üblicherweise ist das Rektum leer. Wahrscheinlich ist das primäre Reservoir für Stuhl weiter proximal gelegen. Während der distalen Kolonkontraktionen tritt der Stuhl in das Rektum, worauf sich zunächst die Rektumwand relaxiert. Im Rektum lassen sich bei längerer Messung 3 unterschiedliche Motoraktivitäten erkennen, wobei vor allem den sog. rektalen Motorkomplexen Beachtung geschenkt wurde (Kumar et al. 1989). Ähnlich den Motorkomplexen der Nüchternaktivität des Dünndarms (7 Kap. 6) finden sich im Rektum alle 1–1,5 h 3– 10 min dauernde kräftige phasische Kontraktionen mit einer Frequenz von 2–3 pro min. Parallel zu diesen Motorkomplexen ließ sich eine Zunahme des analen Ruhedrucks sowie der analen Kontraktionsaktivität beobachten. Der dadurch aufgebaute Druckgradient ist für die Kontinenzleistung von Bedeutung. Auch im Analkanal zeigt der Ruhedruck rhythmische Schwankungen. Neben langsamen Druckwellen (15/min) werden in 40% gesunder Probanden ultralangsame Druckwellen (2/min) gefunden. Da die Frequenz der langsamen Druckschwankungen im distalen Analkanal am höchsten ist, wird vermutet, dass diese Aktivität zur Kontinenzverbesserung beiträgt (Sorensen et al. 1989). Stuhlvolumen und Konsistenz. Durch eine plötzliche Veränderung der Stuhlkonsistenz oder des Stuhlvolumens kann die Kontinenzleistung beeinträchtigt werden. Sogar Gesunde können bei starker wässriger Diarrhö Mühe bekunden, den Stuhlabgang adäquat zu verhindern (Drossman et al. 1986). Häufig führt die Normalisierung der Stuhlkonsistenz wiederum zu einer adäquaten Kontinenzfunktion.
35.1.3 Pathophysiologie Störungen in den dargestellten Funktionsabläufen verursachen unterschiedliche Erkrankungen. Gutartige Krankheiten wie Analfissuren, aber auch Beckenbodendysfunktion mit schwerer Obstipation oder Inkontinenz, um nur einige zu nennen, können die Folge sein. Für die detaillierte Diskussion verweisen wir auf 7 Kap. 33 und 35.2.
502
Kapitel 35 · Proktologie
35.1.4 Diagnostik Anamnese Typische Beschwerden, die mit einer Störung der Beckenbodenfunktion assoziiert sind, reichen von Inkontinenz bis zur Obstipation. Obwohl nicht eindeutig diskriminierend, kann das häufige Pressen beim Stuhlgang oder das Gefühl einer inkompletten Stuhlentleerung ein erster Hinweis auf eine Beckenbodendysfunktion darstellen. Wesentlich ist die Anamnese in der Beurteilung der Stuhlinkontinenz, um sowohl deren Schweregrad als auch die daraus folgende Beeinträchtigung der Lebensqualität abschätzen zu können. Mehr als 50% der Patienten mit Stuhlinkontinenz werden ihre Beschwerden aus Scham nicht freiwillig schildern und müssen direkt darauf angesprochen werden (Johanson u. Lafferty 1996).
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Klinische Untersuchung Die klinische Untersuchung führen wir am liegenden Patienten in Linksseitenlage durch. Unter Spreizen der Gesäßhälften wird zunächst die Perianalregion inspiziert, um daran anschließend den Patienten zum Pressen aufzufordern. Dies erlaubt nicht nur die Beweglichkeit des Beckenbodens abzuschätzen, sondern kann auch mögliche Prolapserscheinungen auslösen. Die nachfolgende digitale Palpation des Analkanals und des Rektums soll den erreichbaren Bereich auf pathologische Veränderungen wie Tumoren, aber auch Stuhlreste untersuchen. Durch Zusammenkneifen des Anus lässt sich die Funktion des muskulären Sphinkterapparates im besten Fall grob abschätzen. Beim Pressen mit dem Versuch, den untersuchenden Finger auszustoßen, sollte eine deutliche Relaxation des Sphinkters spürbar sein, die mit einer Senkung des Beckenbodens einhergeht. Der palpatorischen Untersuchung ist eine Proktoskopie auch unter aktivem Pressen des Patienten anzuschließen. Hier können in das Lumen des Proktoskops prolabierende Wandanteile den Verdacht auf einen inneren Rektumprolaps wachrufen. Anorektale Manometrie Indikation. Die anorektale Manometrie (7 Kap. 6) ist bei einer Stuhlinkontinenz, aber auch beim Verdacht auf eine Beckenbodendysfunktion zum funktionellen Nachweis bzw. zum Ausschluss eines M. Hirschsprung indiziert. Beim M. Hirschsprung fehlt der rektoanale Inhibitionsreflex (Tobon et al. 1968). Untersuchung. In der Manometrie werden der Ruhedruck und der aktive Kontraktionsdruck im Längsverlauf des Analkanals bestimmt. Im gleichen Untersuchungsverfahren lassen sich durch eine zusätzliche Ballondehnung Hinweise auf die physikalischen Wandeigenschaften und die Kapazität des Rektums gewinnen. Die schnelle kurzfristige Wanddehnung kann zudem den rektoanalen Inhibitionsreflex überprüfen.
Ballonexpulsionstest Indikation. Der Ballonexpulsionstest ist eine einfache und robuste Methode zur initialen Evaluation einer Beckenbodendysfunktion bei erschwerter Defäkation. Untersuchung. Dem liegenden Patienten wird ein an einem Katheterende befestigter, kleiner Ballon in das Rektum eingeführt und mit 60 ml Wasser gefüllt. Daran anschließend kann er nun einerseits gebeten werden, den Ballon auf der Toilette in aller
Abgeschiedenheit auszustoßen. Andererseits ist auch eine Ballonevakuation in Seitenlage unter zunehmendem Zug am Katheter denkbar. Liegt eine Beckenbodendysfunktion vor, wird die Ballonexpulsion misslingen oder nur bei hohem Zug möglich sein (Beck 1992). Endoanale Sonographie Indikation. Die endoanale Sonographie ist die empfindlichste
Methode zur Darstellung eines muskulären Sphinkterdefektes. Mit den heutigen Geräten lassen sich der M. sphincter ani internus, der M. sphincter ani externus und der M. puborectalis deutlich unterscheiden (. Abb. 35.6). Zusätzliche Pathologien, wie z. B. Fistelgänge, Abszesse oder Vernarbungen, aber auch Analkarzinome, können mit entsprechender Erfahrung im umgebenden Gewebe exakt lokalisiert werden (Rottenberg u. Williams 2002). Untersuchung. Die heutigen, meist starren endoanalen Sonden messen im Durchmesser knapp 2 cm und verwenden teilweise einen zirkulär rotierenden Schallkopf von 5–10 MHz. Einzelne Geräte erlauben neben radialen Querschnittsbildern auch longitudinale Bilddarstellungen. Dem Patienten wird meist in Seitenlage die Sonde vorsichtig anal eingeführt und dann unter kontinuierlicher Überwachung der Bilder wieder herausgezogen. Der M. sphincter ani internus wird im Analkanal als dunkler, homogener Ring von ca. 2 mm Dicke gesehen. Der M. puborectalis wie auch der M. sphincter ani externus stellen sich demgegenüber als unregelmäßige, hyperechogene Strukturen dar, wobei der M. puborectalis die typische, nach ventral offene U-Form zeigt (. Abb. 35.6). Bei einer Verletzung des muskulären Sphinkterapparates, wie z. B. nach einer schweren vaginalen Geburt oder einem Trauma, lässt sich der Defekt mit hoher Sensitivität und Spezifität als Kontinuitätsunterbrechung erfassen.
Defäkographie Indikation. Die Defäkographie erlaubt morphologische und funktionelle Veränderungen darzustellen, die während der Defäkation sichtbar sind (z. B. innerer Prolaps, Rektozele, Beckenbodendysfunktion) und weder klinisch noch endoskopisch adäquat erfasst werden können. Neben dem Ausmessen statischer Verhältnisse am Beckenboden können dynamisch die Funktionsabläufe während der Stuhlevakuation beurteilt werden (Ekberg et al. 1985). Untersuchung. In Seitenlage wird dem Patienten röntgendichtes, angedicktes Kontrastmittels als künstlicher Stuhl in das Rektum instilliert. Anschließend setzt sich der Patient auf eine Plastiktoilette hinter einen Durchleuchtungsschirm und im lateralen Strahlengang werden unterschiedliche Manöver inkl. der Stuhlevakuation dokumentiert. Dies kann entweder durch einzelne statische Bilder oder – weit aufschlussreicher – dynamisch mit Videoaufnahmen geschehen (. Abb. 35.7). Gemessen werden vor allem die Beweglichkeit des Beckenbodens, die Rektumweite sowie die Veränderungen des anorektalen Winkels zwischen der Längsachse des Analkanals und der Achse der dorsalen Rektumwand. Da die absoluten Normwerte z. B. des anorektalen Winkels erheblich variieren, wird deren diagnostische Aussagekraft vielerorts kritisch hinterfragt. Viel wichtiger ist jedoch die qualitative Beurteilung der dynamischen Ereignisse wie passagere Ausbildung einer Rektozele oder das Verhalten des anorektalen Winkels während einer Evakuation.
503 35.1 · Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik
a . Abb. 35.6a,b. Endoanale Sonographie mit Normalbefunden. Im Zentrum als dunkler scharf begrenzter Fleck ist der Schallkopf zu erkennen. a M. puborectalis lässt sich als U-förmige, gegen ventral (oben) offene hyperechogene Struktur abgrenzen. b Der M. sphincter ani internus kommt
a
35
b als dunkler, homogener Ring von ca. 2 mm Dicke zur Darstellung. Der M. sphincter ani externus liegt dem M. sphincter ani internus als hyperechogener Ring außen an
b
. Abb. 35.7a,b. Normale Defäkographie. Die Bilder wurden im lateralen Strahlengang aufgenommen, a unmittelbar vor der Defäkation, b während der Stuhlevakuation; links im Bild ist beim Patienten jeweils ventral. aufgenommen. Der anorektale Winkel öffnet sich und die Stuhl-
entleerung ist unbehindert möglich. Zusätzlich ist in den oberen Bildabschnitten durch die orale Einnahme von Kontrastmittel der Dünndarm abzugrenzen
Für spezielle Fragestellungen (z. B. Enterozele) wird neben dem Rektum auch der Dünndarm mit Kontrastmittel zur Darstellung gebracht (. Abb. 35.8). An vielen Zentren wird bereits routinemäßig die Vagina mittels kontrastmittelgefüllten Tampons markiert und zudem die Harnblase mit radiologischer Markierung dargestellt.
latenzzeit- oder Pudenduslatenzzeitbestimmung und der eigentlichen Beckenboden-EMG unterschieden.
Beckenbodenelektromyographie Indikation. In ausgewählten Fällen können elektrophysiologische Verfahren zur weiteren Evaluation einer Stuhlinkontinenz herangezogen werden. Bei den elektrophysiologischen Verfahren wird vor allem zwischen der sog. terminalen N.-pudendus-Motor-
Pudenduslatenzzeit. Die Bestimmung der Pudenduslatenzzeit erlaubt, die Innervation des muskulären Sphinkterapparates durch den N. pudendus zu untersuchen. Beim konventionellen Verfahren wird die Leitgeschwindigkeit des N. pudendus auf eine elektrische Stimulation hin mit einer speziell entwickelten Elektrode (St.-Marks Fingerelektrode) gemessen (. Abb. 35.9; Snooks et al. 1985). Der Finger wird hier mit der montierten Elektrode anal eingeführt und so weit wie möglich an den Ursprung des N. pudendus herangeführt. Da-
504
Kapitel 35 · Proktologie
. Abb. 35.8. Enterozele. Das Bild wurde im lateralen Strahlengang aufgenommen; links im Bild ist bei der Patientin ventral. Vor der Defäkographie erhielt die Patientin zur Darstellung des Dünndarms oral Kontrastmittel. Beim Pressen bildet sich eine deutliche Enterozele aus und das Rektum stellt sich dorsal davon als weitere kontrastmittelgefüllte Struktur dar
35
nach wird der Nerv mit der Elektrode an der Fingerspitze so weit elektrisch stimuliert, bis es zu einer gut messbaren Kontraktion des innervierten M. sphincter ani externus kommt, die mit einer zweiten Messelektrode an der Fingerbasis registriert wird. Die Latenz zwischen Nervenstimulation und Muskelkontraktion lässt sich dann als Pudenduslatenzzeit messen. Eine Latenz über 2,5 ms wird im Allgemeinen als pathologisch gewertet. Der diagnostische und prognostische Wert dieses Parameters wird aber durch eine erhebliche interindividuelle Streubreite eingeschränkt. Entsprechend ist die klinische Bedeutung der Pudenduslatenzzeit umstritten und als Routineuntersuchung einer Stuhlinkontinenz nicht zu empfehlen.
. Abb. 35.9. Schema der St.-Marks-Fingerelektrode. Der Finger mit der montierten Elektrode wird anal eingeführt. Mit der Elektrode an der Fingerspitze wird der N. pudendus elektrisch stimuliert und mit den Elektroden an der Fingerbasis wird die Kontraktion des innervierten M. sphincter ani externus gemessen. Die verstrichene Zeit zwischen Stimulation und Muskelkontraktion wird als Pudenduslatenzzeit gemessen
Elektromyographie. Die Elektromyographie (EMG) testet die
Funktion und Innervation des M. sphincter ani externus und des M. puborectalis. Dabei lassen sich Nadelelektroden oder Oberflächenelektroden einsetzen. Die Messung der elektrischen Aktivität ermöglicht es, Denervationen und Narben nachzuweisen (Cheong et al. 1995). Obwohl die Oberflächenelektroden für den Patienten weit angenehmer sind, bedarf es zur exakten Defektbeurteilung meist der schmerzhaften Nadel-EMG. Die feine Nadelelektrode wird dabei in den externen Sphinkter und dann in den M. puborectalis vorgeschoben. Hier werden zur Charakterisierung der Pathologie unterschiedliche Parameter in Ruhe, bei Kontraktion aber auch bei Defäkation gemessen. In der Diagnostik eines Sphinkterdefekts wurde die EMG-Untersuchung im klinischen Alltag praktisch vollständig durch die Endosonographie ersetzt. Kernspintomographie Obwohl sich die Kernspintomographie (MRT) in verschiedenen Indikationsbereichen als hochsensitive, nichtinvasive bildgebende Methode etablieren konnte, sind deren Anwendungsbereiche bei der anorektalen Funktionsdiagnostik noch unklar. Optimale diagnostische Ergebnisse sind im anorektalen Bereich bei der Darstellung komplexer Fistelsysteme z. B. als Komplikation eines
M. Crohn zu erzielen. Da mit modernen MRT-Verfahren nicht nur statische Bilder, sondern auch dynamische Bildsequenzen möglich sind, bieten sich hier viel versprechende Möglichkeiten zur Funktionsdiagnostik mit präziser Abgrenzung der verantwortlichen Strukturen. Um den diagnostischen Stellenwert für den klinischen Alltag genauer präzisieren zu können, bedarf es jedoch noch weiterer Studien (Stoker et al. 2000).
Literatur Bannister JJ, Gibbons C, Read NW (1987) Preservation of faecal continence during rises in intra-abdominal pressure: is there a role for the flap valve? Gut 28(10):1242–1245 Beck DE (1992) Simplified balloon expulsion test. Dis Colon Rectum 35(6):597–598 Cheong DM, Vaccaro CA, Salanga VD, Wexner SD, Phillips RC, Hanson MR, Waxner SD (1995) Electrodiagnostic evaluation of fecal incontinence. Muscle Nerve 18(6):612–619 Drossman DA, Sandler RS, Broom CM, McKee DC (1986) Urgency and fecal soiling in people with bowel dysfunction. Dig Dis Sci 31:1221–1225
505 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
Ekberg O, Nylander G, Fork FT (1985) Defecography. Radiology 155(1): 45–48 Johanson JF, Lafferty J (1996) Epidemiology of fecal incontinence: the silent affliction. Am J Gastroenterol 91(1):33–36 Kumar D, Williams NS, Waldron D, Wingate DL (1989) Prolonged manometric recording of anorectal motor activity in ambulant human subjects: evidence of periodic activity. Gut 30:1007–1011 Lee SJ, Park YS (1998) Serial evaluation of anorectal function following low anterior resection of the rectum. Int J Colorectal Dis 13:241–246 Pemberton JH (1991) Anatomy and physiology of the anus and rectum. In: Condon RE (ed) Shakelford’s surgery of the alimentary tract, vol 4. Saunders, Philadelphia, pp 242–274 Pemberton JH (1990) Anorectal and pelvic floor disorders: putting physiology into practice. J Gastroenterol Hepatol 5 (Suppl 1):127–143 Read MG, Read NW (1982) Role of anorectal sensation in preserving continence. Gut 23(4):345–347 Rottenberg GT, Williams AB (2002) Endoanal ultrasound. Br J Radiol 75(893):482–488 Snooks SJ, Barnes PR, Swash M, Henry MM (1985) Damage to the innervation of the pelvic floor musculature in chronic constipation. Gastroenterology 89(5):977–981 Sorensen SM, Gregersen H, Sorensen S, Djurhuus JC (1989) Spontaneous anorectal pressure activity. Evidence of internal anal sphincter contractions in response to rectal pressure waves. Scand J Gastroenterol 24(1):115–200 Stoker J, Rociu E, Wiersma TG, Lameris JS (2000) Imaging of anorectal disease. Br J Surg 87(1):10–27 Tobon F, Reid NC, Talbert JL, Schuster MM (1968) Nonsurgical test for the diagnosis of Hirschsprung’s disease. N Engl J Med 278(4):188–193 Wald A, Tunuguntla AK (1984) Anorectal sensorimotor dysfunction in fecal incontinence and diabetes mellitus. Modification with biofeedback therapy. N Engl J Med 310(20):1282–1287
35.2
Therapie proktologischer Erkrankungen G. Curti, M. Rossi, M. von Flüe
) ) Die komplexe Anatomie und Physiologie des Anus bedingen vielfältige proktologische Erkrankungen, deren Therapie nicht immer einfach ist. Die proktologischen Erkrankungen sind hier eingeteilt in Hämorrhoidalleiden, Analfissur, anorektale Fisteln und Abszesse, Besonderheiten der anorektalen Probleme bei M. Crohn, Rektum- und Analprolaps und sexuell übertragene Infektionen der Analregion.
35.2.1 Anästhesieverfahren Proktologische Eingriffe können sämtlich in Allgemeinnarkose, einem rückenmarksnahen Verfahren oder teilweise in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Die Vorteile der Allgemeinnarkose sind gute Akzeptanz und Analgesie sowie eine optimale Relaxation. Nachteile sind die notwendige präoperative kardiopulmonale Risikoabklärung und Prämedikation. Rückenmarksnahe Verfahren (Peridural-, Spinalanästhesie, Sattelblock) sind technisch anspruchsvoller, erzeugen aber eine ausgezeichnete Analgesie und Relaxation ohne die Nebenwirkungen der Allgemeinnarkose. Als Kontraindikation gelten hämorrhagische Diathese und septische Prozesse im Bereich der Injektionsstelle. Septische Prozesse im Operationsgebiet hingegen sind keine Kontraindikation.
35
Zunehmend werden auch lokale Anästhesieformen in der Proktologie angewandt. Während in der reinen oberflächlichen Infiltrationsanästhesie die operativen Möglichkeiten auf die Exzision von Marisken und eventuell eine geschlossene Sphinkterotomie begrenzt sind, bietet der posteriore Perinealblock eine breitflächige, tiefe Anästhesie mit einer partiellen Sphinkterrelaxation und ein bluttrockenes Operationsgebiet, das Hämorrhoidektomien, Fistelexzisionen und Sphinkterotomien erlaubt (Marti 1993). Der posteriore Perinealblock wird mit 40 ml eines schnellwirkenden Lokalanästhetkiums (z. B. 1% Lidocain]) kombiniert mit 10 µg/ml Adrenalin und 4 ml Natriumbikarbonat 8,4% durchgeführt. Bei Bedarf können 20 ml des Lidocains durch ein langwirkendes Anästhetikum (Bupivacain [Carbostesin] oder Ropivacain [Naropin]) ersetzt werden. Für einen posterioren Perinealblock werden zuerst eine Hautquaddel und ein kleines subkutanes Depot mit ca. 2 ml der Anästhetikamischung dorsal der hinteren Kommissur gesetzt. Von dieser Stelle aus wird der präsakrale Raum durch das Lig. anococcygeum hindurch mit 5 ml infiltriert. Ebenfalls von dieser Punktionsstelle ausgehend, werden anschließend die beiden Ischiorektalgruben mit je 10 ml infiltriert. Die Ischiorektalgruben werden erreicht, indem man die Nadel jeweils zur Horizontalen um 45° nach ventral und zur Medianen um 45° nach lateral richtet. Zum Schluss werden anterior der ventralen Kommissur wiederum eine Hautquaddel und ein kleines Subkutandepot gespritzt, von dem aus die zirkuläre subkutane Infiltration perianal erfolgt. 35.2.2 Hämorrhoiden Das Hämorrhoidalleiden ist in westlichen Ländern die am häufigsten auftretende Erkrankung des Analkanals. Über 50% der Menschen zivilisierter Länder beklagen Probleme wegen Hämorrhoiden. Alle Altersgruppen, seltener auch Kleinkinder, sind betroffen. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Inzidenz und Prävalenz des Hämorrhoidalleidens sind in der westlichen Welt gegenüber den Drittweltländern erhöht, möglicherweise als Folge faserarmer und nährstoffreicher Kost. Chronische Obstipation, Alkoholkonsum, psychische Stressfaktoren sowie Schwangerschaft sind weitere prädisponierende Faktoren. Hämorrhoiden sind vaskuläre Kissen der analen Übergangszone, bestehend aus Arteriolen, Venolen und arteriovenösen Verbindungen. Diese Schwellkörper tragen mit einer veränderlichen Blutfüllung wesentlich zur Feinkontinenz bei. Der Hämorrhoidalplexus besteht aus einem inneren und einem äußeren Abschnitt. Die Trennlinie zwischen den beiden Anteilen bildet die Linea dentata. Die arterielle Versorgung erfolgt über 3 Endäste der A. rectalis superior (. Abb. 35.10), die bei 3, 7 und 11 Uhr in Steinschnittlage (SSL) in den Analkanal einstrahlen. Diese Lokalisation erklärt die Prädilektionsstellen für das innere Hämorrhoidalleiden, die sich bei 3, 7 und 11 Uhr in SSL befinden (. Abb. 35.11). Kleinere Hämorrhoidalkissen können auch zwischen diesen Prädilektionsstellen auftreten. Der venöse Abfluss erfolgt oberhalb der Linea dentata letztlich ins portale Stromgebiet und unterhalb der Linea dentata über die der Vv. iliacae internae ins Gebiet der V. cava inferior. Zwischen den beiden Abflussgebieten bestehen zahlreiche Anastomosen. Arteriovenöse Anastomosen im Plexus haemorrhoidalis erzeugen eine nahezu arterielle Sauerstoffspannung im hämorrhoidalen Blut mit hellroter Farbe.
505 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
Ekberg O, Nylander G, Fork FT (1985) Defecography. Radiology 155(1): 45–48 Johanson JF, Lafferty J (1996) Epidemiology of fecal incontinence: the silent affliction. Am J Gastroenterol 91(1):33–36 Kumar D, Williams NS, Waldron D, Wingate DL (1989) Prolonged manometric recording of anorectal motor activity in ambulant human subjects: evidence of periodic activity. Gut 30:1007–1011 Lee SJ, Park YS (1998) Serial evaluation of anorectal function following low anterior resection of the rectum. Int J Colorectal Dis 13:241–246 Pemberton JH (1991) Anatomy and physiology of the anus and rectum. In: Condon RE (ed) Shakelford’s surgery of the alimentary tract, vol 4. Saunders, Philadelphia, pp 242–274 Pemberton JH (1990) Anorectal and pelvic floor disorders: putting physiology into practice. J Gastroenterol Hepatol 5 (Suppl 1):127–143 Read MG, Read NW (1982) Role of anorectal sensation in preserving continence. Gut 23(4):345–347 Rottenberg GT, Williams AB (2002) Endoanal ultrasound. Br J Radiol 75(893):482–488 Snooks SJ, Barnes PR, Swash M, Henry MM (1985) Damage to the innervation of the pelvic floor musculature in chronic constipation. Gastroenterology 89(5):977–981 Sorensen SM, Gregersen H, Sorensen S, Djurhuus JC (1989) Spontaneous anorectal pressure activity. Evidence of internal anal sphincter contractions in response to rectal pressure waves. Scand J Gastroenterol 24(1):115–200 Stoker J, Rociu E, Wiersma TG, Lameris JS (2000) Imaging of anorectal disease. Br J Surg 87(1):10–27 Tobon F, Reid NC, Talbert JL, Schuster MM (1968) Nonsurgical test for the diagnosis of Hirschsprung’s disease. N Engl J Med 278(4):188–193 Wald A, Tunuguntla AK (1984) Anorectal sensorimotor dysfunction in fecal incontinence and diabetes mellitus. Modification with biofeedback therapy. N Engl J Med 310(20):1282–1287
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Therapie proktologischer Erkrankungen G. Curti, M. Rossi, M. von Flüe
) ) Die komplexe Anatomie und Physiologie des Anus bedingen vielfältige proktologische Erkrankungen, deren Therapie nicht immer einfach ist. Die proktologischen Erkrankungen sind hier eingeteilt in Hämorrhoidalleiden, Analfissur, anorektale Fisteln und Abszesse, Besonderheiten der anorektalen Probleme bei M. Crohn, Rektum- und Analprolaps und sexuell übertragene Infektionen der Analregion.
35.2.1 Anästhesieverfahren Proktologische Eingriffe können sämtlich in Allgemeinnarkose, einem rückenmarksnahen Verfahren oder teilweise in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Die Vorteile der Allgemeinnarkose sind gute Akzeptanz und Analgesie sowie eine optimale Relaxation. Nachteile sind die notwendige präoperative kardiopulmonale Risikoabklärung und Prämedikation. Rückenmarksnahe Verfahren (Peridural-, Spinalanästhesie, Sattelblock) sind technisch anspruchsvoller, erzeugen aber eine ausgezeichnete Analgesie und Relaxation ohne die Nebenwirkungen der Allgemeinnarkose. Als Kontraindikation gelten hämorrhagische Diathese und septische Prozesse im Bereich der Injektionsstelle. Septische Prozesse im Operationsgebiet hingegen sind keine Kontraindikation.
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Zunehmend werden auch lokale Anästhesieformen in der Proktologie angewandt. Während in der reinen oberflächlichen Infiltrationsanästhesie die operativen Möglichkeiten auf die Exzision von Marisken und eventuell eine geschlossene Sphinkterotomie begrenzt sind, bietet der posteriore Perinealblock eine breitflächige, tiefe Anästhesie mit einer partiellen Sphinkterrelaxation und ein bluttrockenes Operationsgebiet, das Hämorrhoidektomien, Fistelexzisionen und Sphinkterotomien erlaubt (Marti 1993). Der posteriore Perinealblock wird mit 40 ml eines schnellwirkenden Lokalanästhetkiums (z. B. 1% Lidocain]) kombiniert mit 10 µg/ml Adrenalin und 4 ml Natriumbikarbonat 8,4% durchgeführt. Bei Bedarf können 20 ml des Lidocains durch ein langwirkendes Anästhetikum (Bupivacain [Carbostesin] oder Ropivacain [Naropin]) ersetzt werden. Für einen posterioren Perinealblock werden zuerst eine Hautquaddel und ein kleines subkutanes Depot mit ca. 2 ml der Anästhetikamischung dorsal der hinteren Kommissur gesetzt. Von dieser Stelle aus wird der präsakrale Raum durch das Lig. anococcygeum hindurch mit 5 ml infiltriert. Ebenfalls von dieser Punktionsstelle ausgehend, werden anschließend die beiden Ischiorektalgruben mit je 10 ml infiltriert. Die Ischiorektalgruben werden erreicht, indem man die Nadel jeweils zur Horizontalen um 45° nach ventral und zur Medianen um 45° nach lateral richtet. Zum Schluss werden anterior der ventralen Kommissur wiederum eine Hautquaddel und ein kleines Subkutandepot gespritzt, von dem aus die zirkuläre subkutane Infiltration perianal erfolgt. 35.2.2 Hämorrhoiden Das Hämorrhoidalleiden ist in westlichen Ländern die am häufigsten auftretende Erkrankung des Analkanals. Über 50% der Menschen zivilisierter Länder beklagen Probleme wegen Hämorrhoiden. Alle Altersgruppen, seltener auch Kleinkinder, sind betroffen. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Inzidenz und Prävalenz des Hämorrhoidalleidens sind in der westlichen Welt gegenüber den Drittweltländern erhöht, möglicherweise als Folge faserarmer und nährstoffreicher Kost. Chronische Obstipation, Alkoholkonsum, psychische Stressfaktoren sowie Schwangerschaft sind weitere prädisponierende Faktoren. Hämorrhoiden sind vaskuläre Kissen der analen Übergangszone, bestehend aus Arteriolen, Venolen und arteriovenösen Verbindungen. Diese Schwellkörper tragen mit einer veränderlichen Blutfüllung wesentlich zur Feinkontinenz bei. Der Hämorrhoidalplexus besteht aus einem inneren und einem äußeren Abschnitt. Die Trennlinie zwischen den beiden Anteilen bildet die Linea dentata. Die arterielle Versorgung erfolgt über 3 Endäste der A. rectalis superior (. Abb. 35.10), die bei 3, 7 und 11 Uhr in Steinschnittlage (SSL) in den Analkanal einstrahlen. Diese Lokalisation erklärt die Prädilektionsstellen für das innere Hämorrhoidalleiden, die sich bei 3, 7 und 11 Uhr in SSL befinden (. Abb. 35.11). Kleinere Hämorrhoidalkissen können auch zwischen diesen Prädilektionsstellen auftreten. Der venöse Abfluss erfolgt oberhalb der Linea dentata letztlich ins portale Stromgebiet und unterhalb der Linea dentata über die der Vv. iliacae internae ins Gebiet der V. cava inferior. Zwischen den beiden Abflussgebieten bestehen zahlreiche Anastomosen. Arteriovenöse Anastomosen im Plexus haemorrhoidalis erzeugen eine nahezu arterielle Sauerstoffspannung im hämorrhoidalen Blut mit hellroter Farbe.
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Kapitel 35 · Proktologie
Wahrscheinlich verlieren die Hämorrhoiden im Stadium II weitgehend ihre Funktion für den Feinverschluss des Anus (Marti 1998). 4 Stadium III: In den Analkanal prolabierende Hämorrhoiden ohne spontane Reposition. Diese gelingt nur manuell. Durch die chronische Reizung im prolabierten Zustand können an der Oberfläche schmerzhafte Metaplasien entstehen. 4 Stadium IV: Irreponible Hämorrhoiden. Der fixierte Mukosaprolaps ist meist mit einer oberflächlichen Leukoplakie versehen. Klinisch besteht meist Schleimfluss mit Stuhlschmieren, oft begleitet von Analekzem, Pruritus und rezidivierenden, teils heftigen Blutungen.
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Indikationsstellung Die Therapie des Hämorrhoidalleidens richtet sich nach dessen Stadium. Während die Stadien I und II ohne operativen Eingriff behandelt werden, sind die Stadien III und IV eher der Chirurgie vorbehalten. Vor jeder Therapie steht die gründliche Regulation der gestörten Darmtätigkeit. Diätetische Maßnahmen zur Behebung der chronischen Obstipation und Verhinderung heftiger Pressattacken während der Stuhlentleerung sind anerkannte, prophylaktisch wirksame Maßnahmen.
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35
. Abb. 35.10. Arterielle Versorgung des Hämorrhoidalkonvolutes. 1 Mukosa, 2 Hämorrhoidalarterien, 3 Hämorrhoidalkonvolut, 4 M. sphincter ani externus, 5 M. sphincter ani internus, 6 anokutane Linie, 7 Columnae anales
ventral 12
rechts 9
links 3
dorsal 6 . Abb. 35.11. Prädilektionsstellen des Hämorrhoidalleidens in Steinschnittlage
Klassifikation Das Hämorrhoidalleiden wird in 4 Stadien eingeteilt (. Abb. 35.12): 4 Stadium I: Leichtgradig vergrößerte, innere Hämorrhoiden, die sich in den Analkanal vorwölben, jedoch nicht prolabieren. Die Diagnose ist proktoskopisch zu stellen. 4 Stadium II: Beim Pressen prolabieren die Hämorrhoiden im Stadium II in den Analkanal. Die Reposition erfolgt spontan.
Behandlungsverfahren bei Hämorrhoidalleiden 5 Nichtoperativ – Stuhlregulation – Lokale Salbenapplikation – Sklerosierung – Gummibandligaturen – Infrarotkoagulation – Kryochirurgie – Zeroid – Proktotherm 5 Operativ – Hämorrhoidektomie – Staplerhämorrhoidopexie – Dopplergesteuerte Ligatur der Hämorrhoidalarterien – Laterale interne Sphinkterotomie – Analdilatation
Nichtoperative Therapie Stuhlregulation. Die Stuhlregulation ist in jedem Stadium des Hämorrhoidalleidens indiziert. Die Basis bilden faserreiche Kost, pflanzliche Quellmittel und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Sowohl Obstipation als auch Diarrhö sind zu vermeiden. Harter Stuhl im Rektum und dessen Evakuation führen zum Anschwellen der Hämorrhoidalkissen. Diarrhö bewirkt eine Schleimhautirritation, die die Entstehung von Hämorrhoiden begünstigt oder auch ein vorhandenes Hämorrhoidalleiden verschlimmert. Eine ausreichende Menge von weichem Stuhl im Rektum bewirkt durch eine reflektorische Abnahme des Tonus des inneren Sphinkters eine Senkung des analen Ruhedruckes. Dadurch wird der Blutabfluss aus dem hämorrhoidalen Plexus erleichtert. Topische Behandlung. Die topische Behandlung des Hämorrhoidalleidens erfolgt üblicherweise mit Salben, Cremes oder Suppositorien, denen antiseptische, analgetische bzw. anästhetische, vasoaktive, antithrombotische, steroidale oder nichtsteroidale sowie antiinflammatorische Medikamente beigemengt sind.
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. Abb. 35.12a–d. Stadieneinteilung des Hämorrhoidalleidens. a Proktoskopisch sichtbare Vergrößerung des Hämorrhoidalkissens ohne Prolaps; b in den Analkanal prolabierende Hämorrhoidalkonvolute mit spontaner Reposition; c prolabierende Hämorrhoidalkonvolute, die manuell reponiert werden müssen; d dauernd prolabierte Hämorrhoidalkonvolute, die nicht reponiert werden können
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Um eine optimale Wirkung zu erzielen, sollten Suppositorien digital im Analkanal platziert und Salben mittels Applikator eingebracht werden. Steroidzusätze können bei langdauernder Anwendung zur Atrophie des Anoderms und der perianalen Haut führen. Dadurch werden auch chronische, ekzematoide Veränderungen und Pilzinfektionen begünstigt. Die symptomatische topische Therapie ist bei Exazerbation des Hämorrhoidalleidens in jedem Stadium indiziert. Sklerotherapie. Die Sklerotherapie mit submukös applizierten, gewebeirritierenden Substanzen erzeugt eine aseptische Entzündung mit nachfolgender submuköser Fibrose und Gewebeschrumpfung. Sie bewirkt eine Drosselung der Blutzufuhr mit Verkleinerung des Hämorrhoidalpolsters. Als gewebeirritierende Substanzen werden phenol-, mandelöl- oder chininhaltige Lösungen verwendet. Die Technik nach Bensaude (Bensaude 1967) gilt als Standardmethode. Etwa 3 ml 5%iges Phenol-Mandelöl werden oral
der Hämorrhoiden submukös instilliert. Intravaskuläre Injektionen müssen vermieden werden. Die Injektion erfolgt über eine 10 cm lange, 20-Gauge-Nadel durch ein Proktoskop unmittelbar oral des Analpolsters (. Abb. 35.13). Alle 3 Prädilektionsstellen können in einer Sitzung injiziert werden. Bei Schmerzen muss die Injektion sofort abgebrochen und die Nadel neu platziert werden. Eingelegte Wattetampons fixieren die Hämorrhoidalpolster besser auf ihrem Untergrund. Meist sind mehrere Sitzungen in 1- bis 4-wöchigen Intervallen notwendig. Frühere Injektionsstellen sollten bei der Reinjektion vermieden werden. Komplikationen sind selten und meist Folge einer falschen Injektionstechnik. Zu oberflächliche Injektionen verursachen Schleimhautnekrosen oder Rektumulzera mit Schmerzen und Blutungen. Zu tiefe Injektionen können die umgebenden Organe schädigen oder infolge Narbenbildung zu einer Striktur führen. Als Folge einer intravaskulären Injektion mit nachfolgender Gefäßthrombose wurde ein Fall einer rektosigmoidalen Nekrose beschrieben (Haas 1967). Leichte allergische Reaktionen auf die Injektions-
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. Abb. 35.13a–c. Sklerotherapiemethode nach Bensaude. a Technik der submukösen Injektion oral des Hämorrhoidalkonvolutes im Bereich des zuführenden Pedikels; b korrekte Injektionslokalisation; c korrekter Aspekt nach Injektion
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lösung sind möglich. Abszessbildung und Ölgranulome entstehen selten. Impotenz und nekrotisierende Fasziitis sind als Komplikationen beschrieben (Bullock 1997; Kaman et al. 1999; Ribbans u. Radcliffe 1985). Die Erfolgsrate beträgt bei Hämorrhoiden I. und II. Grades 48–75%, die Rezidivrate innert 3–4 Jahren wird auf mindestens 15–30% (Follow-up 3–4 Jahre) geschätzt (Santos et al. 1993; Kilbourne 1934).
ziellen Pinzette oder mittels Vakuum in einen speziellen Applikator gesaugt (. Abb. 35.14). Über diese Schleimhautportion wird ein Gummiring platziert. Dadurch wird eine Strangulation der Schleimhaut mit Fibrosierung des zuführenden Gefäßes erreicht. Dies führt nach ca. 10 Tagen zur Abstoßung der nekrotischen Knoten, wodurch eine kurzfristige Blutung auftreten kann (Aufklärungsgespräch!). Das zurückbleibende Ulkus heilt innerhalb von 3–4 Wochen völlig ab. Das Verfahren ist schmerzarm, vorausgesetzt, die Ligatur wird korrekt, d. h. unmittelbar proximal der Hämorrhoide, über deren zuführenden Pedikel platziert. Schmerzen können dann auftreten, wenn zusätzlich zur Schleimhaut auch darunter liegende Muskulatur mitstranguliert wird oder wenn die Ligatur zu nahe an die Linea dentata oder ins Anoderm gesetzt wird. Etwaige Schmerzen sollen schon beim Einsaugen oder Einziehen der Schleimhaut vor der Platzierung der Gummibandligatur erfragt werden. Treten sie erst unmittelbar nach gesetzter Ligatur auf, so muss diese wieder entfernt und neu platziert werden.
Gummibandligaturen. Die Ligatur von Hämorrhoiden ist wahr-
scheinlich die älteste Behandlungsart des Hämorrhoidalleidens. Im Gegensatz zum Mittelalter, wo die äußerst schmerzhafte Ligatur des gesamten Anoderms vorgenommen wurde, ist die Gummibandligatur bei korrekter Applikation schmerzarm und ambulant durchführbar. Das heutige Verfahren wurde von Blaisdell (1954) entwickelt und von Barron (1963) modifiziert. Dabei wird unter proktoskopischer Kontrolle eine Schleimhautportion an der Basis des Hämorrhoidalknotens entweder manuell mit einer spe-
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. Abb. 35.14a,b. Gummibandligatur nach Barron. a Saugapplikator; b Applikationstechnik durch das Proktoskop
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Pro Sitzung sollten nicht mehr als 2 Hämorrhoiden mit Gummibandligaturen versehen werden. Zu viele Ligaturen können zirkuläre Nekrosezonen und konsekutive Stenosen verursachen.
Die Behandlung kann im Zeitraum von 4–6 Wochen mehrfach wiederholt werden. Indiziert ist die Gummibandligatur bei Hämorrhoiden I. und II. Grades. Die chirurgische Sanierung im Anschluss an vorangegangene Gummibandligaturen ist problemlos möglich. Bei äußeren Hämorrhoiden wäre die Gummibandligatur zu schmerzhaft. Die Erfolgsrate bei Hämorrhoiden II. Grades beträgt 77% nach 5 Jahren (Savioz et al. 1998). Die
kosmetischen Resultate der Gummibandligatur sind nicht mit den Resultaten der chirurgischen Exzision vergleichbar, da hygienisch störende Marisken zurückbleiben, die bei Bedarf exzidiert werden müssen. Die Inzidenz ernster Komplikationen beträgt 0–1,2%, leichtere Nebenwirkungen treten in 8–20% auf (Konings et al. 1999; Marshman et al. 1989). Schmerzen, Blutungen, Ulzera und Infekte werden dabei am häufigsten beschrieben. Schwere und sogar tödlich verlaufende septisch-toxische Komplikationen sind aus Fallberichten bekannt (Clay et al. 1987; Shamesh et al. 1987; O’Hara 1980). Die Gummibandligatur ist beim M. Crohn kontraindiziert. Infrarotkoagulation. Bei der Infrarotkoagulation nach Neiger et al. (1977) wird mit Hilfe eines speziellen Applikators über
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chen anhalten kann, besonders wenn auch äußere Hämorrhoiden behandelt werden (Keighley 1998; Detrano 1973). Störende Marisken können zusätzlich eine spätere chirurgische Intervention notwendig machen. Der heutige Stellenwert dieser doch seltener angewandten Therapieform ist unklar. Prospektive Daten sind nicht verfügbar. Zeroid. Dabei handelt es sich um ein mit einer Glykollösung
gefülltes Plastikröhrchen, das in gekühltem Zustand (10–15 °C) mehrfach täglich während 5–10 min in den Analkanal eingeführt wird. Dadurch soll sich das Gefäßmuster innerhalb des Hämorrhoidalpolsters ändern (Saint-Pierre 1980). Eine sofortige Besserung ist bei analen Schmerzen, Pruritus und analer Schwellung zu erwarten. Langzeitresultate sind nicht bekannt. Proktothermtherapie. Ein auf 30–40°C gewärmter analer Stöpsel
. Abb. 35.15. Infrarotkoagulationsgerät nach Neiger
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einen starren Lichtleiter (. Abb. 35.15) eine exakt zu dosierende Hitzestrahlung auf die Mukosa gesetzt. An der Oberfläche entsteht eine Temperatur von ca. 100°C, in 3 mm Tiefe von 60°C. Die daraus resultierende Koagulationsnekrose von ca. 3 mm führt zur Unterbrechung der Blutzufuhr und heilt innerhalb von 2– 3 Wochen ab. Die Narbe fixiert die Mukosa auf das darunter liegende Gewebe und verhindert so den Prolaps. Die Infrarotkoagulation hat einen ausgezeichneten hämostatischen Effekt, der die Sklerosierungsverfahren übertrifft. Die Applikation der Infrarotstrahlen erfolgt unter proktoskopischer Kontrolle und kann von einer Person ohne Hilfe durchgeführt werden. Pro Sitzung werden maximal 4 Stellen koaguliert. Normalerweise genügen 2 Sitzungen für einen optimalen Therapieeffekt. Die Infrarotkoagulation ist einfach, schnell und effektiv. Sie verursacht weniger Komplikationen und Nebenwirkungen als die Sklerotherapie oder Gummibandligatur (Walker et al. 1990). Die Infrarotkoagulation ist indiziert bei Hämorrhoiden I. und II. Grades, in eingeschränktem Maße auch für Hämorrhoiden III. Grades (Ambrose et al. 1985). Eine Heilung ist für erst- und zweitgradige Hämorrhoiden in 75% zu erwarten. Die Rezidivrate beträgt 15% innerhalb von 3 Jahren. Die Behandlung kann beliebig wiederholt werden. Im Vergleich zur Gummibandligatur sind weniger Komplikationen bei allerdings weniger guten Heilungsraten zu erwarten.
wird zweimal täglich für 15–20 min in den Analkanal eingeführt. Dadurch werden Schmerzen gelindert und Hämorrhoidalblutungen vermindert (Buchmann u. Hodel 1980). Der Wirkungsmechanismus scheint auf einer wärmebedingten Relaxation des Musculus sphincter ani internus zu beruhen. Dadurch wird eine bessere venöse Drainage mit Reduktion der hämorrhoidalen Schwellung erwartet. Hämorrhoidektomie Bei der Hämorrhoidektomie entfernt man den Hämorrhoidalknoten mit oder ohne darüber liegender Mukosa und Anoderm. Die Operationswunden können offen belassen oder partiell bzw. ganz verschlossen werden. Die chirurgische Exzision der Hämorrhoiden ist bei komplizierten Hämorrhoiden II. Grades (Blutung, therapieresistente Hämorrhoiden II. Grades) sowie Hämorrhoiden III. und IV. Grades indiziert. Eine weitere Indikation ist bei den eher seltenen akuten Thrombosen der inneren Hämorrhoiden gegeben. Kontraindikationen bilden M. Crohn, portale Hypertension, Gerinnungsstörungen und Patienten mit geschwächtem Immunsystem. Folgende Operationsverfahren wurden beschrieben: 4 Offene Exzision der Hämorrhoiden nach Milligan-Morgan (Milligan et al. 1937) 4 Geschlossene Hämorrhoidektomie mit vollständigem Verschluss der Operationswunde nach Ferguson (Ferguson u. Heaton 1959) 4 Submuköse Hämorrhoidektomie nach Parks (1965) 4 Halb-offene oder halb-geschlossene Exzision mit partiellem Verschluss der Operationswunde (Ruiz-Moreno 1977) 4 »Hämorrhoidopexie« mit einem zirkulären Stapler nach Longo (1998)
Offene Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan. Bis vor eiDie Infrarotkoagulation wird oft nur für Hämorrhoiden I. Grades empfohlen, während die Gummibandligatur für Hämorrhoiden II. Grades die Therapie der Wahl darstellt.
Kryochirurgie. Die kryochirugische Ablation beruht auf einer Gewebezerstörung durch schnelle Abkühlung des Gewebes auf Temperaturen zwischen –60° und –150°C. Dazu wird eine Kältesonde unter proktoskopischer Führung direkt auf die Hämorrhoidalkissen platziert. Nach kryochirurgischer Hämorrhoidektomie kann ein wässriger Ausfluss auftreten, der bis zu 4 Wo-
nigen Jahren war das offene Verfahren nach Milligan-Morgan die wohl am weitesten verbreitete Methode. Nach einem kleinen Einlauf wird der Patient in Steinschnittposition gelagert. Der betroffene Hämorrhoidalknoten wird mittels Analretraktor oder Operationsproktoskop (Fansler) eingestellt (. Abb. 35.16). Eine erste Klemme wird im Bereiche der größten Prominenz nahe der Linea dentata und eine zweite Klemme im Schleimhautbereich nahe des Pedikels der Hämorrhoide angelegt. Die Dissektion beginnt am anodermalen Übergang. Durch Zug an den Klemmen wird die Hämorrhoide hochgehoben, sodass die subkutane Portion des Sphincter ani externus und die kaudale Grenze des Sphincter
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. Abb. 35.16a–d. Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan. a Fassen der Hämorrhoidalkonvolute und Inzision des Anoderms; b Präparation unter strikter Schonung des M. sphincter ani internus; c Durchstechungsligatur der Basis; d Endbefund
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. Abb. 35.17a–f. Hämorrhoidektomie nach Ferguson. a Einstellung des Hämorrhoidalkonvolutes; b spindelförmige Inzision von Anoderm und Mukosa; c Dissektion des Konvolutes von seiner Unterlage; d Durch-
stechungsligatur der Basis; e fortlaufender Verschluss von Mukosa und Anoderm; f Endbefund nach 3-Zipfel-Resektion
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. Abb. 35.18a–f. Hämorrhoidektomie nach Parks. a Einstellung des Hämorrhoidalkonvolutes, submuköse/subkutane Injektion von POR8, sodass Anoderm und Mukosa vom Gefäßkonvolut abgehoben werden; b tennisschlägerförmige Inzision von Anoderm und Mukosa; c Dissektion des Gefäßkonvolutes von Anoderm/Mukosa; d Dissektion des Gefäßkonvolutes von seiner Unterlage (M. sphincter ani internus) unter Zug nach zentral; e Durchstechungsligatur der Basis, Resektion des Konvolutes; f fortlaufender Wundverschluss von Mukosa/Anoderm
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Kapitel 35 · Proktologie
. Abb. 35.19. Halb offene Hämorrhoidektomie. Fixation von Mukosa und Anoderm an Sphincter ani internus und Subkutis
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ani internus sauber dargestellt und geschont werden können. Anschließend erfolgt die elliptische Umschneidung des Knotens in Richtung Pedikel. Um eine narbige Analstenose zu vermeiden müssen genügend breite Schleimhaut- und Anodermbrücken zwischen den einzelnen Resektionszonen erhalten bleiben. Nach vollständiger Mobilisation des Knotens wird der Pedikel mittels einer Klemme gefasst und mit einer Durchstechungsligatur versorgt. Analog dazu werden die anderen Hämorrhoiden versorgt. Die Schleimhautdefekte werden offen belassen und mittels hämostyptischem Tampon komprimiert. Postoperativ ist eine konsequente Stuhlregulation und Analhygiene mit Sitzbädern und/oder Ausduschen der Operationswunden zweimal täglich sowie nach jedem Stuhlgang durchzuführen. Geschlossene Hämorrhoidektomie nach Ferguson. Geschlos-
bunden und abgetrennt. Eine Exzision von zusätzlicher Mukosa erfolgt nur dann, wenn eine überschüssige Portion verbleibt. Nach exakter Blutstillung wird die Mukosa fortlaufend von oral nach aboral verschlossen. Das Anoderm wird mit Einzelknopfnähten adaptiert. Der Vorteil dieser Exzisionstechnik liegt in der Erhaltung des hochsensiblen Anoderms, was in einer geringen Analstenoserate resultiert. Schwierige Dissektionstechnik und deutlich erhöhter Zeitbedarf sind die Nachteile. Außerdem sind persistierende Feinkontinenzstörungen weniger häufig, da das sensible Anoderm erhalten bleibt. Die Komplikationsmöglichkeiten sind mit denen der offenen Verfahren vergleichbar. Halb offene und halb geschlossene Verfahren. Nach Resektion der Hämorrhoide werden der mukosale und anodermale Wundrand beidseits der Resektion fortlaufend an den Sphincter inter-
sene und halboffene Verfahren haben zum Ziel, die Wundheilung nach Hämorrhoidektomie zu beschleunigen und die postoperativen Schmerzen zu vermindern. Das geschlossene Verfahren nach Ferguson unterscheidet sich von der offenen Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan dadurch, dass nach Exzision der Hämorrhoide und Wundgrunddesinfektion Mukosa und Anoderm spannungsfrei vollständig verschlossen werden (. Abb. 35.17). Dabei ist die Fixation der Mukosa am Sphincter ani internus notwendig, um einem Mukosaprolaps und einer sumukösen Infektion vorzubeugen. Submuköse Hämorrhoidektomie nach Parks (. Abb. 35.18).
Parks beschrieb 1965 eine submuköse Exzisionstechnik, wobei die Submukosa mit einer NaCl/Adrenalin-Lösung (evtl. mit einem Lokalanästhetikumzusatz) unterspritzt wird. Der Hämorrhoidalknoten wird kaudal mit der Klemme gefasst, sparsam zirkulär umschnitten und von Anoderm und Mukosa abpräpariert. Die Mukosa wird türflügelartig hochgehoben und die darunter liegenden Hämorrhoidalkonvolute werden submukosal reseziert. Der Pedikel wird mittels Durchstechungsligatur unter-
. Abb. 35.20. Halb geschlossene Hämorrhoidektomie. Äußerer Anteil der Operationswunde bleibt zur Drainage offen
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. Abb. 35.21a–d. »Staplerhämorrhoidektomie« nach Longo. a Reposition der Hämorrhoiden; b zirkuläre, lückenlose submuköse Tabaksbeutel-
naht ca. 3–5 cm ab ano, Stapler eingeführt; c progredienter Schluss des Staplers und Auslösen desselben; d Endresultat
nus und, im äußeren Anteil, an das subkutane Fettgewebe genäht (. Abb. 35.19). Bei der halb geschlossenen Technik wird die Schleimhaut bis zur Linea dentata fortlaufend verschlossen und der äußere Anteil der Operationswunde zur Drainage offen belassen (. Abb. 35.20).
ein geöffneter, zirkulärer Stapler (Durchmesser 33 mm) mit aufgesetzter Andruckplatte in den Analkanal eingeführt. Die Tabaksbeutelnaht wird unterhalb der Andruckplatte verknotet. Beim Staplerschluss muss der Schaft nach oral in den Analkanal hineingedrückt werden, um das Mitfassen des sensiblen Anoderms zu verhindern. Nach Auslösen des Staplers wird die Mukosa im Bereich der Basis der Hämorrhoiden reseziert und die randständige Mukosa anastomosiert. Bei Einhaltung des korrekten Abstandes (3–5 cm zur Linea dentata) ist das Verfahren schmerzarm, kontinenzschonend, mit minimalem Blutverlust und kurzer Operations- und Hospitalisationszeit durchführbar (Hetzer et al. 2002). Der relativ hohe Preis des zirkulären Staplers und die verbleibenden, zum Teil störenden Marisken sind die Nachteile.
»Hämorrhoidopexie« mit dem zirkulären Stapler nach Longo (. Abb. 35.21). Die »Staplerhämorrhoidopexie« ist ein Verfahren,
das bei Hämorrhoiden III. Grades sowie beim Mukosaprolaps angewandt wird. Unter proktoskopischer Sicht wird 3–5 cm proximal der Linea dentata eine Tabaksbeutelnaht angelegt. Diese soll die Mukosa im Bereich der zu exzidierenden Pedikel mitsamt der darunter liegenden Gefäßversorgung zirkulär ohne Lücken fassen, ohne die Muskulatur zu tangieren. Danach wird
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Dopplersonographisch gesteuerte Hämorrhoidalarterienligatur Die dopplersonographisch gesteuerte Hämorrhoidalarterienligatur (HAL) ist eine minimalinvasive Behandlungsmethode, die theoretisch bei allen Stadien des Hämorrhoidalleidens angewandt werden kann (. Abb. 35.22). Sie wurde 1995 von Morinaga publiziert (Morinaga et al. 1995) und seither ohne gute prospektive Daten verbreitet. Das Grundinstrument für die HAL ist ein an der Spitze geschlossenes Operationsproktoskop mit einem Seitenfenster. Herzstück diese Proktoskopes ist eine Dopplersonde an der aboralen Kante des Seitenfensters, mit der die arteriellen Versorgungsäste der Hämorrhoidalkonvolute lokalisiert werden. Diese Arterien werden in der Folge durch das Seitenfenster gezielt umstochen. Der Therapieeffekt kann akustisch durch eine Signalveränderung oder bei neueren Geräten optisch durch eine Flussumkehr kontrolliert werden. Anders als in den konventionellen anatomischen Modellen der hämorrhoidalen Gefäßversorgung können bis zu 12 arterielle Äste lokalisiert werden. Obwohl Bursics et al. für die HAL und die Hämorrhoidektomie vergleichbare Resultate fanden (Bursics et al. 2004), empfiehlt sich die HAL hauptsächlich für Hämorrhoiden 2. Grades, da Prolaps und störende Marisken durch diese Behandlung auch nach Auskunft des Erfinders nur mangelhaft behandelt werden.
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Laterale Sphinkterotomie Die partielle laterale interne Sphinkterotomie (LST) ist anerkannt zur Behandlung chronischer Analfissuren (Abcarian 1975). Die Annahme, dass Hämorrhoiden teilweise durch einen spastischen internen Sphinkter verursacht werden, brachte die laterale partielle Sphinkterotomie auch hier ins Therapiespektrum. Das Verfahren kann bei Hämorrhoiden jeden Grades durchgeführt werden. Äußere Hämorrhoiden, Prolaps und Marisken werden dadurch nicht behoben. Verglichen mit Gummibandligaturen konnte die wesentlich invasivere LST bei Hämorrhoiden I. und II. Grades keine besseren Resultate erzielen (Arabi et al. 1977). Hauptkomplikation der LST ist die Kontinenzstörung, die in bis zu 25% der behandelten Patienten auftreten kann (Khubchandani
u. Reed 1989). Die laterale Sphinkterotomie zur Therapie von Hämorrhoiden ist bis heute nicht generell akzeptiert. Manuelle anale Dilatation Die manuelle anale Dilatation nach Lord (1968) besteht in einer progredienten Dilatation des Anus. Die Komplikationsrate dieser Behandlungsmethode ist relativ hoch. Insbesondere werden Kontinenzstörungen unterschiedlichen Ausmaßes beschrieben. Nach Einführung der analen Endosonographie wurden teilweise schwere Schädigungen des M. sphincter ani internus erkannt. Insbesondere Frauen nach mehreren Geburten leiden in über 50% unter signifikanten Störungen der Feinkontinenz (MacDonald et al. 1992). Aufgrund der hohen Komplikationsrate ist die manuelle anale Dilatation heute als obsolet zu betrachten. Komplikationen Infektionen. Infektionen nach Hämorrhoidektomie sind selten und treten höchstens bei immungeschwächten Patienten auf. Obwohl lokale infektiöse Komplikationen nach geschlossener Hämorrhoidektomie eher erwartet werden, ist im randomisierten Vergleich keine Häufung zu finden (Ho et al. 1997). Als extreme Rarität wurden Leberabszesse nach Hämorrhoidektomie beschrieben. Nach Stapler-Hämorrhoidopexie wurde eine lebensbedrohliche Sepsis ausgehend von der Staplerreihe beschrieben (Molloy 2000). Blutung. Relevante Blutungen am 1. postoperativen Tag sind meist Folge einer unzureichenden Blutstillung oder einer abgerutschten Pedikelligatur. Während letztere häufig nur durch eine Reoperation zu behandeln sind, können Blutungen aus dem Wundgrund meist durch lokale Kompression mit Hämostyptika oder mittels eines Blasenkatheterballons oder durch submuköse Injektion mit verdünnter Adrenalinlösung gestillt werden. Blutungen aus der Klammernaht bei Stapler-Hämorrhoidopexie können mit einer akkuraten intraoperativen Blutstillung weitgehend vermieden werden. Schmerz. Die Hämorrhoidektomie ist unabhängig von der Wahl
des Operationsverfahrens unterschiedlich schmerzhaft. Die ambulante Hämorrhoidektomie ist zwar kostensparend, jedoch zieht die Mehrzahl der Patienten bei einer nochmaligen Hämorrhoidektomie den stationären Aufenthalt vor (Ho et al. 1998). Die Staplerhämorrhoidopexie ist signifikant schmerzärmer und deshalb auch ambulant durchführbar. Die topische Applikation von Lokalanästhetika bei der Hämorrhoidektomie kann hilfreich sein, allergische Reaktionen sind aber nicht selten. Nichtsteroidale Antirheumatika, allenfalls ergänzt durch Pethidin, bringen die beste Analgesie. Nach Morphingabe können die Schmerzen exazerbieren. Zusatzeingriffe wie manuelle anale Dilatation oder Sphinkterotomie vermögen den postoperativen Schmerz nicht zu senken (Mathai et al. 1996) und können die Kontinenz beeinträchtigen. Kontrovers diskutiert werden sphinkterrelaxierende Substanzen wie Glyzeroltrinitrat (Ho et al. 1997, Hwang et al. 2003) und Botulinustoxin A. Stenose. Wird eine mindestens 1 cm breite Mukosa- Anoderm-
. Abb. 35.22. Transparentes Proktoskop mit integrierter Lichtquelle, Seitenschlitz und Dopplersonde zur Lokalisation der Hämorrhoidalarterien
Brücke zwischen den exzidierten Hämorrhoiden belassen, sind narbige Analstenosen äußerst selten (Eu et al. 1995). Betrifft die Stenose die perianale Haut, ist eine konservative Behandlung mit Dilatation meist ungenügend. Eine Strikturoplastik oder eine plastische Operation im Sinne eines Verschiebelappens, z. B. eine
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Y-V-Plastik, sind erforderlich. Stenosen auf Höhe der Linea dentata oder darüber können meist konservativ mit wiederholten Dilatationen behoben werden (Khubchandani u. Reed 1994).
rechtfertigen. Das Risiko lang anhaltender Wundheilungsstörungen und infektiöser Komplikationen ist bei diesen Patienten erhöht (Marti 1998).
Kontinenzstörungen. Die Feinkontinenz ist innerhalb der ersten 2 postoperativen Wochen häufig gestört. Die Dehnung des Anus während der Operation und die partielle Resektion von sensiblem Anoderm sind die Gründe dafür. Persistierende Feinkontinenzstörungen sind je nach Behandlungsmethode bei 5% und 26% der Patienten zu erwarten (Eu et al. 1994; Pfeiffer et al. 1994).
Hämorrhoiden und HIV-Infektion. HIV-infizierte Patienten soll-
Harnretention. Ältere Männer mit Prostatahyperplasie und Frauen mit Beckenbodensenkung neigen vor allem nach lumbaler Anästhesie während der ersten 2 postoperativen Tage häufig zu Harnretentionen, insbesondere, wenn diese Patienten perioperativ überhydriert wurden (Hoff et al. 1994). Carbachol i.v. oder Einmalkatheterismus lösen dieses Problem. Stuhlverhaltung. Postoperative Schmerzen und die daraus resultierende Angst vor einer defäkationsbedingten Schmerzexazerbation sind die Gründe für eine Stuhlverhaltung nach Hämorrhoidektomie. Eine Überlaufdiarrhö ist die Folge. Durch impaktierte Stuhlmassen im Rektum kommt es zur Relaxation des inneren Sphinkters und zum inkompletten Analschluss, weshalb ständig Schleim fließt. Rezidivierende Einläufe oder gar eine manuelle Ausräumung des Rektums in Narkose können notwendig werden. Die schmerzbedingte Stuhlverhaltung ist bei der ambulanten, mit einem oralen Morphinsulfat-Präparat (MST) als Analgetikum versorgten Hämorrhoidektomie häufiger als bei der stationären Hämorrhoidektomie.Im Extremfall kann eine Stuhlverhaltung bei Hämorrhoidalleiden bis zu einer Zökumperforation führen. Rezidive. Therapiebedürftige Rezidive sind nach einer korrekt durchgeführten Hämorrhoidektomie selten (retrospektiv <3%; Hayssen et al. 1999). Nicht komplett resezierte Hämorrhoiden können sich postoperativ rasch vergrößern und zusätzliche Maßnahmen wie Gummibandligaturen oder Infrarotkoagulation notwendig machen. Bei der Staplerhämorrhoidopexie scheinen therapiebedürftige Rezidive meist die Folge einer zu großen Distanz des Staplerkranzes zur Linea dentata zu sein.
ten zurückhaltend operativ behandelt werden. Nur die akute Hämorrhoidalthrombose stellt eine klare Operationsindikation dar. Insbesondere bei Patienten mit tiefer CD4-Zellzahl (<200) kann es zu lang anhaltenden Wundheilungsstörungen und signifikanten septischen Komplikationen kommen. Daten aus den USA, die keine Erhöhung der Komplikationsrate bei HIV-Patienten festhalten, wurden retrospektiv erfasst (Hewitt et al. 1996). Hämorrhoiden in der Schwangerschaft. Während der Schwangerschaft können Hämorrhoiden entstehen oder vorbestehende Hämorrhoiden größer werden. Die Indikation zur Hämorrhoidektomie ist nur bei einer akuten Blutung oder einer Thrombose gegeben, da die Hämorrhoiden nach der Geburt meist spontan abheilen (Meddich u. Fazio 1995). Thrombosierter Hämorrhoidalknoten. Der Plexus haemorrhoidalis inferior liegt am äußeren Ende des Analkanals am Übergang vom verhornenden zum nichtverhornenden Plattenepithel. Es handelt sich dabei nicht um einen Schwellkörper, sondern um einen einfachen venösen Abfluss. Perianalvenenthrombose und Hämorrhoidalblutung sind die häufigsten Komplikationen der äußeren Hämorrhoiden. Die perianale Thrombose manifestiert sich als stark druckdolente, manchmal juckende, livide verfärbte kugelige Resistenz. Unter konservativer Therapie bildet sie sich im Verlauf von 2–3 Wochen spontan zurück. Durch eine lokale Drucknekrose der darüber liegenden Haut und Spontanperforation mit Entleerung des Koagels kann es zur rascheren Abheilung kommen. Nach Abheilung resultiert in der Regel eine Mariske, die persistieren kann. Anamnese und Inspektionsbefund sind typisch für dieses Krankheitsbild. Differenzialdiagnostisch ist ein Analkarzinom in Betracht zu ziehen. Bei starken Schmerzen bringen die radiäre Inzision und die Entleerung des Koagulums in Lokalanästhesie sofortige Erleichterung. Die Inzision der äußeren Hämorrhoidalthrombose ist eine reine Schmerztherapie. Rezidivierende äußere Hämorrhoidalthrombosen sind oft kombiniert mit inneren Hämorrhoiden.
Spezielle Situationen Hämorrhoiden in Kombination mit einer entzündlichen Darmerkrankung. Sowohl die Colitis ulcerosa als auch der M. Crohn
35.2.3 Analfissur
können durch Hämorrhoiden kompliziert werden. Bei der Colitis ulcerosa können die Hämorrhoiden relativ gefahrlos reseziert werden, solange die Patienten nicht unter hohen Steroiddosen stehen. Die Hämorrhoidektomie bei Morbus-Crohn-Patienten ist kontraindiziert, weil hohe Komplikationsraten die Regel sind. Insbesondere können komplexe Fistelbildungen auftreten, die eine Rektumresektion notwendig machen können (Jeffery et al. 1977). Anale Operationen beim M. Crohn müssen strengstens indiziert und limitiert angewandt werden (Wolkomir u. Luchtefeld 1993).
Unter einer Analfissur versteht man eine stark schmerzhafte, radiär verlaufende, meist elliptische Ulzeration des Anoderms im distalen Analkanal. Die Läsion kann in oraler Richtung bis an die Linea dentata oder sogar darüber hinaus reichen. Das Ulkus ist in 80–90% der Fälle an der hinteren Kommissur lokalisiert (. Abb. 35.23). In 10% der Fälle (hauptsächlich bei Frauen) liegt es in der ventralen Kommissur und 5–10% liegen lateral. Anterior und posterior gelegene Fissuren können simultan vorkommen. Analfissuren werden in akute oder chronische Formen unterteilt. Unterschiede ergeben sich aus der Krankheitsdauer und dem Aspekt.
Hämorrhoiden und myeloproliferative Syndrome. Eine Hämorrhoidektomie bei Patienten mit myeloproliferativen Syndromen ist nur bei absoluter Notwendigkeit nach Korrektur der eingeschränkten Gerinnung und unter antibiotischer Prophylaxe zu
Pathogenese Analfissuren werden in primäre und weit seltenere sekundäre Formen unterteilt. Zur primären Form gehören die akute und die
518
Kapitel 35 · Proktologie
12°
Idiopathische Fissuren
10 % Spezifische
Spezifische
9°
5%-
3°
15 % Fissuren
Fissuren
Mechanische Theorie. Die Annahme, dass eine Schleimhautver-
letzung im Sinne einer akuten Fissur durch Passage von harten Stuhlmassen gesetzt wird, ist die älteste und am weitesten verbreitete Theorie. Grundsätzlich kann jede mechanische Einwirkung im Analkanal zur akuten Fissur führen. Eine Obstipation ist nicht ein obligat koexistierender Faktor (Hananel u. Gordon 1997). Verminderte Gewebselastizität. Fissuren zeigen histologisch fibrotische Veränderungen, die zu einer eingeschränkten Elastizität des dortigen Gewebes führen. Ob diese Veränderungen Ursache oder Folge der Fissur sind, bleibt unklar. Jedoch ist die Transformation zur chronischen Fissur von zunehmendem Verlust der lokalen Gewebeelastizität begleitet.
80 - 90 %
Lokale Ischämie. Analfissuren sind oft mit einem Hämorrhoidal-
6°
Idiopathische Fissuren
. Abb. 35.23. Fissurlokalisationen. Lateral gelegene Fissuren verlangen nach einer Ursachenklärung
35
chronische Fissur. Zu sekundären Fissuren führen folgende Erkrankungen: 4 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen 5 M. Crohn 5 Colitis ulcerosa 4 Sexuell übertragbare Erkrankungen 5 Lues 5 Lymphogranuloma venereum 5 Ulcus molle 5 Herpes simplex 5 HIV 4 Infektiöse Erkrankungen und Parasitosen 5 Tbc 5 Amöben 4 Dermatologische Affektionen 5 Psoriasis vulgaris 5 Lichen sclerosus 4 Präkanzerosen 5 M. Bowen 5 M. Paget 4 Neoplasmen 5 Leukämie 5 Karzinome 4 Medikamentöse Nebenwirkungen 5 Ergotamin-Abusus 5 Nicorandil-Therapie (Watson 2002) 4 Mechanische Einwirkungen 5 Ärztliche Untersuchungen/Therapien 5 Anale Sexualpraktiken
Vor allem bei lateral liegenden Fissuren muss nach einer Grunderkrankungen gesucht werden.
Die Entstehung der akuten oder chronischen Analfissur bleibt viel diskutiert. Die eigentliche Ätiologie ist nicht restlos geklärt. Folgende Theorien können einzeln oder kombiniert (multifaktoriell) für eine akute Analfissur und deren Übergang in die chronische Form verantwortlich gemacht werden.
leiden vergesellschaftet. Infolge Thrombose und verminderter Durchblutung können ein variköses Ulkus und eine Fissur entstehen. Damit lässt sich jedoch die Prädilektionsstelle von Fissuren nicht erklären. Untersuchungen mittels Laserdopplersonographie und perkutaner Oxymetrie weisen in der dorsalen Kommissur des Analkanals einen verminderten Blutfluss nach. An dieser Stelle liegt das Endstromgebiet zweier verschiedener Hämorrhoidalarterien. Letztere müssen den inneren Analsphinkter durchqueren, was bei spastischem Sphinktertonus zur zusätzlichen Einschränkung der Durchblutung führt (Schouten et al. 1994). Deshalb gehen einige Autoren davon aus, dass es sich bei der Analfissur um ein primär ischämisches Ulkus handelt (Schouten et al. 1996). Dadurch lässt sich die Ätiologie der akuten Fissur nicht erklären, da letztere unter konservativer Therapie (Stuhlregulation, lokale Maßnahmen) eine gute spontane Heilungstendenz aufweist. Für die Transformation zur chronischen Fissur mag die »Durchblutungstheorie« zutreffen. Infektion. Chronische Infektionen, ausgehend von lokalisierten
Kryptitiden, und spezifische Infektionen wie Tuberkulose, Syphilis und HIV-Infektion bilden die Grundlage der Infektionstheorie zur Entstehung von Analfissuren (Soullard 1975). Spezifisch infektiöse Ulzerationen des Analkanals unterscheiden sich in Topographie und Morphologie vom typischen längsgerichteten Erscheinungsbild unspezifischer Fissuren (Chung et al. 1997). Analer Ruhedruck. Patienten mit Analfissuren weisen erhöhte anale Ruhedruckwerte auf (Arabi et al. 1977). Ob dies Folge oder Ursache der Analfissur ist, ist immer noch unklar. Trotz erhöhtem Ruhedruck wurden z. T. überschießende maximale Druckwerte festgestellt. Dafür wird ein abnormales Reflexmuster der Sphinktermuskulatur verantwortlich gemacht. Nach Abheilen der Analfissur sind diese Phänomene nicht mehr nachweisbar, was eher dafür spricht, dass es sich dabei um eine Folge des Fissurleidens und nicht um die Ursache handelt. Andererseits wird vermutet, dass bei Crohn-Patienten ein erhöhter analer Ruhedruck Ursache von Fissuren und Fisteln sein könnte (Andersson et al. 2003).
Chronifizierung der Analfissur Ein kleiner Teil der akuten Analfissuren nimmt einen chronischen Verlauf. Aspektmäßig sind frische Analfissuren von gesunder Mukosa begrenzt und weisen einen roten Wundgrund auf. Chronische Analfissuren sind begrenzt von fibrosierter, teils unterminierter Mukosa und weisen einen weißlichen Wundgrund auf, worin querverlaufende Fasern des inneren Analsphinkters
519 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
erkennbar sind. Der kraniale Wundrand ist begrenzt durch eine hypertrophe Analpapille, die als Folge der chronischen Entzündung entstanden ist. Kaudal der Fissur findet man die sog. Vorpostenfalte, die schon beim nicht gespreizten Anus auf das Vorliegen einer Fissur hinweist.
Die chronische Analfissur unterhält sich selbst im Sinne eines Circulus vitiosus, als dessen Stimulus der Hypertonus des inneren Analsphinkters fungiert (Wehrli 1996). Die Unterbrechung des Circulus vitiosus führt zur Abheilung der Fissur.
35
nahmen, da keine Selbstheilungstendenz vorliegt. Vorab gelten die erwähnten Maßnahmen zur Analhygiene und zur Stuhlregulation. Chemische Sphinkterrelaxation. Lokale medikamentöse Maß-
nahmen haben die Herabsetzung des Ruhedruckes im Analkanal zum Ziel. Nitroglyzerinhaltige Salben wie Glyzeroltrinitrat (Lund et al. 1997), Nifedipinhaltige Topika und inter-/intrasphinktärische Injektionen von Botulinustoxin (Maria et al. 1998) wirken sphinkterrelaxierend. Glyzeroltrinitrat/Nifedipin. Die topische Applikation von Nitro-
Klinische Symptomatologie Hauptsymptom der Analfissur ist der Schmerz. Dieser tritt typischerweise während oder unmittelbar nach der Defäkation auf und hält für 2–3 h an. Der Schmerz ist im Anus lokalisiert und kann in den Rücken, die Gesäßbacken und in die Oberschenkel ausstrahlen. Zweithäufigstes Symptom sind Blutungen, die kombiniert mit einem Hämorrhoidalleiden als hellrote Spontanblutungen auftreten oder isoliert als kleine Blutspuren auf dem Toilettenpapier bemerkt werden. Diagnostik Die Anamnese ist in der Regel absolut richtungsweisend. Die Inspektion nach manueller Spreizung der Gesäßhälften erbringt in den meisten Fällen die Diagnose.
Die digitale Untersuchung kann höchstens nach Applikation von Lokalanästhetika durchgeführt werden und bestätigt den erhöhten analen Ruhedruck. Sie ist nicht indiziert.
Die submuköse oder intersphinktäre Injektion von Lokalanästhetika zur besseren Akzeptanz der Untersuchung ist nicht in jedem Fall möglich und daher nicht allgemein akzeptiert. Eine Proktoskopie ist schmerzbedingt meist unmöglich und darf nicht erzwungen werden. Eine atypische Fissurlokalisation (lateral, ventral) erfordert die Suche nach einer spezifischen Ursache. Therapie Die Therapiewahl ist abhängig von Akuität und zeitlichem Verlauf der Krankheit. Folgende Vorgehensweises sind möglich: Akute Fissuren haben eine ausgezeichnete Spontanheilungstendenz (Lund u. Scholefield 1996; Vouillamoz 1996; Oh et al. 1995). Eine zentrale Rolle spielt dabei die konsequente Stuhlregulation (Ballaststoffe, evtl. kombiniert mit pflanzlichem Quellmittel und viel Flüssigkeit). Dadurch wird über den rektoanalen Inhibitionsreflex eine Relaxation des inneren Sphinkters erreicht und eine Traumatisierung des Analkanals durch harten Stuhl vermieden. Ergänzend wirken warme Sitzbäder in Kamillosanlösung und/ oder Analhygiene mit nasser Watte oder mit der Dusche. Lokal irritierende Manipulationen, d. h. Analhygiene mit Seife oder mit kommerziell erhältlichen Feuchttüchern sollten vermieden werden. Steroidhaltige Cremes bewirken eine Atrophie des Anoderms. Trotz ausgezeichneter Kurzzeitwirkung sollten sie nur mit Zurückhaltung und kurzfristig angewandt werden. Die chronische Analfissur erfordert eine konsequente, mindestens 4-wöchige Therapie mit sphinkterrelaxierenden Maß-
glyzerin bewirkt innerhalb von 15 min eine signifikante und für 6–10 h anhaltende Senkung des Ruhedruckes im Analkanal. Die Applikation hat 2-mal täglich zu erfolgen. Häufige Anwendung kann zu Gewöhnung führen (Watson et al. 1996). An Nebenwirkungen können Kopfschmerzen und Schwindelgefühle auftreten. Erstere treten dosisabhängig auf, können über 2–3 h anhalten und werden effizient mit Paracetamol oder Azetylsalizylsäure behandelt. Als 0,2%-ige Salbe wird topisches Nitroglyzerin am besten ertragen und hat dabei immer noch einen guten Heilungseffekt. Die Heilungsrate einer chronischen Fissur unter Nitroglyzerintherapie beträgt ca. 50%. Nifedipin produziert weniger Kopfschmerzen, scheint aber insgesamt mit einer niedrigeren Heilungsrate vergesellschaftet zu sein und muss 4- bis 6-mal täglich appliziert werden. Botulinustoxin A. Die Injektion von Botulinustoxin kann in den inneren Sphinkter selbst oder in den intersphinktären Raum erfolgen. Dadurch wird eine partielle Lähmung der Sphinktermuskulatur mit signifikanter Senkung des Ruhedruckes erreicht. Die Senkung des Ruhedruckes scheint dosisabhängig. Bisher wurden Mengen zwischen 5–30 Einheiten Botulinustoxin injiziert. Als Nebenwirkung tritt in ca. 10% eine passagere Inkontinenz für Luft auf. Bleibende Kontinenzstörungen sind nicht beschrieben. Bei 20% der Frauen mit dritt- bis viertgradigen Hämorrhoiden wurde nach Botulinustoxin-Injektion eine Hämorrhoidalthrombose beobachtet (Jost et al. 1995). Dabei handelt es sich um nichtreproduzierbare Daten. Manuelle anale Dilatation. Die Technik der manuellen analen Dilatation wurde anfangs des letzten Jahrhunderts von Recamier (1838) beschrieben und in der Zwischenzeit verschiedentlich modifiziert. Anfänglich wurde der Sphinkterapparat mit bis zu 8 Fingern transanal gedehnt. Diese unkontrollierte Dehnung und teils unkritische Anwendung der Methode führte zu Kontinenzstörungen von bis zu 55% (McDonald et al. 1992) besonders bei multiparen Frauen. Analendosonographisch ließen sich eindeutige Schäden in der Sphinktermuskulatur nachweisen. Der sonomorphologische Sphinkterschaden korreliert jedoch nicht immer mit dem Ausmaß der Kontinenzstörung. Die manuelle Dilatation gilt wegen der Gefahr der diffusen Sphinkterzerreißung als obsolet. Partielle laterale Sphinkterotomie (. Abb. 35.24). Die Sphink-
terotomie wurde 1818 von Boyer und Godsall eingeführt. Durch Einkerbung des aboralen Drittels des internen Sphinkters in der dorsalen Kommissur wurde eine Senkung des Sphinkterdrucks erreicht. Verzögerte Wundheilung und Schlüssellochdeformitäten waren jedoch die Folgen. Trotz gut funktionierendem Restsphinkter können dadurch Feinkontinenzstörungen, anale Dermatitis und Pruritus entstehen. Eisenhammer und Parks pro-
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Kapitel 35 · Proktologie
1
1,5 cm
2
a
b
c
d
. Abb. 35.24a–d. Partielle laterale Sphinkterotomie. a Konzentrische Inzision lateral (Position 3 Uhr in SSL), Darstellung des M. sphincter ani internus und der intermuskulären Grube; b submuköse und intermuskuläre Präparation des M. sphincter ani internus; c Einkerbung des
M. sphincter ani internus von aboral nach oral bis auf Höhe der oralen Grenze der Fissur, maximal bis Linea dentata; d Blutstillung und Verschluss der anodermalen Inzision
pagierten deshalb die laterale Lokalisation der Sphinkterotomie. Dadurch wurde die Inzidenz von Feinkontinenzstörungen deutlich gesenkt (Eisenhammer 1951; Parks 1967). Aufgrund der guten Fissurheilung, der geringen Rezidivquote und der geringen Komplikationsrate gilt die laterale interne Sphinkterotomie im englischsprachigen Raum und bei uns als Standardmethode zur Behandlung der chronischen Analfissur. Die Operation wird in SSL durchgeführt. Die Darmvorbereitung mittels Einlauf 1 h vor dem Eingriff ist genügend. Der Eingriff kann in Lokal-/Peridu-
ralanästhesie kombiniert mit POR8 oder im Sattelblock erfolgen. Die linkslaterale Zirkumferenz des Analkanals wird mit einem Analretraktor dargestellt. Die Hautinzision erfolgt auf einer Länge von 1,5–2 cm linkslateral über dem intersphinktären Sulkus. Der Intersphinktärraum wird eröffnet und der innere Analsphinkter kaudal inzidiert. Nach exakter Blutstillung wird die Inzisionswunde mit resorbierbarem Fadenmaterial verschlossen. Die Sphinkterotomiekerbe ist mit dem Finger gut zu spüren und endosonographisch gut zu erkennen (. Abb. 35.25).
35
521 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
. Abb. 35.25. Endosonographisches Bild nach lateraler Sphinkterotomie
35
a
Die Sphinkterotomie darf den Level der Linea dentata nicht übersteigen. Eine Inzisionslänge bis zum kranialen Fissurende scheint genügend (Littlejohn u. Newstead 1997). Bei älteren Multipara besteht häufig ein kurzer funktioneller Analkanal. Bei ihnen ist die Indikation zur Sphinkterotomie restriktiver zu stellen, da das Inkontinenzrisiko nach Sphinkterotomie erhöht ist. Wir empfehlen die laterale Sphinkterotomie als Standardverfahren zur Behandlung der chronischen Analfissur. In geübten Händen ist dieser Eingriff ohne Mortalität und praktisch ohne Morbidität mit einer ausgezeichneten Erfolgsrate durchführbar. Allerdings wird dieser Eingriff im schriftdeutschen Raum aufgrund erhöhter Raten an Kontinenzproblemen im Alter als Spätfolge nicht mehr empfohlen (Hasse et al. 2004). Laterale subkutane Sphinkterotomie (. Abb. 35.26). Dieser Ein-
griff bedeutet eine Modifikation der offenen lateralen Sphinkterotomie mit deutlich weniger Zeitbedarf (Notaras 1971). Über eine maximal 1 cm lange radiäre Inzision des Anoderms über dem intersphinktären Sulkus wird der intersphinktäre Raum aufgesucht. Ein Graeve-Messer oder ein Skalpell, dessen Klingenfläche parallel zur Muskulatur liegt, wird in den Intersphinktärraum eingeführt. Der linke Zeigefinger wird transanal platziert und die Skalpellklinge Richtung Anus um 90° gedreht, womit sodann der kaudale Anteil des internen Sphinkters unter digitaler Kontrolle gespalten werden kann. Auftretende Blutungen werden digital komprimiert. Der Vorteil dieser Methode ist der geringere Zeitbedarf und die geringere Invasivität. Der Nachteil gegenüber der offenen Methode ist die verminderte Übersicht und somit ein erhöhtes Risiko einer zu ausgedehnten Sphinkterotomie oder einer Verletzung des äußeren Sphinkters. Fissurektomie (. Abb. 35.27). Die Operation erfolgt in Lokalanästhesie oder rückenmarksnaher Anästhesie. In SSL wird die Fissur mittels Operationsproktoskop oder Analretraktor exploriert. Die Fissurränder werden geglättet, der Fissurgrund débridiert und die Vorpostenfalte sowie evtl. vorkommende Analpapillen reseziert. Selten wird dieser Eingriff mit einer dorsalen Sphinkterotomie oder mit einer analen Dilatation kombiniert (Gabriel 1948). Dieses Verfahren war wegen seiner Schmerzhaftigkeit und oft lang anhaltenden Wundheilungsstörungen sehr umstritten. Hauptindikation war die Gewebegewinnung zur histologischen Untersuchung bei Verdacht auf neoplastische Ver-
b . Abb. 35.26a,b. Laterale subkutane Sphinkterotomie nach Notaras. Operative Technik: a Palpation der intermuskulären Grube; b Einführen der Skalpellklinge in die intermuskuläre Grube, Klingenfläche parallel zur Muskulatur, digitale Kontrolle der Klingenlage
. Abb. 35.27. Fissurektomie zur histologischen Untersuchung
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Kapitel 35 · Proktologie
90°
a
b
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. Abb. 35.28a–c. Y-V Analplastik. a Fissurektomie und Y-förmige Erweiterung der Inzision; b Präparation eines breitbasigen Lappens; c V-förmige Fixation des Lappens nach intraanal
änderungen. Wie bereits erwähnt, gewann dieses Verfahren wegen der Spätprobleme der lateralen Sphinkterotomie wieder an Popularität.
35
Y-V-Analplastik (. Abb. 35.28). Dieses Verfahren erfordert als ersten Schritt eine Fissurektomie. Anschließend wird die Inzision kaudal der Fissurektomie Y-förmig nach perianal erweitert (Nyam et al. 1995). Der resultierende dreieckige Hautlappen wird mobilisiert und in den Analkanal hinein verlagert. Das Transplantat bedeckt dadurch die Fissur und wird an den Fissurenden mit resorbierbarem Fadenmaterial angenäht. Dieses Verfahren ist wegen der ausgedehnten Mobilisation aufwendig und trotz der guten Heilungschancen nur in Ausnahmefällen zu empfehlen.
Ergebnisse 90–100% der Patienten nach lateraler Sphinkterotomie bleiben längerfristig beschwerdefrei (Oettle 1997). Die Schmerzen verschwinden in der Regel nach erfolgtem erstem Stuhlgang. Die Heilung der Fissur nimmt zwischen 2–4 Wochen in Anspruch. Komplikationen Kontinenzstörungen sind nach lateraler Sphinkterotomie in bis zu 35% beschrieben (Romano et al. 1994). Diese hohe Komplikationsrate kann durch sorgfältige Patientenauswahl und maßvolle Sphinkterotomie entsprechend der lokalen Verhältnisse im Analkanal vermindert werden. Lokal infektiöse Komplikationen sind eher selten und treten hauptsächlich beim immunkompromittierten Patienten auf. Diese Patienten bedürfen perioperativ einer antibiotischen Prophylaxe. Blutungen sind meist punktuell und durch Einlage einer Analtamponade oder lokale Kompression stillbar. Persistierende rezidivierende Analfissuren sind häufig Folge einer zu knapp bemessenen Sphinkterotomie. Die anale 3D-Endosonographie kann zur Bestimmung der früheren Sphinkterotomielänge und zur Beurteilung des notwendigen Eingriffs hilfreich sein. 35.2.4 Anorektale Fisteln und Abszesse Pathogenese Perianale Abszesse und anale Fisteln haben primäre oder sekundäre Ursachen.
Primäre Form. Über 90% der Fälle haben ihren Ursprung in den analen Krypten der Linea dentata, worin sich Stuhlreste ansammeln und zur chronischen kryptoglandulären Infektion führen (Stelzner 1976). Dies ist eine Infektion der Proktodealdrüsen, die zwischen innerem und äußeren Analsphinkter lokalisiert sind und deren Ausführungsgang transsphinktär in die Krypten mündet (. Abb. 35.29). Infekt und Abflussbehinderung führen zum Circulus vitiosus, ähnlich dem Verlauf der Analfissur: Entzündung – Schmerz – Spasmus des inneren Analsphinkters – Blockierung des kryptoglandulären Abflusses – Abszessbildung – Schmerz – Sphinkterspasmus. Infolge der intersphinkären Lage der Proktodealdrüsen entsteht primär ein intersphinktärer Abszess, der sich entlang dem geringsten Widerstand, d. h. im intersphinktären Raum, ausbreitet. Darin verläuft der Abszess nach kranial, nach kaudal oder zirkulär zur Gegenseite. Druck,
1 2 3 4
5
6
. Abb. 35.29. Anatomie der Prokodealdrüsen. 1 Proktodealdrüse, 2 Sphincter ani externus, 3 Sphincter ani internus, 4 Longitudinalmuskulatur, 5 Drüsenausführgang, 6 Linea dentata
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6
5
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3
Proktodealdrüse
35
Klinische Symptomatologie Hauptsymptome sind anale Schmerzen, Schwellung, Rötung und Fieber. Sitzen und Defäkation verstärken die Schmerzen. In der Regel sind perianale Abszesse gut sichtbar. Die digitale Untersuchung des Analkanals ist schmerzbedingt meist unmöglich und soll nicht erzwungen werden. Die Haut über dem Abszess kann bei fortgeschrittener Entzündung bereits stark ausgedünnt und ante perforationem erscheinen. Inguinale Lymphknoten können vergrößert und dolent sein. Chronische Fisteln produzieren putride, fäkale oder serosanguinöse Sekrete, die die Haut der äußeren Fistelöffnung irritieren. Retention führt zu Schwellung, Schmerzen und Fieber. Die Symptome sind nach spontaner Entleerung des Abszesses meist behoben. Das chronische Fistelleiden kann als »Fuchsbau« multipler Fistelgänge persistieren. Diagnostik
2 1 . Abb. 35.30. Klassifikation der Abszesslokalisationen. 1 Perianal, 2 perineal, 3 ischiorektal, 4 intersphinktär, 5 submukös, 6 pelvirektal
Arosion und primäre bakterielle Entzündung führen zur Einschmelzung von Sphincter ani externus, transsphinktärem Durchbruch und letztlich zu einem ischiorektalen Abszess. Dieser kann sich nach kranial, kaudal oder zirkulär ausbreiten. Der seltene sog. Hufeisenabszess entsteht bei semizirkulärer, dorsaler Ausbreitung eines Abszesses im Ischiorektalraum. Die pelvirektale Ausbreitung einer kryptoglandulären Infektion ist selten. Als Ursache hierfür sind die komplizierte Divertikulitis, die komplizierte Appendizitis und spezifische entzündliche Darmerkrankungen, d. h. M. Crohn und Colitis ulcerosa, zu nennen. Sekundäre Formen. Sekundäre Abszesse entstehen aufgrund infizierter Atherome, einer Hidradenitis supurativa oder eines lokalisierten Pyoderma gangraenosum. Die sekundäre Fistelbildung kann nach einer Analfissur oder postoperativ etwa nach einer Hämorrhoidenoperation auftreten. Spezifische entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa und M. Crohn), spezifische Infektionen (Tuberkulose, Aktinomykose und Lymphogranuloma venereum) sowie maligne Darmerkrankungen (Analkarzinom, Präkanzerosen) sind ebenso mögliche Ursachen für eine sekundäre Fistel.
Klassifikation Abszesse werden primär nach ihrer Lokalisation, Analfisteln nach ihrem Verlauf klassifiziert. Abszesse können perianal (subkutan), intersphinktär, ischiorektal, pelvirektal oder submukös lokalisiert sein (. Abb. 35.30). Die Abszessausdehnung erfolgt entlang dem Weg des geringsten Widerstandes. Fisteln werden unter Berücksichtigung des Verlaufes zwischen dem Ort der Entstehung und der Mündung nach außen eingeteilt. Sie verlaufen intersphinktär, transsphinktär, suprasphinktär oder extrasphinktär (. Abb. 35.31). Die prozentualen Anteile variieren altersentsprechend erheblich.
Akutes Stadium. Im akuten Stadium des Perianalabszesses ist eine weitergehende Diagnostik nicht sinnvoll. Die digitale Untersuchung des Analkanals ist äußerst schmerzhaft und nur in Narkose zu empfehlen. Sie gibt einen ersten Hinweis auf die Ausdehnung des Prozesses. Mittels Rektoskopie sollen Proktitis und eine innere Fistelöffnung gesucht oder ausgeschlossen werden. Der Nachweis einer inneren Fistelöffnung gelingt im akuten Stadium nur in ca. 1/3 der Fälle (Ramanujam et al. 1984). Dies erfordert Erfahrung und Geduld, da das Rektum zum Zeitpunkt der Operation meist unvorbereitet ist. Die Fistelsuche mittels Knopfkanülen ist im akuten Stadium gefährlich und darf nicht forciert werden. Mittels analer Endosonographie kann die Ausdehnung des Prozesses genauer bestimmt werden. Weitergehende Untersuchungen wie CT oder MR-Tomographie sind nicht abheilenden Abszessen vorbehalten. Chronisches Stadium. Beim chronischen Fistelleiden ist die digitale, anale Untersuchung praktisch schmerzfrei. Der Fistelgang ist als indurierter Strang sowohl transanal als auch perianal gut tastbar. Eine hohe Fistellage kann die Palpation des Fistelganges schwierig machen. Mittels Proktoskopie bzw. Rektoskopie muss versucht werden, die innere Fistelöffnung zu identifizieren. Dabei kann die Regel von Goodsall (Goodsall u. Miles 1900) hilfreich sein (. Abb. 35.32):
Eine perianale Fistelöffnung, die in SSL ventral einer horizontal durch den Anus gelegenen Mittellinie lokalisiert ist, mündet als gerader Fistelgang direkt in einer analen Krypte ventral dieser Mittellinie. Dorsal gelegene Fistelöffnungen und solche, die mehr als 3 cm perianal entfernt und ventral der besagten Mittellinie liegen, münden als gebogene Fistelgänge in einer dorsalen Krypte.
Die Sondierung des Fistelganges mittels Knopfsonde oder Knopfkanüle kann schmerzhaft sein und einer Anästhesie bedürfen. Die Injektion von blauem Farbstoff durch den kutanen Porus in die Fistel hilft, die innere Öffnung zu identifizieren. Die Injektion von Wasserstoffperoxid in den kutanen Porus verursacht im Fistelsystem eine Druckerhöhung, wodurch weißer Schaum aus der inneren Fistelöffnung herausquillt. Weniger invasiv ist die Injektion von 1 ml Luft in das Fistelgangsystem, das anschließend mittels analer Endosonographie gut identifiziert und verfolgt werden
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. Abb. 35.31a–f. Klassifikation der Fistelverläufe. a 1 Intersphinktär, 2 tief transsphinktär, 3 hoch transsphinktär, 4 suprasphinktär; b 5 intersphinktäre Fistel mit hohem Ausläufer und möglicher Verbindung zurück zum Rektum; c 6 intersphinktäre Fistel mit hohem Ausläufer und mögli-
cher Verbindung zurück zum Rektum und zusätzlichem intersphinktärem Ausläufer nach kaudal; d 7 transsphinktär mit hohem blind endendem Trakt; e 8 suprasphinktäre Fistel; f 9 extrasphinktäre Fistel
kann. Die Fistulographie mit wasserlöslichem Kontrastmittel ist bei hoher Fistel, deren Ursprung im kleinen Becken liegt, hilfreich. CT, MR-Tomographie und 3D-Ultraschall ergeben präzise Auskunft über Ausdehnung, Verlauf und Beziehung der Fistel zu den umliegenden Strukturen.
Wunde mit erneuter Retention von infiziertem Material (. Abb. 35.33). In 2/3 der Fälle kann die innere Fistelöffnung im akuten
Therapie Ein Abszess muss chirurgisch evakuiert werden (»ubi pus ibi evacua«). Bevorzugte Anästhesieform ist die Periduralanästhesie oder die Allgemeinnarkose in SSL. Diese erlauben gründliche Untersuchung und sauberes Abszessdébridement. Die Hautinzision erfolgt spindelförmig perianal radiär. Nach Abszessdrainage wird die Abszesswand mit dem scharfen Löffel gründlich kürettiert. Die Hautexzision verhindert eine rasche Verklebung der
Stadium nicht gefunden werden. Nach Abszessöffnung ist die Suche nach einem inneren Fistelgang nicht zu empfehlen, da mit Leichtigkeit eine Via falsa entsteht. Ist der Fistelgang bereits präoperativ identifiziert, darf der Fistelgang bei Vorliegen eines intersphinktären Abszesses gespalten werden, sofern die innere Fistelöffnung nicht oberhalb der Linea dentata lokalisiert ist. Höher liegende Fisteln oder transsphinktärer Fistelverlauf mit ischiorektalem oder pelvirektalem Abszess sollten zu einem späteren Zeitpunkt definitiv saniert werden. In der Zwischenzeit ist die Drainage mittels Seton-Einlage zu gewährleisten. Nach gründlichem Débridement der Abszesshöhle und lokaler Blutstillung wird die Wunde mit feuchter Gaze ausgelegt und
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senmaterial (z. B. mechanische Herzklappe) erforderlich. Eine alleinige Antibiotikatherapie ist obsolet. Chronische Fisteln heilen nicht spontan. Der Fokus ist in über 90% eine kryptoglanduläre Infektion. Dieser Fokus muss samt Fisteltrakt vollständig, jedoch kontinenzschonend entfernt werden. Eine saubere Exzision und Drainage zusätzlicher Fisteltrakte sind für einen rezidivfreien Verlauf und eine geringe Narbeninduktion essenziell.
12 > 3 cm
Fistulotomie/Fistulektomie (. Abb. 35.35). Die intersphinktäre
6 . Abb. 35.32. Goodsall-Regel
feucht verbunden. Primärer Wundverschluss unter antibiotischem Schutz ist wegen hoher Rezidivgefahr infolge Retention obsolet. Eine Spezialform stellt der dorsal gelegene Hufeisenabszess dar. Dieser wird durch mehrere radiäre Inzisionen drainiert (. Abb. 35.34). Radiäre Inzisionen lassen ein besseres kosmetisches Resultat erwarten als eine großzügige semizirkuläre Exzision. Wichtig sind großzügiges Débridement und gute Drainage. Kann die innere Fistelöffnung mühelos identifiziert werden, empfiehlt sich auch hier die Drainage mittels Seton. Gelegentlich wird die Anlage einer doppelläufigen Sigmoidostomie notwendig, um die Abheilung eines sehr ausgedehnten Prozesses oder einer Läsion der Rektumwand zu gewährleisten. Antibiotika. Eine antibiotische Prophylaxe ist bei immunkomp-
romittierten Patienten, Diabetikern, Patienten mit valvulärer Herzerkrankung oder bei Trägern von infektanfälligem Prothe-
oder die kaudal verlaufende transsphinktäre Fistel mit eindeutiger Mündung in einer Krypte wird sondiert und gespalten. Dieses »deroofing« einer transsphinktären Fistel verletzt nur subkutane Anteile des externen Analsphinkters. Bei normaler funktioneller Analkanallänge hat dies keine Kontinenzstörung zur Folge. Alleinige Erhaltung des proximalen Sphinkters mit Puborektalisschlinge reicht nur für eine Grobkontinenz (Kontinenz für festen Stuhl) aus. Die muskuläre Destruktion des mittleren und kaudalen Analkanals bedeutet erheblichen Kontinenzverlust. Bei kurzem funktionellem Analkanal, insbesondere bei älteren Patientinnen, ist die Einlage eines Setons vorzuziehen. Die Fistulektomie bedeutet im Gegensatz zur Fistulotomie die vollständige Exzision des Fistelganges mitsamt Granulationsgewebe. Einerseits ist der funktionelle Analkanal verkürzt und andererseits hemmen Skarifizierung und Sensibilitätsverlust den kompetenten Analverschluss. Infolge progredienter Relaxation des Beckenbodens und altersbedingter Verkürzung des Analkanals kann auch bei primär korrekt und sphinkterschonend durchgeführtem Eingriff im Alter eine Inkontinenz auftreten. Der resultierende Hautdefekt nach Fistelexzision bzw. Deroofing wird offen weiterbehandelt. Primärer Wundverschluss nach Fistulektomie ist wegen kontaminierter Operationswunden kontraindiziert. Eine plastische Deckung größerer Defekte mit Vollhaut oder Spalthauttransplantat ist erst bei Vorliegen sauberer Granulation und planem Wundgrund ohne Taschenbildung ratsam. Dadurch können die Wundheilung beschleunigt und das kosmetische Resultat positiv beeinflusst werden.
. Abb. 35.33a–c. Abszessdébridement. Chirurgische Technik. a spindelförmige Hautexzision radiär; b Reinigung des Wundgrundes; c Auslegen des Wundgrundes mit Gazestreifen
a
b
Gazestreifen
c
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Kapitel 35 · Proktologie
a
. Abb. 35.34. Hufeisenabszess. Drainage des Hufeisenabszesses über mehrere radiäre Inzisionen, die untereinander verbunden sind. Setondrainage der dorsalen Fistelöffnung
Fistulektomie kombiniert mit Seton-Drainage (. Abb. 35.36).
35
Transsphinktäre Analfisteln, die kranial der Linea dentata münden, oder suprasphinktäre Fisteln dürfen wegen postoperativem Inkontinenzrisiko nicht gespalten werden. In diesem Falle ist die Exzision von der kutanen Öffnung des Fistelganges bis zum ischiokruralen Eintritt in die Sphinktermuskulatur zu empfehlen. Der transsphinktär verlaufende Fistelgang wird auskürettiert und mittels Seton-Einlage drainiert. Anoderm und Haut, die von der Seton-Drainage umfasst werden, sollten inzidiert werden. Die weitere Wundbehandlung erfolgt offen durch Ausduschen der Operationwunde 3-mal täglich und nach jedem Stuhlgang. Der Seton kann locker, d. h. ohne Einschnürung des Sphinkters geknotet werden, bis der ischiokrurale Defekt mit Granulationsgewebe aufgefüllt und verheilt ist. In diesem Falle ist eine sekundäre Fistulotomie sogar bis Höhe der Puborektalisschlinge möglich, da nun aufgrund der fibrösen Verwachsung die Gefahr der Retraktion der Sphinktermuskulatur und damit der Inkontinenz minimal ist. Alternativ dazu kann der Seton straff geknotet und bei Lockerung in regelmäßigen Abständen nachgezogen werden. Dadurch schneidet der Faden langsam durch die Sphinktermuskulatur, bewirkt einen Granulationsreiz und verhindert die schnelle Muskelretraktion weitgehend. Trotzdem kann eine Beeinträchtigung der Kontinenz resultieren.
b
c . Abb. 35.35a–c. Fistulektomie. a Sondierung der Fistel; b sorgfältige Exzision des gesamten Traktes und der kutanen Öffnung; c offene Wundbehandlung
. Abb. 35.36. Fistulektomie kombiniert mit Seton-Drainage. Exzision der kutanen Fistelöffnung und des Fisteltraktes bis zur Einmündung in den Sphinkter oder den Beckenboden und Spaltung der Mukosa. Von da Einlage eines Setons
a
b
527 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
a
35
b b
c
d
c
d
. Abb. 35.37a–d. Mukosa-Advancement-Flap. a Transsphinktäre Fistel; b Ausschälung des Fistelganges und Vorbereitung eines breitbasigen
Mukosaflaps; c Verschluss der Internusmuskulatur; d Resektion der mukosalen Fistelöffnung, Verschluss der Mukosa
Fistulektomie kombiniert mit Mukosa-Advancement-Flap (. Abb. 35.37). Der ischiorektale Anteil des Fistelganges wird bis
et al. 1996; Athanasiadis et al. 1994). Letztere wird hauptsächlich auf ungenügende Erfahrung und Operationstechnik zurückgeführt, weil dabei oft eine partielle Läsion des inneren Sphinkters verursacht wird. Durch eine präzise und gewebeschonende Ausschälung des Fisteltraktes mittels einer speziellen Schere (scharf, spitz) kann die Sphinkterschädigung vermieden werden. Die Erfolgsrate beträgt über 85% für primäre Fisteln und ca. 50% für Crohn-Fisteln (Schouten et al. 1999; Makowiec et al. 1995).
zum Eintritt in den Sphincter ani externus ausgeschält. Der transsphinktäre Fistelverlauf wird gründlich auskürettiert und die innere (anale) Fistelöffnung exzidiert. Ein gut durchbluteter, breiter Mukosaflap wird mobilisiert. Nach Muskelnaht des transsphinktären Defekts wird der Mukosaflap nach kaudal verlagert und deckt dadurch die Sphinkternaht. Alternativ dazu kann der transsphinktäre Fistelgang exzidiert statt kürettiert werden. Die Deckung der Exzisionsstellen lumenseits erfolgt mittels Mukosaflap oder Mukosa-/Internusflap nach der gleichen Technik. Diese Operationstechnik ist nicht ungefährlich und sollte dem spezialisierten Chirurgen vorbehalten bleiben. Die Komplikationsraten sind relativ hoch (Nahtdehiszenz in 9–20%, Fistelrezidiv in 8– 17%, signifikante Kontinenzstörung in 20–40%; Garcia-Aguilar
Extrasphinktäre Fisteln. Auch hohe, extrasphinktäre bzw. pelvirektale Fisteln können primär von den Proktodealdrüsen ausgehen. Weitere Ursachen sind spezifische Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa) und ineffiziente Drainage ausgedehnter Perianalabszesse. Bei Vorliegen einer hohen extrasphinktären Fistel hat sich primär die Seton-Drainage zur Abheilung
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Kapitel 35 · Proktologie
von Entzündung und Abszedierung bewährt. Nach Ausbildung einer kontrollierten chronischen Fistel kann diese über einen parasakralen Zugang exzidiert, das Rektum verschlossen und der Defekt mittels Glutaeus- oder Grazilisplastik gedeckt werden. Dorsale Hufeisenfistel (. Abb. 35.34). Die chirurgische Behandlung der dorsalen Hufeisenfistel gleicht der Behandlung des Hufeisenabszesses. Mehrere radiäre Inzisionen erlauben Débridement und Drainage der Fistelgänge. Dadurch soll eine großflächige, kosmetisch und funktionell störende Hautexzision mit entsprechender Narbenbildung vermieden werden. Der dorsal liegende transsphinktäre Fistelanteil wird mittels Seton behandelt. Die Operationswunden werden der Heilung per secundam überlassen, sodass letztlich eine unkomplizierte, d. h. Setondrainierte Fistel verbleibt, die mit der Seton- oder »Advancement-flap«-Technik endgültig behandelt werden kann.
Komplikationen Komplikationen nach chirurgischer Therapie chronischer Fisteln sind Stuhlinkontinenz, Fistelrezidiv und Rektumprolaps.
35
Inkontinenz. Eine partielle, unmittelbar postoperative Kontinenzstörung nach Fistelchirurgie ist häufig und sollte im Verlauf von 2–4 Wochen deutlich regredient sein. Eine Störung der Kontinenz kann in 20–40% verbleiben. Dieses Risiko kann durch eine gewebe- bzw. muskelschonende Operationstechnik reduziert werden. In der akuten Situation und im Zweifelsfalle ist eine Seton-Drainage immer der scharfen Sphinkterspaltung vorzuziehen, obwohl auch für die Behandlung mit einem CuttingSeton Inkontinenzraten zwischen 5–60% veröffentlicht wurden (Pearl et al. 1993; Hamalainen u. Sainio 1997; Garcia-Aguilar et al. 1998). Rezidiv. Ein Fistelrezidiv ist in der Regel darauf zurückzuführen, dass der Fokus, d. h. die infizierte Proktodealdrüse entweder nicht gefunden oder nicht radikal exzidiert worden ist. Bei Vorliegen eines M. Crohn ist die Rezidivrate auch nach primärer adäquater Therapie erhöht (bis >50%). Rektumprolaps. Die Durchtrennung des anorektalen Ringes kann einen progredienten Rektumprolaps mit konsekutiver Inkontinenz auslösen. Über die Häufigkeit dieser Komplikation sind jedoch keine Daten verfügbar.
35.2.5 Morbus Crohn Epidemiologie Proktologische Veränderungen treten im Rahmen eines M. Crohn in 46–90% der Fälle auf (McClane u. Rombeau 2001; Solomon 1996; Fielding 1972). Bei ausschließlichem Befall des terminalen Ileums liegt eine anale Mitbeteiligung nur in 10–30% vor. Der isolierte anorektale Befall tritt in ca. 11% auf (Williams 1979). Die Inzidenz des Analkarzinoms ist bei Crohn-Patienten deutlich erhöht (Connell et al. 1994; Slater et al. 1984). Klinische Symptomatologie Der anale M. Crohn ist klinisch gelegentlich schwierig zu definieren, da Crohn- und nicht Crohn-assoziierte Veränderungen nebeneinander auftreten können. Die häufigsten crohnbezogenen Manifestationen sind Abszesse, Fissuren, Fisteln und
ödematöse Marisken. Weniger häufig treten auch Ulzerationen, Hautödeme und rektovaginale Fisteln auf. Fissur. Crohn-spezifische Fissuren sind eher lateral lokalisiert und schmerzlos. Die crohnspezifische Analfissur ist typischerweise schmerzlos, breitbasig und ohne eigentliche Präferenz der Lokalisation. Auch dorsal oder ventral gelegene Fissuren können crohnbezogen sein. Hautulzeration und Marisken. Durchfallepisoden führen zu einer großflächigen Mazeration der Haut. Initialer Pruritus kann sich durch diese dauernde Hautreizung in starke Schmerzen umwandeln. Fortgeschrittenes Alter und damit langdauernde Erkrankungen sind Ursache für stark ödematöse Marisken. Histologisch findet sich eine ausgeprägte, lymphozytäre Infiltration, die für den M. Crohn pathognomonisch ist. Schleimhautulzera. Schleimhautulzera können im Analkanal
und im Rektum auftreten. Meist sind sie großflächig, tief, exkaviert und somit der Ursprung für Fisteln und Abszesse. Die genannten Ulzera sind aufgrund der chronischen und rezidivierenden Reizung Ursache von narbigen Stenosen. Letztere sind in jeder Höhe des Analkanals und des Rektums anzutreffen und können zur Behinderung der Stuhlpassage führen. Abszess. Abszesssymptome sind bei Crohn-Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich weniger ausgeprägt. Insbesondere Steroid- und Antibiotikatherapien führen zur Maskierung der Symptomatik. Dadurch werden unter Umständen Diagnose und zweckmäßige Therapie verzögert. Fisteln. Crohn-assoziierte anale Fisteln können ähnlich der Normalbevölkerung von Proktodealdrüsen ausgehen und entweder inter-, trans- oder suprasphinktär via Ischiorektalraum zur Haut oder zur Vagina verlaufen. Zudem ist mit einer hohen Inzidenz extrasphinktärer Fisteln, ausgehend von rektalen Ulzera, zu rechnen. Jedes rezidivierende, perianale Fistelleiden muss trotz fehlender Anamnese und spezifischer Symptomatik endoskopisch, bioptisch und radiologisch auf M. Crohn abgeklärt werden. Anale Strikturen. Anale Strikturen kommen in bis zu 7,5% der
Crohn-Patienten vor (Greenstein et al. 1975). Neuere Daten lassen allerdings vermuten, dass die Inzidenz rückläufig ist (<1%: Sangwan et al. 1996). Ätiologisch sind sie meist die Folge der tief greifenden transmuralen Entzündung des M. Crohn, der anorektalen Fisteln und der wiederholten chirurgischen Eingriffe (Keighley 1998). Sie können meist konservativ behandelt werden. Wiederholte Ballondilatation und Bougierung führen meist zum Erfolg. Letztere kann der Patient mit Hilfe von Hegarstiften selbst durchführen. Hämorrhoiden. Die Inzidenz eines Hämorrhoidalleidens kombiniert mit M. Crohn ist gegenüber früheren Behauptungen nicht erhöht. Die Hämorrhoidektomie bei Crohn-Patienten kann Fisteln verursachen, weshalb die Therapie symptomatischer Hämorrhoiden bei bekannter Crohn-Diagnose so konservativ wie möglich bleiben sollte. Auch auf Rubber-Banding und Sklerotherapie sollte verzichtet werden. Die geringste Morbidität ist mit der Infrarotkoagulation zu erreichen.
529 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
Diagnostik Die Diagnose eines M. Crohn ist aufgrund von analen Veränderungen nicht zu stellen. Anamnese, klinischer, endoskopischer und radiologischer Befund sowie das histologische Resultat ergeben zusammen die Diagnose (7 Kap. 32.5). Zur Bestimmung von Ausdehnung und Aktivität der Erkrankung ist eine komplette Koloskopie bis ins terminale Ileum mit Biopsien notwendig. Die selektive Dünndarmpassage mit Barium (Sellink 1974) gibt Auskunft über Dünndarmrelief, Strikturen und Ulzera. Zur genauen Abklärung des proktologischen Befalles sind nebst einer vorsichtigen digitalen Untersuchung eine Anorektoskopie und eine Endosonographie notwendig. Beim Vorliegen von Fisteln sind zur Planung des operativen Eingriffes eine präoperative Fistulographie und eine endoanale Sonographie oder eine MRT hilfreich. Analkanal und kutane Fistelöffnungen sollten zur korrekten Beurteilung der bildgebenden Verfahren vorerst markiert werden. Die endoanale Sonographie dient auch intraoperativ zur präzisen Lokalisation von Abszessen und Fistelgängen. Sofern anale Stenosen die Passage der Ultraschallsonde verunmöglichen, ist in jedem Fall die präoperative Magnetresonanztomographie indiziert. Computertomographie und multiplanare Magnetresonanztomographie mit intraanaler Spule haben, wo verfügbar, die konventionelle Fistulographie ersetzt. Die Beurteilung dieses Bildmaterials bedarf jedoch einer großen Erfahrung seitens des Radiologen (DeSouza et al. 1998; Beckingham et al. 1996). Therapie Ausdehnung und Schweregrad der Crohn-assoziierten proktologischen Veränderungen sowie die Erfolgschance der chirurgischen Therapie korrelieren direkt mit der intestinalen Entzündung und damit der Aktivität des M. Crohn (Siproudhis et al. 1997). Somit gilt es vorerst, durch medikamentöse Therapie die Crohn-Erkrankung systemisch zu behandeln. Chirurgische Maßnahmen sind evtl. sekundär indiziert. Eine Ausnahme bilden akute Abszesse, deren Inzision und Drainage auch bei hochaktiver Erkrankung sofort durchgeführt werden muss. Ansonsten soll jede Operation crohnassoziierter proktologischer Erkrankungen möglichst konservativ, d. h. mit dem kleinstmöglichen Eingriff erfolgen (Sandborn et al. 2003). In 7 Kap. 32.6 ist die konservative und chirurgische Therapie des M. Crohn ausführlich dargestellt. 35.2.6 Rektumprolaps/Analprolaps Der Rektumprolaps bedeutet eine Invagination (Intussuszeption) der gesamten Rektumwand ins Rektumlumen mit konsekutivem Vorfall durch den Analkanal nach außen. In der Literatur ist die Nomenklatur verwirrend. Nachfolgend ist der Schleimhautprolaps ohne Beteiligung der gesamten Rektumwand als Mukosaprolaps oder synonym als Analprolaps definiert. Als inkompletter Prolaps wird die ventrale Rektumwandinvagination definiert und als innerer oder synonym okkulter Prolaps die zirkuläre Invagination des Rektums ohne Durchtritt durch den Analkanal (. Abb. 35.38). Pathogenese Mukosa-/Analprolaps. Der Mukosa- oder Analprolaps entsteht aufgrund einer geschwächten Verbindung zwischen Submukosa und darunter liegender Muskulatur. Der Prolaps kann zirkulär oder segmentär entstehen. Der segmentäre Prolaps betrifft meist den ventralen Anteil des Analkanals. Der zirkuläre Mukosapro-
35
laps wird als Analprolaps definiert und kann mit einem Hämorrhoidalleiden assoziiert sein. Der zirkuläre Mukosaprolaps gilt nicht als Vorstufe des Rektumprolaps. Rektumprolaps. Die Pathogenese des Rektumprolaps ist nicht völlig geklärt. Ursächlich werden Beckenbodenschwäche, tiefer Douglas und mobiles Rektum (laterale Ligamentschwäche sowie laxe dorsale Fixation), oft kombiniert mit einer Levatorendiastase angenommen (Ryan 1980). Der Rektumprolaps wird jedoch auch bei normal aktivem Beckenboden bei jungen Frauen beobachtet. Beim Paraplegiker hingegen ist der Rektumprolaps trotz gelähmtem Beckenboden selten. Die meisten Patienten mit Rektumprolaps weisen einen tiefen Douglas-Raum auf. Dadurch kann sich die Rektumvorderwand problemlos in sich einstülpen und schließlich eine zirkuläre Invagination ausbilden. In Abhängigkeit der Spannung von Beckenboden und Analkanal tritt der Rektumprolaps hauptsächlich bei der Defäkation auf. Bei zunehmendem Schweregrad ist er auch beim Gehen, Stehen und Husten möglich. Eine partielle oder totale Stuhlinkontinenz kann den Prolaps begleiten, ist aber nicht die Regel.
Klinische Symptomatologie Defäkationsprobleme im Sinne einer inkompletten Evakuation mit heftigen Pressattacken und mukoide Sekretion mit chronischer Mukosa- und Hautirritation sind die Hauptsymptome. Pruritus und Blutabgang sind die Folge. Unterschiedliche Grade der Stuhlinkontinenz werden gefunden. Der Anus kann infolge Dauerstress bzw. Dauerrelaxation oder aufgrund eines muskulären oder neurologischen Schadens klaffen. Meist besteht ein tiefer Sphinkterruhedruck. Solitäres Rektumulkus. Das solitäre Rektumulkus liegt meist an
der ventralen Rektumwand und ist Folge einer chronischen Traumatisierung der Schleimhaut durch Intussuszeption in den Analkanal. Ein solches Ulkus ist bei der Intussuszeption nicht obligat. Makroskopisch erscheint das solitäre Rektumulkus als ödematöse, verdickte, hyperäme und teilweise exulzerierte Läsion. Mikroskopisch bietet sich ein relativ typisches Bild, das mit »Colitis cystica profunda« bezeichnet wird (Kang et al. 1996; Vora et al. 1992). Makroskopisch und mikroskopisch muss die Veränderung von einer Colitis ulcerosa und einer Neoplasie abgegrenzt werden (Guest u. Reznick 1989). Die Potenz zur malignen Transformation eines solitären Rektumulkus ist noch nicht geklärt (Tsuchida et al. 1999). Descending-Perineum-Syndrom. Das Syndrom des deszendie-
renden Perineums beschreibt ein Tiefertreten des Perineums unter die Sitzbeinhöckerebene beim Pressen. Ursächlich sind Schädigung der neuralen Versorgung des Beckenbodens oder auch Anismus mit fehlender Relaxation der Puborektalisschlinge bei der Defäkation möglich. Durch den konsekutiv verstärkten Pressakt kommt es zum Tiefertreten des Beckenbodens. Das Syndrom des deszendierenden Perineums erscheint inhomogen, da eigentlich eine Hyperkontinenz besteht. Die meisten Patienten müssen die Defäkation digital unterstützen. Dadurch kann der Rektumprolaps sowohl Folge als auch Ursache des Syndromes sein. Symptome des deszendierenden Perineums sind Schmerzen, Schleimfluss, Defäkationsstörungen (»outlet obstruction«) und das Gefühl der inkompletten Evakuation. Inkontinenz kommt nur in ca. 15% der Fälle vor (Harewood et al. 1999).
530
Kapitel 35 · Proktologie
. Abb. 35.38a–e. Rektumprolaps. a Normalbefund; b inkompletter (ventraler) Prolaps; c innerer (okkulter) Prolaps; d kompletter Rektumprolaps; e Kombination mit einer Enterozele
a
b
c
d
35
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Inkontinenz. Eine kompromittierende Inkontinenz für Stuhl tritt im Vergleich zur Normalbevölkerung gehäuft auf (24%; Gemsenjäger 1996), wobei nicht jeder Patient mit Rektumprolaps eine Kontinenzstörung hat. Trotz geschädigter somatischer Beckenbodenmuskulatur bleibt der Analverschluss durch den Ruhetonus des inneren Sphinkters langfristig kompensiert. Zusätzliche Distension des distalen Rektums und Dilatation des Analkanals führen allerdings zu einer Relaxation des inneren Sphinkters und später zu einem klaffenden Anus.
Diagnostik Allgemein. Die Anamnese ist wegweisend. Die Symptome beinhalten den Prolaps, Schleimabsonderung, gelegentlich Blutabgang, schwere Obstipation oder im Gegenteil rezidivierende Diarrhö, Stuhlinkontinenz und gelegentlich inkomplette Evakuation. Die klinische Differenzierung zwischen einem Analprolaps und einem Rektumprolaps ist nicht immer einfach. Die digitale Palpation kann den Verdacht erhärten. Während beim Rektumprolaps die gesamte Rektumwand zwischen Daumen und Zeigefinger zu palpieren ist, kann beim Analprolaps nur Mukosa komprimiert werden. Die Provokation eines Prolapses ist in Links-
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35
. Abb. 35.39a,b. Rektumprolaps: konzentrische Schleimhautfurchung
seitenlage und in Steinschnittlage ungünstig. Die Untersuchung des Patienten ist in kauernder oder sitzender Position (auf der Toilette) während der Defäkation zu empfehlen. Das prolabierte Rektum weist eine konzentrische, zirkuläre Schleimhautfurchung auf, während beim Analprolaps eine radiäre Furchung vorliegt (. Abb. 35.39). Außerdem ist der Sphinktertonus beim Analprolaps meist normal bis erhöht und beim Rektumprolaps eher erniedrigt (Hiltunen et al. 1986). Rektoskopie. Rektoskopisch sind Zeichen der chronischen Trau-
matisierung der Schleimhaut und/oder ein solitäres Rektumulkus zu finden. Letzteres sollte in jedem Fall biopsiert werden. Die Histologie ist charakteristisch, jedoch nicht pathognomonisch (Kang et al. 1996). Zudem sind entzündliche oder neoplastische Darmerkrankungen auszuschließen. Beim Rückzug des Rektoskopes und Aktivierung der Bauchpresse lassen sich die Intussuszeption oder gar der Prolaps gegebenenfalls provozieren. Bildgebende Verfahren. Als bildgebendes Verfahren steht die
Videodefäkographie zur Verfügung (Marti 1991; Mellgren et al. 1994). Dabei kann der Defäkationsvorgang mit einem röntgendichten Kontrastmittel im seitlichen Strahlengang festgehalten werden. Zusätzlich lässt sich die Blase retrograd mit Kontrastmittel füllen und die Vagina mit einem kontrastmittelgetränkten Tampon darstellen. Zur sicheren Diagnostik einer Enterozele kann der Dünndarm mit einem oral zugeführten Kontrastmittel sichtbar gemacht werden (Vierkompartimentmethode). Neuerdings ist die dynamische MR-Defäkographie möglich. Diese erlaubt mit hoher Präzision die einzelnen Beckenorgane voneinander abzugrenzen und ihre Beziehung zueinander exakt darzustellen. Als Kontrastmittel hierzu dient ein gadoliniumhaltiges Gel (Hilfiker et al. 1998; Schoenenberger et al. 1998). Zusätzliche Untersuchungen. Präoperativ ist zum Ausschluss zusätzlicher Erkrankungen eine Koloskopie empfehlenswert. Eine konkomitierende Obstipation oder Inkontinenz ist neurophysiologisch, manometrisch oder mittels Transitzeitbestimmung zu objektivieren. Letztere Untersuchungstechniken bleiben jedoch aufgrund ihrer hohen Kosten speziellen Fragestellungen und Forschungszwecken vorbehalten.
Therapie des Rektumprolapses Watts et al. (1985) haben über 100 verschiedene operative Verfahren zur Behandlung des Rektumprolapses beschrieben und nach Zugangsweg bzw. nach Therapieprinzip klassifiziert. Die Zugangswege unterscheiden abdominelle und perineale Verfahren. Die abdominellen Verfahren werden heutzutage zunehmend auch laparoskopisch durchgeführt. Abdominelle Verfahren unterscheiden Operationen mit oder ohne Verwendung von Fremdmaterialien sowie Operationen mit oder ohne Resektion des rektosigmoidalen Überganges. Abdominelle Verfahren weisen in der Literatur meist bessere Resultate auf als perineale Verfahren (Altemeier et al. 1971; Frykman u. Goldberg 1969; Nay u. Blair 1972; Ripstein 1972; Wells 1959). Das Prinzip der abdominellen Verfahren beruht hauptsächlich auf der Mobilisation des Rektums und der Fixation am Sakrum in gestreckter Stellung. Die komplette Mobilisation des Rektums bis zum Beckenboden erfolgt unter Schonung sowohl der autonomen Nerven als auch der Gefäßversorgung der Rektumampulle. Die Fixation am Sakrum kann mittels nichtresorbierbaren Nähten beidseitig des Rektums erfolgen oder aber durch die Implantation eines resorbierbaren oder nichtresorbierbaren Kunststoffnetzes dorsal-hemizirkulär bzw. ventral-hemizirkulär. Rektopexie und Sigmoidektomie. Die heute favorisierte Operationstechnik ist die Resektionsrektopexie nach Frykman u. Goldberg (1969; . Abb. 35.40): Nach Mobilisation der peritonealen Verklebung im linken Unterbauch wird das Peritoneum pararektal beidseits inzidiert. Das Rektum wird auf der Fascia pelvis visceralis scharf mobilisiert, wobei die Nn. hypogastrici beidseits zu schonen sind. Auch die ventrale Mobilisation des Rektums bis zum Beckenboden ist zu empfehlen, da sonst die Streckung des Rektums in kranialer Richtung nicht komplett möglich wird. Infolge tiefer Lage des Douglas-Raumes und perirektaler Fibrosierung ist darauf zu achten, Vagina und Beckenboden nicht zu beschädigen. Trotz Schonung der lateralen Ligamente lässt sich das Rektum nun weit nach kranial ziehen. Die dadurch entstehende redundante Sigmaschleife samt rektosigmoidalem Übergang wird reseziert. Dadurch wird ein Siphoneffekt mit nachfolgender Obstipation verhindert. Außerdem werden potentiell komplikationsträchtige Divertikel reseziert. Zur Fixation wird die mesorektale Fascie beidseits mit je 3–4 Einzelknopfnähten gefasst
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Kapitel 35 · Proktologie
b
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35 . Abb. 35.40a–c. Resektionsrektopexie nach Frykman-Goldberg. a Nach kompletter Mobilisation des Rektums unter Schonung der lateralen Ligamente erfolgt die Pexierung des gestreckten Rektums an die präsakrale Faszie. b Der redundante rektosigmoidale Uebergang wird zur Vermeidung eines Ventilmechanismus reseziert; c Resultat, Seitenansicht
und knapp unterhalb des Promontoriums an die präsakrale Faszie pexiert. Eine Stenosierung des Rektums im Fixationsbereich muss vermieden werden. Abschließend wird der neue DouglasRaum durch Raffung des Peritoneums auf Höhe des Promontoriums rekonstruiert. Die gleichzeitige Raffung der dorsalen Levatorenschenkel ist nur sehr selten indiziert, zumal eine signifikante Verbesserung weder für die Kontinenzleistung noch für die Rezidivhäufigkeit bisher nachgewiesen sind. Anteriore Rektopexie. Das Verfahren nach Ripstein beinhaltet die ventrale Fixation des gestreckten Rektums mit einem Marlexoder Teflonstreifen am Promontorium. Dieser Eingriff ist wegen Strikturen im Fixationsbereich und hoher Rezidivrate verlassen worden. Posteriore Rektopexie. Die präsakrale Rektopexie nach Wells (Ivalon-Sponge-Operation) verwendet zur präsakralen Fixation des Rektums ein rechteckiges Stück Ivalon-Sponge, das mit mehreren Einzelknopfnähten am Sakrum befestigt wird. Das Ivalon-Sponge wird vielerorts durch Polypropylennetze ersetzt. Eine oft erwähnte Häufung infektiöser Komplikationen lässt sich aus der Literatur statistisch nicht belegen (Athanasiadis et al. 1996). Trotzdem empfehlen wir speziell auch wegen der Stenosie-
c
rungsgefahr Zurückhaltung bei der Implantation von Fremdmaterialien. Funktionelle Kolonbeschwerden und insbesondere Obstipation treten nach Resektionsrektopexie seltener auf als nach Verwendung von Kunststoffnetzen (Lechaux et al. 1998; Scaglia et al. 1994; Luukkonen et al. 1992). Laparoskopischer transabdomineller Zugang. Die laparoskopische Technik (Agachan et al. 1996) hat dieselben Operationsprinzipien zu befolgen wie die offene Technik. Der ausgezeichneten Übersicht über das Operationsfeld stehen allerdings eine lang anhaltende Trendelenburg-Lagerung des häufig alten Patienten, die signifikant verlängerte Operationszeit (Solomon 2002) und die hohe Lernkurve gegenüber. Randomisierte klinische Studien zeigen signifikante Vorteile für die laparoskopische Operationsmethode mit Ausnahme der Operationszeit. Langzeitstudien bestehen derzeit noch keine. Perineale Verfahren beinhalten die parasakrale Rektosigmoidektomie, die transsphinktäre Rektumresektion (Mason), die rektale Mukosektomie und Muskelplikatur (Delorme) sowie anale Zerklageverfahren. Abdominelle wie perineale Verfahren können mit zusätzlicher Einengung der Levatorenschenkel durchgeführt werden. Perineale Verfahren werden wegen der hohen
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DouglasFalte
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. Abb. 35.41a–g. Perineale Rektosigmoidektomie nach Altemeier. a Anschlingen des aboralen Schnittrandes mit Fäden; b Identifikation der peritonealen Umschlagfalte des Douglas-Raums. c Das Colon sigmoideum ist nun direkt sichtbar, es muss maximal herausgezogen und das Mesenterium zwischen Ligaturen durchtrennt werden. d Die Fäden für die anteriore Levatorenplastik werden vorgelegt. e Queres Durchtrennen des Colon sigmoideum ca. 2 cm distal der in a gezeigten Fadenmarkierung und Knoten der Fäden der Levatorenplastik; f Durchtrennen der dorsalen Hemizirkumferenz des Rektums auf Höhe der Linea dentata. g Sigmoidoanale Anastomose mit Einzelknopfnaht, das Sigma extramukös allschichtig, im Analkanal Mukosa und Submukosa fassend
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Kapitel 35 · Proktologie
Rezidivrate nur für Patienten mit erheblichem Narkoserisiko empfohlen. Die 2 folgenden Verfahren zeigen in der Literatur generell gute Resultate: Rektosigmoidektomie nach Altemeier (1971; . Abb. 35.41). Das
Prinzip dieser Operation ist die Resektion des prolabierten Darmes ohne kutane Inzision. Hierfür werden 3 cm oral der Anokutangrenze (ca. 1 cm oral der Linea dentata) Mukosa und Muskelschichten des prolabierten Darms zirkulär umschnitten, wonach man von ventral auf den Douglas-Raum stößt. Dieser wird eröffnet, wonach die Vorderseite des proximalen Rektums oder Sigmas zur Darstellung kommt. Durch Zug an diesem Darm nach kaudal kann das gesamte überschüssige Dickdarmteilstück sichtbar gemacht werden. Es folgt der Wiederverschluss des DouglasRaums durch eine möglichst hoch am Sigma angelegte Naht. Der M. puborectalis kann mit einigen Nähten gerafft werden. Anschließend werden an der Resektionsgrenze 3 Haltefäden ventral und an den Seiten des Kolons gelegt, wonach die Kolonwand schrittweise durchtrennt werden kann. Der proximale Resektionsrand kann nun mit dem primären Resektionsrand 3 cm ab Anokutanlinie fortlaufend vernäht werden. Nach Durchtrennung der Hinterwand des Darmes wird das Mesorektum sichtbar und schrittweise mit Durchstechungsligaturen versorgt. Zuletzt erfolgt die Vervollständigung der Anastomose.
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Rektale Mukosektomie und Muskelplikation nach Delorme (Uhlig u. Sullivan 1979; . Abb. 35.42). Die von Delorme 1900 be-
schriebene Operation beinhaltet die Mukosektomie des prolabierten Darmabschnittes mit wellenförmiger Raffung der dadurch freigelegten Muskulatur. Dadurch kommt es zur Verkürzung und Reposition des prolabierten Darmes. Abschließend wird die Mukosa zirkulär reanastomosiert und der durch die Plikation entstandene Muskelring kranial der Levatoren reponiert. Dadurch dient letzterer als muskuläres Pessar. Die Indikation dazu bilden Patienten mit relativ kleinem Prolaps und erheblichem Operationsrisiko. Die Rezidivrate liegt bei ca. 10–50% (Tobin u. Scott 1994; Watts et al. 2000). Therapie des Analprolapses Der zirkuläre Analprolaps, d. h. der alleinige Mukosavorfall wird gleich einer Hämorrhoidektomie bei 3, 7 und 11 Uhr behandelt. Außerdem stellt er bei klar nachgewiesener Reponibilität eine gute Indikation für die »Staplerhämorrhoidopexie« nach Longo dar. Der irreponible Analprolaps verlangt nach einer konventionellen chirurgischen Therapie. Handelt es sich um einen kleinen segmentalen Mukosaprolaps sind auch konservative Verfahren möglich. Deren Prinzip beruht auf einer Fixation der Mukosa auf ihrer Unterlage (Gummibandligaturen, Sklerotherapie und Infrarotkoagulation). Abschließend empfehlen wir aufgrund unserer Erfahrungen in erster Linie die Resektionsrektopexie nach Frykman u. Goldberg (1969), die sowohl offen als auch laparoskopisch durchgeführt werden kann. Sie wird in der Regel auch von alten Patienten sehr gut toleriert und ist bei geeigneter Technik komplikationsarm und effizient. Für die seltenen Fälle, bei denen tatsächlich keine Allgemeinnarkose zugemutet werden kann und eine dringende Operationsindikation besteht, empfehlen wir aufgrund der besseren Resultate die Operation nach Altemeier.
35.2.7 Sexuell übertragene proktologische
Infektionen Sexuell übertragene proktologische Infektionen entstehen durch Inokulation pathogener Erreger auf die perianale Haut, das Anoderm, in den Analkanal und bis ins Rektum durch analrezeptive und oroanale Sexualpraktiken. Das Spektrum umfasst alle von den sexuell übertragbaren Erkrankungen bekannten Keime, insbesondere das Herpes-simplex-Virus Typ II (seltener auch Typ I), das Zytomegalievirus und das humane Herpesvirus Typ VIII. Immundefekte generell und insbesondere die HIVInfektion begünstigen den Ausbruch der durch diese Erreger ausgelösten Erkrankungen und können deren Verlauf aggravieren. Das Keimspektrum umfasst auch Mischinfektionen mit entsprechend komplexeren Erscheinungsbildern, die vom Untersucher nötige infektiologische Kenntnisse fordert. In der Folge werden hier nur die wichtigsten Infektionskrankheiten beschrieben werden. Syphilis Ätiologie. Der Erreger der wieder mit zunehmender Häufigkeit auftretenden Syphilis heißt Treponema pallidum und gehört zur Familie der Spirochäten. Klinische Symptomatologie. Wie die genitale Syphilis durchläuft auch die anorektale Form 4 Stadien. Der Primäraffekt (»harter Schanker«) führt 3 Wochen nach Infektion zu einer dolenten Ulkusbildung, die als simple Analfissur missgedeutet werden kann. Die oft atypische Lokalisation der Fissur sollte jedoch die Differenzialdiagnose erweitern, besonders wenn auch die inguinalen Lymphknotenstationen vergrößert sind. Der im Rektum auftretende Primäraffekt der Syphilis führt zu einer entzündungsbedingten, ulzerösen Schwellung der Rektumschleimhaut, die mit schweren peranalen Blutungen einhergehen und mit einem Rektumkarzinom verwechselt werden kann. Die sekundäre Form der Syphilis weist anal die typischen Condylomata lata auf, die mit einem generalisierten, fußbetonten, asymptomatischen Exanthem einhergeht. Aus den Condylomata lata lässt sich spirochätenreicher Saft auspressen (hoch infektiös). Diagnostik. Als spezifische Luesserologie dienen TPHA- und FTA-abs-IgM-Nachweis. Zur Verlaufsbeurteilung unter Therapie werden die unspezifischen Tests (VDRL) verwendet. HIV-positive Patienten zeigen oft einen schnelleren und maligneren Verlauf der Erkrankung. Die zerebrospinale Beteiligung tritt früher und häufiger auf (Rolfs et al. 1997; Marra et al. 1996). Therapie. Penicillin wird auch heute noch eingesetzt. Das Stadium I wird mit einer einmaligen Dosis Penicillin 2,4 Mio IE i.m., das Stadium II mit 2,4 Mio IE i.m. 1-mal pro Woche für 3 Wochen behandelt. Bei nachgewiesener zerebrospinaler Beteiligung ist eine hochdosierte Penicillin-Therapie mit 5-mal 4 Mio. IE täglich i.v. über 10 Tage notwendig.
Gonorrhö Ätiologie. Die Gonorrhö wird durch einen gramnegativen Diplokokkus (Neisseria gonorrhoeae) verursacht. Bei Frauen wird die perianale Region meist durch eine Schmierinfektion vom Introitus vaginae her mitbefallen, während bei homosexuellen Männern die Inokulation durch analen Koitus verursacht wird (Rufli 1985).
535 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
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d
e
. Abb. 35.42a–e. Rektale Mukosektomie und Muskelplikation nach Delorme. a Zirkuläre Inzision der Mukosa des prolabierten Rektums auf Höhe der Linea dentata; b Dissektion des Mukosaschlauches von der Muscularis propria; c Plikatur der freigelegten Muskulatur mit vorgelegten Einzelknopfnähten; d supraanale Reposition des Muskelwulstes durch Knoten der vorgelegten Fäden im Analkanal; e Reanastomosierung der Mukosa nach Resektion des abpräparierten Mukosaschlauches, wobei darauf geachtet werden muss, dass auch diese vorgelegte Einzelknopfnaht in den Analkanal zu liegen kommt
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Kapitel 35 · Proktologie
Klinische Symptomatologie. Bei rektalem Befall ist eine relativ
symptomarme Proktitis zu sehen. Diagnostik. Die Diagnose lässt sich kulturell im Rektalabstrich stellen. Am einfachsten ist aber der molekularbiologische Genomnachweis mit PCR (»polymerase chain reaction«) oder LCR (»ligase chain reaction«) im Urin. HIV-positive Patienten leiden häufiger an systemischen Komplikationen wie Arthritis und Konjunktivitis (Lau et al. 1990; Strongin et al. 1991; Keat 1990). Therapie. Ceftriaxon 250 mg einmalig i.v. oder i.m. oder Ciprofloxacin 500 mg einmalig p.o.
Chlamydienproktitis Ätiologie. Die Chlamydienproktitis wird sowohl durch Chlamydia trachomatis als auch durch Chlamydia psittaci verursacht. Die Übertragung erfolgt zur Hauptsache beim analen Koitus. Betroffen sind vor allem homosexuelle Männer.
mittels PCR. Differenzialdiagnostisch ist eine sakrale Herpeszoster-Infektion auszuschließen. Therapie. Valaciclovir p.o. 2×500 mg/Tag für 7 Tage (Drake et al.
2000). Zytomegalievirusinfektion Klinische Symptomatologie. Anorektale Infektionen mit dem Zytomegalievirus sind seltener als Herpes-simplex-Virusinfektionen und kommen meist in Verbindung mit einer HIV-Erkrankung vor. Die Infektion manifestiert sich als schmerzhafte Ulzeration im Bereich der anokutanen Linie, teilweise begleitet von Fieber, Durchfall und Blutungen. Diagnostik. Immunfluoreszenz, Viruskultur oder die PCR führen zum Ziel. Therapie. In schweren Fällen wird die Medikation mit Ganciclovir oder Foscarnet empfohlen.
Klinische Symptomatologie. Ähnlich der gonorrhoischen Prok-
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titis ist auch die Chlamydienproktitis relativ beschwerdearm. Hauptsymptome sind eitriger Ausfluss und Tenesmen. Das kaudale Drittel der Rektumschleimhaut ist gerötet und weist wenige kleinere Ulzerationen auf. Als seltene Manifestation der rektalen Chlamydieninfektion ist das »Lymphogranuloma venereum« (syn. inguinales Lymphogranulom) zu nennen. Letzteres verursacht heftige Diarrhö, blutig-eitrigen Ausfluss und Abdominalkrämpfe. Das endoskopische Bild zeigt schwellungsbedingte, rektale Stenosen, ähnlich der rektalen Manifestation eines M. Crohn. Die Assoziation mit der Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms wird diskutiert (Chopda et al. 1994; Daling et al. 1987). Diagnostik. Die Diagnose erfolgt durch Genomnachweis mittels
PCR oder LCR im Urin (kombinierter Test mit GonokokkenNachweis)
Herpes-zoster-sacralis-Infektion Klinische Symptomatologie. Der Herpes zoster entspricht einer Reaktivierung des Varicella-zoster-Virus im Dermatom S3–S5. Klinisch sind halbseitige perianale Bläschen, kombiniert mit Schmerzen im betroffenen Gebiet, festzustellen. Immunkompromittierte Patienten weisen langwierige Verläufe und gehäufte Rezidive auf. Diagnostik. Die Diagnose ergibt sich aus dem typischen klinischen Bild und aus dem Virusnachweis aus dem Bläschensekret. Therapie. In der Frühphase kann Valacyclovir (Valtrex) einge-
setzt werden. Lokaltherapeutisch sind trocknende Pasten (Tannosynt) und antimikrobielle Maßnahmen notwendig. Molluscum-contagiosum-Infektion Klinische Symptomatologie. Das Molluscum-contagiosum-
Therapie. Es werden Doxycyclin, 2-mal 100 mg/Tag während
14 Tagen, oder eine Einmaldosis von Azithromycin 1 g eingesetzt. Herpes-simplex-Virusinfektion Klinische Symptomatologie. Die proktologische Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus wird in der Regel durch analen Geschlechtsverkehr übertragen. Klinisch finden sich perianale Hautläsionen mit kleinen Bläschen, die sich besonders im Analkanal und in der Rima ani zu konfluierenden Ulzerationen ausbilden. Die Infektion kann ins distale Rektum aufsteigen. Eine äußerst schmerzhafte Proktitis mit diffusen Ulzerationen kann assoziiert auftreten. Gehäufte proktologische Herpes-simplexVirusinfektionen bei HIV-positivem Status sind bekannt. HIVpositive Patienten haben einen klinisch schwereren Verlauf und die Ulzerationen sind großflächiger. Bei tiefer CD4-Zellzahl sind Rezidive gehäuft und Erkrankungen mit Acyclovir-resistenten Virenstämmen sind beschrieben (Augenbraun u. McCormack 1994; Bagdades et al. 1992). Diagnostik. Die Klinik ist vor allem bei Frauen oft atypisch: jede
Schleimhautläsion kann durch einen Herpes bedingt sein! Bei Immunsupprimierten finden sich kaum Bläschen, sondern nur Schleimhautulzera. Der Erregernachweis erfolgt durch Antigennachweis mittels Immunfluoreszenz, durch Viruskultur oder
Virus gehört morphologisch zu den Pockenviren und verursacht beim Menschen kleine Knötchen von 2–5 mm Durchmesser mit zentraler Delle (sog. Dellwarzen). Das Virus wird durch Kontakt übertragen und ist beim Erwachsenen in der Genitalregion zu finden. Homosexuelle Männer weisen das Virus in der perianalen Region auf. Es besteht ein geringer Juckreiz. Kratzen fördert die weitere Verbreitung des Virus. Diagnostik. Diagnostisch genügt der typische Aspekt der zentral
eingedellten Warze. Therapie. Die Warze wird mit dem scharfen Löffel entfernt und anschließend mit einem jodhaltigen Desinfektionsmittel desinfiziert. Bei größerflächigem Befall kann topisch 5-Fluorouracil eingesetzt werden (Christen 1998). Außerdem wird die topische Anwendung von Cidofovir (Vistide) diskutiert (Davies et al. 1999).
Condyloma-acuminatum-Infektion Ätiologie. Die sog. »spitzen Kondylome« oder Genitalwarzen werden ausgelöst durch einen Befall der Haut mit dem humanen Papillomavirus Typ VI und XI, das hauptsächlich durch sexuellen Kontakt übertragen wird. Ein Großteil der Patienten ist HIVpositiv.
537 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
Klinische Symptomatologie. Klinisch präsentiert sich die Erkrankung in einer blumenkohlartigen Wucherung von 1–2 mm großen Hautläppchen, die sich als konfluierende Läsionen zu Rasen von 2–3 cm Durchmesser zusammenschließen können. Eine Extremvariante ist der Buschke-Löwenstein-Tumor, eine Präkanzerose, die in bis zu 56% maligne entartet (Critchlow et al. 1998; Chu et al. 1994). Sowohl dermale als auch mukosale Formen der Condylomata acuminata sind bekannt. Brennender Juckreiz ist das Hauptsymptom. Diagnostik. Es genügt der typische makroskopische Aspekt. Therapie. Lokal kann eine Podophyllin-Lösung angewandt wer-
den. Diese Therapie kann zu unangenehmen Hautirritationen führen, da die Kondylomata in feucht-warmen Hautfalten liegen. Die radikale Exzision mittels Elektrokaustik oder mittels CO2Laser ist erfolgversprechender. Eine solche Therapie muss aber oft in mehreren Sitzungen durchgeführt werden. Beim HIVpositiven Patienten sind Rezidivraten bis 66% bekannt (Chu et al. 1994).
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539 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
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35
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540
35
Kapitel 35 · Proktologie
Stelzner F (1998) Chirurgie an viszeralen Abschlusssystemen. Thieme, Stuttgart New York Strongin IS, Kale SA, Raymond MK, Luskin RL, Weisberg GW, Jacobs JJ (1991) An unusual presentation of gonococcal arthritis in an HIV positive patient. Ann Rheum Dis 50:572–573 Tobin SA, Scott IH (1994) Delorme operation for rectal prolapse. Br J Surg 81:1681–1684 Tsuchida K, Okayama N, Miyata M, Joh T, Yokoyama Y, Itoh M, Kobayashi K, Nakamura T (1998) Solitary rectal ulcer syndrome accompanied by submucosal invasive carcinoma. Am J Gastroenterol 93:2235–2238 Uhlig BE, Sullivan ES (1979) The modified Delorme operation: its place in surgical treatment for massive rectal prolapse. Dis Colon Rectum 22:513–521 Vora IM, Sharma J, Joshi A (1992) Solitary rectal ulcer syndrome and colitis cystica profunda – a clinico-pathological review. Indian J Pathol Microbiol 35:94–102 Vouillamoz D (1996) Fissure anale: traitement conservateur. Swiss Surg 1:18–20 Walker AJ, Leicester RJ, Nicholls RJ, Mann CV (1990) A prospective study of infrared coagulation, injection and rubber band ligation in the treatment of haemorrhoids. Int J Colorectal Dis 5:113–116 Watson A, Al-Ozairi O, Fraser A, Loudon M, O’Kelly T (2002) Nicorandil associated anal ulceration. Lancet 360:546–547 Watson SJ, Kamm MA, Nicholls RJ, Phillips RK (1996) Topical glyceryl trinitrate in the treatment of chronic anal fissure. Br J Surg 83:771–775 Watts AMI, Thompson MR (2000) Evaluation of Delorme’s procedure as a treatment for full-thickness rectal prolapse. Br J Surg 87:218–222 Watts JD, Rothenberger DA, Buls JG, Goldberg SM, Nivatvongs S (1985) The management of procidentia. 30 years’ experience. Dis Colon Rectum 28:96–102 Wehrli H (1996) Ätiologie, Pathogenese und Klassifikation der Analfissur. Swiss Surg 1:14–17 Wells C (1959) New operation for rectal prolapse. Proc R Soc Med 52:602–604 Whitehead W (1887) Three hundred consecutive cases of hemorrhoids cured by excision. Br Med J 1:449 Williams JG, Rothenberger DA, Nemer FD, Goldberg SM (1991) Fistulain-ano in Crohn’s disease. Results of aggressive surgical treatment. Dis Colon Rectum 34:378–384 Williams NS, Macfie J, Celestin LR (1979) Anorectal Crohn’s disease. Br J Surg 66:743–748 Wolkomir AF, Luchtefeld MA (1993) Surgery for symptomatic hemorrhoids and anal fissures in Crohn’s disease. Dis Colon Rectum 36:545–547 Xynos E, Chrysos E, Tsiaoussis J, Epanomeritakis E, Vassilakis JS (1999) Resection rectopexy for rectal prolapse. The laparoscopic approach. Surg Endosc 13:862–864
Die Therapie sollte erst nach Erhebung des anatomischen und funktionellen Status und nach eingehender Patienteninformation ausgewählt werden, wobei es zu beachten gilt, dass primär immer die einfachste und am wenigsten invasive Methode gewählt werden soll. Oft reicht eine konservative Therapie mit Biofeedback oder Einläufen. Die Sphinkterrekonstruktionen nach isolierter Verletzung ergeben eine exzellente Kontinenzrate. Hingegen ist die chirurgische Therapie der Beckenbodenproblematik durch vordere und/oder hintere Beckenbodenplastik bei unsorgfältiger Indikationsstellung oft frustrierend. Die Muskeltransposition hat bei wenigen Patienten ihren Platz, die entweder an persistierender Inkontinenz nach nicht erfolgreicher Beckenbodenplastik oder an einer ausgedehnten Sphinkterzerstörung leiden. In therapierefraktären Situationen hilft manchmal nur noch die antegrade Spülung des Kolons via Stoma oder die Anlage eines endständigen Stomas zur definitiven Ableitung des Stuhls.
35.3.1 Definition Anale Kontinenz ist die Fähigkeit, den Stuhlgang aufzuhalten und ihn an einem geeigneten Ort zu einem selbstgewählten Zeitpunkt auszuscheiden. Infolgedessen entspricht anale Inkontinenz dem unwillkürlichen, nicht aufhaltbarem Abgang von Stuhl oder Luft. Bei Ärzten und Patienten herrscht Unklarheit über den Unterschied von Verlust von Stuhlgang gegenüber dem »Soiling«. Hier verbleibt nach dem Stuhlgang eine kleine Menge klebrigen Fäzes im Analkanal und entweicht dann in den darauf folgenden Stunden. In der perianalen Region entsteht dann eine Hautreizung mit Juckreiz und Mazeration. Diese Feuchtigkeit, zusammen mit einer geringen Menge Fäzes, verursacht eine bräunliche Verschmutzung in der Unterwäsche. Soiling tritt auf, wenn der Analkanal nach kontrolliertem Stuhlgang nicht völlig leer ist, vor allem bei Patienten mit deformiertem Anus, Hämorrhoiden, Fissuren, Fisteln oder Narben nach analen Eingriffen. Dieses Phänomen tritt nur dann auf, wenn der Stuhl flüssig oder klebrig ist, aber nicht bei hartem Stuhlgang. Die Unterscheidung zwischen analer Inkontinenz und Soiling ist insofern wichtig, weil deren Behandlung verschieden ist. 35.3.2 Inzidenz
35.3
Therapie der Analinkontinenz C.G.M.I. Baeten, W.R. Marti
) ) Stuhlinkontinenz ist ein häufiges und für die betroffenen Patienten ein beschämendes Symptom, hervorgerufen durch verschiedene Pathologien. Als häufigste Ursachen gelten zerebrale Degeneration, iatrogen verursachte chirurgische (Fistulotomie, Sphinkterotomie, Hämorrhoidektomie oder anale Dilatation) oder geburtshelferische Verletzungen des Sphinkterapparates. Die schlechteste Prognose haben Patienten mit peripherer neurogener Inkontinenz. Durch die progressive Denervation des externen Sphinkters und des Beckenbodens mit Hyposensibilität der Perianalregion senkt sich der Beckenboden oft ab, was zusätzlich die Entleerung des Rektums behindert. 6
Die Angabe der genauen Inzidenz von Patienten mit einer analen Inkontinenz ist schwierig. Patienten schämen sich oft ihres Problems und verschweigen dieses sogar ihren nächsten Familienmitgliedern. Der Moment, in dem Hilfe gesucht wird, ist abhängig vom Schweregrad der Inkontinenz und dem Ausmaß der sozialen Behinderung durch dieses Problem. Viele Patienten passen eher ihre Lebensgewohnheiten an, als dass sie Hilfe suchen. So gibt es Fälle, in denen Betroffene ihr Haus kaum noch verlassen und mit allen Mitteln Familienbesuche vermeiden. Das Verlassen der Wohnung für Einkäufe wird zur Obsession. Alle öffentlichen Toiletten in der Stadt sind diesen Patienten bekannt. Der Weg wird in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Toiletten geplant. Die Prävalenz, geschätzt aufgrund einiger Studien in den Vereinigten Staaten (Talley et al. 1992), liegt um 2,3%. In Großbritannien sollen 0,4% der Bevölkerung mehr als 1-mal wöchentlich inkontinent sein. Operationsdaten der Niederlande (16 Mio. Einwohner) listen 500 Sphinkteroperationen jährlich auf. Windeln
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Kapitel 35 · Proktologie
Stelzner F (1998) Chirurgie an viszeralen Abschlusssystemen. Thieme, Stuttgart New York Strongin IS, Kale SA, Raymond MK, Luskin RL, Weisberg GW, Jacobs JJ (1991) An unusual presentation of gonococcal arthritis in an HIV positive patient. Ann Rheum Dis 50:572–573 Tobin SA, Scott IH (1994) Delorme operation for rectal prolapse. Br J Surg 81:1681–1684 Tsuchida K, Okayama N, Miyata M, Joh T, Yokoyama Y, Itoh M, Kobayashi K, Nakamura T (1998) Solitary rectal ulcer syndrome accompanied by submucosal invasive carcinoma. Am J Gastroenterol 93:2235–2238 Uhlig BE, Sullivan ES (1979) The modified Delorme operation: its place in surgical treatment for massive rectal prolapse. Dis Colon Rectum 22:513–521 Vora IM, Sharma J, Joshi A (1992) Solitary rectal ulcer syndrome and colitis cystica profunda – a clinico-pathological review. Indian J Pathol Microbiol 35:94–102 Vouillamoz D (1996) Fissure anale: traitement conservateur. Swiss Surg 1:18–20 Walker AJ, Leicester RJ, Nicholls RJ, Mann CV (1990) A prospective study of infrared coagulation, injection and rubber band ligation in the treatment of haemorrhoids. Int J Colorectal Dis 5:113–116 Watson A, Al-Ozairi O, Fraser A, Loudon M, O’Kelly T (2002) Nicorandil associated anal ulceration. Lancet 360:546–547 Watson SJ, Kamm MA, Nicholls RJ, Phillips RK (1996) Topical glyceryl trinitrate in the treatment of chronic anal fissure. Br J Surg 83:771–775 Watts AMI, Thompson MR (2000) Evaluation of Delorme’s procedure as a treatment for full-thickness rectal prolapse. Br J Surg 87:218–222 Watts JD, Rothenberger DA, Buls JG, Goldberg SM, Nivatvongs S (1985) The management of procidentia. 30 years’ experience. Dis Colon Rectum 28:96–102 Wehrli H (1996) Ätiologie, Pathogenese und Klassifikation der Analfissur. Swiss Surg 1:14–17 Wells C (1959) New operation for rectal prolapse. Proc R Soc Med 52:602–604 Whitehead W (1887) Three hundred consecutive cases of hemorrhoids cured by excision. Br Med J 1:449 Williams JG, Rothenberger DA, Nemer FD, Goldberg SM (1991) Fistulain-ano in Crohn’s disease. Results of aggressive surgical treatment. Dis Colon Rectum 34:378–384 Williams NS, Macfie J, Celestin LR (1979) Anorectal Crohn’s disease. Br J Surg 66:743–748 Wolkomir AF, Luchtefeld MA (1993) Surgery for symptomatic hemorrhoids and anal fissures in Crohn’s disease. Dis Colon Rectum 36:545–547 Xynos E, Chrysos E, Tsiaoussis J, Epanomeritakis E, Vassilakis JS (1999) Resection rectopexy for rectal prolapse. The laparoscopic approach. Surg Endosc 13:862–864
Die Therapie sollte erst nach Erhebung des anatomischen und funktionellen Status und nach eingehender Patienteninformation ausgewählt werden, wobei es zu beachten gilt, dass primär immer die einfachste und am wenigsten invasive Methode gewählt werden soll. Oft reicht eine konservative Therapie mit Biofeedback oder Einläufen. Die Sphinkterrekonstruktionen nach isolierter Verletzung ergeben eine exzellente Kontinenzrate. Hingegen ist die chirurgische Therapie der Beckenbodenproblematik durch vordere und/oder hintere Beckenbodenplastik bei unsorgfältiger Indikationsstellung oft frustrierend. Die Muskeltransposition hat bei wenigen Patienten ihren Platz, die entweder an persistierender Inkontinenz nach nicht erfolgreicher Beckenbodenplastik oder an einer ausgedehnten Sphinkterzerstörung leiden. In therapierefraktären Situationen hilft manchmal nur noch die antegrade Spülung des Kolons via Stoma oder die Anlage eines endständigen Stomas zur definitiven Ableitung des Stuhls.
35.3.1 Definition Anale Kontinenz ist die Fähigkeit, den Stuhlgang aufzuhalten und ihn an einem geeigneten Ort zu einem selbstgewählten Zeitpunkt auszuscheiden. Infolgedessen entspricht anale Inkontinenz dem unwillkürlichen, nicht aufhaltbarem Abgang von Stuhl oder Luft. Bei Ärzten und Patienten herrscht Unklarheit über den Unterschied von Verlust von Stuhlgang gegenüber dem »Soiling«. Hier verbleibt nach dem Stuhlgang eine kleine Menge klebrigen Fäzes im Analkanal und entweicht dann in den darauf folgenden Stunden. In der perianalen Region entsteht dann eine Hautreizung mit Juckreiz und Mazeration. Diese Feuchtigkeit, zusammen mit einer geringen Menge Fäzes, verursacht eine bräunliche Verschmutzung in der Unterwäsche. Soiling tritt auf, wenn der Analkanal nach kontrolliertem Stuhlgang nicht völlig leer ist, vor allem bei Patienten mit deformiertem Anus, Hämorrhoiden, Fissuren, Fisteln oder Narben nach analen Eingriffen. Dieses Phänomen tritt nur dann auf, wenn der Stuhl flüssig oder klebrig ist, aber nicht bei hartem Stuhlgang. Die Unterscheidung zwischen analer Inkontinenz und Soiling ist insofern wichtig, weil deren Behandlung verschieden ist. 35.3.2 Inzidenz
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Therapie der Analinkontinenz C.G.M.I. Baeten, W.R. Marti
) ) Stuhlinkontinenz ist ein häufiges und für die betroffenen Patienten ein beschämendes Symptom, hervorgerufen durch verschiedene Pathologien. Als häufigste Ursachen gelten zerebrale Degeneration, iatrogen verursachte chirurgische (Fistulotomie, Sphinkterotomie, Hämorrhoidektomie oder anale Dilatation) oder geburtshelferische Verletzungen des Sphinkterapparates. Die schlechteste Prognose haben Patienten mit peripherer neurogener Inkontinenz. Durch die progressive Denervation des externen Sphinkters und des Beckenbodens mit Hyposensibilität der Perianalregion senkt sich der Beckenboden oft ab, was zusätzlich die Entleerung des Rektums behindert. 6
Die Angabe der genauen Inzidenz von Patienten mit einer analen Inkontinenz ist schwierig. Patienten schämen sich oft ihres Problems und verschweigen dieses sogar ihren nächsten Familienmitgliedern. Der Moment, in dem Hilfe gesucht wird, ist abhängig vom Schweregrad der Inkontinenz und dem Ausmaß der sozialen Behinderung durch dieses Problem. Viele Patienten passen eher ihre Lebensgewohnheiten an, als dass sie Hilfe suchen. So gibt es Fälle, in denen Betroffene ihr Haus kaum noch verlassen und mit allen Mitteln Familienbesuche vermeiden. Das Verlassen der Wohnung für Einkäufe wird zur Obsession. Alle öffentlichen Toiletten in der Stadt sind diesen Patienten bekannt. Der Weg wird in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Toiletten geplant. Die Prävalenz, geschätzt aufgrund einiger Studien in den Vereinigten Staaten (Talley et al. 1992), liegt um 2,3%. In Großbritannien sollen 0,4% der Bevölkerung mehr als 1-mal wöchentlich inkontinent sein. Operationsdaten der Niederlande (16 Mio. Einwohner) listen 500 Sphinkteroperationen jährlich auf. Windeln
541 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
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für Erwachsene werden in den Niederlanden an 200.000 »Kunden« verkauft, hiervon schätzungsweise 10% wegen analer Inkontinenz. Die Inkontinenz ist einer der häufigsten Gründe, ältere Patienten in ein Pflegeheim aufzunehmen.
Vaginale Endosonographie. Bei Frauen ermöglicht die vaginale Endosonographie die Abbildung des geschlossenen Sphinkters. Der vordere Teil des Sphinkters ist gut sichtbar, durch die unzureichende Auflösung in der Tiefe aber bleibt die Beurteilung des dorsalen Sphinkterabschnittes schwierig.
35.3.3 Diagnostik
Magnetresonanztomographie. Die MRT-Untersuchung des Beckens gibt genaue Informationen über die Anatomie. Nicht nur Anus und Sphinkter, auch die umgebenden Strukturen und mögliche pathologischen Veränderungen sind mit dem MRI deutlich zu erkennen. Das funktionelle MRI kann alle Strukturen des Beckens auch bei angespanntem Beckenboden und während des Stuhlgangs visualisieren. Die hierfür benötigten Geräte sind jedoch nur in wenigen spezialisierten Instituten verfügbar.
Anamnese. Es ist wichtig zu wissen, wie die Inkontinenz entstanden ist: Ob sie schon lange besteht, ob sie sich allmählich verschlimmert und wie die Konsistenz des Stuhls bei Inkontinenz ist (Diarrhö oder fester Stuhl). Wie oft tritt unwillkürlicher Verlust und wie oft normaler, kontrollierter Stuhlgang auf? Fühlt man den drohenden Stuhlgang kommen, kann aber die Toilette nicht rechtzeitig erreichen? Hat man seine Lebensgewohnheiten wegen analer Inkontinenz angepasst? Die Anamnese ist auch wichtig, um Inkontinenz von Soiling zu differenzieren. Inspektion. Die Inspektion im Ruhezustand informiert über die Anwesenheit von prolabierenden Hämorrhoiden oder über Narben vorangegangener Eingriffe, über Fisteln oder Schlüssellochdeformitäten. Die Inspektion beim Pressen zeigt einen eventuell vorhandenen Rektum- oder Analprolaps, auch eine Rektozele kann sichtbar werden. Digitale Austastung. Die digitale Austastung informiert über den Sphinktertonus, die Kontraktilität der Beckenbodenmuskeln und mögliche Rektumtumoren, die die Kontinenz beeinflussen können. Bei gleichzeitiger Austastung von Rektum und Vagina können Rektozelen ertastet werden. Defäkographie. Sie bietet die Möglichkeit, die Inkontinenz dynamisch zu objektiveren. Der Verlust von Stuhl beim Unvermögen, Sphinkter und M. puborectalis zu kontrahieren, spricht für eine Pathologie der Sphinkter- und/oder Beckenbodenmuskulatur Gleichzeitig kann eine etwaige Rektozele zur Darstellung kommen. Anale Manometrie. Die anale Manometrie ermöglicht, den Druck des analen Sphinkters im Ruhezustand und beim Anspannen objektiv festzustellen. Die Länge des funktionellen Analkanals kann ebenfalls gemessen werden. Zusätzlich kann durch Füllung des Rektumballons der rektoanale Inhibitionsreflex gemessen werden, der einen Hinweis für fehlende Ganglionzellen in der Darmwand bei M. Hirschsprung und für die Funktion von sensiblen und motorischen Nerven gibt. Messung der Kapazität. Eine Kapazitätsmessung des Rektums ist mit dem Rektumballon möglich. Das maximale Volumen, die Compliance und der Moment, in dem der sich füllende Ballon gespürt wird, können durch Insufflation bzw. Druck- und Volumenregistrierung gemessen werden. Anale Endosonographie. Die anale Endosonographie bietet die
Möglichkeit, den internen und externen Sphinkter abzubilden und zuverlässig Rupturen nachzuweisen. Ein Teil der puborektalen Muskelschlinge kann ebenfalls abgebildet werden. Ein unvermeidbarer Nachteil der anal eingeführten Sonde ist der, dass der Anus nur in geöffneten Zustand dargestellt werden kann. Eigentlich wird so nur der Zustand während des Stuhlgangs und nie der Ruhezustand abgebildet (Law u. Bartram 1989; Thakar u. Sultan 2004).
EMG. Das EMG des Beckenbodens und Sphinkters gibt Informationen über die (Re-)Innervation von Muskeln und über das Ausmaß des neurogenen Schadens. Die Latenzzeit ist ebenfalls ein Indikator für eine Schädigung des N. pudendus (Rogers et al. 1989; Felt Bergsma et al. 1990). Sensibilitätsproben. Diese vermitteln durch Registrierung der
Wärmeempfindung oder der Wahrnehmung von elektrischer Reizung einen Hinweis auf die Sensibilität des Analkanals. Rektosigmoidoskopie. Die Rektosigmoidoskopie dient dem
Nachweis von entzündlichen Prozessen, Polypen und Tumoren, die ebenfalls die Kontinenz beeinflussen können. Der Analkanal ist mit der Sigmoidoskopie schlecht zu beurteilen, darum ist hier die Anoskopie zur Ergänzung empfehlenswert. 35.3.4 Indikation Die Kontinenz resultiert aus dem Zusammenspiel diverser Faktoren (7 Übersicht). Voraussetzungen für die anale Kontinenz 5 5 5 5 5 5 5
Intakte Sphinkteren Intakter Beckenboden Gute Compliance des Rektums Ungestörte Peristaltik und Transit des Kolons Normale Sensibilität Kognitive Funktionen Geformter Stuhlgang
Falls einer dieser Faktoren gestört ist, hängt die Kontinenz umso mehr von der Qualität der anderen Faktoren ab. Eine Sphinkterruptur muss nicht unweigerlich zur Inkontinenz führen, wenn fester Stuhlgang und eine gute Sensibilität vorliegen. Die Wahl der Therapie hängt von der Beurteilung verschiedener Faktoren, die zusammen die Kontinenz bestimmen, ab. Aufgrund der Anamnese, dem Status und dem sinnvollen Einsatz von einigen Zusatzuntersuchungen kann man sich ein Bild des Inkontinenzproblems machen. Unsinnig ist der Einsatz aller diagnostischer Verfahren bei jedem Patienten. Vor allem die Anamnese bestimmt, welche Untersuchungen man vornehmen sollte. Da die Inkontinenz multifaktoriell beeinflusst wird, kann bei vielen Patienten mit der Wiederherstellung eines einzelnen
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Kapitel 35 · Proktologie
Faktors nicht automatisch die Wiederherstellung der Kontinenz erreicht werden. Die Inkontinenz kann mit Hilfe der Anamnese, der klinischen Untersuchung und eventuell apparativen diagnostischer Verfahren erfasst und ätiologisch eingeteilt werden (7 Übersicht). Die Ursachen, der Schweregrad und die Lokalisation des defizienten Faktors bestimmen dann die Möglichkeit und Wahl der Therapie. Dazu gilt, dass primär immer die einfachste und am wenigsten invasive Therapie gewählt wird. Ätiologie der Inkontinenz
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5 Trauma – Direktes Trauma – Obstetrisch – Chirurgisch 5 Kongenital – Anale Atresie – Spina bifida – M. Hirschsprung 5 Neurologisch – Zerebral (Tumor, Demenz, psychisch) – Spinal (Querschnittslähmung, Kaudasyndrom) – Peripher (Pudendusläsion) 5 Entzündlich – Perianale Fistel – Rektovaginale Fistel 5 Rektum – Rektumprolaps – Entzündliche Darmerkrankung – Tumor – Zustand nach anteriorer Rektumresektion
35.3.5 Konservative Therapie Diät und Medikation Bei Inkontinenz, die durch Diarrhö verursacht wird, ist es sinnvoll, den Grund der Diarrhö aufzuspüren. Die am besten geeigneten Untersuchungen hierfür sind die Sigmoido- und Koloskopie, Biopsie mit pathologisch-anatomischer Untersuchung und Analyse des Stuhls. Liegt eine spezifische Entzündung vor, so ist die Therapie der ersten Wahl medikamentös. In schweren Fällen der Colitis ulcerosa und des M. Crohn kann die Chirurgie zum Einsatz gelangen (7 Kap. 32 und 33). Ist die Ursache der Diarrhö aber eine Nahrungsmittelallergie, so ist eine angepasste Diät die adäquate Therapie (7 Kap. 33). In der westlichen Welt wird vielen Patienten zu einer schlackenreichen Ernährung geraten. Dies führt bei einigen Patienten zu einem »OvershootEffekt« und kann dann die Ursache der Diarrhö sein. Der Wechsel zu einer schlackenarmen Ernährung ist dann für einige Patienten die Lösung des Problems. Anreicherung der Nahrung mit Schlacken mit einer begrenzten Flüssigkeitsaufnahme führt bei einigen Patienten zur Verfestigung des Stuhls. Bleiben Diäten erfolglos, so kann mit dem Einsatz von Konstipentia, z. B. Loperamid 2–12 mg/Tag, die Diarrhö bekämpft werden. Hierbei muss man aber immer an die Möglichkeit einer Pseudodiarrhö denken, wie sie beim M. Hirschsprung oder der Spina bifida auftritt. Der eingedickte Stuhl kann nicht evakuiert werden und die begleitende Pseudodiarrhö verursacht die Inkontinenz. Obstipation und In-
kontinenz treten dann gleichzeitig auf. Widersprüchlicherweise behandelt man diese Form der Inkontinenz bei Pseudodiarrhö am besten mit Laxanzien (z. B. Quellmittel), eventuell mit digitaler Ausräumung des Rektums oder Einläufen. Darmspülung Angesichts der Tatsache, dass Inkontinenz aus dem Verlust von Fäzes aus dem Kolon resultiert, ist es möglich, das Problem insofern zu lösen, dass man das Kolon präventiv mit Einläufen entleert. Durch das leere Kolon wird der Patient für einige Stunden pseudokontinent. Einläufe kann man mit handelsüblichen Phosphatklysmas, aber auch mit Leitungswasser, das mit einem Spülsack oder einer Pumpe eingebracht wird, machen. Meistens genügt dazu 1 l Wasser. Das Erreichen von Pseudokontinenz ist nicht für alle Patienten die beste Lösung. Liegt ein insuffizienter Sphinkter vor, so läuft das eingebrachte Wasser sofort wieder aus und nur das distale Rektum wird gespült. Der Stuhl im Colon descendens und Sigmoid bleibt hingegen unverändert liegen. Diese Prozedur dauert bei einigen Patienten sehr lange und noch Stunden später läuft das eingebrachte Wasser aus. Gelingt die retrograde Darmspülung nicht, so ist die antegrade Spülung eine Alternative. Ein Zugang zum Kolon wird via Appendix, Zäkum, distalem Ileum oder Colon transversum angelegt (Malone et al. 1990; Kiely et al. 1994; Hughes u. Williams 1995; Krogh u. Laurberg 1998). Appendikostomie Die Appendikostomie nach Malone hat den Vorteil, dass es sich dabei um einen einfachen Eingriff handelt. Die Appendix kann laparoskopisch gefasst und durch eine Punktionsöffnung mit der Spitze nach außen luxiert werden. Die Appendixspitze wird schräg abgeschnitten und mit der Haut vernäht. Einer Stenosierung wird vorgebeugt, indem durch die Appendix ein Urinkatheter eingeführt wird. Nach 2 Wochen wird dieser entfernt, wobei ab diesem Zeitpunkt die Appendix 2-mal täglich mit einem Katheter intubiert werden sollte, um den Verschluss des Zugangs zu vermeiden. Direkt nach der Operation kann mit der antegraden Darmspülung begonnen werden. Die zur Entleerung des Kolons notwendige Flüssigkeitsmenge ist individuell verschieden (250–2000 cm3). Dies gilt auch für die Frequenz der Spülung. Gute Resultate dieser Technik sind bei Kindern und Erwachsenen beschrieben worden. Potentielle Probleme stellen die Leckage der Spülflüssigkeit durch die Appendix, anhaltender Abfluss der Spülflüssigkeit aus dem Anus und Infektionen peristomal dar, wodurch Stenosen des Zugangs entstehen können. Die Spülflüssigkeit kann auch resorbiert werden; Patienten mit einer Herzinsuffizienz ist dieser Eingriff darum nicht zu empfehlen. Biofeedbacktherapie Beruht die Inkontinenz auf einer unzureichenden Funktion von – anatomisch intaktem – Beckenboden und externem Sphinkter, so kann mit Hilfe eines aktiven Trainings die Funktion wiederhergestellt werden. Derartige Übungsprogramme sind nur dann erfolgreich, wenn man den Effekt der Übungen auch wahrnehmen kann. In der perianalen Region ist dies ohne Hilfsmittel schwer zu erreichen. Eine Sonde im Anus ermöglicht die ständige Registrierung von Druck und EMG, wodurch man über die Funktion der jeweiligen trainierten Muskeln informiert wird. Verschiedene Geräte stehen für diese Messungen zur Verfügung. Das Übungsprogramm kann mit der Insufflation eines Rektumballons, mit dem der nahende Stuhlgang simuliert werden kann,
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erweitert werden. Die Resultate dieser Biofeedbackübungen sind abhängig von der Intensität und der Frequenz der Übungen und der richtigen Indikation. Meistens werden diese Übungen von speziell geschulten Krankengymnastinnen begleitet. Gute Resultate dieser Technik werden beschrieben, außer der psychischen Belastung sind keine Nachteile bekannt. In der Regel wird ein Erfolg dieser Methode, wenn auch bescheiden, nach 2 Monaten beobachtet. Nur dann ist es sinnvoll, mittels Biofeedback länger zu üben. Sakrale Nervenstimulation Die sakrale Nervenstimulation ist eine neue Technik zur Behandlung der Stuhlinkontinenz. Sie ist abgeleitet von der in der Urologie eingesetzten sakralen Neuromodulation (Matzel 1995). Der Einsatz dieser Methode führte bei Patienten mit kompletter Inkontinenz nicht nur zur Verbesserung der Harninkontinenz, sondern auch der Stuhlinkontinenz. Der Wirkmechanismus dieser neuen Therapie ist nicht vollständig verstanden; es gilt jedoch als sicher, dass die Stimulation Nerven beeinflusst, die die Harnblase, den Beckenboden, dem Urethrasphinkter, das Rektum und den analen Sphinkter hat. Wahrscheinlich werden einige Reflexe inhibiert, andere angeregt. Eine der interessantesten Einsatzmöglichkeiten dieser Therapie ist die probeweise Stimulation zur Festlegung, inwiefern eine operative Versorgung für den Patienten erfolgreich sein kann (Uludag 2004). Die Patienten müssen zunächst für 3 Wochen ein Tagebuch führen, in dem sie alle Inkontinenzepisoden festhalten. Zur genauen Beurteilung der Stuhlinkontinenz bestimmen zu können, bedarf es einer im Vergleich zur Urininkontinenz längeren Dokumentation. Die ambulante, klinische Untersuchung findet in der Heidelberger-Lagerung (Knie-Ellenbogen) statt. Zunächst erfolgt eine Lokalanästhesie im Bereich der Haut über dem Os sacrum. Anschließend wird eine Testnadel in das Foramen S3 eingeführt. Diese Nadel wird mit einem externen Stimulator verbunden. Die elektrische Nervenstimulation erfolgt mit einer hohen Stromamplitude von ca. 10 V. Damit wird die Kontraktion des muskulären Beckenbodens sichtbar gemacht. Durch die Nadel wird ein temporärer Draht eingebracht und anschließend die Nadel entfernt. Nun können weitere Stimulationen durch diesen Draht von extern verabreicht werden. Der äußere Teil des Drahtes wird gluteal an der Haut aufgeklebt, sodass der Patient die externe Stimulation zu Hause fortsetzen kann. Im weiteren Verlauf muss der Patient erneut über einen Zeitraum von 3 Wochen die Inkontinenzepisoden in einem Tagebuch festhalten, das mit dem initialen Tagebuch verglichen werden kann. Nur eine Reduktion der Inkontinenzepisoden um mindestens 50% wird als Indikation für eine definitive Stimulatorimplantation betrachtet. Die definitive Implantation kann in Vollnarkose oder in Epiduralanästhesie durchgeführt werden. In der Mittellinie über dem Os sacrum erfolgt die Hautinzision, das Foramen S3 wird freigelegt. Eine intraoperative Stimulation über eine Nadel bestätigt die korrekte Positionierung. Über eine spezielle Sonde wird die Öffnung des Foramen geweitet, sodass die definitive Elektrode eingeführt werden kann. Die Elektrode wird mit nichtresorbierbaren Nähten am Periost des Sakrum fixiert. Das andere Ende der Elektrode wird in die Sub-
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kutis über den Musculus gluteus maximus ipsilateral eingelegt. Hier wird die entsprechend nötige Tasche freipräpariert und das andere Ende des Elektrodendrahtes durch einen subkutanen Tunnel in diese Tasche gezogen. Der Elektrodendraht wird über ein Verlängerungskabel mit dem zu implantierenden Stimulator verbunden. Die Inzision wird mittels direkter Hautnaht verschlossen (Matzel 2004). Der Stimulator wird initial auf eine Amplitude von ca. 1,5 V eingestellt, der Patient kann am Tag der Operation die Klinik ver lassen. Weitere ambulante Kontrollen in den ersten 30 Tagen nach Implantation sind für die definitive Programmierung des Stimulators essenziell. Eine leichte Erhöhung der Amplitude ist gelegentlich notwendig, um die Reizschwelle zu erhalten, an der der Patient den Stimulationsreiz als Kribbeln um den Anus fühlt.
Die Ergebnisse dieser Technik sind sehr gut mit einer primären Erfolgsrate von 80–90% (Matzel 2004; Vaizey 2000; Uludag 2004; Kenefick 2002; Ganio 2001). Die meisten Patienten erreichen eine weitestgehende Wiederherstellung der Kontinenz, die zumeist für etliche Jahre anhält. Die Komplikationsrate ist sehr gering, Nebenwirkungen sind problemlos beherrschbar. 35.3.6 Operative Therapie Beruht die Inkontinenz auf dem Versagen des analen Sphinkterapparates, so stehen diverse Operationstechniken zur Verfügung, wie z. B. »sphincter repair«, »post- and »preanal repair« des Beckenbodens, Thiersch-Wire, Silastic-Schlingen, aufwendige Rekonstruktion mittels Gluteusplastik, Fascia-lata-Plastik, die dynamische Grazilisplastik mit Elektrostimulation, die Implantation einer Sphinkterprothese oder die sakrale Nervenstimulation (7 oben). Im Rahmen dieses Kapitels würde es zu weit führen, alle diese Techniken zu beschreiben, es folgt hier nur eine Auswahl davon. Vorbereitung. Solange das Anorektum bei Inkontinenzopera-
tionen anatomisch intakt bleibt, ist das Anlegen einer entlastenden Ileo- oder Kolostomie nicht nötig. Tritt allerdings perioperativ eine iatrogene Perforation des Anorektums auf, kann das Anlegen eines Stomas angebracht sein. Ist bereits im Rahmen einer vorangegangen Behandlung wegen Inkontinenz ein Stoma angelegt und will man nun in zweiter Instanz mit einem analen Eingriff versuchen, die Kontinenz wiederherzustellen, wird dieses Stoma am besten erst nach Abheilung aller perianaler Wunden wieder verschlossen. Als Vorbereitung für operative anale Eingriffe dient die Darmspülung. Diese hat den Vorteil, dass in den ersten postoperativen Tagen kein Stuhl durch den Anus passiert. Ihr Nachteil ist die Gefahr, dass während der Operation noch zurückgebliebenes Spülwasser ausläuft und das Operationsfeld verschmutzt. Ein im Rektum platzierter Tampon kann dies verhindern, er muss am Ende des Eingriffs wieder entfernt werden. Die perioperative Antibiotikaprophylaxe ist nötig. Für die Knie-Ellbogen-Lagerung des Patienten bevorzugen wir die Vollnarkose, da diese Lagerung vom wachen Patienten als sehr unangenehm erfahren wird. Die Steinschnittlage als alternative Lagerungsform des Patienten erlaubt auch Eingriffe am Sphinkter unter spinaler oder epiduraler Anästhesie.
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Kapitel 35 · Proktologie
Sphinkterrekonstruktion Eine Sphinkterrekonstruktion ist in den Fällen, in denen die Inkontinenz auf einer Unterbrechung des analen Sphinkters beruht, nötig. In der Mehrzahl dieser Fälle betrifft es Frauen mit einer Sphinkterläsion nach einer Geburt. Die Sphinkterschädigung kann auch nach Operationen an analen Fisteln oder an Hämorrhoiden auftreten. Seltener kann eine Pfählungsverletzung die Ursache der Sphinkterruptur sein. Die Lücke zwischen den Sphinkterstümpfen darf für eine erfolgreiche Wiederherstellung nicht zu groß sein. Liegt eine mehrfache Ruptur vor, so ist eine Sphinkterrekonstruktion nicht mehr möglich. Der Nutzen eines präoperativen EMG des Sphinkterrestes ist diskutabel. Es gibt Hinweise, dass ein bewiesener neurogener Schaden bei einer Sphinkterruptur das Resultat der Operation nicht wesentlich kompromittiert (Lehur et al. 1995; Engel u. Brummelkamp 1994; Briel et al. 1998; Oliveira et al. 1996; Engel et al. 1994a; Yoshioka u. Keighley 1989; Engel et al. 1994b; Pinedo et al. 1998; Leroi et al. 1997).
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Der Patient wird für die Sphinkterrekonstruktion in die KnieEllbogen- oder Steinschnittlage gebracht. Ein Urinkatheter zur Markierung der Urethra ist bei Männern wichtig, da diese sich bei der vorderen Sphinkterruptur im Operationsfeld befindet. Bei Frauen muss die Vagina jodiert werden. Die Ruptur befindet sich fast immer ventral vom Anus unterhalb der vorbestehenden Hautnarbe. Angefangen wird mit einem bogenförmigen Schnitt im Perineum ventral des Anus. Die Vaginarückwand wird vom unterliegenden Narbengewebe und den Sphinkterstümpfen freipräpariert. Das digitale Abschieben der Vaginawand mit einer um den Finger gewickelten Kompresse hat den Vorteil, dass es weniger blutet als bei der scharfen Dissektion. Lateral findet man beiderseits die Muskelfasern der puborektalen Schlinge. Die Stümpfe des analen Sphinkters werden beidseitig identifiziert und über eine Länge von einigen Zentimetern freigelegt. Danach wird das Narbengewebe vom Anus gelöst und die Sphinkterstümpfe von der analen Mukosa und Submukosa befreit. Im Idealfall sind interne und externe Sphinkter gut zu unterscheiden, allerdings ist es in der Praxis umständlich, diese Strukturen voneinander zu trennen. Wichtig ist es, Anus und Rektum nicht zu perforieren, da hierdurch mit hoher Wahrscheinlichkeit rektovaginale Fisteln entstehen. Das Narbengewebe wird beiderseits bis knapp auf das vitale Muskelgewebe der Sphinkter entfernt. Die beiden Stümpfe des analen Sphinkters können überlappend mit einer Matratzennaht vernäht werden (. Abb. 35.43). Die separate Naht von internem und externem Sphinkter ist illusorisch und wird nur von wenigen Autoren beschrieben. Nach der Naht des Sphinkters können beide Schenkel der puborektalen Schlinge nach medial gerafft werden, wodurch eine zusätzliche Bedeckung zwischen Rektum/Anus und der Vagina resultiert (vordere Levatorplastik; Corman 1980). Abschließend wird die Haut wieder verschlossen. Bei einigen Frauen liegt eine schmale Hautbrücke zwischen Rektum und Vagina vor. Diese lässt sich durch eine einfache Z-Plastik verbreitern (. Abb. 35.44).
. Abb. 35.43. Sphinkterrekonstruktion. Bei Sphinkterläsionen werden die beiden Stümpfe der Sphinktermuskulatur mobilisiert, von Narbengewebe befreit und im Sinne einer Matratzennaht überlappend vernäht. Die Skizze zeigt die vernähten, sich überlappenden Enden des Sphinktermuskels
Ergebnisse. Die Resultate der Sphinkterrekonstruktion sind gut
und ungefähr 75% der Patienten werden kontinent. Postoperative Infektionen oder eine schwere Pudendopathie mit neurogenem Schaden des analen Sphinkters können zum Versagen der Methode führen.
Bei Rupturen des Sphinktermuskels ist die Sphinkterrekonstruktion wegen seiner relativen Einfachheit und den guten Resultaten den komplizierteren Eingriffen wie der Grazilisplastik oder den künstlichen Sphinkteren klar vorzuziehen.
Hintere Levatorplastik Diese wird auch »post anal repair« genannt. Ursprünglich wurde sie konzipiert, um den den anorektalen Winkel zu korrigieren (Abbas et al. 2005). Dies hat sich aber nicht bestätigt. Sie führt lediglich zu einer Verlängerung der Hochdruckzone des Analkanals.
V.
V.
C
B
A.
C
B
A.
. Abb. 35.44. Z-Plastik zur Verbreiterung des Dammes zwischen Vagina und Rektum: links bogenförmige Inzision konvex um den Anus (A). Vor dem Hautschluss wird eine zusätzliche flache, V-förmige Inzision (– – –) ausgeführt, wobei zwei Hautlappen (B bzw. C) gebildet werden. Diese beiden Hautlappen werden auf die jeweilige Gegenseite gezogen (B‹ bzw. C‹), wie rechts dargestellt. Die Hautinzision kann nun Z-förmig vernäht werden
545 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
Der Patient wird in Steinschnittlage positioniert. Die Eröffnung der Haut erfolgt durch eine semizirkuläre Inzision 3 cm dorsal des Anus ungefähr auf Höhe der Spitze des Os coccygis. Von hier aus wird der externe Sphinktermuskel dargestellt, die intersphinktäre Schicht aufgesucht und der externe Sphinktermuskel vom internen Muskel dorsal abgelöst. Durch diese intersphinktäre Schicht kann nun kranial davor die WaldeyerFaszie quer inzidiert und das Rektum nach ventral mobilisiert werden. Dabei gelingt die Darstellung des M. puborectalis und des M. ischiococcygeus. Die Schenkel der beiden Muskeln werden mit Einzelknopfnähten unter Einbezug der dorsalen Muskelfasern des M. sphincter ani externus miteinander vernäht. Dadurch gelingt eine dorsale Raffung des Beckenbodens mit dorsaler Plikatur des M. sphincter ani externus.
Ergebnisse. Die Langzeitresultate wurden in einer Serie von 116 Patienten von Yoshiaka publiziert (Yoshiaka u. Keighley 1989). Nach hinterer Levatorplastik wurde in diesem Patientengut eine Kontinenzrate für festen und flüssigen Stuhl von 34%, nur für festen Stuhl in 57% und überhaupt keine Besserung in 9% erreicht. Ungeachtet dieser guten Resultate beklagten sich jedoch noch 63% dieser Patienten über Stuhlschmieren. Die alleinige hintere Levatorplastik ist deshalb weitgehend wieder verlassen worden.
Vordere Levatorplastik Bei Patientinnen, die postpartal an einer neurogenen Stuhlinkontinenz ohne Sphinkterverletzung leiden, kommt häufig in der Videodefäkographie zusätzlich eine Rektozele zur Darstellung. In dieser Situation wird die vordere Beckenbodenplastik klar bevorzugt. Lagerung der Patientin in Steinschnittlage. Es wird eine bogenförmige Hautinzision zwischen Introitus und Anus durchgeführt. Anschließend wird die vaginale Hinterwand bis zur Fornix nach ventral mobilisiert und der M. sphincter ani externus ventral angeschlungen und so die beiden Schenkel des M. levator ani ventral und kranial des Sphinktermuskels gelegen dargestellt. Mit Einzelknopfnähten werden die beiden Schenkel des M. levator ani sowie einige Fasern des M. sphincter ani externus gefasst und nach Vorlegen aller Nähte von dorsal nach ventral hin geknotet, ohne die vaginale Hinterwand mitzufassen.
Ergebnisse. Osterberg et al. (1996) haben die Langzeitresultate nach vorderer Levatorplastik in einer retrospektiven Studie aufgearbeitet. Nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 8 Jahren wurde eine gute bis sehr gute Kontinenz in 74% der 45 Patientinnen, die an einer postpartalen, neurogenen Stuhlinkontinenz litten, erreicht. Bei den 31 Patientinnen, die an einer neurogenen Stuhlinkontinenz unklarer Genese litten, wurde nur in 45% der Fälle eine gute Kontinenz erreicht.
Totale Beckenbodenplastik Wird die vordere Levatorplastik mit einer hinteren kombiniert durchgeführt, so spricht man von einer totalen Beckenbodenplastik. Korsgen et al. (1997) dokumentierten eine Serie von
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75 Patientinnen mit totaler Beckenbodenplastik. Dabei zeigte die Nachkontrolle, dass der Patientinnenanteil mit täglichen Inkontinenzsymptomen von 73% auf 14% abgesunken war. Deen et al. (1993) verglichen in einer randomisierten Studie die totale Beckenbodenplastik mit der alleinigen vorderen und der alleinigen hinteren Beckenbodenplastik zur Korrektur neurogener Stuhlinkontinenz. 8 von 12 Patientinnen nach totaler Beckenbodenplastik waren 24 Monate postoperativ komplett kontinent. Diese Kontinenzrate war im Vergleich zu den anderen beiden Techniken zu diesem Zeitpunkt der Nachkontrolle signifikant besser. Dynamische Grazilisplastik In den Fällen, in denen nach einem schweren Trauma die anale Sphinktermuskulatur praktisch nicht mehr existiert, embryologisch niemals angelegt war oder nach einer misslungenen Sphinkterrekonstruktion, kann der anale Sphinkter durch autologes Material (M. gracilis, M. gluteus) oder durch eine Prothese (künstliche Sphinkter) ersetzt werden. Dasselbe gilt auch bei schwerem neurogenem Schaden, bei dem der anatomisch intakte Sphinkter funktionslos ist (Kaudasyndrom, Ausfall des N. pudendus). Diese Technik kann auch bei Patienten eingesetzt werden, die nach einer abdominoperinealen Resektion ihren Anus verloren haben und bei denen ein »colon pull through« zum Perineum ausgeführt wurde. Dieses letzte Stück Kolon wird dann mit einem oder beiden Grazilismuskeln umwickelt. Der M. gracilis, der beim Gehen oder Sporttreiben keine wichtige Funktion hat, eignet sich besonders gut für eine Sphinkterplastik. Er darf hingegen nicht denerviert oder vorher schon atroph sein. Der M. gracilis erhält die Innervation und die Blutversorgung von proximal. Der distale Teil kann daher vollständig mobilisiert werden. Der distale Anteil des Muskels wird um den Anus gewickelt und ist dann durch aktives Anspannen in der Lage, diesen zu schließen. Dieses aktive Anspannen ist insofern problematisch, als der Patient nicht in der Lage ist, diesen Muskel 24 h am Tag zu kontrahieren. Physiologisch ist dies auch nicht möglich, da der Muskel überwiegend aus schnell ermüdenden Typ-2-Fasern aufgebaut ist. Der M. gracilis dient als Hilfsmuskel beim Gehen und kann nur kurz angespannt werden. Stimuliert man den M. gracilis allerdings elektrisch, erzeugt man eine dauerhafte Kontraktion. Dadurch passt sich der Muskel allmählich an und wird unermüdbar. Dies geschieht durch Umbau von Typ-2- zu Typ-1-Muskelfasern. Die Kombination der Grazilisplastik mit der Implantation eines Pulsgenerators und Elektroden bezeichnet man als dynamische Grazilisplastik. Die dynamische Grazilisplastik ist in der Lage, die anale Sphinkterfunktion elektrisch gesteuert zu übernehmen. Wird der Stimulator mit einer Fernbedienung ausgeschaltet, entspannt sich der Muskel und die Entleerung des Rektums wird ermöglicht. Mit der Fernbedienung kann dann der Stimulator wieder eingeschaltet werden, womit sich der Muskel wieder anspannt und den Anus schließt. Der Umbau von Typ-2- zu Typ-1-Muskelfasern geschieht langsam, darum ist eine Übungsperiode von 4–8 Wochen notwendig, um eine Überbelastung des Muskels zu verhindern. Diese Technik eignet sich für Patienten, die den Stimulator bedienen können und stellt damit keine gute Variante für Kleinkinder oder demente Patienten dar (Corman 1980; Baeten et al. 1995; Williams et al. 1991; Adang et al. 1998; Baeten u. Rongen 1997; Cavina 1996; Geerdes et al. 1995; Penninckx 2004).
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Kapitel 35 · Proktologie
Bei Männern muss präoperativ ein Urinkatheter eingelegt, bei Frauen die Vagina jodiert werden. Der Patient wird in der Steinschnittlage platziert und so abgedeckt, dass die mediale Seite von Ober- und Unterschenkel bis 10 cm unter dem Knie, die untere Bauchhälfte und das Perineum frei bleiben. Durch einen medialen Schnitt im Oberschenkel wird der M. gracilis freigelegt. Die distalen Arterien und Venen werden ligiert. Dann wird die Sehne des M. gracilis bis an seine Insertion an der Tuberositas tibiae freigelegt. Durch einen kleinen Hilfsschnitt wird die Sehne distal abgelöst. Es folgt das Freilegen des proximalen Teils des Muskels bis an das neurovaskuläre Bündel, das sich immer 8 cm vom proximalen Ansatz befindet. Das neurovaskuläre Bündel muss nicht vollständig dargestellt werden; zurückbleibendes Bindegewebe behütet es vor iatrogenem Schaden. Durch bilaterale, perianale Inzision kann digital an der dorsalen Seite des Anus ein Tunnel anlegt werden, wobei das Os coccygis der Orientierungspunkt ist. Auch frontal wird digital ein Tunnel angelegt. Dies kann dann schwierig sein, wenn sich bei Patienten, die schon viele Male operiert wurden, Narbengewebe zwischen Anorektum und Vagina befindet. Die Schicht zwischen Rektum und Vagina ist sehr dünn und die Gefahr einer Perforation zum Anorektum ist hier groß. Man kann diese Komplikation vermeiden, indem ein zusätzlicher Schnitt in der Rückwand der Vagina angelegt wird. Ist der Tunnel um den Anus vollendet, wird ein subkutaner Tunnel vom Perineum zum proximalen Anteil der M. gracilis angelegt. Dieser Tunnel muss so weit sein, dass der Grazilismuskel ohne komprimiert zu werden gut hindurchpasst. Der Grazilis wird nun vom Bein her umgeklappt (. Abb. 35.45), um den Anus gewickelt und das distale Sehnenende am Periost verankert. Danach werden im Oberschenkel zwei Elektroden im Muskel angebracht. Die Elektroden werden dann unter der Faszie des M. rectus durchgezogen und mit dem Schrittmacher, der subkutan eingelegt wird, verbunden. Der Schrittmacher wird erst nach 6 Wochen eingeschaltet, um dann mit den Übungen zu beginnen, um den Muskel zu Typ-1-Muskel umzubauen.
Ergebnisse. Die dynamische Grazilisplastik bringt gute Resultate. Ungefähr 75% der vorher völlig Inkontinenten werden ganz kontinent. Dies lässt sich durch anale Manometrie, Defäkographie und Testklysmas objektivieren und wird durch eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität bestätigt. Faucheron et al. (1994) publizierten eine Serie von 22 Patienten. Davon waren 19 (86%) Patienten stuhlkontinent. Hingegen konnte nur 1 Patient (4,5%) auch flüssigen Stuhl kontrollieren.
Künstliche Sphinkter Das Indikationsgebiet für die künstlichen Sphinkter überlappt mit dem der dynamischen Grazilisplastik. Sie sind die einzige Alternative, wenn kein vitaler Muskel zur Verfügung steht. Allerdings ist diese Technik weniger geeignet, wenn der Patient schon viele perianale Infektionen erlitten hat. Das Infektionsrisiko bei künstlichen Neosphinktern ist viel größer als bei der Sphinkterplastik mit Muskulatur. Der künstliche Darmsphinkter ist eine Modifikation der schon länger bestehenden künstlichen Sphinkter der Harnwege (Christiansen u. Lorentzen 1989; O’Brian et al. 2004; Hajivassiliou u. Finlay 1998).
V. A. N.
P. E.
. Abb. 35.45. Die dynamische Grazilisplastik. Der M. gracilis wird von distal her bis vor dem Einstrahlen des neurovaskulären Bündels (V, A, N) in den Muskel mobilisiert und subkutan verlagert um den Anus geschlungen. Das distale Ende des Muskels wird auf der Gegenseite am Periost des Beckens verankert. Die Elektroden (E) werden unter der Rektusscheide durchgeführt und nahe an der Nerveneintrittsstelle am Muskel fixiert. Der Pacemaker (P) kommt subkutan in der kaudalen Bauchwand zu liegen
Der künstliche Darmsphinkter besteht aus einer Silikonmanschette, die um den Anus platziert wird. Die Manschette ist über einen Schlauch mit einer Pumpe verbunden, die beim Mann im Skrotum und bei der Frau im Labium majus untergebracht ist. Über einen zweiten Schlauch ist diese Pumpe zusätzlich mit einem druckregulierenden Ballon verbunden, der im Cavum Retzii platziert wird. Das ganze System ist mit einer verdünnten Kontrastmittellösung gefüllt, sodass es auf einem Röntgenbild gut erkennbar ist. Vor der Operation sollte der Darm völlig leer sein, ein entlastendes Stoma wird nicht empfohlen. Der Patient wird in der Steinschnittlage gelagert und bilateral vom Anus werden zwei Schnitte gesetzt. Genau wie bei der dynamischen Grazilisplastik wird ein Tunnel angelegt und mit einem Messgerät die genaue Breite und Länge der zu platzierenden Manschette gemessen. Die leere Manschette der richtigen Abmessungen wird dann um den Anus gelegt und geschlossen. Der Schlauch wird subkutan zu einem Schnitt im Unterbauch geführt. Präperitoneal wird eine Tasche angelegt, in die der druckregulierende Ballon eingebracht wird. Der Ballon wird mit einer standardisierten Menge Wasser und Kontrastmittel gefüllt. Beide Schläuche werden mit der Pumpe verbunden, die dann aus dem Unterbauchschnitt zum Skrotum oder Labium gebracht wird. Die Manschette bleibt während der ersten Wochen, bis alle Wunden abgeheilt sind, leer. Erst danach wird die Pumpe aktiviert. Die Manschette füllt sich und drückt den Anus zusammen. Um das Rektum entleeren zu können, betätigt der Patient die Pumpe. Dadurch entleert sich die Manschette und der Stuhl kann den Anus passieren. Nach einigen Minuten strömt die Flüssigkeit wieder zurück in die Manschette und der Anus wird geschlossen.
Ergebnisse. Die Resultate der künstlichen Sphinkter in einer
Analyse der publizierten Serien von Wong et al. (1996), Christiansen u. Lorentzen (1989) und Lehur et al. (1996) zeigen eine Explantation bei 10 von 37 Patienten (27%) als Folge von Infek-
547 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
tionen, Erosion und mechanischer Probleme. Die Kontinenzrate liegt bei 73%. Auch spätere Studien zeigen, dass in einem großen Prozentsatz der Patienten eine Verbesserung von Kontinenz und Lebensqualität erreicht werden kann. Kolostomie Wenn keine der beschriebenen konservativen oder chirurgischen Behandlungsverfahren eine Verbesserung der Inkontinenz bietet, darf die Möglichkeit der Anlage eines Kolostomas nicht außer Betracht gelassen werden. Eine weitere Indikation, eine Kolostomie wegen Inkontinenz anzulegen, liegt bei den Patienten vor, die für jeden Gang zur Toilette hilfsbedürftig sind. Dies gilt für rollstuhlabhängige oder bettlägerige Patienten. Bei diesen Patienten ist eine Kolostomie die viel bessere Lösung als jede chirurgische partielle Wiederherstellung der Sphinkterfunktion. Die Technik für das Anlegen einer Kolostomie wegen Inkontinenz unterscheidet sich nicht von anderen Indikationen. Es ist allerdings wichtig, den Rektumstumpf zu spülen. Impaktierte Stuhlreste können nämlich zu Entzündung und Schleimabsonderung führen, wodurch der Patient immer noch pseudoinkontinent bleiben würde (Wade 1989).
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551 36.1 · Anatomie der Gallenwege
Anatomie der Gallenwege
36.1
D. Oertli
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nach Höhe der Einmündung des Ductus cysticus ist dieser dreieckige Raum größer oder kleiner. Hier hat der Chirurg bei der Cholezystektomie nach Eröffnung des Peritonealüberzuges den Ductus cysticus und die A. cystica aufzusuchen.
) ) Die Kenntnis sowohl des regelhaften Verlaufes und der Gefäßversorgung der Gallenwege als auch deren Gang- und Gefäßvariationen ist für eine sichere, komplikationsarme hepatobiliäre Chirurgie essenziell.
36.1.1 Gallenblase Die Gallenblase liegt mit etwa einem Drittel ihrer Zirkumferenz der Unterfläche der Leber an. Zwei Drittel sind von Serosa bedeckt. Sie fasst ca. 50 ml Galle. Feine Gallengänge verbinden Leber und Gallenblase (Luschka-Gänge). Topographisch wird die Gallenblase in Fundus, Korpus (der Leber anliegende Abschnitt) und Infundibulum eingeteilt. Das Infundibulum – auch Hartmann-Tasche genannt – liegt nicht mehr der Leber an und ist relativ beweglich von 2 Peritonealblättern überzogen. Das Infundibulum mündet in den Ductus cysticus, der den Anschluss an den Ductus choledochus herstellt. Der Raum zwischen Leberunterfläche, Hauptgallengang und Gallenblaseninfundibulum mit der Zystikuseinmündung wird Calot-Dreieck genannt. Je
36.1.2 Extrahepatische Gallenwege Die extrahepatischen Gallenwege verlaufen im Ligamentum hepatoduodenale und werden in 5 Abschnitte unterteilt (. Abb. 36.1). Am Zusammenfluss der beiden Lebergallengänge (1 und 2) beginnt der Ductus hepaticus (3), der bis zur Einmündung des Ductus cysticus (4) reicht. Distal der Einmündung des Ductus cysticus wird der Gallengang Ductus choledochus genannt und topographisch in einen supraduodenalen (5), retroduodenalen (6) und retro- bzw. intrapankreatischen (7) Abschnitt unterteilt. An seiner Einmündungsstelle ins Duodenum besteht ein intramuraler Ductus choledochus (8) und bildet mit dem Sphincter Oddi die Papilla Vateri. Im hepatoduodenalen Ligament liegt der Hauptgallengang – auch Ductus hepatocholedochus genannt – in enger Nachbarschaft zu Blut- und Lymphgefäßen und zwar ventral der V. portae und rechts der A. hepatica propria. Diese topographische Beziehung bleibt, wenn auch weniger unmittelbar, nach kaudal zum Duodenum hin weiterhin bestehen (. Abb. 36.2). Rechts der V. portae zwischen V. cava inferior und dem Duodenum verläuft retroduodenale Anteil des
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. Abb. 36.1. Anatomie der extrahepatischen Gallenwege. 1 Ductus hepaticus dexter, 2 Ductus hepaticus sinister. Hauptgallengang: 3 Ductus hepaticus, 4 Ductus cysticus, 5 supraduodenaler Ductus choledochus, 6 retroduodenaler Ductus choledochus, 7 intrapankreatischer Ductus choledochus, 8 Papilla Vateri. Gallenblase: 9 Fundus, 10 Korpus, 11 Infundibulum, 12 direkt in die Gallenblase mündende Gallengänge
. Abb. 36.2. Topographie innerhalb des Lig. hepatoduodenale. 1 Ductus hepaticus, 2 Ductus choledochus, 3 Vena portae, 4 A. hepatica communis, 5 A. hepatica dextra, 6 A. cystica, 7 A. hepatica sinistra, 8 A. gastroduodenalis
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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Kehr 1913
Crucknell 1871
Couinaud 1957
. Abb. 36.3a–s. Varianten des Ductus cysticus. a Normale Anatomie; b fehlender D. cysticus, direkte Einmündung des Infundibulums in den D. hepatocholedochus; c parallelverlaufender D. cysticus zum D. hepa-
tocholedochus; d Spiralverlauf des D. cysticus um den D. hepaticus communis herum und kaudale Mündung; e–s selten beschriebene Varianten des D. cysticus. (Nach Hess 1986)
Ductus choledochus. Er kann durch eine duodenale Mobilisation (Kocher-Manöver) chirurgisch dargestellt werden. Der intrapankreatische Anteil des Gallenganges ist wegen des Pankreasparenchymes und der unmittelbaren Nachbarschaft mit der sich verzweigenden A. gastroduodenalis chirurgisch kaum angehbar. Der letzte Abschnitt des Gallenganges tritt in unterschiedlich schrägem Verlauf durch die Wand des Duodenums und ist durch eine Verengung des Lumens im Bereich der Sphinktermuskulatur gekennzeichnet.
tischen Gallenwege (. Abb. 36.3). Die Höhe der Hepatikusgabel innerhalb des Lig. hepatoduodenale kann sehr variabel sein (Hashimoto et al. 2002). Ebenso weicht die Mündung des Ductus cysticus in den Ductus hepatocholedochus recht häufig von den normalen Verhältnissen ab. Dieser Umstand muss bei Gallenblasen- und Gallenwegseingriffen in Betracht gezogen werden, um Gallengangläsionen zu vermeiden. Magnetresonanztomographische Cholangiographien zeigen, dass die Mündung des D. cysticus in 9% der Fälle abnorm kaudal und in 17% medial des D. choledochus lokalisiert sein kann. Bei 25% der untersuchten Individuen mündet der D. cysticus erst nach einem längerstreckigen Verlauf parallel zum D. hepaticus communis (Taourel et al. 1996). In 9–15% der Fälle ist kein gemeinsamer rechtsseitiger D. hepaticus ausgebildet, sondern das Gangsystem der vorderen Lebersegmente IV und V mündet separat relativ kaudal in den D. hepaticus communis (. Abb. 36.4c).
36.1.3 Fehlbildungen und anatomische Variationen Die isolierte Agenesie der Gallenblase stellt eine Rarität dar. Ihre Inzidenz wird mit 0,01–0,04% angegeben (Kestenholz et al. 1997). Gallenblasenseptierungen und -duplikaturen (Häufigkeit ca. 1:4000 Autopsien; Hess 1986) oder eine vollständig intrahepatisch gelegene Gallenblase sind ebenfalls extrem selten, während eine teilweise intrahepatische Lokalisation gelegentlich vorkommt. In ca. 4% der Fälle ist die Gallenblase an einem eigentlichen Mesozystium an der Leberunterfläche relativ mobil aufgehängt (Hess 1986). Die Transposition der Gallenblase nach links mit einem Gallenblasenbett im Lebersegment III stellt eine ausgesprochene Rarität dar und ist dann mit einer intestinalen Malrotation assoziiert (Campbell et al. 1993). Die Bedeutung der Anatomie für die Chirurgie liegt vor allem in den relativ häufig vorkommenden Variationen der extrahepa-
Cave Die Vereinigung des hinteren Segmentganges (aus den Lebersegmenten VI und VII) mit dem linken D. hepaticus kann als »Bifurkation« missgedeutet und der weiter kaudal einmündende rechte vordere Segmentgang kann leicht mit dem D. cysticus verwechselt werden (Northover u. Terblanche 1982).
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entspringende – A. hepatica sinistra, die bei einer Magenresektion gefährdet sein kann. Fast ebenso oft liegt eine aberrierende A. hepatica dextra vor, die aus der A. mesenterica superior entspringt und beispielsweise bei einer Duodenopankreatektomie verletzt werden kann. In 3% der Fälle ist die aberrierende A. hepatica die einzige arterielle Blutversorgung der Leber (Hess 1986). Die arterielle Durchblutung des Hauptgallenganges erfolgt über kleine Seitenäste, die aus der A. hepatica propria oder – im kaudalen Abschnitt – aus der A. gastroduodenalis entspringen. Die Gallenblasendurchblutung erfolgt über die A. cystica und über kleine arterielle Äste im Gallenblasenbett. Die A. cystica ist entweder einfach oder doppelt angelegt, kurz oder lang. Sie verläuft entweder vor oder hinter dem rechten und linken D. hepaticus, dem D. hepaticus communis oder dem D. choledochus. Sie kann großkalibrig und einer kleinen rechten Leberarterie zum Verwechseln ähnlich sein. Sie kann sich am Gallenblasenhals aufteilen oder es handelt sich überhaupt um 2 getrennte Arterien. Läsion oder unbeabsichtigte Ligatur bzw. Klippung der A. hepatica dextra oder einer akzessorischen oder eigenständigen aberrierenden rechten Leberarterie kann in einer partiellen Leberischämie resultieren. 36.1.5 Lymphatischer Abfluss
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c . Abb. 36.4a–c. Varianten der Hepatikusgabelung. a Normale Anatomie der intrahepatischen Gallenwege und typische Hepatikusgabel (52%); b Mündung der beiden vorderen rechten Lebersegmentäste direkt in die Gabel im Sinne einer Trifurkation (13%); c abnorm tiefe und separate Einmündung der beiden vorderen rechten Lebersegmentäste in den D. hepaticus communis (15%)
36.1.4 Gefäßversorgung Die arterielle Versorgung der Gallenwege weist so häufige Variationen auf, dass es schwierig ist, eine Normalanatomie zu beschreiben. Einige dieser Variationen haben eine große chirurgische Bedeutung und müssen dem Operateur bekannt sein. Die A. hepatica entspringt in der Regel aus dem Truncus coeliacus nach rechts in Richtung Pfortader, der sie ventral anliegt. Noch bevor sie den Leberhilus ganz erreicht, gabelt sie sich in 3 Endäste, in die Aa. hepatica dextra, media und sinistra. In ca. 20% der Individuen besteht eine aberrierende – der A. gastrica sinistra
Im Calot-Dreieck findet sich in der Regel ein dem Infundibulum der Gallenblase aufliegender größerer Lymphknoten (MascagniLymphknoten). Die Lymphe der Gallenblase, die sich mit derjenigen der Leber vereinigt, zieht zu den Lymphknoten des Lig. hepatoduodenale, die zu beiden Seiten des supraduodenalen D. choledochus liegen, folgt von hier der A. hepatica communis entlang des Pankreasoberrandes und erreicht so die zöliakalen Lymphknoten. Lymphknotenmetastasen beim Gallenblasenkarzinom sind in erster Linie am D. cysticus, pericholedochal, retroportal, seltenerweise pankreatikoduodenal, zöliakal und interaortokaval zu suchen (Tsukada et al. 1997). Eine retrograde Metastasierung in den Leberhilus ist ungewöhnlich und kommt erst durch tumorbedingte Verlegung des lymphatischen Abflusses zustande. 36.1.6 Innervation Das Lig. hepatoduodenale beherbergt ein komplexes System von autonomen Nervenfasern, dessen physiologische Bedeutung nicht letztlich geklärt ist. Der anterior gelegene Nervenplexus besteht primär aus sympathischen Fasern, die aus den paraaortalen Ganglien von Th7 bis Th10 entspringen und mit dem Plexus coeliacus, aber auch mit Vagusfasern kommunizieren. Dieser Nervenplexus umgibt vor allem die hepatischen Arterien. Das anteriore Nervengeflecht ist mit dem posterioren verbunden. Dieses umgibt die V. portae und den Gallengang. Distension von Leberkapsel und Gallenblase verursachen Schmerzen, die sich in die rechten Schulter- oder Skapularegion (3. und 4. zervikales Dermatom) projizieren können.
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Campbell KA, Sitzmann JV, Cameron JL (1993) Biliary tract anomalies associated with intestinal malrotation in the adult. Surgery 113:312– 317 Hashimoto M, Hashimoto M, Ishikawa T et al. (2002) Right hepatic duct emptying into the cystic duct: report of a case. Surg Endosc 16:359 Hess W (1986) Anatomie und Physiologie. In: Hess W, Rohner A, Akovbiantz A (Hrsg) Die Erkrankungen der Gallenwege und des Pankreas, 1. Piccini Nuova Libraria, Padova, S 3–42 Kestenholz PB, von Flüe M, Harder F (1997) Gallenblasenagenesie bei Erwachsenen: Eine laparoskopische Diagnose. Chirurg 68:643–645 Northover JNA, Terblanche J (1982) Applied surgical anatomy of the biliary tree. Clin Surg Intern 5:1 Taourel P, Bret PM, Reinhold C, Barkun AN, Atri M (1996) Anatomic variants of the biliary tree: diagnosis with MR cholangiography. Radiology 199:521–527 Tsukada K, Kurosaki I, Uchida K, Shirai Y, Oohashi Y, Yokoyama N, Watanabe H, Hatakeyama K (1997) Lymph node spread from carcinoma of the gallbladder. Cancer 80:661–667
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Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege S. Krähenbühl
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Die Sekretion der Galle konnte in den letzten 10 Jahren molekular charakterisiert und damit die Grundlage für das Verständnis der Mechanismen der wichtigsten Cholestasesyndrome geschaffen werden. Für die praktische Tätigkeit wichtig ist die Differenzierung zwischen intra- und extrahepatischer Cholestase sowie das Verständnis der Auswirkungen von chronischer Cholestase. Die Dysfunktion des Sphincter Oddi ist die wichtigste Ursache für eine Störung der Motilität der Gallenwege. Aufgrund der Beschwerden und objektiver Kriterien können Patienten mit SphincterOddi-Dysfunktion in verschiedene Gruppen aufgeteilt werden, was für die Einleitung einer rationalen Therapie entscheidend ist.
36.2.1 Mechanismen der Gallenbildung Kanalikuläre und duktuläre Gallenbildung Die Gallenbildung erfolgt sowohl kanalikulär (in den Hepatozyten) wie auch duktulär (im Gallengangsepithel), wobei bei der kanalikulären Fraktion eine gallensäurenabhängige und eine gallensäureunabhängige Komponente unterschieden werden können. Dieser Sachverhalt ist in . Abb. 36.5 schematisch dargestellt. Für jedes mMol Taurocholat, das kanalikulär sezerniert wird, steigt der Gallenfluss um ca. 8 ml. Die choleretische Potenz variiert von Gallensäure zu Gallensäure und beträgt z. B. für Norchenodeoxycholat in der Ratte 220 ml/mMol. Der gallensäureunabhängige Teil stammt sowohl aus den Hepatozyten wie auch aus den Gallengängen, und steht unter hormonaler Kontrolle. Die kanalikuläre Komponente wird durch Insulin und Glukagon sowie c-AMP-Analoga und Theophyllin stimuliert, die duktuläre durch Sekretin. Wichtige Stoffe, die gallensäureunabhängig sezerniert werden, sind z. B. Bikarbonat und Glutathion. Infusion von Sekretin führt zur Stimulation eines bikarbonatreichen Gallenflusses, sowohl beim Menschen als auch bei der Ratte. Das
Gallenfluss
Literatur
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gallensäurenabhängig: kanalikulär gallensäurenunabhängig: duktulär, kanalikulär Gallensäurensekretion . Abb. 36.5. Der Gallenfluss kann in eine gallensäurenunabhängige und in eine gallensäurenabhängige Komponente aufgeteilt werden. Die gallensäurenunabhängige Komponente stammt aus den Hepatozyten (kanalikulär) und aus den Cholangiozyten (duktulär). Die gallensäurenabhängige Komponente stammt nur aus Hepatozyten (duktulär). Die choleretische Potenz der Gallensäuren ist unterschiedlich, sie beträgt z. B. 8 ml/mmol für Taurocholat und 220 ml/mmol für Norchenodeoxycholat
Ausmaß der Stimulation korreliert eng mit dem Gehalt der Leber an kleinen Gallenwegen (Duktuli) und ist unabhängig von der Sekretion von Gallensäuren (Knuchel 1989). Das spricht dafür, dass die Gallenduktuli tatsächlich an der Gallenproduktion beteiligt sind. Molekulare Charakterisierung der Transportsysteme Bei der Charakterisierung von Transportproteinen, die an der Sekretion von Galle beteiligt sind, sind in letzter Zeit entscheidende Fortschritte gemacht worden (. Tab. 36.1; Trauner 1998). Gallensäuren werden an der sinusoidalen Membran der Hepatozyten sowohl natriumabhängig wie natriumunabhängig aufgenommen. Konjugierte Gallensäuren wie z. B. Taurocholat werden vor allem natriumabhängig durch den Natrium-Taurocholat Kotransporter (NTCP), der in der sinusoidalen Membran lokalisiert ist, in die Hepatozyten aufgenommen. Dieser Transporter ist 1991 als erstes Gallensäurentransportsystem durch Hagenbuch et al. (1991) kloniert worden. Nichtkonjugierte Gallensäuren werden ebenfalls sinusoidal v. a. natriumunabhängig aufgenommen, das entsprechende Transportprotein wurde ebenfalls kloniert und heißt OATP (»organic anion transport protein«; Jacquemin et al. 1994). Nebst Gallensäuren transportiert es interessanterweise auch andere organische Substanzen wie z. B. Bromosulfophthalein und bestimmte Medikamente. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Sekretion von Gallensäuren liegt aber nicht auf der sinusoidalen, sondern auf der kanalikulären Seite der Hepatozyten. Schon früh ist gezeigt worden, dass die kanalikuläre Sekretion von Gallensäuren eine ATP-abhängige Funktion ist (Nishida et al. 1991). Erst kürzlich wurde aber das zugehörige Transportprotein kloniert (»canalicular bile salt export pump« oder »sister of P-glycoprotein«, SPGP; Gerloff et al. 1998). Es gehört in die Gruppe der ABC-Transporter (»ATP-binding cassette transporters«, weil diese Proteine spezielle Strukturen zum Binden und Hydrolisieren von ATP besitzen, aus dem sie die Energie zum Transport von Substraten gewinnen). Das Fehlen der Funktion des SPGP führt zu einer Form von progressiver, familiärer intrahepatischer Cholestase (PFIC Typ 2).
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Campbell KA, Sitzmann JV, Cameron JL (1993) Biliary tract anomalies associated with intestinal malrotation in the adult. Surgery 113:312– 317 Hashimoto M, Hashimoto M, Ishikawa T et al. (2002) Right hepatic duct emptying into the cystic duct: report of a case. Surg Endosc 16:359 Hess W (1986) Anatomie und Physiologie. In: Hess W, Rohner A, Akovbiantz A (Hrsg) Die Erkrankungen der Gallenwege und des Pankreas, 1. Piccini Nuova Libraria, Padova, S 3–42 Kestenholz PB, von Flüe M, Harder F (1997) Gallenblasenagenesie bei Erwachsenen: Eine laparoskopische Diagnose. Chirurg 68:643–645 Northover JNA, Terblanche J (1982) Applied surgical anatomy of the biliary tree. Clin Surg Intern 5:1 Taourel P, Bret PM, Reinhold C, Barkun AN, Atri M (1996) Anatomic variants of the biliary tree: diagnosis with MR cholangiography. Radiology 199:521–527 Tsukada K, Kurosaki I, Uchida K, Shirai Y, Oohashi Y, Yokoyama N, Watanabe H, Hatakeyama K (1997) Lymph node spread from carcinoma of the gallbladder. Cancer 80:661–667
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Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege S. Krähenbühl
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Die Sekretion der Galle konnte in den letzten 10 Jahren molekular charakterisiert und damit die Grundlage für das Verständnis der Mechanismen der wichtigsten Cholestasesyndrome geschaffen werden. Für die praktische Tätigkeit wichtig ist die Differenzierung zwischen intra- und extrahepatischer Cholestase sowie das Verständnis der Auswirkungen von chronischer Cholestase. Die Dysfunktion des Sphincter Oddi ist die wichtigste Ursache für eine Störung der Motilität der Gallenwege. Aufgrund der Beschwerden und objektiver Kriterien können Patienten mit SphincterOddi-Dysfunktion in verschiedene Gruppen aufgeteilt werden, was für die Einleitung einer rationalen Therapie entscheidend ist.
36.2.1 Mechanismen der Gallenbildung Kanalikuläre und duktuläre Gallenbildung Die Gallenbildung erfolgt sowohl kanalikulär (in den Hepatozyten) wie auch duktulär (im Gallengangsepithel), wobei bei der kanalikulären Fraktion eine gallensäurenabhängige und eine gallensäureunabhängige Komponente unterschieden werden können. Dieser Sachverhalt ist in . Abb. 36.5 schematisch dargestellt. Für jedes mMol Taurocholat, das kanalikulär sezerniert wird, steigt der Gallenfluss um ca. 8 ml. Die choleretische Potenz variiert von Gallensäure zu Gallensäure und beträgt z. B. für Norchenodeoxycholat in der Ratte 220 ml/mMol. Der gallensäureunabhängige Teil stammt sowohl aus den Hepatozyten wie auch aus den Gallengängen, und steht unter hormonaler Kontrolle. Die kanalikuläre Komponente wird durch Insulin und Glukagon sowie c-AMP-Analoga und Theophyllin stimuliert, die duktuläre durch Sekretin. Wichtige Stoffe, die gallensäureunabhängig sezerniert werden, sind z. B. Bikarbonat und Glutathion. Infusion von Sekretin führt zur Stimulation eines bikarbonatreichen Gallenflusses, sowohl beim Menschen als auch bei der Ratte. Das
Gallenfluss
Literatur
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gallensäurenabhängig: kanalikulär gallensäurenunabhängig: duktulär, kanalikulär Gallensäurensekretion . Abb. 36.5. Der Gallenfluss kann in eine gallensäurenunabhängige und in eine gallensäurenabhängige Komponente aufgeteilt werden. Die gallensäurenunabhängige Komponente stammt aus den Hepatozyten (kanalikulär) und aus den Cholangiozyten (duktulär). Die gallensäurenabhängige Komponente stammt nur aus Hepatozyten (duktulär). Die choleretische Potenz der Gallensäuren ist unterschiedlich, sie beträgt z. B. 8 ml/mmol für Taurocholat und 220 ml/mmol für Norchenodeoxycholat
Ausmaß der Stimulation korreliert eng mit dem Gehalt der Leber an kleinen Gallenwegen (Duktuli) und ist unabhängig von der Sekretion von Gallensäuren (Knuchel 1989). Das spricht dafür, dass die Gallenduktuli tatsächlich an der Gallenproduktion beteiligt sind. Molekulare Charakterisierung der Transportsysteme Bei der Charakterisierung von Transportproteinen, die an der Sekretion von Galle beteiligt sind, sind in letzter Zeit entscheidende Fortschritte gemacht worden (. Tab. 36.1; Trauner 1998). Gallensäuren werden an der sinusoidalen Membran der Hepatozyten sowohl natriumabhängig wie natriumunabhängig aufgenommen. Konjugierte Gallensäuren wie z. B. Taurocholat werden vor allem natriumabhängig durch den Natrium-Taurocholat Kotransporter (NTCP), der in der sinusoidalen Membran lokalisiert ist, in die Hepatozyten aufgenommen. Dieser Transporter ist 1991 als erstes Gallensäurentransportsystem durch Hagenbuch et al. (1991) kloniert worden. Nichtkonjugierte Gallensäuren werden ebenfalls sinusoidal v. a. natriumunabhängig aufgenommen, das entsprechende Transportprotein wurde ebenfalls kloniert und heißt OATP (»organic anion transport protein«; Jacquemin et al. 1994). Nebst Gallensäuren transportiert es interessanterweise auch andere organische Substanzen wie z. B. Bromosulfophthalein und bestimmte Medikamente. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Sekretion von Gallensäuren liegt aber nicht auf der sinusoidalen, sondern auf der kanalikulären Seite der Hepatozyten. Schon früh ist gezeigt worden, dass die kanalikuläre Sekretion von Gallensäuren eine ATP-abhängige Funktion ist (Nishida et al. 1991). Erst kürzlich wurde aber das zugehörige Transportprotein kloniert (»canalicular bile salt export pump« oder »sister of P-glycoprotein«, SPGP; Gerloff et al. 1998). Es gehört in die Gruppe der ABC-Transporter (»ATP-binding cassette transporters«, weil diese Proteine spezielle Strukturen zum Binden und Hydrolisieren von ATP besitzen, aus dem sie die Energie zum Transport von Substraten gewinnen). Das Fehlen der Funktion des SPGP führt zu einer Form von progressiver, familiärer intrahepatischer Cholestase (PFIC Typ 2).
555 36.2 · Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege
36
. Tabelle 36.1. Für die Gallensekretion wichtige Transportproteine
Bezeichnung
Lokalisation
u Fnktion
Natrium-Taurocholattransporter (NTCP)
Sinusoidal
Natriumabhängiger Transport von konjugierten Gallensäuren aus dem Blut in die Galle
Organischer Anionentransporter (OATP)
Sinusoidal
Natriumunabhängiger Transport von unkonjugierten Gallensäuren und anderen Substanzen
Multidrug-resistance-1 P-glycoprotein (MDR1)
Kanalikulär
ATP-abhängiger Transport vieler Substanzen in die Galle
Multidrug-resistance-3 P-glycoprotein (MDR3)
Kanalikulär
ATP-abhängiger Transport von Phosphatidylcholin
Multidrug-resistance-associated protein (MRP2, cMOAT)
Kanalikulär
ATP-abhängiger Transport von konjugiertem Bilirubin in die Galle → gallensäurenunabhängiger Fluss
Canalicular bile salt-export pump (sister of P-glycoprotein) (SPGP)
Kanalikulär
Export von Gallensäuren in die Galle → gallensäurenabhängiger Fluss
Glutathiontransporter
Kanalikulär
Export von Glutathion in die Galle (noch nicht kloniert) → gallensäurenunabhängiger Fluss
Cystic fibrosis transmembrane regulator (CFTR)
Luminale Membran
Chloridkanal, erleichtert Transport von Chlorid in die Galle
Chloride-bicarbonate anion exchanger (AE2)
Luminale Membran
Erleichtert Bikarbonattransport in die Galle → gallensäurenunabhängiger Fluss
Hepatozyten
Cholangiozyten
Neben dem Gallensäureexporter gibt es im Kanalikulus weitere ABC-Transporter, die für die Gallenproduktion sehr wichtig sind. Zu erwähnen sind das »multidrug-resistance-3 P-glycoprotein« (MDR3), das Phospholipide in die Galle sezerniert (Elferink et al. 1997). Das Fehlen dieses Transporters führt ebenfalls zu progressiver, familiärer, intrahepatischer Cholestase (PFIC Typ 3). Erwähnenswert ist auch das »canalicular multidrug resistance-associated protein« (c-MOAT oder MRP2), das organische Anionen wie z. B. Bilirubindiglukuronid sezerniert. Bei Patienten mit Dubin-Johnson-Syndrom (familiäre, konjugierte Hyperbilirubinämie) fehlt dieses Protein. Wie in . Tab. 36.1 gezeigt, gibt es neben diesen Transportern eine Reihe anderer Transportsysteme, die für den kanalikulären oder duktulären Transport der Galle wichtig sind. Zukünftige Studien werden zeigen, wie sich die Expression und Funktion dieser Transportproteine bei den verschiedenen Formen der Cholestase verändert.
Ursachen der Cholestase Die wichtigsten Ursachen der Cholestase sind in der folgenden Übersicht aufgeführt. Klinisch wichtig ist die Unterscheidung zwischen intra- und extrahepatischer Cholestase, was mittels Sonographie (dilatierte Gallenwege bei extrahepatischer Cholestase) und Klinik meist gelingt (oft Schmerzanamnese und Zeichen von Cholangitis wie Fieber und Schüttelfrost bei extrahepatischer Cholestase). Eine medikamentös ausgelöste Cholestase ist eine Ausschlussdiagnose und liegt bei ca. 20% der Patienten mit Cholestase vor. Bei Patienten mit extrahepatischer Cholestase erfolgt als Zweituntersuchung meist eine ERCP oder, insbesondere im Fall eines schwer zugänglichen Gallenganges, eine MR-Cholangiographie. Bei der ERCP ist vorteilhaft, dass mit der Untersuchung auch gleich therapeutisch interveniert werden kann. Beim Vorliegen einer ätiologisch unklaren, intrahepatischen Cholestase führt eventuell eine Leberbiopsie weiter.
36.2.2 Pathophysiologie der Gallenbildung Wichtige intrahepatische rUsachen fü r Cholestase Cholestase kann histologisch als Akkumulation von Galle in den Hepatozyten oder Gallenwegen, physiologisch als Einschränkung des Gallenflusses und klinisch als Retention von normalerweise biliär eliminierten Substanzen definiert werden.
Die wichtigsten dieser Substanzen sind Bilirubin, Gallensäuren, Cholesterin und Metalle (z. B. Kupfer). Die Akkumulation dieser Substanzen in den Körperflüssigkeiten und Geweben und das Fehlen im Darm erklären die meisten Symptome bei Cholestase (7 unten).
5 Hepatozyt – Hepatitis: viral, Medikamente (z. B. C17-alkylierte Steroide, Chlorpromazin, Danazol, Ciclosporin, Makrolide, Östrogene, trizyklische Antidepressiva), Toxine (z. B. Alkohol) – Zirrhose – Endotoxine (Sepsis, postoperativ) – Schwangerschaft – Totale parenterale Ernährung – Familiäre Formen der chronischen Cholestase (. Tab. 36.1)
6
556
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
5 Kleine Gallenwege – Primär biliäre Zirrhose/Autoimmuncholangitis – Medikamente (z. B. Carbamazepin, Chlorpromazin, Penicilline) – Akute und chronische Abstoßung nach Transplantation – »Graft versus host disease« – Biliäre Atresie – Idiopathische Duktopenie 5 Große Gallenwege – Primär sklerosierende Cholangitis – Sekundär sklerosierende Cholangitis (chronische Cholangitis, Medikamente wie z. B. Floxuridin)
Wichtige intrahepatische Ursachen für Cholestase 5 Verschluss der großen Gallenwege (Stein, Tumor, Zysten, Parasiten)
Während die extrahepatische Cholestase meist kausal therapierbar ist, kann bei intrahepatischer Cholestase oft nur eine symptomatische Therapie durchgeführt werden. Ausnahmen sind die Verabreichung von Ursodeoxycholsäure (10–15 mg/kg/Tag) bei primär biliärer Zirrhose und die Lebertransplantation bei Patienten mit fortgeschrittenem Leberleiden.
36
Folgen der Cholestase Die wichtigsten Folgen der Cholestase sind Ikterus, Pruritus, Osteopathie, Hyperlipidämie, Hepatopathie und Malabsorption. Ikterus. Neben dem Pruritus ist der Ikterus das wichtigste Symptom, das den cholestatischen Patienten zum Arzt führt. Ein Skleren- und Hautikterus tritt erst auf, wenn das Serumbilirubin eine Konzentration von 50 µmol/l überschritten hat. Obwohl in vitro gezeigt worden ist, dass Bilirubin den Metabolismus von Lebermitochondrien hemmt (Zetterström u. Ernster 1956), gibt es beim Erwachsenen keine sicheren Hinweise, dass Bilirubin toxisch ist. Beim Neugeborenen kann wegen erhöhter Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke bei hohen Bilirubinkonzentrationen ein Kernikterus auftretender zu einem Hirnschaden und schließlich zum Tod führen kann. Interessanterweise ist das Bilirubin ein Antioxidans (Stocker et al. 1987), allerdings ist die physiologische Bedeutung dieser Eigenschaft bis jetzt nicht klar. Erwähnenswert ist sicher die Tatsache, dass das Bilirubin bei cholestatischen Krankheiten einen prognostischen Wert hat. Patienten mit primär biliärer Zirrhose, bei denen im Abstand von 6 Monaten das Serumbilirubin >34 µmol/l beträgt, haben eine mittlere Überlebenszeit von 4 Jahren (Shapiro et al. 1979). Pruritus. Die genauen Ursachen, die zum Pruritus bei Cholestase
führen, sind momentan nicht geklärt. Der Umstand, dass Anionenaustauscher wie z. B. Cholestyramin wirksam sind, hat zur Annahme geführt, dass Gallensäuren dafür verantwortlich sind. Da die Konzentration der Gallensäuren in der Haut nicht mit dem Ausmaß des Pruritus korreliert (Ghent et al. 1977), sind aber wahrscheinlich andere Faktoren mitverantwortlich. Endogene Opioide könnten dabei eine Rolle spielen, weil kürzlich gezeigt werden konnte, dass Opiatantagonisten wie Naltrexon bei cholestatischem Pruritus wirksam sind (Wolfhagen et al. 1997). Therapeutisch bewährt haben sich Antihistaminika (z. B. Hydroxyzin
bis 3-mal 25 mg täglich), Cholestyramin (bis 4-mal 4 g täglich) oder Naltrexon (einschleichen mit 12,5–25 mg/Tag, bis 50 mg pro Tag). In verzweifelten Fällen kommen auch Plasmapherese oder Hämoperfusion in Frage, insbesondere vor einer geplanten Transplantation. Unbehandelbarer Pruritus kann zum Suizid führen und ist deshal b eine Indikation für die Lebertransplantation. Dyslipidämie. Klinischer Ausdruck der cholestatischen Hyper-
cholesterinämie sind Xanthome, insbesondere im Bereich der Augen (Xanthelasmen). Cholesterin wird entweder unverändert oder nach Umwandlung zu Gallensäuren fast ausschließlich biliär eliminiert, was die Hypercholesterinämie bei Cholestase erklärt. Neben der Hypercholesterinämie besteht bei cholestatischen Patienten oft auch eine Hypertriglyzeridämie (Jahn et al. 1985). Bei Patienten mit primär biliärer Zirrhose ist die Dyslipidämie interessanterweise nicht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko vergesellschaftet, muss also aufgrund der momentan verfügbaren Literatur nicht behandelt werden (Crippin et al. 1982). Osteopathie. Schon seit langem ist bekannt, dass chronische Cholestase mit einer Osteopenie und erhöhtem Frakturrisiko (v.a. der Wirbelkörper) vergesellschaftet ist. Pathophysiologisch liegt meist eine Osteoporose vor, nur selten handelt es sich um eine Osteomalazie (Hay 1995). Bei der Pathogenese könnte eine Verminderung der »insulin-like growth factors I and II« (IGF-)Konzentration eine Rolle spielen, was bei Patienten mit Leberzirrhose oder chronischer Cholestase beschrieben ist. Für das Bilirubin ist in vitro zudem gezeigt worden, dass es die Proliferation und Funktion von Osteoblasten hemmt (Janes et al. 1995). Zur Osteopenieprophylaxe sollten cholestatische Patienten zu körperlicher Betätigung angehalten und mit Kalzium und Vitamin D substituiert werden. Bei Frauen können auch niedrig dosierte Oestrogene verabreicht werden, obschon Östrogene potentiell cholestatisch sind. Zur Frakturprophylaxe bei bestehender Osteopenie scheinen sich Bisphosphonate zu eignen, wie in einer kürzlich erschienenen Studie beschrieben (Guanabens et al. 1997). Hepatopathie. Eine extrahepatische Cholestase führt sowohl beim Tier als auch beim Menschen innerhalb von einigen Wochen zu einer Hepatopathie mit Proliferation der Gallengänge, Fibrose und schließlich sekundär biliären Zirrhose. Obwohl das Volumen der Hepatozyten konstant bleibt, sind wichtige hepatische Funktionen eingeschränkt, so z. B. die Albuminsynthese (Krähenbühl et al. 1995). Die Einschränkung der Albuminsynthese lässt sich einerseits auf eine verminderte Expression des Albumingens und wahrscheinlich auch auf Störungen im Energiemetabolismus zurückführen (Krähenbühl et al. 1994). Interessanterweise sind die meisten histologischen und funktionellen Veränderungen nach Wiederherstellung des Gallenflusses innerhalb einiger Wochen reversibel (Zimmermann et al. 1992). Malabsorption. Das Fehlen von Galle im Darm führt zu Malabsorption, insbesondere von Triglyzeriden und fettlöslichen Vitaminen. Verminderte Absorption von Triglyzeriden kann zu Steatorrhoe und schließlich Malnutrition führen. Therapeutisch können mittellangkettige Triglyzeride verabreicht werden, die galleunabhängig absorbiert werden. Ein Mangel an Vitamin K kann leicht am Sinken des Quick festgestellt werden, therapeu-
557 36.2 · Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege
tisch kann Vitamin K parenteral verabreicht werden. Mangelzustände von Vitamin A und E sind häufig subklinisch. Bei Erwachsenen substituiert man nur bei klinischen Zeichen eines entsprechenden Mangels. Bei Kindern sollte gut auf neurologische Symptome eines Vitamin-E-Mangels geachtet werden (Hyporeflexie, zerebelläre Ataxie, Ophtalmoplegie, periphere Polyneuropathie); hier empfiehlt sich die prophylaktische Gabe von parenteralem Vitamin E (Sokol 1987). 36.2.3
Störungen der Motilität der Gallenwege
Grundlagen Obwohl eine biliäre Dyskinesie alle größeren Gallenwege betreffen kann, wird der Begriff meist nur für Störungen der Funktion der Gallenblase und/oder des Sphincter Oddi verwendet. Da die Krankheiten der Gallenblase in den folgenden Kapiteln besprochen werden, beschränkt sich dieses Kapitel auf die Dysfunktion des Sphincter Oddi. Der Sphincter Oddi kann in einen proximalen und einen distalen Teil aufgegliedert werden. Der proximale Teil umschließt den Gallengang gerade vor dem Eintritt ins Duodenum und auch intramural, der distale ist der eigentliche Sphincter ampullae und umschließt das distale Ende des Gallengangs im Bereich der Ampulle. Die Funktion des Sphincter Oddi ist die Regulation des Gallenflusses ins Duodenum und die Verhinderung eines Refluxes aus dem Duodenum in die Gallenwege. Manometrische Studien am Menschen zeigen, dass der Sphincter Oddi spontane, phasische Kontraktionen mit einer Frequenz von ca. 4/min und einer Dauer von ca. 5 s aufweist. Es wird angenommen, dass sich das Reservoir des Sphinkters (der Raum zwischen dem proximalen und distalen Sphincter Oddi) während den Ruhephasen füllt und der Inhalt durch die Kontraktion ins Duodenum entleert wird. Die motorische Aktivität des Sphinkters steht sowohl unter neuronaler wie hormonaler Kontrolle. Cholecystokinin, Sekretin und Glukagon führen zu einer Erschlaffung des Sphinkters, währenddem Opiate einen Spasmus auslösen (Grace et al. 1990). Klinische Symptomatik Dysfunktionen des Sphinkters äußern sich klinisch in intermittierend auftretenden Schmerzen im Bereich des rechten Oberbauches mit möglicher Ausstrahlung in den Rücken, die durch Essen fettreicher Nahrung verstärkt werden können. Dyskinesien des Sphincter Oddi sind bei 20–40 % der Patienten mit Postcholezystektomiesyndrom für die Beschwerden verantwortlich, kommen aber natürlich auch bei Patienten ohne Cholezystektomie vor (Hogan 1988). Typischerweise sind mehr Frauen als Männer betroffen. Die Beschwerden können funktionell oder durch eine organische Stenose bedingt sein; diese Differenzierung gelingt aber leider klinisch meist nicht. Diagnostik und Klassifikation Um die Diagnose und damit auch die Behandlung zu verbessern, ist 1988 von Hogan u. Geenan eine Klassifikation geschaffen worden, die auch heute noch gültig ist.
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Klassifikation der Sphincter-Oddi-Dysfunktion 5 Gruppe I – Objektive Befunde: Gallengang dilatiert (>12 mm), ERCP mit verzögertem Abfluss des Kontrastmittels, pathologische Leberwerte – Meist organische Stenose – Endoskopische Sphinkterotomie oder chirurgische Sphinkteroplastik 5 Gruppe II – Nicht mehr als ein objektiver Befund (7 Gruppe I) – Organische Stenose oder funktionelle Dyskinesie – Weitere Abklärung mittels Manometrie – Therapie je nach manometrischem Befund (7 Text) 5 Gruppe III – Keine objektiven Befunde – Funktionelle Dyskinesie – Manometrie je nach Beschwerden
Therapie Eine endoskopische Sphinkterotomie oder eine chirurgische Sphinkteroplastik kommen bei Patienten der Gruppe I oder auch bei Patienten der Gruppe II mit einem basalen Sphinkterdruck >40 mmHg in Frage (Hogan u. Geenen 1988). Bei den übrigen Patienten der Gruppe II (Sphinkterdruck <40 mmHg) und Patienten der Gruppe III erfolgt primär eine medikamentöse Therapie, z. B. mit Nifedipin 3-mal 10 mg täglich (Sand et al. 1993).
Literatur Crippin JS, Lindor KD, Jorgensen R et al. (1982) Hypercholesterolemia and atherosclerosis in primary biliary cirrhosis: what is the risk? Hepatology 15:858–862 Elferink RP, Tytgat GN, Groen AK (1997) Hepatic canalicular membrane 1: The role of mdr2 P-glycoprotein in hepatobiliary lipid transport. FASEB J 11:19–28 Gerloff T, Stieger B, Hagenbuch B et al. (1998) The sister of P-glycoprotein represents the canalicular bile salt export pump of mammalian liver. J Biol Chem 273:10046–10050 Ghent CN, Bloomer JR, Klatskin G (1977) Elevations in skin tissue levels of bile acids in human cholestasis: Relation to serum levels and to pruritis. Gastroenterology 73:1125–1130 Grace PA, Poston GJ, Williamson RC (1990) Biliary motility. Gut 31:571– 582 Guanabens N, Pares A, Monegal A et al. (1997) Etidronate versus fluoride for treatment of osteopenia in primary biliary cirrhosis: preliminary results after 2 years. Gastroenterology 113:219–224 Hagenbuch B, Stieger B, Foguet M, Lubbert H, Meier PJ (1991) Functional expression cloning and characterization of the hepatocyte Na+/bile acid cotransport system. Proc Natl Acad Sci USA 88:10629–10633 Hay E (1995) Bone disease in cholestatic liver disease. Gastroenterology 108:276–283 Hogan WJ, Geenen JE (1988) Biliary dyskinesia. Endoscopy 20:179–183 Jacquemin E, Hagenbuch B, Stieger B, Wolkoff AW, Meier PJ (1994) Expression cloning of a rat liver Na(+)-independent organic anion transporter. Proc Natl Acad Sci USA 91:133–137 Jahn CE, Schaefer EJ, Taam LA et al. (1985) Lipoprotein abnormalities in primary biliary cirrhosis. Gastroenterology 89:1266–1278 Janes CH, Dickson ER, Okazaki R, Bonde S, McDonagh AF, Riggs BL (1995) Role of hyperbilirubinemia in the impairment of osteoblast proliferation associated with cholestatic jaundice. J Clin Invest 95:2581– 2586
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Knuchel J, Krahenbuhl S, Zimmermann A, Reichen J (1989) Effect of secretin on bile formation in rats with cirrhosis of the liver: structurefunction relationship. Gastroenterology 97:950–957 Krähenbühl S, Talos C, Reichen J (1994) Mechanisms of impaired hepatic fatty acid metabolism in rats with long-term bile duct ligation. Hepatology 19:1272–1281 Krähenbühl S, Marti U, Grant I, Garlick PJ, Ballmer PE (1995) Characterization of mechanisms causing hypoalbuminemia in rats with long-term bile duct ligation. J Hepatol 23:79–86 Nishida T, Gatmaitan Z, Che M, Arias IM (1991) Rat liver canalicular membrane vesicles contain an ATP-dependent bile acid transport system. Proc Natl Acad Sci USA 88:6590–6594 Sand J, Nordback I, Koskinen M, Matikainen M, Lindholm TS (1993). Nifedipine for suspected type II sphincter of Oddi dyskinesia. Am J Gastroenterol 88:530–535 Shapiro JM, Smith H, Schaffner F (1979) Serum bilirubin: a prognostic factor in primary biliary cirrhosis. Gut 20:137–140 Sokol RJ (1987) Medical management of the infant or child with chronic liver disease. Semin Liver Dis 7:155–167 Stocker R, Yamamoto Y, McDonagh AF, Glazer AN, Ames BN (1987) Bilirubin is an antioxidant of possible physiological importance. Science 235:1043–1046 Trauner M, Meier PJ, Boyer JL (1998) Molecular pathogenesis of cholestasis. N Engl J Med 339:1217–1227 Wolfhagen FH, Sternieri E, Hop WC, Vitale G, Bertolotti M, Van BH (1997) Oral naltrexone treatment for cholestatic pruritus: a double-blind, placebo-controlled study. Gastroenterology 113:1264–1269 Zetterström R, Ernster L (1956) Bilirubin, an uncoupler of oxidative phosphorylation in isolated mitochondria. Nature 178:1335–1337 Zimmermann H, Reichen J, Zimmermann A, Sägesser H, Thenisch B, Höflin F (1992) Reversibility of secondary biliary fibrosis by biliodigestive anastomosis in the rat. Gastroenterology 103:579–589
36.3
Konservative Therapie der Cholezystolithiasis
schen Bevölkerung, also etwa 10 Millionen Menschen, haben Gallensteine. Die Prävalenz bei beiden Geschlechtern erhöht sich mit dem Alter; im Alter von 75 Jahren haben 20% der Männer und 35% der Frauen Gallensteine. Bei der Prävalenz lassen sich weltweit auffällige geographische Unterschiede erkennen, die zum Teil durch die Ernährung, aber auch durch genetische Faktoren bedingt sind. Risikofaktoren für Cholesteringallensteine 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Höheres Lebensalter Weibliches Geschlecht (w:m=2:1 bis 3:1) Gravidität, Östrogene Adipositas Forcierter Gewichtsverlust Hochkalorische ballaststoffarme Kost Totale parenterale Ernährung Hohe Serumtriglyzerid- und niedrige HDL-Spiegel Diabetes mellitus Fibrate Octreotidtherapie bei Akromegalie oder neuroendokrinen Tumoren 5 Ciclosporin A 5 Rückenmarksverletzungen 5 Magenbypass und Billroth-II-Resektion
Gallenblasensteine treten signifikant häufiger (3:1) in Familien von Gallensteinträgern auf als in Familien gesunder Kontrollpersonen. Neuere Zwillingsstudien untermauern die Bedeutung der genetischen Risikofaktoren (Lammert u. Sauerbruch 2005), zu denen die Apolipoprotein-E4-Isoform (Venneman et al. 2001) und das Gen der Phospholipidexportpumpe der Leber (ABCB4) zählen (Rosmorduc et al. 2003).
F. Lammert ) ) Die Cholezystolithiasis ist ein gutartiges Leiden: 80% der Gallensteinträger haben keine Symptome und von diesen asymptomatischen Steinträgern werden in 10 Jahren nur 20–40% symptomatisch, bei 1–3% treten Komplikationen, wie eine akute Cholezystitis oder eine biliäre Pankreatitis, auf. Auf diesen epidemiologischen Daten basiert das Therapiekonzept, dass asymptomatische Steinträger nicht behandelt werden und dass für symptomatische Patienten nur eine wenig belastende, komplikationsarme Behandlung in Frage kommt. Es wurden deshalb als Alternativen zur offenen Cholezystektomie medikamentöse Therapien entwickelt, die jedoch durch die laparoskopische Cholezystektomie weitgehend abgelöst wurden. Dennoch werden auch heute noch gelegentlich die medikamentöse, orale Steinauflösung und die extrakorporale Stoßwellentherapie für die Behandlung einzelner, speziell selektionierter Patienten eingesetzt.
36.3.1 Pathogenese und Klassifikation Die Cholezystolithiasis ist eine der häufigsten und kostenträchtigsten gastroenterologischen Erkrankungen. 8–20% der deut-
4-F-Regel für das Risiko von Cholesteringallensteinen: female, fat, forty, fertile.
Gallenblasensteine werden in Cholesterin- und Bilirubinsteine eingeteilt: 4 Cholesterinsteine bestehen zu mehr als 50% aus kristallinem Cholesterin, sind hell und machen bis zu 80% aller Gallensteine aus. 4 Bilirubinsteine bestehen vorwiegend aus polymerisierten Kalziumbilirubinat (schwarze Pigmentsteine) und enthalten weniger als 20% Cholesterin. Im CT sind reine Cholesterinsteine iso- oder hypodens zur Gallenflüssigkeit, schwarze Pigmentsteine meist hyperdens. Pigmentsteine sedimentieren am Boden der Gallenblase, Cholesterinsteine schweben. Cholesteringallensteine entstehen bei einer Cholesterinübersättigung der Gallenblasengalle (Paumgartner u. Sauerbruch 1991). Als Maß der Cholesterinübersättigung der Galle wird der Cholesterinsättigungsindex (CSI) angegeben. Er ist definiert als das molare Verhältnis der Cholesterinkonzentration einer Gallenprobe zu der Konzentration, die maximal in Mizellen aus Gallensäuren und Phospholipiden gelöst werden kann. Die häufigste Ursache der Cholesterinübersättigung ist die genetisch
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Knuchel J, Krahenbuhl S, Zimmermann A, Reichen J (1989) Effect of secretin on bile formation in rats with cirrhosis of the liver: structurefunction relationship. Gastroenterology 97:950–957 Krähenbühl S, Talos C, Reichen J (1994) Mechanisms of impaired hepatic fatty acid metabolism in rats with long-term bile duct ligation. Hepatology 19:1272–1281 Krähenbühl S, Marti U, Grant I, Garlick PJ, Ballmer PE (1995) Characterization of mechanisms causing hypoalbuminemia in rats with long-term bile duct ligation. J Hepatol 23:79–86 Nishida T, Gatmaitan Z, Che M, Arias IM (1991) Rat liver canalicular membrane vesicles contain an ATP-dependent bile acid transport system. Proc Natl Acad Sci USA 88:6590–6594 Sand J, Nordback I, Koskinen M, Matikainen M, Lindholm TS (1993). Nifedipine for suspected type II sphincter of Oddi dyskinesia. Am J Gastroenterol 88:530–535 Shapiro JM, Smith H, Schaffner F (1979) Serum bilirubin: a prognostic factor in primary biliary cirrhosis. Gut 20:137–140 Sokol RJ (1987) Medical management of the infant or child with chronic liver disease. Semin Liver Dis 7:155–167 Stocker R, Yamamoto Y, McDonagh AF, Glazer AN, Ames BN (1987) Bilirubin is an antioxidant of possible physiological importance. Science 235:1043–1046 Trauner M, Meier PJ, Boyer JL (1998) Molecular pathogenesis of cholestasis. N Engl J Med 339:1217–1227 Wolfhagen FH, Sternieri E, Hop WC, Vitale G, Bertolotti M, Van BH (1997) Oral naltrexone treatment for cholestatic pruritus: a double-blind, placebo-controlled study. Gastroenterology 113:1264–1269 Zetterström R, Ernster L (1956) Bilirubin, an uncoupler of oxidative phosphorylation in isolated mitochondria. Nature 178:1335–1337 Zimmermann H, Reichen J, Zimmermann A, Sägesser H, Thenisch B, Höflin F (1992) Reversibility of secondary biliary fibrosis by biliodigestive anastomosis in the rat. Gastroenterology 103:579–589
36.3
Konservative Therapie der Cholezystolithiasis
schen Bevölkerung, also etwa 10 Millionen Menschen, haben Gallensteine. Die Prävalenz bei beiden Geschlechtern erhöht sich mit dem Alter; im Alter von 75 Jahren haben 20% der Männer und 35% der Frauen Gallensteine. Bei der Prävalenz lassen sich weltweit auffällige geographische Unterschiede erkennen, die zum Teil durch die Ernährung, aber auch durch genetische Faktoren bedingt sind. Risikofaktoren für Cholesteringallensteine 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Höheres Lebensalter Weibliches Geschlecht (w:m=2:1 bis 3:1) Gravidität, Östrogene Adipositas Forcierter Gewichtsverlust Hochkalorische ballaststoffarme Kost Totale parenterale Ernährung Hohe Serumtriglyzerid- und niedrige HDL-Spiegel Diabetes mellitus Fibrate Octreotidtherapie bei Akromegalie oder neuroendokrinen Tumoren 5 Ciclosporin A 5 Rückenmarksverletzungen 5 Magenbypass und Billroth-II-Resektion
Gallenblasensteine treten signifikant häufiger (3:1) in Familien von Gallensteinträgern auf als in Familien gesunder Kontrollpersonen. Neuere Zwillingsstudien untermauern die Bedeutung der genetischen Risikofaktoren (Lammert u. Sauerbruch 2005), zu denen die Apolipoprotein-E4-Isoform (Venneman et al. 2001) und das Gen der Phospholipidexportpumpe der Leber (ABCB4) zählen (Rosmorduc et al. 2003).
F. Lammert ) ) Die Cholezystolithiasis ist ein gutartiges Leiden: 80% der Gallensteinträger haben keine Symptome und von diesen asymptomatischen Steinträgern werden in 10 Jahren nur 20–40% symptomatisch, bei 1–3% treten Komplikationen, wie eine akute Cholezystitis oder eine biliäre Pankreatitis, auf. Auf diesen epidemiologischen Daten basiert das Therapiekonzept, dass asymptomatische Steinträger nicht behandelt werden und dass für symptomatische Patienten nur eine wenig belastende, komplikationsarme Behandlung in Frage kommt. Es wurden deshalb als Alternativen zur offenen Cholezystektomie medikamentöse Therapien entwickelt, die jedoch durch die laparoskopische Cholezystektomie weitgehend abgelöst wurden. Dennoch werden auch heute noch gelegentlich die medikamentöse, orale Steinauflösung und die extrakorporale Stoßwellentherapie für die Behandlung einzelner, speziell selektionierter Patienten eingesetzt.
36.3.1 Pathogenese und Klassifikation Die Cholezystolithiasis ist eine der häufigsten und kostenträchtigsten gastroenterologischen Erkrankungen. 8–20% der deut-
4-F-Regel für das Risiko von Cholesteringallensteinen: female, fat, forty, fertile.
Gallenblasensteine werden in Cholesterin- und Bilirubinsteine eingeteilt: 4 Cholesterinsteine bestehen zu mehr als 50% aus kristallinem Cholesterin, sind hell und machen bis zu 80% aller Gallensteine aus. 4 Bilirubinsteine bestehen vorwiegend aus polymerisierten Kalziumbilirubinat (schwarze Pigmentsteine) und enthalten weniger als 20% Cholesterin. Im CT sind reine Cholesterinsteine iso- oder hypodens zur Gallenflüssigkeit, schwarze Pigmentsteine meist hyperdens. Pigmentsteine sedimentieren am Boden der Gallenblase, Cholesterinsteine schweben. Cholesteringallensteine entstehen bei einer Cholesterinübersättigung der Gallenblasengalle (Paumgartner u. Sauerbruch 1991). Als Maß der Cholesterinübersättigung der Galle wird der Cholesterinsättigungsindex (CSI) angegeben. Er ist definiert als das molare Verhältnis der Cholesterinkonzentration einer Gallenprobe zu der Konzentration, die maximal in Mizellen aus Gallensäuren und Phospholipiden gelöst werden kann. Die häufigste Ursache der Cholesterinübersättigung ist die genetisch
559 36.3 · Konservative Therapie der Cholezystolithiasis
oder exogen induzierte Hypersekretion von Cholesterin durch die Leber. Die Hyposekretion von Gallensäuren, z. B. in Folge enteralen Gallensäurenverlustes, oder Phospholipiden, z. B. in Folge eines ABCB4-Gendefekts, sind selten. Eine Hypomotilität der Gallenblase (z. B. durch Neuropathien bei Diabetes mellitus) sowie die Bildung von Gallenblasensludge, der aus Muzin und Mikrolithen besteht, begünstigen die Steinbildung. Obgleich 80% aller Gallenblasensteine Cholesterinsteine sind, liegen im höheren Lebensalter sowie in Afrika und Asien häufig schwarze Pigmentgallensteine in der Gallenblase vor. Voraussetzung für die Bilirubinpräzipitation ist die Hypersekretion von Bilirubinkonjugaten, die anschließend in der Galle gespalten werden. Die Bilirubinhypersekretion kann durch eine Bilirubinüberproduktion (Hämolyse, große Hämatome, ineffektive Erythropoese) oder eine enterohepatische Zirkulation von Bilirubin bedingt sein (Vitek u. Carey 2003). Bei Erkrankungen mit Gallensäurenverlust (M. Crohn, Mukoviszidose, Leberzirrhose, Ileozökalpolresektion, jejunoilealer Bypass) wurde eine vermehrte enterohepatische Bilirubinzirkulation beschrieben (Vitek u. Carey 2003). Der Übertritt von Gallensäuren in das proximale Kolon führt zu einer vermehrten Löslichkeit, gesteigerten Absorption und enterohepatischen Zirkulation unkonjugierten Bilirubins mit nachfolgender Erhöhung der Bilirubinkonzentrationen in der Galle (»Hyperbilirubinobilie«). 36.3.2 Klinische Symptomatologie 60–80% der Gallensteinträger bleiben asymptomatisch, ein Viertel der Gallensteinträger entwickelt eine symptomatische Cholelithiasis. Die Wahrscheinlichkeit, Symptome zu entwickeln, beträgt in den ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung 2% pro Jahr und verringert sich in den folgenden Jahren auf 0,5–1% (Gracie u. Ransohoff 1982). Nach erstmaliger Symptomatik bekommt die Hälfte der Patienten innerhalb eines Jahres neuerliche Schmerzattacken. Charakteristische Symptome für Gallensteine sind, abgesehen von Komplikationen, Schmerzattacken von mehr als 15 min Dauer im Epigastrium oder rechten Oberbauch, die auch in den Rücken und in die rechte Schulter ausstrahlen können (»Gallekoliken«; Neubrand et al. 2000). Nicht selten besteht Übelkeit, gelegentlich auch Erbrechen. Dyspeptische Beschwerden, Druckund Völlegefühl, chronische abdominelle Schmerzen, Flatulenz, Unverträglichkeit von fetthaltiger Nahrung sowie Sodbrennen stehen in Abwesenheit einer Gallenkolik wahrscheinlich nicht in Zusammenhang mit Gallensteinen. Andere Ursachen müssen differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden, z. B. gastroösophageale Refluxkrankheit, Reizdarmsyndrom, Gastritis, peptisches Ulkus. Das Risiko von biliären Komplikationen (Cholezystitis, Steinperforation, Gallenblasenempyem, Cholangitis, Choledocholithiasis) nach einer Gallenkolik beträgt 1–3% pro Jahr, beim asymptomatischen Steinträger jedoch nur 0,1–0,2% (Neubrand et al. 2000). 36.3.3 Diagnostik Als Basisdiagnostik sollten bei Verdacht auf Gallenblasensteine ein Basislabor und eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens erfolgen. Diese weist eine Sensitivität von 84–97% und eine Spezifität von 95–99% für das Erkennen von Gallenblasensteinen
36
auf (Shea et al. 1994). Zur weiterführenden Diagnostik kommt ein CT als empfindlicher Nachweis einer Gallensteinverkalkung (z. B. vor Litholyse), bei Verdacht auf Gallenblasenempyem oder Perforation der Gallenblase und bei Adipositas sowie besonderen anatomischen Gegebenheiten in Frage. 36.3.4 Orale Litholyse mit Gallensäuren 1972 wurde erstmals über die erfolgreiche Steinauflösung bei Patienten mit Gallenblasenkonkrementen durch die orale Applikation von Chenodeoxycholsäure berichtet (Danzinger et al. 1972). Das Prinzip dieser Behandlung beruht darauf, dass Chenodeoxycholsäure die Cholesterinübersättigung korrigiert und die Cholesterinkristalle sich langsam auflösen. Heute wird als Medikament Ursodeoxycholsäure (UDCA) eingesetzt (10–15 mg/kg/ Tag). UDCA ist im Gegensatz zur Chenodeoxycholsäure, die zu Transaminasenerhöhungen führen kann, bis auf Diarrhöen bei höherer Dosierung nebenwirkungsfrei, hat zudem eine hepatoprotektive Wirkung und beeinflusst die Symptome günstig.
Die nichtoperative Behandlung von symptomatischen Gallenblasensteinen mittels medikamentöser Litholyse sollte nur bei unkomplizierter symptomatischer Cholezystolithiasis durchgeführt werden, wenn die Patienten den chirurgischen Eingriff ablehnen oder Kontraindikationen gegen die Operation bestehen.
Für eine Litholyse mit Gallensäuren eignen sich vorwiegend Patienten mit multiplen kleinen (<5 mm), röntgennegativen Steinen in einer gut kontrahierenden Gallenblase. Auch bei größeren Steinen (6–10 mm) kann der Versuch einer konservativen Therapie vertretbar sein, wobei die ESWL die Zeitdauer bis zur Steinfreiheit verkürzt (7 Kap. 36.3.5). Ungefähr 5% aller symptomatischen Gallensteinträger erfüllen diese Kriterien (Strasberg u. Clavien 1992). Durch die orale Gabe von UDCA werden bei Patienten mit einer funktionstüchtigen Gallenblase (sonographisch bestimmte Ejektionsfraktion nach Reizmahlzeit >60%) akzeptable Therapieerfolge erzielt (Steinfreiheit 70–80% innerhalb von 6–12 Monaten; Neubrand et al. 2000). Die Therapiedauer beträgt je nach Steingröße 6–24 Monate. Falls nach 6 Monaten kein Ansprechen festzustellen ist, sollte die Behandlung abgebrochen werden. Die UDCA-Therapie wird nach sonographisch verifizierter Steinfreiheit noch für 3 Monate fortgesetzt. 36.3.5 Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie Bei der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) werden Gallensteine durch elektrohydraulisch, elektromagnetisch oder piezokeramisch außerhalb des Körpers erzeugte Schockwellen, die mittels Ultraschall oder Röntgendurchleuchtung auf das Konkrement zentriert werden, zertrümmert (Sauerbruch et al. 1986). Die Behandlung ist erfolgreich, wenn die Steine in winzige Bröckchen fragmentiert werden, da diese dann spontan abgehen oder sich ganz auflösen können, wozu die ESWL mit einer adjuvanten UDCA-Therapie kombiniert wird. Voraussetzung zur Durchführbarkeit sind eine funktionierende Gallenblase und ein nicht verkalktes solitäres Konkrement
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
bis zu einem Durchmesser von 2 cm (Neubrand et al. 2000). Unter diesen Voraussetzungen kann eine Steinfreiheit bei 70% der Patienten innerhalb von 6 Monaten erwartet werden. Etwa 7% aller symptomatischen Gallensteinträger erfüllen diese Kriterien (Strasberg u. Clavien 1992). Kontraindikationen sind Cholezystitis, Schwangerschaft, Koagulationsstörungen und fokale Leberkrankheiten im Behandlungsfeld. Die Behandlung verläuft nicht immer ohne Komplikationen, da bei 30% der Patienten Koliken früh nach dem Eingriff oder im späteren Verlauf auftreten. Seltener sind eine Pankreatitis (1%), eine Gallengangobstruktion (1%) oder eine vorübergehende Hämaturie (15%). 36.3.6 Rezidivprophylaxe und Nachsorge
Der Patient ist bei der oralen Litholyse mit oder ohne ESWL auf das nicht unerhebliche Rezidivsteinrisiko hinzuweisen.
36
Es liegt bei Solitärsteinen <2 cm bei 33% innerhalb der ersten 5 Jahre nach erfolgreicher ESWL; bei multiplen Steinen <5 mm steigt es auf bis zu 50% innerhalb der ersten 5 Jahre an (Sackmann et al. 1994; Neubrand et al. 2000). 60% der Patienten mit Rezidivsteinen werden symptomatisch (Sackmann et al. 1994). Da diese Patienten offensichtlich eine hohe Prädisposition zur Steinentstehung besitzen, kann bei ihnen eine erneute konservative Therapie nicht empfohlen werden. Eine niederländische Studie (Venneman et al. 2001) konnte zeigen, dass die Rezidivhäufigkeit nach ESWL bei Patienten, die für das ApoE4-Allel homo- oder heterozygot sind, mehr als zweifach erhöht ist. Beim symptomatischen Steinrezidiv sollte zur Cholezystektomie geraten werden. Bei asymptomatischen Rezidivsteinpatienten ist der Wert einer prophylaktischen konservativen oder operativen Therapie nicht belegt. Aus diesem Grund ist auch die regelmäßige sonographische Kontrolle nach erfolgreicher konservativer Therapie nicht notwendig.
Literatur Danzinger RG, Hofmann AF, Schoenfiled LJ, Thistle JL (1972) Dissolution of cholesterol gallstones by chenodeoxycholic acid. N Engl J Med 286:1–8 Gracie WA, Ransohoff DF (1982) The natural history of silent gallstones: the innocent gallstone is not a myth. N Engl J Med 307:798–800 Lammert E, Sauerbruch T (2005) Mechanisms of disease: the genetic epidemiology ofgallbladder stones. Nat Clin Pract Gastroenterol Heptal 2:423-433 Neubrand M, Sackmann M, Caspary WF, Feussner H, Schild H, Lauchart W, Schildberg W, Reiser FW, Classen M, Paumgartner G, Sauerbruch T (2000) Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten zur Behandlung von Gallensteinen. Z Gastroenterol 6:449–468 Paumgartner G, Sauerbruch T (1991) Gallstones: pathogenesis. Lancet 338:1117–1121 Rosmorduc O, Hermelin B, Boelle PY, Parc R, Taboury J, Poupon R (2003) ABCB4 gene mutation-associated cholelithiasis in adults. Gastroenterology 125:452–459 Sackmann M, Niller H, Klüppelberg U, von Ritter C, Pauletzki J, Holl J, Berr F, Neubrand M, Sauerbruch T, Paumgartner G (1994) Gallstone recurrence after shock-wave therapy. Gastroenterology 106:225–230
Sauerbruch T, Delius M, Paumgartner G, Holl J, Wess O, Weber W, HeppW, Brendel W (1986) Fragmentation of gallstones by extracorporeal shock-waves. N Engl J Med 314:818–822 Shea JA, Berlin JA, Escarce JJ, Clarke JR, Kinosian BP, Cabana MD, Tsai WW, Horangic N, Malet PF, Schwartz JS et al. (1994) Revised estimates of diagnostic test sensitivity and specificity in suspected biliary tract disease. Arch Intern Med 154:2573–2581 Strasberg SM, Clavien PA (1992) Cholecystolithiasis: lithotherapy for the 1990 s. Hepatology 16:820–829 Venneman NG, van Berge-Henegouwen GP, Portincasa P, Stolk MF, Vos A, Plaisier PW, van Erpecum KJ (2001) Absence of apolipoprotein E4 genotypes, good gallbladder motility and presence of solitary stones delay rather than prevent gallstone recurrence after extracorporeal shock wave lithotripsy. J Hepatol 35:10–16 Vitek L, Carey MC (2003) Enterohepatic cycling of bilirubin as a cause of »black” pigment gallstones in adult life. Eur J Clin Invest 33:799–810
36.4
Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis P. Born, M. Classen
) ) Gallengangssteine (. Abb. 36.6) finden sich bei ca. 20% aller Patienten mit Cholezystolithiasis (Leuschner 1990). Steine können aber nicht nur aus der Gallenblase in den Gang wandern, sondern dort, beispielsweise nach Cholezystektomie, auch neu entstehen. Abflussbehinderungen der Galle wie durch Sphinkter-OddiDyskinesie oder juxtapapilläre Duodenaldivertikel hervorgerufen, aber auch Hindernisse wie eingebrachte Stents können die Steinbildung fördern. Im Gegensatz zu Gallenblasensteinen bedeutet der Nachweis von Steinen im Gang immer eine Behandlungsindikation. Durch die Einführung der endoskopischen Papillotomie (EPT) im Jahre 1973 war es erstmalig auf nichtoperativem Wege möglich geworden, Zugang zu den Gallenwegen zu erlangen und damit Steine aus dem Gallengang endoskopisch zu entfernen (Classen u. Demling 1974; Kawai et al. 1974). Diese neue, wenig invasive Methode fand rasch weite Verbreitung. Die Indikation für ERCP und EPT wurde auch auf die wichtigsten Komplikationen der Choledocholithiasis, die akute Cholangitis und die biliäre Pankreatitis ausgedehnt.
36.4.1 Instrumentarium Endoskope Für die Durchführung einer ERCP mit ggf. sich anschließender EPT und weiteren Interventionen wie Stenteinlage oder Steinextraktion verwendet man im Regelfall Geräte mit Seitblickoptiken, wobei Videoendoskope aufgrund verschiedener Vorteile wie besserer Bildauflösung oder bequemerer Handhabung die herkömmlichen Fiberoptiken weitgehend verdrängt haben. Für diagnostische Zwecke und Eingriffe mit dünnkalibrigen Instrumenten (z. B. Stents bis 7 Fr) genügen Geräte mit einem Außendurchmesser von 11 mm, die über einen Arbeitskanal von 2,8 bzw. 3,2 mm Durchmesser verfügen. Für interventionelle Eingriffe, insbesondere die Einlage dickerlumiger Prothesen (bis Fr 12), oder auch für die Lithotripsie verwendet man dagegen dickere Geräte (Treatment-Geräte oder »Jumbos«) mit einem
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
bis zu einem Durchmesser von 2 cm (Neubrand et al. 2000). Unter diesen Voraussetzungen kann eine Steinfreiheit bei 70% der Patienten innerhalb von 6 Monaten erwartet werden. Etwa 7% aller symptomatischen Gallensteinträger erfüllen diese Kriterien (Strasberg u. Clavien 1992). Kontraindikationen sind Cholezystitis, Schwangerschaft, Koagulationsstörungen und fokale Leberkrankheiten im Behandlungsfeld. Die Behandlung verläuft nicht immer ohne Komplikationen, da bei 30% der Patienten Koliken früh nach dem Eingriff oder im späteren Verlauf auftreten. Seltener sind eine Pankreatitis (1%), eine Gallengangobstruktion (1%) oder eine vorübergehende Hämaturie (15%). 36.3.6 Rezidivprophylaxe und Nachsorge
Der Patient ist bei der oralen Litholyse mit oder ohne ESWL auf das nicht unerhebliche Rezidivsteinrisiko hinzuweisen.
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Es liegt bei Solitärsteinen <2 cm bei 33% innerhalb der ersten 5 Jahre nach erfolgreicher ESWL; bei multiplen Steinen <5 mm steigt es auf bis zu 50% innerhalb der ersten 5 Jahre an (Sackmann et al. 1994; Neubrand et al. 2000). 60% der Patienten mit Rezidivsteinen werden symptomatisch (Sackmann et al. 1994). Da diese Patienten offensichtlich eine hohe Prädisposition zur Steinentstehung besitzen, kann bei ihnen eine erneute konservative Therapie nicht empfohlen werden. Eine niederländische Studie (Venneman et al. 2001) konnte zeigen, dass die Rezidivhäufigkeit nach ESWL bei Patienten, die für das ApoE4-Allel homo- oder heterozygot sind, mehr als zweifach erhöht ist. Beim symptomatischen Steinrezidiv sollte zur Cholezystektomie geraten werden. Bei asymptomatischen Rezidivsteinpatienten ist der Wert einer prophylaktischen konservativen oder operativen Therapie nicht belegt. Aus diesem Grund ist auch die regelmäßige sonographische Kontrolle nach erfolgreicher konservativer Therapie nicht notwendig.
Literatur Danzinger RG, Hofmann AF, Schoenfiled LJ, Thistle JL (1972) Dissolution of cholesterol gallstones by chenodeoxycholic acid. N Engl J Med 286:1–8 Gracie WA, Ransohoff DF (1982) The natural history of silent gallstones: the innocent gallstone is not a myth. N Engl J Med 307:798–800 Lammert E, Sauerbruch T (2005) Mechanisms of disease: the genetic epidemiology ofgallbladder stones. Nat Clin Pract Gastroenterol Heptal 2:423-433 Neubrand M, Sackmann M, Caspary WF, Feussner H, Schild H, Lauchart W, Schildberg W, Reiser FW, Classen M, Paumgartner G, Sauerbruch T (2000) Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten zur Behandlung von Gallensteinen. Z Gastroenterol 6:449–468 Paumgartner G, Sauerbruch T (1991) Gallstones: pathogenesis. Lancet 338:1117–1121 Rosmorduc O, Hermelin B, Boelle PY, Parc R, Taboury J, Poupon R (2003) ABCB4 gene mutation-associated cholelithiasis in adults. Gastroenterology 125:452–459 Sackmann M, Niller H, Klüppelberg U, von Ritter C, Pauletzki J, Holl J, Berr F, Neubrand M, Sauerbruch T, Paumgartner G (1994) Gallstone recurrence after shock-wave therapy. Gastroenterology 106:225–230
Sauerbruch T, Delius M, Paumgartner G, Holl J, Wess O, Weber W, HeppW, Brendel W (1986) Fragmentation of gallstones by extracorporeal shock-waves. N Engl J Med 314:818–822 Shea JA, Berlin JA, Escarce JJ, Clarke JR, Kinosian BP, Cabana MD, Tsai WW, Horangic N, Malet PF, Schwartz JS et al. (1994) Revised estimates of diagnostic test sensitivity and specificity in suspected biliary tract disease. Arch Intern Med 154:2573–2581 Strasberg SM, Clavien PA (1992) Cholecystolithiasis: lithotherapy for the 1990 s. Hepatology 16:820–829 Venneman NG, van Berge-Henegouwen GP, Portincasa P, Stolk MF, Vos A, Plaisier PW, van Erpecum KJ (2001) Absence of apolipoprotein E4 genotypes, good gallbladder motility and presence of solitary stones delay rather than prevent gallstone recurrence after extracorporeal shock wave lithotripsy. J Hepatol 35:10–16 Vitek L, Carey MC (2003) Enterohepatic cycling of bilirubin as a cause of »black” pigment gallstones in adult life. Eur J Clin Invest 33:799–810
36.4
Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis P. Born, M. Classen
) ) Gallengangssteine (. Abb. 36.6) finden sich bei ca. 20% aller Patienten mit Cholezystolithiasis (Leuschner 1990). Steine können aber nicht nur aus der Gallenblase in den Gang wandern, sondern dort, beispielsweise nach Cholezystektomie, auch neu entstehen. Abflussbehinderungen der Galle wie durch Sphinkter-OddiDyskinesie oder juxtapapilläre Duodenaldivertikel hervorgerufen, aber auch Hindernisse wie eingebrachte Stents können die Steinbildung fördern. Im Gegensatz zu Gallenblasensteinen bedeutet der Nachweis von Steinen im Gang immer eine Behandlungsindikation. Durch die Einführung der endoskopischen Papillotomie (EPT) im Jahre 1973 war es erstmalig auf nichtoperativem Wege möglich geworden, Zugang zu den Gallenwegen zu erlangen und damit Steine aus dem Gallengang endoskopisch zu entfernen (Classen u. Demling 1974; Kawai et al. 1974). Diese neue, wenig invasive Methode fand rasch weite Verbreitung. Die Indikation für ERCP und EPT wurde auch auf die wichtigsten Komplikationen der Choledocholithiasis, die akute Cholangitis und die biliäre Pankreatitis ausgedehnt.
36.4.1 Instrumentarium Endoskope Für die Durchführung einer ERCP mit ggf. sich anschließender EPT und weiteren Interventionen wie Stenteinlage oder Steinextraktion verwendet man im Regelfall Geräte mit Seitblickoptiken, wobei Videoendoskope aufgrund verschiedener Vorteile wie besserer Bildauflösung oder bequemerer Handhabung die herkömmlichen Fiberoptiken weitgehend verdrängt haben. Für diagnostische Zwecke und Eingriffe mit dünnkalibrigen Instrumenten (z. B. Stents bis 7 Fr) genügen Geräte mit einem Außendurchmesser von 11 mm, die über einen Arbeitskanal von 2,8 bzw. 3,2 mm Durchmesser verfügen. Für interventionelle Eingriffe, insbesondere die Einlage dickerlumiger Prothesen (bis Fr 12), oder auch für die Lithotripsie verwendet man dagegen dickere Geräte (Treatment-Geräte oder »Jumbos«) mit einem
561 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
36
. Abb. 36.6. Choledocholithiasis – endoskopisch retrograde Darstellung
. Abb. 36.7. Endoskope: orthograde und Seitblickoptik
Arbeitskanal bis zu 4,2 mm bei einem Außendurchmesser von 12,5 mm. In seltenen Fällen, zumeist nach vorausgegangenen Operationen, wie beispielsweise einer langen zuführenden Schlinge nach Billroth-II-Resektion oder bei Vorliegen eines Roux-YMagens, werden orthograde Optiken verwendet, überwiegend Kinderkoloskope (. Abb. 36.7). Es ist auch möglich, die Gallenwege direkt zu inspizieren, entweder perkutan transhepatisch oder endoskopisch retrograd
im Rahmen einer sog. Mother-Baby-Endoskopie. Für die perorale endoskopische Cholangioskopie (POCS) setzt man mittlerweile Cholangioskope ein, die z. B. bei einem Außendurchmesser von 3,4 mm immer noch einen Arbeitskanal von 1,2 mm aufweisen und über die üblichen Treatment-Geräte, die wesentlich besser handhabbar sind als die früher benutzten »dicken Mütter«, eingeführt werden können (. Abb. 36.8). Für die perkutan transhepatische Cholangioskopie (PTCS) verwendet man kürzere (38 cm) Endoskope, die zum Einsatz
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.8. »Mother-Baby«-Endoskopie
kommen können, sobald der auf 16 Fr dilatierte Trakt stabil genug ist. Der Durchmesser der Arbeitskanäle von in der Regel 1,0–1,2 mm ist ausreichend für den Einsatz von Lasersonden zur Steinzertrümmerung. Auch bei diesen Geräten tendiert die Entwicklung zu einer weiteren Verkleinerung des Außendurchmessers (. Abb. 36.9).
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Papillotome Obwohl es mehrere Modifikationen gibt, wird überwiegend immer noch das sog. Erlanger Papillotom verwendet, ein »Pulltype«-Papillotom. Es handelt sich dabei um einen Katheter mit einem Stahldraht, der am distalen Ende einige Zentimeter vor der Gerätespitze aus dem Katheter austritt und je nach Typ kurz vor oder direkt an der Spitze wieder in den Katheter eintritt. Der Bereich vom Wiedereintritt bis an die Spitze wird als Nase bezeichnet. Ziehen an diesem Draht führt zu einer Anwinkelung der Spitze und damit einem Anspannen der Drahtsehne. . Abb. 36.9. Cholangioskop für die PTCS mit eingeführter Laserfaser
Sollte die Intubation eines Ganges nicht gelingen, kann mit einem Papillotom ohne Nase – einem »Precut«-Papillotom – ein Vorschnitt erfolgen; in einigen Tagen hat dann ein erneuter Intubationsversuch günstigere Erfolgsaussichten. Als Alternative kann auch ein sog. Nadelmesserpapillotom verwendet werden. Hier besteht das Gerät aus einem Katheter und einem Draht, der an der Spitze ausgefahren werden kann. Mit dieser Spitze wird vom Ostium her das Dach der Papille inzidiert. Schwierig ist dabei die Festlegung der Tiefe des Schnittes. Insbesondere in weniger geübten Händen ist mit einer erhöhten Komplikationsrate (z. B. Perforation) zu rechnen (. Abb. 36.10). Eine aktuellere »Precut«-Methode über den Pankreasgang drängt diese Vorgehensweisen allerdings zunehmend in den Hintergrund (Akashi et al. 2004). Nicht nur in schwierigen Situationen setzen sich die drahtgeführte Intubation des Gallenganges und die drahtgesicherte Papillotomie durch (Tanaka et al. 1997). Neben der weniger invasiven Vorgehensweise bietet diese Technik auch noch den Vorteil bei Unübersichtlichkeit (z. B. akute Blutung) den Zugang zum Gallengang gesichert zu halten. Beim Billroth-II-Magen ist die Durchführung einer EPT schwieriger, da aufgrund der veränderten Anatomie im Gegensatz zum üblichen Vorgehen in die »verkehrte Richtung« geschnitten werden muss. Der veränderten Anatomie kann man Rechnung tragen, indem man versucht, den Schaft des Endoskopes um 180° zu drehen, um dann mit dem normalen Papillotom wieder »richtig« zu schneiden. Alternativ kann man das Nadelmesser verwenden oder die »Push-type«-Papillotome, wobei das sog. Haifischflossenpapillotom zu den bekanntesten zählt. Erfolgreich eingesetzt werden auch Veränderungen der konventionellen Papillotome wie beispielsweise das S-förmige Papillotom, wobei eine Veränderung der Schnittrichtung erzielt wird durch ein vollständiges Herumwickeln des Drahtes um den Katheter (Hintze et al. 1997). Körbe Je nach anatomischer Situation und Steingröße können verschieden große Körbe (. Abb. 36.11) mit 4 oder 6 Branchen verwendet
563 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
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. Abb. 36.10. Papillotome: konventionelles Erlangen-Papillotom, Nadelmesserpapillotom, »Push-type«-Papillotom (von links nach rechts)
. Abb. 36.11. Steinkorb
. Abb. 36.12. Steinballon
werden. Die Durchmesser variieren zwischen 15 und 45 mm. Mittlerweile stehen auch Körbe zur Verfügung, die über einen Draht geführt werden können. Immer wieder wird auch versucht, durch Modifikationen die Steuerbarkeit im Gang zu verbessern. Für besonders große Steine, die nicht extrahiert werden können, stehen spezielle Lithotripter-Körbe zur Verfügung. Sie sind aus einem durchgehenden Seilstück gefertigt (d. h. Lötstellen als potenzielle Schwachstellen liegen nicht vor), wobei das Seil stärker ist als bei normalen Korb. Wenn der Stein eingefangen ist, wird der Plastikmantel entfernt und ein Metallgewinde aufgezogen. Wenn man jetzt den Korb zuzieht, wird der Stein gegen das Metall gedrückt und dabei zerkleinert.
Steinballon handelt es sich um einen 5- bis 7-French-Katheter mit meist runden Ballonen (Durchmesser 9–18 mm) an der Spitze, die dazu dienen, Steinmaterial aus dem Gallengang zu entfernen. Ferner verwendet man sie zur abschließenden Kontrolle des Gallenganges nach erfolgter Steinausräumung. Mit dem aufgeblasenen Ballon wird Gang blockiert, um ein zu rasches Abfließen des Kontrastmittels zu verhindern und damit eine bessere Gangdarstellung zu erreichen (. Abb. 36.12). Der längliche Dilatationskatheter dient zur Behandlung von Stenosen oder zur Aufweitung der Papille anstelle einer EPT. Er entfaltet sich bei einem Druck von 6–8atm, im Routineeinsatz wird er bis ca. 8–12 atm aufgeblasen (. Abb. 36.13).
Ballonkatheter Es kommen in der Routinearbeit überwiegend 2 doppellumige Modelle zum Einsatz, der Dilatations- und der Steinballon. Beim
Drähte In der Endoskopie bedient man sich vorwiegend zweier Drahttypen, die zumeist eine Stärke von 0,035 inch haben. Für die
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.13. Dilatationsballon
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Passage über eine Stenose oder zur Intubation der Papille nimmt man üblicherweise einen sehr weichen Führungsdraht z. B. aus Nickel-Titan mit einer Polyurethanummantelung. Zu weiteren Manipulationen, insbesondere zur Stenteinlage, ist ein festerer Draht, wie beispielsweise der Teflondraht notwendig. Es gibt darüber hinaus noch stabilere Drähte, die teilweise eine flexible Spitze haben und ihren Platz bei sehr schwierig zu passierenden intraduktalen Stenosen haben. Nachteilig ist ihr vergleichsweise hoher Preis. Laserlithotripsie Es gibt verschiedene Lasersysteme, wobei die seit einigen Jahren zur Verfügung stehenden Farbstofflaser (Wellenlänge 594 nm; Laserenergie 60–150 mJ pro Puls, Pulsfrequenz 1–10 Hz) mit einem Steinerkennungssystem (»intelligenter Laser«) den vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung darstellen (. Abb. 36.14). Bei diesem Laser wird jeder einzelne Impuls analysiert. Anhand der Reflexion des Lichtes innerhalb der ersten Nanosekunden nach Abgabe des Impulses kann unterschieden werden, ob der Laserstrahl auf ein Konkrement oder auf Gewebe getroffen ist. Im letzteren Falle wird die weitere Energieabgabe sofort abgebrochen, sodass das Gewebe keinen Schaden nimmt. Dieses Lasersystem ist das erste, das ohne direkte visuelle Kontrolle eingesetzt werden kann. Damit weist es insbesondere im Vergleich zur elektrohydraulischen Lithotripsie (EHL) einen Vorteil auf. Die EHL bewirkt zwar eine wesentlich schnellere Steindesintegration, aber sie kann nur unter optischer Kontrolle erfolgen. Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) Die ESWL-Geräte der sog. 2. Generation benötigen für die Anwendung keine Badewanne mehr. Es genügt, den Applikator mit einem hydrophilen Gel zu bestreichen und dann direkt auf die Haut aufzubringen. Eine Analgosedierung mit entsprechender Kreislaufüberwachung ist in den meisten Fällen ausreichend. 3 verschiedene Generatoren (elektrohydraulisch, elektromagnetisch und piezoelektrisch) stehen zur Verfügung; in ihrer Effektivität haben sie sich als gleichwertig erwiesen (Schneider et al. 1991).
. Abb. 36.14. Farbstofflaser
Die Ortung der Steine im Gallengang erfolgt bei uns unter Röntgenkontrolle in 2 Ebenen. Dazu ist es für die Kontrastmittelinstallation erforderlich, dass der Patient mit einer nasobiliären Sonde oder einer perkutanen transhepatischen Cholangiodrainage (PTCD) vorversorgt ist. Nach Darstellung des Konkrementes in beiden Ebenen werden die Stöße mit einer konstanten Frequenz von 100 pro Minute abgegeben, wobei meistens mit einer mittleren Energie begonnen und je nach Toleranz des Patienten auf das gerätespezifische Maximum gesteigert wird. Im Regelfall werden maximal 6000 Impulse pro Sitzung appliziert, d. h. die Untersuchung dauert ungefähr eine gute Stunde (. Abb. 36.15). Bis zur Steinfreiheit können mehrere Sitzungen erforderlich sein.
565 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
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. Abb. 36.15. ESWL-Gerät (Röntgenortung in 2 Ebenen und Applikator)
. Abb. 36.16. PTCD-Ausstattung: Chiba-Nadel, PTCD-Nadel mit Hülle, Vessel-Bougie, Nimura-Bougie (von oben nach unten)
PTCD-Set Für die Primärpunktion zur Kontrastierung der Gallenwege verwenden wir eine Chiba-Nadel (Länge: 20 cm; Dicke 22 Gauge). Ein geeignet erscheinender Ast wird dann mit einem PTCDSet einer Nadel mit einer 5-Fr-Plastikhülle (25 cm) punktiert. Die Dilatation erfolgt mit verschiedenen Bougie-Systemen, z. B. Vessel-Bougies mit aufsteigendem Durchmesser von 7–10 Fr (Länge 20 cm) und Nimura-Plastik-Bougies (60 cm) mit einer Stärke von 10–18 Fr (. Abb. 36.16). In den letzten Jahren wird bei uns nahzu ausschließlich das sog. Frimberger-Set bestehend aus Bougies, die über einen Spannguide gleiten, verwendet. Das Kernstück ist der sog. Spannguide, ein flexibler Metalldraht mit einem Durchmesser von 1,5 bzw. 2,2 mm, der sich durch Aufwickeln im gesamten Verlauf versteifen lässt (Frimberger et al. 2001). Dazu gibt es passende Plastik-Bougies (. Abb. 36.17). Als
Drainage für die Langzeitanwendung verwendet man sog. Yamakawa-Prothesen, deren äußeres Ende direkt auf der Hautoberfläche zu liegen kommt (. Abb. 36.18). 36.4.2 Techniken Endoskopischen Papillotomie Der Eingriff läuft zunächst ab wie bei der diagnostischen endoskopischen retrograden Gallenwegs- und Pankreasdarstellung (ERCP). Der Patient ist im Regelfall sediert. Eine prophylaktische Verabreichung von Antibiotika erfolgt nur bei Patienten mit erhöhtem Endokarditisrisiko, sowie bei Vorliegen eines Galleaufstaus oder Pankreaspseudozysten (Mani et al. 1997).
566
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.17. Frimberger-Set: Spannguide mit adaptierten Bougies unterschiedlicher Größe
. Abb. 36.18. Yamakawa-Prothese mit Spülansatz
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Nach Kontrastierung der Gallenwege führt man das Papillotom, sofern es nicht bereits für die Darstellung verwendet wurde, in den Gallengang und überprüft die korrekte Lage radiologisch, wenn die Intubation nicht bereits drahtgeführt durchgeführt wurde. Um optimal schneiden zu können, sollte nur ein Drittel bis allenfalls die Hälfte der angespannten Sehne mit Gewebe beladen sein. Dann wird die Stromabgabe ausgelöst, wobei man die Applikation stoßweise durchführt (diese Applikationsweise kann im Generator vorprogrammiert werden – »Endocut«; . Abb. 36.19). Die Schnittführung zielt in Richtung 11 Uhr, um möglichst weit von der Retroduodenalarterie entfernt zu bleiben und damit das Risiko einer Blutung so gering wie möglich zu halten. Die Schnittlänge ist der Größe der Steine, im Wesentlichen aber den anatomischen Gegebenheiten an der Papille anzupassen. Wir versuchen im Regelfall das Papillendach vollständig zu eröffnen.
Zumindest bei schwieriger Intubation des Gallenganges ist die Verwendung eines Führungsdrahtes dem sog. »precutting« vorzuziehen. Das »Precut«-Papillotom hat eine kürzere Sehne, wobei diese Sehne an der Spitze des Katheters ansetzt. Zum Einsatz kommt es, wenn der Gang nicht intubiert werden konnte. Alternativ kann auch mit dem Nadelmesser das Dach der Papille eröffnet werden. Nach dem »precut« lässt man in der Regel 1–2 Tage verstreichen, um nach Abschwellen des Gewebes einen erneuten Intubationsversuch zu unternehmen. Gerade mit dem Nadelmesser gelingt es häufiger, den Gang eröffnen, sodass dann die EPT vervollständigt werden kann. Diese Methode ist aber auch in den Händen geübter Untersucher riskanter als die konventionelle EPT. Selbst bei sehr erfahrenen Untersuchern liegen sehr unterschiedliche Präferenzen diesen beiden Methoden gegenüber vor.
567 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
36
. Abb. 36.19. Endoskopische Papillotomie. a Radiologische Kontrolle eines über einen Führungsdraht platzierten Papillotoms; b endoskopisches Bild
a
Die neue Methode des »precuts« über den pankreatischen Sphinkter verdient zunehmende Aufmerksamkeit. Nach der pankreatischen Sphinkterotomie ist die Intubation des Gallenganges in fast allen Fällen möglich (Akashi et al. 2004).
Wenn der Gang kontrastiert ist oder gar schon eine Cholangitis vorliegt, sollte man im Falle eines endoskopischen Scheiterns den Zugang zum Gallengang zu erreichen den perkutan transhepatischen Zugang wählen. Ist ein Stein in der Papille eingeklemmt (. Abb. 36.20), ist das Eröffnen der Papille mit dem Nadelmesser oft relativ einfach und gefahrlos, da das Papillendach von dem Stein angehoben wird. Hat man den Zugang zum Gallengang erreicht, wird wiederum mit einem konventionellem Papillotom der Schnitt vergrößert. Besondere Schwierigkeiten kann der Billroth-II-Magen bereiten. Aufgrund der postoperativ veränderten Anatomie ist eine um 180° gedrehte Schnittrichtung erforderlich (. Abb. 36.21). Gelingt es, die Spitze des Endoskops ebenfalls zu drehen, wird konventionell geschnitten. Ansonsten verwendet man entweder die beschriebenen modifizierten Papillotome oder typische »Push-type«-Papillotome. Alternativ wird auch oft das Nadelmesserpapillotom verwendet. In seltenen Fällen gelingt es nicht, die Papille zu intubieren, u. U. auch nicht nach Vorschnitt oder man kann sie gar nicht finden wie beispielsweise beim Vorliegen von Duodenaldivertikeln. Man kann dann in einem sog. Rendez-vous-Verfahren (. Abb. 36.22) den Gallengang perkutan transhepatisch punktieren, einen Draht in das Duodenum vorschieben und drahtgeführt dann die EPT durchführen.
b
Die Erfolgsrate für die EPT reicht an die 100% heran.
Komplikationen. Die Komplikationsrate wird in zahlreichen Studien relativ konstant mit ca. 10% angegeben (Freeman et al. 2004); die methodenbedingte Mortalität unter 0,5% wobei sie bei der Indikationsstellung Choledocholithiasis sogar bis auf 0,15 absinkt (Tanaka et al. 1997). Allerdings muss man durch die Intervention eine Verschlechterung der zugrundeliegenden Erkrankung berücksichtigen, sodass die 30-Tage-Mortalität mit
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.20. In die Papille eingeklemmter Stein
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2,3% beziffert wird (Freeman et al. 2004). Die wesentlichsten Komplikationen sind Pankreatitis, Cholangitis und Blutung, während die Perforation eher selten beobachtet wird (Freeman et al. 2004; Tanaka et al. 1997). Versuche, durch die prophylaktische Verabreichung verschiedenster Medikamente das Pankreatitisrisiko zu senken konnten bislang nicht überzeugen. Die prophylaktische Einlage eines kurzen Stents in den Pankreasgang dagegen scheint speziell bei Risikopatienten das Auftreten einer postinterventionellen Pankreatitis zu senken (Smithline et al. 1993;Tarnasky et al. 1998). Allerdings ist im Falle eines Nichtgelingens, wie aktuelle Daten zeigen, mit einem deutlichen Anstieg der Pankreatitiswahrscheinlichkeit zu rechnen (Freeman et al. 2004), sodass man auch hier mit endgültigen Empfehlungen wohl noch zurückhaltend sein wird. Langzeitkomplikationen sind, wenn man von den Folgen die einer noch in situ befindlichen Gallenblase absieht, insgesamt selten. Sie entstehen zumeist im Zusammenhang mit einer Restenosierung der Papille sowie einer erneuten Steinbildung (Prat et al. 1996). Zumindest bei Patienten mit gehäuften Steinrezidiven ist eine medikamentöse Prophylaxe mit Ursodesoxcholsäure zu überlegen (Yasuda et al. 1989). Insgesamt sind aber negative Auswirkungen so selten, dass früher geäußerte Bedenken des Einsatzes bei jungen Patienten mittlerweile fallen gelassen worden sind. Zur EPT gibt es 2 Alternativen, wobei die Ballondilatation in den letzten Jahren wieder vermehrt untersucht wurde, während der medikamentösen Weitstellung des Sphinkters nur eine geringe Bedeutung beigemessen wird.
. Abb. 36.21. Schema der Schnittführung bei EPT
Sphinkteroklasie Über einen Führungsdraht wird ein Dilatationsballon in den Gallengang eingeführt und dann aufgeblasen (. Abb. 36.23). In einer großen Vergleichsstudie (Bergman et al. 1995) waren Erfolgs- und Komplikationsraten von EPT und Ballondilatation gleich. Bei Steinen mit einer Größe über 12 mm waren aber häufiger Papillotomien notwendig geworden.
. Abb. 36.22. Rendez-vous-Technik
. Abb. 36.23. Sphinkteroklasie
569 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
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fohlen. Gerade bei Patienten mit Koagulopathien und Leberzirrhose ist nach Ballondilatation mit weniger Blutungskomplikationen als nach Sphinkterotomie zu rechnen (Park et al. 2004). Ferner ist nach Ballondilatation der Papille mit einer höheren Rate an Rezidivsteinen und damit assoziierten Problemen zu rechnen. Medikamentöse Weitstellung des Sphinkters Manche Autoren (Uchida et al. 1997) empfehlen, die Steinextraktion nach alleiniger medikamentöser Weitung der Papille mit Nitroglyzerin. Verständlicherweise kommt dabei die mechanische Lithotripsie häufiger zum Einsatz. Diese Methode wird eine Reservemaßnahme für ausgesuchte Fälle bleiben. Steinextraktion In Abhängigkeit von den anatomischen Gegebenheiten, in erster Linie aber von der Steingröße, erfolgt die Auswahl des Dormiakorbes. In der Regel verwendet man für die Extraktion kleiner Steine kleine Körbe mit 4–6 Branchen, während bei größeren Steine größere Körbe mit 4 Branchen zum Einsatz kommen. Insbesondere, wenn die Steine intrahepatisch liegen oder durch die Manipulationen in die Peripherie geschoben wurden, haben drahtgeführte Körbe Vorteile. In Analogie zur Stenteinlage wird ein Führungsdraht in das gewünschte Segment platziert und darüber dann der Korb nachgeschoben (. Abb. 36.24). Eine Alternative zur Steinextraktion mit dem Korb stellt der Ballon dar. Damit gelingt es manchmal, fixierte Steine zu mobilisieren, kleinere Steine und Gallenschlamm aus dem Gang zu entfernen. Bei größeren Steinen wird der flexible Ballon dagegen oft gegen die Wand gedrückt und passiert den Stein, ohne ihn zu extrahieren (. Abb. 36.25).
a
b . Abb. 36.24a,b. a Im Korb gefasster, noch im Gallengang befindlich; b Steinextraktion
Es muss gefordert werden, dass jeder Endoskopiker, der die technisch sicherlich einfache Ballondilatation der Papille durchführt, auch prinzipiell in der Lage ist, eine EPT durchzuführen.
Obwohl in den kontrollierten Studien (Arnold et al. 2001; Bergman et al. 1997, 2001; Prat et al. 1996; Vlavianos et al. 2003) die Komplikationsraten nach der Dilatation vergleichbar zur EPT sind, ist die Stellung der Dilatation letztlich immer noch nicht endgültig geklärt. Hauptursache dafür sind sehr unterschiedliche Beobachtungen zum Pankreatitisrisiko (Disario et al. 1997). Zumeist wird der Einsatz bei blutungsgefährdeten Patienten (Bergman 1998), bei Rezidivstenosen nach EPT oder in unübersichtlichen Situation wie bei Papillenlage in einem Divertikel oder bei manchen Billroth-II-Situationen (Prat et al. 1996) emp-
Mechanische Lithotripsie Gerade wenn man versucht, größere Steine zu extrahieren sollte man sog. Lithotripsiekörbe verwenden, um im Falle eines Scheiterns den Stein mechanisch zerkleinern zu können. Dabei wird, wenn der Stein im Korb eingefangen ist, der Griff abgeschraubt und das Gerät unter Belassen des Korbes entfernt. Nach Abziehen der Plastikhülle zieht man eine Metallhülle über den Draht und schiebt sie bis an den Stein. Das äußere Drahtende wird auf einem Gewinde aufgezogen. Beim Zuziehen des Korbes wird der Stein gegen die starre Metallhülle gedrückt und dabei zerkleinert. Die Fragmente werden anschließend in herkömmlicher Weise entfernt. Weiterentwickelte Systeme erlauben die Durchführung der Lithotripsie über das Gerät, was den Eingriff vereinfacht. Die Erfolgsraten der mechanischen Lithiotripsie werden mit über 90% angegeben (. Abb. 36.26; Leung et al. 2001; Nakajima et al. 1997). Extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie Im Gegensatz zur Behandlung von Gallenblasensteinen wird die Therapie von Gangsteinen häufig unter radiologischer Steindarstellung durchgeführt. Deshalb muss ein Zugang zum Gallengang, entweder eine nasobiliäre Sonde oder eine PTCD, postoperativ u. U. auch ein T-Drain vorhanden sein. Die Gallenwegsdrainage ist zudem erforderlich, um den Galleabfluss zu gewährleisten (. Abb. 36.27) und damit dem Entstehen einer Cholangitis oder Pankreatitis vorzubeugen. Selbst beim Sonderfall mit in einem abgerissenen Korb eingefangenen Steinen, sollte – wenn die ESWL nicht unmittelbar zur Verfügung steht – eine Drainage platziert werden.
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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. Abb. 36.26. Schema der mechanischen Lithotrypsie
. Abb. 36.25a–c. Steinentfernung mittels Ballon. a Radiologische Darstellung des geblockten Ballons im Gallengang; b Steinextraktion durch Ballondurchzug; c Ballondurchzug durch Papille
571 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
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. Abb. 36.27a,b. Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie. a Nasobiliäre Sonde; b Sonde in situ bei im Cysticusabgang eingeklemmten Stein
Bei gewährleistetem Galleabfluss und Zustand nach EPT gelingt es mit Hilfe der ESWL und anschließender konventionellen Fragmententfernung in 70–90% aller Fälle, den Gallengang steinfrei zu bekommen (Meyenberger et al. 2006; Sackmann et al. 2001), wobei die Methode als komplikationsarm gilt.
Laserlithotripsie Nur Lasersysteme mit dem sog. Steinerkennungssystem benötigen nicht unbedingt eine visuelle Kontrolle bei der Abgabe der Energie. Aber wegen der Rigidität muss die Laserfaser in Fällen, in denen man sich nur auf die radiologische Kontrolle stützt, über eine Führungshülle (z. B. eine Huibregtse-Sonde) an den Stein herangeführt werden. Überwiegend erfolgt jedoch auch bei diesem System, wie bei den älteren Lasersystemen und der elektro-
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. Abb. 36.28a,b. a Perorale Cholangioskopie; b Perkutan transhepatische Cholangioskopie
hydraulischen Lithotripsie, die Behandlung unter Sichtkontrolle, d. h. im Rahmen einer Cholangioskopie. Dazu bedient man sich zweier Zugangswege entweder peroral (POCS) im Rahmen einer Mother-Baby-Cholangioskopie oder perkutan transhepatisch (PTCS; Neuhaus et al. 1998) (. Abb. 36.28). Diese Methode stellt einen der Hauptfaktoren dafür dar, dass die Erfolgsrate der endoskopsichen Steintherapie an die 100% heranreichen kann (Neuhaus et al. 1998). Allerdings ist sie durchaus zeitintensiv, und die Anschaffungskosten für den Laser sind erheblich. Cholangioskopie Perorale Cholangioskopie. Die Grundvoraussetzung für die POCS ist die ausreichende Weite der Papillotomie. Die Entwicklung dünnerer Cholangioskope hat die Intubation des Gallenganges wesentlich erleichtert.
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
erwarten, die beobachteten Probleme sind in den allermeisten Fällen Folge der EPT. Problematisch ist, dass die kleinen Cholangioskope sehr empfindlich und reparaturanfällig sind. Perkutan transhepatische Cholangioskopie. Da die perorale
Cholangioskopie davon abhängig ist, dass die Papille gut zugänglich ist, ergibt sich die Hauptindikation der PTCS in Analogie zur PTCD bei Patienten, deren Papille nicht erreicht werden konnte, z. B. nach vorangegangenen Operationen wie manche BillrothII-Situationen, Roux-Y-Magen, Zustand nach Whipple-Operation oder nach anderen biliodigestiven Anastomosierungen. Steine, die zudem nicht selten proximal von Stenosen auftreten, können dann nur von perkutan angegangen werden (. Abb. 36.29). Was die EPT für die POCS bedeutet, stellt der perkutan transhepatische Trakt für die PTCS dar.
a
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b . Abb. 36.29a,b. Zustand nach biliodigestiver Anastomose und Anastomosenstenose mit Steinmassen prästenotisch. a Frühe Füllungsphase, b späte Füllungsphase
Unter Sicht wird die Lasersonde auf den Stein gerichtet. Je weiter peripher das Konkrement liegt, umso schwieriger wird der Eingriff. Denn obwohl die Cholangioskope außerhalb des Motherscopes sehr gut beweglich sind, schwindet diese Beweglichkeit im Gallengang auf ein Minimum. In manchen Fällen kann man versuchen das Cholangioskop über einen Führungsdraht an die gewünschte Stelle zu bringen. Hierbei hat man allerdings das Problem, dass nach Ziehen des Drahtes die rigide Lasersonde einen langen und oft gewundenen Weg nehmen soll, was nicht immer gelingt. Normalerweise wird die Lasersonde bereits bis an die Spitze des Cholangioskops geschoben und dann erst das Instrument überhaut eingeführt. Die Erfolgsaussichten der Lasertherapie sind insgesamt sehr hoch mit Raten zwischen 80–98% Steinfreiheit (Born et al. 1995), wobei aber insbesondere die Lage der Steine ausschlaggebend ist. Komplikationen durch die Cholangioskopie selbst sind kaum zu
Zunächst erfolgt die Darstellung des biliären Systems. Dann wird mit der PTCD-Nadel ein möglichst peripher gelegener Ast zumeist des rechtens Systems, möglichst in Höhe der Einstichstelle punktiert, um für die sich anschließende Dilatation einen möglichst guten Schubwinkel zu sichern. Über einen steifen Führungsdraht, der mit der Spitze im Dünndarm verankert werden sollte, erfolgt die Bougierung, wobei bei uns zunächst mit Vessel-Bougies von Fr 7 auf Fr 10 dilatiert wird. Der Trakt wird mit einem Pigtail-Katheter für einige Tage gesichert, bis dann in der 2. Sitzung mit Bougies vom NimuraTyp die Dilatation auf 16 Fr fortgesetzt wird. Mit den NimuraBougies kann man den Trakt dann in den Therapiepausen auch sichern. Wieder einige Tage später, also gut 1 Woche nach Beginn der Intervention ist der Trakt stabil für die Cholangioskopie. Mittlerweile stehen bereits Cholangioskope zur Verfügung, für die ein Trakt von 12 Fr genügt. Die Bildqualität ist allerdings zuminderst jetzt noch nicht vergleichbar mit der der Standardgeräte. Mit Hilfe des Frimberger-Sets (Frimberger et al. 2001) ist es möglich, mit speziell angepassten Plastik-Bougies die Dilatation über einen sog. Spannguide durchzuführen. Das Versteifen dieses Führungsdrahtes durch Aufwickeln am äußeren Ende führt zu einer Begradigung der schubrichtung der Bougies sodass eine Dilatation bis Fr 16 prinzipiell bereits in einer Sitzung möglich ist. Selbst wenn dies nicht angestrebt wird, kann mit diesem Dilatationsset die Intervention wesentlich vereinfacht werden. So schwierig im Vergleich zur POCS die Anlage des Traktes ist, so einfach gestaltet sich dann die Durchführung der perkutanen Cholangioskopie. Große, auch peripher gelegene Steine können fragmentiert, und die Teile in den Darm geschoben werden. Aufgrund der vorangegangenen Dilatationssitzungen sind zumeist auch evtl. vorhandene Stenosen beseitigt.
Die Erfolgsraten für die Behandlung von Steinen im Gallengangsbereich wie auch intrahepatisch werden mit 90–100% (Born et al. 1997; Yasuda et al. 1989) angegeben. Die technischen Vorteile der PTCS lassen den elektiven Einsatz zu, wenn Steine intrahepatisch liegen oder wenn aufgrund der Größe zeitlich aufwendige endoskopische Manipulationen dem Patienten erspart werden sollen (. Abb. 36.30; Lee et al. 2001).
573 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
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Die Lasertherapie unter cholangioskopischer Kontrolle insbesondere von perkutan ist eine einfache und sichere Methode der Steinentfernung, selbst wenn andere Methoden wie z. B. die ESWL (Born et al. 1995) bereits versagt haben.
In einer randomisierten Vergleichsstudie konnte die Überlegenheit der Lasertherapie gegenüber der ESWL belegt werden (Neuhaus et al. 1998). Da die Lasersysteme ebenso wie die ESWL-Geräte sehr teuer sind, und ihr Einsatz insgesamt nur bei einer kleinen Minderheit der Patienten mit Choledocholithiasis erforderlich ist, sollte die Anschaffung auf spezialisierte Zentren beschränkt bleiben. a
36.4.3 Diagnostik der Choledocholithiasis
b
c . Abb. 36.30a–c. Perkutan transhepatische Cholangioskopie. a Einführen des Gerätes; b Lasersonde auf ein großes Konkremnt gerichtet; c Steindesintegration unter cholangioskopischer Kontrolle
Komplikationen durch die Cholangioskopie sind extrem selten; allerdings ist die Anlage des Traktes mit einer Komplikationsrate von bis zu 50% behaftet, wobei es sich jedoch zumeist um leichtere Formen handelt, wobei wiederum die Cholangitis im Vordergrund steht (Born et al. 1997). Selten kommt es zu schweren Komplikationen wie arterielle Blutung, Pneumothorax o. ä.
Kolikartige rechtsseitige Oberbauchbeschwerden, evtl. begleitet von einem Ikterus, einer Entfärbung des Stuhl und einer dunkelbraunen Verfärbung des Urins, weisen klinisch auf das Vorliegen einer Choledocholithiasis hin. Laborchemisch können ein Anstieg des Bilirubins, der alkalischen Phosphatase (AP) und der γ-GT zusätzliche Indikatoren sein. Ein Anstieg der Transaminasen und Fieber zeigen eine Cholangitis und ein Lipaseanstieg eine biliäre Pankreatitis an. Eine nicht unerhebliche Anzahl von Patienten mit Choledocholithiasis bleiben jedoch asymptomatisch und auch alle Laborparameter können unverändert sein. Somit ist die Diagnostik, insbesondere präoperativ, in manchen Fällen sehr schwierig. Gerade in der Ära der laparoskopischen Cholezystektomie, ist zu einem Zeitpunkt, zu dem die intraoperative Cholangioskopie noch nicht routinemäßig durchgeführt wird und auch das therapeutische Vorgehen zumeist aufgeteilt wird in endoskopische Gangsanierung und chirurgische Gallenblasenentfernung (therapeutisches Splitting), die präoperative Diagnostik besonders wichtig. Obwohl in Studien immer wieder spezielle Laborwerte (Wang et al. 2001), einzelne Untersuchungen wie die i.v. Galle, der transabdominelle wie auch der endoskopische Ultraschall oder die ERCP als sehr aussagefähig hervorgehoben werden, muss man immer noch einräumen, dass alle Methoden zum Teil gravierende Mängel aufweisen (Neuhaus 1997).
Die ERC, der diagnostische Goldstandard, kann nicht mehr für das routinemäßige präoperative Screening empfohlen werden (Classen et al. 2002), da die Komplikationen zu hoch sind und in der MRCP und Endosonographie gleichwertige wesentlich risikoärmere Methoden zur Verfügung stehen (Mark et al. 2002).
Zudem ist auch die Interpretation in manchen Situationen durchaus problematisch. Beispielsweise ist bekannt, dass in einem erweiterten Gang durchaus sehr leicht Steine übersehen werden können, und selbst im schlanken Gang kleine Steine (sog. Mikrolithen) in bis zu 10% der Fälle erst nach Papillotomie zum Vorschein erkannt werden (Eimiller at al. 1988; Neuhaus et al. 1993).
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36
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.31. Endosonographische Darstellung einer Choledocholithiasis
. Abb. 36.32. Choledocholithiasis und Steingallenblase in situ
In der Praxis wird man eine Zusammenschau mehrerer Untersuchungsergebnisse durchführen. Unabhängig, ob Symptome vorliegen oder nicht, wird man präoperativ eine Labor- und eine Ultraschalluntersuchung veranlassen. Im Falle eines erweiterten Ganges (Kruis et al. 1997), pathologischer Laborwerte oder suspekter Klinik muss die weitere Diagnostik individuell gestaltet werden. Gerade bei typischer Symptomatik und sonographisch festgestellten kleinen Steine in der Gallenblase ist die Indikation für die Endoskopie relativ großzügig zu stellen. Man muss dann aber damit rechnen, dass eine sichere Aussage auch oft erst nach EPT möglich ist. Vielversprechende Ergebnisse werden von der Endosonographie (. Abb. 36.31) und der Kernspintomographie berichtet (Lee u. Chung 1998; Leuschner 1990; Prat et al. 1996). Die MRCP für die beim Steinleiden eine Spezifität und Sensitivität von ca. 90% angegeben wird (Guibaud et al. 1995) könnte mittelfristig die diagnostische ERCP ersetzen (Deviere et al. 1997). Aber auch für den endoskopischen Ultraschall werden gleich gute Werte berichtet (Lachter et al. 2000; de Ledinghen et al. 1999; Palazzo 1997). Abzuwarten bleibt letztendlich auch, wie sich die laparoskopische intraoperative Diagnostik der Choledocholithiasis entwickeln wird.
Befindet sich die Gallenblase dagegen noch in situ, bestehen mehrere Vorgehensmöglichkeiten (. Abb. 36.32). Die offene Operation mit Gangrevision wird heute wohl seltener durchgeführt. Die laparoskopische Gangsanierung stellt in Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten und auch der Lage und Größe der Steine die wesentliche Alternative zu dem immer noch am häufigsten gewählten Vorgehen dem sog. therapeutischen Splitting, bestehend aus endoskopischer Gangsanierung und anschließender laparoskopischer Cholezystektomie (CHE) dar und wird in Zukunft möglicherweise häufiger zum Einsatz kommen (Rojas-Ortega 2003). Immer noch nicht endgültig geklärt ist, bei welchen Patienten und in welchem Alter man sich auf die alleinige endoskopische Steintherapie beschränken und die Gallenblase in situ belassen kann.
36.4.4 Indikationsstellung Choledocholithiasis Aufgrund der möglichen Risiken einer Choledocholithiasis – kurzfristig Entstehung einer Cholangitis oder biliären Pankreatitis und langfristig Leberveränderungen bis hin zur sekundär biliären Zirrhose – ist der alleinige Steinnachweis im Gang Indikation zur Behandlung. Zu klären ist die Vorgehensweise.
Bei Patienten, deren Gallenblase bereits entfernt ist, wird man heute im Regelfall immer die endoskopische Therapie wählen.
Cholangitis Die Infektion der Gallenwege, die sich klassischerweise in Fieber, rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und Ikterus äußert (Lee u. Chung 1998), stellt einen Notfall dar, dessen Behandlung zunehmend aus den Händen der Chirurgen in die der endoskopisch tätigen Internisten übergegangen ist. Als Ursache liegt zumeist eine Obstruktion der Gallenwege zugrunde, wobei Steine und Tumore,, sowie nach vorangegangenen Eingriffen okkludierte Stents und Anastomosenstenosen im Vordergrund stehen. In der Diagnostik steht neben Labor und Ultraschall die ERCP im Vordergrund, da daran unmittelbar eine kausale Therapie angeschlossen werden kann. Unter der bereits vor der Untersuchung begonnenen Antibiotikatherapie wird der Gallengang dargestellt, wobei im Akutzustand ein Prallfüllen mit Kontrastmittel vermieden werden sollte, um eine vermehrte Keimeinschwemmung in die Blutbahn zu vermeiden. Falls Steine die Ursache der Obstruktion darstellen, kann bei kritisch Kranken zunächst das Vorgehen auf die Einlage einer NBS limitiert werden, ansonsten jedoch erfolgt EPT und Steinausräumung nach Möglichkeit in gleicher Sitzung (. Abb. 36.33; Lee u. Chung 1998).
575 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
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Wie in der Diagnostik die intraoperative Gallenwegsdarstellung, so scheint auch die intraoperative Sanierung der Gallenwege auf laparoskopischen Weg zunehmend an Bedeutung zu gewinnen. Selbst bei endoskopisch nicht entfernbaren Steinen hat sich diese neue Methode bereits bewährt (Poole et al. 1997). Dennoch wird im Augenblick noch, nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der postoperativen Komplikationen, eine suffiziente Endoskopie vorausgesetzt, dem therapeutischen Splitting vielerorts der Vorzug gegenüber der laparoskopischen Cholezystektomie mit gleichzeitiger Choledochusrevision eingeräumt (Gundlach et al. 1996). Für Hochrisikopatienten, für die eine endoskopische Steinentfernung nicht in Frage kommt und eine Operation sowieso ausgeschlossen ist, wird eine alleinigen Stenteinlage vorgeschlagen (Dalton u. Chapman 1995; Jain et al. 2000). In der Akutphase ist diese Maßnahme sicherlich sehr effektiv. Allerdings muss man bei einer Langzeitanwendung der Stenttherapie aufgrund rezidivierender Probleme von Seiten der Gallenwege (Cholangitis; Bergman et al. 1997; Chopra et al. 1996) mit einer nicht unerheblichen Komplikationsrate rechnen, sodass eine definitive Sanierung des Gallenganges, sobald es dem Patienten zumutbar erscheint, angestrebt werden sollte. . Abb. 36.33. Cholangitis; Entleerung von Eiter nach EPT
Biliäre Pankreatitis Neben der Cholangitis stellt die biliäre Pankreatitis die zweite gefährliche Akutkomplikation der Choledocholithiasis dar. Ein Stein im Papillenniveau, der den Abfluss des Pankreassaftes behindert, und zusätzlich eine durch die Gallenwegsobstruktion ausgelöste Cholangitis, die die Situation aggraviert, werden als ursächliche Faktoren diskutiert; letztendlich ist aber die Pathogenese nocht nicht vollständig geklärt. Die Verbesserung in der Diagnostik der Choledocholithiasis hat dazu geführt, dass der Anteil der biliären Genese an der Gesamtzahl aller Pankreatitiden deutlich höher eingeschätzt wird als früher – man geht davon aus, dass ca. 2/3 bis 3/4 aller Pankreatitiden biliären Ursprungs sind (Raraty et al. 1997). Wie bereits erwähnt, sind es gerade die schwer zu erkennenden kleinen Steine (Mikrolithen bis 5 mm), die häufig eine Pankreatitis auslösen (Eimiller et al. 1988). Neben der etablierten konventionellen Therapie der akuten Pankreatitis generell und einer frühzeitig einsetzenden Antibiose ist der Einsatz der Endoskopie jedoch immer noch Gegenstand teils heftiger Debatten. 36.4.5 Ergebnisse Choledocholithiasis Bei ca. 95% aller Patienten mit Choledocholithiasis gelingt eine suffiziente EPT. Bei insgesamt 80–90% aller Patienten kann man mit konventionellen Maßnahmen (Dormiakorb und Ballon) eine Steinfreiheit des Gallenganges erreichen (Cotton 1993). Wenn bei den verbleibenden sog. schwierigen Steinen, vor allen in spezialisierten Zentren, zusätzliche Maßnahmen wie mechanische, elektrohydraulische und Laserlithotripsie sowie die ESWL herangezogen werden, gelingt es heute in fast 100% der Fälle, Steinfreiheit zu erzielen. Im Vergleich zur offenen chirurgischen Intervention hat sich die Endoskopie insbesondere bei Risikopatienten als zumindest gleichwertig erwiesen (Sivak 1989; Neoptolemos et al. 1988).
Cholangitis In einer Metaanalyse (Classen et al. 1997) erwies sich die endoskopische Behandlung in 89,8% als erfolgreich, mit einer Mortalität von 2%. Diese Studie bestätigte auch Einzeldaten, die den Zeitfaktor betonten und bei frühzeitiger (innerhalb von 24 h bzw. spätestens 72 h) Intervention eine Verbesserung der Ergebnisse beobachteten (Boender et al. 1995; Chak et al. 2000; Classen et al. 1997). In der Behandlung kommt der nasobiliären Sonde (NBS) eine besondere Bedeutung zu. Zum einen gewährt sie den Galleabfluss, wenn die Steine nicht entfernt werden konnten, zweitens erlaubt sie eine einfache Kontrolle nach vermeintlich vollständiger Steinentfernung, ohne erneute Belästigung des Patienten durch das Endoskop und drittens ermöglicht sie eine Spülung des Gallenganges. Die Endoskopie, die möglichst frühzeitig erfolgen sollte, hat sich aufgrund der geringeren Invasivität der Notfallchirurgie als überlegen erwiesen (Lai et al. 1992). Gelingt die endoskopische Sanierung des Gallenganges nicht, ist in Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten eine PTCD oder die chirurgische Sanierung der Gallenwege anzustreben. Biliäre Pankreatitis Es gibt derzeit nur 4 kontrollierte Studien zum Effekt der Endoskopie bei Patienten mit biliärer Pankreatitis (Neoptolemos et al. 1988; Fan et al. 1993; Nowak et al. 1995; Fölsch et al. 1997). Während die Studien der ersten 3 genannten Autoren einen Vorteil für die Patienten, allerdings zum Teil sehr unterschiedlich ausgeprägt, fanden zeigte sich in der Fölsch-Studie bei den endoskopierten Patienten sogar ein nachteiliger Effekt. Diese Studie wird aber schon aufgrund der gewählten Ein- bzw. Ausschlusskriterien kritisiert. In den Fällen, in denen eine begleitende Cholangitis vorliegt, ist die Indikation zur endoskopischen Gangsanierung wohl unumstritten. Insgesamt gibt es im Augenblick noch keine allgemeingültigen Empfehlungen. Wenn jedoch Steine eindeutig die Ursache der Pankreatitis sind, ist die Indikation zu einer ERCP zumindest bei uns unumstritten, wobei ein möglichst frühzeitiges Inter-
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
venieren innerhalb der ersten 24 h nach Beginn der Symptomatik angezeigt erscheint (Lai et al. 1994). Auch der prophylaktische Effekt der EPT bei rezidivierenden Schüben einer biliären Pankreatitis ist belegt (Siegel et al. 1994). Die Indikationsstellung wird dadurch so erschwert, dass gerade die kleinen Steine selbst bei der ERCP auch in einem nicht erweiterten Gang nicht unbedingt zu erkennen sind, andererseits ein Zuwarten ohne Intervention den Verlauf der Pankreatitis nachhaltig verschlechtern kann. Hier kann evtl. die Endosonographie weiterhelfen. Bei Patienten mit Zustand nach biliärer Pankreatitis und Steingallenblase in situ ist – auch wenn nach EPT und erfolgreicher Steinentfernung die Gefahr eines Rezidivs geringer ist (Raraty et al.) – die Indikation zur Cholezystektomie großzügig zu stellen. Die Einführung der laparoskopischen CHE hat zu einem Rückgang der postoperativen Rate an biliären Pankreatitiden geführt (Z’graggen et al. 1997); falls sie dennoch auftritt, ist die ERCP und EPT unverändert indiziert. 36.4.6 Komplikationen
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Akutkomplikationen. Diese sind in der Regel Folge der Papillotomie. Wie schon ausgeführt liegt in der bislang größten prospektiven Studie die Gesamtkomplikationsrate bei 9,8%, wobei die Pankreatitis mit 5%, gefolgt von der Blutung mit 2%, im Vordergrund steht (Freeman et al. 1996). Patientenbezogene Faktoren, die zu einer Steigerung des Risikos führen, sind das Vorliegen einer Sphinkter-Oddi-Dyskinesie und die Leberzirrhose. Methodenassoziiert erhöhen schwierige Intubationsbedingungen der Papille, die Anwendung von »Precut«-Methoden und das perkutan transhepatische Vorgehen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Komplikationen (Mehta et al. 1998). Langzeitkomplikationen. Spätfolgen können in bis zu 20% nach
EPT auftreten. Eine Restenosierung der Papille, Steinrezidive und Cholangitis stehen dabei im Vordergrund, sind aber im Regelfall endoskopisch gut beherrschbar (Wojtun et al. 1997; Hawes et al. 1990; Frimberger 1998). Verbliebene Gallenblase nach EPT. Im Regelfall wird man nach einer EPT bei Patienten mit Gallenblase eine Operation empfehlen. Allerdings werden immer wieder Altersgrenzen oder Begleiterkrankungen diskutiert, bei denen abweichend die Gallenblase belassen werden soll oder kann. Bei diesen Patienten ist aber mit einem erhöhten Risiko von Problemen sowohl von Seiten der Gallenblase als auch dem Gallengang zu rechnen (Boerma et al. 2002).
36.4.7 Zusammenfassung und Ausblick Die Choledocholithiasis kann sich unter verschiedenen Erscheinungsbildern manifestieren. Die Palette reicht vom beschwerdefreien Patienten mit einem von Steinen ausgemauerten Choledochus bis hin zur nekrotisierenden Pankreatitis hervorgerufen durch ein winziges Konkrement im Papillenbereich. In der Diagnostik haben Laboruntersuchungen und der transabdominelle Ultraschall Priorität. Die Eskalation der Untersuchungsmaßnahmen reicht bis hin zur ERCP, wobei diese zunehmend jedoch von der MRCP und EUS verdrängt wird. Die
Daten des endoskopischen Ultraschalls sind ebenso vielversprechend wie die Ergebnisse der intraoperativen Gallenwegsdarstellung während der laparoskopischen Cholezystektomie (Hyser et al. 1999).
In der Therapie stellt die ERCP mit EPT und Steinextraktion sowie in ausgewählten Fällen die PTCD immer noch die wichtigste weniger invasive Alternative zur herkömmlichen Cholezystektomie mit Gallengangsrevision dar und bildet den Vergleichsstandard für die neuen laparoskopischen Behandlungsstrategien.
Steinentfernungsraten aus den Gallenwegen von nahezu 100% bei einer akzeptablen Komplikationsrate haben zu einer Ausweitung der Indikationsstellung auf Patienten aller Altersgruppen (Sugiyama u. Atomi 2000) geführt und gerade in der Zeit des therapeutischen Splittings die Stellung der Endoskopie bei Vorliegen einer Cholezysto- und Choledocholithiasis gefestigt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die neuen laparoskopischen Methoden die Therapie der Choledocholithiasis, zumindest bei den Patienten, bei denen eine Cholezystektomie vorgesehen ist, wieder verändern werden. Unabhängig davon zeigt gerade die Therapie des Gallensteinleidens wie eng interventionelle Endoskopie und Viszeralchirurgie in der interdisziplinären Patientenversorgung zusammengerückt sind.
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577 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36.5
Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht R. Peterli, C. Looser
) ) Die Einführung minimalinvasiver Operationstechniken hat die Gallensteinchirurgie in einem Ausmaß revolutioniert wie kaum ein anderes Gebiet der Viszeralchirurgie. Die laparoskopische Cholezystektomie hat sich in den letzten Jahren als Methode der Wahl zur Behandlung von Gallenblasensteinen durchgesetzt. Im folgenden Kapitel werden Diagnostik und Therapie der Cholezysto- und Cholangiolithiasis beschrieben und die Resultate der verschiedenen chirurgischen Verfahren vorgestellt.
36.5.1 Epidemiologie In Mitteleuropa nimmt die Prävalenz der Cholelithiasis zu, sie liegt zwischen 10 und 20% (Kang et al. 2003; Kratzer et al. 1995). Sie steigt im weiteren mit zunehmendem Alter. Frauen sind bis doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die jährliche Inzidenz der Cholelithiasis liegt bei knapp 1% (Misciagna et al. 1996). Prädispositionsfaktoren sind Multiparität, Übergewicht, familiäre Belastung, Diabetes, Hyperlipoproteinämie und langzeitiges Fasten. Die ethnisch-geographische Herkunft hat ebenfalls einen Einfluss. Beispielsweise weisen 75% der Pima-Indianerinnen in Nordamerika im Alter von 25–34 Jahren eine Cholelithiasis auf. Sie ist hingegen bei gewissen afrikanischen Stämmen unbekannt. Grundsätzlich werden 2 Typen von Gallensteinen unterschieden. In der westlichen Welt überwiegen die Cholesterinsteine mit 70%, die übrigen 30% sind Pigmentsteine. In Asien werden Pigmentsteine häufiger als Cholesterinsteine angetroffen. Durch den Einfluss westlicher Ernährungsgewohnheiten werden in Singapur immer häufiger Cholesterin- als Pigmentsteine angetroffen (Ti et al. 1996). 36.5.2 Klinische Symptomatologie von Cholezysto-
und Cholangiolithiasis Die typische Gallenkolik durch Steineinklemmung im Gallenwegssystem tritt im Anschluss an ein fettreiches Mahl auf, dauert Minuten bis wenige Stunden und strahlt in die rechte Flanke oder rechte Schulterregion aus. Bei der klinischen Untersuchung des Patienten mit Gallenkolik besteht eine Druckdolenz im rechten Oberbauch ohne peritonitische Zeichen. Patienten mit Cholan-
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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579 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
36
. Abb. 36.34. Sonographische Diagnostik: typische Cholezystolithiasis. Zwei Konkremente als echoreiche Strukturen mit dorsalem Schallverlust innerhalb einer normalgroßen und zartwandigen Gallenblase
giolithiasis können sich ikterisch präsentieren mit einer Anamnese von hellen Stühlen und dunklem Urin. Cholelithiasis-bedingte Beschwerden sind von funktionellen Oberbauchsymptomen häufig nicht klar abzugrenzen (Peterli et al. 1998). Zwischen 30 und 80% der Gallensteinträger sind asymptomatisch (Attili et al. 1995; Muhrbeck 1995). Die asymptomatische Cholelithiasis kann über die symptomatische oder direkt zu Komplikationen in der Gallenblase (7 Kap. 36.6) oder in den Gallenwegen (7 Kap. 36.7) führen. Liegt eine Cholangiolithiasis vor, so handelt es sich zu Beginn um eine funktionelle Phase: Bei normal weitem Gallenwegssystem steigen die Leberenzyme ohne begleitende Hyperbilirubinämie an. Anschließend folgt die anatomische Phase mit Dilatation zuerst der extra-, später auch der intrahepatischen Gallenwege. Die Bilirubinwerte sind dann erhöht. Bei einer intermittierenden oder rezidivierenden Obstruktion (z. B. mehrzeitige Steinabgänge) oder bei gleichzeitig bestehender Leberzirrhose kann die Erweiterung des biliären Systems fehlen. Schließlich folgt die ikterische Phase, der Patient zeigt alle klinischen Kriterien des obstruktiven Ikterus. Die Höhe der biliären Obstruktion bestimmt die Wertigkeit der verschiedenen bildgebenden Verfahren. Man unterscheidet ein proximales (Leberhilus), suprapankreatisches und distales (Papilla Vateri) Niveau.
Eine asymptomatische Choledocholithiasis liegt bei Patienten vor geplanter Cholezystektomie in 3–11% der Fälle vor (Schuppisser 1996; Collins et al. 2004).
36.5.3 Diagnostik Sonographie. Zur Diagnose der Cholezystolithiasis ist heute die Sonographie als einfache, weit verbreitete und kosteneffiziente Methode die Untersuchung der Wahl. Ihre Sensitivität beträgt annähernd 100% (Maglinte et al. 1991; Marzio et al. 1992). Gallensteine stellen sich typischerweise als echoreiche Strukturen variabler Größe und Konfiguration mit dorsaler Schallabschwä-
chung oder komplettem -verlust dar (. Abb. 36.34). Kleine Konkremente, vor allem reine Cholesterinsteine, manifestieren sich als rundliche, scharf begrenzte, echogene Strukturen ohne dorsale Schalländerung. Die dokumentierte, schwerkraftabhängige Verschieblichkeit in Patienten-Linksseitenlage klärt die Differenzialdiagnose zu einem sonomorphologisch gleich aufgebauten Gallenblasenpolypen. Die Linksseitenlage erlaubt auch eine bessere Beurteilung des Gallenblasen-Infundibulums hinsichtlich kleiner, impaktierter Konkremente. Mittels moderner, hochauflösender Geräte gelingt auch der Nachweis einer Mikrolithiasis mit einer Steingröße von 1–2 mm. Die Literaturangaben über den sonographischen Nachweis einer Choledocholithiasis variieren erheblich zwischen 30–80% (Lo u. Chen 1996; Gross et al. 1983; Laing et al. 1986). Ein erweiterter D. choledochus als Leitstruktur erleichtert den intraduktalen Konkrementnachweis (. Abb. 36.35).
Je proximaler der Stein liegt, umso leichter kann er sonographisch identifiziert werden (keine Überlagerung durch das Duodenum).
Magnetresonanz-Cholangiographie. Die MRC benutzt stark T2-gewichtete Sequenzen, die statische Flüssigkeiten, wie die Galle, sehr signalintensiv ohne Verwendung von Kontrastmittel darstellen lassen. Von Vorteil sind die beliebig wählbare Schnittebene, die Möglichkeit zur dreidimensionalen Rekonstruktion aus dem axialen Datensatz sowie die Unabhängigkeit von Überlagerungen. Die Sensitivität zum Nachweis sowohl der Cholezysto- als auch Choledocholithiasis liegt zwischen 92 und 100% (. Abb. 36.36; Griffin et al. 2003; Hochwalk et al. 1998; Ke et al. 2003). Intravenöse Cholangiographie. Die IVC weist zwar unter Anwendung der konventionellen Tomographie zum Nachweis von Gallengangssteinen eine hohe Sensitivität auf (Schuppisser 1996), erreicht aber nicht die hervorragenden Ergebnisse der MRC. Beim obstruierenden Konkrement mit erhöhten Bilirubinwer-
580
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
a . Abb. 36.35. Sonographische Diagnostik der Choledocholithiasis: kleine Gallenblasenkonkremente (gerader Pfeil), Konkremente im D. choledochus mit vorgeschaltet erweiterten Gallenwegen (runder Pfeil)
36
ten (>20 mmol/l) ist die hepatogene Kontrastmittelsekretion zu stark eingeschränkt, um eine diagnostisch verwertbare Darstellung der Gallenwege zu ermöglichen. Zudem ist sie zeitaufwendig und besitzt das Potenzial der Kontrastmittelnebenwirkung. Computertomographie. Lediglich knapp 50% der Gallenkonkremente weisen Dichtewerte auf, dass sie im CT nachgewiesen werden können. Eine Aerobilie, sei sie spontan bei choledochoduodenaler Fistel oder nach vorangegangener Gallengangsintervention (biliodigestive Anastomose, Papillotomie) macht den Konkrementnachweis sowohl im Ultraschall (Luft ist gleich echogen wie ein Konkrement) als auch in der MRC (ähnliches Signalverhalten) praktisch unmöglich. In dieser Situation findet die CT ihren Einsatz, indem die Dichten von Luft und Stein unterschiedlich sind.
b . Abb. 36.36a,b. Magnetresonanz-Cholangiographie. a Signallose Konkremente in der signalreichen Flüssigkeit der Gallenblase (→); b signalloses Konkrement im D. cysticus (→) und im nicht erweiterten D. choledochus (←)
Endoskopisch retrograde Cholangiographie. Die ERC hat als
invasive Abklärungsmethode ihre Position als Goldstandard an die MRC abgegeben. Sie sollte bei bestätigtem Gallengangskonkrement nur noch als therapeutische Methode der Wahl zur Steinextraktion eingesetzt werden. Therapeutisch ist sie in 70– 97% erfolgreich, der Nachweis eines Gallengangsteines gelingt in 90% (Lo u. Chen 1996). 36.5.4 Indikationsstellung und Verfahrenswahl Asymptomatische Cholezystolithiasis. Die asymptomatische
Cholezystolithiasis führt innerhalb von 5–10 Jahren in etwa 10– 20% der Fälle zu Symptomen und in 5–10% zu Komplikationen (McSherry et al. 1984; Halldestam et al. 2004). Die Mortalität der Cholezystektomie beträgt heute unter 0,1%, bei älteren Patienten und bei Vorliegen einer Komplikation liegt sie höher (Peterli et al. 2000; Wölnerhanssen et al. 2005). Aufgrund dieser Zahlen darf man einem jungen asymptomatischen Gallensteinträger die Cholezystektomie empfehlen, um ihn vor einem risikoreichen
Eingriff bei Steinkomplikationen im Alter zu bewahren, während man bei betagten beschwerdefreien Steinträgern noch zurückhaltender sein sollte. Indikationen zur Cholezystektomie bei asymptomatischen Gallenblasensteinen 5 Nachweis zahlreicher, kleiner Steine 5 Steinträger, die häufig Länder mit ungenügender medizinischer Versorgung bereisen 5 Steinträger, die aufgrund ihrer morbiden Adipositas operiert werden (Deitel u. Cowan 2000)
Obwohl die Gallensteinkrankheit wiederholt in Zusammenhang mit der Entstehung des Gallenblasenkarzinoms gebracht wird, kann unseres Erachtens das Argument der Cholezystektomie zur Tumorprophylaxe nicht herangezogen werden (Strom et al. 1996; Zatonsky et al. 1997).
581 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
Symptomatische Cholezystolithiasis. Bei Oberbauchkoliken
und nachgewiesener Cholezystolithiasis ist die Indikation zur Cholezystektomie unbestritten. Schwieriger ist die Indikationsstellung bei atypischen Abdominalbeschwerden. Es gibt keine schlüssige Untersuchung, die präoperativ unspezifische Gastrointestinalbeschwerden wie abdominelles Druckgefühl, Blähung usw. einer nachgewiesenen Cholezystolithiasis zuordnen lässt. Der Entschluss zur Cholezystektomie fällt hier nach eingehender Abklärung des übrigen Gastrointestinaltraktes allerdings leichter als bei der eigentlichen asymptomatischen Cholezystolithiasis. Diese Patienten sollten aber präoperativ darauf hingewiesen werden, dass ihre Beschwerden unter Umständen funktionellen Darmstörungen entsprechen und deshalb postoperativ anhalten können. Die Indikation zur Cholezystektomie bei typischen Oberbauchkoliken kann schwierig zu stellen sein, wenn die Cholezystolithiasis trotz wiederholter Sonographie nicht nachgewiesen werden kann. In diesen Fällen können eine Mikrolithiasis oder ein sog. »Sludge« bestehen und unter dieser Annahme kann die Indikation zur Cholezystektomie gestellt werden. Verfahrenswahl. In den letzten 15 Jahren hat sich die laparos-
kopische Cholezystektomie als Standardverfahren etabliert. Anfänglich wurden ca. 50% aller Cholezystektomien laparoskopisch durchgeführt, heute sind es über 95% (Peterli et al. 2000; Wölnerhanssen et al. 2005). Für eine primär offene Cholezystektomie existieren nur noch wenige Indikationen: 4 Cholezystektomie als Begleiteingriff bei einer Operation, die eine Laparotomie benötigt 4 Wenn die kardiopulmonalen Nachteile des Pneumoperitoneums die potenziellen Vorteile der Laparoskopie überwiegen 4 Gleichzeitige, offene Gallenwegsrevision (Status nach erfolgloser endoskopischer Steinextraktion) 4 Cholezysto- oder cholangioenterale Fistel 4 Mirizzi-Syndrom 4 Karzinomverdacht im Gallenblasenbereich Cholangiolithiasis. Das Vorgehen bei Choledocholithiasis richtet sich nach dem klinischen Befund des Patienten und den lokalen Gegebenheiten, der Erfahrung und dem Können des behandelnden Teams (Radiologie, Gastroenterologie, Chirurgie). Beim Konzept des Therapiesplittings werden die Gallengangssteine vor der Cholezystektomie mittels ERC und Papillotomie entfernt. Alternativ kann direkt die Gallenwegsrevision (GWR) – laparoskopisch oder offen – durchgeführt werden. Therapiesplitting und offene GWR zeigten in verschiedenen prospektiven Untersuchungen (Hammarström et al. 1995; Targarona et al. 1996) vergleichbare Resultate. Eine weitere Variante zur Behandlung intraoperativ entdeckter Gallengangssteine ist die sog. »Rendezvous«-Technik mit ERC + Papillotomie während der laparoskopischen Cholezystektomie. Sie ist ähnlich erfolgreich, aber wohl wegen der schlechten Planbarkeit der Operationssaalkapazität nicht sehr verbreitet (Enochsson et al. 2004). In ausgewählten Fällen kann auch die Politik »wait and see« verfolgt werden, passieren doch mehr als ein Drittel der intraoperativ entdeckten Gallengangssteine spontan (Collins et al. 2004). Die GWR nach Cholezystektomie bleibt den Patienten vorbehalten, die wegen unerkannter Residualsteine nach Cholezystektomie symptomatisch werden und bei denen das Problem endoskopisch nicht lösbar ist.
36
36.5.5 Operationstechnik Laparoskopische Cholezystektomie Lagerung. Der Patient wird in Rückenlage mit abgewinkelten Beinen so gelagert, dass der Tisch in Fußtieflage gebracht werden kann (»französische« Lagerung). Dadurch entfernen sich Netz, Querkolon, Magen und Duodenum aus dem Blickfeld. Die Beine sind so weit gespreizt, dass der Operateur (. Abb. 36.37) zwischen den Beinen zu Stehen oder Sitzen kommt; der erste Assistent, der die Kamera führt, sitzt rechtsseitig des Patienten, die Operationsschwester zur rechten Seite des Operateurs und selten wird ein zweiter Assistent an der linken Seite des Patienten benötigt. Alternativ zu dieser in Europa weit verbreiteten Methode gibt es die »amerikanische« Technik, bei welcher der Patient in gewöhnlicher Rückenlage operiert wird. Der Operateur und sein Assistent stehen auf der linken Patientenseite. Trokarpositionen. Das Pneumoperitoneum wird nach Hautin-
zision paraumbilikal entweder über eine Veress-Nadel oder unter Sicht im Sinne einer Minilaparotomie hergestellt und der Trokar (A in . Abb. 36.37) für das Endoskop eingeführt. Dieser wird im späteren Verlauf der Operation durch einen größeren Trokar ersetzt, durch den die Gallenblase extrahiert werden kann. Ein Arbeitskanal (B) für die rechte Hand des Operateurs und ein weiterer für die linke Hand zum Fassen der Gallenblase (C) werden unter Sichtkontrolle eingeführt. In Position D kann entweder durch einen Arbeitskanal ein Saugspülrohr oder ein Spatel oder Autoretraktionshaken eingeführt werden, um die Leber zu retrahieren. Etwaige Verwachsungen um die Gallenblase werden gelöst. Die Serosa im Bereiche des Calot-Dreiecks wird inzidiert, um D. cysticus und die A. cystica zu präparieren. Die übersichtliche Darstellung des Überganges vom Infundibulum zum D. cysticus ist entscheidend zur Vermeidung von Gallengangsverletzungen. Hingegen ist die vollständige Präparation der Zystikusmündung in den Hepatocholedochus wegen der Gefahr der Gallengangsverletzung zu vermeiden (. Abb. 36.38). Der D. cysticus kann zur intraoperativen Cholangiographie kanüliert werden. Genügend lang präparierte Zystikus- und Zystikasegmente werden zwischen Clips durchtrennt (. Abb. 36.39). Anschließend wird die Gallenblase unter Zug von der Leberunterseite abgelöst (. Abb. 36.40). Die Bergung der Gallenblase erfolgt entweder durch einen Extraktionstrokar oder mit dem Bergebeutel. Gelegentlich ist dafür eine Inzisionserweiterung paraumbilikal notwendig. Anschließend erfolgen die Spülung des Wundgebietes und die Kontrolle der Blutstillung. Die Arbeitskanäle werden unter Sicht entfernt und evtl. Stichkanalblutungen gestillt. Das Pneumoperitoneum wird abgelassen und die Bauchdecke paraumbilikal auf Faszienebene verschlossen.
Laparoskopische Gallenwegsrevision Die laparoskopische Gallenwegsrevision, die dem laparoskopisch versierten Chirurgen vorbehalten sein sollte, kann transzystisch oder über eine Choledochotomie geschehen. Sie richtet sich nach den anatomischen Gegebenheiten und nach den Präferenzen des Operateurs.
582
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.37. Laparoskopische Cholezystektomie Lagerung und Trokarpositionen: 1 Operateur, 2 erster Assistent, 3 Operationsschwester, 4 evtl. zweiter Assistent an Stelle von 5 Autoretraktionshaken für die Leber, 6 Apparateturm; Trokarpositionen 7 Text
6
5 D
B
4
2
A
C
36
3
1
2
4
3
1 . Abb. 36.38. Laparoskopische Cholezystektomie: Präparation des CalotDreiecks. 1 D. cysticus frei präpariert, 2 A. cystica, 3 Lig. hepatoduodenale, 4 Fasszange mit Zug am Infundibulum
. Abb. 36.39. Laparoskopische Cholezystektomie: Durchtrennen von D. cysticus und A. cystica zwischen Clip
583 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
3
1
2
. Abb. 36.40. Laparoskopische Cholezystektomie: Herauslösen der Gallenblase vom Leberbett. 1 Hakenelektrode, 2 Fasszange an Gallenblase, 3 Autoretraktionshaken für die Leber
Transzystischer Zugang. Diese Technik ist bei 80–95% der Patienten mit Gallengangssteinen anwendbar (Ferzli et al. 1996; Rojas-Ortega et al. 2003; Tranter u. Thompson 2002). Der D. cysticus wird eher nahe dem D. hepatocholedochus inzidiert und mit einem röntgendichten Führungsdraht intubiert. Über diesen Draht werden Dilatatoren eingebracht und der D. cysticus so weit aufdilatiert, dass ein Konkrement der maximalen Größe von 6 mm mittels Dormiakörbchen unter Durchleuchtungskontrolle oder cholangioskopisch geborgen werden kann. Laparoskopische Choledochotomie. Sie kommt zur Anwendung
entweder bei kleinkalibrigem D. cysticus (<4 mm), atypischer Zystikusmündung oder bei relativ großem Gallengangskonkrement (>6 mm). Die Steinentfernung erfolgt mittels Ballon-
1 2
36
katheter, Dormiakörbchen und Spültechniken. Wie bei der offenen GWR erfolgt in aller Regel eine T-Draineinlage. Ein direkter Gallengangsverschluss kann bei sicherer Steinfreiheit und nicht erfolgter Manipulation in Papillennähe erfolgen (Petelin 1998; Waage et al. 2003). Mit dieser Methode wird eine Steinfreiheit in über 90% erreicht (Rojas-Ortega et al. 2003; Tranter u. Thompson 2002). Offene Cholezystektomie Inzision. In der Regel bewähren sich subkostale oder quere Oberbauchinzisionen (. Abb. 36.41). Letztere ist vor allem bei schlanken Patienten möglich und kosmetisch vorteilhaft. Bei unklarer Anatomie oder mangelhafter Exposition empfiehlt sich die Schnitterweiterung. Zur optimalen Einstellung des Operationsfeldes bzw. der subhepatischen Loge haben sich am Operationstisch fixierte Selbsthaltehaken bewährt. Bei Verwachsungen im Bereich der Gallenblasenvorderwand, die meistens kulissenartig in 3 Schichten vorliegen (großes Netz, rechtes Kolon bzw. Mesokolon, Duodenum bzw. Antrum) erfolgt die Präparation immer gallenblasennah von rechts nach links und von ventral nach dorsal. Die weiteren Schritte zur Darstellung des Calot-Dreiecks mit dem D. cysticus und der A. cystica entsprechen dem Vorgehen bei der laparoskopischen Cholezystektomie. Anspruchsvoll sind die Verwachsungen im Bereich des Lig. hepatoduodenale, die eine sorgfältige Präparation erfordern. Bei unklarer Anatomie empfiehlt sich die Durchführung eines Cholangiogramms, um die genaue Lage der Gallengänge zu erfahren. Es kann mit einer Durchfluss- und Druckmessung kombiniert werden, um nebst der Bildgebung Auskunft über die Papillenfunktion zu erhalten. Das Ablösen der Gallenblase geschieht entweder ante- oder retrograd. Bei stark verdickter Hinterwand oder intrahepatisch liegender Gallenblase kann die Hinterwand in situ belassen (subtotale Cholezystektomie) und die Schleimhaut auskürettiert bzw. mit der Diathermie koaguliert werden. Das Gallenblasenbett wird ausgespült und die Blutstillung kontrolliert.
Offene Gallenwegsrevision Nach erfolgter Cholezystektomie erfolgt die Choledochotomie zwischen Haltefäden und Steinentfernung mittels ForgartyKatheter oder spezieller Steinfasszangen (. Abb. 36.42) und/oder Gangspülung (Distensionsspülung). Die Steinfreiheit des Gallenganges, sowohl im Bereich der Papille als auch der Hepatikusgabel, ist choledochoskopisch zu überprüfen. Abschließend wird ein T-Drain, z. B. Latexgummi eingelegt und die Choledochotomie fortlaufend mit atraumatischer Naht mit resorbierbarem Faden verschlossen (. Abb. 36.43). 36.5.6 Komplikationen
. Abb. 36.41. Offene Cholezystektomie: Bauchdeckeninzisionen: 1 subkostal, 2 quer
Intraoperative Komplikationen Eine schwerwiegende intraoperative Komplikation ist die Gallengangsverletzung. Hauptgründe für die Gallengangsläsion sind mangelnde Erfahrung des Operateurs, schlechte Übersicht
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
u. Bell 1994; Siewert et al. 1994). In einer Metaanalyse über annähernd 80.000 laparoskopische Cholezystektomien kam es in 0,5% der Fälle zu Gallengangsverletzungen (Shea et al. 1996). Im eigenen, prospektiv untersuchten Krankengut von 4498 Cholezystektomien liegt die Rate unter 0,1% (Wölnerhanssen et al. 2005). Verletzungen ohne Substanzverlust können durch direkte Naht über ein eingelegtes T-Drain versorgt werden. Ein durchtrennter Hauptgallengang mit Substanzverlust erfordert eine biliodigestive Anastomose.
Gallengangsverletzungen bei laparaskopischen Cholezystektomien treten nur noch in ca. 0,5% der Fälle auf.
Schwerwiegende intraoperative Blutungskomplikationen sind sehr selten geworden. Durch vermehrte Erfahrung des Operateurs, aber auch bedingt durch neuere, technische Entwicklungen (bessere Insufflatoren, Kameras, Argonbeamer, Clipapplikatoren etc.) können Blutungen rasch, übersichtlich und sicher gestillt werden. Hingegen zwingen Verletzungen großer Gefäße zu raschem Handeln mit sofortigem Umstieg. Andere Komplikationen, wie z. B. Punktionsverletzungen von intestinalen Strukturen und Gefäßen beim Herstellen des Pneumoperitoneums oder beim Einführen der Trokare, können dramatische Auswirkungen haben. Ein mögliches Problem stellt die Gallenblasenperforation mit Steinverlust dar. Durch Zug mit der Fasszange kann die Gallenblasenwand einreißen oder bei der Präparation wird die Gallenblasenwand direkt durch Instrumente verletzt. Diese bei der offenen Cholezystektomie selten beobachtete Situation wird bei der laparoskopischen Cholezystektomie in einer Häufigkeit von 5–33% beschrieben. Selten führen zurückgelassene Gallensteine zu septischen Komplikationen. Nach ausgiebiger Spülung des Abdomens und möglichst vollständiger Steinentfernung konnte kein negativer Einfluss auf das Langzeitresultat nachgewiesen werden. Ein Umstieg wegen Gallensteinverlust ist nicht indiziert (Jones et al. 1995; Peterli et al. 1998; Schäfer et al. 1997).
aa
bb . Abb. 36.42a,b. Offene Gallengangrevision: einfache Steinentfernung. a Steinentfernung leberwärts mit der Steinfasszange; b Steinentfernung duodenumwärts mit der Steinfasszange unter gleichzeitiger digitaler Fixation des Konkrements
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bei entzündlichen Veränderungen mit Blutungsneigung sowie das Nichterkennen von anatomischen Varianten. Unübersichtliche Darstellung des Überganges vom Infundibulum zum D. cysticus, exzessive Präparation seiner Einmündungsstelle in den Hauptgallengang oder blutstillende Maßnahmen bei Blutungen aus der abgerissenen A. cystica sind weitere Fehler. Bei der offenen Cholezystektomie wird die Gallengangsläsion mit einer Häufigkeit von 0,2% angegeben (Gebhardt u. Meinl 1994; Shea et al. 1996). Zu Beginn der laparoskopischen Ära nahmen biliäre Komplikationen um das 4- bis 8fache zu (Doctor et al. 1998; Fullarton
. Abb. 36.43a–c. Offene Gallengangsrevision: Einlage eines T-Drains. a Schräges Zuschneiden der Enden der T-Schenkel und Exzision eines Wandstücks aus der Dreiwegstelle; b Einschieben des T-Drains in den Choledochus; c Verschluss der Choledochotomie mit fortlaufender Naht
a c
b
585 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
Frühpostoperative Komplikationen Kommt es postoperativ zu einem cholostatischen Ikterus und ist eine Gallengangsverletzung ausgeschlossen, liegt meist eine Cholangiolithiasis vor. Sie kommt nach laparoskopischer in 0–1% und nach offener Cholezystektomie in ca. 3% der Fälle vor (Peterli et al. 2000). Die Behandlung erfolgt mittels Papillotomie und endoskopischer Steinextraktion. Weitere frühpostoperative Komplikationen sind Nachblutungen aus dem Leberbett, Cholaskos (aus Luschka-Gängen oder aus insuffizientem Zystikus) und Infekte. Diese Flüssigkeitsansammlungen können häufig perkutan Ultraschall- oder CT-gesteuert punktiert und drainiert werden. Zu einer klinisch manifesten postoperativen Lungenembolie kommt es entsprechend einer Metaanalyse von über 150.000 laparoskopischen Cholezystektomien in 0,06% (Lindberg et al. 1997). Die Gesamtmorbidität der laparoskopischen Cholezystektomie beträgt 2–5%. Bei der offenen Cholezystektomie liegt sie um 10%, bedingt durch die Patientenselektion (Shea et al. 1996; Wölnerhanssen et al. 2005). 36.5.7 Ergebnisse Umsteigerate. Die Konversion zur Laparotomie ist in der Regel angezeigt bei einem intraoperativ unklaren Befund. Die häufigsten Gründe dafür sind schwere chronische oder akut entzündliche Veränderungen mit starker Blutungsneigung und intensiven Verwachsungen oder intraoperative Komplikationen. Zu Beginn der laparoskopischen Ära betrug die Umsteigerate über 10%. Mit vermehrter Operationserfahrung und bedingt durch technische Entwicklungen (Instrumente, Apparate) sank sie auf 1–5% (Shea et al. 1996; Peterli et al. 2000; Wölnerhanssen et al. 2005). Wenn intensive Verwachsungen oder eine schwere Entzündung zu erwarten sind, empfehlen wir primär zu laparoskopieren, um intraoperativ innerhalb kurzer Zeit zu entscheiden, ob die Operation laparoskopisch durchführbar ist oder aber ein Umstieg angemessen erscheint. Mortalität. Die Mortalität der Cholezystektomie ist abhängig
vom Patientenalter, Vorliegen von Komorbidität (Zirrhose, kardiopulmonale Erkrankungen), von der Erkrankungsart (umkomplizierte Cholezystolithiasis oder kompliziertes Steinleiden) und vom Operationszeitpunkt (Elektiv-, Notfalleingriff). Im eigenen Krankengut mit 4498 Patienten beobachteten wir eine 0%-Mortalität für die laparoskopische Cholezystektomie. In großen Metaanalysen wird eine Mortalität von unter 0,1% für die laparoskopische Cholezystektomie angegeben, bei Umstieg oder primär offenem Zugang liegt die Mortalität zwischen 0,5 und 1% (Lindberg et al. 1997; Peterli et al. 2000; Shea et al. 1996; Wölnerhanssen et al. 2005). Spätresultate. Die Cholezystektomie ist eine effiziente und de-
finitive Behandlungsart der Cholezystolithiasis. Persistierende Langzeitbeschwerden nach Cholezystektomie werden unter dem Begriff »Postcholezystektomiesyndrom« (PCS) zusammengefasst. In älteren Serien nach konventioneller Cholezystektomie wurde das PCS in 25–40% beschrieben, wobei ca. 10% der Cholezystektomierten abklärungsbedürftige Beschwerden angaben. Zu 2/3 handelte es sich um organische Ursachen (1/4 davon biliärer, 3/4 extrabiliärer Genese) und zu 1/3 um funktionelle Beschwerden (Pribram 1950; Tondelli u. Gyr 1983). Zu den biliären Ursachen des PCS zählen Residualsteine, die
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in einer Häufigkeit bis 1% vorkommen. Papillenstenosen wurden früher in einer Häufigkeit um 2% aller Cholezystektomien beschrieben, meist bei gleichzeitig vorhandener Cholangiolithiasis oder als Folge einer Steinpassage. Heute werden diese Begriffe als Ursache für das PCS nur noch selten herangezogen. Zu den extrabiliären Ursachen gehören gastroösophagealer Reflux, peptisches Ulkus, Narbenhernien und narbenassoziierte Schmerzen, letztere sind nach laparoskopischer Cholezystektomie signifikant seltener anzutreffen. Der überaus größte Anteil der persistierenden Beschwerden nach Cholezystektomie muss mit funktionellen, nichtorganischen Beschwerden erklärt werden. In mehreren Serien konnte kein Unterschied der Prävalenz von Langzeitbeschwerden zwischen laparoskopisch und offen cholezystektomierten Patienten nachgewiesen werden (McMahon et al. 1995; Ure et al. 1995; VanderVelpen et al. 1993; Wilson u. Macintyre 1995). Im eigenen Krankengut waren über 90% absolut beschwerdefrei oder klagten nur gelegentlich über diskrete Symptome sowohl nach offener als auch laparoskopischer Cholezystektomie. Knapp 10% gaben erhebliche und schwere Symptome an (Peterli et al. 1998). Diesen Zahlen ist die Prävalenz von Abdominalbeschwerden in der gesunden Bevölkerung gegenüberzustellen. In mehreren epidemiologischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass bis zu 1/3 der klinisch Untersuchten über Bauchbeschwerden klagten (Kay u. Jorgensen 1994; Muller et al. 1984; Peterli et al. 1996). Somit kann nach Cholezystektomie lediglich erwartet werden, dass maximal 80–90% der Operierten absolut beschwerdefrei werden. Resultate der Gallenwegsrevision. Wird zusätzlich zur offenen Cholezystektomie eine GWR vorgenommen, so steigen Komplikationsrate und Letalität (bis zu 6,6%) an (Herzog u. Bertschmann 1990). Die Morbidität (Infektionen, Hämatom, Cholaskos, Residualstein, Gallengangsverletzung) wird unterschiedlich (prospektive vs. retrospektive Untersuchungen, Definition Morbidität) zwischen 1,9% (Marti et al. 1994) und 28,2% (Roslyn et al. 1993) angegeben. Unabhängig, ob die laparoskopische GWR transzystisch oder via Choledochotomie vorgenommen wird, werden eine Morbidität (Pankreatitis, Gallengangsstrikturen, Galleleck, Wundinfekt, Blutung) von 3,3–29,1% und eine Mortalität von 0–1,6% angegeben (Perissat et al. 1994; Petelin 1998; Tranter u. Thompson 2002; Rojas-Ortega et al. 2003). Die Erfolgsrate bei der laparoskopisch transzystischen GWR liegt bei 91–95% (RojasOrtega et al. 2003; Waage et al. 2003; Ferzli et al. 1996). Steinfreiheit wird bei der laparoskopischen Choledochotomie auch in über 90% erreicht (Petelin 1998; Tranter u. Thompson 2002; Rojas-Ortega et al. 2003). Die offene GWR ist nach wie vor ein bewährtes Verfahren und ist überall dort geeignet, wo moderne Technologie (Endoskopie, laparoskopische Chirurgie) nicht zum Erfolg führt oder nicht zur Verfügung steht. In den Händen laparoskopisch wenig erfahrener Operateure sollte der Gallengangsstein zweizeitig – ERC und Papillotomie mit nachfolgender laparoskopischer Cholezystektomie – behandelt werden (therapeutisches Splitting).
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Literatur
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587 36.6 · Komplikationen der Cholezystolithiasis
Strom BL, Soloway RD, Rios-Dalenz J et al. (1996) Biochemical epidemiology of gallbladder cancer. Hepatology 23:1402–1411 Targarona EM, Perez-Ayuso RM, Bordas JM, Ros E, Pros I, Martinez J, Teres J, Trias M (1996) Randomized trial of endoscopy sphincterotomy with gallbladder left in situ versus open surgery for common bile duct calculi in high-risk patients. Lancet 347:926–929 Ti TK, Wong CW, Yuen R, Karunanithy R (1996) The chemical composition of gallstones: its relevance to surgeons in Southeast Asia. Ann Acad Med Singapore 25:255–258 Tondelli P, Gyr K (1983) Biliary tract disorders. Postsurgical syndromes. Clin Gastroenterol 12:231–254 Tranter SE, Thompson MH (2002) Comparison of endoscopic sphincterotomy and laparoscopic exploration of the common bile duct. Br J Surg 89(12):1495–504 Ure BM, Troidl H, Spangenberger W, Lefering R, Dietrich A et al. (1995) Long-term results after laparoscopic cholecystectomy. Br J Surg 82:267–270 Vander Velpen GC, Shimi SM, Cuschieri A (1993) Outcome after cholecystectomy for symptomatic gallstone disease and effect of surgical access: laparoscopic vs. open approach. Gut 34:1448–1451 Waage A, Stromberg C, Leijonmarck CE, Arvidsson D (2003) Long-term results from laparoscopic common bile duct exploration. Surg Endosc 17(8):1181–1185 Wilson RG, Macintyre IM (1993) Symptomatic outcome after laparoscopic cholecystectomy. Br J Surg 80:439–441 Wölnerhanssen B, Ackermann Ch, Guenin M O, Kern B, Tondelli P, von Flüe M, Peterli R (2005) 12 Jahre laparoskopische Cholezystektomie: Resultat einer prospektiven Studie von 4498 an einer Klinik duchrgeführten Cholezystektomien. Chirurg 16:263–269 Zatonsky WA, Lowenfels AB, Boyle P et al. (1997) Epidemiologic aspects of gallbladder cancer: a case control study of the SEARCH program of the International Agency for Research on Cancer. J Natl Cancer Inst 89:1132–1138
36.6
Komplikationen der Cholezystolithiasis C. Ackermann, C. Looser
) ) Komplikationen der Cholezystolithiasis treten gehäuft bei symptomatischer Cholelithiasis auf. Dieses erhöhte Risiko für komplizierten Verlauf ist neben den Beschwerden der Grund für die grundsätzliche Indikation zur Cholezystektomie bei symptomatischer Cholelithiasis. Dieses Kapitel beschreibt die häufigsten Komplikationen der Cholezystolithiasis, nämlich die akute Cholezystitis, biliodigestive Fisteln und das Mirizzi-Syndrom.
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Pathogenese. 95% aller akuten Cholezystitiden treten beim Vorliegen von Gallensteinen auf, nur in 5% der Fälle sind keine Steine nachweisbar. Bei 1% der akuten Cholezystitiden liegt ein Karzinom vor (Thorbjarnarson 1960). In der Pathogenese der akuten Cholezystitis ist die mechanische Obstruktion am Gallenblasenausgang der wichtigste Faktor. Entsprechend der Ätiologie ist sie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch einen impaktierten Stein im Infundibulum oder Zystikus bedingt. Die Blockade am Gallenblasenausgang hat bei anhaltender Sekretion von Schleim eine Überdehnung mit Zirkulationsstörung und schließlich Nekrose zur Folge. Der Infekt ist meist nur ein sekundäres Phänomen. Die bakterielle Besiedlung findet in der devitalisierten Gallenblasenwand einen günstigen Nährboden. Bakterien lassen sich in etwa 50% der akuten Cholezystitiden nachweisen. Bei Operation innerhalb der ersten 24 h nach Auftreten der Symptome sind 30% der Bakterienkulturen positiv, nach 24–72 h bereits 80%. Als Keime lassen sich meist aerobe und anaerobe Darmbakterien, in erster Linie E. coli und Klebsiellen nachweisen. Sie können via V. portae, Lymphgefäße oder aszendierend über dem Gallengang in die Gallenblase gelangen.
Klinische Symptomatologie Bei akuter Cholezystitis kann häufig eine Anamnese von früheren Koliken erhoben werden. Der aktuelle Schmerz ist dagegen konstant, im rechten Oberbauch lokalisiert, häufig in den Rücken ausstrahlend und oft von Nausea und Erbrechen begleitet. Meist besteht Fieber. Bei der Untersuchung findet sich eine Druckdolenz im rechten Oberbauch und bei etwa einem Drittel kann die gestaute Gallenblase als Resistenz palpiert werden. In der Regel findet sich eine Leukozytose. Diagnostik Die klinische Diagnose einer akuten Cholezystitis wird durch die abdominelle Sonographie bestätigt. Differenzialdiagnostisch müssen in erster Linie akut entzündliche Erkrankungen der Leber, die akute Appendizitis, die akute Pankreatitis sowie das penetrierende oder perforierte peptische Ulkus in Betracht gezogen werden. Die Abklärung erfolgt durch blutchemische Untersuchungen, Sonographie und ggf. Computertomographie bzw. Gastroduodenoskopie. Das im Stehen angefertigte Thoraxröntgenbild informiert am zuverlässigsten über freie, subphrenische Luft und lässt eine pleuropulmonale Erkrankung als Ursache der Oberbauchschmerzen ausschließen. Sonographie. Die Sonographie ist die meist angewendete Unter-
36.6.1 Akute Cholezystitis Der Begriff akute Cholezystitis wird klinisch und pathologischanatomisch verwendet. Pathologisch-anatomisch beinhaltet er alle Formen akuter entzündlicher Veränderungen der Gallenblase. Grundlagen Epidemiologie. Etwa 20% der Cholezystektomien werden bei
akuter Cholezystitis vorgenommen (Wölnerhanssen et al. 2005). Im Gegensatz zur Verteilung der Cholezystolithiasis, die bei Frauen dreimal häufiger vorliegt als bei Männern, verteilt sich die akute Cholezystitis etwa zu gleichen Teilen auf die beiden Geschlechter. Gründe dafür sind nicht bekannt.
suchungstechnik und Methode der Wahl. Die Diagnose einer akuten Cholezystitis gelingt mit einer Erfolgsrate von 85–95% (Brink et al. 1998). Die beiden Kriterien des Konkrementnachweises zusammen mit dem »sonographic Murphy sign«, maximale Druckdolenz bei Positionierung des Schallkopfs über der Gallenblase, ergeben eine Sensitivität von 92%. Typischerweise ist die akut entzündete Gallenblase groß (Längsdurchmesser >10 cm), wandverdickt (Wanddurchmesser >4–5 mm, normal 2–3 mm), hat einen intramuralen, hypoechogenen Randsaum (Ödem) und ist neben den Konkrementen ausgefüllt mit echogenem Material (Sludge, Pus oder Blut bei der hämorrhagischen Cholezystitis), das positionsabhängig, der Schwerkraft folgend, eine Niveaueinstellung zum Gallensaft aufweist. Häufig findet sich um die Gallenblase wenig freie Flüssigkeit (. Abb. 36.44).
587 36.6 · Komplikationen der Cholezystolithiasis
Strom BL, Soloway RD, Rios-Dalenz J et al. (1996) Biochemical epidemiology of gallbladder cancer. Hepatology 23:1402–1411 Targarona EM, Perez-Ayuso RM, Bordas JM, Ros E, Pros I, Martinez J, Teres J, Trias M (1996) Randomized trial of endoscopy sphincterotomy with gallbladder left in situ versus open surgery for common bile duct calculi in high-risk patients. Lancet 347:926–929 Ti TK, Wong CW, Yuen R, Karunanithy R (1996) The chemical composition of gallstones: its relevance to surgeons in Southeast Asia. Ann Acad Med Singapore 25:255–258 Tondelli P, Gyr K (1983) Biliary tract disorders. Postsurgical syndromes. Clin Gastroenterol 12:231–254 Tranter SE, Thompson MH (2002) Comparison of endoscopic sphincterotomy and laparoscopic exploration of the common bile duct. Br J Surg 89(12):1495–504 Ure BM, Troidl H, Spangenberger W, Lefering R, Dietrich A et al. (1995) Long-term results after laparoscopic cholecystectomy. Br J Surg 82:267–270 Vander Velpen GC, Shimi SM, Cuschieri A (1993) Outcome after cholecystectomy for symptomatic gallstone disease and effect of surgical access: laparoscopic vs. open approach. Gut 34:1448–1451 Waage A, Stromberg C, Leijonmarck CE, Arvidsson D (2003) Long-term results from laparoscopic common bile duct exploration. Surg Endosc 17(8):1181–1185 Wilson RG, Macintyre IM (1993) Symptomatic outcome after laparoscopic cholecystectomy. Br J Surg 80:439–441 Wölnerhanssen B, Ackermann Ch, Guenin M O, Kern B, Tondelli P, von Flüe M, Peterli R (2005) 12 Jahre laparoskopische Cholezystektomie: Resultat einer prospektiven Studie von 4498 an einer Klinik duchrgeführten Cholezystektomien. Chirurg 16:263–269 Zatonsky WA, Lowenfels AB, Boyle P et al. (1997) Epidemiologic aspects of gallbladder cancer: a case control study of the SEARCH program of the International Agency for Research on Cancer. J Natl Cancer Inst 89:1132–1138
36.6
Komplikationen der Cholezystolithiasis C. Ackermann, C. Looser
) ) Komplikationen der Cholezystolithiasis treten gehäuft bei symptomatischer Cholelithiasis auf. Dieses erhöhte Risiko für komplizierten Verlauf ist neben den Beschwerden der Grund für die grundsätzliche Indikation zur Cholezystektomie bei symptomatischer Cholelithiasis. Dieses Kapitel beschreibt die häufigsten Komplikationen der Cholezystolithiasis, nämlich die akute Cholezystitis, biliodigestive Fisteln und das Mirizzi-Syndrom.
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Pathogenese. 95% aller akuten Cholezystitiden treten beim Vorliegen von Gallensteinen auf, nur in 5% der Fälle sind keine Steine nachweisbar. Bei 1% der akuten Cholezystitiden liegt ein Karzinom vor (Thorbjarnarson 1960). In der Pathogenese der akuten Cholezystitis ist die mechanische Obstruktion am Gallenblasenausgang der wichtigste Faktor. Entsprechend der Ätiologie ist sie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch einen impaktierten Stein im Infundibulum oder Zystikus bedingt. Die Blockade am Gallenblasenausgang hat bei anhaltender Sekretion von Schleim eine Überdehnung mit Zirkulationsstörung und schließlich Nekrose zur Folge. Der Infekt ist meist nur ein sekundäres Phänomen. Die bakterielle Besiedlung findet in der devitalisierten Gallenblasenwand einen günstigen Nährboden. Bakterien lassen sich in etwa 50% der akuten Cholezystitiden nachweisen. Bei Operation innerhalb der ersten 24 h nach Auftreten der Symptome sind 30% der Bakterienkulturen positiv, nach 24–72 h bereits 80%. Als Keime lassen sich meist aerobe und anaerobe Darmbakterien, in erster Linie E. coli und Klebsiellen nachweisen. Sie können via V. portae, Lymphgefäße oder aszendierend über dem Gallengang in die Gallenblase gelangen.
Klinische Symptomatologie Bei akuter Cholezystitis kann häufig eine Anamnese von früheren Koliken erhoben werden. Der aktuelle Schmerz ist dagegen konstant, im rechten Oberbauch lokalisiert, häufig in den Rücken ausstrahlend und oft von Nausea und Erbrechen begleitet. Meist besteht Fieber. Bei der Untersuchung findet sich eine Druckdolenz im rechten Oberbauch und bei etwa einem Drittel kann die gestaute Gallenblase als Resistenz palpiert werden. In der Regel findet sich eine Leukozytose. Diagnostik Die klinische Diagnose einer akuten Cholezystitis wird durch die abdominelle Sonographie bestätigt. Differenzialdiagnostisch müssen in erster Linie akut entzündliche Erkrankungen der Leber, die akute Appendizitis, die akute Pankreatitis sowie das penetrierende oder perforierte peptische Ulkus in Betracht gezogen werden. Die Abklärung erfolgt durch blutchemische Untersuchungen, Sonographie und ggf. Computertomographie bzw. Gastroduodenoskopie. Das im Stehen angefertigte Thoraxröntgenbild informiert am zuverlässigsten über freie, subphrenische Luft und lässt eine pleuropulmonale Erkrankung als Ursache der Oberbauchschmerzen ausschließen. Sonographie. Die Sonographie ist die meist angewendete Unter-
36.6.1 Akute Cholezystitis Der Begriff akute Cholezystitis wird klinisch und pathologischanatomisch verwendet. Pathologisch-anatomisch beinhaltet er alle Formen akuter entzündlicher Veränderungen der Gallenblase. Grundlagen Epidemiologie. Etwa 20% der Cholezystektomien werden bei
akuter Cholezystitis vorgenommen (Wölnerhanssen et al. 2005). Im Gegensatz zur Verteilung der Cholezystolithiasis, die bei Frauen dreimal häufiger vorliegt als bei Männern, verteilt sich die akute Cholezystitis etwa zu gleichen Teilen auf die beiden Geschlechter. Gründe dafür sind nicht bekannt.
suchungstechnik und Methode der Wahl. Die Diagnose einer akuten Cholezystitis gelingt mit einer Erfolgsrate von 85–95% (Brink et al. 1998). Die beiden Kriterien des Konkrementnachweises zusammen mit dem »sonographic Murphy sign«, maximale Druckdolenz bei Positionierung des Schallkopfs über der Gallenblase, ergeben eine Sensitivität von 92%. Typischerweise ist die akut entzündete Gallenblase groß (Längsdurchmesser >10 cm), wandverdickt (Wanddurchmesser >4–5 mm, normal 2–3 mm), hat einen intramuralen, hypoechogenen Randsaum (Ödem) und ist neben den Konkrementen ausgefüllt mit echogenem Material (Sludge, Pus oder Blut bei der hämorrhagischen Cholezystitis), das positionsabhängig, der Schwerkraft folgend, eine Niveaueinstellung zum Gallensaft aufweist. Häufig findet sich um die Gallenblase wenig freie Flüssigkeit (. Abb. 36.44).
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.44. Akute Cholezystitis im Längsschnitt. Hydrops der Gallenblase mit erheblicher, unregelmäßiger Wandverdickung und -ödem (hypoechogener intramuraler Saum in longitudinaler Ausrichtung). Wenig freie Flüssigkeit in der Gallenblasenloge. Echoreiche Konkremente mit dorsalem Schallverlust, daneben Griess/Slude mit Niveaueinstellung zur Galle
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Sonographische Befunde bei akuter Cholezystitis sind: 4 Gallensteine: Nachweis gelingt in 95–100% (Marzio et al. 1992). 4 Wandverdickte Gallenblase: Nebst der akuten Cholezystitis als häufigste Ursache wird bei folgenden Erkrankungen eine verdickte Gallenblasenwand gefunden (Brink et al. 1998): 5 Chronische Cholezystitis, Adenomyomatose, Gallenblasenkarzinom 5 Chronische Hepatitis, Leberzirrhose (bei Vorliegen von Aszites) 5 Akute Pankreatitis (Begleitödem) 5 Ulcus duodeni (lokale entzündliche Infiltration) 5 (Rechts-)Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Hypoproteinämie (Flüssigkeitsretention im dritten Raum) 5 Multiples Myelom (Ätiologie unbekannt) 5 AIDS (Ätiologie unbekannt) Lediglich 70% der akuten Cholezystitiden zeigen anlässlich der Untersuchung auf der Notfallstation die typische Wandverdickung. Dieses Kriterium ist abhängig vom zeitlichen Intervall zwischen Auftreten der Symptome und der sonographischen Untersuchung (Laing et al. 1981). 4 Lokale, entzündliche Infiltration: das Wandödem präsentiert sich als hypoechogenen, intramuralen Saum. Beim Gallenblasenempyem und der nekrotisierenden Cholezystitis kommt es zusätzlich zu einer sonographisch nachweisbaren Infiltration des Fettgewebes in der Gallenblasenloge und des angrenzenden Leberparenchyms. Dies gilt insbesondere für die seltene, xanthogranulomatöse Cholezystitis. Diese lokalen Infiltrationen machen eine Unterscheidung zu einer tumorösen Infiltration häufig unmöglich. 4 Hydrops der Gallenblase: Die akute Cholezystitis wird mehrheitlich ausgelöst durch ein im Infundibulum oder D. cysticus impaktiertes Konkrement. Lediglich bei längerer Nahrungskarenz bzw. parenteraler Ernährung (IPS-Patienten) kann eine normale Gallenblase einen Längsdurchmesser von >10 cm erreichen.
. Abb. 36.45. CT-Schnitt auf Höhe der Gallenblasenloge nach intravenöser Kontrastmittelapplikation. Die verdickte Gallenblasenwand zeigt ein deutliches, diskret unregelmäßiges Enhancement. Wenig Flüssigkeit um die Gallenblase. Die Konkremente sind nicht verkalkt und im CT nicht erkennbar
Computertomographie. Durch lokale Flüssigkeits-Einlagerung
wird die verdickte Gallenblasenwand von ihrem Bett separiert. Sie zeigt ein verstärktes Kontrastmittel-Enhancement (Yamashita et al. 1995) (. Abb. 36.45). Auch in der CT kann eine Unterscheidung zu einem Tumor Schwierigkeiten bereiten. Magnetresonanztomographie. T2-gewichtete Sequenzen analog zur MRC zeigen eine vergleichbar hervorragende Sensitivität wie die Sonographie und CT (Regan et al. 1998).
Therapieziele und Indikationsstellung Die Cholezystektomie ist die Therapie der Wahl der akuten Cholezystitis.
Der Vorteil der frühzeitigen Cholezystektomie ist gut belegt (Johansson et al. 2003; Knight et al. 2004; Papi et al. 2004; Polymeneas et al. 2004). Hauptvorteil ist ein insgesamt kürzerer Spitalaufenthalt ohne höhere Morbidität oder Mortalität. Beim Eingriff innerhalb von 1–2 Tagen nach Klinikeintritt werden die Patienten weder dem Risiko des Notfalleingriffs noch jenem des Rezidivs bei der Cholezystektomie à froid ausgesetzt. Die frühe Cholezystektomie ist allerdings nicht überall Standard (Cameron et al. 2004). Die Zeit nach Klinikeintritt wird dazu verwendet, notwendige Abklärungsuntersuchungen durchzuführen und die präoperativen therapeutischen Maßnahmen einzuleiten. Dazu gehören intravenöse Flüssigkeitszufuhr, antibiotische Therapie und evtl. Magensonde. Das klinische Bild bessert sich bei der Mehrzahl der Patienten mit akuter Cholezystitis rasch unter diesen konservativen Maßnahmen, sodass die frühzeitige Cholezystektomie geplant werden kann. Bei Zunahme von Schmerzen, Lokalbefund und Zeichen der Sepsis trotz antibiotischer Therapie besteht das Risiko der Gallenblasenperforation und es ist die Indikation zur unverzüglichen notfallmäßigen Operation gegeben.
589 36.6 · Komplikationen der Cholezystolithiasis
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl Operation der Wahl bei akuter Cholezystitis ist die laparoskopische Cholezystektomie. Sie bietet bei vergleichbarer Sicherheit die gleichen Vorteile des laparoskopischen Eingriffs wie bei elektiver Cholezystektomie (Johansson et al. 2003; Ubiali et al. 2002). Sie ist allerdings technisch viel schwieriger als die laparoskopische Cholezystektomie bei fehlender akuter Entzündung und sollte deshalb von einem in laparoskopischer Chirurgie erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden. Die laparoskopische Operation bei akuter Cholezystitis ist technisch einfacher, wenn sie in der akut-ödematösen Phase operiert wird, d. h. 24–48 h nach Klinikeintritt. 3–7 Tage nach Hospitalisation besteht eine beginnend fibrosierende Entzündung, die die laparoskopische Präparation erschwert (Lo et al. 1996). Operationstechnik In der Regel müssen Netzadhäsionen gelöst und die gestaute Gallenblase punktiert werden. In einzelnen Fällen kann eine »Fundus-first-Technik« angewendet werden (Rosenberg u. Leinskold 2004). Ein dilatierter Ductus cysticus wird am besten mit einem Endo-GIA durchtrennt (Yeh et al. 2004). Die Extraktion der Gallenblase sollte in einem Bergebeutel erfolgen. Bei unübersichtlicher Anatomie sollte die Schwelle zum Umstieg auf eine offene Cholezystektomie niedrig sein, damit kein erhöhtes Risiko für eine Gallengangsverletzung eingegangen wird. Die Umsteigerate beträgt im eigenen Krankengut bei 498 laparoskopischen Operationen bei akuter Cholezystitis 19%, initial 27%, in den letzten Jahren 12% (Wölnerhanssen et al. 2005) und in der Literatur teilweise unter 5% (Asoglu et al. 2004). Ergebnisse Die Letalität der Cholezystektomie bei akuter Cholezystitis liegt in der Größenordnung von 0–3% (Asoglu et al. 2004; Lo et al. 1996; Wölnerhanssen et al. 2005). 36.6.2 Biliodigestive Fisteln Biliodigestive Fisteln entstehen bei Cholelithiasis infolge Erosion, Drucknekrose und schließlich gedeckter Perforation der Gallenblasenwand (seltener eines anderen Teiles des Gallenwegssystems) in ein benachbartes Organ. Die Fistelung betrifft in etwa 75% der Fälle das Duodenum, in etwa 15% das Kolon und in den übrigen Fällen den Magen oder den D. hepatocholedochus (Glenn et al. 1981). Klinische Symptomatologie Klinisch kann sich eine biliodigestive Fistel durch Gallensteinileus, aszendierende Cholangitis oder Gallensäurenverlustsyndrom manifestieren. Der Gallensteinileus ist eine der Ileusursachen bei Patienten ohne abdominale Voroperation und ohne abdominelle Hernie. In etwa der Hälfte der Fälle findet sich eine Anamnese von Gallensteinleiden. Cholezystoduodenale Fisteln sind oft asymptomatisch, gelegentlich bestehen unspezifische Oberbauchbeschwerden. Bei cholezystokolischer Fistel findet sich meist eine Anamnese von häufigen Stuhlentleerungen, Diarrhö oder Steatorrhö wegen des Gallensäurenverlustsyndroms und Fieberepisoden oder Schüttelfrost wegen der aufsteigenden Cholangitis. Bei cholezystogastraler Fistel kann eine Magenentleerungsstörung auftreten (Bouveret-Syndrom).
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Diagnostik Der Nachweis eines Luftcholangiogramms auf dem Röntgenleerbild ist diagnostisch für eine biliodigestive Fistel. Die Fisteldarstellung erfolgt durch Kontrastmitteluntersuchungen des MagenDarm-Traktes (Magen-Darm-Passage oder Kolondoppelkontrast) bzw. der Gallenwege (intravenöse Cholangiotomographie, ERCP oder PTC). Beim Gallensteinileus ist typischerweise ein verkalktes Konkrement von über 2,5 cm Durchmesser im Leerbild erkennbar, meist im Ileum, seltener im Jejunum oder Sigma (Morrissey u. McSherry 1994). Therapieziele und Indikationsstellung Bei asymptomatischer biliodigestiver Fistel (speziell bei cholezystoduodenaler Fistel) und betagtem Patient kann primär auf eine Operation verzichtet werden. In allen anderen Fällen ist die Indikation zur Operation in der Regel gegeben. Beim Gallensteinileus besteht immer die Indikation zur notfallmäßigen Operation. Operationstechnik Therapie der Wahl ist die technisch meist anspruchsvolle Cholezystektomie und der Verschluss der Fistel zum betroffenen Darmabschnitt. Die Operation wird oft durch die chronische Cholezystitis mit Ausbildung einer Schrumpfgallenblase erschwert. Bei präoperativ bekannter biliodigestiver Fistel empfiehlt sich in der Regel eine offene Operation. Eine laparoskopische Operation ist in einzelnen Fällen möglich (Sharma et al. 2004). Im Fall von cholezystokolischer Fistel wurde der erfolgreiche Fistelverschluss mittels endoskopischem linearem Stapler (Endo-GIA 30) beschrieben (Ibrahim et al. 1995; Nixon u. Mirghani 1995). Operation bei Gallensteinileus. Bei der Notfalloperation wegen Gallensteinileus wird das obstruierende Konkrement nach oral in den Bereich einer gut durchblutenden dilatierten Darmschlinge bewegt und dort durch eine Enterotomie entfernt. Bei Ischämie oder Perforation ist eine Darmsegmentresektion notwendig. Zur Vermeidung eines Ileusrezidivs (in etwa 5% der Fälle) sollten weitere größere Steine im Darm proximal der Obstruktion oder in der Gallenblase entfernt werden (Clavien et al. 1990). Die Frage, ob gleichzeitig mit der Behebung des Ileus auch eine Cholezystektomie und Fistelsanierung durchgeführt werden soll ist umstritten (Rodriguez et al. 1997; Zügel et al. 1997). Bei Risikopatienten ist es sicherer, bei der notfallmäßigen Operation nur die Darmobstruktion zu beheben und die Cholezystektomie mit Fistelverschluss in einem zweiten elektiven Eingriff zu planen. Bei etwa einem Drittel der Patienten kann wegen fehlender Beschwerden auf eine zweite Operation verzichtet werden. Die Mortalität der Operation bei Gallensteinileus liegt zwischen 4 und 10% (Morrisey u. McSherry 1994).
36.6.3 Mirizzi-Syndrom Mirizzi hat 1948 ein Syndrom beschrieben, bei dem es wegen starker Entzündung im Bereich der cholezystohepatischen Mündung durch ein inkarzeriertes Konkrement zu einer Stenose des D. hepaticus kommt (Mirizzi 1948). Dieses Krankheitsbild wurde später von McSherry et al. (1982) als Mirizzi I, eine im weiteren Verlauf entstehende Fistel zwischen Gallenblase und D. hepaticus als Mirizzi II klassifiziert.
590
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Klinische Symptomatologie In der Mehrzahl der Fälle wird die Stenose des D. hepaticus beim Mirizzi-Syndrom als Zufallsbefund bei den präoperativen radiologischen Untersuchungen vor einer Cholezystektomie festgestellt. Bei starker Stenosierung kann auch ein Ikterus vorliegen. Diagnostik Beim Mirizzi-Syndrom findet sich sonographisch typischerweise eine Dilatation der Gallenwege bzw. des D. hepaticus oberhalb der Zystikusmündung, ein inkarzeriertes Konkrement in der Gallenblase oder im D. cysticus und ein Kalibersprung im D. hepaticus unterhalb des inkarzerierten Steines. Diese Situation erfordert eine radiologische Darstellung der Gallenwege entweder mittels intravenöser Cholangiographie oder MR-Cholangiographie bzw. im Falle eines Ikterus mittels ERCP oder PTC. Therapieziele und Indikationsstellung Beim Mirizzi-Syndrom ist grundsätzlich die Indikation zur Operation gegeben. Bei Ikterus und hohem Operationsrisiko kann die Cholostase im Einzelfall durch einen biliären Stent behoben werden (Binnie et al. 1992).
36
Operationstechnik Die Cholezystektomie ist beim Mirizzi-Syndrom technisch meist schwierig. Erfolgreiche laparoskopische Operationen wurden beschrieben (Paul et al. 1992; Schäfer et al. 2003). Für den laparoskopisch nicht sehr erfahrenen Chirurgen empfiehlt sich eine offene Operation bzw. ein Umstieg auf offene Operation bei der Schwierigkeit, eine übersichtliche Präparation zu erreichen. Bei unklarer Anatomie sollte eine intraoperative Cholangiographie angestrebt werden. Beim Mirizzi-Typ I sollte versucht werden, den inkarzerierten Stein in die Gallenblase zu bewegen. Bei der Präparation empfiehlt sich eine »Fundus-first-Technik«. Gelegentlich ist es ratsam, einen Teil des »Steinbettes«, d. h. des D. cysticus oder des Infundibulums der Gallenblase in situ zu belassen, um eine risikoreiche Präparation nahe am D. hepaticus zu vermeiden. Beim Mirizzi-Typ II wird die Gallenblase bzw. der D. cysticus über dem inkarzerierten Stein eröffnet und damit die Fistelöffnung im D. hepaticus freigelegt. In diese Fistelöffnung im Gallengang wird nach der Cholezystektomie ein T-Drain eingelegt (Baer et al. 1990; Dewar et al. 1991).
Literatur Asoglu O, Ozmen V, Karanlik H, Igci A, Kecer M, Parlak M, Selcuk E (2004) Does the complication rate increase in laparoscopic cholecystectomy for acute cholecystitis? J Laparoendosc Adv Surg Tech A 14:81–86 Baer HU, Matthews JB, Schweizer WP, Gertsch P, Blumgart LH (1990) Management of the Mirizzi syndrome and the surgical implications of cholecystocholedochal fistula. Br J Surg 77:743–745 Brink JA, Semin MD, Simeone J (1998) The gallbladder: radiology. In: Taveras Juan M, Ferrucci JT (eds) Radiology. Lippincott-Raven, Philadelphia Cameron IC, Chadwick C, Phillips J, Johnson AG (2004) Management of acute cholecystitis in UK hospitals: time for a change. Postgrad Med J 80:292–294 Clavien PA, Richon J, Burgan S, Rohner A (1990) Gallstone ileus. Br J Surg 77:737–742 Dewar G, Chung SC, Li AK (1991) Management of the Mirizzi syndrome and the surgical implications of cholecystcholedochal fistula. Br J Surg 78:378
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591 36.7 · Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis
Soyer P, Brouland JP, Boudiaf M, Kardache M, Pelage JP, Panis Y, Valleur P, Rymer R (1998) Color velocity imaging and power doppler sonography of the gallbladder wall: a new look at sonographic diagnosis of acute cholecystitis. AJR 171:183–188 Thorbjarnarson B (1960) Carcinoma of the gallbladder and acute cholecystitis. Ann Surg 151:241 Ubiali P, Invernizzi R, Prezzati F (2002) Laparoscopic surgery in very acute cholecystitis. JSLS 6:159–162 Uggowitzer M, Kugler Ch, Schramayer G et al. (1993) A comparison of laparoscopic and open treatment of acute cholecystitis. Surg Endosc 7:407–410 Wölnerhanssen B, Ackermann C, Guenin MO, Kern B, Tondelli P, von Flüe M, Peterli R (2004) 12 Jahre laparoskopische Cholezystektomie: Resultate einer prospektiven Studie von 4498 an einer Klinik durchgeführten Cholecystektomien. Chirurg 16:263–269 Yamashita K, Jin MJ, Hirose Y, Morikawa M, Sumioka H, Itoh K, Konish J (1995) CT finding of transient focal increased attenuation of the liver adjacent to the gallbladder in acute cholecystitis. AJR 164:343–346 Yeh CN, Jan YY, Liv NJ, Yeh TS, Chen MF (2004) Endo-GIA for ligation of dilated cystic duct during laparoscopic cholecystectomy: an alternative, novel and easy method. J Laparoendosc Adv Surg Tech A 14: 153–157 Zügel N, Hehl A, Lindemann F, Witte J (1997) Advantages of one-stage repair in gallstone ileus. Hepatogastroenterology 44:59–62
36.7
Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis B. Kern, C. Ackermann
) ) Bei der akuten Cholangitis handelt es sich um eine meist bakterielle Entzündung der Gallengänge, die der Antibiotikatherapie sowie der Dekompression der Gallenwege bedarf. Die Papillenstenose ist eine benigne, organische, nichtneoplastische Verengung der Papille. Sie wird heute zusammen mit der Papillendyskinesie zum Begriff der Papillendysfunktion zusammengefasst. Unter intrahepatischer Cholangiolithiasis (intrahepatische Lithiasis, Hepatolithiasis) versteht man das Vorhandensein von Gallensteinen in den Gallengängen oberhalb der Gabelung vom linken und rechten Ductus hepaticus (auch wenn diese Gabelung extrahepatisch liegt).
36.7.1 Akute Cholangitis Pathogenese Die akute Cholangitis ist eine bakterielle, selten parasitäre Entzündung der Gallengänge. Voraussetzung für einen solchen Infekt ist eine biliäre Stase, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch eine Obstruktion bei Cholangiolithiasis verursacht wird. Weniger häufig kommen andere obstruktiv wirkende Pathologien vor wie benigne Gallengangsstrikturen, stenosierende Tumoren der Gallengänge oder der periampullären Organe oder zystische Veränderungen der Gallenwege. Der häufigste Mechanismus der bakteriellen Kontamination der Gallenwege ist eine aszendierende Besiedelung aus dem Darm. Invasive diagnostische Maßnahmen wie z. B. ERCP oder PTC, Fremdkörper wie z. B. Stents, sowie biliodigestive Anastomosen sind als relevante Risikofaktoren anzusehen.
36
Klinische Symptomatologie Obstruktion der Gallenwege und Infekt bestimmen auch die klinische Präsentation, die von Charcot 1877 erstmals beschrieben wurde. Die nach ihm benannte Charcot-Trias besteht aus Ikterus, rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und Fieber. Diese typische klinische Präsentation ist nur bei 60–70% der Fälle vorhanden (Hanau et al. 2000; Carpenter 1998). Ein Teil der Patienten präsentieren sich mit den klinischen Zeichen des Schocks und ZNS-Symptomatik in Form von Bewusstseinsveränderungen. Diese Symptome sind als prognostisch bedenklich anzusehen. Diagnostik Die Laborbefunde zeigen eine typische Konstellation von positiven Entzündungszeichen (CRP, Leukozytose) und Cholostaseparametern mit erhöhter alkalischer Phosphatase und erhöhtem Bilirubin. Häufig bestehen positive Blutkulturen. In der Diagnostik unerlässlich ist die Ultraschalluntersuchung. Häufig zeigt diese bereits die Ursache der Cholangitis. Computertomographie, Magnetresonanztomographie und Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) geben zusätzliche Informationen über Ursache und Lokalisation der Obstruktion. Therapie Die wichtigste Therapie der akuten Cholangitis besteht in einer intravenösen Antibiotikatherapie. Bei der zu erwartenden Flora handelt es sich meist um Mischinfektionen mit mehreren Keimen. Am häufigsten werden E. coli, Klebsiellen, Enterokokken, Enterobacter-Species und Anaerobier gefunden. Seltener werden Proteus-Species, Streptokokken, Pseudomonas oder Staphylokokken nachgewiesen (Carpenter 1998; Kiesslich et al. 2003; Bornman et al. 2003). Dementsprechend sollte ein, wenn möglich gallegängiges Breitspektrumantibiotikum eingesetzt werden, das gemäß Antibiogramm von positiven Blutkulturen angepasst wird. Parallel dazu werden ggf. Hypovolämie und metabolische Störungen korrigiert.
Ein weiteres wichtiges Therapieziel ist die Dekompression des unter Druck stehenden infizierten biliären Systems endoskopisch mittels ERCP und Steinextraktion.
Die Dringlichkeit, mit der diese Therapie eingeleitet werden muss, richtet sich nach klinischen Kriterien, wobei insbesondere Sepsis, Schock und Mitbeteiligung des zentralen Nervensystems ein notfallmäßiges Vorgehen diktieren. In diesen Fällen wird durch Einlegen entweder einer nasobiliären Sonde oder einer internen Endoprothese (Stent) der Abfluss sichergestellt (Sugiyama et al. 1997; Lee et al. 2002). Der Vorteil der nasobiliären Sonde besteht in der Möglichkeit der Gallenwegsspülung. Bei stabilen Patienten erfolgt die Dekompression in der Regel innerhalb 72 h (Lipsett at al 2003). Die radiologisch-interventionelle perkutan transhepatische Cholangiodrainage (PTCD) kommt wegen vermehrter Morbidität weniger häufig zum Einsatz, ist aber eine Alternative bei Misslingen der ERCP. Eine primär chirurgische Dekompression ist nur indiziert, wenn endoskopische oder radiologisch-interventionelle Techniken versagt haben oder nicht anwendbar sind. Anlässlich des operativen Eingriffs werden die Gallenwege minimal durch einen
591 36.7 · Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis
Soyer P, Brouland JP, Boudiaf M, Kardache M, Pelage JP, Panis Y, Valleur P, Rymer R (1998) Color velocity imaging and power doppler sonography of the gallbladder wall: a new look at sonographic diagnosis of acute cholecystitis. AJR 171:183–188 Thorbjarnarson B (1960) Carcinoma of the gallbladder and acute cholecystitis. Ann Surg 151:241 Ubiali P, Invernizzi R, Prezzati F (2002) Laparoscopic surgery in very acute cholecystitis. JSLS 6:159–162 Uggowitzer M, Kugler Ch, Schramayer G et al. (1993) A comparison of laparoscopic and open treatment of acute cholecystitis. Surg Endosc 7:407–410 Wölnerhanssen B, Ackermann C, Guenin MO, Kern B, Tondelli P, von Flüe M, Peterli R (2004) 12 Jahre laparoskopische Cholezystektomie: Resultate einer prospektiven Studie von 4498 an einer Klinik durchgeführten Cholecystektomien. Chirurg 16:263–269 Yamashita K, Jin MJ, Hirose Y, Morikawa M, Sumioka H, Itoh K, Konish J (1995) CT finding of transient focal increased attenuation of the liver adjacent to the gallbladder in acute cholecystitis. AJR 164:343–346 Yeh CN, Jan YY, Liv NJ, Yeh TS, Chen MF (2004) Endo-GIA for ligation of dilated cystic duct during laparoscopic cholecystectomy: an alternative, novel and easy method. J Laparoendosc Adv Surg Tech A 14: 153–157 Zügel N, Hehl A, Lindemann F, Witte J (1997) Advantages of one-stage repair in gallstone ileus. Hepatogastroenterology 44:59–62
36.7
Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis B. Kern, C. Ackermann
) ) Bei der akuten Cholangitis handelt es sich um eine meist bakterielle Entzündung der Gallengänge, die der Antibiotikatherapie sowie der Dekompression der Gallenwege bedarf. Die Papillenstenose ist eine benigne, organische, nichtneoplastische Verengung der Papille. Sie wird heute zusammen mit der Papillendyskinesie zum Begriff der Papillendysfunktion zusammengefasst. Unter intrahepatischer Cholangiolithiasis (intrahepatische Lithiasis, Hepatolithiasis) versteht man das Vorhandensein von Gallensteinen in den Gallengängen oberhalb der Gabelung vom linken und rechten Ductus hepaticus (auch wenn diese Gabelung extrahepatisch liegt).
36.7.1 Akute Cholangitis Pathogenese Die akute Cholangitis ist eine bakterielle, selten parasitäre Entzündung der Gallengänge. Voraussetzung für einen solchen Infekt ist eine biliäre Stase, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch eine Obstruktion bei Cholangiolithiasis verursacht wird. Weniger häufig kommen andere obstruktiv wirkende Pathologien vor wie benigne Gallengangsstrikturen, stenosierende Tumoren der Gallengänge oder der periampullären Organe oder zystische Veränderungen der Gallenwege. Der häufigste Mechanismus der bakteriellen Kontamination der Gallenwege ist eine aszendierende Besiedelung aus dem Darm. Invasive diagnostische Maßnahmen wie z. B. ERCP oder PTC, Fremdkörper wie z. B. Stents, sowie biliodigestive Anastomosen sind als relevante Risikofaktoren anzusehen.
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Klinische Symptomatologie Obstruktion der Gallenwege und Infekt bestimmen auch die klinische Präsentation, die von Charcot 1877 erstmals beschrieben wurde. Die nach ihm benannte Charcot-Trias besteht aus Ikterus, rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und Fieber. Diese typische klinische Präsentation ist nur bei 60–70% der Fälle vorhanden (Hanau et al. 2000; Carpenter 1998). Ein Teil der Patienten präsentieren sich mit den klinischen Zeichen des Schocks und ZNS-Symptomatik in Form von Bewusstseinsveränderungen. Diese Symptome sind als prognostisch bedenklich anzusehen. Diagnostik Die Laborbefunde zeigen eine typische Konstellation von positiven Entzündungszeichen (CRP, Leukozytose) und Cholostaseparametern mit erhöhter alkalischer Phosphatase und erhöhtem Bilirubin. Häufig bestehen positive Blutkulturen. In der Diagnostik unerlässlich ist die Ultraschalluntersuchung. Häufig zeigt diese bereits die Ursache der Cholangitis. Computertomographie, Magnetresonanztomographie und Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) geben zusätzliche Informationen über Ursache und Lokalisation der Obstruktion. Therapie Die wichtigste Therapie der akuten Cholangitis besteht in einer intravenösen Antibiotikatherapie. Bei der zu erwartenden Flora handelt es sich meist um Mischinfektionen mit mehreren Keimen. Am häufigsten werden E. coli, Klebsiellen, Enterokokken, Enterobacter-Species und Anaerobier gefunden. Seltener werden Proteus-Species, Streptokokken, Pseudomonas oder Staphylokokken nachgewiesen (Carpenter 1998; Kiesslich et al. 2003; Bornman et al. 2003). Dementsprechend sollte ein, wenn möglich gallegängiges Breitspektrumantibiotikum eingesetzt werden, das gemäß Antibiogramm von positiven Blutkulturen angepasst wird. Parallel dazu werden ggf. Hypovolämie und metabolische Störungen korrigiert.
Ein weiteres wichtiges Therapieziel ist die Dekompression des unter Druck stehenden infizierten biliären Systems endoskopisch mittels ERCP und Steinextraktion.
Die Dringlichkeit, mit der diese Therapie eingeleitet werden muss, richtet sich nach klinischen Kriterien, wobei insbesondere Sepsis, Schock und Mitbeteiligung des zentralen Nervensystems ein notfallmäßiges Vorgehen diktieren. In diesen Fällen wird durch Einlegen entweder einer nasobiliären Sonde oder einer internen Endoprothese (Stent) der Abfluss sichergestellt (Sugiyama et al. 1997; Lee et al. 2002). Der Vorteil der nasobiliären Sonde besteht in der Möglichkeit der Gallenwegsspülung. Bei stabilen Patienten erfolgt die Dekompression in der Regel innerhalb 72 h (Lipsett at al 2003). Die radiologisch-interventionelle perkutan transhepatische Cholangiodrainage (PTCD) kommt wegen vermehrter Morbidität weniger häufig zum Einsatz, ist aber eine Alternative bei Misslingen der ERCP. Eine primär chirurgische Dekompression ist nur indiziert, wenn endoskopische oder radiologisch-interventionelle Techniken versagt haben oder nicht anwendbar sind. Anlässlich des operativen Eingriffs werden die Gallenwege minimal durch einen
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
T-Drain dekomprimiert. Maximal wird gleichzeitig die biliäre Obstruktion definitiv behoben. Dies ist im Fall einer Choledocholithiasis die Regel, richtet sich jedoch bei anderen Ursachen einer biliären Obstruktion nach dem Zustand der Patienten. Kompliziertere Eingriffe bei Strikturen, Tumoren oder Zysten müssen häufiger zweizeitig durchgeführt werden. Die primär chirurgische Therapie der akuten Cholangitis bei Cholangiolithiasis ist mit einer erheblichen Morbidität von 50% und Letalität von 20% belastet (Lai et al. 1990). Im Gegensatz dazu wird die Letalität für die endoskopische Therapie mit <10% und für die PTCD mit 5–17% angegeben (Boender et al. 1995; Sugiyama et al. 1997).
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Komplikationen Die Mortalität der unbehandelten akuten Cholangitis beträgt annähernd 100%. Unter der oben beschriebenen Therapie ist die Mortalität in erster Linie abhängig von der Schwere der Erkrankung: Milde Formen der akuten Cholangitis verlaufen praktisch ohne Mortalität. An der schweren Form der septischen Cholangitis sterben trotz adäquater Dekompression der Gallenwege und antibiotischer Therapie 3–11% der Patienten (Sugiyama et al. 1997). Risikofaktoren für eine steigende Komplikationsrate bzw. steigende Mortalität sind neben Komorbidität in erster Linie Komplikationen der akuten Cholangitis wie Leberabszesse und akute Niereninsuffizienz. Patienten mit abgelaufener akuter Cholangitis neigen zu Rezidiven. Als Ursache werden die entzündlich geschädigten Gallenwege und anatomische Veränderungen, wie Zustand nach biliodigestiver Anastomose, angesehen. Ebenfalls wurde eine erhöhte Inzidenz des Cholangiokarzinoms nach rezidivierenden Cholangitiden festgestellt (Tocchi et al. 2001). 36.7.2 Papillenstenose Klinische Symptomatologie Die Papillenstenose führt infolge Abflussbehinderung von Galle und/oder Pankreassaft zu klinischen Symptomen (Tondelli et al. 1994), die oftmals der Cholangiolithiasis ähneln: Koliken im rechten Oberbauch, Ikterus und erweiterte Gallenwege in der bildgebenden Diagnostik. Diagnostik Aufgrund einer sehr hohen Spezifität/Sensivität erfolgt die weitere Abklärung mittels ERCP (Tzovaras et al. 1998). Im Zusammenhang mit einer Papillenstenose sind dabei 2 Befunde von Wichtigkeit: Einerseits ist die Kanülierung der Papille erschwert oder unmöglich, und andererseits besteht eine verlangsamte Entleerung eines einmal gefüllten Gallenganges. Zusätzlich sollte eine manometrische Untersuchung erfolgen, wobei bei einem basalen Sphinkterdruck von >40 mmHg von einer Papillenstenose ausgegangen werden kann. Alternativ kann auch eine MRCP durchgeführt werden. Diese Untersuchungstechnik zeigt ebenfalls eine gute und genaue Darstellung des Gallengangssystem, hat aber gegenüber der ERCP den Nachteile, dass keine gleichzeitigen therapeutischen Interventionen durchgeführt werden können (Piccinni et al. 2004). Liegen bei einem Patienten die laborchemische Konstellation einer biliären Obstruktion, ein Gallengang von mehr als 12 mm Weite im Ultraschall und der Nachweis von Kontrastmittel im Gallengang später als 45 min nach ERCP vor, so ist diese Kons-
tellation genügend spezifisch, um eine Papillenstenose zu diagnostizieren. Nach der Milwaukee-Klassifikation lassen sich 3 Patientengruppen unterscheiden: 4 Typ I: Symptome, Cholestase, Gallengang>12 mm und verzögerter Kontrastmittelabfluss 4 Typ II: Symptome und Cholestase oder Gallengang>12 mm oder verzögerter Kontrastmittelabfluss 4 Typ III: nur Symptome ohne biliäre Obstruktion (Hogan et al. 1988) Therapie Bei Patienten des Typs I und II sollte eine endoskopische Sphinkterotomie durchgeführt werden. Diese führt in etwa 80% zu Beschwerdefreiheit. Bei Patienten des Typ III ist der Erfolg der Sphinkterotomie deutlich schlechter. Hier kann ein therapeutischer Versuch mit Relaxanzien von glatter Muskulatur wie Nitraten oder Kalziumantagonisten oder evtl. eine lokale Botulinumtoxin Applikation sinnvoll sein (Piccinni et al. 2004; Wehrmann 2004). 36.7.3 Intrahepatische Cholangiolithiasis Epidemiologie Die intrahepatische Cholangiolithiasis ist in westlichen Ländern selten, in asiatischen Ländern unterschiedlich häufig. Die Inzidenz (in % aller Patienten mit Cholelithiasis) beträgt in Europa ca. 1%, in Japan 4%, in Taiwan 20% und in China 38– 45% (Pausawasdi et al. 1997; Lo et al. 1997). Pathogenese Pathogenetisch muss unterschieden werden zwischen Gallensteinen, die in der Gallenblase oder im Ductus hepatocholedochus gebildet wurden und sekundär leberwärts dislozierten, sowie solchen, die primär in den intrahepatischen Gallenwegen gebildet wurden. Steine, die in der Gallenblase oder im Ductus hepatocholedochus gebildet werden. In den westlichen Ländern stammen die
intrahepatischen Gallensteine meist aus der Gallenblase, seltener aus dem Gallengang und sind retrograd in die intrahepatischen Gallengänge gewandert. Strikturen der intrahepatischen Gallengänge spielen pathogenetisch keine Rolle, entstehen jedoch möglicherweise sekundär als entzündliche Reaktion bei inkarzeriertem Konkrement. Steine, die in den intrahepatischen Gallenwegen gebildet werden. Es kann unterteilt werden zwischen intrahepatischen Stei-
nen als Folge einer bekannten Lebererkrankung, als Folge einer Gallengangsobstruktion auf Höhe der Hepatikusgabel und der sog. primären intrahepatischen Cholangiolithiasis ungeklärter Ätiologie. 4 Intrahepatische Steinentstehung bei Lebererkrankungen: Intrahepatische Steinentstehung findet sich bei verschiedenen Lebererkrankungen wie Caroli-Syndrom, Hydatidenzysten, Abszess, Karzinom. 4 Intrahepatische Steinentstehung bei Gallenwegobstruktion. Eine Abflussstörung der Galle auf Höhe der Hepatikusgabel kann aufgrund von Stase und Infekt zur intrahepatischen Lithiasis führen. Ursache ist meist eine postoperative Stenose nach Gallenwegverletzung oder Hepatikojejunostomie.
593 36.7 · Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis
4 Primäre intrahepatische Cholangiolithiasis: In asiatischen Ländern tritt die intrahepatische Cholangiolithiasis als eigenständiges Krankheitsbild auf, oft zusammen mit einer extrahepatischen Cholangiolithiasis, aber meist ohne Cholezystolithiasis. Praktisch immer lässt sich eine bakterielle Cholangitis nachweisen. Häufig assoziiert ist ein parasitärer Befall (Clonorchis sinensis, Ascaris lumbricoides). Man bezeichnet dieses Krankheitsbild auch als Orientalische Cholangiohepatitis. Ätiologisch kommen auch Genmutationen und pathologische Proteinexpressionen als mögliche Pathomechanismen in Frage (Kokuryo et al. 2003). Die primäre intrahepatische Cholangiolithiasis rezidiviert häufig und gilt als Risikofaktor des Cholangiokarzinoms (Kim et al. 2003; Uchiyama et al. 2002). Klassifikation Zur Klassifikation der intrahepatischen Cholangiolithiasis wurden über 20 verschiedene Einteilungen vorgeschlagen. 4 Klassifikation nach Pathogenese: Von der Pathogenese lässt sich eine primäre und eine sekundäre intrahepatische Cholangiolithiasis unterscheiden. Bei der primären intrahepatischen Cholangiolithiasis finden sich intrahepatische Steine ohne Nachweis einer Lebererkrankung oder einer extrahepatischen Gallenwegsobstruktion. Bei der sekundären intrahepatischen Cholangiolithiasis entstehen die Steine entweder im extrahepatischen Gallenwegsystem und dislozieren sekundär leberwärts oder sie entstehen intrahepatisch bei vorbestehender Lebererkrankung, bzw. nachgewiesener extrahepatischer Gallenwegsobstruktion. 4 Pathologisch-anatomische Klassifikation: Bezüglich Lokalisation der Cholangiolithiasis kann unterschieden werden zwischen rein intrahepatischer und kombiniert intra- und extrahepatischer Cholangiolithiasis sowie Befall von linkem, rechtem oder beider Leberlappengangsysteme. Klinische Symptomatologie Typisch für die Hepatolithiasis sind Schmerzen im rechten Oberbauch. Ikterus und Fieber finden sich in etwa der Hälfte der Fälle. Die Leberwerte sind in über 80% der Fälle pathologisch. In Spätstadien kann eine biliäre Zirrhose mit Aszites entstehen und das Risiko eines Cholangiokarzinoms ist erhöht (Hwang et al. 2004). Diagnostik Die Sonographie kann in der Hand des geübten Untersuchers bei ca. 70% die intrahepatische Cholangiolithiasis nachweisen und gehört standardmäßig in die präoperative Diagnostik. Im Computertomogramm sind die in der Regel viel Pigment und wenig Kalzium enthaltenden intrahepatischen Steine meist schlecht sichtbar. ERCP und PTC sind die Untersuchungen der Wahl und erlauben meist eine genaue Darstellung und Lokalisation von intrahepatischen Steinen, sowie den Nachweis von Gallengangsstrikturen und -erweiterungen. Alternativ bietet sich die MRCP an, die mit hoher Genauigkeit gleich gute Resultate wie die ERCP liefert jedoch mit geringerer Invasivität. Beim Vorliegen von ausgeprägten Gallengangsstrikturen ist die MRCP der ERCP überlegen (Sugiyama et al. 2001; Kim et al. 2002). Intraoperativ kann die Hepatolithiasis durch Cholangiographie oder alternativ durch intraoperative Sonographie nachgewiesen werden. Konkremente in den beiden Hepatikusästen können auch cholangioskopisch diagnostiziert werden.
36
Therapie Intrahepatische Gallensteine können grundsätzlich medikamentös (Chemolitholyse), mit Hilfe extra- und/oder intrakorporeller Stoßwellenlithotrypsie, instrumentell (endoskopisch-retrograd bzw. perkutan durch liegenden T-Drain oder durch transhepatische Fistel) und operativ angegangen werden. Die chirurgische Therapie steht dabei im Vordergrund, da sie nicht nur die Steinentfernung, sondern auch die dauernde Behebung einer Galleabflussstörung ermöglicht. Operative Techniken zur Steinentfernung. Folgende Techniken
stehen zur Verfügung: 4 Gallenwegsrevision durch Choledochotomie, bzw. durch Hepatikotomie 4 Transhepatische Cholangiolithotomie 4 Leberresektion (beseitigt auch das Risiko der Entwicklung eines Cholangiokarzinoms) 4 Lebertransplantation Verfahrenswahl. Die Verfahrenswahl richtet sich nach der Lokalisation der intrahepatischen Lithiasis, und dem Vorhandensein von Gallenwegstenosen. 4 Keine oder extrahepatische Gallenwegsstenose: Gallenwegsrevision evtl. kombiniert mit Papillotomie bzw. Papillenplastik oder Hepatikojejunostomie (bzw. Hepatikoduodenostomie) 4 Steine und Gallenwegsstenose, Bereich rechter Leberlappen: Segmentresektion oder Hemihepatektomie rechts, evtl. Hepatikojejunostomie mit Roux-Y-Schlinge 4 Steine und Gallenwegsstenose, Bereich linker Leberlappen: Links laterale Segmentektomie oder Hemihepatektomie links, evtl. Hepatikojejunostomie mit Roux-Y-Schlinge 4 Hepatolithiasis mit sekundärer biliärer Zirrhose: ggf. Lebertransplantation
Ergebnisse Die Hepatektomie ist heutzutage eine sichere Behandlungsmöglichkeit bei intrahepatischer Cholangiolithiasis. Sie zeigt eine sehr gute Erfolgsrate mit einer auch im Langzeitverlauf hohen Steinfreiheitsrate. Die besten Resultate werden dabei bei Patienten mit isolierter linksseitiger Hepatolithiasis erzielt (Chen et al. 2004; Sun et al. 2000). Durch Entfernung der Steine sowie der intraduktalen Stenosen und Dilatationen wird zusätzlich das Risiko eines Cholangiokarzinoms deutlich reduziert. Die Resultate der Hepatikojejunostomie sind ebenfalls gut. Das Problem ist eine signifikant höhere Rate von Cholangitiden postoperativ. In der Arbeit von Kusano et al. (2001) zeigen 30% der Patienten nach Hepaticojejunostomie wegen Hepatolithiasis eine Cholangitis. Der Stellenwert der Lebertransplantation ist umstritten. Größere Fallzahlen liegen nicht vor. Strong et al. (2002) berichtet von 4 Patienten mit Hepatolithiasis und sekundärer biliärer Zirrhose mit gutem Verlauf nach Transplantation. Nichtoperative Techniken zur Steinentfernung. Nichtoperative Vorgehen sind möglich bei Patienten, die dem operativen Risiko nicht ausgesetzt werden können oder die eine operative Therapie ablehnen. 4 Extrakorporelle und/oder intrakorporelle Lithotrypsie Impaktierte Steine oder Steine, die von der Größe nicht durch einen T-Drain passen, können mittels intra- und/oder extra-
594
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
korporeller Behandlung zertrümmert werden. Die Zertrümmerung erfolgt entweder mittels Stoßwellen oder mittels Laser durch sonographische Ortung des Steines von außen oder endoskopisch. Die Methode hat eine niedrige Morbidität und Mortalität. Der Fragmentationserfolg wird mit bis zu 90% angegeben (Adamek et al. 1999; Xu et al. 2002). 4 Perkutan transhepatische Verfahren: Die perkutan transhepatischen Verfahren ermöglichen einen sicheren Zugang ohne Notwendigkeit einer Laparotomie. Gallenwegsstrikturen können aufdilatiert werden und intrahepatische Steine können über Körbchenkatheter und mittels cholangioskopischer Kontrolle extrahiert werden. Eine Kombination mit einem Stoßwellenverfahren ist möglich. Es besteht ein nicht unbedeutendes Risiko von Rezidivsteinen und Cholangitiden (Neuhaus 1999; Huang et al. 2003).
Literatur
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Adamek HE, Schneider AR, Adamek MU, Jakobs R, Buttmann A, Benz C, Rieman JF (1999) Treatment of difficult intrahepatic stones by using extracorporeal and intracorporeal lithotrypsy techniques: 10 years’ experience in 55 patients. Scand J Gastroenterol 34:1157–1161 Boender J, Nix GA, de Ridder MA, Dees J, Schutte HE, van Buuren HR, van Blankenstein M (1995) Endoscopic sphincterotomy and biliary drainage in patients with cholangitis due to common bile duct stones. Am J Gastroenterol 90:233–238 Bornmann PC, van Beljon JI, Krige JE (2003) Management of cholangitis. J Hepatobiliary Pancreat Surg 10:406–414 Carpenter HA (1998) Bacterial and parasitic cholangitis. Mayo Clin Proc 73:473–478 Chen DW, Tung-Ping Poon R, Liu CL, Fan ST, Wong J (2004) Immediate and long-term outcomes of hepatectomy for hepatolithiasis. Surgery 135:386–393 Hanau LH, Steigbigel NH (2000) Acute (ascending) cholangitis. Infect Dis Clin North Am 14:521–546 Hogan WJ, Geenen JE (1988) Biliary dyskinesia. Endoscopy 20:179– 183 Huang MH, Chen CH, Yang JC, Yang CC, Yeh YH, Chou DA, Mo LR, Yueh SK, Nien CK (2003) Long-term outcome of percutaneous transhepatic cholangioscopic lithotomy for hepatolithiasis. Am J Gastroenterol 98:2655–2662 Hwang JH, Yoon YB, Kim YT, Cheon JH, Jeong JB (2004) Risk factors for recurrent cholangitis after initial hepatolithiasis treatment. J Clin Gastroenterol 38:364–367 Kiesslich R, Will D, Hahn M, Nafe B, Genitsariotis R, Maurer M, Jung M (2003) Ceftriaxone versus Levofloxacin for antibiotic therapy in patients with acute cholangitis. Z Gastroenterol 41:5–10 Kim TK, Kim BS, Kim JH, Ha HK, Kim PN, Kim AY, Lee MG (2002) Diagnosis of intrahepatic stones: superiority of MR cholangiopancreatography over endoscopic retrograde cholangiopancreatography. Am J Roentgenol 179:429–434 Kim YT, Byun JS, Kim J, Jang YH, Lee WJ, Ryu JK, Kim SW, Yoon YB, Kim CY (2003) Factors predicting concurrent cholangiocarcinomas associated with hepatolithiasis. Hepatogastroenterology 50:8–12 Kokuryo T, Yamamoto T, Oda K, Kamiya J, Nimura Y, Senga T, Yasuda Y, Ohno Y, Nakanuma Y, Chen MF, Jan YY, Yeh TS, Chiu CT, Hsieh LL, Hamaguchi M (2003) Profiling of gene expression associated with hepatolithiasis by complementary DNA expression array. Int J Oncol 22:175–179 Kusano T, Isa TT, Muto Y, Otsubo M, Yasaka T, Furukawa M (2001) Long-term results of hepaticojejunostomy for hepatolithiasis. Arch Surg 67:442– 446 Lai ECS, Tam P-C, Paterson IA, No NMT, Fan S-T, Choi T-K, Wong J (1990) Emergency surgery for severe acute cholangitis. Ann Surg 55:9
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36.8
Gallengangszysten und Caroli-Krankheit J. Wydler, R. Schlumpf
) ) Gallengangszysten und Caroli-Krankheit sind seltene Erkrankungen der Gallenwege, die jedoch wegen ihrer Komplikationen, wie rezidivierende Cholangitiden und Pankreatitiden, Abszesse, Steinbildung, und dem hohen Risiko einer malignen Entartung einen problematischen Langzeitverlauf aufweisen. Die Therapie muss typenspezifisch und häufig interdisziplinär erfolgen.
36.8.1 Epidemiologie Die zystische Erweiterung der Gallenwege ist eine seltene Anomalie, die sowohl die intra- oder extrahepatischen Anteile des Gallengangssystems als auch beide zusammen befallen kann. Die Inzidenz dieses erstmals 1852 beschriebenen Krankheitsbildes variiert von 1:13.000 bis zu 1:2.000.000 Geburten, mit sehr gro-
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
korporeller Behandlung zertrümmert werden. Die Zertrümmerung erfolgt entweder mittels Stoßwellen oder mittels Laser durch sonographische Ortung des Steines von außen oder endoskopisch. Die Methode hat eine niedrige Morbidität und Mortalität. Der Fragmentationserfolg wird mit bis zu 90% angegeben (Adamek et al. 1999; Xu et al. 2002). 4 Perkutan transhepatische Verfahren: Die perkutan transhepatischen Verfahren ermöglichen einen sicheren Zugang ohne Notwendigkeit einer Laparotomie. Gallenwegsstrikturen können aufdilatiert werden und intrahepatische Steine können über Körbchenkatheter und mittels cholangioskopischer Kontrolle extrahiert werden. Eine Kombination mit einem Stoßwellenverfahren ist möglich. Es besteht ein nicht unbedeutendes Risiko von Rezidivsteinen und Cholangitiden (Neuhaus 1999; Huang et al. 2003).
Literatur
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Lee DW, Chan AC, Lam YH, Ng EK, Lau JY, Law BK, Lai CW, Sung JJ, Chung SC (2002) Biliary decompression by nasobiliary catheter or biliary stent in acute suppurative cholangitis: a prospective randomised trial. Gastrointest Endosc 56:361–365 Lipsett PA, Pitt HA (2003) Acute cholangitis. Front Biosci 8:1229–1239 Lo CM, Fan ST, Wong J (1997) The changing epidemiology of recurrent pyogenic cholangitis. Hong Kong Med J 3:302–304 Neuhaus H (1999) Intrahepatic stones: the percutaneous approach. Can J Gastroenterol 13:467–472 Pausawasdi A, Watanapa P (1997) Hepatolithiasis: epidemiology and classification. Hepatogastroenterology 44:314–316 Piccinni G, Angrisano A, Testini M, Bonomo GM (2004) Diagnosing and treating sphincter Oddi dysfunction. J Clin Gastroenterol 38:350–359 Strong RW, Chew SP, Wall DR, Fawcett J, Lynch SV (2002) liver transplantation for hepatolithiasis. Asian J Surg 25:180–183 Sugiyama M, Atomi Y (1997) Treatment of acute cholangitis due to choledocholithiasis in elderly and younger patients. Arch Surg 132:1129– 1133 Sugiyama M, Atomi Y, Takahara T, Hachiya J (2001) Magnetic resonance cholangiopancreatography for diagnosing hepatolithiasis. Hepatogastroenterology 48:1097–1101 Sun WB, Han BL, Cai JX (2000) The surgical treatment of isolated left-sided hepatolithiasis: a 22-year experience. Surgery 127. 493–497 Tocchi A, Mazzoni G, Lotta G, Lepre L, Cassini D, Piccini M (2001) Late development of bile duct cancer in patients who had biliary-enteric drainage for benigne disease: a follow-up study of more than 1000 patients. Ann Surg 234:210–214 Tondelli P, Schuppisser JP (1994) Papillary stenosis. In: LH Blumgart (ed) Surgery of the liver and biliary tract, vol I. Churchill Livingstone, Edinburgh, pp 819–832 Tzovaras G, Rowlands BJ (1998) Diagnosis and treatment of sphincter of Oddi dysfunction. Br J Surg 85:588–595 Uchiyama K, Onishi H, Tani M, Kinoshita H, Ueno M, Yamaue H (2002) Indication and procedure for treatment of hepatolithiasis. Arch Surg 137:149–153 Wehrmann T (2004) Sphincter of Oddi dysfunction: cut and inject, but don’t measure the pressure? Endoscopy 36:179–182 Xu Z, Wang L, Zhang N, Deng S, Xu Y, Zhou X (2002) Clinical applications of plasma shock wave lithotrypsy in treating postoperative remnant stones impacted in the extra- and intrahepatic bile ducts. Surg Endosc 16:646–649
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Gallengangszysten und Caroli-Krankheit J. Wydler, R. Schlumpf
) ) Gallengangszysten und Caroli-Krankheit sind seltene Erkrankungen der Gallenwege, die jedoch wegen ihrer Komplikationen, wie rezidivierende Cholangitiden und Pankreatitiden, Abszesse, Steinbildung, und dem hohen Risiko einer malignen Entartung einen problematischen Langzeitverlauf aufweisen. Die Therapie muss typenspezifisch und häufig interdisziplinär erfolgen.
36.8.1 Epidemiologie Die zystische Erweiterung der Gallenwege ist eine seltene Anomalie, die sowohl die intra- oder extrahepatischen Anteile des Gallengangssystems als auch beide zusammen befallen kann. Die Inzidenz dieses erstmals 1852 beschriebenen Krankheitsbildes variiert von 1:13.000 bis zu 1:2.000.000 Geburten, mit sehr gro-
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. Abb. 36.46. Klassifikation der Gallengangszysten nach Todani
ßen Unterschieden in der geographischen Verteilung. Von den über 3000 publizierten Fällen stammen mehr als 70% aus Japan (Benhidjeb et al. 1994). Annähernd 80% aller Patienten sind weiblichen Geschlechts. Typischerweise handelt es sich um ein chirurgisches Problem der Kindheit und Jugend und dennoch wird bei ca. 20% der Patienten die Diagnose erst im Erwachsenenalter gestellt. Im Gegensatz dazu kann die Caroli-Krankheit in jedem Alter auftreten und zeigt keine ethnische, geographische oder geschlechtsspezifische Prädominanz. Bei diesem Krankheitsbild treten kongenitale Ektasien der intrahepatischen Gallenwege multipel oder solitär, diffus in der ganzen Leber oder segmental beschränkt auf. Bei den seit 1958 über 200 publizierten Fällen wird ein autosomal-rezessiver Vererbungsmodus angenommen (Benhidjeb et al. 1996a). 36.8.2 Klassifikation Die 1977 von Todani vorgeschlagene Klassifikation, die auf der klassischen Einteilung von Alonso-Lej aus dem Jahre 1959
beruht, hat sich durchgesetzt (. Abb. 36.46; Todani et al. 1977): 4 Typ I: zystische Dilatation des extrahepatischen Gallenganges 5 a »Gewöhnliche« Choledochuszyste 5 b segmentale Dilatation 5 c diffuse Dilatation 4 Typ II: Divertikel des extrahepatischen Gallenganges 4 Typ III: zystische Dilatation oder Divertikel des intraduodenalen Anteiles des Ductus choledochus 4 Typ IV: multiple Zysten 5 a Intra- und extrahepatisch 5 b Nur extrahepatisch 4 Typ V: intrahepatische Zysten (solitär oder multipel) – CaroliKrankheit 5 Unilobulärer Typ 5 Diffuser Typ Bei der Caroli-Krankheit wird unterschieden zwischen einer einfachen, oft unilobulären Form und dem häufigeren diffusen Typ, der mit einer periportalen Fibrose einhergeht (. Abb. 36.46).
596
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Die exakte Inzidenz der verschiedenen Typen von Zysten ist wegen der verschiedenen verwendeten Klassifikationen nicht genau bekannt, ungefähr fallen jedoch auf den Typ Ia 65%, Ib<1%, Ic 15%, II 3%, III 5%, IVa 10%, IVb<1% und V<1% (Tsao et al. 1994). 36.8.3 Pathogenese
36
Mit verschiedenen Theorien versucht man, die Ätiologie und Pathogenese dieses Krankheitsbildes zu erklären. Trotz vieler Diskussionspunkte und neuesten Untersuchungsresultaten ist die von Babitt (1969) aufgestellte »Common-channel-Theorie« weltweit akzeptiert, vermag jedoch sicherlich nur einen Teil der Fälle zu erklären. Babitt demonstrierte eine anormale pankreatobiliäre Mündung, bei der der Ductus Wirsungianus 2–3,5 cm proximal der Ampulla Vateri senkrecht in den Choledochus eintritt (normalerweise bis 5 mm). Dadurch kommt es nicht nur zu einem außerordentlich langen gemeinsamen Gang, sondern der Zusammenfluss liegt auch außerhalb des Sphincter Oddi und es fehlt somit ein eigener Sphinktermechanismus. Wegen des höheren intraluminalen Drucks im Ductus pancreaticus ergibt sich ein Reflux von Pankreassaft in die Gallenwege. Das im Gallensaft auch ohne duodenale Enterokinase aktivierte Trypsinogen bricht das Gallengangsepithel auf und leitet eine submuköse Entzündung ein, die die Wand zunehmend schwächt (Babitt 1969). Allerdings haben einerseits mehr als 30% der Patienten mit Gallengangszysten unauffällige Mündungsverhältnisse und andererseits entwickeln viele Menschen mit einem »common channel« keine Zysten. Daneben wurden andere Möglichkeiten für das Vorhandensein von Pankreassaft in den Gallenwegen nachgewiesen (Benhidjeb et al. 1996a). So fand sich sowohl bei Gesunden als auch bei Patienten mit Gallengangszysten mit einer Häufigkeit zwischen 4% und 98% ektopes Pankreasgewebe in der Gallengangswand. Auch konnten elektronenmikroskopisch verschiedene cholangiovenöse und cholangiolymphatische Refluxwege dargestellt werden. Dass es sich bei den Gallengangszysten aber nicht nur um ein erworbenes, sondern auch um ein kongenitales Leiden handeln kann, konnte mittels pränataler Ultraschalluntersuchung gezeigt werden. Zudem sind die pankreatischen Enzyme bei Kindern unter 2 Monaten noch nicht aktiviert, was wieder für eine kongenitale Theorie spricht (Yamashiro et al. 1993). Die Vielfalt von synchron vorkommenden Anomalien scheint Ausdruck einer multifaktoriellen und komplexen embryologischen Störung zu sein, sodass die genaue Ätiologie dieses Krankheitsbildes erst in Zukunft geklärt werden kann.
tenwand oder anderswo im Gallen- oder Pankreasgangsystem. Weitere Symptome sind Fieber, Koliken, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust, Pruritus und gastrointestinale Blutungen. 4 Klassische Symptomentrias: Ikterus, Bauchschmerz, palpabler Tumor 4 Assoziierte Komplikationen: Cholangitis, Lithiasis (Zystolithiasis, Choledocholithiasis, Hepatolithiasis), Pankreatitis, Leberabszess, biliäre Zirrhose, portale Hypertension, maligne Entartung 4 Unspezifische Symptome: Fieber, Koliken, Erbrechen, Gewichtsverlust, Pruritus. gastrointestinale Blutung 36.8.5 Diagnostik Wegen des schleichenden und zum Teil intermittierenden Verlaufes wird die Diagnose erst mit einer gewissen Latenz gestellt, in über 60% der Fälle nach mehr als einem Jahr. Oft wird das Leiden auch erst im Rahmen einer Cholezystektomie erkannt. Die Caroli-Krankheit kann das ganze Leben asymptomatisch verlaufen. Erste Symptome manifestieren sich in der Regel nach 20 Jahren, wobei Lokalisation und Ausmaß der Zysten das Beschwerdebild bestimmen. Die Krankheitszeichen sind initial meist sehr diskret, sodass auch hier viele Diagnosen verschleppt werden. In der präoperativen Evaluation und Diagnostik zeigen über 70% der Patienten im Labor pathologische Leberwerte mit Zeichen der Cholostase. Die Sonographie kann mit einer hohen Trefferquote die Diagnose stellen, weist aber deutliche Schwächen auf bei Typ-III-Zysten (Choledochozelen) sowie bei großen Zysten vom Typ I, wo die Unterscheidung von zystischen Pankreaskopfveränderungen erschwert sein kann. Für diese Abgrenzungen eignet sich die endoskopische retrograde Cholangiopankreatographie (ERCP).
Die ERCP gilt als Diagnostikum der Wahl.
36.8.4 Klinische Symptomatologie
Dabei ist von Vorteil, dass einerseits die genaue Ausdehnung der Zysten, Konkremente und anatomische Anomalien festgestellt und der Typ bestimmt und dass andererseits beim Typ III mit der Papillotomie gleichzeitig die Behandlung der Wahl durchgeführt werden kann. Die Computertomographie und vor allem die Magnetresonanz-Cholangiopankreatographie (MRCP) geben Informationen über die benachbarten Strukturen und deren Beziehung zur Zyste. Tumoröse Veränderungen der Zystenwand können am besten mittels MRT und Endosonographie nachgewiesen werden.
Ikterus, Bauchschmerzen und palpabler Tumor als klassisch beschriebene Symptomentrias finden sich bei bis zu 60% der Patienten, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, in Erwachsenenserien jedoch deutlich seltener. Häufig präsentiert sich die Erkrankung unspezifisch, und die Symptome treten einzeln oder in Kombination auf: Ikterus in 45–64%, palpabler Tumor in 37–58% und Abdominalschmerzen in 51–55% (Tsao et al. 1994). Bei Erwachsenen resultieren die Symptome vielfach in assoziierten Komplikationen wie Cholangitis, Zystolithiasis, Choledocholithiasis, Hepatolithiasis, Pankreatitis, Leberabszesse, biliäre Zirrhose, portale Hypertension und maligne Entartung der Zys-
Therapie Die Behandlung von Gallengangszysten mittels Zystenterostomie, wie sie bis Mitte der 70er-Jahre weltweit als Goldstandard galt, ist mit einer hohen Spätmorbidität behaftet. Dazu zählen rezidivierende Cholangitiden und Pankreatitiden, Lithiasis, Leberabszesse, Anastomosenstrikturen und vor allem die maligne Entartung der Zysten. Das mit einer sehr schlechten Prognose behaftete Zystadenokarzinom der Gallengangszyste (medianes Überleben nach Diagnosestellung 8 Monate, 2-Jahres-Überleben 5%) entwickelt sich bei nichtoperierten Gallengangszysten in 2,5–28%, nach enteraler Drainage in 50%, durchschnittlich
597 36.8 · Gallengangszysten und Caroli-Krankheit
4 Jahre postoperativ (Flanigan 1977; Tsao et al. 1994). Wegen dieser schwerwiegenden Komplikationen wurde die enterale Drainage von Gallengangszysten als Methode verlassen, heute gilt es, eine typenspezifische Behandlung zu wählen. Bei Patienten, die als Kinder noch eine Drainageoperation erhalten hatten, sollte die Zyste, mit oder ohne Symptome, noch vor dem 30. Lebensjahr radikal reseziert werden (Visser et al. 2004).
Als Prinzipien gelten deshalb: radikale Exzision der zystischen Abschnitte weit im Gesunden, stets verbunden mit einer Cholezystektomie, bei Tumorverdacht Schnellschnittuntersuchung sowie Herstellung eines ungehinderten Galleabflusses mit Verhinderung von Pankreassaftreflux in die Gallenwege.
Es ist umstritten, ob residuelle Ganganteile, entweder intrahepatisch oder intrapankreatisch, das Risiko für ein späteres Karzinom erhöhen. Dennoch wird empfohlen, die befallenen Ganganteile auch an diesen zum Teil schwer zugänglichen Bereichen radikal zu resezieren (Jordan et al. 2004). Typ I. Radikale Resektion der Zyste mit Hepatikoduodenostomie oder einer Hepatikojejunostomie mit Roux-Y-Schlinge. Weder in der Letalität, der Morbidität noch den Langzeitkomplikationen konnte ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Verfahren festgestellt werden (Panis et al. 1993). Typ II. Exzision des Divertikels mit primärem Verschluss des
Gallenganges über einer T-Drainage. Bei geringstem Zweifel über die Dignität in der Histologie muss eine radikale (Nach-)Operation wie bei Typ I erfolgen. Diese Zysten können sich für eine laparoskopische Resektion eignen (Lipsett et al. 2003). Typ III. Die Wahl der Behandlung ist abhängig von der Größe.
Kleine intramurale Choledochozelen (<3 cm) können effizient mit der endoskopischen Papillotomie therapiert werden. Bei größeren Choledochozelen (>3 cm) erfolgt die transduodenale Exzision der Zyste. Dabei muss der Ductus pankreaticus dargestellt und geschont werden. Zur Lokalisation kann eine intraoperative Ultraschalluntersuchung hilfreich sein. Falls der Pankreasgang posterior in die Choledochozele mündet, sollte er in die duodenale Mukosa reimplantiert werden. Alternativ kann die Zystenwand mit der Pankreatikusmündung belassen werden. Regelmäßige Nachkontrollen sind jedoch erforderlich. Typ IVa. Bei Patienten mit intra- und extrahepatischen Gallen-
gangszysten ist eine extrahepatische Exzision bis weit in den Leberhilus hinein und die Schaffung einer breiten Hepatikojejunostomie indiziert. Trotzdem ist der Erfolg der Operation unsicher, treten doch in 23–44% biliäre Spätkomplikationen, wie rezidivierende Cholangitiden, Anastomosenstrikturen und Steine, auf. Es ist deshalb von Bedeutung, intraoperativ die Gallenwege weit nach intrahepatisch entweder radiologisch oder endoskopisch darzustellen, um vorhandene Strikturen zu erkennen und evtl. mit einer Duktoplastik zusätzlich zu versorgen (Todani et al. 1998). Um spätere endoskopische Reinterventionen zu erleichtern, kann die jejunale Schlinge gegen die Bauchwand hin fixiert werden (Hewitt et al. 1995). 43% der Patienten mit Typ-IVaZysten zeigen eine Beschränkung der Erkrankung auf den linken Leberlappen (Lenriot et al. 1998). In diesen Fällen sollte der
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Exzision eine Hemihepatektomie links angeschlossen werden, um die erwähnten Spätkomplikationen zu vermeiden. Typ IVb. Hier ist die chirurgische Behandlung vom genauen Be-
fund bzw. der Ausdehnung abhängig zu machen. Typ V (Caroli-Krankheit). Die meisten Erwachsenen mit Caroli-
Krankheit weisen einen unilobulären Typ auf, zu 90% ist der linke Leberlappen befallen. Bei ausreichender hepatischer Reserve stellt die Leberteilresektion die Behandlung der Wahl dar und führt zu einer Heilung. Diffuser Typ: Falls die betroffenen Gallengangsabschnitte nicht resezierbar sind, bleibt die Prognose schlecht und ist durch rezidivierende Cholangitiden, Infekte und Steinbildungen mit zunehmender Leberzirrhose gekennzeichnet. Die Anwendung medikamentöser, endoskopischer und chirurgischer Verfahren sowie der Stoßwellenlithotrypsie einzeln oder in Kombination hat dabei höchstens palliativen Charakter. Zudem ist die Inzidenz von Gallengangstumoren 100-mal häufiger (Benhidjeb et al. 1996b). Wegen dieser Problematik kann die Lebertransplantation als Behandlungsoption angesehen werden, Langzeitresultate fehlen jedoch noch. Die Indikation und Festlegung des Transplantationszeitpunktes sollte interdisziplinär festgelegt werden.
Patienten, bei denen eine Choledochuszyste reseziert wurde, sollten lebenslänglich regelmäßig nachkontrolliert werden. Das Risiko einer malignen Entartung sinkt auch nach Resektion nicht auf Null (Lipsett et al. 2003).
Literatur Babbitt DP (1969) Congenital choledochal cysts: new etiological concept based on anomalous relationships of the common bile duct and pancreatic bulb. Ann Radiol 12:231–240 Benhidjeb T, Gellert K, Müller JM, Rudolph B, Mau H (1996a) Aktuelle Therapie der Gallengangscysten, I. Extrahepatische Cysten. Chirurg 67:169–178 Benhidjeb T, Müller JM, Gellert K, Zanow J, Rudolph B (1996b) Aktuelle Therapie der Gallengangscysten, II. Intrahepatische Cysten (CaroliSyndrom). Chirurg 67:238–243 Benhidjeb T, Münster B, Ridwelski K, Rudolph B, Mau H, Lippert H (1994) Cystic dilatation of the common bile duct: surgical treatment and long-term results. Br J Surg 81:433–436 Flanigan DP (1977) Biliary carcinoma associated with biliary cysts. Cancer 40:880–883 Hewitt PM, Krige JEJ, Bornman PC, Terrblanche J (1995) Choledochal cysts in adults. Br J Surg 82:382–385 Jordan PH, Goss JA Jr, Rosenberg WR, Woods KL (2004) Some considerations for management of choledochal cysts. Am J Surg 187(6):790–795 Lenriot JP, Gigot JF, Ségol P, Fagniez PL, Fingerhut A, Michel A (1998) Bile duct cysts in adults, a multi-institutional retrospective study. Ann Surg 228(2):159–166 Lipsett PA, Pitt HA (2003) Surgical treatment of choledochal cysts. J Hepatobiliary Pancreat Surg 10:352–359 Panis Y, Fagniez PL, Brisset D, Lacaine F, Levard H, Hay JM (1993) Long term results of choledochoduodenostomy versus choledochojejunostomie for choledocholithiasis. The French Assocoation for Surgical Research. Surg Gynecol Obstet 177(1):33–37 Todani T, Watanabe Y, Narusue M, Tabuchi K, Okajima K (1977) Congenital bile duct cysts: classification, operative procedures, and review of thirty-seven cases including cancer arising from choledochal cyst. Am J Surg 134:263–269
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Todani T, Watanabe Y, Toki A, Ogura K, Wang ZQ (1998) Co-existing biliary anomalies and anatomical variants in choledochal cysts. Br J Surg 85:760–763 Tsao JI, Munson JL, Rossi RL (1994) Biliary tract cysts. In: Braasch JW, Tompkins RK (eds) Surgical disease of the biliary tract and pancreas – multidisciplinary management. Mosby, St. Louis, pp 349–365 Visser BC, Suh I, Way LW, Kang SM (2004) Congenital choledochal cysts in adults. Arch Surg 139(8):855–860 Yamashiro Y, Sato M, Shimizu T, Oguchi S, Miyano T (1993) Obliteration of the distal bile duct in the development of congenital cholededochal cyst. J Pediatr Surg 28:622–625
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Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen P. Born, M. Classen
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Die Einführung der endoskopischen Papillotomie (Classen et al. 1974; Kawai et al. 1974) im Jahre 1973 eröffnete dem interventionell tätigen Endoskopiker den Zugang zum Gallengang. Diese Methode war zunächst für die Therapie der Choledocholithiasis entwickelt worden. Aber bereits einige Jahre nach der Einführung wurde die Indikationsstellung auf die Einlage von Prothesen zur palliativen Überbrückung maligner Stenosen ausgedehnt (Soehendra et al. 1980). Von da war es dann nur noch ein kleiner Schritt zur endoskopisch retrograden Therapie benigner Strikturen. Mittlerweile hat sich, auch aufgrund technischer Verbesserungen der Ausstattung, die endoskopische Behandlung zu einem Standardeingriff bei Stenosen, sowohl am biliären System als auch am Pankreasgang, weiterentwickelt. Nahezu zeitgleich wurde der perkutan transhepatische Zugang zu den Gallenwegen (PTC) etabliert, sodass hier eine suffiziente Komplementärmethode zur Verfügung steht, wenn die endoskopisch retrograde Cholangiographie (ERC) nicht durchführbar ist. Die Vorgehensweise sollte bei jedem einzelnen Patienten in enger interdiszipilinärer Zusammenarbeit zwischen Gastroenterologen und Viszeralchirurgen abgesprochen werden.
36.9.1 Pathogenese Die Einführung und rasche Verbreitung der laparoskopischen Cholezystektomie (laparoskopische CHE) hat in besonderem Maße die Diagnostik und Therapie von biliären Strikturen neu belebt. Aber auch die Zunahme von Lebertransplantationen mit einem relativ hohen Anteil an Patienten mit anschließenden biliären Problemen sowie die mit zunehmender Häufigkeit vorgestellten Patienten mit Stenosen nach Anlage biliodigestiver Anastomosen führten zu einer Intensivierung der weniger invasiven endoskopischen Verfahren. Neben diesen iatrogenen Ursachen gibt es aber noch eine Vielzahl von weiteren Ursachen die für das Entstehen nicht malignombedingter Gallenwegsstenosen verantwortlich sind und die interventionelle Endoskopie in unterschiedlicher Weise herausfordern.
Ursache benigner Gallenwegsstrikturen 5 Zustand nach Operationen – Cholezystektomie (konventionell und laparoskopisch) – Choledochotomie – Biliobiliäre Anastomosen (Reparaturoperationen, Lebertransplantation) – Biliodigestive Anastomosen – Leberteilresektionen 5 Pankreatitiden – Chronische Pankreatitis – Akute Pankreatitis 5 Cholangitiden – Infektionen (mit und ohne Steine, Kryptosporidien [AIDS]) – Sklerosierende Cholangitis (primär sklerosierende Cholangitis, sekundär sklerosierende Cholangitis, ischämiebedingt, zytostatikainduziert – Lokal fibrosierende Cholangitis 5 Abdominaltraumen 5 Strahlentherapie 5 Weitere Ursachen – Angeborene Veränderungen – Choledochuszysten – Gefäßanomalien
36.9.2 Klinische Symptomatologie Das Beschwerdebild kann stark variieren. Es reicht von heftigsten Schmerzzuständen mit Fieber und Cholangitis unmittelbar nach einer Operation auftretend, bis hin zu vollkommener Beschwerdefreiheit und Spätmanifestation als sekundär biliäre Zirrhose. Im Regelfall sind aber Ikterus und Anstieg der cholestaseanzeigenen Laborparameter die wichtigsten Indikatoren, gefolgt von Oberbauchschmerzen und Cholangitis. Es werden jedoch auch immer wieder asymptomatische Patienten vorgestellt, bei denen lediglich im Rahmen von Routineuntersuchungen pathologische Laborparameter oder erweiterte Gallenwege im Ultraschall auffallen. Die Zeitspanne zwischen Operation und Eintreten der Beschwerden reicht von einigen Tagen bis zu Jahrzehnten. Überwiegend treten die Symptome allerdings im ersten Jahr nach dem Eingriff auf (Lillemoe 1997). 36.9.3 Diagnostik Die endoskopisch retrograde (ERC) und die perkutan transhepatische (PTC) Cholangiographie sind die sichersten Methoden zur Darstellung pathologischer Veränderungen an den Gallenwegen. Da jedoch beide Methoden erhebliche Komplikationen hervorrufen können, sollten sie nicht als Erst- oder Screeninguntersuchung verwendet werden. Bei klinischem Verdacht einer Gallenwegsobstruktion werden Laboruntersuchungen und die Ultraschalldiagnostik den invasiven Methoden vorangestellt. Zunehmend an Bedeutung gewinnt die MagnetresonanzCholangiopankreatikographie (MRCP), die Magnetresonanztomographie mit der Möglichkeit der Rekonstruktion von Gallenwegen und Pankreasgang. Diese Methode hat neben der ge-
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Todani T, Watanabe Y, Toki A, Ogura K, Wang ZQ (1998) Co-existing biliary anomalies and anatomical variants in choledochal cysts. Br J Surg 85:760–763 Tsao JI, Munson JL, Rossi RL (1994) Biliary tract cysts. In: Braasch JW, Tompkins RK (eds) Surgical disease of the biliary tract and pancreas – multidisciplinary management. Mosby, St. Louis, pp 349–365 Visser BC, Suh I, Way LW, Kang SM (2004) Congenital choledochal cysts in adults. Arch Surg 139(8):855–860 Yamashiro Y, Sato M, Shimizu T, Oguchi S, Miyano T (1993) Obliteration of the distal bile duct in the development of congenital cholededochal cyst. J Pediatr Surg 28:622–625
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Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen P. Born, M. Classen
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Die Einführung der endoskopischen Papillotomie (Classen et al. 1974; Kawai et al. 1974) im Jahre 1973 eröffnete dem interventionell tätigen Endoskopiker den Zugang zum Gallengang. Diese Methode war zunächst für die Therapie der Choledocholithiasis entwickelt worden. Aber bereits einige Jahre nach der Einführung wurde die Indikationsstellung auf die Einlage von Prothesen zur palliativen Überbrückung maligner Stenosen ausgedehnt (Soehendra et al. 1980). Von da war es dann nur noch ein kleiner Schritt zur endoskopisch retrograden Therapie benigner Strikturen. Mittlerweile hat sich, auch aufgrund technischer Verbesserungen der Ausstattung, die endoskopische Behandlung zu einem Standardeingriff bei Stenosen, sowohl am biliären System als auch am Pankreasgang, weiterentwickelt. Nahezu zeitgleich wurde der perkutan transhepatische Zugang zu den Gallenwegen (PTC) etabliert, sodass hier eine suffiziente Komplementärmethode zur Verfügung steht, wenn die endoskopisch retrograde Cholangiographie (ERC) nicht durchführbar ist. Die Vorgehensweise sollte bei jedem einzelnen Patienten in enger interdiszipilinärer Zusammenarbeit zwischen Gastroenterologen und Viszeralchirurgen abgesprochen werden.
36.9.1 Pathogenese Die Einführung und rasche Verbreitung der laparoskopischen Cholezystektomie (laparoskopische CHE) hat in besonderem Maße die Diagnostik und Therapie von biliären Strikturen neu belebt. Aber auch die Zunahme von Lebertransplantationen mit einem relativ hohen Anteil an Patienten mit anschließenden biliären Problemen sowie die mit zunehmender Häufigkeit vorgestellten Patienten mit Stenosen nach Anlage biliodigestiver Anastomosen führten zu einer Intensivierung der weniger invasiven endoskopischen Verfahren. Neben diesen iatrogenen Ursachen gibt es aber noch eine Vielzahl von weiteren Ursachen die für das Entstehen nicht malignombedingter Gallenwegsstenosen verantwortlich sind und die interventionelle Endoskopie in unterschiedlicher Weise herausfordern.
Ursache benigner Gallenwegsstrikturen 5 Zustand nach Operationen – Cholezystektomie (konventionell und laparoskopisch) – Choledochotomie – Biliobiliäre Anastomosen (Reparaturoperationen, Lebertransplantation) – Biliodigestive Anastomosen – Leberteilresektionen 5 Pankreatitiden – Chronische Pankreatitis – Akute Pankreatitis 5 Cholangitiden – Infektionen (mit und ohne Steine, Kryptosporidien [AIDS]) – Sklerosierende Cholangitis (primär sklerosierende Cholangitis, sekundär sklerosierende Cholangitis, ischämiebedingt, zytostatikainduziert – Lokal fibrosierende Cholangitis 5 Abdominaltraumen 5 Strahlentherapie 5 Weitere Ursachen – Angeborene Veränderungen – Choledochuszysten – Gefäßanomalien
36.9.2 Klinische Symptomatologie Das Beschwerdebild kann stark variieren. Es reicht von heftigsten Schmerzzuständen mit Fieber und Cholangitis unmittelbar nach einer Operation auftretend, bis hin zu vollkommener Beschwerdefreiheit und Spätmanifestation als sekundär biliäre Zirrhose. Im Regelfall sind aber Ikterus und Anstieg der cholestaseanzeigenen Laborparameter die wichtigsten Indikatoren, gefolgt von Oberbauchschmerzen und Cholangitis. Es werden jedoch auch immer wieder asymptomatische Patienten vorgestellt, bei denen lediglich im Rahmen von Routineuntersuchungen pathologische Laborparameter oder erweiterte Gallenwege im Ultraschall auffallen. Die Zeitspanne zwischen Operation und Eintreten der Beschwerden reicht von einigen Tagen bis zu Jahrzehnten. Überwiegend treten die Symptome allerdings im ersten Jahr nach dem Eingriff auf (Lillemoe 1997). 36.9.3 Diagnostik Die endoskopisch retrograde (ERC) und die perkutan transhepatische (PTC) Cholangiographie sind die sichersten Methoden zur Darstellung pathologischer Veränderungen an den Gallenwegen. Da jedoch beide Methoden erhebliche Komplikationen hervorrufen können, sollten sie nicht als Erst- oder Screeninguntersuchung verwendet werden. Bei klinischem Verdacht einer Gallenwegsobstruktion werden Laboruntersuchungen und die Ultraschalldiagnostik den invasiven Methoden vorangestellt. Zunehmend an Bedeutung gewinnt die MagnetresonanzCholangiopankreatikographie (MRCP), die Magnetresonanztomographie mit der Möglichkeit der Rekonstruktion von Gallenwegen und Pankreasgang. Diese Methode hat neben der ge-
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ringen Invasivität den großen Vorteil gegenüber ERCP und PTCD, dass auch bei Vorliegen kompletter Stenosen die prästenotischen Gangabschnitte abgebildet werden. Hochgradige oder komplette Stenosen, speziell wenn sie unmittelbar an einer Gangauftrennung liegen, können bei ERCP und PTC leicht übersehen werden, weswegen bei entsprechendem Verdacht unbedingt ergänzende bildgebende Maßnahmen wie Sonographie, Computertomographie oder, wie wahrscheinlich als Methode der Zukunft zu erwarten, die MRCP indiziert sind.
In der Diagnostik der extrahepatischen Gallenwegen gewinnt die MRCP zunehmende Bedeutung.
Malignität. Ist eine Striktur festgestellt worden, stellt sich in vielen Fällen die Frage der Dignität. Über das Endoskop kann versucht werden mit einer Zange unter Durchleuchtung Gewebematerial für die histologische oder mit einer Bürste für die zytologische Untersuchung zu gewinnen. Aber selbst mit der Kombination beider Methoden lässt sich nur eine Sensitivität von ca. 70% erreichen (Schoefl et al. 1997). Höher (bis 90%) liegt die Erfolgsrate, wenn die Biopsieentnahme unter Sicht, also cholangioskopisch, sei es peroral oder technisch einfacher perkutan transhepatisch erfolgt (Nimura et al. 1989). Auch eine ergänzend durchgeführte endosonographisch gesteuerte Punktion kann die Erfolgsrate weiter anheben (Rösch et al. 2004). Abzuwarten bleibt, welchen Stellenwert der intraduktale Ultraschall und die in Entwicklung befindliche intraduktale Kernspintomographie erreichen werden. Weiterhin bleibt abzuwarten, ob molekularbiologische Parameter, wie Onkogenmutationen (z. B. ki-ras-Mutation für das Pankreaskarzinom) dazu beitragen, die maligne Genese von Stenosen besser und früher erkennen und vielleicht sogar das potenzielle Entartungsrisiko benigner Strikturen (z. B. bei der primär sklerosierenden Cholangitis-PSC) besser abschätzen zu können (Rivera et al. 1997).
36.9.4 Therapie
Jeder Endoskopiker, der eine ERC oder PTC durchführt, muss im Falle des Vorliegens einer Stenose auch in der Lage sein, zumindest provisorisch die prästenotischen Gallenwegsabschnitte zu drainieren, da ansonsten ein hohes Cholangitisrisiko besteht.
Endoskopisch retrograde Cholangiographie Nach Darstellung einer Stenose wird man sich im Regelfall zunächst den Zugang zum Gallengang durch eine endoskopische Papillotomie (EPT) sichern. Nach erfolgter EPT werden ein steifer Führungsdraht und darüber eine Plastikprothese, vorzugsweise mit einem Kaliber von 10 oder 11,5 Fr, platziert. Höhergradige Stenosen müssen zunächst mit einem weichen Führungsdraht passiert werden. Anschließend wird ein dünnlumiger Katheter nachgeführt, der weiche Draht gegen einen steiferen ausgetauscht und der Stent gelegt.
. Abb. 36.47. Dilatationsballon (links; teilinsuffliert) und sog. SoehendraBougie (rechts)
Erscheint die Stenteinlage aufgrund des Widerstandes nicht aussichtsreich oder scheitert sie, muss die Engstellung zunächst erweitert werden. Dazu eignet sich, speziell bei kurzstreckigen und gerade verlaufenden Stenosen die Dilatation mit einem Ballon, wobei aber auch für die Ballonplatzierung zumindest eine Lumenweite von ca. 6 Fr notwendig ist. Möglicherweise kann in Zukunft die Verwendung dünnkalibriger (3,3 Fr) Angioplastieballone in Situationen mit engen und derben Stenosen weiterhelfen (Freeman 2001). Alternativ kann man mit Bougies, die eine filiforme Spitze aufweisen, in aufsteigendem Durchmesser eine adäquate Aufweitung der Stenose für die Stenteinlage erzielen (. Abb. 36.47). Benigne Stenosen werden in der Regel mit Plastikstents versorgt, da zumindest nicht-ummantelte Metallstents kaum mehr entfernt werden können, und im Falle einer Okklusion, mit der bei längerer Liegezeit zu rechnen ist, zu Ikterus und Cholangitis führen können (Lopez 2001). Die Einlage mehrerer Stents, mit dem Ziel einer möglichst weiten Dehnung der Stenose (. Abb. 36.48) scheint die Erfolgsaussichten weiter zu verbessern (Costamagna et al. 2001; Draganov et al. 2002). Komplikationen. Initial wird die Komplikationsrate des Eingriffes von der Papillotomie (EPT) dominiert, wobei diese seit der Einführung der EPT relativ konstant bei 10% geblieben ist. Dabei dominieren Pankreatitis (5,4%) und Blutung (2%), während verschiedene andere Komplikationen wie Cholangitis und Perforation seltener beobachtet werden (Freeman et al. 1996; Freeman 2002). Gerade aber bei Patienten mit Stenosen kommt der Cholangitis eine besondere Bedeutung zu. Nach Dilatationen beo-
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.48. Röntgenbild (links) und endoskopische Darstellung (rechts) einer Striktur mit mehreren Stents
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bachtet man oft das Auftreten von Fieber, in Folge einer Keimeinschwemmung im Rahmen der Manipulationen. Bei allen stentversorgten Patienten stellen Stentverschluss und -dislokation ein besonderes Problem dar. Mit der Okklusion von Stents ist in Abhängigkeit von der Lumenweite nach 7–32 Wochen zu rechnen. Dislokationen werden in 2–5% aller Fälle beobachtet (Gilbert et al. 1992). Als Folge können zum Teil schwere Cholangitiden auftreten, die einer raschen endoskopischen Reintervention bedürfen. Antibiotikaprophylaxe. Während heute für eine diagnostische
ERCP keine Antibiotikaprophylaxe mehr gefordert wird, empfehlen jedoch nationale und internationale Fachgesellschaften die Durchführung dieser Prophylaxe bei allen Eingriffen an Patienten mit biliären Strikturen, mit anamnestischen Hinweisen für eine vorangegangene Cholangitis und beim Vorliegen von Pankreaspseudozysten. Die ESGE (European Society of Gastrointestinal Endoscopy) empfiehlt sie sogar bei allen therapeutischen Interventionen am Gallengang. Neben der oralen Gabe von Chinolonen wird parenteral die Applikation von Chinolonen, Aminoglykosiden, Cephalosporinen oder Ureidopenicillinen vorgeschlagen (Rey et al. 1998). Perkutan transhepatische Cholangiographie Der perkutane Zugang zu den Gallenwegen wird gewählt, wenn die Papille aufgrund vorangegangener Operationen nicht erreichbar ist, die Intubation des Gallenganges nicht gelingt oder eine Passage der Stenose nicht möglich ist (. Abb. 36.49a, b).
Zunächst wird unter Durchleuchtung der Leberschatten abgegrenzt und die Verschieblichkeit des Zwerchfelles verifiziert. Dann erfolgt im Bereich der mittleren Axillarlinie die Punktion mit einer Chiba-Nadel, wobei die Stichrichtung primär vom Hilus wegzielt. Sobald man einen Gallengang getroffen hat, erfolgt die Kontrastierung des biliären Systems. Man kann dann entweder direkt über die Chiba-Nadel, meistens aber nach erneuter Punktion eines möglichst peripher gelegenen Astes einen Führungsdraht einbringen und diesen möglichst bis in den Dünndarm vorschieben. Darüber wird ein dünnlumiger Katheter platziert und dann ein steifer Führungsdraht für den Einsatz von Bougies eingelegt. Bei uns wird der Trakt in der Regel zunächst bis 10 Fr aufgeweitet und einige Tage später die Dilatation bis 16 Fr mit nachfolgender Einlage einer Drainage (PTCD) vom YamakawaTyp fortgeführt (. Abb. 36.49d–f). Diese perkutanen YamakawaPlastikprothesen können im Hautniveau abgestöpselt werden und reichen distal im Dünndarm über das Treitz-Band.
Gelingt die Passage über die Stenose initial nicht, wird der prästenotische Anteil des biliären Systems nach außen abgeleitet. Nach Entstauung der Gallenwege sind die Aussichten, die Stenose zu passieren, im zweiten Versuch oft günstiger. Sollte die Passage aber selbst dann noch nicht möglich sein, wird der prästenotische Trakt für eine Cholangioskopie (12–16 Fr) aufgedehnt und die Drahtpassage unter Sicht erneut versucht. Alternativ wird in einigen Zentren die Primärpunktion unter sonographischer Kontrolle durchgeführt. Speziell bei der Punktion des linken Leberlappens kann damit die Strahlenbelastung für die Hände des Untersuchers deutlich reduziert werden.
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. Abb. 36.49a–f. Patient mit distaler Gallengangsstenose nach Pankreasteilresektion. a ERC: Kompletter, nicht einmal mit einem Führungsdraht passierbarer Gangabbruch im distalen Choledochus; b PTC: Darstellung des proximal der Stenose gelegenen biliären Systems; c Dilatation in Rendez-vous-Technik; d 16-Fr-Yamakawa in situ; e Prothese wird im Hautniveau abgestöpselt (mit Spülansatz); f nach 6 Wochen bereits sehr erfreuliches Ergebnis
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Komplikationen. Komplikationen treten in bis zu 40% aller Eingriffe auf, wobei am häufigsten (ca. 50%) Fieber und Cholangitis beobachtet werden. Seltener treten relevante Blutungen auf, wobei speziell arterielle Blutungen zu Notfallsituationen führen können. Weiterhin, glücklicherweise selten, sind das Auftreten von Verletzungen der Pleura mit Ergussbildung und Infektion sowie der Pneumothorax (Joseph et al. 1986; Born 1996). Auch in der Langzeitanwendung ist die PTCD nicht unproblematisch. Sondenbrüche sind nach Einführung von Prothesen aus Tecothane nicht mehr zu erwarten, aber Galleaustritt seitlich der Prothese mit zum Teil schweren Hautveränderungen, Schmerzen und Prothesenverschlüsse führen doch bei einem Teil der Patienten zu einer erheblichen Beinträchtigung des Wohlbefindens, das bereits durch die Prothese herabgesetzt ist. Vorzeitige Prothesenwechsel sind bei bis zu 40% aller Patienten erforderlich (Born et al. 1998). Antibiotikaprophylaxe. Wenngleich noch keine Richtlinien vorliegen, sollte doch zumindest im Rahmen der Erstanlage und bei Dilatationen der Gallenwege eine Antibiose prophylaktisch verabreicht werden, da bereits unmittelbar nach der Erstanlage zumindest in der Galle bei 60% der Patienten Keime nachweisbar sind. Einen Tag später steigt die Rate sogar auf 85%, allerdings ist dieser Befund nicht gleichbedeutend mit einer klinisch fassbaren Infektion (Joseph et al. 1986; Rösch et al. 2003). Die Wahl der Antibiotika dürfte ähnlich ausfallen wie bei der ERCP.
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Rendez-vous-Technik Gelingt es mit dem Endoskop, die Papille zu erreichen, nicht jedoch den Gallengang zu intubieren, kann man versuchen, nach vorangegangener perkutan transhepatischer Punktion einen Führungsdraht von außen in den Dünndarm zu schieben und diesen dann zu fassen über das Gerät auszuleiten. Nun können durch die Fixierung von außen wesentlich einfacher Instrumente über den Draht durch das Endoskop, z. B. das Papillotom oder auch Bougies, eingeführt werden. Man kann aber auch nur den Draht festhalten und unter Fixierung von beiden Seiten bougieren, eine Methode, die sich bei sehr derben Stenosen bewährt hat (. Abb. 36.49c). Letztendlich kann man sogar versuchen, beim Vorliegen einer kompletten Stenose durch Einführen eines Drahtes über das Endoskop und gleichzeitigen Passageversuchen über ein perkutan eingeführtes Cholangioskop wieder eine Verbindung herzustellen (Petzold et al. 2001). Als Alternative zu der bei kompletter Durchtrennung des Gallenganges aber meist doch erforderlichen Anlage einer biliodigestiven Anastomose wurde bei uns intraoperativ vom Operateur ein perkutan eingebrachter Führungsdraht über eine bislang nicht passierbare längere komplette Stenose in den Dünndarm geschoben, der Defekt lokal gedeckt und dann die Stenttherapie wie beschrieben fortgesetzt. Sollte sich der bislang beobachtete gute Verlauf auch langfristig bestätigen lassen, wäre diese chirurgisch assistierte endoskopische Drainage eine Alternative zur herkömmlichen Anastomosenanlage (Born 2005). 36.9.5 Postoperative Strikturen Cholezystektomie Epidemiologie. Strikturen nach Cholezystektomie sind insgesamt selten. Nach konventioneller CHE werden sie in ca. 0,2%
und nach laparoskopischer CHE in 0,3–0,6% der Fälle beobachtet (Lillemoe 1997). Für unsere Belange ist es dabei unerheblich, ob die Zunahme an Komplikationen nach laparoskopischer CHE im Vergleich mit der konventionellen nur ein Effekt der Lernphase oder doch methodenbedingt ist (Mathisen et al. 2002). Trotz des prozentual gesehen geringen Auftretens sind diese Strikturen in endoskopischen Zentren durchaus kein seltenes Problem, was auf die Häufigkeit dieser Operationen zurückzuführen ist. Nach konventioneller CHE sollte sich die Mehrzahl der Strikturen einige Wochen bis 6 Monate nach der Operation manifestieren, während Verletzungen nach der laparoskopischen Methode bereits intraoperativ bemerkt werden, bzw. die Läsionen sich frühzeitiger postoperativ bemerkbar machen (Lillemoe 1997). Klinische Symptomatik. Klinische Hinweise sind Schmerzen, Fieber, und Anstieg der Cholestaseparameter. Diagnostik. Der diagnostische Goldstandard bei Verdacht auf
Cholangitis ist die Cholangiographie, primär endoskopisch retrograd. Bei weiterer Verbesserung der Abbildungsqualität könnte die MRC die ERC ablösen, wobei allerdings die Endoskopie den Vorteil der Möglichkeit einer sofortigen therapeutischen Intervention bietet. Therapie. Therapeutisch stehen neben der Reparaturoperation oder einer biliodigestiven Anastomose die endoskopische und ggf. die perkutan transhepatische Stenttherapie zur Verfügung, sowie die Ballondilatation, die über beide Zugangsmöglichkeiten angewandt werden kann. Zur Aufrechterhaltung des Dilatationserfolges legt man nach der Dilatation meist noch einen Stent ein. Ergebnisse. Liegt eine komplette Durchtrennung des Choledochus vor, sind allerdings diese Maßnahmen nur in Ausnahmefällen erfolgversprechend (Prat et al. 1997; Baron et al. 2003). Handelt es sich dagegen um eine Striktur, dann liegt die technische Erfolgsrate bei ca. 90% (Prat et al. 1997; Born et al. 1999). Damit sind die Ergebnisse auch im direkten Vergleich, denen chirurgischer Eingriffe als ebenbürtig anzusehen. Die Frühkomplikationsrate bei endoskopisch behandelten Patienten ist niedriger als bei operierten, während mit zunehmender Beobachtungszeit endoskopisch behandelte Patienten häufiger Probleme, zumeist in Zusammenhang mit den Stents haben. Die Langzeiterfolgsrate ist jedoch wieder in beiden Gruppen gleich (Davids et al. 1993; de Palma et al. 2003). Als Konsequenz dieser Daten ist bei den meisten Patienten zunächst ein endoskopischer Therapieversuch gerechtfertigt.
Die Langzeitergebnisse nach endoskopischer Therapie zeigen, dass die Stenttherapie, zumindest wenn sie ca. 1 Jahr lang konsequent durchgeführt wurde (Huibregtse et al. 1989; Born et al. 1999; Bergman 2001; Costamagna 2001), bei 50– 90% aller Patienten einen anhaltenden Erfolg ermöglicht.
Bei diesen Zahlen muss aber eingeräumt werden, dass eine endgültige Bewertung erst möglich sein wird, wenn die Nachbeobachtungszeiten entsprechend lange sind. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass in der Bergman-Studie, die sich über einen Beobachtungszeitraum von mehr als 10 Jahren erstreckt,
603 36.9 · Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen
36
alle Rezidive bereits in den ersten beiden Jahren nach Stententfernung aufgetreten sind (Bergman 2001). Diese Daten beziehen sich auf Plastikstents. Mittlerweile gibt es auch eine Vielzahl an Erfahrungsberichten zu Metallstents, die jedoch sehr kontrovers interpretiert und diskutiert werden. Solange keine größeren Vergleichsstudien vorliegen sollte man dem Einsatz von Metallstents bei benignen Strikturen jedoch noch sehr vorsichtig gegenüberstehen (Ikeda et al. 2004), denn die eingeschränkte Entfernbarkeit mit der Gefahr, später evtl. notwendig werdende Operationen zu komplizieren, und das potenzielle Infektionsrisiko stellen schwer einzuschätzende Risiken dar. Eine erste kleine Vergleichsstudie (Dumonceau et al. 1998) zeigt dann auch Vorteile zu Gunsten von Plastikstents. Biliodigestive Anastomosen Restenosierungen von biliodigestiven Anastomosen, wie beispielsweise nach Sekundäreingriffen in Folge biliärer Komplikationen, aber auch nach Primäroperationen (z. B. nach WhippleOperation) machen in vielen Fällen einen endoskopischen Eingriff unmöglich, da die Papille mit dem Endoskop nicht mehr erreichbar ist. Diese Fälle sind die klassischen Indikationen für die PTC, gefolgt von einer Ballondilatation oder Bougierung mit abschließender Stenteinlage (. Abb. 36.50; PTCD). Dabei wird man im Gegensatz zu früher die Einlage dicklumiger Prothesen (meistens 16 Fr) mit der Spitze weit im Dünndarm anstreben. Diese sog. Yamakawa-Prothesen können im Hautniveau abgestöpselt werden und reduzieren damit die Behinderung des Patienten. Eine regelmäßige Spülung ist erforderlich. Die Erfolgsraten sind zumindest gleichwertig verglichen mit der ERC (Born et al. 1999; Schuhmacher 2001). Schwierig ist das Procedere nach Rückbildung der Stenose, denn wenn der perkutane Stent entfernt ist, muss im Falle eines Stenosenrezidivs der transhepatische Trakt neu angelegt werden. Derzeit werden versuchsweise gekürzte Prothesen, deren Spitze proximal der früheren Stenose liegt, oder sehr dünne Katheter, die keine Drainagefunktion mehr haben, als sog. Platzhalter eingelegt. Erst wenn sich nach einer Beobachtungszeit von einigen Monaten keine Restenosierungstendenz zeigt wird der Trakt aufgegeben, ansonsten kann man nach Dilatation des erhaltenen Traktes leichter wieder eine dicke Prothese einlegen. Leberteilresektion Gallenwegsstrikturen und Stenosen an biliodigestiven Anastomosen sind gefürchtete Komplikationen nach Leberteilresektionen. Das Vorgehen entspricht dem in den vorangegangen 2 Abschnitten abgehandelten. Lebertransplantation Epidemiologie. Gallengangsstrikturen, im Bereich oder außerhalb der Anastomose am Spendercholedochus sind neben Leckagen die häufigsten Komplikationen (10–35%) am Gallengang (Rossi et al. 1998; Bacchella 2004). Sie treten überwiegend innerhalb der ersten 3 Monate postoperativ auf (Rizk et al. 1998). Klinische Symptomatologie. Hinweise sind ein Anstieg der Cholestaseparameter (75%) und seltener eine Cholangitis (17%; Rizk et al. 1998). Therapie. Nach endoskopischer Darstellung der Stenose und EPT erfolgt die Einlage dicklumiger Plastikprothesen (. Abb. 36.51) nach vorangegangener Ballondilatation.
a
b . Abb. 36.50a,b. Biliodigestive Anastomose. a Restenosierung einer mit massivem Aufstau des biliären Systems und Steinbildung; b Versorgung einer Anastomosenstenose mittels PTCD, die durch einen okkludierten Metallstent verläuft
Ergebnisse. Sowohl die kurzfristigen Ergebnisse mit Erfolgsraten bis 100% als auch die Langzeitergebnisse mit Werten über 70% sind zufriedenstellend (Rerknimitr et al. 2002; Park et al. 2003). Zudem hat die endoskopische Therapie offensichtlich keinen negativen Einfluss auf das Überleben von Patienten und Spenderorgan (Rossi et al. 1998; Rizk et al. 1998; Pfau et al. 2000; Schwartz et al. 2000; Mahajani et al. 2000; Morelli et al. 2003). Ischämische Stenosen. Eine weitere Komplikation in Zusammenhang mit der Lebertransplantation stellt das Auftreten ischämischer Stenosen dar. In einer großen Serie von über 1000 Lebertransplantationen wurde (Hintze et al. 1999) diese Art von Stenosen bei 2,4% aller Patienten gefunden. Nach der Lokalisation werden 3 Typen unterschieden:
604
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
4 Typ I: Stenosen nur extrahepatisch 4 Typ II: Stenosen zirkumskript intrahepatisch 4 Typ III: multiple intra- und extrahepatische Stenosen In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass bei zumindest 50% aller endoskopisch mit Stent und/oder Ballon behandelten Patienten im Beobachtungszeitraum von 3 Jahren eine Retransplantation vermieden werden konnte. Naturgemäß sind umschriebene und möglichst extrahepatisch gelegene Stenosen für die endoskopische Therapie besser geeignet.
36.9.6 Chronische Pankreatitis Epidemiologie. Bei 10–47% aller Patienten mit chronischer Pankreatitis tritt eine Obstruktion des Gallenganges auf, wobei eine Vergrößerung des Pankreaskopfes, fibrotische Veränderungen oder Pankreaspseudozysten als wesentliche Ursachen angesehen werden (Huibregtse et al. 1994). Therapie. Ikterus, Schmerzen und Cholangitis sind die klinischen Manifestationen, die die Indikation für eine Therapie mit Stents darstellen. Da aber auch bei beschwerdefreien Patienten in fast 10% aller Fälle eine Cholangitis auftritt oder sich eine sekundar biliäre Zirrhose entwickelt, wird bei allen Patienten mit einer Stenose eine Drainage angestrebt. Ergebnisse. Die technischen Erfolgsraten der Endoskopie sind mit
36 a
b . Abb. 36.51a,b. a Anastomosenstenose nach Lebertransplantation; b Stenttherapie
bis zu 100% sehr hoch (. Abb. 36.52). Die Akutkomplikationen, zumeist eher leichterer Art, liegen bei etwa 18%, wobei Verschlechterung der Pankreatitis, Blutung, Fieber und Zunahme der Schmerzen ungefähr gleich häufig auftreten (Huibregtse et al. 1994). Die Langzeitergebnisse der Stenttherapie sind allerdings enttäuschend. Bei allenfalls einem Drittel aller behandelten Patienten ist es auf Dauer möglich ohne Stents auszukommen (Huibregtse et al. 1994; Gottlieb et al. 1996; Born et al. 1998). Für die Mehrzahl der Patienten ist mittelfristig eine Operation erforderlich, wenn sie sich nicht einer fortgesetzten Stenttherapie mit regelmäßigen Stentwechseln unterziehen. Für junge Patienten ist diese Behandlungsform jedoch problematisch. Eine belgische Arbeitsgruppe (Deviere et al. 1994) hat deshalb Metallstents in den Gallengang eingesetzt und berichtet bei 90% aller Patienten nach einer Nachbeobachtung von im Median 33 Monaten über eine suffiziente Stentfunktion. In einer weiteren kleinen Serie (van Berkel et al. 2004) wird bei einem Follow-up von 50 Monaten eine Erfolgsquote von 69% beschrieben, wobei aber auch bei den erfolgreich therapierten Patienten teilweise bereits Folgeinterventionen notwendig geworden waren. Letztlich muss man dem Einsatz von Metallstents – zumindest der nicht ummantelten, die nur sehr schwer wieder entfernbar sind – bei benignen Erkrankungen und jungen Patienten mit einem gewissen Vorbehalt gegenüber stehen. Aufschlussreich werden sicherlich die Ergebnisse nach längerer Nachbeobachtungszeit. Deshalb verdienen einige Studien (Pozsar et al. 2003; Bordos et al. 2003), die den Effekt des multiplen Stenting (Einlage mehrerer Plastikstents nebeneinander) bei dieser Fragestellung untersuchten und bei einem allerdings kürzerem Follow-up von 9–21 Monaten ebenfalls Erfolgsraten von 60–78% beschrieben, eine besondere Aufmerksamkeit. Auch hier gilt es Langzeit- und Vergleichsdaten abzuwarten, zumal diese Studien erst in Abstractform publiziert sind. Nicht übersehen werden sollten, obwohl die meisten Studien nur kleine Patientenzahlen umfassen, die guten Langzeitergebnisse der chirurgischen Therapie, auch im direkten Vergleich mit der endoskopischen Behandlung (Smits et al. 1996; Born et al. 1998). Dies muss bei der Beratung der Patienten unbedingt berücksichtigt werden.
Die endoskopische Stenteinlage ist derzeit in der Primärtherapie sicherlich indiziert; für die Langzeitbehandlung sollte jedoch unbedingt ein Abwägen von Für und Wider von Stenttherapie und Operation erfolgen.
605 36.9 · Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen
36
. Abb. 36.52. Chronische Pankreatitis mit Stenosierung des distalen Gallenganges und des Pankreasganges im Kopfbereich – Drainage beider Gänge
Ein weiteres Problem stellt die Dignität der Striktur, d. h. die Differenzialdiagnose chronische Pankreatitis/Pankreaskarzinom dar. Denn trotz moderner Bildgebung und morphologischer Darstellung ist eine eindeutige Differenzierung zwischen chronischer Entzündung und Malignom in manchen Fällen nicht möglich. Ferner muss in der Langzeitbetreuung der Patienten mit chronischer Pankreatitis das erhöhte Entartungsrisiko berücksichtigt werden. 36.9.7 Primär sklerosierende Cholangitis Die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) ist eine chronisch, fortschreitende, entzündlich fibrosierende Erkrankung der intraund extrahepatischen Gallenwege ungeklärter Genese, die letztlich zur biliären Zirrhose führt (Martin et al. 1990; Wagner et al. 1996). Ikterus und Anstieg der Cholestaseparameter sind Leitsymptome. Therapie. Die endoskopischen Interventionsmöglichkeiten mit Ballondilatation, Stenteinlage und wie in einer Studie berichtet (Wagner et al. 1996), Kochsalzspülung über eine nasobiliäre Sonde sind auf dominante Stenosen, möglichst zentral oder extrahepatisch gelegen beschränkt (. Abb. 36.53). In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass auf diese Weise eine Verbesserung des Befindens und der Laborparameter erreicht werden kann (van Milligen de Wet 1996; Wagner et al. 1996). Wiederholte endoskopische Interventionen bei Patienten mit dominanten Stenosen scheinen sogar die Überlebenszeit der Patienten verlängern zu können (Baluyut et al. 2001). Die aussichtsreichste Therapie ist jedoch die Lebertransplantation (Martin et al. 1990). Schwierig ist die Festlegung des Zeitpunktes für die Lebertransplantation, wegen des Entartungsrisikos der PSC.
. Abb. 36.53. PSC mit typischen Veränderungen an den kleinen Gallenwegen und dominanter Striktur des Choledochus
606
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Lokale fibrosierende Cholangitis. Speziell bei Hilusstenosen
stellen umschriebene fibrosierende Cholangitiden die wichtigste Differenzialdiagnose zu den Klatskintumoren dar und bereiten große diagnostische Schwierigkeiten. In 13–38% (Verbeek 1992; Izbicki 1995) von Hepatikusgabelstenosen findet sich diese benigne Veränderung. Diese Tatsache ist bei der Therapieplanung zu berücksichtigen, wenn beispielsweise palliativ ohne histologische Sicherung der Diagnose Metallstents eingelegt werden sollen, die bei längerer Überlebenszeit des Patienten okkludieren können und damit Schwierigkeiten bereiten. Entzündliche Strikturen der extrahepatischen Gallenwege.
Möglicherweise eine Variante der PSC stellen nicht traumatische, umschrieben fibrosierende entzündliche Strikturen der extrahepatischen Gallenwege dar (Standfield 1989). Die wenigen bislang berichteten Patienten wiesen nach operativer Therapie eine gute Langzeitprognose auf.
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36.10
Reinterventionen an den Gallenwegen J.R. Siewert, H. Feussner
) ) Auch heute noch sind Gallenwegsläsionen für den Patienten oft schicksalsbestimmend und führen nicht selten nach langen schweren Krankheitsverläufen zum Tode. Am häufigsten werden sie bei der offenen und der laparoskopischen Cholezystektomie verursacht (Clavien 1992; Hannan et al. 1999; MacFadyen et al. 1998; Orlando et al. 1993; Roslyn et al. 1993). Von geringerer Bedeutung sind instrumentelle Verletzungen im Rahmen von Endoskopien, Anastomosenkomplikationen nach Lebertransplantationen (Abt et al. 2003) oder unfallbedingten Schädigungen. Jede Schädigung der Gallenwege erfordert stets eine sachkundige Versorgung durch entsprechend erfahrene und geübte Zentren, um die kritische Prognose möglichst günstig zu beeinflussen. Selbst dann sind dennoch Reinterventionen häufig erforderlich. Per definitionem werden darunter alle invasiven Maßnahmen im Anschluss an einen bereits abgeschlossenen Eingriff am Gallenwegssystem verstanden. Reparative Maßnahmen von Läsionen im Rahmen des Primäreingriffes gehören streng genommen nicht zu den Reinterventionen. Reinterventionen an den Gallenwegen sind heute längst nicht mehr allein die Domäne der Chirurgie. Endoluminale interventionelle Maßnahmen (endoskopisch-retrograd oder transhepatisch) können bei bestimmten Indikationen ausreichend sein. Es hat sich gezeigt, dass ein wohlabgewogener Einsatz verschiedener therapeutischer Ansätze je nach Schädigungsmuster die Effizienz der Behandlung insgesamt verbessern kann (Doctor et al. 1998; Nordin et al. 2002; Nuzzo et al. 2005).
36.10.1 Unspezifische postoperative Symptome Ein nicht unbeträchtlicher Teil cholezystektomierter Patienten (10–30%) wird nach dem Eingriff nicht beschwerdefrei (Niranjan et al. 2000; Wilson u. Macintyre 1993). Für persistierende Be-
607 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
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36
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36.10
Reinterventionen an den Gallenwegen J.R. Siewert, H. Feussner
) ) Auch heute noch sind Gallenwegsläsionen für den Patienten oft schicksalsbestimmend und führen nicht selten nach langen schweren Krankheitsverläufen zum Tode. Am häufigsten werden sie bei der offenen und der laparoskopischen Cholezystektomie verursacht (Clavien 1992; Hannan et al. 1999; MacFadyen et al. 1998; Orlando et al. 1993; Roslyn et al. 1993). Von geringerer Bedeutung sind instrumentelle Verletzungen im Rahmen von Endoskopien, Anastomosenkomplikationen nach Lebertransplantationen (Abt et al. 2003) oder unfallbedingten Schädigungen. Jede Schädigung der Gallenwege erfordert stets eine sachkundige Versorgung durch entsprechend erfahrene und geübte Zentren, um die kritische Prognose möglichst günstig zu beeinflussen. Selbst dann sind dennoch Reinterventionen häufig erforderlich. Per definitionem werden darunter alle invasiven Maßnahmen im Anschluss an einen bereits abgeschlossenen Eingriff am Gallenwegssystem verstanden. Reparative Maßnahmen von Läsionen im Rahmen des Primäreingriffes gehören streng genommen nicht zu den Reinterventionen. Reinterventionen an den Gallenwegen sind heute längst nicht mehr allein die Domäne der Chirurgie. Endoluminale interventionelle Maßnahmen (endoskopisch-retrograd oder transhepatisch) können bei bestimmten Indikationen ausreichend sein. Es hat sich gezeigt, dass ein wohlabgewogener Einsatz verschiedener therapeutischer Ansätze je nach Schädigungsmuster die Effizienz der Behandlung insgesamt verbessern kann (Doctor et al. 1998; Nordin et al. 2002; Nuzzo et al. 2005).
36.10.1 Unspezifische postoperative Symptome Ein nicht unbeträchtlicher Teil cholezystektomierter Patienten (10–30%) wird nach dem Eingriff nicht beschwerdefrei (Niranjan et al. 2000; Wilson u. Macintyre 1993). Für persistierende Be-
608
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
schwerden sind häufig organische Erkrankungen der Leber, der Bauchspeicheldrüse und des Gastrointestinaltrakts verantwortlich, insbesondere Ulcera duodeni bzw. die gastroösophageale Refluxkrankheit (Terhaar 2005). Ebenso können funktionelle gastrointestinale Ursachen auslösend sein. Nicht ganz selten spielen auch psychosomatische bzw. psychiatrische Aspekte eine Rolle (Jess et al. 1998; Stefaniak et al. 2004).
Eine interventionelle oder gar operative Reintervention an den Gallenwegen ist in den wenigsten Fällen erforderlich bzw. sinnvoll.
36.10.2 Residual- und Rezidivsteine, Störungen
der Papillenfunktion
36
In etwa 0,1–1,2% der Fälle werden nach Cholezystektomie im Langzeitverlauf Residualkonkremente gefunden (Charfare u. Cheslyn-Curtis 2003; Duca et al. 2004). Der postoperative Verdacht auf belassene oder neugebildete Gallenwegskonkremente ist heute eine Indikation für die kernspintomographische Darstellung der Gallenwege (MRCP). In Abhängigkeit vom Befund ergibt sich die Indikation für die endoskopisch retrograde Choledochographie bzw. -skopie. Belassene Konkremente können auf diese Weise zuverlässig geborgen werden. Nur ganz ausnahmsweise ist eine offen-chirurgische Revision erforderlich. Echte Steinneubildungen in den Gallenwegen, also echte Rezidivsteine, sind außerordentlich selten. Die Häufigkeit wird mit höchstens 1% angegeben (Gilleland u. Traverso 1990; Ros u. Zambon 1987). Normalerweise reicht der ständige Spülstrom der Galle aus, um einer erneuten Konkrementbildung vorzubeugen. Nur bei Abflusshindernissen im Bereich des Gallengangs und der Papille und bei rezidivierender Cholangitis können gelegentlich Pigmentsteine neu auftreten. Auch hier ist die ERCP mit Papillotomie und Steinextraktion in über 95% der Fälle erfolgreich (Zhou et al. 2003). Eine Ausnahme stellt die primär intrahepatische Cholelithiasis dar, die jedoch in den Ländern der westlichen Hemisphäre außerordentlich selten ist. 36.10.3 Zystikusstumpfsyndrom Vor der Einführung der endoskopisch-retrograden Cholangiographie wurde dem »zu langen« Zystikusstumpf ein Krankheitswert beigemessen, wenn nach Cholezystektomie Beschwerden (weiter) bestanden (Shaw et al. 2004). Im Allgemeinen geht man heute davon aus, dass auch der »lange« Zystikusstumpf funktionell bedeutungslos ist. Er findet sich beim symptomatischen wie beim asymptomatischen Patienten in gleicher Häufigkeit (Bodvall u. Övergard 1966). Ob Zystikusverschlusssteine im verbliebenen Stumpf wirklich Beschwerde machen, wenn das vorgeschaltete kontraktile Element fehlt, bleibt unklar. Die Entfernung mittels ERCP bereitet jedenfalls in der Regel keine Schwierigkeiten (Zhou et al. 2003). Anders ist es, wenn tatsächlich Reste des Infundibulums oder gar des Gallenblasenkorpus verblieben sind. In diesen Fällen ist eine Reintervention bzw. Nachresektion ohne Zweifel indiziert, die prinzipiell auch laparoskopisch durchgeführt werden kann (Chowbey et al. 2003; Daly et al. 2002).
Das Phänomen »Neurinom im Zystikusstumpf« ist wohl eher eine Verlegenheitsdiagnose bzw. ein Zufallsbefund bei erfolgter Nachresektion des D. cysticus. 36.10.4 Klassifikation der Gallenwegsläsionen Von entscheidender klinisch-praktischer Bedeutung sind Gallenwegsläsionen, die direkt oder indirekt durch den chirurgischen Eingriff (in der Regel die Cholezystektomie) gesetzt wurden (Carrol et al. 1998). Die klinische Manifestation ist sehr unterschiedlich und kann von der einfachen postoperativen Gallenfistel bis zur Stenosierung mit schwerstem Ikterus, Cholangitis und galliger Peritonitis reichen. Diesen Symptomen kann eine einfache Insuffizienz des D. cysticus, aber auch eine tangentiale Läsion des D. hepatocholedochus oder gar eine partielle Resektion des Hauptgallengangs zugrunde liegen. In Anbetracht der erheblichen und zum Teil sehr unterschiedlichen therapeutischen Konsequenzen ist hier eine möglichst exakte Klassifizierung der verantwortlichen Läsion erforderlich. Die am häufigsten verwendete Klassifikation, die allerdings nur Gallengangsstrikturen einschließt und die Pathogenese nicht mit berücksichtigt, stammt von Bismuth und Lazorthes (. Abb. 36.54; Bismuth u. Lazorthes 1981). Hierbei wird ausschließlich die Höhenlokalisation als Kriterium benutzt: 4 Typ I: Stenose unterhalb der Zystikuseinmündung 4 Typ II: mittlere Stenosen bis in den Bereich des D. hepaticus communis 4 Typ III: hohe Stenosen, die die Hepatikusgabel zwar erreichen, sie aber noch nicht miteinbeziehen 4 Typ IV: Stenosen der Bifurkation mit verschiedenen Varianten 4 Typ V: Stenose eines atypischen rechten Gallengangs mit oder ohne Beteiligung der Bifurkation Mit der Einführung der laparoskopischen Operationstechnik gewannen Gallengangsläsionen und ihre Behandlung eine neue Aktualität, wobei deutlich wurde, dass die bisherigen Klassifikationsversuche nicht mehr ausreichten. Abgesehen davon, dass eine rein höhenbezogene Klassifikation keinen Aufschluss über die Entstehung der Läsion erlaubt, können mit einer derartigen Klassifikation auch die Vielzahl anderer Schäden wie Gallelecks usw. nicht erfasst werden. Auch Gallenwegsdefekte, die (noch) nicht zu einer Stenose geführt haben, lassen sich streng genommen nicht nach Bismuth klassifizieren. Das Bedürfnis nach einer geeigneteren Klassifikation wurde zudem in der Ära der laparoskopischen Cholezystektomie dadurch noch deutlicher, dass sich ganz offensichtlich das bisherige Spektrum der Gallenwegsläsionen, wenn nicht qualitativ, so doch quantitativ erheblich wandelte.
Im Vergleich zu früheren Untersuchungen (Andren-Sandberg et al. 1985) nahmen große Defektläsionen der Gallenwege zweifellos sowohl absolut wie auch relativ zu.
In den 90er-Jahren wurden daher zahlreiche neue Klassifikationen vorgeschlagen, die jedoch entweder zu detailliert waren, um für den klinischen Gebrauch sinnvoll anwendbar zu sein (Olsen 1997; Soper et al. 1995; Targarona et al. 1998) oder zu sehr ver-
36
609 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
. Abb. 36.54. Klassifikation der Gallenwegsstrikturen nach Bismuth
I
II
III
IV
V
. Tabelle 36.2. Klassifikation für Gallenwegsläsionen bei laparoskopischer Cholezystektomie Typ I
Postoperative Gallenfistel, z. B. Zystikusstumpfinsuffizienz, akzessorische Gallengänge
Typ II
Spätstenosierung des Ductus hepatocholedochus
Typ III
Tangentiale Läsion, unterschieden nach: 5 Typ IIIa: mit Kompromittierung der arteriellen Durchblutung 5 Typ IIIb: ohne Beeinträchtigung der Durchblutung
Typ IV
Defektläsion: biliäre Läsion mit mehr oder weniger langstreckigen Defekten des Ductus hepatocholedochus, unterschieden nach: 5 Typ IVa: Defektläsion mit Kompromottierung der arteriellen Durchblutung 5 Typ IVb: Defektläsion ohne Beeinträchtigung der arteriellen Durchblutung
einfachten, sodass sie den spezifischen Gegebenheiten nicht ausreichend Rechnung tragen (Mc Mahon et al. 1995; Wherry et al. 1996). Wir haben daher eine eigene Klassifikation vorgeschlagen (Siewert et al. 1994), die sich – einschließlich späterer Modifikationen (Neuhaus 2000) – besonders im deutschen Sprachraum bereits weitgehend durchgesetzt hat und die den speziellen Umständen der laparoskopischen Cholezystektomie im besonderen Maß Rechnung trägt (. Tab. 36.2). Diese Klassifikation umfasst 4 verschiedene Formen, deren Schwere von I bis IV zunimmt (. Abb. 36.55). Die Gallenwegsläsion Typ I umfasst Gallenfisteln infolge einer Zystikusstumpfinsuffizienz bzw. durch die Eröffnung aberrierender Gallengänge, während der Typ II die sog. Spätstenosen beinhaltet. Bei Typ III liegt eine tangentiale Läsion des Hauptgallengangs vor; bei Typ IV erfolgte eine partielle Resektion des Ganges. Bei den beiden letztgenannten Formen wird zusätzlich differenziert, ob eine Gefäßläsion vorliegt oder nicht. Gefäßlä-
I
II
III
IV
. Abb. 36.55. Klassifikation der Gallenwegsläsionen. (Nach Siewert u. Feussner 1993)
sionen betreffen meist die A. hepatica dextra, seltener die A. hepatica propria. Sie erschweren in jedem Fall eine etwaige Reintervention, da evtl. mit einer verstärkten Kollateralisation zu rechnen ist und in jedem Fall eine weitere Kompromittierung der Leberversorgung durch den Reeingriff vermieden werden muss.
610
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Unter Umständen wird die Resektion des ischämischen (rechten) Leberlappens erforderlich. Gallenwegsläsion Typ I Es handelt sich um eine »einfache« Gallenfistel durch die Eröffnung peripherer kleinerer Gallengänge, z. B. im Bereich des Leberbetts oder infolge einer Zystikusstumpfinsuffizienz. Bei den großen anatomischen Variationen im Bereich der ableitenden Gallenwege ist die unbeabsichtigte Eröffnung kleiner sog. aberrierender Gallengänge bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar, da bei der Präparation im Calot-Dreieck oder im Gallenblasenbett eine Unterscheidung von kleinen Venen oder Bindegewebsstrukturen meist nicht möglich ist. Gelegentlich kann man eröffnete aberrierende Gallengänge bei der abschließenden Kontrolle der Resektionsfläche an dem diskreten Galleaustritt erkennen und mit einem Clip verschließen (Wright u. Wellwood 1998), doch stellt dies eher eine Ausnahme dar. Zystikusstumpfinsuffizienzen treten auf, wenn der D. cysticus primär unzureichend verschlossen wurde oder wenn die Clips sekundär dislozieren (»abrutschen«). Die Gefahr der Zystikusstumpfinsuffizienz nimmt zu, wenn nur ein statt wie normalerweise üblich 2 Clips gesetzt wurden. Clips sollten annähernd rechtwinklig zur Achse des D. cysticus platziert werden. Clips mit speziellen Verschlüssen (in der Regel absorbierbare Clips) scheinen einen besseren Verschluss zu gewährleisten als Metallclips.
36
. Abb. 36.56. Röntgenologische Darstellung einer Gallenwegsläsion vom Typ I
Unabhängig davon muss in jedem Fall von Zystikusstumpfinsuffizienz abgeklärt werden, ob eine periphere Störung des Galleabflusses vorliegt, da eine Clipdislokalisation immer auch als Hinweis auf einen erhöhten Druck in den Gallenwegen gewertet werden muss.
Klinische Symptomatologie. Klinisch sind Patienten mit Galleleck in der unmittelbaren postoperativen Phase meist völlig unauffällig. Deshalb ist es gerade bei kurzzeitstationär behandelten Patienten wichtig, Galleleckagen rechtzeitig vor Entlassung aus der stationären Behandlung auszuschließen Diagnostik. Wegweisend in der Diagnostik ist der Abfluss von
Galle über die eingelegte Wunddrainage, der bereits in den ersten 24 Stunden nach dem Eingriff zu beobachten ist. Bei gestörtem Abfluss nach außen findet sich laborchemisch meist ein rascher, isolierter Anstieg des Bilirubins bei unauffälligen Cholostaseanzeigenden Enzymen. Sonographisch ist ein Flüssigkeitsverhalt perihepatisch sichtbar, sofern nicht durch die Drainageflüssigkeit bereits ein eindeutiger Hinweis besteht. Wurde nicht primär eine Drainage gelegt bzw. wurde diese zum Zeitpunkt der sonographischen Untersuchung bereits gezogen, muss die Qualität des Verhalts mittels einer sonographisch gesteuerten Punktion gesichert werden.
611 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
36
Im nächsten Schritt hat eine endoskopisch-retrograde Darstellung der Gallenwege durch einen ausreichend erfahrenen Untersucher zu erfolgen. Zystikusstumpfleckagen können meist auf Anhieb erkannt werden, während Lecks aus kleineren Gallengängen manchmal erst nach erneutem Anspritzen mit Kontrastmittel und sorgfältiger Beobachtung des Ablaufs gesehen werden (. Abb. 36.56). Therapie. Das Therapieprinzip besteht bei Läsionen des Typs I
darin, den Galleabfluss per vias naturales soweit wie möglich zu erleichtern, sodass sich die Fistel spontan schließen kann. Gelegentlich kann hier bereits die endoskopische Sphinkterotomie ausreichend sein. Häufig empfiehlt sich jedoch auch die Einlage einer nasobiliären Sonde bzw. eines Stents (Marks et al. 1998). Innerhalb weniger Tage verschließt sich die Fistel und der Stent kann bei guten Langzeitergebnissen entfernt werden (Ryan u. Goff 1998). Relativ selten ist eine chirurgische Reintervention erforderlich, die u. U. auch laparoskopisch erfolgen kann (Woods 1994). Gallenwegsläsion Typ II So genannte Spätstenosen der Gallenwege, die im Vergleich zu den anderen 3 Typen von Gallengangsläsionen seltener auftreten, sind dadurch gekennzeichnet, dass Operateur und Patient den Eingriff und den unmittelbaren postoperativen Verlauf als unauffällig empfinden. Erst Wochen oder Monate nach dem Eingriff treten allmählich Zeichen der beginnenden Cholostase auf. Als Ursache wird eine lokale Ischämie des Gallengangs angesehen, die – sofern sie nicht unmittelbar zu einer lokalen Nekrose mit Gallenaustritt führt – eine mehr oder weniger heftige entzündliche Reaktion mit späterer narbiger Schrumpfung des Ganges auslöst (. Abb. 36.57; Richardson et al. 1996). Kausal kommen die scharfe Präparation an der Gallengangswand oder thermische Schäden durch Elektrokoagulation in Betracht.
. Abb. 36.57. Thermo-ischämische Schädigung des Hauptgallengangs als Ursache der sog. Typ-II-Läsion
Gallenwegsläsionen Typ III Tangentiale Läsionen der Gallenwege werden ähnlich wie der Typ I innerhalb der ersten postoperativen Tage auffällig, sofern sie nicht bereits intraoperativ entdeckt wurden. Verursacht werden derartige Läsionen durch eine zu gallengangsnahe scharfe Präparation. Klinische Symptomatologie. Klinisch stehen die Zeichen einer
Klinische Symptomatologie. Klinisch ist der Patient zunächst
völlig beschwerdefrei. Als erste Zeichen der beginnenden Cholostase werden häufig ein unspezifisches Druckgefühl im rechten Oberbauch, Ikterus und/oder Juckreiz angegeben, die ihn dann wieder dazu veranlassen, den Arzt aufzusuchen. Diagnostik. Laborchemisch sind die Cholestase-anzeigenden
Enzyme stets deutlich erhöht, während das Bilirubin nicht selten nur mäßig erhöht ist. Sonographisch wird immer eine Erweiterung der intrahepatischen Gallengänge nachgewiesen. Diese Befundkonstellation erfordert immer die Durchführung einer ERCP (. Abb. 36.58). Alternative Abklärungsversuche mittels der intravenösen Cholangiographie oder der MRCP sind bei einer klaren Befundkonstellation nutzlos und überflüssig. Therapie. Da bisher noch keine verlässlichen Kriterien gefunden werden konnten, mit denen vorausgesagt werden kann, ob eine konservative Behandlung mit einer Bougierung und einer anschließenden Stenteinlage erfolgversprechend ist oder nicht, wird die Behandlung zunächst konservativ-interventionell erfolgen. Wenn endoluminale Behandlungsversuche auch nach Ablauf eines Jahres erfolglos sind, ist in der Regel die chirurgische Therapie indiziert (Davidoff et al. 1991).
Galleleckage im Vordergrund. Bei subtotaler oder totaler Stenosierung stehen dominieren dagegen die Zeichen der Cholostase. Diagnostik. Bilirubin (ca. 1 mg/% pro Tag) und Cholostase-anzeigende Enzyme steigen zwar nur mäßig, aber kontinuierlich an. Der nächste Schritt muss wiederum in der Durchführung einer ERCP bestehen, mit der die zugrundeliegende Läsion rasch geklärt werden kann (. Abb. 36.59). Therapie. Rein konservative Therapieversuche sind bei tangentialen Läsionen wahrscheinlich weniger zweckmäßig. In Ausnahmefällen können obstruierende Clips durch eine Dilatation abgeschoben und der freie Abfluss wiederhergestellt werden, ebenso wie gelegentlich subtotale tangentiale Durchtrennungen durch einen Stent oder eine nasobiliäre Sonde wieder überbrückt werden können. In der Regel ist hier aber eine chirurgische Reintervention erforderlich. Sofern intraoperativ kein wesentlicher Defekt des Hauptgallengangs gesetzt wurde, kann unter Umständen eine Choledochusplastik oder die Anlage einer End-zu-End-Anastomose des Hauptgallengangs über eine T-Drainage bzw. einem Stent versucht werden. Nach der Abheilungsphase und der Entfernung des T-Drains wird die Sicherung der Anastomose durch einen Stent für die Dauer eines Jahres empfohlen.
612
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.58. Röntgenologische Darstellung einer Typ-II-Läsion (ERC)
36
. Abb. 36.59. Tangentiale Läsion des Gallengangs im Sinne einer Typ-III-Läsion
Gallenwegsläsionen Typ IV Dieser Läsionstyp wird während der ersten postoperativen Tage manifest. Ursächlich spielt immer eine Verwechselung des Hauptgallengangs mit dem D. cysticus die entscheidende Rolle (Siewert et al. 1993). Bei der Präparation des Calot-Dreiecks kann die Situation eintreten, dass die Präparation des Infundibulums zu weit links, d. h. linkslateral des D. hepatocholedochus, begonnen wird. Die dann gallenblasenwärts erscheinende kanalikuläre Struktur wird – besonders wenn es sich um einen schlanken Hauptgallengang handelt – als Gallenblasengang gedeutet und im nächsten Schritt bei dem Versuch, die Gallenblase aus dem Gallenblasenbett auszulösen durchtrennt. Begünstigt wird diese Verwechselung durch lateralen Zug an der Gallenblase, den man normalerweise zum Zweck der besseren Anspannung der Infundibulumstrukturen ausübt. Dadurch wiederum kann auch der Hauptgallengang leicht bogenförmig nach rechts gezogen werden, sodass der Eindruck entsteht, als würde er zur Gallenblase ziehen (. Abb. 36.60). Typischerweise wird dabei der distale, d. h. leberferne Stumpf des D. choledochus in der Annahme, dass es sich um den D. cysticus handelt, mit Doppelclips verschlossen. Der leberwärtige Stumpf des Hauptgallengangs wird häufig nicht verschlossen, da der Operateur nicht mehr damit rechnet, neben der A. cystica noch eine weitere kanalikuläre Struktur vorzufinden. Gelegentlich wird der proximale Stumpf im Zuge der weiteren Präparation aber dann doch noch identifiziert und dann in der Meinung, dass es sich um einen aberrierenden Gallengang handelt, zwischen Clips durchtrennt.
613 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
36
Diagnostik. Laborchemisch ist immer ein Bilirubinanstieg nachweisbar: Bei Leckage erfolgt der Anstieg durch Rückresorption isoliert und rasch, bei Verschluss langsamer und parallel mit den Cholostase-anzeigenden Enzymen. In der Ultraschalluntersuchung sind entweder freie intraperitoneale Flüssigkeitsansammlungen oder eine massive intrahepatische Cholostase nachzuweisen. Die ERC ist auch in diesem Fall obligatorisch. Meist kann dabei nur der blind endende distale Anteil des D. choledochus dargestellt werden. Die Abklärung des leberseitigen Gallenwegssystems erfordert dann die perkutane transhepatische Choledochographie (PTCD). In Zusammenschau mit dem ERCP-Befund kann dann das Ausmaß des Defektes abgeschätzt werden (. Abb. 36.61). Wichtig ist auch die ergänzende Abklärung des Gefäßstatus mittels Angiographie oder Angio-CT (Usal et al. 1998), da ggf. bei ausgedehnteren Ischämien auch eine Leberresektion erforderlich ist (Walsh et al. 2004).
. Abb. 36.60. Die Verwechselung des D. hepaticus mit dem D. cysticus wird durch lateralen Zug an einem schlanken Gallengang begünstigt
Klinische Symptomatik. Wenn der proximale Stumpf nicht geclippt wurde, fließt die gesamte Gallenproduktion ungehindert in die Peritonealhöhle. Durch die Rückresorption kommt es zu einem raschen Bilirubinanstieg ohne wesentlichen Anstieg der Cholostase-anzeigenden Enzyme. Wenn die Galle nicht primär infiziert ist, kann die peritoneale Reizung zunächst recht diskret sein. Wenn der proximale Stumpf ebenfalls mit Clips verschlossen ist, steht die intrahepatische Cholostase ganz im Vordergrund.
Therapie. Die sog. Defektläsion des Gallengangs erfordert in der Regel das sofortige chirurgische Eingreifen, insbesondere wenn die Galle bei unverschlossenem proximalem Stumpf frei in die Bauchhöhle abfließen kann. Bei komplettem Verschluss des proximalen Stumpfes kann dadurch Zeit gewonnen werden, dass man die eingebrachte PTCD-Sonde als Drainage liegen lässt und somit die produzierte Galle nach außen abfließen lässt.
Bei ausgedehnten Defektläsionen ist immer die Anlage einer biliodigestiven Anastomose im Sinne einer Hepatikojejunostomie erforderlich (7 Kap. 36.10.5; Abschn. »Biliodigestive Anastomosen«).
. Abb. 36.61a,b. Darstellung einer Typ-IV-Läsion mittels ERC (a) und PTCS (b). Im vorliegenden Falle wurde auch der proximale Stumpf mit Clips verschlossen
614
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
36.10.5 Operative Therapie von Gallenwegs-
läsionen Verfahrenswahl Für die primäre oder sekundäre Rekonstruktion bzw. den Ersatz der abführenden Gallenwege kommen prinzipiell in Betracht: 4 Choledochusplastik 4 Direkte (biliobiläre) Anastomosen der Gallengangsenden 4 Gallengang-Darm-Verbindungen Die größte klinische Bedeutung haben Neuverbindungen des Gallengangs mit dem Gastrointestinaltrakt, für die zahllose Varianten angegeben wurden. Als Regelverfahren hat sich die Hepatikojejunostomie durchgesetzt. Sie ist besonders dann indiziert, wenn durch bereits vorausgegangene Reparatureingriffe das zentrale Gallenwegssystem »verbraucht wurde«. Ausgesprochene Notlösungen stellen hepatodigestive Anastomosen (Gorband 1953) analog der Kasai-Operation bei kongenitaler Gallengangsatresie oder die definitive perkutane Galleableitung dar. In derartigen Finalsituationen ist heute die Lebertransplantation zu erwägen (Robertson et al. 1998).
36
Choledochusplastik Der Versuch einer Choledochusplastik ist nur dann sinnvoll, wenn die Läsion des Gallengangs – wenn überhaupt –mit einem minimalen Substanzverlust verbunden ist. Derartige Situationen können beispielsweise bei der Läsion vom Typ III oder seltener einmal bei Typ II vorliegen. Verhältnismäßig einfach kann die Gallenwegsläsion vom Typ III in dieser Weise angegangen werden, wenn sie bereits intraoperativ entdeckt wird. Nach (proximaler, d. h. leberwärts gerichteter) Einlage einer T-Drainage wird die Läsion mit feinem, resorbierbarem monofilem Nahtmaterial quer vernäht (. Abb. 36.62). Es wird von einigen Autoren empfohlen, die Läsion nach Ziehen der T-Drainage noch auf die Dauer eines weiteren Jahres mit einem intraluminalen Stent zu überbrücken. So genannte Spätstenosen vom Typ II sind meist langstreckig, sodass eine Gallengangsplastik nicht in Frage kommt. Nur in Sonderfällen ist eine Längsinzision mit anschließender Quervernähung in Betracht zu ziehen, wobei auch hier die temporäre Einlage einer T-Drainage und ggf. eines Stents selbstverständlich ist.
Direkte biliobiliäre Anastomosen Bei Gallengangsstrikturen, die die ganze Zirkumferenz betreffen, ist die Gallengangsresektion mit anschließender direkter End-zuEnd-Anastomosierung der verbleibenden Stümpfe theoretisch sicherlich ein bestechendes Konzept, sodass diese Technik prinzipiell gut für die Versorgung von Typ-II- und Typ-III-Läsionen geeignet wäre (Glenn 1978). In der Praxis ist die End-zu-EndAnastomose häufig nicht so spannungsfrei auszuführen, wie es zur Vermeidung einer Restenosierung unbedingt erforderlich ist, sodass dieses Verfahren nur für sehr kurzstreckige Stenosen geeignet ist (Csendes et al. 1989). Der Gallengang wird oberhalb und unterhalb der Stenose sorgfältig freipräpariert und die Stenose außerhalb der Narbenformation reseziert, wobei die Stümpfe etwas angeschrägt werden. Durch eine ausgiebige Mobilisation des Duodenums und des Pankreaskopfes wird eine bessere Approximation der Stümpfe erreicht. Die Anastomosierung wird wiederum mit feinem resorbierbarem monofilem Nahtmaterial vorgenommen (. Abb. 36.63). Die Schienung erfolgt mit einer T-Drainage, die über mindestens 6 Wochen belassen und dann ggf. gegen einen inneren Stent ausgetauscht werden sollte. Cave Trotz der verständlichen Neigung des Operateurs, die Gallenwegsrekonstruktion in möglichst anatomischer Form vorzunehmen, darf die direkte End-zu-End-Anastomose dennoch unter keinen Umständen »erzwungen« werden. Beim geringsten Zweifel sollte einer biliodigestiven Anastomose der Vorzug gegeben werden.
Biliodigestive Anastomosen Bei längerstreckigen Stenosen (Typ II, Typ III) und erst recht bei Defektläsionen (Typ IV) ist die biliodigestive Anastomose unumgänglich (Rossi et al. 1992). Formal gliedert sich der Eingriff in 3 Einzelschritte (Blumgart 1988): – Gewinnung von ausreichend langen, gut durchbluteten und nicht entzündeten Gallengangsstümpfen – Präparation des Anschlusses an den Gastrointestinaltrakt (Y-Roux-Schlinge) – Direkte Schleimhautnaht zwischen den beiden erstgenannten Strukturen
. Abb. 36.62a–c. Choledochusplastik bei sehr kurzstreckiger Stenose. a Längsinzision des Gallengangs im stenosierten Bereich. b Quervernähung mit Einzelknopfnähten. c Danach Einlage einer T-Drainage ober- oder unterhalb der Anastomose. Das T-Drain kann später durch einen intraluminalen Stent ersetzt werden
a
b
c
36
615 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
. Abb. 36.63a,b. End-zu-End-Anastomosierung des Gallengangs. a Das (kurzstreckige) stenosierte Segment wird reseziert. b Hinter- und Vorderwandnaht mit Einzelknopfnähten
a
Der Schwierigkeitsgrad hängt von der Lokalisation der Stenose am Gallenwegssystem (Nähe zur Hepatikusgabel) und dem Durchmesser des verbliebenen Gallenwegssystems ab. Ist bei der Erstoperation ein Verschluss der zentralen Gallenwege erfolgt, so kommt es im Laufe der Zeit zu einer Stauung und Dilatation der intrahepatischen Gallenwege, wodurch ihre Präparation erheblich erleichtert wird. Wesentlich ungünstiger ist es, wenn der Gallenwegsdefekt mit einer Gallenfistel einhergeht, weil in diesen Fällen eine Dilatation der Gallenwege nicht eintritt. In jedem Fall ist es empfehlenswert, präoperativ eine perkutane transhepatische Drainage der großen Gänge vorzunehmen, weil die liegenden Stents die Identifikation und die Präparation der zentralen Stümpfe wesentlich erleichtern (. Abb. 36.64). Präoperativ muss stets abgeklärt werden, ob gleichzeitig auch eine arterielle oder venöse Gefäßverletzung bei der Erstoperation gesetzt wurde. Im Fall einer Verletzung der A. hepatica propria wird die Durchblutung der Leber über kollaterale oder anatomische Varianten aufrecht erhalten. Diese müssen bei einem Reeingriff sorgfältig geschont werden. Eine Angiographie (Zöliakographie, Mesenterikographie) ist deswegen in der präoperativen
b
Abklärung unabdingbar. Abgeklärt werden muss präoperativ auch die portale Perfusion. Liegt eine Pfortaderthrombose bzw. eine kavernöse Transformation der Pfortader vor, muss mit erheblichen Blutungen bei der Revision gerechnet werden. Gewinnung des Gallengangsstumpfes. Die Präparation der
zentralen Stümpfe erfordert die komplette und übersichtliche Darstellung aller Strukturen des Ligamentum hepatoduodenale. Perkutan gelegte Drainagen erleichtern die Präparation und können gleichzeitig auch zur postoperativen Schienung der Anastomose genutzt werden. Müssen mehrere intrahepatische Gallenwegsstümpfe präpariert werden, sollte das Ziel sein, diese zunächst miteinander laterolateral zu anastomosieren und schließlich zu einem möglichst starkkalibrigen anastomosierbaren Stumpf zu kommen (. Abb. 36.65). Wenn die Stenosierung auch über die Bifurkation hinaus nach zentral entwickelt ist, wird unter Umständen auch die getrennte Anastomosierung beider Hepatici erforderlich. Die Präparation des linken Hauptganges ist dabei infolge seiner guten Erreichbarkeit nahe dem Ansatz des Lig. teres meist weniger problematisch. Deutlich schwieriger kann es dagegen sein, einen anastomisierungsfähigen Stumpf des rechten Hepaticus zu gewinnen. Da Reinterventionen dieser Art fast immer elektiv vorgenommen werden können, ist es sinnvoll, zunächst eine ausreichende Dilatation des rechten (!) Hauptgallengangs eintreten zu lassen. Die perkutane Drainage des (getrennten) linksseitigen Systems ist für diese Phase ausreichend. Erst unmittelbar vor der Operation wird dann auch rechtsseitig die perkutane Drainage, die eine wesentliche Orientierungshilfe für den Eingriff darstellt, eingelegt. Dank moderner Präparationshilfen (z. B. Ultraschalldissektoren) kann meist genügend Länge und Raum auch für die Anastomisierung des rechten Gallenwegssystems erreicht werden. Präparation der Y-Roux-Schlinge. Kleine und kleinste Gallen-
. Abb. 36.64. Defektläsion des D. hepatocholedochus mit Resektion der Hepatikusgabel: typischer Befund bei Gallengangsläsion vom Typ IV
gänge werden mittels Durchstechungsnähten blind verschlossen. Zur Anastomosierung wird eine nach Roux-Y ausgeschaltete Dünndarmschlinge verwendet. Es kann eine sinnvolle Maßnahme sein, den blinden Schenkel jenseits der Anastomose möglichst lang zu lassen, um ihn transkutan gut erreichbar unter der Bauchdecke zu fixieren und zu markieren (. Abb. 36.66). Gegebenenfalls kann bei später notwendigen endoskopischen Maßnahmen an der Anastomose in Lokalanästhesie rasch ein Zugang in den Anastomosenschenkel
616
36
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.65. Anastomosierung der beiden Hepatikusäste zu einem gemeinsamen Lumen
. Abb. 36.66. Verschluss der Vorderwand. Der blinde Schenkel der hochgezogenen Y-Roux-Schlinge wird an der Bauchdecke angeheftet
geschaffen werden, sodass die Möglichkeit einer RendezvousTechnik ergänzend zur transhepatischen Behandlung gegeben ist (Beckingham et al. 1998; Hutson et al. 1984).
lenwegen und dem Dünndarminterponat durch Anschluss an den linken Hepaticus erreicht werden (Couinaud et al. 1961). Dieser ist in der Regel relativ leicht nach Spaltung des Ansatzes des Lig. falciforme erreichbar, sodass problemlos 3–4 cm des intakten linken Hauptgangss freigelegt und anastomosiert werden können. 4 Eine Steigerung stellt das Verfahren nach Champeau dar, bei dem die Anastomose noch zentraler angelegt werden kann (Champeau u. Vialas 1966). 4 Zeitweilig wurde auch die sog. Mukosazylinderplastik (Smith 1964) propagiert, bei der eine »nahtlose« Schleimhautadaptation zwischen einem Mukosazylinder des Dünndarms und den Enden des Gallengangsepithels angestrebt wird.
Schleimhautnaht. Für die Anastomosierung ist die exakte
Schleimhautadaptation zwischen Gallenwegen und Jejunumschlinge entscheidend. Gerade bei zarten Gallenwegen ist hier eine entsprechende Erfahrung notwendig. Für die übersichtliche Anlage der Anastomose ist es sinnvoll, zunächst die Vorderwand mit doppelt armierten Fäden zu erfassen, um sie damit nach oben ziehen zu können, und die hinterere Wand übersichtlich darzustellen. Die Naht wird mit feinstem resorbierbaren monofilen Nahtmaterial ausgeführt. Die Mehrzahl aller erfahrenen Arbeitsgruppen bevorzugt eine innere Schienung der Anastomose, meist getrennt für das rechte und linke Gallenwegssystem. Die Drains können entweder transhepatisch oder über die Y-Roux-Schlinge ausgeleitet werden. Technische Varianten Nach mehr als 100 Jahren Gallenchirurgie erstaunt es nicht, dass eine fast unübersehbare Zahl von technischen Varianten bzw. Alternativen zu der oben geschilderten Technik der biliodigestiven Anastomosierung angegeben wurden. In der Mehrzahl sind sie heute bedeutungslos oder nur ganz ausnahmsweise in Sonderfällen indiziert. 4 Besonders vielfältig sind Techniken, die durch Vergrößerung des Anastomosierungsquerschnitts eine geringere Restenosierungrate erzielen sollen. Beispielhaft sollen hier die adaptierende Dreiecksplastik bzw. die sog. Schmetterlingsplastik nach Gütgemann (1961) genannt werden. 4 Bei der radikulären Anastomose nach Couinaud-Hepp soll eine breite Anastomose zwischen den intrahepatischen Gal-
Heute scheinen viele dieser für »verzweifelte Fälle« angegebenen Verfahren angesichts der deutlich verbesserten intraluminalen Behandlungsmöglichkeiten nur noch historisch interessant und für die klinische Praxis bedeutungslos. 36.10.6 Ergebnisse Die Ergebnisse von Reinterventionen an den Gallenwegen sind auch heute noch nicht in vollem Umfang befriedigend. Auch in den besten Serien kann mit einem langfristigen Erfolg nur in etwa 80% der Fälle gerechnet werden (Huang et al. 2003; Liu et al. 2004; Regöly-Mérei et al. 1998). Günstigere Ergebnisse können nur in Serien mit einem hohen Anteil an günstig behandelbaren Läsionen oder kürzerem Follow-up gesehen werden (Doctor et al. 1998; McDonald et al. 1995). Der (dauerhafte) Erfolg von Reinterventionen an den Gallenwegen hängt von folgenden Fakotren ab:
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4 Intervall zwischen dem Schadenereignis und der Reparation 4 Höhe der Gallenwegsläsion 4 Typ der Läsion 4 Begleitschäden 4 Art der Rekonstruktion 4 Spezifische operative Erfahrung des Chirurgen 4 Anzahl der bereits vorausgegangenen Reparationsversuche Bedauerlicherweise wird auch heute die Mehrzahl aller Gallenwegsläsionen erst im postoperativen Verlauf erkannt (Chapman et al. 1995; Gigot et al. 1997). Die Einführung der laparoskopischen Technik hatte darauf keinen Einfluss. Prinzipiell ist die Gesamtprognose der Patienten, wie in allen größeren Serien nachgewiesen wurde, besser, wenn die Läsion bereits während des Ersteingriffs realisiert und versorgt wird (Letalität, postoperative biliäre Komplikationen, Reoperationsrate; Gigot et al. 1997). Eine klare Abhängigkeit besteht auch zwischen der Höhe der Läsion (Mercado et al. 2005), der Schwere des Eingriffs und des langfristigen Erfolgs. Je hilusnaher der Defekt lokalisiert ist, umso anspruchsvoller wird die Rekonstruktion. Ebenso deutlich ist die Korrelation zwischen dem Typ der Läsion und der Möglichkeit einer erfolgreichen Behandlung. Läsionen vom Typ I können fast immer durch eine konservative bzw. semi-invasive Behandlung zur Ausheilung gebracht werden. Die Aussichten sind beim Typ II bereits deutlich geringer. Typ III und IV müssen operativ behandelt werden, wobei die bei Typ IV anzulegende Anastomose zwangsläufig hilusnah oder höher anzulegen ist. Bezüglich der Begleitschäden sind in erster Linie die Kompromittierung der Gefäßversorgung zu nennen. Später bildet sich nicht selten eine portale Hypertension aus. Beide Situationen erschweren die Rekonstruktion erheblich und sind mit einer wesentlich höheren Mortalität und Morbidität verbunden Die floride Cholangitis oder gar lokale Peritonitis erhöhen ebenfalls die Komplikationsrate beträchtlich, sodass durch eine sinnvolle Kombination mit radiologischen und endoskopischen Maßnahmen vor einem geplanten Reeingriff stets versucht werden sollte, lokal möglichst blande Verhältnisse zu erreichen (Doctor et al. 1998). Eine wesentliche Rolle spielt in jedem Fall auch die Art der Rekonstruktion. Aufgrund der langfristig ungünstigen Erfahrungen mit Choledochusplastiken und direkten End-zu-EndAnastomosen (Csendes et al. 1989; Frattaroli et al. 1996) wurde die Hepatikojejunostomie mit einer ausgeschalteten Dünndarmschlinge heute eindeutig das Verfahren der Wahl, wobei stets eine direkte Mukosanaht angestrebt werden sollte (Mercado et al. 2004). Die Ergebnisse der sog. »nahtlosen« Mukosaplastik waren insgesamt enttäuschend (Chapman et al. 1995), sodass dieses Verfahren heute nicht mehr empfohlen werden kann. Unbestritten ist auch bei Reinterventionen an den Gallenwegen die spezielle Erfahrung des Chirurgen für die weitere Prognose von entscheidender Bedeutung. Da Gallenwegsläsionen bei der Vielzahl von jährlich durchgeführten Cholezystektomien mit einer Frequenz von 0,3–0,8% verhältnismäßig selten vorkommen, ist nicht zu erwarten, dass jeder einzelne Operateur spezielle Kenntnisse im Management der Gallenwegsläsionen erwerben kann. Sofern er die Läsion bereits intraoperativ bemerkt, sollte kritisch abgewogen werden, ob eine Versorgung ad hoc angebracht ist.
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Bei allen postprimär entdeckten Läsionen oder gar vor einer operativen Reintervention sollte jedoch die Zuweisung in ein entsprechend erfahrenes Zentrum bedacht werden. Jeder fehlgeschlagene Reparationsversuch verschlechtert die Erfolgsaussichten einer erneuten Reintervention deutlich (Chapman et al. 1995). Da die (kurzfristige) Lösung des Problems einer Gallenwegsverletzung durch eine deutlich schlechtere langfristige Prognose erkauft wird, ist der an sich verständliche Wunsch, die verursachte Läsion auch selbst zu korrigieren, im höheren Interesse des Patienten nicht angebracht.
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36
622
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
37.1
Pathophysiologie und Diagnostik T. Roeren, C. Sieber
) ) Die Leber wiegt im Mittel 1800 g beim Mann und 1400 g bei der Frau. Wie aus der Prometheussage bekannt, besitzt dieses Organ eine große Regenerationsfähigkeit, solange das Organ nicht stark geschädigt und fibrotisch umgewandelt ist. Hämodynamisch wird die Leber sowohl über die A. hepatica propria und die V. portae versorgt, wobei »Feedbackmechanismen« zwischen beiden Systemen bestehen. Ein System allein vermag die Leberperfusion zu sichern, weshalb sowohl eine Pfortaderthrombose als auch eine Unterbindung der A. hepatica propria in der Regel überlebt wird. Bei der laborchemischen Bestimmung hepatischer Werte müssen prinzipiell zwei große pathophysiologische Gruppen unterschieden werden: Zum einen die Parameter als Zeichen einer Entzündung mit Zelluntergang, zum anderen die Syntheseleistung. Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, als z. B. bei einer akuten Hepatitis die Transaminasen als Zeichen des Zelluntergangs über 1000 U/ml liegen können, ohne dass es dabei zu einer Einschränkung der Syntheseleistung (z. B. gemessen an den Gerinnungsfaktoren) kommen muss. Im Folgenden soll diese Unterscheidung bei der Besprechung der Pathophysiologie und insbesondere bei der Labordiagnostik beibehalten werden.
Substanzklassen zu nennen). Bei isoliert erhöhten Transaminasen muss nach Ausschluss einer ischämischen Kardiopathie (mittels Serumkreatinkinase) am ehesten an Steatose oder Steatohepatitis gedacht werden. Die Unterscheidung zwischen diesen 2 letzten Diagnosen, die nur bioptisch gestellt werden kann, ist insofern wichtig, als nach neueren Erkenntnissen die Steatohepatitis häufiger in eine Zirrhose übergeht als bisher angenommen wurde. Risikofaktoren hierzu sind neben dem Alkoholkonsum Diabetes mellitus, Adipositas sowie Schilddrüsenunterfunktionen. Andere chronische Hepatopathien müssen ebenfalls ausgeschlossen werden, vorab die Hämochromatose (Eisenstatus), der α-Antitrypsinmangel (α-Antitrypsin im Serum) sowie ein M. Wilson (Kupfer im Blut und im 24-h-Urin, Coeruloplasmin im Serum). Schlussendlich gilt es, autoimmun bedingte chronische Hepatitiden auszuschließen (»antimitochondrial antibodies«, »smooth muscle antibodies«, »liver-kidney microsomal antibodies« im Serum); hier ist die Hinzuziehung eines Hepatologen empfehlenswert. Letztendlich empfiehlt sich aber bei einer längerfristigen Erhöhung der Leberparameter immer eine Leberbiopsie nach vorgängiger Ultraschalluntersuchung des Abdomens durchzuführen. Bei isoliert erhöhten Transaminasen müssen die in der Übersicht aufgelisteteten Parameter abgeklärt werden. Ursachen isoliert erhöhter Transaminasen
37.1.1 Zellnekrose
37
Hepatozellulärer Schaden Aspartat-Aminotransferase (ASAT oder GOT). Die Aufgabe der Aspartat-Aminotransferase liegt im Transfer von Aminogruppen auf α-Ketosäuren. Intrazellulär findet sich das Enzym nicht nur in Mitochondrien, sondern auch im Zytoplasma. Aufgrund dieser Tatsache kommt es relativ rasch bei Zelltrauma zu einem Anstieg der Werte im Blut. Neben der Leber finden sich weiter hohe Werte im Skelettmuskel, dem Myokard wie auch in der Niere. Pathologien dieser Organe führen deshalb ebenfalls zu einem Anstieg im Serum. Die Serumhalbwertzeit beträgt nur 12–24 h. Eine längerfristig zu beobachtende Erhöhung ist demnach nur mit einer kontinuierlichen Zellschädigung zu erklären. Alanin-Aminotransferase (ALAT oder GPT). Die Funktion der ALAT ist mit der der ASAT vergleichbar, die Serumhalbwertzeit ist mit ca. 50 h aber deutlich länger. Nach einem akuten Trauma fallen die Werte deshalb langsamer ab. Da die Konzentration der ALAT in der Leber gegenüber anderen Organen um mindestens den Faktor 10 höher ist, kann die ALAT für den klinischen Alltag als »leberspezifisch« bezeichnet werden. Eine akute Erhöhung der ASAT und ALAT findet sich bei toxischen Leberschäden (z. B. Knollenblätterpilzintoxikation) oder fulminanten viralen Hepatitiden. Mäßig erhöhte Werte finden sich bei Mononucleosis infectiosa, chronischen viralen Hepatitiden sowie der Stauungsleber. Geringgradige Erhöhungen finden sich häufig bei Lebertumoren und Lebermetastasen. Ferner sind Medikamente ein Grund zur Erhöhung der Transaminasen (z. B. ein Großteil der Antibiotikaklassen, Angiotensinkonvertase, [ACE-]Inhibitoren und Betablocker, um nur einige
5 Alkoholabusus? 5 Adipositas, Diabetes mellitus 5 Chronische Hepatitis – Frühere Bluttransfusionen? – Hepatitis-B-Marker – Hepatitis-C-Marker (fluktuierende Werte der Transaminasen) 5 Medikamente 5 Herzinsuffizienz 5 Biliärer Schaden
Die wichtigen Substanzen/Enzyme, die in der Diagnostik biliärer Erkrankungen beigezogen werden, sind das Bilirubin (direkt und indirekt), die alkalische Phosphatase, die γ-Glutamyltransferase und bei uns seltener bestimmt die Leucinaminopeptidase. Der Leser sei auf das entsprechende Kapitel verwiesen (7 Kap. 36.2). In Bezug auf das Bilirubin seien hier nur einige Gedanken erwähnt. Es ist stets zwischen einer isolierten Bilirubinämie oder einer parallelen Erhöhung anderer Leberparameter zu unte rscheiden. Bei einer isolierten Hyperbilirubinämie gilt es differenzialdiagnostisch folgendermaßen vorzugehen. Ursachen einer isolierten Hyperbilirubinämie 5 Suche nach Hämolyse (z. B. Sphärozytose, parainfektiös, postoperativ nach Bluttransfusionen etc.) 5 Familiäre Formen der Hyperbilirubinämie – Unkonjugiert (M. Gilbert-Meulengracht) – Konjugiert (Dubin-Johnson- und Rotor-Syndrom)
623 37.1 · Pathophysiologie und Diagnostik
37
37.1.2 Synthesestörung Gesamteiweiß Das menschliche Plasma beinhaltet mehrere hundert Proteine. Bei der Bestimmung des Gesamteiweißes spielen die Immunoglobuline und vor allem das Albumin die entscheidende Rolle. Hypoproteinämien entstehen durch Proteinmangelernährung, Maldigestion oder Malabsorption. Angeborene Synthesestörungen für Albumin existieren ebenfalls, doch sind meist sekundäre Faktoren der Albuminsyntheses wie chronische Hepatopathien die Ursache einer Hypalbuminämie. Folgende wichtigen Plasmaproteine werden durch die Leber synthetisiert (Auswahl): 4 Albumin 4 α1-Antitrypsin 4 α-Fetoprotein 4 α2-Makroglobulin 4 Coeruloplasmin 4 C-reaktives Protein (CRP) 4 Ferritin 4 Fibrinogen 4 Komplementfaktoren (C1, C3 und C6) 4 Prothrombin 4 Transferrin 4 Gerinnungsfaktoren α1-Antitrypsin, Coeruloplasmin, CRP und Fibrinogen gehören zu den Akute-Phase-Proteine. Es besteht eine ständige Balance zwischen Hämostase und Fibrinolyse, wobei die Leber für beide Regelsysteme die Hauptschaltstelle ist. Die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sind Vitamin-K-abhängig (sog. Prothrombinkomplex).
Abnormalitäten der Hämostase bei chronischen Lebererkrankungen 5 Reduzierte Synthese von Gerinnungsfaktoren 5 Reduzierte Synthese von normal vorkommenden Koagulationsinhibitoren 5 Synthese von anormalen Koagulationsproteinen, einige davon mit antikoagulierender Wirkung 5 Disseminierte intravasale Gerinnung 5 Vitamin-K-Mangel 5 Erhöhte fibrinolytische Aktivität
In der Akutsituation bei einem fulminanten Leberzellversagen bewährt sich aber primär die serielle Bestimmung des Faktors V, da er Vitamin-K-unabhängig ist und die Werte als prognostischer Faktor verwendet werden können. Obschon nicht mit der hepatischen Syntheseleistung verbunden, sei aufgrund der klinischen Wichtigkeit noch kurz auf die bei portaler Hypertonie als Folge chronischer Leberpathologien beobachtete Thrombopenie hingewiesen. Diese ist multifaktoriell bedingt und kann nicht nur aufgrund des Hypersplenismus erklärt werden. Es bestehen sowohl qualitative und quantitative Veränderungen als auch intrinsische Plättchendefekte sowie pathologische Interaktionen zwischen Thrombozyten, endothelialen Faktoren und Gerinnungsfaktoren. Dies ist auch für den chirurgisch tätigen Arzt von Bedeutung. Bei verringerter Prothrombinzeit (Quick <40%) ist nicht nur die postoperative Blutungstendenz, sondern auch die Mortalität signifikant erhöht. Voraboperationen im Bereiche der Gallenwege beim zirrhotischen Patienten bergen ein Risiko. So ist bei Cholezystektomien die Mortalität um ein Vielfaches erhöht. Hauptursache sind Blutungskomplikationen.
Ursachen eines Vitamin-K-M angels 5 Alimentär (Fehlen pflanzlicher Zusätze zu Nahrung) 5 Antibiotikatherapie (Reduktion der Vitamin-K-produzierenden Darmflora) 5 Gallengangsverschluss oder Lipasemangel (mangelnde Resorption)
Bei einer Hepatopathie ist die Situation allerdings viel komplexer. Zum einen sind sowohl das hämostatische wie auch fibrinolytische System betroffen, zum anderen ist aufgrund der Funktionseinschränkung des RES-Systems auch der Abbau der aktivierten Gerinnungsfaktoren vermindert. Die Prothrombinzeit (Quickwert) repräsentiert mit guter Empfindlichkeit die Faktoren II, VII und X, etwas weniger empfindlich die Faktoren V und Fibrinogen. Bei einer bestehenden Leberzirrhose kann der Quickwert noch normal sein, wohingegen der Faktor V schon unter Normwerte absinkt. Das Fibrinogen wird erst bei starker Verminderung des Quickwertes erniedrigt. Faktor VIII ist der einzige Gerinnungsfaktor, der auch in anderen Organen synthetisiert wird. Er ist deshalb nur bei schweren Formen des Leberzellversagens (üblicherweise parallel zu einer DIC) erniedrigt. Ansonsten ist er sowohl bei akuter wie auch chronischer Hepatopathie entweder normal oder sogar erhöht. Der Gerinnungsfaktor mit der kürzesten Halbwertszeit ist der Faktor VII (HWZ ca. 8 h).
37.1.3 »Physiologische« Altersveränderungen Da heute ein wesentlicher Anteil der operierten Patienten über 65 Jahre alt ist, seien noch einige Worte zur Veränderung der Leberfunktion während des Alters hinzugefügt. Das Lebergewicht nimmt im Alter ab und die Leberdurchblutung ist ebenfalls deutlich verringert. Dies scheint ein Hauptgrund für die verminderte Metabolisierung hepatisch abgebauter Medikamente zu sein. Da aber nur die Phase-I-Metabolisierungswege (u. a. Oxidation, Reduktion) nicht aber die Konjugierung (Phase II) vermindert ist, kann die verminderte hepatische Perfusion nur partiell für den bis um 30% verringerten Metabolismus verantwortlich gemacht werden. Pro Dezennium nimmt das Serumalbumin um etwa 2 g/l ab. Die Cholesterinsättigung der Galle nimmt mit dem Alter zu, was ein Grund für die erhöhte Rate von Gallensteinen mit steigendem Alter sein kann. Die Transaminasen wie auch die alkalische Phosphatase und die γ-GT zeigen hingegen keine Änderungen der Werte aufgrund fortgeschrittenen Alters. 37.1.4 Bildgebende Diagnostik In der Diagnostik der Lebererkrankungen unterscheiden wir sinnvollerweise diffuse und fokale Veränderungen des Leberparenchyms. Die diffusen Parenchymerkrankungen sind die
624
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
Domäne der klinischen Untersuchung und der laborchemischen Diagnostik; nur in ausgewählten Fällen ist eine weiterführende Schnittbilddiagnostik oder eine operative Therapie induziert. Im chirurgischen Krankengut dominieren Patienten mit fokalen Leberläsionen. Aufgabe der bildgebenden Diagnostik ist die Erkennung dieser Läsionen, die Definition der Dignität und die Abklärung der Operabilität bzw. des geeigneten Resektionsverfahrens. Hierzu stehen uns die Sonographie (inkl. Duplex), die Computertomographie (CT), die Magnetresonanztomographie (MRT), die Szintingraphie und die Angiographie zur Verfügung. Auch wenn es eine Myriade von Publikationen zur Abklärung retrospektiv bekannter Lebertumoren gibt, so gibt es wenig allgemein akzeptierte Algorithmen für die alltägliche bei weitem häufigste klinische Fragestellung, nämlich die Abklärung des primär unklaren Lebertumors. Neben einer kurzen Vorstellung der adäquaten Untersuchungstechnik werden wir im Folgenden daher auch Ratschläge für eine sinnvolle Auswahl der Untersuchungsverfahren geben.
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Sonographie/Duplex Aufgrund der Verfügbarkeit, der relativ geringen apparativen Kosten und nicht-existenter Nebenwirkungen ist die Sonographie meist das primäre bildgebende Verfahren bei Lebererkrankungen. In geübter Hand und bei adäquater Patientenvorbereitung ist die Sonographie geeignet zum Screening, eine Sensitivität für fokale Leberläsionen von 58 –80% genügt jedoch nicht für definitive Therapieentscheide oder eine Operationsplanung. Unterschiedliche Echogenitäten fokaler Leberläsionen lassen in gewissem Umfang eine Dignitätszuordnung zu. So werden zufällig erkannte benigne Veränderungen wie dysontogenetische Leberzysten oder Hämangiome, die eine Prävalenz von 4–5% haben, mit großer Sicherheit erkannt (. Abb. 37.1a). Die Spezifität der Methode ist bei den übrigen primären oder sekundären Lebertumoren ungenügend, um eine zuverlässige Zuordnung zu gewährleisten. Auch wenn Tumorentitäten spezielle bildgebende Engramme zugeordnet werden (z. B. »Halo« bei malignen Lebertumoren), so ist deren Spezifität für Therapieentscheidungen nicht ausreichend (. Abb. 37.1b,c). Nicht eindeutig benigne Läsionen können sonographisch gesteuert in gleicher Sitzung punktiert und damit zytologisch oder histologisch gesichert werden. Hierbei ist zu beachten, dass primäre Lebertumoren nur durch ausreichendes histologisches Material überhaupt klassifizierbar sind und eine zytologische Diagnostik häufig zu falsch-negativen Befunden führt. Die farbkodierte Duplexsonographie erlaubt eine akkurate und nichtinvasive Beurteilung der arteriellen, systemisch-venösen und portal-venösen Zirkulation der Leber. Die Richtung des Blutflusses, z. B. bei portaler Hypertension kann präoperativ oder präinterventionell definiert werden und der therapeutische Einfluss auf die Hämodynamik quantifiziert werden. In der postoperativen Überwachung nach Lebertransplantation gehört die Duplexsonographie zum Standardrepertoire. Eine Verbesserung der morphologischen Diagnostik von fokalen Leberläsionen ist durch die Duplexsonographie nach bisherigen Erkenntnissen nicht zu erwarten.
Die (Duplex-)Sonographie ist die Screeninguntersuchung der Wahl bei Erkrankungen der Leber. Aufgrund der geringen Spezifität sollten pathologische Befunde weiter (CT, MRT) abgeklärt werden.
Computertomographie Bei meist schon vorliegendem sonographischen Befund wird die CT zur besseren topographischen Zuordnung der Läsionen und Verbesserung der Spezifität eingesetzt. Gleichzeitig können die übrigen Abdominalorgane und die regionären Lymphknoten beurteilt werden. Bei einer Erstuntersuchung der Leber gehört die Kombination aus Nativ-CT und dynamischer CT (d. h. mit i.v. Gabe von Kontrastmittel [KM]) zum Standard. Die Nativ-CT kann bei Folgeuntersuchungen, z. B. im Rahmen einer onkologischen Nachsorge entfallen. Bei der organorientierten Untersuchung sollte die Schichtdicke nicht mehr als 5 mm betragen; ein Qualitätskriterium ist die gute Kontrastierung der portalen Gefäße und der Lebervenen, die sich mit der heute fast überall verfügbaren Spiral-CT verlässlich erreichen lässt. Läsionsspezifische Perfusionsphänomene wie z. B. des Irisblendenphänomen beim Hämangiom lassen sich durch eine sequenzielle CT über der Läsion nachweisen. Wenn auch die Ergebnisse verschiedener Studien variieren, so liegt doch die durchschnittliche Sensitivität (Detektion) und Spezifität (Dignität) der CT bei jeweils ca. 90%, immer vorausgesetzt, dass relevante klinische Angaben und Untersuchungsergebnisse zur Befundinterpretation vorliegen. Magnetresonanztomographie Mehrere Studien haben gezeigt, dass bei Einsatz schneller Untersuchungssequenzen die MRT der dynamischen CT in Sensitivität und Spezifität zumindest gleichwertig ist. Eingeschränkte Verfügbarkeit und die höheren Kosten wirken sich derzeit noch nachteilig auf die Methode aus, sodass die MRT nur bei ausgewählten Indikationen (z. B. Jodallergie, unklare Dignität in Sonographie und CT) eingesetzt wird. Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungsprotokollen, auf die hier nicht eingegangen wird. Zum Qualitätsstandard gehört auch bei diesem Untersuchungsverfahren die i.v. Gabe eines Gadolinium-haltigen KM. Zum Teil noch in der klinischen Erprobung sind leberspezifische KM (Mangan- oder Eisenkomplexe) die in Hepatozyten oder in Zellen des retikuloendothelialen Systems aufgenommen werden und so eine Differenzierung des normalen und des pathologisch verändertem Leberparenchyms ermöglichen (. Abb. 37.2). Zunehmende Bedeutung gewinnt die MR-Angiographie als nichtinvasive Alternative zur (invasiven) Katheterangiographie (7 unten). Während die Darstellung der portalen Gefässe meist adäquat und aussagekräftig ist, ist durch die fehlende Ortsauflösung, Bewegungs- und Flussartefakte die MR-Arteriographie in der Qualität meist noch nicht genügend. Angiographie Die geringe Sensitivität und Spezifität der Arteriographie hat dazu geführt, dass seit Etablierung der CT die Arteriographie aus der Routinediagnostik verschwunden ist. Indikation bleibt einzig die Abklärung vaskulärer Normvarianten zur Operationsplanung. In einigen Zentren wird die Arteriographie noch regelmäßig vor leberchirurgischen Eingriffen durchgeführt. Die Darstellung der Pfortaderäste als indirekte (Spleno-)Portographie ist sozusagen eine Beigabe der Arteriographie. Ansonsten obliegt die rein diagnostische Abklärung dieser Gefäße in erster Linie der Sonographie, seltener der MR-Angiographie oder der CT. Eine direkte transhepatische Portographie führen wir nur noch bei gleichzeitig geplanten Interventionen (z. B. Stentimplantation bei Pfortaderstenosen, selektive Venenblutentnahme) durch.
625 37.1 · Pathophysiologie und Diagnostik
. Abb. 37.1a–c. Sonographische Darstellung fokaler Leberläsionen. a homogen echodichter Herd (Pfeil) mit dorsaler Schallverstärkung bei Patient mit kolorektalem Karzinom: »klassisches Hämangiom«. b homogen echodichte Herde ohne dorsale Schallverstärkung bei Patienten mit Nierenzellkarzinom: multiple Lebermetastasen (bioptisch gesichert). c inhomogen echoarmer Herd (Pfeile): Lebermetastase bei Kolonkarzinom (intraoperativ gesichert)
a
b
c
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626
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
. Abb. 37.2a,b. Verbesserung der Erkennbarkeit von Tumoren (hier multifokales hepatozelluläres Karzinom) in der transversalen MRT der Leber (T1Wichtung) vor (a) und nach (b) i.v. Gabe eines superparamagnetischen Kontrastmittels. Das retikuloendotheliale System des gesunden Leberparenchyms speichert die Partikel und wird dadurch signalarm (dunkler); das Tumorgewebe behält seine Signalintensität und wird besser erkenn- und abgrenzbar
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Die Lebervenenphlebographie ist bei adäquater sonographische Untersuchungstechnik nicht mehr indiziert. Wir führen sie lediglich vor Anlage einer transjugulären intrahepatischen portosystemischen Stentshunt (TIPS) und bei der gleichzeitigen indirekten (transsinusoidalen) Messung der Pfortaderdrucks durch. Szintigraphie Die geringe räumliche Auflösung der nuklearmedizinischen Verfahren in der Leber führt dazu, dass diese Verfahren nicht zur Detektion, sondern zur Abklärung der Artdiagnose eingesetzt werden. In problematischen Einzelfällen gelingt die Charakterisierung von Hämangiomen mit der Blut-Pool-Szintigraphie, die mit markierten Erythrozyten durchgeführt wird. Für die Differenzialdiagnostik von hepatozellulärem Adenom und der fokal nodulären Hyperplasie ist der Hepato-IDA-Scan (»iminodiacetic acid«) geeignet: Die FNH speichert aufgrund der sehr hohen Durchblutung den Tracer, kann ihn jedoch nicht in die Galleflüssigkeit sezernieren, sodass die Läsion eine über Stunden per-
sistierende Speicherung zeigt. Für FNH-Herde mit einer Größe >2 cm bietet dieses Verfahren eine Spezifität von 100% bei einer Sensitivität von 88%. Andere insbesondere maligne Tumoren erscheinen als Speicherdefekte im HIDA-Scan, können jedoch ebenfalls erst ab einer Größe von ≥2 cm erkannt werden. Diagnostische Strategien bei fokalen Leberläsionen Bei Anwendung diagnostischer Strategien muss feststellbar sein, ob eine Krankheit vorliegt, ob ihr eine benigne oder maligne Ursache zugrunde liegt und ob eine Therapie nötig und möglich ist. Folglich unterscheiden wir im Folgenden 3 Szenarien: Zufällig entdeckte Läsion. Sie wird meist in der Sonographie, die aus anderer Indikation durchgeführt wird, entdeckt. Erfüllt die Läsion die klassischen Kriterien der Gutartigkeit (Zyste, Hämangiom), so ist keine weitere Diagnostik vonnöten. Bei suspektem Befund führt die sonographisch gesteuerte Punktion am schnellsten (und möglicherweise auch kosteneffizient) zum Ziel. Häufig wird hier jedoch eine CT indiziert, um die invasivere
627 37.2 · Echinokokkose der Leber
Punktion zu vermeiden. Hierdurch können komplizierte Hämangiome (Irisblendenphänomen), komplizierte Leberzysten (kein KM-Enhancement) oder z. B. Lipome (Fettdichte) sicher klassifiziert werden. Eine Restmenge von Läsionen wird jedoch verbleiben, die weiterer Diagnostik oder einer gesteuerten Punktion zuzuführen ist. Extrahepatische maligne Grunderkrankung. Auch hier müssen
klassisch benigne Herde (7 oben) ausgeschlossen werden. Die Therapieoptionen bestimmen dann das weitere Vorgehen. Durch die Sonographie allein lässt sich ein diffuser metastatischer Befall abklären (. Abb. 37.1b). Ist aus technischen Gründen (z. B. Adipositas, Emphysem) keine verlässliche Aussage möglich, wird alternativ die dynamische CT durchgeführt. Liegt kein diffuser Befall vor und erscheinen die sonographisch nachgewiesenen Herde nach Zahl und Lokalisation entsprechend den Richtlinien und Erfahrungen der zuständigen chirurgischen Klinik resektabel (die Angaben unterscheiden sich in den jeweiligen Zentren), so wird eine dynamische CT durchgeführt. Durch die Markteinführung leberspezifischer Kontrastmittel wird vermutlich zunehmend die MRT hierfür eingesetzt werden. Ein erkennbarer jedoch diagnostisch unklarer Herd sollte zusätzlich noch biopsiert werden. Abhängig von Lokalisation und Verdachtsmomenten kann dies präoperativ CT-/US-gesteuert oder intraoperativ, unter sonographischer oder palpatorischer Steuerung erfolgen. Verdacht auf primäres Lebermalignom. Die Sonographie ist bei
diesen Tumoren, auch bei Vorliegen anderer Verdachtsmomente (wie erhöhtes α-Fetoprotein) oft unergiebig. Die meist zirrhotisch umgebaute Leber hat ein inhomogenes Echomuster und maligne Tumoren sind oft nur schwer von Regeneratknoten oder fibrosierten Leberregionen zu unterscheiden. Multifokales Tumorwachstum kann nicht sicher nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. CT und MRT, letztere unter Verwendung leberspezifischer Kontrastmittel führen zu vergleichbaren Nachweisraten. Üblicherweise wird vor Therapieentscheid die CT-gesteuerte Punktion zur histologischen Sicherung durchgeführt.
Literatur Gebel M, Caselitz M, Manns MP (1998) Sonographische Diagnostik von Raumforderungen der Leber. Ultraschall Klin Prax 11:109–116 Helmberger T, Holzknecht N, Gregor M, Gauger J, Helmberger R, Reiser M (1998) Fokale Lebererkrankungen. Radiologe 38:263–269 Laing ADP, Gibson RN (1998) MRI of the liver. J Magn Res Imaging 8:337– 345 Lock G,Schölmerich J (1998) Vorgehen bei sonographischer nachgewiesener Raumforderung der Leber. Ultraschall Klin Prax 11:117–120 Mahfouz AE, Hamm B, Mathieu D (1996) Imaging of metastases to the liver. Eur Radiol 6:607–614 Oberstein A, Kauczor HU, Mildenberger P, Ibe M, Teifke A, Rieker O, Gerken G, Thelen M (1996) Drei-Phasen-Spiral-CT in der Diagnostik von Lebererkrankungen: Vergleich mit der CT-Arteriographie und -Arterioportographie. Fortschr Röntgenstr 164:449–456 Valls C, Lopez E, Guma A, Gil M, Sanchez A, Andia E, Serra J, Moreno V, Figueras J (1998) Helical CT versus CT arterial portography in the detection of hepatic metastasis in colorectal carcinoma. Am J Roentgenol 170:1341–1347
37.2
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Echinokokkose der Leber J. Wydler, R. Schlumpf
) ) Bei der zystischen Echinokokkose, früher eine klare Domäne der Chirurgie, besteht eine Tendenz zu weniger invasiven Therapieformen: Die PAIR-Methode (Punktion-Aspiration-Injektion-Reaspiration) in Kombination mit Chemotherapie entwickelt sich zum Standardverfahren. Die chirurgischen Optionen verfügen über das Potenzial, den Parasiten total zu entfernen und den Patienten so zu heilen. Die alveoläre Echinokokkose ist eine schwere Erkrankung mit einer Mortalität von über 90% bei unbehandelten Patienten. Radikale Chirurgie gemäß onkologischen Richtlinien, gefolgt von einer mindestens zweijährigen Chemotherapie muss bei allen operablen Patienten gefordert werden. Bei inoperablen Patienten oder nach nichtradikaler Resektion erhöht die langjährige Chemotherapie das Überleben signifikant.
37.2.1 Pathogenese Die humane Echinokokkose ist eine zoonotische Infektion, verursacht durch die Larvenform (Metazestoden) des Bandwurmes der Art Echinococcus, der im Dünndarm von Karnivoren gefunden wird. Die über den Darm ausgeschiedenen Eier des Bandwurmes können eine Vielzahl verschiedener Arten von Zwischenwirten inkl. den Menschen infizieren. Von den 4 bekannten Spezies des Echinicoccus sind 2 von speziellem medizinischen Interesse: 4 E. granulosus: führt zur zystischen Echinokokkose; Endwirt Hund und Wolf 4 E. multilocularis: führt zur alveolären Echinokokkose; Endwirt Fuchs oder Katze Zwischenwirte für E. granulosus sind Warmblütler, vor allem Pflanzenfresser, für E. multilocularis vor allem die Feldmaus. Die Infektion des Menschen erfolgt fäkal-oral durch die genannten infizierten Tiere, deren Kot und/oder durch Kot verunreinigte Nahrungsmittel. Die Eihülle der Larve wird durch den Magensaft im Menschen verdaut, durchdringt die Schleimhaut des Duodenums und gelangt so in den Pfortaderkreislauf. Aus diesen entwicklungsfähigen Onkosphären entstehen zunächst kleine Bläschen, die allmählich zu Finnen heranwachsen. 37.2.2 Epidemiologie Die zystische Echinokokkose ist weltweit verbreitet und tritt vor allem in Schafzuchtgebieten endemisch auf. Die bevorzugten Regionen sind Europa, Asien, der Mittelmeerraum, Südamerika, Australien und Ostafrika. Die alveoläre Echinokokkose kommt bevorzugt in Gegenden mit einer hohen Dichte des Endwirtes Fuchs vor, nämlich im nördlichen Asien, Russland, Kanada und Alaska. In Europa gelten Südwestdeutschland und die Nordostschweiz als Endemiegebiete. Die jährliche Inzidenz der zystischen Echinokokkose variiert stark in den verschiedenen Endemiegebieten zwischen <1–220 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern. Die Mortalität ist tief
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Punktion zu vermeiden. Hierdurch können komplizierte Hämangiome (Irisblendenphänomen), komplizierte Leberzysten (kein KM-Enhancement) oder z. B. Lipome (Fettdichte) sicher klassifiziert werden. Eine Restmenge von Läsionen wird jedoch verbleiben, die weiterer Diagnostik oder einer gesteuerten Punktion zuzuführen ist. Extrahepatische maligne Grunderkrankung. Auch hier müssen
klassisch benigne Herde (7 oben) ausgeschlossen werden. Die Therapieoptionen bestimmen dann das weitere Vorgehen. Durch die Sonographie allein lässt sich ein diffuser metastatischer Befall abklären (. Abb. 37.1b). Ist aus technischen Gründen (z. B. Adipositas, Emphysem) keine verlässliche Aussage möglich, wird alternativ die dynamische CT durchgeführt. Liegt kein diffuser Befall vor und erscheinen die sonographisch nachgewiesenen Herde nach Zahl und Lokalisation entsprechend den Richtlinien und Erfahrungen der zuständigen chirurgischen Klinik resektabel (die Angaben unterscheiden sich in den jeweiligen Zentren), so wird eine dynamische CT durchgeführt. Durch die Markteinführung leberspezifischer Kontrastmittel wird vermutlich zunehmend die MRT hierfür eingesetzt werden. Ein erkennbarer jedoch diagnostisch unklarer Herd sollte zusätzlich noch biopsiert werden. Abhängig von Lokalisation und Verdachtsmomenten kann dies präoperativ CT-/US-gesteuert oder intraoperativ, unter sonographischer oder palpatorischer Steuerung erfolgen. Verdacht auf primäres Lebermalignom. Die Sonographie ist bei
diesen Tumoren, auch bei Vorliegen anderer Verdachtsmomente (wie erhöhtes α-Fetoprotein) oft unergiebig. Die meist zirrhotisch umgebaute Leber hat ein inhomogenes Echomuster und maligne Tumoren sind oft nur schwer von Regeneratknoten oder fibrosierten Leberregionen zu unterscheiden. Multifokales Tumorwachstum kann nicht sicher nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. CT und MRT, letztere unter Verwendung leberspezifischer Kontrastmittel führen zu vergleichbaren Nachweisraten. Üblicherweise wird vor Therapieentscheid die CT-gesteuerte Punktion zur histologischen Sicherung durchgeführt.
Literatur Gebel M, Caselitz M, Manns MP (1998) Sonographische Diagnostik von Raumforderungen der Leber. Ultraschall Klin Prax 11:109–116 Helmberger T, Holzknecht N, Gregor M, Gauger J, Helmberger R, Reiser M (1998) Fokale Lebererkrankungen. Radiologe 38:263–269 Laing ADP, Gibson RN (1998) MRI of the liver. J Magn Res Imaging 8:337– 345 Lock G,Schölmerich J (1998) Vorgehen bei sonographischer nachgewiesener Raumforderung der Leber. Ultraschall Klin Prax 11:117–120 Mahfouz AE, Hamm B, Mathieu D (1996) Imaging of metastases to the liver. Eur Radiol 6:607–614 Oberstein A, Kauczor HU, Mildenberger P, Ibe M, Teifke A, Rieker O, Gerken G, Thelen M (1996) Drei-Phasen-Spiral-CT in der Diagnostik von Lebererkrankungen: Vergleich mit der CT-Arteriographie und -Arterioportographie. Fortschr Röntgenstr 164:449–456 Valls C, Lopez E, Guma A, Gil M, Sanchez A, Andia E, Serra J, Moreno V, Figueras J (1998) Helical CT versus CT arterial portography in the detection of hepatic metastasis in colorectal carcinoma. Am J Roentgenol 170:1341–1347
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Echinokokkose der Leber J. Wydler, R. Schlumpf
) ) Bei der zystischen Echinokokkose, früher eine klare Domäne der Chirurgie, besteht eine Tendenz zu weniger invasiven Therapieformen: Die PAIR-Methode (Punktion-Aspiration-Injektion-Reaspiration) in Kombination mit Chemotherapie entwickelt sich zum Standardverfahren. Die chirurgischen Optionen verfügen über das Potenzial, den Parasiten total zu entfernen und den Patienten so zu heilen. Die alveoläre Echinokokkose ist eine schwere Erkrankung mit einer Mortalität von über 90% bei unbehandelten Patienten. Radikale Chirurgie gemäß onkologischen Richtlinien, gefolgt von einer mindestens zweijährigen Chemotherapie muss bei allen operablen Patienten gefordert werden. Bei inoperablen Patienten oder nach nichtradikaler Resektion erhöht die langjährige Chemotherapie das Überleben signifikant.
37.2.1 Pathogenese Die humane Echinokokkose ist eine zoonotische Infektion, verursacht durch die Larvenform (Metazestoden) des Bandwurmes der Art Echinococcus, der im Dünndarm von Karnivoren gefunden wird. Die über den Darm ausgeschiedenen Eier des Bandwurmes können eine Vielzahl verschiedener Arten von Zwischenwirten inkl. den Menschen infizieren. Von den 4 bekannten Spezies des Echinicoccus sind 2 von speziellem medizinischen Interesse: 4 E. granulosus: führt zur zystischen Echinokokkose; Endwirt Hund und Wolf 4 E. multilocularis: führt zur alveolären Echinokokkose; Endwirt Fuchs oder Katze Zwischenwirte für E. granulosus sind Warmblütler, vor allem Pflanzenfresser, für E. multilocularis vor allem die Feldmaus. Die Infektion des Menschen erfolgt fäkal-oral durch die genannten infizierten Tiere, deren Kot und/oder durch Kot verunreinigte Nahrungsmittel. Die Eihülle der Larve wird durch den Magensaft im Menschen verdaut, durchdringt die Schleimhaut des Duodenums und gelangt so in den Pfortaderkreislauf. Aus diesen entwicklungsfähigen Onkosphären entstehen zunächst kleine Bläschen, die allmählich zu Finnen heranwachsen. 37.2.2 Epidemiologie Die zystische Echinokokkose ist weltweit verbreitet und tritt vor allem in Schafzuchtgebieten endemisch auf. Die bevorzugten Regionen sind Europa, Asien, der Mittelmeerraum, Südamerika, Australien und Ostafrika. Die alveoläre Echinokokkose kommt bevorzugt in Gegenden mit einer hohen Dichte des Endwirtes Fuchs vor, nämlich im nördlichen Asien, Russland, Kanada und Alaska. In Europa gelten Südwestdeutschland und die Nordostschweiz als Endemiegebiete. Die jährliche Inzidenz der zystischen Echinokokkose variiert stark in den verschiedenen Endemiegebieten zwischen <1–220 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern. Die Mortalität ist tief
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Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
(2–4%), kann aber bei inadäquater medizinischer Versorgung bedeutend ansteigen. Glücklicherweise ist die Inzidenz bei der alveolären Echinokokkose in den meisten Endemiegebieten tiefer (0,02–1,4 neue Erkrankungen pro 100.000 Einwohner). Aber die unbehandelten oder unzureichend behandelten Patienten weisen innerhalb 10–15 Jahre nach der Diagnosestellung eine Mortalität von über 90% auf (WHO Informal Working Group on Echinococcosis 1996). 37.2.3 Klinische Symptomatologie Die Beschwerden und die klinischen Befunde der Echinokokkose sind im Wesentlichen abhängig von der Lokalisation der Zysten und vom Spontanverlauf der Erkrankung. Daneben treten unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Inappetenz und Völlegefühl auf.
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Zystische Echinokokkose Die Metazestoden können sich in fast allen Organen entwickeln. Etwa 80% der Patienten weisen jedoch den Befall eines einzelnen Organs auf und zeigen eine solitäre Zyste. Zwei Drittel der Zysten finden sich in der Leber, 20% in der Lunge. Die Finne von E. granulosus wird auch als »Hydatide« bezeichnet (hydatis: Wasserblase). Sie stellt im typischen Falle eine mit Flüssigkeit gefüllte, ein- oder mehrkammerige Blase dar, deren Wand aus einer inneren, zellulären Keimschicht und der äußeren, azellulären Kutikularschicht besteht. Eine vom Wirt gebildete Bindegewebsschicht umschließt die Finne (Perizyste). Der natürliche Verlauf der Infektion ist nun sehr unterschiedlich. Einige Zysten wachsen (durchschnittlich 1–30 mm/Jahr) und verbleiben in einem Zustand ohne wesentliche Veränderungen über Jahre hinweg, andere Zysten können spontan rupturieren oder kollabieren und damit vollständig verschwinden. Durch die Ausschwemmung von lebenden Protoskolizes nach spontaner oder traumatischer Zystenruptur oder während eines interventionellen Verfahrens kann eine sekundäre Echinokokkose entstehen. Nach einer variablen Inkubationszeit kann die Infektion symptomatisch werden, sobald die Zyste einen Druck auf das umliegende Gewebe ausübt: Störung der Blutzirkulation und des Galleabflusses sowie Atrophie des Lebergewebes mit entsprechenden klinischen Störungen. Lungenechinokokken verursachen oft keine Symptome. Klinische Erscheinungen (Schmerzen, Husten, Atembeschwerden) treten jedoch bei Ruptur der relativ dünnwandigen Blasen auf. Im Gehirn oder im Rückenmark angesiedelte Finnen verursachen neurologische Symptome. Komplikationen im Spontanverlauf des Echinococcus cysticus 5 Ruptur der Zyste ins Peritoneum mit Anaphylaxie oder peritonealer Dissemination oder beidem 5 Ruptur in die Gallenwege: Cholangitis oder Cholostase oder beides 5 Ruptur in Pleura oder Lunge: pleurale Hydatosis oder bronchiale Fisteln 5 Leberabszesse durch infizierte Zysten 5 Druck durch Zystenmasse auf Gallenwege, Pfortader, Lebervenen, V. cava inferior → Cholostase, portale Hypertension, Budd-Chiari-Syndrom
Für das chirurgische Vorgehen wichtig zu wissen ist, ob eine Kommunikation mit den Gallenwegen besteht, entweder durch Gallenachweis in der Zyste, Tochterzysten in den Gallenwegen oder durch eine direkte Verbindung im ERCP.
Alveoläre Echinokokkose Die Finnen von E. multilocularis zeigen einen anderen Aufbau. Sie bestehen aus Konglomeraten mikroskopisch kleiner bis maximal haselnussgroßer Bläschen, die von Granulations- oder Bindegewebe umschlossen sind. Dadurch entsteht eine alveoläre Struktur. Pathogenetisch bedeutsam ist die Tatsache, dass die Finne durch Proliferation ungehemmt, tumorartig wächst und allmählich die befallenen Organe durchdringt. Echinococcus multilocularis siedelt sich bei 98% der Fälle primär in der Leber an, sekundär kann eine »Metastasierung« in die Lunge und in andere Organe erfolgen. Durch zentrale Nekrose des Parasiten entstehen manchmal größere Zerfallshöhlen. Die befallene Leber ist meist vergrößert und von harter Konsistenz. Nach einer langen asymptomatischen Inkubationszeit von mindestens 5–15 Jahren treten mit cholostatischem Ikterus (2/3 der Fälle) und/oder Oberbauchschmerzen (1/3 der Fälle) erste Symptome auf. Bei einem Drittel der Patienten wird die alveoläre Echinokokkose bei den Abklärungen wegen Müdigkeit, Gewichtsverlust, Hepatomegalie oder pathologischen Leberparametern als Zufallsbefund entdeckt. Die Erkrankung nimmt einen chronisch-schleichenden Verlauf und endet inadäquat oder unbehandelt innerhalb von Monaten oder Jahren tödlich (mittlere Überlebenszeit nach Diagnosestellung bei 21 unbehandelten Patienten aus Alaska 5,3 Jahre, alle Patienten verstarben innerhalb von 14 Jahren; Wilson et al. 1992). Trotzdem gibt es auch Abwehrmechanismen des Wirtes, durch die die Metazestoden degenerieren, kalzifizieren und schließlich absterben. Die Rate dieser Spontanheilungen ist jedoch nicht bekannt. 37.2.4 Diagnostik Die Diagnose wird mit Hilfe radiologischer Abklärungen in Kombination mit serologischen Studien gestellt. Oft wird eine Echinokokkose bei asymptomatischen Patienten diagnostiziert, wenn aus anderen Gründen eine Abdomensonographie oder ein CT durchgeführt wird. Die radiologischen Zeichen sind sehr typisch. Durch Verkalkungen in der Zystenwand können kreisförmige Kalkschatten selbst in Abdomenleerbildern gesehen werden. Sonographisch können die Zystenstruktur und der Inhalt identifiziert werden, Tochterzysten verursachen eine unterschiedliche Densität (»Zyste in der Zyste« bei der zystischen Echinokokkose). Durch die ultraschallgestützte internationale Klassifikation sollen die Behandlungsprinzipien vereinfacht und Studienresultate besser miteinander vergleichbar gemacht werden können (WHO Informal Working Group 2003). Der Echinococcus alveolaris ist dagegen schlecht abgrenzbar und weist ein inhomogenes komplexes Echomuster mit echoarmen und echoreichen Anteilen auf. Die Differenzierung gegenüber Tumoren ist häufig schwierig. In der Computertomographie stellen sich Details wie multiple Septen, Tochterzysten und die genaue topographische Lage optimal für eine präoperative Planung dar (. Abb. 37.3).
629 37.2 · Echinokokkose der Leber
37
. Abb. 37.3. Zystische Echinokokkose der Leber
Das MRT zeigt diese Strukturen ebenfalls, bringt jedoch keinen zusätzlichen Nutzen. Bei vorhandenem Ikterus oder anderweitigem Verdacht auf eine Beteiligung der Gallenwege hilft uns das ERCP sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Hinsicht. Im Labor erweist sich das Routinelabor als wenig hilfreich, reflektiert aber komplizierte, infizierte Zysten bei erhöhten Entzündungswerten und pathologischen Leberparametern. Die serologischen Studien sind sowohl für die Diagnostik, mit der Differenzierung zwischen alveolärem und zystischem Echinococcus, als auch für die Verlaufskontrollen nach erfolgter Therapie wichtig. Es gelingt in über 95% zwischen zystischer und alveolärer Form zu differenzieren (Siles-Lucas et al. 2001). Enzym-, Immunfluoreszenz- und Hämagglutinationstests sind bei Leberbefall sehr sensitiv und spezifisch, bei Lungenbefall jedoch deutlich schlechter.
Mortalität, Hospitalisationsdauer und Rezidivraten signifikant überlegen zu sein (Smego et al. 2003). Die optimale Behandlung der hepatischen zystischen Echinokokkose ist derzeit jedoch noch nicht klar definiert. Chirurgie. Die Chirurgie hat das Potenzial, den Parasiten total zu entfernen und den Patienten zu heilen.
Je radikaler die chirurgische Intervention, desto größer ist das Operationsrisiko, aber desto kleiner ist auch die Rezidivgefahr. Mit der Einführung der Chemotherapie prä- und postoperativ ist es möglich, ein weniger aggressives chirurgisches Verfahren zu wählen. Die Indikation zur chirurgischen Behandlung ist weiterhin unbestritten bei Zysten, wo eine Verbindung zu den Gallenwegen diagnostiziert oder vermutet wurde (Kayaalp et al. 2002).
37.2.5 Therapie Zystische Echinokokkose Zu den Behandlungsprinzipien der zystischen Echinokokkose gehört die Abtötung des Erregers, die Entfernung der infizierenden Element aus der Leber, die Therapie der Resthöhle und die Vermeidung von postoperativen Rezidiven, sowie lokalen und biliären Komplikationen. Die Therapie soll leicht und schnell anwendbar sein, blutarm durchgeführt werden können und ein geringes Risiko für peri- und postoperative Komplikationen aufweisen. Lange Zeit galt die Chirurgie unangefochten als Behandlung der ersten Wahl. Seit Anfang der 90er-Jahre setzt sich mehr und mehr die weniger invasive Punktions-Aspiration-InjektionReaspirations-Methode (PAIR) in Kombination mit Chemotherapie durch. Heute scheint diese Therapieform der Chirurgie in klinischer und parasitologischer Effektivität, Morbidität und
Zu den radikalen chirurgischen Verfahren zählen die totale Perizystektomie (. Abb. 37.4) und die partielle Hepatektomie (Belli et al. 1983). Als konservative Chirurgie gilt die offene Zystektomie mit oder ohne Omentumplastik. Die palliative Chirurgie mit einer einfachen Schlauchdrainage wird bei infizierten Zysten oder kommunizierenden Zysten angewandt. Daneben werden auch laparoskopische Methoden beschrieben, zum Teil mit einer speziellen Aspirationsschleifmaschine. Dadurch soll eine bessere Kontrolle über die Ausschwemmung des Materials sowie über Verbindungen mit den Gallenwegen erzielt werden. Die Nachbeobachtungszeit ist jedoch bei den laparoskopischen Verfahren noch zu kurz. Auch fehlen prospektiv randomisierte Studien zwischen laparoskpischer, konventioneller und perkutaner Technik (Sayek et al. 2001).
630
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
PAIR. Bei der PAIR wird die Zyste unter sonographischer oder computertomographischer Kontrolle punktiert und der Zysteninhalt aspiriert. Der Zysteninhalt wird auf Bilirubin untersucht, das Verfahren wird abgebrochen, falls so eine Verbindung zu den Gallewegen nachgewiesen wird. Eine solche Kommunikation sollte durch Injektion von Kontrastmittel in die Zyste zusätzlich ausgeschlossen werden. Anschließend erfolgt die Instillation einer proktozoliden Substanz während mindestens 5 min, gefolgt von der Reaspiration. Ein intravenöser Zugang am Patienten muss vorhanden sein, genauso wie die Anwesenheit von Anästhesiepersonal zur Behandlung von allergischen oder anaphylaktischen Reaktionen. Ebenfalls wird, wie bei den operativen Verfahren, eine Chemotherapie empfohlen (mindestens 4 Tage präinterventionell bis 1 Monat postinterventionell). Eine Schwangerschaft wird nicht mehr als Kontraindikation angesehen, die Chemotherapie sollte aber in der Frühschwangerschaft weggelassen werden. In verschiedenen Studien zeigte diese Methode auch im Langzeitverlauf gute Resultate mit einem vernachlässigbaren Risiko der Anaphylaxie, guter Wirksamkeit und geringer Rezidivrate (Khuroo et al. 1997; Men et al. 1999; Aygun et al. 2001). Durch die minimale Invasivität dieses Verfahrens sind die Komplikationsraten kleiner und die Hospitalisationszeit kürzer als bei der Operation. Die Gefahren liegen, wie bei jeder Punktion, in Blutungen, Verletzung von anderen Strukturen oder Infektionen.
. Abb. 37.4. Intraoperativer Situs bei Perizystektomie
37
Mit dem chirurgischen Eingriff sollte eine begleitende medikamentöse Therapie mit Benzimdazolderivaten (Mebendazol und Albendazol) durchgeführt werden. Dadurch soll zur Erleichterung der Operation die Zyste weicher werden und der intrazystische Druck gesenkt werden können. Jedoch sind weder Dauer noch Effektivität dieser Behandlung bestimmt. Möglicherweise wird durch die perioperative medikamentöse Therapie das Risiko einer sekundären Echinokokkose reduziert, wobei die Behandlung mindestens 4 Tage präoperativ begonnen und während einem Monat postoperativ durchgeführt werden sollte (WHO Informal Working Group on Echinococcosis 1996). Für die intraoperative Abtötung der Protoskoliziden existiert keine ideale Substanz. Einerseits kommt es durch die Hydatidenflüssigkeit zu einer unvorhersagbaren Verdünnung der Agenzien, und Tochterzysten können nur schwer angegangen werden; andererseits kann es bei Verbindung mit dem Gallensystem zu schweren toxischen, irreversiblen Schädigungen kommen. Wegen dieser Gefahr der Cholangitis, die zu einer sklerosierenden Cholangitis führen kann, wurde der Einsatz von Formalin verlassen. Die gleichen Nebenwirkungen, jedoch in geringerem Ausmaß können auch die heute gebräuchlichen Substanzen (70–95% Alkohol, 15–20%NaCl) verursachen. Die Risiken der operativen Verfahren sind abhängig vom Ausmaß der Chirurgie, den allgemeinen chirurgischen Risiken (Narkose, Infektion, Thrombose). Intraoperativ kann es zu einer anaphylaktischen Reaktion kommen und es besteht die Gefahr einer sekundären Echinokokkose bei Ausschwemmung von lebendem Material (2–25%). Die operative Mortalität variiert von 0,5–4%.
Chemotherapie. Bei alleiniger Chemotherapie zeigen 30% der Patienten nach 12 Monaten eine Heilung, 30–50% eine Degeneration und/oder eine signifikante Verkleinerung. 20–40% weisen dagegen keine Veränderungen auf. Junge Menschen sprechen besser auf eine Chemotherapie an als alte, ebenso Patienten mit einer kleinen Zyste mit einer dünnen Wand (WHO Informal Working Group on Echinococcosis 1996).
Indikationen der Chemotherapie 5 Inoperable Patienten 5 Multiple Zysten in 2 oder mehr Organen 5 Peritoneale Zysten
Kontraindikationen der Chemotherapie 5 5 5 5
Große Zysten mit der Gefahr einer Ruptur Inaktive oder verkalkte Zysten Früh- und Spätschwangerschaft Chronische Lebererkrankungen, Knochenmarksdepression
Die übliche Dosierung von Albendazole beträgt 10–15 mg/kg/d während eines Monates, gefolgt von einer Pause von 14 Tagen. Dieser Zyklus wird in der Regel dreimal wiederholt, in seltenen Fällen jedoch bis zu sechsmal (WHO Informal Working Group on Echinococcosis 1996). Als Nebenwirkungen der medikamentösen Behandlung besteht eine Hepatoxizität, es treten Neutropenie, Thrombozytopenie und Alopezie auf. Regelmäßige Laborkontrollen, sowie sonographische Verlaufskontrollen sind notwendig. Ergebnisse. Obwohl die PAIR-Methode in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren hat und überzeugende
631 37.2 · Echinokokkose der Leber
Resultate zeigte, wird sie doch nicht überall akzeptiert. In Frage gestellt werden vor allem die Gefahr der Anaphylaxie sowie die peritoneale Parasitenaussaat. Dies scheinen jedoch vor allem theoretische Gefahrenpotenziale zu sein, konnten in der Metanalyse von Smego keine signifikanten Unterschiede gezeigt werden (Smego et al. 2003). Obwohl bei ca. 90% der Zysten eine gewisse Verbindung zu den Gallewegen besteht, erweist sich das für die PAIR-Methode nicht als Nachteil. Es treten sogar signifikant weniger Gallefisteln auf (Smego et al. 2003), diese können in der Regel endoskopisch behandelt werden. Große Verbindungen zum Gallengangsystem sollten sicherlich präinterventionell festgestellt, oder nach der Punktion durch Kontrastmittelgabe in die Zyste dargestellt werden. Beeindruckend sind jedoch in der Arbeit von Smego die signifikanten Vorteile der PAIR-Methode, was die Effektivität, Morbidität, Mortalität, Rezidivrate und Hospitalisationsdauer angeht (Smego et a. 2003). Sicherlich sollten diese Resultate noch in großen prospektiv randomisierten Studien erhärtet werden. Mitentscheidend für die Verfahrenswahl sind aber auch die apparativen, technischen Möglichkeiten sowie die Erfahrung in Leberchirurgie. Alveoläre Echinokokkose Wegen des infiltrativen Wachstums des Echinococcus multilocularis und der schlechten Prognose muss eine radikale chirurgische Resektion angestrebt werden. Diese richtet sich nach den Grundsätzen der Tumorchirurgie. Eine frühe Diagnosestellung ermöglicht die radikale Resektion und verbessert somit die Prognose. In den präoperativen Abklärungen müssen das Ausmaß der Resektion und die Operabilität im Hinblick auf eine Radikalität genau abgeklärt werden. Trotzdem kann dies mit den modernen Untersuchungsmethoden oft nicht klar definiert werden. Auch bei makroskopisch radikaler Resektion besteht die Gefahr, unsichtbare Anteile des Parasiten zurückgelassen zu haben, sodass ein Rezidiv oder eine Dissemination auch nach Jahren noch möglich ist. Deswegen ist eine postoperative Chemotherapie über mindestens 2 Jahre indiziert, ebenso wie die Nachkontrollen während mindestens 10 Jahren (Ammann et al. 1996).
Auch die nichtradikale Resektion bietet dem Patienten Vorteile, da die Parasitenmasse reduziert wird und das Ansprechen auf die Chemotherapie verbessert werden kann. Allerdings muss eine Langzeitchemotherapie über mehrere Jahre angeschlossen werden (Ammann et al. 1999; Emre et al. 2003).
Kontraindikationen der operativen Therapie 5 Inoperable bzw. extensive Läsionen 5 Übergriff auf andere Organe 5 Sekundäre Veränderungen: Thrombose V. portae/V. cava, Cholostase, Kolliquationsnekrosen der Leber
Eine routinemäßige präoperative Chemotherapie ist nicht indiziert (WHO Informal Working Group on Echinococcosis 1996). In seltenen Fällen kann jedoch, bei initialer Kontraindikation für eine Operation, nach der Chemotherapie eine Resektion durchgeführt werden. Als palliative Maßnahmen in Fällen, in denen eine Operation kontraindiziert ist, steht eine Reihe interventioneller Verfah-
37
ren zur Behandlung der lokalen Komplikationen zur Verfügung. Damit kann nicht nur die Lebensqualität verbessert, sondern oft auch die Überlebenszeit verlängert werden. Bei einer schweren alveolären Echinokokkose, die auf die Leber beschränkt ist und mit einer Leberinsuffizienz einhergeht, kann die Lebertransplantation in sehr ausgewählten Fällen ein lebensrettendes Verfahren sein. Postoperativ ist eine Langzeitchemotherapie notwendig (Ammann et al. 1996). Trotzdem besteht die Gefahr, dass unter der notwendigen Immunsuppression ein Rezidiv eines präoperativ nicht bekannten Herdes auftritt. Bei guter Patientenselektion kann ein 5-Jahres-Überleben von 70%, bei Rezidivfreiheit von 58% erreicht werde (Bresson-Hadni et al. 2003). Behandlungsprinzipien der alveolären Echinokokkose 5 Behandlung der Wahl ist bei allen operablen Patienten die radikale chirurgische Resektion der parasitären Läsion der Leber und anderer beteiligter Organe. 5 Chemotherapie für eine befristete Zeit ist nach radikaler Chirurgie indiziert. 5 Langzeitchemotherapie ist nach inkompletter Resektion, bei inoperablen Patienten, nach palliativen Maßnahmen und nach Lebertransplantation indiziert.
Literatur Ammann RW, Eckert J (1996) Cestodes. Echinococcus. Gastroenterol Clin North Am 25(3):655–689 Ammann RW, Fleiner Hoffmann A, Eckert J (1999) Schweizerische Studie für die Chemotherapie der alveolären Echinokokkose – Rückblick auf ein 20jähriges klinisches Forschungsprojekt. Schweiz Med Wochenschr 129:323–332 Aygun E, Sahin M, Odev K, Vatansev C, Aksoy F, Paksoy Y, Kartal A, Karahan O (2001) The management of liver hydatid cysts by percutaneous drainage. Can J Surg 45(1):69–70 Belli L, Del Favero E, Marni A (1983) Resection versus pericystectomy in the treatment on hydatidosis of the liver. Am J Surg 145:239–242 Bresson-Hadni S, Koch S, Miguet JP, Gillet M, Mantion GA, Heyd B, Vuitton DA; European Group of Clinicians (2003) Indications and results of liver transplantation for Echinococcus alveolar infection: an overview. Langenbecks Arch Surg 388(4):231–238 Emre A, Ozden I, Bilge O, Arici C, Alper A, Okten A, Acunas B, Rozanes I, Acarli K, Tekant Y, Ariogul O (2003) Alveolar echinococcosis in Turkey. Experience from an endemic region. Dig Surg 20(4):301–305 Kayaalp C, Bzeizi K, Demirbag AE, Akoglu M (2002) Biliary complications after hydatid liver surgery: incidence and risk factors. J Gastrointest Surg 6(5):706–712 Khuroo MS, Wani NA, Javid G, Khan BA, Yattoo GN, Shah AH, Jeelani SG (1997) Percutaneous drainage compared with surgery for hydatid cysts. N Engl J Med 337:881–887 Men S, Hekimoglu B, Yucesoy C, Arda IS, Baran I (1999) Percutaneous treatment of hepatic hydatid cysts: an alternative to surgery. AJR Am J Roentgenol 172(1):83–89 Sayek I, Onat D (2001) Diagnosis and treatment of uncomplicated hydatid cyst of the liver. World J Surg 25(1):21–27 Siles-Lucas MM, Gottstein BB (2001) Molecular tools for the diagnosis of cystic and alveolar echinococcosis. Trop Med Int Health 6:463–475 Smego RA Jr, Bhatti S, Khaliq AA, Beg MA (2003) Percutan aspirationinjection-reaspiration drainage plus albendazole or mebendazole for hepatic cystic echinococcosis: a meta-analysis. Clin Infect Dis 37(8):1073–1083
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Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
WHO Informal Working Group on Echinococcosis (1996) Guidelines for treatment of cystic and alveolar echinococcois in humans. Bull World Health Organ 74:231–242 WHO Informal Working Group (2003) International classification of ultrasound images in cystic echinococcosis for application in clinical and field epidemiological settings. Acta Trop 85(2):253–261 Wilson JF, Rausch RL, McMahon BJ, Schantz PM (1992) Parasitical effect of chemotherapy in alveolar hydatid disease: review of experience with mebendazole and albendazole in Alaskan Eskimos. Clin Infect Dis 15(2):234–249
Internetadressen http://www.medicalweb.it/aumi/echinonet/ http://www.cdc.gov/
37.3
Lebertrauma inklusive Bilhämie R. Margreiter
) )
37
Auf kaum einem Gebiet der operativen Medizin hat sich das therapeutische Vorgehen im letzten Dezennium so drastisch gewandelt wie bei der Behandlung des Lebertraumas. War noch etwa vor 15 Jahren die konservative Therapie ausschließlich leichten Leberverletzungen vorbehalten, so werden heute 80% aller stumpfen Lebertraumata nicht-operativ therapiert. Gründe dafür sind die Tatsache, dass viele Leberverletzungen zum Zeitpunkt der Laparotomie nicht mehr bluten, die Verfügbarkeit einer neuen Generation von Computertomographen und das Wissen, dass viele Komplikationen des Lebertraumas mit minimalinvasiven Methoden korrigiert werden können. Die Leber als größtes parenchymatöses Organ des Bauchraumes ist trotz Protektion durch die darüber liegenden Rippen in besonderer Weise verletzungsgefährdet. So ist das in unseren Breiten vorherrschende stumpfe Bauchtrauma in etwa 20% mit einer Leberverletzung vergesellschaftet. Bei stumpfen Lebertraumata wiederum finden sich häufig begleitende Schädel-, Thorax-, oder Knochenverletzungen bzw. Läsionen anderer intraabdomineller Organe. Wenn auch heute der Großteil auch schwerer Lebertraumata konservativ behandelt werden kann, so bleiben doch immer noch Leberrupturen, die offen zu versorgen sind. Bedenkt man, dass das ausgedehnte Lebertrauma mit Zerreißung großer vaskulärer Strukturen auch für den erfahrenen Leberchirurgen gelegentlich eine kaum lösbare Herausforderung darstellt, so wird verständlich, dass sich ein in der Leberchirurgie nicht speziell ausgebildeter Operateur durch das schwere Lebertrauma überfordert fühlt. Da jedoch jeder Allgemeinchirurg mit dieser Situation konfrontiert sein kann und unbedingt vermieden werden sollte, dass ausgedehntere Leberresektionen und Gefäßrekonstruktionen erstmals beim Leberverletzten durchgeführt werden, sollen in diesem Kapitel Richtlinien angeboten werden, wie auch weniger Erfahrene das primäre Operationsziel, nämlich die lebensrettende Blutstillung, am ehesten erreichen können.
37.3.1 Klassifikation Die Einteilung der Schweregrade der Leberverletzungen nach Moore wurde vom selben Autor und Mitarbeitern etwas modifiziert und von der American Association for the Surgery of Trauma anerkannt (. Tab. 37.1). 37.3.2 Diagnostik Der physikalischen Untersuchung kommt nur geringe Bedeutung zu, Sie sollte jedoch gerade im Hinblick auf äußere Verletzungszeichen nie unterlassen werden. Die 1965 eingeführte diagnostische Peritoneallavage zeichnet sich durch eine hohe Sensibilität für den Nachweis von Blut und Entzündungszellen aus und hat gerade deshalb beim stumpfen Bauchtrauma zu vielen unnötigen Laparotomien geführt. Das Versagen der diagnostischen Peritoneallavage als Indikator zum operativen Vorgehen beim Lebertrauma hat dazu geführt, dass diese diagnostischen Maßnahmen durch Ultraschall und vor allem durch die Computertomographie ersetzt wurden. Der Ultraschall, im Schockraum vom behandelnden Chirurgen durchgeführt, ist ein verlässliches Instrument zum quantitativen Nachweis von intraabdominellem Blut, erreicht jedoch bei weitem nicht die Aussagekraft der Computertomographie.
Die Computertomographie stellt heute beim kreislaufstabilen Patienten die Methode der Wahl dar. Sie vermittelt ein gutes Bild vom Ausmaß der Verletzung auch anderer parenchymatöser Organe, sowohl intra- als auch retroperitoneal.
. Tabelle 37.1. Einteilung der Schweregrade der Leberverletzungen nach Moore et al.
Grad
Beschreibung
I
Subkapsuläres Hämatom (<10% Leberoberfläche, ohne Größenzunahme), Kapselriss, weniger als 1 cm tiefer Parenchymriss – nicht blutend
II
Subkapsuläres Hämatom (10–50% Leberoberfläche), intraparenchymatöses Hämatom <2 cm Durchmesser, 1–3 cm tiefer blutender Kapsel – und Parechymriss <10 cm lang
III
Subkapsuläres Hämatom (>50% Leberoberfläche oder Größenzunahme), rupturiertes, blutendes subkapsuläres Hämatom; intraparenchymatöses Hämatom >2 cm Durchmesser oder Größenzunahme, Parenchymriss >3 cm tiefer
IV
Ruptruriertes intraparenchymatöses Hämatom blutend, Zerreißung 25–50% eines Leberlappens
V
Zerreißung von mehr als 50% eines Leberlappens; Verletzung der großen Lebervenen oder der retrohepatischen Vena cava
VI
Abriss der Leber
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Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
WHO Informal Working Group on Echinococcosis (1996) Guidelines for treatment of cystic and alveolar echinococcois in humans. Bull World Health Organ 74:231–242 WHO Informal Working Group (2003) International classification of ultrasound images in cystic echinococcosis for application in clinical and field epidemiological settings. Acta Trop 85(2):253–261 Wilson JF, Rausch RL, McMahon BJ, Schantz PM (1992) Parasitical effect of chemotherapy in alveolar hydatid disease: review of experience with mebendazole and albendazole in Alaskan Eskimos. Clin Infect Dis 15(2):234–249
Internetadressen http://www.medicalweb.it/aumi/echinonet/ http://www.cdc.gov/
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Lebertrauma inklusive Bilhämie R. Margreiter
) )
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Auf kaum einem Gebiet der operativen Medizin hat sich das therapeutische Vorgehen im letzten Dezennium so drastisch gewandelt wie bei der Behandlung des Lebertraumas. War noch etwa vor 15 Jahren die konservative Therapie ausschließlich leichten Leberverletzungen vorbehalten, so werden heute 80% aller stumpfen Lebertraumata nicht-operativ therapiert. Gründe dafür sind die Tatsache, dass viele Leberverletzungen zum Zeitpunkt der Laparotomie nicht mehr bluten, die Verfügbarkeit einer neuen Generation von Computertomographen und das Wissen, dass viele Komplikationen des Lebertraumas mit minimalinvasiven Methoden korrigiert werden können. Die Leber als größtes parenchymatöses Organ des Bauchraumes ist trotz Protektion durch die darüber liegenden Rippen in besonderer Weise verletzungsgefährdet. So ist das in unseren Breiten vorherrschende stumpfe Bauchtrauma in etwa 20% mit einer Leberverletzung vergesellschaftet. Bei stumpfen Lebertraumata wiederum finden sich häufig begleitende Schädel-, Thorax-, oder Knochenverletzungen bzw. Läsionen anderer intraabdomineller Organe. Wenn auch heute der Großteil auch schwerer Lebertraumata konservativ behandelt werden kann, so bleiben doch immer noch Leberrupturen, die offen zu versorgen sind. Bedenkt man, dass das ausgedehnte Lebertrauma mit Zerreißung großer vaskulärer Strukturen auch für den erfahrenen Leberchirurgen gelegentlich eine kaum lösbare Herausforderung darstellt, so wird verständlich, dass sich ein in der Leberchirurgie nicht speziell ausgebildeter Operateur durch das schwere Lebertrauma überfordert fühlt. Da jedoch jeder Allgemeinchirurg mit dieser Situation konfrontiert sein kann und unbedingt vermieden werden sollte, dass ausgedehntere Leberresektionen und Gefäßrekonstruktionen erstmals beim Leberverletzten durchgeführt werden, sollen in diesem Kapitel Richtlinien angeboten werden, wie auch weniger Erfahrene das primäre Operationsziel, nämlich die lebensrettende Blutstillung, am ehesten erreichen können.
37.3.1 Klassifikation Die Einteilung der Schweregrade der Leberverletzungen nach Moore wurde vom selben Autor und Mitarbeitern etwas modifiziert und von der American Association for the Surgery of Trauma anerkannt (. Tab. 37.1). 37.3.2 Diagnostik Der physikalischen Untersuchung kommt nur geringe Bedeutung zu, Sie sollte jedoch gerade im Hinblick auf äußere Verletzungszeichen nie unterlassen werden. Die 1965 eingeführte diagnostische Peritoneallavage zeichnet sich durch eine hohe Sensibilität für den Nachweis von Blut und Entzündungszellen aus und hat gerade deshalb beim stumpfen Bauchtrauma zu vielen unnötigen Laparotomien geführt. Das Versagen der diagnostischen Peritoneallavage als Indikator zum operativen Vorgehen beim Lebertrauma hat dazu geführt, dass diese diagnostischen Maßnahmen durch Ultraschall und vor allem durch die Computertomographie ersetzt wurden. Der Ultraschall, im Schockraum vom behandelnden Chirurgen durchgeführt, ist ein verlässliches Instrument zum quantitativen Nachweis von intraabdominellem Blut, erreicht jedoch bei weitem nicht die Aussagekraft der Computertomographie.
Die Computertomographie stellt heute beim kreislaufstabilen Patienten die Methode der Wahl dar. Sie vermittelt ein gutes Bild vom Ausmaß der Verletzung auch anderer parenchymatöser Organe, sowohl intra- als auch retroperitoneal.
. Tabelle 37.1. Einteilung der Schweregrade der Leberverletzungen nach Moore et al.
Grad
Beschreibung
I
Subkapsuläres Hämatom (<10% Leberoberfläche, ohne Größenzunahme), Kapselriss, weniger als 1 cm tiefer Parenchymriss – nicht blutend
II
Subkapsuläres Hämatom (10–50% Leberoberfläche), intraparenchymatöses Hämatom <2 cm Durchmesser, 1–3 cm tiefer blutender Kapsel – und Parechymriss <10 cm lang
III
Subkapsuläres Hämatom (>50% Leberoberfläche oder Größenzunahme), rupturiertes, blutendes subkapsuläres Hämatom; intraparenchymatöses Hämatom >2 cm Durchmesser oder Größenzunahme, Parenchymriss >3 cm tiefer
IV
Ruptruriertes intraparenchymatöses Hämatom blutend, Zerreißung 25–50% eines Leberlappens
V
Zerreißung von mehr als 50% eines Leberlappens; Verletzung der großen Lebervenen oder der retrohepatischen Vena cava
VI
Abriss der Leber
633 37.3 · Lebertrauma inklusive Bilhämie
Als einziger Nachteil der Methode muss die Tatsache angesehen werden, dass Magen-, Darm- und Zwerchfellverletzungen nicht erkannt werden können. In großen Serien betrug der Anteil übersehener Begleitverletzungen des Darmes jedoch unter 1%. Zwei Punkte sollten jedoch unbedingt bedacht werden: 4 Der hämodynisch instabile Patient sollte keinesfalls einer CTUntersuchung zugeführt, sondern sofort operiert werden. Eine Thoraxübersichtsaufnahme kann für die Entscheidung, welche Körperhöhle zuerst eröffnet werden soll, hilfreich sein. 4 Nicht die Radiomorphologie der Leberverletzung, sondern ausschließlich die Hämodynamik bestimmen das therapeutische Vorgehen. 37.3.3 Konservative Therapie Heute werden 80% aller Lebertraumata mit hohen Erfolgsraten konservativ therapiert. Nach Diagnosestellung durch CT werden hämodynamisch stabile Patienten mit Verletzungen Grad I–III an eine Überwachungsstation, solche mit höhergradigen Verletzungen an einer Intensivpflegestation aufgenommen und entsprechend überwacht. In Einzelfällen kann bei Verdacht auf aktive arterielle Blutung aufgrund von Kontrastmittelnachweis im Leberparenchym durch eine gezielte angiographische Embolisation eine Laparatomie vermieden werden. Wenn auch kontrovers diskutiert, führen wir Kontroll-CT’s bei Verletzungen ab dem IV. Grad routinemäßig zumindest vor Entlassung zum Nachweis der Wundheilung und intraabdomineller Flüssigkeitsansammlungen, die einer Drainage bedürfen oder zur Erfassung anderer Pathologien durch. Blut und/oder Galle werden vorzugsweise zwischen 3. und 5. postoperativen Tag laparoskopisch abgesaugt und die Bauchhöhle gespült. Gallengangsverletzungen werden endoskopisch retrograd diagnostiziert und ggf. durch einen Stent zur Sicherung des Gallenabflusses in das Duodenum zum Ausheilen gebracht. Größere Verletzungen können zu einem späteren Zeitpunkt operativ versorgt werden. Supkapsuläre Hämatome, wenn sie stationär bleiben und die Leber nicht zu sehr komprimieren, können durchaus belassen werden, bei Größenzunahme sollte angiographiert und bei Nachweis des blutenden Gefäßes dieses embolisiert werden. 37.3.4 Therapieziele und Indikationsstellung Cave Wenn trotz adäquater Volumen- und Blutsubstitution sowohl beim penetrierenden als auch stumpfen Bauchtrauma Kreislaufinstabilität fortbesteht, ist die notfallmäßige Laparotomie unverzüglich durchzuführen.
Primäres Therapieziel beim Lebertrauma ist eine zumindest temporäre Blutstillung; anzustreben ist jedoch die definitive Versorgung. Bei penetrierenden Verletzungen im Oberbauch sollten Thoraxverletzungen mit Hämato-Pneumothorax oder Perikardtamponade durch klinische Untersuchung, Röntgen und/oder Sonographie vor Beginn des Eingriffes nach Möglichkeit ausgeschlossen werden. Um unnötige Laparotomien zu vermeiden, wird bei Stichverletzungen die Wunde in Lokalanästhesie revi-
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diert. Unversehrtheit der Faszie berechtigt zum abwartenden Vorgehen. Zur Abklärung einer fraglichen Peritonealpenetration empfiehlt sich die diagnostische Laparoskopie. 37.3.5 Operationstechnik Im Gegensatz zur elektiven Leberchirurgie, bei der heute einem uni- oder bilateralen Subkostalschnitt mit medianer Verlängerung bis zum Xyphoid der Vorzug gegeben wird, empfiehlt sich beim Bauchtrauma wegen der raschen und blutarmen Durchführbarkeit die mediane Ober-/Mittelbauchlaparotomie. Im Falle von schwer zugänglichen Verletzungen im Bereiche der Leberkuppe kann die Inzision rasch durch den Rippenbogen in den 6.–8. Interkostalraum oder durch eine partielle Sternotomie erweitert werden. Wurde der Bauch – aus welcher Indikation auch immer – eröffnet, so können oberflächliche Parenchymeinrisse, sofern überhaupt notwendig, mit resorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 3/0 oder 4/0 versorgt werden, wobei wir der sog. 8er-Naht den Vorrang geben. Die Knoten sollten sehr vorsichtig zugezogen werden, um ein Einschneiden ins fragile Lebergewebe zu vermeiden. Ein kleines subkapsuläres Hämatom kann eröffnet werden, um sorgfältige Blutstillung mit dem Elektro- oder Infrarotkoagulator zu erzielen, größere Hämatome einem Grad II oder III entsprechend, sollten jedoch nur bei exzessiver Kompression der Leber bzw. großer Rupturgefahr eröffnet und versorgt werden. Zur Blutstillung von Verletzungen des dritten Grades kann es gelegentlich notwendig sein, stärker blutende Gefäße zu ligieren oder mit 4/0- bzw. 5/0-Nähten zu umstechen. Cave Tiefe durchgreifende Nähte sind wegen der Gefahr der Verletzung bzw. Unterbindung großer vaskulärer Strukturen nach Möglichkeit zu vermeiden!
Wenn viert- und fünftgradige Läsionen operiert werden müssen, verschafft man sich durch Absaugen des Blutes grobe Übersicht über die Leber- aber auch Begleitverletzungen. Die Blutung kann nach Wegfall der Tamponade nach Laparotomie durchaus noch heftiger werden. Zur Erfassung des genauen Verletzungsausmaßes und der exakten Lokalisation sowie auch zur definitiven Blutstillung kann die Blutung auf 2 Arten temporär kontrolliert werden: durch die manuelle Kompression des verletzten Leberanteils oder die Okklusion des Lig. hepatoduodenale. Da gerade die genaue Beurteilung und vor allem die Versorgung durch die manuelle Kompression erschwert bzw. unmöglich gemacht werden kann, geben wir der Hilusokklusion (Pringle-Manöver; . Abb. 37.5) und zwar mittels Tourniquet und Nabelschnurbändchen, den Vorzug. Bei Nicht-Voroperierten kann das kleine Netz stumpf perforiert und das Lig. hepatoduodenale in Sekundenschnelle umfahren werden. Wenn auch immer wieder empfohlen wird, den Gallengang nicht mitzufassen, so wird man diesen in der Eile nicht freipräparieren. Wir selbst haben bisher bei zahlreichen Pringle-Manövern keinerlei Schäden am Gallengang beobachten können. Durch die Okklusion des Ligamentum hepatoduodenale können ein völliger Stopp der portalvenösen und eine signifikante Reduktion der arteriellen Blutung erzielt werden. Quillt weiterhin dunkles Blut besonders hinter und unter der Leber hervor, so besteht der Ver-
634
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
. Abb. 37.5. Pringle-Manöver
37
dacht auf eine Läsion der retrohepatischen V. cava bzw. der großen Lebervenen. Für diese Situation wurden 2 Methoden zur weitgehenden vaskulären Okklusion der Leber angegeben: zum einen das Einführen eines intrakavalen Shunts, sei es über das rechte Herz oder von infrahepatisch her, zum anderen das Klemmen der supra- und infahepatischen V. cava. Der intrakavale Shunt wird immer wieder kolpotiert, es liegen aber nur ganz wenige Erfahrungsberichte mit schlechten Ergebnissen vor, sodass man auf diese Technik durchaus verzichten sollte. Hingegen kann die Cava unterhalb der Leber und oberhalb der Nierenvenen relativ rasch freigemacht und angezügelt werden. Dazu wird das Peritoneum etwa 2 cm kaudal der Umschlagfalte inzidiert und die Vorderwand der Cava weitgehend stumpf dargestellt. Die restliche Cava kann dann leicht freipräpariert und umfahren werden, wobei auf der rechten Seite auf einmündende zusätzliche Nebennierenvenen zu achten ist. Etwas schwieriger ist das Umfahren der suprahepatischen Cava. Nach Spalten des Ligamentum falciforme kann das linke Ligamentum triangulare rasch inzidiert werden, wobei auf die linke Lebervene zu achten ist. Hat man weitgehend stumpf die Vorderwand der Cava freigelegt, wird das rechte Ligamentum triangulare lateral der rechten Lebervene inzidiert und die Cava mit einer Overhold-Klemme unterfahren und angezügelt. Eine Alternative wäre die sagittale Spaltung des Zwerchfells direkt über der Cava und die intraperikardiale Umfahrung der Hohlvene, eine Technik, die man sinnvollerweise bei ausgedehnten Zerreißungen in der Nähe des venösen Leberhilus anwendet. Die Okklusion des Ligamentum hepatoduodenale kann bis zu 60 min belassen werden. Man wird sie sinnvollerweise zur Überprüfung der Blutstillung zwischendurch immer wieder lösen.
Die gesamte vaskuläre Isolation der Leber ist so kurz wie möglich zu halten.
Ist es einmal gelungen, sich Übersicht zu verschaffen, so hängt das weitere Vorgehen vom Verletzungstyp ab. Bei ausgedehnten Verletzungen des rechten Leberlappens sollte dieser zuerst mobi-
. Abb. 37.6. Durchtrennung des rechten Ligamentum triangulare
lisiert werden indem das rechte Ligamentum triangulare gespalten wird. Zu diesem Zweck wird infrahepatisch parakaval beginnend die Inzision des Peritoneums nach lateral weitergeführt. Zu starker Zug am »rechten unteren Eck« der Leber ist zu vermeiden, da sonst leicht eine weitere Parenchymläsion gesetzt wird. Bei dem anschließenden Präparationsschritt wird der rechte Leberlappen von der Assistenz nach medial gehalten, während der Operateur das Zwerchfell nach lateral spannt (. Abb. 37.6). Hat man das gesamte Ligamentum inzidiert, können das lockere Bindegewebe mit der rechten Nebenniere bis zur Cava leicht durchtrennt bzw. stumpf abgeschoben werden. Obwohl von einzelnen Gruppen nach wie vor die anatomische Resektion zur Behandlung des schweren Lebertraumas propagiert wird, sollte diese von nicht in der Leberchirurgie speziell Ausgebildeten nur bei Zertrümmerung eines ganzen Leberlappens ohne Verbleiben von vitalem Lebergewebe vorgenommen werden. Ansonsten hat sich der Eingriff auf das Débridement avitalen oder nekrotischen Gewebes zu beschränken. Ausgedehnte Läsionen der Cava oder der großen Lebervenen sollten unter vaskulärer Okklusion versorgt werden. Bei persistierender arterieller Blutung ist diese gezielt zu umstechen oder angiographisch durch selektive Embolisation zu stillen. Wegen der Gefahr der Entstehung ausgedehnter Nekrosen sollte die A. hepatica keinesfalls im Stamm ligiert werden. Kann die Blutung aus Parenchymverletzungen durch Ligaturen, gezielte Umstechungen oder Koagulation nicht unter Kontrolle gebracht werden, sollte der verletzte Leberanteil nach vorheriger Mobilisation mittels Bauchtüchern sorgfältig umlegt und komprimiert werden. Bei diesem Packing genannten Vorgehen ist auf eine gleichmäßige Kompression und auf einen ungestörten venösen Ausfluss zu achten (. Abb. 37.7), wie auch ein KompartmentSyndrom unbedingt zu vermeiden ist. Diese perihepatische Tamponade sollte wegen der Infektionsgefahr nicht länger als maxi-
635 37.3 · Lebertrauma inklusive Bilhämie
37
glactin. Nach Mobilisation wird der Leberlappen mit dem Netz umwickelt und dieses dann unter entsprechender Spannung in sich vernäht. Um eine Dislokation zu vermeiden, ist es am Ligamentum falciforme zu fixieren. Im Falle des Wrappings des rechten Leberlappens sollte prophylaktisch cholezystektomiert werden. Als Nachteil gegenüber der perihepatischen Bauchtuchtamponade muss der größere zeitliche Aufwand gesehen werden. Die durch zusätzliche Raffnähte sehr gut dosierbare Kompression ohne Beeinträchtigung benachbarter Strukturen und Organe ist genauso als Vorteil zu nennen, wie die geringere Infektionsgefahr und die Möglichkeit der Punktion eines Hämatoms oder Bilioms durch das Netz hindurch. Wegen der Resorbierbarkeit des Materials dürfte sich die Zahl der Reeingriffe reduzieren lassen.
Tamponaden
Tamponaden
. Abb. 37.7. Packing des rechten Leberlappens
mal 48 h belassen werden. Nach behutsamer Entfernung der Tamponade müssen evtl. nekrotische Parenchymanteile debridiert werden. Dabei können gelegentlich auch Gallenwegsverletzungen erkannt und versorgt werden.
Bei ausgeprägten Parenchymverletzungen sollte initial keine Resektion, sondern ein Packing der Leber erfolgen.
Als Alternative zum Packing bietet sich das Mesh-Wrapping an (. Abb. 37.8). Darunter versteht man die Kompressionsverpackung des verletzten Leberlappens oder der ganzen Leber mithilfe eines resorbierbaren Netzes aus Polyglykolsäure oder Poly-
C
D
E A
a
F
A'
B'
B
F E
C A
D B
Grundsätzlich sollte jedoch bei Problemen mit der Blutstillung eine Verlegung des Patienten nach hämodynamischer Stabilisierung in ein Zentrum angestrebt werden.
Wenn trotz der geschilderten Maßnahmen keine Blutstillung erzielt werden konnte, wurde als Ultima ratio gelegentlich eine Lebertransplantation durchgeführt. Da man in dieser Situation meist kein geeignetes Transplantat zur Verfügung haben wird, sollte bei zweitzeitigem Vorgehen nach Hepatektomie die möglichst lange belassene Pfortader seitlich in die Cava eingepflanzt werden. 37.3.6 Komplikationen Hämobilie Gelegentlich führt ein stumpfes Bauchtrauma zu einer arteriobiliären Fistel mit Blutung in die Gallenwege. Meist wird die posttraumatische Hämobilie bei zentralen Hämatomen beobachtet, sie kann aber auch durch unkontrollierte Durchstechungsnähte verursacht werden. Der endoskopische Nachweis der Blutung aus dem Choledochus ist beweisend. Gelingt die selektive Embolisation der speisenden Arterie nicht, bleibt nur der operative Verschluss der Fistel, der meist nur durch Resektion des betroffenen Leberabschnittes zu erzielen und mit einem nicht unbeträchtlichen Risiko verbunden ist. Galleleck, Abszessbildungen Mit Gallelecks und Abszessbildungen muss nach schweren Leberverletzungen in etwa 5 (1–8)% gerechnet werden. Längere Liegedauer des zur Tamponade eingebrachten Materials erhöht genauso die Infektionsgefahr wie avitales Lebergewebe. In erster Linie wird man bemüht sein, Abszesse und Biliome perkutan zu drainieren. Sollte sich diese Maßnahme als nicht zielführend erweisen, kann eine Relaparotomie mit Ausräumung allen nekrotischen Gewebes und sorgfältiger Entleerung eitrigen Sekretes und gegebenenfalls gezielter Umstechung eines Gallelecks erforderlich sein. 37.3.7 Ergebnisse
b . Abb. 37.8a,b. Mesh-Wrapping
Leichtere und mittelschwere Leberverletzungen (1. bis 4. Grad) werden mit geringer Morbidität und praktisch ohne Letalität fast ausschließlich konservativ behandelt. Todesfälle sind meist
636
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
auf Begleitverletzungen bzw. Multiorganversagen zurückzuführen. Für alle Verletzungsgrade zusammen wird in größeren Serien eine Letalität von 10–15% (30%) angegeben, die jedoch – wenn Leber-bezogen – überwiegend mehrheitlich in den Gruppen der fünft- und sechstgradigen Verletzungen auftreten. Unstillbare Blutungen sind für Früh- und Sepsis mit Multiorganversagen für Spättodesfälle verantwortlich. Aber auch bei Verletzungen mit Beteiligung großer Venen konnte in den letzten Jahren die Letalität durch Packing bzw. direkte Gefäß-Versorgung von ehemals über 80% auf unter 20% gesenkt werden (Coughlin et al. 2004; Fingerhut u. Trunkey 2000). Verlassen scheint wegen der katastrophalen Ergebnisse der intrakavale Shunt zugunsten anderer Verfahren wie z. B. der totalen vaskulären Exklusion.
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638
Kapitel 38 · Portale Hypertension
38.1
Pathophysiologie C. Sieber, J. Bauer
) )
38
Während die Pathologie, die zur portalen Hypertension führt, im prähepatischen, hepatischen und posthepatischen venösen Gefäßbett liegen kann, machen die intrahepatischen Erkrankungen mit Abstand den Großteil aus. In unseren Breitengraden ist es die durch Alkoholabusus bedingte äthylische Leberzirrhose, weltweit die durch Infektionen bedingten Zirrhosen. Die chronische Hepatitis C mit all ihren Komplikationen (Leberzellversagen, portale Hypertension und hepatozelluläres Karzinom) wird in den nächsten Dezennien wohl trotz unterdessen viel effektiveren Therapien noch an Bedeutung gewinnen. Neben der Obstruktion im portalvenösen Ausflusstrakt (»backward theory«) ist es vorab ein vermehrter Blutflusseinstrom ins arterielle Splachnikusgebiet (»forward theory«), der zur Erhöhung des Druckes in der Portalvene beiträgt. Hier ist Stickoxid (»nitric oxide«, NO) als potenter Vasodilatator wohl die Hauptmediatorensubstanz. Die Resistenz in den Kollateralen ist nicht nur für die Blutungskomplikationen, sondern auch für die Höhe des Portalvenendruckes mitverantwortlich. Hauptkomplikationen chronischer Leberaffektionen mit Zirrhose sind neben der fehlenden Syntheseleistung – die bei zunehmendem Leberzellverfall Indikation zur Lebertransplantation ist – die Komplikationen der portalen Hypertension (Blutungen aus Varizen und der portal-hypertensiven Gastropathie, Aszitesbildung und hepatische Enzephalopathie). Diagnostisch ist die abdominelle Sonographie die Methode der ersten Wahl. Sowohl im B-Bild als auch in der Doppleruntersuchung lassen sich eine Vielzahl von Befunden erheben, die die Diagnose portale Hypertension ermöglichen. Wichtige Zusatzinformationen liefern auch die Computertomographie und die Magnetresonanztomographie. Bei Verdacht auf eine portale Hypertension sollte immer eine Ösophagogastroduodenoskopie durchgeführt werden, da das Feststellen von (großen) Varizen therapeutische Implikationen nach sich zieht ([Prä-]Primär- und Sekundärprophylaxe der Varizenblutung). Angiographische Untersuchungen haben an Bedeutung verloren und sind primär in der präoperativen Abklärung weiterhin von Bedeutung oder im Zusammenhang mit interventionellen Maßnahmen wie der Einlage eines transjugulären portosystemischen Shunts (TIPS).
. Tabelle 38.1. Pathologisch-anatomisch wichtige Ursachen der portalen Hypertension
Lokalisation
Klinisches Beispiel
Prähepatisch
Portalvenenthrombose Milzvenenthrombose Arteriovenöse Fistel der Milz
Hepatisch – präsinusoidal
Schistosomiasis Primär biliäre Zirrhose (früh) Chronisch aktive Hepatitis Idiopathische portale Hypertension Sarkoidose
Hepatisch – sinusoidal
Äthylische Leberzirrhose Primär biliäre Zirrhose (spät)
Hepatisch – postsinusoidal
Alkoholische Hepatitis Budd-Chiari-Syndrom Venookklusive Erkrankung (Venen <300 µm)
Posthepatisch
Konstriktive Perikarditis Herzinsuffizienz/Trikuspidalinsuffizienz
weshalb es selbst nach Eröffnung dekomprimierender Kollateralkreisläufe nicht zu einem Absinken des Portalvenendruckes auf Normalwerte kommt. Die in der Folge beschriebene »ForwardTheorie« besagt, dass es bei Patienten mit portaler Hypertension nebst einer Druckerhöhung im portal-venösen Ausflusstrakt auch zu einem vermehrten arteriellen Bluteinstrom ins Mesenterialbett kommt. Schließlich moduliert auch die vaskuläre Resistenz in portosystemischen Kollateralen den Portalvenendruck. Einflussfaktoren für die Höhe des Portalvenendruckes unter portal-hypertensiven Zuständen 5 Resistenzerhöhung im portalvenösen Ausflusstrakt (»Backward-Theorie«) 5 Hyperdyname Zirkulation (»Forward-Theorie«) 5 Resistenz in portosystemischen Kollateralen nach Eröffnung von Umgehungskreisläufen
Dieses komplexe Zusammenspiel dreier verschiedener Faktoren lässt leicht verstehen, dass einzelne Regulationsmechanismen der portalen Hypertension nicht isoliert betrachtet werden können. Es erklärt aber auch, weshalb die splanchnische Hämodynamik beim gleichen Patienten über kurze Zeit beträchtlich variieren kann.
38.1.1 Ursachen der portalen Hypertension 38.1.2 Pathophysiologie der »Backward-Theorie« In . Tab. 38.1 sind einleitend die wichtigsten Leberpathologien aufgrund ihrer Lokalisation im portohepatischen venösen Gefäßsystem aufgeführt. Diese pathologisch-anatomische Differenzierung hilft sowohl in der Diagnosestellung als auch im Einleiten kausaler Therapien. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Höhe des Portalvenendruckes und damit das Ausmaß der portalen Hypertension (Sieber et al. 1993; Wiest et al. 2002). Lange galt die wegen struktureller Veränderungen erhöhte Resistenz im venösen Gefäßbett als einzige Erklärung für den pathologisch hohen Portalvenendruck (7 Übersicht). Dieses pathophysiologische Prinzip ist als »Backward-Theorie« bekannt. Sie vermag allerdings nicht zu erklären,
Lange galt das intrahepatische venöse Gefäßsystem in der zirrhotisch veränderten Leber als fixiert, d. h. auf vasodilatatorische oder vasokonstriktorische Stimuli nicht oder nur marginal reagierend. Neuere Erkenntnisse vorab im Tiermodell haben aber gezeigt, dass es auch eine dynamische Komponente gibt, die durch aktive Kontraktion von portalen und septalen Myofibroblasten, aktivierten »stellate cells« und durch Myofibroblasten in den hepatischen Venulen modifiziert werden können (Wiest et al. 2002; Pinzani et al. 1999; Rockey et al. 1996). Dieser erhöhte intrahepatische vaskuläre Tonus wird durch die Vasokonstriktoren wie Endothelin, Leukotriene, Tromboxan A2,
639 38.1 · Pathophysiologie
Angiotensin, aber auch α-adrenerge Simuli moduliert (Ballet et al. 1988; Graupera et al. 2002). Als »Gegenspieler« fungieren die Vasodilatatoren Stickoxid (»nitric oxide«, NO), Prostazyklin, Nitrate und Kalziumantagonisten (Reichen et al. 1986; Marteau et al. 1989). Vorab die verminderte intrahepatische NO-Synthese ist durch eine endotheliale Dysfunktion bedingt (Gupta et al. 1998; Rockey et al. 1998) und scheint neben den rein funktionellen Aspekten auch die lokale Thrombogenese und Fibrogenese zu fördern (Wiest et al. 2002). Demgegenüber sind die Portalvenenthrombose in unseren Breitengraden oder das Budd-Chiari-Syndrom seltene Erkrankungen. Es muss an sie gedacht werden, wenn sich die Leberfunktion kurzfristig verschlechtert und es unerwartet zur Aszitesbildung und im Falle des Budd-Chiari-Syndroms auch zur Leberschwellung mit Kapselspannungsschmerz kommt. 38.1.3 Pathophysiologie der »Forward-Theorie« Da die heute therapeutisch verwendeten Pharmaka primär auf der Modulation der hyperdynamen Zirkulation basieren, soll hier detaillierter darauf eingegangen werden (Sieber et al. 1993). Konzeptuell existieren 2 Möglichkeiten für die beobachtete systemische sowie speziell splanchnische Vasodilatation: 4 Verminderte Sensitivität des arteriellen Gefäßbettes auf endogen zirkulierende Vasopressoren 4 Erhöhte Konzentration zirkulierender oder lokal wirksamer Vasodilatatoren Die vaskuläre Antwort auf endogene Vasopressoren wie Noradrenalin, Vasopressin und neuer bekannt auch Endothelin ist bei Patienten mit portaler Hypertension vermindert, obgleich die Plasmawerte dieser Substanzen erhöht sind. Diese endogenen Vasopressorensysteme scheinen somit kompensatorisch aktiviert zu sein. Vermehrt zirkulierende oder lokal aktive Vasodilatatoren sind deshalb pathophysiologisch mit den hämodynamischen Veränderungen verbunden. Die Endothelzelle z. B. ist ein metabolisch aktiver Zelltyp und produziert eine Vielzahl vasodilatatorischer Substanzen. Neben erhöhtem Blutfluss und Scherkräften stimulieren diverse zirkulierende Substanzen die Sekretion des Stickoxids (»nitric oxide«, NO). Biosynthesehemmung von NO vermag die verminderte vaskuläre Reaktivität unter portal-hypertensiven Zuständen aufzuheben. NO scheint eine Schlüsselposition in der Pathogenese der hyperdynamen Zirkulation zuzukommen (Wiest et al. 2002). 38.1.4 Kollateralkreisläufe Die klinisch wichtigsten Umgehungskreisläufe bei portaler Hypertension sind die Ösophagus- und Magenfundusvarizen. Diese liegen direkt unter der Mukosa, und Blutungen ins Lumen führen zu signifikanten Blutverlusten aufgrund der fehlenden Kompression durch umgebendes Gewebe. Kollateralkreisläufe können sich aber im gesamten Gastrointestinaltrakt ausbilden und Grund für Blutungen sein (z. B. Duodenal- und Rektalvarizen). Bei einem portosystemischen Druckgradienten (Wedge-Druck minus freiem hepatischem Venendruck) von weniger als 12 mmHg bluten Ösophagusvarizen nicht. Dennoch kommt es nicht bei allen Patienten, die einen Druckgradienten über 12 mmHg aufweisen, zu Blutungsepisoden. Ein erhöhter Portalvenendruck ist somit permissiv, nicht aber allein entscheidend für das Auftreten einer Blutung.
38
Ein erhöhter Blutfluss steigert den intramuralen Druck in den Kollateralvenen, was zu einer kontinuierlichen Dehnung dieser Gefäße führt. Wird ein kritischer Druck erreicht, kommt es zur Ruptur (Gesetz von LaPlace).
Die portal-hypertensive Gastropathie, ätiologisch vermutlich primär mit einer Vasodilatation auf arteriolärer Ebene verbunden (wiederum NO-mediiert), ist daneben die häufigste Ursache für chronische okkulte Blutungen beim Patienten mit portaler Hypertension (Panes et al. 1993). Welche klinischen und pathologischen Assoziationen sind bei einer chronischen Lebererkrankung zu bedenken? Diese seien abschließend stichwortartig aufgeführt: 4 Splenomegalie und erweiterte Abdominalvenen: portale Hypertension 4 Ösophagus-/Magenfundusvarizen (Endoskopie): portale Hypertension 4 Chronische Pankreatitis: alkoholische Lebererkrankung 4 Steatorrhö: alkoholische Leberaffektion (auch ohne chronische Pankreatitis möglich) 4 Malnutrition: Muskelschwund = Sarkopenie 4 (Poly-)Neuropathien 4 Abdominalhernie: häufig bei Aszites (cave operative Sanierung vor Behandlung des Aszites) 4 Gallensteine: Etwa 20% der Männer und 30% der Frauen mit chronischer Lebererkrankung haben Gallensteine, meist Pigmentsteine. Diese verringern die Lebenserwartung nicht und sollten nur bei Notfällen behandelt werden, da die Cholezystektomie bei diesen Patienten schlechter ertragen wird. 4 Infektionen: Die Funktion des retikuloendothelialen Systems (RES) ist bei chronischen Leberaffektionen vermindert, vorab aufgrund der Umgehungskreisläufe. Septikämien sind beim Zirrhotiker häufig (ca. 4,5% pro Jahr). Eine spontan-bakterielle Peritonitis bei Aszites muss ebenfalls immer ausgeschlossen werden, da sie rein klinisch initial häufig oligo- bis asymptomatisch verläuft, jedoch eine erhebliche Letalität hat (7 Kap. 38.4). 38.1.5 Hepatische Enzephalopathie Der Begriff hepatische Enzephalopathie umfasst ein potenziell reversibles neuropsychiatrisches Syndrom, das im Rahmen von Lebererkrankungen auftreten kann und eine schwerwiegende Komplikation chronischer hepatischer Leiden darstellt (Butterworth et al. 2003; Blei et al. 2001). Es besteht aus quantitativen und qualitativen Bewusstseinsstörungen, die bis zum Koma führen können. Es werden 3 Hauptgruppen unterschieden (7 Übersicht). Typen der hepatischen Enzephalopathie 5 Akute hepatische Enzephalopathie – Hepatisches Koma – Shunt-Enzephalopathie – Reye-Syndrom 5 Chronische hepatische Enzephalopathie – Intermittierend oder progredient – Enzephalopolyneuropathie (»Non-Wilson«) 5 Familiäre hepatolentikuläre Degeneration (M. Wilson)
640
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Pathogenese Die Pathogenese der hepatischen Enzephalopathie ist sicherlich multifaktoriell bedingt. Zwei Hauptszenarien zu diesem klinisch wichtigen Problem können aber umrissen werden: 4 Stoffe, die für die Integrität des Nervensystems essenziell sind, werden zu wenig synthetisiert: Mangelhypothese. 4 Stoffe, die das zentrale Ne rvensystem funktionell beeinträchtigen, werden von der Leber vermehrt gebildet oder ungenügend abgebaut: Intoxikationshypothese. Vor allem für klinische Belange kann das Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie weiter differenziert werden. Eine mögliche ätiologische Differenzierung der PSE ist: 4 Menge des stickstoffhaltigen Darminhaltes 4 Ausmaß des portosystemischen Kollateralkreislaufes 4 Schweregrad der Lebererkrankung, u. a. verminderte Ammoniakelimination 4 Mangel an essenziellen Substanzen
38
Das genaue Ausmaß dieser einzelnen Faktoren bei der PSE ist unklar. Sicherlich kann eine Leberfunktionseinschränkung per se zu Funktionsstörungen im Gehirn führen, da Letzteres 85% des Glukoseumsatzes wie auch der Aminosäurenproduktion der Leber verbraucht. Die Ammoniakhypothese ist weiterhin ein Hauptpfeiler der pathogenetischen Überlegungen. Ammoniak entsteht beim Eiweißabbau im Darm, in den Muskeln und der Niere und wird normalerweise in der Leber im Rahmen der Harnstoffsynthese eliminiert. Die zentralen Wirkungen kommen vermutlich dadurch zustande, dass das Ammoniak mit dem Redoxsystem in den Astrozyten interferiert und über die Bildung von freien Radikalen (ROS) den Astrozyten schädigt. Ammoniak erklärt aber allein die Veränderungen nicht. Klinisch wichtig ist auch, dass ein einzeln bestimmter Wert keine Aussage über den Schweregrad der Enzephalopathie erlaubt. Serielle Messungen hingegen können einen Trend feststellen; Ammoniak ist somit weiter ein »Surrogatmarker« in der Betreuung von Patienten mit chronischer Hepatopathie und einer möglichen hepatischen Enzephalopathie (Lockwood et al. 2004; Kundra et al. 2005). Eine weitere Hypothese ist das Auftreten von »falschen« Neurotransmittern, wobei es zu einer Zunahme von Phenylalanin und Tyrosin im Gehirn kommt, die die Tyrosinhydroxylasekapazität übersteigt und zur Anhäufung neurotoxischer Substanzen führt. Das Gleiche gilt auch für neurotoxische kurz- und mittelkettige Fettsäuren, die aufgrund einer verminderten hepatischen Beta-Oxidation von langkettigen Fettsäuren anfallen. Schließlich wird auch ein Dysäquilibrium zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Aminosäuren hingewiesen, wie z. B. der inhibitorischen Aminobuttersäure (GABA). Weiter scheint auch die dopaminerge Neutransmission bei der hepatischen Enzephalopathie alteriert zu sein, was zur Gabe von Dopaminagonisten geführt hat. Bei der momentanen Datenlage kann die Gabe von Dopaminagonisten bei der hepatischen Enzephalopathie allerdings nicht empfohlen werden (Als-Nielsen et al. 2004). Die Pathogenese der hepatischen Enzephalopathie bleibt multifaktoriell bedingt. Dies impliziert auch, dass eine kausale Therapie nur schwierig möglich ist. Klinische Symptomatologie und Diagnostik Der Schweregrad wird in Stadien eingeteilt. In der folgenden Übersicht sei eine vereinfachte Fassung summarisch aufgeführt.
Gradeinteilung der hepatischen Enzephalopathie 5 Stadium 0: Psychische Veränderungen im Sinne eines Durchgangssyndroms. Diagnose nur mit psychometrischen Tests möglich (z. B. Zahlenverbindungstest) 5 Stadium 1: Unruhe, Euphorie oder Ängstlichkeit. Desorientiertheit, Schlafstörungen 5 Stadium 2: Antriebsminderung, Lethargie, nur selten Agitation. Asterixis (leichtgradig), Rigor, verwaschene Sprache 5 Stadium 3: Somnolenz bis Stupor. Bisweilen delirante Bilder mit Halluzinationen. Tremor, Asterixis (mittel- bis schwergradig) 5 Stadium 4: Koma (Phase I–IV)
Ein frühes Zeichen kann eine Tag-Nacht-Umkehr sein. Wichtig ist auch, dass Patienten mit einer PSE Stadium 0 nur testpsychologisch diagnostiziert werden können, dass aber bereits in diesem Stadium die Reaktionsfähigkeit deutlich vermindert ist, was sich z. B. beim Führen eines Autos deletär auswirken kann. Der Zahlenverbindungstest hat sich für die repetitive Testung bewährt, hilft aber bei der initialen Beurteilung wenig. Bei der klinischen Untersuchung ist »Asterixis« am typischsten. Der Patient vermag keine Position zu halten; die Untersuchung erfolgt bei ausgestreckten Armen und mit nach dorsal flektierten Händen. Bei der PSE kommt es zum sog. »liver flap«, der intermittierend unkontrollierten Flexion der Hände. Ein verändertes Elektroenzephalogramm (EEG) ist ein Kardinalsymptom der PSE. Es kommt zu einer progressiven Abnahme der Frequenz und einem parallelen Anstieg der Amplitude der Hirnstromkurven, verbunden mit einer klinischen Verschlechterung des Patienten. Bei unklarer Bewusstseinstrübung bei Patienten mit Hepatopathien soll das EEG zur Differenzialdiagnose immer durchgeführt werden. Weiter helfen auch bildgebende Verfahren wie Computertomographie (meist unauffällig, lässt andere Ursachen ausschließen) oder die Magnetresonanztomographie (inkl. Spektraluntersuchung). Die hepatische Enzephalopathie tritt häufig intermittierend auf. Auslösende Faktoren einer hepatischen Enzephalopathie 5 Hepatische Faktoren – Umgehungskreisläufe – Synthesestörung 5 Nichthepatische Ursachen – Medikamente (Diuretika, Hypnotika, Sedativa, Betablocker) – Toxine (Alkohol) – Metabolische Faktoren (Hypo-/Hyperglykämie, Elektrolyt- und Säure-Basen-Verschiebungen) – Andere Ursachen (Obstipation, gastrointestinale Blutung, Infektionen)
Klinisch am häufigsten sind eine Azotämie, Medikamente (Tranquilizer, Sedativa, Betablocker, Analgetika) sowie gastrointestinale Blutungen, die zusammen gut 2/3 der Ursachen ausmachen. Gefolgt werden diese von Proteinüberlastung, hypokaliämischer Alkalose sowie Infektionen.
641 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
Differenzialdiagnose. Bewusstseinstrübungen bei Patienten mit
Zirrhose und portaler Hypertonie können auch durch andere Ätiologien bedingt sein, die es auszuschließen gilt, da der therapeutische Zugang völlig anders und evtl. auch notfallmäßig notwendig ist. Differenzialdiagnostisch (speziell beim Alkoholiker wichtig) muss deshalb bei neu aufgetretenen Bewusstseinsstörungen an folgende Ursachen gedacht werden: 4 Chronisches subdurales Hämatom 4 Alkoholentzugssyndrom 4 Wernicke-Enzephalopathie 4 Hyponatriämie Nicht weiter eingegangen werden soll hier auf die akut auftretende PSE im Rahmen eines fulminanten Leberversagens. Die Mortalität hier liegt bei über 75%, speziell aufgrund des Hirnödems.
Literatur Als-Nielsen B, Gluud LL, Gluud C (2004) Dopaminergic agonists for hepatic encephalopathy. Cochrane Database Syst Rev 18:CD003047 Ballet F, Chretien Y, Rey C et al. (1988) Differential response of normal and cirrhotic liver to vasoactive agents. A study in the isolated perfused rat liver. J Pharmacol Exp Ther 244:233–235 Blei AT, Cordoba J (2001) Practice Parameters Committee of the American College of Gastroenterology. Hepatic encephalopathy. Am J Gastroenterol 96:1968–1976 Butterworth RF (2003) Hepatic encephalopathy – a serious complication of alcoholic liver diesease. Alcohol Res Health 27:143–145 Graupera M, Garcia-Pagan JC, Titos E et al. (2002) 5-lipoxygenase inhibition reduces intrahepatic vascular resistance of cirrhotic rat liver: a possible role of cysteinyl-leukotrienes. Gastroenterology 122:387– 393 Gupta TK, Toruner M, Chung MK et al. (1998) Endothelial dysfunction and decreased production of nitric oxide in the intrahepatic microcirculation of cirrhotic rats. Hepatology 28:926–931 Kundra A, Jain A, Banga A et al. (2005) Evaluation of plasma ammonia levels in patients with acute liver failure and chornic liver disease and its correlation with the severity of hepatic encephalopathy and clinical features of raised intracranial tension. Clin Biochem 38:696– 699 Lockwood AH (2004) Blood ammonia levels and hepatic encephalopathy. Metab Brain Dis 19:345–349 Marteau P, Ballet F, Chazouilleres O et al. (1989) Effect of vasodilators on hepatic microcirculation in cirrhosis : a study in the isolated perfused rat liver. Hepatology 9:820–823 Pinzani M, Gentilini P (1999) Biology of hepatic stellate cells and their possible relevance in the pathogenesis of portal hypertension in cirrhosis. Semin Liver Dis 19:397–410 Reichen J, Le M (1986) Verapamil favorably influences hepatic microvascular exchange and function in rats with cirrhosis of the liver. J Clin Invest 78:448–455 Rockey DC, Weisiger RA (1996) Endothelial induced contractility of stellate cells from normal and cirrhotic rat liver: Implications for regulation of portal pressure and resistance. Hepatology 24:233–240 Rockey DN, Chung JJ (1998) Reduced nitric oxide production by endothelial cells in cirrhotic rat liver: Endothelial dysfunction in portal hypertension. Gastroenterology 114:344–351 Sieber CC, Stalder GA (1993) Pathophysiologische und pharmakotherapeutische Aspekte der portalen Hypertonie. Schw Med Wschr 123:3–13 Wiest R, Groszmann RJ (2002) The paradox of nitric oxide in cirrhosis and portal hypertension: Too much, not enough. Hepatology 35:478–491
38.2
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Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension M. Selzner, B. Müllhaupt, P.-A. Clavien
) ) Die Ösophagusvarizenblutung stellt eine der gefährlichsten Komplikationen der portalen Hypertension dar und ist mit einer Mortalität zwischen 30% und 60% verbunden (Garcia-Tsao 2002; Tuttle-Newhall et al. 2001). Unabhängig von der Therapie ist die Langzeitprognose der Patienten schlecht und nur wenige überleben mehr als 5 Jahre. Die initiale Therapie der Varizenblutung entspricht der Behandlung anderer schwerer oberer Gastrointestinalblutungen und beinhaltet die rasche Volumensubstitution und Intensivüberwachung. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt muss eine Notfallendoskopie durchgeführt werden, um die Blutungsquelle zu lokalisieren und gleichzeitig endoskopisch zu therapieren. Die Blutstillung kann zugleich durch die medikamentöse Senkung des portalen Druckes unterstützt werden. Ist in Ausnahmefällen die endoskopische Blutstillung nicht möglich, so kommen andere Behandlungsverfahren wie ein transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS), eine chirurgische Shuntoperation oder eine Devaskularisierungsoperation (Sugiura-Operation) zum Einsatz. Diese Verfahren stehen auch nach erfolgreicher Blutstillung zur Verfügung, um eine Rezidivblutung zu vermeiden (Sekundärprophylaxe). Dieses Kapitel behandelt die Notfalltherapie der Varizenblutung und stellt Maßnahmen zur Sekundärprophylaxe dar. Chirurgische und konservative Maßnahmen zur Verhinderung einer ersten Varizenblutung (Primärprophylaxe) werden im 7 Kap. 38.3.1 besprochen.
38.2.1 Risiko einer Blutung Die Häufigkeit von Ösophagusvarizen korreliert mit dem Schweregrad der Lebererkrankung. Während bei Patienten im Child-AStadium bei 40% der Patienten Varizen vorliegen, ist dies im Stadium Child C bei 80% der Patienten der Fall (Garcia-Tsao 2002). Von diesen erleiden 25–40% innerhalb von 5 Jahren eine Varizenblutung (D’Amico et al. 1999). Ein portovenöser Druckgradient (Druckgradient zwischen Portalvene und V. cava inferior) von über 12 mmHg ist notwendig, um Ösophagusvarizen zu entwickeln. Sind Varizen einmal vorhanden, wird das Blutungsrisiko vor allem durch die Größe der Varizen, dem Vorhandensein von roten Striemen bei der Endoskopie (»red wale marks«), dem Schweregrad der Lebererkrankung und dem portovenösen Druckgradienten bestimmt (7 oben) Eine Senkung des portovenösen Druckgradienten unter 12 mmHg lässt das Blutungsrisiko verschwinden, und eine Senkung des portalen Druckes um 20% vermindert signifikant das Blutungsrisiko (Thalheimer et al. 2004). Risikofaktoren der Varizenblutung 5 Große Ösophagusvarizen 5 Endoskopische Erscheinung – Rote Striemen – Kirschrote Flecken 5 Child-Stadium 5 Portosystemischer Druckgradient
641 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
Differenzialdiagnose. Bewusstseinstrübungen bei Patienten mit
Zirrhose und portaler Hypertonie können auch durch andere Ätiologien bedingt sein, die es auszuschließen gilt, da der therapeutische Zugang völlig anders und evtl. auch notfallmäßig notwendig ist. Differenzialdiagnostisch (speziell beim Alkoholiker wichtig) muss deshalb bei neu aufgetretenen Bewusstseinsstörungen an folgende Ursachen gedacht werden: 4 Chronisches subdurales Hämatom 4 Alkoholentzugssyndrom 4 Wernicke-Enzephalopathie 4 Hyponatriämie Nicht weiter eingegangen werden soll hier auf die akut auftretende PSE im Rahmen eines fulminanten Leberversagens. Die Mortalität hier liegt bei über 75%, speziell aufgrund des Hirnödems.
Literatur Als-Nielsen B, Gluud LL, Gluud C (2004) Dopaminergic agonists for hepatic encephalopathy. Cochrane Database Syst Rev 18:CD003047 Ballet F, Chretien Y, Rey C et al. (1988) Differential response of normal and cirrhotic liver to vasoactive agents. A study in the isolated perfused rat liver. J Pharmacol Exp Ther 244:233–235 Blei AT, Cordoba J (2001) Practice Parameters Committee of the American College of Gastroenterology. Hepatic encephalopathy. Am J Gastroenterol 96:1968–1976 Butterworth RF (2003) Hepatic encephalopathy – a serious complication of alcoholic liver diesease. Alcohol Res Health 27:143–145 Graupera M, Garcia-Pagan JC, Titos E et al. (2002) 5-lipoxygenase inhibition reduces intrahepatic vascular resistance of cirrhotic rat liver: a possible role of cysteinyl-leukotrienes. Gastroenterology 122:387– 393 Gupta TK, Toruner M, Chung MK et al. (1998) Endothelial dysfunction and decreased production of nitric oxide in the intrahepatic microcirculation of cirrhotic rats. Hepatology 28:926–931 Kundra A, Jain A, Banga A et al. (2005) Evaluation of plasma ammonia levels in patients with acute liver failure and chornic liver disease and its correlation with the severity of hepatic encephalopathy and clinical features of raised intracranial tension. Clin Biochem 38:696– 699 Lockwood AH (2004) Blood ammonia levels and hepatic encephalopathy. Metab Brain Dis 19:345–349 Marteau P, Ballet F, Chazouilleres O et al. (1989) Effect of vasodilators on hepatic microcirculation in cirrhosis : a study in the isolated perfused rat liver. Hepatology 9:820–823 Pinzani M, Gentilini P (1999) Biology of hepatic stellate cells and their possible relevance in the pathogenesis of portal hypertension in cirrhosis. Semin Liver Dis 19:397–410 Reichen J, Le M (1986) Verapamil favorably influences hepatic microvascular exchange and function in rats with cirrhosis of the liver. J Clin Invest 78:448–455 Rockey DC, Weisiger RA (1996) Endothelial induced contractility of stellate cells from normal and cirrhotic rat liver: Implications for regulation of portal pressure and resistance. Hepatology 24:233–240 Rockey DN, Chung JJ (1998) Reduced nitric oxide production by endothelial cells in cirrhotic rat liver: Endothelial dysfunction in portal hypertension. Gastroenterology 114:344–351 Sieber CC, Stalder GA (1993) Pathophysiologische und pharmakotherapeutische Aspekte der portalen Hypertonie. Schw Med Wschr 123:3–13 Wiest R, Groszmann RJ (2002) The paradox of nitric oxide in cirrhosis and portal hypertension: Too much, not enough. Hepatology 35:478–491
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Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension M. Selzner, B. Müllhaupt, P.-A. Clavien
) ) Die Ösophagusvarizenblutung stellt eine der gefährlichsten Komplikationen der portalen Hypertension dar und ist mit einer Mortalität zwischen 30% und 60% verbunden (Garcia-Tsao 2002; Tuttle-Newhall et al. 2001). Unabhängig von der Therapie ist die Langzeitprognose der Patienten schlecht und nur wenige überleben mehr als 5 Jahre. Die initiale Therapie der Varizenblutung entspricht der Behandlung anderer schwerer oberer Gastrointestinalblutungen und beinhaltet die rasche Volumensubstitution und Intensivüberwachung. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt muss eine Notfallendoskopie durchgeführt werden, um die Blutungsquelle zu lokalisieren und gleichzeitig endoskopisch zu therapieren. Die Blutstillung kann zugleich durch die medikamentöse Senkung des portalen Druckes unterstützt werden. Ist in Ausnahmefällen die endoskopische Blutstillung nicht möglich, so kommen andere Behandlungsverfahren wie ein transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS), eine chirurgische Shuntoperation oder eine Devaskularisierungsoperation (Sugiura-Operation) zum Einsatz. Diese Verfahren stehen auch nach erfolgreicher Blutstillung zur Verfügung, um eine Rezidivblutung zu vermeiden (Sekundärprophylaxe). Dieses Kapitel behandelt die Notfalltherapie der Varizenblutung und stellt Maßnahmen zur Sekundärprophylaxe dar. Chirurgische und konservative Maßnahmen zur Verhinderung einer ersten Varizenblutung (Primärprophylaxe) werden im 7 Kap. 38.3.1 besprochen.
38.2.1 Risiko einer Blutung Die Häufigkeit von Ösophagusvarizen korreliert mit dem Schweregrad der Lebererkrankung. Während bei Patienten im Child-AStadium bei 40% der Patienten Varizen vorliegen, ist dies im Stadium Child C bei 80% der Patienten der Fall (Garcia-Tsao 2002). Von diesen erleiden 25–40% innerhalb von 5 Jahren eine Varizenblutung (D’Amico et al. 1999). Ein portovenöser Druckgradient (Druckgradient zwischen Portalvene und V. cava inferior) von über 12 mmHg ist notwendig, um Ösophagusvarizen zu entwickeln. Sind Varizen einmal vorhanden, wird das Blutungsrisiko vor allem durch die Größe der Varizen, dem Vorhandensein von roten Striemen bei der Endoskopie (»red wale marks«), dem Schweregrad der Lebererkrankung und dem portovenösen Druckgradienten bestimmt (7 oben) Eine Senkung des portovenösen Druckgradienten unter 12 mmHg lässt das Blutungsrisiko verschwinden, und eine Senkung des portalen Druckes um 20% vermindert signifikant das Blutungsrisiko (Thalheimer et al. 2004). Risikofaktoren der Varizenblutung 5 Große Ösophagusvarizen 5 Endoskopische Erscheinung – Rote Striemen – Kirschrote Flecken 5 Child-Stadium 5 Portosystemischer Druckgradient
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
38.2.2 Prognose der Varizenblutung
38.2.4 Diagnostik
Die Mortalität der Varizenblutung ist mit 30–60% außerordentlich hoch und korreliert mit der Leberfunktion. Die Leberfunktion ist für das Überleben der Patienten nach einer Varizenblutung der wichtigste prognostische Faktor. Während die mittlere Überlebensrate von Patienten im Child-C-Stadium nach einer Varizenblutung 2–8 Monate beträgt, liegt die mittlere Überlebensrate bei Patienten im Child-A- oder -B-Stadium bei 15–45 Monaten (Casado et al. 1998). Wegen der hohen Letalität bei Varizenblutung und der großen Rezidivgefahr müssen diese Patienten durch ein interdisziplinäres Team aus Gastroenterologen, Chirurgen und interventionellen Radiologen behandelt werden.
Die Endoskopie spielt bei der Diagnostik und Therapie der Varizenblutung eine zentrale Rolle. Die Endoskopie sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach initialer Kreislaufstabilisierung durchgeführt werden. Eine massive Blutung kann die Endoskopie unmöglich machen. In diesen Fällen kann die Untersuchung erneut nach einer Ballontamponade und Ausschöpfung der medikamentösen Therapie erfolgen. Gelegentlich muss eine Magenspülung via großlumiger nasogastrischer Sonden erfolgen, um nicht bei der Endoskopie durch Blut oder Koagel behindert zu werden. Kürzlich untersuchten Frossard et al. (2002) in einer prospektiv randomisierten Studie die Gabe von Erythromycin zur Magenentleerung vor der Endoskopie bei Varizenblutung. Nach Verabreichung von Erythromycin bestand bei der Endoskopie signifikant häufiger ein leerer Magen als in der Placebobehandelten Kontrollgruppe. Durch die verbesserten Untersuchungsbedingungen wurde die Endoskopiezeit reduziert und die Zahl der Reendoskopien verringert. Obere gastrointestinale Blutungen bei Patienten mit Leberzirrhose können in variköse und nichtvariköse Blutung unterteilt werden. Ungefähr ein Drittel der Patienten mit Leberzirrhose und oberer gastrointestinaler Blutung weisen keine Ösophagusvarizen auf (Lata et al. 2003). Von den 70% der Patienten mit Varizen weist nur ein Drittel eine endoskopisch nachweisbare aktive Blutung auf. Bei einem weiteren Drittel sistiert die Blutung bereits spontan, und ein weiteres Drittel der Patienten hat eine andere Blutungsquelle wie z. B. duodenale oder gastrale Varizen, ein peptisches Ulkus oder ein gastrointestinaler Tumor.
38.2.3 Initiale Therapie der Varizenblutung
38
Bei Patienten mit Varizenblutung steht die Kreislaufstabilisierung an erster Stelle. Eine sofortige Intensivüberwachung ist zwingend erforderlich, um Komplikationen wie Aspiration oder Blutungsschock zu verhindern. Mindestens 2 großlumige periphere intravenöse Zugänge (18 Gauge oder größer) sollten angelegt werden. Eine Substitution mit kristallinen Lösungen sollte sofort begonnen werden und mittels Erythrozytenkonzentraten sollte der Hämatokrit bei 25%–30% gehalten werden (Lata et al. 2003). Eine unzureichende Kreislaufstabilisierung vor einer Endoskopie ist eine Todesursache bei dieser Patientengruppe (Jutabha u. Jensen 1996). Eine übermäßige Transfusion ist zu vermeiden, da dadurch die Bildung von Aszites begünstigt werden kann und sich die Beatmung verschlechtert. Zudem kann durch eine überschießende Transfusion der Pfortaderdruck gesteigert werden, wodurch sich das Risiko einer Rezidivblutung erhöht. Ein zentraler Venendruck (ZVD) von 2–5 mmHg sollte angestrebt werden. Die meisten Patienten mit einer chronischen Lebererkrankung leiden aufgrund der verminderten Lebersynthese und des Hypersplenismus an einer Koagulopathie und Thrombozytopathie. Es sollte versucht werden, die Gerinnung durch Gabe von »fresh frozen plasma« (FFP) zu normalisieren. Bei weniger als 50.000 Thrombozyten/µl sollten vor einer Endoskopie Thrombozyten transfundiert werden. Bei einem Teil der Patienten kann dadurch die Blutung vermindert oder gestillt werden. Eine Vitamin-K-Substitution sollte ebenso wie eine Antibiotikaprophylaxe mit Amoxicillin oder Norfloxacin begonnen werden. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass die prophylaktische Antibiotikagabe bei Patienten mit einer Ösophagusvarizenblutung das Infektionsrisikos reduziert und das Überleben verbessert (Bernard et al. 1999). Durch die Blutung kann eine Verschlechterung der Enzephalopathie auftreten. Eine prophylaktische Gabe von Laktulose über eine Magensonde ist daher empfehlenswert. Eine weitere mögliche Maßnahme ist die medikamentöse Therapie mit Somatostatin, Octreotid oder Vasopressin, die eine Blutungsverminderung oder Blutstillung bewirken kann (7 Kap. 38.2.5, »Medikamentöse Therapie«). Noch während der Patient auf die Endoskopie wartet, sollte mit der Octreotidtherapie begonnen werden. Bei Somnolenz des Patienten ist die Indikation zur Intubation frühzeitig zu stellen.
Ursachen der schweren oberen gastrointestinalen Blutung bei zirrhotischen Patienten 5 Varikös – Ösophagusvarizen – Magenvarizen – Ektope Varizen (duodenal, anorektal) 5 Nichtvarikös – Hypertensive Gastropathie – Peptisches Ulkus – Tumor – Dieulafoy-Syndrom (gastrische submuköse Aneurysmen)
Für die Einleitung einer geeigneten Therapie ist die genaue Diagnosestellung zwingend erforderlich.
38.2.5 Konservative Therapie der akuten Blutung Die endoskopische Sklerosierungstherapie und die endoskopische Gummibandligatur sind die Grundlage der Therapie der akuten Varizenblutung und können 90% der Varizenblutungen stillen (Bhasin u. Siyad 2004). Bei Versagen der endoskopischen Therapie kommen alternative Verfahren wie die medikamentöse Therapie, die Ballontamponade, der TIPS und chirurgische Techniken zum Einsatz.
38
643 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
. Abb. 38.1. Technik der endoskopischen Sklerosierungstherapie mit intravariköser und paravariköser Injektion. (Aus Stein und Korula 1995) intravariköse Injektion Ösophagus
Endoskop mit Nadel
paravariköse Injektion
blutende Varize
Endoskopische Therapie Sklerosierungstherapie. Die Sklerosierungstherapie kann im Rahmen der diagnostischen Endoskopie durchgeführt werden und besteht in der Injektion von Natriumtetradecylsulphat, Polidocanol oder Ethanolamin (. Abb. 38.1). Dadurch ist es möglich, 90% der Blutungen zu stillen, wobei 70% der Blutungen in der ersten und insgesamt 90% der Blutungen in der zweiten Sitzung kontrolliert werden. Im Vergleich dazu werden durch eine Ballontamponade nur 50% der Blutungen kontrolliert. In mehreren großen prospektiv randomisierten Studien wurde die Sklerosierungstherapie mit der medikamentösen Therapie verglichen (Gross et al. 2001). Die Ergebnisse zeigen, dass die Sklerosierungstherapie der medikamentösen Behandlung in Bezug auf Blutstillung und auf Verminderung der Rezidivblutungsrate überlegen ist. Jedoch nur eine Arbeit zeigte eine Verringerung der Frühmortalität durch Sklerosierungstherapie im Vergleich zur medikamentösen Behandlung. Dies zeigt, dass obwohl akute Blutungen erfolgreich durch die Sklerosierungstherapie kontrolliert werden, der Effekt auf die Überlebensrate gering ist, was möglicherweise mit dem Schweregrad der Lebererkrankung zusammenhängt. Zudem ist die Sklerosierungstherapie mit einer erheblichen Komplikationsrate verbunden. Praktisch 90% der Patienten entwickeln nach der Sklerosierungstherapie Ösophagusulzera und bei 10–30% kommt es zu schwerwiegenden Komplikationen wie z. B. Blutungen, Ösophagusstenosen, Perforationen und Mediastinitis. Die Mortalität der Sklerosierungstherapie wird in der Literatur zwischen 0,5% und 2% angegeben (Matloff 1992).
Komplikationen der endoskopischen Sklerosierungstherapie bei Varizenblutung (nach Stein und Korula 1995) 5 Ösophageal – Ulzeration – Striktur – Ösophagitis – Periösophageale Entzündung/Abszess – Pseudotumor (Hämatom) 5 Extraösophageal (selten) – Mediastinitis – Aspirationspneumonie – ARDS – Pleuraerguss – Chylothorax – Bakteriämie 5 Andere – Brustschmerz – Odynophagie – Fieber
Gummibandligatur. Die endoskopische Gummibandligatur wur-
de Mitte der 80er-Jahre von Stiegmann entwickelt (Stiegmann et al. 1989). Bei der endoskopischen Gummibandligatur werden die Varizenknoten mit dem Endoskop gefasst und ein Gummiring wird über die Basis der Vene gelegt (. Abb. 38.2). Mit den modernen Ligaturinstrumenten stehen mehrfache Gummibandladungen zur Verfügung, wodurch die Behandlungszeit verkürzt wird (. Abb. 38.3). Die Gummibandligatur besitzt eine ähnliche Effektivität zur Blutstillung wie die Sklerosierungstherapie und kann 90% der Blutungen kontrollieren. Die Rate der Rezidivblutungen nach Gummibandligatur liegt bei 30%. Eine Metaanalyse von 13 randomisierten Studien zeigte, dass die Gummibandliga-
644
Kapitel 38 · Portale Hypertension
. Abb. 38.2a,b. Technik der endoskopischen Varizenbandligatur. a Das Endoskop mit Bandingvorrichtung liegt über einer Varize. b Die strangulierte Varize. (Aus Baillie 1997)
a
tur der Sklerosierungstherapie durch die niedrigere Rate an Rezidivblutungen und die geringere Komplikationsrate überlegen ist (Gross et al. 2001). Zudem sind weniger Sitzungen als bei der Sklerosierungstherapie notwendig, um die Varizen zu eliminieren. Von der überwiegenden Zahl der Gastroenterologen wird heute die Gummibandligatur als Standardtherapie gegenüber der Sklerosierungstherapie bevorzugt.
In 10% der Fälle kann durch eine zweifache endoskopische Therapie keine Blutungskontrolle erreicht werden. In diesen Fällen müssen ein TIPS, eine Notfalloperation oder eine Devaskularisierungstherapie in Erwägung gezogen werden.
Medikamentöse Therapie
38
Vasopressin/Terlipressin/Nitroglyzerin. Vasopressin induziert
eine Vasokonstriktion im Splanchnikusbereich und senkt dadurch den portalen Blutfluss und den portalen Druck. Die Anwendung von Vasopressin ist durch die systemische Vasokonstriktion mit dem Risiko einer kardialen, gastrointestinalen oder peripheren Ischämie verbunden. Durch die gleichzeitige Gabe von Nitroglyzerin (intravenös oder Hautpflaster) wird die Sicherheit der Vasopressinanwendung erhöht. Terlipressin ist ein Vasopressinderivat mit längerer Wirkungsdauer und geringeren . Abb. 38.3a,b. Endoskopische Gummibandligatur bei der akuten Varizenblutung. a Endoskopischer Aspekt einer akuten Varizenhämorrhagie im distalen Ösophagus. b Strangulierte Varize nach erfolgreicher Gummibandligatur
db
Nebenwirkungen. In einer Untersuchung konnte durch die Gabe von Terlipressin in Kombination mit Nitroglyzerin eine Verbesserung der Überlebensrate gezeigt werden (Lavacher et al. 1995). Die Hälfte aller Varizenblutungen kann mit der Vasopressin-/Nitroglyzerintherapie kontrolliert werden (Sharara u. Rokey 2001). Die normale Dosierung des Vasopressins beträgt 0,1– 0,8 UI/min als Dauerinfusion mit oder ohne initialem Bolus von 20 UI über 10 min. Nitroglyzerin sollte in einer Dosierung von 40 µg/min verabreicht werden und wird um 40 µg/min alle 15 min erhöht, solange der systolische Blutdruck über 100 mmHg liegt (maximale Infusionsgeschwindigkeit 400 µg/min).
Die Vasopressin-/Nitroglyzerintherapie muss unter sorgfältiger EKG und Blutdruckkontrolle erfolgen. Sie ist mit der Entwicklung der Somatostatin-/Octreotidtherapie in den Hintergrund getreten und in der Regel nur noch bei Unverträglichkeit der Octreotidtherapie indiziert.
Somatostatin/Octreotid. Somatostatin ist ein aus 14 Aminosäuren bestehendes Peptid, welches die Durchblutung des Splanchnikus und dadurch den Pfortaderdruck vermindert. Octreotid ist ein synthetisches Somatostatinanalog mit deutlich längerer Halbwertzeit (1–2 h vs. 1–2 min). Somatostatin wird in einer
38
645 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
. Tabelle 38.2. Metaanalyse prospektiver randomisierter Studien von Somatostatin vs. Vasopressin. (Nach Rodrigues-Perez u. Groszmann 1992)
Blutungskontrolle (%) Schwere Nebenwirkungen (%)
Somatostatin
Vasopressin
72
44
3
18
. Tabelle 38.3. Typen nasogastrischer Sonden für die Ballontamponade
Dosierung von 250 µg/h und Octreotid mit 50 µg/h verabreicht. Obwohl Octreotid auch subkutan verabreicht werden kann, ist diese Applikationsform bei Patienten mit akuter Varizenblutung nicht ausreichend sicher. Eine Metaanalyse von Studien, die Somatostatin mit Vasopressin vergleichen, zeigte, dass Octreotid der Vasopressintherapie bezüglich der Kontrolle akuter Varizenblutungen überlegen ist (77% vs. 44%; . Tab.38.2; RodriguezPerez u. Groszmann 1992). Ebenso traten bei der Octreotidtherapie weniger schwere Nebenwirkungen als bei der Vasopressingabe auf (3% vs. 18%). Eine intensive Kreislaufüberwachung ist bei der Octreotidtherapie nicht erforderlich und kann auch bei Patienten mit vorbestehender Herzerkrankung angewandt werden. Sobald die Blutung sistiert, können die meisten Patienten auf einer normalen Station betreut werden. Die Octreotidtherapie ist aufgrund der einfachen Anwendung zur medikamentösen Standardtherapie bei Varizenblutungen geworden. In einer Metaanalyse wurde gezeigt, dass Octreotid eine mit der Sklerosierungstherapie vergleichbare Blutstillung erreicht bei einer niedrigeren Komplikationsrate (Avgerinos et al. 1995). In einer weiteren prospektiv randomisierten Studie erhielten 227 Patienten entweder eine alleinige endoskopische Therapie oder eine Endoskopie in Kombination mit einem Octreotidanalogum (Cales et al. 2001). Die Blutungskontrolle gelang signifikant besser bei Patienten mit kombinierter medikamentöser und endoskopischer Therapie als mit alleiniger Endoskopie. Allerdings konnte durch die kombinierte Therapie keine Verbesserung der Überlebensrate gezeigt werden.
. Abb. 38.4a,b. Sengstaken-Blakemoreund Linton-Nachlass-Sonde
Sondentyp
Lumen
Ballon
Linton
Gastrisch, ösophageal
Ballon
SengstakenBlakemore
Nur gastrisch
Gastrisch, ösophageal
Minnesota
Gastrisch, ösophageal
Gastrisch, ösophageal
Novoseven. Ein neuer Therapieansatz ist die Verabreichung von
hämostatischen Medikamenten. Kürzlich wurde gezeigt, dass durch die Gabe von FVII (rFVIIa; Novoseven) die Prothrombinzeit bei Patienten mit akuter Varizenblutung verbessert werden kann (Rodrigues-Perez u. Groszmann 1992). Allerdings konnte in einer randomisierten Doppelblindstudie kein Vorteil der rFVII-Gabe gegenüber einer Placebomedikation bezüglich Blutungskontrolle oder Entwicklung einer Rezidivblutung in den ersten 5 Tagen gezeigt werden. In einer Subgruppenanalyse profitierten jedoch Patienten mit einer Child-B-/-C-Zirrhose von der rFVIIa-Substitution. Weitere Studien sind notwendig, um die Rolle der rFVIIa-Therapie zu verdeutlichen. Ballontamponade Trotz kombinierter endoskopischer und medikamentöser Therapie persistieren die Varizenblutungen bei 5–10% der Patienten. Bei diesen Patienten kann durch die Platzierung von nasogastrischen Ballonsonden (Sengstaken-Blakemore-, Linton-Nachlass-Sonde) die Blutung durch Kompression gestillt werden (. Tab. 38.3). Die unsachgemäße Sondenplatzierung ist jedoch mit einer hohen Komplikationsrate verbunden, und die Anwendung der Ballontamponade ist nur noch in seltenen Fällen indiziert, zumeist zur Überbrückung bis zur weiteren Therapie der portalen Drucksenkung (TIPS, Shunt). Die Ballonsonden unterscheiden sich in der Zahl und der Lokalisation der Ballons (. Abb. 38.4). Zusätzliche Lumina der Sonden können zum Absaugen des Magens oder des Ösophagus verwendet werden.
Schlauchsystem zum Ösophagus- u. Magenlumen u. zum Ballon
Schlauchsystem zum Ösophagusballon u. -lumen Magenballon u. -lumen
mit Luft bis zu einem Druck von 40 - 60 mm Hg füllen
mit 400 - 600 ccm Luft füllen mit 140 ccm Luft füllen a
kein Zug notwendig
500 - 1000 g Zug b
646
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Die Ballonsonden sollten nur auf einer Intensivstation verwandt werden. Vor Platzierung der Sonden sollte der Patient zum Schutz der Atemwege intubiert werden. Bei der SengstakenBlakemore-Sonde wird die Sonde in den Magen platziert. Danach wird der distale Ballon aufgeblasen und soweit zurückgezogen, bis der Ballon am gastroösophagealen Übergang liegt. Die Ballons müssen mit Luft gefüllt werden, da eine Wasserfüllung eine Verformung der Ballons bewirkt. Zur Kontrolle der Sondenlage sollte ein Röntgenbild angefertigt werden. Der zweite Ballon im Ösophagus kann mit 25–40 mmHg aufgeblasen und für maximal 12 h geblockt gelassen werden. Im Gegensatz dazu besitzt die Linton-Nachlass-Sonde nur einen Ballon, der im Magen gefüllt wird. Anschließend wird die Sonde unter Zug gesetzt. Während die Sengstaken-Blakemore-Sonde für ösophageale Varizenblutungen geeignet ist, komprimiert die Linton-Nachlass-Sonde vor allem Magenfundusvarizen.
aa
Bei 90% der Patienten kann durch die Ballontamponade die Blutung gestillt werden. Allerdings kommt es bei 50% der Patienten innerhalb von 24 h zu Rezidivblutungen, weshalb im blutungsfreien Intervall eine endoskopische Behandlung erfolgen sollte (Vlavianos et al. 1989).
Die häufigsten Komplikationen beinhalten Aspiration, Ösophagusruptur oder Striktur, Magen- oder Ösophagusulzerationen. Eine kraniale Dislokation der Ballons kann zu einer Verlegung der Luftwege führen. In diesem Fall sollte durch eine Durchtrennung der Füllungsschläuche eine sofortige Dekompression erfolgen.
38
Komplikationen der Ballontamponade bei Varizenblutung 5 Inkorrektes Legen der Sonde – Ösophagusruptur – Asphyxie 5 Verlängertes Belassen der Sonde – Ulzerationen/Perforation – Aspirationspneumonie – Periösophageale Entzündung/Abszess 5 Fixierung der Sonde – Drucknekrose an Nase, Stirn oder Kinn
Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt Der transjuguläre intrahepatische Stent besteht aus einem expandierendem Metallgitter, das über die Lebervenen durch das Leberparenchym in einen Pfortaderast eingebracht wird, was einem portosystemischen Shunt entspricht (. Abb. 38.5). Das Ziel der TIPS-Platzierung ist die Dekompression der Pfortader mit einer Senkung des portalen Druckes unter 12 mmHg, wobei eine Senkung des portalen Druckes durch den TIPS in 90% der Patienten gelingt. In gleicher Sitzung mit der TIPS-Platzierung kann eine Embolisierung blutender Varizen erfolgen. Die TIPSPlatzierung ist jedoch anspruchsvoll und sollte nur von einem erfahrenen interventionellen Radiologen erfolgen. Die TIPS-Einlage ist indiziert, wenn durch Endoskopie und medikamentöse Therapie keine Blutungskontrolle erreicht werden kann.
b b . Abb. 38.5a,b. Prinzip der transjugulären portosystemischen Shuntanlage. Instrumentierung nach Punktion der rechten V. jugularis interna unter Durchleuchtungskontrolle. Ausgehend von der rechten Lebervene wird ein ca. 3–4 cm langer Parenchymkanal bis in den rechten, intrahepatischen Pfortaderast punktiert (a), dilatiert und schließlich ein 8–10 mm dicker Wallstent platziert (b)
Die meisten Arbeiten zeigen, dass durch die notfallmäßige TIPS-Einlage in 90–100% der Fälle eine Blutungskontrolle gelingt, bei einer 20%-30% Blutungsrezidivrate und einer 25–50% Mortalität innerhalb von 30 Tagen (Rössle zu. Grant 2004). Bei 30–80% der Patienten kommt es innerhalb eines Jahres zu Shuntstenosen, wodurch rezidivierende Interventionen notwendig werden (Rössle u. Grant 2004). Ein weiteres Problem des TIPS besteht in der Entwicklung einer hepatischen Enzephalopathie in 15–25% der Fälle. Risikofaktoren sind hohes Alter, Schwere der Lebererkrankung (Child C), Größe des Shunts und hepatopetaler Blutfluss (Chau et al. 1998). Häufig erfolgt die Platzierung des TIPS als überbrückende Maßnahme bis zu einer Lebertransplantation.
Relative Kontraindikationen der TIPS-Platzierung sind Pfortaderobstruktionen, polyzystische Lebererkrankungen und rechtsseitiges Herzversagen. Besonders häufig kommt der TIPS bei blutenden Magenvarizen zum Einsatz, die einer endoskopischen Therapie schlechter zugänglich sind (Gerbes et al. 1998).
647 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
38.2.6 Operative Notfalltherapie Operative Verfahren zur Blutungskontrolle beinhalten chirurgische Shuntanlagen und Devaskularisierungsoperationen. Durch die Entwicklung des TIPS ist die Anwendung operativer Verfahren zur Notfalltherapie einer akuten Blutung deutlich zurückgegangen. Bei gut erhaltener Leberfunktion und anhaltender Blutung trotz Endoskopie und medikamentöser Therapie und Unmöglichkeit einer TIPS-Einlage kann eine notfallmäßige Shuntanlage oder Devaskularisierung indiziert sein. Shuntoperation Die elektive Shuntchirurgie ist ein sicheres Verfahren mit einer Mortalität von unter 5%. Im Gegensatz dazu ist die notfallmäßige Shuntanlage mit einer Mortalität zwischen 20% und 50% verbunden. Die Operationstechniken der verschiedenen Shunts werden im 7 Kap. 38.3.2 besprochen. Die distalen splenorenalen Shunts sind zwar mit einer geringeren postoperativen Enzephalopathie behaftet, machen aber eine aufwendige und zeitintensive Präparation notwendig. Demgegenüber ist die Anlage eines portokavalen Shunts deutlich einfacher.
Der in der Notfallsituation zumeist bevorzugte Shunt ist der portokavale End-zu-Seit- oder Seit-zu-Seit-Shunt.
Diese Shunts sind technisch einfach durchzuführen und sichern eine effektive Senkung des portalen Druckes. Im Verlauf entwickeln jedoch 40–50% der Patienten eine hepatische Enzephalopathie, wodurch die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigt und die Entwicklung eines Leberversagens begünstigt wird. Zudem kann die Präparation im Leberhilus eine spätere Lebertransplantation erschweren. Orloff et al. berichten von 400 Patienten mit Leberzirrhose und Varizenblutung, die innerhalb von 8 h nach stationärer Aufnahme operiert wurden (Orloff et al. 1995). In 99% der Fälle wurde eine Blutstillung erreicht, und nur 9% der Patienten entwickelten eine hepatische Enzephalopathie. Die 5- und 10-Jahres-Überlebensrate betrug 78% und 71%. Die Autoren begründen ihre guten Ergebnisse mit der schnellen Diagnosestellung und Therapie. Keine andere Gruppe konnte jedoch vergleichbare Resultate berichten. In einer randomisierten Studie wurde bei Patienten mit akuter Varizenblutung der TIPS mit einem portokavalen H-Shunt verglichen. Es zeigte sich eine bessere Blutungskontrolle durch den chirurgischen Shunt bei einer vergleichbaren 30-Tage-Mortalität (Rosemurgy et al. 1996). Devaskularisierungsoperation Die alleinige Ösophagustransektion ist mit einer hohen Komplikations- und Rezidivblutungsrate verbunden und wurde als Therapieoption verlassen. Demgegenüber können Devaskularisierungsverfahren im Rahmen einer akuten Varizenblutung als Ultima ratio indiziert sein, wenn es trotz Endoskopie und medikamentöser Therapie nicht zu einer Blutstillung kommt und z. B. bei Portalvenenthrombose eine TIPS- und Shuntanlage nicht möglich ist. In Zürich führen wir eine modifizierte Devaskularisierungsoperation durch, bei der als alleiniger abdomineller Eingriff eine Splenektomie, eine Devaskularisierung von Magen und distalem Ösophagus sowie eine Ösophagustransektion erfolgt (7 Kap. 38.3). Die Devaskularisierungsoperation ist auch
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nach erfolgloser Anlage eines distalen splenorenalen Shunts möglich. Sie sollte nur bei erhaltener Leberfunktion (Child-A-, frühes Child-B-Stadium) erfolgen. 38.2.7 Prophylaxe einer Rezidivblutung Trotz erfolgreicher Blutstillung kommt es bei 50–80% der Patienten im Verlauf zu einer Rezidivblutung (D’Amico et al. 1995; Bosch u. Garcia-Pagan 2003), wobei jede Rezidivblutung mit einer Mortalität zwischen 40% und 70% behaftet ist. Risikofaktoren einer Rezidivblutung sind eine fortgeschrittene Lebererkrankung, Schwere der Erstblutung, eingeschränkte Nierenfunktion und eine Enzephalopathie. Endoskopisch erfassbare Risikofaktoren sind eine aktive Blutung zum Endoskopiezeitpunkt, große Varizen und Zeichen einer kürzlich stattgefundenen Blutung (De Franchis u. Primignani 1992). Zudem gibt es eine starke Korrelation zwischen der Höhe des portovenösen Druckgradienten und der Rezidivblutungsrate (Monescillo et al. 2004). Medikamentöse Therapie Idealerweise sollte der portovenöse Druckgradient medikamentös unter 12 mmHg gesenkt werden. Ist dies nicht möglich, so bewirkt auch eine Senkung des portovenösen Druckes von 20% des Ausgangswertes eine Senkung des Blutungsrisikos von 40– 70% auf unter 15% (Feu et al. 1995; Escorsell et al. 2000; Villanueva et al. 2001; Bureau et al. 2002; Patch et al. 2002). Verschiedene Medikamente wurden zur Prophylaxe von Rezidivblutungen verwandt, jedoch bestehen nur für nichtselektive Betablocker ausreichende Daten über ihre Effektivität (Barnard et al. 1997). Es erscheint logisch, die Gabe der Betablocker auf die Reduktion des portovenösen Druckgradienten abzustimmen. Die Messung des Druckgradienten ist jedoch aufwendig und invasiv.
Daher wird allgemein die Betablockertherapie so dosiert, dass eine 25%-Reduktion der Herzfrequenz erreicht wird.
Mit dieser Vorgehensweise ist die Betablockade gleichwertig mit einer endoskopischen Sklerosierungstherapie zur Rezidivblutungsprophylaxe. Allerdings konnte gezeigt werden, dass bei 30% der Patienten trotz ausreichender Dosierung der Betablocker keine Senkung des portovenösen Druckgradienten erreicht wird. Diese Patienten können nur mit einer invasiven Messung des Gradienten identifiziert werden. Ähnlich wie in der primären Blutungsprophylaxe kann durch die zusätzliche Gabe von Isosorbid-5-Mononitrat (ISMN) die Blutungsgefahr weiter gesenkt werden, ohne jedoch das Gesamtüberleben zu verbessern und um den Preis vermehrter Nebenwirkungen (Gournay et al. 2000). In einer Metaanalyse von 10 prospektiv randomisierten Studien wurde die Gabe von Propanolol mit einer endoskopischen Sklerosierungstherapie zur Prophylaxe von Rezidivblutungen verglichen (D’Amico et al. 1999). Beide Therapieformen hatten eine identische Effektivität zur Blutungsprophylaxe. Die Sklerosierungstherapie war jedoch mit signifikant mehr Komplikationen verbunden.
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
Endoskopische Langzeittherapie Die endoskopische Sklerosierungstherapie wird zur Prophylaxe einer Rezidivblutung während 4 Wochen wöchentlich durchgeführt, bis alle Varizen obliteriert sind. Da die Varizen zumeist innerhalb eines Jahres zurückkommen, sollte die endoskopische Untersuchung im ersten Jahr alle 3 Monate wiederholt werden. Werden keine Varizen gefunden, so sind weitere jährliche Kontrollen notwendig. Bei 40% der Patienten kommt es trotz endoskopischer Therapie zu einer Rezidivblutung. Eine Metaanalyse verglich die Sklerosierungstherapie mit der endoskopischen Gummibandligatur (Burroughs 1992). Es zeigte sich, dass die Gummibandligatur mit einer geringeren Rezidivblutungsrate (25% vs. 30%), geringeren Komplikationen, niedrigeren Kosten und einer besseren Überlebensrate verbunden war. Die Sklerosierungstherapie wurde in den letzten Jahren weitgehend von der Gummibandligatur abgelöst. Drei Studien verglichen die endoskopische Gummibandligatur mit einer kombinierten Betablocker- und ISMN-Behandlung zur Verhinderung von Rezidivblutungen aus Ösophagusvarizen (Villanueva et al. 2001; Patch et al. 2002; Lo et al. 2002). Während eine Studie einen Vorteil der kombinierten medikamentösen Therapie zeigte, fand die zweite Studie weniger Rezidivblutungen mit der endoskopischen Gummibandligatur. Die dritte Studie zeigte für beide Therapien vergleichbare Ergebnisse. Ein weiterer Therapieansatz ist, die pharmakologische Therapie mit der endoskopischen Therapie zu kombinieren. In 2 Studien führte die kombinierte Behandlung mit Betablockern und Sklerosierung zu einer geringeren Rezidivblutungsrate als Betablockade allein (Vinel et al. 1992; Avgerinos et al. 1993). Eine Verbesserung der Überlebensrate wurde allerdings nicht erreicht. Ebenso war in einer randomisierten Studie die Kombination von Nadolol plus endoskopischer Gummibandligatur mit einer niedrigeren Rezidivblutungsrate verbunden als endoskopische Gummibandligatur allein (Lo et al. 2000). Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt In einer Metaanalyse von 11 Studien wurde der TIPS mit der endoskopischen Prävention von Rezidivblutungen verglichen (Luca et al. 1999; Papatheodoridis et al. 1999). Die TIPS-Anlage war mit einer geringeren Rezidivblutungsrate verbunden. Allerdings kam es häufiger zu einer Enzephalopathie und die Überlebensrate war in beiden Therapiearmen identisch. Chirurgische Verfahren Die chirurgischen Shunts können in nichtselektive und selektive Shunts unterteilt werden. Die chirurgischen Verfahren werden ausführlich im 7 Kap. 38.3.2 beschrieben. Beim nichtselektiven totalen portosystemischen Shunt wird der gesamte mesenteriale Blutfluss in die V. cava umgeleitet. Dadurch kann in 90% der Patienten eine ösophageale Blutung kontrolliert werden. Allerdings kommt es bei 40–50% der Patienten zu einer Enzephalopathie, weshalb die Indikation zum portosystemischen Shunt nur noch bei durch medikamentöse oder endoskopische Therapie nicht stillbare Ösophagusvarizenblutung oder beim akuten Budd-Chiari-Syndrom gegeben ist (Stipa et al. 1994). Beim partiellen portosystemischen Shunt wird durch einen kleinen Shuntdurchmesser der hepatische Blutfluss aufrecht erhalten. Dafür wird in der Regel ein 8 mm Interponat zwischen Portalvene und V. cava verwandt. Von einigen Gruppen wurde eine exzellente
Kontrolle der Varizenblutung (90%) bei einer geringen Enzephalopathierate von 15% berichtet.
Der gegenwärtig meistgebrauchte Shunt ist der selektive distale splenorenale Shunt (Warren-Shunt; Warren et al. 2000).
Bei dem distalen splenorenalen Shunt werden die Ösophagusvarizen dekomprimiert, ohne dass der Druck im Pfortadersystem gesenkt wird. Dadurch werden 90% der Pfortaderblutungen kontrolliert bei einer Enzephalopathierate von 10–15% (Henderson 2000). Von den meisten Chirurgen wird heute der distale splenorenale Shunt den nicht selektiven Shunts gegenüber bevorzugt. Der splenorenale Shunt offeriert eine effektive Blutungskontrolle bei geringem Enzephalopathierisiko. Zudem bleibt die Möglichkeit einer späteren Lebertransplantation erhalten. Henderson et al. (2004) berichtete kürzlich über eine prospektiv randomisierte Studie, in der 140 Patienten mit rezidivierender Varizenblutung entweder einen distalen splenorenalen Shunt oder einen TIPS erhielten. Es zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen bezüglich Rezidivblutungsrate, Enzephalopathie oder Mortalität. Patienten mit TIPS benötigten jedoch signifikant häufiger Reinterventionen verglichen mit Patienten nach Shuntchirurgie. In verschiedenen prospektiv randomisierten Studien wurde der distale splenorenale Shunt mit der endoskopischen Sklerosierungstherapie verglichen (Rikkers et al. 1993; Spina et al. 1990; Teres et al. 1987; Warren et al. 1986; Henderson et al. 1990). In diesen Studien wurden nur Patienten mit zumindest einer Ösophagusvarizenblutung eingeschlossen. In sämtlichen Studien wurde durch die Shuntanlage eine bessere Blutungskontrolle als mit der Sklerosierungstherapie erreicht. Während in 3 Studien ein vergleichbares Überleben für Shunt und Sklerosierungstherapie gezeigt wurde, fand eine Studie, bei der auch Child-CPatienten eingeschlossen worden waren, einen Überlebensvorteil für die Sklerosierungstherapie (henderson 2000). Weitere chirurgische Verfahren wie die Devaskularisierungsoperation (Sugiura-Operation) und die Lebertransplantation werden in den 7 Kap. 38.3.2 und 38.5 besprochen. 38.2.8 Andere Blutungsquellen bei portaler
Hypertension Es können 2 Arten von gastralen Varizen unterschieden werden: 4 Varizen, die sich nahe dem gaströsophagealen Übergang befinden und aus erweiterten Ösophagusvarizen entstehen 4 Magenfundusvarizen Der Verlauf bei ösophagogastralen Varizen bezüglich Ansprechen auf eine endoskopische Therapie und Überleben ist identisch zu Patienten mit Ösophagusvarizen. Im Gegensatz dazu weisen Magenfundusvarizen ein erhöhtes Rezidivblutungsrisiko und ein vermindertes Überleben auf (Korula et al. 1992). Die Notfalltherapie von blutenden Magenfundusvarizen ist oft durch die Unzugänglichkeit der Fundusvarizen und bei Blutansammlungen im Magen erschwert. Bei erfolgreicher Blutstillung sollte eine Erhaltungstherapie mit nichtselektiven Betablockern (z. B. Nadolol) in Kombination mit Isosorbidmononitrat erfolgen.
649 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
In einer prospektiv randomisierten Arbeit wurde zur Therapie von Fundusvarizen die endoskopische Injektion von N-Butyl2-Cyanoacrylat mit einer Sklerosierungstherapie verglichen (Sarin et al. 2002). Dabei wurde durch N-Butyl-2-Cyanoacrylat eine signifikant bessere Blutungskontrolle und Obliterationsrate der Varizen erreicht. Das isolierte Vorkommen von Magenvarizen kann durch eine Milzvenenthrombose (segmentale portale Hypertension) bedingt sein. In diesen Fällen ist eine Splenektomie kurativ und daher Therapie der Wahl. Varizen im Duodenum kommen selten vor, können aber eine massive obere gastrointestinale Blutung auslösen. Eine erfolgreiche Therapie von blutenden Duodenalvarizen mittels Gummibandligatur, Sklerosierungstherapie oder Shuntanlage wurde vereinzelt berichtet.
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
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38.3
Elektive Therapie der portalen Hypertension
38.3.1 Konservative Therapie
C. Sieber, J. Bauer ) ) Bei der konservativen Therapie muss unterschieden werden, welche die klinisch relevanten Komplikationen der portalen Hypertonie sind. Dabei handelt es sich um Blutungen aus Ösophagusvarizen, Magenfundusvarizen, portal-hypertensive Gastropathie und Varizen anderer Provenienz (z. B. Rektalvarizen) sowie um Aszitesbildung und die hepatische Enzephalopathie. Im Folgenden soll detaillierter auf die Blutungen sowie die hepatische Enzephalopathie eingegangen werden. In Bezug auf die konservative Therapie des Aszites sei auf 7 Kap. 38.4.1 verwiesen.
Rationale für eine medikamentöse (konservative) Therapie Die portale Hypertonie, also der Anstieg des portal-venösen Druckes über einen Grenzwert, ist die Hauptursache für die Komplikationen einer chronischen Hepatopathie abgesehenen von der Synthese-/metabolisierungsleistung. Der hepatovenöse Druckgradient (HVPG) (Groszmann et al. 1979) reflektiert den Portalvenendruck bei den meisten Hepatopathien (Perello et al. 1999; Wongcharatrawee et al. 2000). Ziel ist es, den HVPG unter 12 mmHg abzusenken (Groszmann et al. 1990; Feu et al. 1995; Vorobioff et al. 1996), sei dies medikamentös oder interventionell (TIPS, chirurgisch). Kann diese Zielgröße nicht erreicht werden, der Portalvenendruck gegenüber dem Ausgangswert um 20% vermindert werden, wird ebenfalls eine gute Blutungsprävention erreicht werden (Bosch et al. 2005). Dies deshalb, als damit die Blutungskomplikationen wie auch die Entwicklung eines Aszites verhindert werden können (Viallet et al. 1975; Garcia-Tsao et al. 1985; Casado et al. 1998). Zur Senkung des Portalvenendruckes können diverse vaskuläre Zielgebiete herangezogen werden: 4 Senkung des arteriellen Blutflusses ins Splanchnikusgebiet 4 Senkung des vaskulär-venösen Widerstandes in der Leber 4 Interferenz mit Angiogenese Für erstere Komponente bestehen die meisten Daten für die Betablocker, für Letzteres die Gabe von Nitraten, heute meist in Kombination. Zukunftspersepktiven liegen in NO-Donoren zur Absenkung des intrahepatischen Widerstandes oder in der Gentherapie mit Adenoviren, die für NO-Synthasen kodieren (Hernandez-Guerra et al. 2005). Auch im Bereiche des arteriellen Gefäßsystems und hier in der Prävention der hyperdynamen Kreislaufsituation zeichnen sich neuere Therapieansätze aus. Nachdem schon vor einigen Jahren gezeigt werden konnte, dass bei portal-hypertensiven Zuständen die Gefäße nicht nur vasodilatiert sind, sondern es auch zu einer vermehrten Angiogenese kommt (Sumanovski et al. 1999), ergeben neue Daten, dass durch Inhibition der Angiogenese mittels einem VEGF-Rezeptorantagonist (»vascular endothelial growth-factor«) die Entwicklung der hyperdynamen Zirkulation hochsignifikant inhibiert werden kann (Fernandez et al. 2005). Blutungen aus Ösophagus- und Magenfundusvarizen Eine Zirrhose allein zieht nicht automatisch die Entwicklung einer portalen Hypertonie mit Varizenbildung nach sich. In prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass 35–80% der Patienten mit Zirrhose Varizen entwickeln, von denen wiederum 25–40% zu Blutungen führen. Die Faktoren, die als Zeichen für ein erhöhtes Risiko für eine Blutung gewertet werden können, sind: 4 Varizengröße 4 »red whales« und »cherry red spots« auf den Varizen 4 Schweregrad der Leberfunktionsstörung (Child-Stadium C; 7 Kap. 38.2) 4 Hepatovenöser Druckgradient (HPVG) >12 mmHg Diese doch primär nichtinvasiv zu bestimmenden Richtgrößen – bis auf den HPVG – erlauben verlässlich, das Risiko für eine Blutung und damit auch die Dringlichkeit einer präventiven Therapie zu bestimmen. Bei der Besprechung der konservativen Therapiemöglichkeiten zur Verhinderung einer Varizenblutung können 3 Gruppen unterschieden werden:
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
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38.3
Elektive Therapie der portalen Hypertension
38.3.1 Konservative Therapie
C. Sieber, J. Bauer ) ) Bei der konservativen Therapie muss unterschieden werden, welche die klinisch relevanten Komplikationen der portalen Hypertonie sind. Dabei handelt es sich um Blutungen aus Ösophagusvarizen, Magenfundusvarizen, portal-hypertensive Gastropathie und Varizen anderer Provenienz (z. B. Rektalvarizen) sowie um Aszitesbildung und die hepatische Enzephalopathie. Im Folgenden soll detaillierter auf die Blutungen sowie die hepatische Enzephalopathie eingegangen werden. In Bezug auf die konservative Therapie des Aszites sei auf 7 Kap. 38.4.1 verwiesen.
Rationale für eine medikamentöse (konservative) Therapie Die portale Hypertonie, also der Anstieg des portal-venösen Druckes über einen Grenzwert, ist die Hauptursache für die Komplikationen einer chronischen Hepatopathie abgesehenen von der Synthese-/metabolisierungsleistung. Der hepatovenöse Druckgradient (HVPG) (Groszmann et al. 1979) reflektiert den Portalvenendruck bei den meisten Hepatopathien (Perello et al. 1999; Wongcharatrawee et al. 2000). Ziel ist es, den HVPG unter 12 mmHg abzusenken (Groszmann et al. 1990; Feu et al. 1995; Vorobioff et al. 1996), sei dies medikamentös oder interventionell (TIPS, chirurgisch). Kann diese Zielgröße nicht erreicht werden, der Portalvenendruck gegenüber dem Ausgangswert um 20% vermindert werden, wird ebenfalls eine gute Blutungsprävention erreicht werden (Bosch et al. 2005). Dies deshalb, als damit die Blutungskomplikationen wie auch die Entwicklung eines Aszites verhindert werden können (Viallet et al. 1975; Garcia-Tsao et al. 1985; Casado et al. 1998). Zur Senkung des Portalvenendruckes können diverse vaskuläre Zielgebiete herangezogen werden: 4 Senkung des arteriellen Blutflusses ins Splanchnikusgebiet 4 Senkung des vaskulär-venösen Widerstandes in der Leber 4 Interferenz mit Angiogenese Für erstere Komponente bestehen die meisten Daten für die Betablocker, für Letzteres die Gabe von Nitraten, heute meist in Kombination. Zukunftspersepktiven liegen in NO-Donoren zur Absenkung des intrahepatischen Widerstandes oder in der Gentherapie mit Adenoviren, die für NO-Synthasen kodieren (Hernandez-Guerra et al. 2005). Auch im Bereiche des arteriellen Gefäßsystems und hier in der Prävention der hyperdynamen Kreislaufsituation zeichnen sich neuere Therapieansätze aus. Nachdem schon vor einigen Jahren gezeigt werden konnte, dass bei portal-hypertensiven Zuständen die Gefäße nicht nur vasodilatiert sind, sondern es auch zu einer vermehrten Angiogenese kommt (Sumanovski et al. 1999), ergeben neue Daten, dass durch Inhibition der Angiogenese mittels einem VEGF-Rezeptorantagonist (»vascular endothelial growth-factor«) die Entwicklung der hyperdynamen Zirkulation hochsignifikant inhibiert werden kann (Fernandez et al. 2005). Blutungen aus Ösophagus- und Magenfundusvarizen Eine Zirrhose allein zieht nicht automatisch die Entwicklung einer portalen Hypertonie mit Varizenbildung nach sich. In prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass 35–80% der Patienten mit Zirrhose Varizen entwickeln, von denen wiederum 25–40% zu Blutungen führen. Die Faktoren, die als Zeichen für ein erhöhtes Risiko für eine Blutung gewertet werden können, sind: 4 Varizengröße 4 »red whales« und »cherry red spots« auf den Varizen 4 Schweregrad der Leberfunktionsstörung (Child-Stadium C; 7 Kap. 38.2) 4 Hepatovenöser Druckgradient (HPVG) >12 mmHg Diese doch primär nichtinvasiv zu bestimmenden Richtgrößen – bis auf den HPVG – erlauben verlässlich, das Risiko für eine Blutung und damit auch die Dringlichkeit einer präventiven Therapie zu bestimmen. Bei der Besprechung der konservativen Therapiemöglichkeiten zur Verhinderung einer Varizenblutung können 3 Gruppen unterschieden werden:
651 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
4 Prä-Primärprophylaxe (Verhinderung der Entwicklung von Kollateralen) 4 Primärprophylaxe (Verhinderung einer Erstblutung) 4 Sekundärprophylaxe (Verhinderung einer Rezidivblutung) Prä-Primärprophylaxe Im Tiermodell kann gezeigt werden, dass eine langfristige Gabe von nichtselektiven Betablockern die Ausbildung von Kollateralen und Aszites zu verhindern (Sarin et al. 1991). Bei Patienten mit Varizen werden diese unter Betablockertherapie kleiner oder verschwinden gar (Casado et al. 1998; Groszmann et al. 1990), wenn der hepatovenöse Druckgradient unter 12 mmHg gesenkt werden kann (Escorsell et al. 1997). Demgegenüber konnte eine präventive Wirkung (Varizenausbildung) bei Patienten mit kompensierter Zirrhose nicht bewiesen werden (Groszmann et al. 2003). Primärprophylaxe Metaanalysen haben klar gezeigt, dass mit der Gabe von Betablockern die Inzidenz einer Erstblutung signifikant vermindert werden kann. Zusätzlich wird parallel dazu die Mortalität signifikant gesenkt (Hayet et al. 1990; Poynard et al. 1991). Kann der hepatovenöse Druckgradient unter 12 mmHg gesenkt werden, kommt es zu keinen Blutungen. Da in der Praxis dieser Druckgradient selten bestimmt wird (angiographische Untersuchung), wird der Betablocker steigernd dosiert, bis die Ausgangsherzfrequenz um 25% gefallen ist (nicht unter 60 Schläge/min). In Bezug auf die Verhinderung einer Erstblutung scheint es keine große Rolle zu spielen, ob ein unspezifischer oder kardioselektiver Betablocker verschrieben wird. Die meisten Daten wurden allerdings mit Propranolol erhoben. Demgegenüber gibt es aber auch Daten, dass mit dem Betablocker Cardevilol noch bessere Resultate erzielt werden können (Banares et al. 2002). Neben ihrer Wirkung auf das Herz agieren Betablocker dadurch, dass durch die Blockierung vasodilatatorischer Betarezeptoren im arteriellen Splanchnikusgebiet zirkulierendes Noradrenalin nur noch auf die vasokonstriktorischen Alpharezeptoren wirkt. Die damit verbundene Vasokonstriktion führt zu einem Flussabfall in den die Portalvene speisenden Arterien, was konsekutiv zu einem Abfall des Druckes in der V. portae führt. Bei Kontraindikationen für eine Betablockertherapie gibt es momentan leider keine gesicherten Alternativen. Versucht wurde der Einsatz von Nitraten, Clonidin und neu auch mit einem Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, doch ist die Datenlage für Nitrate – als Einzeltherapie – und Clonidin kontrovers und für Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten existieren erst recht kontroverse Daten (siehe auch unter Sekundärprävention). Auch die Kombination von Betablockern mit Nitraten scheint in der Primärprophylaxe keine signifikanten Vorteile gegenüber der alleinigen Betablockertherapie zu haben (Garcia-Pagan et al. 2002). Neuerdings muss sich die Betablockergabe in der Primärprophylaxe auch gegenüber der endoskopischen Varizenligatur (EVL) bei großen Varizen bewähren. Aufgrund der recht hohen Abbruchsrate der Betablockertherapie scheint hier die EVL effektiver zu sein (Jutabha et al. 2005). Da aber auch gegenteilige Daten bestehen, scheint zumindest die EVL eine gute Alternativoption zur Betablockergabe bei deren Unverträglichkeit zu sein (Chalasani et al. 2005).
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Bei der Primärprophylaxe zur Verhinderung einer Erstblutung sind Betablocker das Mittel der Wahl.
Sekundärprophylaxe Für die Sekundärprophylaxe, also der Verhinderung einer Rezidivblutung, ist die Situation komplexer. Dies deshalb, als vielerorts mit endoskopischen Verfahren nach einer Blutung eine Eradikation der Varizen versucht wird (7 Kap. 38.2). Während dies bei Ösophagusvarizen auch recht gut gelingt – sei es mit einer Injektionsmethode (Sklerosierungstherapie) oder heute vor allem mit »Banding« (Stiegmann et al. 1992; Gimson et al. 1993) –, so ist dies bei Magenfundusvarizen schwieriger (z. B. mit Histoacrylinjektion; Soehendra et al. 1987). Es muss deshalb unterschieden werden zwischen einer reinen pharmakologischen Sekundärprophylaxe und einer, die zusätzlich zu endoskopischen Verfahren durchgeführt wird. Für letztere Kombination gibt es keine Studien, die einen signifikanten Vorteil für die Zugabe von Betablockern zur endoskopischen Therapie zeigen. Es gibt aber Gruppen, die eine rein pharmakologische Therapie favorisieren. Prinzipiell gibt es 2 Gründe dafür: Erstens entfallen mögliche Komplikationen einer endoskopischen Therapie (Ulzera, Blutungen, Strikturen), zweitens sind endoskopische Verfahren nicht überall verfügbar. Betablocker allein sind je nach Studie gleich effektiv wie endoskopische Verfahren in der Verhinderung einer Rezidivblutung, die Datenlage ist aber weit heterogener als für die Primärprophylaxe (Burroughs 1992; Pagliaro et al. 1989). Dennoch sollte nicht verschwiegen werden, dass ein beträchtlicher Prozentsatz der Patienten Betablocker nicht zu sich nehmen können. Auch mag die Compliance im Gegensatz zu Studienbedingungen nicht immer optimal sein. Die wohl wichtigsten pharmakologischen Studien in letzter Zeit zeigen, dass die Kombination eines Betablockers mit einem Nitrat signifikant bessere Resultate bringt als die Sklerosierungstherapie (Villanueva et al. 1996, 2001). Betablocker – meist in Kombination mit einem Nitrat – sind demnach weiterhin die am besten dokumentierten Medikamente zur Prophylaxe von Blutungskomplikationen bei portaler Hypertonie. Sartane – und hier vorab Losartan – senken zwar den hepatovenösen Druckgradienten (HVPG) in einigen Studien (Castano et al. 2003; Schneider et al. 1999), doch sind die Daten kontrovers (Tripathi et al. 2004) und haben deswegen nicht wirklich Eingang in die Klinik gefunden. Insgesamt sind die Sartane, die bei fortgeschrittener Zirrhose gar gefährlich sind, auch bei leichtergradiger Zirrhose ineffektiv. Endotheline erhöhen die intrahepatische vaskuläre Resistenz. Erste erfolgversprechende Resultate im Tierversuch ließen sich beim Menschen sowohl mit Endothelin-A und -B-Rezeptorenantagonisten nicht zeigen (Therapondos et al. 2004). Praktisch als Gegenpart ist die hepatische vaskuläre NOSynthese bei Zirrhose vermindert. Deshalb wird versucht, diese Synthese selektiv anzukurbeln (Fiorucci et al. 2001). Erste positive Resultate im Tiermodell müssen beim Menschen aber noch bestätigt werden. Da die endoskopische Ligatur von Ösophagusvarizen zum Goldstandard geworden ist, stellt sich auch die Frage, ob diese Therapie effektiver als die medikamentöse Monotherapie mit Betablockern oder gar die Kombinationstherapie Betablocker und Nitrate ist. Neuere Daten zeigen eine Äquipotenz dieser beiden Therapieoptionen sowohl in der Primärprophylaxe (Schepke
652
Kapitel 38 · Portale Hypertension
et al. 2004) wie auch zur Prophylaxe der Rezidivblutung (Sarin et al. 2005). Schlussendlich stellt sich noch die Frage, inwieweit die Zugabe eines Betablockers zur endoskopischen Varizenligatur einen additiven Benefit bringt. Dies scheint nur in der Sekundärprävention von Varizenblutungen so zu sein (Sarin et al. 2005). Die Zukunft wird weisen, inwieweit pharmakologische Kombinationstherapien, evtl. sogar parallel zu endoskopischen Verfahren, die Rezidivblutung und vielleicht auch die blutungsassoziierte Mortalität noch weiter senken können Die portal-hypertensive Gastropathie ist eine weitere häufige Ursache für eine hypochrome, mikrozytäre Anämie bei Patienten mit portaler Hypertonie. Endoskopisch hat die Mukosa eine »schlangenhautartige« Felderung. Auch hier haben Studien gezeigt, dass Betablocker mit Erfolg eingesetzt werden können (Perez-Ayuso et al. 1991). Als »semikonservatives« Verfahren zur Verhinderung einer Rezidivblutung sei hier noch der transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt (TIPS) erwähnt, der an anderer Stelle abgehandelt wird (7 Kap. 38.2).
38
Therapie der hepatischen Enzephalopathie Ein spezifische Therapie existiert nicht; die Maßnahmen sind deshalb als symptomatische Therapieansätze zu verstehen. Komatöse Patienten gehören unbedingt auf eine Intensivstation (cave Hirnödem). Dies auch, um eine Drucksonde anlegen zu können. Da das aus dem Darm anfallende Ammoniak nur ungenügend hepatisch abgebaut werden kann, gilt es, die Darmpassage zu beschleunigen. Dies gelingt mit Laxanzien, bewährt hat sich das synthetische Disaccharid Laktulose, wobei die Dosis erhöht wird, bis der Patient 2–3 weiche Stühle pro Tag hat. Das schlecht resorbierbare Antibiotikum Neomycin wird heute aufgrund seiner Ototoxizität kaum mehr eingesetzt, zumal es Laktulose nicht überlegen ist. Es ist zwar bewiesen, dass Antibiotika die intraluminale Produktion von Ammoniak vermindern. Die eingesetzten Antibiotika werden aber von der Zielpopulation häufig schlecht ertragen.
Der Antibiotikaeinsatz sollte nicht prophylaktisch, sondern nur bei nachgewiesenem Infekt zielgerichtet – gute Abdeckung aerober und anaerober Keime – eingesetzt werden (Maddrey et al. 2005). Als nichtresorbiertes Antibiotikum wird momentan Rifaximin präferiert (Zeneroli et al. 2005). Insgesamt sollten Antibiotika dann eingesetzt werden, wenn mit Laktulose kein Erfolg zu erzielen ist.
Bei Zirrhotikern mit Typ-2-Diabetes mellitus kann weiter ein guter Benefit mit Acarbose gezeigt werden (Gentile et al. 2005). Inwieweit eine niedrig-dosierte Acarbose-Therapie auch bei nicht-diabetischen Patienten mit hepatischer Enzephalopathie erfolgreich ist, ist noch nicht bekannt. Auch eine Alteration in der GABA-ergen Neutrotransmission in der Pathophysiologie der hepatischen Enzephalopathie wird diskutiert. Hier würden endogene Benzodiazepine den GABA-A-Rezeptor allosterisch verändern, was zu einem erhöhten Tonus dieses Neutrotransmittersystems führen soll. Aufgrund der »GABA-Hypothese« wurde schon vor Jahren Flumazenil eingesetzt (Gyr et al. 1996). Neuere Daten zeigen, dass primär
nur dann Veränderungen bestehen, wenn die Patienten im Vorfeld der Entwicklung der hepatischen Enzephalopathie exogen mit Benzodiazepinen behandelt wurden, was allerdings sehr häufig der Fall ist (Ahboucha et al. 2004). Insgesamt scheinen eher nicht-benzodiazepinähnliche Substanzen – möglicherweise Neurosteroide – an der Modulation des GABA-ergen System und über diesen Mechanismus an der hepatischen Enzepahlopathie beteiligt zu sein. Inwieweit die Eiweißzufuhr eingeschränkt werden muss, ist schwierig zu beurteilen. Der Patient mit einer chronischen Hepatopathie benötigt prinzipiell eher mehr Eiweiß als ein Gesunder; andererseits sollte bei akut bestehender Enzephalopathie der Wert von 0,5 g/kg KG/Tag wohl nicht überschritten werden. Sobald eine Verbesserung eintritt, sollte die Eiweißzufuhr kontinuierlich bis auf 1,5 g/kg KG/Tag erhöht werden (katabole Stoffwechsellage). Verzweigtkettige Aminosäurelösungen scheinen nicht nur für die hepatische Enzephalopathie, sondern für die Therapie der chronischen Leberinsuffizienz per se – als Supplement – sinnvoll zu sein (Marchesini et al. 2005). Basistherapie der heptischen Enzephalopathie 5 Meiden von Noxen – Alkohol – Medikamente 5 Normalisierung des Elektrolythaushalts (u. a. Hyponatriämie) 5 Rasche und effiziente Behandlung infektiöser Prozesse 5 Intestinale Detoxifikation – Laktulose – Selten Antibiotika (Rifaximin) 5 Zweckmäßige Ernährung – Ausgewogen und vitaminreich (antioxidativ) – Ballaststoffreich (prokinetisch) – Bevorzugung von Milch- und Pflanzeneiweiß 5 Verbesserung der Entgiftungsfunktion der Leberzelle – Verzweigtkettige Fettsäuren, Ornithin-Aspartat (experimentell)
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653 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
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654
Kapitel 38 · Portale Hypertension
38.3.2 Operative Therapie der portalen
Hypertension
J.E. Tuttle-Newhall, P.A. Clavien ) )
38
Vor der weit verbreiteten klinischen Anwendung der portokavalen Shunts im Jahre 1945 war keine effektive chirurgische oder medizinische Therapie zur Kontrolle der Varizenblutung aufgrund portaler Hypertension vorhanden. Die klassische chirurgische Maßnahme zur Behebung der portalen Hypertension, der portokavale Shunt, wurde von Nikolai Vladimirovick Eck 1877 beschrieben (Childs 1953). Pavlov beschrieb als Erster 1893 die Konsequenzen der Diversion des portalen Blutflusses (Hahn 1893). Versuchstiere, die die Originaloperation überlebten, litten unter sog. Fleischintoxikation. Bei diesen Tieren mit funktionierendem Shunt atrophierte die Leber. Diejenigen Tiere, bei denen der portokavale Shunt thrombosierte, hatten eine normale Leber und tolerierten eine normale Diät. Die Eck-Fistel, eine End-zu-Seit portokavale Anastomose, war die erste Operation, bei der ein kurzzeitiger Überlebensvorteil für Patienten mit Varizenblutung nachgewiesen worden ist (Rikkers 1990). In den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurden verschiedene Arbeiten publiziert, welche die prophylaktischen mit den therapeutischen portosystemischen Shunts verglichen haben. Die Resultate dieser Studien zeigen einhellig, dass Patienten mit Shunts nicht länger leben. Diese Patienten weisen zwar eine erhöhte Inzidenz an Enzephalopathie auf, leiden jedoch seltener an Blutungsepisoden, Aszites oder Leberversagen (Rikkers 1987). Die anatomische Möglichkeit der Anlage eines portokavalen Shunts konnte sich nicht in einem verbesserten Patientenüberleben widerspiegeln. In der gleichen Zeitperiode entwickelten andere Chirurgen portosystemische Shunts, die ösophagogastrische Varizen selektiv dekomprimieren bei erhaltener portalvenöser Perfusion. Warren publizierte seine ersten Resultate 1967 mit dem distalen splenorenalen Shunt, indem er bewies, dass er die Varizenblutung erfolgreich kontrollieren und den hepatischen portalen Fluss erhalten konnte (Warren 1982). Sugiura u. Futagawa publizierten 1973 ihre Originalarbeit über die ösophagogastrische Devaskularisationstechnik zur Kontrolle der Varizenblutung mit exzellenten Resultaten. Die letzen 50 Jahre sind gekennzeichnet durch verschiedene chirurgische Techniken zur Intervention der portalen Hypertension mit dem Ziel, die Varizenblutung und Aszitesbildung zu kontrollieren. Bis zur Einführung der orthotopen Lebertransplantation existierte keine chirurgische Maßnahme zur Behandlung der portalen Hypertension, die dem Patienten mit dem Endstadium der Leberinsuffizienz weiterhelfen konnte.
zu wirken. Trotz der Ausbildung dieser effektiven Kollateralen bleibt eine deutliche Erhöhung des splanchnischen Blutangebotes und des venösen Druckes bestehen. Die häufigsten Komplikationen der portalen Hypertension sind die gastrointestinale Blutung und der Aszites. Die gastrointestinale Blutung tritt bei portalvenösen Drücken höher als 12 mmHg auf (Benoit 1986). Die verschiedenen Kollateralen zwischen dem portalen und dem systemischen Venensystem sind (. Abb. 38.6): 4 der gastroösophageale Übergang, versorgt über die V. gastrica sinistra mit Abfluss zur V. azygos 4 das splenorenale System, versorgt über die V. lienalis mit Abfluss zu den retroperitonalen Venen 4 das umbilikale Venensystem, das klinisch das so genannte Caput medusa bildet und in das Venensystem der Bauchdecke abfließt 4 der hämorrhoidale Venenplexus, der über die V. mesenterica inferior gespeist wird und über die V. iliaca interna abfließt Das Azygossystem ist mit dem relativ dünnwandigen, fragilen und oberflächlichen Plexus der gastrischen und ösophagealen Venen verbunden. Ein erhöhter portalvenöser Druck über 12 mmHg induziert dort eine erhöhte Wandspannung der Varize, und lokale Faktoren wie Gastritis oder Ösophagitis können zur Varizenruptur und zur Blutung Anlass geben (Bosch 1986). Die primäre Lokalisation der portalen Flussstörung kann entweder als prä-, intra- oder posthepatisch klassifiziert werden (7 Kap. 38.1.1). Die klinische Präsentation hängt deshalb vom Ort der primären Flussstörung ab. Das Budd-Chiari-Syndrom als posthepatische venöse Okklusion ist z. B. durch ein akutes Auftreten von massivem Aszites charakterisiert, während der prähepatische portale Block keinen Aszites aufweist (Klein 1990).
. Tabelle 38.4. Child-Pugh-Klassifikation
Klinische Parameter
Einteilung
Score
Enzephalopathie
Fehlt
1
I/II
2
III/IV
3
Fehlt
1
Wenig
2
Massiv
3
2
1
2–3
2
>3
3
3,5
1
2,8–3,5
2
2,8
3
50–100
1
30–50
2
<30
3
Aszites
Bilirubin (mg/dl)
Albumin (g/dl)
Anatomie und Pathophysiologie der portalen Hypertension Wie ausführlich im 7 Kap. 38.1 diskutiert worden ist, erhöht sich der Druck im portalvenösen System als Folge eines erhöhten Widerstandes im Bereiche des hepatischen portalvenösen Systems. Ferner existiert eine erhöhte splanchnische Perfusion bei Patienten mit Leberzirrhose als Folge eines hyperdynamen kardiovaskulären Zustandes, der zur Vergrößerung des portalvenösen Volumens führt. Als Folge davon bilden sich venöse Kollateralen, um dem hohen Druck im portalvenösen System entgegen
Prothrombinwert (%)
Child A = 4–6 Punkte, Child B = 7–9 Punkte, Child C = >10 Punkte
38
655 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
. Abb. 38.6. Das portosystemische Kollateralsystem. (Aus Orloff 1972)
Azygos-System
Vv. oesophageales
kurze gastrische Kranzarterie
linke gastrische Kranzarterie rechte gastrische Kranzarterie
A. sup. mesenterica
paraumbilikal
A. splenica links gastroepiploisch
Nabel A. mesenterica inferior A. epigastrica superior und inferior
A. haemorroidalis superior
Aa. haemorroidales media Aa. haemorroidales inferior
Die genaue Lokalisation der venösen Okklusion und die Charakterisierung der Leberfunktion sind für die Therapiewahl von kritischer Bedeutung. Indikationsstellung Im Zeitalter des transjugulären intrahepatischen portokavalen Shunts (TIPS) und der Lebertransplantation werden die klassischen chirurgischen Shunts und Devaskularisationsoperationen seltener durchgeführt. Beim Patienten mit Komplikation der portalen Hypertension muss jeder Therapieentscheid auf der ChildPugh-Klassifikation und auf der vermuteten pathologischen Ursache – sei sie bedingt durch eine Lebererkrankung oder durch einen prähepatischen Block – gründen. Die Child-Pugh-Klassifikation eignet sich sehr gut, um die Patienten in verschiedene Schweregrade der Leberfunktionsstörung einzuteilen und den postoperativen Outcome zu prognostizieren (. Tab. 38.4; Pugh 1973). Die derzeitigen Indikationen zur operativen Behandlung der portalen Hypertension sind grundsätzlich alle Kandidaten für eine Lebertransplantation, bei denen aber konservative Be-
handlung und TIPS zur Kontrolle der Varizenblutung fehlgeschlagen haben oder Patienten, die keine Kandidaten zur Lebertransplantation sind, bei denen die herkömmliche Behandlung zur Blutungskontrolle nicht erfolgreich war. Patienten mit unkontrollierbarer Varizenblutung und solche, die nicht Kandidaten für ein TIPS sind, können ebenfalls für eine dringliche operative Behandlung in Erwägung gezogen werden (7 Kap. 38.2). Transjugulärer intrahepatischer portokavaler Shunt Jede Diskussion über die chirurgische Therapie der portalen Hypertension wäre nicht vollständig ohne den Einbezug der TIPS-Anlage, da sie die klassischen operativen Behandlungen der Komplikationen der portalen Hypertension bei Patienten mit Lebererkrankung ersetzt hat (7 Kap. 38.3.1). Heutzutage wird der TIPS als Überbrückung zur Lebertransplantation empfohlen bei Patienten, bei denen andere konventionelle Modalitäten zur Blutungskontrolle (Sklerotherapie, endoskopisches Banding) fehlgeschlagen haben. Andere Indikationen zum TIPS sind therapierefraktärer Aszites, portale Gastropathie und das hepato-
656
Kapitel 38 · Portale Hypertension
renale Syndrom (Coldwell 1995). Der TIPS hat die Notwendigkeit notfallmäßiger chirurgischer Eingriffe praktisch eliminiert (7 Kap. 38.2). Ein großer Vorteil des TIPS als effektive Notfallmaßnahme bei der Varizenblutung ist seine vergleichsweise niedrige Mortalität. Der portale Venendruck kann mit dem TIPS effektiv unter 12 mmHg gesenkt werden und im Falle einer aktiven Blutung vereinfacht dies die selektive angiographische Embolisation einzelner Varizen in der gleichen Sitzung (Rössle 1994). Komplikationen des TIPS beinhalten eine Verschlechterung der Leberfunktion als Folge des portalvenösen Shuntings und die Enzephalopathie. Leider ist die Durchgängigkeitsrate der gelegten Stents limitiert. Der Einsatz des TIPS bei Patienten, die nicht Kandidaten für die Lebertransplantation sind, ist kontrovers, weil die Langzeitdurchgängigkeit nur durch multiple Reinterventionen aufrecht gehalten werden kann. Shuntdysfunktionsraten bis zu 60% wurden innert der ersten 6 Monate nach Anlage beobachtet (Skeens 1995). Ein schlecht platzierter Stent kann bei einer späteren Lebertransplantation erhebliche Probleme bereiten. Liegt er mit einem Ende in der V. cava, so kann es unmöglich sein, die suprahepatische Kavaklemme zu setzen. Liegt er in der V. portae, so kann er die Pfortaderanastomose komplizieren (Clavien 1998).
38
. Abb. 38.7. End-zu-Seit-portokavaler Shunt
Verfahrenswahl Im Lichte des postoperativen Risikos einer hepatischen Dekompensation und anderer postoperativer Morbidität müssen Patienten mit schwerer Lebererkrankung für chirurgische Eingriffe ohne Lebertransplantation sehr sorgfältig ausgewählt werden. Der Schlüssel zur Anwendung der korrekten Operationsmethode ist die Abwägung des Schweregrads der hepatischen Dysfunktion gegenüber dem Risiko einer erneuten Varizenblutung. Shuntoperationen sind deshalb ideal für Patienten mit einer guten Leberfunktion (Child-Klassifikation A, also keine Transplantationskandidaten), bei denen die konservative Therapie einschließlich der interventionellen Endoskopie nicht erfolgreich war. Chirurgische Shunts Sie werden in die 3 Typen total, partiell und selektiv eingeteilt. Totale Shunts. Diese führen zur kompletten Diversion des Blut-
flusses weg von der portalen zur systemischen Zirkulation. Der portokavale Shunt ist das klassische Beispiel eines totalen Shunts, der entweder durch eine End-zu-Seit- oder durch eine Seitzu-Seit-Anastomose zwischen der Portalvene und der V. cava inferior bewerkstelligt wird (. Abb. 38.7 und 38.8). Die komplette Diversion des Blutflusses bedeutet eine maximale Protektion gegen eine Varizenrezidivblutung und wirkt am besten auf die Rückbildung von therapierefraktärem Aszites. Die Shuntanlage ist technisch relativ einfach und wurde früher als optimale Dekompressionsmethode für Notfalleingriffe empfohlen (Orloff 1986). Hauptnachteil dieses Shunts ist das große Risiko der postoperativen Enzephalopathie. Er sollte deshalb nur bei Patienten mit kompensierter Zirrhose (Child A oder B ohne Aszites) angewendet werden. Bei Kandidaten zur Lebertransplantation sollte er hingegen vermieden werden. Der portokavale Shunt ist bei Patienten mit limitierter hepatischer Reserve mit einer deutlichen Verschlechterung der Leberfunktion assoziiert. Unlängst wurde diese Operation durch den TIPS, dem hämodynamischen Äquivalent des portokavalen Shunts, ersetzt. Ein anderer Typ eines totalen Shunts stellt der mesokavale Shunt dar. Er wird in der Regel mit einem großlumigen Dacron-
. Abb. 38.8. Seit-zu-Seit-portokavaler Shunt
Interponat mit Durchmesser 19–22 mm zwischen der V. mesenterica superior am Ansatz der Radix mesenterii und der V. cava inferior gebildet (. Abb. 38.9; Lillemoe 1990). Dieses Shuntverfahren ist besonders indiziert bei Patienten mit Varizenblutung, die eine Obstruktion des venösen Ausflusses aus der Leber aufweisen (Budd-Chiari-Syndrom), für solche, die eine spätere Lebertransplantation benötigen oder bei Kindern mit portaler Hypertension, bei denen wegen des kleinen Venenkalibers ein splenorenaler Shunt technisch nicht möglich ist. Der mesokavale
38
657 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
Gallenblase
P Lobus caudatus
rechte Niere
IVC
V
Duodenum
Kolon . Abb. 38.9. Mesokavaler Shunt mit Interposition einer großlumigen Prothese (19–22 mm) . Abb. 38.11. Portokavaler partieller Shunt (H-Graft) mit 8–10 mm dicker, ringverstärkter PTFE-Prothese. (Aus Colbas et al. 1994)
Vena mesenterica superior
Vena cava inferior PTFE-Prothese . Abb. 38.10. Mesokavaler H-Shunt (partieller Shunt) mit ringverstärkter PTFE-Prothese 8–15 mm
Shunt ist auch wirksam bei Patienten mit portalvenöser Thrombose. Im Gegensatz zum portokavalen Shunt kompliziert der mesokavale Shunt eine spätere Lebertransplantation nicht. Anlässlich einer Transplantation kann er entweder mit dicken Ligaturen oder mit einem vaskulären Klammergerät leicht aufgehoben werden. Partielle Shunts. Sie erhalten die portale Perfusion leberwärts, indem sie den portalvenösen Druck senken. Ziel der partiellen Shunts ist, einer Progression der Leberfunktionsstörung entgegen zu wirken, indem sie das Varizenblutungsrisiko senken. Der
gebräuchlichste partielle Shunt ist der kalibrierte mesokavale Shunt in einer H-Position zwischen der V. mesenterica superior und der V. cava inferior (Collins 1994). Er wird entweder mit einer 8–15 mm großen Dacron-Prothese, mit einer wandverstärkten Polytetrafluoroäthylen- (PTFE-)Prothese oder als autologe Vene aus der Jugularis interna gebildet (. Abb. 38.10). Weil der Shuntdurchmesser relativ klein ist, kommt es nicht zur kompletten Diversion des portalen Flusses weg von der Leber wie beim konventionellen mesokavalen Shunt. Auch er tangiert die Porta hepatis nicht und interferiert nicht mit einer späteren Lebertransplantation. Vorteil dieses Shunts ist ein niedrigeres Risiko der Enzephalopathie. Sein Nachteil ist das höhere Risiko der Shuntthrombose wegen seines kleineren Durchmessers. Die Einjahres-Durchgängigkeitsrate dieses Shunttyps beträgt 70% (Collins 1994). Als Alternative dazu kann eine kleinlumige Interposition einer PTFE-Prothese zwischen Portalvene und V. cava erfolgen (. Abb. 38.11). Selektive Shunts. Sie führen zur selektiven Dekompression gas-
troösophagealer Varizen, indem sie den portalen Venenfluss erhalten. Der distale splenorenale Warren-Shunt ist der am häufigsten angewendete selektive Shunt für Patienten mit Child-Aoder -B-Leberzirrhose, die keine Transplantationskandidaten sind (Henderson 1992). Für Patienten auf der Transplantationsliste hingegen ist der TIPS die bessere Methode zur Behandlung von Varizenblutung als Überbrückung bis zur Lebertransplantation. Der Warren-Shunt besteht in einer Anastomosierung zwischen dem milzfernen Ende der V. lienalis mit der linken Nierenvene End-zu-Seit und in einer Unterbrechung aller signifikanten venösen Kollateralen, vor allem im Bereich der V. gastrica sinistra und der V. gastroepiploica (. Abb. 38.12). Ein präoperatives
658
Kapitel 38 · Portale Hypertension
. Abb. 38.12. Warren-Shunt (distaler splenorenaler Shunt)
Angiogramm ist notwendig zur Darstellung der portalvenösen Durchgängigkeit und zur Einschätzung des Kalibers der V. lienalis, der größer als 1 cm sein soll. Obwohl Dopplerultraschall oder Duplexuntersuchung im postoperativen Verlauf zur Kontrolle der Durchgängigkeit des angelegten Shunts verwendet werden, sollte diese nichtinvasive Diagnostik nicht zur präoperativen Klärung der venösen Anatomie angewendet werden. Die Qualität der sonographischen Bildgebung ist bekanntlich untersucherabhängig. Dieser selektive portosystemische Shunt führt zu einer isolierten Dekompression gastrischer und ösophagealer Varizen, während der portale Hochdruckfluss erhalten bleibt. Das Ver-
fahren bietet die Vorteile einer niedrigeren Enzephalopathierate und eines geringeren Rezidivblutungsrisiko von weniger als 5% nach einem Jahr. Bei Patienten mit vorbestehendem Aszites sollte der Warren-Shunt nicht angelegt werden, weil die Ausbildung von Aszites eine der häufigeren Komplikationen des Verfahrens darstellt. Postoperativ auftretender Aszites kann in diesen Fällen relativ einfach behandelt werden mit Natrium- und Flüssigkeitsrestriktion und mit diuretischer Behandlung (Warren 1982). Patienten mit adäquater oder guter hepatischer Funktion (Child A oder B ohne Aszites) sind zu 90% frei von erneuter Varizenblutung und zeigen eine Überlebensrate von ca. 75% nach 5 Jahren (Henderson 1992). Ein Risiko des Warren-Shunts stellt die erhöhte Gefahr einer portalvenösen Thrombose dar. Insbesondere bei Patienten mit äthyltoxischer Zirrhose kann dadurch die Präservation des portalvenösen Flusses über die Zeit verloren gehen, vor allem wenn sich neue venöse Kollateralen ausbilden. Die Verminderung des portalvenösen Flusses führt in dieser Situation vermehrt zu Pfortaderthrombosen und konsekutiv zu häufigeren Varizenblutungsrezidiven (Henderson 1983). Deshalb wird von manchen Autoren die Anlage eines partiellen mesokavalen H-Shunts zur besseren Langzeitprävention der Rezidivblutung bei äthyltoxischer Leberzirrhose empfohlen (Sarfeh 1994). Devaskularisationsverfahren Diese Operationsmethoden gehen die blutenden Varizen direkt an. Früher wurde die ösophageale Transsektion zur Obliteration blutender Ösophagusvarizen verwendet, heutzutage ist diese als notfallmäßige Behandlung unter Verwendung eines zirkulären End-zu-End-Staplers (EEA) notwendig (. Abb. 38.13a; Wexler
38 2
1 3
4 5
a
b
. Abb. 38.13. a Ösophageale EEA-Stapler-Transsektion. (Aus Wexler 1980). b Modifiziertes Sugiura-Verfahren angewandt an der Duke-Universität: Dieses Verfahren beinhaltet Splenektomie (1), extensive ösophageale Devaskularisation (2), ösophageale Transsektion mit EEA-Stapler via kleiner anteriorer Gastrotomie (3), extensive gastrische Devaskulari-
sation (4) und Pyloroplastik (5). Die Pyloroplastik wird durchgeführt wegen der trunkulären Vagotomie im Zusammenhang mit der ösophagealen Transsektion. Abschluss der Operation ist die Implantation einer jejunalen Ernährungssonde, hier nicht gezeigt
659 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
1980). Die derzeit gebräuchlichste Devaskularisationsmethode stellt jedoch die Sugiura-Operation dar (Sugiura u. Futagawa 1973). Ursprünglich wurde zunächst der intrathorakale Ösophagus durchtrennt und die Devaskularisation des intraadominalen Ösophagusabschnittes durch Laparotomie vervollständigt. Die Sugiura-Operation basiert auf dem einzigartigen Prinzip der Durchtrennung der Perforansvenen im Bereich der ösophagogastrischen Varizenkonvolute, während sie den Venenplexus der Kollateralen zwischen der V. coronaria und dem Azygosvenensystem erhält. Wichtig dabei ist, dass ösophageale und gastrische Varizen möglichst extensiv ausgeschlossen werden. Der intrathorakale Anteil der Operation besteht in einer wandnahen Devaskularisation der Ösophagusvenen, wobei die periösophagealen Venenplexus unangetastet bleiben. Der Ösophagus wird also von allen einsprossenden Venen, beginnend auf der Höhe der V. pulmonalis bis nach kaudal über den gastroösophagealen Übergang hinaus, befreit. Zuletzt wird der Ösophagus durchtrennt und mit Einzelknopfnähten reanastomosiert. Die abdominelle Phase der Operation devaskularisiert den gastroösophagealen Übergang und den Magen weiter aboral entlang des Omentum minus und entlang der großen Kurvatur.
Als Folge der trunkulären Vagotomie muss eine vordere Pyloroplastik durchgeführt werden. In der Regel wird zusätzlich splenektomiert. Möglichst alle Venenkollateralen zwischen dem portalvenösen und dem Azygossystem sollten erhalten werden (Sugiura 1973). Sugiura u. Futagawa publizierten 1977 die Resultate von 276 Patienten mit ihrer Operationsmethode. Dabei wurden 224 Patienten elektiv und 52 notfallmäßig zur Kontrolle der Varizenblutung operiert. Die operative Mortalität betrug 3% und in einer Nachbeobachtungsperiode von 1–10 Jahren wurde eine Rezidivvarizenblutung in nur 2,3% der Fälle registriert. Das aktuale Überleben der Patienten betrug 83%. Dabei bestand eine signifikante Korrelation zwischen der Mortalität und dem Schweregrad der Leberdysfunktion zum Zeitpunkt der Operation. Child-A- und -B-Patienten hatten ein Überleben von 95 bzw. 87%, während die Child-C-Patienten eine Überlebensrate von 57% aufwiesen. Eine postoperative Enzephalopathie wurde in keinem Fall beobachtet. Eine Follow-up-Serie wurde 1984 publiziert mit zusätzlichen 671 Patienten, die eine operative Mortalität von 4,9% aufwiesen. Diese korrelierte mit dem Schwere-
. Tabelle 38.5. Mortalitätsrate nach Child-Klassifikation bei Patienten nach elektiver Sugiura-Operation. (Nach Orozco et al. 1992)
ChildKlassifikation
Patientenzahl
Operative Mortalität (%)
A
63
12
B
32
31
C
5
80
38
grad der Leberfunktionsstörung. Patienten mit Child-C-Zirrhose hatten eine operative Mortalität von 20% und ein Langzeitüberleben von nur 53% (Sugiura u. Futagawa 1984). Als Folge der exzellenten Resultate von Sugiura wurde die Devaskularisationsoperation von vielen Chirurgen außerhalb von Japan übernommen. Die Ergebnisse von Zentren außerhalb Japans sind allerdings sehr unterschiedlich. Viele Chirurgen wenden eine modifizierte Sugiura-Operation an, die durch einen alleinigen transabdominalen Zugang die Devaskularisation inkl. Durchtrennung und Reanastomosierung des Ösophagus in einem Schritt vornimmt (Ginsberg 1982). An der Duke-Universität haben wir ein modifiziertes Sugiura-Verfahren entwickelt (. Abb. 38.13b): Nach oberer medianer Laparotomie werden Kardia und intraabdomineller Ösophagus weit mobilisiert. Eine Splenektomie wird als Teil der gastrischen Devaskularisation vorgenommen. Periösophageal einsprossende Venen werden sorgfältig durchtrennt, während zum Azygos ziehende periösophageale Kollateralvenen, die durch den Hiatus oesophagei ziehen, geschont werden. Durch den alleinigen abdominellen Zugang kann die Devaskularisation nicht so weit nach kranial bis zur unteren Pulmonalvene getrieben werden, wie dies Sugiura ursprünglich beschrieben hatte. Durch den transhiatalen Zugang zum Ösophagus kann jedoch die Devaskularisation in einer adäquaten Länge von 6–10 cm realisiert werden. Der Ösophagus wird mit Hilfe eines EEA-Staplers vorgenommen, indem dieser durch eine vordere Gastrotomie eingeführt und ca. 5 cm oral des gastroösophagealen Überganges abgefeuert wird (. Abb. 38.13a). Die Operation wird nach Entnahme einer Leberbiopsie und nach Implantation einer jejunalen Ernährungssonde abgeschlossen.
Ergebnisse. Seit 1993 wurden 15 Patienten im Alter zwischen
11 und 57 Jahren mit einer modifizierten Sugiura-Operation an der Duke-Universität behandelt. Nach einer mittleren Nachbeobachtungsperiode von 14 Monaten (6 Monate bis 3 Jahre) sind alle 15 Patienten am Leben und zeigen weder ein Blutungsrezidiv noch eine Enzephalopathie. Indikationen für ein modifiziertes Sugiura-Verfahren sind Patienten, die weder für einen Warren-Shunt noch für eine Lebertransplantation in Frage kommen, wenn eine portalvenöse oder splanchnische Thrombose besteht, wenn ein früherer chirurgisch angelegter Shunt thrombosiert ist oder wenn bereits früher eine Splenektomie erfolgte (7 Übersicht). Der Erfolg einer solchen Devaskularisationsoperation bei Patienten mit Ösophagusvarizenblutung ist abhängig von einer sorgfältigen Patientenselektion und der richtigen Festlegung des Operationszeitpunktes. . Tab. 38.5 fasst die Resultate dieser Operation in Abhängigkeit vom ChildStatus und dem Zeitpunkt der Operation zusammen (Orozco 1992). Wie bei jedem operativen Verfahren zur Behandlung der Komplikationen der portalen Hypertension außer der Lebertransplantation hängt das operative Resultat direkt von der hepatischen Reserve ab.
660
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Varizenblutung aufgrund portaler Hypertension
Child A oder B (ohne Aszites)
offene Vena lienalis
distaler splenorenaler Shunt (Warren)
Child B oder C (mit Aszites)
Anatomie für WarrenShunt ungeeignet (d.h. V. lienalis < 1 cm)
Kandidat für Lebertransplantation
ungeeignet für Lebertransplantation
TIPS und medikamentöse Therapie
Lebererkrankung mit guter Prognose
Lebererkrankung mit schlechter Prognose
TIPS
modifizierte Sugiura Operation
OLT
OLT
. Abb. 38.14. Algorithmus zur elektiven Therapie der Varizenblutung
Bedingungen und Indikationen für das SugiuraVerfahren bei Patienten mit therapierefraktärer Varizenblutung 5 Child-A- oder -B-Klassifizierung 5 Kein Aszites 5 Kein Kandidat für Warren-Shunt oder Lebertransplantation 5 Portalvenöse oder splanchnische Thrombose 5 Misslungener chirurgischer Shunt 5 Vorhergehende Splenektomie
38
Zusammenfassung Bei der Verfahrenswahl müssen die hepatische Funktionsreserve der Patienten (Child-Klassifikation) sowie der natürliche Verlauf der zugrunde liegenden Lebererkrankung in Erwägung gezogen werden. Als Ergänzung für die Behandlung der akuten Varizenblutung werden in . Abb. 38.14 die Behandlungsrichtlinien zur elektiven Therapie der Varizenblutung aufgeführt. Child-CPatienten oder solche mit einer Lebererkrankung, die in Richtung Leberversagen führt, sollten zur Evaluation in ein Transplantationszentrum geschickt werden. Dabei kann ein TIPS die Wartezeit bis zur Transplantation überbrücken. Patienten mit Child-Aoder -B-Erkrankungen ohne Aszites mit Komplikationen der Varizenblutung und Patienten, bei denen die Lebererkrankung nicht als rasch progredient eingestuft wird, sollten in therapierefraktären Fällen für einen Warren-Shunt mit einem präoperativen Angiogramm evaluiert werden. Falls das Angiogramm eine venöse Anatomie aufdeckt, die nicht für den splenorenalen Shunt geeignet ist, sollte eine Devaskularisationsoperation (modifiziertes Sugiura-Verfahren) in Erwägung gezogen werden. Child-A- oder -B-Patienten mit rasch progredienter Lebererkrankung sollten für eine Transplantation evaluiert werden. Child-B-Patienten mit Aszites oder alle Child-C-Patienten sollten nach Evaluation durch ein multidisziplinäres Team der Lebertransplantation zugeführt werden. Child-C-Patienten, die keine Kandidaten zur Lebertransplantation sind, sollten einen TIPS und eine sorgfältige Nachkontrolle erhalten. Werden diese spezifischen Richt-
linien zur Patientenselektion und zur Festlegung des Operationszeitpunktes korrekt angewendet, können chirurgische Shunts, Devaskularisationsoperationen und Leberersatztherapien wirksam und sicher bei Patienten mit Komplikationen der portalen Hypertension angewendet werden.
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38
661 38.4 · Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
38.4
Orloff MJ, Greenberg AG (1986) Prospective randomized trial of emergency portacaval shunts and medical therapy in unselected cirrhotic patients with bleeding varices. Gastro 90:1754 Orozco HMM, Takahashi T, Hernandez-Ortiz, Capellan JF, Garcia-Tsao G (1992) Elective treatment of bleeding varices with the Sugiura operation over 10 years. Am J Surg 163:585–589 Pugh RNH, Dawson JL et al. (1973) Transsection of the oesophagael varices. Br J Surg 60:646–664 Rikkers L (1987) Bleeding esophageal varices. Surg Clinics NA 67:475–488 Rikkers L (1990) Definitive therapy for variceal bleeding: a personal view. Am J Surg 160:80–85 Rössle MHK, Ochs A et al. (1994) The transjugular intrahepatic portosystemic stent-shunt procedure for variceal bleeding. New Engl J Med 330:165–171 Sarfeh IJ (1994) Partial versus total portacaval shunt in alcoholic cirrhosis: results of a prospective randomized clinical trial. Ann Surg 219:352– 361 Skeens JSC, Dake M (1995) Transjugular intrahepatic portosystemic shunts. Ann Rev Med 46:95–102 Sugiura M (1973) A new technique for treating esophageal varices. J Thorac Cardiovasc Surg 66:677 Sugiura M, Futagawa S (1977) Further evaluation of the Sugiura procedure in the treatment of esophageal varices. Arch Surg 112:1317 Sugiura M, Futagawa S (1984) Esophageal transection with paraesophagogastric devascularizations (the Sugiura procedure) in the treatment of esophageal varices. World J Surg 8:673 Warren WD, Henderson JM et al. (1982) Ten years’ portal hypertensive surgery at Emory. Ann Surg 195:530 Wexler MJ (1980) Treatment of bleeding esophageal varices by transabdominal esophaegeal transection with the EEA stapling instrument. Sugery 88(3):406
Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
38.4.1 Konservative Therapie
E.L. Renner ) ) Einschränkung der Na+-Zufuhr und Diuretika kontrollieren Aszites in 80–90% der Zirrhotiker. Eine rasche Aszitesentlastung lässt sich mittels Parazentese (und i.v. Albuminersatz) erzielen. Versagen diese Maßnahmen, kommt für geeignete Patienten die Einlage eines transjugulären portosystemischen Shunts (TIPS) in Frage.
Grundlagen 50–60% aller Zirrhotiker entwickeln im Verlaufe ihrer Lebererkrankung Aszites (Ginés et al. 1987). Aszites prädisponiert zu Zwerchfellhochstand, Pleuraerguss (hepatischer Hydrothorax) mit konsekutiven Atembeschwerden und infektgefährdeten, minderbelüfteten basalen Lungenabschnitten, (Umbilikal-)Hernien und spontan bakterieller Peritonitis. Nach Auftreten von Aszites überleben Zirrhotiker median 2 Jahre (D’Amico et al. 1986). Bei Auftreten von Aszites muss deshalb die Indikation zur orthotopen Lebertransplantation geprüft werden (. Abb. 38.15). Differenzialdiagnose. Der Serum-Aszites-Albumin-Gradient
lässt zuverlässig zwischen portal-hypertensiver und neoplastischer oder entzündlicher Aszitesursache unterscheiden (Runyon
Aszites Chirurgie Nein
?Serum-Aszites-Albumin-Gradient >11 g/ l?
Ja portal - hypertensiv
nicht portal - hypertensiv Nein
Abklärung / Therapie
? Neutrophile ≥ 250/µl Aszites?
Ja
Perforation? *
nicht infiziert
Spontan bakterielle Peritonitis
Na - Zufuhr einschränken
3. Generation Cephalosporin
H2O - Zufuhr nur bei Hyponatriämie einschränken
mäßig
?Aszites?
Therapieziel: Gewichtsverlust max. 0,5 kg/d (resp. 1 kg/d, falls Ödeme)
massiv
Rezidiv - Prophylaxe: Noroxin 400 mg/d oder Bactrim forte 1 Tbl. an 5 d / Wo
Parazentese + i.v. Albumin Ersatz (≥ 6 g/ l Aszites)
Spironolactone 100 - 400 mg/d falls ungenügend: + Furosemid 20 - 40 (-160) mg/d falls Crea - Anstieg > 20 µmol / l od. Serum Na < 130 mmol / l: Diuretika reduzieren / stoppen . Abb. 38.15. Flussdiagramm zur Diagnose/Therapie des Aszites beim Zirrhotiker. Erläuterungen 7 Text
?Lebertransplantation? ?TIPS?
* wenn mehr als 1 Keim
38
661 38.4 · Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
38.4
Orloff MJ, Greenberg AG (1986) Prospective randomized trial of emergency portacaval shunts and medical therapy in unselected cirrhotic patients with bleeding varices. Gastro 90:1754 Orozco HMM, Takahashi T, Hernandez-Ortiz, Capellan JF, Garcia-Tsao G (1992) Elective treatment of bleeding varices with the Sugiura operation over 10 years. Am J Surg 163:585–589 Pugh RNH, Dawson JL et al. (1973) Transsection of the oesophagael varices. Br J Surg 60:646–664 Rikkers L (1987) Bleeding esophageal varices. Surg Clinics NA 67:475–488 Rikkers L (1990) Definitive therapy for variceal bleeding: a personal view. Am J Surg 160:80–85 Rössle MHK, Ochs A et al. (1994) The transjugular intrahepatic portosystemic stent-shunt procedure for variceal bleeding. New Engl J Med 330:165–171 Sarfeh IJ (1994) Partial versus total portacaval shunt in alcoholic cirrhosis: results of a prospective randomized clinical trial. Ann Surg 219:352– 361 Skeens JSC, Dake M (1995) Transjugular intrahepatic portosystemic shunts. Ann Rev Med 46:95–102 Sugiura M (1973) A new technique for treating esophageal varices. J Thorac Cardiovasc Surg 66:677 Sugiura M, Futagawa S (1977) Further evaluation of the Sugiura procedure in the treatment of esophageal varices. Arch Surg 112:1317 Sugiura M, Futagawa S (1984) Esophageal transection with paraesophagogastric devascularizations (the Sugiura procedure) in the treatment of esophageal varices. World J Surg 8:673 Warren WD, Henderson JM et al. (1982) Ten years’ portal hypertensive surgery at Emory. Ann Surg 195:530 Wexler MJ (1980) Treatment of bleeding esophageal varices by transabdominal esophaegeal transection with the EEA stapling instrument. Sugery 88(3):406
Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
38.4.1 Konservative Therapie
E.L. Renner ) ) Einschränkung der Na+-Zufuhr und Diuretika kontrollieren Aszites in 80–90% der Zirrhotiker. Eine rasche Aszitesentlastung lässt sich mittels Parazentese (und i.v. Albuminersatz) erzielen. Versagen diese Maßnahmen, kommt für geeignete Patienten die Einlage eines transjugulären portosystemischen Shunts (TIPS) in Frage.
Grundlagen 50–60% aller Zirrhotiker entwickeln im Verlaufe ihrer Lebererkrankung Aszites (Ginés et al. 1987). Aszites prädisponiert zu Zwerchfellhochstand, Pleuraerguss (hepatischer Hydrothorax) mit konsekutiven Atembeschwerden und infektgefährdeten, minderbelüfteten basalen Lungenabschnitten, (Umbilikal-)Hernien und spontan bakterieller Peritonitis. Nach Auftreten von Aszites überleben Zirrhotiker median 2 Jahre (D’Amico et al. 1986). Bei Auftreten von Aszites muss deshalb die Indikation zur orthotopen Lebertransplantation geprüft werden (. Abb. 38.15). Differenzialdiagnose. Der Serum-Aszites-Albumin-Gradient
lässt zuverlässig zwischen portal-hypertensiver und neoplastischer oder entzündlicher Aszitesursache unterscheiden (Runyon
Aszites Chirurgie Nein
?Serum-Aszites-Albumin-Gradient >11 g/ l?
Ja portal - hypertensiv
nicht portal - hypertensiv Nein
Abklärung / Therapie
? Neutrophile ≥ 250/µl Aszites?
Ja
Perforation? *
nicht infiziert
Spontan bakterielle Peritonitis
Na - Zufuhr einschränken
3. Generation Cephalosporin
H2O - Zufuhr nur bei Hyponatriämie einschränken
mäßig
?Aszites?
Therapieziel: Gewichtsverlust max. 0,5 kg/d (resp. 1 kg/d, falls Ödeme)
massiv
Rezidiv - Prophylaxe: Noroxin 400 mg/d oder Bactrim forte 1 Tbl. an 5 d / Wo
Parazentese + i.v. Albumin Ersatz (≥ 6 g/ l Aszites)
Spironolactone 100 - 400 mg/d falls ungenügend: + Furosemid 20 - 40 (-160) mg/d falls Crea - Anstieg > 20 µmol / l od. Serum Na < 130 mmol / l: Diuretika reduzieren / stoppen . Abb. 38.15. Flussdiagramm zur Diagnose/Therapie des Aszites beim Zirrhotiker. Erläuterungen 7 Text
?Lebertransplantation? ?TIPS?
* wenn mehr als 1 Keim
662
Kapitel 38 · Portale Hypertension
et al. 1992). Ist die Differenz zwischen Serum-Albumin- und Aszites-Albumin-Konzentration >11 g/l, liegt eine portal-hypertensive Genese vor, sofern die Klinik eine kardiale Ursache unwahrscheinlich macht. Entzündlicher oder neoplastischer Aszites ist durch einen Serum-Aszites-Albumin-Gradienten <11 g/l gekennzeichnet. Die Indikation zur diagnostischen Punktion soll deshalb bei neu aufgetretenem Aszites und bei jeder klinischen Verschlechterung eines Zirrhotikers mit Aszites großzügig gestellt und im Punktat minimal Albumin, Zellzahl (inkl. Differenzierung) und Bakteriologie bestimmt werden. Eine lege artis durchgeführte diagnostische Aszitespunktion birgt auch bei portaler Hypertonie und eingeschränkten Gerinnungsverhältnissen kaum Risiken. Pathogenese. Zwei Mechanismen lassen beim Zirrhotiker Aszi-
tes entstehen: 4 Ein wegen portaler Hypertonie und Hypalbuminämie erhöhter Nettofiltrationsdruck presst vermehrt Plasma aus dem Kapillarbett des Pfortaderkreislaufs ins Interstitium. 4 Die hyperdyname Zirkulation des Zirrhotikers aktiviert gegenregulatorisch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (7 Kap. 38.1). Ersteres führt zum »Ausschwitzen« von Flüssigkeit in die freie Bauchhöhle, sobald die Kapazität der Lymphbahnen im Pfortaderstromgebiet überschritten ist, entzieht dem Gefäßsystem laufend Volumen und unterhält somit eine gesteigerte renale Na+- und Wasserretention. Das renal retinierte Na+ und Wasser verschwindet in den Aszites, ein Circulus vitiosus ist etabliert.
38
Therapiemodalitäten Die konservative Therapie zielt auf eine negative Na+- und damit Flüssigkeitsbilanz. Meist genügen eingeschränkte Na+-Zufuhr (Diät) und diuretische Therapie (Aldosteronantagonisten). Falls dies nicht ausreicht oder eine rasche Aszitesentlastung nötig ist, kommt die Parazentese mit i.v.-Albuminersatz zum Einsatz. Bei Versagen dieser Maßnahmen kommt für geeignete Patienten die Einlage eines transjugulären portosystemischen Shunts (TIPS) in Frage, welche chirurgische Verfahren, wie den peritoneovenösen Shunt, verdrängt hat (38.4.2). Na+-arme Diät. Eine Na+-arme Diät (Reduktion der Na+-Zufuhr
auf 3 g oder 50 mmol täglich) führt bei 10% der Zirrhotiker zur negativen Na+-Bilanz und beherrscht den Aszites (Gauthier et al. 1986). Beim ambulanten Patienten ist dies aber oft nicht praktikabel (Notwendigkeit zu Kantinen-/Restaurantessen, Complianceprobleme wegen fadem Geschmack). Realistisch ist, die Patienten zu sparsamem Umgang mit Salz beim Kochen und zum Unterlassen des Nachsalzens bei Tisch bzw. zum Vermeiden speziell Na+-reicher Nahrungsmittel (Konserven, Pommes frites etc.) anzuhalten. Die Einschränkung der Na+-Zufuhr bleibt aber die erste Stufe jeder Aszitestherapie. Diuretika. Die Diuretikatherapie zielt darauf, den Aszites auf ein erträgliches Maß zu reduzieren (Lebensqualität). Dabei soll das Körpergewicht täglich um max. 0,5 kg (ohne periphere Ödeme) bzw. 1 kg (mit peripheren Ödemen) abnehmen, kann Aszites doch mit einer max. täglichen Rate von 0,5 l, periphere Ödeme mit einer solchen von 1 l ins Gefäßsystem mobilisert werden (Shear et al. 1970; Pockros et al. 1986); wird rascher und/oder
vollständig ausgeschwemmt, droht die prärenale Niereninsuffizienz. Aus pathophysiologischen Gründen (sekundärer Hyperaldosteronismus) bleibt der Aldosteronantagonist Spironolacton Diuretikum erster Wahl (Pérez-Ayuso et al. 1983; Santos 2003). Mit einer täglichen Dosis von 100 mg p.o. beginnend kann nach Maßgabe der erzielten Gewichtsreduktion alle paar Tage (Wirkungseintritt benötigt 24–48 h) um 100 mg bis auf maximal 400 mg täglich gesteigert werden. Die Na+- und K+-Konzentration in einer Spot-Urinprobe lässt beurteilen, ob der sekundärer Hyperaldosteronismus vollständig antagonisiert (Urin [Na+] ≥Urin [K+]) resp. eine Steigerung der Spironolactondosis sinnvoll ist. Neben dem natriuretischen Effekt scheint Spironolacton auch eine direkte vasodilatatorische Wirkung im portalen Gefäßbett zu haben und den Pfortader- und Varizendruck zu senken (García-Pagán et al. 1994; Nevens et al. 1996). Cave Unter jeder diuretischen Therapie sind beim Zirrhotiker Nierenfunktion (prärenale Niereninsuffizienz) und SerumElektrolyte (Hyponatriäme und Hyperkaliämie) zu beachten. Die antiandrogene Wirkung von Spironolacton kann eine schmerzhafte Gynäkomastie verursachen.
Wirkt Spironolacton allein ungenügend (oder zu wenig rasch), kann mit kleinen Dosen eines Schleifendiuretikums kombiniert werden. Mit täglich 40 mg Furosemid p.o. beginnend bewärt sich pro 100 mg Spironolacton nicht mehr als 40 mg Furosemide zu kombinieren und eine Tagesdosis von 160 mg Furosemid nicht zu überschreiten. Das neuere Schleifendiuretikum Bumetanid (5–10 mg/Tag p.o.) ist beim Zirrhotiker bzgl. Wirkung und Nebenwirkungen möglicherweise dem Furosemid überlegen (Gerbes et al. 1993; Laffi et al. 1991). Schleifendiuretika verursachen beim Zirrhotiker nicht selten prärenale Niereninsuffizienz und Hyponatriämie (Sherlock et al. 1966, Santos et al. 2003), ihr Einsatz verlangt deshalb engmaschige Kontrolle. Cave Zirrhotiker mit Aszites unter diuretischer Therapie reagieren besonders empfindlich mit einer Verschlechterung der Nierenfunktion auf eine Therapie mit NSAID. NSAID sollten deshalb in dieser Situation vermieden werden.
Parazentese. Gilt es Aszites rasch zu mobilisieren, z. B. wegen
spannungsbedingtem Dyskomfort oder pulmonaler Komplikationen, oder ist die max. tolerierte Diuretika Dosis ungenügend wirksam, ist eine Parazentese indiziert. 6 l Aszites und mehr können wiederholt und ohne Risiko einer (prärenalen) Niereninsuffizienz abpunktiert werden, sofern gleichzeitig pro Liter abpunktiertem Aszites ≥6 g humanes Serumalbumin (20%-ige Lösung) i.v. infundiert wird (Ginés et al. 1987; Salerno et al. 1987). Albumin ist dabei anderen Plasmaexpandern (Dextrane, Gelatinelösungen) bzgl. Verhinderung einer zirkulatorischen Dysfunktion überlegen; letztere erhöht Rehospitalisationsfrequenz und Mortalität signifikant (Ginés et al. 1996). Parazentesen sollten möglichst mit Einschränkung der Na+-Zufuhr und Beginn einer diuretischen Therapie kombiniert werden, um einer raschen Reakkumulation von Aszites entgegenzuwirken (FernanándezEsparrach et al. 1997).
663 38.4 · Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
38
Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS). Werden trotz Ausreizen der diuretischen Therapie Para-
Literatur
zentesen in einer für Patient und Arzt unzumutbaren Häufigkeit notwendig, kann die Einlage eines TIPS helfen. Diese intrahepatisch angelegte Verbindung zwischen Lebervene und Pfortader entspricht funktionell einem zentralen Seit-zu-Seit-Shunt. Sie senkt in einem großen Prozentsatz der Patienten den Druckgradienten zwischen Pfortader und Lebervenen um ≥50% des Ausgangswertes oder auf ≤12 mmHg. Die dadurch erzielte Kontrolle des Aszites wird mit einem ca. 30%-igen Risiko einer hepatischen Enzephalopathie erkauft (Risiko abhängig u. a. vom Schweregrad der vorbestehenden Leberfunktionsstörung und vom Alter), scheint das Überleben aber nicht beeinflussen zu können (Saab et al. 2004; Deltenre et al. 2005).
Arroyo V, Clària J, Salò J et al. (1994) Antidiuretic hormone and the pathogenesis of water retention in cirrhosis with ascites. Semin Liver Dis 24:44–54 D’Amico G, Morabito A, Pagliaro L et al. (1986) Survival and prognostic factors in compensated and decompensated cirrhosis. Dig Dis Sci 31:468–485 Deltenre P, Mathurin P, Dharancy S et al. (2005) Transjugular intrahepatic portosystemic shunt in refractory ascites: a meta-analysis. Liver International 25:349 Fernández-Esparrach G, Guevara M, Sort P et al. (1997) Diuretic requirements after therapeutic paracentesis in non-azotemic patients with cirrhosis. A randomized double-blind trial of spironolactone versus placebo. J Hepatol 26:614–620 García-Pagán JV, Salmerón JM, Feu F et al. (1994) Effects of low-sodium diet and spironolactone on portal pressure in patients with compensated cirrhosis. Hepatology 19:1095–1099 Gauthier A, Levy VG, Quinton H et al. (1986) Salt or no salt in the treatment of cirrhotic ascites: a randomized study. Gut 27:705–709 Gerbes AL, Bertheau-Reitha U, Falkner C et al. (1993) Advantages of the new loop diuretic torasemide over furosemide in patients with cirrhosis and ascites – a randomized, double-blind cross-over trial. J Hepatol 17:353–358 Ginés A, Fernández-Esparrach G, Monescillo A et al. (1996) Randomized trial comparing albumin, dextran 70 and polygeline in cirrhotic patients with ascites treated by paracentesis. Gastroenterology 111:1002–1010 Ginés P, Arroyo V, Quintero E et al. (1987) Comparison of parancentesis and diuretics in the treatment of cirrhotics with tense ascites: results of a randomized study. Gastroenterology 93:234–241 Ginés P, Arroyo V, Rodés J (1992) Pharmacotherapy of ascites associated with cirrhosis. Drugs 43:317–332 Ginés P, Jiménez W (1996) Aquaretic agents: a new potential treatment of dilutional hyponatremia in cirrhosis. J Hepatol 24:506–512 Ginés P, Quintero E, Arroyo V et al. (1987) Compensated cirrhosis: natural history and prognostic factors. Hepatology 7:122–128 Ginés P, Rimola A, Planas R et al. (1990) Norfloxacin prevents spontaneous bacterial peritonitis recurrence in cirrhosis: results of a double-blind, placebo-controlled trial. Hepatology 12:716–724 Inadomi J, Sonnengerg A (1997) Cost-analysis of prophylactic antibiotics in spontaneous bacterial peritonitis. Gastroenterology 113:1289– 1294 Laffi G, Marra F, Buzzelli G et al. (1991) Comparison of the effects of torasemide and furosemide in nonazotemic cirrhotic patients with ascites: a randomized, double-blind study. Hepatology 13:1101– 1105 Nevens F, Lijnen P, Van Billoen H et al. (1996) The effect of long-term treatment with spironolactone on variceal pressure in patients with portal hypertension without ascites. Hepatology 23:1047–1052 Pérez-Ayuso RM, Arroyo V, Planas R et al. (1983) Randomized comparative study of efficacy of furosemide versus spironolactone in nonazotemic cirrhosis with ascites – relationship between the diuretic response and the activity of the renin-aldosterone system. Gastroenterology 83:961–968 Pockros PJ, Reynolds TB (1986) Rapid diuresis in patients with ascites from chronic liver disease: the importance of peripheral edema Gastroenterology 90:1827–1833 Rolachon A, Cordier L, Bacq Y et al. (1995) Ciprofloxacin and long-term prevention of spontaneous bacterial peritonitis: results of a prospective controlled trial. Hepatology 22:1171–1174 Runyon BA, Montano AA, Akriviadis EA et al. (1992) The serum-ascites albumin gradient is superior to the exudate-transudate concept in the differential diagnosis of ascites. Ann Int Med 117:215–220 Saab S, Nieto JM, Ly D, Runyon BA (2004) TIPS versus paracentesis for cirrhotic patients with refractory ascites (review). Cochrane Database Syst Rev 3:CD004889
Spezielle Situationen Von den diversen sekundären Komplikationen des Aszites beim Zirrhotiker seien nur die Hyponatriämie und die spontane bakterielle Peritonitis erwähnt. Hyponatriämie. Hyperdyname Zirkulation und humorale Gegen-
regulationsmechanismen steigern beim Zirrhotiker mit Aszites die Sekretion von antidiuretischem Hormon und vermindern die renale Clearance von freiem Wasser auf (Arroyo et al. 1994; Ginès et al. 1996). Dies kann zur schweren Verdünnungshyponatriämie führen, besonders wenn gleichzeitig die Natriurese durch Diuretika gesteigert wird. Die Verdünnungshyponatriämie (Serum Na+<130 mmol/l) verlangt Einschränkung der freien Wasser Zufuhr (keine Glukoselösungen infundieren, Einschränkung der Trinkmenge) und (vorübergehende) Reduktion/Absetzen der Diuretika (insbesondere der Schleifendiuretika); NaCl-Infusionen sind nicht nur unwirksam, sondern verstärken die Flüssigkeitsretention. Spontane bakterielle Peritonitis (SBP). Die SBP, meist durch eine
Durchwanderung von Darmkeimen verursacht und häufig oligooder asymptomatisch, weist eine hohe Mortalität auf. Prädisponierend ist eine Aszites-Proteinkonzentration ≤10 g/l. Bei jeder Verschlechterung des Allgemeinzustandes und/oder unerklärter Verstärkung einer Enzephalopathie muss beim Zirrhotiker mit Aszites an eine SBP gedacht und diagnostisch punktiert werden (Zellzahl inkl. Differenzierung, Blutkulturöhrchen am Bett beimpfen). Leukozytenzahl ≥500/µl und/oder eine Granulozytenzahl ≥250/µl sind diagnostisch. Drittgeneration-Cephalosporine sind als empirische antibiotischen Therapie am besten dokumentiert, neben Quinolonen und Augmentin (Ginés et al. 1992). Albumin (1,5 g/kg KG i.v. humanes Serumalbumin zum Zeitpunkt der Diagnose, 1 g/kg KG am 3. Tag) reduziert die Häufigkeit SBP-bedingter Nierenfunktionsstörungen und die Mortalität signifikant (Sort et al. 1999). Ein SBP-Rezidiv tritt in 80% innerhalb Jahresfrist auf. Eine Sekundäprophylaxe mit Quinolonen (Noroxin 400 mg p.o. täglich) oder Trimetoprim-Sulfamethoxazole (eine Forte-Tablette an 5 Tagen pro Woche) senkt die Rezidivrate auf 10–20% (Ginés et al. 1990; Singh et al. 1995). Bei Hochrisikopatienten (Aszites-Protein ≤10 g/l) hat sich die primäre Prophylaxe als wirksam erwiesen (Singh et al. 1995; Rolachon et al. 1995; Grangé et al. 1998). Sekundäre und primäre SBPProphylaxe sind kosteneffektiv (Singh et al. 1995; Inadomi et al. 1997).
664
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Salerno F, Badalamenti S, Incerti P et al. (1987) Repeat paracentesis and iv albumin infusion to treat »tense« ascites in cirrhotic patients: a safe alternative therapy. J Hepatol 5:102–108 Shear L, Ching S, Gabuzda GJ (1970) Compartmentalization of ascites and edema in patients with hepatic cirrhosis. N Engl J Med 282:1391– 1396 Santos J, Planas R, Pardo A et al. (2003) Spironolactone alone or in combination with furosemide in the treatment of moderate ascites in nonazotemic cirrhosis. A randomized comparative study of efficacy and saftey. J Hepatol 39:187–192 Sherlock S, Senewiratne B, Scott A et al. (1966) Complications of diuretic therapy in hepatic cirrhosis. Lancet i:1049–1053 Singh N, Gayowski T, Yu VL et al. (1995) Trimethoprim-sufamethoxazole for the prevention od spontaneous bacterial peritonitis in cirrhosis: a randomized trial. Ann Int Med 122:595–598 Sort P, Navasa M, Arroyo V et al. (1999) Effect of intravenous albumin on renal impairment and mortality in patients with cirrhosis and spontaneous bacterial peritonitis. N Engl J Med 341:403–409
des Denver-Shunts, insbesondere nach Ausgleich des peritoneozentralvenösen Druckgefälles, müsste eigentlich eine regelmäßige Durchströmung des Systems ermöglichen und dadurch einer Shuntokklusion vorbeugen. Die einzige randomisierte Vergleichsstudie zeigt allerdings eine etwas bessere Langzeit-Patency des LeVeen-Shunts gegenüber dem Denver-Shunt bei vergleichbarer Komplikationsrate (Fulenwider et al. 1986). Auch eine zusätzliche Titaniumverstärkung der venösen Katheterspitze verbessert die Katheterfunktion des Denver-Shunts nicht (Gines et al. 1995). Auswahl und Vorbereitung der Patienten Der peritoneovenöse Shunt ist indiziert als Ultima Ratio bei therapieresistentem Aszites aufgrund einer fortgeschrittenen Leberzirrhose oder aufgrund einer Peritonealkarzinose eines gynäkologischen oder gastrointestinalen Malignoms (Elcheroth et al. 1994; Gough et al. 1993; Schölmerich 1991; Schumacher et al. 1994).
38.4.2 Chirurgische Maßnahmen bei therapie-
resistentem Aszites
W.A. Gantert, M. von Flüe ) )
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Die Therapie des hepatogenen oder malignen Aszites ist primär konservativ. Bei Versagen der konservativen Behandlung kommen prinzipiell 3 chirurgische Therapieansätze in Frage: der portosystemische Shunt, der peritoneovenöse Shunt und die Lebertransplantation. Die erste und letzte Therapieoption werden in 7 Kap. 38.3 und 39 eingehend behandelt. Dieses Kapitel diskutiert die Vor- und Nachteile des peritoneovenösen Shunts. Der peritoneovenöse Shunt besteht aus einem Kunststoffkatheter mit eingebautem Einwegventil. Dieser wird zwischen Peritonealhöhle und zentralem Venensystem implantiert. Dadurch wird ein kontinuierlicher Aszitesrückfluss in das venöse System ermöglicht (Zühlke et al. 1994).
Evaluation der Kathetersysteme Das erste peritoneovenöse Shuntsystem wurde 1974 von Le Veen beschrieben (LeVeen et al. 1974). Seither haben sich mehrere Modifikationen, beruhend auf 2 verschiedenen Wirkprinzipien, durchgesetzt (Feussner et al. 1990): 4 Der Originalshunt nach LeVeen besteht aus einem inerten Kollektorschlauch, der in die Bauchhöhle implantiert und über ein Einwegventil mit einem dünnen Schlauch verbunden ist. Dieser liegt subkutan und leitet den Aszites indirekt in die V. cava. Der Transport geschieht infolge des Druckunterschiedes zwischen Peritonealhöhle und V. cava rein passiv. 4 Die später beschriebenen Systeme (Denver, Agishi) weisen zusätzlich zum Ventil eine Pumpkammer auf. Diese wird subkutan implantiert und erlaubt durch Druck von außen den aktiven Transport der Aszitesflüssigkeit. Eine weitere Modifikation weist zusätzlich eine Vorkammer auf (Hakim, Guzmann), die die perkutane Flüssigkeitsentnahme ermöglicht. Die Wahl zwischen den einzelnen Kathetersystemen ergibt sich aufgrund folgender Fakten: Der zusätzliche Pumpmechanismus
Bei Patienten mit malignem Aszites kann in 64–75% der Fälle eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Dadurch kann vielen Patienten eine Spitalentlassung und ambulante Weiterbehandlung ermöglicht werden. Eine vermehrte systemische Metastasierung wurde dabei nicht beobachtet (Edney et al. 1989; Gough et al. 1993). Die Implantation eines peritoneovenösen Shunts zur Aszitesbehandlung bei Patienten mit metastasierendem Brust- oder Ovarialkarzinom ist gerechtfertigt: Der Palliationseffekt und die damit verbundene Verbesserung der Lebensqualität ist hier sehr wichtig wegen der deutlich höheren mittleren Überlebenszeit verglichen mit Patienten mit gastrointestinalen Karzinom (Edney et al. 1989). Nach Shuntanlage sind erhebliche Flüssigkeitsverschiebungen mit Einschwemmen gerinnungsaktiver Substanzen, Stoffwechselprodukte und pathogener Keime in den intravasalen Raum zu erwarten. Deshalb ist ein peritoneovenöser Shunt bei Patienten mit schwerer Leber-, Nieren- oder dekompensierter Herzinsuffizienz, ausgeprägter hepatoportaler Enzephalopathie, generalisierter Gerinnungsstörung sowie Aszitesinfektion kontraindiziert. Die sorgfältige präoperative Abklärung mit Evaluation der kardiorespiratorischen, hepatischen, renalen Reserve sowie die Kontrolle der Gerinnungsfunktion mit bakteriologischer Untersuchung und Bestimmung der Leukozytenzahl (<500 Zellen/mm3) des Aszites sind unabdingbar (Schumpelick et al. 1993). Chirurgische Therapie Katheterimplantation (Zühlke et al. 1994). Entsprechend eva-
luierte und vorbereitete Patienten werden in Allgemeinnarkose oder in Lokalanästhesie operiert (Rückenlage mit angehobenem Oberkörper). Eine antibiotische Prophylaxe ist obligat. Nach Desinfektion und steriler Abdeckung wird über eine kurze Inzision im rechten oder linken Oberbauch das Peritoneum dargestellt und eröffnet. Der peritoneale Katheter des Shunts wird eingeführt (. Abb. 38.16) und die Peritonealhöhle mittels Tabaksbeutelnaht abgedichtet. Das Ventil wird auf der Rektusscheide fixiert (. Abb. 38.16d) und der venöse Schenkel des Systems subkutan zur rechten Halsseite durchgezogen. Eine zusätzliche Inzision stellt die V. jugularis interna dar. Der venöse Katheter-
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
Salerno F, Badalamenti S, Incerti P et al. (1987) Repeat paracentesis and iv albumin infusion to treat »tense« ascites in cirrhotic patients: a safe alternative therapy. J Hepatol 5:102–108 Shear L, Ching S, Gabuzda GJ (1970) Compartmentalization of ascites and edema in patients with hepatic cirrhosis. N Engl J Med 282:1391– 1396 Santos J, Planas R, Pardo A et al. (2003) Spironolactone alone or in combination with furosemide in the treatment of moderate ascites in nonazotemic cirrhosis. A randomized comparative study of efficacy and saftey. J Hepatol 39:187–192 Sherlock S, Senewiratne B, Scott A et al. (1966) Complications of diuretic therapy in hepatic cirrhosis. Lancet i:1049–1053 Singh N, Gayowski T, Yu VL et al. (1995) Trimethoprim-sufamethoxazole for the prevention od spontaneous bacterial peritonitis in cirrhosis: a randomized trial. Ann Int Med 122:595–598 Sort P, Navasa M, Arroyo V et al. (1999) Effect of intravenous albumin on renal impairment and mortality in patients with cirrhosis and spontaneous bacterial peritonitis. N Engl J Med 341:403–409
des Denver-Shunts, insbesondere nach Ausgleich des peritoneozentralvenösen Druckgefälles, müsste eigentlich eine regelmäßige Durchströmung des Systems ermöglichen und dadurch einer Shuntokklusion vorbeugen. Die einzige randomisierte Vergleichsstudie zeigt allerdings eine etwas bessere Langzeit-Patency des LeVeen-Shunts gegenüber dem Denver-Shunt bei vergleichbarer Komplikationsrate (Fulenwider et al. 1986). Auch eine zusätzliche Titaniumverstärkung der venösen Katheterspitze verbessert die Katheterfunktion des Denver-Shunts nicht (Gines et al. 1995). Auswahl und Vorbereitung der Patienten Der peritoneovenöse Shunt ist indiziert als Ultima Ratio bei therapieresistentem Aszites aufgrund einer fortgeschrittenen Leberzirrhose oder aufgrund einer Peritonealkarzinose eines gynäkologischen oder gastrointestinalen Malignoms (Elcheroth et al. 1994; Gough et al. 1993; Schölmerich 1991; Schumacher et al. 1994).
38.4.2 Chirurgische Maßnahmen bei therapie-
resistentem Aszites
W.A. Gantert, M. von Flüe ) )
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Die Therapie des hepatogenen oder malignen Aszites ist primär konservativ. Bei Versagen der konservativen Behandlung kommen prinzipiell 3 chirurgische Therapieansätze in Frage: der portosystemische Shunt, der peritoneovenöse Shunt und die Lebertransplantation. Die erste und letzte Therapieoption werden in 7 Kap. 38.3 und 39 eingehend behandelt. Dieses Kapitel diskutiert die Vor- und Nachteile des peritoneovenösen Shunts. Der peritoneovenöse Shunt besteht aus einem Kunststoffkatheter mit eingebautem Einwegventil. Dieser wird zwischen Peritonealhöhle und zentralem Venensystem implantiert. Dadurch wird ein kontinuierlicher Aszitesrückfluss in das venöse System ermöglicht (Zühlke et al. 1994).
Evaluation der Kathetersysteme Das erste peritoneovenöse Shuntsystem wurde 1974 von Le Veen beschrieben (LeVeen et al. 1974). Seither haben sich mehrere Modifikationen, beruhend auf 2 verschiedenen Wirkprinzipien, durchgesetzt (Feussner et al. 1990): 4 Der Originalshunt nach LeVeen besteht aus einem inerten Kollektorschlauch, der in die Bauchhöhle implantiert und über ein Einwegventil mit einem dünnen Schlauch verbunden ist. Dieser liegt subkutan und leitet den Aszites indirekt in die V. cava. Der Transport geschieht infolge des Druckunterschiedes zwischen Peritonealhöhle und V. cava rein passiv. 4 Die später beschriebenen Systeme (Denver, Agishi) weisen zusätzlich zum Ventil eine Pumpkammer auf. Diese wird subkutan implantiert und erlaubt durch Druck von außen den aktiven Transport der Aszitesflüssigkeit. Eine weitere Modifikation weist zusätzlich eine Vorkammer auf (Hakim, Guzmann), die die perkutane Flüssigkeitsentnahme ermöglicht. Die Wahl zwischen den einzelnen Kathetersystemen ergibt sich aufgrund folgender Fakten: Der zusätzliche Pumpmechanismus
Bei Patienten mit malignem Aszites kann in 64–75% der Fälle eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Dadurch kann vielen Patienten eine Spitalentlassung und ambulante Weiterbehandlung ermöglicht werden. Eine vermehrte systemische Metastasierung wurde dabei nicht beobachtet (Edney et al. 1989; Gough et al. 1993). Die Implantation eines peritoneovenösen Shunts zur Aszitesbehandlung bei Patienten mit metastasierendem Brust- oder Ovarialkarzinom ist gerechtfertigt: Der Palliationseffekt und die damit verbundene Verbesserung der Lebensqualität ist hier sehr wichtig wegen der deutlich höheren mittleren Überlebenszeit verglichen mit Patienten mit gastrointestinalen Karzinom (Edney et al. 1989). Nach Shuntanlage sind erhebliche Flüssigkeitsverschiebungen mit Einschwemmen gerinnungsaktiver Substanzen, Stoffwechselprodukte und pathogener Keime in den intravasalen Raum zu erwarten. Deshalb ist ein peritoneovenöser Shunt bei Patienten mit schwerer Leber-, Nieren- oder dekompensierter Herzinsuffizienz, ausgeprägter hepatoportaler Enzephalopathie, generalisierter Gerinnungsstörung sowie Aszitesinfektion kontraindiziert. Die sorgfältige präoperative Abklärung mit Evaluation der kardiorespiratorischen, hepatischen, renalen Reserve sowie die Kontrolle der Gerinnungsfunktion mit bakteriologischer Untersuchung und Bestimmung der Leukozytenzahl (<500 Zellen/mm3) des Aszites sind unabdingbar (Schumpelick et al. 1993). Chirurgische Therapie Katheterimplantation (Zühlke et al. 1994). Entsprechend eva-
luierte und vorbereitete Patienten werden in Allgemeinnarkose oder in Lokalanästhesie operiert (Rückenlage mit angehobenem Oberkörper). Eine antibiotische Prophylaxe ist obligat. Nach Desinfektion und steriler Abdeckung wird über eine kurze Inzision im rechten oder linken Oberbauch das Peritoneum dargestellt und eröffnet. Der peritoneale Katheter des Shunts wird eingeführt (. Abb. 38.16) und die Peritonealhöhle mittels Tabaksbeutelnaht abgedichtet. Das Ventil wird auf der Rektusscheide fixiert (. Abb. 38.16d) und der venöse Schenkel des Systems subkutan zur rechten Halsseite durchgezogen. Eine zusätzliche Inzision stellt die V. jugularis interna dar. Der venöse Katheter-
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. Abb. 38.16a–e. Implantationstechnik des peritoneovenösen Shunts
V. j. int.
3. ICR
c
M. rectus abdominis
Einweg-Ventil (Rektusscheide oder prästernal) Asziteskollektor (intraperitoneal)
a V. jugularis int. A. carotis comm.
d
b
e
schenkel wird durch eine zweite Tabaksbeutelnaht in Richtung V. cava superior vorgeschoben (. Abb. 38.16b). Intraoperativ muss die korrekte Katheterlage auf Höhe des dritten bis vierten Interkostalraumes radiologisch gesichert werden. Komplikationen und Ergebnisse. Trotz der Einfachheit des Eingriffes ist die Anlage eines peritoneovenösen Shunts komplikationsträchtig. Grund dafür ist die schlechte Ausgangslage der schwer kranken Patienten mit fortgeschrittener Leberinsuffizienz. Diese werden postoperativ durch die große Volumenverschiebung sowie durch die shuntspezifischen Komplikationen schwer belastet (Rosemurgy et al. 1992). Dadurch beträgt die perioperative 30-Tage-Mortalität zwischen 5 und 43% (Arroyo et al. 1992; Elcheroth et al. 1994; LeVeen et al. 1974; Schumacher et al.
1994; Schumpelick et al. 1993). 27% der Todesfälle nach peritoneovenösem Shunt werden durch infektiöse Komplikationen wie Pneumonie, Sepsis und Peritonitis verursacht. In 13,9% der Fälle führen kardiorespiratorische Versagen aufgrund der massiven Volumenverschiebungen zum Tode. Disseminierte intravasale Gerinnung mit Verbrauchskoagulopathie, Nieren- oder Leberversagen sowie gastrointestinale Blutungen sind weitere Todesursachen (Zühlke et al. 1994). Langfristig sind Shuntinfektion und Shuntokklusion die häufigsten Komplikationen (6–40%; Arroyo et al. 1992; Hillaire et al. 1993). Die Ösophagusvarizenblutung bildet im Langzeitverlauf die häufigste Todesursache (Schumpelick et al. 1993).
666
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Zusammenfassend stellt der peritoneovenöse Shunt eine effiziente und wirksame Alternative zur Behandlung des therapieresistenten Aszites dar. Aufgrund der signifikanten perioperativen Probleme und der unbefriedigenden Langzeitresultate sollte der LeVeen-Shunt nur bei Versagen oder Kontraindikationen der TIPS-Verfahren indiziert werden (Ferral et al. 1993; Henderson et al. 1998).
Literatur
38
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39 39
Lebertransplantation F. Braun, K.-P. Platz, A.R. Müller
39.1
Indikationsstellung – 668
39.1.1 39.1.2 39.1.3
Indikationen – 668 Kontraindikationen – 668 Indikationszeitpunkt – 669
39.2
Evaluation des Empfängers – 669
39.3
Evaluation des Lebendspenders – 670
39.4
Operationstechnik – 670
39.4.1 39.4.2 39.4.3 39.4.4
Spenderoperation – 670 Perfusion – 670 Empfängeroperation – 670 Split-Lebertransplantation und Lebendspende
39.5
Perioperatives Management – 672
39.5.1 39.5.2
Laborchemisches Monitoring – 672 Apparatives Monitoring – 673
39.6
Immunsuppression – 673
39.7
Postoperative Komplikationen – 673
39.7.1 39.7.2 39.7.3 39.7.4 39.7.5
Nachblutung – 673 Arteria-hepatica-Thrombose – 673 Portalvenenthrombose – 674 Vena-cava-Stenose – 674 Gallenwegskomplikationen – 674
39.8
Ergebnisse – 675
39.8.1 39.8.2
Überlebensrate – 675 Langzeiterfolg – 675
Literatur – 676
– 672
668
Kapitel 39 · Lebertransplantation
) ) Die Lebertransplantation bietet eine gute therapeutische Möglichkeit für Patienten im Endstadium der Lebererkrankung und im akuten Leberversagen. Die häufigste Indikation ist die Virusassoziierte Leberzirrhose. Das European Liver Transplant Registry (ELTR) erfasste zwischen Mai 1968 und Dezember 2003 insgesamt 57.665 Lebertransplantationen bei 51.580 Patienten, von denen 9038 in Deutschland transplantiert wurden. Die erste klinische Lebertransplantation erfolgte bei einem 3-jährigen Kind mit biliärer Atresie durch Starzl im Jahr 1963. Es dauerte jedoch weitere 20 Jahre bis zur klinischen Etablierung dieser Technik, die heutzutage eine Standartherapie darstellt. Hierzu haben Verbesserungen der Immunsuppression, der Organkonservierung, der chirurgischen Technik, der Intensivmedizin, des peri- und postoperativen Managements und der antiviralen Therapie beigetragen. Weitere Fortschritte in der Immunsuppression und Toleranzforschung werden die Erfolge und Lebensqualität noch weiter verbessern können.
39 .1
5
5 5
Indikationsstellung
39 .1.1 Indikationen Die Indikation zur Lebertransplantation ist generell bei Patienten im Endstadium einer Leberzirrhose gegeben. Ein weitaus kleinerer Anteil der Patienten wird aufgrund eines akuten Leberversagens notfallmäßig innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen transplantiert. Beim akuten Leberversagen handelt es sich überwiegend um akute Hepatitiden (Hepatitis A, B, C bzw. nichtklassifizierbare Hepatitis) gefolgt von Intoxikationen (Paracetamol, Knollenblätterpilz). Ein akutes Leberversagen bei Budd-ChiariSyndrom, M. Wilson, rezidivierender Halothanexposition oder in der Schwangerschaft wird seltener beobachtet (Polson et al. 2005).
39 Indikationen zur Lebertransplantation 5 Akutes Leberversagen – Viral (HAV, HBV und selten HCV, HDV, CMV, EBV, Non-A-non-B-Hepatitis) – Medikamentös-toxisch (Acetaminophen, Disulfiram, Gold, Halothan, Marcumar, nichtsteroidale Antirheumatika, Rifampicin, Tetrazykline) – Toxine (Ecstasy, α-Amanitin des Knollenblätterpilzes) – Metabolisch (M. Wilson, Reye-Syndrom, HELLP-Syndrom) – Budd-Chiari-Syndrom – Unklar 5 Posthepatitische Zirrhose – Hepatitis C – Hepatitis B – Autoimmunhepatitis – Alkoholtoxische Zirrhose 5 Cholestatische Erkrankungen – Primär biliäre Zirrhose – Primär sklerosierende Cholangitis – Sekundär sklerosierende Cholangitis 6
5
– Gallengangsatresie (Kinder) – Kryptogene Zirrhose Stoffwechselerkrankungen – M. Wilson – Hereditäre Hämochromatose – α1-Antitrypsin-Mangel – Selten: Crigler-Najjar-Syndrom Typ I, erythropoetische Protoporphyrie, familiäre amyloidotische Polyneuropathie (FAP), Galaktosämie, Glykogenspeichererkrankung Typ I und IV nach Pompe, Hämophilie Typ A, Harnstoffzyklusdefekt, M. Byler, M. Gaucher, Niemann-Pick-Erkrankung, primäre Hypercholesterinämie, primäre Hyperoxalurie, Tyrosinämie Budd-Chiari-Syndrom Lebertumoren – Hepatozelluläres Karzinom (HCC) in Zirrhose (MilanKriterien: 1 HCC<5 cm oder 3 HCC<3 cm) – Hepatoblastom – Polyzystische Lebererkrankungen – Hepatisch metastasiertes Karzinoid – Seltene Lebertumoren (z. B. Epithelioidhämangioendotheliom, Hämangiomatose) etransplantationen R – Initiale Nichtfunktion (INF) – Chronische Abstoßung – ITBL (»ischemic type biliary lesion) – Hepatitis-B- und -C-Rezidiv – Thrombose der A. hepatica
Beim chronischen Leberversagen handelt es sich überwiegend um postnekrotische Leberzirrhosen aufgrund einer chronischen Hepatitis B oder C und etwas seltener um alkoholtoxische Zirrhosen. Alkoholiker müssen mindestens ein halbes Jahr unter ärztlicher Kontrolle abstinent sein und ein stabiles soziales Umfeld haben. Die zweitgrößte Gruppe stellen Patienten mit cholestatischen Erkrankungen dar. Autoimmune Hepatitiden, Stoffwechselerkrankungen, Budd-Chiari-Syndrom oder andere Erkrankungen treten wesentlich seltener auf. Die Indikation bei Lebertumoren sollte streng gestellt werden. Hierbei stellen hepatozelluläre Karzinome (HCC) in Zirrhose, die einen Durchmesser von ≤3 cm und maximal 3 Herde in einem Leberlappen bei fehlender Metastasierung und ohne Tumoreinbruch in das Gefäßsystem eine gute Indikation dar (Mazzaferro et al. 1996). Patienten mit cholangiozellulären Karzinomen sollten aufgrund der schlechten Prognose nicht transplantiert werden. Eine seltene Indikation stellen nichtresektable Karzinoidmetastasen der Leber dar, sofern der Primärtumor saniert ist und keine weitere, extrahepatische Metastasierung nachweisbar ist. Die Inzidenz von Retransplantationen liegt bei ca. 10%. 39 .1.2 Kontraindikationen Kontraindikationen sind überwiegend identisch mit denen anderer Organtransplantationen. Jedoch wird die serologische HIV-Infektion aufgrund der Erfolge der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) nicht mehr als absolute Kontraindikation angesehen (O’Grady et al. 2005).
39
669 39.2 · Evaluation des Empfängers
Absolute Kontraindikationen zur Lebertransplantation 5 Schwere kardiale oder pulmonale Begleiterkrankungen 5 Multiorganversagen 5 Schwere oder nicht kontrollierbare Infektsituation, Pneumonie und Sepsis 5 AIDS 5 Maligne Zweiterkrankung 5 Extrahepatische Malignome, HCC (≥T4) 5 Aktiver Alkohol- oder Drogenabusus 5 Fehlende CompliancE
. Tabelle 39.1. Child-Turcotte-Pugh-Klassifikation zur Einteilung des Schweregrades von Lebererkrankungen
Parameter
1 Punkt
2 Punkte
3 Punkte
Enzephalopathie
Keine
Geringe
Schwere
Aszites
Kein
Kontrolliert
Therapierefraktär
Albumin (mg/dl)
>3,5
3–3,5
<3
INR (s) oder Quick (%)
<4
4–6
>6
>70
40–70
<40
1–4 <2
4–10 2–3
>10 >3
Relative Kontraindikationen 5 Cholangiozelluläres Karzinom (strenge Indikationsstellung wegen schlechter Prognose) 5 Extrem reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand
Bilirubin (mg/dl) 5 PBC/PSC/Zirrhose 5 Andere
INR International Normalized Ratio, PBC primär biliäre Zirrhose, PSC primär sklerosierende Cholangitis
39.1.3 Indikationszeitpunkt Die seit langem etablierte Child-Turcotte-Pugh (CTP)-Klassifikation gilt als zuverlässiges Kriterium für den Indikationszeitpunkt (. Tab. 39.1). Ab einem CTP-Stadium B sollte die Indikation zur Lebertransplantation gestellt werden, da fortgeschrittene zirrhosespezifische Begleiterkrankungen die Komplikationsrate nach Lebertransplantation deutlich erhöhen und somit den Erfolg der Transplantation mindern (Steinman et al. 2001). Die Mortalität auf der Warteliste zur Lebertransplantation liegt bei 20–30% (Everhardt et al. 1997).
39.2
Evaluation des Empfängers
Die Evaluation von Patienten zur Lebertransplantation beinhaltet neben der Sicherung der Indikation und des Indikationszeitpunktes laborchemische, mikrobiologische, apparative und konsiliarische Untersuchungen zum Ausschluss von Kontraindikationen (. Tab. 39.2; 7 Kap. 39.1.2). Bewährt hat sich eine präoperative Angiographie (Zöliakographie) zur Planung der arteriellen
. Tabelle 39.2. Evaluation des Empfängers Phase 1
Erstvorstellung
Anamnese, körperliche Untersuchung, Arztbriefe und Operationsberichte
Phase 2
Routinelabor
Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten), Gerinnung (Quick, INR, PTT, ATIII), Elektrolyte (Na, K, Ca, Mg, P, Cl), Substrate (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Glukose, Bilirubin, Laktat, Ammoniak), Enzyme (AST, ALT, AP, GGT, CK, LDH, GLDH, CHE, Lipase), Proteine (Gesamtprotein, Albumin, C-reaktives Protein, Cholesterin, Triglyzeride), Blutgasanalyse, Urinstatus und Urinsediment
Serologie
HAV (anti-HAV), HBV (HBsAg, HBeAg, HBcAg, anti-HBs), HCV (anti-HCV), HIV (anti-HIV), HSV (anti-HSV), CMV (anti-CMV), EBV (anti-EBV)
Immunologie
AB0-Blutgruppe, irreguläre Antikörper, Humanes-Leukozytenantigen (HLA)-Typisierung, kreuzreaktive Antikörper (PRA), Anti-HLA-Antikörper
Spezifische Bluttests
Hormonstatus (TSH, T3, T4), Spezialgerinnunga (APC-Resistenz, Protein C und S, Gerinnungsfaktoren), Tumormarkera (AFP, CEA, CA19–9, CA125), Leberfunktionstestsa (MEGX, AKBR)
Apparative Diagnostik
EKG, Echokardiographie, Röntgenthorax, Lungenfunktionstest, extrakranielle Duplexsonographie, abdomineller Ultraschall, abdominelle Magnetresonanzcholangigraphie (MRCA)
Apparative Zusatzdiagnostik
Stress-EKGa, DXA-Knochendichtemessunga
Invasive Diagnostik
Koronarangiographiea, Zöliako-Mesenteriko-Portographiea, Duodenogastroskopiea, Koloskopiea, endoskopische retrograde Cholangiographie (ERC)a, Leberbiopsiea, Minilaparoskopiea oder Laparoskopiea
Konsile
Neurologie, Kardiologie, Gastroenterologie, Hals-Nasen-Ohren, Zahn-Mund-Kieferchirurgie, Urologie, Gynäkologie und Psychosomatik
Indikationsstellung
Interdisziplinäre Transplantationskonferenz
Phase 3
Phase 4
a
fakultative Untersuchungen
670
Kapitel 39 · Lebertransplantation
. Tabelle 39.3. Evaluation des Lebendleberspenders Phase 1
Identifikation des potenziellen Spenders
Anamnese, körperliche Untersuchung, AB0-Blutgruppe, psychosomatische Evaluation, Einverständnis
Phase 2
Analyse des klinischen Status und der individuellen Risikofaktoren
5 Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten), Gerinnung (Quick, INR, PTT, ATIII), Elektrolyte (Na, K, Ca, Mg, P, Cl), Substrate (Creatinin, Harnstoff, Harnsäure, Glukose, Bilirubin, Laktat, Ammoniak), Enzyme (AST, ALT, AP, GGT, CK, LDH, GLDH, CHE, Lipase), Proteine (Gesamtprotein, Albumin, C-reaktives Protein, Cholesterin, Triglyzeride), Blutgasanalyse, Urinstatus und Urinsediment 5 Serologie: HAV (anti-HAV), HBV (HBsAg, HBeAg, HBcAg, anti-HBs), HCV (antiHCV), HIV (anti-HIV), HSV (anti-HSV), CMV (anti-CMV), EBV (anti-EBV) 5 Fakultative Zusatzuntersuchungen: Hormonstatus (TSH, T3, T4), Spezialgerinnung (APC-Resistenz, Protein C und S, Gerinnungsfaktoren), Tumormarker (AFP, CEA, CA19–9, CA125) 5 Kardiovaskulärer Status und pulmonaler Status (EKG, Röntgenthorax, Duplexsonographie der extrakraniellen hirnversorgenden Arterien) 5 Konsile (Innere Medizin, Anästhesie)
Phase 3
Analyse der Leberanatomie und -funktion
Leberfunktionstest, Duplexsonographie Abdomen, CT- oder MR-Lebervolumetrie, MR-Cholangiographie oder Zöliako-Mesenteriko-Portographie, ggf. ERC, Leberbiopsie, ggf. Minilaparoskopie
Phase 4
Abschließende Prozeduren
Indikationsstellung in interdisziplinärer Transplantationskonferenz, Votum der Landes-Ethikkommission, Einwilligung zur Lebendspende, Planung der Eigenblutspende, aktive Immunisierung gegen HAV und HBV
Phase 5
Intraoperativ
Cholangiographie
Anastomosierung, da fixierte Stenosen des Truncus coeliacus relativ häufig zu beobachten sind und in diesem Fall ein Interponat auf die Aorta zu planen ist. Des Weiteren können Pfortaderthrombosen sicher ausgeschlossen werden (Murray et al. 2005).
Mobilisation der Leber, die im Uhrzeigersinn erfolgt und mit der Mobilisation des linken Leberlappens beginnt. Hierbei ist auf eine akzessorische linke Leberarterie zu achten. Abschließend wird die Aorta subphrenisch präpariert und angeschlungen. 39.4.2 Perfusion
39.3
39
Evaluation des Lebendspenders
Die Lebendspende erweitert die Verfügbarkeit von Spenderorganen. Die potenziellen Vorteile der Lebendspende für den Empfänger müssen gegen jegliches Risiko beim Spender sorgfältig abgewogen werden (Braun et al. 2005). Daher erfordert die Evaluation des Lebendspenders neben der Überprüfung der Freiwilligkeit einen sorgfältigen Ausschluss von Risikofaktoren, die postoperativ zu Morbidität und Mortalität führen könnten (. Tab. 39.3). Die Mortalität des Lebendspenders wird mit 0,1– 0,5% angegeben (Lo 2003; Schiano et al. 2001; Trotter et al. 2002). 39.4
Operationstechnik
39.4.1 Spenderoperation Bei der Multiorganentnahme wird zunächst die infrarenale Aorta und V. cava freigelegt. Dazu wird das rechte Hemikolon aus dem Retroperitoneum gelöst. Die Aorta und V. cava werden oberhalb der Iliakalbifurkation angeschlungen. Die Aorta wird bis zum Abgang der A. mesenterica superior präpariert und diese am Abgang dargestellt. Hierbei ist auf eine akzessorische rechte Leberarterie aus der A. mesenterica superior zu achten. Danach erfolgt die Darstellung aller Strukturen im Lig. hepatoduodenale und die
Ein Perfusionskatheter wird in die infrarenale Aorta eingebracht und diese distal ligiert. Anschließend wird die Aorta subphrenisch ligiert oder ausgeklemmt. Unmittelbar im Anschluss erfolgt die Perfusion der viszeralen Organe mittels Schwerkraftperfusion. Die am häufigsten klinisch verwendeten Konservierungslösungen sind die Histidin-Tryptophan-Ketoglutarat (HTK)-Lösung und die University-of-Wisconsin (UW)-Lösung. Die infrarenale V. cava wird inzidiert um einen störungsfreien Abfluss des Perfusionsmediums zu gewährleisten. Bei gleichzeitiger Pankreasoder Dünndarmentnahme wird die Portalvene nach kaudal komplett durchtrennt, um einen freien Ausfluss des Mesenterialvenenblutes zu gewährleisten. Des Weiteren wird die V. cava suprahepatisch sowie im Bereich der Iliakalbifurkation durchtrennt. Abschließend wird die Leber für den Transport im Dreibeutelsystem steril verpackt. Die kalte Ischämiezeit sollte so kurz wie möglich gehalten werden und 12 h nicht überschreiten. Die Feinpräparation der Spenderleber mit eventueller Ex-situ-Gefäßrekonstruktion erfolgt auf einem Beistelltisch (»back table«) im Empfängeroperationssaal. 39.4.3 Empfängeroperation Die Transplantation erfolgt überwiegend orthotop (. Abb. 39.1a) oder mittels der sog. »Piggy-back«-Technik (. Abb. 39.1b; Kremer
671 39.4 · Operationstechnik
39
a
b
. Abb. 39.1. a Orthotope Transplantation. End-zu-End-Anastomosierung von infra- und suprahepatischer V. cava. Anastomosierung des Truncus-coeliacus des Spender auf die A. hepatica communis am Konfluens der A. gastroduodenalis. End-zu-End-Anastomosierung der Pfortader; Gallengangsanastomose in Seit-zu-Seit-Technik unter Einlage eines
T-Drains. b »Piggy-back«-Technik: Anastomosierung der V. cava des Spenders auf den Konfluens von mittlerer und linker Lebervene des Empfängers; rechte Lebervene ligiert. Ligatur der infrahepatischen V. cava des Spenders (keine Anastomosierung). Die weitere Rekonstruktion von Arterie, Pfortader und Gallengang ist unverändert zu a
1994; Neuhaus u. Platz 1994). Letztere erfordert den Erhalt der empfängerseitigen V. cava und ist indiziert bei aberrierender, stenosierender V. cava, die einen freien Durchfluss nicht sicher gewährleistet (sehr selten), oder bei deutlicher Größendiskrepanz zwischen (kleiner) Spender- und (größerer) Empfängerleber. Bei der »Piggy-back«-Technik kann auf einen veno-venösen Bypasses verzichtet werden, da die V. cava erhalten bleibt. Vorsicht ist hier jedoch geboten, da das Pfortader- und Mesenterialvenenblut während der anhepatischen Phase nicht dekompri-
miert wird. Dies kann postoperativ zur deutlichen Dünndarmdysfunktion führen. Des Weiteren muss die Leber komplett von der V. cava freipräpariert werden, was bei ausgeprägter portaler Hypertension ohne Dekompression mittels Bypass schwierig und zeitaufwendig sein kann. Wir bevorzugen daher die Standardtechnik der orthotopen Lebertransplantation mit oder ohne Anlage eines veno-venösen Bypasses. Auf den veno-venösen Bypass kann bei sehr kurzer Klemmzeit des portomesenterialen Abstroms meist verzichtet werden. Hepatektomie
. Abb. 39.2. Empfängerhepatektomie. Die A. hepatica propria wird ligiert. Die Ligatur und Durchtrennung des D. cysticus sowie des D. choledochus und der Pfortader erfolgt weit zentral. Absetzung der oberen V. cava lebernah, im Bereich des Abganges der Lebervenen; Absetzung der infrahepatischen V. cava ebenfalls lebernah
Eröffnung des Abdomens mittels querer Oberbauchlaparotomie unter Verlängerung bis zum Xiphoid in der Medianen. Mobilisation des linken Leberlappens, Darstellung der suprahepatischen V. cava unter Ablösung des rechten Leberlappens vom Zwerchfell und Anschlingen der V. cava. Darstellung und Ligatur der A. hepatica propria, Darstellung und Durchtrennung des Ductus cystikus sowie choledochus im Leberhilus (. Abb. 39.2). Bei Einsatz eines veno-venösen Bypasses erfolgt die Einlage von Kathetern über eine ca. 5 cm lange Inzision im Bereich der Axilla links und Leiste links. Ligatur und Durchtrennung der Pfortader unter Einlage eines weiteren Katheters. Nach Anschluss des veno-venösen Bypasses, der das Mesenterialvenenblut sowie das Blut der unteren Extremität und der Nieren zur V. axillaris umleitet, Darstellung und Ligatur bzw. Ausklemmung der subhepatischen V. cava. Ausklemmung der suprahepatischen V. cava und Herauslösen der Leber aus dem Retroperitoneum unter Mitnahme der V. cava und Schonung der rechten Nebenniere.
672
Kapitel 39 · Lebertransplantation
Transplantation
39
Anastomosierung der suprahepatischen V. cava mit Prolene 4/0 fortlaufend (. Abb. 39.1a). Hier ist besonders auf eine kurze, weite Spendervene zu achten (7 Kap. 39.7). Anastomosierung der subhepatischen V. cava in gleicher Technik, die jedoch nicht verknotet, sondern mit einem Katheter versorgt wird, über den vor Reperfusion kaliumreiches Blut abgelassen werden kann. Anastomosierung der A. hepatica des Spenders bzw. des Truncus coeliacus auf die A. hepatica des Empfängers, idealerweise am Konfluens der A. gastroduodenalis mit Prolene 7/0. Bei kleinkalibriger A. hepatica des Empfängers alternative Verwendung des Truncus coeliacus zur Anastomosierung. Bei fixierter Stenose des Truncus coeliacus Anastomosierung auf die Aorta mittels Verlängerung durch ein A.-iliaca-Interponat. Bei nichtfixierter Truncus-coeliacus-Stenose alternativ Spaltung des Lig. arcuatum. Nach Diskonnektion vom Bypass Kürzung und Anastomosierung der Pfortader mit Prolene 6/0 unter leichter Spannung. Zur Minimierung des Reperfusionsschadens empfiehlt sich die simultane Reperfusion von A. hepatica und V. portae nach Komplettierung aller Anastomosen. Dazu werden zunächst die A. hepatica und V. portae geöffnet und ca. 500 ml Blut über die infrahepatische V. cava abgelassen, falls nicht zuvor mit einer anderen Lösung (Ringerlaktat, Albumin oder Caroliner Rinse) geflushed wurde. Nach Verschluss der infrahepatischen V.-cava-Anastomose erfolgt die Freigabe des Blutflusses der infrahepatischen und suprahepatischen V. cava. Bei Verzicht auf einen veno-venösen Bypass wird nach Fertigstellung der Anastomosen der supra- und infrahepatische V. cava die Pfortader anastomosiert, die Fadenenden jedoch noch nicht verknotet. Die Reperfusion erfolgt retrograd, was den Reperfusionsschaden günstig beeinflusst, und etwa 500 ml Blut werden über die Pfortaderanastomose abgelassen. Fertigstellung der Pfortaderanastomose und arterielle Rekonstruktion in der oben beschriebenen Technik.
et al. 1990). Des Weiteren muss das Spenderorgan von hervorragender Qualität sein, da es sonst zu schwer stillbaren Blutungen aus der Resektionsfläche kommen kann. Aufgrund der Gallenwegsvarianten im Bereich der Segmente IV und VIII sind Gallelecks, bedingt durch abgehängte Gallengangssegmente, nicht selten zu beobachten.
Zunehmend durchgesetzt hat sich die Split-Lebertransplantation in der Pädiatrie, wobei die linkslateralen Segmente (II und III) der Spenderleber für ein Kind verwandt werden und der rechte Leberlappen einem Erwachsenen zugeteilt wird (Lloyd u. Broelsch 1994).
Hier zeigt insbesondere das In-situ-Splitting während der Spenderoperation gute Erfolge. Mit dieser primär ex situ etablierten Technik profitieren 2 Empfänger von einem Spenderorgan (Pichlmayr et al. 1988). Bereits vor Perfusion der Leber werden die Ligamentstrukturen für die linkslateralen Segmente selektiv dargestellt und angeschlungen, das Leberparenchym durchtrennt, beidseits mit Clips versorgt und die linke Lebervene dargestellt. Dies bedeutet zwar einen erheblichen Zeitaufwand während der Spenderoperation, bietet aber die geringsten Komplikationen für beide Empfänger. Alternativ kann die Teilung der Leber auch nach Perfusion am »back table« erfolgen. Bei der Verwandtenlebertransplantation kann ebenfalls das linkslaterale Segment eines Erwachsenen für die Transplantation eines Kindes verwandt werden. Bei der Lebendspende-Lebertransplantation beim Erwachsenen kann der linke oder rechte Leberlappen verwendet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sowohl für den Spender als auch den Empfänger ausreichend Restlebervolumen zur Verfügung steht. Die Mindestmenge an Lebervolumen beträgt 0,8% des Körpergewichtes. Die Technik ist ähnlich dem In-situ-Splitting, nur dass die Perfusion erst nach Entnahme des linkslateralen Segmentes ex vivo erfolgt (Lloyd u. Breolsch 1994). 39.5
Zur Verringerung gallenwegsbedingter Komplikationen empfiehlt sich die Anastomosierung von Spender- und Empfängergallengang in Seit-zu-Seit-Technik, da hier auch nach Schrumpfung der Anastomose ein ausreichend weiter Abfluss gewährleistet wird (. Abb. 39.1; Neuhaus et al. 1994). Da bei primär sklerosierender Cholangitis das extrahepatische Gallenwegssystem ebenfalls befallen ist, muss als Rezidivprophylaxe eine Choledochojejunostomie bzw. Choledochoduodenostomie (cave Komplikationen) angelegt werden. Bei großkalibriger A. lienalis bzw. bei einem Lienalis-Steal-Syndrom sollte ein Banding der A. lienalis durchgeführt werden. 39.4.4 Split-Lebertransplantation und
Lebendspende Diese Techniken wurden aufgrund des Organmangels – generell aber insbesondere im Bereich der Kinderlebertransplantation – eingeführt (Bismuth et al. 1984). Nachteilig ist jedoch, dass die Ligamentstrukturen (A. hepatica, Pfortader und Gallengang) nur für einen Empfänger optimal zur Verfügung stehen (Broelsch
Perioperatives Management
Das perioperative Monitoring sollte ein intensiviertes Kreislaufmonitoring beinhalten. Nach Reperfusion ist besonders auf gute Blutdruckverhältnisse sowie ein hohes Herzzeitvolumen zu achten, da Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose aufgrund der pathophysiologischen Veränderungen hieran adaptiert sind. Des Weiteren ist zur Reduktion des Reperfusionsschadens ein ungehinderter venöser Abfluss in die V. cava bedeutsam. Dies wird erreicht durch Senkung des zentralvenösen Druckes (ZVD: 5–7 mmHg) sowie durch Vermeidung von postoperativer Nachbeatmung, insbesondere Überdruckbeatmung (Neuhaus et al. 1996). Auch die Wahl der Katecholamine (vorzugsweise Noradrenalin und Dobutamin) ist von Bedeutung für eine gute Durchblutung des Splanchnikusgebietes und Oxygenierung der Leber. Zur Hemmung der Hyperfibrinolyse hat sich die Therapie mit Aprotinin bewährt. 39.5.1 Laborchemisches Monitoring Neben der Bestimmung von Routinelaborparameter werden nach Lebertransplantation insbesondere die Parameter des Säure-
673 39.7 · Postoperative Komplikationen
Basen-Haushaltes, das Laktat und der kolloidosmotische Druck bestimmt. Leberspezifische Funktionsparameter werden täglich gemessen. Als Infektionsparameter sind die Bestimmung von CRP und Procalcitonin wegen der laufenden Immunsuppression häufig besser verwertbar als die Bestimmung der Leukozytenzahl. Des Weiteren sollte auch der Magnesiumspiegel wegen seines Zusammenhanges mit dem Auftreten von Krampfanfällen unter Immunsuppression mit Ciclosporin A oder Tacrolimus bestimmt und Hypomagnesiämien konsequent therapiert werden. Hyponatriämien, die für den Leberzirrhotiker pathognomonisch sind, müssen – falls sie sich nicht spontan normalisieren – langsam über einen Zeitraum von 2–3 Tagen ausgeglichen werden, da sich ansonsten eine lebensbedrohlichen extrapontinen Myelinolyse entwickeln kann (Neuhaus et al. 1996). Invasive Maßnahmen werden aufgrund katheterbedingter Infektion unter der Immunsuppression so kurz wie möglich gehalten (ca. 4–7 Tage). 39.5.2 Apparatives Monitoring Von besonderer Bedeutung für die postoperative Überwachung ist die tägliche Farbduplex-/dopplersonographische Untersuchung des Transplantates. Hiermit können vor dem Ansteigen biochemischer Funktionsparameter frühzeitig arterielle Durchblutungsstörungen, Verminderungen des Pfortaderflusses und venöse Abflusshindernisse verifiziert werden. Ferner ist die Darstellung von minderperfundierten und nekrotischen Leberarealen, peri- und intrahepatischen Hämatomen und die Entstehung einer Pankreatitis, eines Milzinfarktes oder eines Pleuraergusses am Intensivbett sofort zu erkennen. Bei pathologischen Befunden kann umgehend eine weitere Diagnostik mittels Computertomographie oder Angiographie eingeleitet werden. 39.6
Immunsuppression
Nach dem Ziel der Verbesserung des Patienten- und Transplantatüberlebens stellt die Vermeidung von Nebenwirkungen durch die medikamentöse Immunsuppression ein neues Ziel dar. Insbesondere wird der Einsatz von Kortikosteroiden bei der Lebertransplantation kontrovers diskutiert und zunehmend auf deren Einsatz verzichtet, da diese ein bekannt weites Spektrum an unerwünschten Wirkungen aufweisen und die Replikation des Hepatitis-Bund -C-Virus induzieren können (Ringe et al. 2001). Die am derzeit am häufigsten verwendeten Basisimmunsuppressiva sind die Calcineurin-Inhibitoren (CNI) Ciclosporin A und Tacrolimus, die mit anderen nicht nephrotoxischen Immunsuppressiva (z. B. Mycophenolat Mofetil, Rapamycin) kombiniert werden. Die initiale Immunsuppression wird häufig als Induktion mit einem monoklonalen Anti-CD25-Antikörper (Basiliximab, Daclizumab) durchgeführt. Hierdurch kann die Dosis der CNI reduziert oder auf deren Einsatz während der ersten Tage nach Transplantation verzichtet werden, was insbesondere bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung zu einer schnelleren Erholung der Nierenfunktion führen kann. Die Kombination eines CNI mit MMF kann von gastrointestinalen Nebenwirkungen insbesondere Diarrhöen begleitet sein (Behrend 2001), was eine schlechtere Bioverfügbarkeit der oral applizierten Immunsuppressiva nach sich ziehen kann. Beim Einsatz von Rapamycin wird ein potenzieller Vorteil bezüglich der antitumorösen Eigenschaften diskutiert, denen als Nebenwirkungsspektrum Wund-
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heilungsstörungen, Hyperlipidämie und Anämie gegenüberstehen (Ringe u. Braun 2005). Bislang kann auf die medikamentöse Immunsuppresion zur Prophylaxe und Therapie von Transplantatabstoßungen nicht verzichtet werden. Große Hoffnungen liegen in der Induktion von Toleranz, die aktueller Forschungsgegenstand ist (Starzl 2004; Fändrich et al. 2004). 39.7
Postoperative Komplikationen
Technische Komplikationen 5 Intraabdominelle Blutung – Anastomose – Leberkapselverletzung (Spenderoperation) – Diffus (gerinnungsbedingt) 5 Gefäßkomplikationen – A.-hepatica-Stenose, -Thrombose – Portalvenenstenose, -thrombose – Stenose der supra- und infrahepatischen V. cava 5 Gallenwegskomplikationen – Galleleck – Gallengangstenose (Anastomose) – Stenose der Papilla vateri 5 Unspezifische Komplikationen – Dünndarmdysfunktion – Intraabdominelle Infektionen, Abszesse – Adhäsionen, Verletzungen durch Voroperationen
39.7.1 Nachblutung Nachblutungen werden in 10–20% der Fälle angegeben und können ihre Ursache im Bereich der Anastomose haben oder durch Verletzungen der Leber bei der Spenderoperation bedingt sein. Meistens sind sie durch die unzureichende Funktion der Transplantatleber bedingt und sistieren nach Substitution mit Gerinnungsfaktoren (FFP) und ggf. Thrombozyten sowie Aufnahme der Transplantatfunktion. Eine Hämatomausräumung nach Konsolidierung der Gerinnungssituation (ca. 2–4 Tage) beschleunigt den postoperativen Heilungsverlauf und vermindert das Risiko einer Infektion bzw. eines intraabdominellen Abszesses. 39.7.2 Arteria-hepatica-Thrombose Die Inzidenz von Thrombosen der A. hepatica variiert von 2,5– 10% bei Erwachsenen und 15–20% bei Kindern (Sanchez-Bueno et al. 1994; Shackleton et al. 1997). Die Gefahr steigt, wenn ein A.-iliaca-Interponat zur Rekonstruktion benutzt wurde. Neben chirurgisch-technischen Aspekten haben auch die Anatomie von Spender und Empfänger (aberrierende Arterien), die initiale Transplantatfunktion (Ödem) sowie immunologische Faktoren (hyperakute und chronische Abstoßung) einen Einfluss auf die Entwicklung einer A.-hepatica-Thrombose. Führendes klinisches Zeichen ist das deutliche Ansteigen der Transaminasen. Tritt die A.-hepatica-Thrombose frühpostoperativ auf, kann eine sofortige Thrombektomie erfolgreich sein (50–88% bei Erwachsenen; Pinna et al. 1996). Anderenfalls wird eine notfallmäßige Retransplantation notwendig.
674
39
Kapitel 39 · Lebertransplantation
. Abb. 39.3. Destruktion des intra- und extrahepatischen Gallenwegssystems aufgrund einer A.-hepatica-Thrombose
. Abb. 39.4. Kavographie: »kinking« der V. cava bei langer SpenderV.-cava. Hier wurde eine notfallmäßige Retransplantation notwendig
A.-hepatica-Thrombosen im späteren Verlauf kompromittieren die Transplantatfunktion weniger. Hier kommt es jedoch zu einer progredienten Schädigung des Gallenwegsystems (. Abb. 39.3), die nach Monaten oder Jahren häufig zur Retransplantation führt (Valente et al. 1996).
V. cava, da hier der lebervenöse Ausfluss kompromittiert ist. Prädisponierend ist eine zu lange suprahepatische V. cava (»kinking«; . Abb. 39.4) oder die chirurgische Obstruktion der Anastomose. Es kommt zur massiven Aszitesproduktion, zum Ödem der Leber sowie der distalen Extremität und zur Niereninsuffizienz. Ballondilatation und Stentimplantation können erfolgreich sein. Oftmals ist eine technisch schwierige operative Revision der Anastomose oder eine notfallmäßige Retransplantation erforderlich.
39.7.3 Portalvenenthrombose Die Inzidenz der Portalvenenthrombose liegt bei 0,3–2,2%. Risikofaktoren stellen ein zuvor angelegter portokavaler Shunt, vorangegangene Pfortaderthrombosen sowie hypoplastische Spender- oder Empfängerpfortadern dar. Die Pfortaderthrombose ist umso bedrohlicher, je früher sie auftritt. Frühpostoperativ kann es dabei zu einer deutlichen Transplantatdysfunktion mit hämodynamischer Instabilität und Varizenblutungen kommen. Im späteren Verlauf nach Transplantation ist sie überwiegend asymptomatisch. 39.7.4 Vena-cava-Stenose Eine Stenose der supra- oder infrahepatischen V. cava ist selten (1–2%), geht jedoch mit einer deutlichen Mortalität einher (50– 75%). Besonders gefährlich ist die Stenose der suprahepatischen
39.7.5 Gallenwegskomplikationen Sie stellen die häufigsten Komplikationen nach Lebertransplantation dar und werden in 2,3–50% aller lebertransplantierten Patienten beobachtet (Stratta et al. 1989; Greif et al. 1994). Die Inzidenz ist abhängig von der Art der Anastomose sowie der Notwendigkeit einer biliodigestiven Anastomose aufgrund der Grunderkrankung. Die niedrigste Inzidenz von Gallenwegskomplikationen wird nach Seit-zu-Seit-Choledochocholedochostomie beobachtet (Neuhaus et al. 1994), während die höchste Inzidenz nach Choledochoduodenostomien sowie nach »SplitLebertransplantation« zu finden ist. Ein Galleleck im Bereich der Anastomose oder der T-DrainAustrittsstelle findet sich in 1,3–10% (Greif et al. 1994). Seltener
675 39.8 · Ergebnisse
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ist es durch eine Zystikusstumpfinsuffizienz oder aberrierende Gallengänge im Leberbett verursacht (. Abb. 39.5a). Stenosen im Anastomosenbereich werden in 2,6% bis über 20% der Fälle beobachtet und können durch die Seit-zu-Seit-Rekonstruktion vermindert werden (Neuhaus et al. 1994). Stenosen des extra- und intrahepatischen Gallenwegssystems im späteren Verlauf nach Transplantation sind entweder immunologisch (chronische Abstoßung) oder ischämisch durch arterielle Minderperfusion des Gallenwegssystems aufgrund von A.-hepatica-Thrombosen oder durch Denudierung des Spendergallenganges bedingt. Als weitere Ursache kommt der Konservierungsschaden in Betracht. In der Mehrzahl der Patienten, besonders bei Gallenwegskomplikationen im späteren Verlauf, erfolgt das Management dieser Komplikationen vorwiegend endoskopisch mittels ERC und Ballondilatation und Stentimplantation (. Abb. 39.5b; Sherman et al. 1993; Valente et al. 1996). Diese Patienten müssen engmaschig überwacht und die Indikation zur chirurgischen Intervention bzw. Retransplantation muss immer wieder neu in Betracht gezogen werden, da die Letalität durch septische Gallenwegskomplikationen nicht zu unterschätzen ist. 39.8
Ergebnisse
39.8.1 Überlebensrate Das Patientenüberleben nach Lebertransplantation wird im wesentlichen durch die Grundkrankheit bestimmt. Das ELTR berichtete zwischen Januar 1998 und Dezember 2003 1- und 5-Jahres-Patientenüberlebensraten nach Lebertransplantation bei Leberzirrhose (n=27.905) von 82 und 72%, bei Tumoren (n=5816) von 72 und 52% und bei akuten Leberversagen (n=4431) von 66 und 60%. Das 1-Jahres-Patientenüberleben (n=16.914) liegt seit 1999 bei 84%. Aufgrund des medizinischen Fortschrittes auf dem Gebiet der Lebertransplantation konnte das 10-Jahres-Patientenund -Transplantatüberleben von 36 und 31% in der Zeit von 1968–1988 (2209 Transplantationen bei 2007 Patienten) auf 61 und 53% in der Zeit nach 1998 (55.293 Transplantationen bei 49.409 Patienten) gesteigert werden (European Liver Transplant Registry 2005).
Der Erfolg der Lebertransplantation ist besonders in der frühpostoperativen Phase im Wesentlichen in der Vermeidung von Komplikationen begründet. Dies beinhaltet ein optimales perioperatives Management, die Vermeidung chirurgischtechnischer Komplikationen und eine gute Abstoßungsprophylaxe.
. Abb. 39.5. a Stenose der Gallengangsanastomose mittels T-DrainDarstellung nachgewiesen. Tritt diese sehr früh postoperativ auf und ist mit einem Anstieg der Cholestaseparameter assoziiert, ist eine operative Revision der Gallengangsanastomose zu empfehlen. Andernfalls kann das T-Drain nach ca. 6 Wochen entfernt und die Stenose endoskopisch dilatiert und mit einem Stent versorgt werden. b Stenose der extrahepatischen Gallenwege im Bereich der Hepatikusgabel ca. 2 Monate nach Lebertransplantation. Diese kann erfolgreich mittels Ballondilatation dilatiert werden
Schwere bakterielle, atypische, virale oder fungale Infektionen sind überwiegend nach komplikationsreichen postoperativen Verläufen und rezidivierender Abstoßungstherapie zu beobachten (Platz et al. 1996b). Die Inzidenz liegt bei ca. 30%, die Letalität bei insgesamt 10%. 39.8.2 Langzeiterfolg Die Langzeiterfolge nach Lebertransplantation werden ganz wesentlich durch die Gefahr eines Rezidivs der Grunderkrankung
676
39
Kapitel 39 · Lebertransplantation
bestimmt. Dies gilt besonders für Patienten, die aufgrund einer Hepatitis B oder C transplantiert wurden (Berg et al. 1998). Nach Transplantation infolge einer Hepatitis-B-Zirrhose kam es trotz Hepatitis-B-Hyperimmunglobulin-Prophylaxe in ca. 40% dieser Patienten zur Hepatitis-B-Reinfektion. Diese kann milde sein und sich über Jahre entwickeln, kann jedoch auch einen fulminanten Verlauf nehmen. Durch die Einführung des Virustatikums Lamivudine ist eine bessere Kontrolle der HBV-Reinfektion möglich. Bei Patienten, die wegen einer Hepatitis-C-Zirrhose transplantiert wurden, kann keine Hyperimmunglobulin-Prophylaxe durchgeführt werden. Es bleibt derzeit lediglich die Kobinationstherapie mit Ribavirin und pegyliertem Interferon-α. Bei Hepatitis-C-RNA-positiven Empfängern kommt es innerhalb der ersten 6 Monate nach Transplantation zu einer serologischen Reinfektion, die meist mit einer wiederkehrenden Transplantathepatitis einhergeht. Diese kann schwer ausgeprägt sein (frühpostoperativ) oder aber mild und schleichend verlaufen (Monate bis Jahre). Dennoch ist das Langzeitüberleben gut und rechtfertigt ggf. auch eine Retransplantation (Brown 2005). Bei Patienten, die wegen alkoholtoxischer Leberzirrhose transplantiert wurden, stellt das Rezidiv der Grunderkrankung den größten Risikofaktor für die Langzeitprognose dar. Bei Transplantation wegen eines hepatozellulären Karzinoms in Zirrhose ist die Entstehung eines Tumorrezidivs ein deutlicher Risikofaktor. Hier sind die Größe des Primärtumors zum Zeitpunkt der Transplantation sowie das Tumorstadium von entscheidender Bedeutung. Auch wenn die Indikation streng gestellt wird, lässt sich trotz verbesserter bildgebender Untersuchungsmethoden das Tumorausmaß manchmal erst während der Transplantation bzw. durch den Pathologen richtig erkennen. Im frühen Tumorstadium (1 oder 2) ist eine Heilung bzw. ein uneingeschränktes Überleben möglich (Bechstein et al. 1998). Cholangiozelluläre Karzinome stellen per se keine Indikation zur Lebertransplantation dar, werden jedoch bei ca. 10% aller Patienten, die wegen primär sklerosierender Cholangitis transplantiert wurden, in der histologischen Aufarbeitung des Explantates gefunden (Khan et al. 2005). Die beste Prognose haben Patienten, die aufgrund einer primär biliären Zirrhose transplantiert wurden.
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40
681 40.1 · Anatomie und Physiologie des Pankreas
40.1
Anatomie und Physiologie des Pankreas
40.1.1 Anatomie
C. Beglinger, D. Oertli
Embryologie und Fehlbildungen Das Pankreas entsteht aus einer dorsalen und ventralen Ausstülpung des primitiven Vorderdarms. Die größere dorsale Anlage ist eine endodermale Ausstülpung des Duodenums und bildet Korpus und Kauda des Pankreas. Die kleinere ventrale Pankreasanlage stellt eine seitliche Ausstülpung aus dem hepatischen Divertikel dar und bildet später Pankreaskopf und Processus uncinatus (. Abb. 40.1). Mit der Rotation des deszendierenden Duodenums wandert das ventrale Pankreas nach dorsal und verschmilzt mit dem dorsalen Pankreas bis zum Ende der sechsten Embryonalwoche. Malrotation der ventralen Anlage kann in einem Pancreas anulare resultieren. Diese Fehlbildung ist charakterisiert durch eine ringförmige Einengung des Duodenum Pars II durch normales Pankreasparenchym, das sogar die Duodenalmuskulatur penetrieren kann. Im Ring des Pankreasgewebes verläuft ein großer Gang, der in der Regel in den Hauptpankreasgang einmündet. In der Schwangerschaft kann das obstruierende Pancreas anulare beim Feten eine der Hydramnionursachen darstellen (Hays et al. 1961; Merrill u. Raffensperger 1976). Trotz einer Stenose ist jedoch etwa die Hälfte der betroffenen Indivi-
) ) Das Pankreas entsteht aus einer Verschmelzung zweier Anlagen des primitiven Vorderdarms. Störungen der regelhaften Organogenese erklären Pancreas anulare und divisum sowie Ductus accessorius. Die retroperitoneal gelegene Drüse besitzt enge topographische Beziehungen zum Duodenum, den Gallenwegen, der Milz und zu den Oberbauchgefäßen. Gefäßvarianten besonders der arteriellen Durchblutung von Leber und Querkolon sind bei Pankreasresektionen zu bedenken und zu berücksichtigen. Hauptfunktion des exokrinen Pankreas besteht in der Sekretion von bikarbonathaltiger Flüssigkeit und von Verdauungsenzymen. Man unterscheidet zwischen der digestiven und der interdigestiven (postprandialen) Sekretionsphase des Pankreas. Beide Phasen werden mit verschiedenen Motilitätsaktivitäten des oberen Magen-Darm-Traktes und des Gallenwegssystems während der kephalen, gastrischen und intestinalen Verdauungsphase koordiniert.
. Abb. 40.1a–c. Embryogenese des Pankreas. a Ausbildung der dorsalen und ventralen Pankreasanlage; b Rotation des ventralen Pankreas; c Verschmelzung der Pankreasanlagen zur Bauchspeicheldrüse des Erwachsenen Magen
Ductus choledochus
Leber dorsales Pankreas
dorsales Pankreas dorsaler Ductus pancreaticus
Gallenblase a
ventrales Pankreas
ventrales Pankreas ventraler Ductus pancreaticus b Ductus choledochus
akzessorischer Pankreasgang (Santorini) Hauptausführungsgang des Pankreas (Wirsungi)
c
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Kapitel 40 · Pankreas
40 . Abb. 40.2a–d. Bildgebung beim Pancreas divisum: Magnetresonanztomographie des Pankreas und der ableitenden Gallenwege. a, b Axiale MRT: unvollständig miteinander verschmolzene Parenchymteile. Im Kopfbereich die kleinere ventrale Anlage, davon abgesetzt Korpus und Kauda, aus der dorsalen Anlage. c, d Magnetresonanzcholangiopankreatikographie: Mündung der dorsalen Pankreasanlage als Ductus accesso-
rius (Santorini) separat ins Duodenum. Mündung der ventralen Anlage (wegen der zu geringen Auflösung in der MRT nicht darstellbar) zusammen mit den Ductus choledochus an der Papilla vateri. Cholezystolithiasis als Nebenbefund. (Mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. C. Buitrago-Téllez, Universitätsklinik Basel)
duen bis ins Erwachsenenalter symptomlos (Lloyd-Jones et al. 1972; Kiernan et al. 1980). Die Ätiologie des Pancreas anulare ist unbekannt. In ca. 80% sind die neonatalen und in ca. 20% die adulten Fälle mit anderen kongenitalen Anomalien (Trisomie 21, tracheoösophageale Fistel, kardiale und renale Missbildungen) vergesellschaftet (Salonen 1978). Die Verschmelzung der Pankreasanlagen vereinigt die beiden Gangsysteme. Der Pankreashauptgang, der Ductus Wirsungianus mündet zusammen mit dem im distalen Abschnitt intrapankreatisch gelegenem Ductus choledochus an der Papilla duodeni
major (Vateri) ins Duodenum. Er entspricht in seinem duodenumnahen Abschnitt dem Gang der ventralen und im Korpusund Kaudabereich demjenigen der dorsalen Anlage. Bleibt die Rückbildung des duodenumnahen Abschnittes der dorsalen Pankreasanlage aus, so persistiert er als Ductus accessorius (Santorini). Er mündet meistens separat über eine Papilla duodeni minor ins Duodenum. Bei 3,6–4% der Individuen verschmelzen die Gangsysteme nicht. Es verbleiben 2 separate Drüsensysteme als Pancreas divisum (. Abb. 40.2; Uomo et al. 1995; Sugawa et al. 1987). Es ist nicht erwiesen, dass diese anatomische
40
683 40.1 · Anatomie und Physiologie des Pankreas
10
. Abb. 40.3. Topographie des Pankreas. 1 Kopf, 2 Processus uncinatus, 3 Hals, 4 Korpus, 5 Kauda, 6 Ductus Wirsungianus, 7 Ductus accessorius (Santorini), 8 Duodenum, 9 Milz, 10 A. hepatica propria, 11 A. lienalis, 12 A. und V. mesenterica superior, 13 V. cava, 14 Aorta abdominalis
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Variante häufiger mit akuter oder chronischer Pankreatitis einhergeht (Delhaye et al. 1985). Topographische Anatomie Das Pankreas liegt vollkommen retroperitoneal im Epigastrium und linken Hypochondrium. Es beginnt medial der Pars II des Duodenums mit seinem Caput und seinem nach dorsal und kaudal vordringenden Processus uncinatus, verläuft in schräger Achse nach links lateral und kranial mit Kollum, Korpus und Kauda und endet im Milzhilus. Am Kopf ist das Pankreas gegen dorsal fixiert, gegen den Schwanz hin aber relativ mobil. Beim Erwachsenen wiegt die Drüse 80–90 g, ist ca. 15–20 cm lang, ca. 3 cm breit und 1,0–1,5 cm dick. Sie liegt mit Caput und Kollum auf Höhe des ersten oder zweiten Lumbalwirbelkörpers gerade ventral des rechten medialen Nierenrandes. Im Kaudabereich überkreuzt die Drüse die linke Niere und Nebenniere vollständig in der Regel auf Höhe des 12. Brustwirbelkörpers. Das Pankreas ist ventral mit Peritoneum der Bursa omentalis überzogen und wird vornehmlich vom Magen überdeckt. Die Drüse wird von rechts nach links von den folgenden Gefäßen unterkreuzt: V. cava, Portalvene, V. lienalis, V. mesenterica superior, Aorta und A. mesenterica superior (. Abb. 40.3). Gefäßversorgung Die arterielle Blutversorgung des Pankreas erfolgt hauptsächlich über die pankreatikoduodenalen Arterien und über Äste der Milzarterie. Hauptäste der Arterien und Venen verlaufen dorsal des Pankreas. Pankreaskopf und Duodenum erhalten ihre Blutversorgung aus Gefäßarkaden, die die beiden superioren pankreatikoduodenalen Arterien (der A. gastroduodenalis entspringend) mit den beiden unteren (der A. mesenterica superior entspringend) verbinden (. Abb. 40.4). Direkte Äste der A. pancreaticoduodenalis inferior, seltener der A. mesenterica superior versorgen den Processus uncinatus. Hals, Korpus und Kauda werden von der A. pancreatica transversa versorgt. Sie enspringt aus der A. pancreatica dorsalis, verläuft inferoposterior längs
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durch die Drüse und ist über Arkaden mit der A. lienalis verbunden. Die A. pancreatica posterior ist ein Ast der A. lienalis in 37%, des Truncus coeliacus in 33%, der A. mesenterica superior in 21% und der A. hepatica in 8% der Fälle (Pansky 1990). Im Vergleich zu den entsprechenden Arterien verlaufen die Venen parallel zueinander und oberflächlicher. Vier pankreatikoduodenale Venen bilden Arkaden, die Pankreaskopf und Processus uncinatus drainieren. V. pancreaticoduodenalis anterior superior und beide Vv. pancreaticoduodenales inferiores münden in die V. mesenterica superior. Die V. pancreaticoduodenalis posterior superior mündet direkt in die V. portae. Pankreashals, Korpus und Kauda werden durch viele kleine venöse Äste drainiert, die sich entweder nach kranial in die V. lienalis oder nach kaudal in die V. pancreatica transversa bzw. in die V. mesenterica superior entleeren. Es existiert eine Reihe von Gefäßvarianten, deren mögliches Vorliegen vom Chirurgen während einer Pankreasresektion bedacht, erkannt und ggf. geschont werden soll. Die häufigste Variante stellt in 26% eine aus der A. mesenterica superior entspringende A. hepatica dextra dar (Michels 1955). Dorsal des Pankreaskopfes ist dieses Gefäß während einer Pankreatikoduodenektomie gefährdet. In 2–4,5% entspringt die A. hepatica communis (Truncus hepatomesentericus) und in ca. 12% die A. hepatica dextra aus der A. mesenterica superior (Skandalakis et al. 1993). Diese Gefäße sind am Oberrand des Pankreaskopfes möglichen Verletzungen, die Leber- und Duodenumischämie zur Folge haben können, ausgesetzt. Weiter kann die A. colica media nach ihrem Ursprung aus der A. mesenterica superior den Pankreaskopf penetrieren und darauf ins Mesokolon einstrahlen (Skandalakis et al. 1993). Alle genannten Varianten, die aus der A. mesenterica superior entspringen, können hinter, vor oder durch den Pankreaskopf verlaufen (Skandalakis et al. 1979). Lymphatisches System Die lymphatische Drainage des Pankreas folgt grundsätzlich der arteriellen Gefäßversorgung (. Abb. 40.4). Eine einheitliche Ter-
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Kapitel 40 · Pankreas
. Abb. 40.4. Gefäßversorgung und lymphatische Stationen des Pankreas. Arterielles System: 1 Aorta abdominalis, 2 Truncus coeliacus, 3 A. hepatica communis, 4 A. gastroduodenalis, 5 A. pancreaticoduodenalis posterior superior, 6 A. pancreaticoduodenalis anterior superior, 7 Aa. pancreaticoduodenales posterior und anterior inferior, 8 A. mesenterica superior, 9 A. pancreatica dorsalis, 10 A. lienalis, 11 A. pancreatica transversa, 12 A. pancreatica caudalis. Peripankreatische Lymphknotenstationen: 13 pylorisch, 14 pankreatikoduodenal, 15 splenopankreatisch superior, 16 splenopankreatisch inferior, 17 splenisch
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minologie der pankreatischen Lymphknotenstationen existiert nicht. Pankreaskopf und Processus uncinatus werden durch pylorische und pankreatikoduodenale Lymphknoten drainiert. Hals, Körper und Schwanz geben die Lymphe in die splenopankreatischen Lymphknotengruppen ab. Die pylorischen, pankreatikoduodenalen und superioren splenopankreatischen Lymphknoten drainieren in die zöliakalen Lymphknoten. Die inferioren splenopankreatischen Lymphgefäße münden in die Lymphknotengruppen der A. mesenterica superior und der periaortalen Region. Über diese beiden Hauptkanäle fließt die Lymphe über den Ductus thoracicus nach supraklavikulär links in das tiefe Venensystem ab. Pankreaskarzinommetastasen können sich dort manifestieren. Bei Patienten mit Pankreaskopfkarzinom sind Lymphknotenmetastasen in absteigender Häufigkeit pankreatikoduodenal posterior, inferior, anterior, in den Lymphknoten der A. mesenterica superior, pericholedochal, retroportal und paraaortal zu erwarten (Shirai et al. 1997). Beim Malignom im Korpus und Schwanzbereich hingegen werden die splenopankreatischen, paraaortalen und zöliakalen Lymphknotengruppen befallen (Nakao et al. 1997). Innervation Das Pankreas wird sympathisch (Nn. splanchnici) und parasympathisch (Nn. vagi) innerviert. Es finden sich viszeral efferente, motorische und afferente, sensorische Fasern zu den Gefäßwänden, den Pankreasgängen und den Pankreasdrüsen. Sie regulieren den pankreatischen Blutfluss, beeinflussen die azinäre und zentroazinäre Sekretion und leiten die viszerale Schmerzempfindung des Pankreas ab. Die präganglionäre sympathische Innervation erfolgt über den aus den 5. bis 9. oder 5. bis 10. Thorakalsegmenten entspringenden N. splanchnicus major und dem aus den 9. und 10. oder 10. und 11. Thorakalsegment stammenden N. splanchnicus minor. Der N. splanchnicus imus (12. Thorakalsegment) beteiligt sich ebenfalls mit Fasern am Pankreas. Diese splanchnischen Nerven ziehen durch die Zwerchfellschenkel zum Plexus coeliacus bzw. zum
Ganglion coeliacum und strahlen postganglionär ins Pankreasparenchym ein. Innerhalb des Plexus kreuzen einige afferente Fasern die Mittellinie. Die Zellen der efferenten sympathischen Fasern liegen in den dorsalen Wurzeln des Ganglion coeliacum, wo sie Verbindungen zu den somatischen, sensorischen Fasern haben. Parasympathisch wird das Pankreas über die Rami coeliaci des Truncus vagalis posterior innerviert. Dieser teilt sich in einen posterioren gastrischen und einen zöliakalen Plexus (Skandalakis et al. 1974). Die zöliakale Aufteilung zieht in den Plexus coeliacus, der Vagusäste zum Pankreas und anderen Abdominalorganen abgibt (. Abb. 40.5). 40.1.2 Physiologie Funktion Die Hauptaufgabe des exokrinen Pankreas ist die Sekretion von bikarbonathaltiger Flüssigkeit und von Verdauungsenzymen. Der bikarbonatreiche Saft ist wichtig zur Neutralisierung des sauren Magenbreis, der vom Magen nach dem Essen ins Duodenum abgegeben wird. Die Aufrechterhaltung des »milieu intérieur« beinhaltet jedoch nicht nur die Neutralisierung von saurem Mageninhalt, sondern auch die Schaffung optimaler Bedingungen für die Verdauungsenzyme, die die verschiedenen Nahrungskomponenten (Kohlehydrate, Eiweiße, Fette) in ihre Bestandteile zerlegen (Solomon 1987). Der Pankreassaft besteht demzufolge aus Verdauungsenzymen, die von den Azimuszellen produziert werden, sowie aus bikarbonatreicher Flüssigkeit, die primär von den Gangepithelien sezerniert wird. Zusammensetzung des Pankreassaftes Der Saft des exokrinen Pankreas ist alkalisch und hat eine sehr hohe Bikarbonatkonzentration (bis 150 mmol/l) im Vergleich zum Plasma (25 mmol/l). Pro Tag werden ungefähr 1500 ml Saft produziert. Die Galle und die Flüssigkeitsproduktion des Dünn-
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685 40.1 · Anatomie und Physiologie des Pankreas
N. vagi
Enterokinase
rechter linker 5 6
Trypsinogen
Trypsin
7
Chymotrypsinogen 8
Chymotrypsin Trypsin
9 10 11
Proelastase
Elastase
. Abb. 40.6. Aktivierung von Pankreasproteasen
12 N. splanchnicus major N. splanchnicus major N. splanchnicus imus
Ganglion coeliacum
Ganglion mesentericum superius . Abb. 40.5. Innervation des Pankreas
darms sind ebenfalls alkalisch; diese 3 Flüssigkeiten neutralisieren den sauren Mageninhalt, sodass im oberen Dünndarm unter normalen Bedingungen ein pH von 6,0–7,0 vorhanden ist. Die wichtigsten verschiedenen Verdauungsenzyme sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst (Solomon 1987). Die meisten Enzyme werden als inaktive Vorstufen, sog. Proenzyme, sezerniert. Trypsinogen wird als Erstes durch das Enzym Enterokinase, das im Dünndarm produziert wird, zum aktiven Trypsin umgewandelt. In der Folge aktiviert Trypsin eine Reihe von anderen Enzymen (. Abb. 40.6). Die wichtigsten Verdauungsenzyme des exokrinen Pankreas 5 Proteolytische Enzyme – Trypsin – Chymotrypsin – Elastase – Carboxypeptidase A und B 5 Lipolytische Enzyme – Lipase, Kolipase – Cholesterolesterose – Phospholipase A2 5 Amylase 5 Nukleolytische Enzyme – Ribonukleasen – Desoxyribonuklease
Sekretionsmuster Um die pathophysiologischen Prozesse der Bauchspeicheldrüse zu verstehen, muss man das normale Sekretionsprofil des exokrinen Pankreas kennen. Die humane Pankreassekretion wird im Allgemeinen in 2 distinkte Phasen unterteilt, die interdigestive Sekretion und die postprandiale (digestive) Sekretion (Solomon 1987; Layer 1988). Beide Sekretionsphasen sind in die Motilitätsaktivitäten des oberen Magen-Darm-Traktes integriert. Daraus ergibt sich eine Koordination der verschiedenen Verdauungsprozesse: Motorik (Magenentleerung), Säuresekretion, Gallefluss und exokrine Pankreassekretion. Die interdigestive Phase beginnt unmittelbar nach der postprandialen Phase, nachdem alle Nahrung aus dem oberen Magendarmtrakt verschwunden ist. Das interdigestive Muster wird unterbrochen durch Nahrungseinnahme, wobei Hormone und neurale Mechanismen an der Steuerung beteiligt sind. Die interdigestive Periode bleibt solange unterbrochen, wie Nahrung im Magen vorhanden ist. Menschen, die Frühstück, Mittagessen und Abendessen zu sich nehmen, zeigen demzufolge ein postprandiales Verdauungsmuster während des ganzen Tages bis spät in die Abendstunden. In der Regel dauert es mindestens 5 h nach Mahlzeitbeginn, bis das postprandiale Verdauungsmuster von der interdigestiven Phase abgelöst wird. Unter normalen Umständen (3 Mahlzeiten/Tag mit einem Energiegehalt von 20–30 kcal/kg KG) beginnt demzufolge das postprandiale Verdauungsmuster mit der Einnahme des Frühstücks und endet etwa um Mitternacht. Die interdigestive Phase dauert anschließend bis zur nächsten Nahrungseinnahme am folgenden Tag. Pankreassekretion während der interdigestiven Phase Die Koordination von Sekretion (Magensaft, Galle und Pankreassaft) und Motilität ist von großer physiologischer Bedeutung: Es kann damit verhindert werden, dass die aggressiven Säfte die Integrität des oberen Magen-Darm-Traktes beeinträchtigen. Durch Konvention werden die interdigestiven oberen gastrointestinalen Funktionen in 3 Phasen unterteilt: 4 Phase I ist charakterisiert durch minimale motorische und sekretorische Aktivitäten (Ruhephase): Die Magensaft- und die Pankreassekretionen sind minimal, die Gallesekretion sistiert und keine wesentlichen motorischen Aktivitäten sind erfassbar. 4 In Phase II kann man eine verstärkte motorische Aktivität, begleitet von gesteigerten Sekretionen beobachten (Solomon
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Kapitel 40 · Pankreas
1987; Layer 1988). Die motorische Aktivität ist eng mit den Sekretionen gekoppelt. 4 Die motorische Aktivität steigert sich in Phase III zu einem Maximum, sowohl in Bezug auf motorische Aktivität als auch in Bezug auf Sekretionen. Diese kurze intensive Phase dauert nur etwa 5–10 min, dann wird wieder die Ruhephase (Phase I) aufgenommen.
Die Gesamtdauer eines interdigestiven Zyklus dauert 60– 90 min und wiederholt sich so lange, bis ein postprandiales Muster den Zyklus unterbricht.
Die Regulation der interdigestiven Pankreassekretion unterliegt einem komplexen Wechselspiel von stimulierenden und hemmenden Faktoren. Die genaue Bedeutung der einzelnen Komponenten ist zurzeit noch unklar, doch stehen neurale Steuerungsmechanismen im Vordergrund (vagale, cholinergische Fasern; Layer 1992; Adler 1995). Die genauen Fasern sind zurzeit noch unklar, doch gibt es experimentelle Hinweise, dass enteropankreatische Nerven an der Steuerung beteiligt sind; die Rolle der intrapankreatischen Nervenfasern und die Bedeutung des sympathischen Nervensystems werden nur ungenügend verstanden. Exokrine Pankreassekretion während der Verdauungsperiode Die wichtigste Funktion des exokrinen Pankreas ist die Sekretion von Verdauungsenzymen zur Aufspaltung der verschiedenen Nahrungskomponenten. Die mahlzeitstimulierte Pankreassekretion wird üblicherweise in 3 Phasen unterteilt, wobei die verschiedenen Phasen überlappen und interagieren: eine kephale, eine gastrische und eine intestinale Phase.
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Kephale Phase. Sie wird durch den Anblick, den Gedanken, den Duft oder den Geschmack von wohlschmeckendem Essen induziert (Adler 1995; Anagnostides 1984; Solomon 1987). Die Pankreassekretion kann also stimuliert werden, ohne dass Nahrung in den Magen-Darm-Trakt gelangen muss. Die Verabreichung des unspezifischen, muskarinischen Blockers Atropin kann die kephale Phase vollständig unterdrücken, womit dokumentiert werden konnte, dass das cholinerge System der wichtigste Regulator der kephalen Phase darstellt. Gastrische Phase. Der Magen reguliert seine Entleerung und bestimmt damit das Ausmaß der Nahrungsabgabe in den Dünndarm. Die Nahrung im Dünndarm ist jedoch ein wichtiger Stimulus für die Anregung der Pankreassekretion. Die Bedeutung des Magens, unabhängig von seiner Rolle als Nahrungsreservoir, in der Regulation der Pankreassekretion ist aber beim Menschen nur ansatzweise untersucht. Experimente mit Ballondistension des Magens habe aber klar gezeigt, dass die exokrine Sekretion durch Dehnung des Magens stimuliert werden kann. Das Signal wird durch vagovagale Reflexe ausgelöst (Cargill 1979; Solomon 1987). Intestinale Phase. Die intestinale Phase ist der bedeutendste
Stimulationsfaktor der postprandialen Pankreassekretion; damit ist dargelegt, dass das Ausmaß der postprandialen exokrinen Sekretionsmenge von der duodenalen Stimulation bestimmt
wird (Beglinger 1992). Experimentell konnte eine klare Beziehung zwischen duodenaler Stimulation mit ansteigenden Mengen der Fettsäure Oleat und dem Enzymausstoß dokumentiert werden. Dabei sind hydrolysierte Fettsäuren mit einer Kettenlänge von mehr als 12 Kohlenstoffatomen (>C12) die potentesten Stimulatoren der Pankreassekretion, essenzielle Aminosäuren (vor allem Phenylalanin, Valin, Methionin und Tryptophan) oder Mischungen von Aminosäuren induzieren ebenfalls eine starke Enzymsekretion, obwohl das Ausmaß nur etwa 50% der maximalen, durch Fettsäuren induzierten Sekretion erreicht. Kohlenhydrate sind hingegen schlechte Stimulatoren der exokrinen Pankreassekretion. Die Stimulation der Pankreasenzymsekretion durch Nahrungskomponenten im proximalen Dünndarm wird vorwiegend durch eine Wechselbeziehung zwischen dem Verdauungshormon Cholezystokinin (CCK) und dem cholinergen System vermittelt. Die Sekretion wird praktisch vollständig unter cholinerger Rezeptorblockade mit Atropin unterdrückt (Beglinger 1992). Zusätzlich zur Wechselbeziehung mit dem cholinergen Nervensystem interagiert CCK auch mit dem klassischen Verdauungsenzym Sekretin, dem wichtigsten Stimulator der Pankreasbikarbonatsekretion. Die Bikarbonatsekretion ist wichtig zur Neutralisierung der Magensäure; durch Neutralisierung kann das intraluminale pH nach Mahlzeiteinnahmen auf 6–7 gehalten werden, was für eine optimale Enzymaktivität notwendig ist. Die Bedeutung des intraduodenalen pH wird bei chronischer Pankreasinsuffizienz ersichtlich: Bei fortgeschrittener Erkrankung werden nicht nur ungenügende Enzymmengen sezerniert, sondern die reduzierten Enzyme werden ungenügend aktiviert, weil durch die verminderte Bikarbonatsekretion das pH auf 4–6 abfallen kann. Bedeutung des Dünndarms in der Regulation der Pankreassekretion Die wichtigsten stimulatorischen Mechanismen der exokrinen Pankreassekretion liegen in der gastroduodenalen Region.
Nach einer Mahlzeiteinnahme genügt demzufolge die Exposition des gastroduodenalen Segmentes mit Nahrung, um eine maximale Pankreassekretion zu erzeugen. Zwar sind auch die distalaren Anteile des Dünndarms (proximales Jejunum) in der Lage, die Pankreasenzymsekretion anzuregen. Beim gesunden Individuum ist dies jedoch eine redundante physiologische Funktion. Die jejunale Enzymstimulation kann aber wichtig werden nach operativen Eingriffen wie Gastrojejunostomien (z. B. Billroth II oder Roux-en-Y-Rekonstruktion), wo Antrum und Duodenum ausgeschlossen werden. Der distale Dünndarm (Ileum) hat in der späten postprandialen Phase die Funktion, die Pankreasenzymsekretion zu hemmen (Keller 1997; Layer 1990). Die Mechanismen, die dazu führen, sind zurzeit noch ungenügend definiert. Verschiedene Kandidaten sind jedoch als hormonale Hemmsubstanzen vorgeschlagen worden, nämlich die im Ileum produzierten Hormone Somatostatin 28, Peptid YY und »glucagonlike-peptide 1« (GLP-1). Zusammenfassend kann hierzu gesagt werden, dass das Ileum an der Steuerung des exokrinen Pankreas beteiligt ist.
687 40.2 · Konservative Therapie der akuten Pankreatitis
Literatur Adler G, Nelson DK, Katschinski M, Beglinger C (1995) Neurohormonal control of human pancreatic exocrine secretion. Pancreas 10(1):1–13 Anagnostides A, Chadwick VS, Selden AC, Maton PN (1984) Sham feeding and pancreatic secretion. Evidence for direct vagal stimulation of enzyme output. Gastroenterology 87(1):109–114 Beglinger C, Hildebrand P, Adler G et al. (1992) Postprandial control of gallbladder contraction and exocrine pancreatic secretion in man. Eur J Clin Invest 22(12):827–834 Cargill JM, Wormsley KG (1979) Effect of gastric distension on human pancreatic secretion. Acta Hepatogastroenterol 26:235–238 Delhaye M, Engelholm L, Cremer M (1985) Pancreas divisum: congenital anatomic variant or anomaly? Contribution of endoscopic retrograde dorsal pancreatography. Gastroenterology 89:951–958 Hays DM, Greaney EM, Hill JT (1961) Annular pancreas as a cause of acute neonatal duodenal obstruction. Ann Surg 153:103–106 Keller J, Runzi M, Goebell H, Layer P (1997) Duodenal and ileal nutrient deliveries regulate human intestinal motor and pancreatic responses to a meal. Am J Physiol G632–637 Kiernan PD, Remine SG, Kiernen PC, Remine (1980) Annular pancreas – Mayo clinic experience from 1957–1976 with a review of the literature. Arch Surg 115:46–50 Layer P, Chan AT, Go VL, DiMagno EP (1988) Human pancreatic secretion during phase II antral motility of the interdigestive cycle. Am J Physiol G249–253 Layer P, Peschel S, Schlesinger T, Goebell H. (1990) Human pancreatic secretion and intestinal motility: effects of ileal nutrient perfusion. Am J Physiol G196–201 Layer PH, Chan AT, Go VL, Zinsmeister AR, DiMagno EP (1992) Adrenergic modulation of interdigestive pancreatic secretion in humans. Gastroenterology 103(3):990–993 Lloyd-Jones W, Mountain JC, Warren KW (1972) Annular pancreas in the adult. Ann Surg 176:163–170 Merrill JR, Raffensperger JG (1976) Pediatric annular pancreas – twenty years experience. J Pediatr 11:921–925 Michels MA (1955) Blood supply and anatomy of the upper abdominal organs. Lippincott, Philadelphia Nakao A, Harada A, Nonami T, Kaneko T (1997) Lymph node metastases in carcinoma of the body and tail of the pancreas. Br J Surg 84:1090– 1094 Pansky B (1990) Anatomy of the pancreas. Int J Pancreatol 7:101–108 Salonen IS (1978) Congenital duodenal obstruction – a review of the literature and a clinical study of annular pancreas and a follow-up of 36 survivors. Acta Paediatr Scand 272 [Suppl]:1–87 Solomon TE (1987) Control of exocrine pancreatic secretion. In: Johnson LR (ed) Physiology of gastrointestinal tract, 2nd ed. Raven Press, New York, pp 1173–1207 Shirai Y, Ohtani T, Tsukada K, Hatakeyama K (1997) Patterns of lymphatic spread of carcinoma of the ampulla of Vater. Br J Surg 84:1012– 1016 Skandalakis JE, Rowe JS, Gray SW, Androulakis JA (1974) Identification of vagal structures at the esophageal hiatus. Surgery 75:233–237 Skandalakis JE, Gray SW, Rowe JS, Skandalakis LJ (1979) Anatomic complications of pancreatic surgery. Contemp Surg 15:17–22 Skandalakis LJ, Rowe JS, Gray SW, Skandalakis JE (1993) Surgical embryology and anatomy of the pancreas. Surg Clin North Am 73:661– 668 Sugawa C, Walt AJ, Nunez DC, Masuyama H (1987) Pancreas divisum: is it a normal anatomic variant ? Am J Surg 153:62–67 Uomo G, Manes G, D’Anna L, Laccetti M, Di Gaeta S, Rabitti PG (1995) Fusion and duplication variants of pancreatic duct system. Clinical and pancreatographic evaluation. Int J Pancreatol 17:23–28
40.2
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Konservative Therapie der akuten Pankreatitis F. Lammert
) ) Die Diagnose der akuten Pankreatitis beruht auf dem klinischen Bild und dem Nachweis erhöhter Pankreasenzyme im Serum. Zusätzliche Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren werden zur Sicherung der Diagnose, zur Beurteilung des Schweregrades der Pankreasschädigung, zur Erfassung von Komplikationen und bei der Abklärung der auslösenden Ursache eingesetzt. Bei 80% der Patienten liegt eine leichte Verlaufsform vor (serösödematöse Pankreatitis). Bei der schweren nekrotisierenden Form entwickeln sich häufig lokale oder systemische Komplikationen und Organversagen. Die Letalität der akuten Pankreatitis insgesamt liegt bei 2–12%. Die frühzeitige Erkennung und die fachgerechte intensivmedizinische Behandlung der nekrotisierenden Pankreatitis sind von entscheidender prognostischer Bedeutung.
40.2.1 Definition und Pathogenese Klinisch ist die akute Pankreatitis durch akute Oberbauchbeschwerden und eine signifikante Erhöhung (>3-fach) der Pankreasenzyme im Serum gekennzeichnet. Morphologisch ist die akute Pankreatitis durch eine entzündliche Schädigung der Bauchspeicheldrüse unterschiedlichen Ausmaßes definiert, die von einem interstitiellen Ödem (serös-ödematöse Pankreatitis) bis zu ausgedehnten Parenchymnekrosen reichen kann (akute Pankreasnekrose). Die häufigsten Ursachen der akuten Pankreatitis sind das Gallensteinleiden – wobei nicht selten auch eine klinisch schwer erkennbare Mikrolithiasis für eine Pankreatitis verantwortlich ist – und der Alkoholkonsum. Bei der ethyltoxisch bedingten akuten Pankreatitis handelt es sich meistens um eine akute Attacke einer zugrunde liegenden chronischen Pankreatitis. Weitere seltene Ursachen sind oft nur als Einzelfälle beschrieben. Ursachen der akuten Pankreatitis 5 Gallensteine (40–60%) 5 Alkoholabusus (20–40%) 5 Medikamente: Azathioprin, Tetrazyklin, Thiazide, Sulfonamide, Furosemid, Isoniazid, Cisplatin 5 Trauma, Operationen 5 ERCP 5 Duodenaldivertikel 5 Ulkuskrankheit 5 Tumor 5 Viren: Mumps, Hepatitisviren A, B und C, Coxsackie, Zytomegalie, Herpes zoster, HIV 5 Parasiten: Askariden, Clonorchis 5 Bakterien: Yersinien, Salmonellen, Mykobakterien, Leptospiren 5 Ischämie: Schock, Embolie, Panarteriitis nodosa 5 Stoffwechselkrankheiten: Hyperlipoproteinämien, Hyperparathyreoidismus 5 Kongenital: Pancreas divisum, Pancreas anulare, Choledochuszysten, hereditäre Pankreatitis
687 40.2 · Konservative Therapie der akuten Pankreatitis
Literatur Adler G, Nelson DK, Katschinski M, Beglinger C (1995) Neurohormonal control of human pancreatic exocrine secretion. Pancreas 10(1):1–13 Anagnostides A, Chadwick VS, Selden AC, Maton PN (1984) Sham feeding and pancreatic secretion. Evidence for direct vagal stimulation of enzyme output. Gastroenterology 87(1):109–114 Beglinger C, Hildebrand P, Adler G et al. (1992) Postprandial control of gallbladder contraction and exocrine pancreatic secretion in man. Eur J Clin Invest 22(12):827–834 Cargill JM, Wormsley KG (1979) Effect of gastric distension on human pancreatic secretion. Acta Hepatogastroenterol 26:235–238 Delhaye M, Engelholm L, Cremer M (1985) Pancreas divisum: congenital anatomic variant or anomaly? Contribution of endoscopic retrograde dorsal pancreatography. Gastroenterology 89:951–958 Hays DM, Greaney EM, Hill JT (1961) Annular pancreas as a cause of acute neonatal duodenal obstruction. Ann Surg 153:103–106 Keller J, Runzi M, Goebell H, Layer P (1997) Duodenal and ileal nutrient deliveries regulate human intestinal motor and pancreatic responses to a meal. Am J Physiol G632–637 Kiernan PD, Remine SG, Kiernen PC, Remine (1980) Annular pancreas – Mayo clinic experience from 1957–1976 with a review of the literature. Arch Surg 115:46–50 Layer P, Chan AT, Go VL, DiMagno EP (1988) Human pancreatic secretion during phase II antral motility of the interdigestive cycle. Am J Physiol G249–253 Layer P, Peschel S, Schlesinger T, Goebell H. (1990) Human pancreatic secretion and intestinal motility: effects of ileal nutrient perfusion. Am J Physiol G196–201 Layer PH, Chan AT, Go VL, Zinsmeister AR, DiMagno EP (1992) Adrenergic modulation of interdigestive pancreatic secretion in humans. Gastroenterology 103(3):990–993 Lloyd-Jones W, Mountain JC, Warren KW (1972) Annular pancreas in the adult. Ann Surg 176:163–170 Merrill JR, Raffensperger JG (1976) Pediatric annular pancreas – twenty years experience. J Pediatr 11:921–925 Michels MA (1955) Blood supply and anatomy of the upper abdominal organs. Lippincott, Philadelphia Nakao A, Harada A, Nonami T, Kaneko T (1997) Lymph node metastases in carcinoma of the body and tail of the pancreas. Br J Surg 84:1090– 1094 Pansky B (1990) Anatomy of the pancreas. Int J Pancreatol 7:101–108 Salonen IS (1978) Congenital duodenal obstruction – a review of the literature and a clinical study of annular pancreas and a follow-up of 36 survivors. Acta Paediatr Scand 272 [Suppl]:1–87 Solomon TE (1987) Control of exocrine pancreatic secretion. In: Johnson LR (ed) Physiology of gastrointestinal tract, 2nd ed. Raven Press, New York, pp 1173–1207 Shirai Y, Ohtani T, Tsukada K, Hatakeyama K (1997) Patterns of lymphatic spread of carcinoma of the ampulla of Vater. Br J Surg 84:1012– 1016 Skandalakis JE, Rowe JS, Gray SW, Androulakis JA (1974) Identification of vagal structures at the esophageal hiatus. Surgery 75:233–237 Skandalakis JE, Gray SW, Rowe JS, Skandalakis LJ (1979) Anatomic complications of pancreatic surgery. Contemp Surg 15:17–22 Skandalakis LJ, Rowe JS, Gray SW, Skandalakis JE (1993) Surgical embryology and anatomy of the pancreas. Surg Clin North Am 73:661– 668 Sugawa C, Walt AJ, Nunez DC, Masuyama H (1987) Pancreas divisum: is it a normal anatomic variant ? Am J Surg 153:62–67 Uomo G, Manes G, D’Anna L, Laccetti M, Di Gaeta S, Rabitti PG (1995) Fusion and duplication variants of pancreatic duct system. Clinical and pancreatographic evaluation. Int J Pancreatol 17:23–28
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Konservative Therapie der akuten Pankreatitis F. Lammert
) ) Die Diagnose der akuten Pankreatitis beruht auf dem klinischen Bild und dem Nachweis erhöhter Pankreasenzyme im Serum. Zusätzliche Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren werden zur Sicherung der Diagnose, zur Beurteilung des Schweregrades der Pankreasschädigung, zur Erfassung von Komplikationen und bei der Abklärung der auslösenden Ursache eingesetzt. Bei 80% der Patienten liegt eine leichte Verlaufsform vor (serösödematöse Pankreatitis). Bei der schweren nekrotisierenden Form entwickeln sich häufig lokale oder systemische Komplikationen und Organversagen. Die Letalität der akuten Pankreatitis insgesamt liegt bei 2–12%. Die frühzeitige Erkennung und die fachgerechte intensivmedizinische Behandlung der nekrotisierenden Pankreatitis sind von entscheidender prognostischer Bedeutung.
40.2.1 Definition und Pathogenese Klinisch ist die akute Pankreatitis durch akute Oberbauchbeschwerden und eine signifikante Erhöhung (>3-fach) der Pankreasenzyme im Serum gekennzeichnet. Morphologisch ist die akute Pankreatitis durch eine entzündliche Schädigung der Bauchspeicheldrüse unterschiedlichen Ausmaßes definiert, die von einem interstitiellen Ödem (serös-ödematöse Pankreatitis) bis zu ausgedehnten Parenchymnekrosen reichen kann (akute Pankreasnekrose). Die häufigsten Ursachen der akuten Pankreatitis sind das Gallensteinleiden – wobei nicht selten auch eine klinisch schwer erkennbare Mikrolithiasis für eine Pankreatitis verantwortlich ist – und der Alkoholkonsum. Bei der ethyltoxisch bedingten akuten Pankreatitis handelt es sich meistens um eine akute Attacke einer zugrunde liegenden chronischen Pankreatitis. Weitere seltene Ursachen sind oft nur als Einzelfälle beschrieben. Ursachen der akuten Pankreatitis 5 Gallensteine (40–60%) 5 Alkoholabusus (20–40%) 5 Medikamente: Azathioprin, Tetrazyklin, Thiazide, Sulfonamide, Furosemid, Isoniazid, Cisplatin 5 Trauma, Operationen 5 ERCP 5 Duodenaldivertikel 5 Ulkuskrankheit 5 Tumor 5 Viren: Mumps, Hepatitisviren A, B und C, Coxsackie, Zytomegalie, Herpes zoster, HIV 5 Parasiten: Askariden, Clonorchis 5 Bakterien: Yersinien, Salmonellen, Mykobakterien, Leptospiren 5 Ischämie: Schock, Embolie, Panarteriitis nodosa 5 Stoffwechselkrankheiten: Hyperlipoproteinämien, Hyperparathyreoidismus 5 Kongenital: Pancreas divisum, Pancreas anulare, Choledochuszysten, hereditäre Pankreatitis
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Kapitel 40 · Pankreas
Die akute Pankreatitis ist die Folge einer intrapankreatischen Aktivierung und Freisetzung von Pankreasenzymen (Proteasen, Lipase), die mit einer überschießenden Stimulation des Entzündungssystems und der Freisetzung multipler Mediatoren sowie freier Radikale aus Makrophagen, Mastzellen und Neutrophilen einhergeht (Mitchell et al. 2003). Wird die kompensatorische Wirkung der Schutzmechanismen (Proteaseinhibitoren, Antiproteasen) überfordert, kommt es zum Fortschreiten der Erkrankung. Diese erste Phase der Entzündung kann zu lokalen Gewebsnekrosen und einer systemischen inflammatorischen Reaktion mit Schock führen. Im weiteren Verlauf können Infektionen der Nekrosen schwere septische Komplikationen hervorrufen. 40.2.2 Klinische Symptomatologie In der Regel manifestiert sich die akute Pankreatitis – nicht selten im Anschluss an eine reichliche Mahlzeit oder einen Alkoholexzess – mit heftigen Oberbauchschmerzen. Diese beginnen plötzlich, steigern sich kontinuierlich und strahlen oft gürtelförmig vom Oberbauch in den Rücken aus. Die »gummiartige« Abwehrspannung des Abdomens ist ein charakteristischer Befund. Als Begleitsymptome treten häufig Übelkeit und Erbrechen mit den Zeichen eines Subileus oder Ileus auf. Ein schwerer Verlauf zeigt sich in der Ausbildung eines hypovolämischen Schocks, einer respiratorischen Insuffizienz, eines akuten Nierenversagens oder einer Verbrauchskoagulopathie. Ekchymosen in der linken Flanke (Grey-Turner-Zeichen) oder periumbilikal (Cullen-Zeichen) treten bei 5% der Patienten auf, zeigen oft eine ausgeprägte Pankreasnekrose an und sind daher ein signum male ominis. Komplikationen der nekrotisierenden Pankreatitis sind infizierte Nekrosen, Abszesse und Pseudozysten. 40.2.3 Diagnostik
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Labordiagnostisch wird der klinische Verdacht einer akuten Pankreatitis durch die eindeutige Erhöhung der Lipase bestätigt (zumeist initial >3-fache der oberen Normgrenze). Die Höhe des Enzymanstiegs korreliert nicht mit dem Schweregrad. Die Be-
stimmung der Amylase, die im Krankheitsverlauf rascher als die Lipase wieder fällt, verbessert die diagnostische Aussage nicht, zumal bei Makroamylasämie, Sprue, Parotitis, Niereninsuffizienz oder als paraneoplastisches Syndrom isolierte Amylaseerhöhungen bei normwertiger Lipase beobachtet werden. Weitere Laborwerte dienen weniger der primären Diagnose einer akuten Pankreatitis als der Suche nach deren Ätiologie, der Bestimmung des Schweregrades und damit der Prognose. . Tab. 40.1 fasst das diagnostische Vorgehen zusammen. Für eine biliäre Pankreatitis bei Choledocholithiasis ist eine frühzeitige transiente Erhöhung der ALT und weiterer Leberwerte (AP, Bilirubin) typisch, die sich beim spontanen Steinabgang durch die Papille rasch normalisiert. Zur möglichst frühzeitigen Differenzierung zwischen der milden serös-ödematösen Pankreatitis und der prognostisch ernsthafteren, nekrotisierenden Pankreatitis werden in klinischen Studien spezielle Score-Systeme verwendet (Ranson- oder Imrie-Score). Nachteilig ist, dass diese Scores nur für die ersten 48 h validiert sind und der alternativ eingesetzte APACHE-IIScore nicht pankreasspezifisch ist. Glasgow-Kriterien (Imrie-Score) 5 Innerhalb von 48 h nach Aufnahme: – Alter >55 Jahre – Leukozyten >15 G/l – Nüchtern-Glukose >180 mg/dl – Harnstoff >96 mg/dl – Arterieller pO2 <60 mmHg – Kalzium <2 mmol/l – Albumin <32 g/l – LDH >600 U/l – Transaminasen >100 U/l 5 0–2 Punkte: leichte Pankreatitis 5 3–9 Punkte: schwere Pankreatitis
Bei schweren Verläufen erfolgen engmaschige Laborkontrollen (Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, Eiweiß/Albumin, TPZ, PTT, Blutzucker, LDH). Ein CRP-Anstieg auf über 150 mg/l spricht für das Vorliegen einer schweren Pankreatitis. Ein Anstieg
. Tabelle 40.1. Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf akute Pankreatitis. (Nach Wagner et al. 2003)
Ziel
Diagnostische Maßnahme
Probleme
Sicherung der Diagnose
Anamnese und Befund
Klinischer Befund und Enzymanstieg stimmen nicht immer mit dem CT-Befund überein
Messung der Lipase im Serum
Bei längerem Intervall zwischen Schmerzbeginn und stationärer Aufnahme Amylase oft wieder normal, nur noch Lipase erhöht
Ultraschall
Bei schwerer Pankreatitis ist der Ultraschall oft nicht aussagefähig (luftüberlagertes Pankreas)
Differenzialdiagnose serösödematöse vs. nekrotisierende Pankreatitis
KM-CT frühestens 48–96 h nach stationärer Aufnahme
Als Ersatz für das KM-CT gibt es kein sicheres nichtbildgebendes Zeichen für eine Pankreasnekrose, ein Verdacht besteht bei CRP >150 mg/l, Organversagen, Pleuraerguss, Ranson-Score ≥3, Imrie-Score ≥3, APACHE-II-Score ≥8 oder BMI >30 kg/m2
Sicherung einer Nekroseninfektion
Feinnadelpunktion
Erfolgt Ultraschall- oder CT-gesteuert und setzt viel Erfahrung voraus
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des Prokalzitonins deutet möglicherweise auf ein erhöhtes Risiko für infizierte Nekrosen und einen schweren septischen Verlauf hin (Rau et al. 1997). Als bildgebende Verfahren werden Ultraschall, Endosonographie und KM-CT eingesetzt (. Tab. 40.1). Der sonographische Nachweis von Gallensteinen spricht, besonders mit gleichzeitiger Erhöhung der Leberwerte, für eine gallensteinbedingte Pankreatitis. Bei ambivalenter Situation mit eher geringer Wahrscheinlichkeit eines Gallengangsteines sollte eine Klärung der vermuteten Steinobstruktion mittels Endosonographie erfolgen, sofern diese verfügbar ist. Bei Verdacht auf einen schweren Verlauf gibt das CT wesentliche Informationen über das Ausmaß und die Lokalisation von Nekrosen. Die Minderperfusion im KM-CT (Dichte <30 Hounsfield-Einheiten) definiert die Nekrose des Parenchyms, wobei in der Frühphase das transiente Ödem eine Nekrose vortäuschen kann. Eine Röntgenübersicht des Thorax in 2 Ebenen kann Pleuraergüsse nachweisen, deren Auftreten mit der nekrotisierenden Verlaufsform assoziiert ist. Besonders bei Patienten mit einer ersten Attacke einer akuten Pankreatitis stellt sich immer die Frage, ob es sich um eine eigentliche akute Pankreatitis im engeren Sinn, mit vollständigem Erholungspotenzial des Organs nach Abklingen der akuten Phase, handelt oder ob ein erster Schub einer chronischen Pankreatitis vorliegt. Für diese Differenzialdiagnose ist die genaue Erhebung der Anamnese mit etwaigen Hinweisen für eine vorbestehende Pankreasinsuffizienz, für frühere Pankreatitisschübe oder das Vorliegen eines chronischen Alkoholabusus hilfreich. Auf der anderen Seite sprechen vorausgegangene biliären Koliken für eine akute steinbedingte Pankreatitis. Pankreasverkalkungen als diagnostisches Zeichen einer chronischen Pankreatitis können im Ultraschall, im Abdomenleerbild oder im CT nachgewiesen werden. 40.2.4 Therapeutisches Vorgehen Alle Versuche, kausal in den Ablauf der pathophysiologischen Mechanismen einzugreifen, sind bis dato erfolglos geblieben. Dies gilt sowohl für Hormone, die die Pankreassekretion unterdrücken können (z. B. Glukagon, Somatostatin), als auch für Hemmer der Proteasen (z. B. Gabexat-Mesilat, Aprotinin). Deshalb stehen die Behandlung der Symptome und die Verhinderung und Behandlung von möglichen Komplikationen bei den konservativen Therapiemaßnahmen der akuten Pankreatitis im Vordergrund. Es wird zwischen einer standardisierten Basistherapie für alle Pankreatitisfälle und einer Intensivtherapie für schwere Formen unterschieden. Therapieprinzipien bei akuter Pankreatitis 5 Ausreichende parenterale Flüssigkeitssubstitution (ZVD-gesteuert) 5 Intensivmedizinische Überwachung und Behandlung obligat bei schwerer Verlaufsform 5 Suffiziente Schmerztherapie 5 Orale Nahrungskarenz bis Schmerzfreiheit 5 Magensonde bei Subileus/Erbrechen 5 Stressulkusprophylaxe bei schwerer Verlaufsform (Protonenpumpeninhibitor) 6
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5 Prophylaktische Antibiose bei Nekrosen und biliärer Pankreatitis 5 Ausreichende Kalorienzufuhr 5 Früher enteraler Kostaufbau 5 Pankreasenzyme prinzipiell nicht indiziert 5 Thromboseprophylaxe durch Low dose-Heparinisierung 5 ERCP bei schwerer biliärer Pankreatitis frühzeitig durchführen 5 Interdisziplinärer Therapieansatz, ggf. rasche Verlegung in ein Zentrum
Standardisierte Basistherapie Grundlage der initialen Basistherapie ist die enterale Nahrungskarenz bis zur Schmerzfreiheit bei adäquater parenteraler Flüssigkeitssubstitution.
Der tägliche Flüssigkeitsbedarf beträgt im Initialstadium der akuten Pankreatitis mindestens 3 l und wird bei der akuten Pankreatitis häufig unterschätzt. Zur Kontrolle der Hydrierung dienen ZVD-Messung (Ziel-ZVD 10 cm H2O) und Urinausscheidung. Eine Magensonde ist nicht generell notwendig, es sei denn, es liegt ein Subileus bzw. Ileus mit Erbrechen vor (Rünzi et al. 2000). Mehrere prospektive randomisierte Studien konnten kürzlich zeigen, dass eine frühe enterale Ernährung der parenteralen Ernährung bei akuter Pankreatitis wahrscheinlich überlegen ist (Meier et al. 2002; Marek et al. 2005). Eine enterale Sondennahrung ab dem 3. Tag über eine am Treitz-Band platzierte Dünndarmsonde (oder nach neueren Studien mit gleicher Effektivität auch über eine Magensonde) erhält die Integrität des Darmepithels, verhindert die Zottenatrophie im Darm und verringert die prognostisch kritische Kolonisation bzw. Infektion der Nekrosen. Durch die enterale Diät sollten 25– 35 kcal/kg/Tag zugeführt werden (1,2–1,5 g Protein, 4–6 g Kohlenhydrate und max. 2 g Fett/kg/Tag). Bei schwerer Pankreatitis ist eine Stressulkusprophylaxe indiziert (Protonenpumpeninhibitor). Bei den symptomatischen Maßnahmen steht die effektive Schmerzbehandlung im Vordergrund. Als Basistherapie wurde bisher häufig ein Procain-Perfusor empfohlen, obgleich die Wirkung zweifelhaft ist und die intravenöse Applikation von Buprenorphin (0,3 mg Bolus, gefolgt von 0,1 mg/h) überlegen ist (Jakobs et al. 2000, Kahl et al. 2004). Bei nicht ausreichender Wirkung können Buprenorphin oder andere Opioide ohne relevante Wirkung auf den Sphinkter Oddi (Pethidin, Pentazocin) mit peripher wirksamen Analgetika (Metamizol) kombiniert werden. Die transdermale Applikation von Opioden (Fentanyl, Buprenorphin) hat den potenziellen Vorteil, gleichbleibende Wirkspiegel zu erreichen. Antibiotikatherapie Die prophylaktische Antibiotikatherapie gehört nicht zur Basistherapie, wird aber bei Sepsis bzw. SIRS, Mutiorganversagen oder bioptischem Infektionsnachweis in Nekrosen für mindestens 7–10 Tage empfohlen (Rünzi et al. 2000; Nordback et al. 2001; Bassi et al. 2003). Positive klinische oder tierexperimentelle Studien sprechen für den Einsatz von Imipenem als Monotherapie
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Kapitel 40 · Pankreas
(3×500–1000 mg/Tag) oder Ciprofloxacin (2×400 mg/Tag) bzw. Levafloxacin (1×500 mg/Tag) + Metronidazol (3×500 mg/Tag). Mögliche Risiken dieser Antibiotikaprophylaxe sind die Entwicklung von Candida-Infektionen und die Selektion grampositiver Bakterien (Isenmann et al. 2004). Intensivmedizinische Therapie Zeigen der klinische Verlauf, ein Anstieg des CRP auf über 150 mg/l, hohe Risiko-Scores oder der Nachweis von Nekrosen im CT eine nekrotisierende Pankreatitis mit der Gefahr von Organkomplikationen und Sepsis an, muss der Patient einer Intensivüberwachung und -therapie zugeführt werden. Die Intensivtherapie richtet sich nach den auftretenden Organkomplikationen (pulmonale Insuffizienz, Nierenversagen, Kreislaufversagen und Schock) sowie den metabolischen Störungen (Hyperglykämie, Hypokalzämie, metabolische Azidose). Bei der schweren Verlaufsform mit respiratorischer Insuffizienz ist eine frühzeitige Beatmung indiziert, wobei keine pankreatitisspezifischen Kriterien der Beatmung existieren und der primäre Beatmungsansatz nichtinvasiv gewählt werden sollte. Zur Prophylaxe gegen Thrombosen und eine disseminierte intravasale Gerinnung wird eine niedrig dosierte Gabe von Heparin (5000–10.000 IE/24 h) empfohlen (Rünzi et al. 2000), wobei keine Verlängerung der PTT erzielt werden soll.
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Infektion von Nekrosen Die bakterielle Infektion der primär sterilen Nekrosen stellt eine prognostisch entscheidende Verschlechterung bei der nekrotisierenden Pankreatitis dar. Eine Nekroseninfektion ist anzunehmen, wenn Fieber oder Organversagen in Verbindung mit einem Leukozyten- oder CRP-Anstieg auftreten und extrapankreatische Infektionen ausgeschlossen sind. In dieser Situation ist die gezielte Feinnadelaspiration der Nekrosen unter Ultraschalloder CT-Kontrolle zu erwägen, da infizierte Nekrosen einer resistenzgerechten antibiotischen Therapie und bei septischem Verlauf einer operativen Entfernung der Nekrosen mit anschließender Drainage der Bauchhöhle und evtl. Lavage bedürfen (Rünzi et al. 2005). Die häufigsten Erreger sind E. coli, Enterokokken, Enterobacter und Klebsiella spp. (Isenmann et al. 2004). Perkutane Drainagen sind in dieser Situation erfahrenen Zentren vorbehalten. Bei Nachweis von infizierten Pseudozysten und Abszessen kann primär interventionell oder chirurgisch therapiert werden. Nichtinfizierte Pseudozysten sollten nur dann therapiert werden, wenn lokale Symptome bestehen (Gallengangs- oder Duodenalobstruktion, wesentliche Größenzunahme, Blutung). Symptomatische Pseudozysten >6–10 cm können hierbei primär interventionell drainiert werden, da deren perkutane Katheterdrainage eine sichere und effektive Methode zur Dekompression darstellt. 40.2.5 Endoskopische Therapie Bei positiver Anamnese für ein Gallensteinleiden, dem Nachweis von Gallensteinen oder einem erweiterten Gangsystem im Ultraschall und einer initialen ALT-Erhöhung besteht der dringende Verdacht, dass die akute Pankreatitis durch einen Gallenstein ausgelöst sein könnte. Bei biliärer Pankreatitis mit obstruktivem Ikterus und/oder Cholangitis besteht die Indikation zur dringlichen ERC mit Papillotomie und Steinentfernung (<12–24 h; Fölsch et al. 1997; Fogel et al. 2003). Da die
Pankreatitis häufig auf einer Migration von Gallenblasensteinen in den Choledochus beruht, sollten alle Patienten mit noch vorhandener Gallenblase cholezystektomiert werden. Die Cholezystektomie kann bei Patienten mit leichter Pankreatitis früh (innerhalb einer Woche nach klinischer Erholung) vorgenommen werden (Fogel et al. 2003). Dagegen sollte die Operation bei Patienten mit schwerer nekrotisierender Pankreatitis frühestens 6 Wochen nach klinischer Konsolidierung durchgeführt werden (Nealon et al. 2004). Bleibt die Ätiologie unklar, sollte im freien Intervall (frühestens nach 8 Wochen) eine MRCP oder ERCP erfolgen, um eine biliäre Genese oder eine Ursache im Bereich der Papille oder der Pankreasgänge zu erkennen und einen Tumor auszuschließen. Alternativ zur perkutanen Katheterdrainage von Pseudozysten kann eine endosonographisch gesteuerte Zystenterostomie mit einer Pigtail-Prothese für 3–6 Wochen durchgeführt werden (Cortes et al. 2002). Cave Bei der endosonographisch gesteuerten Zystenterostomie besteht – abhängig von der Erfahrung des Untersuchers – eine erhebliche Blutungs- und Infektionsgefahr. Die enterale Drainage einer flüssigen Nekroseansammlung ist ebenfalls riskant, da Prothesen <10 Fr rasch verstopfen und zu einer sekundären Infektion führen können.
40.2.6 Nachsorge und Prognose Die Basistherapie sollte bis zu einer deutlichen Besserung des Patienten (Schmerzfreiheit, Normalisierung der Körpertemperatur und des Abdominalbefundes) erfolgen. Die Wiederaufnahme der oralen Ernährung ist unabhängig von einem noch nachweisbaren Enzymanstieg. Entscheidend ist, dass der Patient zu Beginn der Nahrungsaufnahme beschwerdefrei ist. Die serös-ödematöse Pankreatitis heilt in der Regel folgenlos ab und hinterlässt eine normale exokrine und endokrine Pankreasfunktion. Die Letalität ist mit 1% gering. Zur Rezidivprophylaxe ist die Klärung der Ätiologie entscheidend. Dies gilt insbesondere für den Alkoholkonsum, für Medikamente bei der seltenen medikamentös induzierten Pankreatitis und beim Nachweis von Gallensteinen. Bei der nekrotisierenden Pankreatitis ist in 50% der Fälle mit einer Defektheilung zu rechnen. Hierbei kann es zu Diabetes mellitus, exokriner Insuffizienz und Einschränkungen anderer Organsysteme kommen, z. B. zu einer Milzvenenthrombose. Eine Pankreasfunktionsdiagnostik ist 3 Monate nach Abklingen der akuten Pankreatitis sinnvoll, da dann von einer Normalisierung ausgegangen werden kann. Bei persistierender exokriner Pankreasinsuffizienz ist mit einem Übergang in eine chronische Pankreatitis zu rechnen. Die Letalität der akuten Pankreasnekrose beträgt 10–20%. Die Prognose ist vor allem von der Ausdehnung der Nekrosen und bakteriellen Superinfektionen abhängig.
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Literatur Cortes ES, Maalak A, Le Moine O, Baize M, Delhaye M, Matos C, Devière J (2002) Endoscopic cystenterostomy of nonbulging pancreatic fluid collections. Gastrointest Endosc 56:380–386 Fölsch UR, Nitsche R, Lüdtke R, Hilgers RA, Creutzfeldt W, German Study Group on Acute Biliary Pancreatitis (1997) Early ERCP and papillotomy compared with conservative treatment for acute biliary pancreatitis. N Engl J Med 336:237–242 Fogel EL, Sherman S (2003) Acute biliary pancreatitis: when should the endoscopist intervene? Gastroenterology 125:229–235 Isenmann R, Runzi M, Kron M, Kahl S, Kraus D, Jung N, Maier L, Malfertheiner P, Goebell H, Beger HG; German Antibiotics in Severe Acute Pancreatitis Study Group (2004) Prophylactic antibiotic treatment in patients with predicted severe acute pancreatitis: a placebo-controlled, double-blind trial. Gastroenterology 126:997–1004 Jakobs R, Adamek MU, von Bubnoff AC, Riemann JF (2000) Buprenorphine or procaine for pain relief in acute pancreatitis. A prospective randomized study. Scand J Gastroenterol 35:1319–1323 Kahl S, Zimmermann S, Pross M, Schulz HU, Schmidt U, Malfertheiner P (2004) Procaine hydrochloride fails to relieve pain in patients with acute pancreatitis. Digestion 69:5–9 Marik PE, Zaloga GP (2005) Meta-analysis of parenteral nutrition versus enteral nutrition in patients with acute pancreatitis. BMJ 328:1407– 1410 Meier R, Beglinger C, Layer P, Gullo L, Keim V, Laugier R, Friess H, Schweitzer M, Macfie J; European Society of Parenteral and Enteral Nutrition Consensus Group (2002) ESPEN guidelines on nutrition in acute pancreatitis. Clin Nutr 21:173–183 Mitchell RM, Byrne MF, Baillie J (2003) Pancreatitis. Lancet 361:1447– 1455 Müller CA, Uhl W, Printzen G, Gloor B, Bischofberger H, Tcholakov O, Büchler MW (2000) Role of procalcitonin and granulocyte colony stimulating factor in the early prediction of infected necrosis in severe acute pancreatitis. Gut 46:233–238 Nealon WH, Bawduniak J, Walser EM (2004) Appropriate timing of cholecystectomy in patients who present with moderate to severe gallstone-associated acute pancreatitis with peripancreatic fluid collections. Ann Surg 239:741–749 Nordback I, Sand J, Saaristo R, Paajanen H (2001) Early treatment with antibiotics reduces the need for surgery in acute necrotizing pancreatitis – a single-center randomized study. J Gastrointest Surg 5:113– 118 Rünzi M, Layer P, Büchler MW, Beger HG, Ell C, Fölsch UR, Goebell H, Hopt UT, Lankisch PG, Schmidt WE, Schmiegel W, Schölmerich J für die Konsensuskonferenz (2000) Therapie der akuten Pankreatitis. Z Gastroenterol 38:571–581 Rünzi M, Niebel W, Gorbell H, Gerken G, Layer P (2005) Severe acute pancreatitis: nonsurgical treatment of infected necroses. Pancreas 30:195–199 Villatoro E, Larvin M, Bassi C (2005) Antibiotic therapy for prophylaxis against infection of pancreatic necrosis in acute pancreatitis. Cochrane Database Syst Rev 3:CD002941 Wagner S, Lübbers H, Mahlke R, Müller CH, Lankisch PG (2003) Akute Pankreatitis. Internist 44:557–569
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Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis C. Krones, R. Kasperk
) ) Epidemiologisch zeigt die akute Pankreatitis in westlichen Industrieländern eine konsequent steigende Inzidenz. Bei mehrheitlich gutartigem Verlauf ist der Anteil von Patienten mit akuter Pankreatitis im chirurgischen Krankengut jedoch deutlich geringer. Ein verbessertes pathophysiologisches Verständnis der Erkrankung, technische Fortschritte in Bildgebung und Intervention sowie insbesondere das moderne, interdisziplinäre intensivmedizinische Management der lebensbedrohlichen Organkomplikationen haben die Erfolgsrate der konservativen Therapie erheblich gesteigert. So hängt die Prognose des Patienten heute vornehmlich von der Entwicklung eines multiplen Organversagens (MORV) als Folge einer systemischen Entzündungsantwort (SIRS) und dem Auftreten von Sekundärinfektionen ab. Die Chirurgie der akuten Pankreatitis konzentriert sich neben den im Akutverlauf selteneren Komplikationen nicht-drainierbarer, subakuter Pseudozysten, Hohlorganperforationen oder Hämorrhagien auf die infizierte Nekrose und Abszessbildung. Ziel der operativen Therapie ist dabei die Ausräumung des Infektherds, während die Therapie der sonstigen Organkomplikationen eine intensivmedizinische Herausforderung bleibt. Den größten Anspruch an die Chirurgie stellt dabei die Indikationsstellung, welche die wenigen aber dann dringenden Operationsfälle erkennen muss.
40.3.1 Grundlagen Chirurgische Epidemiologie Die Inzidenz der akuten Pankreatitis liegt in neueren Publikationen in westlichen Industrieländern zwischen 10–80/100.000 Einwohnern (Toouli et al. 2002). Diese erhebliche Variationsbreite erklärt sich nicht allein durch unterschiedliche Populationen und Lebensgewohnheiten, sondern weist auch auf diskrepante Datenerhebungen hin. Die Inzidenz bei Männern liegt um 10– 30% über der von Frauen. Zudem nimmt im Vergleich zu Zahlen aus den 70er- und 80er-Jahren die Zahl der Neuerkrankungen beständig zu. Neben steigendem Alkoholkonsum ist diese Tendenz auch Ausdruck einer verbesserten Diagnostik. Dagegen wird die Mortalitätsrate allgemein mit 1/100.000 Einwohner angegeben (Secknuss u. Mössner 2000; Toouli et al. 2002) und zeigt damit deutlich geringere regionale Unterschiede.
In der milden Verlaufsform der akuten Pankreatitis besitzt die Pankreaschirurgie keine Indikation. In ca. 10-20% aller Fälle nimmt die Erkrankung einen lebensbedrohlichen Verlauf mit Nekrosen an Organ und Umgebung. Dann liegt die Letalität bei ca. 20% und eine operative oder transkutane Intervention ist indiziert.
Pathogenese der akuten Pankreatitis Obstruierende Gallensteine sind mit 30–60% weiterhin Hauptverursacher der akuten Pankreatitis. Hierbei kann es sich auch
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Literatur Cortes ES, Maalak A, Le Moine O, Baize M, Delhaye M, Matos C, Devière J (2002) Endoscopic cystenterostomy of nonbulging pancreatic fluid collections. Gastrointest Endosc 56:380–386 Fölsch UR, Nitsche R, Lüdtke R, Hilgers RA, Creutzfeldt W, German Study Group on Acute Biliary Pancreatitis (1997) Early ERCP and papillotomy compared with conservative treatment for acute biliary pancreatitis. N Engl J Med 336:237–242 Fogel EL, Sherman S (2003) Acute biliary pancreatitis: when should the endoscopist intervene? Gastroenterology 125:229–235 Isenmann R, Runzi M, Kron M, Kahl S, Kraus D, Jung N, Maier L, Malfertheiner P, Goebell H, Beger HG; German Antibiotics in Severe Acute Pancreatitis Study Group (2004) Prophylactic antibiotic treatment in patients with predicted severe acute pancreatitis: a placebo-controlled, double-blind trial. Gastroenterology 126:997–1004 Jakobs R, Adamek MU, von Bubnoff AC, Riemann JF (2000) Buprenorphine or procaine for pain relief in acute pancreatitis. A prospective randomized study. Scand J Gastroenterol 35:1319–1323 Kahl S, Zimmermann S, Pross M, Schulz HU, Schmidt U, Malfertheiner P (2004) Procaine hydrochloride fails to relieve pain in patients with acute pancreatitis. Digestion 69:5–9 Marik PE, Zaloga GP (2005) Meta-analysis of parenteral nutrition versus enteral nutrition in patients with acute pancreatitis. BMJ 328:1407– 1410 Meier R, Beglinger C, Layer P, Gullo L, Keim V, Laugier R, Friess H, Schweitzer M, Macfie J; European Society of Parenteral and Enteral Nutrition Consensus Group (2002) ESPEN guidelines on nutrition in acute pancreatitis. Clin Nutr 21:173–183 Mitchell RM, Byrne MF, Baillie J (2003) Pancreatitis. Lancet 361:1447– 1455 Müller CA, Uhl W, Printzen G, Gloor B, Bischofberger H, Tcholakov O, Büchler MW (2000) Role of procalcitonin and granulocyte colony stimulating factor in the early prediction of infected necrosis in severe acute pancreatitis. Gut 46:233–238 Nealon WH, Bawduniak J, Walser EM (2004) Appropriate timing of cholecystectomy in patients who present with moderate to severe gallstone-associated acute pancreatitis with peripancreatic fluid collections. Ann Surg 239:741–749 Nordback I, Sand J, Saaristo R, Paajanen H (2001) Early treatment with antibiotics reduces the need for surgery in acute necrotizing pancreatitis – a single-center randomized study. J Gastrointest Surg 5:113– 118 Rünzi M, Layer P, Büchler MW, Beger HG, Ell C, Fölsch UR, Goebell H, Hopt UT, Lankisch PG, Schmidt WE, Schmiegel W, Schölmerich J für die Konsensuskonferenz (2000) Therapie der akuten Pankreatitis. Z Gastroenterol 38:571–581 Rünzi M, Niebel W, Gorbell H, Gerken G, Layer P (2005) Severe acute pancreatitis: nonsurgical treatment of infected necroses. Pancreas 30:195–199 Villatoro E, Larvin M, Bassi C (2005) Antibiotic therapy for prophylaxis against infection of pancreatic necrosis in acute pancreatitis. Cochrane Database Syst Rev 3:CD002941 Wagner S, Lübbers H, Mahlke R, Müller CH, Lankisch PG (2003) Akute Pankreatitis. Internist 44:557–569
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Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis C. Krones, R. Kasperk
) ) Epidemiologisch zeigt die akute Pankreatitis in westlichen Industrieländern eine konsequent steigende Inzidenz. Bei mehrheitlich gutartigem Verlauf ist der Anteil von Patienten mit akuter Pankreatitis im chirurgischen Krankengut jedoch deutlich geringer. Ein verbessertes pathophysiologisches Verständnis der Erkrankung, technische Fortschritte in Bildgebung und Intervention sowie insbesondere das moderne, interdisziplinäre intensivmedizinische Management der lebensbedrohlichen Organkomplikationen haben die Erfolgsrate der konservativen Therapie erheblich gesteigert. So hängt die Prognose des Patienten heute vornehmlich von der Entwicklung eines multiplen Organversagens (MORV) als Folge einer systemischen Entzündungsantwort (SIRS) und dem Auftreten von Sekundärinfektionen ab. Die Chirurgie der akuten Pankreatitis konzentriert sich neben den im Akutverlauf selteneren Komplikationen nicht-drainierbarer, subakuter Pseudozysten, Hohlorganperforationen oder Hämorrhagien auf die infizierte Nekrose und Abszessbildung. Ziel der operativen Therapie ist dabei die Ausräumung des Infektherds, während die Therapie der sonstigen Organkomplikationen eine intensivmedizinische Herausforderung bleibt. Den größten Anspruch an die Chirurgie stellt dabei die Indikationsstellung, welche die wenigen aber dann dringenden Operationsfälle erkennen muss.
40.3.1 Grundlagen Chirurgische Epidemiologie Die Inzidenz der akuten Pankreatitis liegt in neueren Publikationen in westlichen Industrieländern zwischen 10–80/100.000 Einwohnern (Toouli et al. 2002). Diese erhebliche Variationsbreite erklärt sich nicht allein durch unterschiedliche Populationen und Lebensgewohnheiten, sondern weist auch auf diskrepante Datenerhebungen hin. Die Inzidenz bei Männern liegt um 10– 30% über der von Frauen. Zudem nimmt im Vergleich zu Zahlen aus den 70er- und 80er-Jahren die Zahl der Neuerkrankungen beständig zu. Neben steigendem Alkoholkonsum ist diese Tendenz auch Ausdruck einer verbesserten Diagnostik. Dagegen wird die Mortalitätsrate allgemein mit 1/100.000 Einwohner angegeben (Secknuss u. Mössner 2000; Toouli et al. 2002) und zeigt damit deutlich geringere regionale Unterschiede.
In der milden Verlaufsform der akuten Pankreatitis besitzt die Pankreaschirurgie keine Indikation. In ca. 10-20% aller Fälle nimmt die Erkrankung einen lebensbedrohlichen Verlauf mit Nekrosen an Organ und Umgebung. Dann liegt die Letalität bei ca. 20% und eine operative oder transkutane Intervention ist indiziert.
Pathogenese der akuten Pankreatitis Obstruierende Gallensteine sind mit 30–60% weiterhin Hauptverursacher der akuten Pankreatitis. Hierbei kann es sich auch
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Kapitel 40 · Pankreas
um Mikrolithen handeln, die der herkömmlichen Diagnostik entgehen und häufig die Genese einer falsch angenommenen idiopathischen Pankreatitis darstellen (Tandon u. Topazian 2001). Alkohol bleibt mit ca. der 30% zweithäufigste Ursache der Erkrankung, wobei die Pathogenese hier jedoch nicht endgültig geklärt ist (Wullstein u. Bechstein 2004). Nur in ca. 10% der Fälle kann auch die moderne Diagnostik die Entstehung der Erkrankung nicht erklären, sodass tatsächlich eine idiopathische Form vorliegt. Ätiologie der akuten Pankreatitis 5 Häufig – Gallensteine – Alkohol – Idiopathisch – Hyperlipidämie – Hyperkalzämie – Sphinkterdysfunktion – Medikamente/Toxine – Zustand nach ERCP – Trauma – Postoperativ 5 Ungewöhnlich – Pancreas divisum – Periampulläres Karzinom – Pankreaskarzinom – Periampulläres Divertikel – Vaskulitis 5 Selten – Infektion – Autoimmun – α1-Antitrypsinmangel
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Klassifikation Zur Vereinheitlichung der internationalen Terminologie wurde 1993 die Atlanta-Klassifikation herausgegeben (Bradley 1993). Sie umfasst den Gesamteindruck aus Klinik, Laborkonstellation, lokalen Komplikationen und Organversagen und integriert eine Multi-Score-Analyse (Apache II, Ranson). Eine exakte Definition der schweren Verlaufsform lässt sich jedoch nicht treffen. Zudem sind nicht alle Kriterien alltagstauglich (7 Kap. 40.2; Rünzi et al. 2000). Prognostische Faktoren Neben der intensivmedizinischen Therapie der schweren Verlaufsform hängt die Gesamtprognose der akuten Pankreatitis wie auch bei der chronischen Form von der weiteren Lebensführung ab. Entscheidend ist dabei der Alkoholkonsum. Während allgemein ein 2. Schub der Erkrankung in ca. 28% eintritt, liegt die Rückfallquote bei alkoholischer Genese der Erkrankung bei ca. 48% (Appelros u. Borgstrom 1999). 40.3.2 Klinische Symptomatologie Kardinalsymptom der akuten Pankreatitis ist der abdominelle Dauerschmerz, der in der Regel akut im Epigastrium einsetzt. Die Schmerzintensität variiert dabei stark und korreliert zumeist nicht mit dem eher harmlosen abdominellen Palpationsbefund.
Erst die Organkomplikation erzeugt einen Peritonismus. Aufgrund der retroperitonealen Organlage zielen typische Ausstrahlungen Richtung Rücken, Schulter und Flanke. Schmerzfreie Verlaufsformen sind insbesondere für Patienten in der Peritonealdialyse und nach Nierentransplantation beschrieben. Ein wichtiges Zeichen der Erkrankung ist Fieber. Die meisten Patienten entwickeln initial als Ausdruck der Hyperinflammation Temperaturen um 39°C.
Ab der 2. Woche der Erkrankung weisen septische Temperaturen dagegen häufig auf infizierte Organnekrosen, die chirurgisch therapiert werden müssen (Garg et al. 2001). Im Fall der fieberhaften Cholangitis ist die zügige Gallengangsdekompression indiziert.
Neben Übelkeit, Erbrechen und reflektorischer Darmparalyse betreffen weitere Symptome vor allen Dingen die systemische Entzündungsantwort. Dazu gehören neben der pulmonalen Dysfunktion, Tachykardie, Hypotension, Oligurie und Elektrolytentgleisungen. Das klinische Erscheinungsbild der akuten Pankreatitis reicht dabei von geringer Beeinträchtigung bis zum Schock. 40.3.3 Diagnostik Neben Anamnese und Klinik stellt sich die Diagnose der akuten Pankreatitis durch eine deutliche Erhöhung von P-Amylase und Lipase im Serum. Dabei werden jeweils Sensitivitäten und Spezifitäten über 90% erreicht, aber Enzymerhöhungen fehlen in 10–30% und korrelieren nicht mit der Erkrankungsschwere (Mitchell et al. 2003). Zusätzlich muss der unterschiedliche Zeitverlauf der Enzymerhöhungen berücksichtigt werden.
Schon zum Zeitpunkt der Erstdiagnose muss die biliäre Pankreatitis wegen der therapeutischen Konsequenzen erkannt werden.
Dies gelingt in der Regel durch Bestimmung der Cholestaseparameter und angepasste Bildgebung. Zur Beurteilung von Schwere und Verlauf der Erkrankung hat sich neben dem C-reaktiven Protein bisher kein Einzelparameter klinisch etablieren können. Die Bedeutung des Prokalzitonin ist nicht endgültig geklärt (Werner et al. 2003). In der Bildgebung ist die kontrastmittelverstärkte Computertomographie (KM-CT) der Sonographie insbesondere bei der Identifikation und Verlaufsbeurteilung von Nekrosen überlegen (Yousaf et al. 2003). Kapilläre Minderperfusion kann in der KMCT allerdings auch Nekrosen vortäuschen (Rünzi et al. 2000).
Die Sonographie ist obligater Bestandteil der Primärdiagnostik, um zeitnah einen Gallengangsstau zu erkennen.
Durch die häufig vorliegende Paralyse kann das Pankreas aber in bis zu 50% der Fälle nicht ausreichend beurteilt werden (Yousaf 2003).
693 40.3 · Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis
Der Stellenwert von Kernspintomographie (MRT) und Magnetresonanzcholangiopankreatikographie (MRCP) in der akuten Pankreatitis ist noch unklar. Die MRT bietet Vorteile im Nierenversagen, die Organbeurteilung entspricht der KM-CT. Verfügbarkeit, Untersuchungsdauer und Kosten sind entscheidende Nachteile beider Verfahren. Die endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) wird in der Akutphase der Pankreatitis vornehmlich therapeutisch zur Steinextraktion eingesetzt. Nach Abklingen der Beschwerden dient sie bei unklarer Genese der Erkrankung im freien Intervall zur Abklärung der Gangverhältnisse (Wullstein u. Bechstein 2004). 40.3.4 Therapieziele und Indikationsstellung Fortschritte in der Intensivmedizin haben in den letzten 2 Jahrzehnten zu einem grundlegenden Therapiewandel geführt. So wird die akute Pankreatitis heute weit überwiegend konservativ behandelt. Die chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis ist dagegen in den Hintergrund getreten, besitzt aber noch feste Einsatzbereiche. Ziele der chirurgischen Therapie sind dabei: 4 Ausräumung von infizierten Nekrosen und/oder Abszessen 4 Gallengangssanierung 4 Behandlung von Komplikationen an Umgebungsorganen 4 Cholezystektomie im Intervall Bei 40–70% der Pankreasnekrosen treten Infektionen auf (Uhl et al. 2002). Die dann indizierte operative Ausräumung (Evidenzgrad III) dient der Sanierung des septischen Herdes und nicht der Behandlung der Grunderkrankung. Die Indikation ergibt sich aus Klinik (Anstieg von Fieber, Infektparametern und Schmerzen sowie Organversagen), Bildgebung und mikrobiologischem Nachweis von Keimen im Feinnadelaspirat. Weichensteller ist dabei die CT-Diagnostik, die bei begründetem Verdacht die Punktion beinhaltet. Gasansammlungen in der KM-CT beweisen die Infektion allein. Wegen der deutlich geringeren Morbidität sollte der CT- oder US-gesteuerten Drainage zur Entlastung von Abszessen gegenüber der Laparotomie Vorrang gegeben werden.
Erst die transkutan nicht drainierbare, infizierte Nekrose oder Abszedierung rechtfertigt den operativen Eingriff.
Peripankreatische Flüssigkeitsansammlungen und asymptomatische subakute Pseuodozysten benötigen ohne Infektnachweis primär keine Intervention (Toouli et al. 2002). Sie sind Ausdruck der Grunderkrankung und bilden sich häufig spontan zurück (Evidenzgrad III). Die Sanierung einer biliären Obstruktion ist obligat und heutzutage Domäne der ERCP. Bei Verdacht auf eine Cholangitis sollte diese in weniger als 24 h erfolgen, bei alleiniger Obstruktion reicht die Durchführung innerhalb der ersten 3 Erkrankungstage (Rünzi et al. 2000). Die ERCP sollte dabei nach Möglichkeit die endoskopische Papillotomie beinhalten, da hierdurch das Risiko einer frühzeitigen erneuten Steineinklemmung deutlich gesenkt wird (Evidenzgrad II; Toouli et al. 2002).
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Eine operative Gangsanierung ist erst indiziert, wenn die ERCP versagt. Wegen der deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität sollte diese jedoch nicht in den ersten 48 h nach Erkrankungsbeginn durchgeführt werden (Uhl et al. 2002).
Zu den seltenen, aber typischen Komplikationen an peripankreatischen Organen gehören neben der gastrointestinalen Perforation insbesondere Gefäßarrosionen mit Blutungskomplikation. Beide Veränderungen entsprechen einer Notfallsituation, die in der Regel nur operativ beherrscht werden kann. Bei Hohlorganperforationen ist am häufigsten das Kolon betroffen. Hämorrhagien entstehen neben entzündlichen Arrosionen insbesondere durch inflammatorische Aneurysmen der Milzarterie. Auch das Risiko für peptische Ulzera und bei Alkoholabusus Ösophagusvarizen ist erhöht. Milz- oder Portalvenenthrombosen stellen in der Regel keine Operationsindikation dar (Evidenzgrad III; Toouli et al. 2002). Da in bis zu 50–60% der Fälle mit biliärer Pankreatitis ein 2. Schub eintritt, steht hier die Indikation zur Cholezystektomie im Intervall. Diese kann sowohl laparoskopisch als auch konventionell durchgeführt werden und sollte sich ohne adäquate Papillotomie noch vor Entlassung des Patienten anschließen (Evidenzgrad III). Nach erfolgreicher Papillotomie ist ein weiteres Aufschieben der Cholezystektomie für 2–4 Wochen möglich, allerdings tritt dann in bis zu 10% der Fälle eine Cholezystitis auf (Toouli et al. 2002). 40.3.5 Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl
und Operationstechnik Bei der Ausräumung von Nekrosen und Infektherden sollte sich der operative Zugang nach der Lokalisation der Nekrosestraßen richten.
Eine gute Bildgebung ist obligate präoperative Voraussetzung der Nekrosektomie.
Traditionell steht neben der medianen Laparotomie die quere Oberbauchlaparotomie zur Verfügung. Die eigentliche Nekrosektomie erfolgt dann möglichst organerhaltend, indem nur die wirklich nekrotischen Gewebsanteile digitoklastisch oder unter vorsichtiger Instrumentenführung entfernt werden. Bei beeinträchtigter Vitalität des Colon transversum wird im Zweifel frühzeitig zur erweiterten Hemikolektomie rechts mit protektiver Stomaanlage geraten (Toouli et al. 2002). Strategisch platzierte Drainagen beenden den Eingriff, dem sich eine geschlossene Spülbehandlung (1–2 l/Tag) anschließen kann. Die Dauer der Spülbehandlung ist dabei individuell festzulegen, Elektrolytverschiebungen durch die Spülflüssigkeit sind zu beachten. Alternativ kann zur Vermeidung eines abdominellen Kompartments die Anlage eines Laparostomas notwendig sein. Die Etappenlavage ersetzt dann bis zum endgültigen Bauchdeckenverschluss die Spülbehandlung. Der endgültige Bauchdeckenverschluss sollte nur spannungsfrei erfolgen. Andernfalls ist die Granulation abzuwarten und die daraus resultierende Bauchwandhernie im In-
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Kapitel 40 · Pankreas
tervall zu verschließen. Vergleichende Untersuchungen zu den Operationstechniken liegen bisher nicht vor. Arterielle Blutungen z. B. aus der Milzarterie erfordern die chirurgische Blutstillung und in der Regel die Splenektomie. Venöse oder Sickerblutungen können ein Packing des Oberbauchs erforderlich machen. Hier sollte nichtadhärentes Material bevorzugt werden. Die Revision muss danach innerhalb von 48 h durchgeführt werden. Auch ein wiederholtes Packing bis zum Erreichen ausreichender Granulationsverhältnisse kann einem verzweifelten Versuch der Blutstillung überlegen sein. Intervallcholezystektomie und Gangsanierung werden in üblicher Technik vorgenommen. Dabei empfiehlt sich bei der frühen Gangsanierung zur besseren Beurteilung des Pankreas die konventionelle Technik mit zeitgleicher Cholezystektomie, während die Cholezystektomie im Intervall auch laparoskopisch durchführbar ist. 40.3.6 Nachsorge Neben Spülbehandlung und Etappenlavage wird die postoperative Behandlung durch die intensivmedizinische Therapie der Sekundärkomplikationen als Folge von Sepsis, systemischer Inflammation (SIRS) und Multiorganversagen (MOV) bestimmt. Patienten mit einer schweren Pankreatitis benötigen dabei vielfach unterschiedliche Therapien zum temporären Organersatz, was die Verlegung in spezialisierte Zentren notwendig machen kann. Die Dauer der Spülbehandlung und die Frequenz der Etappenlavage sind wie der Zeitpunkt des endgültigen Bauchdeckenverschlusses individuell zu entscheiden. Gleiches gilt für die Entfernung von Drainagen, wobei bei langer Liegedauer Arrosionsschäden möglich sind. 40.3.7 Komplikationen und Ergebnisse
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Intraoperative Komplikationen betreffen vor allem schwer beherrschbare, diffuse Blutungen. Ein Débridement muss deshalb mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden. Formale Organresektionen des Pankreas sind obsolet (Rünzi et al. 2000; Uhl et al. 2002).
Generelle Prinzipien der chirurgischen Therapie sind neben der organerhaltenden Nekrosektomie die Minimalisierung intraoperativer Haemorrhagien und die Maximalisierung des postoperativen Spüleffekts.
Bei Vorliegen infizierter Pankreasnekrosen erreicht die Mortalität in Verbindung mit einem Multiorganversagen unter rein konservativer Therapie fast 100% (Uhl et al. 2002). Dagegen liegt die Letalitätsrate der chirurgischen Therapie infizierter Pankreasnekrosen in spezialisierten Zentren zwischen 10% und 30% (Büchler et al. 2000; Fernandez-del Castillo 1998). Neben handwerklichem Geschick bleibt das »Timing« der Operation dabei entscheidend. Frühe chirurgische Interventionen in der ersten 2 Wochen erreichen Mortalitätsraten bis zu 65% und stellen den Benefit solcher Maßnahmen außerhalb von Notfällen in Frage. Dagegen nimmt die perioperative Kompli-
kationsrate in der 3. bis 4. Erkrankungswoche deutlich ab (Uhl et al. 2002). 40.3.8 Ausblick Durch Fortschritte in Pathophysiologie und interdisziplinärer Intensivmedizin ist die Therapie der akuten Pankreatitis vornehmlich konservativ ausgelegt. Zurzeit liegt der Einsatzbereich der Chirurgie neben Gangsanierung, Cholezystektomie und Therapie von Komplikationen der umgebenden Organe in der Ausräumung und Drainage infizierter Nekrosen. Bei der Nekrosektomie stehen das offene Débridement mit mit geschlossener kontinuierlicher Lavage, das Débridement mit Laparostoma und/ oder Drainage und/oder Etappenlavage und das Débridement mit Packing und geplanter Etappenlavage zur Verfügung. Vergleichende Untersuchungen zu den Operationsverfahren liegen bisher nicht vor. Erste Studien (Evidenzgrad III) berichten auch für die begrenzte Nekroseinfektion eine erfolgreiche konservative interventionelle Therapie (Baron u. Morgan 1999), die weitere klinisch Evaluation bleibt jedoch abzuwarten. Das Management der sterilen Nekrose ist primär eine Domäne der konservativen Medizin (Evidenzgrad III). Für einen Benefit der vereinzelt nach frustraner Maximaltherapie auch ohne Infektnachweis durchgeführten Nekrosektomie findet sich bisher keine Evidenz.
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695 40.4 · Pseudozysten des Pankreas
40.4
Pseudozysten des Pankreas M. Schäfer, P.-A. Clavien
) ) Unter den zystischen Pankreasläsionen stellen Pankreaspseudozysten die weitaus häufigste Entität dar. Ihre Entstehung beruht auf akuten und/oder chronisch entzündlichen Veränderungen des Pankreas und des peripankreatischen Gewebes (Klöppel 2000). Differenzialdiagnostisch müssen Pankreaspseudozysten von echten zystischen Neoplasien des Pankreas unterschieden werden, welche in den vergangenen Jahren an klinischer Wichtigkeit gewonnen haben (Sarr et al. 2003; Brugge et al. 2004). Die klinischen Symptome sind meistens unspezifisch und werden hauptsächlich durch die Lokalisation der Pseudozysten bestimmt. Computertomographie und Endosonographie ermöglichen eine präzise Darstellung der Pseudozysten und benachbarten anatomischen Strukturen. Moderne bildgebende Verfahren können zudem wichtige Hinweise bezüglich Ätiologie und Dignität von zystischen Pankreasläsionen geben. Mit der Entwicklung von verbesserten radiologischen und endoskopischen Techniken stehen für selektionierte Patienten interventionelle Alternativverfahren zu den chirurgischen Therapieoptionen zur Verfügung, welche den bisherigen therapeutischen Goldstandard darstellen. Chirurgische Interventionen werden in der Regel offen durchgeführt, während laparoskopische Verfahren bisher keinen klinisch relevanten Stellenwert erlangt haben.
40.4.1 Grundlagen Definition Eine Pankreaspseudozyste wird als lokalisierte Flüssigkeitsansammlung definiert, die sich intrapankreatisch oder extrapankreatisch befindet und als Folge einer akuten oder chronischen Pankreatitis entstanden ist. Im Gegensatz zu echten Pankreaszysten besitzen Pseudozysten keine Epithelauskleidung, sondern sind von einer Wand aus entzündlichem, fibrotisch verändertem Gewebe umgeben. Die Ausbildung der Pseudokapsel benötigt mehrere Wochen. Die am häufigsten verwendete Atlanta-Klassifikation unterscheidet deshalb zwischen peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen, Pseudozysten und pankreatischen Abszessen (Bradley 1993). Epidemiologie Genaue Angaben über die Inzidenz von Pankreaspseudozysten sind nur eingeschränkt möglich. Bei akuten Pankreatitiden finden sich bei 30–60% der Patienten peripankreatische Flüssigkeitsansammlungen, die im Verlauf teilweise bis vollständig resorbiert werden (Bumpers u. Bradley 1998). Nach 6 Wochen bestehen nur noch bei 5–15% der Patienten nachweisbare Flüssigkeitskollektionen, die die Kriterien von Pseudozysten erfüllen (Sandberg u. Dervenis 2004). Bei chronischer Pankreatitis wird eine Inzidenz von 20–40% für Pankreaspseudozysten angegeben (Sandberg u. Dervenis 2004). Da jedoch Mikrozysten zum histomorphologischen Bild der chronischen Pankreatitis gehören, stellt sich letztlich die Frage, ab welcher Größe von »echten« Pseudozysten gesprochen werden kann.
40
Pathogenese In den industrialisierten Ländern ist das Auftreten von Pankreaspseudozysten in über 70% der Fälle mit einer alkoholinduzierten Pankreatitis assoziiert (Pitchumoni 1999; Usatoff 2000). Dabei können Pseudozysten als Folge von akuten und chronischen Pankreatitiden auftreten. Weitere Ursachen sind die biliäre Pankreatitis, postinterventionelle Pankreatitis nach ERCP und Abdominaltraumen (Sandberg u. Dervenis 2004). Pseudozysten bei akuter Pankreatitis sind das Endprodukt von pankreatischen und/oder peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen. Diese können entweder als Folge von Pankreasgangrupturen oder Transudation aus dem entzündeten Pankreasgewebe entstehen. Nach teilweiser Resorption der Flüssigkeit bildet sich eine fibröse Kapsel von unterschiedlicher Dicke aus. Diese Pseudozysten sind am häufigsten in der Bursa omentalis lokalisiert, die ein praktisch vollständig geschlossenes Kompartiment bildet. Eine Kommunikation zwischen Pseudozyste und Pankreasgang kann nicht immer nachgewiesen werden, obwohl initial eine solche Verbindung wahrscheinlich immer besteht (Sandberg u. Dervenis 2004). Bei chronischer Pankreatitis sind 2 verschiedene pathogenetische Mechanismen beschrieben, die zur Pseudozystenbildung führen können. Die Obstruktion von Seitenästen des Pankreasganges durch Konkremente, Proteinpräzipitate oder nekrotisches Epithel induziert eine prästenotische Dilatation des entsprechenden Seitenastes. Die Ruptur einer solchen intrapankreatischen Gangdilatation mit Arrosion der Pankreaskapsel führt zur peripankreatischen Flüssigkeitskollektion und Pseudozystenbildung (Traverso u. Kozarek 1999). Akute Entzündungsschübe bei vorbestehender chronischer Pankreatitis (»acute-on-chronic pancreatitis«) verursachen segmentale Parenchymnekrosen mit Ausbildung von Pseudozysten. Pseudozysten aufgrund einer chronischen Pankreatitis zeigen keine bevorzugte Lokalisation. Postraumatische Pseudozysten, die typischerweise als Folge von stumpfen Abdominaltraumen entstehen, werden durch eine Ruptur des Pankreasgangsystems und/oder Parenchymverletzung (»Pankreasfraktur«) verursacht (Shan et al. 2002). Die meisten Pankreaspseudozysten bei Kindern sind die Folge von stumpfen Abdominaltraumen, beispielsweise nach Fahrradsturz (Canty u. Weinmann 2001). Klassifikation Es gibt bisher keine einheitliche und generell akzeptierte Klassifikation von Pankreaspseudozysten. Grundsätzlich können diese aufgrund verschiedener Kriterien eingeteilt werden: 4 Art der Grunderkrankung, im Wesentlichen akute bzw. chronische Pankreatitis (Sarles’ classification, D’Egidio and Schein’s classification, Atlanta classification; Sarles et al. 1961; D’Egidio u. Schein 1991; Bradley 1993) 4 Ausmaß der Nekrosebildung (Neoptolemos et al. 1993) 4 Pathologische Veränderungen des Ductus pancreaticus (Nealon et al. 2002) 4 Lokalisation der Flüssigkeitskollektion (Atlanta classification; Bradley 1993) 4 Art der Therapie (konservativ, interventionell oder chirurgisch) Stellvertretend für die Vielzahl von parallel existierenden Klassifikationen ist nachfolgend nur die Atlanta-Klassifikation dargestellt, die die Unterscheidung von peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen, Pseudozysten und pankreatischen Abszessen
696
Kapitel 40 · Pankreas
ermöglicht (Bradley 1993). Die Begriffe »akut« und chronisch« werden zur Beschreibung der Genese der Pseudozysten verwendet. Dies ist teilweise verwirrend, da die gleichen Begriffe auch benutzt werden, um den zeitlichen Ablauf der Entstehung von Pseudozysten zu beschreiben. 4 Akute Flüssigkeitskollektionen entstehen aufgrund einer akuten Pankreatitis und sind peripankreatisch lokalisiert. Eine umgebende Kapsel aus Granulations- und/oder Bindegewebe fehlt. 4 Akute Pseudozysten entstehen als Folge einer akuten Pankreatitis oder eines Pankreastraumas und benötigen zur vollständigen Ausbildung mehrere Wochen. Die stark amylasehaltige Flüssigkeit ist umgeben von einer Kapsel aus Granulations- und Bindegewebe. 4 Chronische Pseudozysten entstehen als Folge einer chronischen Pankreatitis oder eines akuten Schubes einer chronischen Pankreatitis. Die stark amylasehaltige Flüssigkeit ist umgeben von einer Kapsel aus Granulations- und Bindegewebe. 4 Ein pankreatischer Abszess ist eine intraabdominelle Eiterkollektion in enger anatomischer Beziehung zum Pankreas. Pankreasabszesse können als Folge einer akuten, chronischen oder traumatischen Pankreatitis entstehen.
Rückbildungsrate. Beim Vorliegen von Pseudozysten bei einer »Acute-on-chronic«-Pankreatitis ist eine geringere spontane Resorptionsrate zu erwarten. Aufgrund von Beobachtungen aus den 1970er-Jahren wurde postuliert, dass sich akute Pseudozysten nur innerhalb der ersten 6 Wochen nach Entstehung zurückbilden können (Sandberg u. Dervenis 2004). Spontane Resorptionen sind jedoch auch später noch möglich, und bis zu 6 Monaten nach Entstehung nachgewiesen (Vitas u. Sarr 1992). Sobald akute Pseudozysten einen Durchmesser über 4–5 cm aufweisen, sinkt die spontane Resorptionsrate (D’Egidio u. Schein 1991; Sandberg u. Dervenis 2004). Verlauf von chronischen Pseudozysten Chronische Pseudozysten, die als Folge einer chronischen Pankreatitis oder »Acute-on-chronic«-Pankreatitis entstehen, zeigen eine geringe spontane Rückbildungstendenz (Sandberg u. Dervenis 2004). In der Literatur wird die spontane Rückbildungsrate mit 3–26% angegeben. Als Hinweise für die Persistenz von Pankreaspseudozysten gelten das Vorhandensein von multiplen Zysten, Zystenlokalisation im Pankreasschwanz, fehlende Verbindung zum Pankreasgang, Größenzunahme im Verlauf, biliäre und postoperative Genese (Sandberg u. Dervenis 2004). 40.4.3 Diagnostik
40.4.2 Klinische Symptomatologie
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Die klinische Manifestation von Pankreaspseudozysten zeigt eine große Variabilität und ist hauptsächlich abhängig von der Lokalisation und der Zystengröße. Die Patienten verspüren unspezifische Symptome wie Oberbauchschmerzen, Übelkeit/Nausea und Erbrechen. Große Pseudozysten, die im Pankreaskopf liegen, können zu einer Kompression des Duodenums und/oder des Gallenganges führen und so postprandiales Erbrechen und Ikterus verursachen. Als Komplikationen treten Fistelbildungen in benachbarte Organe auf, beispielsweise Kolon, Perikard und Pleura. Selten, aber potenziell lebensbedrohlich sind Gefäßarrosionen mit akuten Blutungskomplikationen. Inflammatorisch bedingte Milzvenenthrombosen können zu segmentaler portaler Hypertonie im Bereich des Magens führen. Die weit verbreitete Anwendung von Ultraschall und Computertomographie hat zu verbesserten Kenntnissen über den natürlichen Verlauf von Pankreaspseudozysten geführt (Sandberg u. Dervenis 2004). Trotzdem bleiben die Angaben in der Literatur über den Spontanverlauf widersprüchlich. Dies ist hauptsächlich auf das Fehlen einer allgemein anerkannten Klassifikation zurückzuführen. So wird beispielsweise in vielen Arbeiten bei Vorliegen einer akuten Pankreatitis nicht zwischen Pseudozysten und peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen unterschieden. Verlauf von akuten Pseudozysten In mehreren älteren Studien beträgt die spontane Rückbildungsrate von akuten Pankreaspseudozysten 8–70% (Sandberg u. Dervenis 2004). Fehlende einheitliche Klassifikation, ungenaue Diagnostik und unklare Grunderkrankung sind Hauptfaktoren, die für diesen weiten Bereich verantwortlich sind und verlässliche Aussagen beeinträchtigen. Je höher der Anteil der Patienten mit peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen ist, desto größer ist auch die spontane
Für die Diagnose einer Pankreaspseudozyste sind bildgebende Verfahren unerlässlich. Die Computertomographie ist dabei die Untersuchung der Wahl. Während die Sonographie als Screening- und Nachsorgeuntersuchung geeignet ist, können mit der MRT-Untersuchung insbesondere Pathologien des Pankreasgangsystems dargestellt werden (MRCPUntersuchung).
Die MRCP-Untersuchung hat in den vergangenen Jahren die diagnostische ERCP zunehmend verdrängt, da potenzielle Komplikationen, wie beispielsweise Blutungen und Aggravation der Pankreatitis vermieden werden können (Hartmann 2004). Die Endosonographie ist eine wertvolle Untersuchung im Rahmen der Differenzialdiagnostik und bei jeglichen endoskopischen Interventionen (. Abb. 40.7).
. Abb. 40.7. Transgastrische Endosonograpie
697 40.4 · Pseudozysten des Pankreas
. Abb. 40.8. CT-Bild mit chronischer Pankreatitis und großer Pseudozyste im Pankreaskopf und Verkalkungen im Pankreaskorpus und -schwanz
Charakteristischerweise findet sich eine oder mehrere in oder um die Bauchspeicheldrüse gelegene zystische Strukturen (. Abb. 40.8). Oftmals bestehen zusätzliche Befunde, die auf das Vorliegen einer akuten oder chronischen Pankreatitis schließen lassen. Laborchemische Resultate sind nicht diagnostisch verwertbar und können nur über eine gleichzeitig bestehende Pankreatitis oder Gallengangsstenose Aufschluss geben. Bei Vorliegen eines extrahepatischen Verschlussikterus kann der Tumormarker CA19–9 erhöht sein, ohne dass eine Gallenwegs- oder Pankreasneoplasie vorliegt (falsch-positiver Wert). 40.4.4 Konservative und interventionelle Therapie Während kleine und asymptomatische Pseudozysten konservativ behandelt werden können, besteht bei Kompression, Verdrängung, Fistelbildung, Infektion, Blutung und unklarer Dignität die Indikation zur interventionellen oder operativen Therapie. Am häufigsten erfolgt eine externe oder interne Drainage der Pseudozysten, Resektionen werden nur in wenigen Fällen durchgeführt. Offene chirurgische Drainageoperationen (z. B. Pseudozysto-Gastrostomie, Pseudozysto-Jejunostomie) werden seit Jahrzehnten durchgeführt und stellen den therapeutischen Standard dar, an dem sich die radiologischen und endoskopischen Interventionen messen müssen. Art und Schweregrad der Grunderkrankung, Zystenlokalisation sowie die Kompetenz des interdisziplinären Behandlungsteams sind die wesentlichen Faktoren, die die Verfahrenswahl bestimmen. Perkutane Drainage Die CT- oder sonographiegesteuerte Pseudozystenpunktion ist bei großen Pseudozysten technisch einfach. Da die einmalige Punktion eine hohe Rezidivrate von 70% aufweist, muss in der Regel eine Ableitung mit einem perkutan ausgeleiteten Katheter durchgeführt werden. Dieser kann unter intermittierendem Spülen für mehrere Wochen bis Monate belassen werden (Pitchumoni u. Agarwal 1999). Die Rezidivrate beträgt 20–50%, wobei insbesondere infizierte Pseudozysten, gekammerte Pseudozysten und
40
. Abb. 40.9. Transgastrische endoskopische Pseudozystogastrostomie
Stenosen im Pankreasgang Risikofaktoren für eine erhöhte Rezidivrate darstellen (D’Egidio u. Schein 1992; Tsuei u. Schwartz 2003). Endoskopische Drainage Bei der endoskopischen Zystendrainage gelangen die 2 nachfolgend dargestellten Methoden zur Anwendung: 4 Herstellen einer Verbindung zwischen Pseudozyste und Gastrointestinaltrakt (Zystoenterostomie) 4 Transpapilläre Drainage der Pseudozyste über den Pankreasgang (Baillie 2004) Für beide Verfahren gibt es bisher kein standardisiertes technisches Vorgehen. Zystoenterostomie. Pseudozysten, die an den Magen oder an
das Duodenum grenzen, können endoskopisch drainiert werden, indem eine Fistel zwischen der Pseudozyste und dem Magen (Pseudozysto-Gastrostomie) bzw. Duodenum (PseudozystoDuodenostomie) angelegt wird. Die Darstellung der genauen anatomischen Verhältnisse (cave: Punktion von großen Gefäßen) und die anschließende Punktion der Pseudozyste erfolgen unter endosonographischer Darstellung. In Seldinger-Technik oder nach Eröffnen der Pseudozyste mit der Diathermie werden mehrere Plastikstents eingebracht, die 4–6 Wochen belassen werden (. Abb. 40.9). Transpapilläre Drainage. Die transpapilläre Drainage von Pseudozysten bedingt, dass eine Kommunikation zwischen Pankreasgang und Pseudozyste besteht. Die Stenteinlage benötigt eine Papillotomie und eventuell vorhandene Stenosen des Pankreasganges müssen dilatiert werden. Aufgrund des beschränkten Durchmessers des Pankreasganges können nur relativ kleinkalibrige Stents verwendet werden, sodass sich nekrosehaltige und zähflüssige Pseudozysten nicht oder nur ungenügend entleeren lassen. Ergebnisse. Beide Techniken, die Pseudozystoenterostomie und die transpapilläre Drainage, weisen vergleichbare Erfolgs- und
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Kapitel 40 · Pankreas
Komplikationsraten auf (Tsuei u. Schwartz 2003; Hammarstrom et al. 2004). In ungefähr 85% der Fälle gelingt die Drainage der Pseudozysten, wobei allerdings die Angaben in der Literatur eine große Bandbreite von 46–100% aufweisen. Eine effektive Größenreduktion der Pseudozysten wird in etwa 75% (33–100%) erreicht. Die Komplikationsrate beträgt 5–25%, die Mortalität ist gering (<1%). Trotz initial hohen Erfolgsraten entwickeln ungefähr 20% der Patienten (4–33%) im Langzeitverlauf Rezidivpseudozysten, die mehrheitlich operativ behandelt werden. 40.4.5 Operative Therapie Interne Zystendrainage Die interne Zystendrainage ist das chirurgische Standardverfahren bei unkomplizierten Pseudozysten. Es stehen 3 verschiedene Drainagemöglichkeiten zu Verfügung: 4 Zystogastrostomie 4 Zystoduodenostomie 4 Zystojejunostomie mit einer Roux-Y-förmigen Jejunumschlinge Die Verfahrenswahl wird durch die anatomischen Verhältnisse und persönliche Präferenz des Chirurgen bestimmt.
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Über eine mediane Laparotomie oder quere Oberbauchlaparotomie werden Pankreas und Pseudozyste dargestellt. Anschließend wird die Pseudozyste eröffnet, debridiert und ein Anteil der Zystenwand zur histologischen Untersuchung eingesandt. Die definitive Drainage erfolgt dann als Zystoenterostomie. Liegt die Pseudozyste an der Magenhinterwand, wird nach einer anterioren Gastrotomie die Magenhinterwand mit der Zyste anastomosiert. Eine Zystoduodenostomie wird ausschließlich bei Pseudozysten im Pankreaskopf oder Processus uncinatus durchgeführt. Die Zystojejunostomie kann bei jeglicher Zystenlokalisation angelegt werden und stellt deshalb das bevorzugte Verfahren dar. Eine Roux-Y-förmige ausgeschaltete Jejunumschlinge wird durch das Mesokolon des Kolon transversum hochgezogen und mit der Pseudozyste anastomosiert. Zum Schluss wird eine Enteroenterostomie hergestellt, die den zu- und abführenden Jejunalschenkel miteinander verbindet (. Abb. 40.10).
Ergebnisse. Die Morbidität und Mortalität der chirurgischen
Zystoenterostomie beträgt 11–24% bzw. 5–9%. Die Rezidivraten sind deutlich geringer als bei den endoskopischen Drainageverfahren und werden in der Literatur mit 5–8% angegeben (Tsuei u. Schwartz 2003). Resektion Die Pseudozystenresektion kommt nur für wenige Patienten mit chronischer Pankreatitis zur Anwendung. Pseudozysten im Korpus und Pankreasschwanz werden mit einer milzerhaltenden distalen Pankreatektomie behandelt. Duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion oder partielle Duodenopankreatektomie nach Whipple sind sehr selten durchgeführte Eingriffe bei Pseudozysten im Pankreaskopf, die nicht mit einer interner Drainage versorgt werden können.
. Abb. 40.10. Chirurgische Pseudozystojejunostomie
Bisher wurden die chirurgischen Drainage- und Resektionsverfahren über einen konventionellen offenen Zugang durchgeführt. Diese Eingriffe sind auch laparoskopisch machbar, wobei einschränkend gilt, dass bisher nur kleine Fallzahlen aus spezialisierten Zentren publiziert wurden (Roth 2003).
Literatur Baillie J (2004) Pancreatic pseudocysts (part II). Gastrointestinal Endoscopy 60:105–113 Bradley EL 3rd (1993) A clinically based classification system for acute pancreatitis. Arch Surg 128:586–590 Brugge WR, Lauwers GY, Sahani, D, Fernandez-del-Castillo C, Warshaw A (2004) Cystic neoplasms of the pancreas. New Engl J Med 351:1218– 1226 Bumpers HL, Bradley EL (1998) Treatment of pancreatic pseudocysts. In: Reber HJ, Idezuki Y, Ihse I, Prinz R (eds) Surgical disease of the pancreas. Baltimore: Williams and Wilkins, 423–432 Canty TG Sr, Weinman D (2001) Management of major pancreatic duct injuries in children. J Trauma 50:1001–1017 D’Egidio A, Schein M (1991) Pancreatic pseudocysts : A proposed classification and its management implications. Br J Surg 78:981–988 D’Egidio A, Schein M (1992) Percutaneous drainage of pancreatic pseudo cysts : A prospective study. World J Surg 16:141–145 Hammarstrom LE (2004) Endoscopic management of chronic and nonbiliary recurrent pancreatitis. Scand J Gastroenterol 39:5–13 Hartmann D, Schilling D, Bassler B, Adamek HE, Layer G, Riemann JF (2004) ERCP and MRCP in the Differentiation of Pancreatic Tumors. Dig Dis 22:18–25 Klöppel G (2000) Pseudocysts and other non-neoplastic cysts of the pancreas. Semin Diagn Pathol 17:7–15 Nealon WJ, Walser E (2002) Main pancreatic ductal anatomy can direct choice of modality for treating pancreatic pseudocysts (surgery versus percutaneous drainage). Ann Surg 235:751–758 Neoptolemos JP, London NJ, Carr-Locke DL (1993) Assessment of main pancreatic duct integrity by endoscopic retrograde pancreatography in patients with acute pancreatitis. Br J Surg 80:94–99 Pitchumoni CS, Agarwal N (1999) Pancreatic pseudocysts. When and how should drainage be performed? Gastroenterol Clin North Am 28:615–639
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Roth JS (2003) Minimally invasive approaches to pancreatic pseudocysts. Current Surgery 60:591–592 Sandberg A, Dervenis C (2004) Pancreatic pseudocysts in the 21st century. Part. 1: Classification, pathophysiology, anatomic considerations and treatment. J Pancreas 5:8–24 Sandberg A, Dervenis C (2004) Pancreatic pseudocysts in the 21st century. Part. 2: Natural history. J Pancreas 5:64–70 Sarles H, Muratore R, Sarles JC (1961) Etude anatomique des pancreatites chroniques de l’adulte. Sem Hop 25 :1507–1522 Sarr MG, Murr M, Smyrk TC, Yeo CJ, Fernandez-del-Castillo C, Hawes RH, Freeny PC (2003) Primary cystic neoplasms of the pancreas. Neoplastic disorders of emerging importance-current state-of-the-art and unanswered questions. J Gastrointest Surgery 7:417–427 Shan YS, Sy ED, Tsai HM, Liou CS, Lin PW (2002) Nonsurgical management of main pancreatic duct transection associated with pseudocyst after blunt abdominal injury. Pancreas 25:210–213 Traverso LW, Kozarek RA (1999) Interventional management of peripancreatic fluid collections. Surg Clin North Am 69:745–757 Tsuei BJ, Schwartz RW (2003) Current management of pancreatic pseudocysts. Current Surgery 60:587–589 Usatoff V, Brancatisano R, Williamson RC (2000) Operative treatment of pseudocysts in patients with chronic pancreatitis. Br J Surg 87:1494– 1499 Vitas GJ, Sarr MG (1992) Selected management of pancreatic pseudocysts: operative versus expectant management. Surgery 111:123–130
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Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
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schen akuter und chronischer Form beruht dabei auf strukturellen und funktionellen Kriterien. Primär auf histologischen und funktionellen Veränderungen basierend, wird zwischen akuter und chronischer Pankreatitis unterschieden; als Spezialform der chronischen Pankreatitis wird die obstruktive Pankreatitis abgegrenzt. Letztere ist durch eine strukturelle und funktionelle Verbesserung nach Beheben der Obstruktion charakterisiert. Die Unterscheidung der akuten Pankreatitis von einem akuten Schub einer chronischen Pankreatitis bleibt aber zu Beginn schwierig und erschwert eine präzise Klassifikation. Klassifikation nach dem zweiten Internationalen Symposium von Marseille 1984 (Cotton u. Sarner 1984) 5 Akute Pankreatitis (in der Regel Restitutio ad integrum) – Milde (ödematöse) Form – Schwere (nekrotisierende) Form 5 Chronische Pankreatitis (persistierender morphologischer und/oder funktioneller Schaden) – Irreguläre Sklerose: fokal, segmental, diffus – Parenchymdestruktion: fokal, segmental, diffus – Strikturen/Dilatationen des Gangsystems – Intraduktale Steine mit/ohne Kalk – Nachweis von Entzündungszellen, Ödem, Nekrose, Abszessbildung, Pseudozysten 5 Spezialform: Obstruktive chronische Pankreatitis
L. Degen, C. Beglinger ) ) Die chronische Pankreatitis ist eine protrahiert verlaufende, häufig schubweise auftretende Entzündung der Bauchspeicheldrüse, die zu einer irreversiblen Zerstörung des Gewebes führt. Allmählich vermindern sich sowohl exokrine wie auch endokrine Funktionen des Pankreas und münden im späteren Verlauf der Krankheit in eine Globalinsuffizienz des Organs. Im Gegensatz dazu stehen die histologischen Veränderungen der akuten Pankreatitis, die sich in der Regel nach Abheilen der akuten Attacke ohne Residuen vollständig zurückbilden. Eine Histologie ist jedoch praktisch nie vorhanden, weder bei der akuten noch bei der chronischen Pankreatitis. Die Diagnose muss deshalb primär klinisch gestellt werden. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, dass Patienten mit chronischer Pankreatitis akute Entzündungsepisoden erleiden können, die klinisch und laborchemisch von einer akuten Pankreatitis nicht unterschieden werden können. Hier wird nur der Verlauf zeigen, welche Krankheit der akuten Episode zugrunde lag. Bei der chronischen Pankreatitis werden die Azini allmählich zerstört und durch fibrotisches Gewebe ersetzt. Teile der Pankreasgänge sind häufig unregelmäßig begrenzt und als Resultat von Strikturen, intraduktalen Proteinablagerungen oder Verkalkungen dilatiert. Irreversible Strukturveränderungen lassen sich Jahre vor der klinischen Manifestation der chronischen Pankreatitis finden.
40.5.1 Klassifikation Verschiedenste Klassifikationen sind für die Einteilung der Pankreatitiden vorgeschlagen worden. Die Unterscheidung zwi-
40.5.2 Pathogenese Epidemiologische Schätzungen zur Inzidenz und Prävalenz chronischer Pankreatitiden variieren beträchtlich. Die Prävalenz der chronischen Pankreatitis in Autopsiestudien variiert zwischen 0,04% und 5%. Die bedeutendste Ätiologie der chronischen Pankreatitiden ist in Mitteleuropa mit 70–80% der Alkohol. 10–20% sind ungeklärt und werden deshalb als idiopathischen Ursprungs klassifiziert; 5–10% verteilen sich auf weitere unterschiedliche Ursachen (hereditäre, tropische und Autoimmunpankreatitis, Pankreatitis nach Trauma, bei Pancreas divisum sowie bei Hyperparathyreoidismus). Die chronische Pankreatitis ist das Resultat einer rezidivierenden oder konstanten Aktivierung des Immunsystems, das eine zytotoxische Schädigung der Azinuszellen induziert. Diese Aktivierung des Immunsystems hat eine antiinflammatorische Reaktion zur Folge, vermittelt durch verschiedene Zytokine (Interleukin-10, »transforming growth factor-β« – TGF-β, weitere Zytokine), die die Entwicklung der Fibrose stimulieren. Drei Faktoren sind also wichtig in der Entwicklung einer chronischen Pankreatitis (Whitcomb 2004): 4 Rezidivierende Schädigung des Organs 4 Persistierende Aktivierung des Immunsystems 4 Markante antiinflammatorische Reaktion Verschiedene Risikofaktoren sind identifiziert worden, aber keiner allein genügt, um eine chronische Pankreatitis auszulösen. Alkohol und Tabak sind illustrative Beispiele dafür: beide werden von vielen Personen konsumiert, aber nur wenige entwickeln eine chronische Pankreatitis, was als ein starker Hinweis für eine genetische Disposition gewertet werden muss.
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Roth JS (2003) Minimally invasive approaches to pancreatic pseudocysts. Current Surgery 60:591–592 Sandberg A, Dervenis C (2004) Pancreatic pseudocysts in the 21st century. Part. 1: Classification, pathophysiology, anatomic considerations and treatment. J Pancreas 5:8–24 Sandberg A, Dervenis C (2004) Pancreatic pseudocysts in the 21st century. Part. 2: Natural history. J Pancreas 5:64–70 Sarles H, Muratore R, Sarles JC (1961) Etude anatomique des pancreatites chroniques de l’adulte. Sem Hop 25 :1507–1522 Sarr MG, Murr M, Smyrk TC, Yeo CJ, Fernandez-del-Castillo C, Hawes RH, Freeny PC (2003) Primary cystic neoplasms of the pancreas. Neoplastic disorders of emerging importance-current state-of-the-art and unanswered questions. J Gastrointest Surgery 7:417–427 Shan YS, Sy ED, Tsai HM, Liou CS, Lin PW (2002) Nonsurgical management of main pancreatic duct transection associated with pseudocyst after blunt abdominal injury. Pancreas 25:210–213 Traverso LW, Kozarek RA (1999) Interventional management of peripancreatic fluid collections. Surg Clin North Am 69:745–757 Tsuei BJ, Schwartz RW (2003) Current management of pancreatic pseudocysts. Current Surgery 60:587–589 Usatoff V, Brancatisano R, Williamson RC (2000) Operative treatment of pseudocysts in patients with chronic pancreatitis. Br J Surg 87:1494– 1499 Vitas GJ, Sarr MG (1992) Selected management of pancreatic pseudocysts: operative versus expectant management. Surgery 111:123–130
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Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
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schen akuter und chronischer Form beruht dabei auf strukturellen und funktionellen Kriterien. Primär auf histologischen und funktionellen Veränderungen basierend, wird zwischen akuter und chronischer Pankreatitis unterschieden; als Spezialform der chronischen Pankreatitis wird die obstruktive Pankreatitis abgegrenzt. Letztere ist durch eine strukturelle und funktionelle Verbesserung nach Beheben der Obstruktion charakterisiert. Die Unterscheidung der akuten Pankreatitis von einem akuten Schub einer chronischen Pankreatitis bleibt aber zu Beginn schwierig und erschwert eine präzise Klassifikation. Klassifikation nach dem zweiten Internationalen Symposium von Marseille 1984 (Cotton u. Sarner 1984) 5 Akute Pankreatitis (in der Regel Restitutio ad integrum) – Milde (ödematöse) Form – Schwere (nekrotisierende) Form 5 Chronische Pankreatitis (persistierender morphologischer und/oder funktioneller Schaden) – Irreguläre Sklerose: fokal, segmental, diffus – Parenchymdestruktion: fokal, segmental, diffus – Strikturen/Dilatationen des Gangsystems – Intraduktale Steine mit/ohne Kalk – Nachweis von Entzündungszellen, Ödem, Nekrose, Abszessbildung, Pseudozysten 5 Spezialform: Obstruktive chronische Pankreatitis
L. Degen, C. Beglinger ) ) Die chronische Pankreatitis ist eine protrahiert verlaufende, häufig schubweise auftretende Entzündung der Bauchspeicheldrüse, die zu einer irreversiblen Zerstörung des Gewebes führt. Allmählich vermindern sich sowohl exokrine wie auch endokrine Funktionen des Pankreas und münden im späteren Verlauf der Krankheit in eine Globalinsuffizienz des Organs. Im Gegensatz dazu stehen die histologischen Veränderungen der akuten Pankreatitis, die sich in der Regel nach Abheilen der akuten Attacke ohne Residuen vollständig zurückbilden. Eine Histologie ist jedoch praktisch nie vorhanden, weder bei der akuten noch bei der chronischen Pankreatitis. Die Diagnose muss deshalb primär klinisch gestellt werden. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, dass Patienten mit chronischer Pankreatitis akute Entzündungsepisoden erleiden können, die klinisch und laborchemisch von einer akuten Pankreatitis nicht unterschieden werden können. Hier wird nur der Verlauf zeigen, welche Krankheit der akuten Episode zugrunde lag. Bei der chronischen Pankreatitis werden die Azini allmählich zerstört und durch fibrotisches Gewebe ersetzt. Teile der Pankreasgänge sind häufig unregelmäßig begrenzt und als Resultat von Strikturen, intraduktalen Proteinablagerungen oder Verkalkungen dilatiert. Irreversible Strukturveränderungen lassen sich Jahre vor der klinischen Manifestation der chronischen Pankreatitis finden.
40.5.1 Klassifikation Verschiedenste Klassifikationen sind für die Einteilung der Pankreatitiden vorgeschlagen worden. Die Unterscheidung zwi-
40.5.2 Pathogenese Epidemiologische Schätzungen zur Inzidenz und Prävalenz chronischer Pankreatitiden variieren beträchtlich. Die Prävalenz der chronischen Pankreatitis in Autopsiestudien variiert zwischen 0,04% und 5%. Die bedeutendste Ätiologie der chronischen Pankreatitiden ist in Mitteleuropa mit 70–80% der Alkohol. 10–20% sind ungeklärt und werden deshalb als idiopathischen Ursprungs klassifiziert; 5–10% verteilen sich auf weitere unterschiedliche Ursachen (hereditäre, tropische und Autoimmunpankreatitis, Pankreatitis nach Trauma, bei Pancreas divisum sowie bei Hyperparathyreoidismus). Die chronische Pankreatitis ist das Resultat einer rezidivierenden oder konstanten Aktivierung des Immunsystems, das eine zytotoxische Schädigung der Azinuszellen induziert. Diese Aktivierung des Immunsystems hat eine antiinflammatorische Reaktion zur Folge, vermittelt durch verschiedene Zytokine (Interleukin-10, »transforming growth factor-β« – TGF-β, weitere Zytokine), die die Entwicklung der Fibrose stimulieren. Drei Faktoren sind also wichtig in der Entwicklung einer chronischen Pankreatitis (Whitcomb 2004): 4 Rezidivierende Schädigung des Organs 4 Persistierende Aktivierung des Immunsystems 4 Markante antiinflammatorische Reaktion Verschiedene Risikofaktoren sind identifiziert worden, aber keiner allein genügt, um eine chronische Pankreatitis auszulösen. Alkohol und Tabak sind illustrative Beispiele dafür: beide werden von vielen Personen konsumiert, aber nur wenige entwickeln eine chronische Pankreatitis, was als ein starker Hinweis für eine genetische Disposition gewertet werden muss.
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Kapitel 40 · Pankreas
. Abb. 40.11. Abdomenleerbild eines Patienten mit tropischer Form einer chronisch kalzifizierenden Pankreatitis. Im Bereich des Pankreas imponieren multiple kalkdichte Verschattungen, die intraduktalen Konkrementen entsprechen
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Alkoholinduzierte Pankreatitis In den westlichen Zivilisationen haben die meisten Patienten mit chronischer Pankreatitis eine langdauernde Anamnese von Alkoholüberkonsum. Dabei spielt es keine Rolle, ob Bier, Wein oder Schnaps täglich oder schubweise in exzessiven Mengen konsumiert wird. Das Risiko einer chronischen Pankreatitis steigt mit zunehmender Dauer und Menge des Alkoholkonsums (Hanck et al. 2004). Um eine klinisch relevante chronische Pankreatitis zu provozieren, müssen täglich während mehr als 10–15 Jahren mindestens 50–70 g Alkohol getrunken werden. Nach der initialen Manifestation der Entzündung kann der weitere Entzündungsprozess autonom auch ohne zusätzlichen Alkoholkonsum fortschreiten. Da die Empfindlichkeit auf Alkohol individuell stark variiert, lässt sich keine minimale, harmlose Alkoholmenge nennen, die eine untere »sichere« Grenze darstellt. Vereinzelte Formen der idiopathischen Pankreatitis dürften deshalb bei empfindlicheren Patienten auch alkoholischer Genese sein. Insgesamt entwickeln nur 5–10% der schweren Trinker eine Pankreatitis und entsprechend der Geschlechtsverteilung beim Alkoholismus erkranken Männer häufiger als Frauen, typischerweise im Alter zwischen 35–45 Jahren. Der Einfluss von diätetischen oder genetischen Faktoren auf die Entstehung der alkoholischen Pankreatitis ist zur Zeit Fokus intensiver Forschung. Eiweiß- und sehr fettreiche Diäten wurden von einzelnen Autoren als prädisponierender Faktor suggeriert, andere vermochten dies jedoch nicht zu bestätigen (Wilson et al. 1985; Whitcomb 2004). Eine eiweißarme Ernährung im Kleinkindesalter wurde vor allem bei der tropischen Pankreatitis – einer Spezialform der chronischen Pankreatitis in tropischen Ländern – als pathogenetischer Faktor vorgeschlagen, doch konnte auch hier bisher keine kausale Beziehung nachgewiesen werden. Ferner könnte ein Mangel an Spurenelementen wie Selenium oder Zink durch die verminderte Produktion antioxidativ wirkender Enzyme zu einer erhöhten Empfindlichkeit des Pankreasgewebes gegenüber oxidativen Noxen und dadurch zu einer Pankreatitis führen; aber auch diese Arbeitshypothese ist höchst umstritten.
Um die Mechanismen in der Pathogenese der chronischen Pankreatitis zu verstehen, muss die Struktur und Funktion des normalen Pankreas betrachtet werden. Grundsätzlich besteht das Pankreas aus einem exokrinen und einem endokrinen Drüsenteil, wobei beide Teile eine zentrale Bedeutung in der Verdauung und in der Energie Homeostase ausüben. Der exokrine Teil besteht aus Azinuszellen und aus Gangzellen; die Azinuszellen produzieren große Mengen an inaktiven Verdauungsenzymen (sog. Zymogenen). Die Zymogene werden in einer bikarbonathaltigen Flüssigkeit in den Darm transportiert, wo sie aktiviert werden. Eine Aktivierung der Zymogene innerhalb des Pankreas ist gefährlich (hohes Zerstörungspotenzial), weshalb das Organ über mehrere Sicherheitssysteme verfügt, die eine vorzeitige Aktivierung der Zymogene verhindern oder aktivierte Zymogene neutralisieren. Nur bei einem Versagen dieser Sicherheitssysteme kommt es zur Zerstörung von Pankreasgewebe und damit zur Aktivierung des Immunsystems; diesem Vorgang bezeichnen wir als Pankreatitis. In der Vergangenheit wurde die akute Pankreatitis als selbstlimitierender, entzündlicher Vorgang betrachtet, wobei die Veränderungen nach Abheilung vollständig reversibel waren (Whitcomb 2004). Neuere Daten suggerieren hingegen, dass diese Vorstellung nicht ganz korrekt ist. Narbige Veränderungen nach akuter Pankreatitis können den Abfluss von Sekret beeinträchtigen und so prädisponieren zur Ansammlung von Flüssigkeit mit hohem Trypsingehalt; bei frühzeitiger Trypsinaktivierung kann so ein Entzündungsschub ausgelöst werden. Ein wichtiger Faktor für eine frühzeitige Trypsinaktivierung spielt das intrazelluläre Kalzium. Die Azinuszelle besitzt deshalb mehrere Schutzmechanismen, die sie vor einer intrazellulären Hyperkalzämie schützen. Folgende Mechanismen können zum Zusammenbruch dieser Schutzmechanismen führen: neurohormonale Hyperstimulation, Gallensäurereflux, Konsum von großen Mengen von Alkohol (wahrscheinlich durch Schädigung der Mitochondrien, die die intrazelluläre Kalziumkonzentration regulieren helfen).
701 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
Die Pathogenese der alkoholinduzierten, chronischen Pankreatitis ist weiterhin unklar. Es ist denkbar, dass Alkohol eine Hypersekretion von pankreatischen Proteinen stimuliert, die dann später in Folge »Übersättigung« sedimentieren und innerhalb des Pankreasgangsystems verkalken können. Obwohl diese duktalen Konkremente bei allen Formen der chronischen Pankreatitis festzustellen sind (Freedman et al. 1993; Whitcomb 2004), finden sie sich bei der alkoholinduzierten und bei der tropischen Pankreatitis weitaus am häufigsten (. Abb. 40.11). Die blockierten Duktuli könnten z. B. durch Rückstau die intrazelluläre Aktivierung von Pankreasenzymen in den Azini oder andere Mechanismen fördern, die schließlich zur Schädigung der Drüsenstruktur führen. Eine alternative Hypothese basiert auf der Annahme einer inadäquaten Aktivierung des Zytochrom P450. Die dadurch induzierte vermehrte Produktion freier Radikale erhöht den oxidativen Stress, was zu einer Schädigung der Pankreaszellen führen könnte. Die experimentelle Grundlage zu dieser Hypothese ist jedoch eher dürftig. Idiopathische Pankreatitis Chronische Pankreatitiden, die ätiologisch nicht geklärt werden können, werden als idiopathisch eingestuft. Entscheidend für die Zuordnung zu dieser Kategorie ist der sichere Ausschluss anderer Ursachen einer chronischen Pankreatitis. Neben der alkoholinduzierten Form gehört diese mit einer Prävalenz von 10–20% in Europa und Nordamerika zu der häufigsten Form einer chronischen Pankreatitis. Epidemiologische Daten zeigen, dass die idiopathische Form einer chronischen Pankreatitis tatsächlich eine gegen die alkoholinduzierte Form abzugrenzende Entität ist (Layer et al. 1994). Die bimodale Altersverteilung der Fälle lässt 2 unterschiedliche Krankheitsformen vermuten. Bei der juvenilen Form erkranken die Patienten zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr, bei der senilen Form zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Typischerweise fehlt eine Geschlechtsdominanz. Patienten mit einer juvenilen Form präsentieren sich initial überwiegend mit Bauchschmerzen, die älteren Patienten zumeist erst mit exokriner Insuffizienz, Diabetes mellitus und Pankreasverkalkungen. Im Vergleich zur alkoholinduzierten chronischen Pankreatitis entwickelt sich bei der idiopathischen Pankreatitis die exokrine wie auch endokrine Insuffizienz verzögert. Pathogenetisch wird bei Patienten mit idiopathischer chronischer Pankreatitis eine genetische Störung vermutet. Tatsächlich wurde bei einer Gruppe von gesunden Patienten eine Mutation eines regulatorischen Gens (Cohn et al. 1997) nachgewiesen. Die ätiologische Bedeutung dieses Gens, das von demjenigen der hereditären Pankreatitis unterschieden werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Kontrovers wird hingegen eine Papilla-Vateri-Dysfunktion mit manometrisch nachweisbarer Hypertonie im Gangsystem als Ursache der chronischen Pankreatitis behandelt (Tarnasky et al. 1997). Patienten mit Sphinkterdysfunktion scheinen 4-mal häufiger an einer chronischen Pankreatitis zu erkranken als Gesunde. Seltene Formen Hereditäre Form. Bei der hereditären chronischen Pankreatitis handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte Krankheit mit einer Penetranz von ca. 80%. Mehr als 80% dieser Kranken entwickeln vor dem 20. Lebensjahr eine chronische Pankreatitis. Das klinische Bild unterscheidet sich kaum von demjenigen nicht vererbter Pankreatitiden (Perrault 1994). Wiederholte Schübe
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von schweren Oberbauchschmerzen charakterisieren den klinischen Verlauf. In 20% der Fälle entwickelt sich 8–10 Jahre nach den ersten Schmerzepisoden ein manifester Diabetes mellitus und in 15–20% eine ausgeprägte Steatorrhö. In den meisten dieser Familien kann eine Punktmutation des kationischen Trypsinogengens auf dem Chromosom 7q35 nachgewiesen werden (Whitcomb et al. 1996). Diese Mutation beeinträchtigt einen Trypsininaktivierungsmechanismus; das dadurch aus inaktivem Trypsinogen entstehende Trypsin provoziert die Autodigestion des Pankreas. Dieser genetische Defekt könnte in Zukunft einer Gentherapie zugänglich sein. Tropische Form. In gewissen tropischen Ländern von Afrika und
in großen Teilen Asiens ist die tropische Form einer chronischen kalzifizierenden Pankreatitis die häufigste Ursache (Pitchumoni 1984). Die Patienten erkranken typischerweise im Kindesalter und entwickeln bereits in der Adoleszenz eine endo- wie auch exokrine Pankreasinsuffizienz. Häufig sterben die Patienten in jungen Jahren. Abdominalschmerzen charakterisieren den Krankheitsbeginn. Einige Jahre später manifestiert sich ein Diabetes mellitus. Zu diesem Zeitpunkt können auf Abdomenröntgenbildern praktisch immer diffuse Pankreasverkalkungen erkannt werden (. Abb. 40.11). Histologisch finden sich Dilatationen der Duktuli, Pankreaskonkremente, ein chronisch entzündliches Zellinfiltrat und eine Atrophie des Parenchyms. Die Beschwerden und Veränderungen gleichen denjenigen der alkoholinduzierten chronischen Pankreatitis, obwohl deren Ätiologie unterschiedlich ist. Bei der tropischen Pankreatitis scheint die Malnutrition im Kleinkindesalter ein wichtiger prädisponierender Faktor zu sein (Pitchumoni 1984). Ein Mangel an Zink, Kupfer und Selen, wie er häufig bei einer Mangelernährung gefunden wird, könnte ebenfalls im Rahmen der antioxidativ wirkenden Enzyme von Bedeutung sein. Letztlich ist die Pathogenese der tropischen Pankreatitis nicht geklärt. Trauma. Stumpfe und penetrierende Bauch-, aber auch Rücken-
traumen können zu einer Pankreasverletzung führen, die klinisch nicht ins Auge fallen muss (Jurkovich u. Carrico 1990). Ein Teil dieser Pankreatitiden wird durch die vollständige Ruptur des Pankreasganges ausgelöst. Der kontinuierliche Sekretverlust kann sich als Aszites oder lokalisierte Flüssigkeitsansammlung manifestieren. Geringere Verletzungen bleiben häufig während Monaten bis Jahren unentdeckt. Eine vollständige Ruptur des Ductus pancreaticus muss chirurgisch saniert werden. Kleinere Risse lassen sich häufig mit Octreotid, einem SomatostatinAnalogon, plus totaler parenteraler Ernährung erfolgreich behandeln (Jenkins u. Berein 1995). Pancreas divisum. Das Pancreas divisum ist die häufigste kongenitale Anomalie des Pankreas, die sich bei 7–8% der Bevölkerung in Europa, jedoch weit weniger häufig in Afrika, Amerika und Asien findet. Die Anomalie erklärt sich durch die fehlende Fusion zweier entodermaler Anlagen des primitiven Vorderdarms zum Pankreas. Dadurch bleiben der dorsale und ventrale Ganganteil des Pankreas isoliert oder nur partiell verbunden. Der dorsale Pankreasgang drainiert als Folge dieser Fehlbildung durch die Papilla minor den größten Anteil des exokrinen Pankreassekrets ins Duodenum. Nur ein kleiner Teil des Sekrets wird durch den ventralen Anteil des Pankreas über die Papilla major abgeleitet. Chronische Pankreatitiden sollen nun Folge einer duktalen Hypertonie bei ungenügendem Sekretabfluss durch die
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Kapitel 40 · Pankreas
zu kleine Papilla-minor-Öffnung sein. Dieser hypothetisch einleuchtende Mechanismus ließ sich jedoch bis jetzt nicht sicher bestätigen. Zudem wird die Bedeutung des Pancreas divisum als Risikofaktor kontrovers diskutiert, da nur wenige Personen mit einem Pancreas divisum tatsächlich eine Pankreatitis entwickeln. Bei einzelnen symptomatischen Patienten, deren Abfluss tatsächlich gestört ist, kann hingegen die chirurgische oder endoskopische Drainage das Beschwerdebild erheblich lindern. Die besten therapeutischen Erfolge mit der endoskopischen Papillotomie der Papilla minor sind bei Patienten mit wiederholten Attacken einer Pankreatitis zu erwarten. Ein Drittel der Patienten mit Schmerzen und chronischer Pankreatitis profitieren von der Therapie. Patienten mit Schmerzen ohne Pankreatitis zeigen hingegen keinerlei klinische Verbesserung (Lehman et al. 1993).
Symptome/Befunde
Häufigkeit (%)
Schmerzen
80–98
Gewichtsverlust
5–85
Diabetes mellitus (bei fortgeschrittener Krankheit)
50–60
Steatorrhö
30–40
Ikterus
20–25
Schmerz ist das Kardinalsymptom der chronischen Pankreatitis und wird als dumpfer, konstanter epigastrischer Schmerz beschrieben, der häufig, jedoch nicht immer, in den Rücken ausstrahlt.
zieren kann, verzichten Patienten bei schwerem Verlauf auf die Mahlzeiten und verlieren trotz leidlich erhaltener exokriner Funktion an Gewicht. Die wichtigsten Symptome und Befunde sind in . Tab. 40.2 zusammengefasst. Die Schmerzen sind das zentrale Problem der chronischen Pankreatitis, doch wird die Schmerzgenese noch ungenügend verstanden. Verschiedene Studien suggerieren, dass ein erhöhter Druck in den Pankreasgängen an der Entstehung der Schmerzen beteiligt ist (Malfertheiner et al. 1987). Daneben wird ein direkt toxischer Effekt von Alkohol diskutiert, möglicherweise in Verbindung zur Pankreatitis-assoziierten Neuritis. Anhaltender Alkoholkonsum verstärkt die Beschwerden, während Abstinenz die schmerzfreien Intervalle verlängert. Möglicherweise spielen im Frühstadium der Krankheit entzündliche Mediatoren eine bedeutende Rolle in der Schmerzgenese. Perineural konzentrierte eosinophile Infiltrate im Pankreas können zytotoxische Enzyme als entzündliche Mediatoren sezernieren, die ein neuronales Ödem sowie ein Verlust an Perineum verursachen; dadurch können Schmerzen induziert und unterhalten werden (Bockmann et al. 1988 Di Sebastiano et al. 2003). In histopathologischen Untersuchungen ließen sich tatsächlich Proliferationen von myelinfreien Nervenfasern, perineurale mononukleäre Infiltrationen sowie Schmerzmediatoren wie Substanz P und »calcitonin gen-related peptide« nachweisen (Ammann et al. 1984; Bockmann et al. 1988; Di Sebastiano et al. 2003). Häufig wird der Schweregrad der geschilderten Schmerzen durch zusätzliche Probleme wie einer Abhängigkeit von Narkotika mitbeeinflusst. Mit fortschreitender Krankheit kann eine spontane Abnahme der Schmerzen beobachtet werden (Ammann et al. 1984). Neuere Daten wie auch persönliche klinische Erfahrungen lassen jedoch vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Schmerzlinderung gering ist (Di Sebastiano et al. 2003). Ob die Schmerzminderung durch ein Ausbrennen der Pankreasentzündung zustande kommt oder einem Gewöhnungseffekt des Patienten gleichkommt, ist unklar.
Gelegentlich ist der Schmerz mit Übelkeit und Erbrechen verbunden. Durch aufrechtes Sitzen und Vorwärtslehnen kann die Symptomatik gelindert werden. Häufig verspüren die Patienten in den initialen Stadien der chronischen, vor allem alkoholinduzierten Pankreatitis, lediglich geringe Beschwerden. Im Laufe der Zeit nimmt nicht nur die Häufigkeit der Schmerzen, sondern auch die Dauer der Schmerzepisoden zu und schließlich wird ein konstanter Schmerz die Klinik prägen. Da die Nahrungsaufnahme die Beschwerden erheblich verstärken oder gar provo-
Pankreasinsuffizienz 10–20% der schmerzfreien Patienten mit chronischer Pankreatitis leiden an einer exokrinen und endokrinen Funktionsinsuffizienz (Ammann et al. 1984; Layer et al. 1994). Die klassische Trias von Steatorrhö, Diabetes mellitus und Pankreasverkalkungen wird bei weniger als einem Drittel der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose gefunden. Eine klinisch signifikante, durch Maldigestion hervorgerufene Malnutrition wird erst bei einem Verlust von über 90% der Drüsenfunktion manifest. Patienten mit schwerer exokriner Pankreasinsuffizienz vermögen die Nahrung nicht zu
Obstruktive Form. Die Obstruktion des Pankreashauptganges durch einen Tumor, eine benigne Stenose der Papilla Vateri, eine Narbe nach traumatischer Pankreatitis oder eine Pseudozyste kann eine chronische Pankreatitis auslösen. Diese obstruktive Form der chronischen Pankreatitis wird von anderen Ätiologien unterschieden, da bei rechtzeitiger Korrektur der Obstruktion sowohl klinisch als auch biologisch eine teilweise, gelegentlich vollständige Abheilung möglich ist (Gyr et al. 1985). Histologisch ist diese obstruktive chronische Pankreatitis durch eine diffuse azinäre Atrophie, Fibrosen und Dilatationen des Gangsystems charakterisiert. Falls die Korrektur der Obstruktion zu spät erfolgt, ist eine unverminderte Progredienz der Veränderungen wahrscheinlich. Intraduktale Konkremente sind bei der rein obstruktiven Form selten zu finden.
40
. Tabelle 40.2. Typische Symptome und Befunde der chronischen Pankreatitis
Hyperparathyreoidismus. Eine chronische Pankreatitis kann eine seltene Komplikation des Hyperparathyreoidismus sein und findet sich in lediglich 1,5–1,7% dieser Patienten (Bess et al. 1980). Mit einer Routinemessung der Kalziumkonzentration im Serum lässt sich der Hyperparathyreoidismus bereits früh diagnostizieren. Pathogenetisch handelt es sich beim Krankheitsgeschehen um die direkten Folgen der Hyperkalzämie, die nicht nur zu einem intraduktalen Ausfall von Kalzium, sondern auch zu einer potenten Stimulation der Pankreasenzymsekretion führen (Bess et al. 1980).
40.5.3 Klinische Symptomatologie Schmerzen
703 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
verdauen (Maldigestion). Die Fetthydrolyse ist früher beeinträchtigt als die Protein- und Kohlenhydrataufspaltung. Es entwickelt sich demzufolge zunächst eine Steatorrhö und erst später finden sich Zeichen der Eiweißmalnutrition. Patienten mit Fettmaldigestion beschreiben häufig einen weichen, fettigen, übel riechenden Stuhlgang, der nur schwer wegzuspülen ist. Blähungen, Bauchkrämpfe und Flatulenz sind häufig beklagte Beschwerden. Trotz ähnlich ausgeprägter Steatorrhö bleibt die Resorption von fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K) bei Patienten mit chronischer Pankreatitis besser als bei Patienten mit zöliakieinduzierter Malabsorption. Etwa 40% der Patienten mit exokriner Pankreasinsuffizienz weisen eine Vitamin-B12-Malabsorption auf. Dennoch ist ein klinisch relevanter Mangel an Vitamin B12 oder an fettlöslichen Vitaminen selten. Glukoseintoleranz und Diabetes mellitus Obwohl Patienten mit chronischer Pankreatitis häufig eine Glukoseintoleranz entwickeln, präsentiert sich ein manifester Diabetes mellitus erst spät im Krankheitsverlauf, d. h. in der Regel mehr als 20 Jahre nach Beginn der Erkrankung. Eine endokrine Insuffizienz entwickelt sich mit fortschreitender Krankheit bei 60% der Patienten (Sarles 1992). Die meisten zeigen einen insulinabhängigen Diabetes mellitus, der sich aber durch die zusätzliche Beeinträchtigung der glukagonproduzierenden α-Zellen vom Diabetes mellitus Typ I unterscheidet. Die gleichzeitig bestehende Maldigestion und der Alkoholkonsum steigern in Kombination mit der Inselzellinsuffizienz das Risiko einer spontanen Hypoglykämie. Generell ist der Diabetes mellitus bei chronischer Pankreatitis schwer einzustellen. Eine echte diabetische Ketoazidose ist jedoch selten. Hingegen können Spätkomplikationen des Diabetes wie Nephropathie oder Retinopathie auch hier auftreten. 40.5.4 Diagnostik
Die Diagnose der chronischen Pankreatitis ist in der Regel einfach: Eine typische Anamnese, ein bildgebendes Verfahren (Ultraschall, CT oder ERCP/MRCP) plus exokrine und endokrine Pankreasfunktionstests ermöglichen in der Regel eine klare und einfache Definition der Krankheit.
Klinische Untersuchung Die meisten Patienten sind abgemagert und scheinen an einer schweren konsumierenden Krankheit zu leiden. Ein Malignom ist differenzialdiagnostisch immer in Erwägung zu ziehen. Zeichen einer zusätzlichen chronischen Leberkrankheit können sich bei Alkoholmissbrauch finden. Bei fehlender Hepatopathie wird ein Ikterus oft durch eine mechanische Obstruktion der extrahepatischen Gallenwege hervorgerufen (z. B. Pankreaskopfraumforderung, Pseudozyste). Patienten mit Steatorrhö zeigen zum Teil ausgeprägte Trommelschlägelfinger. Eine düstere Verfärbung der Haut über dem Epigastrium oder im unteren thorakalen Wirbelsäulenbereich lassen vermuten, dass der Patient Hitzequellen zur Linderung der Schmerzen über längere Zeit verwendet hat. Diese Veränderungen haben keinen diagnostischen Wert, insbesondere nicht in der Abgrenzung einer Pankreatitis gegenüber einem Karzinom. Im asymptomatischen Intervall helfen die kör-
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perlichen Standarduntersuchungen kaum bei der Diagnose einer Pankreatitis. Labordiagnostik Die Serumkonzentrationen der Pankreasenzyme Amylase und Lipase sind nur bei akuten Schüben, jedoch nicht in den asymptomatischen Intervallen erhöht. Im späteren Verlauf bleiben die Konzentrationen häufig auch während der akuten Episoden im Normbereich. Die absoluten Werte der Amylase wie auch der Lipase lassen keine prognostischen Rückschlüsse zu. Erhöhte alkalische Phosphatase- oder γ-GlutamyltransferaseKonzentrationen lassen in Intervallen ohne Hinweise auf einen akuten Schub eine Gallenabflussstörung vermuten, sei es infolge einer Stenose des Ductus choledochus oder durch extrinsische Kompression der extrahepatischen Gallenwege. Funktionsuntersuchung Die Pankreasinsuffizienz lässt sich am sichersten durch Quantifizierung der Stuhlfettausscheidung oder durch Messung der exokrinen Sekretion mittels Sondentest unter hormoneller Stimulation nachweisen.
Funktionsuntersuchungen des Pankreas basieren auf der direkten oder indirekten Messung der Bikarbonat- und/oder Enzymsekretion nach direkter oder indirekter Stimulation der exokrinen Pankreassekretion. Fettmalabsorption. Bei Fettmalabsorption ist die β-Carotinkonzentration im Serum frühzeitig vermindert und gilt als sensitiver, wenn auch nicht spezifischer Marker der Malabsorption (Lembcke et al. 1989). Eine Steatorrhö lässt sich mikroskopisch durch eine Sudanrot gefärbte Stuhlprobe nachweisen oder durch quantitative Analyse der Fettausscheidung verifizieren (Sensitivität und Spezifität ca. 90%). Die quantitative Stuhlfettanalyse ist das Referenzverfahren zur Diagnose einer Malabsorption. Gewöhnlich wird dabei für 72 h der Stuhl unter standardisierter Diät mit 100 g Fett pro Tag gesammelt. Die normale Fettausscheidung von 7 g/24 h wird dabei von Patienten mit Steatorrhö weit übertroffen und kann 20–30 g/24 h betragen. Intubationstests mit direkter Messung der exokrinen Pankreassekretion. Die direkte Stimulation gilt als Goldstandard der
Funktionsdiagnostik. Dabei wird das Pankreas durch Sekretin allein oder kombiniert mit Cholezystokinin stimuliert (Hunt u. Braganza 1989). Der Sekretinstimulationstest ist wahrscheinlich das sensitivste direkte Verfahren zur Analyse der exokrinen Pankreasfunktion. Trotzdem müssen bereits mehr als 60% der Funktion eingebüßt sein, bevor der Test abnorme Werte anzeigt. Das Peptid Sekretin provoziert die Sekretion einer bikarbonatreichen Flüssigkeit aus dem Pankreas. Zur Untersuchung schluckt der Patient eine Duodenalsonde. Durch diese Sonde kann die duodenale Flüssigkeit vor und nach der parenteralen Injektion des synthetischen Sekretins gesammelt werden. Eine Pankreasinsuffizienz liegt in der Regel vor, falls im duodenalen Aspirat weniger als 70–80 mEq/l Bikarbonat nachzuweisen sind. Der Sekretintest ist nicht nur zeitaufwendig und für den Patienten unangenehm, sondern auch schwierig zu standardisieren. Die zusätzliche Stimulation mit Cholezystokinin/Caerulein hat klinisch wenig zur Verbesserung der Funktionsdiagnostik
704
Kapitel 40 · Pankreas
beigetragen, macht aber das Testverfahren sehr aufwendig. Der Sekretinstimulationstest hat seine klinische Bedeutung verloren und wird nur noch in wenigen Zentren, vorwiegend für klinische Studien eingesetzt. Ein vereinfachtes Testverfahren wurde kürzlich publiziert; dabei werden Duodenalsaftproben endoskopisch während einer Routine-Gastoduodenoskopie gewonnen nach Stimulation mit Sekretin (Conwell et al. 2003). Zurzeit fehlt allerdings jedwede Standardisierung, sodass dieser interessante Ansatz noch keine praktische Bedeutung hat.
Bildgebende Verfahren Im Abdomenleerbild sind diffuse, intraduktale Kalziumablagerungen pathognomonisch für eine chronische Pankreatitis und bei gut 30% der Patienten nachzuweisen (. Abb. 40.11). Am häufigsten finden sich die Verkalkungen bei der alkoholischen sowie tropischen Pankreatitis, können aber auch bei hereditären und seltener bei idiopathischen Formen erkannt werden. Diese Verkalkungen sind vorwiegend im Pankreasgangsystem lokalisiert. Sonographie/Computertomographie. Die Sonographie wie
Indirekte Messung der exokrinen Pankreassekretion. Als Alter-
native zu den aufwendigen und von den Patienten wenig beliebten Intubationsuntersuchungen wurden indirekte Methoden zur Erfassung der exokrinen Pankreasfunktion entwickelt. Folgende Tests kommen dabei zur Anwendung: 4 Bestimmung der Elastasekonzentration im Stuhl (Sensitivität etwa 80%) 4 Messung der Spaltprodukte eines synthetischen, fluoreszierenden Farbstoffes im Urin (Pankreolauryltest) Prinzip des Pankreolauryltests: Das oral mit einer Testmahlzeit verabreichte fluoreszierende Konjugat wird durch Pankreasesterasen im Darm gespalten, absorbiert und über den Urin ausgeschieden. Diese ausgeschiedene Menge Testsubstanz korreliert direkt mit der Funktion des exokrinen Pankreas. Der Test weist eine gute Sensitivität und Spezifität (70–80%) auf; er ist jedoch aufgrund der langdauernden Urinsammelperiode von 6–10 h mit einem gewissen Aufwand verbunden. Alle indirekten Funktionstests haben den Nachteil, dass eine diagnostisch ausreichende Sensitivität erst bei mäßig bis stark ausgeprägter Funktionseinschränkung gegeben ist. Wenn diese Limits akzeptiert werden, muss der Test deshalb vor allem einfach durchführbar sein. Vielerorts hat sich deshalb die Messung der Stuhlelastase als einfachstes Testverfahren etabliert (Hardt et al. 2003).
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. Abb. 40.12. Die Computertomographie des Abdomens bei chronisch kalzifizierender Pankreatitis zeigt die intraduktalen Verkalkungen. Das Pankreasparenchym wirkt inhomogen und aufgelockert und die Strukturen sind unregelmäßig begrenzt
auch die Computertomographie des Abdomens haben die Diagnostik der chronischen Pankreatitis wesentlich erleichtert. Fokale oder diffuse Veränderungen des Pankreas, Unregelmäßigkeiten oder eigentliche Dilatationen der Pankreasgänge wie auch Flüssigkeitsansammlungen (z. B. Pseudozysten) im Parenchym können in der Regel ohne Probleme nachgewiesen werden (. Abb. 40.12). Die Sensitivität und Spezifität der Abdomensonographie liegt bei 60–70% bzw. 80–90%. Die Computertomographie weist eine bessere Sensitivität (>90%) bei vergleichbarer Spezifität auf. Zum Nachweis von Komplikationen einer Pankreatitis ist die CT-Untersuchung die bevorzugte Methode. Die Abgrenzung gegenüber malignen Veränderungen ist jedoch auch mit dem CT schwierig. Hier hat der endoskopische Ultraschalls (EUS) eine gewisse Bedeutung. Die Grenzen der Methoden liegen momentan in der korrekten Diagnose früher Stadien der Pankreatitis sowie in der Differenzierung entzündlicher gegenüber neoplastischer Pankreasveränderungen (Rösch et al. 1992, Rösch et al. 2004). Die Endosonographie hat aber eine hohe Genauigkeit erreicht und hat in geübten Händen eine hohe Sensitivität und Spezifität (speziell hoher negativer prädiktiver Wert). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Qualität der Methode außerordentlich untersucherabhängig ist (Aithal et al. 2002). Durch die Wand des Magens können EUS-gesteuerte Feinnadelbiopsien durchgeführt werden, um Zytologien von Pankreasmassen zu erhalten. Die strukturelle
705 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
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Integrität der Drüsen kann jedoch weiterhin nur an Biopsien beurteilt werden.
Die EUS-geführte Feinnadelaspiration hat sich aber in den letzten Jahren rasch zur Methode der Wahl bei der diagnostischen Abklärung von Raumforderungen im Pankreas entwickelt.
Endoskopische retrograde Cholangiopankreatographie. Die ERCP hat ihre Bedeutung in der Diagnostik der chronischen Pankreatitis eingebüßt und ist in der Regel nur noch zur therapeutischen Intervention angezeigt. Bis Mitte der 90er-Jahre war sie die Referenzuntersuchung zum Nachweis duktaler Abnormitäten bei der chronischen Pankreatitis (. Abb. 40.13). Nach der Cambridge-Klassifikation können die duktalen Veränderungen fraglich (Cambridge I), leicht bis mäßig (Cambridge II) oder ausgeprägt (Cambridge III) sein (Axon et al. 1984). Die Korrelation dieser Veränderungen mit den CT-Befunden ist bei den ausgeprägtesten Formen am besten. Ähnliche Rückschlüsse sind auch in Bezug auf die exokrine Pankreasfunktion zulässig. Die meisten Patienten mit deutlichen Pankreasgangveränderungen zeigen eine eingeschränkte Pankreasfunktion und vice versa. Es gibt aber auch Patienten mit normalem Gangsystem und abnormer Funktion oder umgekehrt! Physiologische, altersabhängige Pankreasgangunregelmäßigkeiten oder ein persistierender Schaden nach akuter nekrotisierender Pankreatitis erschweren gelegentlich die Diagnose einer chronischen Pankreatitis. Die Schwere der duktalen Veränderungen nimmt mit der Krankheitsdauer zu.
Ein vollständiger Verschluss des Hauptganges ist ungewöhnlich und muss ein Malignom vermuten lassen.
Magnetresonanz-Cholangiopankreatographie. Die MRCP lie-
fert ausgezeichnete Bilder der abdominellen Eingeweide, einschließlich der Leber, der Gallenwege und des Pankreas. Verschiedene neuere Studien dokumentieren, dass die MRCP- der ERCP-Diagnostik ebenbürtig ist (Soto et al. 1996 Domagk et al. 2004). Da es sich um ein nichtinvasives bildgebendes Verfahren handelt ohne Risiko für Pankreatitis, sollte die Magnetresonanzuntersuchung des Pankreas das diagnostische ERCP ersetzen. Die Bildgebung kann verbessert werden durch gleichzeitige intravenöse Gabe von Sekretin. Die genaue Methodik für ein SekretinMR des Pankreas ist zurzeit in Diskussion. Differenzialdiagnose Bei einem Patienten mit langer Alkoholanamnese, typischen Schmerzen und rezidivierender Hyperamylasämie, ist die Diagnose kaum problematisch. Anders jedoch bei nicht derart offensichtlicher Anamnese: Hier können verschiedene andere Ursachen wie z. B. eine Ulkuskrankheit, Gallensteine, ein Reizdarmsyndrom und eine Endometriose den chronischen Abdominalschmerzen zugrunde liegen. Die Differenzialdiagnose der chronischen Pankreatitis ist von 2 Schwierigkeiten geprägt. Die eine Problematik betrifft Patienten mit chronischen Abdominalschmerzen und chronischer Pankreatitis, deren bildgebende Verfahren jedoch unauffällige Resultate zeigen. Hier sind Funktions-
. Abb. 40.13. ERCP einer fortgeschrittenen chronischen Pankreatitis: Der Ductus Wirsungianus ist deutlich dilatiert. Im distalen Anteil lässt sich ein Konkrement als Kontrastmittelaussparung erkennen. Die Seitenäste im Pankreaskopf sind verplumpt, dilatiert und unregelmäßig begrenzt; im Korpus fehlen sie praktisch vollständig
tests notwendig. Zum anderen gibt es die Unterscheidung der chronischen Pankreatitis vom Pankreaskarzinom. Patienten mit chronischer Pankreatitis weisen ein erhöhtes Karzinomrisiko auf (Lowenfels et al. 1993), das z. B. bei Patienten mit hereditärer Pankreatitis 5-mal größer ist als bei Gesunden. Die Differenzierung kann außerordentlich schwierig sein und gelegentlich die chirurgische Resektion zur Diagnosenstellung erfordern. Die Stützpfeiler der Diagnose sind immer die bildgebenden Verfahren, gelegentlich kombiniert mit gesteuerter Feinnadelbiopsie oder mit Biopsieentnahme. Endoskopische Bürstenabstriche des Gallen- oder Pankreasganges können ebenfalls diagnostisch sein. Obwohl die Sensitivität zwischen 70–96% liegt, erlaubt ein negatives Resultat keine sicheren Rückschlüsse. Zusätzliche Techniken wie Flusszytometrie und Bestimmung von Genmutationen wurden zur Verbesserung der Sensitivität entwickelt (Ryan u. Baldauf 1994). Dennoch bleiben negative Befunde eine diagnostische Herausforderung. 40.5.5 Therapie Die Therapie der chronischen Pankreatitis konzentriert sich auf die Kontrolle der Schmerzen, die Korrektur der Maldigestion/ Malabsorption sowie die Behandlung von Gangobstruktionen und eventuellen Komplikationen. Schmerzmanagement Die Schmerzen bedürfen in der Regel einer systematischen und oft intensiven Therapie. Das Schmerzsyndrom ist allerdings nicht leicht zu quantifizieren. Das Ausmaß der Beschwerden wird durch Probleme wie die Abhängigkeit von Alkohol oder von Narkotika mitbeeinflusst und die Schmerztherapie dadurch kompliziert. Obschon eine gewisse spontane Schmerzlinderung
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Kapitel 40 · Pankreas
im Krankheitsverlauf denkbar ist, sind analgetische Behandlungen häufig während Monaten und Jahren nötig. Stützpfeiler der konservativen Schmerztherapie 5 Alkoholabstinenz 5 Analgetika – Leichte Schmerzen: peripher wirksame Analgetika (Salizylate, Paracetamol) – Mäßige Schmerzen: Kombination: peripher wirksame Analgetika + niedrig potente, zentral wirksame Analgetika (Tramadol) – Schwere Schmerzen: Kombination: peripher wirksame Analgetika + hoch potente, zentral wirksame Analgetika (Buprenorphin, Pentazocin) 5 Antidepressiva 5 Säuresekretionshemmer: Protonenpumpenblocker 5 Plexus-coeliacus-Nervblockade
Alkoholabstinenz. Die Wirkung der stets dringend empfohlenen Alkoholabstinenz auf die Schmerzhäufigkeit wird kontrovers beurteilt. Sicher konnte jedoch gezeigt werden, dass Patienten mit chronischer Pankreatitis durch weiteres Trinken ihre Überlebensrate deutlich ungünstig beeinflussen (Ammann et al. 1984). Patienten sollten deshalb ermutigt werden, an einem Entzugsprogramm teilzunehmen und abstinent zu bleiben. Analgetika. Die medikamentöse Therapie der Schmerzen ist
wichtig und sollte in der initialen Phase der chronischen Pankreatitis mit peripher wirkenden Analgetika wie Salizylaten oder Paracetamol versucht werden. Die Dosierung ist individuell anzupassen und die Medikamente sollten, wenn möglich, vor den Mahlzeiten eingenommen werden, damit postprandial akzentuierte Schmerzen besser kontrolliert werden können. Bei zunehmender Symptomatik sind zunächst die Dosierung und die Frequenz der Tabletteneinnahme zu steigern. In schweren Fällen müssen jedoch Opiate eingesetzt werden.
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Säureblocker. Durch die Hemmung der Magensäureproduktion durch Protonenpumpenblocker wird der Säureload ins Duodenum vermindert und das intraduodenale pH angehoben; dadurch wird der endogene Stimulus zur Pankreassekretion reduziert. Eine reduzierte Pankreassekretion könnte allenfalls die Schmerzsymptomatik günstig beeinflussen. Trotz fehlender systematischer Untersuchungsbefunde ist dieser therapeutische Ansatz weit verbreitet und wird regelmäßig versucht. Die Gabe von Protonenpumpenblocker zur Schmerztherapie ist nicht gut dokumentiert, die Medikamente sind aber häufig wichtig zur Behandlung der Malabsorption (Enzymsubstitution, 7 unten). Trypsin. Die orale Substitution von Pankreasenzymen soll die
Schmerzen durch einen negativen Feedbackmechanismus günstig beeinflussen. Normalerweise werden CCK-freisetzende Peptide durch Trypsin im Duodenum denaturiert. Bei der chronischen Pankreatitis ist die azinäre Produktion von Trypsin vermindert und entsprechend auch die Denaturierung des CCK-freisetzenden Peptids. Gemäss dieser Hypothese soll die vermehrte Sekretion von CCK Schmerzen provozieren, deren Mechanismus nicht sicher geklärt ist, aber möglicherweise von einer vermehrten Enzymproduktion abhängt. Peroral einge-
nommene Pankreasenzyme in hoher Dosierung sollen diesen Defekt korrigieren und die Denaturierung des CCK-freisetzenden Peptids wieder verbessern (Layer et al. 1990). Die publizierten Daten von randomisierten Studien zeigen jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die Schmerzlinderung durch eine Enzymtherapie. Zusätzlich konnte bei Patienten mit chronischer Pankreatitis keine erhöhten CCK-Blutspiegel nachgewiesen werden, sodass die ganze Hypothese auf wackligen Füssen steht. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die orale Gabe von Trypsin keine wirkungsvolle Schmerzbehandlung darstellt. Plexus-coeliacus-Nervblockade. Patienten mit schweren, nicht beherrschbaren Schmerzen, können einer Blockade des Plexuscoeliacus-Nerven zugeführt werden. Obwohl die Injektion von Alkohol in den Plexus des N. coeliacus gewöhnlich Patienten mit fortgeschrittenem Karzinom vorbehalten ist, lässt sich diese Therapie auch bei schwersten Schmerzen bei chronischer Pankreatitis versuchen. Der Therapieerfolg variiert beträchtlich und dauert zumeist nur einige Monate. Da überdies Komplikationen wie orthostatische Hypotonien oder Hemiparese beschrieben wurden, sollte dieses Verfahren nur zurückhaltend erwogen werden. Durch die nur vorübergehend wirksamen Blockaden z. B. mit Kortikosteroiden können Patienten besser charakterisiert werden, die allenfalls von einem definitiven Verfahren profitieren würden.
Therapie der Maldigestion/Malabsorption Enzymsubstitution. Das Ziel der Enzymsubstitution ist die Kompensation der exokrinen Pankreasinsuffizienz. Die Korrektur der Fettmangelverdauung ist dabei am schwierigsten zu erreichen. Zur adäquaten Behandlung der Malabsorption müssen 5–10% der physiologischen Maximalmenge an Lipase ins Duodenum gelangen. Unter optimalen Bedingungen, d. h. bei fehlender Inaktivierung der Enzyme im Magen oder Duodenum, müssen folglich ca. 28.000 IU Lipase pro Mahlzeit eingenommen werden, damit eine Steatorrhö korrigiert werden kann (DiMagno 1982). Da die Lipase säureinstabil ist, wird deren Inaktivierung eine wichtige Bedeutung zugemessen. Zur Wirkungsverbesserung wurden deshalb Tabletten mit pH-sensitiver Oberfläche entwickelt, die sich erst bei einem pH über 5 auflösen. Durch dieses spezielle Coating werden die Enzyme während der Magenpassage von der Säure geschützt. Zusätzlich wird versucht, die Enzymsubstitution durch Säuresekretionshemmung zu verbessern. Der intraduodenale pH ist bei Patienten mit exokriner Insuffizienz in der Regel erniedrigt (reduzierte Enzym- und Bikarbonatsekretion!); durch Gabe eines Säureblockers (Protonenpumpenblocker) wird die Säureproduktion vermindert, der Säureload in den Dünndarm reduziert, was zu einem erhöhten intraduodenalen pH führt und so zu einem verbesserten »milieu intérieur«. Die Enzymtabletten können während des Essens eingenommen werden, ohne dass sich dies nachteilig auf die Effektivität des Medikamentes auswirkt (DiMagno et al. 1977). Die Wirksamkeit der Enzymsubstitution kann relativ einfach anhand des Gewichtsverlaufes und anhand der Reduktion von Diarrhö, Abdominalschmerzen sowie Blähungen überprüft werden. Für wissenschaftliche Zwecke müssen zusätzlich der Fettgehalt des Stuhles oder die exokrine Funktion gemessen werden. Die oralen Pankreasenzyme vermindern die Resorption von Folsäure durch Bildung unlöslicher Komplexe und verschlechtern die Eisenabsorption signifikant.
707 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
Mittelkettige Triglyzeride. Früher wurden als diätetische Maßnahmen bei Patienten mit Steatorrhö mittelkettige Triglyzeride der ansonsten fettarmen Diät zugesetzt. Obwohl die mittelkettigen Triglyzeride den theoretischen Vorteil einer von Lipase und Gallensalzen unabhängigen Resorption haben, klagten viele Patienten über eine verstärkte Diarrhö, sodass diese Behandlungsmaßnahme an Popularität verloren hat.
Korrektur von Gangobstruktionen Bei Patienten mit zunehmenden oder therapierefraktären Schmerzen sollte eine CT-Untersuchung veranlasst werden, um Komplikation wie Pseudozysten auszuschließen. Da eine duktale Hypertonie, wie früher bereits erwähnt, als mögliche Ursache der Schmerzen in Frage kommt, wurden chirurgische und endoskopische Verfahren zur Drucksenkung entwickelt. Die bis jetzt publizierten Studien können eine günstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch die endoskopischen Verfahren nicht sicher bestätigen. Umso mehr müssen Vorteile und Risiken der Behandlung kritisch gegeneinander abgewogen werden, zumal erhebliche Schädigungen des Gangsystems wie auch des Parenchyms denkbar sind. Verschiedene endoskopische Verfahren wurden entwickelt und empfohlen. Bei einer Dilatation des gesamten Pankreasganges kann eine endoskopische Sphinkterotomie des Ductus pancreaticus die Drainage genügend verbessern und entsprechend die Beschwerden günstig beeinflussen (Kozarek et al. 1994). Auch Lithotrypsien und Steinextraktionen aus dem Pankreasgang sowie Stenteinlagen wurden versucht. Die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung der Beschwerden mit einer kombinierten Endotherapie liegt zwischen 50–85% während der folgenden 15–25 Monate. Verglichen mit dem chirurgischen Verfahren ist die endoskopische Therapie relativ neu. Obwohl gute Resultate von einigen Experten berichtet werden, gehören die ERCP-Verfahren mit Ductus-pancreaticus-Sphinkterotomie, Stenteinlage zur Überbrückung von Strikturen und Fisteln sowie zur Steinextraktion spezialisierten Zentren vorbehalten.
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Kapitel 40 · Pankreas
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40.6
Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis R. Kasperk, C. Krones
) ) Die chronische Pankreatitis ist zumeist ein konservativ zu behandelndes Krankheitsbild. Lässt sich hiermit allerdings keine ausreichende Symptomkontrolle erzielen, sollten rechtzeitig chirurgische Optionen in die interdisziplinären therapeutischen Überlegungen einfließen.
40
40.6.1 Grundlagen Vieles in der Pathogenese der chronischen Pankreatitis (CP) ist nach wie vor ungeklärt. Bekannt sind allerdings die morphologischen (Zerstörung der azinären und Gangepithelien mit Gangobstruktion, Steinbildung und Fibrose) und funktionellen (Verlust der exokrinen und endokrinen Funktion) Folgen der schubweise verlaufenden, chronischen Entzündung. Klinisches Bild und Verlauf variieren stark. Chirurgische Behandlungsansätze zielen lediglich auf die anatomische Beseitigung von Folgezuständen, die in 30–60% der Betroffenen zu erwarten sind (Mayerle et al. 2004). Ob darüber hinaus auf der Basis der heute optimierten Diagnostik und damit früher einsetzenden Therapie zumindest eine Verzögerung des fortschreitenden Zerstörungsprozesses erreicht wird, ist nicht gesichert. Objektiv nachweisbare Komplikationen rechtfertigen chirurgische Maßnahmen: Stenosen und Strikturen, Pseudozysten, Infektionen, Blutungen, Thrombosen und malignitätsverdächtige Raumforderungen. Zahlenmäßig treten diese Interventionen allerdings hinter der Indikationsstellung aufgrund des subjektiven Symptoms Schmerz zurück, der bis zu 90% der Patienten mit CP betrifft.
40.6.2 Therapieziele und Indikationsstellung Eine Operation kann den Krankheitsprozess nicht heilen. Der eigentliche Auslöser der CP, weltweit zu 75% chronischer Alkoholkonsum, hat auf die Therapiewahl nur insofern Einfluss, als die sichere Ausschaltung der Noxe Grundvoraussetzung für jegliche Planung chirurgischer Maßnahmen sein sollte.
Voraussetzung jeder chirurgischen Therapie sollte die sichere Beendigung des Alkoholabusus sein.
Ziel der Operation ist die Beseitigung der Komplikation mit einer Maßnahme, die so einfach wie möglich ist und dabei einen Parenchymverlust weitgehend vermeidet. Die operationsbedingte Funktionseinschränkung betrifft kaum die exokrine Aktivität des Organs, sondern die endokrine und zwar besonders nach Resektionen und nicht nach Drainageoperationen (Maartense et al. 2004). Grundlage jeder Operationsplanung ist die objektivierbare bildgebende Diagnostik. MRCP und ERCP definieren die Gangveränderungen, CT oder MRT erlauben die Beurteilung des Parenchyms sowie der umgebende Organe. Während bei den objektiven Komplikationen der CP die Bildgebung das Problem klar definiert und die Operation weitgehend festlegt, ergibt sich hinsichtlich der häufigsten Indikation Schmerz keine Korrelation zwischen der Ausprägung des subjektiven Symptoms und dem Ausmaß der anatomisch nachweisbaren Veränderungen. Therapeutische Entscheidungen basieren hier prinzipiell auf klinischen, d. h. subjektiven Kriterien und sind damit evidenzbasierten Evaluierungen nur begrenzt zugänglich. Die Entscheidung des »Wann« und »Ob« chirurgischer Maßnahmen ist also kranheitsimmanent komplex und wird durch die Tatsache, dass die Patienten typischerweise erst nach langjähriger internistischer Betreuung und ggf. interventioneller Therapie selektiv den Chirurgen sehen, nicht einfacher. Klare Hinweise auf die auszuwählende chirurgische Technik ergeben sich aus 3 anatomischen Informationen der Bildgebung: 4 Durchmesser des Pankreasgangs 4 Lokalisation einer Gangobstruktion 4 Nachweis einer umschriebenen Raumforderung Diese morphologischen Informationen sind zum einen wichtig im Zusammenhang mit der Hauptindikation Schmerz und zum anderen mit dem Dilemma des nicht auszuschließenden Malignoms. Zwei Theorien bilden die pathophysiologische Basis für eine chirurgische Intervention bei der primären Indikation Schmerz: 4 Theorie des lokalisierten viszeralen Kompartmentsyndroms (Druckerhöhung intraparenchymatös und in den Gängen durch entzündlich bedingte Abflussbehinderung) 4 Perineurale Entzündungstheorie (entzündungsbedingte Ausschüttung von toxisch wirkenden Substanzen mit direkter Wirkung auf die zahlreichen intra- und peripankreatischen Nerven) Da sich zudem im Pankreaskopf ein relativ großer Parenchymanteil befindet und den Veränderungen hier aufgrund klinischer Erfahrung eine Schrittmacherwirkung für den Verlauf der CP zugeschrieben wird, ergibt sich aus letzterer Theorie der thera-
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Kapitel 40 · Pankreas
Ryan ME, Baldauf MC (1994) Comparison of flow cytometry for DNA content and brush cytology for detection of malignancy in pancreaticobiliary strictures [see comments]. Gastrointest Endosc 40(2):133– 139 Sarles H (1992) Chronic pancreatitis and diabetes. Baillieres Clin Endocrinol Metab 6(4):745–775 Soto JA, Barish MA, Yucel EK, Siegenberg D, Ferrucci JT, Chuttani R (1996) Magnetic resonance cholangiography: comparison with endoscopic retrograde cholangiopancreatography [see comments]. Gastroenterology 110(2):589–597 Tarnasky PR, Hoffman B, Aabakken L et al. (1997) Sphincter of Oddi dysfunction is associated with chronic pancreatitis. Am J Gastroenterol 92(7):1125–1129 Whitcomb DC (2004) Value of genetic testing in the management of pancreatitis. Gut 53(11):1710–1717 Whitcomb DC (2004) Mechanisms of disease: advances in understanding the mechanisms leading to chronic pancreatitis. Nat Clin Pract Gastroenterol Hepatol 1(1):46–52 Whitcomb DC, Gorry MC, Preston RA et al. (1996) Hereditary pancreatitis is caused by a mutation in the cationic trypsinogen gene. Nat Genet 14(2):141–145 Wilson JS, Bernstein L, McDonald C, Tait A, McNeil D, Pirola RC (1985) Diet and drinking habits in relation to the development of alcoholic pancreatitis. Gut 26(9):882–887
40.6
Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis R. Kasperk, C. Krones
) ) Die chronische Pankreatitis ist zumeist ein konservativ zu behandelndes Krankheitsbild. Lässt sich hiermit allerdings keine ausreichende Symptomkontrolle erzielen, sollten rechtzeitig chirurgische Optionen in die interdisziplinären therapeutischen Überlegungen einfließen.
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40.6.1 Grundlagen Vieles in der Pathogenese der chronischen Pankreatitis (CP) ist nach wie vor ungeklärt. Bekannt sind allerdings die morphologischen (Zerstörung der azinären und Gangepithelien mit Gangobstruktion, Steinbildung und Fibrose) und funktionellen (Verlust der exokrinen und endokrinen Funktion) Folgen der schubweise verlaufenden, chronischen Entzündung. Klinisches Bild und Verlauf variieren stark. Chirurgische Behandlungsansätze zielen lediglich auf die anatomische Beseitigung von Folgezuständen, die in 30–60% der Betroffenen zu erwarten sind (Mayerle et al. 2004). Ob darüber hinaus auf der Basis der heute optimierten Diagnostik und damit früher einsetzenden Therapie zumindest eine Verzögerung des fortschreitenden Zerstörungsprozesses erreicht wird, ist nicht gesichert. Objektiv nachweisbare Komplikationen rechtfertigen chirurgische Maßnahmen: Stenosen und Strikturen, Pseudozysten, Infektionen, Blutungen, Thrombosen und malignitätsverdächtige Raumforderungen. Zahlenmäßig treten diese Interventionen allerdings hinter der Indikationsstellung aufgrund des subjektiven Symptoms Schmerz zurück, der bis zu 90% der Patienten mit CP betrifft.
40.6.2 Therapieziele und Indikationsstellung Eine Operation kann den Krankheitsprozess nicht heilen. Der eigentliche Auslöser der CP, weltweit zu 75% chronischer Alkoholkonsum, hat auf die Therapiewahl nur insofern Einfluss, als die sichere Ausschaltung der Noxe Grundvoraussetzung für jegliche Planung chirurgischer Maßnahmen sein sollte.
Voraussetzung jeder chirurgischen Therapie sollte die sichere Beendigung des Alkoholabusus sein.
Ziel der Operation ist die Beseitigung der Komplikation mit einer Maßnahme, die so einfach wie möglich ist und dabei einen Parenchymverlust weitgehend vermeidet. Die operationsbedingte Funktionseinschränkung betrifft kaum die exokrine Aktivität des Organs, sondern die endokrine und zwar besonders nach Resektionen und nicht nach Drainageoperationen (Maartense et al. 2004). Grundlage jeder Operationsplanung ist die objektivierbare bildgebende Diagnostik. MRCP und ERCP definieren die Gangveränderungen, CT oder MRT erlauben die Beurteilung des Parenchyms sowie der umgebende Organe. Während bei den objektiven Komplikationen der CP die Bildgebung das Problem klar definiert und die Operation weitgehend festlegt, ergibt sich hinsichtlich der häufigsten Indikation Schmerz keine Korrelation zwischen der Ausprägung des subjektiven Symptoms und dem Ausmaß der anatomisch nachweisbaren Veränderungen. Therapeutische Entscheidungen basieren hier prinzipiell auf klinischen, d. h. subjektiven Kriterien und sind damit evidenzbasierten Evaluierungen nur begrenzt zugänglich. Die Entscheidung des »Wann« und »Ob« chirurgischer Maßnahmen ist also kranheitsimmanent komplex und wird durch die Tatsache, dass die Patienten typischerweise erst nach langjähriger internistischer Betreuung und ggf. interventioneller Therapie selektiv den Chirurgen sehen, nicht einfacher. Klare Hinweise auf die auszuwählende chirurgische Technik ergeben sich aus 3 anatomischen Informationen der Bildgebung: 4 Durchmesser des Pankreasgangs 4 Lokalisation einer Gangobstruktion 4 Nachweis einer umschriebenen Raumforderung Diese morphologischen Informationen sind zum einen wichtig im Zusammenhang mit der Hauptindikation Schmerz und zum anderen mit dem Dilemma des nicht auszuschließenden Malignoms. Zwei Theorien bilden die pathophysiologische Basis für eine chirurgische Intervention bei der primären Indikation Schmerz: 4 Theorie des lokalisierten viszeralen Kompartmentsyndroms (Druckerhöhung intraparenchymatös und in den Gängen durch entzündlich bedingte Abflussbehinderung) 4 Perineurale Entzündungstheorie (entzündungsbedingte Ausschüttung von toxisch wirkenden Substanzen mit direkter Wirkung auf die zahlreichen intra- und peripankreatischen Nerven) Da sich zudem im Pankreaskopf ein relativ großer Parenchymanteil befindet und den Veränderungen hier aufgrund klinischer Erfahrung eine Schrittmacherwirkung für den Verlauf der CP zugeschrieben wird, ergibt sich aus letzterer Theorie der thera-
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peutische Ansatz der Pankreaskopfresektion. Der komplementäre Ansatz besteht in einer Druckminderung durch Ableitung des Gangsystems in den Darm. 40.6.3 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl Die chirurgische Therapiewahl in der Behandlung von Schmerzen bei CP bewegt sich zwischen den Polen Drainage und Resektion. Die chirurgische Strategiewahl erfolgt unter Einbeziehung anatomischer Daten, Komorbiditäten und psychosozialer Faktoren wie Analgetikaabhängigkeit, Alkoholabusus etc. Die 7 Übersicht stellt die verfügbaren Techniken zusammen. Die Namensgebung erfolgt teils nach dem Erstbeschreiber, teils nach der chirurgischen Maßnahme. Gerade einige neuere Operationstechniken, auf die weiter unten eingegangen wird, lassen sich allerdings diesem Schema nicht mehr eindeutig zuordnen: sie kombinieren drainierende wie resezierende Elemente. Chirurgische Therapieoptionen zur Behandlung der CP im Rahmen der Hauptindikation Schmerz 5 Drainageoperation – Drainage ohne Teilresektion (Partington-Rochelle) – Drainage mit Teilresektion (DuVal, Puestow-Gillesby) 5 Resektion – Pankreaskopfresektion/Duodenopankreatektomie (Kausch-Whipple, pyloruserhaltende DPE, duodenumerhaltende DPE) – Pankreaslinksresektion/subtotale Pankreasresektion – Totale Pankreatektomie 5 Neuroablative Verfahren 5 Bilaterale thorakoskopische Splanchniektomie
Drainageoperationen sind insbesondere dann indiziert, wenn der Ductus Wirsungianus auf mehr als 6 mm dilatiert ist. Die Pankreaskopfresektion ist speziell dann indiziert, wenn sich der entzündliche Zerstörungsprozess vor allem in dieser Organregion abspielt und das Gangsystem wenig dilatiert ist oder wenn hier eine umschriebene Raumforderung mit nicht sicher ausschließbarer Malignität vorliegt. Neuroablative Maßnahmen kommen nur in Betracht, wenn die vorgenannten Eingriffe aufgrund spezieller, zumeist allgemeiner Kontraindikationen nicht durchführbar oder hinsichtlich einer Beseitigung des Schmerzes gescheitert sind. In den letzten Jahren haben sich kombinierte Operationstechniken herausgebildet, die versuchen, den oftmals weniger eindeutigen anatomischen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Abgesehen davon, dass diese Eingriffe nicht mehr klar in die o. g. Kategorien einzuordnen sind, beziehen sie sich auf zahlenmäßig immer kleinere Subkollektive. Das macht die Beurteilung ihrer Wertigkeit schwierig und wirft die Frage auf, ob hierzu publizierten prospektive Vergleichsstudien mit Gruppengrößen von 20–30 Patienten den Begriff der daraus abgeleiteten »Level-IEvidenz« nicht überdehnen (Sakorafas et al. 2001). Generell gilt, dass das Risiko der Operation und speziell das Risiko der Resektion in den letzten Jahren erheblich gesenkt werden konnte: Die Letalität liegt meist unter 3%. Auch laparoskopische Vorgehensweisen wurden publiziert. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Laparoskopie zur Durchführung der
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genannten großen drainierenden oder resezierenden Verfahren zahlenmäßig relevante Bedeutung erlangen wird. Während die Ergebnisse der chirurgischen Therapie, gleich ob es sich um Drainage- oder resezierende Operationen handelt, bei korrekter Indikationsstellung sehr gut sind, zeigen Langzeituntersuchungen nach mehr als 5 Jahren eine klare Verschlechterung der Situation. Dies gilt speziell für Patienten mit weiterem Alkoholabusus in Kombination mit insulinpflichtigem Diabetes (Olah et al. 2004). 40.6.4 Operationstechnik Drainageoperationen Therapierefraktäre Schmerzen bei dilatiertem Pankreasgang und Abwesenheit einer umschriebenen Raumforderung bilden die klassische Befundkonstellation für diesen Eingriff. Vorteile sind der maximale Erhalt von Parenchym sowie eine minimale Morbidität (<5% Majorkomplikationen) und Letalität (0–4%). Der schmerzstillende Effekt liegt bei 80–90% nach einem Jahr und 60–85% nach 5 Jahren, wobei abstinente Patienten sich stets am oberen Ende des Spektrums befinden.
Voraussetzung für die Drainageoperation ist das Vorliegen einer »Large-duct«-Erkrankung mit einem Gangdurchmesser von über 6 mm.
Heute kaum noch praktiziert werden die ursprünglichen Varianten der Drainageoperation nach DuVal (limitierte distale Resektion mit End-zu-End-Pankreatojejunostomie, 1954) oder Puestow-Gillesby (limitierte distale Resektion mit Längseröffnung des Pankreasgangs und Drainage beider Flächen über eine Roux-Y-Schlinge, 1958). Standard ist die laterolaterale Pankreatojejunostomie nach Partington-Rochelle (1960), die keine distale Resektion beinhaltet. Grundlage des Eingriffs ist die langstreckige ventrale Eröffnung des Pankreasgangs in einer Ausdehnung von mindestens 8–10 cm, um eine möglichst zuverlässige Dekompression des oftmals multipel strikturierten Gangsystems (»chain of lakes«) zu erzielen. Meist lassen sich auch größere Mengen an Konkrementen aus dem Hauptgang und Nebenästen entfernen (. Abb. 40.14).
. Abb. 40.14. Aus dem Ductus pancreaticus entferntes Steinmaterial
710
Kapitel 40 · Pankreas
Standard der typischen Drainageoperation bei CP ist die laterolaterale Pankreatojejunostomie nach Partington-Rochelle.
An technische Grenzen stößt die Gangeröffnung im Pankreaskopfbereich. Die Organdicke ist hier erheblich größer und der Pankreasgang taucht nach dorsal ab. Zudem lässt sich über eine einfache ventrale Eröffnung das Drainagegebiet des Ductus Santorini nicht erreichen. Zur Lösung dieses Problems wurde eine Operation konzipiert, die die langstreckige Eröffnung des Pankreasganges mit einer »Aushöhlung« des Pankreaskopfes von ventral kombiniert (auch Frey-Verfahren genannt). Die Drainage erfolgt wiederum über eine Seit-zu-Seit-Anastomose in eine Roux-Y-Schlinge. Eine weitere Modifikation des kombiniert drainierenden und resezierenden Vorgehens bezieht sich auf Fälle, in denen bei CP und Fehlen einer fokalen Raumforderung keine oder nur eine geringgradige Dilatation des Ganges vorliegt. Durch die Exzision eines bis auf den Ductus Wirsungianus reichenden V-förmigen Segments aus der Ventralfläche des Pankreas wird versucht, einen möglichst großen Anteil des Organs zu dekomprimieren. Diese Variante ist parenchymsparend und daher insbesondere bei bereits erheblich eingeschränkter Pankreasfunktion attraktiv. Allerdings sind die Erfahrungen hierzu sehr begrenzt und die Ergebnisse widersprüchlich (Sakorafas et al. 2001). Stenosen bzw. Strikturen, die auf den Sphincter Oddi begrenzt sind, werden heute zumeist endoskopisch angegangen. Nur selten ergibt sich im Rahmen einer CP die Indikation zu einer transduodenalen Papillotomie oder einer Papillenexzision und Gang-Reimplantation. Genereller Vorteil aller reinen oder kombinierten Drainageverfahren gegenüber der Resektion ist der weitgehende Parenchymerhalt und die Vermeidung der technisch oft schwierigen Pankreasdurchtrennung vor dem Venenkonfluens. Nachteil ist
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. Abb. 40.15. Die pyloruserhaltende Pankreatikoduodenektomie nach Traverso und Longmire. Die Rekonstruktion wird mit einer lateralen Pankreatikojejunostomie, einer End-zu-Seit-Choledochojejunostomie und einer End-zuSeit-Duodenojejunostomie durchgeführt. (Aus Traverso u. Longmire 1978)
die ggf. unzureichende Dekompression eines stenosierten D. choledochus. Die Naht der laterolateralen Anastomose ist unproblematisch, da das Pankreas bei CP ein sehr sicheres Nahtlager bietet. Es wird resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 3–0 oder 4–0 verwendet, sowohl Einzelknopfnähte als auch fortlaufende Naht sind möglich. Jeder Stich umfasst die gesamte Darmwand und Pankreaskapsel mit darunter liegendem Parenchym. Eine direkte Adaptation zwischen Mukosa des Darms und des Pankreasgangs ist nur im Pankreaskorpus/-schwanzbereich möglich und auch nicht unbedingt erforderlich. Resezierende Operationen Die überwiegend fokale Ausprägung des Krankheitsprozesses mit Schmerzen oder eine Raumforderung mit Malignitätsverdacht sind Indikationen zur Resektion bei der CP. Auch spezifische Komplikationen wie eine Gallengangs- oder Duodenalstenose oder eine Zystenbildung können eine Resektion indizieren. Genereller Nachteil dieses Vorgehens ist der Parenchymverlust bei ohnehin reduzierter Funktionsreserve und der technisch höhere Anspruch des Eingriffs. Insbesondere gilt letzteres für Fälle mit vaskulärer Beteiligung (Kompression, Okklusion; Alexakis et al. 2004). Über Jahrzehnte hatte die klassische Duodenopankreatektomie (DPE) nach Kausch-Whipple (1912/1935) eine prohibitiv hohe Letalität und Morbidität. Erst seit ca. 20 Jahren werden für die verschiedenen Varianten der Pankreaskopfresektion konstant Letalitätsraten unter 5% berichtet. Gleichwohl ist die Morbidität dieser ausgedehnten Eingriffe mit 20–50% auch heute noch nicht zu vernachlässigen. Der Operationserfolg der Pankreaskopfresektion im Hinblick auf die Indikation Schmerz liegt in einer ähnlichen Größenordnung wie der von drainierenden Verfahren mit nahe 90% nach einem und 60–80% nach 5 Jahren. Eine kausale Beziehung zwischen CP und Malignomentwicklung gilt heute als weitgehend gesichert. Das Risiko an einem duktalen Adenokarzinom zu erkranken wird mit 4% angegeben
711 40.6 · Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis
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b b aa
. Abb. 40.16a–c. Duodenumerhaltende Resektion des Pankreaskopfes nach Beger et al. a Der Pankreaskopf ist durchtrennt. b Ein Teil des Pankreaskopfes zwischen der duodenalen Seite der Portalvene und des intrapankreatischen Ductus choledochus ist rezesiert. c Rekonstruktion mit einer End-zu-End-Pankreatikojejunostomie mit dem Pankreaskorpus und einer Seit-zu-Seit-Pankreatikojejunostomie zur Resektionshöhle des Pankreaskopfes. (Aus Beger et al. 1997)
cc
(Mayerle et al. 2004). Ein Malignomverdacht als Operationsindikation liegt, soweit spezifiziert, in 16–58% der Fälle vor (Jimenez et al. 2003). In bis zu 10% der Kopfresektate bei vermeintlicher CP findet sich ein Malignom.
terminolaterale Duodenojejunostomie, ebenfalls mit fortlaufender resorbierbarer Naht und unter Verlagerung des Magens vor das Querkolon.
Pankreaskopfresektion. Eine Pankreaskopfresektion führte 1912 erstmalig Kausch durch, allerdings mit geringem Überlebenserfolg. Ähnlich schlecht waren auch die Ergebnisse von Whipple, der 1935 zunächst die zweizeitige und 1941 dann die einzeitige Variante des Eingriffs publizierte. Während diese Autoren den distalen Magen resezierten, publizierte Watson 1944 die pyloruserhaltende DPE. Erst nach erneuter Publikation durch Traverso und Longmire 1978 erreichte diese Technik Popularität und gilt heute vielerorts als die Standardversion der Pankreaskopfresektion bei CP (. Abb. 40.15). Der proximale, meist mit einer Staplernaht verschlossene Dünndarm wird dabei transmesokolonisch in den Oberbauch geführt und zunächst eine terminolaterale Pankreatikojejunostomie angelegt. Hierzu existieren vielfältige technische Variationen, von denen keine die grundsätzliche Überlegenheit besitzt. Im eigenen Vorgehen wird die hintere Zirkumferenz des durchtrennten Pankreas mit resorbierbaren Einzelknopfnähten seromuskulär mit der Darmwand vereinigt. Nach anschließender antimesenterialer Stichinzision des Dünndarms wird der Pankreasgang mit 2 adaptierenden Nähten (PDS 5–0) unter Mitfassen der Mukosa in den Darm implantiert. Anschließend erfolgt die Vorderwandnaht. Manchmal lässt sich durch eine zweite Nahtreihe eine Art Teleskopanastomose herstellen. 10–15 cm aboral erfolgt die terminolaterale Hepatikojejunostomie mit resorbierbarer Naht und weitere 30–40 cm aboral die
Die pyloruserhaltende DPE gilt heute vielerorts als Standard der Resektionsverfahren bei CP.
Den Duodenalverlust als potenziellen Nachteil der klassischen DPE vermeidet die von Beger 1981 konzipierte duodenumerhaltende Kopfresektion (. Abb. 40.16). Im Rahmen der Resektion des Pankreaskopfs nach Durchtrennung des Organs vor dem Venenkonfluens bleibt hier ein schmaler Saum Pankreasgewebe am Duodenum erhalten und wird mit der den Korpus drainierenden Schlinge anastomosiert (Köninger et al. 2004). Die Technik ist anspruchsvoll, es besteht die Gefahr einer Duodenalischämie. Größere Erfahrungen außerhalb der Gruppe um den Erstbeschreiber liegen nicht vor. Auch die bereits erwähnte Frey-Operation kann als Variante der Kopfresektion verstanden werden. Sie unterscheidet sich von der Beger-Operation durch den Verzicht auf die formale Organdurchtrennung und durch die Kombination mit einer longitudinalen Spaltung des Pankreasgangs, ggf. auch ohne Vorhandensein einer Dilatation (. Abb. 40.17). Die »Berner Modifikation« dieser Frey-Operation verzichtet wiederum auf die Längsspaltung des Organs. Das publizierte Datenmaterial zu den Ergebnissen all dieser Varianten im Vergleich zur klassischen Kausch-WhippleResektion ist begrenzt. Die Letalitäten sind ähnlich niedrig (<3%),
712
Kapitel 40 · Pankreas
b b
aa . Abb. 40.17. Duodenumerhaltende Resektion des Pankreaskopfes nach Frey et al. (1987). a Resektion des über den Pankreasgängen liegen-
den Pankreasgewebes, b gefolgt von einer longitudinalen Pankreatikojejunostomie. (Aus Izbicki u. Blöchle 1997)
die Erfolgschancen hinsichtlich Schmerzreduktion liegen allgemein bei 80–90% und die postoperative Morbidität ist tendenziell geringer.
klagen allerdings 50% der Patienten erneut über Schmerzen (Buscher et al. 2002). Ein konkurrierendes Verfahren ist die sonographisch oder CT-gesteuerte perkutane Coeliacus-Blockade durch Alkoholinjektion.
Pankreaslinksresektion. Diese auch als distale oder subtotale
Pankreasresektion bezeichnete Operation ist lediglich noch bei pathologischen Veränderungen, die sich auf Pankreaskorpus oder -schwanz begrenzen indiziert. Hierbei steht dann zumeist der Malignomverdacht im Vordergrund. Nachteilig sind insbesondere die regelhaft auftretenden erheblichen metabolischen Konsequenzen, speziell der endokrinen Insuffizienz. Aufgrund dieser gravierenden funktionellen Nachteile ist die subtotale Linksresektion unter der Indikation Schmerzbehandlung praktisch verlassen (Eckhauser et al. 2003). Totale Pankreatektomie. Auch diese Operation führt zwangs-
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läufig zu einer kaum zu handhabenden kompletten exo- und endokrinen Insuffizienz mit beträchtlichen Einschränkungen der Lebensqualität sowie signifikanter Morbidität und Letalität, insbesondere bei fortgesetztem Alkoholabusus. Selbst die Indikation im Rahmen einer »completion pancreatectomy« nach vorangegangener ineffektiver Teilresektion muss unter diesen Bedingungen kritisch gesehen werden (Sakorafas et al. 2001). Gleichwohl gibt es Autoren, die die totale Pankreatektomie, vorzugsweise unter Duodenum- und Milzerhalt für selektierte Patienten mit therapierefraktären Schmerzen bei CP vorschlagen (Alexakis et al. 2003).
Pankreaslinksresektion und totale Pankreatektomie werden heute bei CP zur Schmerzbehandlung wegen erheblicher funktioneller Nebenwirkungen kaum noch angewendet.
Neuroablative Verfahren Erfolgsaussagen hierzu sind aufgrund der geringen veröffentlichten Fallzahlen und der sehr unterschiedlichen Ergebnisse mit weitgehendem Fehlen von Langzeitresultaten schwierig. Abdominelle chirurgische Zugangswege sind verlassen. Die bilaterale thorakoskopische Splanchniektomie scheint eine komplikationsarme Methode zu sein (Bradley u. Bem 2003). Nach 4 Jahren
40.6.5 Peripankreatische Komplikationen Die Inzidenz von Gallengangsstenosen bei den hospitalisierten CP-Patienten schwankt je nach zu Grunde liegendem Kollektiv zwischen 3% und 60%. Chirurgische Kollektive zeigen höhere Inzidenzen als internistische (Vijungco und Prinz 2003). Ähnliches gilt für Duodenalstenosen, wobei deren Inzidenzen generell niedriger sind. Bei narbig fixierten Stenosen, die nicht im Rahmen einer Resektion angegangen werden, besteht die Indikation zur Choledochoduodeno- bzw. Choledochojejunostomie oder zur Gastroenterostomie. Die häufigste Ursache einer isolierten Milzvenenthrombose ist die perivenöse Entzündung bei CP. Obwohl diese in bis zu 45% der Fälle von CP vorliegt, ist sie meist asymptomatisch. Sie kann aber auch, in ca. 5%, über die Ausbildung von Ösophagus- oder Fundusvarizen oder über eine hypertensive Gastropathie zu massiven oberen gastrointestinalen Blutungen führen. Therapie der Wahl und bei Diagnosestellung nach einer Blutung indiziert ist die Splenektomie (Weber u. Rikkers 2003). Eine Routinesplenektomie bei Milzvenenthrombose ist aber nicht notwendig (Heider et al. 2004). Im Rahmen von akuten Blutungen bei der CP ist das Pseudoaneurysma mit 70% die häufigste Ursache. Dabei können alle Gefäße um das Pankreas Ausgangspunkt sein, meist sind aber die A. lienalis oder die A. pancreaticoduodenalis die Ursache. Wenn möglich sollten hämodynamisch stabile Patienten angiographiert und embolisiert werden. Bei Erfolg und Abwesenheit sonstiger Operationsindikationen ist das die definitive Behandlung. Andere Patienten müssen operiert und das Gefäß ligiert werden (Bergert et al. 2004). Häufig kommt es bei CP, wie auch nach akuter Pankreatitis, zur Bildung von Pseudozysten (. Kap. 40.4). Auf der Basis einer entzündungsbedingten Ruptur des Pankreasgangsystems kann es zur Kommunikation mit dem peripankreatischen Raum und der Ausbildung eines pankreatogenen Aszites oder eines entspre-
713 40.7 · Pankreastrauma
chenden Pleuraergusses kommen. Diese inneren Pankreasfisteln sollten initial konservativ mittels Octreotid und Stent angegangen werden (Dhebri u. Ferran 2005). Bei Persistenz wird nach Identifikation der Gangruptur per ERCP eine interne Drainage in eine Roux-Y-Schlinge vorgenommen.
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40.7
40
Pankreastrauma D. Oertli
) ) Pankreasverletzungen sind seltene Folgen eines meist stumpfen Abdominaltraumas. Die Mehrheit der stumpfen Pankreasverletzungen treten im Rahmen einer massiven Gewalteinwirkung im Oberbauch auf (oft mehrere Organe beteiligt) und werden anlässlich einer Notfalllaparotomie infolge eines hämorrhagischen Schocks diagnostiziert. Diagnostische Probleme hingegen bietet die isolierte Pankreasverletzung. Initiale Amylasebestimmung, Oberbauchsonographie und Peritoneallavage sind wenig hilfreich. Die Sensitivität der kontrastmittelverstärkten DünnschichtComputertomographie bezüglich Pankreasverletzungen liegt nur zwischen 71 und 85%. Das Verletzungsausmaß wird zudem computertomographisch eher unterschätzt. Bei klinischem Verdacht auf Pankreasverletzung muss diese durch repetierte klinische, labor- und bildgebende Untersuchung innerhalb der ersten Stunden aktiv gesucht bzw. ausgeschlossen werden. Morbidität und Letalität dieser Verletzung sind relevant und steigen mit Verzögerung von Diagnosestellung und Therapie. Wenn möglich sind Drainageverfahren den Resektionen vorzuziehen.
40.7.1 Grundlagen Epidemiologie Pankreasverletzungen sind selten; im Rahmen des stumpfen Bauchtraumas kommen sie in 1–5% der Fälle vor (Bradley et al. 1998). Abklärungs- und Therapieempfehlungen stützen sich deshalb ausschließlich auf retrospektive Arbeiten, die zudem bei größeren Fallzahlen multizentrisch erfasst wurden (Akhrass et al. 1997; Cogbill et al. 1991; Patton et al. 1997; Fleming 1999). Die Häufigkeit von Pankreasverletzungen beträgt in großen amerikanischen Traumazentren 0,4% aller Traumafälle. Während in der angloamerikanischen Literatur penetrierende Mechanismen durch Schuss- und Stichverletzungen mit 2/3 überwiegen (Amirata et al. 1994; Vasquez et al. 2001), sind in Mitteleuropa stumpfe Verletzungsmechanismen vorherrschend (Fartmann u. Kirchner 1985; Riedl et al. 1994). Klinische Symptomatologie Beim stumpfen Unfallmechanismus erfordert die retroperitoneale Lage des Pankreas eine massive Gewalteinwirkung, um eine Parenchymläsion zu bewirken. Am häufigsten sind Verletzungen des Pankreaskorpus unmittelbar ventral der Wirbelsäule zu erwarten. Bei Kindern stellt das abdominelle Trauma die häufigste Ursache der akuten Pankreatitis dar, da das Pankreas in diesem Alter sehr vulnerabel ist.
An eine Pankreasverletzung ist zu denken bei: 5 direkten Stößen auf Epi- oder Hypogastrium (Lenkstange, Lenksäule, hochsitzender Beckengurt), 5 Stichverletzungen des Rückens, der Flanke, des Epi- oder Hypogastrium, 5 abdominellen Schussverletzungen.
713 40.7 · Pankreastrauma
chenden Pleuraergusses kommen. Diese inneren Pankreasfisteln sollten initial konservativ mittels Octreotid und Stent angegangen werden (Dhebri u. Ferran 2005). Bei Persistenz wird nach Identifikation der Gangruptur per ERCP eine interne Drainage in eine Roux-Y-Schlinge vorgenommen.
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40.7
40
Pankreastrauma D. Oertli
) ) Pankreasverletzungen sind seltene Folgen eines meist stumpfen Abdominaltraumas. Die Mehrheit der stumpfen Pankreasverletzungen treten im Rahmen einer massiven Gewalteinwirkung im Oberbauch auf (oft mehrere Organe beteiligt) und werden anlässlich einer Notfalllaparotomie infolge eines hämorrhagischen Schocks diagnostiziert. Diagnostische Probleme hingegen bietet die isolierte Pankreasverletzung. Initiale Amylasebestimmung, Oberbauchsonographie und Peritoneallavage sind wenig hilfreich. Die Sensitivität der kontrastmittelverstärkten DünnschichtComputertomographie bezüglich Pankreasverletzungen liegt nur zwischen 71 und 85%. Das Verletzungsausmaß wird zudem computertomographisch eher unterschätzt. Bei klinischem Verdacht auf Pankreasverletzung muss diese durch repetierte klinische, labor- und bildgebende Untersuchung innerhalb der ersten Stunden aktiv gesucht bzw. ausgeschlossen werden. Morbidität und Letalität dieser Verletzung sind relevant und steigen mit Verzögerung von Diagnosestellung und Therapie. Wenn möglich sind Drainageverfahren den Resektionen vorzuziehen.
40.7.1 Grundlagen Epidemiologie Pankreasverletzungen sind selten; im Rahmen des stumpfen Bauchtraumas kommen sie in 1–5% der Fälle vor (Bradley et al. 1998). Abklärungs- und Therapieempfehlungen stützen sich deshalb ausschließlich auf retrospektive Arbeiten, die zudem bei größeren Fallzahlen multizentrisch erfasst wurden (Akhrass et al. 1997; Cogbill et al. 1991; Patton et al. 1997; Fleming 1999). Die Häufigkeit von Pankreasverletzungen beträgt in großen amerikanischen Traumazentren 0,4% aller Traumafälle. Während in der angloamerikanischen Literatur penetrierende Mechanismen durch Schuss- und Stichverletzungen mit 2/3 überwiegen (Amirata et al. 1994; Vasquez et al. 2001), sind in Mitteleuropa stumpfe Verletzungsmechanismen vorherrschend (Fartmann u. Kirchner 1985; Riedl et al. 1994). Klinische Symptomatologie Beim stumpfen Unfallmechanismus erfordert die retroperitoneale Lage des Pankreas eine massive Gewalteinwirkung, um eine Parenchymläsion zu bewirken. Am häufigsten sind Verletzungen des Pankreaskorpus unmittelbar ventral der Wirbelsäule zu erwarten. Bei Kindern stellt das abdominelle Trauma die häufigste Ursache der akuten Pankreatitis dar, da das Pankreas in diesem Alter sehr vulnerabel ist.
An eine Pankreasverletzung ist zu denken bei: 5 direkten Stößen auf Epi- oder Hypogastrium (Lenkstange, Lenksäule, hochsitzender Beckengurt), 5 Stichverletzungen des Rückens, der Flanke, des Epi- oder Hypogastrium, 5 abdominellen Schussverletzungen.
714
Kapitel 40 · Pankreas
. Tabelle 40.3. Pancreatic Organ Injury Scale der AAST
Grad I
Verletzungsmuster Hämatom
Geringe Kontusion ohne Gangbeteiligung
Lazeration
Oberflächlicher Organeinriss ohne Gangbeteiligung
Hämatom
Höhergradige Kontusion ohne Gangbeteiligung oder Gewebeverlust
Lazeration
Tiefe Rissverletzung ohne Gangbeteiligung oder Gewebeverlust
III
Lazeration
Distale Organruptur oder Parenchymdestruktion mit Gangbeteiligung
IV
Lazeration
Proximale Organruptur oder Parenchymdestruktion mit Beteiligung der Ampulla Vateri
V
Lazeration
Massive Pankreaskopfdestruktion
II
Beim stumpfen Pankreastrauma ist in mehr als 90% und beim penetrierenden Trauma in 60% der Fälle mit Begleitverletzungen zu rechnen (Cogbill et al. 1991). Assoziierte Leberrupturen und Verletzungen der zentralen infrahepatischen Gefäßachsen sind für die hohe Frühletalität durch Verbluten in 50–75%, verantwortlich (Amirata et al. 1994). Die Gesamtletalität nach Pankreasverletzung dagegen beträgt zwischen 2 und 18% (Patton et al. 1997; Bradley 1998). Sie wird in Abhängigkeit von der Verletzungsschwere, aber auch von der zeitgerechten Diagnose entscheidend beeinflusst (Arkovitz et al. 1997; Cogbill et al. 1991; Patton et al. 1997).
40
Klassifikation Für die Klassierung von Pankreasverletzungen hat sich der »Organ Injury Scale der American Association for the Surgery of Trauma« (AAST) etabliert (. Tab. 40.3; Moore et al. 1990). Er unterteilt die schweren Parenchymverletzungen mit Gangverletzungen entsprechend ihrer Lokalisation im Bezug auf die mesenteriale Gefäßachse in proximale und distale Läsionen unterteilt (Grad III und IV; Moore et al. 1990). Den höchsten Schweregrad in beiden Klassifikationen bilden die Pankreaskopfzerstörungen, die mit Begleitverletzungen des duodenalen Knies und der Gallenwege einhergehen können. 40.7.2 Diagnostik Während das stumpfe Massivtrauma des Oberbauchs wegen der Begleitverletzungen und das penetrierenden Trauma im Oberbauch obligat zur explorativen Laparatomie und damit in der Regel zur Diagnose der Pankreasverletzung führen, stellen isolierte Pankreastraumen ein relevantes diagnostisches Problem dar. Labordiagnostik Die Bestimmung der Amylase – auch im Eluat der Peritoneallavage bestimmt – in der Initialphase, lässt jegliche Sensitivität vermissen (Cogbill et al. 1991). Ansteigende oder persistierend
erhöhte Amylasewerte nach Oberbauchtrauma können hingegen ein Hinweis auf eine Pankreasverletzung sein. Bildgebende Verfahren Die abdominelle Sonographie ist zur Diagnostik von Pankreasverletzungen ungeeignet. Auch die Aussagekraft der CT ist wegen einer relativ niedrigen Sensitivität von 71–85% limitiert (Udekwu et al. 1996; Akhrass et al. 1996; Arkovitz et al. 1997). Die gezielte Suche nach indirekten Zeichen einer Pankreasverletzung, einem Extravasat zwischen Pankreas und Milzvene oder einer Verdickung der linken Gerotafaszie können die Sensitivität der CT verbessern (Lane et al. 1996). Das Verletzungsausmaß wird computertomographisch in bis zu 30% der Fälle unterschätzt (Ilahi et al. 2002). Positive CT-Befunde bei der Erstuntersuchung sind diagnostisch, während negative Befunde bei entsprechender Klinik, z. B. zunehmende epigastrische Schmerzen, eine erneute CT-Untersuchung bzw. eine explorative Laparatomie nach sich ziehen sollten. Die Integrität des Pankreasganges wird entweder mit der Magnetresonanz-Pankreatographie (MRP) oder zuverlässiger mit der ERCP – auch im Traumafall – nachgewiesen. Eine präoperative ERCP ist bei Hinweis auf Pankreasverletzung zum Nachweis und zur Lokalisierung eines Lecks im Gangsystem aber nur beim kreislaufstabilen Patienten indiziert. Bei unklaren ERCP-Befunden hat sich ein unmittelbar daran anschließendes CT zum Nachweis von ausgetretenem Kontrastmittel bewährt (Takishima et al. 1996). Die Wertigkeit der MRP in der akuten Traumaphase ist derzeit noch umstritten. Sie hat allerdings einen klaren Stellenwert in der posttraumatischen, chronischen Phase zur Beurteilung von Gangdilatation oder Strikturen (Lin 2004). Interventionelle Methoden In geeigneten Fällen von isolierter Pankreasverletzung mit Läsion des Gangsystems kann bei kreislaufstabilen Patienten die endoskopisch retrograde Stenteinlage in den Ductus Wirsungianus evaluiert werden. Es liegen mehrere Fallberichte von erfolgreichen Stentbehandlungen vor (Huckfeldt et al. 1996; Cattaneo et al. 2002; Hsieh et al. 2003). 40.7.3 Operative Therapie Die Behandlungsprinzipien des traumatisierten Pankreas unterscheiden sich nicht von denjenigen anderer verletzter parenchymatöser Organe: Blutstillung und Débridement avitaler Drüsenanteile, sowie Identifikation von Gangläsionen stehen an erster Stelle. Je nach Schweregrad und Lokalisation der Läsion stehen rekonstruktive oder resezierende Verfahren zur Auswahl, wobei interne und externe Drainagen zur Ableitung von Pankreassekret zusätzlich Anwendung finden. Art und Umfang der Begleitverletzungen, hämodynamische und gerinnungsphysiologische Verhältnisse bestimmen Art und Umfang der Erstversorgung. Exploration Der Pankreasexploration geht die Revision des übrigen Abdomens zum Ausschluss und zur Therapie von Begleitverletzungen voraus. Die Exploration des Pankreas nach stumpfem Trauma beinhaltet die aktive Suche nach Hämatomen in der Bursa omentalis, im kleinen Netz, im Lig. gastrocolicum und im Mesocolon transversum. Die Pankreasvorderseite wird durch Spaltung des Lig. gastrocolicum unter Schonung der gastroepiploischen Ge-
715 40.7 · Pankreastrauma
40
a
b
c
. Abb. 40.18. a Spaltung des Lig. gastrocolicum zur Exploration der Pankreasvorderwand; b digitale Palpation des Pankreaskopfes nach Kocher-Mobilisation; c Mobilisierung von Milz und Pankreasschwanz nach Spaltung des Lig. splenorenale und splenodiaphragmale zur Inspektion der Pankreashinterwand
fäße dargestellt und der Kopfbereich durch ein Kocher-Manöver mobilisiert (. Abb. 40.18). Läsionen im Schwanzbereich werden durch Mobilisation der Milz und des Pankreasschwanzes nach ventral und medial exploriert (. Abb. 40.18c). Die Palpation der Drüse verhindert das Übersehen einer Parenchymzerreißung bei intakter Kapsel. Hämatome werden durch Inzision der Kapsel entlastet und das Parenchym wird nach Defekten und Gangläsionen abgesucht. Bei entsprechender Ausdehnung der Läsion wird das Pankreas entlang seinem Ober- und Unterrand mobilisiert. Die Therapie von Pankreasverletzungen wird durch den Nachweis oder den Ausschluss einer Pankreasgangläsion bestimmt. Bei fehlender MRP oder ERCP ist der intraoperative Nachweis einer Pankreasgangverletzung schwierig und würde eine intraoperative ERCP erfordern, was beim Traumapatienten selten möglich ist. Ebenso ist eine antegrade Pankreatographie durch eine Duodenotomie zeitaufwendig und nicht komplikationsfrei. Nach Linksresektion können Abfluss und Gangläsionen nach proximal durch MRP oder ERP beurteilt werden.
Verfahrenswahl Eine Verletzung des Hauptdrüsenganges ist wahrscheinlich, wenn das CT-Bild eine komplette Parenchymdurchtrennung oder eine Verletzung mehr als 50% des Drüsenparenchyms zeigt. In diesen Fällen ist eine Laparotomie indiziert. Wenn die Verletzung inkomplett ist oder weniger als 50% des Parenchymes ausmacht, sollte die ERCP in geeigneten Fällen angewendet werden. Bei distaler Gangdisruption (Grad-III-Läsion; . Tab. 40.3) empfiehlt sich die Pankreaslinksresektion. Proximale Läsionen (Grad IV) hingegen werden am besten kombiniert durch Drainage und endoskopischer Stenteinlage versorgt. Die kephale Duodenopankreatektomie ist nur in Ausnahmefällen indiziert, wenn weniger invasive Verfahren nicht zum Ziel führen. Grad-VLazerationen erfordern eine pylorische Exklusion, eine Duodenaldivertikulierung kombiniert mit einer distalen Resektion oder einer Pankreatikojejunostomie oder einer Drainage. Auch hier steht die Whipple-Operation bei kompletter Kopfzerstörung als Ultima Ratio an letzter Stelle. Die Gesamtletalität nach diesem vereinfachten Vorgehen betrug in einer Studie mit 124 Pankreas-
716
Kapitel 40 · Pankreas
verletzungen 13%, die pankreasbezogene Letalität lediglich 2% (Patton et al. 1997). Die Morbidität war mit einer Komplikationsrate von 31% durchaus mit früheren Studien (Jones 1985; Mansour et al. 1989; Ivantury et al. 1990) vergleichbar. Drainageoperationen Die alleinige Drainage ist nach Kontusionen und Hämatomen (»Organ-Injury-Scale«-Grade I und II) meist genügend. Drainagen sollten bei allen Pankreasverletzungen großzügig eingesetzt werden, insbesondere dann, wenn eine Gangverletzung nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Resektions- und Rekonstruktionsoperationen Bei Verletzungen des Pankreas im Korpus- oder Schwanzbereich mit sichtbarer Gangläsion oder in Fällen, in denen eine Gangverletzung aufgrund einer >50% Parenchymzerreißung vermutet werden kann, ist die Linksresektion die Methode der Wahl. Die Splenektomie ist bei unverletzter Milz nicht obligat und sie kann in über 50% der Fälle, allerdings mit vermehrtem Zeitaufwand, vermieden werden (Cogbill et al. 1991). Rekonstruktionen, wie die Ableitung des kaudalen Pankreas in eine Roux-Y-Schlinge bei unsicherem Abfluss ins Duodenum (. Abb. 40.19) bzw. eines unverletzten Pankreasschwanz bei Korpusruptur (. Abb. 40.20), sind abhängig von Anzahl und Schweregrad der Begleitverletzungen. Gelegentlich ist dazu im Sinne der ›damage control‹ ein zweizeitiges Vorgehen indiziert. Diese Überlegungen gelten insbesondere bei zerstörtem Pankreaskopf mit Zusatzverletzung von Duodenum und Gallenwegen (Grad V), bei denen eine Duodenopankreatektomie (. Abb. 40.21) indiziert wäre. Beim isolierten Trauma bietet sich eine Pankreatikojejunostomie ohne Resektion nur in Ausnahmefällen an. Voraussetzung dafür ist eine limitierte Parenchymruptur bei intakter Pankreashinterfläche.
. Abb. 40.19. Distale Resektion und End-zu-End-Pankreatikojejunostomie mit einer Roux-Schlinge bei gleichzeitig bestehender Pankreaskopfkontusion
40.7.4 Komplikationen
40
Die Letalität nach Pankereasverletzungen wird hauptsächlich durch unkontrollierbare Blutungen in der Initialphase und in deutlich geringerem Umfang durch pankreasbedingte septische Komplikationen oder ein Multiorganversagen in der Spätphase bestimmt und liegt zwischen 5–23% (Patton et al. 1997; el-Boghdadly et al. 2000; Lin et al. 2004). Komplikationen sind nach Pankreasverletzungen mit Raten zwischen 8 und 45% hoch (Bradley et al. 1998). Die Morbidität steigt durch Diagnoseverzögerung zusätzlich bis auf über 60% an (Arkovitz et al. 1997; Patton et al. 1997; Olah et al. 2003; Lin et al. 2004). Die häufigste pankreasbedingte Komplikation sind intraabdominelle Abszesse (Akhrass et al. 1997; Vasquez et al. 2001). Sie sind häufiger nach Verletzungen in Kombination mit Hohlorganen, speziell nach Kolonverletzungen. Gehäuft wurden sie auch bei Massentransfusionen während der ersten 24 h beobachtet (Cogbill et al. 1991). Sie können mehrheitlich durch CT- oder ultraschallgesteuerte Punktion, Spülung und Drainage zur Ausheilung gebracht werden. Hingegen ist bei Pankreasabszessen mit Pankreasnekrosen ein offenes Débridement nötig. Gefürchtete Komplikation nach Pankreasläsionen und insbesondere nach Resektionen sind Pankreasfisteln (Häufigkeit bis 57% nach Vasquez et al. 2001). Nach Resektionen treten sie unabhängig von der Parenchymverschlusstechnik auf (Cogbill et al. 1991). Die Mehrheit aller Fisteln verschließen spontan.
. Abb. 40.20. Nahtverschluss des proximalen Pankreasstumpfes und distale Pankreatikojejunostomie End-zu-End mit einer Roux-Schlinge
717 40.7 · Pankreastrauma
. Abb. 40.21. Duodenopankreatektomie nach schwerer Kombinationsverletzung von Pankreaskopf und Duodenum
Parenterale und enterale (jejunale) Ernährung und in den letzten Jahren auch die Gabe von Somatostatin werden als adjuvante Maßnahmen empfohlen (Kellum et al. 1988; Amirata et al. 1994). Die günstigen Resultate einer Somatostatinbehandlung in der elektiven Pankreaschirurgie (Büchler et al. 1992) sprechen zudem für diese Zusatztherapie, deren Wertigkeit beim Trauma aber noch nicht geklärt ist (Amirata et al. 1994). Die posttraumatische Pankreatitis wird in 1–32% beobachtet (Jurkovich u. Carrico 1990; Vasquez et al. 2001). Sie ist bei fehlenden hämorrhagischen Komplikationen, die mit einer hohen Mortalität belastet sind, üblicherweise selbstlimitierend. Die Ausbildung von Pseudozysten (2–18%) ist nach operativer Behandlung von Pankreasverletzungen infolge der meist angewandten Drainagebehandlung selten (Akhrass et al. 1997; Bradley et al. 1998; Vasquez et al. 2001). Die Behandlung unterscheidet sich nicht von derjenigen von Pankreaspseudozysten anderer Ätiologie. Endo- und exokrine Insuffizienz nach Pankreasresektionen werden nur vereinzelt nach proximalen Resektionen von >80% der Drüse beschrieben (Jones 1985). Schließlich können Blutungskomplikationen an Resektionsrändern oder durch insuffiziente Ligaturen nach Milzexstirpation ein Grund für Reinterventionen nach Pankreasverletzungen darstellen.
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718
Kapitel 40 · Pankreas
40.8
Postoperative Syndrome nach Eingriffen am Pankreas inkl. Substitution der exokrinen Pankreasfunktion R. Fried
) ) Typische postoperative Syndrome wie Malabsorption und Maldigestion, Fisteln, chronische Schmerzen und die exokrine Pankreasinsuffizienz können in vielen Fällen konservativ behandelt werden. Der Einsatz von galenisch optimierten Pankreasenzympräparaten ist dabei ein wesentlicher Bestandteil der Therapie.
40.8.1 Epidemiologie In der modernen Pankreaschirurgie haben Mortalitätsraten und postoperative Morbidität sowie Komplikationen gegenüber früher deutlich abgenommen. Als mögliche Erklärung wird eine Änderung der Operationsverfahren mit weniger totalen Pankreatektomien und einer höheren Rate von pyloruserhaltenden Eingriffen angeführt. Kürzere Operationszeiten mit geringerem Blutverlust sind die Folge. Durch neue diagnostische Verfahren wird auch eine bessere Selektion von Patienten zur potenziell kurativen Resektion von Pankreaskarzinomen ermöglicht, mit 5-Jahres-Überlebensraten von über 40% (Crist et al. 1987). In einer neueren prospektiven Studie mit 650 Pankreatikoduodenektomien wurden bei einer Mortalitätsrate von lediglich 1,4% in 41% der Fälle postoperative Komplikationen wie verzögerte Magenentleerung (19%), Pankreasfisteln (14%) und Wundinfektionen (10%) beobachtet (Yeo et al. 1997). In 12 publizierten Studien aus den Jahren 1990–2000 werden Mortalitätsraten von 0–11% und Komplikationsraten von 18–54% beschrieben (Halloran et al. 2002). Die Komplikationen der Pankreaschirurgie lassen sich in frühe Komplikationen innerhalb der ersten 30 Tage und Langzeit- oder spät auftretende Komplikationen einteilen (7 Übersicht). Eine besondere Kategorie stellen Komplikationen der Pankreas- oder Inselzelltransplantation dar.
40 Postoperative Komplikationen in der Pankreaschirurgie 5 Frühkomplikationen – Sekundäre Blutung – Paralytischer Ileus – Sepsis – Fisteln – Abszess – Pankreatitis – Multiples Organversagen – Intestinale Obstruktionen – Verzögerte Magenentleerung 5 Spätkomplikationen – Rezidiv der Grundkrankheit – Chronische Schmerzen – Malabsorption – Malnutrition – Diabetes mellitus – Dumping – Peptische Ulzerationen
40.8.2 Frühkomplikationen Blutungen Früh postoperativ auftretende Blutungen können meist durch Erythrozytenersatz und Stabilisierung der Gerinnung beherrscht werden. Erst bei größeren Blutungen wird eine Relaparotomie notwendig. Gefürchtet ist die sekundäre oder verzögerte Blutung 1–3 Wochen nach Operation. Sie beruht auf einer Arrosion von Blutgefäßen nach Anastomoseninsuffizienz oder Abszessbildung. Die Behandlung erfolgt mit adäquatem Débridement und Drainage sowie Antibiotika. In Fällen von rezidivierender oder episodischer Blutung können gelegentlich konservative Maßnahmen erfolgreich sein. Paralytischer Ileus Ein prolongierter Ileus kann durch eine lokalisierte oder diffuse Peritonitis, ein retroperitoneales Hämatom oder den Austritt von Flüssigkeit aus einer defekten Anastomose resultieren. Elektrolytstörungen (Na+, Mg++) und medikamentöse Einflüsse spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Eine medikamentöse Stimulation mit Cholinesterasehemmern (Neostigmin) oder Parasympathomimetika (Distigmin) verbessert die Peristaltik. In jedem Falle ist der frühe Einsatz der enteralen Ernährung anzustreben. 40.8.3 Spätkomplikationen Chronische Schmerzen Chronische Schmerzen, die nach Operation nicht sistieren oder wieder neu auftreten, können oft nur mit Opiatanaloga beherrscht werden. In erster Linie sollte aber der Versuch unternommen werden, andere Mittel zur Schmerzbehandlung einzusetzen. Alkoholverbot und fettarme Kost in Verbindung mit Pankreasenzympräparaten stellen einen ersten Schritt dar (7 unten; exokrine Pankreasinsuffizienz). Bei ungenügender Wirkung können ein Spasmolytikum oder nichtsteroidale Antirheumatika, vorzugsweise zusammen mit einem Säuresekretionshemmer, eingesetzt werden. Schließlich wird aber bei vielen Patienten die Therapie mit einem zentral wirksamen Analgetikum (Tilidin, Tramadol) oder einer opiatähnlichen Substanz erfolgen. Als Alternative kommt die Blockade des Ganglion coeliacum mittels Injektion von absolutem Alkohol in Frage, wozu mehrere bildgebende Verfahren genutzt werden. Die paralumbare Injektion von Alkohol unter CT-Kontrolle oder die transabdominelle ultraschallgesteuerte Applikation von Alkohol sind technisch gut durchführbar, die schmerzstillende Wirkung dauert aber selten länger als 3 Monate an (Caratozzolo et al. 1997; Mercadante et al. 1998). Neu ist der Einsatz der Endosonographie zur punktgenauen transgastrischen Applikation von Alkohollösungen im Bereich des Ganglion coeliacum. Bei dieser Methode genügen geringere Injektionsmengen und die Schmerzstillung wird in vielen Fällen erreicht. Wenige Langzeitdaten und vergleichende Studien mit anderen Methoden scheinen einen Vorteil der endosonographisch durchgeführten Blockade des Ganglion coeliacum zu belegen (Wiersema et al. 1996; Gress et al. 2001). Die Wirkung ist allerdings bei der chronischen Pankreatitis weniger nachhaltig als bei Patienten mit Pankreaskarzinomen. Als typische Begleiterscheinung wird, zumindest initial, eine Diarrhö beobachtet.
719 40.8 · Postoperative Syndrome nach Eingriffen am Pankreas
Malabsorption Schwere Steatorrhöen, einhergehend mit dem Verlust fettlöslicher Vitamine, treten meist nur nach totaler Pankreatektomie und bei fortgeschrittener chronischer Pankreatitis auf. Da pankreatische Proteasen zudem essenziell für die Absorption des Vitamin B12 sind, können auch hier Mangelerscheinungen auftreten. Die Behandlung erfolgt in beiden Fällen mit Pankreasenzympräparaten und entsprechender Vitamin-Substitution. Malnutrition Zusätzlich zum Verlust fettlöslicher Substanzen im Stuhl spielt hier auch die verminderte Absorption von Proteinen eine Rolle. Auch diese kann mit Pankreasenzympräparaten therapiert werden. Wesentlich ist ebenfalls die genügende Schmerzbehandlung, da Patienten oft nur aus Angst vor postprandialen Schmerzen ihre Nahrungsaufnahme einschränken. Diabetes mellitus Nach totaler Pankreatektomie und ausgedehnter Pankreasresektion bei vorbestehender chronischer Pankreatitis kann der daraus resultierende Diabetes mellitus schwierig einzustellen sein, da auch das für die Gegenregulation bei Hypoglykämien wichtige Glukagon fehlt. Diese Patienten benötigen meist ungefähr 30 Einheiten Insulin täglich. Intensive Therapieschemata mit bis zu 6 Insulin-Injektionen täglich und häufiger Selbstkontrolle des Blutzuckers sind notwendig, um gefährliche prolongierte Hypoglykämien zu vermeiden. In Einzelfällen ist der Einsatz einer mikroprozessorgesteuerten Insulininfusionspumpe zu diskutieren. Dumping Pyloruserhaltende Operationsverfahren und die Schonung des Vagusnerven während der Operation haben die Inzidenz des Dumpingsyndroms wesentlich vermindert. Die Therapie des Dumping basiert im Wesentlichen auf einer Umstellung der Ernährung mit häufigen Mahlzeiten und Reduktion des Gehalts einfacher Kohlehydrate. In Einzelfällen kann der Einsatz des Somatostatinanalogons Octreotid diskutiert werden. Fisteln Interne (pankreatikoenterale) und externe (pankreatikokutane) Fisteln können mit fettarmer Diät, Pankreasenzymsubstitution oder parenteraler Ernährung behandelt werden, sprechen aber nur teilweise auf konservative Maßnahmen an. Wiederholte Operationen zur Fistelexzision und Drainage müssen dann diskutiert werden. Mehrere Untersuchungen beschreiben den günstigen Effekt von Octreotid auf vorhandene Fisteln (Bassi et al. 1996) sowie in der Prävention von Fisteln (Briceno et al. 1998). Die Dosierung beträgt 0,1–0,45 mg täglich und Octreotid wird in 3–4 Injektionen subkutan oder als Dauerinfusion verabreicht. Die beste Wirkung lässt sich bei schon länger bestehenden Fisteln mit hoher Sekretionsrate nachweisen. Der Effekt der postoperativen Prophylaxe von Fisteln hingegen ist zu wenig gesichert, um sie generell empfehlen zu können (Lowy et al. 1997). Exokrine Pankreasinsuffizienz Bei einem Rückgang der Enzymsekretion von mehr als 85% kann die exokrine Pankreasinsuffizienz in Form einer Steatorrhö manifest werden. Im Vordergrund steht die Fettmaldigestion. Aus diesem Grunde sollte in erster Linie die Substitution der Lipasen angestrebt werden. Diese beträgt für eine normale Mahl-
40
zeit 20.000–40.000 IU. Wesentlich ist eine gute Durchmischung des Speisebreis mit dem verwendeten Enzympräparat sowie die vollständige postprandiale Entleerung zusammen mit der Nahrung. Die Enzymsubstitution sollte deswegen auch gleichzeitig mit dem Essen erfolgen. In der Galenik moderner Präparate werden Mikrotabletten oder Pellets innerhalb einer Kapsel verwendet. Die Enzyme sind in diesen Partikeln vor der Magensäure geschützt und werden erst bei höherem pH im Duodenum freigesetzt. Bei chronischer Pankreatitis kann es wegen der gleichzeitigen Verminderung der Bikarbonatsekretion zu einem ungenügenden pH-Anstieg im Duodenallumen kommen, was die Freisetzung der Enzyme behindert. In diesen Fällen wird die Wirkung von Enzympräparaten durch die gleichzeitige Gabe eines Säureblockers, heute meist in Form eines Protonenpumpenblockers, verbessert. Bei ungenügendem Ansprechen muss an die Möglichkeit einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms gedacht werden. Schließlich können zur Ergänzung der Diät MCT-Fette zugesetzt werden, was allerdings die zusätzliche parenterale Zufuhr von fettlöslichen Vitaminen notwendig machen kann.
Literatur Bassi C, Falconi M, Caldiron E, Bonora A, Salvia R, Pederzoli P (1996) Somatostatin analogues and pancreatic fistulas. Digestion 1(94): 94–96 Briceno Delgado FJ, Lopez Cillero P, Rufian Pena S, Solorzano Peck G, Mino Fugarolas G, Pera Madrazo C (1998) Prospective and randomized study on the usefulness of octreotide in the prevention of complications after cephalic duodeno-pancreatectomy. Rev Esp Enferm Dig 90(10):687–694 Caratozzolo M, Lirici MM, Consalvo M, Marzano F, Fumarola E, Angelini L (1997) Ultrasound-guided alcoholization of celiac plexus for pain control in oncology. Surg Endosc Mar 11(3):239–244 Crist DW, Sitzmann JV, Cameron JL (1987) Improved hospital morbidity, mortality and survival after the Whipple operation. Ann Surg 206:358– 365 Gress F, Schmidt C, Sherman S, Ciaccia D, Ikenberry S, Lehman G (2001) Endoscopic ultrasound-guided celiac plexus block for managing abdominal pain associated with chronic pancreatitis. Am J Gastroenterol 96(2):409–416 Halloran CM, Ghaneh P, Bosonnet L et al. (2002) Complications of pancreatic cancer resection. Dig Surg 19:138–146 Lowy AM, Lee JE, Pisters PW, Davidson BS et al. (1997) Prospective, randomized trial of octreotide to prevent pancreatic fistula after pancreaticoduodenectomy for malignant disease. Ann Surg 226(5): 632–641 Mercadante S, Nicosia F (1998) Celiac plexus block: a reappraisal. Reg Anesth Pain Med 23(1):37–48 Wiersema MJ, Wiersema LM (1996) Endosonography-guided celiac plexus neurolysis. Gastrointest Endosc 44(6):656–662 Yeo CJ, Cameron JL, Sohn TA et al. (1997) Six hundred fifty consecutive pancretoduodenectomies in the 1990 s: pathology, complications, and outcomes. Ann Surg 226(3):248–257
720
Kapitel 40 · Pankreas
40.9
Pankreastransplantation
40.9.2 Indikationsstellung
O. Drognitz, U.T. Hopt ) ) In einer Vielzahl von Publikationen konnte inzwischen nachgewiesen werden, dass die Lebensqualität nach kombinierter Pankreas-/Nierentransplantation zum Teil deutlich ansteigt (Piehlmeier et al. 1996). Eine Verbesserung wird allerdings in den meisten Fällen erst ein halbes Jahr nach Transplantation erreicht. Nach einer erfolgreichen kombinierten Pankreas-/Nierentransplantation entfallen die Dialysebehandlungen, die exogenen Insulinapplikationen, die Trinkmengenbeschränkungen und viele Diätvorschriften. Für die Patienten bedeutet dies im Vergleich zu einer alleinigen Nierentransplantation eine Verbesserung der individuellen Selbstbestimmung und eine Rückgewinnung von Freiheit und Normalität.
40.9.1 Grundlagen
40
Beim Gesunden wird die Blutzuckerkonzentration über einen sensitiven Rückkopplungsmechanismus in sehr engen Grenzen konstant gehalten. Bei Diabetikern fehlt dieser Rückkopplungsmechanismus, sodass der Blutzucker im Rahmen der exogenen Insulinapplikation mehr oder weniger großen Schwankungen unterworfen ist. Diese Schwankungen führen kurzfristig zu den bekannten metabolischen Entgleisungen mit zum Teil lebensbedrohlichen Hypo- und Hyperglykämien. Viel gravierender sind jedoch die diabetischen Spätschäden, die bei der Hälfte aller Patienten die charakteristischen mikrovaskulären Veränderungen der Augen, der Nieren, der Nerven und der Extremitäten hervorrufen. Diabetes ist in den industrialisierten Ländern die häufigste Ursache für Blindheit bei Erwachsenen. Über ein Drittel der Patienten werden im Verlauf der Erkrankung terminal niereninsuffizient und benötigen eine Nierenersatztherapie. Diabetiker haben ein ca. 15-fach erhöhtes Risiko für periphere Amputationen und eine signifikant erhöhte Prävalenz der koronaren Herzkrankheit. Die diabetischen Spätschäden sind die Ursache für eine erhöhte Morbidität und eine deutlich reduzierte Lebenserwartung der betroffenen Patienten verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung (Hopt u. Drognitz 2000). Vordringliches Ziel jeder Diabetesbehandlung ist daher die engmaschige Einstellung des Blutzuckers. In großen Studien konnte inzwischen zweifelsfrei bewiesen werden, dass die Qualität der Blutzuckereinstellung mit der Ausbildung und der Progredienz der diabetischen Spätschäden korreliert (UK Prospective Diabetes Study Group 1998). Trotz der zum Teil beachtlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Inselzelltransplantation ist die Pankreastransplantation das zur Zeit einzige klinisch etablierte Verfahren mit einer hohen Erfolgsrate, das den Mechanismus der physiologischen rückkopplungsgesteuerten Insulinsekretion wieder herstellt. Hierdurch wird der Blutzucker – wie beim Gesunden – in physiologischen Grenzen konstant gehalten.
Die klassische Indikation zur simultanen Pankreas-/Nierentransplantation ist der juvenile Typ-I-Diabetes mit negativem C-Peptid und terminaler Niereninsuffizienz.
Allerdings werden seit längerem in den nordamerikanischen und zunehmend in den europäischen Zentren auch Patienten, die sich im Stadium einer präterminalen Niereninsuffizienz mit einer Kreatinin-Clearance von weniger als 40 ml/min befinden, für eine simultane Transplantation evaluiert. In großen nordamerikanischen Zentren beträgt der Anteil dieser präemptiv transplantierten Patienten bereits bis zu 40% (Sollinger et al. 1998). Die Indikation für eine alleinige Pankreastransplantation ohne gleichzeitige Nierentransplantation (PTA) ist bei Typ-I-Diabetikern mit lebensgefährlichen, kaum zu beeinflussende Hypoglykämien auf der Grundlage einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung oder einer Störung der Gegenregulation gegeben (. Tab. 40.4). Auch eine diabetische Neuropathie mit schwerer orthostatischer Dysregulation, eine instabile diabetische Stoffwechsellage durch eine diabetische Gastroparese oder das frühe Auftreten bzw. rasche Fortschreiten weiterer diabetischer Spätschäden können einen solchen Eingriff rechtfertigen (. Tab. 40.4). Aufgrund der Nephrotoxizität der Basisimmunsuppressiva (Tacrolimus, Ciclosporin) gelten funktionierende Eigennieren mit einer Kreatinin-Clearance von mehr als 60–70 ml/min als obligate Voraussetzung für dieses Verfahren. Für den Fall einer alleinigen Pankreastransplantation nach erfolgreicher Nierentransplantation (PAK) wird von den meisten Zentren eine KreatininClearance der transplantierten Niere von über 40–50 ml/min gefordert. In den USA beträgt der Anteil der alleinigen Pankreastransplantation 5% und der Anteil der Pankreas-nach-Nierentransplantation 13% an allen Bauchspeicheldrüsentransplantationen (Gruessner u. Sutherland 2002). Die Frage, ob auch Typ-II-Diabetiker simultan pankreas-/ nierentransplantiert werden sollen, wird national und international kontrovers diskutiert. Bei sorgfältiger Empfängerselektion ist die Erfolgsrate mit der der Pankreastransplantation beim Typ-I-Diabetiker vergleichbar. Die Patienten benötigen zwar keine exogene Insulinzufuhr mehr, die übrige, dem Typ-II-Diabetes zugrunde liegende komplexe metabolische Problematik besteht aber nach Transplantation weiter fort. Darüber hinaus würde der bereits bestehende Organmangel durch eine prinzipielle Erweiterung des Empfängerkollektivs noch verschärft werden. Die Richtlinien der ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer sowie das Eurotransplant Advisory Commitee beschränken derzeit die Pankreastransplantation auf Typ-II-Diabetiker mit auch im Stimulationstest negativem CPeptid. In den USA dagegen wird an manchen Zentren keine Differenzierung zwischen Typ-I- und Typ-II-Diabetes vorgenommen. Weltweit beträgt der Anteil von Typ-II-Diabetikern laut Internationalem Pankreastransplantationsregister (IPTR 2002) ca. 5% an allen Pankreastransplantationen (Gruessner u. Sutherland 2002).
721 40.9 · Pankreastransplantation
40
. Tabelle 40.4. Indikationen zur Pankreastransplantation Simultane Pankreas-/Nierentransplantation (SPK)
Diabetes mellitus Typ I mit terminaler oder präterminaler Niereninsuffizienz
Pankreas-nach Nierentransplantation (PAK)
Bereits nierentransplantierte Typ-I-Diabetiker mit gut funktionierendem Nierentransplantat (Kreatinin-Clearance >40–50 ml/min)
Isolierte Pankreastransplantation (PTA)
Typ-I-Diabetiker mit stabiler Funktion der Eigennieren (Kreatinin-Clearance >60–70 ml/min) und 5 rezidivierenden, lebensbedrohlichen Hyperglykämien (Hypoglykämiewahrnehmungsstörung/Störung der Gegenregulation) und/oder 5 rascher Progredienz der diabetischen Spätschäden trotz optimaler Betreuung und/oder 5 unverhältnismäßig starke Einschränkung der Lebensqualität
Diabetes mellitus Typ II
Momentan in Deutschland nur sehr eingeschränkt erlaubt, in den USA beträgt der Anteil der Typ-II-Diabetiker an allen Pankreastransplantierten ca. 5%
SPK »simultaneous pancreas-kidney transplant« (simultane Pankreas-/Nierentransplantation), PKA »pancreas after kidney transplant« (Pankreasnach-Nierentransplantation), PTA »pancreas transplant alone« (alleinige Pankreastransplantation)
40.9.3 Kontraindikationen Aufgrund der Multimorbidität von Diabetikern ist vor einer Aufnahme auf die Warteliste eine umfassende – zum Teil auch invasive – Diagnostik erforderlich (7 Übersicht). Diese dient dem Ausschluss bzw. der vorherigen Behandlung allgemeiner und spezieller Empfänger-Risiken. Allgemeine Kontraindikationen für eine Pankreastransplantation sind eine bestehende Malignomerkrankung, schwere Allgemeininfektionen wie z. B. HIV, schwere psychische Störungen, anamnestische Hinweise für Noncompliance, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit und Vorerkrankungen, die generell die Durchführung eines größeren operativen Eingriffes verbieten. Die Altersobergrenze liegt je nach Zentrum zwischen 50 und 60 Jahren und bezieht sich mehr auf das biologische als auf das numerische Alter. Von besonderer Bedeutung ist die sorgfältige Erfassung möglicher kardialer Vorschädigungen des Empfängers. Patienten mit schwerer koronarer Herzkrankheit (KHK) oder einem bereits durchgemachten Myokardinfarkt haben nach Transplantation ein signifikant erhöhtes Mortalitätsrisiko (Drognitz et al. 2004). Vor dem Hintergrund, dass sich allein durch die klinische Symptomatik und das vorliegende kardiologische Risikoprofil bei niereninsuffizienten Diabetikern eine KHK nicht sicher ausschließen lässt, ist die Durchführung einer Koronarangiographie an vielen Zentren obligat (Koch et al. 1997). Tabelle 3 gibt einen Überblick über absolute und relative Kontraindikationen. 40.9.4 Spenderselektion Im Gegensatz zur alleinigen Nierentransplantation ist die Differenz von durchgeführten Transplantationen zu der Anzahl der Patienten auf der Warteliste für eine Pankreastransplantation erheblich kleiner. Da das operative Risiko bei einer Pankreastransplantation deutlich größer ist, gelten für die Akzeptanz eines Pankreasangebotes wesentlich strengere Kriterien als bei einer isolierten Nierentransplantation. Wie eng diese Kriterien gefasst werden, wird durch die einzelnen Zentren festgelegt. Einigkeit besteht im Moment darüber, dass sich Spender mit einer Alkohol- oder Diabetesanamnese, einem abdominellen Trauma unter Mitbeteiligung des Pankreas, einer Sepsis oder ei-
Relevante Untersuchungen vor Aufnahme auf die Warteliste 5 Allgemeine Untersuchungen – Anamnese – Körperliche Untersuchung – Röntgenthorax – Sonographie Abdomen – Lungenfunktionstest 5 Gewebetypisierung/präformierte zytotoxische Antikörper – Blutgruppenbestimmung – HLA-Typisierung – Antikörperbestimmung – Infektionsausschluss – Virologie (HIV, HAV, HBV, HCV, CMV, HSV, EBV) – Abstriche (Urin, Rachen, Stuhl) 5 Herz – EKG – Belastungs-EKG – Echokardiogramm – Koronarangiographie 5 Gefäße – Becken-Bein-Angiographie oder Angio-MR – Duplex Karotiden 5 Magen-/Darmtrakt – Gastroskopie – Koloskopie 5 Konsiliaruntersuchungen – Urologie (Urodynamik, Restharnbestimmung) – Dentologie (Zahnstatus, Ausschluss Infektion, ggf. Zahnsanierung) – Ophthalmologie (Grad der diabetischen Retinopathie) – Neurologie (Grad der diabetischen Polyneuropathie) – Hals-Nasen-Ohren (Ausschluss Infektion der Nasennebenhöhlen) – Dermatologie (Ausschluss Melanom) – Gegebenenfalls Gynäkologie (Ausschluss Malignom, Infektion)
722
40
Kapitel 40 · Pankreas
nem extrakraniellen Malignom generell nicht als Pankreasspender eignen. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich die Ergebnisse nach Pankreastransplantation bei einem Spenderalter über 45 Jahre signifikant verschlechtern (Odorico et al. 1998). Daher gilt an den meisten Zentren ein Spenderalter von 40– 50 Jahren als Obergrenze, während die untere Spender-Altersgrenze bei ca. 10 Jahren liegt. Andere Kriterien wie die Höhe der Hypernatriämie, die Dauer des Intensivaufenthaltes und die Schwere einer vorbestehenden Arteriosklerose werden zwischen den Zentren unterschiedlich beurteilt. Relative Kontraindikationen für eine Pankreasentnahme sind Spender mit einem BMI von über 30 kg/m2, länger dauernde Phasen der Hypotonie und hohe Dosen kreislaufunterstützender Katecholamine. Die aktuellen Amylase-, Lipase- oder Glukosewerte lassen keine sichere Aussage zur Verwendbarkeit des Organs zu, da eine Hyperglykämie bzw. eine Hyperamylasämie/ Hyperlipasämie auch auf eine Steroidtherapie oder auf andere Faktoren zurückgeführt werden kann. Die endgültige Entscheidung für oder gegen die Akzeptanz eines Pankreastransplantates obliegt dem Transplanteur, der bei der vorbereitenden Organpräparation vor Beginn der Narkose des Empfängers die Organqualität nach dem Grad der Fibrose, dem Grad der Verfettung und dem Vorhandensein vaskulärer atheromatöser Läsionen abschließend beurteilen muss. Vor dem Hintergrund der geringen Kaltischämietoleranz des Pankreas von 8–12 h wird auf eine Allokation nach dem Grad der Gewebeübereinstimmung von Spender und Empfänger (HLAKompatibilität) in aller Regel verzichtet. Die Kriterien für die Pankreasallokation in Deutschland werden in den Richtlinien der Bundesärztekammer auf der Grundlage des vom Transplantationsgesetz geforderten aktuellen Standes der Wissenschaft festgelegt. Demnach haben Patienten mit einer Doppeltransplantation Vorrang vor Patienten mit einer Einorgantransplantation. Dies führt dazu, dass die durchschnittliche Wartezeit für eine simultane Pankreas-/Nierentransplantation ca. 12–18 Monate, dagegen die durchschnittliche Wartezeit für eine alleinige Nierentransplantation aufgrund des Organmangels ca. 6 Jahre beträgt. Begründung für diese »Ungleichbehandlung« ist die Tatsache, dass Typ-I-Diabetiker unter einer Dialysebehandlung eine viel schlechtere Lebenserwartung haben als Patienten, die aus anderen Gründen dialysepflichtig geworden sind. 40.9.5 Operationstechnik Spenderoperation Da die Pankreasentnahme in aller Regel im Rahmen einer Multiorganspende erfolgt, ist der Standardzugang die mediane Laparotomie vom Xiphoid bis zur Symphyse mit oder ohne Sternotomie. Das Pankreas kann nach Durchtrennung des kleinen Netzes oder durch Eröffnung der Bursa omentalis zwischen Magen und Querkolon auf seine Eignung zur Transplantation vorab orientierend beurteilt werden. Die abdominellen bzw. retroperitonealen Organe werden in der Reihenfolge Leber, Pankreas und Nieren entnommen. Leber und Pankreas können allerdings auch en bloc entnommen und später in tabula getrennt werden.
Nach präoperativer Antibiotikaprophylaxe beginnt die Multiorganentnahme mit der Mobilisierung des gesamten Rechtskolons und des Dünndarmkonvolutes inkl. des Duodenums aus den retroperitonealen Verwachsungen. Die V. cava inferior wird bis über die Einmündung der beiden Nierenvenen dargestellt und die infrarenale Aorta freigelegt. Die A. gastrica dextra wird anschließend durchtrennt und die A. hepatica com. sowie die A. hepatica propria und die A. gastroduodenalis in ihrem Abgangsbereich identifiziert. Nach Gabe von 25.000 I.E. Heparin i.v. und Verschluss der subphrenischen Aorta erfolgt die Perfusion mit 3–4 l kalter BelzerUW-Lösung (ViaSpan) oder 7–10 l kalter HTK-Lösung (Custodiol) über einen in die distale Aorta eingebrachten Perfusionskatheter. Gleichzeitig erfolgt eine Oberflächenkühlung mit eiskalter 0,9%-iger NaCl-Lösung. Auf eine zusätzliche Perfusion der Leber über die V. mesenterica superior kann verzichtet werden (de Ville et al. 1994). Während der Organperfusion ist auf eine ausreichende venöse Druckentlastung durch sofortige breite Eröffnung der supraund infrahepatischen V. cava und auf eine ausreichende Oberflächenkühlung des Pankreas durch Eröffnung des Lig. gastrocolicum zu achten. Nach abgangsnahem Absetzen der A. gastroduodenalis und Durchtrennung der Pfortader und des D. choledochus am Pankreasoberrand wird die Leber mit dem Truncus coeliacus entnommen. Die A. lienalis wird ebenfalls abgangsnah abgesetzt. Nach Applikation von 200–300 ml Polyvidoniod (z. B. Beta isodona) über die vorgeschobene Magensonde wird das Duodenum postpylorisch und distal des Treitz-Bandes mit dem Klammernahtgerät verschlossen und durchtrennt. Anschließend wird die Mesenterialwurzel mit ausreichendem Sicherheitsabstand zum Proc. uncinatus und zum Abgang der A. pancreaticoduodenalis inferior mit dem Doppelklammernahtgerät verschlossen und ebenfalls durchtrennt. Zuletzt wird das Mesocolon transversum vom Pankreas abgelöst und der Pankreasschwanz und -korpus über den »Haltegriff Milz« aus dem Retroperitoneum gelöst.
Von besonderer Bedeutung bei der Pankreas-Duodenalentnahme ist die spätere ausreichende Vaskularisierung des Organs. Hierbei sind insbesondere Gefäßvariationen zuberücksichtigen, wie etwa ein Abgang der A. hepatica dextra oder communis aus der A. mesenterica superior oder ein Abgang der A. pancreatica dorsalis/transvera aus der A. hepatica communis. Da der Truncus coeliacus bei der Multiorganentnahme am Lebertransplantat verbleibt, wird der Pankreasschwanz über die A. lienalis, das Duodenalsegment mit dem Pankreaskopf entsprechend über die A. mesenterica superior versorgt. Dies bedeutet, dass bei der späteren »Back-table«-Präparation eine arterielle Rekonstruktion der beiden verbliebenden Gefäße zu einem Stammgefäß notwendig wird. Hierzu sind zahlreiche Methoden publiziert worden. Weit verbreitet ist die End-zu-End-Anastomose (5/0 oder 6/0; nicht-resorbierbares monofiles Nahtmaterial) zwischen der A. lienalis und der A. mesenterica superior einerseits und der beim Spender entnommenen Iliakalbifurkation andererseits (sog. Y-Plastik nach Corry; . Abb. 40.22) sowie die direkte End-zu-Seit-Anastomose zwischen der A. lienalis und der mit Aortenpatch entnommenen A. mesenterica superior.
723 40.9 · Pankreastransplantation
40
Standard der Pankreastransplantation ist heutzutage die sog. Ganzorgantransplantation, bei der das gesamte Pankreas inkl. eines kurzen blindverschlossenen Zwölffingerdarmsegmentes transplantiert wird (Nghiem u. Corry 1987).
Das Spenderduodenum kann anschließend entweder mit der Harnblase oder mit dem oberen Jejunum anastomosiert werden. Erst hierdurch konnte die Inzidenz postoperativer Nahtinsuffizienzen und Pankreasfisteln signifikant reduziert und die Akzeptanz der Pankreastransplantation deutlich erhöht werden. Die »Back-table«-Präparation umfasst neben der bereits erwähnten Gefäßrekonstruktion das Absetzen der Milz vom Pankreasschwanz sowie ggf. die Verlängerung der Pfortader mit der vom Spender stammenden Iliacalvene. Das Duodenum wird nach Identifikation der Papilla Vateri auf eine Gesamtlänge von ca. 10 cm symmetrisch gekürzt und die Enden mit einem Klammernahtgerät und zusätzlicher Übernähung verschlossen.
. Abb. 40.22. Pankreastransplantat nach Ex-situ-Rekonstruktion der arteriellen Strombahn im Sinne einer Corry-Plastik. Die A. lienalis und die A. mesenterica superior wurden mittels einer Y-Plastik aus der Iliacalbifurkation des Spenders zu einer gemeinsamen Transplantatarterie vereinigt. Am Pankreaskopf wurde ein ca. 10 cm langes Duodenalsegment um die Papilla Vateri zur Ableitung des exokrinen Pankreassekretes belassen. Im Vordergrund die V. portae
Die eigentliche Empfängeroperation beginnt mit einer großen Medianlaparotomie und anschließender Darstellung der Beckengefäße. Das Pankreas wird aufgrund der Gefäßanatomie traditionell arteriell an die rechte, die Niere im Falle einer Simultantransplantation an die linke Beckenachse angeschlossen (monofiles nichtresorbierbares Nahtmaterial der Stärke 5/0 oder 6/0). Die venöse Ableitung des Pankreas kann systemisch-venös an die V. iliaca externa bzw. V. cava inferior oder portal-venös an einen Ast oder den Stamm der V. mesenterica superior erfolgen (Fadenstärke 6/0). Das Duodenalsegment wird mittels zweireihiger fortlaufender Naht (monofil, resorbierbar; Stärke 3/0 oder 4/0) Seit-zu-Seit an die 2. Jejunalschlinge oder alternativ an eine nach Y-Roux ausgeschaltete Dünndarmschlinge anastomosiert (sog. enterale Drainage).
40.9.6 Empfängeroperation Die klinische Pankreastransplantation war nach ihrer Einführung durch Lillehei und Kelly an der Universität von Minnesota im Jahre 1966 durch eine sehr hohe peri- und postoperative Morbidität und Mortalität sowie durch eine inakzeptable 1-Jahres-Funktionsrate gekennzeichnet. Mit der Verbesserung der operativen Technik, der Immunsuppression und der Organkonservierung haben sich die Ergebnisse jedoch dramatisch verbessert, sodass die Pankreas-/Nierentransplantation heutzutage als ein weltweit etabliertes und akzeptiertes Verfahren in der Behandlung von niereninsuffizienten Typ-I-Diabetikern gilt (American Diabetes Association 1992). Ein sicheres Management der exokrinen Pankreassekretion ist bei der Pankreastransplantation von zentraler Bedeutung, da die lokale Freisetzung von aktivierten Pankreasenzymen ähnlich wie bei der akuten Pankreatitis zu gravierenden lokalen Gewebeschädigungen führen kann (Hopt et al. 1992). Die in den 80erJahren noch zum Teil favorisierte Technik der sog. Segmenttransplantation unter Verwendung des Pankreasschwanzes ist heutzutage verlassen worden. Hierbei wurde der D. Wirsungianus ligiert oder mit Gewebekleber verblockt. Kennzeichen dieser Technik war eine hohe Inzidenz von postoperativen Pankreatitiden und Pankreasfisteln.
Der in den 80er-Jahren überwiegend durchgeführte Anschluss des Duodenalsegmentes an die Harnblase (sog. Blasendrainage) ist inzwischen von den meisten Zentren wegen signifikanter urologischer Probleme und einem zum Teil erheblichen Bikarbonatverlust verlassen worden (. Tab. 40.5). So betrug der Anteil pankreastransplantierter Patienten mit Blasendrainage im Zeitraum von 1996–2002 in den USA 35% mit abnehmender Tendenz (Gruessner u. Sutherland 2002). Es ist zu erwarten, dass auch in Deutschland die enterale Drainage mittelfristig den Therapiestandard darstellen und die Blasendrainagetechnik verdrängen wird. Die Frage, in welcher Form die venöse Ableitung des Pankreas erfolgen soll, wird kontrovers diskutiert. Sicher ist, dass durch die von Gaber et al. (1993) eingeführte Methode der portalvenösen Drainage die unphysiologische Hyperinsulinämie, die nach Pankreastransplantation mit systemisch-venösem Anschluss beobachtet wird, verhindert werden kann (. Abb. 40.23). Ursache hierfür ist die Tatsache, dass das insulinreiche Blut wie unter physiologischen Bedingungen auch dem »First-pass«-Effekt der Leber unterliegt (Pfeffer et al. 1997). Ob diese Technik allerdings darüber hinaus klinische Vorteile gegenüber der systemischvenösen Drainage hat, konnte bisher nicht zweifelsfrei bewiesen werden. In den USA betrug im Zeitraum von 1996–2002 der
724
Kapitel 40 · Pankreas
. Tabelle 40.5. Wahl der exokrinen Drainage
Drainageverfahren
Vorteile
Nachteile
Blasendrainage
5 Unkomplizierte Überwachung des Pankreastransplantates über die Amylaseausscheidung im Urin 5 Günstiger Effekt auf den arteriellen Hypertonus durch vermehrte Ausscheidung von Natrium über die Blase (Hricik et al. 2000)
5 Unphysiologisch 5 Metabolische Azidose durch Bikarbonatverlust 5 Urologische Komplikationen (hämorrhagische Zystitis, Dysurie, Urethrastriktur, Urethritis, Prostatitis; Pirsch et al. 1998) 5 Gefahr der Dehydratation 5 Höhere Inzidenz an Refluxpankreatitiden verglichen mit enteraler Drainage 5 Im Langzeitverlauf bis zu 24% Konversionsoperationen (Sollinger et al. 1998)
Enterale Drainage
5 5 5 5
5 Schlechtere Überwachung der Transplantatfunktion (durch verbesserte immunsuppressive Protokolle heutzutage weniger relevant)
Physiologisch Signifikant weniger urologische Komplikationen Keine Bikarbonatsubstitution notwendig Keine Konversionsoperationen
Anteil der Pankreata mit portal-venöser Drainage ca. 25% an allen Pankreastransplantationen (International Pancreas Transplant Registry). 40.9.7 Immunsuppression
40
. Abb. 40.23. Schema der Pankreasduodenaltransplantation mit portal-venös-enteraler Drainage. Die Ableitung des exokrinen Sekretes erfolgt physiologisch über die erste oder zweite Jejunalschlinge und der venöse Anschluss des Transplantates an einen Ast der V. mesenterica superior (sog. portal-venös-enterale Drainage). Durch die portal-venöse Ableitung wird die bei der systemisch-venösen Drainage beobachtete unphysiologische periphere Hyperinsulinämie verhindert
Grundsätzlich ist in der Frühphase nach Pankreastransplantation wie auch bei anderen Organtransplantationen eine höhere Immunsuppression notwendig als in der Spätphase, da die Inzidenz akuter Abstoßungen in den ersten 6 Monaten am höchsten ist. Daneben ist – bedingt durch die höhere Immunogenität der Bauchspeicheldrüse – eine absolut gesehen stärkere Immunsuppression nach Pankreastransplantation erforderlich als z. B. nach einer alleinigen Nieren- oder Lebertransplantation. Momentaner Standard in der Pankreastransplantation ist eine Quadrupeltherapie bestehend aus einem CalcineurinInhibitor, einem Antimetaboliten, einem Glukokortikoid und einem antilymphozytären Antikörper in der Induktionstherapie. Durch Veränderungen der Galenik wurde die orale Bioverfügbarkeit von Ciclosporin verbessert und so die Schwankungen der Blutkonzentration wesentlich verringert. Das mikroemulgierte Ciclosporin ist seit 1994 als Sandimmun Optoral bzw. Neoral erhältlich. Mit Tacrolimus (Prograf) steht seit 1997 ein weiterer hochpotenter Calcineurin-Inhibitor zur Verfügung. In den USA erhalten über 70% der Patienten nach Pankreastransplantation heutzutage eine Basisimmunsuppression bestehend aus Tacrolimus, Mycophenolat mofetil (CellCept) und Kortison (International Pancreas Transplant Registry). Unter dieser Kombination kann nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation auch ohne antilymphozytäre Antikörper die Abstoßungsfrequenz von ehemals 60–80% innerhalb des ersten Jahres auf bis zu 21% reduziert werden (Stratta et al. 1999). Parallel hierzu ist der immunologisch bedingte Transplantatverlust zwischen 1987 und 2002 nach Simultantransplantation von 5% auf ca. 2% und nach alleiniger Pankreastransplantation von 37% auf 9% zurückgegangen (Gruessner u. Sutherland 2002). Da die T-Zell-depletierende Induktionstherapie mit einem Anti-T-Lymphozytenglobulin sehr nebenwirkungsreich ist, wurde ihre Verwendung in den letzten Jahren zunehmend einge-
725 40.9 · Pankreastransplantation
schränkt. Mit Daclizumab (Zenapax) und Basiliximab (Simulect), 2 hochwirksamen und dabei sehr nebenwirkungsarmen IL-2-Rezeptorantikörpern, hat die antikörpervermittelte Immunsuppression in den letzten Jahren eine Renaissance erfahren. Inwieweit sich durch den Einsatz des antiproliferativ wirksamen mTOR-Inhibitors Sirolimus (Rapamune) bzw. dessen Derivat Everolimus (Certican) die Inzidenz des chronischen Transplantatversagens insbesondere der kotransplantierten Niere reduzieren lässt, bleibt abzuwarten. Beide Substanzen sind im Gegensatz zu den Calcineurin-Inhibitoren nicht nephrotoxisch und verzögern möglicherweise die Progression der Intimaverdickung im Rahmen des chronischen Transplantatversagens. 40.9.8 Komplikationen Abdominelle Komplikationen Trotz der Verbesserungen im Bereich der operativen Technik, der Organkonservierung und der Immunsuppression ist die Komplikationsrate nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation höher als nach alleiniger Nierentransplantation. Dies gilt jedoch nur für das erste Jahr nach Transplantation (Stratta et al. 1996). Danach sinkt die Komplikationsrate deutlich ab und unterscheidet sich nicht mehr signifikant von der nach alleiniger Nierentransplantation (Cattral et al. 1998). Zu den chirurgischen Komplikationen gehören Transplantatthrombosen, Anastomoseninsuffizienzen, Nachblutungen oder Komplikationen durch intraabdominelle Infektionen. Die Transplantatthrombose führt in der Regel zu einem sofortigen und irreversiblen Transplantatverlust. Ihre Inzidenz ist hat in den letzten 10 Jahren abgenommen und beträgt heutzutage ca. 5–6% (International Pancreas Transplant Registry). Ursache ist neben technisch-bedingten Komplikationen wie z. B. eine Abknickung der Pfortader durch eine zu lang belassene Vene auch die im Rahmen der Transplantatpankreatitis zu beobachtende Hyperkoagulopathie durch einen Abfall der Antithrombin-IIIund Protein-C-Serumkonzentration. In solchen Fällen ist neben der Routine-Gabe von Heparin die Substitution von Antithrombin III sinnvoll. Die Inzidenz der Transplantatpankreatitis liegt bei 1,4–16% (Fernandez-Cruz et al. 1993; International Pancreas Transplant Registry) und kann ähnlich wie bei der genuinen Pankreatitis in einer ödematösen oder auch nekrotisierenden Form auftreten (. Abb. 40.24). Neben spenderspezifischen Faktoren spielt in der Pathogenese der Transplantatpankreatitis der Ischä-
40
mie-/Reperfusionsschaden eine zentrale Rolle. Hierbei kommt es durch Aktivierung von Endothelzellen, Freisetzung von zahlreichen Entzündungsmediatoren und Expression von Adhäsionsmolekülen zu einer zunehmenden Schädigung der Endothelbarriere mit Ödembildung und Störung der Mikrozirkulation. Klinisch kann die Beurteilung des Abdominalbefundes mitunter schwierig sein. Ein CRP-Wert über 200 mg/l innerhalb der ersten 3 Tage nach Transplantation (Peak-CRP; Benz et al. 2001) sowie erhöhte Leukozyten- und Amylase-/Lipasewerte in der Drainageflüssigkeit können bei der Diagnose einer schweren Transplantatpankreatitis hilfreich sein. Entscheidend für die Prognose ist ein frühzeitiges und aggressives Vorgehen mit ggf. wiederholten abdominellen Lavagen und Entfernung peripankreatischer Nekrosen. Da trotz der Applikation von Polyvidon-Iod in das Lumen des Spenderduodenums das Pankreastransplantat meist nicht völlig steril ist, treten abdominelle Infektionen häufiger auf als nach alleiniger Nierentransplantation. Lokale Verhalte können interventionell drainiert werden, bei Zeichen der Peritonitis oder bei Verdacht auf eine Anastomoseninsuffizienz ist immer die chirurgische Intervention indiziert. Leckagen im Bereich der Duodenozystostomie oder Duodeno-Enterostomie sind selten, die Inzidenz liegt unter 1% (International Pancreas Transplant Registry). Die in direktem Zusammenhang mit der Blasendrainagetechnik stehende Morbidität durch rezidivierende Zystitiden, Urethrastrikturen, Blutungen aus der Harnblase und einen zum Teil erheblichen Bikarbonatverlust kann im Langzeitverlauf die Lebensqualität der Patienten deutlich vermindern und erfordert nicht selten eine Konversionsoperation mit Aufhebung der Blasenanastomose und Anschluss des Pankreastransplantates an das Jejunum. Die Inzidenz einer solchen Konversionsoperation wird in der Literatur mit ca. 24% innerhalb von 5 Jahren angegeben (Sollinger et al. 1998). Durch den primären Anschluss des Transplantates an den Dünndarm (enterale Drainage) kann das Auftreten solcher urologischer Komplikationen sicher vermieden werden. Akute Abstoßung Die meisten Abstoßungsreaktionen treten innerhalb der ersten 6 Monate nach Transplantation auf. Hiernach sinkt das Risiko deutlich ab, sodass konsekutiv die Immunsuppression reduziert werden kann.
Eine rechtzeitige Diagnosestellung ist vor allem deswegen von entscheidender Bedeutung, da nur bei rascher Therapie die abstoßungsbedingte Schädigung des Transplantates noch reversibel ist.
. Abb. 40.24. Nekrotisierende Transplantatpankreatitis
Kommt es nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation zu einer Abstoßungsreaktion, so sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle beide Organe betroffen. Eine isolierte Abstoßung des Pankreastransplantates ist sehr selten (Shapiro et al. 2000). Somit lässt sich mit Hilfe der Retentionsparameter der kotransplantierten Niere die Funktion beider Organe problemlos und präzise überwachen. Die perkutane Nierentransplantatbiopsie sichert die Diagnose, dagegen wird eine perkutane oder offene Pankreasbiopsie nur in Ausnahmefällen durchgeführt. Die Überwachung der Pankreastransplantatfunktion mit Hilfe des Nüchternblutzuckerspiegels ist wenig hilfreich, da dieser erst dann
726
Kapitel 40 · Pankreas
ansteigt, wenn bereits über 90% der Inselzellen geschädigt worden sind. Die Antirejektionstherapie besteht in der HochdosisBolusgabe von Kortison in Einzelfällen auch in Verbindung mit polyklonalen antilymphozytären Antikörpern (ATG, ALG) bzw. Anti-CD3-Antikörpern (OKT 3). Alternativ und weniger nebenwirkungsreich kann anstelle der Antikörpertherapie der Tacrolimusspiegel auf Werte um 15–20 ng/ml passager angehoben werden. Mit diesem Schema kann der überwiegende Teil der Abstoßungen erfolgreich behandelt werden. Systemische Infektionen Durch die Immunsuppression können trotz nachgewiesener systemischer Infektion allgemeine Entzündungszeichen wie Fieber und Leukozytose fehlen, was die richtige Diagnosestellung in der Praxis erschwert. Besonders opportunistische Erreger wie Candida albicans, Pneumocystis carinii, Herpes-simplex- (HSV) und Zytomegalieviren (CMV) können zum Teil schwere Infektionen bei den immunkompromittierten Patienten hervorrufen. An den meisten Zentren in Deutschland wird daher aufgrund der höheren Immunsuppression nach Pankreastransplantation grundsätzlich eine CMV-Prophylaxe mit Ganciclovir (Cymeven) oder Valganciclovir (Valcyte) sowie eine antimykotische Abschirmung mit Diflucan und Amphomoronal für insgesamt 3 Monate nach Transplantation durchgeführt. Zusätzlich ist vor allem in den US-amerikanischen Zentren die Gabe von Co-Trimoxazol zur Pneumocystis-carinii-Prophylaxe als Standard etabliert. Bei Infektionsverdacht ist ähnlich wie bei einem Abstoßungsverdacht eine rasche und umfassende Abklärung – im Zweifel immer unter stationären Bedingungen – erforderlich. Nach ca. 6 Monaten sinkt schließlich das Risiko für opportunistische Infektionen und das Erregerspektrum und die Infektlokalisation gleichen sich derjenigen der Normalbevölkerung an. 40.9.9 Ergebnisse
40
Patientenüberlebens- und Transplantatfunktionsraten Weltweit sind bis Ende 2002 ca. 19.000 Pankreastransplantationen durchgeführt worden, davon über 14.000 allein in den USA (International Pancreas Transplant Registry 2002). Seit ihrer nationalen Einführung 1979 hat die Zahl der Pankreastransplantationen in Deutschland bis ins Jahr 2000 kontinuierlich zugenommen. Im Jahr 2000 wurde mit 244 Transplantationen ein Höchststand erreicht. Heutzutage werden in 24 Zentren in der Bundesrepublik Pankreastransplantationen durchgeführt. Dabei ist die Zahl der Zentren mit mehr als 10 Transplantationen pro Jahr inzwischen auf 7 angestiegen (Deutsche Stiftung Organtransplantation). Die Ergebnisse der deutschen und der europäischen Transplantationszentren haben sich in den letzen Jahrzehnten verbessert und entsprechen denen der nordamerikanischen Zentren (Büsing et al. 1997; Deutsche Stiftung Organtransplantation). Die 1-Jahres-Funktionsrate (Insulinfreiheit) nach Simultantransplantation beträgt heutzutage 83% für das Pankreas- und 92% für das Nierentransplantat bei einem Patientenüberleben von 95% (International Pancreas Transplant Registry). Im Vergleich hierzu waren die Funktionsraten nach alleiniger Pankreastransplantation traditionell deutlich schlechter. Seit Mitte der 90er-Jahre hat sich dies geändert. Nach den neusten Daten des IPTR liegt die 1-Jahres-Pankreasfunktionsrate inzwischen bei 78%. An ausgewählten Zentren werden sogar 1-Jahres-Funktionsraten von über 90% erzielt (Kaufman et al. 1999).
Während die 1-Jahres-Ergebnisse vor allem die Qualität der operativen Technik und die Fortschritte auf dem Gebiet der immunsuppressiven Therapie reflektieren, konnte in verschiedenen Publikationen Ende der 90er-Jahre ein signifikanter Überlebensvorteil für Patienten nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation im Langzeitverlauf im Vergleich zur alleinigen Nierentransplantation gezeigt werden (Smets et al. 1999). Dabei liegt das 10-Jahres-Überleben der Patienten in großen US-amerikanischen Single-Center-Studien zwischen 60 und 75% bei einer 10-JahresFunktionsrate von 45–65% sowohl für das Pankreas- als auch für das Nierentransplantat (Sollinger et al. 1998; Sutherland et al. 2001). Bei der Beurteilung der genannten Langzeitergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die durchschnittliche Lebenserwartung niereninsuffizienter Typ-I-Diabetiker auf der Warteliste ca. 8 Jahre, nach alleiniger Nierentransplantation ca. 13 Jahre dagegen nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation ca. 23 Jahre beträgt (Ojo et al. 2001). Aufgrund der hervorragenden Langzeitergebnisse muss die Pankreastransplantation heutzutage als eine lebensverlängernde Therapieoption angesehen werden. Verschiedene Arbeiten gehen davon aus, dass dies im Wesentlichen auf einen Rückgang kardialbedingter Todesfälle zurückzuführen ist (Secchi et al. 1998). Dennoch stellen kardiale Komplikationen auch nach erfolgreicher simultaner Pankreas-/Nierentransplantation die häufigste Todesursache im Langzeitverlauf dar (Secchi et al. 1998; Drognitz et al. 2004). Einfluss der Pankreastransplantation auf die diabetischen Spätschäden Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass die erfolgreiche Pankreastransplantation zu einer Normalisierung des Glukosemetabolismus, d. h. zu normalen Nüchternblutzuckerspiegeln bzw. HbA1c-Werten führt. Auch unter Belastung mit Glukose bzw. Stimulation mit Glukagon werden bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten nach Transplantation normale Blutzuckerwerte gemessen. Durch den Anschluss des Transplantates an den portal-venösen Kreislauf (portal-venöse Drainage) wird die bei der systemisch-venösen Drainage beobachtete periphere Hyperinsulinämie verhindert. Die Pankreastransplantation führt damit praktisch zu einer vollständigen Normalisierung des Glukosestoffwechsels (Pfeffer et al. 1997).
Es gilt inzwischen als sicher, dass nach einer erfolgreichen Pankreastransplantation das weitere Fortschreiten bestimmter diabetischer Spätschäden verhindert wird.
In vielen Studien wird sogar ein Rückgang der Spätschäden beobachtet. Dies gilt insbesondere für die Mikroangiopathie, die Polyneuropathie und die autonome Neuropathie. Allerdings sind diese Effekte oft erst mit einer Latenz von etwa 5 Jahren zu beobachten. Darüber hinaus ist inzwischen unstrittig, dass die erfolgreiche Pankreastransplantation im Langzeitverlauf einen protektiven Effekt auf die simultan transplantierte Niere hat und ein Wiederauftreten der diabetischen Nephropathie im Transplantat auf lange Sicht verhindert wird. Allerdings muss man davon ausgehen, dass es für alle fortgeschrittenen diabetischen Spätschäden einen sog. »point of no return« gibt, ab dem ein Verbesserung auch bei vollständiger Normalisierung des Blutzuckers nicht mehr erzielt werden kann (Hopt u. Drognitz 2000).
727 40.9 · Pankreastransplantation
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40
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41 41
Milz D. Oertli, M. Zuber
41.1
Anatomie – 730
41.1.1 41.1.2 41.1.3 41.1.4 41.1.5
Topographie – 730 Gefäßversorgung – 730 Lymphatische Drainage – 730 Histologie – 731 Anlageanomalien – 731
41.2
Physiologie – 731
41.2.1 41.2.2
Filterfunktion – 732 Immunologische Funktion
41.3
Pathophysiologie – 732
41.3.1 41.3.2
Hyposplenismus – 732 Hypersplenismus – 732
41.4
Milzloser Zustand – 733
41.4.1 41.4.2 41.4.3
Blutbildveränderungen – 733 Immunologische Veränderungen – 733 Prophylaxe bei Milzverlust – 733
41.5
Diagnostik – 733
41.5.1 41.5.2
Klinische Untersuchung – 733 Bildgebende Verfahren – 734
41.6
Chirurgische Erkrankungen der Milz – 734
41.6.1 41.6.2 41.6.3
Primäre Milzerkrankungen – 734 Milzveränderungen bei hämatologischen Erkrankungen – 735 Andere Affektionen – 737
41.7
Milzverletzungen – 737
41.7.1 41.7.2 41.7.3
Traumatische Milzruptur – 737 Spontane Milzruptur – 737 Iatrogene Verletzung – 738
41.8
Milzchirurgie – 738
41.8.1 41.8.2 41.8.3
Offene Splenektomie – 738 Laparoskopische Splenektomie Milzresektionen – 740
41.9
Komplikationen der Milzchirurgie – 741 Literatur – 741
– 732
– 739
730
Kapitel 41 · Milz
) ) Die chirurgischen Pathologien der Milz umfassen Verletzungen, hämatologische Erkrankungen und seltener fokale Veränderungen. Wenn früher bei einer traumatischen Milzruptur eine Splenektomie vorgenommen wurde, wird heute wegen der unerwünschten Folgen des Milzverlustes (»overwhelming postsplenectomy infection«) nach Möglichkeit eine Organerhaltung angestrebt. Milzerhaltende Eingriffe stellen aber wegen der hohen operativ-technischen Anforderungen eine neue Herausforderung für den Chirurgen dar. Bei verschiedenen gutartigen und malignen hämatologischen Erkrankungen nimmt wegen raffinierterer diagnostischer Verfahren und hochwirksamer Chemotherapie die diagnostische Splenektomie an Bedeutung ab. Die Indikationen zur therapeutischen Splenektomie sind bei Verdrängungssymptomatik durch sehr große Milzen und bei den Folgen des Hypersplenismus mit Anämie und/oder hämorrhagischer Diathese gegeben.
obere Polarterie A. lienalis
V. lienalis
obere Terminalarterie untere Terminalarterie untere Polarterie
41.1
Anatomie
. Abb. 41.1. Arterielle und venöse Gefäßversorgung der Milz
41.1.1 Topographie
41
Die Milz ist das größte retikuloendotheliale Organ des Menschen. Sie ist etwa faustgroß und wiegt zwischen 150–250 g. Im Alter atrophiert das Organ physiologischerweise und kann dann nur noch 50 g schwer sein. Es liegt im linken oberen abdominellen Quadranten im Hypochrondrium und hat engen Kontakt zur 9., 10. und 11. Rippe links. Die Milz muss mindestens ihre Größe verdoppeln, bis sie am linken Rippenbogen in Erscheinung tritt. Das Organ besitzt zwei Hauptoberflächen: Die parietale, konvexe Fläche liegt dem Zwerchfell an, während die viszerale, mehr konkave Fläche enge Beziehungen zu Pankreasschwanz, Magen, der linken Niere und zur linken Kolonflexur besitzt. Das splenogastrische Ligament ist Synonym zum gastrosplenischen Omentum, das die Aa. gastricae breves enthält. Seine Ausdehnung ist sehr variabel; normalerweise zieht es vom oberen Milzpol bis in das unteren Drittel. Das splenokolische Ligament zieht von der linken Kolonflexur an den Milzunterpol. Es ist kurz und wenig vaskularisiert. Das splenorenale Ligament wird durch das dorsale Milzperitoneum gebildet, das die Milz gegen das Retroperitoneum hin fixiert. Normalerweise enthält es wenig kleine Gefäße, die allerdings im Falle einer Splenomegalie an Größe zunehmen können. Das splenophrenische Ligament verbindet die Milz mit dem Zwerchfell und kann insbesondere bei inflammatorischen oder neoplastischen Milzerkrankungen breitflächigen und innigen Kontakt zwischen Milz und Zwerchfell aufweisen. Eine konstante peritoneale Falte zieht vom großen Netz zum Milzunterpol im Sinne des splenoomentalen Ligamentes. Es zieht separat zum Milzunterpol und ist hauptsächlich für iatrogene Milzverletzungen bei Eingriffen im linken Oberbauch verantwortlich. Das Organ ist von einer relativ zerreißlichen, lediglich ca. 0,1 mm dicken bindegewebigen Kapsel umgeben.
subsegmentären Arterien (. Abb. 41.1). Weil die Milz durch ein Endarteriensystem durchblutet und die Arterienanordnung segmental ist, entstehen Parenchymsegmente, die Milzresektionen erlauben (. Abb. 41.2; 7 Kap. 41.8.3). Das venöse Blut sammelt sich in der V. lienalis, die in der Regel kaudal der Milzarterie dorsal von Pankreasschwanz und -korpus zusammen mit der V. mesenterica superior als venöser Konfluens in die Pfortader einmündet.
41.1.2 Gefäßversorgung
41.1.3 Lymphatische Drainage
Die A. lienalis entspringt dem Truncus coeliacus und nimmt einen geschlängelten Verlauf am Pankreasoberrand bis zum Milzhilus. Dort verzweigt sie sich in 5–10 Segmentäste bzw. deren
Die Milzlymphgefäße nehmen ihren Ursprung in der Milzkapsel und in den Trabekulae. Sie führen dann Gefäße weg vom Hilus zu den supra- und infrapankreatischen Lymphknotengruppen.
. Abb. 41.2. Schematische Darstellung der segmentalen Milzgefäßversorgung
731 41.2 · Physiologie
weiße Pulpa Follikel periarterioläre Scheide Pinselarteriole
1 2
rote Pulpa venöse Sinus
41
Lymphozyten, neutrophilen Granulozyten und Plasmazellen. Die venösen Sinus sind spezielle Gefäßstrukturen mit multiplen interendothelialen Poren oder Spalten von einem Durchmesser zwischen 1–5 µm, die es erlauben, dass normale Erythrozyten hindurch schlüpfen können. 41.1.5 Anlageanomalien
Trabekelarterie Trabekelvene Trabekel
retikuläres Gewebe
Segmentarterie
Hilus
. Abb. 41.3. Schematische Darstellung des histologischen Aufbaues der Milz, 1 schneller Pfad, 2 langsamer Pfad
Die größte splenopankreatische Lymphknotengruppe findet sich entlang der A. lienalis. Eine kleinere Anzahl Lymphknoten findet sich in der Nähe der Gastricae-breves-Gefäße. Sowohl der Magen als auch das Pankreas können in diese milznahen Lymphknotengruppen drainieren. 41.1.4 Histologie Im Milzparenchym trennen sich die Segmentarterien von den sie begleitenden Venen und treten in die weiße Pulpa ein. Dort werden sie zu Zentral- oder Pinselarterien (. Abb. 41.3). Aus der fibrösen Milzkapsel penetrieren die sog. Trabekulae in das Organinnere und geben der Milz die histologische Grobstruktur. Das Milzparenchym besteht zu 80% aus der roten und zu 20% aus der weißen Pulpa. Der Blutfluss durch die Milz geschieht über die Trabekelarterien, die sich im Parenchyminneren zu Pinselarteriolen verzweigen, zunächst in die Lymphfollikel der weißen Pulpa entweder direkt durch das Kapillarsystem in Venolen (schneller Pfad) oder indirekt durch die Marginalzone in die rote Pulpa (langsamer Pfad). Im Bereich der roten Pulpa wird das venöse Blut wieder gesammelt und durch die Trabekelvene aus dem Organ heraustransportiert (. Abb. 41.3). Untersuchungen von Groom haben gezeigt, dass ca. 90% des Blutflusses das schnelle Kapillarnetzwerk in den Lymphfollikeln benützen, während ca. 10% langsamer durch Austritt in das retikuläre Netzwerk der roten Pulpa passieren (Groom 1987). Die weiße Pulpa besteht aus 3 Kompartimenten: eine zentrale Arteriole umgeben von einer periarteriolären lymphatischen Scheide, die Follikel und die Marginalzone. Die Marginalzone umgibt sowohl die lymphoide Gefäßscheide als auch die Follikel und bildet die Trennschicht zur roten Pulpa. In der periarteriolären lymphatischen Scheide befinden sich T- und B-Lymphozyten. Makrophagen und dendritische Zellen finden sich ebenfalls in den primären Follikeln. Die rote Pulpa besteht aus venösen Sinus oder Sinusoiden und aus Zellsträngen, gebildet aus Makrophagen, Thrombozyten,
Akzessorische Milzen sind die häufigsten Anomalien. Sie sind meist in der Nähe des Milzhilus gelegen und seltener am Pankreasoberrand im splenogastrischen Omentum oder nahe der linken Kolonflexur zu finden. Akzessorische Milzen kommen zwischen 16 und 20% der Individuen vor, meistens in Form von 1–5 einzelnen Anlagen, die meist nicht größer als 2 cm und schwerer als 45 g sind (Morgenstern u. Skandalakis 1997; Delaitre et al. 2000). Die Asplenie ist wahrscheinlich die seltenste Milzanomalie und kommt nur im Rahmen schwerer kardiovaskulärer Malformationen vor, die jenseits des Kindesalters kaum mit dem Leben vereinbar sind (Majewski u. Upshur 1978). Auch die kongenitale Hyposplenie ist sehr selten. Solche Patienten zeigen die hämatologischen Stigmata der asplenischen Individuen und haben das lebenslängliche Risiko der fulminanten Postsplenektomiesepsis (7 Kap. 41.4). Bei der Polysplenie sind statt einem solitären Organ multiple kleine Milzknötchen vorhanden (Skandalakis et al. 1989). Diese embryonale Fehlbildung übersteigt selten 10 Milzmassen und besteht oft aus wenigen Einheiten. Auch diese Missbildung ist mit schwerwiegenden kardiovaskulären Anomalien und insbesondere mit Situs inversus vergesellschaftet. Die splenogonadale Fusion entspricht einer Fehlentwicklung bzw. einem fehlerhaften Deszendus der Milzanlage zusammen mit den linken Gonaden. So können Milzanteile im linken Testis und in der Nachbarschaft des linken Ovares gefunden werden. 41.2
Physiologie
Die beiden Hauptfunktionen der Milz sind die Filtration von Blutbestandteilen und die immunologische Funktion. Sie werden in den folgenden Abschnitten dargelegt. Nebenfunktionen sind die Reservoirbildung und die Hämatopoese. Hauptfunktionen der Milz 5 Filtration – Culling: Elimination alternder oder abnormer Erythrozyten – Pitting: Entfernung abnormer erythrozytärer Einschlusskörperchen und Remodeling der Erythrozyten 5 Immunologisch – Aufnahme und Prozessieren von Antigenen – Lymphozyten-Homing – Lymphozytenaktivierung – Antikörper- und Lymphokinproduktion – Makrophagenaktivierung – Opsonisierung 6
732
Kapitel 41 · Milz
Nebenfunktionen der Milz 5 Reservoir: Speicherung und normale Sequestrierung von Thrombozyten, Granulozyten und Eisenionen 5 Hämatopoese: Lymphozyten- und Makrophagenproduktion. Unter pathologischen Umständen: Erythro-, Granulound Megakaryopoese
41.2.1 Filterfunktion In Ruhe fließen ca. 5% des Herzminutenvolumens durch die Milz (Peters 1983). Die Mikrozirkulation in der roten Pulpa wird durch die sog. Billroth-Ketten, bestehend aus kontraktilen retikulären Zellen reguliert. Kontraktile Elemente im Bereich der venösen Sinus variieren die Spannung der endothelialen Zellen und der dazwischen liegenden Spalten. Damit wird der Wiedereintritt von Blutzellen aus dem Interstitium in die venöse Zirkulation reguliert. In der Mikrozirkulation wird das einströmende Blut bis zu einem Hämatokrit von 80% eingedickt, was einen verlängerten Kontakt zwischen den Erythrozyten und den Zellen des retikuloendothelialen Systems (RES) erlaubt. Diese RES-Zellen sind zum einen aus Monozyten herangereifte Makrophagen, deren Hauptaufgabe die Phagozytose ist. Der andere Zelltyp sind die retikulären Zellen, die physiologischerweise den Blutfluss durch die rote Milzpulpa regulieren. Sie phagozytieren nur bei Organhypertrophie oder wenn die Milz mit einer sehr großen Menge von abnormen Blutzellen belastet wird.
B-Lymphozytenpools (Christensen et al. 1978). B- und T-Zellen werden vom Blutstrom direkt in die Marginalzone eingeschleust, worauf die T-Zellen in den Zentralbereich der periarteriolären lymphoiden Scheide gelangen. Die B-Zellen passieren diese Scheide ebenfalls, gelangen aber dann zur Korona der Lymphfollikel. Die Verweildauer der T-Zellen in der Milz beträgt ca. 4 h, diejenige der B-Zellen ca. 18 h (Van Ewijk u. Nieuwenhuis 1985). Die Opsonisation ist eine weitere immunologische Funktion der Milz. Die Phagozytose polysaccharidbekapselter Bakterien (Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenzae) ist nur möglich nach vorangegangener Beladung mit speziellen Serumfaktoren. Dazu gehören die Opsonine, die spezifische IgM-Antikörper und C3B-Moleküle des Komplementsystems sind. Daneben wirkt das Tuftsin als IgG1-Gammaglobulin ebenfalls erleichternd auf die Phagozytose. Erst ein Überschuss von Opsonin und Tuftsin vermag den bakteriellen Polysaccharidmantel zu neutralisieren und gleichzeitig den pathogenen Organismus an die Makrophagen im RES des Körpers zu binden. Aufgrund der spezifischen Struktur der Milz ist sie als einziges Organ in der Lage, durch unterschiedliche Blutflussgeschwindigkeiten nichtopsonisierte pathogene Organismen in einem zeitlich ausreichenden Kontakt mit Makrophagen in der Milz zu bringen und so zu eliminieren. Die Entfernung von zirkulierenden Immunkomplexen ist eine weitere wichtige Funktion der phagozytierenden Zellen der Milz (Aguado u. Mannik 1987). 41.3
Pathophysiologie
41.3.1 Hyposplenismus Die Milz erfüllt zwei verschiedene Arten von Qualitätskontrolle für Erythrozyten: Mit dem Pitting entfernt sie verschiedene Einschlüsse und Partikel aus den Erythrozyten. Diese sind Sideringranulat, Chromatinreste (Howell-Jolly-Körperchen), Präzipitate denaturierten Hämoglobins (Heinz-Körperchen) und Malariaparasiten (Schnitzer et al. 1972). Die zweite Filterfunktion für Erythrozyten wird Culling genannt und bezeichnet die selektive Entfernung von alternden oder abnormen Erythrozyten aus dem Blutkreislauf.
41
41.2.2 Immunologische Funktion Die weiße Pulpa ist das Zentrum der immunologischen Funktion und stellt die größte Ansammlung lymphatischer Zellen im Körper dar. Beim Fehlen der Milz kann deren Funktion zum Teil von anderen lymphoiden Organen übernommen werden. Einzigartig aber ist die Immunfunktion der Milz im Sinne der Elimination von Bakterien, die eine Polysacharidkapsel besitzen. Im RESNetzwerk der Milz kommt es zur Interaktion zwischen zirkulierenden Partikeln, löslichen Antigenen und den Lymphozyten mit den RES-Zellen, die als antigenpräsentierende Zellen (APZ) funktionieren. Daneben entfernen Makrophagen zirkulierende Immunkomplexe, opsonisierte Bakterien und anitkörperbeladene Blutzellen bei autoimmunen Zytopenien. 50% der lymphoiden Zellen, die in die Milzzirkulation gelangen, strömen in die weiße Pulpa ein (Nieuwenhuis u. Ford 1976). Die normale Milz enthält ca. 25% des vollständig austauschbaren T-Lymphozytenpools und bis 15% des vollständig austauschbaren
Hyposplenismus bedeutet eine defekte oder fehlende Funktion der Milz. Ihre Ursache kann kongenital oder erworben sein. Hauptursache für den Hyposplenismus ist der Zustand nach Splenektomie (7 Kap. 41.4). Seltener tritt der Hyposplenismus bei normaler Milzgröße oder sogar bei vergrößerter Milz auf. Hyposplenismus 5 Kongenital: Asplenie, Hypoplasie, kongenitales Immundefizitsyndrom 5 Erworben: – Nach Splenektomie – Atrophie und/oder Organinfarzierung: Sichelzellanämie, Vaskulitiden, essenzielle Thrombozythämie, Malabsorption, nach Radio- und Chemotherapie – Funktionelle Asplenie: Infiltration durch Leukämie, Lymphome, multiples Myelom, Amyloidose, Sarkoidose, vaskuläre Milztumore – Erniedrigte Immunfunktion: physiologisch bei Neugeborenen und im hohen Alter, AIDS, Radio- oder Chemotherapie, immunsuppressive Medikamente, Endokrinopathien, chronischer Alkoholismus
41.3.2 Hypersplenismus Vom Hyperspleniesyndrom spricht man, wenn bei zellreichem Knochenmark im Rahmen einer Splenomegalie eine periphere
733 41.5 · Diagnostik
Zytopenie entsteht. Dies ist die häufigste Indikation zur Splenektomie. Primäre, idiopathische Hyperspleniesyndrome sind selten. Sie können sich sekundär als Folge einer ganzen Reihe von Zuständen entwickeln. Hypersplenismus 5 Sequestrierung abnormer Zellen durch eine sonst normale Milz: – Kongenitale Erythrozyten, Sphärozytose, Elliptozytose, Sichelzellanämie – Erworbene Erythrozytopathien: autoimmunhämolytische Anämie, Parasitosen (Malaria) – Autoimmune Thrombozytopenie und Neutropenie 5 Sequestrierung normaler Blutzellen bei normaler Milz: – Portale Hypertension (Leberzirrhose, Budd-ChiariSyndrom, Pfortaderthrombose) 5 Sequestrierung normaler Blutzellen bei Milzerkrankungen: – Makrophagendefekte: Banti-Syndrom, Histiozytosis, Speicherkrankheiten, Parasitosen (Kala-Azar) – Infiltrative Zustände: Leukämien, Lymphome, myeloide Metaplasie, chronische Infektionen (Tuberkulose, Bruzellose), Milzmetastasen – Vaskuläre Abnormitäten: Gefäßtumoren, Peliosis
Die häufigste Ursache stellt die portale Hypertension im Rahmen einer Leberzirrhose oder Pfortaderthrombose dar (McCormick u. Murphy 2000). Bei portaler Hypertension muss eine Splenektomie allerdings vermieden werden, weil sie zu schweren Konsequenzen führen kann (Verschlechterung der Hypertension durch Unterbindung von spontanen portosystemischen Shunts oder Risiko einer Pfortaderthrombose). 41.4
Milzloser Zustand
41.4.1 Blutbildveränderungen Im milzlosen Zustand zeigt das Blutbild im Langzeitverlauf nur diskrete Veränderungen. In der unmittelbaren Postsplenektomieperiode werden eine Leukozytose (normalerweise bis 25.000/mm3) sowie eine Thrombozytose (bis zu 1×106/mm3) festgestellt. Diese Veränderungen normalisieren sich in der Regel innerhalb 3 Wochen. Die chronischen Veränderungen im Blutbild beziehen sich auf die Erythrozytenmorphologie mit Anisozytose und Poikilozytose sowie auf das Vorhandensein von Howell-Jolly-Körpern, Heinz-Körpern und der basophilen Stippelung. 41.4.2 Immunologische Veränderungen Zur optimalen Infektabwehr gegen pathogene Keime sind die Phagozytoseaktivität von Milzmakrophagen und die Opsonisationsfunktion notwendig. Im milzlosen Zustand entfallen diese Funktionen, und die Phagozytose pathogener Keime wird vornehmlich durch die Leber übernommen. Die konstante Blutzirkulation durch die Leber gestattet aber nur einen kurzfristigen Kontakt zwischen den Erregern mit den Makrophagen. Infektiöse
41
Komplikationen (0,7–4,3%) beziehen sich vornehmlich auf die polysaccharidbekapselten Keime und können in jedem Alter und nach jedem Zeitintervall nach Splenektomie auftreten. Das Risiko dieser fulminanten Sepsis (»overwhelming postsplenectomy infection«, OPSI) ist besonders hoch während der ersten 3 Jahre nach Splenektomie und mit bis zu 4,5% in den ersten 5 Lebensjahren (Holdsworth u. Cuschieri 1994). Die OPSI kann in bis zu 50% tödlich verlaufen (Waghorn 2001). 41.4.3 Prophylaxe bei Milzverlust Zur Vermeidung der lebensgefährlichen OPSI wird derzeit ein polyvalenter Pneumokokkenimpfstoff angeboten. Er besteht aus einer Mischung hochgereinigter Kapselpolysacharide der 23 häufigsten oder invasivsten Kapseltypen von Streptococcus pneumoniae, einschließlich der 6 häufigsten Serotypen, die invasive, antibiotikaresistente Pneumokokkeninfektionen bei Erwachsenen und Kindern verursachen. Dieser 23-valente Impfstoff enthält 90% der Pneumokokkenstämme, die aus Blutproben isoliert wurden und mindestens 85%, die aus Proben von Körperstellen stammen, die im Allgemeinen steril sind. Nach Möglichkeit sollte mindestens 14 Tage vor elektiver Splenektomie geimpft werden. Aufgrund einer postoperativen regelhaft auftretenden Immunosuppression wird nach notfallmäßiger Splenektomie die Impfung erst nach 2 Wochen empfohlen. Eine Wiederholung der Immunisierung (»boost«) ist alle 10 Jahre indiziert. Trotz entsprechender Vakzination gegen die entsprechenden Serotypen sind fatale Pneumokokkeninfektionen beschrieben worden (Holdsworth u. Cuschieri 1994). Vakzine gegen Haemophilus influenzae und Neisseria-Meningitiden wurden in den letzten Jahren ebenfalls entwickelt und sollten insbesondere bei splenektomierten Kleinkindern angewendet werden. Da praktisch alle Pneumokokkenstämme gegen Penicillin sensibel sind, wurde auch über eine langzeitige antibiotische Prophylaxe mit Penicillin bei splenektomierten Individuen diskutiert. Eine routinemäßige Penicillinprophylaxe über eine längere Dauer als 2 Jahre kann derzeit auch für Kinder nicht empfohlen werden. 41.5
Diagnostik
41.5.1 Klinische Untersuchung Die Untersuchung der Milz geschieht in rechter Seitenlage, wobei die linke Hand des Untersuchers durch Umfassen der linken Flanke eine möglicherweise vergrößerte Milz nach vorne zu verschieben versucht und die Palpation mit flacher rechter Hand von vorne durchgeführt wird (. Abb. 41.4). Der Untersucher steht dabei entweder vor oder hinter dem Patienten. Sehr große Milzen können bis in den Unterbauch und mit ihrem Unterpol sogar nach rechts über die Mediane hinaus tastbar sein. Bei sehr großer Milz kann man bei schlanken Patienten Einkerbungen – die sog. Crenae der Milz – palpieren. Auskultatorisch kann zuweilen ein atemsynchrones Reiben festgestellt werden, vor allem, wenn eine Perisplenitis (häufig Ausdruck eines Milzinfarktes) vorliegt. Nach Sturz, stumpfem Bauchtrauma oder bei penetrierenden Verletzungen können Patienten bei starker Blutung in die Bauchhöhle die Zeichen des Blutungsschockes aufweisen. In der Regel besteht dann ein Peritonismus mit Abwehrspannung. Besonders
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Kapitel 41 · Milz
indiziert. Die diagnostische Genauigkeit (»accuracy«) bezüglich Milzverletzungen beträgt 91%, Sensitivität und Spezifität liegen über 95%. Zystische und fokale Läsionen lassen sich mit der abdominellen Sonographie gut abgrenzen. Zur feinen Diagnostik allerdings eignen sich kontrastmittelverstärktes CT oder die Kernspintomographie besser. Eine bildgebende Funktionsdiagnostik der Milz kann mittels Szintigraphie mit 99MTechnetium-markierten und hitzedenaturierten Erythrozyten vorgenommen werden. Dabei lassen sich die Anreicherungen über der Milz und der Leber sowie die Extraktionsrate auf dem Blut messen. 41.6
Chirurgische Erkrankungen der Milz
41.6.1 Primäre Milzerkrankungen
. Abb. 41.4. Abdominaluntersuchung zur Milzpalpation
in Kopftieflage kann sich ein Schulterschmerz infolge der diaphragmalen Reizung einstellen. Bei subkapsulärer oder tamponierter Blutung kann auch nur eine diskrete Symptomatik im linken Epigastrium vorliegen. Besonders bei Kontusionsmarken über der Milzloge oder bei Rippenfrakturen basal links ist eine strenge Beobachtung des Patienten angezeigt. 41.5.2 Bildgebende Verfahren Als Standarduntersuchungsmethoden bei Milzerkrankungen stehen die Sonographie und die Schichtbildverfahren (CT, MRI) zur Verfügung (. Abb. 41.5 und 41.6). Bei begründetem Verdacht auf eine frische Milzruptur führt die Ultraschalluntersuchung am einfachsten zum Ziel. Sie ist die geeignetste Modalität für die Grob- und Schnelldiagnostik, wenn parenchymatöse Verletzungen und insbesondere freie Flüssigkeit um die Milz herum festgestellt werden soll. Im Vergleich zur Sonographie ist die CTUntersuchung etwas sensitiver und spezifischer, aber aufwendiger und im Notfall bei hämodynamisch instabilen Patienten kontra-
41
. Abb. 41.5. Oberbauchsonographie mit Darstellung einer subkapsulären Zyste, hervorgegangen aus einem subkapsulären Hämatom
Benigne Veränderungen Die häufigste lokale benigne Erkrankung der Milz ist die Echinokokkuszyste. Aufgrund der portalvenösen Verbreitung der Parasiten mit bevorzugtem Befall der Leber wird die Milz nur bei 0,5–3,5% der erkrankten Individuen befallen (Wolf u. Lenner 1998). Für die Bildgebung typisch sind die deutlich ausgebildete Zystenwand und Septierungen des Zysteninhaltes. Die Echinokokkusserologie ist in der Regel diagnostisch. Sowohl milzerhaltende Eingriffe als auch die Splenektomie wurden für die Milzechinokokkose empfohlen (Abi et al. 1989; Narasimharao et al. 1987; Vara-Thorbeck et al. 1991). Nichtparasitäre, blande Zysten kommen in allen Altersgruppen vor und werden in echte Zysten (ausgekleidet mit einer Epithelschicht) und falsche bzw. traumatische Zysten unterschieden. Traumatische Zysten entstehen in der Regel aus einem subkapsulären Hämatom, das sich in der Folge resorbiert. Die Symptomatik betrifft in der Regel Oberbauchschmerzen links bei großen, raumfordernden Zysten. Die Indikation zur Resektion ist erst bei Symptomen gegeben. Zysten mit einem Durchmesser von weniger als 4 cm sollten am besten sonographisch kontrolliert werden. Wird die Indikation zur Resektion gestellt, kommen vor allem milzerhaltende Operationsmethoden zum Einsatz. Einerseits kann die Zyste komplett unter Mitnahme eines Randsaumes von normalem Milzparenchym vorgenommen werden. Anderer-
735 41.6 · Chirurgische Erkrankungen der Milz
41
. Abb. 41.6. Abdominelle Computertomographie der unter Abb. 41.5 abgebildeten posttraumatischen Zyste
seits gibt es die Möglichkeit der Milzdekapsulierung bzw. der partiellen Zystektomie. Hier wird nicht im normalen Milzparenchym präpariert, sondern gerade am Rande der Zyste (Touloukian u. Seashore 1987). Milzzysten können auch laparoskopisch mit den beiden genannten Resektionsverfahren entfernt werden. Die Anwendung von Klammernahtinstrumenten zur Parenchymdissektion wurde beschrieben (Uranus et al. 1994; Yavorski et al. 1998). Das Hämangiom ist die häufigste benigne Neoplasie der Milz. Sie kommt solitär oder multipel vor und kann zur Spontanruptur Anlass geben. Die Behandlung ist in der Regel die Splenektomie. Lymphangiome sind weniger häufig als Hämangiome, können große Tumore bilden oder die ganze Milz durchsetzen (Morgenstern et al. 1992). Die Peliosis bezeichnet eigentlich keine neoplastische Läsion, sondern das Vorliegen von blutgefüllten Zysten über die ganze Milz, meistens im Rahmen einer Splenomegalie. Die Gefahr der Peliosis ist die spontane Ruptur mit intraperitonealer Hämorrhagie (Celebrezze et al. 1998). Hamartome stellen fokale Entwicklungsanomalien in einer sonst normalen Milz dar. Die Herde sind aus normalen zellulären Elementen aufgebaut, aber funktionell nicht organisiert. Makroskopisch sind es umschriebene, meist solitäre Knötchen. Hamartome werden lediglich in 0,17% der Splenektomiepräparate gefunden (Lam et al. 1999). Milzabszesse entstehen in der Regel hämatogen im Rahmen eines septischen Zustandes. Zu den benignen lokalen Veränderungen wird auch der Milzinfarkt gezählt, der meist nach arterieller Embolisation bei Herzkrankheiten, aber auch gelegentlich im Gefolge einer Milzvenenthrombose auftreten kann. Segmentale Infarkte werden bei massiver Splenomegalie unterschiedlicher Genese (Autosplenektomie) beobachtet. Die Splenektomie ist bei totalem Infarkt oder bei Superinfekt indiziert. Maligne Erkrankungen Das Hämangiosarkom der Milz ist ein sehr seltener primärer Milztumor, der ein hohes Spontanrupturrisiko und eine sehr schlechte Prognose besitzt (Simanksi et al. 1986; Neuhauser et al.
2000). Das maligne fibröse Histiozytom, das primäre Plasmozytom der Milz sowie das Kaposi-Sarkom sind weitere sehr seltene maligne Milztumore. Milzmetastasen kommen in bis zu 7% der generalisierten Malignomerkrankung vor (Morgenstern u. Skandalakis 1985). Die Tumorerkrankungen, die am häufigsten zu Milzmetastasen führen, sind die Karzinome des Ovars, der Brustdrüse und der Lunge sowie das maligne Melanom. In Einzelfällen ist die Metastasierung auf die Milz beschränkt, sodass eine Splenektomie indiziert sein kann. 41.6.2 Milzveränderungen bei hämatologischen
Erkrankungen Erythrozytäres System Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie). Diese hereditäre, autosomal-dominante Erkrankung führt dazu, dass die Erythrozyten in Folge eines Membrandefektes kugelförmig deformiert sind. Solche abnorme Erythrozyten werden in der Milz vermehrt phagozytiert, worauf eine Hämolyse mit Anämie, eine Hyperbilirubinämie und in ca. 30% der Fälle eine Cholezystolithiasis entsteht. Die Splenektomie ist die Therapie der Wahl und führt zur Normalisierung der Erythrozytenüberlebenszeit, hat aber keinen Einfluss auf die Erythrozytenform. Bei nachgewiesener Cholelithiasis sollte gleichzeitig bei diesen meist jüngeren Patienten eine Cholezystektomie erfolgen. Die Sphärozytose manifestiert sich schon im Kleinkindesalter. Die Splenektomie sollte jedoch wegen des erhöhten Infektionsrisikos bis nach dem 6. Lebensjahr aufgeschoben werden. Die Ovalozytose oder Eliptozytose ist eine der Sphärozytose ähnliche hereditäre Erkrankung. Hier ist die Splenektomie aber nur bei deutlicher Splenomegalie (lediglich 10% der Fälle) indiziert. Hämolytische Anämie durch Enzymdefekt. Der Pyruvatkinase-
mangel führt zu einer erhöhten Sequestrationsrate von Erythrozyten in der Milz und somit zu Anämie. Ein ähnlicher Defekt ist
736
Kapitel 41 · Milz
der Glukose-6-Phosphatdehydrogenasemangel. Während die Splenektomie beim ersteren Defekt die Anämie verbessern kann, ist sie beim letzteren weniger erfolgreich. Thalassämie. Die Ursache dieser autosomal-dominant vererbten
hämolytischen Anämie (auch Mittelmeer-Anämie genannt) ist eine Synthesestörung des Hämoglobinproteins. Sie führt zu intrazellulärer Ausfällung von Hämoglobin und zur vorzeitigen Sequestration der Zellen. Der genetische Defekt kann im Bereich der Alpha-, Beta- oder Gammakette des Hämoglobins sitzen. Im Verlauf der homozygoten Form (Thalassaemia major) kommt es zur massiven Splenomegalie mit Hypersplenismus. Bei erhöhtem Transfusionsbedarf ist die Indikation zur Splenektomie gegeben. Sie sollte aber sehr streng gestellt werden, weil die Patienten zum einen ohnehin infektanfällig sind und zweitens die Gefahr einer Eisenüberladung im Sinne einer Transfusionshämochromatose mit Gefahr der Leberzirrhose beim splenektomierten Patienten besteht, weil die Milz als Eisenspeicher gegen die Hämochromatose schützt. Die heterozygote Form (Thalassaemia minor) verläuft meistens asymptomatisch, weshalb dort die Splenektomie nie indiziert ist. Sichelzellanämie. Diese hereditäre hämolytische Anämie ist durch sichelartige Erythrozyten gekennzeichnet. Das normale Hämoglobin A ist durch ein Hämoglobin S ersetzt, das unter Sauerstoffeinwirkung kristallisieren kann und zur Deformierung der Erythrozyten Anlass gibt. Klinisch findet sich bereits im Kindesalter eine massive Splenomegalie. Charakteristisch für den Krankheitsverlauf sind progrediente Milzinfarzierungen, bedingt durch die massiv erhöhte Blutviskosität mit progredienter Milzfibrosierung und Funktionsverlust der Milz (Autosplenektomie). Autoimmunhämolytische Anämie. Diese wird durch antierythrozytäre Antikörper verursacht. Kälteantikörper führen zur intravasalen Hämolyse, weshalb in diesem Falle eine Splenektomie nutzlos ist. Dagegen fördern Wärmeantikörper eine Sequestration der Erythrozyten in der Milz und deswegen kann eine Splenektomie erfolgreich sein. Die Indikation dafür wird gestellt, wenn die Steroidtherapie wirkungslos ist oder wenn steroidinduzierte Komplikationen befürchtet werden müssen.
41
Schwere aplastische Anämie. Sie ist ein Zustand mit peripherer Panzytopenie und einer Knochenmarksaplasie. Für Patienten unter 50 Jahren mit einer kurzen Krankheitsdauer stellt die Knochenmarkstransplantation die Therapie der Wahl dar. Patienten, die für diese Therapie nicht in Frage kommen, erhalten eine Immunsuppression mit Antilymphozytenglobulin. Die Splenektomie ist bei persistierendem hohem Transfusionsbedarf indiziert.
Thrombozytäres System Immunthrombozytopenische Purpura. Diese chronische Purpura (M. Werlhof) ist eine Autoimmunerkrankung. Autoantikörper binden an Thrombozyten, die dann in der Milz vermehrt sequestriert werden. Die Milz ist dabei nicht vergrößert. Standardbehandlung dafür ist die Gabe von Steroiden, was bei ca. 80% der Patienten zur Remission führt. Bei Therapieversagen nach 6-wöchiger Behandlung ist die Splenektomie, in der Regel auf laparoskopischem Wege, angezeigt. Sonderformen der immunthrombozytopenischen Purpura ist die HIV-assoziierte Throm-
bozytopenie und diejenige im Rahmen des systemischen Lupus erythematodes (sog. Evans-Syndrom). Thrombotisch thrombozytopenische Purpura. Dieses Syndrom führt zur Okklusion von Arteriolen und Kapillaren durch hyaline Membranen und letztlich zur Mikroangiopathie mit terminaler Niereninsuffizienz. Zusätzlich zur Purpura zeigen sich Anämie, Fieber und neurologische Ausfälle. Die Ätiologie dieser Erkrankung ist ungeklärt. Auslöser kann in einigen Fällen eine Schwangerschaft sein. Die Krankheit ist rasch progredient und kann durch intrazerebrale Blutungen zum Tode führen. Standardbehandlung sind die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern sowie die Plasmapherese. Der Wert von Steroiden und der Splenektomie ist fraglich.
Myeloproliferative Syndrome, Leukämien und Lymphome Osteomyelofibrose. Die idiopathische Osteomyelofibrose ist eine myeloproliferative Erkrankung, die zur Bindegewebsproliferation und letztlich zur Fibrose des Knochenmarks führt. Die entsprechende extramedulläre Blutbildung geschieht dann vor allem in Milz und Leber. Im Verlauf führt diese Krankheit daher zur massivsten Splenomegalie mit entsprechendem Hypersplenismus. Wegen obstruktiver hepatischer Fibrose kann sie auch durch eine portale Hypertension kompliziert sein. Die Indikation zur Splenektomie ist bei symptomatischer Milz (Kompressionserscheinungen umliegender Organe, Oberbauchschmerzen durch Milzinfarkte) oder bei Anämie und Thrombozytopenie gegeben. Die Splenektomie bei Osteomyelofibrose ist risikoreich und zeigt in der Arbeit von Tefferi und Mitarbeiter eine Mortalität von 9% und eine Morbidität von 31% (Tefferi et al. 2000). Sekundäre Formen der Osteomyelofibrose treten nach lymphatischen und myeloischen proliferativen Erkrankungen auf. Chronisch myeloische Leukämie. Diese myeloproliferative Erkrankung verläuft phasenweise und zeigt in der chronischen Phase eine Leukozytose mit Linksverschiebung. Nach meist langjähriger chronischer Phase geht sie in eine akzelerierte, akute Phase über, die in einer akuten Leukämie in kurzer Zeit fatal endet. Eine Knochenmarkstransplantation ist die Therapie der Wahl in dieser Situation. Früher wurde vor Transplantation eine Splenektomie durchgeführt mit dem Ziel, die in der Milz persistierenden leukämischen Zellen als Ausgangspunkt für ein Rezidiv zu eliminieren. Es wurde aber gezeigt, dass eine vorgängige Splenektomie auf das Überleben nach Knochenmarkstransplantation keinen Einfluss hat (Gratwohl et al. 1985; Mesa et al. 2000). In Einzelfällen jedoch ist die Splenektomie bei Kompressionssyndromen, Anämie und bei portaler Hypertension indiziert (Mesa et al. 2000). Lymphome. Obwohl früher wegen des häufigen Milzbefalls im Rahmen des Hodgkin-Lymphoms eine Staging-Laparotomie inkl. Splenektomie durchgeführt worden ist, ist dieses Vorgehen heute praktisch obsolet. Staging-Untersuchungen mit nichtinvasiven, bildgebenden Verfahren erlauben heute eine genaue Stadiumbestimmung der Krankheit. Die Staging-Laparotomie bleibt heute deshalb nur indiziert, wenn man bei Stadium I (mit geringem Risiko eines infradiaphragmalen Lymphknoten- und Milzbefalls) auf eine Chemotherapie verzichten möchte und eine alleinige Radiotherapie der supradiaphragmalen Tumorlokalisation plant. Die Splenektomie bei Patienten mit Non-Hodgkin-
737 41.7 · Milzverletzungen
Lymphom wird entweder aus diagnostischen oder therapeutischen Gründen empfohlen. Hypersplenismus und autoimmunohämolytische Anämie sind seltene therapeutische Indikationen (Xiros et al. 2000). Haarzellleukämie. Diese Leukämie ist eine proliferative Erkran-
kung der B-Lymphozyten und führt oft zu massiver Splenomegalie mit Hypersplenismus. Die Therapie der Wahl ist die parenterale Gabe von Interferon-α und die Indikation zur Splenektomie wird nur bei Therapieversagen, bei Verdrängungserscheinungen, Schmerzen oder bei Hypersplenismus gestellt (Golomb u. Vardiman 1983). Chronisch lymphatische Leukämie. Diese Krankheit gehört zu den niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen und wird in der Regel mit alleiniger Chemotherapie behandelt. Die Splenektomie ist bei symptomatischer großer Milz mit Hypersplenismus gegeben und führt in über 70% zur Besserung von Thrombozytopenie und Anämie (Neal et al.1992).
41.6.3 Andere Affektionen Die folgenden Erkrankungen können zur symptomatischen Splenomegalie und Hypersplenismus führen und deshalb Indikationen zur Splenektomie darstellen. Beim M. Gaucher handelt es sich um eine abnorme Speicherung bzw. Retention von Glykolipiden und Zerebrosiden in den Zellen des RES. Die Porphyria erythropoietica entspricht einer rezessiv vererbten Erkrankung mit abnormer Einlagerung von Porphyrinen im Milzgewebe. Das Felty-Syndrom stellt eine Autoimmunerkrankung dar mit Antikörperbildung gegen Zellkerne neutrophiler Granulozyten. Klinisch finden sich eine rheumatoide Arthritis, eine Splenomegalie und eine Neutropenie, die durch Anämie und Thrombozytopenie kompliziert werden kann. Die Splenektomie bessert die Neutropenie, die Arthritis wird allerdings dadurch nicht beeinflusst. Etwa 25% der Patienten mit Sarkoidose zeigen eine Splenomegalie und ca. 5% einen Hypersplenismus. Spontane Rupturen sehr großer Sarkoidosemilzen sind beschrieben worden. Milzarterienaneurysma. Etwa 60% der viszeralen Aneurysmen betreffen die Milzarterie, 20% die A. hepatica, 8% die A. mesenteria superior und je 4% die Aa. coeliaca gastricae und andere (Williams et al. 1994). In der Angiographie werden Aneurysmen der A. lienalis zwischen 0,8 und 4% gefunden (Williams et al. 1994). Das Milzarterienaneurysma entsteht auf dem Boden einer Arteriosklerose, eines kongenitalen Wanddefekts, in den letzten Schwangerschaftsmonaten oder embolisch-mykotisch bei einer Endokarditis. Es wird gehäuft bei portaler Hypertension mit Splenomegalie angetroffen. Die Ruptur (2–10% Risiko) präsentiert sich unter dem Bild des akuten Abdomens mit oder ohne Zeichen des hypovolämischen Schocks. Die Blutung erfolgt meist in die Bursa omentalis und kann durch Tamponade zunächst sistieren. Ein Durchbruch in die freie Bauchhöhle oder in ein Hohlorgan ist aber die Regel. Die rupturbedingte Mortalität wird in der Literatur zwischen 25 und 75% angegeben (Williams et al. 1994). Milzarterienaneurysmen werden meist als Zufallsbefunde oder erst bei der Ruptur entdeckt.
41.7
41
Milzverletzungen
41.7.1 Traumatische Milzruptur Beim stumpfen Bauchtrauma ist die Milz das am häufigsten verletzte Organ. Der Verletzungsgrad an der Milz wird nach dem »Organ Injury Scale« der amerikanischen Gesellschaft der Traumatologen in 4 Schweregrade klassifiziert (Moore et al. 1995). Beim hämodynamisch stabilen Patienten mit Milzruptur aufgrund eines abdominellen Monotraumas ist ein konservatives Vorgehen zu wählen, vorausgesetzt, es bestehen keine Gerinnungsstörung und die Möglichkeit einer lückenlosen Kreislaufüberwachung. Etwa 64% der pädiatrischen und 24% der erwachsenen Verletzten mit stumpfem Bauchtrauma erweisen sich als hämodynamisch stabil und qualifizieren für die nicht operative Behandlung (Trunkey et al. 1997). In einer Metaanalyse über insgesamt 60 Publikationen erwies sich die konservative Behandlung der Milzruptur bei Kindern in 96% und bei Erwachsenen in 86% als erfolgreich. Bluttransfusionen waren in beiden Gruppen bei einem Drittel der Patienten notwendig (Trunkey et al. 1997). Ein theoretisches Risiko der konservativen Behandlung stellt das Verpassen weiterer abdomineller Verletzungen (z. B. Dünndarmperforation) dar. Dies traf aber nur für 4 von insgesamt 2000 Patienten mit Milzruptur zu (Johnson u. Shatney 1986; Cogbill et al. 1989; Cosentino et al. 1990; Oller et al. 1991). Das Risiko einer zweizeitigen Organruptur nach konservativer Behandlung der Milzverletzung beträgt in allen publizierten Serien weniger als 1% (Trunkey et al. 1997). Für die Behandlung wird eine 48- bis 72-stündige Überwachung auf einer Intensivstation inkl. Bettruhe empfohlen, gefolgt von einer stationären Behandlung während 5–10 Tagen (Esposito u. Gamelli 1997). Die Dauer der Einschränkung körperlicher Aktivität sollte individuell auf den Patienten und den Schweregrad der Milzverletzung abgestimmt werden. Hämodynamisch instabile Patienten mit Hämatoperitoneum werden sofort laparotomiert. Nach Möglichkeit ist das verletzte Organ zu präservieren. Derzeit stehen verschiedene operative Methoden zur Blutstillung an der Milz zur Verfügung: Übernähung mit komprimierenden Parenchymumstechungen, Argon-Koagulation, Infrarotdiathermie, Applikation von Gelfoam, oxidierter Zellulose, Kollagen und Fibrinkleber. Eine weitere Möglichkeit ist der sog. Meshrepair, bei dem die verletzte Milz in ein resorbierbares Netz eingehüllt und tamponiert wird. Tiefer reichende Verletzungen in den Polbereichen eignen sich zur Milzresektion, die sich an die segmentale Durchblutung des Organs orientieren (7 Kap. 41.8.3). 41.7.2 Spontane Milzruptur Verschiedene Krankheiten, die zur Splenomegalie führen, können zur spontanen Ruptur des Organs führen. Dazu gehören die Mononucleosis infectiosa, akute und chronische Leukämien, hämolytische Anämie, Polycythaemia vera und Infektionskrankheiten, insbesondere die Malaria (Yagmur et al. 2000). Auch die pathologisch veränderte, rupturierte Milz eignet sich bei hämodynamisch stabilen Patienten für die nichtoperative Behandlung (Guth et al. 1996).
738
Kapitel 41 · Milz
41.7.3 Iatrogene Verletzung Abdominelle Eingriffe (Exploration des Abdomens, Mobilisation der linken Kolonflexur, Magen-, Pankreas- und Nierenoperationen) können zu iatrogenen oder akzidentellen Verletzungen der Milz führen. Häufig ist es Zug an Verwachsungen mit der Organkapsel oder den Aufhängebändern, der zu Kapselrissen führt. Eine sorgfältige Operationstechnik kann solche Situationen verhindern helfen. Cave
A
Vorsicht ist geboten beim Legen von Thoraxdrains. Die zu kaudal eingebrachte Thoraxdrainage oder der auf korrekter Höhe (d. h. 4. ICR; Mamillenhöhe) eingelegte Schlauch nach Organverlagerung bei linksseitiger Zwerchfellruptur sind vermeidbare iatrogene Verletzungen.
41.8
C B
Milzchirurgie
41.8.1 Offene Splenektomie
41
Der Eingriff geschieht in Rückenlage mit leicht angehobener linker Seite. Als Inzisionen bieten sich die mediane Laparotomie oder der Subkostalschnitt links an.
. Abb. 41.8. Präliminäre Ligatur der A. lienalis am Pankreasoberrand
Operationstechnik. Bei der notfallmäßigen Entfernung einer stark blutenden, rupturierten Milz sollte versucht werden, das mit Tüchern tamponierte Organ zusammen mit dem relativ leicht mobilisierbaren Pankreasschwanz auf Bauchdeckenhöhe zu mobilisieren (. Abb. 41.7). Der Blutverlust lässt sich etwas verringern, wenn man zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand die A. lienalis im Pankreasschwanzbereich oder deren erste Aufzweigungen komprimiert. Dann können die Beziehungen zwischen Milz, Spitze des Pankreasschwanzes und Magen überblickt und die Klemmen ohne Verletzung dieser Nachbarorgane gesetzt werden.
Bei der elektiven Splenektomie beginnt man mit der Durchtrennung des Lig. splenocolicum. Mit der rechten Hand werden Größe, Beschaffenheit und Adhärenz der Milz insbesondere zum Zwerchfell untersucht. Die präliminäre Ligatur der oft großkalibrigen A. lienalis am Pankreasoberrand realisiert man nach Eröffnen der Bursa omentalis nach Spalten des Lig. gastrocolicum oder durch Eingehen durch das in der Regel transparentere Omentum minus (. Abb. 41.8).
A. lienalis, A. gastroepiploica sin. (durchtrennt) Milz
Milzbett
. Abb. 41.7. Verlagerung der Milz unter Mobilisation des Pankreasschwanzes und -korpus
Cave Die Unterbindung der A. lienalis nahe am Abgang am Truncus coeliacus sollte wegen möglicher Verwechslung mit der A. hepatica communis und möglicher Mangeldurchblutung im Bereich von Pankreaskorpus und -schwanz vermieden werden.
Die arterielle Ligatur verringert augenblicklich das Milzvolumen, wodurch man besonders bei sehr großen Milzen wesentlich an Übersicht gewinnt. Die Kapselspannung lässt nach und damit auch die Verletzbarkeit des Organs, das sich nun leichter aus seinem Lager luxieren lässt. Der Blutverlust während der Präparation verringert sich und die Sequestration hört auf. Deshalb sollten – wo nötig – zu diesem Zeitpunkt Thrombozyten transfundiert werden. Mit der linken Hand wird das Organ so weit nach vorne und medial gezogen, dass das weitgehend avaskuläre Gewebe im Bereich des Lig. splenorenale angespannt und mit der Schere im Abstand von ca. 1–2 cm zur Milzkonvexität durchtrennt werden kann (. Abb. 41.9). Nach Spalten der den ventralen Milzhilus bedeckenden Serosa lassen sich die Hilusgefäße zwischen Klemmen – evtl. in mehreren Schichten – durchtrennen und ligieren (. Abb. 41.10). Auch hier sollte die zuweilen sehr engen Beziehungen zu den Nachbarorganen beachtet werden. Eine etwaige Verletzung des
739 41.8 · Milzchirurgie
41
Lig. renolienale Lig. gastrophrenicum
D
. Abb. 41.11. Definitive Versorgung der Milzhilusgefäße, bevor das Organ vom Pankreasschwanz abgetrennt wird
. Abb. 41.9. Scharfes Durchtrennen des Lig. phrenicolienale und des Lig. splenorenale
Pankreasschwanzes wird an dieser Stelle mit atraumatischen Durchstechungsnähten unter präziser Blutstillung vorgenommen. Eine Verletzung von Magenfundus im Bereich der Gastricaebreves-Gefäße wird durch Einstülpen der Naht der Magenwand an jener Stelle versorgt (. Abb. 41.11). Nach Nebenmilzen, die meist im Hilusbereich gelegen sind, ist möglichst frühzeitig im Verlauf einer elektiven Splenektomie zu suchen. Am Schluss der Operation können sie u. U. im blutig imbibierten Operationsgebiet nur noch schwer ausfindig gemacht werden. Der Eingriff ist erst nach perfekter Kontrolle der Hämostase abgeschlossen. Wegen möglicher aszendierender bakterieller Infektion sollte der subphrenische Raum nach Splenektomie nicht routinemäßig drainiert werden. Die einzige Ausnahme bzw. Indikation für ein Drain ist der Zustand nach Übernähung einer Verletzung am Pankreasschwanz. 41.8.2 Laparoskopische Splenektomie Die erste erfolgreiche Splenektomie auf laparoskopischem Weg wurde von Delaitre u. Maignien (1991) beschrieben. Ähnlich den anderen laparoskopischen Eingriffen im Oberbauch dürfte die minimalinvasive Splenektomie zu einer schnelleren postoperativen Erholung und zu weniger respiratorischen Komplikationen führen (Kathkouda u. Mavor 2000).
. Abb. 41.10. Durchtrennung des Lig. gastrolienale mit Unterbindung der Aa. und Vv. gastricae breves
Indikationsstellung. Prinzipiell ergeben sich für die laparoskopische Splenektomie (LS) die gleichen Indikationen wie zum offenen Verfahren, außer beim stumpfen Bauchtrauma und gewissen Malignomen. Bei Milzgewichten über 1 kg steigt die Konversionsrate zum offenen Verfahren dramatisch (Berman et al. 1999; Mahon u. Rhodes 2003). Die massive Splenomegalie per
740
Kapitel 41 · Milz
se ist keine Kontraindikation für das laparoskopische Verfahren und wurde erst durch die Anwendung des Handports überhaupt möglich (Hellman et al. 2000; Walsh et al. 2004). Kontraindikationen für die LS sind die erhebliche kardiopulmonale Komorbidität und die Leberzirrhose mit portaler Hypertension. Vorangegangene Eingriffe im Oberbauch sind relative Kontraindikationen zum laparoskopischen Verfahren. Die weitaus häufigste und geeignetste Indikation zur LS ist die idiopathische thrombozytopenische Purpura, weil bei dieser Krankheit keine Splenomegalie besteht (Delaitre et al. 2000; Park et al. 2000). Operationstechnik. Wir bevorzugen eine 60°-Halbseitenlage unter Anhebung der Flanke des Patienten, damit mehr Aktionsraum zwischen dem linken Rippenbogen und der Beckenschaufel geschaffen wird. Das Kippen des Operationstisches in die AntiTrendelburg-Position verbessert die laparoskopische Sicht. Normalerweise sind insgesamt 4 Trokare nötig, 3 davon entlang des Rippenbogens und der Optiktrokar supraumbilikal bzw. im linken Mittelbauch. Die Dissektion geschieht in 5 Schritten: 4 Durchtrennen der Gastricae-breves-Gefäße 4 Durchtrennen des Lig. splenocolicum 4 Ligatur bzw. Clippen der unteren Polgefäße 4 Kontrolle der Hilusgefäße (entweder mit Clip oder mit Gefäß-Endo-GIA) 4 Ablösen der Milz von ihrer Aufhängung am Diaphragma
Der Einsatz des krümmbaren laparoskopischen »Goldfingers« erleichtert die Präsentation des Organs und die Durchtrennung der Hilusgefäße. Der Gebrauch des Ultraschalldissektors (Ultracision, Ethicon) erleichtert dabei die Dissektion und ermöglicht in der Regel ein bluttrockenes Operationsfeld. Das so ausgelöste Organ kann entweder in einen Bergebeutel gebracht, zerkleinert und durch eine Miniinzision entfernt werden, andererseits – besonders bei Splenomegalie oder wenn aus diagnostischen Gründen das Organ intakt bleiben muss – durch die Inzision im Mittel- bzw. Unterbauch im Bereich des Handports entfernt werden. Ergebnisse. Derzeit existieren keine prospektiven Studien, die
41
die LS gegen die offenen Splenektomie vergleichen. Der Vergleich geschieht retrospektiv gegenüber einem historischen Kontrollkollektiv oder mit gleichzeitig offen chirurgischen operierten Fällen. Bei hämatologischer Indikation zur Splenektomie ist der therapeutische Erfolg in beiden Gruppen gleich (Farah et al. 1997). Dagegen ist der postoperative Verlauf in der laparoskopischen Gruppe besser, weil weniger Schmerzen, weniger Komplikationen und ein rascherer Nahrungsaufbau sowie ein kürzerer stationärer Aufenthalt vorhanden sind (Domini et al. 1999; Targaronna et al. 1999; Velanovich u. Shurafa 2001). In einer Sammelstatistik mit über 450 Patienten mit LS lag die intraoperative Konversionsrate zwischen 3,7 und 19%; der Transfusionsbedarf durchschnittlich bei 7,4% der Patienten. Die Morbidität betrug 8% und die Mortalität 0,7% (Kathkouda u. Mavor 2000). 41.8.3 Milzresektionen Die segmentale Gefäßversorgung ermöglicht Resektionen an der Milz und somit die Organerhaltung bei Milzverletzungen und benignen Erkrankungen. Die Milzresektion wurde erstmals
a
b . Abb. 41.12. a Milzresektion: Parenchymdurchtrennung entlang der segmentalen Durchblutungsgrenze; b selektive Blutstillung mittels Applikation von Titanclips und von feinen Umstechungsligaturen an der Resektionsfläche
durch Campos-Christo aus Brasilien bei 8 Patienten mit Milzruptur vorgenommen (Campos-Christo 1962). Indikationen zu den organerhaltenden Resektionen sind das Trauma, benigne Zysten, Sphärozytose, Thalassaemia major und der M. Gaucher (Sagar u. McMahon 1988; Bar-Maor 1993; Kehila et al. 1994; Bader-Meunier et al. 2001). Generell erhalten die Patienten 2 Wochen präoperativ (sofern nicht unter hohen Steroiddosen oder Chemotherapie) eine Pneumokokkenimmunisierung. Operationstechnik. Die Operationstechnik besteht in der Dissektion der Hilusgefäße, einer präliminären, selektiven Arterienligatur, gefolgt von einer atraumatischen Mobilisation des Organs. Nach Demarkation der entsprechenden Segmente erfolgt die Parenchymdurchtrennung entweder stumpf digital, mit dem Ultraschalldissektor, einem Wasserstrahldissektor (Rau et al. 2001) oder mit Klammernahtapparaten (. Abb. 41.12).
741 41.9 · Komplikationen der Milzchirurgie
41.9
Komplikationen der Milzchirurgie
Morbidität und Mortalität nach Splenektomie sind prinzipiell von der Grundkrankheit abhängig. Sie werden auch vom Milzgewicht beeinflusst. Die Entfernung von Milzen, die schwerer als 2 kg sind, führt signifikant häufiger zu Komplikationen als bei leichteren Organen (Horowitz et al. 1996). Schlüsselt man die Indikation zur Splenektomie auf, so führen benigne Indikationen viel seltener zu postoperativen Komplikationen im Vergleich zu malignen bzw. myeloproliferativen Grunderkrankung (RuizArguelles et al. 1998). Diesen Unterschied haben wir auch am eigenen Patientengut beobachten können, wo Morbidität und Mortalität bei myeloproliferativen Erkrankungen und Lymphomen am häufigsten auftraten (. Tab. 41.1). Die Literaturübersicht über 10 Serien ergibt eine Komplikationsrate nach Splenektomie zwischen 3,2 und 52% sowie eine Mortalität zwischen 1,2 und 9%. Unter den myeloproliferativen Erkrankungen zeigt die Splenektomie nach Osteomyelofibrose das höchste peri- und postoperative Risiko mit Komplikationsraten zwischen 31 und 50% und einer Mortalität zwischen 9 und 21% (Arnoletti et al. 1999; Tefferi et al. 1999). Die häufigsten Komplikationen nach Splenektomie betreffen das Respirationssystem mit Atelektasenbildung, Pleuraergüssen und Pneumonien mit einem Risiko zwischen 7 und 13% (Ellison u. Fabri 1983). Die häufigste lokal-chirurgische Komplikation betrifft die Nachblutung (3% Risiko) sowie die Ausbildung eines subphrenischen Abszesses in 4–8% der Fälle (Horowitz et al. 1996; MacRae et al. 1992). Dies resultiert in einer Relaparotomierate zwischen 4 und 5%. Wundkomplikationen betreffen Hämatombildung, Serome und subkutane Infektionen (3–6%, bei Patienten mit Steroidmedikation steigt das Risiko von Komplikationen auf 11% (Jockovich et al. 1994). Thromboembolische Komplikationen sind gehäuft bei myeloproliferativen Erkrankungen und beim Hypersplenismus und betreffen 2–11% der Patienten (Ellison u. Fabri 1983, van’t Riet et al. 2000). Besonders gefürchtet ist die Thrombose einer großlumigen Vena lienalis, die sich unter Umständen auf die Pfortader ausbreiten kann (Chaffanjon et al. 1998). In einer Untersuchung über 60 konsekutiven Splenektomien aus hämatologischer Indikation wurden mittels Dopplersonographie 1,6% symptomatische und 6,7% asymptomatische Milzvenenthrombosen gefunden. Für diese Komplikation waren bei den meisten
. Tabelle 41.1. Komplikationen nach Splenektomie aus hämatologischen Gründen (Universitätsklinik Basel 1983–2000)
Indikationsgruppen
n
Morbidität (%)
Mortalität (%)
Myeloproliferative Erkrankungen und Lymphome
105
25
2
Anämien
39
15
0
Thrombozytopenien
21
5
0
Andere (Lupus erythematodes, Sarkoidose, Mononukleose, Gammopathie)
10
30
0
20,6
1,1
Alle
175
41
Patienten die drei Risikofaktoren Thrombozytose, myeloproliferative Grunderkrankung und sehr große Milz vorhanden (Tefferi et al. 2000). Bei dieser Risikokonstellation empfiehlt sich deshalb eine peri- und postoperative Antikoagulation der Patienten. Die Ausbildung eines postoperativen Ileus und die Dünndarmobstruktion nach Splenektomie wird in 1–10% der Fälle mit einer Reoperationsrate zwischen 2 und 7% gesehen (Jockovich et al. 1994). Nebst postoperativ bedingter Adhäsionen kann auch die Splenose zur intestinalen Obstruktion führen (Sirinek et al. 1984). Unter einer Splenose versteht man die Autotransplantation von Milzgewebe nach einem Milztrauma. Die versprengten Milzzellen siedeln sich häufig in der Abdominalhöhle oder seltener, bei gleichzeitiger linksseitiger Zwerchfellruptur, im Pleuraraum an (Buchino 1998). Mit der Einführung der laparoskopischen Splenektomie scheint sich die postoperative Pneumoniehäufigkeit zu reduzieren. Als einzige respiratorische Veränderungen werden Atelektasenbildung und Pleuraerguss in bis zum 4% beschrieben (Phillips et al. 1997). Postoperatives Fieber nach Splenektomie tritt in 4–8% der Fälle auf (Horowitz et al. 1996; MacRae et al. 1992) und wird durch Leukozyten-agglutinierende Antikörper verursacht. Dieses Fieber ist selbstlimitierend und vorübergehend (Ellison u. Fabri 1983).
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41
Kapitel 41 · Milz
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743 41.9 · Komplikationen der Milzchirurgie
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41
42 42
Chirurgie des großen Netzes D. Liebermann-Meffert
42.1
Chirurgische Anatomie – 746
42.2
Erkrankungen des Omentum – 747
42.2.1 42.2.2
Klinische Symptomatologie – 747 Chirurgische Strategie – 747
42.3
Operative Verwendung des gesunden Omentum – 748
42.3.1 42.3.2 42.3.3
Indikationsstellung – 748 Omentum als Gewebeersatz – 748 Omentum als Volumeneratz – 749
42.4
Prognose und Empfehlungen – 750 Literatur – 750
746
Kapitel 42 · Chirurgie des großen Netzes
) ) Das Omentum majus, das große Netz, erhielt in den letzten Jahrzehnten eine besondere Bedeutung für die chirurgische Behandlung schwieriger Wunden in- und außerhalb des Abdomens. Betroffen sind meist sehr schwer kranke Patienten in schlechtem Allgemeinzustand.
42.1
Chirurgische Anatomie
Das Gerüst des Omentum besteht aus kollagenen, elastischen und retikulären Fasern. Sie bilden Trabekel. Diese führen Blutund Lymphgefäße sowie Fettwülste. Zwischen den Strängen liegen feine, durchsichtige und dehnbare Membranen aus von Mesothel überzogenem faserigem Bindegewebe (. Abb. 42.1). Das Omentum majus entspringt an der großen Kurvatur des Magens. Bevor seine Hinterwand 2–5 cm kaudal vom Ursprung an dem anterioren Peritoneum des Colon transversum anhaftet, bildet das Omentum das Ligamentum gastrocolicum, die vordere Begrenzung der Bursa omentalis. In Kontinuität liegen nach rechts das Ligamentum hepatocolicum, nach links das Ligamentum gastrolienale. Nach kaudal hängt das Omentum frei wie eine Schürze, oft bis zur Symphyse, auf den Schlingen des Dünndarms. Form, Ausdehnung, Fettgehalt und Volumen der Omentumschürze sind variabel.
Die Gefäßversorgung teilt das Omentum mit dem Magen. Die rechte und die linke A. gastroepiploica erhalten Blut aus dem Truncus coeliacus: die linke Arterie über die A. lienalis, die rechte Arterie über die A. gastroduodenalis. Nach meinen Untersuchungen erhält letztere zusätzlich eine bemerkenswerte Blutversorgung aus der A. mesenterica superior (Liebermann-Meffert et al. 1992). Beide Aa. epiploicae folgen mäanderförmig der großen Kurvatur des Magens in einer Distanz zwischen 0,5 cm bis zu 4 cm (Liebermann-Meffert u. White 1983). 10–15 cm links der Mitte der großen Kurvatur anastomosieren sie sowohl außerhalb (. Abb. 42.2, Pfeil) als auch – weniger häufig! – in der Magenwand. Die gastroepiploische Arkade gibt 4–8 Vasa epiploicae ab, deren feine Gefäße in . Abb. 42.2 zu sehen sind, bevorzugt in der Peripherie anastomosieren. Zahlreiche mikroskopisch feine Gefäßknäuel in Form eines Rete mirabile mit Verbindungen zwischen Arteriolen und Venolen existieren im gesamten Bereich der Membranen. Eine marginale Arkade (Barkow) ist selten und deshalb ohne Bedeutung für chirurgische Belange. Der venöse Abfluss durch die Vv. epiploicae und Vv. gastroepiploicae erfolgt über die V. mesenterica superior rechts und die V. lienalis links in die V. portae. Die omentalen Lymphbahnen beginnen (. Abb. 42.1) als sackförmige Auftreibungen im Zentrum der oben beschriebenen Gefäßknäuel. Sie liegen unter dem einschichtigen und mit Interzellularspalten versehenen Peritonealüberzug, das bedeutet, mit offenem Zugang zur Bauchhöhle. Die Lymphe gelangt in die großen Abflussgebiete des Magens.
Lesser Omentum
Milz Magen Lymphknoten
42
Bindegewebsnetz
Trabekel mit
Arteriolen Fett Arterie Vene
terminale Lymphgefäße Venolen
milchiger Fleck
Lymphe
. Abb. 42.1. Gewebestrukturen des Omentum. (Aus LiebermannMeffert u. White 1983) . Abb. 42.2. Beispiel für arterielle Gefäßversorgung des Omentum aus einer durchgehenden gastroepiploischen Arkade. Intraaortale Postmortem-in-situ-Injektion von Barium-Gelatine. (Aus Liebermann-Meffert u. White 1983)
747 42.2 · Erkrankungen des Omentum
Die einschichtige Endothelwand der Gefäßknäuel besitzt als Besonderheit intrazelluläre Fensterungen (Interzellulärspalten), die als Transportweg von Lipiden, Lipoproteinen u. a. zwischen Gefäßlumen und umgebendem Gewebe gelten. In den Gefäßknäuel lagern Cluster immunologisch aktiver T- und B-Lymphozyten, Makrophagen bzw. Zellen des retikulohistiozytären und leukozytären Systems. Diese Strukturen, die als lymphoretikuläre Organe (LRO), »omentum associated lymphoid tissue« (OALT) oder »milky spots« bezeichnet werden (Beelen 1991; Liebermann-Meffert u. White 1983; Shimotsuma et al. 1989), sind Grundlage für das außergewöhnliche Funktionsverhalten des Omentum. Bemerkenswert sind das Verhalten der Lymphozyten und Makrophagen, die Entzündungs- oder onkologisch bedingte Angiogenese (»polypeptid growth factors«) und die Bildung von Gewebefaktoren wie Wachstumsfaktoren, hämostatische Faktoren, Stimulatoren zur Fibrin- und Fibrinogenbildung und Dopamin bzw. Neurotransmitter (Beelen 1991; Goldsmith 1990; Liebermann-Meffert 2000; Shilov et al. 1995; Zhang et al. 1997). Aufgrund des Potenzials zur Bildung von Adhäsionen, Neovaskularisation und Hämostase sowie der Fähigkeit zur zellulären Phagozytose und Immunreaktion übernimmt das große Netz nach einer Verletzung bzw. Entzündung praktisch sofort die Aufgaben der Infektionsabwehr in der Bauchhöhle und der Heilung nach Auflegen auf ein evtl. infiziertes Wundbett (Goldsmith 1990; Liebermann-Meffert 2000; Logmans 1996; Shilov et al. 1995). 42.2
Erkrankungen des Omentum
42.2.1 Klinische Symptomatologie Symptome und klinisches Bild entsprechen dem des subakuten oder akuten Abdomens. Laborwerte und Befunde klinischer Untersuchungen sind unspezifisch. Sie sind häufig Anlass für Fehldiagnosen wie Appendizitis, Salpingitis, Ulkusperforation oder »unklarer Bauch« und die Einweisung in die Klinik. Chirurgisch interveniert werden muss bei Blutungen im Netz, bei Ileus infolge Netzadhäsionen, bei Netztorquierung, Infarkten, bei Inkarzeration in Bruchlücken, bei Netznekrosen, bei einer zur Peritonitis führenden Omentitis oder Netzabszessen oder wenn ein parasitärer Befall vorliegt. 42.2.2 Chirurgische Strategie Das Vorgehen folgt etablierten Prinzipien: Adhäsionen soweit notwendig lösen, Hernien reponieren, eventuell vorhandene Kompressionsschäden exzidieren und Bruchpforten ebenso wie Netzdefekte (Lücken auch nach Resektion von kleinen Infarkten und gutartigen Nekroseherden, Tumoren oder Zysten) unter sorgfältiger Erhaltung der epiploischen Gefäße verschließen. Hier reicht in der Regel eine partielle Resektion von Omentumgewebe. Multiple Echinococcuszysten, Aktinomykose und Netztorsionen (cave ausgedehnte Nekrose infolge Gefäßschaden!) sowie maligne Tumoren des Omentum oder Malignome des Magens und Ovars erfordern eine Omentektomie mit Mobilisation vom Querkolon und Abtrennung der gastroepiploischen Gefäßarkade zwischen Milzhilus und Pylorus.
Primäre Erkrankungen des Omentum sind selten. Häufiger sind Veränderungen durch pathologische Prozesse im Abdomen (. Tab. 42.1; Liebermann-Meffert u. White 1983).
. Tabelle 42.1. Beispiele für primäre und sekundäre Omentumerkrankungen
Erkrankung
42
Ursache
Agenesie, Aplasie
Kongenitale Missbildung
Lücke mit Hernia transomentalis
Kongenital oder sekundär nach stumpfem Bauchtrauma oder Stichverletzung
Herniation (innere)
Omentum in Mesenterialfurchen (z. B. unter Treitzschem Band, im Foramen Winslowi, Lücken im Diaphragma)
Herniation (äußere)
Omentum in Bruchpforte, Bruchsack (z. B. umbilikal, inguinal, Narbe)
Verletzungen
Bauchtrauma, Stichverletzung, chirurgische Eingriffe
Adhäsionen
Entzündungen im Bauchraum, Operationen an Viszera, Omentumverletzungen, Fremdkörper (z. B. Talkum an Handschuhen), Omentitis
Torsion
Selten primär, meist sekundär infolge Netzadhäsionen
Infarkt
Beim primären Infarkt unbekannt, sekundär durch regionale Ischämie, bei Netztorquierung
Omentitis
Bakterielle Infektion, bei Perforation von Bauch- oder Beckenviszera, spezifische Veränderungen (z. B. Tbc, Geschlechtskrankheiten, durchwandernde Parasiten, M. Boeck), Fremdkörper (z. B. Puder, Kontrastmittel, Nahtmaterial)
Zysten
Kongenital (z. B. Lymphzyste) oder sekundär (z. B. Trauma, Parasiten)
Benigne Tumoren
Umschriebene gutartige Vermehrung omentalen Gewebes (z. B. Lipom, Fibrom, Angiomyolipom, Mesotheliom)
Maligne Tumoren
Bösarige Vermehrung omentalen Gewebes (z. B. Liposarkom, Fibrosarkom, Mesotheliom) Metastasen extraomental lokalisierter bösartiger Tumoren (z. B. Magen, Ovar, Kolon)
748
Kapitel 42 · Chirurgie des großen Netzes
42.3
Operative Verwendung des gesunden Omentum
42.3.1 Indikationsstellung Das Omentum wird mit Vorteil zur Versorgung prekärer Wundverhältnisse verwendet, in heiklen Situationen zur Rekonstruktion und wenn gängige Methoden wegen des schlechten Allgemeinzustandes des Patienten nicht praktikabel sind. Es gilt oft auch als »Ultima ratio« für Tumorpatienten und in Notfällen. Beispiele sind u. a. 4 Deckung flächenhafter Defekte von Organen 4 Präventive Abdeckung risikoreicher Anastomosen 4 Präventive Abdeckung des Darmes zum Schutz einer Schädigung von Gefäßen durch Röntgenstrahlen 4 Versorgung für ischämisches, durch Bestrahlung geschädigtes Gewebe 4 Volumenersatz für ausgedehnte, infektionsgefährdete Resthöhlen
aa
42.3.2 Omentum als Gewebeersatz Zugang. Das Netz wird normalerweise durch einen medianen oder pararektalen Oberbauchschnitt freigelegt. Neuerdings erfolgt der Eingriff auch laparoskopisch (Kamei et al. 1998; Reade et al. 2003; Saltz et al. 1993), was die Gewinnung eines Omentumlappens vereinfacht. Damit entfällt die »offene Laparotomie«, oft ein Argument der plastischen Chirurgen gegen den Gebrauch des Omentum. Verfahrenswahl. Volumen, Plastizität und das besondere Gefäß-
netz des Omentum sind optimal für die Deckung ausgedehnter Flächen. Reicht die natürliche Länge nicht, so wird operativ das Omentum gespalten und aus ihm – unter Wahrung der Gefäßversorgung – werden Lappen gebildet. Solche gefäßgestielte und transponierte Omentumlappen können im Abdomen und im Thorax appliziert und ebenso problemlos an die Körperoberfläche verlagert und pexiert werden (Arnold et al. 1996; Goldsmith 1990; Hultman et al. 2002; Liebermann-Meffert u. White 1983). Je nach Zielort wird für die Verlagerung des Omentum die in . Tab. 42.2 angegebene Methode gewählt.
42
Mobilisation des Omentum. Die freie Netzschürze wird hochgehoben und das Netz sorgfältig begutachtet. Sodann wird die dorsale Haftung am Colon transversum, d. h. die avaskuläre embryonale Verschmelzung über beide Flexuren hinaus, schichtge-
. Tabelle 42.2. Methoden der Verlagerung des Omentum Pexie einfach
Ohne Verlängerung, ohne oder mit Mobilisation des Netzes vom Kolon und innerer Spaltung für den Nahbereich
Transposition
Verlängerung nach Mobilisation des Netzes vom Kolon, Bildung eines Gefäßstiels ohne oder mit innerer Spaltung für entfernten Zielort
Transfer
Freies Transplantat mit vaskulären Anastomosen am Zielort
bb . Abb. 42.3. Mobilisation des Omentum vom Colon transversum in der avaskulären Schicht außerhalb der Appendices epiploicae (Pfeil). (Aus Liebermann-Meffert u. White 1983)
recht mobilisiert (. Abb. 42.3); sofern die Appendices epiploicae des Kolon nicht verletzt werden, kommt es zu keiner Blutung. Lappenbildung und Abtrennen des Omentum vom Magen. Die
Gefäßarchitektur wird erneut begutachtet. Sehr fettreiche Omenta, die hinsichtlich ihrer Gefäßversorgung schwierig zu beurteilen sind, können im Zweifelsfalle durch Doppler-Untersuchung intraoperativ kontrolliert werden. Danach wird das Netz von rechts – oder von links – unter (schrittweiser!) Ligatur der gastroepiploischen Magenäste entlang der Wand der großen Kurvatur abgetrennt. Dabei entweder pylorusnah oder am Milzhilus den gastroepiploischen Gefäßstiel der Arkade erhalten (. Abb. 42.4). Das Gefäß am jeweils anderen Ende der Arkade wird identifiziert und sorgfältig ligiert. Wegen der größeren Länge und Dicke des Gefäßes ist der Gefäßstiel der rechten Seite zur Transposition geeigneter als der auf der linken Seite. Hinzukommt, dass die rechte Arterie mehr epiploische Gefäße besitzt als die linke. Liegt der Versorgungsort jedoch im linken Abdomen, ist wegen der größeren Nähe zum Defektort der linke Gefäßstiel vorzuziehen (. Abb. 42.5). Den Gefäßstiel nie völlig skelettieren, weil er ohne stabilisierendes Gewebe verletzlich wird. Störungen der Durchblutung der großen Kurvatur sind bei korrekter Technik nicht zu erwarten, da die Gefäßversorgung der gesamten Magenwand über die A. gastrica sinistra gesichert wird. Weitere innere Verlängerungen wurden vorgeschlagen (Goldsmith 1990; Liebermann-Meffert u. White 1983). Verlagerung des Omentumlappens. Welchen Omentumlappen
man wählt und wie ausgedehnt innere Spaltungen nötig sind (Goldsmith 1990), hängt von der Lage und Größe des Defektes ab. Wir unterscheiden wie folgt:
749 42.3 · Operative Verwendung des gesunden Omentum
42
. Abb. 42.4. Beispiele für Stielung und Verlängerung des Omentum, gebraucht für die Transposition. (Aus Liebermann-Meffert u. White 1983)
aa
b b
a
b
. Abb. 42.5a,b. Tamponade des Präsakralraumes nach Exenteration. (Aus Liebermann-Meffert u. White 1983)
4 Einfache Pexie: Der Defekt ist in unmittelbarer Nähe der Omentumschürze (z. B. Leber, Magen) und ohne Zug erreichbar: Omentumpexie direkt durchführen. Eventuell kann jedoch eine innere Netzspaltung mit Lösung vom Querkolon von Vorteil sein. 4 Transposition am Gefäßstiel: Der Defekt ist in größerer Distanz vom Omentum (z. B. Beckenboden, Thorax, außerhalb des Abdomen) und nicht oder nur unter Zug erreichbar: Lösen vom Querkolon und Netz unter Erhaltung der Blutversorgung an einem der beiden Gefäßstiele vom Magen trennen (. Abb. 42.4). 4 Freier Transfer mit Anastomose am Gefäßstiel: Der Defekt kann nur extraperitoneal durch freie Transplantation erreicht werden (z. B. Kopf, Unterschenkel): Lappenstiel durchtrennen und Mikroanastomose der Vasae gastroepiploicae mit geeigneten Gefäßen im Defektbereich anlegen.
42.3.3 Omentum als Volumeneratz Abdomen und Sakralhöhle Der Omentumlappen eignet sich zum Ausfüllen großer Resthöhlen im Leberparenchym nach Ausräumung parasitärer, entzündlicher und kongenitaler Zysten oder Abszessen, zur Deckung von Defekten nach Trauma und Tumorresektion und für die Tamponade kleiner Höhlen im Pankreas nach Entfernung von Pseudozysten. Bewährt hat sich das Netz zur Abdeckung problematischer gastroduodenaler Anastomosen, zum Absichern der Naht perforierter Ulzera des Magens oder Duodenum, sowie um Infektionen durch aortoduodenale oder vesikovaginorektale Fisteln zu begrenzen und die Fistelung zur Heilung zu bringen. In der Tumorchirurgie wird nach Resektion des Colon sigmoideum meist links (. Abb. 42.5), bei abdominoperinealer Rektumamputation und Débridement das Omentum vorzugsweise rechts gestielt und durch innere Teilung verlängert. Danach wird der Lappen retrokolisch auf kürzestem Weg in die Sakralhöhle
750
Kapitel 42 · Chirurgie des großen Netzes
verlagert. Eine Abknicken des Netzstiels kann durch Mobilisieren der Flexura lienalis (Stielung links) und der Flexura hepatica (Stielung rechts) vermieden werden. Diese »Netzplombe« verringert die Infektions- und Reoperationsrate deutlich (Fujiwara 2003; Liebermann-Meffert u. White 1983; Liebermann-Meffert u. Rist 1989; Samson et al. 1994). Da die Dünndarmschlingen außerhalb des postoperativen Bestrahlungsfeldes verbleiben, kann man mit dieser Strategie eine höhere Strahlendosis anwenden, als die für den vorgefallenen Dünndarm normalerweise erlaubte Strahlendosis von 45 Gy (Logmans et al. 1994). Das gleiche trifft für die Komplikationen der radikal-abdominellen Hysterektomie zu (Patsner u. Hackett 1997). Extraperitoneale Wunden und Defekte Nach dem gleichen Prinzip wird das Netz zur Deckung intrathorakaler Rupturen oder Anastomosen bei Ösophagustumoren gebraucht (Liebermann-Meffert u. Siewert 1991; Ohwada et al. 2000), zur Behandlung der tiefen Sternomediastinitis und vaskulären Infektion nach Herz- und Lungenoperationen oder postoperativen Fistelungen der Bronchialstümpfe (Hultman et al. 2002; Liebermann-Meffert u. Siewert 1991; Maiwald et al. 1999; Shrager et al. 2003; Yasuura et al. 1998). Für die zahlreichen Indikationen und Techniken im Bereich des Thorax, Hals und Mundbodens, am Kopf und den Extremitäten wird auf die fachbezogene Literatur verwiesen. 42.4
42
Prognose und Empfehlungen
Durch Volumen und Plastizität besitzt der Omentumlappen nicht nur den Vorteil, große Oberflächen versorgen zu können, sondern auch ein großes Heilungspotenzial (Beelen 1991; Shilov et al. 1995; Zhang et al. 1997). Hierher gehört ferner die Überlegung, dass es sich um autologes Ersatzmaterial handelt. Gewinnung und Handhabung sind einfach. Bei sorgfältiger Handhabung des Omentum ist die Komplikationsrate niedrig (Goldsmith 1990; Hultman et al. 2002; Liebermann-Meffert u. White 1983; Shrager 2003). Das Transponat wird durch lockere Nähte oder Fibrinkleber auf der defekten Unterlage fixiert, haftet rasch auf dem »rauen« Wundbett, bildet Adhäsionen und Gefäßeinsprossungen. Seine Geschmeidigkeit behält das Omentum auch nach der Verlagerung an die Körperoberfläche. Primäres Decken des Netzes mit Spalthaut verhindert das Austrocknen und verringert damit die Retraktion und Sklerose im Transponat. Mit Erfolg werden auch »composite grafts« wie Omentum mit Muskellappen kombiniert oder Omentum mit Knochen gebraucht (Arnold et al. 1996; Hultman et al. 2003; Stamatis et al. 1994).
Zur Vermeidung postoperativer Komplikationen hat sich bewährt, das Omentum nicht zu traumatisieren, d. h. Gewebe nicht komprimieren, nicht torquieren, während der Transplantation bei Durchzug durch eine Tunnelierung mit Plastikbeutel vor Verletzung schützen, Zug vermeiden, Gefäße nicht knicken, Integrität der Gefäßbogen beachten und kleinste Blutungsherde ligieren (cave: Massenligatur vermeiden). Omentumgewebe vertragen Austrocknung schlecht; daher während der Operation durch nasse Tücher oder in Plastikbeuteln feucht halten.
Mängel am Omentum, wie zu kleines Netz, Gefäßanomalien, extreme Verwachsungen, Tuberkulose, Peritonealkarzinose und Metastasen maligner Tumoren verbieten die Transposition. Neben der üblichen Aufklärung sind in Bezug auf die Netztransposition das potenzielle omentumspezifische Risiko, Komplikationen und Folgen durch den Eingriff (Hultman et al. 2002; Liebermann-Meffert u. White 1983; Ohwada et al. 2000; Shrager et al. 2002) ebenso wie das Für und Wider alternativer Methoden mit dem Patienten zu besprechen. Der Patient mit Malignom muss um die eindeutige Verbesserung seiner Lebensqualität durch die Versorgung des Wundbettes mit Netz Bescheid wissen, aber auch, dass eine Heilung der Grundkrankheit durch das Omentum nicht möglich ist.
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751 42.4 · Prognose und Empfehlungen
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42
43 43
Hernien J. Conze, K. Junge, U. Klinge, C. Krones, R. Rosch, V. Schumpelick
43.1
Grundlagen – 755
43.1.1
Epidemiologie
43.1.2 43.1.3
– 755
R. Rosch Pathophysiologie – 756 R. Rosch Klassifikation – 757 K. Junge
43.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik – 758 K. Junge
43.2.1 43.2.2 43.2.3
Anamnese – 758 Klinische Untersuchung – 759 Differenzialdiagnostik – 759
43.3
Therapieziele und Verfahrenswahl K. Junge Leistenhernien – 760 Narbenhernien – 760
43.3.1 43.3.2
43.4
Biomaterialien – 762 K. Junge
43.4.1 43.4.2 43.4.3
Anforderungen – 762 Materialien – 762 Netzkomplikationen – 764
43.5
Anästhesie – 766 C. Krones
43.5.1 43.5.2 43.5.3
Lokalanästhesie – 766 Peridural- und Spinalanästhesie Intubationsnarkose – 766
43.6
Operationstechnik – 766
43.6.1
Leistenhernienreparation – 766 C. Krones Narbenhernienreparation – 770 J. Conze
43.6.2
– 766
– 760
43.7
Intra-/postoperative Komplikationen – 774
43.7.1
Leistenhernien – 774 C. Krones Bauchwandhernien – 775 J. Conze
43.7.2
43.8
Ergebnisse und Prognose – 775 K. Junge
43.8.1 43.8.2
Leistenhernien – 775 Narbenhernien – 776
Literatur – 777
755 43.1 · Grundlagen
43.1
Grundlagen
43.1.1 Epidemiologie
R. Rosch ) ) Die allgemeine Inzidenz von Bauchwandhernien liegt bei etwa 2–4% der Bevölkerung mit einer ansteigenden Häufigkeit im höheren Lebensalter. Insgesamt handelt es sich zumeist um äußere Hernien (95%). Neben selteneren Hernienentitäten sind die Leisten- und – mit Abstand – die Narbenhernien am häufigsten.
Leistenhernie Mit einem Anteil von 10–15% aller chirurgischen Eingriffe und ca. 20 Millionen Eingriffen weltweit pro Jahr stellen Leistenhernien eine der häufigsten operationspflichtigen Erkrankungen des Menschen dar. Im Jahre 1997 wurden in Deutschland ca. 220.000 Leistenhernienreparationen durchgeführt. Die häufigste Manifestation liegt im Kindes- und Jugendalter sowie im höheren Lebensalter (>40 Jahre). 25% aller Männer und 2% aller Frauen bekommen während ihres Lebens eine Leistenhernie, ein bilaterales Auftreten ist hierbei insgesamt in ca. 15% der Fälle zu erwarten (Condon u. Carilli1994). Bei Kindern treten 90% der Hernien beim männlichen Geschlecht auf, möglicherweise in Verbindung mit dem Descensus testis. Bei unreifen Frühgeborenen liegt die Inzidenz mit ca. 30% deutlich höher. Beidseitige Hernien kommen mit 10% bei beiden Geschlechtern in etwa gleich häufig vor. Rezidiv- und Narbenhernien Narbenbrüche zählen mit einer kumulativen Inzidenz von etwa 10–20% zu den häufigen Hernienentitäten. Bei einer Anzahl von etwa 700.000 Laparotomien pro Jahr in Deutschland ist von mindestens 70.000 Narbenhernien pro Jahr auszugehen. Die klinische Manifestation einer Narbenhernie erfolgt in der Mehrzahl erst nach mehr als einem Jahr (Mudge u. Hughes 1985). Rezidivnarbenhernien sind je nach eingesetzter Reparationstechnik in bis zu 50% der Patienten zu erwarten. Dabei zeigt die akkumulierte Inzidenz einen über mehr als eine Dekade weitgehend line-
43
aren Verlauf (Flum et al. 2003). Von Narbenbrüchen abzugrenzen ist der Platzbauch. Dabei handelt es sich um eine Wundruptur ohne peritoneale Auskleidung, die postoperativ eine Inzidenz von ca. 1% aufweist (Schumpelick 2000). In der Regel geht dieser mit einer Wundrandnekrose infolge eines Infektes einher. Unklar ist bislang, ob die Leistenbruch-Rezidive lediglich eine Sonderform der Narbenhernie darstellen. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Leistenhernienoperationen ist mit ca. 15% seit Jahren weitgehend konstant (Bay-Nielsen et al. 20001; Haapaniemi et al. 2001). Die Altersverteilung verhält sich hierbei ähnlich der bei der primären Leistenhernie (. Abb. 43.1). Wie bei der Bauchwandnarbenhernie manifestieren sich die Rezidivhernien mit erheblichem Abstand zur initialen Operation, 2/3 mit einem Intervall von >3 Jahren (. Abb. 43.2). Wie für das Narbenhernienrezidiv ist auch für das Leistenhernienrezidiv ein linearer Inzidenzanstieg im Zeitverlauf beschrieben, mit einem noch steileren Verlauf bei Patienten mit Re-Rezidiven (Haapaniemi et al. 2001). Patienten mit direkten oder rezidivierenden Leistenbrüchen haben hierbei neben einem erhöhten Risiko für das Auftreten postoperativer Komplikationen auch ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Re-Rezidivs (Kald et al. 1998). Sonstige Hernien Die Häufigkeitsverteilung primärer Hernien ist . Tab. 43.1 zu entnehmen. Schenkelhernien haben einen Anteil von 10% an allen primären Hernien und treten im Verhältnis 1:4 vornehmlich bei Frauen auf. Allerdings ist auch bei der Frau die Leistenhernie absolut häufiger als die Schenkelhernie, wobei es sich hierbei zumeist um indirekte Leistenhernien handelt. Wie bei der Leisten- und Schenkelhernie entstehen auch die anderen primären Hernien im Bereich präformierter Schwachstellen vornehmlich im Bereich der Linea alba (epigastrische Hernie), der Linea semilunaris (Spieghel-Hernie) und des Nabels (Umbilikalhernie). Insgesamt sind diese Hernien mit einem Gesamtanteil von 10% selten, am häufigsten handelt es sich um epigastrische und umbilikale Hernien (Anteil jeweils ca. 5%). Weitere seltene primäre Bruchformen sind die Hernia obturatoria, Hernia ischiadica, Hernia lumbalis und die Hernia perinealis, die zumeist nur in Kasuistiken beschrieben worden sind.
Von den Bauchwandhernien abzugrenzen ist die Rektusdiastase mit breiter Dehiszenz der Linea alba ohne eigentliche Bruchpforte oder die Bauchdeckenrelaxation als Folge eines z. B. Lumbalschnittes und Schädigung der Muskelinnervation.
. Abb. 43.1. Alters- und Geschlechterverteilung bei der Rezidivleistenhernie (Hospital Episode Statistics England 1995/1996)
. Abb. 43.2. Intervall bis zum Auftreten eines Leistenhernienrezidivs (Qualitätssicherung Sachsen: Leistenhernien 1999)
756
Kapitel 43 · Hernien
. Tabelle 43.1. Häufigkeit primärer Hernien (Schumpelick 2000)
Hernientyp
Häufigkeit/ Anteil
Geschlechterverteilung (m/w)
Leistenhernien
80%
4–8:1
Schenkelhernien
10%
1:4
Nabelhernien
5%
1:9
Epigastrische Hernien
5%
3:1
Spieghel-Hernie
Circa 1000
3:4
Lumbale Hernie
<400
Supravesikale Hernie
Keine Angabe
Hernia ischiadica
<100
Hernia perinealis
Keine Angabe
Hernia lumbalis
Circa 300
Hernia obturatoria
0,07%
1:6
Sozioökonomische Bedeutung Die Relevanz ökonomischer Aspekte in der Leistenhernienchirurgie ergibt sich in erster Linie aus der hohen Hernieninzidenz. Die zunehmend geforderte Kostenersparnis wird seit den 80erJahren vornehmlich durch die kurzzeitstationäre und ambulante Operationen realisiert. Für Dänemark wurde im Rahmen einer landesweiten Qualitätssicherung im Zeitraum von 1998–2000 die Rate für eine tageschirurgische Hernienoperation mit 59% beziffert (Bay-Nielsen et al. 2001). Für die Narbenhernien werden allein die stationären Behandlungskosten in Deutschland pro Jahr auf ca. 128 Millionen Euro geschätzt. Noch nicht eingerechnet sind hierbei zusätzliche Folgekosten durch ambulante Nachbetreuung, Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitationsmaßnahmen oder Berentungen. 43.1.2 Pathophysiologie
In den letzten Jahren wird zunehmend von primären oder sekundären Bindegewebsstörungen in der Pathogenese primärer Hernien ausgegangen.
Für verschiedene Bindegewebskrankheiten mit Störung des Kollagenmetabolismus, wie beispielsweise Ehlers-Danlos-, MarfanSyndrom oder der Osteogenesis imperfecta, konnte ein Zusammenhang mit dem Auftreten von Bauchwandhernien und insbesondere von Leistenhernien gezeigt werden. Auch für Gefäßaneurysmen, ebenfalls Folge einer Störung des Kollagenstoffwechsels, konnte eine Assoziation mit dem Auftreten von (Leisten-)hernien gezeigt werden. Interessanterweise zeigt sich auch für die Varikosis eine überdurchschnittliche Komorbidität bei Patienten mit Leistenhernien. Bereits im Jahre 1970 wurde über eine altersunabhängige Ausdünnung der Rektusscheide bei Patienten mit Leistenhernien berichtet. Zusätzlich wurde eine Assoziation bilateraler Hernien mit ausgeprägter Fasziendystrophie im Vergleich zu unilateralen Hernien beobachtet. Fibroblasten der vorderen Rektusscheide von Patienten mit Leistenhernien wiesen eine Reduktion der Proliferationsrate und des Prolineinbaus sowie eine defekte Hydroxylierung des Kollagens mit irregulärer Kollagenfibrillenstruktur auf. Untersuchungen zur Biomechanik der Fascia tranversalis zeigten bei Patienten mit Leistenhernien eine erhöhte Elastizität und Dehnbarkeit, die mit Veränderungen der Kollagenzusammensetzung und -struktur, insbesondere einer Verschiebung des Kollagen-Typ-I/Typ-III-Quotienten vergesellschaftet ist (Rosch et al. 2003). Bei Patienten mit direkten Leistenhernien wurde ferner eine Überexpression eines kollagendegradierenden Enzyms, der Matrixmetalloproteinase 2 (MMP-2) beobachtet. Eine ähnliche Erniedrigung des Kollagen-I/III-Quotienten fand sich sowohl im Bruchsackes als auch der Haut von Leistenhernienpatienten (Rosch et al. 2003). Das komplexe und dynamische System der Extrazellulärmatrix ist selbstverständlich einem steten Umbau unterworfen und eine exogene Beeinflussung ist grundsätzlich anzunehmen. Bei Rauchern mit direkten und indirekten Leistenhernien wurde beispielsweise ein Ungleichgewicht zwischen Proteasen und Antiproteasen im Blut nachgewiesen, was möglicherweise für deren veränderte Zusammensetzung der Extrazellulärmatrix verantwortlich ist.
R. Rosch
43
Leistenhernie Verschiedene Aspekte der Anatomie wurden für die Entstehung von Leisten- und Schenkelhernien verantwortlich gemacht, wie ein persistenter Processus vaginalis oder die unterschiedliche Beckenanatomie zwischen Mann und Frau. Eine weitere häufig genannte Ursache für die Entstehung von Hernien ist der erhöhte intraabdominelle Druck, der in Zusammenhang mit der Adipositas, chronischem Husten, Prostatahyperplasie oder Obstipation gesehen wird (Condon u. Carilli 1994). All diese Erklärungsversuche konnten jedoch bislang nicht durch klinische Studien belegt werden; Untersuchungen im Tiermodell ergaben keine Assoziation zwischen erhöhtem intraabdominellem Druck und der Entwicklung von Hernien.
Nabelhernie Bei kindlichen Nabelhernien entsteht die Bruchlücke am Anulus umbilicalis nach der Obliteration der Nabelschnurgefäße. In 98% der Fälle schließt sich diese Lücke in den ersten Lebensjahren spontan und ist als physiologisch zu betrachten. Im Gegensatz hierzu entsteht die Nabelhernie im Erwachsenenalter zumeist als paraumbilikale Hernie neben dem Nabelpfeiler und zeigt keinerlei spontane Regressionstendenz. Als begünstigende Faktoren für die Entwicklung einer Nabelhernie werden Übergewicht, eine Leberzirrhose bzw. Aszites genannt, häufig ist die Nabelhernie mit einer Rektusdiastase kombiniert. Obwohl hinsichtlich der Pathologie der Nabelhernie der Nachweis für eine Störung im Kollagenstoffwechsel noch nicht erbracht ist, so legen doch die Assoziation mit angeborenen Kollagenstoffwechselstörungen einen ähnlichen ursächlichem Zusammenhang wie bei der Leistenhernie nahe.
757 43.1 · Grundlagen
43
Rezidiv- und Narbenhernien In der Pathogenese von Narbenhernien und von Hernienrezidiven sind einerseits exogene und technische Aspekte von endogenen, patientenbezogene Risikofaktoren als Ursache zu unterscheiden.
chungen zur Narbenhernie und zum Leisten- und Narbenhernienrezidiv bestätigt. Dabei zeigte sich sowohl auf Proteinals auch auf RNA-Ebene eine Erniedrigung des Kollagen-Typ-I/ Typ-III-Quotienten (Jansen et al. 2004; Junge et al. 2004).
Technische Faktoren. Zu den technischen Aspekten zählt insbesondere der Laparotomieverschluss selbst: In verschiedenen Studien zeigte sich eine signifikante Beeinflussung der Narbenhernieninzidenz durch das Nahtmaterial und der verwendeten Nahttechnik (Hodgson et al. 2000; Hoer et al. 2001; Rucinski et al. 2001). Nach den in der Literatur vorhandenen Metaanalysen, weisen sowohl fortlaufende Nähte mit nichtresorbierbarem monofilem Material wie auch fortlaufende Nähte mit langzeitresorbierbarem Material die geringsten Narbenhernieninzidenzen auf (Rucinski et al. 2001). Hinsichtlich der exakten chirurgischen Technik zeigte sich ein prophylaktischer Effekt zur Vermeidung von Narbenhernien bei einem Verhältnis von Nahtlänge zur Wundlänge von 4:1 (Hoer et al. 2001). Obwohl die Ergebnisse von Metaanalysen bezüglich der Frage fortlaufende Nahttechnik versus Einzelknopfnaht uneinheitlich sind, so sprechen neben dem Zeitgewinn, der Material- und der Kostenreduktion experimentelle Untersuchungen, die eine verbesserte Wundheilung unter fortlaufender Nahttechnik zeigen, für einen allschichtigen Verschluss der Laparotomie mit einer fortlaufenden, Langzeitresorbierbaren Naht (Hoer et al. 2001, 2002). Einen weiteren technischen Einflussfaktor stellt der Chirurg selbst dar. Allerdings stehen Berichten, wonach die Spezialisierung auf die Hernienchirurgie im Vergleich zum Chirurgen mit einem allgemeinen Spektrum an operativen Eingriffen mit einer Verringerung der Rezidivraten einhergeht, widersprüchliche Untersuchungen gegenüber, in denen keine Beeinflussung der Leistenhernienrezidivrate durch die Erfahrung des Operateurs nachgewiesen werden konnte (Sorensen et al. 2002). Zusammenfassend muss man folgern, dass die richtige Technik mit steigender Expertise die Ergebnisse in der Hernienchirurgie zwar verbessern, andererseits jedoch keine sichere Garantie für die Prävention von Rezidivhernien darstellen, und somit auch bei bester Technik Rezidivhernien nicht sicher verhindert werden können.
43.1.3 Klassifikation
Patientenbezogene Faktoren. Insbesondere die verzögerte Latenz für die Ausbildung von Rezidivhernien, die hohen Rezidivraten nach bereits vorausgegangener Hernienreparation, das Auftreten von Rezidiven trotz Netzimplantation und die geringe Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen weisen auf patientenbezogene, biologische Ursachen in der Pathogenese der Narbenhernien und von Hernienrezidiven hin. Grundsätzlich zählen v. a. Faktoren, die die Wundheilung und eine ausreichende Narbenbildung beeinträchtigen, zu den Auslösern der Narben- und Rezidivhernienentstehung. Zu nennen sind wiederum angeborene oder erworbene Bindegewebserkrankungen (Kortikosteroide, Erkrankungen des Kollagenstoffwechsels, Patienten mit Aneurysmata, Wundinfektionen, Serome). Bezüglich des Leistenhernienrezidivs ist Rauchen als wichtiger Risikofaktor beschrieben (Sorensen et al. 2002). Die Entstehung von Narbenhernien- und Rezidivhernien ist somit nicht allein Folge eines technischen Fehlers sondern im Zusammenhang mit einer komplexen Beeinträchtigung der Wundheilung zu sehen. Analog zu den primären Hernien müssen Störungen des Kollagenmetabolismus auch für die Entstehung der Narbenhernien und der Rezidivhernien verantwortlich gemacht werden. Dies wurde in eigenen Untersu-
K. Junge Eine einheitliche Klassifikation ist sowohl für die Narben-, als auch die Leistenhernie erforderlich, um die Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit klinischer Studien zu gewährleisten. Grundlage ist die Erkenntnis, dass die einzelnen Bruchformen ein durchaus unterschiedliches Risikoprofil für das Entstehen eines Rezidivbruches aufweisen. Nur eine eindeutige Einteilung der differenten Bruchformen erlaubt die kritische Analyse des Outcome in Abhängigkeit von unterschiedlichen operativen Versorgungen. So hat eine große mediale Leistenhernie im Durchschnitt ein – verfahrensunabhängig – mehr als 5-fach höheres Rezidivrisiko als eine kleine laterale Leistenhernie. Prinzipiell sollte jede Klassifikation eine möglichst einfache und klare Einteilung besitzen, um in der klinischen Routine Anwendung zu finden. Jede Kategorisierung sollte vom Operateur schnell und sicher durchführbar sein, um eine möglichst suffiziente Erfassung aller Hernienreparationen zu ermöglichen. Kritisch anzumerken bleibt, dass die bisherigen Klassifikationen vorwiegend deskriptiv die lokalen, anatomischen pathophysiologischen Begebenheiten (Lokalisation, Größe) differenzieren, bekannte systemische Begleitfaktoren für das Auftreten eines Rezidivs (z. B. Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen) jedoch nicht berücksichtigt werden. Eine derartig umfassende, prognostisch relevante Klassifikation ist allerdings Grundvoraussetzung für eine individuelle patientenbezogene Verfahrenswahl. Leisten-/Femoralhernie Die Klassifikation von Hernien in der Inguinalregion sollte alle Hernientypen erfassen und zudem bei den klassischen offenen, als auch bei den laparoskopischen Reparationstechniken gleichermaßen anwendbar sein. In der Literatur finden sich unterschiedlichste Klassifikationen. Dies mag daran liegen, dass nicht jeder Vorschlag alle Hernientypen erfasst, die Größe der Bruchpforte nicht durch Messung quantifiziert wurde oder die Einteilung für die klinische Routine zu kompliziert war. Die wohl gebräuchlichste Klassifikation wurde 1993 von Nyhus vorgestellt (Nyhus 1993). Als Klassifikationskriterien gelten die Größe der Bruchpforte und der Zustand der Hinterwand des Leistenkanals. 4 Als Typ 1 werden indirekte Leistenhernien mit unauffälligem, innerem Leistenring (kindliche Hernien) beschrieben. 4 Der Typ 2 zeichnet sich durch eine indirekte Hernie mit zusätzlicher Erweiterung des inneren Leistenrings aus. 4 Hauptkriterium für den Typ 3 ist ein Defekt der Hinterwand des Leistenkanals, wobei direkte und indirekte Hernien mit einer Erweiterung des inneren Leistenrings, Schwächen und Defekte der Fascia transversalis sowie Femoralhernien zusammengefasst. 4 Unter dem Typ 4 werden alle Rezidivbrüche der Inguinalregion subsumiert. Vermissen lässt diese Klassifikation jedoch eine klare Trennung zwischen direkter und indirekter Leistenhernie und der Femoralhernie sowie eine genaue Größenangabe.
758
Kapitel 43 · Hernien
. Tabelle 43.2. Aachener Klassifikation der Inguinalhernien Lokalisation der Bruchpforte
Größe der Bruchpforte
Referenzgröße (1,5 cm)
L
Lateral = indirekte Leistenhernie
M
Medial = direkte Leistenhernie
F
Femoral = Schenkelhernie
C oder ML
Kombinierte Hernien
Rx
Rezidivhernie, Anzahl Voroperationen
I
<1,5 cm
II
1,5–3,0 cm
III
>3,0 cm
Offen
Querdurchmesser Zeigefingerkuppe
Laparoskopisch
Branchenlänge der Endoskopieschere
Die »Aachener Klassifikation« klassifiziert neben der Lokalisation (direkt, indirekt, femoral) auch die Größe der Bruchpforte und die Rezidivanzahl (. Tab. 43.2; Schumpelick et al. 1994).
Als prognostisch relevant im Hinblick auf ein erhöhtes Rezidivrisiko ist das Vorliegen einer großen direkten Hernie, einer Femoralhernie oder einer Rezidivhernie.
43
Narbenhernien Für die Narbenhernie existieren bislang lediglich einige Klassifikationsvorschläge, deren Wertigkeit jedoch bislang nicht durch klinische Studien evaluiert wurde. Ein Klassifikationsversuch von Chevrel ( 2000) umfasst eine detaillierte Beschreibung der Lokalisation, Größe und der Rezidivanzahl (. Tab. 43.3). Demgegenüber wird eine prognostisch und therapeutisch orientierte Klassifikation vorgeschlagen, die drei Typen unterteilt: 4 Der Typ I ist die sog. »nahtfähige unkomplizierte Narbenhernie« mit geringem Rezidiv-Risiko, welche eine Hernie beschreibt, bei der im Rahmen der Voroperation kein sicherer Nahtverschluß stattgefunden hat und eine Narbenlänge bzw. Defektgröße von maximal 3 cm besitzt (z. B. Trokarhernie). Die Therapie besteht in der Versorgung durch fortlaufende Naht mit nicht-resorbierbarem Faden. 4 Der Typ II ist die »meshpflichtige Narbenhernie« mit hohem Rezidiv-Risiko nach Nahtverschluß. Hierzu zählen alle Narbenhernien die nicht den Typen I und III zuzuordnen sind, vornehmlich Rezidivnarbenhernien und multilokuläre Brüche (Gitterbrüche). Bei einer Bruchlokalisation innerhalb der Rektusscheide wird das Mesh hinter der RektusMuskulatur platziert, bei einer Lokalisation außerhalb der Rektusscheide zwischen M. obliquus externus und internus (in der Nähe der knöchernen Abdominalbegrenzung auch zwischen M. obliquus internus und M. transversus oder präperitoneal), ggf. alternativ in Onlay-Position bzw. laparoskopisch als IPOM.
. Tabelle 43.3. Klassifikation der Narbenhernien nach Chevrel (2000) Lokalisation der Bruchpforte (M = median, L = lateral)
M1 M2 M3 M4 L1 L2 L3 L4
Supraumbilikal Juxtaumbilikal Infraumbilikal Xiphopubisch Subkostal Transversal Iliakal Lumbal
Größe der Bruchpforte
W1 W2 W3 W4
< 5 cm 5–10 cm 10–15 cm >15 cm
Rezidivanzahl
R R1 R2 etc.
Primäre Narbenhernie Erste Rezidivnarbenhernie Zweite etc. Rezidivhernie
4 Der Typ III bezeichnet die »komplexe Narbenhernie« mit erhöhtem Rezidivrisiko selbst bei Einsatz eines Meshes. Mit einer Defektgröße von >10 cm oder einem Bruchabstand von <3 cm zum knöchernen Abdominalrahmen sind hier zusätzliche plastische Maßnahmen erforderlich, bzw. Kompromisse im Hinblick auf die mögliche Unterfütterung nicht immer zu verhindern. Therapeutisch sollte bei unmöglichem Faszienverschluß ventral des Meshes ggf. eine Kombination mit der Komponenten-Seperation nach Ramirez, bei einem unsicherem Faszienverschluß ventral des Meshes ggf. eine schwergewichtiges Mesh zur Vermeidung von Netzrupturen und bei einer unzureichenden Unterfütterung ggf. eine Mesh-Fixation am Knochen erfolgen. 43.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik K. Junge
) ) Inspektion, Palpation und Sonographie stellen die Grundpfeiler in der Diganostik von Leisten- und Narbenhernien dar. Eine weitere apparative Diagnostik ist lediglich bei seltenen (z. B. inneren) oder komplizierten Hernien oder großen Bauchwanddefekten notwendig.
43.2.1 Anamnese Anamnestisch beschreiben die meisten Patienten eine Schwellung, einen Knoten oder eine Vorwölbung, die z. B. nach körperlicher Arbeit, beim Sport oder Husten auftritt und in Ruhe wieder verschwindet. So ist auch der Spontanschmerz bei der unkomplizierten Hernie eher die Ausnahme, häufiger dagegen wird ein Fremdkörpergefühl beschrieben. Nur selten ist die persistierende Schwellung mit Inkarzeration erstes Symptom. Auf eine Inkarzeration weist ein anhaltender Schmerz mit Druckempfindlichkeit der oft irreponiblen Bruchgeschwulst, später dann mit Übelkeit und Erbrechen als Zeichen einer Passagestörung.
759 43.2 · Klinische Symptomatologie und Diagnostik
43
43.2.2 lKinisc he n Utersuchung Die Inspektion erfolgt im Stehen und Liegen. Beurteilt werden die Symmetrie der Leisten- bzw. der vorderen Bauchwandregion sowie etwaige Vorwölbungen, Asymmetrien oder Einziehungen beim Husten oder Pressen. Die Palpation erfolgt bei der Leistenhernie mit dem Zeigefinger durch Einstülpung der Skrotalhaut durch den äußeren Leistenring. Untersucht wird die Bruchgeschwulst auf Konsistenz, Reponibilität, Größe des Bruchringes und die anatomische Beziehung zum Leistenband, Leistenkanal, Schambeinast und Skrotum. Hierbei ist die Größe und korrekte Position beider Hoden insbesondere unter forensischen Aspekten mit zu dokumentieren. Eine Differenzierung zwischen direkten bzw. indirekten Hernien ist durch die klinische Untersuchung nicht zuverlässig möglich. Bei der Narbenhernie lassen sich gelegentlich multiple Narbenhernien innerhalb einer Narbe mit dazwischen befindlichen Faszienbrücken palpieren (Gitterbruch). .b Ab. 43.3.
Sonographische Darstellung einer Leistenhernie
43.2.3 D ifferenzialdiag no stik Wichtige lokale Differenzialdiagnosen der Leistenhernie sind . Tab. 43.4 zu entnehmen.
. Tabelle 43.4. Differenzialdiagnostik der Inguinalhernien
Differenzialdiagnose
Besonderheiten
Hydrozele
Schmerzlose Schwellung, »Wasserkissengefühl«, Grenzen oft gut palpabel, diaphanoskopisch rosa transparent
Varikozele
Links häufiger als rechts (linker Hoden tiefer, Mündung linker V. spermatica in V. renalis), Gefühl des Skrotums als »Beutel voller Würmer«
Lymphadenitis
Kaum verschieblich, druckschmerzhaft, keine Lage- und Größenänderung unter Husten und Pressen, meist mit Schenkelhernie verwechselt, operative Freilegung bei Zweifel zwischen Inkarzeration und Lymphknoten, keine forcierten Repositionsversuche
Lipom
Weich, nicht hustenverschieblich, wichtige Differenzialdiagnose der Femoralhernie
Tumoren
Meist schmerzloses langsam progredientes Wachstum, primär (Weichteiltumoren) oder sekundär (Metastasen)
Abszesse
Druckdolente Schwellung mit palpabler Fluktuation als Senkungsabszesse bei M. Crohn, Tuberkulose und septischen urogenitalen Affektionen entlang der Psoasloge
Zysten
Selten Lymphzysten, meist Zysten des Processus vaginalis
Sonstige
Endometriose, Varixknoten der V. saphena magna, Hodentumoren, Leistenhoden
Sonographie. In der apparativen Herniendiagnostik ist die Sonographie mit einer Sensitivität von 85,0% und einer Spezifität von 93,8% als nichtinvasives, zeit- und kostensparendes, beliebig wiederholbares Verfahren ohne Risiken ein ideales Hilfsmittel; insbesondere bei der Zuordnung kleiner Hernien oder bei adipösen Patienten mit kaum tastbarem Lokalbefund. Die Untersuchung wird mit einem Real-Time-Gerät und einem 5,0– 7,5-MHz-Schallkopf für kurze Fokuseinstellungen durchgeführt. Neben Lokalisation und Größe lassen sich die Art des Bruchinhalts und differenzialdiagnostische Erkrankungen (z. B. Lymphome, Hämatome) abgrenzen. Wichtige sonographische Kriterien einer Hernie sind: Nachweis einer Faszienlücke (DD Rektusdiastase), Darstellung des Bruchinhalts, Volumenzunahme des Bruchinhalts und der Bruchpforte im Rahmen dynamischer (Valsalva-Manöver) Untersuchungen (. Abb. 43.3). Additiv kann mittels Doppler-Sonographie oder farbkodierter Duplexsonographie die Hodendurchblutung bestimmt werden oder eine präoperative Identifizierung direkter und indirekter Leistenhernien in ihrer Lagebeziehung zu den unteren epigastrischen Gefäßen erfolgen. Weitere apparative Diagnostik. Die Computertomographie
oder die Kernspintomographie sind besonders bei komplizierten Hernien oder großen Bauchwanddefekten leistungsfähige Methoden zur Darstellung der Bruchsackbinnenstrukturen, zur Darstellung der gesamten Bauchwand und deren Beziehung zu intraabdominellen Organen. Andere, meist nur dem Einzelfall und seltenen Hernienformen vorbehaltene bildgebende Verfahren sind die Abdomenröntgenübersicht (z. B. Nachweis luftgefüllter Darmschlingen im Bruchbereich), die Röntgenuntersuchung der Magen-Darm-Passage oder der Kolonkontrasteinlauf (z. B. Nachweis von Gleithernien oder inneren Hernien), die intravenöse Pyelographie und Zystographie (z. B. Blasengleithernie) und die Herniographie (Peritoneographie). Die Bestimmung der Lungenfunktion (Spirometrie) und Durchführung eines Belastungs-EKG haben sich in der präoperativen Abklärung gerade bei großen nicht reponiblen Narbenhernien (»verlorenes Heimatrecht«) zur Abschätzung der postoperativen Morbidität als hilfreich gezeigt.
760
Kapitel 43 · Hernien
43.3
Therapieziele und Verfahrenswahl K. Junge
) ) Das primäre Ziel der operativen Versorgung einer Leisten- und Narbenhernie ist die Rekonstruktion unter Wiederherstellung der physiologischen Bauchwandintegrität. Bei den Leistenhernien werden anteriore und posteriore Zugänge sowie Naht- und Netzverfahren unterschieden. In der Therapie der Narbenhernie hat sich die Netzaugmentation gegenüber den Nahtverfahren durchgesetzt.
43.3.1 Leistenhernien Die generelle Indikation zur Reparation einer Leistenhernie stützt sich auf die Beobachtung des natürlichen Verlaufs mit einer Inkarzerationsgefahr von bis zu 15%, die vorhandenen Beschwerden und die Erfolglosigkeit konservativer Maßnahmen.
Jede diagnostizierte Leistenhernie sollte bei lokaler und allgemeiner Operabilität operativ versorgt werden.
43
Bei Vorliegen bilateraler Befunde werden diese entweder simultan bei den laparoskopischen Verfahren oder bei den offenen Verfahren in Lokalanästhesie getrennt im Abstand von 48 h versorgt. Bei entsprechendem Wunsch des Patienten ist in Einzelfällen aber auch ein gleichzeitiges Vorgehen bei den offenen Verfahren unter Verwendung geringer Mengen von Lokalanästhetika (cave Höchstgrenzen) und unter sicherer Schonung der Samenstranggebilde möglich. Die Verfahrenswahl wird derzeit kontrovers diskutiert. Systematisch lassen sich die Reparationsverfahren einteilen in die anterioren und posterioren Zugänge sowie die Naht- und Netzverfahren. Zu den anterioren Nahtverfahren zählen die Methoden nach Shouldice, Bassini, Zimmermann, Marcy und Lotheissen/McVay, zu den anterioren Netzverfahren die Techniken nach Lichtenstein, Kugel, Rutkow und andere, wie die transinguinale präperitoneale Netzplastik (TIPP). Bei den posterioren Zugängen werden die Vorgehensweise nach Nyhus, Wantz, Stoppa und Ugahary sowie die laparoskopischen Techniken TEP (total extraperitoneale Prothese), TAPP (transabdominelle präperitoneale Prothese) und IPOM (»intraperitoneal onlay mesh«) differenziert. Die jeweilige Entscheidung für eine bestimmte Technik beruht eher auf den lokalen Gegebenheiten als auf rationalen Kriterien. Generell ist mit all den oben erwähnten Verfahren ein sicherer Bruchlückenverschluss mit hohem Patientenkomfort möglich. Unterschiede bestehen vornehmlich in der Bewertung, welches dieser Verfahren als Standardverfahren anzusehen ist und somit in der breiten Anwendung zu befürworten ist. Die langjährigen Erfahrungen mit den Nahtverfahren zur Therapie von Leistenhernien belegen, dass mindestens 85% der Leistenhernien auch ohne alloplastische Implantate mit sehr guten Langzeitergebnissen (<5% Rezidivrate für primäre Leistenhernien in 10 Jahren, ohne zusätzliche Risikofaktoren) behandelt werden können. Weitgehend unstrittig ist, dass die Verwendung
von Kunststoffnetzen die mittelfristige Rezidivrate senken kann. Ob es allerdings auch langfristig zu einer Senkung des Anteils an Reoperationen wegen eines Hernienrezidivs kommt, wird kontrovers beurteilt, da zumindest in den epidemiologischen Daten der Qualitätssicherung bislang keine dauerhafte Verminderung des Anteils an Rezidivhernien nachweisbar ist. Wenn der Einsatz eines Kunststoffnetzes ein Rezidiv zumindest in einer gewissen Risikopopulation nicht dauerhaft verhindern kann, sondern deren Auftreten in erster Linie verzögert, so muss gerade bei jüngeren Patienten mit der Notwendigkeit einer Reoperation wegen eines Rezidivs gerechnet werden. Insgesamt stehen bei der Verfahrenswahl daher 2 Aspekte im Vordergrund: 4 Wahrscheinlichkeit eines Hernienrezidivs mit der Notwendigkeit einer erneuten Operation 4 Wahrscheinlichkeit von Langzeitkomplikationen durch das Implantat Während bei jüngeren Patienten ein geringeres Rezidivrisiko bei gleichzeitig höherer kumulativen Rate an Mesh-Komplikationen (wegen der anzunehmenden langen Inkorporationsdauer) verbunden ist, weisen ältere Patienten ein höheres Rezidivrisiko bei (aufgrund der kürzeren Verweilzeit) geringerer Wahrscheinlichkeit für Mesh-Komplikationen auf. Solange eine dauerhafte Rezidivverhinderung durch Meshes nicht durch epidemiologische Daten belegt werden kann, leitet sich hieraus ab, dass MeshImplantate insbesondere bei jüngeren Patienten zurückhaltender eingesetzt werden sollten, umso mehr, als jede Re-Operation nach einem Mesh-Verfahren technisch erheblich anspruchsvoller und mit einer relevanten Morbidität behaftet ist. Unter Berücksichtigung der pathophysiologischen Aspekte des Leistenhernienrezidivs und der hohen Erfolgsrate der Nahtverfahren wurde somit ein exemplarischer Workflow zur patienten- bzw. Rezidivrisiko-adaptierten Versorgung aufgestellt (. Abb. 43.4 und 43.5). Allein der anteriore Zugang lässt unter Exploration der Leistenkanalhinterwand bei der primären Leistenhernie die intraoperative Entscheidung zur alleinigen Nahtversorgung bzw. Netzaugmentation zu. So können Hochrisikopatienten (Alter >50 Jahren, große direkte/kombinierte Hernien) einer adäquaten Versorgung mittels Netzaugmentation zugeführt werden, Niedrigrisikopatienten (Alter <50, kleine indirekte Hernie) dagegen einem Nahtverfahren. Zukünftige Aufgabe wird es sein, die Risikopopulation mit einem erhöhten Rezidivrisiko zunehmend besser zu charakterisieren und die Wertigkeit eines derartigen individuell maßgeschneiderten Vorgehens in klinischen Studien zu überprüfen. 43.3.2 Narbenhernien Basierend auf den pathophysiologischen Erkenntnissen, dass die Entstehung einer Narbenhernie häufig als Ausdruck einer mechanisch instabilen Narbenbildung anzusehen ist, erscheint verständlich, dass der einfache Nahtverschluss als Wiederholung des primär versagenden Verfahrens (ähnliches gilt für die Therapie der Rezidivleistenhernie) in mehr als der Hälfte der Fälle erneut versagt. Somit bleibt nach Ausschluss technischer Fehler beim initialen Faszienverschluss (. Abb. 43.6) ein Verfahrenswechsel hin zur Netzaugmentation der Bauchdecke unumgänglich. Aus den pathophysiologischen Begebenheiten begründet sich ebenfalls die Notwendigkeit der Verstärkung einer gesamten ehemaligen Inzision, auch wenn sich bislang lediglich in einem kleinen Areal eine Narbenhernie ausgebildet hat.
43
761 43.3 · Therapieziele und Verfahrenswahl
. Abb. 43.4. Exemplarischer Workflow zur Verfahrenswahl bei der primären Leistenhernie
primäre Leistenhernie
inguinaler Zugang in Lokalanästhesie
kleine mediale/laterale Hernien junger Patienten mit intakter Fascia transversalis
große direkte/kombinierte Hernien bzw. „high-risk for recurrence” Patienten
Zimmerman/Marcy
Lichtenstein/TIPP
Shouldice
. Abb. 43.5. Exemplarischer Workflow zur Verfahrenswahl beim Leistenhernienrezidiv
Rezidiv-Leistenhernie
Voroperation Nahtverfahren
Voroperation Netzverfahren
Inguinaler Zugang in Lokalanästhesie
Wechsel Zugangsweg
Technischer Fehler ursächlich
„biologisches Rezidiv”
nach anteriorem Netz
nach posteriorem Netz
Shouldice
Lichtenstein, TIPP
TAPP, TEP, Stoppa, Wantz
Lichtenstein
Bei der Verfahrenswahl zur Netzaugmentation stehen die offene Onlay-Technik und die retromuskuläre Sublay-Technik zur Verfügung. Die Inlay-Technik stellt lediglich eine Defektüberbrückung ohne eigentliche Augmentation dar und zeigt dementsprechend dem Nahtverfahren ähnliche Rezidivquoten. Ihre Anwendung sollte auf Patienten mit einem traumatischen Bauchwanddefekt beschränkt bleiben, da bei diesen nicht zwingend von einer gestörten Narbenbildlung auszugehen ist. Unter den Augmentationsverfahren hat die retromuskuläre Sublay-Technik den Vorteil der Implantatfixation durch den Bauchinnendruck, dies allerdings nur in Verbindung mit dem
Verschluss der vorderen Rektusscheide als suffizientem Widerlager. Als nachteilig wird oftmals die ausgedehnte Präparation (subkutan bzw. retromuskulär) angesehen. Die epifasziale Platzierung des Netzes als Onlay vermeidet die retromuskluäre oder intraabdominelle Präparation, geht jedoch mit einer gehäuften Rate lokaler Wundkomplikationen einher. Ferner zeigen sich gehäuft Rezidivhernien am Rande der von der Faszie abgehobenen Netze, wenn es zu einem Auseinanderweichen des Faszien- Nahtverschlusses kommt. Alternativ werden in jüngerer Zeit laparoskopische Techniken propagiert (»intraperitoneales onlay mesh«, IPOM), die die Bruchlücke nach Reposition des Bruchinhaltes
762
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.6. Exemplarischer Workflow zur Verfahrenswahl bei der Narbenhernie
Narbenhernie
Technischer Fehler beim initialen Faszienverschluss (z. B. Trokarhernie)
„biologische Ursachen”
Netzaugmentation der vorderen Bauchdecke Nicht resorbierbar, allschichtig fortlaufende Schlingennaht
Nahtverschluss
durch ein intraabdominelles Netz verschließen. Allerdings sind diesem Verfahren unter Berücksichtigung der Therapieprinzipien (Verstärkung der gesamten ehemaligen Inzision, überlappende Netzaugmentation von >5 cm) anatomische Grenzen gesetzt und beschränken den Einsatz auf zentral gelegene Defekte.
4 4 4 4
konventionell
laparoskopisch
RetromuskulärSublay
IPOM
Keine allergische Reaktion auslösend Mechanisch ausreichende Stabilität aufweisend Gut herstellbar Sterilisierbar
43.4.2 Materialien 43.4
Biomaterialien K. Junge
) ) Alloplastische Netze zur Bauchwandverstärkung bei der Versorgung von Narbenhernien und Leistenhernien gehören zu den am häufigsten eingesetzten Implantaten in der Vizeralchirurgie. Seit der erstmalig gezielten Verwendung eines alloplastischen Netzes durch Usher 1959 wurden eine Reihe von Verfahren (Lichtenstein, TIPP-Rives, Plug and Patch, Wantz, Stoppa) zur offenen Versorgung von Bauchwandhernien beschrieben, die heutzutage durch laparoskopische Verfahren (TAPP, TEP, IPOM) ergänzt werden.
43
43.4.1 Anforderungen Aus bewährten Nahtmaterialien (Polyester, Polypropylene) wurden dafür netzartige Gewebe entwickelt, die nach Implantation in die Leiste oder in die vordere Bauchwand durch Induktion von Narbengewebe eine Stabilisierung der Reparationsebene hervorrufen sollen. Cumberland und Scales (Goldstein 1999) stellten Kriterien für die Eignungsfähigkeit von Bauchwandimplantaten auf. Demnach sollen Implantate folgende Eigenschaften aufweisen: 4 Nicht von Körpersubstanzen angreifbar 4 Chemisch inert 4 Keine Entzündungsreaktion aufweisend 4 Nicht kanzerogen wirkend
Grundsätzlich müssen monofile und multifile, resorbierbare und nicht resorbierbare Netze bzw. Folien unterschieden werden. Resorbierbare Materialien (z. B. Polyglactin 910, Polyglycolsäure) können nur in den ersten 2–3 Wochen die mechanische Belastung kompensieren, werden dann sukzessive resorbiert und es verbleibt ein kollagenreiches, mechanisch jedoch nicht belastungsfähiges Narbengewebe. Für die dauerhafte Verstärkung kommen demnach nur Implantate aus nicht resorbierbaren Polymeren zum Einsatz (Polypropylen [PP], Polyester [PET], Polytetrafluorethylen [PTFE], Polyvinylidenfluorid [PVDF]). Kriterien der Biokompatibilität und klinischen Tauglichkeit 5 Polymer (PP, PET, PTFE, PVDF) 5 Materialmenge (leicht-/schwergewichtig, Flächengewicht [g/m2]) 5 Porosität und Porengröße (klein-/großporig) 5 Dehnbarkeit und Elastizität (steif/elastisch) 5 Reißfestigkeit (Streifenzug, Stempeldruck) 5 Randfestigkeit (Aus-/Weiterreißkraft) 5 Handhabung (z. B. laparoskopische Platzierbarkeit)
Während die ersten Netzkonstruktionen generell eine meist kleinporige Struktur mit einem hohen Flächengewicht (g/m2) besaßen, die zumindest bei einigen Patienten eine intensive Fremdkörperreaktion induzierten, geht heutzutage der Trend zu Implantaten mit einer an die physiologischen Begebenheiten der vorderen Bauchwand angepassten textilen Struktur. So konnte
763 43.4 · Biomaterialien
43
a
b . Abb. 43.7a,b. Mikroskopische Darstellung (12,5×) eines schwergewichtigen, kleinporigen Marlex-Netzes (a) bzw. eines leichtgewichtigen, großporigen Vypro-Netzes (b)
mittlerweile auch in klinischen Studien ein Vorteil für den Einsatz großporiger, materialreduzierter und elastischer Netzmaterialien aufgezeigt werden (Post et al. 1999). Polytetrafluorethylen Die folienartigen Materialien aus Polytetrafluorethylen (PTFE; Gore-Tex) zeichnen sich durch ihre inkompletten Poren mit einer geringen Größe von 1–6 µm aus, die eine Bakterienpersistenz im Falle einer Kontamination erlauben. Da die Bakterien in diesem Fall vor der Vernichtung durch Makrophagen in den Maschen geschützt sind, muss gegenüber größerporigen Materialien ein infiziertes PTFE-Netz in der Regel entfernt werden. Neben der geringen Porengröße sind vornehmlich die Hydrophobie und die negative elektrische Ladung für eine minimale zelluläre Durchbauung des Implantats verantwortlich. Durch die somit fehlende feste fibröse Verankerung im Wirtsgewebe kommt der Fixierung von PTFE eine besondere Bedeutung zu. Vorteilhaft ist beim PTFE, dass über dasselbe Prinzip erklärbare geringe adhäsive Potenzial, das auch einen intraabdominellen Einsatz erlaubt. Zur Verbesserung der Gewebeintegration wurden zahlreiche Kombinationen mit großporigen Komponenten bzw. Polypropylenanteilen auf der antiperitonealen Seite entwickelt. Polypropylen Die Gruppe der Polypropylennetze (z. B. Atrium, Marlex, Prolene, Surgipro, TiMesh, Vypro, Ultrapro) umfasst schwergewichtige, kleinporige und steife sowie leichtgewichtige, großporige und elastische Implantatvarianten (. Abb. 43.7). Das Ausmaß der Entzündungsreaktion bzw. konsekutiven bindegewebigen Einscheidung korreliert positiv mit der Materialmenge und insbesondere der Kontakt-Oberfläche. Schwergewichtige und kleinporige Materialien werden in eine Narbenplatte integriert, leichtgewichtige und großporige Materialien dagegen lediglich von einer perifilamentär beschränkten Fibrose eingescheidet. Diese Materialien können somit ihre textile Elastizität auch in vivo wahren (. Abb. 43.8). Zur besseren klinischen Handhabung bei der Implantation sind die meisten der materialreduzierten Netze mit resorbierbaren Fäden als Additiv versetzt (z. B. Polyglactin 910, Monocryl). Kombinationen mit Hyaluronsäurebeschichtungen oder Kollagenfolien wurden für den intrababdominellen Einsatz entwickelt.
. Abb. 43.8. Induktion einer Narbenplatte nach Implantation eines schwergewichtigen und kleinporigen Polypropylennetzes (rechts oben, Prolene) bzw. lediglich perifilamentäre Narbennetzbildung nach Implantation eines leichtgewichtigen und großporigen Netzmaterials (links unten, Vypro) in einem Patienten (HE, 40×)
Polyester Netzmaterialien aus Polyester (Polyethylenterephthalat, Mersilene) werden vornehmlich in Frankreich bevorzugt. Durch die überwiegende Konstruktion aus Multifilamenten sind die Materialien in ihrer textilen Form sehr flexibel (. Abb. 43.9). Materialien aus Polyester induzieren eine zumeist sehr moderate Entzündungs- und Fibrosereaktion. Eine erhöhte Seromneigung dieser Netzmaterialien wird diskutiert (Leber et al. 1998), wie auch der zumindest theoretische Nachteil einer Degradation nach Langzeitimplantation, der durch persistierende Infekte beschleunigt werden kann. Da in diesem Sinne vereinzelt schon über Rupturen von Polyesternetzen berichtet wurde, erscheint die Verwendung von Polyester als Material für eine dauerhafte Bauchwandverstärkung bedenklich. Polyvinylidenfluorid Erste experimentelle Ansätze zeigen, dass eine Netzkonstruktion aus dem in der Herz-Thorax-Chirurgie und Traumatologie be-
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Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.9. Mikroskopische Darstellung eines leichtgewichtigen Mersilene Netzes (12,5×)
. Abb. 43.10. Entzündungsreaktion 90 Tage nach subkutaner Implantation eines Prolene-Netzes in der Maus (PP Polypropylenfilamente, HE, 100×)
reits seit Jahrzehnten als Nahtmaterial benutzen Polyvinylidenfluorid (PVDF) eine ausgezeichnete Biokompatibilität aufweisen. Vorteilhaft ist besonders eine gegenüber dem Polypropylen fehlende Oberflächenversprödung mit konsekutivem Stabilitätsverlust nach Langzeitimplantation. 43.4.3 Netzkomplikationen So unbestritten der Nutzen von Netzmaterialien in der Hernienchirurgie ist, so kontrovers werden die durch die Implantation dieser Materialien hervorgerufenen Komplikationen diskutiert. Während Mitte der 90er-Jahre eine nahezu völlige Freigabe der Mesh-Techniken bis hin zur teilweise uneingeschränkt propagierten Implantation bei Jugendlichen erfolgte, mehren sich gerade unter dem Aspekt der potenziellen Langzeitfolgen die Forderungen nach Altersgrenzen zur Netzimplantation (Simmermacher 2004). Die Bedeutung dieser Komplikationsproblematik wurde 2004 in einer von Neumayer et al. veröffentlichten prospektiven Multicenter-Studie verdeutlicht. So zeigte sich bei einem 2-jährigen Follow-up von 994 mit einem offenen Netzverfahren versorgten Patienten eine Langzeitkomplikationsrate von immerhin 17,4% (Neumayer et al. 2004).
43
Fremdkörperreaktion Jedes in den menschlichen Körper implantierte Material erzeugt eine Fremdkörperreaktion (. Abb. 43.10). Dabei erfolgt nach initial frustranem entzündlichen Eliminationsversuch (Granulozyten, Makrophagen) die konsekutive Abkapselung durch bindegewebige Ummantelung (Fibroblasten) des Fremdkörpers. Das Ausmaß dieser Fremdkörperreaktion wird dabei erheblich durch Art und Menge sowie die effektive Oberfläche des eingebrachten Polymers bestimmt. So zeigen schwergewichtige Polypropylen Netzmaterialien eine dem Flächengewicht positiv korrelierende entzündliche wie auch bindegewebige Fremdkörperreaktion. Konsekutiv finden sich diese schwergewichtigen Varianten im Verlauf in eine ausgedehnte Narbenplatte integriert, während materialreduzierte Materialien eine lediglich perifilamentäre Narbenkapsel (Narbennetz) zeigen. Klinisch zeigt sich die entzündliche Aktivität in erhöhten Spiegeln von Akutphaseproteinen (CRP) und einer reaktiven Hyperämie im Implantatlager.
. Abb. 43.11. Immunhistochemische Darstellung von arrodierten Nervenfaszikeln (Pfeil) nach Explantation eines Polypropylen Netzes wegen chronischer Schmerzen (S100, 40×)
Neuralgie, Fremdkörpergefühl, Netzschrumpfung Schmerzen und Fremdkörpergefühl gehören neben dem Rezidiv zu den häufigsten Komplikationen nach Hernienreparation. Manifestiert sich der Schmerz unmittelbar postoperativ, weißt dies auf eine intraoperative direkte Nervenverletzung hin; eine Latenz von mehreren Monaten spricht dagegen für eine sekundäre Nervenirritation im Rahmen der chronischen Fremdkörperreaktion auf das implantierte Material. Bei der Ausbildung einer steifen Fibroseplatte können kleinste sensible Nervenfaszikel integriert und konsekutiv irritiert werden (. Abb. 43.11). Dies kann nach Mitteilung der MRC-Gruppe nach Lichtensteinplastik bis zu 36% und nach laparoskopischen Verfahren bis zu 28% der Patienten betreffen (Collaboration 2000). Allerdings berichten neuere Studien über ähnliche hohe Raten von chronischen Leistenschmerzen auch nach Nahtverfahren, ohne jedoch nach dem Zeitverlauf zu differenzieren. Der anhaltende Gewebsumbau mit zunehmender Fibrose bewirkt langfristig die Einsteifung und Schrumpfung des Implantatlagers. Durch diese physiologische Wundkontraktion wurden Implantatflächen von 30–50% der Ausgangsfläche beobachtet (Coda et al. 2003; Klinge et al. 1998).
765 43.4 · Biomaterialien
. Abb. 43.12. Sonographische Darstellung einer großer Seromhöhlen nach Narbenhernienreparation
43
. Abb. 43.13. Operationssitus einer großen therapierefraktären Seromhöhle nach Narbenhernienreparation
Serom Eine Seromformation im Implantatlager nach laparoskopischer Narbenhernienreparation kann in 100% der Patienten beobachtet werden (Susmallian et al. 2001). Auch im Rahmen der Leistenhernienreparation sind diese bei lückenlosen postoperativen sonographischen Kontrollen regelhaft nachweisbar (Peiper et al. 2002). Aufgrund der geringen Ausdehnung ist ihre klinische Relevanz meistens gering. In Einzelfällen ist jedoch die Ausbildung von großen, interventionspflichtigen Seromen (. Abb. 43.12 und 43.13) zu beobachten. Diese sind als Ausdruck einer pathologischen Fremdkörperreaktion zu werten und sowohl materialabhängig als auch Ausdruck einer individuellen Antwort auf das Implantat (Schachtrupp et al. 2003). Adhäsion, Arrosion, Migration, Fistelbildung Ebenfalls als Zeichen einer chronischen Fremdkörperreaktion zu werten ist die Ausbildung von Adhäsionen bei intraabdomineller Platzierung der Netzmaterialien. Wenngleich heutzutage zahlreiche Netzmodifikationen (Beschichtung mit Hyaluronsäre, Kollagenfilm usw.) für den intraabdominellen Einsatz erhältlich sind, so scheint eine »adhäsionsfreie« Netzintegration zurzeit nicht absehbar. Auch die Netzmigration, Organarrosion (z. B. Ductus spermaticus) und Fistelformation (z. B. Blase, Dünn-, Dickdarm) stellen Komplikationen des chronischen fremdkörperassoziierten Remodelling im Implantatlager dar (. Abb. 43.14). Infektion Unter Verwendung alloplastischer Materialien werden Infektionsraten von 3–4% für die Inguinal- und 6–8% für die Narbenhernienreparation angegeben (Deysine 2004). Differenziert werden müssen die frühpostoperativen Infektionen von den auch nach mehreren Jahren auftretenden Spätinfektionen, die durch eine zunächst klinisch inapparente Oberflächenkontamination (. Abb. 43.15) der Biomaterialien induziert werden. Eine signifikante Reduktion der frühpostoperativen Infektionsrate kann neben strikter aseptischer und antiseptischer, möglichst atraumatischer Operationsverfahren durch eine perioperative Single-Shot-Prophylaxe erreicht werden (Celdran et al. 2004). Im Gegensatz zu den oberflächigen Wundinfektionen zeigt sich der manifeste Implantatinfekt als therapeutische Herausforderung, der zumeist weitere operative Interventionen (Drainage, offene Wundbehandlung) bis zur kompletten Netzexplantation erfordert.
. Abb. 43.14. Operationssitus einer enterokutanen Fistel nach präperitonealer und epifaszialer Leistenhernienreparation
. Abb. 43.15. Klinisch inapparente Implantatkontamination eines Polypropylennetzes mit verschleimenden Staphylokokken (Staph. epidermidis)
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Kapitel 43 · Hernien
43.5
Anästhesie C. Krones
) ) Operationen von inguinalen Hernien werden weiterhin überwiegend in Intubationsnarkose (ITN) durchgeführt. Während die ITN bei Anwendung laparoskopischer Methoden obligat ist, lassen sich unkomplizierte Leisten- und Schenkelhernien jedoch sowohl in der Naht- als auch der Mesh-Technik in der Regel auch problemlos in Lokalanästhesie durchführen. Diese schonende Narkoseform ist im angloamerikanischen Raum weit verbreitet, konzentriert sich in Deutschland aber noch auf Zentren. Der zunehmende Kostendruck lässt hier jedoch einen Wandel erwarten. Eine Alternative zur ITN stellt die Peridural- und Spinalanästhesie dar.
43.5.1 Lokalanästhesie Entscheidender Vorteil der Lokalanästhesie ist die Risikominderung, insbesondere beim Vorliegen relevanter Nebenerkrankungen. Aber auch der nicht vorerkrankte Patient profitiert durch die geringe Narkosebelastung. Wichtige Voraussetzung ist eine ausreichende Kooperation unter der Operation. Kinder und unkooperative Patienten aber auch eine Sprachbarriere sind deshalb in der Regel für diese Narkoseform nicht geeignet. Weitere Ausnahmen sind schwierige Rezidiveingriffe, irreponible Skrotalhernien und Inkarzerationen. Inkurable maligne intraabdominelle Leiden (z. B. Peritonealkarzinose), Systemerkrankungen mit schwerer Gerinnungsstörung oder therapieresistenter Aszites können zusätzliche Kontraindikationen darstellen. Die Lokalanästhesie beinhaltet neben einer bedarfsadaptierten systemischen Sedation und Analgesie einen Ilioinguinalis-Block sowie die Hautinfiltration im Schnittverlauf. Im Weiteren wird eine Infiltration des Samenstranggebildes sowie ggf. des Peritonealsackes angeschlossen. Eine postoperativ geringere Schmerzbelastung der Patienten ist beschrieben (Peiper et al. 1994). 43.5.2 Peridural- und Spinalanästhesie
43
Die rückenmarksnahen Anästhesieverfahren weisen nicht die systemspezifischen Belastungen und Risiken einer Vollnarkose auf, benötigen diese jedoch bei technischen Schwierigkeiten zumindest als Rückzugsmöglichkeit. Beide Verfahren bieten eine zuverlässige Analgesie für die gesamte Dauer der Operation sowie einen eindeutigen Kostenvorteil gegenüber der Allgemeinnarkose und sind auch im Säuglingsalter anzuwenden. Nach Spinalanästhesie können jedoch nicht selten typische postoperative Kopfschmerzen auftreten. Weitere Nachteile sind die postoperativ längere Bettruhe und die Neigung zur Harnretention. Zur Technik der Verfahren wird auf einschlägige Werke der Anästhesiologie verwiesen. 43.5.3 Intubationsnarkose Größter Vorteil der Intubationsnarkose (ITN) bleibt der erweiterte Spielraum für den Operateur und die geringere psychische
Belastung des Patienten. Deshalb ist eine ITN bei Kindern, unkooperativen Patienten, schwierigen Lokalverhältnissen oder präoperativ nicht ausreichend planbarem Vorgehen in der Regel vorzuziehen. Die Belastungen, Risiken und Nachteile entsprechen denen einer sonstigen Intubationsnarkose. Die Anwendung einer ITN ist auch in der Tageschirurgie durchführbar. Zur Technik wird wiederum auf anästhesiologische Werke verwiesen. 43.6
Operationstechnik
43.6.1 Leistenhernienreparation
C. Krones ) ) Es stehen aktuell zahlreiche Methoden zur Reparation von Leistenhernien zur Verfügung, die zumeist nach dem Erstbeschreiber benannt sind. Grundsätzlich unterscheiden sie sich nach Zugang (transinguinal offen oder laparoskopisch) und Reparationsart (Naht oder Mesh). Die Vielzahl der Verfahren macht deutlich, dass eine generalisierbare Standardoperation und der Standardpatient nicht definierbar sind. Exzellente Ergebnisse sind für alle im Folgenden dargestellten Methoden zumindest in persönlichen Serien beschrieben. Die Auswahl des Verfahrens sollte sich deshalb primär nach dem individuellen Fall ausrichten, darf aber auch die persönliche Erfahrung des Operateurs berücksichtigen. Jeder Operateur sollte in seinem Spektrum sowohl über Naht- als auch Mesh-Verfahren verfügen.
Shouldice-Technik Bei der Technik nach Shouldice (1945) folgt nach Horizontalschnitt in der Leistenbeugefalte die subkutane Präparation bis zur Externusaponeurose. Die subkutane Präparation beinhaltet dabei die Ligatur und Durchtrennung der regelhaft kreuzenden Vasa epigastrica superficialis. Die Externusaponeurose wird im Anschluss auf 2–3 cm Breite freipräpariert und vom Oberrand des digital ausgetasteten äußeren Leistenring entsprechend des Faserverlaufs nach kraniolateral gespalten. Hierbei ist der meist kranial gelegene auf dem Funiculus verlaufende N. ilioinguinalis penibel zu schonen und ein Abstand von ca. 2 cm zum Leistenband einzuhalten. Die Lefzen der Externusaponeurose werden nach kranial und kaudal abpräpariert. Nach Zügelung des Samenstranggebildes (digitales Umfahren von lateral nach medial auf dem Os pubis) folgt regelhaft die Spaltung und Dissektion des M. cremaster aus Gründen der Übersicht, um das Vorliegen eines indirekten Bruchsackes sicher beurteilen zu können. Alternativ kann der Muskelmantel abgestreift und nach Nahtabschluss readaptiert werden. Der am Funiculus verlaufende R. genitalis des N. genitofemoralis muss in jedem Fall geschont werden. Die weitere Präparation folgt teils stumpf, teils scharf auf dem Niveau der spiegelnden Fascia cremasteria interna. Hier werden Samenstranggebilde (Ductus deferens, Gefäße) von indirektem Bruchsack bzw. einem zusätzlich vorhanden Lipom getrennt. Die früher geübte, frühzeitige Eröffnung des Bruchsacks mit weiterer Präparation unter Fingerführung wird heute zur Vermeidung von peritonealen Adhäsionen nicht mehr empfohlen. Der venöse Plexus pampiniformis muss geschont wer-
767 43.6 · Operationstechnik
den, da eine Verletzung des Plexus die häufigste Ursache der postoperativen Orchitis ist. Der indirekte Bruchsack ist in Höhe des peritonealen Umschlags dorsal des inneren Leistenringes nach Umstechung einzustülpen oder abzutragen. Gleithernien oder stark akkrete Bruchsackinhalte werden ohne Resektion reponiert. Bei Skrotalhernien bleibt der distale Brucksackanteil zur Vermeidung hartnäckiger Hämatoserome offen in situ. Bei direkten Hernien erfolgt die Präparation analog. Da es sich häufig um Gleithernien handelt, wird der Bruchsack in der Regel nicht eröffnet, sondern in der Regel stumpf reponiert. Bei großen direkten Hernien kann das Repositionsergebnis durch Einzelstiche gesichert werden. Die Spaltung der Fascia transversalis erfolgt unter Sicht vom inneren Leistenring nach medial auf das Os pubis hin. Bei direkten Hernien kann hierbei die teilweise Resektion der ausgedünnten Transversalis-Faszie notwendig sein. Sollte bei der Spaltung eine Verletzung der subfaszialen epigastrischen Gefäße eintreten, wird eine doppelte Umstechung empfohlen. Die kraniale Lefze der Faszie wird dann stumpf vom päperitonealen Fett abgeschoben, bis an der Unterseite der Übergang der Aponeurose des M. transversus in die Rektusscheide als »weiße Linie« sichtbar ist, die das mediale Nahtlager darstellt. Der kaudale Faszienanteil wird ebenfalls abpräpariert. Neben einem ausreichenden Nahtlager dient dies auch zur Inspektion/Palpation der Schenkelpforte. Der anschließende Nahtverschluss doppelt die Faszie, dabei wird die kaudale Lefze nach dorsal umgeschlagen. Die Naht beginnt medial am Schambeinhöcker und zieht fortlaufend nach lateral. Orientierendes Maß für die Weite des inneren Bruchrings ist der Hegarstift 11,5. Nach Umkehr der Stichrichtung wird der freie Rand der kranialen Lefze dann auf die kaudale Begrenzung genäht (. Abb. 43.16). Bei schwachen Faszien kann dabei ein Mitfassen des unteren Randes des Leistenbandes notwendig sein, ohne dass dabei die zweite Nahtreihe oder der spätere Verschluss der Externusaponeurose gefährdet wird. Zur Vermeidung eines suprasymphysären Rezidivs reicht die Naht medial 1–2 cm über das Os pubis hinaus und wird nach nochmaliger Umkehr unter Arretierung am Pecten ossis pubis geknotet. Wegen der Schmerzhaftigkeit ist das Mitfassen des Periost zu vermeiden. Im Anschluss folgt als fortlaufende zweite Nahtreihe von lateral nach medial das Anheften der Transversus-Muskulatur an das Leistenband. Der Rückweg fasst Teile des M. obliquus internus. Die Muskelnaht sollte die Durchblutung nicht gefährden und deshalb spannungsarm sein. Nach Reposition der Samenstranggebilde wird dann die Externusaponeurose von lateral zum äußeren Leistenring fortlaufend verschlossen. Auf die Einlage einer subkutanen Redondrainage kann verzichtet werden, da sie das Risiko eines Hämatoseroms nicht vermindert. Zimmerman-Technik Die Reparation nach Zimmerman/Litle/Marcy (1940) ist nur bei kleinen indirekten Brüchen mit mäßig erweitertem inneren Bruchring und sonst stabiler Fascia transversalis indiziert. Nach zirkulärer Präparation des inneren Leistenrings folgt der Nahtverschluss einreihig oder fortlaufend medial des Samenstranggebildes. Kraniale Anteile der Transversalis-Faszie, TransversusAponeurose, kaudaler Tractus iliopubicus und Teile des Leistenbands können in die Naht einbezogen werden (. Abb. 43.17). Weitere Nähte werden nicht gelegt. Spaltung und Resektion des M. cremaster sind fakultativ, aber zur sicheren Darstellung des inneren Bruchrings oft unumgänglich. Reposition von Samen-
43
. Abb. 43.16. Sicht auf die fast abgeschlossene erste Nahtreihe zur Rekonstruktion der Leistenkanalhinterwand nach Shouldice
. Abb. 43.17. Einreihiger Nahtverschluss des erweiterten inneren Leistenrings bei der Reparation nach Zimmerman
strang und Verschluss von Externusaponeurose und Haut erfolgen wie üblich. Lichtenstein-Technik Die Reparation nach Lichtenstein (Lichtenstein et al. 1989) platziert ein Kunststoffnetz zwischen Externusaponeurose und Internus- und Transversumuskulatur. Nach Spaltung der Externusfaszie wird der Bruchsack ohne Resektion des Kremaster freigelegt. Das Samenstranggebilde wird dann unter Mitnahme aller Nerven und Gefäße stumpf aus der Umgebung befreit und angezügelt. Der Bruchsack wird nur reponiert. Beim medialen Bruch kann das Repositionsergebnis aus Gründen der Übersichtlichkeit über Einzelknöpfe oder einen versenkende Tabaksbeutelnaht gesichert werden. Die Leistenkanalrückwand wird dann durch Auflage eines Kunststoffnetzes verstärkt. Als grobes Maß kann einen Netzgröße von ca. 7×14 cm dienen, das Implantat muss
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43
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.18. Darstellung der Netzposition im Querschnitt bei der Lichtenstein-Technik
. Abb. 43.19. Darstellung der Netzposition im Querschnitt beim TippRives-Verfahren
allerdings meist individuell angepasst werden. Mit abgerundeten Ecken und einem lateralen Schlitz, ca. 2 cm vom Rand entfernt über ca. 1/3 der Gesamtlänge, wird das Netz dann über Einzelknopfnähte ausgehend vom Os pubis am Leistenband fixiert. Der kraniale Anteil des Implantats wird analog an der InternusAponeurose fixiert. Der kraniale »Schwalbenschwanz« des geschlitzten Netzes umfährt den Samenstrang kranial des inneren Leistenringes und wird nichtresorbierbar an unterer Lefze und Leistenband fixiert, sodass eine neuer innerer Leistenring entsteht (. Abb. 43.18). Reposition von Samenstrang und Verschluss von Externusaponeurose und Haut erfolgen dann wieder wie üblich. Die im Original beschriebene, fortlaufende Anheftung des Netzes am Leistenband ist mittlerweile mehrheitlich zu Gunsten der Einzelknopftechnik verlassen. Modifikationen finden sich insbesondere im Hinblick auf die Netzfixation, die von der Fixation mit Gewebeklebern, über einzelne resorbierbare Fäden bis hin zu nichtresorbierbaren fortlaufenden Nähten reicht. Gerade bei großen direkten Hernien kann sich die geforderte mediale Unterfütterung schwierig gestalten.
strangulieren. Die »Schwalbenschwänze« werden anders als beim Lichtenstein nicht gedoppelt (. Abb. 43.19). Temporär persistierende Schmerzen an den Fixationsnähten am Lig. Cooperi sind beschrieben.
TIPP-Rives-Technik Bei dieser von Rives entwickelten Technik (Rives 1967; Schumpelick u. Arlt 1996) der transinguinalen präperitonealen MeshProthese (TIPP) wird das Netz präperitoneal unterhalb der Transversalis-Faszie platziert. Die klassische Indikation betrifft Leistenhernien mit großem Hinterwanddefekt, große mediale Hernien oder Rezidive, bei denen eine Lichtensteinreparation aufgrund fehlendem anterioren Widerlager nicht ausreichend erscheint. Nach Freilegung der Leistenkanalhinterwand wird die Fascia transversalis in ganzer Länge gespalten. Hierbei kann die Ligatur der epigastrischen Gefäße notwendig sein. Nach stumpfer Trennung der Faszienrückfläche vom präperitonealem Raum wird subfaszial das leicht rhomboid zugeschnittene Netz (ca. 12×15 cm) eingelegt, sodass alle Rezidivpforten überlappend abgedeckt werden. Die Nahtfixation erfolgt über Einzelknopf-U-Nähte. Kaudal wird dabei am Lig. Cooperi begonnen, das Netz wird lateral an das Leistenband angeheftet und schließlich kraniomedial mit leichter Vorspannung transmuskulär fixiert. Kraniolateral darf das geschlitzte Netz dabei den Samenstrang nicht
Plug-and-Patch-Technik Die Reparation nach Rutkow (Rutkow u. Robbins 1993) versucht den lokalen Herniendefekt der Leistenkanalhinterwand durch Einlage eines schirmchenartig präformierten Netzes zu stabilisieren. Ein weiteres flächig aufgelegtes Netz verstärkt im Anschluss, ähnlich zum Lichtenstein, die Leistenkanalhinterwand. Nach Spaltung der Externusfaszie wird der Bruchsack ohne Resektion des Kremaster freigelegt. Das Samenstranggebilde wird dann unter Mitnahme aller Nerven und Gefäße stumpf aus der Umgebung befreit und angezügelt. Der Bruchsack wird nach Präparation nur reponiert. In die freipräparierte Bruchlücke wird dann das Netzschirmchen gestopft. Die Fixation erfolgt über variable Einzelknopfnähte am Rand des Bruchrings. Die Transversalis-Fszie wird danach durch einen geschlitzten OnlayPatch verstärkt, die nur die schmale Präparationsebene um das Samenstranggebilde augmentiert. Persistierende Schmerzen durch pseudotumoröse Verhärtungen im Bereich des Netzschirmchen, Plug-Migrationen sowie Rezidive bei unzureichender Verstärkung der Leistenkanalhinterwand sind beschrieben. Wantz-Technik Die Methode nach Wantz (1989) wird überwiegend bei höheren Rezidiven und Kontraindikation zum laparoskopischen Vorgehen eingesetzt. Das Netz wird subfaszial präperitoneal eingelegt. Der quere transmuskuläre Zugang zum präperitonealen Raum liegt ca. 5 cm oberhalb des Leistenbands, der Weg durch alte Narbenfelder wird dabei vermieden. Die Externusaponeurose wird in gleicher Richtung und Länge gespalten. Nach Medialisierung des Rektus wird die lateral liegende Internus- und Transversus-Muskulatur im Faserverlauf disseziert. Nach querer Spaltung der nun freiliegenden Transversalis-Faszie wird der Peritonealsack stumpf nach dorsal gedrängt und die untere Faszienlefze nach kaudal mobilisiert. Danach lässt sich unter Hakenzug der Bruchsack darstellen, der nach Freipräparation abgetragen oder nach dorsal gedrängt wird. Die Stabilisierung der Leistenkanalhinterwand erfolgt dann nach Parietalisierung des Samenstrangs durch ein rhomboid zugeschnittenes
769 43.6 · Operationstechnik
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. Abb. 43.20. Platzierung des Mesh-Implantats in der Technik nach Wantz In Relation zum knöchernen Becken
. Abb. 43.21. Platzierung des Mesh-Implantats in der Technik nach Stoppa In Relation zum knöchernen Becken
Netz von ca. 12×15 cm, das schüsselförmig den Peritonealsack umfasst und alle Bruchpforten überdeckt (. Abb. 43.20). Das Os pubis wird dabei wiederum unterfüttert, die Nahtfixation des Netzes entspricht dem TIPP. Eine spannungsarme Adaptation der Bruchpforte kann vor der Netzplatzierung technisch sinnvoll sein.
TAPP-Technik Die transabdominelle präperitoneale Prothese (TAPP; Corbitt 1991) nutzt den Ansatz der präperitonealen Netzanlage laparoskopisch. Transabdominell wird dabei die Leistenkanalhinterwand nach peritonealer Eröffnung von dorsal dargestellt und augmentiert (. Abb. 43.22). Nach Anlage des Pneumoperitoneums wird der Kameratrokar (30°-Winkeloptik) in der Medianlinie direkt subumbilikal platziert. Die Position der 2 Arbeitstrokare variiert nach Operateur, in der Regel befinden sie sich im Mittel-/Unterbauch beidseits. Das Peritoneum wird dann bogenförmig oberhalb der betroffenen Leiste von der Plica umbilikalis medialis bis wenige Zentimeter lateral des inneren Bruchrings inzidiert. Das Peritonealblatt wird dann teils stumpf, teils scharf nach kaudal von epigastrischen Gefäßen, Tarnsversalis-Faszie, Cooper-Ligament und Samenstranggebilde abpräpariert. Es folgt die vollständige Freilegung und Reposition des Bruchsacks. Danach wird unter Überdeckung aller Bruchpforten ein ca. 12×15 cm großes Netz faltenfrei eingelegt. Die Fixation erfolgt vornehmlich hoch medial und lateral sowie tief medial am
Stoppa-Technik Das Konzept der Stoppa-Plastik (Stoppa et al. 1973), der Grand Procedure de Reinforcement du Visceral Sac (GPRVS), ist die umfassende prothetische Verstärkung der Fascia transveralis im präperitonealen Raum. Die Prothese kleidet dabei beiderseits den kompletten präperitonealen Raum aus, und wird durch den peritonealen Druck gegen die Bauchwand fixiert. Der »Stoppa« wird dementsprechend vornehmlich bei beidseitigen, großen Rezidivhernien eingesetzt. Eine spezielle Bruchpfortenversorgung ist nicht erforderlich, da die Netzprothese alle Bruchpforten überdecken sollte (. Abb. 43.21). Nach Unterbauchmedianschnitt von Nabel bis Symphyse folgt die Spaltung der Linea alba. Die weitere Präparation erfolgt dann auf der Ebene des präperitonealen Fetts. Ohne Eröffnung wird der Peritonealsack von den Bauchdecken gelöst. Die Präparationsebene reicht lateral unter Darstellung der epigastrischen Gefäße bis zum M. iliopsoas, kaudal mit Freipräparation der Blase bis ins Spatium Retzii und in der Tiefe bis zum Foramen obturatorium unter Sicht auf Ureter und Iliakalgefäße. Bruchsäcke werden ausgelöst und zurückgedrängt oder reseziert. Der gesamte Peritonealsack wird durch die Präparation kranialisiert. Die Netzprothese besitzt vor Implantation die Breite des Symphysenabstands und die Höhe der Distanz zwischen Nabel und Symphyse und sollte leicht V-förmig konfiguriert sein. Dabei zeigt die kraniale Spitze auf den Nabel. Mit Klemmen fixiert wird das Netz nach Parietelasisierung der Samenstränge präperitoneal eingelegt und umfasst den kaudalen Peritonealsack schließlich halbsphärsich. Die Fixation erfolgt mit nur einer Naht an der Linea alba, ggf. aber auch mit zusätzlichen Einzelknopfnähten am Lig. Cooperi. Die Netzeinlage sollte faltenfrei erfolgen. Reposition der Muskulatur und Bauchdeckenverschluss beenden den Eingriff.
. Abb. 43.22. Platzierung des Netzimplantats bei der TAPP
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Kapitel 43 · Hernien
a
kulatur und Rektusscheidenhinterblatt stumpf disseziert. Unterhalb der Linea arcuata wird der Arbeitsraum begrenzt ventral von der Muskulatur, dorsal vom Peritoneum. Nach Einsatz des Kameratrokars (0°-Optik) wird der erste Arbeitszugang dann in der Mitte der Verbindungslinie zwischen Nabel und Symphyse gelegt. Der Zugang liegt auf der betroffenen Seite lateral der Linea alba. Hierüber wird die stumpfe Dissektion zur Platzierung des zweite Arbeitszugangs im lateralen Unterbauch auf Höhe des ersten Arbeitszugangs fortgesetzt. Da jede akzidentelle Eröffnung des Peritoneum zum Verlust von Gas und Übersicht führt, sollten Lecks im Peritoneum nach Möglichkeit vernäht werden. Der Bruchsack wird reponiert und komplett parietalisiert. Die weitere Präparation reicht zur Überdeckung aller Bruchpforten medial von der Linea alba bis zur Spina iliaca anterio superior. Ventral werden die Bruchpforten und nach dorsal das Foramen obturatum dargestellt. Das Netzimplanatat misst ca. 12×15 cm und benötigt keine Fixation. Nach faltenfreier Positionierung drückt stattdessen der Peritonealsack das Implanatat gegen die Bauchdecke. Die korrekte Positionierung erfordert deswegen ein langsames Ablassen des Insufflats unter Sicht sowie primär eine möglichst weit dorsal gelegene Positionierung der kaudalen Netzkante. Die Gegenseite kann immer in gleicher Sitzung beurteilt und ggf. mitbehandelt werden. Der ungewohnte Präparationsraum bedingt eine verhältnismäßig lange Lernkurve. 43.6.2 Narbenhernienreparation
J. Conze ) )
b . Abb. 43.23. Platzierung des Netzimplantats bei der TEP
43
Cooper-Ligament durch Titan-Clips, zur Vermeidung chronischer Schmerzen jedoch nicht unterhalb des Lig. Cooperi und lateral des inneren Leistenringes (Schonung der lateral der epigastrischen Gefäße bzw. unterhalb des Tractus iliopubicus verlaufenden Nerven N. cutaneus femoris lateralis, N. ilioinguinalis, N. iliohypogastricus, Rr. genitalis et femoralis des N. genitofemoralis). Der Peritonealverschluss erfolgt durch fortlaufende überwendliche Naht. Eine Versorgung von beidseitigen Hernien ist in einer Sitzung durchführbar. Mögliche Nachteile der TAPP sind die Risiken des transabdominellen Zugangs (Verletzung von Darm, Adhäsionsbildung), der Zwang zur Vollnarkose und der obligate Einsatz einer Netzprothese. TEP-Technik Die totale extraperitoneale Prothese (TEP; Phillips et al. 1993) wiederholt die Platzierung des Netzes nach dem Prinzip von Stoppa. Endoskopisch wird ein großes Netz präperitoneal über alle 3 Bruchpforten gelegt (. Abb. 43.23). Der Zugang zur Luftinsufflation und zum Einsatz der Kamera wird infraumbilikal auf der betroffenen Seite gelegt. Nach Eröffnung der Rektusscheide wird digital der Raum zwischen Mus-
Prinzipiell lassen sich 2 Reparationsverfahren unterscheiden, zum einen die konventionellen Nahtverfahren, zum anderen Reparationstechniken unter Verwendung von Netzmaterialien. Patienten mit drohender Inkarzeration, persistierenden Beschwerden, sozialer Deprivation oder persistierender Arbeitsunfähigkeit sollten einer elektiven Operation zugeführt werden. Infektfreie Hautverhältnisse sind dabei obligat, Druckulzera sind zunächst primär konservativ zu behandeln. Bei einem BrocaIndex von über +10% ist eine Gewichtsreduktion anzustreben. Je nach Größe der Narbenhernie ist im Rahmen der präoperativen Diagnostik eine Lungenfunktionsprüfung zu fordern. Bei großen Fasziendefekten sollte eine Darmvorbereitung erfolgen. Bei vorgesehener Implantation von Netzprothesen ist eine perioperative Single-Shot-Antibiose (z. B. Cephalosporin der 2. Generation) empfehlenswert.
Nahtverfahren Die einfachste Form der Narbenhernienversorgung stellt das konventionelle Nahtverfahren mit direkter Stoß-auf-Stoß-Naht mittels durchgreifenden Fasziennähten dar (. Abb. 43.24). Nach Exzision der Hautnarbe und Freilegung des Fasziendefektes erfolgt die Eröffnung der Leibeshöhle mit lokaler Adhäsiolyse. Im Anschluss an die Präparation eines suffizienten Nahtlagers wird der Nahtverschluss mit direkter Stoß-auf-Stoß-Naht, in fortlaufender oder in Einzelknopftechnik mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 0 oder 1 durchgeführt. Wie beim primären Faszienverschluss sollte die Fadenlänge der Wundlänge angepasst werden, entsprechend einem Verhältnis
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. Abb. 43.24. Nahtreparation einer Narbenhernie
. Abb. 43.25. Netzinterposition bei der Inlay Versorgung einer Narbenhernie
von 4:1 mit einem Nahtabstand von 1 cm und einer Stichlänge von 2 cm. Die Nahtverfahren stellen eine Wiederholung des primären und nachgewiesenermaßen bereits versagenden Bauchdeckenverschlusses dar. Nicht unerwartet sind sie mit Rezidivraten von bis zu 50% behaftet, weshalb die Indikation für diese Operationstechnik streng zu stellen ist.
den Bauchwandstrukturen. Die resultierende narbige Fixation entspricht weitgehend der der konventionellen Nahtverfahren. Dies erklärt auch eine ähnlich hohe Rezidivquote dieser Reparationstechnik bei Hernien-Patienten von bis zu 40%, weswegen diese Technik vornehmlich auf Patienten mit traumatischem Bauchwanddefekt beschränkt sein sollte.
Indikation für Nahtverfahren bestehen heute vor allem noch für kleinere Narbenhernien (<4 cm), wobei hierbei nichtresorbierbaren Nahtmaterial der Vorrang gegeben werden sollte.
In seltenen Fällen, bei entsprechender Komorbidität des Patienten, ist bei primären Narbenhernien auch ein einmaliger Nahtversuch zu vertreten. Die Reparationstechnik der Fasziendoppelung nach Mayo erhöht die Bauchwandspannung und vermindert die Durchblutung. Sie sollte nicht mehr durchgeführt werden. Ebenso verhält es sich mit den früher propagierten Faszien-Entlastungsnähten (Ventrofil, Sandoz-Plagues etc.), die keinen Einsatz mehr finden sollten, da sie die Gefahr für das Entstehen eines abdominellen Kompartmentsyndroms erhöhen und zu einer Verschlechterung der Durchblutung intra- und retroperitonealer Organe führen können. Netzverfahren Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Netzverfahren zur Narbenhernienreparation beschrieben. Damals standen den Chirurgen Netze aus Silberdraht und Metall zur Verfügung. Erst die Entwicklung von Kunststoffnetzen hat zum breiten Einsatz von Netzreparationen geführt. In den 70er-und 80er-Jahren waren es vor allem französische Chirurgen wie Chevrel, Rives, Stoppa und Flament, die diese Techniken weiterentwickelt und propagiert haben. Die Netzverfahren ermöglichen einen weitestgehend spannungsfreien Verschluss des Fasziendefektes. Je nach Position der Netzprothese innerhalb der Bauchwand (Inlay, Onlay, Sublay) sowie nach Implantationstechnik (offen/laparoskopisch) lassen sich die Operationstechniken unterscheiden. Dabei fungiert das Netz entweder als Bauchwandersatz (offen Inlay/laparoskopisch IPOM) oder als zusätzliche Verstärkung zur Augmentation der Bauchwand.
Epifasziale Netzplastik (Onlay). Bei der von Chevrel beschriebenen Onlay-Technik wird nach ausgedehnter Präparation der Subkutis und Nahtverschluss des Fasziendefektes ein Netz auf dem vorderen Blatt der Rektusscheide platziert (. Abb. 43.26). Hierbei sollte die Fasziennaht (fortlaufend, nichtresorbierbar) in allen Richtungen um wenigstens 5–6 cm durch das Mesh überlappt werden. Die Ränder des Netzes werden zirkulär mit nichtresorbierbaren Fäden auf der Faszie fixiert. Anatomische Grenzen verhindern den Einsatz dieser Technik in Nachbarschaft zum Rippenbogen, Xyphoid oder Beckenknochen. Diese Operationstechnik ist durch die epifasziale Netzlage einfach durchzuführen. Nachteilig ist das ausgedehnte Trauma mit der Gefahr von postoperativer Serombildung und Hautnekrose. Aufgrund eines fehlenden Netzwiderlagers liegt die Hauptspannung auf der Fasziennaht. Weicht die Mittellinie auseinander kann es bei unzureichender Netzfixation zu sog. »Button-hole«-Rezidiven kommen. Retromuskuläre Netzplastik (Sublay). Das Standardverfahren der Narbenhernienreparation ist derzeit die retromuskuläre Netzplastik. Technisch aufwendig gewährleistet sie eine anatomische Rekonstruktion der Bauchwand mit Netzverstärkung (. Abb. 43.27). Die Schicht zwischen M. rectus und hinterer Rektusscheide ist relativ avaskulär und lässt sich meist stumpf präparieren. Durch die retromuskuläre Position, oberhalb der Linea arcuata auf dem hinteren Blatt der Rektusscheide, kommt das Netz weder mit dem Intestinum noch mit dem subkutanen Fettgewebe in Kontakt. Dabei wirken die Rektusmuskulatur und die verschlossene vordere Rektusscheide als Widerlager.
Bauchwandersatz mittels Netzinterposition (Inlay). Die Inlay-
. Abb. 43.26. Netzposition bei der Onlay-Versorgung einer Narbenhernie
Technik stellt die einfachste Form der Netzreparation dar. Hierbei wird in den freigelegten Fasziendefekt ein Netz von entsprechender Größe eingenäht und der Defekt überbrückt (. Abb. 43.25). Hierbei handelt es sich um einen reinen Bauchdeckenersatz, bei dem das einliegende Netz nach ventral nicht durch Muskulatur und Faszie bedeckt ist. Das Netz wird ausschließlich durch die Fixationsnaht am Netz-Faszien-Übergang gehalten, entweder Stoß-auf-Stoß oder günstiger mit Unterfütterung der angrenzen-
. Abb. 43.27. Netzposition bei der retromuskulären Sublay-Versorgung einer Narbenhernie
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Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.29. Darstellung des »fatty triangle«
. Abb. 43.28. Darstellung des retromuskulären Nahtlagers (cave neurovaskuläre Strukturen am lateralen Rand der Rektusscheide)
43
Nach Exzision der Hautnarbe folgt die Freilegung des Fasziendefektes mit Inzision der gesamten Fasziennarbe. Anschließend wird das Peritoneum eröffnet und eine lokale Adhäsiolyse durchgeführt. Die Eröffnung des Bauchraums ist in der Regel notwendig, um die Präparation der Linea alba für die spätere kraniale und kaudale Unterfütterung zu erleichtern und die Verletzung möglicher akkreter Intestinalorgane zu vermeiden. Anschließend erfolgt die Inzision der Rektusscheide vom Faszienrand aus mit Eröffnung des retromuskulären Raumes und Mobilisation bis an den lateralen Rand der Rektusscheide (. Abb. 43.28). Es folgt die Präparation eines ausreichenden Netzlagers im Bereich der Mittellinie durch Inzision der hinteren Rektusscheide beidseits der Linea alba über eine Länge von 5–7 cm (. Abb. 43.29; Conze et al. 2004). Zwischen den auseinanderweichenden Rändern des hinteren Blattes der Rektusscheide wird präperitoneales Fett (»fatty triangle«) sichtbar. Nunmehr fortlaufender Nahtverschluss des Peritoneums oberhalb der Linea arcuata mitsamt dem hinteren Blatt der Rektusscheide mit resorbierbaren Nahtmaterial der Stärke 0. Es folgt das Einbringen der Netzprothese mit sicherer Überlappung des verschlossenen Defektes von mindestens 5–6 cm in alle Richtungen (. Abb. 43.30). Das Netz wird zirkulär mit Einzelknopfnähten zur Vermeidung einer Frühdislokation fixiert. 1–2 Redondrainagen auf dem Netz sollen allfällige Serome drainieren. Jetzt schließt sich der spannungsarme Faszienverschluss der vorderen Rektusscheide an (fortlaufend mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 1).
. Abb. 43.30. Netzplatzierung mit einer Überlappung von 5–6 cm in allen Richtungen
Grundsätzlich sollte aus pathophysiologischen Erwägungen heraus immer die ganze Fasziennarbe in die Reparation mit eingebunden sein, um der Bildung von Pseudorezidiven vorzubeugen.
Die segmentalen neurovaskulären Strukturen am lateralen Rand der Rektusscheide sind unbedingt zu schonen. Ist ein spannungsarmer Verschluss der vorderen Rektusscheide erschwert, können beidseits der Mittellinie längsverlaufende Entlastungsinzisionen durchgeführt werden (. Abb. 43.31). In Ausnahmefällen ist
. Abb. 43.31. Entlastungsinzisionen der vorderen Rektusscheide
773 43.6 · Operationstechnik
auch die ein- oder beidseitige Kombination mit der BauchwandKomponentenseparation nach Ramirez möglich (7 unten). Problematisch kann die ausreichende Netzunterfütterung im Bereich von knöchernen Strukturen sein. Die ausreichende Netzunterfütterung von mindestens 5 cm in alle Richtungen ist v. a. im Bereich der Mittellinie durch Darstellung des »fatty triangle« sicherzustellen.
43
. Abb. 43.32. Netzposition bei der laparoskopischen Versorgung einer Narbenhernie
Reicht der Fasziendefekt bis an das Xyphoid heran, muss das Netz dahinter platziert werden, da die Nahtfixierung von Netzen an knöchernen Strukturen nicht sinnvoll ist. . Abb. 43.33. Komponentenseparationstechnik nach Ramirez
Eine ausreichende Unterfütterung lässt sich durch Eröffnung des retroxyphoidalen Raumes erzielen. Dorthin gelangt man durch scharfe Ablösung der hinteren Rektusscheide vom Xyphoid (Conze et al. 2005). Ähnlich verhält es sich im Bereich der Symphyse. Durch das Fehlen der hinteren Rektusscheide unterhalb der Linea arcuata lässt sich der retropubische Raum im Niveau des Präperitoneums meist stumpf präparieren. Laparoskopische Netzverfahren. Seit Anfang der 90er-Jahre
werden auch laparoskopische Techniken zur Narbenhernienreparation eingesetzt. Hierbei handelt es sich um eine Defektüberbrückung ohne direkte Adaptation des Fasziendefektes. Sie haben den Vorteil, dass sie das operative Trauma reduzieren. Durch den defektfernen Zugang wird die initiale Narbe belassen und die Bruchlücke von innen dargestellt. Problematisch kann die Präparation einer ausreichenden Überlappung am Übergang zu knöchernen Strukturen und im Bereich der Flanke sein, wo Zwerchfell oder retroperitoneale Organe die weite Abdeckung der Bruchpforte einschränken. So ist die Netzplatzierung und Fixation bei suprasymphysärer Lage durch die Nähe zur Blase erschwert. Für die erforderliche großzügige Unterfütterung muss hier, analog zur TAPP, ein Implantat/Netzlager retropubisch im präperitonealen Raum präpariert werden. Durch die intraabdominelle Position mit direktem Kontakt zwischen Netz und Intestinum besteht eine erhöhte Gefahr der Adhäsionsbildung. Zurzeit werden zur dauerhaften Fixation neben Staplerklammern vor allem transmuskuläre Fixationsnähte eingesetzt. Nach offener Anlage eines Pneumoperitoneums folgt die lokale Adhäsiolyse und Freilegung des Fasziendefektes. Der Bruchsack wird in situ belassen. Die Bruchpforte wird mit einer Netzprothese mit sicherer Überlappung von mindestens 5–6 cm in alle Richtungen abgedeckt (. Abb. 43.32). Das Netz wird mit Endostaplern oder Spiraltackern mit/oder ohne transmuskulären Nähten fixiert.
1990). Sie ermöglicht eine spannungsarme, anatomisch-physiologische Defektüberbrückung durch Separation der beiden oberen lateralen Bauchwandmuskeln zwischen M. obliques internus und M. obliquus externus in einer relativ avaskuläre Schicht (. Abb. 43.33). Die beidseitige Durchtrennung der Externusfaszie direkt neben der Rektusscheide und die gleichzeitige Mobilisation der Rektusmuskulatur ermöglichen die Überbrückung von Defekten in einer Größe bis zu maximal 20 cm. Vor allem bei kontaminierter Wunde, aber auch in Kombination mit der Netzplastik kann durch diese Technik ein spannungsarmer Faszienverschluss erzielt werden. Aufgrund des ausgedehnten operativen Traumas ist die Indikation streng zu stellen. Nach Exzision der ganzen Hautnarbe und Freilegung des Fasziendefektes erfolgt zunächst die Inzision der Rektusscheide vom Faszienrand aus mit Eröffnung des retromuskulären Raumes und Mobilisation der Rektusmuskulatur bis an den lateralen Rand der Rektusscheide. Es folgt nun die großzügige epifasziale Präparation der Externusfaszie, nach kranial bis über den Rippenbogen. Die Längsinzision der Externusfaszie erfolgt ca. 2 cm lateral der Linea semilunaris als dem lateralen Rand der Rektusscheide (. Abb. 43.34). Dabei muss sich die Längsinzision unbedingt auf die Faszie des M. externus beschränken. Re-Eingriffe nach Netzreparation. Bei elektiven oder notfallmäßigen Re-Eingriffen nach vorangegangener Netzreparation kann
Plug-and-Patch-Technik. Bei dieser Technik wird der Fasziendefekt präpariert und durch ein Netz mit selbst-aufspannendem Randring unterfüttert. Der Fasziendefekt darüber wird entweder verschlossen oder durch Fixierung am Netz überbrückt. Studien mit größeren Fallzahlen oder Langzeitergebnisse dieser Technik liegen zurzeit noch nicht vor. Mögliche Indikation für diese Reparationsform könnten vor allem kleinere Narbenhernien außerhalb der Mittellinie mit ausreichendem Abstand zu knöchernen Strukturen sein. Komponentenseparationstechnik (Ramirez). Diese Operations-
technik wurde 1990 erstmals von Ramirez beschrieben (Ramirez
. Abb. 43.34. Verschiebeschicht zwischen M. obliquus externus und internus bei der Komponentenseparationstechnik nach Ramirez. Laterale Gefäße sollten geschont werden
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Kapitel 43 · Hernien
die Inzision durch das implantierte Netz erfolgen. Beim anschließenden Bauchdeckenverschluss ist darauf zu achten, das durchtrennte Netz mit fortlaufender, nichtresorbierbarer Naht zu verschließen. Erfolgt der Eingriff wegen eines Rezidivs hängt das operative Vorgehen von der Lokalisation des Fasziendefektes und Position des Netzes innerhalb der Bauchwand ab. Rezidive nach retromuskulärer Netzplastik treten vornehmlich am oberen Rand im Bereich der Mittellinie auf. Hier kann eine ausreichende Unterfütterung durch das Einbringen eines weiteren Netzes, das mit nichtresorbierbarer Naht an das bereits implantierte Netz fixiert wird, sichergestellt werden. Bei vorangegangener Onlay-Netzreparation kann ein Verfahrenswechsel mittels retromuskulärer Netzposition durchgeführt werden. Vor einer Revision wegen persistierender, postoperativer Schmerzen sollten im Vorfeld alle konservativen Therapieoptionen ausgeschöpft sein. Handelt es sich um einen lokalen Schmerz, ist die Ursache häufig eine Fixationsnaht oder Staplerklammer, was lokal chirurgisch zu beheben ist. Besteht ein diffuser, Netz-assoziierter Schmerz kann eine Netzexplantation als Ultima ratio in Erwägung gezogen werden. 43.7
Intra-/postoperative Komplikationen
43.7.1 Leistenhernien
C. Krones ) ) Grundsätzlich weist die Operation einer Leistenhernie eine sehr niedrige perioperative Morbidität und Mortalität auf. Die Möglichkeit, viele der Verfahren auch in Lokalanästhesie durchzuführen, senkt diese Rate weiter. Dennoch birgt die enge Nachbarschaft zu Gefäßen, Nerven und Samenstranggebilde potenzielle Gefahren. Rezidiveingriffe, Notfallindikationen und die Schwere der Begleiterkrankungen lassen die Komplikationsrate erwartungsgemäß ansteigen. Die konventionellen Nahtverfahren sind aufgrund des technischen Vorgehens und ihrer Standardisierung als risikoärmste Methoden zu werten. Die Einführung der MeshImplantate in konventioneller oder laparoskopischer Technik hat die Komplikationsbreite zwangsläufig erweitert. In der Hand des Erfahrenen lässt sie sich jedoch auch unter 10% senken.
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Häufige Lokalkomplikation sind Hämatome, die meist aus dem Plexus pampiniformis stammen. Größere Ansammlungen sollten operativ ausgeräumt werden. Allerdings ist das Hämatom in der Revision häufig in den Skrotalhüllen verteilt und dann nicht in toto entfernbar. Die Indikation zur Revision verlangt deshalb die sorgfältige Abwägung von Risiko und Nutzen. Die Rate an Wundinfektionen liegt unter 5%, steigt aber beim Rezidiveingriff oder bei Inkarzerationen. Bei manifesten Infektionen sollte die Wunderöffnung in der Revision ausreichend breit sein. Infekte nach Mesh-Implantationen können verspätet auftreten und die Netzexplantation erfordern. Da dies je nach Material wegen des nach Mesh-Enternung resultierenden Gewebedefektes sehr anspruchsvoll sein kann, ist bei der Implantation auf strengste Asepsis zu achten. Konservative Heilungsversuche sind bei begrenztem Infekt des Netzlagers gerechtfertigt, aber immer sehr langwierig. Serome treten wegen der Durchtrennung von Lymphbahnen ins bis zu 15% der Fälle auf. Sie sind sonographisch leicht nachweis-
bar, und können in der Regel konservativ therapiert werden. Größere Flüssigkeitsmengen ab ca. 10 ml sollten zur Beschleunigung der Abheilung unter sterilen Kautelen abpunktiert werden. Bei den Gefäßverletzungen sind insbesondere die epigastrischen A. und V. femoralis gefährdet. Die brüske Behandlung der V. epigastrica inferior kann bis zum Ausriss aus der V. femoralis führen. Je nach Situs können Blutungen aus dem akzessorischen Ast der A. obturatoria (»Corona mortis«) und der Vasa circumflexa iliaca profunda auftreten. Übereifer und insbesondere blindes Setzen von Klemmen oder der ungezielte Einsatz der Thermokoagulation im Rahmen der akuten Blutung können die Situation dann unnötig verkomplizieren. Ratsam ist stattdessen ein weiteres Präparieren ggf. unter digitaler Kompression bis zur eindeutigen Identifikation der Blutungsquelle. Blutungen aus kleineren Gefäßen werden mit Durchstichligaturen versorgt. Stichverletzungen größerer Gefäße werden primär komprimiert oder – wie größerer Defekte – ohne Einengung gefäßchirurgisch versorgt. Durchtrennende Nervenverletzungen z. B. des N. ilioinguinalis, R. genitalis des N. genitofemoralis, N. cutanaeus femoris lateralis oder N. hypogastricus lassen sich mit ausreichender Kenntnis der Anatomie und Übersicht im Situs in der Regel vermeiden. Häufige Fehlerquelle beim N. ilioinguinalis ist das Mitfassen des nicht ausreichend mobilisierten Nerven bei der Externusnaht. Der R. genitalis des N. genitofemoralis kann bei der Kremaster-Resektion am inneren Leistenring mitgefasst werden. Bei akzidenteller Durchtrennung eines Leistennerven ist der Versuch der Rekonstruktion wenig sinnvoll. Stattdessen wird die Resektion empfohlen. Trotz aller Bemühungen zur Schonung der Nerven gehört das Auftreten postoperativer chronischer Leistenschmerzen zu den häufigsten Komplikationen. Schwerste, u. U. sogar invalidisierende Schmerzen sind mit einer Rate von bis zu 1% für alle Operationsverfahren beschrieben. Empfindlichster Bestandteil des Samenstranggebildes ist der venöse Plexus. Wird er nicht geschont, so ist der venöse Abstrom des betroffenen Hoden blockiert. Der Verdacht auf eine testikuläre Durchblutungsstörung lässt sich einfach über eine Doppleruntersuchung überprüfen. Wie bei der Unterbindung der arteriellen Versorgung ist bei venöser Abflussbehinderung die Entstehung einer Hodenatrophie mittelfristige Folge. Klinisch symptomatisch wird die ischämische Orchitis durch Schmerzen und Hodenschwellung meist nach 3–5 Tagen. Experimentell konnte gezeigt werden, dass eine Revision allenfalls innerhalb der ersten 6 h postoperativ sinnvoll ist, sodass die Therapie symptomatisch bleiben sollte. Das Auftreten einer postoperativen Hodenatrophie ist unabhängig vom Operationsverfahren, das Risiko steigt jedoch mit erhöhter Rate bei Rezidiveingriffen und bei ausgedehnter Dissektion des Funikulus nach distal. Eine Verletzung des Sammenleiters sollte wegen seiner stabilen Konsistenz zumindest bei Primäreingriffen immer vermeidbar sein. Die Implantation von Meshes beinhaltet als Risiken neben der Infektion des Netzlagers auch den chronischen Schmerz, die Netzschrumpfung (»shrinkage«), persistierende Beschwerden durch eine übermäßige Steifigkeit der Leistenregion und die Netzwanderung. Material, Fixation, Indikation und Implantationsbedingungen sollten dementsprechend sorgfältig ausgewählt werden. Wie oben erwähnt gehört eine Netzexplantation in erfahrende Hand. Der zunehmende Einsatz von Implantaten wird die hiermit auch verbundene Zahl an Spätkomplikationen in den nächsten Jahren voraussichtlich deutlich ansteigen lassen.
775 43.8 · Ergebnisse und Prognose
Verletzungen von Harnblase, Darm oder weiblicher Adnexe sind beschrieben, aber in der konventionellen Technik selten. Die laparoskopische Herniotomie beinhaltet das Risiko einer intraabdominellen Trokarverletzung, weshalb grundsätzlich der offene Einsatz der Zugänge empfohlen wird. 43.7.2 Bauchwandhernien
J. Conze Intraoperative Komplikationen Die gefährlichste intraoperative Komplikation der Narbenhernienreparation ist die akzidentelle Darmverletzung, vor allem dann, wenn sie während der Operation unbemerkt bleibt. Gerade bei den laparoskopischen Techniken scheint die Gefahr der unbemerkten, iatrogenen Enterotomie höher zu sein als bei den offenen Verfahren und wird mit einer Inzidenz von bis zu 6% angegeben (Koehler u. Voeller 1999). Postoperative Komplikationen Die wichtigsten postoperativen Komplikationen der Narbenhernienreparation sind Infektion, Serombildung, Blutung und das Rezidiv. Vor allem bei den offenen Netzverfahren und der Komponentenseparation ist aufgrund der ausgedehnten Präparation mit einer erhöhten Rate von Blutungskomplikationen zu rechnen. Das Ausmaß der Serombildung ist zum einen abhängig von der Art des implantierten Kunststoffnetzes und zum anderen von der Netzposition innerhalb der Bauchwand. In der OnlayTechnik treten Serome durch die epifasziale Präparation vermehrt auf. Durch das Belassen des Bruchsacks bei den laparoskopischen Netzverfahren findet sich bei fast allen Patienten ein Serom. Die meisten Serome kommen meist spontan oder nach steriler Punktion zur Ausheilung, nur selten kommt es zur Ausbildung einer persistierenden Seromkapsel, die ggf. operativ revidiert werden muss. Netzinfektionen können in bis zu 10% der Fälle auftreten. Ob die Netzprothese entfernt werden muss oder einer konservativen Therapie zugänglich ist, hängt dabei vor allem von der Art des implantierten Netzes ab.
Keine der beschriebenen Operationsverfahren zur Narbenhernienreparation ist rezidivfrei. Bei konsequenter Einhaltung der oben aufgeführten Prinzipien der retromuskulären Netzreparation lassen sich jedoch Rezidivquoten von unter 10% erzielen.
Rezidive treten vor allem an den Netzrändern durch unzureichende Präparation und Netzunterfütterung auf. Für das Verfahren der laparoskopischen Narbenhernienreparation stehen Langzeitergebnisse mit größeren Fallzahlen noch aus, erste Veröffentlichungen berichten von Rezidivquoten von bis zu 16% innerhalb der ersten 4 Jahre (Bageacu et al. 2002).
43.8
43
Ergebnisse und Prognose K. Junge
) ) Prüfstein eines jeden Verfahrens zur Reparation einer Hernie ist die Rezidivrate. Voraussetzung für die kritische Prüfung der verwendeten Methode bleibt somit nur die konsequente Nachuntersuchung des eigenen Krankengutes. Darüber hinaus tritt aber besonders die Einschränkung der Lebensqualität durch das Auftreten postoperativer Schmerzsyndrome oder eines Fremdkörpergefühls immer mehr als Qualitätskriterium in den Vordergrund.
Grundsätzlich sind für valide Aussagen zur Ergebniserfassung in der Hernienchirurgie folgende Kriterien zu fordern: 4 Ausreichend große Fallzahl 4 Einheitliche chirurgische Technik 4 Nachuntersuchungszeitraum von mindestens einem Jahr 4 Klinische und sonographische Kontrolluntersuchungen Eine Vielzahl der Publikationen in der Hernienchirurgie erfüllen diese Kriterien nicht, diese sind im klinischen Alltag auch schwer zu realisieren. Den höchsten Stellenwert haben nach den Cochrane-Kriterien Metaanalysen prospektiv randomisierter Studien, wenngleich auch diese lediglich für die untersuchten Zeiträume verlässliche Aussagen treffen können und zum Teil durch Integration von Einzelstudien mit stark abweichenden Resultaten in ihrer Gesamtaussage fraglich erscheinen (7 unten). 43.8.1 Leistenhernien Rezidivrate Nach der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung GmbH wurden für das Jahr 2002 unter Einbezug kindlicher Hernien sowie von Nabel- und Schenkelhernien in 49,98% ein Verfahren ohne Implantat und in 50,02% ein Verfahren mit Implantat verwandt. Dabei stehen 70,70% konventionellen 26,92% endoskopischen Verfahren gegenüber. Für die Leistenhernie des Erwachsenen sind die Methoden nach Shouldice, Lichtenstein sowie die TAPP und TEP die am häufigsten durchgeführten Interventionen. Dabei differieren die publizierten Rezidivraten erheblich. Zu unterscheiden sind die zumeist hervorragenden Ergebnisse spezialisierter Zentren von denen groß angelegter Multicenter-Studien sowie von der Betrachtung durch Metaanalysen. Demgegenüber stehen dann die flächendeckenden epidemiologischen Erhebungen (Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung), deren Daten Rückschlüsse auf die Rezidivquote erlauben. Nach der Literatur lassen sich in spezialisierten Zentren mit nahezu allen angewandten Verfahren exzellente Rezidivraten von <1% erreichen. Metaanalysen prospektiv randomisierter Studien konnten dabei im Hinblick die Rezidivrate einen Vorteil der offenen oder laparoskopischen Netzverfahrens gegenüber den Nahtverfahren zeigen (Collaboration 2000). So konnte mit einem Netzverfahren (maximalen Nachbeobachtungszeit von 4 Jahren) die kumulative Rezidivrate auf 1,6% (36/2232) im Vergleich zur der nach Nahtverfahren von 4,9% (113/2300) gesenkt werden. Dabei variierte die Rezidivrate erheblich innerhalb der 18 ein-
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.35. Linearer Anstieg der kumulativen Rezidivraten nach Nahtbzw. Netzverfahren zur Versorgung einer Leistenhernie (Collaboration 2000). Da bislang kein Plateau erreicht wird, sind Aussagen zur langfristigen Rezidivquote derzeit nicht möglich
25
Cumulative risk of recurrence (%)
776
20
15
10
5
0
1 Mesh No of recurrences in year: 19 Exposed to risk: 1084 Non mesh No of recurrences in year: 22 Exposed to risk: 882,5
geschlossenen Studien (0–10,0% für die Netzverfahren sowie 0–23,0% für die Nahtverfahren). Kritisch anzumerken ist, dass die Ergebnisse dieser Metaanalysen durch einige wenige Studien unverhältnismäßig beeinflusst werden. So wurden im Vergleich der »Flat-mesh«-Verfahren mit den Nahtverfahren im Rahmen dieser Metaanalyse 15 Studien integriert, von denen alleine 3 Studien für 61% der gesamten Rezidive in der Nahtgruppe verantwortlich waren. Beim Vergleich des TEP-Verfahrens mit den Nahtverfahren war unter insgesamt 6 Studien lediglich eine für sämtliche Rezidive bei den Nahtverfahren verantwortlich. Bei der auch nach 4 Jahren noch konstant linear ansteigenden Rezidivrate erscheint eine definitive Beurteilung, in wieweit die Rezidivrate auch dauerhaft gesenkt werden kann, noch verfrüht (. Abb. 43.35). Diese Skepsis wird unterstützt durch epidemiologische Daten der Qualitätssicherung, die zumindest bislang, bei nahezu konstant 50% mit einem Netzverfahren versorgten Patienten, keine signifikante Reduktion der Anzahl der Rezidivoperationen zeigen konnten.
43
Schmerzen Nach O’Dwyer treten postoperative Schmerzen nach Leistenhernienreparation in bis zu 30% der Patienten auf. Bezüglich der Verfahrenswahl (Netz- vs. Nahtverfahren, offene vs. endoskopische Netzverfahren) zeigt sich die Datenlage nicht eindeutig. Ver-
2
3
4
14 562
3 253,5
4 141,5
24 465.5
8 241
11 143
Year
fahrensunabhängig scheinen jedoch besonders junge Patienten betroffen zu sein. Nach klinischem Eindruck müssen direkt postoperativ auftretende Schmerzsyndrome von sich erst im Intervall von bis zu 2 Jahren postoperativ entwickelnden Schmerzsyndromen differenziert werden. Ursächlich erscheinen dabei intraoperative Nervenläsionen bis hin zu chronischen Nervenirritationen im Rahmen einer Fremdkörperreaktion z. B. nach Netzimplantation. Wenngleich als insgesamt häufige Komplikation zu nennen, ist eine operative Therapie (z. B. Neurolyse, Netzexplantation) zur Therapie eines chronischen Schmerzsyndroms eher selten, nicht zuletzt Ausdruck der geringen Erfolgsaussichten jeglicher chirurgischer Maßnahmen. 43.8.2 Narbenhernien Im Gegensatz zu den Leistenhernien erscheint die Datenlage bei der Narbenhernie eindeutig. 2004 veröffentlichten Burger et al. kumulative 10-Jahres-Rezidivraten einer Multicenter-Studie unter Vergleich der Naht- mit den Netzverfahren. Dabei zeigten die Nahtverfahren mit 63% eine signifikant erhöhte Rezidivrate gegenüber den Netzverfahren mit 32% (Burger et al. 2004). Diese Ergebnisse können durch eine auf 10.822 therapierten Patienten basierten »population-based« Studie bestätigt werden (Flum et al.
. Tabelle 43.5. Rezidivrate nach Narbenhernienreparation mittels Netz in Abhängigkeit vom Overlap
Autor
Netzposition
Überlappung (cm)
Anzahl (n)
Follow-up (Monate)
Rezidivrate (%)
Park et al. 1999
Onlay
1,5
49
54
36
Luijendijk et al. 2000
Sublay
2
84
36
24
Schumpelick et al. 1999
Sublay
5
81
22
4,9
McLanahan et al. 1997
Sublay
6
86
24
3,5
Toniato et al. 2002
Sublay
6
77
38
2,6
43
777 Literatur
. Abb. 43.36. Kumulative Rezidivraten nach Nahtbzw. Netzverfahren nach Flum et al. (2003)
0,25
Kein mesh
Re-Operation (%)
0,2
0,15 Mesh 0,1
0,05
0 0
500
1000
1500 2000 2500 3000 Analyse-Zeitraum (Tage)
3500
4000
4500
. Abb. 43.37. Kumulative Rezidivfreiheit beim Vergleich offener Netzverfahren (Schumpelick 2000)
2003). Im Rahmen dieser Studie wurde nach 5 Jahren durch unspezifizierte Netzverfahren eine im Vergleich zu den Nahtverfahren signifikante Reduktion der Rate an Rezidiveingriffen erreicht (13,9% vs. 11%). Dabei zeigt sich – wie bei den Leistenhernien beschrieben – auch hier eine konstant ansteigende kumulative Rezidivrate nach beiden Versorgungsverfahren, die im Rahmen der 10-Jahres-Übersicht nach Netzverfahren (. Abb. 43.36) lediglich eine Verschiebung des Auftretens eines Rezidivs um etwa 2 Jahre vermuten lässt. Werden die verschiedenen Verfahren zur Netzimplantation verglichen, so zeigen sich hinsichtlich der Rezidivrate Vorteile bei der retromuskulären Sublay-Technik gegenüber dem Onlayund Inlay-Verfahren (. Abb. 43.37). Dabei zeigt sich eine Relation der Rezidivrate zum Ausmaß der Überlappung des Fasziensverschlusses durch das Netzimplantat (. Tab. 43.5). Wenngleich randomisierte Studien zum Vergleich laparoskopischer Verfahren mit den offenen Netzverfahren noch fehlen, so wurden zumindest durch einige Zentren bislang hervorragende Ergebnisse publiziert.
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778
43
Kapitel 43 · Hernien
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44 44
Kindliche Hernien G. Steinau, M. Lörken
44.1
Leistenhernien – 780
44.1.1 44.1.2 44.1.3 44.1.4 44.1.5 44.1.6 44.1.7 44.1.8 44.1.9
Epidemiologie – 780 Klinische Symptomatologie – 780 Diagnostik – 780 Indikationsstellung – 780 Verfahrenswahl – 780 Operationstechnik – 781 Nachsorge – 781 Komplikationen – 781 Ausblick – 782
44.2
Nabelhernien – 782
44.2.1 44.2.2 44.2.3 44.2.4 44.2.5 44.2.6
Embryologie – 782 Spontanverschlussrate – 782 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Indikationsstellung – 782 Operationstechnik – 783 Komplikationen und Nachsorge – 783
44.3
Epigastrische Hernien – 783
44.3.1 44.3.2 44.3.3
Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operationstechnik – 783 Komplikationen und Nachsorge – 783
Literatur – 783
– 782
– 783
780
Kapitel 44 · Kindliche Hernien
) ) Die operative Versorgung kindlicher Hernien im Bauchdeckenbereich stellen die häufigsten Operationen im Kindesalter dar. Sie umfassen Leisten-, Nabel- und epigastrische Hernien. Leistenhernien müssen operiert werden; die Operationstechnik ist weitgehend standardisiert. Die meisten Nabelhernien verschließen sich spontan, vor allem bei Inkarzeration und Persistenz des Nabelbruchs besteht eine Operationsindikation. Epigastrische Hernien werden bei Nachweis der Faszienlücke und des Lipoms chirurgisch versorgt.
44.1
Leistenhernien
44.1.1 Epidemiologie In etwa 1–2% aller termingeborenen Kinder ist mit dem Auftreten einer Leistenhernie zu rechnen, bei Frühgeborenen erhöht sich diese Rate auf 10–30%. In der Regel handelt es sich um indirekte Brüche, direkte Hernien und Schenkelhernien sind selten. Entwicklungsgeschichtlich bildet sich ein Processus vaginalis aus, der noch bei bis zu 90% aller Neugeborenen und bei 30–50% aller Kinder bis zum 2. Lebensjahr offen bleiben kann. Erst wenn sich dieser Processus vaginalis mit Bruchinhalt füllt, liegt eine Hernie vor. Von daher besitzt ein offener Processus vaginalis keinen Krankheitswert. Er kann auch bei Erwachsenen bei Autopsien in bis zu 30% nachgewiesen werden, ohne dass anamnestisch jemals eine Hernie bestanden hat. Da auf der rechten Seite der Hoden später deszendiert als links und dadurch der Processus vaginalis später obliteriert, treten häufiger Hernien auf der rechten Seite auf. Die Relation beträgt 6:4. In etwa 15% der Fälle sind beidseitige Hernien zu erwarten. Der Bruchsackinhalt besteht beim Jungen aus Darmoder Netzanteilen, während beim Mädchen häufig Anteile des Ovar oder der Tube vorliegen.
Bei 1–2% aller Termingeburten ist einer Leistenhernie zu rechnen. Auf der rechten Seite tritt der Bruch häufiger auf.
44.1.2 Klinische Symptomatologie
44
Kardinalsymptom der Leistenhernie ist die inguinale Vorwölbung, besonders beim Schreien. Die Vorwölbung kann bei Jungen bis zum Skrotum reichen. Bei Mädchen ist die Schwellung neben dem Mons pubis und oberhalb des Os pubis lokalisiert. Häufig entdecken die Mütter die Schwellung als Zufallsbefund. 44.1.3 Diagnostik Die Sicherung der Diagnose erfolgt durch das Abtasten der Bruchpforte und der eventuellen Reposition von Bruchsackinhalt. Gelegentlich ist bei der klinischen Untersuchung das Gleiten der Bruchsackhüllen zu tasten; sog. »silk-glove sign«. Geachtet werden muss auf das Vorliegen einer Asymmetrie im Inguinalbereich. Eine Invagination des Hodens mit Austastung des Leistenkanals ist im Säuglings- und Kleinkindesalter nicht
notwendig. Sonographische Untersuchungen sind in der Regel entbehrlich. In vielen Fällen lässt sich die Diagnose durch die glaubhafte Schilderung des Befundes durch die Mutter stellen. Dies ist ausreichend zur Stellung der Diagnose Leistenhernie. Differenzialdiagnostisch von einer Leistenhernie sind eine Hydrozele, ein Leistenhoden, eine Femoralhernie und vergrößerte Lymphknoten abzugrenzen. Bei einer Hydrocele testis liegt ein prall elastischer Tumor im Hodenbereich, bei einer Hydrocele funiculi spermatici eine Vorwölbung im Leistenbereich vor. Kann der Oberrand der Hydrozele umfasst und oberhalb davon sicher eine Hernie ausgeschlossen werden, so besteht im ersten Lebensjahr keine Operationsindikation, da eine Hydrozele in diesem Lebensabschnitt sich häufig spontan zurückbildet. Differenzialdiagnostisch sind Hydrozelen, Leistenhoden, Femoralhernien und vergrößerte Lymphknoten von einer Leistenhernie abzugrenzen.
44.1.4 Indikationsstellung Der Nachweis einer Leistenhernie stellt die Indikation zur Operation dar. Handelt es sich um Frühgeborene mit einem Gewicht von unter 2500 g und liegt keine Inkarzeration vor, so kann unter stationären Bedingungen abgewartet werden, bis kurz vor der Entlassung die Operation elektiv erfolgt. Bei einer Inkarzeration ist die schonende Reposition eventuell im warmen Wasserbad und Sedierung indiziert. Gelingt die Reposition, sollten 1–2 Tage bis zur Operation abgewartet werden, damit sich das lokale Ödem zurückbilden kann. Bei nicht reponibler Hernie, unsicherer Reposition und im Zweifelsfall ist eine dringliche Operationsindikation vorhanden. Liegt eine doppelseitige Hernie vor, können beide Seiten in der gleichen Sitzung operiert werden. Kontroversen bestehen bezüglich der Exploration der Gegenseite, wenn nur einseitig eine Hernie nachgewiesen wurde. Wegen der potenziellen Gefährdung des Samenstranges und/oder der Hodengefäße wird eine routinemäßige Exploration der kontralateralen Seite von uns für nicht indiziert erachtet, wenn auch in den Vereinigten Staaten dies häufig vorgenommen wird. Der Nachweis einer Leistenhernie stellt die Indikation zur Operation dar.
44.1.5 Verfahrenswahl Therapieziel ist die hohe Bruchsackabtragung nach Rehbein. Dies kann mit oder ohne Eröffnung des Leistenkanals erreicht werden. Gravierende Unterschiede in der Komplikations- oder Rezidivrate bestehen zwischen den beiden Verfahren nicht. Während in der Technik nach Fergusen regelhaft die Eröffnung des Leistenkanals vorgenommen wird, wird dieser Operationsschritt bei Czerny nicht durchgeführt, sondern durch den äußeren Leistenring die Abtragung des Bruchsackes herbeigeführt. Da bei größeren Kindern – bedingt durch die Länge des Leistenkanals – eine Bruchsackabtragung ohne Eröffnung des Leistenkanals erschwert sein kann, wird in der eigenen Klinik grundsätzlich die Operation mit Eröffnung des Leistenkanals vorge-
781 44.1 · Leistenhernien
44
nommen. Ab einem Alter zwischen 12–14 Jahren führen wir regelhaft die Operation in der Technik nach Shouldice durch; dies kann bei kooperativen und älteren Jugendlichen auch in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Bei allen Kindern und Jugendlichen unter 12 Jahren erfolgt die Operation in der von Rehbein beschriebenen Technik.
Die Operation wird mit Eröffnung des Leistenkanals und hoher Bruchsackabtragung durchgeführt. Bei Kindern älter als 12–14 Jahre erfolgt die Operation nach Shouldice.
44.1.6 Operationstechnik In Rückenlage mit angehobenen Becken wird eine ca. 2–3 cm lange Inzision in der queren Unterbauchhautfalte durchgeführt. Nach Durchtrennung der Scarper-Faszie erfolgt die Darstellung der Aponeurose des M. externus. Es schließt sich die Eröffnung der Faszie und danach die Abschiebung des M. internus und des Ligamentum inguinale von der Faszie an. Der Anulus inguinalis externus wird dargestellt, muss jedoch nicht eröffnet zu werden. Durch die Spaltung der Kremasterfasern wird der Bruchsack sichtbar, der angeklemmt wird. Leitgebilde ist die glänzend weißliche Farbe des Bruchsackes. Die Samenstranggebilde verlaufen an der Hinter- bzw. Unterseite des Bruchsackes. Der Bruchsack wird eröffnet und ein evtl. vorhandener Bruchsackinhalt vorsichtig reponiert. Anschließend erfolgt die Durchtrennung der Hinterwand des Bruchsackes, wobei das Setzen von stumpfen Klemmchen an der Hinterwand die Durchtrennung erleichtert, wenn dabei die Hinterwand firstartig nach oben gezogen wird. Samenstrang und Hodengefäße können dabei gut gesehen werden und sind bei diesem Manöver zu schonen. Nach der Durchtrennung erfolgt an der Ventral- und Dorsalseite des Bruchsackes die weitere Präparation bis in Höhe des inneren Leistenringes. Die Samenstranggebilde werden mit einem feinen Tupfer nach dorsal weggedrückt, der Bruchsack wird verzwirbelt (. Abb. 44.1). In Höhe des inneren Leistenringes wird der Bruchsack mit einer 4×0-PGS-Naht umstochen und der überschüssige Anteil abgetragen. Der Stumpf des Bruchsackes zieht sich unter den M. internus zurück. Beim Mädchen wird der Bruchsackstumpf unter den M. internus fixiert, um das Ligamentum rotundum neu zu verankern. Der distale Anteil des durchtrennten Bruchsackes wird belassen. Liegt gleichzeitig ein Leistenhoden vor, so ist dieser in der gleichen Operationssitzung im Hodensack zu pexieren. Die Adaptation der Kremasterfasen erfolgt mit 4×0-PGS. Die Externus-Aponeurose wird ebenfalls mit 4×0 fortlaufendem PGS-Faden verschlossen. Resorbierbare Subkutannähte mit 5×0 und intrakutane Einzelknopfnähte der Stärke 6×0 beenden den Eingriff (. Abb. 44.2). Abschließend wird eine Streckung der Samenstranggebilde durch Zug am Hoden erreicht und so ein postoperativer Hodenhochstand vermieden.
. Abb. 44.1. Freipräparation des Bruchsackes bis in Höhe des inneren Leistenringes
. Abb. 44.2. Verschluss der Hautwunde
Cave Bei Durchtrennung der Hinterwand des Bruchsackes darf es zu keiner Verletzung der Samenstranggebilde kommen.
44.1.7 Nachsorge Kinder ab einem Alter von 1/2 Jahr und älter können noch am Operationstag entlassen werden. Auf das Baden sollte für ca 1 Woche verzichtet werden. Eine körperliche Schonung ist lediglich Kindern, die Leistungssport ausüben, zu empfehlen. Nach ambulanten oder tageschirurgischen Eingriffen werden die weiteren Wundkontrollen regelhaft durch die niedergelassenen Pädiater vorgenommen. 44.1.8 Komplikationen Komplikationen sind im Kindesalter seltene Ereignisse. Zu nennen sind Durchtrennungen des Ductus deferens oder der Vasa deferens; diese sollten unter Zuhilfenahme von mikrochirurgischen Techniken versorgt werden. Die diesbezüglichen Erfahrungen im Kindesalter sind allerdings spärlich und die Erfolgsaussichten gering. Häufiger wird es zu einer Schädigung der
782
Kapitel 44 · Kindliche Hernien
Samenstranggebilde durch eine Quetschung mit einer Pinzette oder einem Klemmchen kommen. Dies führt meist zum Verschluss der Gebilde. Intraoperativ kann es zu Verletzungen des Ovars, der Harnblase oder Darmanteilen kommen. Hämatome und Infektionen sind weitere Komplikationen die auftreten können. Oberflächliche Infekte der Wunden bedürfen desinfizierender Maßnahmen. Eine Wundspreizung ist nur in Ausnahmefällen erforderlich. Spätkomplikationen beinhalten die postoperative Hodenatrophie in bis zu 0,6%, den postoperativen Hodenhochstand in bis zu 2% und Rezidivhernien kommen in etwa 0,3–1,5% vor. 44.1.9 Ausblick Diagnostik und Operationstechnik sind standardisiert; es scheinen zukünftig lediglich punktuelle Fortschritte der Technik möglich zu sein. Verbesserungen zur Bestimmung von Risikogruppen bei der Ausbildung einer einseitigen bzw. beidseitigen Hernie werden möglich sein. Die Differenzierung des Kollagenstoffwechsels wird genauere Vorhersagen über die Entstehung von Rezidivhernien zulassen. Von Schier wurde Ende der 90er-Jahre die laparoskopische Hernienoperation in Deutschland bekannt gemacht. Vorteile scheinen hinsichtlich des Erkennens einer kontralateralen Hernie zu bestehen. Nachteile liegen in den bisherigen höheren Rezidivraten und dem vermehrten technischen Aufwand der Operation. 44.2
Nabelhernien
44.2.1 Embryologie
44
Embryologisch entsteht der physiologische Nabelbruch durch ein Missverhältnis der Größe der Leibeshöhle und dem rasanten Wachstum der Dünndarmschlingen. Im Laufe der Entwicklung wird vorübergehend die Leibeshöhle zu klein, um die sich rasch entwickelnden Darmschlingen aufzunehmen, sodass ein Teil des Mitteldarms (Nabelschleife) in das extraembryonale Zölom innerhalb der Nabelschnur hinausgedrängt wird. Auf diese Weise kommt es zum sog. physiologischen Nabelbruch. Die Öffnung des Umbilikalkanals, der ventral durch die linea alba, dorsal durch die Fascia umbilicalis und lateral durch die beiden medialen Anteile der Rektusscheide begrenzt wird, verläuft oberhalb der obliterierten Nabelvene. Somit zieht der Kanal schräg durch die Bauchdecken vom Peritoneum bis zum Subkutangewebe und ist in etwa dem Leistenkanal vergleichbar. Insofern kann zwischen einer direkten und indirekten Nabelhernie unterschieden werden, wobei für den Nabel – anders als für die Leiste – postuliert wird, dass die direkte Hernie, die gerade durch die Bauchdecken verläuft, dem kongenitalen Typ und die indirekte Hernie, die schräg verläuft dem Erwachsenentyp entspricht.
44.2.2 Spontanverschlussrate Es herrscht generelle Übereinstimmung, dass sich ein großer Teil der kindlichen Nabelhernien spontan verschließt. Die Rate der Spontanheilung einer kindlichen Nabelhernie wird in der Literatur mit 80–100% angegeben. In etwa der Hälfte der Fälle kommt es zu einem Verschluss innerhalb des ersten Lebensjahres, dies kann sich allerdings durchaus auch noch im 5., 6. oder späteren Lebensjahr ereignen. Der Spontanverschluss ist unabhängig von der Bruchgröße. Die Persistenz einer kindlichen Nabelhernie beträgt 6–10%.
80–100% der Nabelhernien verschließen sich spontan. Die Persistenz beträgt 6–10%.
44.2.3 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Leitsymptom ist eine schmerzlose Schwellung, die in der Regel problemlos reponibel ist (. Abb. 44.3). Die Diagnose wird mit dem tastenden Finger gestellt. Differenzialdiagnostisch ist eine Inkarzeration oder eine supraumbilikale Hernie auszuschließen. Nabelfisteln oder -granulome lassen sich leicht erkennen. Eine sonographische Untersuchung ist entbehrlich. 44.2.4 Indikationsstellung Die Ansichten über die Operationsindikation kindlicher Nabelhernien sind so zahlreich wie die Anzahl der Autoren. Sie kommen dabei zu so unterschiedlichen Ergebnissen, die von der Operation jeder Nabelhernie bis zur Operation keiner Hernie reichen. Eine absolute Operationsindikation besteht bei Vorliegen einer Inkarzeration, die sehr selten vorkommt. Hautulzerationen über dem Nabelbruch, die durch den permanenten Baucheingeweidedruck ausgelöst und unterhalten werden, stellen ebenfalls eine dringliche Operationsindikation dar. Relative Indikationen liegen bei glaubhaften subjektiven Beschwerden und bei Persistenz des Nabelbruchs vor.
Direkte Nabelhernien entsprechen dem kongenitalen, indirekte dem Erwachsenentyp. . Abb. 44.3. Kindliche Nabelhernie
783 Literatur
Wenn die Indikation zur elektiven Operation einer kindlichen Nabelhernie besteht, so ist u. E. der günstigste Termin zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr. Einerseits ist in der Regel nicht mehr mit einem Spontanverschluss zu rechnen, andererseits müssen die Kinder nicht aus der Schule genommen oder später in den Ferien operiert werden.
44
Supraumbilikale und epigastrische Hernien müssen unterschieden werden. Es können eine oder mehrere Faszienlücken auftreten.
44.3.1 Klinische Symptomatologie und Diagnostik 44.2.5 Operationstechnik Wir führen den Eingriff in der von Spitzy schon 1910 beschriebenen Technik durch. In Rückenlage erfolgt die semizirkuläre infraumbilikale Umschneidung des Nabels. Nach Durchtrennung des Subkutangewebes wird der Nabelpfeiler dargestellt, umfahren und angezügelt. Der Bruchsack wird knapp unterhalb des Hautniveaus eröffnet und ein eventuell vorhandener Bruchsackinhalt reponiert. Eine exakte Darstellung der proximal und distal des Bruchsackes gelegenen Faszie schließt sich daran an. In querer Richtung wird mit 2×0-PGS-Naht der Verschluss des Bruchringes herbeigeführt und der Nabel durch eine an der Unterseite der Nabelhaut gestochene 3×0-Naht mit der Faszie fixiert, um das Nabelgrübchen wiederherzustellen. Der Hautverschluss erfolgt intrakutan mit resorbierbaren 6×0 Einzelknopfnähten. Ein kleiner Tupfer wird abschließend in die Nabelgrube mittels eines kleinen Kompressionsverbandes eingelegt.
Die Operation der Nabelhernie erfolgt in der Technik nach Spitzy mit querem Verschluss des Bruchringes.
Die klinische Symptomatik wird gewöhnlich durch die Vorwölbung von präperitonealen Lipomen verursacht, die zu Schmerzen bis hin zu Koliken führen können. Die Diagnostik beschränkt sich auf den Tastbefund, womit der Nachweis einer Faszienlücke erbracht wird. Im Zweifelsfalle kann eine Sonographie hilfreich sein.
Durch den Nachweis der Faszienlücke und des Lipoms ist die Operationsindikation gestellt.
44.3.2 Operationstechnik Über dem präoperativ beim wachen Kind angezeichneten Fasziendefekt wird ein querer Hautschnitt angelegt. Liegt eine supraumbilikale Hernie vor, so führen wir einen semizirkulären Hautschnitt durch. Es erfolgt die Darstellung des Bruchringes mit Abtragung des präperitonealen Lipoms und die Freipräparation der Faszienränder. Der Defekt wird mit resorbierbaren Einzelknopfnähten der Stärke 2×0 in querer Richtung verschlossen. Die Hautnaht führen wir mit intrakutanen Einzelknopfnähten durch.
44.2.6 Komplikationen und Nachsorge 44.3.3 Komplikationen und Nachsorge Kommt es zu einer Verletzung der Nabelhaut, so wird diese Öffnung von innen her durch resorbierbare Einzelknopfnähte verschlossen. Rezidive sind selten und meistens Ausdruck einer fehlerhaften Operationstechnik. Des Weiteren können vereinzelt Hämatome, Serome oder Wundinfektionen auftreten. Regelmäßige Wundkontrollen werden empfohlen. Eine Sportbefreiung für ca. 2 Wochen erscheint angeraten. 44.3
Epigastrische Hernien
Hernien die direkt dem Nabel benachbart sind, werden als supraumbilikale, die Hernien, die in der epigastrischen Linea alba auftreten, als epigastrische Hernien bezeichnet. Bei den Defekten in der Linea alba handelt es sich um eine oder mehere Faszienlücken, die zwischen dem Processus xiphoideus und dem umbilicus auftreten können. Da in der Regel ein Bruchsack nicht vorhanden ist, werden sie als unechte Hernien bezeichnet.
Hämatome, Serome und Wundinfektionen treten selten auf. Regelmäßige Wundkontrollen werden empfohlen. Ebenfalls wird eine körperliche Schonung für ca. 2 Wochen angeraten
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784
Kapitel 44 · Kindliche Hernien
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44
45 45
Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie D. von Schweinitz
45.1
Grundlagen – 787
45.1.1 45.1.2 45.1.3
Klinische Symptomatologie und Diagnostik des akuten Abdomens Bildgebende Diagnostik – 788 Spezielle Operationstechniken im Kindesalter – 788
45.2
Ösophagusatresie
45.2.1 45.2.2 45.2.3 45.2.4
Epidemiologie und Pathogenese – 790 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 790 Komplikationen und Prognose – 791
45.3
Gastroösophagelaer Reflux – 792
45.3.1 45.3.2 45.3.3 45.3.4
Pathogenese – 792 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapie – 792 Komplikationen und Ergebnisse – 793
45.4
Hypertrophe Pylorusstenose – 793
45.4.1 45.4.2 45.4.3 45.4.4
Epidemiologie und Pathogenese – 793 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 793 Komplikationen – 794
45.5
Duodenalatresie
45.5.1 45.5.2 45.5.3
Epidemiologie und Pathogenese – 794 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie und Ergebnisse – 795
45.6
Dünndarmatresien – 795
45.6.1 45.6.2 45.6.3 45.6.4
Epidemiologie und Pathogenese – 795 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 796 Ergebnisse und Prognose – 797
– 790 – 790
– 792
– 793
– 794 – 794
– 795
45.7
Malrotationsanomalien des Darms – 797
45.7.1 45.7.2 45.7.3
Pathogenese – 797 Klinische Symptomatik und Diagnostik – 798 Operative Therapie und Ergebnisse – 798
– 787
45.8
Mekoniumileus – 798
45.8.1 45.8.2 45.8.3
Pathogenese und Epidemiologie – 798 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapie und Prognose – 799
45.9
Invagination – 799
45.9.1 45.9.2 45.9.3
Epidemiologie und Pathogenese – 799 Klinische Symptomatik und Diagnostik – 799 Therapie und Ergebnisse – 800
45.10
Appendizitis – 800
45.10.1 45.10.2
Epidemiologie, klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie und Ergebnisse – 800
45.11
Meckel-Divertikel – 800
45.11.1 45.11.2 45.11.3
Epidemiologie und Pathogenese – 800 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie und Ergebnisse – 801
45.12
Nekrotisierende Enterokolitis – 801
45.12.1 45.12.2 45.12.3
Epidemiologie und Pathogenese – 801 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapie und Ergebnisse – 802
45.13
Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie – 803
45.13.1 45.13.2 45.13.3 45.13.4 45.13.5 45.13.6
Pathogenese und Epidemiologie – 803 Klinische Symptomatologie und Diagnostik – 803 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 804 Operationstechnik – 804 Komplikationen und Ergebnisse – 805 Instestinale neuronale Dysplasie – 805
45.14
Anorektale Malformationen – 805
45.14.1 45.14.2 45.14.3 45.14.4 45.14.5 45.14.6
Epidemiologie und Pathogenese – 805 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Chirurgische Strategie – 806 Operationstechnik – 807 Nachsorge – 807 Komplikationen und Ergebnisse – 808
45.15
Gallengangsatresie – 808
45.15.1 45.15.2 45.15.3 45.15.4
Epidemiologie und Pathogenese – 808 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 809 Ergebnisse und Prognose – 809
Literatur
– 809
– 798
– 800
– 800
– 801
– 806
– 809
45
787 45.1 · Grundlagen
) ) Viele gastroenterologische Erkrankungen des Kindesalters unterscheiden sich grundlegend von denen des Erwachsenenalters. Wegen der verschiedenartigen Physiologie und der verschiedenen Entwicklungsstufen treten sie meist altersspezifisch auf. Zudem beruhen viele, vor allem auch chirurgische Erkrankungen, auf angeborenen Fehlbildungen, wobei nicht alle dieser Fehlbildungen sofort in der Neugeborenenperiode klinisch in Erscheinung treten müssen. So bestehen nicht nur Unterschiede zum Erwachsenenalter, sondern jede Altersperiode der Kindheit hat seine speziellen chirurgisch-gastroenterologischen Erkrankungen. Dies bedeutet, dass hinsichtlich Diagnostik und Therapie eine hoch differenzierte Vorgehensweise notwendig ist, um für die einzelnen Patienten eine möglichst günstige Prognose zu bewirken, die sich stets auf das ganze zukünftige Leben bezieht. Deshalb sind für die Behandlung dieser Erkrankungen genaue Kenntnisse in der Embryologie, Physiologie und Anatomie des Kindesalters, in speziellen operativen Techniken und in der Nachsorge für diese Patienten notwendig. Da gerade in den vergangenen Jahren sowohl technisch, aber auch in der molekularen Diagnostik rapide Fortschritte erzielt wurden, unterliegt die viszerale Kinderchirurgie einem ständigen Wandel, mit dem Schritt zu halten nötig ist, um bestmögliche Diagnostik und Therapie anbieten zu können. Das bedeutet, dass die Mehrzahl der Erkrankungen, vor allem bei Neugeborenen und Säuglingen, an kinderchirurgischen Zentren behandelt werden sollten, an denen die nötige Expertise vorhanden ist. Die Mehrzahl der Krankheitsbilder entsteht durch Fehlbildungen des Magen-Darm-Traktes bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern, einige jedoch auch sekundär als Folge von Entzündungen. Auf die häufigsten dieser Erkrankungen soll nach einem allgemeinen Teil in diesem Kapitel kurz eingegangen werden, um dem Viszeralchirurgen einen Überblick über die Entstehung, Symptomatik, Diagnostik, Therapie und Prognose zu geben. Eine Vertiefung kann über die im Anhang aufgeführten speziellen Monographien erfolgen.
45.1
Grundlagen
45.1.1 Klinische Symptomatologie und Diagnostik
des akuten Abdomens Gerade bei Früh- und Neugeborenen ist die Symptomatik beim akuten Abdomen sehr oft unspezifisch und der lokale Befund wenig eindrucksvoll. Dabei unterscheidet sie sich wesentlich von der des Schul- und Erwachsenenalters. Die Kinder wirken oft schlapp und krank, ein geblähtes Abdomen fällt beim Darmverschluss oder einer Perforation auf. Die Bauchdecken werden quasi nie bretthart, und auf die Palpation reagieren die Neugeborenen mit einer eher diffusen Schmerzäußerung. Erbrechen oder Rückfluss aus der Magensonde sind klare Zeichen für eine Transportstörung. Die Darmgeräusche sind auch bei einer Obstruktion oft vermindert, eine typische Stenoseperistaltik wie beim älteren Patienten lässt sich selten hören. Gelegentlich kann auch bei einer kompletten Obstruktion noch ein Absetzen von Mekonium beobachtet werden. Vor allem bei Frühgeborenen kann eine sich rasch ausbreitende Phlegmone der Bauchdecken auf eine abgelaufene Perforation hinweisen.
Bei Früh- und Neugeborenen kann eine allgemeine Sepsis einziges Indiz für ein akutes Abdomen sein.
Ältere Säuglinge und Kleinkinder bieten meist klarere Zeichen für ein akutes Abdomen. Akute Nahrungsverweigerung, Erbrechen, Stuhlverhalt und ein rascher Verfall des Allgemeinzustandes sind klare Zeichen. Jedoch bereitet die klinische Artdiagnose und Lokalisationsdiagnostik bei den nichtkooperativen, berührungsempfindlichen, oft jammernden oder schreienden Kindern erhebliche Schwierigkeiten. So ist die klinische Untersuchung oft nicht sehr befriedigend. Umso wichtiger ist deshalb die genaue Befragung der Eltern oder Betreuer hinsichtlich der Vorgeschichte und dem zeitlichen Ablauf aller Symptome. Schulkinder bereiten die wenigsten Probleme. Bei ihnen ist die Anzahl der Differenzialdiagnosen am geringsten. Häufig weisen typische Symptome und klare anamnestische Angaben bereits auf die Erkrankung hin, und die Befunde der physikalischen Untersuchung sowie weiterführender Diagnostik sind eindeutig. . Tab. 45.1 gibt eine Übersicht über die wichtigsten chirurgischen Erkrankungen mit einem akuten Abdomen und ihr Vorkommen in den verschiedenen Altersperioden. Dazu muss in die Differen-
. Tabelle 45.1. Differenzialdiagnose des akuten Abdomens im Kindesalter
Erkrankung
Lebensalter
Magenperforation
FG/NG
Magen-/Pylorusatresie
FG/NG
Hypertrophe Pylorusstenose
Sgl
Duodenalatresie/-stenose
FG/NG
Dünn-/Dickdarmatresie
FG/NG
Volvulus/Kompression bei Lageanomalien des Darms
FG/NG/Sgl/KK
Rektum-/Analatresien
FG/NG
Invagination
Sgl/KK
Meckel-Divertikel
Sgl/KK/SK
Appendizitis
(KK)/SK
Mekoniumileus
FG/NG
Mekoniumpfropfsyndrom
FG/NG
Intraluminäre Obstruktion bei zystischer Fibrose
KK/SK
Nekrotisierende Enterokolitis
FG/(NG)
M. Hirschsprung
(FG)/NG/Sgl/KK
M. Crohn, Colitis ulcerosa
SK
Akute Pankreatitis
(KK)/SK
Tumoren, Raumforderungen
NG/Sgl/KK/SK
FK Frühgeborenes, NG Neugeborenes, Sgl Säugling, KK Kleinkind, SK Schulkind
788
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
zialdiagnose, vor allem bei Neugeborenen und Säuglingen, eine Reihe internistischer Erkrankungen einbezogen werden, wie Stoffwechselstörungen, Zöliakie und auch die Enteritis, im Schulalter die Purpura Schönlein-Hennoch, gegen die die chirurgischen Erkrankungen abgegrenzt werden müssen. 45.1.2 Bildgebende Diagnostik
45
Eine gute Bildgebung ist essenziell für eine rasche und sichere Diagnose sowie für die richtige Indikationsstellung einer eventuellen Operation. Auch hier gibt es vor allem im frühen Kindesalter Besonderheiten, die es zu beachten gilt. Deshalb sollte immer zumindest ein pädiatrisch versierter Radiologe, am besten ein spezialisierter Kinderradiologe bei Säuglingen und Kleinkindern die bildgebende Diagnostik durchführen. Der Schwerpunkt der Bildgebung im Kindesalter liegt heute ganz eindeutig bei der Sonographie. Besser als bei Erwachsenen lassen sich beim Kind mit dieser Methode Veränderungen der parenchymatösen Organe, aber auch vieler Anteile des MagenDarm-Traktes darstellen. Dabei nimmt die farbkodierte Dopplersonographie einen zunehmenden Stellenwert ein. Wichtig sind jedoch eine entsprechende Ausrüstung (z. B. spezieller Schallkopf) und gegebenenfalls eine Ruhigstellung des Kindes. Gelegentlich ist es sinnvoll, dass der Chirurg zusammen mit dem Radiologen und dem Pädiater die Beurteilung der Befunde während der sonographischen Untersuchung vornimmt. An zweiter Stelle steht auch heute noch die konventionelle Röntgenuntersuchung. Hier ist es bei guter Kenntnis der möglichen Differenzialdiagnosen oft schon anhand einer Abdomenleeraufnahme möglich, die korrekte Diagnose zu stellen. So können oft Kontrastmitteluntersuchungen vermieden werden. Überhaupt sollte vor allem bei Früh- und Neugeborenen mit der Anwendung von Röntgenkontrastmitteln äußerste Zurückhaltung geübt werden. Wenn notwendig, sollten diese stets als isotone Lösungen verabreicht werden. Wasserlösliche Kontrastmittel sind in aller Regel den bariumhaltigen vorzuziehen. Bei Atresien des Magen-Darm-Traktes oder Perforationen ist die antegrade Kontrastmittelgabe überflüssig und kontraindiziert. Die Schichtbildverfahren Computer- und Kernspintomographie (MRT) kommen bei gastroenterologischen Erkrankungen des Kindesalters nur selten zum Einsatz. Ihre Nachteile liegen in der Strahlenbelastung (beim CT), dem hohen technischen Aufwand und den Kosten sowie bei Kleinkindern in der Notwendigkeit einer Narkose während der Durchführung. Indikationen können sich beim Abdomentrauma sowie bei Prozessen der parenchymatösen Organe wie Leber, Milz oder Pankreas ergeben. In jüngster Zeit gibt es Fortschritte in der Anwendung des MRT bei kindlichen Darmerkrankungen, das vielleicht bald die Kontrastmittel-Röntgenuntersuchungen ersetzen kann. Im Gegensatz hierzu befinden sich endoskopische Techniken auch im Kindesalter im Vormarsch, nachdem Geräte hierfür entwickelt wurden, die genügend klein sind, um sie auch beim Säugling und Kleinkind einzusetzen. Hierzu zählen die Ösophagogastroskopie, die obere Intestinoskopie sowie die Koloskopie. Die Durchführung der ERCP wird nur an ganz wenigen Zentren bei Kindern ausgeübt und bedarf einer hochspeziellen Erfahrung. Alle diese Techniken sollen nur von speziell ausgebildeten pädiatrischen Gastroenterologen oder Kinderchirurgen ausgeführt werden, die die speziellen Krankheitsbilder und die möglichen Gefahren der jeweiligen Altersgruppe kennen. In aller Regel
müssen Endoskopien bei Kindern in Vollnarkose vorgenommen werden. Auch die minimalinvasive Chirurgie kommt im Kindesalter nach Entwicklung genügend kleiner Laparoskope mit zugehörigem Instrumentarium zunehmend zum Einsatz und kann diagnostisch und therapeutisch genutzt werden. Die Indikationen zu laparoskopischen Operationen müssen im Kindesalter besonders kritisch gestellt werden, da die mit geringem Risiko durchzuführenden Eingriffe in dieser Altersgruppe oft noch sicherer, schneller und kostengünstiger mittels konventioneller, offener Chirurgie ohne große Belastung der Patienten möglich sind. Auf alle Fälle bedarf es eines speziellen Trainings in der kindlichen Laparoskopie, bevor ein Chirurg diese Eingriffe vornehmen kann.
Standarduntersuchungen bei akutem Abdomen im Kindesalter sind die Sonographie und die Abdomenröntgenaufnahme.
45.1.3 Spezielle Operationstechniken
im Kindesalter Zugangswege Insbesondere bei jungen Kindern mit dem noch relativ kurzen Abdomen sollte als Standard die quere Laparotomie, in den meisten Fällen über dem Oberbauch, gewählt werden. Von diesem Zugang aus kann man bei Säuglingen und Kleinkindern bei guter Übersicht alle Bereiche des Abdomens einsehen. Stets sollte der Nabelvenenstrang zwischen Ligaturen durchtrennt werden, um einer postoperativen aufsteigenden Infektion mit nachfolgender Sepsis vorzubeugen. Lediglich bei Operationen am abdominellen Ösophagus (z. B. Fundoplikation) oder im kleinen Becken (anale Durchzugsoperation) ist auch bei kleinen Kindern die Längslaparotomie berechtigt, die am Unterbauch oft auch über einen Pfannenstielschnitt möglich ist. Als Zugang zum thorakalen Ösophagus wählt man – bei normalen Situs – in aller Regel die rechtslaterale Thorakotomie. Dabei kann man bei Säuglingen retropleural vorgehen, indem man die Pleura parietalis stumpf von der Thoraxwand abschiebt und den Pleurasack vollkommen intakt lässt. Bei Eingriffen am tiefen Rektum (z. B. bei Rektumatresie) hat sich der perineale Zugang in der Mittellinie dorsal bis zum Steiß bewährt, von dem aus die extraperitonealen Organe des kleinen Beckens gut dargestellt werden können. Nahttechnik bei kleinlumigem Darm Prinzipiell können auch bei jungen Kindern für die Darmnaht dieselben Techniken angewendet werden wie bei Erwachsenen. Viele Kinderchirurgen verwenden die einreihige, nicht invertierende, auf Stoß genähte Anastomose, andere die zweireihige invertierende Technik. Die Technik nach Herzog (1974) hat sich hierbei bewährt, da sie dennoch bereits primär dieselbe Festigkeit der Anastomose wie die zweireihige Technik gewährleistet (. Abb. 45.1). Bei sehr kleinlumigem Darm, vor allem des Neuund Frühgeborenen, kann es jedoch direkt postoperativ zu einer Einengung des Lumens kommen, sodass die Passage bis zur Abschwellung eingeschränkt ist. Besondere Techniken der kindlichen Darmchirurgie Bei einer Reihe von angeborenen Erkrankungen, insbesondere kongenitalen Atresien des Dünndarms, besteht eine große Kali-
789 45.1 · Grundlagen
. Abb. 45.1. Einschichtige Nahttechnik nach Herzog
45
. Abb. 45.2. »End-to-back«-Anastomose
berdifferenz zwischen dem proximalen und distalen Darmanteil, die das Anfertigen einer Anastomose technisch außerordentlich erschwert. Dennoch sollte immer eine primäre End-zu-EndAnastomose angestrebt werden, da mit dieser langfristig Passagestörungen und Probleme durch ein Blindsacksyndrom vermieden werden können. Von dem stark aufgeweiteten proximalen Blindsack sollte ein genügend großer Anteil reseziert werden, da das untere Ende des Blindsackes auch nach längerer Wartezeit keine gerichtete Peristaltik entwickelt. Durch Exzision eines keilförmigen antimesenteriellen Wandanteils kann am proximalen Darmteil das Lumen nach Vernähen konisch eingeengt werden, um eine Anastomose mit dem distalen, kaliberschwachen Anteil zu ermöglichen. Zusätzlich kann der engere Darm noch schräg angeschnitten und antimesenterial längs inzidiert werden, wonach die Anastomose dann als sog. »End-to-back«-Anastomose angefertigt wird (. Abb. 45.2).
Auch bei großer Kaliberdifferenz sollte eine End-zu-End-anastomose angestrebt werden (ggf. »end-to-back«).
Eine Technik, mittels der bei Kindern mit sehr weitem proximalem Darmanteil dieser für eine Darmverlängerung genutzt werden kann, ist die Bianchi-Technik (Bianchi 1980). Hierbei wird der Darm so in seiner Längsachse gespalten, dass die letzten Gefäßverzweigungen im Mesenterium jeweils zur rechten und/oder zur linken Darmhälfte präpariert werden können. Danach können die zwei Hälften um eine gewisse Strecke gegeneinander verschoben und zu einem dünneren Rohr hintereinander geschaltet vernäht werden. Diese Operation wird vor allem zur Verbesserung eines Kurzdarmsyndroms bei Kindern verwendet. Ebenfalls im Kindesalter häufiger als bei Erwachsenen ist die Verwendung längerer Seit-zu-Seit-Anastomosen von zwei Darmabschnitten. Diese findet vor allem bei der HirschsprungErkrankung Verwendung (7 Kap. 45.13), um längere Anteile aganglionären Darms nicht verwerfen zu müssen, seine Resorptionsfläche zu nutzen und dennoch eine gerichtete Peristaltik zu erhalten (O’Neill et al. 2003). Hierbei wird ein aganglionärer Darmabschnitt (in der Regel Dickdarm) antimesenteriell geschlitzt und mit einem entsprechenden gesunden Dünn- oder Dickdarmabschnitt Seit-zu-Seit vernäht (. Abb. 45.3). Nicht selten müssen auch im Kindesalter, oft schon bei Neugeborenen, Anus praeter angelegt werden. Prinzipiell können diese doppelläufig oder endständig wie bei Erwachsenen
. Abb. 45.3. Lange Seit-zu-Seit-Anastomose zwischen aganglionärem Kolon und Dünndarm
gefertigt werden. Bei einigen Indikationen ist es wichtig, eine genügend große Hautbrücke zwischen zu- und abführendem Schenkel zu bilden, um einen Übertritt von Kot in den ausgeschalteten Darmschenkel sicher zu vermeiden. Handwerklich schwierig kann die Anlage eines Anus praeter bei Neu- und Frühgeborenen sein, insbesondere wenn die sehr dünne und zerreißliche Darmwand zusätzlich entzündet ist. Dann sind auch spätere Komplikationen wie Prolaps, Stenose, Wandperforation und Hauterosionen häufig. Eine besondere Form des Kunstafters ist die Bishop-KoopFistel (Bishop u. Koop 1957), derer man sich bedienen kann, wenn damit zu rechnen ist, dass eine Passagestörung nur vorübergehend anhält, wie z. B. nach einer Darmatresie oder bei einem Mekoniumileus. Hierbei wird nach Durchtrennung der proximale Darmschenkel End-zu-Seit an den abführenden Schenkeln anastomosiert und als endständiger Anus praeter ausgeführt. So bildet dieser Kunstafter ein Überlaufventil, das aber die natürliche Passage nicht verhindert, wenn der distale Schenkel wieder frei durchgängig wird. Gelegentlich verschließt sich eine BishopKoop-Fistel dann auch spontan.
790
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
45.2
Ösophagusatresie
45.2.1 Epidemiologie und Pathogenese Die Häufigkeit der Ösophagusatresie wird mit einem Fall auf 3000 Geburten angegeben. Sie entsteht offensichtlich durch eine fehlerhafte Trennung der Ösophagus- von der Trachealanlage. Die genaue Pathogenese ist jedoch unklar, zumal auch die normale Embryologie dieser beiden Organe nicht eindeutig bekannt ist. Wichtig ist, dass 50–70% aller Kinder mit einer Ösophagusatresie weitere Fehlbildungen aufweisen, und zwar 35% kardiovaskuläre, 24% gastrointestinale und 20% urogenitale Malformationen; 25% der Kinder haben eine VACTERL-Assoziation mit vertebralen, anorektalen, kardialen, tracheoösophagealen und renalen sowie Extremitätenfehlbildungen (»limb«). Die isolierte Ösophagusatresie ist sehr selten, meistens besteht eine Verbindung zur Trachea. Diese »Fistel« geht bei 85% der Kinder vom unteren Blindsack aus (Typ Vogt IIIb; . Abb. 45.4). Im deutschsprachigen Raum hat sich die Typeneinteilung nach Vogt (1929) weitgehend durchgesetzt. Wichtig ist zu wissen, dass beim seltenen Typ II ohne Fistel zur Trachea quasi immer ein sehr großer Abstand zwischen den Ösophagusenden besteht. Als Sonderform sind die H-Fistel, bei der der Ösophagus normal durchgängig ist (Typ IV), und die extrem seltene komplette Aplasie des Ösophagus (Typ I) zu nennen. 45.2.2 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Vielfach wird die Verdachtsdiagnose einer Ösophagusatresie bereits sonographisch während der Schwangerschaft gestellt, vor allem wenn bei der Mutter ein Polyhydramnion vorliegt. Postnatal werden die Kinder durch eine übermäßige Salivation auffällig, bei der ersten Trinkmahlzeit kommt es zu Erbrechen und Husten. Rasch kann eine Überblähung des Magens eintreten, insbesondere bei künstlicher Beatmung. Durch einen Zwerchfellhochstand kommt es danach zu einer Beeinträchtigung der Atmung, die wegen Übertritts von Magensaft über die untere Fistel in das Bronchialsystem und der nachfolgenden Entzündung verschlimmert wird. So kann bald das Bild eines Atemnotsyndroms entstehen. Bereits direkt nach der Geburt sollte die Diagnose vermutet werden, wenn sich eine Magensonde nicht vorschieben und kein Fruchtwasser aspirieren lässt. In einem solchen Fall darf das Neugeborene nicht mit der Maske beatmet werden, um eine rasche
Überblähung des Magens zu vermeiden. Die Verlegung in eine Kinderklinik erfolgt, wenn möglich, unter Spontanatmung. Nach Einbringen einer kontrastgebenden Magensonde kann die Diagnose anhand einer thorakoabdominellen Röntgenaufnahme gestellt werden (. Abb. 45.5). Findet sich ein weiter oberer Blindsack und Luft im Magen-Darm-Trakt, ist die häufigste Form mit unterer tracheoösophagealer Fistel sehr wahrscheinlich. Eingabe von Kontrastmittel (nur wasserlöslich!) ist in aller Regel überflüssig. Ein luftleeres Abdomen weist auf das Fehlen einer unteren, ein kleiner oberer Blindsack auf das Vorliegen einer oberen Fistel hin. Die endgültige Sicherung der anatomischen Variante lässt sich mittels Bronchoskopie und Ösophagoskopie in Narkose direkt vor der Korrekturoperation erreichen. Präoperativ sollte mittels Ultraschall bzw. Echokardiographie ein normaler, linksseitiger Verlauf des Aortenbogens gesichert werden. Weitere Fehlbildungen am Herzen, dem Urogenitalsystem, dem Magen-Darm-Trakt sowie der Wirbelsäule sind mittels Ultraschall zu suchen. Ferner empfiehlt sich die Blutentnahme für eine Chromosomenanalyse. 45.2.3 Operative Therapie Die Ösophagusatresie stellt in der Regel keine absolute Notfallindikation zur Operation dar, solange kein schweres Atemnotsyndrom besteht. Meist ist es günstiger, unter ständiger Saugung an der Sonde im oberen Blindsack das Kind zu stabilisieren. Abhängig von der Gesamtprognose ist das weitere Vorgehen festzulegen: 4 Bei Kindern der Risikogruppe I und einem erwarteten kurzen Abstand der Blindsäcke (Typ Vogt IIIb und IIIc; Spitz et al. 1994; . Tab. 45.2) sollte rasch eine primäre Korrektur vorgenommen werden. 4 Bei Kinder der Risikogruppe II und III kann es besser sein, zunächst eine Gastrostomie anzulegen und später die Anastomose durchzuführen. 4 Bei einem großen Abstand der Blindsäcke (≥6 Wirbelkörper, Typ II und IIIa nach Vogt) muss meistens primär die Fistel verschlossen und eine Gastrostomie, gegebenenfalls auch ein zervikales Ösophagostoma angelegt werden. Ein sofortiger Verschluss der unteren Fistel als Notfalleingriff ist bei rascher Verschlechterung der Atemsituation notwendig. Dies sollte, wenn möglich, mit einer endgültigen Korrektur durch eine End-zu-End-Anastomose kombiniert werden.
. Abb. 45.4. Typen der Ösophagusatresie nach Vogt
45 Vogt II
Vogt IIIb
Vogt IIIa
Vogt IIIc
H - Fistel
45
791 45.2 · Ösophagusatresie
. Tabelle 45.2. Risikogruppen bei Kindern mit Ösophagusatresie
Gruppe
Geburtsgewicht
Herzfehler
Überlebensrate (%)
I
>1500 g
Kein Herzfehler
95
II
<1500 g
Oder Herzfehler
59
III
<1500 g
Mit Herzfehler
22
Nach 10 Tagen sollte die Anastomose mittels Kontrastmittelröntgen überprüft werden. Das thorakoskopische Vorgehen zur Ösophagusanastomose wird bisher nur von wenigen Kliniken geübt und ist noch als experimentell zu betrachten. Insbesondere bei isolierter Ösophagusatresie (Typ II) ohne tracheoösophageale Fistel kann der Abstand zwischen den Blindsäcken sehr groß und eine primäre Anastomose unmöglich sein. Bei diesen Kindern wird zunächst eine Gastrostomie angelegt und die endgültige Korrektur verschoben, die oft alleine durch spontanes Wachstum der Blindsäcke später möglich werden kann. Es wurde eine Vielzahl von zusätzlichen Techniken der Bougierung beschrieben. Sollte beim aufgeschobenen Eingriff der Abstand noch immer sehr groß sein, kann durch komplette Mobilisierung des unteren Ösophagus und durch zirkuläre oder spiralförmige Myotomie am oberen Blindsack dieser oft überwunden werden. Auch ist es möglich, aus dem weiten oberen Blindsack einen Vorderwandlappen zu bilden, der heruntergeschlagen und zu einem Rohr geformt einige Zentimeter überbrücken kann. Bei Versagen dieser Methoden muss der fehlende Ösophagus ersetzt werden. Dieses kann durch Kolon- oder Dünndarminterponation oder durch einen Magenhochzug geschehen. Insbesondere Letzterer wurde in den letzten Jahren zunehmend propagiert und bringt in der Mehrzahl der Kinder befriedigende funktionelle Ergebnisse (Spitz 1992).
. Abb. 45.5. Thorakoabdominelles Röntgenleerbild bei Ösophagusatresie Typ III b nach Vogt mit großem oberem Blindsack und Luft im Magen und Intestinum
Eine notfallmäßige Operation der Ösophagusatresie erfolgt nur bei schwerem Atemnotsyndrom.
45.2.4 Komplikationen und Prognose Die Korrekturoperation erfolgt bei normalem linksseitigem Aortenbogen über eine rechtslaterale Thorakotomie durch den 4. ICR. Durch stumpfes Abschieben der Pleura parietalis können auf diesem extrapleuralen Weg nach Durchtrennen der V. azygos die Ösophagusenden aufgesucht werden. Nach Absetzen und luftdichtem Verschluss der Fistel werden die Ösophagusanteile so präpariert, dass eine spannungsfreie Endzu-End-Anastomose möglich ist. Nach Eröffnen des oberen Blindsackes erfolgt diese mittels einer einreihigen Einzelknopfnaht nach Platzieren einer Magensonde. Bei extrapleuralem Vorgehen ist die Einlage einer Drainage fakultativ.
Postoperativ wird das Neugeborene auf der Intensivstation betreut. Eine längere und tiefere Sedierung und Beatmung sind jedoch nur bei größerer Spannung auf der Anastomose indiziert.
Eine frühe Komplikation ist die Anastomoseninsuffizienz, die bei ca. 15% der Patienten auftritt. Oft reicht eine Drainage als alleinige Maßnahme und es kommt zu einer spontanen Abheilung, nur selten ist eine operative Revision notwendig. Sehr viel häufiger, in bis zu 40% aller Fälle, kommt es im Verlauf zu Anastomosenstrikturen. In den meisten Fällen reicht es aus, die Anastomose ein- oder mehrfach zu bougieren, was mittels in Narkose eingeführter Bougies oder über eine endoskopisch durchgeführte Ballondilatation bewerkstelligt werden kann. Relativ selten kommt es zu einem Rezidiv der tracheoösophagealen Fistel, vor allem nach einer Anastomoseninsuffizienz. Hier bedarf es in aller Regel einer operativen Revision mit Verschluss der Rezidivfistel und Interponation von Weichteilgewebe zwischen Trachea und Ösophagus. Im weiteren Verlauf kommt es oft zu einem klinisch signifikanten gastroösophagealen Reflux. Bei entsprechenden Symptomen wird zunächst eine konservative Therapie eingeleitet, je-
792
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
doch wird bei einer Reihe dieser Patienten eine operative Beseitigung mittels einer Fundoplikatio notwendig. Einige Säuglinge mit Ösophagusatresie leiden an einer begleitenden Tracheomalazie, die zu bellendem Husten, in seltenen Fällen auch zu schwerwiegenden respiratorischen Problemen führt. In aller Regel besteht eine spontane Besserungstendenz und es kommt zu einer Normalisierung. So ist nur selten die operative Aortopexie indiziert, bei der über die Fixierung des Aortenbogens am Sternum eine indirekte Stabilisierung und Öffnung des Trachealrohres ermöglicht wird. Insgesamt hängt die Überlebenschance der Kinder mit Ösophagusatresie vom Vorkommen weiterer Fehlbildungen, insbesondere der kardialen Missbildungen und deren Auswirkungen und Korrekturmöglichkeiten ab. Eine recht zuverlässige Abschätzung der Prognose erlaubt die Gruppeneinteilung nach Waterston, die das Geburtsgewicht und eventuelle Herzfehler berücksichtigt (Spitz et al 1994; . Tab. 45.2).
Die Prognose der Ösophagusatresie ist vom Vorkommen weiterer (kardialer) Fehlbildungen abhängig.
45.3
Gastroösophagelaer Reflux
45.3.1 Pathogenese Aufstoßen und leichtes Hochbringen von Nahrung, vor allem nach einer Mahlzeit, ist bei Säuglingen sehr häufig und meistens kein Zeichen für einen pathologischen gastroösophagealen Reflux (GÖR). Ein solcher Reflux, der keine weiteren Symptome verursacht, kann als physiologisch gelten. Kinder, bei denen klinische Symptome auftreten, sollten einer Diagnostik und Therapie zugeführt werden. Ursächlich für einen pathologischen Reflux ist ein erniedrigter Druck im Bereich des unteren Ösophagussphinkters, kombiniert mit einem zu flachen His-Winkel im Kardiabereich. Überdies kommt eine Hiatushernie häufig vor. Kinder mit Ösophagusatresie, Zwerchfellhernie, Bauchwanddefekten, intestinaler Malrotation und solche mit zerebraler Retardierung sind prädisponiert für das spätere Auftreten eines GÖR. Wie beim Erwachsenen kommt es auch beim Kind zu einer Ösophagitis mit konsekutiven Ulzerationen und Narbenbildung, ferner zu rezidivierenden Aspirationen mit Pneumonitis. 45.3.2 Klinische Symptomatologie und Diagnostik
45
Neben dem Erbrechen können die Kinder durch nächtliches Weinen und Husten, einen Stridor, Schmerzen beim Schlucken oder auch durch Apnoeanfälle auffallen. Bei längerem Verlauf treten rezidivierende Pneumonien, Meläna, Dysphagie und Eisenmangelanämie auf. Schließlich kommt es zu einer Mangelernährung und einer Dystrophie. Für die primäre Diagnostik kann neben der Anamnese und der Suche nach okkultem Blut im Stuhl die Sonographie eingesetzt werden, um einen Reflux darzustellen und den Pylorus zu beurteilen. Sicherer ist jedoch die 24-Stunden-pH-Metrie im Ösophagus, jedoch verlangt diese eine stationäre Aufnahme. Die genauere Darstellung der Morphologie sollte durch ein Röntgen mit Kontrastmittelbreischluck erfolgen, insbesondere um
. Abb. 45.6. Obere Magen-Darm-Passage mit Kontrastmittel zur Darstellung eines »upside-down stomach« bei großer Hiatushernie und gastroösophagealem Reflux
eine Hiatushernie nachzuweisen oder auszuschließen und den Schweregrad des Refluxes festzulegen (. Abb. 45.6). Die Szintigraphie ist sehr sensibel für den Nachweis eines GÖR, einer Aspirationstendenz und die Bestimmung der Ösophagus-Clearence. Sie bietet aber oft zu den anderen, notwendigen Untersuchungen keine entscheidende zusätzliche Information. Ähnliches gilt für die technisch bei kleinen Kindern schwierige Ösophagusmanometrie. Bei entsprechender Symptomatik sollte eine Ösophagoskopie zur Beurteilung einer etwaigen Ösophagitis durchgeführt werden. Dies ist jedoch bei den meisten Kindern nur in Narkose möglich. 45.3.3 Therapie In aller Regel steht zunächst die konservative Therapie ganz im Vordergrund. Diese besteht in Hochlagerung des Oberkörpers, Eindicken der Nahrung sowie Gabe von vielen kleinen Mahlzeiten. Medikamentös kommen Antazida und H2-Blocker zum Einsatz. Nur bei Versagen der konservativen Therapie, d. h. bei anhaltendem Erbrechen, weiterhin rezidivierender Pneumonitis oder Apnoeanfällen ist die Operation zu erwägen. Diese ist auch indiziert bei schwerer Ösophagusstriktur oder einem Brachyösophagus und bei anhaltender Gedeihstörung sowie einer ausgeprägten Hiatushernie (. Abb. 45.6). Bei zerebral geschädigten Kindern sowie solchen mit den oben genannten anatomischen
793 45.4 · Hypertrophe Pylorusstenose
Anomalien sollte die Operationsindikation großzügiger gestellt werden. Das operative Vorgehen besteht aus einer Hiatoplastik mit evtl. Entfernung der Hernie, einer Fundoplikation und einer Gastropexie an der vorderen Bauchdecke. Die Fundoplikation kann auch bei Kindern mit dem Verfahren von Nissen durchgeführt werden, das aus der Erwachsenenchirurgie bekannt ist. In letzter Zeit hat jedoch die weniger radikale vordere Semifundoplikation nach Thal (1968) wegen der weniger schweren Gasretention vermehrt Anhänger gefunden. Auch eine Kombination von dieser mit einer partiellen hinteren Fundoplikation ergibt gute Resultate. In den vergangenen Jahren wurden zunehmend die Fundoplikation und Hiatoplastik auch bei Kindern laparoskopisch durchgeführt. Bei einem erfahrenen Operateur hat dies durchaus eine Berechtigung, insbesondere bei zerebral geschädigten Kindern, die dann eine deutlich raschere Erholung vom Eingriff erleben (von Schweinitz u. Till 2004). Postoperativ verbleibt die Magensonde über Nacht, ein vorsichtiger Nahrungsaufbau ist ab dem 2. postoperativen Tag möglich. 45.3.4 Komplikationen und Ergebnisse Als Komplikationen können vor allem ein Refluxrezidiv, ein Hernienrezidiv, eine distale Ösophagusstenose und nach offener Operation Probleme durch einen Verwachsungsbauch auftreten. Insgesamt hat die Operation eine Erfolgsquote von 80%, diese ist jedoch deutlich ungünstiger bei zerebral geschädigten Kindern oder solchen mit den genannten anatomischen Fehlbildungen. 45.4
Hypertrophe Pylorusstenose
45.4.1 Epidemiologie und Pathogenese Eine der häufigsten abdominellen Erkrankungen der frühen Säuglingszeit ist die hypertrophe Pylorusstenose. Kurz nach der Geburt kommt es zu einer Hypertrophie insbesondere der zirkulären Pylorusmuskulatur über einer Länge von 2–2,5 cm auf einen Durchmesser von 1–1,5 cm mit nachfolgender Stenosierung des Pyloruskanals. Die Ursache für diese Erkrankung, die bei 2–3 Kindern auf 1000 Geburten vorkommt, ist nicht sicher geklärt. Es scheint sich um ein multifaktorielles Geschehen zu handeln. Dabei spielt eine genetische Prädisposition sicher eine Rolle, worauf eine familiäre Häufung, eine Bevorzugung der weißen Rasse und eine deutliche Knabenwendigkeit (5:1) hindeuten. 45.4.2 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Wegen der Pylorusstenose kommt es zu anhaltendem schwallartigem Erbrechen und einer Wandhypertrophie des Magens, nachfolgend zu Säure-Base- und Elektrolytstörungen sowie Exsikkose und allmählich zu Mangelerscheinungen. Differenzialdiagnostisch sind ein ausgeprägter gastroösophagealer Reflux, Gastroenteritis, zunehmender Hirndruck und Stoffwechselstörungen zu bedenken. Ein allmählich zunehmendes, nichtgalliges Erbrechen im Alter von 2–4 Lebenswochen, das sich dann schwallartig präsentiert, deutet auf die hypertrophe
45
Pylorusstenose hin. Sichtbare peristaltische Wellen im linken und eine palpable Walze im rechten Oberbauch sind klare Zeichen für die Erkrankung, ebenso wie eine hypochlorämische Alkalose. Die Diagnose lässt sich in fast allen Fällen sonographisch sichern, indem der zu lange Kanal (>16 mm) und zu dicke (Durchmesser >5 mm, Wanddicke >4 mm) Pylorusmuskel dargestellt wird. Nur in Einzelfällen ist die Darstellung mittels Kontrastmittelröntgen notwendig.
Anhaltendes schwallartiges Erbrechen in der 2. bis 4. Lebenswoche mit Säure-Basen- und Elektrolytstörungen deutet auf eine hypertrophe Pylorusstenose hin.
45.4.3 Operative Therapie Obwohl bekannt ist, dass die hypertrophe Pylorusstenose eine selbstlimitierende Erkrankung ist, gilt als Therapie der Wahl die Pyloromyotomie nach Weber-Ramstedt (Ziegler et al. 2002), da ein konservatives Vorgehen eine Wochen andauernde Betreuung mit vielen kleinen Mahlzeiten mit gegebenenfalls einer parenteralen Ernährung bedeuten würde. Vor der Operation jedoch sollte der Säugling durch Infusionstherapie zum Ausgleich der Dehydratation sowie des Elektrolyt- und Säure-Base-Haushaltes stabilisiert werden. Bei der anschließenden Operation wird der verdickte Pylorusmuskel über eine kurze rechtsseitige Oberbauchlaparotomie oder einen semizirkulären Zugang über dem Nabel vor die Bauchdecke luxiert. An der wenig durchbluteten ventralen Zirkumferenz wird der Muskel in Längsrichtung vom Antrum bis zum Bulbus duodeni inzidiert; die Muskelfasern werden stumpf mit einer gebogenen Klemme auseinander gedrängt, bis die Schleimhaut offen liegt. Diese muss intakt bleiben (. Abb. 45.7). Ein kleiner Defekt kann mit einer dünnen, resorbierbaren Naht (7-0) verschlossen werden.
4–6 h nach der Operation kann mit dem Nahrungsaufbau begonnen werden. Bei Perforation der Pylorusschleimhaut oder extremer Magenwandhypertrophie sollte besser 24 h abgewartet werden. Der Nahrungsaufbau ist nach etwa 1 Tag abgeschlossen, sodass der Säugling je nach Befinden ab dem 3. Tag entlassen werden kann.
Gelingt die Myotomie ohne Mukosadefekt, kann der Kostaufbau nach 4–6 h postoperativ erfolgen.
In manchen Kliniken wird die Pyloromyotomie laparoskopisch durchgeführt. Hierbei wird der Pylorus mit 2 Nähten an der Bauchdecke vorübergehend fixiert und mit der monopolaren Nadel inzidiert. Angesichts der Einfachheit der offenen Operation, vor allem über einen periumbilikalen Zugang, hat sich die laparoskopische Technik nicht allgemein durchgesetzt.
794
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
. Abb. 45.7. Pyloromyotomie nach Weber-Ramstedt
45.4.4 Komplikationen Komplikationen sind bei korrekter Operationstechnik sehr selten. Jedoch können eine Peritonitis durch ein nicht erkanntes Schleimhautleck und auch ein Platzbauch bei Wundheilungsstörung lebensgefährliche Folgen haben. Anhaltendes oder wieder auftretendes Erbrechen deutet entweder auf eine ungenügende Myotomie hin oder ist Ausdruck eines anhaltenden, während der Pylorusstenose aufgetretenen gastroösophagealen Refluxes (Roviralta-Syndrom), der entsprechend behandelt werden muss. Späte Komplikationen der Erkrankung sind nicht beobachtet worden. 45.5
4 Verschluss oder eine weitgehende Stenosierung des Lumens durch eine Membran 4 Echte Atresie mit oder ohne fibröse Strangverbindung der getrennt liegenden Blindsäcke 4 Verschluss durch ein Pancreas annulare Letztere ist die häufigste Form. Über 80% der Duodenalatresien liegen distal der Gallengangseinmündung. Als Ursache für eine Membranbildung oder eine echte Atresie wird heute eine mangelhafte Rekanalisierung der Duodenalanlage in der 8. bis 10. Schwangerschaftswoche angesehen, während das Pancreas annulare wahrscheinlich durch Ausbleiben der Rotation der ventralen Pankreasanlage hinter das Duodenum entsteht.
Duodenalatresie 45.5.2 Klinische Symptomatologie und Diagnostik
45.5.1 Epidemiologie und Pathogenese Die angeborene Duodenalatresie kommt bei einem Kind auf 6000–7000 Lebendgeborene vor. Sie ist bei vielen Kindern mit weiteren Fehlbildungen assoziiert und tritt besonders häufig bei der Trisomie 21 (Mongolismus, M. Down) auf. Deshalb wird eine genetische Ursache angenommen. Prinzipiell können 3 Formen vorliegen (. Abb. 45.8):
45
Die meisten Kinder mit Duodenalatresie fallen bereits während der späten Schwangerschaft durch ein mütterliches Polyhydramnion und einen typischen Ultraschallbefund auf. Postnatal wird das Neugeborene rasch durch galliges Erbrechen bei geblähtem Oberbauch, eingefallenem unterem Abdomen und fehlendem Mekoniumabgang symptomatisch. Die Röntgenübersichtsaufnahme des Abdomens zeigt eine typische doppelte
. Abb. 45.8a–c. Formen der Duodenalatresie. a Membranöse Form, b komplette Atresie, c Pancreas annulare
aa
b b
cc
795 45.6 · Dünndarmatresien
45
Cave Beim Pancreas annulare darf der Gewebering nicht durchtrennt werden.
Nach 2–3 Tagen kann mit dem vorsichtigen Nahrungsaufbau begonnen werden, wenn über die Magensonde kein Sekretfluss mehr festzustellen ist. Die Gesamtprognose ist abhängig von möglichen weiteren Fehlbildungen (z. B. Herzfehler). Nahtinsuffizienzen oder spätere Passagestörungen sind sehr selten. 45.6
Dünndarmatresien
45.6.1 Epidemiologie und Pathogenese
. Abb. 45.9. Röntgenabdomenleeraufnahme mit doppeltem Spiegel bei Duodenalatresie
Spiegelbildung im Oberbauch mit luftleerem übrigem Abdomen (. Abb. 45.9). Bei einem solchen Bild erübrigt sich weitere bildgebende Diagnostik. Präoperativ sollten andere Fehlbildungen gesucht und eine Chromosomenanalyse eingeleitet werden. Mit Infusionstherapie sollte das Kind stabilisiert und eine eventuelle Dehydratation sowie Elektrolyt- und Säure-Base-Haushaltsstörungen ausgeglichen werden. Eine kräftige Magensonde soll den oberen Blindsack bis zur Operation entlasten. 45.5.3 Operative Therapie und Ergebnisse Die Laparotomie erfolgt über einen queren Oberbauchschnitt mit nachfolgender Mobilisierung der Duodenalanteile. Bei nicht unterbrochener Kontinuität des Duodenums erfolgt eine Längsinzision der antimesenterialen Wand. Die verschließende Membran wird gespalten oder allenfalls lateral partiell exzidiert. Eine komplette Exzision ist nur erlaubt, wenn zuvor die Papille eindeutig aufgefunden wurde und nicht im Bereich der Membran gelegen ist. Bei einer echten Atresie und einem Pancreas annulare wird die Kontinuität mit einer Duodenoduodenostomie wiederhergestellt. Am besten hat sich bewährt, den großen oberen Blindsack quer und den kleinen unteren antimesenteriell längs zu öffnen. Bei der anschließenden Anastomosierung kommt es zu einer diamantförmigen Verbindung, die hinsichtlich der Passage und etwaiger Nahtinsuffizienz die besten Ergebnisse ergeben hat (Kimura et al. 1990).
Im Gegensatz zur Duodenalatresie sind die jejunoilealen Atresien eine der häufigsten Darmobstruktionen bei Neugeborenen. Eine genetische Determination konnte hier nicht festgestellt werden, selten finden sich Begleitfehlbildungen. Vielmehr sind die Atresien in der überwiegenden Mehrzahl auf Ereignisse während der späteren Fetalzeit zurückzuführen, die mit einer Durchblutungsstörung oder schweren Entzündung von Dünndarmanteilen einhergehen. Hierzu gehören die Laparochisis, intrauteriner Volvulus oder Invagination, aber auch Passagestörungen mit Darmperforation bei zystischer Fibrose oder M. Hirschsprung sowie auch Entzündungen, z. B. nach Gabe von Farbstoffen wie Methylenblau in das Fruchtwasser zur Fruchthöhlenmarkierung, das vom Fötus geschluckt wird. Anatomisch finden sich unterschiedliche Formen, die wie folgt klassifiziert sind (O’Neill et al. 2003): 4 Typ I: solitäre Membranatresie mit erhaltener Darmkontinuität (. Abb. 45.10a) 4 Typ II: solitäre Atresie mit fibrösem Strang (. Abb. 45.10b) 4 Typ IIIa: solitäre Atresie ohne Verbindung der Enden (. Abb. 45.10c) 4 Typ IIIb: solitäre Atresie in der sog. »Apple-peel«-Formation mit einem nicht fixierten Mesenterium commune (. Abb. 45.10d) 4 Typ IV: multiple Atresien (. Abb. 45.11) Immer ist der proximale Blindsack stark aufgeweitet und der postatretische Darm um ein Vielfaches dünner. Gelegentlich münden beide Darmenden in eine große abgekapselte Höhle, die sich nach intrauteriner Perforation und nachfolgender Mekoniumperitonitis gebildet hat. Nach intrauterinem Volvulus können auch längere Darmabschnitte zugrunde gegangen sein, und es besteht bereits primär ein Kurzdarmsyndrom. 45.6.2 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Ein Polyhydramnion entsteht bei ca. ¼ der Fälle. Häufig wird die Dünndarmatresie bereits beim pränatalen Ultraschall festgestellt. Postnatal können Symptome auch verzögert auftreten. Es zeigt sich ein aufgetriebenes Abdomen, hochgestellte Peristaltik und teilweise galliges Erbrechen. Mekonium wird oft noch initial abgesetzt. Die Sonographie zeigt erweiterte Darmschlingen mit teilweise vermehrter Peristaltik. Diagnostisch ist besonders das Rönt-
796
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
a
b
d
c
. Abb. 45.10a–d. Formen der Dünndarmatresie. a Typ I: membranöse Atresie mit intakter Darmwand und Mesenterium; b Typ II: komplette Atresie mit fibrösem Strang; c Typ IIIa: komplette Atresie mit fehlendem Mesenterium; d Typ IIIb: »Apple-peel«-Atresie
stellen und einen M. Hirschsprung auszuschließen sowie um die Lage des Zökums im Hinblick auf eine mögliche Rotationsanomalie zu lokalisieren. Eine antegrade Kontrastmitteldarstellung ist gefährlich und fast nie indiziert. Differenzialdiagnostisch kommen vor allem eine Aganglionose (M. Hirschsprung) und ein Mekoniumileus in Betracht, die beide eine andere therapeutische Strategie benötigen. Cave Bei Verdacht auf Dünndarmatresie keine antegrade Kontrastmitteldarstellung.
45.6.3 Operative Therapie
45
. Abb. 45.11. Intraoperativer Situs bei multiplen Dünndarmatresien (Typ IV)
genübersichtsbild des Abdomens, das mehrere Spiegel aus Ausdruck des Darmverschlusses zeigt (. Abb. 45.12). Je nach Zahl und Lokalisation der Dünndarmspiegel kann ungefähr die Höhe des proximalsten Verschlusses geschätzt werden. Viele Kinderchirurgen führen einen Kontrastmitteleinlauf von rektal durch, um zwischen einem Dünn- und Dickdarmverschluss zu unterscheiden, ein intrauterin nicht befahrenes Mikrokolon festzu-
Präoperativ müssen eine mögliche Dehydratation sowie Elektrolyt- und Säure-Base-Haushaltsverschiebungen ausgeglichen werden. So stabilisierte Neugeborene sollten danach zügig der Operation zugeführt werden. Nach einer queren Oberbauchlaparotomie muss das weitere Vorgehen individuell vom Befund und der Gesamtsituation des Kindes abhängig gemacht werden. Prinzipiell kann gelten, dass bei reifem und stabilem Kind und nur mäßiger präatretischer Dilatation nach Resektion eines kurzen Stückes des proximalen Blindsackes eine primäre End-zuEnd-Anastomose durchgeführt werden kann. Dies geschieht mittels der im 7 Kap. 45.1.3 geschilderten Techniken. Bei stabilen
797 45.7 · Malrotationsanomalien des Darms
45
fortgeführt werden muss. Zeigt der Darm eine gute Peristaltik und wird Mekonium abgesetzt, ist es günstig, für einige Tage dem Säugling nur sehr kleine Mengen Muttermilch zu verabreichen, um die Produktion der Verdauungsenzyme und den enterohepatischen Kreislauf zu initiieren sowie eine gerichtete Peristaltik anzuregen. Der Nahrungsaufbau muss dann sehr vorsichtig erfolgen. 45.6.4 Ergebnisse und Prognose Mögliche Komplikationen sind neben Stenosierung und Insuffizienz einer Anastomose, die eine Relaparotomie bedingen würden, vor allem eine Sepsis und eine erneute Obstruktion durch Verwachsungen. Insgesamt versterben heute unter 25% aller Säuglinge mit einer Dünndarmatresie. Die Mortalität ist jedoch deutlich höher bei Kindern mit multiplen Atresien (57%), »Apple-peel«-Formation (71%), Mekoniumperitonitis (65%) und Laparochisis (66%). Die Prognose ist besonders schlecht bei Kurzdarmsyndrom. Hier ist eine parenterale Langzeiternährung notwendig mit oft konsekutivem Leberschaden und Sepsis. Bei einigen Kindern können operative Maßnahmen wie die Darmverlängerung nach Bianchi (7 Kap. 45.4) die Situation verbessern, für wenige Kinder ist eine Dünndarmtransplantation, gegebenenfalls kombiniert mit einer Lebertransplantation, eine therapeutische Option. 45.7
Malrotationsanomalien des Darms
45.7.1 Pathogenese . Abb. 45.12. Röntgenabdomenleerbild mit multiplen Dünndarmspiegeln und leerem Unterbauch bei Jejunalatresie
Kindern mit stark dilatiertem proximalem Blindsack ist ebenfalls eine primäre Anastomose anzustreben. Jedoch muss hier zunächst der gesamte, massiv aufgeweitete proximale Darm reseziert und/oder im Sinne eines »tapering« verschmälert werden. Bei Frühgeborenen, instabilen Kindern, nach abgelaufener schwerer oder noch vorhandener Entzündung (Mekoniumperitonitis) oder bei schlecht durchblutetem Darm sollte zunächst nur ein Anus praeter angelegt werden. Hierfür werden am einfachsten die beiden atretischen Darmschenkel als doppelläufiger Kunstafter oder getrennt voneinander ausgeführt. Bei multiplen Atresien können mehrere Anastomosen notwendig sein, um nicht zu viel Darmlänge zu verlieren, gelegentlich auch die Anlage mehrerer Kunstafter (. Abb. 45.11). Besonders heikel ist die Operation bei der »Apple-peel«-Formation, da eine iatrogene Beeinträchtigung der Blutversorgung im schmalen, leicht drehbaren Mesenterium commune zu einer Gangrän des gesamten Dünndarms führen kann. Postoperativ können manche Kinder nach einer einfachen Anastomose oder einer Kunstafteranlage bereits nach wenigen Tagen beginnend ernährt werden. Oft jedoch bedarf es einer sehr viel längeren, gelegentlich einer mehrwöchigen Wartezeit, bis der Darm funktionell in der Lage ist, eine normale Passage zu gewährleisten. Bei diesen Kindern muss frühzeitig mit einer vollen parenteralen Ernährung über einen zentralen Venenkatheter begonnen werden, die bis zum vollständigen Nahrungsaufbau
Während der frühen Schwangerschaft ist das Wachstum des Darms schneller als das der Körperhöhle. Deshalb kommt es normalerweise zu einer Herniation in der 4. Schwangerschaftswoche und die weitere Entwicklung des Darms findet im sog. physiologischen Nabelbruch statt. Hier durchläuft der Darm 2-mal eine Drehung um 90° gegen den Uhrzeigersinn, wobei sich die duodenojejunale Schleife und die iliozökale Schleife getrennt voneinander jeweils um die Achse der A. mesenterica superior drehen. In der 10. bis 11. Schwangerschaftswoche wird der Darm wieder in die Peritonealhöhle zurückverlagert. Hierbei durchlaufen die beiden Schlingen jeweils eine nochmalige Drehung um 90°, sodass insgesamt 270° erreicht werden. In der 12. Schwangerschaftswoche schließlich kommt es zur Fixierung des Colon ascendens und descendens sowie der Mesenterialwurzel an der Abdomenhinterwand. Verschiedene Störungen dieses Ablaufes sind bekannt. Am häufigsten ist die Nonrotation, bei der der Dünndarm im rechten und der Dickdarm im linken Abdomen verbleibt, was für einen Volvulus prädisponiert. Inkomplette oder reverse Rotationen der duodenojejunalen Schleife bei normaler Rotation der ileozökalen Schleife mit Fixationsbestrebung des Kolons führt zu verschiedenen Lageanomalien, die häufig Passagestörungen und strangulierenden Bindegewebssträngen, inneren Hernien und/oder nachfolgendem Volvulus um den nichtfixierten Mesenterialstiel bedingen. Dasselbe gilt für Rotationsstörungen der ileozökalen Schleife, die ebenfalls bei normaler oder auch gestörter Rotation der duodenojejunalen Schleife vorkommen können. Rotationsanomalien, am häufigsten eine Nonrotation, kommen immer bei kongenitaler Zwerchfelllücke und Bauchwanddefekten (Laparo-
798
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
chisis und Omphalozele) vor. Sie sind häufig bei anderen Fehlbildungen, insbesondere assoziiert mit Ösophagus-, Duodenalund anorektalen Atresien. 45.7.2 Klinische Symptomatik und Diagnostik Malrotationen können lebenslang symptomlos bleiben. Ansonsten treten klinische Symptome in 65% im ersten Lebensmonat, 22% im 2. bis 12. Lebensmonat und der Rest bei Kleinkindern auf. Je nach Art der Malrotation können ein kompletter oder inkompletter Verschluss im Duodenum, Dünndarm oder Kolon und/oder ein Volvulus mit Durchblutungsstörung vorliegen (. Abb. 45.13). Entsprechend sind die Symptome variabel mit Erbrechen, kolikartigen Schmerzen, Schocksymptomatik und Dehydratation. Auf der Röntgenabdomenübersichtsaufnahme kann die Luftverteilung im Abdomen beurteilt werden. Mit der Sonographie wird eine hypertrophe Pylorusstenose und eine Invagination ausgeschlossen und die Darmerweiterung, ggf. auch die Durchblutung des Mesenteriums, dargestellt. Ein Röntgenkontrasteinlauf stellt die Lage des Kolons dar und gibt so Hinweis auf eine Malrotation. Bei protrahierten Verläufen mit subakuter klinischer Symptomatik kann eine antegrade Untersuchung mit wasserlöslichem Kontrastmittel indiziert sein, um eine genauere Diagnose zu stellen.
Hauptsymptom der Malrotation ist die Passagestörung, häufig verursacht durch Bindegewebsstränge über dem Duodenum (Ladd-Bänder).
individuell gewählt werden. Dabei sollten die folgenden Prinzipien befolgt werden: Nach querer Oberbauchlaparotomie sollte das gesamte Darmpaket vor den Bauch eviszeriert werden, um sofort einen Volvulus festzustellen und die Lage der Darmschlingen zueinander zu identifizieren (. Abb. 45.13). Danach sollte ein Volvulus sofort detorquiert werden (meistens gegen den Uhrzeigersinn), wonach der Dünndarm auf gangränöse Abschnitte und Perforationen abzusuchen ist. Anschließend werden alle obstruierenden Gewebsstränge, vor allem über dem Duodenum (Ladd-Bänder) gelöst. Verwachsungen zwischen den Darmschlingen werden getrennt. Alle Obstruktionen des zuführenden Duodenums und Dünndarms werden beseitigt, die Durchgängigkeit des gesamten Darms wird mittels Spülung überprüft. Oft ist es einfacher, den Situs in einer Nonrotation zu belassen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Überführung in eine normale Position mit Fixierung der Treitz-Flexur und des Zökums in korrekter anatomischer Lage keine Vorteile bringt. Je nach Position sollte eine Entfernung der Appendix erwogen werden, um einer späteren Appendizitis an einer abnormen Stelle vorzubeugen.
Wenn bei ausgedehnter Darmgangrän teilweise nur mäßig durchblutete Abschnitte zurückgelassen werden müssen, sollte ein Zweiteingriff nach 1–3 Tagen fest eingeplant werden. Postoperativ ist die Erholung des Darms von der Dauer der Obstruktion und dem Schweregrad der Durchblutungsstörung abhängig. Bei länger notwendiger Nahrungskarenz sollte das Kind parenteral ernährt werden. Insgesamt ist die Prognose günstig, lediglich beim Kurzdarmsyndrom ist die Mortalität hoch.
45.7.3 Operative Therapie und Ergebnisse 45.8 Bei akuter Symptomatik besteht eine absolute Operationsindikation, nachdem das Kind mit einer Magensonde versorgt ist und eine Infusionstherapie eingeleitet wurde. Bei geringer chronischer oder intermittierender Symptomatik kann der Operationszeitpunkt elektiv gewählt werden. Das operative Vorgehen muss je nach Form der Malrotation und Befund während des Eingriffes
45
Mekoniumileus
45.8.1 Pathogenese und Epidemiologie Durch Ansammlung von zu zähem und festem Mekonium kann es insbesondere im terminalen Ileum zu einer kompletten Obstruktion kommen. Die häufigste Ursache hierfür ist die zystische Fibrose oder Mukoviszidose, die zu einer pathologischen biochemischen Zusammensetzung des Dünndarmstuhles führt. Neben den schweren pulmonalen Veränderungen, der Lebererkrankung und der Pankreasinsuffizienz tritt der Mekoniumileus bei 10–20% aller Kinder mit einer zystischen Fibrose auf. Schon intrauterin kann das Krankheitsbild zu einer Darmperforation mit Mekoniumperitonitis und Darmatresie führen. Häufiger jedoch werden die Kinder erst postnatal symptomatisch. So unterscheidet man zwischen unkompliziertem Mekoniumileus mit eingedicktem Mekonium vor der Ileozökalklappe und komplizierten Fällen mit Volvulus, Perforation, Atresien, Peritonitis und Sepsis. 45.8.2 Klinische Symptomatologie und Diagnostik
. Abb. 45.13. Dünndarmvolvulus bei Malrotation
Pränatal werden im Ultraschall insbesondere die oben genannten Folgen der Obstruktion entdeckt. Postnatal entwickeln sich Erbrechen, geblähtes Abdomen, mangelnder Mekoniumabgang, Schock und Sepsis als Zeichen des Obstruktionsileus und
799 45.9 · Invagination
der nachfolgenden Infektion sowie eventueller Perforation. Differenzialdiagnostisch sind die anderen Ursachen für neonatale intestinale Obstruktionen einzubeziehen. Insbesondere können der M. Hirschsprung und das Mekoniumpfropfsyndrom des distalen Kolons eine ähnliche Symptomatik bieten. Radiologisch finden sich in der Abdomenübersichtsaufnahme erweiterte Darmschlingen mit Spiegeln sowie eine körnerartige Darstellung des eingedickten Mekoniums im rechten Unterbauch. Bei abgelaufener Perforation sieht man Verkalkungen und gelegentlich eine große Höhle als Hinweis auf einen komplizierten Mekoniumileus. Mit einem Kontrastmitteleinlauf ist ein Mikrokolon darstellbar. Die Sonographie bietet zunehmend bessere Möglichkeiten der Darstellung der Pathologie im rechen Unterbauch. 45.8.3 Therapie und Prognose Bei klinisch und radiologisch unkompliziertem Mekoniumileus ist der therapeutische Einsatz eines hohen Einlaufes mit 1:3 verdünntem Gastrografin, ggf. kombiniert mit Azetylcystein gerechtfertigt. Dieser sollte durch einen erfahrenen Kinderradiologen in Operationsbereitschaft durchgeführt werden, da die Perforationsgefahr hoch ist. Ist der Einlauf genügend hoch bis in das terminale Ileum, ist die Erfolgsrate bis zu 55%. Bei Versagen dieser Therapie oder kompliziertem Mekoniumileus ist die Operation indiziert. Dabei soll insbesondere der Darm vom zähen Mekonium entleert werden. Dies geschieht am besten über eine ileale Enterostomie und Spülung des Darms über einen weichen Katheter mit physiologischer NaCl-Lösung, N-Azetylcystein oder Gastrografin. Wenn eine weiter bestehende intraluminäre Obstruktion befürchtet wird, kann ein Spülkatheter durch die Bauchdecke in das Darmlumen eingelegt werden. Nur selten ist ein Anus praeter indiziert, der dann in der Regel als eine Bishop-Koop-Fistel (7 Kap. 45.1) angelegt wird. Bei Vorliegen einer Darmperforation, einer Atresie oder einer Mekoniumperitonitis müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Postoperativ sind oft Intensivtherapie mit Gabe von Breitbandantibiotika und totaler parenteraler Ernährung notwendig. Zur möglichst raschen Diagnose einer zystischen Fibrose sollte sofort die molekulargenetische Diagnostik auf Mutationen des F-508-CF-Gens eingeleitet werden, da ein Schweißtest beim Neugeborenen schwierig ist. Die Gesamtprognose ist im Wesentlichen von der Ausprägung der Mukoviszidose abhängig. Sie ist deutlich schlechter beim komplizierten Mekoniumileus, insbesondere wenn sehr viel Darm durch Nekrose nach einem Volvulus verloren gegangen ist.
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2. Hälfte des ersten Lebensjahres stellt einen Höhepunkt dar. Die Ursache bleibt in der Regel unklar, nur in unter 10% der Fälle findet sich eine Leitstruktur, wie ein Meckel-Divertikel, ein Polyp oder vergrößerte mesenteriale Lymphknoten. Die häufigste Form ist die ileozökale Invagination, bei der der Invaginationskopf in der Regel das Colon transversum erreicht. Jedoch kommen auch ileoileale und kolokolische Invaginationen vor. 45.9.2 Klinische Symptomatik und Diagnostik Sehr typisch ist der plötzliche Beginn mit abdominellen Schmerzen, sodass die Kinder plötzlich schreien, sich krümmen und erbrechen. Dies tritt öfters nach fieberhaften Infekten, vor allem im Rahmen einer Gastroenteritis auf. Danach werden die Kinder eher apathisch und die Schmerzsymptomatik bessert sich. Schließlich stellen sich auch Zeichen der Dehydratation ein. Bei der Untersuchung ist das Abdomen weich, gelegentlich meteoristisch, die Darmgeräusche eher spärlich. Oft kann man das Invaginat als walzenförmigen Tumor im rechten Oberbauch tasten. Blutabgang bei der rektalen Untersuchung ist ein Spätzeichen der Erkrankung. Mit modernen Ultraschallgeräten lässt sich heute die Diagnose Invagination sicher stellen (. Abb. 45.14) oder ausschließen, ein Röntgenkontrastmitteleinlauf ist nur selten notwendig.
Der Mekoniumileus kann in über der Hälfte der Fälle durch einen hohen Gastrofineinlauf beseitigt werden (cave Perforationsgefahr!).
45.9
Invagination
45.9.1 Epidemiologie und Pathogenese Die Einstülpung eines Darmanteils in einen anderen ist ein sehr typisches Krankheitsbild für das Säuglings- und Kleinkindesalter. Die Invagination ist häufiger beim Knaben als beim Mädchen, die
. Abb. 45.14. Sonographische Darstellung eines ileozökalen Invaginates im Querschnitt (konzentrisches Ringzeichen)
800
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
45.9.3
Therapie und Ergebnisse
Die Therapie der Wahl für alle Kinder, bei denen noch keine Zeichen für eine Darmgangrän mit Peritonitis bestehen, ist die hydrostatische Devagination. Insbesondere bei länger dauernder Anamnese sollte das Manöver unter Operationsbereitschaft durchgeführt werden. In Sedierung und nach Anlage einer intravenösen Infusion erfolgt der hohe Einlauf mit physiologischer NaCl-Lösung oder Ringerlaktat unter sonographischer Kontrolle bis zur vollständigen Reposition des Invaginats. Eine in vielen Kliniken angewandte weitere Möglichkeit ist die Reposition der Invagination mit Röntgenkontrastmittel unter Durchleuchtung. Diese Methode mag eine erhöhte Sicherheit der kompletten Devagination im Vergleich zum Ultraschall ergeben. Mancherorts wird die Reposition auch durch Luftinsufflation erreicht, die kontrollierende Bildgebung erfolgt hier ebenfalls mit Röntgendurchleuchtung. Bei Zeichen einer Peritonitis und dem Verdacht auf bereits eingetretene Darmwandgangrän oder bei Nachweis einer Raumforderung als Ursache der Invagination ist die Laparotomie über einen queren Oberbauchschnitt indiziert. Dasselbe gilt bei erfolglosem konservativem Repositionsversuch oder einem 3. oder 4. Rezidiv einer Invagination. Dann wird die Invagination vorsichtig manuell reponiert, eine Zökopexie und Fixierung des Ileums am Zökum ist fakultativ. Bei unmöglicher Reposition, ausgeprägter Darmwandgangrän oder einem Tumor erfolgt die Resektion mit End-zu-End-Anastomose. In jüngster Zeit hat sich die konservativ nicht reponible Invagination als eine Indikation zur Laparoskopie herausgestellt, die teilweise gute Erfolge gezeigt hat. Die Erfolgsrate der hydrostatischen Devagination liegt bei 70%, die Rezidivrate beträgt hier ca. 20%. Nach chirurgischer Devagination ist letztere 3%. Komplikationen können vor allem nach Laparotomie durch Verwachsungen auftreten. Die Sterblichkeit ist bei korrekter Therapie minimal. 45.10
Appendizitis
45.10.1 Epidemiologie, klinische Symptomatologie
schwer kranken Kind und häufig Durchfall. Bei der überwiegenden Mehrzahl dieser Kinder besteht bei Krankenhauseintritt bereits eine Perforation.
45.10.2 Operative Therapie und Ergebnisse Die Operation erfolgt beim Kind in derselben Weise wie beim Erwachsenen mit einem Zugang im rechten Unterbauch und Entfernung der Appendix. Die Einlage einer Drainage sowie die Durchführung einer Spülung bei Perforation werden kontrovers diskutiert. Beides hat nach neueren Untersuchungen keinen wesentlichen zusätzlichen Effekt. Kinder sollten jedoch bei perforierter Appendizitis über mehrere Tage eine intravenöse antibiotische Therapie erhalten. Auch bei Kindern ist die laparoskopische Appendektomie gut etabliert. Die Vorteile sind jedoch nicht so eindeutig wie beim Erwachsenen und kommen nur bei älteren Kindern vor allem mit einer Adipositas zum Tragen. Bei nachgewiesener Perforation mit perityphlitischem Abszess kann zunächst konservativ mit Antibiotika behandelt werden, um nach 6–10 Wochen die Intervallappendektomie durchzuführen. So genannte Gelegenheitsappendektomien anlässlich anderer Eingriffe sollten bei Kindern nur bei Fehlbildungen mit Lageanomalien der Appendix (z. B. Malrotation) vorgenommen werden. Postoperativ erholen sich Kinder in der Regel rasch. Ein Kostaufbau ist meistens nach 1–2 Tagen möglich, die Mobilisierung problemlos. Als Komplikationen müssen Nachblutung, Stumpfinsuffizienz und Abszessbildung beachtet werden. Die Mortalität ist sehr gering, die Rate von Adhäsionen und Tubendysfunktionen bei Mädchen nach perforierter Appendizitis jedoch hoch. 45.11
Meckel-Divertikel
45.11.1 Epidemiologie und Pathogenese
und Diagnostik
45
Die akute Appendizitis hat einen Häufigkeitsgipfel im Schulalter. Sie kommt jedoch selten auch schon bei Kleinkindern und Säuglingen vor. Die Symptomatik im Schulalter ist meist typisch mit Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Die Bauchschmerzen finden sich zunächst im Oberbauch und verschieben sich dann in den rechten Unterbauch. Die klinische Symptomatik sowie Laborparameter gleichen denen bei jungen Erwachsenen (7 Kap. 34). In letzter Zeit hat sich bei Kindern zunehmend die Sonographie als diagnostisches Hilfsmittel bewährt. Mit ihr ist es oft möglich, eine verdickte Appendix darzustellen, ferner können andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Die häufigste Differenzialdiagnose bei Kindern sind Gastroenteritis, Lymphadenitis mesenterialis, Obstipation, Harnwegsinfektion und Pleuropneumonie.
Bei Kleinkindern ist der Verlauf der Appendizitis deutlich rasanter als bei älteren Kindern und die Symptomatik untypisch. Man findet oft hohes Fieber, einen weichen Bauch bei einem 6
Das Meckel-Divertikel als Rest des fetalen Ductus omphaloentericus ist die häufigste intestinale Fehlbildung und findet sich bei 2% der Bevölkerung. Wegen des möglichen Vorkommens von ektoper Magenschleimhaut im Divertikel und oft verbliebener strangförmiger Verbindung zum Nabel wird es gelegentlich akut symptomatisch. Im Säuglingsalter führt es am häufigsten zu intestinaler Obstruktion, im Kleinkindesalter ist es die häufigste intestinale Blutungsquelle. Selten kann es im Kindesalter auch zu einer Divertikulitis kommen. 45.11.2 Klinische Symptomatologie
und Diagnostik Je nach Erkrankung treten Symptome eines Ileus mit Schmerzen, Erbrechen und geblähtem Abdomen oder eine rezidivierende schmerzlose intestinale Blutung auf. Entsprechend richtet sich danach die Diagnostik. Das Meckel-Divertikel ist weder im Ultraschall noch radiologisch sicher zu identifizieren. Bei Verdacht auf ektope Magenschleimhaut und nichtakuter Symptomatik kann eine 99mTechnetium-Szintigraphie durchgeführt werden, die eine
45
801 45.12 · Nekrotisierende Enterokolitis
. Abb. 45.15. Meckel-Divertikel
relativ hohe Sensitivität aufweist. Im Zweifel lässt sich die Diagnose sicher laparoskopisch stellen oder ausschließen. 45.11.3 Operative Therapie und Ergebnisse Bei akutem Ileus wird in der Regel eine Laparotomie durchgeführt, bei der das Divertikel abgetragen oder über eine Dünndarmsegmentresektion entfernt wird (. Abb. 45.15). Bei nichtakuter Symptomatik oder Blutung ist eine Laparoskopie gerechtfertigt. Bei einer relativ schmalen Basis kann dabei das Divertikel entfernt werden, sonst kann auf die offene Laparotomie umgestiegen werden. Bei zufälligem Auffinden eines Meckel-Divertikels anlässlich einer anderen Operation (z. B. Appendektomie) sollte dieses ebenfalls entfernt werden. Komplikationen sind selten und die Prognose ist in aller Regel ausgezeichnet. 45.12
Nekrotisierende Enterokolitis
45.12.1 Epidemiologie und Pathogenese Die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) kommt überwiegend nur bei sehr unreifen Frühgeborenen vor. So hat ihre Häufigkeit nach Aufbau der Frühgeborenenintensivstationen seit 1970
weltweit stark zugenommen, und man rechnet mit 3 Erkrankungsfällen auf 1000 lebend geborene Kinder. Fast ausschließlich sind Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht <1500 g betroffen. Bei dieser Erkrankung kommt es ca. 10 Tage nach der Geburt, meist nach Beginn einer enteralen Ernährung zu einer sich rasch ausbreitenden, gangränösen Entzündung des Dünn- und Dickdarms. Durchblutungsstörungen des Darms spielen eine wichtige Rolle mit Schwerpunkt im Ileozökalbereich, dem Endstromgebiet der A. mesenterica superior. Bei anschließenden Reperfusionsprozessen trägt die Bildung von Sauerstoffradikalen zur Entzündung bei. Wichtig ist auch eine Besiedelung des Darms mit selektierten Bakterien (Enterobacteriacaea, Clostridien, Klebsiellen, E. coli) unter der Antibiotikadauertherapie der Kinder. Hierzu trägt die oft notwendige Ernährung der Frühgeborenen mit künstlicher Säuglingsmilch bei, die einen guten Nährboden für Bakterien bietet, aber – im Gegensatz zur Muttermilch – keine protektiven Substanzen enthält, die das funktionsarme, immature Immunsystem der Frühgeborenen unterstützen würden. Sowohl die bakterielle Translokation durch die Darmwand als auch die Ausschüttung von Endotoxinen sind wichtige Faktoren bei der NEC. Die genaue Pathogenese ist noch nicht bekannt. Weltweite klinische und experimentelle Studien haben jedoch verschiedene ätiologisch wichtige Faktoren herauskristallisiert, die in ihrem Zusammenspiel zu dem Krankheitsbild führen können. 45.12.2 Klinische Symptomatologie
und Diagnostik Im Vordergrund stehen meist die Zeichen der Darmwandischämie mit aufgetriebenem Abdomen, fehlender Peristaltik, galligem Erbrechen und Absetzen von blutigen Stühlen. Gelegentlich sind jedoch auch die Symptome der Sepsis bis zum septischen Schock überwiegend. Auch bei fortgeschrittener Peritonitis und Perforation bieten Frühgeborene nicht den typischen »brettharten« Bauch. Vielmehr kommt es zu einer Infiltration der Bauchdecken mit Schwellung, Rötung und schließlich Gangrän (. Tab. 45.3). . Tab. 45.3 gibt auch eine Übersicht über die klinischen Stadien der NEC (Bell et al. 1978) sowie die Zeichen in der Röntgenabdomenleeraufnahme (. Abb. 45.16). Kontrastmitteldarstellungen sind kontraindiziert. Soweit es der Zustand des Kindes erlaubt, kann im Frühstadium sonographisch bereits Gas in der
. Tabelle 45.3. Klinische Stadien der nekrotisierenden Enterokolitis (NEC)
Stadium
Symptome
Röntgen
Sonographie
Therapie
Überleben (%)
I: NEC-Verdacht
Geblähter Bauch, Erbrechen
Subileus
Weich, atone Darmschlingen
Konservativ
100
II: NEC sicher
Zusätzlich: Abdomen gespannt, Blutung
Ileus, Pneumatosis intestinalis, Pfortadergas
Wie oben, plus Gasblasen in Pfortader
Konservativ
95
III: NEC fortgeschritten
Wie oben, dazu Schock, respiratorische und Kreislaufinsuffizienz, Bauchdecken infiltriert
Wie oben, Pneumoperitoneum
Wie oben, plus Flüssigkeit im Abdomen
operativ
50
802
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
. Abb. 45.17. Nekrotisierende Enterokolitis mit ausgedehnter Dünndarmgangrän
. Abb. 45.16. Röntgenabdomenleerbild bei nekrotisierender Enterokolitis mit Pneumatosis intestinalis und erweiterten Darmschlingen
Pfortader gesehen werden, was heute eine frühere Diagnose der Krankheit erlaubt. Weitere Labordiagnostik muss die Entzündungsparameter, die Gerinnungssituation, die Nierenleistung, die Leberparameter sowie mikrobiologische Untersuchungen umfassen. 45.12.3 Therapie und Ergebnisse
45
Schon bei ersten Anzeichen einer NEC und Vorliegen der Risikofaktoren muss eine konsequente Therapie eingeleitet werden. Sie umfasst komplette Nahrungskarenz, Legen einer Magensonde, hoch dosierte Breitbandantibiose, parenterale Ernährung sowie Intensivtherapie inkl. künstlicher Beatmung. Radiologische Kontrollen sollten alle 6 h vorgenommen werden.
Eine Operationsindikation ergibt sich bei Verschlechterung unter konservativer Therapie und bei einer Perforation. Idealerweise sollte einerseits die Laparotomie weitestgehend vermieden werden, dennoch sollte man einer Perforation zuvorkommen.
Deshalb muss auch der Chirurg gefährdete Kinder häufig genug selbst klinisch untersuchen. Eine radiologisch bei Kontrollen an einer Stelle im Abdomen »fixierte« Darmschlinge ist verdächtig auf fortgeschrittene Gangrän. Einige Autoren empfehlen die Durchführung einer Parazentese mit einer dünnen Nadel, um peritoneale Flüssigkeit zur Diagnostik zu aspirieren. Die Laparoskopie ist bei diesen sehr unreifen Frühgeborenen nicht etabliert. Bei der Laparotomie über einen queren Oberbauchschnitt ist der Darm genau zu beurteilen und muss extrem vorsichtig behandelt werden (. Abb. 45.17). Vollkommen nektrotische Anteile werden sparsam reseziert, die verbliebenen Darmanteile meistens am einfachsten als endständiger Anus praeter ausgeleitet. Nur bei kurzstreckiger NEC und sonst gesundem Darm ist eine primäre Anastomose gerechtfertigt. Auch bei totalem Befall des gesamten Darms kann ein Behandlungsversuch gerechtfertigt sein. Dann sollte die Passage durch eine hohe proximale Enterostomie unterbrochen werden. Beim schwerst kranken Frühgeborenen mit sicherer Perforation kann auch lediglich das Abdomen ohne Laparotomie mit einer oder mehreren weichen Drainagen versorgt werden. In vielen Fällen ist ein Zweiteingriff nach Erholung des Kindes notwendig, um eventuelle narbig-stenotische Darmanteile zu resezieren und die Kontinuität wieder herzustellen. Zuvor sollte jedoch versucht werden, mittels Kontrastmittelröntgen die Durchgängigkeit und Motilität der Darmanteile zu überprüfen. In den letzten Jahren hat sich vor allem Dank der verbesserten Intensivtherapie die Prognose der NEC deutlich gebessert. So kann von einer Gesamtüberlebensrate von 70–90% der Kinder ausgegangen werden. Überschattet ist dieses Ergebnis von der ungünstigen Prognose bei Kindern mit Kurzdarmsyndrom und durch häufige und lange andauernde Probleme bei massivem Verwachsungsbauch dieser Patienten.
803 45.13 · Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie
45.13
45
Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie
45.13.1 Pathogenese und Epidemiologie Die Inzidenz beträgt 1 auf 3000–5000 Lebendgeburten, Knaben sind häufiger betroffen als Mädchen. Dabei kommen familiäre Fälle, insbesondere mit ausgedehntem Kolonbefall vor. Der M. Hirschsprung ist gehäuft assoziiert mit Trisomie 21. Eine ursächliche Rolle scheinen Mutationen des RET-Protoonkogenes auf dem Chromosom 10 zu spielen, diese wird aber auch verschiedenen »Missense-Mutationen« des Endothelin-B-Rezeptorgens zugeschrieben. Am häufigsten kommt der Befall des Rektosigmoids vor (ca. 75%), ausgedehntere Formen, wie Befall bis zum Colon transversum (15–20%) und des gesamten Kolons mit terminalem Ileum (Zuelzer-Wilson-Syndrom: 5–10%) sind seltener. Im Jahre 1887 beschrieb Harald Hirschsprung 2 typische Erkrankungsfälle von Säuglingen, die an einem persistierenden Megakolon verstarben. Jedoch wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts klar, dass die eigentliche Ursache der Erkrankung eine funktionelle distale Obstruktion des Dickdarms mit sekundärer proximaler Dilatation ist. Sehr früh wandern im Embryo neuronale Zellen aus der Neuralleiste in die obere intestinale Anlage ein und bewegen sich in Richtung des kaudalen Endes. Diese Wanderung ist in der 12. Schwangerschaftswoche abgeschlossen. Es wird angenommen, dass entweder eine gestörte Migration oder Veränderungen der lokalen Umgebung die Einnistung dieser neuronalen Zellen und ihre Entwicklung zu intestinalen Ganglienzellen verhindert. So findet man beim M. Hirschsprung eine Aganglionose sowohl im submukösen (Meissner) als auch im intermuskulären (Auerbach) Plexus der Dickdarmwand vom distalen Rektum (Linea dentata) kontinuierlich nach proximal reichend. Neben dem Fehlen der Ganglienzellen findet man eine
. Abb. 45.19. Kalibersprung im Kolon vom erweiterten zum verengten aganglionären Segment bei M. Hirschsprung
starke Hypertrophie, insbesondere der cholinergen Nervenfasern in der Darmwand. Obwohl die genaue Pathophysiologie nicht geklärt ist, scheint die permanente Engstellung und fehlende Motilität der betroffenen Abschnitte (. Abb. 45.18 und 45.19) durch eine überwiegende Aktivität der cholinergen Innervation bei mangelnder Steuerung durch die Ganglienzellen bedingt zu sein. Andere Störungen des adrenergen und autonomen Systems, die durch Stickoxid aktivierten Neurone und die neuroendokrinen Zellen sind wahrscheinlich gleichwertig involviert (Holschneider u. Puri 2000). Durch die permanente Engstellung des aganglionotischen distalen Dickdarms kommt es zur Stase im proximalen Anteil, die wiederum eine bakterielle Überbesiedlung, eine Alteration des Schleimhautüberzugs und eine Beeinträchtigung der lymphoiden Abwehr bedingt. Dadurch kommt es insbesondere durch Vermehrung und Einwandern von gramnegativen pathogenen Keimen und/oder Anaerobiern zu einer Enterokolitis, die trotz intensiver Therapie und erfolgreicher Korrekturoperation lange Zeit persistieren kann. Eine systemische Ausbreitung der Infektion mit Sepsis und Ausschüttung von Endotoxinen führt rasch zum lebensbedrohlichen, gefürchteten Krankheitsbild des toxischen Megakolons des Säuglingsalters. 45.13.2 Klinische Symptomatologie
und Diagnostik
. Abb. 45.18. Röntgenkolonkonstrasteinlauf bei M. Hirschsprung mit Befall des Rektosigmoids, Übergang zum Megakolon im oberen Sigma
Bei jedem Kind mit schwerer Obstipation seit der Neugeborenenzeit, besonders bei gleichzeitiger Gedeihstörung, muss der Verdacht auf einen M. Hirschsprung geäußert werden. Heutzutage wird die Diagnose jedoch meistens in der frühen Säuglingszeit gestellt. Klinische Zeichen sind fehlender Stuhl- oder Mekoniumabgang, aufgetriebenes Abdomen und Darmsteifungen. Dazu kommen Nahrungsverweigerung, Erbrechen und Dehydratation, beim toxischen Megakolon zusätzlich Fieber und Kreislaufschock. In der Röntgenabdomenübersichtsaufnahme sieht man erweiterte Dick- und Dünndarmschlingen bei fehlender Darmabbildung im kleinen Becken. Der Kontrastmitteleinlauf stellt das enggestellte distale Darmsegment und das darüber liegende Megakolon dar und lässt damit auch die Übergangszone zum nichtbefallenen Darm festlegen (. Abb. 45.18).
804
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
Zumindest bei allen Kindern mit unklarer Symptomatik sollte die anorektale Manometrie eingesetzt werden. Mit dieser Methode lassen sich oft die abnorm gesteigerte Kontraktion und die fehlende reflektorische Relaxation des Rektums nachweisen. Unumgänglich für eine endgültige Diagnose oder Ausschluss derselben ist jedoch die Entnahme von Probebiopsien aus 2, 3 und 5 cm Höhe ab ano. Diese können auch beim Säugling einfach als kleine Saugbiopsien entnommen werden. Sicherer lässt sich die Diagnose jedoch aus offen chirurgisch entnommenen Biopsien stellen, für die es einer kurzen Narkose bedarf. Im Biopsat werden routinemäßig das Fehlen von Ganglienzellen und mittels Azetylcholinesterase-Reaktion die Vermehrung der cholinergen Nervenfasern nachgewiesen, weitere histochemische Untersuchungen sind möglich. Bei Kindern mit Infektion oder gar toxischem Megakolon bedarf es der zusätzlichen sofortigen Labordiagnostik und bakteriellen Abklärung. Differenzialdiagnostisch müssen beim akuten Geschehen vor allem der Mekoniumileus, untere Ileumoder Kolonatresien, die Rektumatresie oder funktionelle Darmstörungen sowie Sepsis und akute Stoffwechselstörungen in Betracht gezogen werden. Besonders schwierig ist die Differenzierung bei Vorliegen einer totalen Aganglionose des Kolons.
Die Diagnose M. Hirschsprung wird mittels Biopsien aus dem Rektum gesichert.
45.13.3 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
45
Bei hoch akutem toxischem Megakolon ist die sofortige Anlage eines Anus praeter im rechten Querkolon indiziert und oft lebensrettend. Verzögernde Diagnostik, gar Kontrastmitteleinläufe mit Darmperforation gefährden diese Kinder unnötig. Der Kunstafter wird als doppelläufiges Stoma mit einer Faszienbrücke angelegt. Parallel erfolgt die bakteriologische und chemische Labordiagnostik, therapeutisch die Stabilisierung des Kreislaufs und breite antibiotische Therapie. In derselben Narkose sollten die Rektumbiopsien entnommen werden. Bei weniger akuten Fällen sollte bis zur endgültigen Diagnosesicherung der Darm mit vorsichtigen Einläufen entleert werden. Die Ernährung erfolgt weiter mit Muttermilch. Zur operativen Korrektur mit dem Ziel, die pathologischen Darmsegmente zu entfernen und gleichzeitig eine Stuhlkontinenz wiederherzustellen, sind verschiedene anale Durchzugsverfahren im Einsatz. Swenson war 1948 der Erste, der eine entsprechend brauchbare Methode fand, die auch heute noch von manchen Chirurgen geübt wird. Die beiden weltweit häufigsten Verfahren nach Duhamel (1960) und Soave (1964) und die im deutschsprachigen Raum noch angewandte tiefe Rektumresektion nach Rehbein (1959) werden im Folgenden kurz beschrieben. In der Vergangenheit wurde regelmäßig die operative Korrektur des M. Hirschsprung als dreizeitiges Verfahren mit Anlage eines protektiven Anus praeters durchgeführt. Zunehmend führen Kliniken jedoch die Korrektur nach orthograder Darmspülung im Säuglingsalter auch als primäre einzeitige Durchzugsoperation durch.
45.13.4 Operationstechnik In Rückenlage wird nach querer Unterbauchlaparotomie am Kolon der Übergang zum gesunden Darm festgestellt und die Resektionshöhe festgelegt (. Abb. 45.19). Hier sollte der Normalbefund intraoperativ durch eine Schnellschnittuntersuchung gesichert werden. Danach wird das distale, aganglionäre Kolon abgesetzt, der proximale Stumpf mit erhaltener, genügend langer Gefäßarkade vorläufig verschlossen und das distale Kolon bis zum Rektum freipräpariert. Für die tiefe Resektion nach Rehbein wird das Rektum zirkulär direkt an der Wand freipräpariert und 3–5 cm oberhalb der Linea dentata abgesetzt. Hier erfolgt die End-zu-End-Anastomose mit dem gesunden Kolon. Wegen des verbliebenen kurzen pathologischen Segmentes sind postoperativ regelmäßige Bougierungen notwendig. Bei der Methode nach Duhamel wird der aganglionäre Darm knapp unterhalb der peritonealen Umschlagsfalte abgesetzt und das Rektum an seiner Hinterwand von Kreuz- und Steißbein abpräpariert. Anschließend wird der gesunde proximale Darm nach Eröffnung der Hinterwand direkt oberhalb der Linea dentata hinter dem Rektum durchgezogen. Nach Einnähen des durchgezogenen Darms wird mit dem Stapler zwischen den beiden eine lange Seit-zu-Seit-Anastomose hergestellt und schließlich das proximale Rektumende mit dem durchgezogenen Darm vernäht (. Abb. 45.20). Vorteile dieser Methode sind der Erhalt der Sensibilität in der vorderen Rektumwand bei Beseitigung jeder zirkulären Enge, das Umgehen der Präparation an der Blasenhinterwand und die Möglichkeit, bei totaler Aganglionose des Kolons auch eine längere Rektum- und Sigma-DünndarmAnastomose herzustellen. Auch die Methode nach Soave, bei der der gesamte Darm durch den belassenen Rektummuskelschlauch durchgezogen wird, vermeidet die zirkuläre Präparation des Rektums mit Gefahr der Verletzung von Nervenstrukturen im kleinen Becken. Am rektosigmoidalen Übergang wird die äußere Darmwand zirkulär inzidiert und die Mukosa aus dem Rektum herauspräpariert. Dieser freipräparierte Mukosaschlauch wird dann zum Anus heraus ausgestülpt. Über eine ventrale Eröffnung des Mukosaschlauches wird der gesunde Darm bis zum Anus durchgezogen und dort mit Absetzen des Mukosaschlauches sukzessive eingenäht (. Abb. 45.21). Die abdominelle Mobilisation des
. Abb. 45.20. Durchzugsoperation nach Duhamel
805 45.14 · Anorektale Malformationen
45
chronischen Obstipation mit Megarektum und Enkopresis. Die Therapie ist nach Diagnosestellung aus einer Rektumbiopsie in der Regel konservativ mit Sphinkterdehnung und Einläufen. Selten ist eine Anus-praeter-Anlage notwendig. Oft kommt es langsam zu einer Besserung der Symptomatik. 45.14
Anorektale Malformationen
45.14.1 Epidemiologie und Pathogenese
. Abb. 45.21. Durchzugsoperation nach Soave
Kolons kann hier offen oder laparoskopisch erfolgen. Die Methode nach Soave war die Grundlage für die Entwicklung der ausschließlich transanalen Resektion, die für einen Befall von bis zu 30 cm ab ano vor allem bei jungen Kindern geeignet ist (de la Torre et al. 2001). Vor dem Einnähen des durchgezogenen gesunden Darms in den analen Stumpf sollte die muskuläre Rektummanschette dorsal längs gespalten werden. 45.13.5 Komplikationen und Ergebnisse In geübten Händen haben bei gewissenhafter Nachsorge alle Methoden ähnliche Ergebnisse. Eine zufrieden stellende Stuhlkontinenz kann bei über 90% der Kinder erreicht werden, viele Kinder behalten eine Restobstipation. Ein Problem stellt jedoch die Enterokolitis dar, die auch nach gelungener Durchzugsoperation persistieren oder erneut auftreten kann und dann einer Langzeitantibiose bedarf. Akute Heilungsprobleme und Wundinfektionen sind selten, in 10–15% muss jedoch mit postoperativer intestinaler Darmobstruktion gerechnet werden. Die Mortalität ist beim unkomplizierten, subakuten M. Hirschsprung mit ca. 3% gering, sie ist jedoch bei totaler Kolonaganglionose und Befall des Dünndarms deutlich erhöht und erreicht bei Säuglingen mit toxischem Megakolon 30% (Holschneider u. Puri 2000). 45.13.6 Instestinale neuronale Dysplasie Weitere, weitgehend definierte Störungen der neuronalen Versorgung des distalen Dickdarms und Rektums werden als intestinale neuronale Dysplasien (IND) bezeichnet. Bei der sehr seltenen IND Typ A besteht eine Hypo- bis Aplasie der sympathischen Innervation. Hier steht klinisch der akute Beginn im frühen Säuglingsalter mit fehlendem Stuhlgang und Ileus im Vordergrund. Die Diagnose wird aus der Rektumbiopsie gestellt. Wie beim M. Hirschsprung sind Anus-praeter-Anlage und/oder Resektion mit Durchzugsoperation indiziert. Bei der häufigeren IND Typ B handelt es sich um eine Unreife des parasympathischen Plexus submucosus. Dies führt zu einer
Die normale Ausformung des unteren Körperendes wird offensichtlich – genau wie die des kranialen Endes – ganz früh in der Embryonalzeit genetisch festgelegt. Wohl wegen dem komplizierten anatomischen Aufbau und dem entsprechend vielschichtigen Ablauf der Embryogenese dieser Region kommen anorektale Malformationen relativ häufig bei ca. 1 auf 4000– 5000 Kindern vor, wobei Knaben etwas häufiger betroffen sind als Mädchen. In den ersten Schwangerschaftswochen kommt es durch Fusion des Entoderms und des Ektoderms zur Bildung der Kloakalmembran, die den Embryo nach kaudal abschließt. In der 4. bis 6. Schwangerschaftswoche formiert sich die primitive Kloake. Diese wird in der 6. Woche durch seitliches Einwachsen der 2 mesodermalen Radke-Falten und dem Einwachsen der Tourneau-Falte von kranial her in den dorsalen anorektalen Kanal und den ventralen Sinus urogenitalis unterteilt. Aus letzterem werden später die Blase und Harnröhre sowie das untere Drittel der Vagina gebildet. Der Analkanal bis zur Linea dentata entsteht aus eingestülptem Entoderm, dem Proktodeum. Aufgrund einer falschen genetischen Steuerung dieser Prozesse kommt es je nach zeitlichem und/oder örtlichem Auftreten der Störung zu einer Vielfalt von Fehlbildungen an Rektum, Vagina und Harnröhre, die meistens mit einer Atresie des Rektums oder Anus und einer vom verschlossenen Darm nach ventral verlaufenden Verbindung, auch Fistel genannt, vergesellschaftet sind. Insbesondere bei hohen Formen der Rektumatresie besteht meist zusätzlich eine mangelnde Ausbildung der Beckenbodenmuskulatur, insbesondere des Aufhängeapparates für das Rektum, sowie neuronale Defizite der Organe im kleinen Becken, vor allem Blasenfunktionsstörungen. Die sehr frühe Determinierung der anorektalen Malformationen erklärt auch die hohe Inzidenz von weiteren Fehlbildungen bei den betroffenen Kindern (50–60%). Von diesen ist am häufigsten die VACTERLKombination mit Fehlbildungen an vertebralen, anorektalen, kardialen, tracheoösophagealen, renalen und Extremitätenstrukturen. Vermehrt bestehen aber auch Assoziationen mit dem M. Hirschsprung und der Trisomie 21 sowie vielen anderen Syndromen. Die früher übliche, sog. Wingspread-Conference-Klassifikation (Stephens u. Smith 1986) in hohe, intermediäre und tiefe Rektumatresien hat insbesondere nach den bahnbrechenden Arbeiten von Alberto Peña (1990) mit neuen anatomischen Erkenntnissen und daraus abgeleiteten neuen Operationsverfahren nur noch theoretischen Wert. Genauer und für die Praxis relevanter ist eine Einteilung entsprechend der Lage der Fistel, die bei über 95% der Rektumatresien vorhanden ist. Nach dieser Einteilung ist eine klinische Zuordnung der Patienten und entsprechenden therapeutischen Entscheidungen leicht möglich (. Tab. 45.4).
806
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
. Tabelle 45.4. Klassifizierung der Rektumatresien
Männlich
Weiblich
Perineale (kutane Fistel)
Perineale (kutane) Fistel
Rektourethrale Fistel (rektobulbär, rektoprostatisch)
Rektovestibuläre Fistel (rektovaginal sehr selten)
Rektovesikale Fistel
Persistierende Kloake
Atresie ohne Fistel
Atresie ohne Fistel
Beim Knaben kommt am häufigsten die Rektumatresie mit urethraler Fistel vor (. Abb. 45.22). Die rektoperinealen Fisteln bei der tiefen Form verlaufen oft subepithelial nach ventral (. Abb. 45.23). Beim Mädchen ist die häufigste Form die Rektumatresie mit vestibulärer Fistel (. Abb. 45.24). Die perineale Fistel entspricht immer einer tiefen Form mit Analatresie und wird auch als ventrale Analektopie bezeichnet (. Abb. 45.25). Die persistierende Kloake (. Abb. 45.26) ist durch eine mangelnde Trennung von Rektum, Scheide und Harnröhre mit einem persistierenden Ausführungskanal charakterisiert. Es besteht lediglich eine gemeinsame Öffnung mit deutlich verkürzten Labien und Vestibulum, das Rektum hat immer eine hohe Atresie. Oft besteht schon beim Neugeborenen ein Hydrokolpos durch Stauung. Ferner ist die persistierende Kloake, wie auch beim Knaben die hohe Rektumatresie mit Blasenfistel, häufig mit weiteren Fehlbildungen, insbesondere des oberen Harntraktes assoziiert. 45.14.2 Klinische Symptomatologie
. Abb. 45.23. Männliches Neugeborenes mit tiefer Analatresie mit perinealer, subepithelialer Fistel
Die wichtigste Beurteilung über die vorliegende Form der Fehlbildung erfolgt klinisch nach einer Wartezeit von 16–24 h, die für eine abdominelle Sonographie sowie die Suche nach weiteren Fehlbildungen (Nieren, Herz) und eine Urinuntersuchung genutzt werden sollten. Danach hat das Neugeborene in aller Regel Mekonium durch die Fistel entleert, sodass diese genau lokalisiert werden kann.
und Diagnostik 45.14.3 Chirurgische Strategie Die Fehlbildung fällt in aller Regel bereits bei der äußerlichen Inspektion des Neugeborenen auf, spätestens beim ersten Messen der Temperatur. Kinder mit tiefer Atresie und genügend weiter perinealer Fistel können oft ausreichend Mekonium und anfangs auch (Muttermilch-)Stuhl absetzen. Bei allen anderen Rektumatresien kommt es nach 1–2 Tagen zu geblähtem Abdomen, Unwohlsein und Erbrechen.
Bei Kindern beiderlei Geschlechts mit perinealer Fistel, d. h. sicher tiefer Atresie, kann je nach Weite der Fistel sofort oder verzögert die Korrekturoperation über eine sog. minimale posteriore sagittale Anoplastik (MPSAP) erfolgen. Bei allen anderen Kindern mit Fistel, d. h. bei Knaben mit rektourethraler oder rektovesikaler Fistel (Mekonium im Urin) oder bei Mädchen mit
. Abb. 45.22. Hohe Rektumatresie mit rektourethraler (bulbärer) Fistel
. Abb. 45.24. Rektumatresie mit rektovestibulärer Fistel
45
807 45.14 · Anorektale Malformationen
45
45.14.4 Operationstechnik
. Abb. 45.25. Weibliches Neugeborenes mit tiefer Analatresie mit perinealer Fistel (ventrale Analektopie)
. Abb. 45.26. Persistierende Kloake mit Hydrokolpos
rektovestibulärer Fistel (sichtbar), rektovaginaler Fistel (Mekonium in der Vagina) oder persistierender Kloake (äußerlich erkennbar, Mekonium im Urin) muss ein Anus praeter im Kolon angelegt werden, um zunächst dem Stuhlgang Abfluss zu verschaffen. Die endgültige Korrektur der hohen Atresie erfolgt mit 4–8 Wochen oder später nach genauer Röntgenkontrastmitteldarstellung der Anatomie. Bei persistierender Kloake sollte die Korrektur erst nach 6 Monaten erfolgen. Bei fehlender Fistel muss der Abstand der Atresie vom Perineum mittels Sonographie und/oder einer seitlichen Röntgenaufnahme mit Kopftieflage (Invertogramm) erfolgen. Bei einem Abstand unter 1 cm ist eine primäre Korrektur erlaubt, bei allen anderen Kindern ein Anus praeter indiziert.
Die klinische Beurteilung der Analatresieform erfolgt nach 16–24 h, wenn das Kind Mekonium über die Fistel entleert.
Der Anus praeter wird am besten im linken Unterbauch am Übergang vom Colon descendens zum Sigma angelegt. Es muss dabei darauf geachtet werden, dass genug Sigmalänge für den späteren Durchzug erhalten bleibt, und dass beide Kolonschenkel getrennt voneinander in die Bauchdecke platziert werden, um einen Übertritt von Stuhl in den abführenden Schenkel zu vermeiden. Im weiteren Verlauf wird dieser durch antegrade Spülungen vollkommen entleert. Bei Verbindung zu Harnröhre, Blase oder Vagina ist eine antibiotische Dauerprophylaxe notwendig. Zur Korrekturoperation werden die Kinder mit einer Darmentleerung vorbereitet, und es wird ein transurethraler Blasenkatheter eingelegt. Die Lagerung erfolgt in Bauchlage mit erhöhtem Steiß für den sagittalen Zugang in der Medianlinie. Mittels Elektrostimulierung wird die genaue Lokalisation der Beckenbodenmuskulatur und des Sphinkterkomplexes festgestellt. Im Gegensatz zu den früher üblichen »blinden« Durchzugsverfahren können bei der Methode nach Peña (posteriore sagittale Anorektoplastik, PSARP; Peña 1990) über die sagittale mediane Inzision ohne Verletzung von Nerven und Muskeln alle Strukturen von kaudal her aufgesucht werden. Dies ermöglicht die Isolierung des Rektumblindsackes, Verschluss der Fistel und Platzieren des unter Umständen noch zu modellierenden Rektums genau in die Anlage des muskulären Aufhängeapparates (. Abb. 45.27). Bei persistierender Kloake kann diese bei einem kurzen gemeinsamen Ausführungskanal (>3 cm) ebenfalls von kaudal her korrigiert werden. Bei höheren Formen ist ein zusätzlicher abdomineller Zugang (offen oder laparoskopisch) zur Mobilisierung des Darms und gegebenenfalls Präparation eines Dünndarmsegmentes für einen Vaginalersatz notwendig. Dasselbe gilt für hohe Rektumatresien bei Knaben mit vesikaler Fistel. Die Präparation zur Trennung von Rektum und Vagina oder Urethra oder auch von Vagina und Urethra ist schwierig, da diese Gebilde bei den anorektalen Malformationen über eine Strecke eine gemeinsame Wand haben. Stets ist genügend perineales Gewebe zwischen die durchgezogenen Organe zu interponieren, um Fistelrezidive zu vermeiden. In wenigen Kliniken wird seit kurzer Zeit eine kombiniert laparoskopisch-anale Durchzugsoperation geübt. Mangels gesicherter Langzeitergebnisse ist dieses Verfahren derzeit noch als experimentell einzustufen. 45.14.5 Nachsorge Der Blasenkatheter wird für ca. 5 Tage belassen, die antibiotische Prophylaxe für 1 Woche fortgeführt. Nach Heilung der Wunden, in der Regel nach 2 Wochen, wird der Anus mit Hegarstiften kalibriert. Anschließend ist eine regelmäßige Dilatationsbehandlung über 6 Monate nötig, anfangs 1- bis 2-mal täglich, später mit größeren Abständen. Im Alter von 1–4 Monaten sollte eine Hegargröße von 12 mm Durchmesser, danach aufsteigend bis Hegargröße 14 mm mit 12 Monaten bzw. 16 mm mit 3 Jahren angestrebt werden, um Stenosierungen mit konsekutiver Obstipation zu vermeiden. Der Anus praeter kann zurückverlagert werden, wenn der Rektumkanal genügend weit für den problemlosen Stuhldurchtritt ist, in der Regel frühestens nach 4–6 Wochen.
808
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
a
. Abb. 45.27. a Intraoperativer Situs bei PSARP einer Rektumatresie mit rektovestibulärer Fistel, eröffneter Rektumblindsack, b Situs nach Fertigstellung der PSARP
45.14.6
Komplikationen und Ergebnisse
Die häufigste postoperative Komplikation ist die Wundinfektion, die jedoch meistens durch lokale Wundbehandlung und Antibiotikatherapie zum Abheilen zu bringen ist, ohne dass wichtige muskuläre Strukturen zerstört werden. Eine Analstenose oder ein Schleimhautprolaps machen gelegentlich einen weiteren Eingriff notwendig. Gerade Kinder mit tiefer Analatresie leiden häufig an einer hartnäckigen Obstipation, die entsprechend behandelt werden muss. Die Inkontinenz ist dagegen das im Vordergrund stehende Problem nach hohen Rektumatresien. Bisher wurde eine komplette Stuhlkontinenz bei 65% der Kinder mit verstibulärer Fistel, jedoch nur bei 25–35% der Kinder mit hoher Atresie wie rektourethraler Fistel oder persistierender Kloake erreicht. Deshalb müssen diese Kinder auch nach gelungener Korrektur in spezialisierten Zentren weiter betreut werden. Die Mortalität ist nicht abhängig vom operativen Eingriff, sondern im Wesentlichen von den assoziierten Fehlbildungen. Sie liegt für Kinder mit tiefen Atresien bei 5% und solchen mit hohen Atresien bei 15%. 45.15
Gallengangsatresie
45.15.1 Epidemiologie und Pathogenese
45
Die Gallengangsatresie ist eine seltene, nur bei ca. 1 auf 10.000 Geburten vorkommende Erkrankung. Sie ist offensichtlich keine angeborene Fehlbildung. Obwohl die Pathogenese nicht eindeutig klar ist, mehren sich in jüngster Vergangenheit Hinweise, dass es sich um einen entzündlichen Prozess handelt, der durch eine abnorme Immunreaktion auf eine Virusinfektion der Mutter kurz vor der Geburt beim Kind ausgelöst wird. Dabei kommt es nach der Geburt zu einer fortschreitenden Vernarbung mit Verschluss vor allem der extrahepatischen Gallengänge. Die Gallen-
b
gangsatresie kann distal im Choledochus stattfinden, sodass die proximalen Gallenwege am Leberhilus offen bleiben. Hier spricht man von einer chirurgisch korrigierbaren Form (Schweizer u. Schier 1991). Sehr viel häufiger findet man aber den Verschluss der gesamten oder vor allem proximalen Gallengangsanteile bis in die Leberpforte hinein (chirurgisch nicht korrigierbare Form), wobei der Prozess auch intrahepatische Gallengänge betreffen kann. Als Reaktion auf die Cholestase kommt es in der Leber zu periportaler Entzündung mit reaktiver Proliferation kleiner Gallengänge und schließlich zur cholestatischen Fibrose und Zirrhose der Leber. Bereits nach 6 Wochen Krankheitsdauer ist mit entsprechenden Leberveränderungen zu rechnen. 45.15.2 Klinische Symptomatologie
und Diagnostik Meist besteht bei den betroffenen Neugeborenen ein Icterus prolongatus mit anhaltend hohen Serumbilirubinwerten und vermehrtem konjugiertem Bilirubinanteil. Weitere Cholestaseparameter sind ebenfalls positiv. Dabei sind die Kinder vorerst in gutem Allgemeinzustand. Das Mekonium ist oft hellgelb, späterer Stuhlgang dann grauweiß, der Urin dunkel. Im weiteren Verlauf kommt es allmählich bei fortschreitender Leberzirrhose zur Dekompensation der Leberfunktion. Differenzialdiagnostisch gibt es viele Ikterusursachen des Neugeborenen zu bedenken, im Vordergrund stehen jedoch die neonatale Hepatitis und die intrahepatische Gallengangshypoplasie. Die umfassende Labordiagnostik muss mögliche Virusinfektionen ausschließen. Bei der Sonographie sieht man typischerweise eine verkleinerte, auf eine Probemahlzeit nicht reagierende oder ganz fehlende Gallenblase und erweiterte intrahepatische Gallenwege. In der hepatobiliären Sequenzszintigraphie mit Technetium stellt man den fehlenden Abfluss des Tracers in den
809 Literatur
Darm fest. Die Punktionshistologie kann durch das relativ typische histologische Bild weitere Hinweise liefern, sie wird jedoch erst nach einigen Wochen Krankheitsverlauf deutlich.
Die gesamte Diagnostik muss bis zur 6. Lebenswoche abgeschlossen sein, da danach mit irreversibler Leberzirrhose zu rechnen ist. Im Zweifel muss eine intraoperativ durchgeführte Cholangiographie Klarheit schaffen.
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bei 25–50% der Kinder erreichen. Bei den übrigen kommt es trotz Operation zu einer Verschlechterung der Leber wegen mangelndem Gallefluss. Es wurde aber gezeigt, dass dies nach Hepatoportojejunostomie langsamer fortschreitet und die Kinder in einem besseren Allgemein- und Ernährungszustand verbleiben und so in einem besseren Zustand eine eventuelle Lebertransplantation entsprechend besser überstehen.
Literatur 45.15.3 Operative Therapie Die Therapie ist operativ. Vor dem Eingriff sollte dem Kind über 4 Tage Vitamin K verabreicht werden. Bei einem ausschließlichen Befall des unteren Ductus choledochus (korrigierbare Form) kann die Galle über eine Hepatikojejunostomie mittels einer retrokolisch hochgezogenen Roux-Y-Schlinge permanent abgeleitet werden. Bei dem häufigeren, proximalen Befall (nicht korrigierbare Form) hat sich die Hepatoportojejunostomie nach Kasai et al. (1963) durchgesetzt (. Abb. 45.28). Hierbei wird die Gallenblase antegrad herausgelöst und entlang dem vernarbten Ductus cysticus und hepaticus die Leberpforte aufgesucht, die als narbige Platte in der Pfortadergabel zu finden ist. Diese Narbenplatte wird scharf von der Leberkapsel abgesetzt, ohne das dahinter liegende Parenchym zu verletzen. Hierbei sollen noch offene zuführende Gallengänge angefrischt werden. Eine mindestens 40 cm lange Roux-Y-Jejunumschlinge wird retrokolisch hochgezogen, am Ende verschlossen und Seit-zu-End mit der Leberpforte anastomosiert. Postoperativ muss für ca. 1 Woche ein gut gallegängiges Antibiotikum intravenös verabreicht werden, anschließend wird eine längerfristige orale Cholangitisprophylaxe empfohlen. Prednisolon-Gaben nach der Operation können eventuell das Fortschreiten der vernarbenden Entzündung teilweise aufhalten, der Gallefluss kann durch Cholestyramin angeregt werden. 45.15.4 Ergebnisse und Prognose Je nach Alter des Kindes und Grad der Leberfibrose bzw. -zirrhose, kann die Hepatoportojejunostomie eine endgültige Heilung nur
. Abb. 45.28. Hepatoportojejunostomie nach Kasai bei Gallengangsatresie
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Sachverzeichnis M. Jansen, J. Otto
812
Sachverzeichnis
A Aachener Drainage 162 Aachener Klassifikation 758 AB0-Blutgruppensystem 169 ABCDE-Regel 216 Abciximab 61 ABC-Transporter 554 Abdomen, akutes 5, 6, 199–203 – Diagnostik 32, 200–202, 787, 788 – Erstmaßnahmen 201 – Frühgeborene 787 – Laparoskopie 202 – Laparotomie, quere 788 – Leitsymptome 200 – Neugeborene 787 Abdomenübersichtsaufnahme 32, 33, 234 Abdominalkompartimentbildung 160 Abdominaltrauma 7 Bauchtrauma A-beta-Lipoproteinämie 392 Abstoßungsreaktion 166, 168 – akute 168, 169, 725, 726 – chronische 169 – hyperakute 169 – zellvermittelte 168 Abstoßungstherapie 169 Abszess – anorektaler 522, 523, 524 – enterischer, Punktion 27 – intraabdomineller 177 – – Punktion 24, 27 – ischiorektaler 523 – mediastinaler 320 – pankreatischer 696 – parakolischer 466 – perityphlitischer 27, 38, 492 Abszessdrainage, perkutane 24, 177, 206 Acarbose 652 Achalasie 249, 252, 283–290 – Ätiologie 284 – Diagnostik 286, 287 – endoskopische Therapie 111, 112 – Epidemiologie 284 – hypermotile 111 – idiopathische 283 – Kalziumantagonisten 288 – Klassifikation 283 – krikopharyngelae 254 – Manometrie 111 – Nitrate 288 – Pathogenese 284 – Pathophysiologie 285 – Präkanzerose 284 – primäre 283 – sekundäre283 – Symptomatik 286 – Therapie 111, 112, 288–290 – zervikale 245 Acute-on-chronic-Pankreatitis 696 Adenom, epitheliales 473
Adenomabtragung – chirurgische 474 – endoskopische 474 Adenomatose 473 Adipositas – Epidemiologie 382 – Klassifikation 382 – morbide 381–387 Aerobilie 580 Aerophagie 269 Afferent-loop-Syndrom 392 Aganglionose 803 Agastrie 378 AIDS, Gastroenteritis 393 Alaninaminotransferase 94, 622 Aldosteronantagonisten 662 Altemeier-Operation 478 5-Aminosalizylat 455 Amylase 96, 714 Amyloidose 392, 732 Analfissur 517–522 – akute 519 – chronische 516, 518 – crohnspezifische 528 – Definition 517 – Diagnostik 519 – Pathogenese 517, 518 – Symptomatik 519 – Therapie 519 Analinkontinenz 7 Stuhlinkontinenz Analkrypte 500 Analmanometrie 477, 541 Analpapille, hypertrophe 519 Analprolaps – Definition 529 – Hämorrhoidektomie 534 Analstenose 808 Analstriktur 528 Anämie – aplastische 736 – autoimmunhämolytische 736 – hämolytische 735–737 – nach Magenresektion 376 – perniziöse 332, 396 Anästhesie, ambulante 134 Anästhesieplanung 133 Anästhesietechniken 133, 134 Anastomose – anale, Drainage 162 – biliodigestive 503, 614 – – Drainage 163 – biliobiliäre 614 – ileorektale 458 – ileopoouch-anale 457, 478 – rektale, Drainage 162 – transanale 149 – Vitalitätsnachweis 177 Anastomosenfistel 443 Anastomoseninsuffizienz 35, 176–178, 187, 461, 791 Anastomosierungsplastik nach Finney 355
Angina abdominalis (intestinalis) 44, 401, 407, 450 Angiodysplasie 358, 474 Angiographie 44 – Bauchtrauma 218 – mesenteriale Ischämie 406 – supraselektive 475 Angioplastie, perkutane transluminale 410, 411 Anismus 74 Anoplastik 806 anorektaler Winkel 499–501 Anorektoplastik 807 Antazida 340, 352 Antibiotikatherapie 193–198 – abdominelle Sepsis 206 – Auswahl 195–197 – Bauchtrauma 220 – Indikation 194 – kalkulierte 211 – Peritonitis 211 – Übersicht 196 Antigen, karzinoembryonales (CEA) 61 Antikoagulation 191 Antikörper – monoklonale 60, 61 – zytotoxische 169 Antilymphozytenglobulin 169, 170 Antimediator 207 Antirefluxchirurgie 274–277 Antirefluxmechanismus 252 – Störung 267 Antisensenukleotide 439 Antithymozytenglobulin 423 Anti-T-Lymphozytenglobulin 724 α1-Antitrypsinclearance 83 Antrektomie 354, 356 Anus praeter 789, 799, 804, 807 Anusatresie 805 Aorta – Ausklemmen 221 – Läsion 226 Aortoduodenalfistel 366 Appendektomie – konventionelle 492 – laparoskopische 493, 800 Appendikopathie, neurogene 489 Appendikostomie 542 Appendix – vermiformis 488 – blande 491 Appendixkarzinoid 491 Appendizitis 487–495 – akute 800 – – Sonographie 6 – chirugische Therapie 491–493 – Diagnostik 490 – Epidemiologie 488 – gangränöse 490 – Pathogenese 488, 489 – phlegmonöse 490
813 Sachverzeichnis
– Stadien 489 – Symptomatik 489 Apple-peel-Formation 795, 797 Argon-Plasma-Koagulation 112, 118 A-Ring 262 Arrosion 187 Arteria – appendicularis 488 – gastrica sinistra 553 – gastroduodenalis 683 – – Arrosion 364 – gastroepiploica dextra 364 – hepatica dextra 553 – – propria 551 – – sinistra 553 – – Thrombose 673 – lienalis 730 – mesenterica 400, 553, 683 – pancreaticoduodenalis 364, 683, 712 – rectalis inferior 500 Arteriosklerose, viszerale 401 ASA-Klassifikation 183 Aspartataminotransferase 94, 622 Aspirationsmukosektomie 104 Aspirationstest 125 Aspirationszytologie 17 Asplenie 731 – Infektionsprophylaxe 733 – Veränderungen 733 AST-ALT-Quotient 94, 95 Asterixis 640 Aszites – konservative Therapie 661 – operative Therapie 664, 665 – Punktion 23 Atemnotsyndrom, Ösophagusatresie 790 Atemtest 80, 81 Atlanta-Klassifikation 695 Atmung, glossopharyngeale 245 Auerbach-Plexus 803 Aufklärung, präoperative 182 Autoimmungastritis 332, 336 Azathioprin 169, 170, 438 Azetylcholinesterase-Reaktion 804 Azidose, metabolische 405
B Back-table-Präparation 722, 723 Backward-Theorie 638, 639 Ballondilatation, endoskopische 111, 112 Ballonexpulsionstest 477, 502 Ballonkatheter 563 Ballontamponade 645, 646 Bariumsulfat 32, 35 Barotrauma 320 – intraluminales 317 Barrett-Karzinom 265, 266, 274 Barrett-Mukosa-Ablation 275
Barrett-Ösophagus 250, 264–266 – Diagnostik 272, 273 – Dysplasie 274 – long segment 264, 265 – Pathogenese 270 – short segment 264, 265 – Therapie 275, 279 Basiliximab 170, 725 Bassini-Technik 760 Bauchdeckenersatz 771 Bauchdeckenverschluss – forcierter 212 – temporärer 210, 211 Bauchhöhlendrainage 7 Drainage, abdominelle Bauchspeicheldrüse 7 Pankreas Bauchtrauma 215–229 – Abklärungsalgorithmus 218 – Antibiotikatherapie 220 – Begleitverletzungen 218, 219 – Diagnostik 217 – enterale Ernährung 227 – Gefäßverletzung 225 – operative Therapie 220, 221 – penetrierendes 219, 220 – stumpfes 4, 5, 37, 216 – – isoliertes 218 – – Pankreasverletzung 713 Bauchwand – Anatomie 138 – Defekt 227 – Ersatz 771 – Hernie 775 – Relaxation 140 – Stichverletzung 219, 220 Beckenbodenelektromyographie 503 Beckenbodenplastik – totale 545 – vordere 545 Becquerel 56 Bedside-Test 189 Belegzelle 327 Benzimdazol 630 Bezoar 312 Bianchi-Technik 416, 789 Bikarbonatsekretion 686 Bilhämie 632 Bilirubin 326, 327, 622 Bilirubingallenstein 558 Bilitec-Messung 70, 271, 272 Billroth-I-Resektion 342–345, 374 Billroth-II-Resektion 342, 343, 345, 346 Billroth-Ketten 732 binge eating 385 Biopsie 16 Bishop-Koop-Fistel 789, 799 Blasengleithernie 759 Blinddarmentzündung 7 Appendizitis Blind-loop-Syndrom 392 Blindsacksyndrom 392, 440, 460 Blumberg-Zeichen 489
A–C
Blutersatz 187 Blutgerinnungsstörungen 189, 190 Blutstillung, endoskopische 115–119, 186 Blutstuhl 115, 359 Bluttransfusion 7 Transfusion Blutung 186, 187 – akute 186, 187 – gastroduodenale 357–367 – – Notfallmanagement 359–361 – – Stillung 115 – – Symptomatik 359 – – Therapie 359–367 – gastrointestinale 119 – – Diagnostik 57 – intraluminale 186 – juxtakavale venöse 223 – Lokalisationsdiagnostik 186 Bochdalek-Hernie 302 Body-Mass-Index (BMI) 382 Boerhaave-Syndrom 315, 317 Bolusimpaktion 262, 263, 297 Botulinustoxin-Injektion 112, 519 Bouveret-Syndrom 589 Brombart-Stadium 254 Bruchsackabtragung nach Rehbein 780, 781 Budd-Chiari-Syndrom 656, 668 Bulbus duodeni 348 Bulbuserosion 348 Bursa omentalis 738 – Eröffnung 202 Buschke-Löwenstein-Tumor 537 Button-hole-Rezidiv 771
C Calcineurin-Inhibitor 724 Calot-Dreieck 551, 553 Cambridge-Klassifikation 705 Carbapeneme 196 Carboxypeptidase 685 Carcinoma in situ, Mukosaresektion 103 Caroli-Krankheit 592, 595, 597 14 C-D-Xyloseatemtest 81 Centrum tendineum 302 Cephalosporine 195, 196 14 C-Glykocholatatemtest 80, 81 Chagas-Krankheit 284 Charcot-Trias 591 Chenodeoxycholsäure 559 Chiba-Nadel 16 Chilaiditi-Syndrom 485 Child-Pugh-Klassifikation 654, 655, 669 Chirurgie – ambulante 7 Operation, ambulante – bariatrische 383–387 Chlamydia – psittaci 536 – trachomatis 536
814
Sachverzeichnis
Chlamydienproktitis 536 Cholangiodrainage, perkutan transhepatische 565, 591 Cholangiographie 7 Cholangiopankreatikographie Cholangiohepatitis, orientalische 593 Cholangiolithiasis 591 – intrahepatische 592, 593 – Symptomatik 579 Cholangiopankreatikographie, endoskopische retrograde 218, 565, 566, 580, 596, 599, 705 – intravenöse 579 – perkutan transhepatische 600 Cholangioskopie 571–573 – oral endoskopische 561, 571 – perkutan transhepatische 561, 562, 572 Cholangitis 574, 575 – akute 109, 591, 592 – Antibiotikatherapie 197 – lokale fibrosierende 606 – primär sklerosierende 605 – Prophylaxe 809 Choledocholithiasis 574–576 – Diagnostik 573, 574 – endoskopische Therapie 560 – Endosonographie 574 – Pankreatitis 688 – Sonographie 6 Choledochotomie 583 Choledochozele 597 Choledochusplastik 614 Choledochusstenose 107 Cholelithiasis 560 – chirurgische Therapie 580–585 – Epidemiologie 578 Cholera, endokrine 92 Cholestase 555, 556, 692 – extrahepatische 555 – Folgen 555 – intrahepatische 392, 555 – Ursachen 555, 556 Cholesteringallenstein 558, 578 Cholesterinsättigungsindex 558 Cholesterolesterase 685 Cholestyramin 556 Cholezystektomie – Drainage 163 – Gallengangszyste 597 – Gallenwegsstriktur 602 – Indikationen 580, 588 – Intervall 693, 694 – laparoskopische 581, 582, 585 – offene 582 Cholezystitis, akute 586 – Laparoskopie 202 – Sonographie 6 Cholezystokinin 91, 92, 686 Cholezystolithiasis – Diagnostik 579, 580 – Komplikationen 597–590
– konservative Therapie 558, 559 – Laparoskopie 581–583 – operative Therapie 580–583 – Symptomatik 578, 679 Chromoendoskopie 103 Churg-Strauss-Syndrom 402, 403 Chymotrypsin 685 Chymotrypsinogen 685 Ciclosporin A 169, 170, 673, 724 Cimetidin 329 Clostridium difficile 449 CLO-Test 351 CO2-Hautemphysem 128 CO2-Insufflation 125, 126 Colitis ulcerosa 436, 437, 453–462 – Definition 453 – Diagnostik 455 – Epidemiologie 453 – Karzinomrisiko 454 – medikamentöse Therapie 455 – Morphologie 453 – operative Therapie 456–462 – Pathogenese 453 – Symptomatik 454, 455 Colon irritabile 478, 479 Common-channel-Theorie 596 Computertomographie 37–42 – Angiographie 39 – Bauchtrauma 217 – Enteroklysma 39 – Ileus 234 – Kolonographie 39 Condyloma-acuminatum-Infektion 536, 537 Cooper-Ligament 770 Corona mortis 774 14 C-Oxalsäureresorptionstest 86 COX-1-Enzyme 332 COX-2-Inhibitor, selektiver 338 51 Cr-Albumintest 83 Crurorrhaphie 380 CT 7 Computertomographie CT-Angiographie 39 CT-Enteroklysma 39 CT-Kolonographie 39 Cuffitis 461 Cullen-Zeichen 688 Culling 731, 732 Curie 56 Cutter, linearer 153, 154 Cytotect 338
D Daclizumab 170, 725 Darmgangrän (Darmnekrose) 191, 484 Darmperforation 801 Darmspülung, retrograde 542 Darmvolvulus 797 – 7 Kolonvolvulus
Darmwandischämie 801 Defäkationstest 74 Defäkographie 477, 502, 531, 541 Dekompressionssonde 235 De-Meester-Score 267 Denervationssyndrom 280 Denonvillier-Faszie 500 Denver-Shunt 664 Deroofing 524 Descending-Perineum-Syndrom 529 Desoxyribonuklease 685 Devagination, hydrostatische 800 Devaskularisationsoperation 647, 658, 659 Deviationsileostoma, protektives 461 Dextrogastrie 378, 379 Diabetes mellitus 719 – Pankreastransplantation 720 Diarrhö – antibiotikaassoziierte 449 – chronische 59 – sekretorische 92 Diathese, hämorrhagische 190 Dickdarm 7 Kolon Dickdarmadenom 473 Dickdarmdivertikel 464–472 Dickdarmileus 233, 236 Dickdarmperforation 442 Dilatation, anale, manuelle 516, 519 Dilatationskatheter 563 Diskontinuitätsresektion 178, 442, 451, 458, 470 Diversionskolitis 451 Divertikel – 7 Dickdarmdivertikel – 7 Magendivertikel – 7 Ösophagusdivertikel – 7 Zenker-Divertikel – falsches 464 – funktionelles 253 – inkomplettes 464 – komplettes 464 Divertikelblutung 469 Divertikulektomie 255 Divertikulitis 397, 464–472 – Diagnostik 467 – Klassifikation 466 – komplizierte 468 – – operative Therapie 470, 471 – perforierte 466 – Symptomatik 466, 467 – Therapie 468 – unkomplizierte 469 Divertikulopexie 255, 256 Divertikulose 464–472 – 7 Dünndarmdivertikulose – Epidemiologie 464 – symptomatische 469 – Therapie 469–472 Doppelkontrastdarstellung 35, 36 Dormia-Korb 106, 569 Double-Stapling-Methode 156, 460
815 Sachverzeichnis
Douglas-Schmerz 201, 489 Drainage – abdominelle 159–163 – – prophylaktische 160 – – therapeutische 160, 163 – geschlossene 160 – halboffene 160 – Material 161 – offene 160 – Systeme 160, 161 – Typen 161, 162 Dreiecksplastik, adaptierende 616 Druck, intraabdomineller 211, 212 Ductus – accessorius (Santorin) 682 – choledochus 551, 682 – – dilatierter 6 – cysticus 551, 552 – hepatocholedochus 552, 612, 613 – Wirsungianus 682 – – Stein 109 – – Stenose 109 Dumpingsyndrom 59, 72, 375, 377, 719 Dünndarm – Absorptionskapazität 394 – Gefäßversorgung 400 Dünndarmatresie 795 Dünndarmdivertikulose 396, 397 Dünndarmerkrankungen 391–387 Dünndarmileus 233, 236, 402 Dünndarmmukosa, Autotransplantation 395 Dünndarmperforation 442, 737 Dünndarmresektion 392, 394 Dünndarmtransitzeit 59, 394, 395 Dünndarmtransplantation 415–427 – Abstoßungsreaktion 424–426 – Empfängerevaluation 417, 418 – Immunsuppression 423 – Indikation 416, 417 – Lebendspende 421 – Technik 419–422 Dünndarmverletzung 223 duodenal switch 383–385 Duodenalatresie 794–797 Duodenalulkus 7 Ulcus duodeni Duodenalverletzung 223 Duodenalwandhämatom 223 Duodenoduodenostomie 795 Duodenopankreatektomie 709–711, 716 – Drainage 163 Duplex-Sonographie – Lebererkrankungen 624 – mesenteriale Ischämie 405, 407 Durchzugsmanometrie 67, 68 Durchzugsoperation nach Soave 804 D-Xylosetest 79, 80 Dyslipidämie 556 Dysphagie 245, 254, 262, 270, 286 – nach Antirefluxoperatin 279 – bei Hiatushernie 297
– nicht-obstruktive 291 – sideropenische 263 – nach Verätzung 309 Dysplasie, intestinale neuronale 465, 805
E Ebstein-Barr-Virusinfektion 426 Echinococcus – cysticus 628 – granulosus 627 – multilocularis 627 Echinokokkose – alveoläre 628, 630 – Leber 627–631 – zystische 627–630, 734 ECL-Zelle 327 ECL-Zell-Karzinoid 330 Eingeweideschmerz 200 Einzelknopfnaht 147, 149 Elastase 685 – Bestimmung 704 Elektrogastrographie 72 Elektromyographie 504 Embolie, arterielle, akute 402 Embolie, mesenteriale 7 Mesenterialembolie Emphysem, nach Laparoskopie 128 Endobrachyösophagus 250, 264, 265 Endokarditisprophylaxe 197 Endoskopie – therapeutische 101–120 Endosonographie 10, 11, 104, 718 – anale 541 – Choledocholithiasis 574 – transgastrische 696 – vaginale 541 Endothelin 651 Endothelin-B-Rezeptorgen 803 Endotoxinämie 194 End-to-back-Anastomose 789 Enteritis, radiogene 393 Enterokolitis – nekrotisierende 801, 802 – nach Rektumresektion 805 Enteroplastik, serielle transverse 416 Enterotoxin A 449 Enzephalopathie, hepatische 639–641 – Ammoniakhypothese 640 – Auslöser 640 – Intoxikationshypothese 640 – Mangelhypothese 640 – Ösophagusvarize 641 – Stadien 640 – Symptomatik 640 – Therapie 652 – Varizenblutung 641, 642 Enzephalopolyneuropathie 639 Enzymsubstitution, chronische Pankreatitis 706
C–F
Eradikationstherapie 116, 334, 337, 351, 352, 367 Erbrechen, schwallartiges 793 Erkrankung, posttransplantationslymphoproliferative 426 Ernährung, enterale 48 Erweiterungspyloroplastik 369 Erysipel 194 – Antibiotikatherapie 197 Erythrozytenkonzentrat 189 Esmarch-Handgriff 313 Essstörungen 384 Etappenlavage 210, 470 Ethanolinjektion, perkutane 20, 23
F Facies abdominalis 200 Faden – 7 Nahtmaterial – Elastizität 142 – Entfernung 148 – Flexibilität 143 – Kapillarität 142 – monofiler 142 – Resorptionszeit 143 Fadenstärke 142 Fadenstruktur 142 Faktor-XIII-Mangel 190 Famotidin 329, 338, 340 Fast-track-Chirurgie 472 Fasziendoppelung nach Mayo 771 Fatty triangle 772 Feinkontinenz 505 Feinnadelaspirationszytologie 8 Feinnadelpunktion 17, 18 Felty-Syndrom 737 Femoralhernie 757 α-Fetoprotein 627 Fettleber 95 Fettmalabsorption 82 Fettsucht 7 Adipositas Fibrinkleber 118, 146 Fibrinolyse 623 Fibrinolysehemmung 207 Fissurektomie 520 Fistel – anorektale 522–528 – biliodigestive 589 – cholezystoduodenale 589 – cholezystokolische 589 – Crohn-assoziierte 528 – enterokolische 436 – enterokutane 441 – extrasphinktäre 527 – ileosigmoidale 441 – interenterische 441 – pelvirektale 527 – perianale 441
816
Sachverzeichnis
Fistel – retroperitoneale 437, 441 – tracheoösophageale 791 Fistulektomie 524 – mit Mukosa-Advancement-Flap 527 – mit Seton-Drainage 526 Fistulographie 524 Fistulotomie 524 Flankenschnitt 140 Fokussanierung 7 Herdsanierung Forrest-Klassifikation 116, 186, 349 Forward-Theorie 638, 639 Fremdkörper – extraluminale 312 – verschluckte 312–314 Fremdkörperextraktion, endoskopische 119 Fremdkörpermediastinitis 35 Fremdkörperreaktion 762, 764 Frey-Verfahren 710 Frühdumping 375 Frühkarzinom, Mukosaresektion 103 Fundophrenikopexie 300, 301 Fundoplikation 276–279 Fundus-first-Technik 590 Fußpunktanastomose 346
G Gallefistel 176 Gallekolik 559 Galleleck 635 Gallenbildung 554, 555 – gestörte 7 Cholestase – Transportproteine 554, 555 Gallenblase 551 – Agenesie 552 – Duplikatur 552 – Hydrops 587 – Karzinom, Sonographie 9 – Perforation 584 – Sludge 559 – wandverdickte 587 Gallengangsatresie 808, 809 Gallengangsdrainage, endoskopische transpapilläre 107 Gallengangskonkremente 7 – endoskopische Therapie 106 Gallengangsobstruktion 574, 592 Gallengangssanierung 694 Gallengangsstenose 593, 712 Gallengangsverletzung 583, 584 Gallengangszyste 594–597 – Epidemiologie 594 – Klassifikation 595 Gallensäure 554 Gallensäurenmalabsorption 82 Gallensäureverlust, enteraler 81
Gallenstein – 7 Choledocholithiasis – Bilirubin 558 – Cholesterin 558, 578 – Extraktion 569 – intrahepatischer 593 – Pankreatitis 691 – Rezidiv 608 Gallensteinileus 6, 589 Gallenwege – Anatomie 551–553 – extrahepatische 551, 552 – – Entzündung 606 – Gefäßversorgung 553 – laparoskopische Revision 581, 582, 585 – Motilitätsstörungen 557 – Reintervention 607–617 Gallenwegserkrankungen 550–617 Gallenwegsfehlbildungen 552 Gallenwegskarzinom 7, 107 Gallenwegsläsion 608–617 – Klassifikation 608, 609 – operative Therapie 614–617 Gallenwegsstriktur – benige 598–606 – Diagnostik 598 – Lebertransplantation 603 – Pathogenese 598 – Symptomatik 598 – Therapie 599–606 Gallenwegstumor, Sonographie 9 Gallereflux 7 Reflux, duodenogastraler Gammaglutamyltransferase 95 Gammakamera 56 Ganglion-coeliacum-Blockade 718 Gardner-Syndrom 473 Gas-bloat-Syndrom 279 Gasembolie 128 Gastrektomie – Drainage 162 – postoperative Beschwerden 375–377 Gastric pits 327 Gastrin 91, 327, 328 – Überproduktion 330 gastrin-releasing peptide 328 Gastritis – atrophische 332, 376 – autoimmune 332, 336 – chemische 332 – chronische 332 – – Magenkarzinom 334 – eosinophile 333 – granulomatöse 333 – Helicobacter-pylori-induzierte 332 – lymphozytäre 333 – phlemonöse 333 – Ulcus duodeni 348, 350 Gastroduodenostomie 344, 345 Gastroenteritis 490 – bei AIDS 393 – eosinophile 392
Gastroenterostomie 151 – antekolische 345 Gastrografin 177, 235 Gastrojejunostomie 345 – perkutane 48–50 Gastroparese, diabetische 326 Gastropathie, portal-hypertensive 639 Gastropexie 276, 300, 301, 380 Gastrostomie, perkutane 48–50, 114 Gefrierplasma (FFP) 186 Genitalwarze 536 Gerlach-Klappe 488 Gewebetransplatnation 166 GIP 92 Gliadin 392 Glukose-H2-Atemtest 80 Glukoseintoleranz, chronische Pankreatitis 702 Glukosetransportstörung 392 Glutamatdehydrogenase 95 γ-Glutamyltransferase 622 Glycomer 146 Glykopeptide 196 Gonorrhö 534, 536 Goodsall-Regel 523, 525 Graft-versus-host-Reaktion 169 Gray 56 Grazilisplastik, dynamische 545 Grey-Turner-Zeichen 688 Gummibandligatur, endoskopische 642 Gyrasehemmer 196 G-Zelle 91, 328
H H+-K+-ATPase 327, 329 Haarzellleukämie 737 Haifischflossenpapillotom 562 Hämangiom – kavernöses, Szintigraphie 60 – Sonographie 8 Hamartom, Milz 735 Hämatemesis 115, 359, 363 Hämatochezie 115, 359, 363 Hämatom – perikolisches 225 – perirenales 225, 226 Hämobilie 634 Hämophilie A 190 Hämorrhoidalarterienligatur 516 Hämorrhoidektomie 510–515 – Analprolaps 534 – nach Ferguson 512, 514 – geschlossene 514 – Komplikationen 516, 517 – nach Milligan-Morgan 510, 511 – nach Parks 513, 514 – submuköse 514
817 Sachverzeichnis
Hämorrhoiden 505–517 – Gummibandligatur 508, 509 – HIV-Infektion 517 – Infrarotkoagulation 509, 510 – Klassifikation 506 – Kryochirurgie 510 – Schwangerschaft 517 – Sklerotherapie 507 – Stuhlregulation 506 Hämorrhoidopexie 515 Hämostase 623 – Störungen 189, 190, 623 Händedesinfektion 194 Harnwegsinfekt, Antibiotikatherapie 197 Hartmann-Situation 187 Hauptzelle 327 Hautemphysem, kollares 128 Hautnaht 147, 148 Heimlich-Handgriff 314 Heinz-Körperchen 732 Helicobacter-pylori-Infektion 116 – Eradikation 116, 334, 337, 351, 352, 367 – Diagnostik 350, 351 – Gastritis 332 – Magenkarzinom 333, 334 – Ulcus duodeni 349–351 – Ulcus ventriculi 337 Helicobacter-Ureasetest 337 Hemiplikation 276, 277 Hepatektomie 671 Hepatikoduodenostomie 597 Hepatikojejunostomie 592, 593, 809 Hepatitis-B-Zirrhose 676 Hepatitis-C-Zirrhose 676 Hepato-IDA-Scan 626 Hepatolithiasis 593 Hepatopathie 556, 621–636 Hepatozyten 554, 555 Hepatozytennekrose 94 Herdsanierung, chirurgische 178, 190, 206 Hernia – ischiadica 755, 756 – lumbalis 755, 756 – obturatoria 755, 756 – perinealis 755, 756 Hernie – 7 Hiatushernie – 7 Leistenhernie – 7 Narbenhernie – 7 Umbilikalhernie – epigastrische 755, 756, 783 – parasternale 302 Herniographie 759 Herpes-simplex-Virusinfektion 534, 536 Herpes-zoster-sacralis-Infektion 536 Heubregtse-Sonde 571 Hiatoplastik – hintere 301 – transabdominelle 300 – vordere 301 Hiatus, Ausweitung 296
Hiatusgleithernie 296 Hiatushernie 65, 296–301 – axiale 269, 296, 297, 300 – Diagnostik 297, 298 – Klassifikation 296 – kombinierte 297–299 – paraösophageale 296, 299 – Symptomatik 297 – Therapie 299–301 Hiatusmischhernie Hirntod 167 – Diagnostik 167 – Kriterien 167 Histamin 327 – Überproduktion 330 Histamin-H2-Rezeptorantagonisten 329 Histidin-Tryptophan-Ketoglutarat 670 His-Winkel, Rekonstruktion 276 HIV-Infektion, Malassimilation 393 HLA-Kompatibilität 721 HLA-System 169 Hochdruckzone – anale 500 – rektosigmoidale 470 Hodenatrophie, nach Leistenoperation 774 Hodenhydrozele 780 Hodgkin-Lymphom, Milzbefall 736 Hohlnadel 16 Howell-Jolly-Körperchen 732 Hufeisenabszess 523 Hufeisenfistel 527 Huibregste-Prothese 108 HUT-Test 337, 351 Hydatide 628 Hydrocele testis 780 Hydro-Magnetresonanztomographie 436 Hydrosonographie 10 Hydrothorax, hepatischer 661 Hydrozele 759 Hypalbuminämie 662 Hyperbilirubinämie 622 Hyperchlorhydrie 269 Hypergastrinämie 91 Hyperinflammation, systemische 174 Hyperoxalurie 84, 86 Hyperparathyreoidismus 20, 702 Hyperplasie, fokal-noduläre 8 Hypersplenismus 732, 741 Hypertension, portale 637–666, 733 – Betablocker 647, 651 – Blutung 641–649 – konservative Therapie 650–652 – NO-Donoren 650 – Notfalltherapie 641–648 – operative Therapie 654–660 – Pathophysiologie 638, 639, 654 – Primärprophylaxe 651 – Sekundärprophylaxe 651 – Ursachen 638 – VEGF-Rezeptorantagonisten 650 Hypochlorhydrie, nach Magenresektion 376
F–I
Hypoglykämie – nach Magenresektion 375 – Pankreastransplantation 720 Hypoperistaltik 8 Hypoproteinämie 623 Hyposplenismus 732
I Ikterus – Choledocholithiasis 573 – cholestatischer 556, 585 – obstruktiver 579 – postoperativer 585 – prolongierter 809 – Sonographie 7 Ileostoma 484 Ileostomie – permanentes 458 – terminales 458 Ileozökalklappe, Rekonstruktion 395 Ileozökoalresektion 443 Ileum-J-Pouch 457 Ileus – Diagnostik 233, 234 – Epidemiologie 232 – Klassifikation 232, 233 – Letalität 236 – mechanischer 7, 201, 232 – Mortalität 236 – paralytischer 7, 232, 233 – – nach Pankreasoperation 718 – Pathophysiologie 232 – postoperativer 232, 741 – Prophylaxe 236 – Sonographie 7 – Symptomatik 233 – Therapie 235, 236 – – konservative 235 – – medikamentöse 236 Ilioinguinalis-Block 766 Immunität, peritoneale 127 Immunsuppression 168–170 – Erhaltungstherapie 169 – Induktionstherapie 169, 724 Immunsuppressiva 170, 423, 438, 673, 724 Impedanzmessung 272 Imrie-Score 688 Infektion, nosokomiale 194 Infrarotabsorptionsspektrometrie 82 Infrarotkoagulation, Hämorrhoiden 509, 510 Infundibulum 551 Inguinalhernie 758 Inhibition, postdeglutitive 248 Inhibitionsreflex, rektoanaler 498, 500, 519 Injektionstest 125 Inkarzeration 758 Inkontinenz 7 Stuhlinkontinenz
818
Sachverzeichnis
Inlay-Technik 771 Inselzelltransplantation 720 Insulinsekretion 92 Insulintherapie, intensivierte 207 Interleukin-2 168 Interleukin-2-Antikörper 169, 170 Intervallzystektomie 693 Intrinsic-Faktor 327 – Mangel 81 Intussuszeption 529 Invagination 8, 32, 529 – ileozökale 799, 800 Irisblendenphänomen 626 Ischämie – intestinale 42, 207, 400 – mesenteriale 32, 400 – – akute 401, 406, 411 – – chronische 404, 407, 410, 411 – – Diagnostik 404–406, 412 – – Dünndarmtransplantation 418 – – nichtokklusive 403, 411, 412 – – Therapie 407–411 Ischämietoleranz 168 Ischämiezeit 168 – kalte 670 Ivalon-Sponge-Operation 532 I-Zellen 91
J Jamieson-Divertikel 253 Jejunalsonde 227 Jejunostomie – perkutane 50 – transgastrische 7 Gastrojejunostomie Johnson-DeMeester-Score 267 Jo-Jo-Effekt 382
K Kaposi-Sarkom 474 Kapselendoskopie 392, 405 Kapselspannungsschmerz 200 Kardia 250 – Dilatation 288 – Inkompetenz 269 – intestinale Metaplasie 265 – Neoplasie 284 Karzinom – cholangiozelluläres 9, 676 – Crohn-assoziiertes 437, 442 – hepatozelluläres 9, 676 – – Radiofrequenzablation 21 – kolorektales, Sonographie 12 Katheterangiographie, arterielle 44 Kaudasyndrom 545 Kilian-Dreieck 253, 254
Klammerinstrumente 153–157 Klatskin-Tumor 108 Kletterligatur 492 Kneifdruck 73 Knochenmarktransplantation 166 Knotenbruchfestigkeit 142 Koagulation, disseminierte intravasale (DIC) 190 Koagulationsnekrose 308 Koagulopathie 190 – erworbene 190 Kocher-Manöver 344 Kock-Pouch 457 Kohlenhydratmalabsorption 80 Kokarde 8, 10, 467, 490 – pathologische 6 Kolektomie – ileopouchanale Anastomose 457 – ileorektaler Anastomose 477 – subtotale 458 Kolipase 685 Kolitis – indeterminierte 454 – ischämische 450, 451 – mikroskopische 451 – pseudomembranöse 449, 450 – radiogene 451 – toxische 442 Kollagen-I/III-Quotient 756 Koller-Pouch 5 Kolliquationsnekrose 308 Kolon – Angiodysplasie 474 – Dekompression 50 – Gefäßanomalien 474 – Hämangiom 474 – irritables 478, 479 – Obstruktion 51 – Teleangiektasie 474 Kolonanastomose, Drainage 162 Kolonischämie 407 Kolonkarzinom, Sonographie 10 Kolonkontrasteinlauf 234 Kolonresektion – Drainage 162 – subtotale 477 Kolontransitzeit 59, 477 Kolonverletzung 223 Kolonvolvulus 480–485 Kolostomie 547 Kommisur, hintere 517 Kompartmentsyndrom, abdominelles 211, 212, 229 Komponentenseparationstechnik 773 Kondylom, spitzes 536 Koniotomie 314 Kontinenz 7 Stuhlkontinenz Kontraktionsdruck 501 Kontrastmittel 32, 33 – Applikation 36, 40 – hyperosmolare 35
– isoosmolare 35, 36 – wasserlösliche 35 Kortikosteroide, Immunsuppression 170 Kryochirurgie, Hämorrhoiden 510 Kryotherapie 22 Kugelzellanämie 735 Kurzdarmsyndrom 394, 395 – Dünndarmtransplantation 416 – Morbus Crohn 439 – parenterale Therapie 418
L Labordiagnostik – Bauchtrauma 217 – Ileus 234 Lactomer 145 Ladd-Band 798 Laimer-Muskellücke 245 Laktasemangel 79, 392 Laktose-H2-Atemtest 79 Laktoseintoleranz 79 Laktosetoleranztest 79 Laktulose-H2-Atemtest 80 Langerhans-Inseln 92 Langzeitmanometrie, ambulante 69 Lansoprazol 330 Lanz-Punkt 489 Laparochisis 797, 798 Laparoskopie 123–128 – Abdomen, akutes 202 – Bauchtrauma 218 – Funktionsprinzip 124 – Gefäßverletzung 127 – Ileus 236 – Indikationen 126 – Komplikationen 127 – Kontraindikationen 126 Laparostoma 211 Laparostomie, Peritonitis 163 Laparotomie 137–140 – diagnostische 177 – laterale, pararektale 139 – mediane 139 – – Abdomen, akutes 202 – – pararektale 139 – paramediane 139 – quere 140 – – akutes Abdomen 788 – subkostale 140 Laserablation, interstitielle 22 Laserlithotripsie 564, 571, 594 Lasertherapie, Ösophaguskarzinom 113, 114 Läsion, Dysplasie-assoziierte 453 Last-image-hold-Technik 36 Latarjet-Nerv 356 Laugenverätzung 308–311 Lebendorganspende 167
819 Sachverzeichnis
Leber, Szintigraphie 60 Leberabszess, perkutane Drainage 26 Leberadenom, Sonographie 8 Leberbiopsie, perkutane 19 Leber-Dünndarm-Transplantation 419 Leberechinokokkose 627–631 Leberenzyme 94–96, 622 Lebererkrankungen 621–636 – Diagnostik 623–627 – progressive cholestatische 416, 418 Leberhämatom, subkapsuläres 222 Leberläsion 222, 223 – fokale 626, 627 – oberflächliche 222 Lebermalignom, primäres 627 Lebermetastase, Sonographie 8, 12 Lebersynthesefunktion 95 Lebertransplantation 668–676 – Abstoßungsreaktion 675 – Cholangiolithiasis 593 – Echinokokkose 630 – Emfängeroperation 670, 671 – Empfängerevaluation 669, 670 – Gallenwegskomplikationen 674, 675 – Gallenwegsstriktur 603 – Hepatektomie 671 – Immunsuppression 673 – Indikationen 668 – Komplikationen 673, 674 – Kontraindikationen 668, 669 – Lebendspende 670 – Lebertrauma 635 – Spenderoperation 670 Lebertrauma 222 Lebertumor – Ablationsverfahren 21 – Sonographie 8, 12 Lebervenenphlebographie 626 Leberverletzung 632–636 – Diagnostik 632, 633 – Klassifikation 632 – Therapie 633–636 Leberversagen, akutes 668 Leberzellnekrose 95 Leberzirrhose – alkoholtoxische 676 – Aszites 661, 662 – kompensierte 656 – Lebertransplantation 668 – posthepatische 668, 676 Leberzyste, Sonographie 8 Leistenhernie – Epidemiologie 755, 756, 780 – Frühgeborene 780 – kindliche 779–783 – Klassifikation 757 – Nahtverfahren 760 – Netzverfahren 760 – Operationskomplikationen 774 – Pathophysiologie 756 – primäre 755
– Reparation 766–770 – Rezidiv 775 – Therapie 760 Leukämie – chronisch lymphatische 737 – chronisch myeloische 736 Leukozytenszintigraphie 60 Levatorendiastase 529 Levatorplastik – hintere 544 – vordere 545 Levovist 4 Lewy-Körper 284 Lichtenstein-Technik 767, 768 Lifttechnik 149 Ligamentum – falciforme 634 – hepatoduodenale 551, 553 – splenocolicum 730 – splenorenale 730 Linea – alba 138 – arcuata 138, 772 – dentata 498, 500, 803 – semilunaris 773 Linton-Nachlass-Sonde 645 Lipase 96, 685 Lithotripsie – mechanische 106, 569 – Korb 563 Loop-Ileostomie 462 Los-Angeles-Klassifikation 266, 267 Luesserologie 534 Luft, extraintestinale 8 Lungenembolie 191 Lungenfunktion, eingeschränkte 132 Luschka-Gang 551 Lymphadenitis mesenterialis 490 Lymphom, Milzbefall 736
M Magen – Adenokarzinom 332 – Fremdkörper 312–314 – Innervation 354 – Lageanomalien 378, 379 – Motilitätsstörung 72 Magenausgangsstenose 297, 373, 374 – dekompensierte 373 – Diagnostik 373 – floride 373 – kompensierte 373 – Symptomatik 373 – Therapie 374 Magenband 383–385, 396 – Entfernung 387 – Komplikationen 387 – Rebanding 387
I–M
Magenbypass – laparoskopischer 385, 386 – proximaler 384–387 Magen-Darm-Passage – Röntgendarstellung 234 – nach Sellink 436 Magendivertikel 379 Magenduplikatur 378, 379 Magenentleerung 71, 92, 326 – beschleunigte 326 – Störung 326, 375 – Untersuchung 58, 59 Magenentzündung 7 Gastritis Magenfrühkarzinom 103, 334 Magenfundusvarize, Blutung 648, 650 Magenhochzug 791 Magenkarzinom – distales 334 – Helicobacter-pylori-Infektion 333, 334 – Sonographie 8, 12 Magenläsion, traumatische 315, 320 Magenlymphom, Sonographie 10 Magenmotilität 326 Magenmukosa – ektope 800 – heterotope 261, 262 Magenperforation 320 Magen-Pouch 387 Magenresektion – Billroth I 342–345, 374 – Billroth II 342, 343, 345, 346 – Folgezustände 375–377 – Komplikationen 347 – laparoskopische 346 – Malnutrition 376 – Roux Y 342, 343, 346 – Stumpfkarzinom 376 Magenruhedruck 69 Magenruptur 320 Magensäure 327 – Produktion 91 – Sekretion 328 – – Aktivierung 328, 329 – – Hemmung 329, 330, 340 – – Mechanismus 328, 329 – – postprandiale 337 – – Regulation 328 Magenschleimhaut, Protonenpumpe 329 Magensekretion 327 – Komponenten 327, 328 Magenskelettierung 344, 345 Magensonde 227 Magenspülung 310 Magenstumpfnekrose 347 Magenstumpfkarzinom 376 Magentransposition, Drainage 162 Magenverätzung 308–311 Magenverätzung, transmurale 311 Magenverletzung 223 Magenvolvulus 297, 379, 380 – organoaxialer 379
820
Sachverzeichnis
Magnetresonanzcholangiographie 43, 579 Magnetresonanzcholangiopankreatikographie 43, 591, 596, 598, 705 Magnetresonanzdefäkographie 531 Magnetresonanzpankreatikographie 218, 714 Magnetresonanztomographie 42, 43 Makroamylasämie 96 Malabsorption 392 – bei Cholestase 556 – Funktionstests 85 – Morbus Crohn 439 – nach Pankreasoperation 719 Malabsorptionssyndrom 78, 80 Malassimilation 78, 392 – 7 Malabsorption – 7 Maldigestion – Diagnostik 392 – Proteine 83 – Ursachen 392 Maldigestion 392 – chronische Pankreatitis 702 Mallory-Weiss-Syndrom 116, 317, 358, 365 Malnutrition – Blindsacksyndrom 396 – Magenresektion 376 – Pankreasoperation 719 – Pankreatitis 701 Malrotation, Darm 798 Malrotationsanomalien, Darm 797, 798 MALT-Lymphom 10, 350 Mangelernährung 132 Mannheimer Peritonitis Index 209, 470 Manometrie – 7 Ösophagusmanometrie – anale 477, 541 – anorektale 73–75, 502, 804 – antroduodenale 72 – gastrointestinale 71–73 Matrixmetalloproteinase 2 756 McBurney-Punkt 488 Meckel-Divertikel 396, 397, 490, 491, 799–801 – Diagnostik 58, 800 – Epidemiologie 800 – Therapie 397 Mediastinalabszess 320 Mediastinalemphysem 316, 317 Mediastinitis 315 Megakolon 476 – toxisches 455 Mehrpunktmanometrie 68 Mehrzeilenspiralcomputertomographie 41 Meissner-Plexus 803 Mekoniumileus 798, 799 Mekoniumperitonitis 797 Mekoniumpfropfsyndrom 799 Meläna 115, 359 Membranatresie 795 Menghini-Set 16 6-Mercaptopurin 438
Mesenterialarterienembolie 411 – Therapie 408 Mesenterialarterienthrombose 402, 411 Mesenterialembolie 402 Mesenterialischämie 7 Ischämie, mesenteriale Mesenterialvenenthrombose 400, 403, 404, 411 – Antikoagulation 408, 410 – Therapie 410 Mesenterikographie 615 Mesh-Komplikation 760 Mesh-Wrapping 634 Mesorektum 500 Metallfaden 144 Metallstent 108 Metaplasie, intestinale 332 Methylenblauinjektion 442 Mikrolith 573 Mikrosphäre 4 Mikrozirkulationsstörung 207 milky spot 747 Milwaukee-Klassifikation 592 Milz – akzessorische 731 – Anatomie 730, 731 – Diagnostik 733, 734 – Echinokokkuszyste 734 – Funktionen 731, 732 – Gefäßversorgung 730 – Hämangion 735 – Hämangiosarkom 735 – Hamartom 735 – Lymphangiom 735 – Pathophysiologie 732, 733 – Pulpa, rote 731 – – weiße 73a – Zyste 734, 735 Milzabszess 735 – Punktion 27 Milzarterienaneurysma 737 Milzentfernung 7 Splenektomie Milzinfarkt 735 Milzmetastase 735 Milzresektion 7 Splenektomie Milzruptur 221, 222, 737, 738 – Diagnostik 734 – iatrogene 738 – spontane 737, 738 Milzvenenthrombose 693, 712, 741 Minnegerode-Zeichen 316 Mirizzi-Syndrom 589, 590 Molluscum-contagiosum-Infektion 536 Mononucleosis infectiosa 737 Monosaccharid-Test 84 Morbus Crohn 333, 392, 431–444 – Abszess 441 – akuter Schub 438 – analer 528 – Antibiotikatherapie 439 – Antisensenukleotide 439
– Appendektomie 491 – Ätiologie 432 – Bypass-Verfahren 444 – chirurgische Therapie 439–444 – chronisch-aktiver 438 – Darmperforation 442 – Diagnostik 435–437 – Differenzialdiagnostik 434, 435 – Epidemiologie 432 – Ernährung 439 – Fistelbildung 441 – Hämorrhoiden 528 – Harnwegsinfektion 441 – Immunsuppression 438 – Komplikationen 437 – Lokalisation 435 – Malabsorption 439 – Obstruktion 440 – Pathologie 432 – proktologische Veränderungen 528 – Remissionserhaltung 438 – Stenose 440 – Stoma 444 – Symptomatik 434, 435 Morbus – Gaucher 737 – Hirschsprung 74, 475, 799, 803–805 – Menetrier 333 – Osler-Weber-Rendu 191 – Werlhof 190, 736 – Whipple 392, 393 – Wilson 639 Morrison-Pouch 5 Mother-Baby-Endoskopie 561 Motilität, gastrointestinale 58, 59, 64–75 Motilitätsstörungen – Gallenwege 557 – gastrointestinale 200 – Ösophagus 248, 257, 293 Motorkomplex, rektaler 501 Mukosa-Advancement-Flap 527 Mukosabarriere 232, 327 Mukosaischämie 207 Mukosaprolaps 529 Mukosaresektion, endoskopische 103, 104 Mukosazylinderplastik 616 Mukosektomie 532 – rektale 534 Multiorgandysfunktionssyndrom 209 Multiorganentnahme 722 Multiorganversagen 206 – septisches 207 Musculus – gracilis 545 – internus abdominis 138 – levator ani 498 – obliquus externus abdominis 138 – puborectalis 498 – rectus abdominis 138 – sphincter ani externus 498 – – – internus 498
821 Sachverzeichnis
– transversus abdominis 138 MUSE-Schema 266 Muskelblutung 186 Muskelplikation nach Delorme 532, 534 Mycobacterium paratuberculosis 432 Mycophenolat 169, 170, 724 Myotomie – distale 258 – extramuköse 258 – laparaskopische 289 – transabdominale 289 – zervikale 255, 256
N Nabelhernie 756 – Embryologie 782 – Operation 782, 783 – Spontanverschluss 782 Nachblutung 186 – frühe 186, 187 – späte 187 Nadel 146, 147 – atraumatische 146 – chirurgische 146 Nadelkorpus 146 Nadelspitze 147 Nahrungsverweigerung, akute 787 Naht – chirurgische 141–152 – extramuköse 149 – fortlaufende 148, 149 – gastrointestinale 148–151 – intrakutane 147, 148 Nahtinsuffizienz 178 Nahtmaterial 142 – Auswahl 146, 147 – nichtresorbierbares 143, 144 – resorbierbares 145 – synthetisches 144, 145 Nahttechnik 151, 152 Narbenhernie – Epidemiologie 755 – Klassifikation 758 – nach Laparoskopie 128 – Nahtverfahren 770 – Netzverfahren 771 – Pathophysiologie 757 – Reparation 770–774 – Rezidiv 775, 776 – Therapie 760, 761 Natriumtaurocholat 554 Nebenschilddrüse, perkutane Ethanolinjektion 20 Neisseria genorrhoiae 534 Neodym-YAG-Laser 114 Nephrolithiasis, Diagnostik 84 Nervenstimulation, sakrale, Stuhlinkontinenz 543
Nervus – cutanaeus femoris lateralis, Verletzung 774 – genitofemoralis 766 – hypogastricus, Verletzung 774 – ilioinguinalis, Verletzung 774 – pudendus 500, 503 – splanchnicus 684 Netz, großes 7 Omentum majus Netzaugmentation 760 Netzmigration 765 Netzplastik – epifasziale 771 – retromuskuläre 771 – transinguinale präperitoneale 760 Netzplombe 750 Netzschrumpfung 764, 774 Netzunterfütterung 773 Neuropeptid Y 92 Niereninsuffizienz, terminale, Dünndarmtransplantation 418 Nierenläsion 226 Nierenversagen – postoperatives 175 – prärenales 404, 405 Nissen-Fundoplikation 276–278 Nitroglyzerintherapie – Analfissur 519 – Varizenblutung 644 Nizatidin 329 Nonrotation, Darm 797 NSAR-Enteropathie 83 Nussknacker-Ösophagus 248, 249, 252, 292
O OATP 554 Obstipation – chronische 73, 475–478 – – Diagnostik 477 – – Therapie 477 – – Ursachen 476 – funktionelle 476 – idiopathische 476 Obstruktion – biliäre, Sonographie 6 – maligne, Stenteinlage 50–52 Obstruktionsileus 798 Octreotid 645, 719 Odynophagie 259, 263, 270, 286, 309 OKT3 169, 170 Oligosaccharid-Test 84 Omega-3-Fettsäuren 133 Omentitis 747 Omentum majus – Anatomie 746 – Gefäßversorgung 746 – als Gewebeersatz 748
M–O
– als Volumenersatz 749, 750 omentum associated lymphoid tissue (OALT) 747 Omentumchirurgie 748–750 Omentumlappen 748, 750 Omentum-patch-Plastik 370 Omentumpexie 749 Omentumtransposition 749 Omeprazol 330, 340, 341 Omphalozele 798 onlay mesh 761 Onlay-Technik 761, 771 Operation, ambulante 182–184 Opsonierung 731, 732 Optiktrokar 125 Orchitis, ischämische, nach Leistenoperation 774 Organ Injury Scale 737 Organentnahme, Transplantation 167, 168 Organkonservierung 168 Organspende 167 Organtransplantation 7 Transplantation Organverlagerung, abdominothorakale 302 Organversagen – sekundäres 176 – septisches 210 Ösophagitis, Kindesalter 792 Ösophagogastroduodenoskopie 186, 435 Ösophagographie 34 Ösophagomanometrie 249 Ösophagospasmus 248, 249 Ösophagus – Anatomie 244, 246, 247, 2250, 251 – Arzneimittelulzera 264 – Biopsie 271 – Endoskopie 271 – Epithel 247 – Fremdkörper 312–314 – Funktionsdiagnostik 71 – Funktionsstörungen 245, 246, 248–250, 252, 268, 269, 283–293 – heterotope Magenmukosa 261, 262 – Innervation 245 – Laugenverätzung 308 – Motilitätsstörungen 248, 249, 257, 293 – Myotomie 289 – Pars abdominalis 246 – Pars cervicalis 246 – Pars thoracalis 246 – Peristaltik 247 – Plexus myentericus 285 – Säureverätzung 308 – Sklerodermie 293 – tubulärer 244, 246, 287, 290 Ösophagusachalasie, endoskopische Therapie 111, 112 Ösophagusatresie 790–792 Ösophagusdivertikel 156, 244, 253–260 – epiphrenisches 257, 258 – operative Therapie 254–257, 259, 260
822
Sachverzeichnis
Ösophagusdivertikel – parabronchiales 259 – zervikales 253, 254 Ösophagusfistel 315 Ösophagusinfektion 263 Ösophaguskarzinom, Sonographie 10, 11 Ösophagusläsion, traumatische 315–320 Ösophagusmanometrie 64–71, 286, 291, 298 – Indikationen 64, 71 – Instrumente 65 – Interpretation 69 Ösophagusmotilität 65, 67, 68 Ösophagusmuskulatur, Denervierung 290 Ösophagusperforation 309, 315 Ösophagus-pH-Metrie 291, 298 Ösophagusresektion, Drainage 162 Ösophagusring 262 Ösophagusruptur 315, 317–319 – emetogene 315 Ösophagusspasmus, diffuser 290–292 Ösophagussphinkter – hypertensiver 252 – oberer 64, 244, 246 – Relaxation 251, 252 – unterer 65, 248, 250, 251 – – Ballondilatation 288 – – Botulinumtoxininjektion 288 – – erhöhter Ruhedruck 287 – – hypertensiver 292 – – insuffizienter 385 – – Manometrie 272 – – Myotomie 299, 289 – – Relaxation 267 – – verminderter Ruhedruck 267 – – zu kurzer 267, 269 Ösophagusstenose 311 Ösophagusstriktur 311 Ösophagustransitzeit 287 Ösophagustumor, submuköser 260 Ösophagusvarizen – Blutung 404, 648, 650 – hepatische Enzephalopathie 641 Ösophagusverätzung 308–311 Ösophagusverletzung 223 Osteitis, Antibiotikatherapie 197 Osteomyelofibrose 736 Osteopathie, bei Cholestase 556 Otto-Kanüle 16 Outlet-Obstruktion 476, 478, 529 Oxalatsteinnephrolithiasis 84
P Packing 634 Pancreas – anulare 681, 794 – divisum 682, 701
Pankreas – Anatomie 681–684 – Blutversorgung 683 – Embryologie 681, 682 – Physiologie 684–686 – Pseudoaneurysma 712 – Punktion 20 Pankreasabszess 696 – Punktion 27 Pankreasenzyme 91, 92, 96 Pankreasfistel 176, 716, 719 Pankreasinsuffizienz 81, 392, 702 – endokrine 717 – exokrine 702, 706, 717 – nach Pankreasoperation 719 – nach Pankreasresektion 717 Pankreaskarzinom 684 – Diagnostik 705 – Malassimilation 392 – Sonographie 9, 12 – zystisches 11 Pankreaskopf 683 Pankreaskopfkarzinom 684 Pankreaskopfresektion 709–7811 – duodenumerhaltende 711 Pankreaslinksresektion 712, 715 Pankreaslipase 96 Pankreasnekrose 690 Pankreaspseudozyste 110, 695–698 Pankreaspseudozyste 712 – akute 696 – chronische 696 – Definition 695 – Diagnostik 696, 697 – Drainage 697 – Epidemiologie 695 – Klassifikation 695 – Pathogenese 695 – postoperative 717 – posttraumatische 695 – Symptomatik 696 – Therapie 697, 698 – Verlauf 696 Pankreasresektion 698 – Malassimilation 392 Pankreassaft 684, 685 Pankreasschwanzresektion, Drainage 163 Pankreassekretion 685, 686 – exokrine 686 – interdigestive 685, 686 – Regulation 686 Pankreastransplantation 720–726 – Drainage 723, 724 – Empfängeroperation 723 – Ergebnisse 726 – Hyperinsulinämie 723 – Immunsuppression 724, 725 – Indikationen 720 – Komplikationen 725 – Kontraindikationen 721
– Mortalitätsrisiko 721 – Pankreatitis 725 – Spenderoperation 722 – Spenderselektion 721, 722 – Transplantatthrombose 725 Pankreastrauma 701, 713–717 – Diagnostik 714 – Drainageoperation 716 – Klassifikation 714 – stumpfes 714 – Therapie 714–716 Pankreaszyste, Sonographie 11 Pankreatektomie, totale 712 Pankreatikojejenostomie 715, 716 Pankreatitis – akute 687–690 – – Ätiologie 687, 688, 692 – – Definition 687 – – Diagnostik 688, 692 – – Epidemiologie 691 – – Imrie-Score 688 – – Klassifikation 692 – – Laparostomie 693 – – Nekrosektomie 693 – – Symptomatik 688, 692 – – Therapie 689–694 – alkoholinduzierte 700 – biliäre 575, 576, 688, 690 – chronische 92, 604, 698–706 – – Cambridge-Klassifikation 705 – – Diagnostik 703 – – Drainageoperation 709, 710 – – Enzymsubstitution 706 – – hereditäre 701 – – kalzifizierende 701 – – Klassifikation 699 – – neuroablative Maßnahmen 709, 712 – – Pathogenese 699 – – Resektion 698 – – Schmerzmanagement 705, 706 – – Symptomatik 702 – – Therapie – – – chirurgische 708–712 – – – endoskopische 109, 110 – – – konventionelle 705–707 – – tropische 701 – Diagnostik 96, 688, 692, 703 – idiopathische 701 – nekrotisierende 690 – – Antibiotikatherapie 197 – obstruktive 699 – postoperative 347 – posttraumatische 717 – serös-ödematöse 688, 690 Pankreatojejenostomie, nach PartingtonRochelle 709 Pankreolauryltest 704 Pantoprazol 330 Pantozol 340 Papaverin 407, 408
823 Sachverzeichnis
Papilla – duodeni major 682 – – minor 682 – Vateri 551 Papillenstenose 592 Papillom-Virus 536 Papillotomie 562, 690 – endoskopische 104, 105, 565–568 Parazentese 662 Parenchymflächenversiegelung 221 Parietalzelle 327, 328 Pathogenitätsinsel 350 Patientenaufklärung 7 Aufklärung Patterson-Kelly-Syndrom 263 Peliosis 735 Penicilline 195, 196 Pepsinogen 327 Peptid YY 92 Peptide, gastrointestinale 90–93 Peptid-Histidin-Methionin 92 Perfusionsmanometrie 65, 73 Perianalabszess 523 Perianalvenenthrombose 517 Periduralanästhesie 134 Perinealblock, posteriorer 505 Perisplenitis 733 Peristalsis – gestörte 269 – hypertensive 292 – sekundäre 248 – tertiäre 248 Peritoneallavage 5, 218, 408 Peritoneographie 759 Peritonismus 396 Peritonitis 206, 209–211, 402 – Antibiotikatherapie 197 – Diagnostik 209, 210 – diffuse 163 – – eitrige 466 – – kotige 466 – Dünndarmtransplantation 426 – generalisierte 178 – Klassifikation 209 – nach Laparoskopie 127 – Mortalität 211 – primäre bakterielle 209 – Prognose 211 – sekundäre 209 – spontane bakterielle 663 – tertiäre 209 – Therapie 210, 211, 408, 410 – nach Ulkusperforation 368 Perizystektomie 630 Permeabilitätstests 83, 84 Peutz-Jeghers-Syndrom 473 Pfählungsverletzung 220 Pfannenstielschnit 140 Pflastersteinrelief 432 Pfortaderthrombose 403, 410 Phenol-Mandelöl 507 Phlegmone, Antibiotikatherapie 197
Phosphatase, alkalische 94, 622 Phospholipase 685 Phrenikusparese 303 Piggy-back-Technik 670 Pigtail-Prothese 108 Pirenzepin 340 Pitting 731 Platzbauch 755 Pleuraempyem 315 Plexus – coeliacus 684 – haemorrhoidalis 505 – – inferior 517 – pampiniformis 766 – sacralis 500 – submucosus 805 Plexus-coelicaus-Nervblockade 706 Plicae pleuroperitoneales 302 Plug-and-Patch-Technik 768, 773 Plummer-Vinson-Syndrom 263 Pneumoperitoneum 124, 125 – Anlage 125, 126 – Gasembolie 128 – Gefäßverletzung 127 – Hyperkapnie 126 – Pathophysiologie 126, 127 Poliglecapron 146 Polyamid 144 Polyarteriitis nodosa 402 Polybutester 144 Polycythaemia vera 737 Polydioxanon 146 Polyester 144 Polyesternetz 763 Polyglactin 15, 144 Polyglykolsäure 144, 145 Polyglytone 146 Polyhydramnion 790, 794, 795 Polypektomie – Blutung 102 – endoskopische 101–103 – Komplikationen 102 – Perforation 103 – Technik 101, 102 Polypeptid – pankreatisches 92 – vasoaktives intestinales 92 Polypose, familiäre adenomatöse 473 Polyposis colis 453 Polypropylen 144 Polypropylennetz 763 Polysplenie 731 Polytetrafluorethylenfolie 763 Polyurethan, Drainagematerial 161 Polyvinylchlorid, Drainagematerial 161 Polyvinylidenfluoridnetz 763, 764 Portalvenendruck 638 Portalvenenthrombose 674, 693 Portioschiebeschmerz 201 Portographie 624 Positronenemissionstomographie 61, 62
O–P
Postaggressionssyndrom 174 Postcholezystektomiesyndrom 585 Postgastrektomiebeschwerden 375–377 postoperative nausea and vomiting 134 Postsplenektomiesyndrom 733 Postvagotomiediarrhö 377 Postvagotomiedysphagie 376, 377 Pouchitis 461 Pouch-Operation 460, 461 PPI-Test 272 Precut-Papillotom 562, 566 Pringle-Manöver 221, 223, 633, 634 Problemkeime 195 Processus – uncinatus 681, 683 – vaginalis 780 Proktodealdrüse 500, 522 Proktokolektomie – mit endständiger Ileostomie 457 – mit Ileumpouch-analer Anastomose 457 – mit Koch-Pouch 457 – restaurative 478 – Technik 459, 460 – totale 459 Proktosigmoidoskopie 218 Proktoskopie 502 Proktothermtherapie 510 Prostaglandin E2 327 Prostaglandinanaloga 341 Proteinmalassimilation 83 Proteinverlust, enteraler 83 Prothese – totale extraperitoneale 760, 770 – transabdominelle präperitoneale 760, 769 – transinguinale präperitoneale 768 Prothrombin 623 Protonenpumpe 329 Protonenpumpeninhibitoren 330, 338, 341, 706 Pruritus, bei Cholestase 556 Pseudoachalasie 283 Pseudocholinesterase 95 Pseudodiarrhö 542 Pseudodivertikulose, intramurale 253 Pseudomyxoma peritonei 491 Pseudoobstruktion, intestinale 479 Pseudopolyp 453 Pseudotumor 8 Pseudozystoenterostomie 697 Pseudozystogastrostomie 697 Psoasanspannungsschmerz 489 Pudenduslatenzzeit 503 Pulltyp-Papillotom 562 Pulsionsdivertikel 253, 257 Punktion – sonographisch gesteuerte 16–18 – Tumorzellverschleppung 20 Punktionnadel 16 Punktions-Aspiration-Injektion-Reaspirations-Methode 629
824
Sachverzeichnis
Punktionsschallkopf 17 Purpura – Schoenlein-Henoch 403 – autoimmun-thrombozytopenische 190 – thrombotisch-thrombozytopenische 736 Pyelographie – intraoperative 217 – intravenöse 759 Pyloromyektomie, extramuköse 355 Pyloromyotomie 793 Pyloroplastik 355, 369 – nach Heineke-Mikulicz 355, 369 Pylorusspasmus 356 Pylorusstenose, hypertrophe 793 Pyruvatkinasemangel 735, 736
Q Quadrupeltherapie 724
R Rabeprazol 330 Radiofrequenzablation 4, 21 Radiopharmazeutika 56 Radke-Falte 805 Ramus criminalis 356 Ranitidin 329, 340 Rapamycin 169, 170 Rechtsdivertikulitis 467 Reflux – biliärer 267 – Bilirubin 327 – duodenogastraler 269, 326, 332 – – Ulcus ventriculi 337 – Gallensäure 327, 700 – gastroösophagealer 7 Refluxkrankheit, gastroösophageale – ösophagealer, bei Hiatushernie 296, 297 Refluxkrankheit, gastroösophageale 50, 69, 70, 264–281 – Antirefluxchirurgie 274–277 – Definition 264 – Diagnostik 59, 271–274 – Endoskopie-negative 267 – Epidemiologie 264 – Klassifikation 266 – Ösophagusatresie 791 – Pathogenese 267 – Protononpumpenhemmer 274 – Reoperation 280 – Rezidivprophylaxe 274 – Säuglingsalter 792, 793 – Therapie 274–281 Refluxösophagitis 265, 269, 296 – nach Magenresektion 375
Refluxrezidiv 280 Regel von Goodsall 523, 525 Regurgitat – Qualität 269, 270 – Quantität 269 Regurgitation 254, 259, 270, 286 Rehn-Delorme-Operation 478 Reißfestigkeit, lineare 142 Reizdarmsyndrom 478, 479 Rektopexie 531 – anteriore 532 – posteriore 532 Rektosigmoidektomie, perineale 533, 534 Rektoskopie 531 Rektozele 545 Rektumadenom 473 Rektumatresie 805–807 Rektumkarzinom, Sonographie 11 Rektumprolaps 527 – Definition 529 – nach Duhamel 804 – Drainage 162 – nach Rehbein 804 – nach Soave 804, 805 – Therapie 531, 532 – transsphinktäre 532 Rektumulkus, solitäres 529 Rektumverletzung 224 Rektusdiastase 755 Rektusscheide 138 – Eröffnung 139 Rekurrensparese 259 Relaparotomie 186, 210 Relaxatio diaphragmatica 303 Relaxation, rezeptive 501 Rendez-vous-Technik 260, 567, 602 Resektionsrektopexie 478, 531 Residualstein 608 Resorptionsstörungen 7 Malassimilation Resorptionstest 78–87 Retikuloendotheliales System 732 RET-Protoonkogen 803 Revisionslaparotomie 220, 221 Reye-Syndrom 639 Rezidivblutung 186, 187 Rezidivhernie 757 – Epidemiologie 755 Rezidivstein 608 Ribonuklease 685 Riolan-Anastomose 401, 450 Risiko – perioperatives 131–134 – postoperatives 134 Robinson-Drainage 162 Rockall-Scoring-System 362 Roux-Y-Magenresektion 342, 343, 346 Roux-Y-Magenbypass 384 Rovsing-Zeichen 489 Rückstichnaht 147, 149 Rutkow-Technik 760
S Saint-Trias 297 Salzsäure 327 Sandostatin 347 Sarkoidose, Splenomegalie 737 Sattelblock 505 Säuresekretion 7 Magensäure, Sekretion Säureverätzung 308–311 Savary-Gilliard-Bougie 111 Savary-Miller-Klassifikation 266 Schatzki-Ring 262, 263 Schenkelhernie 756 Schichtungsphänomen 6 Schilddrüse – Feinnadelbiopsie 19 – perkutane Ethanolinjektion 20 – Sonographie 8 Schilddrüsenkarzinom 8 – medulläres 392 Schillingtest 81 Schluckakt 243 Schluckbeschwerden – 7 Dysphagie – 7 Odynophagie Schluckstörungen, Diagnostik 48 Schmerz – somatischer 200 – viszeraler 200 Schmerztherapie 201, 202 Schmetterlingsplastik 616 Schock, septischer 206 Schrägschnitt, lumbaler 140 Schussverletzung 220 75 SeHCAT-Test 81, 82 Seide 144 Seilbahntechnik 149 Sekretin 92, 686 Sekretinstimulationstest 703 Seldinger-Technik 24, 25, 50 Semifundoplikation 793 Sengstaken-Blakemore-Sonde 645 Sepsis 178, 190 – abdominelle 206–208 – Antibiotikatherapie 197 Septum – rectovaginale 500 – transversum 302 Serom, nach Hernienoperation 765 Seromyotomie 355 – anterior 356 Seropneumothorax 317 Serum-Aszites-Albumin-Gradient 661 Seton-Drainage 524, 526 Shouldice-Technik 760, 766 Shunt – mesokavaler 656 – peritoneovenöser 664 – portokavaler 647, 656 – selektiver distaler splenorenaler 648
825 Sachverzeichnis
– transjugulärer intrahepatischer portokavaler 655, 656 – – – portosystemischer 646, 648 Shunt-Enzephalopathie 639 Sichelzellanämie 736 Sievert 56 Sigmadivertikulitis 8, 465, 468 – operative Therapie 470, 471 Sigmaresektion 469, 470 Sigmavolvulus 481 Sigmoidektomie 531 Sigmoidostomie, doppelläufige 524 Silikon, Drainagematerial 161 Silk-glove sign 780 Single-Photon-Emissionscomputertomographie 56 Sirolimus 170 SIRS 174 Sjögen-Syndrom 452 Sklerosierungstherapie, endoskopische 642, 643 Sling-Faser 289 Sodbrennen 270 Soiling 540 Somatostatin 92, 93, 327, 328, 644 Somatostatinanaloga 93 Sonographie – Bauchtrauma 217 – diagnostische 4–12 – endoanale 502, 529 – endoskopische 7 Endosonographie – Ileus 234 – interventionelle 16–28 – intraduktale 9 – intraoperative 11, 12 – Kontrastmittel 4 – Notfallsituation 4, 5 – perkutane 8–10 – Schilddrüse 8 – zervikale Lymphknoten 8 Soorösophagitis 263 Spannungsgastrothorax 297 Spätdumping 375 Speichelfistel 178 Speiseröhre 7 Ösophagus Spender-Empfänger-Matching 169 Sphärozytose, hereditäre 735 Sphincter Oddi 557 Sphinkter, künstlicher 546 Sphinkteroklasie 567, 568 Sphinkterotomie 557 – endoskopische 104, 105 – laterale 516 – – partielle 519, 520 – – subkutane 521 Sphinkterrekonstruktion 544 Sphinkterrelaxation, chemische 519 Sphinkterruhedruck 73 Sphinkterruptur 544 Spiegelbildung 32 Spieghel-Hernie 755, 756
Spinnengeflecht 263 Spirometrie 759 Splanchniektomie, thorakoskopische 712 Splenektomie 222, 738–740 – Drainage 163 – Komplikationen 741 – laparoskopische 739, 740 – Morbidität 741 – Mortalität 741 – offene 738 Splenomegalie 639, 732, 739 Spleno-Portographie 624 Split-Lebertransplantation 672 Split-Stoma 408 Splitting, therapeutisches 573 Sprue 79, 452 – glutensensitive 393 – tropische 393 St.-Marks-Fingerlelektrode 503 Stanzbiopsie 19 Stapler – lineare 153, 156 – zirkuläre 153–156 Staplerhämorrhoidopexie 515, 534 Steatohepatitis 622 Steatorrhö 82 – Blindsacksyndrom 396 – chronische Pankreatitis 702, 703 Steatose 622 Steinballon 563 Steinextraktion 106, 569 Steinfragmentation 106 Steinkorb 563 Stenose, peptische 265, 270 – Therapie 276 Stenteinlage 50–52, 108 Stentimplantation, endoskopische 112, 113 Stichverletzung, Bauchwand 219, 220 Stoma, protektives 441 Stoppa-Technik 760, 769 Stoß-auf-Stoß-Naht 770 Stoßwellenlithotripsie, extrakorporale 559–561, 564, 569, 593, 594 Strahlenkolitis 451 Streptokokken 194 Stressulkus 339–341 – Diagnostik 340 – Prophylaxe 340 – Risikofaktoren 340 – Symptomatik 339, 340 – Therapie 340 Striktur, anale 528 Strikturoplastik 444 Strip-Biopsie 104 Stuhlfettbestimmung, quantitative 78, 82 Stuhlinkontinenz 500, 501, 530, 540–547 – Ätiologie 542 – Biofeedbacktherapie 542 – Definition 540 – Diagnostik 10, 73, 541 – Diät 542
P–T
– Inzidenz 540 – Medikation 542 – neurogene 545 – operative Therapie 543 – sakrale Nervenstimulation 543 Stuhlvolumen 501 Stumpfgastritis, atrophische 376 24-Stunden-Manometrie 250 24-Stunden-pH-Metrie 64, 69, 70, 267, 268, 271, 792 Sublay-Technik, retromuskuläre 761 Sucralfat 340 Sugiura-Operation 659 Syphilis 534 S-Zellen 92 Szintigraphie 60
T Tachykardie, postoperative 175 Tacrolimus 169, 170, 423, 724 Tag-Nacht-Umkehr 640 TAPP-Technik 769 Taurocholat 554 T-Drainage 163, 611 Technetium 56 Technetium 57 Teerstuhl 115, 340 Teleangiektasie, Kolon 474 Teleskopphänomen 277, 279 TEP-Technik 770 Textiltamponade 221 Thalassämie 736 Thal-Fundoplastik 289 Thokoskopie 260 Thoraxmagen 296 Thoraxtrauma 4 Thrombektomie, operative 410 Thromboembolie 191 Thromboembolieprophylaxe 191 Thrombolyse – regionale 410 – systemische 410 Thrombopenie 623 Thrombophilie 191 Thrombose 191 Thrombozytenkonzentrat 186 Thrombozytopenie 190 – erworbene 190 – heparininduzierte 191 – medikamentös-allergische 191 – thrombozytoklastische 190 TIPP-Rives-Technik 768 Tourneu-Falte 805 Toxin, vakuolisierende 350 Tracheomalazie 792 Traktionsdivertikel 253 – parabronchiale 259 Transfusion 187
826
Sachverzeichnis
Transitzeit, orozäkale 80 Translokation 206 Transplantatabstoßung 7 Abstoßungsreaktion Transplantation 165–171 – 7 Knochenmarktransplantation – allogene 166, 168 – autologe 166 – heterotope 166 – homologe 166 – Indikationen 166 – isogene 166 – Kontraindikationen 167 – Organentnahme 167, 168 – orthope 166 – substitutive 166 – xenogene 166 Transplantatpankreatitis 725 Transplantatthrombose 725 Transversalis-Faszie 767 Transversumvolvulus 485 Trauma, abdominelles 7 Bauchtrauma Treponema pallidum 534 Triple-Therapie 351, 352 Trisomie 21 803 Trokar 124 – optischer 126 Trokarpunktion 125, 126 Trokartechnik 24, 25, 50 Trucut-Nadel 17 Truncus – coeliacus 400, 730 – hepatomesentericus 683 – vagalis posterior 684 Trypanosoma cruzi 476 Trypsin 685 – Substitution 706 Trypsinogen 685 Tumorzellverschleppung 20 Turcot-Syndrom 473 Turnbull-Operation 459
U Ulcus – Dieulafoy 116, 358, 365 – duodeni 348, 350 – – Diagnostik 348 – – Gastritis 348, 350 – – Helicobacter-pylori-Infektion 349–351 – – Helicobacter-pylori-negatives 352 – – Pathogenese 349, 350 – – Perforation 368 – – Stadieneinteilung 348, 349 – – Symptomatik 348 – – Therapie 364 – – unkompliziertes 348 – – – Therapie 353–358 – pepticum jejuni 326, 358, 365, 366
– ventriculi – – Gallereflux 337 – – Helicobacter-pylori-assoziiertes 337 – – Johnson-Typ I 343 – – NSAR-induziertes 337, 338 – – präpylorisches 343, 344 – – Therapie 341–347, 364 – – unkompliziertes 336–338 Ulkusblutung 359 Ulkusdurchstechung 186 Ulkusperforation 8, 368 – peptische 368–372 Ultraschall 7 Sonographie Ultraschalldissektor 740 Umbilikalhernie 755 University-of-Wisconsin-Lösung 670 Unterspitzung, submuköse 103, 104 upside-down-stomach 296 Urease 350 Ureterläsion 226 Urethrozystographie, retrograde 217 Ursodeoxycholsäure 559, 568
V VACTERL-Kombination 790, 805 Vacucut-Nadel 16 Vagotomie – Folgezustände 376, 37 – minimalinvasive 35 – selektiv gastrale 35, 343 – trunkuläre 354 Vagotonie 354 – proximal-gastrische 354, 356 Valsalva-Manöver 759 Van-de-Kamer-Methode 82 Varizenligatur, endoskopische 651 VEGF-Rezeptorantagonisten 650 Vektormanometrie 73 Vena – cava, Läsion 226 – gastrica sinistra 654 – lienalis 730 – mesenterica inferior 654 – portae 551 Vena-cava-Stenose, nach Lebertransplantation 674 Venenpatchangioplastie 225 Ventilationsstörung 175 Verätzung, Ösophagus und Magen 308–311 Verätzungsstriktur 311 Veress-Kanüle 125 Verner-Morrison-Syndrom 330, 392 Verschlussikterus 190 – Malassimilation 392 – maligner 107 vertical banded gastroplasty 383, 386 Videodefäkographie 531 Videokapselendoskopie 392, 405
Videolaparoskopie 124 Vier-Quadranten-Umstechung 364 vigourous achalasia 283 VIPom 92, 330 Vitalfunktionen, Überwachung 174, 175 Vitamin-B12-Resorptionstest 81 Vitamin-K-Mangel 190, 623 Vogelschnabelzeichen 481 Volumenersatztherapie, parenterale 206 Volumenmangelschock, gastroduodenale Blutung 361 Volvulus 32 – 7 Darmvolvulus – 7 Magenvolvulus – 7 Kolonvolvulus Von-Willebrand-Krankheit 190
W Waldeyer-Faszie 500 Wantz-Technik 760, 768 Warren-Shunt 657 Web, ösophageales 263 Wechselschnitt 140, 492 Weichgewebeblutung 186 Whipple-Operation 187 Winkel, anorektaler 499–501
X, Y Xanthelasmen 556 Xanthom 556 Yamakawa-Protehese 503 Y-Plastik nach Corry 722 Y-X-Analplastik 522
Z Zäkostomie, perkutane 50 Zanca-Syndrom 473 Zenker-Divertikel 244, 246, 253 – zervikale Myotomie 255 Zeroid 510 Zielzer-Wilson-Syndrom 803 Zimmerman-Technik 767 Zirrhose – biliäre 605 – primär biliäre 392 – sekundär biliäre 556 Zökopexie 484 Zökumdivertikulitis 468 Zökumvolvulus 483, 484 Zöliakie 392, 393 Zöliakographie 615 Zollinger-Ellison-Syndrom 91, 330, 392
827 Sachverzeichnis
Zweihöhlenverletzung 303 Zwerchfell, Echinokokkeninfiltration 305 Zwerchfellhernie, extrahiatale 301, 302 Zwerchfellhochstand 304 Zwerchfellraffung 303 Zwerchfellruptur 226, 303 Zwerchfelltumor 303 Zwerchfellverletzung 303 Zwirn 144 Zyklooxygenase 338 Zymogene 700 Zystenterostomie, endosonographisch gesteuerte 690 Zystikusstumpfinsuffizienz 608–610 Zystoduodenostomie 698 Zystoenterostomie 697 Zystogastrostomie 698 Zystographie 759 Zystojejenostomie 698 Zystopyelonephritis 490 Zytomegalie-Virusinfektion 534, 536 – Dünndarmtransplantation 417 – Enteritis 426 – Gastritis 333 – Malassimilation 393 – Prophylaxe 726 Zytotoxin B 449
T–Z