Peter B. Luppa Harald Schlebusch (Hrsg.) POCT – Patientennahe Labordiagnostik 2., aktualisierte Auflage
Peter B. Luppa Harald Schlebusch (Hrsg.)
POCT – Patientennahe Labordiagnostik 2., aktualisierte Auflage
Mit 56 Abbildungen
1 23
Prof. Dr. Peter B. Luppa
Prof. Dr. Harald Schlebusch
Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie Klinikum rechts der Isar der TU München Ismaninger Str. 22 81675 München
Nadistr. 14 80809 München
ISBN-13 978-3-642-20171-4 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Springer-Verlag GmbH ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Anna Krätz, Heidelberg Projektmanagement: Claudia Kiefer, Heidelberg Lektorat: Dr. Klaus Tschirner, Mannheim Umschlaggestaltung: deblik Berlin Umschlagsbild: Conny Stechl, Freiburg Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg SPIN: 80032757 Gedruckt auf säurefreiem Papier
ck/2122 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Als wir im Jahre 2007 planten, dieses Buch als praxisnahes deutschsprachiges Fachbuch über Prinzipien und Anwendung der patientennahen Labordiagnostik zu schreiben, hatten wir nicht erwartet, dass wir schon 4 Jahre später aufgefordert würden, eine 2. Auflage vorzulegen. Dies führen wir nicht nur auf die gute Resonanz des Buches beim Fachpublikum zurück, sondern auch auf die Tatsache, dass die technologische Entwicklung im Bereich der patientennahen Sofortdiagnostik so rasch voranschreitet. Die weite Verbreitung des Point-of-Care-Testing in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowohl in Krankenhäusern als auch in Ambulatorien und Praxen niedergelassener Ärzte gebietet es, die analytischen Grundlagen, klinischen Anwendungen sowie organisatorische und qualitätssichernde Vorgaben umfassend darzustellen. Dem wird diese 2. Auflage des Buches nachkommen. Sämtliche Kapitel und Referenzen wurden von den Autoren und den Herausgebern sorgfältig überarbeitet und aktualisiert. Ein Unterkapitel über die immer wichtiger werdende molekularbiologische Analytik ist neu hinzugekommen. Darüber hinaus wurde das Buch bezüglich der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK), die seit April 2010 in Deutschland verbindlich ist, angepasst; es bietet nun allen POCT-Anwendern Informationen über die gültigen Qualitätsmanagement-Regeln. Die Zielgruppe des Buches sind nach wie vor die POCT-Anwender, also Kliniker und niedergelassene Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger, Arzthelferinnen sowie Angestellte des medizinisch-technischen Bereichs. Wir haben wieder besonderen Wert auf die Benutzerfreundlichkeit gelegt, damit das Buch dem Leser alle wichtigen Informationen über die analytischen und klinischen Aspekte der patientennahen Sofortdiagnostik bietet. Daneben hoffen wir, mit dem neu konzipierten zweiteiligen Kapitel »Krankenhausökonomische Aspekte von POCT« die Krankenhausverwaltungen für die Problemfelder des POCT zu interessieren. Auch eine 2. Auflage wird nicht frei sein von inhaltlichen und redaktionellen Fehlern. Wir bitten daher um Nachsicht. Weiterhin haben wir wieder Anglizismen und Amerikanismen benutzt, die oft treffender als deutsche Ausdrücke einen bestimmten Sachverhalt beschreiben und daher allgemein gebräuchlich sind. Wie bei der 1. Auflage, so bitten wir auch jetzt um das
VI
Vorwort
Verständnis der weiblichen Leserschaft, dass wir bei Bezeichnungen von Personengruppen darauf verzichten, sowohl weibliche als auch männliche Gruppenangehörige explizit zu nennen. Für ihre zahlreichen Anregungen und Hinweise möchten wir folgenden Personen an dieser Stelle ausdrücklich unseren Dank aussprechen: Frau Victoria Decken (Fa. Qiagen, Hilden), Herrn Karl-Ludwig Dronka (Fa. Siemens, Eschborn), Herrn Werner Dummert (Fa. Alere, Köln), Herrn Prof. Dr. Günter Gauglitz (Universität Tübingen), Frau Sabrina Hohe (Fa. Nova, Rödermark), Frau Yvonne Jung (Fa. Siemens, Eschborn), Herrn KarlHeinz Keller (Keller Medical, Bad Soden), Herrn Josef Koller (Fa. OPTI Medical Systems, Neu-Anspach), Herrn Jochen Läber (Fa. Radiometer, Willich), Frau Eva-Maria Mack (Fa. Instrumentation Laboratory, Kirchheim), Frau Martina Neumann (Fr. HemoCue, Großostheim), Herrn Roman Rosenkranz (Fa. Conworx, Berlin), Frau Dr. Marianne Sorger (Universität Bonn), Frau Conny Stechl (Freiburg), Herrn Bernd Stöbel (Fa. Roche, Mannheim), Herrn Daniel Urban (Fa. Abaxis, Darmstadt) und Frau Dr. Dorothea Zahn (Fa. BST, Berlin). Wir freuen uns auf eine weite Verbreitung dieses Fachbuchs und wünschen allen Lesern einen relevanten Wissensgewinn bei dessen Studium. München, im August 2011
Peter B. Luppa und Harald Schlebusch für die Herausgeber Norbert Gässler und Ralf Junker für die Autoren
VII
Geleitwort Point-of-care testing (POCT) is defined as clinical laboratory testing conducted close to the site of patient care, typically by clinical personnel whose primary training is not in the clinical laboratory sciences or by patients (selftesting)1. POCT refers to any testing performed outside of the traditional, core or central laboratory. The primary advantage of POCT is the convenience of performing the test close to the patient and the speed at which test results can be obtained, compared to sending a sample to a laboratory and waiting for results to be returned. The potential for faster patient management decisions based on POCT has been the driver of increased manufacturer development and marketing of an array of new tests and devices over the past decade. Tests in a POC format can now be found for many medical disciplines including endocrinology/diabetes, cardiology, nephrology, critical care, fertility, hematology/coagulation, infectious disease and microbiology, and general health screening. With the medical need for faster results and manufacturers providing an array of tests, the adoption of POCT has increased significantly over the past several years. POCT is now utilized in acute care, hospital settings including the intensive care unit, emergency department, operating room, cardiovascular suites, and throughout the general medical units. Outpatient clinics, ambulances, helicopters, cruise ships, rehabilitation and substance abuse clinics, visiting nurses, and patient self-management are other locations where POCT has found application. POCT devices are now common on airplanes and have even traveled on the space shuttle. So, POCT is a rapidly expanding discipline with a number of medical opportunities driving the adoption. However, this rapid adoption has led to concerns about both the management and quality of POCT results. POCT devices appear to be so simple that anyone could perform the test. Yet, this simplicity is deceptive, and in reality POCT is as complex as any laboratory based analytical instrumentation. Operation of the devices by nurses and medical staff with little laboratory
1
Nichols JH (editor) 2007. National Academy of Clinical Biochemistry Laboratory Medicine Practice Guidelines: Evidence Based Practice for Point of Care Testing. AACC Press.
VIII
Geleitwort
experience can lead to inadvertent mistakes and shortcuts that can generate errors in POCT results. As integrated networks of hospitals, clinics and home networks of care grow, so does the complexity of managing dozens of testing locations with hundreds of devices and potentially thousands of operators. The potential for error with so many locations and staff involved in the delivery of POCT is the motivation for increasing government quality regulations in many countries around the world. Fortunately, manufacturers have engineered fail-safes into POCT devices to provide for operator lockouts (that deter untrained staff from testing), quality control lock-outs (that prevent patient testing if controls have not been analyzed per manufacturer instructions), data connectivity that automates the documentation and transfer of test results into a patient’s electronic medical record, and a number of other device checks and error detection mechanisms. Yet, nothing is foolproof. Mistakes can and will happen unless good laboratory practice follows defined administrative policy and quality systems management of POCT. These aspects of POCT are explored in this second edition of the POCT book from Luppa/Schlebusch. From descriptions of the opportunities that POCT can provide to the limitations that clinician’s must be cautioned about, this book provides an overview of the many aspects that challenge those who choose to implement POCT. Technologies, clinical applications and quality regulations are described as well as a survey of future technologies that are on the future horizon. This book will be a guide that staff can refer to time and time again, as a resource for anyone looking to adopt or manage POCT.
James Nichols, Ph.D., DABCC, FACB Department of Pathology, Baystate Medical Center, Tufts University School of Medicine, Springfield, Massachusetts, 759 Chestnut St., Springfield, MA 01199, USA;
[email protected]
IX
Autorenverzeichnis Braun, Christoph
Junker, Ralf, Prof. Dr.
synlab Services GmbH, Informationstechnologie Gubener Straße 39 86156 Augsburg
Institut für Klinische Chemie Universitätsklinikum SchleswigHolstein Arnold-Heller-Str. 3 24105 Kiel
von Eiff, Wilfried, Prof. Dr. Dr. Centrum für Krankenhausmanagement Westfälische Wilhelms-Universität Münster Röntgenstr. 9 48149 Münster
Koschinsky, Theodor, Prof. Dr. Heilmannstr. 25f 81479 München
Kubasta, Christa, Prim. Dr.
Zentrum für Labordiagnostik St. Bernward-Krankenhaus Treibestr. 9 31134 Hildesheim
Institut für Med. u. Chem. Labordiagnostik Landesnervenklinik Wagner-Jauregg Wagner-Jauregg-Weg 15 4020 Linz Österreich
Giannitsis, Evangelos, Prof. Dr.
Lingemann, Marie, Dipl.-Kffr.
Med. Klinik III am Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Centrum für Krankenhausmanagement Röntgenstr. 9 48149 Münster
Hafner, Gerd, Prof. Dr.
Luppa, Peter B., Prof. Dr.
ZLM-GmbH Herwarthstr. 100 45138 Essen
Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie Klinikum rechts der TU München Ismaninger Str. 22 81675 München
Gässler, Norbert, Prof. Dr. Dr.
Hoffmann, Georg, Prof. Dr. Trillium GmbH Hauptstraße 12 b 82284 Grafrath
X
Autorenverzeichnis
Martin, Jan, Dr.
Proll, Günther, Dr.
Klinik für Anaesthesiologie Klinikum rechts der TU München Ismaninger Str. 22 81675 München
Institut für Physikalische und Theoretische Chemie Eberhard Karls Universität Tübingen Auf der Morgenstelle 18 72076 Tübingen
Meyer-Lüerßen, Dierk Gärtnerweg 31 60322 Frankfurt
Meyer-Lüerßen, Inka Rheinsbergerstraße 65 10115 Berlin
Rode-Schubert, Christina, MBA TCI Transformation Consulting International Wildbader Straße 9 68239 Mannheim
Romann, Daniel Norgall, Thomas, Dipl.-Ing. Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen IIS/BMT Am Wolfsmantel 33 91058 Erlangen
Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg Bergedorfer Straße 10 21033 Hamburg
Schaffartzik, Walter, Prof. Dr. Peetz, Dirk, Prof. Dr. Institut für Laboratoriumsmedizin HELIOS Klinikum Berlin-Buch Schwanebecker Chaussee 50 13125 Berlin
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Unfallkrankenhaus Berlin Warener Str. 7 12683 Berlin
Pröbstl, Alexander
Schimke, Ingolf, Prof. Dr.
Pflegedirektion Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53127 Bonn
Medizinische Klinik (Kardiologie) Charité-Universitätsmedizin Berlin Charité-Platz 1 10117 Berlin
Schlebusch, Harald, Prof. Dr. Nadistr. 14 80809 München
XI Autorenverzeichnis
Sonntag, Oswald
Wilhelm, Lars
Schulstr. 32 82223 Eichenau
LADR GmbH, Medizinisches Versorgungszentrum Geesthacht Lauenburger Straße 67 21502 Geesthacht
Spannagl, Michael, Prof. Dr. Klinikum der Universität MünchenInnenstadt Ziemssenstr. 1 80336 München
Spitzenberger, Folker, Dr. Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten Sebastianstr. 189 53115 Bonn
Stürenburg, Enno, Priv.-Doz. Dr. LADR GmbH, Medizinisches Versorgungszentrum Geesthacht Lauenburger Straße 67 21502 Geesthacht
Viollier, Edouard H., Dr. Viollier AG Postfach 4002 Basel Schweiz
Wahl, Hans Günther, MBA, Priv.-Doz. Dr. Dr. Medizinisches Labor Wahl Paulmannshöher Str. 14 58515 Lüdenscheid
XIII
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
I 1 2 3
Einleitung Definitionen und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .3 Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien . . . . . . . . . . . . . . . . 27
II 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Methodik und analytische Verfahren
Prä- und Postanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Glukosebestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Blutgasanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Blutgerinnungsanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Hämatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Klinisch-chemische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Immunologische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik . . . . . . 139 Urinanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Stuhlanalytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Nichtinvasive Analytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
III Klinische Anwendungen 15 16
POCT in der Diabetesdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 POCT in der Gerinnungsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
XIV
17 18 19 20 21 22
Inhaltsverzeichnis
POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 POCT in der präklinischen Notfallmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 POCT in der Suchtmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 POCT in der Neonatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Klinische Anwendungen von Urinschnelltests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests . . . . . . . . . . . 279
IV 23 24 25 26 27 28
Rechtliche Aspekte von POCT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Implementierung von POCT im Krankenhaus und ambulanten Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . POCT im niedergelassenen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . POCT und Datenvernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V 29 30 31
32
Organisatorische und allgemeine Aspekte 301 307 323 333 351 359
Qualitätssicherung
EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . POCT in Österreich und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitätssicherung und Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitätsmanagementsysteme für das POCT: Internationale Standardisierung und Akkreditierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369 385
391 401
XV Inhaltsverzeichnis
VI 33 34 35 36
Zukünftige Entwicklungstendenzen
Zukünftige POCT-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Die vierte Generation der Laborsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Bedeutung von POCT bei Telemonitoring und Ambient Assisted Living (pHealth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 POCT für die Dritte Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
XVII
Abkürzungsverzeichnis μTAS AACC ACC ACS ACT AHA aPTT AST ASTM AWMF BE BfArM BGA BGSK BNP CE CEN CENELEC cFABP CFT CIC CK-MB CLSI CRP CT CV CVD DDG DGKL DI EA
»micro total analysis systems« American Association for Clinical Chemistry American College of Cardiology »acute coronary syndrome« »activated clotting time« American Heart Association »activated partial thromboplastin time«, aktivierte partielle Thromboplastinzeit »alternative/alternate site testing« American Society for Testing and Materials Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften Basenexzess Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Blutgasanalyse, Blutgasanalytik Blutglukoseselbstkontrolle »brain natriuretic peptide« »conformité européenne« Comité Européen de Normalisation Comité Européen de Normalisation Electrotechnique »cardiac fatty acid binding protein« »clot forming time« Connectivity Industry Consortium Kreatinkinase »muscle-brain« Clinical Laboratory Standards Institute C-reaktives Protein »clotting time« »coefficient of variation« »chemical vapor deposition« Deutsche Diabetes-Gesellschaft Deutsche Vereinte Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin »device interface« European Cooperation of Accreditation
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
EBM EBV ECT EDMA ESC FAD FET GDH GOÄ GOD GLORIA GPBB GTS Hb HCG HIS HIV HK HL7 HRP HTLV ICT IEEE IFCC INR INSTAND ISE ISFET IVD k KBMAL KGM KHK KIS
Einheitlicher Bewertungsmaßstab; evidenzbasierte Medizin Epstein-Barr-Virus »ecarin clotting time« European Diagnostic Manufacturer Association European Society of Cardiology Flavin-Adenin-Dinukleotid »field effect transistor« Glukosedehydrogenase Gebührenordnung für Ärzte Glukoseoxidase »gold-labelled optical-read rapid immuno assay« Glykogenphosphorylase BB Gemeinsame Technische Spezifikationen Hämoglobin humanes Choriongonadotropin Hospitalinformationssystem Humanes Immundefizienz-Virus Hämatokrit »health level 7« »horseradish peroxidase« humanes T-Zell-Leukämievirus immunchromatographischer Test Institute of Electrical and Electronics Engineers International Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine »international normalised ratio« Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien e.V. ionenselektive Elektrode ionenselektiver FET (vgl. FET) In-vitro-Diagnostika Koagulationszeit Kriterien zum Betreiben eines medizinisch-analytischen Labors kontinuierliche Glukosemessung koronare Herzkrankheit Krankenhausinformationssystem
XIX Abkürzungsverzeichnis
KPEM LBWI LED LFA LFD LIS MA MCF MI ML MPBetreibV MPG MRSA MTA MTAG NACB NAD NAT NCCLS NMP NSTEMI NVW ÖQUASTA ORI PCR PEI PFA POC POCT PQQ PT PVW QM QMS QUALAB
Kontrollprobeneinzelmessung »low birth weight infant« »light emitting diode« »lateral flow assay« »lateral flow device« Laborinformationssystem Maximalamplitude »maximum clot firmness« Myokardinfarkt maximale Lyse Medizinproduktebetreiberverordnung Medizinproduktegesetz methicillinresistenter Staphylococcus aureus Medizinisch technischer Assistent Gesetz über technische Assistenten in der Medizin National Academy of Clinical Biochemistry Nikotinsäureamid-Adenin-Dinukleotid Nukleinsäureamplifikationstechnik National Committee on Clinical Laboratory Standards Nuclear-Matrix-Protein »non-ST-segment elevation myocardial infarction« negativer Vorhersagewert Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung und Standardisierung medizinisch-diagnostischer Untersuchungen »observation reporting interface« »polymerase chain reaction« Paul-Ehrlich-Institut Platelet function analyzer »point of care« »point of care testing« Pyrrolochinolin-Chinon »prothrombin time« positiver Vorhersagewert Qualitätsmanagement Qualitätsmanagementsystem Schweizerische Kommission für Qualitätssicherung im medizinischen Labor
XX
Abkürzungsverzeichnis
r RfB RI RIfS RiliBÄK
Reaktionszeit Referenzinstitut für Bioanalytik der DGKL Reflexionsindex reflektometrische Interferenzspektroskopie Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen ROTEM Rotationsthrombelastometrie RPFA »rapid platelet function analysis« RSV respiratorisches Synzytialvirus SAMSHA Substance Abuse and Mental Health Service SOP »standard operating procedure« SPR Surface-Plasmon-Resonanz STEMI »ST-segment elevation myocardial infarction« TAT »turn around time« TEG Thrombelastographie TIRF totale interne Reflexionsfluoreszenzmessung TIRS totale interne Reflexionsspektroskopie TPZ (Quick-Wert) Thromboplastinzeit, Prothrombinzeit TRAP-6 »thrombin receptor activating peptide 6« TRBA Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe TTAT therapeutische TAT (vgl. TAT) VDGH Verband der Diagnostica-Industrie ZL Zentrallabor ZLG Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten ZLS Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik
I I
Einleitung
1
Definitionen und Anwendungsgebiete – 3 P. B. Luppa, R. Junker, H. Schlebusch
2
Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT – 11 R. Junker, P. B. Luppa, H. Schlebusch, G. Hoffmann, W. von Eiff
3
Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien – 27 P. B. Luppa, H. Schlebusch, E. Stürenburg, G. Proll
1 Definitionen und Anwendungsgebiete P. B. Luppa, R. Junker, H. Schlebusch
1.1
Einführung Literatur
– 4
– 9
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1B, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
1
4
Kapitel 1 · Definitionen und Anwendungsgebiete
1.1
Einführung
Die Historie der Laboratoriumsmedizin war und ist geprägt vom Bestreben nach Zuverlässigkeit der Analysenergebnisse. Nicht zuletzt die Erkenntnis, dass die Implementation eines Qualitätsmanagementsystems notwendiger Bestandteil einer verlässlichen und genauen Laboratoriumsdiagnostik ist, hat den Trend zu zentralisierten, hoch konsolidierten medizinischen Laboratorien, in denen große Probenmengen mit komplexen Verfahren verlässlich und kosteneffektiv abgearbeitet werden, gefördert. Ein Nachteil der zentralisierten Diagnostik besteht jedoch darin, dass sie zur Sicherung kurzer Bearbeitungszeiten eine leistungsfähige Logistik für den Probentransport erfordert, die nicht immer vorhanden ist. Eine patientennahe Labordiagnostik kann dagegen in der Regel sehr kurze Analysenzeiten gewährleisten. Daneben ist sie in vielen Fällen auch mit geringeren präanalytischen Problemen (z. B. Probentransport, Stabilität der Probe) verbunden [3]. Ob ein Test in einem Zentrallabor oder am Patientenbett durchgeführt werden soll, war und ist eine komplexe organisatorische Entscheidung, die unter dem unbestrittenen Leitsatz steht, dass ein besseres Patientenergebnis das entscheidende Kriterium darstellt. Allerdings ist die Datenlage zum Patienten-Outcome, das neben der Zeit zum Ergebnis auch von der Analysenqualität abhängt, momentan schmal [7]. Unter »patientennaher Labordiagnostik« wird im allgemeinen Sprachgebrauch die Anwendung laboratoriumsmedizinischer Verfahren verstanden, die direkt am Patientenbett oder in unmittelbarer Nähe zum Patienten zur Anwendung kommen. Eine einheitliche, allgemein akzeptierte Definition existiert bislang nicht. Vielmehr sind unterschiedliche Begriffe in Gebrauch, die manchmal – aber nicht immer – auf eine unterschiedliche Definition hinweisen. Neben den deutschen Bezeichnungen »patientennahe Labordiagnostik« und »patientennahe Sofortdiagnostik« hat sich international der Begriff des »Point of Care Testing« (POCT) weitgehend durchgesetzt. Darüber hinaus werden besonders im englischen Sprachgebrauch deskriptive Bezeichnungen wie »bedside testing«, »near patient testing« oder »decentralized testing« verwendet. Auch das »patient self management« wird dem POCT zugerechnet. In der Literatur finden sich zahlreiche Definitionen bzw. Beschreibungen des POCT-Prozesses, häufig zusammen mit der Evaluierung von technischen Lösungen oder Prozessabläufen [4, 6].
5 1.1 · Einführung
1
Die wichtigsten Charakteristika des POCT sind im Folgenden zusammengefasst. Dabei wird man in Ausnahmefällen auch dann von einem »Point-of-care-Test« sprechen, wenn nicht alle der in der nachfolgenden Übersicht aufgeführten Kriterien erfüllt sind (z. B. keine Probenvorbereitung oder keine Pipettierschritte), der typische Charakter eines solchen Tests (besonders hinsichtlich der Punkte 1, 8 und 9) jedoch gewahrt ist [2].
Typische Merkmale des POCT 1. Durchführung von Laboruntersuchungen in unmittelbarer Nähe zum Patienten 2. Durchführung von Laboruntersuchungen außerhalb eines Zentral- oder Satellitenlaboratoriums 3. Keine Probenvorbereitung, d. h. meist Vollblut als Untersuchungsmaterial 4. Keine Pipettierschritte 5. «Ready-to-use«-Reagenzien, z. B. als Kassetten oder »Unit-use devices« 6. Spezielle Messgeräte, die nur für die Einzelprobenmessung vorgesehen sind oder nur für die Einzelprobenmessung eingesetzt werden 7. Keine eingehende medizinisch-technische Qualifikation für die Messgeräte-Bedienung notwendig 8. Rasche Verfügbarkeit der Ergebnisse 9. Unmittelbare Ableitung einer Diagnose bzw. therapeutischer Konsequenzen aus den Ergebnissen
Es gibt jedoch auch andere POCT-Definitionen, die an dieser Stelle erwähnt werden sollen. z
i. Definition gemäß der Richtlinie der Bundesärztekammer (RiliBÄK)
Nach der RiliBÄK [1] ist die Anwendung von POCT im Krankenhaus nur sinnvoll, wenn POCT als Einzelbestimmung eine sofortige therapeutische Konsequenz zur Folge hat. So ist z. B. eine serielle, u. U. sogar automatisierte patientennahe Abarbeitung von Routineanalysen nicht als POCT anzusehen. Zusätzlich hat die RiliBÄK 2008 in ihrem nationalen Geltungsbereich durch den Begriff der »Unit-Use-Reagenzien« die POC-Verfahren im eigentlichen Sinne eindeutig definiert. Um eine an der optimalen Patientensicherheit ori-
6
1
Kapitel 1 · Definitionen und Anwendungsgebiete
entierte Qualitätskontrolle gewährleisten zu können, sind in diesem Regelwerk die komplexeren Geräte, die nicht mit Unit-Use-Reagenzien betrieben werden, für eine patientennahe Sofortdiagnostik nicht in das Konzept des POCT aufgenommen worden. Im Klartext bedeutet dies, dass konventionelle labordiagnostische Geräte wie z. B. klinisch-chemische oder Hämatologie-Analysatoren vom Betreiber eigenverantwortlich nach dem kompletten Regelwerk der RiliBÄK zu kontrollieren sind. z
ii. Definition der National Academy of Clinical Biochemistry (NACB)
In den Laboratory Medicine Practice Guidelines (LMPG) definiert die NACB POCT als «clinical laboratory testing conducted close to the site of patient care, typically by clinical personnel whose primary training is not in the clinical laboratory sciences or by patients (self testing). POCT refers to any testing performed outside of the traditional, core or central laboratory.« z
iii. Definitionen des College of American Pathologists (CAP)
Hier wird POCT pragmatisch mit unterschiedlichen Definitionen belegt, je nach geographischem (Krankenhaus, ambulante Dienste etc.), funktionalem (im Krankenhaus Intensivstation, Ambulanz etc.), technologischem (einfache Handgeräte, komplexe Multiparametergeräte etc.) oder operationalem (Krankenschwester, Patient etc. als Bediener) Kontext. War POCT zunächst fast ausschließlich auf Blutglukosebestimmungen und die Messung von Vitalparametern mittels Blutgasanalysatoren in Operationssälen sowie auf Intensivstationen beschränkt, hat sich das Spektrum der Anwendungsgebiete und der möglichen Untersuchungen in den letzten Jahren kontinuierlich ausgeweitet. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es lässt sich voraussehen, dass bereits vorhandene Analyseprinzipien und -geräte weiterentwickelt und vereinfacht sowie neue Verfahren (Stichwort »lab-onthe-chip«) hinzukommen werden. Die Palette der messbaren Parameter wird sich ausweiten, die Anwendung des POCT nicht nur in der Heilkunde zunehmen. ⊡ Tab. 1.1 gibt eine Übersicht über das jetzt schon umfangreiche Anwendungsspektrum des POCT; sie konzentriert sich auf Anwendungen in der Heilkunde. Darüber hinaus gibt es vielfältige Anwendungen außerhalb der klinischen Medizin, z. B. in der Veterinärmedizin, aber auch in der Apotheke, beim Heilpraktiker, beim Leistungssport, im Fitnessstudio oder in der Industrie. Gegenwärtig sind mehr als 100 POCT-Analyte beschrieben, und die
7 1.1 · Einführung
1
⊡ Tab. 1.1 Einsatzbereiche des POCT in der Heilkunde Im Krankenhaus
Außerhalb des Krankenhauses
Einsatzgebiet − Intensivstation − Operationssaal/Aufwachraum − Kreißsaal/Neugeborenenstation − Lungenfunktionsuntersuchungen − Invasive Radiologie − Notaufnahme − Spezialambulanzen − Stationen mit Diabetikerbetreuung Einsatzkriterium − Außerhalb der regulären Dienstzeit des Zentrallabors − Krankenhäuser ohne eigenes Labor
− Beim Notarzteinsatz (auch im Rahmen des Katastrophenschutzes oder im militärischen Bereich) − Beim niedergelassenen Arzt (Praxis, Hausbesuche) − Bei medizinischen Diensten − In der Sportmedizin − In der ambulanten Pflege − Bei der Patientenselbstkontrolle (Blutglukose, Gerinnung)
Entwicklung neuer Tests geht kontinuierlich weiter. ⊡ Tab. 1.2 beschränkt sich – unter Verzicht auf die Nennung ‘exotischer’ Bestimmungen – auf klinisch wichtige Analyte bzw. Parameter, für die i. A. bereits mehrere technische Lösungen für die Durchführung am POC auf dem Markt sind. Die für den Anwender zur Verfügung stehenden Informationen zu den einzelnen Tests sind qualitativ äußerst unterschiedlich; zum Teil werden Tests, die sich noch in der Entwicklung befinden oder nur als Labormuster existieren, bereits als fertige Tests angepriesen. Aber auch bei etablierten Tests sind die Herstellerinformationen oft nicht vollständig; es fehlen teilweise valide Daten zur analytischen Qualität (Präzision, Richtigkeit, Sensitivität, Spezifität), zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit Standardlabormethoden sowie zur Praktikabilität. Dies gilt in noch stärkerem Maße für Informationen zur diagnostischen Sensitivität und Spezifität. In diesen Fällen sind vor der Einführung eines Tests eine Literaturrecherche, eine eigene Evaluation und/oder eine Diskussion mit erfahrenen Fachleuten unumgänglich. Auch evidenzbasierte Empfehlungen für die Verwendung eines bestimmten Analyten können ggf. weiterhelfen [5]. Es lässt sich i. A. nur schwer entscheiden, ob ein Test generell sinnvoll oder unnötig ist. Dies ist nur unter Berücksichtigung aller medizinischen, räumlichen, technischen, wirtschaftlichen und personellen Rahmenbedingungen möglich, die für den Anwender in seiner
8
1
Kapitel 1 · Definitionen und Anwendungsgebiete
⊡ Tab. 1.2 Klinisch wichtige Parameter, die mittels POCT bestimmt werden können Parametergruppe/ Einsatzgebiet
Kenngrößen
Säure-Basen-Haushalt, Blutgase
pH, pCO2, pO2 (Messungen oft in Kombination mit Elektrolyten, Metaboliten und CO-Oxymetrie)
Elektrolyte
Na+, K+, Cl–, ionisiertes Ca2+, ionisiertes Mg2+
Metabolite
Cholesterin, HDL-Cholesterin, Triglyzeride, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Bilirubin, Laktat, Ammoniak
Enzyme
Amylase, alkalische Phosphatase, CK, AST, ALT, γ-GT
Hämostaseologie
Aktivierte Vollblutgerinnungszeit (ACT), partielle Thromboplastinzeit (PTT, aPTT), Thromboplastinzeit (Quick-Test, INR), D-Dimer, Thrombozytenfunktionstests, Blutungszeit
Hämatologie
Hämoglobin, Hämatokrit, Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten
Hämoglobinfraktionen
CO-Oxymetrie
Kardiale Marker
Troponin T, Troponin I, Myoglobin, CK-MB, natriuretische Peptide (BNP/NT-pro-BNP)
Diabetes mellitus
Glukose, HbA1c, minimal-invasive kontinuierliche Glukosemessung, Ketone
Akute-Phase-Proteine
CRP
Allergiediagnostik
Allergenspezifisches IgE
Medikamentenspiegel und Drogenscreening
Medikamente, Alkohol, Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Cannabinoide, Kokain, Methadon, Opiate
Infektiologie
HIV, infektiöse Mononukleose, Chlamydia trachomatis, Trichomonas vaginalis, Plasmodium falciparum, Plasmodium vivax, Influenza A, Influenza B, Streptokokken A und B
Fertilität
HCG, LH und FSH im Urin, Spermienzahl im Ejakulat
Urindiagnostik
Teststreifen (pH, Protein, Glukose, Ketone, Bilirubin, Urobilinogen, Nitrit, Leukozyten, Blut, spezifisches Gewicht), Mikroalbumin, Bakterien
Stuhldiagnostik ▼
Okkultes Blut im Stuhl
9 Literatur
1
⊡ Tab. 1.2 Fortsetzung Parametergruppe/ Einsatzgebiet
Kenngrößen
Nichtinvasive Messungen
Transkutane pCO2- und pO2-Messungen, neonatales Bilirubin
Patientenselbstmessung
Blutglukose, Uringlukose, Thromboplastinzeit (INR)
γ-GT γ-Glutamyltranspeptidase; ACT »activated clotting time«; ALT Alaninaminotransferase; aPTT aktivierte partielle Thromboplastinzeit; AST Aspartataminotransferase; BNP »brain natriuretic peptide«; CK Kreatinkinase; CK-MB Kreatinkinase »muscle-brain«; CRP C-reaktives Protein; FSH follikelstimulierendes Hormon; HCG humanes Choriongonadotropin; INR »international normalised ratio«; LH luteinisierendes Hormon; pCO2, Kohlendioxidpartialdruck; pO2, Sauerstoffpartialdruck; PTT partielle Thromboplastinzeit
speziellen Situation relevant sind. Dazu sollte in einer Gesundheitseinrichtung eine POCT-Kommission etabliert sein, die sämtliche Entscheidungen hinsichtlich Auswahl, Prüfung und Beurteilung infrage kommender Tests trifft ( Kap. 24 und Kap. 31).
Literatur [1] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK). Dtsch Ärztebl 105: A341–A355 [2] Ehrmeyer SS, Laessig RH (2007) Point-of-care testing, medical error, and patient safety: A 2007 assessment. Clin Chem Lab Med 45: 766–773 [3] Junker R, Schlebusch H, Luppa PB (2010) Point-of-care testing in hospitals and primary care. Dtsch Ärztebl Int. 107: 561–7 [4] Kost GJ. Goals, guidelines, and principles for point-of-care testing. In: Kost GJ (ed) (2002) Principles and practice of point-of-care testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 3–12 [5] National Academy of Clinical Biochemistry (NACB) (2007) Practice guidelines: Evidencebased practice for point-of-care testing. Point of care 6: 213–217 [6] Price CP, St John A, Hicks JM. Point-of-Care Testing: What, Why, When, and Where? In: Price CP, St John A, Hicks JM (eds) (2004) Point-of-Care Testing, 2nd ed. AACC Press, Washington, pp 3–12 [7] Wyer LA et al. 2009. Quality management: Approaches to reducing errors at the Point of Care; Proposed Guideline. CLSI document POCT07–P
2 Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT R. Junker, P. B. Luppa, H. Schlebusch, G. Hoffmann, W. von Eiff
2.1
Einführung
2.2
Medizinische und wirtschaftliche Aspekte der POCT-Diagnostik – 14
2.3
Marktsituation für POCT – 21 Literatur
– 12
– 24
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1B, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
2
12
Kapitel 2 · Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT
2.1
Einführung
Die Labordiagnostik direkt am Krankenbett ist eine leistungsfähige Variante der Laboratoriumsmedizin, deren Entwicklung wesentlich durch die Miniaturisierung der Geräte und Verfahren sowie durch die Nutzung integrierter Informationstechniken begünstigt wird. Die in vielen Segmenten des Gesundheitsmarkts zu beobachtende Polarisierung der Organisationsstrukturen (Zentrallabor vs. POCT) unterstreicht diesen Eindruck: Die Diagnostik am Krankenbett oder in unmittelbarer Nähe zum Patienten stellt eine an Bedeutung gewinnende Handlungsoption im kontinuierlichen Wechselspiel von Diagnostik und Therapie dar [15]. Im historischen Rückblick auf die seit vielen Jahrhunderten unveränderten Prinzipien medizinischen Handelns wird jedoch eines klar: Der erfahrene Mediziner bediente sich stets der detaillierten Beobachtung und gezielten Befragung, der manuellen sowie technisch unterstützten Untersuchung des Patienten und seiner Organe. Nur dieses analytische Vorgehen versetzte ihn in die Lage, die Fragen seines Patienten zu beantworten und seine eigenen Vermutungen zu bestätigen, um dann therapeutische Maßnahmen einzuleiten, zu kontrollieren und zu optimieren. Das Bedürfnis, Diagnosen schnell, frühzeitig und möglichst am Ort des Geschehens (»point of care«, POC) zu stellen, ist so alt wie die Medizin selbst. In jeder Epoche gab es deshalb zahlreiche Tests, die einfach und robust genug waren, um direkt beim Patienten angewandt zu werden. Aber es gab ebenso gute Gründe, bestimmte Tests nicht am Ort des Geschehens durchzuführen. Das Wort »Labortest« entstand in einer Zeit, als die technische Komplexität der diagnostischen Verfahren zunahm und spezielle instrumentelle sowie räumliche Voraussetzungen, begleitet von laboratoriumsmedizinischem Spezialwissen, immer wichtiger wurden. Sieht man von Labortests ab, die sich aus primär lebensbedrohlichen Situationen ergeben, so erschienen Antwortzeiten von 0,5–2 h, die typischerweise von einem kleinen bis mittelgroßen Krankenhauslabor erreicht werden, für die ärztliche Entscheidungsfindung im Allgemeinen völlig ausreichend. Diese Situation hat sich heute zumindest teilweise geändert. Seit Jahren steigt die Zahl der Analysen, die direkt am Patientenbett oder in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Patienten durchgeführt werden, kontinuierlich an. Die patientennahe Sofortdiagnostik (das »Point of Care Testing«, POCT) begann ursprünglich dort, wo in der Klinik bei lebens-
13 2.1 · Einführung
Intensivstation/Operationssaal
“critical care testing”: Blutgase, Elektrolyte, Laktat
Notaufnahme
Notfallparameter: Blutgase, Elektrolyte, Glukose
Ambulanz
Überwachungsparameter: Glukose, HbA1c
2
Notarztwagen
“critical care testing”: “cardiac marker” Glukose
Arztpraxis
Überwachungsparameter: Glukose, HbA1c, Gerinnungsglobaltests
Patient zu Hause
Selbstkontrolle: Glukose, Gerinnungsglobaltests
⊡ Abb. 2.1 Anwendungshierarchie von POCT
bedrohlichen Notfallsituationen so zeitnah wie möglich aus Laborwerten direkte therapeutische Konsequenzen abgeleitet werden mussten. Schnell wurden aber auch die Vorteile im ambulanten Bereich, z. B. bei der ärztlichen Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, erkannt und die Möglichkeiten der Patientenselbstkontrolle im sog. Home-care-Bereich genutzt. Die unterschiedlichen Anwendungsbereiche des POCT sind in ⊡ Abb. 2.1 dargestellt. Blutglukose- und Blutgasbestimmungen werden heute großteils direkt am POC durchgeführt; hinzugekommen ist ein wachsendes Spektrum von klinisch-chemischen, hämatologischen und hämostaseologischen Untersuchungen. Diese Entwicklung steht einerseits in Kontrast zur wachsenden Zentralisierung der Laboratoriumsmedizin in den letzten Jahren; andererseits wird gerade durch die Möglichkeit, Notfallanalysen mittels einfacher Verfahren schnell und patientennah durchzuführen, die Grundlage für eine stärkere Zentralisierung der Laboranalytik geschaffen. So kann z. B. in kleineren Kliniken die Not- und Eilfalldiagnostik mittels POCT vor Ort, die
14
2
Kapitel 2 · Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT
Routine- und Spezialanalytik jedoch in einem größeren regionalen Krankenhauslabor oder in einer Laborarztpraxis durchgeführt werden. Dass die zunehmende Verbreitung von POCT auch in Bereichen außerhalb von Krankenhaus und Arztpraxis vorteilhaft sein kann, belegen mehrere amerikanische Studien. Es konnte nachgewiesen werden, dass das Angebot von Apotheken, bei ihren Kunden mittels POCT die Cholesterinkonzentration zu bestimmen und ggf. die erforderliche medikamentöse Behandlung zur Lipidsenkung zu übernehmen, positiv aufgenommen wurde und zu einer signifikanten Verringerung der Cholesterinwerte innerhalb der untersuchten Gruppe führte [12, 14, 18]. Es ist vorstellbar, dass allein das Wissen um einen auffälligen Messwert zu einem erhöhten Gesundheitsbewusstsein der Betroffenen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen führt, einschließlich des dann fälligen Arztbesuchs. Auswirkungen auf die gesamte Gesundheitsökonomie sind denkbar. Grundsätzlich stehen sich die patientennahe Sofortdiagnostik und die Hochdurchsatzanalytik in Zentral- und Großlaboratorien nur scheinbar entgegen [3]. POCT erscheint derzeit als ein hilfreiches, zusätzliches Instrument für die Krankenversorgung, was keinesfalls bedeutet, dass auf die konventionelle Laboranalytik verzichtet werden kann. Aber auch wenn die klassische Laboranalytik vorerst ihre Berechtigung behält, ist auf lange Sicht zu erwarten, dass die technologische Weiterentwicklung und die Massenproduktion von POCT-Geräten sowie entsprechender Verfahren zu deren weiterer Verbreitung im medizinischen Alltag beitragen werden. Ob schon in den nächsten Jahren einfach zu bedienende Multifunktionsgeräte in größerem Umfang Eingang in Krankenhausambulanzen und Arztpraxen finden werden, ist weniger eine Frage der technologischen Verfügbarkeit; Ausmaß und Tempo dieser Entwicklung hängen vielmehr stark von der Art und der Form der Vergütung durch die Krankenversicherungen ab.
2.2
Medizinische und wirtschaftliche Aspekte der POCT-Diagnostik
Medizinische und wirtschaftliche Überlegungen sind beim Thema »POCT« eng miteinander verknüpft. Die medizinische Bedeutung von POCT in Hinblick auf die Versorgung mit Notfallanalysen in lebensbedrohlichen Situationen ist zweifellos groß und kaum infrage zu stellen. Bei der intensiv-
15 2.2 · Medizinische und wirtschaftliche Aspekte
2
medizinischen Versorgung sind neben rein medizinischen auch organisatorische Aspekte wichtig, während für Ambulanzen und Aufnahmebereiche die organisatorischen Aspekte deutlich im Vordergrund stehen. Auch im niedergelassenen Bereich ist der Einsatz von POCT derzeit v. a. aus organisatorischen Gründen erforderlich oder wünschenswert. Allein aus den möglichen Einsatzgebieten kann jedoch keine generelle Aussage über den medizinischen oder wirtschaftlichen Nutzen abgeleitet werden. Da sich die Rahmenbedingungen von Fall zu Fall unterscheiden, variieren auch die Beurteilungskriterien für den ökonomischen Nutzen [8]. Grundsätzlich gilt aber, dass durch den Einsatz eines neuen Verfahrens bei gleichen Kosten die medizinischen Leistungen verbessert, bei gleichwertiger medizinischer Versorgung die Kosten reduziert oder – im Idealfall – bei niedrigeren Kosten medizinische Leistungen verbessert werden sollten. Dazu sind folgende Ziele anzustreben [9]: ▬ Verbessern oder Ändern von klinischen Strategien, frühzeitiges Stellen von Diagnosen, Beschleunigen von diagnostischen oder therapeutischen Prozessen ▬ Verkürzung der Verweildauer in der Klinik, auf Intensivstationen und im Operationssaal sowie Verringerung der Zeit, die Arzt oder Pflegekräfte für den Patienten aufwenden müssen ▬ Verringerung von Behandlungskosten durch adäquate Strukturierung der Therapie bei optimaler Patientenüberwachung und Vermeidung von Komplikationen ▬ Erhöhen der allgemeinen Zufriedenheit von Ärzten, Pflegekräften und Patienten. Ein Überblick über bisher durchgeführte Studien zur Frage medizinischer und/oder wirtschaftlicher Vorteile beim Einsatz von POCT findet sich bei [6] und [7].
2.2.1 Medizinische Aspekte
Analytische Bearbeitungszeit Analytische und diagnostische Vorteile, die sich aus der Anwendung von POCT ergeben, sind überwiegend auf die kürzere Bearbeitungszeit (»turn around time«, TAT) zurückzuführen, die Zeit also, die zwischen der Anfor-
16
2
Kapitel 2 · Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT
derung des Tests und dem Erhalt des diagnostischen Befunds vergeht. Diese Zeit verkürzt sich im Wesentlichen durch den Wegfall des Probentransports, da die Diagnostik in Patientennähe erfolgt, und den der Probenbearbeitung, da meist Vollblutproben verwendet werden. Darüber hinaus entstehen durch den Wegfall des Probentransports bei instabilen Analyten weniger präanalytische Probleme. Der wichtigste Vorteil der POCT-Diagnostik, nämlich die rasche Verfügbarkeit der Messergebnisse, führt im Krankenhaus dennoch nicht zwangsläufig zu medizinischen oder ökonomischen Vorteilen [16, 19]. Dies ist häufig darauf zurückzuführen, dass eine durch POCT verkürzte TAT einer nach wie vor unverändert langen therapeutischen TAT (TTAT) gegenübersteht, d. h. der Zeit von der Blutentnahme bis zur therapeutischen Konsequenz, die sich aus dem Messergebnis ergibt [17]. Konkrete Untersuchungen zu der Frage, ob die vielfach der POCT-Diagnostik zugesprochenen Vorteile in der Tat zu einer Verbesserung der Krankenversorgung führen, existieren allerdings nur in begrenztem Umfang. In einer umfangreichen englischen Studie gingen van Heyningen et al. [19] der Frage des klinischen Outcome nach – unter POCTDiagnostik oder traditioneller Laboranalytik. Untersucht wurden 1728 chirurgische und internistische Patienten der Notaufnahmestation eines Lehrkrankenhauses. Die Patienten wurden bezüglich der eingesetzten Methode für die klinisch-chemische Analytik randomisiert (POCT oder Zentrallabor). Erfasst wurden verschiedene Indikatoren wie die TTAT, die Aufenthaltsdauer in der Notfallaufnahme, die Rate eingewiesener Patienten sowie Mortalität und Liegedauer im Krankenhaus. Es fand sich zwar eine signifikant verkürzte TAT für die POCT-Gruppe, jedoch waren keine signifikanten Unterschiede in den Outcome-Indikatoren nachweisbar. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die diagnostische TAT beim klinischen Management ihrer Notfallpatienten nicht der den medizinischen Nutzen bestimmende Faktor ist. ⓘ Hinweis Es ist daher für das jeweilige Krankenhaus notwendig, ein integratives Konzept zu entwerfen, das unter Beteiligung des Zentrallabors die Standorte für das POCT koordiniert und zudem durch Umsetzung der vorgeschriebenen Qualitätssicherungsmaßnahmen die Qualität des Befunds sicherstellt.
Im Einzelfall muss sich dieses Konzept an der räumlichen Situation und der Ausstattung des Krankenhauses orientieren. So ist in Häusern mit modernen Rohrpost- bzw. Kassettenfördersystemen in der Regel auch ohne umfassende
17 2.2 · Medizinische und wirtschaftliche Aspekte
2
POCT-Versorgung eine sehr kurze analytische TAT bei Laboruntersuchungen im Zentrallabor gewährleistet. Ideal ist die Kombination mit einem »Order-entry-Anforderungssystem«, bei dem die gewünschten Laboruntersuchungen direkt von der beantragenden Stelle am PC erfasst und online an das Labor übermittelt werden. Die Ergebnisse können dann unmittelbar nach Freigabe zurückgesandt werden. Für die medizinische Einsetzbarkeit von POCT ist entscheidend, dass Qualitätsstandards eingehalten werden, die in Deutschland seit Jahrzehnten für weite Bereiche der konventionellen medizinischen Laboratoriumsdiagnostik wirksam sind und die durch die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) [1] ohne Einschränkung auch für die POCT-Diagnostik gelten ( Kap. 31). Dennoch treten bei einigen Analyten systematische Unterschiede zwischen den Ergebnissen von POCT und denen des Zentrallabors auf, was die Vergleichbarkeit der Befunde erschwert. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Patientendaten bei POCT-Analysen häufig unvollständig angegeben werden oder gänzlich fehlen; falsche Übertragungen in die Patientenakte sind die Folge. Gleiches gilt für Abrechnungs- und Leistungsdaten der jeweiligen Station oder Ambulanz.
Verantwortlichkeit für die POCT-Qualitätssicherung im Krankenhausbereich Abweichend von den Regelungen zur Qualitätssicherung in den konventionellen medizinischen Laboratorien, die eine Trennung der Verantwortlichkeiten für Qualitätssicherung und Durchführung der Analytik nicht vorsehen, kann ein POCT-Koordinator verantwortliche Aufgaben in der Qualitätssicherung für eine andere Organisationseinheit übernehmen – jedoch ausschließlich im Kontext mit POCT und gemäß den Regelungen der RiliBÄK. Diese Ausnahme ist in den Besonderheiten des POCT mit wenigen, nicht automatisiert abgearbeiteten Proben – oft unter Verwendung von Unit-UseReagenzien – begründet. Die Tätigkeit des Koordinators beschränkt sich in diesen Fällen auf die Überwachung der richtlinienkonformen Durchführung der Qualitätssicherung. Die Übernahme der Qualitätssicherung für einen regulären labordiagnostischen Arbeitsplatz, der die Kriterien des POCT nicht erfüllt, kann dagegen nicht außerhalb der Gesamtverantwortung für diesen Arbeitsplatz erfolgen. Eine solche Regelung ist mit der RiliBÄK und
18
2
Kapitel 2 · Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT
auch mit der ISO 22870 unvereinbar; dies kann im Streitfall als Organisationsverschulden gewertet werden. Daraus ergeben sich zwei mögliche Varianten, um innerhalb eines Krankenhauses die Verantwortung für die Durchführung der Qualitätssicherung einer dezentral organisierten Labordiagnostik zweckdienlich und richtlinienkonform zu regeln [10]. Variante 1: Die Laboratoriumsleitung bzw. der POCT-Koordinator sind innerhalb eines Krankenhauses verantwortlich für die Organisation und Überwachung der Qualitätssicherung für alle stationären und ambulanten Klinikbereiche, die POCT durchführen. Alle Geräte und Teste werden wie oben beschrieben im Einvernehmen mit der POCT-Kommission unter Beachtung der genannten Definitionen des POCT ausgewählt, das Bedienpersonal geschult, die internen und externen Qualitätskontrollmessungen überwacht und dokumentiert. Bei Problemen mit der Qualitätssicherung wird die Laboratoriumsleitung bzw. der POCT-Koordinator die notwendigen Schritte einleiten. Die Leitung des Krankenhauses erteilt dazu eine Dienstanweisung, die diese Aufgaben beschreibt, und eine Weisungsbefugnis für die Bediener von POCT-Geräten in den einzelnen Kliniken. Diese Variante ist im Hinblick auf Effizienz und Qualität zu bevorzugen. Variante 2: Die einzelnen Abteilungen eines Krankenhauses agieren unabhängig von der übergeordneten POCT-Koordination und führen die von der RiliBÄK vorgeschriebenen internen und externen Qualitätssicherungsmaßnahmen in eigener Verantwortung durch. Eine Übertragung der Verantwortlichkeit für die Organisation und Überwachung der Qualitätssicherung von der Leitung dieser Klinik auf den POCT-Koordinator ist in diesem Fall nicht möglich und auch nicht zulässig. Diese Variante ist immer dann zwingend, wenn Labortestungen zwar patientennah durchgeführt werden, aber aufgrund der technischen und organisatorischen Abläufe nicht die Kriterien des POCT, wie sie in der RiliBÄK und der ISO 22870 definiert sind, erfüllen.
POCT im niedergelassenen Bereich Beim niedergelassenen Arzt wird nahezu keine Notfalldiagnostik durchgeführt, sodass der Nutzen von POCT an anderen Stellen zu suchen ist. Hierzu gehören organisatorische Aspekte, z. B. eine verkürzte Wartezeit für die Patienten und eine dadurch potenziell verbesserte Compliance, was zumindest einen indirekten Effekt auf die medizinische Behandlungsqualität haben kann.
19 2.2 · Medizinische und wirtschaftliche Aspekte
2
Evidenzbasierte Wertung von POCT Aus der Notwendigkeit, Informationen und Empfehlungen zur angemessenen Verwendung der patientennahen Sofortdiagnostik zu geben, ist eine evidenzbasierte Richtlinie für POCT entstanden, die von der National Academy of Clinical Biochemistry (NACB) publiziert wurde [13]. Für häufig angewandte POCT-Methoden liegen nun umfangreiche Empfehlungen und damit sachlich begründete Entscheidungskriterien für deren Anwendung vor. Diese Leitlinien können eine nützliche Hilfe für POCT-Koordinatoren und andere Entscheidungsträger sein. Eine wesentliche Einschränkung ergab sich für die Verfasser jedoch bei der Überprüfung der einschlägigen Literatur. Es gibt augenblicklich nur wenige valide Studien, in denen die Anwendung von POCT in Hinblick auf den medizinischen Nutzen (»patient outcome«) untersucht wurde; vielen Studien fehlt eine klare klinische oder wirtschaftliche Aussage. Ein Großteil der für die POCT-Leitlinien begutachteten Literatur ist daher nicht ausreichend, um eine evidente Empfehlung für oder gegen den Einsatz von POCT auszusprechen.
2.2.2 Wirtschaftliche Aspekte
Die Notwendigkeit der Einführung oder Ausweitung der POCT-Diagnostik ist v. a. wegen der hohen direkten Kosten in jedem Einzelfall kritisch zu hinterfragen [4, 17]. POCT-Reagenzien verursachen Kosten, die ein Mehrfaches der Kosten der Analytik im Zentrallabor betragen können. Auch werden Pflegekräfte und Ärzte durch das Bedienen von POCT-Geräten zusätzlich belastet. Die Einführung von POCT-Methoden und die dadurch zunehmende Arbeitsbelastung machen im Einzelfall eine Aufstockung des Stellenplans im Bereich der Pflegekräfte erforderlich, ohne dass im Zentrallabor Arbeitsplätze eingespart werden können. Auch die Qualitätssicherung verursacht zusätzliche Kosten. Es ist mehrfach belegt worden, dass eine mit der Gesamtorganisation eines Krankenhauses unzureichend abgestimmte Einführung von POCT-Verfahren zu deutlichen Kostensteigerungen führen kann, nicht zuletzt dann, wenn POCT-Ergebnisse im Zentrallabor nachträglich kontrolliert werden (»Paralleldiagnostik«) [2]. Um eine klare Aussage bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen von POCT treffen zu können, muss zunächst die Fragestellung klar definiert werden. Sollen z. B. nur die Kosten pro Analyse betrachtet werden oder die
20
2
Kapitel 2 · Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT
generelle Kosteneffizienz? Wie ist der medizinische Nutzen zu messen: Ist beispielsweise die Verweildauer ein ausreichendes Kriterium? Je nachdem, auf welcher Ebene Kosten kalkuliert werden (z. B. Analytik, Patient, Krankenhaus, Gesundheitswesen), können sehr unterschiedliche Ergebnisse resultieren. Für Krankenhäuser, aber auch für andere medizinische Bereiche gilt, dass eine Verringerung von Liegezeiten z. B. durch verbesserte organisatorische Abläufe oder eine verbesserte medizinische Versorgung zu einem Abbau überschüssiger Bettenkapazität oder zu einer höheren Zahl pro Zeiteinheit behandelter Patienten führt, was der wirtschaftlichen Situation der Klinik zugutekommt. So erklärt es sich, dass Kosten auf der Ebene der Station kurzfristig ansteigen können, dass aber auf der Ebene des Krankenhauses oder des Gesundheitswesens durch eine verbesserte Krankenversorgung langfristig Einsparungen möglich sind. Bislang wurden nur wenige konkrete Daten zu wirtschaftlichen Fragestellungen publiziert. In einigen speziellen Untersuchungen konnte aber der Nutzen von POCT unter medizinisch-ökonomischen Gesichtspunkten nachgewiesen werden, beispielsweise beim Einsatz von HIV-Schnelltests zum Screening von Schwangeren unmittelbar vor der Geburt oder für die CRP-Bestimmung in der ärztlichen Praxis, um unnötige Antibiotikagaben bei Erkrankungen der unteren Atemwege zu vermeiden [5]. In anderen Bereichen, etwa den Arztpraxen oder Apotheken, sind die potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen von POCT noch schwieriger einzuschätzen, da es meist um die Verlaufskontrolle bei chronischen Erkrankungen geht und Auswirkungen erst Jahre später erkennbar werden – Effekte, die dann möglicherweise nicht mehr eindeutig dem auslösenden Moment zuzuordnen sind. Es ist vorstellbar, dass der Einsatz von POCT in der Arztpraxis trotzdem medizinisch sinnvoll ist. Dennoch unterbleibt er in Deutschland häufig aufgrund unzureichender Vergütung durch die Krankenversicherungen. Ein wichtiger Aspekt für den wirtschaftlichen Einsatz von POCT im Krankenhaus ist die vollständige Erfassung aller durchgeführten POCTMessungen, um die Leistungen abrechnen zu können. Dies kann jedoch nur dann gelingen, wenn alle Geräte über einen zentralen Server vernetzt und zwingend Patientenidentifizierungsdaten eingegeben werden. ⓘ Hinweis Die heute in vielen Kliniken übliche Praxis, die Patientenstammdaten bei POCT-Messungen nicht zu berücksichtigen, sollte auch aus wirtschaftlichen Erwägungen unbedingt verlassen werden.
21 2.3 · Marktsituation für POCT
2.3
2
Marktsituation für POCT
POCT-Systeme sind ein wichtiges Segment des Markts für In-vitro-Diagnostika (IVD), auf dem weltweit etwa 25 Mrd. Euro pro Jahr umgesetzt werden. Davon entfallen nach Schätzungen von Industrieverbänden wie der European Diagnostic Manufacturer Association (EDMA; www.edma-ivd. be) oder dem Deutschen Verband der Diagnostica-Industrie e. V. (VDGH; www.vdgh.de) auf Europa rund 10, auf Deutschland 2,1 Mrd. Euro. Der POCT-Anteil am IVD-Markt wuchs in den führenden europäischen Ländern Deutschland, Italien und Großbritannien in den vergangenen 10 Jahren sehr rasch und hat mittlerweile mit 0,8 Mrd. Euro in Deutschland einen Anteil von mehr als einem Drittel erreicht. Den größten Teil davon nehmen mit etwa einer halben Milliarde Euro die Blutglukosestreifen und -geräte für die Selbsttestung von Diabetikern ein. POCT-Tests für Glukose im Krankenhaus machen nur rund 1 % des Gesamtumsatzes aus.
2.3.1 Probleme der Marktschätzung
Während die Umsatzzahlen für etablierte POCT-Parameter wie Blutglukose oder Blutgase relativ gut dokumentiert sind, muss man bei allen Schätzungen des Gesamtmarkts mit erheblichen Unschärfen rechnen, da die Produktpalette stark diversifiziert, nicht exakt definiert und auch nicht komplett erfasst ist. Dies gilt z. B. für physikalische Verfahren wie die transkutane Sauerstoffmessung, für IT-Produkte zur Verwaltung und Vernetzung von POCT-Geräten oder innovative »Lab-on-a-chip-Lösungen«, die in nahezu alle POCT-Bereiche bis hin zur Molekulardiagnostik vordringen (www.labon-a-chip.com). Eine weitere Unsicherheit liegt in der korrekten Zuordnung von Bestimmungen wie Blutgasanalysen (inklusive Elektrolyt- und Metabolit-Bestimmungen), die im Krankenhaus teils im Zentrallabor, zunehmend aber auch am POC durchgeführt werden und vom VDGH bisher dennoch nur dem Laborbereich zugeordnet wurden. Bei einer weiten Auslegung des Begriffs »POCT« dürfte das Marktvolumen in Deutschland also bereits näher an der Milliardengrenze liegen, als die offiziellen Zahlen es zeigen. Trotz aller Erfassungs- und Zuordnungsprobleme unterstreicht dies die Bedeutung des POCT-Segments für den heutigen Diagnostikmarkt: Mindestens jeder dritte IVD-Euro wird bereits am Patien-
22
Kapitel 2 · Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT
tenbett oder in der Apotheke erwirtschaftet, und auch in nichtmedizinischen Einrichtungen fassen Schnelltests inzwischen Fuß ( Kap. 1).
2 2.3.2 Derzeit verfügbare POCT-Systeme
Bislang existiert keine verbindliche Einteilung der POCT-Systeme; eine Klassifikation kann grundsätzlich nach unterschiedlichen Kriterien wie Technologie, Anwendungsgebiet oder Einsatzort erfolgen [11]. Sinnvoll ist zunächst eine Differenzierung nach den beiden großen Bereichen der Selbsttestung durch den Patienten (»home testing«) und der POCT-Diagnostik im Krankenhaus, die großteils vom medizinischen Personal durchgeführt wird. Das Testmenü der ersten Kategorie beschränkt sich weitgehend auf Glukose- und Gerinnungsglobaltests für die Überwachung von Diabetikern bzw. antikoagulierten Patienten. In der zweiten Kategorie scheint die Menübreite dagegen fast grenzenlos zu sein: Es gibt inzwischen kaum einen Labortest, den man nicht wenigstens prinzipiell auch am POC verfügbar machen könnte. Auf Intensivstationen werden POCT-Geräte zum Teil in die größeren Überwachungseinheiten integriert, um Laborwerte wie Blutgase und Elektrolyte zusammen mit Vitalparametern wie EKG und zentralem Venendruck verfügbar zu machen. Die meisten POCT-Systeme werden allerdings derzeit noch als separate Tischgeräte (»benchtop analyzer«) betrieben und nur datentechnisch über Patientendatenmanagementsysteme vernetzt. Die POCT-Bereiche des Krankenhauses untergliedert man weiter nach typischen Einsatzorten wie Operationssaal und Aufwachraum, Intensivstation, Notaufnahme, Spezialambulanzen etc. Eine Grenzform stellen Akutlaboratorien für Krankenhäuser ohne eigenes Zentrallabor dar. Sie sind nicht unbedingt POCT-Bereiche im klassischen Sinne, fallen jedoch unter eine erweiterte Definition der »patientennahen Sofortdiagnostik, die außerhalb des Zentrallabors durchgeführt wird« [5]. Für jeden dieser Bereiche stehen unterschiedliche Testprofile, Geräte und IT-Lösungen zur Verfügung. Nach der Zahl der Bestimmungen führen die Blutglukosemessungen, gefolgt von Blutgas- und Elektrolytanalytik, Hämostaseologie, Hämatologie, der Bestimmung von Metaboliten und Enzymen, Medikamenten und Drogen, sowie zahlreichen Spezialtests, z. B. für die Allergie- oder Erregerdiagnostik. Aus technischer Sicht ist hier eine Einteilung nach Ein- und Mehrkanalmessungen sinnvoll. Erstere sind neben Krankenhaus- und Patienten-
23 2.3 · Marktsituation für POCT
2
selbsttestung auch in Arztpraxen und Apotheken im Einsatz. Einzeltestsysteme ohne Ablesegerät sind z. B. Urinteststreifen, Testkärtchen für Blut im Stuhl oder Schwangerschaftstests. Die Mehrkanalgeräte bieten Testprofile für klinische oder organisatorische Problemstellungen, z. B. Herz-KreislaufMarker – Troponin, CK-MB, (NT-pro-)BNP, Myoglobin, D-Dimer – bzw. Intensivüberwachung (Hämoglobin, Hämatokrit, Blutgase, Elektrolyte). Sie reichen von 2-Kanal-Geräten für Gerinnungsglobaltests bis zu miniaturisierten Mehrkanalgeräten mit bis zu 25 Parametern, d. h. sie stehen für einen durchaus respektablen Ausschnitt aus dem Spektrum des klassischen Zentrallabors ( Kap. 3 und Kap. 9). Die Entwicklung multipler (»multiplexed«) POCT-Tests pro Analyse ist dank Chip- und Mikrofluidiktechnologie durchaus vorstellbar, doch haben solche Tests derzeit noch keinen Markt.
2.3.3 Künftige Entwicklung des Marktes
Günstige Angebote aus Indien und China schmälern derzeit die Erlöse westlicher Anbieter und verschieben den Schwerpunkt der Produktion teilweise nach Asien. Dennoch lassen sich dadurch entstehende Verluste durch komfortablere Produkte und Zusatzmerkmale, beispielsweise Datenmanagement, kontraststarke Digital-Displays mit Spritzschutz, Testresultatausgabe in Textform und Sprache, kompensieren. Neue Marker und die fortschreitende Zentralisierung im klassischen Labormarkt dürften die Attraktivität der POCTSysteme auch in Zukunft weiter steigern, sodass in zahlreichen Segmenten weiterhin mit Wachstumsraten um 10 % pro Jahr zu rechnen ist. Vor allem Schnelltests für Herz-Kreislauf- und Infektionskrankheiten sowie Ovulations- und Schwangerschaftsnachweise haben nach Ansicht des Marktforschungsunternehmens Frost & Sullivan (www.frost.com) großes Zukunftspotenzial. Vorhersagen, wonach POCT die klassische Labordiagnostik bald überholen oder gar überflüssig machen würde, sind allerdings voreilig. Der stürmische Aufschwung der 1990er-Jahre mit 2-stelligen Wachstumsraten scheint sich vorerst zu beruhigen: Im Jahre 2007 konnte der deutsche POCTMarkt nur noch um 1 % zulegen. Die klassische Labordiagnostik hingegen, die jahrelang das Sorgenkind der Branche war, brachte es im selben Jahr auf ein Wachstum von knapp 3 %. So bleiben POCT und Zentrallabor auf absehbare Zeit einander ergänzende Säulen der Labordiagnostik mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der Patientenversorgung: POCT wird bei der flexi-
24
2
Kapitel 2 · Medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von POCT
blen Sofortdiagnostik in kritischen Bereichen (»critical care«) und dezentral gelegenen Einrichtungen weiterhin Marktanteile gewinnen, das Zentrallabor bleibt vorläufig dominierend bei der Abarbeitung von großen Analyseserien und aufwendigen Spezialtests. Bestimmend für die langfristige Entwicklung werden folgende Kriterien sein: ▬ Geschwindigkeit pro Einzeltest und in der Serie, ▬ Kosten und Personalbindung, ▬ organisatorischer und medizinischer Nutzen. Die langfristige Entwicklung wird auch vom Einsatz neuer diagnostischer Technologien wie z. B. der kontinuierlichen (»inline«) Messung von Metaboliten beeinflusst. So hat sich die kontinuierliche Glukosemessung im Subkutangewebe aus den klinischen Studien heraus zu einer wertvollen diagnostischen Ergänzung bei Typ-1-Diabetikern entwickelt ( Kap. 15). Diese Analysesysteme sind unschwer als POCT anzusprechen und könnten v. a. im Intensivbereich zukünftig größere Bedeutung erlangen. Zukünftige Entwicklungstendenzen des POCT und der Laboratoriumsmedizin insgesamt werden unter dem Schlagwort »Die 4. Generation der Laborsysteme« in Kap. 34 skizziert.
Literatur [1] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK). Dtsch Ärztebl 105: A341–A355 [2] Doyle NM, Levison JE, Gardner MO (2005) Rapid HIV versus enzyme-linked immunosorbent assay screening in a low-risk Mexican American population presenting in labor: a cost-effectiveness analysis. Am J Obstet Gynecol 193: 1280–1285 [3] Drenck N (2001) Point of care testing in critical care medicine: The clinician’s view. Clin Chim Acta 307: 3–7 [4] Gruszecki AC, Hortin G, Lam J et al. (2003) Utilization, reliability, and clinical impact of point-of-care testing during critical care transport: Six years of experience. Clin Chem 49: 1017–1019 [5] Hänecke P, Haeckel R, Koschinsky T, Luppa P, Schlebusch H, Wahl HG (2004) Qualitätssicherung in der patientennahen Sofortdiagnostik (Point-of-Care Testing) im Krankenhaus: Muster für eine hausinterne Richtlinie. J Lab Med 28: 256–263 [6] Kost GJ, Tran NK. Effects of point-of-care testing on time, process, decision making, treatment and outcome. In: Kost GJ (ed) (2002) Principles and practice of point-of-care testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 605–611
25 Literatur
2
[7] Kost GJ, Tran NK. The economics of point-of-care testing. In: Kost GJ (ed) (2002) Principles and practice of point-of-care testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 613–622 [8] Kost GJ. Controlling economics, preventing errors, and optimizing outcome in pointof-care testing. In: Kost GJ (ed) (2002) Principles and practice of point-of-care testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 577–600 [9] Kost GJ. Goals, guidelines, and principles for point-of-care testing. In: Kost GJ (ed) (2002) Principles and practice of point-of-care testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 3–12 [10] Luppa P. Junker R. Verantwortung für die Durchführung der Qualitätssicherung einer dezentral organisierten Laboratoriumsdiagnostik im Krankenhaus. Klin. Chemie Mitteilungen 2010;41:205-8. [11] Luppa PB, Müller C, Schlichtiger A, Schlebusch H. Point-of-care testing (POCT): Current techniques and future perspectives. Tr Anal Chem 2011;30: 887–898 [12] Mahtabjafari M, Masih M, Emerson AE (2001) The value of pharmacist involvement in a point-of-care service, walk-in lipid screening program. Pharmacotherapy 21: 1403–1406 [13] National Academy of Clinical Biochemistry (NACB) (2007) Practice guidelines: Evidencebased practice for point-of-care testing. Point of care 6: 213–217 [14] Peterson GM, Fitzmaurice KD, Naunton M, Vial JH, Stewart K, Krum H (2004) Impact of pharmacist-conducted home visits on the outcomes of lipid-lowering drug therapy. J Clin Pharm Ther 29: 23–30 [15] Robert LS, Edward HL (2007) Point-of-care testing: Guidelines and challenges. NC Med J 68: 132–135 [16] Schlüter B, Junker R (2003) Labordiagnostik – Schneller ist nicht immer besser. Dtsch Ärztebl 100: A87–A89 [17] Scott MG (2000) Faster is better – It’s rarely that simple! Clin Chem 46: 441–442 [18] Till LT, Voris JC, Horst JB (2003) Assessment of clinical pharmacist management of lipidlowering therapy in a primary care setting. J Manag Care Pharm 9: 269–273 [19] van Heyningen C, Watson ID, Morrice AE (1999) Point-of-care testing outcomes in an emergency department. Clin Chem 45: 437–438
3 Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien P. B. Luppa, H. Schlebusch, E. Stürenburg, G. Proll
3.1
Allgemeine analytische Prinzipien – 28
3.2
Detektor – 29
3.3
Transducer
3.4
Probenaufgabe/Fluidikeinheit
3.5
Processing-Einheit
3.6
Gerätekategorien Literatur
– 36 – 36
– 37 – 37
– 46
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1B, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
3
28
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
3.1
Allgemeine analytische Prinzipien
Die POCT-Technologie hat – ausgehend von einfachen Handgeräten für die Blutglukosebestimmung und ersten Blutgasanalysatoren in den 1960erJahren – die unterschiedlichsten Methodiken und Anwendungen hervorgebracht. Die Verschiedenheit der Anwendungsfelder erlaubt an dieser Stelle keine umfassende Darstellung der zugrunde liegenden Analysemethoden. Die allgemeinen Prinzipien sollen jedoch kurz erläutert werden. Eine hilfreiche erste Übersicht gibt dabei der Aufbau dieser Analysesysteme [14]: ▬ Detektoreinheit, ▬ Transducer-Einheit, ▬ Probenaufgabe/Fluidikeinheit, ▬ Processing-Einheit. POCT-Systeme entwickelten sich aber auch aus den sog. Schnelltests (z. B. Schwangerschaftstest). Bei diesen einfachen Systemen entspricht das mensch-
Probenzuführung
Detektor Transducer
Detektor
Selektiver Signalgeber
Signalgenerierung
Sensor
Messdaten
Transducer
Messwandler
• Optische Auslesung
(mit/ohne Substrataddition)
Erkennungsschicht
• Elektrochemische Auslesung
(biospezifisch/chemospezifisch)
Plane Oberfläche (mit/ohne funktionalisierte Zwischenschicht)
⊡ Abb. 3.1 Prinzipieller Aufbau eines Biosensors
• Sonstige Auslesung (thermometrisch, akustisch, magnetisch ...)
29 3.2 · Detektor
3
liche Auge der Signalauslesung im Transducer. Alle weiteren komplexeren Analysesysteme werden dann als Sensor betrachtet, wenn durch den Transducer das Signal ausgelesen und in ein elektrisches Signal umgewandelt wird. Die zugrunde liegende Technologie wird dabei als »Chemo-« und »Biosensorik« bezeichnet [22]. In ⊡ Abb. 3.1 ist zur Erläuterung ein Sensor in einer Durchflusszelle dargestellt.
3.2
Detektor
Der Detektor ist als selektiver Signalgeber anzusprechen. Dies ist dann der Fall, wenn auf einer Oberfläche des Detektor/Transducer-Systems eine spezifische Erkennungsschicht immobilisiert wurde. Diese Erkennungsschicht kann sowohl biospezifische als auch chemospezifische Eigenschaften aufweisen, die Oberfläche aus unterschiedlichen Kunststoffmaterialien, Glas, Silizium oder Edelmetallen bestehen. Metalloberflächen können mit oder ohne funktionalisierte Zwischenschicht hergestellt werden. Die Signalgenerierung kann auf verschiedene Weise mit oder ohne Substrataddition realisiert werden. Zum einen gibt es optische Oberflächenanalytikmethoden wie z. B. die Ellipsometrie oder die Oberflächenplasmonresonanz, die von der Oberfläche spezifische Informationen generieren. Es können zum anderen aber auch spektroskopische Methoden eingesetzt werden, etwa Absorptions-, Fluoreszenz- oder (Chemi-)Lumineszenzmessungen. Weiterhin werden elektrochemische Methoden wie Amperometrie und Potenziometrie oder sogar optische Bewegungsanalysen zur Signalgenerierung eingesetzt. In ⊡ Tab. 3.1 sind die bereits angesprochenen Eigenschaften des Detektors zusammengefasst.
3.2.1 Elektrochemische Sensoren z
Potenziometrische Sensoren
Die Nernst-Gleichung [3] ist die Grundlage für alle potenziometrischen Transducer-Typen. Gemäß der Gleichung sind Potenzialänderungen bei Nullstrom logarithmisch proportional zur spezifischen Ionenaktivität. Potenziometrische Transducer-Elektroden werden dabei methodologisch eingeteilt:
30
3
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
▬ Transmembranes Potenzial. Dieser Transducer basiert auf der Akkumulation eines Potenzials entlang einer Sensormembran. Ionenselektive Elektroden (ISE) nutzen dabei ionenselektive Membranen, die eine Ladungsseparation zwischen der Probe und der Sensoroberfläche generieren. ▬ Elektrodenpotenzial. Dieser Transducer ähnelt dem transmembranen Potenzialsensor, jedoch ist die Elektrode selbst die Oberfläche für die biochemische Erkennungsreaktion, wodurch sich das Elektrodenpotenzial in Abhängigkeit von der Analytkonzentration ändert. ⊡ Tab. 3.1 Eigenschaften eines Biosensordetektors Signalgenerierung
Oberfläche
Erkennungsschicht
Markierungsfreie optische Oberflächenanalytik: Mikroreflektometrie − Ellipsometrie − Reflektometrische Interferenzspektroskopie Mikrorefraktometrie − Oberflächenplasmonresonanz − Gitterkoppler − Mach-Zehnder-Interferometrie
− Self Assembled Monolayers, Polymere oder Hydrogele auf Si-Wafer oder Glas − Glas und verschiedene Kunststoffmaterialien − Edelmetalloberflächen − Glas oder Kunststoffmaterialien mit optischen Gittern − Glas, Si-Wafer mit integrierter Optik
Biospezifisch: − Antikörper − Antigene − Rezeptoren − Liganden − Andere Bindungsproteine − Enzyme (Substratumsatz, Enzymaktivierung oder -inhibition) − Aptamere − DNA/RNA − (Protein-)Scaffold − Lebende Zellen
Spektroskopie: − Fluoreszenz, (Chemi-) Lumineszenz, Totale Interne Reflektionsfluoreszenz − Reflexion − Absorption − Trübungsmessung − Optische Bewegungsanalyse
− Glas oder Kunststoffmaterialien (häufig Mikrotiterplatte und Mikroskopslides), bei TIRF auch mit integrierter Optik oder optischen Gittern − Si-Wafer − Homogene Phase
− Chemospezifisch: − »molecular imprints« − Indikatoren
Elektrochemie: − Amperometrie − Potenziometrie − Konduktivität − Coulometrie
Edelmetallelektroden
Ionenselektive Membranen
31 3.2 · Detektor
3
▬ »Field effect transistor« (FET). Der FET als Halbleiterbauelement ist in der Lage, geringste Ladungsänderungen an der Oberfläche einer Elektrode (»gate« genannt), die zwischen den sog. Source- und den Drain-Elektroden liegt, zu analysieren. Beim ionenselektiven FET (ISFET), einer Kombination aus ISE und FET, beruht das Messprinzip auf der Veränderung des Feldeffekts (Ausbildung einer Raumladungszone), der in Abhängigkeit von der Konzentration der Ionen in der zu untersuchenden Probe zwischen Source und Drain beobachtet werden kann, wenn anstelle des elektrischen Kontakts am Gate eine ionenselektive Schicht aufgebracht und mit der zu messenden Lösung in Kontakt gebracht wird. Dies führt zu einer Änderung des »Source-drain-Stroms«, der direkt proportional zur Änderung der Analytkonzentration ist und sehr genau gemessen werden kann. Als Vorteile potenziometrischer Sensoren gelten die Einfachheit und die Robustheit der Messeinrichtung. Vorteilhaft ist auch die geringe Größe dieser Sensoren, was für POCT-Systeme wichtig ist. Alle potenziometrischen Sensormethoden haben jedoch Probleme mit der Sensitivität und mit nichtspezifischen Effekten, die sich in einem schlechten Signal-RauschVerhältnis niederschlagen. Beispielkenngrößen für potenziometrische Sensoren sind pH, pCO2, Na+, + K , Ca2+ und Cl–. z
Amperometrische Sensoren
Amperometrische Sensoren messen den Strom, der durch eine elektrochemische Reaktion bei konstanter Spannung erzeugt wird. Die Anwendung von amperometrischen Sensoren gelingt nur dann, wenn der Analyt auch als Redoxpartner in einer elektrochemischen Reaktion fungieren kann. Die erste Beschreibung eines derartigen Analysesystems lieferte im Jahre 1956 L. C. Clark [4]. Dabei wurde eine Sauerstoffelektrode beschrieben, die aus einer elektrolythaltigen Kammer, einer Platindetektorkathode (polarisiert bei –0,7 V) und einer Ag/AgCl-Referenzelektrode besteht. Die Kammer ist mit einer O2-permeablen Membran bespannt. Die Kathodenreaktionen verlaufen wie folgt: O2 + 2 H2O + 2 e– → H2O2 + 2 OH– H2O2 + 2 e– → 2 OH–
32
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
Die Anodenreaktion lautet: 4 Ag + 4 Cl– → 4 AgCl + 4 e–
3
Es gibt eine Reihe von Enzymen mit hohen katalytischen Umsatzraten (>103 s-1), die für eine Substrattransformation in amperometrischen Systemen sorgen [10]. Neben Sauerstoff, durch Katalase aus H2O2 generiert, gibt es weitere amperometrisch detektierbare Verbindungen wie Ferrocenderivate, In2+-Salze [1] oder das Redoxpolymer PVP-Os(bipyridyl)2Cl, das z. B. in Immunosensoren mit Antikörpern co-immobilisiert werden kann [13]. Enzyme wie die Meerrettichperoxidase (»horseradish peroxidase«, HRP), die Glukoseoxidase, die Glukosedehydrogenase und andere wurden erfolgreich in amperometrischen Sensoren eingesetzt [16]. Amperometrische Sensoren zeigen eine exzellente analytische Sensitivität, wogegen sich eine systemimmanente Transportratenlimitation für die Redoxpartner auf der Elektrodenoberfläche nachteilig auswirken kann. Beispielkenngrößen für amperometrische Sensoren sind pO2, Glukose und Laktat. z
Konduktometrische und kapazitive Sensoren
Diese Sensoren messen die Änderung der elektrischen Konduktivität in einer Lösung bei konstanter Spannung. Diese Änderung wird durch biochemische Reaktionen bedingt, die auf spezifische Weise Ionen erzeugen oder verbrauchen. Die Kapazitätsänderungen werden mittels einer elektrochemischen Anordnung gemessen, indem das bioaktive Element auf einem Paar Au- oder Pt-Elektroden fixiert wird. Außer der Messung des Hämatokrits gibt es nur wenige klinische Applikationen, da es die hohe Ionenstärke von Vollblut oder Serum schwierig macht, die relativ geringen Konduktivitätsänderungen bei der Reaktion, die die entscheidenden Signale generieren kann, zu erfassen [2].
3.2.2
Optische Sensoren
Die Methoden, die bei diesen Sensoren zur Anwendung kommen, können in drei Kategorien eingeteilt werden: ▬ optische Detektion, ▬ Optoden, ▬ optische Oberflächenabtastung.
33 3.2 · Detektor
z
3
Optische Detektionsverfahren
Die am häufigsten eingesetzten optischen Sensoren sind der ersten Kategorie zuzuordnen. Sie messen Lichtabsorption oder Lichtreflexion, wenn die zu untersuchende Kenngröße zumindest in einer millimolaren Konzentration vorliegt. Dabei unterliegt die Absorption des Lichts als elektromagnetische Strahlung mit einer vorgegebenen Energie bzw. Wellenlänge dem LambertBeer-Gesetz, sofern der absorbierende Analyt homogen in der Lösung verteilt ist. Über den Einsatz von Multiwellenlängenphotometern im Rahmen der Oxymetrie wird in Kap. 6 referiert. Wenn der Analyt jedoch weit unterhalb einer millimolaren Konzentration anzunehmen ist, müssen – wie bei der Immunoassaymethodik – andere spektroskopische Methoden wie Nephelometrie/Turbidimetrie, Fluoreszenz- oder (Chemi-)Lumineszenzmessungen eingesetzt werden; dies erfordert jedoch die Verwendung entsprechend markierter Tracer-Substanzen. z
Optoden
Faseroptische Chemosensoren, »Optoden« genannt, stellen eine weitere Kategorie optischer Sensoren dar, die in Zukunft eine kontinuierliche Messung verschiedener Parameter (Elektrolyte, Blutgase), z. B. intraarteriell, erlauben könnten. Sie nutzen Fluoreszenzfarbstoffe, die z. B. an ionenselektive (Ionophore) oder gasdurchlässige Membranen gebunden sind. Wenn diese Membranen die Fiberoptik ummanteln, ist eine Bestimmung von Elektrolyten wie Na+, K+ und Ca2+ oder die Messung von pO2, pCO2 und pH möglich. Die Intensität der nach Anregung mit einer bestimmten Wellenlänge bei konstanter Energie emittierten Fluoreszenz ist dabei direkt proportional der Konzentration eines anwesenden Kations oder dem Partialdruck eines Gases. z
Optische Oberflächenanalytikverfahren
Die Technik der markierungsfreien optischen Oberflächenanalytik [8] kommt – trotz ihrer hohen analytischen Potenz – bei POCT-Systemen noch selten zum Einsatz. Dagegen werden optische Bewegungs- bzw. Bildanalysen bereits häufig in Gerinnungsanalysatoren eingesetzt, um die Gerinnselbildung nachzuweisen. So kann z. B. unter Zuhilfenahme von paramagnetischen Eisenoxidpartikeln in einem orthogonalen oszillierenden magnetischen Feld das Bewegungsverhalten dieser Partikel unter dem Einfluss der Fibrinbildung mittels einer Photodiode beobachtet werden [17].
34
z
3
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
Totale interne Reflexionsspektroskopie (TIRS)
In diesem optischen Sensor, der aus zwei Materialien mit unterschiedlichen Reflexionsindizes (RI) besteht, trifft das Licht unter der Bedingung der totalen internen Reflexion, durch die Schicht mit dem höheren RI kommend, auf die Sensoroberfläche. Dadurch wird eine evaneszente Welle (als elektrischer Vektor des Lichts) im Material mit dem geringeren RI darunter ausgelöst. Diese Welle penetriert (bis ca. ½ λ, entsprechend wenigen 100 nm) in das Medium mit einer exponentiell abfallenden Amplitude. Daher können Biomoleküle, die auf der Sensoroberfläche immobilisiert sind, mit dieser evaneszenten Welle interagieren. Dies führt zu einer Schwächung der reflektierten Dichteintensität. In Abwandlung dieser Technik kann eine totale interne Reflexionsfluoreszenzmessung (TIRF) auch durch den Einsatz von fluoreszenten Stoffen realisiert werden [8]. z
Reflektometrische Interferenzspektroskopie (RIfS)
Die RIfS ist eine auf Interferenz von Weißlicht an dünnen Schichten beruhende Detektionsmethode. Diese Methode wird in der Praxis eingesetzt, um molekulare Wechselwirkungen zu untersuchen. Das grundlegende Messprinzip der Mehrfachreflexion an dünnen Schichten entspricht dem FabryPérot-Interferometer. Biochemische Bindungsereignisse können zeitaufgelöst über die Verschiebung des für das jeweilige Schichtsystem charakteristischen Interferenzspektrums verfolgt werden [9]. z
Ellipsometrie
Mit dieser Technik wird die Änderung des Polarisationszustands von Licht bei Reflexion an einer oberflächenimmobilisierten Probe gemessen. Im Allgemeinen wird linear oder zirkular polarisiertes Licht verwendet, das nach Reflexion elliptisch polarisiert ist, woraus sich der Name der Methode ableitet. Die Orientierung der Ellipse hängt vom Einstrahlungswinkel ab, zudem von der Orientierung der Polarisierung des eingestrahlten Lichts und von den Reflexionseigenschaften der Sensoroberfläche (RI, Dichte der biologisch veränderten Oberfläche). z
Oberflächenplasmonresponanz
Das Prinzip der Surface-Plasmon-Resonanz-(SPR-)Technologie basiert auf einem quantenphysikalischen Phänomen an der Goldoberfläche. Durch Einstrahlung von monochromatischem und polarisiertem Licht unter den
3
35 3.2 · Detektor
Detektor
Weißlichtquelle
1
Prisma
I
II
Intensität
0,8 0,6 0,4 0,2 0
Linear polarisiertes Licht
Δn 600
640 680 720 Wellenlänge (nm)
760
Reflektiertes Licht
Goldschicht
Sensor-Chip
Immobilisiertes Antigen
Biologische Oberfläche
Antikörper Durchflusszelle ⊡ Abb. 3.2 Prinzip der Surface-Plasmon-Resonanz-Technologie
Bedingungen der Totalreflexion werden in der Goldschicht die sog. Plasmone (Dichteschwankungen der schwingenden Elektronen im Metall, quantenmechanisch als Quasiteilchen behandelt) erzeugt, die durch Abführen von Energie in Form einer evaneszenten Welle (analog zur TIRS) eine Art Schattenwurf (Intensitätsverlust) im reflektierten Licht hervorrufen. Der Winkel dieses Lichtschattens ändert sich bei ansonsten konstanten optischen Parametern durch die Interaktion von Molekülen mit einer funktionalisierten biochemischen Schicht an der Chip-Unterseite, da sich der RI des Mediums durch die Änderung der Oberflächenzusammensetzung geringfügig ändert. Das Prinzip ist in ⊡ Abb. 3.2 dargestellt [12].
3.2.3
Sensoren für hämostaseologische und hämatologische Analysen
Für Gerinnungsanalysen werden neben den oben beschriebenen optischen Bewegungssensoren die aus den mechanisierten Gerinnungsanalysatoren
36
3
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
bekannten Prinzipien zum Nachweis der Gerinnselbildung angewandt. Für hämatologische POCT-Untersuchungen kommen analog die bei den mechanisierten Hämatologieanalysatoren angewandten Prinzipien der Partikelzählung (hydrodynamische Fokussierung etc.) bzw. -charakterisierung zum Einsatz. Nähere Einzelheiten sind Kap. 7 und Kap. 8 zu entnehmen.
3.3
Transducer
Der Transducer entspricht einem Messwandler, der optische, elektrochemische oder andere Auslesungen (thermometrisch, akustisch, magnetisch etc.) ermöglicht. Der Transducer wandelt die biologische/chemische Reaktion in eine physikalische Größe, die wiederum in ein Signal bzw. in digitale Daten umgewandelt wird und danach auf vielfältigste Weise weiterverarbeitet werden kann. Das Signalverarbeitungssystem konditioniert dabei das Sensorsignal durch elektronisches Glätten und Rauschfilterung. Besonders bemerkenswert ist die biospezifische Erkennungsschicht auf dem Transducer [15]. Dabei handelt es sich häufig um immobilisierte Antikörper oder um Enzyme. Während die Antikörper durch Assoziation mit dem Analyten als biospezifische Erkennungsschicht fungieren, wird bei den Enzymen meistens die katalytische Reaktion nach Zusatz von Substrat genutzt. Als Beispiel sind hier die Glukosesensoren zu nennen ( Kap. 5). Bindungsproteine können als »recognition proteins«, z. B. bei einer Blutgerinnungsanalyse, eingesetzt werden [18]. Unter »chemospezifischen Erkennungsschichten« versteht man dagegen alle Arten von ionen- und molekülselektiven Membranen, molekulare Abdrücke (»imprints«) oder Indikatormoleküle, die durch Selektivität gegenüber dem Analyten als Erkennungsschicht geeignet sind.
3.4
Probenaufgabe/Fluidikeinheit
Die Probenaufgabe bei POCT-Geräten kann im Gegensatz zur oft komplexen Einschleusung einer Patientenprobe in klinisch-chemische Analysengeräte stark vereinfacht ablaufen. Die POCT-Geräte nutzen dazu häufig eine Fluidikeinheit, die zumeist aus Einwegkomponenten aufgebaut ist. Das Fluidikformat kann wie folgt definiert werden:
37 3.6 · Gerätekategorien
3
▬ Systeme mit absorbierenden Materialien, Durchflusszelle, lateralem Flow oder (Immuno-)Chromatographie, ▬ Kassetten-, Kapillar-, Schlauch- oder Zentrifugalsysteme. Dabei wird die Fließbewegung durch Vakuum, Pumpen oder Zentrifugalkräfte aufrechterhalten; es werden alternativ aber auch die absorptiven Eigenschaften vieler Materialien, die Kapillarkraft sowie die Elektroosmose genutzt [19]. Viele Fluidiksysteme sind Kassetten, die sämtliche Reagenzien in Segmenten bereitstellen und durch eine Öffnung mit Probenmaterial beschickt werden. Einfache »Unit-use-POCT-Geräte« (z. B. Blutglukosemessgeräte) benutzen oft Teststreifen, die für eine Messung manuell in das Gerät eingesetzt werden. Danach wird das Probenmaterial ebenfalls manuell an die Auftragszone gebracht und selbsttätig durch Kapillarkräfte in den Streifen eingesaugt. Blutgasanalysatoren dagegen saugen eine Blutprobe zumeist direkt aus der Spritze oder Kapillare mithilfe von Rollerpumpen und Schlauchsystemen an.
3.5
Processing-Einheit
Zur Weiterverarbeitung der vom Transducer aufbereiteten Messsignale benutzen viele POCT-Geräte gängige Computerbetriebssysteme (z. B. Palm Computing Platform). Damit werden nicht nur die (quantitativen) Resultate sichtbar gemacht (Display, Drucker etc.), sondern es werden auch sämtliche analysebegleitenden Berechnungen (Kalibrierung etc.) und das Datenmanagement (Speicherung von Qualitätskontrollmessungen, Patientenergebnissen etc.) im Gerät durchgeführt.
3.6
Gerätekategorien
Auf dem IVD-Markt (IVD: In-vitro-Diagnostika) finden sich die unterschiedlichsten Geräte, von den kompakten »Hhandhelds« bis zu den Tischgeräten, die komplizierte Analysensysteme für Küvettentests oder trägergebundene Verfahren darstellen. Das Methodenspektrum reicht von einfachen Teststreifen bis hin zu komplexen immunchemischen Analysen. Die POCT-Geräte sind in der Regel nahezu vollständig automatisiert und erfordern von der Probenvorbereitung bis zum Testergebnis nur einfachste Handgriffe des Benutzers.
38
3
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
In den letzten Jahren haben sich folgende Instrumentenkonzepte durchgesetzt: ▬ Handgeräte, z. B. Glukosemessgeräte (entspricht einem Unit-use-System; s. unten), ▬ andere Unit-use- oder Multi-use-Kassettensysteme (z. B. i-STAT für Blutgasanalysen oder Hemochron Jr. Signature+ für Gerinnungsanalysen), ▬ stationäre Tischgeräte, z. B. Blutgas-Elektrolyt-Substrat-Analysatoren, ▬ Lab-on-a-chip-Systeme. Die POCT-Analytik ist – verglichen mit der Analytik im Zentrallabor – prinzipiell mit erheblich höheren Kosten verbunden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die speziell vorkonfektionierten Reagenzien sehr kostenintensiv sind. Zudem sind die Vorhaltungskosten (Kapitalbindung durch Beschaffung und Wartung vieler Analysesysteme, Reagenzienbevorratung etc.) hoch. Dagegen spielen für das Krankenhaus als übergeordnete wirtschaftliche Einheit mögliche Einsparungen durch die Verlagerung von Analytik vom Zentrallabor zu den dezentralen POCT-Plätzen kaum eine Rolle, da dieser Transfer zumeist keine Aufgabe des entsprechenden Arbeitsplatzes im Zentrallabor zulässt. Im Folgenden werden die einzelnen Instrumentenkonzepte vorgestellt. Einzig die sog. Lab-on-a-chip-Systeme sollen an dieser Stelle nicht weiter besprochen werden, da die Entwicklung derartiger Chips zurzeit zwar sprunghaft voranschreitet, die Anwendungen in der Medizin jedoch noch nicht ausreichend evaluiert sind. Es wird hier eine Kategorisierung der Analysatoren vorgestellt [14], die sich an der jeweiligen Sensor-Charakteristik, an der Komplexizität des Systems, dem Messprinzip, der Probenmatrix und am praktischen Nutzen beim POCT orientiert. Beispiele für die jeweiligen Systeme werden im Übrigen in den einschlägigen Kapiteln dieses Buches ausführlich beschrieben.
3.6.1 Typ 1 – Qualitative POCT-Methoden
Diese qualitativen Teste diskriminieren zwischen Plus/Minus-Resulten und sind zumeist als Teststrips anzusprechen. Das Messsignal kann entweder direkt visuell abgelesen werden oder wird mittels eines einfachen Auslesegeräts erfasst. Die Detektionsprinzipien reichen von chemischen Indikatorre-
39 3.6 · Gerätekategorien
3
aktionen bis zu immunologischen Antigen/Antikörper-Interaktionen (z. B. Lateral-Flow-Assays). Die Strips bestehen aus einem festen Trägermaterial und einer porösen Matrix, die mit lyophilisierten Reagenzien versetzt ist. Die Patientenprobe (Urin, Blut, Stuhl, Liquor, Abstrichmaterial etc.) wird auf den Strip aufgebracht; sie startet die analytische Reaktion durch das Eindringen in die StripSchicht. Typische Anwendungen sind der Schwangerschaftstest, Detektion von Blut im Stuhl, Urinstix-Untersuchungen und diverse Schnellteste für Infektionserreger in Abstrichmaterial.
3.6.2 Typ 2 – Unit-use-Systeme
Sog. Unit-use-POCT-Geräte stellen die einfachste Form eines quantitativen POCT-Geräts dar. Die eigentliche analytische Detektorreaktion läuft auf dem Teststrip ab, das Auslesegerät erzeugt nur den ablesbaren Messwert. Unituse-Geräte haben i. A. folgende Charakteristika: ▬ Für jede Messung werden einzeln verpackte Reagenzien/Strips benutzt. Unit-use-Reagenzien sind also Reagenzien, die für Einzelbestimmungen portioniert und mit einer Untersuchung verbraucht sind. ▬ Die Geräte testen unprozessiertes Vollblut, wobei das Testmenü sehr unterschiedlich ist und von den verwendeten Sensoren abhängt. ▬ Charakteristisch ist, dass die Sensoren in den Test-Strip und nicht in das Gerät eingearbeitet sind. Häufig werden dabei trockenchemische Verfahren benutzt, z. B. Enzyme, die auf Reagenzienstrips immobilisiert sind und dort Glukose umsetzen. Bei diesen Geräten wird eine Kalibrierung zumeist durch elektronische oder physikalische Standards ersetzt. ▬ Komplexere Kassettengeräte verfügen dagegen über automatische Kalibrierungsprogramme, die in festgelegten Zeitabständen ablaufen. Es gibt Geräte, die nur für eine einzige Kenngröße ausgelegt sind (z. B. Bayer Ascensia für Glukose, Roche Coaguchek für INR). Häufig können Gerätesysteme über den Einsatz unterschiedlicher Strips aber auch verschiedene Kenngrößen messen (z. B. Nova StatStrip für Glukose und Kreatinin, Alere Triage MeterPro für verschiedene Parametergruppen, ⊡ Abb. 3.3). Obwohl die Blutglukosebestimmung nach wie vor die häufigste Anwendung von Unit-use-Geräten ist, sind gerade in den letzten Jahren eine Reihe
40
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
3
⊡ Abb. 3.3 Triage MeterPro. Mit freundlicher Genehmigung der Alere GmbH, Köln
weiterer Systeme z. B. für Gerinnungsanalysen, Herzinfarktmarker, HbA1c und Blutgase entwickelt wurden. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren sicherlich noch verstärken. Die angewandten Technologien für Unit-use-Geräte reichen von elektrochemischen Methoden (Blutglukosegeräte) über Immunosensoren (DCA von Siemens) bis zu Dünnfilmsensoren (i-STAT von Abbott). Das letztgenannte Gerät ist ein gutes Beispiel für die Anwendung von Chip-basierten Mikrofabrikationstechnologien, um Biosensor-Chips herzustellen. Ziel ist es dabei, die
41 3.6 · Gerätekategorien
3
Kartuschenetikett
Probeneinlass, Dichtung mit Vertiefung
Flüssigkeitskanal Kartuschenabdeckung
Probeneinlass mit Vertiefung
Abdichtungsband
Biosensor-Chips
Kalibrierbeutel
Punktierstelle Kartuschenboden Luftblase
⊡ Abb. 3.4 Aufbau der Einmalkartusche des i-STAT. Mit freundlicher Genehmigung der Abbott GmbH & Co. KG, Wiesbaden
eigentlichen analytischen Sensoren direkt in einen Mikro-Chip einzubringen und durch verschiedene Kanäle sowohl elektrisch mit dem Transducer als auch durch die Mikrofluidik mit einer Durchflusszellenkonstruktion zu verbinden. Mittels Dünnschichttechnik werden zunächst SiO2-Chips gefräst, bei denen man auf der Grundstruktur (z. B. 1 μm) eine 200-nm-Schicht, z. B. mit Si3N4, aufbringt, auf die dann die Elektrodenstrukturen aufgesputtert werden.
42
3
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
Die Zwischenschichten bzw. Mikrokanäle werden z. B. mit dünnen Titanlagen (15 nm) isoliert. Die Abdeckung zur Isolierung des Chips nach außen wird z. B. mittels Polyethylen und Si3N4 in einem »Chemical-vapor-deposition(CVD-)Prozess« realisiert [11]. Bei i-STAT (Abbott) ist eine Serie von Biosensoren als Dünnfilmelektroden auf einem Chip aufgebracht. Dieser ist in einer Einmalkartusche untergebracht, die daneben noch Kalibratorlösungen, ein Sample-handling-System und Anschlusskontakte für den Analyzer bereithält. ⊡ Abb. 3.4 zeigt schematisch den Aufbau eines derartigen Chips [6]. Die Dünnfilmtechnik wird neuerdings experimentell auch für holografische Optosensoren bei der Online-Glukosemessung eingesetzt [12].
3.6.3 Typ 3 – Benchtop-Instrumente
Im Allgemeinen sind Benchtop-Geräte als komplexe Analysesysteme nicht direkt am Patientenbett lokalisiert, sondern eher in den Funktionsbereichen einer Intensivstation, in Ambulanzen oder in Arztpraxen zu finden. Man unterscheidet bei den Benchtop-Geräten: ▬ klinisch-chemische, spektrophotometrische Vielkanalgeräte (z. B. Abaxis Piccolo Xpress), ▬ klinisch-chemische Teststreifen/Kartuschengeräte (z. B. Roche Reflotron), ▬ hämatologische Vielkanalgeräte (z. B. Sysmex pocH-100i), ▬ Blutgasgeräte mit/ohne Oxymetrie und Elektrolyt-/Substratmessungen (z. B. von IL, Keller Medical, Nova, Radiometer, Roche und Siemens), ▬ immunologische Vielkanalgeräte (z. B. Radiometer AQT90). Die in den unterschiedlichen Systemen eingesetzte Technologie stammt weitestgehend von den im Zentrallabor benutzten mechanisierten Analysesystemen ab und wurde hinsichtlich Bedienerfreundlichkeit, Miniaturisierung und Analysegeschwindigkeit optimiert. Dagegen wurden die Blutgasanalysatoren bereits vor Jahrzehnten primär für die POCT-Analytik konzipiert und seither mit einem ständig steigenden Menüangebot komplettiert. Spezifisch für patientennahe diagnostische Anwendungen wurden jedoch neben bereits etablierten POCT-Techniken wie der Reflexionsphotometrie bei trockenchemischen Reagenzträgern auch neue Technologien wie z. B. die Technik der Dickfilmsensoren entwickelt. Bei der Dickfilmtechnik handelt es sich um ein spezielles Herstellungsverfahren für elektronische Schalt-
43 3.6 · Gerätekategorien
3
kreise. Für die zu integrierenden Sensorelemente werden auf einen Isolator (Substrat) mittels Siebdruck die notwendigen Leiterbahnen, Kondensatoren, Widerstände und Induktivitäten in Schichtdicken von 10–50 μm aus organischen Pastensystemen mit leitenden/dielektrischen Substanzen aufgebracht und dauerhaft fixiert. Viele Benchtop-Geräte entlasten den Bediener dank verbesserter Rechnerausstattung weitestgehend von Kontrolltätigkeiten wie Kalibrierung und Qualitätssicherung. Eine der wichtigsten Errungenschaften dieser komplexen Geräte ist die Beherrschung der Vollblutsensortechnologie, die einen Durchflussbetrieb und eine sehr kurze Analysezeit bei geringsten Probenvolumina ermöglicht. Hierbei wird eine hochentwickelte Mikrofluidik angewandt, die die Handhabung, den Transport und die Mischung von Flüssigkeiten auf kleinstem Raum ermöglicht. Diese in vielen Ingenieurbereichen anzutreffende Technologie nutzt zum einen Mikroventile, zum anderen Mikropumpen. Dabei sind passive Ventile, die durch den hydrodynamischen Druck kontrolliert werden, von aktiven Mikroventilen, die sich z. B. der Piezokeramiktechnik bedienen, zu unterscheiden. Mikroventile werden heutzutage aus Silizium-Wavern gefertigt. Bei den Mikropumpen gibt es ebenfalls eine ganze Reihe unterschiedlicher Realisierungen. Oft werden oszillierende Membranen, daneben aber auch peristaltische Systeme benutzt. Bei nichtmechanischen Pumpen, die eine weitere Miniaturisierung erlauben, werden hohe elektrische bzw. magnetische Feldstärken angelegt und elektrokinetische oder elektrohydrodynamische Effekte zum Transport der Flüssigkeit genutzt. Auch Zentrifugalkräfte werden zum Transport von geringsten Flüssigkeitsmengen eingesetzt, z. B. bei den Zentrifugal-Analysatoren. Ein wichtiger Teil eines Benchtop-Geräts ist ein Subsystem, das alle Prozessschritte der Analyse inklusive Reagenzienladung, Temperatureinstellung, Injektion, Inkubation und den jeweiligen zeitlichen Ablauf kontrolliert. Darüber hinaus ist die Datenspeicherung (inklusive der Kalibrierungs- und Qualitätskontrolldaten) wesentliche Voraussetzung eines guten POCT-BenchtopGeräts. Die nachfolgende Übersicht fasst speziell für Blutgasanalysesysteme wichtige Geräteeigenschaften zusammen, die das Risiko von Fehlbestimmungen minimieren und die Bedienung robust gestalten [20]. > Wichtige Eigenschaften von Blutgasgeräten ▬ Wartungsfreie Sensoren ▬ Touchscreen als User-Interface mit eingebauten Trainingsvideos
44
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
▬ Software, die den Benutzer sowie die zu untersuchende Patientenprobe durch eingebaute Barcode-Scanner zu identifizieren hilft
3
▬ Probenaspiration anstelle von Injektion (wichtig!) ▬ Clot-Detektion in der Durchflusszelle und Probevolumendetektion, um Proben mit geringen Volumina den noch möglichen Bestimmungen zuzuordnen ▬ Flüssigkalibrierungssystem anstelle von Gasflaschen ▬ Automatische Kalibrierung und Qualitätskontrolle ▬ Vernetzbarkeit mit Informationssystemen
3.6.4 Typ 4 – Viskoelastische Gerinnungsanalysatoren
Die kombinierte Analyse der Plasmagerinnung, der Thrombozytenfunktion und der Fibrinolyse wird »viskoelastischer Gerinnungstest« genannt [7]. Viskoelastische Gerinnungsanalysatoren weisen einen hohen Grad an Komplexität auf, sie sind daher nur bedingt POCT-tauglich. In der Regel werden sie von speziell geschultem Personal vor Ort (z. B. im Operationssaal) bedient, oder die Analyse wird vom Zentrallabor in Echtzeit direkt in den klinischen Bereich übertragen. Beispiele sind die Rotationsthrombelastographie mittels des ROTEM (TEM International, München) oder das Sonoclot-Gerät von Sienco Inc. (Arvada, CO, USA). Eine Analyse der Plättchenfunktion ist auch durch eine Messung der Blutungszeit in vitro oder durch eine optische Aggregometrie möglich. Beispiele sind das PFA 100 von Siemens Healthcare Diagnostics (Eschborn, Germany) oder das VerifyNow von Accumetrics (San Diego, CA, USA).
3.6.5 Typ 5 – Kontinuierliche POCT-Messmethoden
Kontinuierliche Messmethoden sind vor allem für das Glukose-Monitoring entwickelt worden und zum Teil mittlerweile auch kommerziell verfügbar [5]. Mittels eines minimal-invasiven Mikrodialyse-Katheters im Subkutangewebe (⊡ Abb. 3.5) gelingt die kontinuierliche Messung bis zu >72 h. Andere nichtinvasive Methoden wie die Mikroporation oder optische Techniken einer direkten transkutanen Messung metabolischer Kenngrößen konnten sich in den letzten Jahren nicht durchsetzen. Dies liegt zum großen Teil
45 3.6 · Gerätekategorien
DialysatAusgang PerfusatEingang
3
MikrodialyseKatheter
Perfusat Dialysat
Extrazellulare Flüssigkeit BlutKapillare
SubkutanGewebe
⊡ Abb. 3.5 Prinzip der subkutan applizierten Mikrodialyse
daran, dass die menschliche Haut bzgl. Dicke, Pigmentation, Behaarung, aber auch bzgl. physiologischer Phänomene wie Feuchtigkeit oder Salzgehalt sehr uneinheitlich ist. Die derzeit verfügbaren Systeme wie z. B. das Gardian RT-System von Medtronics (Minneapolis, MN, USA), das Glucoday von A. Menarini (Florenz, Italien) oder der Abbott Navigator (in Deutschland nicht erhältlich) werden in Kap. 15 vorgestellt.
3.6.6 Typ 6 – Molekularbiologie-basierte POCT-Analysatoren
Es gibt derzeit vielfältige Bestrebungen, molekularbiologische Techniken (zumeist basierend auf der »Polymerase chain reaction«, PCR) auch für POCT anwendbar zu machen. Derartige Ansätze sind jedoch technisch anspruchsvoll (Extraktion von DNA oder RNA), sodass die Analysezeit sicherlich auch in Zukunft über der der sonstigen POCT-Methoden liegen wird. Isothermale Amplifikationsmethoden könnten zu kürzeren Analysezeiten führen. Aufgrund der Komplexität der Testdurchführung und der Interpretation der Resultate werden zukünftige schnelle Nucleic-Acid–Testing-
46
3
Kapitel 3 · Allgemeine analytische Prinzipien und Gerätekategorien
Verfahren (NAT) nur in ausgesuchten klinischen Bereichen zu finden sein. Ähnlich wie bei Typ 5 werden derartige Geräte wohl eher im Zentrallabor betrieben werden [19]. Dessen ungeachtet wird der schnelle quantifizierende Nachweis von DNA/RNA von bakteriellen und viralen Krankheitserregern den Klinikern wertvolle diagnostische Informationen liefern. Derzeit ist das GeneXpert-System von Cepheid (Sunnyvale, CA, USA) ein Vorreiter, was die Vollautomation und die Integration aller PCR-basierter NAT-Schritte unter »Real-time-Bedingungen« (Probenvorbereitung, DNA/RNA-Amplifikation und DNA/RNA-Detektion) anbelangt (siehe Kap. 11).
Literatur [1] Aizawa M (1994) Immunosensors for clinical analysis. Adv Clin 31: 247–275 [2] Berney HC, Alderman J, Lane WA, Collins JK (1998) Development of a capacitive immunosensor: a comparison of monoclonal and polyclonal capture antibodies as the primary layer. J Mol Recognit 11: 175–177 [3] Buerk DG (1993) Biosensors. Theory and applications. Technomic Publishing, Lancaster, PA, pp 39–61 [4] Clark LC (1956) US Patent a2,913,386 [5] Corstjens AM, Ligtenberg JJ, van der Horst IC, Spanjersberg R, Lind JS, Tulleken JE, et al. Accuracy and feasibility of point-of-care and continuous blood glucose analysis in critically ill ICU patients. Crit Care 2006;10: R135 [6] Erickson KA, Wilding P (1993) Evaluation of a novel point-of-care system, the i-STAT portable clinical analyzer. Clin Chem 39: 283–287 [7] Ganter MT, Hofer CK (2008). Coagulation monitoring: current techniques and clinical use of viscoelastic point-of-care coagulation devices. Anesth Analg 2008;106: 1366–75 [8] Gauglitz G (2010) Direct optical detection in bioanalysis: an update, Anal Bioanal Chem 2010;398: 2363–2372 [9] Gauglitz G, Brecht A, Kraus G, Mahm W (1993). Chemical and biochemical sensors based on interferometry at thin (multi-) layers. Sensors and Actuators B: Chemical. 11, 1–3 und 21–27 [10] Ghindilis AL, Atanasov P, Wilkins M, Wilkins E (1998) Immunosensors: electrochemical sensing and other engineering approaches. Biosens Bioelectron 13: 113–131 [11] Herrmann S, Vonau W (2004) Online-Analyse mit Lab-on-Chip-Systemen. Technisches Messen 71: 613–618 [12] Liedberg B, Nylander C, Lundstrom I (1995) Biosensing with surface plasmon resonance – how it all started. Biosens Bioelectron 10: i–ix [13] López MA, Ortega F, Dominguez E, Katakis I (1998) Electrochemical immunosensor for the detection of atrazine. J Mol Recognit 11: 178–181 [14] Luppa PB, Müller C, Schlichtiger A, Schlebusch H. Point-of-care testing (POCT): Current techniques and future perspectives. Trends Anal Chem 2011;30: 887–898
47 Literatur
3
[15] Luppa PB, Sokoll LJ, Chan DW (2001) Immunosensors – Principles and applications to clinical chemistry. Clin Chim Acta 314: 1–26 [16] McNeil CJ, Athey D, Renneberg R (1997) Immunosensors for clinical diagnostics. EXS 81: 17–25 [17] Oberhardt BJ, Dermott SC, Taylor M, Alkadi ZY, Abruzzini AF, Gresalfi NJ (1991) Dry reagent technology for rapid, convenient measurements of blood coagulation and fibrinolysis. Clin Chem 37: 520–526 [18] Price CP, St John A, Hicks JM (2004) Point-of-care testing: what, why, when, and where? In: Price CP, St John A, Hicks JM (eds) Point-of care testing, 2nd edn. AACC Press, Washington, pp 3–12 [19] Seme K, Mocilnik T, Komlos KF, Doplihar A, Persing DH, Poljak M (2008). GeneXpert enterovirus assay: one-year experience in a routine laboratory setting and evaluation on three proficiency panels. J Clin Microbiol 2008;46: 1510–3 [20] St John A. Benchtop Instruments for Point-of-care Testing. In: Price CP, St John A, Hicks JM (eds) (2004) Point-of-care Testing, 2nd edn. AACC Press, Washington, pp 31–46 [21] Worsley GJ, Tourniaire GA, Medlock KES et al. (2007). Continuous blood glucose monitoring with a thin-film optical sensor. Clin Chem 53: 1820–1826 [22] Ziegler C, Göpel W (1998) Biosensor development. Curr Opinion Chem Biol 2: 585–591
II II Methodik und analytische Verfahren 4
Prä- und Postanalytik – 51 H. Schlebusch
5
Glukosebestimmung
– 65
H.G. Wahl, T. Koschinsky, H. Schlebusch
6
Blutgasanalytik
– 79
P. B. Luppa, J. Martin
7
Blutgerinnungsanalytik
– 99
M. Spannagl, D. Peetz
8
Hämatologie – 109 R. Junker
9
Klinisch-chemische Parameter
– 119
R. Junker, H. Schlebusch
10
Immunologische Verfahren – 129 P. B. Luppa, R. Junker, I. Schimke
11
Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik – 139 E. Stürenburg, N. Gässler, P. B. Luppa
12
Urinanalytik
– 151
N. Gässler
13
Stuhlanalytik – 161 H. Schlebusch
14
Nichtinvasive Analytik – 167 H. Schlebusch
4 Prä- und Postanalytik H. Schlebusch
4.1
Präanalytik
4.2
Postanalytik
4.3
Vermeidung prä- und postanalytischer Probleme – 62 Literatur
– 53 – 61
– 62
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
52
4
Kapitel 4 · Prä- und Postanalytik
Das Ziel aller Qualitätsmaßnahmen in der Laboratoriumsmedizin ist die optimale Qualität des Befunds. Das bedeutet für den Patienten sachgerechte Diagnostik und Therapie, und somit ein Maximum an Sicherheit (Patientenschutz). Für das Laboratorium wie auch für die POCT-Anwender bedeutet dies umgekehrt, dass es gilt, von der Qualitätskontrolle der Analytik zu einem umfassenden Qualitätsmanagement fortzuschreiten. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn der gesamte diagnostische Prozess in die Betrachtung einbezogen wird, der sich von der richtigen, patientenbezogenen Anforderung krankheitsrelevanter Analyte bis zur korrekten Interpretation der Analyseergebnisse zur Diagnosefindung und Therapiekontrolle erstreckt [5, 11]. Der Gesamtprozess lässt sich in eine präanalytische, eine analytische und eine postanalytische Phase aufteilen, wobei jedoch vielfach die Aktivitäten des behandelnden Arztes zu Beginn (richtige Testauswahl zur richtigen Zeit) und am Ende (richtige Interpretation des Ergebnisses) des Prozesses nicht der Prä- und Postanalytik zugerechnet werden. Auch im vorliegenden Kapitel werden unter Prä- und Postanalytik nur die Arbeitsschritte verstanden, die bis zur bzw. nach der eigentlichen Messung durchlaufen werden. Überlegungen zur Bedeutung nichtanalytischer Faktoren für die Qualität eines laboratoriumsmedizinischen Befunds (»extraanalytical quality«) haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen [3, 14, 16] und auch Eingang in die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK 2008) gefunden [1].
⊡ Tab. 4.1 Fehlerprävalenz bei laboratoriumsmedizinischen Untersuchungen Literatur
Präanalytisch [%]
Analytisch [%]
Postanalytisch [%]
[18]
46
7
47
[12]
35
32
33
[6]
53
23
24
[17]
68
13
19
[19]
75
16
9
[3]
62
15
23
Mittelwert
57
18
25
53 4.1 · Präanalytik
4
⊡ Tab. 4.1 fasst verschiedene Veröffentlichungen zur Fehlerprävalenz bei laboratoriumsmedizinischen Untersuchungen zusammen, die ohne Ausnahme die Bedeutung besonders der präanalytischen Fehler belegen. Zwar beziehen sich diese Daten nicht speziell auf POCT, sondern auf klinisch-chemische Routine- und Notfalluntersuchungen; aber da beim POCT meist einfach zu bedienende Messgeräte mit »Ready-to-use-Reagenzien« verwendet werden, dürfte der Anteil der analytischen Fehler hier kaum größer sein.
4.1
Präanalytik
Die wichtigsten präanalytischen Teilschritte sind: 1. Vorbereitung des Patienten (z. B. Diät, Medikamente, Körperlage, Uhrzeit der Probennahme), 2. Gewinnung des Untersuchungsmaterials, 3. Transport und Aufbewahrung des Untersuchungsmaterials, 4. Beurteilung des Untersuchungsmaterials (hämolytisch, ikterisch, lipämisch), 5. Probenvorbereitung (z. B. Zentrifugation). Gemäß dem Konzept des POCT spielen die Punkte 3 und 5 hier eine eher untergeordnete Rolle. Die korrekte Gewinnung der Probe (Punkt 2) hat jedoch innerhalb des präanalytischen Prozesses einen besonderen Stellenwert [8, 9]. Abhängig von der diagnostischen Fragestellung und der analytischen Methodik kommt eine venöse, arterielle oder kapilläre Blutabnahme in Betracht, wobei für POCT vielfach Kapillarblut bevorzugt wird.
4.1.1 Kapilläre Blutabnahme
Kapillarblut ist eine Mischung von Blut aus Arteriolen, Venolen und Kapillaren, ggf. verdünnt durch interstitielle oder intrazelluläre Flüssigkeit (Hämolyse). Die relative Zusammensetzung hängt u. a. von der Durchblutung der Einstichstelle ab; Erwärmung führt zu einer Arterialisierung des gewonnenen Blutes. Es bestehen Unterschiede zwischen venösem und Kapillarblut, was sich z. B. bei hämatologischen Untersuchungen oder beim oralen Glukosetoleranztest bemerkbar machen kann. Beim Erwachsenen werden i. A. Fingerkuppen
54
4
Kapitel 4 · Prä- und Postanalytik
und Ohrläppchen, bei Neugeborenen und Säuglingen die seitlichen Bereiche der Ferse punktiert. Für die Blutglukosebestimmung im Therapieverlauf kann Kapillarblut auch aus anderen Hautbezirken gewonnen werden (siehe Kap. 15). Es ist auf eine ausreichende Durchblutung der Einstichstelle zu achten. Um arterialisiertes Kapillarblut für die Blutgasanalyse zu gewinnen, muss die Punktionsstelle durch ein mit warmem Wasser (42°C) getränktes Tuch oder durch eine durchblutungsfördernde Salbe (z. B. Finalgon) hyperämisiert werden. Zwischen Blutvolumen und Einstichtiefe besteht eine lineare Beziehung. Deshalb sind Stechhilfen, die man auf das benötigte Probevolumen einstellen kann, besonders empfehlenswert. Für die kapilläre Blutabnahme im Rahmen der Patientenselbsttestung steht ein umfangreiches Angebot an Stechhilfen zur Verfügung, wobei sich bei allen Geräten die Stichtiefe variieren lässt. Darüber hinaus gibt es für manche Stechhilfen mehrere Lanzetten, die sich z. B. im Feinschliff und in der Unterdrückung von schmerzhaften Vibrationen unterscheiden.
Stechhilfen zur Gewinnung von Kapillarblut durch den Patienten (Auswahl) ▬ Bayer: Glucolet Combi, Microlet ▬ BD Diagnostics: BD Optimus TM ▬ Lifescan: Penlet Plus, One Touch Ultra Soft ▬ Menarini: Glucoject dual ▬ Owen Mumford: Autolet Impression, Unilet ▬ Roche Diagnostics: Softclix, Multiclix ▬ Terumo: FineTouch-Lanzetten
Bei der Verwendung von Stechhilfen in Krankenhäusern, Praxen, Notarztwagen etc. sind die Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 250) zu beachten. Für die Blutabnahme ist die »Verwendung sicherer Instrumente bei Tätigkeiten, bei denen Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge übertragen werden können« verbindlich vorgeschrieben. Dabei müssen u. a. folgende Anforderungen an sichere Arbeitsgeräte erfüllt sein: ▬ Der Sicherheitsmechanismus muss Bestandteil des Systems und durch ein hör- oder fühlbares Signal gekennzeichnet sein. Ein erneuter Gebrauch ist auszuschließen.
55 4.1 · Präanalytik
4
▬ Die Auslösung des Sicherheitsmechanismus muss einhändig und sofort nach Gebrauch erfolgen. Empfehlenswert sind selbstaktivierende Systeme, da diese in der Regel einfacher zu handhaben sind. ▬ Sichere Arbeitsgeräte müssen kompatibel mit verwendetem Zubehör und mit anderen eingesetzten Systemen sein. Die in der nachfolgenden Aufstellung aufgeführten Produkte sind nach Herstellerangaben für die Verwendung im Krankenhaus konzipiert. Ob die Anforderungen der TRBA 250 für ein bestimmtes Produkt in ausreichendem Maße erfüllt sind, muss der Anwender für seine spezielle Situation in eigener Verantwortung entscheiden. Stechhilfen zur Gewinnung von Kapillarblut in Krankenhäusern (Auswahl) ▬ Bayer: Glucolet combi ▬ BD Diagnostics: BD Sicherheitslanzette ▬ Greiner: MiniCollect Sicherheitslanzette ▬ ITC: Tenderlet ▬ Menarini: Securjet pro ▬ Owen Mumford: Unistick 3 ▬ Roche Diagnostics: Softclix pro ▬ Sarstedt: Safety-Lanzette Die Geräte können ggf. auch für die Pädiatrie/Neonatologie verwendet werden. Die Tiefe des Einstichs in die kindliche Ferse ist jedoch kritisch, da besonders bei Frühgeborenen die Gefahr einer Verletzung des Calcaneus besteht. Vorzugsweise sollten deshalb spezielle Lanzetten mit geringer Einstichtiefe (max. 2,0 mm) verwendet werden.
Spezielle Stechhilfen für die Pädiatrie/Neonatologie (Auswahl) ▬ BD Diagnostics: BD Microtainer Quickheel ▬ ITC: Tenderfoot ▬ Owen Mumford: Unistick 3 neonatal ▬ Sarstedt: Safety-Lanzette neonatal
56
4
Kapitel 4 · Prä- und Postanalytik
Nach Desinfektion der Haut wird mit einer Einmallanzette punktiert. Die Blutprobe soll durch leichtes Drücken (nicht Quetschen) gewonnen werden, insbesondere um eine Hämolyse – einer der wichtigsten präanalytischen Störfaktoren – zu vermeiden oder sie wenigstens zu minimieren. Der erste Bluttropfen soll abgewischt werden, da er häufig mit Gewebebestandteilen kontaminiert ist. Bei der Patientenselbstkontrolle des Quick(INR)-Werts darf der erste Tropfen nicht abgewischt werden; auch für die Glukosebestimmung kann man darauf verzichten. Die folgenden Tropfen werden in Kapillaren (z. B. »End-to-end-Kapillaren«) oder speziellen Kapillargefäßen gesammelt, von denen verschiedene Firmen ein breites Sortiment anbieten. Gefäße mit Zusätzen sollen nach Füllung mit Blut 5-mal über dem Kopf geschwenkt (nicht geschüttelt!) werden.
Entnahmesysteme für Kapillarblut (Auswahl) ▬ BD Diagnostics: Microtainer ▬ Greiner: MiniCollect ▬ Sarstedt: Microvette ▬ Terumo: Capiject
Ausführliche Informationen für die Blutgasanalyse gibt unter dem Schlagwort »Arterielle Blutabnahme» der Abschnitt 4.1.3.
4.1.2 Venöse Blutabnahme
Vor der Venenpunktion soll der Patient für möglichst 15 min eine sitzende oder liegende Position einhalten. Nach Desinfektion der Einstichstelle wird mit einer Staubinde oder einer Blutdruckmanschette (Staudruck zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck) gestaut, wobei die Stauung nicht länger als 1 min andauern soll. Nicht mit der Faust pumpen lassen! Nach erfolgreicher Punktion der Vene wird die Stauung sofort beendet. Müssen mehrere Proben – auch für Nicht-POCT-Untersuchungen – abgenommen werden, so wird folgende Reihenfolge empfohlen, wobei wegen der Kontamination durch Gewebethrombokinase nie mit der Citratplasmaprobe begonnen werden soll:
57 4.1 · Präanalytik
▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
4
Blutkultur Röhrchen ohne Zusatz (Serum) Citratröhrchen Heparinröhrchen EDTA-Röhrchen Röhrchen mit anderen Zusätzen, z. B. Glykolysehemmer
Aus Sicherheitsgründen werden im deutschsprachigen Raum nur noch geschlossene Abnahmesysteme verwendet, die auf zwei verschiedenen Prinzipien basieren: Vakuum- und Stempel-Blutentnahme. Die Systeme sind wegen unterschiedlicher Konstruktionsprinzipien und Anschlüsse nicht untereinander kombinierbar; für alle werden unterschiedliche Größen mit verschiedenen Zusätzen angeboten.
Systeme zur venösen Blutabnahme (Auswahl) ▬ BD Diagnostics: Vacutainer (Vakuumentnahmeröhrchen) ▬ Greiner: Vacuette (Vakuumentnahmeröhrchen) ▬ Sarstedt: Monovette (Stempelentnahmeröhrchen) ▬ Terumo: Venosafe (Vakuumentnahmeröhrchen)
4.1.3 Arterielle Blutabnahme
Die arterielle Blutabnahme ist insbesondere bei blutgasanalytischen Untersuchungen indiziert [2]. Die Proben werden i. A. durch Punktion der A. femoralis, der A. brachialis oder der A. radialis bzw. aus einem Arterienverweilkatheter gewonnen. Ein instruktives Lehrvideo zum »Placement of an arterial line« kann über das New England Journal of Medicine (13.04.2006) im Internet aufgerufen werden. Nach der Entnahme muss die Einstichstelle ausreichend komprimiert werden. Häufig kann dem Patienten für Blutgasanalysen aber auch kapilläres Blut aus hyperämisierten Hautbezirken am Ohrläppchen oder an der Fingerbeere abgenommen werden. Spezielle geschlossene Nadel-Röhrchen-Systeme aus Glas oder Kunststoff (s. unten) ermöglichen eine automatische Füllung durch den arteriellen Druck und minimieren die Gefahr eines Auftretens von Luftblasen
58
4
Kapitel 4 · Prä- und Postanalytik
in der Probe. Es sollte unbedingt eine anaerobe Blutentnahme angestrebt werden; evtl. aspirierte Luftblasen sind sofort zu entfernen. Ansonsten äquilibrieren sich die in den Luftblasen eingeschlossenen Gase mit den im Blut gelösten. Davon ist stärker das CO2 als das O2 betroffen, da es im Blut einen hohen, in der Luft aber sehr geringen Partialdruck aufweist. Die arterielle O2-Partialdruckmessung ist dagegen im hyperoxischen Bereich (>200 mmHg) fehlerbehaftet, da in diesem Fall Diffusionsvorgänge zur Raumluft mehr Relevanz haben [7]. Die Probe sollte nach der Entnahme vorsichtig durch Rollen zwischen den Handflächen gemischt und dann unverzüglich innerhalb von 5–10 min analysiert werden. Ist dies nicht möglich, wird eine Lagerung in Eiswasser für bis zu 30 min empfohlen. Eine Hämolyse ist dabei jedoch unbedingt zu vermeiden. Vor der Messung erneut mischen! Ist ein Probentransport per Rohrpost möglich, sollte auf die Spezifikation der Anlage geachtet werden. Pneumatische Rohrpostsysteme, die aufgrund kontrollierter Beschleunigungen und schonender Kurvenfahrten geringe Scherkräfte verursachen und für den Transport von Blutproben freigegeben sind, eignen sich auch uneingeschränkt für Blutgasproben [7].
4.1.4 Blutentnahmesysteme und Antikoagulanzien
für die Blutgasprobe Im Idealfall werden Vollblutproben in Glasspritzen abgenommen, da die gelösten Gase nicht durch Glas diffundieren. Bei der Verwendung von Plastikspritzen ist zu bedenken, dass Diffusionsvorgänge die Werte von pO2 und pCO2 verfälschen können. Daher ist die Analyse, wie oben beschrieben, zeitnah durchzuführen. Für die kapilläre Blutabnahme eignen sich heparinbeschichtete Kunststoffkapillaren. Die Hersteller von Blutgasgeräten bieten jeweils eigene Blutabnahmesysteme an. Beispiele sind von Siemens Medical Solutions das RapidLyte pro als selbstfüllendes System mit Volumenvorwahl und von Radiometer das safePICO mit einer Sicherheitsverschlusskappe safeTIPCAP und einer integrierten Metallkugel als Mischsystem, um das korrekte Mischen der Probe vor der Analyse zu gewährleisten. Roche bietet für seine Blutgassysteme u. a. den BS2-Bloodsampler und den Microsampler an. Daneben sind weitere Systeme auf dem europäischen Markt erhältlich.
59 4.1 · Präanalytik
4
Systeme zur arteriellen Blutabnahme (Auswahl) ▬ BD Diagnostics: Vacutainer Blutgasspritzen ▬ Instrumentation Laboratory: IL Blutgasspritzen ▬ Radiometer: Pico, safePico ▬ Roche: BS2-Bloodsampler, Microsampler ▬ Sarstedt: Blutgas-Monovette ▬ Siemens: RapidLyte pro ▬ Terumo: Preza Pak Syringes
Heparin ist das am häufigsten angewandte und am besten geeignete Antikoagulans, da es den Säure-Basen-Haushalt am wenigsten verändert. Werden keine mit lyophilisiertem Heparin vorgefertigten Spritzen verwendet, genügt bei einer 2-ml-Spritze gewöhnlich ein Durchspülen mit Heparinlösung, wobei danach nur noch der Spritzenkonus (Volumen: 0,1 ml) mit Heparin gefüllt sein sollte. Dadurch wird ein Einbringen von zu großen Volumina der Heparinlösung vermieden, was ansonsten den pH-Wert der Probe herabsetzt (Heparin ist ein saures Mukopolysaccharid) und zu Verdünnungsfehlern führen würde. Am besten verwendet man zum Durchspülen der Spritze Heparinlösungen mit 500 oder 1000 IU/ml. Daraus ergibt sich in der Probe eine Endkonzentration von 20–30 IU/ml. Da die Blutgasanalyse häufig mit der Messung von Elektrolyten kombiniert wird, kann verständlicherweise nur Lithium-, nicht Natrium- oder Kaliumheparin als Antikoagulans eingesetzt werden. Da alle Heparinsorten positiv geladene Ionen wie Ca2+ komplexieren, wurden für die Kombination von Blutgasanalyse und Elektrolytbestimmungen Spritzensysteme mit elektrolytkompensierten Heparinen entwickelt, die den Einfluss der Ionenbindung durch spezielle Elektrolyt-Heparin-Mischungen ausgleichen (z. B. pico Probennehmer von Drott Medizintechnik).
4.1.5 Blutabnahme aus Kathetern
Die Probengewinnung aus intravasal liegenden Nadeln, Kanülen oder Kathetern ist – besonders auf Intensivstationen – weit verbreitet. Vor der Probennahme soll der Katheter ggf. mit Heparin angespült und danach mindestens
60
Kapitel 4 · Prä- und Postanalytik
das 2-fache Kathetervolumen, d. h. 2–5 ml Blut, verworfen werden, um eine Kontamination der Probe mit Infusionslösungen und Medikamenten auszuschließen. Bei Abnahme mehrerer Proben sollte mit dem Heparinröhrchen begonnen werden.
4
4.1.6 Beurteilung der Probe
Eine Beurteilung der Blutprobe auf Hämolyse, Lipämie und Hyperbilirubinämie, die im Zentrallabor routinemäßig durchgeführt wird, ist beim POCT nicht möglich, da i. A. Vollblut für die Analytik eingesetzt wird. Dies ist bei Hämolyse besonders problematisch, da eine hämolytische Probe mit Abstand den häufigsten präanalytischen Fehler darstellt und die Hämolyse eine wichtige Störgröße für viele Bestimmungsmethoden darstellt. Als – unbefriedigende – Lösung des Problems bietet sich lediglich die Vermeidung einer Hämolyse durch sachgerechte Gewinnung des Probenmaterials an. Ein ähnliches, nur schwer lösbares Problem stellen Mikrogerinnsel in Proben für hämostaseologische oder blutgasanalytische Untersuchungen dar – die Gerinnsel werden oft nicht erkannt.
Wichtige präanalytische Fehler und Probleme ▬ mangelnde Vorbereitung des Patienten (z. B. Diät vor Funktionstests) ▬ mangelnde Informationen über den Zustand des Patienten (z. B. Medika▬ ▬ ▬ ▬ ▬
mentenanamnese, Körpertemperatur bei blutgasanalytischen Untersuchungen) falsche Zeiten bei der Probennahme (z. B. beim oralen Glukosetoleranztest und bei anderen Funktionstests, fehlendes Berücksichtigen zirkadianer Rhythmen) falsche Abnahmetechnik (z. B.beiKapillarblut: falsche oder unzureichend durchblutete Abnahmestelle, Quetschen bei der Abnahme und dadurch bedingte Hämolyse) falsche oder fehlende Zusätze zur Blutprobe falsche Probenbehandlung (z. B. unzureichende Vermischung der Probe mit Zusätzen, Sedimentation der Erythrozyten, Bildung von Mikrogerinnseln) falsche oder fehlende Kennzeichnung der Probe
61 4.2 · Postanalytik
4.2
4
Postanalytik
Die postanalytische Phase des diagnostischen Prozesses beginnt mit der Erstellung des Messwerts. Sie umfasst folgende wichtigen Schritte: ▬ technische und ggf. medizinische Validierung der Untersuchungsergebnisse, ▬ Mitteilung der Ergebnisse an den behandelnden Arzt, ▬ Dokumentation der Ergebnisse in der Krankenakte, ▬ Speicherung der Ergebnisse in einem elektronischen Informationssystem (wenn vorhanden), ▬ Sicherung der Dokumentation für die aus ärztlichen, rechtlichen und organisatorischen Gründen notwendigen Zeiträume. Postanalytische Fehler sind vielfach nicht so offensichtlich wie präanalytische, aber für die Qualität des Befunds nicht weniger bedeutsam. Die im Folgenden aufgeführten postanalytischen Fehler und Probleme sind meist nicht POCT-spezifisch, aber auch für POCT relevant. Sie hängen teilweise davon ab, inwieweit Messgeräte, Stationen, Ambulanzen, Labor und Krankenhausverwaltung miteinander vernetzt sind ( Kap. 26).
Wichtige postanalytische Fehler und Probleme ▬ unzureichende technische Validierung unter dem Zeitdruck einer möglichst kurzen »turn around time«
▬ falsche Zuordnung der Ergebnisse ▬ fehlerhafte oder unvollständige Mitteilung der Ergebnisse bei mündlicher oder telefonischer Übermittlung
▬ verzögerte Ergebnismitteilung bei Werten außerhalb von Alarmgrenzen ▬ fehlerhafte, unvollständige oder verzögerte Ergebnismitteilung bei Computerproblemen
▬ unübersichtliche Ergebnisdarstellung, fehlende Markierung von Ergebnissen außerhalb des Referenzbereichs
▬ Fehler bei der Datenspeicherung im Labor- oder Krankenhausinformationssystem
▬ fehlende (restriktive) Berechtigungs- und Zugangsregelungen zu Patientendaten (Datenschutz)
4
62
Kapitel 4 · Prä- und Postanalytik
4.3
Vermeidung prä- und postanalytischer Probleme
Prä- und postanalytische Fehler lassen sich – wie auch die analytischen – nie völlig vermeiden [13, 15], in vielen Fällen jedoch durch organisatorische Maßnahmen deutlich vermindern. Hierzu existieren eine Reihe von Vorschlägen [5, 11, 13, 14, 16, 17, 19]; detaillierte Hinweise finden sich auch in der RiliBÄK 2008 [1] und der DIN EN ISO 15189 [4] ( Kap. 29 und Kap. 31). Alle prä- und postanalytischen Schritte müssen genau beschrieben und für die einzelnen Arbeitsschritte detaillierte Verfahrensanweisungen (»standard operating procedures«, SOP) erstellt werden, die man in Qualitätsmanagement- oder Qualitätssicherungshandbüchern zusammenfassen sollte. Die Arbeitsgruppe »Richtwerte« der DGKL hat eine Musterarbeitsanweisung Präanalytik publiziert, die eine wichtige Hilfe zur Standardisierung der präanalytischen Bedingungen darstellt [10]. Darüber hinaus sollte sich ein kompetentes Gremium (z. B. die POCTKommission; Kap. 24) in einem Krankenhaus mit Strategien zur Fehlervermeidung sowie der Nachverfolgung und Reduzierung von entstandenen Fehlern einschließlich einer eventuellen Umgestaltung von Arbeitsabläufen beschäftigen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei eine intensive, in regelmäßigen Abständen wiederholte Schulung des Pflegepersonals und eine gute Kommunikation.
Literatur [1] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK 2008). Dt Ärztebl 105: A341–A355 [2] Burnett RW, Covington AK, Fogh-Andersen N, Külpmann WR, Maas AHJ, Müller-Plathe O (1995) Approved IFCC-Recommendations on whole blood sampling, transport and storage for simultaneous determination of pH, blood gases and electrolytes. Eur J Clin Chem Clin Biochem 33: 247–253 [3] Carraro P, Plebani M (2007) Errors in a stat laboratory: types and frequencies 10 years later. Clin Chem 53: 1338–1342 [4] DIN EN ISO 15189 (2007) Medizinische Laboratorien – Besondere Anforderungen an Qualität und Kompetenz [5] Ehrmeyer SS, Laessig RH (2007) Point-of-care testing, medical error, and patient safety: a 2007 assessment. Clin Chem Lab Med 45: 766–773 [6] Goldschmidt HMJ, Lent RW (1995) Gross errors and work flow analysis in the clinical laboratory. Klin Biochem Metab 3: 131–140
63 Literatur
4
[7] Gruszecki AC, Hortin G, Lam J et al. (2003) Utilization, reliability, and clinical impact of point-of-care testing during critical care transport: Six years of experience. Clin Chem 49: 1017–1019 [8] Guder WG, Hagemann P, Wisser H, Zawta B (2007) Fokus Patientenprobe, Kompendium Präanalytik. CD-ROM, Version 1.0. BD, Heidelberg [9] Guder WG, Narayanan S, Wisser H, Zawta B (2009) Samples: from the patient to the laboratory, 4th edn. Wiley-VCH, Weinheim [10] Gurr E, Arzideh F, Brandhorst G et al. (2011) Musterstandardarbeitsanweisung Präanalytik – Arbeitsgruppe Richtwerte der DGKL. J Lab Med 25: 55–60 [11] Laposata M, Dighe A (2007) »Pre-pre« and »post-post« analytical error: high-incidence patient safety hazards involving the clinical laboratory. Clin Chem Lab Med 45: 712–719 [12] Lapworth R, Teal TK (1994) Laboratory blunders revisited. Ann Clin Biochem 31: 78–84 [13] Lippi G, Guidi GC, Mattiuzzi C, Plebani M (2006) Preanalytical variability: the dark side of the moon in laboratory testing. Clin Chem Lab Med 44: 358 [14] Meier FA, Jones BA (2005) Point-of-care testing error. Sources and amplifiers, taxonomy, prevention strategies and detection monitors. Arch Pathol Lab Med 129: 1262–1267 [15] Nichols JH (2005) Can we achieve an error-free system? Point of Care 4: 139–141 [16] Plebani M (2007) Errors in laboratory medicine and patient safety: the road ahead. Clin Chem Lab Med 45: 700–707 [17] Plebani M, Carraro P (1997) Mistakes in a stat laboratory: types and frequency. Clin Chem 43: 1348–1351 [18] Ross JW, Boone DJ (1991) Assessing the effect of mistakes in the total testing process on the quality of patient care. In: Martin L, Wagner W, Essien JDK, Institute of Critical Issues in Health Laboratory Practice (eds) DuPont Press, Minneapolis, MN, pp 64–69 [19] Stahl M, Lund ED, Brandslund I (1998) Reasons for a laboratory’s inability to report results for requested analytical tests. Clin Chem 44: 2195–2197
5 Glukosebestimmung H.G. Wahl, T. Koschinsky, H. Schlebusch
5.1
Enzymatische Messreaktionen
5.2
Detektionsmethoden
5.3
Probenmaterial
5.4
Einflussfaktoren und Interferenzen – 74
5.5
Evaluierung und Validierung Literatur
– 66
– 67
– 73
– 75
– 76
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
66
Kapitel 5 · Glukosebestimmung
Für die Glukosebestimmung am POC werden heute fast ausschließlich enzymatische Messmethoden unter Verwendung der Enzyme Glukoseoxidase und Glukosedehydrogenase eingesetzt. Die Detektion der Reaktionsprodukte erfolgt photometrisch oder elektrochemisch.
5.1
5
Enzymatische Messreaktionen
Mittels der Glukoseoxidase wird Glukose unter Anwesenheit von Wasser und Sauerstoff zu Glukonsäure oxidiert. Glukoseoxidase β-D-Glukose + H2O + O2 ⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯→ D-Glukonolakton + H2O2 Dabei dient der Co-Faktor Flavin-Adenin-Dinukleotid (FAD) als erster Elektronenakzeptor, der dabei zu FADH reduziert wird. Danach wird FADH durch molekularen Sauerstoff (O2), den endgültigen Elektronenakzeptor, wieder oxidiert. Dabei entsteht H2O2. Der O2-Verbrauch bzw. das entstehende H2O2 kann dann mit elektrochemischen oder chromogenen Methoden nachgewiesen werden. Als Chromogene kann man z. B. o-Dianisidin, p-Aminophenazon/Phenol, sowie Jodid/Molybdat einsetzen. Hierbei wird das Chromogen durch das entstehende H2O2 oxidiert und reflektometrisch gemessen (z. B. GlucoTouch, LifeScan). Modifizierte Clark-Elektroden (Sauerstoffelektroden) finden ihre Anwendung zur Glukosebestimmung ohne Verdünnung der Probe (direkt) in klassischen Blutgasgeräten ( Kap. 6), im i-STAT (Abbott) und im GlukometerProSystem (BST BioSensor Technologie GmbH) oder nach Verdünnung der Blutprobe (indirekt) in den Glukosemessgeräten von Yellow Springs Instruments (YSI Glucose analyzer). Werden anstelle des molekularen Sauerstoffs Mediatoren wie Ferrocen (Precision PCx) oder Hexacyanoferrat (Ascensia Elite, Nova StatStrip) als endgültiger Elektronenakzeptor verwendet, können anstelle von Platinelektroden (modifizierte Clark-Elektrode) einfache, kostengünstige Einmalelektroden (Sensorteststreifen) verwendet werden. Die Messreaktion ist hochspezifisch, die Indikatorreaktion kann jedoch in unterschiedlichem Ausmaß durch reduzierende Substanzen wie z. B. Ascorbinsäure oder Acetaminophen gestört werden. Ein spezielles analytisches Problem ist die zum Teil erhebliche Abhängigkeit der Messergebnisse vom Sauerstoffgehalt der Probe. Auch hierbei müssen die einzelnen Varianten der
67 5.2 · Detektionsmethoden
5
Glukoseoxidase-Methoden genau betrachtet werden. Diejenigen Methoden, die Sauerstoff als letzten Elektronenakzeptor benutzen (Blutgasgeräte, YSI oder GlucoTouch), sind unempfindlich gegenüber wechselnden Sauerstoffkonzentrationen, solange genügend Sauerstoff in der Probe vorhanden ist. Das Gegenteil gilt für Methoden, die Ferrocen (Precision PCx) oder Hexacyanoferrat (Ascensia Elite) statt Sauerstoff als letzten Elektronenakzeptor benutzen: Hier tritt Sauerstoff als möglicher Elektronenakzeptor in Konkurrenz zu den Mediatoren, sodass die Glukose bei erhöhten Sauerstoffwerten in der Probe falsch-niedrig bestimmt wird. Bei der Oxidation mit Glukosedehydrogenase (GDH) dienen Nikotinsäureamid-Adenin-Dinukleotid (NAD; HemoCue sowie Precision PCx, Xceed und Xceed Pro), Pyrrolochinolin-Chinon (PQQ; Accu-Chek Inform, Aviva und Compact Plus) und FAD (Ascensia CONTOUR) als erste Elektronenakzeptoren und werden dabei zu NADH, PQQH und FADH reduziert: Glukosedehydrogenase β-D-Glukose ⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯→ D-Glukonolakton + H+ + e– Die Detektion erfolgt nach Bildung eines Farbstoffs photometrisch (HemoCue) oder reflektometrisch (Accu-Chek Compact Plus). Dabei ist HemoCue Glukose 201 das einzige POCT-System, das unter Verwendung von Einmalküvetten die Glukose photometrisch bestimmt. Nach Lyse der Erythrozyten und Oxidation der Glukose durch die Glukosedehydrogenase wird das entstandene NADH mit einem Tetrazoliumsalz durch Diaphorase zu Formazan umgesetzt, das bei 660/840 nm gemessen wird. Die Messdauer beträgt konzentrationsabhängig 40–240 s. Die Kalibrierung erfolgt durch den Hersteller. Elektrochemisch kann die Detektion mit Hexacyanoferrat (Ascensia CONTOUR) oder Nitrosoanilin (Accu-Chek Inform und Aviva) als endgültigem Elektronenakzeptor mittels Sensorteststreifen durchgeführt werden. Ein Vorteil aller GDH-Methoden gegenüber Systemen mit Glukoseoxidase ist die i. A. deutlich geringere Störanfälligkeit in Bezug auf Medikamente (reduzierende Substanzen) und den Sauerstoffgehalt der Probe.
5.2
Detektionsmethoden
Die Detektion der enzymatischen Reaktionen im Vollblut kann photometrisch oder elektrochemisch erfolgen. Noch viele Jahre nach Einführung der
68
5
Kapitel 5 · Glukosebestimmung
ersten Glukoseteststreifen waren Reflektometer die einzige Möglichkeit, das farbige Endprodukt der Reaktion quantitativ zu detektieren. Wesentliche Fortschritte waren die Einführung der sog. Non-wipe-Technologie, die das bis dahin notwendige Abwischen (»wipe«) des Blutes nach einer bestimmten Zeit überflüssig machte, sowie das automatisierte Ablesen (⊡ Abb. 5.1). Voraussetzung hierfür war die Abtrennung der Erythrozyten (und anderer zellulärer Bestandteile) vom Plasma, um die Farbreaktion nicht durch die Eigenfarbe des Vollbluts zu verfälschen. Die Konsequenz ist, dass zwar Vollblut
”Wipe“-Technik
Licht
Vollblut Reagenzträger Plastikstreifen
”Non-wipe“-Technik Vollblut Plastikstreifen Membran Reagenzträger
Licht
⊡ Abb. 5.1 Reflektometrische Messung im »Plasma«
5
69 5.2 · Detektionsmethoden
aufgetragen wird, aber die eigentliche Messung im Plasma stattfindet. Die technische Herausforderung besteht dabei darin, eine quantitative Abtrennung der Erythrozyten unter Gewährleistung eines hinreichend schnellen und großen Plasmaflusses zur störungsfreien Umsetzung am Reaktionsträger zu erreichen. Hierzu werden herstellerseitig unterschiedliche, zum Teil
Reflexionsverfahren mit Teststreifen
Bluttropfen Plasma Lichtquelle Plasma sickert durch den Teststreifen
Photozelle
Photozelle HemoCue– Absorptionsverfahren Vollblut
Lichtquelle
⊡ Abb. 5.2 Photometrische Messung im hämolysierten Vollblut. Mit freundlicher Genehmigung der HemoCue GmbH, Grossostheim
70
5
Kapitel 5 · Glukosebestimmung
mehrfache Membranfolien mit unterschiedlichen Eigenschaften eingesetzt. Da es fraglich ist, inwieweit auch Lipide bei den unterschiedlichen Systemen zurückgehalten werden, handelt es sich dabei nicht um Plasma im strengen Sinne. Im Gegensatz dazu wird bei dem System von HemoCue mittels einer Einmalküvette und Photometer direkt im hämolysierten Vollblut nach der Farbreaktion die Absorption gemessen (⊡ Abb. 5.2). Weitere Fortschritte, überwiegend durch die Einführung der Sensortechnologie bedingt, waren reduzierte Blutprobenvolumina (0,3–5 μl), kürzere Messzeiten (3–30 s), eingebaute Qualitätssicherungen und die Möglichkeit, Interferenzen sowie direkten Blutkontakt zum Messgerät weitgehend zu vermeiden und damit die Hygiene inklusive der Sicherheit vor Infektionsrisiken – besonders beim Einsatz im POCT-Bereich – zu verbessern. Die ersten Sensorteststreifen waren in Hinblick auf die Abtrennung der Erythrozyten ähnlich aufgebaut wie die photometrischen Teststreifen. Die Einführung einer dritten, nach hinten versetzten Elektrode auf dem Teststreifen diente sowohl der Überprüfung eines ausreichenden Blutvolumens als auch der Kompensation von Interferenzen ( 5.3). Während ursprünglich bei allen Sensorteststreifen ein amperometrisches Messverfahren eingesetzt wurde, brachte Abbott mit dem FreeStyle das erste Schutzfolie Hydrophobe Beschichtung Referenzelektrode
Hydrophile Gewebeschicht
Reaktionszone
Zielzone zum Blutauftrag
⊡ Abb. 5.3 Schematischer Aufbau des Precision QID. Mit freundlicher Genehmigung der Abbott GmbH & Co. KG, Wiesbaden
71 5.2 · Detektionsmethoden
5
System mit einer coulometrischen Messmethode auf den Markt. Der Vorteil dieses Messverfahrens ist der geringere Einfluss des Hämatokrits (HK) auf das Messergebnis. Bei den amperometrischen Verfahren wird nur ein relativ kleiner Anteil der tatsächlich vorhandenen Glukose gemessen, wobei die Stromstärke direkt proportional zur Glukosekonzentration ist. Im Fall der Coulometrie ist das Verhältnis zwischen Elektrodenoberfläche und Blutvolumen größer, sodass praktisch die gesamte Glukose gemessen werden kann; die Ladung (Q = + 0∫t I dt) ist direkt proportional zur Glukosekonzentration. Die HK-Abhängigkeit vieler Blutglukosemessgeräte erschwert deren Einsatz in der Neonatologie und generell in der Intensivmedizin; neue Technologien haben hier zu deutlichen Verbesserungen geführt. Das Nova-StatStripSystem arbeitet als erstes Messgerät mit einer zusätzlichen Bestimmung des HK (»multi-well«, 4 Elektroden) und anschließender Korrektur des Glukosemesswerts (⊡ Abb. 5.4). Gleich 8 Elektroden werden beim Accu-Chek-Aviva Teststreifen (⊡ Abb. 5.5) eingesetzt. Sie dienen der Kontrolle der Reagenzien, der Luftfeuchtigkeit, der Teststreifenintegrität und des Ausreichens der Blutmenge sowie temperatur- und HK-bedingter Abweichungen. Temperaturund HK-Korrektur erfolgen dabei mittels eines zusätzlichen Wechselstroms an den entsprechenden Elektroden (Impedanzmessung), während die eigent-
Oberste Schicht Kapillaröffnung Kapillarschicht 1,2 μl Probenkanal Elektrodenschicht Messung von Glucose, Hämatokrit und Interferenz Elektrisch leitende Trägerschicht Goldoberfläche
⊡ Abb. 5.4 Nova StatStrip, Aufbau des Teststreifens. Mit freundlicher Genehmigung der Nova Biomedical GmbH, Rödermark
Kontrolle einer ausreichenden Blutprobenmenge
Kontrolle der Reagenzien und der Luftfeuchtigkeit
Korrektur von temperaturund Hämatokrit-bedingten Abweichungen und anschließende Blutzuckermessung
Korrektur kleinerer Schäden am Teststreifen (bei Bedarf )
5
⊡ Abb. 5.5 ACCU-CHEK Aviva, Aufbau des Teststreifens. Mit freundlicher Genehmigung der Roche Diagnostics GmbH, Mannheim
Die breite Y-förmige Auftragszone sorgt für ein punktgenaues Auftragen und ein schnelles Einziehen der Blutprobe.
Der starke Blau-Gelb-Kontrast bietet einen klaren Anhaltspunkt beim Auftragen der Blutprobe.
Der für einen einfachen Blutprobenauftrag konzipierte Teststreifenrand saugt das Blut schnell und problemlos ein.
Überprüfung der Teststreifen auf physische Schäden
8 lasergeätzte Goldelektroden zur:
72 Kapitel 5 · Glukosebestimmung
73 5.3 · Probenmaterial
5
liche Blutzuckermessung weiterhin mit der konventionellen Gleichstrommethode durchgeführt wird.
5.3
Probenmaterial
Als Probenmaterialien kommen generell Vollblut, Hämolysat, Serum/Plasma (mit und ohne Enteiweißung), Urin, Liquor und interstitielle Flüssigkeit bzw. das daraus gewonnene Dialysat ( Kap. 15) infrage, wobei am POC i. A. nur Vollblut verwendet wird. Wegen des arteriovenösen Konzentrationsgefälles für Glukose, das je nach Stoffwechsellage 5–45 mg/dl betragen kann, geht der Ort der Abnahme (arteriell, kapillär, venös) in die Beurteilung der Ergebnisse ein ( Kap. 15). Die Glykolyse in den Erythrozyten spielt am POC wegen der sofortigen Messung keine wesentliche Rolle. Für die Diagnosestellung eines Diabetes werden aber nach der Praxis-Leitlinie 2010 der DDG [9] nur venöse Plasmaglukosewerte empfohlen ( Kap. 15), da die DiabetesDiagnosekriterien bzw. Entscheidungsgrenzen lediglich für venöses Plasma ermittelt worden sind. Die größte zu berücksichtigende Variable für den Kliniker ist der Unterschied zwischen Plasma und Vollblut, eine Konsequenz des unterschiedlichen Gehalts an Lipiden, Proteinen und zellulären Bestandteilen in den beiden Probenmaterialien. Glukose passiert durch passiven Transport leicht die Erythrozytenmembran und verteilt sich zwischen Plasma und Erythrozyten analog zu Wasser. Während also die Molalität der Glukose (= mg Glukose/kg Wasser) im wässrigen Kompartiment gleich ist, ist ihre Molarität (Konzentration) in Erythrozyten niedriger als im Plasma, da der typische Wassergehalt der Erythrozyten 0,71 kg H2O/l, der des Plasmas jedoch 0,93 kg H2O/l beträgt. Bei einem durchschnittlichen Hämatokritwert von 43 % berechnet sich daraus ein Faktor von 1,11 für die Umrechnung von Vollblut- in Plasmaglukose. Bei Proben mit abweichenden HK-Werten ist dieser Faktor nicht mehr exakt. Bei extremen HK-Werten kann für den Umrechnungsfaktor eine HKKorrektur sinnvoll sein nach der Formel: f = 0,84 /(0,93−0,22 × HK), wobei HK als Bruch einzugeben ist. Mit dem so errechneten Korrekturfaktor ist dann der Umrechnungsfaktor von 1,11 zu multiplizieren.
74
5
Kapitel 5 · Glukosebestimmung
Von dieser physiologischen HK-Abhängigkeit der Vollblut-Plasma-Differenz ist die HK-Interferenz zu unterscheiden. Diese spielt bei vielen POCTMessgeräten eine Rolle (s. oben) und ist – wenn überhaupt – nur durch gerätetechnische Maßnahmen zu kompensieren. Um klinische Fehlinterpretationen zu vermeiden, haben die DGKL und die Deutsche Diabetes-Gesellschaft gemeinsam 2009 [11] empfohlen, auch in Deutschland den Vorschlag der International Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (IFCC) [5] umzusetzen, alle Glukoseergebnisse als Plasmawerte (Plasmaäquivalente) anzugeben, unabhängig von Probentyp und Messmethode ( Kap. 15). Die Industrie ist inzwischen bei der Entwicklung neuer Glukose-POCT-Systeme diesen Empfehlungen gefolgt, sodass nur noch in einer Übergangsphase ältere Gerätemodelle davon abweichen.
5.4
Einflussfaktoren und Interferenzen
Im Krankenhaus und hier insbesondere auf Intensivstationen bzw. in der Neonatologie gibt es eine Vielzahl von patientenbedingten Einflussfaktoren [6], die zu veränderten Glukosemesswerten führen können. Dabei spielt der HK eine besonders wichtige Rolle. Prinzipiell führt ein HK-Anstieg zu einer Erniedrigung der Glukosewerte, ein HK-Abfall zu deren Erhöhung [8, 18, 20]. Die geringsten Abweichungen wurden bisher bei Messungen mit Blutgasgeräten und dem HemoCue-System sowie seit Kurzem auch bei Messungen mit Systemen, die eine HK-Messung bzw. -Korrektur vornehmen (Nova StatStrip, Accu-Chek Aviva und Inform II) [8, 18], festgestellt. Ein erhöhter Sauerstoffgehalt im Blut führt bei einigen glukoseoxidaseabhängigen Messverfahren zu erniedrigten Glukosewerten [13, 21]. Während bei den klassischen Elektroden (Blutgassysteme, YSI, i-STAT, GlucometerPro) ein gewisser Sauerstoffgehalt notwendig ist, führt er bei Systemen mit anderen Mediatoren (z. B. Ferrocen) zu einer Konkurrenzreaktion und somit zu falsch-niedrigen Glukosewerten (s. oben). Weitere Interferenzen sind von körpereigenen Metaboliten und Medikamenten mit reduzierenden Eigenschaften (Vitamin C, Acetaminophen, Dopamin etc.) zu erwarten. Hierbei handelt es sich meist um Messverfahren, die auf Glukoseoxidase basierend die Peroxidreaktion [12, 19] als Detektionsmethode einsetzen. Verfahren, die Glukosedehydrogenase als Enzym
75 5.5 · Evaluierung und Validierung
5
einsetzen, sind gegenüber solchen Substanzen wesentlich stabiler (s. oben). Zusätzlich zu diesen eher allgemeinen Störungen gibt es einzelne, auf ein bestimmtes Verfahren oder auch Messsystem bezogene Interferenzen. Hierzu gehört im Fall des HemoCue-Systems die Störung durch Methämoglobin (>10 %) oder Intralipid [1, 17]. Neben Mannose, Maltose, Xylose und Galaktose werden auch Glukosamin und 2-Desoxyglukose von der Glukosedehydrogenase (GDH) umgewandelt und können das Ergebnis im Sinne überhöhter Glukosewerte verändern. Klinisch relevante Probleme treten allerdings nur bei der Kombination GDH-PQQ auf. Um die Maltose- und Xylose-Interferenz zu minimieren, wurde im Jahr 2010 eine genetisch modifizierte Form der GDH entwickelt, die im Teststreifen Accu-Check Performa für Accu-Chek Inform II verwendet wird [7, 10]. Diese Alternative ist speziell für Peritonealdialyse-Patienten geeignet, die parenteral mit Icodextrin (z. B.Extraneal Baxter), das im Körper zu Maltose abgebaut wird, oder intravenös mit maltosehaltigen Lösungen, z. B. bestimmten Humanimmunglobulin-Präparaten, behandelt werden. Geräte, die die Kombination GDH-NAD oder GDH-FAD verwenden, sind ebenso wie auf Glukoseoxidase basierende Systeme von dieser Interferenz nicht betroffen.
5.5
Evaluierung und Validierung
Am POC sollten nur evaluierte und validierte Geräte und Verfahren eingesetzt werden. So schließen Hinweise des Herstellers, dass ein Gerät nur für die Selbstkontrolle des Diabetikers bestimmt ist, seinen Einsatz an anderer Stelle aus. Evaluierungen von Blutglukosemessgeräten sind in großer Zahl publiziert worden. Erwartungsgemäß unterscheiden sich die Ergebnisse für verschiedene Messgeräte zum Teil deutlich voneinander, aber auch für dasselbe Modell finden sich nicht selten bei den zentralen Leistungsdaten signifikante Unterschiede. Dies lässt sich teilweise durch die bekannten Qualitätsstreuungen der Geräte selbst und mehr noch der Teststreifen (insbesondere durch Unterschiede von Charge zu Charge) erklären. Es spielen jedoch auch methodische Unzulänglichkeiten bei der Durchführung von Evaluierungen und Methodenvergleichen eine wesentliche Rolle. Zwar existieren dazu mehrere Vorschläge, z. B. des Clinical Laboratory Standards Institute (CLSI; früher: National Committee on Clinical Laboratory Standards, NCCLS) [16]
76
5
Kapitel 5 · Glukosebestimmung
oder der STARD-Initiative [2, 3], die aber in vielen Studien nur unzulänglich umgesetzt worden sind [14]. Mahoney und Ellison [15] haben im Jahre 2007 unter Verwendung der oben genannten und anderer Empfehlungen (IFCC, FDA, TNO, SKUP, ISO 15179) eine praktikable Checkliste mit 14 Punkten vorgelegt, die als Leitlinie für Evaluationsprotokolle dienen kann und damit auch die Beurteilung entsprechender Publikationen erleichtert. Ferner wurde vom CLSI im Jahre 2008 ein Vorschlag (POCT 6-P) publiziert, der den Vergleich von Glukosebestimmungsmethoden bei der Verwendung unterschiedlicher Probenarten standardisieren soll [4]. Es sei abschließend daran erinnert, dass Aussagen zur Richtigkeit von Blutglukosemessgeräten nicht aus Ringversuchsergebnissen abgeleitet werden können, solange – wegen des Fehlens geeigneter Vollblutkontrollproben – keine Referenzmethodenwerte, sondern nur geräteabhängige Zielwerte zur Beurteilung verwendet werden.
Literatur [1] Asworth L, Gibb I, Alberti KG (1992) HemoCue: evaluation of a portable photometric system for determining glucose in whole blood. Clin Chem 38: 1479–1482 [2] Bossuyt PM, Reitsma JB, Bruns DE et al. (2003) The STARD statement for reporting studies of diagnostic accuracy: explanation and elaboration. Clin Chem 49: 7–18 [3] Bossuyt PM, Reitsma JB, Bruns DE et al. (2003) Towards complete and accurate reporting of studies of diagnostic accuracy: the STARD initiative. Clin Chem 49: 1–6 [4] CLSI (2008) Guidelines for comparison of glucose methodologies that use different sample types; Proposed Guideline. CLSI document POCT 6-P. Clinical and Laboratory Standards Institute, Wayne, PA [5] D’Orazio P, Burnett RW, Fogh-Andersen N et al. (2005) The International Federation of Clinical Chemistry Scientific Division Working Group on Selective Electrodes and Point of Care Testing: Approved IFCC recommendation on reporting results for blood glucose (abbreviated). Clin Chem 51: 1573–1576 [6] Dungan K, Chapman J, Braithwaite SS, Buse J (2007) Glucose measurements: Confounding issues in setting targets for inpatient management. Diabetes Care 30: 403–409 [7] Janssen W, Harff G, Caers M, Schellekens A (1998) Positive interference of icodextrin metabolites in some enzymatic glucose methods. Clin Chem 44: 2379–2380 [8] Karon BS, Griesmann L, Scott R et al. (2008) Evaluation of the impact of hematocrit and other interference on the accuracy of hospital-based glucose meters. Diabetes Technol Ther 10: 111–120 [9] Kellerer M, Danne T (Hrsg.) (2010) Praxis-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft; Diabetologie und Stoffwechsel 5(Suppl 2); Evidenzbasierte Leitlinien DDG, aktualisierte
77 Literatur
5
Version auf den Webseiten der DDG: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/Evidenzbasierte Leitlinien/ [10] Koschinsky T (2011) Genauigkeit der Blutglukosemessung – aktuelle Anforderungen und Interferenzen. Diabetologie Stoffw 6: 43–47 [11] Koschinsky T, Junker R, Luppa PB, Schlebusch H. Improvement of therapeutic safety through standardized plasma calibration of blood glucose test systems at the point-ofcare. J. Lab Med 2009;33: 349–52 [12] Kost GJ, Nguyen TH, Tang Z (2000) Wholeblood glucose and lactate: trilayer biosensors, drug interference, metabolism, and practice guidelines. Arch Pathol Lab Med 124: 1128– 1134 [13] Kost GJ, Vu HT, Inn M et al. (2000) Multicenter study of whole-blood creatinine, total carbon dioxide content, and chemistry profiling for laboratory and point-of-care testing in critical care in the United States. Crit Care Med 28: 2379–2389 [14] Mahoney J, Ellison J (2007) Assessing the quality of glucose monitor studies: a critical evaluation of published reports. Clin Chem 53: 1122–1128 [15] Mahoney JJ, Ellison JM (2007) Assessing glucose monitor performance – a standardized approach. Diabetes Technology & Therapeutics 9: 545–552 [16] NCCLS (2002) Point-of-care blood glucose testing in acute and chronic care facilities; Approved Guideline. NCCLS document C30–A2 [17] Patrick L, Lynch M, O’Kane MJ (2002) Methemoglobin interferes with the HemoCue Bglucose Analyzer. Clin Chem 48: 581–583 [18] Rao LV, Jakubiak F, Sidwell JS, Winkelmann JW, Snyder ML (2005) Accuracy evaluation of a new glucometer with automated hematocrit measurement and correction. Clin Chim Acta 356: 178–183 [19] Tang Z, Du X, Loie RF, Kost GJ (2000) Effects of drugs on glucose measurements with handheld glucose meters and a portable glucose analyzer. Am J Clin Pathol 113: 75–86 [20] Tang Z, Lee JH, Louie RF, Kost GJ (2000) Effects of different hematocrit levels on glucose measurements with handheld meters for point-of-care testing. Arch Pathol Lab Med 124: 1135–1140 [21] Tang Z, Louie RF, Payes M, Chang KC, Kost GJ (2000) Oxygen effects on glucose measurements with a reference analyzer and three handheld meters. Diabetes Technol Ther 2: 349–362
6 Blutgasanalytik P. B. Luppa, J. Martin
6.1
Messmethoden für pH, pO2 und pCO2
6.2
Oxymetrie
6.3
Weitere Parameter des Säure-Basen-Haushalts und des Sauerstoffstatus – 90
6.4
Temperaturkorrektur und Präanalytik – 97 Literatur
– 81
– 87
– 97
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
80
6
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
Die Blutgasanalytik wird seit vielen Jahren hauptsächlich am POC durchgeführt [2, 8]. Über die Qualitätssicherung der zahlreichen auf diesen Analysesystemen vorgehaltenen Kenngrößen ist jedoch auch das Zentrallabor in die Blutgasanalytik (BGA) eingebunden. In variablen Ausführungen analysieren die BGA-Geräte folgende Parameter: ▬ Die basalen Messgrößen – Sauerstoff-Partialdruck (pO2), Kohlendioxid-Partialdruck (pCO2), und pH – werden gemessen, eine Reihe weiterer Parameter der BGA (z. B. Standardbikarbonat) und des Säure-Basen-Haushalts (z. B. Basenexzess) berechnet. Die Blutgase können auf die aktuelle Körpertemperatur des Patienten korrigiert werden. ▬ Mittels CO-Oxymetrie wird die Oxygenierung des Blutes (O2-Sättigung – sO2) zusammen mit der Hämoglobin-(Hb-)Gesamtkonzentration, dem Hämatokrit (HK) und den Hb-Fraktionen (z. B. FO2-Hb, Met-Hb) gemessen. ▬ Die Messung der Elektrolyte Na+, K+, des ionisierten Ca2+, ionisierten Mg2+ und des Cl– ergänzt die Erfassung des Säure-Basen-Haushalts. ▬ Fakultativ werden auch Messungen von Glukose, Laktat, Kreatinin, Harnstoff, Bilirubin und anderer Substrate zur Abklärung eines katabolen Metabolismus angeboten. Die zugrunde liegenden Prinzipien der Sensortechnologie sind seit den Anfängen der BGA unverändert geblieben. Einzig die Prinzipien der Metabolitmessungen sind neu und unterscheiden sich zwischen den Systemen. Für die Kreatininbestimmung sind erst seit Kurzem valide Sensorverfahren verfügbar. Als Beispiel soll der amperometrische Kreatininsensor im ABL837 FLEX (Radiometer) genannt werden, der auf der enzymatischen Umwandlung des Kreatinins zu H2O2 basiert [13]. Ein grundsätzliches, noch ungelöstes Problem bei den Blutgasgeräten der verschiedenen Hersteller ist die Uneinheitlichkeit der Nomenklatur für die gemessenen und berechneten Blutgasparameter: Bisherige Versuche eines Konsens’ zur Vereinheitlichung der Symbole sind erfolglos geblieben (www. physioklin.de).
81 6.1 · Messmethoden für pH, pO2 und pCO2
6.1
6
Messmethoden für pH, pO2 und pCO2
Die modernen BGA-Geräte sind Analysesysteme, die bei der Messung der Parameter pO2, pCO2 und pH im heparinisierten Vollblut 2 unterschiedliche Technologien anwenden: Es handelt sich um ▬ elektrochemische Verfahren oder um ▬ optische Verfahren. Gemeinsam ist allen Gerätetypen, dass sie selbsttätig Funktionsprüfungen der einzelnen Sensoren durchführen und in festgelegten Zeitintervallen Kalibrierungs- sowie Reinigungsprozeduren starten können. In ⊡ Tab. 6.1 ist eine Auswahl der gängigen Systeme aufgeführt.
⊡ Tab. 6.1 Auf dem deutschen Markt etablierte Blutgassysteme Hersteller
Gerätebezeichnungen
Abbott GmbH
i-STAT 1
Instrumentation Laboratory GmbH
IL GEM Premier 3000/4000, IL Synthesis, GEM OPL
Epocal Inc., in Deutschland vertrieben durch Alere GmbH
Epoc
Keller Medical GmbH
Irma TRUpoint, AVOXimeter 1000E und 4000
Nova Biomedical GmbH
Stat Profile pHOx/pHOx Ultra, Nova CRT
OPTI MEDICAL Systems GmbH
OPTI CCA-TS, OPTI R, OPTI LION
Radiometer GmbH
ABL5, ABL800 FLEX, ABL80 FLEX, ABL90 FLEX
Roche Diagnostics Deutschland GmbH
Cobas B 121, Cobas b 123 , cobas b 221
Siemens Medical Solutions Diagnostics GmbH
Rapidlab 800, 1200; Rapidpoint 500
Medica Corporation
EasyBloodGas analyzer
Das Methodenspektrum ist sehr unterschiedlich: Blutgase mit oder ohne CO-Oxymetrie; Blutgase mit oder ohne CO-Oxymetrie plus Elektrolyte; Blutgase mit oder ohne CO-Oxymetrie plus Elektrolyte sowie Substrate/Metabolite
82
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
6
⊡ Abb. 6.1 Epocal Epoc. Mit freundlicher Genehmigung der Alere GmbH, Köln
Die Geräte iSTAT 1, Epoc (⊡ Abb. 6.1) und OPTI CCA-TS sind eindeutig als Unit-use-Systeme anzusprechen. Dabei benutzen das iSTAT und das Epoc elektrochemische Biosensoren in Kassetten, während in der OPTI-Kassette die Blutgasparameter nach einer fluoreszenzoptischen Methode bestimmt werden. Exemplarisch sind als komplexere Systeme in ⊡ Abb. 6.2, ⊡ Abb. 6.3, ⊡ Abb. 6.4, ⊡ Abb. 6.5 und ⊡ Abb. 6.6 die Geräte der Firmen IL (GEM Premier 4000), Nova (pHOx-Ultra), Radiometer (ABL800 FLEX), Roche (b 221) und Siemens (Rapidlab 1200) dargestellt.
83 6.1 · Messmethoden für pH, pO2 und pCO2
6
⊡ Abb. 6.2 Blutgasgerät IL GEM Premier 4000. Mit freundlicher Genehmigung der Instrumentation Laboratory GmbH, Kirchheim
⊡ Abb. 6.3 Nova pHOx-Ultra. Mit freundlicher Genehmigung der Nova Biomedical GmbH, Rödermark
84
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
6
⊡ Abb. 6.4 Radiometer ABL800 FLEX. Mit freundlicher Genehmigung der Radiometer GmbH, Willich
⊡ Abb. 6.5 Roche b 221. Mit freundlicher Genehmigung der Roche Diagnostics, Mannheim
85 6.1 · Messmethoden für pH, pO2 und pCO2
6
⊡ Abb. 6.6 Rapidlab 1200. Mit freundlicher Genehmigung der Siemens Healthcare Diagnostics, Eschborn
6.1.1 Elektrochemischer Sensor
Der elektrochemische BGA-Sensor besteht aus einer pH-Glaselektrode, einer pCO2-Elektrode nach Stow-Severinghaus und einer pO2-Elektrode nach Clark. Die Messprinzipien dieser Sensoren, die als chemospezifische Erkennungsschichten selektive Membranen benutzen, beruhen auf elektrochemischen Reaktionen, die sich an der Grenzfläche zwischen Elektrode und Blut abspielen. Die dabei auftretenden Ströme (pO2) bzw. Spannungen (pH und pCO2) sind der H+-Konzentration bzw. den Partialdrücken von O2 und CO2 proportional. Unter Elektroden sind dabei Einstabmessketten zu verstehen, die aus Mess- und Bezugselektrode bestehen. Beim pCO2-Sensor konnte durch Einsatz von Silikonmembranen die Diffusion der CO2-Gasmoleküle und dadurch die Gesamtmesszeit deutlich beschleunigt werden. Beim pO2-
86
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
Sensor ist die oxidative Disproportionierung des zunächst entstehenden H2O2 geschwindigkeitsbestimmend; sie wird durch Einbringung von katalytisch aktivem Platinschwarz (einer besonderer Form von Platinoxiden) auf der Innenseite der O2-durchlässigen Teflonmembran optimiert. Durch diese Maßnahmen wird heute eine Gesamtanalysezeit von deutlich unter 60 s bei einem Probenvolumen von < 400 μl (inklusive CO-Oxymetrie) erreicht.
6.1.2 Optischer Sensor
6
Beim optischen BGA-Sensor, der als Sensor mit spektroskopischer Signalgenerierung anzusprechen ist (Optode), kommt für die Bestimmung des pO2 ein optisch anregbarer, fluoreszierender Farbstoff zum Einsatz, dessen Fluoreszenzdauer durch den O2-Gehalt der Blutprobe moduliert wird. Diese Änderung kann mittels einer Standardreihe einem pO2-Wert zugeordnet werden [8]. Die Beziehung zwischen der emittierten Fluoreszenz und dem pO2 wird durch die Stern-Volmer-Gleichung quantifiziert, die beschreibt, wie sich die Emissionsintensität umgekehrt proportional zum pO2 verhält. Im Gegensatz zur elektrochemischen Clark-Elektrode verbraucht die Optode während der Messung keine O2-Moleküle. Das pCO2-Messprinzip basiert dagegen auf Absorptionsmessungen im Infrarotbereich. Das gelöste CO2 absorbiert Infrarotlicht. Ein Photometer bestimmt die Absorption bei drei verschiedenen Wellenlängen und berechnet nach dem Lambert-BeerGesetz die Konzentration des gelösten CO2 und den pCO2-Wert. Die Bestimmung des pH-Werts im Vollblut basiert auf der spektroskopischen Erfassung spezifischer Lichtabsorptionen eines Farbindikators im sichtbaren Spektralbereich mittels eines Diodenarray-Photometers. Diese charakteristischen Absorptionen können dem aktuellen pH-Wert zugeordnet werden. Von historischem Interesse ist die indirekte Messung des pCO2. Gemäß der Methode nach Astrup und Siggaard-Andersen kann man aus der Äquilibrierung des Blutes mit Gasgemischen bekannter CO2-Konzentration und anschließender Messung der pH-Änderung den Wert des endogenen pCO2 errechnen. Um BGA-Systeme zu kalibrieren, werden in Geräten älterer Bauart CO2und O2-Gasflaschen benötigt, da durch Einleitung von Reinstgas reproduzierbare O2- und CO2-Partialdrücke in Lösungen sichergestellt werden können. Pufferlösungen mit konstanten Gaspartialdrücken in Plastikgefäßen
87 6.2 · Oxymetrie
6
sind schwierig herstellbar, da diese geringgradig gasdurchlässig sind. In den neuesten Blutgasanalysatoren werden Raumluft und Kalibrierungslösungen eingesetzt, die jeweils durch Vereinigung von 2 Basislösungen direkt vor der Kalibrierung der Lösungen hergestellt werden. Eine Lösung wird dabei O2-depletiert. 6.2
Oxymetrie
CO-Oxymeter sind Multiwellenlängenphotometer zur Bestimmung der Gesamt-Hb-Konzentration, zur Messung der O2-Sättigung (sO2) sowie zur Erfassung der Anteile verschiedener Hb-Fraktionen O2Hb, HHb (DesoxyHb), COHb, MetHb etc. in einer Blutprobe. Die Oxymetrie ermöglicht die Diagnostik einer CO-Intoxikation (Rauchvergiftung) oder einer Vergiftung mit MetHb-Bildnern (Nitrit etc.). Bei dieser Messmethode werden die Absorptionsspektren der Hb-Fraktionen in Abhängigkeit von der Wellenlänge miteinander verglichen. Die spektrale Absorptionsmethode erlaubt die Bestimmung der Konzentration mithilfe von Matrixgleichungen. Für jede Fraktion gilt bezüglich der Absorption A folgende Beziehung: A=λ×ε×c Dabei ist ε der Extinktionskoeffizient der jeweiligen Hb-Spezies, λ die Wellenlänge und c die Konzentration. Die Gesamtabsorption ist die Summe der Einzelabsorptionen der gemessenen Hb-Fraktionen. Um die Einzelkonzentrationen bestimmen zu können, müssen die Messungen bei mindestens 2 verschiedenen Wellenlängen durchgeführt werden. Jede Hb-Fraktion wird über ihr charakteristisches Absorptionsmaximum bestimmt. Interferenzen, z. B. durch Bilirubin, können dadurch eliminiert werden. Die Geräte der marktführenden Hersteller Radiometer, Siemens, Roche, Nova und Instrumentation Laboratory führen im Messbereich von 460– 680 nm zwischen 128 und 512 unterschiedliche Messungen aus (z. B. Radiometer ABL bei 128 Wellenlängen im Bereich von 478–672 nm; Roche cobas b221 bei 512 Wellenlängen im Bereich von 460–660 nm; Siemens Rapidlab bei 256 Wellenlängen im Bereich von 500–680 nm). Dabei werden die einzelnen Extinktionsmaxima automatisch erkannt. Um die zur Messung notwendige Hämolyse herbeizuführen, wird bei Roche und Radiometer
88
6
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
Ultraschall eingesetzt, während bei Nova und Instrumentation Laboratory Lysereagenzien zur Anwendung kommen. Einzig die neuen Geräte von Siemens (405 und 1200) verzichten auf die Hämolyse. Durch die intakten Erythrozyten werden Streulichtstörungen in der optischen Einheit generiert, die durch eine komplexe Datenauswertung mittels Matrixprogrammen (»least square matrix«) eliminiert werden. Vorteile des Verzichts auf die Hämolyse sind der geringere mechanische Aufwand und die einfachere Prozessführung der Oxymetrie. Die Messung der Gesamt-Hb-Konzentration kann alternativ zur oben dargestellten Multiwellenlängenphotometrie auch direkt photometrisch mittels der Hemiglobinzyanidmethode oder indirekt über den HK erfolgen. Bei der Hemiglobinzyanidmethode wird das stabile Hb-Derivat A mit einem charakteristischen Absorptionsmaximum bei 540–546 nm quantitativ erfasst. Es entsteht durch Umsetzung von Hb mit Kaliumhexazyanoferrat III: Hb(Fe2+) + [Fe(CN)6]3– → Hb(Fe3+) + [Fe(CN)6]4– Hb(Fe3+) + CN– → Hb(Fe3+)CN (Derivat A) Der HK als Verhältnis des Erythrozyten- zum Vollblutvolumen kann mittels Zentrifugation oder – wie in den meisten Blutgasanalysatoren – mithilfe eines Leitfähigkeitssensors ermittelt werden ( Kap. 3). Die Leitfähigkeit des Blutes ist dabei indirekt proportional zur Zahl und zur Größe der Erythrozyten; sie wird über eine Potenzialdifferenz an 2 Ableitungsstellen des Sensors gemessen. Die Leitfähigkeitsmessung ist jedoch störanfällig – Interferenzen entstehen bei Antikoagulanzientherapie, ausgeprägter Leukozytose und unter Infusion von Plasmaexpander oder Kristalloiden in größerem Umfang. Dies ist bei Operationen mit Herz-Lungen-Bypass zu beachten. Als Alternative wird von Opti-Medical im OPTI-CCA-Blutgasanalysator eine direkte Hb-Bestimmung eingesetzt: Laserdiodenlicht wird dabei durch ein Fenster zum Blut in der Kassette über dem Sauerstoffsensor geleitet. Es wird teilweise absorbiert und von den Erythrozyten gestreut. Über einen optischen Wellenleiter gelangt das Licht zu einer Photodiode. Diese misst die Intensität, die zur Berechnung des Gesamt-Hb herangezogen werden kann. Ein weiteres, in kleineren Krankenhäusern sinnvolles CO-Oxymeter zur In-vitro-Bestimmung der fraktionellen Sauerstoffsättigung ist das Avoximeter 4000 (ITC, vertrieben in Deutschland durch Keller Medical). Das Gerät misst O2-Hb, CO-Hb, Met-Hämoglobin und reduziertes Hb aus nur 50 μl Vollblut innerhalb von weniger als 10 sec (⊡ Abb. 6.7).
89 6.2 · Oxymetrie
6
⊡ Abb. 6.7 Avoximeter 4000. Mit freundlicher Genehmigung von Keller Medical, Bad Soden
Die spektrophotometrische Messung des Gesamtbilirubins im Vollblut ist mit den Oxymetermodulen folgender Geräte möglich: ▬ ABL 730, 735, 830 FLEX, 835 FLEX und 837 FLEX (Radiometer), ▬ Cobas 221 (Roche), ▬ GEMPremier 4000 (IL), ▬ Rapidlab 1265 (Siemens) und ▬ Stat Profile pHOx Ultra (Nova). Während die Geräte von Roche und Siemens nur für die Messung von Neugeborenenbilirubin vorgesehen sind, können mit den Radiometer-Geräten und GEMPremier 4000 auch Proben von Erwachsenen bestimmt werden. Dazu wird bei den ABL-Geräten mit einer Korrekturtaste der Berechnungsmodus verändert. Das Nova-Gerät ist bisher nur für Erwachsenenblut evaluiert. Das Messprinzip ist für alle Geräte identisch: Im CO-Oxymetriemodul wird in der hämolysierten (ABL, cobas, pHOx Ultra) bzw. nichthämolysierten (Rapidlab) Probe neben den Hb-Fraktionen das Bilirubin durch eine
90
6
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
Mehrwellenlängenmessung bestimmt. Obwohl sich die Spektren von Bilirubin und Hb deutlich voneinander unterscheiden, werden an die Messung wegen des großen Konzentrationsunterschieds zwischen Bilirubin und dem ‘störenden‘ Hb hohe analytische Anforderungen gestellt. Die Bilirubinkonzentration wird aus den Ergebnissen der Absorptionsmessungen mittels einer Multikomponentenanalyse berechnet. Der verwendete Algorithmus ist – neben einer exakten Wellenlängenkalibrierung – für die Richtigkeit der Ergebnisse entscheidend [15]. Für eine Bilirubinbestimmung werden je nach Gerät zwischen 35 und 100 μl Blut benötigt. Der Messbereich liegt für die meisten Geräte zwischen 3 und 30 mg/dl. Eine Qualitätskontrolle ist mit herstellereigenen Kontrollproben möglich. Über die ABL-Geräte, cobas b 221 und Rapidlab 1265 wurden mehrere Evaluationsberichte publiziert [4, 7, 11, 14], die erkennen lassen, dass die Geräte hinsichtlich ihrer zentralen Leistungsdaten (Präzision, Richtigkeit, Interferenzen) miteinander vergleichbar sind. Methodenvergleiche mit auf dem Jendrassik-Grof-Verfahren basierenden Referenzmethoden zeigen, dass im Konzentrationsbereich von 3–20 mg/ dl bei allen Geräten mit Abweichungen von bis zu ±2 mg/dl gerechnet werden muss.
6.3
Weitere Parameter des Säure-Basen-Haushalts und des Sauerstoffstatus
6.3.1 Berechnete Parameter des Säure-Basen-Haushalts
Aus den primär gemessenen Parametern pH, pCO2 und pO2 werden die im Folgenden aufgeführten Säure-Basen-Parameter berechnet. z
Aktuelle Bikarbonatkonzentration – cHCO3–(akt)
Die Kenngröße wird nach der Henderson-Hasselbalch-Gleichung aus den Messwerten für pH und pCO2 errechnet. cHCO3–(akt) ist vom aktuellen pCO2 abhängig. Bei einer respiratorischen Azidose ist die Konzentration folglich erhöht. cHCO3–(akt) ist bei pCO2–Werten >40 mmHg nicht geeignet, über den metabolischen Anteil des Säure-Base-Haushalts Informationen zu liefern, da cHCO3–(akt) sowohl respiratorische als auch metabolische Veränderungen wiedergibt.
91 6.3 · Weitere Parameter
z
6
Standardbikarbonatkonzentration – cHCO3–(std)
Die Standardbikarbonatkonzentration ist definiert als die HCO3–-Konzentration (in vitro) des vollständig oxygenierten Plasmas bei einem pCO2 von 40 mmHg (37°C). Durch diese Standardisierung wird cHCO3–(std) von respiratorischen Einflüssen unabhängig. Eine evtl. zu beobachtende Abweichung vom Referenzwert ist dann Ausdruck einer metabolischen, nichtrespiratorischen Störung des Säure-Basen-Haushalts. z
Aktueller Basenexzess – BE
Das Konzept der Basenabweichung wurde unter dem Begriff des »base excess« von Siggaard-Andersen entworfen und in die Blutgasanalytik eingebracht [12]. Er beschrieb mit diesem Begriff die Fragestellung, wieviel Mol einer starken Säure oder Base im Fall positiver bzw. negativer Basenabweichung notwendig sind, um Blut oder eine andere Körperflüssigkeit unter Standardbedingungen auf einen pH-Wert von 7,40 zu titrieren. Das Säure-Basen-Nomogramm nach Siggaard-Andersen bietet die Möglichkeit, den BE anhand der bekannten Größen pH, Hb und pCO2 abzulesen. Die modernen Blutgasanalysatoren berechnen den Wert aus den Messwerten pH, pCO2, cHb (Hb-Konzentration) und sO2. Der BE wird nicht durch akute Änderungen des pCO2 beeinflusst. So kann er für eine therapeutische Korrektur aller nichtrespiratorischen Störungen des Säure-Basen-Haushalts eingesetzt werden. Die Einbeziehung der O2-Sättigung hat den Vorteil, dass für alle arteriellen, gemischtvenösen und venösen Blutproben der gleiche BE ermittelt wird [16]. z
Basenexzess der Extrazellulärflüssigkeit – BEE
Der BEE wird auch als »In-vivo-Basenabweichung« bezeichnet und in modernen BGA-Geräten nach folgender Formel, entsprechend einer Konvention des Clinical Laboratory Standards Institute (CLSI) [10], berechnet: BEE = cHCO3– – 24,8 + 16,2 (pH – 7,40) Der numerische Term 24,8 entspricht der Pufferkapazität der Extrazellulärflüssigkeit unter Einschluss der Erythrozyten. Zur Erklärung: Hb ist neben Bikarbonat die wichtigste Pufferbase. Es erfüllt diese Funktion jedoch nicht nur im intravasalen Raum, sondern indirekt auch im gesamten proteinarmen Extrazellulärraum. Durch die Aufnahme von peripher gebildetem CO2 in die Erythrozyten entsteht nämlich, von der Carboanhydrase katalysiert, Kohlensäure, die intrazellulär in H+ und HCO3– zerfällt. Das Proton kann vom Hb
92
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
gebunden werden, während das HCO3– zurück ins Plasma und zu 2/3 weiter in den interstitiellen Raum diffundiert. Da der Basenexzess nur unter In-vitroBedingungen im heparinisierten Vollblut gemessen werden kann, müssen zur Abschätzung des BEE die In-vivo-Verhältnisse der interstitiellen HCO3–-Diffusion berücksichtigt werden. Dies erreicht man, indem die Pufferkapazität des Hb fiktiv auf den Extrazellulärraum ausgedehnt und der Basenexzess für 1/3 eines tatsächlichen Hb-Werts von 15 g/dl, also 5 g/dl, berechnet wird. Nach Zander kann eine weitere BE-Berechnungsformel benutzt werden, die ebenfalls die Sauerstoffsättigung berücksichtigt [6]:
6
BE= (1−0,0143 × cHb) × [[0.0304 × pCO2 × 10pH−6,1−24,26] + (9,5+1,63 × cHb) × (pH−7,4)]−0,2 × cHb × (1−sO2) z
Grafische Methode zur Diagnostik von Störungen des Säure-BasenHaushalts
Im weithin bekannten Säure-Basen-Nomogramm nach Müller-Plathe [9] sind die verschiedenen Säure-Basen-Störungen unter Berücksichtigung der Bandbreite der erwarteten kompensatorischen Antworten eingezeichnet. Der Kreuzungspunkt der jeweiligen Werte für pCO2 (x-Achse) und cHCO3– (y-Achse) erlaubt die Zuordnung als reine oder kombinierte Störung. Auch andere Grafiken wie die von Driscoll et al. [3] können helfen, primäre oder kombinierte Störungen des Säure-Basen-Haushalts zu diagnostizieren. Derartige grafische Präsentationen können bei manchen Blutgasgeräten (z. B. ABL 700 von Radiometer) zusätzlich zum zahlenmäßigen Befund ausgedruckt werden.
6.3.2 Anionenlücke
Eine Differenzierung der Ursachen metabolischer Azidosen ist durch Bestimmung der sog. Anionenlücke (»anion gap«, AG) möglich [8]. Die AG spiegelt dabei die nicht erfassten Anionen im Plasma wider und ist gleich der Differenz nicht gemessener Anionen minus nicht gemessener Kationen. Aus Gründen der Elektroneutralität ist die Gesamtkonzentration der Anionen in allen Flüssigkeitskompartimenten gleich der Gesamtkonzentration der Kationen: [Na+] + [nicht gemessene Kationen] = [Cl-] + [HCO3–] + [nicht bestimmte Anionen]
93 6.3 · Weitere Parameter
6
Daraus ergibt sich: AG = [Na+] − ([Cl-] +[ HCO3–]) [mmol/l] Die so berechnete AG ergibt sich als Differenz der Konzentrationen der nicht gemessenen Anionen (polyanionisches Albumin, Phosphate, Sulfate, Laktat, Acetacetat, ß-Hydroxybutyrat) und der nicht gemessenen Kationen (z. B. K+, Mg++, Ca++). Bei Gesunden ergibt sich so ein Wert von 3 bis 11 mmol/l [1]. In den meisten Blutgasanalysatoren, die mittels ionensensitiver Elektroden die Elektrolyte Na+, K+, Cl– und Ca++ messen, wird die AG auf Grundlage der oben aufgeführten Formel (also ohne K+ und Ca++!) berechnet und als Wert ausgegeben. z
Metabolische Azidose mit vergrößerter AG
Die Gründe sind entweder exogene Zuführung von fixen Säuren (Säureanion nicht Chlorid) oder vermehrter Anfall von Säuren im Stoffwechsel (Säureanion nicht Chlorid). Die Säurevalenzen der nicht-chloridhaltigen Säure werden durch HCO3– zu H2O und CO2 neutralisiert. Das CO2 wird über die Lunge abgeatmet. Die HCO3–-Konzentration im Blut nimmt ab und es bildet sich das Natriumsalz des nicht gemessenen Säureanions. Dadurch wird der Term (Cl– + HCO3–) in obiger Gleichung kleiner. Da die Na+-Konzentration unverändert bleibt, resultiert eine vergrößerte AG. z
Metabolische Azidose ohne vergrößerte AG
Meist werden exogen HCl oder Hydrochlorid-Verbindungen zugeführt, oder HCO3– geht verloren. Der Term (Cl– + HCO3–) der obigen Formel bleibt dennoch unverändert, da die Abnahme der HCO3–-Konzentration vom gleich großen Anstieg der Cl–-Konzentration kompensiert wird (hyperchlorämische metabolische Azidose). Eine normale AG findet sich daher entweder bei gastrointestinalen oder renalen HCO3–-Verlusten (z. B. renal-tubuläre Azidose oder Gabe von Carboanhydrasehemmern) bzw. bei Zufuhr von HCl oder NH4Cl. Eine stark erniedrigte Albuminkonzentration (Albumin ist bei pH 7,4 mehrfach negativ geladen) führt zu einer Verkleinerung der AG um ca. 2,5 mmol/l pro 1 g/dl Albumin-Abfall. Die AG verringert sich ebenfalls, wenn die Konzentration nichtgemessener Kationen steigt, wie dies z. B. beim Multiplen Myelom (Anfall von polykationischen monoklonalen Immunglobulinen) der Fall ist, oder bei einer ausgeprägten Hyperkalzämie.
94
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
ⓘ Hinweis Wenn Intensivmediziner in Zukunft ungemessene Anionen genauer nachweisen wollen, wäre die Messung von Mg++, Phosphat, Urat und Albumin mithilfe von Blutgasanalysatoren notwendig. Gemäß des Konzeptes der Strong Ion Gap (SIG) von Kellum et al. [5] kann die SIG bei manchen Sepsisund Leberinsuffizienzpatienten ansonsten unerkannt bleibende Anionen nachweisen.
6
6.3.3 Berechnete Parameter des Sauerstoffstatus z
Sauerstoffsättigung – sO2 und psO2
Die modernen Multiwellenlängen-CO-Oxymeter sind in der Lage, alle in einer Blutprobe vorhandenen Hb-Fraktionen (F) (O2Hb, HHb, MetHb, COHb und andere) zu erfassen und damit die tatsächliche Sättigung (»fraktionelle Sättigung«, sO2) zu berechnen; sO2 ist somit der Anteil des Oxyhämoglobins am Gesamthämoglobin. Davon zu unterscheiden ist die partielle Sättigung psO2. Sie wird auch »funktionelle Sättigung« genannt und bezeichnet nur den Anteil des Oxyhämoglobins am gesamten bindungsfähigen (!) Hb mit 2-wertigem HämEisen (O2Hb + HHb). Die psO2 wird falsch hoch gemessen, wenn – wie bei Rauchern häufig – erhöhte COHb- und/oder MetHb-Fraktionen vorliegen. Dieser Parameter wird von älteren Blutgasanalysatoren, aber auch von den meisten Pulsoxymetern ausgegeben, bei denen die transmissionsspektrometrische Messung nur mit 2 Wellenlängen erfolgen kann ( Kap. 14). ⓘ Hinweis Die dargestellten physiologischen Grundlagen sind zwar unstrittig, die Begriffe jedoch leider immer noch nicht einheitlich und daher für den Anwender oft verwirrend. Häufig wird nämlich die »fraktionelle Sättigung sO2«als »FO2Hb« bezeichnet, während die »partielle Sättigung psO2« »Sauerstoffsättigung sO2« genannt wird.
z
Maximale Sauerstoffbindungskapazität – BO2
Die maximale Sauerstoffbindungskapazität ist diejenige Sauerstoffmenge in Millilitern, die in einer Blutmenge von 1 dl maximal transportiert werden kann. Der Wert (angegeben in ml/dl) gibt also die gesamte Sauerstoffmenge
95 6.3 · Weitere Parameter
6
an, die an Hb gebunden ist. Die BO2 ist zur Bestimmung der Effektivität einer O2-Beatmung hilfreich. z
Sauerstoffkonzentration – cO2
Die Sauerstoffkonzentration cO2, auch »arterieller Gesamtsauerstoffgehalt« genannt, wird ebenso wie die sO2 zumeist mittels der CO-Oxymetrie bestimmt. Die O2-Konzentration in ml O2/dl Blut ist die Summe aus an Hb gebundenem und physikalisch in Blut gelöstem O2: cO2 = FO2Hb × cHb × 1,34 + 0,0031 × pO2 Dabei wird die Hüfner-Zahl in die Formel eingebracht, die angibt, welche Menge O2 von 1 g Hb in vivo maximal gebunden werden kann, nämlich 1,34 ml O2/g Hb. Der Löslichkeitskoeffizient für O2 beträgt 0,0031 ml O2/ dl Blut × mmHg. Alle Veränderungen des pO2, der Hb-Konzentration und des O2-Bindungsverhaltens werden durch die cO2 erfasst. Diese Kenngröße ist daher als globaler Oxygenierungsparameter zur Beurteilung der Sauerstoffversorgung eines Patienten unverzichtbar. Dies gilt jedoch nur in Zusammenschau mit dem Herzminutenvolumen (HMV), da das Sauerstoffangebot an den Körper (DO2) als Produkt der cO2 und des HMV definiert ist. z
Arteriovenöse Sauerstoffdifferenz – avDO2
Eine wichtige Kenngröße zur Beurteilung der peripheren Sauerstoffversorgung ist neben der cO2 auch die arteriovenöse Sauerstoffdifferenz (avDO2). Sie ergibt sich aus der Differenz der Sauerstoffkonzentrationen des arteriellen (cO2(a)) und des gemischtvenösen Blutes (cO2(v)), das mittels eines Pulmonaliskatheters (Swan-Ganz-Katheter) abgenommen werden kann. Eine erhöhte avDO2 ist ein Hinweis auf eine vermehrte O2-Ausschöpfung des Blutes und damit auf eine nicht ausreichende Sauerstoffversorgung der Organe. Dies kann auch durch einen Abfall des HMV bei ausreichendem cO2 geschehen. Bei der Versorgung kritisch erkrankter Patienten erfolgt die Beurteilung der Sauerstoffversorgung daher in der Regel über den venösen Sauerstoffgehalt cO2(v) bei konstanten cO2(a) und HMV. z
p50
Der p50 ist derjenige pO2-Wert in der sigmoiden Sauerstoffbindungskurve, bei dem eine 50%ige Sättigung des Blutes mit O2 (bei 37°C und einem pH-
96
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
Wert von 7,4) vorliegt. Der Halbsättigungsdruck gibt Aufschluss über die O2-Abgabe im peripheren Gewebe und wird von einigen Blutgasanalysatoren mit den Ergebnissen angegeben. Der p50-Wert kann auch aus dem pH, dem pO2 und dem sO2 errechnet werden. z
6
Sauerstoff-Partialdruck im alveolären Gasgemisch – pO2(A)
Der O2-Partialdruck im alveolaren Gasgemisch pO2(A) ist eine primäre Komponente der Gasaustauschindizes. Der Wert ist wichtig zur Berechnung der alveoloarteriellen Partialdruckdifferenz pO2(A–a) und des alveolararteriellen Oxygenierungsindex. Für den pO2(A) wird die sog. alveoläre Gasgleichung formuliert: pO2(A) = FiO2 (pB – pH2O) – (pCO2(A)/RQ) (vereinfachte Form) Dabei sind folgende Parameter zu definieren: FiO2 (pB−pH2O) = inspiratorischer O2-Partialdruck mit FiO2 = inspiratorische Sauerstofffraktion (bei Raumluft = 0,21), pB = Barometerdruck (wird von den Blutgasgeräten gemessen) und pH2O = Wasserdampfdruck (= 47 mmHg, 37°C); pCO2(A) alveolärer CO2-Partialdruck (unter physiologischen Bedingungen kann der pCO2(A) näherungsweise mit dem arteriellen pCO2(a) gleichgesetzt werden); RQ = respiratorischer Quotient = CO2-Abgabe/O2-Aufnahme pro Zeiteinheit (ernährungsabhängig, bei gemischter Ernährung kann man einen RQ von 0,85 annehmen). z
Alveoloarterielle Sauerstoff-Partialdruckdifferenz – pO2(A–a)
Die alveoloarterielle O2-Partialdruckdifferenz pO2(A–a) kann man mittels der alveolären Gasgleichung (s. oben) wie folgt berechnen: pO2(A–a) = pO2(A) – pO2(a) = FiO2 (pB – pH2O) – (pCO2(a)/RQ) – pO2(a) Die alveoloarterielle O2-Partialdruckdifferenz gibt einen Hinweis auf die Effizienz des Oxygenierungsprozesses in der Lunge und ist somit in der Intensivmedizin für die Beurteilung des pulmonalen Gasaustauschs wichtig. z
Respiratorischer Index – RI
Der respiratorische Index RI wird aus der alveoloarteriellen pO2-Differenz und dem pO2 im arteriellen Blut bei Patiententemperatur gebildet; er wird häufig anstelle der alveoloarteriellen O2-Druckdifferenz verwendet.
97 Literatur
6.4
6
Temperaturkorrektur und Präanalytik
6.4.1 Temperaturkorrektur der Blutgasanalyseergebnisse
Blutgasanalysatoren führen alle Messungen standardmäßig bei 37°C durch. Da die physikalische Löslichkeit von Gasen im Blut temperaturabhängig ist, werden empirisch ermittelte Korrekturformeln für Patiententemperaturen ungleich 37°C eingeführt, mit denen die Blutgaswerte auf die jeweilige Körpertemperatur bezogen werden können. Dabei sind O2 und CO2 unterschiedlich zu korrigieren. Beim CO2 ist zu beachten, dass der Löslichkeitskoeffizient αCO2 bei erniedrigter Temperatur zunimmt, d. h. das Gas besser gelöst wird. Da die CO2-Konzentration cCO2 in der Probe jedoch konstant bleibt, muss der pCO2 entsprechend abnehmen. Dies folgt aus dem Henry-Gesetz: cCO2 = αCO2 × pCO2 Beim O2 führt eine Hypothermie ebenfalls zu einer erhöhten Löslichkeit. Es kommt aber auch zu einer Zunahme der Affinität des Hb für O2 (Linksverschiebung der Bindungskurve) und dadurch zu einer signifikanten Abnahme des pO2. 6.4.2 Präanalytik
Hinweise zur Präanalytik finden sich in Kap. 4.
Literatur [1] Boemke W, Francis RC, Reinhardt HW. Blutgasanalyse und Säure-Basen-Haushalt. In: Rossaint R, Werner C, Zwissler B. Anästhesiologie. (2008) 2. Aufl., Springer Medizin Verlag Heidelberg, S 140–157 [2] Boemke W, Krebs MO, Rossaint R (2004) Blutgasanalyse. Anaesthesist 53: 471–492 [3] Driscoll P, Brown T, Gwinnutt C, Wardle T (1997) A simple guide to blood gas analysis. BMJ Publishing Group, London [4] Grohmann K, Roser M, Rolinski B et al. (2006) Bilirubin measurement for neonates: comparison of 9 frequently used methods. Pediatr 117: 1174–1183 [5] Kellum JA, Kramer DJ, Pinsky MR (1995) Strong ion gap: a methodology for exploring unexpected ions. J Crit Care;10: 51–55
98
6
Kapitel 6 · Blutgasanalytik
[6] Lang W, Zander R. The accuracy of calculated base excess in blood. Clin Chem Lab Med. 2002;40: 404–10 [7] Mielsch C, Zimmermann A, Wagner D, Matthes B, Schlebusch H, Luppa P (2010) Point-ofcare determination of neonatal bilirubin with the blood gas analyzer RapidLab 1265. Clin Chem Lab Med 48: 1455–61 [8] Mikulcik P (2005) Rapidanalyse – Blutgase und mehr, 2. Aufl. Bayer HealthCare, Fernwald [9] Müller-Plathe O (1987) A nomogram for the interpretation of acid-base data. J Clin Chem Clin Biochem 25: 795–798 [10] NCCLS (2001) Blood gas and pH analysis and related measurements; Approved Guideline. NCCLS document C46-A (ISBN 1-56238-444-9). NCCLS, Wayne, PA [11] Rolinsky B, Okorodudu AO, Kost G et al. (2005) Evaluation of total bilirubin determination in neonatal whole-blood samples by multiwavelength photometry on the ROCHE OMNI S point-of-care analyzer. Point of Care 4: 3–8 [12] Siggaard-Andersen O, Engel K, Jørgensen K, Astrup P (1960) A micro method for determination of pH, carbon dioxide tension, base excess and standard bicarbonate in capillary blood. Scand J Clin Lab Invest 12: 172–176 [13] Skurup A, Kristensen T, Wennecke G (2008) New creatinine sensor for point-of-care testing of creatinine meets the National Kidney Disease Education Program guidelines. Clin Chem Lab Med 46: 3–8 [14] Suen WW, Ridley B, Blakney G, Higgins TN (2003) Comparison of lactate, bilirubin and hemoglobin F concentrations obtained by ABL 700 series blood gas analyzers with laboratory methods. Clin Biochem 36: 103–107 [15] Thaler M, Luppa PB, Schlebusch H (2008) Die Bilirubinbestimmung – Eine aktuelle Übersicht. J Lab Med 32: 1–10 [16] Zander R (1995) Die klassische Blutgasanalyse (Säure-Basen-Status): Interpretation und Fehler. In: Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung (Hrsg) Refresher Course: Aktuelles Wissen für Anästhesisten. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 27–35
7 Blutgerinnungsanalytik M. Spannagl, D. Peetz
7.1
Einteilung hämostaseologischer POCT-Verfahren – 101
7.2
Stör- und Einflussgrößen – 105
7.3
Nutzen-Risiko- und Kosteneffektivität – 106
7.4
Vernetzung und »Back-up-Geräte« – 106
7.5
Qualitätsmanagement Literatur
– 107
– 108
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
100
7
Kapitel 7 · Blutgerinnungsanalytik
Global- und Spezialtests der plasmatischen Gerinnung werden in großer Zahl im klinischen Alltag eingesetzt. Dabei werden die Verlaufskontrolle der Therapie mit Antikoagulanzien und die Abklärung der Hämostasekapazität vor Operationen/Interventionen am meisten nachgefragt. Das kleine Blutbild erfasst nur die Anzahl der Thrombozyten im peripheren Blut. Defekte der primären Hämostase (Defekte der Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten bei Verletzungen) sind in der Routinediagnostik meist nicht oder nur eingeschränkt messbar. Die spezifische Abklärung plasmatischer oder thrombozytärer Gerinnungsstörungen wird überwiegend in Speziallaboratorien durchgeführt; die Ergebnisse liegen häufig erst nach einigen Tagen vor.. Dies liegt nicht primär an der Dauer dieser Analysen, sondern an logistischen Aspekten wie fehlenden oder wenig präzisen Terminvereinbarungen sowie der Tatsache, dass die spezialisierten Analysen zum Teil nur gesammelt erfolgen, z. B. einmal in der Woche. Wesentliche Argumente dafür sind Kosteneffektivität, aber auch eine bessere analytische Qualität der Messung größerer Probenserien unter kontrollierten Bedingungen. In den letzten Jahren kommen bei der Versorgung operativer und intensivmedizinischer Patienten gerade in der Gerinnungsdiagnostik vermehrt komplexe Analyseverfahren zum Einsatz, die patientennah mit antikoaguliertem, teils auch mit unbehandeltem Vollblut durchgeführt werden können. Zum Monitoring des unfraktionierten Heparins werden POC-Tests im Katheterlabor, auf Intensivstationen und in Dialyseeinheiten seit Langem angewandt. Der entscheidende Vorteil der Analyse am Patienten ist die schnelle Verfügbarkeit der Ergebnisse mit der Möglichkeit einer zielgerichteten therapeutischen Intervention [2]. So ist etwa bei extrakorporalen Therapieverfahren die zeitnahe Anpassung der Antikoagulanziendosis zwingend erforderlich. Auch zur Indikationsstellung und Steuerung einer Therapie mit prokoagulatorischen Medikamenten, Antifibrinolytika und Blutprodukten werden Gerinnungstests patientennah durchgeführt [1]. Die hämostaseologischen POCT-Methoden umfassen einfach zu handhabende Tests zum bereits erwähnten Antikoagulanzienmonitoring und zur Beurteilung der plasmatischen Gerinnung, aber auch komplexere, beispielsweise viskoelastische Analyseverfahren zur gleichzeitigen Messung der plasmatischen und zellulären Hämostase sowie Messsysteme zur Durchführung von Thrombozytenfunktionstests [3].
101 7.1 · Einteilung hämostaseologischer POCT-Verfahren
7
Die heute verfügbaren Verfahren zur POCT-Gerinnungsdiagnostik können zwar nicht alle, aber doch viele Prozesse der Hämostase in vitro erfassen. Die verschiedenen Reaktionsabläufe der Hämostase werden jedoch unterschiedlich gewichtet und durch die einzelnen POCT-Methoden nicht unbedingt in ihrer physiologischen Balance abgebildet. Letztendlich sind für alle Methoden des Gerinnselnachweises im Vollblut artifizielle Komponenten in den Testsystemen erforderlich. Zur Interpretation der Befunde ist daher die geschulte Kenntnis der Reaktionsbedingungen, der Einfluss- und Störfaktoren, und schließlich eine gewisse klinische und analytische Erfahrung erforderlich.
7.1
Einteilung hämostaseologischer POCT-Verfahren
Inhaltlich lassen sich die verfügbaren Methoden folgendermaßen einteilen: ▬ Analyse der plasmatischen Gerinnung, ▬ kombinierte Erfassung der plasmatischen Gerinnung, der Thrombozytenfunktion und der Fibrinolyse (viskoelastische Methoden) sowie ▬ Analyse der Thrombozytenfunktion.
Analyse der plasmatischen Gerinnung ▬ »Activated clotting time« (ACT; verschiedene Hersteller) ▬ Heparinmanagementsystem (Protamintitration; Medtronic) ▬ POCT-Systeme für die Thromboplastinzeit (TPZ; Quick-Wert; INR) und die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (»activated partial thromboplastin time«, aPTT) (verschiedene Hersteller)
In diesen Testsystemen wird die Gerinnung mittels Thromboplastinen (für die TPZ-Messung) bzw. Kontaktaktivatoren (für die aPTT- und die ACTMessung) getriggert. Die Detektion des Beginns der Gerinnungszeit erfolgt dabei direkt oder indirekt über die Gelierung der Probe oder mittels fluorogener bzw. elektrochemischer Substrate. Es besteht die Möglichkeit der Integration von Gerinnungsmessungen in multifunktionelle POCT-Systeme (z. B. i-STAT, Abbott).
102
Kapitel 7 · Blutgerinnungsanalytik
Kombinierte Erfassung der plasmatischen Gerinnung, der Thrombozytenfunktion und der Fibrinolyse (viskoelastische Methoden) ▬ Rotationsthrombelastographie (System ROTEM, Pentapharm) [8] ▬ Thrombelastographie (TEG; Haemoscope, USA) [5] ▬ Sonoclot (Sienco, USA) [7]
7
Mittels der sog. viskoelastischen Methoden wird die Gerinnselfestigkeit kontinuierlich aufgezeichnet. Dies erlaubt die funktionelle Beurteilung der plasmatischen Gerinnung, der Fibrinolyse und der Gerinnselfestigkeit. In Letzteres gehen der Fibrinogenspiegel sowie die Eigenschaften der Fibrinpolymerisation und der Thrombozytenfunktion ein (siehe ⊡ Abb. 7.1 und ⊡ Abb. 7.2). Noch vor wenigen Jahren wurden v. a. nichtaktivierte Gerinnselbildungsmessungen in Form der Globaltests durchgeführt, was zu einer erhöhten Variabilität, einer geringen Spezifität sowie langen Messzeiten führte. Heute werden in der Regel spezifisch aktivierte Messungen verwendet, die gezielt unterschiedliche Aspekte der Hämostase abbilden.
Analyse der Thrombozytenfunktion [4, 10] ▬ PFA-100 (Siemens Healthcare Diagnostics) ▬ Vollblutaggregation (Multiplate, Dynabyte) ▬ Verifynow (Accumetrics, USA)
Systeme zur Analyse der Thrombozytenfunktion werden zunehmend am POC angewandt. Der wachsende Einsatz von plättchenhemmenden Medikationen hat zu einem steigenden Interesse an der patientennahen Thrombozytendiagnostik geführt. Die Vollblutaggregation sowie das VerifynowVerfahren untersuchen dabei die Thrombozytenfunktion unter niedrigen Scherbelastungen nach spezifischer Stimulation der Plättchen durch Arachidonsäure, ADP oder TRAP-6 (»thrombin receptor activating peptide 6«). Im PFA-100-System wird die primäre Hämostase unter hohen Scherbelastungen bei gleichzeitiger Stimulation mit Kollagen/Epinephrin oder Kollagen/ADP
7
103 7.1 · Einteilung hämostaseologischer POCT-Verfahren
Aktivierung Gerinnungskaskade Thrombinbildung
Trübung/Festigkeit
Fibrin fällt aus
Trübung
Sensor
Polymerisation Quervernetzung Fibrin-ThrombozytenInteraktion
Festigkeit
Probe
Zeit ⊡ Abb. 7.1 Aufzeichnung der Gerinnselfestigkeit im Vollblutaggregator
Festigkeit
Zeit
Gerinnselbildung
Gerinnungsaktivierung
Fibrinolyse
⊡ Abb. 7.2 Thrombelastogramm
104
Kapitel 7 · Blutgerinnungsanalytik
untersucht. Das System benötigt keine Reagenzienzugabe; die Durchführung ist dennoch komplexer als die der »echten« POC-Methoden (Präanalytik, Aufbewahrung der Messzelle bei Raumtemperatur für einige Minuten, Plausibilitätskontrolle), sodass es hier in die Gruppe der Geräte mit höheren Bedienungsanforderungen eingeteilt wird [6]. Hinsichtlich der Durchführung kann man »echte« POCT-Methoden von »POCT-tauglichen« Methoden unterscheiden. Dabei handelt es sich um Messverfahren, die ohne Probenvorbereitung mittels Einzelmessung patientennah ohne großen Schulungsaufwand durchgeführt werden können.
7
Einteilung einiger POCT-Gerinnungsverfahren nach ihrem Schwierigkeitsgrad ▬ »echte« POCT-Methoden: – ACT – Heparinmanagementsystem (Protamintitration) – POCT-Systeme für TPZ/aPTT – »rapid platelet function analysis« (RPFA) ▬ POCT-taugliche Methoden (mit zunehmendem Komplexitätsgrad): – PFA-100 – Rotationsthrombelastographie (ROTEM) – Thrombelastographie (TEG) – Sonoclot
Echte POCT-Methoden sind von der Einfachheit der Durchführung her mit einer Blutgasanalyse oder Glukosemessung vergleichbar. Dagegen erfordern POCT-taugliche Methoden mehr Aufwand und Geschick vom Untersucher, dementsprechend auch mehr Training und Motivation. In der Regel sind eine Probenabarbeitung und ein spezifischer Umgang mit Reagenzien erforderlich. Um eine 24-stündige Verfügbarkeit zu gewährleisten, ist ein größerer logistischer und personeller Aufwand notwendig als bei echten POCT-Methoden. Daher wird die Diagnostik vielerorts gemeinsam von Mitarbeitern des Zentrallabors oder z. B. von der Anästhesiologie übernommen. Nähere Einzelheiten zu klinischen Anwendungen der POCT-Gerinnungsuntersuchungen finden sich im Kap. 16.
105 7.2 · Stör- und Einflussgrößen
7.2
7
Stör- und Einflussgrößen
Bei der Blutgerinnungsdiagnostik mittels POCT-Methoden sind mehrere Stör- und Einflussgrößen vonseiten der Probe und der Bedienung zu bedenken. Verschiedene Instrumente können dabei – je nach Detektionsverfahren – unterschiedlich stark auf Variationen des Hämatokrits (HK) und der Thrombozytenzahl, auf den Kolloideinfluss sowie auf die Bildung von Mikroaggregaten in der Zirkulation reagieren. Hinzu kommt, dass die patientennahen Verfahren häufig bei schwerkranken Patienten (Schockraum, Intensivstation) eingesetzt werden, bei denen deutliche Veränderungen der Verhältnisse zwischen Plasma und zellulären Blutbestandteilen sowie Medikamenteneinwirkungen zu erwarten sind (⊡ Abb. 7.3). Auch sind die Einflüsse von speziellen Stoffwechselbedingungen (z. B. Azidose) und von Umgebungsbedingungen (z. B. Hypothermie) auf die Hämostasediagnostik häufig nicht systematisch geklärt. Ungünstige Blutabnahmebedingungen sowie die Blutentnahme aus Kathetern sind weitere Störfaktoren. Vollblutmethoden sind durch die fehlende oder nur geringe Menge der Reagenzienzu-
Vollbluttest:
Globaltest:
Einzelfaktor:
Einzelfaktor:
TEG
aPTT
“Clotting”
Chromogen
Reagenz 2/3
Reagenz 2/3
Reagenz 99/100
Reagenz 1/6
Mangelplasma
Blut 5/6
Plasma 1/3
Plasma 1/15
Plasma 1/100
⊡ Abb. 7.3 Verhältnis von Plasma zu zellulären Blutbestandteilen bei verschiedenen hämostaselologischen Analysen. aPTT aktivierte partielle Thromboplastinzeit; TEG Thrombelastographie
106
Kapitel 7 · Blutgerinnungsanalytik
gabe empfindlich für Stör- und Einflussfaktoren aus der Probenmatrix. Man sollte die POCT-Methoden deshalb für die Hämostasediagnostik im jeweiligen klinischen Umfeld (z. B. Herzoperationssaal, Intensivstation) eingehend evalulieren, bevor man beginnt, klinische Konsequenzen aus den ermittelten Werten abzuleiten.
7.3
7
Nutzen-Risiko- und Kosteneffektivität
Nutzen und Risiken der POCT-Verfahren werden entscheidend von der Dringlichkeit der Analyse, den Reaktionszeiten unter den jeweiligen VorOrt-Bedingungen, den verfügbaren personellen und logistischen Ressourcen sowie dem zu erwartenden Spektrum der Gerinnungsveränderungen (besondere Patientenkollektive) geprägt. Sinnvoll ist die POCT-Diagnostik trotz der meist höheren Kosten, wenn sie eine bessere Prozessqualität des Hämostasemanagements zur Folge hat (z. B. Zeitvorteil, individuelle Steuerung der Antikoagulanziendosierung, zielgerichtetes Hämostasemanagement statt einer polypragmatischen Anwendung verschiedener therapeutischer Optionen). Die Gerinnungsmesssysteme zum POCT-Einsatz sind sehr unterschiedlich konzipiert. Der ursprüngliche Ansatz der einfachen Messung einer Probe ohne besondere Vorbereitung (ACT) wird für die komplexen Verfahren zur Erfassung der primären Hämostase oder zur Messung der Thrombuselastizität nicht erfüllt. Hier werden mehrere Messkanäle vorgehalten; teilweise ist die manuelle Zugabe von Reagenzien erforderlich. Ein patientennaher Einsatz dieser Verfahren ist häufig dennoch sinnvoll, besonders unter intensivmedizinischen bzw. perioperativen Bedingungen, da dadurch eine zielgerichtete rasche Behandlung erfolgen kann.
7.4
Vernetzung und »Back-up-Geräte«
Einige POCT-Verfahren bieten die Möglichkeit der Anbindung an das Krankenhausinformationssystem. Eine solche Anbindung erscheint jedoch nur dann sinnvoll, wenn das POCT-Verfahren Werte liefert, die direkt mit der Labormethode vergleichbar sind. Ansonsten ist die Gefahr von Fehlinterpretationen bezüglich der Wirkung therapeutischer Maßnahmen oder des klinischen Verlaufs relativ groß.
107 7.5 · Qualitätsmanagement
7
Wenn man berücksichtigt, dass unterschiedliche aPTT-Reagenzien stark variierende Ergebnisse liefern, selbst wenn sie auf dem gleichen Instrument für die aPTT-Bestimmung eingesetzt werden, ist es nicht verwunderlich, dass POCT- und Zentrallabor-Analysen meist unterschiedliche Ergebnisse ausgeben. Für die Praxis ist deshalb eine separate Dokumentation unterschiedlicher Methoden zur Bestimmung der aPTT unabdingbar. Gerade für das Antikoagulanzienmonitoring sind die Variationen zwischen verschiedenen Tests (ACT-Verfahren, aPTT, amidolytische Heparin-Bestimmungsverfahren) besonders stark ausgeprägt.
7.5
Qualitätsmanagement
Die interne Qualitätskontrolle von POCT-Methoden in der Gerinnung [9] ist dadurch erschwert, dass das Probenmaterial dieser Verfahren (Vollblut) nur über eine kurze Zeitspanne stabil ist. Die Lyophilisation der Probe führt zur Lyse der Blutzellen. Andere Verfahren zur Stabilisierung von Blut oder blutähnlichen Flüssigkeiten (wie bei Kontrollen für die Hämatologie angewandt) scheitern an der mangelnden Stabilität der Gerinnungsproteine und der Thrombozyten in wässriger Lösung. Verfügbare Kontrollmaterialien bestehen deshalb meist aus lyophilisiertem Plasma. Diese Kontrollen sind bei Instrumenten zur Erfassung der plasmatischen Gerinnung und bei den viskoelastischen Verfahren anwendbar. Für einige Systeme werden artifizielle Kontrollflüssigkeiten verwendet (Verifynow, Multiplate), für andere wiederum (z. B. PFA-100) ist kein Kontrollmaterial verfügbar; hier bleibt nur eine Plausibilitätskontrolle durch Messungen an Patienten und Gesunden. Ähnliche Probleme existieren auch an anderer Stelle: So ist für das POCT eine regelmäßige Kalibrierung der Parameter gar nicht durchführbar. Der Hersteller strebt deshalb eine stabile Kalibrierung der Chargen an. Für die jeweilige Charge werden dabei Umrechnungsfaktoren festgelegt, mit denen auf allen Instrumenten die ermittelte Messgröße (z. B. Gerinnungszeit) in das Messergebnis (z. B. INR) umgerechnet wird. Die von der RiliBÄK ( Kap. 31) vorgeschriebene Teilnahme an Ringversuchen für quantitative Analysen ist bei den POCT-Verfahren in der Hämostaseologie aufgrund der schwierigen Matrix problematisch. Die Ringversuchsorganisationen bieten jedoch teilweise Kontrollmaterial z. B. für INR
108
Kapitel 7 · Blutgerinnungsanalytik
und ACT an. Es sind allerdings auch dafür nicht alle auf dem Markt befindlichen Geräte geeignet. Bei POCT-Methoden, zu denen analoge Verfahren im Zentrallabor verfügbar sind (aPTT, TPZ), kann die externe Kontrolle indirekt durch die vergleichende Untersuchung auf dem POCT-System und im Labor, das der externen Qualitätskontrolle unterliegt, erfolgen (»Split-sample-Technik«).
Literatur
7
[1] Avidan MS, Alcock El, Da Fonseca JH et al. (2004). Comparison of structured use of routine laboratory tests or near-patient assessment with clinical judgement in the management of bleeding after cardiac surgery. Br J Anaesth 92: 178–186 [2] Boldt J, Walz G, Triem J, Suttner S, Kumle B (1998) Point-of-care (POC) measurement of coagulation after cardiac surgery. Intensive Care Med 24: 1187–1193 [3] Calatzis A, Heesen M, Spannagl M (2003) Patientennahe Sofortdiagnostik von Hämostaseveränderungen in der Anästhesie und Intensivmedizin. Anaesthesist 52: 229–237 [4] Gibbs NM (2009) Point-of-care assessment of antiplatelet agents in the perioperative period: a review. Anaesth Intensive Care 37: 354–69 [5] Hartert H (1948) Blutgerinnungsstudien mit der Thrombelastographie, einem neuen. Untersuchungsverfahren. Klin Wschr 26: 577–583 [6] Haubelt H, Anders C, Vogt A, Hoerdt P, Seyfert UT, Hellstern P (2005) Variables influencing Platelet Function Analyzer-100 closure times in healthy individuals. Br J Haematol 130: 759–767 [7] Hett DA, Walker D, Pilkington SN, Smith DC (1995) Sonoclot analysis. Br J Anaesth 75: 771–776 [8] Luddington RJ (2005) Thromboelastography. Clin Lab Haematol 27: 81–90 [9] Spannagl M, Dick A, Junker R (2010). Qualitätssicherung bei POCT-Methoden in der Hämostaseologie. Hämostaseologie 30;2: 82–90 [10] Todt O, Calatzis A, Pen z S, Losonczy H, Siess W (2006) Multiple electrode aggregometry: a new device to measure platelet aggregation in whole blood. Thromb Haemost 96: 781–788
8 Hämatologie R. Junker
8.1
Einleitung
8.2
Gerätetechnik und Methoden – 110
8.3
Einsatzgebiete und Indikationen – 115 Literatur
– 110
– 117
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
8
110
Kapitel 8 · Hämatologie
8.1
Einleitung
Hämatologische Untersuchungen mittels POCT reichen von der singulären Messung des Hämatokrit (HK) oder des Hämoglobins (Hb) bis zum kompletten Blutbild. Unter dem Begriff »Blutbild« wird i. A. die Zählung der Erythrozyten, der Leukozyten (einschließlich der Verteilung von Granulozyten, Lymphozyten und Monozyten) sowie der Thrombozyten zusammengefasst. Hinzu kommt die Bestimmung von HK und Hb, aber auch die Angabe von Zelleigenschaften, z. B. der Erythrozytenindizes – mittleres korpuskuläres Volumen (»mean corpuscular volume«, MCV), mittleres korpuskuläres Hb (»mean corpuscular hemoglobin«, MCH) und mittlere korpuskuläre HbKonzentration (»mean corpuscular hemoglobin concentration«, MCHC) – und weiteren Informationen wie beispielsweise Größenverteilungskurven oder Reifungsstadien einzelner Zellreihen. Die alleinige HK- und Hb-Messung ist als Bestandteil der Blutgasanalytik (BGA) fest etablierter Bestandteil der POCT-Diagnostik in Bereichen wie der Intensivstation oder dem Operationssaal. Die Bestimmung des Blutbilds ohne oder mit Differenzierung der Leukozyten (kleines bzw. großes Blutbild) ist überwiegend Aufgabe der Zentrallaboratorien von Krankenhäusern oder labormedizinischer Arztpraxen. Die Notwendigkeit einer POCT-Diagnostik ist hier nur in wenigen Situationen offensichtlich.
8.2
Gerätetechnik und Methoden
Prinzipiell sind 3 Gerätekategorien für hämatologisches POCT zu unterscheiden: ▬ vollwertige Automaten zur Blutbildbestimmung, die eine Miniaturisierung konventioneller Laborautomaten darstellen und über ein entsprechendes messtechnisches Spektrum verfügen, ▬ Geräte, an denen die HK- und Hb-Bestimmung parallel zu anderen Messungen durchgeführt wird, z. B. Geräte für die BGA, und ▬ Geräte zur Bestimmung einzelner hämatologischer Parameter, z. B. des Hb oder des HK. Das benötigte Probenvolumen liegt abhängig vom verwendeten Gerätesystem bei wenigen Mikrolitern bis zu 200 μl; die Messzeit beträgt meist wenige
111 8.2 · Gerätetechnik und Methoden
8
Sekunden. Die Messergebnisse werden bei allen nachfolgend erwähnten Geräten gespeichert, ggf. ausgedruckt oder über Standardschnittstellen an ein bestehendes EDV-System übertragen (POCT-Netzwerk, Labor- oder Krankenhaus-EDV).
8.2.1 Blutbildautomaten
Systeme, die eine Zellzählung ermöglichen, unterscheiden sich im Wesentlichen in ihrem Miniaturisierungsgrad von Standardsystemen, verwenden aber deren Technologie. Entsprechende Geräte werden von verschiedenen Herstellern angeboten; sie unterscheiden sich in der Art der Zellzählung und der Differenzierung sowie in Details der Handhabung und dem Automatisierungsgrad. Die Qualität der POCT-Systeme ist für klinische Fragestellungen ausreichend und wurde in mehreren Studien überprüft [3, 5, 16, 19, 21]. Als Beispiel dieses Gerätetyps zeigt ⊡ Abb. 8.1 das pocH-100i-Gerät der Firma Sysmex.
⊡ Abb. 8.1 PocH 100i der Firma Sysmex. Mit freundlicher Genehmigung der Sysmex Deutschland GmbH, Norderstedt
112
8
Kapitel 8 · Hämatologie
Erythrozyten und Thrombozyten werden in der Regel mittels einer Widerstands- (Impedanz-)Messmethode detektiert. Das Messprinzip beruht darauf, dass Zellbestandteile im Vergleich zu Plasma weniger leitfähig sind. Die Zellen werden in einem Flüssigkeitsstrom (»hydrodynamische Fokussierung«; ⊡ Abb. 8.2) durch eine Messkammer geleitet, an der sich beiderseits Elektroden befinden und an der eine elektrische Spannung anliegt. In der Messkammer kann mittels hydrodynamischer Fokussierung die Ausrichtung der Zellen optimiert werden. Bei Durchtritt einer Zelle durch die Messkammer kommt es aufgrund ihrer schlechteren Leitfähigkeit zu einer Erhöhung des Widerstands – die Zelle wird detektiert. Zielgröße ist die Messung von Partikeln pro Zeit bzw. pro Volumen. Andere Methoden zur Bestimmung der Thrombozytenzahl basieren auf der Streuung von Licht an der Zelloberfläche, die für bestimmte Zelltypen charakteristisch ist. Die direkte Bestimmung des Hb erfolgt in der Regel photometrisch. Bei der Zyanmethämoglobinmethode wird durch Kaliumhexazyanoferrat Hb zu MetHb (Hämiglobin) oxidiert. Kaliumzyanid wandelt dieses wiederum in Hämiglobinzyanid um, das bei 540 nm ein Absorptionsmaximum hat. Die Absorption bei 540 nm ist proportional zur Hb-Konzentration ( Kap. 6). Leukozyten werden nach Lyse der Erythrozyten meist ebenfalls per Widerstandsmessung im Flüssigkeitsstrom detektiert und anhand der Impulsgröße identifiziert. Ergänzt werden die messtechnischen Möglich-
Mantelstrom
Zellsuspension
Hüllstromküvette ⊡ Abb. 8.2 Prinzip der hydrodynamischen Fokussierung
113 8.2 · Gerätetechnik und Methoden
8
keiten durch Konduktivitätsmethoden und Laserlichtstreuung, um Oberflächen- und intrazelluläre Bestandteile zu identifizieren. Die Unterteilung der Leukozyten erfolgt je nach Messmethode in Lymphozyten, Monozyten und Granulozyten oder auch in Lymphozyten, neutrophile Granulozyten und eine Gruppe aus Monozyten sowie eosinophilen und basophilen Granulozyten. In der Regel handelt es sich bei derartigen Hämatologieautomaten nicht um »Unit-use-Systeme«, sodass die Qualitätskontrolle wie bei einem konventionellen Laborgerät zu erfolgen hat. Das benötigte Probenvolumen liegt unabhängig vom verwendeten Gerätesystem bei wenigen Mikrolitern. Über verschiedene Adapter ist die Verwendung unterschiedlicher Probengefäße möglich, ggf. auch von Kapillaren. Die Geräte verfügen über ein eigenes Display; sie speichern Mess- und Histogrammdaten.
8.2.2 Blutgasanalysatoren
In BGA-Geräten kommt häufig eine Konduktivitätsmethode als Messprinzip zur Bestimmung des HK zum Einsatz. Anhand der gemessenen Leitfähigkeit einer Kalibrierungslösung mit bekannter Elektrolytkonzentration und der gemessenen Elektrolytkonzentration sowie der Leitfähigkeit der Probe wird das Volumen der nichtleitenden Blutbestandteile berechnet. Die Qualität der Methode ist für normale Hb-Konzentrationen akzeptabel. Da neben Elektrolyten auch Proteine und andere Plasmabestandteile zur Leitfähigkeit beitragen, können entsprechende Verschiebungen jedoch zu falschen (überhöhten) oder falsch-niedrig gemessenen HK-Werten führen. Dies ist z. B. bei stark verdünnten Proben der Fall, etwa im Operationsbereich, wenn die Proteinkonzentration sehr niedrig ist, oder nach Transfusion autologer Blutpräparate. Auch hohe Elektrolytkonzentrationen (Na+, K+) können zu falsch-niedrigen Messwerten führen. Die Eingabe eines Korrekturfaktors ist vielfach möglich, ein vollständiger Ausgleich von Abweichungen wird jedoch nicht immer erreicht [16]. An einigen Systemen wird die parallel gemessene Elektrolytkonzentration direkt als Korrekturfaktor berücksichtigt. Die Hb-Konzentration kann anhand des Absorptionsmusters bei mehreren Wellenlängen auch photometrisch bestimmt werden. Eine weitergehende Diagnostik (z. B. Zellmorphologie und Erythrozytenindizes) ist nicht möglich.
114
Kapitel 8 · Hämatologie
Die analytische Qualität der verschiedenen Systeme und die Korrelation der Ergebnisse mit Standardmethoden sind gut, wie in verschiedenen Studien, auch bei pädiatrischen Patienten, nachgewiesen wurde [10, 11]. Wenn über die hämatologischen Untersuchungen hinaus zusätzliche Analysen durchgeführt werden, also z. B. eine vollständige BGA, sind bei einigen Systemen Probenvolumina von bis zu 200 μl erforderlich, was zu Problemen bei der kapillären Blutentnahme führen kann. Meist reichen aber wenige Mikroliter Vollblut aus.
8.2.3 Einzelanalysen
8
Ein weitverbreitetes System zur ausschließlichen Hb-Messung wird von der Firma HemoCue angeboten, bei dem eine modifizierte nasschemische Azidmethämoglobinmethode zum Einsatz kommt. Die Messung erfolgt innerhalb von bis zu 60 s in Einzelküvetten, die mit Natriumdeoxycholat beschichtet sind, um die Erythrozyten zu lysieren. Außerdem befinden sich in der Küvette Natriumnitrit zur Umwandlung von Hb in Hemiglobin und Natriumazid für die abschließende Farbstoffreaktion (Messung bei 565 und 880 nm, Letzteres für die Trübungskorrektur). Das benötigte Probenvolumen liegt bei wenigen Mikrolitern. Die Methode hat in zahlreichen Vergleichsstudien gute Ergebnisse geliefert [10, 14, 16]. Auch andere Geräte, die dieses Verfahren nutzen oder Hb im Vollblut photometrisch messen, führen im Vergleich mit Standardmethoden zu guten Resultaten. Der Einsatz von Hb-Messgeräten hat sich in der Praxis bewährt [3, 8]. Seit kurzer Zeit ist, ebenfalls von der Firma HemoCue, ein Messgerät zur alleinigen Bestimmung der Leukozytenzahl erhältlich (HemoCue WBC). Dabei werden die Erythrozyten lysiert und die verbleibenden Leukozyten mittels eines Bilderkennungssystems von den Thrombozyten abgegrenzt und gezählt [17]. Eine 2011 vorgestellte Weiterentwicklung (HemoCue WBC DIFF) liefert neben der Gesamtleukozytenzahl auch ein Differenzialblutbild, aufgeschlüsselt nach Lymphozyten, Neutrophilen, Monozyten, Basophilen und Eosinophilen. Es werden 10 μl Blut in eine Mikroküvette aufgesaugt; nach Lyse der Erythrozyten und Anfärbung der Leukozyten werden die Zellen im Gerät mittels einer Kamera identifiziert und klassifiziert. Das Ergebnis liegt innerhalb von 5 min vor. Ein eingebauter Selbsttest kontrolliert die Funktionsfähigkeit des Geräts.
115 8.3 · Einsatzgebiete und Indikationen
8
Ein anderes Prinzip verwendet das System des Herstellers QBC , bei dem die verschiedenen Zellfraktionen (Erythrozyten, Leukozyten mit einfacher Differenzierung, Thrombozyten) in einem Mikrohämatokrit-Röhrchen mittels Zentrifugation voneinander getrennt und elektrooptisch ausgewertet werden. Nach Herstellerangaben besteht eine gute Korrelation zu Standardverfahren der Hämatologie [13, 18].
8.3
Einsatzgebiete und Indikationen
Prinzipiell sind bei hämatologischen Untersuchungen 2 Gründe für den POCT-Einsatz denkbar: ▬ Notfälle, bei denen ein unmittelbar verfügbares Messergebnis zu einer sofortigen medizinischen Entscheidung führt, und ▬ die Verbesserung organisatorischer Abläufe, woraus sich sekundär Vorteile für die Patientenversorgung ergeben können. Die Analysezeit beträgt bei allen Systemen nur Sekunden bis wenige Minuten, sodass der Einsatz auch für Notfallanalysen gerechtfertigt ist. Anders als in anderen Laborbereichen, wo beim POCT-Einsatz die Präanalytik zusätzlich durch den Wegfall der Zentrifugation verkürzt wird, fällt die Zeitersparnis hier jedoch geringer aus. Potenzielle Einsatzgebiete sind Klinikambulanzen, Operationsbereiche, Intensivstationen, Kinderkliniken und gelegentlich auch Arztpraxen [9]. Die Leitlinien des British Committee for Standards in Haematology (BCSH) können bei der Einführung von Hämatologieverfahren am POC nützlich sein [4].
8.3.1 Klinik
Der Einsatz von POCT-Systemen für hämatologische Untersuchungen kann im Krankenhausbereich dabei helfen, die Effizienz der Krankenversorgung zu erhöhen und Kosten zu reduzieren [1, 10]. Die Zeitersparnis bei der POCT-Bestimmung ist v. a. dann von Bedeutung, wenn es bei akutem Blutverlust um die Frage des Transfusionsbedarfs geht. Die Hb-Bestimmung im Operationsbereich oder in der Notaufnahme betrifft daher insbesondere stark blutende Patienten.
116
Kapitel 8 · Hämatologie
ⓘ Hinweis Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der Hb-Wert in den ersten 30 min nach Beginn einer Blutung noch unverändert sein kann, da der Volumenmangel erst in den folgenden bis zu 36 h durch Flüssigkeit ausgeglichen wird, was dann zu einem messbaren Hb-Abfall führt.
8
Für die Bestimmung der Leukozytenzahl oder deren Differenzierung ist dagegen in der Regel kein POCT-Einsatz erforderlich [12]. In der Pädiatrie, z. B. bei Bauchschmerz oder Fieber unklarer Genese, ist die Leukozytenzahl gelegentlich hilfreich, möglichst mit einer einfachen Differenzierung [3, 8, 9]. Ob der POCT-Einsatz dabei unabdingbar ist, ist fraglich, da Entscheidungen, die sich aus den Ergebnissen ableiten, meist nicht zeitkritisch sind oder auf den Ergebnissen anderer Untersuchungen beruhen, z. B. auf Akute-PhaseParametern wie dem CRP. Gerade in der intensivmedizinischen Betreuung von Neugeborenen und Kindern sind zudem an Hämatologieautomaten besondere Anforderungen zu stellen, weil im Gefäßbett dieser Patienten vielfach noch Vorläuferzellen zirkulieren, deren Zuordnung schwierig ist. Auch sind beim genannten Personenkreis Erythrozyten oftmals schwieriger zu lysieren, womit die Analytik der Leukozyten gestört ist. Hämatologische Untersuchungen können daher zu Fehlbestimmungen führen. Für die Interpretation sind besondere Fachkenntnisse erforderlich, was eine POCTDiagnostik eher infrage stellt, denn POCT wird in der Regel von Personal durchführt, das keine Erfahrungen im Bereich der Labordiagnostik hat. Die Bedeutung der POCT-Bestimmung der Thrombozytenzahl in Zusammenhang mit Gerinnungsuntersuchungen für die Abschätzung des Transfusionsbedarfs wurde bereits gezeigt [6, 7], ebenso ihr Stellenwert in der Verlaufskontrolle bei Verbrauchskoagulopathie und disseminierter intravasaler Gerinnung, sofern die »turn-around time« (TAT) des Zentrallabors für zeitnahe Entscheidungen nicht ausreichend ist. Ein Vorteil liegt im kleinen Probenvolumen: Studien zeigten, dass der Transfusionsbedarf im Bereich der intensivmedizinischen Neugeborenenversorgung sinken kann [2, 22].
8.3.2 Arztpraxis
In Arztpraxen und Ambulanzen außerhalb der Notfallversorgung ist der Einsatz von POCT-Einheiten zur Bestimmung hämatologischer Parameter
117 Literatur
8
nur bei wenigen Indikationen sinnvoll. Hierzu gehören z. B. onkologische Praxen, in denen die aktuelle Therapieentscheidung vom Blutbild abhängen kann (Hb, Leukozyten, Thrombozyten). Der Einsatz wird allerdings dadurch limitiert, dass gerade hier Leukozyten aufgrund der Erkrankung oder einer Therapie morphologisch stark verändert sein können und deshalb vom Gerät nicht immer exakt erfasst werden [9]. Für das Screening auf das Vorliegen einer Anämie reicht in der Regel die Hb-Bestimmung, die aber unter dieser Fragestellung nicht zeitkritisch ist. Angesichts der Tatsache, dass die Kosten für eine Hb-Bestimmung mittels POCT in der Regel höher sind als die Kosten für die vollständige Blutbildbestimmung in einem Großlabor, sind die Vorteile eines Hb-Screenings in der Praxis fraglich. In Regionen, in denen Laboratorien – anders als in den meisten Gebieten Europas – schwer zu erreichen sind, mag der Einsatz gerechtfertigt sein. Für einige Gebiete wurde der erfolgreiche Einsatz von POCT für die Hb-Bestimmung im Rahmen der Anämiediagnostik in der Landbevölkerung bereits nachgewiesen [15, 16, 20].
Literatur [1] Agarwal R, Heinz T (2001) Bedside hemoglobinometry in hemodialysis patients: lessons from point-of-care testing. ASAIO J 47: 240–243 [2] Alex CP, Manto JC, Garland JS (1998) Clinical utility of a bedside blood analyzer for measuring blood chemistry values in neonates. J Perinatol 18: 45–48 [3] Benjamin JT, Baisden CR (2002) Advances in the physician office laboratory. In: Kost GJ (ed) Principles and practice of point-of-care Testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 391–406 [4] Briggs C, Guthrie D, Hyde K, Mackie I, Parker N, Popek M et al. British Committee for Standards in Haematology (2008) Guidelines for point-of-care testing: haematology. Br J Haematol. 142: 904–15 [5] Briggs C, Kunka S, Pennaneach C, Forbes L, Machin SJ (2003) Performance evaluation of a new compact hematology analyzer, the Sysmex pocH-100i. Lab Hematol 9: 225–233 [6] Brohi K, Cohen MJ, Davenport RA. Acute coagulopathy of trauma: mechanism, identification and effect. Curr Opin Crit Care. 2007;13: 680–5 [7] Despotis GJ, Joist JH, Goodnough LT (1997) Monitoring of hemostasis in cardiac surgical patients: impact of point-of-care testing on blood loss and transfusion outcomes. Clin Chem 43: 1684–1696 [8] Despotis GJ, Saleem R, Bigham M, Barnes P (2000) Clinical evaluation of a new, point-ofcare hemocytometer. Crit Care Med 28: 1185–1190 [9] Duguid JKM, Newland AC (2010) Point-of-care testing in hematology. In: Price CP, St John A, Kricka LJ (eds) Point-of care testing, 3rd edn. AACC Press, Washington, pp 535–543
118
8
Kapitel 8 · Hämatologie
[10] Gehring H, Hornberger C, Dibbelt L et al. (2002) Accuracy of point-of-care-testing (POCT) for determining haemoglobin concentrations. Acta Anaesthesiol Scand 46: 980–986 [11] Hinds LE, Brown CL, Clark SJ (2007) Point of care estimation of haemoglobin in neonates. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 92: F378–F380 [12] Holloway PAH (2002) Point-of-care testing in intensive care. In: Kost GJ (ed) Principles and practice of point-of-care Testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 133–156 [13] http://www.qbcdiagnostics.com/products/hema/ [14] Jahr JS, Lurie F, Driessen B, Davis JA, Gosselin R, Gunther RA (2002) The HemoCue, a point of care B-hemoglobin photometer, measures haemoglobin concentrations accurately when mixed in vitro with canine plasma and three hemoglobin-based oxygen carriers (HBOC). Can J Anaesth 49: 243–248 [15] Lewis SM, Osei-Bimpong A, Bradshaw A (2004) Measurement of haemoglobin as a screening test in general practice. J Med Screen 11: 103–105 [16] McNulty SE, Torjman M, Grodecki W, Marr A, Schieren H (1995) A comparison of four bedside methods of hemoglobin assessment during cardiac surgery. Anesth Analg 81: 1197–1202 [17] Osei-Bimpong A, Jury C, McLean R, Lewis SM (2009) Point-of-care method for total white cell count: an evaluation of the HemoCue WBC device. Int J Lab Hematol 2009;31: 657–64 [18] Paul RI, Badgett JT, Buchino JJ (1994) Evaluation of QBC Autoread performance in an emergency department setting. Pediatr Emerg Care. 1994;10: 359–63 [19] Seguin P, Kleiber A, Chanavaz C, Morcet J, Mallédant Y (2010) Determination of capillary hemoglobin levels using the HemoCue system in intensive care patients. J Crit Care. 2010 Oct 29. [Epub ahead of print] [20] Weiss M, Dullenkopf A, Moehrlen U (2004) Evaluation of an improved blood-conserving POCT sampling system. Clin Biochem 37: 977–984 [21] Whisler S, Dahlgren C (2005) Performance evaluation of the Sysmex pocH-100i automated hematology analyzer. Lab Hematol 11: 107–117 [22] Widness JA, Kulhavy JC, Johnson KJ et al. (2000) Clinical performance of an in-line pointof-care monitor in neonates. Pediatrics 106: 497–504
9 Klinisch-chemische Parameter R. Junker, H. Schlebusch
9.1
Einleitung
9.2
Gerätetechnik und Methoden – 120
9.3
Einsatzgebiete und Indikationen – 126 Literatur
– 120
– 126
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
9
120
Kapitel 9 · Klinisch-chemische Parameter
9.1
Einleitung
Ein großes Spektrum der in klinisch-chemischen Laboratorien angebotenen Analytik ist auch für die patientennahe Diagnostik verfügbar, z. B. die Bestimmung von Enzymen (AP, ALT, AST, γ-GT, Amylase, CK), Elektrolyten (Na+, K+, Ca2+, Cl–, Mg2+) und zahlreichen Stoffwechselgrößen (Bilirubin, Gesamt-, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyzeride, Glukose, Harnsäure, Kreatinin, Harnstoff und Laktat). Für die POCT-Analytik wird vielfach Kapillarblut, aber auch venöses und arterielles Blut verwendet. Um eine Zentrifugation der Probe zu umgehen, muss entweder mit Vollblut gearbeitet oder ein Schritt zur Eliminierung zellulärer Bestandteile aus dem Vollblut in den Analyseprozess integriert werden. In der Regel genügen wenige Mikroliter. Die eigentliche Analytik erfolgt innerhalb von Minuten. Gängige Messsysteme können in einem bestimmten Umfang Daten speichern und haben einen integrierten Drucker bzw. eine EDV-Schnittstelle, um Daten und Messwerte an Labor- oder Krankenhausinformationssysteme exportieren zu können.
9.2
Gerätetechnik und Methoden
Prinzipiell sind 3 verschiedene Geräteklassen zu unterscheiden ( Kap. 3): ▬ vollwertige klinisch-chemische Analysesysteme, die eine Verkleinerung etablierter Laborsysteme darstellen und die ein großes Spektrum an Parametern – einzeln oder parallel – analysieren können. In dieser Gruppe existieren nass- und trockenchemisch arbeitende Systeme ▬ Messgeräte, an denen klinisch-chemische Analysen in Ergänzung zu anderen Messungen möglich sind, z. B. Geräte für Blutgasanalysen (BGA), an denen mittels Elektroden bzw. photometrisch Elektrolyte, Glukose, Laktat, Kreatinin, Bilirubin und andere Parameter bestimmt werden können ▬ Testsysteme, die speziell für einzelne Parameter konstruiert wurden, beispielsweise Messgeräte zur Bestimmung des Lipidstatus, des Laktats oder der Glukose ( Kap. 5).
121 9.2 · Gerätetechnik und Methoden
9
9.2.1 Trockenchemie
Bei trockenchemisch arbeitenden Systemen erfolgt die eigentliche Analytik auf einzelnen Teststreifen. Der Aufgabe des Probenmaterials – Vollblut oder Plasma – folgt ein Plasmaseparationsschritt, bei dem mittels eines Filters die zellulären Bestandteile zurückgehalten werden. Danach gelangt das Plasma in ein Reservoir. Die erforderlichen Reagenzien haften an Membranen, die nach Einschieben des Teststreifens in das Messgerät an das Plasmareservoir gedrückt und nacheinander vom Plasma bzw. den entstehenden Reaktionsprodukten durchdrungen werden (⊡ Abb. 9.1). Der letzte Reaktionsschritt besteht in einer Nachweisreaktion, beispielsweise im Auftreten eines Farbstoffs, dessen Intensität in einem Verhältnis zur Konzentration des Analyten steht. Dementsprechend erfolgt am Ende der Reaktionskette die optische Detektion der Farbstoffentwicklung. Ein verbreiteter Vertreter dieses Gerätetyps ist das Roche Reflotron, das seit einigen Jahren in unterschiedlichen Varianten erhältlich ist. Es handelt sich um ein Gerät mit reflektometrischer Messung des Lichts einer »light emitting diode« (LED) in einer sog. Ulbricht‘schen Kugel. Die Reflexion an derjenigen Stelle des Teststreifens, an der die Nachweisreaktion stattfindet, unterscheidet sich von den restlichen Reflexionen innerhalb der Kugel; dies erlaubt eine Aussage über die Reaktionsstärke und damit die Konzentration
Schutzschicht
Transparente Folie
Magnetstreifen Hilfsreagenzien
Trägerschicht
Plasmatrennschicht Reagenzlayer Plasmareservoir
⊡ Abb. 9.1 Schematischer Aufbau eines Teststreifens
122
9
Kapitel 9 · Klinisch-chemische Parameter
des Analyten. Alle Informationen zu Gerätesteuerung, Messmethoden und Kalibrierung sowie sämtliche mathematische Konstanten zur Auswertung sind in einem Magnetstreifen an der Unterseite jedes Teststreifens gespeichert, sodass eine Messung ohne Chargenverwaltung möglich ist. Die Testverfahren weichen von den nasschemischen IFCC-Methoden ab, da in der Trockenchemie andere Anforderungen an die Reagenzien gestellt werden: beispielsweise die Fixierung an spezielle Reagenzträger, eine hohe Stabilität und die Möglichkeit zur Lagerung bei Raumtemperatur. Dennoch sind die Methoden in der Regel so kalibriert, dass ihre Ergebnisse den Standardmethoden weitgehend entsprechen. Gegebenenfalls sind aber abweichende Referenzbereiche zu beachten, insbesondere im Rahmen einer Verlaufskontrolle, wenn alternierend POCT und Methoden aus einem Zentrallabor eingesetzt werden. Je nach Gerätetyp können Analyten mit solchen Systemen einzeln oder parallel gemessen werden. Die analytische Qualität verschiedener Systeme wurde in mehreren Studien belegt [5, 6].
9.2.2 Nasschemie
Nasschemisch arbeitende Systeme sind trotz hoher analytischer Qualität weniger verbreitet, was zumindest teilweise auf die vergleichsweise hohen Betriebskosten zurückzuführen ist. Prinzipiell kommen hier etablierte Labormethoden in miniaturisierten Geräten zum Einsatz. Ein aktueller Vertreter nasschemisch arbeitender Systeme ist das Abaxis Piccolo Xpress (⊡ Abb. 9.2). Es handelt sich dabei um ein System, das auf die Methodik von Großgeräten zurückgreift, jedoch für Einzelprobenmessungen ausgelegt ist. Ein externer Zentrifugationsschritt entfällt, da das Gerät selbst die Zentrifugation der Probe übernimmt. Das System ist daher für die Verwendung von Vollblut ebenso geeignet wie für die Analytik aus Serum oder Plasma. Sämtliche Reagenzien und Verdünnungslösungen sind in vorgefertigten Kunststoffrotoren untergebracht, die in unterschiedlichen Kombinationen für verschiedene Analysespektren verfügbar sind. Ein Probenvolumen von 100 μl reicht für ein komplettes Panel von bis zu 14 Analysen aus. Nach Übertragung der Probe auf die Aufgabestelle wird der Rotor im Gerät auf eine Spindel aufgesetzt, wo die Probe durch Zentrifugal- und Kapillarkräfte während der folgenden Rotation an die passenden Stellen in
123 9.2 · Gerätetechnik und Methoden
9
⊡ Abb. 9.2 Abaxis Piccolo Xpress. Mit freundlicher Genehmigung von Abaxis Europe, Darmstadt
die Reaktionsküvetten fließt. Auch Verdünnungsflüssigkeit und Reagenz gelangen so an den jeweils ‚richtigen‘ Ort. Nach wenigen Minuten wird die Lichtabsorption einer Xenonblitzlampe gemessen; bis zu 9 Wellenlängen sind möglich. Das System detektiert gleichzeitig Hämolyse und Lipämie als Interferenzen. Es erfolgt eine selbstständige Kalibrierung; eine Qualitätskontrolle ist integriert. Auch für dieses System liegen Evaluierungsdaten vor, die eine hinreichende Qualität der Analytik und eine gute Korrelation mit Standardmethoden dokumentieren [3, 4].
124
Kapitel 9 · Klinisch-chemische Parameter
9.2.3 Blutgasanalyzer und ähnliche Geräte
Klinisch-chemische Analysen werden auch an Blutgasgeräten durchgeführt. Dazu gehört die Bestimmung von Elektrolyten mittels ionenselektiver Elektroden, aber auch von Parametern wie Harnstoff, Kreatinin, Bilirubin, Glukose und Laktat. Ionenselektive Elektroden finden sich an zahlreichen Blutgasgeräten (⊡ Abb. 9.3). Sie werden zur Bestimmung von Na+, K+, Ca2+, Mg2+ und Cl– eingesetzt. Ein hochgradig miniaturisiertes Gerät ist das i-STAT (Abbott). Es handelt sich hierbei um ein System zur Bestimmung von Blutgasen, Elektrolyten und anderen Parametern in unterschiedlichen Kombinationen. Zum Einsatz kommen Testkassetten, die eine Größe von wenigen Zentimetern haben und alle
9
Elektrodenkontakt 2 1
3 4
Elektrode
Elektrodenmantel
5
Elektrolytlösung 1 Laktat-Messelektrode 2 Referenzelektrode Ionensensitive Membran
Dichtung
3 Elektrode zur Messung von Störsubstanzen 4 Gegenelektrode 5 Probenweg
Zellophanmembran ⊡ Abb. 9.3 Ionenselektive Elektroden (ISE) in Blutgasanalysatoren. a ISE für K+ (Radiometer ABL505); mit freundlicher Genehmigung der Radiometer GmbH, Willich; b ISE für Laktat (Siemens Rapidlab 865); mit freundlicher Genehmigung der Siemens Medical Solutions Diagnostics GmbH, Eschborn
125 9.2 · Gerätetechnik und Methoden
9
für die Messung erforderlichen Reagenzien und Technologien einschließlich der Kalibrierlösungen für verschiedene Messprinzipien beinhalten ( Kap. 3). Die analytische Qualität des Systems wurde mehrfach evaluiert [1].
9.2.4 Spezielle Geräte für einzelne Analyten
Für die Bestimmung des Gesamtbilirubins bei Neugeborenen durch direkte Spektrophotometrie des unverdünnten Serums oder Plasmas werden häufig »Bilirubinometer« eingesetzt. Es handelt sich meist um Filterphotometer, mit denen die Absorption des Plasmas bei 455 nm – nahe dem Absorptionsmaximum des Bilirubins – gemessen wird. Da im Neugeborenenplasma keine Lipochrome wie z. B. Karotin vorhanden sind, die ebenfalls in diesem Wellenlängenbereich absorbieren, kann Bilirubin auf diese Weise quantitativ bestimmt werden, sofern die spektrale Interferenz durch Hämoglobin (Hb) kompensiert wird. Dies geschieht durch eine zusätzliche Messung bei 575 nm. Da die molaren Extinktionskoeffizienten des Hb bei 455 nm und 575 nm identisch sind, lässt sich aus der Differenz ΔE = E455 nm – E575 nm die Bilirubinkonzentration berechnen. Als Küvette dient eine Hämatokrit-(HK-)Kapillare, die mit (Kapillar-)Blut gefüllt und in einer speziellen Zentrifuge zentrifugiert wird. Anschließend wird die Kapillare so in das Messgerät eingesetzt, dass der Messspalt des Photometers völlig von der Plasmasäule bedeckt ist. Im Allgemeinen reichen für die Messung 20–30 μl Blut aus [2, 7]. In der Vergangenheit wurde über mangelnde Linearität und Kalibrierungsprobleme als entscheidende Gründe für falsche Messergebnisse berichtet. Bei neueren Geräten, z. B dem Bilimeter 3 (Pfaff medical), scheinen diese Probleme jedoch weitgehend gelöst zu sein, wie die Ringversuche für Neonatalbilirubin der DGKL zeigen. Ein besonderes System, das in Spezialambulanzen oder Apotheken zum Einsatz kommt, um den Lipidstatus eines Patienten zu bestimmen, ist das LDX-System des Herstellers Cholestech. Mit diesem Gerät, das eine gute analytische Qualität aufweist, sind neben Gesamt-, HDL- und LDL-Cholesterin sowie Triglyzeriden auch Glukose und AST im Vollblut bestimmbar. Darüber hinaus gibt es Verfahren zur potenziometrischen Bestimmung der Elektrolyte und andere Spezialanwendungen, z. B. Laktatmessungen in der Sportmedizin aus Blut oder Speichel. Die Entwicklung weiterer spezialisierter (»dedicated«) Systeme dürfte voranschreiten, sodass sich das Spektrum derartiger Verfahren in Zukunft ausweiten wird.
9
126
Kapitel 9 · Klinisch-chemische Parameter
9.3
Einsatzgebiete und Indikationen
Patientennahe klinisch-chemische Analysen werden vor allem in kleineren Krankenhäusern, für die ein 24-h-Betrieb des Laboratoriums nicht rentabel ist, aber auch in größeren Arztpraxen durchgeführt. Die Hauptgründe für den Einsatz von POCT für klinisch-chemische Analysen im Krankenhaus sind folgende: ▬ Für die Notfallversorgung in Ambulanzen und Aufnahmebereichen sind die Zeiten des Wartens auf die Messergebnisse aus einem Zentrallabor zu lang. ▬ In Kliniken, die nicht über ein Zentrallabor verfügen, sind klinischchemische Analysen auch für die »Eilfall-Diagnostik« als POCT durchzuführen, z. B. für ein präoperatives Screening bei neu aufgenommenen Patienten (was als solches keinen Notfall darstellt, dennoch eine zeitnahe Analytik notwendig macht). ▬ Im Bereich der Intensivmedizin sind POCT-Verfahren als Bestandteil der engmaschigen Patientenüberwachung, z. B. im Rahmen der BGA, hilfreich. Wie stichhaltig derartige von klinisch tätigen Kollegen vorgebrachte Gründe für den Einsatz von POCT-Methoden im Einzelfall sind, bleibt dahingestellt. In ärztlichen Spezialpraxen wie Dialysezentren oder in der Onkologie werden kurzfristig verfügbare Ergebnisse für Eilfallentscheidungen herangezogen – weniger für vitale Notfallsituationen, da diese hier eher selten vorkommen. Aber auch vor Therapiebeginn kann es von Bedeutung sein, die aktuellen Nierenretentions- und Elektrolytwerte sowie andere klinischchemische Parameter zu kennen, um ggf. Therapieregimes zu adaptieren.
Literatur 1. 2. 3.
Bingham D, Kendall J, Clancy M (1999) The portable laboratory: an evaluation of the accuracy and reproducibility of i-STAT. Ann Clin Biochem 36: 66–71 Grohmann K, Roser M, Rolinski B et al. (2006) Bilirubin measurement for neonates: comparison of 9 frequently used methods. Pediatr 117: 1174–1183 Lee EJ, Shin SD, Song KJ, Kim SC, Cho JS, Lee SC et al. (2011) A point-of-care chemistry test for reduction of turnaround and clinical decision time. Am J Emerg Med; 29: 489–95
127 Literatur
4. 5.
6. 7.
9
Park H, Ko DH, Kim JQ, Song SH (2009) [Performance evaluation of the Piccolo xpress Point-of-care Chemistry Analyzer]. Korean J Lab Med 2009;29: 430–8 Price CP, Koller PU (1988) A multicentre study of the new Reflotron system for the measurement of urea, glucose, triacylglycerols, cholesterol, gamma-glutamyltransferase and haemoglobin. J Clin Chem Clin Biochem 26: 233–250 St John A, Ritter C (2010) Benchtop instruments for point-of-care testing. In: Price CP, St John A, Kricka LJ (eds) Point-of care testing, 3nd edn. AACC Press, Washington, pp 43–62 Thaler M, Luppa PB, Schlebusch H (2008) Die Bilirubinbestimmung – Eine aktuelle Übersicht. J Lab Med 32: 1–10
10 Immunologische Verfahren P. B. Luppa, R. Junker, I. Schimke
10.1
Methoden
10.2
Geräteformate und Qualität – 131
10.3
Einsatzgebiete Literatur
– 130
– 133
– 137
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
130
10.1
Kapitel 10 · Immunologische Verfahren
Methoden
Die Spezifität der molekularen Erkennung von antigenen Strukturen durch Antikörper ist die Basis sowohl für die Immunoassay-Technologie als auch für Immunosensoren, die Antikörper an einer Festphase immobilisiert haben ( Kap. 3 und Kap. 11). Die wichtigsten analytischen Problemfelder für die selektive Erkennung des Antigen-Antikörper-Komplexes sind die Biokonjugationschemie und die Orientierung der gebundenen Antikörper, deren Spezifität durch die Anbindung nicht kompromittiert werden darf [5]. Es können 4 Klassen von Immunosensoren voneinander unterschieden werden: ▬ elektrochemische Sensoren (potenziometrisch, amperometrisch oder konduktometrisch/kapazitiv), ▬ optische Sensoren, ▬ mikrogravimetrische Sensoren (Quarzmikrowaage) sowie ▬ thermometrische Sensoren.
10
Für POCT-Applikationen haben sich die mikrogravimetrischen und thermometrischen Sensorentypen nicht durchsetzen können. Alle Typen können sowohl als direkte (nichtmarkierte) als auch als indirekte (markierte) Immunosensoren funktionieren. Dabei sind die direkten Sensoren in der Lage, physikochemische Änderungen während der Immunkomplexbildung zu verfolgen, wogegen die indirekten Sensoren zumeist Fluoreszenz- oder Chemilumineszenz-Markierungen benutzen und dadurch eine hohe Sensitivität erzielen. Es ist jedoch die Überzeugung der Autoren, dass die direkten Immunosensoren zukünftig im Rahmen von POCT-Anwendungen eine weitere Verbreitung finden werden, da sie aufgrund ihrer einfachen ReagenzienKonzeption analytische Vorteile bieten, sofern der relevante Konzentrationsbereich des jeweiligen Analyten erreicht werden kann. Neben reinen Immunosensoren sind immunchromatographische Tests (auch als »Lateral Flow-Assays« bezeichnet) verbreitet. Diese Testverfahren basieren ebenfalls auf dem Prinzip, dass sich ein Antigen mit seinem spezifischen Antikörper zu einem Komplex verbindet. Zusätzlich jedoch nutzen solche Tests chromatographische Trennverfahren, da die Antikörper auf einer Membran immobilisiert sind, durch die die zu analysierende Probe aufgrund von Kapillarkräften gesogen wird. Das Kap. 11 geht ausführlich auf diese Technik ein.
131 10.2 · Geräteformate und Qualität
10
Die Liste der bei Immunosensoren angewandten Markierungssysteme ist ähnlich lang wie bei den Immunoassays; sie kann hier nur in Stichworten abgehandelt werden. Die verlässlichsten Markierungen sind Enzyme wie die Peroxidase, die Glukoseoxidase, die alkalische Phosphatase, die Katalase oder die Luciferase. Als elektroaktive Verbindungen werden Ferrocen oder In2+-Salze eingesetzt. Fluoreszente Marker sind Rhodamin, Fluorescein, Cy5, Rutheniumdiimin-Komplexe, phosphoreszente Porphyrinderivate und andere. Besonders der laserinduzierte fluorometrische Resonanzenergietransfer zwischen 2 unterschiedlichen Fluorophoren hat methodische Vorteile und kann speziell für fiberoptische Sensoranwendungen eingesetzt werden [16].
10.2
Geräteformate und Qualität
Für zahlreiche Analyten existieren einfache Streifentests, deren Ablesen visuell erfolgt. Hierbei handelt es sich meist um »Lateral Flow-Assays«. Alternativ und für ein weniger umfangreiches Analysenspektrum kommen kleinere automatische Detektoren zum Ablesen der Teststreifen und zur Quantifizierung des Ergebnisses zum Einsatz. Hierzu gehören beispielsweise Geräte in der Größenordnung des Roche cobas h 232 (⊡ Abb. 10.1) oder des Triage Meter Pro von Alere. Auch Benchtop-Formate sind zu finden, beispielsweise das Stratus CS von Siemens, das Pathfast von Mitsubishi Chemical und der AQT90 von Radiometer (⊡ Abb. 10.2). Eine Mittelstellung nimmt das i-STAT (Abbott) ein, das als Kleingerät auch für immunologische Tests geeignet ist und somit als eines der wenigen Geräte für ein echtes »bedside testing« eingesetzt werden kann. Automatische Detektoren werden überwiegend im Klinikbereich genutzt. Das Methodenspektrum reicht von Fluoreszenz- über chromatographische Detektoren bis zu Enzymimmunoassays. In der Regel werden die Untersuchungen aus Vollblut, Speichel oder Urin durchgeführt, aber auch aus Serum oder Plasma [14]. Ein wesentliches Problem bei Blutuntersuchungen mit Teststreifen liegt in der Verwendung von Kapillarblut. Hierbei kommt es bei der Blutabnahme zur Vermischung mit interstitieller Flüssigkeit und damit zu einer Konzentrationsänderung; die gemessene Konzentration des Analyten repräsentiert nicht zwangsläufig die Konzentration im Blut, was gerade bei unempfindlichen Tests oder bei Analyten, deren qualitativer Nachweis an der analyti-
132
Kapitel 10 · Immunologische Verfahren
10 ⊡ Abb. 10.1 Teststreifen und Lesegerät cobas h 232. Mit freundlicher Genehmigung der Roche Diagnostics GmbH, Mannheim
schen Grenze liegt, problematisch ist. Außerdem fehlen für die meisten Analyten, die mit Teststreifen bestimmt werden, valide Referenzbereiche [15]. Während für automatische Detektionssysteme zahlreiche Studien zu Qualität und Leistungsfähigkeit veröffentlicht wurden, existieren für Streifentests vielfach nur die vorgeschriebenen Evaluierungsdaten oder schwer vergleichbare Studienergebnisse. So sind beispielsweise etwa 10 verschiedene InfluenzaPOCT-Tests in Deutschland verfügbar. Die Tests variieren in ihrer Sensitivität zwischen 50 % und 96 %, in ihrer Spezifität zwischen 72 % und 100 % – was vom Test selbst, der Art des klinischen Materials und dem Alter der Patienten abhängig ist. Die zum Teil sehr unterschiedlichen Ergebnisse sind u. a. durch die unterschiedlichen Designs der durchgeführten Studien zu erklären [11]. Speziell für diese virologische Diagnostik werden sich aber in Zukunft auch molekularbiologische Testverfahren verbreiten [13] ( Kap. 11).
133 10.3 · Einsatzgebiete
10
⊡ Abb. 10.2 Radiometer AQT90. Mit freundlicher Genehmigung von Radiometer, Willich
10.3
Einsatzgebiete
Nicht nur im klinischen Bereich, sondern auch in der hausärztlichen Versorgung und beim »home testing« kommen immunologische POCT-Verfahren zum Einsatz. Der steigende Bedarf an derartigen Tests in verschiedenen Märkten, v. a. in den USA, wurde vielfach belegt [1, 2]. Das Spektrum klinisch-chemischer Analysen ist begrenzt und durch verschiedene Verfahren der Trocken- und Nasschemie etabliert. In ähnlicher Weise gilt dies für funktionelle Gerinnungstests, wo v. a. die weitere methodische Optimierung, nicht aber eine Ausweitung des Analysespektrums im Vordergrund stehen. Demgegenüber besitzen immunologische Verfahren ein sehr viel größeres Entwicklungspotenzial. Verglichen mit anderen Ländern, beispielsweise den USA, ist die Verbreitung in Deutschland aber aufgrund des Zulassungsverfah-
134
10
Kapitel 10 · Immunologische Verfahren
rens und eingeschränkter Abrechnungsmöglichkeiten durch niedergelassene Ärzte deutlich geringer als in anderen Ländern ( Kap. 25 und Kap. 29). Als klassisches Einsatzgebiet ist die patientennahe Bestimmung der kardialen Troponine in der Notaufnahme, auf der Intensivstation oder im Herzkatheterlabor etabliert, wo therapeutische Strategien auf den Testergebnissen dieser Marker aufbauen. Gegenwärtig sind qualitative wie auch quantitative Tests für die Troponine T und I sowie für die Creatinkinase MB (CK-MB; Masse) und Myoglobin verfügbar [7]. Die B-Typ-natriuretischen Peptide »brain natriuretic peptide« (BNP) und NT-pro-BNP haben sich in den letzten Jahren als Kenngrößen der chronischen Herzinsuffizienz etabliert [9]. Auch im Bereich der operativen Medizin können immunologische POCT-Tests zum Einsatz kommen, z. B. zum Nachweis von Parathormon (PTH), um den Erfolg einer Parathyreoidektomie intraoperativ zu dokumentieren oder die Wahrscheinlichkeit einer postoperativen Hypokalzämie abzuschätzen [12]. Bei infektiologischen Fragestellungen kommen immunologische POCTVerfahren zum Nachweis von Krankheitserregern oder Antikörpern zum Einsatz. So ist z. B. die Diagnose einer Streptokokken-Pharyngitis allein anhand der klinischen Symptomatik nicht zuverlässig. Die klassische mikrobiologische Kultur erfordert 1–3 Tage. Daher haben einfach durchzuführende Streptokokken-Schnelltests in den letzten Jahren zunehmend Verbreitung gefunden. Sie besitzen fast alle eine hohe Spezifität (>95 %), und auch die Sensitivität wurde in den letzten Jahren dank technischer Verbesserungen deutlich gesteigert (>85 %) [10]. POCT-Verfahren zum Nachweis von HIV-Infektionen sind in ihrer Sensitivität nahezu mit Standardmethoden vergleichbar; Algorithmen, die auf dem gleichzeitigen Einsatz von 2 verschiedenen Tests aufbauen, können in ihrer Spezifität mit Western-Blots verglichen werden. POCT in der Akutdiagnostik von Infektionskrankheiten, die die Allgemeinheit, sprich: einen ausgedehnten Personenkreis gefährden, könnte nach einem Großschadensereignis, beispielsweise nach einem (bio-)terroristischen Anschlag, die vor Ort verantwortlichen Führungskräfte bei ihrer ethisch schwierigen Aufgabe der Triage der betroffenen Personen unterstützen. Zum Einsatz kämen v. a. immunologische Verfahren. Dasselbe gilt für die Diagnostik im Rahmen eines natürlichen, aber außergewöhnlichen Seuchengeschehens [6]. Weitere Beispiele für immunologische POCT-Applikationen finden sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit in ⊡ Tab. 10.1. Nochmals sei auf die dia-
135 10.3 · Einsatzgebiete
10
⊡ Tab. 10.1 Kenngrößen, die mittels immmunologischer Verfahren (Immunosensoren, immunchromatographische Tests) am POC bestimmt werden können Bereiche
Kenngrößen
Herzmarker
Kardiale Troponine, NT-pro-BNP, CK-MB, Myoglobin
Gerinnung
D-Dimer
Schwangerschaftstest
β-HCG
Akute Phase
CRP, Procalcitonin
Infektiologie
Erregernachweis: Streptokokken (Gruppen A und B, Pneumokokken), Clostridium difficile (Toxin oder Antigen), Chlamydien, Neisseria gonorrhoeae, Influenza, RSV, Malaria, Legionellen, Rotaviren Antikörpernachweis: Hepatitis, HIV, Epstein-Barr-Virus (meist heterophile Antikörper), TPHA, Helicobacter pylori, Mycobacterium tuberculosis
Endokrinologie
FSH, LH, PTH
Allergie, Immunologie
Immunglobulin E, Einzelallergene
Rheumatologie
Antistreptolysin, Rheumafaktor, Antikörper gegen mutiertes citrulliniertes Vimentin
Tumormarker
PSA, Hb im Stuhl; NMP 22 und BTA im Urin
Drogenscreening (meist Gruppenscreening mit 4–10 Einzeltests)
Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Buprenorphin, Kokain, Metamphetamin, Ecstasy, Morphine, Methadon, trizyklische Antidepressiva, Cannabis
Stoffwechsel
Marker des Knochenstoffwechsels
Verschiedene
Transglutaminase-/Gliadinantikörper, Laktoferrin
BTA Blasentumor Antigen; CK-MB Kreatinkinase »muscle-brain«; CRP C-reaktives Protein; FSH Follikelstimulierendes Hormon; Hb Hämoglobin; HCG humanes Choriongonadotropin; HIV Humanes Immundefizienz-Virus; LH luteinisierendes Hormon; NMP22 Nuclear Matrix Protein 22; PSA prostataspezifisches Antigen; PTH Parathormon; RSV »respiratory syncytial virus«; TPHA »treponema pallidum hemagglutination assay«
gnostische Bedeutung der Anwendung immunologischer Verfahren bei kardiovaskulären Krankheiten hingewiesen; dies wird in Kap. 17 ausführlicher thematisiert.
136
Kapitel 10 · Immunologische Verfahren
10.3.1 Klinik
Der medizinische Nutzen immunologischer Schnelltests hängt von der individuellen klinischen Situation ab. So ist für kleinere Krankenhäuser ohne Notfalllabor der Einsatz von POCT für die Bestimmung kardialer Marker, aber auch von CRP sowie für Schwangerschaftstests und einige andere Analyten oft angezeigt. Sollte sich ein Labor auf dem Klinikgelände befinden, so hängt die Notwendigkeit des POCT-Einsatzes z. B. von der Dauer des Probentransports und der Zeit bis zur Befundübermittlung ab. POCTTests zum Antikörpernachweis, aber auch für den Nachweis von Proteinen (Tumormarker, Hormone), sind im Klinikbereich meist entbehrlich und nur in Einzelfällen hilfreich, beispielsweise beim Nachweis von Streptokokken oder beim Drogenscreening.
10.3.2 Arztpraxis
10
POCT wird in der Arztpraxis weniger wegen medizinischer Notfälle, als vielmehr zur Verbesserung organisatorischer Abläufe eingesetzt. So muss der Patient z. B. nicht erneut die Praxis aufsuchen, um das Testergebnis zu besprechen. In einigen Fällen können Tests in der Praxis allerdings auch eine unmittelbare medizinische Bedeutung haben, z. B. die CRP-Bestimmung vor einer antibiotischen Therapie [3]. Der Einsatz immunologischer POCT-Tests in Arztpraxen erfolgt derzeit nur sehr eingeschränkt, was im Wesentlichen auf die aktuellen Regularien zur Kostenerstattung und Abrechnung zurückzuführen ist. In der Regel sind die Material- und Gestehungskosten für den Test deutlich höher als die Vergütung durch die Krankenversicherung.
10.3.3 »Home testing«
Die Selbstkontrolle der Blutglukose ist ebenso wie die INR-Überwachung bei Antikoagulanzien-Therapie seit längerer Zeit etabliert und trägt erheblich zur Qualität der Krankenversorgung bei [4, 8]. Der Nutzen der zahlreichen immunologischen Schnelltests ist dagegen weniger eindeutig: Einer der wesentlichen Vorteile, nämlich die schnelle Verfügbarkeit des Testergebnisses zur unmittelbaren therapeutischen Intervention, kommt hier nicht zum
137 Literatur
10
Tragen. Sofern Patienten Tests in Eigenregie durchführen, besteht lediglich subjektiv das Bedürfnis, das Testergebnis frühzeitig zu kennen; eine medizinische Notwendigkeit ergibt sich in der Regel jedoch nicht. So stellt sich die berechtigte Frage, ob beispielsweise die Bestimmungen von Infektionserregern, Tumormarkern und Hormonen nicht vorteilhafter in einem Zentrallabor durchgeführt werden sollten, um falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse möglichst zu vermeiden. ⓘ Hinweis Beim Einsatz von POCT ist zu bedenken, dass nicht allein der Test selbst, sondern v. a. eine fehlerhafte Handhabung Ursache falscher Ergebnisse sein kann.
Andererseits wird durch die Verfügbarkeit derartiger patientennaher Tests möglicherweise ein stärkeres Gesundheitsbewusstsein geschaffen.
Literatur [1] Agarwal R, Heinz T (2001) Bedside hemoglobinometry in hemodialysis patients: lessons from point-of-care testing. ASAIO J 47: 240–243 [2] Briggs C, Guthrie D, Hyde K, Mackie I, Parker N, Popek M et al. British Committee for Standards in Haematology (2008) Guidelines for point-of-care testing: haematology. Br J Haematol. 142: 904–15 [3] Cals JW, Hopstaken RM, Butler CC, Hood K, Severens JL, Dinant GJ (2007) Improving management of patients with acute cough by C-reactive protein point of care testing and communication training (IMPAC3T): study protocol of a cluster randomised controlled trial. BMC Fam Pract 8: 15 [4] Dunn SG, Visnich MR (2002) Home-based point-of-care testing. In: Kost GJ (ed) Principles and practice of point-of-care testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 376–390 [5] Ekins RP (1999) Immunoassay and other ligand assays: from isotopes to luminescence. J Clin Ligand Assay 22: 61–77 [6] Friedewald S, Finke EJ, Dobler G (2006) Patientennahe Diagnostik in Krisensituationen. J Lab Med 30: 211–221 [7] Hafner G, Peetz D, Dati F (2003) Patientennahe Bestimmung der Troponine zur Diagnostik akuter Koronarsyndrome. J Lab Med 27: 279–287 [8] Lehman CA, Giacini JM (2010) Point-of-care testing in the home and community environment: key ingredients for tomorrow’s community health. In: Price CP, St John A, Kricka LJ (eds) Point-of care testing, 3rd edn. AACC Press, Washington, pp 311–321 [9] Peetz D, Hafner G, Lackner KJ (2005) Patientennahe Bestimmung natriuretischer Peptide. J Lab Med 29: 219–228
138
Kapitel 10 · Immunologische Verfahren
[10] Reinert RR (2007) Streptokokken-Schnelltests. J Lab Med 31: 280–293 [11] Schweiger B (2006) Influenza rapid tests – advantages and limitations. J Lab Med 30: 219–215 [12] Sokoll LJ, Wians FH Jr, Remaley AT (2004) Rapid intraoperative immunoassay of parathyroid hormone and other hormones: a new paradigm for point-of-care testing. Clin Chem 50: 1126–1135 [13] Takahashi H, Otsuka Y, Patterson BK (2010) Diagnostic tests for influenza and other respiratory viruses: determining performance specifications based on clinical setting. J Infect Chemother 2010;16: 155–61 [14] Tang Z, Louie RF, Kost GJ (2002) Principles and performance of point-of-care testing instruments. In: Kost GJ (ed) Principles and practice of point-of-care Testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 67–92 [15] Thomas L (2007) Labor und Diagnose, 7. Aufl. TH Books, Frankfurt/Main [16] Wolfbeis OS (2000) Fiber-optic chemical sensors and biosensors. Anal Chem 72: 81R–89R
10
11 Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik E. Stürenburg, N. Gässler, P. B. Luppa
11.1
Mikrobiologische Schnelltests – 140
11.2
Methoden zur Sensitivitätserhöhung – 142 Literatur
– 149
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
140
11.1
Kapitel 11 · Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik
Mikrobiologische Schnelltests
Die meisten der derzeit am Markt verfügbaren mikrobiologischen Schnelltests basieren auf immunologischen Nachweisverfahren. Charakteristisch für alle immunologischen Verfahren ist, dass sie auf einer hochspezifischen Antigen-Antikörper-Reaktion beruhen. Mittels dieses immunologischen Prinzips ist sowohl der qualitative Nachweis eines Analyten als auch die quantitative Bestimmung seiner Konzentration möglich. Der Testaufbau eines immunchemischen Tests kann besonders hinsichtlich der Entstehung und Auswertung der Testsignale erheblich variieren. Bewährte und für mikrobiologische Schnelltests häufig benutzte Formate sind die Partikelagglutination und die Immunchromatographie sowie die daraus hervorgegangenen Weiterentwicklungen, beispielsweise der optische Immunoassay. Auf Basis von Nukleinsäure-Amplifikationstechniken (vor allem der Polymerase-Kettenreaktion, PCR) sind bislang nur wenige POC-Tests verfügbar; ihre Praktikabilität und Bewährung in der Praxis wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.
11
11.1.1 Partikelagglutination
Breiten Einsatz zum Nachweis mikrobieller Antigene in Körperflüssigkeiten haben Reaktionssysteme erlangt, bei denen Trägerpartikel mit einem Durchmesser von etwa 0,8 μm – meist solche aus Latex (Polystyrol) – mit spezifischen Antikörpern adsorptiv beladen werden. In Anwesenheit des mikrobiellen Antigens in der Patientenprobe werden diese Latexteilchen dann agglutiniert. Die Agglutination wird als Ausflockung der sonst homogen milchigen Suspension makroskopisch sichtbar. Partikelagglutinationstests können auf Objektträgern, auf Platten, in Röhrchen, in Kapillaren oder in Mikrotiterplatten durchgeführt werden. Besonders zur Beschleunigung der Meningitisdiagnostik (Nachweise für Streptococcus pneumoniae, Neisseria meningitidis – Serovare A, B, C, Y und W135 – sowie Haemophilus influenzae Kapseltyp b verfügbar) sowie in der Rotavirusdiagnostik haben sich Latexreagenzien zum Antigennachweis gut bewährt. Daneben können zahlreiche andere mikrobielle Antigene auf diese Weise nachgewiesen werden.
11
141 11.1 · Mikrobiologische Schnelltests
11.1.2 Immunchromatographie
»Immunchromatographischer Test« (ICT), »Lateral Flow-Assay« (LFA), »Lateral Flow-Device« (LFD), »Dipstick-Assay« und »One-step-Test« sind die meistgebrauchten Namen, unter denen immunchromatographische Streifentests in der medizinischen Literatur zu finden sind. Diese Testverfahren basieren auf dem Immunkomplexprinzip, dass sich ein Antigen mit seinem spezifischen Antikörper zu einem Komplex verbindet. Zusätzlich jedoch nutzen solche Tests chromatographische Trennverfahren, da die Antikörper auf einer Membran immobilisiert sind, durch die die zu analysierende Probe (etwa Blut, Urin oder Liquor) aufgrund von Kapillarkräften gesogen wird [4]. ICT sind v. a. deshalb interessant, weil sie schnell und einfach durchzuführen und auszuwerten sind. Das bekannteste Beispiel für einen ICT ist sicherlich der für die Selbstanwendung bestimmte Schwangerschaftstest. Die Funktionsweise eines immunchromatographischen Teststreifens ist in ⊡ Abb. 11.1 dargestellt [4]. Die Patientenprobe wird auf ein Auftragsvlies gegeben. Das Vlies wirkt als Vorfilter und befreit die Probenflüssigkeit von Verunreinigungen. Zudem setzt das »sample pad« bestimmte Puffersubstanzen frei, um die Probenflüssigkeit auf einen für die immunologische Reaktion optimalen pH-Wert einzustellen. Die Probenflüssigkeit fließt dann durch ein Reagenzienvlies. Hier bindet ein zumeist mit kolloidalem Gold markier-
Y
Markierter Antikörper
Y
+
Y
Immunkomplex
Mikrobielles Antigen
Y
Immobilisierter Antikörper
Von oben
Auftragsvlies
Reagenzienvlies
Aufsaugvlies
Testlinie Kontrolllinie
Seitlich Plastikträger
⊡ Abb. 11.1 Funktionsweise eines immunchromatographischen Teststreifens. MPO = Meerrettichperoxidase
142
Kapitel 11 · Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik
ter Antikörper (Konjugat) an das Antigen (sofern es in der Probe enthalten ist); es entsteht ein Antigen-Antikörper-Komplex. Da das Konjugat im Überschuss vorhanden ist, werden auch die nichtgebundenen Konjugate mit dem Kapillarfluss weitertransportiert. Danach wandert die Probenflüssigkeit in eine Nitrozellulosemembran. Dort sind hintereinander 2 Reagenzienzonen aufgetragen. Bei der ersten Zone (der »Testlinie«) handelt es sich um einen immobilisierten sekundären Antikörper, der gegen eine zweite Erkennungsstelle auf dem mikrobiellen Antigen gerichtet ist und den Immunkomplex hierüber bindet. Die andere Zone (die sog. Kontrolllinie) enthält einen AntiSpezies-Antikörper, der mit dem freien Konjugat reagiert. Dementsprechend können sich entweder eine oder 2 Linien bilden. Durch das kolloidale Gold erscheinen die beiden Zonen oder Linien nach einer gewissen Zeit in einer rötlichen Farbe. Die überschüssige Probenflüssigkeit strömt weiter in ein Saugvlies und wird dort aufgenommen, um den Rückfluss zu verhindern.
11.2
11
Methoden zur Sensitivitätserhöhung
Im Laufe der letzten Jahre sind viele technische Modifikationen zur Sensitivitätserhöhung der ICT entwickelt worden. Hierzu können u. a. Markierungen mit einer höheren spezifischen Signalintensität wie beispielsweise paramagnetische Partikel (magnetische Eisenoxide) sowie Kohlenstoffpartikel statt kolloidaler Metallpartikel oder blauer Latexpartikel gezählt werden [4]. Ein anderer Weg wurde bei der Entwicklung des optischen Immunoassays beschritten [3]. Da sich diese Technik heute in vielen mikrobiologischen Schnelltests wiederfindet, soll an dieser Stelle etwas detaillierter darauf eingegangen werden (⊡ Abb. 11.2; Kap. 10). Ein Farbumschlag kommt bei diesem Assayformat dadurch zustande, dass sich durch die Immunreaktion die reflektierenden Eigenschaften einer Siliziumoberfläche ändern. Wird das aus der Patientenprobe extrahierte mikrobielle Antigen auf die Siliziumoberfläche aufgetragen, kommt es zur Bindung an die immobilisierten spezifischen Antikörper. Durch die Zugabe eines an MPO gekoppelten Zweitantikörpers entsteht eine Art »Immunkomplex-Sandwich«, bestehend aus folgender Schichtung (von unten nach oben): immobilisierter Antikörper, mikrobielles Antigen, Zweitantikörper. Es folgen einige Waschschritte, bevor schließlich das Substrat Tetramethylbenzidin hinzugefügt wird. Letztlich verändern sich die optischen Eigenschaften der Siliziumoberfläche durch die gesamte Pro-
143 11.3 · Molekularbiologische Tests Purpur
Gold Weißes Licht
11
Weißes Licht
Substrat Y
Y
Y Y
X
X
X X X
MPO-Zweitantikörper
Y
Y
Y
Y Y
Mikrobielles Antigen X
X
X X
X
X
Negativer Test
X X X
X
X X
Positiver Test
Immobilisierter Antikörper Optische Beschichtung Siliziumoberfläche
⊡ Abb. 11.2 Funktionsweise eines optischen Immunoassays. MPO = Meerrettichperoxidase
zedur und die dadurch bewirkte Schichtung, wodurch eingestrahltes weißes Licht nicht mehr in einem goldenen Farbton reflektiert wird, sondern für das Auge purpurfarben erscheint. Ein positives Resultat erscheint damit als ein purpurfarbener Punkt vor einem goldenen Hintergrund (⊡ Abb. 11.2).
11.3
Molekularbiologische Tests
Die technologische Alternative zu den immunchemischen Testverfahren stellen die Nukleinsäure-Tests (»Nucleid acid tests«, NAT), heute zumeist als Polymerasekettenreaktion (PCR) durchgeführt, dar (⊡ Abb. 11.3). Bei diesen Techniken wird meist ein vorgeschalteter Anreicherungsschritt, die Extraktion der Nukleinsäuren, durchgeführt. Dann werden die entscheidenden Genabschnitte direkt aus dem Eluat amplifiziert und anschließend detektiert. Ähnlich wie bei den immunologischen Techniken beziehen die NATs ihren zeitlichen Vorteil daraus, dass ein kultureller Anreicherungsschritt entfällt und die entscheidenden Genabschnitte direkt aus dem Patientenmaterial detektiert werden können. Weiterentwickelt wurden in den letzten Jahren insbesondere die Arbeitsplattformen, auf denen die einzelnen Prozessschritte ablaufen, und die Handhabung solcher Teste. Mit der Einführung der PCR-Vollautomaten wurde die PCR-Technik mittlerweile so vereinfacht, dass auch sie prinzipiell für eine patientennahe Diagnostik (POCT) in der Aufnahmestation oder am Krankenbett infrage kommt. Am Beispiel der MRSA-PCR für den Direktnachweis aus der Patientenprobe lässt sich die Evolution in diesem Bereich verdeutlichen [2].
144
Kapitel 11 · Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik
Denaturierung DNA-Synthese 5‘ Denaturierung 3‘
DNA-Synthese* Denaturierung ca. 96 °C 5‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
3‘ 5‘
3‘
Neue DNA 5‘ 3‘
5‘ 3‘
Primer
3‘ 5‘
Zu amplifizierende DNA
5‘ 3‘
3‘ 5‘
Zyklus 1 Zyklus 2
DNA-Synthese 3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
5‘ 3‘
3‘ 5‘
Zyklus 3 * DNA-Synthese = Annealing (ca. 68 °C) und Elongation (ca. 72 °C)
Zyklus 4+
⊡ Abb. 11.3 Prinzip der Polymerasekettenreaktion
11
Im konventionellen Blockcycler-Verfahren, das als Endpunktverfahren konzipiert wurde und den Anfang der PCR-Entwicklungsreihe markierte (⊡ Tab. 11.1), werden die vervielfältigten Genprodukte noch durch Hybridisierung mit Gen-Sonden oder interkalierenden Substanzen (z. B. Ethidiumbromid) sichtbar gemacht [2]. Das Auslesen der Signale erfolgt wahlweise im ELISA-Format (z. B. Hyplex Staphylo Resist, Fa. BAG Med, Greppen) oder durch Oligochromatographie (z. B. GenoType MRSA Direct, Fa. Hain Lifescience GmbH, Nehren). Nachteilig sind an den genannten Verfahren die aufwendigen manuellen Arbeitsschritte (also nicht POCT-fähig) sowie die Tatsache, dass das Arbeiten in einem offenen PCR-System durch das Verschleppen von Amplifikationsprodukten zwangsläufig mit einem Kontaminationsrisiko einhergeht [2]. Neben der Infektiologie gibt es vielfältige Anwendungen bei genetisch bedingten Erkrankungen und in der Forensik (»genetischer Fingerabdruck«). Eine entscheidende Weiterentwicklung gelang mit der sog. Real-TimePCR (⊡ Tab. 11.1; [2]). Vorteil dieser Vervielfältigungsmethode ist vor allem, dass das Amplifikationssignal durch während der PCR-Zyklen kontinuierlich durchgeführte Fluoreszenzmessungen quantifiziert wird. Das Reaktionsgefäß
145 11.3 · Molekularbiologische Tests
11
kann dank der besonderen Messanordnung geschlossen bleiben; dadurch sinkt das Kontaminationsrisiko. Die kinetische Messung bietet ferner den Vorteil, den Reaktionsablauf über die Zeit aufzeichnen zu können. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer Quantifizierung des Messsignals. Mittlerweile sind mehrere kommerzielle Systeme auf Grundlage dieser Technik (z. B. BD GeneOhm MRSA von Becton Dickinson, Heidelberg; Light Cycler S. aureus/MRSA Kit von Roche Diagnostics, Mannheim) verfügbar. Genau wie bei den Blockcyclern besteht allerdings ein Nachteil in der Notwendigkeit, diese Systeme aufgrund ihrer technischen Komplexität und der erforderlichen manuellen Probenvorbereitung in einem Laborumfeld betreiben zu müssen [2]. Erst in den letzten Jahren gelang in der PCR-Technik der Brückenschlag hin zu einer patientennahen Anwendung. Durch mehrere Entwicklungsschritte konnte die Echtzeittechnik noch kompakter und recht anwenderfreundlich gestaltet werden. Die wichtigste Innovation stellen in diesem Zusammenhang die Einzeltest-Kartuschensysteme z. B. der Fa. Cepheid (Sunnyvale, CA, USA) dar (⊡ Tab. 11.1; [5, 6, 7]). Die zur Verfügung stehenden Reaktionskartuschen vereinen den gesamten Prozess des Probenaufschlusses (DNA-Extraktion), der Amplifikation und der Detektion in einem einzigen, geschlossenen Reaktionsgefäß, das mit wenigen Handgriffen beschickt werden kann. Die Abarbeitung der Kartuschen erfolgt in einem PCR-Vollautomaten (GeneXpert), der, einmal beschickt, den gesamten PCRProzess komplett eigenständig, d. h. ohne weiteres manuelles Zutun abarbeitet (»walk-away-Prinzip«) und nach insgesamt 60–120 min ausgewertet hat. Durch den integrierten Probenaufschluss sowie aufgrund der Tatsache, dass ein flexibles Nachladen von Kartuschen in parallelen Reaktionseinheiten möglich wurde (»random-access-Prinzip«), gelang mit diesem Gerät ein erster Schritt in Richtung patientennaher, rund um die Uhr verfügbarer Anwendungen von NATs. Derartige PCR-Tests könnten daher zukünftig alle Abstrichuntersuchungen ersetzen, bei denen zeitnahe Entscheidungen über die Einleitung einer bestimmten Therapie oder Isolierungsmaßnahme im Vordergrund stehen. Bei Fragestellungen, die weniger zeitkritisch sind, dürfte ein kultureller Nachweis in einem mikrobiologischen Labor vor allem angesichts der mit der PCR-Technik verbundenen höheren Kosten (derzeit 30–40 € pro Test) weiterhin Standard bleiben. Ob vor dem Hintergrund der notwendigen Verlagerung von Arbeitsprozessen eine komplette oder auch nur partielle Auslagerung der PCR-
146
Kapitel 11 · Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik
⊡ Tab. 11.1 PCR-Testverfahren für den Direktnachweis aus der Patientenprobe im Überblick
11
Konventionelle Endpunkt-PCR
Real-Time PCR
Kartuschensystem / PCR-Analyzer
Geräteplattform
Konventioneller Block-Cycler
Real-Time Cycler, z. B. Smart Cycler; Light Cycler
PCR-Vollautomat, z. Zt. GeneXpert DX
PCR-Typ
Konventionelles Cycling
Real-Time PCR
Real-Time PCR
Probenvorbereitung
Konventionell manuell
Konventionell manuell
Integriert in die Kartusche
Probenabarbeitung
Serienweise (»batchwise«)
Serienweise (»batchwise«)
Einzelläufe (»random access«)
Grad der Automatisierung
Gering
Mittel (Manuelle Probenvorbereitung; automatisierter Testlauf )
Hoch (vollautomatischer Prozess ab Probenzugabe – »walk away«)
Flexibilität in der Abarbeitung
Nein
Nein
Ja, Einzeltests, auch unterschiedliche, jederzeit möglich (»random access«)
Laborumfeld erforderlich
Ja
Ja
Teilweise
PCR-geschultes Personal erforderlich
Ja
Ja
Ja
POCT-fähig
Nein
Nein
Eingeschränkt
Kosten
€
€€
€€€
Diagnostik aus dem Laborumfeld wirklich praktikabel ist, muss in größeren Studien resp. durch groß angelegte Anwendungsbeobachtungen bestätigt werden. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat zwar für den »GeneXpert« eine Zulassung als Schnelltest-Verfahren nach den CLIA-Kriterien (Clinical Laboratory Improvement Act) erteilt; allerdings wird der Test dort in der Kategorie »moderate complex« geführt, die akkre-
147 11.3 · Molekularbiologische Tests
11
ditierten Laboratorien vorbehalten ist. Eine Einstufung als »CLIA waived«, d. h. eine Zulassung für ein breites Anwendungsgebiet ohne weitere Regularien, zeichnet sich nicht ab. Die Palette der zur Verfügung stehenden Einzeltest-Kartuschen im PCRFormat umfasst Tests zur Identifizierung von Infektions- und Krebserkrankungen im klinischen Bereich (z. B. MRSA, Gruppe B-Streptokokken, Enteroviren aus Liquor, Influenza, Clostridium difficile, BCR-ABL-Translokation bei der CML), Tests im Lebensmittel-, Landwirtschafts- und Umweltbereich, sowie Tests für die Identifizierung von für bioterroristische Zwecke eingesetzten Erregern (Bacillus anthracis; Kap. 22; [5, 6, 7]). Da nicht nur die Identität der nachgewiesenen Erreger genetisch fixiert ist, sondern auch Resistenzdeterminanten oder Virulenzfaktoren auf molekularer Ebene repräsentiert sind, lassen sich mit entsprechend modifizierten PCR-Techniken (sog. Multiplex-Tests) mittlerweile auch mehrere Gennachweise in einem einzigen Testdurchlauf durchführen ( Kap. 22). Der Tuberkulose-Test des »GeneXpert« identifiziert nicht nur den Erreger, sondern weist darüber hinaus eine genetische Veränderung der Rifampicin-Resistenz, einem Marker für multiresistente Stämme von Tuberkulosebakterien (MDR-TB), nach ( Kap. 36). Ein weiteres Beispiel für einen Multiplex-Test ist der Clostridium difficile-Nachweis, der nicht nur das Bakterium selbst erkennt, sondern außerdem den »hypervirulenten« Stamm NAP1/O27 identifizieren kann. Weitere Unternehmen der In-vitro Diagnostik arbeiten derzeit an der Entwicklung ähnlicher POCT-geeigneter DNA-Amplifikations- und Detektionstechniken für NAT-Applikationen: ▬ Die Firma Nanosphere (Northbrook, IL, USA) nutzt in ihrem VerigeneSystem Gold-Nanopartikel mit immobilisierten kurzen Einzelstrang-Nukleinsäure-Sequenzen für die Detektion von infektiöser DNA oder RNA. Dabei werden die optischen Eigenschaften der Gold-Nanopartikel, die in räumliche Nähe zueinander gebracht werden, genutzt. Die Wellenlänge des von den Oberflächen-fixierten Partikeln ausgelösten Streulichts ist nämlich abhängig vom Abstand der Gold-Nanopartikel untereinander. Die Distanz variiert mit und ohne Dimerisierung zweier benachbarter Nanopartikel, die durch Hybridisierung von DNA-Sequenzen verursacht wird. ▬ Das Konzept von Enigma (Salisbury, Wiltshire, UK) ist die integrierte und automatisierte PCR-Amplifikation in Realzeit unter Nutzung von PCR-Reagenzien, die gefriergetrocknet gelagert werden können.
148
11
Kapitel 11 · Mikrobiologische Schnelltests und molekularbiologische Analytik
▬ DxNA (St. George, UT, USA) entwickelt eine mobile POCT-Technologie (GeneSTAT) für RT-PCR-basierte Nachweisverfahren für das »Severe acute respiratory syndrome« (SARS) bzw. die hochpathogene Vogelgrippe. ▬ Idaho Technology (Salt Lake City, UT, USA) entwickelt den FilmArrayAnalyzer, der PCR-Reaktionen im Arrayformat ausführt. Nach einer ersten multiplexen PCR-Reaktion wird das Reaktionsgemisch in multiple Vertiefungen einer Arrayplatte überführt. Jede dieser Vertiefungen ist mit einem spezifischen »second stage DNA-primer« für bestimmte Krankheitserreger beschichtet. Dadurch können spezifische Sequenzen innerhalb der ersten PCR-Produkte amplifiziert und anschließend detektiert werden. ▬ Der Liat Analyzer von IQuum (Marlborough, MA, USA) bietet eine innovative »Lab-in-a-tube- Plattform« für den Nachweis und die Genotypisierung von DNA- und RNA-Virus- bzw. Bakterienstämmen. ▬ Qiagen (Hilden) bietet mit dem ESEQuant Tube-Scanner eine portable Komplettlösung an, die isothermale Real-Time-Amplifikationen (siehe nächster Absatz) ermöglicht. Das Gerät ist ein handliches FluoreszenzMessinstrument, das sensitive, robuste und zugleich kosteneffiziente Analysen erlaubt. Der eingebaute Detektor basiert auf modernsten Mikrosystemen, LEDs und Filtertechnologien, die die Leistung des Instruments vergleichbar mit kommerziellen Spektrometern machen. Zudem sind Schmelzkurvenanalysen zur Charakterisierung der Amplifikationsprodukte möglich. Ein weiterer, vielleicht entscheidender Schritt in Richtung einer anwenderfreundlichen und rasch durchführbaren (<30 min) POCT-Molekulardiagnostik könnte im Einsatz von isothermalen DNA- und RNA-Amplifikationsverfahren bestehen. Derartige Amplikationssysteme erlauben im Gegensatz zu der über Temperaturstufen synchronisierten PCR eine kontinuierlich fortschreitende Reaktion und sind daher ihr gegenüber im Prozessablauf schneller. Es gibt daneben die noch weitgehend im Forschungsstadium befindlichen Systeme wie die »Exponential amplification reaction« (EXPAR) und die »Nucleic acid sequence based amplification« (NASBA). Schon kommerziell genutzt werden diese neuartigen Amplifikationsverfahren z. B. von den Firmen TwistDX (Cambridge, UK; »recombinase polymerase amplification«, RPA) und Biohelix (Beverly, MA, USA; »thermophilic helicase-dependent isothermal amplification« tHDA).
149 Literatur
11
Diese innovativen DNA/RNA-Vervielfältigungsverfahren sowie die zunehmende Test-Parallelität, die sich hier in ihren Anfängen abzeichnen, wird sicherlich auch die Zukunft der patientennahen Testung bestimmen. Eine neuere Generation von NATs mit noch stärkerer Parallelität wird antreten, um komplexe infektiologische Fragestellungen schnell und nah am Patienten zu beantworten. Ob die aufgezeigten Techniken jedoch den Anforderungen dieser Entwicklung gerecht werden können, ist fraglich. Denkbar ist, dass andere Plattformen mit höherer Informationsdichte (etwa die DNA-ChipTechnologie oder die Massenspektrometrie) hier nachfolgen und die PCR auf lange Sicht ablösen [1]. Zudem muss betont werden, dass bei allen mikrobiologischen und virologischen Nachweisverfahren eine Fachexpertise bzgl. der Interpretation der Ergebnisse eine unbedingte Voraussetzung darstellt. Daher werden auch in Zukunft die patientennah als NAT durchgeführten mikrobiologischen Schnelltests nur einen beschränkten Teil der mikrobiologischen und virologischen Gesamtdiagnostik ausmachen.
Literatur [1] Dunne WM Jr, Pinckard JK, Hooper LV (2002) Clinical microbiology in the year 2025. J Clin Microb 2002;40: 3889–93 [2] Hartinger A, Reischl U (2009) PCR basierte MRSA Schnelltests. Trillium Report;7: 42–45 [3] Inverness medical (2006) BioStar OIA GC. An enhanced optical immunoassay for the rapid detection of Neisseria gonorrhoeae from female endocervical swabs and male urine specimens. Produktbeilage, Revision 02. Inverness Medical Innovations, Waltham, MA, USA [4] Klewitz TM (2005) Entwicklung eines quantitativen Lateral-Flow-Immunoassays zum Nachweis von Analyten in geringsten Konzentrationen. Inauguraldissertation, Universität Hannover [5] Marlowe E, Wolk D (2008) GeneXpert testing: applications for clinical microbiology, Part I. Clin Microbiol Newsletter 30; Issue 23 [6] Marlowe E, Wolk D (2008) GeneXpert testing: applications for clinical microbiology, Part II. Clin Microbiol Newsletter 30; Issue 24 [7] Raja S, Ching J, Xi L, Hughes SJ, Chang R, Wong W et al. (2005) Technology for automated, rapid, and quantitative PCR or reverse transcription-PCR clinical testing. Clin Chem 2005;51: 882–90
12 Urinanalytik N. Gässler
12.1
Protein
– 154
12.2
Mikroalbumin
12.3
Glukose
12.4
Ketone
12.5
Bilirubin
12.6
Urobilinogen
12.7
Nitrit
12.8
pH
12.9
Erythrozyten/Hämoglobin (Hb) – 156
– 154
– 155 – 155 – 155 – 156
– 156 – 156
12.10 Leukozyten 12.11 Kreatinin
– 157
– 157
12.12 Spezifisches Gewicht – 157 12.13 Medikamente und Drogen – 158 12.14 Humanes Choriongonadotropin (HCG) – 158 12.15 Qualitätskontrolle von Urinteststreifen – 158 Literatur
– 159
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
152
12
Kapitel 12 · Urinanalytik
Im Rahmen einer zeitgemäßen Primärprävention kann der Ausschluss oder die frühzeitige Diagnostik von beginnenden Nephropathien und Harnwegsinfekten mit einer Laboruntersuchung erfolgen. Hierbei werden als erste diagnostische Maßnahme fast immer Urinteststreifen verwendet. Diese Teststreifen, die mehrere Parameter gleichzeitig nachweisen können, sind klassische POC-Tests. Sie werden als Screeningverfahren auch im Zentrallabor oder als Patientenselbsttest eingesetzt. Das Nitritfeld (Bakterien) kann auf eine Harnwegsinfektion hinweisen, das Hämoglobin-(Hb-)Feld ist bei Vorliegen von Blut positiv, das Glukosefeld kann einen Hinweis auf das Vorliegen eines Diabetes mellitus liefern, und das Proteinfeld kann eine deutliche Proteinurie nachweisen. Mit dem Standardteststreifen lassen sich jedoch geringe Albuminausscheidungen (Mikroalbuminurie) und die Ausscheidung niedrigmolekularer tubulärer Markerproteine nicht feststellen. Der Einsatz von Urinteststreifen kann zwar ausgeprägte Nephropathien detektieren, jedoch können diese im Anfangsstadium noch leicht übersehen werden. Als geeignetstes Untersuchungsmaterial hat sich der erste Morgenurin erwiesen. Bereits seit dem Altertum gehört zur Urinuntersuchung die physikalische Bestimmung der Dichte. Die erste chemische Methode zum Nachweis von Protein wurde von dem Wiener Chemiker J. F. Heller (1813–1871) vorgestellt, die sog. Heller-Ringprobe. Bei diesem Verfahren wird der Urin in einem Likörglas mit konzentrierter Salpetersäure unterschichtet. Ist im Harn Albumin enthalten, wird eine ringförmige Ausfällung sichtbar. Da das Verfahren zumeist vom Arzt direkt im Beisein des Patienten durchgeführt wurde, war diese Methode wohl das erste in der Literatur beschriebenurde POC-Testverfahren. Die Einführung von Teststreifen im 20. Jahrhundert revolutionierte die Urindiagnostik wegen ihrer Praktikabilität und Spezifität. Die Reaktionsfelder der Teststreifen enthalten in einem saugfähigen Material alle zur Nachweisreaktion erforderlichen Reagenzien. Der Urin wirkt als Lösungsvermittler; durch ihn werden die stabilisierten Reagenzien gelöst und die jeweiligen chemischen Nachweisreaktionen in Gang gesetzt. Die Teststreifenuntersuchung schließt den chemischen Nachweis von korpuskulären Bestandteilen wie Erythrozyten und Leukozyten sowie die Bestimmung von pH-Wert und spezifischem Gewicht mit ein. Um eine hohe Zuverlässigkeit mit diesem Testverfahren zu erreichen, ist es wichtig, dass möglichst frischer Urin (Untersuchung max. 2–4 h nach der Gewinnung) eingesetzt wird. Die Teststreifen dürfen höchstens 1 s lang
153 Kapitel 12 · Urinanalytik
12
in den Urin eingetaucht werden. Überschüssigen Urin sollte man abstreifen. Je nach Hersteller und Testfeld sind die vorgeschriebenen Inkubationszeiten (i. A. 1 min) exakt einzuhalten. Nach vollständiger Reaktion können die verfärbten Reaktionsfelder mit den Farbskalen auf dem Teststreifenbehälter verglichen und die Ergebnisse qualitativ oder halbquantitativ abgelesen werden. Eine Auswertung der Teststreifen mittels Lesegeräten ist ebenfalls möglich; diese Geräte enthalten i. A. Speicher für Patienten- und Anwenderdaten sowie zum Teil Schnittstellen für einen Datentransfer (⊡ Abb. 12.1).
⊡ Abb. 12.1 Urisys 1100. Mit freundlicher Genehmigung der Roche Diagnostics GmbH, Mannheim
154
12.1
Kapitel 12 · Urinanalytik
Protein
Das Testprinzip beruht auf dem sog. Proteinfehler von pH-Indikatoren. Hierbei nehmen die freien Aminogruppen der Proteine im Urin bei konstantem pH-Wert vom Indikator (Tetrabromphenolblau) Protonen auf. Dies führt zu einer Farbänderung des Indikators. Die Empfindlichkeit für Albumin ist deutlich höher als für andere Globuline; Bence-Jones-Proteine und weitere kleinmolekulare Proteine können schlecht nachgewiesen werden. Bei stark alkalischem Urin (z. B. bei einer Harnwegsinfektion) und durch Beimengungen von Reinigungs- oder Desinfektionsmitteln kann der Teststreifen ein falsch-positives Ergebnis anzeigen. Die Empfindlichkeit liegt bei 15–20 mg Albumin/dl Urin. Hiermit kann eine Makroalbuminurie, nicht jedoch eine Mikroalbuminurie nachgewiesen werden [7].
12.2
12
Mikroalbumin
Die halbquantitative Bestimmung von »Mikroalbumin«, d. h. von Albuminkonzentrationen <20 mg/dl Urin mittels eines Teststreifens, ist nach 2 verschiedenen Prinzipien möglich, die entweder auf immunchemischen Verfahren oder einer verbesserten Indikatorfehlermethode basieren. Beim Micraltest II (Roche) durchläuft der Urin eine Teststreifenzone mit einem löslichen roten Antikörper-Gold-Konjugat, das spezifisch Albumin bindet. Überschüssiges Konjugat wird von einer Abfangzone mit immobilisiertem Albumin zurückgehalten, sodass nur das mit Albumin beladene Goldkonjugat das Nachweisfeld erreicht. Dort wird ein Farbton zwischen Weiß und Rot sichtbar. Der Teststreifen Mikroalbustix (Siemens Healthcare) hingegen basiert auf der Indikatorfehlermethode (s. oben), wobei hier ein Sulfophthalein (DIDNTB) als Indikator verwendet wird, der zu einem blauen Farbumschlag führt. Beide Tests weisen etwa die gleiche Empfindlichkeit (etwa 2 mg/dl Urin) auf, doch ist die Spezifität des immmunologischen Tests deutlich besser [5]. Wird Spontanurin getestet, kann die Aussagekraft des Ergebnisses u. U. verbessert werden, wenn das Ergebnis auf die Kreatininkonzentration im Urin bezogen und dadurch der Einfluss der Diurese auf das Ergebnis eliminiert wird. Der Microalbustix und der Mikroalbuminteststreifen Clinitec (Siemens Healthcare) haben deshalb je ein zusätzliches Kreatinintestfeld.
155 12.5 · Bilirubin
12
Auch eine quantitative Mikroalbuminbestimmung ist am POC möglich. Das HemoCue Albumin 201 nutzt dazu – unter Verwendung von Einmalküvetten – einen immunologischen Trübungstest. Das DCA Vantage (Siemens Healthcare) misst Albumin und Kreatinin (immunologisch/Farbreaktion) und berechnet den Albumin-Kreatinin-Quotienten.
12.3
Glukose
Die Bestimmung des Blutzuckers beruht auf einer Oxidation der Glukose durch das Enzym Glukoseoxidase. In einem zweiten Schritt wird gebildetes Wasserstoffperoxid zu einem Farbstoff umgesetzt. Die Empfindlichkeit liegt bei 50–100 mg Glukose/dl Urin. Hohe Konzentrationen von Ketonen und Ascorbinsäure (>50 mg/dl) können zu einer Abschwächung der Reaktion oder zu falsch-negativen Ergebnissen führen [1], während oxidierende Reinigungsmittel wie H2O2 oder Hypochlorit falsch-positive Resultate bedingen. 12.4
Ketone
Azetessigsäure und Azeton reagieren mit Nitroprussidnatrium zu einem farbigen Komplex (Legal-Probe). Die Empfindlichkeit liegt bei 5–10 mg Azetessigsäure/dl Urin; für Azeton ist der Test unempfindlicher, β-Hydroxybuttersäure wird gar nicht erfasst [6]. Ketonkörper sollten im frischen Urin gemessen werden. Bei zu langer Lagerung des nativen Urins zerfällt die Azetessigsäure oder sie wird durch Bakterien abgebaut; dies führt ebenso zu falsch-negativen Resultaten wie stark saurer Urin, z. B. nach Einnahme von großen Mengen Ascorbinsäure. Auch stark verfärbter Urin kann das Testergebnis negativ verfälschen.
12.5
Bilirubin
Direktes Bilirubin reagiert mit diazotiertem Dichloranilin in einer Kupplungsreaktion im sauren Milieu. Hierdurch entsteht Azobilirubin in verschiedenen Farbabstufungen [8]. Die Empfindlichkeit liegt bei 0,4 mg Bilirubin/dl Urin. Ascorbinsäure (>250 mg/dl Urin) und Nitrit können zu falsch-negativen Ergebnissen führen, ebenso längeres Stehen des Urins in direktem Sonnenlicht.
156
12.6
Kapitel 12 · Urinanalytik
Urobilinogen
Urobilinogen reagiert mit p-Dimethylaminobenzaldehyd in Gegenwart eines Farbverstärkers oder mit p-Methoxybenzoldiazoniumfluoroborat im stark sauren Milieu zu einem rosaroten Farbkomplex [9]. Die Empfindlichkeit liegt bei 0,2 mg Urobilinogen/dl Urin. Da Urobilinogen leicht oxidiert, können falsch-negative Ergebnisse bei zu langer Lagerung des Untersuchungsmaterials auftreten.
12.7
12
Nitrit
Sulfanilamid wird im sauren Milieu mit Nitrit diazotiert. In einer weiteren Reaktion wird das entstandene Diazoniumsalz mit Chromogen, einem Benzochinonderivat, zu einem rosafarbenen Farbstoff gekuppelt. Der Nitritnachweis ist spezifisch für gramnegative Bakterien; 80 % aller Keime, die für eine Harnwegsinfektion verantwortlich zeichnen, sind Nitritbildner [4]. Die Empfindlichkeit liegt bei 0,06–0,10 mg Nitrit/dl Urin. Negative Resultate können bei hohen Konzentrationen von Ascorbinsäure (>25 mg/dl Urin), bei Harnwegsinfektionen mit nicht-nitritbildenden Bakterien wie Enterokokken, Staphylokokken und Pseudomonas spp. sowie bei zu kurzer Verweildauer des Urins in der Blase (<4 h) auftreten; in diesem Fall werden u. U. keine ausreichenden Nitritmengen gebildet.
12.8
pH
Meist werden Indikatoren, z. B. Methylrot und Bromthymolblau, in Kombination eingesetzt. Hierdurch können durch unterschiedliche Färbungen pH-Werte zwischen 5,0 und 8,5 erfasst werden.
12.9
Erythrozyten/Hämoglobin (Hb)
Durch die katalytische Wirkung der Pseudoperoxidase von Hb und Myoglobin werden Farbindikatoren wie o-Toluidin oder 3,3’,5,5’-Tetramethylbenzidin durch ein organisches Hydroperoxid (Cumol) oxidiert und bewirken
157 12.12 · Spezifisches Gewicht
12
so einen Farbumschlag. Intakte Erythrozyten werden durch grüne Punkte auf der Reaktionszone angezeigt; deren Nachweisgrenze liegt bei 5–20 Erythrozyten/μl Urin. Für freies Hb bzw. Myoglobin liegt die Nachweisgrenze bei 0,02–0,06 mg/dl Urin. Der Test ist sowohl für Hb als auch für Myoglobin gleichermaßen empfindlich [2]. Bei hohen Konzentrationen von Ascorbinsäure erhält man falsch-negative oder zu niedrige Resultate. Durch oxidierende Reinigungsmittel, die Hypochlorit oder H2O2 enthalten, können falsch-positive Ergebnisse auftreten.
12.10
Leukozyten
Die im Urin ausgeschiedenen Leukozyten sind fast ausschließlich Granulozyten. Die bei physiologischer Lyse von Leukozyten freigesetzte Esterase katalysiert die Hydrolyse eines Pyrrolaminosäureesters zu 3-Hydroxy-5Phenylpyrrol (Indoxyl), das nach Diazotierung zu einem violetten Farbstoff reagiert. Die Empfindlichkeit des Tests liegt bei 10–20 Leukozyten/μl Urin. Das Leukozytentestfeld kann nicht zwischen lysierten und intakten Zellen differenzieren.
12.11
Kreatinin
Kreatinin katalysiert in Anwesenheit von Kupfer die Reaktion von Diisopropylbenzyldihydroperoxid mit 3,3’,5,5’-Tetramethylbenzidin zu einem farbigen Komplex. Die Empfindlichkeit liegt bei 15 mg Kreatinin/dl Urin.
12.12
Spezifisches Gewicht
Ein Polyelektrolyt (Polymethylvinylether/Maleinsäureanhydrid) nimmt Kationen aus dem Urin auf und setzt die gleiche Menge an Protonen frei. Diese führen bei einem pH-Indikator (Bromthymolblau) zu einem Farbumschlag [3]. Der Test erfasst die Ionenkonzentration des Harns und korreliert gut mit dem spezifischen Gewicht zwischen 1.000 und 1.030. Stark alkalische Urine (pH ≥8,0) bringen falsch-niedrige Ergebnisse hervor, stark saure Urine (pH <5,0) ergeben zu hohe Werte.
158
12.13
Kapitel 12 · Urinanalytik
Medikamente und Drogen
Auch der Nachweis von Medikamenten, Drogen und Doping-Substanzen im Urin kann als POCT durchgeführt werden. Hierfür stehen zahlreiche qualitative oder auch semiquantitative Testsysteme zur Verfügung. Jedoch können die Ergebnisse dieser Untersuchungen, die beispielsweise in der Suchttherapie eingesetzt werden, durch diverse Zusätze wie Bleichmittel, Seife oder Kochsalz verfälscht werden ( Kap. 19).
12.14
12
Humanes Choriongonadotropin (HCG)
Ein typischer POC-Test ist der Schwangerschaftstest, der auf dem Nachweis von HCG beruht. Etwa 14 Tage nach Befruchtung der Eizelle kann mit solchen Tests HCG im konzentrierten Morgenurin nachgewiesen werden. Es handelt sich hierbei um ein immunchromatographisches Testverfahren ( Kap. 10). Auf dem Teststreifen wird das Probematerial chromatographisch aufgetrennt und anschließend mittels Antigen-Antikörper-Reaktion zu einem sichtbaren Farbkomplex umgesetzt. Die Empfindlichkeit solcher Schnelltests liegt bei 25 IU/l. Bei einem negativen Ergebnis sollte der Test 48 h später wiederholt werden. Stark blutige Urinproben können durch Überforderung der Testfelder falsch-positive Resultate ergeben.
12.15
Qualitätskontrolle von Urinteststreifen
Die Qualitätssicherung von Urinuntersuchungen ist im Teil B2 »Qualitative laboratoriumsmedizinische Untersuchungen« der RiliBÄK geregelt ([10]; Kap. 31). Für die interne Qualitätssicherung sind die Vorgaben des Herstellers zu beachten. Unabhängig davon ist eine Qualitätssicherung für die in Tab. 2-1 der RiliBÄK aufgeführten Untersuchungen durchzuführen. Sind in das Analysensystem Kontrollen integriert, die die Richtigkeit des Ergebnisses sicherstellen (z. B. bei vielen Schwangerschaftstests), entfällt eine zusätzliche Untersuchung. Die Teilnahme an einem Ringversuch ist für alle in Tab. 2-2 der RiliBÄK aufgeführten Untersuchungen verpflichtend.
159 Literatur
12
Literatur [1] Berg B (1986) Ascorbate interference in the estimation of urinary glucose by test strips. J Clin Chem Clin Biochem 24: 89–96 [2] Braun JS, Straube W (1975) Die Diagnostik der Mikrohämaturie mit einem neuen Teststreifen. Ein Vergleich mit mikroskopischen Untersuchungsmethoden. Dtsch Med Wschr 100: 87–89 [3] Dorizzi RM, Caputo M (1998) Measurement of urine relative density using refractometer and reagent stripes. Clin Chem Lab Med 36: 925–928 [4] ECLM (2000) European Urinalysis Guidelines: Summary. Scand. J Clin Lab Invest 60, Supplement 231: 1–96 [5] Haas M, Besenthal I, Renn W, Schmülling R, Eggstein M (1994) Mikroalbuminurie-Screening: Eine vergleichende Untersuchung von drei Schnelltests gegen ein nephelometrisches Verfahren. Diab Stoffw 3: 61–65 [6] Heinemann L, Asche W, Withold W, Berger M (1994) Quantitative Beziehung zwischen der mit vier Schnelltests bestimmten Ketonurie und der gleichzeitig vorliegenden Ketonämie. Diab Stoffw 3: 339–342 [7] Hofmann W, Edel, HH. Guder WG. Ivandic M, Scherberich, JE (2001) Harnuntersuchungen zur differenzierten Diagnostik einer Proteinurie: Bekanntes und Neues zu Teststreifen und Harnproteinen. Dtsch Arztebl; 98: A-756 / B-618 / C-578 [8] Jendrassik L, Gróf P (1938) Vereinfachte photometrische Methoden zur Bestimmung des Bilirubins. Biochem Ztschr 297: 81–89 [9] Kutter D, van Oudheusden APM, Eisenberg K, Hennecke A, Helbing R, Busch EW (1973) Die Brauchbarkeit eines neuen Teststreifens zum Nachweis von Urobilinogen im Harn. Dtsch Med Wschr 98: 112–118 [10] Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (2011) Teil B2 -Qualitative laboratoriumsmedizinische Untersuchungen Dtsch Ärztebl 108: A1647–A1651
13 Stuhlanalytik H. Schlebusch
13.1
Einleitung
13.2
Guajac-Tests
13.3
Immunologische Tests auf okkultes Blut (i-FOB-Tests) – 163
13.4
Leukozytenmarker/M2-PK
13.5
Molekulare Marker Literatur
– 162 – 162
– 164
– 164
– 164
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
162
13.1
Kapitel 13 · Stuhlanalytik
Einleitung
Das kolorektale Karzinom (KRK) liegt in der Statistik aller Krebstodesursachen in Deutschland – nach dem Bronchialkarzinom – an zweiter Stelle. Das Lebensrisiko beträgt ca. 5 %; ab dem 50. Lebensjahr verdoppeln sich Inzidenz und Mortalität mit jeder Lebensdekade [11]. Da sich das KRK langsam entwickelt, kann der Tumor im Prinzip durch entsprechende Screeningprogramme in einem für therapeutische Maßnahmen günstigen Frühstadium entdeckt werden. »Goldstandard« aller diagnostischen Verfahren ist die Koloskopie, die jedoch von den Patienten aus verschiedensten Gründen nur eingeschränkt akzeptiert wird [8]. Als Alternative wurde die Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl (FOB= »fecal occult blood«) 1977 in das deutsche Krebsfrüherkennungsprogramm aufgenommen; ab dem 50.Lebensjahr wird jährlich, ab dem 55.Lebensjahr alle zwei Jahre eine Untersuchung empfohlen. Die Kosten werden von den Kassen übernommen. Grundlage des FOB-Tests ist die Beobachtung, dass kolorektale Karzinome häufiger und stärker bluten als die gesunde Darmschleimhaut; da die Blutung oft intermittierend auftritt, wird die Zuverlässigkeit der Untersuchung durch mehrmalige Testung (an verschiedenen Tagen) erhöht. Ein positives Ergebnis sollte nicht durch eine Wiederholung des FOB-Tests, sondern durch eine Koloskopie kontrolliert werden.
13
13.2
Guajac-Tests
Für das KRK-Screening werden Tests auf Guajac-Basis verwendet, die von verschiedenen Firmen angeboten werden (z. B. Haemoccult, Hemocare, Hemofec) und die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zugelassen sein müssen. Die Empfindlichkeit der Tests ist so eingestellt, dass für ein positives Ergebnis die mittlere Erythrozytenausscheidung des gesunden Verdauungstrakts (0,5–1,0 ml Blut) um das Zwei- bis Dreifache überschritten sein muss. Zwei kleine Stuhlproben von drei aufeinanderfolgenden Stuhlgängen werden auf ein mit Guajac-Harz imprägniertes Filterpapier (das »Testbriefchen«) gestrichen, das nach mindestens 48-stündiger Trocknung mit Wasserstoffperoxid-Lösung betropft wird. Bei Anwesenheit von Blut kommt es zu einer Blaufärbung des Testfelds aufgrund der Pseudoperoxidase-Wirkung des Häms. Der Test gilt als positiv, wenn mindestens ein Testfeld eine (u. U.
163 13.3 · Immunologische Tests auf okkultes Blut
13
auch nur schwache) Blaufärbung zeigt. Die diagnostische Sensitivität beträgt für Kolonkarzinome 20–40 %, die Spezifität etwa 95 % [4, 11]. Der Test kann durch eine Reihe von Störfaktoren beeinflusst werden (z. B. vorheriger Genuss von Fleisch- und Fleischprodukten, bestimmte Medikamente, Ascorbinsäure). Obwohl die praktische Bedeutung dieser Störfaktoren umstritten ist [2, 3, 4, 6], wird im Allgemeinen empfohlen, drei Tage vor dem Test auf rohes oder halbrohes Fleisch und entsprechende Wurstwaren sowie auf hohe Dosen von Vitamin C zu verzichten. Es konnte gezeigt werden [9], dass Fehler bei der Auswertung das Testergebnis in nicht unbeträchtlichem Maße beeinflussen können. Der Test sollte deshalb von erfahrenen Mitarbeitern unter geeigneten Bedingungen (z. B. helles Licht, keine blauen Gegenstände auf dem Arbeitstisch) beurteilt werden. Leider existiert in Deutschland für den Nachweis von Blut im Stuhl keine externe Qualitätskontrolle, und auch in der neuen RiliBÄK für qualitative Tests (Teil B2) [5] ist diese nicht vorgesehen. Das ist umso bedauerlicher, als Ringversuche in Großbritannien Probleme bei der Performance einiger Tests erkennen ließen [1].
13.3
Immunologische Tests auf okkultes Blut (i-FOB-Tests)
Immunologische Tests zum Nachweis von okkultem Blut wurden seit Mitte der 1990er-Jahre entwickelt; sie weisen gegenüber den Guajac-Tests eine wesentliche Verbesserung von Sensitivität (66–100%) und Spezifität auf (Übersicht bei [11]). Eine diätetische Vorbereitung des Patienten ist nicht erforderlich. In Deutschland werden i-FOB-Tests von mehreren Firmen (z. B. AccuTell FOB-Test, FOB ideal, FOB Kassetten-Test, möLAB FOB-Test), z. T. auch als »home-use-Tests« angeboten. Die Tests sind für das Krebsfrüherkennungsprogramm nicht zugelassen, die Kosten werden von den Kassen deshalb nicht erstattet. Alle Tests verwenden ein immunchromatographisches Nachweisverfahren. Die Deutsche Krebshilfe weist jedoch darauf hin, dass die verschiedenen Tests sich in ihren Eigenschaften unterscheiden können. Bisher fehlten größere Studien, die eine Senkung der Mortalität bei Anwendung eines i-FOB-Tests zeigen; in Japan konnte jedoch inzwischen in einer neueren Untersuchung eine Reduktion der KRK-Mortalität um 60 % nachgewiesen werden, wenn jährlich ein i-FOB-Test durchgeführt wird [7].
164
Kapitel 13 · Stuhlanalytik
Ob bzw. wann der i-FOB-Test den Guajac-Test als Screening-Test ablösen wird, ist gegenwärtig nicht abzuschätzen. Hier spielen neben der fehlenden Standardisierung der analytischen Sensitivität der Tests (z. Zt. legen die Hersteller die Empfindlichkeit ihrer Tests fest) auch die höheren Testkosten eine Rolle.
13.4
Leukozytenmarker/M2-PK
Die Leukozytenproteine Calprotectin und Laktoferrin sind stabile Proteine aus neutrophilen Granulozyten, die bei entzündlichen und neoplastischen Prozessen vermehrt im Stuhl nachgewiesen werden können und deshalb eine Bedeutung bei der Erst- und Verlaufsdiagnostik entzündlicher Darmerkrankungen haben [12]). Für das KRK wurden zwar Sensitivitäten gefunden, die mit den i-FOBTests vergleichbar sind, die Spezifität ist mit <70 % jedoch unbefriedigend, sodass diese Parameter für Screening-Untersuchungen nicht brauchbar sind. Ähnliches gilt für das dimere Isoenzym der Pyruvat-Kinase (M2-PK), das eher als Marker für entzündliche Darmerkrankungen, nicht aber als Tumormarker verwendet werden kann [10, 11].
13
13.5
Molekulare Marker
Molekulare Marker für neoplastische Prozesse im Gastrointestinaltrakt sind Gegenstand intensiver Forschung und gelten vielfach als »Marker der Zukunft«. Über die Auswahl erfolgversprechender Gene (u. a. APC, K-ras, P53) und ihre Zusammenfassung zu Marker-Gruppen existiert jedoch bisher keine Einigkeit (Übersicht bei [11]). Limitierend ist darüber hinaus der z. Zt. noch hohe apparative und personelle Aufwand.
Literatur [1] Duncan A, Hill PG (2007) A review of the quality of gastrointestinal investigations performed in UK laboratories. Ann Clin Biochem 44: 145–158 [2] Fraser CG (2008) Faecal occult blood tests – eliminate, enhance or update? Ann Clin Biochem 45: 117–121
165 Literatur
13
[3] Kahi CJ, Imperiale TF (2004) Do aspirin and nonsteroidal anti-inflammatory drugs cause false-positive fecal occult blood test results? A prospective study in a cohort of veterans. Am J Med 117: 837–841 [4] Ransohoff DF, Lang CA (1997) Screening for colorectal cancer with the fecal occult blood test: a background paper.American College of Physicians. Ann Int Med 126: 811–822 [5] Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (2011) Teil B2 –Qualitative laboratoriumsmedizinische Untersuchungen Dtsch Ärztebl 108: A1647–A1651 [6] Rozen P, Knaani J, Samuel Z (1999) Eliminating the need for dietary restrictions when using a sensitive guajac fecal occult blood test. Dig Dis Sci 44: 756–760 [7] Saito H (2000) Screening for colorectal cancer:current status in Japan. Dis Colon Rectum 43: S 78–84 [8] Schneider AR, Caspary WF (2003) Diagnosis of colorectal carcinoma. An update. Radiologe 43: 105–112 [9] Selinger RR, Norman S, Dominitz JA (2003) Failure of health care professionals to interprete fecal occult blood tests accurately. Am J Med 114: 64–67 [10] Shastry YM, Stein J, (2007) Fecal tumor M2 pyruvatkinase is not a specific biomarker for colorectal cancer screening. World J Gastroenterol 13: 2769–2770 [11] Stein J, Loitsch SM, Shastry Y (2008) Nicht-invasive Diagnostik kolorektaler Tumore – hat der GuajacTest ausgedient? J Lab Med 32: 158–167 [12] Vermeire S, van Assche G, Rutgeerts P (2006). Laboratory markers in IBD: useful, magic, or unnecessary toys? Gut 55: 426–431
14 Nichtinvasive Analytik H. Schlebusch
14.1
Bilirubinbestimmung bei Neugeboren – 168
14.2
Pulsoxymetrie
14.3
Messung des Kohlendioxid- und Sauerstoffpartialdrucks – 170
14.4
Messung von Stickstoffmonoxid in der Ausatemluft – 171
14.5
Zukünftige Entwicklungen
14.6
Qualitätssicherung Literatur
– 169
– 171
– 172
– 172
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
168
14.1
Kapitel 14 · Nichtinvasive Analytik
Bilirubinbestimmung bei Neugeboren
Die transkutane Bilirubinbestimmung ist ein im ambulanten wie im stationären Bereich weithin eingesetztes Screeningverfahren. Dafür sind in Deutschland zwei Geräte im Handel: ▬ Konica Minolta/Air-Shields JM 103 Jaundice Meter (Dräger Medical), ▬ Spectrx BiliCheck (Medela Medizintechnik). ▬ Für ein weiteres Gerät (»BiliMed«) sind detaillierte Informationen über das Funktionsprinzip nicht zu erhalten, zwei Evaluationsberichte sind eher negativ [2, 3].
14
JM 103 und BiliCheck arbeiten nach dem gleichen Messprinzip, das jedoch in unterschiedlicher Weise realisiert wird. Das JM 103 Jaundice Meter benutzt Licht zweier Wellenlängen (450/550 nm), das auf verschiedenen optischen Wegen unterschiedlich tief in die Haut eindringt, dort gestreut und partiell reflektiert wird; der reflektierte Anteil wird mit 2 Photodioden gemessen. BiliCheck verwendet weißes Licht, das nach Streuung und Reflexion in mehrere Wellenlängenbereiche aufgeteilt und durch jeweils eigene Photodioden gemessen wird. Bei beiden Verfahren wird versucht, den Einfluss von Hb, Melanin und den des Reifegrads der Haut zu eliminieren, um ein bilirubinspezifisches Signal zu erhalten. Über beide Geräte liegen ausführliche Evaluationsberichte vor [1, 4, 6, 7, 11, 12]; ihre wichtigsten Charakteristika sind in ⊡ Tab. 14.1 zusammengefasst. Für Neugeborene europäischer Herkunft ab der 35. Schwangerschaftswoche sind die Ergebnisse beider Geräte vergleichbar [4]. Die Differenz zu den Plasmaergebnissen nimmt mit höheren Konzentrationen zu, sodass bei Plasmawerten von 15 mg/dl mit Abweichungen von 2–3 mg/dl gerechnet werden muss. Für Frühgeborene sind die Abweichungen größer. Obwohl beide Hersteller angeben, dass die Ergebnisse von der Hautfarbe unabhängig seien, scheint BiliCheck bei dunkelhäutigen Neugeborenen zuverlässigere Werte zu ergeben. Im Gegensatz zum JM 103 Jaundice Meter kann das BiliCheck nach Angaben des Herstellers auch nach einer Phototherapie verwendet werden, wenn die Messstelle zuvor durch ein lichtundurchlässiges Pflaster geschützt wurde. Es fehlen jedoch Details, wie diese Werte zu beurteilen sind; solide Untersuchungen zur Frage der transkutanen Bilirubinmessungen unter Phototherapie existieren bisher nur in Ansätzen [9].
169 14.2 · Pulsoxymetrie
14
⊡ Tab. 14.1 Messgeräte zur transkutanen Bilirubinbestimmung (Herstellerangaben) Parameter
JM 103 Jaundice Meter
BiliCheck
Gewicht
150 g
350 g
Lichtquelle
Xenonblitzlampe
Wolframlampe
Optik
Messung bei 2 Wellenlängen
Messung bei mehreren Wellenlängen
Messbereich
0–20 mg/dl
0–20 mg/dl
Kalibrierung
Fest eingestellt; kann durch Prüfgerät in der Ladestation überprüft werden
Kalibrierung erfolgt durch Aufsetzen der Messkappe
Messung
Durch Hautkontakt; 1–6 Messungen einstellbar
Durch Hautkontakt der Messkappe (Einmalmaterial); 5 Messungen erforderlich
Einsatzbeschränkungen
Nur für Neugeborene, die nach der 35. Schwangerschaftswoche geboren wurden; nicht bei Phototherapie
Für alle Neugeborenen mit einem Gewicht von >1000 g; auch bei Phototherapie an abgedeckter Stelle (spezielles Pflaster)
Maximale Differenz zu Plasmaergebnissen
±3 mg/dl
±3 mg/dl
Ab einem transkutan gemessenen Wert von etwa 3 mg/dl unterhalb der jeweiligen Grenze für eine Phototherapie wird jedoch eine klinischchemische Bilirubinbestimmung empfohlen, um sicher über den Einsatz der Phototherapie entscheiden zu können ( Kap. 20).
14.2
Pulsoxymetrie
Auf Intensivstationen, in der Anästhesie und im Rettungsdienst gehört die Pulsoxymetrie zum Standardmonitoring des Patienten. Mit ihr können Pulsfrequenz und arterielle Sauerstoffsättigung gemessen werden [10]. Das Pulsoxymeter, das üblicherweise per Clip oder als Klebesensor am Finger oder Ohrläppchen des Patienten befestigt wird, besteht aus einer Photozelle und 2 LED, die Licht im roten und infraroten Wellenlängenbe-
170
Kapitel 14 · Nichtinvasive Analytik
reich (660/940 nm) emittieren. Aufgrund der unterschiedlichen molaren Extinktionskoeffizienten von O2Hb und DesoxiHb bei diesen Wellenlängen kann aus den Absorptionen der relative Anteil von HbO2 am Gesamt-Hb, die Sauerstoffsättigung, berechnet werden. Die gemessene Lichtabsorption setzt sich aus einem konstanten Anteil, der Gewebeabsorption, und einem im Rhythmus der Pulswelle schwankenden Anteil zusammen; nur letzterer dient der Berechnung der Sauerstoffsättigung. Bei Werten von >70 % stimmen die so gemessene und die tatsächliche arterielle O2-Sättigung gut überein. Darunter sind die Messwerte deutlich ungenauer. Die Beziehung zwischen Sauerstoffpartialdruck und Sauerstoffsättigung ist nicht linear, sondern folgt der bekannten S-förmigen Dissoziationskurve; Hyperoxien können deshalb nur schlecht erkannt werden. Wichtige Fehlermöglichkeiten sind Bewegungsartefakte, unzureichende Perfusion des Applikationsorts, durch Dyshämoglobine ausgelöste toxische Hypoxämien (COHb, MetHb) und abnormale Hb-Varianten (z. B. Hb Köln, Hb Bonn; Kap. 6; [13]). Geräte zur Messung der Sauerstoffsättigung werden von zahlreichen Herstellern in unterschiedlicher Ausstattung angeboten. Eine neuere Entwicklung, nämlich der Nachweis erhöhter Konzentrationen von COHb und MetHb, wird seit 2007 von der Firma Masimo (Irvine, CA, USA) mit dem Rad-57Pulsoxymeter angeboten. Mittels der Rainbow-SET-Technologie misst das Gerät bei 7 Wellenlängen, um die Prozentanteile von COHb und MetHb berechnen zu können. Firmeneigene Erfahrungsberichte sind erhältlich.
14
14.3
Messung des Kohlendioxid- und Sauerstoffpartialdrucks
Transkutane pCO2- und pO2-Bestimmungen sind seit mehr als 20 Jahren besonders in der Neonatologie etabliert. Dabei werden heute vielfach mit einer Kombinationselektrode beide Blutgase simultan gemessen; mit einigen Geräten kann statt der pO2-Bestimmung oder zusätzlich zu ihr die Sauerstoffsättigung gemessen werden. Die luftdicht auf die Haut aufgesetzte Elektrode wird auf eine Temperatur von 42–44°C erwärmt. Sie misst die durch die Haut diffundierten Blutgase, wobei die Elektrodentemperatur und ein geringer Einfluss des Hautmetabolismus zu berücksichtigen sind. Im Bereich der Sonde entsteht ein mehr oder weniger ausgeprägtes Erythem; um Hautverbrennungen zu vermeiden, soll die
171 14.5 · Zukünftige Entwicklungen
14
Messstelle deshalb alle 4 Stunden gewechselt werden. Bei Frühgeborenen muss diese Zeit u. U. verkürzt und die Elektrodentemperatur herabgesetzt werden. Im Gegensatz zur Neonatologie ist die Anwendung der transkutanen Blutgasbestimmung in der Erwachsenenmedizin bislang meist auf spezielle Fragestellungen, z. B. im Lungenfunktions- oder Schlaflabor, beschränkt. Transkutane Messungen können die Bestimmung der Blutgase im arteriellen Blut nicht ersetzen, sondern sie stellen eine Ergänzung dar, die besonders der Trendüberwachung dient. Bei gestörter Mikrozirkulation, Kreislaufzentralisation oder Hautödemen ist mit fehlerhaften Ergebnissen zu rechnen. Auf dem deutschen Markt werden Messgeräte und die entsprechenden Messelektroden von den Firmen Radiometer und Sentec angeboten, wobei eine Kombinationselektrode zur gleichzeitigen pCO2- und pO2-Bestimmung nur bei Radiometer erhältlich ist.
14.4
Messung von Stickstoffmonoxid in der Ausatemluft
Leitlinien für die Asthmabehandlung empfehlen die Dosierung von inhalierbaren Kortikosteroiden auf der Basis von Symptomen und Lungenfunktionstests. Die Messung der Fraktion des ausgeatmeten Stickstoffmonoxids( FENO) kommt nun als neuer nichtinvasiver Marker hinzu, der für die Adjustierung der Therapie geeignet zu sein scheint. FENO korreliert dabei gut mit dem Grad der Atemwegsinflammation. In einer Studie von Smith et al. [8] konnte gezeigt werden, dass die konsequente NO-Messung in der ausgeatmeten Luft von Asthma-Patienten es erlaubt, die Dosen der inhalierten Kortikosteroide signifikant zu reduzieren, ohne neue Asthmaanfälle zu provozieren. Es werden derzeit bereits von mehreren Firmen FENO-Messgeräte angeboten, darunter z. B. der Analysator CLD 88 sp (Eco Medics AG, Dürnten, Schweiz), der die NO-Messung mit der Spirometrie kombiniert. Die Bestimmung von Alkohol in der Ausatemluft mittels POCT-Gerätetechnik wird in Kap. 19 beschrieben.
14.5
Zukünftige Entwicklungen
In den kommenden Jahren werden möglicherweise weitere nichtinvasive Verfahren ihren Einzug in die Klinik halten. Dazu gehört z. B. die Hb-/
172
Kapitel 14 · Nichtinvasive Analytik
HK-Bestimmung, für die mehrere spektroskopische Methoden entwickelt wurden [5]. Die nichtinvasive Glukosemessung ist seit mehr als 10 Jahren Gegenstand intensiver Forschung. Im Gegensatz zur minimal-invasiven (kontinuierlichen) Glukosebestimmung ( Kap. 15) sind Messgeräte zur nichtinvasiven Bestimmung, die eine ausreichende Praktikabilität und Genauigkeit (besonders im hypoglykämischen Bereich) aufweisen, bisher nicht kommerziell erhältlich. Das in den USA (FDA) und Europa (CE) zugelassene, nach dem Iontophoreseprinzip arbeitende Gerät GlucoWatch wurde wieder vom Markt genommen. Trotz vieler Ankündigungen ist es nicht wahrscheinlich, dass sich diesbezüglich die Situation in den kommenden 5 Jahren ändern wird.
14.6
Qualitätssicherung
Die Qualitätssicherung nichtinvasiver Messungen ist ein ungelöstes Problem. Die Bestimmungen unterliegen nicht der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK; Kap. 31), und die Vorschläge der Gerätehersteller beziehen sich auf Kalibrierungs-, nicht aber auf Kontrollverfahren. Größere Fehler können lediglich durch den Vergleich mit Befunden invasiver Messungen erkannt werden.
Literatur
14
[1] Bhutani VK, Gourley GR, Adler S, Kreamer B, Dalin C, Johnson LH (2000) Noninvasive measurement of total bilirubin in a multiracial predischarge newborn population to assess the risk of severe hyperbilirubinemia. Pediatr 106: e17. www.pediatrics.org/cgi/ content/full/106/2/e17 [2] De Lucca D, Zecca E, Corsello M et al.(2008) Attempt to improve transcutaneous bilirubinometry: a double-blind study of Medick BiliMed versus Respironics BiliCheck Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 93: F135–139 [3] Karen T, Bucher FU, Faudere JC (2009) Comparison of a new transcutaneous bilirubinometer (BiliMed) with serum bilirubin measurements in preterm and full-term infants. BMC Pediatrics) 9: 70 [4] Maisels MJ, Ostrea EM, Touch S et al. (2004) Evaluation of a new transcutaneous bilirubinometer. Pediatr 113: 1628–1635 [5] McMurdy JW, Jay GD, Suner S, Crawford G (2008) Noninvasive optical, electrical, and acoustic methods of total hemoglobin determination. Clin Chem 54: 264–272
173 Literatur
14
[6] Mielsch C, Zimmermann A, Wagner D, Matthes B, Schlebusch H, Luppa P (2010) Point-ofcare determination of neonatal bilirubin with the blood gas analyzer RapidLab 1265. Clin Chem Lab Med 48: 1455–61 [7] Rubaltelli FR, Gourley GR, Loskamp N et al. (2001) Transcutaneous bilirubin measurement: a multicenter evaluation of a new device. Pediatr 107: 1264–1271 [8] Smith AD, Cowan JO, Brassett KP, Herbison GP, Taylor DR (2005) Use of exhaled nitric oxide measurements to guide treatment in chronic asthma. N Engl J Med 2005;352: 2163–73 [9] Tan KL, Dong F (2003) Transcutaneous bilirubinometry during and after phototherapy. Acta Paediatr 92: 327–331 [10] Turnheer R (2004) Pulsoximetrie. Schweiz Med Forum 4: 1218–1223 [11] Willems WA, van den Berg LM, de Wit H, Molendijk A (2004) Transcutaneous bilirubinometry with the BiliCheck in very premature newborns. J Maternal-Fetal Neonat Med 16: 209–214 [12] Yasuda S, Itoh S, Isobe K et al. (2003) New transcutaneous jaundice device with two optical paths. J Perinat Med 31: 81–88 [13] Zur B, Hornung A, Breuer J et al. (2008) A novel hemoglobin, Bonn, causes falsely decreased oxygen saturation measurements in pulse oxymetry. Clin Chem 54: 594–596
III III Klinische Anwendungen 15
POCT in der Diabetesdiagnostik
– 177
T. Koschinsky, H. G. Wahl
16
POCT in der Gerinnungsdiagnostik – 195 D. Peetz, M. Spannagl
17
POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten – 211 E. Giannitsis, P. B. Luppa, D. Peetz, I. Schimke
18
POCT in der präklinischen Notfallmedizin – 231 W. Schaffartzik
19
POCT in der Suchtmedizin – 239 L. Wilhelm
20
POCT in der Neonatologie – 257 N. Gässler, H. Schlebusch
21
Klinische Anwendungen von Urinschnelltests – 267 N. Gässler
22
Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests – 279 E. Stürenburg
15 POCT in der Diabetesdiagnostik T. Koschinsky, H. G. Wahl
15.1
Einleitung
15.2
Messsysteme
15.3
Primärdiagnostik – 183
15.4
Verlaufsdiagnostik – 184
15.5
Blutgewinnung an alternativen Stellen – 187
15.6
Kontinuierliche Glukosebestimmung (KGM) – 188
15.7
Bestimmung von HbA1c – 189 Literatur
– 178 – 178
– 191
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
178
15.1
Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
Einleitung
Patientennahe Glukosemessungen sind für eine optimale Stoffwechseleinstellung von Menschen mit Diabetes notwendig und essenzieller Bestandteil der Diabetesbehandlung gemäß den evidenzbasierten Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) [20]. Man unterscheidet eine patientennahe quantitative Blutglukosebestimmung durch medizinisches Personal, die u. a. der Qualitätssicherung nach der RiliBÄK unterliegt, von einer Selbsttestung der Betroffenen bzw. durch deren Angehörige, der Blutglukoseselbstkontrolle (BGSK), für die keine gesetzlich geregelte Qualitätskontrolle erforderlich ist. Die klinischen Anforderungen an die BGSK-Testsysteme und deren erfolgreicher Einsatz im Laienalltag haben auch die technologische Entwicklung von POCT-Systemen für die Glukosemessung wesentlich mitgeprägt. Im Vergleich zur Situation vor etwa 10 Jahren sind die Geräte heute kleiner, schneller, einfacher zu bedienen und weniger interferenzunabhängig; zudem kommen sie mit immer geringeren kapillär entnommenen Blutmengen aus ( Kap. 5).
15.2
15
Messsysteme
Die Glukosebestimmung erfolgt im Krankenhaus am effizientesten mit einem POCT-System, das ein umfassendes Messdaten-, Qualitätskontroll- und EDV-Management mit Zugangsmöglichkeit zu Labor- bzw. Klinikinformationssystemen beinhaltet. Es dient entweder ausschließlich der Glukoseanalytik (⊡ Tab. 15.1) oder aber es kombiniert diese mit anderen POCT-relevanten Testsystemen, wie sie z. B. auf der Intensivstation für die Blutgasanalytik eingesetzt werden ( Kap. 6). Technologisch gibt es viele Überlappungen mit BGSK-Systemen, die auch von medizinischem Personal für POCT-Glukosebestimmungen ohne adäquate Qualitätssicherung genutzt wurden. Im Kontext dieses Buches werden exemplarisch nur solche BGSK-Systeme behandelt, die die Mindestanforderungen an das POCT mit vollständiger Qualitätssicherung nach der RiliBÄK erfüllen (⊡ Tab. 15.2). Ein generelles Problem der Glukoseanalytik liegt in der Vielzahl der Möglichkeiten bei der Wahl von Probenmaterialien. So kommen venöses, kapilläres und arterielles Vollblut sowie Plasma und Serum als Proben zum Einsatz ( Kap. 5). Die Wahl des Probenmaterials stellt jedoch einen wesent-
Probevolumen [μl]
0,6
6
5
1,2
0,6
Messsystem (Hersteller)
ACCU-CHEK Inform II (Roche Diagnostics)
GLUKO-METER PRO (BST BioSensor Technology)
HemoCue 201 DM RT (HemoCue)
Nova StatStrip Glukose (Nova biomedical)
Precision Xceed Pro (Abbott Diabetes Care)
20
6
40– 240
5-10
5
Messdauer [s]
20–500 (1,1– 27,8)
10–600 (0,6– 33,3)
0–400 (0–22,2)
10–600 (0,6– 33,3)
10–600 (0,6–33,3)
Messbereich [mg/dl, mmol/l]
Plasma
Plasma
Vollblut oder Plasma
Plasma
Plasma
Kalibriert auf ...
Elektrochemisch (Glukosedehydrogenase-Nikotinsäureamid-Adenin-Dinukleotid)
Precision Xceed Pro Teststreifen
Nova Stat Strip Glukose Analysesystem
Mikroküvette
Photometrisch (Glukosedehydrogenase )
Elektrochemisch (Glukoseoxidase)
Kapillare/Chip (1000 Messungen oder 30 Tg)
AC Inform II Teststreifen
Elektrochemisch (Pyrrolochinolin-Chinon-Glukosedehydrogenase) Elektrochemisch (Glukoseoxidase)
Probenträger/ Sensor
Messmethode (Enzym)
⊡ Tab. 15.1 Glukose-POCT-Systeme mit umfassendem Messdaten-, Qualitätskontroll- und EDV-Management (Beispiele)
15.2 · Messsysteme 179
15
15 5
6
5
0,6
1,2
1,0
0,6
Bayer Contour (Bayer Vital)
Nova Stat Strip Xpress Glukose (Nova biomedical)
OneTouch Ultra2 (LifeScan, Ortho-Clinical Diagnostics)
Precision Xceed (Abbott Diabetes Care)
5
5
0,6
ACCU-CHEK Aviva (Roche Diagnostics)
Messdauer [s]
Probevolumen [μl]
Messsystem (Hersteller)
20–500 (1,1–27,8)
20–600 (1,1–33,3)
10–600 (0,6–33,3)
10–600 (0,6–33,3)
10–600 (0,6–33,3)
Messbereich [mg/dl, mmol/l]
Plasma
Plasma
Plasma
Plasma
Vollblut
Kalibriert auf ...
Elektrochemisch (Glukosedehydrogenase-NikotinsäureamidAdenin-Dinukleotid)
Elektrochemisch (Glukoseoxidase)
Elektrochemisch (Glukoseoxidase)
Precision Xtra Plus Teststreifen
One Touch Ultra Sensorteststreifen
Nova StatStrip Glukose Teststreifen
Contour Sensor
AC Aviva Teststreifen (8 Elektroden)
Elektrochemisch (Pyrrolochinolin-Chinon-Glukosedehydrogenase) Elektrochemisch (Flavin-AdeninDinukleotid-Glukosedehydrogenase)
Probenträger/ Sensor
Messmethode (Enzym)
⊡ Tab. 15.2 Messsysteme zur BGSK, die Mindestanforderungen an POCT erfüllen (Beispiele)
180 Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
181 15.2 · Messsysteme
15
lichen Einflussfaktor dar und führt oft genug zu Fehlinterpretationen von Untersuchungsergebnissen. So vermochte z. B. die Mehrheit der Beschäftigten in einer Diabetesabteilung im Rahmen einer Untersuchung nicht zu sagen, ob zur Blutzuckermessung im Labor Vollblut oder Plasma verwendet wird [8]. Obwohl Glukose-POCT-Systeme in der Regel mit Vollblut als Probenmaterial (aber in unterschiedlichen Aufbereitungsformen, z. B. als Hämolysat oder filtriertes Plasma) arbeiten, können die Messergebnisse mittels unterschiedlicher firmen- und gerätespezifischer Kalibrierungsverfahren, deren Details als Betriebsgeheimnis behandelt werden, entweder als Vollblut- oder als Plasmaglukose angegeben werden. Die Glukosebestimmung aus Vollblut mit Standardmethoden im klinisch-chemischen Labor kann in Deutschland ebenfalls zu Angaben als Vollblut- oder Plasmaglukose führen. ⓘ Hinweis Sowohl bei Vergleichsuntersuchungen zwischen einem Glukose-POCTSystem und einer konventionellen Referenzmethode im Labor als auch bei der klinischen Interpretation und der Therapieempfehlung, z. B. hinsichtlich glukosekonzentrationsabhängiger Insulin- oder Kohlenhydratportionsalgorithmen, ist die genaue Kenntnis dieses Sachverhalts essenziell, um Fehler bei der Interpretation der Ergebnisse und der resultierenden Konsequenzen zu vermeiden.
Um diese Verwirrung zu beenden, hat die IFCC (International Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine) im Jahre 2005 vorgeschlagen, alle Glukoseergebnisse nur noch als Plasmawerte anzugeben, unabhängig von Probentyp und Messmethode [10]. Dieser Vorschlag, der in den USA und in vielen europäischen Ländern bereits realisiert ist, wird auch in Deutschland von der DGKL und der DDG sowie diabetes.DE gemeinsam seit 2009 [27] unterstützt und setzt sich zunehmend im klinischen Alltag durch. Besonders im Krankenhaus und hier speziell auf Intensivstationen gibt es eine Vielzahl von Stör- und Einflussfaktoren, die sowohl vom verwendeten Messsystem abhängig (z. B. Sauerstoff) als auch unabhängig davon (z. B. Gewebeperfusion) zu veränderten Glukosewerten führen. Daher ist es von größter Bedeutung, Studienergebnisse hinsichtlich der verwendeten Geräte und der Störgrößen zu hinterfragen. So kann es unter einer Hypotonie zu einer verminderten Gewebeperfusion und in deren Folge zu einer vermehrten Glukoseutilisation kommen, die zu einer signifikanten Vergrößerung des Unterschieds zwischen Werten aus kapillärem Vollblut und venösem Plasma
182
Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
führt [14, 25, 30]. Dabei treffen 2 gegenläufige Effekte aufeinander: Kapilläre Glukosewerte sind höher als ihre entsprechenden venösen Werte; die Vollblutproben (kapillär) jedoch sind niedriger als die entsprechenden Plasmawerte ( Kap. 5). Bei Kombination von kapillärem Vollblut und venösem Plasma kann es so zu gleichen Werten für beide Messungen kommen und im Fall plasmakorrelierter kapillärer Vollblutwerte im Vergleich zu Werten aus venösem Plasma sogar zu höheren Werten [12, 26]. Diese Effekte sind – ebenso wie ernährungsbedingte Effekte – unabhängig vom Messverfahren bei allen Blutglukosemessgeräten zu berücksichtigen. Es besteht ein Unterschied zwischen den Blutglukosewerten des arteriellen und des venösen Bluts, der im Wesentlichen von Ausmaß und Geschwindigkeit der Glukose-Aufnahme bzw. deren Metabolisierung in den beteiligten Geweben definiert wird. Dieser auch als »arteriovenöse Differenz« bezeichnete Unterschied hängt entscheidend vom Ernährungszustand ab. Die Differenz beträgt nach Bürgi [7] bei gesunden Probanden im Nüchternzustand 9 mg/dl (0,5 mmol/l) und steigt 30 min nach einer peroralen Glukosebelastung mit 50 g auf 45 mg/dl (2,5 mmol/l) an. Nach 120 min fällt sie auf 14 mg/dl (0,8 mmol/l) ab. Bei Patienten mit einer peripheren Insulinresistenz fällt die Differenz niedriger aus. ⓘ Hinweis
15
Zu beachten ist auch, dass Blutproben, aus denen Serum zur Messung anderer klinisch-chemischer Parameter gewonnen wird, keinen Zusatz enthalten, der die Glykolyse in den Erythrozyten hemmt. Gemäß den DDGLeitlinien [21, 23] sollte den Blutproben zur Glukosemessung unter NichtPOCT-Bedingungen – sofern sie nicht enteiweißt oder während der gesamten präanalytischen Phase eisgekühlt werden – ein Zusatz zur Hemmung der Glykolyse in den Erythrozyten zugefügt werden. Selbst bei Einsatz von Glykolysehemmern wie Natrium-Fluorid, das erst nach 4 h zu einer kompletten Inhibition der Glykolyse führt, ist jedoch zu bedenken, dass bereits nach einer Stunde ein Abfall um bis zu 6 % oder 10 mg/dl, bezogen auf die Ausgangskonzentration, stattfinden kann [28]. Für eine sofortige Glykolysehemmung im Vollblut wird daher die Kombination von Natrium-Fluorid mit einem Citratpuffer zur stabilen pH-Senkung auf einen pH-Wert von 5,5 empfohlen [5, 13]. In der Regel werden aber bei Einsatz eines GlukosePOCT-Messsystems keine präanalytischen Maßnahmen notwendig, da die Messung unmittelbar nach der Blutentnahme erfolgt.
183 15.3 · Primärdiagnostik
15.3
15
Primärdiagnostik
Die Glukosebestimmung im Blut mittels POCT wird nur in begrenztem Umfang für die Primärdiagnostik von Glukosestoffwechselstörungen genutzt. In der Regel kommt sie im ambulanten Bereich zur Abklärung akuter Notfälle zum Tragen – bei Verdacht auf hypo- oder hyperglykämisches Koma und z. B. bei Verdacht auf Gestationsdiabetes, um mit der Patientin ohne weiteren Zeitverlust sofort die weiteren Behandlungsschritte besprechen zu können und ihr besondere psychische Belastungen durch die andernfalls benötigte Wartezeit bei externer Laboranalyse zu ersparen [23]. Da ansonsten in der Regel kein unmittelbarer Therapiebedarf vorliegt, bleibt die Primärdiagnostik von Glukosestoffwechselstörungen auch weiterhin die Domäne des klinisch-chemischen Labors ( Kap. 27). Für die Diagnosestellung eines Diabetes sind nach der entsprechenden evidenzbasierten Praxis-Leitlinie der DDG nur venöse Plasmaglukosewerte nutzbar (⊡ Tab. 15.3). Leitliniengemäß darf die Diagnose eines Diabetes mellitus nur mit Glukosewerten gestellt werden, die mit einer qualitätskontrollierten Labormethode – nicht also mit BGSK-Geräten – gemessen wurden. Selbst bei Anwendung einer sehr präzisen Labormethode, die einen Variationskoeffizienten von »nur« 2 % aufweist, muss davon ausgegangen werden, dass bei einem »wahren« Glukosewert von z. B. 126 mg/dl (dem Grenzwert für eine Diabetesdiagnose) der 95-%-Vertrauensbereich von 121 bis 131 mg/dl reicht. Deshalb sollten – je nach klinischer Bedeutung der Diagnose im Einzelfall – Glukosewerte im Grenzbereich mehrmals in größeren zeitlichen Abständen gemessen bzw. ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden. Für die Qualitätssicherung der POCT-Glukosebestimmung gelten nach der RiliBÄK 2008 [6] besondere Bedingungen, wenn Unit-use-Reagenzien verwendet werden und die Messgeräte spezielle Voraussetzungen erfüllen. Für die interne Qualitätskontrolle genügt dann die Messung einer Kontrollprobe einmal pro Woche. Die externe Qualitätskontrolle entfällt bisher in der Praxis des niedergelassenen Arztes; sie entfällt im Krankenhaus hingegen nur dann, wenn das Zentrallabor die Verantwortung für die Qualitätssicherung übernimmt ( Kap. 31). Nach der neuen evidenzbasierten Leitlinie »Zu Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Gestationsdiabetes mellitus« der DDG von 2011 soll bei der Primärdiagnostik des Gestationsdiabetes mittels POCT-Methodik auch in der Praxis des niedergelassenen Arztes die externe Qualitätskontrolle nach den RiliBÄK-Regeln durchgeführt werden [23].
184
Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
⊡ Tab. 15.3 Diagnosekriterien des Glukosestoffwechsels (venöses Plasma) [21] Diagnosekriterien
Plasmaglukose (venös) mg/dl
Plasmaglukose (venös) mMol/l
Nüchternglukose
<100
<5,6
2-h-oGTT
<140
<7,8
100–125
5,6–6,9
Nüchternglukose
<126
<7,0
Plus 2-h-oGTT
140–199
7,8–11,0
Normale Glukosetoleranz
Abnorme Nüchternglukose Nüchternglukose Gestörte Glukosetoleranz
Diabetes mellitus (nur noch bei HbA1c-Werten von 5,7-6,4 % bzw. 39-47mmol/mol) Nüchternglukose
≥126
≥7,0
Und/oder 2-h-oGTT
≥200
≥11,1
Gestationsdiabetes (mindestens 1/3 der Werte)
15
Nüchternglukose
≥92
≥5,1
1-h-oGTT
≥180
≥10,0
2-h-oGTT
≥153
≥8,5
oGTT: oraler Glukosetoleranztest mit 75 g Glukose (nach WHO)
15.4
Verlaufsdiagnostik
Die Glukosebestimmung im Blut mittels POCT wird überwiegend (zu etwa 90 %) für die Verlaufsdiagnostik im Rahmen der Diabetestherapie sowohl in der Praxis niedergelassener Ärzte der verschiedensten Fachrichtungen als auch in Krankenhäusern in Ergänzung zum klinisch-chemischen Zentrallabor eingesetzt. Dabei hat sich in den letzten Jahren der Einsatz von Glukose-POCT-Systemen in beiden Bereichen wesentlich gesteigert,
185 15.4 · Verlaufsdiagnostik
15
obwohl die Sachkosten dafür um etwa das 3- bis 6-Fache höher liegen als für eine entsprechende Glukosebestimmung im Zentrallabor ( Kap. 27). Dies ist im niedergelassenen Bereich durch wesentliche Änderungen in den Therapieanforderungen gemäß den aktuellen DDG-Leitlinien [20] bedingt. Diese Leitlinien geben auf der Basis prospektiver Langzeitstudien zur Vermeidung bzw. Verringerung diabetischer Folgeerkrankungen u. a. dauerhaft normnahe Blutglukoseeinstellungen unter Berücksichtigung individueller Ziele vor. Die genannten Ziele müssen auch im Blutglukosebereich regelmäßig überwacht und angepasst werden. Im Krankenhaus waren solche Vorgaben lange Zeit wenig beachtet worden, da erstens dafür das kostenoptimierte klinisch-chemische Zentrallabor zur Verfügung stand und zweitens die stationären Behandlungszeiten relativ kurz waren. Damit aber schien der Einfluss einer nur vorübergehend nicht optimalen Blutglukoseeinstellung, wie sie im Rahmen von akuten Erkrankungen relativ häufig auftritt, auf die Entwicklung von diabetischen Folgeerkrankungen gering zu sein (Ziel: Therapie, die ein Koma verhütet). Dies änderte sich zunächst unter dem wachsenden Druck der Anforderungen einer intensivierten Insulintherapie nach häufigen patientennahen Blutglukosebestimmungen, insbesondere beim Einsatz präprandialer Insulinalgorithmen, und dann zusätzlich mit den bahnbrechenden Arbeiten von van den Berghe ab 2001 [35], durch die der Nachweis vorlag, dass auch eine kurzfristige, nur wenige Tage andauernde normnahe Blutglukoseeinstellung mittels intensiver Insulintherapie (mit häufigen Blutglukosebestimmungen und unmittelbaren Insulindosisanpassungen) bei chirurgischen Patienten auf der Intensivstation eine klinisch signifikante Verbesserung des postoperativen Krankheitsverlaufs hinsichtlich vieler (auch kostenintensiver) Einzelaspekte ermöglicht. In den nachfolgenden Jahren wurden diese Behandlungsergebnisse in unterschiedlichen Patientenkollektiven überprüft, im Wesentlichen bestätigt, aber auch modifiziert und kritisch nach dem Erkrankungsgrad differenziert [3, 17, 29, 31, 33, 34, 36]. Damit war es nunmehr medizinisch notwendig, Glukose-POCT-Systeme auch bei akuten Erkrankungen von Diabetikern und von Patienten mit vorübergehender sekundärer Störung der Glukosetoleranz einzusetzen. Letztere kann sich klinisch z. B. bei Traumen, Hämorrhagien, Verbrennungen, Sauerstoffmangel, schweren Infektionen, Sepsis und Schock manifestieren. Der Stress solcher kritischer Erkrankungen induziert gegenregulatorische Hormone des Glukosestoffwechsels
186
15
Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
mit verschiedenen Veränderungen des Kohlenhydratstoffwechsels mit der vorübergehenden Konsequenz einer peripheren Insulinresistenz und eines relativen Insulinmangels. Dazu können auch einige häufig genutzte klinische Behandlungsverfahren beitragen, z. B. die Therapie mit hochdosierten Kortikoiden und Vasopressoren sowie eine parenterale Ernährung mit Kohlenhydraten. Der Einsatz von POCT erfolgt dabei überwiegend im Rahmen von Behandlungsprogrammen mit rascher Insulindosisanpassung bei schnell wechselnden Blutglukosewerten einschließlich der Notfallüberwachung von Hypoglykämien. Hinzu kommt, dass in diesen klinischen Situationen einer sich relativ rasch ändernden Erkrankungsintensität und wechselnder Nahrungszufuhr sowie bei bestimmungsgemäßem Einsatz der analytische Teil des Glukose-POCT in zeitlich unmittelbare Nähe zum postanalytischen Procedere rückt – mit dem Anspruch auf die sofortige Interpretation des einzelnen Blutglukosewerts und die daraus resultierenden therapeutischen Konsequenzen. Damit wird die etablierte Trennung von analytischer und postanalytischer Fachkompetenz bei der Diabetesbehandlung aufgehoben. Dies hat in allen klinisch relevanten Bereichen (Krankenhaus, Praxis des Arztes, Notarztwagen, »Home-care-Bereich« und ambulante Pflege) zur Folge, dass neue Fachkunde-, Kooperations- und Logistikmodelle zwischen den beteiligten Fachbereichen zur Betreuung von Patienten mit den verschiedensten Formen von Diabetes und dessen Folgeerkrankungen etabliert werden müssen ( Kap. 24; Kap. 25). Durchführung und Interpretation der oben genannten Studien [3, 17, 29, 31, 33, 34, 35, 36], die teils aus der Intensivmedizin [12, 14, 25] stammen, teils aus anderen klinischen Bereichen [1, 22], beinhalten eine Reihe von methodischen Problemen, die bei der Umsetzung der Studienergebnisse im klinischen Alltag beachtet werden müssen. In diesen Studien wurden unterschiedliche Messsysteme (ABL 700 von Radiometer, HemoCue B Glucose analyzer) mit unterschiedlichen Probenmaterialien (arterielles und kapilläres Vollblut) eingesetzt; es wurden die unterschiedlichsten Labormethoden zu »Referenzmethoden« (YSI Glucose Analyzer, Dimension RXL, Glucose Analyzer Beckman, Hitachi 747 Analyzer) deklariert, die Zeiten zwischen Blutentnahme und Messung im Zentrallabor waren nicht standardisiert oder mit durchschnittlichen 45 min ohne Zusatz von Glykolysehemmern akzeptiert, und es waren schließlich unterschiedliche »sampling sites« zugelassen. Trotzdem wurden in der Klinik sowohl für die Therapiezielwerte der Blut-
187 15.5 · Blutgewinnung an alternativen Stellen
15
glukosespiegel (80–110 mg/dl) als auch für die Definition einer Hypoglykämie (<40 mg/dl) dieselben Glukoselaborwerte benutzt. Obwohl auf diese Problematik mehrfach hingewiesen wurde [4, 11], bestehen diesbezüglich leider noch immer viele Unklarheiten.
15.5
Blutgewinnung an alternativen Stellen
Im präanalytischen Bereich gibt es bei der Blutglukosebestimmung eine klinisch relevante, aber nicht immer ausreichend beachtete Besonderheit, die für sonstige POCT-Anwendungen ohne Bedeutung ist: die Blutgewinnung aus anderen Kapillarbereichen als Finger oder Ohrläppchen, das »alternative/alternate site testing« (AST). Ausgangspunkt waren mit zunehmender BGSK-Häufigkeit der Wunsch nach Schonung der malträtierten ‘klassischen‘ Fingerkapillaren und die Suche nach schmerzärmeren Alternativen. Die Entwicklung von BGSK-Systemen mit einem sehr geringen Blutbedarf (≤3 μl) ermöglichte es, Kapillarblut (Hauttiefe: ≤2 mm) zusätzlich aus den Hautbereichen von Arm, Bein und Abdomen zu gewinnen – in der Regel weniger schmerzhaft. Dabei unterscheiden sich die Blutglukosewerte zwischen den oben genannten AST-Bereichen und dem Finger bei körperlicher Ruhe und im Nüchternzustand nicht. Dagegen kommt es bei raschen Blutglukoseänderungen (>2 mg/dl/min) in beide Richtungen – z. B. nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten bzw. bei unzureichender präprandialer Insulindosierung, nach Injektion einer zu hohen Insulinmenge oder nach intensiver körperlicher Arbeit/Sport – zu einer im Mittel etwa 30-minütigen, klinisch relevanten Verzögerung bei der Angleichung der kapillären Blutglukose im AST-Bereich an die Werte im Finger, die auch bei Abkühlung der Haut nachweisbar bleibt. Akut kann die Verkennung dieser Umstände den Patienten insbesondere durch hypoglykämische Entgleisungen gefährden. Längerfristig kann eine unzureichende Therapieanpassung eine normnahe Stoffwechseleinstellung verhindern [2, 15, 18, 19, 24]. Dies liegt v. a. an anatomischen Unterschieden: In den oben genannten AST-Bereichen gibt es signifikant weniger oberflächliche Endkapillaren und arteriovenöse Shunts als im Finger, die dort eine raschere Blutglukoseänderung parallel zu den systemischen Änderungen bedingen. Entsprechend muss man bei der kapillären Blutgewinnung die Ausgangssituation des Patienten beachten und im Zweifelsfall die beschriebenen AST-Bereiche vermeiden.
188
15.6
Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
Kontinuierliche Glukosebestimmung (KGM)
Seit einigen Jahren ist die bisher skizzierte Form der In-vitro-Bestimmung der Blutglukose durch das Prinzip der kontinuierlichen Glukosemessung (KGM) in der interstitiellen Flüssigkeit des subkutanen Fettgewebes ergänzt worden [16]. Vorwiegend geschieht das im Bereich des Abdomens und des Arms, doch dies über einen begrenzten Zeitraum (gegenwärtig max. 7 Tage). Derzeit sind in Deutschland verschiedene Technologien zugelassen, die in kurzen Intervallen (<1 bis 5 min) aktuelle Messwerte an ein extrakorporales Gerät zur fortlaufenden Datenerfassung, -bearbeitung, -speicherung und -präsentation mit sofortiger Datenverfügbarkeit (Online-Betrieb) für eine bedarfsgerechte Therapieanpassung übermitteln. Diese Techniken schließen Alarmfunktionen ein, d. h. sie warnen vor Hypo- und Hyperglykämien. Es zählen dazu der s. c.-In-vivo-Nadelbiosensor (Nadelelektroden mit integriertem Glukoseoxidase-Messsystem), realisiert ▬ im Guardian REAL-Time (Medtronic), ▬ im FreeStyle Navigator (Abbott) und ▬ im SEVEN PLUS (DexCom/Vertrieb durch Nintamed in Deutschland), ▬ sowie im GlucoDay S (Menarini Diagnostics): einem extrakorporalen In-vitro-Biosensor (elektrochemisch mittels Glukoseoxidase) in Verbindung mit einer s. c.-Mikrodialysefaser, deren Filtratvolumen aus der interstitiellen Flüssigkeit zwecks Glukosebestimmung kontinuierlich zum Ex-vivo-Biosensor gepumpt wird.
15
Die wesentlichen Vorteile dieser KGM-Verfahren liegen offensichtlich primär in der Erhöhung der Zahl der Glukosemesswerte in der Regel von 2–4 mittels BGSK auf 500–1500 pro 24 h und dem sich daraus ergebenden Informationsgewinn, z. B. über ▬ subklinische Hypoglykämien, besonders während des Schlafs, ▬ postprandiale Blutglukoseprofile und ▬ die gesamte Glukosevariabilität in 24 h für gezielte Therapieanpassungen einschließlich der Perspektive einer Verknüpfung mit einer Insulinpumpe (»closed loop«). Sekundär besteht ein prognostisches Potenzial in Form von Trendanalysen, z. B. für die oben genannten Alarmfunktionen.
189 15.7 · Bestimmung von HbA1c
15
All diesen KGM-Systemen gemeinsam ist aber auch das Problem, dass bisher die Glukosebestimmungen in der s. c. ‚gewonnenen‘ interstitiellen Flüssigkeit nicht durch eine unabhängige Methode objektiviert werden können und die klinische Erfahrung auf der Kenntnis von Glukosekonzentrationen im Blut (und nicht im subkutan zugänglichen Interstitium) beruht. Daher werden die KGM-Messwerte, basierend auf wenigen parallelen kapillären Blutglukosemessungen, mittels unterschiedlicher, dem Benutzer unbekannten Anpassungsverfahren (unter Berücksichtigung physikalischer und physiologischer Zeiten der Verzögerung beim Glukoseflux zwischen Blut und Interstitium) umgerechnet und als Blutglukoseäquivalente in mg/dl bzw. mmol/l angegeben. Ein solches Vorgehen hat neben der systemabhängigen Fehlerbreite zusätzlich ein erhebliches Fehlerpotenzial aufgrund von anatomischen und physiologischen Variablen, die interindividuell wie auch intraindividuell im Diabetesverlauf auftreten. Die daraus resultierenden Anforderungen an die Qualitätssicherung solcher KGMSysteme unterscheiden sich wesentlich von denen für Glukose-POCTEinzelmessungen, doch fehlen dafür in Deutschland bisher die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Trotzdem wächst wegen der dargestellten klinischen Vorteile der Kreis der Anwender von KGM-Systemen von Jahr zu Jahr nicht nur im ambulanten, sondern auch im klinischen Bereich: derzeit v. a. auf der internistischen Diabetesstation und in Bereichen mit intensivmedizinischer Betreuung. Dabei erfüllt der Einsatz solcher KGM-Systeme speziell im klinischen Bereich wesentliche Merkmale des POCT. Dagegen haben Messsysteme zur nichtinvasiven Glukosebestimmung ( Kap. 14) ungeachtet des großen grundsätzlichen Interesses, sehr hoher Entwicklungsinvestitionen und vielfältiger technologischer Ansätze noch immer die Marktreife nicht erreicht (und deshalb keine entsprechende Zulassung erhalten). Die gegenwärtigen Erwartungen gehen von der Notwendigkeit weiterer Entwicklung über die kommenden 5–20 Jahre aus.
15.7
Bestimmung von HbA1c
Der HbA1c-Wert reflektiert den mittleren Plasmaglukosespiegel der vorangegangenen 2 bis 3 Monate und gilt seit langem in der Diabetestherapie als der Goldstandard für die Blutzuckereinstellung.
190
Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
⊡ Abb. 15.1 DCA Vantage HbA1c-Messgerät. Mit freundlicher Genehmigung von Siemens Healthcare Diagnostics
15 Zusätzliche Bedeutung hat der Parameter durch seine neue Verwendung in der Diabetesdiagnostik bekommen [21, 32]: Bei Werten <5,7 % kann ein Diabetes mellitus ausgeschlossen werden, bei Werten ≥6,5 % als gesichert gelten. Bei Patienten mit Werten zwischen 5,7 % und 6,4 % soll die Diagnose nach herkömmlichen Kriterien gestellt werden. Voraussetzung ist u. a. die Abwesenheit von irregulären Hämoglobinvarianten und von Erythrozyten mit verkürzter oder verlängerter Lebensdauer. Der HbA1c-Wert kann zur Diagnose nur bei Verwendung einer standardisierten, zuverlässigen und spezifischen Bestimmungsmethode unter ausreichenden Qualitätskontrollen genutzt werden.
191 Literatur
15
Für die Messung von HbA1c stehen verschiedene Geräte mit unterschiedlichen Bestimmungsmethoden (Ionenaustauschchromatographie, Immunturbidimetrie) zur Verfügung, mit denen die Vorgaben der RiliBÄK 2008 erreichbar sind [6]. Nachfolgend einige Beispiele: ▬ Axis-Shield: Afinion AS100, NycoCard Reader II ▬ Bio-Rad Laboratories: in2it A1c ▬ Siemens Healthcare: DCA 2000+, DCA Vantage (⊡ Abb. 15.1). Die Geräte sind im Allgemeinen nach dem NGSP-Standard kalibriert, die Angabe der Ergebnisse erfolgt in % HbA1c. Der neuere IFCC-Referenzstandard (Angabe der Ergebnisse in mmol/mol Hb) hat sich bisher im klinischen Alltag noch nicht durchgesetzt, die Laboratorien geben die Ergebnisse jedoch vielfach in beiden Einheiten (% und mmol/mol) an. Die Ergebnisse beider Standardisierungen werden nach folgender Formel ineinander umgerechnet: IFCC (mmol/mol) = [NGSP (%) – 2,15] × 10,9 Zusammengefasst empfehlen DDG und DGKL zum HbA1c gemeinsam [9]: In der Qualitätskontrolle (Kalibrierung der Geräte und Reagenzien) finden die neuen HbA1c-Werte nach IFCC Verwendung mit Berichtspflicht gemäß RiliBÄK. Im klinischen Gebrauch, d. h. insbesondere auch innerhalb der Leitlinien, können die »alten« HbA1c-Einheiten nach NGSP neben den neuen weiterverwendet werden.
Literatur [1] Arabadjief D, Nicholas JH (2006) Assessing glucose meter accuracy. Curr Med Res Opin 22: 2167–2174 [2] Bina DM, Anderson RL, Johnson ML, Bergenstal RM, Kendall DM (2003) Clinical impact of prandial state, exercise, and site preparation on the equivalence of alternative-site blood glucose testing. Diabetes Care 26: 981–985 [3] Brunkhorst FM, Engel C, Bloos F et al. (2008) German Competence Network Sepsis (SepNet). Intensive insulin therapy and pentastarch resuscitation in severe sepsis. N Engl J Med 358: 125–139 [4] Brunkhorst FM, Wahl HG (2006) Blood glucose measurements in the critically ill: more than just a blood draw. Crit Care 10: 178 [5] Bruns DE, Knowler WC (2009) Stabilization of glucose in blood samples: why it matters. Clin Chem 55: 850–852
192
15
Kapitel 15 · POCT in der Diabetesdiagnostik
[6] Bundesärztekammer (2008) Richtlinien der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung quantitativer laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen. Dtsch Ärztebl 105: A341–A355 [7] Bürgi W (1974) Oraler Glukosetoleranztest: unterschiedlicher Verlauf der kapillären und venösen Belastungskurven. Schweiz Med Wochenschr 104: 1698–1699 [8] Burrin JM, Alberti KG (1990). What is blood glucose: can it be measured? Diab Med 7: 199-206 [9] Danne T, Mueller-Wieland D, Lackner K, Schleicher E (2009): Gemeinsame Empfehlungen der DDG und DGKL zur Qualitätssicherung der HbA1c-Messung. Dtsch Ärzteblatt 106 (33) [10] D‘Orazio P, Burnett RW, Fogh-Andersen N et al. (2005) Approved IFCC recommendation on reporting results for blood glucose (abbreviated). Clin Chem 51(9): 1573–1576 [11] Dungan K, Chapman J, Braithwaite SS, Buse J (2007) Glucose measurements: Confounding issues in setting targets for inpatient management. Diabetes Care 30: 403–409 [12] Finkielmann JD, Oyen LJ, Afessa B (2005) Agreement between bedside blood and plasma glucose measurement in the ICU setting. Chest 127: 1749–1751 [13] Gambino R, Piscitelli J, Ackattupathil TA et al. (2009) Acidification of blood is superior to sodium fluoride alone as an inhibitor of glycolysis. Clin Chem 55: 1019–1021 [14] Harrison JG (1995) Accuracy of fingerstick glucose values in shock patients. Am J Crit Care 4: 44–48 [15] Haupt A, Berg B, Paschen P et al. (2005) The effects of skin temperature and testing site on blood glucose measurements taken by a modern blood glucose monitoring device. Diabetes Technol Ther 7: 597–601 [16] Henrichs HR (2010) Kontinuierliche Glukosemessung (CGM) in der Gewebeflüssigkeit – Wissenschaftliche Bewertung von CGM und medizinische Beurteilung des Nutzens für die Diabetestherapie (AGDT-DDG-GKV CGM-Positionspapier). Im Internet: www.diabetestechnologie.de/vortraege/vortraege-2010.htm [17] Ingels C, Debaveye Y, Milants I et al. (2006) Strict blood glucose control with insulin during intensive care after cardiac surgery: impact on 4-years survival, dependency on medical care, and quality-of-life. Eur Heart J 27: 2716–2724 [18] Jungheim K, Koschinsky T (2002) Glucose monitoring at the arm: risky delays of hypoglycemia and hyperglycemia detection. Diabetes Care 25: 956–960 [19] Jungheim K, Koschinsky T (2002) Glucose monitoring at the thenar: evaluation of upper dermal blood glucose kinetics during rapid systemic blood glucose changes. Horm Metab Res 34: 325–329 [20] Kellerer M, Danne T (Hrsg.) (2010) Praxis-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft; Diabetologie und Stoffwechsel 5(Suppl 2); Evidenzbasierte Leitlinien DDG, aktualisierte Version auf den Webseiten der DDG: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/Evidenzbasierte Leitlinien [21] Kerner W, Brückel J,(2010) Definition,Klassifikation und Diagnostik des Diabetew melitus. Diabetologie und Stoffwechsel 5(Suppl 2) S 109-S 112; Aktualisierte Version auf den Webseiten der DDG: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/Evidenzbasierte Leitlinien/ Definition [22] Khan AI, Vasquez Y, Gray J, Wians FH Jr, Kroll MH (2006) The variability of results between point-of-care testing glucose meters and the central laboratory analyzer. Arch Pathol Lab Med 130: 1527–1532
193 Literatur
15
[23] Kleinwechter H, Schaefer-Graf U (2011) Gestationsdiabetes mellitus; Diabetologie und Stoffwechsel 5(Suppl ); Evidenzbasierte Leitlinien DDG, aktualisierte Version auf den Webseiten der DDG: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/Evidenzbasierte Leitlinien/ Gestationsdiabetes mellitus [24] Koschinsky T, Jungheim K, Heinemann L (2003) Glucose sensors and the alternate site testing-like phenomenon: relationship between rapid blood glucose changes and glucose sensor signals. Diabetes Technol Ther 5: 829–842 [25] Kulkarni A, Saxena M, Price G, O’Leary MJ, Jaques T, Myburgh JA (2005) Analysis of blood glucose measurements using capillary and arterial blood samples in intensive care patients. Intensive Care Med 31: 142–145 [26] Kuwa K, Nakayama T, Hoshino T, Tominaga M (2001) Relationships of glucose concentrations in capillary whole blood, venous whole blood and venous plasma. Clin Chim Acta 307: 187–192 [27] Lackner K, Luppa PB, Koschinsky T, Danne T (2009) Ein einheitlicher Kalibrationsbezug (Plasma statt Vollblut) bei der patientennahen Glukosebestimmung verbessert die Therapiesicherheit beim Einsatz von Glukosekonzentrationswert-abhängigen Therapiealgorithmen: Eine gemeinsame Initiative der DGKL, diabetesDE und der DDG.Internet: http:// www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/redaktiion/news/POCT-Glukose_Plasmastandard_DGKL_diabetesDE_1209.pdf [28] Mikesh LM, Bruns DE (2008) Stabilization of glucose in blood specimen: mechanism of delay in fluoride inhibition of glycolysis. Clin Chem 54: 930–932 [29] NICE-SUGAR Study Investigators, Finfer et al. (2009) Intensive versus Conventional Glucose Control in Critically Ill Patients N Engl J Med 360: 1283–1297 [30] Rao LV, Jakubiak F, Sidwell JS, Winkelmann JW, Snyder ML (2005) Accuracy evaluation of a new glucometer with automated hematocrit measurement and correction. Clin Chim Acta 356: 178–183 [31] Schetz M, Vanhorebeek I, Wouters PJ, Wilmer A, Van den Berghe G (2008) Tight blood glucose control Is renoprotective in critically ill patients. J Am Soc Nephrol 19: 571–578 [32] The International Expert Committee (2009). International Expert Committee report on the role of the A1c assay in the diagnosis of diabetes. DiabetesCare 32: 1327–1334 [33] Van den Berghe G (2008) Insulin therapy in the intensive care unit should be targeted to maintain blood glucose between 4.4 mmol/l and 6.1 mmol/l. Diabetologia 51: 911–915 [34] Van den Berghe G, Wilmer A, Hermans G et al. (2006) Intensive insulin therapy in the medical ICU. N Engl J Med 354: 449–461 [35] Van den Berghe G, Wouters P, Weekers F et al. (2001) Intensive insulin therapy in the critically ill patients. N Engl J Med 345: 1359–1367 [36] Vanhorebeek I, Langouche L, Van den Berghe G (2007) Tight blood glucose control: what is the evidence? Crit Care Med 35 (9 Suppl): S496–S502
16 POCT in der Gerinnungsdiagnostik D. Peetz, M. Spannagl
16.1
Analytische Systeme zur Erfassung der primären Hämostase bzw. der Thrombozytenfunktion – 196
16.2
Thrombin-/Fibringenerierung (incl. Patientenselbstmanagement) – 199
16.3
Erfassung der Gerinnselbildung durch viskoelastische Methoden – 205 Literatur
– 209
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
196
Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
Um die Systematik der Labormethoden besser abzubilden und zur Differenzierung therapeutischer Konsequenzen wird die Hämostase in vier Bereiche unterteilt: ▬ primäre Hämostase, ▬ Thrombin-/Fibringenerierung, ▬ Gerinnselbildung und ▬ Fibrinolyse. Diese Teilschritte können z. T. mit hämostaseologischen Analyseverfahren abgebildet werden. Die in der Gerinnungsdiagnostik zum Einsatz kommenden POCT-Systeme sind daher in ihren analytischen Technologien sehr heterogen [3, 18]. Dennoch konnten bei einzelnen Patientenkollektiven verbesserte Outcome-Ergebnisse in der Patientenversorgung gezeigt werden [1]. Die zunehmende Erfahrung mit patientennah einsetzbaren Gerinnungstestsystemen zeigt sich inzwischen in internationalen Empfehlungen [21].
16.1
16
Analytische Systeme zur Erfassung der primären Hämostase bzw. der Thrombozytenfunktion
Isolierte Störungen der primären Hämostase sind meist präexistent, d. h. medikamenteninduziert, krankheitsbedingt oder angeboren; sie sind u. a. für intra- und postoperative Blutungsereignisse relevant. So kommt dem Platelet Function Analyzer PFA (Siemens) ein gewisser Stellenwert im Rahmen der Abklärung einer präoperativen Blutungsneigung zu, was in einer Studie gezeigt werden konnte [9]. Hierbei ist allerdings zu betonen, dass die Thrombozytenmessung im Vollblut allein keine umfassende Diagnostik einer präoperativen Blutungsneigung ermöglicht und dass daher ggf. eine weitere Abklärung in einem entsprechend spezialisierten Zentrum angestrebt werden sollte. Das PFA-System ist mit den jeweiligen Messzellen empfindlich für Acetylsalicylsäure und ADP-Rezeptor-Antagonisten. Klassisch wird für das Therapiemonitoring von Acetylsalicylsäure, Clopidogrel und anderen Thrombozytenaggregationshemmstoffen die induzierte Thrombozytenaggregation eingesetzt; dafür wurden inzwischen auch mehrere POCT-Systeme vorgestellt [16, 17, 19]. Das PFA-200 kann für das Clopidogrel-Monitoring mit der Messzelle Innovance PFA P2Y möglicherweise ebenfalls genutzt werden.
197 16.1 · Analytische Systeme zur Erfassung
16
16.1.1 Platelet Function Analyzer
Das Messprinzip des PFA (PFA-100- und PFA-200-Systeme, ⊡ Abb. 16.1) besteht darin, dass mittels eines konstanten Unterdrucks Citratblut durch eine Kapillare angesaugt wird. Hierbei passiert das Blut zunächst eine 3 cm lange Stahlkapillare mit einem Innendurchmesser von 0,2 mm, dann eine Apertur in einer Kollagenmembran, die einen Durchmesser von 0,15 mm aufweist. Die Membran ist entweder mit ADP oder Adrenalin beschichtet. Hierdurch kommt es beim Durchtritt des Blutes zu einer Aktivierung der Thrombozyten, die über die Zeit die Membran verschließen, bis der Blutfluss sistiert. Als Messparameter wird die »Verschlusszeit« verwendet, die in Abhängigkeit von der Aktivierbarkeit der Thrombozyten kürzer oder länger ist. Die Verschlusszeit (in s) ist die Zeit vom Beginn der Messung bis zum Zeitpunkt, an dem eine bestimmte Flussgeschwindigkeit unterschritten wird. Sie wird für die Kollagen/Epinephrin- (Kol/Epi-) und die Kollagen/ADPKassette (Kol/ADP-) getrennt ausgegeben. Dieses Messsystem versucht somit, die physiologische »primäre Hämostase« mit Thrombozytenadhäsion bzw. -aggregation unter hohen Flussbedingungen mit hohen Scherraten in vitro zu imitieren. Das PFA-System wird
Pumpe
Blutreservoir
Kollagenmembran
Kapillare
⊡ Abb. 16.1 Messprinzip der PFA-Analyse. Citratblut wird durch eine kleine Apertur in einer Kollagenmembran gesogen. Die Thrombozyten haften am Kollagen und bringen den Blutfluss zum Erliegen. Die Verschlusszeit (»clotting time«) ist ein Maß für die Thrombozytenfunktion. Sie ist beispielsweise bei Einnahme von Acetylsalicylsäure verlängert.
198
Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
zum Screening auf ein von-Willebrand-Syndrom [14] sowie auf Störungen der primären Hämostase [7] eingesetzt.
16.1.2 Aggregometrie
Für die induzierte Thrombozytenaggregation stehen verschiedene Vollblutund Plasma-basierte Systeme zur Verfügung. Im deutschsprachigen Raum ist das Multiplate-Gerät (Dynabyte) am weitesten verbreitet, das aufgrund seines praktikablen Verfahrens auch als POCT-Gerät eingesetzt wird. Grundsätzlich ist die Impedanzaggregometrie durch die Messung antikoagulierten Vollbluts als Thrombozytenfunktionstestung patientennah einsetzbar (⊡ Abb. 16.2). Mit Verwendung spezifischer Agonisten kann ein individuelles Monitoring auch bei kombinierter thrombozytenhemmender Medikation erfolgen [20]. Für das Clopidogrel-Monitoring nach Implantion von »drug eluting« Stents konnte eine deutliche Assoziation zwischen ADP-induzierter Aggregation und früher Stentthrombose gezeigt werden [15]. Das Verifynow-System (Accumetrics) bestimmt die Thrombozytenaggregation im Vollblut mittels der Agglutinationsmessung fibrinogenbeschichteter Latex-Beads [17]. Besonders etabliert ist das Verifynow-System in den
16 Sensordraht Ruhender Thrombozyt
Aktivierter Thrombozyt
⊡ Abb. 16.2 Funktionstestung der Thrombozyten im Vollblut (Impedanzaggregometrie). Wenn sich aktivierte Thrombozyten an die Oberfläche zweier Sensordrähte anheften, erhöht sich der elektrische Widerstand zwischen ihnen. Dies kann aufgezeichnet und grafisch (Impedanz vs. Zeit) aufgetragen werden.
199 16.2 · Thrombin-/Fibringenerierung
16
USA für das Medikamenten-Monitoring von P2Y12- und der GPIIb/IIIaRezeptor-Antagonisten.
16.2
Thrombin-/Fibringenerierung (incl. Patientenselbstmanagement)
Im klinischen Alltag werden POCT-Verfahren mit Nachweis der Thrombin-/ Fibrinbildung meist zum Therapiemonitoring parenteraler Antikoagulanzien eingesetzt. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Patientenselbstmessung der Internationalen Normalisierten Ratio (INR) bzw. das Patientenselbstmanagement der oralen Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (s. unten). Im Operationssaal und im Schockraum, aber auch bei der Anwendung extrakorporaler Verfahren wie Hämodialyse oder extrakorporale Membranoxygenierung ist die Gerinnungshemmung eine unabdingbare Voraussetzung für die Anwendung entsprechender therapeutischer Methoden. Die Notwendigkeit zur individuellen Dosierung von Heparin oder anderen parenteralen Gerinnungshemmstoffen hat zu einer Zunahme der Anwendung von POCTAnalysen, die auf Vollblut basieren, geführt.
16.2.1 Heparinmonitoring und »activated clotting time« (ACT)
Das periinterventionelle Therapiemonitoring von unfraktioniertem Heparin und anderen Antikoagulanzien erfolgt in der Regel über die »activated clotting time« (ACT). Wichtige Kriterien für die Auswahl einer ACT-Bestimmungsmethode sind das Volumen der eingesetzten Vollblutmenge und die Linearität der Dosis-Wirkungs-Beziehungen (gewünschter Messbereich). Die Reaktionswege sind in ⊡ Abb. 16.3 dargestellt. Es befinden sich derzeit eine Reihe unterschiedlicher Messsysteme auf dem Markt. Das Messprinzip entspricht grundsätzlich dem der aPTT (»activated partial thromboplastin time«, aktivierte partielle Thromboplastinzeit), wobei bei den POCT-Systemen die Messung meist im Vollblut erfolgt, um den zeitaufwendigen Prozess der Zentrifugation zu vermeiden. Die meisten Geräte für das Antikoagulanzienmonitoring können durch Verwendung unterschiedlicher Einmalkassetten für verschiedene Antikoagulanzien und deren unterschiedliche Dosierungen variiert werden. Hemo-
Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
aP TT
/A CT
200
Kontaktaktivator
TP
XIIa
Z Tissue factor
XIa
VIIa
IXa, VIIIa Xa, Va
Prothrombin
ECT
Fibrinogen
(Meizo-)Thrombin
Fibrin
⊡ Abb. 16.3 Gegenüberstellung des Messprinzips der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT), der »activated clotting time« (ACT), der Thromboplastinzeit (TPZ) und der »ecarin clotting time« (ECT). Bei der TPZ, der aPTT und der ACT kommt es jeweils über mehrere Stufen zur Gerinnungsaktivierung. Bei der ECT hingegen katalysiert das Schlangengift Ecarin die Umwandlung von Prothrombin zu Meizothrombin, einer Zwischenstufe in der physiologischen Thrombinaktivierung. Durch die direkte Prothrombinaktivierung ist die ECT spezifischer in der Erfassung von direkten Thrombininhibitoren als die ACT, die aPTT oder die TPZ.
16
⊡ Abb. 16.4 Hemochron Signature Elite. Mit freundlicher Genehmigung der Keller Medical GmbH, Bad Soden
201 16.2 · Thrombin-/Fibringenerierung
16
chron-Systeme (Keller Medical; ⊡ Abb. 16.4) verwenden entweder Streifen, die nur Oberflächenaktivator, oder Kassetten, die Oberflächenaktivator und Phospholipid enthalten. Andere Gerätesysteme (z. B. GEM PCL Plus, Instrumentation Laboratory oder iStat, Abbott) verwenden Einmalkassetten, bei denen das Vollblut durch Kapillaren fließt. Als Aktivator dient meist Kaolin oder Celit, seltener Silica oder Glasstaub. Phospholipidoberflächen werden bei Vollblutmethoden durch Blutzellen bzw. deren Fragmente präsentiert. Bei Systemen, die zur Messung der ACT bei hochdosierter Heparingabe eingesetzt werden, kommen unterschiedliche Kontaktaktivatoren (Celite, Kaolin, Silica, Glasstaub), bei einigen Tests auch in Kombination oder mit zusätzlichen Phopholipiden zum Einsatz. Meist wird frisches Blut, seltener auch Citratblut verwendet. Hierbei ist zu beachten, dass die Ergebnisse durch die unterschiedlichen Aktivatoren und Detektionsverfahren der verschiedenen ACT-Systeme schlecht miteinander vergleichbar sind [2, 6, 10, 13]. Bei der Interpretation der ACT-Werte ist zu berücksichtigen, dass auch ein Faktorenmangel – entweder isoliert oder in Kombination mit Heparin – zu einer ACT-Verlängerung führt. Die Differenzialdiagnostik eines Faktorenmangels oder eines Heparineffekts ist mithilfe des ACT-Tests nicht möglich, wohl aber durch die Verwendung von zusätzlichen, modifizierten Testansätzen mit Heparinase. Durch dieses Enzym wird die Heparinkette in kurze, nicht antikoagulatorisch wirksame Fragmente gespalten, der Heparineffekt dadurch aufgehoben. Unter dem Heparinase-Ansatz verlängerte Gerinnungszeiten sind somit in der Regel als Faktorenmangel zu interpretieren. Dieser Aspekt wird z. B. beim ACT PLUS von Medtronic genutzt: Die Probe wird in ein Röhrchen mit einem darin enthaltenen intrinsischen Aktivator gegeben. In dem Röhrchen befindet sich ein Stempel, der über ein mechanisches System nach oben gehoben wird. Durch die Schwerkraft sinkt der Stempel anschließend nach unten. Tritt nun in der Probe eine Gerinnung ein, so wird das Absinken des Stempels entsprechend verlangsamt und dieser Vorgang über ein optisches System erfasst. In einem zweiten Röhrchen ist neben dem Aktivator auch Heparinase enthalten. Ein Aliquot der Blutprobe wird in das Heparinaseröhrchen pipettiert und die Messung erneut gestartet. Durch einen Vergleich der beiden Gerinnungszeiten (mit und ohne Heparinase) kann zwischen einem Faktorenmangel und einem Heparineffekt unterschieden werden. Verwendet man anstelle von Heparinase
202
Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
Protamin, so kann über eine sog. Protamintitration auch die Heparinkonzentration abgeschätzt werden. z
Dosis-Wirkungs-Kurven
Die Erstellung von Heparineichkurven mit der vor Ort eingesetzten Substanz und der aPTT-/ACT-Methode ist aufwendig. Dabei muss Normalplasma in vitro mit den zu untersuchenden Gerinnungshemmstoffen versetzt werden. Dabei fügt man dem Normalplasma in vitro definierte Mengen unfraktionierten Heparins zu. Alternativ ist der Einsatz vorkonfektionierter Kalibratoren möglich. Diese sind jedoch nicht für alle Antikoagulanzien in allen Dosisbereichen verfügbar. Je nach verwendetem gerinnungsphysiologischen Test (Prothrombinzeit, aPTT) können dabei direkte und indirekte Thrombinund Faktor-Xa-Inhibitoren gemessen werden. Für die Therapiesteuerung ist eine präzise Bewertung dieser Dosis-Wirkungs-Kurven entscheidend. So weisen beispielsweise aPTT-basierte Messverfahren im hohen Dosisbereich eine geringe Empfindlichkeit für Thrombininhibitoren auf.
16.2.2 Orale Antikoagulation – Patientenselbstmanagement
16
Mehr als 800.000 Menschen führen in Deutschland eine langfristige Therapie mit oralen Antikoagulanzien (Vitamin-K-Antagonisten) durch. Dazu zählen Patienten mit einer künstlichen Herzklappe, Herzrhythmusstörungen (z. B. Vorhofflimmern), Herzinsuffizienz, rezidivierenden Bein- oder Beckenvenenthrombosen, Lungenembolien und weiteren Gefäß- oder Herzerkrankungen. Der Therapieerfolg einer oralen Antikoagulation wird durch eine engmaschige Kontrolle des INR-/Quick-Werts und eine individuelle Anpassung der Medikation erst ermöglicht. Im Jahre 1986 wurde die Gerinnungsselbstkontrolle eingeführt, was die Antikoagulanzientherapie deutlich sicherer gemacht hat. Die Patienten können damit selbst ihren aktuellen INR-/Quick-Wert aus Kapillarblut bestimmen und die individuelle Dosis des oralen Antikoagulans selbstständig anpassen. Der behandelnde Arzt und das Team eines entsprechenden Schulungszentrums betreuen den Patienten bei der Gerinnungsselbstkontrolle und beraten ihn in allen Fragen der Therapie. Prospektive Studien – aufgearbeitet in mehreren Metaanalysen – zeigen deutlich bessere Therapieerfolge durch die Selbstkontrolle. Ausdrücklich wurde auf die Kosteneffektivität auf-
203 16.2 · Thrombin-/Fibringenerierung
16
grund der signifikant niedrigeren Thromboembolie- und Blutungsinzidenz hingewiesen [5, 8, 12]. Eine neuere große Studie (erfasst wurden über 8700 Patientenjahre) von Matchar et al. [11] zeigte dagegen keine Überlegenheit der Selbsttestung bzgl. Apoplex oder Blutungsereignissen. Für die Patientenselbstkontrolle sind verschiedene Testsysteme verfügbar (Auswahl): ▬ Das CoaguChek XS (Roche; ⊡ Abb. 16.5) benutzt eine neuartige elektrochemische Detektionsmethode. Der Teststrip enthält Thromboplastin, Phospholipide und das Peptidsubstrat Electrocyme TH in getrockneter Form. Durch die Aktivierung der Koagulationskaskade wird Thrombin gebildet, das enzymatisch das Peptidsubstrat in ein irrelevantes Peptid und in das elektrochemisch aktive Phenylendiamin zerschneidet. Letzteres generiert ein elektrisches Signal, das in den INR-Wert umgerechnet wird. Das CoaguChek XS ist das erste Gerät auf dem Markt, dessen Messung nicht durch Heparin in der Probe beeinflusst wird.
⊡ Abb. 16.5 CoaguChek XS plus. Mit freundlicher Genehmigung der Roche Diagnostics GmbH, Mannheim
204
Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
▬ Das INRatio-System (Hemosense) besteht ebenfalls aus einem Messgerät und Einwegteststrips. Das System misst die Änderung der Impedanz der Mischung aus Blut und Reagenzien während des Koagulationsprozesses und bestimmt daraus das INR-Ergebnis. Das Gerät wendet eine 3-KanalTechnologie an, um die Patientenprobe und 2 Kontrollen gleichzeitig zu analysieren. In ⊡ Abb. 16.6. wird der Messchip dargestellt. ▬ Das ProTime microcoagulation system (ITC) ist ebenfalls ein tragbares Photometer. Die Plastikküvette enthält eine Kammer mit getrocknetem Thromboplastin. Sie hat 5 Mikrokanäle für eine Dreifachmessung der Patientenprobe und eine Doppelmessung von Kontrollen. Das applizierte Blut wird in den Kanälen hin und her gepumpt. Ein LED-Array detektiert beim Gerinnungseintritt das Sistieren der Bewegung, woraus das INR-Ergebnis bestimmt wird.
Elektroden
Testfläche
16
Probenaufgabe
⊡ Abb. 16.6 Messprinzip des INRatio-Testchips. Mit freundlicher Genehmigung der Alere GmbH, Köln
205 16.3 · Erfassung der Gerinnselbildung
16.3
16
Erfassung der Gerinnselbildung durch viskoelastische Methoden
Zwei Systeme stehen zur Verfügung, die die mechanische Qualität des Gerinnsels (die Viskoelastizität) kontinuierlich aufzeichnen: ▬ die Rotationsthrombelastometrie (ROTEM) und ▬ die Thrombelastographie (Haemoscope TEG). In Mitteleuropa ist die konventionelle Thrombelastographie (im Haemoscope TEG eingesetzt [11]) weitgehend durch das modernere Verfahren der Rotationsthrombelastometrie (ROTEM, TEM International) abgelöst worden. Diagnostisch werden hiermit in erster Linie akute Blutungen bei polytraumatisierten und operativen Patienten erfasst. Eine gezielte, individuell angepasste Therapie ist nicht nur eine klinische Herausforderung, sondern erfordert auch eine entsprechend differenzierte Diagnostik. Erschwert wird die Therapie dadurch, dass meist mehrere Ursachen für eine Koagulopathie vorliegen (Verlust/Verbrauch plasmatischer und zellulärer Komponenten, evtl. mit gleichzeitiger Hyperfibrinolyse) und die Gerinnungssituation einer zeitlichen Dynamik unterliegt. Zusätzlich kommen Effekte transfundierter kolloidaler Lösungen – v. a. Hydroxyethylstärke – zum Tragen, die eine Polymerisationsstörung des Fibringerinnsels begünstigen können. Effekte gerinnungsaktiver Medikamente wie z. B. Heparin, erworbene Thrombozytopathien, Effekte von Fremdoberflächen (z. B. bei extrakorporaler Zirkulation) sowie chirurgische Blutungsursachen sind in die differenzialdiagnostischen und -therapeutischen Überlegungen einzubeziehen. Beim patientennahen Einsatz (Schockraum, OP) kann das Thrombelastogramm kontinuierlich mitverfolgt werden und führt zu unmittelbaren therapeutischen Konsequenzen. Alternativ kann die ROTEM-Analyse im Zentrallabor erfolgen und das Thrombelastogramm online in den Akutbehandlungsbereich übertragen werden. Die Thrombelastographie wurde 1948 von H. Hartert vorgestellt. Das Prinzip besteht darin, dass ein zylindrischer Stempel, der frei an einem dünnen Draht aufgehängt ist, in eine rotierende, mit Blut gefüllte Küvette eintaucht. Wenn die Probe gerinnt, bilden sich zwischen der Wand der Küvette und dem Stempel Fibrinfäden, die die Bewegung der Küvette entsprechend der Festigkeit der Fibrinfäden auf den Stempel übertragen. Unabhängig vom verwendeten technologischen Verfahren wird die Bewegung des Stempels über die Zeit als thrombelastographische Kurve aufgezeichnet. Als Proben-
206
Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
material wurde früher natives Vollblut verwendet; heute analysiert man in der Regel – im Sinne einer besseren Standardisierung – Citratblut, das mit definierten Aktivatoren (extrinsisch, intrinsisch) zur Gerinnung gebracht wird. Der Vorteil der Thrombelastographie gegenüber den klassischen gerinnungsphysiologischen Methoden besteht darin, dass neben der Gerinnungszeit auch die Gerinnselqualität sowie die Gerinnselstabilität und der Einfluss der Thrombozyten auf beide, nämlich die Gerinnselbildung und deren Stabilität, beurteilt werden können. Die Thrombelastographie wird v. a. zur Analyse komplexer Hämostasestörungen im perioperativen Bereich klinisch eingesetzt. Weitere Indikationen sind der spezifische Nachweis einer Hyperfibrinolyse sowie die Beurteilung einer Thrombozytopenie oder einer Dilutionskoagulopathie. Zur Differenzierung von Gerinnungsstörungen werden ferner Analysen mit dem Zusatz des heparinspaltenden Enzyms Heparinase oder eines Fibrinolyseinhibitors (z. B. Aprotinin) sowie mit der In-vitro-Blockade der Thrombozyten durch Cytochalasin D oder Fibrinogenrezeptorantagonisten zur qualitativen Beurteilung des Fibringerinnsels durchgeführt. Die Gerinnselfestigkeit wird gegen die Zeit aufgetragen. Aus historischen Gründen wird die Kurve zweischenklig ausgegeben und in Millimetern parametrisiert. Eine Vielzahl von Parametern wurde für die Auswertung des Thrombelastogramms beschrieben. Die wichtigsten sind: ▬ Gerinnungszeit (»clotting time« CT oder Reaktionszeit r), ▬ Gerinnselbildungszeit (»clot formation time« CFT oder Koagulationszeit k), ▬ maximale Gerinnselfestigkeit (»maximum clot firmness« MCF oder die Maximalamplitude MA) und die ▬ maximale Lyse ML (in Prozent der maximalen Ausprägung des Gerinnsels).
16 Bei der Befundmitteilung empfiehlt es sich, neben der Angabe von Messwerten (meist CT, CFT, MCF und ML) und Referenzbereich eine semiquantitative Bewertung vorzunehmen (z. B. normwertige Gerinnungsaktivierung, abnormale Gerinnselbildung, kein Nachweis einer Hyperfibrinolyse). Bei grenzwertigen Befunden sollten die Untersuchungen wiederholt bzw. die Befunde sollten als solche mitgeteilt werden. Es ist zu empfehlen, durch die Untersuchung von hämostaseologisch unauffälligen Patienten oder Probanden hauseigene Referenzbereiche zu bestimmen bzw. zumindest die Über-
207 16.3 · Erfassung der Gerinnselbildung
16
einstimmung der im Haus ermittelten Werte mit externen Referenzbereichen zu überprüfen. z
Bewertung der Fibrinolyse
Eine Auflösung des Gerinnsels in vitro zeigt eine Fibrinolyse an. Dies wird beim Gesunden praktisch nie beobachtet, da die Fibrinolysehemmung im peripheren Blut in der Regel gegenüber den Fibrinolyseaktivatoren deutlich überwiegt. Intraoperativ beobachtete Fibrinolysen sind häufig mit massiven Blutungen assoziiert. Je schneller die Fibrinolyse in vitro beobachtet wird, desto heftiger ist in der Regel auch die klinische Blutungssymptomatik (fulminante Lyse mit einer Gerinnselauflösung innerhalb von weniger als 30 min). Eine spät auftretende Lyse (nach mindestens 45 min) sistiert häufig spontan. z
Bewertung der Gerinnselbildung
Eine normwertige Gerinnselbildung wird als funktioneller Marker einer intakten Vollblutgerinnung verwendet, eine verminderte Gerinnselfestigkeit kann durch die Gabe von Thrombozytenkonzentraten oder Fibrinogen (in Form von gefrorenem Frischplama oder Konzentrat) korrigiert werden. z
Bewertung der Gerinnungsaktivierung
Der diagnostische Wert der Gerinnungszeiten entspricht weitgehend demjenigen der aPTT oder der Prothrombinzeit, allerdings mit einer geringeren Spezifität, und zwar aufgrund des stärkeren Einflusses der Gerinnselpolymerisation in der Thrombelastographie, verglichen mit der Bestimmung der Gerinnungszeit mit konventionellen Methoden. Die CT-Messung ist deutlich weniger spezifisch für einen Faktorenmangel (z. B. unter oraler Antikoagulation) als die Thromboplastinzeit (insbesondere bei hohem Fibrinogengehalt der Probe). Insgesamt ist die Thrombelastographie ein funktioneller Globaltest, der gerade bei komplexen Hämostasestörungen die Beurteilung der Gerinnungssituation unterstützen kann [4]. Das Verfahren ist nicht sensitiv für Thrombozytenaggregationshemmer und Pentasaccharid sowie für ein von-Willebrand-Syndrom, und es ist relativ unempfindlich gegenüber Effekten von Fibrinogenrezeptorantagonisten, niedermolekularem Heparin und oralen Antikogulanzien. Ein Faktor-XIII-Mangel zeigt sich im Plasma besser als im Vollblut, ist aber gerade bei hohem Fibrinogenspiegel nur bei sehr niedrigen Faktor-XIII-Spiegeln nachweisbar.
16
Einsetzen des Teststreifens bzw. der Messzelle in das Messgerät
Aufstecken des verschlossenen Blutröhrchens auf die Messzelle
Einspritzen bzw. Pipettieren der Blutprobe
Keine Zugabe von Reagenzien
Teilweise plasmabasierte Kontrollen
Einsetzen der Messzelle
Einsetzen der Blutprobe
Reagenzienhandhabung
Verwendung von Kontrollmaterial
PFA-100
Aufsetzen eines Bluttropfens auf die Probenaufnahme
Artifizielle Kontrollflüssigkeit
keine
Viskoelastische Verfahren (Thrombelastographie, ROTEM, Sonoclot, Multiplate)
Keine Kontrolle verfügbar
Plasma-basierte Kontrollen
Zugabe von 1–3 Reagenzien
Einpipettieren der Blutprobe in die Messzelle
Vortemperierung der Messzelle bei Raumtemperatur (teilweise)
Keine
Vorbereitung der Messzelle
RPFA (Accumetrics)
Teströhrchensysteme, Heparinmanagementsysteme
Ablauf
Teststreifensysteme
⊡ Tab. 16.1 Durchführung gängiger POCT-Methoden
208 Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
209 Literatur
16
In ⊡ Tab. 16.1 ist die Durchführung der gängigen POCT-Methoden für Gerinnungsanalysen zusammengefasst.
Literatur [1] Avidan MS, Alcock El, Da Fonseca JH et al. (2004) Comparison of structured use of routine laboratory tests or near-patient assessment with clinical judgement in the management of bleeding after cardiac surgery. Br J Anaesth 92: 178–186 [2] Bosch YP, Ganushchak YM, de Jong DS (2006) Comparison of ACT point-of-care measurements: repeatability and agreement. Perfusion 1: 27–31 [3] Calatzis A, Heesen M, Spannagl M (2003) Patientennahe Sofortdiagnostik von Hämostaseveränderungen in der Anästhesie und Intensivmedizin. Anaesthesist 52: 229–237 [4] Cammerer U, Dietrich W, Rampf T, Braun SL, Richter JA (2003) The predictive value of modified computerized thromboelastography and platelet function analysis for postoperative blood loss in routine cardiac surgery. Anesth Analg 96: 51–57 [5] Christensen TD, Johnsen SP, Hjortdal VE, Hasenkam JM (2007) Self-management of oral anticoagulant therapy: A systematic review and meta-analysis. Int J Cardiol 118: 54–61 [6] Ferring M, Reber G, de Moerloose P, Merlani P, Diby M, Ricou B (2001) Point of care and central laboratory determinations of the aPTT are not interchangeable in surgical intensive care patients. Can J Anaesth 48: 1155–1160 [7] Hayward CP, Harrison P, Cattaneo M, Ortel TL, Rao AK (2006) Platelet function analyzer (PFA)-100 closure time in the evaluation of platelet disorders and platelet function. J Thromb Haemost 4: 312–319 [8] Heneghan C, Alonso-Coello P, Garcia-Alamino JM, Perera R, Meats E, Glasziou P (2006) Self-monitoring of oral anticoagulation: a systematic review and meta-analysis. Lancet 367: 404–411 [9] Koscielny J, Ziemer S, Radtke H et al. (2004) A practical concept for preoperative identification of patients with impaired primary hemostasis. Clin Appl Thromb Hemost 10: 195–204 [10] Leyvi G, Shore-Lesserson L, Harrington D, Vela-Cantos F, Hossain S (2001) An investigation of a new activated clotting time »MAX-ACT« in patients undergoing extracorporeal circulation. Anesth Analg 92: 578–583 [11] Matchar DB, Jacobson A, Dolor R, Edson R, Uyeda L, Phibbs CS et al. (2010) Effect of home testing of international normalized ratio on clinical events. N Engl J Med;363:1608-20. Erratum in: N Engl J Med. 2011;364: 93 [12] Mc Cahon D, Murray ET, Jowett S et al. (2007) Patient self management of oral anticoagulation in routine care in the UK. J Clin Pathol 60: 1263–1267 [13] Murray DJ, Brosnahan WJ, Pennell B, Kapalanski D, Weiler JM, Olson J (1997) Heparin detection by the activated coagulation time: a comparison of the sensitivity of coagulation tests and heparin assays. J Cardiothorac Vasc Anesth 11: 24–28 [14] Nitu-Whalley IC, Lee CA, Brown SA, Riddell A, Hermans C (2003) The role of the platelet function analyser (PFA-100) in the characterization of patients with von Willebrand’s
210
Kapitel 16 · POCT in der Gerinnungsdiagnostik
disease and its relationships with von Willebrand factor and the ABO blood group. Haemophilia 9: 298–302 [15] Sibbing D, Braun S, Morath T, Mehilli J, Vogt W, Schömig A, Kastrati A, von Beckerath N. Platelet reactivity after clopidogrel treatment assessed with point-of-care analysis and early drug-eluting stent thrombosis. J Am Coll Cardiol. 2009;53: 849–56 [16] Simon DI, Liu CB, Ganz P et al. (2001) A comparative study of light transmission aggregometry and automated bedside platelet function assays in patients undergoing percutaneous coronary intervention and receiving abciximab, eptifibatide, or tirofiban. Catheter Cardiovasc Interv 52: 425–432 [17] Smith JW, Steinhubl SR, Lincoff AM et al. (1999) Rapid platelet-function assay: an automated and quantitative cartridge-based method. Circulation 99: 620–625 [18] Spannagl M, Dick A, Junker R (2010) POCT in coagulation. Hämostaseologie;30: 82–90 [19] Steinhubl SR, Talley JD, Braden GA et al. (2001) Point-of-care measured platelet inhibition correlates with a reduced risk of an adverse cardiac event after percutaneous coronary intervention: results of the GOLD (AU-Assessing Ultegra) multicenter study. Circulation 103: 2572–2578 [20] Toth O, Calatzis A, Penz S, Losonczy H, Siess W (2006) Multiplate electrode aggregometry: a new device to measure platelet aggregation in whole blood. Thromb Haemost 96: 781–788 [21] Zucker ML (2007) The National Academy of Clinical Biochemistry Laboratory Medicine Practice Guidelines for Point of Care Coagulation Testing. Point of Care 6: 223–226
16
17 POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten E. Giannitsis, P. B. Luppa, D. Peetz, I. Schimke
17.1
Allgemeines – 212
17.2
Anforderungen an POCT von Herzmarkern – 215
17.3
Akutes Koronarsyndrom – 216
17.4
Akutes Koronarsyndrom und POCT – 222
17.5
Herzinsuffizienz
17.6
Herzinsuffizienz und POCT – 227 Literatur
– 223
– 228
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
212
17.1
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
Allgemeines
Krankheiten des Kreislaufsystems sind in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Anteil von nahezu 50 % die häufigste Todesursache. Von den Todesfällen als Folge von Kreislauferkrankungen entfallen auf die koronare Herzkrankheit (KHK) insgesamt mehr als 40 %, davon auf das akute Koronarsyndrom (»Acute coronary syndrome«, ACS), speziell auf den akuten Myokardinfarkt (MI), 20 %. Bezogen auf den MI sind dies etwa 75.000 Todesfälle pro Jahr. Als Folge des MI entwickelt sich bei bis zu 50 % der Überlebenden eine chronische Herzinsuffizienz, die gemeinsam mit der chronischen Herzinsuffizienz anderer Genese (z. B. chronische KHK, Kardiomyopathie, Hypertonie, Myokarditis, Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen, Anämie) mit steigendem Lebensalter zur Haupttodesursache der Bevölkerung in den westlichen Ländern wird. In der Gesamtbevölkerung nimmt die Prävalenz von <1 % (im Alter zwischen 45 und 55 Jahren) auf 2–5 % (65–75 Jahre) und schließlich bei über 80-Jährigen auf fast 10 % zu. Die akute Dekompensation der Herzinsuffizienz ist dabei die häufigste Ursache für eine Hospitalisierung der über 65-Jährigen und in den meisten westlichen Ländern die kostenintensivste Kreislauferkrankung [12]. Ausgehend von der Bedeutung, die der KHK gesundheitspolitisch und ökonomisch zukommt, ist es nicht überraschend, dass laboratoriumsmedizinische Untersuchungen aufgrund ihres günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses einen herausragenden Stellenwert in der Diagnostik, der Therapiekontrolle und der Prognoseabschätzung bei Patienten mit KHK erlangt haben. Durch aktuelle Entwicklungen (Stichwort: natriuretische Peptide) wird sich auch die Bedeutung der laboratoriumsmedizinischen Untersuchungen bei Patienten mit Herzinsuffizienz deutlich erhöhen.
17
17.1.1 Zentrallabor versus POC-Testung
Je nach örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten sowie in Abhängigkeit vom Indikationsgebiet muss entschieden werden, ob die Untersuchungen bei KHK und Herzinsuffizienz in einem zentralen Labor oder in Form von POC-Tests durchgeführt werden. Verfügbar für die Herzinfarktdiagnostik im Rahmen des POCT sind sowohl qualitative als auch semiquantitative
213 17.1 · Allgemeines
17
und quantitative Testsysteme. Neben der diagnostischen Entscheidung über das Vorliegen der Krankheit entsprechend einem von der Fragestellung abhängigen, wählbaren Grenzwert (»Cut-off«) ermöglichen quantitative Testsysteme anhand von Marker-Konzentrationen im Serum oder Vollblut und anhand der Kinetik die Beurteilung von Risiko, Verlauf und Therapie. Hierbei kommt es entscheidend auf die Labor-TAT an, die »turn-around time« (Zeit für Probentransport, -vorbereitung und -analyse sowie Ergebnisübermittlung). In Krankenhäusern, in denen im Rahmen der Akutversorgung von ACS-Patienten durch das Zentrallabor oder eine andere, vergleichbar organisierte laboratoriumsmedizinische Einheit eine TAT für Herzmarker von <60 min, besser <30 min, nicht realisiert werden kann, wird der Einsatz von POCT empfohlen. Unabhängig vom ACS kann die durch das POCT bedingte kürzere Labor-TAT überall dort von Vorteil sein, wo ein MI bzw. ein Reinfarkt als Komplikation möglich ist (z. B. in der Herzchirurgie). Der Vorteil der kardiologisch orientierten labormedizinischen Diagnostik mittels POCT wird jedoch nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verkürzung der Labor-TAT, letztlich also die schnellere Ergebnisübermittlung, auch in eine frühzeitigere therapeutische Entscheidung umgesetzt werden kann. Die Verkürzung der Labor-TAT als Argument für den Einsatz von POCT ist nur dann zu akzeptieren, wenn sich daraus eine Verkürzung der Gesamt-TAT (Zeitraum zwischen der Entscheidung des Arztes, einen Marker bestimmen zu wollen – Labor-TAT – Umsetzung des Testergebnisses in klinisches Handeln bzw. auch Nicht-Handeln) ergibt. Ein weiteres grundsätzliches Problem im Hinblick auf die Nutzung von POCT statt der zentralisierten Labordiagnostik im Rahmen der kardiologisch orientierten Labormedizin besteht darin, dass der Konzentrationsverlauf kardialer Marker neben den wichtigen diagnostischen Informationen häufig auch Informationen liefert, die ein frühes Erkennung eines Reinfarkts ermöglichen oder es erlauben, den Erfolg einer fibrinolytischen Therapie abzuschätzen. Da insbesondere im Rahmen von Verlaufsbestimmungen der kardialen Marker häufig zwischen der Bestimmung im Zentrallabor (am Tag) und POCT (nachts, am Wochenende) gewechselt wird, empfiehlt die NACB, dass sich die Assaycharakteristika von zentralisierter Labordiagnostik und POCT grundsätzlich nicht unterscheiden sollten. In der täglichen Praxis werden von POCT und Zentrallabor aber völlig unterschiedliche Assays eingesetzt. Selbst bei Einsatz des gleichen Bestimmungsverfahrens können sich die Messergebnisse aufgrund der Messtechnologie deutlich voneinan-
214
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
der unterscheiden, sodass ein Monitoring unmöglich ist. Das grundlegende Problem einer Standardisierung von Assays wird durch diese Praxis deutlich erschwert. Die Testsysteme der für die ACS-Diagnostik gebräuchlichsten Marker (Myoglobin, CK-MB-Masse, Troponine (cTn) sind entweder für die Bestimmung eines einzelnen Markers oder aber für eine Markerkombination ausgelegt. ⓘ Hinweis Ein mit einem qualitativen Assay ermitteltes positives Testresultat sollte immer mit einem quantitativen Assay bestätigt werden, wobei wir für die Zukunft die Nutzung qualitativer Assays angesichts der analytischen Fortschritte bei den quantitativen Bestimmungsverfahren nicht mehr empfehlen.
17
cTnT und cTnI sind der etablierte biochemische Standard in der ACS-Diagnostik, da eine erhöhte Konzentration dieser kardiospezifischen Marker eine Myokardnekrose anzeigt. Allerdings wird bei Verwendung konventioneller cTn-Assays, die sensitivitätsbedingt mit höheren cTn-Cutoffs arbeiten, ein Anstieg im Blut erst nach mehreren Stunden festgestellt. Daher wird insbesondere in der frühen Phase des ACS die zusätzliche Bestimmung eines Biomarkers, der schon früher die myokardiale Ischämie oder Myokardnekrose nachweist, empfohlen. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Markerkombinationen (»multimarker strategy«) der Bestimmung eines einzelnen Markers bei der Risikostratifizierung und der Planung einer invasiven oder konservativen Therapie überlegen sein können. Bei besonderen örtlichen Gegebenheiten oder spezifischen zeitlichen Notwendigkeiten kann das POCT dabei die zentral organisierte Labordiagnostik ergänzen, möglicherweise auch ersetzen. Grundsätzlich überwiegen in diesem Indikationsgebiet jedoch in Hinblick auf die Kosten-Nutzen-Relation die Vorteile der zentralisierten Labordiagnostik ( Kap. 27). Für die labormedizinische Begleitung der chronischen Herzinsuffizienz und ihrer lebensbedrohlichen Komplikation, der akuten Dekompensation, stehen heute mit dem BNP (BNP: »Brain natriuretic peptide«) und dem Nterminalen Fragment des pro-BNP (NT-pro-BNP) Marker zur Verfügung, deren Einsatz von der European Society of Cardiology (ESC) und dem American College of Cardiology (ACC) bzw. der American Heart Association (AHA) für Screening und Diagnostik der Herzinsuffizienz empfohlen
215 17.2 · Anforderungen an POCT von Herzmarkern
17
wird [8, 16]. Im Rahmen der Differenzialdiagnostik bei Thoraxschmerz und Dyspnoe (»shortness of breath«) wird die kombinierte Bestimmung von BNP/NT-pro-BNP, cTn und D-Dimer vorgeschlagen. Sowohl für BNP/ NT-pro-BNP als auch für D-Dimer existieren Testsysteme, die als POCT eingesetzt werden können. Im Unterschied zu den meisten anderen Kenngrößen, für die erst sekundär POCT-fähige Testsysteme entwickelt wurden, begann die klinische Validierung des Markers BNP mit einem für das POCT entwickelten Testsystem (Triage, Biosite, nun Alere). Mittlerweile hat Alere ein weiteres Unit-use-Gerät (Alere Heart Check System) entwickelt, das die BNP-Bestimmung innerhalb von 15 min erlaubt. Bisher gibt es keine Empfehlungen, bei welcher Indikation und oberhalb welcher Labor-TAT von der BNP-/NT-pro-BNP-Bestimmung durch das Zentrallabor zum POCT übergegangen werden sollte.
17.2
Anforderungen an POCT von Herzmarkern
Werden Herzmarker leitliniengerecht zur Diagnostik, Therapiekontrolle und Prognose bei KHK und Herzinsuffizienz eingesetzt, lässt sich eine Verbesserung der Kosten-Nutzen-Relation gut belegen. Über den zusätzlichen Nutzen beim Übergang von der zentral organisierten Bestimmung zum POCT können jedoch noch keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden. Es ist aber allgemein anerkannt, dass jede Verkürzung der Labor-TAT durch POCT – wenn diese tatsächlich in eine Verkürzung der Gesamt-TAT umgesetzt werden kann – die Kosten-Nutzen-Relation der Herzmarkerbestimmung weiter verbessert. Für die auf der Immunoassay-Technik basierenden Bestimmungsverfahren gilt weiterhin: ▬ Die im Test verwendeten Antikörper sollten gut charakterisiert und gegen stabile Analytepitope gerichtet sein, die keiner Modifizierung im Blut (Proteolyse, Oxidation, Phosphorylierung, Komplexierung) unterliegen. ▬ Tritt ein Herzmarker im Blut in verschiedenen Varianten auf (Monomere, Komplexe), muss der Antikörper diese vergleichbar binden. ▬ Existiert – wie für cTnI (s. unten) – bisher kein allgemein akzeptierter Standard, müssen für die verschiedenen Assays Referenzwerte und Entscheidungsgrenzen separat festgelegt werden.
216
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
▬ Um die Vergleichbarkeit von Ergebnissen, die zentral bzw. mittels POCT ermittelt wurden, zu ermöglichen, sollten in einer Einrichtung – wenn möglich – für das POCT Tests ausgewählt werden, deren analytische Eigenschaften sich nicht grundsätzlich von den Eigenschaften der in der zentral organisierten Labordiagnostik genutzten Tests unterscheiden.
17.3
17
Akutes Koronarsyndrom
Unter dem Begriff »akutes Koronarsyndrom« werden die akuten lebensbedrohlichen Phasen der KHK zusammengefasst: instabile Angina pectoris, nichttransmuraler Infarkt/Nicht-Q-Zacken-Infarkt/Infarkt ohne STStrecken-Hebung (»Non-ST-segment elevation myocardial infarction«, NSTEMI), transmuraler Infarkt/Q-Zacken-Infarkt/Infarkt mit ST-StreckenHebung (»ST-segment elevation myocardial infarction«, STEMI). Ursache ist eine zunächst noch reversible, später irreversible ischämische Schädigung des Myokards. Da insbesondere als Folge der irreversiblen Schädigung (Nekrose) myokardiale Proteine (Herzmarker) freigesetzt werden und dann im Blut zirkulieren, bietet die Quantifizierung dieser Proteine die Möglichkeit, die ischämische Schädigung des Myokards nachzuweisen. Der ideale Marker sollte dabei präanalytischen Einflüssen gegenüber weitestgehend stabil sein, die Herzschädigung hochspezifisch anzeigen, ein der spezifischen diagnostischen Fragestellung (Erstdiagnose, Verlaufs- bzw. Therapiekontrolle, Nachweis von Komplikationen, z. B. Reinfarkt) entsprechendes diagnostisches Fenster eröffnen sowie einfach, schnell und kostengünstig bestimmbar sein. Gegenwärtig erfüllen, verglichen mit allen anderen bekannten Herzmarkern, die myofibrillär gebundenen, zu einem geringen Teil (3–6 %) auch die zytosolisch lokalisierten kardialen Proteine cTnI und cTnT die oben aufgeführten Anforderungen an einen Herzmarker, sodass diese heute als der Goldstandard in der Diagnostik der irreversiblen Myokardschädigung gelten. ⊡ Tab. 17.1 zeigt die Kennzahlen für das diagnostische Fenster der cTn im Vergleich zu anderen Markern. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass gerade bei Patienten, die sich früh nach Einsetzen von Beschwerden im Krankenhaus vorstellen, die cTn-Konzentration, gemessen mit konventionellen, wenig sensitiven Assays, noch nicht die Entscheidungsgrenze (Cut-off) überschritten haben muss. Die Ursache dafür ist in hohen Cut-offs zu suchen, die sich aus den ROC-Kurven solcher wenig sensitiven Tests ergeben. In diesen
17
217 17.3 · Akutes Koronarsyndrom
Konzentration
Fällen können Biomarker, die eine myokardiale Ischämie früher anzeigen, eine sinnvolle Ergänzung zum cTn darstellen. Zu diesen Markerkandidaten gehört das Myoglobin, für das die längste Erfahrung vorliegt, aber es können auch neuere Biomarker wie das »heart-type fatty acid binding protein« (hFABP), ischämisch-modifiziertes Albumin (IMA) oder die Glykogenphosphorylase BB eingesetzt werden. Allerdings ist die Datenlage, insbesondere was die sehr frühe Ischämiephase (<4 h nach Einsetzen ischämischer Symptome) betrifft, uneinheitlich. Die im Vergleich zu den anderen Herzmarkern langen Halbwertszeiten der cTn-Spezies führen über den »Summationseffekt« dazu, dass bereits sehr kleine Narben im Myokard durch messbare cTn-Erhöhungen im Serum bestätigt werden können (⊡ Abb. 17.1): Mit den gegenwärtig verfügbaren Tests für cTnT und cTnI lassen sich Myokardnekrosen im Bereich von ≤1 g nachweisen. Für beide cTn-Kenngrößen werden vergleichbare biphasische Serumprofile nach einem Myokardinfarkt beschrieben. Bei engmaschiger Kontrolle kann ein initialer Anstieg durch Freisetzung von cTn aus dem cytosolischen Pool (Gipfelwert nach 1–2 Tagen), gefolgt von der Freisetzung des strukturgebundenen Anteils (Gipfelwert nach 3–5 Tagen), sichtbar gemacht werden. Von entscheidendem Vorteil gegenüber den anderen Herzmarkern ist darüber hinaus die Herzspezifität der cTn (⊡ Tab. 17.1).
Troponinkurve “cut off”
1.
CK-MB
2.
CK-MB
3.
Multiple Myokardischämien mit Mikronekrotisierung
CK-MB Zeit
⊡ Abb. 17.1 Summationsmodell für die cTn-Zunahme im Serum als Folge multipler Myokardischämien und einer Mikronekrotisierung. CK-MB Kreatinkinase, »muscle-brain«
218
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
⊡ Tab. 17.1 Serumprofil nach ST-Strecken-Hebungsinfarkt und Herzspezifität von myokardialen Markern Marker
Herzspezifität
Beginn des Konzentrationsanstiegs [h]
Maximum des Konzentrationsanstiegs [h]
Vervielfachung
Dauer bis zur Normalisierung [Tage]
Myoglobin
–
2
6–12
Bis 20-fach
0,5–1
GPBB
++
2–4
7–9
Bis 20-fach
1–2
cFABP
++
2–3
5–10
Bis 35-fach (bis 125-fach)
0,5–1
CK-MBMasse
+
3–4
12–18
Bis 30fach
2–3
cTnT
+++
4–10
12–48
Bis 40- bis 60-fach (bis 300-fach)
7–20
cTnI
+++
4–6
12–48
Bis 40-fach
7–14
cFABP cardiac fatty acid binding protein; GPBB Glykogenphosphorylase BB
17
Unter den Patienten mit ACS lassen sich in Hinblick auf die Anzahl fataler Ereignisse und den Zeitpunkt ihres Eintretens unterschiedliche Risikokonstellationen nachweisen. Die folglich notwendigen unterschiedlichen Behandlungsstrategien erfordern eine frühestmögliche Differenzierung der Patienten in solche mit instabiler Angina pectoris auf der einen und in die mit Myokardinfarkt auf der anderen Seite. Grundlage dieser Differenzierung sind Empfehlungen der ESC bzw. des ACC [19]. Danach sind die Kriterien für einen akut ablaufenden oder kürzlich abgelaufenen Myokardinfarkt: ▬ typischer Anstieg und gradueller Abfall (cTnT, cTnI) oder ▬ schneller Anstieg und Abfall (CK-MB-Masse) der biochemischen Marker der Myokardnekrose mit mindestens einem der folgenden Kriterien: – ischämische Symptome, – Entwicklung pathologischer Q-Zacken im EKG, – ischämische EKG-Veränderungen (ST-Strecken-Hebung oder -Senkung), – Koronarintervention.
219 17.3 · Akutes Koronarsyndrom
17
In diesen Empfehlungen wird ausdrücklich auf die zentrale Stellung der myokardialen Nekrosemarker, speziell der cTn, und dabei besonders auf die Bedeutung, die der Markerkinetik zukommt, hingewiesen. Ergänzend werden auch eindeutige Anforderungen an die Analytik der Herzmarker aufgeführt. In der Vergangenheit wurde argumentiert, dass jede cTn-Erhöhung im Blut pathologisch sei und daher eine Myokardnekrose anzeige. Daher wurde eine cTn-Konzentration oberhalb des 99. Perzentils einer gesunden Referenzgruppe als Entscheidungsgrenze festgelegt. Da sich die Einschränkungen der Präzision (Variationskoeffizient; CV) von Assays desto gravierender auswirken, je niedriger die Markerkonzentration ist, wurde für die cTn-Bestimmung im Rahmen der ACS-Diagnostik empfohlen, Assays zu verwenden, die bei der 99. Perzentilkonzentration höchstens eine ‚Unpräzision‘ (zufällige Messfehler) von ≤10% aufweisen. Da die konventionellen Assays dieser Anforderung in der Regel nicht genügten, orientierten sich viele Anwender vor der Einführung sensitiverer Assays an Cut-offs, die der cTn-Konzentration entsprachen, bei der die entsprechenden Assays eine Unpräzision von 10 % (CV≤10%) aufwiesen (Beispiel: cTnT 99. Perzentil, Cut-off = 0,01 μg/L / CV >10 % ; CV 10 % Cut-off = 0,03 μg/L). Um den Präzisionsanforderungen zu genügen, wurden Assays entwickelt, die am 99. Perzentil eine ‚Unpräzision‘ ≤10 % aufweisen. Zusätzlich gestattet die deutlich unter dem 99. Perzentil liegende untere Nachweisgrenze solcher Assays, cTn-Konzentrationen im Bereich zwischen der unteren Nachweisgrenze und dem 99. Perzentil zu messen, ohne dass die Kardiospezifität der cTn verloren geht. Zu unterscheiden sind dabei nach der analytischen Sensitivität der Assays 4 Gruppen von Tests. Zur ersten Gruppe (Sensitivitätsgrad 1; niedrigste analytische Sensitivität) gehören diejenigen Assays, die in weniger als 25 % einer Referenzpopulation eine cTn-Konzentration messen können. Zur Gruppe mit der höchsten analytischen Sensitivität (Grad 4) gehören die Assays, die bei >95 % gesunder Probanden eine cTn-Konzentration messen können. Insbesondere bei Nutzung von Assays der Gruppe 4 wird nun selbst in »gesunden« Probanden in einem hohen Prozentsatz cTn im Blut gefunden. Deutlich wird auch, dass viele Patienten ohne KHK cTn-Werte aufweisen, die – wenn auch in der Regel geringfügig, jedoch signifikant – über dem 99. Perzentil der Referenzpopulation liegen. Damit zeigen erhöhte Serumkonzentrationen nicht ausschließlich einen ischämisch bedingten Myokardinfarkt an, sondern müssen als allgemeiner Indikator für eine akute oder chronische
220
17
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
Herzmuskelschädigung angesehen werden. Der Zugewinn an analytischer Sensitivität geht offenbar mit einer Reduktion der diagnostischen Spezifität hinsichtlich der Diagnose »Myokardinfarkt« einher. Damit wird die Interpretation eines cTnT- oder cTnI-Ergebnisses, das nahe an der Entscheidungsgrenze liegt, unabhängig vom klinischen Kontext (sofern nicht durch serielle cTn-Bestimmungen die myokardinfarkt-typische Freisetzungskinetik nachgewiesen wurde) fast unmöglich gemacht. Gerade die unkritische Nutzung solcher cTn-Werte zur Indizierung einer Herzkatheteruntersuchung, in der dann kein pathologisches Koronarkorrelat für die Konzentrationserhöhung gesichert werden konnte, haben cTnI und cTnT in Verruf gebracht. Andererseits wurde gezeigt, dass ein erhöhter cTn-Wert gerade bei Patienten ohne ACS mit einer schlechteren Überlebenswahrscheinlichkeit einhergeht. Daher sollte bei jedem erhöhten Wert bereits frühzeitig die Suche nach der zugrunde liegenden Erkrankung (z. B. Lungenembolie, chronischer Lungenhochdruck, Aortendissektion, dekompensierte Herzinsuffizienz, dekompensierter Herzklappenfehler) begonnen werden, um frühzeitig eine spezifischen Therapie einleiten zu können. Generell überwiegen jedoch bei Patienten mit einem ACS die Vorteile der hochsensitiven Assays deren Nachteile eindeutig. So konnte gezeigt werden, dass die Mehrheit aller Infarkte bereits bei der Klinikaufnahme, spätestens aber nach 3 h vollständig erfasst werden. Die zusätzliche Messung anderer Frühmarker für die Ischämie könnte dadurch unnötig werden [11]. Inwieweit die kombinierte Bestimmung von Copeptin, dem stabilen C-terminalen Fragment von pro-Vasopressin, und cTn (beide Marker zum Zeitpunkt der Patientenaufnahme unterhalb der entsprechenden Cut-offs) geeignet ist, den Ausschluss eines Myokardinfarkt bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme des Patienten noch sicherer zu machen, wird kontrovers diskutiert [9, 10, 15]. Bestimmung eines Einzelmarkers versus Wahl einer Markerkombination: Letztlich sind bei dieser Entscheidung immer auch Praktikabilitätsaspekte zu berücksichtigen. Durch die Anwendung hochsensitiver cTn-Assays werden bei proportionaler Abnahme der Diagnose »Instabile Angina pectoris« mehr Myokardinfarkte diagnostiziert. Basierend auf den oben genannten Kriterien für die Differenzialdiagnostik des ACS zeigt ⊡ Abb. 17.2 einen Algorithmus für die Diagnostik des ACS, ergänzt durch klinisch-chemische Verlaufsbeurteilung eines Myokardinfarkts.
221 17.3 · Akutes Koronarsyndrom
Aufnahme
Anamnese, körperliche Untersuchung
Schmerz
Leitsymptom
Verdachtsdiagnose
17
Akutes Koronarsyndrom
EKG
ST-Strecken-Hebung +
Klinische Chemie
Myo + , CK-MB + , cTn +
ST-Strecken-Hebung –
cTn + (CK-MB + )
cTn – CK-MB –
nach 6 h cTn + cTn – (CK-MB + ) Diagnosestellung
Akuter Myokardinfarkt
ROC-Cut-off
VerlaufsTherapiekontrolle
Prognose
Instabile Angina pectoris
99%-Cut-off (10% CV-Cut-off)
Myoglobin CK-MB CK-MB-Akt. cTn
cTn (CK-MB)
CK-MB CK-MB-Akt. cTn
cTn (CK-MB)
⊡ Abb. 17.2 Klinisch-chemische Herzmarker zur Differenzialdiagnostik, zur Verlaufs- und Therapiekontrolle sowie zur Prognoseabschätzung des akuten Koronarsyndroms (CK-MB entspricht CK-MB-Masse) Akt. ; CK-MB Kreatinkinase »muscle-brain«; cTn Troponinprotein; CV coefficient of variation; Myo Myoglobin; ROC Receiver-operating-characteristic
222
17.4
17
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
Akutes Koronarsyndrom und POCT
Leider ist, verglichen mit den Assayentwicklungen für die zentralisierte Laboratoriumsdiagnostik, die technische Entwicklung bei den POCT-Systemen nicht entsprechend vorangeschritten. Noch immer verwenden einige Systeme Cut-offs deutlich oberhalb der 99. Perzentilenkonzentration [3, 14], die eine Infarktdiagnose erst sehr spät (womöglich zu spät) erlauben bzw. viele Infarkte gar nicht erkennen lassen. Verschiedene Anbieter haben bisher POCT-Systeme eingeführt, die es erlauben, cTn quantitativ in einer dem Zentrallabor vergleichbaren Präzision zu bestimmen (z. B. Mitsubishi PathFast, Radiometer AQT90, Roche h 232). Darüber hinaus ist auf dem Markt bislang erst ein POCT-System vorhanden, mit dem die Bestimmung eines hochsensitiven cTnI-Assays möglich ist (Siemens Stratus CS Acute Care). Im Rahmen verschiedener Untersuchungen sind diagnostische und therapeutische Strategien entwickelt worden, bei denen kardiale Marker – gemessen mittels POCT – in Hinblick auf die Nutzung von Ressourcen, die Risikostratifizierung, das therapeutische Management und das klinische Outcome getestet worden sind. Bereits im »ACC/AHA 2002 guideline update« für Patienten mit instabiler Angina pectoris und NSTEMI wird davon ausgegangen, dass beim Übergang von qualitativen bzw. semiquantitativen zu quantitativen Bestimmungen im Rahmen des POCT die Diagnose und das Management der Patienten verbessert werden [5]. In den »2004 ACC/ AHA guidelines« für das Management von Patienten mit STEMI wurde daher vorgeschlagen, dass qualitative Tests für die Feststellung eines erhöhten Herzmarkers zwar verwendet werden können, Folgemessungen aber mit quantitativen Tests erfolgen sollten. Setzt man diese Guideline-Empfehlungen konsequent um, sollten nur noch hochsensitive quantitative POCTAssays durchgeführt werden [1]. Wie bereits in 17.3 beschrieben, kann bei der Erstdiagnostik die cTn-Bestimmung im Rahmen einer Multimarkerstrategie durch früh im Blut ansteigende Marker (z. B. Copeptin, Myoglobin, cFABP, GPBB) ergänzt werden. Diese Strategie, die cTn und beispielsweise Cystatin C, natriuretische Peptide, C-reaktives Protein, midregionales pro-Adrenomedullin sowie den GrowthDifferentiation Factor-15 (GDF-15) einbezieht, ist zusätzlich eine verbesserte Risikostratifizierung bzw. bessere Steuerung der invasiven Diagnostik zu erwarten. Für die Bestimmung solcher Markerkombinationen im Rahmen des POCT sind einige quantitative, teilweise hochsensitive Testsysteme be-
223 17.5 · Herzinsuffizienz
17
reits verfügbar bzw. in der Entwicklung. Letztlich wird die Kosten-NutzenRelation über den Einsatz von POCT in der Diagnostik des ACS entscheiden; insbesondere müssen dabei die postulierten positiven Auswirkungen von POCT auf das Patienten-Outcome einer kritischen Validierung standhalten. Leider liegen bis jetzt hierzu nur widersprüchliche Ergebnisse aus klinischen Studien vor [17]. Die Entscheidung zur Umsetzung eines POCT-Konzepts für die Diagnostik beim ACS sollte sich nach den örtlichen Gegebenheiten, den logistischen und organisatorischen Möglichkeiten, der Umsetzung eines effektiven Qualitätsmanagementsystems und der Kostensituation richten. Ein genereller Vorteil von POCT in der Diagnostik des akuten Koronarsyndroms ist bisher in klinischen Studien nicht nachgewiesen worden.
17.5
Herzinsuffizienz
EKG sowie bildgebende und invasive Verfahren sind heute das Kernstück der Diagnostik bei chronischer und akuter Herzinsuffizienz, auch hinsichtlich der Abgrenzung beispielsweise gegenüber chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen und der Lungenembolie. Bis in die jüngere Vergangenheit hinein hatte die Laboratoriumsmedizin nur einen unbedeutenden Anteil an Diagnostik, Verlaufsbeobachtung und Therapiekontrolle sowie an der Differenzialdiagnostik bei akutem Thoraxschmerz und Dyspnoe. Mit der Entdeckung der natriuretischen Peptide, insbesondere des BNP, sowie des D-Dimers, ist eine Situation entstanden, die erwarten lässt, dass die Labordiagnostik, gerade unter dem Gesichtspunkt der Kosten-Nutzen-Relation, zukünftig eine wesentliche Rolle bei der Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz spielen wird. Beide Kenngrößen werden im Folgenden näher besprochen.
17.5.1 BNP/NT-pro-BNP
Im gesunden Herzen wird das BNP vor allem im Atrium gebildet. Bei Erkrankungen des Ventrikels, insbesondere bei Herzinsuffizienz, steigt die BNP-Genexpression in den Ventrikelmyozyten hauptsächlich als Reaktion des Herzens auf erhöhte Wandspannung, Dilatation und/oder intrakardialen Druck an. Ohne wesentliche Speicherung wird es ins Blut freigesetzt. BNP führt zu gesteigerter Diurese und Natriurese sowie zur Relaxation der glatten
224
17
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
Gefäßmuskulatur; es hat eine inhibitorische Wirkung auf die Mitogenese und das myokardiale Remodeling. Die intrazelluläre Synthese des BNP erfolgt als präpro-BNP (134 Aminosäuren), das zytoplasmatisch zu pro-BNP (108 Aminosäuren) und einem N-terminalen Signalpeptid (26 Aminosäuren) gespalten wird. Beim Übertritt in das Blut wird pro-BNP in das hormonell aktive, aus 32 Aminosäuren bestehende BNP (Aminosäuren 77–108) und das inaktive N-terminale Fragment NT-pro-BNP (Aminosäuren 1–76) gespalten. Daneben werden im Blut geringe Konzentrationen an pro-BNP gefunden. Dies hat v. a. analytische Implikationen für die Spezifität der BNP- und NT-pro-BNP-Tests. BNP wird als aktives Hormon über Bindung an NP-Rezeptoren durch Internalisierung in die Zielzelle und durch membrangebundene neutrale Endopeptidasen proteolytisch abgebaut. Letztere kommen v. a. in Leber, Lunge und Nieren vor. Die Plasmaspiegel von BNP können daher potenziell durch Medikamente wie die Inhibitoren neutraler Endopeptidasen (z. B. Candoxatril zur Therapie der Herzinsuffizienz) oder Vasopeptidasen (z. B. Omapatrilat zur Therapie der Hypertonie) beeinflusst werden. NT-pro-BNP dagegen wird überwiegend renal ausgeschieden und wäre daher vermutlich für die Verlaufsbeobachtung von Patienten, die mit diesen Substanzgruppen therapiert werden, besser geeignet. Sowohl für BNP als auch für NT-pro-BNP liegen mittlerweile eine Vielzahl von Studien vor, die eine Eignung dieses klinisch-chemischen Markers für die Diagnosestellung, die Ermittlung des Schweregrads und die Abschätzung der Prognose bei Patienten mit Herzinsuffizienz nachgewiesen haben. Gegenwärtig noch nicht abschließend geklärt ist, ob und wie das Alter, das Geschlecht und der Body-Mass-Index in die Ermittlung von Entscheidungsgrenzen einbezogen werden sollen. Anfänglich diskutierte prinzipielle Vorund Nachteile von BNP bzw. NT-pro-BNP, insbesondere begründet durch die renale Elimination von NT-pro-BNP auf der einen Seite und die Sensitivität von BNP gegenüber präanalytischen Einflüssen auf der anderen Seite, konnten nicht verifiziert werden. So ist heute gut bekannt, ab wann eine eingeschränkte Nierenfunktion Einfluss auf den NT-pro-BNP-Wert im Blut nimmt und welche veränderten Entscheidungsgrenzen daraus abzuleiten sind [2]. Werden bei BNP die vorgegebenen präanalytischen Bedingungen (EDTA-Plasma) eingehalten, ist für einen Zeitraum von mindestens 4–24 h (abhängig von den verwendeten Testantikörpern) eine dem NT-pro-BNP vergleichbare Stabilität gegeben. Möglicherweise liefern die unterschiedli-
225 17.5 · Herzinsuffizienz
17
chen Clearance-Zeiten für BNP (20 min) und NT-pro-BNP (2 h) zukünftig Ansatzpunkte für einen gezielten Einsatz des einen oder anderen Markers, beispielsweise beim Monitoring von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz oder Rekompensation nach akuter Dekompensation. Neben der hauptsächlichen Anwendung von BNP/NT-pro-BNP zur Diagnosestellung einer linksventrikulären systolischen Dysfunktion bei chronischer Herzinsuffizienz haben sich die linksventrikuläre Hypertrophie, die linksventrikuläre diastolische Dysfunktion, das Vorhofflimmern und die Herzklappenerkrankungen, aber auch das ACS als weitere potenzielle Einsatzgebiete herauskristallisiert. In Kombination mit cTnT/cTnI und DDimer bietet BNP/NT-pro-BNP Möglichkeiten zur Differenzialdiagnostik bei Thoraxschmerz und Dyspnoe (»shortness of breath«). Die Messung von BNP/NT-pro-BNP wird dabei als Screeninguntersuchung betrachtet, die bei positivem Ausfall weitere Diagnostik, insbesondere die Echokardiographie, nach sich zieht. Ein negatives Ergebnis schließt dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine kardiale Beteiligung aus. Basierend auf Empfehlungen der NACB (National Academy of Clinical Biochemistry) [18] und des ACC bzw. der AHA [19] lassen sich nachfolgende Einsatzgebiete für die Bestimmung von BNP/NT-pro-BNP ableiten: ▬ initiale Bestimmung bei Patienten in der Notaufnahme (oder in vergleichbaren Situationen), bei denen die Diagnose einer Herzinsuffizienz unklar ist, ▬ Differenzialdiagnostik bei Thoraxschmerz und Luftnot durch Kombination mit der Bestimmung des D-Dimers, ▬ Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion nach einem akuten MI, ▬ Vorliegen von Risikomarkern für eine Herzinsuffizienz (z. B. ACS in der Anamnese, Diabetes mellitus), ▬ Risikostratifikation und Prognose bei Patienten mit ACS, dekompensierter Herzinsuffizienz, stabiler chronischer Herzinsuffizienz, nach Herztransplantation und bei nichtkardialen Erkrankungen wie Lungenembolie, ▬ Therapiekontrolle bei Herzinsuffizienz und ▬ Überwachung von Patienten, die mit potenziell kardiotoxischen Medikamenten behandelt werden. Für etliche der aufgeführten Indikationen ist jedoch bisher keine ausreichende Evaluierung erfolgt, insbesondere hinsichtlich der Entscheidungsgrenzen. Auch Aussagen zur Kosten-Nutzen-Relation fehlen in vielen Fällen.
226
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
Nicht indiziert ist die BNP-/NT-pro-BNP-Bestimmung ▬ bei Patienten mit offensichtlichen klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz (sie ersetzt in diesem Fall nicht die konventionellen Untersuchungsmethoden wie Echokardiographie und invasive hämodynamische Untersuchungen) und ▬ zum Screening asymptomatischer Patientenkollektive auf das Vorliegen einer linksventrikulären Dysfunktion.
17.5.2 D-Dimer
Charakteristisches Produkt der Fibrinspaltung durch Plasmin ist das DDimer. D-Dimer entsteht verstärkt im Zuge der intravasalen Gerinnungsaktivierung und der sekundären Fibrinolyse. ⓘ Hinweis Bei Patienten mit akutem Thoraxschmerz und Atemnot weisen ein erhöhter Wert für D-Dimer und das Fehlen typischer Herzmarker-Veränderungen auf eine Lungenembolie hin [7, 13].
17
Ein negativer D-Dimer-Test schließt eine Lungenembolie bei niedriger und mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit nahezu aus. Bei positivem Test werden bildgebende Verfahren wie Spiralcomputertomographie und Magnetresonanztomographie zur Diagnosesicherung eingesetzt, gelegentlich zusätzlich Szintigraphie und Pulmonalis-Angiographie. Die Bestimmung des D-Dimers kann auch für die Unterscheidung zwischen Lungenembolie auf der einen sowie Pneumonie, Pleuritis, Pneumothorax und Asthmaanfall auf der anderen Seite hilfreich sein. Ein negativer Test auf D-Dimer schließt eine tiefe Venenthrombose bei den beschriebenen Vortestwahrscheinlichkeiten nahezu aus. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass allerdings ein negatives Testergebnis bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit selbst bei Tests mit sehr hoher Sensitivität mit einer weiterhin hohen Nachtestwahrscheinlichkeit einhergeht (typischerweise zwischen 20 % und 50 %). Nur bei einer (theoretischen) Sensitivität eines Tests von 100 % könnte ein sicherer Diagnoseausschluss – unabhängig von der Vortestwahrscheinlichkeit – erfolgen [6]. Ein positiver Test erfordert die Diagnosesicherung durch weiterführende Diagnostik. Zu berücksichtigen ist, dass die Erhöhung des D-Dimers nicht
227 17.6 · Herzinsuffizienz und POCT
17
spezifisch für Lungenembolie und tiefe Venenthrombose ist. Vielfältige weitere pathophysiologische Zustände, die mit einer Gerinnungsaktivierung verbunden sind, müssen bei positivem D-Dimer-Test differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden. Für ein evidenzbasiertes Vorgehen bei der Diagnostik von tiefer Venenthrombose und Lungenembolie existieren Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) [4]: Bei Verdacht auf eine tiefe Venenthrombose wird zunächst die klinische Wahrscheinlichkeit für diese Erkrankung eingeschätzt. Sofern diese hoch ist, wird ohne Labordiagnostik sofort eine Kompressionssonographie der Beinvenen veranlasst. Bei nur geringem Verdacht dagegen hat die sofortige Bestimmung des D-Dimers einen herausragenden Stellenwert. Falls das Ergebnis negativ ausfällt, ist aufgrund des sehr hohen negativen prädiktiven Werts eine tiefe Venenthrombose ausgeschlossen. Bei positivem Testausgang wird eine Kompressionssonographie der Beinvenen veranlasst. Bei Verdacht auf eine Lungenembolie beim stabilen Patienten ist der diagnostische Algorithmus analog dem Vorgehen bei tiefer Venenthrombose. Hier werden bei hohem oder mittlerem Verdacht sofort bildgebende Verfahren (Kompressionssonographie der Beinvenen, Spiralcomputertomographie, Szintigraphie) eingesetzt, bei nur geringem klinischen Verdacht wird als erstes diagnostisches Verfahren die Bestimmung des D-Dimers durchgeführt. Falls das Ergebnis negativ ausfällt, ist eine Lungenembolie ausgeschlossen; bei positivem Testausgang werden im nächsten Schritt bildgebende Verfahren eingesetzt.
17.6
Herzinsuffizienz und POCT
Die Bestimmung der natriuretischen Peptide allein oder in Kombination mit dem D-Dimer stellt einen großen Fortschritt in der Diagnostik und Differenzialdiagnostik bei Patienten mit Verdacht auf eine Herzinsuffizienz dar. Auch beim weiteren Management von Patienten mit Herzinsuffizienz und anderen kardialen Erkrankungen ist zu erwarten, dass die natriuretischen Peptide ihren Stellenwert finden werden. Die Bedeutung des POCT in diesem Zusammenhang ist jedoch noch unklar. Bisher gibt es keine systematischen Untersuchungen, die mit dem Ziel durchgeführt wurden, die KostenNutzen-Relation von zentralisierter Labordiagnostik und POCT miteinander zu vergleichen.
228
Kapitel 17 · POCT in der Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten
Wird ein derartiges Konzept konsequent weitergedacht, erscheint es möglich, dass ein kontinuierliches Selbstmonitoring von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz – möglicherweise telemedizinisch gestützt – kurzfristig zu Therapieoptimierung führt und damit auch zur Verminderung der Zahl erneuter Hospitalisierungen als Folge reduzierter Dekompensationsraten.
Literatur
17
[1] Antman EM, Anbe DT, Armstrong PW et al. (2004) ACC/AHA guidelines for the management of patients with ST-elevation myocardial infarction – executive summary. A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 44: 671–719; erratum in: J Am Coll Cardiol 2005; 45: 1376 [2] Anwaruddin S, Lloyd-Jones DM, Baggish A et al. (2006) Renal function, congestive heart failure, and amino-terminal pro-brain natriuretic peptide measurement: results from the ProBNP Investigation of Dyspnea in the Emergency Department (PRIDE) Study. J Am Coll Cardiol 47: 91–97 [3] Apple FS, Wu AHB, Jaffe AS (2002) European Society of Cardiology and American College of Cardiology guidelines for redefinition of myocardial infarction: How to use existing assays clinically and for clinical trials. J Am Heart 144: 981–986 [4] AWMF online (2008) Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose und Lungenembolie. Leitlinien Angiologie 2008; www.leitlinien.net. Letzte Überarbeitung: 06/2010 [5] Braunwald E, Antman EM, Beasley JW et al. (2002) ACC/AHA 2002 guideline update for the management of patients with unstable angina and non-ST-segment elevation myocardial infarction – summary article: a report of the American College of Cardiology/ American Heart Association task force on practice guidelines (Committee on the Management of Patients With Unstable Angina). J Am Coll Cardiol 40: 1366–1374 [6] Christenson RH on behalf of the Committee on Evidence Based Laboratory Medicine of the International Federation for Clinical Chemistry Laboratory Medicine (2007) Evidencebased laboratory medicine – a guide for critical evaluation of in vitro laboratory testing. Ann Clin Biochem 44: 111–130 [7] Harrison A, Amundson S (2005) Evaluation and management of the acutely dyspneic patient: the role of biomarkers. Am J Emerg Med 23: 371–378 [8] Hunt SA, Abraham WT, Chin MH et al. (2005) American College of Cardiology; American Heart Association Task Force on Practice Guidelines; American College of Chest Physicians; International Society for Heart and Lung Transplantation; Heart Rhythm Society. ACC/AHA 2005 Guideline Update for the Diagnosis and Management of Chronic Heart Failure in the Adult: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Writing Committee to Update the 2001
229 Literatur
17
Guidelines for the Evaluation and Management of Heart Failure), developed in collaboration with the American College of Chest Physicians and the International Society for Heart and Lung Transplantation: endorsed by the Heart Rhythm Society. Circulation 112: 154–235 [9] Karakas M, Januzzi JL Jr, Meyer J, Lee H, Schlett CL, Truong QA et al (2011) Copeptin Does Not Add Diagnostic Information to High-Sensitivity Troponin T in Low- to IntermediateRisk Patients with Acute Chest Pain: Results from the Rule Out Myocardial Infarction by Computed Tomography (ROMICAT) Study. Clin Chem;57: 1137–45 [10] Keller T, Tzikas S, Zeller T, Czyz E, Lillpopp L, Ojeda FM et al. (2010) Copeptin improves early diagnosis of acute myocardial infarction. J Am Coll Cardiol;55: 2096–106 [11] Keller T, Zeller T, Peetz D, Tzikas S, Roth A, Czyz E et al. (2009) Sensitive troponin I assay in early diagnosis of acute myocardial infarction. N Engl J Med;361: 868–77 [12] McMurray JJ, Stewart S (2000) Epidemiology, aetiology, and prognosis of heart failure. Heart 83: 596–602 [13] Meyer G, Roy PM, Sors H (2003) Laboratory tests in the diagnosis of pulmonary embolism. Respiration 70: 125–132 [14] Panteghini M, Pagani F, Yeo KT et al. (2004) Committee on Standardization of Markers of Cardiac Damage of the IFCC. Evaluation of imprecision for cardiac troponin assays at low-range concentrations. Clin Chem 50: 327–332 [15] Reichlin T, Hochholzer W, Stelzig C, Laule K, Freidank H, Morgenthaler NG et al. (2009) Incremental value of copeptin for rapid rule out of acute myocardial infarction. J Am Coll Cardiol;54: 60–8 [16] Remme WJ, Swedberg K (2001) Guidelines for the diagnosis and treatment of chronic heart failure. Eur Heart J 22: 1527–1560 [17] Ryan RJ, Lindsell CJ, Hollander JE, O’Neil B, Jackson R, Schreiber D, Christenson R, Gibler WB (2009) A multicenter randomized controlled trial comparing central laboratory and point-of-care cardiac marker testing strategies: the Disposition Impacted by Serial Point of Care Markers in Acute Coronary Syndromes (DISPO-ACS) trial. Ann Emerg Med;53: 321–8 [18] Tang WH, Francis GS, Morrow DA et al. (2007) National Academy of Clinical Biochemistry Laboratory Medicine practice guidelines: Clinical utilization of cardiac biomarker testing in heart failure. Circulation 116: 99–109 [19] The Joint European Society of Cardiology/American College of Cardiology Committee (2000) Myocardial infarction redefined – A consensus document of The Joint European Society of Cardiology/American College of Cardiology committee for the Redefinition of Myocardial Infarction. Eur Heart J 21: 1502–1513
18 POCT in der präklinischen Notfallmedizin W. Schaffartzik
18.1
Präklinisches Rettungs- und Transportsystem – 232
18.2
Notärztliche Aufgaben – 232
18.3
Anwendung von POCT in der präklinischen Notfallmedizin – 234
18.4
Qualitätsmanagement Literatur
– 236
– 237
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
232
18.1
Kapitel 18 · POCT in der präklinischen Notfallmedizin
Präklinisches Rettungs- und Transportsystem
Die präklinischen Rettungssysteme in der Medizin umfassen Rettungswagen und mit Ärzten besetzte Fahrzeuge. Zu diesen gehören der Notarztwagen bzw. das Notarzteinsatzfahrzeug und der Rettungs- bzw. Intensivtransporthubschrauber. Die Hubschrauber werden eingesetzt, um den Arzt zu seinem Einsatzort zu bringen, aber beispielsweise auch, um kritisch Kranke unter intensivstationären Bedingungen zwischen Krankenhäusern transportieren zu können. In größeren Städten trifft der Notarzt – ob per Boden- oder Lufttransport – i. A. innerhalb von 10 min nach Alarmierung am Einsatzort ein. In ländlichen Gegenden muss jedoch mit zum Teil beträchtlich längeren Eintreffbzw. Transportzeiten gerechnet werden.
18.2
18
Notärztliche Aufgaben
Die wesentliche Aufgabe des Notarztes besteht darin, die Vitalfunktionen seines Notfallpatienten zu sichern bzw. wiederherzustellen. Darüber hinaus hat er eine Diagnose einschließlich ihrer Differenzialdiagnosen zu stellen sowie die erforderliche Therapie rasch und effizient durchzuführen. Schließlich muss er das nächstgelegene, für die Weiterbehandlung seines Patienten geeignete Krankenhaus ermitteln und diesen ohne Zeitverzug dorthin transportieren. Zu den medizinischen Maßnahmen, über deren Durchführung der Notarzt vor Ort zu entscheiden hat, zählen u. a. die tracheale Intubation und die kontrollierte Beatmung; bei Polytraumatisierten gelten sie am Unfallort als lebensrettende Maßnahmen. Für die Entscheidung, seinen Patienten tracheal zu intubieren und zu beatmen, stützt sich der Notarzt auf die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung sowie auf Messungen des Blutdrucks, der Herzfrequenz und der mit dem Pulsoximeter festgestellten arteriellen Sauerstoffsättigung sO2. Das Monitoring umfasst folgende Parameter: ▬ Arterieller Blutdruck (oszillometrisch bestimmt), ▬ elektrokardiographische Parameter, ▬ sO2, ▬ Befunde der Kapnometrie/-graphie und ▬ Blutglukose.
233 18.2 · Notärztliche Aufgaben
18
Außer der Blutglukose stehen dem Notarzt meist keine anderen Laborkenngrößen zur Verfügung. Die tracheale Intubation und die Beatmung stellen bei Traumapatienten den »Goldstandard« dar. Es mehren sich jedoch Hinweise darauf, dass die für die Durchführung der Maßnahmen vor Ort benötigte Zeit sinnvoller zugunsten eines (noch) rascheren Transports in ein Krankenhaus genutzt werden sollte [2, 9]. Die Vorbereitung und die Durchführung der trachealen Intubation und der Beatmung durch den Notarzt vor Ort können die Einsatzzeit im Mittel um 25 min verlängern. Dabei kann der Notarzt nicht davon ausgehen, dass die von ihm durchgeführten Maßnahmen in jedem Fall das Überleben des Patienten beeinflussen [15]. Das Unterlassen der trachealen Intubation und der Beatmung am Einsatzort ist jedoch als kritisch anzusehen: Der Zustand des Notfallpatienten kann sich während des Transports verschlechtern. Um die Sauerstoffversorgung in dieser Zeitspanne zu sichern, sind eine tracheale Intubation und eine Beatmung in vielen Fällen erforderlich [14]. Die unter Zeitdruck zu treffende Entscheidung zur trachealen Intubation und Beatmung, aber auch andere Entscheidungen, fußen auf objektiven Kriterien – z. B. Kreislaufsituation, sO2 – und auf subjektiven Kriterien des Notarztes. Wichtige Entscheidungen werden aber auch intuitiv getroffen [16]. Hierbei können objektive Kriterien, z. B. die Hb-Konzentration, die Partialdrücke von Sauerstoff und Kohlendioxid sowie Parameter des Säure-Basen-Haushalts, insbesondere der Basenexzess (BE), den Notarzt am Einsatzort unterstützen [18]. Wichtige Analyte für die präklinische Notfallmedizin sind, insbesondere unter Berücksichtigung der Einsatz- und Transportzeiten, in ⊡ Tab. 18.1 zusammengefasst. Jede Verzögerung in der Therapie und der Einschätzung der Prognose eines Patienten muss als sehr kritisch für die Qualität des Behandlungsergebnisses angesehen werden [10]. Kritisch Kranke, die z. B. verzögert der notwendigen Behandlung in der Intensivstation zugeführt werden, zeigen nicht nur eine verlängerte stationäre Verweildauer, sondern auch eine höhere Mortalität während der Krankenhausbehandlung [5]. Ob diese Beobachtung auf die präklinische Notfallsituation uneingeschränkt übertragbar ist, ist derzeit nicht bewiesen. Allerdings lässt sich der Hinweis ableiten, den Notfallpatienten möglichst rasch einer definitiven Behandlung im Krankenhaus zuzuführen. Dabei können präklinisch erhobene Laborergebnisse – z. B. Blutgase, Parameter des Säure-Basen-Haushalts oder, kardiale Marker – sehr hilfreich sein.
234
Kapitel 18 · POCT in der präklinischen Notfallmedizin
⊡ Tab. 18.1 POCT-Analyte in der präklinischen Notfallmedizin Bereiche
Parameter
Säure-Basen-Haushalt
pH, HCO3–
Blutgase
pO2, pCO2
CO-Oxymetrie
Hb, COHb, MetHb, sO2
Elektrolyte
Na+, K+, CI–, Ca2+
Metabolite
Glukose, Laktat
Kardiale Marker
Kardiale Troponine, CK-MB Masse, Myoglobin
Drogen (qualitativer Nachweis)
Alkohol, Cannabinoide, Kokain, Amphetamine, Opiate, Barbiturate, Benzodiazepine
CK-MB Kreatinkinase »muscle-brain«; Hb Hämoglobin; pCO2 Kohlendioxidpartialdruck; pO2 Sauerstoffpartialdruck; sO2 arterielle Sauerstoffsättigung
18.3
18
Anwendung von POCT in der präklinischen Notfallmedizin
Routinemäßig steht in der präklinischen Notfallmedizin die Bestimmung der Blutglukose zur Verfügung. Darüber hinaus sind außer der sO2Messung keine weiteren POCT-Geräte etabliert. Eine Ausnahme bilden hier einige Intensivtransporthubschrauber, die über ein POCT-Gerät zur Bestimmung von pH, pCO2, pO2, Na+, K+, Glukose und Hämatokrit verfügen [8]. Bei der Etablierung von POCT-Geräten in der präklinischen Notfallmedizin sind v. a. die Einsatzzeiten zu berücksichtigen. In Metropolen sind, wie angedeutet, die Einsatzzeiten so kurz, dass selbst bei Kenntnis laborchemischer Parameter während des Einsatzes die Zeit für therapeutische Konsequenzen nicht ausreicht. In ländlichen Rettungsdienstbereichen ist es dagegen von entscheidender Bedeutung, ob ein Notarzt seinen Patienten z. B. in ein weit entferntes kardiologisches Zentrum transportieren muss oder nicht. Diagnosen konservativer medizinischer Fachbereiche überwiegen bei Notarzteinsätzen. Insofern könnte ein POCT-Gerät, mit dem kardiale Mar-
235 18.3 · Anwendung von POCT
18
ker bestimmt werden können, für den Notarzt eine wertvolle Hilfe darstellen. Diese Kenngrößen erlangen in der Notfallmedizin u. a. dann besondere Bedeutung, wenn die Symptome des Patienten, nicht aber das EKG für einen Herzinfarkt sprechen. Es ist bekannt, dass nur etwa die Hälfte der Patienten, die an einer koronaren Herzkrankheit leiden und akute Symptome eines Myokardinfarkts aufweisen, zeitnah den Notarzt rufen. Der Notarzt muss damit rechnen, dass der Infarkt bereits vor längerer Zeit eingetreten ist und dass die Diagnosestellung sowie die Behandlung des Patienten umso dringlicher durchzuführen sind. Eine zeitnahe Diagnosestellung des Myokardinfarkts eröffnet die Chance für einen ebenso zeitnahen Beginn der Therapie ( Kap. 17). Bei Traumapatienten beeinflusst die Bestimmung von Na+, Cl–, K+ und Ca2+ am Einsatzort nicht das initiale Traumamanagement. Dagegen kann die Kenntnis der Hb- und Glukosekonzentration sowie von pO2 und pCO2 in einzelnen Fällen helfen, die Auswirkungen des Traumas auf den Organismus zu vermindern bzw. sie kann zu einer ressourcensparenden Versorgung führen [1]. Der BE, für dessen Berechnung die Kenntnis des pCO2 und des pH erforderlich ist, stellt einen wichtigen Prädiktor der Letalität dar. Mittels des BE kann die frühzeitige Therapie des traumainduzierten Sauerstoffdefizits möglicherweise gezielter gesteuert werden [14] ( Kap. 6). Das Erkennen von Rauchgasinhalationen stellt in der notärztlichen Versorgung ein Problem dar. Die erhöhte COHb-Konzentration im Blut kann erst seit Kurzem auch mit einem POC-Test gemessen werden ( Kap. 6 und Kap. 14). Der Anteil des COHb kann für die weitere Therapie richtungsweisend sein. Zum Beispiel könnte bereits am Einsatzort entschieden werden, ob der primäre Einsatz einer Druckkammer zur Durchführung einer hyperbaren Sauerstofftherapie indiziert ist. Das Augenmerk des Notarztes sollte bei der Versorgung von Notfallpatienten, insbesondere von traumatisierten Patienten, auch auf eine mögliche Drogenzufuhr vor dem Unfall gerichtet sein. Die Zahl der Alkoholabhängigen wird in der Bundesrepublik Deutschland auf bis zu 2,5 Mio. Menschen geschätzt [4, 6]. In der Gruppe der 15- bis 25-Jährigen nehmen 20 % regelmäßig Alkohol zu sich. Knapp 5 Mio. Menschen weisen ein riskantes Missbrauchsmuster auf [12]; davon konsumieren etwa 3 Mio. Menschen Substanzen wie Cannabis, Kokain oder Ecstasy. Eine hohe Dunkelziffer muss dabei angenommen werden; dies gilt insbesondere für leicht
236
Kapitel 18 · POCT in der präklinischen Notfallmedizin
beschaffbare Drogen wie Alkohol und Cannabis [13]. Suchtkranke sind aufgrund ihrer komplexen körperlichen und psychischen Komorbidität im Traumabereich zu den Hochrisikopatienten zu zählen. Ein Drogenscreening in der präklinischen Notfallmedizin könnte helfen, bestehende Risiken zu erkennen. Es ist im Vergleich zum Screening des Zentrallabors als gleich effektiv anzusehen. Zudem stehen die Ergebnisse rascher zur Verfügung [14]. Bei Bewusstseinsstörungen können Ergebnisse des Drogenscreenings den Notarzt am Einsatzort bei seiner Diagnosefindung unterstützen ( Kap. 19). ⓘ Hinweis POCT sollte präklinisch eingesetzt werden, um die damit gewonnenen Kenntnisse für die Triage, die Behandlung, die Einschätzung des Risikos und die Indikation zu frühzeitigen interventionellen Prozeduren einzusetzen sowie gleichzeitig die medizinische Überlebensqualität unter ökonomischen Aspekten zu verbessern.
18.4
18
Qualitätsmanagement
Eine akzeptable Ergebnisqualität von POCT-Messungen wurde für die Bestimmung kardialer Marker und bei Blutgasanalysen festgestellt ( Kap. 6 und 17). Entsprechende Geräte erscheinen geeignet, den Anforderungen des präklinischen Notfallbereichs gerecht zu werden. Allerdings entbindet dies nicht von der Notwendigkeit, die Sensitivität und die Spezifizität der POCTGeräte weiter zu verbessern [11, 17]. Die RiliBÄK [3] legt fest, welche qualitätssichernden Maßnahmen bei POCT-Geräten durchzuführen sind ( Kap. 31). Zu empfehlen ist, das Qualitätsmanagement für die in der präklinischen Notfallmedizin eingesetzten POCT-Geräte in Kooperation mit einem Zentrallabor durchzuführen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die POCT-Geräte aufgrund der Einsatzcharakteristik in der notärztlichen Versorgung dem Zentrallabor nicht jederzeit für die Qualitätskontrollen und für Ringversuche zur Verfügung stehen können. Ob durch eine Vernetzung des POCT-Geräts, das in der präklinischen Notfallmedizin eingesetzt wird, mit dem Zentrallabor des Krankenhauses tatsächlich die Qualität des Behandlungsergebnisses verbessert wird, ist bisher nicht bewiesen worden [7].
237 Literatur
18
Literatur [1] Asimos AW, Gibbs MA, Marx JA et al. (2000) Value of point-of-care blood testing in emergent trauma management. J Trauma 48: 1101–1108 [2] Bochicchio GV, Ilahi O, Joshi M, Bochicchio K, Scalea TM (2003) Endotracheal intubation in the field does not improve outcome in trauma patients who present without an acutely lethal traumatic brain injury. J Trauma 54: 307–311 [3] Bundesärztekammer (2008) Richtlinien der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung quantitativer laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen. Dtsch Ärztebl 105: A341– A355 [4] Bundesministerium für Gesundheit (2009) Drogen- und Suchtbericht 2009. www.bmg. bund.de, www.drogenbeauftragte.de [5] Chalfin DB, Trzeciak S, Likourezos A, Baumann BM, Dellinger RP; delayed study group (2007) Impact of delayed transfer of critically ill patients from the emergency department to the intensive care unit. Crit Care Med 35: 1477–1483 [6] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2006) »Alkohol in Europa«. www.bzga.de [7] Di Serio F, Lovero R, Leone M et al. (2006) Integration between the tele-cardiology unit and the central laboratory: methodological and clinical evaluation of point-of-care testing cardiac marker in the ambulance. Clin Chim Lab Med 44: 768–773 [8] Di Serio F, Petronelli MA, Sammartino E (2010) Laboratory testing during critical care transport: point-of-care testing in air ambulances. Clin Chem Lab Med;48: 955–61 [9] Dretzke J, Sandercock, Bayliss S, Burls A (2004) Clinical effectiveness and cost-effectiveness of prehospital intravenous fluids in trauma patients. Health Technol Assess 8: 1–118 [10] Engoren M (2005) The effect of prompt physician visits on intensive care unit mortality and cost. Crit Care Med 33: 727–732 [11] Hallani H, Leung DY, Newland E, Juergens CP (2005) Use of a quantative point-of-care test for the detection of serum cardiac Troponin T in patients with suspected acute coronary syndromes. Intern Med J 35: 560–562 [12] Jage J, Heid F (2006) Anästhesie und Analgesie bei Suchtpatienten. Grundlagen zur Erstellung einer »standard operating procedure«. Anaesthesist 55: 611–628 [13] Mastrovitch TA, Bithoney WG, DeBari VA, Gold NA (2002) Point-of-care testing for drugs of abuse in an urban emergency department. Ann Clin Lab Sci 32: 383–386 [14] Rixen D, Raum M, Bouillon B, Neugebauer E, AG Polytrauma der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (2002) Der Base-Excess als Prognose-Indikator bei Polytrauma-Patienten. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 37: 347–349 [15] Ruchholtz S, Waydhas C, Ose C, Lewan U, Nast-Kolb D (2002) Prehospital intubation in severe thoracic trauma without respiratory insufficiency: a matched-pair analysis based on the Trauma Registry of the German Trauma Society. J Trauma 52: 879–876 [16] Stengel D, Porzsolt F (2003) Evidence-based medicine: Randomisierung nicht zwingend erforderlich. Dtsch Ärztebl 100: 2145 [17] Yang Z, Zhou DM (2006) Cardiac markers and their point-of-care testing for diagnosis of acute myocardial infarction. Clin Biochem 39: 771–780 [18] Zander BE (2003) Diagnostische und therapeutische Bedeutung von Base Excess und Laktatkonzentration. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 37: 343–346
19 POCT in der Suchtmedizin L. Wilhelm
19.1
Einführung
– 240
19.2
Planung der Analyse und Auswahl des optimalen Testsystems – 241
19.3
Testprinzip und Durchführung – 244
19.4
Entscheidungsgrenzen – 246
19.5
Kreuzreaktionen
19.6
Hydrolyse
19.7
Bestätigungsanalyse
19.8
Dokumentation – 249
19.9
Präanalytik
– 248
– 248 – 249
– 250
19.10 Kurzinformationen zu wichtigen Analyten und Analytgruppen – 250 19.11 Probenmanipulation 19.12 Zusammenfassung Literatur
– 253 – 254
– 255
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
240
19.1
19
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
Einführung
In der Drogenanalytik werden häufig immunologische Testverfahren als Teststreifen zur Verdachtsgewinnung eines Drogen- oder Medikamentenmissbrauchs eingesetzt. Das Anwendungsgebiet reicht von forensischen Fragestellungen über die Notfallmedizin bis hin zur Aufdeckung eines Beigebrauchs in der Suchtbehandlung. Ein wichtiger Bereich der Drogenanalytik ist die Therapiekontrolle im Rahmen einer Suchtbehandlung. Hier kann zwischen einer Substitutionsbehandlung mit Methadon (z. B. Polamidon) oder Buprenorphin (z. B. Subutex) und Behandlungen ohne Erhaltungstherapie (Clean-Therapie) unterschieden werden. Der § 24a des Straßenverkehrsgesetzes wurde 1998 um Betäubungsmittel erweitert, mit der Folge, dass im Straßenverkehr vermehrt nach Kraftfahrern unter Drogeneinfluss gefahndet wird. In den Jahren 1999 bis 2004 stieg der Anteil der Verkehrsdelikte unter Drogeneinfluss von 1,1 % auf 10,1 % [5]. Häufig eingesetzt wird das POCT in der Notfallmedizin in der Hoffnung, einen Vergiftungsfall zeitnah aufklären zu können. Im Rahmen von im weitesten Sinne arbeitsmedizinischen Untersuchungen werden zudem Arbeitnehmer in sicherheitsrelevanten Bereichen auf Abstinenz untersucht. In Justizvollzugseinrichtungen müssen regelmäßig Kontrollen durchgeführt werden, um den Betäubungsmittelmissbrauch auszuschließen. In Rahmen der Fahreignungsdiagnostik (MPU) werden Abstinenznachweise von Führerscheinwiederbewerbern verlangt [9]. Mit mehr als 9,5 Mio. Menschen mit einem riskanten Alkoholkonsum, 1,3 Mio Alkoholabhängigen und 70.000 alkoholbedingen Todesfällen in Deutschland im Jahr 2008 spielt Alkohol eine wesentliche Rolle in der Suchtmedizin. Die Prävalenz bei Jugendlichen ist in den letzen Jahren gestiegen. Über 20.000 Kinder und Jugendliche werden jährlich aufgrund einer Alkoholvergiftung stationär behandelt [1]. Die Alkoholkontrolle ist Teil von Präventionsmaßnahmen (wie z. B. im Straßenverkehr) oder dient als Abstinenznachweis in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen. In der Substitutionsbehandlung ist Alkohol kontraindiziert. Zur Kontrolle alkoholauffälliger Kraftfahrer werden seit einigen Jahren sogenannte Interlock-Systeme eingesetzt, bei denen die Zündung des Motors über Atemalkoholmessgeräte kontrolliert werden [4]. Zum Nachweis eines akuten Alkoholabusus wird in vielen Bereichen eine Atemalkoholanalyse durchgeführt.
241 19.2 · Planung der Analyse
19
Mittlerweile sind neben Teststreifen für Urinproben auch Systeme für Schweiß, Speichel oder Feststoffe auf dem Markt. Das Spektrum der nachweisbaren Substanzen reicht heute weit über die klassischen Analyte Amphetamin, Metamphetamin, Kokainmetabolit (Benzoylecgonin), Opiate (Morphin) und Cannabismetabolit (THC-COOH) hinaus; es beinhaltet über 200 Substanzen aus etwa 20 Substanzgruppen mit unterschiedlichsten pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften [2]. Sowohl bei der Auswahl des optimalen Testsystems als auch bei der Durchführung der Analysen und Interpretation der Ergebnisse sind zahlreiche (prä-)analytische Faktoren zu beachten.
19.2
Planung der Analyse und Auswahl des optimalen Testsystems
Vor der Auswahl des Testsystems sollten Überlegungen stehen, welche Probenmatrix zielführend eingesetzt werden kann bzw. sollte. Die häufigste Verwendung findet der Spontanurin, der zahlreiche Vorteile bietet: Die Probe ist leicht und ohne medizinisches Personal zu gewinnen. Aufgrund der physiologischen Funktionen der Nierentubuli (Rückresorption, Sekretion) finden sich im Urin normalerweise sehr hohe Konzentrationen der meisten Betäubungsmittel und Pharmaka. Dies führt zu einer verhältnismäßig langen Nachweisbarkeit der Analyten. ⓘ Hinweis Anzumerken ist jedoch, dass ein Rückschluss auf pharmakologisch relevante Blutkonzentrationen aus den Ergebnissen der Urinanalyse nicht möglich ist.
Ein Problem stellt die Probenmanipulation dar. Immer wieder fallen Urinproben auf, die mit Wasser, Tees, Säften oder Chemikalien versetzt sind. Selbst bei einer Probennahme unter Aufsicht sind Probenmanipulationen bis hin zur Abgabe eines Fremdurins nicht vollständig auszuschließen. Es ist auch zu beachten, dass vermehrte Flüssigkeitsaufnahme zu einer erheblichen Verdünnung der Probe führt. Zur Prüfung auf Probenmanipulation sind entsprechende begleitende Analysen durchzuführen (⊡ Tab. 19.1). Für die Analyse von Urinproben steht heute ein breites Spektrum an Parametern zur Verfügung, das weit über die klassischen Betäubungsmittel hinausgeht.
242
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
⊡ Tab. 19.1 Parameter zur Überwachung auf Probenmanipulationen im Urin [10]
19
Parameter
Normalbefund
Temperatur
32–38°C (innerhalb von 4 min nach der Probennahme)
pH-Wert
4,5–7,5 (–10)
Kreatinin im Urin
≤30 mg/dl (erhöhte Flüssigkeitsaufnahme) bzw. ≤10 mg/dl (Verdacht auf Verdünnung der Probe)
Relative Dichte
1,007–1,035 kg/l
Chemikalien
Z. B. Glutaraldehyd, Chromate, Bleichmittel, Nitrit, Glukose, Fruktose
Für ein Drogen- und Medikamentenscreening hat Speichel (»oral fluid«) seit Ende der 1990er-Jahre vermehrt an Bedeutung gewonnen. Dazu hat nicht zuletzt beigetragen, dass es in der Vergangenheit die Hypothese gab, die Konzentration eines Analyten im Speichel ließe einen Rückschluss auf den pharmakologisch relevanten Blutspiegel zu. Die Analytik im Speichel bietet zudem die Möglichkeit, die für den Patienten indiskrete Urinabgabe zu umgehen. Die Entnahme von Speichelproben schien somit insbesondere für die Einsatzkräfte der Polizei ein guter Ersatz für die Verwendung von Urinproben zu sein [12]. Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass die Speichelanalytik nicht alle hochgesteckten Erwartungen erfüllen konnte. Der hauptsächliche Grund hierfür ist, dass nicht alle Betäubungsmittel und Medikamente gleichermaßen über die Speicheldrüsen ausgeschieden werden. Insbesondere lipophile und saure Substanzen wie z. B. der Cannabiswirkstoff Δ9-THC sind in Speichelproben kaum nachweisbar. Ein Nachweis dieser Substanz ist in der Regel auf Konsumreste zurückzuführen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Sezernierung über die Speicheldrüsen pH-abhängig ist. Somit kann nur selten von einer Korrelation zwischen Serumspiegel und Speichelkonzentration ausgegangen werden [5]. Die Gewinnung des Speichels birgt Probleme. Einige Analyten werden an der Oberfläche der Watte adsorbiert. Manch neuere Systeme setzen eine Spüllösung für die Mundhöhle ein und können so Adsorptionprobleme umgehen. Bei der Gewinnung von Speichelproben liegt eine weitere Schwierigkeit darin, das Probevolumen zu verifizieren. Wenn der Mundspüllösung zur Probengewinnung bei neueren Entnahmesystemen ein Farbstoff zugegeben
243 19.2 · Planung der Analyse
19
wird, kann darüber die gewonnene Speichelmenge photometrisch bestimmt werden kann [8]. Trotz der genannten Einschränkungen bietet die Speichelanalytik eine interessante Ergänzung klassischer POCT-Techniken. Auch sie bleibt jedoch auf die weiterführende Analytik mit chromatographischen Methoden angewiesen. Als weitere analytische Möglichkeit bietet sich die Untersuchung von Schweiß an. Medikamente und Betäubungsmittel werden nach den gleichen Mechanismen wie über die Speicheldrüsen auch über die Schweißdrüsen sezerniert. Wiederum haben die chemischen Eigenschaften einer Substanz Einfluss auf die Exkretionsrate. Problematisch ist die Abgrenzung gegenüber einer Kontamination der Haut mit Analyten, was zu falsch-positiven Ergebnissen führen kann. Für die Probennahme stehen zwei Techniken zur Verfügung: ▬ Bei dem in Deutschland eingesetzten Wischtest wird ein am Testsystem befindliches Vlies über die Haut des Probanden gestreift. Die aufgenommene Probenmenge kann jedoch im Einzelfall stark variieren und das Testergebnis beeinträchtigen. ▬ Die Probennahme mit »sweat patches« beruht auf mit Vlies besetzten Pflastern. Sie werden auf den Körper geklebt und für einige Tage dort belassen. Diese Technik bietet den Vorteil, dass das entsprechende Hautareal vorab gereinigt werden kann, was eine Kontamination weitgehend ausschließt. Darüber hinaus erhöht sich der Beobachtungszeitraum. Problematisch erscheint dagegen die Möglichkeit zur Manipulation. Aufgrund der genannten Nachteile spielen POCT-Analysen bezüglich der Betäubungsmittel und Pharmaka aus Schweißproben bislang nur eine untergeordnete Rolle. Flüchtige Substanzen wie Ethanol können in der Atemluft nachgewiesen werden. Die Substanzen gelangen durch Diffusion aus der Lungenstrombahn über die alveolären Trennwände in die Ausatemluft und können hier quantitativ nachgewiesen werden. Die Atemalkoholbestimmung ist ein indirektes Verfahren zur Erfassung der systemischen Alkoholisierung. Das Verhältnis zwischen Atem- und Blutalkohol liegt im Mittel bei 1:2100. Die Konzentration kann jedoch von der Art der Ausatmung und möglichem Restalkohol in der Mundhöhle beeinflusst werden. Somit schwankt das Verhältnis von Atemalkohol zu Blutalkohol inter- und intraindividuell. Für eine quantitative Überprüfung des Messergebnisses muss eine Blutprobe gewonnen werden. Die Nachweisbarkeitsdauer des Alkohols in der Atemluft beträgt nur einige
244
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
Stunden nach Trinkende und kann somit nur eine akute Alkoholisierung des Patienten nachweisen [5]. Zur Abstinenzkontrolle sollten Parameter mit einem breiteren Nachweisfenster wie CDT oder der Phase-II-Metabolit Ethylglucuronid herangezogen werden.
19.3
19
Testprinzip und Durchführung
Das Testprinzip eines großen Teils der Drogenschnelltests beruht auf der GLORIA-Technologie (GLORIA: »gold-labelled optical-read rapid immuno assay«). Diese Technologie findet auch in vielen anderen Teststreifen wie beispielsweise beim Albuminnachweis im Urin Anwendung ( Kap. 12). Der Teststreifen besteht hierbei aus einer Trägerfolie, auf der verschiedene Vlieszonen aufgebracht sind. Beim Eintauchen des Teststreifens in die Probe saugt sich das untere Vlies mit Probenmaterial voll. Hierbei ist die Markierung für die maximale Eintauchtiefe zu beachten. Im Anschluss beginnt ein chromatographischer Prozess, bei dem die Probe aufgrund der Kapillarwirkung entlang des Teststäbchens nach oben gesaugt wird. Hierbei durchfließt die Probe zunächst eine Vlieszone, die goldmarkierte monoklonale Antikörper enthält. Die in der Probe enthaltenen Analyten bilden mit den testspezifischen monoklonalen Antikörpern mobile, rot gefärbte Komplexe. Bei diesem Prozess wird ein Teil der Antikörper komplexiert; die überschüssigen Antikörper werden in der folgenden Vlieszone an immobilisierten Analytanaloga (Hapten) gebunden und führen hier zu einer optisch sichtbaren Kontrollbande. Die rotgefärbten Analytkomplexe durchlaufen diese Vlieszone und reichern sich in der Detektionszone an. Eine entsprechende Färbung zeigt dort einen positiven Analytnachweis an. Somit wird bei negativen Proben nur eine Kontrolllinie sichtbar. Bei positiven Proben aber zeigt sich oberhalb dieser Kontrolllinie eine zweite Detektionslinie [10]. Fehlerquellen bei der Auswertung der Teststreifenergebnisse sind im Wesentlichen ▬ eine Fehlinterpretation der angezeigten Linien, ▬ Ableseungenauigkeiten und ▬ Interpretationsfehler von Farbumschlägen, insbesondere bei Konzentrationen an der Entscheidungsgrenze. An den unerfahrenen Untersucher werden bei der Interpretation schwach ausgefärbter Banden hohe Anforderungen gestellt. Im Feldeinsatz erschwert
245 19.3 · Testprinzip und Durchführung
19
häufig eine ungenügende oder ungünstige Beleuchtung die Interpretation. Ein weiteres Problem stellt die stark variierende Eigenfärbung der Urinproben dar, die das Ablesen des Teststreifens erschweren kann. Ein wichtiger Punkt im Umgang insbesondere mit Urinproben ist die Gefahr der Probenkontamination. Da die Konzentrationen einiger Betäubungsmittel und Pharmaka durchaus im Bereich von 100 mg/l liegen können, genügen Spuren (ein Bruchteil eines Tropfens), um eine zweite nachfolgende Probe zu kontaminieren. Ein solcher Analysefehler ist auch durch weiterführende Laboranalytik nicht mehr aufzuklären, sodass dringend empfohlen wird, bei jeglichem Umgang mit den Proben die Grundlagen der Spurenanalytik zu beachten, um eine Kontamination auszuschließen.
Einige wichtige Maßnahmen zur Verhinderung einer Kontamination: ▬ Es dürfen nicht mehrere Proben gleichzeitig bearbeitet werden. ▬ Es dürfen nur Einwegmaterialien zur Anwendung kommen. ▬ Es sind stets Einweghandschuhe zu verwenden. ▬ Die Proben sollten aliquotiert werden und die Originalproben als Rückstellmuster für eine eventuelle Folgeanalytik dienen.
▬ Die Arbeitsflächen sollten nach Beendigung eines Arbeitsgangs sorgsam gereinigt werden.
ⓘ Hinweis Der Einsatz von fest verschließbaren Urinbechern mit integriertem Teststreifen kann viele Kontaminationswege ausschließen.
Die in der Labordiagnostik übliche Qualitätssicherung ist mit Teststreifen nur sehr begrenzt möglich; in der Praxis wird zur Qualitätskontrolle lediglich die Kontrollbande eingesetzt. Kontrollmaterialien werden von den Testanbietern in der Regel nicht angeboten. Da es sich bei den Teststreifen um ein geschlossenes Testsystem handelt, ist die Übertragbarkeit von Qualitätskontrollergebnissen von einem Test auf den anderen infrage zu stellen, da sich beispielsweise Fehler bei der Lagerung nicht auf alle Tests gleichmäßig auswirken müssen. Eine Teilnahme an Ringversuchen sollte nicht nur durch den Testanbieter erfolgen, sondern ist jedem Anwender nahezulegen.
246
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
Zur Atemalkoholbestimmung werden unterschiedliche Testprinzipien genutzt. In den sog. Alcotest-Röhrchen wird der Ethanol mit Kaliumdichromat zu Acetaldehyd oxidiert, das gelbe Kaliumdichromat (VI) dabei zu grünem Chrom(III)oxid reduziert. Der Farbumschlag dient zur visuellen Detektion. Neuere Messsysteme ermitteln die Alkoholkonzentration mittels Infrarotsensor oder elektrochemisch. In den infrarotoptischen Sensoren wird Infrarotlicht durch eine Messkammer geleitet. Bei Anwesenheit von Ethanol wird ein Teil des Infrarotlichts konzentrationsabhängig absorbiert. Die Absorption ist proportional zur Ethanolkonzentration und wird zur Berechnung der Atemalkoholkonzentration nach Kalibration des Messsystems verwendet [3]. Zur elektrochemischen Detektion wird mit einer elektrischen Kolbenpumpe eine Luftprobe mit einem festgelegten Volumen (ca. 1 cm3) in eine Messkammer überführt. An der Katalysatorschicht der Messelektrode wird der Alkohol zum Aldehyd oxidiert. Die hierbei frei werdenden Elektronen erzeugen ein messbares elektrisches Signal, über das die Alkoholkonzentration nach Kalibration bestimmt werden kann [3].
19.4
19
Entscheidungsgrenzen
Entscheidungsgrenzen werden vom Hersteller als Cut-offs angegeben. Hierbei handelt es sich um Konzentrationsangaben, die in der Regel die Einheit μg/l haben und sich auf eine Referenzsubstanz beziehen. Wenn die Konzentration der Referenzsubstanz oberhalb der angegebenen Entscheidungsgrenze liegt, reagiert der Test positiv. Die Entscheidungsgrenzen beziehen sich häufig auf die in den USA entwickelten Vorgaben der SAMHSA (Substance Abuse and Mental Health Services Administration). Die SAMHSA-Richtlinien [13] umfassen jedoch nur ein sehr eingeschränktes Substanzspektrum, für das verhältnismäßig hohe Entscheidungsgrenzen vorgeschlagen werden (⊡ Tab. 19.2). Da ein Großteil der Teststreifen für den amerikanischen Markt produziert wird, sind häufig nur Tests mit für Europa unüblichen Entscheidungsgrenzen erhältlich. Als Ersatz für offiziell empfohlene Entscheidungsgrenzen können Empfehlungen der London Toxicology Group [11] herangezogen werden (»UK workplace testing threshold«). In der 2. Auflage der Begutachtungsleitlinien für Fahreignungsdiagnostik haben Schubert und Mattern 2009 neue Grenzwerte für chromatographische Untersuchungen auf Betäubungsmittel im Urin publiziert [9].
19
247 19.4 · Entscheidungsgrenzen
⊡ Tab. 19.2 Entscheidungsgrenzen (Angaben in μg/l) [9, 13, 11] Analyten
MPU (Chromatographie)
Amphetamine
SAMSHA
»UK workplace testing threshold« Immunchemie
Bestätigungsanalyse
1000
300
–
Amphetamin
25
–
–
200
Metamphetamin
25
–
–
200
MDMA/MDA/MDE(A)
25
–
–
200
Weitere Amphetamine
–
–
200
Barbiturate
–
200
150
–
200
100
Buprenorphin/ Norbuprenorphin
–
5
5
Cannabinoide
50
50
–
–
–
15
300
300
–
–
–
150
–
300
–
Benzodiazepine
Δ9-THC-COOH
50**
10*
Kokain Benzoylecgonin
30
Methadon und Methadonmetabolit EDDP Methadon
50
–
–
250
Methadonmetabolit EDDP
50
–
–
250
2000
300
–
Opiate (gesamt) Morphin (gesamt)
25*
–
–
300
6-Acetylmorphin
25*
–
–
10
Kodein (gesamt)
25*
–
–
300
Dihydrokodein (gesamt)
25*
–
–
300
SAMHSA Substance Abuse and Mental Health Services Administration * nach Hydrolyse ** ausgewählte Benzodiazepine
248
19.5
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
Kreuzreaktionen
Als »Kreuzreaktion« bezeichnet man die Eigenschaft einer beliebigen Substanz, eine Reaktion in einem spezifischen Teststreifenprodukt hervorzurufen. Die Kreuzreaktionen werden entweder in derjenigen minimalen Konzentration angegeben, die zu einem positiven Testergebnis geführt hat, oder in Prozent Reaktivität im Vergleich zur testspezifischen Referenzsubstanz. Leider kann auch die Anwesenheit von Substanzen, die nicht zur Gruppe der Zielanalyten zählen, zu einem positiven Ergebnis führen. Dieses bezeichnet man als »unerwünschte Kreuzreaktion«. Grundsätzlich sollten nur Tests verwendet werden, für die umfangreiche Listen der Kreuzreaktionen zur Verfügung stehen. Diesen Listen sollte auch zu entnehmen sein, mit welcher Empfindlichkeit die Zielanalyten erfasst werden können. Insbesondere bei Gruppentests (wie z. B. bei den Benzodiazepinen) zeigen Teststreifen nicht für alle Analyten eine ausreichende Kreuzreaktivität. Bei Urintests sollten unbedingt die relevanten Metaboliten und nicht nur die Wirkstoffe aufgelistet sein. Beim Nachweis von Ethanol können Kreuzreaktionen mit anderen Alkoholen oder Ketonen auftreten. In physiologischen Konzentrationen sind diese jedoch meist nicht relevant. Medikamente, Hygiene- oder Desinfektionsmittel können jedoch Alkohole in relevanter Konzentration enthalten.
19.6
19
Hydrolyse
Phase-II-Metabolite wie Glukuronide zeigen meist keine ausreichende Kreuzreaktivität. Die meisten Pharmaka werden jedoch zu einem hohen Prozentsatz renal als Glukuronidkonjugat ausgeschieden. Eine einfache Methode der Miterfassung dieser Analyten ist die enzymatische Hydrolyse. Nach pHWert-Einstellung (z. B. Helix pomatia: 4,5) wird eine Hydrolase zur Spaltung der Konjugate in die Probe gegeben. Nach Inkubation im Wasserbad liegen die Glukuronidkonjugate als Phase-I-Metaboliten in der Probe vor und stehen für die Teststreifenanalyse zur Verfügung. Diese Methode kann auch bei einer wiederholten Untersuchung von unsicheren oder grenzwertigen Analysen zu eindeutigeren Ergebnissen führen.
249 19.8 · Dokumentation
19.7
19
Bestätigungsanalyse
Positive Befunde bei Teststreifentests für Drogen und Medikamente sollten grundsätzlich abgesichert werden. Hierfür kann eine eindeutige Aussage des Patienten ausreichen. Ergeben sich jedoch Widersprüche, so ist die Durchführung einer Bestätigungsanalyse unerlässlich – die Probe muss in einem Labor untersucht werden und wird dort mittels Dünnschichtchromatographie, Hochdruckflüssigchromatographie (HPLC), Gaschromatographie oder HPLC-Tandem-Massenspektrometrie analysiert. Eine Bestätigungsanalyse mit einem anderen immunchemischen Test ist nicht statthaft. Der Analysebericht gibt dann Aufschluss über die nachgewiesenen Inhaltsstoffe, z. B. um welches Benzodiazepin es sich handelt [6, 7]. ⓘ Hinweis Bei falsch-positiven Ergebnissen sollte auch in Erwägung gezogen werden, den Testanbieter zu informieren, um ggf. eine Untersuchung auf etwaige kreuzreagierende Substanzen in Auftrag zu geben. Diese Erkenntnisse werden dann in der Liste der Kreuzreaktionen für diesen Test dokumentiert.
19.8
Dokumentation
Die Dokumentation von Teststreifenergebnissen erscheint in der Praxis zwar lästig, ist im Sinne der Qualitätssicherung jedoch unumgänglich, um nachvollziehbare Analyseergebnisse zu erhalten. Die Teststreifen selbst können nicht aufbewahrt werden. Sie sind potenziell infektiös, und die Bandenfärbung bleibt nicht sicher erhalten. Die Dokumentation sollte auf einem Formblatt erfolgen, auf dem Datum, Patient, Analytiker, Chargennummer des Tests, Analyseergebnisse, Probennahme, Untersuchung auf Probenmanipulation, Kreatininkonzentration, pH-Wert, Temperatur und entsprechende Bemerkungen wie eine spezielle Medikation festgehalten werden. Die Teststreifen können zusätzlich fotografisch dokumentiert werden. Die Dokumentation ist in der Regel für 10 Jahre aufzubewahren. Eine EDV-gestützte Dokumentation kann die Interpretation insbesondere kumulativer Befunde und die Datensicherung erleichtern.
250
19.9
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
Präanalytik
Die Probennahme sollte spontan und möglichst zeitnah zu einem etwaigen Missbrauch erfolgen, da die Analyten in vivo zum Teil schnell abgebaut und ausgeschieden werden. Bis zur Analytik sollten die Proben dunkel und kühl gelagert werden, auch wenn die meisten Analyten temperatur- und lichtstabil sind. Die Proben sollten langfristig aufbewahrt werden, da eine erneute Probennahme nicht zu denselben Ergebnissen führt und häufig später neue Fragestellungen auftreten. Der Patient sollte dazu angehalten werden, über die etwaige Einnahme von Medikamenten Angaben zu machen. Auch der mögliche Konsum von Nahrungsmitteln, die Mohnsamen enthalten, ist zu berücksichtigen, da diese Morphin enthalten und durchaus einen positiven Opiattest bewirken können.
19.10
Kurzinformationen zu wichtigen Analyten und Analytgruppen
19.10.1 Alkohol (EtOH)
Da ein akuter Alkoholkonsum einfach und sicher mit der Atemalkoholbestimmung nachzuweisen ist, spielen weitere Methoden nur eine geringe Rolle. Atmungsverhalten und Kontamination der Mundhöhle können das Messergebnis beeinflussen, sodass nicht in jedem Fall sicher auf die Blutalkoholkonzentration geschlossen werden kann. Kreuzreaktionen mit anderen Alkoholen können ebenfalls eine Rolle spielen. Teststreifen stellen in Einzelfällen eine wirtschaftliche Alternative zu den vergleichsweise teuren Atemalkoholmessgeräten dar. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es sich bei Speicheltests um rein qualitative Methoden handelt.
19.10.2 Amphetaminähnliche Designerdrogen: Amphetamin,
19
Methamphetamin, MDA, MDMA, MDE(A), BDB, MBDB und diverse weitere Designeramphetamine [7] Die Amphetamine werden von den Teststreifen in der Regel als einzelne Analyte erfasst. Häufig werden nur Tests für Amphetamin und Metham-
251 19.10 · Kurzinformationen
19
phetamin angeboten (s. SAMHSA-Vorgaben). Nur wenige Tests bieten eine ausreichende Kreuzreaktivität mit weiteren Designeramphetaminen – MDA, MDMA, MDE(A), BDB und MBDB. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Molekülmasse ist der Informationsgehalt der Molekülstrukturen gering, sodass sich echte Gruppentests durch ein breites Spektrum unerwünschter Kreuzreaktionen auszeichnen. Bestimmte Pharmaka werden zu Amphetamin abgebaut (z. B. Selegilin). Zur Diskriminierung dieser falsch-positiven Befunde ist eine entsprechende chromatographische Analyse durchzuführen. Die meisten Amphetamine werden renal nicht als Konjugate ausgeschieden. Der Nachweis im Speichel ist möglich.
19.10.3 Barbiturate: Phenobarbital, Pentobarbital, Allobarbital,
Alphenal, Amobarbital, Apobarbital, Barbital, Butobarbital, Cyclopentobarbital, Secobarbital, Vinylbarbital, Thiopental [7] Es liegen nur noch wenige Zulassungen für Barbiturate in Deutschland vor. Diese Präparate werden zunehmend seltener missbräuchlich eingenommen. Die gängigen Teststreifen erfassen die im Handel befindlichen Präparate mit ausreichender Empfindlichkeit. Eine Analytik im Speichel ist nicht sinnvoll.
19.10.4 Benzodiazepine: Diazepam, Nordiazepam, Temazepam,
Oxazepam, Nitrazepam, Clonazepam, Flunitrazepam, Alprazolam, Flurazepam, Tetrazepam, Lorazepam, Lormetazepam, Medazepam, Midazolam, Bromazepam, Brotizolam, Clobazam, Clorazepat, Chlordiazepoxid, Prazepam, Triazolam [7] Die Gruppe der Benzodiazepine beinhaltet diverse Pharmaka mit einer Vielzahl an Metaboliten. Hinzu kommt die große pharmakodynamische Breite der Präparate, die die Analyse mit einem Gruppentest erschwert. Während die meisten Tests bei der Erfassung der 1,4-Benzodiazepine wie Diazepam gut abschneiden, werden die pharmakodynamisch hochaktiven 7-Nitro-Benzodiazepine wie Clonazepam sowie deren Phase-I- und Phase-II-Metabolite nicht empfindlich genug erfasst. Häufig ist die Bezeichnung als Gruppentest
252
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
nicht adäquat. Um eine Erhöhung der Sensitivität zu erreichen, kann eine enzymatische Hydrolyse durchgeführt werden. Es erscheint fraglich, ob die Sensitivität der Teststreifen für den Einsatz im Speichel als ausreichend zu bewerten ist.
19.10.5 Cannabinoide: Δ9-THC, Δ9-THC-COOH [7]
Teststreifen für Cannabinoide enthalten einen monoklonalen Antikörper, der gegen den Hauptmetaboliten Δ9-THC-COOH gerichtet ist, und zeigen für diesen Analyten eine hohe Sensitivität und Selektivität. Je nach Fragestellung finden unterschiedliche Entscheidungsgrenzen Anwendung. Seit einigen Jahren treten Fälle auf, in denen synthetische Cannabinoide missbräuchlich konsumiert wurden. Hierbei handelt es sich um Kräutermischungen mit Produktnamen wie »Spice« oder »Lava Red«, die mit Cannabinoidrezeptoragonisten (z. B. JHW-018, CP 47,497 oder HU-210) versetzt worden sind. Synthetische Cannabinoide können mit den Teststreifen nicht nachgewiesen werden. Teststreifen erscheinen derzeit für den Einsatz im Speichel nicht geeignet.
19.10.6 Kokain: Kokain, Benzoylecgonin [6]
Wie bei den Cannabinoiden reagieren die monoklonalen Antikörper der Kokaintests auf den Hauptmetaboliten (hier: Benzoylecgonin) und zeichnen sich ebenfalls durch eine hohe Sensitivität und Spezifität aus. Im Gegensatz zu den Cannabinoiden ist der Kokainmetabolit auch in vielen anderen Körperflüssigkeiten (inklusive Speichel) nachweisbar.
19.10.7 Methadon und Methadonmetabolit (EDDP) [6]
19
Für den Nachweis des Substitutionsmittels Methadon wird neben dem Test auf die Mutterverbindung zunehmend ein Test auf den Hauptmetaboliten EDDP angeboten. Beide Tests zeichnen sich durch hohe Sensitivität und Spezifität aus. Beim Nachweis des Metaboliten erhält der Analytiker somit
253 19.11 · Probenmanipulation
19
zusätzlich die Information, ob das Substitutionsmittel eingenommen wurde, und schließt damit eine nachträgliche Zugabe im Sinne einer Manipulation aus. Methadon ist im Gegensatz zum EDDP im Speichel in messbaren Konzentrationen nachweisbar.
19.10.8 Opiate: Morphin, Kodein, Dihydrokodein,
6-Acetylmorphin [6] Von den meisten Teststreifen werden die Opiate Morphin, Kodein, 6-Acetylmorphin und Dihydrokodein erfasst. Weitere Opioide wie Tramadol, Tilidin oder Fentanyl weisen keine relevanten Kreuzreaktionen in den Tests auf. Somit handelt es sich bei den Opiatteststreifen nicht um einen selektiven Test für einen Heroinmissbrauch oder um ein breites Screening auf Opioide. Ein Heroinmissbrauch kann nur durch den Nachweis von 6-Acetylmorphin im Rahmen einer Bestätigungsanalyse sicher nachgewiesen werden. Sowohl bei positiven als auch bei negativen Befunden sollte die Liste der kreuzreagierenden Substanzen beachtet werden. Darüber hinaus sollte Beachtung finden, dass die Entscheidungsgrenzen der Tests zwischen 300 und 2000 μg/l variieren. Die Opiate sind im Speichel nachweisbar.
19.10.9 Buprenorphin: Buprenorphin, Norbuprenorphin [6]
Buprenorphin ist seit einigen Jahren als Substitutionsmittel zugelassen. Es ist ein partieller Opiatantagonist mit einer hohen pharmakodynamischen Potenz. Die kommerziellen Tests weisen häufig keine Kreuzreaktionen zum Hauptmetaboliten Norbuprenorphin auf, der jedoch einen wesentlichen Anteil am renal ausgeschiedenen Wirkstoff hat. Somit zeichnen sich die meisten Buprenorphintests durch eine gute Spezifität, jedoch geringe Sensitivität aus. Es sind keine kommerziellen Tests für die Bestimmung im Speichel verfügbar.
19.11
Probenmanipulation
Anzustreben ist ein routinemäßiger Einsatz von Teststreifen zur Untersuchung auf Probenmanipulation. Es werden Kombinationsteststreifen ange-
254
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
boten, die neben pH-Wert, Kreatininkonzentration und spezifischer Dichte folgende Parameter abdecken: ▬ Oxidanzien, ▬ Nitrit, ▬ Glutaraldehyd, ▬ Chromat, ▬ Peroxidase und ▬ Bleichmittel. Diese Substanzen sind in der Lage, den Test zu stören oder die Analyten durch chemische Reaktionen aus der Probe zu eliminieren [10].
19.12
Zusammenfassung
Der Einsatz von Drogenteststreifen bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, ist jedoch durch eine zum Teil geringe Sensitivität und Spezifität begrenzt. Von hoher Aussagefähigkeit sind besonders diejenigen Tests, die nur eine Substanz mit einem Leitanalyten erfassen, der in den gemessenen Matrices zudem üblicherweise in ausreichend hoher Konzentration vorliegt. Dies ist bei den Tests auf Cannabinoide (Δ9-THC-COOH), Kokain (Benzoylecgonin), Methadon und EDDP der Fall. Unter den Gruppentests fällt der Opiattest durch vergleichbar hohe Spezifität und Sensitivität auf. Bei den Amphetaminen und Benzodiazepinen werden häufig wichtige Analyte oder deren Metaboliten nicht erfasst. Grundlagen sowohl der Qualitätssicherung als auch der Pharmakologie müssen berücksichtigt werden. Es ist sicherzustellen, dass bei der Analytik keine Probenkontamination stattfindet. Bestätigungsanalysen müssen in die Analysestrategie mit einbezogen werden, um die nicht selten vorkommenden falsch-positiven Ergebnisse zu überprüfen. ⓘ Hinweis
19
Bei forensischen Fragestellungen sollten Teststreifen nur zur Verdachtsgewinnung eingesetzt werden. In der Suchtbehandlung sind sie erforderlich, um zeitnah einen Rückfall nachzuweisen und therapeutische Maßnahmen einzuleiten. Für den regelmäßigen Einsatz von Teststreifen in der Suchtbehandlung ist das Spektrum der Analyten einzelner Tests oder deren Empfindlichkeit zu gering.
255 Literatur
19
Die Atemalkoholanalyse ist geeignet, einen Verdacht auf eine akute Verhaltensbeeinflussung durch Alkohol zu erheben. Durch weiterführende Analysen von Blut- oder Urinproben kann der Verdacht abgesichert oder ein zeitlich zurückliegender Konsum nachgewiesen werden. Bei arbeitsmedizinischen Untersuchungen (Agentur für Arbeit, Justizvollzugsanstalt etc.) drohen bei einem positiven Test persönliche Konsequenzen, sodass in jedem Fall eine Bestätigungsanalyse angeschlossen werden sollte. Bei sicherheitsrelevanten Fragestellungen ist zu prüfen, ob das Spektrum der Analyten und die Empfindlichkeit den jeweiligen Anforderungen genügen. Für notfallmedizinische Untersuchungen haben Teststreifen bislang ein zu geringes Analytspektrum; ein Großteil der Pharmaka mit Intoxikationsrelevanz kann mit ihnen nicht erfasst werden. Somit ist der Ausschluss einer Intoxikation nicht sicher möglich. In der Notfallmedizin sollten Toxidrome in die Behandlungsstrategie einbezogen und die geplante Analytik mit der verantwortlichen Giftinformationszentrale abgestimmt werden.
Literatur [1] Bundesministerium für Gesundheit (2009) Drogen- und Suchtbericht 2009. www.bmg. bund.de, www.drogenbeauftragte.de [2] Külpmann W-R (2003) Nachweis von Drogen und Medikamenten im Urin mittels Schnelltest. Dtsch Ärztebl 100: A1138–A1140, B956, C898 [3] Lagois J (2000) Dräger Alcotest 7110 Evidential – das Messgerät zur gerichtsverwertbaren Atemalkoholanalyse in Deutschland. Blutalkohol;37: 77–91 [4] Lagois J, Sohoge J (2003) Interlock – ein Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr. Blutalkohol;40: 199–207 [5] Madea B, Musshoff F, Berghaus MG. (Herausgeber) (2007) Verkehrsmedizin – Fahreignung, Fahrsicherheit, Unfallrekonstruktion. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln [6] Moffat AC, Osselton MD, Widdop B (eds) (2004) Clarke’s Analysis of Drugs and Poisons, 3rd edn. Pharmaceutical Press, London [7] Pfleger K, Maurer HH, Weber A (2007) Mass spectral and GC data of drugs, poisons, pesticides, pollutants and their metabolites, 3rd ed. Wiley-VCH, Weinheim [8] Raggam RB, Santner BI, Kollroser M, Gössler W, Schmied B, Schmitt U et al. (2008) Evaluation of a novel standardized system for collection and quantification of oral fluid. Clin Chem Lab Med;45: 287–291 [9] Schubert W, Mattern R (2009) Urteilsbildung in der Medizinischen-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik – Beurteilungskriterien 2. Auflage, Kirschbaum Verlag Bonn [10] Schütz H, Paine A, Erdmann F, Weiler G, Verhoff MA (2006) Immunoassays for drug screening in urine. Forensic Sci Med Pathol;2:2: 75–83
256
Kapitel 19 · POCT in der Suchtmedizin
[11] www.ltg.uk.net/admin/files/IVDD_guidelines.pdf (2004) [12] www.rosita.org [13] www.samhsa.gov
19
20 POCT in der Neonatologie N. Gässler, H. Schlebusch
20.1
Blutglukosebestimmung
20.2
Bilirubinbestimmung Literatur
– 261
– 262
– 264
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
258
Kapitel 20 · POCT in der Neonatologie
Im Jahre 2010 wurden in Deutschland 678.000 Kinder geboren [13]. Davon sind ca. 7–8 % Frühgeborene, d. h. Kinder, die vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche geboren wurden und meist weniger als 2.500 g wogen. Die Rate der Frühgeborenen ebenso wie die der sehr kleinen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von <1.500 g (»Very low birth weight«, VLBW) nimmt seit Jahren deutlich zu. Besonders die VLBW profitieren jedoch erheblich von den inzwischen verbesserten Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Pro Jahr fallen für die stationäre Behandlung von Kindern mit der Diagnose »Frühgeburt/geringes Geburtsgewicht« Krankenhauskosten von etwa 40 Mio. Euro an [4]. So muss z. B. ein Kind mit einem Geburtsgewicht unter 1.000 g, das in der 28. Schwangerschaftswoche geboren wurde (»Extremely low birth weight«, ELBW), in der Regel 10–12 Wochen auf einer Intensivbzw. Allgemeinstation bleiben. Erkrankungshäufigkeit und Pflegeaufwand, ebenso die Sterblichkeit, steigen mit zunehmender Unreife. Zwar kommen weniger als 1 % aller Kinder mit einem Geburtsgewicht <1.500 g zur Welt; Diagnostik und Therapiekontrolle durch Laboratoriumsuntersuchungen sind jedoch gerade bei dieser Gruppe besonders umfangreich. ⊡ Tab. 20.1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Laboruntersuchungen für eine Neugeborenen-Intensivstation und die damit zusammenhängenden klinischen Probleme [10]. Das Analysenspektrum selbst unterscheidet sich im Prinzip nicht von dem für Erwachsene. Trotzdem existieren eine Reihe spezieller analytischer Probleme, die aus folgenden Gegebenheiten resultieren: ▬ Verfügbar sind teils nur extrem kleine Probenmengen, ▬ häufig wird Kapillarblut verwendet, ▬ es bestehen in den ersten Lebenstagen bei Vollblutanalysen hohe Hämatokritwerte, ▬ es interessieren bzw. gelten zum Teil andere Messbereiche (z. B. für Blutglukose, Bilirubin und die Kreatinin-Clearance), und ▬ es liegen teilweise höhere Konzentrationen von interferierenden Substanzen vor (z. B. Bilirubin, Hämoglobin, Glutathion).
20
Kleine Probenmengen und die überwiegende Verwendung von Kapillarblut machen die Neonatologie zu einer Domäne des POCT. So sind besonders bei beatmeten Frühgeborenen häufige Blutabnahmen zur Therapiekontrolle unumgänglich. Natürlich wäre gerade hier eine unblutige kontinuierliche Kontrolle wichtiger Stoffwechselparameter ideal. Bisher ist dies jedoch nur
259 Kapitel 20 · POCT in der Neonatologie
20
⊡ Tab. 20.1 Laboruntersuchungen auf der Neugeborenenintensivstation Untersuchungen
Kontrollierte Parameter
Klinische Probleme
Blutgasanalyse
Säure-Basenhaushalt
− Azidose − Hyperkaliämie − Hypoxie
Atmung
− Surfactant-Mangel − Atemnotsyndrom − Apnoe-Anfälle
Zirkulation
− − − −
Schock Hypoxie Hirnblutung Nekrotisierende Enterokolitis
Therapiekontrolle des beatmeten Neugeborenen +
+
–
Na , K , Ca++, Cl , Mg++, PO4–, Zn++, Spurenelemente (teilweise auch im Urin)
Ausscheidung
− Ödeme − Elektrolytbilanz − Akutes Nierenversagen
Ernährung
− Geringe Gewichtszunahme − Frühgeborenenrachitis
Kreatinin, Harnstoff, Bilirubin, Eiweiß, Blutglukose
Ausscheidung
− Akutes Nierenversagen
Stoffwechsel
− Katabolismus − Ikterus − Hypoglykämie
Cholesterin, Gallensäuren, Bilirubin, Alkal. Phosphatase
Funktion von Galle, Leber und Pankreas
− Cholestase
CRP, Leukozyten, DDBlutbild, IL-6, IL-8, PCT
Immunität
− Pneumonie − Sepsis − Meningitis
Drug monitoring
Antibiotika
− Infektion
Indometacin
− Verschluss des Ductus Botalli
Digoxin
− Herzinsuffizienz
Phenobarbital
− Krämpfe
Coffein
− Ateminsuffizienz
▼
260
Kapitel 20 · POCT in der Neonatologie
⊡ Tab. 20.1 Fortsetzung
20
Untersuchungen
Kontrollierte Parameter
Klinische Probleme
Hämoglobin, Hämatokrit, Transferrin, Ferritin
Erythropoese
− Anämie
Gerinnungsglobaltests, Thrombozyten
Unreife des Hämostasesystems, Therapiekontrolle
Urinteststreifen, Urinstatus
Harnwegsinfekt
− Sepsis
Abstrich-Gramfärbung
Bakterien
− Sepsis
für Bilirubin, pO2 und pCO2 (doch auch dies nur mit Einschränkungen) sowie für sO2 routinemäßig möglich ( Kap. 14). Das Blutvolumen eines Neugeborenen macht 7–10 % seines Körpergewichts aus, d. h. es beträgt bei einem Frühgeborenen von 1.500 g max. 150 ml; bei einem unreifen Neonaten mit einem Geburtsgewicht <1.000g (ELBW) max. 80 ml. Da iatrogene Anämien – anders als beim Reifgeborenen – die Erythropoese des Frühgeborenen nur in geringem Umfang steigern, muss ein größerer Blutverlust evtl. auch durch Transfusionen ausgeglichen werden. Therapeutisch wird in diesen Fällen auch Erythropoietin eingesetzt. Anämien können bei Frühgeborenen zu Komplikationen und nur geringer Gewichtszunahme führen; sie müssen deshalb sorgfältig vermieden werden. Den Forderungen nach intensiver Stoffwechselkontrolle steht das Konzept des »minimal handling« gegenüber. Jede Manipulation kann den Zustand eines kranken Frühgeborenen verschlechtern, und schon das Berühren des Kindes vergrößert Stress und Infektionsgefahr. Das bedeutet, möglichst wenige, aber aussagekräftige Untersuchungen durchzuführen und die Probennahmen für verschiedene Untersuchungen – am POC oder auch im Labor – zu koordinieren und möglichst auf denselben Zeitpunkt zu legen. Durch organisatorisch optimiertes Arbeiten lassen sich die Zahl der Blutabnahmen und das benötigte Blutvolumen zweifellos vermindern. Die richtige Technik einer sachgerechten, möglichst wenig traumatisierenden Kapillarblutabnahme aus der Ferse ist von besonderer Bedeutung, um therapeutisch verwertbare Ergebnisse zu erhalten. Insbesondere müssen
261 20.1 · Blutglukosebestimmung
20
ausreichende Mengen Blut (max. 600 μl) ohne größeres Quetschen gewonnen werden, da eine Hämolyse bei einer Reihe von Bestimmungen (z. B. K+ oder Bilirubin) stört. Eine Übersicht über Materialien zur Blutabnahme bei Neugeborenen findet sich in Kap. 4. Auf der neonatologischen Allgemein- und Intensivstation können zurzeit folgende Parameter mit POCT-Verfahren bestimmt werden: pH-Wert und Blutgase, Hämoglobin (Hb) und Hb-Fraktionen, Elektrolyte, Metabolite und Gerinnungsglobaltests. Bei der Messung von Metaboliten kann man entweder spezielle Geräte verwenden, die für die Messung nur eines Parameters vorgesehen sind (z. B. Blutglukose, Bilirubin), oder Gerätekonfigurationen einsetzen, mit denen die gleichzeitige Messung mehrerer Parameter – zum Teil mit Wahlmöglichkeit für die individuelle Analyse – möglich ist (z. B. Blutgasanalysatoren; Kap. 6). Bei der Entscheidung für ein bestimmtes Blutgasgerät wird die benötigte Probenmenge das wichtigste Auswahlkriterium sein; aber auch auf eine flexible Parameterwahl und eine integrierte automatische Qualitätskontrolle sollte geachtet werden. Analytische Kriterien sollten mit dem Zentrallabor besprochen werden.
20.1
Blutglukosebestimmung
In den ersten Lebensstunden treten beim Neugeborenen passager niedrige Blutglukosekonzentrationen mit typischen Werten von 40–60 mg/dl auf. Speziell beim Frühgeborenen können die Werte jedoch bis auf 10 mg/dl und darunter abfallen, ohne dass dies zu ausgeprägten klinischen Symptomen führen muss. Ungeachtet der nach wie vor kontroversen Diskussion über die Definition der Neugeborenenhypoglykämie wird i. A. eine Konzentration von 40 mg/dl als kritischer Grenzwert angesehen, der ein therapeutisches Handeln erfordert [7]. Da schwere Hypoglykämien zu neurologischen Schäden führen können, muss eine Blutglukosemessmethode in der Neonatologie besonders im Bereich von 20 bis 80 mg/dl zuverlässige Werte liefern, die in kürzester Zeit zur Verfügung stehen. Die bei vielen POCT-Blutglukosemessgeräten mehr oder weniger ausgeprägte Hämatokritinterferenz führte in der Vergangenheit zu großen Schwierigkeiten bei der richtigen Blutglukosebestimmung, besonders im niedrigen Konzentrationsbereich. Seit Kurzem existieren Messgeräte, die den Einfluss des Hämatokrits elektronisch kompensieren können ( Kap. 5) und deshalb für die Neonatologie besonders gut geeignet sind.
262
20.2
Kapitel 20 · POCT in der Neonatologie
Bilirubinbestimmung
Bei etwa 60 % aller gesunden Neugeborenen tritt in den ersten Lebenstagen ein »physiologischer« Ikterus mit Bilirubinkonzentrationen bis zu 12 mg/dl auf, der um den 4. Lebenstag sein Maximum erreicht und dann kontinuierlich wieder abnimmt. Eine kleine Gruppe von Neugeborenen hingegen entwickelt – aus unterschiedlichen Gründen – eine gefährliche behandlungsbedürftige Hyperbilirubinämie mit dem Risiko einer Bilirubinenzephalopathie (Kernikterus). Für die Indikation zur Phototherapie oder Austauschtransfusion haben sich die Kurven von Bhutani [1, 2, 3] weitgehend durchgesetzt. Es sind jedoch auch weitere empirische Diagramme, z. B. für Kinder mit zusätzlichen Risikofaktoren wie Frühgeburt, Sepsis, Hämolyse und andere, in Gebrauch. Im Allgemeinen findet sich im Plasma ikterischer Neugeborener fast ausschließlich unkonjugiertes (sog. indirektes) Bilirubin. Das in Neugeborenenproben als »direktes« Bilirubin nachweisbare Bilirubin (je nach Bestimmungsmethode bis zu 1,5 mg/dl) ist – wegen mangelnder Spezifität der Bestimmungsmethode – in den meisten Fällen kein konjugiertes (glukuroniertes), sondern ebenfalls unkonjugiertes Bilirubin. Lediglich bei neonataler Hepatitis, bei chronischer Bilirubinüberlastung durch eine ausgeprägte Erythroblastose oder bei toxischen Leberschäden von Frühgeborenen – meist hervorgerufen durch Medikamente oder eine länger andauernde parenterale Ernährung – sowie bei einigen anderen, jeweils sehr seltenen Erkrankungen können auch größere Mengen von konjugiertem Bilirubin auftreten. Am POC ist lediglich die Bestimmung des Gesamtbilirubins möglich. Verfahren zur Differenzierung von direktem und indirektem bzw. konjugiertem und unkonjugiertem Bilirubin existieren nicht. Zur Bestimmung des neonatalen Gesamtbilirubins stehen 3 Methoden zur Verfügung: ▬ transkutane Bestimmung, ▬ direkte Photometrie im unverdünnten Serum/Plasma (»Bilirubinometer«) und die ▬ direkte Photometrie im Blut (CO-Oxymetrie-Modul in BGA-Geräten. 20.2.1 Transkutane Bestimmung
20
Für die transkutane Bilirubinometrie ( Kap. 14) sind 2 Geräte seit Längerem eingeführt. Beide Geräte haben als Messprinzip eine reflexions-
263 20.2 · Bilirubinbestimmung
20
densitometrische Messung der Gelbfärbung der Haut an der Stirn oder über dem Sternum, wobei die Eigenfarbe der Haut korrigiert wird. Die transkutane Bilirubinbestimmung stellt ein im ambulanten wie stationären Bereich weithin eingesetztes Screeningverfahren dar. Ab einem transkutan gemessenen Wert von 2–3 mg/dl unterhalb der jeweiligen Grenze für eine Phototherapie ist jedoch eine »blutige« Bilirubinbestimmung nötig, um sicher über den Einsatz der Phototherapie entscheiden zu können. Nach einer Phototherapie dürfen weitere Bestimmungen ausschließlich blutig erfolgen.
20.2.2 Direkte Photometrie im unverdünnten Serum/Plasma
(»Bilirubinometer«) Eine einfache Variante der direkten Spektrophotometrie ( Kap. 9) wird in vielen neonatologischen Abteilungen verwendet. Die sog. Bilirubinometer sind Filterphotometer, mit denen die Absorption des Plasmas bei 455 nm – nahe dem Absorptionsmaximum des Bilirubins – gemessen wird. Durch eine zweite Messung bei 575 nm wird die spektrale Interferenz durch Hämoglobin kompensiert. Im Allgemeinen reichen für die Messung 20–30 μl Blut aus. Das POCT des Neugeborenenbilirubins wird durch das Bilimeter 3 (Pfaff medical) weiter vereinfacht.
20.2.3 Direkte Photometrie im Blut
(CO-Oxymetrie-Modul in Blutgasanalysatoren) Mit einigen Blutgasanalysatoren ist eine direkte spektrophotometrische Messung des Gesamtbilirubins im Vollblut ( Kap. 6) möglich. Während die Geräte von Roche und Siemens nur für die Messung von Neugeborenenbilirubin vorgesehen sind, können mit den Geräten von Radiometer und IL auch Proben von Erwachsenen gemessen werden. Das Messprinzip ist für alle Geräte identisch [6]: Im CO-Oxymetrie-Modul wird neben den Hb-Fraktionen das Bilirubin durch eine Mehrwellenlängenmessung bestimmt. Obwohl sich die Spektren von Bilirubin und Hb deutlich voneinander unterscheiden, werden an die Messung wegen des großen Konzentrationsunterschieds zwischen Bilirubin und dem »störenden« Hb hohe Anforderungen gestellt. Die Bili-
264
Kapitel 20 · POCT in der Neonatologie
rubinkonzentration wird aus den Ergebnissen der Absorptionsmessungen mittels einer Multi-Komponenten-Analyse berechnet. Für eine Messung reichen üblicherweise 35–100 μl Blut aus. Der Messbereich liegt für die meisten Geräte zwischen 3 und 30 mg/dl. ⓘ Hinweis Die transkutane Bilirubinbestimmung stellt eine Screeningmethode dar, deren Ergebnisse vor einer therapeutischen Maßnahme mit einer anderen Methode kontrolliert werden sollte [11]. Dies kann am POC sowohl durch Photometrie im unverdünnten Plasma (Bilirubinometer) als auch durch Bestimmung im Blut (Blutgasanalysatoren) geschehen. Nasschemische Kontrollen erscheinen nur in Ausnahmefällen notwendig. Empfehlungen über Zeitpunkt und Häufigkeit transkutaner bzw. blutiger Bilirubinbestimmungen finden sich in einer aktuellen Leitlinie [2].
Für eine Reihe von Parametern ist die Diskussion über »Grenzwerte« oder therapeutisch anzustrebende Konzentrationen (besonders bei Frühgeborenen) nicht abgeschlossen. Die umfangreichste Sammlung von klinisch-chemischen Referenzwerten enthält das Buch von Soldin [12]. Darüber hinaus finden sich wichtige Daten bei [5] und [9]. Die aktuellen Wünsche der Neonatologie an die Weiterentwicklung des POCT unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen anderer Fachgebiete: kleiner, einfacher, schneller, geringerer Probenbedarf und Messbarkeit zusätzlicher Parameter, besonders einiger Entzündungsmarker wie der Zytokine. Jocelyn M. Hicks, eine der prominentesten Vertreterinnen des POCT in der Pädiatrie, prognostiziert eine komplette Umstellung der pädiatrischen Labordiagnostik auf nichtinvasive Untersuchungsmethoden und auf die Analytik mit Biosensoren [8]. Ob und wann diese Vision Realität wird, ist derzeit jedoch nicht absehbar.
Literatur
20
[1] American Academy of Pediatrics (2004) Management of hyperbilirubinemia of the newborn infant 35 or more weeks of gestation. Pediatr 114: 297–316 [2] Berns M, Bührer C, Leitlinie zur Hyperbilirubinämie des Neugeborenen. Monatsschrift Kinderheilkunde 2010;158: 1117–1124 [3] Bhutani VK, Vilms RJ, Hamerman-Johnson L (2010) Universal bilirubin screening for severe neonatal hyperbilirubinemia. J Perinatol;30;Suppl: S 6–15
265 Literatur
20
[4] Gässler N (2007) POCT in der Neonatologie, Seminar 412, »Point-of-Care-Testing (POCT) – Aktueller Stand« auf der 39. MEDICA, 17.11.2007, Düsseldorf [5] Green A, Morgan I, Gray J (eds) (2003) Neonatology & Laboratory Medicine. ACB Venture Publications, London [6] Hallemann H, Putz K, Schweiger G, Spitzer S, Strohmeier M (2005) Technical aspects of bilirubin determination in whole blood. Point of Care 4: 9–10 [7] Haymond MW (1989) Hypoglycemia in infants and children. Endocrin Metab Clin North Am 18: 211–252 [8] Hicks J (2005) Point-of-careTesting: Einführungsvortrag zum AACC-Symposium Oak Ridge Conference, 20.04.2005, Baltimore, MD [9] Mäkelä E, Takala T, Suominen P et al. (2008) Hematological parameters in preterm infants from birth to 16 weeks of age with reference to iron balance. Clin Chem Lab Med 46: 551–557 [10] Schlebusch H, Fahnenstich H, Niesen M (1993) Laboratoriumsuntersuchungen bei Frühgeborenen. DG Klinische Chemie Mitteilungen 24: 47–67 [11] Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie (2006) Abklärung und Behandlung von ikterischen Neugeborenen ab 35 0/7 Schwangerschaftswochen. Paediatrica 17: 26–29 [12] Soldin SJ, Brugnara C, Wong EC (eds) (2007) Pediatric Reference Intervals, 6th edn. AACC Press, Washington, DC [13] Statistisches Bundesamt, Wiesbaden. www.destatis.de
21 Klinische Anwendungen von Urinschnelltests N. Gässler
21.1
Protein
– 268
21.2
Mikroalbumin
21.3
Glukose
21.4
Keton
21.5
Bilirubin
21.6
Urobilinogen
21.7
Nitrit
21.8
pH-Wert
21.9
Blut (Erythrozyten, Hämoglobin) – 273
– 269
– 269 – 270 – 272 – 272
– 273 – 273
21.10 Leukozyten 21.11 Kreatinin
– 274
– 275
21.12 Spezifisches Gewicht (Dichte) – 275 21.13 Medikamente und Drogen – 275 21.14 Humanes Choriongonadotropin (HCG) – 276 21.15 Weitere Parameter – 276 Literatur
– 276
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
268
21
Kapitel 21 · Klinische Anwendungen von Urinschnelltests
Die Urindiagnostik wird heute meist als POCT-Diagnostik mittels eines Urinteststreifen durchgeführt. Die verschiedenen Testfelder zeigen einen Farbumschlag, aus dem semiquantitativ die Konzentrationen von Proteinen, Glukose, Ketonen, Bilirubin, Urobilinogen, Urobilin und anderen Parametern abgelesen werden können. Gleichzeitig wird auch der pH-Wert sowie bei Vorliegen erhöhter Konzentrationen die Erythrozyten- und Leukozytenzahl festgestellt. Diese Diagnostik wird »Urinstatus« genannt. Mit ihr gelingt eine orientierende Diagnostik von Erkrankungen der Nieren und des Kohlenhydratstoffwechsels sowie von Leber- und hämolytischen Krankheiten (nähere Erläuterungen geben die Übersichtsarbeit von Boege et al. [1] und die Leitlinien der European Confederation of Laboratory Medicine [3]). Die Diagnostik und die Gewinnung von Urinproben sollten möglichst in räumlicher Nähe zueinander erfolgen, da Urin innerhalb von 2 h analysiert werden muss. Spontanurin ist für viele chemische und mikroskopische Untersuchungen ein geeignetes Probenmaterial, jedoch sollte möglichst Mittelstrahlurin (den ersten Strahl des Harns verwerfen) gewonnen werden [3]. Bevorzugt wird der erste Morgenurin, da dieser die nachzuweisenden Stoffe in größerer Konzentration enthält als der tagsüber gewonnene Urin. Für urologische Fragestellungen dient die sog. 3-Gläser-Probe. Dabei werden der erste Strahl sowie der Mittelstrahl in separaten Gefäßen aufgefangen; das dritte Glas wird häufig erst nach leichter Prostatamassage gefüllt. So lässt sich eine grobe Lokalisation der nachgewiesenen Substanzen (oder Zellen, z. B. Erythrozyten) vornehmen. Zum Nachweis von Nitrit und Protein eignet sich am besten der erste Morgenurin. Für den Glukosenachweis kann Urin, der 2 h postprandial nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit gewonnen wurde, geeignet sein. Zur Untersuchung der renalen Funktion (Clearance-Untersuchungen) und zur Bestimmung anderer Stoffwechselprodukte ist es oft hilfreich, Urin über 24 h zu sammeln. Hierbei ist auf eine kühle Lagerung zu achten, und in Abhängigkeit vom zu untersuchenden Parameter sind Konservierungszusätze notwendig. Für spezielle Fragestellungen wird Urin mittels eines Katheters oder durch suprapubische Punktion gewonnen.
21.1
Protein
Die Proteinurie ist bei Nierenerkrankungen ein häufiges, aber unspezifisches Symptom. Bei renal bedingten Proteinurien kann man zwischen glomerulä-
269 21.3 · Glukose
21
ren und tubulären Proteinurien unterscheiden, die transitorisch, intermittierend oder kontinuierlich sein können. Die Bestimmung ist insbesondere bei Infektionen des Nierenparenchyms, des Nierenbeckens und der ableitenden Harnwege sowie bei der Schwangerschaftsüberwachung indiziert. Extrarenal bedingte Proteinurien können bei vielen akuten Krankheitsbildern auftreten. Eine harmlose Proteinurie kann z. B. durch körperliche Anstrengung (Sport) oder Aufregung (Stress) bedingt sein. Weiterhin ist bekannt, dass die Orthostase und der zirkadiane Rhythmus Einfluss auf die Proteinurie haben. Bei positivem Proteinnachweis sollte sich eine differenzierende Diagnostik, z. B. durch die Bestimmung spezifischer Markerproteine oder eine Urinelektrophorese, anschließen.
21.2
Mikroalbumin
Eine Mikroalbuminurie ist häufig das erste Zeichen für eine beginnende nichtentzündliche Nephropathie. Besondere Risikogruppen sind Diabetiker und Hypertoniker, bei denen ein regelmäßiges Screening auf Mikroalbumin empfohlen wird. Grenzwerte sind ▬ im 24-h-Sammelurin 30 mg/24 h, ▬ im Spontanurin (erster Morgenurin) 20 mg/l oder 30 mg/g Kreatinin. Bei persistierend erhöhter Ausscheidung sind u. a. eine quantitative Eiweißbestimmung und die Bestimmung der Kreatinin-Clearance indiziert. Passager ist die Albuminausscheidung generell bei schweren fieberhaften Erkrankungen, Harnwegsinfekten und Stoffwechselentgleisungen sowie in der Schwangerschaft erhöht [4].
21.3
Glukose
Der Nachweis von Glukose im Urin hat große diagnostische Bedeutung als Suchtest auf einen Diabetes mellitus sowie für die Verlaufs- und Selbstkontrolle dieser Erkrankung. Eine Glukosurie tritt immer dann auf, wenn der Blutglukosewert die Nierenschwelle von 150–180 mg/dl überschreitet. Dies kann nicht nur bei Diabetes mellitus, sondern auch nach einer sehr kohlenhydratreichen Mahlzeit geschehen (alimentäre Glukosurie). Auch Erkran-
270
21
Kapitel 21 · Klinische Anwendungen von Urinschnelltests
kungen der Leber und des Pankreas sowie verschiedene Hormone und Arzneimittel können ursächlich für eine Glukosurie sein. Bei einer Erniedrigung der Nierenschwelle, die z. B. bei fiebrigen Erkrankungen oder in der Schwangerschaft auftreten kann, wird auch bei unauffälliger Blutglukosekonzentration vermehrt Glukose im Harn ausgeschieden [4].
21.4
Keton
Die Ketonkörper ß-Hydroxybutyrat (ß-HBA), Acetoacetat (AcAc) und Aceton sind katabole Produkte der freien Fettsäuren, wobei ß-HBA und AcAc normalerweise in äquimolaren Mengen vorhanden sind. Der Anteil von Aceton beträgt weniger als 5 %. Das Gleichgewicht zwischen ß-HBA und AcAc verschiebt sich jedoch bei Hypoxie, Fasten und Ketoazidose zugunsten von ß-HBA. Ketonkörper im Urin sind immer dann nachweisbar, wenn
⊡ Abb. 21.1 Precision Xceed POCTMessgerät zur Bestimmung von Blutglukose und ß-HBA im Blut
271 21.4 · Keton
21
vermehrt Fette abgebaut werden. Beim Diabetiker, v. a. bei Patienten mit Typ 1-Diabetes, ist der Nachweis von Ketonen immer ein Zeichen für ein gestörtes Stoffwechselgleichgewicht und damit ein wichtiger Warnhinweis für eine drohende Ketoazidose. Für die Überwachung einer diabetischen Ketoazidose sind Urinteststreifen nicht ausreichend zuverlässig, da mit ihnen nur AcAc und Aceton gemessen werden, ß-HBA hingegen nicht erfasst wird ( Kap. 12). In diesen Fällen sind deshalb quantitative ß-HBA-Bestimmungen im Blut erforderlich, um den bei Stoffwechselentgleisungen vorherrschenden Anteil erfassen zu können. Dafür stehen Teststreifen zur Verfügung, die mit passenden Blutglukose-Messgeräten (z. B. Precision Xceed von Abbott oder StatStrip Glucose/Ketone von Nova) ausgewertet werden können (⊡ Abb. 21.1 und ⊡ Abb. 21.2).
⊡ Abb. 21.2 StatStrip Glucose/Ketone POCT-Messgerät zur Bestimmung von Blutglukose und Ketonen im Blut
272
21
Kapitel 21 · Klinische Anwendungen von Urinschnelltests
Ketone im Urin können auch bei Hungerzuständen auftreten, z. B. bei Schlankheitskuren mit verminderter oder fehlender Kohlenhydratzufuhr (Nulldiät), ebenso bei fiebrigen Erkrankungen, bei der Hyperemesis gravidarum und beim azetonämischen Erbrechen von Kleinkindern.
21.5
Bilirubin
Eine Bilirubinurie kann i. A. bei Plasmakonzentrationen des glukuronierten (direkten) Bilirubins von >2 mg/dl nachgewiesen werden. Sie tritt auf bei Leberparenchymschäden (z. B. Hepatitis, Zirrhose, Intoxikationen), Störungen der Bilirubinausscheidung (z. B. Dubin-Johnson-Syndrom) oder Behinderung des Galleabflusses (Cholestase). Im Urin von Gesunden werden keine oder nur sehr geringe Bilirubinmengen ausgeschieden. Deshalb sollte ein positives Ergebnis grundsätzlich durch weitere internistische und klinischchemische Untersuchungen abgeklärt werden.
21.6
Urobilinogen
Urobilinogen entsteht aus Bilirubin, das mit der Galle in den Darm transportiert und dort bakteriell abgebaut wird. Durch Rückresorption gelangt Urobilinogen wieder in den Blutkreislauf; es wird teilweise in der Leber weiter abgebaut oder mit dem Urin ausgeschieden. Eine Urobilinogenurie kann mit und ohne gleichzeitige Bilirubinurie auftreten. Urobilinogen wird vermehrt im Urin ausgeschieden, wenn im enterohepatischen Kreislauf der Gallenfarbstoffe die Funktionskapazität der Leber eingeschränkt bzw. überlastet ist oder durch extrahepatische Wege umgangen wird. Dies kann durch eine primäre Lebererkrankung (z. B. Hepatitis, Zirrhose, Stauungsleber, Intoxikationen), durch einen vermehrten Hämoglobinabbau (z. B. bei hämolytischer und perniziöser Anämie, intravasaler Hämolyse, Polyzythämie und Resorption großer Blutextravasate), aber auch durch eine Cholangitis bedingt sein. Ein völliges Fehlen von Urobilinogen im Urin tritt dagegen bei fehlender Gallensäureproduktion in der Leber und bei gestörter Gallesekretion in den Darm sowie bei fehlender bakterieller Bilirubinreduktion im Darm auf. Ein Verschluss des Ductus choledochus (häufig durch Konkremente bedingt) kann ebenso zum völligen Fehlen von Urobilinogen im Urin führen.
273 21.9 · Blut (Erythrozyten, Hämoglobin)
21.7
21
Nitrit
Die wichtigsten und häufigsten Erreger einer Harnwegsinfektion sind gramnegativ (beispielsweise E. coli, Proteus mirabilis). Diese Bakterien reduzieren Nitrat zu Nitrit. Der Nitritnachweis im Urin ist deshalb ein sicheres Zeichen für die Anwesenheit dieser Bakterien und anderer harnpathogener Keime. Durchschnittlich werden 50–60 % aller Harnwegsinfektionen mit dem Nitrittest erfasst, unter günstigen Voraussetzungen (erster Morgenurin, hohe Keimzahl) sogar 90 %. Dies setzt jedoch voraus, dass genügend Nitrat alimentär zugeführt wird und dass die Verweildauer des Urins in der Blase für eine Nitratreduktion ausreicht (etwa 4–6 h). Ein ergänzender Befund ist der Nachweis einer Leukozyturie. Die Diagnose »Harnwegsinfekt« sollte durch eine Keimzahlbestimmung gesichert werden. Der Harn eines Gesunden enthält kein Nitrit [3].
21.8
pH-Wert
Der pH-Wert des Urins wird durch die Ernährung sowie durch Medikamente beeinflusst und unterliegt tageszeitlichen Schwankungen. Frischer Urin hat normalerweise einen pH-Wert von 5,0–8,0. Physiologisch niedrige pH-Werte sind bei fleischreicher Ernährung typisch, während bei gemüsereicher Ernährung (z. B. bei Vegetariern) eher leicht alkalische Werte gefunden werden. Persistierend saure Proben treten bei vermehrtem Abbau von endogenem Eiweiß (z. B. bei Hunger, Diarrhoe oder hohem Fieber), besonders aber bei einer diabetischen ketoazidotischen Stoffwechselentgleisung auf. Ein alkalischer Urin deutet auf eine Harnwegsinfektion hin (besonders durch Proteus spp.) als Folge der harnstoffspaltenden Aktivität von Bakterien. Aber auch durch längeres Stehenlassen kann eine Urinprobe alkalisch werden. Bei der Harnsteinmetaphylaxe ist die Kontrolle des Urin-pH-Werts zur Vermeidung von Rezidiven wichtig.
21.9
Blut (Erythrozyten, Hämoglobin)
Die Hämaturie ist ein Begleitsymptom vieler urologischer und internistischer Erkrankungen. ▬ Renale Ursachen: – Glomerulonephritis,
274
21
Kapitel 21 · Klinische Anwendungen von Urinschnelltests
– Pyelonephritis, – Nierensteine, – Nierentumoren, – Traumen, – andere. ▬ Postrenale Ursachen: – Harnwegsinfektionen, – Urolithiasis, – Blasentumoren, – Fehlbildungen der ableitenden Harnwege, – andere. ▬ Extrarenale Ursachen: – hämorrhagische Diathesen, – toxische und Medikamentenwirkungen, – sportliche Anstrengungen, – Marschhämaturie, – andere. Mit dem Bluttestfeld können sowohl intakte Erythrozyten (Hämaturie) und freies Hämoglobin als Folge einer bereits stattgefundenen Lyse (Hämoglobinurie) als auch Myoglobin nachgewiesen werden.
21.10
Leukozyten
Die Leukozyturie ist ein wichtiges Symptom bei Entzündungen im Bereich der Nieren und der ableitenden Harnwege. Sie tritt auf bei: ▬ bakteriellen Infektionen (z. B. akute und chronische Pyelonephritis, Zystitis, Urethritis), ▬ abakteriellen Infektionen (z. B. durch Pilze, Hefen), ▬ parasitären Erkrankungen, ▬ Analgetikanephropathien, ▬ Intoxikationen und ▬ Harnabflussstörungen. Die überwiegende Zahl der positiven Leukozytenbefunde wird von bakteriellen Harnwegsinfektionen verursacht.
275 21.13 · Medikamente und Drogen
21.11
21
Kreatinin
Die Kreatininausscheidung ist im Wesentlichen von der individuellen Muskelmasse abhängig und ändert sich im Tagesverlauf nicht, da Kreatinin frei glomerulär filtriert und tubulär nicht reabsorbiert wird. Kreatinin im Urin dient deshalb als Bezugsgröße für die Albuminausscheidung (Berechnung des Albumin/Kreatinin-Quotienten), wodurch der Einfluss der Diurese eliminiert werden kann [4]. Bei normaler Diurese liegt die Kreatininkonzentration (abhängig von Größe, Alter und Gewicht) im Spontanurin bei 40–130 mg/dl.
21.12
Spezifisches Gewicht (Dichte)
Das spezifische Gewicht (Dichte) hängt in erster Linie von der ausgeschiedenen Flüssigkeitsmenge ab und kann deshalb in weiten Bereichen schwanken (1,005–1,040). Als Maß für die Konzentrierungsfähigkeit der Niere hat der Test nur noch untergeordnete Bedeutung. Hingegen kann die Berücksichtigung der Dichte die Interpretation anderer Urinparameter verbessern. So ist z. B. ein negatives Teststreifenergebnis für Protein in einem stark verdünnten Urin anders zu bewerten als in einer konzentrierten Probe. Wichtig ist die Kenntnis der Dichte bei der Suchtmittelanalytik zur Aufdeckung von Probenmanipulationen ( Kap. 21).
21.13
Medikamente und Drogen
Auch der Nachweis von Medikamenten, Drogen und Dopingsubstanzen im Urin durch spezielle diagnostische Verfahren kann als POCT durchgeführt werden. Hierfür stehen zahlreiche qualitative oder auch semiquantitative Testsysteme zur Verfügung. Jedoch können diese Untersuchungen, die beispielsweise in der Suchttherapie eingesetzt werden, durch diverse Zusätze wie Bleichmittel, Seife oder Kochsalz verfälscht werden. Beim ToxikologieScreening im Urin werden meist mehrere legale oder illegale Drogen (z. B. Opiate, Methadon, Propoxyphen, Benzodiazapin, Kokain, Amphetamine, Cannabinoide) gleichzeitig getestet. Positive Ergebnisse weisen auf einen Drogenkonsum hin; sie können nicht durch indirekten Kontakt mit illegalen
276
21
Kapitel 21 · Klinische Anwendungen von Urinschnelltests
Drogen entstehen. Viele verschreibungspflichtige und rezeptfreie Medikamente können bei diesen Tests allerdings interferieren und ein falsch-positives Ergebnis bedingen ( Kap. 19).
21.14
Humanes Choriongonadotropin (HCG)
Grundlage aller POC-Schwangerschaftstests ist der immunologische Nachweis von HCG (auch als β-HCG bezeichnet), der – bei Verwendung eines empfindlichen Tests – im konzentrierten Morgenurin etwa zum Zeitpunkt der erwarteten Regelblutung gelingen kann ( Kap. 12). Da sich die HCGProduktion des Trophoblasten alle 24–36 h verdoppelt, ist bei negativem Ergebnis u. U. ein erneuter Test nach 48 h sinnvoll. Obwohl falsch-positive Befunde selten sind, empfiehlt sich ein quantitativer Bestätigungstest im Blut, der allerdings nicht am POC, sondern nur im Labor durchgeführt werden kann.
21.15
Weitere Parameter
Seit wenigen Jahren wird ein POC-Test für die Erkennung von Blasentumoren angeboten. Mit diesem Test kann das Nuclear-Matrix-Protein 22 (NMP22) mittels eines immunologischen Assay-Systems schon in frühen Stadien des Krebses im Urin nachgewiesen werden [5]. Zahlreiche weitere Urinschnelltests werden auf dem Markt angeboten, z. B. ein Schnelltest zum HIV-Nachweis und ein weiterer, der die Belastung des Körpers mit freien Radikalen anzeigen soll [2]. Der klinische Nutzen solcher Tests ist allerdings fragwürdig.
Literatur [1] Boege F, Schmidt-Rothe H, Scherberich JE (1993) Harnwegsdiagnostik in der ärztlichen Praxis. Dtsch Ärztebl 90: A1653–1667 [2] Döll M (2003) Wie kann man eine Belastung des Körpers mit freien Radikalen festellen? In: Döll M (Hrsg) Das Antioxidantienwunder. Herbig, München, S 262–266 [3] European Confederation of Laboratory Medicine (2000) European urinalysis guidelines. Scand J Clin Lab Invest Suppl. 2000;231: 1–86
277 Literatur
21
[4] Hoffmann W, Regenbogen C, Edel H, Guder WG (1994) Diagnostics strategies in urinalysis. Kidney Int 46 (Suppl 47): 111–114 [5] Oehr P, Schroeder A (2006) Nutzen des qualitativen NMP22 BladderChek Tests für Diagnostik von Patienten mit Hämaturie und Verdacht auf Harnblasentumor: Ergebnisse einer praxisorientierten Ringstudie. Tumordiagn Ther 27: 205–210
22 Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests E. Stürenburg
22.1
Einleitung
– 280
22.2
Therapielenkung durch POCT – 283
22.3
Transmissionsprophylaxe durch POCT – 284
22.4
Nachteile – 285
22.5
Präanalytische Störgrößen und Einflussfaktoren – 285
22.6
Handhabung der POC-Tests – 286
22.7
Leistungsfähigkeit der mikrobiologischen POCT-Diagnostik – 286
22.8
Molekularbiologische (PCR-)Tests – 288
22.9
Wirtschaftlichkeit und medizinischer Nutzen – 290
22.10 Molekulares MRSA-Screening – 290 22.11 Zusammenfassung Literatur
– 291
– 292
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_22, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
280
22.1
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
Einleitung
Nachdem in den letzten Jahren v. a. klinisch-chemische Parameter (z. B. Blutglukose, Blutgase, Elektrolyte, kardiale Marker) von den Ausweitungen im POCT-Bereich profitiert haben, hält diese Form der Analytik mehr und mehr auch im Bereich der Infektiologie Einzug. In Gang gesetzt und befördert wurde dieser Trend zum einen durch methodische Verbesserungen und die dadurch ermöglichte Miniaturisierung und Vereinfachung der Testsysteme ( Kap. 11), zum anderen durch die dringlicher werdenden Forderungen vieler Ärzte nach sofort verfügbaren Testergebnissen. Mittlerweile hat das Spektrum der am POC zur Verfügung stehenden mikrobiologischer Parameter einen beachtlichen Umfang erreicht (⊡ Tab. 22.1): ▬ infektiöse Mononukleose (heterophile Antikörper) [20, 28, 34, 82], ▬ Clostridium-difficile-Toxin [59, 66, 77, 78, 86, 87], ▬ Chlamydia trachomatis [53, 68, 70, 91, 94], ▬ Legionella pneumophila [27], ▬ Streptococcus pyogenes [69], ▬ Streptococcus agalactiae [36], ▬ Pneumokokken [33, 50, 79], ▬ Neisseria gonorrhoeae [2, 8, 81, 88], ▬ Influenza A/B [74], ▬ respiratorisches Synzytialvirus [21, 40, 60, 67, 73], ▬ Rotavirus [12, 14, 55, 90], ▬ HI-Virus [15], ▬ Plasmodium falciparum [23, 30, 38, 62, 72], ▬ Shigatoxinnachweis [45, 52, 84]. In aller Regel sind mikrobiologische Tests im POCT-Format als sog. Schnelltests konzipiert. Ein solcher Test kann i. A. mit wenigen einfachen Arbeitsschritten von medizinischem Assistenzpersonal oder von Ärzten ohne Laborgeräte und Laborerfahrung durchgeführt werden. Er liefert innerhalb maximal einer Stunde, also noch am Patientenbett, ein verwertbares Testergebnis. In bestimmten Situationen ist sogar eine Anwendung durch den Patienten selbst möglich, so z. B. bei manchen HIV- oder Malariaschnelltests. Meistens werden durch die mikrobiologischen Schnelltests mikrobielle Antigene nachgewiesen. Seltener beruht die Diagnostik auf dem Nachweis von Antikörpern (z. B. beim HIV-Schnelltest oder beim Schnellnachweis von he-
281 22.1 · Einleitung
22
⊡ Tab. 22.1 Mikrobiologische immunchromatographische Schnelltests (Stand: Okt. 2011) POCT-Assay
Material
Sensitivität [%]
Spezifität [%]
Referenzmethoden innerhalb der laborgestützten Analytik
Literatur
Erregernachweis bei gastroenterologischen Erkrankungen Campylobacter-Antigen
Stuhlprobe
84–98
98–100
Bakteriologische Kultur, AG-EIA
[32, 9, 44]
Clostridium difficileAntigen
Stuhlprobe
90–100
95–100
AG-EIA, bakteriologische Kultur
[78, 77, 66]
Clostridium difficile-Toxine
Stuhlprobe
23–91
83–99
TXA, TX-EIA bakteriologische Kultur
[87, 59, 86]
E. coli Shigatoxine (EHEC)
Stuhlprobe
84–97
98–100
TXA, TX-EIA, bakteriologische Kultur, NAT
[84, 52, 45]
Helicobacter pyloriStuhlantigen
Stuhlprobe
88–91
88–96
Bakteriologische Kultur, UAT, Serologie
[4, 42, 43]
NorovirusAntigen
Stuhlprobe
57–83
98–100
NAT, AG-EIA
[18, 47, 19]
RotavirusAntigen
Stuhlprobe
70–88
93–100
NAT, AG-EIA
[14, 90, 55, 12]
Erregernachweis bei sexuell übertragbaren Erkrankungen ChlamydiatrachomatisAntigen
Urogenitale Abstriche
25–87
95–100
NAT
[53, 70, 94, 68, 91]
EpsteinBarr-VirusAntikörper
Blutprobe
78–96
98–100
Serologie
[20, 82, 34, 28]
▼
282
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
⊡ Tab. 22.1 Fortsetzung
22
POCT-Assay
Material
Sensitivität [%]
Spezifität [%]
Referenzmethoden innerhalb der laborgestützten Analytik
Literatur
GonokokkenAntigen
Urogenitale Abstriche
60–94
90–97
Bakteriologische Kultur, NAT
[2, 8, 81, 88]
Gruppe-BStreptokokken-Antigen
Urogenitale Abstriche
11–92
91–100
Bakteriologische Kultur, NAT
[36]
HI-VirusAntikörper
Blutprobe
98–100
75–100
Serologie
[15]
Erregernachweis bei Erkrankungen des Respirationstrakts Gruppe-AStreptokokken-Antigen
Rachenabstrich
64–95
95–100
Bakteriologische Kultur
[69]
Influenza-A/BVirus-Antigen
Respiratorische Sekrete
50–96
72–100
NAT, DFA, Zellkultur
[74]
LegionellapneumophilaAntigen
Urin
80
100
AG-EIA, bakteriologische Kultur
[27]
Pneumokokken-antigen
Urin
70–72
90
Bakteriologische Kultur
[33, 50, 79]
Respiratorisches Synzytialvirus Antigen
Respiratorische Sekrete
10–89
90–100
NAT, DFA, Zellkultur
[60, 21, 73, 67, 40]
Erregernachweis bei reise-/tropenmedizinischen Erkrankungen PlasmodiumfalciparumAntigen
Blutprobe
88–100
94–100
Mikroskopie eines »dicken Tropfens«
[38, 62, 30, 23, 72]
AG Antigen; DFA direkte Fluoreszenzantigenfärbung; EIA Enzymimmunoassay; NAT Nukleinsäureamplifikationstechnik (Polymerasekettenreaktion und verwandte Techniken); TXA Toxinassay, TX-EIA Toxin Enzymimmunoassay; UAT Urease-Atemtest
283 22.2 · Therapielenkung durch POCT
22
terophilen Antikörpern zur Diagnose einer infektiösen Mononukleose). Der Nachweis mikrobieller Antigene bei Atemwegsinfektionen (Influenzavirus, respiratorisches Synzytialvirus, Streptococcus pyogenes) wird häufig aus Materialien des Respirationstrakts und analog bei Darminfektionen (Helicobacter pylori, shigatoxinproduzierende E. coli, Adenoviren, Rotaviren) aus Stuhl durchgeführt, jedoch sind für Legionellen- und Pneumokokkeninfektionen auch entsprechende Tests zum Antigennachweis aus dem Urin erhältlich [27, 33, 50, 79]. Zum Antikörpernachweis (HIV, infektiöse Mononukleose) erfolgt die Testung in aller Regel aus Blut, in Sonderfällen auch aus Speichel (bei manchen HIV-Schnelltests zur Selbstanwendung) [15, 20, 28, 34, 82].
22.2
Therapielenkung durch POCT
Eine Indikation zur POC-Testung besteht aus der Sicht des Infektiologen immer dann, wenn eine vital bedrohliche Infektion vorliegt, deren Behandlung unverzüglich und zielgerichtet erfolgen muss. Hier kann ein POC-Test seinen Zeitvorteil gegenüber der herkömmlichen Diagnostik voll ausspielen: Die Gesamtanalysezeit der mikrobiologischen Schnelltests beträgt häufig nur 15–30 min. Selbst unter optimalen Bedingungen kann eine im Zentrallabor durchgeführte Analytik hiermit nicht konkurrieren, denn meist – außer in Krankenhauslaboratorien – benötigt allein der Transport der Proben zum Labor mindestens 1–2 h. Hinzu kommen die eigentliche Analysezeit inklusive der damit verbundenen Vorbereitungen (Pipettieren, Inkubieren u. a.) sowie die Rücklaufzeit des Befunds zum einsendenden Arzt. Auf diese Weise kommen selbst bei als dringlich gekennzeichneten Anforderungen schnell Gesamtanalysezeiten von 1–2 Tagen zustande. Die Situationen, in denen sich ein solcher Zeitgewinn günstig auf das Ergebnis der therapeutischen Bemühungen auswirkt, sind in der Infektiologie zahlreich und besonders für die Intensivmedizin inzwischen überzeugend dokumentiert. So konnten etwa Kumar et al. [49] zeigen, dass die Überlebensrate von Sepsispatienten auf der Intensivstation direkt mit einer frühen und klinisch wirksamen antibiotischen Initialtherapie korreliert. Vergehen bis zum Therapiebeginn mehr als 2 h, sinkt die Überlebensrate bereits auf <60 %. Aber nicht nur Therapieentscheidungen bei vital bedrohlichen oder hochakuten Infektionen wie der Sepsis, sondern generell Entscheidungen, die innerhalb eines engen Zeitfensters getroffen werden müssen, werden
284
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
durch das POCT deutlich erleichtert. HIV-Schnelltests beispielsweise sind durch das sofort verfügbare Testergebnis hilfreich, um bei Entbindungen oder beruflich HIV-exponierten Personen Entscheidungen über eine antiretrovirale Prophylaxe zu treffen [15]. Eine ähnliche Situation liegt beim intrapartalen Nachweis von Gruppe-B-Streptokokken bei der Gebärenden oder beim Plasmodiennachweis u. a. im Rahmen der Patientenselbsttestung bei Malariaverdacht vor. Auch hier kann die Anwesenheit des Erregers durch einen Antigentest unmittelbar bestimmt und die Erkrankung durch eine frühzeitige zielgerichtete antimikrobielle Therapie abgemildert oder sogar verhindert werden. Nützlich ist das POCT auch für die Steuerung der Therapie von Virusinfektionen. So ist bei der Influenza die Effektivität einer Gabe von Zanamivir oder Oseltamivir davon abhängig, dass diese spätestens 36–48 h nach Beginn der Symptomatik erfolgt [56]. Ähnliches gilt für das respiratorische Synzytialvirus (RSV). Studien haben gezeigt, dass eine Therapie mit Ribavirin bei einer RSV-Bronchopneumonie nur dann erfolgreich ist, wenn diese rechtzeitig beginnt [1].
22.3
Transmissionsprophylaxe durch POCT
Neben seiner Rolle als Entscheidungshilfe für den individuellen Patienten zielt das POCT auf die Verhütung einer Infektionsverbreitung ab (Transmissionsprophylaxe). Hierzu zählen nicht nur Situationen im Krankenhaus, in denen die Gefahr besteht, dass sich ein unentdeckter Erreger von Patient zu Patient weiterverbreitet, sondern auch solche Konstellationen, bei denen von ambulanten Patienten ein Übertragungsrisiko ausgeht. Man weiß beispielsweise recht gut, dass ein hoher Prozentsatz der Patienten, die sich in einer HIV- oder Geschlechtskrankheitenambulanz vorstellen, nicht zur vereinbarten Wiedervorstellung erscheinen – meist aus Angst vor einer ungünstigen Diagnose [83]. Ein derartiges Vermeidungsverhalten ist zwar verständlich, jedoch insofern problematisch, als dass es sich bei den mitzuteilenden Testergebnissen meist um Infektionen (HIV-Infektion, Gonorrhö oder Chlamydieninfektion) mit weitreichenden Folgen für den Patienten selbst und seine Intimpartner handelt. Zahlen aus den USA verdeutlichen die Dimension dieses Problems: In der Studie einer HIV-Ambulanz erschienen mehr als ein Viertel jener 68.000 Ratsuchenden, bei denen ein herkömmlicher HIV-Test durchgeführt wurde, nicht zum vereinbarten Termin nach 2 Wochen, um das Testergebnis zu erfahren. Anders war die
285 22.5 · Präanalytische Störgrößen
22
Situation beim Einsatz eines HIV-Schnelltests: Nur 2,3 % jener 33.000 Personen mit Schnelltest verließen die Ambulanz, bevor sie das Ergebnis erhielten [89].
22.4
Nachteile
Die für die Infektiologie spezifischen Nachteile umfassen v. a. ein erhöhtes Infektionsrisiko für den Untersucher. Dieses ist grundsätzlich nicht gänzlich vermeidbar, da der Durchführende ja unmittelbar mit der potenziell erregerhaltigen Patientenprobe (respiratorische Sekrete, Stuhl, Urin, Blut) in Kontakt ist, wenn er mit dem jeweiligen Testsystem arbeitet. Die üblichen Schnelltests sind zudem nicht in der Lage, evtl. vorhandene Antibiotikaresistenzen zu erkennen. Damit fehlt u. U. nicht nur eine wichtige Information über die möglichen Therapieoptionen – auch epidemiologische Verschiebungen in Richtung resistenter Bakterienstämme fallen nicht mehr oder erst später auf.
22.5
Präanalytische Störgrößen und Einflussfaktoren
Grundsätzlich unterliegen mikrobiologische Schnelltests – wie jedes andere Messverfahren auch – einer Vielzahl von präanalytischen (und analytischen) Stör- und Einflussgrößen, die zu einer Verschlechterung der diagnostischen Aussage führen können. Die Problematik lässt sich am Beispiel des Influenzaschnelltests gut verdeutlichen [74]. Einen wichtigen Einfluss haben ▬ die Wahl des Untersuchungsmaterials und des Entnahmeorts (Nasenspülungen sind besser geeignet als Rachenabstriche), ▬ das Entnahmebesteck (Tupfer mit Gel sind generell schlechter geeignet als solche ohne), sowie ▬ das Verhalten des Patienten unmittelbar vor der Testung (die nachweisbare Virusmenge sinkt, wenn der Patient vorher gegessen, getrunken oder gegurgelt hat). Weitere Einflussfaktoren sind der Entnahmezeitpunkt nach Krankheitsbeginn (am günstigsten sind die ersten 2–3 Tage, danach sinkt die Virusausscheidung schnell ab) und die Population, innerhalb derer der Test durchgeführt wird (Kinder haben eine höhere Influenzaausscheidung als Erwach-
286
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
sene). Ähnliche Störgrößen und Einflussfaktoren existieren analog auch für die anderen Schnelltests.
22 22.6
Handhabung der POC-Tests
Die Tatsache, dass viele mikrobiologische Schnelltests in scheinbar einfach zu bedienenden Formaten (z. B. Teststreifen, Testkassetten oder Testkartuschen) und mit fertig abgepackten Reagenzien für den Einmalgebrauch (»single-use devices«) vorliegen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Handhabung der Tests und besonders auch die Probenentnahme durchaus Schwierigkeiten bereiten können. Beispielsweise haben die Evaluationsstudien der Streptokokkenschnelltests recht deutlich gezeigt, dass das Ergebnis der Testung in seiner Qualität und Zuverlässigkeit ganz wesentlich vom Training und vom Erfahrungsstand desjenigen abhängt, der den Rachenabstrich entnimmt oder den Schnelltest durchführt. Zudem haben einige der Streptokokkenschnelltests relativ subjektive Ablesungsendpunkte, sodass Interpretationsfehler gehäuft auftreten können [69].
22.7
Leistungsfähigkeit der mikrobiologischen POCT-Diagnostik
Die POCT-Verfahren wurden in den vergangenen 10–15 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert. Die Tests beruhen heutzutage in der Mehrheit auf dem Prinzip der Immunchromatographie ( Kap. 11) und weisen zumeist eine mäßige bis gute Sensitivität (70–90 %) sowie eine relativ hohe Spezifität (>95 %) auf (⊡ Abb. 22.1). Ausnahmsweise (z. B. beim HIV-Schnelltest) können mit den derzeit gängigen POCT-Verfahren sogar Resultate erzielt werden, die so sicher sind wie die der konventionellen Diagnostik. Bei einigen POCT-Verfahren addiert sich zu den evtl. vorhandenen Sensitivitätseinschränkungen die Besonderheit, dass der nachzuweisende Erreger (etwa Influenzaviren, RSV, Rotaviren, Noroviren, oder Adenoviren) einen ausgeprägten Saisonalverlauf zeigt. Dass dies einen erheblichen Einfluss auf den klinischen Stellenwert des betrachteten Testverfahrens hat, lässt sich am Beispiel eines immunchromatographischen Influenzaschnelltests zeigen (⊡ Abb. 22.1). Bei einer niedrigen Prävalenz (im gewählten Beispiel 2,5 %), wie sie etwa zu Beginn einer saisonalen Grippewelle zu erwarten ist, ist trotz guter Sensitivität
22
287 22.7 · Leistungsfähigkeit
Prävalenz: 2,5 %
Sensitivität: 80 %
Spezifität: 95 %
Negative
Positive
926 Negativ
Prävalenz: 10 %
Sensitivität: 80 %
49
PVW = NVW =
Positive Positive + Falsch-positive Negative Negative + Falsch-negative
5
ICG
Spezifität: 95 % Positive
900
Negativ
20
Falsch Positiv Falsch positiv negativ
Negative
855
Tatsächliche Ergebnisse
25
975
100 45
80
Tatsächliche Ergebnisse 20 ICG
Falsch Positiv Falsch negativ positiv 2,5 %: 29 %;
10 %: 64 %
2,5 %: 99 %;
10 %: 98 %
⊡ Abb. 22.1 Zusammenhang zwischen Prävalenz (2,5 % vs. 10 %), Testsystemsensitivität und -spezifität, negativem Vorhersagewert (NVW) und positivem Vorhersagewert (PVW) am Beispiel eines fiktiven Influenzaschnelltests auf Basis der Immunchromatographie (ICG)
(im Beispiel 80 %) und sehr guter Spezifität (95 %) der negative Vorhersagewert (99 %) sehr viel höher anzusetzen als der positive Vorhersagewert (29 %), da der Schnelltest in dieser Situation häufiger falsch-positiv (49-mal) als richtig-positiv (20-mal) reagiert. Erst mit einer Prävalenzsteigerung auf 10 %, wie sie im Rahmen einer starken Grippewelle durchaus vorkommen kann, bessert sich die Situation für den positiven Vorhersagewert (64 %). Die hier für die Influenza gezeigten biostatistischen Zusammenhänge gelten natürlich auch für andere Infektionskrankheiten, die saisonalen Schwankungen unterliegen, und bedeuten letztlich, dass es besonders zu Beginn eines Ausbruchs aufgrund der noch niedrigen Prävalenzen bei Verfahren mit eingeschränkter Sensitivität durchaus zu Fehleinschätzungen kommen kann [29]. Dies gilt es beim POCT-Gebrauch zu berücksichtigen.
288
22.8
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
Molekularbiologische (PCR-)Tests
Für die immunologische Testung gibt es einige Limitationen. Besonders Besiedlungszustände auf den Schleimhäuten, die mit niedrigen Keimzahlen (z. B. Gruppe B-Streptokokken in der Vagina) einhergehen, oder intrazelluläre Erreger (z. B. Chlamydien im Cervixabstrich) bereiten Schwierigkeiten, da die freigesetzten Mengen an mikrobiellen Antigenen oftmals nur gering sind. Um auch solche Erreger erfassen zu können, mussten neue Testkonzepte entwickelt werden. Aufgrund der benötigten analytischen Sensitivität wurden hierfür die empfindlichen PCR-Methoden als Technik-Plattform herangezogen und in Richtung auf Schnelligkeit und leichte Bedienbarkeit weiterentwickelt. Eine wichtige Innovation stellt die Entwicklung von PCR-Vollautomaten und gebrauchsfertigen, mit Reagenzien vorbeschickten Einzeltest-Kartuschen dar, in denen sämtliche PCR-Schritte (Probenaufschluss, Amplifikation und Detektion) nacheinander und ohne weiteres manuelles Eingreifen ablaufen. Den Maßstab am Markt setzt derzeit das GeneXpert-System der Firma Cepheid ( Kap. 11). Die Testdurchführung an diesem PCR-Vollautomaten ist so einfach, dass ein Einsatz außerhalb des Labors und eine Bedienung durch angelerntes Personal in einem patientennahen Umfeld möglich scheint. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat für den GeneXpert eine Zulassung als Schnelltest-Verfahren nach den CLIA Kriterien erteilt. Vorerst wird die Technik allerdings in der Kategorie »moderate complex« geführt, die akkreditierten Laboratorien vorbehalten ist; eine Einstufung als »CLIA waived«, d. h. ohne einen Laboratoriumsvorbehalt, steht derzeit noch aus. Neben der primären Funktion des Erreger-Nachweises ist mit der PCR auch die Simultananalyse von Resistenzdeterminanten oder Virulenzfaktoren möglich. Durch die Analysen-Kopplung (in der Multiplex-Technik) können auch komplexere Fragestellungen (z. B. Nachweis von S. aureus plus Erfassung der Methicillin-Resistenz (mecA); Erfassung von zwei Determinanten (vanA und vanB der Vancomycin-Resistenz bei Enterokokken; Nachweis von Clostridium difficile Toxin B plus Erfassung des binären Toxins sowie der tcdC Deletion zur Detektion hochvirulenter Varianten; Nachweis von Mycobacterium tuberculosis plus Erfassung der Rifampicin-Resistenz (rpo) zur Erkennung multiresistenter Tuberkulosestämme; Simultannachweis von Influenza A, A/H1N1 »neue Grippe« und Influenza B) in einem einzelnen PCR-Testlauf abgearbeitet werden. Eine Übersicht über die in Deutschland zurzeit erhältlichen Kartuschen für PCR-Vollautomaten liefert ⊡ Tab. 22.2.
22
289 22.8 · Molekularbiologische (PCR-)Tests
⊡ Tab. 22.2 In Deutschland erhältliche Kartuschen für den GeneXpert (Stand 2011) Zielorganismus
Nachweis von (Zielgene)
Matrix
Zeitbedarf (min)
Literatur
Streptokokken
Gruppe B Streptokokken
Vaginal-/Rektalabstrich
52
[26, 25]
Enteroviren
Enteroviren
Liquor
150
[65, 75, 54, 76, 48]
Influenzaviren
A/H1N1 »Neue Grippe« + Influenza A, B
Nasen-/Rachenabstrich
77
[39, 71]
Enterokokken
Vancomycin-Resistenz (vanA/B)
Rektalabstrich
47
[24, 13]
M. tuberculosis
M. tuberculosis + Rifampicin-Resistenz (rpo)
Respiratorische Sekrete
117
[11, 35, 61]
C. difficile
Toxin B + binäres Toxin + tcdCDeletion
Stuhlprobe
47
[6, 85, 51, 31, 57, 37]
S. aureus
MRSA (mecA) + SA (spa, SCCmec)
Blutkultur
66
[17, 3, 58, 22, 16, 5, 46, 63, 64, 92, 93]
S. aureus
MRSA (mecA) + SA (spa, SCCmec)
Nasenabstrich
71
[17, 3, 58, 22, 16, 5, 46, 63, 64, 92, 93]
S. aureus
MRSA (mecA) + SA (spa, SCCmec)
Abstrich Wunde, Abstrich Haut
66
[17, 3, 58, 22, 16, 5, 46, 63, 64, 92, 93]
S. aureus
MRSA (mecA)
Nasenabstrich
69
[17, 3, 58, 22, 16, 5, 46, 63, 64, 92, 93]
C. difficile Clostridium difficile; MRSA Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus; M. tuberculosis Mycobacterium tuberculosis; S. aureus (SA) Staphylococcus aureus
290
22.9
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
Wirtschaftlichkeit und medizinischer Nutzen
Ein Punkt, der den meisten (auch nicht mikrobiologischen) POCT-Verfahren zum Nachteil gereicht, was daher immer wieder kritisch angemerkt wird, sind die mit den neuen Systemen verbundenen Zusatzkosten [41]. Selbst wenn man unterstellt, dass durch patientennahe Diagnostik laborseitig Untersuchungen und damit auch Kosten eingespart werden, sind die POCT-Verfahren im Allgemeinen, besonders aber die Molekulartests, deutlich teurer als die herkömmlichen (Labor-)Tests. Darüber hinaus kann für Mitarbeiter, die vorher nicht mit diagnostischen Aufgaben betraut waren, zusätzliche Arbeit anfallen, die gegebenenfalls im Stellenplan berücksichtigt werden muss [41]. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit die patientennahe Durchführung mikrobiologischer Analytik auch tatsächlich einen Mehrwert darstellt, der die zusätzlichen finanziellen Aufwendungen rechtfertigt. Umfassende Analysen zu diesem Thema sind bislang nur vereinzelt zu finden, und wenn es sie gibt, bilden sie oftmals nur Teilaspekte ab. Die Schwierigkeit liegt zumeist darin, dass die Problematik der Wirtschaftlichkeit und des medizinischen Nutzens einer patientennahen Testdurchführung vielschichtig ist und sämtliche Aspekte darüber hinaus eng miteinander verknüpft sind. Eine globale Beantwortung dieser Frage ist deshalb nicht möglich, eine gut begründete Einschätzung hängt vielmehr von Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Hinzu kommt, dass viele im Ausland erhobene Studiendaten nicht ohne Weiteres auf die Situation in Deutschland übertragbar sind, da die hiesigen Krankenhäuser gegenüber den Krankenkassen nach dem German-DRG-System abrechnen.
22.10
Molekulares MRSA-Screening
Ein genauerer Blick auf die Problematik des molekularen MRSA-Screenings mag das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit einerseits und medizinischen Nutzen andererseits exemplarisch verdeutlichen [80]. Besser und schneller als viele Routine-Kulturverfahren sind die modernen PCR-Tests in der Lage, das Vorhandensein einer nasalen MRSA-Besiedlung nachzuweisen. Unstrittig ist: Je schneller nach Erhebung eines positiven MRSA-Status Hygienemaßnahmen ergriffen werden, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Übertragung auf andere Patienten kommt [80].
291 22.11 · Zusammenfassung
22
Setzt man die Sachkosten von MRSA-Kultur (ca. 3–5 €; bei positivem Befund ca. 10–15 €) und PCR (Einzeltestkartusche ca. 30–40 €) in Relation zueinander, so dürfte die PCR mindestens um den Faktor 2–3 teurer sein als das kulturelle Verfahren. Betrachtet man den Zusatzaufwand für die PCRDurchführung allerdings vor dem Hintergrund, dass jede MRSA-Übertragung, die durch rechtzeitige Erkennung verhindert wird, der Klinik mehrere Tausend Euro an Mehrkosten spart, wendet sich das Kostenverhältnis zugunsten der PCR. Selbst eine erfolgreiche Kodierung in der Systematik der DRG-Fallpauschalen könnte die von einer MRSA-Übertragung verursachten Mehrkosten nur teilweise ausgleichen, und abgesehen davon bedeutet jeder vermeidbare MRSA-Fall einen potenziellen Imageverlust, den die meisten Kliniken aus nachvollziehbaren Gründen (z. B. Angst vor Erlösausfällen durch Nicht-Einweisung) unbedingt zu vermeiden suchen [80]. Da aus finanziellen Gründen ein Screening aller Patienten eines Krankenhauses nicht darstellbar ist, konzentriert sich die Kosten-Nutzen-Betrachtung letztlich auf die Frage, für welche Gruppe von Patienten sich der Aufwand lohnt, durch eine PCR-gestützte Analytik besonders schnell den MRSA-Status zu erheben, und für welche andere Gruppe möglicherweise ein kulturelles Screening ausreicht. Eine abschließende Antwort auf diese Frage (z. B. in Form größerer Metaanalysen) gibt es derzeit noch nicht, jedoch lässt sich anhand der bislang publizierten Daten wenigstens vermuten, dass nur bei Patienten mit einem besonders hohen MRSA-Risiko bzw. in Bereichen mit einer hohen MRSA- Prävalenz der Nutzen eines molekularen MRSA-Screenings die Kosten überwiegt [80]. Deutsche Krankenhäuser sind momentan allerdings noch zögerlich: Solange allgemeinverbindliche Empfehlungen (z. B. des Robert Koch-Instituts, Berlin) zu den molekularbiologischen Tests fehlen, wird die MRSA-PCR angesichts der hohen Kosten und aufgrund organisatorischer Hemmnisse (fehlende gut funktionierende Hygienestrukturen) entweder gar nicht oder nur in ausgewählten Fragestellungen (meist zur schnellen Steuerung der Bettenkapazität) durchgeführt.
22.11
Zusammenfassung
Die Palette der diagnostischen Möglichkeiten innerhalb der Infektiologie hat sich mit den derzeit verfügbaren mikrobiologischen Schnelltests entscheidend erweitert. Viele Schnelltests sind zur raschen Orientierung und für
292
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
die Entscheidung zu einer frühzeitigen Therapie sowie zur schnellen Aufdeckung von Infektketten außerordentlich hilfreich. Ein Ergebnis muss jedoch immer in Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik und der aktuellen epidemiologischen Situation gesehen und interpretiert werden. Entscheidende Voraussetzungen für eine zuverlässige Testaussage sind die korrekte Handhabung der POCT-Systeme und die strikte Berücksichtigung präanalytischer Limitationen. Mit der Weiterentwicklung der PCR-Technik sind weitere Erregernachweise und infektiologische Fragestellungen einer patientennahen Testung zugänglich geworden. Für welche Patienten die molekularbiologischen Tests medizinisch und wirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden können, ist momentan noch nicht abschließend geklärt – diese Frage bedarf weiterer wissenschaftlicher Beobachtung.
Literatur [1] Adcock PM, Stout GG, Hauck MA et al. (1997) Effect of rapid viral diagnosis on the management of children hospitalized with lower respiratory tract infection. Pediatr Infect Dis 16: 842–846 [2] Alary M, Gbenafa-Agossa C, Agina G et al. (2006) Evaluation of a rapid point-of-care test for the detection of gonococcal infection among female sex workers in Benin. Sex Transm Infect 82 (Suppl 5): v29–v32 [3] Andersen BM, Tollefsen T, Seljordslia B, Hochlin K, Syversen G, Jonassen TØ et al. (2010) Rapid MRSA test in exposed persons: costs and savings in hospitals. J Infect;60: 293–9 [4] Antos D, Crone J, Konstantopoulos N, Koletzko S (2005). Evaluation of a novel rapid onestep Immunochromatographic assay for detection of monoclonal Helicobacter pylori antigen in stool samples from children. J Clin Microbiol 43: 2598–2601 [5] Awad SS, Palacio CH, Subramanian A, Byers PA, Abraham P, Lewis DA et al. (2009) Implementation of a methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) prevention bundle results in decreased MRSA surgical site infections. Am J Surg;198: 607–10 [6] Babady NE, Stiles J, Ruggiero P, Khosa P, Huang D, Shuptar S (2010) Evaluation of the Cepheid Xpert Clostridium difficile Epi assay for diagnosis of Clostridium difficile infection and typing of the NAP1 strain at a cancer hospital. J Clin Microbiol;48: 4519–24 [7] Banada PP, Sivasubramani SK, Blakemore R, Boehme C, Perkins MD, Fennelly K et al. (2010) Containment of bioaerosol infection risk by the Xpert MTB/RIF assay and its applicability to point-of-care settings. J Clin Microbiol;48: 3551–7 [8] Benzaken AS, Galban ES, Atunes W, Dutra JC et al. (2006) Diagnosis of gonococcal infection in high risk women using a rapid test. Sex Transm Infect 82 (Suppl 5): v26–v28 [9] Bessède E, Delcamp A, Sifré E, Buissonnière A, Mégraud F (2011). New methods for detection of campylobacters in stool samples in comparison to culture. J Clin Microbiol 49: 941–4
293 Literatur
22
[10] Blakemore R, Story E, Helb D, Kop J, Banada P, Owens MR et al. (2010) Evaluation of the analytical performance of the Xpert MTB/RIF assay. J Clin Microbiol;48: 2495–501 [11] Boehme CC, Nabeta P, Hillemann D, Nicol MP, Shenai S, Krapp F et al. (2010) Rapid molecular detection of tuberculosis and rifampin resistance. N Engl J Med;363: 1005–15 [12] Bon F, Kaplon J, Metzger MH, Pothier P (2007) Evaluation of seven immunochromatographic assays for the rapid detection of human rotaviruses in fecal specimens. Pathol Biol (Paris) 55: 149–153 [13] Bourdon N, Bérenger R, Lepoultier R, Mouet A, Lesteven C, Borgey F et al. (2010) Rapid detection of vancomycin-resistant enterococci from rectal swabs by the Cepheid Xpert vanA/vanB assay. Diagn Microbiol Infect Dis;67: 291–3 [14] Brandt CD, Arndt CW, Evans GL et al. (1987) Evaluation of a latex test for rotavirus detection. J Clin Microbiol 25: 8000–8002 [15] Branson BM (2003) Point-of-care rapid tests for HIV antibody. J Lab Med 27: 288–295 [16] Brenwald NP, Baker N, Oppenheim B (2010) Feasibility study of a real-time PCR test for meticillin-resistant Staphylococcus aureus in a point of care setting. J Hosp Infect;74: 245–9 [17] Brown J, Paladino JA (2010) Impact of rapid methicillin-resistant Staphylococcus aureus polymerase chain reaction testing on mortality and cost effectiveness in hospitalized patients with bacteraemia: a decision model. Pharmacoeconomics;28: 567–75 [18] Bruggink LD, Witlox KJ, Sameer R, Catton MG, Marshall JA (2011). Evaluation of the RIDA(®)QUICK immunochromatographic norovirus detection assay using specimens from Australian gastroenteritis incidents. J Virol Methods 173: 121–6 [19] Bruins MJ, Wolfhagen MJ, Schirm J, Ruijs GJ (2010). Evaluation of a rapid immunochromatographic test for the detection of norovirus in stool samples. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 29: 741–3 [20] Bruu AL, Hjetland R, Holter E et al. (2000) Evaluation of 12 commercial tests for detection of Epstein-Barr virus-specific and heterophile antibodies. Clin Diagn Lab Immunol 7: 451–456 [21] Casiano-Colon AE, Hulbert BB, Mayer TK, Walsh EE, Falsey AR (2003) Lack of sensitivity of rapid antigen tests for the diagnosis of respiratory syncytial virus infection in adults. J Clin Virol 28: 169–174 [22] Creamer E, Dolan A, Sherlock O, Thomas T, Walsh J, Moore J et al. (2010) The effect of rapid screening for methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) on the identification and earlier isolation of MRSA-positive patients. Infect Control Hosp Epidemiol;31: 374–81 [23] Cruciani M, Nardi S, Malena M, Bosco O, Serpelloni G, Mengoli C (2004) Systematic review of the accuracy of the ParaSight-F test in the diagnosis of Plasmodium falciparum malaria. Med Sci Monit 10: MT81–MT88 [24] Dekeyser S, Beclin E, Descamps D (2010) Implementation of vanA and vanB genes by PCR technique research interest in system (Xpert vanA/vanB CepheidR) closed in a laboratory of microbiology in managing an outbreak to Enterococcus faecium resistant glycopeptide (EfRG). Pathol Biol (Paris). 2010 Sep 9 [25] Edwards RK, Novak-Weekley SM, Koty PP, Davis T, Leeds LJ, Jordan JA (2008) Rapid group B streptococci screening using a real-time polymerase chain reaction assay. Obstet Gynecol;111: 1335–41
294
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
[26] El Helali N, Nguyen JC, Ly A, Giovangrandi Y, Trinquart L (2009) Diagnostic accuracy of a rapid real-time polymerase chain reaction assay for universal intrapartum group B streptococcus screening. Clin Infect Dis;49: 417–23 [27] Ewig S, Tuschy P, Fätkenheuer G (2002) Diagnosis and treatment of Legionella pneumonia. Pneumologie 56: 695–703 [28] Farhat SE, Finn S, Chua R et al. (1993) Rapid detection of infectious mononucleosisassociated heterophile antibodies by a novel immunochromatographic assay and a latex agglutination test. J Clin Microbiol 31: 1597–1600 [29] Friedewald S, Finke EJ, Dobler G (2006) Near patient testing in exceptional situations. J Lab Med 30: 211–218 [30] Gatti S, Gramegna M, Bisoffi Z et al. (2007) A comparison of three diagnostic techniques for malaria: a rapid diagnostic test (NOW Malaria), PCR and microscopy. Ann Trop Med Parasitol 101: 195–204 [31] Goldenberg SD, Dieringer T, French GL (2010) Detection of toxigenic Clostridium difficile in diarrheal stools by rapid real-time polymerase chain reaction. Diagn Microbiol Infect Dis;67: 304–7 [32] Granato PA, Chen L, Holiday I, Rawling RA, Novak-Weekley SM, Quinlan T, Musser KA (2010). Comparison of premier CAMPY enzyme immunoassay (EIA), ProSpecT Campylobacter EIA, and ImmunoCard STAT! CAMPY tests with culture for laboratory diagnosis of Campylobacter enteric infections. J Clin Microbiol 48: 4022–7 [33] Gutiérrez F, Masiá M, Rodriguez JC et al. (2003) Evaluation of the immunochromatographic Binax NOW assay for detection of Streptococcus pneumoniae urinary antigen in a prospective study of community-acquired pneumonia in Spain. Clin Infect Dis 36: 286–292 [34] Gutierrez J, Rodriquez M, Maroto C, Piedrola G (1997) Reliability of four methods for the diagnosis of acute infection by Epstein-Barr virus. J Clin Lab Anal 11: 78–81 [35] Helb D, Jones M, Story E, Boehme C, Wallace E, Ho K et al. (2010) Rapid detection of Mycobacterium tuberculosis and rifampin resistance by use of on-demand, near-patient technology. J Clin Microbiol;48: 229–37 [36] Honest H, Sharma S, Khan KS (2006) Rapid tests for group B streptococcus colonization in laboring women: a systematic review. Pediatrics 117: 1055–1066 [37] Huang H, Weintraub A, Fang H, Nord CE (2009) Comparison of a commercial multiplex real-time PCR to the cell cytotoxicity neutralization assay for diagnosis of clostridium difficile infections. J Clin Microbiol;47: 3729–31 [38] Iqbal J, Khalid N, Hira PR (2002) Comparison of two commercial assays with expert microscopy for confirmation of symptomatically diagnosed malaria. J Clin Microbiol 40: 4675–4678 [39] Jenny SL, Hu Y, Overduin P, Meijer A (2010) Evaluation of the Xpert Flu A Panel nucleic acid amplification-based point-of-care test for influenza A virus detection and pandemic H1 subtyping. J Clin Virol;49: 85–9 [40] Jonathan N (2006) Diagnostic utility of BINAX NOW RSV – an evaluation of the diagnostic performance of BINAX NOW RSV in comparison with cell culture and direct immunofluorescence. Ann Clin Microbiol Antimicrob 5: 13 [41] Junker R, Schlebusch H, Luppa PB (2010) Point-of-care testing in hospitals and primary care. Dtsch Arztebl Int;107: 561–7
295 Literatur
22
[42] Kalach N, Nguyen VB, Bergeret M, Boutros N, Dupont C, Raymond J (2005). Usefulness and influence of age of a novel rapid monoclonal enzyme immunoassay stool antigen for the diagnosis of Helicobacter pylori infection in children. Diagn Microbiol Infect Dis 52:157–60 [43] Kato S, Ozawa K, Okuda M, Nakayama Y, Yoshimura N, Konno M, Minoura T, Linuma K; Japan Pediatric Helicobacter Study Group (2004). Multicenter comparison of rapid lateral flow stool antigen immunoassay and stool antigen enzyme immunoassay for the diagnosis of Helicobacter pylori infection in children. Helicobacter 9: 669–73 [44] Kawatsu K, Kumeda Y, Taguchi M, Yamazaki-Matsune W, Kanki M, Inoue K (2008). Development and evaluation of immunochromatographic assay for simple and rapid detection of Campylobacter jejuni and Campylobacter coli in human stool specimens. J Clin Microbiol 46: 1226–31 [45] Kehl KS, Havens P, Behnke CE, Acheson DW (1997) Evaluation of the premier EHEC assay for detection of Shiga toxin-producing Escherichia coli. J Clin Microbiol 35: 2051–2054 [46] Kelley PG, Grabsch EA, Howden BP, Gao W, Grayson ML (2009) Comparison of the Xpert methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) assay, BD GeneOhm MRSA assay, and culture for detection of nasal and cutaneous groin colonization by MRSA. J Clin Microbiol;47: 3769–72 [47] Kirby A, Gurgel RQ, Dove W, Vieira SC, Cunliffe NA, Cuevas LE (2010). An evaluation of the RIDASCREEN and IDEIA enzyme immunoassays and the RIDAQUICK immunochromatographic test for the detection of norovirus in faecal specimens. J Clin Virol 49: 254–7 [48] Kost CB, Rogers B, Oberste MS, Robinson C, Eaves BL, Leos K (2007) Multicenter beta trial of the GeneXpert enterovirus assay. J Clin Microbiol;45: 1081–6 [49] Kumar A, Roberts D, Wood KE et al. (2006) Duration of hypotension before initiation of effective antimicrobial therapy is the critical determinant of survival in human septic shock. Crit Care Med 34: 1589–1596 [50] Lasocki S, Scanvic A, LeTurdu F et al. (2006) Evaluation of the Binax NOW Streptococcus pneumoniae urinary antigen assay in intensive care patients hospitalized for pneumonia. Intensive Care Med 32: 1766–1772 [51] Luo RF, Banaei N (2010) Is repeat PCR needed for diagnosis of Clostridium difficile infection? J Clin Microbiol;48: 3738–41 [52] Mackenzie AM, Lebel P, Orrbine PC et al. (1998) Sensitivities and specificities of premier E. coli O157 and premier EHEC enzyme immunoassays for diagnosis of infection with verotxin (Shiga-like toxin)-producing Escherichia coli. The SYNSORB Pk Study investigators. J Clin Microbiol 36: 1608–1611 [53] Mahilum-Tapay L, Laitila V, Wawrzyniak JJ et al. (2007) New point of care chlamydia rapid test – bridging the gap between diagnosis and treatment: performance evaluation study. BMJ 335: 1190–1194 [54] Marlowe EM, Novak SM, Dunn JJ, Smith A, Cumpio J, Makalintal E et al. (2008) Performance of the GeneXpert enterovirus assay for detection of enteroviral RNA in cerebrospinal fluid. J Clin Virol;43: 110–3 [55] Nguyen TA, Khamrin P, Takanashi S et al. (2007) Evaluation of immunochromatography tests for detection of rotavirus and norovirus among Vietnamese children with acute gastroenteritis and the emergence of a novel norovirus GII.4 variant. J Trop Pediatr 53: 264–269
296
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
[56] Nicholson KG, Aoki FY, Osterhaus AD et al. (2000) Efficacy and safety of oseltamivir in treatment of acute influenza: a rondomized controlled trail. Neuraminidase inhibitor flu treatment investigator group. Lancet 355: 1845–1850 [57] Novak-Weekley SM, Marlowe EM, Miller JM, Cumpio J, Nomura JH, Vance PH et al. (2010) Clostridium difficile testing in the clinical laboratory by use of multiple testing algorithms. J Clin Microbiol;48: 889–93 [58] Nulens E, Descheemaeker P, Deurenberg RH, Stobberingh EE, Gordts B (2010) Contribution of two molecular assays as compared to selective culture for MRSA screening in a low MRSA prevalence population. Infection 38(2): 98–101. Epub 2010 Feb 27. Erratum in: Infection. 2010; 38(4): 345 [59] O’Connor D, Hynes P, Cormican M, Collins E, Corbett-Feeney G, Cassidy M (2001) Evaluation of methods for detection of toxins in specimens of feces submitted for diagnosis of Clostridium difficile-associated diarrhea. J Clin Microbiol 39: 2846–2849 [60] Ohm-Smith MJ, Nassos PS, Haller BL (2004) Evaluation of the Binax NOW, BD Directigen, and BD Directigen EZ assays for detection of respiratory syncytial virus. J Clin Microbiol 42: 2996–2999 [61] Pai M, Minion J, Sohn H, Zwerling A, Perkins MD (2009) Novel and improved technologies for tuberculosis diagnosis: progress and challenges. Clin Chest Med;30: 701–16,viii [62] Palmer CJ, Lindo JF, Klaskala WI et al. (1998) Evaluation of the OptiMAL test for rapid diagnosis of Plasmodium vivax and Plasmodium falciparum malaria. J Clin Microbiol 36: 203–206 [63] Parta M, Goebel M, Matloobi M, Stager C, Musher DM (2009) Identification of methicillinresistant or methicillin-susceptible Staphylococcus aureus in blood cultures and wound swabs by GeneXpert. J Clin Microbiol 2009; 47(5): 1609–10 Epub 2009 Mar 4 [64] Parta M, Goebel M, Thomas J, Matloobi M, Stager C, Musher DM (2010) Impact of an assay that enables rapid determination of Staphylococcus species and their drug susceptibility on the treatment of patients with positive blood culture results. Infect Control Hosp Epidemiol;31: 1043–8 [65] Pillet S, Billaud G, Omar S, Lina B, Pozzetto B, Schuffenecker I (2009) Multicenter evaluation of the ENTEROVIRUS R-gene real-time RT-PCR assay for the detection of enteroviruses in clinical specimens. J Clin Virol;47: 54–9 [66] Quinn CD, Sefers SE, Babiker W, He Y, Alcabasa R, Stratton CW, Carroll KC, Tang YW (2010). C. Diff Quik Chek complete enzyme immunoassay provides a reliable first-line method for detection of Clostridium difficile in stool specimens. J Clin Microbiol 48: 603–5 [67] Rahman M, Vandermause MF, Kieke BA, Belongia EA (2007) Performance of Binax NOW Flu A and B and direct fluorescent assay in comparison with a composite of viral culture or reverse transcription polymerase chain reaction for detection of influenza infection during the 2006 to 2007 season. Diagn Microbiol Infect Dis 2007 Nov 28 [Epub ahead of print] [68] Rani R, Corbitt G, Killough R, Curless E (2002) Is there any role for rapid tests for Chlamydia trachomatis? Int J STD AIDS 13: 22–24 [69] Reinert RR (2007) Rapid streptococcal antigen detection tests. J Lab Med 31: 280–293 [70] Saison F, Mahilum-Tapay L, Michel CE et al. (2007) Prevalence of Chlamydia trachomatis infection among low- and high-risk Filipino women and performance of Chlamydia rapid tests in resource-limited settings. J Clin Microbiol 45: 4011–4017
297 Literatur
22
[71] Sambol AR, Iwen PC, Pieretti M, Basu S, Levi MH, Gilonske KD et al. (2010) Validation of the Cepheid Xpert Flu A real time RT-PCR detection panel for emergency use authorization. J Clin Virol;48: 234–8 [72] Schmidt WP (2003) Malaria rapid tests – perspectives for malaria endemic and nonendemic regions. J Lab Med 296–301 [73] Schützle H, Weigl J, Puppe W, Forster J, Berner R (2008) Diagnostic performance of a rapid antigen test for RSV in comparison with a 19-valent multiplex RT-PCR ELISA in children with acute respiratory tract infections. Eur J Pediatr 167: 745–749 [74] Schweiger B (2006) Influenza rapid tests – advantages and limitations. J Lab Med 30: 219–225 [75] Sefers SE, Raymer AK, Kilby JT, Persing DH, Tang YW (2009) Prevalence and management of invalid GeneXpert enterovirus results obtained with cerebrospinal fluid samples: a 2-year study. J Clin Microbiol;47: 3008–10 [76] Seme K, Mocilnik T, Komlos KF, Doplihar A, Persing DH, Poljak M (2008) GeneXpert enterovirus assay: one-year experience in a routine laboratory setting and evaluation on three proficiency panels. J Clin Microbiol;46: 1510–3 [77] Sharp SE, Ruden LO, Pohl JC, Hatcher PA, Jayne LM, Ivie WM (2010). Evaluation of the C.Diff Quik Chek Complete Assay, a new glutamate dehydrogenase and A/B toxin combination lateral flow assay for use in rapid, simple diagnosis of clostridium difficile disease. J Clin Microbiol 48: 2082–6 [78] Shetty N, Wren MWD, Coen PG (2011). The role of glutamate dehydrogenase for the detection of Clostridium difficile in faecal samples: a meta-analysis. Journal of Hospital Infection 77: 1–6 [79] Smith MD, Derrington P, Evans R et al. (2003) Rapid diagnosis of bacteremic pneumococcal infections in adults by using the Binax NOW Streptococcus pneumoniae urinary antigen test: a prospective, controlled clinical evaluation J Clin Microbiol 41: 2810–2813 [80] Stürenburg E (2009) Rapid detection of methicillin-resistant Staphylococcus aureus directly from clinical samples: methods, effectiveness and cost considerations. Ger Med Sci;7: Doc 06 [81] Suzuki K, Matsumoto T, Murakami H, Tateda K, Ishii N, Yamaguchi K (2004) Evaluation of a rapid antigen detection test for Neisseria gonorrhoeae in urine sediment for diagnosis of gonococcal urethritis in males. J Infect Chemother 10: 208–211 [82] Svahn A, Magnusson M, Jägdahl L, Schloss L, Kahlmeter G, Linde A (1997) Evaluation of three commercial enzyme-linked immunosorbent assays and two latex agglutination assays for diagnosis of primary Epstein-Barr virus infection. J Clin Microbiol 35: 2728–2732 [83] Swain GR, McDonald RA, Pfister RJ, Gradus MS, Sedmak GV, Singh A (2004) Decision analysis: point-of-care chlamydia testing vs. laboratory-based methods. Clin Med Res 1: 29–35 [84] Teel LD, Daly JA, Jerris RC et al. (2007) Rapid detection of Shiga toxin-producing Escherichia coli by optical immunoassay. J Clin Microbiol 45: 3377–3380 [85] Tenover FC, Novak-Weekley S, Woods CW, Peterson LR, Davis T, Schreckenberger P et al. (2010) Impact of strain type on detection of toxigenic Clostridium difficile: comparison of molecular diagnostic and enzyme immunoassay approaches. J Clin Microbiol;48: 3719–24
298
22
Kapitel 22 · Klinische Anwendungen von mikrobiologischen Schnelltests
[86] van den Berg RJ, Bruijnnesteijn van Coppenraet LS, Gerritsen HJ, Endtz HP, van der Vorm ER, Kuijper EJ (2005) Prospective multicenter evaluation of a new immunoassay and realtime PCR for rapid diagnosis of Clostridium difficile-associated diarrhea in hospitalized patients. J Clin Microbiol 43: 5338–5340 [87] Vanpoucke H, De Baere T, Claeys G et al. (2001) Evaluation of six commercial assays for the rapid detection of Clostridium difficile toxin and/or antigen in stool specimens. Clin Microbiol Infect 7: 55–64 [88] Vickerman W, Peeling RW, Watts C, Mabey D (2005) Detection of gonococcal infection: pros and cons of a rapid test. Mol Diagn 9: 175–179 [89] Warpakowski A (2006) Ärztezeitung online. Schnelltest – mehr Patienten erfahren HIVStatus. Ausgabe am 21.08.2006; www.aerztezeitung.de/docs/2006/08/21/145a1102.asp [90] Weitzel T, Reither K, Mockenhaupt FP et al. (2007) Field evaluation of a rota- and adenovirus immunochromatographic assay using stool samples from children with acute diarrhea in Ghana. J Clin Microbiol 45: 2695–2697 [91] Widjaja S, Cohen S, Brady WE et al. (1999) Evaluation of a rapid assay for detection of Chlamydia trachomatis infections in outpatient clinics in South Kalimantan, Indonesia. J Clin Microbiol 37: 4183–4185 [92] Wolk DM, Picton E, Johnson D, Davis T, Pancholi P, Ginocchio CC (2009) Multicenter evaluation of the Cepheid Xpert methicillin-resistant Staphylococcus aureus (MRSA) test as a rapid screening method for detection of MRSA in nares. J Clin Microbiol;47: 758–64 [93] Wolk DM, Struelens MJ, Pancholi P, Davis T, Della-Latta P, Fuller D (2009) Rapid detection of Staphylococcus aureus and methicillin-resistant S. aureus (MRSA) in wound specimens and blood cultures: multicenter preclinical evaluation of the Cepheid Xpert MRSA/SA skin and soft tissue and blood culture assays. J Clin Microbiol;47: 823–6 [94] Yin YP, Peeling RW, Chen XS et al. (2006) Clinic-based evaluation of Clearview Chlamydia MF for detection of Chlamydia trachomatis in vaginal and cervical specimens from women at high risk in China. Sex Transm Infect 82 (Suppl 5): v33–v37
IV IV Organisatorische und allgemeine Aspekte 23
Rechtliche Aspekte von POCT – 301 D. Meyer-Lüerßen, I. Meyer-Lüerßen
24
Implementierung von POCT im Krankenhaus und ambulanten Bereich – 307 N. Gässler, P. B. Luppa, A. Pröbstl, D. Romann, H. Schlebusch
25
POCT im niedergelassenen Bereich – 323 R. Junker
26
POCT und Datenvernetzung
– 333
P. B. Luppa, C. Braun
27
Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 1 – 351 N. Gässler, G.Hafner
28
Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 2 – 359 W. von Eiff, M. Lingemann
23 Rechtliche Aspekte von POCT D. Meyer-Lüerßen, I. Meyer-Lüerßen
23.1
Medizinprodukterecht
23.2
Berechtigung zur Durchführung und rechtliche Verantwortlichkeiten – 302
23.3
Haftungsrecht – 303
23.4
Unterschiedliche Qualität von POCT und Standardlabortests? – 304 Literatur
– 302
– 305
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
302
23
Kapitel 23 · Rechtliche Aspekte von POCT
Hier sollen in Kurzform die Fragen untersucht werden, wer POC-Tests durchführen darf, ob haftungsrechtliche Besonderheiten bestehen, wenn statt eines ‘klassischen’ Labortests ein POC-Test zur Diagnosefindung oder Therapieüberwachung durchgeführt wird, und wie dies zu organisieren ist. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass POC-Tests nicht nur wie Standardlabortests der Qualitätskontrolle nach der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) unterworfen sind, sondern prinzipiell dieselben gesetzlichen Vorschriften nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) und dem Haftungsrecht gelten wie für andere Laboruntersuchungen auch.
23.1
Medizinprodukterecht
Bei Tests zur Diagnosefindung und Therapiekontrolle im humanmedizinischen Bereich handelt es sich um Medizinprodukte im Sinne des MPG. Diese Tests – In-vitro-Diagnostika nach der Definition des MPG – bedürfen einer Zulassung nach dem MPG: dokumentiert durch das auf ihnen anzubringende CE-Zeichen, mit dem die Einhaltung der Vorschriften des MPG bezüglich Sicherheit und Qualität des Produkts bestätigt wird. Verwendet ein Arzt einen solchen Test im Rahmen seiner Zweckbestimmung, setzt er einen zugelassenen, legal in den Verkehr gebrachten Test ein, für dessen etwaige Mängel der Hersteller haftet.
23.2
Berechtigung zur Durchführung und rechtliche Verantwortlichkeiten
Labortests und damit auch POC-Tests dürfen durchführen: 1. Ärzte und Naturwissenschaftler, die aufgrund ihres Hochschulabschlusses über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen, sowie Heilpraktiker (§ 10 Abs. 1 MTAG, Gesetz über technische Assistenten in der Medizin), 2. Medizinisch-technische Assistenten (§ 9 Abs. 1 MTAG), 3. Personen in einer oben genannten Ausbildung (§ 10 Abs. 1 Nrn. 2–5 MTAG),
303 23.3 · Haftungsrecht
23
4. Personen mit einer abgeschlossenen sonstigen medizinischen Ausbildung, ohne nach § 10 Abs. 1 Nr. 1–5 berechtigt zu sein, sofern die Durchführung unter Aufsicht und Verantwortung einer der unter Punkt 1 genannten Personen erfolgt. Verantwortlich für die ordnungsgemäße Durchführung des Tests ist der Vertragspartner des Patienten. Beim Arzt in eigener Praxis oder im Krankenhaus bei der Behandlung ambulanter Privatpatienten – bei stationären Patienten nur bei ausdrücklicher Vereinbarung [1, 2] oder bei persönlicher Ermächtigung durch die Kassenärztliche Vereinigung – ist dies der Arzt; bei stationären Patienten und Institutsambulanzen ist dies das Krankenhaus/der Einrichtungsträger, mit dem der Behandlungsvertrag abgeschlossen wird.
23.3
Haftungsrecht
Trotz der medizinprodukterechtlichen Verkehrsfähigkeit und damit Verwendbarkeit des Tests im Rahmen seiner Zweckbestimmung hat der Arzt immer noch zu prüfen, ob die Durchführung des Tests zum angestrebten Ziel der Diagnosefindung oder Therapieüberwachung dem Stand der Wissenschaft und Technik entspricht. Ist dies nicht der Fall und erleidet der Patient aufgrund einer fehlerhaften Diagnose oder einer falschen/falsch dosierten Therapie einen Schaden, hat der Patient einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt bzw. das Krankenhaus. Dieser wird in der Regel aus Vertrag (§ 613 bzw. §§ 631, 633 in Verbindung mit §§ 280 ff. BGB) – ein Behandlungsvertrag zwischen Arzt und/oder Krankenhaus und Patient – und Delikt (§ 823 BGB) resultieren. In beiden Fällen ist Voraussetzung, dass den Arzt ein Verschulden trifft, was Vorsatz oder Fahrlässigkeit umfasst (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Bedient der Arzt bzw. das Krankenhaus sich zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten Personals, so ist auch für deren Verschulden einzustehen (§ 278 BGB). Beim POCT wird in der Regel Pflegepersonal eingesetzt. Hier ist dafür zu sorgen, dass dieses ausreichend geschult und überwacht wird. Zudem müssen Qualitätskontrollen nach § 4a Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) erfolgen und die Regelungen der RiliBÄK eingehalten werden. Dies hat der verantwortliche Arzt/Träger sicherzustellen ( Kap. 24).
304
23
Kapitel 23 · Rechtliche Aspekte von POCT
Fahrlässig handelt nach der gesetzlichen Definition in § 276 Abs. 2 BGB derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dies ist der Fall, wenn der Stand der Wissenschaft und Technik zur Zeit der Behandlung missachtet worden ist und die in der Missachtung liegende Gefahr für den Schädiger vorhersehbar und vermeidbar war. Nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen ist der Stand der medizinischen Erkenntnisse anhand der jeweils faktisch vorhandenen personellen und sachlichen Möglichkeiten zu ermitteln – er kann nicht einheitlich bestimmt werden [1]. Bei der vertraglichen Haftung wird das Verschulden bei Vorliegen einer objektiven Pflichtwidrigkeit stets vermutet (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der behandelnde Arzt muss sich exkulpieren, d. h. ihn trifft im Fall eines Rechtsstreits die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er mit der erforderlichen Sorgfalt handelte. Bei der Haftung aus Delikt hingegen muss der Geschädigte dem Schädiger grundsätzlich nachweisen, dass dieser die Pflichtverletzung vorsätzlich oder fahrlässig begangen hat. Bedient sich der Schädiger dabei eines Dritten, kommt eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens nach § 831 BGB in Betracht.
23.4
Unterschiedliche Qualität von POCT und Standardlabortests?
Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze hat der Patient aus Behandlungsvertrag und/oder Deliktsrecht Anspruch darauf, dass ihm eine dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechende Diagnostik, hier Labordiagnostik, gewährt wird. Das bedeutet nicht eine Maximaldiagnostik, sondern eine dem ausreichenden medizinischen Standard gemäße Diagnostik, ausgerichtet an den medizinischen Erfordernissen. Dies hängt nicht von Ort und der Art der Erbringung (also per POC-Testung oder im Zentrallabor) ab. Eine Ausnahme kann nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen in Betracht kommen, wenn die Alternative lautet, gar kein Testergebnis vorliegen zu haben oder nur ein qualitativ schlechtes Ergebnis, das dennoch die Diagnosefindung fördert.
305 Literatur
23
Literatur [1] Meyer-Lüerßen D, Meyer-Lüerßen I (2006) Rechtssicherheit von Point-of-Care-Tests. J Lab Med 30: 230–233 [2] Müller Plathe O, Briedigkeit L, Schlebusch H, Ziems J (1999) Patientennahe Laboratoriumsdiagnostik (Point-of-Care Testing). II. Rechtliche Aspekte. J Lab Med 23: 600–603
24 Implementierung von POCT im Krankenhaus und ambulanten Bereich N. Gässler, P. B. Luppa, A. Pröbstl, D. Romann, H. Schlebusch
24.1
Einleitung
24.2
Beteiligte Personen und Verantwortlichkeiten – 309
24.3
Qualitätsmanagement und Aufgaben des POCT-Koordinators – 311
24.4
Pflegefachpersonal und POCT – 314
24.5
Geräteauswahl
24.6
Anwenderschulung – 317
24.7
Lagerung und Versorgung – 318
24.8
Qualitätssicherung Literatur
– 308
– 315
– 319
– 322
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
308
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
24.1
24
Einleitung
POCT wird bereits seit langem im Krankenhaus praktiziert. In Ermangelung klarer Qualitätssicherungsvorgaben war in den Zeiten vor der DRG-Fallpauschalierung die Implementierung von POCT-Verfahren allerdings am besten mit dem Begriff »Wildwuchs« zu umschreiben. Es wurden bei gleichzeitigem Bestehen eines Zentrallabors weder die verwendeten Geräte evaluiert noch die Kosten analysiert; es fehlten in nennenswertem Umfang Qualitätskontrollen, und das Pflegefachpersonal wurde selten entsprechend unterwiesen und zertifiziert. Die unbestreitbaren klinisch und labormedizinisch relevanten Vorteile der POCT-Diagnostik sind der Wegfall des Probentransports und geringere präanalytische Probleme bei instabilen Analyten, besonders aber die rasche Verfügbarkeit der Ergebnisse. Wie verschiedentlich in der Literatur dargelegt, geht der Zeitgewinn durch POCT im Krankenhaus jedoch nicht unbedingt mit medizinischen und ökonomischen Vorteilen einher [5, 8, 9, 12, 13]. Eine vorschnelle und mit der Gesamtorganisation des Krankenhauses nicht abgestimmte Einführung von POC-Testverfahren führt überdies oft zu bedeutsamen Schwachstellen [10]. ⓘ Hinweis Es ist daher notwendig, für die Implementierung von POCT in einem Krankenhaus ein integratives Konzept zu entwerfen, das unter Beteiligung des Zentrallabors die notwendigen POCT-Kenngrößen definiert, die Standorte für das POCT koordiniert und zudem durch Umsetzung der vorgeschriebenen Qualitätssicherungsmaßnahmen die Qualität des labormedizinischen Befunds sicherstellt.
Im Einzelfall muss sich dieses Konzept an der räumlichen Situation und der Ausstattung des Krankenhauses orientieren. So ist in Häusern mit modernen Rohrpost- bzw. Kassettenfördersystemen eine ausreichend kurze Bearbeitungszeit von Laboruntersuchungen seitens eines gut organisierten Zentrallabors auch in Not- und Eilfällen in der Regel gewährleistet. Eine Einführung oder Ausweitung der POCT-Diagnostik ist deshalb in diesen Häusern v. a. wegen der hohen Kosten kritisch zu hinterfragen [3, 6, 8, 11].
309 24.2 · Beteiligte Personen und Verantwortlichkeiten
24.2
24
Beteiligte Personen und Verantwortlichkeiten
Erfolgreiche Programme zum Qualitätsmanagement von POCT im Krankenhausbereich, die bereits vor mehreren Jahren begonnen wurden und auf deren kontinuierliche Weiterentwicklung wir heute zurückblicken können, gibt es in Deutschland bereits in größerer Zahl. Entsprechende Erfahrungsberichte und Ratschläge, wie diese Erfolge auch an anderen Stellen zu erzielen sind, wurden publiziert [4, 6, 7, 11, 14, 15]. Der einhellige Rat zur Bildung geeigneter Managementstrukturen ist das zentrale Fazit aller dieser Berichte. Diese Erfahrungen haben inzwischen auch Eingang in zahlreiche internationale Empfehlungen gefunden ( Kap. 32). Die Norm DIN EN ISO 22870 [2] stellt in Hinblick auf die organisatorischen Anforderungen sehr deutlich die Verantwortung des Managements für das POCT in den Mittelpunkt. Dabei wird sowohl der Leitung der Gesundheitseinrichtung als auch der Leitung des Laboratoriums eine zentrale Verantwortung übertragen. Von der Leitung des Krankenhauses wird das Festlegen der medizinischen Ziele erwartet, ebenso das Bereitstellen von räumlichen und personellen Voraussetzungen sowie der notwendigen Ressourcen für die Durchführung von POCT. Die Laborleitung ist für die Erarbeitung eines Konzepts zur Auswahl und Leistungsbewertung der POCT-Geräte sowie für die Formulierung der Qualitätsanforderungen und -ziele verantwortlich. ⓘ Hinweis Um POCT sowohl medizinisch und ökonomisch sinnvoll als auch gemäß den gesetzlichen Regelungen zur Qualitätssicherung zu organisieren, sollte die Leitung des Krankenhauses eine POCT-Kommission berufen, die von einem POCT-Koordinator geleitet wird. Diesem Gremium gehören an: ▬ POCT-Koordinator ▬ Leiter des Zentrallabors ▬ EDV-Verantwortlicher des Krankenhauses ▬ Leiter des Qualitäts- und Risikomanagements des Krankenhauses ▬ Vertreter der POCT-betreibenden Kliniken (POCT-Beauftragte) ▬ Vertreter der Pflegedirektion, der Apotheke und der Medizintechnik ▬ Vertreter der Kaufmännischen Direktion (verantwortlich für den Einkauf )
Als POCT-Koordinator wird ein qualifizierter Mitarbeiter vom Leiter des Zentrallabors benannt und von der Krankenhausleitung bestätigt. Der POCT-Koordinator handelt nach einer schriftlich niedergelegten Beschrei-
310
24
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
bung seiner Zuständigkeit und Kompetenz, die von der Klinikleitung bestätigt werden sollte. Da die Einführung des POCT- Konzepts weitreichende Wirkungen hat, wird die Mitwirkung des verantwortlichen Vertreters des Qualitäts- und Risikomanagements in der Kommission empfohlen. Der Verantwortungsbereich des Koordinators und der Kommission erstreckt sich auf die Auswahl der Geräte, die Auswahl der als POCT eingesetzten Verfahren sowie die Verantwortlichkeiten und Befugnisse der Mitarbeiter innerhalb der Kliniken bis hin zur RiliBÄK-konformen Qualitätskontrolle und den dazu notwendigen Verfahrensabläufen. Ferner muss er die vollständige Erfassung der zugelassenen Endnutzer sowie deren Aus- und regelmäßige Fortbildung organisieren. Als Beispiel für eine derartige schriftliche Bestellung sind die von der Leitung des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München festgelegten Verantwortlichkeiten im Anhang dieses Kapitels abgedruckt. Die POCT-Beauftragten der einzelnen POCT-nutzenden klinischen Bereiche sind als Zwischenglieder zwischen POCT-Koordination und den Endnutzern der POCT-Geräte sehr wichtig für das Funktionieren des Systems. Nach DIN EN ISO 22870 hat die multidisziplinäre POCT-Kommission sämtliche Entscheidungen für den Einsatz von POCT-Verfahren zu treffen und zu realisieren. Dabei müssen die klinischen Ansprüche (Indikationen) für POCT, deren finanzielle Auswirkungen (Kosten/Nutzen), die technische Durchführbarkeit (Ressourcen) sowie die Integration in die Funktionsabläufe der einzelnen Abteilungen berücksichtigt werden. Die Bewertung und die Auswahl von Geräten und Systemen für POCT sind weitere zentrale Aufgaben der Kommission. Maßgebliche Kriterien bei der Beschaffung von POCT-Geräten sind – neben den Kosten – die analytische Leistungsfähigkeit sowie die Praktikabilität und die Möglichkeit der Integration in vorhandene Datenverarbeitungssysteme. Entsprechend den administrativen Strukturen der Krankenhauseinrichtung sollten daher strategische Ausrichtung und diesbezügliche Mittelentscheidungen frühzeitig getroffen werden, um der POCT-Kommission einen planerischen und finanziellen Entscheidungsspielraum zu gewähren. Die Bildung einer POCT-Kommission erfordert von allen Beteiligten Einsicht in ihre Notwendigkeit, außerdem Engagement und Geduld, damit ein solches Gremium arbeitsfähig wird und bleibt. Eine Grundsatzentscheidung pro POCT seitens der Geschäftsleitung vereinfacht die Implementierung. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Implementierung von POCT-Verfahren nicht allein zwischen den daran interessierten klinischen Abteilungen
311 24.3 · Qualitätsmanagement und Aufgaben
24
⊡ Tab. 24.1 Unterschiedliche Aufgaben und Sichtweisen der Teilnehmer am POCTProzess Teilnehmer
Primärer Fokus
Laboratorium
Analytischer Prozess und Qualitätssicherung, Patientensicherheit
Klinik
Schnelle Ergebnisse und unkomplizierte Organisation
Medizintechnik
Ressourcen (Geräte, Verbrauchs- und Hilfsmittel) und deren Wartung
Ärztliche Leitung
Medizinisches Outcome, Patientensicherheit und -zufriedenheit, eingesetzte Ressourcen
Pflegedirektion
Integration der POCT-Analytik in vorhandene Arbeitsabläufe, Durchsetzung auf der operativen Ebene, Anwendersicht und Schulungsverantwortung
Rechenzentrum
Integration der Daten in die vorhandenen Labor- und Krankenhausinformationssysteme
Apotheke und Wirtschaftsabteilung (Einkauf )
Verbrauch von Reagenzien und Hilfsmitteln sowie assoziierte Kosten
Patienten
Positive Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie
und dem Zentrallabor besprochen werden sollte. Befriedigende Lösungen ergeben sich auf Dauer nur, wenn alle Teilnehmer am POCT-Prozess mit ihren unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen in den Entscheidungsprozess sowie in die Lösung auftretender prinzipieller Probleme und Konflikte eingebunden sind (⊡ Tab. 24.1). Die Kommission sollte nicht nur bei aktuellen Anlässen, vielmehr regelmäßig (mindestens einmal pro Jahr) tagen.
24.3
Qualitätsmanagement und Aufgaben des POCT-Koordinators
In einem Krankenhaus mit Zentrallabor sollte den einzelnen Kliniken oder klinischen Abteilungen die Möglichkeit gegeben werden, entweder POCT in Eigenregie unter voller Einhaltung der RiliBÄK selbst durchzuführen, oder
312
24
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
– was sinnvoll erscheint – die Leitung des Qualitätsmanagements durch die POCT-Koordination zu akzeptieren. In diesem Fall werden die qualitätssichernden Maßnahmen – speziell die interne Qualitätskontrolle – vom POCTKoordinator organisiert, überwacht und dokumentiert. Dadurch entfällt unter bestimmten Bedingungen die Teilnahme der einzelnen Kliniken an Ringversuchen, allerdings nur für POCT-Geräte, die Unit-use-Reagenzien verwenden und bei denen elektronische/physikalische Standards oder andere integrierte Prüfungen der Gerätefunktion verhindern, dass fehlerhafte Messergebnisse ausgegeben werden können. Alle anderen Geräte – unabhängig davon, ob sie am POC oder an anderen Stellen, z. B. im Zentrallabor, verwendet werden – unterliegen den Regelungen der RiLiBÄK 2008 [1] ( Kap. 31). Aus der RiliBÄK 2008 ergeben sich für den POCT-Koordinator umfangreiche Aufgaben: ▬ Die interne Qualitätskontrolle muss 2-mal täglich durchgeführt werden. (Ausnahme: die meisten Unit-use-Geräte.) Der POCT-Koordinator sollte dies wie bisher organisieren, überwachen und dokumentieren. Ihm sollten die Entscheidungsbefugnis und die Verantwortung für die Beschaffung und den Einsatz verschiedener Materialien zur Qualitätskontrolle übertragen werden. ▬ Die Ergebnisse der internen Qualitätskontrolle müssen retrospektiv durch Berechnung des relativen quadratischen Mittelwerts der Messabweichung ausgewertet werden. Der POCT-Koordinator sollte diese Berechnung und ihre Bewertung organisieren. ▬ Jede POCT-betreibende Organisationseinheit muss an 4 Ringversuchen pro Jahr teilnehmen (Ausnahme s.o.). Auch hier wird die organisatorische Hilfe des POCT-Koordinators benötigt. ▬ Jede POCT-betreibende Organisationseinheit benötigt ein Qualitätsmanagementhandbuch, in dem die eigenen organisatorisch-analytischen Gegebenheiten beschrieben sind. Bei der RiliBÄK-2008-konformen Erstellung dieses Handbuchs sind Anleitung und Hilfe durch den POCTKoordinator erforderlich ( Kap. 31). Nachfolgend sind weitere Verantwortlichkeiten des POCT-Koordinators aufgeführt [1]. Einige der genannten Punkte werden durch die SoftwareProgramme auf POCT-Servern ( Kap. 26) unterstützt: ▬ Räumliche Voraussetzungen. POCT-Untersuchungen müssen in Räumen und unter Umgebungsbedingungen stattfinden, in bzw. unter
313 24.3 · Qualitätsmanagement und Aufgaben
▬
▬
▬
▬
24
denen die Arbeiten ohne Beeinträchtigung der Qualität der Analytik, der Gesundheit und der Sicherheit der Mitarbeiter sowie der Patienten durchgeführt werden können. Der POCT-Koordinator hat hier ein Überwachungs- und Weisungsrecht. Er kann nach einem ersten Audit die Verantwortung dafür, dass die Bestimmungen vor Ort eingehalten werden, an den POCT-Beauftragten der jeweiligen Klinik delegieren, der dann dafür verantwortlich ist und dem POCT-Koordinator ggf. Änderungen anzuzeigen hat. Ausrüstung. Alle POCT-Geräte müssen in einem Inventarverzeichnis erfasst werden, und zwar mit Angabe von Hersteller, Typbezeichnung und Seriennummer oder einer anderen eindeutigen Identifizierung des Geräts sowie des Datums der Inbetriebnahme. Ferner sind Aufzeichnungen über Fristen für Wartung/Instandhaltung, Funktionsstörungen, Reparaturen und Ähnliches zu führen. Eine Betriebsanleitung muss jederzeit zugänglich sein. Analytik, Reagenzien, Prüfausrüstung und die Geräteleistungen müssen vor der Routineanwendung überprüft und die Ergebnisse dokumentiert werden. Über die beschafften Materialien und Reagenzien müssen Aufzeichnungen geführt werden, die bei einem Audit eine Rückverfolgung zu jeder einzelnen Untersuchung ermöglichen. Für jedes Untersuchungsverfahren muss eine detaillierte, stets aktuelle Verfahrensanweisung vorhanden sein. Datenverarbeitung der Ergebnisse. Der POCT-Koordinator organisiert – soweit möglich – die Überspielung aller Patientenergebnisse an das Krankenhausinformationssystem, damit die erhaltenen POCT-Ergebnisse jederzeit auf den Stationen abrufbar sind und im Krankenblatt dokumentiert werden können. Die Werte müssen dabei als POCT-Ergebnisse besonders gekennzeichnet sein. Eine Identifikation des Untersuchers sollte angestrebt werden. Schulung und Qualifizierung. Der POCT-Koordinator ist für die außerordentlich wichtige Qualifizierung der POCT-Nutzer verantwortlich. Er organisiert in Absprache mit dem Pflegedienst regelmäßige Schulungen und Kompetenzprüfungen der Nutzer, was aufgrund der in vielen Krankenhäusern üblichen starken Personalfluktuation i. A. mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden ist. Schulungen zur Handhabung der Geräte können in Zusammenarbeit mit den Geräteherstellern organisiert werden, während wichtige Themen wie Prä- und Postanalytik vom
314
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
Verwaltung (Erstellen, Verwalten, Sperren) der Benutzer-ID
Übermittlung von Patientenberichten
Verwaltung der Kontrollmaterialien (Zielwerte etc.) Zentrale AdministrationPOCT-Qualitätssicherung
24
Übermittlung von Qualitätskontrollreports
Gesamtübersicht über Systemzugriffe durch Benutzer
Schulung des Bedienpersonals Hilfestellungen bei Fehlern und Problemen
Dokumentation der Qualitätskontrollreports
Zugangssperrung von POCT-Geräten
⊡ Abb. 24.1 Aufgaben der zentralen POCT-Koordination
POCT-Koordinator selbst und/oder von seinen Mitarbeitern zu behandeln sind ( Kap. 4). ▬ Darüber hinaus können die Bemühungen um eine qualitätsgerechte Durchführung der POCT-Untersuchungen auf Dauer nur Erfolg haben, wenn die Informations- und Schulungsveranstaltungen regelmäßig wiederholt werden [8, 11]. In ⊡ Abb. 24.1 sind die Aufgaben der zentralen POCT-Koordination zusammenfassend dargestellt. Weiterführende Erläuterungen sind auch auf der neu eingerichteten Internetseite www.poct-koordinator.eu zu erhalten, die als Informationsforum für dieses Aufgabenfeld konzipiert worden ist.
24.4
Pflegefachpersonal und POCT
Das Pflegefachpersonal ist einer der wichtigsten Akteure beim POCT. Zu seinen Aufgaben gehören in der Regel: ▬ Identifikation des Patienten, ▬ Vorbereitung des Patienten, ▬ Gewinnung der Blutprobe,
315 24.5 · Geräteauswahl
24
▬ Durchführung der Messung und ▬ Mitteilung des Ergebnisses an den Arzt, ggf. auch die Dokumentation in der Krankenakte. Dazu können weitere Aufgaben kommen, die von den organisatorischen Gegebenheiten und der personellen Situation der Abteilung, in der POCT durchgeführt wird, besonders aber von einer vorhandenen oder fehlenden Kooperationsmöglichkeit mit anderen Abteilungen (z. B. Labor, Medizintechnik, Apotheke) abhängig sind. Beispiele für solche Zusatzaufgaben sind: ▬ Organisation und Durchführung der Qualitätskontrolle nach RiliBÄK, wenn das krankenhauseigene Labor geschlossen oder ausgelagert wurde, ▬ Wartung und Veranlassung von Reparaturen der Messgeräte, wenn eine medizintechnische Abteilung nicht existiert oder diese die Wartung bzw. Reparatur nicht übernehmen kann oder will und ▬ Überwachung der auf der Station vorgehaltenen Vorräte an Reagenzien und notwendigen Hilfsmitteln. Sowohl die Standard- als auch die Zusatzaufgaben können zu einer relevanten zeitlichen Belastung des Pflegefachpersonals führen. In Krankenhäusern, in denen eine POCT-Kommission eingerichtet ist, sollte deshalb eine Pflegekraft Mitglied dieser Kommission sein, um die speziellen Belange des Pflegefachpersonals beim POCT zu artikulieren. Unter ökonomischen Aspekten kann die Umverteilung von Aufgaben zwischen den verschiedenen Berufsgruppen sinnvoll sein. Es kommt auf das Pflegefachpersonal zunehmend mehr Verantwortung zu, insbesondere in der Qualitätssicherung vor Ort, im Umgang mit Medizinprodukten, mit der Aufgabe des Beauftragten nach dem Medizinproduktegesetz, bei der Übernahme der spezifischen Dokumentation und in der Schulung der Beschäftigten aller Berufsgruppen an den POCT Geräten.
24.5
Geräteauswahl
Die am häufigsten routinemäßig durch Pflegefachpersonal ausgeführten Analysen sind die Bestimmung der Blutglukose und die Blutgasanalyse incl. Elektrolytbestimmungen. Für die Geräteauswahl ist es notwendig, ein zukunftssicheres POCT-Gesamtkonzept im Blick zu haben. Dabei rücken
316
24
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
eine automatische Datenverarbeitung der patienten- und anwenderbezogenen Daten sowie eine programmunterstützte Qualitätskontrolldokumentation und -auswertung aus vielerlei Gründen in den Vordergrund ( Kap. 26). Bei der Geräteplanung ist Folgendes in die Entscheidung einzubeziehen: ▬ Wo soll das Gerät zum Einsatz kommen, z. B. periphere Station, Intensivstation, Ambulanz, Operationsbereich? ▬ Welche Parameter sollen gemessen werden? ▬ Welche analytischen Anforderungen werden gestellt? ▬ Welches Probenvolumen wird benötigt oder steht limitierend zur Verfügung? ▬ Wie ist der Ausbildungsstand der Anwender? ▬ Wie hoch ist der Wartungsaufwand? ▬ Wie einfach ist die Bedienbarkeit und damit der Schulungsaufwand? ▬ Wie ist das Qualitätsmanagement nach RiliBÄK gelöst? ▬ Ist eine Netzwerkanbindung möglich? ▬ Ist ein sog. Remote-control-Anschluss vorhanden ( Kap. 26)? ▬ Wie sind die Hygieneprobleme bei Bedienung, Reinigung und Wartung gelöst? ▬ Wie wird der ökonomische Vorteil der Vereinheitlichung der Geräte bewertet? ▬ Wie hoch sind die Folgekosten insbesondere bei Zubehör, beim Datentransfer und den Schnittstellen? Als Beispiel sollen Blutgasanalysesysteme genauer diskutiert werden. Die Zukunft der Blutgasanalyse liegt bei Systemen, die einen möglichst geringen Bedarf an personengebundener Wartung haben, d. h. bei sich selbst kalibrierenden und überwachenden Geräte mit Kassettentechnologie und geräteintegrierten Qualitätskontrollsystemen, die vor Ort in Bezug auf Parameter, Anzahl der Messungen sowie möglichst lange Verwendungsdauer durch den Anwender zusammengestellt werden können. Je weniger Zeit man für Bedienung und Wartung des Geräts aufbringen muss, desto mehr Zeit steht für die Grund- und Behandlungspflege des Patienten zur Verfügung. Der technische Aufbau von komplexen Blutgasanalysegeräten kann in Bezug auf den Wartungsaufwand sehr unterschiedlich sein: Arbeitsintensive Wartungen sind besonders bei Systemen notwendig, die aus vielen Einzelkomponenten bestehen. Regelmäßige Kontrollen von Füllständen der Betriebslösungen und von Elektroden sowie die Sichtprüfung von Proben-
317 24.6 · Anwenderschulung
24
eingang, Schläuchen, Verbindungen und Pumpen auf Beschädigungen und Verschleiß sind Voraussetzungen für einen störungsfreien Betrieb. Das Vorhandensein vieler Einzelkomponenten gestaltet eine Fehlersuche zeitaufwendig und es bedarf selbst nach der notwendigen Schulung einiger Erfahrung, um ein Problem zügig zu beseitigen und das Gerät wieder in einen messbereiten Zustand zu bringen. Weniger aufwendige Wartungsarbeiten fallen bei Geräten an, die in einer Kombination von Kassetten und Einzelkomponenten bestehen. Der benötigte Zeitaufwand ist weitgehend davon abhängig, welche Teile des Geräts mit automatisierten Komponenten ausgestattet sind und inwieweit Fehler durch einfaches Austauschen von Komponentenkassetten behoben werden können bzw. manuell zu beheben sind. Geringe Wartungsarbeiten fallen bei Geräten an, die alle zur Messung erforderliche Komponenten in einer Kassette enthalten. Bei diesem Gerätetyp ist nach einer Kassetteninstallation während der gesamten Lebensdauer i.A. keine weitere Wartungsarbeit durchzuführen.
24.6
Anwenderschulung
Für einen effektiven Arbeitsablauf und ein gutes Ergebnis muss eine Gruppe von Personen zusammengeführt werden, die für den Betrieb der Geräte sowie die Schulung der Anwender verantwortlich ist und dies auch »lebt«. Am Anfang stehen zentrale Schulungsthemen wie ▬ Softwareschulung der Verantwortlichen im Zentrallabor, ▬ Erstschulung der Gerätebeauftragten und Multiplikatoren der jeweiligen Abteilungen durch die Industriepartner/Lieferanten sowie ▬ Autorisierung und Geräteschulung der POCT-Anwender durch die Gerätebeauftragten. Neben kompetenten Ansprechpartnern zum Thema »POCT im Labor« muss in jedem Anwendungsbereich – je nach Organisation, Aufgabenverteilung und Größe der Abteilung – mindestens eine Person das Thema POCT und seine Bedeutung mit den Facetten der täglichen Anwendung genau kennen sowie im eigenen Team vermitteln. Dies kann sehr wohl eine Person aus der Gruppe der Pflegefachkräfte sein. Diese Personen sollen eingehend in die betroffenen Geräte eingewiesen und mit der Datenverarbeitung von
318
24
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
Messwerten, den Qualitätskontrollen sowie den Tücken des Systems vertraut gemacht werden, damit sie als Multiplikatoren fungieren können. Entscheidet sich das Unternehmen im Sinne der Vereinheitlichung für eine Gerätelinie, empfiehlt es sich schon im Ausschreibungsverfahren, die Wettbewerber in die Schulung der Anwender einzubinden. Dabei sollte eine Schulung vor Ort selbstverständlich sein. Die Bezugnahme auf gesetzliche Verpflichtungen bei der Einführung neuer Medizinprodukte ist bei größeren Projekten der Gerätevereinheitlichung nicht immer ausreichend. Existiert in dem Krankenhaus ein eigenes Fortbildungsinstitut mit geeigneter IT-Technik, können e-learning-Programme helfen, das erlernte Wissen auf einfache Weise zu festigen und neue Mitarbeiter an die Thematik im Arbeitsbereich heranführen. Es kann gerätespezifisch ggf. auf externe Angebote der Industrie oder auf eine von den Herstellern unabhängige Software zurückgegriffen werden. Zukünftig werden sich Anwenderberechtigungen steuern lassen in Abhängigkeit vom Bestehen einer e-Learning-Einheit, ergänzend zur persönlichen Erstschulung bzw. zur auffrischenden e-basierten Wiederholungsschulung. Folgende Schritte sollten in einem Schulungskonzept berücksichtigt werden: Es gilt, ▬ Mitarbeiter aus dem Labor für die Betreuung des Projekts zu gewinnen, ▬ Multiplikatoren in den betroffenen Bereichen zu bestimmen, ▬ Multiplikatoren mit den Geräten und der Datenverarbeitung vertraut zu machen, ▬ Multiplikatoren mit typischen Fehlerquellen bei der Probenentnahme, der Probenvorbereitung und der Verarbeitung vertraut zu machen, ▬ die Schulung der Anwender durch die Multiplikatoren der eigenen Arbeitsbereiche vornehmen zu lassen und ▬ regelhafte Wiederholungsschulungen zur Auffrischung vorzusehen. Alle am Prozess beteiligten Personen sollten mit ihren Fragen und Problemen unbedingt ernst genommen werden.
24.7
Lagerung und Versorgung
Die Lagerung von Reagenzien, Kontrollmaterial und Zubehör sollte möglichst zentral geschehen, sodass zum reibungslosen Betrieb in den einzelnen Bereichen nur der Handvorrat vorgehalten werden muss.
319 24.8 · Qualitätssicherung
24
Mögliche zentrale Bevorratungsorte – je nach Struktur von Einkauf und Lagerhaltung eines Betriebs – sind ▬ das zentrale medizinische Lager, ▬ die Apotheke, ▬ das Zentrallabor und ▬ Satellitendepots in dezentralen bzw. weitläufigen Gebäudekomplexen.
24.8
Qualitätssicherung
Die auch für POCT relevante RiliBÄK ist in ihrer Bedeutung und in ihren Auswirkungen vielen Anwendern selbst Jahre nach Inkrafttreten nicht wirklich geläufig. Hier muss ein Umdenken stattfinden, denn nur dann können Schulungsmaßnahmen wirklich erfolgreich sein. Die RiliBÄK 2008 stellt an die Pflegefachkräfte, die mit der Qualitätssicherung des POCT befasst sind, höhere Anforderungen als bisher. Insbesondere ist für jede Abteilung ein Qualitätsmanagementhandbuch vorgeschrieben, in dem sämtliche für das POCT relevante Dokumente zusammengefasst sind. Alle Qualitätsmanagementmaßnahmen sollten zusammen mit dem POCT-Koordinator des Krankenhauses strukturiert und eingeführt werden ( Kap. 31). z
ANHANG: Dienstanweisung »Patientennahe Labordiagnostik«, Klinikum rechts der Isar der TU München, Stand 2010 k1 Zweck und Zielsetzung
Die vorliegende Dienstanweisung regelt die Umsetzung der am 01.04.08 in Kraft getretenen Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen, insbesondere Abschnitt 4.2 (Organisation), soweit es die patientennahe Sofortdiagnostik (POCT) betrifft. Es wurde hierzu vom Vorstand eine dem Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie angeschlossene POCT-Koordinationsstelle als klinikumsweit wirkende Organisationseinheit geschaffen, die die richtlinienkonforme Durchführung des POCT regelt und überwacht. k2 Geltungsbereich
Sie gilt für den Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Pathobiochemie, den POCT-Koordinator und seinen Vertreter, die Pflegedirektion, alle beteiligten Klinik-, Institutsdirektoren und Abteilungsleiter, den Leiter
320
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
der Medizintechnik, den Leiter des Rechenzentrums und den Leiter der Apotheke. k3 Mitgeltende Unterlagen
24
Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen vom 23.11.07 k4 Abkürzungen
POCT
Point of Care Testing (Patientennahe Sofortdiagnostik)
k5 Zuständigkeiten
Die Verantwortung zur Umsetzung der Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen vom 23.11.07 wird an den Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Pathobiochemie delegiert. Er bedient sich hierzu o.g. POCT-Koordinationsstelle unter der Leitung des POCT-Koordinators, derzeit Herr xxx (Vertreter xxxx). Der Direktor des Instituts regelt zusammen mit dem POCT-Koordinator das Vorgehen und die Rahmenbedingungen für die patientennahe Sofortdiagnostik zur Bestimmung von Blutzucker- und Blutgaswerten sowie für die Benutzung von Blutzucker- und Blutgasgeräten. Dazu gehören auch die Information des Patienten, die Dokumentation, die Einweisung der Mitarbeiter, die zentrale Koordination der Ringversuche und die Überwachung der erforderlichen Qualitätssicherungs-maßnahmen sowie der dazugehörigen Methoden und Geräte. Der POCT-Koordinator hat die Aufgabe der Beratung und ist zur Gewährleistung der Qualitätssicherung bei der patientennahen Sofortdiagnostik den Einrichtungen gegenüber weisungs- und prüfungsbefugt. Die Mitarbeiter in den einzelnen Einrichtungen haben die Regelungen des POCT-Koordinators zu beachten. Eine POCT-Kommission wird eingesetzt (Mitglieder s. Anlage). In der POCT-Kommission werden die Strategie sowie die Angebote und Auswahl der o.g. Geräte besprochen. Für die POCT-Kommission wird eine eigene Geschäftsordnung durch den Vorstand verabschiedet. Die Pflegedirektion, die Klinik-, Institutsdirektoren und Abteilungsleiter, der Leiter der Medizintechnik, der Leiter des Rechenzentrums und der Leiter der Apotheke sind für die Einhaltung der Weisungen zur Qualitätssicherung
321 24.8 · Qualitätssicherung
24
des Instituts für Klinische Chemie und Pathobiochemie bei der patientennahen Sofortdiagnostik verantwortlich. Andere für das POCT relevante Regelungen, insbesondere das Medizinproduktegesetz und das Transfusionsgesetz in der jeweils aktuellen Fassung, sind weiterhin zu beachten. Damit es hinsichtlich der verschiedenen Regelungspunkte klare Verhaltensvorgaben gibt, werden künftig entsprechende Ausführungsbestimmungen für die POCT-relevanten Gesichtspunkte aus allen diesen Gesetzen und Regelungswerken vom POCT-Koordinator zur Verfügung gestellt. Im Falle möglicher widersprüchlicher Regelungen legt er das verbindliche Vorgehen bei der patientennahen Sofortdiagnostik fest. k6 Verfahren/Prozessablauf
Der POCT-Koordinator verfährt auf dem Boden der von ihm entwickelten Verfahrensanweisungen für das POCT, führt entsprechende Beratungen und Kontrollen durch und erstattet jährlich einen Bericht an den Vorstand. Der Bericht hat den Istzustand, seine Bewertung und eventuelle Verbesserungsmaßnahmen zu enthalten. Der POCT-Koordinator stellt jeweils ein Exemplar der von ihm entwickelten Unterlagen dem Qualitätsmanagement zur Verfügung. Die POCT-Kommission verfährt auf der Basis der vom Vorstand verabschiedeten Geschäftsordnung. Die Pflegedirektion, die Klinik-, Institutsdirektoren und Abteilungsleiter, der Leiter der Medizintechnik, der Leiter des Rechenzentrums und der Leiter der Apotheke informieren ihre Mitarbeiter über diese Dienstanweisung sowie über die Organisationsstruktur und das Regelwerk bei der patientennahen Sofortdiagnostik. k7 Anlage
Mitglieder der POCT-Kommission ▬ POCT-Koordinator ▬ Vertreter des POCT-Koordinators ▬ alle POCT-Beauftragten der beteiligten Kliniken/Abteilungen/Institute ▬ Vertreter der Medizintechnik ▬ Vertreter des Rechenzentrums ▬ Gerätebeauftragte der Pflegedirektion ▬ Vertreter der Apotheke ▬ Vertreter des Ärztlichen Direktors
322
Kapitel 24 · Implementierung von POCT im Krankenhaus
Literatur
24
[1] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Unter-suchungen. Dtsch Ärztebl 105: A341–A355. Korrekturen: Dtsch Ärztebl 105; A 650 und Dtsch Ärztebl 2010;107, A 51–52 [2] Deutsches Institut für Normung (2006) DIN EN ISO 22870 »Patientennahe Untersuchungen (point-of-care testing, POCT) – Anforderungen an Qualität und Kompetenz«. www. din.de [3] Di Serio F, Antonelli G, Trerotoli P, Tampoia M, Matarrese A, Pansini M (2003) Appropriatness of point-of-care testing (POCT) in an emergency department. Clin Chim Acta 333: 185–189 [4] Gässler N, Luppa PB, Hafner G et al. (2006) Information der Arbeitsgemeinschaft »Pointof-Care Testing« der DGKL: Einführung von POCT innerhalb einer Klinik. Klinische Chemie Mitteilungen 37: 161–163 [5] Grodzinsky E, Wirehn AB, Fremner E et al. (2004) Point-of-care testing has a limited effect on time to clinical decision in primary health care. Scand J Clin Lab Invest 64: 547–551 [6] Gruszecki AC, Hortin G, Lam J et al. (2003) Utilization, reliability, and clinical impact of point-of-care testing during critical care transport: Six years of experience. Clin Chem 49: 1017–1019 [7] Hänecke P, Haeckel R, Koschinsky T, Luppa P, Schlebusch H, Wahl HG (2004) Qualitätssicherung der patientennahen Sofortdiagnostik (Point-of-Care Testing) im Krankenhaus: Muster für eine hausinterne Richtlinie. J Lab Med 28: 256–263 [8] Junker R, Schlebusch H, Luppa PB (2010) Point-of-care testing in hospitals and primary care. Dtsch Arztebl Int; 107: 561–7 [9] Lee-Lewandrowski E, Lewandrowski K (2009) Perspectives on cost and outcomes for point-of-care testing. Clin Lab Med;29: 479–89 [10] Luppa PB, Blobner M (2004) Online-Qualitätssicherung in der Sofortdiagnostik. Dtsch Ärztebl 101: A399–A400 [11] Schimke I, Griesmacher A, Schimke E, Müller MM (2006) Patientennahe Sofortdiagnostik (Point-of-Care Testing; POCT) im Krankenhaus – Ja oder Nein. Intensivmed 43: 143–155 [12] Schlüter B, Junker R (2003) Labordiagnostik – schneller ist nicht immer besser. Dtsch Ärztebl 100: A87–A89 [13] St John, Price CP (2010) health economics and point-of-care testing. In Price CP, St John A, Kricka LJ (eds) Point-of-care testing. AACC Press,3rd ed. Washington DC [14] St-Louis P (2000) Status of Point-of-Care Testing: promise, realities, and possibilities. Clin Biochem 33: 427–440 [15] Tiran A, Hubmann M, Schweiger C (2004) Qualitätssichernde Maßnahmen im Rahmen des Point-of-Care Testing (POCT). J Lab Med 28: 251–255
25 POCT im niedergelassenen Bereich R. Junker
25.1
Einleitung
25.2
Diagnostische Aussage – 324
25.3
Wirtschaftliche Aspekte – 327
25.4
Durchführung und Organisation
25.5
Qualitätsmanagement Literatur
– 324
– 329
– 331
– 331
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
324
Kapitel 25 · POCT im niedergelassenen Bereich
25.1
25
Einleitung
POCT ist bereits an vielen Stellen im Gesundheitswesen etabliert, so auch in Praxen niedergelassener Ärzte ( Kap. 1 und Kap. 2). Wie auch in anderen Bereichen sind hier die folgenden Aspekte bei Einführung von POCT zu beachten: ▬ diagnostische Aussage, ▬ Wirtschaftlichkeit, ▬ Durchführung und Organisation sowie ▬ Qualitätssicherung.
25.2
Diagnostische Aussage
Zunächst ist die Frage nach möglichen Indikationen für die entsprechende Untersuchung zu stellen. Danach ist zu klären, ob der Einsatz von POCT zu medizinischen oder anderen Vorteilen führt. Der wichtigste Vorteil der POCT-Diagnostik im Krankenhaus – der Zeitgewinn durch die Diagnostik in Patientennähe – spielt bei niedergelassenen Ärzten nur eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zur Notfalldiagnostik stehen im niedergelassenen Bereich überwiegend organisatorische Aspekte und die Frage der Patientenzufriedenheit bzw. Compliance im Vordergrund. In einzelnen Fällen kann demnach eher von der Notwendigkeit von »Eilfalluntersuchungen« gesprochen werden, so z. B. beim Erregernachweis vor antibiotischer Therapie oder bei der Bestimmung des Blutbilds vor chemotherapeutischer Intervention. Das Spektrum möglicher Analysen ist dennoch groß. Die nachfolgende Übersicht gibt eine Auswahl möglicher POCT-Anwendungen in verschiedenen ärztlichen Disziplinen wieder.
Ausgewählte Beispiele für POCT in der Arztpraxis ▬ Urologe: prostataspezifisches Antigen (PSA) ▬ Gynäkologe: humanes Choriongonadotropin (β-HCG) ▬ Kardiologe: »brain natriuretic peptide« (BNP) ▬ Onkologe: Blutbild ▼
325 25.2 · Diagnostische Aussage
▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
25
Hautarzt: Allergietest Sportarzt: Laktat Allgemeinarzt: Quick-Wert/INR Diabetologe: HbA1c Arbeitsmediziner: Alkohol (Atemluft) Kinderarzt: Streptokokkentest Nephrologe: Albumin (Urin) Psychiater: Drogenscreening
Diagnostische Schwerpunkte bilden die Bestimmung von Markern für kardiovaskuläre Erkrankungen, die Diagnostik von Krankheitserregern und die Diabetesüberwachung. Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen diagnostischen Möglichkeiten ist in den entsprechenden Kapiteln dieses Buches zu finden; hier sollen nur exemplarisch einige Anwendungen genannt werden, um die medizinischen Überlegungen zum POCT-Einsatz in der Arztpraxis in verschiedenen Facetten darzustellen [6].
25.2.1 Kardiovaskuläre Marker
Die Untersuchung kardiovaskulärer Marker in der Arztpraxis umfasst kardiale Troponine, BNP (»brain natriuretic peptide«) und D-Dimere. Die Bestimmung kardialer Troponine in der akuten Notfallsituation ist nicht unkritisch, da die Messergebnisse bis zu 2 h nach dem akuten Ereignis noch negativ sein können, ein negatives Ergebnis einen akuten Herzinfarkt also nicht ausschließen kann. Bei der Wiederholungsmessung in der Praxis 2 h später wäre im Fall eines Infarkts wertvolle Zeit bis zur therapeutischen Intervention verstrichen. Im Gegensatz dazu ist die BNP-Bestimmung für die Ausschlussdiagnostik und die Langzeitüberwachung der Herzinsuffizienz weniger problematisch, da es sich hier nicht zwangsläufig um eine vitale Fragestellung handelt. Ob die Durchführung des Labortests in Patientennähe Vorteile mit sich bringt, ist im Bereich niedergelassener Ärzte allerdings fraglich, denn in Notfallsituationen ist in der Regel eine klinische Versorgung des Patienten unabhängig von den Messergebnissen erforderlich, während für die Langzeitüberwa-
326
Kapitel 25 · POCT im niedergelassenen Bereich
chung auch die Bestimmung in einem Zentrallabor ausreichen sollte. Die gleiche Überlegung gilt für die Bestimmung der D-Dimere ( Kap. 17).
25.2.2 Infektionskrankheiten
25
Zur Diagnostik von Infektionserkrankungen gehört neben der CRP-Bestimmung der direkte Erregernachweis. Hierbei geht es v. a. darum, frühzeitig über die Notwendigkeit einer antibiotischen Therapie zu entscheiden. Ob es durch den POCT-Einsatz tatsächlich zu einer verringerten oder gezielteren Verordnung von Antibiotika kommt, wird kontrovers diskutiert. Aufgrund der Verringerung der Analytik im Labor wird in amerikanischen Studien dem POCT eine gute Kosteneffizienz zugeschrieben. Dies gilt jedoch nur, wenn die Kosten für POCT in einer ähnlichen Größenordnung wie für Labortests liegen [3, 5, 13]. Auch bezüglich des Streptokokken-Schnelltests sind die Standpunkte unterschiedlich. Im Wesentlichen kommen die Autoren verschiedener Studien zu dem Schluss, dass eine klinische Entscheidung nur unwesentlich durch das POCT-Ergebnis beeinflusst wird, was aber auch für den Test im Labor gilt [9]. Zudem wird bei einem negativen POCT-Ergebnis und im Fall von Komplikationen ein zusätzlicher Labortest empfohlen, sodass es in einem Teil der Fälle zu einer Doppelanalytik kommt [10]. Nicht nur für die CRP-Bestimmung, sondern auch für zahlreiche Tests zum Erregernachweis wurde eine ausreichende analytische Qualität nachgewiesen [10, 11, 12]. Andererseits hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen und Ärzten kürzlich eine Empfehlung zum jährlichen Screening des Genitale auf Chlamydia trachomatis-Infektionen abgegeben; darin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass POCT-Systeme nicht zur Untersuchung genutzt werden sollten. Obwohl nicht explizit erwähnt, ist davon auszugehen, dass hierfür die gegenüber molekularbiologischen Tests mangelnde Sensitivität immunologischer Verfahren der Grund ist ( Kap. 10 und Kap. 22; [4]).
25.2.3 Diabetesüberwachung
Die regelmäßige Bestimmung des Blutzuckers durch den Patienten selbst ist schon lange etablierte Praxis. Für Arztpraxen empfiehlt sich dennoch
327 25.3 · Wirtschaftliche Aspekte
25
das Vorhalten einer Möglichkeit zur Blutglukosebestimmung in Notfallsituationen. Die HbA1c-Bestimmung mittels POCT kann in Zukunft relevant werden, falls es sich erweisen sollte, dass diese Kenngröße bei der Diagnostik eines Diabetes mellitus eingesetzt werden kann ( Kap. 15; [8]). Für die Diabetesschwerpunktpraxis ist die Kontrolluntersuchung der Blutglukosegeräte, die von den Patienten im Home-care-Bereich genutzt werden, eine wichtige Aufgabe. Als Vergleichsgerät kann allerdings nur ein Analysegerät infrage kommen, das die Glukose mittels der Referenzmethode bestimmt. Dies kann z. Zt. kein POCT-Gerät leisten ( Kap. 5 und Kap. 15).
25.3
Wirtschaftliche Aspekte
25.3.1 Allgemeine Überlegungen
Wirtschaftliche Vor- oder Nachteile sind prinzipiell von der Ebene der einzelnen Praxis bis zur Ebene des Gesundheitssystems zu erzielen. Aufgrund der Struktur des deutschen Gesundheitswesens können hieraus erhebliche Interessenskonflikte entstehen. Ein wesentlicher Aspekt, der derzeit eine weitere Verbreitung von POCT-Analysen bei niedergelassenen Ärzten verhindert, sind die eingeschränkten Möglichkeiten zur Abrechnung der Analysen. In der Regel zeichnet sich POCT für die Arztpraxis zunächst durch deutlich höhere Kosten gegenüber der ‘klassischen‘ Laboranalytik aus, ohne dass die ärztlichen Abrechnungssysteme dem wesentlich Rechnung tragen. So fallen neben den Kosten für die eigentliche Analytik (Messgerät, Reagenzien, Teststreifen, Kontrollmaterial, Papier, Strom, Entsorgung, Dokumentation, Raum etc.) Kosten für die zusätzliche Belastung der Praxismitarbeiter an. Es entfallen darüber hinaus die Einnahmen, aber auch der Aufwand für die venöse Blutentnahme. Einsparungen oder zumindest eine wirtschaftliche Leistungserbringung sind somit auf der Ebene der Arztpraxis – wenn überhaupt – nur sehr eingeschränkt möglich. Anders sieht die Situation für das Gesundheitssystem aus, u. a. wenn sich kostenintensive bildgebende Untersuchungen vermeiden lassen, z. B. bei einer zeitnahen Ausschlussdiagnostik von Herzinsuffizienz oder tiefer Venenthrombose durch BNP- bzw. D-Dimer-Bestimmungen. Auf der Ebene der Arztpraxis bedeutet der Wegfall der teureren bildgebenden Verfahren wiederum einen Einnahmeausfall
328
Kapitel 25 · POCT im niedergelassenen Bereich
und somit eine weitere Belastung. Einsparpotenziale gibt es auch bezüglich der Zahl der Patientenzweitkontakte einschließlich der Telefongespräche zur Besprechung der Ergebnisse. Hieraus leitet sich möglicherweise eine bessere Compliance des Patienten ab, was wiederum dem Gesamtsystem zugutekommt. Positiv könnte sich auch eine höhere Patientenzufriedenheit auswirken.
25
25.3.2 Vergütung
Im Bereich des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) sind Laboruntersuchungen gemäß dem Kap. 32.2 entweder durch den niedergelassenen Arzt selbst zu erbringen oder delegierbar. Die Art und Weise ist freigestellt: Es liegt im Ermessen des jeweiligen Arztes, Leistungen selbst zu erbringen, z. B. mit eigenen Laboranalysesystemen oder mittels POCT, oder sie von Laborgemeinschaften erbringen zu lassen. Eine Sondergruppe stellen spezielle Ziffern für die Abrechnung von Analysen im Eigenlabor dar, die bei Erbringung mittels trägergebundener (vorportionierter) Reagenzien innerhalb der eigenen Praxis als Einzelbestimmung durchgeführt werden. Es handelt sich überwiegend um Analysen, die dem Bereich der Basisdiagnostik zuzuordnen sind (Klinische Chemie, Hämatologie etc.). In solchen Fällen wird die Vergütung geringfügig angehoben, um dem zusätzlichen Arbeitsaufwand in der Praxis Rechnung zu tragen. In ⊡ Tab. 25.1 sind hierzu einige Beispiele dargestellt. Es ist unschwer zu erkennen, dass die Leistungserbringung in der eigenen Praxis mittels POCT in den meisten Fällen kaum wirtschaftlich möglich ist. Sofern der Servicegedanke nicht im Vordergrund steht, werden die Leistungen daher in der Praxis nicht erbracht. Seit geraumer Zeit können neben den der Basisdiagnostik zuzuordnenden Analysen jedoch auch Parameter wie kardiale Troponine oder – erst kürzlich hinzugekommen – BNP durch niedergelassene Ärzte außerhalb des Labors abgerechnet werden. Während die Bestimmung kardialer Troponine in der Praxis wirtschaftlich grenzwertig ist, sieht die Situation für BNP anders aus: Die Vergütung erlaubt eine kostendeckende Leistungserbringung; gesamtwirtschaftlich könnte daraus durch Einsparungen bei echokardiographischen Untersuchungen eine positive Entwicklung resultieren [7]. Dem entgegen steht auf der Ebene der Arztpraxis allerdings der Verzicht auf die Einnahmen für echokardiographische Untersuchungen.
25
329 25.4 · Durchführung und Organisation
⊡ Tab. 25.1 Beispiele für die POCT-Abrechnung nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) Parameter
Bemerkung
Ziffer
Preis (Euro)
Preis im Eigenlabor* (Euro)
Kleines Blutbild
–
32120
0,50
–
Quick-Wert, kapillär
–
32114
0,75
–
Glukose
–
32057
0,25
0,80
ALT
–
32070
0,25
0,80
Barbiturate
Qualitativer Suchtest
32141
3,05
–
β-HCG
Schwangerschaftstest
32132
1,30
–
Troponine
Auch apparative Auswertung
32150
11,25
–
BNP
–
32097
25,00
–
Eigenlabor Zuschlag bei Erbringung mittels trägergebundener (vorportionierter) Reagenzien innerhalb der eigenen Praxis als Einzelbestimmung (32089); BNP »brain natriuretic peptide«; ALT Alanin-Aminotransferase; HCG humanes Choriongonadotropin
Im Bereich der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) besteht ebenfalls die Möglichkeit, Laboranalysen als Vorhalteleistungen in der Praxis abzurechnen. Es handelt sich auch hier überwiegend um Leistungen der Basisdiagnostik. Generell besteht aber die Möglichkeit, sämtliche Analysen, die trägergebunden sind, ohne Berücksichtigung des untersuchten Parameters den Patienten in Rechnung zu stellen. Angesichts des niedrigen Betrags ist eine wirtschaftliche Leistungserbringung jedoch eher unwahrscheinlich (⊡ Tab. 25.2; [1]).
25.4
Durchführung und Organisation
Die praktische Durchführung von POCT in der Arztpraxis obliegt in der Regel den Arzthelferinnen. Ein wesentlicher Punkt für die erfolgreiche
330
Kapitel 25 · POCT im niedergelassenen Bereich
⊡ Tab. 25.2 Beispiele für die POCT-Abrechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)
25
Parameter
Bemerkung
MIZiffer*
Preis (einfach) (Euro)
MIIZiffer**
Preis (einfach) (Euro)
Kleines Blutbild
–
–
–
3550
3,50
Quick-Wert, kapillär
–
3530
6,99
3607
2,91
Glukose
–
3514
4,08
3560
2,33
ALT
–
3516
4,08
3595H1
2,33
Barbiturate
Reagenzträgertest
3511***
2,91
–
–
HCG
Schwangerschaftstest
3528
7,58
–
–
Troponine
Reagenzträgertest
3511
2,91
–
–
BNP
Reagenzträgertest
3511
2,91
–
–
* MI Vorhalteleistungen in der Praxis; ** MII auch als »beziehbare« Leistung; *** 3511 Untersuchung eines Körpermaterials mit vorgefertigten Reagenzträgern; BNP »brain natriuretic peptide«; ALT Alanin-Aminotransferase; HCG humanes Choriongonadotropin
Anwendung von POCT-Methoden ist der sichere Umgang mit Geräten, Teststreifen und Reagenzien – Voraussetzung ist daher eine angemessene Schulung. Während einfache Streifentests nahezu selbsterklärend sind, bedürfen komplexere Geräte wie Hämatologie-Automaten der individuellen Einweisung. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Qualitätskontrolle gerichtet werden. Nicht zuletzt hängt der POCT-Einsatz von den personellen und räumlichen Voraussetzungen ab. Bezüglich der Durchführung ist daher eine Reihe von Aspekten zu beachten, u. a.: ▬ Wo findet die Analytik statt? ▬ Sind geeignete Arbeitsplätze vorhanden? ▬ Wer führt die Messungen aus? ▬ Wer ist für die Qualitätskontrolle verantwortlich? ▬ In welcher Weise erfolgt die Dokumentation der Messwerte?
331 Literatur
25
▬ Wie wird der Abfall entsorgt? ▬ Welche Lagerkapazität bei welcher Temperatur wird benötigt? Diese Fragen sollten parallel zu medizinischen und wirtschaftlichen Überlegungen beantwortet werden, weil das Vorliegen geeigneter Bedingungen Grundvoraussetzung einer sinnvollen und erfolgreichen POCT-Integration ist.
25.5
Qualitätsmanagement
Die RiliBÄK [2] gilt auch für den Einsatz von POCT in der Arztpraxis. Danach sind vereinfachte Regeln nur anwendbar, wenn Unit-use-Reagenzien und die entsprechenden Messsysteme verwendet werden. Für alle anderen Laboruntersuchungen in der Arztpraxis (z. B. Bestimmungen mittels kleiner Hämatologie-Analysegeräte) gelten die kompletten Vorschriften der RiliBÄK für das Qualitätsmanagement und die interne Qualitätssicherung, z. B. benutzungstäglich 2 Kontrollen innerhalb von 24 h, spätestens nach 16 h. Nähere Einzelheiten sind Kap. 31 zu entnehmen.
Literatur [1] Bundesärztekammer (2001) Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Deutscher Ärzte-Verlag, Köln [2] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen. Dtsch Ärztebl 105: A341–A355. Korrekturen: Dtsch Ärztebl 105; A 650 und Dtsch Ärztebl 2010;107, A 51–52 [3] Dahler-Eriksen BS, Lauritzen T, Lassen JF, Lund ED, Brandslund I (1999) Near-patient test for C-reactive protein in general practice: assessment of clinical, organizational, and economic outcomes. Clin Chem 45: 478–485 [4] Gemeinsamer Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (2007) Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinien zur Empfängnisregelung und zum Schwangerschaftsabbruch sowie der Mutterschaftsrichtlinien: Screening auf genitale Chlamydia trachomatis-Infektionen bei Frauen. www.g-ba.de [5] Gulich MS, Matschiner A, Glück R, Zeitler HP (1999) Improving diagnostic accuracy of bacterial pharyngitis by near patient measurement of C-reactive protein (CRP). Br J Gen Pract 49: 119–121 [6] Junker R, Schlebusch H, Luppa PB (2010) Point-of-care testing in hospitals and primary care. Dtsch Arztebl Int; 107: 561–7
332
25
Kapitel 25 · POCT im niedergelassenen Bereich
[7] Kassenärztliche Bundesvereinigung (2008) Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM). Deutscher Ärzte-Verlag, Köln [8] Kerner W, Brückel J (2010) Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus. Diabetologie und Stoffwechsel 5 (Suppl 2) S 109-S 112; Aktualisierte Version auf den Webseiten der DDG: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/Evidenzbasierte Leitlinien/ Definition [9] Nerbrand C, Jasir A, Schalén C (2002) Are current rapid detection tests for Group A Streptococci sensitive enough? Evaluation of 2 commercial kits. Scand J Infect Dis 34: 797–799 [10] Reinert RR (2007) Streptokokken-Schnelltests. J Lab Med 31: 280–293 [11] Schweiger B (2006) Influenza Rapid Tests – Advantages and Limitations. J Lab Med 30: 219–215 [12] Seamark DA, Backhouse SN, Powell R (2003) Field-testing and validation in a primary care setting of a point-of-care test for C-reactive protein. Ann Clin Biochem 40: 178–180 [13] Takemura Y, Kakoi H, Ishida H et al. (2004) Immediate availability of C-reactive protein and leukocyte count data influenced physicians’ decisions to prescribe antimicrobial drugs for new outpatients with acute infections. Clin Chem 50: 241–244
26 POCT und Datenvernetzung P. B. Luppa, C. Braun
26.1
Vernetzungsstrategien und zentrales POCT-Datenmanagement – 334
26.2
Dezentrale POCT-Vernetzungen – 337
26.3
POCT1-A-Standard – 342
26.4
Programmanforderungen – 344
26.5
Vor- und Nachteile einer POCT-Vernetzung – 346
26.6
Zukünftige Entwicklungen – 347 Literatur
– 348
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_26, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
334
26
Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
In diesem Kapitel sollen die Möglichkeiten der Informationstechnologie für POCT-Geräte im Krankenhaus- und im ambulanten Bereich besprochen werden. Unter dem Begriff der Vernetzung ist explizit nicht der EDVAnschluss von dezentralen Analysesystemen in Satellitenlabors an ein Zentrallabor (ZL) zu verstehen, der häufig auch als »POCT-Anbindung an ein ZL« bezeichnet wird [2]. Vielmehr ist darunter eine komplexe Architektur einer Online-Anbindung von klinikweit verteilten Geräten an ein zentrales Informationssystem (z. B. Krankenhausinformationssystem – KIS –, Hospitalinformationssystem – HIS – oder Laborinformationssystem – LIS) zu verstehen. Voraussetzung ist dabei eine organisatorische Zusammenarbeit aller klinischen Abteilungen mit dem ZL im Sinne einer POCT-Koordination [9]. Auch eine dezentrale Lösung der POCT-Vernetzung ist möglich. Dabei wird ein Server von einem externen Anbieter (z. B. niedergelassene Laborarztpraxis) benutzt.
26.1
Vernetzungsstrategien und zentrales POCT-Datenmanagement
Es gibt für die Vernetzung von dezentralen POCT-Geräten in einem Krankenhaus folgende Strategien [4]: ▬ POCT-Geräte ↔ KIS/HIS; ▬ POCT-Geräte ↔ LIS ↔ KIS/HIS; ▬ POCT-Geräte ↔ Datenmanagementsystem ↔ LIS ↔ KIS/HIS. Das Datenmanagementsystem besteht dabei aus einem oder mehreren POCT-Servern. Obwohl die zweite Variante sinnvoll und praktikabel zu sein scheint, hat sich international die dritte Möglichkeit durchgesetzt: Vernetzung aller POCT-Geräte eines Krankenhauses oder eines Krankenhausverbunds mit einem POCT-Datenmanagementsystem (POCT-Server) über ein geschlossenes, gesichertes Netzwerk (Intranet), das in den meisten Krankenhäusern vorhanden ist. Der POCT-Server bildet dabei die Schicht zwischen den POCT-Endgeräten und den vorhandenen IT-Systemen eines Krankenhauses wie dem KIS und dem im ZL befindlichen LIS. Das POCT-Datenmanagementsystem (DMS) hat drei wesentliche Grundfunktionen:
335 26.1 · Vernetzungsstrategien
26
▬ Vernetzung der POCT-Geräte (herstellerübergreifend oder herstellergebunden), ▬ POCT-Koordination und -Organisation (Geräte, Benutzer, Patienten, Qualitätskontrollen, Reagenzien, Gerätesteuerung, Gerätemeldungen etc.), sowie ▬ Integration der POCT-Befunde in den Laborbefund (LIS) und/oder die elektronische Patientenakte im KIS. Eine RiliBÄK-konforme Durchführung von POCT-Analysen bedeutet in diesem Kontext, dass qualitativ hochwertige Tests dezentral in einem Krankenhaus erbracht werden können, sie aber im ZL überwacht und dokumentiert werden. Dies erfordert jedoch langfristig für das ZL einen zusätzlichen logistischen, materiellen und personellen Aufwand. Eine stets komplette Dokumentation der POCT-Qualitätskontrolldaten ist daher am besten durch die beschriebene Vernetzung realisierbar. Alle anderen Lösungen, die ohne Informationstechnologie auskommen und eine Übertragung von Qualitätskontrolldaten an das ZL beispielsweise manuell mit Listen vorsehen, sind nicht nur für den Anwender zeitintensiv, sondern auch fehlerträchtig und für das Bedienpersonal demotivierend. Zur Identifizierung der Patienten, aber auch der POCT-Nutzer sind je nach den Gegebenheiten des Krankenhauses Barcode-Nummern zu verwenden. Alle patientenbezogenen POCTMesswerte sollten im POCT-Server langfristig gespeichert werden und bei gesicherter Patientenidentität nach Übertragung auf die klinischen Stationen als eigener POCT-Bericht für die elektronische Patientenakte zur Verfügung stehen [9]. Eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für POCT der DGKL (Deutsche Vereinte Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin) aus dem Jahre 2005 [7] betont die Vorteile einer derartigen ITVernetzung, nämlich die erhebliche Zeitentlastung sowohl des Bedienpersonals auf den Stationen als auch der POCT-Koordination im ZL sowie die Vollständigkeit der Datenerfassung und -dokumentation [6]. In ⊡ Abb. 26.1 ist schematisch die Intranet-Vernetzung der Blutglukose- und BlutgasPOCT-Geräte mit dem POCT-Server am Beispiel des Klinikums rechts der Isar dargestellt [6]. Durch eine Kopplung des POCT-Servers an das LIS ist es dem ZL optional möglich, die Ergebnisse der Patientenprobenmessungen nach Verknüpfung mit den jeweiligen Patientenstammdaten als kumulative
Zentrallabor
Patientenergebnisse
POC-Manager-Server
Drucker
KKS-Netzwerk
LAN-Box
HIS
Medizintechnik
Blutgasgerät via LAN-Box
Rechenzentrum
Patientenstammdaten
File-Server
Patientenkumulativbefund
LAN-Box
BZ-Messgerät via LAN-Box
Intensivstation Z
⊡ Abb. 26.1 POCT-Vernetzung im Klinikum rechts der Isar (TU München). BZ Blutzucker; HIS Hospitalinformationssystem; KKS Krankenhauskommunikationssystem; QC Qualitätskontrolle
Drucker
Speichermedium
QC-Dokumentation
BZ-Messgeräte via LAN-Box
BZ-Messgerät via Stations-PC LAN-Box
Station Y
Ambulanz X
Patienten-Barcode
26
Benutzer-Barcode
336 Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
POCT-Befundberichte an die Kliniken zurückzuspielen. Diese Berichte sind jedoch aufgrund der zum Teil erheblichen Verzögerung bis zur Datenübertragung an den POCT-Server nicht zeitnah und vom behandelnden Arzt nur zur Dokumentation in der Patientenakte sinnvoll zu nutzen. In manchen Krankenhäusern lassen sich die POCT-Befunde allerdings zeitnah an Patienten-Monitoringsysteme übermitteln. Folgende Übertragungs-
337 26.2 · Dezentrale POCT-Vernetzungen
26
wege für die POCT-Messdaten in das krankenhauseigene Datennetz sind möglich: ▬ Netzwerkprotokoll (TCP/IP), ▬ seriell (RS232) an Stations-PC (via Docking-Station), ▬ LAN-Box (»local area network«; Umsetzer serieller Schnittstellen auf ein Netzwerkprotokoll), ▬ Modem, ▬ WLAN (eine drahtlose Anbindung von POCT-Geräten ist in Deutschland aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken problematisch. Bei Verschlüsselung der Übertragung, z. B. mit dem WPA2-Protokoll, ist eine gewisse Datensicherheit zu erreichen, die es erlaubt, bei bestimmten räumlichen Voraussetzungen eine drahtlose Anbindung von POCTGeräten im Krankenhaus dennoch zu realisieren).
26.2
Dezentrale POCT-Vernetzungen
26.2.1 Vernetzung im Krankenhaus
Wenn eine dezentrale Lösung des POCT-DMS angestrebt wird, wird der Server eines externen Anbieters verwendet, der nicht in der Klinik steht. Der Anbieter (z. B. ein niedergelassener Laborarzt) ist somit für die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit der Soft- und Hardware verantwortlich. Für die Klinik entfallen die Hardwarekosten sowie Kosten für Instandhaltung und Programmpflege. Bei dieser Lösung wird ein dezentral gehaltenes DMS installiert, auf dem die Patientenbefunde und die Qualitätskontroll-Daten gespeichert und vorschriftsmäßig gesichert werden. Von diesem System werden die Patientendaten via HL7-Schnittstelle an ein KIS/LIS weitergeleitet. Die POCT-Koordination im Krankenhaus erhält Zugriff auf das DMS und überwacht damit die QC-Daten. Die Richtlinien des Bundesdatenschutzgesetzes müssen selbstverständlich beachtet und eingehalten werden. Vor der technischen Umsetzung sind einige Fragen zu klären, wofür sich folgende Systematik bewährt hat: 1. Checklisten, 2. Projektplan, 3. Datenflussplan, 4. Stammdatenblatt.
338
Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
Checklisten z Checklisten sollten sich in folgende Bereiche aufgliedern: kFragen, die die EDV-Struktur des Krankenhauses und des externen Anbieters betreffen:
26
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Wie ist der Datenfluss der Patientendaten? Wie ist der Datenfluss der Auftragsdaten? Ist eine ausreichende Netzwerkstruktur vorhanden? Sind genügend elektrische Anschlüsse vorhanden ? Wird zusätzliche EDV-Hardware (Switch oder Hubs) benötigt? Welche Netzwerkadressen im Krankenhaus werden für die Geräte vergeben? 7. Ist eine Umwandlung der Netzwerkdaten (Network-Adress-Translation NAT) notwendig) – wer führt diese durch? 8. Über welche Ports erfolgt Zugriff der Geräte auf das DMS? Welche Ports müssen freigeschaltet werden? kFragen, die die Krankenhausstruktur betreffen:
1. Wie viele Stellen und welche Syntax haben die Barcodenummern der Benutzer? 2. Werden neben den Nummern auch die Namen der Mitarbeiter im DMS erfasst? Wenn nein, wer verwaltet die Zuordnung? (Diese ist eine RiliBÄK-Forderung) 3. Wer ist POCT-Koordinator im Krankenhaus? 4. Besteht eine POCT-Kommission? 5. Wie viele Stellen und welche Syntax hat die Patientennummer (Fallnummer)? 6. Müssen für Notfälle Pseudofallnummern hinterlegt werden? 7. Wie loggen sich die Benutzer ein? Barcode + Tastatur/nur Barcode – geräteabhängig 8. Wie wird die Fallnummer erfasst? Barcode + Tastatur/nur Barcode – geräteabhängig 9. Wer schult welche Geräte? 10. Wer regelt die Umsetzung von Teil A der RiliBÄK? z
Projektplan
Um eine reibungslose Umsetzung zu gewährleisten, sollte die Klinik einen Projektplan mit den notwendigen Schritten und der Art und Weise, wie diese
339 26.2 · Dezentrale POCT-Vernetzungen
26
zeitlich begrenzt abgearbeitet werden sollen, erstellen. Der Ansprechpartner für alle IT-Fragen sollte in diesem Fall ein Mitarbeiter der hauseigenen EDV-Abteilung sein. Die Verantwortung für die zeitgerechte Durchführung des Projektplans könnte von der POCT-Koordination übernommen werden. Auch hier finden sich Inhalte, die in Checklisten-Form im Einzelnen geklärt werden müssen. In ⊡ Abb. 26.2 ist das Beispiel eines Projektplans einer 2010 realisierten POCT-Vernetzung dargestellt. z
Datenflussplan
Im Hinblick auf den korrekten Datenfluss der gemessenen Patienten- und Qualitätskontrolldaten ist es wichtig, der Klinik eine grafische Aufzeichnung des Datenwegs vorzulegen. Diese Grafik sollte so einfach und verständlich wie möglich sein. Es ist im Anschluss daran Aufgabe der jeweiligen EDVAbteilungen, anhand dieser einfachen Grafik die Netzwerkdaten entsprechend einzurichten. Es wird empfohlen, die entsprechenden Netzwerkdaten auf dieser einfachen Grafik zu hinterlegen. z
Stammdatenblatt
Das Stammdatenblatt sollte dazu dienen, alle für die Installation und Konfiguration der Geräte wichtigen Daten auf einen Blick zur Hand zu haben. Auch hier ist der Inhalt vorab durch Checklisten zu erfragen. Dieses Stammdatenblatt kann bei entsprechender sorgfältiger Pflege auch als statistisches Tool verwendet werden. In ⊡ Tab. 26.1 ist das Stammdatenblatt einer tatsächlich umgesetzten Vernetzung dargestellt. Die in den Teiltabellen hervorgehobenen Felder sind Pflichtfelder, die von der EDV-Abteilung bearbeitet werden müssen. Bei der technischen Umsetzung der dezentralen Lösung ist an erster Stelle die EDV-Datenverbindung zwischen Krankenhaus und Anbieter wichtig. In der Regel ist eine EDV-Datenleitung zwischen der Klinik und dem Anbieter durch z. B. Telekom, Arcor etc. erforderlich. Diese Leitung sollte, je nach Umfang der Geräte in der Klinik, ≥1 MBit an Größe aufweisen. Über diese Datenleitung erfolgt die Kommunikation zwischen den POCT-Geräten sowie dem Labor im Krankenhaus zum DMS. Neben der EDV-Vernetzung müssen logistische Fragen geklärt und deren Umsetzung im Detail definiert werden. Die Vernetzung von POCT-Geräten braucht eine komplexe Systematik. Es gilt nicht nur darauf zu achten, dass POCT-Geräte zwecks Einhaltung
1
Oktober 20 31 1
12
19
November 21 23 24 25
26
Verantwortlich Labordienstleister Krankenhaus
Labordienstleister Krankenhaus Labordienstleister Labordienstleister
Konfig der ACI-2 vor Ort Aufstellung auf Station; Anbindung an Conworx aller Geräte
Schulung Personal
Conworx-Schulung des Programmes Poccellerator
⊡ Abb. 26.2 Projektplan: Einführung einer POCT-Vernetzung in einem Krankenhaus
Labordienstleister Stationspersonal
Labordienstleister
Konfig der Dockingstations
Start auf allen Station
Krankenhaus Labordienstleister
Krankenhaus Labordienstleister
Schnittstelle LIS / Conworx + Test ADT & Patientendaten
Eintragungen in Firewalls / Router; erstellen des Meditrac-Servers Test & Abnahme der Verbindungen nach Augsburg
Krankenhaus
30
Netzwerk Infrastruktur + StromAnschlussdosen im KH prüfen + Testen
September 20
Krankenhaus Labordienstleister
1
26
Implementierung der MPLSStandleitung bis Ende September
Tagesdatum: Datenerhebung Checklisten + Stammdatenblatt
340 Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
26
341 26.2 · Dezentrale POCT-Vernetzungen
⊡ Tab. 26.1 Stammdatenblatt einer POCT-Vernetzung Krankenhaus
Abteilung
Station
HL7-Stationskürzel
Anzahl Glukose-ACI-2
Gerätename im DMS
Muster-KH
Allgemeinchirurgie
C1
C1
1
BZ-C1-1;….
Muster-KH
Allgemeinchirurgie
C1
C1
1
BZ-C1-2;….
Muster-KH
Gefäßchirurgie
C2
C2
1
BZ-C2-1;….
Muster-KH
Gefäßchirurgie
C2
C2
1
BZ-C2-2;….
Hersteller
Modell
Port
Seriennummer
Messgerät aktiv
Messgerät aktiv seit:
Roche
ACI-2
3000
UU12001172
1
23.11.10
Roche
ACI-2
3000
UU12001247
1
23.11.10
Roche
ACI-2
3000
UU12001236
1
23.11.10
Roche
ACI-2
3000
UU12001237
1
23.11.10
Serien-Nr. BemerDockingstati- kung on/Combox
Dockingstation aktiv
Mac-Adresse Dockingstation/ Combox
Gerätename Dockingstation
DHCP ja/ nein
UUxx040584
1
00-xx-yy-00-yy-ED
C1 – xx.1.21.xx
Ja
UUxx040585
1
00-xx-yy-00-19-AE
C1 – xx.1.21.11
Ja
UUxx040550
1
00-xx-yy-00-1A-33
C2 – xx.1.21.12
Ja
UUxx040568
1
00-xx-yy-00-1A-1F
C2 – xx.1.21.13
Ja
IP-Adresse
Subnet
Gateway
DestinationIP (z. B. DMS): xx.1.21.253 Name des DMS: TestPOCT
Telnet Einlogname
Telnet Passwort Dockingstation
xx.1.21.xx
255.0.0.0
xx.1.1.254
xx.1.21.253
Labor
labor01
xx.1.21.11
255.0.0.0
xx.1.1.254
xx.1.21.253
Labor
labor01
xx.1.21.12
255.0.0.0
xx.1.1.254
xx.1.21.253
Labor
labor01
xx.1.21.13
255.0.0.0
xx.1.1.254
xx.1.21.253
Labor
labor01
342
Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
aller relevanten Richtlinien vernetzt werden, sondern auch dass der Service, der eine erhebliche Rolle für die Akzeptanz des Systems beim Pflegepersonal spielt, vertraglich zufriedenstellend geregelt wird.
26.2.2 POCT-Vernetzung in Praxen niedergelassener Ärzte
26
Auch im niedergelassenen Bereich gilt die Verpflichtung zur Qualitätskontrolle gemäß der RiliBÄK. Die Dokumentation in den Praxen geschieht vorwiegend noch handschriftlich. Je nach Art und Anzahl der Messgeräte ist diese Handhabung unproblematisch. In Praxen, die komplexere POCT-Geräte betreiben (z. B. Blutgas- oder Hämatologie-Geräte), ist eine Dokumentation handschriftlich sehr zeitaufwendig, da die Qualitätskontrolle dieser Geräte vollumfänglich gemäß der RiliBÄK durchzuführen ist. Hier würde sich eine Vernetzung der Geräte mit einem DMS anbieten, was allerdings für eine Arztpraxis vielfach nur schwer zu realisieren ist. Alternativ bieten sich Internet-Plattformen an (z. B. die der Fa. Conworx), die nach Eingabe der QC-Daten die Auswertung nach RiliBÄK vornehmen. Der EDV-Anbieter gewährleistet neben der fachlich und sachlich richtigen Auswertung eine dem Gesetz entsprechende Datensicherung. Die Kosten für den Arzt sind hier kalkulier- und überschaubar.
26.3
POCT1-A-Standard
Der Anschluss des POCT-Servers an das KIS wird i. A. über ein HL7(Health Level 7)-Protokoll realisiert, während für den Anschluss an das LIS ein ASTM(American Society for Testing and Materials)-Protokoll oder der POCT1-A-Standard benutzt wird. Das medizinische Kommunikationsprotokoll POCT1-A wurde entwickelt, um die Kommunikationswege zwischen POCT-Geräten und KIS zu standardisieren und eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Qualitätssicherung zu gewährleisten [11]. Als Grundlage diente die Spezifikation des CIC (Connectivity Industry Consortium, Vereinigung von Medizingeräteherstellern, In-vitro-Diagnostika-Firmen und Dienstleistern im Gesundheitswesen). Dieses CIC wurde im Jahre 1999 gegründet, nachdem eine Marktübersicht, initiiert durch die Industry Liaison Division der AACC (American Association for Clinical Chemistry), gezeigt
DML (”device messaging layer“) DAP (”device and access point“)
Device interface
⊡ Abb. 26.3 POCT-Interface gemäß CIC-Standard [4]
Devices LAN-Boxes Docking-Stationen
LAN-Box
POCTDevices
”data managers“, ”access point“ ”concentrators“
Observation reviewer
ORI (”observation reporting interface“)
Observation reporting interface
LIMS (”laboratory information and management system“)
Observation recipient
26.3 · POCT1-A-Standard 343
26
344
26
Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
hatte, dass zu jener Zeit in den USA nur etwa 17 % aller POCT-Geräte in einem Krankenhaus mit einem POCT-Server vernetzt waren [4]. Schon 2001 entstand daraus in Zusammenarbeit mit CLSI (Clinical Laboratory Standards Institute), HL7 (Health Level 7) und IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) eine internationale Spezifikation, die von der CLSI [10] anerkannt wurde und mit den gesetzlichen Vorschriften der beteiligten Länder kongruent ist [3]. Der Standard besteht aus 2 Kommunikationsschnittstellen, zum einen dem »device interface« (DI), zum anderen dem »observation reporting interface« (ORI). Das DI verknüpft das POCT-Gerät mit dem POCT-Server und beschreibt die Übermittlung von Messdaten über eine vorhandene Infrastruktur (Krankenhausnetzwerk). Das ORI befasst sich mit der Weitergabe dieser Daten an das KIS. In ⊡ Abb. 26.3 ist das POCT-Interface gemäß CIC-Standard dargestellt. Der POCT1-A-Standard sieht für die Kommunikation zwischen einem POCT-Gerät und dem Server die Verwendung von Nachrichten im XMLFormat vor. Dabei orientiert sich POCT1-A an der Struktur der HL7-Nachrichten. Im zweiten Teil des Standards werden die Weiterverarbeitung der gemessenen Werte in KIS und LIS sowie die Umwandlung von POCT1-ADaten in eine HL7-konforme Syntax beschrieben.
26.4
Programmanforderungen
An ein Software-Programm, das auf dem POCT-Server die Kommunikation zwischen den POCT-Geräten und der Anbindung an LIS und KIS aufrechterhält, sind folgende Anforderungen zu stellen [7]: ▬ zentrale Stammdatenpflege von POCT-Standorten, Geräten, Reagenzien, Kontrollmaterialien etc., ▬ Verwaltung der Listen der lizensierten Benutzer (User-ID), Übertragung an die einzelnen Geräte, ▬ bidirektionale Anbindung an das LIS/KIS, um Patientenstammdaten zu übernehmen und an die einzelnen Geräte zu senden, ▬ selbstständige Überwachung aller Prozessabläufe und Bericht über Status- und Fehlermeldungen der angeschlossenen POCT-Geräte, ▬ automatische Überwachung der Qualitätskontrollen,
345 26.4 · Programmanforderungen
26
▬ Bericht über Qualitätskontrolldaten als Tabelle oder Grafik (die dokumentierten Berichte müssen auf dem Server für Jahre archiviert bleiben), ▬ grafische Darstellung der Werte, ▬ übersichtliche farbliche Kennzeichnung von unvollständig oder fehlerhaft durchgeführten Qualitätskontrollen für den POCT-Koordinator, ▬ Sperren von Systemen/einzelnen Analyten bei fehlerhafter Qualitätskontrolle, ▬ Remote-Zugriff (Steuerung und Fernwartung einzelner Geräte, z. B. Sensorkalibrierung von Blutgassystemen), ▬ Übernahme der POCT-Patientenwerte der verschiedenen Geräte, ggf. Validierung und Freigabe, ▬ Übertragung der Patientenmesswerte als POCT-Befundbericht an LIS und KIS zur weiteren Prozessierung in der Patientenakte. Die Ergebnisse der Kontrollprobeneinzelmessungen müssen in Deutschland gemäß RiliBÄK 2008 folgendermaßen protokolliert werden: ▬ Art des Messgeräts und Seriennummer, ▬ Datum und Uhrzeit der Messungen, ▬ Identifikation der Kontrollprobe (z. B. Herstellerbezeichnung, Chargennummer), ▬ Messgröße (System, Analyt, Einheit), ▬ Kontrollprobenmesswert, ▬ Zielwert der Kontrollprobe, ▬ relative oder absolute Abweichung vom Zielwert, ▬ Bewertung gemäß Tabelle B1, Spalte 3, ▬ Freigabe- oder Sperrvermerk, ▬ Korrekturmaßnahmen und ▬ Name/Unterschrift des Untersuchers. In ⊡ Tab. 26.2 ist eine aktuelle Marktübersicht über die in Deutschland und Europa verfügbaren Datenmanagementsysteme für POCT zu finden [7]. Während in Europa der POCcelerator von Conworx, Berlin, als geräteunabhängige Software stark verbreitet ist, sind in den USA TELCOR Inc. (Lincoln, NE) mit der POCT-Manager-Software Quick-Linc/QML [1] und Medical Automation Systems (Charlottesville, VA) mit dem Produkt RALS-Plus [8] häufig anzutreffen. Weitere Anbieter sind der Literatur [5] zu entnehmen.
346
Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
⊡ Tab. 26.2 Marktübersicht über Datenmanagementsysteme in Deutschland (Stand: April 2008)
26
Hersteller
Proprietär, ein Verfahren
Proprietär, mehrere Verfahren
Unabhängig vom Gerätehersteller
Conworx
–
–
POCcelerator
Abbott
QC Manager
–
–
Siemens
–
RapidComm
–
HemoCue
HemoCue 201DM
–
–
Instrumentation Laboratory
GEMweb
–
–
Nova Biomedical
PDM
–
–
Radiometer
–
Radiance
–
Roche Diagnostics
–
26.5
Cobas IT 1000
Vor- und Nachteile einer POCT-Vernetzung
Die Vorteile einer IT-Lösung für das POCT sind wie folgt zu beschreiben: ▬ für den POCT-Anwender: – Zeitersparnis für Station und Pflegepersonal, – Information über den Stand der Qualitätskontrolle pro Gerät (Zeitpunkt der nächsten Qualitätskontrollmessung, Über- bzw. Unterschreiten des zulässigen Messbereichs), – elektronische, RiliBÄK-konforme Speicherungsmöglichkeit der Qualitätskontrolldaten (inklusive Benutzeridentifikationsnummer), – zeitnahe Problemlösung bei fehlerhaften POCT-Geräten, – Nutzungsmöglichkeit von vorformulierten Kommentaren, – Integration der POCT-Ergebnisse in einen kumulativen Befundbericht; ▬ für die POCT-Koordination im ZL: – Remote-Funktion für den POCT-Koordinator – erleichtert die Umsetzung von übergeordneten organisatorisch-administrativen Aufgaben
347 26.6 · Zukünftige Entwicklungen
26
(Verwaltung der Benutzer-ID, der Kontrollchargen, der Messgeräte-ID, der Arbeitsgruppen etc.), – Zeitersparnis für den POCT-Koordinator im ZL, – Möglichkeit der Anpassung der Kontroll- und chargenspezifischen Daten, – Möglichkeit der Anpassung der Qualitätskontrollregeln, – online durchgeführte Rekalibrierungen, z. B. von Blutgassystemen, – zeitnahe Problemlösung bei fehlerhaften Qualitätskontrollen (ggf. auch Sperrung von POCT-Geräten zentral vom Server aus); ▬ für das Krankenhaus: – Erstellen von Leistungsstatistiken, Kosten-Nutzen-Profilen etc., – bedarfsgerechte Steuerung der Neubeschaffung von POCT-Geräten, – gesteigertes Qualitätsbewusstsein beim Pflegepersonal und damit auch Intensivierung der nach außen darstellbaren Qualitätsmaßnahmen. Nachteilige Aspekte der Vernetzung aller POCT-Geräte sind jedoch:
▬ der zusätzliche finanzielle Aufwand zur Beschaffung von netzwerkfähigen Blutglukose- und Blutgasmessgeräten sowie die Umrüstung vorhandener Systeme für den Online-Betrieb, ▬ u. U. Schwierigkeiten beim POCT-Datenmanagement, Geräte bestimmter Bauarten oder Hersteller miteinander zu vernetzen, und ein ▬ Zementieren des Gerätespektrums – Wechsel von einem POCT-Gerätesystem zum anderen ist mit finanziellem und organisatorischem Aufwand verbunden (eine herstellerunabhängige POCT-Server-Software wie z. B. POCcelerator erleichtert hinsichtlich der Vernetzung jedoch einen derartigen Wechsel).
26.6
Zukünftige Entwicklungen
Wie die Neufassung der RiliBÄK 2008 zeigt, werden die Anforderungen des Gesetzgebers bezüglich der Sicherstellung einer hohen analytischen Zuverlässigkeit bei qualitativen und quantitativen Laboruntersuchungen in Zukunft sicherlich weiter zunehmen. Davon wird auch das POCT betroffen sein. Derzeit ist an vielen klinischen Einrichtungen neben der Qualitätssicherung auch die Dokumentation der erhaltenen POCT-Ergebnisse (vollständige Patientenstammdaten) verbesserungsbedürftig. Die DRG-Fallpauschalen
348
26
Kapitel 26 · POCT und Datenvernetzung
bedingen weiterhin einen Kostendruck, der stringente Qualitätssicherungsmaßnahmen und eine Transparenz beim Einsatz von POCT-Methoden erforderlich macht, um die Validität und die Notwendigkeit der patientennahen Diagnostik begründen zu können. Eine vernetzte POCT-Koordination kann für ein Krankenhaus hier hilfreich sein. Die neu geschaffenen Modelle einer integrierten Versorgung, z. B. in Form medizinischer Versorgungszentren, sind für Krankenhäuser speziell bei der Behandlung von chronisch Kranken interessant. In Hinblick auf die Qualitätssicherung von Patientenselbstmessungen können beteiligte Krankenhäuser diesen neuen Strukturen die eigene Vernetzungsorganisation anbieten. Hierfür werden in Zukunft Internet-basierte Serverprogramme wichtige technische Hilfestellungen leisten. Mittels Internet können sehr einfach alle notwendigen Daten von und zu einem POCT-Server ausgetauscht werden, sowohl von einzelnen Kliniken als auch von Patienten und Arztpraxen. Die Schulung und die Re-Zertifizierung von Pflegekräften werden im Rahmen des POCT-Qualitätsmanagements immer wichtiger werden. Hierzu sind webbasierte E-Learning-Module geeignet, die die POCT-Koordination unterstützen.
Literatur [1] Clarke B. Point-of-care testing connectivity – the new generation. Point of care 2007;6: 148–53 [2] Di Serio F, Amodio G, Varraso L, Campaniello M, Coluccia P, Trerotoli P, et al. (2005) Integration between point-of-care cardiac markers in an emergency/cardiology department and the central laboratory: methodological and preliminary clinical evaluation. Clin Chem Lab Med;43: 202–9 [3] Dyer K, Nichols JH, Taylor M, Miller R, Saltz J (2001) Development of a universal connectivity and data management system. Crit Care Nurs Q;24: 25–38 [4] Jones RG, Johnson OA, Hawker MD (2010). Informatics in point-of-care testing. In: Price CP, St John A, Kricka LJ (eds). Point-of-Care Testing. 3nd edition. AACC Press, Washington, DC, USA. 287–309 [5] Kost GJ (2002) Principles and practice of point-of-care testing. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, PA, USA., 501 [6] Luppa PB, Blobner M (2004) Online-Qualitätssicherung in der Sofortdiagnostik. Dtsch Ärztebl 101: A399–A400 [7] Luppa PB, Gässler N, Haeckel R, Hänecke P, Hafner D, Koschinsky T, et al.(2005) Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft »Point-of-care Testing« der DGKL zum Thema Vernetzung von POCT-Geräten im Krankenhaus mit Zentrallabor. J Lab Med;29: 241–245
349 Literatur
26
[8] Menke G. Medical automation systems and a brief history of point-of-care informatics. Point of care 2007;6: 154–9 [9] Messner B, Frick G, Blobner M, Albrecht K, Schade T, Luppa PB (2004) Online-Qualitätssicherung patientennaher Sofortdiagnostik (Point-of-Care-Testing) unter Nutzung des Kommunikations-Systems des Krankenhauses. J Lab Med;28: 264–72 [10] National Committee for Clinical Laboratory Standards (2001) Point-of-care connectivity; approved standard. NCCLS document POCT1-A. Wayne PA, USA [11] Nichols JH (2003) Quality in point-of-care testing. Expert Rev Mol Diagn;3: 563–72
27 Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 1 N. Gässler, G.Hafner
27.1
Kostenfragen im Vergleich – 352 Literatur
– 357
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_27, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
352
Kapitel 27 · Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 1
27.1
27
Kostenfragen im Vergleich
Bei der Kostenbetrachtung von POCT versus Labordiagnostik wird sehr häufig der höhere Preis für die POCT-Analytik angeführt [4]. Diese Sichtweise ist jedoch zu hinterfragen, da sie im Allgemeinen nur den Sachkostenanteil berücksichtigt. Die Analysekosten im Krankenhauslaboratorium sind für einen Analyten deshalb so preiswert, weil meistens große Mengen bei hohem Automationsgrad analysiert werden [5]. Dies ist konträr zu POCT. Hier werden Einzelanalysen durchgeführt, die nur unregelmäßig anfallen [6]. Die Kostenberechnung im Laboratorium beinhaltet aber neben den reinen Sachkosten für Reagenzien, Kontroll- und Kalibrationsmaterialien auch die gerätespezifischen Kosten wie Investition, Wartung, Verbrauchskosten für Strom, Wasser, Verbrauchsmaterialien etc. Zusätzlich sind die Personalkosten eines Laboratoriums nicht unerheblich; sie müssen für jede einzelne Analyse berücksichtigt werden. Auch die Kosten für Administration und Leitung (Overhead) dürfen dabei nicht vernachlässigt werden (⊡ Tab. 27.1). Schließlich sind Kosten für die Präanalytik, d. h. Probennahme und den anschließenden Transport der Probe in das Laboratorium in die Rechnung einzubeziehen. Die Übermittlung des Analyseresultats zum Einsender geschieht meistens EDV-gestützt. Hierfür sollten die entsprechenden Kosten für die Infrastruktur ebenfalls in die Berechnung aufgenommen werden [1, 3] (s. u.).
Kosten für Prä- und Postanalytik Kosten entstehen für: ▬ Blutabnahmesysteme ▬ Personalzeiten für Blutabnahme ▬ Anforderungsformulare oder Krankenhaus-EDV (»order-entry«) ▬ Personalzeiten für Laboranforderung ▬ Personalzeiten für Probentransport ▬ Labor-EDV ▬ Server Labor -/Krankenhaus-EDV ▬ Drucker, Fax etc. ▬ Personalzeiten für Dokumentation, Ablage der fertigen Befunde ▬ Personalzeiten für Qualitätskontrollmaßnahmen
353 27.1 · Kostenfragen im Vergleich
27
⊡ Tab. 27.1 Kostenarten Personal
Gehälter Beihilfen Fortbildung Sonstige Personalkosten
Materialien
Reagenzien (Laborbedarf ) Verbrauchsmaterial Bürobedarf Sonstiger Bedarf
Geräte
Gerätewartung Reparaturen Leasingverträge (über Geräte und Reagenzien oder Preis pro Ergebnis) Investivkosten (umlegen auf die geplante Laufzeit, Afa)
Sonstige Kosten
Raumkosten (direkt zuzuordnende Kosten für Instandhaltung, Energie, Telefon, Reinigung, etc.) Administration/Leitung
Beim POCT stehen definitionsgemäß die Analysengeräte nahe dem Patientenbett oder entsprechende Analysengeräte werden zum Patienten gebracht, um dort die Analytik durchzuführen. Da die Probennahme meist kapillär durchgeführt wird, kann hierdurch ein deutlicher Zeitvorteil erreicht werden [2]. In vielen Krankenhäusern Deutschlands ist die venöse Blutentnahme Arztsache, während die kapilläre Blutentnahme dem Pflegepersonal vorbehalten ist. Hierdurch ergeben sich schon deutliche finanzielle Unterschiede bei der Probenentnahme. Wie dargestellt, entfällt sehr häufig der Probentransport und somit dessen finanzielle Berücksichtigung. Für die POCT-Analytik auf den Stationen und in Ambulanzen werden die im Labor sich anschließenden Prozesse wie technische und medizinische Validierung, Befunddruck etc. häufig nicht berücksichtigt. Die der POCT-Messung hierfür direkt zuzuordnenden Personalkosten sind deutlich geringer als die vergleichbaren Personalkosten des Laboratoriums. Die postanalytischen Maßnahmen, z. B. Befundübermittlung, technische und medizinische Validation, Auswertung der Qualitätskontrolle u. a. müssen aber auch bei der POCT-Analytik berücksichtigt werden.
30
120
60
60
60
360
300
30
Erstellung einer Arbeitsplatzliste *
Wegezeit zur Blutentnahme (Labor – Station)
Blutentnahme
Wegezeit nach Blutentnahme (Station – Labor)
Vorbereiten der Analysengeräte *
Analytik *
Qualitätskontrolle (täglich) *
Durchschnittliche Zeiten [s]
Anforderung der Analyse (Order-Entry)
Labor
Qualitätskontrolle – Gerät (techn. Stand) ** Blutentnahme und Messung Qualitätskontrolle (1× wöchentlich) **
Pers.kosten 0,0832 Sachkosten 0,126 Pers.kost. 0,0082 Sachkosten 0,001
Wegezeit zum Patienten (Station – Patientenzimmer)
0,1002
0,5002
0,5002
0,5002
0,0332
180
180
120
30
20
0,1821 Anforderung der Analyse
Durchschnittliche Zeiten [s]
27
Durchschnittliche Kosten [€]
POCT
⊡ Tab. 27.2 Kosten der Glukosebestimmung im Vergleich von POCT und Labor
Pers.kosten 0,0151 Sachkosten 0,008
Pers.kosten 0,7281 Sachkosten 0,262
0,0731
0,1821
0,1211
Durchschnitt-liche Kosten [€]
354 Kapitel 27 · Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 1
Summe insgesamt
Summe Sachkosten ***
Summe Personalkosten
Vorlage beim Arzt
30
60
20
1,989
0,270
1,719
0,1821
0,3651
0,0333
0,0181
0,002
Durchschnitt-liche Kosten [€]
355
* durchschnittliche Serienlänge: 30 Einzelproben je Lauf; ** durchschnittliche Serienlänge: 10 Einzelproben je Tag; *** ohne Reparatur-/Wartungskosten; 1Personalkosten-Pflege, 2Personalkosten-Labor, 3Personalkosten Akademiker
2,086
Summe insgesamt
-
Vorlage beim Arzt
Befunddokumentation
0,0082
0,127
30
Befunddruck (auf Station) *
Medizinische Validation **
0,0113
Summe Sachkosten ***
20
Medizinische Validation *
Technische Validation **
0,0332 30
60
Qualitätskontrolle (monatlich) **
0,0012
1,959
120
Technische Validation *
Durchschnittliche Zeiten [s]
POCT Durchschnittliche Kosten [€]
Summe Personalkosten
60
Durchschnittliche Zeiten [s]
Qualitätskontrolle (monatlich) *
Labor
⊡ Tab. 27.2 Fortsetzung
27.1 · Kostenfragen im Vergleich
27
356
27
Kapitel 27 · Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 1
Diese Maßnahmen sind entsprechend der RiliBÄK verpflichtend; sie werden in der Regel vom Zentrallabor erbracht. Aber nicht nur der Zeitvorteil und die Qualitätsunterschiede sollen hier erwähnt werden, sondern auch Fragen des medizinischen und ökonomischen Nutzens. »Ein wesentliches Kriterium der patientennahen Sofortdiagnostik ist die unmittelbare Ableitung therapeutischer Konsequenzen aus der durchgeführten Laboratoriumsuntersuchung«. Diese Begriffsbestimmung steht wörtlich in der RiliBÄK. Sie unterstreicht den Nutzen von POCTVerfahren, sofern die schnelle Analytik ein sofortiges medizinisches Handeln ermöglicht. Am Beispiel der kapillären Blutglukosemessung wird das POCT-Verfahren der gängigen Laborpraxis gegenübergestellt, und in ⊡ Tab. 27.2 werden die hierfür notwendigen Personalzeiten und Kosten miteinander verglichen. Die Kosten des Pflegepersonals werden mit durchschnittlich 35.000 €, die des Laborpersonals mit 48.000 € pro Stelle und Jahr kalkuliert. Da die Glukosebestimmung als POCT vom Pflegepersonal ausschließlich als Einzelmessung durchgeführt wird, können die notwendigen Personalzeiten direkt mit den zuvor genannten Bruttoarbeitslöhnen multipliziert werden. Für die Berechnung der Tätigkeiten für die Qualitätskontrolle und Validation werden ca. zehn Einzelbestimmungen pro Tag zugrunde gelegt. Im Zentrallabor werden die Glukosebestimmungen in der Regel seriell abgearbeitet; die durchschnittliche Serienlänge wird mit ca. 30 Einzelproben je Lauf angenommen. Deshalb sind die für die einzelne Glukosemessung notwendigen Personalzeiten anteilig berechnet (hierfür dienten die Zeit- und Kostenkalkulationen der beiden Autoren). Für die kapilläre Blutentnahme sind mehrere Personen des Labors zuständig; deren Hol-Listen umfassen durchschnittlich zehn Patienten. Für Wegezeiten und Blutentnahme je Mitarbeiter und Patient werden insgesamt 3 min, entsprechend 1,50 € Personalkosten, kalkuliert. Für die kapilläre Blutglukosemessung am POC kann festgestellt werden, dass die Kosten vergleichbar hoch sind wie die Glukosebestimmung im Zentrallabor. Dies erklärt sich durch die um mehr als das Doppelte höheren Sachkosten für den Teststreifen und die geringeren Personalzeiten bzw. Personalkosten. Dieser Vergleich ist jedoch von der Situation des jeweiligen Krankenhauses abhängig (z. B. von der Frage, ob eine Rohrpostanlage vorhanden ist). Zusätzlich ist für die Einzelleistung der kapillaren Blutglukosebestimmung zu berücksichtigen, dass die schnelle Verfügbarkeit von Analysenwer-
357 Literatur
27
ten direkte therapeutische Maßnahmen ermöglicht und für den Patientenservice wichtig ist. Für den gesamten Behandlungsprozess sind dies bedeutsame Kriterien, die in einer einfachen Kostenrechnung nicht abgebildet werden können.
Literatur [1] Anonymus(2007) MAGD-Modell – Vorschläge zur Vereinheitlichung der Kennzahlenermittlung in Krankenhauslabors. www.krankenhauslabor.de [2] Felder RA (2002) The distributed laboratory: Point-of-care services with core laboratory management. In: Price CP, Hicks JM (eds) Point-of-care Testing AACC Press, Washington, pp 99–118 [3] Gässler N (2001) Personalkosten im diagnostischem Labor – Nicht-Vergleichbares vergleichen. Klinik Management Aktuell 55: 70–71 [4] Junker R, Schlebusch H, Luppa PB (2010) Point-of-care testing in hospitals and primary care. Dtsch Arztebl Int; 107: 561–7 [5] Plecko I, Pfeiffer A, Wieland E (2007) Laborautomation im Krankenhaus: Systeme, IT, Potentiale und Perspektiven. J Lab Med 31: 206–235 [6] Schimke I, Griesmacher A, Schimke E, Müller MM (2006) Patientennahe Sofortdiagnostik (Point-of-Care Testing; POCT) im Krankenhaus – Ja oder Nein. Intensivmed 43: 143–155
28 Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 2 W. von Eiff, M. Lingemann
28.1
Infrastrukturelle Voraussetzungen – 361
28.2
Qualitative Leistungsfähigkeit – 362
28.3
Laborspezifische Leistungen – 363
28.4
Fazit
– 365
Literatur
– 366
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_28, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
360
Kapitel 28 · Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 2
Der medizinisch-technische Fortschritt und die damit verbundene Entwicklung innovativer, aber auch kostenintensiver Behandlungsmethoden sowie die gedeckelten finanziellen Mittel und ein zunehmender Investitionsstau verstärken die Ansprüche an ein ökonomisches Handeln im Krankenhaus. Insbesondere die labormedizinische Versorgung gerät dabei ins Blickfeld des zu Einsparungen gezwungenen Managements, obwohl mit 2–5 % nur ein kleiner Teil der jährlichen Krankenhausbetriebskosten auf Laborleistungen entfällt [10]. Als ein möglicher Entscheidungsspielraum gilt die Frage, ob Laborleistungen (weiterhin) im Krankenhaus selbst erbracht oder an ein
⊡ Tab. 28.1 Kriterien für/gegen Fremdvergabe von Laborleistungen
28
Outsourcing ist sinnvoll für
Outsourcing ist nicht sinnvoll für
Leistungen, die nach Inhalt, Menge, Art und Zeitpunkt bestimmbar sind
Leistungen, die die Kernkompetenzen widerspiegeln
Leistungen, die auch nach einer Auslagerung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit beurteilt werden können
Leistungen, bei denen die Nähe zum Kunden besondere Bedeutung hat
Repetitive Leistungen, die auf »verlängerter Werkbank« erstellt werden
Funktionseinheiten, deren Leistungsbeitrag bereits durch einzelne Optimierungsmaßnahmen signifikant erhöht werden kann
Leistungen, die künftig nicht mehr dem Kerngeschäft angehören sollen
Funktionseinheiten, die nur durch Zusammenarbeit mit anderen Funktionseinheiten höchste Ergebnisse erzielen
Funktionseinheiten, die im direkten Vergleich mit einem externen Konkurrenten mind. 30 % teurer sind
Funktionseinheiten, die Möglichkeiten für neue Geschäftsfelder bieten
Management- und Kulturveränderungen i. S. eines BPR
Funktionseinheiten, bei denen alternative Formen der Kooperation leicht umgesetzt werden können
Funktionseinheiten, die nach Outsourcing gemeinsam mit den Primärleistern zur kontinuierlichen Kostensenkung und Qualitätsverbesserung bereit sind
Funktionseinheiten, deren verfügbare Geräte am Beginn des technologischen Lebenszyklus stehen
361 28.1 · Infrastrukturelle Voraussetzungen
28
externes Labor vergeben werden sollen; dabei spielen der aktuelle wie der geplante Nutzungsgrad der patientennahen Sofortdiagnostik (POCT) eine wichtige Rolle. Eine generelle Beantwortung der Frage nach Eigenerstellung oder Fremdvergabe erscheint aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen einzelner Krankenhäuser nicht möglich. Im Folgenden werden daher Kriterien vorgestellt, die vor einer solchen Entscheidung Beachtung finden sollten. Labormedizinische Untersuchungen sind wesentlicher Bestandteil der medizinischen Leistungserbringung. Sie werden bei mehr als 60 % der zu stellenden Diagnosen hinzugezogen, und bei mehr als 95 % der stationären Patienten wird im Rahmen ihres Aufenthalts mindestens eine Laboruntersuchung veranlasst [1]. Dies erfordert eine effiziente, auf das jeweilige Krankenhaus abgestimmte Organisation des klinischen Labors. Es muss also die dauerhafte, auf Spezialisierung beruhende, zielgerichtete Strukturierung und Koordination von Personen, Sachmitteln und Informationen einer einzelnen Einheit in den Ordnungsrahmen des gesamten Unternehmens Klinik gebracht werden [6, 11]. Ob dies im Einzelfall zentralisiert von medizinischtechnisch ausgebildetem Laborpersonal unter fachärztlicher Leitung oder im Rahmen des POCT vom Stationspersonal durchgeführt werden sollte, ist ebenso eine Variable wie die räumliche oder organisatorische Zuordnung des Labors zu denen, die die Leistung anfordern. Für ein Entscheidungsraster müssen individuelle Rahmenbedingungen des Krankenhauses ebenso berücksichtigt werden wie die Möglichkeit, Fähigkeit und Bereitschaft zur Eigenleistung bzw. zur Fremdvergabe (⊡ Tab. 28.1).
28.1
Infrastrukturelle Voraussetzungen
Auf der ersten Ebene eines möglichen Entscheidungsrasters zur Fortführung oder Einrichtung eines eigenen Labors stehen räumliche, baulich-funktionale und ergänzende Strukturmerkmale des jeweiligen Krankenhauses. Nach der Feststellung, ob bereits ein eigenes Labor vorhanden ist, muss die Frage beantwortet werden, ob das Krankenhaus über eine entsprechende Gelände-/ Gebäudestruktur verfügt, ob sich also das Labor in unmittelbarer Nähe zum Leistungsnachfrager befindet oder dort eingerichtet werden kann. Des Wei-
362
Kapitel 28 · Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 2
teren ist das Vorhandensein ergänzender technischer Ausstattungen (z. B. Rohrpost) zu prüfen. In Fällen, in denen entsprechende Rahmenbedingungen nicht gegeben sind, würde die Einrichtung eines eigenen Labors hohe Grundinvestitionen voraussetzen.
28.2
28
Qualitative Leistungsfähigkeit
Wenn die Rahmenbedingungen den Betrieb eines eigenen Labors nicht ausschließen, muss auf der nächsten Ebene die qualitative Leistungsfähigkeit betrachtet werden. Der Betrieb eines eigenen Labors setzt die Erfüllung hoher Qualitätsanforderungen voraus, die wiederum Folgekosten nach sich ziehen können, denn Einrichtungen, die Laboruntersuchungen vornehmen, müssen sich an Vorgaben und Richtlinien halten und diese durch interne und externe Qualitätsprüfungen kontrollieren ( Kap. 29 und 31). Als Hilfskriterien können im Rahmen der Qualitätsbetrachtung die Aspekte Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Verfügbarkeit herangezogen werden. Aufgrund der hohen Bedeutung der Laboratoriumsmedizin in der Diagnostik ist die Zuverlässigkeit des Befunds von außerordentlicher Wichtigkeit. Fehldiagnosen und -therapien aufgrund falscher Laborergebnisse können dem Patienten Schäden physischer wie auch psychischer Art zufügen und verursachen vermeidbare Kosten. Des Weiteren sind Laboranforderungen gerade in Notfallsituationen mit größtmöglicher Schnelligkeit zu bearbeiten, um dem behandelnden Arzt eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. Die Messgröße für die Bearbeitungszeit ist die »Labor-Turnaround-Time« (TAT). Diese umfasst die Zeitspanne zwischen der Probenanforderung und der Verfügbarkeit des Analyseresultats. Um für die Verlaufs- und Therapiekontrolle kritischer Patienten, beispielsweise in der zentralen Notaufnahme oder auf der Intensivstation, jederzeit aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, muss eine ständige Verfügbarkeit der wichtigsten Parameter garantiert werden. Dies betrifft vor allem Messgrößen zur Überwachung der Vitalfunktionen sowie zur Abklärungsdiagnostik bei akutem Koronarsyndrom, Verdacht auf Herzinfarkt, Herzinsuffizienz sowie beim Verdacht auf tiefe Venenthrombosen. Bei den zur Auswahl stehenden Organisationsformen wird vorausgesetzt, dass das Kriterium »Zuverlässigkeit« für alle Laborformen gleichermaßen
363 28.3 · Laborspezifische Leistungen
28
erfüllt ist. Dies wird u. a. durch die Einhaltung der RiliBÄK sichergestellt. Für POCT sind die wichtigen Kriterien von Schnelligkeit und Verfügbarkeit i. A. erfüllt; darüber hinaus deckt das Analysespektrum von POCT inzwischen viele Parametern für die unterschiedlichsten Fragestellungen ab ( Kap. 1).
28.3
Laborspezifische Leistungen
Nach Prüfung der Rahmenbedingungen und Qualitätskriterien sind Aspekte laborspezifischer Leistungen zu analysieren. Dabei ist zu untersuchen, welches Parameterspektrum sinnvoll ist und ob eine wirtschaftliche Kapazitätsauslastung durch die Leistungsnachfrager erreicht werden kann. Zu berücksichtigen sind insbesondere Struktur- und Prozesskosten. Natürlich bedingt auch die Implementierung und Nutzung von POCT einen zusätzlichen Kapitaleinsatz: zum einen, weil neben den Anschaffungsund Wartungskosten für die Geräte mit deutlich höheren Kosten für die (vorkonfektionierten) Reagenzien gerechnet werden muss [5], zum anderen, weil auch bei umfangreicher Nutzung der POCT-Technologie die Kapazitäten des Zentrallabors u. U. nicht vollständig aufgegeben werden können. Den zusätzlichen Aufwendungen können aber auch erhebliche Nutzenpotenziale gegenüberstehen, die sich aus der zeitnahen Verfügbarkeit der Laborergebnisse und deren rascher therapeutischer Umsetzung ergeben. In der vom Centrum für Krankenhaus-Management (CKM) aktuell durchgeführten NAPOC-Studie (Notfall-Aufnahme und POC-Technologien) wird festgestellt, dass bei der Versorgung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom das Vorliegen der Troponin-Werte nach 18–20 min von erheblicher klinischer und ökonomischer Relevanz ist. Einerseits geht das Risiko unerkannter Herzinfarkte zurück, andererseits reduziert sich die Gesamtverweilzeit eines Patienten mit akutem Koronarsyndrom (AKS) in der Notaufnahme von 05/05:30 Stunden auf 04:20/4:30 Stunden. Die Konsequenzen einer Verlagerung der Diagnostik vom Zentrallabor in die zentrale Notaufnahme (ZNA) sind: ▬ deutlich kürzere Verweildauer von AKS-Patienten, ▬ Vermeiden der Blockierung von Untersuchungs-/Behandlungsplätzen, ▬ Vermeiden unnötigen Verlegungen wegen Kapazitätsmangel in der ZNA auf die »falsche« Station (z. B. Intensivstation mit Tageskosten von 1.000 bis 1.200 €).
364
28
Kapitel 28 · Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 2
Die genannte Studie belegt, dass POCT-Technologien in der ZNA einen aus Sicht der Ärzte besser planbaren Diagnoseprozess ermöglichen: Die Varianzen in der Labor-Turnaround-Time (TAT) verringern sich von 45–60 min bei Zentrallaborlösungen auf 18–22 min bei POCT-Lösungen. Hier zeigt sich, dass eine Investition in eine leistungsfähige POCT-Technologie die medizinische Qualität erhöht, das Risiko für Patienten reduziert und dass dies Prozess- sowie Betriebskosten senken kann. Auch im Stationsbetrieb lassen sich klinische und ökonomische Vorteile des POCT-Einsatzes nachweisen. Eine vom CKM bei stationären Patienten durchgeführte Studie (GLUMO-Studie) [7] zeigt, dass ein dezentral vernetztes Glukose-Monitoring mittels der POCT-Messgeräte einer zentralen nicht-vernetzten Lösung (Zentrallabor) ökonomisch und klinisch überlegen ist. Mithilfe der »Risikogewichteten Prozesskostenanalyse« (RPA) [12] wurde festgestellt, dass es z. B. zu einem signifikanten Rückgang von Hypoglykämien kam, der Teststreifenverbrauch im Durchschnitt um 10–20 % zurückging und die therapeutische TAT-Zeit verkürzt wurde. Die Begrenzung von schwankenden Glukosewerten bzw. die Reduktion glukosebedingter Zwischenfälle verminderte die Kosten für »Gegentherapien« sowie für blockierte Betten aufgrund der Verlängerung der Verweildauer. Auch bei den Personalkosten sind langfristig Einsparungen möglich [4]. Die Personalkosten stellen mit über 50 % den größten Anteil der Fixkosten im llinischen Labor dar [9], wobei vor allem ein Bedarf an qualifiziertem medizinisch-technischem Personal und u. U. an Fachärzten der Laboratoriumsmedizin besteht [2]: Eine Reduzierung der Personalkosten ist bei zunehmender Nutzung von POCT auf den verringerten Personalbedarf zurückzuführen, da POCT-Analysen in der Regel vom Pflegepersonal durchgeführt werden können. Dabei ist allerdings zu beachten, dass insbesondere in der ZNA und auf Intensivstationen POCT-Arbeiten (incl. Qualitätskontroll- und Dokumentationsarbeiten) vom Stationspersonal nicht »nebenbei« erledigt werden können, sondern dass dort u. U. höhere Personalkosten wegen notwendig werdender zusätzlicher Stellen anfallen können. Bei krankenhauseigenen Laboren kann u. U. eine Reduzierung der Bereitschaftsdienste des Laborpersonals zu Kosteneinsparungen führen. Für die wirtschaftliche Nutzung der Ressourcen sind das Analysenspektrum und die Kapazitätsauslastung wichtige Entscheidungsgrößen. So muss nicht nur die Entscheidung getroffen werden, welche Parameter selbst analysiert oder welche Bestimmungen vergeben werden, sondern auch, ob durch
365 28.4 · Fazit
28
das Leistungsportfolio des Labors eine bestimmte Spezialisierung erfolgen kann. Entsprechende Leistungen können extern angeboten werden und eine neue Einnahmequelle bieten. Für einen kontinuierlich hohen Auslastungsgrad ist ein entsprechendes Probenaufkommen notwendig, das sich in kleineren Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung eventuell nur in Kooperation durch eine zentralisierte Erbringung von Laborleistungen realisieren lässt. Ein hoher Auslastungsgrad ermöglicht Vergrößerungen der Serienlängen in der Analyse, was wiederum eine Fixkostendegression bewirken kann [3]. Kleine Serienlängen hingegen verursachen höhere Kosten je Probe; sie zählen zu den größten Kostentreibern im klinischen Labor [8]. Auch eine Auslastung am Kapazitätslimit kann Kostensteigerungen zur Folge haben, die durch erhöhten Werteverzehr technischer Anlagen, Überstundenvergütung und Qualitätsverluste aufgrund von Überforderung des Personals entstehen.
28.4
Fazit
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass man auch bei Vollkostenrechnung in einem budgetierten Krankenhaus mit durchdachten diagnostischen Konzepten im klinischen Bereich Einsparungen erzielen und damit wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Um Wartezeiten zu verkürzen und den diagnostischen Ablauf zu beschleunigen, müssen die Organisationsprozesse für eine schnelle Analyse von Patientenproben im Zentrallabor optimiert und gleichzeitig eine sinnvolle POCT-Architektur bei den Akutbehandlungsplätzen geschaffen werden. Die vorgestellten Kriterien bieten eine mögliche Entscheidungshilfe für die Frage nach Eigenerstellung oder Fremdvergabe von Laborleistungen. Da aufgrund krankenhausspezifischer Rahmenbedingungen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden müssen, ist eine generelle Beantwortung der Frage nicht möglich. Es ist vielmehr zu prüfen, wie bestimmte Kriterien im Einzelfall zu gewichten sind. So ist eine potenziell hohe Kapazitätsauslastung erst dann ausschlaggebend für den Behalt eines klinikeigenen Labors, wenn die Entscheidungsträger sich möglicher Folgekosten, beispielsweise durch qualitätssichernde Maßnahmen, bewusst sind. Ähnliches gilt für die Vergabe. Hier ist vor dem Einkauf spezifischer Laborleistungen (bestimmter Parameter) bei externen Laboranbietern zu prüfen, ob auch eine Erweiterung des
366
Kapitel 28 · Krankenhausökonomische Aspekte von POCT – Teil 2
eigenen Parameterspektrums möglich ist. In Bezug auf die patientennahe Sofortdiagnostik müssen Art und Umfang der POCT-Ausstattung festgelegt werden. Zu beachten ist hier, dass anfangs anfallende Mehrkosten (primär Gerätebeschaffung, erforderliche Reagenzien etc.) ggf. durch die Zeitersparnis im Versorgungsprozess sowie eine langfristige Reduktion der LaborVorhaltekosten ausgeglichen werden können.
Literatur
28
[1] Aufenanger J, Schernikau E, Wieland E (2010) Die zukünftige Rolle des Krankenhauslabors. J Lab Med;34: 271–276 [2] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Unter-suchungen. Dtsch Ärztebl 105: A341–A355. Korrekturen: Dtsch Ärztebl 105; A 650 und Dtsch Ärztebl 2010;107, A 51–52 [3] Coenenberg AG¸Fischer TM, (2009) Kostenrechnung und Kostenanalyse, 7. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart [4] Gässler N, Hafner G (2008) Krankenhausökonomische Aspekte – Kosten von POCT. In: Luppa PB, Schlebusch H (Hrsg.): POCT – Patientennahe Labordiagnostik, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 191–196 [5] Junker R, Schlebusch H, Luppa PB (2010) Point-of-care testing in hospitals and primary care. Dtsch Arztebl Int; 107: 561–7 [6] Macharzina K, Wolf J (2008): Unternehmensführung – Das Internationale Managementwissen – Konzepte – Methoden – Praxis, 6. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden [7] Publikation der Studie in Vorbereitung [8] Salfeld R, Hehner S, Wichels R (2009) Modernes Krankenhausmanagement – Konzepte und Lösungen, 2. Aufl., Springer Verlag, Berlin/Heidelberg [9] Schriewer H, Frangenberg HR (1998). Das wirtschaftliche Krankenhauslabor – Qualitätsverlust oder Effizienzsteigerung, Deutsches Ärztebl, 95: A 1085–1087 [10] VDGH (2009), GKV-Ausgaben 2008, http://www.vdgh.de/media/file/30.gkv-ausgaben2008-internet_1.pdf, am 29.03.2011 [11] von Eiff W (1979): Organisationsentwicklung – Personalpolitische, strukturelle sowie kosten-leistungsorientierte Aspekte organisatorischer Änderungen, Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse, Band 80, Duncker & Humblot Verlag, Berlin [12] von Eiff W (2011: Patientenorientierte Arzneimittelversorgung, Georg Thieme Verlag, Stuttgart
V V Qualitätssicherung 29
EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen – 369 F. Spitzenberger, G. Hafner
30
POCT in Österreich und der Schweiz – 385 C. Kubasta, E. Viollier
31
Qualitätssicherung und Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) – 391 H. Schlebusch, O. Sonntag
32
Qualitätsmanagementsysteme für das POCT: Internationale Standardisierung und Akkreditierung – 401 F. Spitzenberger, G. Hafner
29 EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen F. Spitzenberger, G. Hafner
29.1
Einleitung
29.2
Europarechtliche Rahmenbedingungen für Medizinprodukte – 371
29.3
Anforderungen der europäischen Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (IVD-Richtlinie) – 375
29.4
Zukünftige Revision des europäischen Medizinprodukterechts – 380
29.5
Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG) und nachgeordnete Verordnungen – 381 Literatur
– 370
– 382
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_29, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
370
29.1
29
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
Einleitung
Die gesetzlich geregelte Qualitätssicherung für das POCT kann grundsätzlich in zwei Bereiche differenziert werden, die aus europarechtlichen Bestimmungen für das Inverkehrbringen von In-vitro-Diagnostika (IVD), zu denen POC-Diagnostika gehören, resultieren. Diese Bestimmungen sind Teil eines europäischen Konzepts der technischen Harmonisierung und Rechtsangleichung zur Realisierung des EU-Binnenmarktes für eine Reihe von Produkten, zu denen auch IVD zählen. Abschnitt 2 dieses Kapitels erläutert das Konzept, dessen im Jahr 2008 erfolgte Revision und seine Anwendung im Medizinproduktebereich. Einerseits ergeben sich aus der europäischen Gesetzgebung für IVD direkt umfangreiche Anforderungen an die Qualitätssicherung bei der Herstellung dieser Produkte. So sind Hersteller im Zusammenhang mit der sog. Konformitätsbewertung von IVD u. a. verpflichtet, ein Qualitätssicherungssystem aufrechtzuerhalten und zu dokumentieren. Abschnitt 3 dieses Kapitels beschreibt die Anforderungen im Zusammenhang mit der Konformitätsbewertung von IVD, wie diese in der europäischen Richtlinie über IVD (IVD-Richtlinie) dargelegt werden und als nationales Recht in Deutschland durch das 2. Medizinprodukteänderungsgesetz implementiert wurden. Andererseits sind mittlerweile gesetzlich geforderte Qualitätssicherungsmaßnahmen beim Betreiben und Anwenden der Diagnostika als indirekte Konsequenz der Bestimmungen der IVD-Richtlinie anzusehen. Hierzu zählen u. a. die Regelungen der dem Medizinproduktegesetz (MPG) nachgeordneten Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) und der dort verankerten Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK). Ferner spielt auch die Akkreditierung medizinischer Laboratorien eine Rolle, die in Deutschland zwar grundsätzlich freiwillig erfolgt, aber in einigen Teilgebieten der medizinischen Labordiagnostik bzw. verwandten Bereichen, wie z. B. dem Neugeborenen-Screening und der Abstammungsbegutachtung, gesetzlich verpflichtend ist. Auch ist im MPG in Zusammenhang mit der Konformitätsbewertung von IVD und anderen Medizinprodukten die sog. Anerkennung von Laboratorien gesetzlich geregelt, wobei die Anerkennung auf einer Akkreditierung aufbaut. Das MPG wird mit seinen für IVD relevanten Prinzipien und nachgeordneten Verordnungen im Abschnitt 4 dieses Kapitels dargelegt.
371 29.2 · Europarechtliche Rahmenbedingungen
29.2
29
Europarechtliche Rahmenbedingungen für Medizinprodukte
29.2.1 »Neue Konzeption« und »Globales Konzept« der
Rechtsangleichung im EU-Binnenmarkt Zu den vier sog. fundamentalen Freiheiten des Europäischen Binnenmarkts gehören gemäß den Bestimmungen des EG-Vertrags der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Zum Abbau von Handelshemmnissen und damit zur Realisierung des Binnenmarkts trifft die Europäische Gemeinschaft Maßnahmen zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihrer Mitgliedstaaten. Diese Maßnahmen betreffen vom Europäischen Rat (und ggf. vom Europäischen Parlament) erlassene Richtlinien, die von den Mitgliedsstaaten der EU in nationales Recht umzusetzen sind [19]. Europäische Richtlinien können sich zum einen durch detaillierte Sachverhaltsregelungen und damit einhergehende Vereinheitlichungsstrategien auszeichnen. Solche Richtlinien weisen eine hohe Regelungsdichte auf und beruhen auf einer in der Geschichte der europäischen Rechtssetzung historisch älteren Konzeption. Von dieser Konzeption der Rechtsangleichung betroffene Produkte sind beispielsweise Arzneimittel, die derzeit nach der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex‘ für Humanarzneimittel reguliert werden [25]. Wesentliches Merkmal ist die in der Regel unter staatlicher Autorität stehende Prüfung und Zulassung der betroffenen Produkte vor deren Markteinführung, um möglichst weitgehend Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Produkte sicherzustellen. Zum anderen existieren Harmonisierungsrichtlinien nach der sog. »Neuen Konzeption« der Rechtsangleichung – einer regulatorischen Strategie, die auf einem Ratsbeschluss aus dem Jahr 1985 [11] beruht und folgende Prinzipien aufweist: 1. Die Rechtsangleichung beschränkt sich auf die Formulierung von grundlegenden Anforderungen, die Produkte unter Berücksichtigung von gesundheits- und umweltschutzrechtlichen Aspekten zur Verkehrsfähigkeit auf dem europäischen Markt erfüllen müssen. 2. Technische Produktspezifikationen sowie detaillierte Prozessvorgaben finden sich unter Bezug auf die grundlegenden Anforderungen der Richtlinien in harmonisierten Normen, die nicht vom europäischen
372
29
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
Gesetzgeber, sondern von europäischen bzw. internationalen Normungsgremien erarbeitet werden (siehe Abschnitt 3.3). Zwar ist die Anwendung der Normen nicht gesetzlich verpflichtend, jedoch wird die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen vermutet, wenn die harmonisierten Normen befolgt werden. Man spricht von der sog. Konformitätsvermutung. 3. Die europaweite Verkehrsfähigkeit von Produkten wird durch gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen erreicht, die in der Regel in alleiniger Verantwortung der Produkthersteller durchgeführt werden. Wo im Fall von Produkt- und Herstellungsmängeln schwerwiegende Risiken für die Gesundheit und Sicherheit entstehen könnten, müssen zusätzlich unabhängige Prüfstellen, sog. Konformitätsbewertungsstellen, in die Konformitätsbewertung einbezogen werden. Konformitätsbewertungsverfahren resultieren in Konformitätserklärungen, die von allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden. Die vom Hersteller auf jedem Produkt angebrachte CE-Kennzeichnung verdeutlicht schließlich die Übereinstimmung oder Konformität mit europäischen gesetzlichen Anforderungen und ist die Voraussetzung für die Verkehrsfähigkeit (CE = fr. »conformité européenne«). Die Neue Konzeption wurde durch das »Globale Konzept für die Konformitätsbewertung» ergänzt [2, 7, 10], das für die Hersteller die Wahl zwischen verschiedenen Konformitätsbewertungsverfahren vorsieht, die sich jeweils wiederum aus verschiedenen Modulen für die Design- und Fertigungsphase der Produkte zusammensetzen. Die jeweils relevanten Harmonisierungsrichtlinien enthalten die Information, welche Module und welche Verfahren der Konformitätsbewertung der Produkte grundsätzlich anwendbar sind. Ferner sieht das Globale Konzept nicht nur für die infrage stehenden Produkte Konformitätsbewertungen vor, sondern auch für die ggf. beteiligten Konformitätsbewertungsstellen, zu denen Zertifizierungsstellen und beteiligte Unterauftragnehmer, z. B. Prüflaboratorien, zählen. Da diese Stellen an der Bewertung der Produkte vor allem im Hinblick auf Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen beteiligt sind, wird von ihnen ein hohes Maß an Qualität und Kompetenz gefordert. Die Kompetenzkriterien für die Konformitätsbewertungsstellen finden sich in den Harmonisierungsrichtlinien dokumentiert. Die Übereinstimmung mit diesen Kriterien wird in der Regel durch europaweit gültige Akkreditierungen, die von nationalen Akkreditie-
373 29.2 · Europarechtliche Rahmenbedingungen
29
rungsstellen ausgesprochen werden, nachgewiesen. Die staatlich akkreditierten Zertifizierungsstellen werden von den Mitgliedsstaaten an die Europäische Kommission gemeldet oder »benannt«; aus diesem Grund spricht man dann von »benannten Stellen« [10, 23]. Mit dem Ziel weiterer Harmonisierung und Erhöhung der Konsistenz von Regelungen zum freien Warenverkehr wurden die Neue Konzeption und das Globale Konzept im Jahr 2008 weitreichend modernisiert: Das aus drei europäischen Rechtsakten bestehende »New Legislative Framework« hat das Ziel, ein europäisches, auf Akkreditierung beruhendes Konzept zur Kompetenzevaluierung von Konformitätsbewertungsstellen zu schaffen, die Marktüberwachungsstrategien in den Mitgliedsstaaten unter Beachtung aktueller Anforderungen an die Produktsicherheit zu harmonisieren und auf diese Weise die Bedeutung und Verlässlichkeit der CE-Kennzeichnung der auf dem europäischen Markt befindlichen Produkte zu stärken [3, 27, 28] ( Kap. 32).
29.2.2 Harmonisierung im Bereich Medizinprodukte
und Bedeutung für das POCT Zu den über 20 verschiedenen Produktgruppen, die durch Harmonisierungsrichtlinien der Neuen Konzeption geregelt werden, gehören auch Medizinprodukte. Sie zählen zu den sensibelsten nach diesem Konzept geregelten Produkten, was die Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit bzw. Leistung im Hinblick auf den Gesundheitsschutz betrifft. Das Basisregelwerk für Medizinprodukte bilden drei europäische Richtlinien. Richtlinie 90/385/EWG umfasst Regelungen für aktive implantierbare medizinische Geräte [8], Richtlinie 93/42/EWG regelt die vielfältige Produktpalette der Medizinprodukte [9], zu denen so unterschiedliche Produkte wie Mullbinden, Kondome, Kontaktlinsen usw. zählen, und Richtlinie 98/79/ EG, die schließlich In-vitro-Diagnostika regelt [13]. Die Richtlinien wurden in den vergangenen Jahren mehrmals ergänzt und geändert, zuletzt im Jahr 2007 (⊡ Abb. 29.1) [26]. In Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern hatte die europäische Harmonisierung der Gesetzgebung im Medizinproduktebereich weitreichende Auswirkungen. So wurden beispielsweise Anforderungen an IVD in Deutschland ehemals sehr heterogen in verschiedenen Regelwerken
374
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
90/385/EWG
93/42/EWG
98/79/EG
2001/104/EG
2003/12/EG
2003/32/EG
2005/50/EG
2007/47/EG
29 ⊡ Abb. 29.1 Das europäische Medizinprodukterecht basiert auf den drei fundamentalen Richtlinien 90/385/EWG, 93/42/EWG und 98/79/EG. Diese wurden in den letzten Jahren durch die Richtlinien 2001/104/EG über stabile Derivate aus Blut und Blutplasma, 2003/12/EG über die Reklassifizierung von Brustimplantaten, 2003/32/EG über Medizinprodukte, die unter Verwendung von tierischen Gewebe hergestellt werden, 2005/50/EG zur Neuklassifizierung von Gelenkersatz für Hüfte, Knie und Schulter und 2007/47/EG zur Änderung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ergänzt.
wie dem Arzneimittelgesetz, Eichgesetz, Gerätesicherheitsgesetz und der Medizingeräteverordnung formuliert. Die nationale Umsetzung der europäischen Richtlinien führte hingegen zur Vereinheitlichung durch das Medizinproduktegesetz, das Regelungen für sämtliche Produktgruppen im Medizinproduktebereich enthält [21]. In einzelnen EU-Mitgliedstaaten fehlten bisweilen Regelungen gänzlich, sodass die Rechtsharmonisierung in diesem Bereich einen europaweit einheitlichen Standard für alle Produkthersteller einerseits und Patienten- und Nutzergruppen andererseits verwirklichte. IVD werden gemäß Richtlinie 98/79/EG (IVD-Richtlinie, Artikel 1) als Medizinprodukte definiert, die »als Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibriermate-
375 29.3 · Anforderungen der europäischen Richtlinie
29
rial, Kontrollmaterial, Kit, Instrument, Apparat, Gerät oder System – einzeln oder in Verbindung miteinander – nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung zur In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben, einschließlich Blut- und Gewebespenden, verwendet werden und ausschließlich oder hauptsächlich dazu dienen, Informationen über physiologische oder pathologische Zustände oder über angeborene Anomalien oder zur Prüfung auf Unbedenklichkeit und Verträglichkeit bei den potentiellen Empfängern oder zur Überwachung therapeutischer Maßnahmen zu liefern«. Gemäß dieser Definition werden alle im Bereich POCT eingesetzten Systeme daher rechtlich als IVD kategorisiert. Für diese Einordnung ist es im Sinne der IVD-Richtlinie grundsätzlich unerheblich, ob die für die Diagnostik eingesetzten Produkte in medizinischen Laboratorien durch labortechnisch ausgebildetes Personal (Labordiagnostika), auf der Station (POC-Diagnostika) oder zur Eigenbestimmung (Heimdiagnostika, »home-use«) angewendet werden. Für die CE-Kennzeichnung und die damit verbundene Verkehrsfähigkeit von POCDiagnostika müssen daher die in der IVD-Richtlinie dargelegten Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Leistung der Produkte erfüllt werden.
29.3
Anforderungen der europäischen Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (IVD-Richtlinie)
29.3.1 Produktkategorien und
Konformitätsbewertungsverfahren Ebenso wie die aktiven implantierbaren medizinischen Geräte (Inverkehrbringen nach Richtlinie 90/385/EWG), aber im Gegensatz zu den übrigen Medizinprodukten (Inverkehrbringen nach Richtlinie 93/42/EWG), werden IVD keinen Klassen zugeordnet. Die IVD-Richtlinie differenziert bei IVD jedoch vier Produktkategorien und unterwirft sie in Abhängigkeit von ihrem Gefährdungspotenzial unterschiedlichen Konformitätsbewertungsverfahren. Folgende Produktkategorien werden unterschieden: ▬ Produkte nach Anhang II, Liste A der Richtlinie 98/79EG, ▬ Produkte nach Anhang II, Liste B der Richtlinie 98/79EG, ▬ Produkte zur Eigenanwendung (mit Ausnahme der Produkte zur Blutzuckermessung in Eigenanwendung) und ▬ sonstige IVD.
376
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
⊡ Tab. 29.1 Hochrisiko- und Risikoprodukte gemäß Anhang II der Richtlinie 98/79/EG (IVD-Richtlinie). Reagenzien und Reagenzprodukte, einschließlich der entsprechenden Kalibrier- und Kontrollmaterialien
29
Liste A
Liste B
− Bestimmung folgender Blutgruppen: AB0-System, Rhesus (C, c, D, E, e), Kell-System − Nachweis zur Bestätigung und zur quantitativen Bestimmung von Markern von HlV-lnfektionen (HIV 1 und 2), HTLV I und II sowie Hepatitis B, C und D
− Bestimmung der Duffy- und Kidd-Blutgruppensysteme − Bestimmung irregulärer Anti-ErythrozytenAntikörper − Nachweis / quant. Bestimmung von Röteln, Toxoplasmose − Nachweis von Phenylketonurie − Nachweis von Zytomegalovirus, Chlamydien − Bestimmung von HLA-Gewebetypen: DR, A, B − Nachweis von PSA − Software zur Schätzung des Risikos von Trisomie 21 − Produkte zur Blutzuckerbestimmung in Eigenanwendung
Produkte nach Anhang II Liste A betreffen sog. Hochrisikoprodukte, bei deren Fehlfunktion schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Anwender, Patienten bzw. der Bevölkerung entstehen können. Produkte nach Anhang II Liste B werden als sog. Risikoprodukte bezeichnet, die im Vergleich zu den Produkten nach Liste A ein weniger stark erhöhtes Risikopotenzial aufweisen ( Abschn. 29.1; ⊡ Tab. 29.1). Seit Veröffentlichung der IVD-Richtlinie wurde immer wieder kritisiert, dass in der Liste der Risikoprodukte, also der Produkte nach Liste B, im Gegensatz zu den Hochrisikoprodukten nach Liste A keine wirkliche Risikosystematik zu erkennen sei. Als dritte Produktkategorie werden Produkte zur Eigenanwendung, sog. Heimprodukte, unterschieden. Diese sind Produkte, die nicht von geschultem Laborpersonal, sondern von Laien angewandt werden, um bestimmte diagnostische Marker zu bestimmen. Ausgenommen von dieser Kategorie sind jedoch Produkte zu Eigenanwendung, die in Anhang II, Liste B der IVDRichtlinie aufgeführt werden, nämlich Produkte zur Blutzuckerbestimmung. Alle übrigen Diagnostika werden als Produkte mit niedrigstem Gefährdungspotenzial eingestuft. Nach dem Listenprinzip der IVD-Richtlinie wer-
377 29.3 · Anforderungen der europäischen Richtlinie
29
den demnach alle Produkte, die weder im Anhang II der Richtlinie aufgeführt werden noch Produkte zur Eigenanwendung sind, automatisch als »sonstige« IVD ohne weitere Kategorisierungsverpflichtung seitens des Herstellers angesehen. Daraus resultiert, dass POC-Diagnostika nach den Bestimmungen der IVD-Richtlinie grundsätzlich keiner gesonderten Produktkategorie zugeordnet werden. Vielmehr entscheidet die Zweckbestimmung des POC-Systems im Hinblick auf die zu bestimmende diagnostische Messgröße über die Zuordnung zur jeweiligen Produktkategorie. Einige der im Anhang II der IVD-Richtlinie aufgeführten Produkte werden auch im POC-Bereich eingesetzt, so z. B. die seit Jahren auf dem Markt befindlichen »Bedside«Blutgruppenbestätigungstests oder die neueren HIV-Schnelltests (»Waived tests«). Der größte Teil der am POC eingesetzten Diagnostika fällt jedoch unter die Kategorie der »sonstigen« IVD. Die regulatorischen Charakteristika für die vier Produktkategorien betreffen die durch die Richtlinie vorgegebene Auswahl möglicher Konformitätsbewertungsverfahren, aus denen wiederum unterschiedliche Anforderungen an die Auslegung, die Herstellung und Überprüfung der hergestellten Produkte resultieren. Auch ergeben sich Unterschiede hinsichtlich der Notwendigkeit, eine benannte Stelle zu involvieren. So muss diese ausschließlich bei Produkten des Anhangs II und Produkten zur Eigenanwendung in die Konformitätsbewertung einbezogen werden, nicht aber im Fall der sonstigen IVD. Entsprechend dem Sicherheitskonzept der IVD-Richtlinie ergeben sich für den Hersteller auch Unterschiede im Zertifizierungsumfang bei Einschaltung einer benannten Stelle. Für Hochrisiko-Produkte ist die Bewertung eines die Entwurfs- und Herstellungsphase umfassenden Qualitätssicherungssystems (oder gleichwertiger Alternativen) zuzüglich einer Auslegungsprüfung und einer Überprüfung der hergestellten Produkte (»Chargenfreigabe«) durch eine benannte Stelle obligatorisch. Die Herstellung von Risikoprodukten bedarf der Zertifizierung eines umfassenden Qualitätssicherungssystems (oder gleichwertiger Alternativen), jedoch ohne Auslegungsprüfung und Überprüfung der hergestellten Produkte durch eine benannte Stelle. Bei Produkten zur Eigenanwendung ist schließlich lediglich die Prüfung der Produktauslegung durch eine benannte Stelle obligatorisch. Im Vergleich zu sonstigen IVD werden an Produkte zur Eigenanwendung demnach erhöhte Sicherheitsanforderungen gestellt, die daraus resultieren, dass in diesen Fällen Laien diagnostische Untersuchungen außerhalb eines
378
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
medizinischen Laboratoriums durchführen. Ein vergleichbarer Sicherheitsanspruch wird an POC-Diagnostika, die größtenteils routinemäßig ebenfalls nicht von labortechnisch ausgebildetem Personal angewandt werden, in der IVD-Richtlinie bisher nicht gestellt.
29.3.2 Grundlegende Anforderungen
29
Unabhängig von der Wahl des Konformitätsbewertungsverfahrens ist für die Verkehrsfähigkeit aller IVD einschließlich POC-Diagnostika die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang I der IVD-Richtlinie obligatorisch. Zu den grundlegenden Anforderungen gehört u. a., dass Auslegung und Herstellung von IVD nach Grundsätzen der integrierten Sicherheit unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Stands der Technik erfolgen müssen. Entsprechend der Zweckbestimmung des Herstellers müssen die Leistungsparameter des betreffenden Produkts, insbesondere im Hinblick auf die vom Hersteller angegebene Sensitivität, Spezifität, Richtigkeit, Wiederholbarkeit, Reproduzierbarkeit einschließlich der Beherrschung von Interferenzen und Nachweisgrenzen, erreicht werden und dem Stand der Technik entsprechen. Weitere Anforderungen betreffen chemische und physikalische Eigenschaften der IVD, Anforderungen zur Minimierung des Infektions- und Kontaminationsrisikos, zur Sicherheit der Konstruktion, zur Genauigkeit von Geräten mit Messfunktion, zum Schutz vor Strahlung, zur Sicherheit von Produkten mit Energiequelle, zur Etikettierung und Verpackung sowie zur Gebrauchsanleitung des Produkts. Die Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen wird nicht nur durch die letztlich resultierende Konformitätserklärung des Herstellers dokumentiert, sondern durch eine umfassende technische Dokumentation des Produkts, die ebenfalls für alle IVD obligatorisch ist. Zu den Bestandteilen der technischen Dokumentation gehören gemäß Anhang III der IVD-Richtlinie u. a. Ergebnisse der Gefahren- oder Risikoanalyse zum Produkt sowie Angaben zu den durchgeführten Leistungsbewertungsstudien (Evaluierungen zur diagnostischen Erprobung). Zwar ist nach Anhang III die Durchführung eines formalen Zertifizierungsverfahrens nicht notwendig, aber jeder IVD-Hersteller ist trotzdem verpflichtet, ein Qualitätssicherungssystem einzurichten und im Zusammenhang mit der technischen Dokumentation nachzuweisen.
379 29.3 · Anforderungen der europäischen Richtlinie
29
Für POCT-Diagnostika gelten demnach dieselben grundlegenden Anforderungen wie für alle IVD. Aus den Besonderheiten der Zweckbestimmung und Anwendung dieser Produkte (durch Nicht-Laborpersonal am Krankenbett) resultieren jedoch vor allem im Bereich des Risikomanagements und der Leistungsbewertungsprüfungen spezielle Anforderungen an die Konformitätsbewertung.
29.3.3 Harmonisierte Normen und Gemeinsame Technische
Spezifikationen Entsprechend den Prinzipien der Neuen Konzeption dienen auch im Fall von IVD Normen zur technischen Spezifizierung den in der IVD-Richtlinie dargelegten Anforderungen. Diese Normen werden im Auftrag der Europäischen Kommission von den europäischen Normungsorganisationen CEN (CEN = fr. Comité Européen de normalisation) und CENELEC (CENELEC = fr. Comité Européen de Normalisation Electrotechnique) erarbeitet und anschließend von allen Mitgliedstaaten anerkannt. Man spricht deshalb von mandatierten, harmonisierten Normen. Auf der Grundlage der Wiener Vereinbarung von 1991 erfolgt darüber hinaus die parallele Annahme der Arbeitsergebnisse der europäischen Normungsorganisationen und der internationalen Normungsorganisation ISO [24]. In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die Kommission Mitteilungen über Titel und Bezugsdaten der harmonisierten Normen. Bisher wurden mehr als 25 Normen im Rahmen der Durchführung der IVDRichtlinie veröffentlicht [6]. Als Beispiele von besonderer Bedeutung seien die Normen EN ISO 13485 [186], EN 13612 [14], EN ISO 14971 [17] und EN 14136 [15] genannt. EN ISO 13485 dokumentiert Anforderungen an von Produktherstellern einzurichtende Qualitätsmanagementsysteme, EN 13612 beschreibt Kriterien zur Durchführung von Leistungsbewertungsprüfungen, und EN ISO 14971 enthält Anforderungen an das Risikomanagement bei der Produktherstellung. EN 14136 adressiert nicht primär Produkthersteller, sondern Ringversuchsanbieter. Die Norm beschreibt Anforderungen an das Design, die Durchführung und Auswertung von Ringversuchen in der In-vitro-Diagnostik und berücksichtigt daher die Bedeutung von Ringversuchen im IVD-Vigilanzsystem (Beobachtungsund Meldesystem).
380
29
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
Eine große Anzahl der harmonisierten Normen ist auch auf POCDiagnostika anwendbar, obgleich bisher keine dieser Normen auf die speziellen Aspekte dieser Produkte ausgerichtet ist. Im Gegensatz dazu existieren mehrere Normen, die Anforderungen an Produkte zur Eigenanwendung enthalten, beispielsweise EN ISO 15197, die Anforderungen an Blutzuckermesssysteme zur Eigenanwendung beschreibt [18]. Zukünftig ist aufgrund der zunehmenden Bedeutung von POCT damit zu rechnen, dass Normungsvorhaben auf diesem Gebiet an Bedeutung gewinnen. Einen Sonderfall technischer Spezifizierung stellen die »Gemeinsamen Technischen Spezifikationen (GTS)« dar, die von einer europäischen Expertengruppe erarbeitet wurden, um Qualitätskriterien und den Mindestumfang der Leistungserprobung für Produkte des Anhangs II, Liste A der IVDRichtlinie, festzulegen [1]. Ähnlich wie im Fall der Normen erzeugt auch die Anwendung der GTS die Konformitätsvermutung; allerdings werden die GTS in ihrer Verbindlichkeit den Normen übergeordnet. Ebenso wie konventionelle IVD müssen POC-Diagnostika zur Bestimmung von diagnostischen Markern der Liste A die GTS erfüllen. Wenngleich auf europäischer oder internationaler Ebene bisher keine speziellen Produktnormen für POCT-Diagnostika erarbeitet wurden, existiert doch eine internationale Standardisierung für die Anwendung dieser Produkte, die mit der EN ISO 22870 »Patientennahe Untersuchungen (pointof-care testing, POCT) – Anforderungen an Qualität und Kompetenz« realisiert wurde [12] ( Kap. 32).
29.4
Zukünftige Revision des europäischen Medizinprodukterechts
Mit präzisen Schritten der Europäischen Kommission zu einer grundlegenden Revision des europäischen Medizinprodukterechts ist ab dem Jahr 2012 zu rechnen. Die Gründe für die geplante Novellierung sind vielfältig: Einerseits macht die über die Jahre erfolgte Fragmentierung der Rechtstexte durch kontinuierliche Ergänzungen und Berichtigungen eine Konsolidierung der Richtlinien nötig, andererseits zeigen die technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte die Lücken und Mängel auf, die der jetzige Rechtsrahmen für Medizinprodukte auf europäischer Ebene
381 29.5 · Gesetz über Medizinprodukte
29
bietet. Zudem verlangt der internationale Markt nach fortschreitender Harmonisierung zwischen der EU und den Drittstaaten, was dazu führen dürfte, dass sich das europäische Medizinprodukterecht zukünftig stärker an den Leitlinien der Global Harmonization Task Force (GHTF) orientieren wird, beispielsweise in der Risikoklassifizierung für IVD [22]. Im Bereich POCT zeigen die von der EU-Kommission durchgeführten Umfragen, dass erhöhte regulatorische Anforderungen sowohl für die Hersteller als auch für die Betreiber und Anwender von POC-Diagnostika zu erwarten sind. Diese beziehen sich auf Details zur klinischen Validität der POCTests, zur Ausarbeitung der Produktinformationen und – im Hinblick auf die Anwender – auf die Etablierung eines Qualitätsmanagementsystems [20].
29.5
Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG) und nachgeordnete Verordnungen
Das Gesetz über Medizinprodukte von 1994 transformiert europäisches Gemeinschaftsrecht im Medizinproduktebereich in deutsches Recht [21], und zwar größtenteils durch direkte Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen und Anhänge der jeweiligen europäischen Richtlinien. Mit dem 2. Medizinprodukteänderungsgesetz vom Dezember 2001 sind auch IVD vom Harmonisierungsrecht betroffen. Seit dem 07.12.2003 bzw. seit dem 07.12.2005 ist daher das erstmalige Inverkehrbringen bzw. die erstmalige Inbetriebnahme von IVD nur noch nach Durchführung entsprechender Konformitätsbewertungsverfahren und mit rechtmäßig angebrachter CEKennzeichnung möglich. Neben den Bestimmungen zur Verkehrsfähigkeit von Medizinprodukten beschreibt das MPG weitere Anforderungen, die u. a. die Aufgaben der zuständigen Behörden, das Betreiben und Anwenden der Produkte sowie die Medizinprodukte-Vigilanz betreffen. Zuständige Stellen für Akkreditierung und Benennung im Medizinproduktebereich sind die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS, seit 01.01.2010) bzw. die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG, nichtaktive Medizinprodukte) und die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS, aktive Medizinprodukte). Neben den für die Überwachung zuständigen Behörden der einzelnen Länder haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi-
382
29
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
zinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) Aufgaben in der Risikobewertung von Medizinprodukten. Dabei befinden sich sämtliche IVD nach Anhang II, Liste A der IVD-Richtlinie sowie ein großer Teil der Produkte nach Anhang II, Liste B in der Zuständigkeit des PEI, während sonstige IVD und ein kleinerer Teil der Produkte der Liste B sowie alle weiteren Medizinprodukte in die Zuständigkeit des BfArM fallen [4, 21]. Das MPG enthält eine Reihe von Verordnungsermächtigungen, die in nationalen Verordnungen resultieren. So ermächtigen §§ 14 und 37 (5) MPG beispielsweise das Bundesministerium für Gesundheit, »durch Rechtsverordnung … Anforderungen an das Qualitätssicherungssystem beim Betreiben und Anwenden von In-vitro-Diagnostika festzulegen …«. Auch diese Anforderungen resultieren letztlich aus dem Sicherheitskonzept der IVD-Richtlinie, das u. a. auf der Erwägung beruht, dass »die große Mehrheit der Produkte keine unmittelbaren Risiken für Patienten darstellen und von geschultem Personal angewendet werden«. Zwar wird demnach nur für eine relativ geringe Anzahl von Produkten, die vorwiegend die Bereiche Transfusionsmedizin und Infektiologie (Anhang II, Liste A und B der IVDRichtlinie) sowie Produkte zur Eigenanwendung betreffen, die Beteiligung von benannten Stellen im Rahmen der Konformitätsbewertung der IVD gefordert, aber gleichzeitig ist die Qualitätssicherung beim Betreiben und Anwenden der Produkte impliziter Bestandteil der europäischen Regelung. Die Anforderungen an die Qualitätssicherung finden sich derzeit in der MPBetreibV [29], die unter Bezug auf die RiliBÄK Maßnahmen zur internen und externen Qualitätskontrolle sowie – seit dem 01.04.2010 – die Implementierung eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems (QMS) in der In-vitro-Diagnostik verpflichtend macht [5]. Die Maßnahmen zur Einrichtung eines QMS betreffen vollumfänglich auch den Bereich des POCT.
Literatur [1] 2009/886/EG: Entscheidung der Kommission vom 27. November 2009 zur Änderung der Entscheidung 2002/364/EG über Gemeinsame Technische Spezifikationen für In-vitroDiagnostika, vom 04.12.2009 [2] 93/465/EEC: Council Decision of 22 July 1993 concerning the modules for the various phases of the conformity assessment procedures and the rules for the affixing and use of the CE conformity marking, which are intended to be used in the technical harmonization directives; Official Journal of the European Commission L 220 , 30/08/1993
383 Literatur
29
[3] Beschluss Nr. 768/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung des Beschlusses 93/465/EWG des Rates [4] Bornhak H, Dörr V, Halbauer J, Meyer-Lüerßen D, Siekmeier R, Will HG (2002) Die Anforderungen der Medizinprodukte-Sicherheitsplan-Verordnung für In-vitro-Diagnostika im Rahmen des Medizinproduktegesetzes. MedizinProdukteRecht; 2: 1–14 [5] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK 2008). Dtsch Ärztebl 105: A341– A355 [6] Commission communication in the framework of the implementation of the Directive 98/79/EC of the European Parliament and of the Council of 27 October 1998 on in vitro diagnostic medical devices. Official Journal of the European Union, C 16/37 18.01.2011 [7] Commission Communication to the Council of 15 June1989 on a Global Approach to certification and testing – quality measures for industrial products; Official Journal of the European Commission C 267, 19/10/1989 [8] Council Directive 90/385/EEC of 20 June 1990 on the approximation of the laws of the Member States relating to active implantable medical devices; Official Journal of the European Commission L 189/17, 20/07/1990 [9] Council Directive 93/42/EEC of 14 June 1993 concerning medical devices; Official Journal of the European Commission L 169/1, 12/07/1993 [10] Council Resolution of 21 December 1989 on a Global Approach to Conformity Assessment; Official Journal of the European Commission C 10, 16/01/1990 [11] Council Resolution of 7 May 1985 on a new approach to technical harmonization and standards; Official Journal of the European Commission C 136, 04/06/1985 [12] DIN EN ISO 22870:2006 : Patientennahe Untersuchungen (point-of-care testing, POCT) – Anforderungen an Qualität und Kompetenz [13] Directive 98/79/EC of the European Parliament and of the Council of 27 October 1998 on in vitro diagnostic medical devices; Official Journal of the European Commission L 331/1, 07/12/1998 [14] EN 13612:2002: Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika [15] EN 14136:2004: Verwendung externer Qualitätssicherungsprogramme bei der Bewertung der Durchführung von Untersuchungsverfahren in der In-vitro-Diagnostika [16] EN ISO 13485:2003 + Cor. 1:2009 (enthält Berichtigung AC:2009): Medizinprodukte – Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke [17] EN ISO 14971:2007: Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte [18] EN ISO 15197:2003: Testsysteme für die In-vitro-Diagnostika – Anforderungen an Blutzuckermesssysteme zur Eigenanwendung beim Diabetes mellitus [19] Europäische Gemeinschaft: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVertrag) in der Fassung vom 02.10.1997, zuletzt geändert durch den Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union vom 25.04.2005 (ABl EG Nr. L 157/11) m. W. v. 01.01.2007 [20] European Commission, Health and consumers directorate: General revision of Directive 98/79/EC of the European Parliament and of the Council of 27 October 1998 on in vitro
384
29
Kapitel 29 · EU-Gesetzgebung, nationale Gesetze und Verordnungen
diagnostic medical devices – Summary of responses to the public consultation, 23 February 2011 [21] Gesetz über Medizinprodukte – MPG vom 2. August 1994 in der Neufassung vom 7. August 2002; BGBl. I S. 3147, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2326) [22] GHTF/SG1/N045:2008: Principles of In Vitro Diagnostic (IVD) Medical Devices classification [23] Guide to the implementation of directives based on the New Approach and the Global Approach (2000), published by the Office for Official Publications of the European Communities. http://europa.eu.int/comm/enterprise/newapproach/legislation/guide/ document/1999_1282_en.pdf [24] ISO/CEN: Agreement on technical cooperation between ISO and CEN, (23.12.2002), Chapter 4. http://www.cenorm.be/boss/supmat/refdoc/archive/ms/ms002.htm [25] Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel; Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 311 vom 28.11.2001 [26] Richtlinie 2007/47/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Änderung der Richtlinien 90/385/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte und 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte sowie der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten, Amtsblatt der Europäischen Union, L 247/21 [27] Verordnung (EG) Nr. 764/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 3052/95/EG [28] Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates [29] Verordnung über das Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten – MPBetreibV in der Neufassung vom 21.08.2002; BGBl. I S. 3397, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2338)
30 POCT in Österreich und der Schweiz C. Kubasta, E. Viollier
30.1
Besonderheiten des POCT in Österreich – 386
30.2
Besonderheiten des POCT in der Schweiz – 387
31.1
Einführung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS; Teil A) – 392
31.2
Durchführung der Qualitätssicherung quantitativer Untersuchungen (Teil B1) – 393
31.3
Spezielle Regelungen für POCT mit »Unit-useReagenzien« – 396
31.4
Durchführung der Qualitätssicherung qualitativer Untersuchungen (Teil B2) – 398 Literatur
– 398
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_30, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
386
30.1
30
Kapitel 30 · POCT in Österreich und der Schweiz
Besonderheiten des POCT in Österreich
Dieses Kapitel widmet sich in erster Linie der Situation des POCT im Krankenhausbereich. In den Zentrallabors sind in aller Regel Qualitätsmanagementsysteme implementiert; die meisten Labors in Österreich sind auf Basis der EN ISO 9001:2008 zertifiziert, manche nach EN ISO 15189:2003 akkreditiert. Es ist naheliegend, dass man konsequenterweise nun auch das Qualitätsmanagement auf die dezentralen Laborleistungen ausweitet. Die EN ISO 22870:2006 »Patientennahe Untersuchungen (point-of-care testing, POCT) – Anforderungen an Qualität und Kompetenz« stellt hierfür eine wertvolle Basis dar. Ausdrücklich wird darin die Verantwortlichkeit der Laborleitung festgelegt – eine Verantwortung, die nur dann wahrgenommen werden kann, wenn die erforderliche Infrastruktur gegeben ist und die entsprechenden Personalressourcen in den Häusern zur Verfügung gestellt werden. Dabei geht das Interesse an einem effizienten Qualitätsmanagement für POCT nicht alleine vom Labor aus: Die Krankenhausträger haben erkannt, dass der POCT-Markt ein enormer Wachstumsbereich ist. Vertreter der Firmen drängen direkt auf die Stationen, was zu einem unüberschaubaren und teueren Wildwuchs führen kann. Weitere Problemfelder von POCT sind die Dokumentation und damit auch die Patientensicherheit. So wurde in Oberösterreich von der Gespag bereits 2007 zu diesem Thema das Projekt »POCT – Organisation von dezentralen Laborleistungen im Krankenhaus« gestartet. Inhalt war primär die Erfassung der aktuellen Situation, um darauf aufbauend ein Umsetzungsszenario Richtung »EDV-gestütztes POCT« entwickeln zu können. Interessant war dabei, dass gerade in den kleineren, regionalen Krankenhäusern das POCT-Qualitätsmanagement von den Labors mit viel Engagement wahrgenommen wurde. In den großen Häusern hingegen setzten die deutlich höhere Anzahl von Abteilungen und die der POCT-Geräte der manuellen Dokumentation Grenzen. Hier ist eine Vernetzung die Basis, die Conditio sine qua non für die Umsetzung der Normforderungen. Vor allem die Blutzuckermessgeräte müssen eingebunden werden, was in der Regel den Austausch des gesamten Geräteparks erforderlich macht. Die Blutgasanalyzer stellen hingegen die kleinere Herausforderung dar; sie sind häufig mittels Wartungstools untereinander vernetzt sowie an das LIS oder alternativ an eine ICU-Patientenmonitoring-Software (z. B. PDMS) angeschlossen. Die Kages in der Steiermark und die Kabeg in Kärnten haben in den letzten Jahren bereits in einigen ihrer Krankenanstal-
387 30.2 · Besonderheiten des POCT in der Schweiz
30
ten POCT-Vernetzungsprojekte abgeschlossen. Aktuell (Stand Juni 2011) sind in Österreich 27 Krankenhäuser POCT-vernetzt. Die POCT-SoftwareLösungen, die dabei am häufigsten zum Einsatz kommen, sind POCcelerator der Fa. Systema und Cobas IT1000 der Fa. Roche. Für POCT-Glukose, -Gerinnungsbestimmungen sowie -Blutgase werden von der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung und Standardisierung medizinisch-diagnostischer Untersuchungen (ÖQUASTA) spezielle Rundversuche angeboten. Die Beteiligung der Krankenhäuser an diesen Rundversuchen ist als eher gering einzustufen; die meisten Teilnehmer kommen aus dem niedergelassenen Bereich. Die entsprechende Initiative erfolgt in den Krankenhäusern meist erst dann, wenn die Organisation der Analytik durch das Laborinstitut erfolgt. Daneben gibt es in einigen Häusern seit Jahren hausinterne Qualitätsrundversuche, die sicherstellen, dass die Vergleichbarkeit zwischen den Messungen im Zentrallabor und jenen auf den Stationen gegeben ist. In den letzten Jahren hat sich in Österreich eine kritischere Herangehensweise an POCT entwickelt. Die Euphorie über »rasch und jederzeit verfügbare« Analysenergebnisse ist der Einsicht gewichen, dass die Vorteile von POCT für alle Beteiligten – Patienten, Ärzte, Krankenhausträger, Anbieter – nur dann gegeben sind, wenn man auch für den entsprechenden Überbau, sprich: ein effizientes Qualitätsmanagementsystem Sorge trägt. Diesbezüglich ist in Österreich noch Entwicklungspotenzial gegeben.
30.2
Besonderheiten des POCT in der Schweiz
Die medizinischen Laboratorien in der Schweiz sind gemäß Krankenversicherungsgesetz in die Typen A, B und C unterteilt. Es gibt etwa 7500 Laboratorien vom Typ A, die normalerweise Praxislaboratorien des niedergelassenen Arztes sind und in denen 51 Parameter bestimmt werden dürfen. Übliche Geräte sind einfache 3-Part-Durchflusszytometer und Trockenchemie-Analyzer, die teilweise mit dem Praxis-Informationssystem verbunden sind. Die Qualitätsanforderungen für Laboranalytik sind im Krankenversicherungsgesetz definiert und werden mittels einer Checkliste der Kriterien zum Betreiben eines medizinisch-analytischen Labors (KBMAL) konkretisiert, die von der Schweizerischen Kommission für Qualitätssicherung im medizi-
388
30
Kapitel 30 · POCT in Österreich und der Schweiz
nischen Labor (QUALAB) erarbeitet wurde. Für das Praxislabor wurden spezielle Regelungen getroffen, ohne die Forderung nach derselben Qualität der Analyse unabhängig vom Labortyp aufzugeben. Gefordert sind eine interne und eine externe Qualitätskontrolle, diese mit 4 Ringversuchen pro Jahr. Die Analysen in Laboratorien des Typs A werden in der Regel von geschultem Fachpersonal (Medizinische Praxisassistentin) durchgeführt. Die Vergütung der Untersuchungen ist im Prinzip die gleiche wie für Speziallabors, wobei den Praxislaboratorien aufgrund fehlender Automation und angesichts der kleinen Serien mindestens noch bis 31.12.2012 CHF 1,00 pro Analyse zusätzlich zum geltenden eidgenössichen Tarif zugestanden wird. Die etwa 400 Krankenhauslaboratorien vom Typ B haben ein Leistungsspektrum von etwa 100 Parametern (keine Positivliste; mikrobiologische Untersuchungen sind faktisch möglich). Ihre zentrale Analytik – meist mit mittelgroßen Automatensystemen – ist auf die ambulanten und stationären Patienten des Krankenhauses beschränkt. POCT findet sich in der Regel auf den Stationen und in Ambulatorien nur in Form von Glukosemessgeräten. Blutgasgeräte werden oft dezentral in Operationssälen und auf Intensivstationen unter Betreuung durch das Krankenhauslabor betrieben. Da mit den Blutgasgeräten der neuesten Generation auch eine Anzahl weiterer Analysen durchgeführt werden können (Elektrolyte, Herzmarker), wird eine gewisse Verlagerung vom Krankenhauslabor zum POCT beobachtet. Eine Anbindung dieser Geräte an das Labor- oder Krankenhaus-Informationssystem wird bisher selten realisiert; es bestehen entsprechende Lücken in der Dokumentation von Qualitätskontrollen und Patientenergebnissen, insbesondere den Verlauf betreffend. Die Qualitätsanforderungen entsprechen grundsätzlich denen für die Typ-A-Laboratorien, ergänzt um 2 Supervisionen des Krankenhauslabors durch Laborspezialisten FAMH pro Jahr. POCT wird durch Pflegepersonal und Ärzte durchgeführt; die Geräte werden oft vom Technischen Dienst gewartet. Der Laborleitung wird eine begleitende Überwachung, insbesondere der Qualitätskontrolle, zugestanden. Konzepte für eine geregelte Kooperation aller am POCT Beteiligten existieren hier leider bisher kaum. Krankenhauslaboratorien vom Typ C, die ein großes Spektrum abdecken und auch externe Aufträge annehmen dürfen, befinden sich in den etwa 20 Kompetenzzentren. Diese Laboratorien sind meist nach ISO 17025 und/oder ISO 15189 akkreditiert, womit auch Qualitätsanforderungen an das POCT festgelegt sind. Die ISO-Norm 22870-2006 »Point of Care« wird (noch) nicht
389 30.2 · Besonderheiten des POCT in der Schweiz
30
konsequent flächendeckend angewandt. Selbst in diesen großen Häusern mit 300–1000 Betten und entsprechend großen Ambulatorien beschränkt sich die POCT-Diagnostik jedoch auf Blutglukose- und Blutgasanalysen sowie in speziellen Fällen auf Kreatinin- und Elektrolytbestimmungen in der Nephrologie bzw. auf Dialysestationen und in radiologischen Abteilungen oder die kapilläre Bilirubinbestimmung in der Neonatologie. Vielfach sind diese Häuser mit pneumatischen Rohrposttransportanlagen ausgestattet, was die »turn around time« (TAT) selbst ohne POCT verkürzt. POCT wird auch hier vom Pflegepersonal und von den Dienstärzten unter Verantwortung der zuständigen Fachärzte durchgeführt. Allmählich setzen sich Konzepte durch, mittels derer die verschiedenen Kompetenzen von Klinikern, Pflegebereich, Technischem Dienst und Labor geregelt werden. Die qualitätssichernden Maßnahmen sind möglicherweise nicht so stringent und detailliert wie in anderen Nationen organisiert (z. B. in Deutschland), dafür ist die Akzeptanz bei den Leistungserbringern hoch, und die Beteiligung sowie die Einhaltung der Regeln beträgt nahezu 100 %. Lücken bestehen derzeit noch in der Qualitätsüberwachung des POCT in den Spitälern, besonders in den großen Häusern. Diese gehen gegenwärtig daran, ihre Konzepte zu überarbeiten und die Qualitätssicherung zu optimieren.
31 Qualitätssicherung und Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) H. Schlebusch, O. Sonntag
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_31, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
392
Kapitel 31 · Qualitätssicherung und Richtlinie der Bundesärztekammer
Die Qualitätssicherung des POCT folgt dem Grundsatz, dass Laborbefunde am POC und im Zentrallabor mit derselben Zuverlässigkeit erhoben werden sollen. Dies bedeutet, dass die bewährten Qualitätsstandards der konventionellen Labordiagnostik auch für das POCT gelten. Daher gibt es in der RiliBÄK 2008 [3] – mit einer Ausnahme – für POCT keine Sonderregelungen. Die Richtlinie ist gegliedert in: ▬ Teil A: Grundlegende Anforderungen an die Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen ▬ Teil B: Spezielle Anforderungen für – B1: Quantitative Laboruntersuchungen [3] – B2: Qualitative Laboruntersuchungen [4] ▬ Der möglicherweise auch für POCT relevante Teil B3 (Untersuchungen zum direkten Nachweis und zur Charakterisierung von Infektionserregern) ist in Vorbereitung.
31
Teil A der Richtlinie gilt für alle Bereiche der laboratoriumsmedizinischen Diagnostik, d. h. für die klassischen Zentrallaboratorien im Krankenhaus, für Laborgemeinschaften, für Arztpraxen mit kleinem Labor und auch für die POCT-Diagnostik. Damit wird erstmals die Implementierung eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems obligatorisch. Wesentliche Inhalte wurden dazu aus der Norm DIN EN ISO 15189 übernommen [5, 10].
31.1
Einführung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS; Teil A)
Die Abschnitte 4–7 des Teils A regeln detailliert alle Maßnahmen, die bei der Einführung eines QMS zu beachten sind. Dabei sind eine Reihe von Vorschriften nur für Zentrallaboratorien oder Laborgemeinschaften wichtig, während für die POCT-Diagnostik im Einzelnen geprüft werden muss, was – je nach den individuellen Gegebenheiten – für diese Untersuchungen wirklich relevant ist. In jedem Fall sind folgende Punkte zu regeln: ▬ Festlegung von Verantwortlichkeiten für das gesamte QMS am POC, ▬ Organisation des POCT, ▬ Vorschriften für die Präanalytik (Abschnitt 6.1), ▬ Vorschriften für die Durchführung der Untersuchungen am POC (Abschnitt 6.2),
393 31.2 · Durchführung der Qualitätssicherung
31
▬ Vorschriften für die Postanalytik (Abschnitt 6.3), ▬ Schulung des Personals sowie ▬ Aufgaben und Verantwortlichkeiten bei der Durchführung der Qualitätskontrollen. Für die Umsetzung sind mehrere praxisnahe Vorschläge publiziert worden [2, 6, 7, 9]. Alle Dokumente sollen in einem Qualitätsmanagement-(QM-) Handbuch zusammengefasst werden, das jede Organisationseinheit benötigt und dessen Inhalt in Abschnitt 7.1 detailliert geregelt ist. Hat jedoch das Krankenhaus insgesamt ein QMS eingerichtet, so kann die Organisationseinheit im eigenen QM-Handbuch auf diejenigen Teile verzichten, die bereits im Handbuch des Krankenhauses geregelt sind. Es genügt ein entsprechender Verweis. Auch auf Dokumente im Handbuch des Zentrallabors kann ggf. Bezug genommen werden. Generell sollte eine Mehrfachdokumentation in verschiedenen Handbüchern vermieden werden. Das Handbuch vor Ort muss diejenigen Dokumente enthalten, die für die tägliche Arbeit benötigt werden. Dazu gehören i. A. mindestens die Bedienungsanleitungen für alle Geräte mit Wartungs- und Reparaturplan, verständliche Verfahrensanweisungen für die präanalytischen, analytischen und postanalytischen Aufgaben, ein Organisationsplan für die Qualitätssicherung und eine Liste von Ansprechpartnern für verschiedene Fragen und Probleme. Das Handbuch muss stets aktuell sein. Für kleinere Organisationseinheiten erscheint es sinnvoll, Inhalt und Umfang des Handbuchs in enger Abstimmung mit dem Zentrallabor festzulegen.
31.2
Durchführung der Qualitätssicherung quantitativer Untersuchungen (Teil B1)
Alle quantitativen laboratoriumsmedizinischen Untersuchungen unterliegen der internen und – soweit in Tabelle B1 der RiliBÄK aufgeführt – der externen Qualitätssicherung. Bei der Durchführung der Qualitätskontrolle gibt es, wie angedeutet, mit einer Ausnahme keine Sonderregelungen für POCT-Verfahren. Dies gilt auch für die Beurteilung der Kontrollprobeneinzelmessung (KPEM). Die zulässige Abweichung des Messwerts bei der internen und externen Qualitätskontrolle ist für Serum/Plasma und Vollblut identisch, unabhängig davon, ob die Werte am POC oder im Zentrallabor erhoben wurden.
394
Kapitel 31 · Qualitätssicherung und Richtlinie der Bundesärztekammer
⊡ Tab. 31.1 Zulässige relative Abweichung der Kontrollprobenergebnisse bei der Qualitätskontrolle (QK) des POCT nach RiliBÄK 2008 (Auswahl)
31
Analyt
Interne QK [%]
Externe QK [%]
Gültiger Bereich
pH
0,4
0,8
6,75–7,80
pCO2
6,5
12
15–110 mmHg
pO2
5,5
12
>125–350 mmHg
7
18
>80–125 mmHg
11
18
40–80 mmHg
Natrium
3
5
110–180 mmol/l
Kalium
4,5
8
2–8 mmol/l
Kalzium, ionisiert
7,5
15
>1–2,5 mmol/l
14
18
0,2–1 mmol/l
Chlorid
4,5
8
70–150 mmol/l
Laktat
11
18
1–10 mmol/l
Harnstoff
10,5
20
15–200 mg/dl
Glukose
11
15
40–400 mg/dl
HbA1c
10
18
30–140 mmol/mol
Hämoglobin
4
6
2–20 g/dl
Hämatokrit
5
9
10–60 %
Erythrozyten
4
8
1,5–7/pl
Leukozyten
6,5
18
2–30/nl
Thrombozyten
7,5
13
>300–700/nl
8,5
15
>150–300/nl
13,5
18
40–150/nl
11,5
23
10–120 %
Thromboplastinzeit (Quick-Wert)
395 31.2 · Durchführung der Qualitätssicherung
31
Interne Qualitätskontrolle ▬ Es ist mindestens 2-mal pro 24 h und spätestens nach 16 h eine KPEM durchzuführen.
▬ Außerdem ist eine KPEM nach jedem Eingriff in das Messsystem not-
▬ ▬ ▬ ▬
wendig, d. h. nach – Neustart nach völliger Abschaltung des Geräts, – Kalibrierung durch den Anwender, – Reparatur oder Wartung und – Reagenzchargenwechsel. Es sollen Kontrollproben mit Zielwerten in unterschiedlichen Konzentrationsbereichen (niedrig, etwa im Entscheidungsbereich und hoch) im Wechsel eingesetzt werden. Die Bewertung des Ergebnisses erfolgt nach Tabelle B1, Spalte 3, der RiliBÄK. Wird die vorgegebene Grenze überschritten, kann das Verfahren unter Dokumentation der Gründe trotzdem für weitere Messungen freigegeben werden, sofern die medizinische Relevanz beachtet wird. Am Ende des Kontrollzyklus (i. A. ein Monat) ist aus den Ergebnissen der KPEM der relative quadratische Mittelwert der Messabweichung [8] nach folgender Formel zu berechnen:
'
1 n xi x0 2 ¦ ni1
Dabei ist Δ der quadratische Mittelwert der Messabweichung, x0 der Zielwert der Kontrollprobe, xi der Wert der Einzelmessung und n die Anzahl der Einzelergebnisse. ▬ Die Bewertung erfolgt nach Tabelle B1, Spalte 3, der RiliBÄK. ▬ Wird die vorgegebene Grenze überschritten, muss das Verfahren für weitere Messungen gesperrt werden, bis seine Funktionsfähigkeit durch geeignete Maßnahmen sichergestellt wurde. Ein solcher Fall kann aber nur eintreten, wenn bereits während des Kontrollzyklus mehrere KPEM außerhalb der vorgegebenen Grenze lagen. ▬ Alle Ergebnisse der internen Qualitätskontrolle sind zu dokumentieren und 5 Jahre lang aufzubewahren. Dies gilt auch für Freigabe- und Sperrvermerke sowie die ergriffenen Korrekturmaßnahmen. Zusätzlich sollen die Kontrollprobenmesswerte grafisch dargestellt werden.
▼
396
Kapitel 31 · Qualitätssicherung und Richtlinie der Bundesärztekammer
Externe Qualitätskontrolle (Ringversuche) ▬ Jede Organisationseinheit muss für die von ihr gemessenen Kenngrößen an 4 Ringversuchen pro Jahr (einmal pro Quartal) teilnehmen.
▬ Unter »Organisationseinheit« wird ein abgegrenzter Bereich (Funktions-
31
einheit) eines Krankenhauses verstanden, der durch folgende Kriterien gekennzeichnet ist: – ein festgelegter Bereich von Anwendern (Ärzte, Pflegepersonal), – ein nur diesem Bereich zugeordneter Pool von Messplätzen/Messgeräten, – Betreiben der Messplätze nur durch den festgelegten Anwenderkreis. Beispiele sind Zentrallabor, Operationsbereich, Intensivstation, Kreißsaal und Lungenfunktionslabor. ▬ Die Ringversuchspflicht für jede Organisationseinheit kann nur dann entfallen, wenn verschiedene Organisationseinheiten – zusammen mit dem Zentrallabor – für die laboratoriumsmedizinische Analytik zu einer einzigen Organisationseinheit zusammengefasst werden. Dies muss durch eine schriftliche Dienstanweisung seitens der Klinikleitung geschehen. In diesem Fall reicht die Teilnahme des Zentrallabors aus.
Ringversuche werden in Deutschland vom Referenzinstitut für Bioanalytik (RfB) der DGKL (Bonn) und von INSTAND e.V. (Düsseldorf) angeboten. Diese Institutionen sind z. Zt. von der Bundesärztekammer bestellt.
31.3
Spezielle Regelungen für POCT mit »Unit-use-Reagenzien«
Sog. Unit-use-Reagenzien sind solche Reagenzien, die für Einzelbestimmungen portioniert und mit einer Untersuchung verbraucht sind.
Interne Qualitätskontrolle ▬ »Unit-use-Reagenzien« und die entsprechenden Messgeräte sind nach den Herstelleranweisungen zur Qualitätskontrolle zu prüfen. Bei Unter-
▼ schieden zur RiliBÄK 2008 gelten die jeweils strengeren Kriterien.
397 31.3 · Spezielle Regelungen für POCT
31
▬ Bei POCT-Geräten, die täglich einen elektronischen/physikalischen Standard verwenden und so oder durch integrierte Prüfung ihrer Funktion verhindern, dass falsche Ergebnisse ausgegeben werden, ist mindestens einmal pro Woche eine KPEM durchzuführen. Zusätzliche Kontrollen sind erforderlich nach: – Kalibrierung durch den Anwender, – Reparatur oder Wartung und – Reagenzchargenwechsel. ▬ Besitzen die Geräte keinen elektronischen/physikalischen Standard oder fehlt eine integrierte Prüfung der Gerätefunktion, so ist – wie bei allen anderen Geräten – auch hier mindestens 2-mal pro 24 h eine KPEM durchzuführen. ▬ Die Berechnung des quadratischen Mittelwerts der Messabweichung und die grafische Darstellung der Messwerte sind nicht notwendig.
Externe Qualitätskontrolle Die Verpflichtung zur Teilnahme an Ringversuchen entfällt ▬ in Praxen niedergelassener Ärzte sowie bei medizinischen Diensten ohne Zentrallabor, ▬ in Krankenhäusern, wenn das Zentrallabor die Verantwortung für die interne Qualitätssicherung trägt und die Messgröße selbst bestimmt, d. h. für diese Messgröße auch an einem Ringversuch teilnimmt. Dabei müssen die Bestimmungsmethode im Zentrallabor und die am POC nicht identisch sein.
Unter »Zentrallabor« wird eine Organisationseinheit verstanden, die in der Regel alle labormedizinischen Untersuchungen für ein Krankenhaus durchführt. Es kann sich dabei auch um ein externes Labor handeln, das einem anderen Betreiber untersteht. Das Zentrallabor nimmt seine Verantwortung durch die Überwachung der internen Qualitätskontrolle in den einzelnen Organisationseinheiten des Krankenhauses wahr. Das bedeutet nicht, dass die Kontrollprobenmessungen und ihre Bewertung von Mitarbeitern des Zentrallabors durchgeführt werden.
31
398
Kapitel 31 · Qualitätssicherung und Richtlinie der Bundesärztekammer
31.4
Durchführung der Qualitätssicherung qualitativer Untersuchungen (Teil B2)
Auch qualitative labormedizinische Untersuchungen unterliegen im Prinzip der internen und externen Qualitätskontrolle. Für die interne Kontrolle sind dabei die Empfehlungen des Herstellers zu beachten. In der RiliBÄK sind in Tabelle B2-1 50 Untersuchungen aufgeführt, für die eine interne Qualitätssicherung verpflichtend ist, in Tabelle B2-2 40 Untersuchungen, für die eine Teilnahme an Ringversuchen gefordert wird [4]. Die meisten dieser Untersuchungen werden jedoch am POC nicht durchgeführt. Ausnahmen sind der Schwangerschaftstest, für den 4-mal pro Jahr (einmal pro Quartal), und das Urinsediment, für das einmal pro Jahr die Teilnahme an einem Ringversuch verpflichtend ist – nicht jedoch eine interne Qualitätskontrolle. Das Gleiche gilt für einfache Urinuntersuchungen mit Teststreifen (Glukose, Hämoglobin, Leukozyten, Protein), die ebenfalls nicht der internen, jedoch der externen Qualitätssicherung (einmal pro Quartal) unterliegen. Der Teil B2 gilt seit dem 1.7.2011 mit einer zweijährigen Übergangsphase.
Literatur [1] Arbeitsgemeinschaft Medizinische Laboratoriumsdiagnostik und der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (2004) Qualitätsmanagement und Akkreditierung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft [2] Briedigkeit L, Müller-Plathe O, Schlebusch H, Ziems J (1998) Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Medizinische Laboratoriumsdiagnostik (AML) zur Einführung und Qualitätssicherung von Verfahren der patientennahen Laboratoriumsdiagnostik (POCT). J Lab Med 22: 414–420 [3] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK 2008). Dtsch Ärztebl 105: A341–A355 [4] Bundesärztekammer (2011) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen Teil B2 – Qualitative laboratoriumsmedizinische Untersuchungen Dtsch Ärztebl 108: A1647–A1651 [5] DIN EN ISO 15189: 2007: Medizinische Laboratorien – Besondere Anforderungen an Qualität und Kompetenz [6] Gässler N, Luppa PB, Hafner G et al. (2006) Information der Arbeitsgemeinschaft » Pointof-Care Testing« der DGKL: Einführung von POCT innerhalb einer Klinik. Klinische Chemie Mitteilungen 37: 161–163
399 Literatur
31
[7] Gurr E, Arzideh F, Brandhorst G et al (2011) Musterstandardarbeitsanweisung Präanalytik – Arbeitsgruppe Richtwerte der DGKL. J Lab Med 25: 55–60 [8] Macdonald R (2006) Quality assessment of quantitative analytical results in laboratory medicine by root mean square of measurement deviation. J Lab Med 30: 111–117 [9] Schimke I, Griesmacher A, Schimke E, Müller MM (2006) Patientennahe Sofortdiagnostik (Point-of-Care Testing; POCT) im Krankenhaus – Ja oder Nein. Intensivmed 43: 143–155 [10] Spitzenberger F, Hafner G, Soltau U (2007) Qualitätsmanagement in medizinischen Laboratorien – neue Richtlinie der Bundesärztekammer und Akkreditierung nach ISOKonzept im Vergleich. J Lab Med 31: 218–225
32 Qualitätsmanagementsysteme für das POCT: Internationale Standardisierung und Akkreditierung F. Spitzenberger, G. Hafner
32.1
Internationale Normen für die In-vitro-Diagnostik und POCT – 402
32.2
Akkreditierung versus Zertifizierung im europäischen Vergleich – 403
32.3
Akkreditierung von POCT nach DIN EN ISO 22870 – 404
32.4
Neuordnung des Akkreditierungssystems vor dem Hintergrund europarechtlicher Regelungen – 409 Literatur
– 410
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_32, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
402
32.1
32
Kapitel 32 · Qualitätsmanagementsysteme für das POCT
Internationale Normen für die In-vitro-Diagnostik und POCT
Die Anwendung harmonisierter Normen ist aufgrund der damit einhergehenden Konformitätsvermutung von zentraler Bedeutung im gesamten Bereich der Konformitätsbewertung von Medizinprodukten einschließlich der In-vitro-Diagnostika (IVD). Entsprechend dem Sicherheitskonzept der IVD-Richtlinie sind sowohl Hersteller und Konformitätsbewertungsstellen als auch Betreiber und Anwender von IVD gehalten, Qualitätssicherungssysteme einzurichten, um die Qualität, Sicherheit und Leistung von IVD sicherzustellen ( Kap. 29). Üblicherweise werden diagnostische Untersuchungen im kontrollierten Umfeld eines medizinischen Laboratoriums durchgeführt. Die Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen (QM-Systemen) in diesem Bereich erfolgt in Deutschland sowie in anderen west- und mitteleuropäischen Ländern seit Mitte der 1990er-Jahre einerseits im Rahmen von Akkreditierungsund Zertifizierungsverfahren auf der Grundlage internationaler Normen [1, 24], andererseits durch Anwendung von Modellen des Total Quality Management wie beispielsweise des Exzellenz-Modells der European Foundation of Quality Management [1, 28]. Akkreditierungen nach DIN EN ISO/IEC 17025 [5] und seit 2003 nach DIN EN ISO 15189 [3] stellen mittlerweile die wichtigsten Verfahren zur externen Qualitätsüberprüfung medizinischer Laboratorien dar. Für Laboratorien, die zusätzlich zu ihrer diagnostischen Aufgabe als Prüflaboratorien im Rahmen klinischer Prüfungen von Medizinprodukten und Leistungsbewertungsprüfungen von IVD tätig sind, gelten darüber hinaus nationale Anforderungen aus dem Medizinproduktegesetz (MPG) [11, 12], deren Einhaltung in einem Anerkennungsverfahren durch die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) als der in diesem Bereich zuständigen Behörde nachgewiesen werden muss [6, 7, 8, 11, 12, 13]. Obgleich diese behördliche Anerkennung in der Regel auf einer Akkreditierung aufbaut, ist die Akkreditierung medizinischer Laboratorien bisher grundsätzlich nicht obligatorisch. Die zunehmende Verbreitung des POCT mit seinen Vorteilen wie u. a. einer raschen Verfügbarkeit der Messresultate mit zeitnaher Therapiekontrolle geht mit dem Ziel einher, die mit POCT verbundenen Risiken und Nachteile zu beherrschen bzw. zu minimieren, um im Sinne des Patientenschutzes eine
403 32.2 · Akkreditierung versus Zertifizierung
32
sinnvolle und effektive Nutzung der POC-Diagnostik zu gewährleisten. Zu diesen Risiken und Nachteilen zählen vor allem die unsachgemäße Bedienung der POC-Geräte durch medizinisch-technisch nicht vorgebildetes Personal, das mangelnde Verständnis der Qualitätssicherung seitens des Bedienpersonals, unzureichende Ergebnisdokumentation, erhöhte Kosten durch unkoordinierten Einsatz verschiedener POC-Geräte und differierende Resultate der POC-Geräte im Vergleich zu Ergebnissen des Zentrallabors [19, 21]. Die Implementierung von QM-Systemen im Bereich POCT verfolgt daher vor allem das Ziel des gesteuerten, kontrollierten Erwerbs und der Installation der Geräte, der Bereithaltung adäquater Verbrauchsmittel und Testreagenzien, der Sicherstellung der Qualifikation und Kompetenz des bedienenden Personals, der Dokumentation sämtlicher analytischer sowie prä- und postanalytischer Abläufe sowie der fachgerechte Durchführung und Auswertung der Qualitätskontrolle. Mit der Norm EN ISO 22870 wurde erstmals ein internationaler Standard für Qualitätsmanagement im POCT-Bereich veröffentlicht. Die Norm wurde vom Technischen Komitee ISO/TC 212 »Clinical laboratory testing and in vitro diagnostic systems« in Zusammenarbeit mit dem Technischen Komitee CEN/TC 140 »In-vitro-Diagnostika« erarbeitet [15] und in deutscher Fassung im Juni 2006 als DIN EN ISO 22870 unter dem Titel »Patientennahe Untersuchungen – Anforderungen an Qualität und Kompetenz« veröffentlicht [4]. Sie ist zur Anwendung in Verbindung mit der Norm DIN EN ISO 15189 vorgesehen.
32.2
Akkreditierung versus Zertifizierung im europäischen Vergleich
Die zunehmende Bedeutung von QM-Systemen in medizinischen Laboratorien ging während der 1990er-Jahre mit einer kontroversen Diskussion um die Anwendung von Normen im labordiagnostischen Bereich und die Wahl des Verfahrens zur Kompetenzbestätigung eines Laboratoriums einher. Da adäquate Normen, die die besonderen Belange medizinischer Laboratorien berücksichtigten, fehlten, bevorzugten die meisten europäischen Länder bei der Einführung von QM-Systemen die Adaption der Normen EN 45001 [9] bzw. EN ISO 9001 [14] an das labormedizinische Umfeld mit nachfolgender Akkreditierung bzw. Zertifizierung auf der Grundlage dieser Normen.
404
32
Kapitel 32 · Qualitätsmanagementsysteme für das POCT
Während im Vereinigten Königreich bereits 1994 ein Akkreditierungssystem für medizinische Laboratorien eingerichtet war, begannen andere europäische Länder erst in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre mit Akkreditierungen auf der Grundlage der EN 45001. Vielfach waren die Akkreditierungskriterien für den speziellen Bereich der Labordiagnostik aber noch nicht vollständig etabliert. So wurden in Deutschland bereits 1996 Akkreditierungen medizinischer Laboratorien durch private Akkreditierungsstellen ausgesprochen, obwohl weder fachbereichsspezifische Akkreditierungskriterien vorlagen, noch die Voraussetzungen hinsichtlich der Kompetenzen der Begutachter definiert waren. Im Rahmen der Erstellung und Veröffentlichung der DIN EN ISO 15189 hat sich die Akkreditierung im Vergleich zu anderen Verfahren externer Qualitätsüberprüfung medizinischer Laboratorien immer mehr durchgesetzt. Der kürzlich interessierten Kreisen zur Verfügung gestellte Entwurf des Technischen Komitees 212 der ISO zur zukünftigen Neuversion der DIN EN ISO 15189 schließt im Anwendungsbereich der Norm eine Zertifizierung auf der Grundlage dieser Norm sogar explizit aus [16]. Da die Anwendung der im Bereich POCT relevanten Norm DIN EN ISO 22870 an DIN EN ISO 15189 gebunden ist, ist somit die Akkreditierung von POCT – und nicht die Zertifizierung – als international anerkanntes Verfahren zur Kompetenzbestätigung in diesem Bereich anzusehen. Trotzdem bleiben die Anwendung von Normen und die Einrichtung von QM-Systemen in Europa nach wie vor heterogen. So ist beispielsweise in Österreich die Zertifizierung von medizinischen Laboratorien nach EN ISO 9001 vor der Akkreditierung die Methode der Wahl [23]. In anderen Ländern lässt sich eine beträchtliche Anzahl von Laboratorien sowohl zertifizieren als auch akkreditieren, was oftmals aus ökonomischen und werbestrategischen Gründen erfolgt. Der größte Teil der europäischen Akkreditierungsstellen bietet medizinischen Laboratorien derzeit eine Akkreditierung sowohl nach EN ISO/IEC 17025 als auch nach EN ISO 15189 an [24]. In Frankreich wird die Akkreditierung medizinischer Laboratorien ab dem Jahr 2016 Pflicht sein [20].
32.3
Akkreditierung von POCT nach DIN EN ISO 22870
Bereits 1998 wurden in Deutschland Empfehlungen zur Einführung der Qualitätssicherung für POCT im Rahmen der Akkreditierung medizinischer Laboratorien erarbeitet [1]. Mit der Norm DIN EN ISO 22870 wurde die Grundlage
405 32.3 · Akkreditierung von POCT
32
für die Akkreditierung im Bereich POCT gelegt. Die ZLG hat gemeinsam mit der Arbeitsgruppe POCT der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) nach einem auch in anderen Bereichen der Akkreditierung angewandten Checklistenkonzept einen Leitfaden zur Anwendung dieser Norm erarbeitet [25]. Dieser reflektiert die spezifischen Anforderungen an ein QM-System nach DIN EN ISO 22870. Die zahlreichen Verweise der DIN EN ISO 22870 auf die DIN EN ISO 15189 demonstrieren, dass eine Akkreditierung nach DIN EN ISO 22870 ausschließlich in Verbindung mit der Akkreditierung des Zentrallabors einer Gesundheitseinrichtung nach DIN EN ISO 15189 sinnvoll ist. Dieser Sichtweise wurde auch durch die ILAC-Resolution GA 13.25 vom Oktober 2009 entsprochen [22]. Aus dieser Überlegung resultiert, dass die DIN EN ISO 22870 strukturell eng an die DIN EN ISO 15189 angepasst wurde. Wie im Fall der DIN EN ISO 15189, findet sich auch hier die Aufteilung der Norm in zwei wesentliche Anforderungsbereiche, die aus den »Anforderungen an die Leitung« oder das sog. Management einerseits und aus den »Technischen Anforderungen« andererseits bestehen. Diese strukturelle Konzeption ist in den Normungsgremien vor allem unter den Experten aus der Laboratoriumsmedizin umstritten, da sie die Konzeption und das Aufgabengebiet eines medizinischen Laboratoriums nur unzureichend reflektiert. Sie entspricht auch nicht der Struktur der EC4-Kriterien, die als wesentliche Grundlage zur Erarbeitung der Norm DIN EN ISO 15189 dienten [17, 18]. Letztlich wurde diese »Zweiteilung« der Norm jedoch auch für die DIN EN ISO 22870 gewählt, weil sie unter Umständen die Akkreditierungspraxis erleichtern kann und eine deutliche Abgrenzung des Akkreditierungsverfahrens vom Zertifizierungsverfahren bewirkt.
32.3.1 Organisation und Leitung
DIN EN ISO 22870 stellt im Hinblick auf die organisatorischen Anforderungen deutlich die Verantwortung für die Planung, Entwicklung und Qualität der für die POC-Verfahren erforderlichen Prozesse heraus: Diese Verantwortung wird eindeutig der Laborleitung der Gesundheitseinrichtung zugeschrieben. So ist die Laborleitung z. B. für die Erarbeitung eines Konzepts zur Auswahl und Leistungsbewertung der POC-Diagnostika verantwortlich sowie für die Formulierung der Qualitätsanforderungen und -ziele.
406
Kapitel 32 · Qualitätsmanagementsysteme für das POCT
Obgleich die Verantwortung für Konzeption und Planung bei der Laborleitung liegen, soll nach DIN EN ISO 22870 eine multidisziplinäre POCTKommission benannt werden, die sämtliche Entscheidungen für den Einsatz von POCT-Verfahren trifft und realisiert. Die Mindestkriterien hinsichtlich der Zusammensetzung der POCT-Kommission werden spezifiziert: Die Kommission muss mindestens aus Vertretern des Laboratoriums, der Verwaltung der Gesundheitseinrichtung, der Krankenpflege und der klinischen Stationen bestehen.
32.3.2 Qualitätsmanagement und Dokumentation
32
Die Verantwortung für die Implementierung des QM-Systems für POCT wird der Laborleitung übertragen. Die Leitung hat jedoch einen POCTQualitätsbeauftragten zu benennen, der über eine geeignete Ausbildung und Erfahrung verfügen muss, um die ihm übertragenen Aufgaben erfüllen zu können. Zwar werden mittlerweile verschiedene Schulungen und Ausbildungen im Bereich POCT angeboten; es wird jedoch davon abgesehen, im Rahmen der Akkreditierung spezielle Kurse verpflichtend zu machen, da die Kompetenz und Erfahrung eines POCT-Qualitätsbeauftragten nicht zwingend an derartige Schulungen gebunden sein müssen. Hinsichtlich der Dokumentation und Dokumentenlenkung gelten für die POCT-Akkreditierung dieselben Anforderungen wie für andere diagnostische Bereiche. Durch ausschließlichen Gebrauch autorisierter QM-Dokumente und eine konsequente Verfahrensdokumentation soll die Rückverfolgbarkeit und Transparenz der Prozesse jederzeit gewährleistet sein. Hier stellt sich die Herausforderung an eine kontinuierliche Schulung des Bedienpersonals in den Bereichen, in denen POCT eingesetzt wird.
32.3.3 Korrekturen und Verbesserung
POC-Verfahren, die nicht den Festlegungen des Qualitätsmanagements entsprechen, müssen dokumentiert und umgehend korrigiert werden. Dadurch können unkontrollierte Vorgänge, wie z. B. die wahllose Verwendung verschiedener Geräte oder eine unzureichende Qualitätskontrolle, die bekannte Nachteile von POCT darstellen, rasch beseitigt werden. Die Mittel zur
407 32.3 · Akkreditierung von POCT
32
ständigen Verbesserung des QM-Systems werden in der DIN EN ISO 22870 konkret benannt: So sollen durch die Laborleitung Kenndaten zur Evaluierung des Systems hinsichtlich seiner Wirksamkeit festgelegt werden, die eine Abschätzung der POCT-Leistungen sowie der Zufriedenheit der Patienten und Anwender erlauben. Spezifisch für die Anforderungen der POCTAkkreditierung ist auch, dass die Ergebnisse interner Audits als eines Instruments der Systemverbesserung allen Mitgliedern der POCT-Kommission übermittelt werden müssen.
32.3.4 Management-Review
Ökonomische Nachteile durch POCT werden vor allem in den Anforderungen an das jährlich stattfindende Management-Review adressiert. Die Laborleitung ist demnach verpflichtet, eine Überprüfung durchzuführen, die eine Kosten-Nutzen-Analyse, eine Bewertung des klinischen Erfordernisses, eine Bewertung der klinischen Effektivität, eine Bewertung der Kostenwirksamkeit sowie eine Feststellung von Verbesserungsmöglichkeiten der POCVerfahren beinhaltet. Die Ergebnisse dieser Bewertung müssen der POCTKommission mitgeteilt werden, die auf dieser Grundlage gegebenenfalls über eine Modifizierung von POC-Verfahren entscheidet.
32.3.5 Personal
Nach DIN EN ISO 22870 besteht die zentrale Aufgabe des POCT-Qualitätsbeauftragten darin, die Erarbeitung und Aufrechterhaltung der für das POCT-Qualitätsmanagement erforderlichen Verfahren und deren Akzeptanz bei den Betroffenen sicherzustellen. Der POCT-Qualitätsbeauftragte ist neben der Laborleitung als benannte Person zwingend Mitglied der POCTKommission. Gemäß DIN EN ISO 22870 wird neben der Funktion des POCT-Qualitätsbeauftragten die des POCT-Schulungsbeauftragten beschrieben. Der POCT-Schulungsbeauftragte kann mit dem POCT-Qualitätsbeauftragten identisch sein. Der Schulungsbeauftragte muss ein kontinuierliches Schulungsprogramm für das POCT-Bedienpersonal festlegen und durchführen. Ausschließlich geschultes und von der POCT-Kommission benanntes Per-
408
Kapitel 32 · Qualitätsmanagementsysteme für das POCT
sonal darf nach DIN EN ISO 22870 POCT durchführen. Der Schulungsbeauftragte führt außerdem eine Kompetenzbewertung des bedienenden Personals durch. ⓘ Hinweis Die hohen Anforderungen an die Kompetenz des Untersuchungspersonals demonstrieren den besonderen Stellenwert, den die Norm der Personalkompetenz zur Qualitätssicherung der POCT-Analytik zuschreibt.
32.3.6 Laboratoriumsausrüstung und Präanalytik
32
Wie auch in anderen Bereichen liegt die Verantwortung für die Auswahl und Beschaffung der POC-Geräte und -Reagenzien bei der Laborleitung. Durch konsequente Dokumentation der beschafften Materialien und Reagenzien soll das Ziel erreicht werden, die Rückverfolgung auf jede einzelne Untersuchung zu ermöglichen. Das QM-System muss außerdem gewährleisten, dass eine Identifizierung jeder Probe und deren Rückverfolgbarkeit auf den Patienten sichergestellt sind. Das Risiko falscher Patientenzuordnungen muss minimiert werden.
32.3.7 Qualität der Untersuchungsverfahren
und Befundberichte Die für Qualitätssicherung zuständige Laborleitung muss ein System der Qualitätskontrolle etablieren, das mindestens den gesetzlichen Anforderungen (in Deutschland nach RiliBÄK [2, 27]) entspricht. Sofern verfügbar, ist für die einzelnen Messgrößen die Teilnahme an einem externen Qualitätssicherungsprogramm obligatorisch. Außerdem muss eine detaillierte Leistungsbewertung der POC-Geräte hinsichtlich verschiedener Leistungsparameter wie z. B. Linearität und Genauigkeit der Geräte erfolgen, die auch an unterschiedlichen Orten eingesetzte POC-Systeme einschließt. Die Erfüllung der Forderung nach einer Dokumentation der die Untersuchungen durchführenden Personen kann u. U. eine besondere Herausforderung im Stationsalltag darstellen.
409 32.4 · Neuordnung des Akkreditierungssystems
32
32.3.8 Ausblick
Die Umsetzung der Anforderungen nach DIN EN ISO 22870 kann zu einer beträchtlichen Anzahl von Veränderungen in einer Einrichtung führen, die vor allem organisatorische und kommunikative Prozesse betrifft. Allerdings adressieren diese Anforderungen genau jene Aspekte, die Risiken bzw. Nachteile von POCT darstellen und die durch ein QM-System nach DIN EN ISO 22870 beherrscht werden können. Obgleich die in [25] vorgestellte Checkliste alle wesentlichen Anforderungen der Norm DIN EN ISO 22870 reflektiert, berücksichtigt sie bisher noch nicht die speziellen Anforderungen, die aus diagnostischer Sicht an die Qualität bestimmter Analysen, wie z. B. bei der Bestimmung von Blutgasen oder Blutglukose, gestellt werden müssen. In einer Fortschreibung der Checkliste sollen zukünftig auch diese Aspekte Berücksichtigung finden.
32.4
Neuordnung des Akkreditierungssystems vor dem Hintergrund europarechtlicher Regelungen
Mit der Revision europarechtlicher Regelungen für Produkte im harmonisierten europäischen Binnenmarkt, zu denen Medizinprodukte einschließlich IVD zählen, ergaben sich auch neue Herausforderungen an das deutsche Akkreditierungssystem im Bereich der Laboratoriumsdiagnostik. So enthält die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 Forderungen an alle europäischen Mitgliedsstaaten, z. B. hinsichtlich der Wettbewerbsfreiheit der Akkreditierung, des Wesens der Akkreditierung als staatlicher Aufgabe in ihrer Funktion einer letzten staatlichen Kontrollinstanz und der Forderung nach einer einzigen nationalen Akkreditierungsstelle pro Mitgliedstaat zum 01.01.2010 [26]. Deutschland konnte diese Kriterien zunächst nicht erfüllen, da die Akkreditierung in der Praxis nicht wettbewerbsfrei war, im Bereich der Akkreditierung medizinischer Laboratorien bis zum 31.12.2009 u. a. Firmen tätig waren, die nicht staatlich oder staatlich angebunden waren, und eine unüberschaubare Anzahl von Akkreditierungsstellen in den verschiedenen Akkreditierungsbereichen tätig war. Mit der Gründung der Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS), einer vom Bund beliehenen und nach Verwaltungsrecht arbeitenden (wenngleich privaten) Stelle, wurde die Heterogenität der deutschen Akkreditie-
410
Kapitel 32 · Qualitätsmanagementsysteme für das POCT
rungslandschaft aufgehoben. Seit dem 01.01.2010 arbeitet die DAkkS als einzige nationale Akkreditierungsstelle Deutschlands. Per Gesetz ist hinsichtlich der technischen Begutachtung von Konformitätsbewertungsstellen und der Akkreditierungsentscheidung im Bereich Medizinprodukte (wie auch in anderen für den Gesundheits- und Verbraucherschutz sensiblen Bereichen) eine enge Zusammenarbeit zwischen der DAkkS und den die Befugnis erteilenden Behörden ZLG und ZLS vorgesehen [10]. Die Befugnis erstreckt sich dabei auf die sog. gesetzliche Anerkennung (für Laboratorien) bzw. Benennung (für Zertifizierungsstellen), die der eigentlichen Kompetenzbestätigung durch Akkreditierung folgt. Wie in der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 vorgesehen, unterwirft sich die DAkkS im europäischen Vergleich einem regelmäßigen Peer Assessment durch die European Cooperation of Accreditation (EA). Insgesamt ist vor dem Hintergrund der Revision der neuen Konzeption davon auszugehen, dass die Akkreditierung zukünftig auch im Bereich der Laboratoriumsdiagnostik einschließlich POCT an Bedeutung gewinnen wird.
Literatur
32
[1] Arbeitsgemeinschaft Medizinische Laboratoriumsdiagnostik und der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (2004)Qualitätsmanagement und Akkreditierung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft [2] Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK 2008). Dtsch Ärztebl 105: A341– A355 [3] DIN EN ISO 15189: 2007: Medizinische Laboratorien – Besondere Anforderungen an Qualität und Kompetenz [4] DIN EN ISO 22870:2006 : Patientennahe Untersuchungen (point-of-care testing, POCT) – Anforderungen an Qualität und Kompetenz [5] DIN EN ISO/IEC 17025:2005: Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien [6] EEC 93/465/EEC, Council Decision of 22 July 1993 concerning the modules for the various phases of the conformity assessment procedures and the rules for the affixing and use of the CE conformity marking, which are intended to be used in the technical harmonization directives; Official Journal of the European Commission L 220 , 30/08/1993 [7] EG 2009/886, Entscheidung der Kommission vom 27. November 2009 zur Änderung der Entscheidung 2002/364/EG über Gemeinsame Technische Spezifikationen für In-vitroDiagnostika, vom 04.12.2009
411 Literatur
32
[8] EN 13612:2002: Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika [9] EN 45001:1995: General criteria for the operation of testing laboratories [10] Gesetz über die Akkreditierungsstelle (Akkreditierungsstellengesetz – AkkStelleG) vom 31.07.2009 Bonn [11] Gesetz über Medizinprodukte – MPG vom 2. August 1994 in der Neufassung vom 7. August 2002; BGBl. I S. 3147, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2326) [12] Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher und anderer Vorschriften vom 14.Juni 2007; BGBl 2007, I S. 1066 [13] Guide to the implementation of directives based on the New Approach and the Global Approach (2000), published by the Office for Official Publications of the European Communitieshttp://europa.eu.int/comm/enterprise/newapproach/legislation/guide/ document/1999_1282_en.pdf [14] ISO 9001:2000: Quality management systems – requirements [15] ISO/CEN: Agreement on technical cooperation between ISO and CEN, (23.12.2002), Chapter 4. http://www.cenorm.be/boss/supmat/refdoc/archive/ms/ms002.htm [16] ISO/TC 212 N192N255: Committee draft ISO/DISCD 15189: Medical laboratories – Requirements for quality and competence [17] Jansen RT, Blaton V, Burnett D, Huisman W, Queralto JM, Zerah S, Allman B (1997) Essential criteria for quality systems in medical laboratories. Eur J Clin Chem Clin Biochem;35: 121–22 [18] Jansen RT, Blaton V, Burnett D, Huisman W, Queralto JM, Zerah S, Allman B (1998) Additional Essential Criteria for Quality Systems of Medical Laboratories. European Community Confederation of Clinical Chemistry (EC4) Working Group on Harmonization of Quality Systems and Accreditation. Clin Chem Lab Med;36: 249–52 [19] Messner B, Frick G, Blobner M, Albrecht K, Schade T, Luppa PB (2004) Online-Qualitätssicherung patientennaher Sofortdiagnostik (Point-of-Care-Testing) unter Nutzung des Kommunikations-Systems des Krankenhauses. J Lab Med;28: 264–72 [20] Ordonnance No. 2010-49 du 13 janvier 2010 relative à la biologie médicale, publiée au journal officiel de la République française le 15 janvier 2010 [21] Price CP (2002) Medical and economic outcomes of point-of-care-testing. Clin Chem Lab Med;40: 256–51 [22] Resolutions of the Thirteenth ILAC General Assembly, Vancouver, Canada, 18 and 20 October 2009, http://www.ilac.org/ga_resolutions.html [23] Schweiger CR (2004) Quality management in Austria. J Lab Med;28: 85–90 [24] Spitzenberger F, Edelhäuser R (2008) Accreditation of medical laboratories in Europe: Statutory framework, current situation and perspectives. Transfus Med Hemother;33: 384–92 [25] Spitzenberger F, Weidemann G, Hafner G (2006) Accreditation of POCT according to ISO 22870 – Requirements for quality and competence. J Lab Med;30: 264–71 [26] Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates
412
Kapitel 32 · Qualitätsmanagementsysteme für das POCT
[27] Verordnung über das Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten – MPBetreibV in der Neufassung vom 21.08.2002; BGBl. I S. 3397, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2338) [28] Vogt W (2000) TQM und die Bewertung nach dem EFQM Modell – Anwendung auf das Medizinische Laboratorium. Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik. Band 4 Oldenburg, Idensee Verlag
32
VI VI Zukünftige Entwicklungstendenzen 33
Zukünftige POCT-Systeme
– 415
P. B. Luppa, G. Hoffmann, R. Junker
34
Die vierte Generation der Laborsysteme – 423 G. Hoffmann, P. B. Luppa
35
Bedeutung von POCT bei Telemonitoring und Ambient Assisted Living (pHealth) – 433 C. Rode-Schubert, T. Norgall
36
POCT für die Dritte Welt – 441 P. B. Luppa, H.Schlebusch
33 Zukünftige POCT-Systeme P. B. Luppa, G. Hoffmann, R. Junker
33.1
Technologische Entwicklungen – 416
33.2
Neue analytische POCT-Systeme – 417
33.3
Potenzielle neue Kenngrößen – 420
33.4
Limitierungen Literatur
– 420
– 421
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_33, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
416
Kapitel 33 · Zukünftige POCT-Systeme
Derzeit unternehmen viele Hersteller von In-vitro-Diagnostika große Anstrengungen, sich im Bereich POCT breiter aufzustellen. Die Entwicklung von patientennahen Labormethoden und -geräten verläuft stürmisch; beide werden weitere Anteile am Diagnostika-Markt erobern. Viele der sich abzeichnenden Möglichkeiten einer erweiterten POCTAnwendung sind jedoch an folgende Voraussetzungen geknüpft: ▬ Stärker als bisher muss über Wünsche, Notwendigkeiten und praktische Umsetzungsmöglichkeiten von POCT sowie mögliche Vor- und Nachteile für den Patienten nachgedacht und gesprochen werden. An dieser Diskussion müssen Kliniker und Laborärzte, niedergelassene Ärzte, politische und regulatorische Autoritäten, staatliche und private Krankenversicherungen, Industrie und natürlich auch die Patienten selbst beteiligt werden. ▬ Anwendungen von POCT müssen, z. B. durch Outcome-Untersuchungen, wissenschaftlich fundiert (»evidenzbasiert«) werden, was bisher nur in Einzelfällen geschehen ist [2]. ▬ Die Vergleichbarkeit der Wertlagen einzelner mit POCT gemessener Kenngrößen mit den Ergebnissen des Zentrallabors muss gewährleistet sein. Andernfalls muss der Bias zu Referenzverfahren definiert sein. ▬ POCT-Anwendungen müssen (auch) unter dem Kostenaspekt vertretbar sein.
33
33.1
Technologische Entwicklungen
Zukünftige POCT-Systeme werden vor allem durch Miniaturisierung und Parallelisierung der Analysetechniken sowie Vernetzung über Internettechnologien charakterisiert sein [2]. Ausführliche Erläuterungen dazu erfolgen in Kap. 34. > Neuartige (Anwendungen von) Analyseprinzipien [1]: ▬ alternative biologische Erkennungselemente (Scaffolds, Aptamere oder Anticaline anstelle von Antikörpern)
▬ optische Signalgenerierungstechniken (Totale interne Reflexionsfluoreszenz, Oberflächen-Plasmonresonanz)
▬ alternative Signalgenerierungstechniken wie z. B. die Magnetoresistenz (»giantmagneto-resistance (GMR)«)
▬ adressierbare Microarrays für Inflammations-, Tumorerkrankungs- und Autoantikörperdiagnostik
417 33.2 · Neue analytische POCT-Systeme
33.2
33
Neue analytische POCT-Systeme
Derzeit ist eine ganze Welle von neuartigen POCT-Analysengeräten für die nächste Zukunft absehbar, die schon in nächster Zukunft den Markt bereichern werden. Exemplarisch seien einige neue Geräte, die entweder seit 2011 am Markt sind oder kurz vor der Serienreife stehen, genannt; die nachfolgende Aufzählung erhebt also keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
33.2.1 Systeme mit optischer Detektion
▬ Sysmex (Kobe, Japan) Eurolyser Smart 546: Dies ist ein POCT-fähiger Immunturbidimetrie-Analyzer für CRP, hsCRP, Hb und Ferritin. Durch Latexverstärkung gelingt die hochsensitive Messung von CRP. Ob diese empfindliche Bestimmung als POCT-Methode sinnvoll ist, sei dahingestellt. Neben diesem Gerät existiert ein größeres Gerät (Smart 700/340) für die Messung weiterer Kenngrößen. ▬ Nanoentek (Seoul, Südkorea) HeArt2: Dieses POCT-Gerät arbeitet nach einer »membranefree«-Immunoassay-Technologie mit Fluoreszenzdetektion (FREND = Fluorescence Response Enhanced Nanodrop Diagnosis). Dem koreanischen Unternehmen ist es gelungen, ein Fluorometer in ein tragbares Gerät zu integrieren. Es werden damit vor allem Infarktmarker bestimmt. ▬ Vivacta (Sittingbourne, UK) entwickelt eine neue Signalgenerierungs- und Detektionstechnik. Das POCT-Gerät nutzt einen Piezofilm aus Polyvinylidenfluorid, der als pyroelektrischer Film wirkt, wodurch ein ultrasensitives Non-separation-assay-Design für Immunoassays (Infarktmarker, Schilddrüse etc.) möglich wird. Wenn LED-Licht den Piezofilm durchdringt, wird eine thermische Störung mit nachfolgender Ladungsänderung (Signal) erzeugt. Dies ist aber nur der Fall, wenn ein Immunkomplex mit einer speziellen Markierung angebunden hat. Ein frei in Lösung befindlicher markierter Antikörper, der nicht an die Oberfläche angekoppelt hat, führt demgegenüber nicht zu einer Ladungsänderung des Piezofilms. ▬ Åmic (Uppsala, Schweden) 4cast-Chip & -Reader: Das von Johnson & Johnson übernommene POCT-Produkt stellt einen mikrostrukturierten Kunststoffchip dar, der der Form nach einem Mikroskop-Objektträger ähnelt. Durch Kapillarkräfte wird die Probe zu den oberflächenbeschich-
418
Kapitel 33 · Zukünftige POCT-Systeme
teten Reaktanten geführt. Dadurch soll es möglich werden, konventionelle Lateral-flow-Membranen zu ersetzen. Es werden Immunoassays mit Fluoreszenzdetektion entwickelt; relevante Parameter werden u. a. cTnI, NT-proBNP, CRP und TSH sein. ▬ Nanosphere (Northbrook, IL, USA) Verigene-System: In diesem System werden 50 nm große Goldpartikel für die Detektion von DNA or RNA, aber auch von Protein-Antigenen eingesetzt.. Die Goldpartikeltechnologie nutzt die Änderung von optischen Eigenschaften der Nanopartikel, wenn zwei dieser Partikel in enge Nachbarschaft kommen: Die Wellenlänge des Lichts, das an der Oberfläche des Chips gestreut wird, liegt dabei im sichtbaren Bereich und kann einfach gemessen werden. Details der abstandsabhängigen Lichtreflexion der Gold-Nanopartikel sind in ⊡ Abb. 33.1 dargestellt.
Evaneszenz-induzierte Lichtstreuung hν1
Sichtbares Licht Immobilisierung auf Glaschip
Schritt A
33
Schritt B
+ DNA Zielsequenz Schritt C
Immobilisierung auf Glaschip
Evaneszenz-induzierte Lichtstreuung hν2 ν2 < ν1
Sichtbares Licht ⊡ Abb. 33.1 Colorimetrische Detektion von Nukleinsäure-Sequenzen. Gold-Nanopartikel, die mit single-stranded DNA bedeckt sind, werden an Glaschips gebunden (Schritt A). Wenn sie mit Weißlicht, das in den Glaschip eingekoppelt wird, bestrahlt werden, induziert eine evaneszente Welle eine Lichtstreuung. Nicht-hybridisierte Gold-Nanopartikel streuen das Licht mit hν1. Schritt B: DNA-Sonden werden mit Zielsequenzen in Lösung hybridisiert. Wenn sie ebenfalls an Glaschips gebunden werden (Schritt C), streuen sie das Licht mit hν2. Der Plasmoneffekt induziert eine Rotverschiebung mit hν2
419 33.2 · Neue analytische POCT-Systeme
33
33.2.2 Systeme mit alternativen Detektiontechniken
▬ Philips (Amsterdam, Niederlande) Magnotech: Dies ist ein Immunoassay-Handgerät, das mittels magnetisierbarer Nanopartikel immunologische Reaktionen durchführt. Die Nanopartikel sind dabei mit Antikörpern besetzt; sie werden einem wechselnden Magnetfeld ausgesetzt. Detektiert wird nach einer effektiven »Bound-from-free-Abtrennung« der Reaktionspartner derzeit mit einer »Frustrated-total-internal-reflection-Methode«. Die Nanopartikel wären aber auch geeignet, den sog. Giant-magnetoresistance-Effekt für die Signalgenerierung zu nutzen. Es wird ein Multianalyt-Bestimmungsmodus für das Gerät erwartet. Das Methodenspektrum wird die Detektion von Herzinfarktmarkern, von Parathormon und Inflammationsparametern umfassen. ▬ T2 Biosystems (Cambridge, MA, USA) NanoDX: Dieses Unternehmen favorisiert eine Magnetresonanz-Detektion von superparamagnetischen, mit Antikörpern beladenen Nanopartikeln mittels SpinrelaxationsSignalisierung. Durch die spezifische Antigen-Antikörper-Reaktion entstehen Nanopartikel-Cluster. Dies führt dazu, dass sich die Spineigenschaften der Wasserstoffatome verändern. Mittels der bekannten NMR-Technik kann das T2-Signal abgeleitet werden. Welche Kenngrößen in Serum, Urin, Speichel oder anderen Körperflüssigkeiten gemessen werden sollen, steht noch nicht fest. ▬ MagnaBioSciences (San Diego, CA, USA) MICT Benchtop System: Die Technologie der »Magnetic Immuno Chromatographic Tests« (MICT) beruht auf einer Detektion von magnetischen Nanopartikeln in einem lateralen Immunchromatographie-Membranchip. Der Vorteil liegt darin, dass die gesamte »capture region« innerhalb der 200 μm dicken Schicht erfasst werden kann. Die Anregung der Nanopartikel erfolgt in einem oszillierenden magnetischen Feld, das durch einen C-förmigen Elektromagneten aufgebaut wird. Im Spalt wird dann die magnetische Messung der Immunchromatographie-Membran mittels einer Matrix an induktiven Dünnfilmspulen durchgeführt. Auch damit werden zukünftig Messungen der Parameter für Herzinfarkt und Infektionserreger sowie Hormonbestimmungen erwartet. ▬ Magnisense Laboratories (Dardilly, France) MIAtek: Mittels der biomagnetischen Signaturtechnologie« werden magnetische Nanopartikel, an denen spezifische Antikörper immobilisiert sind, als Labels in magne-
420
Kapitel 33 · Zukünftige POCT-Systeme
tischen Immunoassays eingesetzt. Dabei nutzt man zur Signalisierung deren nicht-lineare Antwort auf ein multifrequentes magnetisches Wechselfeld. Diese »magnetische Signatur« wird im Gegensatz zu konventionellen Methoden, die die Suszeptibilität (χ) von superparamagnetischem Material messen, durch die Analyse der Nanopartikel-eigenen nichtlinearen Beeinflussung des angewandten magnetischen Felds erhalten.
33.3
33
Potenzielle neue Kenngrößen
Es gibt eine Reihe neuer Kenngrößen, die für POCT in Zukunft interessant werden könnten. Dies hängt aber vor allem davon ab, ob sie sich in größeren klinischen Studien speziell unter dem Aspekt des Zeitvorteils eines BedsideTests bewähren. Folgende Marker sind zusammen mit der jeweiligen potenziellen Indikation zu nennen: ▬ NGAL (»neutrophil gelatinase-associated lipocalin«) für akutes Nierenversagen ▬ Galectin-3 (ein Beta-Galactoside-bindendes Protein) für kardiale Fibrose und »adverse remodeling« bei Patienten mit Herzinsuffizienz ▬ Copeptin (C-terminaler Rest des proAVP) Risikostratifizierung bei akutem Koronarsyndrom ▬ Growth-Differentiation-Factor-15 (GDF-15) zur Risikostratifizierung bei akutem Koronarsyndrom ( Kap. 17) ▬ Kombination von PlGF (Placental Growth Factor), sFLT-1 (»soluble fmslike Tyrosine Kinase 1«) und Endoglin für die Frühdiagnostik der Präeklampsie. PlGF ist als Unit-use-Test seit Kurzem bereits auf dem Triage Meter Pro von Alere verfügbar ▬ S100B zum Ausschluss eines neurochirurgisch nicht relevanten Schädelhirntraumas (»minor head injury«).
33.4
Limitierungen
Es muss bei den vorgestellten Zukunftsprojektionen bedacht werden, dass POCT zwar prinzipiell problemlos an den Patienten zu bringen ist, nicht aber die Expertise des Laborarztes. Es ist daher nur schwer vorstellbar, wie komplexere Panels von Laboranalysen (z. B. Tumormarker oder genetische
421 Literatur
33
Suszeptibilitätstestungen) mit POCT bestimmt und ohne sachkundige Hilfe interpretiert werden können. Deshalb muss auch in Zukunft im Interesse einer optimalen Versorgung des Patienten sichergestellt sein, dass POCTVerfahren unter labormedizinischer Fachkompetenz sinnvoll aus-gewählt und sachgemäß durchgeführt werden. Ein spezielles Problem stellt die Qualitätssicherung der Ergebnisse dar. Die Ausweitung von POCT auf Bereiche außerhalb der inzwischen »klassischen« Anwendungsfelder im Krankenhaus und in der Praxis des niedergelassenen Arztes kann zu neuen Problemen bei der Qualitätssicherung der Ergebnisse führen. Schon heute ist deutlich, dass POCT ohne entsprechend geschultes Personal nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt und dass der Anwender zumindest bei auftretenden Problemen auf eine kompetente labormedizinische Beratung angewiesen ist. Zwar wird die technische Weiterentwicklung der Geräte wahrscheinlich zu einer eingebauten, weitgehend automatischen technischen Qualitätskontrolle führen, sodass die heute noch üblichen bzw. vorgeschriebenen Prozeduren für die interne und externe Qualitätskontrolle entfallen können. Vergrößern werden sich jedoch die Probleme bei der Anwendung durch unzureichend geschultes und überwachtes Personal, insbesondere bei der Präanalytik (Vorbereitung des Patienten, korrekte Probennahme, Erkennung ungeeigneter Proben) und der Postanalytik (Dokumentation, Datenschutz; [1]). Dies gilt in besonderem Maße beim Einsatz in »laborfernen« Bereichen, z. B. in der Dritten Welt ( Kap. 36). Es ist eine wichtige Aufgabe der Labormedizin, deutlich zu machen, dass eine POCT-Analytik, die den medizinischen Anforderungen entspricht, auch in Zukunft mehr erfordert als nur zuverlässige Analysensysteme.
Literatur [1] Luppa PB, Müller C, Schlichtiger A, Schlebusch H. Point-of-care testing (POCT): Current techniques and future perspectives. Trends Anal Chem 2011;30: 887–898 [2] Nichols JH, Christenson RH, Clarke W, Gronowski A, Hammett-Stabler CA, Jacobs E el al. (2007) Executive summary. The National Academy of Clinical Biochemistry Laboratory Medicine Practice Guideline: evidence-based practice for point-of-care testing. Clin Chim Acta;379: 14–28; discussion 29–30 [3] Storhoff JJ, Lucas AD, Garimella V, Bao YP, Müller UR (2004) Homogeneous detection of unamplified genomic DNA sequences based on colorimetric scatter of gold nanoparticle probes. Nat Biotechnol;22: 883–7
34 Die vierte Generation der Laborsysteme G. Hoffmann, P. B. Luppa
34.1
Das Generationenkonzept der Laborsysteme – 424
34.2
Miniaturisierung
34.3
Parallelisierung
34.4
IT-Vernetzung
34.5
Fazit
– 426 – 428
– 430
– 431
Literatur
– 432
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_34, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
424
34
Kapitel 34 · Die vierte Generation der Laborsysteme
Man kann aus der aktuellen Entwicklung im POCT- und »Over-the-counter-Markt« ableiten, dass künftige Patienten- und Ärztegenerationen viele Laborwerte bei sich zu Hause oder in der Praxis selbst erheben werden. Man wird dann womöglich erstaunt sein, dass Laborärzte und MTAs für solche Tätigkeiten im Jahre 2000 noch einen weißen Kittel anzogen, aber ähnlich gekleidet waren um 1950 auch Computerexperten, wenn sie Magnetbänder in ihre Großrechner einlegten. Deshalb sollte die Medizin darauf vorbereitet sein, dass in der nächsten Generation von Laborsystemen die maschinelle Labordiagnostik heutiger Prägung als technologische Steinzeit empfunden wird. Dennoch ist nicht zu befürchten, dass künftige Gerätegenerationen das fachlich geführte Zentrallabor überflüssig machen werden – ähnlich wie es trotz der Einführung von Laptops, Netbooks und Smartphones weiterhin große Rechenzentren gibt. Es findet lediglich eine Verlagerung statt, die einfache Tests näher an den Patienten und den Hausarzt bringt, um im Zentrallabor Platz für aufwendige Verfahren wie Gensequenzierung oder massenspektrometrische Proteomanalysen zu schaffen. Bei solchen Zukunftsprojektionen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es zwar immer leichter wird, ausgefeilte Analysentechnik an den Patienten zu bringen, nicht aber die Expertise des Laborarztes. Somit dürfte sich das obige Szenario wohl im Wesentlichen auf Laborwerte beschränken, die keiner besonderen Interpretation bedürfen (zum Beispiel Verlaufskontrollen) oder die vom behandelnden Arzt ohne spezielle Laborkenntnisse leicht interpretierbar sind. Eine Ausweitung ist jedoch vorstellbar, wenn künftige Geräte in ein telemedizinisches Netzwerk eingebunden sind, sodass sie auffällige Werte zur gezielten Beurteilung an einen Experten übermitteln können.
34.1
Das Generationenkonzept der Laborsysteme
Nicht nur Familiengeschichten teilt man in Generationen von etwa 25 Jahren Dauer ein, sondern auch die noch kurze Historie der Laborautomation seit dem Zweiten Weltkrieg (davor konnte man noch nicht von Automation sprechen). Mittlerweile erlebten wir drei Generationen von Laborsystemen, die durch zunehmende Komplexität der Technik bei gleichzeitiger Vereinfachung der Bedienung gekennzeichnet waren. Etwa ab 2025 steht eine
34
425 34.1 · Das Generationenkonzept der Laborsysteme
⊡ Tab. 34.1 Die vier Generationen der Laborsysteme (ungefähre Zeitangaben für Deutschland) [3] 1. Generation (ab 1950)
2. Generation (ab 1975)
3. Generation (ab 2000)
4. Generation (ab 2025)
− Mechanisierung (»Autoanalyzer«) − Fertigreagenzien (»Monotest«)
− Zusammenführung von Reagenz und Gerät − Integration in eigene SoftwareUmgebung
− Konsolidierung der Analysetechniken auf einer Plattform − Integration von Prä- und Postanalytik
− Miniaturisierung und Parallelisierung der Analysetechniken − Vernetzung über InternetTechnologien
vierte Generation ins Haus, die sich von den bisherigen insbesondere durch Miniaturisierung aller Bauelemente grundsätzlich unterscheiden könnte (⊡ Tab. 34.1). Als »System« bezeichnet man in der Laborautomation die Zusammenstellung einzelner Reagenz-, Geräte- und IT-Komponenten zu kompletten Funktionseinheiten. In der ersten Generation handelte es sich um Reagenz- und Hardware-Kombinationen, die unter den Markennamen »Monotest« und »Autoanalyzer« Geschichte schrieben. In der zweiten Generation wurden daraus offene und geschlossene Analysesysteme, bestehend aus Reagenzien, Geräten und Software. In der dritten Generation konsolidierte man möglichst viele solcher analytischen Technologien auf einer einzigen modularen Geräteplattform und integrierte diese »Workcells« in eine automatisierte präund postanalytische Umgebung. So entstanden die Laborsysteme, die heute den Markt prägen. Simulationsmodelle sagen für den Weltmarkt vorher, dass die Installationszahlen dieser Systeme der dritten Generation gerade ihren Höhepunkt erreicht haben und bis zum Jahr 2025 wieder auf einen Wert nahe Null absinken werden. Folgegeschäfte mit Service, Reagenzien, Software und Ähnlichem dürften zwar noch ein bis zwei Jahrzehnte länger anhalten, doch etwa ab 2020 ist mit einer allmählichen Ablösung durch eine neue Systemgeneration zu rechnen (⊡ Abb. 34.1).
426
Kapitel 34 · Die vierte Generation der Laborsysteme
Hardware und Service
Software
Verbrauchsmaterial
Erhaltungsaufwand
Mrd US$
3
2
1
0 1995
2000
2005
2010
2015
2020
2025
⊡ Abb. 34.1 Computersimulation des Weltmarkts für Laborautomationssysteme der dritten Generation. Berechnet wurden (von unten nach oben) die Umsätze für Geräte, Software, Verbrauchsmaterial (ohne Reagenzien) und Erhaltung (Ersatzteile, Wartungsverträge u. ä.). Der Zenith der Geräteverkäufe liegt um rund zehn Jahre vor demjenigen der Gesamtumsätze [4].
34
Wie auch bei den vorangehenden Generationen sind Vorläufer schon mehr als zehn Jahre früher auf dem Markt, was wiederum bedeutet, dass einige der heute kommerziell erhältlichen POCT-Geräte und Biochip- bzw. »Lab-on-a-chip-Systeme« bereits Merkmale der vierten Generation aufweisen. Diese können mit drei Schlagworten beschrieben werden: Miniaturisierung, Parallelisierung und Vernetzung.
34.2
Miniaturisierung
Schon heute ist es kein technisches Problem mehr, in der Spitze eines Sensorstifts, der so klein ist wie ein Kugelschreiber, ein miniaturisiertes Analysegerät mit kompletter Hardware und Messelektronik unterzubringen. Vor zehn Jahren stellte die US-amerikanische Firma Agilent erstmals miniaturisierte Blutgasgeräte vor, die auf der Spitze eines Katheters Platz hatten und arteriovenöse Differenzen im Gehirn von Schlaganfallpatienten nachweisen konnten. Der »point of care« rückte damit bis ins Körperinnere des Patienten vor.
427 34.2 · Miniaturisierung
34
⊡ Abb. 34.2 Der Sensorstift aus der Entwicklung von Friz Biochem, München, ist so klein, dass er in ein PCRGefäß mit 10 μl Lösung eingetaucht werden kann. Der genomische Erregernachweis, z. B. der von humanen Papillomaviren, Epstein-Barr-Viren oder Tuberkulosebakterien, gelingt mit einem »electrically detected displacement assay« ohne zusätzliche Arbeits- bzw. Markierungsschritte. Die Anzeige des Messwerts erfolgt innerhalb von Sekunden auf dem Display – wie bei einem pH-Meter.
Dank Mikrofluidik, Chip-Technologie und elektrochemischer Detektionsverfahren kann man solche miniaturisierten Systeme heute so gestalten, dass sie sogar DNA oder RNA in wenigen Mikrolitern einer Probe direkt erkennen und messen (⊡ Abb. 34.2). Auch Immunoassays und elektrophoretische Analysen für Proteine können mit derartigen »micro total analysis systems«, kurz μTAS, durchgeführt werden. Die Vorteile der Miniaturisierung sind unbestritten: Flüssigkeitsvolumina im Nano- und Picoliterbereich senken nicht nur den Reagenzienverbrauch, sondern auch den Zeitbedarf für analytische Basisprozesse wie Mischen und Temperieren erheblich. So laufen z. B. PCR-Zyklen, die im herkömmlichen Mikrolitermaßstab Minuten benötigten, in einem Chip-Labor in Sekunden ab. Nach unten sind der Miniaturisierung nur noch durch die Molekülgröße der Analyte Grenzen gesetzt. Forscher aus Shanghai stellten Ende 2007 eine Dosierpumpe vor, die auf dem biologischen Vorbild der Ionenkanäle einer Zellmembran basiert [2]. Sie kann einzelne Wassermoleküle präzise »pipettieren«. Damit dürfte die Grenze des technisch Machbaren in der Miniaturisierung erreicht sein.
428
34.3
34
Kapitel 34 · Die vierte Generation der Laborsysteme
Parallelisierung
Ein weiterer Vorteil der Chip-Technologie ist die Möglichkeit, zahlreiche Messkanäle oder Messpunkte auf engstem Raum unterzubringen. Mit photolithographischen Techniken gelingt es, auf einen Waver (⊡ Abb. 34.3) Flüssigkeitskanäle und Reaktionsreservoirs für 10 oder 100 gleichzeitig ablaufende Messungen einzuätzen. Bekanntestes Beispiel eines bereits kommerziell verfügbaren Multiplexsystems ist der Bioanalyzer von Agilent Technologies, der DNA-, RNA-, Protein- und Zellanalysen auf kapillarelektrophoretischer Basis durchführt. Selbst 10.000 oder gar 100.000 gleichzeitig erfolgende Messungen sind heute schon Stand der Technik, und zwar bei der Genanalytik mit Mikroarrays (⊡ Abb. 34.4). Hier werden winzige Messpunkte in Form von Gensonden auf feste Oberflächen aufgedruckt oder dort synthetisiert und mit den gesuchten Analyten der Probe wie DNA, mRNA oder Proteinen hybridisiert. Nach dem Waschen kann man die gebundenen Substanzen mit Fluoreszenzfarbstoffen nachweisen, indem man ein Computerbild aller leuchtenden Punkte anfertigt und es rechnerisch auswertet. Die Problematik eines so extremen Grades der Parallelisierung in der medizinischen Diagnostik ist weniger die technologische Machbarkeit als die sinnvolle Auswertung und Interpretation der dabei erhaltenen Datenflut. Um diese zu beherrschen und für so komplexe Herausforderungen wie z. B. die Analyse des malignen Proteoms nutzbar zu machen, hat sich ein eigenes Fachgebiet an der Nahtstelle zwischen Biologie und Informatik, die Bioinformatik, etabliert. Auch wenn Mikroarrays die Entwicklung hochparalleler Analysentechniken für die medizinische Forschung enorm beflügelt haben, wird ihnen für die Routinediagnostik keine allzu große Zukunft prophezeit. Die Gründe liegen zum einen in der schwierigen Standardisierung und oftmals schlechten Reproduzierbarkeit der Ergebnisse, zum anderen im fraglichen Nutzen von 10.000 oder 100.000 Messungen unterschiedlicher Analyte an demselben Patienten. Größere Chancen haben Oligoarrays mit bis zu 100 Analyten, die häufig im Beadformat (Luminextechnologie) [1] angeboten werden. Hier erfolgt die Auswertung mit einem Durchflusszytometer, sodass das Charakteristikum der Miniaturisierung nicht gegeben ist. Ähnliches gilt für die Massenspektrometrie, die ebenfalls einige hundert Analyte gleichzeitig quantifizieren kann und derzeit auf breiter Front Einzug in die Mikrobiologie, Toxikologie und das therapeutische Drug Monitoring (TDM) hält.
429 34.3 · Parallelisierung
34
⊡ Abb. 34.3 Photolithographisch hergestellter Waver
⊡ Abb. 34.4 Mikroskopische Aufnahme der fluoreszierenden Messpunkte eines Originalmikroarrays für die Genexpressionsanalyse. Die Helligkeit jedes Punktes repräsentiert einen Messwert, der mit Verfahren der Bildanalyse und Bioinformatik in eine Konzentration der zugehörigen mRNA umgerechnet wird.
430
34
Kapitel 34 · Die vierte Generation der Laborsysteme
Die mittelgradige Parallelisierung der Analytik bietet erhebliche praktische Vorteile: Sie spart Zeit und Geld, beispielsweise bei der Aufnahme eines Patienten im Krankenhaus oder in Notfallsituationen, wo umfangreiche Laborprofile schnell und kostengünstig erstellt werden, um innerhalb weniger Minuten einen umfassenden Überblick über den Krankheitsstatus des Patienten zu erhalten. Anschließend müssen nur noch diejenigen Parameter selektiv nachbestimmt werden, die einer weiteren Abklärung bedürfen. Diese in den USA schon angewandte Strategie wird als »deeskalierende Diagnostik« bezeichnet. Im Gegensatz dazu fordert man bei der in Deutschland üblichen »eskalierenden Diagnostik« im ersten Schritt nur einen kleinen Ausschnitt des theoretisch möglichen Analysenspektrums an und engt den Suchraum dann stufenweise und gezielt ein. Dies ist bei den derzeitigen hohen Reagenzienvolumina, den langen Messzeiten und den hohen Analysenpreisen auf jeden Fall wirtschaftlicher, kostet aber wertvolle Zeit, die bei sinkender Verweildauer im Krankenhaus oder bei lebensbedrohlichen Zuständen nicht zur Verfügung steht. Dass labordiagnostische Profile in bestimmten Situationen klinisch und wirtschaftlich sinnvoll sind, zeigt der Erfolg der bereits verfügbaren POCT-Vielkanalanalysatoren, die z. B. gleichzeitig Blutgas- und Oxymetrie-Parameter, Elektrolyte und Metabolite bestimmen. Vor allem die Flut falsch-positiver Befunde, die bei ungerichteter Anforderung zu erwarten ist, hielt Diagnostiker bisher von solch großen Profilen ab. Kombiniert man jedoch die für eine bestimmte klinische Fragestellung geeignetsten Parameter gezielt zu Panels und berechnet daraus Indizes, statt die Einzelergebnisse separat zu betrachten, dann nimmt die Aussagekraft – ausgedrückt in Kenngrößen wie Sensitivität, Spezifität und prädiktive Werte – in der Regel zu und nicht ab.
34.4
IT-Vernetzung
Laborsysteme der vierten Generation werden unter Verwendung von Internettechnologien vernetzt sein. Auch hier standen aktuelle Entwicklungen im POCT-Sektor Pate, z. B. der internationale Kommunikationsstandard POCT1-A des Clinical Laboratory Standards Institute (CLSI; Kap. 26) oder der herstellerneutrale Datenmanager POCcelerator von Conworx (Berlin).
431 34.5 · Fazit
34
Schon heute bieten viele Laborinformationssysteme die Möglichkeit, die Geräte eines Laborverbunds browserbasiert zu überwachen und zu steuern: Der Browser unterstützt die Anbindung eines heterogenen Geräteparks unterschiedlichster Hersteller an eine gemeinsame Middleware im Krankenhaus. In einem größeren Rahmen wird dieses Konzept auch beim Ambient Assisted Living (AAL; Kap. 35) verfolgt. Gemeint ist damit die IT-Unterstützung des täglichen Lebens, insbesondere des Alltags allein lebender alter Menschen, deren Puls und Blutdruck, Blutzucker oder Bewegungsmuster mit Sensoren vor Ort aufgezeichnet und an ein personalisiertes Gesundheitsportal im Internet gemeldet werden ( Kap. 35). Wenn kritische Grenzen überschritten werden, kann der »Doc around the clock« sofort intervenieren.
34.5
Fazit
POCT-Geräte sind die ersten Vorboten einer neuen Generation von Laborsystemen, die ab etwa 2025 den Diagnostika-Markt mitbestimmen werden. Was wir heute an technischen Lösungen sehen, ist zwar beeindruckend, aber noch weit von dem entfernt, was eines Tages Selbstverständlichkeit sein dürfte: ▬ Laboratorien von der Größe einer Turnhalle könnten auf einem Tisch Platz finden, ▬ Reaktionen, die heute Minuten dauern, werden in Sekunden ablaufen, und ▬ Millionen von Messungen – gleichgültig ob im Krankenhaus, in der Arztpraxis oder zu Hause im Wohnzimmer erhoben – dürften in persönlichen elektronischen Krankenakten im Internet gespeichert und mit entsprechenden Schutzmechanismen von jedem Punkt der Erde aus abrufbar sein. Die Konsequenzen dieser Entwicklung für die Labordiagnostik und die gesamte Medizin sind heute ebenso wenig abschätzbar, wie es z. B. die Folgen des Internets für die IT-Branche waren. Mit aller Vorsicht kann man jedoch vermuten, dass die Labordiagnostik durch diese Entwicklung nach Jahren des Stillstands Wachstumsimpulse erhalten dürfte – und dass die vierte Generation der Laborsysteme das Gesicht der Labordiagnostik ähnlich gravierend verändern wird wie jede der drei Generationen davor.
432
Kapitel 34 · Die vierte Generation der Laborsysteme
Literatur [1] Fulton RJ, McDade RL, Smith PL, Kienker LJ, Kettman JR Jr (1997) Advanced multiplexed analysis with the FlowMetrix system. Clin Chem;43: 1749–56 [2] Gong X (2007) A charge-driven molecular water pump. Nature Nanotechnology, DOI: 10.1038/nnano.2007.320 [3] Hoffmann G (1998) Concepts for the third generation of laboratory systems. Clin Chim Acta 278: 203–216 [4] Hoffmann G (2008) Blick in die Kristallkugel. Trillium-Report;6: 61
34
35 Bedeutung von POCT bei Telemonitoring und Ambient Assisted Living (pHealth) C. Rode-Schubert, T. Norgall
35.1
Telemedizin und Personal Health – 434
35.2
Ambient Assisted Living (AAL) – 436 Literatur
– 439
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_35, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
434
35.1
35
Kapitel 35 · Bedeutung von POCT bei Telemonitoring
Telemedizin und Personal Health
An Patienten werden auch außerhalb der Klinik an den unterschiedlichsten Orten diagnostische Parameter mittels POCT erhobenen ( Kap. 1). Diese Parameter werden heute in der Regel als Daten in Informationssystemen bzw. elektronischen Akten gespeichert und nicht mehr handschriftlich, wie im Diabetestagebuch oder der Papierakte des niedergelassenen Arztes, aufgezeichnet. Die in elektronischer Form abgelegten Daten befinden sich meist in den Systemen der verschiedenen Leistungserbringer eines Gesundheitssystems. Durch Vorgaben des Gesetzgebers sowie auf Basis von Fördermaßnahmen insbesondere des Bundesministeriums für Forschung und Technik [11] sind in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend Projekte entstanden, die die Selbstbestimmung des Patienten in den Mittelpunkt stellen. Diese umfasst auch die Verantwortung für seine gesundheitsbezogenen Daten (Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Dem Bürger soll in elektronischer Form, vorzugsweise mit direkten Zugriffsmöglichkeiten über das Internet, eine persönliche elektronische Akte zur Verfügung stehen, in der alle relevanten Informationen aus den Primärsystemen der Leistungserbringer gespiegelt werden. Als »Besitzer« seiner Daten soll er durch die Vergabe von Rechten entscheiden können, welche Leistungserbringer Zugang zu welchen Informationen erhalten. Dem Bürger selbst dient die über diese Akte ermöglichte Zusammenschau seiner lebenslangen Gesundheitsdaten der Erweiterung des Wissens über seinen Gesundheitsstaus. Es erscheint sinnvoll, in einer solchen Akte mittelfristig auch »Lifestyle«-Daten wie z. B. im Fitness-Studio erhobene Parameter verfügbar zu machen [8]. Im Zentrum dieser Entwicklung steht die persönliche Verantwortung für die eigene Gesundheit sowie deren kontinuierliche Überwachung. Ermöglicht wird dies aus medizintechnischer Sicht insbesondere durch die Verwendung von Telemonitoring- und »Personal Health«-Systemen. In Analogie zum »Personal Computer« als Ergänzung und Gegenstück professioneller Computertechnik hat sich in den letzten Jahren die Wortkombination »Personal Health« etabliert. »Personal Health« bezeichnet die zunehmende Verfügbarkeit ehemals nur durch medizinisches Personal verwendeter Geräte, sowie entsprechender Informations- und Dienstleistungsangebote für den privaten Anwender. »Personal Health« charakterisiert aber auch die Richtung des Paradigmenwandels vom traditionellen organisati-
435 35.1 · Telemedizin und Personal Health
35
onszentrierten Gesundheitswesen über in den letzten Jahren entstandene prozessgesteuerte Versorgungsformen hin zu personenzentrierter, individualisierter Prävention, Diagnostik, Therapie und Pflege. Dieser Trend beinhaltet diverse Ausprägungen personalisierter Medizin, die mit intensivem Einsatz von Informationstechnologie und Telematik (sog. eHealth) die personenbezogene Integration digitaler Patientendaten ermöglichen. Am sichtbarsten wird dieser Paradigmenwechsel an Entwicklungen im Bereich Telemonitoring [1, 6, 7]. Die zum Telemonitoring eingesetzte Technik umfasst tragbare medizinische Geräte bzw. Systeme, die speziell für den diagnostischen und therapiebegleitenden Einsatz im häuslichen Umfeld konzipiert sind [10]. Ein Telemonitoring-System besteht typischerweise aus medizinischen Sensoren, die über ein drahtloses Netzwerk geringer Ausdehnung (Body Area Network/Personal Area Network) mit einer im unmittelbaren Umfeld des Benutzers befindlichen oder vom Benutzer getragenen Basisstation kommunizieren. Diese erfasst die von den Sensoren gelieferten Daten, bereitet sie ggf. auf und leitet sie über ein drahtloses oder drahtgebundenes Übertragungssystem zum Arzt, Krankenhaus oder an einen telemedizinischen Dienstleister weiter. Der Empfänger wertet die Daten aus und speichert diese in einer elektronischen Akte. Die Basisstation kann sowohl ein ortsfestes, mit einem Festnetzanschluss verbundenes persönliches Computersystem, als auch ein mobiles Gerät (Smartphone, PDA, etc.) mit drahtloser Übertragungstechnik (GSM, UMTS, WLAN) sein. Entsprechende technische Entwicklungen, etwa das »Zusammenwachsen« von drahtloser Kommunikationstechnik und »intelligenten Textilien“, dauern bis heute an. Ergänzend wird auf verwandten Gebieten wie z. B. der Signalverarbeitung, der Unterdrückung von Bewegungsartefakten und der Sensorfusion geforscht. Die durch Telemonitoring erfassbaren Parameter reichen von kontinuierlich bzw. episodisch gemessenen Biosignalen (z. B. EKG, Sauerstoffsättigung) über punktuell erfasste Werte (Blutdruck) bis zu POCT-Parametern. Diese können nunmehr automatisiert und ohne die Intervention des Patienten, ggf. unter Verwendung von intelligenten Assistenzsystemen, in angemessenen Abständen bestimmt werden. In dieselbe Infrastruktur können auch aktorische Komponenten einbezogen werden, wie z. B. »smarte« Defibrillatoren, die kardiologisch relevante Informationen unmittelbar an ein telemedizinisches Zentrum senden, um einer akuten kritischen Situation möglichst
436
Kapitel 35 · Bedeutung von POCT bei Telemonitoring
zuvorzukommen (vgl. Early Detection of ICD Events Using Remote Monitoring: The TRUST Trial; [12]). Für all diese Systeme, die personennah erhobene Daten zur kontinuierlichen Überwachung der Gesundheit mit telemedizinische Zentren oder anderen Leistungserbringer austauschen, ist der sichere, verlustfreie Datenaustausch ein kritischer Erfolgsfaktor [2, 3]. Die international agierende Continua Health Alliance (CHA) setzt sich als maßgebliche internationale Organisation in diesem noch jungen, sich entwickelnden Zukunftsmarkt deshalb intensiv mit der Interoperabilität aller Einzelkomponenten auseinander. Das Konsortium aus Unternehmen der IT-Industrie und der Gesundheitswirtschaft hat für eine Reihe wesentlicher Kommunikationstechnologien entsprechende Standards bereitgestellt. Die Bandbreite der von der CHA zertifizierten Geräte reicht von Blutzuckermessgeräten und Puls-Oxymetern über Blutdruckgeräte und Waagen bis zu IT-Plattformen. Alle zertifizierten Geräte sind für die Verwendung durch Endkunden, somit Laien, im häuslichen oder mobilen Umfeld vorgesehen. Ihre Verbindungsaufnahme geschieht gemäß dem Konzept des »Plug & Play«. So entstehen modulare mobile Gerätelösungen, die über definierte Schnittstellen zu Informationssystemen der betreuenden Leistungserbringer und entsprechenden elektronischen Akten verfügen. Die laufende Überwachung der eingehenden Daten wird häufig von kompatiblen Expertensystemen unterstützt werden. Die endgültige Beurteilung der Auswertungsergebnisse aus diesen Systemen findet durch Ärzte statt, die situationsabhängig über weitere Maßnahmen entscheiden.
35
35.2
Ambient Assisted Living (AAL)
In den vergangenen Jahren haben insbesondere die Zunahme chronisch kranker Menschen und der demographische Wandel zur mit öffentlichen Geldern geförderten Entwicklung von Assistenzsystemen geführt, die über die bereits im Markt befindlichen Telemonitoring-Systeme hinaus Funktionen zur Sicherung von Gesundheit, Lebensqualität und Komfort bereitstellen. Leitidee ist die Ausstattung der direkten Lebensumgebung von Menschen mit baulicher und apparativer »Intelligenz«, die die speziellen Anforderungen ihres Nutzers erkennt, entsprechende Unterstützungsfunktionen aktiviert und damit im jeweiligen Nutzungskontext dessen Lebensqualität
437 35.2 · Ambient Assisted Living (AAL)
35
erhöht. Befindlichkeit, Lebensalter und Gesundheitszustand werden hierbei unmittelbar in das Systemverhalten einbezogen. »Ambient Intelligence« versetzt diese Umgebung in die Lage, sich des in ihr handelnden Menschen, seiner Ziele und Bedürfnisse »bewusst« zu werden und den Menschen aktiv bei der Durchführung von Tätigkeiten und der Erreichung seiner Ziele zu unterstützen. Geräte, deren Funktionsweise sich dem Nutzer anpassen, sind für diesen erheblich leichter zu bedienen. Die technische Basis von »Ambient Intelligence« ist die Ausstattung der Gegenstände des täglichen Lebens mit Informations- und Kommunikationstechnik. Darüber hinaus sind neuartige Strategien und Dienstleistungen für die Selbstorganisation von Geräte-Ensembles erforderlich, die eine Adaption an die jeweiligen Bedürfnisse oder Wünsche der Benutzer ermöglichen. Die Unterstützung von Funktionen des täglichen Lebens Bedürftiger durch »ambient intelligente«, assistive Systeme wurde als aussichtsreiches, förderungswürdiges Anwendungsgebiet für derartige Systeme identifiziert und mit dem Schlagwort »Ambient Assisted Living« (AAL) formelhaft beschrieben. Dieses förderpolitisch favorisierte Szenario stellt aber keineswegs die einzige Anwendungsperspektive für »Ambient Intelligence« dar [4, 5]. Typische AAL-Anwendungen in der häuslichen Umgebung sind Assistenzsysteme, die in das direkte Lebensumfeld der Menschen integriert sind und ihnen einen intuitiven Umgang mit dem Umfeld erlauben, wie z. B. der Badezimmerspiegel, der Diabetiker an die fällige Glukosemessung erinnert, oder der Fußbodenbelag, der integrierte Drucksensoren zur Sturzerkennung nutzt. Anwendungen wie diese stoßen zunehmend auf Akzeptanz bei den Nutzern [2]. Die Darstellung des Fraunhofer-inHaus-Innovationszentrums (⊡ Abb. 35.1) in Duisburg zeigt weitgehende Anwendungsbeispiele: Hier wird eine umfassende Auswahl an technologiegestützten Anwendungen für das private Wohnen präsentiert – Lösungen, die insbesondere dafür entwickelt und erprobt wurden, Senioren möglichst lange ein eigenständiges Leben führen zu lassen [9]. Viele der von inHaus1 entwickelten und erprobten Lösungen sind mittlerweile erfolgreich in die Praxis umgesetzt worden. Die Leitidee von AAL, nämlich die Anpassung von Systemen an die speziellen Anforderungen ihrer Nutzer, was im jeweiligen Nutzungskontext die Lebensqualität für jedes Lebensalter erhöht, wurde als Konzept in den letzten Jahren am konsequentesten in der Automobilindustrie umgesetzt: Kein
438
Kapitel 35 · Bedeutung von POCT bei Telemonitoring
Automatische Alarmmeldung an Nachbarn, Kinder, Service-Center
Teppich mit Fallsensorik
Pulsdetektion im Schlaf durch Sensormatratze
Aktivitätserfassung von Lichtschaltern, Wasserspülung, Türen, Fenstern
automatische Abschaltung gefährlicher Geräte im Notfall, z.B. Herd
BesucherErkennung Vernetzte Tür- und Fensterschließung mit Motorik
Vergleich Ist- mit ReferenzPräsenzprofilen zur Notfallerkennung
Automatisches Notfallmanagement mit Sprachhinweisen, Lichtsignalen, und Aktuatorik
⊡ Abb. 35.1 Ambient Assisted Living (AAL): das Fraunhofer inHaus1
35
anderer Industriezweig ist so stark von elektronischen Assistenzsystemen geprägt wie die Produkte der Automobilindustrie. Bisher umfassen diese allerdings kaum klassische POCT-Anwendungen zur Erfassung diagnostischer Parameter. Vielmehr handelt es sich um Komfort- und Sicherheitssysteme, beispielsweise die Beleuchtung, die sich situationsabhängig und ohne Zutun des Nutzers den Tageslichtverhältnissen anpasst, die Scheibenwischanlage, die bei Bedarf unaufgefordert auf die veränderten Sichtverhältnisse reagiert, oder die Airbags, die in Notfallsituationen in Millisekunden ihre lebensrettenden Funktionen aufnehmen. Aber auch die Automobilindustrie forscht an Lösungen zur Weiterentwicklung der Sicherheitskonzepte basierend auf der kontinuierlichen Überwachung von Vitalparametern im Auto und entsprechenden Interventionsszenarien. Grundsätzlich bietet die Anwendung von AAL-Technologien Potenzial für eine Vielzahl von Märkten [4]. Es ist zu erwarten, dass innovative Entwicklungen in diesen Märkten auch Ansätze für neue pHealth-Konzepte beinhalten.
439 Literatur
35
Literatur [1] Blobel B, Norgall T (2006) Standardbasierte Information und Kommunikation in der integrierten Versorgung – Das Personal Health Paradigma. HL7-Mitteilungen;21: 33–40 [2] BMBF/VDE Innovationspartnerschaft AAL (Hrsg.) (2010) AAL in der alternden Gesellschaft. Anforderungen, Akzeptanz und Perspektiven. Analyse und Planungshilfe. VDE Verlag GmbH, Berlin und Offenburg [3] BMBF/VDE Innovationspartnerschaft AAL (Hrsg.) (2010) Interoperabilität von AAL-Systemkomponenten. Teil 1: Stand der Technik. VDE Verlag GmbH, Berlin und Offenburg [4] BMBF/VDE Innovationspartnerschaft AAL (Hrsg.) (2011) AAL – ein Markt der Zukunft. Potentiale, Geschäftsmodelle, Szenarien. Whitepaper der BMBF/VDE Innovationspartnerschaft AAL AG Geschäftsmodelle unter Leitung von Ch. Rode-Schubert, VDE Verlag GmbH, Berlin und Offenburg [5] Norgall T (2009) Fit und selbständig im Alter durch Technik – von der Vision zur Wirklichkeit? Bundesgesundheitsblatt, Springer Medizin Verlag, Ausgabe 3/2009 [6] Norgall T (2009) Personalisierter Technikeinsatz – Zukunftsperspektive gesundheitlicher Prävention? Public Health Forum, Elsevier, Amsterdam, 17(65), S. 19.e1–19.e3. [7] Norgall T, Blobel B, Pharow P (2006) Personal health – the future care paradigm. In: Bos L, Roa L, Yogesan K et al. (eds) Medical and care compu netics 3, Series Studies in Health Technology and Informatics, Vol. 121. IOS Press, Amsterdam, pp 299–306 [8] Rode-Schubert C (2010) AAL – ein Markt der Zukunft. Trillium Report;8: 260–61 [9] Rode-Schubert C (2010) Changing heathcare delivery across the world – Germany. In: Price CP, St John A, Kricka LJ (eds) Point-of care testing, 3nd edn. AACC Press, Washington, pp 8–9 [10] VDE-Positionspapier (2008) Telemonitoring zur Prävention von Diabetes-Erkrankungen, Mikrosysteme in der Medizin, Anwendung/Technologie/Ökonomie, DGBMT, VDE Initiative MikroMedizin. Frankfurt am Main [11] www.bmbf.de/de/12547.php [12] www.cardiologyhd.com/crm-education/reducing-in-hospital-icd-follow-ups-safely-thetrust-trial
36 POCT für die Dritte Welt P. B. Luppa, H.Schlebusch
36.1
Stiftungen und Public Private Partnerships – 443
36.2
»ASSURED«-POCT-Entwicklungen – 444
36.3
Microfluidic Paper-based Analytical Devices (μPADs) – 444
36.4
Tuberkulosediagnostik – 445
36.5
HIV-Therapieüberwachung Literatur
– 446
– 447
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1_36, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
442
36
Kapitel 36 · POCT für die Dritte Welt
In den meisten Entwicklungsländern ist der Zugang der Bevölkerung zu einer besseren medizinischen Versorgung ein extrem dringliches Problem. Dabei sind die Strukturen der westlichen Gesundheitssysteme, z. B. die Organisationsform der großen Zentralkrankenhäuser, oft wenig hilfreich; eine dezentrale Gesundheitsversorgung stellt demgegenüber meist einen effektiveren Ansatz dar. In diesem Rahmen kann eine dezentrale Diagnostik mit POCT-Systemen eine wichtige Rolle spielen. Es gibt erste, erfolgreiche Ansätze, z. B. in Reservaten der Ureinwohner in Australien [9]; für einen breiteren Einsatz sind die vorhandenen Systeme jedoch zu teuer, zu kompliziert in der Handhabung und zu störanfällig unter kritischen Umweltbedingungen (z. B. Hitze, Feuchtigkeit). Auch das Parameterspektrum entspricht vielfach nicht den jeweiligen Erfordernissen. Das amerikanische »National Institute of Biomedical Imaging and Bioengineering« (NIBIB) hat deshalb in einer Kooperation mit Indien begonnen, Geräte zu entwickeln, die für einen Einsatz am »point of need« [4, 6, 7] wirklich geeignet sind. Auch das »International Council for Standardization in Hematology« (ICSH) bemüht sich um weltweit wirksame Leitlinien für POCT-Hämatologiegeräte, die vor allem in den Entwicklungsländern eingesetzt werden können [2]. Nach Jahrzehnten mit oft ideologisch gefärbten staatlichen Entwicklungshilfeprogrammen sind in den letzten Jahren vor allem Kooperationen zwischen öffentlichem Sektor und der Privatwirtschaft (sog. Public Private Partnership, PPP) in der Dritten Welt erfolgreicher geworden. Diese konzentrieren sich schwerpunktmäßig primär auf die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen gegen vorherrschende Infektionserkrankungen wie Malaria, HIV, Tuberkulose u.a. Diese internationalen PPPs bestimmen zunehmend, welche Gesundheitsprojekte in armen Ländern gefördert werden [3]. Überstaatliche Organisationen wie die Weltgesundheitsversammlung der WHO, in der 190 Staaten repräsentiert sind, haben sich hinsichtlich effektiver Gesundheitsförderprogramme in den Entwicklungsländern in der Vergangenheit leider nicht bewährt. Die Weltgesundheitsversammlung nimmt praktisch keine internationale Koordinierungsfunktion wahr, da jedes Land eine eigene Stimme hat. Wichtige Entscheidungen können so schnell blockiert werden. Zudem handelt es sich bei vielen Beschlüssen um reine Absichtserklärungen ohne konkrete Finanzzusagen [3]. Ähnliches gilt für die UNICEF und die Weltbank. Im Folgenden werden daher die bedeutendste private Stiftung und die beiden wichtigsten PPP vorgestellt.
443 36.1 · Stiftungen und Public Private Partnerships
36.1
36
Stiftungen und Public Private Partnerships
36.1.1 Bill-und-Melinda-Gates Foundation
Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung [10] fördert schwerpunktmäßig die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen. Seit 1994 hat die Stiftung mehr als 13 Milliarden US-Dollar in die globale Gesundheitsförderung investiert. Die Bill-und-Melinda-Gates Foundation ist die größte Stiftung der Welt. Eine große Zuwendung erhielt sie 2006, als der Milliardär Warren Buffet einen Teil seines Vermögens für karitative Zwecke zur Verfügung stellte. Allein 1,5 Milliarden Euro flossen an die GAVI Alliance (siehe unten), die Impfstoffe und -programme für Kinder entwickelt. Die Gates-Stiftung hat ausgerechnet, dass eine 90-prozentige Abdeckung lebensrettender Impfstoffe in Entwicklungsländern von 2010 bis 2019 das Überleben von etwa 7,6 Millionen Kindern unter fünf Jahren sichern würde. Darüber hinaus stellt die Stiftung 100 Millionen Dollar jährlich dem Global Fund zur Verfügung, der ebenfalls als PPP funktioniert (siehe unten).
36.1.2 GAVI Alliance
Die GAVI Alliance [11] ist eine PPP, die neuartige Wege geht, um die Impfraten in Entwicklungsländern zu steigern. GAVI vereint dabei wichtige Akteure, die dazu beitragen, Kindern in den ärmsten Ländern der Welt den Zugang zu Impfungen zu erleichtern: Regierungen von Entwicklungs- und Geberländern, die WHO, UNICEF, die Weltbank, Impfstoffhersteller aus verschiedenen Ländern, Forschungsinstitute und Entwicklungsagenturen, die Zivilgesellschaft, die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sowie andere private Geber und einflussreiche Privatpersonen arbeiten zusammen und können so Ziele erreichen, die keine Organisation alleine verwirklichen könnte.
36.1.3 The Global Fund
Der auf Betreiben des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan gegründete Global Fund [12] ist eine global agierende PPP, die sich der Prävention und Behandlung von AIDS, Tuberkulose und Malaria widmet. Diese
444
Kapitel 36 · POCT für die Dritte Welt
Partnerschaft wird aus Nationalstaaten, internationalen Entwicklungsgesellschaften und Privatorganisatoren sowie betroffenen Partnerländern bzw. Regionen gebildet; sie steht für einen neuen Ansatz zu einer internationalen Gesundheitsfinanzierung. Der Global Fund kollaboriert dabei auch mit anderen bi- und multilateralen Organisationen. Mehr als 50 Partner sind finanziell beteiligt – darunter viele Staaten, aber auch die WHO und die UNAIDS (gemeinsames Programm der UN zu HIV/Aids) sowie Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen. Der größte Geldgeber sind die USA; Deutschland ist ebenfalls mit hohen Summen pro Jahr beteiligt.
36.2
»ASSURED«-POCT-Entwicklungen
Da den Entwicklungsländern neben den finanziellen Ressourcen meist auch eine für labormedizinische Untersuchungen notwendige Infrastruktur (Elektrizität, Kühlmöglichkeiten, Fachpersonal etc.) fehlt, hat die WHO für diagnostische Verfahren die Eigenschaft »ASSURED« gefordert [8], was eine Abkürzung für »affordable, sensitive, specific, user-friendly, rapid and robust, equipment free, deliverable to end-users« ist. Im Folgenden sollen einige Neuentwicklungen vorgestellt werden, die diese Eigenschaften erfüllen können. Den Autoren ist dabei bewusst, dass die Auswahl subjektiv und unvollständig ist. Es soll mit der exemplarischen Nennung dieser Konzepte und Entwicklungen jedoch das Interesse des Lesers wie auch der IVD-Industrie für diese global wichtige, zukunftsbestimmende Thematik geweckt werden.
36.3
Microfluidic Paper-based Analytical Devices (μPADs)
36 Martinez et al. [5] stellen ein auf Papierbasis entwickeltes mikrofluidisches System vor, das multiplexartig colorimetrische Assays mit Reflexionsdetektion erlaubt. Die Autoren stellen dabei vor allem die vielen, seit langem bekannten Vorteile von Papierträgern für die biochemische Analytik heraus. Die mikrofluidischen Kanäle auf der Papiermatrix werden bei diesem Verfahren durch Photolithographie oder andere Techniken (Inkjet etching, Plasma etching, Wachsdruck) erzeugt. In diesem Fall werden die Kanäle durch hydrophile Cellulosefasern gebildet (Breite ca. 190 μm), die die Pro-
445 36.4 · Tuberkulosediagnostik
36
⊡ Abb. 36.1 Papier-Chip μPAD für die Urinanalyse
benflüssigkeit entlang des Kanals saugen. Die Wände des Kanals bilden hydrophobe Barrieren (Breite ca. 250 μm). Diese bestehen aus einem mit Zusatzstoffen (z. B. Wachs) behandelten Papier. Ein durch Photolithographie hergestellter Papier-Chip als μPAD ist in ⊡ Abb. 36.1 dargestellt. Am Beispiel dieses Urinanalyse-μPADs stellen die Autoren die Machbarkeit und die niedrigen Produktionskosten des Systems zur Analyse von Protein und Glukose dar. Es lassen sich aber ebenso gut auch Papier-Mikrozonen-Mikrotiterplatten oder dreidimensionale μPADs preisgünstig und reproduzierbar realisieren. Entsprechende Analysegeräte sind jedoch noch nicht kommerziell verfügbar.
36.4
Tuberkulosediagnostik
Der Wert von POCT-Methoden bei Epidemien in Entwicklungsländern kann am Beispiel der sich ausbreitenden Tuberkulose anschaulich dargestellt werden: Eine effektive Tuberkulosebehandlung wird durch die langsame, wenig sensitive mikrobiologische Diagnostik in den Ländern der Dritten Welt nachhaltig behindert. Besonders der Nachweis von resistenten Mycobakterienformen ist problematisch. Eine frühe Diagnose ist aber essentiell,
446
Kapitel 36 · POCT für die Dritte Welt
um die Mortalität des einzelnen zu senken und die Weiterverbreitung der Erreger zu unterbrechen. Die insuffiziente Infrastruktur des Gesundheitswesens in vielen armen Ländern limitiert den Zugang zu effizienten Diagnoseverfahren. Boehme et al. [1] haben daher vor Ort die Evaluierung eines automatisierten molekularbiologischen Keimnachweises von Mycobacterium tuberculosis (MTB) und der Resistenztestung gegen Rifampin (RIF) auf dem (bereits in Kap. 22 vorgestellten) GeneXpert MTB/RIF vorgenommen. Probenmaterial war Sputum von Patienten aus Peru, Aserbaidschan, Südafrika und Indien. Die Autoren stellen heraus, dass der MTB/RIF-Test den sensitiven und schnellen (<2 h Analysezeit) Nachweis von MTB und der RIF direkt aus unbehandeltem Sputum erlaubt: Der Test war bei 604 von 609 Patienten ohne Tuberkulose spezifisch (99,2 %); die Resistenztestung identifizierte 200 von 205 Patienten richtig (97,6 %) als Träger von Rifampin-resistenten Bakterien und 504 von 514 (98,1 %) Patienten mit Rifampin-empfindlichen Infektionsserregern. Trotz der schwierigen Bedingungen vor Ort hat sich das POCT-taugliche Gerät ohne Einschränkungen bewährt. Eine intensive Schulung des Bedienpersonals ist allerdings unbedingte Voraussetzung für seinen erfolgreichen Einsatz.
36.5
36
HIV-Therapieüberwachung
Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung unterstützt die Entwicklung einfacher POCT-Anwendungen für die Therapieüberwachung von AIDS-Patienten. Die sog. CD4-Initiative soll die Messung der CD4-positiven T-Lymphozyten in HIV-infizierten Patienten mit neuen Geräten möglich machen, um eine bessere Therapiekontrolle der anti-retroviralen Therapie zu gewährleisten. Die Fa. Zyomyx (Hayward, CA, USA) entwickelte daraufhin das erste POCT-Gerät für die quantitative CD4-Bestimmung [13]. Der Test, der sich so einfach wie ein Thermometer ablesen lässt, basiert darauf, dass sich durch CD4-bindende Reagenzien CD4-Lymphozyten aus einer Blutprobe ziehen und in ein Messgerät übertragen lassen, wo die Zellzahl durch ein einfaches Ablesen bestimmt werden kann. Die quantitative CD4-Zählung liefert entscheidende Informationen für die HIV-Therapie. Es ist zu hoffen, dass die Verbesserung der medizinischen Versorgung zumindest für einige Gebiete der Dritten Welt in den kommenden Jahren voranschreitet und damit dringliche soziale Probleme einer Lösung näher-
447 Literatur
36
gebracht werden. Dabei stehen z. Zt. neben medizinischen besonders politische, finanzielle, organisatorische und auch wissenschaftliche Aspekte im Vordergrund. Für eine effektive medizinische Versorgung spielen Diagnostik und Therapiekontrolle eine zentrale Rolle. POCT hat hierbei einen hohen Stellenwert, wobei vielfach – angepasst an die Situation des einzelnen Entwicklungslandes – technisch wie organisatorisch Neuland betreten werden muss. Es wird sich deshalb in den nächsten Jahren ein »neues« POCT entwickeln, dessen Ansätze bereits erkennbar sind.
Literatur [1] Boehme CC, Nabeta P, Hillemann D, Nicol MP, Shenai S, Krapp F et al. (2010) Rapid molecular detection of tuberculosis and rifampin resistance. N Engl J Med;363: 1005–15 [2] Briggs C, Carter J, Lee SH, Sandhaus L, Simon-Lopez R, Vives Corrons JL. ICSH guideline for worldwide point-of-care testing in haematology with special reference to the complete blood count. Int J Lab Med Hem 2008;30: 105–116 [3] Hibbeler B, Korzilius H (2010) Globale Gesundheit: Wes Brot ich ess ... Dtsch Arztebl;108: A-138/B-111/C-111 [4] Kost GJ Point of need, global outreach, and a universal companion. Point of Care 2008; 7: 103–105 [5] Martinez AW, Phillips ST, Whitesides GM, Carrilho E (2010) Diagnostics for the developing world: microfluidic paper-based analytical devices. Anal Chem 82: 3–10 [6] NIBIB and India hold joint workshop on low-cost diagnostic and therapeutic medical technologies.http://www.nibib.nih.gov/NewsEvents/Newsletters/March09. Accessed on May 19, 2009 [7] NIH and India partner to develop low cost medical technologies.http://www.nibib.nih. gov/NewsEvents/Releases/Archiv/2007OctNovDec.Accessed on May 19, 2009 [8] Peeling RW, Holmes KK, Mabey D, Ronald A (2006) Rapid tests for sexually transmitted infections (STIs): the way forward. Sex Transm Infect;82 Suppl 5: v1–6 [9] Shephard MD, Mazzachi BC, Shephard AK, Burgoyne T. Point-of-care testing in aboriginal hands- A model for chronic disease prevention and management in indigenous Australia. Point of Care 2006; 5: 168–176 [10] www.gatesfoundation.org [11] www.gavialliance.org [12] www.theglobalfund.org [13] www.zyomyx.com
Stichwortverzeichnis
P. B. Luppa, H. Schlebusch (Hrsg.), POCT – Patientennahe Labordiagnostik, DOI 10.1007/978-3-642-20172-1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
450
Stichwortverzeichnis
A Abrechnung von POCT in der Arztpraxis 328 ACT 104 Activated clotting time (ACT) 101 Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) 200 Akute Phase, POCT Messung 135 Akute-Phase-Proteine 8 Alkohol 250 Allergie, POCT Messung 135 Allergiediagnostik 8 Ambient Assisted Living (AAL) 436, 437 Analyseverfahren, viskoelastische 100 Analytgruppen 250 Analytik, transkutane 167 Anionenlücke 92 Anschlag, terroristischer 134 Antikoagulanzienmonitoring 100 Antikoagulanzientherapie, Home testing 136 Antikoagulation, orale − Patientenselbstmanagement 202 Anwenderschulung 317 Arztpraxis 324 − Beispiele für POCT 324 − Durchführung von POCT 329 − Wirtschaftliche Aspekte von POCT 327 Aufgaben, notärztliche 232
B Barbiturate 251 Basenexzess, aktueller (BE) 91 Basenexzess der Extrazellulärflüssigkeit BEE 91 Benchtop-Geräte 42 Benzodiazepine 251 Bestätigungsanalyse, bei Teststreifentests 249 Bikarbonatkonzentration, aktuelle cHCO3 (akt) 90 Bilirubin 155 − Bestimmung im Urin 272 − Messung 88 Bilirubinbestimmung − in der Neonatologie 262 − Messgeräte 169 Bilirubinometer 125 Bilirubinometrie, transkutane 262 Bioinformatik 428 Biosensordetektor, Eigenschaften 30 Blutabnahme − arterielle 57 − aus Kathetern 59 − kapilläre 53 − Stechhilfen 54 − venöse 56 Blutbildautomaten 111 Blutentnahme, zu Blutgasanalyse 58 Blutgasanalysatoren 113 Blutgasanalysesysteme 316 Blutgasanalytik − Geräte 80 − Nomenklatur 80 − Präanalytik 80
451 Stichwortverzeichnis
Blutgasanalyzer 124 Blutgase 8, 234 Blutgasgeräte, Eigenschaften 43 Blutgassysteme 81 Blutglukosebestimmung − Blutgewinnung an alternativen Stellen 187 − in der Neonatologie 261 − kontinuierliche Glukosebestimmung 188 Blutglukoseeinstellung 185 Blutglukoseselbstkontrolle − Home testing 136 Blutglukoseselbstkontrolle (BGSK) 178 BNP/NT-pro-BNP 223 Bundesärztekammer 391 Buprenorphin 253
C Cannabinoide 252 cFABP 218 CK-MB-Masse 218 CLIA-Kriterien 146 CoaguChek XS plus 203 CO-Oxymetrie 234 CRP 135 cTnI 218 cTnT 218
D Datenmanagementsystem 334 Datenmanagementsysteme 341, 346
A–E
D-Dimer 226 Designerdrogen − amphetaminähnliche 250 Detektionsmethoden − Glukosebestimmung 67 Detektor 28, 29 Diabetes mellitus 8 Diabetesüberwachung − in der Arztpraxis 326 Dokumentation − von Teststreifenergebnissen 249 Drogen 158, 234 − Bestimmung im Urin 275 Drogenschnelltest − Testprinzipien 244 Drogenscreening 8 − POCT 236 − POCT Messung 135 Drogen- und Medikamentenscreening 239
E ecarin clotting time (ECT) 200 echte POCT-Methoden 104 Einflussfaktoren 74 Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) − Beispiele für die POCT-Abrechnung 329 Einsatzgebiete − immunologische Verfahren 133 − klinisch-chemische Analysen 126 Elektrolyte 8, 234 Ellipsometrie 34
452
Stichwortverzeichnis
Endokrinologie, POCT Messung 135 Entscheidungsgrenzen 246 Enzyme 8 Erythrozyten, Bestimmung im Urin 273 Erythrozyten/Hämoglobin (Hb) 156 Evaluierung, Glukosemessgeräte 75
F Fehlerprävalenz 53 Fertilität 8 Fibrinolyse, Bewertung 207 Fokussierung, hydrodynamische 112
G Gebührenordnung für Ärzte − Beispiele für die POCT-Abrechnung 330 GeneXpert 288, 289, 446 Genexpressionsanalyse 429 Geräteauswahl 315 Geräteformate − immunologische Verfahren 131 Gerätekategorien 415 Geräteklassen − Hämatologie 110 − klinisch-chemische Analysesysteme 120 Gerinnselbildung, Bewertung 207 Gerinnselbildung, Methoden, viskoelastische 205
Gerinnung, POCT Messung 135 Gerinnung, plasmatische 100, 101 Gerinnungsaktivierung, Bewertung 207 Gerinnungsdiagnostik 100, 195 − Dokumentation 106 − Nutzen und Risiken 106 − Präanalytik 105 − Qualitätskontrolle 107 Gerinnungsverfahren 104 Gerinnungsverfahren/POCT-taugliche Methoden 104 Gewicht, spezifisches 157 − Bestimmung im Urin 275 Glukose 155 − Bestimmung im Urin 269 Glukosebestimmung 66, 177 Glukosemessgeräte 38 Glukosemessung 24 Glukosestoffwechsel − Diagnosekriterien 184 Glykolyse 182 GPBB 218 Guajac-Test 162
H Haftungsrecht 303 Hämatologie 8, 109 Hämoglobin, Bestimmung im Urin 273 Hämoglobinfraktionen 8 Hämoglobin/Hämatokrit 88 Hämolyse − Hinweise zur Vermeidung 56 Hämostaseologie 8 Hämostase, primäre 100, 196
453 Stichwortverzeichnis
HbA1c, Bestimmung 189 Hemochron Signature Elite 200 Heparinmanagementsystem 101, 104 Heparinmonitoring 199 Herzinsuffizienz 223 − POCT 227 Herzmarker − akutes Koronarsyndrom 221 − Anforderungen an das POCT 215 − POCT Messung 135 − Serumprofil nach Infarkt 218 Hochdurchsatzanalytik 14 Home testing 136 Humanes Choriongonadotropin (HCG) 158 − Bestimmung im Urin 276 Hydrolyse 248
I Immunchromatographie 141 Immunoassay 130 Immunoassays, optische − Funktionsweise 143, 144 Immunosensoren 130 Index, respiratorischer (RI) 96 Infektiologie 8 − POCT Messung 135 Infektionskrankheiten − Bestimmung in der Arztpraxis 326 Influenzaschnelltest 287 INRatio-System 204 Interferenzen, Glukosebestimmung 74 Interferenzspektroskopie, reflektometrische (RIfS) 34
E–L
K Kalibration 75 Kalibrierung 107 Kapillarblut 53, 131 − Entnahmesysteme 56 − Stechhilfen zur Gewinnung 54 Kardiale Marker 234 Kardiovaskuläre Marker − Bestimmung in der Arztpraxis 325 Ketone 155 Ketonkörper, Bestimmung im Urin 270 Knochenstoffwechsel 135 Kohlendioxidpartialdruck 170, 171 Kokain 252 Kontamination, wichtige Maßnahmen zur Verhinderung einer 245 Kontrollprobeneinzelmessungen 345 Kontrollprobenergebnisse − zulässige relative Abweichung 394 Koronarsyndrom, akutes 216, 221 − POCT 222 Kreatinin 157
L Lab-on-a-chip-Systeme 38 laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) 391 Laborsysteme 425 Lagerung − von POCT-Material 318 Leukozyten 157
454
Stichwortverzeichnis
− Bestimmung im Urin 274 Lipidstatus − Bestimmung 125
M Marker 8 − kardiale 8 Medikament 158 Medikamente − Bestimmung im Urin 275 Medikamentenscreening 239 Medikamentenspiegel 8 Medizinischer Einsatz − POCT 240 Medizinprodukterecht 302 Messmethoden − pCO2 81 − pH 81 − pO2 81 Messreaktionen, enzymatische − Glukosebestimmung 66 Messung 88 Metabolite 8, 234 Methadon 252 Methoden 102 Methoden, viskoelastische 102 Mikroalbumin 154 − Bestimmung im Urin 269 mikrobiologische Schnelltests 140 Miniaturisierung 426 Multi-use-Systeme 38 Myoglobin 218 Myokardinfarkt − POCT 235
Myokardischämie − Troponinzunahme 217
N Nasschemie 122 Neonatologie 257 Neugeborenenintensivstation − Laboratoriumsuntersuchung 259 Nichtinvasive Messungen 9 Nitrit 156 − Bestimmung im Urin 273 Non-wipe-Technik 68 Notfallmedizin, präklinische − POCT-Analyte 234 Nuclear-Matrix-Protein 22 (MTP22) 152
O Oberflächenanalytikverfahren, optische 33 Oberflächenplasmonresponanz 34 Opiate 253 Optoden 33 Oxymetrie 87
P p50 95 Parallelisierung 428 Parameter 119
455 Stichwortverzeichnis
Parameter, klinisch-chemische 119 Partikelagglutination 140 Patientenmonitoring 233 patientennahe Sofortdiagnostik 14 Patientenselbstmessung 9 PCR 45, 143–148, 288, 290–292, 427 Personal Health (pHealth) 434 PFA-100 102, 104 PFA-Analyse, Messprinzip 197 Pflegepersonal, Aufgaben 314 pH 156 Photometrie, direkte 263 pH-Wert − Bestimmung im Urin 273 Platelet Function Analyzer 197 Plausibilitätskontrolle 107 POCT 11, 28, 52 − Arztpraxis 323 − Berechtigung zur Durchführung 302 − Beurteilung der Blutprobe 60 − Blutgasanalytik 80 − Diagnostik kardiovaskulärer Krankheiten 211, 385 − Dritte Welt 442 − Drogen- und Medikamentenscreening 239 − Einsatzbereiche 7, 14 − Entwicklungstendenzen 24 − Gerinnungsdiagnostik 195 − Hämatologie 110 − Immunologische Verfahren 130 − Implementierung 308 − Intensivmedizin 231 − Kosten 19 − Marktsituation 21 − medizinische Aspekte 14
L–P
− Neonatologie 257 − Qualität 304 − Qualitätsstandard 17 − Rechtliche Aspekte 301 − Risiken/Probleme 19 − typische Merkmale 5 − Urinschnelltest 267 − Vernetzung im Klinikum 336, 340 − Vorteil der POCT-Diagnostik 16 − Vorteile 308 − wichtige Parameter 8 − wirtschaftliche Aspekte 14 − Zukünftige Entwicklungen 416, 424 POCT-Beauftragte 310 POCT-Geräte 37 POCT in der Heilkunde 6 POCT-Interface 343 POCT-Kommission 9, 62 POCT-Koordination − Aufgaben der zentralen 314 POCT-Koordinator 309, 311 POCT-Laboratoriumsleitung 309 POCT-Methoden − Durchführung 208 POCT-Server 342 − Software-Programm 344 POCT-Systeme 22 POCT-Systeme für TPZ/aPTT/ECT 104 POCT-Technologie 28 POCT-Vernetzung − Vor- und Nachteile 346 Point of Care Testing 4 Postanalytik 61 − Fehler 61 Präanalytik − Drogen- und Medikamentenscreening 250
456
Stichwortverzeichnis
− Fehler 60 − Schnelltest, mikrobiologischer 285 Probenaufgabe/Fluidikeinheit 36 Probenmanipulation 242, 253 Probenmaterial, Glukosebestimmung 73 Procalcitonin 135 Processing-Einheit 37 Protein 154 − Bestimmung im Urin 268 Pulsoxymetrie 169
Q QM-Handbuch 393 Qualitätskontrolle 52, 310, 312 − externe 397 − externe (Ringversuche) 396 − interne 396 Qualitätsmanagement 52, 309 − Arztpraxis 331 − Gerinnungsdiagnostik 107 − in der praktischen Notfallmedizin 236 Qualitätssicherung 392 − Drogen- und Medikamentenscreening 245, 254 − Krankenhaus 319 Quick-Wert) 101
R rapid platelet function analysis (RPFA) 104
Rauchgasinhalationen, POCT 235 Reflexionsspektroskopie, totale interne (TIRS) 34 Rettungs- und Transportsystem, präklinisches 232 Rheumatologie − POCT Messung 135 Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung lanboratoriumsmedizinischer Untersichungen (RiliBÄK) 391 RiliBÄK 312, 391 − in der präklinischen Notfallmedizin 236 − QM-Handbuch 393 RiliBÄK 2008 − externe Qualitätskontrolle 397 − interne Qualitätskontrolle 396 Rotationsthrombelastographie (ROTEG) 104 Rotationsthrombelastographie (ROTEM) 102 Rotationsthrombelastometrie (ROTEM) 205
S Sauerstoffbindungskapazität, maximale - BO2 94 Sauerstoffdifferenz, arteriovenöse avDO2 95 Sauerstoffkonzentration - cO2 95 Sauerstoffpartialdruck 170, 171 Sauerstoffsättigung - sO2 und psO2 94 Sauerstoffstatus 94
457 Stichwortverzeichnis
Säure-Basen-Haushalt 8, 90, 234 Schnelltest 28 Schnelltest, mikrobiologischer 140, 279 − Handhabung 286 − Leistungsfähigkeit 286 − Therapielenkung 283 Schwangerschaftstest − POCT Messung 135 Schweißanalyse 243 Sensitivitätserhöhung, Methoden 142 Sensor, elektrochemischer − BGA-Sensor 85 Sensoren 29 − optische 32, 86 Sensorstift 427 Seuchen 134 Sonoclot 102, 104 Speichelanalyse 242 Standardbikarbonatkonzentration cHCO3 (std) 91 Standardlabortest − Qualität 304 Stechhilfen − Blutentnahme 54 Stör- und Einflussgrößen 105 Stuhldiagnostik 8, 161
T TAT 15 Telemedizin 434, 435 Temperaturkorrektur − Blutgasanalyseergebnisse 97
P–U
Teststreifen 244 Teststreifen, immunchromatographischer − Funktionsweise 141 Testsystem, optimales 241 Thrombelastographie (TEG) 102, 104, 205 Thrombin-/Fibringenerierung 199 Thromboplastinzeit, aktivierte partielle 101 Thromboplastinzeit (TPZ 101 Thromboplastinzeit (TPZ) 200 Thrombozyten − Funktionstestung 198 Thrombozytenfunktion − Analyse 196 Thrombozytenfunktion, Analyse 102 Thrombozytenzahl 102 Tischgeräte, stationäre 38 Transducer 36 Transmissionsprophylaxe − durch POCT 284 Traumapatienten − POCT 235 Trockenchemie 121 Tumormarker − POCT Messung 135 turn around time (TAT) 15
U Unit-use-Reagenzien − Regelungen 396 Unit-use-Systeme 38 Untersuchungen, hämatologische 110
458
Stichwortverzeichnis
− Arztpraxis 116 − Einsatzgebiete 115 − Geräte für Einzelanalysen 114 − im Krankenhausbereich 115 − Interpretation 116 Untersuchungen, laboratoriumsmedizinische − Fehlerprävalenz 52 Urinanalyse 241 Urindiagnostik 8 Urinteststreifen 151 − Qualitätskontrolle 158 Urobilinogen 156 − Bestimmung im Urin 272
V Validierung − Glukosemessgeräte 75 Verfahren, immunologische 129 Verifynow 102 Verifynow-System 198 Vernetzung 430 Vernetzungsstrategien − von POCT-Geräten im Krankenhaus 334, 337 Vollblutaggregation 102
W Waver 429 Wipe-Technik 68
Z Zukünftige Entwicklungen − POCT 347 − Vernetzung im Krankenhaus 347 zur Qualitätssicherung 391 Zweitantikörper 142